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German Pages 361 [366] Year 2018
Christopher Degelmann Squalor
POTSDAMER ALTERTUMSWISSENSCHAFTLICHE BEITRÄGE ( PAWB ) Herausgegeben von Pedro Barceló (Potsdam), Peter Riemer (Saarbrücken), Jörg Rüpke (Erfurt) und John Scheid (Paris) Band 61
Christopher Degelmann
Squalor Symbolisches Trauern in der Politischen Kommunikation der Römischen Republik und Frühen Kaiserzeit
Franz Steiner Verlag
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des European Research Council, Advanced Grant no. 295 555.
Umschlagabbildung: Denar des L. Aemilius Lepidus Paullus aus Rom, 62 v. Chr.; RRC 415/1; Revers: Tropaeum, rechts davon ein Togatus, links ein Nicht-Togatus und zwei kleinere Nicht-Togati, die möglicherweise einen squalor darbieten; unten PAVLLVS; oben TER (vgl. Abb. 1; Seite 205 f. und 331).
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2018 Satz: DTP + TEXT Eva Burri, Stuttgart Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11784-5 (Print) ISBN 978-3-515-11785-2 (E-Book)
INHALTSVERZEICHNIS Abkürzungsverzeichnis ...................................................................................
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Vorwort............................................................................................................
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Einleitung: Die dichte Beschreibung einer Merkwürdigkeit ........................... 1. Forschungsstand: Vom Rechtspositivismus zur symbolischen Kommunikation .................................................................................... 2. Zielsetzung: Zeugnisse einer lebendigen Kultur des Politischen ......... 3. Aufbau der Arbeit: Diskurs und Praxis ................................................
11 20 25 27
I. TEIL: PROLEGOMENA 1. 1.1 1.2 1.3 2. 2.1 2.2 2.3 2.4
Vorbemerkungen: Die Performanz symbolischen Trauerns ................. Der Eigen-Sinn symbolischer Trauerakte und die Frage der Aneignung ...................................................................................... Symbolische Austauschbarkeit? Die semantische Verwandtschaft der pompae ........................................................................................... Erfolg und Misserfolg: Instrumentelles vs. symbolisch-expressives Handeln ................................................................................................
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Soziale, politische und juristische Voraussetzungen von Trauerakten.. Historischer Ort und Genese des squalor ............................................. Elitäre Konflikte des zweiten Jahrhunderts und ihr Ort: Die Gerichte ......................................................................................... Die Öffentlichkeit als Regulativ nobilitärer Auseinandersetzungen ..... Die Heterogenität des populus und das Problem der Etikettierung ......
44 45
37 39 41
49 57 62
II. TEIL: GESTALT UND EIGENHEITEN EINER DISKURSIVEN PRAXIS 3. 3.1 3.2 3.3 4. 4.1 4.2 4.3
Zwischen Diskurs und Praxis: Die narrative Performanz der Trauerszenen .................................................................................. Selbst Zeugnis ablegen: Cicero und seine Verbannung ........................ Aushandeln zwischen Vorbild und Vorlage: Die kollektiven Trauerakte des Livius .................................................. Verständnis und Missverständnis: Appians Tiberius Gracchus ............
71 75 83 88
Narrative Strategien: Die literarische Modellierung von Trauerszenen.................................................................................. 94 Die ideale Trauerszene gibt es nicht ..................................................... 95 Das Glück scheitern zu können: Narrative Optionen ........................... 99 Eskalation der Konfliktsituation: Radikalisierung der Anhängerschaft ............................................................................... 104
6
Inhaltsverzeichnis
III. TEIL: DAS ZEICHENREPERTOIRE SYMBOLISCHER TRAUERAKTE 5. 5.1 5.2 5.3
Abgrenzung, Zuschreibung, Abwertung: Die Kleidung der Römer ..... Die sogenannte „Trauerkleidung“: lugubria, toga pulla, vestis sordida ........................................................................................ Das Anlegen der vestis sordida als Selbsterniedrigung ........................ Um jeden Preis gesehen werden wollen: Die Ökonomie der Aufmerksamkeit .............................................................................
115 120 127 130
Trauern und Drohen: Der planctus ....................................................... Das Fehlen einschlägiger Gesten beim squalor ................................... Jenseits der Inszenierung: Das Zerreißen der Kleider als spontaner Trauerakt? ....................................................................... Durch Schweigen den Ruf schädigen: Die Inszenierung der fama.......
136 139
156 156
7.3
Aneignung und Verkehrung: Aspekte der Bestattungskultur ................ Die Eskalation einer Leichenfeier bei Clodius und Caesar .................. Die pompa funebris imitieren: Die Demonstration familialer Kontinuität............................................................................................ Wie dem Leichenzug folgen: Das adsectari .........................................
8. 8.1 8.2 8.3 8.4
Bitten und Werben: Praktiken der Nahbeziehungen nutzen ................. Auf Stimmenfang gehen: ambitio und prensatio .................................. Sordidatus und candidatus: Zwei Seiten einer Medaille ...................... Übertreibung bis zur Verkehrung: Die adsectatio ................................ Herumgehen von Haus zu Haus: ambitio oder salutatio? ....................
176 178 182 186 189
9. 9.1 9.2
193 194
9.3
Geschworene, Götter, Gegner: Bitten in anderen Räumen ................... Sich zu Füßen der Richter werfen: Die forensische supplicatio ........... Auf die Götter verweisen: Religiöse supplicationes und Geschlechterrollen ......................................................................... Sich rituell unterwerfen: Die deditio von Königen und Gesandten ......
10.
Zwischenfazit: Anzeichen einer elastischen politischen Kultur ........... 212
6. 6.1 6.2 6.3 7. 7.1 7.2
142 151
164 171
198 202
IV. TEIL: DIE WIRKUNG DES SQUALOR 11. 11.1 11.2
Gefühle zeigen und evozieren: (Un-)Beabsichtigte Reaktionen........... 221 Den Zuschauer zum Trauern bringen: Theorie und Praxis ................... 223 Die Wucht des squalor: Das explosive Gemisch von Trauer, Wut und Zorn ....................................................................................... 228
12.
Anspruch, Akzeptanz, Authentizität: Zwischen Erinnerung und Invektive ........................................................................................ 234 Das pietas-Moment auf seiner Seite haben: Münzen und Beinamen ... 234 Kommemorierung und ikonographische Repräsentation: Büsten, Gemmen, Schleuderbleie......................................................... 241
12.1 12.2
Inhaltsverzeichnis
13. 13.1 13.2
7
Rückzug und Widerstand: Reaktionen politischer Gegner ................... 249 Aktivierung des Schamgefühls und die Kränkung der Ehre: pudor und infamia ................................................................................ 250 Gegenmaßnahmen ergreifen: Injurien-Klage, Milde und Obstruktion .................................................................................... 254
V. TEIL: ZUSAMMENFASSUNG 14. 14.1 14.2
Die Gegenprobe: Erwartbares und nicht-erwartbares Verhalten .......... 265 Die Klaviatur des squalor spielen: Sanktionen und Konzessionen ...... 267 Verweigerte Trauerinszenierungen: Die causa Appietata ..................... 273
15. 15.1 15.2
Das Ende symbolischer Trauerakte: Verschleiß und Prinzipat ............. 277 Den Kaiser nicht herausfordern wollen ................................................ 279 Die Schwächung familialer und Stärkung militärischer Nahbeziehungen ................................................................................... 283
16. 16.1 16.2 16.3 16.4
Fazit: Eine politische Kultur in Bewegung........................................... Literarische Inszenierung und narrative Logik: Die Trauerszenen ....... Die Systematik im Kleinen: Ein ahistorisches Resümee ...................... Eine „kleine Geschichte“ des squalor .................................................. Von der Geschichte überholt: Der Niedergang symbolischer Trauerakte.............................................................................................
290 291 293 296 298
Quellenverzeichnis .......................................................................................... 303 Literaturverzeichnis......................................................................................... 307 Abbildungsnachweise...................................................................................... 331 Index 1. Stellenregister.............................................................................................. 333 2. Personenregister .......................................................................................... 350 3. Sachregister ................................................................................................. 355
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS Antike Autoren und ihre Werke werden nach dem Neuen Pauly abgekürzt. Eine Ausnahme bilden allein die Reden Ciceros vor dem Volk und Senat nach seiner Rückkehr aus der Verbannung; sie werden mit Quir. bzw. Red. Sen. zitiert. Zeitschriftenabkürzungen folgen der L’Année philologique. CAH FIRA FRH FRHist FRM MRR ORF RIC RRC
The Cambridge Ancient History, Vol. IX: The Last Age of the Roman Republic 14 –43 B. C., ed. J. A. Crook / A. W. Lintott / E. Rawson. 2nd ed. Cambridge 2006. Fontes Iuris Romani Antejustiniani, Pars Prima: Leges, ed. S. Riccobono. Florenz 1969. Die Frühen Römischen Historiker, Vol. I: Von Fabius Pictor bis Cn. Gellius, Vol. II: Coelius Antipater bis Pomponius Atticus, hrsg., übers. u. komm. v. H. Beck / U. Walter. Darmstadt 2001–04. The Fragments of the Roman Historians, Vol. I, ed. T. J. Cornell. Oxford u. a. 2013. Fragmente Römischer Memoiren, hrsg., übers. u. komm. v. P. Scholz / U. Walter unter Mitarb. v. C. Winkle. Heidelberg 2013. The Magistrates of the Roman Republic, Vol. I, II & III, ed. T. R. S. Broughton. Atlanta, GA, 1982–86. Oratorum Romanorum Fragmenta Liberae Rei Publicae, Vol. I & II, hrsg. v. H. Malcovati. Turin 1979. The Roman Imperial Coinage, Vol. I, ed. C. H. V. Sutherland / R. A. G. Carson. Rev. ed. London 1984. The Roman Imperial Coinage, Vol. II, ed. C. H. V. Sutherland / R. A. G. Carson. Rev. ed. London 1984. The Roman Republican Coinage, Vol. I & II, ed. M. Crawford. Oxford 1984.
VORWORT Die vorliegende Untersuchung stellt die leicht überarbeitete und gekürzte Fassung meiner Dissertationsschrift dar, die das Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt am 29. Oktober 2016 angenommen hat. Am Ende eines langen Weges bleibt die bewährte Tradition des Dankes. Allen voran möchte ich Jörg Rüpke (Erfurt) danken, der mich nicht nur als Betreuer begleitete. Er verübelte es mir nicht, dass aus der zunächst religionswissenschaftlich angelegten Arbeit eine althistorische Studie wurde. Sein durch das European Research Council geförderter „Advanced Grant“ (no. 295 555) ermöglichte mir zudem eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter und die rasche Publikation durch die großzügige Übernahme der Druckkosten. Das Projekt Lived Ancient Religion (LAR) stellte über den theoretischen Rahmen hinaus ein fruchtbares Klima zur Verfügung, das Diskussionen zahlreicher Ansätze in wärmster Atmosphäre hervorbrachte: Allen Lares, aber insbesondere meinem Bürokollegen Maik Patzelt, sei dafür herzlich gedankt. Claudia Tiersch (Berlin) bin ich sowohl für die Übernahme des Koreferats als auch für die neue akademische Heimat an ihrem Lehrstuhl dankbar – ebenso dem gesamten Berliner Team. Das Sommersemester 2015 am Althistorischen Seminar Göttingen bot mir dank des nicht zu unterschätzenden Rückhalts im Kollegium die Zeit, das Manuskript in großen Teilen fertigzustellen. Den Kolloquiumsteilnehmern in Aarhus, Berlin, Bochum, Chemnitz, Erfurt, Halle, Hannover und Princeton danke ich für ihre Diskussionsfreude. Wiederholt konnte ich mich dankenswerterweise mit Katarina und Marian Nebelin (Rostock bzw. Chemnitz) sowie Egon Flaig (Berlin/Rostock) zum squalor austauschen. Zahlreiche Personen nahmen es zudem auf sich, einzelne oder mehrere Kapitel zu lesen. Dazu zählen Harriet I. Flower (Princeton), Tanja Scheer (Göttingen), Beate Wagner-Hasel (Hannover), Katharina Waldner, Hagen Schölzel (beide Erfurt), Timo Luks (Gießen), Stefan Pfeiffer (Halle), Johannes Eberhardt (Freiburg) und Jan Meister (Berlin). Letzterer erlaubte mir ferner die Einsicht in drei noch nicht veröffentlichte Artikel. Besonders zu Dank bin ich Daniel Albrecht (Erfurt) und Andreas Mehl (Berlin/Halle) verpflichtet, die mich vor manchem Fehler bewahrt haben, indem sie das gesamte Manuskript wortwörtlich „durchackerten“. Den Hilfskräften in Berlin möchte ich für die intensive Unterstützung auf den letzten Metern danken. Eine letzte Durchsicht nahmen freundlicherweise Ralph Lange (Köln) und Elisabeth Begemann (Erfurt) vor. Alle verbliebenen Unstimmigkeiten fallen zu meiner Last. Den Herausgebern der „Potsdamer Altertumswissenschaftlichen Beiträge“ möchte ich meinen Dank für die zügige Aufnahme in ihre Reihe aussprechen. Gleiches gilt für das Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, das mir freundlicherweise die Genehmigung erteilte, Abbildungen von vier in ihrem Besitz befindlichen Objekten zu nutzen.
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Vorwort
Verwandte und Freunde, die ihren Beitrag leisteten, kennen ihre Namen (Pasqualor!), doch ohne das Zutun dreier Generationen von Frauen wäre die Arbeit sicher nicht zu einem Ende gekommen: Meiner Mutter Rosemarie, die sich über Jahre für mich aufopferte, bis sie keine Kraft mehr hatte, meiner – und das ist kein Euphemismus – tatsächlich besseren Hälfte Manja Berte und zuletzt meiner Tochter Edda, die mich auf der Zielgeraden motivierte, ohne es zu wissen, sei das Buch daher zu gleichen Teilen gewidmet. Berlin/Chemnitz, März 2017
Christopher Degelmann
EINLEITUNG: DIE DICHTE BESCHREIBUNG EINER MERKWÜRDIGKEIT Was haben Marc Bloch, Ernst H. Kantorowicz und Norbert Elias gemeinsam? Natürlich stehen sie für eine bestimmte Ausrichtung historischer Forschung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie eint das Interesse an vormodernen Logiken des Handelns, vor allem aber die Fähigkeit, sich zu wundern – der eine über den Glauben an die heilenden Hände des Königs, der andere über das monarchische Bestattungszeremoniell, der letzte schließlich über die Sitten am Hofe Ludwigs XIV.1 Die vorliegende Untersuchung nimmt wunder an folgender Begebenheit, die der Exzerptor des griechischen Historikers Diodor für das Jahr 104 v. Chr. berichtet:2 Nach Rom kamen Gesandte des Königs Mithridates und brachten mit sich eine Menge Geld zur Bestechung des Senats. Saturninus, der darin eine Möglichkeit zum Angriff gegen den Senat sah, benahm sich gegen die Gesandten äußerst hochmütig. Da indes die Senatoren die Gesandten aufhetzten und ihnen ihre Hilfe versprachen, strengten die so Behandelten gegen Saturninus einen Prozess wegen der erlittenen Misshandlungen an. (2) Der Prozess fand nun 1
2
Vgl. Stollberg-Rilinger (2013a) 34 f.; für die Alte Geschichte im Speziellen hat Meister (2014) in ähnlicher Manier die Arbeiten von Flaig (1992); Barghop (1994); Späth (1994) und MeyerZwiffelhoffer (1995) hervorgehoben und den Paradigmenwechsel weg von einer positivistischen Politikgeschichte großer Männer oder einer reinen Sozialgeschichte Vittinghoffscher Prägung hin zu einer neueren Kulturgeschichte des Politischen betont. Diod. 36, 15, 1–3 frg. Dindorf (Übers. G. Wirth): Ὅτι εἰς τὴν Ῥώμην ἧκον πρεσβευταὶ Μιθριδάτου τοῦ βασιλέως κομίζοντες μεθ’ αὑτῶν χρημάτων πλῆθος πρὸς τὴν τῆς συγκλήτου δωροδοκίαν. ὁ δὲ Σατορνῖνος δόξας ἀφορμὴν ἔχειν κατὰ τῆς συγκλήτου μεγάλην ὕβριν τῇ πρεσβείᾳ ἐνεδείξατο. καὶ τῶν συγκλητικῶν παροξυνάντων τοὺς πρεσβευτὰς καὶ συνεργήσειν ἐπαγγελλομένων, οἱ καθυβρισθέντες ἐπήνεγκαν κρίσιν τῷ Σατορνίνῳ περὶ τῆς εἰς αὐτοὺς ὕβρεως. τοῦ δὲ ἀγῶνος ὄντος δημοσίου καὶ μεγάλου διὰ τὴν τῶν πρεσβευτῶν ἀσυλίαν καὶ τὴν συνήθη παρὰ τοῖς Ῥωμαίοις ὑπὲρ τῶν πρεσβειῶν μισοπονηρίαν· ὁ δὲ Σατορνῖνος θανάτου κατηγορούμενος ὑπὸ τῶν συγκλητικῶν, ὡς ἂν ἐκείνων δικαζόντων τὰς τοιαύτας κρίσεις, εἰς τοὺς μεγίστους ἐνέπεσε φόβους τε καὶ κινδύνους, καὶ διὰ τὸ μέγεθος τῶν ὑποκειμένων ἀγώνων πτήξας κατέφυγεν ἐπὶ τὸν κοινὸν τῶν ἀκληρούντων ἔλεον, καὶ τὴν ἐσθῆτα τὴν πολυτελῆ κατέθετο, πιναρὰν δὲ μεταμφιασάμενος καὶ κόμην καὶ πώγωνα τρέφων περιῄει τοὺς κατὰ τὴν πόλιν ὄχλους, καὶ τοῖς μὲν πρὸς τὰ γόνατα πίπτων, τοῖς δὲ ταῖς χερσὶν ἐπιφυόμενος ἐδεῖτο καὶ μετὰ δακρύων καθικέτευε βοηθῆσαι τοῖς ἀκληρήμασιν· καταστασιάζεσθαι γὰρ ἑαυτὸν ἀπεφαίνετο παρὰ πᾶν τὸ δίκαιον ὑπὸ τῆς συγκλήτου, καὶ τοῦτο πάσχειν ἑαυτὸν ἀπεδείκνυε διὰ τὴν εἰς τὸν δῆμον εὔνοιαν, καὶ τοὺς αὐτοὺς ἔχειν ἐχθρούς τε καὶ κατηγόρους καὶ κριτάς. τοῦ δὲ δήμου συνεξαιρομένου ταῖς δεήσεσιν, πολλαὶ μυριάδες συνέδραμον ἐπὶ τὸ κριτήριον, καὶ παραδόξως ἀπελύθη. καὶ συνεργὸν ἔχων τὸν δῆμον πάλιν ἀνερρήθη δήμαρχος. – Zur griechischen Deutung einer römischen Praxis siehe Kap. 3.3. Der Auszug geht wahrscheinlich auf den byzantinischen Kaiser Konstantin Porphyrogennetos zurück, der im frühen zehnten Jahrhundert die Excerpta Historica aus verschiedenen, teilweise verlorenen Historiographen anfertigte. – Die Datierung der Episode ist umstritten; siehe Wirth (2008) 512 f. für das Jahr 104; dagegen CAH IX 97; 142 für 101/100 und Broughton (1987) 57 für 102/101, die sich jeweils auf das zweimalige Tribunat des Saturninus oder das Datum der Gesandtschaft beziehen; MRR I, 563; 575 f.
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Einleitung: Die dichte Beschreibung einer Merkwürdigkeit in der Öffentlichkeit statt und erregte großes Aufsehen, und zwar wegen der Unverletzlichkeit von Gesandten wie auch wegen der für Rom selbstverständlichen Abscheu vor einer Belästigung dieses Personenkreises. Saturninus aber, von den Senatoren eines todeswürdigen Verbrechens angeklagt, geriet, da diese in solchen Prozessen das Urteil zu fällen hatten, in höchste Angst und in der Tat auch in äußerste Gefahr. Wegen der Schwere der vorliegenden Anklage tief bedrückt, nahm er seine Zuflucht zu dem Mitleid, das man allgemein den Unglücklichen entgegenzubringen pflegte. Er legte sein kostbares Gewand ab und zog ein schmutziges Kleid an, ließ sich Bart und Haare wachsen und lief beim Volke in der Stadt herum, wobei er vor den einen auf die Knie fiel, andere bei den Händen fasste und sie unter Tränen anflehte, ihm in seiner Not zu helfen. (3) Er behauptete, der Senat wolle wider alles Recht ihn durch Intrigen zu Fall bringen, und dies habe er zu erleiden wegen seiner freundschaftlichen Verbindung mit dem Volke. Bei all dem aber seien Feinde, Ankläger und Richter für ihn die gleichen. Das Volk nun, durch diese Bitte in Aufregung versetzt, kam zu vielen Zehntausenden vor Gericht zusammen. So wurde er wider Erwarten freigesprochen. Und mit dem Volke als Helfer wurde er danach noch mehrmals zum Volkstribun ernannt.
Die Betrübtheit des Saturninus über die Anklage erzeugte Mitleid bei den Zuschauern und führte zum Freispruch, da die sympathisierende Menge eine wirksame Drohkulisse bildete. Im Vergleich mit anderen Zeugnissen lassen sich die von ihm für seinen Bittgang beim Volk gebrauchte Kleidung und Haartracht eindeutig als antike Trauerzeichen identifizieren. Trauer ist die Reaktion auf einen Verlust, besonders auf den Verlust eines bedeutsamen Menschen durch den Tod. Aber auch der Abschied von vertrauten Lebensverhältnissen und Lebensphasen und von körperlicher wie seelischer Unversehrtheit lösen Trauer aus. Sie ist damit fester Bestandteil der menschlichen Existenz. Weil Menschen auf Beziehungen angewiesen sind und das Leben unweigerlich auf den Tod zuführt, bildet jede Kultur Riten, Bräuche und Verhaltensweisen, etwa öffentliche Bestattungs- und Abschiedsrituale und Volksbräuche, spezielle Friedhofskultur, Trauerkleidung und -zeiten aus, die eine gesellschaftliche Bewältigung unterstützen sollen. Sie dienen einerseits der Expression und Deutung der Trauer und dem Schutz der Trauernden. Andererseits setzen sie der Trauer Grenzen und schützen damit das Funktionieren der Gesellschaft. Fast jede Bestattung gestaltet den Abschied von den Verstorbenen, evoziert wie kanalisiert Emotionen und führt letzlich auf eine Integration aller Beteiligter in den neuen Status hin.3 Vor diesem Hintergrund wundert man sich – und das ist im vorliegenden Fall entscheidend –, um wen oder was Saturninus überhaupt trauerte. In der durch das Exzerptformat abgeschlossenen Episode findet man keinen Hinweis auf einen Todesfall, den es zu beklagen gab, und auch die Parallelüberlieferung hält keinen Hinweis bereit, denn die Begebenheit ist allein durch das Diodor-Fragment bezeugt.4 Eines konkreten Todesfalls bedurfte es dazu tatsächlich nicht. Im Gegenteil bietet die antike Überlieferung zum alten Rom über einhundert Erwähnungen, dass man in der Republik zu einem bestimmten Anlass, etwa wenn man in eine bedroh3 4
Vgl. Sörries (2012); Hoefer (2010); Doka (2008); Baumgarten (2008); ferner Koch (2006) 18–24; Ecker (1999). Eine Reminiszenz bietet Cic. Brut. 224: seditiosorum omnium post Gracchos L. Appuleius Satuminus eloquentissumus visus est, magis specie tamen et motu atque ipso amictu capiebat homines quam aut dicendi copia aut mediocritate prudentiae. (Hervorhebung CD).
Einleitung: Die dichte Beschreibung einer Merkwürdigkeit
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liche Lage geraten war, dunkle oder beschmutzte Kleider anlegte, mitunter Haar und Bart wachsen ließ. Das Gleiche galt für geläufige Praktiken, wie man sie aus der tagtäglichen Sympathiewerbung der Eliten kannte; sie ergänzten die Trauerzeichen des Saturninus. Doch bei ihm geht es trotz des Herumgehens von Bürger zu Bürger nicht mehr um Wahlkampf (ambitio) und trotz der Trauerzeichen nicht um einen Todesfall, sondern die Neusequenzierung in schmutziger (sordida) statt farbloser (pura) oder gar kreideweißer Toga (candida)5 verweist auf den in das Feld aristokratischer Konfliktaustragung verschobenen Schauplatz und den Ernst der Lage. Damit lässt sich eine Bedeutungsverschiebung aller an der Szene beteiligten Elemente feststellen. Zeichen und Gesten des Trauerns wurden aus ihrem ursprünglichen Bezugsrahmen gelöst und in einen neuen Kontext überführt, der nicht mehr in einem unmittelbaren Zusammenhang mit Trauerpraktiken und Bestattungszeremoniell stand. Auch die den Trauerzeichen beigemengten Bittgesten werden ihrem eigentlichen Kontext – Politik und Nahbeziehungen – enthoben. Die Akteure der beschriebenen Traueraktionen nahmen bekannte Muster der Alltagswelt auf und fügten sie zu einer neuen Folge zusammen, die eine ähnliche, doch weder völlig andere noch gleiche Bedeutung generierte als im Primärkontext. Es handelt sich demnach um eine Trauerpraxis zweiter Ordnung. Dabei stand stets der Symbolwert dieser Trauerzeichen im Vordergrund. „Symbolisch“ will heißen, dass Signifikant und Signifikat, „Ausdrucks-“ und „Inhaltsseite“ des ursprünglichen Zeichens auseinanderdrifteten. Die äußere Form blieb erhalten, während der Gehalt des Zeichens ins Politische rückte, da kein tatsächlicher Todesfall zu betrauern war.6 Damit berührt das symbolische Trauern einen ganz wesentlichen Punkt politischer Kultur im republikanischen und frühkaiserzeitlichen Rom.7 Zwar stellen diese Trauerszenen nur einen Ausschnitt der politischen Kultur dar, jedoch sitzen sie im eng gesponnenen symbolischen Netz republikanischer Verhaltensweisen als Bricolage zahlreicher täglicher und außeralltäglicher Praktiken an einem Knotenpunkt. Sie verdeutlichen das Zusammenwirken mehrerer zentraler Mechanismen in der römischen Politik. Jedoch sind diese Trauerakte nicht nur als die Summe ihrer einzelnen Teile zu verstehen. Die rechte Anwendung, die das symbolische Wechselspiel sowohl zwischen den Beteiligten als auch den Settings ausreichend zu würdigen wusste, stellte eine große Herausforderung für die Akteure dar. Zudem geben die Traueraktionen Einblick in die vielfältigen Aneignungsprozesse hegemonialer und subalterner Individuen und Gruppen in der römischen Geschichte. Es gilt daher zu fragen, welche Zeichen und Gesten welchen Kontexten entlehnt sind. Durch eine Betrachtung des Wechselspiels zahl5 6
7
Zur Kleidung der Römer siehe Kap. 5; zur toga candida auch Kap. 8.2. Dass auch tatsächliche Trauerinszenierungen in Form von Leichenzügen eine starke politische Seite besaßen, ist vielfach betont worden; vgl. Hölkeskamp (2014); (2008); Blasi (2013); Blösel (2003); grundlegend Flaig (1995) und Flower (1996); zu einem vergleichenden Ansatz siehe Ecker (1999) besonders 19, die Wechselwirkungen zwischen Inszenierung und Emotionen herausarbeitet. Zur politischen Kultur und ihrer Ausdrucks- wie Inhaltsseite in der Republik Hölkeskamp (2010); (2004), (2006) 360 A. 1 mit weiterer Literatur und (2009) 20: „Sie hat zeremonielle und rituelle, performative, symbolische und auch ästhetische Dimensionen […].“
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Einleitung: Die dichte Beschreibung einer Merkwürdigkeit
reicher, ganz unterschiedlicher sozialer Praktiken in einem einzigen Ritual geraten Facetten in den Blick, denen eine herkömmliche, positivistische Aufarbeitung des Gegenstandes nicht gerecht wird. Umgekehrt kann eine Analyse sekundär verwendeter Riteme dazu beitragen, ihre „Ursprungsrituale“ zu erhellen – bisweilen diese rituellen Elemente als Bausteine zu identifizieren, die keine entschlüsselbare Genealogie besitzen, sondern deren Spezifikum in der Anwendbarkeit in verschiedenen Situationen je nach kulturellem Skript oder Einschätzung der Akteure liegt.8 Darin zeigt sich, wie wenig statisch und ausgesprochen lebendig die politische Kultur der Republik und frühen Kaiserzeit war. Symbolisches Trauern verfügt über zahlreiche Berührungspunkte mit bekannten Fragen in der Erforschung der römischen Republik und ihres Jahrhunderte währenden Fortbestands: Die Rolle kollektiver Rituale, die Beziehung zwischen politischer Klasse und Volk, das Verhältnis zwischen Konkurrenz und Konsens in der Oberschicht und nicht zuletzt die Krisenhaftigkeit der Republik rücken ebenfalls in den Fokus. So kann eine Untersuchung politisch motivierter Trauerinszenierungen dabei helfen, im „Kleinen das Große“ aufzuspüren und ein verbessertes Verständnis der römischen Gesellschaft zu ermöglichen.9 Aus diesem Grund werden im Folgenden eine Systematisierung und eine umfassende Neubewertung symbolischer Trauerbekundungen unternommen. Rituelle wie symbolische Kommunikationsakte leisteten eine erhebliche Stabilisierungsarbeit in vormodernen, weniger literalen Gesellschaften und machten gerade im antiken Rom einen wesentlichen Bestandteil der öffentlichen Interaktion aus. Symbolische Akte schlichteten gesellschaftliche Spannungen, konsolidierten soziale Hierarchien, stifteten Konsens und wahrten die Ordnung wie den inneren Frieden.10 Diese kommunikativen Akte besaßen ein starkes performatives Moment. Mit ihrer Hilfe versuchten einzelne Akteure oder Gruppen, die soziale Wirklichkeit in ihrem Sinne zu beeinflussen; sie sollten bewirken, was sie darstellten. Das galt auch für symbolisches Trauern. Man versuchte eine Botschaft zu vermitteln, die dazu beitrug, ein als Unrecht empfundenes Übel zu rächen oder im Vorfeld zu verhindern. Der Schritt in die Öffentlichkeit und somit die Akquirierung eines Publikums für die Aktion waren dafür unabdingbar. Die Trauersymbolik galt als geeignet, die Anwesenden gewogen zu machen, indem Mitleid und Sympathie erzeugt, gleichzeitig aber der politische Gegner attackiert wurde. Wie sich Sympathien äußerten, war nur schwer zu kontrollieren; sie konnten viele Formen annehmen, die sich von Wehklagen über Drohungen – wie bei Saturninus – bis zu Ge8
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Flaig (2003a) 34–6; Beck (2005a) und Gisborne (2005) haben bereits auf die syntaktische Variabilität der pompa funebris, triumphalis, circensis hingewiesen und gezeigt, dass einzelne Ritualbausteine zwischen den Prozessionen austauschbar waren, manchmal auch bewusst verkehrt wurden, sie aber einander bedingten und nicht ohne die jeweils anderen denkbar und verständlich waren; dazu auch Kap. 1.2. Ulbricht (2009) 13 gibt an, „[…] dass durch die Erforschung im Kleinen – nicht des Kleinen – Faktoren ans Tageslicht gefördert werden können, die der Aufmerksamkeit bisher entgangen sind.“ Zur Funktion, Semantik und Symbolizität von Ritualen nun umfassend Stollberg-Rilinger (2013a).
Einleitung: Die dichte Beschreibung einer Merkwürdigkeit
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waltanwendungen gegen die vermuteten Verursacher des Trauerzustandes erstreckten. Diese Instrumentalisierung diente dazu, öffentliche Meinung zugunsten der eigenen Person und gegen politische Opponenten zu beeinflussen. Ruf, Ehre und Würde einzelner Beteiligter wurden durch die Öffentlichkeit performativ hergestellt und standen im Fokus jeder Szene. Ehre spielte eine so entscheidende Rolle in der „Kommunikation unter Anwesenden“,11 dass eine Bedrohung der dignitas unberechenbare Konflikte heraufbeschwor. Besonders in vormodernen Gemeinwesen wie Rom, dessen Entscheidungsprozesse sich im stadtstaatlichen Kontext vollzogen, wurden fama, honos und dignitas der politischen Klasse unentwegt verhandelt. Hunderte Blicke lasteten auf einem römischen Nobilis, sobald er das Haus verließ und sich Richtung Forum begab.12 Jede Geste, jede Äußerung wurde sofort aufgenommen und von Freund wie Feind ausgelegt. Damit war jeder Schritt in die Öffentlichkeit, aber auch in kleineren Kreisen höchst riskant und es bedurfte eines unablässigen face work,13 um den unzähligen, ungeschriebenen Gesetzen der römischen Gesellschaft gerecht zu werden und das eigene wie familiale Renommee nicht durch unüberlegte Aktionen zu beschädigen. Das übliche Image eines Politikers entsprach dabei dem eines römischen Edelmanns und schlug sich habituell nieder. Neben der Zurschaustellung verschiedener Zeichen des Standes wie Kleidung, Schmuck und Haartracht spielten angemessene Verhaltensweisen und das in Fleisch und Blut übergegangene Wissen um jene Verhaltenscodices eine bedeutende Rolle. Das gewünschte Erscheinungsbild galt es den übrigen gesellschaftlichen Akteuren unentwegt zu vermitteln.14 In der römischen Republik Politik zu treiben, hieß in erster Linie, sich unentwegt selbst zu inszenieren, aber auch von Zeit zu Zeit von der Norm abzuweichen, um wahrgenommen zu werden. Auch mit symbolischem Trauern beabsichtigte man, ein bestimmtes Bild von sich zu erzeugen. Daher sind sie auch nicht als Durchkreuzung eines aristokratischen Habitus zu verstehen. Sie sind elementarer Bestandteil der Selbstinszenierungsstrategien der politischen Klasse. So raten etwa die rhetorischen Handbücher seit dem frühen ersten Jahrhundert in individuellen Krisenmomenten und Bedrohungslagen zum symbolischen Trauern.15 Da aber auch der Ruf des symbolisch Trauernden Aushandlungsmechanismen unterlag, nahmen solche Akte nicht nur unterschiedliche Bedeutungen an, je nach dem wie sie ausgelegt wurden. Sie konnten sich ins Gegenteil verkehren und dem 11 12 13 14 15
Zum performativen Ansatz siehe Kap. 1; zur „Kommunikation unter Anwesenden“ vgl. Schlögl (2011). Jackob (2012) zeigt, unter welchem öffentlichen Druck ein Senator wie Cicero stand und wie er dem unablässigen Stress begegnete; so schon Friedländer, Sittengeschichte I, 127. Das sind die Praktiken symbolischer Kommunikation unter Anwesenden; vgl. Goffman (2013) 10–44. Nach Goffman (2009) 40 f. ist Image immer nur eine Momentaufnahme; zum nobilitären „Look“ siehe Kap. 5. Vgl. für Cicero u. a. de orat. 2, 195; ferner Sen. contr. 9, 13, 2; 10, 1, 1 ff.; Quint. inst. 6, 1, 30–3; Calp. Flacc. decl. 29; die ältere Rhetorica ad Herennium ist allgemeiner gehalten und weist abstrakt auf die deprecatio, miseratio und supplicatio hin, mit denen Trauerzeichen einhergehen konnten; vgl. 9.1 und 11.1.
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Protagonisten schaden, wenn ihnen kein Gehör geschenkt wurde, die Akteure mit Schimpf und Schande vom Forum gejagt wurden oder die gesamte Situation in Gewaltexzesse umzuschlagen drohte. Das wirft die Frage nach den Erfolgsvoraussetzungen symbolischen Trauerns auf, denn die Möglichkeit des Scheiterns war stets gegeben. Die Untersuchung interessiert sich folglich für jenes Wechselspiel aus Erfolg und Misserfolg, das symbolischem Trauern zugrunde lag. Konstellation und Situation waren zentrale Gradmesser des Gelingens einer Trauerbekundung, die nicht immer strikt zu trennen sind. Konstellation will den politischen Rahmen einer Szene bezeichnen – den politischen statt des kulturellen Kontextes, von dem bereits die Rede war. Dazu zählen vor allem aktuelle Gruppierungen und Koalitionen sowie persönliche Animositäten einzelner Akteure. Vor allem müssen die politischen Verwicklungen geklärt werden, die Anlass zum symbolischen Trauern gaben, denn eine unbegründete Darbietung verfehlte ihr Ziel. Nie wurden Traueraktionen einfach so, ohne Anlass dargebracht; sie wären ins Leere gelaufen, weil das Objekt, auf das man zielte – eine Person oder abstrakte Gesetze und dergleichen – fehlten. Aufgrund einer Bagatelle symbolisch zu trauern, wäre ebenso verpufft, da die Symbolik als überzogen beurteilt worden wäre. Ein scheinbar unauflösbarer politischer Konflikt und eine essentielle Bedrohung des Einzelnen, einer Gruppe oder des gesamten Gemeinwesens waren nämlich die Voraussetzung für das Auftreten symbolischer Trauer. Die Konstellation spielt eine entscheidende Rolle, um die Positionen der Konfliktpartner, die angewandten Mittel – Trauerzeichen- und Bittgesten – sowie die Erfolgsaussichten bewerten zu können. Bei Saturninus lag ein Konflikt vor, der nicht mit den üblichen senatorischen Beratungen zu lösen war. Als Ursache rückt in diese Episode vor allem die Polarisierung optimatischer und popularer Positionen in den Fokus. Bedingung der Möglichkeit der Anklage war die verbreitete Haltung in der römischen Bevölkerung, wonach Gesandtschaften besonderer Schutz gebührte.16 Anlass für die Traueraktion waren hingegen der Bestechungsversuch und die folgende Klage gegen Saturninus, die sein Leben bedrohte: „[…] von den Senatoren eines todeswürdigen Verbrechens angeklagt, geriet [er], da diese in solchen Prozessen das Urteil zu fällen hatten, in höchste Angst und in der Tat auch in äußerste Gefahr.“ Die Darbietung wurde von Diodor und aus dessen Perspektive von den anwesenden Römern seiner Erzählung als angebracht empfunden.17 Die Stelle zeigt, dass eine breite Kenntnis der Praxis unter den Römern vorausgesetzt werden durfte, es aber dennoch einer knappen 16
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Das ius legationis schützte die Unverletzlichkeit der Gesandtschaften in Krieg und Frieden; vgl. Ziegler (2007) 73; Noy (2000) 100–5. Rom verfolgte allerdings nicht konsequent die Missachtung des ius legationis (vgl. Broughton (1987) mit Dig. 50, 7, 18; Liv. 38, 42, 7), wie sich auch in der Saturninus-Stelle zeigt. Die besondere Stellung ausländischer legati schlägt sich auch in Privilegien nieder, die nicht allen zuteilwurden: Die Gesandten eines Volkes, das mit Rom im Gesandtschaftsverkehr stand (legationum commercium; vgl. R. Gest. div. Aug. 32), umsorgte man als öffentliche Gäste (hospitium publicum; vgl. Ziegler (1972) 86; 100). Dabei wurde man auf Staatskosten bewirtet, untergebracht und beschenkt. Eine besondere Auszeichnung stellten die Teilhabe am Opfer auf dem Kapitol und eigene Sitzplätze bei Theateraufführungen dar. Zur politischen Konstellation Heftner (2006) 109; Linke (2005) 81; CAH IX, 97; zur Geste des Rückzugs Habenstein (2015) 146 A. 67; zu den juristischen Details Mommsen (1907) beson-
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Ausführung für das Auftreten in Trauer selbst bedurfte. Was gerade geschah, blieb erklärungsbedürftig, denn – so wird sich zeigen – es gab viele verschiedene Anlässe zum symbolischen Trauern. Unter Situation werden dagegen die konkreten Umstände der Szene gefasst. Beides, Konstellation und Situation, gilt es jeweils sowohl getrennt als auch in Kombination zu betrachten. Eine zentrale Hypothese ist, dass die rechte Wahl des Timings und der Intensität der erwähnten Zeichen und Gesten eine Kunst darstellte. Es bedurfte eines feinen Gespürs für die Angemessenheit und korrekte Kombination der jeweiligen Zeichen und Gesten in Konstellation und Situation. Vor Ort, auf dem Forum und Straßen Roms, galt es Volk und Senatoren in der richtigen Art und Weise anzusprechen und keine Fehler zu machen. Man musste sorgfältig austarieren, wann welches Zeichen die richtige Wirkung erzielte, an wen man sich richtete und die Zielgruppe überhaupt erreichen konnte. Saturninus gelang dieser Balanceakt bestens. Er setzte die einschlägigen Strategien der Sympathiewerbung ein, um sich seinen Mitbürgern zu nähern und zu erklären. Von Belang war dabei, welche Zeichen und Gesten man wählte, denn sie zeigten auch die Intensität des Werbens an. Wie geschickt der Tribun vorging, schildert Diodor, indem er darauf verweist, dass „[…] er vor den einen auf die Knie fiel, andere bei den Händen fasste […].“ Es wurde also entweder vom Tribun selbst, oder zumindest von dem Autor der Quelle eine feine Differenzierung vorgenommen, welches Mittel bei welchen Personen besonders wirkte und als geeignet erschien. Das Publikum/Volk wird hier nicht nur als Entität wahrgenommen, auf die man alle unerklärlichen Wendungen projizieren kann, es wird als soweit heterogen verstanden, dass es keine pauschale Strategie gab, die Anwesenden für sich zu gewinnen. Der performative Charakter symbolischen Trauerns und die Notwendigkeit, sich auf die Zielpersonen einzulassen, bedingen die Bezeichnung als symbolischer „Trauerakt“. Bei Diodor heißt es weiter, Saturninus „lief beim Volke in der Stadt herum“. Damit vergrößerte er nicht nur die Schar potentieller Unterstützer, weil er auf diese Weise mehr Leute antraf – ein nicht zu unterschätzender Punkt, wenn von tausenden Unterstützern die Rede ist. Indem er sich die Mühe machte, die Plebs persönlich aufzusuchen – anders als etwa bei den salutationes, bei denen die Klienten in die Häuser der Oberschicht pilgerten –, signalisierte er eine besondere Verbundenheit mit dem Volk. Diese Strategie kann man auch das verbale Element symbolischer Trauer entnehmen, wie man bei Diodor erfährt. Saturninus hätte in seiner Lage – unter Tränen – argumentieren können, „[…] der Senat wolle wider alles Recht ihn durch Intrigen zu Fall bringen, und dies habe er zu erleiden wegen seiner freundschaftlichen Verbindung mit dem Volke. Bei all dem aber seien Feinde, Ankläger und Richter für ihn die gleichen.“ Diodors Saturninus schlägt sich also vollends auf die Seite des Volkes und versucht sich als dessen kompromisslosen Vertreter im Senatorenstand zu stilisieren, ohne Rücksicht auf das eigene Wohlergehen. Damit mutete seine ders 349; Mommsen, Strafrecht, 539 ff., 665. – Zum Schutz der Gesandten durch den Senat Mommsen, Staatsrecht III, 1148–56.
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Darbietung neben der richtigen Wahl und Intensität der Zeichen zusätzlich authentischer an, was nicht minder zur Überzeugungskraft symbolischen Trauerns beitrug.18 Erst unter diesen Voraussetzungen war es denkbar, dass sich die Rezipienten in einer gewünschten Weise äußerten. Die Reaktionen des Publikums sind nur schwer zu konzeptualisieren, aber es ist davon auszugehen, dass ein bestimmter affektiver Stimulus die Zuschauer dazu bewegte, die Sache eines Trauerakteurs zu vertreten. Üblicherweise sollen diese Aktionen die Sympathien der Anwesenden gewinnen, indem sie emotional angesprochen werden. Bei Diodor wird zwar nicht spezifiziert, in welchem Gefühlszustand sich das Volk befand und die Annahme einer geteilten emotionalen Lage ist zweifelhaft, doch die Bemerkung, „[d]as Volk nun, durch diese Bitte in Aufregung versetzt, kam zu vielen Zehntausenden vor Gericht zusammen […]“, verweist deutlich auf die Bedeutung, die Emotionen für das Gelingen der Darstellung besaßen. Betroffenheit antizipierte man durch die Trauerzeichen, die Diodor als „[…] Zuflucht zu dem Mitleid, das man allgemein den Unglücklichen entgegenzubringen pflegte“, beschreibt. Diese Erregung reichte jedenfalls dazu, die Massen zu mobilisieren, die Norm des geheiligten Schutzes von Gesandten zu übergehen und den nahezu gescheiterten Saturninus zum Volksheld umzudeuten, wie Diodor abschließend festhält: „So wurde er wider Erwarten freigesprochen. Und mit dem Volke als Helfer wurde er danach noch mehrmals zum Volkstribun ernannt.“ Ob die in vielen vergleichbaren Szenen geäußerten Gefühle heutigen Vorstellungen von Trauer, Mitleid oder Wut entsprachen, tritt insofern in den Hintergrund, als die gezeigten Empfindungen kulturell überformt waren und entsprechend artikuliert wurden. In diesem Rahmen reagierten die betreffenden Personen auf einen Reiz anstatt auf vorgebrachte Inhalte und Sachargumente. Der fähige Darsteller erzeugte den empfundenen Schmerz oder Verlust, indem er bestimmte Befindlichkeiten affektiv stimulierte. So erfüllte die Trauersymbolik ihren Zweck auch ohne einen konkreten Anlass zur Betrübnis. Erst im Zusammenspiel von Konstellation, Situation, Darstellung und Reaktion ergab sich, was als angemessen bewertet werden und letztlich zum erwünschten Ergebnis führen konnte. Alle Faktoren gilt es für jeden Fall symbolischen Trauerns neu in den Blick zu nehmen und ihre Wechselwirkungen zu bestimmen, sofern Informationen dazu vorliegen. Auch aus quellenkritischer Perspektive stellen symbolische Trauerszenen ein Phänomen dar, das es erlaubt, Eigenarten antiker Überlieferung herauszustreichen und zugleich nach ihrer narrativen Funktion zu fragen. Antike Schreiber gestalteten ihre Texte häufig nach dem Geschmack ihrer Leserschaft und ihren eigenen, individuellen Erfahrungen. Das heißt, dass von Zeit zu Zeit mit Ergänzungen und Auslassungen einzelner Elemente zu rechnen ist – besonders bei weiter entfernten histori18
Hier ist ein Seitenhieb auf die Gerichtspraxis der Zeit greifbar, in der vielleicht die populare lex Sempronia iudicaria ausgesetzt wurde. In der Tat wurden die Richterbänke in den Jahren 106– 104 aufgrund einer lex Servilia (Caepionis) iudicaria vorübergehend wieder mit Senatoren statt Rittern bestuhlt, was Saturninus in Bedrängnis brachte; dazu Cic. Brut. 164; de orat. 1, 225. Freilich gehört dieser Aspekt auch zur Konstellation; zur lex Sempronia siehe Sion-Jenkis (2000) 114–6; Kunkel/Wittmann (1995) 265–72; Wolf (1972); Balsdon (1938).
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schen Gefilden, wo man auf keine zuverlässige Überlieferung hoffen darf. Es ist wahrscheinlich, dass auf einzelne, vage bekannte Strukturen und Verläufe der Frühzeit vertraute Motive der eigenen Zeit oder der jüngeren, besser belegten Vergangenheit zurückprojiziert worden sind. Das führte zu dem Umstand, dass sich viele dieser Trauerszenen gleichen, da sie für die Frühgeschichte adaptiert wurden. Umgekehrt trugen diese schriftlichen oder auch nur mündlich ausgeschmückten und vorgetragenen Berichte dazu bei, eigenes Handeln zu koordinieren, mitunter zu profilieren. Damit eiferten die Rezipienten dieser Geschichten nicht nur ihren Ahnen nach, vielmehr versprachen sie sich selbst ein erfolgreiches Exempel abzugeben, wenn sie dieses Verhalten übernahmen, denn zum einen hatte sich die Strategie schon einmal bewährt, zum anderen konnte man sich vor der Öffentlichkeit als der Ahnen würdig erweisen. Durch diese Vorbildwirkung der Erzählungen von symbolischer Trauer wurde wieder der Mechanismus bestärkt, diese aktualisierten Handlungsschemata auch für vergangene Epochen anzunehmen. Dieses Wechselspiel lässt sich in Bezug auf das Beispiel der Metelli nachvollziehen. In der Kompilation der Diodor-Fragmente folgt die Erwähnung des Metellus Numidicus und seines Sohnes, der um seinen exilierten Vater trauert, unmittelbar auf die Saturninus-Episode. Im Gegensatz zur Saturninus-Aktion ging diese Szene tief in das kollektive Gedächtnis der Römer ein. Dass am Narrativ des frommen Sohnes reichlich gearbeitet wurde, zeigt der Umstand, unter welchen Bedingungen die Aktion des jungen Metellus fruchtete. Den Zeitgenossen mag es kaum als Erfolg gegolten haben, dass es nahezu zwei Jahre dauerte, ehe dem Vater die Rückkehr gestattet wurde. Tatsächlich dürfte am Ende nicht einmal der Trauerakt den Ausschlag für die Rückberufung gegeben haben, sondern die in Rom mit dem Tod des Saturninus und dem Einlenken des Marius geänderte politische Lage. Beide Trauerakte bedingten sich nicht nur historisch, sondern auch narrativ. Dafür spricht, dass sich der Wortlaut der beiden Diodor-Fragmente an den entscheidenden Stellen gleicht.19 Es scheint, als habe die gens Metella versucht, die Mittel des Saturninus gegen ihn zu wenden. Die Metelli hatten erkannt, dass eine symbolische Traueraktion dazu gereichte, eine de facto getroffene Entscheidung abzuändern. Nachdem sich ihre optimatische Gruppe vorerst durchgesetzt hatte, tilgten sie das Gedenken an Saturninus und seinen Erfolg aus der Überlieferung.20 Dennoch ist die Faktizität der Aktion durchaus fraglich, obwohl man es mit einer zeitnahen Berichterstattung zu tun hat und ein solches Verhalten im Angesicht einer drohenden Verurteilung gängigen Mustern entsprach. Möglich scheint, dass Diodor21 auf19
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Diod. 36, 15, 2 frg. Dindorf: καὶ τὴν ἐσθῆτα τὴν πολυτελῆ κατέθετο, πιναρὰν δὲ μεταμφιασάμενος καὶ κόμην καὶ πώγωνα τρέφων περιῄει τοὺς κατὰ τὴν πόλιν ὄχλους, καὶ τοῖς μὲν πρὸς τὰ γόνατα πίπτων, τοῖς δὲ ταῖς χερσὶν ἐπιφυόμενος ἐδεῖτο καὶ μετὰ δακρύων καθικέτευε βοηθῆσαι τοῖς ἀκληρήμασιν· 36, 16 frg.: ὁ υἱὸς αὐτοῦ κόμην ὑποτρέφων καὶ πώγωνα καὶ πιναρὰν ἔχων ἐσθῆτα περιῄει κατὰ τὴν ἀγοράν, δεόμενος τῶν πολιτῶν, καὶ μετὰ δακρύων προσπίπτων τοῖς ἑκάστου γόνασιν ᾐτεῖτο τὴν τοῦ πατρὸς κάθοδον. (Hervorhebung CD). Dazu Flower (2006b) besonders 81–5; zu Trauerverboten im Kontext symbolischer Trauerakte Kap. 14.1. Oder schon seine wahrscheinliche Vorlage Poseidonios; vgl. Rathmann (2014); Malitz (1983) 34–40.
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grund der Überlieferungslage mit dem Verhalten des jüngeren Metellus besser vertraut war und es auf den Konflikt zwischen Senat, Gesandtschaft und Volkstribun übertrug, um den überraschenden Freispruch des Saturninus und die Unterstützung durch das Volk erklären zu können. Der vorbehaltlose Beistand der städtischen Plebs für Saturninus musste narrativ legitimiert werden. Sein umfassendes, populares Gesetzeswerk, das erst im zweiten Tribunat initiiert wurde, konnte dafür nicht herhalten. Das heißt nicht, dass die Saturninus-Episode unhistorisch wäre, nur dass sie in der Art und Weise, wie Diodor sie berichtet, fraglich bleibt. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Episoden ist deswegen so interessant, weil es die Narrativität antiker Historiographie betont und dieser Studie ermöglicht, auch Begebenheiten unsicherer Provenienz aus der römischen Frühzeit einzubeziehen.22 Der Fall des Saturninus ist damit Ausgangspunkt einer Betrachtung, die ihr Objekt aufgrund der Inszenierung der Praxis durch den historischen Akteur und ihrer Darstellung in den literarischen Zeugnissen als „Trauerszene“ begreift. Bei der Analyse der relevanten Passagen wird man mit sowohl vom Autor der Quelle als auch vom handelnden historischen Akteur inszenierten Settings konfrontiert. Der Akteur als Handlungsträger der Situation bzw. Narration setzte seine Darstellung „in Szene“, wie es auch der Urheber des Textes beabsichtigte. Demzufolge ist es von Bedeutung darauf hinzuweisen, dass man es bei Trauerszenen mit einer sozialen Technik zu tun hat, die nur im Spiegel der literarischen Überlieferung sichtbar und beschreibbar wird. Die Akteure sind je nach Überlieferungslage mal mehr, mal weniger als narrativ übersetzte Figuren zu verstehen, ebenso ihr Handeln. Symbolisches Trauern umfasst demnach zwei ineinander verwobene und sich gegenseitig bedingende Facetten: einerseits die praktische Ebene der Anwendung, die durch den Begriff des „Traueraktes“ betont wird; andererseits die erzählerische Perspektive, für die „Trauerszene“ Verwendung findet. Beide Komponenten sind stets symbolisch aufgeladen. Daher verzichtet die Untersuchung auf die dezidierte Anwendung einer „Theorie der Praxis“ (P. Bourdieu), der nicht an narrativen Elementen gelegen ist. Stattdessen sieht sie die Anwendung eines performativen Modells (J. Butler) sowohl für historische Ereignisse als auch ihre literarische Brechung vor. 1. FORSCHUNGSSTAND: VOM RECHTSPOSITIVISMUS ZUR SYMBOLISCHEN KOMMUNIKATION Bislang wunderte man sich nicht genug: Symbolische Akte des Trauerns blieben in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den politischen Mechanismen der römischen Republik Randnotizen. Einer umfassenden Analyse wurden sie nicht unterzogen, obwohl bereits L. Ross Taylor das Anlegen von Trauerkleidern (mutatio vestis) als eine Form der Propaganda verstand und damit als Vorläuferin des „sym-
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Zum Wechselspiel zwischen Vorbild und Vorlage sowie zur Bewertung der frühen Zeugnisse für Trauerszenen siehe besonders Kap. 3.2; zur literarischen Modellierung einzelner Szenen siehe Kap. 4.
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bolisch“ orientierten Interesses auf diesem Gebiet gelten kann.23 Die Arbeit von Ross Taylor steht dabei für eine Reihe von Untersuchungen, die den Wert der Trauerzeichen für das Verständnis römischer Politik und Rhetorik erkannt haben, ohne näher darauf einzugehen.24 Auch gemeinschaftlich konnte man symbolisch trauern. Wenige Jahre nach Taylor sah Ch. Meier die kollektive Form dieser Trauerbekundung ohne Todesfall als „Streik“ an.25 Andere haben Traueraktionen mit der Andeutung des nahenden Todes der Republik als Metapher oder als Ausdruck des Kummers über den Zustand des Staates in unruhigen Zeiten gedeutet.26 Einer weiteren Interpretationslinie folgen Studien, die symbolische Trauerpraktiken als Bitte um Hilfe in einer schwierigen Lage27 oder als Aufforderung zur Gewalt gegen die Urheber einer Bedrohung bewerten.28 Dem nahe stehen Deutungen als Rachepraxis.29 Dabei könne symbolische Trauer nicht nur physische Mittel antizipieren, sondern auch den Ruf (fama) des Gegners schädigen, indem er demonstrativ für die kummervolle Situation verantwortlich gemacht werde.30 Häufig beschreiben diese Stu23 24 25
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Vgl. Taylor (1949) 142; ihr folgt Pina Polo (1996) 94; zur Problematik des Propaganda-Begriffs in Rom Eich (2003) sowie den dazugehörigen Sammelband. So etwa Bücher (2006) 16; 49. Seit dem Beginn der 1990er Jahre wurde die Bedeutung von Ritualen für das Funktionieren der römischen Gesellschaft zunehmend erkannt; siehe Hopkins (1991); Jehne (2001); Hölkeskamp (2004) 7; ferner die Beiträge in Hölkeskamp (2009). Damit versuchte er die Reaktionen des Senats auf die irreguläre Bewerbung des Pompeius und Crassus für den Konsulat zu erklären, da man in der Zeit der Trauer seinen üblichen Geschäften aufgrund der sogenannten funestatio nicht nachkommen könne. Dass man beim symbolischen Trauern sakralrechtlich nicht funestiert war, übersieht Meier, RPA, 294. Bereits Anfang der neunziger Jahre erwähnte de Libero (1992) 37; 44; 108 den Beschluss mutatio vestis als eine nachträgliche Form der Obstruktion. Kath (2012); Goodman/Soni (2012) 166; 229; ferner Laser (1997) 216; Kummer bei Heftner (2006) 51. Kelly (2006) 75 f. bei einer drohenden Exilierung; ferner Riggsby (2010) 68 bzw. 70; 193. Lintott (1968) 16–20 ordnete den squalor unter die Kategorie der Selbstjustiz (Volksjustiz) und als Vorstufe zum Gewaltausbrauch. Man versuche Rache individuell oder kollektiv zu evozieren und drohe mit Gewalt, würde ein bestimmtes Anliegen kein Gehör finden; ähnlich Sigismund (2008) 2 und 73; Kelly (2013) 417–9; ebenso Nippel (1988) 115 A. 87/88, besonders 72: „Tiberius Gracchus […] hat, als sich die Lage zuspitzte, wiederholt […] öffentlich um den Schutz durch die Plebs geworben, indem er Trauerkleider anlegte und seine Familie der Fürsorge des Volkes anempfahl.“ Dazu auch Heftner (2006) 56. Thomas (1984); (1997) besonders 171–3. Entsprechend seines Anliegens familiäre Bande in der römischen Politik zu untersuchen, fokussiert er die Unterstützung eines Angeklagten durch seine (männlichen) Klienten und Familie, die zu einem politischen Faktor auf den Straßen Roms werden konnten. Demnach ging von einer solchen prekären Lage stets eine Gefahr für die öffentliche Ordnung aus, wenn sich der Benachteiligte für eine offene Konfrontation entschied. Damit wurde die bedrohliche Situation für den Geschädigten auch zur Bedrohung für den Schädigenden. Thomas betont die Mehrdeutigkeit einer solchen Szene und ihren semantischen Gehalt: Wenn man davon ausgeht, dass man Trauergesten darbot, um auf ein Unrecht aufmerksam zu machen, dann enthielt diese Szenen sowohl die Botschaft an den Schädigenden, dass sein Ruf (fama) in Gefahr war, als auch die Botschaft an die übrigen Zuschauer, dass das Schicksal des Protagonisten, mitunter das der Anwesenden bedroht war; siehe auch Prescendi (1995). Zur fama Lendon (2011) besonders 381. Häufig wurden Traueraktionen im Umfeld von Arbeiten zur Rolle der Frauen behandelt. Weibliche Trauerformen setzten sich dezidiert von männli-
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dien auch die emotionale Wirkung der Trauerzeichen und -gesten, deren Bedeutung nicht zu vernachlässigen ist.31 Andere Forschungstraditionen legten andere Schwerpunkte, kamen aber zu ähnlichen Schlüssen. Für Rechtshistoriker standen Aufbau und Kompetenzen römischer Institutionen und Verfahren im Vordergrund. Th. Mommsen subsumierte die Praxis unter Persönlichkeitsverletzungen (iniuria), denn die außerfunerale Verwendung von Trauerzeichen konnte rasch den Tatbestand der Nötigung erfüllen, wenn Dritte für einen Trauerfall verantwortlich gemacht wurden. Mommsen nannte die „wenig ehrbare Sitte“, in der Öffentlichkeit und vor Gericht gemeinsam mit seinen Unterstützern im Traueraufzug zu erscheinen, sobald eine Anklage gelegt sei, „de[n] oft erwähnte[n] squalor […].“32 Mit dieser Einschätzung überging er den Symbolwert des Traueraktes, der jedoch den Kern der Praxis ausmachte. In der Folge haben rechtshistorische Untersuchungen immer wieder auf den Aspekt der Rufschädigung durch symbolisches Trauern hingewiesen.33 Besonders Einzug gehalten hat so ein Verständnis politisch inszenierter Trauer in Studien zur Bedeutung der Rhetorik in der römischen Republik: Sowohl vor Volksversammlungen als auch vor Gerichten traten entweder Redner selbst in Trauer gehüllt auf oder verwiesen auf ihre Mandanten.34 In seiner Studie zur Macht der politischen Rede beschreibt R. Morstein-Marx den squalor als symbolic resis-
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chen Praktiken ab und trugen so zur Konstruktion von Geschlechterdifferenz bei. Ähnliche Praktiken wie bei einer mutatio vestis seien stets die gesellschaftliche Pflicht der weiblichen Familienmitglieder. Dazu zählte insbesondere mittels Trauergesten und -zeichen zur Rache an einem ungesühnten Mord aufzurufen. Männer ließen diese Arbeiten außen vor, obwohl sie sowohl das öffentliche wie private Leben als auch die Politik bestimmten; vgl. Mustakillio (2003); Olson (2007); Prescendi (2008); Šterbenc Erker (2009) hier 144–7. Flaig (2001); Starbatty (2010) 71–86 untersucht die symbolische Kommunikation der Römer anhand der Kleiderwahl und verweist auf den direkten Zusammenhang des Äußeren mit dem Charakter. Nach McDonnell (2006) 143 werden Emotionen durch die Kleidung visualisiert, Trauer etwa vermittels dunkler Gewänder. Mommsen, Strafrecht, 390 f. A. 2 bzw. 1–5; ferner Stroux (1929) 61–9; zur Injurie: 784–808, besonders 795, A. 2. Damit unterliegt Mommsens Wertung der ‚unehrbaren Sitte‘ deutlich dem Quellenduktus, denn die Bestimmungen in den Digesten legen nahe, dass man daran interessiert war, die Praxis zu beseitigen; ähnlich Kaser, Privatrecht, 623 f. mit A. 16, der das „Auflösen der Haare zum Zeichen der Trauer über eine angeblich von dem anderen zugefügte Unbill“ als Teil der gerichtlichen und außergerichtlichen Auseinandersetzung innerhalb der römischen Gesellschaft wahrnimmt, aber das Phänomen nicht weiter behandelt. Als Rechtshistoriker sieht er den Haarwuchs im Kontext der infamia/iniuria als relevant an. – Mommsen nimmt Bezug auf Becker (1849) 157, der keine weiteren Belege anführt. Daube (1991a) besonders 107–14; Daube (1991b) besonders 469–72; ferner Raber (1969) 52–63; passim; für funktional ähnliche Phänomene wie der occentatio und der flagitatio Usener (1965); aufgegriffen von Lintott (1968) 6–16; so wieder Timmer (2005) 214–8 und Kelly (2013) 417–9. Grundlegend David (1992) 66; 627 f.; vgl. Blonski (2008); Bablitz (2007) 84; Pernot (2005) 90 versteht das Tragen von Trauer vor Gericht als typischen Teil der rhetorischen Theatralik und merkt an, dass man mitunter sogar Bilder der Vorfahren als Leumund im Prozess vorzeigte (commendatio maiorum).
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tance und mahnt eine umfassende Untersuchung an.35 Zumindest für Ciceros Werk hat sich dessen J. Hall angenommen, geht aber auch auf andere Episoden ein, um seine Beispiele zu rahmen.36 Eine weitere Interpretation bieten Vorschläge, die solche Szenen unter den Deeskalationsstrategien der Elite aufführen. In Krisensituationen wendeten sich Mitglieder der Oberschicht an das Volk. Dabei trugen sie unter anderem Trauerkleider. Dennoch seien dabei Gesten bedeutender gewesen als die bloßen Trauerzeichen, da diese sich mit der Zeit und den überbordenden Gebrauch zu Gericht abnutzten und nicht mehr die gewünschte emotionale Disposition hervorriefen. Teil dieses Appells sei auch die Selbsterniedrigung der Führungsschicht, die damit den Primat des populus Romanus anerkenne.37 Gemein ist allen diesen Deutungsvorschlägen, die eine zeichenhafte Komponente der Politik hervorheben, dass sie den face-to-faceAspekt einer solchen Szene betonen. Dass symbolisches Trauern eine starke interaktive Facette besaß, betont auch E. Flaig, der die semantische Vielfalt und Tiefe sowie die gesellschaftlichen Implikationen im Vergleich mehrerer Trauerinszenierungen hervorhebt. Ein Erfolg sei auf das Engste an das Antizipieren alltäglicher und außeralltäglicher Emotionen gebunden. Wie Mommsen nennt er die Traueraktionen squalor und verweist auf die habituelle Seite der Kleidung sowie den performativen Charakter des Bittens.38 Jüngere Arbeiten heben daneben das Spielen mit Normtransgressionen hervor, die ein Kleidertausch bot.39 Die meisten dieser Deutungsversuche, die von Bewertungen als Streik, Protest, Hilferuf bis zu Widerstand reichen, bieten keine unangemessene Interpretation und gehen zumeist auf den Anlass der Darbietung zurück.40 Um jedoch Trauerbekun35 36 37 38
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Morstein-Marx (2004) 174 A. 63 im Rahmen einer Traueraktion der besitzenden Schicht gegen Tiberius Gracchus: „The symbolic rhetoric of changing into mourning in […] crises warrants examination elsewhere.“ Vgl. Hall (2014) besonders 40–63, der weitere nonverbale Argumente bespricht und auf die supplicatio verweist. Laser (1997) 66 bzw. 226; Speer (o. J.); eine ähnliche Strategie ohne explizite Trauerzeichen bei Goltz (2000). Flaig (1997); (2001); (2003a) 99–102; (2004); (2005). Indem sich Flaig auf Daube, Lintott, Thomas und David stützt, kommt er zu einem differenzierten Bild des squalor, der alle Ebenen von der Rufschädigung und der Trauersymbolik über Rezipient und Anlass bis hin zu Rache und den Praktizierenden selbst abdeckt. Allein die Definition als „ritualisiertes Trauerverhalten“ bleibt zugunsten einer ausschließlich symbolisch orientierten Interpretation unreflektiert, die freilich den Vorteil hat, mithilfe des squalor die Formen der Kommunikation innerhalb der römischen Nobilität zu verdeutlichen; auch die narrative Seite bleibt unberücksichtigt. – Die Emotionsgeschichte hat in jüngerer Vergangenheit einen Aufschwung erfahren, der ebenfalls Erwähnungen verdient; für den Altertumsbereich zuletzt ausführlich Chaniotis (2013); siehe auch Kap 11. Meister (2012) 43–8; (2017c) besonders191–3; ähnlich Heskel (1994) hier 141–3. Kath (2012) versucht sich ebenfalls an einer umfassenden Deutung, aber unterhält ein anderes Verständnis symbolischen Trauerns. Zudem nimmt sie keine quellenkritische Lektüre der frühen Fälle vor; dazu Kap. 3.2. Überhaupt überschätzt sie die Durchschlagskraft, wenn sie ein Scheitern nur beiläufig erwähnt. Verschiedene Anlässe bei Edmondson (2008) 26–32; ähnlich Naiden (2006) 58–60; 219–79.
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Einleitung: Die dichte Beschreibung einer Merkwürdigkeit
dungen für politische Belange fruchtbar zu machen, musste der Trauerakteur sie mit anderen Zeichen und Gesten41 verbinden. Damit zeigte man erst die außerordentliche Verwendung der Semantiken an und wies darauf hin, dass es sich nicht um einen Trauerfall im herkömmlichen Sinne handelte.42 Man setzte Verhaltensweisen ein, die der Sympathiewerbung der Elite entsprachen, um sich den Mitbürgern zu nähern und verständlich zu machen. Dazu gehörten das Herumgehen (ambulatio) und Händegreifen (prensatio) durch Mitglieder der Senatsaristokratie bei den einfachen Leuten, wie man es auch aus dem römischen Wahlkampf (ambitio) kannte und Saturninus nutzte. Auch rhetorische Elemente spielten eine Rolle, denn ohne Erklärung kam man zumeist nicht aus (appellatio). Einem anderen Umfeld entstammte wiederum der Kniefall, wie man ihm in der Religion, im Gerichtswesen (supplicatio) oder im Feld (deditio) begegnete. Durch den Verweis auf diese Praktiken politisierte man die Trauer erst, denn der Gehalt einer Trauerinszenierung war ohne weiteres Zutun nicht zu dechiffrieren. Daneben gab es Anleihen aus anderen Bereichen, die in der Saturninus-Quelle nicht zu Wort kommen. Man griff den Leichenzug (pompa funebris), aber auch andere Aspekte römischer Nahbeziehungen wie die salutatio auf. Durch ihre Verknüpfung konnten andere Nuancen einer Traueraktion akzentuiert werden als bei Saturninus. Verschiedene Wirkungen wurden auch dadurch erzielt, dass man sich unterschiedliche Zeichen und Gesten in wechselnder Kombination aneignete. Die Betonung einzelner Elemente konnte dann dazu beitragen, einen Konflikt zu schlichten, zu vertagen oder zuzuspitzen. Diese teils ganz unterschiedlichen Strategien machen deutlich, dass es keinen Trauerakt geben konnte, der alle möglichen Kombinationsmöglichkeiten von Zeichen und Praktiken zugleich enthielt. Daher ist eine umfassende Deutung symbolischen Trauerns aus einer einzelnen Begebenheit heraus nicht zu leisten. Allerdings gehen die meisten der Auslegungen auf eine einzige Quelle zurück und stellen kaum Verbindungen zu ähnlichen Passagen her, sondern geben sie lediglich als Referenz für die Regelmäßigkeit des squalor an.43 Damit leiden diese Interpretationen daran, dass sie nur einen Akzent der Trauerakte betonen, der in der jeweilig betrachteten Textstelle vorherrscht. Ohne einen Blick auf ähnliche Episoden verliert man jedoch das Gespür für andere Facetten der Praxis. Daher sind die erwähnten Arbeiten für die Betrachtung einzelner Passagen nützlicher als für eine umfassende Systematisierung. Die Vielschichtigkeit dieser einzelnen Praxis erfordert demnach eine Herangehensweise, die es vermag die scheinbare Ambiguität des symbolischen Trauerns in Einklang zu bringen. Vor diesem Hintergrund wird die 41 42 43
Geste wird verstanden als bildhaftes Zeichen, das durch Bewegungen der Hände, Arme, Schultern, Finger, des Kopfes, Oberkörpers und bestimmten Fingerkonfigurationen symbolträchtige Handlungen indirekt ausdrückt. Heskel (1994) 141 f. betont, dass es für Senatoren von besonderer Wichtigkeit war, stets angemessen gekleidet zu sein. Wenn sie ihre Kleider tauschten, machte das die Ernsthaftigkeit eines solchen Vorgangs deutlich. Besonders beliebt als Einzelperson ist Cicero, der immer wieder behandelt wird: zuletzt Tan (2013) 129 ff.; Ungern-Sternberg (2006) 356; Will (1991) 170; Schneider (1977) 201 u. v. a.; für kollektive Formen der mutatio vestis müssen meist die Rhodier herhalten: zuletzt Pina Polo (2013) 260 f.; Goldbeck (2010) 201 A. 1; Connolly (2009) 36 A. 48; ausführlich Wiemer (2002) 317–25; siehe auch Brennan (2001) 119 f. u. v. a.
2. Zielsetzung: Zeugnisse einer lebendigen Kultur des Politischen
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Vieldeutigkeit symbolischen Trauerns akzentuiert und nicht als Problem beschrieben, sondern als Möglichkeit der Akteure flexibel mit Zeichen und Gesten zu jonglieren. 2. ZIELSETZUNG: ZEUGNISSE EINER LEBENDIGEN KULTUR DES POLITISCHEN E. Flaig verortete vergleichbare Szenen im Bereich symbolischer Kommunikation. An dieser Stelle möchte die vorliegende Arbeit anknüpfen und den von Flaig beschriebenen squalor weiter fassen, ihn als Trauerakt und Trauerszene interpretieren, um seine Performanz sowohl in politischer Praxis als auch Historiographie aufzuzeigen, denn nur selten wurde bei Ansätzen symbolischer Interaktion das historische Narrativ selbst in den Fokus gestellt.44 Damit steht das „Kommunikative“ in „Symbolische Kommunikation“ im Zentrum der Überlegungen zum squalor. Es interessieren die Austausch- und Aushandlungsprozesse zwischen den einzelnen hegemonialen und subalternen Gesellschaftspartnern und wie sie sich gegenseitig durch die Verwendung von Zeichen und Gesten zu beeinflussen suchten. Folglich ist es ein Teilziel der Arbeit, die Rolle eines bestimmten rituell-symbolischen Kommunikationsaktes im politischen Kräftespiel der Republik zu bestimmen. Da die Bewertung der Zeichen und Gesten ebenfalls der Aushandlung unterlag und sich ihre Deutung aus dem Arrangement verschiedener Symbole durch die Akteure ergab, besaßen Trauerakte eine semantische Tiefe, die integrative wie konfliktuale Momente einschloss. Daher wird neben dem kommunikativen Aspekt im Paradigma der „Symbolischen Kommunikation“ auch das Zeichenhafte akzentuiert. Die unablässigen Neu- und Umdeutungen von Zeichen zeigen damit nicht nur, dass eine jede Form symbolischer Kommunikation hochgradig riskant war, da ihr Gelingen keinesfalls vorausgesetzt werden durfte. Vielmehr werden die Praktiken wesentlich lebendiger als in der traditionellen Forschung zu antiken Ritualen und Praktiken verstanden, die zumeist von kulturell vorgefertigten Richtlinien zur Anwendung und Durchführung kollektiver und individueller Praktiken ausgeht (cultural script). Die situative Aneignung und Zurschaustellung einzelner Praktiken stellte eine Bemächtigung des Individuums dar (agency), wie sie sich kaum in herkömmliche Konzeptionen von „Kultur als Text“ und symbolisch-rituellen Regimes einfügen lassen. Die performative Verwendung von Zeichen und Gesten bringt mit jeder Konstellation und Situation neue Bedeutungen hervor, die stets strittig bleiben und um deren Deutungshoheit zwischen den Akteuren gerungen wird. Tatsächlich ergaben sich im Fall des squalor in ein und derselben Situation für verschiedene Betrachter unterschiedliche Deutungsoptionen.45 44 45
Genau das ist auch der Kritikpunkt bei Buc (2001): Zusammenhang der Quelle und Intention des Autors seien ebenso zu berücksichtigen wie das ritualisierte Verhalten selbst; weitere Kritikpunkte bei Arlinghaus (2009). Wenn sich das Signifikat aus den Beziehungen der Signifikanten zueinander ergab, dann mussten einzelne Zuschauer zu deutlich divergierenden Gewichtungen der gleichen Szene gelangen, denn jeder nahm vor seinem individuellen sozialen und kulturellen Hintergrund anders wahr.
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Einleitung: Die dichte Beschreibung einer Merkwürdigkeit
Die Feststellung, dass die von Saturninus zur Anwendung gebrachte Praxis eine Bricolage diverser aus ihren ursprünglichen Rahmen gelöster, sozialer und kultureller Techniken war, wirft zentrale Probleme auf, die sich freilich in weitere Themenkomplexe untergliedern lassen. Es ist zu fragen, wie man diese Zeichen und Gesten arrangierte, um die beabsichtigte Wirkung zu erzielen, und mündet in die Suche nach Erfolgsvoraussetzungen symbolischen Trauerns. Dazu müssen die beteiligten Akteure, die soziale wie politische Konstellation und nicht zuletzt die Situation, in der die Aktion dargebracht wurde, in Augenschein genommen werden. Allein in der Gesamtschau des Zusammenspiels dieser Komponenten kann der Erfolg einer Trauerinszenierung erklärt werden. Jedoch impliziert die Abhängigkeit des Gelingens von zahlreichen Faktoren, die sich erneut in mannigfaltige Einflussgrößen aufspalten ließen, dass Trauerakten ein hohes Potential zum Scheitern innewohnte. Aus diesen Gründen möchte die vorliegende Untersuchung alle Fälle symbolischen Trauerns als performative Akte verstanden wissen, denn performative Wirkung entfaltet der squalor auch in der literarischen Überlieferung, doch nicht selten wird davon berichtet, wie eine Trauerszene misslang – also ihr Darsteller nicht das gewünschte Ergebnis erzielte. Die Adaption bekannter Verhaltensweisen führte nicht automatisch zum Erfolg der Aktion. Im Gegenteil ist das Saturninus-Beispiel als gelungener Trauerakt alles andere als repräsentativ, sondern eignete sich vor allem zur Aufschlüsselung verschiedener in der Arbeit problematisierter Felder. In mehr als der Hälfte der Berichte erfährt man davon, dass irgendetwas schief ging, Nachdruck verliehen werden musste, die Akteure auf taube Ohren stießen oder sich die Anwesenden gar gegen die Protagonisten wendeten. Damit wird auch auf genau jene Facette sozialer und kultureller Praktiken verwiesen, die für einen Beitrag zur politischen Kultur der römischen Republik von besonderer Bedeutung ist. Nicht nur die historischen Akteure solcher Szenen dürften sich die Frage gestellt haben, wie sie verschiedene Gesten und Zeichen erfolgreich zur Anwendung bringen konnten, auch die antiken Autoren waren daran interessiert ihr Publikum von ihrer Glaubwürdigkeit zu überzeugen. Damit gerät erneut die schriftliche Tradition in den Fokus: Warum begegnet diese Praxis so regelmäßig, wenn sie so riskant war? Symbolische Trauerinszenierungen kamen viel häufiger vor, als es die Überlieferung Glauben macht. Jedoch interessierten sich antike Geschichtsschreiber mehr für das Außergewöhnliche als für die Regel. Gelungene Trauerakte waren selten attraktiv genug, berichtet zu werden und den Leser zu anhaltender Lektüre zu animieren. Vor dieser Folie kann die Untersuchung nicht nur zu einem tieferen Verständnis eines für das Funktionieren des römischen Gemeinwesens basalen Mechanismus beitragen, sondern zu Variationsreichtum, Spielräumen und Subversionspotential römischer Politik vordringen, fernab jeglicher Klischees um starren politischen Ritualismus und instrumentalisierte Plebs.46 46
Dieses Verständnis wird durch Arbeiten von Flaig (2003a), Hölkeskamp (2006) u. a. nur angedeutet; hier hingegen steht es im Vordergrund. Es nahm seinen Anfang in der Auffassung, dass antike Religion nicht allein durch kollektive Rituale zu verstehen sei, sondern auch die Akteursebene Aufmerksamkeit bedurfte; dazu die Arbeiten des Erfurter Projekts Lived Ancient Religion: einführend Rüpke (2011) und die Beiträge in Religion in the Roman Empire 1, 1 (2015); nun umfassend Rüpke (2016).
3. Aufbau der Arbeit: Diskurs und Praxis
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3. AUFBAU DER ARBEIT: DISKURS UND PRAXIS Die Arbeit beginnt mit der Performativität symbolischen Trauerns, seiner Zitathaftigkeit und der Frage, was es hieß, einen Erfolg davonzutragen (Kap. 1). Mit dem historischen Umfeld, in dem man die ersten Belege der Praxis verorten kann und welche Rolle Öffentlichkeit spielte, fährt die Untersuchung fort (Kap. 2). Welchen Mustern Erzählungen von Trauerszenen folgen, warum sie sich häufig gleichen und narrativ scheitern, ist Gegenstand des zweiten Teils der Arbeit, der sich exemplarisch mit zentralen Autoren wie Cicero, Livius und Appian auseinandersetzt und den squalor als diskursive Praxis beschreibt (Kap. 3–4), die in ständiger Wechselwirkung zwischen Überlieferung und aktualisiertem, historischem Handeln stand. Der folgende Teil behandelt den politischen und kulturellen Rahmen, den man sich beim symbolischen Trauern zu eigen machte. Zentral ist, wie man Trauerszenen anhand der Kleidung identifizierte (Kap. 5). Im Anschluss wird in Bezug auf die funerale Umwelt von Trauer danach gefragt, welche Praktiken anderer Kontexte mit Trauerzeichen kombiniert wurden, wie man sie einsetzte und was man sich davon versprach (Kap. 6–7). Gezeigt wird, woher das symbolische Einvernehmen rührte, das Bedingung des Wiedererkennens von und Stimulation der Rezipienten durch Zeichen des Trauerns und Gesten des Bittens war (Kap. 8–9). Die Ränder dieses symbolischen Reservoirs abzustecken, ist wichtig, um zu zeigen, dass man Zeichen und Gesten nicht beliebig zusammenstellte. Vielmehr existierten Grenzen, die sich in der Verwendung oder Ablehnung kultureller Codes widerspiegeln. „Aneignung“ stellt dabei ein Schlüsselkonzept zur Erfassung des Zeichenrepertoires und dessen „eigen-sinniger“ Anwendung dar (A. Lüdtke). Diese Vorstellung ist es auch, die in Kultur und Religion eingebettete Politik als lebendig und anpassungsfähig erscheinen lässt. Der vierte Teil geht auf die Reaktionen der Zuschauer und Betroffenen ein. Was waren mögliche Wirkungen beim Publikum (Kap. 11)? Dabei ist nach einzelnen Gruppen oder gar Individuen zu fahnden, bei denen unterschiedliche Effekte einer Traueraktion zu erwarten sind. Hier rückt die Bedeutung von gemeinsamen Werten in den Fokus (Kap. 12). Zudem wird gezeigt, welche Mittel dem Primärziel eines squalor, dem politischen Gegner, zur Verfügung standen, um diese „zwingende Geste“ zu parieren (Kap. 13). Der Schlussteil befasst sich mit Sonderfällen; einerseits mit Beispielen von Sanktionen gegen offensive Trauerbekundungen, Trauerverbote und demonstrativen Verweigerungen erwarteter Trauerakte. Andererseits werden Quellen besprochen, die über die Institutionalisierung des squalor informieren (Kap. 14). Zudem wird nach den Ursachen gefahndet, warum die Zahl solcher Fälle im Prinzipat deutlich abnahm (Kap. 15). Das abschließende Fazit führt die zahlreichen Stränge zusammen und stellt die eine Praxis als vielschichtiges Produkt ihrer historischen und literarischen Akteure dar, um die Flexibilität und Dehnbarkeit politischer Kultur in der römischen Republik und frühen Kaiserzeit aufzuzeigen (Kap. 16).
I. TEIL PROLEGOMENA
1. VORBEMERKUNGEN: DIE PERFORMANZ SYMBOLISCHEN TRAUERNS Die eingangs skizzierte Verwirrung, die entsteht, wenn man in den Quellen symbolischer Trauer begegnet, resultiert zu einem wesentlichen Teil aus heutigen Denkmustern, die Trauer und ihre Assoziationen anders sortieren als die Römer. Es ist dem gegenwärtig herrschenden Diskurs über Sterben, Tod und Trauer geschuldet, dass antike Bestattungsrituale, aber noch mehr Aneignungen der dazugehörigen Symbolik heute befremdlich wirken. Die Prämissen der aktuellen Trauerkultur haben sich verschoben. Diskurse existieren als zeitlich und örtlich gültige Wissensbestände, die das Denken der Einzelnen formen und bestimmen, bevor Denken überhaupt einsetzt. Diskurse formulieren die Ausdrucksweisen gesellschaftlicher Wirklichkeiten vor; sie präfigurieren Deutungen der sozialen Realität und organisieren die Bedingungen sinnvoller Aussagen. Damit geben Diskurse nicht nur Orientierung in einer komplexen Welt von sozialen Beziehungen, Zeichen, Gesten und Symbolen, indem sie Chaos sortieren. Sie versperren mitunter auch die Sicht auf soziale Prozesse, Handlungsweisen und Mentalitäten, indem sie nur das bezeichnen können, was ihnen ihr Ausdrucksrepertoire zur Verfügung stellt. Diskurse zirkulieren, ziehen sich zusammen oder verschieben sich, was sich als sozialer Wandel ausdrückt.1 Die Trauerkultur traditionaler Gesellschaften wie der römischen gestaltet sich vielfältig. Trauer wurde immer öffentlich ausgelebt und zur Schau getragen; sie war stets gesellschaftlich relevant und hochgradig politisch. Nach Polybios galt der Tod eines angesehenen Mannes allen Römern als Verlust, denn das Gemeinwesen personifizierte sich in den bedeutendsten Mitgliedern der politischen Klasse und wurde teilweise mit diesem vir bonus ebenfalls zu Grabe getragen. Dieser normative Anspruch setzte sich fort: Nicht nur die pompa und laudatio funebris, die große Aufmerksamkeit von der Forschung erhalten haben, zeigen dieses Zusammenspiel.2 Auch die öffentliche Aufbahrung in der heimischen domus (collocatio), die allen Verwandten, Bekannten, Freunden und Klienten des Verstorbenen die Möglichkeit 1
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Vgl. grundlegend Foucault (1988) 74 f.; zum möglichen Denk- und Sagbaren ebd., 113 f.; ferner Butler (1995) 54; 9; Butler (1998) 194; zur Anwendung und Nutzbarmachung in den (deutschsprachigen) Geschichtswissenschaften Landwehr (2008); Sarasin (2003) 10–60; Raphael (2003) 236 f.; Daniel (2014) 167–78; einen stärker operationalisierten Diskurs-Begriff schlägt Meister (2012) 18 A. 22 vor, der die Produktivität von Diskursen ablehnt – denn Diskurse bringen ihren Gegenstand hervor – und am Vorteil des Konzepts vorbeigeht. Zur pompa funebris siehe Polyb. 6, 53 ff. mit Hölkeskamp (2014); (2008); Blasi (2013); Hegyi (2008); Flower (2006a); Gisborne (2005); Walter (2004) 89–112; Blösel (2003); Beck (2005) besonders 85 A. 31 mit älterer Literatur; da vor allem Bodel (1999); Flower (1996) und Flaig (1995); zur laudatio funebris umfassend Kierdorf (1980). – Gegenwärtig gestaltet sich die Trauerkultur nur bei Begräbnissen honoriger Persönlichkeiten und Opfern von Katastrophen sehr ausgeprägt, öffentlich aufgeführt und teilweise medial aufbereitet; vgl. Kremp (2001) 199–224.
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1. Vorbemerkungen: Die Performanz symbolischen Trauerns
des Abschieds, der Anteilnahme und Aufwartung bot, zeugt von der festen Verankerung des Trauerzeremoniells im politischen Geschäft der Republik. Dunkle Kleider, Bartwuchs und die Selbstbeschmutzung der Angehörigen nach dem Tod eines Mitgliedes der aristokratischen Familie visualisierten öffentlich die religiöse Beschmutzung des Haushaltes mit dem Tod; die Hinterbliebenen formierten sich so zu einer familia funesta. Das zeigte man durch die Anbringung eines Zypressen- oder Tannenzweiges an der Vorderseite des Hauses an. Dadurch waren alle männlichen Familienmitglieder vom politischen, ökonomischen und juristischen Alltag der res publica und somit vorübergehend aus der Gesellschaft ausgeschlossen; sie waren in dieser Zeit „sozial tot“.3 Demnach erfüllte das Anlegen von Trauergewändern zwei Funktionen: Erstens war es das Zeichen der Trauer der Angehörigen; zweitens Ausdruck des gesellschaftlichen Ausschlusses der Hinterbliebenen.4 Das Gleiche versuchte man in vielfältiger Weise mit einem Trauerakt zu bewirken. Man wies auf die durch die aktuelle Situation herbeigeführte Isolation des Protagonisten hin. Diese stetige Gegenwart von Sterben und Tod sowie deren literarische Thematisierung ermöglichten es den Römern überhaupt,5 sich der Zeichen und Gesten des Trauerns zu bemächtigen und sie in einen anderen, aber dennoch sinnvollen Zusammenhang zu überführen. Beim symbolischen Trauern – wie bei tatsächlichen Begräbnisritualen – materialisierte sich der Trauer- bzw. Bestattungsdiskurs in performativen Akten.6 Dem Phänomen des squalor kann man sich auch vor dem Hintergrund eines Bourdieu’schen Habitus-Begriffs nähern und die soziale Praxis in den Blick nehmen. Allein das Modell erlaubt es nicht, der literarischen Repräsentation symbolischer Trauerakte gerecht zu werden. Ein Performanz-Ansatz vermag die Dichotomie zwischen Handlungs- und Textebene zu lösen, indem er sie als wechselseitig konstituierend, als diskursiv, begreift. Damit lehnt die Arbeit die Habitus-Konzeption, die für die Erforschung der republikanischen Oberschicht prägend geworden ist, nicht grundsätzlich ab. Die Untersuchung verlegt den Schwerpunkt nur, indem sie die Wirkmacht performativer Akte in allen Diskursen als Gewinn gegenüber den Effekten sozialer Praxis privilegiert.7 3 4
5 6
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Zu dieser Deutung vermeintlich religiös-magischer Beschmutzung durch den Tod schon Hertz (1907/2007); ferner Hasenfratz (2002) zum sozialen Tod; das Verhältnis zum squalor bei Kath (2012) 65. Zur römischen Trauer- und Bestattungskultur siehe u. a. Hope/Huskinson (2011); Hope (2009); Rüpke/Scheid (2009); Schrumpf (2006); Engels (1998); Hinard (1995); Wesch-Klein (1993); Toynbee (1971); Mau (1897); für Griechenland ein Überblick bei Baumgarten (2008) und Wagner-Hasel (2000b). Die Präsens der Sterbethematik zwischen Text und Wirklichkeit bei Hope (2009), besonders 41–3 zur Sterblichkeit und Lebenserwartung, die von sozialen Status, Geschlecht, Alter und Lebensraum abhingen; dort auch Verweise auf die Arbeiten von Parkin, Saller und Scheidel. Als diskursive Praxis bei Foucault (1988) 74: „Es [ist] eine Aufgabe, die darin besteht, nicht – nicht mehr – die Diskurse als Gesamtheit von Zeichen […], sondern als Praktiken zu behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen.“ – Als performativer Akt bei Butler (1995) 22; (1998) 125; 178. Das Theoriemodell des Habitus operiert zwar mit der Idee einer generativen Grammatik, einer quasi-sprachlichen Ordnung, die Verhaltensweisen strukturiert. Allerdings fügt sich der ge-
1. Vorbemerkungen: Die Performanz symbolischen Trauerns
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Der Ansatz der Performanz wird hier im Sinne J. Butlers verwendet,8 die sich sowohl an Foucaults Diskurs- als auch Austins Sprechakt-Begriff anlehnt: „Eine performative Handlung ist eine solche, die das, was sie benennt, hervorruft oder in Szene setzt und so konstitutive oder produktive Macht der Rede unterstreicht […].“9 Jede Äußerung beinhaltet demnach eine soziale Dimension, denn sie steht nie für sich selbst, sondern richtet sich stets an Kommunikationspartner, denen der Zweck der Handlung vermittelt werden soll. Mit dieser Annahme wird jede sprachliche Äußerung auch zur sozialen Aussage. Diese Äußerungen können gelingen oder misslingen. Geglückt ist ein performativer Akt, wenn er verstanden wird, missglückt, sobald die Rezipienten die Botschaft nicht erfassen können. Mit der Aussage wird eine soziale Realität geschaffen, die Trauer durch die Zurschaustellung von Trauerzeichen und die Darbietung von Trauergesten erst konstituiert. Wie eingangs umrissen gilt das in besonderem Maße für symbolisches Trauern und den damit verbundenen Kleiderwechsel. Da der formale Anlass zum Trauern fehlte, barg die Aufführung der entsprechenden Zeichen die Möglichkeit, eine der Trauer vergleichbare Aura zu schaffen und den Moment der Trauer herzustellen.10 Performative Akte misslingen allerdings, sofern bestimmte Gelingensbedingungen nicht erfüllt sind. So musste der Eid bei Barack Obamas zweiter Amtseinführung wiederholt werden, weil der Richter die Formel falsch vorlas und Obama ihm darin folgte – die Präsidentschaft war damit anfechtbar.11
zielte Regelbruch mit einem squalor in einer Ausnahmesituation und die Entlehnung ganzer Zeichensätze aus anderen Kontexten nicht in das Habitus-Modell, weil Transgressionen nicht internalisiert werden können, sonst wären sie keine Verstöße. Habitus-Konzept und römische Oberschicht u. a. bei Scholz (2011); Starbatty (2010) 36–9; Hölkeskamp (2010) 107–24; Flaig (2004); Meyer-Zwiffelhoffer (1995) 24–42; Barghop (1994); die Grenzen der Anwendbarkeit für die Republik zeigt nun Meister (2012); (2017a); ferner kritisch Ganter (2015) 12–4. 8 Tatsächlich lässt sich ‚der eine‘ Gründungstext der performance studies nicht identifizieren. Vielmehr trugen zahlreiche Ansätze der Sprachphilosophie, des (Post-) Strukturalismus u. a. „rhizomatisch“ dazu bei, seit den sechziger Jahren ein neues Forschungsfeld zu bestellen; vgl. Bohle/König (2001) 13–5; Hempfer (2011). – Neben Austin (2007) gibt es weitere Verwendungsweisen des Begriffs der Performativität. Bei Butler dreht sich alles um die Frage der (geschlechtlichen) Identitätsbildung durch (sprachliche) Zuschreibung. Eine theaterwissenschaftliche Verwendung ist eher mit Körperpraktiken verbunden (und damit gerade von textlichen/sprachlichen Aussagen unterschieden); vgl. Fischer-Lichte (2013); Hempfer (2011). 9 Butler (1993) 123 f.; vgl. Butler (1995) 9–11. Zum Diskurs siehe Butler (1993) 126: „Es ist unmöglich […], außerhalb der diskursiven Gepflogenheiten zu stehen, durch die ‚wir‘ konstituiert sind […]“ oder 129: „‚Diskurs‘ ist nicht bloß gesprochene Wörter [sic!], sondern ein Begriff der Bedeutung; nicht bloß, wie es kommt, daß bestimmte Signifikanten bedeuten, was sie nun mal bedeuten, sondern wie bestimmte diskursive Formen Objekte und Subjekte in ihrer Intelligibilität ausdrücken. […] Ein Diskurs stellt nicht nur vorhandene Praktiken und Beziehungen dar, sondern er tritt in ihre Ausdrucksformen ein und ist in diesem Sinne produktiv.“ 10 Einen solchen Ansatz verfolgt für ‚echte‘ Trauer im Mittelalter Koch (2006) 47–78. 11 Stollberg-Rilinger (2013a) 7 f.; am Beispiel der Eheschließung vollzieht Butler (1998) 77 das Problem nach.
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1. Vorbemerkungen: Die Performanz symbolischen Trauerns
Fragen des formalen Gelingens und der politischen Effektivität verschmelzen bei Trauerakten, weil kein festgelegtes Regelwerk existierte. Stattdessen orientierte man sich am politischen Betrieb, in dem Akzeptanz als Maßstab diente. Der Akteur musste berechtigt sein, sich Trauer- und andere Zeichen wie Gesten anzueignen und dabei als relevante Person erachtet werden. Sklaven etwa stand es nicht zu, Frauen, Fremden und Kindern nur bedingt. Die Anerkennung des Publikums als legitimer Adressat durfte ebenso wenig fehlen. Weder vor der plebs allein noch vor einem rein griechischen Kreis dargeboten konnte man erwarten, dass sich der Effekt eines squalor auf Entscheidungsträger auswirkte. Ort und Zeit waren ebenfalls günstig zu wählen; der Ort hing vom avisierten Publikum ab; es bestand auf dem Forum aus anderen Partnern als im Senat. Feiertage waren unpassend; nachts die Straßen leer. Auch die Darbietung musste spezifischen Erwartungshaltungen entsprechen; die Kleidung sollte weder zu sauber noch zu verdreckt daherkommen; der Bart weder zu lang noch zu gepflegt erscheinen; selbst die Intensität der Gesten – fester oder sanfter Händedruck, stille Tränen oder schrilles Greinen – hatte Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg. Nicht zuletzt mussten Ursache und Anlass symbolischer Trauerakte als angemessen gelten. Nur deutlich als prekär erkennbare Lebensumstände erlaubten den Auftritt in Trauer; wegen einer Lappalie die Kleider zu wechseln, barg die Gefahr, sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Darin erkennt man bereits, wie unbestimmt die Konventionen eines squalor waren; alle Parameter mussten auf das Feinste aufeinander abgestimmt werden, um die Gelingenswahrscheinlichkeit zu erhöhen. Doch die Suche nach einem Regelwerk symbolischer Trauerakte, das Antworten auf Fragen der Abstimmung und des feinen Gespürs gibt, gestaltet sich schwierig, denn die „Gesetze“ des squalor sind nicht kodifiziert. Vielmehr gab es ein gesellschaftliches Ringen und soziale Übereinkünfte. Die Regeln, die performative Akte leiten, sind selbst heute in den meisten Fällen nur implizit in der sozialen Praxis verankert.12 Bei den Römern wurden sie in erster Linie durch Erziehung mündlich weitergegeben. Diese ungeschriebenen Gesetze fanden ihren Niederschlag in den exempla, an denen man sich orientieren konnte. Diese beispielhaften Erzählungen von römischen Helden-, aber auch Missetaten wurden nicht selten von Rednern und Literaten aufgegriffen. Gleichzeitig verfestigte sich das Wissen um sie durch die stetige Anwendung in der Praxis. Das daraus entstandene System von Normen und Werten nannten die Römer mos maiorum. Aus diesem dicht gesponnenen Netz von Handlungs- und Verhaltensanweisungen für zahlreiche Anlässe speiste sich symbolisches Trauern – das gilt für die Praxis wie für ihre literarische Überlieferung (vgl. Kap. 3). 12
Vgl. Butler (1998) 11 f.: „Die Äußerungen […] sind nicht bloß konventional, sondern in Austins eigenen Worten, ‚rituell oder zeremoniell‘. Sie funktionieren als Äußerungen nur, insofern sie in Form eines Rituals auftreten, d. h., in der Zeit wiederholbar sind und damit ein Wirkungsfeld aufrechterhalten, das sich nicht den Augenblick der Äußerungen selbst beschränkt. Der illokutionäre Sprechakt vollzieht die Tat im Augenblick der Äußerung. Da dieser jedoch ritualisiert ist, handelt es sich niemals bloß um einen einzelnen Augenblick. Der ritualisierte Augenblick stellt vielmehr eine kondensierte Geschichtlichkeit dar: Er überschreitet sich selbst in der Vergangenheit und in der Zukunft, insofern ein Effekt vorgängiger und zukünftiger Beschwörungen der Konvention ist, den einzelnen Fall der Äußerung konstituieren und sich ihm zugleich entziehen.“
1. Vorbemerkungen: Die Performanz symbolischen Trauerns
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Vor allem bedeutet das, dass Trauerakten eine besondere Zitathaftigkeit innewohnte. Während sie kontinuierlich einander zitierten, bestanden sie aus Zutaten anderer kultureller und sozialer Praktiken wie etwa dem Bestattungszeremoniell und Formen nobilitärer Sympathiewerbung. Diese Elemente beruhten auf der lebensweltlichen Einbettung der Akteure; sie stellten Mechanismen dar, die jedem einzelnen Beteiligten in Fleisch und Blut übergegangen waren; sie sind als soziale Texte zu lesen, die unsichtbar wirken.13 Daher kommt es beim squalor zur doppelten Zitation. Zunächst wurden die aus ihren Primärkontexten entlehnten Zeichen und Gesten zitiert, aber auch ältere Trauerakte. Vor geraumer Zeit ist auf die Zitathaftigkeit performativer Akte aufmerksam gemacht worden. Darunter ist der Bezug einer jeden Aktion auf gleiche oder vergleichbare Handlungen in der Vergangenheit zu verstehen, auf die mit jeder neuerlichen Maßnahme referiert wird. Da jedoch zwei Ausführungen ritualisierten Handelns nie vollständig identisch sein können und nur den Anschein der Unveränderlichkeit erwecken, ist zudem eine gewisse Singularität aller Trauerakte anzunehmen. Nur vor einem als bekannt vorausgesetzten Horizont, der sich aus dem zitierten Primärtext ergibt, können solche Aktionen wiedererkannt werden und auch gelingen, wobei es notwendigerweise zu Sinnverschiebungen kommt.14 Für symbolisches Trauern sind die Zitate dann zurückliegende Trauerszenen und -akte, denen man beiwohnte oder von denen man sonst irgendwie Kenntnis hatte.15 Manche Geschichten mochten als exempla gegolten haben, wie die Geschichte von Metellus Pius. Die citation darf jedoch nicht mit kulturellen Skripten, codes oder frames verwechselt werden,16 denen die „Wahl“ der rituellen Elemente, Zeichen und Gesten eines performativen Aktes zugrunde lag. Vielmehr sieht der Diskurs, in dessen Rahmen sich die abrufbaren Symbole bewegen, die Anordnung von Trauerakten 13
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Dieses Verständnis entbehrt der Empirie und vermag keinen Wandel zu erklären. Kultur als scripted zu begreifen, geht auf die Metapher von „Kultur als Text“ zurück, der jedoch der Makel anhaftete, einen sprachlichen Zugang zur Kultur zu verabsolutieren; der performative turn kehrte sich genau gegen dieses Verständnis. „Kultur als Text“ bei Geertz (1983) 9; zur performativen Wende Bachmann-Medick (2006) 104–42. Zur Sinnverschiebung Butler (1995) 299; zur Wiederholbarkeit Butler (1993) 124; sie spricht neben ‚kondensierter Geschichtlichkeit‘ komplementär von „sedimentierter Wiederholbarkeit“; demnach spricht man konventional „niemals völlig einzigartig“; Butler (1998) 43; ferner Butler (1998) 208; 46: „Performativität besitzt eine eigene gesellschaftliche Zeitlichkeit […]“, da Performativa „[…] in der Zeit wiederholbar sind […]“ (ebd. 11); vgl. Haltenhoff (2001) für exempla. Siehe Linke/Stemmler (2000); Hölkeskamp (1996) zum mos maiorum. Butler (1995) 299 (Hervorhebung im Original): „Wenn eine performative Äußerung vorläufig erfolgreich ist […], dann […] nur deswegen, weil die (Sprech-)Handlung frühere (Sprech-) Handlungen echogleich wiedergibt und die Kraft der Autorität durch die Wiederholungen oder durch das Zitieren einer Reihe vorgängiger autoritativer Praktiken akkumuliert.“ Barthes (1987) 24 spricht von kulturellen Codes und meint, dass ein Rezipient Informationen sammelt und einem Oberbegriff zuweist; somit konstituiert er aus seinem Erfahrungsschatz einen typischen Ablauf oder „Look“ einer Trauerszene, der bei Bedarf abgerufen wird. Goffman (1993) 31 meint ähnliches mit seinen frames, die Handlungen erwartbar(-er) machen, aber vor allem Sinn verleihen. Das Framing-Modell geht von einer Vielzahl individueller Erfahrungen aus, um aktualisiertes Verhalten zu erklären; vgl. ebd. 409–13; aus althistorischer Perspektive auch Meier (1984).
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1. Vorbemerkungen: Die Performanz symbolischen Trauerns
bereits vor, weil er das Denken präreflexiv strukturiert. Ein anderes Arrangement der Zitate soll so ausgeschlossen werden. Solche Versuche des Ausschlusses von Sagbarkeiten und der Stabilisierung von Wissensordnungen können jedoch nicht endgültig gelingen, weshalb es immer wieder zu Variationen kommt. Das Wechselspiel zwischen Zitat und Skript, das ständig neue Bedeutungen einer Traueraktion hervorbringt, bildet die Matrix symbolischen Trauerns;17 sie gilt es zu beachten, wenn es im Folgenden immer wieder um die Aneignungen verschiedener sozialer Praktiken und Zeichen durch die Protagonisten symbolischer Trauerakte geht. Dabei gehen die Überlegungen der folgenden Kapitel von der Grundannahme aus, dass Symbole trotz ihrer Einbettung in einen jeweils vorherrschenden Diskurs, etwa in das Bestattungszeremoniell, prinzipiell durch das Individuum verfügbar sind. Die Akteure entkleiden die Zeichen und Gesten ihres Kontextes und überführen sie in eine neue Umgebung, die keine unmittelbare Nähe zur ursprünglichen Verwendung aufweist. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass die entlehnten Symbole solchen Institutionen wie der Trauer oder dem Wahlkampf entstammen, zwischen denen keine offenkundige Beziehung zu bestehen scheint. Diese Ent- und Rekontextualisierungen, die sich für zahlreiche Transformationsprozesse beobachten lassen, relativieren die Macht vermeintlich unsichtbar herrschender Skripte insofern, dass sie das Individuum gegenüber festen Formationen privilegieren.18 Einzelne agieren nicht entlang vorgegebener Muster, die freilich Orientierung in einer komplexen Welt bieten, sondern sie machen sich die vorgefundenen Strukturen ihrer Lebenswelt zu eigen. Die Macht der Diskurse wird dadurch keinesfalls geleugnet. Es heißt nur, man macht sich einen eigenen Sinn auf diskursive Formationen, indem man sich ihrer zu bemächtigen sucht. Die Folge ist eine von Variationen, Aneignungen und Spielräumen geprägte politische Kultur, die außerordentlich lebendig daherkommt.19 Die nachgezeichnete Verbindung einzelner Theorien beansprucht keine Universalität. Vielmehr bediene ich mich eklektisch einzelner Aspekte, um Trauerakte untersuchen zu können: Sie sind diskursiv, weil sie allein vor dem Hintergrund des jeweils aktuellen Trauerdiskurses verständlich sind und sich aufeinander beziehen; sie sind performativ, weil sie Trauer bei den Anwesenden erzeugen können, ohne eines Trauerfalls zu bedürfen; sie sind symbolisch, weil sie ihre Botschaft zeichenhaft vermitteln und es dabei zu Sinnverschiebungen kommt. Im Folgenden werden verschiedene Konzeptionen ins Auge gefasst, die sich dem Arrangement kultureller Semantiken und damit dem korrekten Vollzug wid17 18
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Vgl. Butler (1991) 217: „Die Frage ist nicht: ob, sondern wie wiederholen […].“ Zur Verbindung von Diskursen mit Individuen siehe Reckwitz (2008) 235–57. Die strukturalistische Idee, dass sich hinter den sichtbaren Erscheinungen (des konkreten Sprechens etc.) eine unsichtbare oder unbewusst wirksame Ordnung verberge, ist gerade nicht diskurstheoretisch. Man geht vielmehr davon aus, dass sich alles an der sichtbaren Oberfläche des Sprechens usw. abspiele – und eine (wie auch immer) wirksame Ordnung des Wissens genau dort an dieser Oberfläche zu finden sei und nicht dahinter. Vergleichbare Ansätze liefern in Bezug auf die römische Religionsgeschichte die Arbeiten des Erfurter Projekts Lived Ancient Religion, vgl. einführend Rüpke (2011) und die Beiträge in Religion in the Roman Empire 1, 1 (2015) und nun umfassend Rüpke (2016).
1.1. Der Eigen-Sinn symbolischer Trauerakte und die Frage der Aneignung
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men, also die Frage nach der kulturellen Syntax stellen. Sie stellen die Grundvoraussetzung für das Gelingen symbolischen Trauerns dar. Danach befasst sich das Kapitel mit der Verbreitung des Phänomens symbolischer Austauschbarkeit in der römischen Antike am Beispiel der pompa triumphalis und pompa circensis. Abschließend geht es um die Frage, was es überhaupt hieß, mit einem Trauerakt Erfolg oder Misserfolg zu haben. 1.1. Der Eigen-Sinn symbolischer Trauerakte und die Frage der Aneignung 1.1 DER EIGEN-SINN SYMBOLISCHER TRAUERAKTE UND DIE FRAGE DER ANEIGNUNG Die Grundvoraussetzung für den Erfolg einer Traueraktion stellten einige ihrer Charakteristiken selbst dar. Jede soziale Praktik musste zunächst wiedererkannt werden, um überhaupt einen Effekt zu erzielen; Konventionen waren einzuhalten. Das zeigt sich etwa am Beispiel der Kleidung bei den Römern (Kap. 5). Doch nicht nur Kleidung war hochgradig normiert, sondern Verhalten überhaupt. Das hatte zur Folge, dass man die Legitimität jeder Handlung durch einen impliziten Verweis auf die Akzeptanz des Benehmens in vorgängigen Situationen herstellte. So erinnerte etwa ein Bestattungsritual an ein anderes, ein Wahlkampf an den vorherigen. Freilich stellte man dabei leichte, doch selten markante Unterschiede fest. Genau diesen Mechanismus machten sich die Akteure symbolischen Trauerns zunutze und zitierten unterschiedliche Zeichen und Gesten. Allerdings blieb jede Traueraktion riskant, denn die verwendeten Symbole waren nur bedingt legitim. Denn Trauerakteure verwendeten die einschlägigen Trauerzeichen wie Bart und Kleidung außerhalb ihres angestammten Settings. Zudem kombinierten sie diese mit Gesten anderer kultureller Institutionen, wie das Eingangsbeispiel des Saturninus zeigte. Weil die Zeichen und Gesten nun auf einen anderen Rahmen als den ursprünglichen verwiesen, war die Praxis nicht automatisch als akzeptiert zu verstehen und ihre Legitimität konnte jeder Zeit in Zweifel gezogen werden.20 Das Phänomen, Zeichen und Gesten aus einem Bezugssystem zu lösen und in ein neues zu überführen, ist bereits früher wahrgenommen worden. Vor allem C. Levi-Strauss21 und M. de Certeau22 sowie die britischen cultural studies23 haben 20
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Daher sind Trauerakte stets riskant; vgl. Butler (1996) 27: „[Das] gesamte Gerüst von Kopie und Original erweist sich als extrem instabil, da jede Position in andere invertiert, sich verkehrt und damit die Möglichkeit einer stabilen Verortung der zeitlichen und logischen Priorität einer der beiden Begriffe vereitelt.“ Der Ethnologe Lévi-Strauss (1991) 29 hat solche Phänomene als Erster zu konzeptualisieren versucht. In seinen Untersuchungen zu naturnah lebenden Kulturen stieß er auf Denkweisen, die ihr Weltbild auf Grundlage holistischer Mythen erklärten. Demnach seien alle lebenden und unbelebten Dinge und Phänomene magisch miteinander verknüpft. Die gedachten Verbindungen zwischen den einzelnen Elementen der Lebenswelt basieren nicht auf abstrahierenden und rationalen Gedankengängen wie in der westlichen Welt. Diese Überlegungen seien eher als performative Kombination von „Bruchstücken“ der sinnlich wahrnehmbaren Welt und Vergangenheit zu verstehen, die mittels Phantasie ad hoc zu umfassenden Weltanschauungen mit eigenen Symbolen und Narrativen transformiert werden. Lévi-Strauss prägte für dieses assoziative und phantasievolle Verfahren den Begriff der bricolage. Er kam nach weitreichenden kul-
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1. Vorbemerkungen: Die Performanz symbolischen Trauerns
sich der Problematik gewidmet und häufig subversive Strategien gefunden. Damit legten sie den Grundstein für eine Verbreitung in den deutschsprachigen Geschichtswissenschaften, in denen ähnliche Erscheinungen unter dem Begriff der „Aneignung“ zusammengefasst worden sind. Das von A. Lüdtke geprägte Modell will den Umgang des Einzelnen mit seiner Umwelt und den dort existierenden Bedingungen, die weder einfach hingenommen noch hartnäckig bekämpft werden, beleuchten. „Aneignung“ wählt einen alternativen Weg zwischen Ohnmacht und Widerstand und ist „Eigen-Sinn“ entsprechend verwandt. Man betrachtet die kreative Aneignung kultureller Güter und beschreibt, wie ein Rezipient einem Text, Symbol oder sonstigen kulturellen Versatzstück ähnliche, gegensätzliche oder gänzlich neue Bedeutung zuweist. Das Individuum modifiziert die vorgefundenen Verhältnisse und passt sie vorsichtig seinen Vorstellungen an, richtet diese jedoch im Gegenzug an den existierenden Bedingungen aus.24 Im Fokus steht also die Nutzung kultureller Produkte wie Ideologien, Lebensstile samt Kleidung und Gestik in einer anderen Weise als von Produzenten oder der Mehrheitsgesellschaft vorgesehen. „Aneignung“ birgt somit ein subversives Moment, wie es auch dem squalor innewohnt.25 Trauerakte machen auf soziale Brüche
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turvergleichenden Forschungen zu der Überzeugung, dass kein wesentlicher oder qualitativer Unterschied in der logischen Struktur von modernem und (vermeintlich) primitivem Denken bestehe. Beide Denkweisen seien nur Varianten ein und desselben Prinzips, die Welt nach einem universellen Verfahren zu ordnen. McGuire (2008) 195 f. geht in ihrer Studie zur ‚gelebten Religion‘ von solchen Prozessen als die den Alltag strukturierende Kraft von Ritualen aus. Certeau (1988) 17 sprach von appropriation. Demnach konsumierten Akteure nicht nur ihre kulturelle Umwelt, sondern durch die Reorganisation ihrer „Produkte“ sind sie zugleich Produzent ihrer eigenen Kultur und Lebenswelt. Seine Konzeption von „Taktik“ als instabile, mäandernde Praxis der Aneignung kulturell verfügbarer Güter zum Zweck der Subversion ist besonders bei J. Butler prominent. In ihren Arbeiten zur Jugendkultur der sechziger bis achtziger Jahre ermittelten sie immer wieder Lebensstile, die sich in „collagierten“ Kleidungsmoden von Subkulturen niederschlugen und als sampling bezeichnet wurden. Dabei zeigte sich, wie sozial aufgezwungene, kulturelle Versatzstücke durch aktive Prozesse des Kombinierens und Umdeutens in die eigene Lebenswelt integriert wurden. Diese Elemente änderten dann ihre Bedeutung oder wurden – teilweise ins Gegenteil – umgedeutet, womit sie bisweilen an der Dekonstruktion der bestehenden Ordnung mitarbeiteten. Etwa die Verwendung von Hakenkreuzsymbolik auf Jeans- und Lederjacken der Punks, die tatsächlich ein „linkes“ Selbstverständnis besitzen. Zu den klassischen Studien Marchart (2008) 104–7. Siehe auch Butler (1998) 227: „[…] Begriffe sind kein Eigentum, […] sie haben auch keine Bedeutung, die aus den verschiedenartigen Formen ihres […] Gebrauchs herausdestilliert werden könnte […].“ Das zeigt auch der Komplementärbegriff des „Eigen-Sinns“; den Lüdtke (1995) 313 f. so glossiert: „Eigen-Sinn: denoting willfulness, spontaneous self-will, a kind of self-affirmation, an act of (re)appropriating alienated social relations on and off the shop floor by self-assertive prankishness, demarcating a space of one’s own. There is a disjunction between formalized politics and the prankish, stylized, misanthropic distancing from all constraints or incentives present in the everyday politics of Eigen-Sinn. In standard parlance, the word has pejorative overtones, referring to ‚obstreperous, obstinate‘ behavior, usually of children. The ‚discompounding‘ of writing it as Eigen-Sinn stresses its root signification of ‚one’s own sense, own meaning‘. It is semantically linked to aneignen (appropriate, reappropriate, reclaim).“
1.2 Symbolische Austauschbarkeit? Die semantische Verwandtschaft der pompae
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aufmerksam, ohne mit der Gesellschaft zu brechen, und reizen akzeptierte Verhaltensweisen mitunter bis an die Grenzen des Tolerierbaren aus, ohne bestehende Normen und Werte zu negieren. So jonglieren Einzelne mit den „Gesetzen“ des squalor, indem sie ihn verweigern, Trauer bei Festen zeigen (Kap. 5.3) oder als Kläger statt Angeklagter im Lumpenkleid erscheinen (Kap. 2.2). Lüdtke hebt explizit auf Verhalten, Körperhaltung und -sprache ab und kommt damit dem Interesse an Trauerakten entgegen. In historischer Perspektive stellt „Aneignung“ dann die Verinnerlichung sozialer, kultureller und historischer Erfahrungen durch eine aktive Tätigkeit der Akteure dar.26 Dieser Ansatz leugnet nicht die Existenz Orientierung gebender Codes im sozialen Miteinander,27 er stellt sich nur gegen den obsessiven Glauben an die Allmacht gerahmten Handelns und führt das Individuum wieder als Entscheidungsträger ein. Das heißt nicht, dass Einzelne völlig frei von Konventionen agierten; in der Tat sind sie an Regeln, Bräuche und Traditionen gebunden, denen sie sich nicht entziehen können, aber mit Lüdtkes Konzeption wird deutlich, dass sich Akteure (des 20. Jahrhunderts) verschiedener fest verankerter Praktiken und Symbole bemächtigen können, weil diese, zumindest bis zu einem gewissen Grad, eine Flexibilität aufweisen, die sich auch in möglichen Sinnverschiebungen äußert.28 Diese Akteure tragen kontinuierlich zum Wandel von Gesellschaft und Kultur bei, da sie von ihren Diskursen geprägt sind, diese gleichsam durch jede Handlung mitprägen. 1.2 SYMBOLISCHE AUSTAUSCHBARKEIT? DIE SEMANTISCHE VERWANDTSCHAFT DER POMPAE Für die römische Antike ist bereits auf die Austauschbarkeit von Zeichen und Gesten hingewiesen worden. Zum einen betrifft das Kleidungsdebatten. So trugen Knaben aus dem Senatorenstand und höheren Magistraten die toga praetexta, Jungen, Mädchen, erwachsene Männer und Prostituierte die einfache toga pura.29 Zum anderen wurden Rituale in den Blick genommen, deren Zeichenverwendung wesentlich komplexeren Regeln folgt als die Kleiderordnung. Implizit wurden die wechselseitigen Beziehungen von rituellen Bausteinen verschiedener Prozessionen schon oft behandelt. K.-J. Hölkeskamp hat das gänsemarschartige Vorausschreiten
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Lüdtke (1997) besonders 84, der auch für das Konzept der Lived Ancient Religion zentral ist; vgl. Rüpke (2011); auch Butler (1991) 216 hebt auf solche Praktiken ab: „Die kritische Aufgabe besteht […] darin, Strategien der subversiven Wiederholungen auszumachen, […] und die lokalen Möglichkeiten der Intervention zu bestätigen, die sich durch Teilhabe an jenen Verfahren der Wiederholung eröffnen, […] und damit die immanente Möglichkeit bieten, ihnen zu widersprechen.“ So einige Performanz-Ansätze; vgl. Fischer-Lichte (2013); Hempfer (2011); Auslander (1999). Während es im strukturalistischen Denken eine Rolle spielt, dass Regeln im Grunde unbewusst bleiben, man sie gezielt gar nicht brechen oder verändern kann, liegt der Unterschied zu Diskurs- und Performanz-Ansätzen an der Stelle des Umgangs mit bzw. der Stabilität von Regeln; vgl. Sarasin (2006). Sebesta (2005) bzw. Olson (2006); siehe auch Kap. 5.
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1. Vorbemerkungen: Die Performanz symbolischen Trauerns
der Liktoren vor einem höheren Magistrat als „kleine pompa“ bezeichnet.30 Auf den zitathaften Charakter ritueller Elemente wies B. Gladigow hin und sprach in Anlehnung an „Intertextualität“ von „Interritualität“.31 In seinem Beispiel verweist Gladigow auf die semantische Nähe der Zirkusprozession (pompa circensis) und des Triumphzuges (pompa triumphalis), die von der Forschung zumeist mit der Erklärung der Abstammung des einen von dem anderen Ritual erklärt wurde. Gladigow hält entgegen, dass es im Sinne einer „Kompositionslehre“ gar nicht so sehr darauf ankomme, ob die pompa circensis aus dem Triumph hervorgegangen sei oder umgekehrt.32 Vielmehr hebt er darauf ab, dass Römer die Semantiken des einen Rituals in dem anderen wiedererkannten. Die Zuschauer konnten beide Prozessionen leicht in Bezug setzen, auch wenn die Settings verschiedene waren. Die Tatsache, dass sowohl Triumphzug als auch Zirkusparade zu Ehren Jupiters stattfanden, machte es jedoch möglich, die Zeichen und Gesten des jeweils anderen Rituals zu zitieren. Dieses Zitieren ist jedoch allein unter der Prämisse zulässig, dass die Anwesenden das Zitat wahrnahmen und verstanden; sonst verflüchtigte sich der Effekt. Idealtypisch nahm die pompa triumphalis ihren Anfang am Marsfeld und führte durch die porta triumphalis, weiter zum Forum Boarium und von dort zum Circus Maximus. Weiter ging es entlang des Palatinhügels zum Forum Romanum, wo die feindlichen Gefangenen stranguliert wurden. Mit einem Gastmahl endete der Zug am Tempel des Jupiter Optimus Maximus, dem von dem Feldherrn der Lorbeerkranz zurückgegeben und geopfert wurde. Begleitet wurde der nach einer strengen Regel geordnete Zug von Beutegütern, Bildern der Kriegstaten, Musik etc. sowie vom Gespött einiger Soldaten auf ihren Feldherrn, der nicht nur in das purpurfarbene Gewand des Jupiter mit toga picta und tunica palmata gehüllt war, sondern auch den Weg auf einem Triumphwagen (currus triumphalis) zurücklegte. Auf diesem stand ihm ein Staatssklave zur Seite, der einen zur Krone geflochtenen Eichenlaubzweig über den Kopf des Triumphators hielt und ihm gleichzeitig zuflüsterte, er sei nur ein Mensch. Neben dem jupiterähnlichen Ornat war das Gesicht des Feldherrn zinnoberrot bemalt. Die pompa circensis hingegen begann auf dem Kapitol, wo der Triumphzug endete, und nahm haargenau denselben Weg zurück bis zum Circus, der einmal umkreist wurde. Auch in diesem Zug herrschte eine strenge Reihenfolge. An der pompa nahmen zwar keine Soldaten teil, jedoch solche Angehörige der Oberschicht, denen der Militärdienst unmittelbar bevorstand. Dabei hielten sie auch die Insignien ihrer kommenden militärischen Aufgaben. Weitere Prozessionsteilnehmer trugen Götterbilder auf ihren Schultern, wieder andere führten Opfergerätschaften mit sich. Besonders fällt die Kleidung des Spielegebers ins Auge, der den Zug abschloss. Dies führt auf die Frage nach dem Ritualzitat zurück. Auf einer Quadriga war er wie der Triumphator gekleidet, verfügte ebenfalls über den Sklaven mit dem Eichkranz und Adlerszepter aus Elfenbein.33 30 31 32 33
Hölkeskamp (2006) 381; ferner Flaig (2003a) 42–8; Beck (2005a); Gisborne (2005). Gladigow (2004) 60 f.; Gladigow (2000) 88 f.; zum Zusammenhang mit Intertextualität vgl. Bell (1992) 37–40. Mommsen, Staatsrecht I, 417 f.; diskutiert bei Bernstein (1998) 31–4. Zum Triumph Itgenshorst (2005); zur pompa circensis Bernstein (1998); ferner Beck (2005a).
1.3. Erfolg und Misserfolg: Instrumentelles vs. symbolisch-expressives Handeln
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Das Wiedererkennen ritueller Elemente stellt somit einen zentralen Punkt dar, der zum Gelingen oder Scheitern eines Traueraktes beitrug. Gleichzeitig wird man dabei auf ein hermeneutisches Problem nicht geringen Ausmaßes zurückgeworfen: Was hieß es, wenn Augenzeugen und Historiker von der ambulatio eines Trauerakteurs berichteten? Waren nur sie es, die darin Anleihen an den Wahlkampf sehen wollten, oder war die Anspielung allen Zuschauern gegenwärtig? Ist es die Wortwahl, die den modernen Historiker verleitet, Zitate sehen zu wollen, wo gar keine sind? Wann erkennt wer was wie tatsächlich wieder? Es gilt daher Parallelen zwischen Ausgangs- und Zielsituation aufzuzeigen. Die Gefahr der Überinterpretation ist bei einem solchen Ansatz allgegenwärtig, doch einkalkuliert.34 Seit Gladigow wurde der Gedanke des „rituellen Zitats“ in verschiedenen Disziplinen immer wieder aufgenommen, ohne wirklich diskutiert zu werden.35 So ist es auch in dem vom Gladigow angebrachten Beispiel der pompae. In der vorliegenden Untersuchung bedeutet „Ritual zu zitieren“ konkret, dass die Akteure des squalor Symbole und Handlungen anderer sozialer, politischer und religiöser Kontexte nutzten, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen und die Zuschauer die Anspielung auch verstanden. Die kombinierten Zeichen müssen nicht zwingend eine strukturelle Ähnlichkeit aufweisen. Man bediente sich beispielsweise gleichzeitig der ambulatio, dem Herumgehen der Amtsbewerber in einer kreideweißen Toga, der mutatio vestis, dem Wechseln der Kleider zu dunklen Farben im Zuge einer Gerichtsverhandlung, und auch der supplicatio, also dem Streifen von Tempel zu Tempel in leuchtende Leinen gehüllt, um verschiedenen Gottheiten zu danken, sie anzuflehen oder zu entsühnen. Man kann hier deutlich erkennen, dass die Zeichen und Gesten „zitiert“, mitunter aber auch verkehrt (gebleichte versus beschmutzte Kleidung) werden konnten. 1.3 ERFOLG UND MISSERFOLG: INSTRUMENTELLES VS. SYMBOLISCH-EXPRESSIVES HANDELN Die Deutung symbolischen Trauerns als performative Akte ist folgenreich, denn es gilt zu fragen, was dazu beitrug, damit Trauerakte gelingen konnten. Allerdings sind die Begriffspaare Gelingen/Misslingen, Erfolg/Misserfolg und Glücken/Missglücken zunächst irreführend. In der Sprache der Performanz-Studien legen die positiven 34 35
Das deutet sich in Kap. 3 an, wo die Frage der „Staatstrauer“ als Vergleichskategorie besprochen wird; ferner Kap. 7.2, wo Tacitus die Trauerszene des Vitellius mit der pompa funebris vergleicht. Zuvor ist der Begriff auch von Paul (1990) 100–3, gebraucht worden. Allerdings meint Paul damit vor allem säkulare Rituale, die kirchlichen nachempfunden wurden, standesamtliche Trauungen, Jugendweihen etc. Dennoch ist Pauls (1989) Ansatz, dass das „eigentliche“ Ritual die Inszenierung und Wirkung des Zitierten fördert von Bedeutung. Besonders im Rahmen des Heidelberger Sonderforschungsbereichs 619 Ritualdynamik erschienen zahlreiche Publikationen, die auf Ritualzitate Bezug nehmen; so meint Hotz (2005) 214 mit „Interritualität“ „[…] das Ersetzen einer rituellen Handlung durch eine andere.“ Schenk (2005) 344 versteht „Interritualität“ als die Möglichkeit, rituelle Elemente „zwischen einzelnen, strukturell verwandten zeichenhaften Kulturformen“ auszutauschen.
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1. Vorbemerkungen: Die Performanz symbolischen Trauerns
Seiten der Paare lediglich nahe, dass ein Trauerakt von anderen Personen wiedererkannt wurde, während die negativen Konnotationen auf Probleme der kommunikativen Anschlussfähigkeit verweisen. Damit ist jedoch nichts über die Ebene der politischen Praxis gesagt. Es bleibt unklar, was als politischer Erfolg bei einem squalor zu gelten hatte. Es ist zu unterscheiden zwischen der Inhalts- und Ausdrucksseite symbolischer Trauerakte – einem wesentlichen Merkmal politischer Kultur, denn ritualisierte Handlungen jedweder Art besitzen sowohl instrumentelle als auch symbolisch-expressive Aspekte. Zunächst diente der squalor einem Anliegen, das sich zu Gericht, im Senat oder in der Volksversammlung verorten ließ; es ging um Urteile, Debatten und Gesetze, denen man sich entgegenstellte oder die man befürwortete. Auf dieser Verfahrensebene wollte man bestimmte Ziele erreichen und setzte Trauerzeichen ein, um den eigenen Willen durchzusetzen. Wirkung erzielte man zudem dadurch, dass man seinem situativen Wunsch nicht allein durch die Zurschaustellung der Zeichen und Gesten Ausdruck verlieh. Auch signalisierte die Trauersymbolik einen gesonderten sozialen, emotionalen und religiösen Status, der nicht minder auf die Beteiligten einwirkte und der Aktion Sinn verlieh. Beide Facetten sind untrennbar verwoben, doch meist herrscht ein Aspekt vor.36 Gerade bei Trauerakten scheint die rituell-expressive Seite besonders deutlich hervorzutreten. Da man stets ein Anliegen verfolgte und einen squalor nie grundlos darbot, darf man das instrumentelle Moment jedoch nicht vernachlässigen. Im Gegenteil war die causa movendi häufig entscheidend für die Akzeptanz symbolischer Angebote. Demnach sind intentionales Handeln und strategische Überlegungen im Bereich des Instrumentellen zu lokalisieren, während die Sinnhaftigkeit von Zeichen und Gesten den herrschenden Diskursen eingeschrieben ist und sich nicht instrumentalisieren lässt. Strategien sind lediglich Elemente des politischen Diskurses in der römischen Gesellschaft, die den Akteuren und ihren antiken wie modernen Rezipienten als frei gewählt erscheinen. Das bedeutete aber nicht, dass Inhalts- und Ausdrucksseite symbolischer Trauerakte nicht auch auseinandertreten konnten. Es lässt sich gerade im Hinblick auf ihre Wirkung zwischen instrumentellen und symbolischen Erfolgen differenzieren. Wurde das festgesetzte Ziel erreicht, war das Verfahren instrumentell geglückt wie bei Saturninus. Mitunter traten Reibungen auf, die eines erhöhten symbolischen Aufwandes bedurften wie beim älteren Tiberius Gracchus (vgl. Kap. 4.1). Wenn man die Beteiligten nicht umzustimmen oder zu überzeugen vermochte, konnte im Nachgang ein symbolischer Erfolg reklamiert werden. Oft erhielt die Aktion dann einen moralische Anstrich. Man kam etwa auf die Unrechtmäßigkeit der Abweisung zu sprechen wie die Konsulare Furius und Manlius (Kap. 4.2), beschrieb die Umstände des Scheiterns als sabotiert wie Cicero (Kap. 3.1) oder bewies einen langen Atem, bis sich der politische Wind gedreht hatte und dem Anliegen nachgegeben wurde wie Metellus Pius (Kap. 12.2). Ob diese Gründe Akzeptanz fanden, war auch von der eigenen Strategie und Rhetorik abhängig. Cicero brachte große Mühen auf, sich zu erklären, erreichte aber nie wieder denselben Rang wie vor 36
Grundlegend Edelman (2005); Stollberg-Rilinger (2013) 134 f.; (2004) 497 f.; für Rom Goldbeck (2010) 20 f.; Jehne (2001) 90; ferner Flaig (2003a).
1.3. Erfolg und Misserfolg: Instrumentelles vs. symbolisch-expressives Handeln
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seiner Verbannung. Metellus Pius dagegen nahm gemeinsam mit seiner einflussreichen Familie eine Kampagne in Angriff, die ihm letztlich zum Konsulat verhalf. Auf der symbolisch-rituellen Ebene kam ein grundsätzliches Scheitern nur selten vor, denn ein Sinn ließ sich meist auch im Nachhinein konstruieren. Erfolg ist nur im Wechselspiel mit Misserfolg zu denken. Daher lohnt es umgekehrt danach zu fahnden, was ein Scheitern unter Anwendung von Trauerzeichen kennzeichnete, wenn Umdeutungen nicht funktionierten. Verfahrenstechnisch ist das nicht schwierig; dann musste man das Exil aufsuchen oder dort verbleiben wie Cicero bzw. Numidicus, einem Gesetz nachgeben wie Teile des Senats gegen Pompeius und Crassus (Kap. 13) oder sonst auf irgendeine Weise zurückstecken. Nur wenige Belege lassen sich finden, in denen man auch symbolisch versagte, denn dann waren die Zeichen nicht erkannt worden und niemand war dazu in der Lage, sich einen Reim auf die Aktion zu machen; das ist aber angesichts der Möglichkeit, sich zu erklären, unplausibel und die Gelingensbedingungen waren nicht erfüllt. Ob eine auf diese Weise fehlgeschlagene Trauerszene überhaupt von den Autoren der Quellen als solche identifiziert werden konnte und berichtet wurde, ist zudem fraglich. Wahrscheinlicher ist, dass Stil und Ausgestaltung der Kleidung oder des Bartes gelegentlich als unpassend empfunden wurden. Das meint nicht so sehr im Hinblick auf den Anlass unangemessen zu erscheinen, sondern es ist auf das Aussehen der Gewänder und Gesichtsbehaarung gemünzt. Man weiß zwar kaum etwas über die Trauerkleider im Speziellen, wohl aber über Perspektiven auf Kleidung; so wurde Augustus dafür gelobt, dass „seine Togen […] weder zu eng noch zu weit, der Purpursaum weder zu breit noch zu schmal [waren].“ Vom jüngeren Cato hieß es, „[a]ls er bemerkte, dass der hochrote Purpur in Mode kam, trug er den dunklen.“37 Sowohl Trageweisen, einzelne Applikationen und Farbe wie Glanz der Kleidung ließen Spielräume und verfeinerten die Optionen politischer Kommunikation. Kleinste Nuancen machten Aussagen über Status und Selbstbild der Träger von Gewändern. Das lässt sich auch für den Bart feststellen. Ob Voll-, Kinn-, Schläfen-, Ober- oder Unterlippenbart, beständig gekürzt, mit Ölen eingerieben, zurechtgestutzt oder struppig, wie man es bei Trauer erwartete, es machte jeweils einen Unterschied.38 Jedenfalls war es ebenso eine Kunst, sein Verhalten korrekt zu takten, wie die nötigen Schattierungen der Kleidung und Gesichtsbehaarung einzusetzen, um die Zuschauer in der gewünschten Weise zu erreichen und sie nicht zu verstimmen. Traf man die angemessene Abstufung nicht, konnte ein Trauerakt in einem gewissen Sinne auch symbolisch-performativ misslingen. Mit einer Perspektive auf die Angemessenheit von Gesten und Zeichen in Situation und Kontext bewegt man sich allerdings im Bereich der symbolischen Aufschlüsselung des squalor.39 Was es hieß, die Kleider zu wechseln, ist daher Gegenstand eines anderen Kapitels (Kap. 5). 37 38 39
Suet. Aug. 73 (Übers. H. Martinet): … togis neque restrictis neque fusis, clavo nec lato nec angusto, … Plut. Cat. minor 6, 3 (Übers. K. Ziegler): … ἐπεὶ πορφύραν ἑώρα τὴν κατακόρως ἐρυθρὰν καὶ ὀξεῖαν ἀγαπωμένην, αὐτὸς ἐφόρει τὴν μέλαιναν. Sex. Pompeius und Antonius tragen den Bart voll; Brutus und Octavian dagegen nur leicht an den Wangen; zu spätrepublikanischen Münzportraits mit Trauerbart siehe Kap. 12; vgl. Biedermann (2013). Die Gewichtung von situativ und kontextual angemessenen Verhalten betont Nebelin (2014) 153.
2. SOZIALE, POLITISCHE UND JURISTISCHE VORAUSSETZUNGEN VON TRAUERAKTEN Die Anlässe für symbolisches Trauern waren vielfältig. Zwar fügten sich Trauerakte durchaus in die üblichen Kommunikationsprozesse römischer Politik ein, doch nicht selten als ultima ratio. Es handelte sich um drohende Anklagen und Verurteilungen1 oder die Initiative zu einer solchen,2 die Verhandlungen an sich,3 den Beschluss unliebsamer Gesetze,4 drohende Bürgerkriege,5 Gefahr für Leib und Leben oder die Entehrung der eigenen Person6 bis hin zum politischen Protest,7 auf die mittels eines squalor reagiert wurde. Mitunter überschneiden sich die Anlässe.8 Diese mannigfaltigen Ursachen für Auftreten und Wahl einer Trauerinszenierung werfen ein Licht auf die Diversität der Protagonisten. Bisher hörte man von Beamten, die man nach dem Ablauf ihrer Amtszeit anklagte. Gleichzeitig gibt es Fälle von amtierenden Konsuln, Zensoren und Volkstribunen, aber auch armen wie wohlhabenden Privatleuten, die nie ein Amt bekleideten und sich zum squalor genötigt sahen. Darunter befanden sich auch Gesandtschaften befreundeter oder unterworfener Gemeinwesen und Königtümer.9 Man erfährt von Frauen und NichtRömern, sogar von Kaisern, Königen und Kindern. Im Rahmen einer Analyse, die auf Kommunikation abhebt, ist es daher sinnvoll, nach den Problemen bei der Konsensfindung zu fragen. Eine gestörte Interaktion ist als allgemeiner Anlass für Trauerakte anzunehmen, denn mit einem squalor lotete man die Grenzen politischer Verständigung aus. Vor diesem Hintergrund muss zunächst der historische Ort des squalor identifiziert werden, um die Konfliktfelder der damaligen Zeit nachzeichnen zu können. Außerdem interessieren die Mechanismen der Meinungsbildung im Gericht und außerhalb, die nicht immer scharf zu trennen sein dürften. Nicht zuletzt werden 1 2 3 4 5 6 7 8
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Cic. Red. Sen. 31; Pis. 17 f.; Sest. 26; Plut. Cic. 9, 2; Val. Max. 9, 12, 7. Sen. contr. 10, 1 ff.; Cic. Verr. 2, 1, 152; 2, 62; 3, 6; 4, 41; 5, 128–30. Cic. Cluent. 18; 192; Mur. 86; Cael. 4; Flacc. 106; Scaur. 49; Planc. 21; 29; 87; Lig. 32 f.; Sest. 1; 144 f. Quintilian gibt sogar Anweisungen zum Gebrauch der richtigen Zeichen und Gesten (inst. 6, 1, 30–3). Plut. Tib. Gracch. 10, 7–11, 2; Cass. Dio 39, 28, 1–30, 4. Lucan. 2, 18–44; Plut. Cat. minor 53, 1; Pomp. 59, 1; Caes. 30, 3; Cass. Dio 37, 33, 3; 41, 9, 1 f. Todesangst: Plut. Tib. Gracch. 13, 5; Entehrung: Liv. 2, 23, 3; 27, 34, 5; Cass. Dio 39, 28, 1–30, 4. Cic. Vatin. 30; Sall. hist. frg. 3 Eisenhut mit der Rede des C. Aurelius Cotta vor dem Volk. Bei der Abstraktion der unterschiedlichen Anlässe, die zu symbolischen Trauerakten führen konnten, läuft man rasch Gefahr, diese unter einem Oberbegriff zu subsumieren. Ein erster Versuch, ihn als eine irgendwie empfundene Ungerechtigkeit zu beschreiben – es handelt sich dabei nicht um den juristischen Tatbestand der iniuria – liegt zwar auf der Hand, ist aber wohl zu oberflächlich, um nicht allzu beliebig zu erscheinen. Polyb. 30, 4, 5; Liv. 45, 20, 9 f.; Diod. 31, 5, 3 bzw. Liv. 44, 19, 6 f.; Val. Max. 5, 1, 1.
2.1 Historischer Ort und Genese des squalor
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diese Auseinandersetzungen vor einem Publikum ausgetragen, das sich neben der Führungsschicht auch aus anderen Teilen der römischen Gesellschaft zusammensetzte. Damit befasst sich der letzte Unterpunkt des Kapitels. 2.1 HISTORISCHER ORT UND GENESE DES SQUALOR Polybios ist der erste Autor, der explizit sowohl über konkrete als auch politisch motivierte Trauerinszenierungen Auskunft gibt. In seinem Fokus stand der Erfolg der Römer gegenüber den griechischen Poleis und Bundesstaaten. Daher konzentrierte er sich auf Geschichte, Verfasstheit und Mentalität der Römer. Da sie ihm fremd waren, beschrieb er die römischen Verhältnisse im Stile eines Ethnographen – anders als seine lateinischen Autorenkollegen, die mit vielen Handlungen und Haltungen vertraut waren.10 Was Trauerszenen anbelangt, schweigt sich Polybios jedoch trotz seines Interesses an politischen Strategien in der römischen Gesellschaft und Oberschicht weitgehend aus.11 Das mag dem Umstand geschuldet sein, dass Polybios einer Tradition pragmatischer Geschichtsschreibung angehörte, die im Gegensatz zu späteren Autoren wie Livius oder Plutarch weitgehend auf Dramatisierungen verzichtet.12 In einigen Passagen heißt es, dass prominente Personen in die Kleidung einfacher Leute wechselten, um sich zu verstecken und nicht aufzufallen.13 Von einer Trauerszene kann hier keine Rede sein, denn sie verbargen sich, anstatt sich öffentlich zu zeigen – und das war die Grundbedingung für das Gelingen eines squalor.14 Dennoch gibt es Passagen, in denen Polybios auf das Anlegen von Trauer zu sprechen kommt. An zentraler Stelle kritisiert er eine Notiz, die er vermutlich bei Chaireas oder Sosylos fand. Dabei geht es um die Nachricht über die Eroberung Sagunts durch Hannibal:15 10
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Zu Polybios Pelling (2011) hier 246–60; ferner Miltsios (2013), der die Anliegen des Polybios und ihre narrative Umsetzung behandelt. Dadurch rückten zahlreiche kulturelle Praktiken in den Blick des Griechen; die Passage Polyb. 6, 53 f. zur pompa funebris ist besonders im Rahmen der Untersuchung memorialer Praktiken und der Demonstration symbolischen Kapitels mit den Mitteln der ostentativen Trauer zu Berühmtheit gelangt; für die Interaktion zwischen Akteuren und Zuschauern Linke (2006). Trauerkleidung nennt er im Zusammenhang des mythologischen Chaos um Phaeton (Polyb. 2, 16, 14) und des Ptolemaios Philopator (Polyb. 15, 25, 4). Vgl. Polyb. 2, 56, 11–2. Zur Bedeutung des Polybios für die römische Historiographie und den Unterschieden zur dramatischen Geschichtsschreibung Pausch (2011) 56 f.; 63 f. Hannibal als Schutz vor keltischen Attentätern (Polyb. 3, 78, 3); Achaios auf der Flucht (Polyb. 8, 21, 10); Scipios Soldaten im Lager der Karthager (Polyb. 14, 1, 13). Der einzige griechische Beleg, in dem Trauerkleidung zum Einsatz kommt, ist ein sehr früher und zeigt die Angehörigen der Opfer in Schwarz, um die Angeklagten an den Pranger zu stellen; es handelt sich um den berühmten Arginusenprozess von 405 v. Chr., in dem es aber wirklich um Tote geht; vgl. Xen. hell. 1, 7, 8; Diod. 13, 101, 6; dazu Hall (2014) 62. Formulierungen sind oft unklar, da von Trauer gesprochen, die Kleidung aber nicht näher beschrieben wird; vgl. Plut. Agis 17, 1 f. Siehe auch Kap. 11.1 mit Anm. 11. Polyb. 3, 20, 1–5 (Übers. nach H. Drexler) vor allem 3: πῶς δὲ καὶ τίνα τρόπον ἅμα μὲν τὴν στυγνότητα τοῦ συνεδρίου παρεισάγουσι θαυμάσιον, ἅμα δὲ τοὺς υἱοὺς ἀπὸ δώδεκ᾿ ἐτῶν ἄγειν
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2. Soziale, politische und juristische Voraussetzungen von Trauerakten Als die Römer aber die Nachricht von der Eroberung Sagunts empfingen, da hielten sie […] keine Beratungen über den Krieg, wie einige Schriftsteller behaupten […]. Und wie können sie gleichzeitig den Senat in Trauer schildern, gleichzeitig aber berichten, die Senatorensöhne von mehr als zwölf Jahren würden von ihren Vätern in den Senat mitgenommen und dürften den Beratungen beiwohnen, plauderten aber nicht einmal ihren nächsten Angehörigen etwas von den Geheimnissen aus, die dort verhandelt würden? […] Aber gegen solch Machwerk, wie sie Chaireas und Sosylos verfaßt haben, ist es überflüssig weiter zu polemisieren, denn dies ist, so scheint mir, nicht als Geschichte, sondern als Geschwätz aus den Barbierstuben und von der Gasse zu werten.
Ohne Zweifel liegt hier eine Polemik gegen Chaireas und Sosylos vor, die eine Geschichte des Krieges aus karthagischer Perspektive vorlegten.16 Ein Zögern der Senatoren passte nicht in das Bild, das sich Polybios von seinen hochgeschätzten Römern machte, ebenso wenig der Auftritt in schäbiger Kleidung und das Mitführen der Söhne. Später jedoch war ihm die Praxis vertraut. Eine rhodische Gesandtschaft (167 v. Chr.) übernahm den Brauch, um einer Strafe zu entgehen. Ob die Rhodier auf Rat eines Römers handelten, lässt sich nicht feststellen, doch deutet einiges darauf hin.17 Hier kann Polybios als Augenzeuge dienen und geht mit der Strategie der Gesandten hart ins Gericht.18 Die Kritik bezieht sich in erster Linie auf die Argumentation (appellatio) des rhodischen Wortführers Astymedes, der die Taten der übrigen Griechen schmälert und die eigenen überhöht. Damit degradiert er auch Polybios, der als Hipparch eine der höchsten Stellungen im Achaiischen Bund einnahm. Da die Verteidigungsstrategie Hand in Hand mit nonverbalen Argumenten wie Kleidung und Gesten geht, attackierte Polybios wohl auch die φαιὰ ἱμάτια der Rhodier. Eine ähnliche Episode berichtet Polybios über König Prusias II. von Bithynien (167 v. Chr.). Polybios meint, dessen Auftreten in Rom sei eines Königs unwürdig und füge sich hervorragend in den unredlichen Charakter des Prusias.19 Ein König im Gewand einfacher Leute mutete in den Augen des Polybios unglaubwürdig und damit heuchlerisch an.
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φασὶ τοὺς πατέρας εἰς τὸ συνέδριον, οὓς μετέχοντας τῶν διαβουλίων οὐδὲ τῶν ἀναγκαίων οὐδενὶ προΐεσθαι τῶν ἀπορρήτων οὐδέν; – Polybios’ Wortwahl ist unüblich für eine Trauerszene und daher nicht klar, ob es sich um einen symbolischen Trauerakt handelt. Kein griechischer Bericht dieser Zeit lässt einen Vergleich zu; der zentrale Terminus lautet στυγνότης (Finsternis, Düsterkeit, Dunkelheit, auch Missmut, Verdrossenheit); andere Begriffe desselben Stammes stehen für „Trauer“, „traurig sein“ usw.; vgl. Liddell/Scott, s. v. (1968), 1657; ferner Polyb. 4, 21, 1. Zur Kritik an Sosylos Meister (1975) 167–72; ferner Walbank, Polybius I, 332 f. zur „gloominess“. Polyb. 30, 4, 5: … καὶ φαιὰ λαβεῖν ἱμάτια καὶ κατὰ τὰς παρακλήσεις μηκέτι παρακαλεῖν μηδ᾿ ἀξιοῦν τοὺς φίλους, ἀλλὰ δεῖσθαι μετὰ δακρύων μηδὲν ἀνήκεστον βουλεύσασθαι περὶ αὑτῶν. – Liv. 45, 21, 1–8 kann man entnehmen, dass sie wohl einige Fürsprecher hatten, die sich angesichts der Stimmung gegen die Rhodier lieber bedeckt hielten. Dazu Walbank, Polybius III, 419 f.; Wiemer (2002) 317–25; Naiden (2006) 32; 41; 59 f.; 95; 144. Vgl. insgesamt Polyb. 30, 4, 8–17. Dort ist davon die Rede, dass Prusias sich im Stile eines Freigelassenen kleidete, um sein Verhältnis zum Senat zu unterstreichen; Polyb. 30, 19, 1–6, besonders 4; siehe auch Liv. 45, 44, 4–21, vor allem 19–21 und App. Mithr. 4, wo zudem von römischer Kleidung des Prusias (tebennus) im römischen Heerlager gesprochen wird; zur Bewertung des Prusias II. Habicht (1957). Zum ritualisierten Umgang mit Klientelkönigen Braund (1984); zu Prusias ebd., 9 f.
2.1 Historischer Ort und Genese des squalor
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Dafür, dass es zu einem squalor im Kontext der Ereignisse um Sagunt kam, spricht auch eine spätere Quelle. In Flavischer Zeit schreibt Silius Italicus seine Punica: Nach der Zerstörung Sagunts durch Hannibals Truppen kam eine Gesandtschaft der Saguntiner schmutzig gekleidet nach Rom. Nach ihrem Flehen um Unterstützung durch die Römer hätten sie sich die Gewänder vom Leib gerissen und die Hände wie Bittflehende ausgestreckt.20 Es ist durchaus möglich, dass Silius durch Polybios, Chaireas oder Sosylos von einem Trauerakt im Rahmen der Sagunt-Episode unterrichtet war. Seine Hauptquelle Livius erwähnt dergleichen nicht, wohl aber vergleichbare Begebenheiten für Sabiner, Sikuler, Lokrer, Ägypter und auch Rhodier. Diese Gesandtschaften mögen Silius vor Augen gestanden haben als er die Saguntiner modellierte. Bei Livius datieren die ersten glaubwürdigen Notizen zu individuellen und kollektiven Traueraktionen in die Zeit des Zweiten Punischen Krieges und nehmen im Lauf des folgenden Jahrhunderts zu.21 Daher ist es möglich, dass der Senat bei der Kriegsnachricht Trauer anlegte, wie es auch später für die Römer bei sich anbahnenden militärischen Konflikten üblich war.22 Schon Ennius und Plautus berichten vom squalor der Kleidung.23 Der ältere Cato berichtet für das Jahr 149 v. Chr. von Ser. Sulpicius Galba.24 Er war der erste nobilis, der einen Trauerakt so gekonnt einsetzte, dass er damit Richter wie Zuschauer so verblüffte und in aussichtsloser Lage überraschend freigesprochen wurde.25 Letztlich ist nicht relevant, ob Senatoren oder Saguntiner wirklich die Kleider wechselten. Der Diskurs darüber zeigt, dass die Praxis bereits während des Zweiten Punischen Krieges existierte. Auch Polybios kannte den squalor, doch erst während 20
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Sil. 1, 630–2: Sed postquam clades patefecit et horrida bella / orantum squalor, praesens astare Sagunti / ante oculos uisa est extrema precantis imago. 672–4: Tandem, ut finitae uoces, (miserabile uisu) / summissi palmas, lacerato tegmine uestis, / adfigunt proni squalentia corpora terrae. Liv. 26, 29, 2 (208 v. Chr.); 27, 34, 5 (210/7); 29, 16, 6 (204); 43, 16, 14; 44, 19, 6 f. (beide um 169); 45, 7, 4 (168); 45, 20, 9 f. (167). Mehrere dieser Aktionen wurden zwar nicht von Römern dargeboten, doch orientierten sich die Verbündeten, Unterworfenen oder Abtrünnigen an römischen Sitten und versuchten ihren Gönnern damit zu schmeicheln. Selbst praktizierten diese hellenisierten Akteure andere Formen der ritualisierten Bitte, die den Einbezug von Trauerelementen nicht kannten; etwa Hikesie, dazu siehe Kap. 3.3 und 9.3. Sall. Catil. 30 (deutlicher Cass. Dio 37, 33, 3; 40, 2); Plut. Pomp. 59, 1; Caes. 30, 3; Lucan. 2, 18–44. Enn. Telamo 311 Vahlen: Strata terrae lavere lacrumis vestem squalam et sordidam. Telephus 330 Vahlen: Cedo et caveo cum vestitus squalida saeptus stola. Plaut. Cist. 114: immundas fortunas aequom est squalorem sequi. – Stroux (1929) 64 datiert die Einführung der Praxis daher, anders als Mommsen, Strafrecht, 390 A. 2, der das Aufkommen der mutatio vestis in der Mitte des zweiten Jahrhunderts sieht, mindestens eine Generation eher. Liv. per. 49; Cato FRH 7, 1 (= Cic. Brut. 89 f.); FRH 7, 2 (= Front. ep. 3, 21, 4); ferner Cic. de orat. 1, 227 f.; 2, 263; Brut. 80; Liv. 39, 40, 12; Val. Max. 8, 1, 2; Quint. inst. 2, 15, 8; App. Ib. 225; vgl. Gotter (2009); Kath (2012) 64; Hall (2014) 8–10; Flaig (2003a) 118–20; der Einfluss griechischer Rhetorik begann; vgl. Kath (2012) 74–7. Auch Kinder werden als Argument erwähnt, was für eine Polemik des Polybios gegen die Version des Chaireas und Sosylos spricht. Liv. 27, 34, 5 verweist implizit auf einen gerichtlichen squalor des M. Livius Salinator, der in den Hannibalkrieg datiert; vgl. Kap. 5.3; 6.3 und 14.1. Vor diesem Hintergrund wirkt die Annahme Blonskis (2008) 53, Cato habe bei jeder Verhandlung einen squalor dargebracht, spekulativ.
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2. Soziale, politische und juristische Voraussetzungen von Trauerakten
seines Aufenthalts in Rom wurde er allmählich mit der Praxis vertraut, die sich zusehends verbreitete. Sonst hätte er nicht einerseits so viel Unverständnis dafür gezeigt, andererseits darüber geurteilt. Jedoch scheint es im frühen zweiten Jahrhundert – im Gegensatz zur Zeit Ciceros – noch nicht massenhaft zum Einsatz von Trauersymbolik im politischen Raum gekommen zu sein, weshalb es Polybios zunächst irritierte, dass Senatoren ihre Standesabzeichen abgelegt haben sollen, denn dadurch büßten sie für ihn an jener Erhabenheit ein, auf der ihre Macht fußte. Trauerakte entstanden nicht im luftleeren Raum. Eine ganze Kette von Vorbedingungen musste erfüllt sein und verschiedene Ereignisse vorausgehen, ehe die Römer auf die Idee kamen, überhaupt als sordidati aufzutreten. Dazu zählen auf der einen Seite der Wandel der Führungsschicht im und nach dem Zweiten Punischen Krieg26 und die einschneidenden Erfahrungen der Hannibalbedrohung sowie die damit einhergehenden politischen Umwälzungen, die neue Felder elitärer Profilierung und Konkurrenz generierten. Daher lassen sich Trauerakte ab dem Hannibalkrieg glaubwürdig nachweisen. Das schließt ältere Begebenheiten nicht aus, denn die Lücke von Trauerszenen zwischen dem Jahr 323 v. Chr., in dem die Tusculaner in Lumpen auftreten, und dem Beginn des Krieges entspricht einem Mangel an Zeugnissen für diese Epoche; allein Polybios steht zur Verfügung, der nachweislich wenig Interesse an Trauerszenen hatte. Allerdings deckt sich ein Befund, der zahlreiche Trauerakte für die frühe Republik bereithält, dann eine Leerstelle aufweist, um schließlich in historisch sicherer Zeit wieder vermehrt aufzutreten, mit allem, was man über Erinnerungsmodi schriftloser Gesellschaften weiß.27 Szenen des vierten und fünften Jahrhunderts v. Chr. müssen demnach insbesondere als Rückprojektionen der Dekaden um die Jahrtausendwende gelten. Sie geben damit auch Aufschluss über die politischen Verhältnisse der ausgehenden Republik und des frühen Prinzipats. An diese Entstehungszeit sind die literarischen Berichte zu frühen Trauerakten stets zurückzubinden. Über die historische Genese politisch motivierter Traueraktionen kann man dagegen nur spekulieren.28 Da die Verpflichtung, als Spielegeber ein unvergessliches Schauspiel zu liefern, auch für die pompa funebris bestand, wirkte sich das Gelingen der Feierlichkeiten auf den Ruf der Familie und ihrer Mitglieder aus. Die Forschung hat zeigen können, wie sehr und auf welche Weise eine erfolgreich ausgerichtete Leichenfeier Einfluss auf die nächsten Wahlen und Sympathiewerte der Hinterbliebenen haben konnte. Dabei legten die Verwandten einerseits Wert auf die Darstellung der Ahnen und ihrer res gestae. Andererseits nahmen sie die Lobrede auf den Toten in den Blick, die den Verlust der Familie wie den der gesamten res publica inszenierte. Obwohl nur wenige Hunderte den Details folgen konnten und letztlich nur der Name der gens blieb, diente beides dazu, sich durch die commendatio maiorum hervorzutun. Die nonverbale Botschaft, die die Hinterbliebenen 26 27 28
Vgl. Plut. Fab. 9 und Liv. 23, 22, 10–23, 8, wo von 177 neuen Senatsmitgliedern nach Cannae berichtet wird. Vgl. Beck (2005a); Lundgreen (2011). Zur sogenannten floating gap noch immer Assmann (2007) 48–51, der ausführlich J. Vansina zitiert. Kath (2012) 66–8 sieht die Anfänge in Fällen „tatsächlicher“ Trauer des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr., aber nimmt keine quellenkritische Lektüre der frühen Fälle vor; dazu Kap. 3.2.
2.2 Elitäre Konflikte des zweiten Jahrhunderts und ihr Ort: die Gerichte
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durch ihr Äußeres generierten, wurde von der Forschung bislang vernachlässigt. Dadurch, dass sie sich in der vestis sordida optisch dem Volk annäherten, vermittelten die Angehörigen ein Bild der Verbundenheit und symbolischen Zugehörigkeit. Teile der Plebs dürften diese affektive Nähe zugunsten der Protagonisten ausgelegt haben, was zum positiven Image der gens und ihrer Angehörigen beitrug. Zusammen mit der Produktion von Mitleid durch die laudatio funebris bildete diese Strategie eine wirksame Werbekampagne, sodass man später eine Sperrfrist zwischen Trauerzug und Wahltag einrichtete, da man eine zeitnahe pompa als unzulässige Sympathiewerbung einstufte.29 Die Wirkung des Leichenzuges, Mitleid zu erzeugen und Sympathien zu gewinnen, war vielleicht so erfolgreich, dass einzelne Mitglieder der Oberschicht damit begannen, diese Symbolik zu Werbezwecken zu nutzen – selbst wenn kein Todesfall vorlag. Die Stilisierung persönlicher Betrübnis ging so weit, Trauerzeichen symbolisch einzusetzen, um eine Auseinandersetzung beizulegen oder zuzuspitzen, ohne dass eine Person gestorben sein musste. Tatsächlich nehmen Trauerakte Bezug auf den Leichenzug, wenn in den Quellen entweder ein ähnlicher sprachlicher Duktus präsent wird oder ein Vergleich zwischen squalor und pompa funebris gezogen wird. Manchmal legen die Praxis selbst oder ihre Folgen einen Vergleich nahe.30 Damit kann man den Transfer von Trauerzeichen in das politische und forensische Feld herleiten. Ein Zweifel bleibt angesichts der Quellenlage. 2.2 ELITÄRE KONFLIKTE DES ZWEITEN JAHRHUNDERTS UND IHR ORT: DIE GERICHTE Über Jahrhunderte – so das Bild, das Polybios und viele seiner Kollegen vermitteln – war die römische Oberschicht durch eine fast unheimlich anmutende integrative Fähigkeit geprägt, ihre Interessen zu koordinieren, Konflikte zu lösen oder auszulagern.31 Freilich erfährt man von Ständekämpfen, monarchischen Bedrohungen durch Sp. Maelius, Sp. Cassius, M. Manlius Capitolinus, dem Decemvirat und dem Auszug der Plebs; die integrative Kraft musste mit Gewalt, Grenzziehung, Verhandlung immer wieder erneuert und angepasst werden, eine „gute alte Zeit“, in der alle noch an einem Strang zogen, ist unwahrscheinlich und eine Rückprojektion nach den Erfahrungen der Bürgerkriege.32 Livius etwa zeigt mehrfach, dass die in-
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Zum Leichenzug Kap. 7.2; zur symbolischen Anverwandlung durch Kleidung Kap. 5.2. Siehe Cic. Quir. 6; Red. Sen. 37; Sen. contr. 10, 1 ff.; Tac. hist. 3, 67, 2 sowie Kap. 7. Hall (2014) 18 erkennt den squalor zunächst in der breiten Gesellschaft, dann erst im Gericht – eine Sicht, die durch die Quellen nicht bestätigt wird; beides scheint zeitgleich aufzukommen. Zu Konsens und Konkurrenz Hölkeskamp (2010) 98–106; Hölkeskamp (2006) 375–83; ferner Nebelin (2014). Beck (2005b); Flower (2010); Hölkeskamp (2011b) 9; Bleckmann (2002) sieht desintegrative Kräfte seit jeher am Werk, die mit dem Zweiten Punischen Krieg reguliert und formalisiert wurden; vgl. Märtin (2012) 35–81.
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2. Soziale, politische und juristische Voraussetzungen von Trauerakten
tegrative Kraft Grenzen hatte und sich auch gegen sich selbst wenden konnte, wie etwa der Coriolan-Passus oder das Exil des Camillus unterstreichen.33 Der Zweite Punische Krieg bedrohte die römische Führungsschicht in einem Maße, dass man nach symbolischen Ausdrucksformen dieser Gefahr suchte und in der mutatio vestis fand. So jedenfalls wollen es die Quellen Glauben machen. Man denke an die Trauerbestimmungen in Folge der katastrophalen Niederlagen von Cannae.34 Parallel beginnen Auseinandersetzungen über die Art und Weise, wie man dieser Bedrohung begegnen sollte, was dem Bild einer einträchtigen Führungsschicht entgegenläuft. Zahlreiche desintegrative Kräfte nahmen ihren Ausgang vom Zweiten Punischen Krieg. Gerade die Zahl der Sonderkommanden steigt enorm an. Spätestens mit den Ermüdungserscheinungen der Expansionspolitik nach der endgültigen Zerstörung Karthagos und der Einrichtung zahlreicher östlicher Provinzen in der Mitte des zweiten Jahrhunderts rückten innenpolitische Systemfehler zusehends in den Fokus der Tagespolitik. Da der Senat immer weniger in der Lage war, ambitionierten Persönlichkeiten Spezialaufträge an den Grenzen der Republik zu übertragen, verlagerte sich das Streben nach Profilierung innerhalb der Nobilität in die Volksversammlungen.35 Folge war eine verschärfte Konkurrenz und Statusunsicherheit maßgebender Senatsmitglieder. Diese Prekarität fand ihren Niederschlag in zentrifugalen Kräften, die für eine wechselnde Zusammensetzung der politischen Klasse sorgten.36 In der Frage, wie aus diesem Unzufriedenheitspotential ein Konflikt entstand, kommt es im öffentlichen Raum darauf an, ob Skandalisierungsstrategien oder Mittel zur Kommunikationsverhinderung genutzt wurden. Die Konstruktion der jährlichen Magistraturen und Bedeutung des Konsulats über einen äußerst begrenzten Zeithorizont forderte und förderte die Ausprägung stark situativer Handlungsdispositionen. Bei Konflikten war es stets von Bedeutung, inwieweit vom Konflikt Betroffene an der Entscheidung partizipierten. Die Konflikte unterlagen einer beträchtlichen Eigendynamik, die sich – je nach Interessenlage der beteiligten Gruppen oder Person – zu temporär verdichteten Konfliktsituationen ausweiten konnten. Es handelt sich um eine Fiktion, eine gesellschaftliche Kohärenz der republikanischen Führungsschicht anzunehmen. Die qualitative und quantitative Zunahme von Rangstreitigkeiten führte unweigerlich zu Spannungen, denen man sowohl mit neuen Schlichtungs- als auch Konfrontationsstrategien zu begegnen suchte. So nahm die politische Rede neue Bedeutungen und Formen an.37 Sie galt von nun an als dem Bereich des Militärischen 33 34 35 36 37
Zu Coriolan Kap. 9.2 und 12.1; zum Camillus der Überlieferung Walter (2004) 382–407; Gaertner (2008). Liv. 22, 56, 4 f. fügt sich nicht in das Bild von Trauerszenen, da es hier zu tatsächlichen Todesfällen kam, doch die Ausdrucksformen, mit denen der Autor arbeitet, sind hier besonders eindringlich; vgl. Liv. 22, 6, 11–3. Diverse Aspekte nun bei Märtin (2012) 82–134; Blösel (2015) und in den Beiträgen von Hölkeskamp (2009). Vgl. Beck (2005b) 31–154; Hölkeskamp (2011a); ferner den hilfreichen Katalog bei Märtin (2012) 492–598. Neue Modi der Streitschlichtung: Flaig (2005); Rhetorik: Morstein-Marx (2004); Hölkeskamp (1995); David (1992) und die Sammelbände Steel/van der Blom (2013); Smith/Covino (2011);
2.2 Elitäre Konflikte des zweiten Jahrhunderts und ihr Ort: die Gerichte
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gleichwertiges Profilierungsfeld.38 Nicht selten verband der Redner seine Worte mit Gesten und Verhaltensweisen, die im politischen Geschäft bis dato unüblich waren. Dazu zählten das demonstrative Weinen, sich zu Boden zu werfen, sein Gegenüber zu küssen, sich dem Volk statt den Senatoren zuzuwenden und eben auch mehr oder weniger explizite Trauerzeichen. Von besonderem Interesse bleibt die Feststellung, dass jedem gesellschaftlichen Konflikt der elementare Konsens über die Anerkennung der betroffenen Gruppe und ihrer Bedeutung für das Gemeinwesen zugrunde lag, sodass jede Form der Konflikthandlung Spielregeln unterworfen bleiben musste.39 Eine Grundvoraussetzung für jedes politisch motivierte Trauerverhalten seit dem Zweiten Punischen Krieg war das Vorliegen eines solchen Konflikts zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Partnern, aber in der Regel innerhalb der Senatsaristokratie, von der das Gros der Fälle überliefert ist. Dabei konnte es sich um einen Gegensatz zwischen zwei Individuen – mitunter diverser sozialer Herkunft – aber auch zwischen Individuum und Gruppen handeln, außerdem war es zwischen zwei Gruppen verschiedener Größe möglich. Als Einzelpersonen kamen Senatoren und andere privati sowie Magistrate und Könige in Frage, als Kollektive der Senat, einzelne politische Bündnisse, Klientelgruppen, Gesandte und ganze Familien, sogar Teile des Volks. Ziel des squalor war es, diesen Widerstreit kommunikativ und performativ zu lösen. Es handelte sich aber nicht immer um konstruktive Strategien, denn eine Traueraktion konnte als forsche Attacke gelten wie sie auch der Konsensbildung dienen konnte. Dazu benötigte man verschiedene Überzeugungsstrategien, denn es galt, unterschiedliche Mitglieder der Gesellschaft anzusprechen. Um in der römischen Republik erfolgreich Politik zu betreiben, bedurfte es des korrekten Umgangs mit den Standesgenossen und dem Volk von Rom. Die Interessen beider maßvoll auszutarieren, stellte jedoch eine seltene Kunst dar. Oft neigten die Akteure dazu, der einen oder anderen Form der Politik den Vorrang zu geben und wurden damit in der historiographischen Retrospektive als Optimaten oder Popularen gekennzeichnet.40 Diese Polarisierung führte häufig zu Zwiespälten innerhalb der Führungsschicht, die nicht mehr durch Beratungen im kleineren (cena) oder größeren Kreis (Senat) sowie durch die Übertragung militärischer (Sonder-) Kommanden bzw. prokonsularischer Befugnisse zu lösen waren, sondern sie beschworen andere Techniken des Ausgleichs zwischen den Interessengruppen und Entscheidungsträgern herauf. Diese bezogen das Volk als Regulator nobilitärer Konflikte und Akteur, den es zu beeinflussen galt, in den politischen Prozess ein. Neben den Reden vor dem Volk findet eine dieser Praktiken, die Konsens in der
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Berry/Erskine (2010); die rhetorische Schulung ging mit der „Intellektualisierung“ der Elite einher; vgl. Nebelin (2014) 147 f.; Scholz (2011) 361–8. Siehe die Beiträge in Blösel/Hölkeskamp (2011) zu Kriegern, Händlern, Rednern und Rechtsgelehrten. Hölkeskamp (2006) besonders 377–85; (2011b) 18 f.; (2010) 98–106. Häufig sogar in Epochen, die dieser Polarisierung vorausgehen; vgl. beispielsweise Liv. 5, 24, 9. Für die Zeit vor den Konflikten, die die Gracchen auslösten, ist in der historischen Überlieferung das Gros der politischen Akteure analog als volksfreundlich oder -feindlich dargestellt worden.
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Elite stifteten, ihren Niederschlag in symbolischen Trauerakten. Diese wurden nicht wahllos eingesetzt. Vielmehr galt es sorgfältig abzuwägen, für welchen Zweck ein squalor zu verwenden war. Eine Fehleinschätzung konnte unangenehme Folgen haben. Nicht nur, dass man im Wettstreit der Rhetoren unterlag, durch seinen Irrtum konnte man essentiell bedroht sein. Selbst wenn man damit das richtige Mittel gewählt haben mochte, sagte das noch nichts über seine Praktizierung aus. Noch immer bestand die Möglichkeit, sich unglücklich zu präsentieren, indem man die Intensität seiner Zeichen und Gesten falsch bemaß. Dass die konsensbildenden Mechanismen zum Erliegen kamen, indiziert auch eine neue Form der Konfliktaustragung. Seit dem Beginn des zweiten Jahrhunderts wurde der Gerichtsprozess zusehends Medium nobilitären Wettstreits.41 Dabei änderten verschiedene Reformen den Charakter und die Umstände der entscheidenden Gremien. Standen bis zu den Gracchen noch ausschließlich Senatoren den Gerichten vor, sollten sie in der Folge auf den Ritterstand übergehen, um nach Sulla doch wieder in die Hand des Senats zurückzufallen.42 Während dieser Zeit änderten die Gerichte auch ihre Form und wurden von situativ einberufenen Gremien zu teilweise stehenden Gerichtshöfen für Repetundenverfahren. Seit dem Hannibalkrieg traten mehrere Einflussgebiete und Provinzen zur res publica hinzu. Der Schutz der Provinzbewohner vor den Statthaltern durch Strafverfolgung war umso nötiger geworden, da viele Promagistrate die Chance ergriffen, ihre in den zurückliegenden Wahlkämpfen zu immensen Schuldenbergen angehäuften Ausgaben zu konsolidieren. Nicht zuletzt versuchten sie die Amtszeit mit einem gehörigen Plus in ihrer Privatschatulle zu beenden. Das führte mitunter zu fadenscheinigen Strafexpeditionen gegen Provinzbevölkerung oder Nachbarvölker, um Kriegsbeute zu machen.43 Politischen Rivalen konnte es nicht recht sein, wenn sie in der Abstimmung unterlegen waren und durch die Ausbeutung der Provinzen auch noch in ein finanzielles Hintertreffen gerieten. Gerade strafrechtlich versuchten Familien und politische Gruppen ihre Konkurrenten dadurch kalt zu stellen, dass sie angeklagt und verurteilt wurden. Schutz davor bot nur die Magistratur, während der man Immunität genoss.44 Doch auch schon vor der Ausweitung der Repetundenprozesse war ein gewesener Magistrat von Anklagen bedroht. Er musste nach der Beendigung seiner Legislatur Rechenschaft ablegen. Häufig nutzten Tribunen die Gelegenheit der Klage wegen Amtsmissbrauchs, um sich zu profilieren.45 Von Fall zu Fall wurde neu über 41 42 43 44 45
Grundlegend noch immer Gruen (1968); (1974); ferner David (1992); bündig Bleicken (1975) 146–50. Zu den leges iudicariae Kunkel/Wittmann (1995) 265–72, der auf die Situationsbezogenheit der Klagen und folgenden Gesetze hinweist; ferner Sion-Jenkis (2000) 114–6; Wolf (1972); Balsdon (1938). Für das Zusammenspiel zwischen Verschuldung und Kriegsführung die Beiträge von Schulz und Schneider in Blösel/Hölkeskamp (2011) und den Band Beck u. a. (2016). Zur Immunität Mommsen, Staatsrecht I, 698–708, besonders 705 f. Dabei ist an ein Kapitaldelikt, wie es heute existiert, nicht zu denken. Es tritt erst im Zug der Ausdifferenzierung der Tatbestände zu den verschiedenen Formen des Amtsmissbrauchs hinzu. Auch ein Zivilprozess, der zu einem Multgeld führte, war möglich; vgl. Kunkel/Wittmann (1995) 161 f.; 266.
2.2 Elitäre Konflikte des zweiten Jahrhunderts und ihr Ort: die Gerichte
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Strafen und Gesetze verhandelt, die dann rückwirkend anzuwenden waren. Strafe drohte daher unentwegt, wenn eine legale Handlung im Nachhinein sanktioniert werden konnte.46 Die Vorwürfe betrafen zumeist den Bereich militiae, in dem es nicht nur möglich war, durch Feldzüge ein großes Sozialprestige zu erlangen, sondern auch die privaten Kassen zu füllen. Wie das Repetundenverfahren hielt der sogenannte tribunizische Rechenschaftsprozess um das Jahr 200 v. Chr. Einzug in das Rechtswesen. Deren stetige Überarbeitung und Veränderung zeugt von einem Bedarf der Effektivierung aus der Sicht der jeweils dominierenden Partei. So wurde etwa der Ort der Entscheidungen vom concilium plebis in die Quästionen überführt und damit vom Volk auf die Senatoren übertragen. Damit kam es im Rahmen der Auseinandersetzung weniger auf die rhetorischen Mittel und Argumente während des Prozesses an, als auf die richtige Bestuhlung der Geschworenen. Es überrascht wenig, dass sich Skandale häuften, dessen prominentestes Beispiel die Verhandlung des P. Rutilius Rufus war (94 v. Chr.).47 Er war wegen Ausbeutung der Provinzen angeklagt, die er vor dem willkürlichen Zugriff der Steuerpächter (publicani) schützen wollte. Es handelte sich offenkundig um einen von seinen Gegnern und der Lobby der publicani initiierten Schauprozess. Aus Protest gegen die Klage verzichtete Rufus auf die übliche Verteidigung. Er verweigerte demonstrativ das Tragen dreckiger Kleider. Demnach schätzte er den Einfluss des Volkes nicht als genügend für seine Belange ein, die Richter dagegen als Gegner, die er nicht umzustimmen vermochte. Tatsächlich konnte Rufus damit demonstrieren, dass er keine Gerechtigkeit zu erwarten hatte. Dem Urteil entging er durch den Weg in das Exil nach Kleinasien, wo ihn die Städte, die er geplündert haben soll, mit höchsten Ehren empfingen. Diesen Umstand empfand die Nachwelt als Beweis seiner Unschuld. Das Gericht war auch sonst als Ort einer Trauerinszenierung gekennzeichnet. Schon Mommsen stellte fest, dass es für die Angeklagten zum guten Ton gehört, Trauerkleider und weitere Zeichen der Betrübnis anzulegen, sobald eine Anklage drohte oder bekannt wurde. Das heißt, nicht nur im Gericht – freilich unter freiem Himmel auf dem Forum –, sondern bereits im Vorfeld des Prozesses eignete man sich Trauersymbolik an. Jüngere Untersuchungen stellten fest, dass es sich dabei um rhetorische Mittel handelte, die die Entscheidungsträger auf einer nonverbalen und nicht-argumentativen Ebene zu beeinflussen suchten.48 Das heißt, der Angeklagte brachte keinerlei Beweise für seine Unschuld an, sondern er appellierte lediglich an den „guten Willen“ der Richter und des Volkes, ihm sein Fehlverhalten doch nachzusehen. Im Lumpenhemd zeigte er sich reumütig und gab den Kleiderwechsel als bereits selbst zugefügte Bestrafung aus: Welcher Mann von Stand präsentiere sich schon bereitwillig in einer solchen Aufmachung? Zwar geben die rhe46 47 48
Genau diese Möglichkeit, Feinde auch rückwirkend belangen zu können, indem man neue Gesetze verabschiedete, die ehemals legales Handeln kriminalisierten, brachte Cicero in die missliche Lage, einen squalor zu unternehmen; vgl. Kap 3.1. Vgl. Kallet-Marx (1990); Badian (1997) 120–3; Habenstein (2015) 143–6; Kap. 14.2; zur Übertragung der Verfahren von der Volksversammlung in die Gerichtshöfe und dessen Folgen für die Rhetorik Hall (2014) 20–5. Mommsen, Strafrecht, 391 zum Zeitpunkt des Anlegens; David (1980) zu nicht-argumentativen Strategien.
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2. Soziale, politische und juristische Voraussetzungen von Trauerakten
torischen Handbücher nur implizit Hinweise, solche Zeichen und Gesten einzusetzen,49 doch die zahlreich erhaltenen Verteidigungsreden Ciceros sind von Anspielungen auf ostentatives Trauerverhalten seiner Mandaten übersät. Jedoch kamen dabei auch andere Strategien als das demonstrative Trauern zum Einsatz, die so emotional wirkten, dass man den Repetundengerichtshof überhaupt erst einrichtete, um eine sachliche Jurisdiktion zu gewährleisten. Eine berühmte Episode berichtet vom bereits erwähnten Galba, der sich politisch disqualifiziert hatte und vor seiner Verbannung stand. Hier zeigt sich, was unter nicht-argumentativer Strategie zu verstehen ist, denn emotionale Dispositionen stehen im Fokus des Unterfangens. Als er vor das Gericht geführt wurde, „[…] legte er die Arme um seine beiden Söhne, die noch nicht erwachsen waren, und um den Sohn des Sulpicius Gallus, dessen Vormund er war, und sprach auch selbst für sich so mitleiderregend, dass der Antrag abgelehnt wurde.“50 Der überraschende Freispruch ging auf die neuartige Strategie zurück, so die Quellen übereinstimmend.51 Die Aktion reflektierte die Position aller Väter und machte es ihnen einfacher, die Lage des Galba nachzuvollziehen.52 Ob Galba dabei in Schwarz auftrat, ist nicht klar, aber wahrscheinlich, denn spätere Rhetoriklehrer raten zu einer Kombination aus Verweis auf Trauer und Kinder.53 Warum aber wurde zu Gericht so oft auf das Mittel der Trauersymbolik zurückgegriffen? Bei Kapitalklagen ging es seit jeher um die Eliminierung des Übeltäters durch Verbannung oder gar Vollstreckung der Todesstrafe. Dieser Mechanismus intensivierte sich in dem Maße, in dem sich der Konkurrenzkampf innerhalb der Nobilität verschärfte. Vor Sulla wurde nur die Täterschaft durch ein Gericht festgestellt, die Vollstreckung der Strafe hingegen oblag den Geschädigten oder dessen Angehörigen. Das galt vor allem für Kapitaldelikte, nach denen der Täter dann auf vielfältige Art getötet werden konnte.54 Da bei einer Verurteilung im Strafprozess mit einer horrenden Geldbuße oder sogar der Todesstrafe zu rechnen war, bedrohte beides den Angeklagten existenziell. Ob er mit dem inszenierten Trauerverhalten seine eigene Situation im Falle der Geldstrafe oder die seiner Angehörigen im Falle der Exekution zu visualisieren suchte, muss offen bleiben. Appian schreibt davon, dass Tiberius Gracchus in dunkle Kleider gehüllt seinen Sohn umher führte, „[…] 49 50
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Frühestes Zeugnis ist vielleicht Rhet. Her. 4, 44 f., wo zumindest auf Kleiderwahl und Trauer angespielt wird; dazu auch Kap. 11.1. Liv. per. 49 (Übers. H. J. Hillen): … complexus duos filios praetextatos et Sulpicii Galli filium, cuius tutor erat, ita miserabiliter pro se locutus est, ut rogatio antiquaretur. – Dazu Dugan (2005) 294–7; Flaig (2003a) 118–20; Hall (2014) 8–10 und besonders 80–6 sowie passim zur Einbeziehung von Kindern; zu Galba MRR I, 459; 470. Zu weiteren Berichten und der Forschung siehe Kap. 2.1. Anm. 24. Hier kann kein Forschungsüberblick zur Rolle der Familie gegeben werden, vgl. aber zumindest Martin (2009); Linke (1995) 81–5; Bettini (1992); zum Vater Späth (2002); Thomas (2005). Dazu Kap. 11.1; zur Rolle von Familie und Bestattung in Griechenland vgl. Baumgarten (2008) besonders 50 f. Kunkel (1962) 67; 78; 140; privatrechtliche Verfolgung vom Diebstahl bis zur Körperverletzung überließ die res publica individuellen Initiativen. Seit dem zweiten Jahrhundert kam die strafrechtliche Unterscheidung honestiores/humiliores auf, die erst in der Kaiserzeit gesetzlich fixiert wurde; Dig. 47, 21, 2; 48, 5, 39.
2.2 Elitäre Konflikte des zweiten Jahrhunderts und ihr Ort: die Gerichte
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so als fühlte er den alsbaldigen Tod unter den Händen seiner Gegner.“ Allerdings ist hier eher eine narrative Strategie des Appian zu vermuten, der die Kleidung aus der Rückschau als Omen deutet.55 Ebenso wie Finanznot, die den sozialen Abstieg bedeuten konnte, stellte das Exil eine existentielle Bedrohung dar. Die Verbannung wurde in den seltensten Fällen durch ein rechtskräftiges Urteil beschlossen, sondern es stand dem Angeklagten bis zur endgültigen Verkündung des Rechtsspruches frei, sich der Gerichtsbarkeit zu entziehen und ein mit Rom verbündetes Gemeinwesen aufzusuchen.56 Noch während der Abstimmung des iudicium populi und der quaestio bestand für die Angeklagten bis zur Verurteilung die Möglichkeit, das freiwillige Exil zu wählen, doch bei Rückkehr erwartete sie die Todesstrafe.57 Für gewöhnlich gewährte der Prätor den Gang in die Verbannung und ließ im Nachgang, sofern der Angeklagte tatsächlich für schuldig befunden wurde, eine aquae et ignis interdictio verlauten, das Verbot, Wasser und Feuer zu benutzen, die Aberkennung des Vermögens und Bürgerrechts,58 was jede Hilfe durch einen anderen Römer ausschloss.59 Zudem durfte sich der Flüchtige nicht mehr auf römischen Boden aufhalten. Damit verlor man jede Option, weiterhin aktiv in die römische Politik einzugreifen. Man war recht-, besitz- und heimatlos geworden, der Inbegriff des sozialen Todes.60 Die Entzivilisierung des Delinquenten stimmt mit den Zeichen und Gesten überein, die bei einem Protest gegen eine Exilierung eingesetzt wurden. Die ungegürtete, schmutzige Tunika, zu der man einen struppigen Bart und langes Haupthaar trug, kann vor allem als Ausdruck dieser Dekultivierung gelesen werden.61 Die Folgen
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App. civ. 1, 62 (Übers. O. Veh); dazu Kap. 3.3. Als griechischsprachiger Ägypter war er sich der Bedeutung und Einordnung römischer Praktiken und Institutionen nicht immer im Klaren. App. civ. 1, 67 sinniert, warum die Römer keinen Diktator ernannt hätten, um den Gracchischen Umtrieben ein Ende zu setzen, obwohl die Diktatur seiner Zeit seit fast einhundert Jahren nicht mehr in Gebrauch war; zum republikanischen Diktator vor Sulla vgl. Golden (2013) 11– 41;. Dazu allgemein mit der neueren Literatur Jonca (2009); Kelly (2006); ferner Nippel (1988); Grasmück (1978). Schon Polyb. 6, 14, 7 f.; dazu ausführlich Walbank, Polybius I, 682–6. Kelly (2006) 23–50; Vladimirovna Ledneva (2009); der berühmteste Fall der interdictio betrifft Cicero; vgl. Cic. dom. 78; 80; Plut. Cic. 32, 1; zu den juristischen Details Nippel (1988) 115–9; Grasmück (1977); Bleicken (1975) 133 f.; 205 f. Liv. 25, 4, 9; Gai. inst. 1, 161; ferner Dig. 48, 8, 3, 5; Paul. sent. 5, 23, 1; für die Kaiserzeit Rivière (2008). Zum sozialen Tod Hasenfratz (2002) besonders 227; juristisch schon Mommsen, Strafrecht, 68–73, 971–80; Kaser, Privatrecht, 33, 281, 682 f.; ferner Kath (2012) 63 ff. zum squalor und Klingenberg (2011) 29 zum Exil. Das heißt Trauer aus ganz verschiedenen Anlässen wie Trauerfällen, Anklagen, Bürgerkriegen, ökonomischen Verlusten, unliebsamen Gesetzen und Initiativen; Liv. 2, 23, 4; 6, 16, 4; 27, 34, 5; Dion. Hal. 6, 26; Lucan. 2, 372; Sen. ad Polyb. 17, 5; Mart. 2, 36, 2; Frontin. strat. 4, 5, 6; Plut. Cat. minor 53, 1; Ant. 18, 1; Polyain. 8, 23, 23; Suet. Iul. 67, 2; Aug. 23, 2; Cal. 24, 2; Dig. 47, 10, 15, 27; 47, 10, 39; Heraklit. epist. 7, 5, 2 u. v. a. Nicht umsonst fasste das spätere deutsche und französische Recht die altrömische Bestimmung capitis deminutio media – unter die auch das Exil fiel – als mors civilis auf, wie Hasenfratz (2002) anmerkt.
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2. Soziale, politische und juristische Voraussetzungen von Trauerakten
der Verbannung sind im Hinblick auf die Politkarriere des Betroffenen ähnlich wie bei der Todesstrafe. An die Stelle des biologischen trat der soziale Tod. Ein sozialer Tod hatte in der römischen Oberschicht sehr konkrete Auswirkungen, auch im Zivilprozess. Eine zivilrechtliche Verurteilung führte zu Infamierung und Exklusion von der Senatsaristokratie. Denkt man die römische Oberschicht als ein auf Reziprozität basierendes soziales Netzwerk, so ist amicitia eine zentrale Denk- und Handlungskategorie. Die Summe der Beziehungen stellte dann das soziale Kapital dar, das von einem nobilis aktiviert werden konnte. Durch eine Verurteilung im Zivilprozess dagegen stand der Ruf als vir bonus infrage und der Zugriff auf das soziale Kapital war gefährdet. Künftig fehlte die Patronage vor Gericht, finanzielle und wirtschaftliche Hilfe blieb aus und auch der Zugang zu militärischen und zivilen Posten wurde erschwert.62 Diese Folgen zeigen die Sprengkraft einer straf- oder zivilrechtlichen Klage als politisches Kampfmittel. Aus diesem Grund war es nicht unüblich, gegen ein drohendes Exil in schmutzigen Kleidern zu protestieren, noch bevor der Prozess überhaupt angestoßen war; man versuchte den sozialen Tod mit Verweis auf den folgenden Trauerzustand abzuwenden. Angehörige traten oft hinzu, die den Beschuldigten ihrerseits schon vor seinem Ableben zu betrauern schienen, auch noch nachdem er die Stadt Rom verlassen hatte. Die kollektive Aktion der Meteller, die in großer Zahl mit ihren cognatischen Verwandten für die Aufhebung der interdictio gegen Metellus Numidicus flehten, steht dafür exemplarisch.63 Es stand aber auch den Klägern frei, einen Prozess zu initiieren, indem sie vermittels des Kleiderwechsels auf das ihnen zugefügte Unrecht aufmerksam machten, wie es der Sizilianer Sthenius im Vorfeld der Verres-Affäre oder laut Seneca ein mittelloser Knabe versuchte.64 Auch während der Verhandlung traten Kläger so auf und wendeten die gleiche Strategie wie ihre Kontrahenten an, sodass man die Anhänger beider Parteien optisch kaum zu unterscheiden vermochte. Hier ist der Kleidertausch als Mittel der Meinungsmache und des offensiven Werbens gegen den Rivalen zu verstehen, der für eine missliche Lage verantwortlich gemacht wurde. Freilich war die Botschaft identisch: Ebenso wie der Verteidiger und Angeklagte einen Blick in die Zukunft gaben, wenn es zur Verurteilung käme, stellten die Kläger einen Freispruch als Trauerfall dar. Damit enteigneten sie ihre Gegner nicht nur einer ihrer stärksten Waffen, diese Variation zeigt die Anpassungsfähigkeit der Akteure an ihre Rituale deutlich auf. Mit der Einrichtung der quaestiones perpetuae löste die Verbannung die Todesstrafe ab. Damit lässt sich die Frage nach der Wahl der Trauerzeichen durch Angeklagte bzw. deren Angehörige vor Gericht beantworten. In dunklen Kleidern protestiert man gegen ein verhängtes oder abzusehendes Exil. Allen Beteiligten ging es 62 63 64
Liv. 39, 44, 8 zeigt, wie publicani mit Trauergesten wegen der hohen Preise für Verpachtungen gegen die Zensoren protestieren; vgl. Badian (1997) 37–9. Hall (2014) 117 zu Tränen in einem Zivilprozess. Zur kollektiven Aktion Kap. 7.2; das Interdikt etwa bei Liv. per. 69; Plut. Mar. 29, 2. Cic. Verr. 2, 5, 128; 130 mit 2, 1, 152; Sen. contr. 10, 1 ff.; Sidon. epist. 1, 7, 9–11; vgl. Hall (2014) 54; Blonski (2008) 50: „c’est, pour ainsi dire, squalor contre squalor.“ Zu Sthenius auch David (1992) 70.
2.3 Die Öffentlichkeit als Regulativ nobilitärer Auseinandersetzungen
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darum, die soziale Isolation abzuwenden und bereits im Vorfeld symbolisch zu betrauern. Auch der präsumtive Tod durch die Bedrohung von Seiten der politischen Gegner spielte eine Rolle. Als emotionales Argument wird zudem die Selbstbestrafung in Form der Selbsterniedrigung durch das Annehmen nicht standesgemäßer Insignien angeführt. 2.3 DIE ÖFFENTLICHKEIT ALS REGULATIV NOBILITÄRER AUSEINANDERSETZUNGEN Mehrfach ist auf die Bedeutung des öffentlichen Raums, den man betreten musste, und der öffentlichen Meinung, die es zu beeinflussen galt, angespielt worden. Ohne eine Form der Öffentlichkeit war ein Trauerakt nicht denkbar. Öffentlichkeit war stets ein basaler Faktor. In den letzten Jahren sind Öffentlichkeit und öffentliche Meinung zusehends in den Fokus der Forschung geraten.65 Beide manifestieren sich in vielfältigen Äußerungen, wovon gerade das Werk Ciceros Zeugnis ablegt.66 In Rom waren Handeln, Denken und Interaktion durch soziale Hierarchien und Machtdynamiken bedingt. Den sozialen Raum kennzeichnet ein hohes Maß an Kontrolle. Alle Gesellschaften und ihre etablierten Angehörigen konstruieren sich als integrationswillig, was aus Isolationsfurcht resultiert. Konformitätsdruck bekämpft diese Angst. Aufgrund dessen üben Mitglieder einer Gemeinschaft soziale Kontrolle aus, um das von ihnen aufgebrachte Verhaltenskapital auch von anderen einzufordern.67 Die Bedeutung des Faktors populus für den Erfolg oder Misserfolg eines squalor zeugt von diesem Zwang. Auch die Debatte über den Grad des Volkseinflusses auf die republikanische Politik trägt diesem Aspekt Rechnung. Danach ist das römische Gemeinwesen ohne das Mitwirken der einfachen Leute nicht denkbar. Politiker erkannten das Volk als Faktor an und mussten sich die Legitimation für ihr innen- oder außenpolitisches Handeln vom populus Romanus einholen. Keine Politik war gegen das Volk möglich und Beliebtheit bei der Plebs eine Grundvoraussetzung jeder erfolgreichen Amtsführung und Selbstinszenierung.68 Umgekehrt wussten die Senatoren die Menschen mittels persuasiver Strategien zu beeinflussen. So ent65
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Der Artikel von Hölscher (1978) in Geschichtliche Grundbegriffe verliert kaum ein Wort zur antiken Konzeption öffentlicher Meinung; für eine dezidierte Verwendung Kuhn (2012) 14–7. Zum Zusammenhang zwischen Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung, die sich in verschiedenen Medien vergegenwärtigt, siehe Rüpke (1995) 606 f. und Eich (2000) 114–25; nun auch Russell (2016); ferner Schlögl (2011) 31 f. Zuletzt Jackob (2012); Meister (2017a); van der Blom (2010); siehe auch Russell (2016). Vgl. Noelle-Neumann (2001); zum Nutzen des Habermas-Modells für Rom Eich (2000) 6–19; zur sozialen Kontrolle in Rom Martin (2002), der dezidiert nicht auf Zeichen und Gesten eingeht; vgl. Kap. 13.1. Die Diskussion über den demokratischen Charakter der Republik nahm ihren Ausgang von Millar (1984); ähnlich Yakobsen (1999). In Deutschland aufgegriffen durch Jehne (1995a) scheint der Streit hierzulande zugunsten einer oligarchischen Ordnung unter Zwang zur Legitimation durch den Volkswillen, der zudem über die Verteilung von honores gebietet, entschieden zu sein, wodurch die Debatte zuletzt erlahmte.
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2. Soziale, politische und juristische Voraussetzungen von Trauerakten
stand eine Dynamik zwischen Senat und Volk, das die Forschung mit dem Schlagwort der „politischen Kultur“ charakterisiert hat.69 Macht man soziale Kontrolle zum Parameter öffentlicher Meinung, lassen sich zahlreiche Formulierungen Ciceros besser verstehen.70 Als öffentliche Person (in maxima celebritate) war er unablässig den wachsamen Augen der Bürgerschaft ausgesetzt (in oculis civium).71 Jede Handlung wurde unter die Lupe genommen, jede Äußerung auf die Goldwaage gelegt, kaum ein Fehler vergeben. Nach Cicero gelte das für alle Politiker seiner Zeit:72 Aber wir sind ja nicht nur von den Meinungen der großen Masse, sondern auch von der nur oberflächlich gebildeter Menschen hart bedrängt.
Die Aussage bezieht nicht nur den Faktor der sozialen Kontrolle ein, es wird auch die Wankelmütigkeit des Volkes und seines Urteils über Personen und Gegenstände der Debatte thematisiert. Auch wenn diese Bewertung als Topos über das leicht beeinflussbare Volk gelten darf, sollte nicht vernachlässigt werden, dass sich die Einschätzung der Stimmung in der Plebs für die Oberen als äußerst schwierig gestaltete. Tatsächlich erschien die Plebs der Senatorenschicht aufgrund vieler eigener Fehlurteile als sprunghaft. Schließlich war die Zustimmung im Volk graduell davon bestimmt, inwiefern man in der Lage war, ein korrektes Meinungsbild einzuholen und seinen eigenen Aussagen im Rahmen persönlicher Positionierung in der Senatsaristokratie anzupassen. Eine Formulierung Ciceros bringt dieses Wechselspiel auf den Punkt:73 Ihr unsterblichen Götter, wie schwer ist es doch, der Rolle eines maßgeblichen Politikers gerecht zu werden! Dann muß man nicht nur auf die Empfindungen, sondern auch auf die Augen der Mitbürger Rücksicht nehmen.
Das hieß, sein eigenes Benehmen zu regulieren, aber auch das Verhalten des populus im Blick zu haben und Nuancen in der Stimmungslage wahrzunehmen. Diese äußerte sich in Beifallsbekundungen, Buhrufen, Verstummen und vielen anderen Formen unmittelbar. Indirekt konnten auch Gerüchte, die einem Senator an das Ohr getragen wurden, Graffiti oder Dipinti auf der Straße und an Häuserwänden als Indikatoren des politischen Klimas gelten.74
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Dazu die Arbeiten von Hölkeskamp (2004); (2006); (2010) und seinem Forscherkreis; im Ausland z. B. Flower (2010); Corbeill (2004); Morstein-Marx (2004); ferner Thomas (1997); David (1992); Pina Polo (1996). Ciceros Bezeichnungen des Phänomens bei Jackob (2012) 174–6: opinio omnium, opinio populi Romani, opinio hominum, auch mit existimatio oder iudicium, metaphorisch als vox populi; vgl. Eich (2000) 121–4. Cic. off. 3, 3: Ita qui in maxima celebritate atque in oculis civium quondam vixerimus … Cic. de orat. 3, 24 (Übers. Th. Nüßlein): Sed quoniam oppressi iam sumus opinionibus non modo vulgi, verum etiam hominum leviter eruditorum … Siehe auch Cic. off. 2, 44; vgl. Hall (2014) 14. Cic. Phil. 8, 29 (Übers. M. Fuhrmann): O di immortales! quam magnum est personam in re publica tueri principis! quae non animis solum debet sed etiam oculis servire civium. Zu den Graffiti in der Republik Hillard (2013); Morstein-Marx (2012); der Prinzipat bei Zadorojnyi (2011); Mouritsen (2011a); ferner Keegan (2011); (2014).
2.3 Die Öffentlichkeit als Regulativ nobilitärer Auseinandersetzungen
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In pro Sestio erfährt man, wo Cicero jenes Meinungsbild einzuholen gedachte:75 Denn es sind vor allem drei Gelegenheiten, bei denen das römische Volk seine politische Meinung und Auffassung zu erkennen geben kann: die formlosen Versammlungen (contiones), die Komitien, die Zusammenkünfte bei Spielen und Gladiatorenkämpfen.
Auch hier wachte man penibel über die Gemütsäußerungen der Menge, die sich als Applaus, Schweigen bis hin zu Anfeindungen und Beschimpfungen der Senatoren abstufen lassen. Es sind die Räume, die auch für symbolisches Trauern höchste Relevanz besitzen, um ein möglichst großes Publikum zu erreichen.76 Wie für jede Form politischer Kommunikation galt, sowohl auf seine eigenen körperlichen und verbalen Botschaften als auch auf die der Plebs zu achten, ebenso für Traueraktionen. Öffentlichkeit besteht nicht von allein; sie muss erst hergestellt werden. Wenn aber die Augen der Menge stets auf die politische Prominenz gerichtet waren, wie Cicero berichtet, stellte es kaum ein Problem dar, mit einem abweichenden Äußeren Aufmerksamkeit zu erregen und öffentliche Debatten zu befeuern. Neben verbalen Äußerungen gaben vor allem Kleidung und Gestik politischer Akteure Anlass dazu, sich eine Meinung zu bilden. War das Volk so leicht zu beeindrucken, wie es Cicero darstellt, dann gab der squalor ein plausibles Mittel zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung und somit aller Entscheidungsträger ab. Nun ist davon auszugehen, dass Cicero maßlos übertrieb und es einigen Aufwandes bedurfte, die Menschen für sich einzunehmen. Zudem warben alle Rivalen im gleichen Maß um die Gunst der Bürger. Standesgenossen stellten daher eine ebenso wichtige Variable der öffentlichen Meinungsbildung dar. Sie konnten Partei für einen Akteur ergreifen oder gegen ihn Stimmung machen. Wortführer gab es auch in der Plebs. Die Bedeutung des Volkswillens, der sich in einer öffentlichen Meinung manifestiert, ist somit nicht zu leugnen.77 Das politische interessierte Publikum ist von der Forschung als plebs contionalis bezeichnet worden. Vor allem kleine, am Forum arbeitende und wohnende Gruppen seien es gewesen, die regelmäßig zu Versammlungen erschienen und damit Ziel politischer Agitation wurden.78 Insgesamt jedoch waren die möglichen Zuschauer im öffentlichen Raum außerordentlich heterogen. Neben armen Bürgern tummelten sich Sklaven, fremde Händler, Gesandtschaften, Veteranen und Mitglieder der Elite, Magistrate, Senatoren sowie Ritter auf dem Forum. Vor allem an diejenigen, die das städtische Volk von Rom ausmachten, und diejenigen, die die politischen 75
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Cic. Sest. 106 (Übers. M. Fuhrmann): Etenim tribus locis significari maxime de re publica populi Romani iudicium ac voluntas potest, contione, comitiis, ludorum gladiatorumque consessu. – Klatsch und Tratsch vernachlässigt er, obwohl ein PR-Profi wie Cicero seine Kanäle hatte; zu Gerüchten jetzt Meister (2017b). Zu Räumen und verschiedenen Graden der Öffentlichkeit Rüpke (2000) 32 f.; Eich (2000) 114–25. Obwohl Trauerakte symbolisch Bezug auf die plebs sordida nehmen (vgl. Kap. 5), ist sie nicht alleiniger Adressat. Auch die Elite gliedert sich in Senatoren- und Ritterschaft; zu den Folgen unten Kap. 2.4. Meier, RPA, 114 f.; dagegen Mouritsen (2001) 38–62, der Möglichkeiten zur Agitation einzelner politischer Gruppen unterstreicht; vgl. nun vermittelnd Tiersch (2009).
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2. Soziale, politische und juristische Voraussetzungen von Trauerakten
Mittel zu monopolisieren trachteten, richteten sich die Signale eines Traueraktes.79 Sie waren es, die den populus mehr oder minder repräsentativ abbildeten; deshalb kam den einfachen Bürgern, Rittern und Senatoren ein besonderes Gewicht zu – und umgekehrt: Weil sie Bürger, Ritter und Senatoren waren, orientierten sich Trauerakte an ihnen. Gemeinsam oblag es ihnen letztlich, den squalor zu bewerten, doch es war alles andere als einfach divergierende Interessen und Befindlichkeiten dieser zum Teil grundverschiedenen, sozialen Gruppen in Einklang zu bringen; nicht einmal untereinander musste eine einhellige Meinung zum Gesehenen herrschen. So entspann sich unweigerlich ein Gerede darüber, was man gesehen und gehört hatte, und wie man es nicht nur politisch, sondern in seine ganz persönliche Lebenswelt einzuordnen hatte. Man kann sich Für- und Gegenrede vorstellen, überschlagende und übertönende Stimmen, die eine Deutungshoheit beanspruchten, und das alles innerhalb weniger Augenblicke. Obsiegten Argumente, schrille Töne oder breite Schultern? Das konnte variieren, doch in diesem schwer zu durchschauenden Aushandlungsprozess ergab sich, was der sordidatus von seiner Aktion zu erwarten hatte. Die politischen Akteure der späten Republik waren sich der Rolle der öffentlichen Meinung und ihrer Abhängigkeit vom Wohlwollen der Meinungsmacher durchaus bewusst. Kein Amt, keine Ehrung war ohne die Zustimmung des Volkes denkbar. Daher versuchten Politiker bei jeder Gelegenheit, Einfluss auf das Volk zu nehmen, was sie in erster Linie mit rhetorischen Mitteln angingen. Eine dieser Strategien stellten symbolische Trauerakte dar.80 Umgekehrt konnte das Ansehen nicht nur durch eigene Fehlleistungen bei der Plebs Schaden nehmen. Unentwegt versuchten politische Gegner den Ruf eines Kontrahenten zu attackieren, sei es durch Reden vor dem Volk und Anschuldigungen, sei es durch bewusst gestreute Gerüchte über unpopuläre Absichten oder einen ausschweifenden Lebenswandel. Ein guter Politiker ließ es so wenig wie möglich zu, dass Klatsch und Tratsch über ihn die Runde machten. Völlig auszuschalten waren Gerüchte nie oder man setzte dem Gerede einen squalor entgegen, der den Leumund des Gegenübers zu schädigen vermochte. Auch war es möglich, dass einem Akteur nach einer gelungenen Verleumdungskampagne gar keine andere Wahl mehr blieb, als mit symbolischer Trauer auf seine Situation aufmerksam zu machen. Trauerakte richteten eine gezielte Botschaft an die Anwesenden, die in dieser spezifischen Situation die Öffentlichkeit darstellten und als Multiplikatoren dazu beitrugen, dass sich das von ihnen entworfene Bild der Akteure wie ein Lauffeuer in der Stadt verbreitete und eine kollektive Meinung zum vorgebrachten Gegenstand herauszubilden begann. Denn welche Gewährsleute besaßen die Nicht-Anwesenden, wenn nicht ihre Verwandten 79
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Zur Rolle des Volkes Mouritsen (2001); Horsfall (2003); den Sammelband von Jehne (1995a); ferner Will (1991) und Nippel (1988). Die Plebs als dritte, den adligen Konkurrenzkampf einhegende Instanz bei Hölkeskamp (2006) 375–83; (2011b) 18 f.; Nebelin (2014)143–9; 158–61; zur Öffentlichkeit Eich (2000) 114–25. Eine andere, im weiteren Verlauf nur erwähnte Option stellt das in der Forschung inzwischen mehrfach behandelte Zeigen von Narben als Verdienst und Opfer für die res publica dar; vgl. Leigh (1995); de Libero (2002); Flaig (2003a) 123–36; Hall (2014) 5–7; 18 f.; 129 f.; kritisch Meister (2012) 95–104; Scholz (2011) 74–6.
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und Freunde, die ihnen ihre Dispositionen während der Situation mitteilten und die Szenerie mit Worten gleichsam vor Augen führten. Was es im Detail hieß, die öffentliche Meinung mit einem squalor zu beeinflussen, entfaltet sich entlang der Untersuchung. „Öffentlichkeit“ nuanciert nicht nur einen kollektiv geteilten Standpunkt, sondern auch einen physischen Ort. Wichtig war daher, den Platz der Aktion, an dem sich öffentliche Meinung manifestierte, richtig zu wählen. Wenngleich die Wahl zumeist auf das Forum, die jeweiligen Veranstaltungsorte der Volksversammlungen, spezieller auch die rostra oder irgendeinen anderen markanten Punkt in der öffentlichen Wahrnehmung fiel. Der vermessbare Raum einer symbolischen Trauerbekundung musste abgesteckt werden. Es handelte sich um Orte, an denen eine größtmögliche Zahl von Zuschauern zugegen war: die Straßen Roms, allen voran Forum und Comitium, aber auch Legionslager.81 Daher begegnet man – mit sehr wenigen Ausnahmen82 – keinen Trauerakten in geschlossenen Räumen wie der Kurie, denn sie begrenzten das Publikum unnötig in Zahl und Zusammensetzung; so gab es nachweislich auch Plätze, die man mied, etwa den Senat.83 Erst durch die Anwesenheit einer kritischen Masse von Zuschauern wurde ein Publikum hergestellt und die Voraussetzung für die Bildung einer öffentlichen Meinung geschaffen. Öffentlichkeit manifestiert sich sowohl in der physischen Gegenwart zahlreicher Individuen, die den Diskurs über einen präsenten Gegenstand zu bestimmen suchen, als auch in dem konkreten, architektonischen Raum, an dem diese Ereignisse stattfinden. Da diese Prozesse im republikanischen Rom fast immer an den gleichen Plätzen stattfanden, die sich als besonders geeignet herausgestellt hatten, wurde für die Gesamtheit zentral gelegener Orte in der Forschung zusehends der Begriff des öffentlichen Raums verwendet.84 Dieser wird jedoch weniger durch bauliche Maßnahmen geschaffen, wie die (archäologische) Forschung häufig suggeriert, sondern vormals durch den Austausch bedeutender Gesellschaftspartner an einen pragma-
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Das Fehlen von Trauerakten bei ludi, munera und scaenae mag zunächst einer Erklärung zu bedürfen, nennt Cic. Sest. 106 diese neben contio und comitium doch als die Orte größter Aufmerksamkeit. Doch aus Cic. Vatin. 30–2 ist die Vermutung abzuleiten, dass in der späten Republik damit argumentiert wurde, dass Kleidung mit Trauersemantiken, die eine funestatio nahelegten, bei religiös konnotierten Spielen und Theaterstücken über das Ziel hinausschoss und als unangemessen galt. Das heißt nicht, mit einer gezielten Regelverletzung, wie sie Vatinius beging, konnte keine Aufmerksamkeit gewonnen werden, doch es war für Gegner ein Leichtes die Aktion zu skandalisieren. Sie betreffen den Fall des M. Livius Salinator, der dafür gerügt wird, im Senat in Lumpen und unrasiert zu erscheinen (Liv. 27, 34, 5) und die Rhodier (Liv. 45, 22, 2) sowie Begebenheiten aus der Kaiserzeit, was einen Wandel im Verständnis von Sichtbarkeit im öffentlichen Raum und der Gerichtspraxis nahelegt; vgl. Kap. 15. De Libero (2009) 212 f. weist nach, dass vergleichbare Szenen nur vor, nie in der Kurie stattfanden. Ein squalor konnte aber auch im Senatsgebäude platziert werden, wie die eben genannten Beispiele lehren. Salinator wurde jedoch von den Zensoren gemaßregelt; vgl. Kap. 5.3; 6.3 und 14.1. Die Literatur zum öffentlichen Raum in der Antike ist unüberschaubar geworden; für die Republik Russell (2016); Hölkeskamp (2004) 137–68; Hölscher (2001); für die Kaiserzeit Mundt (2012) sowie für die Provinzen Dickenson/van Nijf (2013).
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2. Soziale, politische und juristische Voraussetzungen von Trauerakten
tisch gewählten Platz konstruiert.85 Dabei hat man sich einen Ort vorzustellen, der erst mit der Zeit architektonisch ausgestaltet und somit zusätzlich aufgewertet wurde.86 Leider lässt sich der genaue Ort eines squalor kaum bestimmen: Meist werden keine Angaben gemacht oder es ist unbestimmt von in foro, comitio, iudicio oder nur in publico die Rede, doch allein für das Comitium kommen unzählige Faktoren hinzu, die eine Analyse des Geschehens aus räumlicher Perspektive erschweren – zumal sich die Akteure zumeist nicht nur an einem Ort aufhielten, sondern ihr Publikum durch Herumgehen in der Stadt (ambulatio) zu vergrößern suchten (vgl. Kap. 8). Wenn zwischen Gericht und Forum unterschieden wird, dann spiegelt diese Differenzierung nur den institutionellen Rahmen wider, nicht den physischen Platz im öffentlichen Raum, denn Gerichte tagten in den Basiliken am Forum, um eine größtmögliche Öffentlichkeit zu garantieren. Insgesamt wirkten die Orte des Auftretens auf das Ergebnis des squalor zurück. Zugleich waren die Räume der Trauerinszenierung bewusst zu wählen und geben Auskunft über den Charakter der Darbietung.87 2.4 DIE HETEROGENITÄT DES POPULUS UND DAS PROBLEM DER ETIKETTIERUNG Die Gesamtheit der gegenüber der Darbietung positiv, negativ oder neutral gestimmten Akteure bildete die römische Öffentlichkeit, die sich genau an diesem Ort, zu jenem Zeitpunkt manifestierte. Diese Form der ad-hoc-Öffentlichkeit dürfte für viele soziale und politische Praktiken der Römer die Regel gewesen sein. Menschen blieben stehen, wo etwas zu sehen war, andere sammelten sich oder strömten hinzu, je nach Bedeutung des Anlasses. Den Versuch der Institutionalisierung und damit auch Reglementierung dieser Volksansammlungen stellten die contiones dar, deren Bedeutung erst in den letzten Jahrzehnten allmählich erkannt wurde.88 Auch dort traten Redner in schmutzigen Kleidern auf. Der Konsul des Jahres 75 v. Chr., C. Aurelius Cotta, nimmt Stellung zu den Vorwürfen, er habe fahrlässig eine Hungersnot verursacht; er spricht die 85
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Ein Ansatz, der die Entstehung des Raumes als soziales Phänomen begreift, das von gesellschaftlichen Entwicklungen abhängt, geht auf Löw (2001) zurück. Sie versteht den Raum als eine relationale Anordnung sozialer Güter und Lebensstile, die durch Synthese und Platzieren dieser Elemente hervorgebracht wird. Ein solcher prozessualer Raumbegriff kontrastiert die zuvor in der Soziologie vorherrschende Auffassung, die Raum als starren Hintergrund sozialer Prozesse auffasst; siehe auch Lefebvre (2008); Dünne/Günzel (2006). Für das forum Romanum Ammerman (1990); einführend Hölscher (2006); umfassend Coarelli (1992). Russell (2016) betont, dass man in der späten Republik den öffentlichen Raum immer mehr privat auflud, dadurch den Grad der „freien“ Öffentlichkeit reduzierte und die Kontrolle bzw. den privaten Zugriff auf die Konstitution der Öffentlichkeit vor ihrer Formation erhöhte; in Bezug auf den squalor siehe Kap. 13. Vgl. Hölkeskamp (1995); Pina Polo (1996); Flaig (2003a); Morstein-Marx (2004); Jehne (2011); Tan (2013).
2.4 Die Heterogenität des populus und das Problem der Etikettierung
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Zuhörer emphatisch mit Quiriten an, was bei der Menge an Zuhörern als Surrogat einer nomenclatio gelten darf. Als amtierender Konsul war das Tragen von Lumpen bemerkenswert und übertraf das übliche Ausrufezeichen, das man mit Trauerakten zu setzen gedachte. Der Ausgang der Episode ist unbekannt. Wichtiger ist die Versammlung um einen sordidatus und seine kurze Ansprache; so darf man sich viele Szenen vorstellen. Auch Verginius spricht bei Livius als sordidatus wie in einer contio; man suchte also bewusst solche Ansammlungen auf oder stellte sie her.89 Von der contio zum comitium war es ein kleiner, doch gehöriger Schritt. So ein Fall begegnete in der Episode um die drohende Verurteilung des Zensors C. Claudius Pulcher (vgl. Kap. 4.1). Hier traten nicht nur die Standesgenossen als sordidati auf, sondern auch sein Amtskollege, der in der Volksversammlung das Wort ergriff und die Plebs ermahnte, Pulcher nicht zu verurteilen. In dieser Begebenheit zeigt sich, dass sich trotz einer mutatio vestis angesehener Senatoren zahlreiche Mitglieder der Oberschicht wenig berührt zeigen konnten, denn die ersten Zenturien sprachen sich ohne Vorbehalt für eine Strafe aus. Wenn es daher heißt, Trauerakte richteten sich an Standesgenossen und Volk, gilt es beide Gruppen aufzuschlüsseln. Was hieß es für Trauerakteure in der contio zusprechen? Obwohl die Quellen häufig eine Homogenität sozialer Gruppen suggerieren, geben sie immer wieder preis, dass sehr wohl Unterschiede innerhalb der Unter- und Oberschicht existierten. Welche gesellschaftlichen Schichten die Römer unterschieden, verdeutlicht Tacitus in einem Passus zum Regierungsende Neros eindrücklich:90 Die Senatoren aber waren frohgemut, da sie sofort und ziemlich ungeniert ihre Unabhängigkeit geltend machen konnten, wie es gegenüber einem neuen, noch abwesenden Fürsten verständlich war. Die Ritter ersten Ranges freuten sich fast ebenso sehr wie die Senatoren. Der wohlbestallte, mit vornehmen Familien in engerer Verbindung stehende Teil des Volkes (pars populi integra), die Klienten und Freigelassenen verurteilter oder verbannter Herren gaben sich hochgespannten Hoffnungen hin; die ärmliche, an Zirkus und Theater gewöhnte Masse (plebs sordida) aber, ebenso das Lumpenpack der Sklaven oder das nach dem Verbrauch von Hab und Gut auf Kosten von Neros Ruf unterhaltene Gesindel war niedergeschlagen und nur auf Gerüchtemacherei aus.
Senatoren, Ritter, respektierte Bürger, Klienten und Freigelassene, ferner die Menge und Sklaven werden erwähnt, kurz davor noch die Legionen, die für den squalor erst in der Kaiserzeit relevant sein dürften. Daher widmet sich der Punkt zunächst
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Sall. hist. frg. 3 Eisenhut: Post paucos dies Cotta mutata veste permaestus, quod pro cupita volúntate plebes abalienata fuerat, hoc modo in contione populi disseruit: Quirites … Vgl. Malitz (1972); Rosenblitt (2011); Laser (1997) 150; Verginius: Liv. 3, 47, 1 f. und Kap. 4.2; ferner Liv. 35, 34, 7. Tac. hist. 1, 4, 3 (Übers. J. Borst): sed patres laeti, usurpata statim libertate licentius ut erga principem novum et absentem; primores equitum proximi gaudio patrum; pars populi integra et magnis domibus adnexa, clientes libertique damnatorum et exulum in spem erecti: plebs sordida et circo ac theatris sueta, simul deterrimi servorum, aut qui adesis bonis per dedecus Neronis alebantur, maesti et rumorum avidi. – Dazu Badel (2006); Goldbeck (2010) 81 f.; Mouritsen (2001) 76 f.; wenig differenziert wie die meisten Autoren Herodian. 7, 7, 1. Eine kleine Forschungsgeschichte der Passage bietet nun Kröss (2017) 74–80.
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2. Soziale, politische und juristische Voraussetzungen von Trauerakten
der Elite, die einerseits Akteur, andererseits Empfänger von Trauerakten war, im Anschluss der plebs urbana.91 Sowohl Senatoren als auch Ritter wechselten bei Bedrohung die Kleider. Auffällig ist dabei, dass Nobiles bei diversen Anlässen als Einzelpersonen auftreten, während equites lediglich vor Gericht allein in der vestis sordida auftreten. Lediglich die Beispiele des Marius und Cicero sind für ritterliche Trauerakte außerhalb der Gerichte bekannt. Jedoch hatten beide als erste ihrer Familie den Konsulat erreicht. Vielleicht hat man bei den primores equitum des Tacitus an solche Figuren zu denken. Von Cicero heißt es, er sei von allen Rittern unterstützt worden, indem sie mit ihm die Kleider tauschten, als er von der Verbannung bedroht war.92 Diese Vielzahl an Unterstützern soll der Kompensation von Status dienen. Freilich gibt es Nachricht von kollektiven Trauerakten durch Teile der Senatsaristokratie,93 doch verleihen sie dem Anliegen Nachdruck, indem etwa betont wird, dass es sich um die principes civitatis handelte, die einen squalor darboten.94 Zuweilen wendete sich der Adel geschlossen gegen einen Trauerakt.95 Prinzipiell galt: Je höher der subjektive Status des Trauerakteurs oder seine geschmackliche Distinguierung, umso so größer war die Geste der Unterwerfung bei einem squalor. Allerdings konnte eine zu große Differenz zwischen zugewiesenem Prestige und mutatio vestis Fragen über die Glaubwürdigkeit der Aktion heraufbeschwören.96 Komplizierter ist der Blick auf die Mitglieder der römischen Gesellschaft, die weder Senatsaristokratie noch Ritterstand angehörten. Zunächst trat sicher die plebs contionalis in Erscheinung, die dem politischen Geschehen durch Wohn- und Arbeitsort am Forum besonders nahestand. Blicke, Sprüche und Handgreiflichkeiten galt es mitunter zu ertragen.97 Aber obwohl sich der squalor an die turba pullata anlehnte (vgl. Kap. 5), war sie nicht allein Adressat. In einigen Fällen wird deutlich, 91 92 93
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Die soziale Schichtung der plebs urbana ausführlich bei Ganter (2015) und Kröss (2017); Mouritsen (2001) für die Republik; Sünskes Thompson (1993) 10–8 für die Kaiserzeit; zur Rolle der Legionen Kap. 6 und 15 sowie 9.2. Cic. dom. 26; Plut. Cic. 30, 4–31, 1; App. civ. 2, 15; Cass. Dio 38, 14, 7; vgl. Kap. 3.1. Cic. Quir. 6; Red. Sen. 37; Sest. 1; Polyb. 3, 20, 3; Liv. 2, 54, 3 f.; 43, 16, 14; Dion Hal. 8, 45, 1–47, 1; Plut. Coriol. 34, 1; Tib. Gracch. 10, 7–11, 2; Pomp. 59, 1; Caes. 30, 3; App. civ. 1, 10; Cass. Dio 37, 33, 3; 40, 2; 37, 43, 3; 39, 28, 1–30, 4. In der Kaiserzeit findet man keine Spuren größerer Trauerkollektive; vgl. Kap. 15. Vgl. Liv. 43, 16, 14: … extemplo principes civitatis in conspectu populi anulis aureis positis vestem mutarunt, ut supplices plebem circumirent. Dig. 47, 10, 15, 27; 47, 10, 39; Liv. 27, 34, 5; vgl. Kap. 13.2 und 14. Vgl. schon Stroux (1929) 62, der allerdings einen idealisierten Kreis von togati als Adressaten annimmt. – Darüber hinaus scheint die strikte Scheidung der Elite in Senatoren und Ritter staatsrechtlichen Konzepten verhaftet zu sein, die sich im Lebensstil der späten Republik nicht niederschlagen, sondern vor allem im Gegensatz Stadt/Land – urbanus/rusticus; vgl. Meister (2017a); (2009). Ferner sind ordo senatorius und equester erst kaiserzeitliche Konstruktionen, auch wenn man bereits in den Gerichtsreformen des C. Gracchus eine Differenzierung zwischen beiden Gruppen erkennen kann; zu den ordines vgl. Bleicken (1999) 60–74; zur Gerichtsreform Linke (2003) 55 f. Vgl. Kap. 2.3 mit Meier, RPA, 114 f.; Tiersch (2009); anders Mouritsen (2001) 38–62; ferner Flaig (2003a); Nippel (1988); Will (1991); zu Maßnahmen politischer Rivalen gegen Traueraktionen siehe Kap. 13.2.
2.4 Die Heterogenität des populus und das Problem der Etikettierung
65
dass das Volk nicht homogen als plebs sordida gedacht wurde, sondern dass es durchaus heterogen war. Der Beitrag des Tacitus gibt darüber Auskunft, dass sich die römische Gesellschaft neben Senatoren, Rittern, Freigelassenen, Sklaven und den zuvor erwähnten Legionen in eine pars populi integra und von diesem Teil des Volkes getrennt die plebs sordida gliederte. Als angesehener Teil des Volkes sind vor allem Klienten und Freigelassene Adressaten direkter Interaktion von Seiten der politischen Klasse. Ebenso weiß Tacitus von einem schäbigen Teil der Plebs zu berichten, der vom populus zu trennen sei (sordida pars plebis). Interessant ist die vergleichbare Konstruktion beider Wendungen, die einen Teil von einer größeren Menge scheidet, die die Charakterisierung durch integra bzw. sordida jeweils nicht trifft. Diese Differenzierung beschränkt sich weitgehend auf Tacitus und ist für die Republik so nicht greifbar.98 Dennoch darf man das Anziehen schmutziger Kleidung durch die Oberschicht auch als Selbsterniedrigung unter den primären Adressatenkreis des Volkes, der pars integra populi, lesen, die als eigenständige Schicht oberhalb der plebs sordida existierte. Besonders für diesen respektablen Ausschnitt der sozialen Pyramide ohne Standesabzeichen führte die Aktion vor Augen, von welchem Schicksal man selbst stetig bedroht war. Wenn selbst Senatoren und Ritter von sozialer Isolation betroffen sein konnten, drohte der pars integra populi allemal der Abstieg in die Reihen der elenden Besitzlosen. Stigmatisierung war keine Einbahnstraße. Dass die Grenzen der Solidarisierung zwischen begüterten und mittellosen Teilen der Plebs nicht streng auf Grundlage textbasierter Analysen festzulegen sind, zeigen die Amplituden, mit denen Zuschreibungen von Kleidungs- und Lebensstilen ausschlugen: Selbst einem Konsular wie Marius sagte man gemäß Sallust eine schäbige und ungepflegte Lebensart nach.99 Bei Livius wiederum bezeichnen die einfachsten Bürger die amtfähigen Plebejer aufgrund ihres Ehrgeizes als sordes.100 Diese Zuweisungen finden sich in der Bewertung einzelner Trauerakte wieder. Der Illustration dient erneut das Beispiel des Metellus Pius und Saturninus. Diodor benutzt unterschiedliche Bezeichnungen für die von den Akteuren angesprochenen Zuschauer. Der populare Saturninus wendet sich an den ὄχλος und stößt dabei auf offene Ohren, während beim Optimaten Metellus von den πολίτης die Rede ist, an die sich der Sohn richtet. Eine senatsfreundliche Quelle des Diodor ist damit nicht auszuschließen.101 Obwohl beide Szenen für ihre Protagonisten letztlich zum gewünschten Ziel führten, wird durch das als Pöbel einerseits und Bürger andererseits 98 Tac. hist. 3, 74, 2 verwendet sordida pars plebis im Kontext der Unruhen, die zum Tod des Sabinus führen; vgl. Flaig (1992) 516; zu den verschiedenen Bezeichnungen der einfachen Bewohner Roms vgl. Pina Polo (1996) 130 sowie besonders Yavetz (1988) 141 f., der die plebs sordida fälschlich mit Latinern, Fremden und Sklaven identifiziert; vgl. Kap. 5 und Sen. ira 3, 35, 5: … maiorem partem occurrentium squalidam … Vgl. nun Kröss (2017) 113–9. 99 Sall. Iug. 85, 39: sordidum me et incultis moribus aiunt … 100 Liv. 4, 25, 9–14, besonders 11: adeo se suis etiam sordere nec a plebe minus quam a patribus contemni. 101 Diod. 36, 15, 2 frg. Dindorf: καὶ τὴν ἐσθῆτα τὴν πολυτελῆ κατέθετο, πιναρὰν δὲ μεταμφιασάμενος καὶ κόμην καὶ πώγωνα τρέφων περιῄει τοὺς κατὰ τὴν πόλιν ὄχλους, καὶ τοῖς μὲν πρὸς τὰ γόνατα πίπτων, τοῖς δὲ ταῖς χερσὶν ἐπιφυόμενος ἐδεῖτο καὶ μετὰ δακρύων καθικέτευε βοηθῆσαι τοῖς ἀκληρήμασιν· Diod. 36, 16 frg. Dindorf: ὁ υἱὸς αὐτοῦ κόμην ὑποτρέφων καὶ πώγωνα καὶ
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2. Soziale, politische und juristische Voraussetzungen von Trauerakten
gekennzeichnete Publikum eine Wertung der Aktion vorgenommen. Dadurch entwirft Diodor ein Bild von Politik wie Charakter seiner Handlungsträger, zumal die Politien Metellus nicht sofort erhören, sondern zunächst schmoren lassen, bis sich der politische Wind gedreht hatte, während der Pöbel gleich einbricht. Die Grenzen zwischen plebs sordida und pars populi integra verschwimmen zuweilen im politischen Diskurs, obwohl beide Akteure eine vergleichbare Öffentlichkeit ansprachen. Die Zuordnung von Charaktereigenschaften ganzer Bevölkerungsgruppen durch literarische Produkte der Oberschicht schlägt sich auch in der Beschreibung ihres Lebensstils nieder, der seinen sichtbarsten Ausdruck in der Kleidung findet. So verwundert es wenig, dass einfache Leute häufig als sordes gezeichnet werden. Es ist kein Zufall, dass die Protagonisten symbolischen Trauerns ebenfalls als sordidati galten (vgl. Kap. 5). Allerdings kann nicht immer mit letzter Sicherheit bestimmt werden, ob man sich nicht doch an unterschiedliche Bevölkerungsteile wenden konnte.102 So geht Diodorus bei seinem Patron (patronos) umher, um Unterstützung gegen Verres zu erlangen. Von Sthenius wird Ähnliches berichtet. Auch die Sikuler wenden sich direkt an einzelne Senatoren, indem sie an ihre Haustüren klopfen. Gleiches gilt für die Rhodier und ihre principes.103 Zumindest peregrine Trauerakteure versprachen sich vom Besuch bei angesehenen Römern mehr Durchschlagskraft als beim Volk – zumal diesem weitgehend unbekannt. Als Repräsentanten lokaler Oberschichten im römischen Reich und Einflussgebiet ergänzen diese Episoden das Bild der Elite bei Trauerakten. Zusammenfassend kann man feststellen, dass die durch die Oberschicht geprägte Überlieferung ab der späten Republik zusehends zwischen unterschiedlichen Empfängerkreisen von Trauerakten differenziert. Der squalor einzelner Akteure lud den öffentlichen Raum privat auf, während kollektive Szenen seltener persönliche Belange in den Mittelpunkt stellten. Immer wieder arbeiten diese Texte mit Statuszuweisungen des Volkes und zeichnen damit auch ein Charakterbild der Protagonisten. Zudem verweisen die Quellen auf die Jahre um 200 v. Chr. als Ausgangspunkt kollektiver wie individueller Trauerakte. Grund für die Zunahme symbolischen Trauerns im zweiten Jahrhundert v. Chr. waren zum einen veränderte Modi der Konfliktaustragung in der Nobilität, zum anderen die Anerkennung einer dritten Instanz als Medium der Beschwichtigung. Die ebenfalls in dieser Phase zunehmende literarische Überlieferung richtete sich an diese Instanz in ihrer Eigenschaft, Öffentlichkeit zu produzieren und bei Möglichkeit darauf Einfluss zu nehmen. Die Anerkennung kollektiv gebildeter Standpunkte zu Personen, Verfahren und Entscheidungen unter Einfluss des Volkes stellte die zweite Prämisse dar, bevor ein squalor überhaupt in Frage kam – anders gesagt: die öffentliche Meinung musste πιναρὰν ἔχων ἐσθῆτα περιῄει κατὰ τὴν ἀγοράν, δεόμενος τῶν πολιτῶν, καὶ μετὰ δακρύων προσπίπτων τοῖς ἑκάστου γόνασιν ᾐτεῖτο τὴν τοῦ πατρὸς κάθοδον (Hervorhebung CD). 102 Yavetz (1988) 143–8 weist auf die „semantische Schwierigkeit“ hin, diese Zuweisungen zu entwirren. 103 Diodorus: Cic. Verr. 2, 4, 41; Sthenius: Cic. Verr. 2, 5, 128; Sikuler: Liv. 26, 29, 2–5 Rhodier: Liv. 45, 20, 10; ferner die Lokrer bei den Konsuln im Comitium: Liv. 29, 16, 6; Ägypter sogar in der Kurie: Liv. 44, 19, 6 f.; Val. Max. 5, 1, 1 f.; siehe dazu Kap. 8.4 und 9.3.
2.4 Die Heterogenität des populus und das Problem der Etikettierung
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als Regulativ aristokratischen Wettstreits akzeptiert sein. Daher standen Konflikte in der Oberschicht und die Bedeutung der römischen Öffentlichkeit ebenfalls im Fokus. Gleichzeitig weitete sich das Nachleben einzelner Trauerszenen in der historiographischen Tradition aus. Immer mehr Autoren berichteten von denselben Begebenheiten, die sie immer häufiger exemplarisch verwendeten und auf vage bekannte Ereignisse der Vergangenheit anlegten. Mit dieser Feststellung bewegt man sich bereits auf einer Ebene, die die Gestalt des Materials ins Auge fasst und die folgenden Kapitel umfasst.
II. TEIL GESTALT UND EIGENHEITEN EINER DISKURSIVEN PRAXIS
3. ZWISCHEN DISKURS UND PRAXIS: DIE NARRATIVE PERFORMANZ DER TRAUERSZENEN Nach Th. Späth begegnet man in antiken Quellen vor allem „übersetzten“ Figuren und Handlungen. Nicht nur Trauerszenen, auch unzählige weitere kulturelle und soziale Phänomene, die in den Quellen beschrieben werden, sind keine Fakten im modernen Sinne; sie sind der Umwelt des antiken Autors entnommene Zitate des sozialen Miteinanders; sie werden bereits von ihm gedeutet und umgestaltet, sodass sie sich in den Gesamtkontext seines Werkes einfügen.1 Folglich ist der Text selbst ebenso wie die darin beschriebene Praxis zu lesen: Beide sind Flickenteppiche einer mit Symbolen und Gesten durchzogenen Lebenswelt. Damit ist jede Textstelle grundsätzlich auf zwei Ebenen zu betrachten – von der textuellen und der praxeologischen Seite. Das meint, nicht nur die behandelten und handelnden Trauerakteure hinterlassen lediglich Spuren ihrer Existenz in der textlichen Oberfläche, auch die Autoren der behandelten Schriften agieren entlang formierter Ordnungen, die allerdings auch Varianten einräumen – also Kreativität durchaus erlauben, mitunter erfordern. Livius etwa übertrug römisches Brauchtum auf die griechische Kultur, weil er keine anderen Worte als die seinem Diskurs zugehörigen Vokabeln besaß. Dabei sind die Standortgebundenheit des antiken Historiographen an seinen kulturellen und sozialen Hintergrund, die bewusste oder unbewusste Rezeption und Interpretation des Ursprungtextes sowie die Positionierung zu Funktion, Zweck und Strategie seiner eigenen Tätigkeit in Rechnung zu stellen. Ein Beispiel ist die in das Ende des dritten Jahrhunderts v. Chr. zu datierende Passage, in der Frau, Kinder und Anhänger für die Rückberufung des verbannten Magnetarchs Eurylochos eintreten. Die gesamte Familie tritt während einer Versammlung der Griechen (contio) in der vestis sordida auf.2 Ein Römer ist daran nicht beteiligt, denn trotz der Involvierung des T. Quinctius Flaminius in die politischen Abläufe handelte es sich doch um eine innergriechische Angelegenheit.3 Gattin, Kinder und Parteigänger des Eurylochos appellierten an die Bürger der Stadt Demetrias. In der Folge wurde das freiwillig 1
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Späth (2011) vor allem 154 ff.; vgl. Walter (2004a) 218, der Kraus/Woodman zitiert: „[…] there are no past events beyond texts: […] all history is in fact only events under description“; ferner Strohmaier (2010), die Figuren durch ihr Handeln, Sprechen und Wirken im Text als existent versteht, also als performativ hergestellt. Liv. 35, 34, 7: Litteris Eurylochi admoniti propinqui amicique et qui eiusdem factionis erant, liberos et coniugem eius cum sordida veste, tenentes velamenta supplicum, ‚in‘ contionem frequentem accierunt singulos universosque obtestantes, ne insontem indemnatum consenescere in exilio sinerent. – Vgl. Deininger (1971) 76–80. – Einen ganz anderen kulturellen Kontext bietet Ios. bell. Iud. 1, 25, 4, wo sich der bei Herodes in Ungnade gefallene Pheroras in schwarzen Kleidern und unter Tränen zu Füßen des Königs wirft und Milde erfleht: Πείθεται Φερώρας, καὶ κατασκευάσας ἑαυτόν, ὡς ἂν οἰκτρότατος φανείη, μελαίνῃ τε ἐσθῆτι καὶ δακρύοις προσπίπτει τοῖς Ἡρώδου ποσίν … Die Episode ist im jüdischen Umfeld singulär. Zum Grund der Verbannung und zur Rückkehr siehe Pfeilschifter (2005) 166 bzw. 255–8.
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3. Zwischen Diskurs und Praxis: Die narrative Performanz der Trauerszenen
gewählte Exil tatsächlich aufgehoben, indem die Stimmung zugunsten des Eurylochos kippte oder eine im Nachgang beschlossene Verbannung formal gelöst wurde. Vieles deutet darauf hin, dass Livius römische Verhältnisse vor Augen standen, denn das frei gewählte Exil, das dennoch aufzuheben sei, trägt deutliche Anleihen der aqua et igni interdictio. Auch dass die Verwandten und Freunde des Eurylochos beschmutzte Kleider trugen, ist unwahrscheinlich. Falls die Bittszene tatsächlich stattfand, muss man annehmen, dass dies im Rahmen griechischer Hikesie geschah. Typische Accessoires dieses Schutzflehens waren allerdings das Mitführen eines Ölbaumzweiges und das Anlegen weißer, nicht verschmutzter Wolltücher.4 Nicht nur, dass der Ölzweig fehlt, der Kontrast der Kleider besticht in besonderem Maß. Nicht wie bei anderen Gelegenheiten wollten Griechen mit der Adaption einer römischen Praxis Legitimität herstellen, denn Römer waren nicht beteiligt. Vielmehr schmückte Livius die Begebenheit so aus, wie es ihm und dem Leser in seinem augusteischen Horizont als plausibel erschien. Damit überzeugt das Argument symbolischer Trauer eher auf narrativer als historischer Ebene und formte zugleich die Sicht auf das Verhältnis zwischen römischer und griechischer Bittpraxis.5 Vor diesem Hintergrund will das folgende Kapitel Trauerszenen nicht nur als performative Akte verstanden wissen, sondern zudem als diskursive Praxis beschreiben. Die Gelingensmöglichkeit symbolischer Trauerakte beruhte zwar auf der Zitation kultureller Zeichen und Gesten, doch erschöpfte sich nicht darin. Symbolen und Ritualen, die sich zum Zitieren eigneten, begegnete man nicht allein in der tagtäglichen Umgebung. Man traf sie ebenso in verschriftlichten oder mündlichen Berichten. Somit ist ein zentrales Anliegen der folgenden Überlegungen zu zeigen, dass Trauerakte und Berichte über Trauerakte – auch aus der unsicheren Frühzeit – in einer ständigen Wechselwirkung miteinander standen. Das bedeutet, historische Trauerakteure orientierten sich – bewusst oder unbewusst – bei der Ausgestaltung ihrer Darbietung nicht allein am Bestattungszeremoniell. Gerade der Elite war die Überlieferung zu vergangenen Trauerakten zugänglich, ob aus vermeintlich uralter Zeit oder einer Generation zuvor, ob schriftlich fixiert oder oral tradiert; auch daran richtete man den eigenen squalor aus – wissentlich oder nicht.6 Umgekehrt verfestigte die Aktualisierung angeblich alt hergebrachter Handlungsmuster die Annahme über die Existenz symbolischer Trauerakte seit grauer Vorzeit. Die gegenseitige Bedingtheit historischer und narrativer Trauerszenen ist es, die vor allem der frühzeitlichen Überlieferung Glaubwürdigkeit verlieh.7 4 5 6 7
Zu Attributen der Hikesie Traulsen (2004) 142–50 sowie Kap. 9.3; zur Funktion Kap. 3.3; zum römischen Interdikt Kap. 2.2. Morley (2013) 54–9 und Pausch (2011) 3–12 betonen den narrativen Charakter antiker Historiographie; vgl. Wiseman (1979); Koschorke (2012); White (1991a) 145–60; ferner (1991b); zur Kritik Flaig (1999) 472. Zur Verbreitung historiographischer und politischer Schriften Walter (2004a) 213; Eich (2000); Hinweise, dass man einen squalor auch im Theater zu sehen bekam bei Plaut. Asin. 497; Cist. 114; Poen. 267; Titinius 184 Ribbeck; Enn. Telamo 311 Vahlen; Telephus 330 Vahlen. Ähnlich Walter (2004a) 218 f.; (2004b); (2003); vgl. Bartsch (1994) besonders 98–125; siehe auch unten zur Wirkung der exempla; ferner Morley (2013) 54–9 und Pausch (2011) 3–12.
3. Zwischen Diskurs und Praxis: Die narrative Performanz der Trauerszenen
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Antiken Autoren ebenso wie historischen Trauerakteuren stand bei der Ausgestaltung einer Szene nur ein – freilich umfangreiches – Zeichenrepertoire im Rahmen des jeweils bedienten und zu bedienenden Diskurses zur Verfügung. Im Fall der schriftlichen Quellen galt das in gesteigertem Maße, da sich der Zeichenvorrat auf die Sprache beschränkte, die nun auch diskursive Praktiken abzubilden hatte. Alle Literaten konnten die ihnen zu Gesicht gekommenen, gehörten oder gelesenen Trauerszenen nur mit einem spezifisch kulturell archivierten Vokabular wiedergeben. Das heißt zugleich, dass je nach sozialem, kulturellem und historischem Hintergrund jeweils unterschiedliche Ausformungen eines Diskurses anzunehmen sind. Für die hier vorliegenden Fälle ist das in erster Linie der Trauer- und Bestattungsdiskurs, den die Verfasser abzurufen hatten. Dieser war ohne Zweifel im zweiten Jahrhundert v. Chr. anders ausgeformt als unter Diokletian, in Rom anders als in Caere und in der Nobilität anders als bei gallischen Sklaven. Die Begrenzung der Denkmuster und ihrer Artikulation durch den vorherrschenden Diskurs sowie ihre Präfiguration sind jeder Analyse in Rechnung zu stellen. Gleichwohl gestalteten Historiographen den Diskurs aufgrund der genannten Unterschiede durch die immerwährende, aber nie vollständig identische Reproduktion mit. Das rief Veränderung hervor, die sich sowohl im Text als auch der Praxis niederschlagen musste und nicht selten als Kreativität äußerte. Das Beispiel des Cassius Dio kann auf diese im Folgenden zu beachtenden hermeneutischen Voraussetzungen von Diskursen aufmerksam machen. Die Herausforderung für den modernen Historiker besteht darin, mit Fällen umzugehen, in denen antiken Historiographen scheinbar eigene kulturelle Erscheinungsformen der Vergangenheit undurchsichtig geworden waren. Das stellte bereits Dio vor Schwierigkeiten, da er sowohl eine geraume Zeitspanne nach dem Ende der Trauerszenen schrieb, als auch als Repräsentant einer veränderten römischen Elite gelten darf.8 Mehrfach merkt Dio an – und folgt damit vermutlich Plutarch –, dass eine mutatio vestis stattfand. Besonders in den fünfziger Jahren des ersten Jahrhunderts v. Chr. häufen sich bei Dio die Erwähnungen von Trauerszenen als Mittel innenpolitischer Auseinandersetzung. Ausgeführt werden die Geschehnisse wenig. Er versieht die Begebenheiten lediglich mit der Notiz, man habe die Kleidung gewechselt „wie in Zeiten der Staatstrauer“ (πένθος); weitere Erklärung erübrige sich damit.9 Was unter „Staatstrauer“ zu verstehen ist, kann man aus intratextuellen Bezügen erahnen, die allesamt in die Kaiserzeit führen. Staatstrauer wurde verordnet, wenn ein Mitglied der kaiserlichen Familie verstorben war.10 Dabei wechselte man die Kleider, sofern es vom Senat vorgeschlagen wurde.11 Dafür spricht auch, dass sich die benutzten Begrifflichkeiten und Wendungen für das Anlegen der Trauerkleidung durchaus mit den Passagen zum republikanischen luctus publicus decken; so spre8 9 10 11
Zu Dios sozialem und kulturellem Hintergrund als Grieche und Römer Lange/Madsen (2016); Hose (2007). Cass. Dio 38, 14, 7; 16, 3; 39, 28, 2; 40, 46, 1; siehe auch Plut. Cic. 31, 1; Pomp. 59, 1; Caes. 30, 3. Cass. Dio 54, 35, 5; 56, 31, 2 f.; zum Kleidungswechsel bei Dio vgl. Freyburger-Galland (1993). Siehe auch Herodian. 4, 2, 1–3; Ps.-Ov. cons. ad Liv. 186; Aur. Vict. epit. Caes. 16, 13.
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3. Zwischen Diskurs und Praxis: Die narrative Performanz der Trauerszenen
chen zahlreiche, vornehmlich griechische Quellen von πένθος in Verbindung mit Entsprechungen von ἐσθῆτας μεταβάλλειν. In der Republik dagegen kam der luctus publicus entweder für die angesehensten Persönlichkeiten des Gemeinwesens oder bei katastrophalen militärischen Niederlagen, bei denen man ein iustitium zu verhängen pflegte, zur Anwendung.12 Ab dem ersten Jahrhundert v. Chr. verschmolz öffentliche Trauer zusehends mit dem iustitium und wurde synonym gebraucht. Das iustitium aber stand ohne Trauerbezug für den Stillstand aller Amtsgeschäfte, der ebenfalls vom Senat angeordnet wurde.13 Gerade im Hinblick auf das iustitium ist eine Reihe von Verboten überliefert, wonach die Staatskasse, die Läden am Forum und der ganzen Stadt geschlossen blieben. Zudem fanden keine Auktionen statt und es war ohne weiteres möglich, Truppen auszuheben.14 Die Gerichte und alle Geschäfte privater Natur ruhten. Demnach durften mit einem entsprechenden Beschluss des Senats bis zu einer festgelegten Frist weder Gericht gehalten, noch Finanzgeschäfte abgewickelt, Hochzeiten oder Verlobungen gefeiert werden. Auch Spiele sollten an diesem Tag nicht stattfinden. Zudem blieben die Tempel geschlossen. Damit rückte das zunächst juristisch definierte Phänomen iustitium in die Nähe der – durch die Digesten ebenfalls rechtlich geregelten – Vorschriften für die Trauerzeit (vgl. Kap. 1). Diese Folgen hatte ein Trauerakt nicht. Für Angeklagte, Verbannte oder andere individuelle Akteure ist ein solcher Beschluss nicht belegt. Es lässt sich nicht mit letzter Sicherheit bestimmen, ob Dio nicht doch von einem squalor berichtet, der mit verordneter Trauer durch den Senat einherging. Für Cicero war Vergleichbares vorgesehen, ehe es durch seine Gegner torpediert wurde. Doch Cicero bemerkt für seinen Fall in keiner Weise, dass Geschäfte, Gerichte oder Tempel geschlossen werden sollten. Umgekehrt erfährt man nichts davon, dass Clodianer eine entsprechende Durchführung verhinderten, obwohl es Cicero als hervorragende Invektive gedient haben dürfte. Das spricht nicht so sehr für im Wesen unveränderte Trauerakte in der Zeit Dios, sondern vor allem ist es Indiz für das Verschwinden der Praxis aus dem politischen Raum.15 Darin schlägt sich die Limitierung von Denkkategorien durch vorgefertigte Diskurse nieder, die zugleich auf kreative Erklärungen angewiesen ist: Welche Alternativen standen Dio überhaupt zur Beschreibung symbolischer Trauerakte zur Verfügung, wenn nicht funus und iustitium? Allein das zeigt, wie kompliziert und vielfältig zugleich die Überlieferung aus dem klassischen Altertum ist. Auch zu den Trauerszenen liegen Quellen vor, die sowohl was ihre Entstehungszeit als auch was ihren Inhalt betrifft, mehrere Jahrhunderte umfassen und zum Teil eine große historische Distanz zu ihrem Gegenstand 12 13 14
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Liv. 9, 7, 7 f.; siehe auch Wesch-Klein (1993) 91–9; Versnel (1980). Zum iustitium und seiner Deutung siehe grundlegend Kunkel/Wittmann (1995) 225–8; Mommsen, Staatsrecht I, 263 f.; Kleinfelder (1919); zuletzt Garofalo (2009) und Lundgreen (2009). Staatskasse: Cic. har. resp. 55; Läden: Liv. 9, 7, 8; Tac. ann. 2, 82, 3; Auktionen: Cic. Planc. 33; Geschäfte: Liv. 3, 27, 2; Aushebung: Liv. per. 72 f.; Cic. Phil. 5, 31; 6, 2. Letzteres wird als sagum sumere und vestem mutare umschrieben. Letzteres ist terminus technicus für das Anlegen von Trauerkleidern. Zu einer möglichen Verbindung Sen. epist. 18, 2; Starbatty (2010) 71–6; Golden (2013) 87 f.; Lintott (1968) 20; Hall (2014) 44 A. 23. Kap. 6 mit Anm. 23. Zu Ciceros Fall siehe ausführlich Kap. 3.1; zum Ende des squalor Kap. 15.
3.1 Selbst Zeugnis ablegen: Cicero und seine Verbannung
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aufweisen. Allerdings berichteten auch Zeitgenossen von Trauerakten, was sie gesehen oder gehört haben. Die Vielzahl zwingt dazu, die Diskussion der Besonderheiten antiker Überlieferung zu Trauerszenen auf wenige Exempel herunterzubrechen, die als repräsentativ gelten dürfen. Da es undienlich ist, jede Trauerszene auf Historizität und Faktizität16 zu prüfen, werden im Folgenden anhand einzelner Fallbeispiele unterschiedliche Problemfelder aufgezeigt, die gerade angerissen worden sind: Das heißt, wie geht man mit Trauerszenen um, die 1) zeitgenössischen Berichten entstammen, aber aufgrund persönlicher Involvierung der Autoren unter dem Verdacht der Veränderung stehen, 2) in der römischen Frühzeit spielen und deren Quellenbasis fragwürdig ist, 3) römische Praktiken aus griechischer bzw. griechischsprachiger Perspektive besprechen. Dabei handelt es sich mit Cicero zunächst um einen Zeitzeugen, der eine Traueraktion aus seiner Sicht als Protagonist erzählt und seinen Reden entlang bekannter exempla modelliert. Im Anschluss wird der Fokus auf Berichten des Livius über die römische Frühgeschichte liegen und in welcher Art und Weise sie in Wechselwirkung mit der historischen Zeit standen. Mit Appian gelangt man zu einem Fall, der eine Trauerinszenierung sowohl in der Rückschau als auch aus der Sicht eines kulturell Außenstehenden bewertet. 3.1 SELBST ZEUGNIS ABLEGEN: CICERO UND SEINE VERBANNUNG Für Berichte von Zeitzeugen gilt es, apologetische und propagandistische Tendenzen ausfindig zu machen. Nicht selten wird nur eine einzige Sicht der Dinge wiedergegeben, eine alternative Perspektive ausgespart, um eigenes Handeln nachträglich zu rechtfertigen oder die öffentliche Meinung gezielt zu beeinflussen. Nicht zuletzt gibt es solche Neigungen auch in der historiographischen Literatur. Aus republikanischer Zeit sind Trauerszenen durch den älteren Cato, Polybios, Cicero und Sallust bezeugt. Sehr kurz, aber wichtig ist Catos Hinweis auf Galba, der – ebenso wie Polybios und Sallust – bereits Erwähnung fand. Bei diesen Autoren finden sich trotz Augenzeugenschaft nur wenige Spuren der mutatio vestis.17 Nicht nur Beobachter, sondern Protagonist war Cicero. Eine der am besten überlieferten Trauerinszenierungen stellt die Begebenheit um seine Verbannung dar. Nicht nur, dass Cicero in verschiedenen Genres – politischen Reden, vor Gericht und in Briefen – beredt von seinem Handeln Auskunft gibt, er und sein squalor sind zugleich selbst Gegenstand historischer Debatten, die durch Plutarch, Appian 16
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Historizität steht für die Wechselwirkung zwischen dem Einfluss der Gegenwart auf das Deutungsraster der Vergangenheit und den geschichtlich gewordenen Denkformen, die diese Sichtweise ermöglichen; vgl. Brieler (1998). Faktizität dagegen heißt, den Menschen als kulturelles Wesen durch seine Kulturgeschichte – zu der eben auch die politische Kultur zählt – in Denk-, Fühl-, und Wahrnehmungsformen konditioniert zu betrachten. Diese seien jedoch im historischen Prozess kontingent und nicht notwendig so geworden, wie sie nun faktisch gegeben sind; zum Verhältnis von Praxis und Fiktion auch Koschorke (2012). Cato FRH 7, 1 (= Cic. Brut. 89 f.); 7, 2 (= Front. ep. 3, 21, 4); Polyb. 3, 20, 3; 30, 4, 5; 19, 4; Sall. hist. frg. 3 Eisenhut; Iug. 33, 1: … Iugurtha contra decus regium cultu quam maxume miserabili … Romam venit.
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3. Zwischen Diskurs und Praxis: Die narrative Performanz der Trauerszenen
und Cassius Dio überliefert sind. Jedoch werden diese Autoren aufgrund der Fokussierung auf das Selbstzeugnis zunächst ausgespart und nur zur Kontextualisierung herangezogen.18 Bevor man sich ausführlicher dem Fall aus Perspektive des Betroffenen widmen kann, ist es angeraten, auf die methodischen Probleme hinzuweisen, die mit Selbstzeugnissen verbunden sind. Einen Glücksfall stellt dabei ein Brief des Q. Caecilius Metellus Celer (cos. 60) an Cicero dar. Dieser setzte sich für seinen Bruder Metellus Nepos ein, der nach einer handgreiflichen Auseinandersetzung im Senat in Ungnade gefallen war.19 Der Senat versammelte sich noch am gleichen Tag erneut und wechselte zum Zeichen der Bestürzung über die Vorfälle die Kleider. Nepos wurde des Gremiums verwiesen. Celer beklagte sich über den Ausschluss seines Bruders und schrieb:20 Itaque in luctu et squalore sum … Dabei entsteht der Eindruck, Celer habe die Kleider gewechselt, um Trauer für seinen isolierten Bruder zu tragen und seinerseits gegen die mutatio vestis der Senatsmehrheit zu protestieren.21 Warum sonst sollte er in Trauer und schmutzig sein? Aber dass Celer tatsächlich einen squalor darbot, darf bezweifelt werden, denn es gab einen triftigen Grund, warum er einen Brief an Cicero verfasste: Er war nicht in Rom zugegen; vielmehr befand er sich als Prokonsul in der Gallia transalpina. Allerdings hatten Trauerakte fernab von Rom wenig Sinn, da es Standesgenossen und die städtische Bevölkerung zu beeinflussen galt, die sich mehrheitlich nicht in den Provinzen, sondern in der Hauptstadt aufhielten. Die ältere Selbstzeugnisforschung würde davon ausgehen, dass Metellus lediglich seiner Stimmung Ausdruck verleihen wollte, ohne tatsächlich in Lumpen aufzu18
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Die Briefe und Reden Ciceros geben einen tiefen Einblick in die politische Kultur der Republik und die Selbstpositionierung des Akteurs Cicero; vgl. FRM 136–8; zu den Ego-Referenzen Ciceros siehe Kurczyk (2006) 31 f., die den Gegensatz zwischen autobiographischem Schreiben und sogenannten Ego-Dokumenten problematisiert, aber zu kurz greift, wenn sie beide diametral gegenüberstellt, weil die Autobiographie allein der Selbstinszenierung diene und Ego-Dokumente aussagekräftiger seien, wenn man etwas über die Mentalität der Zeitgenossen erfahren wolle. Allerdings tragen auch en-passant-Äußerungen Eigenschaften der Selbststilisierung. Zum Ego-Dokument Schulze (1996) hier 28 (im Original kursiv): „Gemeinsames Kriterium aller Texte, die als Ego-Dokumente bezeichnet werden können, sollte es sein, daß Aussagen oder Aussagenpartikel vorliegen, die – wenn auch in rudimentärer und verdeckter Form – über die freiwillige oder erzwungene Selbstwahrnehmung eines Menschen in seiner Familie, seiner Gemeinde, seinem Land oder seiner sozialen Schicht Auskunft geben oder sein Verhältnis zu diesen Systemen und deren Veränderungen reflektieren. Sie sollten individuell menschliches Verhalten rechtfertigen, Ängste offenbaren, Wissensbestände darlegen, Wertvorstellungen beleuchten, Lebenserfahrungen und -erwartungen widerspiegeln.“ Zum Selbstzeugnis erhellend und kritisch gegenüber dem Ego-Dokument-Begriff v. Krusenstjern (1994), besonders 463. Zum Kontext Plut. Cato min. 26, 1–29, 4; Cass. Dio 37, 51, 3; vgl. Hall (2014) 44; der Kampf wurde sogar „mit Knüppeln, Steinen und sogar Schwertern“ ausgetragen; vgl. Cass. Dio 37, 43, 3. Es scheint, als habe der Senat, und nur der Senat, die mutatio vestis als politisches Mittel angewandt, um die Bevölkerung von der Notwendigkeit ihrer Entscheidungen zu überzeugen. Denn zusätzlich beschloss man, den Konsuln den Schutz der Stadt anzuvertrauen, womit man den Antrag des Nepos, nach den Wirren des Jahres 63 v. Chr. Pompeius aus dem Osten herbeizurufen, überging. Der knappe Brief bei Cic. fam. 5, 1. – Dazu samt der versöhnlichen Antwort, mit der Cicero die gute Beziehung mit Celer zu wahren suchte, Hoffer (2003); ferner Levens (1928). Eine Ritualkonkurrenz, wie sie auch für Cic. Vatin. 30–2 vorgeschlagen wird; siehe Kap. 5.3.
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treten; das hätte wohl seinen Stab, die Legionen und Provinzbewohner außerordentlich irritiert.22 In der Tat wüssten die Anwesenden in Gallien kaum etwas mit dem squalor anzufangen, doch es gilt ebenso zu hinterfragen, ob hier wirklich die Gemütslage zum Ausdruck gebracht wurde. Wahrscheinlicher ist, dass Celer seiner familialen Pflicht als Bruder nachkam, die eine Trauerbekundung in solchen Krisen verlangte. Er gibt sich lediglich als in der Stimmung, die von ihm erwartet wurde.23 Ob es am Einsatz des Bruders lag, dass Nepos eine glänzende Karriere machte und für das Jahr 57 v. Chr. zum Konsulat gelangte, kann nicht beantwortet werden. Celer dagegen starb bereits zwei Jahre zuvor. Mehrfach problematisiert Cicero sein eigenes Auftreten in der vestis sordida im Frühjahr 58 v. Chr. Nachdem Clodius für das Jahr 58 v. Chr. zum Volkstribun gewählt worden war, brachte er zugleich ein umfassendes Gesetzesprogramm in die Volksversammlung ein. Darunter befand sich die lex Clodia de capite civis, die römische Bürger vor der Gewalt der Magistrate schützen sollte. Demnach sollte kein Römer ohne Gerichtsurteil getötet werden, andernfalls drohe demjenigen die Verurteilung, der den Tod eines römischen Bürgers zu verantworten habe. Das Gesetz griff das alte Provokationsrecht auf, wonach Volksgerichte gegen die Beamten angerufen werden konnten, um das bürgerliche Ideal der libertas zu verteidigen. Der zum Wohl der Plebs eingebrachte Vorschlag zielte auf die Person Ciceros ab, der fünf Jahre zuvor im Zuge der Catilinarischen Verschwörung mehrere Konspirateure ohne regulären Prozess hinrichten lassen hatte. Damals vom Senat gestützt und als Retter der Republik gefeiert, war die Stimmung inzwischen gekippt und sein Intimfeind Clodius versuchte Cicero auszuschalten. In dieser ausweglosen Situation griff Cicero auf einen squalor zurück:24 So von der Gefahr und der Anklage bedroht, legte er Trauerkleidung an, ließ sich die Haare wachsen und wandte sich schutzflehend an das Volk. […] Aber überall trat ihm Clodius in den Gassen entgegen, begleitet von seinen frechen, mutwilligen Burschen, welche fortwährend in zügelloser Weise über die veränderte Kleidung und Erscheinung Ciceros spotteten, ihn oft mit Kot und Steinen bewarfen und ihm so bei seinem Bittgängen hinderlich waren.
Cicero blieb nichts anderes übrig, als die Verbannung aufzusuchen. Eine bittere Klage über sein Schicksal findet sich bereits zeitnah in einem aus dem griechi22
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Günther (2002) 40 f. fragt für das Bürgertum des 19. Jahrhunderts: Weinten die Schreiber wirklich über ihrem Brief, wenn sie von ihren Tränen schrieben? Ihr zufolge diente die Notiz der Stilisierung der eigenen Person und Gefühlswelt – wahrscheinlich war es nicht. – Fam. 5, 1 verdeutlicht auch die Verkennung des squalor in der Forschung. H. Kasten überging die Bedeutung des Traueraktes auch in vierter Auflage. Er übersetzte ein Hendiadyoin: „Ich fühle mich daher tief getroffen […].“ Hall (2014) 44 glaubt an einen echten squalor; ähnlich ist es in Pis. 89, was Cicero ausschlachtet; vgl. Kap. 14.1. Andernorts ist Hall (2014) 66; 107 f. kritischer und merkt an, dass man Bittgesten und Tränen in Ciceros Reden nicht immer wörtlich nehmen darf. Zur Rolle der pietas Kap. 12.1; laut MRR II, 183 verließ Celer die Stadt nicht mehr. Plut. Cic. 30, 4–31, 1 (Übers. K. Ziegler): κινδυνεύων οὖν καὶ διωκόμενος ἐσθῆτά τε μετήλλαξε καὶ κόμης ἀνάπλεως περιιὼν ἱκέτευε τὸν δῆμον.[…] πανταχοῦ δ’ ὁ Κλώδιος ἀπήντα κατὰ τοὺς στενωπούς, ἀνθρώπους ἕχων ὑβιστὰς περὶ αὑτὸν καὶ θρασεῖς, οἲ πολλὰ μὲν χλευάζοντες ἀκολάστως εἰς τὴν μεταβολὴν καὶ τὸ σχῆμα τοῦ Κικέρωνος, πολλαχοῦ δὲ πηλῷ καὶ λίθοις βάλλοντες ἐνὶσταντο ταῖς ἱκεσίαις. – Vgl. Kap. 13.2 und 14.1 zum Vorgehen von Ciceros Gegnern.
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schen Exil verfassten Brief an Atticus.25 Kurz darauf reflektierte Cicero erstmals ausgiebig über die Ereignisse. Dabei beklagt er seine eigene Fahrlässigkeit und Naivität:26 Das erste Gesetz traf mich ja überhaupt nicht; hätte ich es gleich nach seiner Veröffentlichung loben oder, was es verdiente, unbeachtet lassen wollen […]. Blind, blind, sage ich, war ich, dass ich Trauerkleider anlegte und beim Volk betteln ging; das musste mir ja zum Verderben ausschlagen, zumal man eigentlich überhaupt gar nicht beabsichtigte, gegen mich persönlich vorzugehen.
Cicero bewertet hier seine Entscheidung, die Kleider zu wechseln, vor dem Hintergrund seiner Folgen und kommt zu dem Schluss, dass er einen schweren Fehler begangen habe. Er hatte sich sogar gezwungen gesehen, freiwillig in die Verbannung zu gehen, ehe er verurteilt würde oder es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen käme. Das Gesetzeswerk des Clodius beschäftigte Cicero noch während seines Exils, als er sich eingestehen musste, dass die lex Clodia de capite civis zunächst gar keinen unmittelbaren Bezug auf ihn hatte und er erst mit seiner mutatio vestis die Tötung der Catilinarier als möglicherweise unrechtmäßig eingestand.27 Clodius bemühte sich, nichts nach einer persönlichen Fehde aussehen zu lassen und mied die Erwähnung Ciceros tunlichst. Dieser hingegen schätzte die politische Lage falsch ein. Indem er schäbige Kleider anlegte, als fühle er sich angesprochen wie ein Angeklagter, bekannte er sich zu der Tat, ohne es zu beabsichtigen. Diesen Umstand beklagt er in seinem Brief so ehrlich und selbstkritisch wie in keinem offiziellen Schriftstück. Doch auch diese Reflektion ist mit einer gehörigen Prise Selbststilisierung gepaart: Noch nie habe jemand im Exil so sehr gelitten wie Cicero. Die Episode zeigt die prekäre Position selbst angesehener Konsulare in der ausgehenden Republik. Sie legt zudem Zeugnis davon ab, wie selbst ein Polit-Profi versagen und eine einzige Fehleinschätzung zum Wendepunkt einer bislang makellosen Karriere werden konnte. Diese Bewertung teilte Cicero und ließ keine Gelegenheit ungenutzt, die Umstände, die er im Brief an Atticus als Ursache seines eigenen Verhaltens tadelte, in ein positives Licht zu rücken. Einen Reflexionsprozess über eine einzelne politische Praxis in Form von Selbstzeugnissen einer Person, von zwei Seiten nachvollziehen zu können, ist ein Glücksfall und für Trauerszenen singulär, denn nach seiner Rückkehr aus Griechenland hielt er eine Reihe öffentlicher Reden, in denen er sein Verhalten vor der Verbannung zu rechtfertigen suchte. 25
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Cic. Att. 3, 10, besonders 2: quo caream honore, qua gloria, quibus liberis, quibus fortunis, quo fratre? quem ego, ut novum calamitatis genus atiendas, cum pluris facerem quam me ipsum semperque fecissem, vitavi ne viderem, ne aut illius luctum squaloremque adspicerem aut ne me, quem ille florentissimum reliquerat, perditum illi adflictumque offerrem. mitto cetera intolerabilia; etenim fletu impedior. – Zur Episode Hall (2014) 45–8. Cic. Att. 3, 15, 5 (Übers. H. Kasten): quam si, ut est promulgata, laudare voluissemus aut, ut erat neglegenda, neglegere, … caeci, caeci, inquam, fuimus in vestita mutando, in populo rogando, quod, nisi nominatim mecum agi coeptum esset, fieri perniciosum fuit. – Zu Ciceros Reue Will (1991) 75 A. 122; Kath (2012) 73. Zur lex Clodia de capite civis Kelly (2006) 110–25; 227–9, Benner (1987) 54 f.; Bleicken (1975) 207; 458. Hier liegt ein bestens bezeugter Fall einer aqua et igni interdictio vor; Crifò (1984); Grasmück (1977); Kap. 2.2.
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Insgesamt versucht Cicero die Verantwortung für seine Traueraktion auf Clodius und die beiden Konsuln des Jahres 58 v. Chr., Piso und Gabinius, abzuwälzen, die einen Erfolg seiner Darbietung im Keim erstickt hätten. Dadurch erhofft er, Verständnis für seine Fehleinschätzung zu erhalten, denn die missglückte Traueraktion war nicht nur situativ peinlich, weil er von den Leuten des Clodius mit Schmutz beworfen, beleidigt und vom Forum gedrängt wurde, seine Anhänger die Trauer ablegen mussten. Da die Aktion für sein gesamtes, ungeschicktes Verhalten in der Auseinandersetzung mit Clodius stand, blieb sie auch im Nachgang präsent – sowohl in der Öffentlichkeit als auch für Cicero selbst.28 Vor dem Senat griff Cicero Clodius direkt an. Dieser hätte Ciceros squalor verhindert und den seiner Anhänger missachtet; dies sei, wie der Familie die Trauer um einen Toten zu verwehren und komme einem Trauerverbot gleich. Überhaupt lege Clodius ein beispiellos tyrannisches Verhalten an den Tag, wenn er trotz des Beschlusses zur mutatio vestis weiterhin Alltagskleider trage.29 Ein ähnlicher Vorwurf ereilt auch die Konsuln von 58 v. Chr., die ihm die Unterstützung versagt hatten. Selbst als alle dem Gremium nachkamen, habe sich Clodius demonstrativ in der toga praetexta gezeigt und versucht Ciceros Anhänger vom Trauern abzuhalten, indem er das consultum hintertrieb.30 Aus Plutarch weiß man, dass Clodius die Kurie umstellen ließ, um den Beschluss zur mutatio vestis zu verhindern.31 Ciceros mehrfache Erwähnung von Senatoren und Rittern, die ihm in seiner Aktion gefolgt wären, verweist auf den Versuch einer Kompensation seines Misserfolgs. Auch auf die Gesetzgebung des Clodius nimmt Cicero Bezug, wenn er diese als Ausnahmegesetze bezeichnet, derentwegen der Senat die Kleider wechselte. Vermutlich meint
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Leider wird nicht ganz klar, ob die individuelle oder kollektive mutatio vestis zuerst stattfand. App. civ. 2, 55 f. schweigt; Plut. Cic. 30 f. und Cass. Dio 38, 1, 47 berichten den alleinigen squalor zuerst, sind aber wie Cicero selbst uneindeutig; zu den Reden Nicholson (1992); zu den Rhetoriken Dugan (2005); die Briefe bei Oppermann (2000); zum Scheitern auch Kap. 13.2; Stroux (1929) 63 A. 4 votiert für den Alleingang Ciceros an erster Stelle, dem man sich anschloss; umgekehrt Hall (2014) 46, nach dem der kollektive Trauerakt des Senats gegen Nepos (s. o.) Vorbild für den squalor der Cicero-Anhänger gewesen sein soll. Cic. Red. Sen. 12: Idemque postea, cum innumerabilis multitudo bonorum de Capitolio supplex ad eum sordidata venisset, cumque adulescentes nobilissimi cunctique equites Romani se ad lenonis impudicissimi pedes abiecissent, quo vultu cincinnatus ganeo non solum civium lacrimas, verum etiam patriae preces repudiavit! – Zur außergewöhnlichen Größe der Demonstration Stroux (1929) 63; zu Trauerverboten Kap. 14.1. Cic. Red. Sen. 12; zur Weigerung des Clodius, an kollektiven Trauerakten teilzunehmen, Kap. 5.3; zu Ciceros Invektiven gegen Piso Meister (2009); zu seinen Leiden im Exil Hall (2014) 101 f. Plut. Cic. 31, 1; ferner erwähnt Plut. Crass. 13, 4 den Sohn des Crassus als Initiator der jugendlichen Unterstützer in Trauerkleidung, von denen in der Cicero-Vita die Rede ist: ὁ γὰρ Πόπλιος ὢν φιλολόγος καὶ φιλομαθὴς ἐξήρτητο τοῦ Κικέρωνος, ὥστε καὶ συμμεταβαλεῖν αὐτῷ τὴν ἐσθῆτα κρινομένῳ καὶ τοὺς ἄλλους νέους ταὐτὰ ποιοῦντας παρασχεῖν. – Interessant ist auch die narrative Klammer, die Plut. Cic. 48, 4 einfügt; so lässt er Cicero im Zuge der Szene seiner Ermordung erneut schmutzig und verwildert auftreten: … αὐχμοῦ καὶ κόμης ἀνάπλεως καὶ συντετηκὼς ὑπὸ φροντίδων τὸ πρόσωπον … Ähnliches bei Vitellius; siehe Kap. 15.
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er damit die auf ihn selbst gemünzte Anordnung mutatio vestis, die ihn trotz der verhinderten Umsetzung mit Stolz erfüllte.32 Der Grundton dieser Worte ist ein ganz anderer als im Brief an Atticus. Es soll kein Fehler eingestanden, sondern ein und dieselbe Begebenheit als glorreicher Sieg verkauft werden. Tatsächlich scheint es – wenn man der lückenhaften Überlieferung und Ciceros Worten nicht aufsitzt – zu keinem anderen Fall gekommen zu sein, bei dem ein Beschluss mutatio vestis durch den Senat gebilligt wurde, um eine Einzelperson zu unterstützen. Umgesetzt wurde die Vorlage freilich nicht. Als symbolischer Erfolg war Ciceros Trauerakt zu lesen, da er die manipulative und demagogische Politik des Clodius entlarvte.33 Instrumentell scheiterte er. Die Wahl seiner Mittel versuchte Cicero hingegen anders zu begründen. Er erwähnt, dass er nicht der erste war, der in der Öffentlichkeit unter Einsatz verschiedener Trauerzeichen auftrat, um gegen eine Verbannung vorzugehen. Schon eine Generation vor ihm sei die gens Metella in Lumpen auf dem Forum umhergegangen, um für die Rückberufung des Metellus Numidicus zu bitten; eine ähnliche Aktion deutet er für P. Popilius Laenas und Marius an.34 Popilius war angesichts der lex Sempronia de capite civis in eine ähnliche Situation geraten wie Cicero und wurde als erster Bürger Roms überhaupt aus dem Exil zurückgerufen.35 Das Beispiel des Laenas gehörte zu den Lieblingsgeschichten Ciceros, wenn er auf seine Verbannung zu sprechen kam, aber auch Numidicus war beliebt.36 Weil Marius in Lumpen aus dem Exil zurückkehrte und einen Bürgerkrieg auslöste, hält Cicero dieses Beispiel kurz. Sowohl Numidicus als auch Laenas wurde letztlich die Rückkehr gestattet; insofern eigneten sich ihre exempla hervorragend für Ciceros Zweck. Jedoch verschweigt er zwei grundlegende Tatsachen. Erstens bedurfte es nahezu zwei Jahre, ehe Numidicus die Rückkehr gestattet wurde, auch dann erst unter mas32 33 34
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Cic. dom. 26: … lugente senatu, maerentibus bonis omnibus, totius Italiae precibus repudiatis, oppressa captaque re publica … Namenhafte Unterstützer waren Ninnius, Curio und Hortensius; vgl. Cass. Dio 38, 16, 2 f. Daran wird gut ersichtlich, dass Trauerakte eine symbolisch-expressive und eine instrumentelle Seite besitzen: Mit seinem Anliegen scheiterte Cicero, mit seiner Botschaft blieb er im Gedächtnis seiner Standesgenossen; zum Ansatz Kap. 1.3. Cic. Quir. 6: … ut pro Q. Metello, clarissimo viro, iam spectata aetate filius, non L. Diadematus consularis, summa auctoritate vir, non C. Metellus censoris, non eorum liberi, non Q. Metellus Nepos, qui tum consulatum petebat, non sororum filii, Luculli, Servilii, Scipiones; permulti enim tum Metelli aut Metellarum liberi pro Q. Metelli reditu vobis ac patribus vestris supplicaverunt. Quod si ipsius summa dignitas maximaeque res gestae non satis valerent, tamen filii pietas, propinquorum preces, adulescentium squalor, maiorum natu lacrimae populum Romanum movere potuerunt. – Siehe auch Red. Sen. 37. Zur Verwendung dieser exempla bei Cicero Bücher (2006) 245–9. Die Spuren für den squalor des Popilius sind dürftig, vgl. Diod. 34, 26, 1, wo von den Tränen seiner Begleiter aus der Stadt die Rede ist; ferner Cic. Rab. Perd. 12; Catil. 4, 10; dom. 82; 87; rep. 1, 6; leg. 3, 26; Brut. 128; Vell. 2, 7, 4; Plut. C. Gracch. 4, 1–3. Vgl. Kelly (2006) 167 f.; zum Vorgehen des Popilius gegen Tiberius Gracchus’ Anhänger: Cic. Lael. 37; Val. Max. 3, 7, 1. Laenas: Cic. Cluent. 95; dom. 82; 87; leg. 3, 26; Numidicus: Verr. 2, 4, 147; Arch. 6; Red. Sen. 25; Sest. 130; Brut. 135; Att. 1, 16, 4, was zeigt, dass Cicero die Episoden schon vor seinem Exil wohl bekannt waren; siehe auch van der Blom (2010) 195–203; Bücher (2006) 242–50; Kelly (2006) 32–4; vgl. Robinson (1994).
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siver Gegenagitation der Popularen. Auch die Heimkehr des Laenas war nicht nur dem Einsatz seiner Familie, sondern vor allem dem vorzeitigen Tod des C. Gracchus geschuldet. Damit waren beide Traueraktionen nur mittelbar von Erfolg gekrönt. Zweitens waren es jeweils die Angehörigen – nicht die von der Verbannung Bedrohten –, die sich gegen die Exilierung aussprachen, als ihre Verwandten schon längst den Weg in die Verbannung antreten mussten. Allerdings gebraucht Cicero die beiden Beispiele nicht nur, um die Wahl der Mittel zu legitimieren, sondern er versucht zudem, sein Scheitern vor der Folie historischer exempla zu begründen. Im Gegensatz zu den Metelli und Popilii verfüge er nicht über ein breit gespanntes Netz sozialer Kontakte innerhalb der eigenen Familie und darüber hinaus, denn er sei nur ein homo novus, der sich seine Ehren selbst erarbeitet habe und nicht auf Namenskapital zurückgreifen könne. Daher müsse er auf die bedingungslose Loyalität weniger Personen vertrauen, zu denen er seine Tochter Tullia, doch vor allem seinen Bruder Quintus zählte.37 Dieser habe in seiner Abwesenheit unablässig um seine Begnadigung gefleht und dabei ebenfalls ein schäbiges Äußeres angenommen. Dadurch wiegt er seinen Bruder prätorischen Ranges gegen die Vielzahl hochdekorierter Metelli und ihre amici auf, die er anführt. Wenn es nach seinem Bruder geht, kann es Q. Cicero trotz seiner dignitas nur knapp nicht mit der geballten Ladung symbolischen Kapitals der gens Metella aufnehmen, die eine der einflussreichsten Familien der Republik zwischen 150 und 50 v. Chr. war.38 Damit ehrt er den Bruder und rückt auch sich in ein positives Licht; schließlich war er es, der des Einsatzes wert schien und dem pietas entgegengebracht wurde. Der Rekurs auf Metellus, Popilius und Marius verweist zudem deutlich auf den Diskurs, den Cicero pflegt. Obwohl selbst homo novus, verortet er sich im Dunstkreis dieser viri summi. Als Emporkömmling übererfüllte Cicero die Erwartungen an die politische Klasse. Sein distinguiertes Auftreten stand in deutlichem Widerspruch zu seinem squalor, sodass ihm dieser nicht gut zu Gesicht stand. Clodius wies darauf nachdrücklich hin, indem seine Leute Cicero auf dem Forum attackierten und mit Schmutz bewarfen. Manch homo novus wie Marius gelang es, anderen Quereinsteigern wie dem Tribun Furius nicht, Trauerakte fruchtbar zu machen oder ihre Wirkmacht akkurat einzuschätzen.39 Auch wenn die historischen Beispiele nicht genau auf den Fall des Cicero passen, erklären sie das Verhalten Ciceros. Man sieht gut, wie er einerseits sein Handeln in der Retrospektive danach ausrichtete. Andererseits wird deutlich, dass Cicero die exempla an den Ausgang seiner Aktion
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Der Bruder im squalor: Red. Sen. 7 f.; 145; Quir. 37; dom. 59, hier auch die Tochter: quid mea filia, cuius fletus adsiduus sordesque lugubres vobis erant iucundae, ceterorum omnium mentis oculosque flectebant. Zu den Caecilii Metelli Hölkeskamp (2016); ferner die prosopographische Studie von van Ooteghem (1967). Zu Marius Val. Max. 2, 10, 6; Gran. Lic. 35, 8 Criniti; Plut. Mar. 41, 4, wo in Bezug auf das Exil des Marius eine Trauersemantik sehr deutlich wird; zu Marius als Beispiel bei Cicero van der Blom (2010) 203–8; die exempla in den Briefen bei Oppermann (2000) 59–63; zu Furius Kap. 11.2; zum Vorgehen der Clodianer gegen Cicero Kap. 13.2.
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anpasste. Der flexible Umgang mit beispielhaftem Handeln hatte also Auswirkungen auf die Verwendung und Besprechung von Trauerszenen.40 Historische Fakten bildeten die orationes damit nicht ab. Die Geschehnisse sind nur in Verbindung mit der historio- und biographischen Parallelüberlieferung zu rekonstruieren. Von Clodius, Gabinius, Piso oder anderen Beteiligten liegen keine Zeugnisse vor. So überrascht nicht, dass Cicero die literarische Retrospektive auf die Begebenheit monopolisieren konnte. Die Klassizität Ciceros führte dazu, dass seine Sicht der Dinge dominierte.41 Plutarch etwa verwendet in seiner Biographie vermutlich den Cicero-Kommentator Asconius. Allerdings lässt sich aus den Berichten späterer Autoren erahnen, dass es einen Überlieferungsstrang neben Cicero gab. Bei Appian kann man eine gegenteilige Tradition feststellen. Vermutlich griff er auf das Werk des Asinius Pollio zurück, der Ciceros Laufbahn ambivalent schilderte. Cicero habe immer als Verteidiger in Prozessen geglänzt, aber als ihn die Anklage selbst traf, habe er mit unredlichen Mitteln versucht, die Verhandlung zu beeinflussen. Clodius habe dem „demütigen Bitten Ciceros“ in den Straßen ein Ende gesetzt. Die Unterstützung Ciceros durch seine Anhänger erwähnt Appian nicht, während er das Eingreifen des Clodius begrüßt. Das durch Zeichen und Gesten vermittelte Anliegen Ciceros tut er als unwürdig ab.42 Dass Cicero ähnlich empfand, legt der Brief an Atticus nahe. Tatsächlich verweisen die meisten Bemerkungen zur mutatio vestis im Rahmen dieser Episode auf den Kleiderwechsel der Verwandten, Freunde und Anhänger. Der Rhetor führt nur in seinem Brief an Atticus aus, dass er selbst in Trauer ging. Selbst auf diese Weise aufgetreten und dabei vom Volk abgewiesen worden zu sein, verschweigt Cicero in seinen Reden konsequent. Gleichzeitig trug die Überzeugung, nur im Stile vorbildlicher nobiles wie der Metelli und Popilii gehandelt zu haben, dazu bei, dass die Agitation gegen Clodius eindringlicher auf das Publikum seiner Reden wirkte. So gewann Cicero auch die Sympathien der Zuhörer, was nicht unwesentlich zur Deutungshoheit über die Episode beitrug. Damit betrieb Cicero nicht nur historische Verklärung, sondern vermengte zeitgenössische Apologie und Propaganda, denn mal besteht das Volk für ihn aus edlen Quiriten, dann wieder aus dem Clodius hörigen Pöbel. Die Sicht eines Augenzeugen und Akteurs wie Cicero ist nicht hoch genug zu schätzen. Gemessen an der übrigen Überlieferung bietet sie ein außerordentliches Maß an Informationen, auch wenn Details zu bezweifeln sind. Tatsächlich liefert kein antiker Zeitgenosse einen so tiefen Einblick in die Innensicht des squalor wie Cicero. Auch in seinen Verteidigungsreden verweist er immer wieder auf diese Praxis vor Gericht. Jedoch muss auch bei Augenzeugenberichten höchste Sorgfalt wal40 41 42
Zur Rückkopplung zwischen exemplum und Handeln insbesondere Walter (2004a) 52 f., 374– 407; Stemmler (2000); Bücher (2006); Haltenhoff (2001); Hölkeskamp (1996). Zur Verwendung Ciceros durch Quintilian Gowing (2013) 236–9; 244–50; Kaster (1998) 261– 3. App. civ. 2, 55–7; zur Verwendung des Pollio App. civ. 2, 346. Pollio gilt als Feind Ciceros. Neuere Forschung hat darauf hingewiesen, dass Pollio als homo novus Cicero zunächst zum Vorbild hatte; die aktuelle Literatur zu Pollio bei FRHist, Nr. 56; zur Verwendung durch Appian ebd., Vol. I, 439 f. und die Belege bei Hall (2014) 135.
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ten, was die Bewertung der Ereignisse anbelangt. Je höher der Grad der Beteiligung an einer Aktion, umso mehr Vorsicht ist bei der Behandlung des Auszuges geboten. Wie die Trauerinszenierung für sich, dient die nachträgliche Thematisierung der Ereignisse der Selbststilisierung. Damit bedarf das Selbstzeugnis einer anderen Stufe der quellenkritischen Hermeneutik als historiographische Texte. Ein EgoDokument für eine politisch motivierte Traueraktion stellt dennoch eine ebenso wertvolle Quelle für den modernen Historiker dar wie ein literarischer Bericht. Dass man im Fall des Zeitzeugen mit ganz anderen Problemen konfrontiert ist als bei historiographischen und biographischen Passagen, liegt nicht zuletzt an den genrespezifischen Eigenheiten eines Textes, der bekannte oder fremde kulturelle Praktiken in eine andere Epoche oder Region verlegt.43 3.2 AUSHANDELN ZWISCHEN VORBILD UND VORLAGE: DIE KOLLEKTIVEN TRAUERAKTE DES LIVIUS „Übersetzung“ von Figuren, Zeichen, Gesten und Mentalitäten, wie sie Th. Späth behandelt, liegt nur bei einem überschaubaren Teil der Geschichtsdarstellungen und Lebensbeschreibungen auf der Hand. Antike Historiographen übernahmen bereits befangene Quellen oder sie orientierten sich gezielt an einer Tradition. Das verwirrt einerseits, da sowohl wissenschaftliche Ansprüche an heutige Historik nicht erfüllt, als auch Lesegewohnheiten auf die Probe gestellt werden. Andererseits kann es irritieren, wenn bewusst ein Konfliktpartner favorisiert wird, ohne Parteilichkeit preiszugeben. Aber auch Elemente einer literarischen Dramatisierung der Ereignisse finden sich in zahlreichen historischen Darstellungen wieder, um den Leser bei der Fülle des Materials bei Laune zu halten. Die Forschung hatte diese Form mediativer Vermittlung als Verhältnis von structural facts und narrative superstructure beschrieben und besonders für die römische Frühzeit postuliert.44 Damit gelangt man in den Bereich, dem Livius und viele andere Historiker der frühen bis hohen Kaiserzeit zuzurechnen sind, die die Grundlage zahlreicher in der Untersuchung verwendeter Texte bilden. Die maiores neigten nicht dazu, Ereignisse zu verschriftlichen. Aufzeichnungen setzten erst mit der Notwendigkeit ein, das römische Zusammengehörigkeitsgefühl und die Identität als Bürger der Stadt im Laufe des die Römer existentiell bedrohenden Hannibalkrieges zu stärken.45 Die historische Gedächtnisforschung 43 44
45
Zum forensischen Gebrauch symbolischer Trauerakte in Praxis und Theorie Kap. 2.2, 9.1; 11.1. Die Forschungsgeschichte zur römischen Archaik im Reader von Richardson/Santangelo (2014); zu gegensätzlichen Positionen die grundlegenden Studien von Cornell (1995) als (naiver) „Optimist“ und Wiseman (1979) als (radikaler) „Skeptiker“ der Glaubwürdigkeit frührömischer Überlieferung; die Debatte gut greifbar in den Beiträgen von Raaflaub (2005a). Zum Quellenwert unhistorischer Narrative, auch bei Plutarch, Walter (1999), der darauf abhebt, nicht die Frage nach Historizität zu stellen, sondern danach zu suchen, „warum und wie das frühe Rom erinnert, seine Geschichte immer wieder erzählt und (re-)konstruiert“ wurde. Vgl. FRH II, 110–6; Mehl (2014); zu Livius zumindest Wiseman (2008) 24–38 und Pausch (2011).
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lehrt, dass die mündlich tradierte, kollektive Erinnerung lediglich bis in die Großvätergeneration zurückreicht, ohne schriftlich fixiert zu werden. Damit besitzt man für die Zeit vor dem Hannibalkrieg zwar einige Berichte, aber nur wenig(e) glaubwürdige, die höchstens bis in das Jahr 300 v. Chr. zurückreichen. Doch gerade für das dritte Jahrhundert v. Chr. ist keine einzige Trauerszene belegt, die nicht in diesen Konflikt datiert.46 Das mag an der mangelhaften Überlieferung des Ersten Punischen Krieges und dem Desinteresse des Polybios an Dramatisierungen liegen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass symbolische Trauerakte erst ab dem Zweiten Punischen Krieg auftraten und im Lauf des folgenden Jahrhunderts Verbreitung fanden (vgl. Kap. 2.1). Livius ist derjenige Autor, der neben Cicero die meisten Trauerszenen überliefert. Allerdings ist sein Geschichtswerk nur fragmentarisch erhalten. Lässt man Fragmente und Inhaltsangaben späterer Bücher außen vor, umfasst der überlieferte Text eine Zeitspanne zwischen der Gründungsgeschichte und dem Jahr 167 v. Chr. mit einer großen Lücke im dritten Jahrhundert. Dennoch liefert Livius über zwanzig Trauerszenen. Etwa die Hälfte behandelt er in den problematischen frühen Büchern. Die erste begegnet gleich im Gründungsmythos der Stadt Rom. Livius lässt die Sabiner ob des Raubes ihrer Töchter durch Romulus und seine Männer in schmutzigen Kleidern umhergehen, um ihr Leid und Unrecht zu beklagen.47 Bemerkenswert an der Erzählung ist, dass Livius diesen Brauch bei der ersten Erwähnung nicht Römern, sondern den nicht-römischen (aber sehr wohl latinischen) Sabinern zuschreibt. Das lässt zwei Schlüsse zu: Entweder galt ihm die Sitte nicht als ursprünglich römisch oder sie war so bekannt, dass er erwartete, sie würde auch von Nachbarkulturen praktiziert. Insgesamt bleibt das Verhältnis zu fremden Kulturen bei Livius ambivalent. Es geht weit über die Sabiner hinaus und schließt mit der Mehrung des Reichsgebietes letztlich sogar Ägypten ein. Viele als fremd gezeichnete Gestalten, die im Folgenden begegnen, galten in augusteischer Zeit bereits als römisch. Bei aller kultureller Differenz einten sie letztlich die pax Romana, das Imperium und bisweilen das römische Bürgerrecht, die ethnischen Unterschieden 46 47
Dunkel ist Cass. Dio 8, 16 frg., der von einer kollektiven Traueraktion der Römer am Ende des Zweiten Samnitenkrieges berichtet; es ist unklar, ob die Römer wegen der wenigen Gefallenen „echt“ trauern oder wegen der Schmach der vielen Geretteten – also symbolisch. Liv. 1, 10, 1: Iam admodum mitigati animi raptis erant; at raptarum parentes tum maxime sordida veste lacrimisque et querellis civitates concitabant. – Vgl. Hall (2014) 42. Plut. Rom. 19 geht nur auf die aufgelösten Haare und die Kinder, nicht aber Kleidung ein. An wen sich der Trauergestus richtet, wird nicht klar. Livius scheint eine innere Haltung der Sabiner ausdrücken zu wollen, denn das Zwingende der Trauersymbolik bleibt verborgen. Allein der Aufruf zur Rache am Verbrechen durch die Römer und das performative Einschwören auf den kommenden Konflikt kommen in Frage. Dion. Hal. 2, 45, 5 dagegen kehrt die Situation um: Hier gehen die Geraubten selbst in Trauerkleidung umher, um bei ihren Verwandten darum zu bitten, von einem Krieg gegen die Römer abzusehen, da er die Väter ihrer Kinder, die sie demonstrativ mit sich führen, bedrohe. Hier steht das vermittelnde Moment im Vordergrund: μετὰ τοῦτο ἐξῄεσαν ἐσθῆτας ἔχουσαι πενθίμους, τινὲς δὲ αὐτῶν καὶ τέκνα νήπια ἐπαγόμεναι. – Dazu auch Liv. 1, 13, 1: Tum Sabinae mulieres, quarum ex iniuria bellum ortum erat, crinibus passis scissaque veste … Ferner Cass. Dio. 1, 5, 7 frg.; zum Zerreißen der Kleider und Raufen der Haare bei Trauer Kap. 6; vgl. Kowalewski (2002) 17–33.
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übergeordnet waren.48 Aufschlussreich ist zudem, dass Livius die Praxis scheinbar ohne Bedenken an die Ursprünge des römischen Gemeinwesens versetzte. Aus diesem Grund liegt die Vermutung nahe, dass von der zweiten Option zur Erklärung der frühen mutatio vestis bei Livius auszugehen ist – allgemeine Vertrautheit mit der Praxis. Die letzte Episode bei Livius, deren Historizität fraglich bleibt, folgt einem ähnlichen Schema. Als die Tusculaner, ein zunächst unterworfenes und dann verbündetes Nachbarvolk der Römer, um 323 v. Chr. vom Tribunen M. Flavius angeklagt wurden, sie hätten ohne Erlaubnis der Römer zum Zweck der Selbstverteidigung zu den Waffen gegriffen, kam es zu einer Trauerszene, die einen eindringlichen Bittcharakter besaß. Die Tusculaner kamen mit ihren in Schmutz gehüllten Frauen (und Kindern) nach Rom. Das Auftreten erweckte soviel Mitleid, dass die Klage fallen gelassen worden sei.49 Demgegenüber lassen sich drei Episoden in historischer Zeit finden, die – wenn nicht in ihrem Anlass, so doch in ihren Verlaufsschemata – vergleichbar sind. Neben den Sikulern (208 v. Chr.), Lokrern (204 v. Chr.) und Ägyptern (169 v. Chr.) ist die Begebenheit um die Rhodier besonders gut bezeugt.50 Nachdem sie im Dritten Makedonischen Krieg – ähnlich wie die Tusculaner – eigene Interessen verfolgt hatten, fielen sie in Ungnade und erbaten eine Audienz im Senat (167 v. Chr.). Dieses Anliegen wurde abgelehnt, woraufhin sie dreckige Gewänder anlegten und bei den Senatoren von Tür zu Tür gingen.51 Nach langen Debatten – bei denen wie bei den Tusculanern ein Tribun auftritt – wurde den Rhodiern doch der Zugang zum Senat gewährt. In der Kurie warfen sie sich unter Tränen zu Boden und führten mehrfach ihr jämmerliches Aussehen an, zu dem sie gezwungen seien, um an das Mitgefühl der Senatoren zu appellieren. Vieles spricht dafür, dass diese Begebenheit, vielleicht auch in Verbindung mit den anderen zu Sikulern, Lokrern und Ägyptern, Livius als Vorlage für die beiden Trauerszenen im ersten und achten Buch diente. Während die Geschehnisse um die Sabiner zum Teil dem in augusteischer Zeit herrschenden Diskurs, zum Teil der 48 49
50
51
Liv. 34, 9, 3 zeigt das für die spanische Stadt Emporion: Nunc in corpus unum confusi omnes Hispanis prius, postremo et Graecis in civitatem Romanam adscitis. Liv. 8, 37, 8–12, besonders 9 f.: Populus Tusculanus cum coniugibus ac liberis Romam venit. Ea multitudo veste mutata et specie reorum tribus circuit genibus se omnium advolvens; plus itaque misericordia ad poenae veniam impetrandam quam causa ad crimen purgandum valuit. – Siehe zudem Val. Max. 9, 10, 1, wo auch von Kindern die Rede ist; vgl. Kath (2012); 70; Naiden (2006) 32; 50; 59 f.; 120. Die Sikuler: 26, 29, 2; Lokrer: 29, 16, 6; Ägypter: 44, 19, 6 f. – Die genannten Fälle auswärtiger Völker und Delegationen umschreiben gleichsam einen Typ von Trauerakten, der im Kapitel zur Aneignung von Elementen der deditio in fidem als Unterwerfungsritual beleuchtet wird; vgl. Kap. 9.3. Siehe auch Liv. 45, 4, 2, wo drei legati des Perseus auftreten und die Aitoler bei Liv. 45, 28, 2 (167 v. Chr.), die aber keine Gesandtschaft stellen, sondern durch das Land streifen; zu vergleichbaren Fällen bei Tacitus vgl. Kap. 15. Liv. 45, 20, 10: Extemplo veste sordida sumpta domos principum cum precibus ac lacrimis circumibant orantes, ut prius cognoscerent causam quam condemnarent. – Siehe auch Polyb. 30, 4, 5; Diod. 31, 5, 3; zur politischen Konstellation Wiemer (2002) 317–25; Deininger (1971) 204–7.
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Kreativität des Livius entspringen, ist bei den Tusculanern Zurückhaltung angeraten. Infolge der Auseinandersetzungen mit Rom im vierten Jahrhundert v. Chr. wurden die Tusculaner sukzessive in das römische Gemeinwesen integriert. Dennoch wahrten sie eine gewisse lokale Identität, weshalb eine eigene Tradition, die den Konflikt von 323 v. Chr. beinhaltete, denkbar ist. Ob Livius diese Überlieferung zugänglich war, ist ungewiss, aber er erwähnt im sechsten Buch, dass sein Bericht nun schriftlichen Zeugnissen folgen könne.52 Zudem scheint die Episode allgemein bekannt gewesen zu sein. Valerius Maximus führte sie fast 400 Jahre später unter seinen exempla der Rache an: Jeder wisse, warum die tribus Papiria, in der Tusculum später aufgegangen sei, nie einen Bewerber aus der tribus Pollia unterstütze: Sie sei es gewesen, die als einzige trotz des Demutsgestus für eine Bestrafung der Tusculaner gestimmt habe.53 Die Affäre war demnach tief im kollektiven Gedächtnis der Tusculaner verankert. Der Erfolg ihrer mutatio vestis, der nur bei einer einzigen Tribus nicht fruchtete, könnte anderen sozialen und kulturellen Gruppen Anlass gegeben haben, es ihnen gleichzutun, wenn sie mit Rom in Streit gerieten. Dass erfolgreiche Praktiken aufgenommen und nachgeahmt wurden, ist kein Einzelfall. Begabte Feldherren wussten oder es wurde ihnen nachgesagt, dass sie sich demonstrativ an den Schanzarbeiten beteiligen sollten und von Zeit zu Zeit das Lager mit ihren Legionären zu teilen hatten; so taten es Caesar, vor ihm bereits Scipio Aemilianus und Marius.54 Hier stellt man die eingangs besprochene Wechselwirkung zwischen überliefertem Handeln und historiographischem Bericht fest. Historische Akteure nutzten die mündliche oder schriftliche Überlieferung, um sich Anregungen für ein erfolgreiches Auftreten und Selbstinszenieren im öffentlichen Raum einzuholen. Mitunter fügten sie dem Exempel Elemente eigener Wahl hinzu und wurden ihrerseits zu einem neuen Beispiel gelungenen oder missratenen Verhaltens.55 Damit hatten sie nicht nur Einfluss auf die Tradierung ihrer eigenen Geschichte, sondern Autoren dieser Zeit nutzten die daraus gewonnene Detailkenntnis als Augen- oder Ohrenzeugen – vielleicht auch nur aus geringerer historischer Distanz –, um ältere exempla besser verstehen, beschreiben und erklären zu können.56 Bei Fällen, die in eine Phase der unsicheren Quellenlage datieren, muss man annehmen, dass sie zumindest im Kern als role model57 für spätere Begebenheiten herhalten konnten – manche vielleicht sogar dafür geschaffen wurden, während zugleich jüngere, als historisch geltende Anekdoten auf die literarische Ausklei52 53 54 55 56 57
Liv. 6, 1, 1–3. Zur politischen Konstellation und Überlieferung Linke (2013) 76 f.; 86–9. Val. Max. 9, 10, 1: qui cum coniugibus ac liberis squalore obsiti supplices Romam venissent … Dionysios von Halikarnassos lag vermutlich schon eine andere Tradition vor, wie der gänzlich andere Bericht zu Tusculum vermuten lässt; dazu Dion. Hal. 14, 6, 2 f.; zu schanzenden Nobiles Flaig (1993); (2003a) 21. Ähnliches für republikanische Reden und exempla zeigt Stemmler (2000). Zum Wert der exempla bei Livius Chaplin (1993); für die Bedeutung der exempla in der römischen Geschichtsschreibung Roller (2009); siehe auch oben zu Ciceros Verwendung von exempla; zu Livius’ Quellen auch Wiseman (2008) 24–38. Role model in der römischen Geschichte bei Walter (2004b); (2003); zum Konzept Merton (1995) 217–68; ferner Beck (2008) und Blösel/Hölkeskamp (2011) mit Bezug auf Luhmann.
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dung eines älteren Ereignisses zurückwirkten. Demnach sollte man, was die historiographische Darstellung betrifft, von einem Wechselspiel zwischen belegbaren (Vorlage) und unhistorischen bzw. nur schwer greifbaren Vorkommnissen (Vorbild) ausgehen. Antike Historiographen waren gefragt, zwischen diesen beiden Polen zu vermitteln und ein glaubwürdiges und spannungsgeladenes Narrativ zu entwickeln. Das Verhältnis von Vorbild und Vorlage war gekonnt auszutarieren. Sich dieser gegenseitigen Bedingtheit bewusst zu sein, ist eine zentrale Voraussetzung für die Betrachtung der Trauerszenen bei Livius und anderen Autoren, denn immer wieder begegnet man ähnlichen Abläufen politisch motivierter Traueraktionen.58 Das hieße im Fall der Bitten von Tusculanern bzw. Rhodiern, dass die Griechen sich am erfolgreichen Beispiel der Tusculaner orientierten und möglicherweise neue Elemente hinzufügten, da die Erinnerung ohnehin nur vage war. Das bedeutet nicht, auf Rhodos konsumierte man regelmäßig römische Historiographie. Es zeigt lediglich, dass Griechen von solchen Praktiken Kenntnis besaßen. Schließlich wird erwähnt, dass die Rhodier durchaus Fürsprecher auf Seiten der Römer besaßen, die ihnen die Darbietung eines squalor vor dem Senat mit Verweis auf die Vergangenheit nahelegen konnten.59 Die gut bezeugte Geschichte der rhodischen Delegation wiederum sollte späteren Generationen von antiken Historiographen die Möglichkeit geben, die spärlichen Informationen zum Vorgehen der Tusculaner oder Sabiner literarisch auszugestalten. Auch auf die Berichte zu Sikulern, Lokrern und Ägyptern sowie umgekehrt, wirkte die rhodische Vorlage ein. Das ist unter diskursiver Praxis zu verstehen. Die Berücksichtigung der gegenseitigen Beeinflussung von historischen und narrativen Trauerszenen ermöglicht es zudem, frühzeitliche Quellenbeispiele in die systematische Betrachtung einzubeziehen, ohne sie pauschal als Konstruktion der Nachwelt abzutun, wie es radikale Skeptiker taten. Damit gewinnt man ein breiteres Panorama historischer Kontinuitäten und Wandlungsprozesse.60 Diese Wechselseitigkeit schlägt sich auch anderweitig in der schriftlichen Tradition nieder. Es ist Aufgabe der (ebenfalls diskursiven Praktiken gehorchenden) Historiographie die 58 59
60
Bspw. Liv. 2, 23, 3–4 und 6, 14, 3–7; allerdings können Traditionen bekanntlich auch reine Erfindung sein. Vgl. Assmann (2007) 83; 154. ORF XLII/62–7; Liv. 45, 21, 3 nennt Volkstribunen M. Antonius und M. Pomponius; vgl. Deininger (1971) 206. Nach Liv. 36, 27, 5 riet L. Valerius Flaccus den Aitolern zum Eingeständnis ihrer Schuld und Bitten im Senat anstelle sich auf Paragraphen zu berufen. – Die Auseinandersetzung mit dem Prätor Mn. Juventius Thalna und das Vorgehen der beiden Tribune, ohne den Senat einzubeziehen, scheint die Ereignisse in der Zeit des Tiberius Gracchus zu antizipieren. Es sei zudem darauf hingewiesen, dass Thalnas Familie aus Tusculum stammte; vgl. Cic. Planc. 19; Brennan (2001) 119 f. Pomponius wiederum wendete sich als Prätor gegen eine solche Politik und wies Rhetoren aus; Kath (2012) 75. Vgl. die Positionen in Anm. 44. Pausch (2011) 242–6 hat zudem darauf aufmerksam gemacht, dass solche scheinbaren Doppelungen selten im Detail identisch sind, und sie als Teil der Erzählstrategie gedeutet. Damit solle einerseits Spannung beim Rezipienten erzeugt werden, ob das bereits bekannte Muster der Abläufe gleich bliebe oder durchbrochen werde. Andererseits vermittle es dem Leser ein gutes Gefühl, sich in der römischen Geschichte zurechtzufinden, wenn er ähnliche Ereignisse wiedererkenne; zu solchen narrativen Strategien überhaupt Koschorke (2012).
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3. Zwischen Diskurs und Praxis: Die narrative Performanz der Trauerszenen
Fremdheit der Vergangenheit – mitunter auch der historischen Tiefe der eigenen Sprache – mit einem aktuellen Bezug zu den Geschehnissen zu verknüpfen. Die pädagogische Aufgabe des antiken Historiographen stellte es dar, die historische Distanz zwischen Erzählstoff und Leser zu überbrücken, ohne die Exotik der Altertümer zu vernachlässigen und an Reiz für den Rezipienten zu verlieren. Mit den bisherigen Passagen bewegt man sich nur innerhalb des livianischen Geschichtswerkes. Kollektive Trauerszenen boten sich besonders an, diese Interpendenz zu zeigen, auch wenn es ebenso gut für allein dargebotene Trauerakte möglich ist. Komplexer wird das Wechselspiel zwischen Vorbild (Tusculaner) und Vorlage (Rhodier), wenn man Ereignisse rekonstruiert, die durch Livius nur als role models überliefert sind, während die Vorlage verloren oder außerhalb seines Werkes zu suchen ist. Dass derartige Hinweise bei anderen Autoren auftauchen, kommt vor. Ein solches Verhältnis weisen die Fälle von Appius Claudius und T. Annius Milo oder die Beziehung zwischen den Berichten von M. Livius Salinator und C. Marius auf.61 Auch hier ist eine Wechselwirkung zwischen historischem Setting des antiken Autors und seinen historischen exempla zu konstatieren, die unter Berücksichtigung überlieferter Handlungsmotive zu einer ganz spezifischen Ausgestaltung frührömischer Geschichte nach den Gesetzen des historiographischen Genres, dem Geschmack des Livius und seiner Zeitgenossen führte. Nicht zuletzt ist das Geschichtswerk neben der Funktion als Speicher exemplarischen Verhaltens vor allem ein Stück Unterhaltungsliteratur, aber auch moralisches Traktat. Dabei darf die narrative Komponente, die literarische Tätigkeit beflügelt, weder übernoch unterschätzt werden.62 Vielmehr hat man es mit einem steten Ringen des Autors um Vorbild und Vorlage zu tun. 3.3 VERSTÄNDNIS UND MISSVERSTÄNDNIS: APPIANS TIBERIUS GRACCHUS Zahlreiche griechischsprachige Autoren schrieben römische Geschichte (z. B. Polybios und Appian) oder machten die römische Kultur zum Gegenstand ihrer literarischen Tätigkeit (etwa Poseidonios oder Plutarch). Dabei waren sie häufig mit dem Problem konfrontiert, römische Sitten und Gebräuche in ihren Worten wiedergeben zu müssen. Sowohl für ein genuin griechischsprachiges als auch des Griechischen mächtigen römisches Publikum war der Stoff nach den jeweiligen traditionellen Mustern aufzubereiten. Das führte unweigerlich zu Schwierigkeiten, denn beide Perspektiven auf einen Sachverhalt konnten deutlich divergieren. Auf Griechisch schreibende Autoren fanden die Worte für das, was einen squalor ausmachte, entlang eigener Institutionen. Dabei entsteht für den modernen Historiker das Problem der Identifikation einer Trauerszene, denn häufig arbeiteten griechischsprachige Autoren mit Termini, die ihrer eigenen Herkunftskultur mehr gerecht wurden als 61 62
Die Fälle des Appius Claudius und Salinator ausführlich in Kap. 14.2 bzw. 6.3. Vgl. Morley (2013) 91–121; Pausch (2011); Koschorke (2012); ferner White (1991) 64–100 bzw. 101–22.
3.3 Verständnis und Missverständnis: Appians Tiberius Gracchus
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der römischen.63 Vor allem die Frage nach der Unterscheidung von Hikesie und Traueraktion gerät damit in den Fokus. Ihre Klärung wird dadurch beeinträchtigt, dass Trauerinszenierungen zahlreiche Gemeinsamkeiten mit einzelnen Formen der supplicatio aufweisen. Auch die Bestimmung von Schnittmengen zwischen Hikesia und supplicatio erweist sich als problematisch.64 Erschwerend kommt die Frage der richtigen Deutung römischer Institutionen durch griechischsprachige und nachgeborene Geschichtsschreiber hinzu, denn sie vermengten häufig den deskriptiven und normativen Anspruch ihrer Darstellung. Der Verfassungsexkurs oder die Beschreibung des nobilitären Leichenzuges durch Polybios geben davon beredt Auskunft.65 Dadurch wird die Interpretation dieser Rituale und Vorgänge für den heutigen Historiker zusätzlich verkompliziert. Das ist auch bei Trauerszenen der Fall, die Appian bezeugt. Appian geizt im Gegensatz zu Dionysios von Halikarnassos, Plutarch oder Cassius Dio mit typischen Trauerszenen.66 Allerdings stellt die Geschichte vom dunklen Kleid des Tiberius eine interessante Passage dar, die es näher zu beleuchten gilt, denn in ihr zeigen sich Probleme beim Umgang mit Autoren, denen Trauerszenen nicht präsent waren. Appian berichtet, wie Gracchus sich genötigt sah, im Vorfeld der entscheidenden Abstimmung über seine Wiederwahl zum Volkstribun die Gewänder zu wechseln:67 In völliger Verzweiflung ging er, obwohl immer noch Volkstribun, im schwarzen Gewand umher, führte seinen Sohn den Rest des Tages auf dem Forum zu jedem einzelnen Mann heran und empfahl ihn seinem Schutz, so als fühlte er selbst seinen baldigen Tod unter den Händen seiner Gegner.
Ein solches Hilfegesuch nannten die Römer quiritatio, weil man sich an die Quiriten richtete.68 Zunächst wird deutlich, welcher Mittel sich Tiberius bediente. Es wird nicht nur die dunkle Kleidung, sondern auch sein Sohn, den er vorführte, erwähnt. Auf den ersten Blick scheint sich die Episode kaum von der des Galba oder 63
64 65 66 67
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Die griechische Terminologie: für den Akt des Kleiderwechsels Plut. Tib. Gracch. 10, 7; 13, 5; Cic. 30, 4; Pomp. 59, 1; Caes. 30, 3; App. civ. 2, 55–7; Cass. Dio 37, 33, 3; 40, 2; 38, 14, 7: ἐσθῆτα μεταβαλεῖν; für schwarze oder dunkle Gewänder: Dion. Hal. 2, 19, 2: μελανείμων; 4, 66, 1: μὲλαιναν ἐσθῆτα; Dion Hal. 5, 17, 2; Cass. Dio 55, 8, 5: φαιὰν ἐσθῆτα; 56, 31, 2 f.; 69, 10, 4: μελανειμονῆσαι; App. civ. 3, 211: μελαίνῃ στολῇ; zu den schmutzigen Kleidern oder nur schmutzig sein: Polyb. 14, 1,13; 32, 3, 8; App. civ. 1, 306; 2, 55; 4, 176: ῥύπος bzw. ῥυπάω; vgl. Dion. Hal. 3, 27, 2, wo der Begriff wie squalidus in dem Sinne verwendet wird, dass etwas mit Schmutz überzogen oder bedeckt ist. Dazu Freyburger (1988); Naiden (2006); Gould (1973); siehe oben Kap. 3 zu Eurylochos und Kap. 9.2 f. Vgl. Miltsios (2013); Linke (2006); dazu mit der jüngeren Literatur auch Hose (2007). Diodor berichtet nur sporadisch vom squalor; historisch sind allein die in der Einleitung genannten Episoden. App. civ. 1, 62 (Übers. O. Veh) verwendet zumeist eine andere Terminologie als die übrigen griechischsprachigen Autoren, um den squalor zu umschreiben (vgl. aber App. civ. 2, 94: ἐσθῆτα μεταλαβόντος): πάντα δ᾿ ἀπογνοὺς ἐμελανειμόνει τε ἔτι ὢν ἔναρχος καὶ τὸ λοιπὸν τῆς ἡμέρας ἐν ἀγορᾷ τὸν υἱὸν ἐπάγων ἑκάστοις συνίστη καὶ παρετίθετο ὡς αὐτὸς ὑπὸ τῶν ἐχθρῶν αὐτίκα ἀπολούμενος. – Vgl. Hall (2014) 16 f. und Cass. Dio 24, 83, 7 frg., wo vom mehrfachen Kleiderwechsel die Rede ist: καὶ πενθίμην ἐσθῆτα [sc. Trauerkleidung!] πολλάκις ἐνεδύετο, τήν τε μητέρα καὶ τὰ παιδία ἐς τὸ πλῆθος παρῆγε συνδεόμενα. Vgl. Hall (2014) 43 f.; Lintott (1968) 10–8; ferner Daube (1991a); Blonski (2008) 42 f.
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3. Zwischen Diskurs und Praxis: Die narrative Performanz der Trauerszenen
Cicero zu unterscheiden, sieht man vom Anlass ab. Alle waren in Bedrängnis geraten und versuchten die öffentliche Stimmung zu ihren Gunsten vermittels einer Traueraktion zu beeinflussen. Auffallend ist aber sowohl die konzessive Bemerkung, die die Robe des Volkstribuns mit dem schwarzen Kleid des Tiberius verbindet, als auch die abschließende Lesart dieses Kleiderwechsels. Die Erwähnung der Kleidung durch Appian zeugt von der Komplexität römischer Politpraxis im zweiten Jahrhundert v. Chr.69 Die Gegenüberstellung von dunklen Gewändern und Volkstribunat scheint zu implizieren, dass auch Tribune eine besondere Amtstracht trugen. Man weiß dagegen aus anderen Quellen, dass gerade populare Volkstribune keine außerordentlichen Kleider anlegten, um ihre Verbundenheit mit dem Volk zu demonstrieren; andere dagegen suchten sich vielleicht gerade vom Volk zu distinguieren, indem sie prachtvoll auftraten.70 Die lateinische Überlieferung erwähnt zumeist nur die Reaktionen der Anwesenden, ob sie von der schäbigen Erscheinung betroffen oder sogar verängstigt waren, ob sie den Protagonisten bemitleideten oder beschimpften. Oft wird sogar die Wirkung ausgespart und allein das Vorkommnis selbst angeführt, ohne Folgen bei den Rezipienten zu beschreiben oder eine Deutung anzubieten. Den Erfolg kann man dann nur aus der Aufhebung einer Verbannung, dem Abschmettern einer Anklage, einem Aufruhr und ähnlichem ablesen. Appian dagegen spekuliert als einer der wenigen Autoren über die Motivation einer solchen Inszenierung. Die dunkle Kleidung und die Bitte um den Schutz für den Sohn, um den Tiberius sich nicht mehr kümmern könne, wenn er tot sei, stellt Appian in einen kausalen Kontext mit der faktischen Bedrohung des Gracchus durch seine Gegner. Damit deutet er die schwarzen Gewänder als Signal für die Gefahr, der sich der Tribun ausgesetzt sah und gegen die er Verbündete suchte. Die Assoziation von dunklen Kleidern und nahenden Katastrophen ist ein gängiges Motiv in der griechischen und römischen Literatur: Dionysios nennt Lucretia, Valerius Maximus Crassus und Florus Pompeius, die kurz vor ihrem Tod mit schwarzer Kleidung in Kontakt gekommen sein sollen.71 Damit stand aber auf jeden Fall eine griechische und römische Deutungstradition zur Verfügung, an der sich Appian orientieren konnte. Ob ihm diese Parallelen als Vorlage dienten, wissen wir nicht. Allerdings konnte Appian den Zusammenhang zwischen dunkler Kleidung und nahendem Tod nur aus der Gesamtschau der Ereignisse und der Kenntnis des literarischen Motivs herstellen. Es ist fraglich, ob er diesen Schluss auch gezogen hätte, wäre Gracchus nicht zu Tode kommen. Hier obsiegt Erzählstrategie über historiographische Genauigkeit. Das ist nicht nur dem anzunehmenden Unterhaltungscharakter des Geschichtswerks geschuldet. Es trägt auch dem Bedürfnis Rechnung, ein möglichst plausibles Narrativ historischer 69
70 71
An anderer Stelle im Passus zu Tiberius Gracchus entlarvt Appian seine Unkenntnis römischer Kultur. So fragt er, warum der Senat keinen Diktator ernannt habe, um die Unruhen zu beenden, obwohl die Institution zwischen Hannibalkrieg und Sulla unüblich war; App. civ. 1, 67 f.; zur Diktatur Golden (2013) 11–41. Cic. leg. agr. 2, 13; Plut. mor. 283a; Starbatty (2010) 75 f.; 141 f.; zur Kleidung der Tribune Kap. 5.2. Dion. Hal. 4, 66, 1; Val. Max. 1, 6, 11; Flor. epit. 2, 13; ferner Suet. Galb. 18, 2; SHA Comm. 16, 6; dazu auch Rüpke (1993); Angst vor schwarzer Kleidung bei Cass. Dio 41, 11, 2.
3.3 Verständnis und Missverständnis: Appians Tiberius Gracchus
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Ereignisse herzustellen, indem einzelne Informationen aneinander gereiht und aufeinander bezogen werden.72 Doch Appian war nicht in der Lage, diese kulturelle Semantik auf die Verhältnisse einer hellenisierten Umwelt zu beziehen. In der griechischen Historiographie und Tragödie fände man hier ohne Zweifel das Schutzflehen als kulturspezifische Tradition wieder. Bei der Hikesie wandte sich ein Schutzsuchender in makelloser Kleidung an eine Instanz, die Hilfe gewähren konnte, sei es eine Volksversammlung, der Rat oder eine Gottheit; es konnte sich aber auch um einzelne Personen handeln. Die Alternative der Trauerinszenierung blieb Appian fremd. Zumeist setzt er an vergleichbaren Stellen statt der mutatio vestis das Zerreißen der Kleidung ein, um dieselbe Wirkung zu erzeugen wie seine lateinischen Kollegen mit der Beschreibung des Kleiderwechsels.73 Auch die Appian zur Verfügung stehenden Quellen dürften lückenhaft gewesen sein. Gerade die siegreiche Interessensgruppe war in hohem Maße an der Tilgung der Erinnerung an die Geschehnisse um Gracchus interessiert. Dennoch weiß man aus Plutarch, dass es Zeugnisse aus der Zeit gab, die von Appian abweichen.74 Außerdem findet man – wie im Fall des Livius – außerhalb Appians Zeugnisse, die dem vorgebrachten Erzählmuster gleichen: Im vorherigen Kapitel wurde von Sulpicius Galba berichtet, der erfolgreich Kinder und Mündel ins Feld führte, um einer Verurteilung zu entgehen. Die Nachricht geht auf den älteren Cato zurück und könnte auch Appian als Vorlage wie Vorbild gedient haben.75 Auf diese Weise wurde eine pseudo-familiäre Beziehung zu den Interaktionspartnern auf dem Forum aufgebaut. Unterstützend wirkte, dass Gracchus im Stile einer traditionellen Sympathiekampagne unter den Mitbürgern herumging (ambulatio).76 So verliert diese Passage im Hinblick auf Faktizität an Wert. Beachtung verdient sie aber gerade, weil ihre nähere Betrachtung vor voreiligen Schlüssen warnt und den narrativen Einsatz dunkler Kleider zu beleuchten vermag. Der Begriff der Trauerszene wurde aus zwei Gründen gewählt. Erfolg bei Volk und Standesgenossen hing zum einen maßgeblich vom Geschick ab, sich „in Szene zu setzen“ und dabei die Interessen aller zu wahren. Zum anderen inszenierte der Autor eines antiken Textes die Akteure seiner Erzählung und ließ sie mangels Quel-
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Zu Appians Erzählstrategie mit weiterer Literatur Bucher (2007); nun auch die Beiträge in Welch (2015); ferner Hall (2014) 139. Bis zur Darstellung des Konfliktes zwischen Caesar und Pompeius, ab dem Appian die Darstellung des Zeitgenossen Asinius Pollio zur Verfügung stand, kann man sich auf seine Ausführungen nur bedingt verlassen. Stets ist Vorsicht geboten, auch weil mit Pollio die politische Färbung des Textes nicht abnimmt. Zum Alter der Hikesie vgl. Dreher (2006); ferner Kap. 9.2 f.; zum Zerreißen der Kleider Kap. 6.2. Bekannt sind Gaius Fannius FRH 9, 4 (= Plut. Tib. Gracch. 4, 5 f.); Coelius Antipater FRH 11, 58 (= Cic. div. 1, 56); Sempronius Asellio FRH 12, 7 f. (= Gell. 2, 13, 4 f.); Claudius Quadrigarius FRH 14, 74 (= Prisc. Gramm. 7, 347 H) und Valerius Antias FRH 15, 58 (= Gell. 6, 9, 12). Cato FRH 7, 1 (= Cic. Brut. 89 f.); FRH 7, 2 (= Front. ep. 3, 21, 4); vgl. Liv. per. 49. Wie wichtig die familiäre Ebene für das Gelingen einer Trauerinszenierung war, konnte man bereits in anderen Quellenbeispielen andeutungsweise sehen. Familiale Solidarität stellte eine der grundlegenden Bedingungen für das Gelingen einer solchen Szene dar; dazu Kap. 12.1 und passim. – Zur sogenannten ambulatio Kap. 8.1; zu den Rhetoren Kap. 11.1.
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3. Zwischen Diskurs und Praxis: Die narrative Performanz der Trauerszenen
lenlage nicht selten so agieren, wie er es für seinen Betrachtungszeitraum und von seinem Standpunkt aus für richtig erachtete. Die verfügbare Überlieferung lässt sich im Wesentlichen in drei Gruppen untergliedern: republikanische Quellen über die Republik, kaiserzeitliche Berichte über die Republik und kaiserzeitliche Zeugnisse zur Kaiserzeit. Stets hat man die Spanne zwischen Berichtzeit und berichteter Zeit zu beachten. Hinzu kommen Unterschiede zwischen römisch und griechisch sozialisierten sowie nachgeborenen Autoren, die es zu berücksichtigen gilt. Bei allen Autorengruppen war man mit unterschiedlichen Schwierigkeiten konfrontiert. Antike Autoren hatten es mit Schwierigkeiten der Übertragung ihrer eigenen ihnen zur Verfügung stehenden Informationen in ihr individuelles, narratives Setting zu tun. Dabei setzten ihnen vertraute Denkmuster sowohl in Bezug auf die Hinzunahme neuer Quellen und deren Verarbeitung als auch im Hinblick auf zu gestaltende Erzählstränge Grenzen. Genregesetze, denen man sich verpflichtet fühlte, taten ihr Übriges. Um die Verwertbarkeit von Priesterannalen, Inschriften, tituli und Leichenreden war es anders bestellt als um die Bezugnahme auf bereits mehrfach, auch narrativ geformte Tradition.77 Es bedurfte einer großen kreativen Leistung, um eine (historische) Erzählung aus dieser Überlieferung, die durch exempla geprägt war, gewinnen zu können. Aber auch die Bearbeitung literarischer Quellen stellte die antiken Historiographen vor Probleme. Wie weit waren sie bereit, der vorliegenden Überlieferung zu folgen und inwiefern gestaltete sich der (sprachliche) Duktus ihres Zeugnisses bereits als sperrig gegenüber ihrer eigenen Lebenswelt? Auch hier ist die Tätigkeit des Geschichtsschreibers unter vielen Aspekten zu berücksichtigen, deren wichtigste sicherlich die soziale Biographie und kulturelle Umwelt sind. Ziel des Kapitels war es, die Verquickung zwischen historischem Handeln und der jeweiligen Quelle aufzuzeigen. Der Autor formte seine Trauerszene sowohl aus der Kenntnis prominenter exempla der Vergangenheit als auch aus Erfahrungen seiner Gegenwart. Das geschah jedoch nicht völlig frei, sondern entlang der Linien des von ihm jeweils abgerufenen und abzurufenden Diskurses über Trauerakte und ihre Zutaten. Das galt für alle Fallbeispiele und führte zu Berichten, die erst durch die Interaktion älterer und aktuellerer Geschichten ihre Gestalt erhielten. Dabei formten die Autoren nicht selten den jeweiligen Diskurs mit, indem sie gezwungen waren, Unstimmigkeiten zu homogenisieren oder gezielt anzusprechen. Die beschriebene Wechselwirkung ist zudem zwischen historischen Akteuren und der Überlieferung zu beobachten. Einzelne schärften ihr politisches Profil dadurch, dass sie gezielt auf in exempla und anderen Medien vorgefundene Strategien referierten oder zurückgriffen. Auf diese Weise bestärkten sie auch Annahmen über die Faktizität vorliegender Berichte aus der Vergangenheit. Ciceros Bezug auf Popilii und Metelli oder Erzählungen des Livius zu kollektiven Trauerakten zeigen das nur zu gut. Auf diese Weise begegnet die Untersuchung der Problematik, ob das 77
Zu verschiedenen Formen und Handhabung der Quellen, die bei antiken Geschichtsschreibern zur Frühzeit bzw. außerhalb der historiographischen Tradition Verwendung fanden, Mehl (2014); FRH I, 27–37; Flower (2009); (1996); Blösel (2003); Pausch (2011) 18–46; Walter (2004a) 196–211.
3.3 Verständnis und Missverständnis: Appians Tiberius Gracchus
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gewonnene Bild des squalor durch Texte oder die Praxis durch die Texte zu gewinnen ist. Das Prinzip des Modellierens eines Textes durch den Autor lässt sich nicht nur auf einzelne Handlungen anwenden. Auch die Gesamtkomposition eines einzelnen Geschichtswerkes kann unter diesen Gesichtspunkten betrachtet werden. Das führt in einen Bereich, der die Berücksichtigung von Erzählstrategien einbezieht. Die Position und Funktion politisch motivierter Trauerszenen in der antiken Geschichtsschreibung umfasst das folgende Kapitel.
4. NARRATIVE STRATEGIEN: DIE LITERARISCHE MODELLIERUNG VON TRAUERSZENEN Die antike Geschichtsschreibung geizte damit, Leerstellen in der Überlieferung zu markieren. Im Gegenteil zog sie es vor, einen Mangel an zusammenhängenden und aufeinander aufbauenden Zeugnissen dadurch zu kaschieren, dass sie an kritischen Stellen immer wieder ähnliche Strukturen einfügte, die zusehends zu topoi geronnen und beim Leser zu Déjà-vu-Erfahrungen führen.1 Wie gerade gezeigt, konnten auch Trauerszenen in solche Leerstellen eingefügt werden, wenn Kontext und Situation einer bereits belegten oder gar erfundenen Passage mit der zu vermittelnden Absicht übereinstimmten. Der squalor konnte an verschiedenen Positionen in der Erzählung unterschiedliche Funktionen erfüllen – je nachdem, ob es einer Schlichtung oder Zuspitzung der im Narrativ angelegten Konflikte bedurfte. Darin zeitigt sich erneut die polyvalente, manchmal ambivalente Rolle, die symbolische Trauerakte in den Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Protagonisten einnahmen. Diese Vieldeutigkeit begünstigte das modellierende Vorgehen antiker Autoren, die Erzählungen von Trauerszenen dem weiteren Verlauf der Handlung so anpassten, dass es auf den Leser nachvollziehbar wirkte, wie sich das Narrativ entwickelte. Es ist der bereits in der Antike lückenhaften Überlieferungslage geschuldet, dass römische Historiker erzählerische Passagen in ihre Werke einfügten, um Phasen zu überbrücken, zu denen wenige oder keine Informationen zur Verfügung standen. Dadurch schufen sie den Eindruck einer sich wandelnden Gesellschaft. Auf Grundlage dieser von Lücken übersäten schriftlichen Tradition teilte die Forschung die römische Republik in verschiedene Perioden ein. Die semantische Flexibilität symbolischer Trauerakte privilegiert jedoch ihr Auftreten in der Geschichtsschreibung: Trauerszenen erscheinen immer wieder an neuralgischen Punkten der römischen Geschichte, denn ihr narrativer Einsatz vermochte es, Konflikte zu lösen, zu schüren oder überhaupt erst zu antizipieren.2 Insofern erhält das Prekäre, ja Krisenhafte, an Trauerszenen auch narrative Bedeutung, denn κρίσις ist hier wörtlich zu verstehen; Autor und Leser standen am Scheideweg. Besonders bei der dramatischen oder theatralischen Historiographie lässt sich ein Hang beobachten, Trauerszenen instrumentell oder symbolisch misslingen zu lassen, denn dann konnten Ereignisse in Bewegung gesetzt werden, die Veränderung erklärten. 1 2
Zur antiken Geschichtsschreibung siehe die Beiträge in Marincola (2007); Feldherr (2009); zu Rom ferner Mehl (2014); Pausch (2011) 17–70; Walter (2004a) 212–20; FRH I, 17–50; siehe auch Wiseman (2008) 1–23. In Kap. 3.2 wurde bereits auf den Raub der Sabinerinnen verwiesen; Liv. 1, 10, 1; Dion. Hal. 2, 45, 5. Auch die Coriolanus- und Manlius-Geschichten enthalten Trauerszenen, um nur wenige Stationen zu nennen, die hier nicht behandelt werden; Coriolan: Dion. Hal. 8, 39, 3 f.; 8, 41, 2; 8, 45, 1–47, 1; Manlius; Liv. 6, 16, 4–8; 6, 20, 1. Dass diese allesamt – wie die meisten folgenden Episoden – im Dunkel der römischen Frühzeit liegen, unterstreicht ihren narrativen Charakter; zu Coriolan siehe Kap. 9.2 und 12.1; letzteres auch zu Manlius.
4.1 Die ideale Trauerszene gibt es nicht
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4.1 DIE IDEALE TRAUERSZENE GIBT ES NICHT Die Konsequenz aus diesem Befund ist, dass man in den Quellen kaum ideale Traueraktionen findet, die so reibungslos abliefen wie bei Saturninus. Auch wenn sich Strukturen gleichen, sind die Beispiele in der Breite sehr divers. Häufig stimmen nur Attribute wie Kleidung und Gesten überein. Anlass, Motiv, Kontext oder Situation variieren dagegen auch in Kombination deutlich. Ein idealtypischer Verlauf lässt sich nur unter Aufwendung radikaler Vereinfachung aus den Quellen heraus konstruieren. Rhetorische Schriften von der Rhetorica ad Herennium bis Quinitilian gaben einen Eindruck davon, wie man einen Trauerakt am besten darbot. Gleichwohl vermittelten sie, was man tunlichst zu vermeiden hatte. Sie zeigen damit die Spannbreite narrativer Einsatzmöglichkeiten auf und entwerfen ein Muster, das den antiken Historiographen als Vorlage für ihre Berichte diente. Die Rekonstruktion einer idealen Trauerszene ist also vonnöten, um erzählerische Optionen auszuloten. Wie gestaltete sich dieser ideale squalor? Zunächst musste ein Konflikt vorliegen – ein Konflikt, der nicht minder durch das Verwenden der Trauerszene durch den jeweiligen Autor konstruiert wird. Dieser durfte durch senatorische Beratung nicht mehr zu lösen sein und ein Mitglied der Elite an die Peripherie drängen. Dieses Individuum sah sich genötigt, den öffentlichen Raum vor den Augen der Plebs und der Standesgenossen in Schwarz zu betreten, unter Umständen spezifische Bittgesten oder Formen der Sympathiewerbung anzuwenden, um diese bei Bedarf durch Ansprache mit Inhalt zu füllen. Durch die Erregung von Mitleid und die Gewinnung von Sympathie konnte der Einzelne eine Stimmung schaffen, in der sich seine Konkurrenten entweder aufgrund des öffentlichen Drucks oder wegen drohender Gewalttätigkeiten zum Zurückrudern genötigt sahen.3 Diese Aktion erregte Aufsehen. Livius berichtet, die vestis sordida zog aller Augen auf sich. Nobilität und Plebs fühlten sich auf die eine oder andere Art betroffen: Da ein nobilis die Zeichen seines Standes ablegte, war das stadtrömische Volk von der Egalisierung des Unterschiedes angetan, was sie in ihrem Standesbewusstsein stärkte: Kleidung verbindet.4 Damit ehrte der Bedrängte die maiestas der Plebs. Auch zeichnete er sich selbst als traditionsbewusster Senator aus, denn die maiores gaben in der Vorstellung vieler Römer ein ähnliches Bild ab.5 Gleichzeitig führte der Kleiderwechsel beim Volk zu der Einsicht, dass etwas im Argen liegen musste, ob es um dessen Inhalt wusste oder nicht. Das Traditionsbewusstsein des römischen Volkes machte sich dann bemerkbar, indem es verlangte, dass der Be3 4
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Selbst Saturninus darf nicht als vorbildhaft gelten, konnte er doch nicht die Gunst der Optimaten gewinnen; ferner wurde die Szene durch die Exzerptform narrativ gestrafft wurde; Diod. 36, 15 frg. Dindorf. Liv. 26, 29, 2 f.: … ut complotatio eorum flebilesque voces extemplo oculos hominum converterint et postmodo sermones praebuerint. Circumibant enim senatorum domos cum veste sordida … Vgl. Cic. Quir. 8: Frater erat unus qui suo squalore vestros oculos inflecteret … Zur integrativen Kraft von Kleidung Starbatty (2010) 141 f.; David (1992) 242–4. Sie galten als horridus oder asper wie in Cic. Sest. 19; vgl. Meister (2009); Starbatty (2010) 52 und Kap. 5.
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4. Narrative Strategien: Die literarische Modellierung von Trauerszenen
troffene doch unmöglich auf Dauer diesem Zustand überlassen werden konnte. Die Forderung nach Restitution seiner Stellung wurde schnell laut und richtete sich an seine Standesgenossen, die dazu in der Lage schienen. Die Senatoren dagegen konnten es kaum dulden, einen Angehörigen ihres Standes gegen die ungeschriebenen Gesetze der Kleidernormierung auftreten zu lassen und damit den Plebejern ihre eigene, senatorische Position im sozialen Gefüge als prekär zu präsentieren. Denn die Macht der Senatsaristokratie beruht in einem hohen Maße in ihrer scheinbaren Homogenität und der integrativen Kraft, alle Standesgenossen entsprechend den gebührenden honores an ihren Privilegien partizipieren zu lassen.6 Teil dieser bindenden Leistung war auch das einheitliche Auftreten der Nobilität als togati. Die Mitglieder der Elite waren gezwungen, unter neuen Voraussetzungen in die Konsultation über die vorliegende Konfrontation zurückzukehren. Darüber hinaus musste man damit rechnen, selbst einmal in eine solche Lage zu geraten und wollte nun ostentativ Milde walten lassen, um reziprok clementia erwarten zu dürfen. Zudem erkannte man demonstrativ die maiestas der Plebs an. Nicht zuletzt war der Faktor Mitleid weder auf Seiten des Volkes noch bei den Senatoren zu unterschätzen. So kam bei der Nobilität sicher auch die Befürchtung auf, der Betroffene könnte bei einer dauerhaften Statusminderung gegen die guten Sitten des Standes verstoßen und mit dem Volk zu paktieren beginnen, wenn er sich dessen Sympathie sicher fühlte. Gemessen an der Zahl der überlieferten Exempel vernimmt man wenig von Trauerszenen, die nach diesem idealen Schema verliefen. Im Gegenteil erweisen sich viele dieser Szenen bei einem genaueren Blick als gescheitert: Cicero wurde nicht einmal angehört und musste in die Verbannung gehen, die senatorische mutatio vestis gegen die rechtswidrige Amtsbewerbung des Pompeius und Crassus verlief im Sande und M. Livius Salinator wurde von den Zensoren gezwungen, Trauer und Bart abzulegen. So überrascht kaum, dass die vielleicht erfolgreichste Traueraktion gar nicht stattfinden musste: Vier Volkstribune ergriffen in den Ständekämpfen für ihren Kommandeur und gegen Amtskollegen Partei, indem sie mit dem Anlegen der vestis sordida drohten und bereits damit ihr Ziel, den Freispruch eines Patriziers, erreichten.7 Insgesamt hingegen ist den Szenen eine Tendenz zum Scheitern eingeschrieben. Auch der von F. S. Naiden als Idealtyp des Bittstellers bezeichnete Q. Caecilius Metellus Pius kann bei einer genaueren Analyse der Ereignisse nicht als Vorbild gelten. Zwar sollte seine Aktion nicht nur zur Rückberufung seines Vaters und zum Tod des verfeindeten Tribunen P. Furius Philus führen, doch den Ehrennamen erhielt er erst für seinen anhaltenden und vehementen Einsatz für den Vater, der sich über fast zwei Jahre hinzog. Zudem musste ihm die gesamte gens Metella zur Seite springen. Es stellt sich die Frage, inwiefern ein Gelingen nach so vielen Monaten noch als Erfolg gewertet werden kann oder ob hier nicht die familiale Gedächtnispolitik der Sullanischen Ära ihre Spuren hinterließ. Auf der instrumentellen Ebene 6 7
Vgl. Kap. 5.3 und 14.2 zur zensorischen Rüge gegen M. Livius Salinator wegen unbotmäßigen Trauerns. Liv. 4, 42, 7–9; Kap. 5.3; Pompeius und Crassus: Cass. Dio 39, 28–40; Kap. 13.2; Salinator: Liv. 27, 34, 5.
4.1 Die ideale Trauerszene gibt es nicht
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gab es kaum etwas zu bewundern; auf der symbolischen zielte die Aktion ins Schwarze. Dennoch trifft man das Phänomen über einen Zeitraum von etwa 250 Jahren immer wieder an und tatsächlich gibt es von Erfolg gekennzeichnete Szenen. Vermutlich wurden zahlreiche Fälle von Trauerakten nicht verschriftlicht. Gerade gelungene Trauerakte waren für die literarische Überlieferung wenig attraktiv. Um historische Bruchstellen zu markieren, eigneten sich missratene Beispiele viel besser. Daher setzte die Historiographie Trauerinszenierungen bevorzugt dort ein, wo sie eine spezifische Funktion erfüllen konnten. Livius kann die spezifische Funktion erfolgloser Trauerszenen in den politischen Narrationen untermauern. Er überliefert, wie Zensoren zu einem squalor genötigt wurden. Hier liegt der einmalige Fall vor, dass Zensoren zu diesem Mittel griffen. Als der gleichnamige Vater des berühmten Volkstribunen Tib. Sempronius Gracchus 169 v. Chr. seine Zensur gemeinsam mit C. Claudius Pulcher antrat, gerieten sie nicht nur mit Senatoren aneinander, die sie aus dem Senat entfernten, sondern zudem mit der mächtigen Lobby der Steuerpächter (publicani) und Rittern, denen sie das Staatspferd entzogen. Diesen Gruppen gelang es, den Tribun P. Rutilius für ihre Sache zu gewinnen und die Zensoren für ihren hartnäckigen Widerstand gegen die Neuverpachtung an bereits gut versorgte publicani anzuklagen. Vorgeschoben wurde jedoch das Vorgehen der beiden gegen den Tribun, da Tiberius sein Veto missachtete, Claudius ihm die Sitzungsleitung entzog.8 Als sich bei der Abstimmung in den Zenturiatskomitien eine Verurteilung des Claudius abzeichnete, legten die „Ersten der Bürgerschaft“ (principes civitatis) ihre goldenen Ringe ab (anulos deponere) und wechselten die Kleider (vestem mutare). Auf diese Weise gingen sie beim Volk umher (circumire), um dieses um Nach- und Einsicht zu bitten (supplicare).9 Wenn es hier mutatio vestis heißt, dann handelte es sich bei den Angeklagten Claudius und Gracchus um einen Tausch des extravaganten purpurfarbenen Zensorengewandes gegen eine andere Tracht, die für Trauerbekundungen verwendet wurde oder den Kleidern der einfachen Römer glich. Bei den übrigen Senatoren, die den Zensoren in der mutatio vestis folgten, war die Diskrepanz zwischen Alltags- und Trauertracht ebenfalls sichtbar.10 Begreift man diese Szenerie im Kontext der Gesamtkomposition des Livius, dann stellt man fest, dass einerseits der Graben zwischen Oberschicht und einfa8
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Zur Vorgeschichte siehe Liv. 44, 14, 1 ff.; ferner MRR I, 423 f. In der Regel war man – auch bei noch so großen politischen Verwerfungen – während seiner Amtszeit vor Strafverfolgung durch Immunität geschützt; zur Immunität siehe Mommsen, Staatsrecht I, 707 f., der vermerkt, dass dafür keine formale Grundlage existierte und die Verschiebung des Prozesses auf die Zeit nach der Magistratur auf commen sense beruhte, um die Amtsgeschäfte nicht zu behindern. Dagegen lässt sich anführen, dass viele Kläger gerade an der Behinderung ihrer Gegner im Amt interessiert gewesen sein dürften; dazu Kunkel/Wittmann (1995) 265–72; zur Anklage der Zensoren als Besonderheit ebd., 261 f.; zur publicani-Affäre Badian (1997) 43 f.; ferner Kath (2012) 73. Liv. 43, 16, 14; in Liv. 43, 14, 1 sind die principes civitatis nur die Kandidaten für das Zensorenamt, hier eher ein Kreis führender Senatoren. Der Unterschied zwischen Trauergewand und einer „angemessenen“ Form der Bekleidung tritt ebenso deutlich hervor, wenn der Kontrast zwischen vestis sordida und vestis candida betont wird; dazu Kap. 8.2.
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4. Narrative Strategien: Die literarische Modellierung von Trauerszenen
chem Volk im Fokus des Livius stand. Andererseits schimmert ein schwelender Konflikt zwischen Eliteangehörigen durch, denn welcher Tribun war in der Lage, einen Zensor ohne Rückendeckung zu desavouieren. Dass Livius das Geschehen in die comitia centuriata verlegt, gibt einen Eindruck vom Einfluss, dem er den Gegnern der Zensoren zuschrieb. Die publicani waren in der Lage die Oberschicht zu spalten. Umgekehrt machten sich konkurrierende Senatoren und Ritter die Interessen der publicani zunutze. In den Zenturiatkomitien wurde bekanntermaßen nach Vermögen abgestimmt. Das hieße, die begüterten Schichten Roms aus der Reiterklasse, der ersten und vielleicht zweiten classis, die in der Überlieferung zumeist als einträchtig oder identisch mit der politischen Klasse beschrieben werden, hätten zu einem überraschend großen Teil für die Verurteilung des Claudius gestimmt, ehe das einfache Volk zum Zünglein an der Waage wurde. Umso mehr tritt eine Politik des Gracchus und Claudius zutage, die auf Ausgleich zwischen Elite und Volk bedacht war.11 Nicht umsonst ist der Zensor C. Claudius allem Anschein nach auch der Vater des App. Claudius Pulcher, der den Sohn des Tiberius protegierte und weitläufig als Hintermann der gracchischen Reformversuche gilt.12 Leider sind zur Gracchenzeit bei Livius lediglich die Inhaltsangaben erhalten. Aber es ist möglich, dass Livius den Vater der Gracchen erhöhte, um den Kontrast zu den Söhnen zu pointieren. Im Allgemeinen lässt sich feststellen, dass Livius ein schlechtes Bild der Volkstribunen zeichnete, die sich stets der Volksmassen zu bemächtigten suchten. Dass bereits die Steuerpächter einen Tribun zu instrumentalisieren wussten, zeugt von der Sicht des Livius auf das Amt und verweist vielleicht auf die nobilitären Konflikte, die sich aufgrund der Polarisierung zwischen Optimaten und Popularen unter den Söhnen der beiden Zensoren ergeben sollten.13 Hier deuten sich bereits eine Generation später sichtbar werdende Verwerfungen in der Nobilität an, doch zum Ausbruch kommen sie nicht. Im Gegenteil werden die Risse in der politischen Klasse verschleiert, indem als verurteilende Instanz das Volk angesprochen wird, ohne hervorzuheben, dass die ersten Zenturien als entscheidend für die Abstimmung zu gelten haben. Diesen Eindruck erreicht Livius, indem er die Gemüter zunächst immer weiter hochkochen und am Ende beschwichtigen lässt. Der erste Schritt ist bereits die Anklage, es folgt die sich mit jeder Zenturie abzeichnende Verurteilung, dann der verzweifelte Versuch der principes, den Schuldspruch abzuwenden, indem sie ihre Kleider wechseln und beim Volk Bittgänge machen. Da dies aber nicht gelang und das Volk die Bitten ignorierte, schaltet Livius einen Gang höher und lässt nicht mehr nur ein anonymes Kollektiv geachteter Männer auftreten. Dazu benötigte er jedoch eine weitere Eskalationsstufe, die er schuf, indem er die principes auf taube 11
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Auch wenn sie in Fragen des Stimmrechts für Freigelassene unterschiedliche Positionen vertraten; Liv. 45, 15, 1–9; anders im Streit der publicani mit Rutilius Rufus, der in seinem Prozess demonstrativ auf den Kleiderwechsel verzichtete; unter narrativen Gesichtspunkten ist interessant, dass wieder ein Rutilius – unter verkehrten Vorzeichen – eine Rolle spielte; vgl. Kap. 14.2 mit Badian (1997) 120–3; Kallet-Marx (1990). MRR I, 471 f.; Drahtzieher des Ackergesetzes: Ungern-Sternberg (2006b) 298; ferner Ryan (2004). Inhaltsangaben: Liv. per. 58–61; zum Tribunenbild des Livius Martin (2007); Smith (2010).
4.2 Das Glück scheitern zu können: Narrative Optionen
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Ohren beim Volk stoßen ließ. Die Plebs ignorierte die Zeichen und Gesten ihrer ‚ersten Männer‘ einfach und damit die geballte auctoritas der politischen Klasse. In der auf Reziprozität ausgelegten römischen Gesellschaft hieß das Verhalten der Zensoren und ihrer Unterstützer normalerweise, der Plebs die Möglichkeit zur Milde an die Hand zu geben und das Volk durch den Appell symbolisch zu erhöhen. Dass zunächst über die Schuld lediglich eines Zensors abgestimmt wurde, kommt der narrativen Funktion des zweiten Magistrats zugute. Vermutlich tauschte auch Tiberius Gracchus angesichts seines bevorstehenden Prozesses oder für Claudius die Gewänder. Letztlich musste er aber seine Zukunft als verehrter Repräsentant Roms mit dem Schicksal des Claudius verknüpfen, was Livius die Tür öffnete, die Position des Gracchenvaters im Sozialgefüge herauszustreichen. Erst sein persönlicher Einsatz vermochte es, den Streit zwischen Senat und Plebs – wenn auch durch die publicani und deren Hintermänner angestiftet – beizulegen. Zusammenfassend war nicht die mutatio vestis seiner Standeskollegen ausschlaggebend für die Vereitelung seiner Anklage und Verbannung des Kollegen Claudius, sondern allein die auctoritas des älteren Gracchus. So gesehen war die Aktion der principes gescheitert und es bedurfte der individuellen Aufwendung symbolischen Kapitals eines Einzelnen, die Wogen zu glätten.14 Daneben fallen die wenigen effektvollen Trauerszenen in ihrer narrativen Bedeutung deutlich zurück. Im Gegenteil werden sie durch die antiken Historiker nicht nur in Konflikten eingesetzt, sondern Trauerszenen bewirken in den Erzählungen häufig eine zusätzliche Zuspitzung einer Auseinandersetzung, wenn sie misslingen. 4.2 DAS GLÜCK SCHEITERN ZU KÖNNEN: NARRATIVE OPTIONEN Livius betont im weiteren Verlauf, das Einschreiten des älteren Tiberius Gracchus, er werde trotz seiner Popularität seinem Amtskollegen in die Verbannung folgen, habe die Stimmung letztendlich zugunsten des Zensors gewendet. Jedoch dürfte die 14
Auch das Schema, nach einer misslungenen Trauerszene höheren Einsatz an symbolischen Kapital aufbringen zu müssen, ist aus der Geschichte des jüngeren Tiberius Gracchus bekannt und unterstreicht die Möglichkeit der wechselseitigen Beeinflussung beider Episoden – sowohl praktisch als auch narrativ: In seinem Tribunat hatten sich die principes ebenfalls in Trauer gekleidet, um Gracchus von seinem Ackergesetz abzubringen. Als dieser sich unbeeindruckt zeigte, gingen zwei Konsulare direkt auf ihn zu und ergriffen unter Tränen seine Hände. Damit brachten sie ihn zum zwischenzeitlichen Einlenken; vgl. Flaig (2003a) 99–104 und Kap. 8.1. In einem anderen Fall schafften es die Zensoren, andere Tribune gegen die Klage zur intercessio zu bringen, was die Situation löste; vgl. Liv. 24, 43, 2 f. Doch Livius scheint auch hier die Inszenierung des Gracchus, den er eine traditionelle Nobilitätspolitik verfolgen lässt, und natürlich des Claudius, der sich seiner Familientradition bewusst zeigt und niemals einen Tribunen anrief, bevorzugt zu haben. Plut. Pomp. 13, 1 f. beschreibt eine ähnliche Struktur unter freilich völlig anderen Vorzeichen: Pompeius’ Soldaten verweigern sich der Entlassung durch ihren beliebten Feldherrn. Zunächst versucht er sie weinend zu überzeugen, als das nicht wirkt, droht er – weniger symbolisch – den Selbstmord an. Die Episode zeigt, dass das Schema auch bei anderen Autoren und Genres zu finden ist; vgl. Plut. Pomp. 3, 1 f., wo der junge Pompeius die aufständigen Legionäre besänftigt, indem er sich weinend vor sie wirft und meint, sie müssten ihn schon töten, um das Lager zu verlassen.
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4. Narrative Strategien: Die literarische Modellierung von Trauerszenen
mutatio vestis einen gehörigen Beitrag zum Freispruch des Claudius geleistet haben, indem sie es vermochte, Teilen der Oberschicht die Notwendigkeit der Standessolidarität ins Gedächtnis zu rufen. Beträchtliche Kohäsionskräfte zeichneten die Patrizier gegenüber plebejischen Ambitionen und später die Nobilität gegenüber Profilierungen exponierter nobiles und Bestrebungen sogenannter homines novi aus, in den geschlossenen Kreis der hegemonialen Lebensführung vorzudringen. Sich unter extremen Bedingungen zu solidarisieren und die inneradligen Ränkespiele ruhen zu lassen, stellte eine herausragende Eigenschaft dieser etablierten Gruppe gegenüber Außenseitern dar.15 Diese integrative Fähigkeit ist aber ebenso Produkt einer idealisierenden Überlieferung. Trotz der Integrationskraft der Elite in der Zensoren-Anekdote war hier keine weitere kollektive Reaktion nötig, da der von dem Zensorenkollegen Gracchus geltend gemachte Einfluss bereits genügte, das Volk zu besänftigen. Den Tribunen und ihren Hintermännern, publicani und sich bedeckt haltenden Senatoren, blieb keine andere Wahl, als ihre Bestrebungen zurückzustellen. Anders verhält es sich mit einem Fall, den Livius weit in die römische Vergangenheit verlegt. Dabei projiziert er politische Konstellationen der späteren Republik in die Anfangszeit zurück und überträgt die Dichotomie zwischen Optimaten und Popularen, die er aus seinen Quellen kannte, auf die Opposition von Patriziern und Plebejern.16 Demnach tritt die Politik der Optimaten/Patrizier vornehmlich durch die Autorität des Senats und seiner Angehörigen in Erscheinung, während die Popularen/Plebejer ihre Politik auf der Straße und vor dem Volk machten. Die folgende Szene ist somit vor der Folie der Auseinandersetzung in der Zeit der Bürgerkriege zu sehen, aber zugleich Teil nostalgischer Verklärung der Vergangenheit.17 Um 474 v. Chr. sollen die Konsulare L. Furius Medullinus und C. Manlius Vulso unter den Plebejern und jüngeren Patriziern in schmutziger Kleidung umhergegangen sein (circumeunt sordidati).18 Ihnen wurde schlechte Amtsführung vorgeworfen, da sie sich einer tribunizischen Landverteilung vehement widersetzt hatten.19 Mit ihrer Aktion versuchten sie, gegen die Anklage durch den Volkstribun Cn. Genucius Stimmung zu machen. Damit gewannen sie zwar nicht die Gunst der Plebs zurück, wohl aber die ihrer Standesgenossen. Livius deutet an, dass sich Pat-
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Zur Etablierten-Außenseiter-Figuration Elias/Scotson (2008) 7–56; zu frühen Konflikten in der Nobilität, die durch die Quellen überspielt werden, Bleckmann (2002); ferner Beck (2005b), der die Ausbildung eines fixierten cursus honorum nach dem Hannibalkrieg auf interne Streitigkeiten der nobiles zurückführt. Ungern-Sternberg (1990); siehe auch die Beiträge in Raaflaub (2005a). Zur Einordnung verschiedener, ähnlicher Passagen und den Erzählstrategien des Livius Smith (2010); zum Verlauf der sog. Ständekämpfe und der letztlich friedlichen Beilegung grundlegend Cornell (1995) 242–344; ähnlich Eder (1993); (1990); kritisch dagegen Ungern-Sternberg (1986). Liv. 2, 54, 3 f.: Hoc anno – quoscumque consules habuit – rei ad populum Furius et Manlius circumeunt sordidati non plebem magis quam iuniores patrum. – Laut MRR I, 28 ein squalor im Amt. Zur hier nur angedeuteten Ackerreform des Sp. Cassius Vecellinus und seinem vermeintlichen Streben nach Alleinherrschaft vgl. Martin (1990); MRR I, 20.
4.2 Das Glück scheitern zu können: Narrative Optionen
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rizier darin verschworen, den Tribun zu beseitigen.20 Mit dem Tod des Tribuns hatte sich die Klage erledigt. Dass das Amt als sakrosankt galt, legt nahe, wie solide sich Livius die Solidarität unter der Elite dachte: Volkstribunen genossen den Schutz der Plebs, doch gerade für diese Phase der römischen Geschichte zeichnet Livius ein Bild, das die Notwendigkeit der sacrosanctitas untermauert und die Plebs zu einem strengen Durchgreifen gegen die Verletzung eines Tribuns zwang. Umso gefährlicher war es, Hand an sie zu legen. Die Ermordung des Genucius barg also ein gehöriges Eskalationspotential.21 Eine besondere Situation zeigten die Konsulare durch ihre Kleidung an und machten durch ihren Rundgang weite Kreise darauf aufmerksam. Dadurch erhielten sie das größtmögliche Publikum vor Ort. Die Sache wurde aber erst explizit durch die mahnenden Worte der beiden Konsulare. Sie trugen ihren Standesgenossen und dem Volk vor, man solle sich von den Ämtern fernhalten, da sonst jedermann fürchten müsse, angeklagt zu werden. Schließlich sei es inzwischen Usus, dass die Volkstribune jeden Magistrat nach Ablauf des Amtsjahres vor Gericht zogen.22 Die Klagen entehrten jeden rechtschaffenden Bürger. Die Opposition zwischen Patriziern, vertreten durch die Konsulare, und den Plebejern in Person des Tribuns kommt deutlich zum Ausdruck. Die Zurückweisung der sich unterwürfig gebenden Konsulare war ein Affront gegen die politische Klasse. Da die Fronten als verhärtet galten, konnte Livius die Konsulare auch keinen Erfolg erringen lassen. Vielmehr steht die gescheiterte Aktion beim Volk unmittelbar vor der Eskalation der Ereignisse, die im Mord am sakrosankten Volkstribun münden. Die Wahl der Trauerzeichen selbst spielt vielleicht schon auf den nahenden Tod des klagenden Volksvertreters an. Sie war nötig, um die Sympathien der Standesgenossen zu gewinnen, aber nicht so sehr durch die Trauerzeichen und den Bittgestus, sondern besonders durch die Ablehnung, auf die Manlius und Furius beim Volk stießen: Livius musste sie scheitern lassen, damit der Tribun sterben konnte! Man kann sehen, wie der Historiker dramatische Elemente in seine Erzählung einarbeitet, um dem politisch spröden Gehalt Wirkung zu verleihen. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Aktionen dem Leser die Emotionalität der Szenerie erneut vor Augen führten. Eine der bekanntesten Episoden römischer Geschichte ist die um die Ermordung der Verginia durch ihren Vater. Dieser versuchte die Ehre seiner Tochter und seine eigene zu wahren, indem er sie durch Tötung dem Zugriff des lüsternen Decemvirs Appius Claudius entzog. Die Geschichte ist komplex und sei daher nur knapp referiert: Da der Decemvir das Mädchen begehrte, stellte er seinen Klienten M. Claudius an, in aller Öffentlichkeit zu behaupten, Verginia sei eine ihm entwen20
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Siehe auch Dion. Hal. 9, 37, 2–38, 3, wo die Traueraktion fehlt und weitere Konsulare in die Anklage verwickelt scheinen, was die Solidarisierung erklären mag. Allerdings wird der Tote ohne eine Spur von Fremdverschulden gefunden. Dionysios will den Tod vielmehr als religiöses (wie narratives) Vorzeichen gewertet wissen, die Klage und die dahinterstehende Landverteilung abzuweisen. Zu Tribunat und sacrosanctitas Eder (1993); Bleicken (1981) mit Vorbehalten gegenüber den Quellen. Siehe auch Thommen (1989). Zu den sogenannten „tribunizischen Rechenschaftsprozessen“ Kunkel/Wittmann (1995) 266 f.
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4. Narrative Strategien: Die literarische Modellierung von Trauerszenen
dete und dem Verginius als Tochter untergeschobene Sklavin. Appius erhoffte sich davon, in den Besitz der Jungfrau zu kommen. Darüber entstand ein Rechtsstreit zwischen M. Claudius und den Verteidigern der Verginia, allen voran ihrem Vater und Verlobten. Am Tag der Verhandlung erschienen Verginius und seine Tochter in schmutzigen Kleidern. Der Vater ging unter den Leuten auf dem Forum umher und bat das anwesende Volk um Unterstützung.23 Er argumentierte auch damit, dass er sich als Soldat tagtäglich für die Sicherheit der römischen Bürger einsetze (militiae), aber seine eigene Familie daheim nicht sicher sei (domi).24 Im Stile einer Volksrede (contio) soll er gesprochen haben, ebenso sein Schwiegersohn. Das „stille Weinen“ der sie begleitenden Matronen habe die Menge jedoch am meisten bewegt.25 Trotz dieses immensen Aufwandes lässt Livius die Aktion misslingen. Appius verfolgte seinen Plan weiter und sprach als Richter für den Antrag des Marcus, woraufhin Verginius zum scheinbar letzten ihm verbleibenden Mittel griff und seine Tochter erdolchte. Wie im vorherigen Fall verweist die Kleidung auf einen Todesfall in der Zukunft, nur unter verkehrten Vorzeichen: Im Beispiel der Konsulare galt die Trauersymbolik der gegnerischen Gruppierung, gleichsam einer Drohung, sie würde Trauerkleider benötigen. Hier dagegen ist sie demonstrativer Ausdruck der eigenen Betrübnis einer Gruppe. Livius mag hier das Ziel verfolgen, die crudelitas und voluptas des Appius herauszuarbeiten, die trotz der Mitleid erregenden Gesten und Worte durch sein Beharren und dem seiner Familie angeborenen Starrsinn unterstrichen wurden. Hier geht es nicht allein um eine Charakterskizze. Die Szene fungiert als Initialzündung für das Aufbegehren gegen die Zehnmänner. Dass Appius dem Bitten trotz der Eindringlichkeit des Verginius nicht nachgab, führte in einem ersten Schritt zu einer außerordentlichen Empörung, die die Menge zunächst in Aufruhr versetzte. Warum die Plebs sich so ungehalten zeigt, verrät Livius nicht direkt, doch es scheint, als ob er sie ein schwerwiegendes Ungleichgewicht zwischen den erwarteten und praktizierten Verhaltensweisen der kleinen Elite feststellen lässt. Dadurch versetzt er sie in die Lage, sich so weit zu organisieren, dass man geschlossen aus der Stadt ausziehen konnte. Der Misserfolg der Trauerinszenierung ermöglichte es nun auch unteren Schichten, sich zu solidarisieren.
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Liv. 3, 47, 1 f.: At in urbe prima luce cum civitas in foro exspectatione erecta staret, Verginius sordidatus filiam secum obsoleta veste comitantibus aliquot matronis cum ingenti advocatione in forum deducit. Circumire ibi et prensare homines coepit et non orare solum precariam opem, sed pro debita petere … Zum erzählerischen Einsatz Kowalewski (2002) 142–75; Fögen (2003) 21–59. Zum Gegensatz domi/militiae Rüpke (1990); zum Vaterbild Späth (2002); Thomas (2005). Liv. 3, 47, 3: Haec prope contionabundus circumibat homines. Similia his ab Icilio iactabantur. Comitatus muliebris plus tacito fletu quam ulla vox movebat. – Siehe auch Dion. Hal. 6, 51, 2, wo plebejische Frauen in Trauerkleidern mit ihren Kindern bitten, die Patrizier mögen ihren Standpunkt überdenken: ἅπαντα δ᾽ ὑπερβάλλει τὰ δεινὰ γύναια τῶν ἀποστατῶν καὶ παιδία νήπια καὶ γηραιοὶ γονεῖς, ἐν ἐσθῆσιν ἐλεειναῖς καὶ σχήμασι πενθίμοις περιφθειρόμενοι κατὰ τὴν ἀγορὰν καὶ τοὺς στενωποὺς κλαίοντες, ἱκετεύοντες, ἁπτόμενοι δεξιᾶς ἑκάστου καὶ γονάτων, ἀπολοφυρόμενοι τὴν κατέχουσαν αὐτοὺς καὶ ἔτι μᾶλλον καθέξουσαν ἐρημίαν, δεινὴ καὶ ἀνυπομόνητος ὄψις. – Hier sind die Patrizier berührt und knicken ein; Dion. Hal. 6, 51, 3 ff.
4.2 Das Glück scheitern zu können: Narrative Optionen
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Die sogenannte zweite secessio plebis habe letztlich den Ausschlag zum Sturz des Decemvirats gegeben, wie Livius berichtet.26 Damit wird eine entscheidende Phase der römischen Republik unter Einbezug einer Trauerinszenierung zu Ende erzählt.27 Diese Szene als gelungen oder misslungen zu bewerten, hängt in hohem Maße davon ab, was man als Erfolg versteht; auch hier hilft es zwischen instrumenteller und symbolischer Seite der Praxis zu unterscheiden. Unter rhetorischen Gesichtspunkten scheiterte sie, denn der Trauerakt vermochte den Decemvir nicht umzustimmen. Allerdings kann die Abweisung nicht als Gradmesser dienen, schließlich hatte (Livius’) Appius nie vor, sich überzeugen zu lassen. In einem weiteren Sinne erzielte die Strategie des Verginius und seiner Anhänger sehr wohl Wirkung, denn die Entrüstung über den Eigensinn des Appius Claudius setzte die Absetzung des Decemvirats in Gang. Somit ging die Taktik des „Scheiternlassens“ unter erzählerischen Aspekten auf. Offenbar nutzten die antiken Historiographen die Mehrdeutigkeit der Trauerzeichen gezielt für die Weiterentwicklung der Handlung, um ihren Geschichten den gewünschten Verlauf zu verleihen. Scheitern wurde hier aus der Perspektive der Trauerakteure gedacht. Es lässt sich aber ebenso gut auf den Konfliktpartner beziehen, denn ein erfolgreicher squalor hatte stets eine Partei gegenüber, die sich zurückziehen musste. Daher muss man sich jetzt den gelungenen Trauerszenen zuwenden und nach ihrem Platz im Baukasten narrativer Strategien fragen. Im Jahr 208 v. Chr. wurde der M. Claudius Marcellus zum fünften und letzten Mal zum Konsul gewählt. Als die Provinzen für die Konsuln ausgelost wurden, fiel Marcellus unter anderem Sizilien zu, wo er im Krieg gegen Karthago Syrakus belagert und erobert hatte. Die Sikuler erinnerten sich wohl an den langwierigen Kampf mit Marcellus und gingen sofort als sordidati unter den Senatoren umher, um eine andere Lösung zu erbitten, ja sie drohten die Insel zu verlassen, wenn Marcellus zurückkehrte. Es dürfte nicht schwierig gewesen sein, gegen eine herausragende und extravagante Persönlichkeit wie Marcellus Beistand im Senat zu finden. Schließlich tauschten die Konsuln die Provinzen.28 Diese Szene ist im Kontext des Hannibalkrieges und der republikanischen Expansion zu betrachten. Für diese Zeit berichtet Livius von ähnlich strukturierten Begebenheiten.29 Hier schlagen sich Konflikte zwischen Amtsträgern verschiedener Politikstile nieder, die sich den Umgang mit unterworfenen Völkern für innenpolitische Machtkämpfe zunutze machten. Diese Szene leitet eine bedeutendere Auseinandersetzung als mit dem bereits unterworfenen und daher weniger bedeutsamen Syrakus ein. Dazu muss man aber erst die Klammer der Erzählung zu Marcellus auflösen. Livius deutet damit die Schicksalhaftigkeit des Aufeinandertreffens 26 27 28 29
Vgl. Kowalewski (2002) 142–75; siehe auch Fögen (2003) 61–3, passim. Die Zeit des Decemvirats wird gemeinhin als Phase des Ausnahmezustands charakterisiert, die weder deutlich monarchisch noch einschlägig aristokratisch markiert ist; vgl. Raaflaub (2005b). Liv. 26, 29, 3–5: Circumibant enim senatorum ‚domos‘ cum veste sordida … partim misericordia Siculorum, partim invidia Marcelli excitabat … Vgl. Hall (2014) 55; zur Vorgeschichte Marincola (2005). In Liv. 44, 19, 6 f. bitten ägyptische Gesandte in schmutzigen Kleidern um Hilfe gegen König Antiochos IV., was einen weiteren Kriegsschauplatz eröffnet; siehe auch Kap. 3.2.
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4. Narrative Strategien: Die literarische Modellierung von Trauerszenen
des Marcellus mit Hannibal an: fato Marcellum ad Hannibalem facta est. Ohne den erfolgreichen Protest der Griechen wäre Marcellus nicht mit der Kriegsführung beauftragt worden, sondern hätte Sizilien verwaltet; es hätte nicht zu dem folgenreichen Hinterhalt des Puniers kommen können und nicht zum Tod des fähigen Generals Marcellus.30 Trauerszenen sind Konflikten häufig vorgeschaltet und treiben die Handlung voran. Insofern müssen sie zuweilen als Vorbedingung einer Auseinandersetzung gelten. Die Traueraktion trägt zur Schlichtung eines Konflikts bei, kann aber darüber hinaus auf einen anderen verweisen, indem sie das Geschehen beeinflusst, wie das Beispiel des Marcellus zeigt. Häufig wird der Streit lediglich geschlichtet, aber bei weitem nicht gelöst. So steht es um viele Szenen, die im letzten Jahrhundert der Republik fassbar sind. Besonders Cassius Dio setzte die Szenen gern in diesem Sinne ein. Anstatt zur Lösung eines Konflikts beizutragen, lässt er sie einfach versanden.31 Daher sind sie von der Forschung auch häufig als symbolischer Protest eingestuft worden, denn sie trugen instrumentell nicht zur Lösung des Konflikts bei, sondern vertagten die Eskalation lediglich.32 Nur bei einem eindeutigen Scheitern führt die Trauerszene unmittelbar zu einer neuen, höheren Eskalationsstufe. 4.3 ESKALATION DER KONFLIKTSITUATION: RADIKALISIERUNG DER ANHÄNGERSCHAFT Am Beispiel der Konsulare Manlius und Furius zeigt Livius die Fähigkeit führender Kreise in Rom, sich bei Bedarf zu solidarisieren, oder wie sich der Historiker Standessolidarität vorstellte. Die Verschwörung, den Tribun zu ermorden, hatte laut Livius weitreichende Folgen. Als das Volk den Mord bemerkte, geriet es derart in Aufruhr, dass die Patrizier beschlossen, am Plebejer Volero Publilius ein Exempel zu statuieren und ihn durch die Liktoren auspeitschen zu lassen. Dieser wandte sich erfolgreich an die Menge, sie solle ihn besser schützen als den ermordeten Genicius, und so wählte das Volk Volero bei der nächsten Gelegenheit zum Tribun. Umgehend schlug er vor, man solle sich in Zukunft nach Bezirken versammeln, um die Vertreter des Volkes zu wählen. Damit wurden die comitia centuriata und curiata durch die comitia tributa ergänzt. Laut Livius bezweckte dies, den Begüterten die Möglichkeit zu nehmen, ihre Wunschkandidaten im Tribunat zu positionieren.33 30 31
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Das Zitat bei Liv. 26, 29, 9; der hinterlistige Hannibal und der Tod des Marcellus bei Liv. 27, 25, 6–27, 7. Cass. Dio 37, 43, 3; 39, 28, 1–30, 4; 39, 39, 2 f. (anders und unter anderen Voraussetzungen 24, 83, 8; 28, 95, 1; 38, 14, 7; 42, 43, 4). Leider fehlt die Parallelüberlieferung mit Ausnahme Ciceros weitgehend, der aber als Zeitzeuge andere Schwerpunkte setzt und vieles nicht zu erwähnen braucht; zu Dios Blick auf die Republik den ersten Teil in Lange/Madsen (2016); zum Aussitzen Kap. 13.2. So etwa Meier, RPA, 294; de Libero (1992) 37, 44, 10; Morstein-Marx (2004) 174 A. 63. Liv. 2, 56, 3; freilich liegt hier ein mehrfacher Anachronismus vor: Wäre dem zuvor so gewesen, wäre Volero nie zum Tribun gewählt worden. Vielmehr dürfte es sich seinerzeit noch um einen weniger formalen Aushandlungsprozess innerhalb der Plebs gehandelt haben. Der Wunsch der Patrizier, eigene Leute als Volkstribunen zu installieren, spiegelt spätere Verhält-
4.3 Eskalation der Konfliktsituation: Radikalisierung der Anhängerschaft
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Indem er die einschneidende Wirkung hervorhebt, deutet er zugleich die kommende Radikalisierung der Parteien an, die sich in der Wahl des heißspornigen Laetorius zum Tribun und des erzkonservativen Appius Claudius zum Konsul für das Jahr 471 v. Chr. niederschlägt. Insofern korrespondiert die spätere Weigerung des Appius, unter Anklage die Kleider zu wechseln,34 mit der Verschärfung der Auseinandersetzung mit der Plebs. Während Manlius und Furius noch den Versuch starteten, das Volk umzustimmen – wenn auch bei scharfer Polemik –, zog Appius dieses rhetorische Mittel gar nicht mehr heran und wendete die Tradition des trauernden Angeklagten gegen das Volk. Radikale Polarisierung wird deutlicher, wenn man die durch spätere Ereignisse bestimmte Berichterstattung zur Frühzeit verlässt und historisch greifbaren Boden betritt.35 Es handelt sich um die mutatio vestis des jüngeren Tiberius Gracchus und des C. Marius, die freilich unter völlig verschiedenen Voraussetzungen zu einer Intensivierung senatorischer Kämpfe beitrugen. Nach diversen Querelen und Streitereien36 in Senat und contio setzte Tiberius sein Ackergesetz mittels des concilium plebis durch. Daraufhin erhitzte sich das politische Klima zusehends und es war abzusehen, dass das Gesetzeswerk des Tiberius nach seiner Amtszeit rückgängig gemacht würde. Daher entschieden sich Gracchus und seine Anhänger erneut, um die Stimmen der Plebs für ein Tribunat zu werben. Gleichzeitig wollte sich Tiberius vor dem Verlust seiner politischen Immunität schützen und seine sacrosanctitas wahren. Tatsächlich musste er nicht nur befürchten, dass ihm von Seiten der in der Retrospektive als Optimaten bezeichneten Mehrheit im Senat ein Hochverratsprozess (de maiestate) drohte, sondern auch, dass Gefahr für Leib und Leben bestand. Nachdem eine erste Abstimmung gescheitert war, zeigte sich Tiberius am Vortag der Wahl für das Amtsjahr 132 v. Chr. in Anwesenheit seiner Familie vor seinem Haus. Dabei trug er ein dunkles Gewand.37 Dieses Zeichen ist mehrdeutig: Ob er
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nisse wider. Weiterhin waren die comitia tributa auch später nicht der Ort zur Wahl der Tribunen. Aufgrund dessen ist auch für eine allmähliche Verschmelzung der concilia plebis mit den comitia tributa argumentiert worden; die Diskussion bei Jehne (2001) 91 A. 8. Liv. 2, 56, 5–61, 9; zur Weigerung des Appius Claudius Kap. 14.2. Vermutlich zog Livius hier L. Calpurnius Piso Frugi heran, der im Verlauf der kommenden Ereignisse zweimal als Gewährsmann angeführt wird; vgl. FRH 7, 25 (= Liv. 2, 58, 1). Piso als Autor der Gracchenzeit und Konsul des Jahres 133 war in einem hohen Maß an der Entstehung des Volkstribunats interessiert. Dazu zählte im Übrigen auch die Trauerszene zweier Konsulare namens Manlius und Fulvius (Plut. Tib. Gracch. 10, 7–11, 2); vgl. Hall (2014) 15. Interessant ist, dass die narrative Struktur der von Livius berichteten Geschichte erstaunlich ähnelt: Zwei Konsulare treten gegen einen Tribun auf; im Hintergrund steht ein Ackergesetz, die Elite verschwört sich und beseitigt den Tribun letztlich. Auch die Namen stimmen nahezu überein. Möglicherweise lag Livius oder Plutarch eine unleserliche Abschrift vor, die Furius zu Fulvius oder umgekehrt werden ließ. Appian deutet die Episode an; App. civ. 1, 39 (Übers. O. Veh): „So rotteten sich die Reichen in Gruppen zusammen, [und] erhoben ein Klagegeschrei […]. So konnte man jede Art hemmungsloser Klage und Empörung vernehmen.“ Dass bei Appian genauere Angaben fehlen, weist darauf hin, dass es sich hier um die in Kap. 3.2 beschriebene Wechselwirkung zwischen historisch sicheren und weit zurückliegenden Projektionsflächen handelt. App. civ. 1, 62. Plut. Tib. Gracch. 13, 5 und Cass. Dio 24, 83, 7 frg. berichten von der Aktion, wobei der eine den Zeitpunkt vor den Wahltag verlegt, der andere von wiederholten Kleider-
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4. Narrative Strategien: Die literarische Modellierung von Trauerszenen
damit versuchte, das Volk um Schutz für seine Familie und sich zu bitten, oder die Demonstration einer möglichen Anklage im Vordergrund stand, die ihm als privatus drohte, bleibt ungewiss. Es wäre auch möglich, dass Tiberius für einen ermordeten Gefährten Trauer trug. So jedenfalls begründet Plutarch die Wahl der Trauer als politisches Kampfmittel. Angesichts der Umstände, die aus anderen Episoden bekannt sind, liegt die Vermutung nahe, dass es sich hier um keine Trauerbekundung im engeren Sinne handelte, sondern um einen squalor.38 Da es unter den historisch glaubwürdigen Szenen ein Novum darstellte, dass ein Tribun in Amt und Würden Trauer trug, mag die Rechtfertigung dieser innovativen Handlung nachträglich durch die Erwähnung des Todes eines Anhängers legitimiert worden sein.39 Plutarch vermerkt flüchtig, damit habe Gracchus die Aufregung im Volk noch steigern wollen, nachdem die Stimmung aufgrund des Mordes an seinem Parteigänger bereits den Siedepunkt ansteuerte.40 Bei ihm wird auch die Todesangst des Tiberius pointiert; das gleiche gilt für Appian. Die von letzterem infolge dieses Verhaltens berichteten Reaktionen geben Anlass zur Aufmerksamkeit:41 Indem nun die Armen die Lage bedachten, erfasste sie tiefe Trauer über ihren eigenen Zustand; denn sie meinten, nicht mehr als gleichberechtigte Bürger leben zu können, sondern unter dem Zwang, den Reichen Sklavendienst leisten zu müssen. Auch über Gracchus selbst, der ihretwegen solche Ängste und Qualen erduldete, waren sie bekümmert, und so geleiteten ihn alle unter Wehklagen abends zu seinem Haus und redeten ihm zu […]. Dies gab Gracchus neue Tatkraft; noch im Laufe der Nacht versammelte er seine Mitkämpfer […].
Nach Appian wechselte Tiberius die Kleider aus persönlicher Niedergeschlagenheit und zog durch die Reaktion des Volkes, das ihn dennoch weiterhin unterstützte, die Konsequenz, seine politischen Ziele auch in Zukunft zu verfolgen. Gracchus ver-
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wechseln und der Unterstützung durch die Mutter Cornelia berichtet. Selten erfahren wir, dass dieselbe Figur mehrmals in Trauer auftrat, was sicher die unlauteren Mittel, von denen Dio schreibt, hervorheben soll; vgl. Cass. Dio 64, 16, 3 f. und Kap. 9.1. So auch Nippel (1988) 72 und Laurence (1994) 62; zur Politik des Tiberius Gracchus Märtin (2012) 288–397; eine Forschungsbericht bei Santangelo (2007) sowie Hall (2014) 15–7 zum squalor. Bei Liv. 4, 42, 7–9 drohen die Tribune nur mit der mutatio vestis, was ohnehin eine dubiose Begebenheit darstellt; Ciceros Rullus trat nicht dezidiert in Trauer auf, soweit man weiß; vgl. Cic. leg. agr. 2, 13 mit Kap. 5.2. Es ist schwer zu sagen, ob das schmutzige Gewand im Widerspruch zur sancrosanctitas der Tribunen stand. Plut. Tib. Gracch. 13, 5: πρὸς ταῦτα τοὺς πολλοὺς ἔτι μᾶλλον ὁ Τιβέριος παροξύνων μετέβαλε τὴν ἐσθῆτα, καὶ τοὺς παῖδας προαγαγὼν ἐδεῖτο τοῦ δήμου τούτων κήδεσθαι καὶ τῆς μητρός, ὡς αὐτὸς ἀπεγνωκὼς ἑαυτόν. – Zur Erwähnung des Sohnes Gamberale (1995); dabei ist der von Gamberale postulierte Übersetzungsfehler gar nicht so probabile, wie er meint. Er führt neben den Latein-Schwächen Plutarchs auch die Gefahr ins Feld, der das Kind ausgesetzt gewesen wäre. Allerdings kennen wir viele Szenen, in denen die noch nicht erwachsenen Kinder in prekären Situationen als Argument vorgebracht wurden; z. B. Liv. per. 49; Dion. Hal. 2, 45, 5; 8, 39, 3 f. u. v. a. Quint. inst. 6, 1, 24; 33 rät nachdrücklich dazu, mit Kindern zu erscheinen. App. civ. 1, 63 f. (Übers. O. Veh): Οἴκτου δὲ πολλοῦ σὺν λογισμῷ τοὺς πένητας ἐπιλαμβάνον τος ὑπέρ τε σφῶν αὐτῶν, ὡς οὐκ ἐν ἰσονόμῳ πολιτευσόντων ἔτι, ἀλλὰ δουλευσόντων κατὰ κράτος τοῖς πλουσίοις, καὶ ὑπὲρ αὐτοῦ Γράκχου, τοιαῦτα δεδιότος τε καὶ πάσχοντος ὑπὲρ αὐτῶν, σύν τε οἰμωγῇ προπεμπόντων αὐτὸν ἁπάντων ἐπὶ τὴν οἰκίαν ἑσπέρας […] ἀναθαρρήσας ὁ Γράκχος ἔτι νυκτὸς τοὺς στασιώτας συναγαγὼν …
4.3 Eskalation der Konfliktsituation: Radikalisierung der Anhängerschaft
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mutete, die Plebs werde ihn umso intensiver stützen, je betrübter er daherkam. Zudem beschrieb Appian die doppelte Stoßrichtung einer Traueraktion: Zum einen wurde Stimmung gegen die herrschende Kaste erzeugt, zum anderen Mitleid im Sinne des Tiberius erregt. Während bei Plutarch noch einige Phasen der literarischen Inszenierung fehlen – so die Attalos-Episode und die Verteidigungsrede gegen die Anschuldigungen des T. Annius Luscus (cos. 153) –, bevor die Entscheidung getroffen wurde, ein zweites Mal in Folge zu kandidieren und der Konflikt endgültig eskaliert, legt Appian die Trauerszene unmittelbar vor den Wahltag.42 Appians Wortwahl für das Versammeln der Mitstreiter des Gracchus (στασιώτης συνάγω) legt bereits nahe, was folgt, denn stásis bezeichnete nicht nur die politischen Gruppierungen, sondern auch das gewaltsame Austragen politischer Antagonismen.43 Demnach schwor Tiberius seine Parteigänger mit seiner Traueraktion ein, nahm ihnen geradezu den Eid auf seine Person ab. So deutet die Trauerszene nicht nur auf den nahenden Tod des Gracchus hin, sondern zudem auf die Spaltung der Bürgerschaft. Ein vereinbartes (und berüchtigtes) Handzeichen zum Kopf sollte signalisieren, dass physischer Einsatz gefragt war, wenn die Abstimmung verhindert werde. Dass er erhört wurde und es umgehend zu Handgreiflichkeiten kam, macht die Eindringlichkeit seines rhetorischen Erfolgs umso deutlicher.44 Ob das Signal (σημεῖον) umgedeutet wurde, wie Plutarch es will, oder Nasica und seine Komplizen mit einer anderen Form der Propaganda die Oberhand gewannen, steht nicht zur Debatte. Entscheidend ist die Einordung der Trauerszene direkt vor die Kampfhandlungen auf dem Kapitolshügel, wo die Versammlung laut Appian und Plutarch stattfand. Hier nahmen Leben und Bemühen des Tiberius Gracchus ein jähes Ende.45 Die Bedeutung seines politischen Werks stand schon für antike Zeitgenossen trotz des inhaltlichen Scheiterns außer Frage. Doch auch die Mittel, mit denen er seine Absichten umzusetzen gedachte, sollten Schule machen und die Bühne für optimatische und populare Politik bereiten. Insofern steht seine Trauerszene als Vorzeichen vor der Eskalation des Konflikts zwischen den sich nun herauskristallisierenden Politikstilen. Plutarch hebt die Außerordentlichkeit der Ereignisse hervor, indem er – freilich unkorrekt – vermerkt, dass die Stadt seit dem Königssturz von keinem politischen Mord mehr heimgesucht worden war. Appian deutet diesen Umstand nur an und ergänzt, dass damit die Tür für weitere Gewaltexzesse und Gräueltaten geöffnet war, die schließlich in den Prinzipat mündeten.46 Sowohl in der Tiberius-Episode als auch in der Gesamtschau der Ereignisse kommt der von 42 43 44 45 46
Zur Kombination Appians und Plutarchs in den letzten Tagen seines Lebens Taylor (1966); zum Charakter der Versammlung Taylor (1963); zu Luscus MRR I, 452. Zur Verwendung des Begriffs stásis bei den griechischsprachigen Autoren römischer Geschichte Botteri (1989); siehe auch Meier (1994) hier 665–7. App. civ. 1, 65; Fasces und Hölzer der Liktoren seien zerbrochen worden, ein unverhohlenes Zeichen des Aufruhrs; de Libero (2001) und Laser (1997) 218–25. Zu Tod und Senatssitzung, in der Nasica ein consultum ultimum beschwor, App. civ. 1, 67–70 und Plut. Tib. Gracch. 19. Plut. Tib. Gracch. 20 und App. civ. 1, 71 f., der die Abstammung des Gracchus als Gradmesser der Bedeutung hinzufügt; Plut. Tib. Gracch. 1 führt die Genealogie gemäß einer Biographie am Anfang an.
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4. Narrative Strategien: Die literarische Modellierung von Trauerszenen
Gracchus durch sein Auftreten in dunklen Kleidern aufgeheizten Stimmung eine besondere Rolle zu, denn sie markiert in der Erzählung den Punkt, an dem es kein Zurück mehr gab. Im Fall des Tiberius Gracchus endete die Traueraktion tödlich für den Protagonisten, da es ihm gelang, seine Klientel derart zu aktivieren, dass sich seine Gegner veranlasst sahen, mit letzter Konsequenz gegen ihn vorzugehen. Soweit kam es freilich nicht immer. Aber vor allem die Quellen sind es, die uns glauben machen, dass verschiedene Akteure die Trauersymbolik gebrauchten, um ihren Unterstützern die bedrohliche Bedeutung der Situation geradezu vor Augen zu führen. Damit bereiten die Trauerakteure ihre Leute auf die physische Ausweitung des Konflikts vor, die bis in den Tod führen konnte. Beispiele dafür finden sich bei nahezu allen relevanten Autoren. So geben erneut Plutarch und Appian übereinstimmend an, C. Marius sei aus seinem nordafrikanischen Exil zurückgekehrt und habe unter den etrurischen Städten um Rückhalt geworben, indem er auf seine Taten als sechsmaliger Konsul und Sieger über die Kimbern hinwies. Er stellte den vom Bundesgenossenkrieg gebeutelten Städten das Stimmrecht in Aussicht, das ihnen der Senat verweigerte. Er wirkte dadurch überzeugend und zog viele Leute auf seine Seite, da er vor Schmutz starrte und die Haare lang trug. So habe er auch Cinna überzeugt, sich ihm anzuschließen.47 Cinna wiederum bediente sich einer vergleichbaren Strategie, um sich die Legionen in Capua gewogen zu machen: Er zerriss sich unter Tränen die Kleider und fiel zu Füßen der Soldaten und Offiziere.48 Insofern korrespondieren die beiden Szenen bei Appian miteinander. Erst gemeinsam machen sie die folgende Einnahme Roms und die Säuberungsaktion in der Stadt möglich. Nicht nur der Konsul Cn. Octavius fiel dieser von Appian als unheilvoll gezeichneten Koalition zum Opfer, auch die Fronten zu dem in den Osten aufgebrochenen und über kurz oder lang zurückerwarteten Sulla verhärteten sich. Kehrt man auf die Ebene der narrativen Strategien zurück, stellt man fest, dass auch historische Akteure Trauerszenen nutzten, die bereits vorhandene Anhängerschaft – die Rede ist von 500 Mann des Marius – einzuschwören und weitere Helfer hinzuzugewinnen, um die gewaltsame Auseinandersetzung in Form eines Bürgerkrieges einzuleiten. So lassen sich vielleicht die zahllosen Belege für ein Anlegen dunkler Kleider durch das Volk im Angesicht des Bürgerkrieges nicht nur als Ausdruck ihrer Betrübnis über die kommenden Kämpfe und Symbol für einen drohenden, tödlichen Konflikt werten.49 Vielmehr dienten sie der Positionierung innerhalb einer gespaltenen Bürgerschaft. Lediglich die Quellen stellen es so dar, als 47
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App. civ. 1, 306: ῥυπῶν δ᾿ ἔτι καὶ κόμης ἔμπλεως ἐπῄει τὰς πόλεις, οἰκτρὸς ὀφθῆναι … Plut. Mar. 41, 4: ἀλλ᾿ ἐσθῆτι φαύλῃ κεχρημένος καὶ κομῶν ἀφ᾿ ἧς ἔφυγεν ἡμέρας, ὑπὲρ ἑβδομήκοντα γεγονὼς ἔτη βάδην προσῄει, βουλόμενος μὲν ἐλεεινὸς εἶναι, τῷ δὲ οἴκτῳ συμμέμικτο τὸ οἰκεῖον τῆς ὄψεως αὐτοῦ πλέον τὸ φοβερόν, καὶ διέφαινεν ἡ κατήφεια τὸν θυμὸν οὐ τεταπεινω μένον, ἀλλ᾿ ἐξηγριωμένον ὑπὸ τῆς μεταβολῆς.– Vgl. Gran. Lic. 35, 8 Criniti (deformis habitu et cultu) und Val. Max. 2, 10, 6, wo Marius das Exil squalore obsitum zubringt. App. civ. 1, 300; zum Kontext und Kleiderzerreißen Kap. 6.2. Eindringlich, aber teils dem Genre geschuldet: Lucan. 2, 18–44; siehe auch Sall. Catil. 30; deutlicher Cass. Dio 37, 33, 3; 40, 2; Plut. Pomp. 59, 1; Caes. 30, 3; vielleicht steht auch der Bericht des Livius über die Reaktionen nach der Niederlage von Cannae unter diesem Einfluss; vgl. Liv. 22, 56, 4.
4.3 Eskalation der Konfliktsituation: Radikalisierung der Anhängerschaft
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wäre der Bürgerstand geschlossen in Trauer gegangen.50 Doch einträchtig war man mitnichten, denn beide Seiten arbeiteten mit diesem Mittel. Es ist zu erwarten, dass es sich bei diesen Leuten in Trauer um Personen handelte, die unentschlossene Bürger auf ihre Seite zu ziehen und mit rhetorischen Mitteln von ihrer Sache zu überzeugen gedachten. Vor diesem Hintergrund erhält die erste Trauerszene, die Livius für die Republik berichtet, eine Umdeutung. Hier nutzt er die erwartbare Wirkung eines squalor, um überhaupt erst soziale Gräben entstehen zu lassen und aufzeigen zu können. Er führt den Ausbruch der Ständekämpfe auf die Traueraktion eines alten Mannes zurück, deren Potential freilich eher angelegt wurde. Dabei soll im frühen fünften Jahrhundert v. Chr. ein namenloser Veteran mit beschmutzter Kleidung, herabhängendem Bart und Haar auf das Forum getreten sein. Sein Körper habe blass und ausgemergelt ausgesehen. Damit wollte der Veteran nach Livius zum Ausdruck bringen, ihm sei von Seiten der res publica, für die er gekämpft habe, ein Unrecht (iniuria) zugefügt worden. Für die fortwährenden Kriege gegen die Sabiner und umliegende Bergvölker habe er sein Feld vernachlässigt und sei so in Schuldknechtschaft (nexum) geraten.51 Der körperliche Zustand des namenlosen Plebejers streicht die Unerhörtheit des Vorfalls nochmals heraus. Livius schildert im Anschluss an die Szene, wie der ursprünglich begüterte Mann Stück für Stück Hab und Gut verlor. Schließlich könne er statt Narben auf der Brust vorzuzeigen, die er im Kampf gegen die Feinde Roms davongetragen habe und die von seinen Taten zeugten, nur noch die Striemen auf dem Rücken präsentieren, die er dem nexum verdanke.52 Hier wird nicht nur der soziale Abstieg eines römischen Bürgers skizziert. Gleichwohl fühlen sich in der Folge alle Plebejer angesprochen; einige, denen es ebenso erging oder die ähnliches für sich befürchten.53 Ihre libertas scheint auf dem Spiel zu stehen und wird der Freiheit der Patrizier gegenübergestellt, die auch darin besteht, sich plebejischen Besitz anzueignen und sogar der Personen selbst habhaft zu werden.54 In der Folge lässt Livius die Plebejer sich erstmals weigern, sich anwerben zu lassen, obwohl sich die Volsker im Anmarsch befanden. Damit nimmt 50
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Cic. Red. Sen. 12 und Cass. Dio 37, 43, 1–3; 39, 28, 1–30, 4; 39, 2 f. übertreiben offenkundig mit der Zahl der Unterstützer. Cicero spricht von der Menge in Trauer, die ihn vor dem Exil bewahren wollte; sie kann nicht so groß gewesen sein, sonst hätte er nicht flüchten müssen. Dio schreibt davon, dass der Senat im Zwist die Kleider tauschte, doch was meint er, wenn er das gesamte Gremium nennt, das gegen einzelne Senatoren wie Nepos, Pompeius und Crassus vorgeht? Diese zählten dann schon nicht mehr zum Kollektiv und hatten sicherlich reichlich Unterstützer unter den senatorischen Hinterbänklern. Liv. 2, 23, 3: Magno natu quidam cum omnium malorum suorum insignibus se in forum proiecit. Obsita erat squalore vestis, foedior corporis habitus pallore ac macie perempti; ad hoc promissa barba et capilli efferaverant speciem oris. – Zu Phasen und Ursachen der Ständekämpfe Raaflaub (2005b). Liv. 2, 23, 5–7; so darf nicht einmal ein Plebejer – bei allen rhetorischen Abwertungen und Zuschreibungen durch die Elite (Kap. 5) – aussehen, ohne dass die Ordnung gestört scheint. Liv. 2, 23, 7–11; die Leute strömen auf die Straßen, klagen einander und den Senatoren ihr Leid. Zum Wert der Freiheit in der Zeit des Livius zuletzt Arena (2012) hier 35–68; grundlegend Brunt (1988).
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4. Narrative Strategien: Die literarische Modellierung von Trauerszenen
die Plebs Bezug auf die aristokratische libertas, die nur von außen bedroht war. Dadurch schafft das Volk ein Bewusstsein für seinen Beitrag zum Status der Patrizier, denn ohne die Plebs ist der Adel den benachbarten Gemeinwesen ausgeliefert, oder kurz: keine Elite ohne die einfachen Leute.55 Die narrative Bedeutung der Begebenheit liegt vor allem darin, dass gezeigt wird, wie man das Mittel, sich der Truppenaushebung (tumultus) zu entziehen, erfand. Die Verweigerung, sich ausheben zu lassen, stellte eine wesentliche Strategie des plebejischen Standes in der Auseinandersetzung mit der Oberschicht dar. So gesehen kommen die Verweise auf Kriegswunden und den Rang eines Zenturios nicht von ungefähr.56 Die der Trauerszene ebenfalls eingeschriebene militärische Komponente bestimmt den weiteren Verlauf und das Instrument der Konfrontation zwischen den Ständen. Die Trauerszene selbst benötigt man aber, um die Erregung des Volkes zu provozieren und eine Stimmung an das Tageslicht zu fördern, die bereits zuvor an die Oberfläche drängte. Dieses Schrittes bedurfte es aber, um den einfachen Leuten ihre gemeinsame Lage bewusst zu machen. Auf diese Weise konnte Livius in den folgenden Büchern immer wieder das plebejische Standesbewusstsein beschwören. Dazu gehört aber auch die Gegenseite, die sowohl Trauerakte als auch die militärische Verweigerung grundsätzlich ablehnt. Nun lässt Livius zum ersten Mal einen Appius Claudius auftreten, dessen Volksfeindlichkeit zum Ausdruck kommt, indem er ein Exempel fordert, damit die übrigen Bürger Ruhe gäben. Diese Haltung verwendet Livius nicht nur für die gens Claudia als role model,57 sondern – wenn auch in gemilderter Form – für viele Anhänger einer streng patrizischen Gesinnung. Insgesamt konnte gezeigt werden, dass antike Schreiber dazu neigten, Trauerszenen als modellierbare Bausteine den jeweils für den Leser absehbaren Konflikten vorzulagern und anzupassen – etwa indem sie auf die Notwendigkeit zusätzlichen symbolischen Aufwandes verwiesen, wenn ein Publikum nicht auf den squalor einging. Damit füllten sie nicht selten Lücken in der Überlieferung, die ihnen narrative Freiheiten gewährten. Nicht alle Historiographen taten dies in demselben Umfang. Plutarch fügt sich aufgrund seiner Fokussierung auf einzelne Viten und weniger auf historische Prozesse nur ungenügend in dieses Muster ein. Für den Sturz des Königtums und des Decemvirats sowie für den latent schwelenden Konflikt zwischen Patriziern und Plebejern bzw. Optimaten und Popularen konnte exemplarisch gezeigt werden, auf welche Weise Trauerszenen dazu gereichten, bereits im Vorfeld narrativ angelegte Spannungen zum Aufbrechen zu bringen. Dabei wurde enthüllt, dass sich gerade textlich ein Auseinandertreten der instrumentellen und symbolischen Wirkung von Trauerakten beobachten lässt: Je weniger eine 55 56 57
Liv. 2, 23, 12 ff.; Livius leitet das Jahr (angeblich) 495 v. Chr. mit dem Hinweis ein, der alte Tarquinius sei gestorben und nun bestehe kein Grund mehr für die Oberen, Einvernehmen mit dem Volk zu zeigen; vgl. Liv. 2, 21, 5 f. Zu Wunden Kap. 2.3 Anm. 80; zum tumultus Golden (2013) 42–96, der auf das vestem mutare als saga sumere verweist. Liv. 2, 23, 15. Seinen vermeintlichen Sohn und/oder Enkel begegnet man bereits im Kontext anderer Trauerszenen; zu dieser Koinzidenz Walter (2004b), Ungern-Sternberg (2006b) und Kap. 3.2.
4.3 Eskalation der Konfliktsituation: Radikalisierung der Anhängerschaft
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Trauerszene von einem bestimmten Teil des Publikums beachtet wurde, umso nachdrücklicher nahm sie auf einen anderen Teil oder die Nachwelt Einfluss. Nicht bei jedem in der Überlieferung gezeichneten Konflikt ging es um Umsturz oder Bürgerkrieg. Auch kleinere Konfrontationen, die sich freilich im Spannungsfeld der Pole Patrizier/Plebejer oder Optimat/Popular abspielten, nahmen ihren Ausgangspunkt häufig von einer Trauerinszenierung, denn ein politischer Gegensatz besteht in einem sich durch ein hohes Maß an Öffentlichkeit auszeichnendem Gemeinwesen erst, wenn er zum Gegenstand öffentlicher Debatten wird. Diese Erörterung antizipierte man am besten, indem man ein Zeichen setzte, wie es ein squalor vermochte. Daher stößt man auch auf Trauerszenen, die weder zur politischen Gruppenbildung noch zur Eskalation einer Auseinandersetzung beitragen, sondern schlichten oder im Sande verlaufen. Damit sind sie gleichsam Spiegel jeder politischen Debatte. Setzten Trauerzenen nicht immer historische Veränderungen in Gang, so stellten sie doch zumindest einen wichtigen Baustein in der Erzählstrategie antiker Autoren dar, um Phasen ihrer Erzählung voneinander abzugrenzen und neue Entwicklungen zu plausibilisieren. Wenn man die Trauerszenen als Motive in der historiographischen Narration versteht, sie als mediativ oder konfrontativ identifiziert, muss man gleichzeitig beachten, dass auch diese Bausätze aus Einzelteilen bestanden. Die rechte Zusammensetzung und angemessene Anwendung dieser Kleinstteile entschied über Erfolg oder Misserfolg einer Trauerszene – sowohl in der Erzählung, die durch den Autor angelegt war, als auch in der politischen Arena. Welche symbolischen und rituellen Elemente dieser Baukasten umfasste, ist Gegenstand des nächsten Teils der Arbeit.
III. TEIL DAS ZEICHENREPERTOIRE SYMBOLISCHER TRAUERAKTE
5. ABGRENZUNG, ZUSCHREIBUNG, ABWERTUNG: DIE KLEIDUNG DER RÖMER Nach den Vorüberlegungen und Grundlagen zur Gestalt des Quellenmaterials ist es nun daran, das verwendete Zeichenrepertoire aufzuschlüsseln, seinen Nutzen im jeweiligen Kontext aufzuzeigen, vor allem aber die Art und Weise sowie die Logiken der Zusammenstellung verschiedener Zeichen und Gesten in der Praxis symbolischer Trauerakte darzustellen. Die folgenden Kapitel des dritten Teils stellen die Konventionen zusammen, nach denen Autoren und Akteure Zeichen wie Gesten arrangierten. Während der korrekte Vollzug dabei durchaus Beachtung findet, spielen Sabotage und Wirkung erst im vierten Teil eine gesonderte Rolle. Es gab verschiedene Anlässe zur Darbietung symbolischer Trauerakte (vgl. Kap. 2). Als entscheidendes Kriterium zur Identifikation des squalor diente aber stets dunkle, schwarze, beschmutzte oder verschlissene Kleidung, zu der weitere Zeichen und Gesten, wie etwa der Bart, treten konnten. Um die Aussagekraft der Kleidung beim symbolischen Trauern zu erfassen, wird man sich zunächst dem Kleidungsstil der römischen Elite widmen müssen, mit dem sie im öffentlichen Raum auftrat.1 Die Gewänder der Römer zu beschreiben, ist unverzichtbar, da diese Darstellung den Kontrast zu den Kleidern bei einem Trauerakt offenzulegen vermag.2 Es wird sich zeigen, dass die Zeichenhaftigkeit, mit der Kleidung versehen war, nicht nur uneindeutig war. Im Gegenteil spielte man gezielt mit ihrer Vieldeutigkeit, denn die Art und Weise, wie die Gewänder beschrieben werden, weisen neben Trauer auch auf soziale Hierarchien hin. Die Ambivalenz der Kleidung – so eine zentrale These – trug wesentlich zum performativen und instrumentellen Gelingen eines squalor bei. Kleidung kann sozialen Status, Geschlecht, Ethnie, Alter, Werte und Normen markieren, insgesamt also Fragen der individuellen und kollektiven Identität berühren. Identität ist aber weder dem Individuum noch einer Gruppe inhärent. Vielmehr bedarf es der kontinuierlichen Ausübung der reklamierten Eigenschaften, die erst durch den Vollzug ausgeprägt werden. Das heißt nichts anderes, als dass das Anlegen wie Tragen von Kleidern als performativer Akt zu gelten hat und mit anderen 1
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Die zunehmende Menge an Forschungsliteratur zur Kleidung der Römer zeugt vom gesteigerten Interesse an der symbolischen Seite römischer Kultur. Die wichtigsten Arbeiten sind Bonfante Warren (1973); Kolb (1977); Goette (1990); Flaig (1993); Sebesta/Bonfante (1994); Croom (2002); Chausson/Inglebert (2003); Cleland u. a. (2005); Cleland/Davies/LlewellynJones (2007); Edmondson/Keith (2008); Olson (2008); Starbatty (2010); Gherchanoc/Huet (2012); Harlow (2012); Harlow/Nosch (2014); Meister (2017c); für den symbolischen Ansatz in der historischen Kleidungsforschung Jütte/Bulst (1993); ferner Barthes (1985). – Zu den lateinischen und griechischen termini vgl. s. v. in Cleland u. a. (2007) und Potthoff (1992). Die Bekleidung bei Treffen in kleineren Rahmen bleibt dabei außen vor, da Öffentlichkeit eine Grundvoraussetzung für den Erfolg eines squalor darstellte; vgl. Friedländer, Sittengeschichte I, 93 und 101 f.; Stein-Hölkeskamp (2010) 133 f.; passim; Vössing (2004) 200 f.; Schnurbusch (2011) 154–7 mit einem squalor.
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5. Abgrenzung, Zuschreibung, Abwertung: Die Kleidung der Römer
Gesten einhergeht (vgl. Kap. 1).3 Auch dieser Vorgang kann nur gelingen, wenn bestimmte, konstitutive Kriterien erfüllt sind. Für die Römer bedeutet das, die Identität des Trägers und das Kleidungsstück hatten in einer spezifischen Weise übereinzustimmen; nicht jeder war zum Tragen jeden Gewandes berechtigt. Gerade in Rom war Kleidung streng normiert, denn nur Vollbürger trugen die ungefärbte Toga (toga pura oder libera), die den freien Mann kennzeichnete (toga virilis); Fremden, Sklaven und Frauen stand die Toga nicht zu.4 Togatus war ein Synonym für Bürger; die Römer sahen sich als gens togata.5 Markant sind das gleichzeitige Auftreten von Uniformität und symbolischer Ausdifferenzierung der politischen Klasse.6 Es herrschte gerade innerhalb der höchsten Statusgruppe eine starke Binnendifferenzierung, um Rangunterschiede deutlich anzuzeigen. Als soziale Klasse tritt der römische „Adel“ mit verschiedenen Requisiten in den öffentlichen Raum, die ihm aufgrund von Tradition und von ihm durch legislative Kompetenz beschlossenen Privilegien exklusiv zustand. Am auffälligsten war der clavus, der Senatoren und Ritter vom gemeinen Volk unterschied. Bei Senatsmitgliedern ist dieser Purpurstreifen auf der Tunika breit (latus), bei den equites schmal (angustus). Darüber hinaus stand den Rittern ein goldener Ring (anulus aureus) zu. Dazu trugen alle Mitglieder der Oberschicht geschnürte Stiefel roter Farbe, die bei Patriziern zusätzlich durch einen Verschluss in Halbmondform verziert waren (calceus patricius). Die unmündigen Söhne dieser Elite führten die bulla aurea um den Hals, ein goldenes Amulett, häufig phallischer Form. Beamte, die sich ausschließlich aus dem Senat rekrutierten oder ihm bald angehören sollten, besaßen weitere Distinktionsmerkmale an ihrer Kleidung. Statt der üblichen toga pura trugen sie eine praetexta, deren Saum Purpur führte; im Feld war ein rechteckiger Mantel (paludamentum), der purpurfarben glänzte, üblich. Bei offiziellen Anlässen streifte man die trabea über.7 3
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Zur Identitätsbildung im performativen Akt Butler (1991) 200: „[…] Akte, Gesten und Begehren erzeugen den Effekt eines inneren Kerns oder einer inneren Substanz; doch erzeugen sie ihn auf der Oberfläche des Körpers, und zwar durch das Spiel der bezeichnenden Abwesenheiten, die zwar auf ein organisierendes Identitätsprinzip hinweisen, aber es niemals verhüllen. Diese im allgemeinen konstruierten Akte, Gesten und Inszenierungen erweisen sich insofern als performativ, als das Wesen oder die Identität, die sie angeblich zum Ausdruck bringen, vielmehr durch liebliche Zeichen und andere diskursive Mittel hergestellte und aufrechterhaltene Fabrikationen sind.“ Zur sozialen Normierung und Kontrolle durch Kleidung Edmondson (2008); Flaig (1993) und Kolb (1977); allgemein Martin (2002); zur geschlechtlichen Markierung Davies (2005) und Olson (2008). Grundlegend Wallace-Hadrill (2008) 39–57; Rothfus (2010); Vout (1996); Stone (1994); zu den archäologischen Zeugnissen und Moden Goette (1990); zur stola bei den Frauen Scholz (1992); im Hinblick auf den squalor Stroux (1929) 61; ferner schon Friedländer, Sittengeschichte I, 144. Vgl. Meister (2012) 41–51; Flaig (1993) 199–201; Kolb (1977) 246–8; Gründe bei Märtin (2012) 35–81. Ob sie als Reitermantel der equites oder Zeremonialgewand diente, ist nicht geklärt; vgl. Cleland u. a. (2007) 197; Potthoff (1992) 202. Weitere Standesabzeichen, die aber nicht im engeren Sinne zur Kleidung zählen, waren das Staatspferd (equus publicus) sowie Silberschmuck (phalerae), Amtsstuhl (sella curulis), fasces und Liktoren für höhere Magistrate. – Alle jene Statussymbole pflegte man beim squalor abzulegen; vgl. Kath (2012) 65.
5. Abgrenzung, Zuschreibung, Abwertung: Die Kleidung der Römer
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Obwohl die toga praetexta auch den Senatorensöhnen, die toga pura Mädchen wie erwachsenen Männern zustand, war jedem Römer klar, wem er begegnete, wenn er diese Standesabzeichen auf sich zukommen sah.8 Die Kombination kanalisierte die Botschaft und reduzierte die Polyvalenz der Kleidung. Um diese Eindeutigkeit der Zeichen zu wahren, wurde wenig Abweichung geduldet. Devianz wurde bisweilen zensorisch gerügt, bei einfachen Leuten über charivariartiges Brauchtum gescholten. Aber nur selten musste die Konformität eingeklagt werden, fiel dann aber umso deutlicher ins Gewicht, denn das Tragen dieser Abzeichen galt als Privileg einer mehr oder minder geschlossenen Elite.9 Zum Standesbewusstsein und zur Machtbasis der Führungsschicht zählte eine strenge Abgrenzung gegenüber den übrigen Schichten, die wenig Spielraum für modische Extravaganz ließ. Trotz vereinzelter Kritik am senatorischen Gebaren strahlte die Zurückweisung der einfachen Bürger eine Überlegenheit aus, die von den Beherrschten zumeist akzeptiert wurde.10 Ein Gespür dafür, wie die einfachen Leute gekleidet waren, vermitteln die Tragegewohnheiten der Römer. Da eine Toga aufgrund der großen Menge benötigten Stoffes teuer war, achtete man darauf ihr Textil zu schonen.11 Überhaupt trug man wohl häufiger eine gegürtete Tunika. Bis in die Spätantike gebrauchte man sprachlich für die Tunika vor allem vestis, da sie das häufigste Kleidungsstück darstellte.12 Indem man sie möglichst selten wusch, schütze man den Stoff vor aggressiven und allmählich zersetzenden Substanzen, die im Wäschereiverfahren zum Einsatz kamen. Das Waschen der Kleidung bedeutete eine beständige Gefahr für die Qualität der Textilien; jeder Waschvorgang verschliss das Gewebe zusehends (trita, attrita, vetus). Der Stoff verlor mit der Zeit seine leuchtende Farbe, er wurde immer dünner und rauer, schließlich löchrig.13 Martial beklagt, dass geizige Patrone es 8
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Vgl. Dolansky (2008); Sebesta (2005). Frauen kleideten sich analog in die stola, die als Merkmal römischer Matronen einen symbolischen Wert wie die Toga besaß. Das unterschied sie von unverheirateten Mädchen, aber auch Prostituierten und Ehebrecherinnen, die zur Brandmarkung eine toga muliebris trugen; vgl. Olson (2008) 47–51. Während die Kleidung der Männer an die politische Ordnung erinnerte, suchten Frauen sich durch Schmuck und Kleiderluxus abzusetzen, da ihnen einschlägige Zeichen der Distinktion fehlten; vgl. Liv. 34, 7, 8–9, der L. Valerius in der Debatte um die lex Oppia in den Mund legt, muniditia, ornatus und cultus seien die Insignien der Frauen; vgl. Olson (2008) 100–4. Zur weiblichen Tracht umfassend Olson (2008); Sebesta (1994); Scharf (1994); zu den archäologischen Zeugnissen Scholz (1992). Zum rhetorischen wie juristischen Einklagen Heskel (1994); Mommsen, Staatsrecht III, 219 f.; Kap. 5.3. Vgl. Bourdieu (1985) 18: „Der Sinn für die eigene soziale Stellung als Gespür dafür, was man „sich erlauben“ darf und was nicht, schließt ein das stillschweigende Akzeptieren der Stellung, einen Sinn für Grenzen („das ist nichts für uns“) […], einen Sinn für Distanz, für Nähe und Ferne, die es zu signalisieren, selber wie von Seiten der anderen einzuhalten und zu respektieren gilt […].“ Laut Mart. 12, 72, 4 konnte man mit dem Verkauf verschlissener Kleider noch ein gutes Geschäft machen. – Zur Kleidung in Patron-Klient-Verhältnissen Ganter (2015) 217 f.; 221–7. Pausch (2003) 29 f.; Hurschmann (2002b). Spöttisch bemerkt Iuv. 3, 172–8, dass viele Römer die Toga zum ersten Mal bei ihrem Begräbnis anlegten. So erklärt sich die – freilich satirische – Bemerkung bei Mart. 10, 11, 5 f., dass eine getragene Toga, die nur drei- bis viermal gewaschen sei, ein gutes Geschenk darstelle. Zum Glanz der Kleidung als Statusmarker Wagner-Hasel (2000a) 155–9.
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5. Abgrenzung, Zuschreibung, Abwertung: Die Kleidung der Römer
nicht für nötig erachteten, ihren Klienten Zuwendungen (sportulae) für anständige Gewänder zukommen zu lassen, und wenn doch erhielten sie eine abgenutzte Toga als Dank für die salutatio, bei der sie ungepflegt ohnehin keinen Einlass erhielten.14 Verschleiß wurde nicht nur durch das regelmäßige Waschen der Textilien hervorgerufen. Wenn nicht allein durch die Reinigung mit Beizmitteln verursacht, so lautete die Alternative gegen Abnutzung der Kleidung, die Toga zu tragen, ohne sie regelmäßig zu reinigen. Allein dadurch wurde sie tatsächlich immer schmutziger. Gegen Abnutzung half kaum ein Mittel. So wird etwa auch eine alte, aber gepflegte Toga als dünn und kalt beschrieben. Allein schon das Umhergehen in der Stadt mache das Gewand immer dreckiger (sordidior).15 Abrieb in Menschenmengen, an Häuserwänden und im täglichen Arbeitsprozess führte zum Nachlassen der Stoffqualität. So macht Martial seine Witze, dass der Aufwand für Kleidung durch die unablässigen Aufwartungen in Rom so kostspielig geworden sei, dass man für die Hauptstadt vier oder mehr Togen in einem Sommer benötige, in der Abgeschiedenheit Spaniens dagegen nur eine einzige für vier Sommer.16 Nicht zuletzt reflektiert der Satiriker seine eigene prekäre Stellung als Autor von Epigrammen. Er nennt eine dunkle Kapuzenjacke (cucullus pullus) eines Dichters unwürdig und die Wolle der Trauer schwarz.17 Bei Juvenal zählt Umbricius, der Rom verlassen möchte, um dem Drangsal des städtischen Lebens zu entkommen, die verschiedenen Gründe für eine unwürdige Existenz in der Metropole auf. Er gibt auch sein jämmerliches Äußeres an, das er aus finanziellen Gründen nicht aufbessern könne, und nennt dabei einen zerrissenen Mantel (scissa lacerna)18 und eine schmuddelige Toga (toga sordidula) seine liebsten Kleidungsstücke.19 Das Bild, das Martial und Juvenal zeichnen, ist ohne Zweifel übertrieben. Beide neigen dazu, Idealvorstellungen zu karikieren.20 Dennoch besitzen ihre Äußerungen einen nicht zu verleugnenden Quellenwert. Man erfährt, dass jede Form 14
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Nimmt man eine Kleidergabe als Spendenpraxis an, dann ergab sich daraus die Möglichkeit, auf soziale Hierarchien Einfluss zu nehmen, denn es machte einen deutlichen Unterschied, wem man eine Toga welcher Qualität zukommen ließ; die Quellen dazu sind rar; Mart. 3, 36, 9; 9, 100, 5 f.; als Sachspende vgl. Mart. 14, 125. Mart. 1, 103, 5; 4, 34; 6, 50, 2; 7, 33, 1; zum Nachdunkeln Bradley (2002). Der Witz bei Mart. 10, 96, 11 f.; vgl. Mart. 9, 49, 5–8, wo der Patron Parthenius seine Großzügigkeit über die Jahre verlernt und eine neue(re) Toga vor geraumer Zeit vergeben zu haben scheint. Mart. 10, 76, 8; 14, 157. Mart. 14, 158 schreibt, die Kleidung der Diener sei traurig und meint nicht, dass sie zwingend dunkel war, sondern als Zeichen der Abhängigkeit und des geringen sozialen Status tristis. Bei Suet. Aug. 40, 5 sind gerade diese Mäntel gemeint, wenn es um die pullatorum turba geht; vgl. Potthoff (1992) 129 sowie Kolb (1973) 116–8; siehe Anm. 27; Mommsen, Strafrecht, 390 A. 2 denkt an eine paenula. Iuv. 3, 148 f. Dass die Toga der Kaiserzeit stoffreicher und länger als die republikanische war, verursachte weitere Kosten; Abbildungen bei Goette (1990) Tafel 1–17 für die Toga; Pausch (2003) 233–46 für die Tunika. Beide beabsichtigen, den mittellosen Klienten in ein bemitleidenswertes Licht zu rücken. Sie geben die Gründe an, warum die einfachen Leute so sordidus auf die Eliten wirken und machen gerade die Patrone dafür verantwortlich; zum Umgang mit den Satirikern nun Hartmann (2016) 17–24; zur Darstellung von Kleidung bei den Satirikern Starbatty (2010) 120 f.; George (2008).
5. Abgrenzung, Zuschreibung, Abwertung: Die Kleidung der Römer
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der Textil schonenden Behandlung keine Abhilfe gegen Abnutzungserscheinungen bot und die Kleidung unweigerlich nachdunkelte. Zudem stellt sich die Frage, was es bedeutet, dass Toga-Angelegenheiten im Modus der Witzelei verhandelt werden. Der hohe Grad an symbolischer Kodierung von Gewändern, die mit sozialen wie kulturellen Informationen über den Träger einhergeht, befördert ein sprachliches, freilich ernstes Spiel mit Kleiderfragen. Die Toga bildete die Kontrastfolie, vor der Spott und Hohn überhaupt erst wirken konnten. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die Elite dieses Erscheinungsbild aufgriff, um sich von der Plebs abzugrenzen. Neben Monumenten, Statuen und Münzen nutzen sie vor allem literarische Texte, um Distinktionen fortzuschreiben. Freilich war nur selten die erste Riege der Oberschicht literarisch tätig, doch stilisierte auch die wohlhabende, zweite Garde ihr Aussehen und das der bedeutendsten Honoratioren, nach deren Anerkennung sie strebten, indem sie den übrigen Gesellschaftspartnern ein markant anderes Äußeres zuwiesen. Damit schufen sie ein elitäres Gemeinschaftsgefühl. Kern dieser Zuschreibung war zunächst die Sicht auf die Plebs, die als schmutzig galt.21 Armut als solche, niedere Geburt und die verkommensten Elemente wurden ohne Unterschied als sordida etikettiert.22 Selbst einem erfolgreichen homo novus sind Herkunft und Lebensstil immer wieder zum Vorwurf gemacht worden. Sallust legt Marius in den Mund: Sordidum me et incultis moribus aiunt.23 Diese Sichtweise wurde übergeneralisiert und auf das tägliche Erscheinungsbild der einfachen Leute übertragen. Calpurnius Siculus beschreibt die Kleidung der Menge bei den Schauspielen mit pulla sordida vestis.24 Weniger gering schätzte der jüngere Plinius die sordidi pullatique, wenn er sie als Publikum eines Vortrages in Betracht zieht.25 Quintilian stellt fest, dass man dem pullatus circulus besonders gut mit dem Zusammenschlagen der Hände, dem Stampfen auf den Boden und dem Schlagen auf Schenkel, Brust oder Stirn für sich gewinne, da er zügellos sei. An anderer Stelle vergleicht er ungeübte Redekunst mit den Fähigkeiten der dunklen 21
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Liv. 1, 47, 11; Tac. hist. 1, 4, 3; 3, 74, 2; Suet. Nero 22, 2; ein Volkstribun bei Cic. leg. 3, 20: sordidissimus tribunus plebis C. Curiatius; Tac. ann. 3, 2, 2: atrata plebes; der populus ist dagegen nie schmutzig; vgl. Richlin (2001) 241–3; Olson (2007) 111; zudem Blümner, Privataltertümer, 248; auch Haut (Mart. 2, 36, 2) und Bart (Mart. 4, 53, 4) können sordida sein oder fuscus (Prop. 2, 22, 42; Ov. am. 2, 4, 40 f.; 8, 22; fast. 3, 493). Armut: Hor. carm. 2, 10, 7; Calp. ecl. 7, 80; Geburt: Cic. Flacc. 56; Brut. 224; Hor. epod. 17, 46; Sen. contr. 7, 5, 3; 9, 1, 11; zwielichtige Personen: Cic. Att. 1, 16, 11; Planc. 12; Pis. 62; Petron. 126, 5; Plin. epist. 7, 29, 3; Sen. contr. 1, 2, 8; Charakterisierungen von Personen und Dingen: Cic. Planc. 12; Cluent. 87; Mur. 76; Sest. 60; Pis. 22; 27; 66; 72; Q. Rosc. 23; Red. Sen. 10; Vatin. 1; 10 f.; 13; Scaur. 23; 49; de orat. 2, 339; 3, 128; Brut. 224; Sen. contr. 7 pr. 3–6; squalor als geringe Abstammung: Amm. 14, 1, 1; 15, 12, 2; vgl. Kap. 2.4. Sall. Iug. 85, 39; vgl. Plut. Mar. 41, 4; Val. Max. 2, 10, 6; Gran. Lic. 35, 8 Criniti zum squalor des Marius. Calp. ecl. 7, 26 f.: venimus ad sedes, ubi pulla sordida veste / inter femineas spectabat turba cathedras. Siehe auch 7, 80 f.: … sordes / pullaque paupertas … Vgl. Sen. ira 3, 35, 5. Plin. epist. 7, 17, 9: nonne, cum surgis ad agendum, tunc maxime tibi ipse diffidis, tunc commutata, non dico plurima, sed omnia cupis? utique si latior scaena et corona diffusior, nam illos quoque sordidos pullatosque reveremur.
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5. Abgrenzung, Zuschreibung, Abwertung: Die Kleidung der Römer
Menge (pullata turba).26 Am bekanntesten ist vielleicht die Stelle bei Sueton, in der Augustus die Ädilität anweist, keine Personen ohne Toga das Forum betreten zu lassen. Gemeint ist damit explizit die sogenannte turba pullatorum; die Plebs solle also nicht in ihrer üblichen, dunklen Kleidung auf dem Forum erscheinen, sondern sich herausputzen.27 Daraus ist zu schließen, dass üblicherweise eine Tunika getragen wurde. Wenn Sueton über die Theaterreformen des Augustus schreibt, vermerkt er, dass die pullati nicht in den unteren Rängen der Arenen sitzen mögen.28 Eine späte Notiz bei Isidor von Sevilla nennt pullus sogar die Farbe der armen Leute.29 Das als schmutzig und dunkel gezeichnete Volk kontrastiert deutlich mit den albati, praetextati und candidati der Oberschicht. Hier gilt das Äußere für die Eigenschaft der unteren Klasse als Ganzes. Sie konnte noch so frisch gewaschen sein, die Kleidung der armen Leute galt der politischen Klassen stets als sordida. 5.1 DIE SOGENANNTE „TRAUERKLEIDUNG“: LUGUBRIA, TOGA PULLA, VESTIS SORDIDA Dieser Zuschreibungsmechanismus lässt sich auch für Trauerkleider beobachten, doch unter erschwerten Vorzeichen, denn der Elitendiskurs lässt keine deutliche Unterscheidung zwischen der Kleidung mittelloser Römer und Trauergewändern zu.30 Beide galten als dunkel bis schmutzig und so ist weder für Alltagsgewänder 26
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Quint. inst. 2, 12, 10: iam conlidere manus, terrae pedem incutere, femur, pectus, frontem caedere, mire ad pullatum circulum facit … 6, 4, 6: at quidam litigatoribus suis illum modo ambitiosum declamandi sudorem praestitisse contenti cum turba laudantium destituunt subsellia pugnamque illam decretoriam imperitis ac saepe pullatae turbae relinquunt. Suet. Aug. 40, 5: Etiam habitum vestitumque pristinum reducere studuit, ac visa quondam pro contione pullatorum turba indignabundus et clamitans‚‚en Romanos, rerum dominos, gentemque togatam‘ negotium aedilibus dedit, ne quem posthac paterentur in foro circave nisi positis lacernis togatum consistere. – Vermutlich handelte es sich bei der dunklen Kleidung um den Arbeitskittel; man wechselte die Kleider nicht für unterschiedliche Alltagsaktivitäten wie man heute den „Blaumann“ verwendet. Dafür scheinen die Verwendungen von pullus in der landwirtschaftlichen Fachliteratur des Cato und Columella zu sprechen. Dort ist es häufig Attribut der Erde, die für den Ackerbau und die Feldarbeit schlechthin steht; vgl. Cat. agr. 34, 2; 135, 2; 151, 2; Colum. 1, pr. 24; 2, 2, 19; 4, 33, 1. Bei Varro fehlen diese Belege überraschend. Sueton scheint hier zudem zwei unabhängige Episoden zusammenzuziehen: den Ausruf des Augustus und den konkreten Auftrag an die Ädilität. Ersterer scheint in der Tat auf die plebs pullata zu zielen, letzterer richtet sich jedoch gegen das Tragen der lacerna, diese scheint gerade von der Elite als kumulativer Kleiderluxus über der Toga getragen worden zu sein; die Formulierung nisi positis lacernis togatum consistere deutet wohl in diese Richtung; Kolb (1973) 125–7; Mommsen, Staatsrecht III, 220 A. 2. Suet. Aug. 44, 2: … sanxitque ne quis pullatorum media cavea sederet. Isid. orig. 12, 7, 5: Pulli dicuntur omnium avium nati; sed et animalium quadrupedum nati pulli dicuntur, et homo parvus pullus. Recentes igitur nati pulli, eo quod polluti sint. Unde et vestis nigra pulla dicta est. – Zu dieser Argumentation nun auch Kröss (2017) 118. Zur schwierigen Unterscheidung Olson (2008) 41 f.; 45 f.; (2007) 111; Richlin (2001) 241–3; ferner Hope (2009) 72; 122; Schrumpf (2006) 28 f.; Cleland u. a. (2007) 127 f.; Hurschmann (2002a); Croom (2002) 20 f.; Toynbee (1971) 46; Herzog-Hauser (1937); Kübler (1927) 1699; Blümner, Privataltertümer, 248; Mau (1897) 354; Marquardt, Privatleben, 367.
5.1 Die sogenannte „Trauerkleidung“: lugubria, toga pulla, vestis sordida
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noch für Trauerkleider eine einheitliche Terminologie zu erkennen. Diese Sichtweise schimmert bei Plutarch durch; zunächst ist von der Trauer und Niedergeschlagenheit des Senats angesichts der Verbannung des Coriolan die Rede, um dann festzustellen, dass man Patrizier und Volk nun weder durch Kleidung noch andere Insignien zu unterscheiden vermochte.31 Obwohl die Farben der Trauer bereits in der Antike vornehmlich dunkel waren, ist zu Recht darauf aufmerksam gemacht worden, dass die Überlieferung Beispiele kennt, bei denen schwarze oder dunkle Kleidung nicht mit Trauer in Verbindung zu bringen ist, sondern das Erscheinungsbild der Plebs kennzeichnet.32 Bei anderen Anlässen sind dunkle Gewänder Ausdruck eines dem römischen Standard entglittenen Lebensstils. So klagt Cicero den Müßiggang des Verres auf seinem Landgut an, indem er ihn in einer schwarzen Tunika beschreibt. In pro Rabirio Postumo heißt es, Senatoren würden durch eine süditalische Umgebung dazu verleitet, in der Stadt eine tunica pulla zu tragen.33 Diese Beschreibungen zeugen von verrohten Sitten außerhalb Roms; man gebe zu wenig auf die nötige Distinktion gegenüber dem Gesindel. Wie nötig und wirksam aber der Wechsel in eine dunkle Tunika sein konnte, zeigt das Beispiel des Scipio Asiaticus. Indem er eine tunica pulla anlegte, entkam er den Schergen Sullas. Überhaupt sind Motive des Verbergens oder der Flucht typisch für einen Wechsel zu nicht standesgemäßer Kleidung – häufig als einfacher Bürger, Sklave oder ethnisch getarnt.34 Leute in Trauer – gleich welchen Standes – nannte man dagegen wie das einfache Volk atrati35, pullati oder sordidati.36 Für diese Wendungen wurde mit Recht
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Plut. Coriol. 20, 5: οὐδὲν δ᾿ ἔδει τότε πρὸς διάγνωσιν ἐσθῆτος ἢ παρασήμων ἑτέρων, ἀλλ᾿ εὐθὺς ἦν δῆλος ὅτι δημότης ὁ χαίρων καὶ ὁ δυσφορῶν ὅτι πατρίκιος. Radke (1936) versammelt alles, was mit Schwarz zu tun hat und verweist auf die Assoziation mit Tod, Trauer und Unterwelt; siehe auch Gutsfeld (2010) und Bradley (2009) für die historische und kulturelle Bedingtheit von Farbbedeutungen sowie Haarmann (2005) und Harvey (2013) für eine Kulturgeschichte der schwarzen Farbe. Cic. Verr. 2, 4, 54; 5, 50; vgl. Heskel (1994). So auch der Vorwurf bei Cic. Rab. Post. 26 f.: Deliciarum causa et voluptatis non modo civis Romanos, sed et nobilis adulescentis et quosdam edam senatores summo loco natos non in hortis aut suburbanis suis, sed Neapoli, in celeberrimo oppido … Clark (1909) ergänzt im Folgenden: … in tunica pulla saepe … Die Tusculum-Ausgabe dagegen: … maeciapella saepe videri … Vgl. allein Polyb. 3, 78, 3; 8, 21, 10; 14, 1, 13; Plut. Ant. 5 f.; 10; Caes. 31; 38; 45; Coriol. 22; Brut. 18; Cam. 25; C. Gracch. 13; Pomp. 72; Publ. 17; Sert. 3. Als Ausnahme vgl. Cic. Vatin. 30–2, der toga pulla mit atratus gleichsetzt; vgl. Olson (2007) 103 A. 48. Atratus: Acc. trag. 374 Ribbeck; Cic. Vatin. 30–2; Tac. ann. 3, 2, 2; Suet. Nero 47, 2; Galba 18, 2; Apul. met. 2, 27, 7; Amm. 29, 1, 14; Macr. Sat. 3, 15, 4, Sidon. epist. 1, 7, 11; siehe auch Serv. Aen. 3, 64; pullatus: Pers. 5, 19 (siehe auch Schol. Pers. 5, 19); Iuv. 3, 213; Sidon. epist. 5, 7, 3; Amm. 29, 2, 13; semipullati: Sidon. epist. 1, 7, 9; sordidatus: Ter. Haut. 297; Cic. de orat. 2, 195; Verr. 2, 2, 62; 2, 4, 41; Red. Sen. 12; 37; Sest. 1; 144; 146; Pis. 67; 99; Phil. 2, 73; Liv. 2, 54, 3; 3, 47, 1; 58, 1; 4, 42, 8; 6, 20, 1; Sidon. epist. 1, 7, 9 u. v. a. Die griechische Terminologie: Dion. Hal. 2, 19, 2: μελανείμων; 4, 66, 1: μὲλαιναν ἐσθῆτα; Dion. Hal. 5, 17, 2; Cass. Dio 55, 8, 5: φαιὰν ἐσθῆτα; Cass. Dio 56, 31, 2 f.; 69, 10, 4: μελανειμονῆσαι; vgl. Freyburger-Galland (1993); App. civ. 3, 51: μελαίνῃ στολῇ; siehe auch Radke (1936) 52 A. 419.
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5. Abgrenzung, Zuschreibung, Abwertung: Die Kleidung der Römer
postuliert, dass man eine Tunika annehmen darf.37 Das untermauert Cicero. Er beschreibt den Angeklagten Mn. Aquilius als sordidatus, dem sein Anwalt M. Antonius die Tunika auf der Brust zerreißt, um seine ehrenvollen Narben zu enthüllen.38 Dass das Gewand bisweilen als schmutzig beschrieben wird, ergibt sich aus der Tatsache, dass die Alltagskleidung bereits dunkle Töne aufwies, aber Trauerkleidung in erster Linie die Funktion besaß, die Trauernden beobachtbar von NichtTrauernden und vom Verstorbenen abzuheben. Die bereits dunklen Gewänder wurden zu diesem Zweck aktiv beschmutzt oder zerrissen.39 Als Teil des Trauergestus war diese Praxis in mediterranen Kulturen weit verbreitet. Gleichsam ist anzunehmen, dass sich die Geste des Beschmutzens der Kleidung von der des Anlegens schwarzer Gewänder unterschied. Beschmutzung wurde als Form der Selbsterniedrigung im Angesicht des Verstorbenen oder zur Schmähung eines Dritten angewandt.40 Daher gibt der Elitendiskurs, dem unsere Quellen entstammen, den Kontrast zwischen der weißen oder bunten Alltagskleidung der Elite und der Kleidung bei Trauer als dunkel bis schmutzig wieder. Das Genre der Prozessrede, bei der das Anlegen einer schäbigen Tracht durch den Angeklagten obligatorisch war,41 legt ebenfalls nahe, dass Gewänder situativ be37
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Olson (2007) 111 f.; Hall (2014) 42 hält Tunika und Toga für wahrscheinlich; siehe aber das Haterier-Relief mit den Hinterbliebenen in einem tunikaähnlichen Gewand am Boden des Reliefs; die Frauen auf dem Amiternum-Relief tragen eine nach innen gestülpte Stola; Besprechung und Abbildung bei Toynbee (1971) 46 f., pl. 11; diese Figuren sind barfüßig. Leider wissen wir nichts über Schuhe beim squalor; wahrscheinlich ist ein Verzicht; ein Indiz bietet Suet. Nero 48, 1; siehe auch Kath (2012) 64. Cic. de orat. 2, 195: Sensi equidem tum magno opere moveri iudices, cum excitavi maestum ac sordidatum senem et cum ista feci, quae tu, Crasse, laudas, non arte, de qua quid loquar nescio, sed motu magno animi ac dolore, ut discinderem tunicam, ut cicatrices ostenderem. – Vgl. Hall (2014) 18–20; dazu auch Liv. per. 70: M. Antonius, qui pro eo perorabat, tunicam a pectore eius discidit, ut honestas cicatrices ostenderet. Indubitate absolutus est. – Plut. qu. R. 49 und Coriol. 14, 1 f. berichten unter Berufung auf den älteren Cato, die Römer hätten früher keine Tunika getragen, damit – so einer der möglichen Erklärungen – man (v. a. bei Amtsbewerbern) ihre Narben sehe. Die Idee dahinter ist, dass nicht die Toga, sondern nur die Tunika Narben verberge; also genau jenes Kleidungsstück, das Antonius zerreißt; es gibt ihm die Möglichkeit, seinem Verweis besonderen Nachdruck zu verleihen; zum Narbenzeigen Kap. 2.3 Anm. 80. Prop. 3, 6, 13: ac maestam teneris vestem pendere lacertis? – Siehe auch Curt. 5, 12, 12; 10, 5, 19. Für Rom: Plaut. Poen. 1194 f.; Catull. 64, 350 f.; Tib. 1, 1, 68; Ov. fast. 4, 133–64; Petron. 21, 1; Iuv. 10, 245; Stat. Theb. 6, 621–6; Apollod. 3, 6, 4; Lukian. luct. 12; siehe auch Plut. Sol. 21, 4 f.; für das frühe Griechenland: Hom. Il. 18, 23 f.; 23, 40; 24, 640; für das Judentum: 1 Kön 21, 27; 2 Kön 6, 30; Hiob 16, 15; 30, 19; Joel 1, 13; 1 Mos 18, 27; 2 Sam 13, 18 f.; 2 Sam 14, 2; Est 4, 1; Jer 6, 26; Klgl 3, 16; Est 4, 3; Jes 44, 20; 58, 5; Jona 3, 6; Ps 102, 10; Hes 28, 18; Mal 3, 21; vgl. Bender (2008) 143–90; Martens (1997) 759; Magass (1975); für das Christentum: Mt 11, 21; Lk 10, 13, Off 6, 12. – Wenn Plin. nat. 28, 33 auf Motten verweist, die Trauergewänder meiden würden, dann stellt er die Verunreinigung der Kleider heraus (sordidus), die dem Bild der funestatio entsprachen. – Ein Hinweis auf die Art des Schmutzes ist die Etymologie des Farbattributs ater, das eng mit Asche und Ruß in Verbindung zu stehen scheint; vgl. Walde/ Hofmann (1938) 76. Sen. contr. 1, 1, 17–9; 7, 3, 1; 7, 3, 7; 9, 5, 1; Iuv. 15, 134 f.; siehe noch Amm. 30, 5, 18; vgl. Hall (2014) 41.
5.1 Die sogenannte „Trauerkleidung“: lugubria, toga pulla, vestis sordida
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schmutzt, aber nicht zerrissen wurden. Meistens ist die Rede von vestem mutare, vestis sordida, in squalore esse und verwandten Konstruktionen.42 Gelegentlich ist der Angeklagte obsoletus.43 Gerichtsreden, bei denen mit Übertreibungen zu rechnen ist, verraten, dass begüterte Römer bei entsprechenden Anlässen nicht nur in schmutzigen Kleidern auftraten und diese als Trauergewänder verstanden, sondern dass nicht einmal eine Toga üblich war, da die Tunika das Kleidungsstück für Angeklagte war. Die Realität der Gerichtsnarrative machte es der Elite einerseits schwerer, sich vom Äußeren der armen Bevölkerung zu distanzieren, denn es war nicht nur möglich zuzuhören, sondern auch zu vergleichen, was man gesehen hatte. Andererseits war die assoziative visuelle Nähe zur Plebs durchaus kalkuliert, um die Menge für sich zu gewinnen.44 Diese Anbiederung versuchte der Senatorenstand zu verbergen, indem er andere Begriffe für dieselbe Sache verwendete. In anderen Genres der durch die Oberschicht geprägten Überlieferung legte man bei Trauer die lugubria45, toga oder palla46 an, die pulla, atra oder nigra waren,47 manchmal auch funesta48, oder man verfügte über einen entsprechenden habitus49. Diese poetisch anmutenden Bezeich-
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Allein in den Reden Ciceros findet sich vestem mutare 19mal, dazu dreimal vestitum mutare, und viermal vestis mutatio; siehe etwa Cic. Quir. 8; Planc. 29; 87; Lig. 33; ad Q. fr. 2, 3, 1 u. v. a.; vgl. Sall. hist. frg. 3 Eisenhut; Liv. 2, 61, 5; 4, 42, 7; 6, 16, 4 und 20, 2; 8, 37, 9; per. 105; Tac. ann. 2, 29, 1; Suet. Tib. 2, 4. Das griechische Pendant lautete ἐσθῆτα μεταβαλεῖν: Plut. Tib. Gracch. 10, 7; 13, 5; Cic. 30, 4; Pomp. 59, 1; Caes. 30, 3; App. civ. 2, 55; Cass. Dio 37, 33, 3; 40, 2; 38, 14, 7. – Sordidus/sordes: Cic. Sest. 1; 144 f.; Liv. 3, 47, 1; 3, 58, 1; 4, 43, 7–9; 6, 20, 1; Tac. ann. 4, 52, 2; Oros. 5, 17, 12; squalidus: Cic. Cael. 4; Scaur. 49; Planc. 21; Lig. 33; Val. Max. 6, 5, 2; Tac. ann. 4, 28, 1; Quint. decl. min. 260, 26. Nicht zuletzt verwenden Verteidiger bei Gerichtsreden sordidus und squalidus gern als Hendiadyoin; siehe schon Enn. trag. 276. Bablitz (2007) 226 A. 85 meint zwischen sordes, das die Kleidung bezeichne, und squalor, das für die körperliche Erscheinung stehe, unterscheiden zu können. Allerdings wird auch ein Bart sordidus genannt (Mart. 4, 53), während man den squalor auch anlegen kann wie Kleidung (sumere); vgl. FIRA I, Nr. 44, col. 2, 19 mit Stroux (1929) 61 A. 2. Cic. Verr. 2, 1, 152; Liv. 3, 47, 1; 27, 34, 5; Val. Max. 6, 4, 4; Apul. Flor. 19; ferner Cic. leg. agr. 2, 13; Nep. Ag. 8, 2; Curt. 6, 9, 25. Olson (2007) 114; zur symbolischen Nähe zum Volk auch Kap. 5.2 und 8; ferner Jehne (2000). Der Begriff lässt auf keinen Schnitt schließen; Potthoff (1992) 21. Ihr Name leitete sich von lūgēre ab. Vermutlich diente sie als abstrakter Oberbegriff für alle Kleidungsstücke bei Trauer; Walde/Hofmann (1938) 830 f.; vgl. Dig. 3, 2, 8; Ov. met. 11, 669; trist. 4, 2, 73; Sen. Oed. 553; ad Helv. 2, 2; 16, 1; ad Marc. 2, 5; Prop. 4, 11, 97; Quint. decl. mai. 10, 8; Liv. 51, 9 frg.: lugubri vestis; Sen. Oed. 533: palla lugubris. Varro ling. 8, 13; 9, 33; Apul. met. 11, 3, 5. Vestis: Apul. met. 2, 23, 5; 3, 8, 1; 7, 27, 2; Iuv. 10, 245; Ov. met. 6, 288; 568; 8, 448; Tib. 3, 2, 18; toga: Cic. Vatin. 30–2; CIL XI 1420 = ILS 140, 18; Tab. Siar. frg. b, col. II, 3 (Crawford); Prop. 4, 7, 27; palla: Varro b. Non. 882 Lindsay; sehr selten auch anthracinus: Varro b. Non. 882 Lindsay; caeruleus nur bei Verg. Aen. 3, 64 bzw. Serv. Aen. 3, 64 (als Kopfbinde beim Begräbnis toter Söhne) und CIL XI 1420, 20. Auch vestis funesta lässt in Bezug auf Schnitt, Trageweise und Farbgebung der Kleidung viele Fragen offen, weist aber eindeutig auf einen Bestattungskontext hin; Acc. trag. 86 Ribbeck (vgl. Non. 263 Lindsay): Sed quaénam haec est muliér funesta véste, tonsu lúgubri? Auch hier bleibt die Gestalt unbestimmt; habitus lugubri/lugens: Gell. 6, 5, 7; Suet. Cal. 13, 1; Porphyr. Hor. comm. 2, 20, 22; SHA Max. 31, 1; siehe auch Serv. Aen. 11, 93; 211; habitus sordidus: Quint. inst. 6, 1, 33; decl. min. 283, 2; Sen. benef. 1, 6, 2; Serv. ecl. 2, 28.
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5. Abgrenzung, Zuschreibung, Abwertung: Die Kleidung der Römer
nungen50 treten vermehrt bei begüterten Dichtern, Schriftstellern und Vertretern eines normativen Antiquarismus auf.51 Dabei handelte es sich eventuell um Gewänder aus schwarzer Wolle tarentinischer Schafe.52 Damit hob man sich selbst in Trauer noch von mittellosen Römern ab, indem man den Diskurs über die plebs sordida fortschrieb. Zugleich setzte man sich von den demonstrativ beschmutzten Kleidern der Normalbürger ab.53 Dass diese Wendungen in den Prozessreden kaum auftauchen, gibt Auskunft darüber, dass diese Wahl vor einem sozial breiter gefächerten Publikum nicht als angemessen empfunden wurde.54 Instrumentell galt es primär die Richter, Angehörige des gleichen Standes, zu adressieren. Symbolisch waren alle Zuschauer zu überzeugen. Welchen Einfluss die Umstehenden auf die Juroren haben konnten, zeigen Urteile wie das über Ser. Sulpicius Galba, der trotz zweifelsfreier Schuld durch emotionale Appelle die Anwesenden so berührte, dass ihn die Geschworenen freisprachen.55 Möglicherweise trugen einige Angehörige der höheren Stände eine vestis sordida nicht nur zu Gericht, sondern auch bei Begräbnissen. Sowohl die förmlichen Bezeichnungen des Kleidungsstückes (lugubria, toga, palla) als auch dessen Farben (pulla, atra, nigra) bei einem offiziellen Begräbnis können den Eindruck erwecken, dass die Römer über eine sozial differenzierte Ausdrucksform der Trauer verfügten, die sich in der Kleidung widerspiegelte. Doch die größtmögliche Aufmerksamkeit, darauf war man erpicht, ob in „echter“ oder symbolischer Trauer, erhielten die Mitglieder der politischen Klasse, wenn sich ihre Gewänder soweit wie nur möglich von ihren sauberen, duftenden, weichen, mitunter gefärbten Alltagsroben unterschieden. Das war vor allem mit Kleidern der Fall, die sordida oder squalida wirkten. Freilich ist hier eine gewisse Beinfreiheit anzunehmen, die individuellen 50
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Ebenso das als einziges traditionelles Trauergewand geltende ricinium, ein kurzer Mantel für Frauen, von dem wir kein ikonographisches Zeugnis besitzen, doch angesichts der zahlreichen Belege, in denen Bestattung und Trauer keine Rolle spielen, ist seine Existenz als Trauerkleid abzulehnen; Varro b. Non. 869 Lindsay (inzwischen mafurtium genannt; vgl. Walde/Hofmann (1954) 9). – Siehe auch Varro b. Non. 880; 882 Lindsay; Hug (1914); Potthoff (1992) 164–7; Scharf (1994) 118–20; vgl. Olson (2007) 117–23; Schrumpf (2006) 29. Dagegen Cato agr. 96, 2, 4; Varro ling. 5, 132, 4; 133, 1; 4; rust. 2, 9, 14, 5; Colum. 6, 2, 6; 7, 13, 1; Fest. 342 Lindsay. Siehe etwa Acc. trag. 374 Ribbeck; Verg. Aen. 3, 64; Pers. 5, 19 (auch Schol. Pers. 5, 19); Apul. met. 2, 23, 5; 27, 7; 3, 8, 1; 7, 27, 2; Iuv. 3, 213; 10, 245; Macr. Sat. 3, 15, 4, Serv. Aen. 3, 64. Die tabula siarensis (19 n. Chr.) legt nahe, dass die Kleider nicht gefärbt wurden; Tab. Siar. frg. b, col. II, 3 f. (Crawford): p[ullis] amictos togis, quibus eo-/ [rum --- ius fasque erit habere] eo die sui coloris togam … Überhaupt war eine tiefe und dauerhafte Schwarzfärbung technisch nicht möglich; vgl. Bradley (2009). Zur Trauerkleidung allgemein Hoefer (2010) 10; 220 f.; die einzige kulturgeschichtliche Monographie zur Trauerkleidung geht auf die griechisch-römische Antike kaum ein; vgl. Taylor (2009), deren wesentliche These lautet, dass die Geschichte der Trauerkleidung als Demokratisierung gelesen werden muss, denn bis in das 16. Jahrhundert stellten Trauergewänder ein höfisches Privileg dar. Erst nach und nach breiteten sie sich im Zuge des „Prozesses der Zivilisation“ auch in anderen sozialen Schichten aus. Die Ausnahmen bildet Quint. decl. mai. 10, 8, wo die Klägerin aber aufgrund des Todes ihres Sohnes eine tristiora lugubria trägt, die auch squalida vestis genannt wird; dazu auch Cic. dom. 59; Sen. contr. 9, 5, 1, wo sordida und lugubria in einem Atemzug genannt werden. Zu den Belegen und der Forschungsliteratur siehe Kap. 2.1 mit Anm. 24.
5.1 Die sogenannte „Trauerkleidung“: lugubria, toga pulla, vestis sordida
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Profilierungsstrategien einzelner Nobiles oder ganzer Familien Rechnung trägt; so gehörte es zum Familienprofil der adelsstolzen Claudier, niemals als sordidatus zu erscheinen.56 Diese Spielräume beziehen sich aber auch auf den squalor selbst. Durch den Verlust der „groben Unterschiede“ durch das Ablegen der Rangabzeichen kamen subtilere Distinktionen zum Tragen, denn es ist wahrscheinlich – wenn auch nicht durch die Quellen belegt –, dass feine Nuancen beim Tragen der vestis sordida eine Rolle spielten; etwa die Qualität und Menge des verunreinigten Stoffes, die Art des Schmutzes und die Trageweise. Aus anderen Kleidungskontexten ist dergleichen bekannt.57 Mit den Mitteln der Sprache verschleiern die Quellen, dass die römische Bevölkerung keineswegs schmutzig durch die Straßen lief, sondern lediglich ihre Kleidung im täglichen Gebrauch Schaden nahm und nur zum Anlass der Trauer beschmutzt wurde, um die Gewänder und sich selbst vom üblichen Auftreten abzuheben. Schon die römischen Komödiendichter des zweiten Jahrhunderts v. Chr. nennen sordidus eine Eigenschaft einfacher Leute.58 So überrascht es kaum, dass Martial die schäbige Bemäntelung eines Angeklagten squalidus nennt, während für Varro die palla beim Begräbnis pulla ist.59 Die Überlieferung verrät, dass Mitglieder der Oberschicht schmutzige Gewänder überstreiften, sobald eine Klage gelegt war, und diese Kleidung für Trauer als angemessen betrachteten. Davon zeugt die Bemerkung eines armen Mannes in Senecas Streitreden, der ob des Verlusts seines Vaters Trauer trägt (Sen. contr. 10, 1, 2): Quando autem istis divitibus non sordidati sumus?60 Demnach war aus der Sicht mittelloser Bürger Trauerkleidung schmutzig61 und man war sich der Zuschreibung durch die begüterten Teile der Gesellschaft bewusst. Vor allem wird aus der Stelle ersichtlich, dass es eine Frage der Perspektive war, wie die Kleidung der Unterschicht attribuiert wurde und welche Wertung die Zuschreibung erhielt.62 In der Seneca-Passage wird der junge Mann wiederholt als pauper beschrieben. Die Frage des Reichen, warum er diese Kleidung trägt, sein Unverständnis und die Drohung einer Anklage wegen Nötigung geben preis, dass die Plebs üblicherweise nicht sordide gekleidet war und alle Reden vom schäbigen Volk vor allem der Distinktion dienten. Zudem identifiziert der Reiche den Aufzug eindeutig als Trauergewand. Die Kritik, die in Senecas Debatte zum Ausdruck kommt, weist darauf hin, dass sowohl die Elite – vertreten durch den Autor – als auch die einfachen Schichten, in die er sich hinein56 57 58 59 60 61 62
Vgl. Ungern-Sternberg (2006b); Walter (2004a) 121–30; (2004b); Stroux (1929) 61 A. 1 und Kap. 14.2. Vgl. Suet. Aug. 75; Plut. Cat. minor 6, 3; vgl. Kap. 1.3. Plaut. Asin. 497: … ego sum sordidatus … Vgl. Poen. 267: Cic. Pis. 67 als Bezeichnung für Sklaven; Phil. 2, 73; Ter. Eun. 937; Haut. 297–9 sowie Titinius 184 Ribbeck: Túnicis sordidís, syntheticis … Vgl. Mart. 2, 24, 1 f. und Varro b. Non. 882 Lindsay. Cic. Verr. 2, 1, 152; 5, 127 f. legt nahe, dass die sizilischen Kläger arm und sordidati seien, weil Verres sie beraubt hat. Heskel (1994) 141 f. verkennt, dass nicht nur lugubria, toga pulla etc. „echte“ Trauerkleidung sein konnte, sondern auch vestis squalida/sordida usw.; ähnlich Hall (2014) 41 f. Olson (2007) 114 f. nimmt dagegen an, dass es sich tatsächlich um verschiedene Farbtöne handelte, doch das muss Spekulation bleiben; dazu auch ebd., 102–5.
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5. Abgrenzung, Zuschreibung, Abwertung: Die Kleidung der Römer
zuversetzen sucht, genau wussten, welche Bedeutung von sordidus die andere Gruppe in einem bestimmten Kontext jeweils unterhielt. Folglich ist die vorbehaltlose Gleichsetzung sämtlicher dunkler Gewänder mit Trauerkleidern höchst problematisch: Schmutzig wurde dunkel, dunkel auch schmutzig genannt, je nach Kontext.63 So erwähnt der ältere Seneca, dass auch eine praetexta schmutzig sein kann, wenn man in Trauer ist.64 Verschiedene Bezeichnungen in verschiedenen Zusammenhängen bezeichneten verschiedene Facetten der Kleidung. Demnach kann von „Trauerkleidung“ als solcher keine Rede sein. Vielmehr muss man in der Bezeichnung nach den Anlässen für das Tragen von dunkler und/oder schmutziger Kleidung differenzieren, etwa bei Begräbnissen, politischen Aktionen und vor Gericht.65 Die Verwendung von Kleiderfarben als symbolischer Marker erweist sich für die historischen Akteure als ebenso kontextabhängig wie ihre Deutung. Ähnliches gilt für das Kleidungsstück. Die Angabe, männliche Mitglieder der Oberschicht hätten im Leichenzug eine Toga angelegt, ist präskriptiv und entsprach nicht zwangsläufig der Praxis. Nach Festus trug der Ausrichter des Leichenbegängnisses (dominus funeris) eine praetexta pulla.66 Allein ihm stand bei einem Begräbnis der Purpurstreifen auf dem Togasaum zu. Demnach solle er das römische Festgewand in schwarzer Farbe tragen. Aus der Praxis kennt man keinen Beleg dieser Vorschrift. Trauerkleider zeichnen sich weder durch Farbe noch durch Schnitt gegenüber anderen Formen der Gewandung aus. Alle Schichten trugen in Zeiten der Trauer alte, verschlissene, zerrissene, dunkle, schmutzige oder beschmutzte Kleidung; fast nie eine Toga, sondern eine Tunika. Die literarische Tradition versuchte, die Gemeinsamkeit zwischen Elite und einfachen Leuten zu verschleiern. Insgesamt schrieben die Mitglieder der römischen Oberschicht der Plebs ein Äußeres zu, das in krassem Gegensatz zu ihrem eigenen Auftreten stand. Daher wird im Folgenden auch nur von „Trauerkleidung“ die Rede sein, wenn es um Bestattungskontexte geht. Das Anlegen dunkler Kleidung und Ablegen aller Rangabzeichen durch die Elite führte jedoch die strenge visuelle Trennung der Lebensstile von Unter- und Oberschicht ad absurdum.67 Darin bestand die Wirkmacht des squalor.
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Mart. 8, 3, 10; 14, 68. Liv. Andr. carm. 19, 225 nennt den tiefsten Purpur pullus; ähnlich Plut. Cat. minor. 6, 3. Sen. contr. 9, 5, 1: vagabatur lugubri sordidaque praetexta; siehe auch Fest. 272 Lindsay. Insofern ist der These Philippe Ariès’ zustimmen, dass die Trauerkleidung im modernen Sinne erst eine Erfindung des 14. Jahrhunderts war, in dem die üblichen exzessiven Trauergesten neuen Konventionen wichen, die dem Trauernden Würde und Selbstkontrolle abverlangten. Daher beschrieb man seinen sozialen und emotionalen Zustand statt durch exzessive Gesten der Autoaggression mit speziell geschnittener, schwarzer Kleidung; vgl. Ariès (2008) 209–11; zu den erwähnten Trauerausschweifungen siehe Kap. 6. Fest. 273 Lindsay: Praetexta pulla nulli alii licebat uti, quam ei qui funus faciebat. – Hatte man etwa eine Magistratur mit Imperium inne, passten sich die Liktoren dem Äußeren ihrer Dienstherren wohl an, indem sie ebenfalls schwarz gekleidet beim Trauerfest erschienen; Hor. epist. 1, 7, 5 f., dazu Cic. leg. 2, 61 f. Eine umfassende Neubewertung und Differenzierung plebejischer Lebensstile bei Horsfall (2003).
5.2. Das Anlegen der vestis sordida als Selbsterniedrigung
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5.2 DAS ANLEGEN DER VESTIS SORDIDA ALS SELBSTERNIEDRIGUNG Wenn eine vestis sordida die Trauertracht einfacher Leute war, warum benutzte es dann die Elite bei Gerichtsprozessen und anderen Anlässen? Was bewegte Mitglieder der Oberschicht dazu, dunkle oder beschmutzte Kleider anzulegen? Bei Verhandlungen zu Gericht trug man nicht nur das äußere Zeichen der Trauer wegen der Klage zur Schau. Vielmehr visualisierte die Kleidung den Prestigeverlust, den bereits die Anklage nach sich zog. Damit hält eine zweite Deutungsebene Einzug in den Kommunikationsprozess bei einem squalor: Man erniedrigte sich selbst, indem man gerade nicht die standesgemäße Kleidung anlegte, sondern die armer Leute. Das kam sonst nur im Trauerfall vor, der ebenfalls simuliert wurde. Deutlich tritt der Gegensatz zur standesgemäßen Bekleidung der Elite hervor68 und verweist zugleich auf die Vieldeutigkeit von Kleidung im alten Rom, der man situativ begegnete. Die Minderung von Status war mit dunklen Gewändern und dem Ablegen von Rangzeichen verknüpft. Wie entehrend eine Degradierung war, zeigt eine Anekdote aus der Zeit der Catilinarischen Verschwörung. Dabei verlangte der Senat vom Verschwörer und amtierenden Prätor P. Cornelius Lentulus Sura (cos. 71) die purpurverbrämte Toga abzulegen und gegen das einfache Gewand seines neuen niedrigen Standes einzutauschen.69 Die Verurteilten eines Gerichtsverfahrens wurden im Anschluss an ihren Prozess auch dadurch bloßgestellt, dass man sie der Öffentlichkeit in einer ungegürteten Tunika vorführte wie sonst nur während des Leichenzuges.70 Eine ähnliche Entehrung stellte die Vorführung des 168 v. Chr. durch L. Aemilius Paullus besiegten Makedonenkönigs Perseus in einem dunklen Mantel bei den Legionen und beim berühmten Triumphzug dar.71 Kleider gaben somit Auskunft über das situative Prestige einer Person. Vor Gericht wertete man sein Äußeres dagegen eigenmächtig ab. Um sich vor den Richtern und der Öffentlichkeit möglichst unterwürfig zu zeigen, eigneten sich die Angeklagten im Prozess die Sitte an, die eigene Kleidung mit Schmutz zu versehen, wie es die ärmeren Bürger während einer Trauerphase taten. Die kostbare toga aus kostbaren Stoffen hätte kaum den Effekt erzeugt, den man mit dem Auftritt in einer schäbigen Tunika beabsichtigte. Man wollte sich möglichst servil geben und nicht mit seinem durch Standeszeichen repräsentierten Reichtum prahlen. Vielmehr gedachte man sich auf die Ebene der einfachen Leute zu begeben, sie sich dadurch gewogen zu machen. Auch aus diesem Grund ist die Tunika bei Trauerakten wahrscheinlich. 68 69 70 71
Diesen Gegensatz deutet Quint. inst. 5, 10, 71 vielleicht an, wenn er (vermutlich Cicero) zitiert: ‚non possum togam praetextam sperare, cum exordium pullum videam‘; vgl. Olson (2007) 111; ferner Kath (2012) 65. Plut. Cic. 19, 3: καὶ τήν περιπόρφυρον ἐν τῇ βουλῇ καταθέμενος διήλλαξεν ἐσθῆτα τῇ συμφορᾷ πρέπουσαν. – Zu Sura MRR II, 121 bzw. 166. App. civ. 4, 176: ὁ δὲ πρεσβύτης ἤγετο κόμης τε ἔμπλεως καὶ δύης καὶ ῥύπου καὶ τῆς ἐκ τῶνδε μεταμορφώσεως. – Siehe auch Amm. 14, 5, 9; zur Tunika in der pompa funebris Suet. Aug. 100, 4; als Ehrstrafe in Aug. 24, 2. Liv. 45, 7, 4: Pullo amictu ‚cum‘ filio Perseus ingressus est castra nullo suorum alio comite, qui socius calamitatis miserabiliorem eum faceret. Plut. Aem. 34, 1: … φαιὸν μὲν ἱμάτιον ἀμπεχόμενος … Dazu Pausch (2003) 90.
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5. Abgrenzung, Zuschreibung, Abwertung: Die Kleidung der Römer
Das Problem lag darin gleichzeitig zu signalisieren, dass dieser Zustand nicht dauerhaft sein sollte. Im ersten Moment mochte die Plebs davon angetan sein, dass sich ein Nobilis wie einer von ihnen gerierte. Schnell wurde sich das Volk aber bewusst, dass etwas im Argen lag und keine echte Nähe bestand. Dann kamen zwei Möglichkeiten in Frage, wie die Anwesenden reagieren konnten. Entweder die Plebs fühlte sich verhöhnt oder aber sie suchte den status quo wieder herzustellen, indem sie auf die Entscheidungsträger einwirkte, den Betroffenen zu restituieren. Ersteres scheint trotz zahlreicher missglückter Trauerakte selten und meistens nicht der Grund für ein Scheitern gewesen zu sein – die Unterwerfung zählte offenbar mehr als der Spott, den man unterstellen konnte. Allerdings konnten Gegner darauf aufmerksam machen, dass der squalor unrechtmäßig dargeboten werde und dagegen vorgehen.72 Der Strategie der optischen Angleichung scheinen sich einige Volkstribune dauerhaft betätigt zu haben. Der Tribun P. Servilius Rullus nahm gleich nach seiner Wahl ein heruntergekommenes Äußeres an, das angeblich die tribunizische Gewalt repräsentierte.73 Von Tiberius Gracchus wird Vergleichbares erzählt und Plutarch erwähnt, dass Volkstribune in die Kleidung des Volkes schlüpften, um die Plebs hinter sich zu versammeln. Dabei betont er den Unterschied zu den kurulischen Ämtern, denen die toga praetexta und weitere Insignien zustanden.74 Vermutlich verbirgt sich dahinter eine besondere Form der Solidaritätsbekundung mit dem Volk, die sich nicht alle Tribune zu eigen machten. Vielleicht spielt auch die Bemerkung bei Plutarch, Cato der Jüngere habe einen nahezu schwarzen Purpur getragen, als dieser nicht mehr modisch war, auf eine ähnliche Profilierungsstrategie an und zeigt, dass sich nicht nur populare Volkstribune ein Äußeres zulegten, das mit dem üblichen Erscheinungsbild der politischen Klasse kontrastierte. Damit versuchte man zudem seine Verbundenheit mit den Ahnen zur Schau zu stellen, wie es neben Cato vielleicht auch L. Calpurnius Piso tat (cos. 58); den Bart des Rullus jedenfalls versteht Cicero als barba maiore.75 Auch hier zeichnen sich Verbindungen mit der Feldarbeit ab, derer sich die maiores nicht zu schade waren, und verdichten das Bild um das rustikale Äußere der Trauerakteure.76 72 73 74 75
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Zur physischen bzw. visuellen Nähe bei sozialer Distanz Jehne (2000) und Kap. 8; Gegenmittel in Kap. 13.2. Cic. leg. agr. 2, 13: Iam designatus alio voltu, alio vocis sono, alio incessu esse meditabatur, vestitu obsoletiore, corpora inculto et horrido, capillatior quam ante barbeque maiore … Zu Rullus MRR II, 168. Zu Gracchus App. civ. 1, 62; Plut. Tib. Gracch. 13, 5; Cass. Dio 24, 83, 7 und Kap. 3.3, 4.3 und 8.2; zur Kleidung der Tribune Plut. qu. R. 81. Plut. Cat. minor 6, 3. – Zu Piso und den Assoziationen mit horridus Meister (2009) mit Cic. Sest. 19. Ähnlich wohl L. Manlius Torquatus bei Cic. Sull. 67; Gell. 1, 5, 3; zu modischen Fragen Starbatty (2010) 80 f. und Meister (2017a). – Wir sprechen also von einer popularen Methode, keiner popularen Politik; zur eloquentia popularis, die von Optimaten übernommen worden sei; vgl. Hall (2014) 7; David (1980). Blonski (2008) 55 f. versteht die Strategie völlig falsch und nimmt an, alle Senatoren trugen mit der Zeit so ein Äußeres. Vgl. Meister (2012) 86 f.; Cic. Pis. 19; Cael. 33; Gell. 6, 12, 5. Curt. 4, 1, 22, 2–23, 7 berichtet vom squalor des Abdalonymos, der Ackerbau betrieb und zum König erhoben wurde; vgl. Diod. 17, 47, 3–5; ferner Sen. Thy. 524–6.
5.2. Das Anlegen der vestis sordida als Selbsterniedrigung
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Unterwürfig zeigte man sich aber nicht allein gegenüber mittellosen Römern. Auch die Geschworenen sollten insofern berührt werden, dass sie unter Umständen entgegen ihrer Überzeugung entschieden. Da die Richter je nach Prozessordnung dem Senatoren- und/oder Ritterstand angehörten, waren sie Standesgenossen oder zumindest dem Lebensstil des Angeklagten nahestehende Personen und wie er potentiell von einem Prozess bedroht. Sie erhofften für sich ebenso Milde, wenn sie selbst clementia walten ließen, was ihnen durch den emphatischen Einsatz von Trauerzeichen erleichtert wurde.77 Auch die emotionale Wirkung ist trotz strategischer Überlegungen kaum abzustreiten. Kleidung formt zudem den Habitus und der Habitus die Kleiderwahl. Gewänder wirken sich auf das Verhalten aus. Auf Gang, Haltung, Gesichtsausdruck und Artikulation nehmen sie Einfluss. Äußere, wahrnehmbare Einflüsse wirken auf Handeln und Verhalten von Individuen zurück. Auf Dauer kann das Tragen bestimmter Kleidungsstücke Teil von Habitus und Hexis werden. Eine analoge Situation lag vor, wenn eine Person von Rang auf dem Forum in Kleidern erschien, die ihren Tragegewohnheiten nicht entsprachen. Da dieser Zustand in der Regel nicht von Dauer war, ging das veränderte Gebaren nicht in den Habitus über, aber irritierte Träger wie Beobachter. Habituell daran war, dass man dieses Mittel nutzte, um auf ausgewählte Anlässe zu reagieren, und gezielt Verhaltensirritationen herbeiführen konnte.78 Die Quellen lassen die Erscheinung gelegentlich erahnen. Laut Cicero habe sich Rullus unmittelbar nach seiner Designation eine andere Mimik, Stimme, einen veränderten Gang und eine gebückte Haltung zugelegt sowie ein ungepflegtes Äußeres angenommen, indem er schäbige Kleider anlegte sowie Haare und Bart wachsen ließ. Cicero unterstellt Rullus, die Plebs damit zu täuschen, die Macht der Tribunen zur Schau zu stellen und das Gemeinwesen zu attackieren, indem er das Volk aufwiegele.79 Ob Ciceros Deutung stimmig ist, braucht nicht interessieren.80 Cicero beschreibt das Benehmen des Rullus gezielt einseitig. Dabei vertauscht er Ursache und Wirkung: Warum soll Rullus nicht zuerst die Kleider gewechselt und erst dadurch sein Verhalten verändert haben? Die Verhaltensweise bot zwei Anknüpfungspunkte. Zum einen lehnte man sich an die Plebs an; zum anderen zeigte man den Respekt vor den Ahnen, was dem Volk gleichwohl gefiel. Dass sich Piso einer ähnlichen Strategie bediente, löst die strenge Dichotomie popular-optimatisch auf.81
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Zur Bedrohung durch eine Klage Kap. 2.2; zur Berufung auf clementia Kap. 10; 12 und 13.2. Zur Scheidung von Habitus und Hexis Meister (2012) 41 und 52; ferner Barghop (1994) 80 ff. Cic. leg. agr. 2, 13 fährt fort: … ut oculis et aspectu denuntiare omnibus vim tribuniciam et minitari rei publicae videretur. – Vgl. Hall (2014) 49; Meister (2012) 78. Dazu Starbatty (2010) 74–6; hier kann durchaus die weit verbreitete Vorstellung, eine Amtsperson habe eine persona, zum Tragen kommen, angesiedelt sein; vgl. Meister (2012) 78 f. Corbeill (1996) 169–173 sieht in Piso gerade das Ideal des männlich-optimatischen Erscheinungsbildes, wohingegen er Caesar als effeminiert-popularen Gegenentwurf deutet; vgl. Corbeill (2004) 107–39.
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5. Abgrenzung, Zuschreibung, Abwertung: Die Kleidung der Römer
Dementsprechend wählte der Angeklagte das raue und schmutzige Äußere nicht aufgrund seiner mentalen Verfassung; er führte sie gezielt herbei. Seine Garderobe hatte direkten Einfluss auf sein Auftreten vor Gericht, das nun weniger der aristokratischen als der plebejischen Hexis entsprach. Sein Gang und seine Haltung veränderten sich merklich, wie Properz herausstellt.82 Ebenso wich seine Art, zu sprechen und mit untergebenen oder gleichrangigen Personen zu kommunizieren, signifikant von der üblichen Form der Interaktion ab. Zweifelsohne unterstützte die Materialität der Kleidung die intendierte Erscheinung und Darstellung. Ein Mitglied der römischen Elite war es weder gewohnt, schmutzige Textilien zu tragen, noch den groben, rauen Stoff auf der Haut zu spüren. Womöglich ging von dem Kleidungsstück ein unleidlicher Geruch aus. Ob man sich dieser Wirkung bewusst war oder nicht, ist nicht bekannt, allein, dass es bei den Anwesenden Erfolg versprach und die Chance erhöhte, freigesprochen zu werden. Die Absicht scheint gefruchtet zu haben; kein unangebrachtes Benehmen von Delinquenten als sordidati ist überliefert. Wenn man provozieren wollte, lehnte man den Kleidertausch grundsätzlich ab. Insgesamt gewann die Darbietung dadurch an Glaubwürdigkeit (fides), dass man nicht nur die Optik ärmerer Römer adoptierte, sondern auch das Gebaren der einfachen Leute aufgriff. Der Kleiderwechsel schlug sich direkt auf die Hexis nieder, freilich ohne sie auf Dauer zu verändern, denn tatsächlich war spätestens während des zweiten Jahrhunderts der Kleidertausch zur üblichen Strategie geworden. Der Gestus, seine Standesabzeichen abzulegen und stattdessen ohne jeden Schmuck aufzutreten, hatte somit eine doppelte Stoßrichtung. Sie zielte auf die einfachen Leute und die Standesgenossen ab. Beide Gruppierungen stellten jedoch keine homogenen Massen dar. Wie die Oberschicht in Senatoren und Ritter zerfiel, gab es auch Teile im populus, die oberhalb der plebs sordida rangierten.83 Da ein Trauerakt die Möglichkeit besaß den einen oder anderen Teil der Gesellschaft zu erreichen, aber am besten beide, bot er sich besonders in bedrohlichen Situationen an. Dabei ist nicht davon auszugehen, dass die vermittelte Botschaft Volk und Elite in gleichem Maß anzusprechen vermochte. Je nach Situation und Kontext ist damit zu rechnen, dass an eine Gruppierung bevorzugt appelliert wurde. Diese zweifache Strategie ist bei der Deutung jedes squalor einzubeziehen, auch wenn sie im weiteren Verlauf zum Teil in den Hintergrund tritt, um anderen Aspekten den Vorzug zu geben. 5.3 UM JEDEN PREIS GESEHEN WERDEN WOLLEN: DIE ÖKONOMIE DER AUFMERKSAMKEIT Das Anlegen verschmutzter Kleidung stellte immer ein Ausrufezeichen dar, denn die mutatio vestis war stets mit Normen verknüpft, die der vestimentäre Code (R. Barthes) diktierte;84 das hat sich bereits in der Rullus-Episode angedeutet. So wurde in 82 83 84
Prop. 4, 7, 27 f.: denique quis nostro curvum te funere vidit, / atram quis lacrimis incaluisse togam? Siehe Tac. hist. 1, 4, 3; 3, 74, 2; Liv. 4, 25, 9–14; vgl. dazu Kap. 2.4. Zu weiteren Formen der mutatio vestis Starbatty (2010); Edmondson (2008); ferner Meister (2017a); (2017c).
5.3 Um jeden Preis gesehen werden wollen: Die Ökonomie der Aufmerksamkeit
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bestimmten Situationen zwingend ein Kleiderwechsel erwartet, beispielsweise von einem Angeklagten für die Dauer des Prozesses oder beim Verlust eines geliebten Menschen. Gleichzeitig konnte eine mutatio vestis ihrerseits Situationen herbeiführen, die bestimmte Verhaltensmuster erwartbarer machten. Das Anlegen der vestis sordida war ein deutlicher Appell an Mitleid und Sympathie, aber rief gleichzeitig zur Gefolgschaft und Rache auf. Die Wirksamkeit solcher Aktionen zeigte sich nicht selten darin, dass man nicht einfach darüber hinweggehen konnten, besonders wenn Kollektive in Erscheinung traten: Cicero unterstützten tausende Bürger und ein Teil des Senats, indem sie dunkle Kleidung anlegten. Daraufhin zogen es die Konsuln Gabinius und Piso vor, die Aktion zu verbieten statt nachzugeben. Der squalor war jedenfalls so publikumswirksam, dass er eine Reaktion erforderte.85 Als besonders eindrucksvoll galt die Drohung einer mutatio vestis durch vier Volkstribune des Jahres 423 v. Chr. Laut Livius ergriffen sie für den Konsulartribun des Vorjahres C. Sempronius Atratinus Partei. Einer ihrer Kollegen im Tribunat, L. Hortensius, hatte diesen wegen mangelhafter Kriegsführung angeklagt und wollte trotz des Vetos der vier anderen nicht nachgeben. Darauf entgegneten diese, sie würden vor Gericht ihr Gewand gemeinsam mit Atratinus wechseln, wenn Hortensius seine Anschuldigungen nicht niederlege. Darüber erschrak Hortensius, denn es schien ihm nicht geheuer, dass Vertreter der Plebs für einen Patrizier Trauer trügen und zog seine Klage zurück.86 Bei aller Bedenken im Umgang mit der ersten Dekade des Livius: Gelesen vor der Folie der Auseinandersetzung von Patriziern und Plebejern zeigt sich nicht allein, dass alle politischen Lager und Akteure mit einem squalor gegen gerichtliche Beschuldigungen einschreiten konnten, sondern auch, dass für die augusteische Leserschaft des Livius bereits die Drohung einer solchen Maßnahme einen Weckruf bedeutete.87 Trauerakte sorgten für erhöhte Aufmerk85
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Das Verbot der mutatio vestis in Cic. dom. 55; Pis. 18; Red. Sen. 12; Sest. 32 f., wo es scharf kritisiert wird; dazu Kap. 14.1; sordes als demonstrative Bekundung von Solidarität bei Cic. dom. 26; Pis. 17; Quir. 8; Red. Sen. 31; siehe auch Plut. Cic. 30 f. – Überhaupt konnte deviante Kleidung Aufmerksamkeit hervorrufen; es mussten keine Lumpen sein; vgl. Heskel (1994); Hall (2014) 56 f. Liv. 4, 42, 7–9: Cum illi et de Sempronio et de omnibus summam populi Romani potestatem esse dicerent nec se iudicium populi tollere aut velle aut posse, sed, si preces suae pro imperatore, qui sibi parentis esset loco, non valuissent, se vestem cum eo mutaturos, tum Hortensius „Non videbit“ inquit „plebs Romana sordidatos tribunos suos. C. Sempronium nihil moror, quando hoc est in imperio consecutus, ut tam carus esset militibus.“ Nec pietas quattuor tribunorum quam Hortensi tam placabile ad iustas preces ingenium pariter plebi patribusque gratius fuit. – Siehe auch Val. Max. 6, 5, 2, wo jedoch ein Lucius statt eines Gaius Atratinus als Beschuldigter genannt wird und der squalor wohl auch durchgeführt wurde: nam cum L. Atratino, sub quo duce aciem nostram apud Verruginem a Volscis inclinatam cum ceteris equitibus correxerant, diem ad populum L. Hortensius collega eorum dixisset, pro rostris iuraverunt in squalore se esse quoad imperator ipsorum reus esset futuros … Atratinus ist ein mehr oder minder selbstredender Name, der vielleicht auf Trauerkleidung anspielt (atratus); der Gentizilname wird ausgelassen. Vielleicht verwirrte Valerius der Name des Konsulars, denn die Sempronii galten spätestens mit den Gracchen als durch und durch plebejisches Geschlecht und erlangten erst im Prinzipat patrizische Vorrechte; vgl. Hölkeskamp (2011a) 45. Im Folgejahr wurde der Konsulartribun zu einer Geldstrafe verurteilt; Liv. 4, 44, 6–10; hier auch als Atratinus.
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5. Abgrenzung, Zuschreibung, Abwertung: Die Kleidung der Römer
samkeit. So zogen die Sikuler mit ihrer mutatio vestis die Augen der Öffentlichkeit auf sich, wie Livius berichtet.88 Vor dem Hintergrund der über Jahrhunderte eingespielten Normen, die sich mit dem Tragen bestimmter Kleidungsstücke für die Elite verband, barg der squalor ein transgressives Moment, das dazu gereichte, verschiedene soziale Gruppen zu irritieren und das Interesse der Öffentlichkeit auf sich zu lenken: Je mehr man gegen die ungeschriebenen Kleiderregeln verstieß, umso mehr konnte man damit rechnen, Aufmerksamkeit zu erregen. Dieser Mechanismus ist zunehmend im zweiten Jahrhundert v. Chr. zu beobachten, wie man der durch Cato belegten Szene des Ser. Sulpicius Galba entnehmen kann, der um 149 v. Chr. die Richter so schockierte, dass sie ihn wider Erwarten freisprachen. Vielleicht war Galba damit so erfolgreich, dass er eine wahre Welle in Gang setzte. Vor Gericht war das Anlegen zerlumpter Gewänder mit dem Ende des Jahrhunderts institutionalisiert, was sich bis in die Spätantike nicht änderte. Wie stark dieses Verhalten bereits ritualisiert war, zeigt der Umstand, wie rasch die Weigerung der Erwartung eines squalor gerecht zu werden, Skandalpotential entwickelte: So trug Scipio Aemilianus, als er 139 v. Chr. von einem Volkstribun angeklagt wurde, weiterhin eine glänzende Toga statt der von einem Angeklagten erwarteten Tracht.89 Seine auctoritas machte es möglich, doch damit bot das Anlegen schäbiger Kleider zumindest vor Gericht erstmals weniger Transgressionspotential als das demonstrative Ablehnen des Kleidertauschs. Eine ganze Reihe verweigerter Trauerakte ist in der Folge überliefert.90 Dabei verwundert es wenig, dass einige dieser Figuren als Gegner popularer Politik oder sogar Volksfeinde gezeichnet wurden. Da eine Deutungsschicht der vestis sordida die Verbrüderung mit den einfachen Leuten beinhaltete, war es den Autoren tendenziell unmöglich sie für markant patrizische Gestalten zu berichten. Das heißt nicht, nur populare Politik bediente sich der mutatio vestis, doch glaubwürdiger wirkte ein Trauerakt, wenn man schon im Vorfeld ohne Not mit dem Volk kooperiert hatte. Verhöhnt haben durfte man die Plebs auf keinen Fall. Umgekehrt entzogen sich auch populare Politiker dem squalor. So verbat sich P. Clodius wiederholt die mutatio vestis. Zunächst widersetzte er sich des kollektiven Kleidertauschs für Cicero – freilich verständlich angesichts ihrer Feindschaft und der Absicht mit dem squalor gegen die Gesetzgebung des Clodius zu protestieren.91 Außerdem lehnte er den squalor nicht nur wegen seiner temporären Allianz mit Pompeius ab, als der Senat 88 89 90 91
Liv. 26, 29, 2 f.; vgl. Cic. Quir. 8: Frater erat unus qui suo squalore vestros oculos inflecteret … Gell. 3, 4, 1: … cum esset reus, neque barbam desisse radi neque Candida veste uti neque fuisse cultu solito reorum. – Vgl. Hall (2014) 50 f.; siehe auch Plut. mor. 201c, wo er eine Art squalor darbringt, dazu Kap. 14.2. Vgl. Meister (2017c) 192; zu ähnlichen Fällen ebd., 192 f. sowie Stroux (1929) 63–5 und Kap. 14.2. Cic. Red. Sen. 12: Et cum vos vestem mutandam censuissetis cunctique mutassetis atque idem omnes boni iam ante fecissent, ille unguentis oblitus cum toga praetexta, quam omnes praetores aedilesque tum abiecerant, inrisit squalorem vestrum et luctum gratissimae civitatis fecitque, quod nemo umquam tyrannus, ut, quo minus occulte vestrum malum gemeretis, nihil diceret, ne aperte incommoda patriae lugeretis, ediceret. – Vgl. Kap. 3.1. und Benner (1987) 55; zur Glaubwürdigkeit Morstein-Marx (2004) 165; Kath (2012) 74 und 78.
5.3 Um jeden Preis gesehen werden wollen: Die Ökonomie der Aufmerksamkeit
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56 v. Chr. beschloss, gegen die gesetzeswidrige Bewerbung der Triumvirn Crassus und Pompeius Trauer anzulegen; die folgenden Tumulte kosteten ihn fast das Leben.92 In beiden Fällen untersagte nicht allein Realpolitik, die Kleider zu wechseln. Neben der Polemik Ciceros, der Clodius als gewissenloses Ungeheuer zu entlarven sucht, das sich unentwegt der Senatsmehrheit widersetzt – gerade Clodius’ Anliegen –, spielten auch Standesbewusstsein und familiale Räson eine nicht geringe Rolle. Während der späten Republik weiß zumindest Dionysios von Halikarnassos zu berichten, dass sich ein legendärer Vorfahre des Clodius den squalor im Angesicht einer Anklage verbat. Ob Clodius das Beispiel dieses Appius Claudius vor Augen stand oder die literarische Tradition die Geschichte um den strengen Patrizier nach der Vorlage des Tribuns ausmalte, lässt sich nicht mit letzter Gewissheit bestimmen.93 Allerdings scheint der Kontrast der beiden Politikstile so prägnant, dass man zu einer Einmischung familiärer Interessen neigen wird. Noch im Bona Dea-Prozess trat Clodius als sordidatus auf und warf sich zu Füßen eines jeden Richters, wenn man Cicero Glauben schenken darf.94 Dass Normüberschreitungen bei der Kleiderwahl legitime Argumente vor Gericht waren, zeigen die Reden Ciceros.95 Ein Vorwurf gegen P. Vatinius ist, dass er zu einem Leichenmahl erschien, ohne vorher das Trauergewand abgelegt zu haben, denn bei jeder Form der cena war Festlichkeit geboten. Dass es sich bei der Weigerung des Vatinius, sich der Trauerkleider zu entledigen, um eine politische Demonstration handelte, steht außer Frage. Er attackierte den Beschluss über eine supplicatio für den siegreichen Feldherrn C. Pomptinus, einem Gegner seines Gönners Caesar, und sabotierte die Leichenfeier des Q. Arrius, einem Freund Ciceros. Niemand sprach mehr über den eigentlichen Anlass, sondern nur über die Tat des Vatinius und seiner Spießgesellen. Diese mehrschichtige Ritualkonkurrenz ist beispiellos. Mit einem Ritual während eines anderen Rituals gegen ein drittes zu protestieren, war ein einzigartiger Vorgang. Cicero sieht darin den schändlichen Charakter des Vatinius bewiesen.96 Dieser hingegen hatte sein Ziel erreicht und konnte die Szene als Erfolg verbuchen: Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wurde durch Ciceros Angriff noch einmal auf ihn und seinen Protest gegen das Dankfest für Pomptinus gelenkt. Dass Cicero dezidiert von einer toga pulla berichtet, zeugt vom geschick92 93 94
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Cass. Dio 39, 29, 1–3; besonders 1:… παρῆλθέ τε ἐς τὸν ὅμιλον ἐν τῇ καθηκούσῃ στολῇ, μηδὲν αὐτῆς πρὸς τὸ δόγμα μεταλλάξας, καὶ κατά τε τοῦ Μαρκελλίνου καὶ κατὰ τῶν ἄλλων ἐδημηγόρει. – Vgl. Benner (1987) 145 f. Dion. Hal. 9, 54, 4: … οὔτ᾿ ἐσθῆτα ἀλλάξας οὔτε τὸ τῆς ὄψεως γαῦρον ἀλλοιώσας οὔτε φρονήματός τι ὑφέμενος … Vgl. Liv. 2, 61, 5; Suet. Tib. 2, 4; Kap. 14.2; zur Wechselwirkung von Diskurs und Praxis Kap. 3.2. Vielleicht wollte Cic. Att. 1, 14, 5 seinen Widersacher auch verunglimpfen (ad pedes omnium singulatim); vgl. Cic. Att. 1, 16, 2, wo entweder auf einen squalor oder Gefängnishaft angespielt wird: … non vidit illud, satius esse illum in infamia relinqui ac sordibus quam infirmo iudicio committi … Zum Argumentieren mit Kleidung in Ciceros Reden Dyck (2001); Heskel (1994); Meister (2012) 44–47. Cic. Vatin. 30–2; er wurde durch C. Fibulus und namenlose Handlanger unterstützt; vgl. Heskel (1994) 141; Meister (2012) 47 f.; Hall (2014) 44; zum Problem der toga pulla bei der cena Schnurbusch (2011) 154–7; 178.
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5. Abgrenzung, Zuschreibung, Abwertung: Die Kleidung der Römer
ten Spiel mit Normen, das Vatinius glänzend beherrschte, denn mit der Toga wahrte er den festlichen Charakter der Veranstaltung, unterlief ihn aber zugleich mit der Farbwahl. Ähnlich gelagert, aber unter verkehrten Vorzeichen ist die Episode um Munatia Plancina, der Frau des Cn. Calpurnius Piso, die ihre aufgrund des Todes ihrer Schwester getragenen Trauerkleider aus Freude über den Tod des Germanicus abgelegt haben soll.97 Einen bemerkenswerten Fall, der das Wechselspiel von Kleidung, Norm und ihrer Überschreitung illustriert, kennt Livius. M. Livius Salinator war nach seinem ersten Konsulat (219 v. Chr.) der Prozess gemacht worden, woraufhin er sich aus Rom zurückzog. Jahre später kehrte er heim, nicht ohne Volk und Senat an das an ihm – aus seiner Sicht – begangene Unrecht zu erinnern, indem er wie ein Angeklagter sordidatus und barbatus blieb. Zugleich spiegelte sich in diesem Auftreten die Tugendhaftigkeit der Feldarbeit wider, die er in seinem Exil betrieb.98 Die Zensoren rügten ihn dafür; weniger für die Demonstration selbst, als dafür, dass er auch in der Kurie ungepflegt auftrat. Er wurde gezwungen, die unwürdigen Kleider abzulegen und sich zu rasieren. Die enge Verbindung von Norm und Kleidung tritt vor allem in Fällen zutage, bei denen die Norm verletzt und in Frage gestellt wird. Gerade dann lässt sich beobachten, wie die Grenzen des vestimentären Codes ausgelotet wurden.99 Beim squalor wurde dieses Jonglieren mit Normen durch die Polyvalenz der Kleidung begünstigt. Ein solches Kokettieren mit Normen war immer prekär und stellte einen Balanceakt dar, der sein Ziel verfehlen konnte. Während die Verweigerungsszenen auf die Möglichkeit verweisen, die Aufmerksamkeit für seine Person angesichts ritualisierter Gerichtspraktiken oder kollektiver Trauerakte zu forcieren, zeigt die Vatinius-Episode ebenso deutlich die enge Verknüpfung zwischen Kleidung und Annahmen über den Charakter einer Person.100 Auch das Wesen eines Menschen sollte den römischen Normen und Werten entsprechen. Damit war das System „Kleidung“ tief im Wertekanon der Gesellschaft verankert. Allerdings war ihr Zeichengehalt keinesfalls eindeutig, sondern polyvalent. Nur vor dieser Folie wird klar, warum man sowohl mit einem squalor als auch mit seiner ostentativen Verweigerung gegen verschiedene Vorgänge im Gemeinwesen vorgehen konnte. Angemessenheit stellte den zentralen Bewertungsmaßstab für die Wahl der Kleider dar; sie war aber nicht verbindlich zu regeln und wurde aus verschiedenen Perspektiven unterschiedlich eingeschätzt. Insgesamt fügt sich der squalor daher trotz der scheinbaren Verkehrung ostentativer Statusansprüche sehr wohl in das auch durch Klei97 Tac. ann. 2, 75, 2: … neque ipse gaudium moderans et magis insolescente Plancina, quae luctum amissae sororis tum primum laeto cultu mutavit. – Vgl. Tac. ann. 3, 17, 1 mit Eck u. a. (1996) 222. 98 Liv. 27, 34, 5 f.: sed erat veste obsoleta capilloque et barba promissa, prae se ferens in vultu habituque insignem memoriam ignominiae acceptae. L. Veturius et P. Licinius censores eum tonderi et squalorem deponere et in senatum venire fungique aliis publicis muneribus coegerunt. – Vgl. Habenstein (2015) 132–6; Hall (2014) 42 f.; Kath (2012) 66; Kap. 6.3 und 14.1. 99 Meister (2017c); zu Provokation und Transgression als Strategie spätrepublikanischer Aristokraten Hölscher (2004); zu Erwartungshaltungen Meier (1984); zum Austesten der Regeln symbolischer Trauerakte Kap. 13 und 14. 100 Heskel (1994); Starbatty (2010); zum Spiel mit Statusfragen durch Lumpenkleider Kath (2012) 65.
5.3 Um jeden Preis gesehen werden wollen: Die Ökonomie der Aufmerksamkeit
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dung und Insignien ausgetragene Konkurrenzbewusstsein der römischen Elite ein: Gerade weil man in der Regel mit prachtvollen Gewändern auf sich aufmerksam machte, zog das Lumpenhemd die Augen der Öffentlichkeit an. Noch im Elend versuchten sich Mitglieder der Oberschicht zu übertreffen.
6. TRAUERN UND DROHEN: DER PLANCTUS Der römische luctus stand für die Zeichen und Gesten der Römer, die man semantisch mit Trauer verband.1 Die Römer verwendeten während des Begräbniszeremoniells verschiedene rituelle Elemente, um auf ihre Trauer aufmerksam zu machen oder einen Verlust jedweder Art zu signalisieren. Das Repertoire an Gesten und Zeichen der Trauer war reichhaltig. Zunächst kamen spezifische Accessoires aus dunklen Farben zum Einsatz, die vor allem die Kleidung betrafen.2 Frauen verzichteten auf Schmuck, lösten und rauften sich ihr Haar3, wozu man das Haupt unverhüllt trug.4 Sie weinten, wehklagten5, zerrissen ihre Kleider und schlugen sich auf die Brust6. Zum weiblichen Trauergestus zählte auch das Schlagen auf andere Körperteile wie Wangen, Augen, Schläfen und Arme.7 Vergil spitzt diesen Brauch poetisch zu: Die Schläge seien mitunter so impulsiv gewesen, dass man sie aus der Ferne hörte. So verwundert es nicht, dass berichtet wird, Schläge auf den eigenen Körper hätten zu Hämatomen geführt.8 In älterer Zeit zählte das Zerkratzen der Wangen zum weiblichen Trauerverhalten, wurde aber in Griechenland bereits durch die solonische Gesetzgebung verboten, in Rom untersagte das Zwölftafelgesetz einen exzessiven Ausdruck der Trauer.9 Diese 1 2
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Vgl. ThLL Bd. VII, 2 (1956–79), 1737–44 s. v. luctus. – Die in den Fußnoten folgenden Belegen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Im Gegenteil sind vor allem lateinische Autoren berücksichtigt worden, griechische nur da, wo sie einschlägig und von Nutzen sind. Auch das optionale Beschmutzen der Gewänder gegenüber dem Tragen dunkler Trauerkleidung ist als Geste zu werten; vgl. Kap. 5; Farben: Tib. 3, 2, 18; Iuv. 10, 245; Plut. Thes. 22, 5; Philologos 39; Kleidung: Non. 368; 549 f. Lindsay; Ov. Ib. 100; Quint. inst. 5, 10, 71; Cic. Verr. 2, 5, 40. Alles, was mit Trauer und Tod zu tun hatte, war von dunkler bis schwarzer Farbe; vgl. Radke (1936) 69–73. Schmuck: Liv. 34, 7, 10; Dion. Hal. 5, 48, 4; Haare: Catull. 64, 348–50; Tib. 1, 1, 67 f.; Liv. 1, 26, 2; Lucan. 2, 32; Apul. met. 7, 27, 2; 8, 8, 2; siehe auch Lukian. luct. 11; vgl. Sittl (1890) 274; die ikonographischen Zeugnisse deuten darauf hin, dass es auch ein Schlagen des Kopfes gab; vgl. Schreiber-Schermutzki (2008) 74 f. Petron. 111, 2; Ov. met. 11, 49. Plut. Tim. 39, 1 f. Eine Auflistung der Passagen, in denen Tränen und Weinen vorkommen, wäre endlos; vgl. Fögen (2009). Kleider: Verg. Aen. 12, 609; Ov. epist. 5, 71; met. 9, 636 f.; 14, 420 f.; Iuv. 10, 262; 13, 132 f.; Stat. silv. 2, 1, 171; 5, 1, 20; Apul. met. 8, 8, 2; Brustschlagen: Prop. 2, 13, 27; Petron. 111, 2; Lucan. 2, 39 f.; 235; Stat. silv. 3, 3, 175 f.; 5, 1, 179; 5, 13; Verg. Aen. 4, 589; 12, 155; Ov. am. 3, 6, 58; ars 1, 535; met. 2, 341; 584; 4, 590; 5, 473; 10, 723; 11, 682; 13, 491; 14, 421; 15, 803; trist.1, 3, 78; 3, 3, 48; fast. 3, 864; 4, 25; epist. 5, 71; Sen. Herc. O. 183 f.; Tro. 64; 93 f.; 107; Apul. met. 4, 25, 1; 8, 7, 2; 7, 27, 2; Amm. 28, 6, 15; ferner Lukian. luct. 11. Ps.-Ov. cons. ad Liv. 318; Prop. 2, 9, 10; Stat. Theb. 8, 644 f.; 12, 110; Verg. Aen. 7, 503; Ov. met. 4, 138; Sen. Tro. 120; Quint. decl. mai. 10, 3; Apul. met. 8, 9, 2. Verg. Aen. 12, 604–11; siehe auch Sen. Tro. 66 f.; 110 f.; Blutergüsse: Catull. 64, 351; Ps.-Ov. cons. ad Liv. 317; Curt. 10, 5, 19; Lucan. 2, 335; Ov. met. 8, 536; Quint. decl. mai. 10, 4, Stat. silv. 2, 6, 82 f. Cic. leg. 2, 59; Ov. epist. 5, 72; 11, 92; 12, 153 f.; 14, 51; ars 3, 708; am. 3, 6, 47; Tib. 1, 1, 68; Lucan. 2, 37; Plin. nat. 11, 157; Apul. met. 3, 25, 2; Claud. Gild. 135; siehe auch Plut. Sol. 21,
6. Trauern und Drohen: Der planctus
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ostentative und aggressive Seite der Trauer nannte man planctus, was sich von plangere ableitete, dem Schlagen auf die Brust, aber für alle Formen der im Rahmen der Trauer gegen sich selbst gewendeten Gewalt stand.10 Man findet es auch auf dem Relief aus Amiternum, in dem sowohl die praeficae, die vor dem lectus zu finden sind, als auch die weiblichen Angehörigen am linken oberen Bildrand zerzaustes Haar tragen, eine Trauerfrau rauft sich sogar das Haar.11 Auf dem Haterier-Relief traktieren Frauen und Männer am unteren Bildrand mit den Händen ihre Oberkörper.12 Demgegenüber bezeichnete maeror die in sich gekehrte, stille Betrübnis nach einem Todesfall, während maestitia eine dauerhafte Niedergeschlagenheit ausdrückte. Eine weitere Facette des Trauerns bildet das Wortpaar tristia und tristitia, die eine gewisse Melancholie, aber auch Strenge beinhalten.13 Bei Männern gab es eine ähnliche Bandbreite an Gebärden und Symbolen. Auch sie legten Schmuck und Rangabzeichen ab,14 schlugen sich die zum Teil entblößte Brust15 oder vernachlässigten die Haartracht. Mitunter zerkratzten sie sich die Wangen.16 Zudem konnten sie sich einen Bart stehen lassen.17 Für Männer galten die gleichen Kleidervorschriften, jedoch bedeckten Söhne ihr Haupt mit dem Gewand.18 Weinen und Wehklagen der Männer sowie das eigenhändige Zerreißen ihrer Kleidung werden bei Trauer selten berichtet. Das Spektrum der Quellen durch Epochen und literarische Gattungen zeigt deutlich wie bedeutend und stabil einzelne Trauerriten im antiken Mittelmeerraum waren, vor allem aber dass sie bekannt waren und erkannt wurden.19 Allein die
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4 f.; Lukian. luct. 11; vgl. Wagner-Hasel (2000a); Hurschmann (2002a); zu Griechenland Baumgarten (2008) 37–42. Vgl. ThLL Bd. X, 1. fasc. XV (2005), 2305–8 s. v. planctus; auch in der Vulgata belegt: Jer 6, 26; Joel 1, 13. Ein augusteischer Denar RIC I2 299 gibt, obwohl eine andere Szene darstellend, einen guten Eindruck vom Bild, dass man von einer in Trauer aufgelösten Frau erwartete: Tarpeia in der Vorderansicht schreiend oder klagend, halb unter Schilden begraben, mit erhobenen Händen und gelösten Haar, ohne Übergewand; ähnlich, aber weniger deutlich schon RRC 344/2; zu Tarpeia Varro ling. 5,41; Dion. Hal. 2, 38–40; Liv. 1, 11, 5–9; Ov. met. 14, 776; fast. 1, 261 f.; Prop. 4, 4; Val. Max. 9, 6, 1; ferner Kowalewski (2002) 23–6 und 42–50 zu Horatia, die ähnlich trauernd geschildert wird und ebenfalls den Tod findet. Besprechung und Abbildung des Haterii- und Amiternum-Reliefs bei Toynbee (1971) 44 f., pl. 9; 46 f., pl. 11. ThLL Bd. VIII (1936/61), 41–3 s. v. maeror; 44 f. s. v. maestitia; zur tristitia Graßl (1975); Wacke (1979). Liv. 9, 7, 8; Suet. Aug. 100, 2. In den Zwölftafeln sind Männer nicht explizit erwähnt, sondern nur mulieres. Petron. 81, 2; Ov. met. 3, 481; Sen. Herc. f. 1106 f.; Thy. 1049 f.; ira 1, 16; 3, 4; Iuv. 13, 127; Mart. 2, 11, 5. Iuv. 3, 128; Curt. 7, 2, 5; 8, 2, 5. Sen. dial. 11, 17, 5; Suet. Cal. 24, 2; Frontin. strat. 4, 5, 6, spätrepublikanische Münzen zeigen Bärte bei Antonius, Octavian, Sex. Pompeius und auch Brutus; vgl. Biedermann (2013) und Kap. 12.2. Nach Plut. qu. Rom. 14 ehrten die Söhne ihre toten Väter dadurch wie Götter. Auch die archaische und klassische Überlieferung kannte zahlreiche vergleichbare Gesten; Brustschlagen: Hom. Od. 20, 17; Aischyl. Pers. 1046; Wangenkratzen: Eur. Hec. 655; dunkle Farben bei Trauer: Eur. Hel. 1088; Iph. A. 1438; Alc. 217 f.; Schleier: Hom. Il. 24, 93 f.; Hom.
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6. Trauern und Drohen: Der planctus
besonders emotionalen und übersteigerten Trauerelemente nehmen im klassischen Zeitalter, auch aufgrund von Verboten, ab. Die Bestürzung über einen Verlust wurde nicht allein bei familiären Todesfällen zur Schau gestellt, sondern auch bei Unglücksfällen, finanziellen Einbußen und militärischen Niederlagen. Von dort war es nicht weit bis zum squalor. Weil diese einzelnen Bestandteile, wie der Bart oder die Kleidung etc., aus dem Bestattungsritual bekannt waren, hatten sie auch immer den Effekt, dass sich jeder, der diese Aktion oder dieses Zeichen aufnahm, unmittelbar die Frage stellte, wer oder was verloren worden war. Daher führten Handlungen der Trauerbekundung und die dazugehörigen Zeichen ein Gefühl herbei, das den Emotionen bei Todesfällen nahekam. Selbst ohne die Gesten des planctus antizipierten dunkle Kleidung und struppiger Bart diese Emotionen, die an die affektive Seite der Trauer erinnerten. Im vorliegenden Kapitel steht der planctus im Mittelpunkt, da er auf die expressive Facette der Trauer Bezug nimmt. Diese Seite ist jedoch weniger durch Bestürzung, Mitleid und Verzweiflung geprägt als durch Wut, Zorn und Aggression. Im Folgenden wird gezeigt, dass die autoaggressive Seite der Trauer in Form des planctus als Teil der Trauerinszenierung stets mitzudenken war. Obwohl die Gesten, die mit dieser intensiven Gefühlsbekundung einhergingen, zumeist nicht Teil der symbolischen Traueraktionen waren, bildeten sie einen wichtigen Baustein in der Komposition der Darbietung. Die Möglichkeit, dass die tiefe Betrübnis des luctus in Gewaltanwendung umschlug, war zwar keine Regel in der römischen Geschichte, markiert aber einschlägige Wendepunkte oder erklärt zumindest stürmische Ereignisse, wie die Überlieferung suggeriert. Wenn davon ausgegangen wird, dass Trauerszenen Motive des luctus adaptieren, dann umfasst dies auch den planctus insofern, dass mit der Option des Umschlagens von demonstrativer Passivität als Trauernder in gewaltbereite Aktivität gespielt oder Gewalt billigend in Kauf genommen wird.20 Zunächst wird gezeigt, warum nicht immer diese Drohkulisse errichtet wurde, wenn man einen squalor inszenierte, und weshalb der planctus in
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Hymn. 2, 42; Staub und Asche: Hom. Il. 18, 22 f.; 23, 40 f.; 24, 640; 28, 25; Eur. El. 501. Zur jüdisch-christlichen Praxis siehe unten Kap. 6.2. Ähnlich argumentieren Lintott (1968) 18 und Kath (2012) 72 f.; die Formulierung mutatio vestis spiele mit ihrer Doppeldeutigkeit. Einerseits umfasse es das Wechseln der Alltagskleidung zum Trauergewand, andererseits auch das sagum sumere, also das Anlegen des Kriegsmantels. Damit sei die Drohung des Kleiderwechsels implizit auch als Möglichkeit zu verstehen, das sagum anzulegen; siehe auch Rüpke (1990) 135 f.; Hall (2014) 44 A. 23. Golden (2013) 49–51 geht weiter: Griechischsprachige Autoren, besonders Cassius Dio, konnten nicht mehr zwischen den beiden Formen der mutatio vestis unterscheiden. Demnach drücke der Kleiderwechsel vor Konflikten, etwa mit Catilina, nicht die Trauer der Bürgerschaft über den bevorstehenden Kampf aus. Vielmehr stehe es für das sagum sumere. Auch wenn man die Auffassung, dass vestem mutare viel häufiger als angenommen sagum sumere anstatt das Anlegen dunkler Kleider meine, nicht teilt, so streicht diese Deutung einen Aspekt heraus, der tatsächlich in zahlreichen Trauerszenen von Bedeutung ist. Demnach steht vestem mutare auch häufig für die Bereitschaft zum offenen Konflikt, auch mit gewaltsamen Mitteln. Gegen Goldens Deutung spricht, dass es im Vorfeld anderer Bürgerkriege zu traditionellen Trauerhandlungen kam. Lucan etwa beschrieb den Vorabend des Bürgerkrieges – bei allen Genreunterschieden – in der Sprache der Trauer und schilderte sehr wohl typische Trauerzeichen; Lucan. 2, 18–44; vgl. Schrijvers (1988), der für Lucan die Aspekte der Trauer und des Bürgerkrieges herausgearbeitet hat. Sen.
6.1 Das Fehlen einschlägiger Gesten beim squalor
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den politisch motivierten Trauerakten kaum Spuren hinterlässt. In einem zweiten Schritt wird anhand einer Trauergeste, die Wirkung des planctus im politischen Raum nachvollzogen, um im letzten Unterpunkt das verborgene Potential einer Trauerinszenierung zu beleuchten. Hinter dieser Darstellung steht die These, dass mit jedem squalor eine Drohung verbunden war, sofern dem immanent formulierten Anliegen nicht entgegengekommen wurde. 6.1 DAS FEHLEN EINSCHLÄGIGER GESTEN BEIM SQUALOR Die Gesamtheit der Zeichen, Gesten und Rituale, die gerade vorgestellt wurden, bildeten das Repertoire, aus dem sich ein Akteur bedienen konnte, um eine Traueratmosphäre zu arrangieren. Doch nur ein kleiner Teil des Zeichensatzes, den das Bestattungszeremoniell zur Verfügung stellte, wurde tatsächlich rezipiert. Die Verwendung von Zeichen der Trauer außerhalb des Kontextes der Beerdigung beschränkte sich auf das Tragen dunkler Kleider, vernachlässigter Kopf- und Gesichtsbehaarung, und in wenigen Fällen auf das stille Folgen eines Feindes durch die Straßen der Stadt anstelle der Leichenbahre. Die Gesten des planctus, autoaggressive Handlungen wie das bekannte Haareraufen oder zum Topos gewordene Brustschlagen liegen dagegen aus dem Bereich des squalor nicht vor. Die Ausgestaltung symbolischer Trauerakte mit Formen des planctus beraubte die Darstellung ihrer bewussten Mehrdeutigkeit. Die Dimension der Erniedrigung vor und der Vergemeinschaftung mit dem Volk entfiel, da sich jeder unweigerlich und ausschließlich an Bestattungsrituale erinnert fühlen musste, bei denen Klagefrauen oder (weibliche) Angehörige dieses Verhalten an den Tag legten. Die Bedeutung der Frauen im Trauerzeremoniell verweist zudem auf den vielleicht wichtigeren Grund für das Fehlen der planctus-Gesten bei Trauerinszenierungen. Erneut sind dafür Zuschreibungen verantwortlich zu machen, doch im Gegensatz zur Kleiderfrage wird hier kein gesellschaftliches Gefälle zwischen sozialen Schichten zum Ausdruck gebracht. Vielmehr verhandelt die Literatur hier die römische Geschlechterordnung. Die so häufig proklamierten Unterschiede zwischen weiblicher und männlicher Trauer kamen realiter kaum zum Tragen. Sie sind Produkt eines männlich dominierten Diskurses, der das exzessive Ausleben der Trauer aus Gründen der Staatsräson ablehnte, denn der „gute“ Römer stellte sich schnellstmöglich wieder in den Dienst der res publica. Frauen trugen monatelang Trauer, Männer nur eine knappe Woche. Entsprechend auffällig war das dauerhafte Tragen von Trauerkleidern durch männliche Mitglieder der römischen Gesellschaft. Es wurde unweigerlich als unmännlich gescholten.21
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epist. 18, 2 zeigt deutlich, dass man die Unterschiede zwischen vestem mutare und sagum sumere Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr. noch kannte. Zu geschlechterspezifischer Trauer Mustakillio (2003); Olson (2007); Prescendi (2008); Šterbenc Erker (2009) 144–7; Richlin (2001); ferner Kath (2012) 63; Ecker (1999). Für Seneca: Trombino (1988); Plinius (besonders epist. 4, 2; 4, 7): Hope (2009) 1–3; Gnilka (1973); etwas anders verhält es sich mit dem im Exil befindlichen Ovid: Hellegouarc’h (1976); ferner Holleman (1976). Dass es vornehmlich kaiserzeitliche Autoren sind, die im Hinblick ihrer Einstel-
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6. Trauern und Drohen: Der planctus
Das einschlägigste Beispiel dieser Haltung im Angesicht des persönlichen Verlusts bietet die Geschichte des Siegers über Makedonien. L. Aemilius Paullus hatte vier Söhne, von denen er die zwei älteren von befreundeten gentes adoptieren ließ, da diese in männlicher Linie auszusterben drohten.22 Die beiden jüngeren Söhne aber erlagen wenige Tage vor und nach seinem berühmten Triumphzug einer Krankheit, sodass der Zweig des Aemilius Paullus das gleiche Schicksal erwartete wie die befreundeten Familien zuvor.23 Der Triumphator verwies nun angesichts seines Unglücks auf das Wohl der Republik, das er seinem Schicksal gegenüber stellte.24 Als exemplum diente diese Geschichte vielen trauernden Vätern, denen der männlich-senatorische Habitus eine intensive Trauerzeit nicht gestattete. Von Cicero weiß man etwa, wie sehr er den Verlust der Tochter beklagte und sich daraufhin selbst eine Trostschrift (consolatio) verfasste. Seine Freunde hielten ihn aber an, von seiner Betrübnis Abstand zu nehmen und zum politischen Tagesgeschäft zurückzukehren. Besser sei es sein Schicksal wie Paullus zu tragen.25 Wenig später belehrte er selbst seinen Bekannten Titius, nicht zu sehr in Trauer für den Sohn zu verfallen, da dies seine Männlichkeit und Stellung bedrohe.26 Überhaupt belegt die gesamte Tradition der consolatio-Literatur, dass auch Männer intensiv, bisweilen exzessiv zu trauern pflegten.27 Allein die öffentliche Erwartungshaltung ließ kaum Freiräume.28 Gelegentlich lüftet sich der Vorhang der männlich geprägten Überlieferung. Dass Frauen und Männer in der Praxis kaum unterschiedlich trauerten, belegt eine Stelle bei Tacitus, in der es heißt, bei der Überführung der Asche des Germanicus nach Rom hätten sowohl Männer als auch Frauen ihrer hysterischen Form der Trauer (planctus) Ausdruck verliehen, indem sie sich die Brust schlugen.29 Das berühmte Relief des Hateriergrabes zeigt die Szene einer collocatio, bei der am unteren Rand vier Personen auftreten, die sich die Brust schlagen: Zwei davon sind Männer.30 Noch häufiger findet man ein solches männliches Verhalten in Epos und
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lung zur consolatio untersucht wurden, liegt vor allem an der mangelhaften Überlieferung republikanischer Tradition und nicht zwingend an einem Wertewandel, wie Weggen (2013); Wilcox (2005); Erskine (1997) für Cicero zeigen; vgl. Hall (2014) 100–3. Die Fabii Maximi und Cornelii Scipiones erhielten die Söhne, auch den späteren Africanus; Polyb. 31, 28; Liv. 45, 41, 12; Vell. 1, 10, 3; Plut. Aem. 5, 5; 35, 1; dazu Flaig (2004); (2000); Hölkeskamp (2006) 370. Liv. 45, 40, 6 f. Liv. 45, 41, 1–12; Plut. Aem. 35, 2 f.; alternativ: Vell. 1, 10, 4 f.; dazu auch Hölkeskamp (2010) 85 f. Die consolatio bei Cic. Att. 12, 14, 3; die Freunde: Cic. fam. 4, 5, 1–6; weitere Beispiele in Val. Max. 5, 10, 2. Siehe auch oben Anm. 21. Cic. fam. 5, 16, 6; ähnliche Vorwürfe ereilen Cicero im Exil; siehe auch Cass. Dio 38, 18, 1 ff. Zimmermann (2009); ferner Ochs (1993); zu methodischen Bedenken Larrson Lovén (2014). Bei Petron mehrfach satirisch verarbeitet; vgl. Salanitro (2000); siehe auch Cass. Dio 59, 10, 8. Tac. ann. 3, 1, 4; siehe auch Šterbenc Erker (2011) 44 f.; möglich wäre auch eine literarische Pointierung der Beliebtheit, die Germanicus bei allen Teilen der Bevölkerung – auch bei Männern – genoss. Toynbee (1971) 44 f.; Schrumpf (2006) 32 f.; Bodel (1999) 267–72; ferner Leach (2006); vgl. die Klagefrauen auf dem Amiternum-Relief bei Toynbee (1971) 46 f.; Schrumpf (2006) 279 rechts neben der Totenbahre.
6.1 Das Fehlen einschlägiger Gesten beim squalor
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Prosa, es tritt aber gegenüber der weiblichen Trauerbekundung deutlich zurück.31 Ob die künstlerische und literarische Darstellung trauernder Männer der Übertreibung galt, um den Wert der Verstorbenen zu unterstreichen, den Trauernden zu diffamieren oder Abbild der üblichen Trauerpraxis war, kann nicht mit letzter Sicherheit bestimmt werden. Jedenfalls scheint der sich die Brust trommelnde Mann „denkbar“ gewesen zu sein. Die zahlreichen Belege zu Gesten des Trauerns in der literarischen Überlieferung zeigen deutlich ihre Präsenz im täglichen Diskurs. Besonders häufig treten einschlägige Trauergesten in den Werken von Vergil, Ovid und Apuleius auf, doch auch bei anderen Literaten wie Petron, Properz oder Statius trifft man sie an. Gemeinsam bilden sie gewissermaßen den Trauerkatalog der Römer ab, in dem die mit Trauer assoziierten Zeichen und Gesten der Römer abgelegt waren. Durch den poetischen Charakter der Schriften dieser Autoren weiß man nicht, ob dieses intensive Trauerverhalten der Alltagswirklichkeit entsprach oder nur der literarischen Ausschmückung geschuldet war; das gilt in ähnlicher Weise für bildliche Darstellungen. Auch diese waren Genreregeln unterworfen. Auf den römischen Wahrnehmungshorizont und eine Kenntnis der Gesten unter den Rezipienten verweisen die zahlreichen Belege allemal. Das Kleiderzerreißen ist die einzige Variante des planctus, die in historischer Zeit im politischen Bereich Anwendung fand. Während die übrigen Gesten des planctus entweder Spuren in Form von Narben oder Blutergüssen hinterließen und auch unentwegt aufgeführt werden mussten, um wahrgenommen zu werden, bot das Zerreißen der Kleidung die Möglichkeit, seiner Stimmung vorübergehend Ausdruck zu verleihen, indem man die Lage performativ akzentuierte. Das Kleiderzerreißen hinterließ keine dauerhaft sichtbaren Nachweise, die zu einer Ächtung führen konnten. Sobald die Kleidung gewechselt worden war, verschwand die Sache aus der Öffentlichkeit. Gerade angesichts der strengen Gesetzgebung gegen den planctus seit den Zwölftafeln mussten sich die Angehörigen der Institution, die diese Verbote initiiert hatten, in Zurückhaltung üben. Den Bestimmungen scheint man insofern nachgekommen zu sein, dass keine Neuauflage des Gesetzes vonnöten war.32 Damit konnte man, falls die Aktion nicht den nötigen Effekt erbracht hatte, auch schnell auf eine neue Situation reagieren. Mit Narben im Gesicht und blauen Flecken am gesamten Körper hingegen lud man die Gegner zu Invektiven ein, den gescheiterten, aber auch geglückten Auftritt auszuschlachten. So verfuhr zumindest Cicero mit der erfolgreichen Traueraktion des Vatinius.33 Die Aktion des Vatinius kann als Erfolg gelten, da er die Augen der Anwesenden auf sich zog, indem er althergebrachte Traditionen gezielt missachtete. Mit der Darbietung von planctus-Gesten hätte man jene Möglichkeit, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erhalten, indem man auf weibisches Verhalten anspielte. Doch diese Option 31 32 33
Verg. Aen. 11, 86–90; Apul. met. 8, 7, 1 f.; Lukian. luct. 12 f. Lex XII tab., 10, 3–4 (Düll), siehe auch Cic. leg. 2, 59; 64; Tusc. 2, 55; Plin. nat. 11, 58/157; Fest. 338 Lindsay; Serv. Aen. 3, 67; 12, 606 mit Wagner-Hasel (2002). Cic. Vatin. 30–2. Nachträgliche Berichte nutzen den squalor zum Teil, um gegen eine bedeutende Figur zu polemisieren; vgl. die Invektive gegen Ciceros mutatio vestis bei App. civ. 2, 55 f., der wohl den als Caesarianer Cicero feindlich gestimmten Asinius Pollio verwendete, aber auch Cic. Pis. 89; ferner Sen. suas. 6, 14 f.; 24.
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6. Trauern und Drohen: Der planctus
blieb aus, wenn man der Überlieferung trauen darf. Vielleicht war hier eine dignitas-Bremse am Werk, die stärker wirkte als jedes Transgressionspotential. Das Zerreißen der Kleidung blieb die einzige gesellschaftlich akzeptierte Ausformung des planctus im politischen Raum. Andernfalls lägen zahlreiche Polemiken dagegen vor wie bei Sueton. Er schreibt Nero zu, er habe sich die Gewänder heruntergerissen und auf den Kopf geschlagen, als er von Galbas Abfall erfuhr. Doch dass Sueton diese überzogene Geste erwähnt, verrät vielmehr, wie der Biograph seine Hauptfigur konstruierte. Es dient dazu das Gesamtbild eines hemmungslosen Despoten zu bestätigen, der vor allem von Affekten beherrscht werde.34 Dass erneut Zuschreibungen für die fehlende Verwendung des planctus in der Politik verantwortlich sind, zeigt auch der Einsatz des Kleiderzerreißens in den Quellen. Das Verhalten wird sowohl in weniger gut bezeugte Epochen zurückverlegt als auch auf die Griechen übertragen. Damit gab man einerseits vor, inzwischen solche Formen der Gefühlsäußerung überwunden zu haben und seine Affekte zu kontrollieren, andererseits trug man sie den effeminierten Griechen an.35 Durch die poetische Literatur seit augusteischer Zeit ist die Sitte, sich die Kleider zu zerreißen, besonders für Frauen belegt, was die soziale und literarische Konstruktion von Geschlechterdifferenz untermauert.36 Gerade die griechischsprachige Historiographie neigte dazu, dem Zerreißen der Gewänder eine zentrale Bedeutung zukommen zu lassen. Dem widmet sich der nächste Punkt. 6.2 JENSEITS DER INSZENIERUNG: DAS ZERREISSEN DER KLEIDER ALS SPONTANER TRAUERAKT? Laut Cassius Dio verlieh Augustus seiner Trauer über den Verlust der VarusSchlacht dadurch Ausdruck, dass er sich die Kleidung zerriss. Der Historiker gibt an, der Prinzeps trauerte sowohl wegen der verlorenen Legionen als auch aus Angst vor den Folgen für die germanischen und gallischen Provinzen. Demnach konnte 34
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Tatsächlich warb Nero unter seinen Untergebenen in Rom um Unterstützung in dieser schwierigen Lage; Suet. Nero 42, 1: Postquam deinde etiam Galbam et Hispanias descivisse cognovit, conlapsus animoque male facto diu sine voce et prope intermortuus iacuit, utque resipiit, veste discissa, capite converberato … Auch die Historia Augusta hält ähnliche Aktionen für Auswüchse des Wahnsinns; vgl. SHA Gord. 13, 4; Max. 17, 2; Heliog. 32, 1. – Invektiven gegen Trauer etwa bei Lukian. luct. 12. Früher bei Liv. 1, 13, 1; Griechen besonders bei Curt. 3, 11, 25; 4, 10, 15; 5, 6, 5; 5, 12, 12; 7, 5, 24; 10, 5, 19. Erstmals Ter. Eun. 646; 820; ferner Verg. Aen. 5, 685 (siehe auch Serv. Aen.); 12, 602; 609; Ov. epist. 5, 71; met. 4, 546; 9, 166; 636 f.; 11, 726; 14, 420; Prop. 2, 5, 21; Sil. 1, 673; 16, 436; Iuv. 10, 262; 13, 132 f.; Stat. Theb. 3, 125 f.; 5, 254; 9, 354; silv. 2, 1, 171; 5, 1, 20; Apul. met. 4, 23, 3; 8, 8, 2. Meist tritt dabei eine Konstruktion mit einem Kleidungsstück und einer gebeugten Verbform auf. Am häufigsten ist vestem scindere mit verschiedenen Präfixen, aber auch spezifischere Kleidungsformen können begegnen. Neben scindere sind auch lacerare oder laniare belegt (lacerare: Liv. 8, 32, 11; Petron. 98, 7; 124, 1; Curt. 4, 10, 15; 5, 6, 5; 5, 12, 12; 7, 5, 24; Ov. met. 11, 726; auch als zerzaustes Haar, vgl. Curt. 3, 11, 25, Petron. 133, 4 bzw. laniare: Tac. ann. 11, 36, 1). Im Griechischen findet man Formen wie καταρρήγνυμι.
6.2 Jenseits der Inszenierung: Das Zerreißen der Kleider als spontaner Trauerakt?
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man mit einer solchen Traueraktionen sowohl rückblickend über einen Rückschlag als auch vorausschauend über ein drohendes Übel seine Betrübnis zur Schau stellen.37 Somit fällt die Geste des Zerreißens der Kleider genau in das vorgebrachte Schema von Trauerakten, zumal man ebenso davon erfährt, dass Trauerkleidung dadurch charakterisiert wurde, dass sie zerfetzt war.38 Das Folgende wendet sich den politischen Konstellationen, in denen Kleiderzerreißen genutzt wurde, der Historizität solcher Passagen und einer allgemeinen Deutung der Semantik zu. Abzugrenzen ist die Praxis der Trauerbekundung vom Zerreißen der Kleidung zum Zweck, seine aus Kriegen stammenden Narben vorzuzeigen. Damit formulierte man ebenfalls eine Bitte und warb um Mitleid, rekurrierte aber nicht auf eine Trauersemantik.39 Während die meisten Trauerakte vorzubereiten waren und von ihrer Inszenierung lebten – Kleidung musste erst angelegt oder beschmutzt werden, ein Bart wachsen –, bedurfte das Kleiderzerreißen keiner ausführlichen Vorbereitung, auch wenn eine Planung optional war. Meistens stand im Vordergrund, dass im Gegensatz zum Auftritt als sordidatus der Eindruck der Spontanität suggeriert wurde. Damit erreichte man eine höhere emotionale Aktivierung der Zuschauer. Offenkundig hinterließ das Bild einer Person in zerrissenen Kleidern einen äußerst bemitleidenswerten Eindruck beim Betrachter, der die Notsituationen eindringlich vor Augen geführt bekam, denn ein ähnliches Äußeres besaßen Gefangene und zum Tode Verurteilte. Schuldig Gesprochenen zerfetzte man zuweilen das Gewand.40 Den Erfolg einer Szene bemisst man daran, dass 1) die Zeichen und Gesten des Anliegens erkannt wurden und 2) das Anliegen Gehör fand. Eine gute Darbietung zeichnete sich in diesem Fall – nicht bei jedem symbolischen Trauervorgang – vor allem durch Eindeutigkeit aus, denn nicht jedes Kleiderzerreißen war gleich, weder bei einer wiederholten Handlung eines Individuums noch bei einer kollektiven Aktion. Hat man den richtigen Gesichtsausdruck aufgesetzt, einen Schrei in der richtigen Tonlage und Lautstärke abgeben? Letztlich darf nicht vernachlässigt werden, welche Kraft man benötigt, ein Stück Stoff zu zerreißen. Brachte man nicht die nötige Muskelkraft auf, das Textil auseinanderzutrennen, konnte die Geste zur Tortur 37
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Cass. Dio 56, 23, 1: … τότε δὲ μαθὼν ὁ Αὔγουστος τὰ τῷ Οὐάρῳ συμβεβηκότα τήν τε ἐσθῆτα, ὥς τινές φασι, περιερρήξατο, καὶ πένθος μέγα ἐπί τε τοῖς ἀπολωλόσι καὶ ἐπὶ τῷ περί τε τῶν Γερμανιῶν καὶ περὶ τῶν Γαλατιῶν δέει ἐποιήσατο … Dio deutet an, dass ihm verschiedene Quellen dazu vorlagen und nicht alle das Kleiderzerreißen erwähnen. Bei Sueton heißt es, Augustus ließ sich Bart und Haare wachsen und habe verordnet, der Tag der Niederlage solle jedes Jahr in Trauer begangen werden. Von der politischen Wirkung erfährt man bei Sueton nichts. Für Augustus wird auch berichtet, dass er seinen Kopf gegen die Tür schlug, sobald er an die Varus-Schlacht erinnert wurde Suet. Aug. 23, 2: adeo denique consternatum ferunt, ut per continuos menses barba capilloque summisso caput interdum foribus illideret vociferans: ‚Quintili Vare, legiones redde!‘ diemque cladis quotannis maestum habuerit ac lugubrem. Cic. de orat. 2, 195; Prop. 3, 6, 13; Curt. 5, 12, 12; 10, 5, 19; ferner Iuv. 3, 148 f. als Verweis auf Armut. Cic. Planc. 39; Liv. 45, 39, 16 f.; Plut. Aem. 31, 5; zum Narbenzeigen Kap. 2.3 Anm. 80. Suet. Vit. 17, 1; Sen. ira 1, 19, 3; siehe auch Sen. ira 5, 19, 4; App. civ. 4, 175 f. Gefangene hingegen traten auch im schmutzigen Gewand auf (z. B. König Perseus und Cicero); vgl. Petron. 14.
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6. Trauern und Drohen: Der planctus
geraten und außerordentlich peinlich werden. Manche Akteure beherrschten das Prozedere besser als andere und rührten ihre Zuschauer zu Tränen. Stets war man aber bei Trauerakten auch der Gefahr eines Misslingens ausgesetzt, denn die Anwesenden entschieden über die Angemessenheit der Gesten und korrekte Ausführung.41 Ein gutes Beispiel für die Interaktion zwischen Individuum und Publikum stellt eine Episode um den jungen Augustus dar. Die Szene ist vor der Folie zu lesen, dass Sueton und Dio die Kunst des Prinzeps hervorhoben, den Verdacht der angestrebten Alleinherrschaft zu zerstreuen. Das Volk trug Augustus im Jahr 22 v. Chr. die Diktatur an, um einer Hungersnot Abhilfe zu schaffen. Als er immer weiter bedrängt wurde, fiel er auf die Knie, warf die Toga über die Schultern und entblößte seine Brust.42 Cassius Dio berichtet, dass die Plebs ihn zu erpressen versuchte, indem sie die Senatoren, unter der Androhung die Curie niederzubrennen, darin einschloss, um Augustus zum Diktator und zum praefectus annonae zu ernennen. Letzteres akzeptierte er, doch gewarnt durch das Beispiel Caesars lehnte er wiederholt die Diktatur ab. Als er sah, dass keine sachlichen Argumente halfen, zerriss er seine Kleider.43 Warum hier keine Lumpen zum Einsatz kam, geht einerseits darauf zurück, dass das Anlegen dunkler Kleider vielleicht mit dem Amt als Pontifex kollidierte. Andererseits kennt man kaum Belege eines squalor, bei der es um die Verweigerung irgendeines Amtes ging (recusatio imperii). Somit fehlte der historische Bezug und der Zuschauer wäre im Kontext der aktuellen politischen Lage nicht befähigt, die Szene einzuordnen. Sicherlich ermangelt es auch der Parallele zum Kleiderzerreißen, aber da diese Geste ad hoc dargeboten werden konnte, bestand die Gefahr der Verwechslung mit dem Vorliegen eines Todesfalls innerhalb der domus Augusta nicht.44 Augustus wurde nie Diktator; insofern war seine Darbietung erfolgreich. Er traf den Nerv des Volkes, obwohl die Situation zu kippen drohte. Wäre das Senatsgebäude trotz seines Einsatzes tatsächlich samt der führenden Vertreter der Oberschicht in Flammen aufgegangen, wäre keine andere Wahl als die formale Übernahme der Alleinherrschaft geblieben, mindestens um den Senat aufzufüllen. All das bleibt Spekulation, denn Dios Bericht dramatisiert auffallend und ist daher im Detail zu bezweifeln. Viel interessanter ist die Bewertung Dios, dass die Aktion als letztes Mittel in einer Debatte galt, in der Worte nicht mehr halfen. Schon der antike Historiograph nahm nonverbale Argumentationen wahr und hielt sie für überlieferungswürdig.45 41 42
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Siehe auch Plut. Cic. 31, 1; Cass. Dio 40, 64, 1; 48, 31, 6; 56, 23, 1 u. v. a.; zu den Anwesenden Kap. 11 bis 13. Suet. Aug. 52: Dictaturam magna vi offerente populo genu nixus deiecta ab umeris toga nudo pectore deprecatus est. – Der Wortlaut entspricht nicht dem Kleiderzerreißen, aber die Semantik ist vergleichbar; vor allem die Erwähnung der Brust ist entscheidend, denn nicht selten heißt die Wendung auch vestem/tunicam a pectore abscindere (Suet. Iul. 33, 1; Ov. epist. 11, 57 f.; 12, 153; met. 7, 848; Quint. inst. 2, 15, 7). Cass. Dio 54, 1, 4: … ἐσθῆτα προσκατερρήξατο … Zum Priesteramt: Cic. Phil. 5, 46; 53; Nic. Dam. 127, 8; zur recusatio imperii ausführlich Huttner (2004); zu den dahingehend vergleichbaren Episoden des Salinator und Vitellius Kap. 6.3 bzw. Kap. 15.1. Cass. Dio 54, 1, 4 (Übers. O. Veh): „[…] da er die Masse auf keine andere Weise, weder durch eine aufklärende Rede noch durch Bitten, in Schranken zu halten vermochte.“
6.2 Jenseits der Inszenierung: Das Zerreißen der Kleider als spontaner Trauerakt?
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Obwohl davon auszugehen ist, dass Augustus die Plebs auf einer emotionalen Ebene ansprach und traf, berichten weder Sueton noch Cassius Dio von den Reaktionen des Volkes.46 Anders im Jahr 87 v. Chr., als der gewählte Konsul L. Cornelius Cinna aus Rom vertrieben wurde, da er das Versprechen nicht gehalten hatte, die sullanische Gesetzgebung unangetastet zu lassen. Nun begab er sich nach Capua, um unter den Neubürgern der Region Truppen für eine Rückkehr in die Hauptstadt zu sammeln. Außerdem befand sich eine Legion vor Ort, vor der er zu sprechen bat.47 Nachdem ihm der Wunsch gewährt worden war, legten seine Liktoren zunächst die Fasces nieder, und er selbst fing an zu weinen. Das Senken der Rutenbündel (fasces summittere) ist üblicherweise Ausdruck des Respekts des Magistraten gegenüber anderen gesellschaftlichen Partnern und deren maiestas, vor allem gegenüber höheren Beamten und dem römischen Volk. So wird dieser Brauch schon auf den berühmten Konsul P. Valerius Publicola zurückgeführt.48 Jeder in Capua musste sich in besonderem Maße geehrt fühlen, denn die Rutenbündel waren ihnen bisher nur als Zeichen der Macht Roms über ihre befreundeten Gemeinwesen begegnet. Auch in der erwähnten Legion dienten zahlreiche Neubürger. Sie alle wussten den ihnen entgegengebrachten Respekt mit Sicherheit zu würdigen, denn nicht wenige hatten ihr Bürgerrecht erst Cinna zu verdanken. An diesen Umstand appelliert er nun inständig, wobei er die Versammlung emphatisch mit „Bürger“ ansprach und meinte, wenn sie seine Vertreibung hinnähmen, würden seine Initiativen allesamt zurückgenommen und sie ihrer neu gewonnenen, im Bundesgenossenkrieg hart erkämpften Bürgerrechte alsbald wieder beraubt: Deshalb trauere er.49 Auch wenn die Rhetorik und Gestik Cinnas aus der Feder Appians oder seiner Quelle stammt, wird doch bemerkt, dass Cinna die Zuhörer emotional berührte. Laut Überlieferung steigerte er den Effekt seiner Rede, indem er seine Kleidung zerriss – vermutlich die toga praetexta –, von der Rednerbühne schlich und sich im Stile einer supplicatio zu Füßen der Anwesenden warf. Appian betont sogar, dass er längere Zeit am Boden verweilte, ehe ihm die bewegte Menge unter Tränen aufhalf. Vielleicht bedurfte es eines knappen Aushandlungsprozesses zwischen den Zuschauern. Man kann sich vorstellen, wie sie Argumente oder vielleicht nur Blicke austauschten. Die Tribune legten letztlich einen Eid auf Cinna ab, nur ihm zu folgen und ihn zu restitu-
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Zur Begebenheit auch Flaig (2003a) 116 f., der den Kommunikationsaspekt, dass Augustus auf das Volk einging, und seine Unterwerfungsgeste besonders herausstreicht; zur recusatio imperii des Augustus Huttner (2004) 81–127, besonders 113 f. für die vorliegende Passage. App. civ. 1, 286–99 mit Morstein-Marx (2011) 264–71; zur frühen Karriere Cinnas Lovano (2002) 25–7. Beamte: Cic. Planc. 98; Brut. 22; Liv. 22, 11, 5; Vell. 2, 99, 4. Siehe auch Dion. Hal. 8, 44, 3 (Coriolan vor seiner Mutter); Plut. Fab. 4, 2 (Fabius Maximus als Diktator vor dem Konsul); Pomp. 22, 5 (Pompeius vor den Zensoren); das Volk: Cic. rep. 1, 62; 2, 31; 53; Flor. epit. 1, 3, 4; Quint. inst. 3, 7, 18; Aur. Vict. vir. ill. 15, 4. Siehe auch Dion. Hal. 5, 19, 3; Plut. Publ. 10, 5; Publicola: Liv. 2, 7, 7; siehe auch Dion. Hal. 5, 19, 3; Cic. rep. 2, 55; Val. Max. 4, 1, 1. – Ein squalor-ähnlicher Akt im Feld auch bei Plut. Ant. 44, 3; mor. 201c; vgl. Kap. 14.2. Zweifel an der Attraktivität des römischen Bürgerrechts bei Mouritsen (1998); ferner Linke (2005) 101 f.
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6. Trauern und Drohen: Der planctus
ieren.50 Wie auch bei Trauerakten, in denen dunkle Kleidung im Vordergrund stand, gab es beim vestem scindere die Option weitere Gesten mit der zentralen Handlung zu kombinieren. Cinna wirft sich zu Boden, Augustus etwa schlägt mit dem Kopf gegen die Türschwelle und Nero sich verzweifelt auf die Stirn.51 Doch die beste schauspielerische Leistung half nichts, wenn die politischen Begleitumstände gegen einen Erfolg sprachen. Die Anwesenden als die Adressaten wogen sehr genau ab, ob es nützlich schien, sein Leben zu riskieren, weil man von der Darstellung eines Traueraktes beindruckt war, oder sich lieber vom Bittsteller distanzierte. So erging es C. Flavius Fimbria, der sich wenige Jahre nach Cinnas Aktion in Kleinasien aufhielt und als dessen Unterstützer galt. Nachdem Sulla sein Heer mit Truppen umstellt hatte und immer mehr Legionäre zu desertieren versuchten, rief er die übrigen zusammen. Dann zerriss er seinen Chiton, ging unter den Soldaten umher und fiel zu deren Füßen. Dabei sprach er sie auch mit Namen an, was auf die nomenclatio verweist.52 Das alles half nichts, da die Legionäre nicht vorhatten gegen ihre Landsmänner zu kämpfen, sodass sich Fimbria gezwungen sah, einen Schritt weiterzugehen. Aus den Gesten der ambitio (περίειμι) wurde ambitus, als er versuchte die Anführer mit Geld zu kaufen. Verzweifelt plante er wie Cinna vor ihm, einen Eid auf sich ablegen zu lassen und alle Verweigerer eigenhändig zu töten, doch keiner der Soldaten wollte Fimbria folgen, weshalb er sich letztlich Sulla unterwarf. Wenn man die Begebenheiten um Cinna und Fimbria in Bezug setzt, fällt auf, dass die Ausgangspositionen zunächst ähnlich sind. Das mag daran liegen, dass beide Episoden von Appian stammen. Gerade antike Autoren neigen dazu, vergleichbare Konstellationen ähnlich auszuschmücken, zumal die beiden Feldherren Parteigänger waren. Beide erhielten ein offizielles Amt, gerieten durch ihre politischen Gegner in Bedrängnis und wendeten sich an ihre Mitbürger und Soldaten, um Unterstützung einzuwerben; auch der Eid findet jeweils Erwähnung.53 Die Situati50
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App. civ. 1, 300: Ταῦτ᾿ εἰπὼν ἐς ἐρέθισμα καὶ πολλὰ περὶ αὑτοῦ κατοικτισάμενος τήν τε ἐσθῆτα κατέρρηξε καὶ ἀπὸ τοῦ βήματος καταθορὼν ἔρριψεν αὑτὸν ἐς μέσους … Dazu Morstein-Marx (2011) 264–71. Die Szene korrespondiert mit dem Ende Cinnas, der im Heerlager den Tod fand, nachdem die Truppen den Gehorsam verweigerten und ihn steinigten. Zuvor bediente er sich einer Unterwerfungsgeste gegenüber einem Centurio, als er in Bedrängnis geraten war, indem er ihm seinen Siegelring anbot. Ob der Bericht Appians die Machtergreifung vor dieser Folie zeichnet oder Cinna eine einmal bewährte Strategie verfolgte, die ihr Ziel nun verfehlte, ist unklar; vgl. App. civ. 1, 355 f., aber vor allem Plut. Pomp. 5, 1 f. mit Lovano (2002) 109 f.; ferner Plut. Crass. 6, 1; Sert. 6, 1; Vell. 2, 24, 5 und Oros. 5, 19, 24 ohne die symbolische Komponente; siehe auch Levy (1947), für den das der erste Beleg der Praxis in Rom ist. Suet. Aug. 23, 2; Nero 42, 1; dabei handelte es sich nicht um eine in die Politik transferierte Form des planctus. Zum einen fehlte die Öffentlichkeit, zum anderen auch der politische Charakter des Verhaltens. App. Mithr. 242: οὐ φαμένων δὲ πολεμήσειν πολίταις, καταρρήξας τὸν χιτωνίσκον ἑκάστοις προσέπιπτεν. ὡς δὲ καὶ τοῦτ᾿ ἀπεστρέφοντο, καὶ πλείους ἐγίγνοντο αἱ αὐτομολίαι, τὰς σκηνὰς τῶν ἡγεμόνων περιῄει, καί τινας αὐτῶν χρήμασι διαφθείρας ἐς ἐκκλησίαν αὖθις συνεκάλει … Zur Aneignung von Gesten aus dem Bereich römischer Nahbeziehungen Kap. 8; zu Fimbria MRR III, 92. Nicht jede Episode vom Zerreißen der Kleidung im Angesicht seiner Truppen formuliert explizit ein Anliegen an sie. Caesar beispielsweise zerfetzte seine Gewänder als er den Rubikon
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onen unterscheiden sich allein in dem Umstand, dass sich Cinna der Bedrohung durch seine Feinde in Rom noch entziehen konnte, während Fimbria durch Sullas Truppen eingekesselt war. Allerdings ist der unterschiedliche Ausgang der Szene nicht allein auf die verzweifelte Lage der umstellten Legionäre des Fimbria zurückzuführen. Es scheint, als habe Fimbria seine Anliegen nicht angemessen und überzeugend vorgetragen. Wenn es heißt, er habe seinen treusten Gefährten mit dem Tod bedroht, damit dieser sich auf ihn vereidigen lasse, ist das nicht nur ein Indiz für seine Verzweiflung. Es ist auch ein Anhaltspunkt für die Art der Kommunikation, die er pflegte. Im Gegensatz zu Cinna traf Fimbria nicht den richtigen Ton im Umgang mit seinen Anhängern und musste diese Fehleinschätzung bitter büßen. Schließlich bat er Sulla um eine Unterredung, doch dieser verweigerte einen persönlichen Kontakt und entsendete einen Legaten, der ihm im Falle der Übergabe der Truppen freies Geleit über das Meer garantierte. Fimbria akzeptierte, nahm aber eine andere Route über Pergamon, wo er im Asklepieion Selbstmord beging.54 Diese Verzweiflungstat überrascht, war ihm doch Unversehrtheit zugesichert worden. Appian scheint hier einen versteckten Hinweis auf Sullas Charakter zu geben. Vermutlich signalisierte die durch den Legaten vorgegebene Wegstrecke dem Fimbria, dass er ein Attentat zu befürchten hatte. Sulla hingegen beabsichtigte offiziell, Milde walten zu lassen. Insgeheim konnte er es sich nicht leisten, einen bedeutenden Gegner entkommen zu lassen. Das wusste Fimbria vor allem dadurch, dass Sulla ihm die Unterwerfung von Angesicht zu Angesicht verweigert hatte, denn eine persönliche Interaktion hätte den späteren Diktator gezwungen, den Gegner in seine Obhut zu nehmen wie es bei der deditio in fidem üblich war (vgl. Kap. 9.3). Zahlreiche Offiziere und vermutlich auch die Heeresversammlung wären bei einem solchen Akt als Zeugen zugegen gewesen. Indem er Fimbria ziehen ließ, entledigte er sich seiner „Aufsichtspflicht“ und mit einem anonymen Anschlag konnte er trotz der ostentativen clementia seinen Feind beseitigen. Selbst wenn Gerüchte aufkommen sollten, konnte er immer noch die unsichere Lage vor Ort dafür verantwortlich machen; man denke an die Bedrohung durch Mithridates und die Seeräuberplage. Letztlich zeigt der Suizid Fimbrias nicht nur die Stellung des Ehrgefühls innerhalb der Nobilität und wie hoch der Einsatz für jeden war, sondern auch was es hieß, wenn der Unterwerfungsakt nicht ermöglicht wurde. Wenn sich auch der Grund erschließen mag, so ist für den modernen Betrachter nicht immer direkt ersichtlich, welches Anliegen ein antiker Akteur mit einer bestimmten Geste verfolgte. Cinna und Fimbria beabsichtigten, die Legionen auf sich einzuschwören. Letzterer wollte vermutlich auch seine Unterwerfung vor dem gegnerischen Feldherrn kundtun und Milde erzwingen. Aber wie verhielt es sich etwa bei Sex. Pompeius? Von ihm erfahren wir lediglich, er habe seine Kleidung eben-
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überschritt. Nach den zahlreichen Angaben der antiken Zeitgenossen wusste er sehr wohl, dass er damit einen Bürgerkrieg auslösen würde. Er unterstrich seine Betrübnis und inszenierte seine republikanische Gesinnung. Gleichzeitig wendete er sich an seine Soldaten und warb mit der Geste um ihre anhaltende Treue; vgl. Suet. Iul. 33, 1: … pro contione fidem militum flens ac veste a pectore discissa invocavit. – Dazu auch Hall (2014) 108. App. Mithr. 247; Exil schien ihm in Zeiten schwerer politischer Fehden keine geeignete Option zu sein.
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6. Trauern und Drohen: Der planctus
falls vom Körper gerissen,55 als ihm seine Berater vorschlugen, mit Octavian und Antonius in Verhandlungen zu treten. Als Grund gab er an, von seinen Freunden verraten worden zu sein, was darauf deutet, dass er grundsätzlich nicht willens war mit den Triumvirn zu paktieren. Nun vermutete er, seine Gefolgsleute seien bestochen worden. Laut Appian gab er an, lediglich Menodoros sei ein wahrer Freund, da er ihn nicht zu Unterredungen dränge. Da keine weitere Erklärung folgt, kann die Passage gut die narrative Funktion des vestem scindere bei Appian beleuchten. Der Verweis auf Menodoros fällt auf. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzungen zwischen Sex. Pompeius und den Triumvirn beging Menodoros dreimal Verrat: Zweimal fiel er von Pompeius ab, einmal von Octavian, der ihn letztlich begnadigte.56 Vor allem der erste Verrat des Menodoros, bei dem Sardinien und Korsika verloren gingen, trug wesentlich zum Verlust der Seemacht und schließlich zur endgültigen Niederlage des Pompeius bei. Vermutlich bereitete der Historiker Appian mit der Trauergeste, die auf Tod oder Verlust hinweist, die Untreue des Menodoros narrativ vor. Indem er den Passus dramatisiert, wirkt die Treulosigkeit des Freundes umso schändlicher. Nahendes Unglück durch Trauerzeichen anzudeuten, war der antiken Geschichtsschreibung gut bekannt.57 Wie die mutatio vestis konnte auch das vestem scindere sowohl durch eine Einzelperson als auch ein Kollektiv durchgeführt werden. Der bekannteste Passus, in dem von einer kollektiven Handlung die Rede ist, betrifft die Episode um die Senatssitzung, in der Maßnahmen gegen das drohende Exil des Cicero beschlossen werden sollten. Dazu zählte der Beschluss mutatio vestis. Als Clodius mit seinen Banden die Curie umstellte, um die Abstimmung zu verhindern, zerrissen die bedrängten Senatoren ihre Tuniken (χίτων) und rannten aus dem Senatsgebäude.58 Insgesamt fehlen für die Republik Augenzeugenberichte oder zeitnahe Überlieferung, die sicherstellt, dass das Kleiderzerreißen eine republikanische Praxis war. Es ist auffällig, dass vor allem Autoren aus dem griechischsprachigen Osten die 55 56 57
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App. civ. 5, 302: … τὴν ἐσθῆτα κατερρήξατο ὁ Πομπήιος ὡς καὶ τῶνδε προδιδόντων αὑτόν, ὧν προμάχεται, καὶ θαμινὰ τὸν Μηνόδωρον ὡς στρατηγικὸν καὶ μόνον εὔνουν ἀνεκάλει. – Vgl. Welch (2012) 238–51. App. civ. 5, 330–41; 400; 424–6; Cass. Dio 48, 54, 7; 49, 37, 6; „wahre“ Freundschaft bei Plut. Ant. 32, 6 f. Man denke an die dunklen Gewänder der Feldherren und Kaiser kurz vor ihrem gewaltsamen Ableben (Val. Max. 1, 6, 11; Flor. epit. 2, 13, 15; Suet. Galb. 18, 2; SHA Comm. 16, 6) sowie an Lucretia vor ihrem Suizid (Dion. Hal. 4, 66, 1). In der Verginia-Episode werden hingegen schon komplexere Formen des Trauerns bemüht: Schäbige Kleider der Unterstützer, Weinen und Schweigen der Matronen usw. (Liv. 3, 47, 1–3). – Es sollte erwähnt sein, dass Cassius Dio unmittelbar, bevor Octavian und Antonius bei Pompeius eintrafen, berichtet, wie Octavian bei Hungeraufständen in Rom seine Kleidung zerriss und die Plebs bat, zur Ordnung zurückzufinden. Zunächst besteht hier die Möglichkeit einer Dublette mit der oben behandelten Stelle 54, 1, 4 bzw. Suet. Aug. 52, 2, vor allem irritiert aber die Nähe zweier identischer Gesten: Hatte man davon Kunde und versprach sich denselben Erfolg? Vgl. Cass. Dio 48, 31, 6: … τήν τε ἐσθῆτα περιερρήξατο καὶ πρὸς ἱκετείαν αὐτῶν ἐτράπετο … Zu Doppelung und gegenseitiger Bezugnahme vgl. Kap. 3.2. Plut. Cic. 31, 1: … Κλωδίου δὲ σιδηροφορουμένου περὶ τὸ βουλευτήριον, ἐξέδραμον οὐκ ὀλίγοι τῶν συγκλητικῶν καταρρηγνύμενοι τοὺς χιτῶνας καὶ βοῶντες. – Vgl. Benner (1987) 90; ferner Kollektive bei Cass. Dio 48, 37, 7 und Sil. 1, 672–4.
6.2 Jenseits der Inszenierung: Das Zerreißen der Kleider als spontaner Trauerakt?
149
Technik beschreiben, obwohl sie auch andere Strategien symbolischen Trauerns kannten.59 Die Begebenheit um die Senatoren, die durch das Zerreißen ihrer Kleider ihrer Verzweiflung um die Bedrohung der Republik und ihrer selbst durch die Schergen des Clodius Ausdruck verliehen und damit für Cicero eintraten, ist daher zweifelhaft. In seinen apologetischen Reden nach seiner Rückkehr erwähnt Cicero mehrfach, wie Verwandte, Ritter und junge Leute für ihn Lumpen anlegten, auch wie man den Beschluss hintertrieb. Dass die Senatoren ihre Gewänder vom Leib rissen, berichtet er hingegen nicht. Zudem: Wie sollte man sein Untergewand zerfetzen, bevor man Hand an die Toga legte? So ist vor allem die Komposition der Cicero-Biographie von Interesse. Plutarch sah es als Kompensation für die untersagte mutatio vestis, denn die Konsuln Gabinius und Piso verboten dem Volk das Wechseln der Kleider.60 Außerdem inszeniert der Autor die Aktion als spontane Reaktion der Senatoren angesichts der Bedrohung durch Clodius. Sie betonten damit sowohl ihre persönliche Verzweiflung über die Gefahr als auch über die Lage der res publica. Die Frage nach der Spontanität, abgesehen von der Historizität der Passage, ist kompliziert. Die herbeigeführte Lage mag ein Stimulus für dieses Verhalten gewesen sein, denn die Reaktionen waren wie bei Cinna und Fimbria neben der strategischen Bedeutung in bestimmten Situationen kulturell einstudiert; damit musste Clodius rechnen. Zugleich sind vorherige Absprachen beim Scheitern des Antrages ebenso plausibel wie ein Herdeneffekt, bei dem ein Senator sich die Kleider vom Leib riss und andere ihm darin folgten. In welchem semantischen Zusammenhang stehen nun Szenen, in denen sich die Gewänder vom Körper gerissen wurden, und diejenigen, in denen man dunkle Kleider anlegte? Die theologische Forschung hat sich unlängst mit der Technik des Kleiderzerreißens beschäftigt. Besonders im älteren Teil der Bibel finden sich zahlreiche Belege, wo eine Trauerhandlung durchgeführt wird, wo „man – genau genommen – nicht von ‚Trauer‘ sprechen“ kann. Dazu zählt unter anderem das Zerreißen der Kleidung. Vielmehr fokussieren diese Stellen ein Bitten gegenüber JHWE oder einem König. Jedenfalls muss als Interaktionspartner eine deutlich höher gestellte Figur in Erscheinung treten, an die man zu appellieren beabsichtigte. Um sein Bitten zu intensivieren, erniedrigte man sich ihr gegenüber. Es ist eine gemeinsame Herkunft dieser Praktiken postuliert worden. Man fasste sie unter dem Terminus der „Selbstminderungsriten“ zusammen. Demnach versuchte man, wenn eine Katastrophe bevorstand, das Unheil durch bittende Selbsterniedrigung abzuwenden. Gleichzeitig führte man rituelle Handlungen durch, wenn ein Unglück schon eingetreten, man von einer anderen Partei bereits erniedrigt worden war und diese Degradierung auch zur Schau stellen wollte.61 In der Nachfolge dieser älteren Auffassung thematisierte eine kulturalistisch gewendete Bibelforschung besonders 59
60 61
Levy (1947) sieht keine griechisch-römische Tradition beim Zerreißen der Kleider am Werk und verweist auf vorderasiatische Quellen. Tatsächlich gibt es vor Cinnas Aktion keinen Beleg dafür. Die ersten Nachweise aus dem griechischen Raum sind bereits augusteisch. Das unterscheidet das vestem scindere vom vestem mutare. Cic. Red. Sen. 16; dom. 26. Vgl. Kutsch (1986) mit dem Zitat auf Seite 90; siehe auch Bender (2008) 141 f.; vgl. schon Levy (1947).
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6. Trauern und Drohen: Der planctus
das Zerreißen der Kleider und verwies darauf, dass man damit von einem Normalzustand in einen geminderten Status übertrat, sei es vor Gott oder vor einem weltlichen Kommunikationspartner.62 Dieses Konzept leuchtet ein, kann aber nicht erschöpfend erklären, warum in Rom typische Trauerzeichen vorgebracht wurden, wenn gar kein Tod zu beklagen war. Dafür sind das System der römischen Gesellschaft und Politik sowie die literarische Überlieferung viel zu komplex, denn es beinhaltet mehr Akteure, als das bipolare Modell der Theologie vorsieht. Im Fall des Augustus liegt eindeutig eine selbst gewählte Erniedrigung vor, denn zunächst wurde eine Bitte an ihn herangetragen, die er allerdings ohne die dargebotene Geste nicht auszuschlagen vermochte. Bei Sex. Pompeius weiß man zu wenig, um seine Handlung als Ausdruck der Erniedrigung durch den „Verrat“ seiner Freunde oder Selbstminderung zum Zweck des Bittens zu verstehen, denn der Adressatenkreis bleibt unklar. Gerade in den Anekdoten, in denen das Heer eine Rolle spielt, scheint eine Vermengung der Fremd- und Selbsterniedrigung vorzuliegen: Cinna wurde als Konsul vertrieben und entehrt. Im Nachgang warb er mit der Selbstminderung um Unterstützung, dieser Entehrung entgegentreten zu können. Cinna gelang es mit seiner Aktion, die Truppen auf sich einzuschwören, dem Autor hingegen deren loyale Gefolgschaft zu plausibilisieren. Um auch die spezielle Semantik des Kleiderzerreißens in diesem Kontext sowohl für das Fremd- als auch Selbsterniedrigen sicherzustellen, bietet es sich an eine „Kontrollgruppe“ aufzuspüren. Nach dieser Deutung müssten auch Passagen existieren, in denen jemandem die Gewänder durch einen anderen vom Leib gezerrt werden, um ihn zu brüskieren. Tatsächlich gab es ein Gesetz, das die Frage behandelte, ob das Zerreißen der Kleidung eines anderen eine Körperverletzung darstelle. Es wurde festgestellt, dass es sich dabei um den Tatbestand einer Injurie handelte. Auch in der Historiographie findet man eine Entsprechung. Im Jahr 50 v. Chr. plante der Zensor App. Claudius Pulcher, zahlreiche Angehörige des Senats aus dem Gremium zu entfernen. Aus Protest sollen ihm einige die Kleider zerrissen haben. M. Aemilius Scaurus tadelte eine Respektlosigkeit des Prätors P. Decius ebenfalls, indem er ihm die Kleider vom Körper zerren ließ.63 Als große Entehrung galt auch die Geißelung durch die Liktoren des Konsuls. Zu diesem Zweck, so heißt es in der Überlieferung vermehrt, rissen die Amtsdiener dem Delinquenten die Bürgertracht vom Leib.64 Auch eine Vergewaltigung wurde mit dem Zerreißen der Kleider assoziiert. Die von Cicero angebrachte Aktion entzieht sich dieser Deutung nicht. M. Antonius, der große Redner und Großvater des Triumvirs, verteidigte im Jahr 98 v. Chr. den Konsular Mn. Aquilius gegen die Klage des L. Fufius. Manlius soll während seiner Statthalterschaft die Provinz Sizilien ausgebeutet haben. Sein Anwalt verlegte sich ganz auf die deprecatio und leugnete nicht, sondern hob die 62 63 64
Bender (2008) 148–53; der Verweis auf in „Sack und Asche“ auch bei Stroux (1929) 61, der den Vergleich zum Büßergewand ablehnt. Ios. bell. Iud. 1, 25, 4 zeigt, dass der squalor für Juden denkbar war. Dig. 47, 10, 9 pr. (Ulpianus); Decius: Aur. Vict. vir. ill. 72, 6; Pulcher: Cass. Dio 40, 64, 1. Liv. 8, 32, 11; Val. Max. 2, 7, 8; Tac. hist. 4, 27, 2; für das Zerreißen der Gewänder als Strafe bzw. Teil bezogener Prügel auch Apul. met. 2, 26, 7; 6, 10, 1.
6.3 Durch Schweigen den Ruf schädigen: Die Inszenierung der fama
151
Kriegstaten des Manlius hervor, der erfolgreich die Kimbern bekämpft habe. Gemäß Cicero sei neben dem verbalen Argument der entscheidende Anreiz des Antonius nicht gewesen, seinem Mandanten die Tunika vom Leib zu reißen, um ihn bloßzustellen. Vielmehr beabsichtigte Antonius die ehrenvollen Kriegsnarben auf der Brust des Manlius zu präsentieren, die seinen militärischen Ruhm unterstrichen. Insofern ist die zeitweilige Entehrung nur dazu da, den Angeklagten im gleichen Moment zu erhöhen.65 Auf diese Weise bestätigt die Gegenprobe, dass das Zerreißen der Gewänder stets als ein Akt der Fremd- oder Selbsterniedrigung galt: Da man an der Kleidung den Status einer Person erkannte, zerstörte man mit den Kleidern auch die soziale Stellung eines Individuums. Wie in vielen Fällen, in denen statt der zerrissenen eine farblich oder materiell bestimmte Kleidung die Situation dominiert, zeugen auch die hier betrachteten Passagen von einer Konfliktlösungs- und Konfliktanbahnungsstrategie antiker Autoren. Sofern Spannungen nicht durch die Aktion beseitigt werden konnten, war die Trauerszene die Vorstufe einer höheren Eskalationsstufe. Augustus schaffte es, die Plebs zu besänftigen. Aber bei Cinna fällt auf, dass trotz seines Erfolges vor den Anwesenden mit der Aktion der Grundstein zum Ausbruch eines Bürgerkrieges gelegt war. Das Scheitern des Fimbria lässt ihn weitere Zeichenressourcen aktivieren, die letztlich in sein Verderben führen. Auch die von seinen Adressaten unbeantwortete Aktion des Sex. Pompeius geht ähnlich aus. 6.3 DURCH SCHWEIGEN DEN RUF SCHÄDIGEN: DIE INSZENIERUNG DER FAMA Anhaltendes Schweigen war in Rom ebenfalls eine Möglichkeit, auf Verlust zu reagieren.66 Auch die Frauen, die Verginius bei der Trauerszene für seine Tochter und gegen Appius Claudius unterstützen, schweigen und gaben laut Livius am meisten Anlass zur Trauer. Von Lucretia heißt es, sie habe kurz vor ihrem Suizid still im schwarzen Gewand dagestanden und im Anschluss zu Füßen ihres Vaters in Tränen aufgelöst kein Wort herausgebracht; freilich zwei Formen des Schweigens, die es zu unterscheiden gilt. Jedoch zeigen diese Episoden, dass Trauer und Schweigen miteinander verbunden waren und lautes Wehklagen nur eine Option ostentativer Trauerbekundungen darstellte.67 Demonstratives und andauerndes Schweigen zählte nicht zum Repertoire des planctus. Stille infolge der Trauer scheint sogar das Gegenteil dieser exzessiven Gebärden zu sein. Deswegen aber korrespondieren hartnäckiges Verstummen und schrilles Jammern miteinander. Gerade weil es nicht ausschweifenden Trauerbekundungen entsprach, keinen Laut zu geben, konnte man 65 66 67
Sexuelle Gewalt bei Prop. 2, 15, 17–20; Tib. 1, 10, 61–3. Cic. de orat. 2, 195 auch in Kap. 5.1; 9.1 und 11.1. Luhmann/Fuchs (2001) 15 halten Schweigen für eine in besonderer Weise mit Bedeutung aufgeladene Botschaft: „Jedes Reden wiederholt das Schweigen.“ Zu weiteren literarischen und kulturellen Funktionen des Schweigens im Altertum zuletzt Shuttleworth-Kraus (2010). Liv. 3, 47, 3; auch 1, 29, 3; Lucretia: Dion. Hal. 4, 66, 1 f.; Stille für Germanicus: Tac. ann. 2, 82, 3; 3, 4, 1.
152
6. Trauern und Drohen: Der planctus
durch Schweigen beim luctus auf sich aufmerksam machen. Bei einem Trauerakt erfüllte das Schweigen trotz der Anleihe am Trauerverhalten eine weitere Funktion; es löste eine Reihe sozialer Mechanismen aus. Schweigen verunsichert die Kommunikationspartner, besonders wenn man es überraschend einsetzte. So gilt es in den Digesten als rufschädigend, wenn man einem Mädchen schweigend folgt.68 Vor diesem Hintergrund fällt ein für die vorliegende Untersuchung zentraler Trauerakt besonders auf. In seinen Controversiae lässt der ältere Seneca verschiedene Gelehrte über den Fall eines jungen Mannes debattieren, der den vermeintlichen Mörder seines Vaters in schmutzigen Kleidern verfolgt, während dieser sich um die Prätur bewarb.69 Dabei wird das Schweigen des Knaben von den Diskutanten des Seneca mehrfach erwähnt.70 Die Zeichen der Trauer wurden hier nicht erklärt; ihre Deutung oblag den Zuschauern und es war nicht kontrollierbar, welche Wirkung sie entfalteten. Das galt in gleicher Weise für das Schweigen. Aufsehenerregende Situationen, wie sie hier vorlagen, gaben vor allem dann Anlass zur Spekulation, wenn Informationen vorenthalten wurden. Diese Konstellation ist die Voraussetzung für die Entstehung eines Gerüchts (fama).71 Jüngst ist gezeigt worden, wie Klatsch und Tratsch die öffentliche Meinung in Rom zu beeinflussen vermochten und Einfluss auf den Ruf (fama) einer Person nehmen konnten.72 Dabei war ihre Wirkung nicht nur negativ zu bewerten. Die moderne Sicht auf das Phänomen „Gerücht“ geht von einem Quell verfemender, unbewiesener und teilweise schlicht erlogener Behauptungen aus, die ihren Eingang in den öffentlichen Diskurs erhalten, um einzelnen Personen oder Institutionen gezielt zu schaden. In einer Gesellschaft hingegen, in der moderne Massenmedien nicht zur Verfügung standen, stellte Hörensagen eine bedeutende Informationsquelle dar, um überhaupt an der öffentlichen Debatte partizipieren zu können. Tatsächlich initiierte das Schweigen des Jungen genau die Form von Ge68 69
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Dig. 47, 10, 15, 22: Aliud est appellare, aliud adsectari: appellat enim, qui sermone pudicitiam adtemptat, adsectatur, qui tacitus frequenter sequitur: adsiduo enim frequentia quasi praebet nonnullam infamiam. Die Forschung hat das von Seneca verwendete Material der mittleren Republik zugeordnet; die Quellen kennen wir nur bedingt; vgl. Daube (1991a) 117; (1991b) 471 in Übereinstimmung mit und auf Grundlage von Dig. 47, 10, 15, 27; Dig. 47, 10, 39; siehe auch Bablitz (2007) 77 f.; Flaig (2003a) 101 und Kap. 13.1. – Die Gesprächsteilnehmer des Seneca streiten über die Richtigkeit der Klage und über Argumente, die beide Seiten anbringen konnten. Dabei nehmen die Diskutanten immer wieder die Rollen der beiden verfeindeten Parteien an und sprechen ebenso, wie sie es in deren Situation für richtig erachteten. Dadurch erfahren wir von verschiedenen Formen der Argumentation mit einem squalor, aber auch von der möglichen Gegenrede; vgl. Wittmann (1972) 33 f.; Stroux (1929) 62 A. 2. Sen. contr. 10, 1, 6; 9; besonders aber 5: Quid iste accusanti fecisset qui persequitur tacentem?… Nulli iniuriam facio nisi patri, quem adhuc tacitus fleo. – Als Polemik gegen den Reichen; 10, 1, 1: Non taceam, qui adhuc vivo quod tacui? Merten (2009); zur Wirkmacht des Gerüchts nun Meister (2017b); vgl. Pina Polo (1996) 94– 113; Laurence (1994) 62–74; kritisch zum theoretischen Ansatz Flaig (2003b). Vgl. Jackob (2012); Morstein-Marx (2012); Meister (2017b) verweist auf die doppelte Bedeutung von fama als Gerücht und Ruf; überhaupt spielen Diffamierungen eine zentrale Rolle in der politischen Kultur Roms; vgl. z. B. Meister (2012) 58–77, der zeigt, dass letztlich jede Verfemung auf das Klischee vom vir mollis zurückgeht.
6.3 Durch Schweigen den Ruf schädigen: Die Inszenierung der fama
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rücht, die zum einen über die angebliche Tat des Amtsanwärters informierte, zum anderen die Folgen für dessen Ruf wie ein Lauffeuer verbreitete. Eine Vielzahl von Gerüchten war der Bewerbung um ein politisches Amt also keinesfalls zuträglich. Da die Kandidaten mehr ihren guten Ruf als politische Programme in die Waagschale warfen, war jeder Fleck auf der weißen Weste des Bewerbers eine Bedrohung für eine erfolgreiche Wahl. Zudem wirkten diese Mechanismen außerhalb des Wahlkampfes, denn um einen gewissen Grad an Beliebtheit beim Volk ging es den Nobiles bei jedem öffentlichen Auftritt, weil gegen den Willen der Plebs nur schwer Politik zu machen war. Spekulationen konnten der Bewerbung auf keinen Fall zuträglich sein, aber entkräften konnte er sie auch nicht, ohne sie zu reproduzieren oder zu perpetuieren. Eine Richtigstellung konnte auch nicht in seinem Interesse sein, denn es hätte ihn mit dem Todesfall des Vaters in Verbindung gebracht. So erklärt sich auch der Wille des vermeintlichen Mörders, den Jungen wegen dieses Delikts gerichtlich zu belangen. Ob es zum Prozess kam, ist nicht bekannt – zumal die Debatte sich nur an einen historischen Fall anlehnt. Doch es steht fest, dass der Bewerber bei der Wahl durchfiel, was Seneca auf die Kampagne des Knaben zurückführt. Natürlich zog der schweigende Junge in Lumpen die Blicke der Leute auf sich. Insofern ging dem Auslösen des Gerüchts eine Selbstinszenierung voraus, die der Kleidung den Akt des Schweigens an die Seite stellte. Wenn diese Stilisierung bei Seneca nicht so sehr herausgearbeitet ist, so war sie doch eine wichtige Voraussetzung dafür, überhaupt erst auf die eigene Person aufmerksam zu machen. Schweigen war hier sprichwörtlich Gold, oder anders gewendet – man redete nicht, man ließ reden. Auf die appellatio verzichtete man gezielt. Mit jeder stillen Minute stieg das Interesse an der Aktion. Ein zentraler Punkt der Strategie des Jungen war es also, die Anwesenden über den Grund seines Handelns im Unklaren zu lassen. Eine Strategie, die das Schweigen ebenfalls einschloss, verfolgte M. Livius Salinator (cos. I 219), allerdings vermittelte sein Schweigen eine andere Botschaft als bei Seneca. In der Zeit des Zweiten Punischen Krieges protestierte er mit einem squalor gegen seine Verurteilung, obwohl die Entscheidung bereits gefällt worden war. Nachdem er der Unterschlagung von Beute aus dem Feldzug gegen Demetrios von Pharos im Rahmen eines Rechenschaftsprozesses durch die Komitien für schuldig befunden worden war, zog er sich aus Rom zurück und ging einem ländlichen Leben nach. Als man einen gemäßigten Amtskollegen für den Heißsporn C. Claudius Nero suchte, erinnerte man sich an Salinator. Er soll bereits um 210 v. Chr. in die Stadt zurückgekehrt sein, nicht ohne die Bürgerschaft an ihr begangenes Unrecht zu erinnern, indem er sich nicht rasierte, die Haare wachsen ließ und überdies schäbige Kleidung trug. Auch die lange Zeit auf dem Land schien sich in seinem Auftreten niederzuschlagen: Bärtig und schmuddelig stellte man sich in der Stadt die Landbewohner und ihre Arbeit vor. Er inszenierte sich also nicht nur als betrübt über sein Exil, sondern auch als Bauer.73 Damit nahm er Bezug auf die römischen 73
Liv. 27, 24, 5 f.; vgl. Habenstein (2015) 132–6; Hall (2014) 42 f.; im squalor zurückkehrende Konsulare auch bei Tac. ann. 4, 28, 1 und App. civ. 1, 306; Plut. Mar. 41, 4; Gran. Lic. 35, 8 Criniti; vgl. Val. Max. 2, 10, 6.
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6. Trauern und Drohen: Der planctus
Ahnen, die sich nicht nur durch Feldarbeit auszeichneten und diese nur durch den Kriegsdienst und ihre Pflicht, dem Gemeinwesen zu dienen, unterbrachen – man denke an den legendären Diktator L. Quinctius Cincinnatus. Die maiores wurden zudem von der Nachwelt als barbati charakterisiert. Letztlich zwangen ihn die Zensoren, den Bart abzunehmen und sich im Äußeren eines Senators würdig zu erweisen.74 Allein sein Protest hielt an durch stetes Schweigen in der Kurie, das nur zur Verteidigung eines Verwandten gebrochen wurde.75 Das ihm angetragene Amt lehnte er ab. Letztlich wurde das Drängen der Senatoren, sich der Wahl zu stellen, umso größer, je mehr Salinator es ablehnte, denn genau diese beharrliche und zurückhaltende Einstellung wünschten sie an der Seite des Claudius Nero. Narrativ erfüllt die Traueraktion den Zweck, die Rückkehr Salinators in Amt und Würden zu erklären, denn eine aufgehobene Verbannung war für den Leser außerordentlich erklärungsbedürftig. Livius gelang es durch eine gezielte Inszenierung des Salinator, seinen Unwillen und das finale Einwilligen in den erneuten Staatsdienst ebenso zu plausibilisieren wie die Reaktionen der Senatoren und des Volkes. Der Fall unterscheidet sich trotz des Schweigens in beiden Episoden merklich von dem bei Seneca berichteten Beispiel, wenn man Strategie und Wirkung betrachtet. Freilich galt das Auftreten des Salinator seiner Selbststilisierung und auch das Schweigen ließ manches Fragezeichen aufkommen, das Anlass zum Gerede gab. Insgesamt wird das Schweigen jedoch anders eingesetzt: Das Abstimmungsverfahren im Senat begünstigte die schweigende Haltung, denn häufig wurden Beschlüsse per discessionem gefasst; das heißt, die Senatoren versammelten sich auf einer bestimmten Seite des Versammlungsgebäudes, die Zustimmung oder Ablehnung zu einer Befragung bedeutete, um ihre Meinung kundzutun. Eine mündliche Aussprache war dazu nicht nötig.76 Ein vollständiges Schweigen war zwar möglich, eine Enthaltung nicht. Salinator musste zumindest an den Abstimmungen teilnehmen, denn eine Enthaltung galt nur als Option, wenn man inhaltlich gegen den Beschluss oder persönlich gegen den geschäftsführenden Magistrat protestierte; die Stimmenthaltung musste jedoch begründet werden, was ihn zum Reden zwang.77 Beides lag hier nicht vor. Vielmehr folgte das Schweigen der Anweisung der Zensoren, sich seiner Stellung würdig zu zeigen, Bart und Kleidung abzulegen und wieder in den Dienst für die res publica zurückzukehren. So ist die verbale Zurückhaltung als Protest gegen den Befehl der Zensoren zu lesen, aber auch als Ausdruck, nicht in den Dienst des Gemeinwesens treten zu wollen, das ihn seinerzeit verurteilt hatte. Er lehnte es ab, sich der Wahl zum Konsul zu stellen. Die Argumentation bei 74 75
76 77
Zur zensorischen Rüge des Salinator Kap. 14.1.; zu Salinator MRR I, 236; 294; 306. Ein Akt der pietas: Livius Macatus hatte zunächst aus Leichtfertigkeit Tarent an Hannibal verloren, aber dann von der Burg aus den Hafen über fünf Jahre gehalten, bis Fabius Maximus die Stadt zurückgewann (Liv. 27, 20, 9), weshalb es eine Debatte um die Schuld des Macatus im Senat gab (Liv. 27, 25, 3–5). Vgl. Gell. 3, 18, 2; Gell. 14, 7, 9; 13 lässt die republikanischen Autoritäten Varro und Tubero zu Wort kommen; zu den Formalia der discessio Mommsen, Staatsrecht III, 983 f.; Kunkel/ Wittmann (1995) 312 f.; ausführlich Ryan (1998) sowie Flaig (2013) 372–5. Vgl. Mommsen, Staatsrecht III, 984 f.; zu anderen Formen des Protests bei Abstimmungen wie Fernbleiben von Sitzungen Dettenhofer (2013) besonders 167.
6.3 Durch Schweigen den Ruf schädigen: Die Inszenierung der fama
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Livius geht dahin, sich demonstrativ durch die Verweigerung des Wortes der politischen Teilhabe zu entziehen. Das Fernbleiben von den Senatsversammlungen hätte zwar den gleichen Effekt, sorgte aber für weniger Aufsehen. Sich als Konsular der sententia zu enthalten, brüskierte den Leiter der Senatssitzung und erzeugte weitere Beachtung. Livius merkt explizit an, dass Salinator gerade durch seine Wortkargheit Aufmerksamkeit erregte und sich ein Gerede entspann.78 Insofern darf sein Protest nicht als Widerstand, sondern eigensinnige Widersetzung gelesen werden (vgl. Kap. 1.1); Salinator wollte sehr wohl aktiv von den Geschehnissen im Senat unterrichtet bleiben. Die Gerüchteküche, die er mit seinem Schweigen befeuerte, bewirkte aber das Gegenteil wie bei Seneca, wo der Knabe durch sein Schweigen den Ruf des Reichen beschädigte. Salinator gelang es, die öffentliche Meinung so zu beeinflussen, dass das Volk zu der Überzeugung kam, eine solche Standhaftigkeit müsse belohnt werden: Je mehr Salinator sich weigerte, umso mehr hielt man ihn für den geeigneten Mann.79 Demnach kann das nachdrückliche Schweigen entweder den Leumund eines Gegners zugrunde richten oder das eigene Ansehen aufwerten.80 Beides war besonders wirksam, wenn es durch ein die Handlung unterstreichendes Äußeres begleitet wurde, denn es erhöhte in beiden Fällen die Glaubwürdigkeit der – der de facto gar nicht getroffenen – Aussage. Insgesamt spiegeln beide Episoden die doppelte Bedeutung der fama als Ruf einer Person einerseits und Gerücht, das unmittelbar auf das Prestige einwirkt, andererseits wider. Schon in der zeitweisen Übernahme von Gesten des planctus oder der demonstrativen Abkehr vom lauten Wehklagen durch Schweigen deuten sich die vielfältigen Spielräume für Aneignung, Variation und Inversion an, die in den drei folgenden Kapiteln das Panorama einer lebendigen und spielfreudigen politischen Kultur im alten Rom entwerfen werden.
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Liv. 27, 34, 8: Tunc ex tanto intervallo auditus convertit ora hominum in se causamque sermonibus praebuit: indigno iniuriam a populo factam magnoque id damno fuisse … Dieses Verhalten ist nicht ungewöhnlich und entspricht der recusatio imperii, die vor allem für die Kaiserzeit und zum Teil für die Republik bezeugt ist. Zu einer recusatio kam es, wenn die Nachfolgeregelung nicht durch Primogenitur oder ähnliches geklärt war, sondern durch Akklamation oder Wahl erfolgte. Wiederholt wurde Senatoren das Kaisertum angetragen, zum Teil unter Gewaltandrohung, ohne dass diese dem Drängen nachgaben. Die Quellen kennen kein Beispiel, in dem der recusator tatsächlich gelyncht wurde. Das lässt vermuten, dass es sich um eine bloße Inszenierung handelte; man konnte nicht gezwungen werden. Da man jedoch von einem guten Herrscher bzw. Magistrat moderatio erwartete, inszenierte man Ablehnung, um Legitimität zu erzeugen; vgl. Huttner (2004) mit 301 zu Salinator; zu dessen strenger Haltung Suet. Tib. 3, 2. Kommunikationssoziologisch wird Schweigen breiter aufgefächert. Allerdings decken sich die hier vorliegenden Formen des Schweigens mit den Modellen der Soziologie, die drohendes Schweigen, Schweigen zum Zweck der Informationskontrolle und zum Ziel der Selbststilisierung kennen; vgl. Bellebaum (1992) 12–33. Diese sind Idealtypen, wie sich an den fließenden Übergängen in den vorgebrachten Fällen zeigt.
7. ANEIGNUNG UND VERKEHRUNG: ASPEKTE DER BESTATTUNGSKULTUR Während einer Bestattung stellten dunkle, explizit als Trauerkleider zu verstehende Gewänder ein wiederkehrendes Motiv dar.1 Dass die gleiche Form und Farbgebung der Gewänder sowohl beim Begräbnis als auch squalor anzutreffen war, legt nahe, zu fragen, in welchem Verhältnis Bestattung und symbolisches Trauern standen. Die folgenden Überlegungen gehen auf die Möglichkeiten der Aneignung funeraler Praktiken ein. Dabei wird sich herausstellen, wie gezielte Umdeutungen einzelner Verhaltensweisen zur Verleumdung und Attackierung politischer Rivalen beitrugen. Zunächst wird das Eskalationspotential von Leichenfeiern in den Blick genommen, um die implizite Drohung bei Trauerakten aufzuzeigen. Dazu ist es dienlich, die collocatio ins Visier zu nehmen, die in der domus stattfand. Sie dient immer wieder dazu, Normverstöße nach außen zu tragen. In zwei Punkten widmet sich das Kapitel der pompa funebris, die in der Forschung durch der Beschreibung des Polybius große Aufmerksamkeit erfahren hat.2 Wie sich zeigen wird, schlagen sich im squalor Aneignungsprozesse und gezielte Umdeutungen des Leichenzuges nieder. Die im Falle eines aristokratischen Begräbnisses immensen Aufwendungen für die Vorbereitung werden im Folgenden nur herangezogen, soweit erforderlich. Dabei suggerieren die Quellen eine immer gleiche Struktur des Zuges. Freilich wird es soziale, regionale und historische Variationen gegeben haben.3 7.1 DIE ESKALATION EINER LEICHENFEIER BEI CLODIUS UND CAESAR Die Darbietung eines squalor verfolgte immer eine doppelte Strategie. Zunächst beabsichtigte man, den persönlichen Verlust als den der Allgemeinheit darzustellen, wobei Verlust weit zu fassen war und Rückschläge jeder Art beinhaltete. Der Akteur versuchte die Anwesenden von seiner Sache zu überzeugen, indem er Mitleid bei den Zuschauern der Aktion evozierte. Die aggressive Facette der Trauer zielte hingegen auf den Gegner, dem diese Szene galt.4 Allerdings fällt auf, dass im Rahmen 1 2
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Forschungsberichte zur römischen Bestattung bei Schrumpf (2006) 16–20; Hope/Huskinson (2011) xix A. 1 und 2; außerdem Hope (2009). Polyb. 6, 53, 1–54, 3; die einzige bildliche Darstellung republikanischer Zeit verfügt man über das sogenannte Amiternum-Relief, das eine pompa der lokalen Elite zeigt und ohne Ahnenbilder auskommen muss; dazu Toynbee (1971) 46 f. mit Tafel 11; ferner Flower (1996) 5 f., die die einzige erhaltene imago bespricht. Zu Details u. a. Hölkeskamp (2014); (2008); Hegyi (2008); Flower (2006a); Gisborne (2005); Beck (2005); Flower (1996) 93–7 und Flaig (1995); zum Leichenbegängnis im archaischen und klassischen Griechenland Baumgarten (2008) besonders 38. So schon Stroux (1929) 62; Anlässe bei Edmondson (2008) 26–32; Naiden (2006) 58–60; 219– 79 und Kap. 2.
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von Trauerakten die exzessiven Formen des planctus wie Wangenkratzen oder Brustschlagen nicht auftraten. Vielmehr wurde mit der Möglichkeit des Umschwungs in Gewaltexzesse von Seiten der Akteure gespielt (vgl. Kap. 6). Bei Rivalen dürfte die Szene wenig Mitgefühl hervorgerufen haben. Im Gegenteil mussten sie die Aktion als Attacke auffassen, denn angesichts der Klientel des Akteurs und des ihm mitunter zugeneigten Publikums verwies die Traueraktion ab einem gewissen Grad der Konfrontation auch auf die Gesten des planctus. Dann wird der Deutungsprozess der Zeichen und Gesten über den Zeitpunkt des Erregens von Mitleid hinaus erweitert. Die dann zum Ausdruck gebrachte Trauerhysterie konnte den Konkurrenten (über den Tod hinaus) gefährlich werden. Das zeigt sich deutlich am Leichengang des Clodius, bei dem es zu gewalttätigen Konfrontationen zwischen konkurrierenden Gruppen kam.5 Wenn der Tod einer Person bevorstand, versammelten sich Angehörige und Freunde in der domus, um ihr die letzte Ehre zu erweisen. Das Sterben in den eigenen Wänden, umgeben von seinen Lieben galt den Römern als „guter“ Tod, gleichwohl dieses Bild idealisiert ist.6 Dieses edlen Ablebens wurde Clodius durch seine Ermordung beraubt. Die Witwe des Clodius Fulvia nutzte den geschundenen Leichnam ihres toten Gatten geschickt und stellte ihn öffentlich aus, sodass jeder die Taten seiner Gegner vor Augen geführt bekam.7 Der Rückhalt des Clodius in Teilen der Bevölkerung führte in der Folge zu tumultartigen Zuständen. Nachdem die Tribunen T. Munatius Plancus und Q. Pompeius Rufus den Leichnam auf dem Forum vorgeführt hatten, bahrte man den toten Clodius in der Kurie auf und nutzte das Gebäude als Scheiterhaufen (rogus), indem es auf Initiative des Sex. Cloelius niedergebrannt wurde.8 Damit beging man gezielt einen Rechtsbruch, denn die Zwölftafeln untersagten die Einäscherung innerhalb des pomerium.9 Die Reaktion der Plebs war von popularer Seite einkalkuliert. Dennoch darf man nicht mit einer willenlosen Menge rechnen, die unablässig den Ränkespielen ihrer Politiker erlag. Affekte spielten eine 5
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Bei Germanicus handelt es sich bei den Nachrichten um die Reaktion der Plebs nicht um einen Leichenzug, denn der Körper wurde bereits in Antiochia eingeäschert und die Urne lediglich durch die Witwe Agrippina in die Hauptstadt überführt. Zudem kam es trotz der emotionalen Wirkung auf große Teile der Bevölkerung nicht zum offenen Aufruhr gegen den Prinzeps und seinen Apparat. Insofern stellt die Begebenheit nur eine Vorstufe der Auswüchse bei Clodius und Caesar dar, die aber nicht auf ein eskalatives Niveau übersprang, weil man keinen Leichenzug und erst recht nicht den mit Zeichen des Verbrechens versehenen Leichnam vor sich hatte; vgl. Tac. ann. 2, 82 f.; 3, 1 f.; Tab. Heb; Tab. Siar.; Versnel (1980); Eck (1995); Šterbenc Erker (2009) 146. Dazu Noy (2011); Rüpke (2001) 7. Ascon. 28 Clark: Augebat autem facti invidiam uxor Clodi Fulvia quae cum effusa lamentatione vulnera eius ostendebat. … eisque hortantibus vulgus imperitum corpus nudum ac calcatum, sicut in lecto erat positum, ut vulnera videri possent in forum detulit et in rostris posuit. – Vgl. Sumi (2005) 43–5; (1997) 94–6; Nippel (1988) 128–44; weitere Titel bei Hall (2014) 133 f.; ähnlich, doch weniger plastisch Tac. ann. 2, 73, 4 für Germanicus. Pompeius erhielt außerordentliche Vollmachten und wurde zum consul sine collega ernannt; App. civ. 2, 77 f.; Cass. Dio 40, 49, 1–4, vgl. Laser (1997) 196. Lex XII tab., 10, 1 (Düll); zu den Gründen Cic. leg. 2, 58; Cass. Dio 48, 43, 3; Dig. 47, 12, 3; Serv. Aen. 11, 206; ferner CIL II 05439; vgl. Marquardt, Privatleben, 296; Toynbee (1971) 48; Kyle (1998) 129; Schrumpf (2006) 63–5; ähnliches berichtet Plut. Luc. 43, 2 f.
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bedeutende Rolle, doch gerade Dio merkt an, dass das Vorgehen der Bevölkerung durchdacht war. Außerdem wirkte kaum die gesamte plebs urbana mit. Somit bewirkte ein Gemisch aus emotionaler Trauerdisposition und rationalem Politkalkül die geschilderten Ereignisse.10 Die Reaktionen der Anwesenden bei der Bestattung des Clodius sind nicht überliefert, doch für die ähnliche Konstellation um Caesar11 beschreibt Dio die Gemütswandlung der Zuhörerschaft während der Rede des Antonius plastisch.12 Zunächst sei die Plebs in Aufregung geraten, dann in Verbitterung und schließlich in Wut versetzt worden. Spontan wollte die Menge den Leichnam in dem Gebäude einäschern, in dem er ermordet worden war. Marodierend zogen die Menschen zu den Häusern der Konspirateure. Dabei ergriffen sie C. Helvius Cinna, den sie fälschlicherweise für den Verschwörer L. Cornelius Cinna hielten, und zerfleischten ihn – eine im Trauerkontext verbreitete Tötungsart.13 Ferner gibt Sueton an, das umstehende Volk habe brennbares Material herbeigeschafft, um den Scheiterhaufen zu vergrößern, denn die Größe des rogus war ein Indiz für den sozialen Status des Verstorbenen. Die Menge wollte den Toten nicht einem kläglichen Feuer anheimgeben. Die Exklusivität des Scheiterhaufens wurde durch das Hinzugeben kostbarer Geschenke bestätigt: Veteranen übergaben ihre Waffen, Hausfrauen ihren Schmuck und die Kleider ihrer Kinder dem Feuer. Schausteller zerrissen ihre verzierten Gewänder und typische Trauergesänge (lamentatio) verschiedener Völkerscharen waren zu vernehmen – einschlägige Gesten des planctus. Die Inszenierung war dage10 11
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Cass. Dio 40, 49, 3; ausführlich Nippel (1988) 128–44 zur politischen Konstellation und Interessensgruppen, ebd. 129–31 zur hier vorgelegten Deutung Flaig (2009) 199–207. Vgl. Sumi (2005) 100–12; Hall (2014) 134–40, der die deutsche Forschung ignoriert. Bei Caesar behindern zwei Faktoren das Anliegen, die Sprengkraft einer Totenfeier zu skizzieren; so spielt das Testament eine Rolle, das für Trauerakte keine Bedeutung besitzt. Zudem brachte Fulvia als neue Gattin des Antonius ihr politisches Knowhow in die Beziehung ein; zu den Gemeinsamkeiten schon Plut. Brut. 20, 5 mit Nippel (1988) 146 f.; zur Rolle der Fulvia Schubert (2002). Zur Leichenrede des Antonius App. civ. 2, 600–14; Plut. Ant. 14, 7 f.; Quint. inst. 6, 1, 30 f.; Cass. Dio 44, 36, 1–52, 3 und Suet. Iul. 84, 2 f., der der Meinung ist, Antonius habe das Testament verlesen (lassen) und selbst nur wenige Worte gesprochen; vgl. Flower (1996) 125 f.; Matijevic (2006) 101–4 spricht sich gegen eine ausdrückliche Inszenierung und bewusste Inkaufnahme von Unruhen durch Antonius aus. Halfmann (2011) 67 versucht das Handeln des Antonius im Zuge der Leichenfeier zu rehabilitieren und führt die Zeichnung auf augusteische Propaganda zurück. Sein Vorgehen nach der Trauerfeier gegen Brandstifter und Meuchelmörder sowie seine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Ordnung sprächen für eine unabsichtliche Einflussnahme während der Bestattung; sie können aber auch Teil einer doppelbödigen Kommunikation sein. Zu den Reaktionen der Zuschauer Matijević (2006) 101 A. 168; Gotter (1996) 267. P. Furius kommt ähnlich ums Leben; Kap. 11.2. Die Verwechslungsgeschichte ist reichlich belegt; Val. Max. 9, 1, 1; Suet. Iul. 85, 1; Plut. Caes. 68, 3–6; Brut. 20, 8–11; App. civ. 2, 613; Cass. Dio 44, 50, 4; dazu auch Morgan (1990). Interessant ist, dass dieser Cinna, Sohn des Konsuls von 87 v. Chr., seine prätorischen Insignien ablegt, weil sie einem Tyrann zu verdanken seien; App. civ. 2, 509: ὧδε δὲ αὐτοῖς ἔχουσι πρῶτος ἐπιφαίνεται Κίννας στρατηγός, οἰκεῖος ὢν ἐξ ἐπιγαμίας τῷ Καίσαρι, καὶ παρὰ δόξαν ἐπελθὼν ἐς μέσους τήν τε ἐσθῆτα τὴν στρατηγικὴν ἀπεδύσατο … Doch er hält dem Druck der Straße nicht stand; vgl. 2, 526: … Κίννας ὁ στρατηγός, αὖθις ἐπικείμενος τὴν στρατηγικὴν ἐσθῆτα, ἣν ἐχθὲς ὡς τυράννου δόντος ἐξερρίφει.
7.1 Die Eskalation einer Leichenfeier bei Clodius und Caesar
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gen darauf ausgelegt, Caesar möglichst schmucklos zu präsentieren und ließ den rogus umso größer erscheinen. Erst danach nahm man sich der Caesarmörder an und bestürmte die Bleibe des Brutus und Cassius. Ähnliches darf man für die Bestattung des Clodius annehmen.14 Ohne Zweifel sollte damit gezeigt werden, wie leicht die Volksmenge zu beeinflussen war. Mit einiger Übertreibung in Form literarischer Stilisierung von verwendeten Zeichen und Gesten ist daher zu rechnen. Zum einen wird die Verehrung des Clodius durch das Volk demonstriert, zum anderen die unlauteren Mittel, mit denen er und seine Leute sich der Gunst der wankelmütigen Plebs zu bemächtigen suchten. Diese Absicht der Autoren geht auf, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Trauer mit rhetorischen Mitteln choreographiert wurde, wie es auch beim squalor vorkam.15 Der Unterschied und die Gemeinsamkeit zwischen der Totenfeier des Clodius und dem squalor liegen im hohen Grad der Stilisierung des öffentlichen Auftrittes. Der Tribun wählte das Mittel der Selbstinszenierung nicht persönlich, denn sein Ableben stand dem im Weg.16 Das Begräbnis auf diese Weise zu organisieren, geht jeweils auf Fulvia und ihr Umfeld zurück. Sie hatte die Beisetzung des Clodius mit Hilfe anderer Tribunen so erfolgreich gestaltet, dass sich eine Nachahmung im Falle des erdolchten Diktators anbot, zumal die Ausgangslagen einander glichen: Mörder waren „Konservative“, die einen – wenn man so will – progressiven Politiker meuchelten. Beim Tod des Clodius hatte Pompeius die Chance ergriffen, eine starke Position zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung einzufordern. Der Aufruhr infolge des Leichenbegängnisses für Caesar gab Antonius die Möglichkeit, besondere Befugnisse zu reklamieren.17 Im Angesicht solcher Ereignisse erklärte die augusteische Historiographie die Bestattungen der Lucretia und Verginia zum Ausgangspunkt der Vertreibung des römischen Königs Tarquinius Superbus oder des verhassten Dezemvirats um Appius Claudius.18 Dionysios lässt Lucretia ein schwarzes Kleid anlegen, bevor sie sich, wegen der Vergewaltigung durch den Königssohn Sex. Tarquinius entehrt, das Leben nimmt.19 Das dunkle Gewand fehlt bei Livius, doch mehrfach wird auf Trauerverhalten bei Lucretia (maesta, lacrima, aegra animi) und ihrem Gatten, Vater sowie ihren Begleitern Brutus und Valerius (consolari, conclamare, luctus, maestitia) angespielt. Diese emotionale Disposition weite sich auf deren Klientel und die 14 15 16 17 18 19
Suet. Iul. 85, 1 f.; App. civ. 2, 147 f. fügte fälschlich hinzu, Caesar sei im Pompeiustheater verbrannt worden; einen kurzen Bericht mit ähnlichen Zügen bei Plut. Caes. 68, 1–7; Brut. 20, 2 ff.; Ant. 14, 2–4. Vgl. Matijevic (2006) 103; dazu auch Bodel (1999) hier 274. Sofern er dergleichen nicht testamentarisch verfügt hatte; ein letzter Wille ist nicht bezeugt. Im Nachlass Caesars ist eine ostentative Freigiebigkeit festzustellen, die das Volk gewogen zu stimmen und zu gezielten Reaktionen zu bewegen gedachte. Zur Rolle des Antonius in dieser Phase Matijević (2006) und Gotter (1996) 26–8. Liv. 1, 59, 3 ff.; 3, 45 ff.; Dion. Hal. 4, 71, 2; 76, 3 f.; 11, 38, 1 ff.; zu Verginia Kap. 4.3. Dion. Hal. 4, 64, 5–67, 2; besonders 4, 66, 1: … ἡ δὲ Λουκρητία δεινῶς φέρουσα τὸ συμβεβηκὸς ὡς εἶχε τάχους ἐπιβᾶσα τῆς ἀπήνης εἰς Ῥώμην ᾤχετο, μέλαιναν ἐσθῆτα περιβαλομένη καὶ ξιφίδιόν τι κρύπτουσα ὑπὸ τῇ στολῇ … Weiter ist von Tränen die Rede und, dass Lucretia schutzflehend vor ihre Angehörigen tritt.
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Bewohner Collatias aus, als die Leiche auf das Forum gebracht und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werde. Schließlich werden auch die Bürger Roms davon erfasst, nachdem Brutus sie von den Rostra aus unterrichtet habe. Bei Dionysios ist der Leichnam von einem schwarzen Tuch bedeckt und absichtlich nicht für die Bestattung vorbereitet, um die Erregung der Zuschauer und Leser zu steigern.20 Gleichzeitig betont Livius die Gewaltkomponente (culter, vulnus, sanguis, atrox res), die mit der Trauersemantik zu einem Gefühl der iniuria, indignitas und schließlich zum tumultus führe.21 Der Selbstmord löste in der römischen Elite das Begehren nach Ablösung der Monarchie aus und gab letztlich Anlass zum Sturz des Tarquinius Superbus.22 Solche Aktionen waren es, die die Gegner eines squalor fürchteten, denn sie waren unkontrollierbar, konnten zum Umsturz oder gar zur Ermordung des Betroffenen durch die aufgebrachte Menge führen. Daher beklagte Cicero in einem Brief an Atticus, man hätte Caesar kein öffentliches Begräbnis gestatten dürfen, sondern den toten Körper gleich in den Tiber werfen sollen.23 Cicero hatte aus der Clodius-Bestattung gelernt. Leider gibt es keine historischen Belege aus der Zeit vor der Bestattung des Clodius für einen solchen Auswuchs des Zorns der beteiligten Zuschauer, doch gerade der Umstand, dass man den Körper des toten Volkstribun Tiberius Gracchus in den Tiber warf sowie pointierte Trauerverbote zeugen von dem Bewusstsein, dass bereits zwei Generationen zuvor, ein Begräbnis oder Totengedenken zu tumultartigen Zuständen führen konnte.24 Tiberius selbst stellte den toten Körper eines ermordeten Anhängers am Vorabend seiner geplanten Wiederwahl öffentlich aus. Der Leichnam war von Zeichen eines unnatürlichen Todes übersät, was die Anhängerschaft des Tiberius in Wallung versetzte.25 Die Aktion stärkte das Gefühl der Gruppenzugehörigkeit angesichts der Bedrohung von Seiten des Senats. Diese Maßnahme war so eindringlich, da sie ein besonderes Gefühl der – nahezu familiären – Intimität mit dem Verstorbenen und seinen Angehörigen vermittelte. Ähnliches wird für den durch die Anhänger des C. Gracchus erschlagenen Liktor Antyll(i)us berichtet, dessen Leichnam der Konsul L. Opimius durch die Straßen vor die Kurie bringen ließ, doch der Aktion fehlte es an Durchschlagskraft bei der Plebs, da Antyll(i)us nicht von Stand war. Zudem beklagte das Volk, Tiberius Gracchus sei nicht einmal die reduzierte 20 21 22
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Dion. Hal. 4, 76, 3: … ἐπὶ κλίνης μέλασιν ἀμφίοις ἐστρωμένης κομίζοντες ἀθεράπευτόν τε καὶ πεφυρμένην αἵματι τὴν νεκράν· – Zur Bedeutung von Frauen bei Umbrüchen Kowalewski (2002); Fögen (2003). Liv. 1, 57, 9–59, 13; entscheidend und gewissermaßen analog zu Dionysios ist 1, 58, 11 f.: Cultrum, quem sub veste abditum habebat, eum in corde defigit prolapsaque in vulnus moribunda cecidit. Conclamat vir paterque. Die Parallelen zwischen Lucretia und Verginia sind vielmals gezeigt worden; u. a. Fögen (2003) 21–124; Kowalewski (2002); Joshel (1992), der den Zusammenhang zwischen der „schönen Leiche“ einer jungen Frau und dem politischen Umsturz verdeutlicht; zu Lucretias Funktion in der Narration Rosenberger (2003) 111–4. Cic. Att. 14, 10, 1; vgl. Suet. Iul. 82, 4: … corpus occisi in Tiberim trahere … Zu den Trauerverboten – auch für Saturninus – Flower (2006b) 76; 84 und 172 sowie Kap. 14.1. In Plut. Tib. Gracch. 13, 5 ist von Vergiftung die Rede; vgl. Nippel (1988) 72; Laurence (1994) 62.
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Form eines funus zuteilgeworden. Allerdings genügte die Aktion, den Senat von der Notwendigkeit eines Senatus consultum ultimum zu überzeugen.26 Bei Begräbnissen der Nobilität galt es sich mit dem Eintritt des Todes nicht nur auf die Vorbereitung der Trauerfeier und des Leichenbegängnisses zu konzentrieren. Es war auch dem Toten selbst in ehrbarer Weise zu danken. Er hatte dem Gemeinwesen einen Dienst erwiesen und das Prestige der gens gemehrt. Ihm die gebührenden Ehren zukommen zu lassen, stand außer Frage. Dazu war der so genannte pollinctor zu konsultieren,27 der den Toten wusch und salbte28 (pollingere), damit der Leichnam besser konserviert wurde und bis zur Trauerfeier ansehnlich blieb. Nicht zuletzt hatte er dafür Sorge zu tragen, dass der Tote nicht allzu unangenehme Gerüche freisetzte.29 Der Leichnam wurde zudem geschminkt.30 Diesen Schritt, um den toten Körper für die römische Öffentlichkeit zu präsentieren, ließen die für das Begräbnis verantwortlichen Akteure bei Clodius und Caesar bewusst aus. Da diese Arbeiten in der römischen Oberschicht von Fachpersonal und nicht von Mitgliedern der familia besorgt wurden, stellte die Ausstellung des unpräparierten Körpers ein besonderes Nahgefühl her, denn auf diese Weise bekam man als einfacher Plebejer einen toten Aristokraten nie zu Gesicht. Vielmehr befand der Verstorbene sich zumeist noch in der domus und nur Angehörige traten an ihn heran. Deren Kreis wurde um die Klientel des Toten erweitert. Das Prinzip, dem Volk den Toten näherzubringen, umfasste nicht nur das Aussehen des Toten. Dazu zählten auch die Inszenierung des Abschieds vom Verstorbenen, die Wahl des Ortes der Präsentation und die Dauer der Ausstellung des Leichnams. Zu den Gesten des Abschieds vor Ort zählte das Schließen der Augen (oculos claudere) durch eine Person, die eine besondere Stellung einnahm.31 Danach küsste man den Verstorbenen zum Abschied, wobei eine strenge Reihenfolge einzuhalten war,32 denn der römische Haushalt war hierarchisch geordnet. Diese inti26
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Die Anekdote stellt damit den Wendepunkt in der Karriere des C. Gracchus dar. Die Bedeutung der Szene für die Gracchenzeit ist bislang trotz der Parallelen zu Clodius und Caesar kaum gewürdigt worden; Plut. C. Gracch. 13, 3–14, 3; App. civ. 1, 110 f.; Diod. 34, 5; hier gibt es offenkundig zwei abweichende Traditionen, die Gracchus in Schutz nehmen oder zum Brandstifter des Mordes machen; vgl. Sigismund (2008) 107–14. Dazu Bodel (2004); Dumont (1995); Schrumpf (2006) 269–71. Waschung: Lukian. luct. 11; Serv. Aen. 9, 485. Pers. 3, 104; Plaut. Asin. 5, 2, 60; Poen. 63; Sen. vit. beat. 7, 3; Amm. 19, 1, 10 und Apul. flor. 19 f. berichten, dass man diese Angelegenheit lieber Spezialisten überließ, die nötige Utensilien (Aromata, Balsam, Öle) und Konservierungsstoffe (Salz, Honig) parat hatten. Plin. nat. 24, 11; Apul. flor. 19 f.; 32; Lukian. luct. 11; Serv. Aen. 6, 218; Blümner, Privataltertümer, 484; de Filippis Cappai (1997) 52 f.; siehe auch Marquardt, Privatleben, 347; Mau (1897) 348. Serv. Aen. 9, 485; kritisch Blümner, Privataltertümer, 484 A. 7, er nimmt eine Totenmaske an (ebd., 487); siehe auch Mau (1897) 348; Schrumpf (2006) 27;Marquardt, Privatleben, 349 f. Lucan. 3, 735–40 u. v. a.; zuerst Kuss: Cuq (1896) 1387; zuerst Augenschließen: Schrumpf (2006) 21. Sen. ad Polyb. 15, 5; ad Marc. 3, 2; Stat. Theb. 12, 417 f.; Suet. Aug. 99, 1; Auson. par. 23, 13. Damit verband sich die Vorstellung, die Lebenskraft entweiche durch den Mund und würde mit einem Kuss aufgefangen; Cic. Verr. 2, 5, 118; Ps.-Ovid. cons. ad Liv. 97; 158; Stat. silv. 5, 1, 195; zur Parodie Sen. Apocol. 4, 2 f., kritisch Schrumpf (2006) 20.
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men Vorgänge innerhalb der Familie wurden sowohl bei Clodius als auch Caesar in die Öffentlichkeit getragen und so Teil der Inszenierung affektiver Nähe zum Verstorbenen und zum Volk, denn über dem engsten Familienkreis hinaus wurden diese Bekundungen allen Beteiligten der Bestattung ermöglicht. Voraussetzung dafür war eine Adaption und gleichzeitige Inversion des gängigen Bestattungsrituals: Bei der sogenannten depositio wurde der tote Körper des zu Bestattenden auf die Erde vor das Haus gelegt.33 Entscheidend ist, dass den Anhängern des Clodius und Caesar mit dem Ausstellen des toten Körpers ohne jeden Schmuck, die Tat sichtbar und der Körper zugänglich gemacht wurde, was zu einem hohen Maß an Partizipation am Begräbniszeremoniell, aber auch an der emotionalen Lage der Angehörigen führte, denn die Totenwaschung blieb demonstrativ aus. Die Zahl der Zuschauer wird dabei umso höher, je weiter sich der Ort der depositio von der domus entfernte, bis er schließlich am Platz der größtmöglichen Öffentlichkeit angelangte – auf den Rostra. Freilich war der Transport selbst nicht mehr Teil der depositio. Vielmehr findet man hier Anleihen der deductio in forum. Sie war sowohl als Begleitung eines Patrons durch seine Klienten vom Haus auf das Forum zu verstehen, als auch als erster öffentlicher Auftritt eines jungen Mannes nach dem Anlegen der Männertoga.34 Bei der analogen Erzählung zum Tod der Lucretia wird auf diese beiden Traditionen angespielt. Livius gibt an, wie man die Tote vor das Haus legte und auf das Forum brachte. Mit der deductio einer Frau wird auf die ernste Lage verwiesen. Ihr jugendliches Aussehen nahm Bezug auf die Initiation, nur dass diese angesichts des Todes ad absurdum geführt wurde, denn ihr Begräbnis führte sie in das Totenreich ein.35 Die Leichenwäsche zu überspringen, hatte auch zum Ziel, wenig Zeit zwischen dem Moment des Todes und der Aufbahrung verstreichen zu lassen, denn oft vergingen mehrere Tage bis zum offiziellen Leichenbegängnis. Dadurch rückte auch die Tat der Mörder näher. Normalerweise legte man den Leichnam auf eine je nach sozialem Status des Verstorbenen prachtvolle Liege (lectus funebris), sobald er fertig präpariert und geschmückt war.36 Reiche Bürger konnten es sich leisten, ihre Toten eine Woche lang aufzubahren. Damit ermöglichte man Verwandten, Freunden und Klienten zu kondolieren. Dieser Teil der Bestattung fand üblicherweise im Atrium statt, sofern die betroffene Familie über ein solches ver33
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Ov. Pont. 2, 2, 45; trist. 3, 3, 40; Serv. Aen. 12, 395; unterschiedliche Deutungen bei Schrumpf (2006) 21 und Šterbenc Erker (2011) 46; siehe auch Cuq (1896) 1387; Mau (1897) 347; Blümner (1911) 482; Toynbee (1971) 44. – Eine ebenso unklare Bestimmung betrifft das Auf-dieKnie-Stellen (supra genua tollere); vgl. Cuq (1896) 1387; Corbeill (2004) 82. Zum patronalen Dienst Kap. 7.3 und 8.3; zum coming of age-Ritual Dolansky (2008); Scholz (2011) 261 f.; Goldbeck (2012). Liv. 1, 59, 3: elatum domo Lucretiae corpus in forum deferunt concientque miraculo, ut fit, rei novae atque indignitate homines. – Siehe auch Dion. Hal. 4, 71, 2 sowie 4, 67, 3; 70, 3 mit typischen Trauerreaktionen. Zu Lucretia als schönes junges Mädchen Rosenberger (2003) 111–4; zur Bedeutung auch Flaig (2009) und Prescendi (2000b); freilich galt Lucretia im Gegensatz zu Verginia als matrona. CIL VI 12649; Petron. 42, 6; Prop. 2, 13, 21; zur Dekoration: Suet. Nero 50; Stat. silv. 5, 1, 210–6; zum Material des lectus: Prop. 2, 13, 20 (Elfenbein); siehe auch Amiternum-Relief mit Toynbee (1971) pl. 11, auf dem die Matratze und das Kissen zu erkennen sind.
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fügte. Mittellosen Römern blieben collocatio und pompa verwehrt. Im Anschluss versammelte man sich zum Leichenzug.37 Den verzierten lectus funebris befestigte man auf einem prächtigen Gestell.38 Meistens wurde der Verblichene den Zuschauern auf den Ellenbogen gestützt und dadurch „lebendig“ präsentiert. Beides ist auf dem Amiternum-Relief gut zu erkennen. Dabei ist nicht geklärt, ob es sich um den arrangierten Körper des Verstorbenen oder eine Wachsfigur (effigies) handelte.39 Man hat angenommen, dass man effigies verwendete, um unnatürliche Todesursachen zu kaschieren.40 Das Gegenteil wurde bei den Inszenierungen des Clodius und Caesar beabsichtigt: Die Leichenbahre blieb entgegen der Tradition auffällig schmucklos. Aufwand war nur zu Repräsentationszwecken nötig. Die meisten Römer fanden ihre letzte Ruhe in Massengräbern vor den Stadtmauern. Auch für die „Mittelschicht“ bestand die Notwendigkeit der Pracht nur bedingt. Viele wählten einen verschlossenen Sarg, was Schmuck und Konservierung erübrigte.41 Das tat man auch bei der Beisetzung des Clodius und Caesar. Man imitierte das Prozedere beim Tod eines einfachen Mannes und suggerierte eine Nähe zur Klientel, die formal nicht bestehen konnte. Die Art und Weise, wie man die Leichen ausstellte, spielte auf typische Bestattungspraktiken an, verkehrte sie aber zum einen in ihr Gegenteil, ließ sie zum anderen aus. Beides konnte die gleichen Folgen zeitigen. Den Mord strich man in besonderem Maß heraus, denn der Tote wurde als Angehöriger der Plebs stilisiert, als „einer von ihnen“, den „die da oben“ um seiner Taten willen für das Volk getötet hatten. Zu vermuten ist, dass ein squalor soweit vorbereitet war wie möglich, ohne dass wir aus den Quellen von Vorkehrungen erfahren. Der wesentliche Unterschied bestand jedoch darin, dass die Inszenierung der eigenen Person galt und nicht dem Leichnam, den man zum Opfer seiner politischen Ideale stilisierte. Dennoch hoffte man mit einem squalor, die gleiche Wirkung zu provozieren, wie ein ausgestellter, 37
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Vgl. Wesch-Klein (1993) 41–5 und Flaig (1995) 121, wo der Lerneffekt von Aufenthalten im Atrium bei den Ahnenmasken und tituli diskutiert wird; zur Dauer Toynbee (1971) 45; Marquardt, Privatleben, 347 A. 9; Blümner (1911) 487. Drei Tage bei CIL VI 13782 und CIL X 01935; Schol. Hor. epod. 17, 48; vgl. Schrumpf (2006) 33 f. Anmietung von Räumen: AE (1971) 0088, col. I, 19 f.; vgl. Bodel (2004) 157 f.; Auslassen der collocatio: Varro rust. 1, 69, 2; Cic. Cluent. 9; 27. Die Rede ist von arca, feretrum oder capulum: Varro ling. 5, 35; Men. 222; Hor. sat. 1, 8; Lucan. 8, 372; Fest. 53 Lindsay; Serv. Aen. 11, 64; Isid. orig. 20, 11, 7; Schol. Stat. Theb. 6, 55; Schol. Iuv. 8, 175; Schmuck bei Cass. Dio 56, 34, 1; Lact. inst. 2, 14, 19. Franchi (1963–4) 27; Mau (1897) 352 nimmt die Praxis erst ab Augustus an; ferner Chantraine, (1980) 83–5. So weiß man erstmals von Augustus, dass sein Leichnam in einer Truhe unter seinem Wachsbildnis durch die Stadt geführt wurde, während Tac. ann. 3, 5 bei der Trauerfeier des Germanicus den gleichen Brauch als „traditionell“ bezeichnet; App. civ. 2, 607–17; Cass. Dio 56, 44, 1; 74, 4, 2. Zu Sonderfällen Herodian. 4, 2, 2; Plut. Sull. 38; vgl. Schrumpf (2006) 52–4. Mau (1897) 352 aufgrund von Vell. 2, 4, 6 und Cass. Dio 61, 7, 4; aber auch dass damit der Spagat zwischen crematio und inhumatio geschafft werden sollte; vgl. Chantraine (1980) 80–3; davon zu scheiden, ist das funus imaginarium, bei dem der Leib verschollen war und deshalb ein Wachsbild benötigt wurde. Hor. sat. 1, 8, 8; Mart. 8, 75, 8 f.; Cass. Dio 64, 18, 2; Serv. Aen. 6, 222; Isid. orig. 20, 11, 7.
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7. Aneignung und Verkehrung: Aspekte der Bestattungskultur
toter und mit Wunden übersäter Körper. Tatsächlich gleichen sich in einigen Fällen die unmittelbaren Folgen. Wie Helvius Cinna wurde P. Furius Philus infolge eines squalor zerfleischt.42 Diese Übereinstimmungen sind Anhaltspunkte dafür, dass beide Formen der Inszenierungen von Trauer ähnlich wirkten, auch wenn es bei symbolischen Trauerakten selten zu Unruhen kam. Eine solche Eskalation war auch nicht notwendig, vielmehr ging es um die Drohung, einen squalor als politisches Kampfmittel in physische Gewalt umzusetzen. Die meisten Trauerakte bargen das Potential in eine handgreifliche Aktion umzuschlagen, die auch das Leben bedrohen konnte. Den meisten Akteuren dürfte daran gelegen sein, es nicht auf das Äußerste auszutesten, wozu der Protagonist eines squalor fähig war. In einem gehörigen Einschüchterungspotential bestand ein entscheidender Mechanismus der Trauerakte. 7.2 DIE POMPA FUNEBRIS IMITIEREN: DIE DEMONSTRATION FAMILIALER KONTINUITÄT Bei der pompa funebris zeigten Angehörige der Nobilität Ahnenmasken (imagines maiorum) vor,43 die man nur zu besonderen Anlässen vorführte, denn üblicherweise bewahrte man sie in Schränken im Atrium des Hauses mit erklärenden tituli auf.44 Der „Älteste“ ging als Stammvater der Familie voraus, gefolgt von den weiteren verstorbenen Vertretern der gens bis hin zum jüngst Verblichenen. Tragegestelle oder Personen im Leichengefolge transportierten die aus Wachs45 gefertigten imagines. Engagierte Schauspieler trugen Masken verstorbener Ahnen46 und vermittel42 43 44
45 46
Was eine besonders kodierte Gewalttat darstellte; zu Furius Tod siehe App. civ. 1, 148; Cass. Dio 28, 95, 1 f.; zum Zerreißen siehe Flaig (2003a) 107 f. und Kap. 11.2; vgl. Lintott (1968) 6 f.; Gladigow (1986). Die Literatur ist inzwischen Legion; vgl. neben Anm. 3 Schrumpf (2006) 43–8; Flaig (1995) 139 f.; Bettini (1992); (2005); ferner Flower (1996) 114–8; 206–9; Blümner (1911) 494 A. 8; Marquardt, Privatleben, 353. Anlässe: Cic. Mur. 88; Sull. 88; Sen. contr. 7, 21, 10; Atrium: Polyb. 5, 53, 6; Cic. Pis. 1; Vitr. 6, 3, 6; Ov. am. 1, 8, 65; Sen. epist. 44, 5; Iuv. 8, 8; 19; siehe auch die Ausnahme für Scipio Aemilianus bei Val. Max. 8, 15, 1; tituli: Liv. 10, 7, 11; Val. Max, 4, 4, 1. Dazu zählten aber nur diejenigen Vorfahren, die ein kurulisches Amt bekleidet hatten; die nicht-kurulischen Ahnen wurden öffentlich ausgespart; Bettini (1992) 177 f.; zum sogenannten ius imaginorum siehe Mommsen, Staatsrecht I, 442–4; Flaig (1995) 121 A. 15; siehe auch Cic. fam. 9, 24 (21), 2; Rab. Post. 16; leg. agr. 2, 1. Daher stellte das Verbot, die Ahnenmasken öffentlich zu zeigen (Suet. Nero 37, 1; Tac. ann. 2, 32, 1; anders ann. 3, 76, 1 f.), einen herben Schlag für das Prestige des Verstorbenen und seiner Nachkommen dar; die imagines wurden mitunter zerbrochen (Iuv. 8, 18); vgl. Bodel (1999); Flower (2006b). Eine Verschärfung stellte das allgemeine Verbot der Bestattung dar; Dig. 5, 11, 7, 35; vgl. Schrumpf (2006) 66 f.; 93; Mustakallio (1994). Zu Stammbäumen in der domus Sen. benef. 3, 28, 2; Plin. nat. 35, 6; Mart. 40, 1, 1; Iuv. 8, 1–8; Suet. Nero 37, 1; Galb. 3. Sall. Iug. 4, 6; Ov. am. 1, 8, 65; Plin. nat. 35, 6; Mart. 7, 44, 2; Iuv. 8, 19; Plin. nat. 35, 153 gibt das Verfahren zur Abnahme einer Maske mittels Gipsabdruck wider; entsprechend kurze Haltbarkeit bei Iuv. 8, 4–5. Rüpke (2006) 271–8 geht von Statuen abgenommenen Bildnissen der Ahnen aus; ähnlich Giuliani (2008).
7.2 Die pompa funebris imitieren: Die Demonstration familialer Kontinuität
165
ten den Eindruck der anwesenden maiores, die ihrerseits den Toten in ihre Reihen aufnahmen. Die Vorfahren waren wie der Verstorbene in die höchste Amtstracht gekleidet, die ihnen im Leben zugestanden hatte, und jeder führte die entsprechende Anzahl von Liktoren mit.47 Das unmittelbare Zentrum der pompa bildeten die Träger der Bahre mit dem Toten. Dem lectus funebris gingen erneut Liktoren im Amtskleid voraus. Am Ende schlossen die Angehörigen und Freunde des Verstorbenen den Leichenzug ab. Sie trugen Trauerkleider und boten spezielle Gesten dar, die oben bereits ausführlich besprochen worden sind. Gekleidet waren sie im krassen Kontrast zu den verstorbenen Ahnen: Während deren Amtsrobe alle Zeichen des Standes führte, lehnten die Hinterbliebenen Luxus und Statusgebaren ab; die Kleidung war dunkel, schmutzig, zerschlissen statt glänzend, bunt und geschmeidig. Im Trauerzug lenkte die Kleiderwahl die Aufmerksamkeit auf die Hinterbliebenen, die für sich jedoch eine demütige Haltung reklamierten und keinen Anstoß erregen wollten. Da man aber von Männern nur eine kurze Trauerzeit verlangte (Kap. 6), war deren Anblick in zerlumpten Kleidern umso seltener und begünstigte das allgemeine Interesse. Auch mit einem squalor zog man die Blicke auf sich, denn das verwendete Äußere kontrastierte eklatant mit der üblichen Gewandung der Elite und Seltenheit männlicher Nobiles in demonstrativer Trauer. Hatte sich der Zug aus Musikern, Freigelassenen, Trägern, Liktoren, Ahnen und Verwandten formiert, begann das Gefolge sich in Bewegung zu setzen. Die Route führte vom Haus des Verstorbenen durch die Stadt, vorbei an Gebäuden, die mit dem Namen des Toten oder seiner Familie in Verbindung standen, Richtung Stadtmauer,48 denn die Beisetzung war nur außerhalb des pomerium gestattet. Angeblich machte man in der Frühzeit Ausnahmen für Personen, die dem Gemeinwesen in besonderer Weise gedient hatten. Wie im Fall des Clodius und Caesar versuchte man diese Tradition später vereinzelt zu durchbrechen. Am Forum machte der Tross Halt, um der Lobrede auf den Verstorbenen zu lauschen.49 Diese laudatio funebris bildete den Höhepunkt eines römischen Be-
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48 49
Außerhalb der Stadt Rom ist keine Verwendung von Ahnenmasken belegt, da hier keine höheren Amtsträger zu erwarten waren. Daher finden wir weder Vorfahren noch Ahnenmasken auf dem Relief aus Amiternum. In der Kaiserzeit nahm dieser Brauch merklich ab, da es einen stillschweigend geduldeten Konsens gab, dass nur Mitglieder des Kaiserhauses imagines im Totenzug mitführen durften. Ihre vergöttlichten Vorfahren ließen sie ihrerseits außen vor, um keinen Unmut zu erregen. Dennoch dürften die Mitglieder der Senatorenschaft weiterhin im Privaten ihre Ahnen umsorgt haben, wie etwa der berühmte Togatus Barbarini mit den Büsten seiner Vorfahren zeigt; die Statue wird in die augusteische Zeit datiert; Toynbee (1971) 48; Schrumpf (2006) 39; 51 f. Augustus lud zwar die „Ahnen der res publica“ zu seinem Begräbnis, nicht aber den vergöttlichten Caesar. Alle kommenden Kaiser sollten es vermeiden, divinisierte Vorfahren als maiores auszugeben, was Folge der consecratio war; Cass. Dio 56, 34, 3; vgl. Schrumpf (2006) 48; Wesch-Klein (1993) 20 f. Engels (1998) 172; skeptisch Flower (1996) 98 f.; vgl. Dion. Hal. 5, 48, 3; Plut. Publ. 23, 2 f.; Luc. 43, 3 zu familiäre Begräbnisstätten. Kierdorf (1980). Es gab sie auch für Frauen, von denen zwei inschriftlich erhalten sind; CIL VI 10230 (für Murdia); CIL VI 01527 (für Turia); vgl. Osgood (2014); ferner Cic. de orat. 2, 44; Liv. 5, 50, 7; Dion. Hal. 11, 39, 2; Tac. ann. 3, 76, 1 f.; 5, 1, 3 sowie ann. 16, 6, 2 u. v. a.
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7. Aneignung und Verkehrung: Aspekte der Bestattungskultur
gräbnisses, der durch alle Phasen der römischen Geschichte Bestand hatte.50 Dazu legte man die Totenbahre an den rostra ab,51 während in erster Reihe ein jeder Schauspieler mit seiner imago auf dem Amtssessel aus Elfenbein (sella curulis) Platz nahm. Dann bestieg ein Angehöriger, bestenfalls ein Sohn, die rostra.52 Der Redner hob die Vorzüge des Verstorbenen und seine Taten für die Gemeinschaft heraus und ließ dadurch den Schmerz der eigenen Familie umso qualvoller erscheinen, sodass er wie ein Verlust der gesamten res publica stilisiert wurde. Im Anschluss begann er von den Leistungen der „anwesenden maiores“, einen nach dem anderen, zu berichten, wodurch eine unendliche Linie von Wohltaten für das Gemeinwesen generiert wurde. Das führte regelmäßig zur Beugung historischer Wahrheit; man erfand Konsulate und Triumphzüge, um dem Volk zu imponieren.53 Gleichwohl verpflichtete man sich, den Zuschauern etwas Außergewöhnliches zu bieten, denn die pompa diente nicht weniger dem Trost der Hinterbliebenen und der Ehrung des Verstorbenen als der Repräsentation der Familie für den nächsten Wahlkampf.54 Nach der laudatio setzte der Zug sich in Bewegung, um das Ende seines Weges vor den Mauern der Stadt anzusteuern, wo der Leichnam samt seines Schmuckes und Geschenken in einem aufwendig angelegten rogus eingeäschert wurde.55 Man sieht, dass der Leichenzug dazu diente, das Prestige der Familie ostentativ zur Schau zu stellen; einem Clodius blieb das verwehrt, so die polemische Kritik Ciceros an der Praxis der Fulvia und ihrer Unterstützer.56 Vor allem durch die imaginierte Ahnenfolge trugen die gentes ihr zur Geschichte geronnenes symbolisches Kapital zur Schau. Einerseits sollten sich die jungen Angehörigen der Oberschicht im Angesicht dieser Leistungen angespornt sehen.57 Andererseits meinten viele Familien die Zuschauer durch die schiere Anzahl im Dienste der Republik erfolgreicher Ahnen von der Tüchtigkeit kommender Generationen überzeugen zu können.58 50 51 52 53 54 55 56
57 58
Frühzeit: Dion. Hal. 5, 17, 2 f.; Plut. Publ. 9, 7; Prinzipat: Tac. ann. 13, 3, 1–3; Suet. Aug. 100, 3; Cass. Dio 54, 35, 4; hohe Kaiserzeit: SHA Aur. 7, 11. Die Szenerie glich daher einer contio und war genehmigungspflichtig, aber nicht an ein funus publicum gebunden; Liv. 2, 61, 9; Dion. Hal. 9, 54, 5; Tac. ann. 3, 76, 1 f.; Quint. inst. 3, 7, 2; Wesch-Klein (1993) 60–8. Polyb. 6, 54, 2; Cic. leg. 2, 65; Dion. Hal. 9, 54, 5; Sen. ad Marc. 15, 3; Quint. inst. 3, 7, 2; Plut. Fab. 1, 5; 24, 4; App. civ. 1, 500; 2, 599; Cass. Dio 39, 64, 1; 54, 35, 4; 59, 11, 1–4. Cic. Brut. 62; Liv. 8, 40, 4; vgl. besonders Ridley (1983); außerdem Flaig (1995) 135–8. Blösel (2003); Flaig (1995) 138; dazu wurden die Leichenreden oft publiziert; Cic. Cato 4, 12; Brut. 61; Plin. nat. 7, 139; Plut. Fab. 24, 3; Suet. Iul. 6, 1; Serv. Aen. 1, 712; vgl. Flower (1996) 145 f. Schrumpf (2006) 81 f.; es folgte das ossilegium, bei dem die Knochenreste in einer Urne gesammelt wurden. Cic. Mil. 86; gerade das funus eines Angehörigen der Claudier ließ einiges erwarten; man denke an Suet. Tib. 1, 2: deinceps procedente tempore duodetriginta consulatus, dictaturas quinque, censuras septem, triumphos sex, duas ovationes adepta est. – Es bleibt allerdings unklar, ob die Adoption des Clodius in den Plebejerstand das ius imaginum unterlief. Polyb. 6, 54, 9 f.; Sall. Iug. 4, 5 f.; Val. Max. 5, 8, 3. Schon die Zeitgenossen überzeugte dieses Argument nicht immer. Als homo novus zielte C. Marius gerade auf die Vorschusslorbeeren der Nobilität ab, die sich auf bereits vollbrachten Taten der Ahnen ausruhe; Sall. Iug. 85, 25–30; ferner Cic. leg. agr. 2, 100; Pis. 1; Iuv. 8, passim; vgl. Hölkeskamp (2010) 109.
7.2 Die pompa funebris imitieren: Die Demonstration familialer Kontinuität
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Jedes Detail repräsentierte die Stellung der gens im sozialen Gefüge.59 Gleichzeitig gab die Gelegenheit einer pompa die Möglichkeit, sich von anderen Familien abzusetzen und eine „denkwürdige“ Feierlichkeit abzuhalten. Diese Prunkentfaltung konnte sogar dafür sorgen, dass das symbolische Kapital gesteigert wurde, indem bei der nächsten Wahl den Taten der eben erst vorgezeigten Ahnen gedacht wurde und die lebenden Nachkommen durch die Wähler einen Vertrauensvorschuss erhielten (commendatio maiorum).60 Auf das visualisierte symbolische Kapital der Familie setzte auch die gens Metella, als sie für ihren verbannten Angehörigen Q. Caecilius Metellus Numidicus warb. Hier steht die Aneignung funeraler Praktiken durch eine Gruppe im Mittelpunkt. Bei Cicero, der das Exempel nutzte, um nach seiner Rückkehr aus dem Exil vor dem Senat auf seine Stellung als homo novus im Angesicht der drohenden Verbannung hinzuweisen, erfährt man:61 Für mich baten das römische Volk nicht wie für Q. Metellus, einen sehr berühmten Mann, sein Sohn, als er noch Jüngling war, der Consular L. Diadematus, ein Mann von höchster auctoritas, der Censorier C. Metellus, deren Kinder und Q. Metellus Nepos, der sich gerade für den Konsulat bewarb, sowie die Söhne der Metellerinnen, Luculler, Servilier und Scipionen unter Tränen und in Lumpen gekleidet.
Anders als bei der Verbannung des Metellus habe er keinen exponierten familialen Rückhalt genossen. Cicero konnte kein symbolisches Kapital aufbieten, das Exil abzuwenden oder rückgängig zu machen. Die Passage gibt an, wer an der Aktion der Meteller beteiligt war. Man begegnet im Einzelnen L. Caecilius Metellus (cos. 117) und seinem jüngeren Bruder Gaius (cos. 113), der gemeinsam mit Numidicus Zensor war. Die Schwestern der beiden waren mit C. Servilius Vatia bzw. P. Cornelius Scipio Nasica (cos. 111) verheiratet. Der ersten Verbindung entstammte der Sohn Publius mit dem Beinamen Isauricus (cos. 79), der zweiten Ehe der gleichnamige Sohn (praet. 93). Die Luculler stoßen über die Schwester des Numidicus hinzu. Sie war die Mutter des berühmten Feldherrn L. Licinius Lucullus (cos. 74). Auf diese drei herausragenden Persönlichkeiten wird nur indirekt angespielt – vielleicht da sie zum Teil noch lebten, als Cicero die Rede hielt und er keinen Widerspruch provozieren wollte. Auf die claudischen Söhne der Metellerinnen sowie die Crassi verzichtete er gleich vollständig, denn sie mochten ihm angesichts der Feindschaft zu Clodius und des ambivalenten Verhältnisses zum Triumvirn Crassus 59 60 61
So die Gestaltung des lectus, des rogus, Ausrichtung von ludi, scaenae usw.; vgl. Hölkeskamp (2010) 107–24. Dazu nun auch Blasi (2013) 123–32. Cic. Quir. 6 (Übers. nach M. Fuhrmann): Pro me non … pro Q. Metello, summo et clarissimo viro, spectata iam adulescentia filius, non L. et C. Metelli, consulares, non eorum liberi, non Q. Metellus Nepos, qui tum consulatum petebat, non Luculli, Servilii, Scipiones, Metellarum filii flentes ac sordidati populo Romano supplicaverunt … Ein ähnlicher Duktus mit quasi identischer Formulierung in Red. Sen. 37: Pro me non … ut pro Q. Metello, summo et clarissimo viro, spectata iam adulescentia filius, non L. et C. Metelli, consulares, non eorum liberi, non Q. Metellus Nepos, qui tum consulatum petebat, non Luculli, Servilii, Scipiones, Metellarum filii flentes ac sordidati populo Romano supplicaverunt … Zum Hintergrund die Einleitung, Kap. 11.2 und 12.2.
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7. Aneignung und Verkehrung: Aspekte der Bestattungskultur
nicht als geeignete Exempel erscheinen. Ebenso erklärungsbedürftig mag das Auslassen der prominenten Brüder Cn. und L. Domitius Ahenobarbus (cos. 96 bzw. 94) sein, deren Unterstützung durch einen Brief des Metellus aus dem Exil gesichert ist. Doch weil Cicero den Eindruck einer laudatio funebris und einer Ahnengalerie erwecken wollte, boten sich die Domitii nicht an, denn sie waren weder agnatisch noch cognatisch verwandt.62 Im Jahr 99/98 v. Chr. lebten noch weitere, hochdekorierte Meteller, die Cicero auslässt, so M. Metellus (cos. 115), vielleicht auch noch Metellus Balearicus (cos. 123), Zensor des Jahres 120.63 Nicht zuletzt findet man den Sohn des Numidicus explizit erwähnt, der den Ehrennamen Pius erhalten sollte (cos. 80), und den Sohn des Balearicus namens Nepos, der sich – wie sich zeigte – erfolgreich um den Konsulat bewarb (cos. 98). An diesem weit gesponnenen Netz kann man gut die familiale Strategie der Meteller ablesen, gerade ihre Frauen mit prominenten gentes zu liieren. Dadurch festigten sie Koalitionen dauerhaft und machten sie in Krisensituationen abrufbar, wie Cicero vorführt. Abfolgen berühmter Persönlichkeiten waren aus der pompa funebris bekannt. Dieser Teil der Bestattung war so üblich, dass Horaz ihn als täglichen Anblick in den Straßen Roms beschrieb. Kaiser Julian verweist auf die überfüllten Gassen, auf denen kein Platz für Leichenzüge sei. Demnach sollte man die pompa doch lieber auf die nächtlichen Stunden verlegen, um die Straßen zu entlasten.64 Ein kollektives Auftreten in schmutzigen Gewändern musste den Eindruck eines Leichenbegängnisses erwecken, denn die Angehörigen eines – auch nur symbolisch verstorbenen – Verwandten erschienen auf den Straßen Roms in einer vergleichbaren Aufmachung. Wenn die Familie ein Spektakel wie bei der pompa funebris veranstaltete, ohne dass der Tote mitgeführt wurde, musste das für Aufsehen sorgen. Gerade wenn man bedenkt, auf welche Weise der Leichenzug der Imagepflege der gens diente, kann man erahnen, welche Wirkung ein Trauerzug ohne Leichnam bei den Zuschauern erzielte.65 Ob alle Familienmitglieder gemeinsam zu einem Termin in die Öffentlichkeit traten oder jeder für sich separat – vielleicht auch beides je nach Situation und Anlass – kann man nicht mit letzter Sicherheit bestimmen.66 Allerdings greift beson62
63
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Zu den Ämtern die Einträge in MRR. Die Belege der Ahenobarbi bei Gell. 15, 13, 7; 17, 2, 7 jeweils mit FRM 47 f. Kelly (2006) 86 f. erklärt ihre Abwesenheit unbefriedigend: Cicero nenne nur die „Spitze des Eisbergs“, zumal der Brief des Numidicus für Cicero wahrscheinlich einsehbar war; vgl. FRM 44–6, kritisch zur Zirkulation solcher Schriften Eich (2000) besonders 166–213 und 269–93. – Zu den Caecilii Metelli nun Hölkeskamp (2016). Wobei auch das Mitführen von Ahnenmasken der verstorbenen Familienmitglieder denkbar ist, um das symbolische Kapital noch mehr anzuhäufen. Man weiß, dass zumindest vor Gericht imagines maiorum vorgezeigt wurden oder als Argument galten; vgl. Flower (1996) 151; Brooke (2011) 96 f.; Pernot (2005) 90. Hor. epist. 2, 2, 72–6; sat. 1, 6, 42–4; Cod. Theod. 9, 17, 5, 1. Vielleicht nahm man damit auch Bezug auf ein funus imaginarium; vgl. Chantraine (1980) 80. Allein war es nur im Falle der eigenen Bedrängnis oder der eines Kindes bzw. Elternteiles üblich. Trat man tatsächlich einzeln auf, trug das zur Hartnäckigkeit der Forderung bei, indem jeden Tag ein anderes Familienmitglied als sordidatus/-a umherging, sodass kein Anlass zum Vortragen der Bitte ausgelassen wurde. Bei der Plebs, die jeden Tag über den schaurigen Anblick eines weiteren Familienmitgliedes der Metelli bestürzt war, dürfte sich dann ein Gefühl
7.2 Die pompa funebris imitieren: Die Demonstration familialer Kontinuität
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ders die Argumentation des Cicero selbst auf den Teil der Leichenfeier zurück, die dem Prestigegewinn der Familie in besonderem Maß verpflichtet war. Im Stile einer laudatio zählte er die Verwandten des Numidicus auf, als wäre er und als wären sie bereits verstorben. Er beginnt mit dem ältesten Vetter und dessen jüngerem Bruder, fährt fort mit der Generation der Söhne und kommt schließlich kurz auf die weniger bedeutenden cognatischen Verwandten zu sprechen. Jedem der Erwähnten ließe sich eine erinnerungswürdige Geschichte zuordnen, die der Rhetor bei Bedarf abrufen konnte: L. Metellus erhielt den Beinamen Diadematus, da er eine Kopfwunde aus einer Schlacht mit einem Diadem zu bedecken pflegte,67 C. Metellus feierte an ein und demselben Tag einen Triumph wie sein Bruder Marcus. P. Servilius Vatia wiederum feierte allein zwei Triumphzüge und erhielt ebenfalls seinen Beinamen von einem Sieg über die Isaurier, deren Ende die Einrichtung der Provinz Kilikien bedeutete. Der weniger erfolgreiche Scipio Nasica ist vielleicht nicht nur wegen der Demonstration des Familiennetzwerkes bedeutsam, sondern auch da er dafür verantwortlich war, dem kinderlosen Metellus Pius einen Sohn zur Adoption anvertraut zu haben (cos. 52).68 Pius bildet auch die Ausnahme in der Aufzählung Ciceros: Während er mit der Nennung des Pius beginnt, wechselt er dann schlagartig zu den älteren Metellern. Grund dafür war dessen besonderer Einsatz als Sohn des Verbannten, der ihn quasi als Laudator auszeichnete, indem er immer wieder sein Anliegen an die Öffentlichkeit formulierte und dabei kaum die Taten seines Vaters außen vor ließ – nicht umsonst trug dieser als Bezwinger Numidiens den Ehrennamen Numidicus. Dass die laudatio funebris von einem möglichst jungen Mitglied der trauernden gens gehalten wurde, korrespondiert auch mit dem Verweis einiger Angeklagter oder offenkundig bedrohter Personen auf ihre unmündigen Kinder, wie es Galba oder Gracchus taten. Bereits unter Cicero war der jüngere Metellus zum exemplum pietatis geronnen – auch unter eigenem Hinzutun, indem er in seinem Konsulat Münzen mit einschlägiger Symbolik prägen ließ. Ähnliches mag für Metellus Nepos gelten, dessen Beiname auf affektive Nähe zum Großvater (cos. 143) hinweist. Vor allem wurden die Taten der Familie für das Gemeinwesen so in die Vergangenheit verlängert und für die Gegenwart generiert, so wie es Polybios aus Sicht eines kulturellen Außenseiters verstand:69 Wenn der Redner mit dem Lob des Mannes, der begraben werden soll, fertig ist, spricht er von den übrigen Toten, die anwesend sind, indem er beim Ältesten anfängt, und nennt ihre Erfolge und Taten. Da so der Ruf der Trefflichkeit tüchtiger Männer stets erneuert wird, ist der Ruhm derer, die eine edle Tat vollbracht haben, unsterblich, zugleich aber wird der Ruhm derer, die
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von „der/die auch noch“ eingestellt haben; schließlich handelte es sich bei den genannten Personen um Prominenz. – Zur kollektiven Unterstützung vor Gericht mit einem squalor Cic. Planc. 21; Mur. 90; Sest. 144 und Ascon. 18 sowie 24 f. Clark, wo die (nicht-verwandten) sordidati aufgelistet werden. Plut. Coriol. 11, 3.; vgl. MRR I, 528 und 531. Vatia bei Amm. 14, 8, 4; Eutr. 6, 3; vgl. MRR II, 90 f.; der jüngere Pius bei Ascon. 66 Clark; vgl. MRR II, 234 f. Polyb. 6, 54, 3; Übers. nach Kierdorf (1980).
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7. Aneignung und Verkehrung: Aspekte der Bestattungskultur dem Vaterland gute Dienste geleistet haben, der Menge bekannt und den Nachkommen weitergegeben.
Freilich nutzte Cicero das Beispiel der Meteller, um sich selbst als mittellos an symbolischem Kapital zu stilisieren, doch die Beschreibung respektabler Figuren behält ihren Wert. So werden die Zuschauer eines jeden Einzelnen oder die Gruppe den Beitrag der Familie zum Wohl des Gemeinwesens zu würdigen gewusst und eine affektive Nähe zur gens Metella aufgebaut haben, wie Polybios schreibt:70 Das hat zur Folge, dass die Menge, die an die Ereignisse erinnert wird, und sie gleichsam vor Augen gestellt bekommt, nicht nur diejenigen, die in an den Taten teilgenommen haben, sondern auch die Unbeteiligten, so sehr in einen Zustand des Mitgefühls versetzt wird, dass der Verlust nicht nur eine Sache der trauernden Angehörigen zu sein, sondern das ganze Volk zu betreffen scheint.
Dieses Phänomen muss man sicher für jede Traueraktion annehmen, ob politisch motiviert oder funeral inszeniert. Auf diese Wirkung baute auch der junge Metellus. Was aber die Strategie des Cicero so eindringlich machte, war, dass er einen entscheidenden Aspekt des Leichenzuges in sein Gegenteil verkehrte: Die verstorbenen Ahnen, deren Taten gepriesen wurden, traten in ihren früheren Amtsgewändern auf, die Angehörigen, die den Verblichenen betrauerten, in der Trauerkluft. In Ciceros Rede erscheint es so, als seien die zu ehrenden Gestalten in Trauer gehüllt. Von Ciceros Standpunkt als homo novus – eine Generation später – waren die erwähnten Persönlichkeiten durchaus als maiores, und zwar der gesamten res publica, zu betrachten. Sie als die trauernden anstatt der feiernden Teilnehmer eines Begräbnisses darzustellen, markierte einen rhetorischen Trick, dem der geneigte Zuhörer kaum widerstehen konnte. Somit zeugt die Passage sowohl von der praktischen Aneignung des Bestattungszeremoniells durch die Meteller als auch der rhetorischen Inbeschlagnahme und Umdeutung des exemplum durch Cicero. Vielleicht kann man sich den kollektiven squalor häufiger auf diese Weise vorstellen. Auch in der Kaiserzeit kam es vor, dass man sich der Praxis des Leichenzugs zum Erheischen von Mitleid bediente, obwohl gar kein Angehöriger verstorben war. Laut Sueton habe sich Vitellius angesichts der Ausweglosigkeit seiner Situation in schmutzigen Kleidern auf die Rostra begeben und die Annahme seines Rücktritts ersucht.71 Cassius Dio wertet die Bedeutung der Kleidung auf und spielt mit ihren Bedeutungen, indem er die Unsicherheit des Kaisers in der umstellten Stadt durch unentwegten Kleidertausch anzeigt. Die Stelle legt die Interpretation nahe, dass es nicht nur einen Versuch der Abdankung gab.72 Bei Tacitus trägt die Szene Merkmale eines Leichenzuges; er berichtet, wie Vitellius gemeinsam mit seiner Familie unter Tränen vom Palatin ins Forum zog als er vom Abfall der Legi-
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Polyb. 6, 53, 3; Übers. nach Kierdorf (1980). Suet. Vit. 15, 2. – Zur ablehnenden Haltung des Vitellius gegenüber dem Amt Huttner (2004) 171 ff.; die Begebenheit auch bei Habenstein (2015) 234–8, aber ohne die Kleidung zu berücksichtigen; vgl. Kap. 15. Flaig (1992) 564 ff. erkennt mindestens drei Anläufe; vgl. Cass. Dio 64, 16, 4. – Siehe auch Davenport (2014); vgl. die ähnliche Erwähnung bei Cass. Dio 24, 83, 7 frg. zu Tiberius Gracchus.
7.3 Wie dem Leichenzug folgen: Das adsectari
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onen erfuhr. Dabei habe er einen schwarzen Mantel getragen (pullo amictu) und seinen Sohn wie im Leichenzug mitgeführt (velut in funebrem pompam).73 Die Bemerkung des Tacitus verweist auf ein hermeneutisches Problem mit Vergleichen dieser Art, die nicht zuletzt auch für das Wiedererkennen von Elementen des Trauerzuges im Beispiel der Meteller und das Identifizieren einzelner ritueller Elemente in der gesamten Untersuchung gelten, denn worauf beruht der Vergleich. Wurde diese Ansicht breit geteilt und dürfte damit offenkundig intendiert gewesen sein oder ist sie die Interpretation des Tacitus? Hat er Ergänzungen vorgenommen, um seine Deutung zu stützen? Dio jedenfalls berichtet nicht von der Familie und dem Zug zum Forum, Sueton erwähnt das Herabsteigen zum Forum ohne Verwandte. Tacitus meint sogar Details der Rede zu kennen, die Vitellius hielt, und markiert damit das Gewicht der Passage.74 Dabei empfahl er Bruder, Frau und Kind dem Schutz des Volkes an – wie es schon ein Tiberius Gracchus tat – und hielt – wie Galba – seinen Sohn empor; typische Strategien der miseratio. Dem Bericht des Tacitus kann man einige Analogien zur pompa funebris entnehmen: Man begann den Zug an der eigenen domus, der Weg führte zum Forum, man wurde durch die Familie begleitet, die sicher wie Vitellius selbst in dunkle Farben gehüllt waren. Schließlich trug man den Sohn des Kaisers auf einer kleinen Bahre (lecticula) mit sich, die an das lectus funebris angelehnt war. Gleich ob sich die Begebenheit so ereignete, deutlich wird, dass Tacitus einen Sinn darin sah, die Strategie des Vitellius für dessen Publikum und für seine eigene Leserschaft auf diese Weise darzustellen.75 Während die Meteller ihre über Generationen unter Beweis gestellten Leistungen in den Mittelpunkt des squalor stellten, war das Vorgehen des Vitellius nicht rückwärtsgewandt, sondern durch die Einbeziehung seines Sohnes verlieh er seiner Maßnahme prospektiven Charakter. Demnach schlagen sich in beiden Szenen unterschiedliche Facetten des Leichenzuges nieder; einerseits Geschichtsbewusstsein, Kontinuitätsversprechen andererseits. 7.3 WIE DEM LEICHENZUG FOLGEN: DAS ADSECTARI Das Totenhemd entsprach den höchsten Amtswürden, die ein Toter zu Lebzeiten innehatte, „[…] wenn der Verstorbene Konsul oder Prätor war, eine Toga mit Purpursaum, wenn er Zensor war, eine Toga ganz aus Purpur, wenn er aber einen Tri-
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Tac. hist. 3, 67, 2: XV kalendas Ianuarias audita defection legionis cohortiumque, quae se Narniae dediderant, pullo amictu Palatio degreditur, maesta circum familia; ferebatur lecticula parvulus filius velut in funebrem pompam. Tac. hist. 3, 68, 2; zu methodischen Bedenken Kap. 3 mit der Frage der „Staatstrauer“ und „Hikesie“. Liv. 2, 54, 4. verweist auf den Leichenzug, wenn die sordidati klagen, sie würden ihre Lumpen nur noch beim Begräbnis los: consulares vero fasces, praetextam curulemque sellam nihil aliud quam pompam funeris putent … Einen Bezug zwischen pompa und squalor stellt auch der Brauch dar, die vestis sordida nach einem Freispruch abzulegen und feierlich zu Tempeln zu ziehen, wo man ex voto dankte; vgl. Quint. decl. min. 1, 24.
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7. Aneignung und Verkehrung: Aspekte der Bestattungskultur
umph gefeiert […] hatte, eine goldbestickte Toga.“76 Verschiedene Amtsinsignien wie fasces und sella curulis stellte man mit dem Aufgebahrten aus. Das galt in gleicher Weise für die als Vorfahren verkleideten Schausteller, die der Totenbahre vorausgingen. Gerade bei Angehörigen nobler Familien, die kein Amt bekleidet hatten, versuchte man diesen Makel durch aufwendige und kostspielige Kleidung zu beheben.77 Dazu zählte nicht zuletzt prunkvoller Schmuck wie der Siegelring beim Mann (anulus)78 und verschiedene Formen von Kränzen (coronae)79 und Blumen80. Verstorbene Bürger aus dem einfachen Volk erhielten eine Toga ohne Verzierungen.81 Juvenal merkt spöttisch an, manche Bewohner Italiens seien erstmals am Tag ihrer Beisetzung in die Toga gehüllt.82 Dabei handelte es sich um die im hellen Naturfarbton der Wolle belassene toga pura ohne Ornamente, die man im Erwachsenenalter zu repräsentativen Anlässen anlegte.83 Insgesamt war der Verstorbene außerordentlich herausgeputzt, ebenso die maiores und sonstigen Teilnehmer, die der Totenbahre voranschritten. Im Gegensatz dazu präsentierten sich die Hinterbliebenen. Aus den Quellen geht hervor, dass alle lebenden Angehörigen im Leichengefolge dunkle Gewänder trugen, Frauen ihre Haare auflösten, Männer einen Bart stehen ließen und alle auf ihre Statuszeichen verzichteten. Demnach war der Leichenzug der Nobilität zweigeteilt: Alle vor dem Toten gehenden Ahnen trugen ihre prunkvollen Amtskleider zur Schau, während die dem lectus folgenden Verwandten in dunkle, raue, bisweilen abgetragene Gewänder gekleidet waren. Die Bahre mit dem Verstorbenen symbolisierte die Grenze zwischen den trauernden Angehörigen und den sich selbst und die res publica feiernden Vorfahren. In diesem Zusammenhang sei an den Knaben bei Seneca erinnert (Kap. 5.1 und 6.3): Wenn man den squalor als Drohgebärde versteht, ging es dem jungen Mann nicht nur darum, Mitleid für seine Sache zu erzeugen. Im Gegenteil weckte das Verfolgen eines politischen oder persönlichen Gegners in schäbigen Kleidern vielfältige Assoziationen. Dazu wurde eine typische Trauergeste aufgegriffen, die bisher wenig Beachtung fand, da sie zu banal scheint: das Begleiten der pompa funebris durch die Hinterbliebenen. Der Totenbahre mit dem Verstorbenen in Amtsgewand oder toga pura folgten zahlreiche in Trauer gehüllte Angehörige und Freunde. Da das Trauergefolge den Römern als signifikant für die Bestattung galt, ist der
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Polyb. 6, 53, 7; Übers. nach Kierdorf (1980); ferner Liv. 34, 7, 3; Prop. 4, 11, 61; vgl. Mau (1897) 348; das Totenhemd wird besprochen bei Schrumpf (2006) 27. Val. Max. 5, 5, 4; Lact. inst. 2, 14, 6; zu Einschränkungen des Aufwandes siehe Dig. 30, 113, 5. Schmuck bei Dig. 34, 2, 40, 2; Quint. decl. mai. 6, 9; Prop, 4, 7, 9; zum Ring Kolb (1977). Ehren bei Cic. Flacc. 75; golden bei herausragenden Leistungen: Plin. nat. 21, 5; Artem. 4, 49; Serv. Aen. 11, 80; Einschränkungen bei Cic. leg. 2, 24 mit Mau (1897) 348; anders Cuq (1896) 1388. Dion. Hal. 11, 39, 6; Min. Fel. 12, 6; Tert. coron. 10, 2. – Auf dem Grabrelief der Haterii legt ein pollinctor der Verstorbenen eine Blumenkette um; vgl. Schrumpf (2006) 270. Enn. b. Macr. Sat. 6, 2, 22; Dig. 15, 3, 19; Mart. 9, 57, 8; Apul. met. 10, 12; flor. 4; Artem. 2, 3. Iuv. 3, 171 f.; das unterstützt die geäußerte Vermutung, eine Tunika kleidete normale Bürger im Alltag. Cic. Att. 5, 20, 9; 6, 1, 12; 7, 8, 5; 9, 6, 1; 17, 1; 19, 1; Phil. 2, 20; Plin. nat. 8, 194.
7.3 Wie dem Leichenzug folgen: Das adsectari
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Begriff des „Folgens“ bzw. „Begleitens“ synonym mit dem Leichenzug geworden.84 Diese Vorstellung griff der junge Mann auf und wendete sie gegen den Mörder seines Vaters, denn er war einerseits zu jung eine eigenständige Klage anzustrengen. Andererseits sah er einen formalen Prozess angesichts der ungleichen Teilhabe an Machtmitteln als aussichtslos an. Indem er in schmutziger Kleidung vorgab, ein Verwandter oder Klient des Reichen zu sein, der seinerseits herausgeputzt auftrat, erzeugte er das Bild eines Leichengefolges – gleichwohl war der Verfolgte kein Verstorbener, sondern quicklebendig. Die Drohung bestand darin, dem Reichen ein baldiges Ableben zu prophezeien. Der Junge vermittelte die Botschaft, er folge dem repräsentativ gekleideten Mann, weil dieser für ihn bereits so tot sei wie der Leichnam einer pompa funebris. Ob sozial oder biologisch tot, entzieht sich unserer Kenntnis, aber eine Episode aus Petron unterstreicht diese Vermutung. Er schreibt, Hermeros habe im Streit gedroht, er werde Giton in der toga perversa bis in den Tod verfolgen.85 Es handelt sich also um eine Selbstinszenierung des Jungen und Fremdinszenierung des Reichen durch den Knaben. Der Kandidat bei Seneca ersetzte den während der pompa geschmückten Leichnam. Der Trauerakteur skizzierte damit die Zukunft seines Kontrahenten und unterstrich diese Nachricht, indem er selbst die Kleidung der Hinterbliebenen trug. Das Alter des Sohnes betonte diese Botschaft, denn junge Verwandte hielten die Leichenrede. Die Praxis des Totengeleits wurde in einem Maße übertrieben, dass sie sich nicht mehr in den Brauch einzufügen vermochte, sondern in sein Gegenteil verkehrt wurde. Es ging nicht mehr um die Ehrung, sondern Blamage eines Akteurs. Der Mechanismus der Übertreibung, bis sich eine Inversion einstellte, war schon den Römern bekannt. Daher nahm man das hartnäckige Verfolgen einer Person durch einen Feind als adsectari in den Kanon der Injurien-Tatbestände auf. Da der Knabe nicht die Mittel dazu besaß, einen Prozess anzustrengen oder eine Anhängerschaft zu mobilisieren, blieb ihm nur diese Option, dem Gegner entgegenzutreten. Das 84
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Sequi: CIL XIV 02112; prosequi: Ov. trist. 1, 8, 14; Petron. 111, 2; Sen. epist. 30, 5; nat. 3, 18, 6; Apul. met. 4, 34, 4 f.; 8, 6, 7; Suet. Cal. 13, 1; exequi: Plaut. Epid. 174; Varro Men. 303; Cic. Tusc. 1, 115; Val. Max. 4, 1, 12; 5, 1, 2; 2,1; 7, 8, 5; Ov. am. 2, 6, 2; trist. 3, 5, 40; Pont. 1, 9, 51; Ps.-Ov. cons. ad Liv. 202; 460; Lucan. 3, 292; Plin. nat. 7, 144; 146; 10, 122; 11, 63; Quint. decl. min. 329, 15; mai. 5, 17; 8, 10; 12, 9; 19, 4; Sen. Phoen. 95; Oed. 63; brev. 20, 5, 8; ad Marc. 9, 2; Stat. Theb. 6, 182; Sil. 12, 473; 15, 394; Apul. met. 4, 34, 5 f.; Suet. Aug. 100, 2; Tib. 32, 2; Tac. ann. 13, 17, 3; SHA Diad. 7, 10; CIL VIII 14683; Serv. Aen. 2, 539; 7, 599, exsequi: Ter. Phorm. 1026; Cic. Quinct. 50; Cluent. 28, 201; Mil. 86; Prop. 1, 19, 4; 2, 13, 24; Ov. am. 2, 6, 1 f.; Sen. contr. 6, 6, 1; Sen. epist. 70, 10; Sil. 15, 394 f.; Stat. silv. 2, 1, 157; Gell. 10, 15, 25; Fest. 161; 484 Lindsay; Flor. epit. 2, 8; Plin. epist. 8, 12, 5; Apul. flor. 3, 16; Porphyr. Hor. comm. 2, 2, 74; Dig. 35, 1, 91, 1; auch funus comitare: Ov. Pont. 1, 9, 48. – Zur Assoziation mit der adsectatio im Rahmen römischer Nahbeziehungen Kap. 8.3. Petron. 58, 12: ita lucrum faciam et ita bene moriar ut populus per exitum meum iuret, nisi te ubique toga perversa fuero persecutus. – Die toga perversa wird gemeinhin als spezielle Form der Trauerkleidung gedeutet, die einem zum Tode Verurteilten von Weitem die Strafe anzeigte; vgl. Mommsen, Staatsrecht I, 337 A. 4; Linderski (2007) 109–12 mit Sen. ira 1, 16, 5: Itaque et, si perversa induenda magistratui vestis et convocanda classico contio est … Die Interpretation ist freilich umstritten; zur Verkehrungen von Amtsinsignien während Bestattungen Tac. ann. 3, 2, 2; 4, 1; Cass. Dio 56, 31, 2 f.; Tert. ieiunio 16; Serv. Aen. 11, 93 mit Kath (2012) 65.
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7. Aneignung und Verkehrung: Aspekte der Bestattungskultur
galt vielleicht auch für Metellus Pius und viele andere junge Mitglieder der römischen Gesellschaft. Auch Frauen erschien dieses Mittel in historischer Zeit als Möglichkeit, Statusungleichheiten ohne formale Klage zu überbrücken.86 Daher wurde der Sohn vom Kandidaten der iniuria bezichtigt. Diese Courage brachte ihm erst Sympathien ein, denn sein Verhalten war ein Dienst der pietas, die er auf den Straßen Roms in soziales Kapital ummünzen konnte. Hier steht die Symbolkraft einer Geste im Fokus, die es vermag, blitzartige Erinnerungen und Transferleistungen bei den Betrachtern einer solchen Szene abzurufen. Dazu waren eine tief etablierte Erfahrung und ein Wissen um die Zeichen und Gesten eines Trauerzugs vonnöten. Man weiß, dass der öffentliche Teil der Bestattung allgegenwärtig war. Äußerungen des Horaz und Kaiser Julians legen davon Zeugnis ab.87 Die Semantiken des Leichenzuges waren im Alltagsleben der Römer so präsent, dass sie die Zeichen der pompa leicht erkannten. Eindeutig ist neben der erwähnten Episode nur der Fall des Redners Philostratos. Insgesamt aber sind Szenen des Verfolgens im Vergleich zu den Rundgangszenen rar.88 Das Setting spielt nicht auf römischen Boden, sondern in Alexandria, wo Octavian die Verhältnisse neu ordnete. Philostratos bat ihn um Verzeihung für seine Dienste bei Kleopatra. Nachdem der junge Caesar seine Gesuche abgelehnt hatte, bedrängte er dessen Günstling Areios:89 Da ließ er sich seinen grauen Bart lang wachsen, trug einen schwarzen Mantel und lief immer hinter Areios her, indem er immerfort den Vers zitierte: „Die Weisen retten Weise, wenn sie Weise sind.“ Als das Caesar erfuhr, verzieh er ihm, mehr in der Absicht, Areios von dem Neid als Philostratos von seiner Furcht zu befreien.
Die Stimmung in der Passage ist weniger aufgeheizt, aber umso erklärungsbedürftiger. Das liegt wohlmöglich an der freundschaftlichen Beziehung zwischen Areios und Philostratos, denn dem Höfling Kleopatras wurde das Leben geschenkt. Ob die beiden die Szene arrangierten, um Octavian zum Einschreiten zu veranlassen, ohne das Areios seinen Kredit verspielte, entzieht sich unserer Kenntnis. Jedenfalls erschien die Darbietung so penetrant, dass sich Octavian einzugreifen entschloss. Die Verschonung des Philostratos war nicht nur ein Akt der Milde. Es unterstrich die Bedeutungslosigkeit des Redners und wertete den Kreis Gelehrter im persönlichen Umfeld des späteren Prinzeps auf. 86
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Während die Überlieferung für die römische Frühzeit – insbesondere Dionysios von Halikarnassos – immer wieder vom squalor der Frauen berichtet, belegen die Quellen für die historische Zeit nur wenige Fälle: Ciceros Tochter (Cic. dom. 59) und die ältere Agrippina (Tac. ann. 4, 52, 2); vgl. Kap.15.2 sowie die Frauen des Antonius in Kap. 8.4. Vgl. Hor. epist. 2, 2, 72–6; sat. 1, 6, 41–3; Cod. Theod. 9, 17, 5, 1 mit Marquardt, Privatleben, 343 f.; Cuq (1896) 1390; Blümner (1911) 490; Toynbee (1971) 46; siehe auch Sen. tranq. 11, 7. – Zur Injurie Kap. 13. Neben den beiden Anekdoten gibt es nur Dig. 47, 10, 15, 19; 22 f. zur Beleidigung durch Verfolgen und die unsicheren Passagen bei Petron. 58, 12 und Sen. ira 1, 16, 5, die eine Redewendung indizieren, die mit Tod und Verfolgen in Verbindung steht („bis in den Tod verfolgen“); vgl. vielleicht schon Plaut. Cist. 114. Plut. Ant. 80, 3 (Übers. K. Ziegler): ὁ δὲ πώγωνα πολιὸν καθεὶς καὶ φαιὸν ἱμάτιον περιβαλόμεν ος ἐξόπισθεν Ἀρείῳ παρηκολούθει … Zur Verschonung einiger Antonianer Cass. Dio 51, 16, 1.
7.3 Wie dem Leichenzug folgen: Das adsectari
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Das unaufhörliche Begleiten einer angesehenen Persönlichkeit erinnerte jedoch nicht nur an unsittliche Nachstellungen. Tatsächlich stellte es ebenso eine zentrale Praxis römischer Nahbeziehungen dar. Das heißt, eine Schar von Klienten, die man bezeichnenderweise adsectatores nannte, begleitete ihren Patron tagein tagaus, um ihn durch ihre schiere Zahl und Präsenz als bedeutende Person zu markieren. Auf die adsectatio und weitere Aspekte republikanischer und frühkaiserzeitlicher Nahverhältnisse geht das folgende Kapitel ein.
8. BITTEN UND WERBEN: PRAKTIKEN DER NAHBEZIEHUNGEN NUTZEN Der squalor erschöpft sich nicht in der Aneignung von Trauerzeichen. In einer Vielzahl von Passagen mit Trauersymbolik kam es vor, dass man Zeichen und Gesten beimengte, die nicht mit Trauer in Verbindung standen. Häufig handelte es sich dabei um Praktiken, die aus der Welt römischer Nahbeziehungen bekannt waren. Zu den Nahverhältnissen zählten nicht nur Rituale der Unterwürfigkeit eines Klienten gegenüber seinem Patron. Auch der patronus hatte dafür zu sorgen, dass die Verbindung zu seinen Abhängigen immer wieder rituell-performativ erneuert wurde. Der „Wahlkampf“ ist als Zuspitzung dieses Verhaltens zu verstehen. Es diente der temporären Verbreiterung der Klientel zur Stimmensicherung in allen Zenturien. Mit einem Trauerakt galt es ebenfalls, eine zeitweilige Ausweitung der Unterstützerbasis über die eigene Anhängerschaft hinaus zu bewirken. Der Drohcharakter symbolischer Trauerakte konnte dann deutlich zurücktreten.1 Da die römischen Beamten jährlich gewählt wurden, buhlten die Amtsbewerber in Rom auch andauernd um die Sympathien ihrer potenziellen Wähler. Auf dem Forum versuchte die römische Oberschicht, möglichst viele unterschiedliche Gruppen der wahlberechtigten Bürger zu erreichen. Dazu ging man auf dem Platz umher (ambulatio) und versuchte, zahlreiche Personen anzusprechen (appellatio), sie mit Namen zu begrüßen (nomenclatio), ihre Hände zu schütteln (prensatio) und ihnen zu schmeicheln (blanditiae). Die Kandidaten beabsichtigten ihre Popularität zu steigern, indem sie ihr Anliegen den Anwesenden auf dem Forum persönlich vortrugen und gleichzeitig den Eindruck erweckten, jederzeit ein offenes Ohr für die Bedürfnisse der Wählerschaft zu haben.2 Dabei war es von Bedeutung, das eigene politische Gewicht durch eine Vielzahl von Begleitern (adsectatores) unter Beweis zu stellen. Nicht so sehr die programmatische Ausrichtung des Bewerbers stand im Vordergrund, sondern die Suggestion von Gleichheit vor und mit der Plebs.3 Gerade das war auch ein Anliegen beim Überstreifen der vestis sordida (vgl. Kap. 5).4 1 2 3 4
Aber nicht zwingend, wenn um Beistand bei Racheakten geworben wurde. Zu den römischen Nahbeziehungen siehe zumindest Wallace-Hadrill (1989); Winterling (2008); Goldbeck (2010) und nun ausführlich Ganter (2015). Zu weiteren Strategien wie Ausrichtung von Spielen, Geld- und Getreidezuwendungen, Bürgschaften etc.; siehe Yakobson (1999); Morstein-Marx (1998); Laser (1997) 126–36. Zu diesem Verhalten Jehne (2000) 215 f., der die Rolle des Volkes vielleicht etwas zu stark betont. Gegen den Willen der Plebs in ein Amt gewählt zu werden, war kaum möglich, einen so unbeliebten Bewerber hätten die einzelnen Gruppierungen auch nicht aufgestellt. Die Darstellung der Ständekämpfe bei Livius verdeutlicht, welche Botschaft die Nominierung eines plebsfeindlichen Patriziers besaß. Livius gibt auch später Hinweise auf Bewerber, die dem Volk verhasst oder bei den Senatoren unbeliebt waren – als extremes (und überhöhtes) Beispiel mögen die Konsuln von Cannae L. Aemilius Paullus und C. Terentius Varro gelten; andere Fälle wie der des C. Flaminius werfen die Frage auf, ob Livius die Bewerber narrativ zuspitzte oder nicht
8. Bitten und Werben: Praktiken der Nahbeziehungen nutzen
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Während des Wahlkampfes intensivierte man übliche Verhaltensweisen. Als Kandidat kam es darauf an, wohlhabende Wähler – weniger die einfachen Bürger – von seinen Qualitäten zu überzeugen, die man für das Wohl der Standesgenossen und des Gemeinwesens in die Waagschale warf. Die Klientel der Unterstützer aus einfachen Verhältnissen folgte in der Regel den durch die ersten Zenturien vorgebrachten Vorschlägen, sofern ihr Votum noch benötigt wurde. Eine zentrale Stelle im commentariolum petitionis verweist gerade darauf, die entscheidenden Männer der ersten Klassen für sich zu gewinnen. Insofern war der „Wahlkampf“ vor allem die Probe, wie ein potenzieller Magistrat mit dem populus umging. Hier konnten die peers sehen, ob der Bewerber die Regeln der politischen Kommunikation beherrschte.5 Auch benötigte ein gewählter Konsul oder Prätor die Unterstützung der einfachen Leute, denn es gab militärische Aufgaben zu bewältigen, bei denen sich ein renitentes Heer als wenig dienlich erwies.6 Daher konzentriert sich die Auswahl der folgenden Stellen auf Passagen, die im Rahmen des Werbens um Zustimmung den Aspekten der face-to-face Kommunikation verpflichtet waren. Der erste Punkt widmet sich der ambitio, dem Rundgang unter potenziellen Wählern in der Öffentlichkeit, und der damit einhergehenden prensatio. Im Anschluss wird auf die Kleidung des Amtsbewerbers eingegangen, die im Kontrast zum sordidatus stand. Abschließend steht das Verhältnis von ambulatio und salutatio bei Trauerakten im Fokus. Die appellatio erfolgte stets als Erklärung der Umstände eines Traueraktes und wird daher an dieser Stelle nicht berücksichtigt. Vielmehr erfährt sie als rhetorischer Teil des squalor entlang der gesamten Arbeit Beachtung. So gab es knappe Ansprachen wie bei Saturninus oder ausgefeilte Reden wie bei Cotta und den Rhodiern. Ingesamt sind diese Reden selten überliefert und aus quellenkritischer Sicht problematisch, da sie vor allem die Sichtweisen der Autoren wiedergeben.7 Die nomenclatio findet in den Szenen keinen merklichen Niederschlag.8 Diese Elemente des Wahlkampfes waren realiter ineinander verschränkt und werden nur aufgrund der besseren Übersichtlichkeit voneinander getrennt.
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doch unliebsame Kandidaten ins Amt kommen konnten; für die frühe Entwicklung die Beiträge in Raaflaub (2005a). Q. Cic. comm. pet. 18. Die Debatte berührt erneut die Diskussion um den Stellenwert des Volkes; dazu z. B. Millar (1984); Yakobsen (1999) mit einer gesteigerten Bedeutung der Plebs im politischen Prozess; für weichere Faktoren plädieren u. a. Jehne (1995b); Flaig (2003a); Morstein-Marx (2004). Zur Bedeutung soldatischer Loyalität des Volkes gegenüber den (Pro-) Magistraten Rosenstein (2007). Ein squalor hat vielleicht insgesamt den Charakter einer Appellation. Zur appellatio Varro ling. 5, 28; 5, 132; Bell. Afr. 21; die griechische Entsprechung von appellare lautet παρακαλεῖν; Plut. Pomp. 22, 2; Coriol. 14, 1. – Appellatio oder in nachklassischer Zeit supplicatio wird auch die „Berufung“ im römischen Strafprozess genannt, bei dem die Angeklagten dunkle Kleidung zu tragen pflegten; vgl. Kaser (1996) 501–10; 617–23. Gelegentlich werden die Bürger als Quirites angesprochen, was aber kaum als nomenclatio gelten kann, da es zwar emphatisch war, doch keineswegs individuell oder persönlich; vgl. Sall. hist. frg. 3 Eisenhut mit Kap. 2.4. Bei App. Mithr. 242 f. versucht der General Fimbria seine Soldaten durch namentliche Nennung für seine Sache zu gewinnen; zu Fimbria Kap. 6.2; zur nomenclatio Goldbeck (2010) 101–3 mit der älteren Literatur.
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8. Bitten und Werben: Praktiken der Nahbeziehungen nutzen
Die Bestandteile römischer Nahverhältnisse waren keine unveränderlichen Institutionen. Sie unterlagen Wandel und werden von der Überlieferung unterschiedlich stark akzentuiert. Wie jeder Autor ein anderes Muster einer Trauerszene vor Augen sah, war auch die Darstellung von Patron-Klient-Beziehungen durch historische, soziale und kulturelle Faktoren bestimmt. Diese Unterschiede wirkten sich unmittelbar auf die literarische Gestaltung einer Trauerszene aus (vgl. Kap. 3). So erzählen die meisten Autoren von Traueraktionen, in denen man Formen der Selbstinszenierung im Vorfeld der Ämtervergabe fand. Dagegen erwähnt Cassius Dio, der zahlreiche Trauerszenen bereithält, so eine Verbindung kaum. Da Praktiken der Nahverhältnisse nicht zu traditionellen Trauergesten zählten,9 ist die Betrachtung ihrer Zeichen und Gesten vor allem von Bedeutung, da sie Elemente darstellten, die für einen squalor fruchtbar gemacht wurden, aber nicht dem Begräbniskontext angehörten, sie zum Teil in ihr Gegenteil verkehrten. Das ist ein weiteres Indiz für das Aneignungspotential politischer Kultur in Rom, denn erneut stellen sich einzelne Handlungen und Verhaltensweisen als außerordentlich variabel und kreativ handhabbar heraus. 8.1 AUF STIMMENFANG GEHEN: AMBITIO UND PRENSATIO Das Herumgehen bei den Leuten wurde von den Römern als so charakteristisch für die Stimmwerbung empfunden, dass danach das ganze Bemühen um Wählerstimmen ambitio genannt wurde.10 Beim jüngeren Plinius zählt die prensatio eindeutig zur ambitio und kennzeichnet den Bittcharakter der Geste.11 Ambitio und prensatio sind derart tief in das kollektive Gedächtnis der Römer vorgedrungen, dass Livius sie dem mythischen König Tarquinius Priscus zuschreibt. Als erster habe er nach der Königswürde gestrebt, während noch ein anderer im Amt war. Um diesem Anliegen Nachdruck zu verleihen, sei er unter den einfachen Leuten umhergegangen und habe nach ihren Händen gegriffen.12 9 10
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Zur Übernahme patronaler Pflichten durch Söhne eines Verstorbener Ganter (2015) 136 f. A. 226. Varro ling. 7, 30 – Siehe auch Teichmüller (1901) 5–28; ThLL Bd. I (1905), 1852, s. v. ambitio. O’Sullivan (2011) 61 streift das Thema in seine Studie zum „Gehen“ in der römischen Gesellschaft lediglich; vgl. Corbeill (2004) 107–39. In den Quellen finden sich daneben Begriffe wie circumire, wenn es um die Wahlwerbung geht; vgl. Varro ling. 5, 28; Cato bei Macr. Sat. 1, 14, 5; Non. 362 Lindsay; Fest. 5; 15 Lindsay; siehe auch Cic. rep. 1, 47; Planc. 9 ff. Nicht erwähnt wird cursare, lässt sich jedoch auch finden: Cic. Verr. 2, 4, 41; Liv. 4, 6, 9. Das Griechische gebraucht περίειμι, περιτρέχω, περιέρχομαι usw.; vgl. App. civ. 1, 59; Plut. Cic. 30, 6. Plin. epist. 2, 9, 5: Itaque prenso amicos, supplico, ambio, domos stationesque cirumeo, quantumque vel auctoritate vel gratia valeam, precibus experior … Liv. 1, 47, 7 mit Penella (2004). Das war umso schändlicher, da seine folgende Amtsübernahme weder durch das Volk legitimiert worden sei noch durch Primogenitur. Vielmehr sei es eine Frau gewesen, die sich hinter dem Verlangen verbarg. Ähnliches berichtet Suet. Otho 4, 2; vgl. Cal. 22, 3. Zum Wert der königzeitlichen Überlieferung bei Livius Mineo (2011); ferner Pelling (1992); die Frau bei Liv. 1, 47, 10; Liv. 3, 35, 1 greift die prensatio für das Rennen um die Posten im Decemvirat auf.
8.1 Auf Stimmenfang gehen: ambitio und prensatio
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Jede Form des exzessiven Machtstrebens, das einen üblichen politischen Ehrgeiz überstieg, aber das Ziel mit regulären Mitteln verfolgte, wurde ambitio genannt. Während diese ambitio ein korrektes, vom Kandidaten geradezu erwartetes Verhalten darstellte, stand ambitus für jede Form einer ordnungswidrigen Wählerbeeinflussung.13 Auch wenn zahlreiche Publikationen einen Überblick geben und detaillierte Untersuchungen zu einzelnen Gesichtspunkten der republikanischen Wahlen existieren, scheint es einer zusammenhängenden und expliziten Darstellung der ambitio bisher zu ermangeln.14 Zumeist wird die ambitio kurz im Kontext der ambitus-Problematik dargestellt, die wesentlich mehr Aufmerksamkeit erfahren hat.15 Das Auftreten der ambitio in den Quellen zu Trauerszenen verstärkt den Eindruck, dass beide Rituale in einer engen Verbindung standen. Besonders die Facette des Bittens im Rahmen von Trauerszenen wird betont, wenn Festus bemerkt, dass man bei der ambitio „herumgeht und bittet“.16 Das deutet darauf hin, dass Herumgehen nicht nur der Wahlwerbung diente, sondern jede Form des eindringlichen Bittens miteinschloss, so im Vorfeld von Richtersprüchen oder Abstimmungen.17 Gerade in Konfliktsituationen verband man die ambitio mit verschiedenen Trauerzeichen, indem man sich an ein vermeintlich neutrales Publikum als Schiedsrichter einer Auseinandersetzung wendete. Laut Cicero klagte Verres den Privatmann Diodorus von Melita eines Kapitalverbrechens an, um an dessen Vermögen zu gelangen. Daraufhin sei der Syrakuser nach Rom gereist, habe in schmutzigen Kleidern die Runde gemacht (circum cursare) und allen verkündet, er sei unschuldig. Hier spielt die drohende Verurteilung des Diodorus eine Rolle. Da in der Zeit Ciceros das Tragen beschmutzter Kleider (sordidatus) für Angeklagte obligatorisch war, musste die Verwendung solcher Gewänder außerhalb des Gerichts erklärt werden. Erst die explizite Bitte, die Cicero 13
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Vor allem Bestechung der Bürger; siehe u. a. Ganter (2015) 46–8; Feig Vishnia (2012); Schuller (2000); Yakobson (1999) 22–43; Nadig (1997); Jehne (1995b); Kunkel/Wittmann (1995) 81 f.; Deniaux (1987); Mommsen, Staatsrecht I, 477 f.; Strafrecht, 865–8 und Walter (2010), der eine Forschungsgeschichte bietet. Vgl. nun Feig Vishnia (2012); für Einzelaspekte besonders: Ganter (2015) 37–48 mit der neueren Literatur; Laser (1997); Jehne (1995b); (2001); Flaig (2003a); Hölkeskamp (2010) und Yakobson (1999). Es gab in Rom einen eigenen Schwurgerichtshof, der speziell für ambitus-Delikte eingerichtet war und dem es nicht an Beschäftigung fehlte. Doch die Fülle immer wieder neu aufgelegter Gesetze gegen ambitus zeigt, dass diese Bestimmungen weitgehend ins Leere liefen und sich stets neue Mechanismen der Wählerbeeinflussung auftaten; vgl. die unzähligen Artikel zu ambitus-Gesetzen von A. Berger in der Realencyclopädie; z. B. eines der frühesten (181 v. Chr.): s. v. Lex Cornelia Baebia de ambitu, RE XII 2 (1925), 2344 sowie die systematische Aufarbeitung von Nadig (1997). Fest. 15 Lindsay; ferner Varro ling. 7, 30; 5, 22; erstmals hat Stroux (1929) 62 auf den ambitiosqualor-Zusammenhang verwiesen. Dabei mischten sich nicht nur Einzelpersonen unter das Volk. Livius berichtet mehrfach, dass die Patrizier als Einheit auftraten, um die Menge zu überzeugen. In Liv. 3, 72, 1 f. machen die Konsuln und obersten Väter die Runde und scheitern dennoch; vgl. Liv. 1, 59, 6 und Laser (1997) 225 f.; ferner Goltz (2000); Kath (2012) 71–3, die darauf hinweist, dass es dabei meistens um leges agrariae ging.
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8. Bitten und Werben: Praktiken der Nahbeziehungen nutzen
nicht näher erläutert, klärte die Situation auf. In die Lage versetzt, dieses Gesuch zu formulieren, wurde Diodorus aber erst durch das Herumgehen. Weder Rundgang noch Kleidung allein brachten die gewünschten Reaktionen, da sie nicht einzuordnen waren; erst ihre Kombination erzielte die beabsichtigte Wirkung. Die Sache zog ihre Kreise und Verres musste einsehen, dass er sich selbst schadete und ließ die Klage fallen.18 Während Diodorus die ambitio-Geste und Kleidung gegen Verres einsetzte, verwendete Cicero sie als Teil seiner rhetorischen Strategie. Als Kläger benutzt er den squalor des Diodorus erneut gegen Verres, indem er sie seinen Zuhörern und Lesern in Erinnerung rief. Damit antizipierte er die für Diodorus damals positive und gegen Verres gerichtete Stimmung erneut. So darf man sich eine Vielzahl von Trauerakten als Element der Dramatisierung und Emotionalisierung einer bestimmten Zuhörerschaft vorstellen.19 Dieses Publikum kann auch durch den Leser repräsentiert werden. Nach Livius sollen um 474 v. Chr. die Konsulare L. Furius und C. Manlius unter Plebejern und Patriziern in schmutziger Kleidung umhergegangen sein (circumeunt). Ihnen wurde schlechte Amtsführung vorgeworfen. Daher versuchten sie mit ihrer Aktion gegen die Anklage durch einen Volkstribun Stimmung zu machen. Zwar gewannen sie nicht die Gunst der Plebs zurück, wohl aber die ihrer Standesgenossen. Der anklagende Volkstribun fand unter dubiosen Umständen den Tod. Eine besondere Situation zeigten die Konsulare durch ihre Kleidung an. Darauf wurde verwiesen, indem sie umhergingen und ein größtmögliches Publikum herstellten. Die Sache wurde explizit durch die mahnenden Worte der Senatoren (appellatio), man bräuchte sich gar nicht mehr zur Wahl stellen, ohne nach dem Amtsjahr eine Klage erwarten zu müssen. Am wichtigsten an der Adaption der ambitio bei Trauerakten war die Inversion patronaler Beziehungen zum einfachen Bürger: Die ambitio war die salutatio des Mächtigen beim „kleinen Mann“. Eine Verbindung mit schäbigen Kleidern statt mit geweißter Bewerbertoga machte auf das Fehlen einer Kandidatur und den Anlass aufmerksam. Zudem vergrößerte man mit dem Rundgang die Zahl möglicher Unterstützer.20 Das Ergreifen oder Schütteln der Hände eines Gegenübers im römischen Wahlkampf (prensatio) ist untrennbar mit der ambitio verwachsen.21 Händeschütteln erforderte eine stillschweigende Übereinkunft, die soziale Hierarchien zeitweise überwinden konnte. Greifen nach Händen war nur notwendig, wenn ein solches 18 19 20 21
Cic. Verr. 2, 4, 41: Diodorus Romae sordidatus circum patronos atque hospites cursare, rem omnibus narrare. T. Annius Milo bereitete seinen Prozess vor (vgl. Cic. Q. fr. 2, 3, 1 f. bis 2, 6, 4), indem er bei der Verhandlung des Sestius in sordibus erschien, vgl. Cic. Sest. 144 sowie Ascon. 25 Clark für Scaurus; vgl. Hall (2014) 52; 60 f. Vgl. insgemsamt Liv. 2, 54, 3; dazu Kap. 4.2. – Zur Suggestion von Nähe auch Jehne (2000). Nicolet (1980) 245; Sittl (1890) 27–9; dazu auch Liv. 4, 6, 9. Die prensatio leitet sich von prensare ab und bedeutet „ergreifen“ oder „fassen“. Damit bildet der Begriff mehr oder weniger beide Varianten ab. Auch Polyb. 26, 1, 5 fiel dieser Brauch ins Auge (δεξιούσθαι). Von der weißen Toga ist dort ebenfalls die Rede, allerdings ist es Antiochos IV. Epiphanes, der sich in römischer Manier um Unterstützung bemüht; vgl. Diod. 29, 32; siehe auch Plut. Pomp. 22, 2; Coriol. 14, 1; ferner Aem. 2, 4; App. civ. 1, 59 verwendet αἱρέω. – In der Rhetorik spielten die Zeichen der Hände ebenfalls eine Rolle; vgl. Hall (2004); Wülfing (1995).
8.1 Auf Stimmenfang gehen: ambitio und prensatio
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Einvernehmen erst hergestellt werden musste – auch gegen Widerstände. Die Quellensprache ebnet diese Unterschiede haptischen Kontakts in der römischen Politik weitgehend ein, denn es ziemte sich nicht für einen Senator, sich dem Volk allzu sehr aufzudrängen. Als Tiberius Gracchus nach dem ersten Scheitern seines Ackergesetzes bei jedem Antrag seiner Gegner das Recht auf intercessio für sich in Anspruch nahm, fassten Teile der Nobilität den Beschluss, die Kleider zu wechseln, und klagten über den Stillstand der politischen Tagesgeschäfte auf dem Forum. Darunter befanden sich, so lässt sich aus Plutarch schließen, auch zwei Konsulare namens Manlius und Fulvius, die Tiberius’ Hände griffen und ihn unter Tränen beschworen, seine Blockade zu lösen.22 Das von den Senatoren zur Schau gestellte Leid stand nicht nur für private Angelegenheiten wie Landverlust, sondern auch für die res publica selbst. Nahm die alteingesessene Elite nicht mehr ihre traditionelle Position ein, schien die gesamte Gesellschaft aus den Fugen zu geraten.23 Die Geste der Konsulare, sich einem rangniedrigeren Magistraten derart anzuvertrauen, verdeutlichte der Allgemeinheit, wie prekär sich die politische Lage gestaltete. Mit dieser Geste hatten sie zunächst Erfolg und Tiberius stimmte neuerlichen Gesprächen zu. Andernfalls hatte er mit Sanktionen zu rechnen;24 es gab keinen Grund, die Bitte der angesehenen Senatoren abzulehnen.25 Zudem war eine erneute Unterredung durchaus im Sinne des Tiberius und seiner Hintermänner.26 Auch in der bereits erwähnten Verginia-Episode kam die Kombination einschlägiger Trauerzeichen mit Wahlkampfgesten zum Tragen. Am Tag der Verhandlung erschienen Verginius und seine Tochter in schmutzigen Kleidern und der Vater ging unter den Leuten auf dem Forum umher und bat sie um ihre Unterstützung, wobei er ihre Hände fasste.27 Der explizite Verweis auf die contio legt den Bezug auf persuasive Strategien nahe, wie sie gängige Handbücher lehrten. Dazu zählten neben dem Anlegen dunkler Kleidung und dem Vorzeigen der eigenen Nachkommen eben auch eine affektive Nähe aufzubauen, wie man es durch Schulterklopfen oder Händeschütteln erreichen konnte. 22 23 24
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Plut. Tib. Gracch. 10, 7–11, 2; Flaig (2003a) 99–104; Kath (2012) 73; zu einer ähnlichen Konstellation Kap. 4.1. Das ist Teil des mos maiorum, dazu die Beiträge in Linke/Stemmler (2000) und Hölkeskamp (1996) sowie Bettini (1992). Welche Gefahren die prensatio für den Ruf barg, zeigt Val. Max. 7, 5, 2. Als sich P. Cornelius Scipio Nasica (cos. 138) um die Ädilität bewarb, erlaubte er sich beim Händeschütteln einen üblen Scherz. Durch seine verächtliche Bemerkung über schwere Feldarbeit fühlten sich die ländlichen tribus herabgewürdigt und Nasica fiel bei der Wahl durch; vgl. Cic. Planc. 51; Plin. nat. 7, 120; Morstein-Marx (1998) 267 f.; MRR I, 483. Wies Tiberius die Konsulare ab, drohte ihm der Unmut der eigenen Leute wie bei P. Furius; vgl. Kap. 11.2. – Möglicherweise handelt es sich hier um eine Namens- oder sogar Episodendublette; vgl. Liv. 2, 54, 3. Möglicherweise lag Plutarch eine unleserliche Abschrift vor, etwa von Livius oder älter, die Furius zu Fulvius werden ließ. Auch, dass die Quelle des Livius bereits korrupt war, ist denkbar; vgl. Kap. 4.3. Etwa App. Claudius Pulcher; laut Plut. Tib. Gracch. 4, 1 princeps senatus (MRR I, 486); anders Ryan (2004). Liv. 3, 47, 1–3; vgl. Kap. 4.2.
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8. Bitten und Werben: Praktiken der Nahbeziehungen nutzen
Das Ergreifen der Hände ist für symbolische Trauerakte nicht immer überliefert. Doch wenn man davon ausgeht, dass die ambitio das Herumgehen und Händegreifen miteinander verband, wie Festus berichtet, kann man durchaus erahnen, wie Shakehands bei zahlreichen Gelegenheiten zum Einsatz kamen. Tatsächlich findet man Passagen, in denen die Kleidung nicht gewechselt wurde, Senatoren dennoch versuchten ihre auctoritas vis-a-vis zur Geltung zu bringen, nachdem Worte nicht genügt hatten, einen Konflikt beizulegen.28 Durch die enge Verbindung von ambitio und prensatio ist zu vermuten, dass jede Erwähnung eines Herumgehens bei einem squalor auch den Versuch barg, die Hände des Gegenübers zu ergreifen. Weitere Indizien liefert Livius, wenn er Kaeso Quinctius einzelnen Privatleuten im Vorfeld seiner Verhandlung die Hände schütteln lässt, um für Unterstützung im Prozess zu werben,29 während Appius Claudius sich bei seiner Anklage nicht nur geweigert haben soll, die obligatorische vestis sordida anzulegen, sondern auch Shakehands ablehnte.30 Mit der ambitio und der prensatio festigten die Kandidaten bestehende soziale Bindungen und suchten zugleich neue zu schaffen. Das Ergreifen der Hände beim squalor kam dabei nicht von ungefähr, denn man versuchte damit, sein Bitten zu intensivieren bzw. der Konversation einen bindenden Charakter zu verleihen, dem man sich nicht ohne Weiteres entziehen konnte.31 Überhaupt besitzt die körperliche Nähe, die man zum Händeschütteln aufbringen musste, eine nicht zu unterschätzende, persuasive Wirkung. Der soziale Druck wurde körperlich erfahrbar. Auch hier kann die salutatio als Kontrastfolie dienen, die affektive Einflussnahme des Politikers zu fassen. Bei der institutionalisierten Form römischer Nahbeziehungen als alltägliche Morgenbegrüßung wurde man zum Patron durch einen Diener vorgelassen, aber nie so nahe, dass man Schwielen und Schweiß seiner Hände spürte. 8.2 SORDIDATUS UND CANDIDATUS: ZWEI SEITEN EINER MEDAILLE Im Kontext der ambitio war eine Geste wie die prensatio wohlbekannt. Aber wenn man dabei nicht die toga candida des Amtsbewerbers trug, war das sowohl im öffentlichen Diskurs als auch in der schriftlichen Überlieferung der Erwähnung wert. Diese kreideweiße Toga sollte den candidatus von der Menge abheben und seinen reinen Charakter betonen.32 Da Kleidung im alten Rom kulturell codiert und sym28 29 30 31 32
Liv. 2, 35, 5; 5, 30, 4: … tribules prensantes orare cum lacrimis … Außerdem Dion. Hal. 6, 26, 3. Theoretisch als sordidatus; Liv. 3, 12, 1: Tum demum coactus cum multa indignitate prensabat singulos. Liv. 2, 61, 5: … non modo ut vestem mutaret aut supplex prensaret homines … Vgl. Flaig (2003a) 114 und Knippschild (2002) 39–48, die besonders auf den Rechtsgedanken unter dem Stichwort der fides abhebt; die aktuelle Literatur zur Symbolik der Hände bei Descharmes (2013) 193 f. Liv. 37, 57, 13; 39, 39, 2; Plin. nat. 7, 120 mit Deniaux (2003); zum guten Charakter in gebleichten Toga vgl. Ascon. 73–84 Clark. Geweißte Kleider nutzte man bei jedem Anlass, bei dem es hervorzustechen galt; vgl. Plaut. Rud. 270 (beim Opfer); Cas. 446 (Hochzeitsgewand); Liv. 9, 40, 9 (sogar in der Schlachtformation im Stile der devotio; freilich eine Erfindung).
8.2 Sordidatus und candidatus: Zwei Seiten einer Medaille
183
bolisch aufgeladen war (vgl. Kap. 5), wurde jeder darauf aufmerksam, wenn eine aus dem Wahlkampf bekannte Geste adaptiert und in einer toga squalida vorgetragen wurde. Es bedeutete somit die Verkehrung dieser Handlung und stellte eine besondere Außeralltäglichkeit dar. Tatsächlich machen die Quellen mehrfach auf den Gegensatz von candidatus und sordidatus aufmerksam.33 In älterer Zeit scheint man unter der geweißten Toga keine Tunika getragen zu haben. In der Vita des Coriolan merkt Plutarch an, dass dieser Brauch vor allem dazu diente, Respekt vor der Plebs zu zeigen und bei Möglichkeit Narben vorzuzeigen, die man im Dienste der res publica davongetragen hatte.34 Beides demonstrierte Volksnähe. Weil man unter der toga candida nackt war, rieb sie wie die squalida mehr als üblich auf der Haut und unterstrich die Demutshandlung.35 Jedenfalls galt die glänzend weiße Kleidung als Ausdruck des sozialen Prestiges ihres Besitzers. Die Herstellung einer toga candida war kostspielig. Alternativ konnte man die Kleidung für die ambitio mit Kreide auffrischen.36 So steht vor allem der Glanz, weniger die Farbe der Kleidung im Vordergrund.37 Die Gegenüberstellung der strahlenden toga candida und matten vestis sordida führt zurück in das Jahr 99/98 v. Chr., in dem Metellus Pius um die Aufhebung der gegen seinen Vater Numidicus verhängten Verbannung warb. Cicero berichtet, dass Pius von weiteren Angehörigen der gens Metella unterstützt wurde; so auch von Q. Caecilius Metellus Nepos, der sich seinerzeit um den Konsulat bewarb (consulatum petere). Ob sich Nepos zu diesem Zeitpunkt schon in der heißen Phase seiner Kandidatur befand und die geweißte Toga trug, lässt sich nicht mit letzter Gewissheit bestimmen.38 Allerdings macht die Erwähnung Ciceros den Umstand wahrscheinlich; sie streicht nochmals den Einsatz der gesamten Familie unter Einsatz großer persönlicher Opfer heraus. Demnach trug Nepos trotz der nahenden Abstimmung über seine politische Zukunft nicht die toga candida, sondern trat als sordidatus auf.39 Damit brach er die Tradition der Kandidaten, leuchtend weiße Gewänder zu tragen, und machte nicht nur seine Unterstützung deutlich. Zudem hob er sich von seinen Konkurrenten ab und stach unter der Schar der Bewerber besonders hervor. 33 34 35
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Schon Titinius 184 Ribbeck: qúin togis cum cándidis, / Túnicis sordidís, syntheticis … Cic. orat. 115 und fin. 4, 5 kontrastieren squalidus (matt, dunkel und vor allem schmutzig) mit niteo bzw. nitens (glänzen; schön, glänzend); vgl. Stroux (1929) 61 A. 2. Die Diskussion bei Plut. qu. R. 49; Aem. 31, 5; siehe auch Coriol. 14, 1; Ascon. 25 Clark. Das Vorweisen von Narben wurde häufig als nonverbales Argument in die politische Auseinandersetzung eingebracht. Dazu riss man sich mitunter die Kleider vom Leib, statt allein die Brust zu entblößen. Gleichzeitig war das Zerreißen der Kleider ein Ausdruck der tiefsten Verzweiflung und Trauer. Es konnte ebenfalls dazu dienen, Narben zu präsentieren. Hier kann nicht detailliert auf diesen Zusammenhang eingegangen werden, doch die semantische Verbindung scheint auf der Hand zu liegen; vgl. für Literatur Kap. 2.3 mit Anm. 80. Pers. 5, 177; ebenso Isid. orig. 19, 24, 6; zur Kleidung siehe Kap. 5. Der frühste Beleg ist wohl Polyb. 10, 4, 8 (τήβεννα λαμπρὰ), wo es um das Werben des älteren Africanus um die Ädilität geht; zum Glanz von Textilien Wagner-Hasel (2000a) 155–9; ferner 132 und 138. Russell (2013) 113 A. 55 nimmt dies ausdrücklich an. Cic. Red. Sen. 37: … Q. Metellus Nepos, qui tum consulatum petebat, [et] … flentes ac sordidati populo Romano supplicaverunt … Ebenso Cic. Quir. 6 mit MRR II, 4; sein Großvater in MRR I, 471 f.
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8. Bitten und Werben: Praktiken der Nahbeziehungen nutzen
Zudem rechtfertigte er sein Cognomen. Er hieß Nepos, weil er der älteste Enkel des berühmten Macedonicus (cos. 143) war und unterstrich seine pietas, indem er seine Familienangehörigen unterstützte. Was motivierte Nepos zu diesem Schritt, denn sein Verhalten barg ein hohes Risiko? Zahlreiche Szenen sind bekannt, in denen eine solche Inszenierung scheiterte. Auch seine Parteigänger hätten es ihm als Anbiederung an gegnerische Kreise und das Volk auslegen, ihre Unterstützung entziehen können; schließlich wurde der Konsulat in den ersten Zenturien gewonnen. Zunächst ist auszuschließen, dass familiale Räson dahinterstand. Den Konsulat zu erreichen, war in der Hierarchie gentiziler honores höher anzusiedeln, als einem verbannten Familienmitglied die Heimkehr nach Rom zu ermöglichen, auch wenn es sich um einen summus et clarissimus vir wie den Zensorier Numidicus handelte. Sollte so eine Aktion ein Risiko für die Kandidatur eines Familienangehörigen bedeuten, wäre sie sicherlich verschoben worden. Obwohl pietas betont wurde, war sie lediglich die nachträgliche Legitimation eines unüblichen Verhaltens. Stand die Kandidatur des Nepos hingegen auf der Kippe, so konnte er mit dem squalor versuchen, sowohl Standesgenossen als auch einfache Bürger anzusprechen. Die meisten Optimaten standen vermutlich hinter ihm, ebenso deren Klientel, die in der Abstimmung erst aktiviert wurde, wenn die Entscheidung knapp ausfiel. Daher versuchte er mit der Aktion, unentschlossene Mitglieder der ersten Klassen und ihre Anhängerschaft auf seine Seite zu ziehen. So ist es wahrscheinlicher, dass Nepos diesen Schritt nicht gemacht hätte, wenn der Erfolg der Aktion beim Volk, aber vor allem bei maßgebenden senatorischen Kreisen nicht absehbar gewesen wäre. Gleichzeitig ist zu vermuten, dass Nepos die Wahl auch dadurch für sich entschied. Seine Teilnahme an der Aktion der Metelli bestätigte nur die bereits informell getroffene Entscheidung, Numidicus die Rückkehr zu gestatten. So eine Entscheidung traf man innerhalb der engsten Führungszirkel. Dieser kleine, aber Ton angebende Kreis war es, der die Aktion der Metelli befürwortet haben musste, sonst wäre Nepos nicht gewählt worden. Nepos zeigte sich diesen Kreisen also als kooperativer und fügiger Amtsanwärter, der sich der Stimmen der ersten Klassen verdient gemacht hatte. Letztlich wurde er zum Konsul gewählt. Eine bisher nicht beachtete Analogie zu der Konstellation des Amtsbewerbers in schmutzigen Kleidern bietet die Geschichte um die Kandidatur des Tiberius Gracchus für ein zweites Tribunat.40 Scheinbar nutzte Tiberius sowohl während der Werbung für sein Gesetzeswerk als auch im Wahlkampf traditionelle Strategien wie ambitio und prensatio. Appian berichtet für die Zeit kurz vor dem Wahltag, dass Tiberius den obligatorischen Rundgang machte (περιιὼν).41 Sofern Plutarch 40 41
Der squalor des Gracchus in Plut. Tib. Gracch. 13, 5; Cass. Dio 24, 83, 7 frg.; App. civ. 1, 62; vgl. Kap. 4.3. App. civ. 1, 62; in der Forschung wurde die Meinung vertreten, dass es eines Wahlkampfes für das Tribunat aufgrund der Fülle von zehn Plätzen und des geringen Ansehen des Amtes nicht bedurfte. Im Gegenzug ist behauptet worden, man stritt um diese Positionen, um besseren Einfluss auf die Plebs ausüben zu können. Nach Taylor (1963) 56–9 gab es zumindest bei der Wahl 133 v. Chr. einen scharfen Konkurrenzkampf; vgl. Yakobson (1999) 157; Steel (2010). Zum Quellenwert Appians rehabilitierend Hahn (1982) und die Beiträge in Welch (2015).
8.2 Sordidatus und candidatus: Zwei Seiten einer Medaille
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nicht nur beabsichtigte, mit dunkler Kleidung das nahende Ende des Tiberius anzudeuten, ist ein Detail bemerkenswert: Einen Tag vor der Stimmabgabe trug ein jeder Bewerber die toga candida, die die Amtsanwärter von der grauen Menge unterscheiden und ihren reinen Charakter betonen sollte. Tiberius setzte ein Zeichen, indem er sich wiederum von den übrigen Kandidaten durch seinen erneuten Kleiderwechsel abhob.42 Wenn die Plebs auch turba pullatorum genannt wurde, ist es möglich, dass Tiberius mit dem Kleidertausch eine vielschichtige Strategie verfolgte. Nicht nur, dass er eine römische Form des Schutzbittens praktizierte, er näherte sich optisch seiner Klientel an, während er sich von den übrigen Kandidaten und Standesgenossen abgrenzte. Damit trieb er die Gesten der Jovialität auf die Spitze, überkam sie und suggerierte seinen Unterstützern Egalität durch Kleidung.43 Dafür spricht der Ort der anstehenden Wahl, denn Volkstribune wählte man nicht in Zenturien, sondern im concilium plebis, wo man die „dunkle Menge“ antraf.44 Auch bei Livius findet man das Gegenüber von vestis candida und sordida. Häufig benutzt er die Erscheinungsformen, um Widerstand gegen die Ausübung eines Amtes auszudrücken. M. Livius Salinator lehnte das ihm angetragene Amt mit der Begründung ab, das Volk habe ihm unter Anklage als sordidatus kein Mitleid geschenkt, nun dürfe es ihm auch nicht die toga candida antragen.45 Diese Argumentation nimmt den Gegensatz zwischen dunkler und weißer Kleidung auf. Auch in der Episode des Manlius und Furius von 474 v. Chr. wird die Gegensätzlichkeit von sordidatus und gängigen Amts- und Alltagsgewändern aufgegriffen. Nachdem sie bereits als sordidati umhergegangen waren, trugen sie ihren Standesgenossen und dem Volk vor, man solle sich von den Ämtern fernhalten, da sonst jedermann fürchten müsse, ständig angeklagt zu werden. Schließlich sei es inzwischen Usus, dass die Volkstribune jeden Magistrat nach Ablauf des Amtsjahres vor Gericht zogen. In ihrer Argumentation stellten die Konsulare ihren Aufzug den Amtsgewändern entgegen, die man nur noch für den eigenen Leichenzug bräuchte, bei dem der Verstorbene in das höchste ihm zu Lebzeiten zustehende Amtsgewand gehüllt wurde, um ihn gebührend zu ehren.46 42 43
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Vgl. Nippel (1988) 72; Laurence (1994) 62. Tatsächlich weiß man nicht, ob Kandidaten für das Tribunat während der Zeit der petitio eine geweißte Toga trugen, da es sich dabei nicht um eine reguläre Magistratur handelte. Vom Volkstribun Rullus ist bekannt, dass er nach seiner Wahl verschlissene Kleider anlegte. Laut App. civ. 1, 62 machte Tiberius aber die ambitio, die bei Bewerbungen um höhere Ämter durch das Anlegen der weißen Toga begleitet wurde. Es war sicher unüblich im concilium plebis in einem allzu vornehmen Aufzug aufzutreten. Dafür spricht, dass das erste Ambitus-Gesetz gegen geweißte Kleider von Bewerbern angeblich durch Volkstribune eingebracht wurde. Tiberius könnte sich gerade in diese Tradition gestellt haben; vgl. Liv. 4, 25, 13: Placet tollendae ambitionis causa tribunos legem promulgare, ne cui album in vestimentum addere petitionis causa liceret. – Zur Jovialität Jehne (2000); ferner Yakobson (1999). Liv. 27, 34, 12: … sordidati rei non miseritos candidam togam inuito offerre … Liv. 2, 54, 3 f., hier 4: Suadent monent honoribus et administratione rei publicae abstineant … Zur Kleidung im Leichenzug Polyb. 6, 53, 7, Liv. 34, 7, 3; Prop. 4, 11, 61; Kap. 7.3; die Passage auch in Kap. 4.2.
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8. Bitten und Werben: Praktiken der Nahbeziehungen nutzen
Es lässt sich feststellen, dass jede Form der mutatio vestis eine Abgrenzung gegenüber einem etwaigen Normalzustand darstellte. Dunkle, schwarze oder beschmutzte Gewänder zu betonen, ermöglichte, den Gegensatz zu einem Konfliktpartner über den inhaltlichen Disput hinaus zu visualisieren und eine prekäre Lage in besonderem Maße sichtbar zu machen. Das war in einem Diskurs, der Bezug auf die glänzenden Gewänder eines Kandidaten nahm, besonders eindringlich. Implizit war dieser Kontrast zu repräsentativen Kleidern stets präsent. Dazu sei die Anekdote in Erinnerung gerufen, bei der der ältere Gracchus und Pulcher ihr Zensorengewand ablegten, was gemeinsam mit der Triumphaltracht die ehrenvollste Robe darstellte (Kap. 4.1). Von Zeit zu Zeit galt aber die vestis sordida als erwartet, um eine individuelle Krise zu markieren. Dann konnte man einem Protest gerade dadurch Ausdruck verleihen, indem man die Lumpen verweigerte und leuchtende Kleider (vestis candida) trug.47 8.3 ÜBERTREIBUNG BIS ZUR VERKEHRUNG: DIE ADSECTATIO Den Gegensatz zwischen candidatus und sordidatus greift Seneca auf und überträgt ihn von einer Person, der beide Optionen offenstanden, auf zwei Rivalen, die wir bereits im Kontext des verleumderischen Schweigens (Kap. 6.3) und hartnäckigen Verfolgens (Kap. 7.3) kennenlernten. Einer Partei blieb nur die Möglichkeit des Lumpenhemdes übrig, der anderen nur die toga candida. Beide waren situativ zu ihrer Kleidung verpflichtet und buhlten mit ihrem Äußeren auf völlig unterschiedliche Weisen um die Gunst der Öffentlichkeit. Insofern wird der Konflikt auch als Kampf zwischen verschiedenen Symbolen ausgetragen, die auf den gleichen Disput verweisen. Am Ende setzte sich das schmutzige Erscheinungsbild gegen das repräsentative Auftreten durch und beraubte es seiner intendierten Botschaft. Demnach wendete der Junge die „Waffen“ der Sympathiewerbung und des Wahlkampfes gegen den Bewerber. Sein Auftreten entsprach nicht dem eines Klienten, der von seinem Gönner gefördert wurde, sondern dem eines Knaben von der Straße, was angesichts des Anliegens des Amtsbewerbers kontraproduktiv wirkte. Allein der Junge beließ es nicht dabei, die Symbolik des sordidatus gegen den candidatus auszuspielen. Der junge Mann rächt seinen Vater auch dadurch, dass er dessen vermeintlichen Mörder die Kandidatur verleidet, indem er ihm durch die Straßen Roms verfolgt.48 Ebenso wie die Kleidung des sordidatus auf Trauer und einfache Herkunft zugleich verweisen sollte, assoziierte man das Verfolgen eines Kontrahenten nicht nur mit dem Trauerzug. Gerade wenn einem candidatus oder praetextatus, die ihr Prestige durch zahlreiche Anhänger zur Schau stellen wollten, auf diese Weise nachgestellt wurde, fiel das auf. Eigentlich zählte die dunkle Gewandung gepaart mit dem 47 48
Vgl. Gell. 3, 4, 1, wo Scipio Aemilianus als Angeklagter als sordidatus auftreten müsste, aber in der vestis candida erscheint, um die Klage von sich zu weisen, bevor ein Wort gesprochen war; vgl. Kap. 5.3 und 14.2. Sen. contr. 10, 1, 2 verwendet ambulare: „Accusa“ inquit. Pauper divitem, lugens candidatum ego accusem? Ambulare mihi … Dazu auch Kap. 7.3; vgl. Cic. de orat. 3, 133.
8.3 Übertreibung bis zur Verkehrung: Die adsectatio
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Akt des Begleitens zur Umgebung der Totenehrung. Das Begleiten eines Patrons durch seine Anhänger in ihrer Alltagsrobe gehörte dagegen in das Umfeld der Ableistung eines officium. Dieser Dienst geschah im Einvernehmen zwischen Klient (adsectator) und Patron. Daher stellte die adsectatio ein erwartetes, geradezu erwünschtes Verhalten dar. Es war integraler Bestandteil des römischen Wahlkampfs.49 Da fast immer Wahlkampf herrschte, sei es um Ämter oder Stimmen, zählte dieses Geleit zum alltäglichen Prozedere auf den Straßen Roms.50 Auf Schritt und Tritt folgte der adsectator dem Amtsbewerber und wich nicht von seiner Seite.51 Damit demonstrierte man die Größe seiner Anhängerschaft,52 denn je mehr Personen einem Kandidaten die Aufwartung machten – seien es salutatores, deductores oder eben adsectatores –, desto mehr Prestige gestanden die Römer einem Bewerber zu.53 Die schiere Zahl der Begleiter machte in besonderem Maße auf den Amtsanwärter aufmerksam,54 zumal er sich in der geweißten Toga optisch von der Menge seiner Begleiter absetzte. Doch nicht nur während einer Kandidatur stach der Patron durch sein Auftreten hervor. Auch sonst ging man der adsectatio nach. Dabei waren vor allem mittellose Klienten zugegen, die ihr beneficium auf diese Weise zurückzuzahlen hofften. Die adsectatores begleiteten Kandidaten nicht nur auf dem Forum, sie blieben tagtäglich (cottidiana) in deren Gefolge. Von den Mühen einer solchen Wohltat gibt Martial beredt Auskunft.55 Tatsächlich war es für römische Politiker besonders während des Wahlkampfes wichtig, jeden Tag (cotidie) auf dem Forum präsent und ansprechbar zu sein. Gerade der Aspekt des täglichen Nicht-von-der-Seite-Weichens lenkt die Aufmerksamkeit wieder auf den squalor: Q. Cicero bat täglich
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Gelegentlich findet man auch assiduitas oder obsequium anstatt adsectatio; dazu nun Hartmann (2016) 94–6; vgl. Yakobson (1999) 72; Benner (1987) 25 f.; dabei trug man gelegentlich die Sänfte des Patrons. Dieser lectica folgte man zuweilen wie dem lectus funebris zu Fuß; Mart. 3, 46, 4; 10, 10, 7. Clodius nutzte die adsectatores eventuell als Leibwache und Schlägertrupps; vgl. Benner (1987) 25 f. Weil man seinen Rundgang mit ihm machte, hieß er gelegentlich anteambulator; Mart. 2, 18, 5; 3, 7, 2; 10, 74, 3, bei Suet. Vesp. 2, 2 als Beleidigung. Cic. Mur. 44 f.; 67; 70–2; Balb. 62; Planc. 21; de orat. 1, 239; vgl. Habel (1893); Rouland (1979) 484–8. Q. Cic. comm. pet. 34; Ganter (2015) 43; Goldbeck (2010) 119–46; Morstein-Marx (1998); Nicolet (1980) 302. Dieser Sitte suchte man gesetzlich Einhalt zu gebieten, was nichts nutzte, da innerhalb weniger Jahre immer wieder neue Maßnahmen dagegen zu ergreifen waren; vgl. Goldbeck (2010) 117 f.; Cic. Mur. 71; Jehne (1995b) 65 nennt eine lex Fabia (66 v. Chr.) und lex Tullia (63 v. Chr.) und vernachlässigt die lex Iulia des Jahres 64 v. Chr. Erstere beschränkte die Zahl der adsectatores und war quantifizierbar, während letztere nur den Ankauf von Begleitern unter Strafe stellte und kaum nachweisbar war; Hartmann (2016) 96 A. 33 vermutet eine Rekrutierung angesehener adsectatores aus dem Heer der salutatores. Mart. 2, 18; 3, 36; 3, 46; 5, 22; 5, 48; 9, 100; 10, 10; 11, 24; siehe auch Sen. ira 8, 6. Die meisten dieser Verrichtungen erfolgten irgendwie sequens, wobei zu beachten ist, dass das Begleiten der Sänfte im republikanischen Wahlkampf undenkbar war, weil es auf die ambulatio ankam; zur Sänfte Blümner (1911) 445 f.
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8. Bitten und Werben: Praktiken der Nahbeziehungen nutzen
schmutzig gekleidet um die Aufhebung der Verbannung gegen Marcus.56 Metellus Pius scheint ähnliches getan zu haben, was ihm als pietas ausgelegt wurde. Sie imitierten das tägliche Belagern des Forums durch adsectatores und machten damit den Gebetenen ihre Aufwartung, so wie es der Klient mit seinem Patron tat. Das anhaltende Auf-die-Pelle-Rücken mit einem squalor war nicht nur Ausdruck der pietas (Kap.12.1), sondern es kratzte sicher auch an der Psyche des Betroffenen. Bei Seneca wurde die adsectatio auf eine Konfliktsituation übertragen. Wenn das Begleiten eines Patrons ein obsequium darstellte, strapazierte es der Knabe derart über, dass es kaum noch wiederzuerkennen war und sich in sein Gegenteil verkehrte. Die Hartnäckigkeit des squalor findet ihren Niederschlag in dem Umstand, dass man ebenso wenig von der Seite seines Kontrahenten wich wie der Klient von seinem Patron. Hier wird ein asymmetrisches Machtverhältnis zur Schau gestellt, das man im Gegensatz zum patronalen Dienst attackierte, indem man es übertrieb. Sobald jemand bekannte Verhaltensweisen imitierte und in einen anderen Kontext transferierte, erregte diese Handlung Aufmerksamkeit. Gerade das Verfolgen des Kandidaten durch den jungen Mann ist Teil der Kontroverse bei Seneca,57 denn das hartnäckige Folgen auf Schritt und Tritt (adsectari) war der römischen Rechtsprechung als Injurie bekannt. Es galt nicht in jedem Fall als iniuria, sondern zum einen im Kontext sexueller Nachstellung.58 Zum anderen zählte das Anlegen schmutziger Kleidung in Verbindung mit der adsectatio als ehrabschneidender Tatbestand.59 Das Beleidigende daran bestand in der Rufschädigung. Der Leumund des Amtsanwärters geriet in Verruf, da es so schien, als habe er einen Klienten nicht genügend versorgt. Indem sich der Junge als adsectator ausgibt und dabei ein schäbiges Gewand trägt, fällt dieses unansehnliche Äußere auf den Patron zurück. Aus diesem Grund achtete die Elite penibel darauf, wer sich Zugang in ihr persönliches Umfeld verschaffte. Es ist davon auszugehen, dass die Begleiter eine Toga zu tragen hatten. Dafür spricht die enge Verknüpfung mit der salutatio, bei der salutatores ohne Toga keinen Einlass erhielten, da sie damit ihre Zugehörigkeit zur römischen Bürgerschaft oder Klientel anzeigten.60 Auch wenn es heißt, die Begleitung solle möglichst durch-
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Cic. Quir. 7 f.; Red. Sen. 37; dom. 59; Sest. 145; bei Wahlen: Planc. 66; Phil. 2, 15; comm. pet. 2; Ascon. 22 Clark. Es ist möglich, dass bei diesen Angaben ebenso übertrieben wurde, wie beim vermeintlichen squalor des Metellus Celer (Kap. 3.1) oder dem Trauerbart spätrepublikanischer Portraits (Kap. 12.2). Daher kommen oft Formen von sequor vor: Sen. contr. 10, 1, 3; 1, 12 f.; bei der pompa: Sen. contr. 6, 6. Dig. 47, 10, 15, 19; 22 f.; vgl. Raber (1969) 52–63; Kaser, Privatrecht, 624. Als Nachstellen verfemt diente die Gesetzgebung dem Schutz römischer Frauen, Mädchen und Matronen. Es bezieht das unflätige Ansprechen (appellatio) ein; dazu auch Gai. inst. 3, 220 mit Dixon (2001) 51. Dig. 47, 10, 39; 47, 20, 15, 27; dazu ausführlich Kap. 13 und 14. Mart. 1, 108, 7; 2, 57, 5; 3, 4, 6; 3, 46, 1; 9, 100, 1; 10, 18, 4; 74, 4; 82, 2; 11, 24, 11; Iuv. 1, 96; 119; 3, 127; 8, 142; zu Fragen des Geschlechts und Bürgerrechts Goldbeck (2010) 73 f.; 164 f.; auch die Provinzklientel erschien zuweilen zu salutationes; dazu Kap. 8.4.
8.4 Herumgehen von Haus zu Haus: ambitio oder salutatio?
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mischt sein61 und die verschiedenen gesellschaftlichen Schichten wiedergeben, so wird man doch darauf geachtet haben, dass das Äußere der adsectatores nicht besonders positiv auffiel, sonst riskierte man den Patron zu brüskieren. Zugleich durfte der Begleiter auch nicht ungepflegt und zerlumpt daherkommen, denn das warf ein schlechtes Licht auf die Generosität des Patrons.62 Wenn sich nun unter das Gefolge eines Kandidaten eine Person drängte, die diesen Ansprüchen nicht gerecht wurde, stellte das ein massives Problem für die Glaubwürdigkeit des Bewerbers dar. So widerfuhr es dem von Seneca beschriebenen Reichen mit dem Jungen, der seinen Vater rächen wollte. Unter der ansehnlichen Schar der begleitenden togati fiel er in der vestis sordida besonders ins Auge und es entspann sich rasch ein Gerede (fama) über den Grund seines Auftretens. An der Adaption einer Trauerpraxis und der Aneignung einer Form der Sympathiewerbung und der Repräsentation symbolischen Kapitals lässt sich nicht nur nachvollziehen, wie diese Techniken ineinander verwoben waren. Außerdem verwiesen sie untereinander auf verschiedene Facetten ihrer mannigfaltigen Bedeutungen.63 8.4 HERUMGEHEN VON HAUS ZU HAUS: AMBITIO ODER SALUTATIO? Eine andere Konstellation setzt die Episode der Syrakuser von 208 v. Chr. voraus. Hier handelte es ich um socii, die das Mittel des Kleidungswechsels einsetzten. Die Sikuler flehten nicht um Nachsicht wie Tusculaner oder Rhodier, sondern erbaten die Revision der Entscheidung, Marcellus als Promagistrat nach Sizilien zu entsenden.64 Hier ist die Erwähnung bemerkenswert, dass die Sikuler nacheinander zu den Häusern ihrer Patrone pilgerten.65 Demnach bat kein ranghöheres Mitglied der Gesellschaft einen einfachen Bürger um seine Unterstützung, wie es bei der ambitio der Fall war, sondern die Sikuler verbanden die Trauergeste und das circumire mit einem weiteren politischen Ritual, das weithin bekannt war. Bei der allmorgendli61
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Auch höher gestellte Mitglieder der Gesellschaft nahmen an einer adsectatio teil, um Einzelne zu protegieren. So begleitete der Konsular Galba einen Crassus, als dieser sich für die Ädilität bewarb; Cic. de orat. 1, 239 mit Laser (1997) 119 – Irritierend ist Sen. contr. 10, 1, 4, dass auch Magistrate ein Gefolge hatten, das ihnen Platz verschaffte. Er nutzt dafür summovere, das im Kontext von Amtsgewalt meistens mit dem plebem summovere der Liktoren erscheint (Liv. 3, 45, 5 f.; 48, 3; 8, 33, 5; 28, 27, 15; Mart. 8, 33, 3–6; Plin. paneg. 23, 3). Die Liktoren jedoch gehen dem Beamten stets voraus, sie folgen nicht. Diese Gestalten sortierten Türsteher (ianitores) bereits in und vor der domus aus. Mart. 3, 30, 3; 4, 26, 4; 6, 50, 2; 9, 100, 5; 6, 48, 1 nennt sie aufgrund ihrer abgenutzten Kleider verächtlich togulae oder in Anspielung auf Vergils Aeneis turba togata; weniger abschätzig Prop. 4, 2, 56; vgl. Goldbeck (2010) 100 f. Die Kombination unterschiedlicher Praktiken macht es schwierig, im Rahmen der Darstellung methodisch zu trennen, denn es gibt Überschneidungen mit Kap. 6.3, 7.3, aber auch 8.4 und 9.3 und den jeweiligen Fällen. Liv. 26, 29, 2: Circumibant enim senatorum ‚domos‘ cum veste sordida … Zur Vorgeschichte Kap. 4.2; zur kulturellen Differenz und der Anlehnung an den Unterwerfungsgestus Kap. 9.3. Sozusagen „von Haus zu Haus“; Liv. 26, 29, 5: Hae Siculorum querellae domus primum nobilium circumlatae celebrataeque sermonibus.
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8. Bitten und Werben: Praktiken der Nahbeziehungen nutzen
chen salutatio hielten die römischen Patrone Audienz in ihren Atrien, um sich der Anliegen ihrer Klienten anzunehmen und ihre Aufwartungen entgegenzunehmen. Je mehr Besucher man verbuchte, umso mehr galt das soziale Kapital eines Patrons. Damit illustrierte die salutatio, bei der bereits zu früher Stunde, Klienten eines Senators in dessen Haus empfangen wurden, die politische Atmosphäre, die durch unablässige Wahlen, Volksversammlungen und Senatssitzungen im Kern der Stadt Rom geprägt war, vielleicht am deutlichsten. Eine Trennung zwischen privat und öffentlich existierte nicht.66 Auch Provinzbewohner konnten ihre Fürsprecher in Rom haben, wie bereits das Beispiel Ciceros und Siziliens zeigte.67 Nun suchten die Sikuler ihrerseits Unterstützung bei ihren Patronen unter den römischen Senatoren. Es dürfte nicht schwierig gewesen sein, gegen eine herausragende und extravagante Persönlichkeit wie M. Claudius Marcellus Beistand zu finden. Schließlich tauschten die Konsuln die Provinzen ihrer Promagistratur aus, was nicht nur auf Initiative des Senats geschah, sondern wohl Marcellus eigene Idee war, denn er sah das Mitleid (misericordia) gegenüber den Sikulern wachsen, während der Unmut (invidia) über ihn zunahm.68 Die rasche Reaktion auf diese Inszenierung mag darauf zurückzuführen sein, dass die Verschränkung von squalor, ambitio und salutatio schnell ihre Wirkung entfaltete.69 Eine weitere Verkehrungsstrategie begegnet im Bittwesen, wenn es an Zeit mangelte, ein Anliegen vorzubringen. Dann griffen die Akteure den Bittgang von Haus zu Haus auf, wie man ihn von den salutationes kannte. Allerdings wartete man damit nicht bis zum nächsten Morgen, sondern nutzte die nahende Dunkelheit. Appian berichtet, wie die Angehörigen des M. Antonius nachts von Tür zu Tür gingen, um die einflussreichsten Senatoren zu bitten, ihn in der nächsten Senatssitzung nicht zum hostis zu erklären.70 Dazu trugen Mutter, Ehefrau, der unmündige Sohn, weitere Verwandte und Freunde dunkle Kleidung. Jeder für sich brachte vor, seinen Sohn, Gatten, Vater, Cousin, Vetter oder Freund zu verlieren, würde Antonius verurteilt. Damit demonstrierten sie das dichte Netzwerk sozialer Beziehun66
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Goldbeck (2010) 201 führt einen Trauerakt als salutatio an, als die Rhodier bei den principes von Haus zu Haus gingen; Liv. 45, 20, 10: Extemplo veste sordida sumpta domos principum cum precibus ac lacrimis circumibant orantes, ut prius cognoscerent causam quam condemnarent. – Eine Forschungsgeschichte bei Goldbeck (2010) 37–58; ferner Ganter (2015) 42–5; 113 f. Der von Cic. Verr. 2, 4, 41 erwähnte Syrakuser Diodorus bediente sich der gleichen Taktik. Wie seine Vorbilder im dritten Jahrhundert v. Chr. machte er in schmutziger Kleidung bei seinen Patronen in Rom die Runde. Von Sthenius heißt es, er sei im Hause seines Patrons aufgetaucht; vgl. Cic. Verr. 2, 5, 128: Aspicite, aspicite, iudices, squalorem sordisque sociorum! Sthenius hic Thermitanus cum hoc capillo atque veste, domo sua tota expilata, mentionem tuorum furtorum non facit … Zu den Fällen in den Verrinen Hall (2014) 52–4; 57 f.; ferner Noy (2000) 110. Liv. 26, 29, 5: … partim misericordia Siculorum, partim invidia Marcelli excitabat … Noch kaiserzeitliche Senatoren wie Libo Scribonius bedienten sich dieser Kombination; Tac. ann. 2, 29, 1. App. civ. 3, 211: Ἀντωνίου δὲ ἡ μήτηρ καὶ ἡ γυνὴ καὶ παῖς ἔτι μειράκιον οἵ τε ἄλλοι οἰκεῖοι καὶ φίλοι δι᾿ ὅλης τῆς νυκτὸς ἐς τὰς τῶν δυνατῶν οἰκίας διέθεον ἱκετεύοντες καὶ μεθ᾿ ἡμέραν ἐς τὸ βουλευτήριον ἰόντας ἠνώχλουν, ῥιπτούμενοί τε πρὸ ποδῶν σὺν οἰμωγῇ καὶ ὀλολυγαῖς καὶ μελαίνῃ στολῇ παρὰ θύραις ἐκβοῶντες.
8.4 Herumgehen von Haus zu Haus: ambitio oder salutatio?
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gen, in dem sich Antonius bewegte und dem sich seine Gegner kaum entziehen konnten. Auch seine Rivalen waren zum Teil mit den Unterstützern des Antonius familiär oder politisch verbunden, da jeder Bewohner Roms in ein komplexes Geflecht sozialer Beziehungen eingebunden war. Der Verlust solcher Bindungen stellte den sozialen Tod dar. Der Ausfall gesellschaftlicher Kontakte konnte im Einzelfall die gleichen Folgen zeitigen wie ein realer Todesfall in der Familie. Somit verwundert es nicht, dass derjenige, der einen squalor praktizierte, bemüht war, die ambitio und verwandte Elemente der Sympathiewerbung als Stellvertreter des sozialen wie politischen Alltags in sein Bitten zu integrieren. Gerade für Frau und Sohn hatte der Verlust des Familienoberhaupts ungeahnte Folgen. Damit sollten die Senatoren an ihre eigene Stellung und Verantwortung in ihrer eigenen domus erinnert werden. Auffällig ist das Engagement der Fulvia, damalige Gattin des Antonius, der bereits bei der Bestattung des Clodius und Caesar eine Rolle zukam. Vielleicht ging die Aktion auf ihre Initiative zurück, schließlich war sie eine erfahrene Trauerakteurin.71 Die Darbietung besaß umso eindringlicheren Charakter, da allen bewusst war, dass die Straßen Roms bei Nacht und gerade in diesen unruhigen Zeiten besondere Gefahren bargen. Diebe und Schläger, die auch vor Mord nicht zurückschreckten, musste man hinter jeder Kreuzung vermuten. Die Angehörigen des Antonius befanden sich faktisch auf dem Präsentierteller seiner Feinde, die ohne Weiteres Leute auf sie hetzen und dabei einen Raubmord vortäuschen konnten. Doch diese Gefahr, so die Botschaft, nahmen sie billigend in Kauf, um Antonius beizustehen. Allerdings mussten sie sich gut überlegen, an welche Türen sie klopften. Bei Cicero wären sie auf taube Ohren gestoßen. Wichtiger war es Unentschlossene von ihrer Sache zu überzeugen. Auch war es nicht ratsam, einen Senator zu stören, der seine cena oder den Schlaf über alles schätzte. Jedoch konnte gerade das Unterbrechen allabendlicher Vorgänge die Dringlichkeit der Angelegenheit untermauern. Jedenfalls bewegte man sich auf einem schmalen Grat.72 Die Aktion der Antonius-Unterstützer steht in der Tradition der Syrakuser und Rhodier, aber auch der Ciceros Diodorus und Sthenius, die ebenfalls die Häuser ihrer Patrone und unentschlossener Senatoren aufsuchten, um für die eigene Sache zu werben. Nicht zuletzt erinnert die Szene an den symbolischen Trauerzug der Metelli zugunsten des Numidicus.73 Aber auch die eigenen Leute sollten aktiviert werden, ihrerseits Werbung zu machen und die Stimmung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Der Unterschied besteht darin, dass Appian die Eindringlichkeit steigerte, 71 72
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Zu Fulvia Kap. 7.1; zur ambitio als supplicatio Naiden (2006) 231–3; zur Rolle der Familie Kap. 12.1. Nach Cass. Dio 38, 14, 7 unternahm Cicero im Vorfeld seines squalor einen ähnlichen Schritt und ging nachts sogar zu den Häusern seiner Feinde, wobei er senatorische Standesabzeichen gegen das Ritterkleid tauschte – ohne Erfolg: καὶ τὴν βουλευτικὴν ἐσθῆτα ἀπορρίψας ἐν τῇ ἱππάδι περιενόστει, πάντας τε τούς τι δυναμένους, οὐχ ὅπως τῶν ἐπιτηδείων ἀλλὰ καὶ τῶν ἀντιστασιωτῶν, καὶ μάλιστα τόν τε Πομπήιον καὶ τὸν Καίσαρα … In Dion. Hal. 8, 39, 4 pilgern rau und schmutzig gekleidete Römerinnen in das Haus der Veturia, um die Mutter des Coriolan für ihre Sache zu gewinnen, zu den Metelli Kap. 7.2; zu Coriolan Kap. 9.2 und 12.1.
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8. Bitten und Werben: Praktiken der Nahbeziehungen nutzen
indem er alles bei Nacht geschehen lässt. Gleichzeitig ist es ein Indiz für die neue Art und Weise, in der späten Republik Politik zu betreiben. Während in den „goldenen Zeiten“ bei Tageslicht auf dem Forum beraten und gestritten wurde, um eine möglichst große Öffentlichkeit zu gewährleisten, finden die Debatten nun im Dunkel der Nacht in privaten Zirkeln statt. Diese Kritik des Appian richtet sich zwar an die Partei des Antonius, lässt sich aber generalisieren. Die Rüge entspricht nicht dem recht positiven Antonius-Bild, das Appian sonst zeichnet. Vielmehr ist die gesamte Triumviratspolitik als Ausdruck dieser Absprachenregelungen zu verstehen. Als am nächsten Morgen die Senatsmitglieder zur Kurie schritten, traten ihnen dieselben jammernden Personen entgegen – vermutlich wie am Vorabend in schwarz gehüllt. Sie warfen sich zu Füßen der Senatoren und wiederholten ihre Bitte. Angeblich waren einige geneigt nachzugeben, und so gelang es Piso trotz Ciceros Bedenken, den Senat für Antonius zu gewinnen.74 In diesem Fall wurden also schwarze Kleider getragen, der Rundgang gemacht und zwar von Haus zu Haus und dabei das Charakteristikum der salutatio, dass sie am Morgen stattfand, in ihr Gegenteil gekehrt und bei Nacht durchgeführt. Der Ausschnitt zeigt nachdrücklich, wie viele verschiedene Praktiken für ein einziges Anliegen adaptiert und umgeformt werden konnten. Während in anderen Fällen nur zwei Handlungen oder Zeichenvorräte miteinander kombiniert wurden, ist dieses Beispiel so komplex und dicht geflochten wie nur wenige. Das Herumgehen in schäbiger Kleidung von Haus zu Haus sozialer, zum Teil höher, zum Teil gleichgestellter Partner war insofern kunstvoll, dass die virtuose Kombination von ambitio und salutatio mit squalor, wenn nicht bei Antonius, so doch bei den Sikulern zu einem Erfolg führte. Insgesamt zeigen sich in der Verbindung von Praktiken der Nahbeziehung mit Trauerzeichen nicht nur Spielräume des squalor, sondern überhaupt schlagen sich darin Variationsreichtum und Flexibilität politischer Kultur im alten Rom nieder, die erst vor dem Panorama der in diesem Kapitel aufgefächerten Kombinationsmöglichkeiten sichtbar werden.
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App. civ. 3, 211; zum Antonius-Bild App. civ. 5, 10 f.; die vereitelte hostis-Erklärung bei App. civ. 3, 249 mit Halfmann (2011) 81–93; Matijević (2006) 211 ff.; zur Aktion der Familie auch Naiden (2006) 65.
9. GESCHWORENE, GÖTTER, GEGNER: BITTEN IN ANDEREN RÄUMEN Formen des ritualisierten Bittens gestalteten sich vielseitiger, als es der alleinige Blick auf Sympathiewerbung und Nahbeziehungen nahelegt. Die am Anfang des vorherigen Kapitels getroffene Unterscheidung zwischen Schütteln und Ergreifen der Hände bezeugte das bereits und ist auf den Umstand zurückzuführen, dass die Bitte beim Rundgang auf dem Forum nicht immer explizit wurde. Das heißt, häufig wurde ein Anliegen nur unterschwellig formuliert, denn die Elite vermittelte – gerade im Wahlkampf – vornehmlich den Eindruck, die Belange der Plebs stünden im Fokus des lockeren Plauschs auf dem Forum, weniger der Politiker selbst, der sich bewusst zurückzuhalten hatte, wollte er das (Wahl-)Volk nicht verprellen, wie es das Beispiel des Scipio Nasica lehrt.1 Das Werben um die Gunst der Plebs im Rahmen einer Imagekampagne wurde nicht selten erst mittel- oder langfristig in eine Bitte umgesetzt. Wenn es um Wähler oder Zustimmung zu einem Gesetz ging, versuchte die politische Klasse, ihre langwierigen Bemühungen um die Gunst der Bürger zu aktualisieren. So mag sich auch der Erfolg und Misserfolg einiger Trauerakte erklären: Personen, die Formen der Sympathiewerbung bereits zu Zeiten einsetzten, als sie die Unterstützung der öffentlichen Meinung und des Volkes nicht explizit benötigten, häuften ein gewisses Maß an sozialem Kapital an. Sie konnten damit rechnen, dass ihrem erneuten Auftritt – diesmal in Lumpengewändern – mehr Authentizität beigemessen wurde. Ein Akteur, der es in einer bedrohlichen Lage erstmals für nötig hielt, sich an seine Mitbürger zu wenden, ließ es dagegen an der nötigen Glaubwürdigkeit vermissen. Diese Praxis beruhte also zu einem gehörigen Teil auf einem Vertrauensvorschuss seitens der „Gebetenen“ einerseits und einer hohen Risikobereitschaft auf Seiten des „Bittenden“ andererseits, denn es war keineswegs vorbestimmt, dass das Volk sich des vorgegebenen Wohlwollens eines Politikers erinnerte oder dieser gewillt war, bestenfalls angedeutete Versprechen in die Tat umzusetzen.2 Dennoch scheint dieser traditionelle Umgang zwischen Elite und einfachem Volk lange Zeit und häufig erfolgreich verlaufen zu sein, denn die Quellen gehen von einer alten Tradition des symbolischen Trauerns aus, selbst wenn sie kaum weiter als in das späte dritte Jahrhundert v. Chr. zurückreichen dürfte. Nicht zuletzt spielt der zentrale Wertbegriff der fides eine entscheidende Rolle. Er machte es möglich, Loyalität auch unter erschwerten Bedingungen aufzubringen und sich auf die Rückerstattung eines Vorschusses verlassen zu können, sei es sozial als Vertrauen oder ökonomisch in Form eines Darlehens. Geriet man jedoch überraschend ohne Vorwarnung und Vorbereitungszeit in eine missliche Position, war es zwar von Vorteil auch schon zuvor an das Volk ap1 2
Val. Max. 7, 5, 2; Cic. Planc. 51; Plin. nat. 7, 120 mit Morstein-Marx (1998) 267 f.; MRR I, 483; Kap. 8.1 mit Anm. 24. Vgl. nun umfassend Timmer (2017).
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9. Geschworene, Götter, Gegner: Bitten in anderen Räumen
pelliert zu haben und über eine möglichst große Klientel zu verfügen. Man konnte aber auch versuchen, andere Assoziationen mit seiner Bitte zu verbinden, wenn die für Authentizität sprechenden Kriterien nicht erfüllt waren. Da Bitten in vielen unterschiedlichen Situationen zur Anwendung kommen konnten, war es zumindest ein leichtes, verbal und nonverbal auf das eigene Begehren zu verweisen. Somit war es möglich, entweder mündlich auf einen anderen Hintergrund als die ambitio zu verweisen oder eine Geste zur Anwendung zu bringen, die einen anderen Kontext referierte. Alternativen des rituellen Bittens zum Rundgang auf dem Forum stellten Handlungen dar, bei denen man sich zu Boden warf oder die Arme ausstreckte, die Wange des anderen berührte oder dessen Brust küsste, mitunter ergriff man Knie oder Hände des Gegenübers. Gemeinhin wurde die Gesamtheit dieser Bittgesten als supplicatio bezeichnet. Doch die meisten dieser Gesten kamen in Verbindung mit symbolischer Trauer nicht zum Tragen. Im Gegenteil sind nur das Greifen nach den Händen der Anderen und das Sich-zu-Boden-werfen in Verbindung mit dem Ausstrecken der Arme beim squalor nachweisbar und dazu besonders selten. Da Bittszenen in Form der Hikesie bereits ausführlich behandelt worden sind, interessieren hier vor allem Passagen, bei denen das Bitten mit einer Anleihe von Zeichen und Gesten aus dem Trauerverhalten einherging. Sie vollzogen sich in Form religiöser Hingabe, demonstrativer Unterwerfung und – wie bereits betont – als Demutsgeste vor Gericht. Letztere war Gegenstand anderer Kapitel und wird daher nur kurz beleuchtet. Religiöse Bittfeste und militärische Unterwerfung, auch unter außenpolitischen Gesichtspunkten, verdienen dagegen eine eingehendere Betrachtung. 9.1 SICH ZU FÜSSEN DER RICHTER WERFEN: DIE FORENSISCHE SUPPLICATIO Im politischen Bereich sind Anleihen aus der supplicatio vor allem in Gerichtsverfahren der späten Republik zu beobachten.3 Es war üblich dunkle Gewänder anzulegen, sobald eine Klage bekannt wurde und noch vor dem offiziellen Gerichtstermin die Öffentlichkeit zu suchen. Man betrat schon vor Prozessbeginn das Areal, auf dem die Verhandlung stattfinden sollte und fing damit an, für sich zu werben. Der Schritt in die Öffentlichkeit eröffnete das Verfahren gleichwohl informell, indem die Klage vom Angeklagten anerkannt und verkündet wurde. Während der Gerichtsprozess die Möglichkeit zur mutatio vestis bot, ließ er wenig Freiraum für die Darbietung von Bittgesten, denn meistens sprach der Verteidiger oder Ankläger. Der Delinquent musste meist schweigend zusehen, wie über ihn verhandelt wurde, sofern er sich nicht als Redner hervorgetan hatte oder vor Verhandlungsauftakt das Forum zur ambulatio genutzte hatte (vgl. Kap. 8.1). 3
Vgl. Kap. 2.2 und 11.1; Hall (2014) 64–98; zur Hikesie Naiden (2006); Gould (1973). In der Kaiserzeit nannten die Römer die Appellation supplicatio: Bellen (1997); Mommsen, Staatsrecht II, 295; Strafrecht, 275–9; 468–73.
9.1 Sich zu Füßen der Richter werfen: Die forensische supplicatio
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Dem äußeren Erscheinungsbild eines Angeklagten (sordidatus) fügte man jedoch am Ende der Verhandlung bewusst Gesten hinzu, die für eine Bitte einschlägig waren – vor allem das Sich-zu-Füßen-werfen vor den Richtern bzw. Geschworenen und den Versuch, deren Hände zu ergreifen. Besonders wirksam konnten sie werden, wenn die Verteidigung diesen Auftritt antizipiert hatte. Bei Prozessen zählte die deprecatio zu den gängigen Mitteln, sie leitete die supplicatio von langer Hand ein.4 Die deprecatio galt – wie auch symbolisches Trauern – als letztes rhetorisches Mittel des Verteidigers, seinen Mandanten vor der Verurteilung zu bewahren.5 Das Vorhaben ging nur auf, wenn man neben das Schuldeingeständnis den ansonsten makellosen Charakter des Delinquenten, seinen Wert für das Gemeinwesen, seinen sittlichen Lebensstil und seine vornehme Abstammung stellte. Dazu musste betont werden, dass der Beschuldigte durch die Anklage bereits intensiv leide. Man zeigte sich daher über die Klage entrüstet (indignatio).6 Die Strafe werde dem Beschuldigten schon durch den Prozess zuteil und die Verurteilung mit der Verhandlung vorweggenommen. Darüber hinaus appellierte man an die Richter, sie könnten ihr Ansehen steigern, sollten sie Milde (clementia) walten lassen; sie könnten damit vielleicht sogar unter die römischen exempla eingehen.7 Tatsächlich sind Fälle bekannt, bei denen dieses Kalkül aufging. Der mehrfach erwähnte Sulpicius Galba ist nur einer unter vielen. Valerius Maximus berichtet im Rahmen bemerkenswerter Richtersprüche davon, wie sich L. Calpurnius Piso Caesoninus (cos. 112) im Moment des Urteilspruches zu Füßen seiner Richter stürzte, um sie zu küssen (prostratus humi pedes iudicum oscularetur). Dabei bekam er Exkremente in den Mund, was die Geschworenen derart betroffen machte (a severitate ad clementiam), dass sie ihn freisprachen, da sein Sturz und seine öffentliche Entehrung durch Kot bereits genug Strafe darstellten. Der Straßenschmutz (caenum) rückt den Fall in die Nähe des squalor. Aber auch die Götter schienen mit Piso im Bunde zu stehen, da just ein Unwetter aufzog.8 Gleich ob man literarische Pointierung in Rechnung stellt oder dem Bericht Glauben schenkt, er kündet von Denkmustern der frühen Kaiserzeit, in der Entwürdigung Milde heraufbeschwören konnte. 4
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David (1992) 624–30; Konstan (2010) 14; 38 f. und schon Mommsen, Strafrecht, 435 f. A. 1; siehe auch Bellen (1997) 217 f.; vgl. Martin (1975) 41; 239, der festhält, dass die deprecatio selten vorkam, was er aus den theoretischen Schriften ableitet, doch der historiographische und rhetorische Befund ist ein anderer. Quint. inst. 7, 4, 17: ultima est deprecatio. – Gemeinhin wird hier, das Letzte – in der Reihe der Argumente – sei die deprecatio, übersetzt, aber aus Cic. inv. 1, 15; 2, 104 oder Rhet. Her. 1, 24 wird deutlich, dass man den Passus auch als ultima ratio lesen kann; vgl. Barton (2001) 138 f. Cic. inv. 1, 15; Rhet. Her. 1, 24; 2, 23–5. So etwa Gaius für Appius Claudius bei Dion. Hal. 11, 49, 4; vgl. Lausberg (1990) 104 f.; Angeklagte: Cic. inv. 2, 104 f.; Quint. inst. 7, 4, 18; Richter: Cic. Lig. 38; Quint. inst. 7, 4, 19; vgl. Flaig (2003a); Konstan (2005). Val. Max. 8, 1, 6; vgl. Hall (2014) 70 f., der betont, solche Aktionen waren kurz vor dem Richterspruch am wirksamsten, aber auch einräumt, dass ein gewisse Zeit bis zur Verkündigung des Urteils vergehen konnte (ebd., 156). Nach Val. Max. 8, 1, 3 sind bei einschlägigen Bittgesten die Zeichen des Standes abzulegen, weshalb ein Kläger dem bittenden Sohn des Beschuldigten den Ring vom Finger reißt. Zu weiteren Begebenheiten David (1992) 627 f.; zum Ring beim squalor Kath (2012) 66; zu Piso MRR I, 538.
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9. Geschworene, Götter, Gegner: Bitten in anderen Räumen
Ebenso funktionierte der Verweis der Verteidiger auf die unwürdige Kleidung des Delinquenten, die ihn bereits genug herabsetze. Deshalb sei eine Strafe gar nicht mehr notwendig. Die regelmäßige Erwähnung der Stimmungslage des Beklagten durch seinen Anwalt entspricht diesem Vorgehen ebenfalls. Diese drücke sich vor allem durch einen betrübten Blick und stilles Weinen aus, wofür der Begriff maeror stand. Betrübnis über eine unrechtmäßige Anklage dagegen drückten Kleidung und Verhalten nicht immer aus. Für den Fall ging man vielmehr wie Rutilius Rufus gar nicht auf die Beschuldigung ein.9 Da man bei der deprecatio die Schuld des Angeklagten einräumte, stellte die Strategie ein Risiko dar, das sich nur lohnte, wenn andere Mittel versagten. Entsprechend selten sei es zu verwenden, so Cicero.10 Seinem eigenen Anspruch wird er freilich nicht gerecht. Im Gegenteil findet man das Vorgehen in den Verteidigungsreden der folgenden Jahre immer wieder, was der Nachwelt den Eindruck vermittelte, bereits in der Republik sei unter Anklage das Anlegen schmutziger Gewänder obligatorisch gewesen. Doch erst aufgrund der intensiven Verwendung durch Cicero und seine unmittelbaren Nachfolger wurde das Mittel zu einem verbindlichen Teil des forensischen Zeremoniells. Tatsächlich besitzt man erst seit Cicero regelmäßig Zeugnisse dieser Praxis. So verwundert es nicht, dass die Rhetorica ad Herennium nicht explizit davon berichtet, während Quintilian ausführlich auf die deprecatio eingeht.11 Cicero etwa legt M. Antonius (cos. 99) eine Verteidigungsstrategie für den in Ungnade gefallenen Mn. Aquilius (cos. 101) zurecht. Dabei wird die mögliche Kombination von squalor und Narbenzeigen deutlich. Manlius habe sich als Promagistrat in Sizilien schlechter Amtsführung schuldig gemacht. Obwohl einiges für seine Schuld sprach, gelang es seinem Anwalt, die Anklage zu zerstreuen. Besonders da das Vergehen außer Frage zu stehen schien, wendete Antonius die deprecatio an. Die Passage ist dadurch vielschichtig, da Antonius nicht bei Gericht sitzt, sondern erst später seinen Kollegen und Schülern davon berichtet, wie er Aquilius vor einer Verurteilung rettete; so zumindest das Szenario, das Cicero suggeriert. Antonius habe die Richter bewegt (iudices moveri), indem er den alten Mann in seiner schäbigen Tracht (sordidatus) aufstehen ließ und Aquilius vor lauter Erregung die Tunika vom Leib riss, um seine Narben zu entblößen. Damit befindet man sich bereits unmittelbar in der deprecatio, die ohne Planung kaum Erfolg versprach, auch wenn Antonius darauf besteht, sein Handeln sei affektiv und nicht berechnend gewesen. Das Vorweisen der Narben diente jedenfalls dazu, die Taten des Angeklagten für das Gemeinwesen in Erinnerung zu rufen, denn mit jeder Wunde ver9
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In Ciceros Prozess- und Staatsreden tritt der Bezug von maeror zu squalor unzählige Male auf; vgl. Quinct. 4; 30; Catil. 2, 2; 4, 3; Flacc. 106; Planc. 99; 101 f.; Sull. 74; 90 f.; Mil. 13; 20; 36; Verr. 2, 5, 24; Balb. 56; 61; Scaur. 49; Pis. 8 f.; 12; 36; siehe auch Quir. 8; dom. 26; 59; de orat. 2, 34; 185; 195; 3, 10; 12; 217; orat. 67; auch als maestus: Sest. 1; Vatin. 8; siehe auch Red. Sen. 13; gelegentlich maestitia: Lig. 32; ferner orat. 53; 148. Wenn man einen Freispruch erwirkte, sprach man später vom detrahere sordes: Sen. benef. 2, 35; 4, 12; ferner ira 2, 1 sowie Val. Max. 9, 12, 7; Plut. Cic. 9, 1–3; zu Rufus Kap. 2.2 und 14.2. Cic. inv. 1, 15; siehe auch Rhet. Her. 1, 24; 2, 23–5; Quint. inst. 6, 1, 34 rät zum Kniefall. Vgl. die Andeutungen bei Rhet. Her. 1, 24; 2; 23–5 mit Quint. inst. 6, 1, 30 f.; 7, 4, 17 ff.
9.1 Sich zu Füßen der Richter werfen: Die forensische supplicatio
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band sich eine Schlacht, die Aquilius für Rom geschlagen hatte.12 Die gleiche Absicht verfolgte der Verteidiger damit, den anwesenden C. Marius anzusprechen. Als ehemaligen Amtskollegen forderte Antonius ihn auf, ebenfalls Aquilius beizustehen. Damit wies er – wie bei der deprecatio üblich – auf bestehende Bindungen hin. Nicht zuletzt wurde das Nahverhältnis zwischen Aquilius und Marius dadurch betont, dass der mehrmalige Konsul anfing zu weinen, nachdem Antonius dem angeklagten Gefährten die Kleider zerrissen hatte. Antonius selbst sei so berührt gewesen, dass er unter Tränen Götter, Menschen, Bürger und Verbündete anflehte, Milde walten zu lassen.13 Wenn man das demütige Bitten im Gerichtssaal während der deprecatio als ultima ratio versteht, dann wird auch deutlich, was es bedeutete, dieses Mittel außerhalb des Gerichts anzuwenden: Man wurde ja nicht formal verurteilt, sondern hatte noch die Möglichkeit, sich ins Exil zu entfernen oder mit Gewalt gegen die Bedrohung durch Gesetze und Rivalen vorzugehen. Dass man deprecatio und mutatio vestis auch außerhalb des Gerichtshofs miteinander verband, zeigen Cicero und Sueton.14 Man nimmt daran kaum wunder, wenn man sich die Bemerkung des Auctor ad Herennium vor Augen führt, der bemerkte, dass eine deprecatio nicht vornehmlich zur Verteidigung vor Gericht diente, sondern vor allem zur Beeinflussung der Entscheidungsträger außerhalb des Prozesses.15 Außerdem wird klar, warum man kaum von Akteuren erfährt, die mehrmals die Kleider wechselten. Hatte man einmal einen squalor in prekärster Lage dargeboten, konnte man nicht darauf hoffen, ein zweites Mal davon zu profitieren. So konnte Tiberius Gracchus 133 v. Chr. noch Sympathien gewinnen, indem er laut Cassius Dio mehrfach in dunklen Gewändern erschien, weil die Praxis seinerzeit noch Aufsehen erregte. Dagegen versuchte Vitellius dreimal in Schwarz gehüllt mit seinem Begehren, vom Kaiseramt zurückzutreten, durchzudringen, wurde aber zurückgewiesen, da sich der squalor abgenutzt hatte.16 12 13
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Cic. de orat. 2, 195 ähnlich Quint. inst. 6, 2, 29–32; 11,3, 61–3; vgl. Hall (2014) 18–20; 151; Dugan (2005) 141 f.; Kath (2012) 78 f.; Kap. 5.1; zu den Narben Kap. 2.3 Anm. 80; zu Antonius MRR II, 1; zu Aquilius MRR I, 570 f. Cic. de orat. 2, 196: Cum C. Marius maerorem orationis meae praesens ac sedens multum lacrimis suis adiuvaret cumque ego illum crebro appellans collegam ei suum commendarem atque ipsum advocatum ad communem imperatorum fortunam defendendam invocarem, non fuit haec sine meis lacrimis, non sine dolore magno miseratio omniumque deorum et hominum et civium et sociorum imploratio. – Siehe unten Kap. 11.1. Cic. Red. Sen. 37; Quir. 7 f.; Sest. 27; Suet. Aug. 52, 2; zum squalor als letztem Mittel Kath (2012) 74; 81. Das ne … quidem in Suet. Tib. 2, 4, versteht Hall (2014) 40 A. 2 als Indiz, dass der squalor auch bei harmloseren Angelegenheiten zum Einsatz kam; Cic. Pis. 89 attackiert Piso für einen squalor bei minder schwerem Anlass. Rhet. Her. 1, 24: Deprecatio est, cum et peccasse se et consulto fecisse confitetur, et tamen postulat, ut sui misereatur. Hoc in iudicio fere non potest usu venire, nisi quando pro eo dicimus, cuius multa recte facta extant, hoc modo – in loco communi per amplificationem iniciemus: „Quodsi hoc fecisset, tamen ei pro pristinis beneficiis ignosci conveniret, verum nihil postulat ignosci“. – Siehe auch Rhet. Her. 1, 25; Cic. inv. 2, 104–8; Quint. inst. 5, 13, 5; dazu ausführlich Notari (2013). Cass. Dio 24, 83, 7 frg. mit Kap. 4.3; Suet. Vit. 15, 2 mit Kap. 7.2; 15; vielleicht Cic. Pis. 89 mit Kap. 14.1.
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9. Geschworene, Götter, Gegner: Bitten in anderen Räumen
9.2 AUF DIE GÖTTER VERWEISEN: RELIGIÖSE SUPPLICATIONES UND GESCHLECHTERROLLEN In der Religion stellte die supplicatio ein Bitt-, Sühne- oder Dankfest dar. Sie war gesellschaftsrelevant, da eine große Menge zugegen sein musste, um das Funktionieren des Rituals zu garantieren;17 das hat sie mit dem squalor gemein. Angesichts der bisherigen Deutung des squalor ist vor allem der Bitt- und Sühnecharakter der supplicatio herauszustreichen, der besonders in Notsituationen zum Tragen kam. Dazu wendete sich der Senat an verschiedene Priesterkollegien. Diese befragten die Sybillinischen Bücher, was zu tun sei und erhielten zuweilen die Antwort eine supplicatio durchzuführen.18 Dieser Notfall wurde nicht selten durch Prodigien wie zweiköpfige Kälber oder Steinregen festgestellt. Anlass konnte auch eine verheerende militärische Niederlage oder Seuche sein.19 Dementsprechend häuften sich in Zeiten der politischen Krise mit der Zahl der Prodigien auch die supplicationes. Es war ein consultum des Senats vonnöten, um ein Ritual solchen Ausmaßes durchführen zu dürfen. Damit verließen die Römer in Zeiten massiver Krisen die tägliche Ordnung, die sich sonst in ihren Ritualen niederzuschlagen scheint. Zumeist hatten religiöse Zeremonien nach einem präzisen Formular abzulaufen, andernfalls schlug das Ritual fehl, musste wiederholt werden und galt als schlechtes Vorzeichen; zumindest konnte ein solches Bedenken jederzeit angeführt werden und ein Opfer zunichtemachen.20 Die Quellen – allen voran Livius – suggerieren einen immer gleichen Ablauf, der im Detail zu bezweifeln ist. Üblicherweise veranschlagte der Senat wenige Tage zur Durchführung einer supplicatio.21 Das Bild der anwesenden Gottheit entstehe durch den Umstand, dass man die imagines deorum auf einem Polster (pulvinarium) vor dem Heiligtum präsentierte.22 Diesen Teil behandelt die Forschung sepa-
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Das Kapitel orientiert sich weniger an Debatten als an den aus den Quellen gewonnenen idealtypischen Verlauf einer supplicatio, den die Literatur beschreibt; vgl. Linke (2003); Wissowa (1931); (1912) 423–6; Latte (1960) 245 f.; Rüpke (1990) 215–7; Freyburger (1988); (1977). Quindecimviri: Varro ling. 7, 88; für die ältere Zeit sind auch duumviri und decemviri belegt (Dion. Hal. 4, 62, 4; Liv. 6, 37, 12; 42, 2; 22, 1, 15; 10, 9; 34, 55, 3; 40, 37, 3; 42, 2, 6; siehe auch Serv. Aen. 6, 72; Zon. 7, 11, 2); pontifices: Liv. 27, 4, 15; 27, 37, 4; 39, 22, 4; haruspices: Liv. 32, 1, 14; 41, 13, 3. Vgl. Cic. div. 1, 97 f.; zu den Anlässen auch Rosenberger (1998) 143–5. North (1976); Klinghardt (1999). Zur Ordnung Rüpke (2001) 86–118; Beard u. a. (1998) 42– 54; ferner Linke (2001); einen neuen Ansatz verfolgt nun Rüpke (2011), der die Flexibilität in der Konstruktion von Sinn bei kontingenten Prozessen wie Religionsausübung betont. Mit dem Ende der angesetzten Frist endete auch die supplicatio. Die Dauer variierte sehr stark und hing von der Schwere der Sühne bzw. der Notwendigkeit des Dankes ab. In der frühen und mittleren Republik dauerte das Fest zwei bis zu fünf Tage. Aus der späten Republik kennt man bereits Beispiele von bis zu sechzig Tagen, dann vor allem anlässlich der Dankbarkeit für militärische Erfolge. Mit der immer längeren Dauer der supplicationes dehnte sich auch ihr Gebrauch von Rom auf Gesamtitalien aus. Diese Entwicklung hielt bis in augusteische Zeit an. Nach Augustus verloren supplicationes an Bedeutung; vgl. Wissowa (1931). Liv. 22, 10, 9; vgl. Linke (2003).
9.2 Auf die Götter verweisen: Religiöse supplicationes und Geschlechterrollen
199
rat als lectisternium.23 Alle erwachsenen Männer und Frauen, so die Überlieferung, gingen nun individuell von Heiligtum zu Heiligtum24 und brachten verschiedenste Opfer dar. Vornehmlich wurde Wein geopfert (libatio). Dazu öffnete man entgegen jeder Praxis sämtliche Tempelpforten. Die römischen Frauen lösten ihre hochgesteckten Frisuren, fegten mit ihrem Haar die Tempelstufen zu Ehren der Götter und knieten im Tempel nieder, während sie flehentliche Gebete gen Himmel stießen.25 Diese emotional aufgeladene und als unkontrolliert inszenierte Handlung korrespondiert mit dem planctus des Trauerrituals; dabei rauften sich Frauen die sonst so aufwendig zurechtgemachten Haare. Auch das Knien steht in einer semantischen Verbindung mit einem Anliegen, da die Berührung der Knie als Bittgestus galt, sodass das Ablegen des Gelenks auf den Tempelboden als Ausdruck der Bitte an die Gottheit gelten darf.26 Elemente dieser Bittpraxis waren bereits im archaischen und klassischen Griechenland geläufig. Die Hikesie war eine bedeutende Kulturtechnik des Zusammenlebens im antiken Griechenland.27 Dabei konnten sich Verfolgte und Straftäter an Personen oder Götter wenden, um ihren Beistand zu erbitten. Somit umfasste die hikesía sowohl juristische als auch religiöse Funktionen der supplicatio. Menschlichen Akteuren warf man sich zu Füßen, bei Göttern suchte man ein Heiligtum, speziell den Altar auf, und brachte sein Anliegen vor.28 Dabei kamen Gesten zum Einsatz, wie sie für ritualisiertes und emotional aufgeladenes Bitten zum Teil bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch aktuell sind: Dem Berühren der Knie kam dabei besondere Bedeutung zu, was durch das Umgreifen des Gelenks intensiviert werden konnte. Daneben konnte man Wange und Kinn berühren, um seiner Bitte Nachdruck zu verleihen.29 Nicht zuletzt spielten Arme und Hände eine entscheidende Rolle, einerseits indem der Schutzflehende am Boden kniend seine Arme mit geöffneten Handflächen ausstreckte, um andererseits den Handschlag des die Bitte gewährenden Partners und die Aufnahme in dessen Schutz zu empfangen.30 Damit sollte ein Asylverhältnis konstituiert werden, dessen Verletzung ein Sakrileg darstellte und daher gerade im Attischen Drama problematisiert wurde. Insofern war die supplicatio vielleicht nicht genuin römisch, aber hatte sich zu einer eigenständi-
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Estienne (2011); Février (2008); grundlegend: Bouché-Leclercq (1904); Wissowa (1924); Latte (1960) 242–4. Zugleich der erste Beleg für die supplicatio bei Liv. 3, 7, 7; ferner Liv. 22, 1, 15; 24, 10, 13; 27, 51, 9; 30, 17, 6; 30, 40, 4; 31, 8, 2; 32, 1, 14; 36, 1, 2; 45, 2, 6. Liv. 26, 9, 7; siehe auch Liv. 22, 10, 8. Vgl. Corbeill (2004); materielle Darstellungen einer republikanischen supplicatio gibt es keine; vielleicht kommt ein domitianischer Sesterz der Szenerie am nächsten: Der Revers zeigt links den nach rechts blickenden Domitian, der drei auf Tempelstufen knienden Matronen ein Gebet diktiert; RIC I2 610. Grundlegend, aber in Teilen überholt Gould (1973); vgl. Naiden (2006); Traulsen (2004) 131– 64; zur Unterscheidung der Hikesie vom Asyl Grethlein (2003). Hom. Od. 22, 334 f.; Aischyl. Suppl. 189 f.; Eum. 259; Thuk. 1, 126, 11; alternativ Bitten am Herd: Hom. Od. 7, 153; Thuk. 1, 136, 3; vgl. Sinn (1993). Knie erstmals bei Hom. Il. 1, 498–500; 8, 371; Wange: Eur. El. 1214–7; Kinn: Eur. Iph. T. 362 f. Hom. Il. 24, 508; Verg. Aen. 3, 610.
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9. Geschworene, Götter, Gegner: Bitten in anderen Räumen
gen Tradition ausdifferenziert.31 Griechische Schriftsteller verstanden die supplicatio und verwandte Praktiken demnach als eigene Institution, während römische Autoren sie als von den Vorfahren ererbte Tradition begriffen. Das hatte Folgen für die jeweilige Darstellung einer Trauerszene. Da Griechen zumeist Termini der Hikesie verwendeten, wenn sie Trauerakte meinten, können wir nur, wenn raue oder schmutzige Gewänder in griechischen Quellen Erwähnung finden, sicher sein, dass es um den squalor geht. Leider fehlen sehr häufig detaillierte Auskünfte über die Kleider der Hiketai.32 Das Bitten, ein absehbares oder bereits eingetroffenes Übel abzuwenden, war supplicatio und Trauerakt gemein.33 Es gab zwar die Option des individuellen Gebets an die Laren. Jedoch richtete sich das Bittfest kollektiv an die Götter. Ob man bei Trauerakten Elemente aus den supplicationes aufnahm, um sein Bitten für das Wohlbefinden des Toten oder um den eigenen Schutz vor Totengeistern noch zu verstärken, ist schwierig zu klären. Mit der Möglichkeit, das Kopfhaar lang wachsen zu lassen, erinnerte man vielleicht an die römischen Matronen, die bei supplicationes mit ihren langen Haaren den Boden der Heiligtümer kehrten. Durch die große Bedeutung, die gerade Frauen an diesem Ritual zukam, zeigte sich, wie ernst die Situation war: Frauen waren üblicherweise von staatstragenden Akten ausgeschlossen, doch gerade sie waren es, die während einer supplicatio für die gesamte res publica um die Unterstützung der Götter warben und den Bestand des Gemeinwesens garantierten.34 Demnach geht es beim Bezug auf die supplicatio nicht nur um den Verweis auf die Götter, sondern auch um Geschlechterdifferenz. Wenn Männer beim squalor die Haare lang trugen, dann verkehrten sie alltägliche Zustände, wie es ihre Frauen nicht nur während der Zeit des luctus, sondern zudem bei der supplicatio taten. Um nicht unter den Verdacht der Verweichlichung zu geraten, stellte der wild wuchernde Trauerbart die Mannhaftigkeit sicher, denn er hatte nichts mit dem in Texten imaginierten eunuchenhaften Auftreten römischer Schönlinge gemein. Bei dieser Assoziation trat die Inszenierung bäuerlicher Identität durch raues Auftreten (horridus) zurück. Optik und Gestus des Betroffenen hatten nichts mit dem gepflegten, männlich senatorischen Habitus der politischen Klasse zu tun, den Cicero zuweilen karikiert.35 Bei der supplicatio wird ein Verkehrungsaspekt akzentuiert, der auf eine weitere Ebene der Botschaft von Trauergesten im Rahmen außerfuneraler Inszenierungen führt. Feminisierte Männer galten als weibisch und gegenüber ihren Geschlechtsgenossen als minderwertig. Hier wurde männliches Handeln, nicht das 31 32
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Zu Unterschieden zwischen römischer supplicatio und griechischer hikesía Freyburger (1988). Raue oder schmutzige Kleidung bei Polyb. 14, 1, 13; 32, 3, 8; Diod. 3, 27, 2; 8, 39, 4; 36, 15 f. frg.; App. civ. 1, 306; 2, 55; 4, 176. Stattdessen meist Formen von ἐσθῆτα μεταβαλεῖν; vgl. Plut. Tib. Gracch. 10, 7; 13, 5; Cic. 30, 4; Pomp. 59, 1; Caes. 30, 3; App. civ. 2, 55–7; Cass. Dio 37, 33, 3; 40, 2; 38, 14, 7. Liv. 21, 62, 9; 24, 10, 13; 27, 4, 15; 30, 21, 10 u. v. a.; siehe auch Linke (2003) 71 A. 23; Kath (2012) 68. Vgl. Linke (2003) 72 f.; ferner Beard u. a. (1998) 70 f.; 95–8. Meister (2009); (2012); (2017a); Richlin (2001); Corbeill (2004); Meyer-Zwiffelhoffer (1995); Späth (1994).
9.2 Auf die Götter verweisen: Religiöse supplicationes und Geschlechterrollen
201
Aussehen, effeminiert und als unterwürfig gegenüber mannhaften Vertretern des Standes betrachtet. Das konnte ebenfalls als mitleiderregend empfunden werden. Wenn man die Interaktionssituation zwischen Mensch/Gottheit auf die Ebene Mensch/Mensch überträgt, kommt der Bittszenerie eine besondere Bedeutung zu. Der Bittende erhöht den Gebetenen, indem er ihm eine sozial höhere Position zuwies. Ein hierarchisches Ungleichgewicht trat deutlich zutage, denn damit schmeichelte er dem Gebetenen nicht nur, sondern er setzte sich selbst herab. Der Gebetene musste sich dagegen in Bescheidenheit üben, wie es seine Standesgenossen von ihm erwarteten, sodass er die Erhebung nicht zuließ – entweder indem er den Unterwerfungsgestus zu verhindern suchte oder die damit verbundene Bitte zügig erfüllte, ohne großes Aufsehen zu erzeugen. Gerade das hatte zur Folge, dass die geminderte Stellung des Bittenden nur umso deutlicher hervortrat, denn der situative Rangunterschied bestand weiterhin.36 Dennoch verfügte der Bittende im Rahmen dieser einen Situation über einen gewissen Grad an Macht, da er die Handlungsoptionen seines Gegenübers einschränkte und ihn zur Reaktion nötigte. Bei einer supplicatio ging man von Heiligtum zu Heiligtum. Die Praxis des „Herumgehens“ assoziiert man hingegen vornehmlich mit der sogenannten ambulatio, die rituelles Bitten im Politischen ausdrückte.37 Während man im Wahlkampf die Zahl der Ansprechpartner maximierte, richtete man sich bei der supplicatio an möglichst viele Götter. Bei aller Analogie ist das Fehlen (der Erwähnung) dunkler Kleidung für die supplicatio auffällig. Im Gegenteil wird gerade betont, dass Männer, Frauen und Kinder mit Kränzen und Lorbeer geschmückt waren.38 Demnach ist eine Festkleidung anzunehmen, die häufig als glänzend (candidus) beschrieben wurde, und im deutlichen Gegensatz zum Trauergewand stand. Dieser Kontrast ist bereits im Rahmen des Wahlkampfes betrachtet worden. Doch trotz der Tendenz der Quellen von festlichen Gewändern im Rahmen von supplicationes zu berichten, findet man Spuren einer abweichenden Praxis: Die Matronen, die C. Marcius Coriolanus von der Belagerung seiner Heimatstadt abbringen sollten, treten nicht von ungefähr in Trauer auf.39 Sowohl bei Dionysios als auch bei Plutarch, die wohl die gleiche Quelle konsultierten, geht die Aktion auf die Initiative der Valeria, Schwester des Publicola, während einer supplicatio zurück. Dionysios erwähnt dabei die Kleidung der Frauen;40 Valeria habe die Frauen bei der supplicatio aufgefordert,
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Diese Deutung geht zurück auf das bereits erwähnte Konzept der Selbstminderungsriten von Kutsch (1986). Zum Rundgang Kap. 8.1; die supplicatio mit Kindern, die auch beim squalor optional waren, bei Liv. 3, 7, 7. Liv. 34, 55, 4; 36, 37, 5; 40, 37, 4; 43, 13, 8 mit Šterbenc Erker (2009) 152. Dion. Hal. 8, 45, 1: … πρώτη μὲν αὐτῷ δεξιωσομένη προσῆλθεν ἡ μήτηρ πένθιμά τε ἠμφιεσμένη τρύχη καὶ τὰς ὁράσεις ἐκτετηκυῖα ὑπὸ τῶν δακρύων, ἐλεεινὴ σφόδρα. Plut. Coriol. 34, 1: ἡ δ᾿ ὄψις αὐτῶν τό τ᾿ οἰκτρὸν καὶ τοῖς πολεμίοις ἐνεποίησεν αἰδῶ καὶ σιωπήν. – Vgl. App. civ. 1, 3; Cass. Dio 5, 16 ff. frg.; Val. Max. 5, 4, 1 und Liv. 2, 40, 1–11 ohne eindeutige Trauerzeichen; zur Version des Livius Kowalewski (2002) 34–41. Plutarch tut das nicht, betont jedoch die Bedeutung der supplicatio, da er sie entweder länger als die üblichen Tage anhalten lässt oder von zwei verschiedenen Bittfesten berichtet; vgl. Plut. Coriol. 30, 2; 33, 1.
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9. Geschworene, Götter, Gegner: Bitten in anderen Räumen
mit schmutzigen Gewändern bekleidet und ihren Kindern zum Haus der Veturia41 zu ziehen. Der Historiker legt ihr dabei folgende Worte in den Mund:42 Indem wir dieses (ταύτην) schmutzige wie lumpige Gewand tragen und die übrigen Frauen und Kinder mit uns führen, lasst uns zum Haus der Veturia gehen, der Mutter des Marcius.
Der Verweis auf diese (ταύτην) schäbige Kleidung legt nahe, dass die Frauen in der Vorstellung des Dionysios bereits während des Bittfestes so gekleidet waren. Freilich ist der Bericht historisch zweifelhaft, doch der Autor hatte keine Probleme damit, eine supplicatio mit Trauerzeichen in Verbindung zu bringen. Man erkennt an dieser Überlagerung das dichte Geflecht aus Strängen verschiedener ritueller Praktiken beim squalor. Mit der Anlehnung an die supplicatio gelang es dem Trauernden durch Gesten, seiner Handlung religiöses Antlitz zu verleihen. Die Betonung religiöser Legitimität war umso wichtiger, da das eigentliche Trauerritual sowohl die familiäre als auch religiöse Lebenswelt der Römer betraf. So taten es auch die ausländischen Gesandten, von denen im Folgenden die Rede sein wird, indem sie mit Ölzweigen auftraten.43 Zudem trat eine Geschlechterkomponente durch den Bezug zur Religion in Erscheinung, da bei den Supplikationsfesten Frauen in vorderster Reihe agierten. Vor allem war die Anlehnung an die supplicatio von Bedeutung, da dadurch eine Hierarchie hergestellt wurde, die es dem Gebetenen nur schwerlich ermöglichte, das vorgebrachte Anliegen abzulehnen. Sie schmeichelte ihm derart, dass eine Ablehnung, sich der Sache anzunehmen, als Hochmut ausgelegt wurde. Der Vorwurf der superbia konnte – sofern man nicht mit Hochmut als Identitätsmerkmal spielte – einen massiven Imageschaden hervorrufen. 9.3 SICH RITUELL UNTERWERFEN: DIE DEDITIO VON KÖNIGEN UND GESANDTEN Die sehr spezifische Form der Bitte als deprecatio oder supplicatio lässt sich durch die breitere Praxis der deditio ergänzen. Die deditio stellt die ritualisierte und formalisierte Unterwerfung eines Akteurs und dessen Übergang in die Obhut eines anderen dar. In der Regel handelte es sich dabei um Gesandtschaften oder sogar für ihr Volk sprechende Könige, die sich den Römern ergaben. Die Römer als Gemeinwesen unterwarfen sich grundsätzlich nicht, einzelne Personen dagegen schon. Dieser Vorgang stellte zumindest nominell immer die freiwillige Übergabe eines unabhängigen Souveräns an Rom dar. 41 42 43
Bei Dionysios ist Veturia die Mutter, Volumnia die Gattin des Coriolan; bei Plutarch dagegen heißt die Mutter Volumnia, die Ehefrau allerdings Vergilia. Dion. Hal. 8, 39, 4 (Übers. CD): Ταύτην ἔχουσαι τὴν πιναράν τε καὶ ἄκοσμον ἐσθῆτα καὶ τὰς ἄλλας παραλαβοῦσαι γυναῖκας καὶ τὰ τέκνα ἐπαγόμεναι βαδίζωμεν ἐπὶ τὴν Οὐετουρίας τῆς Μαρκίου μητρὸς οἰκίαν. Auch Privatleute aus den Provinzen traten so in Rom auf, um auf ihr durch Statthalter erlittenes Unrecht aufmerksam zu machen; bekannt sind vor allem durch Cicero überlieferte Fälle aus Sizilien; Cic. Verr. 2, 2, 62; 2, 3, 6; 2, 4, 41; 2, 5, 128; Ölbaumzweige finden hier jedoch keine Erwähnung; vgl. Hall (2014) 52–4; 57 f.
9.3 Sich rituell unterwerfen: Die deditio von Königen und Gesandten
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Die deditio darf nicht als Vertrag missverstanden werden. Vielmehr ging durch sie die Herrschaftsgewalt über ein fremdes Gemeinwesen auf Rom über, wodurch ein Kontrakt zwischen gleichrangigen Partnern obsolet wurde. Die rituelle Unterwerfung stellte das Verhältnis der Unterlegenen zu Rom performativ her. Ein dediertes Gemeinwesen hörte auf, zu existieren. Gemäß juristischen Traditionen erfolgte die deditio entlang eines reglementierten Wechselspiels von Frage an die Zu-Dedierenden und Antwort an Rom. Diese formula deditionis überprüfte die Rechtmäßigkeit der Verhandlungspartner und den Status des betroffenen Gemeinwesens. Waren die Kriterien im Sinne Roms erfüllt, wurden Land, Städte, Heiligtümer, Menschen und Tiere sämtlich Rom überantwortet. Damit wurde der Konflikt beendet oder entfiel anstelle einer blutigen Auseinandersetzung.44 Auch wenn die Unterworfenen durch diese Formel vollständig der Verfügungsgewalt Roms anheimfielen, ging man lange Zeit davon aus, dass diese Personen in der Regel nicht versklavt wurden oder Repressionen zu befürchten hatten. Dabei wird dem Begriff der fides eine große Bedeutung zuteil, was sich auch in dem häufig gebrauchten Zusatz deditio in fidem ausdrückt.45 Da sich die Dedierten vor Ort ergaben, kam dem Feldherrn in besonderem Maße eine Verantwortung für das eingenommene Gemeinwesen zu. Der Befehlshaber begründete nicht selten eine Klientelbeziehung mit dem ansässigen Volk, dem er durch die gewaltlose deditio Frieden gebracht hatte. Durch den einseitigen Staatsrechtsakt der restitutio konnte die Souveränität des unterworfenen Gemeinwesens wiederhergestellt werden, wobei Rom alles Weggenommene penibel zurückerstattete. Seit dem Fund einer Bronzetafel in Alcántara hat sich dieses Bild jedoch leicht verschoben. Die Abmachung musste erst vom Senat angenommen werden, wie es heißt, und die Lage der Dedierten blieb unsicher, da die Vereinbarung nur galt dum populus [senatusque] / Roomanus(!) vellet.46 Das hierarchische Gefälle zwischen den Partnern führt zurück zum squalor. Wenn sich eine dedierte Person in der Gewalt einer anderen befand und ihr Status prekär blieb, ist ein solcher Akteur nicht nur vergleichbar mit vielen Protagonisten politisch motivierter Traueraktionen. Es besteht zudem eine semantische Beziehung zwischen deditio und squalor. Der Deditionsakt vollzog sich vornehmlich durch das Reichen der Hände. Dieser Umstand spannt den Bogen zur prensatio und gibt Anlass, das Händeschütteln aus einer alternativen Perspektive zu beleuchten. Bei der prensatio wurde eine Nahbeziehung betont, die auf das Klientelwesen abhob. Eine patronale Beziehung wurde ebenfalls in Form der deditio begründet, doch der Handschlag bei einer formalen Dedition zwischen zwei Gemeinwesen 44 45
46
Grundlegend Nörr (1989); siehe auch Wendt (2008) 129–32; Burton (2011) 114–27 mit der neueren Literatur; zu „völkerrechtlichen“ Aspekten römischer Herrschaft in der Republik Ziegler (1972); (2007); ferner Naiden (2006) 264–7 im Kontext der supplicatio. Die unterschiedlichen Zusätze in dicionem (in die Gewalt), in potestatem (in die Verfügung) und eben in fidem (in die Obhut) populi romani accipere/venire (des römischen Volkes anzunehmen bzw. zu kommen), änderten nichts an der Rechtswirkung der deditio, sondern zeugen eher von der Flexibilität der Bestimmungen, die sich den jeweiligen Bedingungen anpassten; vgl. Hölkeskamp (2004) 120. Hispania Epigraphica 1 (1989), 151, Z. 10 f.; vgl. Nörr (1989); zur Provinzklientel Ganter (2015).
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9. Geschworene, Götter, Gegner: Bitten in anderen Räumen
besiegelte eine demonstrative Ungleichheit zwischen Unterworfenen und Siegern. Das gesamte Zeremoniell war darauf ausgelegt, Rom als den mächtigen, Gnade waltenden Bezwinger zu inszenieren.47 Doch um die Milde größer erscheinen zu lassen, musste die Initiative dazu von den dediticii ausgehen, die ihre bedingungslose Kapitulation anboten und sich im Vorfeld zu Füßen der Eroberer werfen mussten, um das Verfahren formal zu eröffnen. Wie hoch der Grad der Inszenierung war, muss von Fall zu Fall bestimmt werden.48 Wichtiger ist, dass der aktive Part beim squalor zunächst den Bittenden zukam. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass diese Initiative nicht nur scheinbar von der unterlegenen Partei ausging, denn der vorgeschaltete Konflikt war aus der Sicht des Siegers bereits zu seinen Gunsten entschieden; er konnte nicht daran interessiert sein, nochmals in Verhandlungen einzutreten. Demnach besaß symbolisches Trauern auch das Potential, Kontroversen am Leben zu erhalten, indem man den Kontrahenten zur erneuten Interaktion zwang. Von im Vorfeld arrangierten Demutsgesten, die eine Trauersymbolik einschlossen, erfährt man im Gegensatz zu vergleichbaren Konstellationen im Mittelalter nichts.49 Wie sich Bittgestus und ambitio miteinander verbinden konnten, kann eine Szene aus Plutarchs Lucullus-Vita verdeutlichen. Als sich die Soldaten weigerten, ihm weiterhin Folge zu leisten, ging Lucullus im Heerlager umher (περιῖὼν) und versuchte die Hände seiner Legionäre zu ergreifen (χειρὸς ἁπτόμενος). Wie bei der ambitio richtete sich ein ranghöheres Mitglied der römischen Gesellschaft an rangniedere, um ein Anliegen an sie zu formulieren. Allein die Soldaten wiesen den Kontakt schroff zurück, um nicht in ein semi-vertragliches Verhältnis gesetzt zu werden, wie es der Handschlag im Rahmen der deditio bedeuten konnte.50 Dieser asymmetrischen Verbindung lag der Gedanke der fides zugrunde und nicht selten wurden Verträge unter Berufung auf diesen – zugleich vergöttlichten – Grundwert geschlossen.51 Durch Vergil etwa weiß man, dass das Annehmen einer gereichten Hand zum Schlag, Ausdruck der clementia des Gebetenen war, der das Anliegen damit gewährte.52 Den Handschlag zu verweigern, kam dem Ausschlagen der Bitte gleich.53 47 48 49 50
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Vgl. Hölkeskamp (2004) 120–33. Zumindest bei der mittelalterlichen deditio – die sich freilich in zahlreichen Punkten von der hier vorliegenden unterschiedet – ist höchst selten von einer spontanen Geste auszugehen; vgl. Althoff (1997). In ottonischer Zeit nimmt Garnier (2008) 88–95 ab einem gewissen Grad der Institutionalisierung von Bitt- und Demutspraktiken Absprachen zwischen den beteiligten Parteien an; Hinweise für Rom bei Hall (2014) 106 f. Plut. Luc. 35, 3; vgl. Flaig (2003a) 112–4; weinende Feldherren vor den Legionen sind ein Topos; dazu etwa Plut. Pomp. 3, 3; 13, 2, wo die Geste jeweils – wenn auch einmal unter höchstem Aufwand – akzeptiert wird; zum Abweisen des Handschlags: Knippschild (2002) 53 analog zum Beispiel Caesars und des Vercingetorix. – Bei Plut. mor. 201c fehlt die prensatio, aber Aemilianus trägt ein schwarzes sagum, als er bei seinen undiszipliniert Soldaten die Runde macht, um sie an sein Unglück als Feldherr zu erinnern; vgl. Kap. 14.2. Hölkeskamp (2004) 105–35, besonders 109 f.; zur Begründung eines Nahverhältnisses Ganter (2015). Verg. Aen. 3, 610 f.; 11, 292 f.; dazu auch Gabelmann (1984)132–8 und Brilliant (1963) 74–8. Erinnert sei an die Zurückweisung des Fimbria durch Sulla; Kap. 6.2.
9.3 Sich rituell unterwerfen: Die deditio von Königen und Gesandten
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Ein typischer Demutsgestus in Verbindung mit Trauerzeichen findet sich häufig bei Königen und Gesandtschaften, die ein militärisches Vorgehen gegen ihr Reich vermeiden wollten oder bereits eine Niederlage hinnehmen mussten. Vier Fälle von Königen sind literarisch überliefert. Livius und Polybios berichten von Prusias II. von Bithynien. Zweiter meint, das Auftreten des Königs in Rom sei unwürdig und spiegle die moralische Verwerflichkeit des Prusias wider.54 Ein König im Gewand einfacher Leute kam Polybios wenig authentisch vor. Prusias jedenfalls wurde von den Römern hofiert und verließ die Stadt nach einem Monat. Sallust gestaltete seinen Bericht von der jämmerlichen Erscheinung Jugurthas so, dass man seinem servilen Auftritt in Rom keinen Glauben schenken sollte.55 Entsprechend ambivalent waren die Reaktionen auf ihn; die meisten Römer wollten ihn verurteilt sehen. Allein durch die Verwendung eines bestochenen Tribuns und die einflussreichen Hintermänner des Bestechungsskandals wie Scaurus und Bestia gelang es, Jugurtha aus der Schusslinie zu nehmen und die Heimreise zu ermöglichen. Übler erging es König Perseus, dessen Unterwerfung vor und von L. Aemilius Paullus nicht angenommen wurde. Als Perseus im schwarzen Umhang vor Paullus trat, der ihn in seinem Heerlager erwartete, gestattete ihm der Römer den Kniefall nicht, indem er ihn sogleich mit der Hand aufhob.56 Wohlmöglich hielt ein Nachfahre des Paullus die Szene in einer Prägung des Jahres 62 v. Chr. fest (Abb. 1).57 Das Verhalten als clementia auszulegen, umfasst nur eine Schicht dieser komplexen Interaktion.58 Ohne Zweifel sind vergleichbare Szenen als Ausdruck von Milde zu werten, doch hier wird die rechte Hand eher dazu genutzt, den König am Fußfall zu hindern. Das folgende Verhör wirkt jedenfalls trotz der respektvollen Behandlung
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Polyb. 30, 19, 1–6, besonders 4; vgl. Diod. 31, 15, 2. In Liv. 45, 44, 4–21 ist davon die Rede, dass Prusias sich im Stile eines Freigelassenen kleidete, um sein Verhältnis zum Senat zu unterstreichen; vor allem 19–20: Polybius eum regem indignum maiestate nominis tanti tradit; pilleatum, capite raso, obviam ‚ire‘ legatis solitum libertumque se populi Romani ferre; ideo insignia ordinis eius gerere; Romae quoque, cum veniret in curiam, summisisse se et osculo limen curiae contigisse et deos servatores suos senatum appellasse aliamque orationem non tam honorificam audientibus quam sibi deformem habuisse. – Zur Bewertung des Prusias II. auch Kap. 2.1. Sall. Iug. 32, 5: … ad Iugurtham proficiscitur eique timido et ex conscientia diffidenti rebus suis persuadet, quoniam se populo Romano dedisset, ne vim quam misericordiam eius experiri mallet. 33, 1: Igitur Iugurtha contra decus regium cultu quam maxime miserabili cum Cassio Romam venit. – Vgl. Hall (2014) 56. Liv. 45, 7, 4 f.: Pullo amictu ‚cum‘ filio Perseus ingressus est castra nullo suorum alio comite, qui socius calamitatis miserabiliorem eum faceret. … Con surrexit consul iussis sedere aliis progressusque paulum introeunti regi dextram porrexit summittentemque se ad pedes sustulit … Siehe auch Plut. Aem. 26, doch schon in Aem. 23 heißt es, Perseus zog sein Purpurgewand aus und trug sein königliches Diadem in den Händen. Plut. Aem. 34 beschreibt den Triumphzug des Paullus mit Perseus in dunkler Kleidung; ferner Cass. Dio 20, 66, 4 frg.; für Naiden (2006) 267 der erste Beleg der Praxis. Denar des L. Aemilius Lepidus Paullus (cos. 50; vgl. MRR II, 247) aus Rom, 62 v. Chr.; RRC 415/1. Der Togatus wird aufgrund der Legende auf der Rückseite mit PAVLLVS identifiziert. So die Standarddeutung, in der Regel mit Verweis auf Gabelmann (1984) 132–8 oder Brilliant (1963) 74–8. Die appellatio von Königen bei Braund (1984) 24 f.; ferner Noy (2000).
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Abb. 1: Denar des L. Aemilius Lepidus Paullus aus Rom, 62 v. Chr.; RRC 415/1; Revers: Tropaeum, rechts davon ein Togatus, links ein Nicht-Togatus und zwei kleinere Nicht-Togati, die Perseus und seine Söhne darstellen; unten PAVLLVS; oben TER
mehr feindlich als versöhnlich, obwohl Perseus zumindest vor seiner Verschiffung nach Rom mit allen Ehren begegnet wurde. Doch das Ende des letzten makedonischen Königs im Gefängnis und seine Vorführung im Triumph des Paullus sprechen keinesfalls für eine erfolgreiche Trauerinszenierung des Perseus. Andere Gefangene und Geiseln Roms konnten ihre Tage in Luxus fristen, während Perseus demonstrativ erniedrigt wurde. Zudem war der Makedone bereits vollständig besiegt, als er sich zu dedieren gedachte. Aus der Sicht Roms bestand gar kein Bedarf für eine deditio, die nur die Pflicht mit sich gebracht hätte, tatsächlich Milde walten zu lassen und den Erzfeind vielleicht noch als Klientelkönig zu installieren – bei ständigem Unruhepotential. Das musste zu neuen Konflikten führen und so schmetterte Paullus die deditio des Perseus ab, ohne von der Inszenierung der clementia abzurücken. So überrascht es kaum, dass Paullus das Ritual der deditio unterbrach und unwirksam machte, obwohl der makedonische König (oder Livius) seine Aktion antizipiert hatte, indem er Gesandte zu den Römern schickte, die ebenfalls schmutzig bekleidet waren.59 Einen ähnlichen Bericht bietet Cassius Dio. Allerdings wurde Tigranes II. von Armenien zumindest in seinen Stammlanden restituiert; vielleicht, weil er einen Mittelweg wählte und zudem nicht vollständig besiegt war. Der König legte die gestreifte Tunika und den Purpur ab, nahm Tiara und Stirnband aber erst vor Pompeius vom Kopf. Dieser zeigte sich gerührt und setzte Tigranes das Diadem wieder auf. Wohlmöglich stand diese jüngere Episode Livius besser vor Augen, der den Perseus-Bericht entsprechend umgestaltete.60 Das zeigt, dass wir es mit feinen Ab59 60
Liv. 45, 4, 2: … litterae ab rege Perseo per ignobiles tres legatos ‚ei allatae sunt. Quos cum flentes ac sordidatos‘ cerneret … Cass. Dio 36, 52, 2–4; vgl. Wendt (2008) 21–30. – Solche Szenen sind noch für die Kaiserzeit bezeugt; vgl. Suet. Nero 13, wo Nero in Rom den König Tiridates ähnlich empfängt; vgl. Noy (2000) 102; 177.
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Abb. 2: Denar des Faustus Cornelius Sulla aus Rom, 56 v. Chr.; RRC 426/1; Revers: L. Cornelius Sulla sitzend nach links; links Bocchus knieend einen Ölzweig haltend in der rechten Hand; rechts Jugurtha knieend mit hinter dem Rücken gefesselten Händen; rechts FELIX
stufungen bei der rituellen Unterwerfung zu tun haben, die nicht selten durch symbolische Handlungen und Insignien markiert sind. Es sind zahlreiche Münzen aus spätrepublikanischer Zeit erhalten, die ähnliche Demutshandlungen verschiedener Könige oder ausländischer Vertreter vor römischen Repräsentanten zeigen.61 Auch solche Szenen nutzten Münzmeister, um auf die Taten ihrer Vorfahren zu verweisen (Abb. 2).62 Dabei fällt auf, dass ausländische Würdenträger mehr oder weniger standardisiert dargestellt sind: Sie knien auf einem Bein und halten einen Ölzweig in den Händen. Letzteres soll neben der Inschrift die sich unterwerfenden Kommunikanten als Personen hellenistischer Herkunft markieren. Der Ölzweig war bei Hikesieszenen ein unentbehrliches Accessoire, er wurde dazu in weiße Wolltücher gewickelt.63 Die Hikesie selbst galt als ein 61
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Vgl. RRC 422/1a-b (58 v. Chr.); 426/1(56 v. Chr.); 431/1 (55 v. Chr.); 510/1 (42/41 v. Chr.); deditio-Szenen auf Münzen sind dagegen schon sehr früh belegt; vgl. RRC 28/1; 28/2 und 29/2, die Crawford allesamt in das ausgehende dritte Jahrhundert v. Chr. datiert; siehe auch RRC 243/1; 312/1 mit Naiden (2003). Auch auf dem sogenannten Augustus-Becher aus Boscoreale ist eine deditio-Szene zu sehen: Durch Kleidung und Bart als Barbaren gekennzeichnete Personen knien vor dem Feldherrn, der Tiberius oder Drusus sein könnte; zur deditio-Deutung Hölkeskamp (2004) 124 f.; zum Boscoreale-Becher Gabelmann (1984) 127–9. Weitere Unterwerfungsszenen zeigen gefesselte Barbaren (vgl. RRC 326/1 (101 v. Chr.); 332/1 (98 v. Chr.); 415/1 (62 v. Chr.)); 427/1 (56 v. Chr.); 452/4 (48/47 v. Chr.); 468/1–2 (46/45 v. Chr.)), zu Boden liegende Gegner (RRC 319/1; 103 v. Chr.) oder von römischen Reitern an den Haaren gezogene Feinde (RRC 454/1; 2; 47 v. Chr.). Avers: Frauenkopf nach rechts mit Diadem und gebundenem Haar; links lituus; rechts FAUSTUS; Münzmeister war der Sohn des Diktators Sulla; vgl. MRR II, 261. Die Prägung nimmt Bezug auf Sullas Siegelring und die von Bocchus aufgestellte Statuengruppe; vgl. Plut. Sull. 3; 6; Mar. 10; 32; Val. Max. 8, 14, 4; Plin. nat. 37, 9 mit Gabelmann (1984) 111–3; Sehlmeyer (1999) 194f.; Hölscher (2001) 208. Von Aischyl. Eum. 43–5 über Soph. Oid. T. 3 bis Plut. Thes. 18, 1 belegt; vgl. Blech (1982) 288–92.
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seit vielen Jahrhunderten bekanntes Phänomen in den griechisch geprägten Provinzen des Ostens. Dass die Hiketai dem Anlass entsprechend feierliche Gewänder trugen, ist wahrscheinlich – zumindest wurde vermutet, dass die benötigte Wolle aus den eigenen Kleidern gewonnen werden konnte.64 Vor diesem Hintergrund ist ein squalor von besonderem Interesse. Dabei begegnet man Gesandten der griechischen Lokrer, die während des Zweiten Punischen Krieges vor die Konsuln traten (204 v. Chr.), um auf ihre missliche Lage unter dem römischen General Q. Pleminius aufmerksam zu machen:65 Zehn Gesandte aus Locri, in ungepflegten und hässlichem Aufzug, streckten den Konsuln, die auf dem Comitium saßen, die Zeichen der Bittflehenden, Zweige des Ölbaums, entgegen, wie es bei den Griechen üblich ist, und warfen sich vor dem Richtersitz mit kläglichem Jammergeschrei zu Boden.
Interessant ist dabei der Zusatz ut Graecis mos est. Von den Lokrern wird mit Attributen der Hikesie eine Bitte vorgebracht, nämlich Pleminius zu rügen und abzuberufen. Dass ein Gremium in Form des Senats bzw. ein Magistrat aufgesucht wurde, braucht hier nicht verwundern, vergleichbares ist auch aus der griechischen Geschichte bekannt.66 Hier verschmelzen ein typisch römischer und typisch griechischer Brauch. Während das Lumpenhemd für die Römer eine gängige Symbolik darstellte, ist dergleichen aus dem griechischen Osten nicht bekannt. Umgekehrt kannten die Römer und Livius im Besonderen die Hikesie gut, doch dass die Gesandtschaft einen römischen Brauch adaptierte und mit typisch griechischer Symbolik versah, dürfte ihnen neu gewesen sein: Dunkle Kleidung kam in der griechischen Hikesie ebenso wenig vor wie der Ölzweig bei der römischen supplicatio. Livius will hier eine Trauerszene darbieten, aber die griechische Identität der Lokrer wahren. Dadurch entsteht der Eindruck der literarischen Bricolage. Das bedeutete die nicht vordefinierte Reorganisation von unmittelbar zur Verfügung stehenden Zeichen bzw. Ereignissen zu neuen Strukturen. Vor dem Hintergrund bestimmter Gepflogenheiten wählen Akteure intuitiv verschiedene kulturelle Techniken aus, kombinieren sie miteinander, in der Hoffnung eine möglichst effektive Handlungssequenz zu kreieren. Möglich, aber unwahrscheinlich ist, dass die Lokrer selbst zu diesem Mittel griffen und sich als Bittflehende und symbolisch Trauernde zugleich inszenierten. Livius und Valerius Maximus deuten an, dass ein solches Verhalten auch im hellenistischen Ägypten bekannt war und den Römern als Verpflichtung zur Hilfe galt. Dabei trugen ägyptische Gesandte aus Alexandria in der betreffenden Passage auch Bart und lange Haare, was in der griechischen Hikesie ebenso wenig vorkam wie dunkelfarbige Gewänder. Es scheint, als wollte Livius Bart und Haare als Zeichen der supplicatio anführen, wie man sie aus dem römischen Gerichtswesen 64 65
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Zum Alter der Hikesie Dreher (2006); die eigenen Kleider bei Sinn (1995) 124. Liv. 29, 16, 6 (Übers. H. J. Hillen): Decem legati Locrensium obsiti squalore et sordibus in comitio sedentibus consulibus velamenta supplicum, ramos oleae, ut Graecis mos est, porgentes ante tribunal cum flebili vociferatione humi procubuerunt. – Vgl. Diod. 27, 4, 1–8; Val. Max. 1, 1, 21-ext.1; Naiden (2006) 41; 56; 59 f. Vor der Volksversammlung: Aristot. Ath. pol. 43, 6; vor dem Rat: Demosth. or. 18, 107.
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kannte, doch waren eine solche Rasur und Frisur im dritten Jahrhundert v. Chr. in Ägypten durchaus üblich. Insofern bleiben die schäbigen Kleider und der Ölzweig, wie man sie auch bei den Lokrern findet.67 Sowohl Lokrer als auch Ägypter bewirkten letztlich eine Entscheidung in ihrem Sinne: Pleminius wurde abberufen, angeklagt und starb im Gefängnis,68 dem ägyptischen Königspaar gegen Antiochos und den früheren König Ptolemaios beigestanden. Freilich wurde in beiden Fällen der Auftritt durch eine von Livius sinngemäß berichtete Rede vor dem Senat unterstützt, indem Für und Wider einer römischen Entscheidung vorweggenommen wurden. Die Anekdoten zeigen, wie sehr nonverbale Strategien mit sachlichen und nicht-sachlichen Elementen einer Rede einhergehen konnten, ähnliches beabsichtigte die deprecatio. Beides musste sorgsam aufeinander abgestimmt sein und den vor dem ersten Wort gewonnenen Eindruck einer jämmerlichen Gestalt auch inhaltlich unterstreichen. Solche Gesandtschaften konnten den Rat zur Kombination der Zeichen und Gesten von römischen Fürsprechern erhalten haben, die Erfahrungen in der symbolischen Wirkung von Trauer besaßen; zumindest im ähnlichen Fall der Rhodier gibt es Hinweise auf Unterstützer in Rom, die aber angesichts der feindlichen Stimmung gegen ihre Schützlinge lieber im Hintergrund blieben.69 Ihre Rechnung, griechische mit römischen Symbolen zu kreuzen, ging vollends auf und zeugt zudem davon, wie flexibel das Trauer- und Bittprozedere gehandhabt werden konnte – es ist kaum zu bestimmen, ob es sich hier um eine deditio oder supplicatio handelte. Das ist auch gar nicht notwendig, denn die Aktion spielte gezielt mit beiden Möglichkeiten und hielt sich dadurch Optionen zur Reaktion auf die eigene Darbietung offen. Daneben flossen Elemente der Hikesie und der Trauersymbolik ein. Die römische Bittpraxis gestaltete sich aus dieser Perspektive semantisch flexible. Auch wenn einzelne Gesten und Zeichen wiederkehrten, traten sie syntaktisch anders auf, wie das Beispiel der Knie, Haare und Hände nahelegt.
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Liv. 44, 19, 6 f.: Primi Alexandrini legati ab Ptolemaeo ‚et‘ Cleopatra regibus vocati sunt. Sordidati, barba et capillo promisso, cum ramis oleae ingressi curiam procubuerunt, et oratio quam habitus fuit miserabilior. Val. Max. 5, 1, 1 f.: rex eius Ptolomaeus, a minore fratre regno spoliatus, petendi auxilii gratia cum paucis admodum servis, squalore obsitus, Romam venerat ac se in hospitium Alexandrini pictoris contulerat. … et illum e curia protinus ad publicos penates deduxit, hortatusque est ut depositis sordibus adeundi ipsius diem peteret. – Vgl. Diod. 31, 18, 2, der zeigt, dass eine schäbige Behausung zum squalor zählen konnte; siehe Noy (2000) 148; Naiden (2006) 32; 59 f.; 230. Nach dem Krieg gegen Ptolemaios berichtet Bell. Alex. 32 von der deditio der Bewohner Alexandrias in der Kleidung der supplicandi; ferner Cass. Dio 42, 43, 3. Dabei spielte sich im Hintergrund ein Machtkampf zwischen dem Senat und Scipio Africanus ab, der als Vorgesetzter des Pleminius ebenfalls Ziel der Attacke war. Daher mag der Erfolg der Lokrer auch darin begründet sein, dass der Senat die Gelegenheit nutzte, ein Exempel zu statuieren. Jedenfalls wurden die Besitztümer in Locroi vollständig restituiert, Ansprüche teilweise übererfüllt und Schäden ersetzt, wie es bei einer deditio der Fall sein konnte; vgl. Liv. 29, 19, 7–10. Zu den Rhodiern und ähnlichen Fällen Kap. 3.2. Alle Delegationen genossen in unterschiedlichen Abstufungen das ius legationis; dazu oben die Einleitung mit Anm. 16.
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Solche Szenen traten auch in genuin römischen Kontexten auf. Nachdem der Triumvir M. Aemilius Lepidus bei Octavian aufgrund seines renitenten Anspruchs auf Sizilien in Ungnade gefallen war, ging der spätere Prinzeps gegen seinen ehemaligen Verbündeten mit mehreren Legionen vor, woraufhin die meisten Soldaten des Lepidus abfielen. Daraufhin „[…] wechselte [Lepidus] sein Kleid und begab sich eilenden Fußes zu Octavian, während die Zuschauer mitliefen, um Zeugen des Schauspiels zu werden. Als er sich näherte, erhob sich vor ihm Octavian und hinderte ihn daran, einen Fußfall zu tun.“70 Hier fallen Elemente der deditio mit Hikesie und Trauerzeichen zusammen. Die Ausgangssituation von squalor bzw. Hikesie war zunächst ähnlich: Für den Akteur ging es darum, eine wie auch immer beschaffene Bedrohung abzuwenden, indem Mitleid bei den Zuschauern erzeugt wurde. Dazu richtete er sich an eine Person, der er die Verantwortung dafür zuschrieb. Vor den Anwesenden soll der Verantwortliche nun seine Milde (clementia) und sein religiöses wie soziales Pflichtbewusstsein (pietas) demonstrieren. Darüber hinaus konnte ein symbolischer Trauerakt auch den Verlust einer Sache oder Person verdeutlichen. Im Zuge dessen wurde, während zum einen Mitleid erzeugt werden sollte, zum anderen eine Form der Rache antizipiert, die den Hiketai nicht zustand. So hatte Lepidus gar kein Publikum, das sich auf seine Seite schlagen konnte, denn die Anwesenden sind entweder Soldaten des siegreichen Octavian oder ehemalige Legionäre des Lepidus, die sich bewusst gegen ihn gestellt hatten. Über ihre Reaktion schweigt Appian, doch Lepidus verlor alles. Dass sich jemand zu Füßen eines anderen warf, gehört nicht in das bislang skizzierte Bild einer Trauerszene, sondern vielmehr ins Feld der deditio.71 Bei den meisten Trauerakten ging es darum, eine Entscheidung rückgängig zu machen oder präsumtiv zu beeinflussen; dass Octavian seine gerade gewonnenen Truppen an Lepidus zurückgab, stand jedoch nicht zur Debatte. Ohne eine potentielle Anhängerschaft war ein squalor zum Scheitern verurteilt. Dagegen war Lepidus vollständig isoliert und konnte froh sein, dass er mit dem Leben davonkam, da seine Geste an die Milde des Octavian appellierte. Insofern berührten beide Formen des rituel70
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App. civ. 5, 522 f. (Übers. O. Veh): … καὶ στρατοῦ τοσοῦδε ἐγίγνετο ἐν βραχεῖ. καὶ τὸ σχῆμα ἀλλάξας ἔθει πρὸς τὸν Καίσαρα δρόμῳ, συντρεχόντων ὡς ἐπὶ θέᾳ τῶν ὁρώντων. ὁ δὲ Καῖσαρ ὑπανέστη τε αὐτῷ προσθέοντι καὶ προσπεσεῖν ἐθέλοντα κωλύσας ἔπεμψεν ἐς Ῥώμην … Im einfachen Bürgergewand schickte Octavian ihn nach Rom. Siehe auch Vell. 2, 80, 3 f.; Cass. Dio 49, 12, 3 f.; zur Vorgeschichte App. civ. 5, 510 ff.; Cass. Dio 49, 8, 3 ff. Interessant ist zudem, dass bei ähnlichem Handlungsablauf der Erzählung zur Perseus-Episode jeweils ein Aemilier, wenn auch von unterschiedlichen Zweigen abstammend, eine Rolle spielt – jedoch unter verkehrten Vorzeichen: zunächst als Empfänger der Bitte (Paullus), dann als Bittsteller selbst (Lepidus). Ob hier der politische Abstieg der gens angedeutet wird, bleibt unklar. Diese politische Wende korrespondiert mit einer Trauerdarbietung in Form ritueller Unterwerfung, die Lepidus empfing: Antonius hatte sich nach der verheerenden Niederlage bei Mutina an ihn gewandt, um militärische Unterstützung zu erbitten; Plut. Ant. 18, 1 f. Der unwillige Lepidus lenkte unter dem Druck seiner Soldaten ein; zur Parallelität der Passagen Weigel (1992) 91 f.; zur Abwehr gegen den squalor des Antonius auch Kap. 13.2. Formen das ad pedes accidere zählten aber durchaus zu traditionellen Bittgesten in Rom; vgl. Naiden (2006).
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len Bittens Fragen der Reputation (fama). Denn bei Nichteinhaltung gängiger Verhaltensmuster im Zuge einer solchen Bittgeste konnte das eine massive Rufschädigung zur Folge haben. Anders als bei anderen subtil zurückgewiesenen Unterwerfungsgesten – etwa bei Fimbria durch Sulla oder Perseus durch Aemilius Paullus –, scheint die Hinderung am Fußfall ein Zeichen der Vergebung gewesen zu sein; so erklärt sich der wider Erwarten ungestörte Lebensabend des Lepidus im Exil, was von der authentischen Milde des Augustus zeugen soll. Gleiches gilt für das Amt des Pontifex Maximus, das Augustus ihm auch weiterhin zugestand und erst nach dem natürlichen Tod des Lepidus übernahm. Durch eine spätere Ermordung oder weitere Degradierung setzte Augustus seinen Ruf nur unnötig dem Vorwurf der Doppelzüngigkeit aus. Die der Perseus-Anekdote vergleichbare Szene mag bei der Unterscheidung zwischen Hikesie und deditio helfen. Man kann zusammenfassen, dass das Schutzflehen die letzte Option in der politischen Auseinandersetzung darstellte, während der squalor die Möglichkeit der gewalttätigen Konfrontation und Konfliktaustragung offen hielt. Dennoch muss die Trennung von Hikesie und squalor unscharf bleiben, auch da die Szene mit Appian durch einer Autor bezeugt wird, der sich nicht immer sicher in den römischen Institutionen bewegt, obwohl er hier sicher den Bericht des Asinius Pollio zur Hand hatte.72 Insgesamt lässt sich nur bedingt eine semantische Komposition feststellen, denn Parallelen und Analogien zwischen einzelnen Facetten werden in vielen Fällen nicht explizit genug. Das spiegelt sich auch in der Terminologie wider. In klassischer Zeit ist ἱκεσία gleichbedeutend mit supplicatio, obwohl es eine andere Etymologie besitzt.73 In vielen Trauerszenen, die durch griechischsprachige Autoren überliefert sind, findet man Formen von ἱκέσθαι oder ἱκετεῦσαι, wo man im lateinischen Text supplicare erwarten würde. Jedoch decken beide Begriffe viel breitere Spektren ab, die sich zum Teil nicht miteinander vereinbaren lassen; das war bereits Gegenstand der Überlegungen zur diskursiven Limitierung antiker Autoren (Kap. 3). Auch andere Entsprechungen, die über die Wortwahl hinausgehen – wie etwa das Herumgehen von Tempel zu Tempel auf die ambitio zu beziehen – können trotz einer scheinbaren Nähe nicht mit letzter Gewissheit miteinander in Verbindung gesetzt werden. Dafür sind die Anhaltspunkte zu weit verstreut, auch wenn es eine Tendenz zu geben scheint. Die Frage, wie man diese semantischen und syntaktischen Verknüpfungen im Detail ausgestaltete, muss sich vorläufig mit dem Hinweis begnügen, dass eine Beziehung zumindest zu erahnen ist.
72 73
Zur Verwendung des Asinius App. civ. 2, 346. Abgeleitet von ἵκω, ἱκνέομαι = ankommen; vgl. Hesych., s. v. ἱκέσθαι, ἱκετεῦσαι.
10. ZWISCHENFAZIT: ANZEICHEN EINER ELASTISCHEN POLITISCHEN KULTUR Das Zwischenfazit erfolgt in drei Teilen. Zunächst fragt es, welche Auswirkungen ein geglückter oder missglückter squalor auf die Kontrahenten und ihr politisches Verhalten hatte. Es folgt eine Zusammenfassung der vorherigen Kapitel, die auf die Wirkrichtungen von Trauerakten abzielt und in einen Ausblick auf den vierten Teil mündet. Die Folgen einer gescheiterten Trauerbekundung waren vielfältig. Wurde sie missachtet, konnte das Auswirkungen auf den Ruf des Akteurs haben, die sich in abfälligen Bemerkungen und Gerüchten bis hin zur Verfemung erstrecken konnten. M. Scribonius Libo Drusus ertrug diese Erniedrigung – auch im Angesicht einer drohenden Verurteilung – nicht und nahm sich das Leben.1 Vielleicht war es im Fall des Metellus Pius ähnlich, denn seine letztlich erfolgreiche Darbietung beruhte nicht primär auf seinem persönlichen Einsatz, sondern erst eine neue politische Lage machte die Rückkehr seines Vaters möglich und ließ den Sohn im Nachgang in einem hellen Licht erstrahlen. Übel erging es auch Cicero, dessen squalor nicht erhört wurde, da er von den Leuten seines Erzfeindes Clodius vom Forum geschimpft wurde, woraufhin er sich in sein griechisches Exil flüchtete.2 In den Fällen zeigt sich nicht nur, wie eine Gegenposition vertreten werden konnte. Auch scheinen die Akteure nicht genug Rückhalt unter den eigenen Anhängern und in der übrigen Bevölkerung besessen zu haben, um sich gegen ihre Widersacher durchzusetzen. Interessanterweise markiert ein Anlegen schmutziger Kleider, das das Publikum direkt gegen Trauerprotagonisten aufbrachte, eine deutliche Leerstelle in den Quellen. Allerdings kann man sich angesichts der vielen möglichen, rhetorischen wie performativen Fehltritte, die sich ein Politiker leisten konnte, kaum vorstellen, dass es nicht auch vorkam, dass Einzelne den Unmut der Anwesenden auf sich zogen, indem sie unangemessen agierten. Eine Diskussion über die Frage, warum davon nicht berichtet wird, gestaltet sich jedoch schwierig. Allerdings weiß man, dass nicht wenige Autoren ein solches Verhalten missbilligten, so Polybios oder Appian. Die meisten Autoren gehörten einer sozialen Gruppe an, die einen squalor grundsätzlich misstrauisch begegnen mussten, da man sich auch an das Volk wendete, was sich für Personen von Stand oder solchen, die es sein wollten, in dieser eindringlichen Weise nicht ziemte. Umgekehrt sind auch Episoden zum Gegenstand der Debatte geworden, in denen Autoren ein Publikum eine Verstimmung oder Verärgerung darüber äußern lassen, dass bei einem gewichtigen Anlass wie einer Anklage keine Trauerzeichen vorgezeigt wurden. Gleich in welchem Grad und auf welche Weise die Aktion scheiterte, der eigentliche Empfänger der Zeichen 1 2
Zum Ignorieren symbolischer Trauerakte dagegen Kap. 13.2; zu Libo Tac. ann. 2, 27–32 mit Kap. 15.2. Zu Gegenmaßnahmen verschiedener Akteure Kap. 13.2 und 14.1.
10. Zwischenfazit: Anzeichen einer elastischen politischen Kultur
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und Gesten ging aus dem Konflikt als mehr oder weniger strahlender Sieger hervor. War offenkundig, dass sich der squalor primär an ihn richtete, konnte das Misslingen der gegnerischen Strategie als großer Sieg verkauft werden, denn die Leute auf der Straße hatten sich demonstrativ hinter den erfolgreichen Rivalen positioniert. Wenn man während der Traueraktion nicht explizit erwähnt worden war, war es dagegen ratsam, sich bedeckt zu halten, um weitere Erörterungen zu vermeiden, denn das Scheitern konnte mitunter auf die uneindeutige Botschaft des Senders zurückzuführen sein, sodass der tatsächliche Adressat mit einem blauen Auge davonkam. Kein Fall ist überliefert, in dem sich die Zuschauer von der Aktion bewegt zeigten, ohne dass es mittelfristig zu Entscheidungen im Sinne des Protagonisten führte. Dann schlachteten Trauerakteure wie Pius die Szenerie in ihrem Sinne aus, indem sie die Unterstützung der Anwesenden für ihre Sache ostentativ hervorhoben. War nicht geklärt, worum es dabei ging und bereits die Zeichen zeigten Wirkung, ohne über den Sachverhalt aufklären zu müssen, war man zu Bescheidenheit angehalten, da der Gegner zum Gegenschlag ausholen konnte. In der Regel wurde einem Rivalen die Entscheidung, in einen neuerlichen Dialog einzutreten oder eine Verfügung rückgängig zu machen, dadurch erleichtert, dass er sich ebenfalls durch die Trauersymbolik gerührt zeigen und seine Konsensbereitschaft demonstrieren konnte. So konnte ein Nachgeben etwa als clementia inszeniert werden, wie es Caesar perfektionierte.3 Dies geschah jedoch insofern unter Zwang, dass der Verantwortliche durch die vorgebrachten Zeichen gedrängt wurde, vor den Anwesenden Milde (clementia) und Pflichtbewusstsein (fides und pietas) unter Beweis zu stellen – mitnichten freiwillig, zumeist jedoch friedlich. Dennoch konnte die Aktion damit für beide Seiten zum Erfolg werden. Einen anderen Weg schlug man ein, wenn man trotz der zugunsten eines „trauernden Gegners“ gewendeten Atmosphäre nicht bereit war einzulenken. Das konnte den Verlust einer Wahl bedeuten, wie Senecas Kontroverse nachzeichnete, denn damit zog man den Unwillen der Zuschauer auf sich, der sich sogar in Gewaltakten entladen konnte. Das Schicksal des Tribuns P. Furius wird das deutlich vorführen können (s. u. Kap. 11.2). Die zahlreichen Beispiele zeigen, dass der Aneignung situationsbezogener Zeichen und Gesten des Alltags sowohl ein Wissen um die Wirkmacht dieser Symbole als auch eine Kenntnis über deren Nutzbarmachung zugrunde lag. Am besten verdeutlicht das Tiberius Gracchus. Wenn er in dunklen Kleidern erscheint, dann basiert sein Handeln auf der Kenntnis von Reaktionen auf einen solchen Aufzug. Gleichzeitig markiert es einen bewussten Regelverstoß gegen die Sitte, dass man im Vorfeld des Wahlvorgangs eine auffällig leuchtende Toga zur Schau trug – als amtierender Tribun entweder die toga praetexta oder toga pura. Innovation und Tradition stoßen dabei aufeinander und zeichnen den Eigen-Sinn symbolischer Trauerakte nach. Leider kann man dieses Spannungsverhältnis nicht immer entschlüsseln wie im Fall des Tiberius, wie das zurückliegende Kapitel zeigte. 3
Plut. Caes. 57, 2, Cic. Att. 9, 8 (7) C; siehe Konstan (2005); ferner Konik (1988) sowie Kap. 13.2.
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10. Zwischenfazit: Anzeichen einer elastischen politischen Kultur
Dieses praktischen Wissens bedurfte es vor allem auf der Seite des Trauerakteurs, denn er musste sich an diesen Kenntnissen orientieren, um die richtigen Zeichen und Gesten in einem korrekten Maß vorzutragen. Er war es, dem es oblag, den Zeichen eine in seinem Sinne gestaltete Bedeutung aufzuerlegen und dem Empfänger die Entschlüsselung der für ihn günstigen Nachricht zu erleichtern. Das Publikum dagegen war darauf angewiesen, dass der Sender die nötigen Informationen mitlieferte, sonst blieben die Signale ohne eindeutigen Gehalt. War die Unbestimmtheit der Zeichen hingegen beabsichtigt – etwa wenn man demonstrativ schwieg –, dann kam dem Empfänger die Aufgabe des Senders insofern zu, dass er das Zeichen selbst mit Bedeutung versah und es so an andere weitergab. Ob diese Interpretation mit der intendierten Botschaft übereinstimmte, blieb jedoch fraglich. Dass es eine Diskrepanz zwischen intendierter und verstandener Nachricht gab, dürfte nach allem, was man über Kommunikationsprozesse dieser Art weiß, auch in der gängigen Interaktion die Regel gewesen sein.4 Da die Grenzen zwischen Sender und Empfänger verschwimmen, muss man für den Zeichenaustausch ein stetes Wechselspiel annehmen. Gleiches gilt für die Unterscheidung zwischen Zielperson und weiteren Anwesenden. Alle beobachteten sich unentwegt gegenseitig. Wenn man sich Trauerakte vergegenwärtigt, in denen Elemente des Wahlkampfs und der Stimmwerbung aufgenommen wurden, dann wird klar, warum nicht jeder squalor auch ein Bittmoment akzentuierte. Bitten eng gefasst als direktes Formulieren eines Anliegens an einen Interaktionspartner ist zu unterscheiden von der Überzeugungsarbeit, die man leisten musste, zufällig oder gezielt platzierte Anwesende zu einem Schritt zu bewegen, dessen Gestalt und Auswirkung man nicht restlos abschätzen, sondern nur erahnen konnte. Zudem beißt sich die ausschließliche Deutung des squalor als Bittpraxis mit seiner bedrohlichen Seite. Gerade Livius, doch auch Polybios, Dionysios, Appian, Plutarch und Cassius Dio scheinen Trauerszenen größeren Konflikten vorzuschalten. Bei Cicero und Sallust ist das aufgrund des jeweiligen Genres nicht zu beobachten. Da eine Traueraktion dem Gegner das Angebot machte, in einer umstrittenen Sache einzulenken, ohne das Gesicht zu verlieren, eigneten sich die Szenen aus narrativer Perspektive gut dazu, sie scheitern zu lassen, um im Anschluss auf eine „größere Sache“ zu sprechen zu kommen, sei es die seditio plebis, die Zeit der Polarisierung zwischen Optimaten und Popularen und andere Konflikte. Gelegentlich löst sich die Auseinandersetzung durch eine weitere emphatische Geste in Wohlgefallen auf, doch zumindest die Mobilisierung weiterer Ressourcen wurde dann abverlangt, wie die Episode um den Zensor Tiberius zeigte. Laut Überlieferung verliefen diese Szenen selten so, wie sie die historischen Akteure beabsichtigten. Fast nie legten sie dunkle oder schmutzige Kleider an und ihre Gegenüber lenkten ohne Weiteres ein. Meist erfährt man in den Quellen von Umständen, die den Erfolg verzögerten oder gar vom Scheitern einer symbolischen Trauerbekundung erzählen. Warum die Elite diese Mittel jedoch immer wieder gebrauchte, lässt sich zumindest vermuten: Einerseits gab es wohl zahlreiche Fälle, in denen den Aktionen Erfolg beschieden war, 4
Zu verschiedenen Kommunikationsmodellen in den Kulturwissenschaften Marchert (2008) 143–52.
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doch Historiographen interessierten sich viel mehr für die spektakulären Fälle, in denen Trauerakteure abgewiesen wurden. Daher beschrieben antike Autoren die Erfolge seltener; zumeist besitzen die Quellen auch nur en-passant Charakter.5 Andererseits war symbolisches Trauern häufig die letzte Möglichkeit, sich in einem bereits verloren geglaubten Konflikt zu behaupten; umso risikoreicher war ihr Einsatz, was ihre Zahl reduzierte, während es die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns deutlich steigerte. Aber auch das Handeln selbst ist Teil dieser riskanten Strategie. Damit die Darbietung symbolischer Trauerakte gelang, mussten sie als Zitat in einem System sozial gebilligter Normen und Werte erkennbar und wiederholbar sein. Das bedeutet zudem, dass ein Scheitern nicht nur möglich war, es war sogar eine Notwendigkeit, um im Falle eines Erfolges besonders davon profitieren und die Ereignisse als Resultat eigener Tugendhaftigkeit und Verdienste stilisieren zu können: „Je angesehener der bedrohte ciuis war, umso stärker musste der populus togatus an seinem Prozessgeschick teilnehmen, von dem es abhing, ob er der ciuitas erhalten blieb, oder als Infamierter seine dignitas und auctoritas verlor, vielleicht ins Exils verschwand.“6 Ein Auftreten in der vestis sordida stellte also nicht grundsätzlich eine Entehrung dar, sondern erst dann, wenn die Aktion misslang. Zudem darf nicht der Hinweis fehlen, vor welchem literarischen Hintergrund antike Autoren solche Szenen entwarfen. Es konnte gezeigt werden, dass sich die Gestaltung einzelner Trauerszenen in einem Spannungsfeld zwischen Vorbild und Vorlage abspielte; d. h. Berichte aus der Vergangenheit, ob mündlich oder schriftlich, ausführlich oder kursorisch, dienten sowohl den historischen Akteuren als auch den antiken Autoren dazu, ihr Handeln bzw. ihren Text zu modellieren. Letztere orientierten sich zudem an ihren Zeitgenossen, so war der Historiker in zweifacher Weise an die Geschichte zurückgebunden: Vorbilder bestimmten das Gerüst der Überlieferung, während Vorlagen, die sich auf diese role models bezogen, dabei halfen dem Rohbau der Erzählung eine möglichst lebendige Hülle zu verleihen. Damit dieses Wechselspiel gelingen konnte – kurzum: ein lesbares und authentisches Narrativ entstand –, musste der antike Geschichtsschreiber eine unentwegte Vermittlungstätigkeit leisten und zwischen einer aus der kulturellen und historischen Distanz resultierenden Exotik des Stoffes und einem notwendigen Wohlbefinden bei der Lektüre eines Textes abwägen. Das entstand am besten dadurch, dass man Bekanntes in den Bericht einfügte, um den Rezipienten ein vertrautes Gefühl zu geben. Bei der nächsten Gelegenheit konnte dieses wohlbekannte Schema abrupt verlassen werden, um Abwechslung und Spannung hervorzurufen. Neben dem Anliegen, das antike Historiographen mit dem Einsatz von Trauerszenen verfolgten, gab es auch eine Motivation der historischen Akteure. Die Wahl eines squalor zur Austragung politischer Kämpfe ging, trotz des hohen Risikos zu misslingen, nicht selten auf die (scheinbare) Durchschlagskraft einer solchen Dar5 6
Nur der ältere Seneca bietet so etwas wie einen Diskurs über ostentative Traueraktionen in der Öffentlichkeit und Politik; vgl. Sen. contr. 10, 1 ff. mit Kap. 6.3; siehe noch App. civ. 1, 62 oder Cic. de orat. 2, 195. So treffend, doch die gens togata idealisierend Stroux (1929) 62; Hall (2014) 7 fragt nach „the extent to which oratorical showmanship compromised the dignitas of the Roman aristocrat.“
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bietung zurück. Die Ursache für die Wirksamkeit der Traueraktionen lag in ihrer symbolischen Schichtung wie in ihrer affektiven Bindung an den Rezipienten. Das heißt, einerseits gelang es durch die Wahl der Zeichen und Gesten ein breites Publikum anzusprechen – und das nicht nur auf der Ebene der affektiven Trauer. Es konnte verdeutlicht werden, dass mit dem Anlegen der vestis sordida auch eine soziale Dimension Einzug in die Deutung symbolischer Trauerakte hielt. Schmutzige Kleidung war nicht nur Ausdruck einer Betrübnis im Angesicht des Verlusts, sie diente gerade der römischen Elite dazu, zeitweilig mit einfachen Bürgern zu fraternisieren, die sie selbst als schäbig skizzierten. Das Volk jedenfalls machte unablässig Gebrauch von einem Kleidungstypus, der zumindest dunkel war. Dass die Gewänder realiter kaum schmutzig, sondern vielmehr glanzlos waren, spielte dabei keine Rolle, auch wenn die aus der Feder der Oberschicht stammenden Quellen sich von Zeit zu Zeit verraten. Die Stigmatisierung des Volkes als plebs sordida durch die politische Klasse bewirkte zum Teil ein Selbstverständnis des Volkes, das diesem Bild gerecht wurde: „Gib einer Gruppe einen schlechten Namen und sie wird ihm nachkommen.“7 Nicht zuletzt ist diese Anerkennung der Fremdzuschreibung ein elementarer Teil der politischen Kultur Roms. Die Verwendung von Gesten aus dem Bereich römischer Nahbeziehungen gehört ebenfalls zu diesem Aspekt der Trauerstrategie; sie leistete ihren Beitrag zur zeitweisen Egalisierung der mehr oder minder geschlossenen Klassenstruktur. Im Wahlkampf etwa war das Händeschütteln der Mitbürger durch den Kandidaten und der dabei geführte lockere Plausch über die Hoffnungen und Wünsche des Wahlvolkes als Jovialitätsgestus zu verstehen. Jedem war klar, dass diese Form der Sympathiewerbung einen wesentlichen Bestandteil der ritualisierten Interaktion zwischen Oberschicht und Volk darstellte. Bedeutsam war diese spezifische Kommunikation deswegen, weil sie erwartet wurde, nicht weil man auf Wahlversprechen vertraute. Diese Erwartungshaltung wurde durchdrungen, wenn die Distinktion zwischen Mitgliedern der Oberschicht und der übrigen Bevölkerung weniger deutlich elaboriert war wie beim squalor, wenn sich optisch kaum noch Unterschiede zwischen politischer Klasse und einfachen Bürgern ausmachen ließen. Jedoch war diese symbolische Verbrüderung stets vorübergehend. Trotz der affektiven Nähe, die der Trauerakteur suggerierte, lösten sich die Standesunterschiede nicht in Wohlgefallen auf. Vielmehr wurden sie unterstrichen, da sich die Zuschauer bewusst waren, dass sich ein unüberbrückbarer sozialer Graben zwischen ihnen und der Elite befand.8 Allein sie konnten sich entgegen jeder Rationalität gelegentlich nicht gegen die Wirkung emphatischer Zeichen und Gesten erwehren, wie sie bei inszeniertem Trauern zum Einsatz kamen. Das spricht nicht von Naivität oder Ignoranz. Es gibt Auskunft über den Einfluss der Sinne auf die Ge7
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Elias/Scotson (2008) 23 f. – Viele soziale benachteiligte Gesellschaftsmitglieder werden durch Mächtigere als schmutzig, dreckig, dumm, faul etc. stigmatisiert. Dadurch geraten sie häufig in eine Spirale, diesen Klischees nachzueifern, um einerseits Protest auszudrücken, andererseits, da ihnen die Mehrheitsgesellschaft den Zugang zu Hygiene- und/oder Bildungseinrichtungen erschwert oder verwehrt. Zur historisch und kulturell weit verbreiteten Bestätigung der Ordnung durch Inversion Fugger (2013).
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mütslage von Individuen und Gruppen. Die Deutung des squalor als performativer Akt trägt diesem Phänomen ebenfalls Rechnung, denn sie interessiert sich aus der Handlung heraus auch für ihre Wirkungen. An dieser Stelle sollte nicht der vierte Teil der Arbeit vorweggenommen werden, der sich knapp emotionshistorischen Aspekten widmet. Jedenfalls besteht eine methodische Hürde in der historischen Übersetzbarkeit von Gefühlen, sowohl was die Terminologie, als auch was ihre Ausdrucksformen anbelangt. Wenn also eine Strategie des squalor darin bestand, auf eine emotionale Disposition zur Trauer hinzuweisen und einen zeitweilig geminderten sozialen Status zu verdeutlichen, dann ist die andere Strategie in der bewussten Antizipation von Gefühlen zu sehen, die in einer engen Verbindung mit Trauer steht. Eine Linie verfolgte die Erzeugung von Mitgefühl, eine andere setzte Trauer in gemeinhin als negativ bewertete Emotionen wie Wut und Zorn um. Die zurückliegenden Kapitel haben angedeutet, wie einzelne Zeichen und Gesten verschiedene Gefühlsäußerungen seitens der Rezipienten antizipierten. Die Wirkungen und Auswirkungen der Traueraktionen auf die Adressaten sind Gegenstand des vierten Teils der Untersuchung.
IV. TEIL DIE WIRKUNG DES SQUALOR
11. GEFÜHLE ZEIGEN UND EVOZIEREN: (UN-)BEABSICHTIGTE REAKTIONEN Während in den vorherigen Kapiteln schon implizit von der Wirkung der Trauerakte auf die verschiedenen Beteiligten die Rede war, gilt es in diesem Teil der Arbeit zu explizieren, was ein squalor für einzelne Betrachter bedeutete – seien sie gegenüber der Aktion freundlich, feindlich oder neutral eingestellt. Stets ist dabei die gegenseitige Beobachtung und Beeinflussung aller Mitwirkenden zu berücksichtigen. Im veränderten Blick auf symbolisches Trauern schlägt sich zudem das Wechselspiel zwischen Berechnung und Affekt nieder, denn die bislang angestellten Gedanken bezogen sich wesentlich auf strategische Überlegungen der Trauerakteure, nicht aber auf emotionale Äußerungen. Daher werden im Folgenden sowohl Rückwirkung auf den Protagonisten als auch Auswirkung auf andere Anwesende fokussiert. Viele der in den ersten Teilen der Untersuchung behandelten Trauerakte verpufften, weil ihnen die emotionale Durchschlagskraft bei den Beteiligten fehlte, oder sie gereichten zum Erfolg, da sie die Herzen der Zuschauer berührten. Damit bewegt man sich in einer Debatte, die die Übertragbarkeit moderner Emotionskonzepte auf historisch entfernte Bereiche zum Kern hat. Emotionswissenschaftlich stehen sich dabei zwei Forschungstraditionen gegenüber: eine, die von einer Universalität von Gefühlen über zeitliche wie kulturelle Grenzen hinaus ausgeht1 und eine, die meint, dass Emotionen wie Affekte weitgehend sozial wie kulturell konstituiert werden.2 Hier wird davon ausgegangen, dass Emotionen soziokulturell bedingt sind und historischen Wandlungen unterliegen;3 das gilt in erster Linie für ihre Ausdrucksformen wie den planctus. Der Ansatz besitzt den Vorteil, nicht auf einheitliche Erscheinungen angewiesen zu sein und weder Abweichungen zwischen den Quellen noch zum gegenwärtigen Verständnis von Empfindungen synchronisieren zu müssen. Somit kann man in den Quellen als vorgegeben und verborgen gekennzeichnete Gefühle integrieren. Nicht zuletzt wird man dabei auf die eigene Subjektivität bei der Identifikation und Bewertung von Emotionen zurückgeworfen. Zudem wird auf eine zweite, emotionshistorische Debatte verwiesen, inwiefern Gefühle in bestimmten Epochen rationalisiert wurden. Im Zentrum dieser Debatte steht die Frage nach dem Grad der 1 2
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Diese Arbeiten rezipieren zumeist Ekman (2010); zur (soziologischen) Kritik v. Schewe (2010). Vgl. Harré (1986); ähnlich, aber mit der diffusen Unterscheidung zwischen inneren Gefühlen und deren Ausdrucksformen Stearns (1985); vgl. Reddy (1997), der den Diskurs über und den Ausdruck von Gefühlen als auf die Emotionen zurückwirkend versteht, aber die entscheidende Arbeit der Kognitions- und Neurowissenschaft sowie der Psychologie überantwortet; zur Debatte umfassend Plamper (2015). Zur Wandelbarkeit des Signifikats „Emotion“ Dixon (2003); zum Signifikant Frevert u. a. (2011).
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11. Gefühle zeigen und evozieren: (Un-)Beabsichtigte Reaktionen
Affektkontrolle. Die zum Teil heftig geführte Kontroverse spielt sich vor dem Hintergrund der Unterscheidung zwischen emotio und ratio ab.4 Eine ältere Fraktion und ihre Epigonen, die eine deutliche Veränderung im Umgang mit Emotionen seit dem Spätmittelalter und der frühen Neuzeit voraussetzt, postuliert eine Tendenz zur Rationalisierung und damit Beherrschung von Gefühlen.5 Daher bildete sich besonders in der Mediävistik eine Gegenbewegung, die eine strikte epochale Trennung ablehnt und sowohl von einer Kontrollierbarkeit der Emotionen als auch ihrem Vorkommen in vormodernen Epochen ausgeht. „Kontrolle“ darf dabei nicht missverstanden werden: Emotionen wurden nicht zwingend instrumentalisiert; sie wurden lediglich durch das Herbeiführen signifikanter Situationen stimuliert oder antizipiert. Damit ergibt sich ein Bezug zur symbolischen Kommunikation. Die Anhänger symbolischer Austauschformen lassen sich im Wesentlichen der Gruppe zuordnen, die eine soziokulturelle Prägung von Gefühlen und ihren Ausdrucksweisen annehmen.6 Von methodischer Bedeutung ist dabei, dass Emotionen einerseits durch die Quelle gebrochen sind, andererseits nur in Form von gestischen Äußerungen wahrnehmbar sind und man keinen Zugang zum Inneren historischer Akteure erhalten kann. Über die Analyse emotionaler Ausdrucksformen begegnet R. Kaster dem Problem; ähnlich wird im Folgenden verfahren.7 Die Übersetzung historischer Emotionsbegriffe stellt jedoch ein zentrales Problem dar, weil Emotionen geschichtlich veränderlich sind; zumeist hat man es in der Überlieferung nicht mit Erscheinungen und Ausdrücken der Gefühlswelt zu tun, wie sie heute geläufig sind. Auch Trauer ist historisch wandelbar und bleibt Konstante zugleich, da der Verlust eine conditio humana darstellt.8 Daher muss man gemischte Emotionen annehmen, die einer in der Moderne bekannten Gefühlsäußerung zahlreiche weitere, mitunter befremdliche Facetten hinzufügen.9 Dies gilt in besonderem Maß für den squalor, wenn in den folgenden Kapiteln vom Zusammenwirken von Trauer, Mitleid, Wut und Zorn die Rede sein wird, ohne die Emotionen selbst zum Gegenstand der Untersuchung zu machen, denn das führte zu einer anderen Arbeit.10
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Dazu kritisch der Neurologe Damasio (2004); zur emotionswissenschaftlichen Kritik Gross (2006). Grundlegend Huizinga (1924); Elias (1939); jüngeren Datums ist Dinzelbacher (2009). Althoff (2006); (1997a); (1997b); Rosenwein (2010); zur symbolischen Kommunikation siehe die Einleitung. Die Frage nach Emotionen ist auf das Engste mit der neueren Ritualforschung verknüpft; vgl. Arlinghaus (2009). Kaster (2005); zur Problematik der Innenansicht historischer Individuen Groebner (2013). Vgl. Liebsch/Rüsen (2001) 7–10; Rüsen (2001). Mindt (2007); Konstan (2003); so schon Mommsen (2009) 183: „Wie kein Wort das Wort, wie noch viel weniger ein Satz den Satz, so deckt kein Bild das Bild, kein Gefühl das Gefühl, kein Witz den Witz, ja kaum ein einziger Gedanke den Gedanken vollkommen, sobald er dem mitgebornen sprachlichen Ausdruck entrissen wird.“ (Hervorhebung CD) Zum Konzept der mixed emotions Sanders (2014) 114; Frede (1996). Es liegen zudem bereits Einzelstudien zu verschiedenen Gefühlssorten vor, wenn auch nicht unbedingt auf das Altertum zu beziehen; zur Trauer Koch (2006) besonders 28–32, die ihr Argument vor dem Fenster eines konstruktivistischen Ansatzes entfaltet und auch die universalistische Gegenposition referiert (ebd. 19 ff.).
11.1 Den Zuschauer zum Trauern bringen: Theorie und Praxis
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Hier geht es also um Wirkungen und Reaktionen, die eine effektive Trauerbekundung haben konnte. Dazu sind Ansätze antiker Rhetorik in den Blick zu nehmen, die sich demselben Thema mehr oder minder systematisch widmete. Es wird sich zeigen, dass – wie bereits festgehalten – eine Doppelstrategie verfolgt werden konnte, die zunächst an das Mitgefühl der Anwesenden appellierte und in einer zweiten Stufe oder unmittelbar Aggressionen gegen einen vermeintlichen Verursacher eines Unglücks antizipierte. Daher folgen aufeinander Mitleid und Wut bis Zorn in der Betrachtung zu den Reaktionen auf einen squalor. 11.1 DEN ZUSCHAUER ZUM TRAUERN BRINGEN: THEORIE UND PRAXIS Die Wissenschaft von der Redekunst ist eine alte. Bereits im klassischen Griechenland widmeten sich Gelehrte und Politiker zahlreichen rhetorischen und mnemomotorischen Techniken. Als besonders reizvoll erwies sich in politices die Beschäftigung mit persuasiven Strategien. Damit verbundene Namen wie Isokrates, Demosthenes oder Aischines lassen die Herzen aller Rhetoriklehrer höher schlagen. Ohne Zweifel hatten die Griechen Einfluss auf römische Oratoren, doch mag es hier genügen bei den Rhetorikgelehrten römischer Provenienz zu verweilen, da die wesentlichen Schriften der griechischen Autoren nicht in den vorliegenden Beobachtungszeitraum reichen und im Hinblick auf Trauerakte auch kein deutlicher Bezug hergestellt werden kann.11 Auch hält die Rhetorik des Aristoteles keine eindeutigen Passagen zur Hervorbringung von Mitleid bereit, die nicht auch bei den lateinischen Autoren zu finden wären; Hinweise zur Trauerinszenierung gibt es keine. Ethos und Pathos dominierten in der römischen Rhetorik gegenüber dem griechischen Logos. Handbücher ergehen sich über Argumentation, Aufbau und Komemmorierung der Rede, nicht aber über konkrete Anleitungen zur Durchführung empathischer Gesten.12 Doch schon Aristoteles erkannte, wie zentral Appelle an die Gefühle der Zuhörer für die Überzeugungskraft einer Rede war. Beschwerden und Wehklagen seien dazu geeignet, Mitleid und dadurch Sympathie hervorzubringen.13 Um ein Panorama von Handlungsmotiven der Trauerakteure zu erhalten, lohnt es sich die Rhetorikhandbücher des ersten vor- und nachchristlichen Jahrhunderts zu betrachten. Mit Quintilian und dem älteren Seneca liegen zwei Quellen vor, die die Anwendung von Trauerzeichen und -gesten systematisch beschreiben, mit Ciceros Schriften erhält man eine theoretische Anleitung und ihre praktische Umset-
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Zur Wirkung von Lumpengewändern in Griechenland Cecchet (2015) 67–112 und 222; Geddes (1987); Brown (1983); ferner Lee (2015); van Wees (2005a); (2005b); Emotion und Bestattung bei Baumgarten (2008) 40; 51 f. Besonders Hall (2014) hebt darauf ab, dass jeder Redner seine eigene Erfahrung im Vortrag machen musste. Aristot. rhet. 1386a, 32 f.; Kath (2012) 77; Lausberg (1990) 239 f.; Starbatty (2010) 18–35; Stroux (1929) 64.
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11. Gefühle zeigen und evozieren: (Un-)Beabsichtigte Reaktionen
zung.14 Insgesamt bleiben die Informationen zum squalor aber deutlich hinter den Anweisungen zur verbalen Argumentation und dem Aufbau des Vortrages zurück.15 Die anonym verfasste Rhetorica ad Herennium stellt eine der frühsten Überlieferungen in lateinischer Sprache zum Gegenstand der nonverbalen und nicht-argumentativen Strategien vor Gericht dar. Zunächst verlangt der gelungene Vortrag (pronuntiatio) ein feines Gespür für den Einsatz von Stimme, Mimik und Gestik16 – nicht zuletzt, da seit aristotelischer Zeit die Vorstellung herrschte, der Charakter schlage sich im Erscheinungsbild eines Menschen nieder.17 Die Stimme solle variieren zwischen laut und leise, Pausen müssten eingelegt werden; damit erhielte man das Mitleid der Zuhörer. Die Miene solle traurig und verstört aussehen. Gestisch war man zum Klatschen auf die Schenkel, Schlägen gegen den Kopf und zu gemäßigten Bewegungen angehalten.18 Ebenso könne man mit dieser amplificatio die Wut des Publikums auf den Verursacher der vorgegebenen Leiden schüren.19 Den Vortrag selbst erachtete der Autor als überaus bedeutsam, bevor der Inhalt des Gesagten überhaupt Relevanz erhielt,20 da es die pronuntiatio vermochte, über den Einsatz der einzelnen Parameter hinaus Authentizität zu reklamieren.21 Dazu zählte auch, dass das Äußere des Redners mit seinem Vortrag korrespondieren sollte.22 Diese Vorstellungen teilt der junge Cicero in de inventione; Quintilian und seine Nachfolger behielten diese Positionen bei. Es geht also um Glaubwürdigkeit und darum, sich nicht der Lächerlichkeit preiszugeben. Zwar erklärt der anonyme Autor der Rhetorica ad Herennium, wie man seine Hörerschaft für sich gewinnt, auf ein Beispiel, das die so häufig verwendete Trauersymbolik einbezieht, verzichtet er dagegen. Authentizität beim squalor besaß demnach zwei Facetten. Einerseits betraf sie das politische Profil des Akteurs, und ob er als glaubwürdiger Ansprechpartner des Volkes bereits in Erscheinung getreten war. Andererseits ging es um eine moralische Komponente; der Protagonist durfte nicht den Eindruck erwecken, alles sei nur Theater, obwohl gerade Anleihen aus der infamierten Schauspielerei gefragt waren. Cicero zeigt sich immer wieder im Zwiespalt, wenn er in seinen theoretischen Schriften die eloquentio popularis geißelt, sie aber in seinen Reden immer 14 15 16 17 18 19 20 21 22
Zur römischen Rhetorik umfassend Dominik/Hall (2007), besonders Teil III; ferner Kath (2012) und Hall (2014) zu Cicero mit Fokus auf nonverbale Strategien. Vgl. Hall (2014) 11–3, der mehrfach darauf hinweise, dass „the ancient rhetorical treatises had very little to say about such matters […] we find catalogues of the kinds of things to say in a peroration, but not to do.“ Rhet. Her. 1, 3: Pronuntiatio est vocis, vultus, gestus moderatio cum venustate. Rhet. Her. 3, 13; siehe auch Aristot. phgn. 808b, 11; vgl. Starbatty (2010) 46 f. Rhet. Her. 3, 26 f., wobei dringend zwischen verschiedenen Formen der Betrübtheit zu unterscheiden ist; diese muss man auf seine Gestik abstimmen und mal intensiver, mal weniger deutlich gestikulieren. Rhet. Her. 3, 24; M. Antonius beherzigt das in seiner Leichenrede für Julius Caesar; vgl. Kap. 7.1. Rhet. Her. 3, 19: Pronuntiationem multi maxime utilem oratori dixerunt esse et ad persuadendum plurimum valere. … egregie magnam esse utilitatem in pronuntiatione… Rhet. Her. 3, 26 f.: Motus est corporis gestus et vultus moderatio quaedam, quae pronuntianti conveniat. … Hoc tamen scire oportet pronuntiationem bonam id perficere, ut res ex animo agi videatur. – Kath (2012) 74–8. Rhet. Her. 4, 60.
11.1 Den Zuschauer zum Trauern bringen: Theorie und Praxis
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wieder anwendet. Sein Ausweg bestand darin, den pragmatischen Politiker hervorzuheben. Ferner bestand eine soziale Problematik in der Schaustellern angetragenen effeminatio, die allerdings beim squalor anderen Gesetzen gehorchte.23 Dass es in der Rhetorik weniger darum ging, dem Zuhörer ein sachliches Argument nahezubringen, als ihn mit allen möglichen Mitteln auf die Seite des Redners zu ziehen, kann ein Passus aus Ciceros de oratore belegen:24 Nichts ist nämlich bei einer Rede wichtiger …, als dass der Zuhörer dem Redner gewogen ist und dass er selbst so erregt wird, dass er sich mehr von dem Drang des Herzens und einer Gemütsverwirrung als von seinem Urteil oder planenden Überlegungen leiten lässt.
Der Auszug entspricht dem Credo J.-M. Davids, der besonders für forensische Reden herausgearbeitet hat, wie diese nicht-argumentativen Mechanismen wirkten. Das stärkste Argument war Weinen, das Gesten der supplicatio und miseratio begleitete.25 Sie hingen vor allem von vox, vultus und gestus ab. Cicero fügt hinzu, auf welche Weise man den Effekt, die Gefühle der Anwesenden zu aktivieren, optimieren kann. Er ist überzeugt, dass der Redner, die zu erzielenden Emotionen auch selbst ausstrahlen muss:26 Es ist auch nicht möglich, dass der Zuhörer Schmerz, dass er Hass, dass er Unwillen empfindet, dass er in heftige Furcht vor etwas gerät, dass er dazu gebracht wird, zu weinen und Mitleid zu fühlen, wenn nicht alle diese Regungen, welche der Redner beim Richter hervorrufen möchte, dem Redner selbst tief in sein Herz gebrannt erscheinen.
Demnach müsse der Orator sein Anliegen so tief wie möglich verinnerlichen, ja inkorporieren und direkt in seine Worte und Handlungen umsetzen, ihnen unentwegt gerecht werden. Während diese Bemerkung eher theoretischer Natur ist, findet man einige Zeilen später ein Beispiel, an dem Cicero das Ineinandergreifen emotionaler Aktivierung und persönlicher Involvierung festmacht. Bezeichnenderweise nutzt er dazu einen squalor. Die Szene ist bereits kurz unter dem Stichwort deprecatio behandelt worden. Es geht um die Verteidigung des Mn. Aquilius durch M. Antonius im Jahr 98 v. Chr. Bevor Antonius aktiv in den Schlussteil seines Plädoyers einsteigt, beschreibt er, wie er sich selbst in Betrübnis versetzte, indem er sich an die Taten seines Mandanten für das Gemeinwesen zu erinnern versuchte: Er sei nicht nur Konsular, sondern zudem erfolgreicher Feldherr gewesen, dem der Senat sogar eine ovatio zugestanden habe. Diese Fakten glich Antonius vor seinem „geistigen Auge“ mit dem gegenwärtigen Erscheinungsbild seines Klienten ab und
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Zu dieser Problematik Hall (2014) 27–32; 100–3; zu Geschlechtergrenzen beim squalor Kap. 6 und 9.2. Cic. de orat. 2, 178 (Übers. Th. Nüßlein): Nihil est enim in dicendo … quam ut faveat oratori is, qui audiet, utique ipse sic moveatur, ut impetu quodam animi et perturbatione magis quam iudicio aut consilio regatur. David (1992); vgl. Hall (2014) 65 f.; ferner Nippel (1988); zur miseratio auch Garcea (2001). Cic. de orat. 2, 189 (Übers. Th. Nüßlein): Neque fieri potest, ut doleat is, qui audit, ut oderit, ut invideat, ut pertimescat aliquid, ut ad fletum misericordiamque deducatur, nisi omnes illi motus, quos orator adhibere volet iudici, in ipso oratore impressi esse atque inusti videbuntur. – Zu Kritik an Ciceros Vorgehen Hall (2014) 141–4.
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11. Gefühle zeigen und evozieren: (Un-)Beabsichtigte Reaktionen
sah seinen Mandanten statt im Ornat des „kleinen Triumphs“27 in der vestis sordida dasitzen, während er einen niedergeschlagenen, entmutigten, traurigen und gefährdeten Eindruck machte.28 Nachdem er berichtet hat, wie er die Geschworenen mit Tränen und Verweisen auf Trauer und Kriegsdienste sich und seinem Mandanten gewogen gemacht hatte, wechselt er erneut in die Selbstreflexion und merkt an, dass ihm die erfolgreiche Verteidigung – so die implizite Botschaft – nicht gelungen wäre, hätte er sich nicht tief in die Situation des Aquilius hineingefühlt.29 Demnach könne man keine emotionalen Reaktionen hervorrufen, wenn man nicht selbst in der Lage sei, sich von der notwendigen Stimmung anstecken zu lassen. Schenkt man dieser Beschreibung Glauben, dann spielte sich die Handlung des Akteurs in einem Bereich ab, der weder Irrationalität noch Berechnung von Gefühlen zuzuschlagen ist, sondern dieses Verhalten ist genau in deren Schnittmenge zu verorten. Vor dem Bewusstsein der affektiven Folgen von Empathie und Gefühlsäußerung schlug man genau den Weg ein, sich selbst emotional zu stimulieren, um seinerseits Emotionen anregen zu können. Diskurse über Gefühle und die Möglichkeit, ihnen Ausdruck zu verleihen, bestimmen die Erscheinungsformen von Emotionen. Dabei wirken sie unweigerlich auf ihren Produzenten zurück, während sie gleichzeitig Einfluss auf ihre Außenwelt nehmen.30 In seinen declamationes gibt der ältere Seneca mehrfach Hinweise auf den Einsatz von Trauerzeichen und damit verbundene Affekte, geht aber nicht systematisch auf deren Gebrauch ein, da sich sein Werk für ihre praktische Anwendung interessiert.31 Quintilian gibt genaue Anweisungen für den Erfolg des Redners wie des Beschuldigten und bezog sich wie Seneca auf Cicero, der sich an bereits hoch standardisierten Verfahren orientierte.32 Die institutio oratoria rät am Ende der Rede auf das jämmerliche Erscheinungsbild des Angeklagten und seiner Angehörigen einzugehen.33 Die Empfehlung, sowohl auf die Verantwortung für die vollzählig anwesenden Familienmitglieder – insbesondere die Kinder – zu verweisen als auch die Götter anzurufen, rundet die deprecatio ab. Die Einbeziehung der Götter deckt sich mit dem Plädoyer, das Cicero Antonius in den Mund legte. Nicht selten rührte man damit die Richter zu Tränen.34 27 28 29 30 31 32 33 34
Also in der toga praetexta mit Myrte bekränzt; zur ovatio Itgenshorst (2005) 18 f.; Rohde (1942). Cic. de orat. 2, 195; vgl. Hall (2014) 18–20; Dugan (2005) 141 f.; Kath (2012) 78 f.; siehe Kap. 5.1 und 9.1. Cic. de orat. 2, 196. Jedoch galt es von Fall zu Fall abzuwägen, ob diese Strategie Ernte versprach. Manchmal bedurfte es dieser Leistung nicht, weil der Angeklagte engagierter war als der zurückhaltende Aquilius; vgl. Hall (2014) 75. So Reddy (1997), der ein performatives Moment bei Gefühlsäußerungen akzentuiert; vgl. Plamper (2010) 48 f. Sen. contr. 1, 1, 17–9; 7, 3, 1; 7, 3, 7; 9, 5, 1; 10, 1 ff. Zu der zunehmenden Bedeutung von Reden und ihrer Form seit der mittleren Republik Hölkeskamp (1995). Zu Quintilians Anweisungen, nonverbal zu überzeugen, und veränderten Verhältnissen Hall (2014) 144–52. Deprecatio: Quint. inst. 6, 1, 30 Non solum autem dicendo, sed etiam faciendo quaedam lacrimas movemus, unde et producere ipsos, qui periclitentur squalidos atque deformes et liberos
11.1 Den Zuschauer zum Trauern bringen: Theorie und Praxis
227
Diese Strategie wird gemeinhin als miseratio bezeichnet und gehört zur Zusammenfassung wie zum Klimax einer Rede.35 Die von den Theoretikern der Rhetorik hervorgebrachte Idee, das Mitleid der Zuhörer und Anwesenden zu erregen, wurde sowohl von den Akteuren des squalor als auch ihren „Protokollanten“ aufgegriffen. Verfolgt man den Gedanken, der Anwalt möge sich möglichst tief in die Lage seines Mandanten versetzen, um überhaupt Gefühle bei Richtern und Geschworenen zu erzeugen, konsequent weiter, so ist man geneigt, diese Haltung auch für die Angeklagten wie Aquilius selbst anzunehmen. Wie konnte er sich selbst am besten in die benötigte Stimmung versetzen – sofern sie nicht bereits vorhanden war –, wenn nicht durch ein Erscheinungsbild, das diese Atmosphäre nicht nur nach außen trug, sondern auch auf den eigenen Gemütszustand zurückwirkte. Dann spornte das den eigenen Anwalt an, indem man das von Cicero beschriebene Verhalten begünstigte, ohne selbst der Redner zu sein. Zugleich richtete es sich an die anwesenden Zuschauer, deren Reaktionen durch den Angeklagten antizipiert und durch den Verteidiger stimuliert wurden. Dazu bedurfte es nicht einmal vieler Worte, sondern die entsprechenden Zeichen und Gesten reichten aus, wie das Beispiel des armen Knaben bei Seneca und des Livius Salinator, die beide demonstrativ schwiegen, zeigt. Jedoch muss man davon ausgehen, dass man eingeweihte Fürsprecher besaß, die Quasi-Anwälte waren und die Bedeutung der vorgebrachten Darbietung aufschlüsselten, ohne explizit als Unterstützer aufzutreten. Wie Claqueure suchten sie, Einfluss auf die politische Stimmung zu nehmen. So jedenfalls ist es nur zu verständlich, dass man sich auch außerhalb der Gerichtshöfe des Mittels der miseratio bediente. Jedoch raten die Rhetorikhandbücher zu einem zurückhaltenden Einsatz solcher Strategien; Quintilian will die miseratio nur in aussichtsloser Lage sehen. Cicero – ein Meister in der rhetorischen Erzeugung von Gefühlen – fügt hinzu, nichts trockne schneller als Tränen, der Erfolg sich also schnell einstellt, aber nicht allzu lang währt.36 Häufig wird die miseratio mit der laudatio funebris in Verbindung gesetzt; nicht nur vor Gericht, auch vor dem Volk galt es an das Mitgefühl der Zuhörer zu appellieren und misericordia zu erzeugen.37 So verwundert es wenig, dass bei Ver-
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eorum ac parentis institutum … 33 f.: at sordes et squalorem et propinquorum quoque similem habitum scio profuisse, et magnum ad salutem momentum preces attulisse. quare et obsecratio illa iudicum per carissima pignora, utique si et reo sint liberi, coniux, parentes, utilis erit; et deorum etiam invocatio velut ex bona conscientia profecta videri solet … Cic. de orat. 2, 196 … non fuit haec sine meis lacrimis, non sine dolore magno miseratio omniumque deorum et hominum et civium et sociorum imploratio. – Tränen: Cic. Planc. 104; Quint. inst. 6, 1, 23. Hall (2014) 124–6 diskutiert die Authentizität der Tränen überzeugend und verweist auf die kulturelle Prägung. Vgl. Martin (1974) 162–6; die instrumenta der Verteidigung lassen sich in naturale und legitima untergliedern. Dabei zählen Körper und Stimme zu den natürlichen Mitteln, während Kleidung darüber hinaus reicht, aber beim squalor mit den instrumenta naturale verschmilzt; vgl. Stroux (1929) 67 A. 1 und 2. Cic. inv. 1, 109 nennt 16 Gründe misericordia einzufordern; zu Seneca und Salinator siehe Kap. 6.3. Vgl. Butler (2014) 91; Kennedy (1972) 298; siehe auch König (2011) 332–44; alle am Beispiel der Antonius-Rede für Caesar; dazu auch Kap. 7.1.
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11. Gefühle zeigen und evozieren: (Un-)Beabsichtigte Reaktionen
handlungen Trauerzeichen und -gesten zum Einsatz kamen, denn sie hatten sich im Bestattungszeremoniell als für das Anliegen der miseratio geeignet erwiesen. Vielleicht geht die Verwendung von Trauersymbolen in iudices sogar auf die Trauerrede zurück (vgl. Kap. 2.1). Auf einer anderen Ebene trägt die miseratio ebenfalls zum Gelingen einer Darbietung bei. Auch in den Quellenpassagen, in denen Trauerszenen beschrieben werden, spielt Performanz eine gewichtige Rolle. Antike Geschichtsschreibung setzt zu keinem geringen Teil auf die Empathie ihrer Leser, um sie zur weiteren Lektüre zu animieren.38 Die Frage nach der Identifikation des Lesers mit einer Person oder Gruppe wird dabei zentral. Die Autoren verstehen ihre Leser als Publikum einer Trauerszene und übertragen die rhetorischen Strategien der historischen Akteure in ihr Narrativ. Erzielt wird diese Wirkung vor allem durch eine detailreiche Skizze des Innenlebens. Sozialer und kultureller Hintergrund sollten nicht so weit auseinander fallen, dass der persönliche Abstand geringer erscheint. 11.2 DIE WUCHT DES SQUALOR: DAS EXPLOSIVE GEMISCH VON TRAUER, WUT UND ZORN Auch außerhalb des Prozessverlaufs konnte man mit der miseratio und deprecatio Erfolge erzielen. Die Zuschauer konnten sich so vereinnahmt fühlen, dass sie gegen die scheinbaren Urheber einer misslichen Lage und für die Akteure eines squalor aktiv wurden. In der Rede des jüngeren M. Antonius zu Ehren des erdolchten Diktators Caesar ließ sich das Phänomen, dass Bürger aufgrund von Trauergefühlen gewalttätig werden, bereits nachvollziehen. Freilich wurde vor allem die Erscheinung gewürdigt, nicht jedoch der Einfluss von Trauerzeichen und -gesten, denn es standen insbesondere Bestattungswesen, Rede und Reaktion des Anwesenden im Mittelpunkt. Es handelte sich jedoch nicht um symbolisches Trauern, denn mit dem ermordeten Diktator lag tatsächlich ein Todesfall vor. Die Annahme, solche Emotionen könnten auch für den squalor geltend gemacht werden, zeigt das Schicksal des Volkstribuns P. Furius Philus nachdrücklich. Seine Geschichte steht in einem engen Konnex mit der Traueraktion des Metellus Pius.39 Am Schicksal des Furius kann man gut die brisante Mixtur von Trauer und Mitleid mit Wut und Zorn nachvollziehen, die eingangs als gemischte Emotion beschrieben wurde. Interessant sind die Umstände, unter denen die mutatio vestis des Pius fruchtete, und welche Folgen sie zeitigte. Nachdem Saturninus erschlagen worden war, gab es für Senat und Volk keinen Anlass mehr, Numidicus nicht zurückzuberufen. Es galt der Grundsatz, keine Feindschaft unnötig zu verlängern (inimicitiam deponere), obwohl die Plebs noch immer Argwohn gegen Numidicus hegte,40 doch der Tribun Furius interzedierte fortwährend gegen die Aufhebung der Verbannung. 38 39 40
Vgl. Pausch (2011) 209–23; vgl. Kap. 10. Vgl. Kap. 7.2 und 12.2. Diod. 36, 16 frg.; Cass. Dio 28, 95, 1; siehe auch Naiden (2006) 45 f.; 50; 231.
11.2 Die Wucht des squalor: Das explosive Gemisch von Trauer, Wut und Zorn
229
Selbst als Pius sich unter Tränen zu Füßen des Furius warf, lenkte dieser nicht ein und brachte das Volk damit gegen sich auf. Laut Appian erhielt der junge Metellus erst durch diese eine Geste seinen Beinamen.41 Doch damit nicht genug. Nachdem Furius mit dem Ablauf seines Amtsjahres die sacrosanctitas und Immunität der Volkstribune verloren hatte, klagte ihn C. Canuleius wegen schlechter Amtsführung an; er habe nicht im Sinne des Volkes gehandelt. Doch die Plebs wartete die Verhandlung gar nicht ab, sondern riss Furius in Stücke.42 Mit den eigenen Händen zu töten, steigerte üblichere Praktiken des gemeinschaftlichen Tötens wie etwa die lapidatio, bei der man das Opfer steinigte, nicht aber mit den eigenen Händen berührte, und drückte damit eine besondere Abscheu vor der betroffenen Person aus. Über das Töten hinaus ist das Zerfleischen eines Menschen ein ganz besonderer Akt: Es ist anstrengend; man muss sich Zeit dafür nehmen. Zudem konnte kein Einzelner die Tat für sich in Anspruch nehmen, da sie im Kollektiv geschah, was nicht nur vor Strafverfolgung schützte, sondern Ausdruck eines kollektiven Anliegens war.43 Nero befürchtete ebenfalls zerfleischt zu werden, sollte sein beabsichtigter squalor das Ziel verfehlen und ließ es gleich sein. Den Senator Sabinus riß der Mob aufgrund eines squalor des Vitellius in Stücke. Der unglückliche Helvius Cinna wurde im Rahmen der Leichenfeier für Caesar ebenfalls zerfetzt. Die gleiche, doch seltene Tötungsart legt hier eine Verwandtschaft der Rituale nahe, denn auch Strafen waren so codiert, dass sie nach einem festen Schema an das jeweilige Vergehen erinnerten.44 Diese heftige Reaktion kann man zum einen der literarischen Inszenierung zuschreiben, die hier eine exponierte Wendung markieren soll.45 Zum anderen ging sie auf die Klageschrift des Canuleius zurück, der die missachteten Trauerbekundungen des Pius erneut vor Augen führte. Außerdem schien die Tötung ein emotionales Defizit zu bestrafen; denn wenn sich Furius davon nicht gerührt zeigte, was sollte ihn dann bewegen können? Als guter Römer hatte er sich jedenfalls nicht 41 42 43
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App. civ. 1, 147 f.; siehe auch Naiden (2006) 5. Dass die Plebs das Ende der Immunität abwartete, wirkt konstruiert. Man hätte argumentieren können, der Tribun vertrete nicht die Interessen des Volkes und ihn absetzen können, wie es seit 133 v. Chr. bekannt war; vgl. Kunkel/Wittmann (1995) 256. Vgl. Flaig (2003a) 107–9 mit App. civ. 1, 148: … τοῦ δ᾿ ἐπιόντος ἔτους Φούριον μὲν ἐπὶ τῷδε ἐς δίκην Γάιος Κανουλήιος δήμαρχος ὑπῆγε, καὶ ὁ δῆμος οὐδὲ τοὺς λόγους ὑπομείνας διέσπασε τὸν Φούριον· οὕτως αἰεί τι μύσος ἑκάστου ἔτους ἐπὶ τῆς ἀγορᾶς ἐγίγνετο· – Zur lapidatio Lintott (1968) 6 f.; zur kollektiven und öffentlichen Tötung Gladigow (1986). Mitglieder des Senats steinigten Saturninus kurz zuvor; dazu Cic. leg. 2, 14; siehe auch Martin (1965) 185; Burckhardt (1988) 148 f. Zu Nero Suet. Nero 47, 2; zu Sabinus Tac. hist. 3, 74, 2: clamore a proximis orto sordida pars plebis supplicium Sabini exposcit, minas adulationesque miscet. Stantem pro gradibus Palatii Vitellium et preces parantem pervicere ut absisteret: tum confossum laceratumque et absciso capite truncum corpus Sabini in Gemonias trahunt. – Der squalor des Vitellius in Kap. 7.2 und 15; zu Cinna Kap. 7.1; zu den Strafen Kunkel (1962) 139 f. Für Hoch- und Landesverrat (perduellio) war die Enthauptung durch ein Beil oder Schwert zumindest für die Angehörigen der Oberschicht gängig (decollatio), Verbrennung bei lebendigen Leib (crematio) oder Kreuzigung (crux) für alle anderen Gesellschaftsteile; vgl. Kunkel/Wittmann (1995) 633 f. Zimmermann (2013) betont den narrativen Einsatz von Gewaltanwendungen und detaillierten Beschreibungen.
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11. Gefühle zeigen und evozieren: (Un-)Beabsichtigte Reaktionen
gezeigt. Die Traueraktion des Pius besaß demnach zwei Phasen: eine, in der er von der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert wurde und eine, die unmittelbar mit dem Tod des Saturninus und dem Widerstand des Furius einsetzte. Erst jetzt begann sich ihre Wirkmacht zu entfalten und es ist damit zu rechnen, dass nun die übrigen Meteller hinzutraten, um ihre Unterstützung kundzutun. Damit vervielfachte sich der Druck auf Furius, dem er nicht gewachsen wirkte, denn er beging im Folgenden mehrere fatale Fehler. Furius missachtete die pietas-Bekundung des jungen Metellus. Des Weiteren ignorierte er einen anderen zentralen Mechanismus des Zusammenlebens im republikanischen Rom. Furius schien nicht zu verstehen, dass der Plebs das Beharren auf eine einmal gefällte Entscheidung nicht immer als Zeichen von Stärke und Treue gegenüber dem Gemeinwesen galt, sondern ein Zurückweichen, auch unter Verlust der eigenen Autorität, im Sinne der res publica wichtiger sein konnte, um den inneren Frieden zu wahren: concordia statt inimicitia. Bestenfalls stellte man seine persönlichen Befindlichkeiten hinter die Belange der Republik zurück. Das Nachgeben für das Gemeinwesen konnte sich sogar auf Dauer mehr auszahlen als das Beharren auf einen Standpunkt, denn in einem anderen, vielleicht bedeutenderen Konflikt konnte man es in die Waagschale werfen und darauf bestehen, nicht schon wieder von seiner Position abrücken zu wollen. Zwar waren Feindschaften durchaus zu pflegen und gehörten sogar zum guten Ton nobilitären Selbstverständnisses, doch sie wurden nur gesellschaftlich akzeptiert, wenn ein gehöriger Grund dafür vorlag. Als legitim galten etwa familiäre Zwistigkeiten.46 Bei Furius und Metellus schien das nicht zuzutreffen. Andernfalls erklärt sich die rüde Aktion der Plebs gegen den ehemaligen Tribun nur schwerlich. Entsprechend verwundert zeigte sich die Überlieferung zu der Episode. Die beiden ausführlichsten Berichte stammen von Appian und Cassius Dio, die sich ihren eigenen Reim auf die Ereignisse machten und nach einem Grund für den Widerwillen des Furius suchten. Appian versucht die Renitenz des Furius mit seiner Unkenntnis nobilitärer Spielregeln zu rechtfertigen. Er sei Sohn eines Freigelassenen gewesen. Das scheint keine Polemik gewesen zu sein. Vermutlich unterhielt der Vater des Volkstribuns rege Kontakte zu seinen ehemaligen Herren L. Furius Philus (cos. 136), was das rasche Amt in der folgenden Generation erklären würde.47 Tatsächlich erwarteten die Mitglieder des Gemeinwesens, dass die Magistrate der Stadt die althergebrachten Umgangsformen der politischen Klasse respektierten und dementsprechend handelten, sofern die Angehörigen der Plebs keine unmittelbaren Interessen dagegen vertraten. Das schloss den squalor ein. Am Beispiel des Furius zeigt sich somit auch, dass die Kenntnis um eine mutatio vestis, für was sie steht und wie man ihr
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Zur persönlichen Feindschaft und Austragungsmodi Thomas (1997); Flaig (2005); Epstein (1989); Kurihara (2003); zum angestrebten Prozess und den Pannen MRR II, 4 f. App. civ. 1, 147. Als Volkstribun kann er nicht ein Nachkomme dieser patrizischen Familie gewesen sein. Bereits für das Jahr 223 v. Chr. ist ein Konsul P. Furius Philus und sein (strittiger) Sohn gleichen Namens belegt (Münzer (1910) 361 mit MRR I, 232), ein Namensvetter als Praetor 174 v. Chr. (MRR I, 404) und L. Furius Philus im Konsulat 136 v. Chr. (MRR I, 486).
11.2 Die Wucht des squalor: Das explosive Gemisch von Trauer, Wut und Zorn
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entgegnet, ein exklusives Wissen voraussetzte, vielleicht sogar der Nobilität vorbehalten blieb, während das Volk häufig nur die äußeren Zusammenhänge erblickten.48 Cassius Dio berichtet von einem persönlichen Grund: Metellus solle dem späteren Volkstribun als Zensor sein Pferd abgenommen haben.49 Da die Bereitstellung und Unterhaltung eines Pferdes durch die res publica eine besondere Ehre darstellte und die equites nach außen als Stand konstituierte, war die Aberkennung einer solchen Leistung mit einem massiven Ehrverlust verbunden, den ein Mitglied der Führungsschicht nur schwer ohne weiteres hinnehmen konnte. Eine Vergeltungsmaßnahme war zu erwarten. Ob jedoch diese Kränkung genügte, damit sich Furius entgegen besseren Wissens (oder vielleicht auch ohne dieses wie bei Appian) dem Zorn der Plebs auslieferte, scheint trotz der Tendenz, Rache üben zu müssen, sowohl unangemessen als auch unwahrscheinlich. Plausibel wirkt hingegen die Überlegung, dass Furius als Marionette fungierte, die zwischen die Fronten nobilitärer Interessen geraten war. Spätestens seit der Zeit des Tiberius Gracchus installierten einflussreiche Senatoren Volkstribune als Mittelsmänner, um für ihre der Senatsmehrheit entgegengesetzten Interessen Stimmung zu machen oder populäre Entscheidungen zu sabotieren. Gleichzeitig protegierten die Anhänger der Senatspartei einzelne Tribune, deren Vetorecht sie sich zu eigen machen suchten.50 Zweifelsohne genoss die Familie der Metelli als Vertreter optimatischer Politik seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts außerordentlich großen Einfluss und hatte sich dabei nicht nur Freunde gemacht: Warum nicht versuchen, sie mittels tribunizischer Gewalt auszuschalten? Beide Gruppen wussten offensichtlich das Tribunat zu nutzen. Nicht umsonst war es sowohl ein Volkstribun namens Q. Calidius, der den Antrag auf Aufhebung der Verbannung stellte und für den Pius in den kommenden Jahren unablässig warb, wie Valerius Maximus berichtet, als auch Canuleius, der überhaupt erst gegen Furius Klage erhob.51 Dio notiert außerdem, Furius sei Anhänger des Saturninus und Glaucia gewesen, und führt das als weiteres Argument für seinen Starrsinn gegen die Rückberufung des Numidicus an. Fraglich bleibt dabei, ob dies in Zeiten ständig wechselnder Koalitionen wirklich als Indiz gelten kann. Wahrscheinlicher ist, dass es auch nach dem Tod des Saturninus und Glaucia bedeutende Populare gab, die sich in der zugunsten der Optimaten gewendeten Stimmung in Rom lieber bedeckt halten wollten und einen Niemand wie Furius vorschickten, die schmutzige Arbeit zu besorgen. Gerade Gestalten wie Marius, der als Paradebeispiel wechselhafter Koalitionsbereitschaft gilt, dürfte ein Interesse am Exil des Numidicus gehabt haben, wie
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Auch Cicero als homo novus könnte durch diese Konstellation benachteiligt gewesen sein, denn er legte die Schmutzgewänder zu früh an. Der zweite homo novus, von dem ein squalor bekannt ist, war dagegen erfolgreich: Marius gelang es, seine Veteranen hinter sich zu sammeln; vgl. Kap. 4.3. Zum Gedanken, dass die Plebs der Oberschicht besonderes rituelles Knowhow abverlangte, vgl. Ripat (2006). Cass. Dio 28, 95, 2. Zu dieser Praxis Thommen (1989). Val. Max. 5, 2, 7; siehe auch Naiden (2006) 232.
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mehrere Quellen übereinstimmend berichten.52 Des Weiteren verzeichnet Orosius, Furius habe nach dem Ende des Saturninus und Glaucia deren Besitz für die Staatskasse konfisziert. Damit kann er nicht mehr deren Unterstützer gewesen sein, auch wenn bei einem spätantiken Autor Vorsicht geboten ist.53 Dio scheinen die unklaren Beweggründe des Furius ebenso verwundert zu haben. Nicht umsonst kommt er zu einem irritierenden Fazit über das Ende des Tribuns, das narrativ wenig harmoniert:54 Publius Furius war für seine Taten als Tribun angeklagt worden und fand mitten in der Volksversammlung seinen Tod. Zwar hatte er ihn reichlich verdient […], doch gebührte es ihm nicht, gerade auf diese Weise sein Leben zu verlieren. Die Mordtat schien einer gewissen Berechtigung nicht zu entbehren.
Zunächst hält Dio fest, dass Furius den Tod verdient habe, kritisiert dann die Art und Weise der Tötung, um schließlich wieder auf die Rechtfertigung zurückzukommen. Die zum Teil konstruierten Erklärungsversuche der Historiographen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es für das Volk keinen Grund gab, die Feindschaft über die Pietät des jüngeren Metellus zu stellen. Nur so erklärt sich die grausame Form der gemeinschaftlichen Tötung. Nicht zuletzt nahm die Bluttat Anleihen am planctus, allein die autoaggressive Haltung wurde nach außen gekehrt und richtete sich gegen Furius. Hier wird das Drohpotential eines squalor besonders sichtbar und erklärt die mannigfaltigen Trauerverbote gegen erklärte Staatsfeinde sowie die Versuche des Senats, symbolische Trauerakte einzudämmen. Es geschah das, was man so fürchtete, wenn Trauersymbolik abgerufen wurde. Demnach gelang es den Gegnern des Furius, angestaute Emotionen solang zu konservieren, bis sie sich gegen ihre Rivalen entluden, die durch Furius repräsentiert wurden. Insofern schwang in der Ermordung des Furius ein gehöriges Drohmoment für seine Hintermänner mit. Aus der Anekdote um den Tod des Furius wird ersichtlich, dass ein squalor eine Wirkmacht entfalten konnte, die eine hinreichend große Gruppe von Personen aktivierte, gegen eine unliebsame Figur oder Entscheidung vorzugehen. Die Inszenierung konnte unmittelbar wirken, wenn sich der Adressat unnachgiebig gerierte. Es benötigte keine Ansprache, keine Absprache, auch Waffen waren nicht von Belang. Es genügte, die Menschen spontan für das berechtigte Anliegen des Trauerakteurs zu sensibilisieren und den unbegründeten Widerstand seines Gegners zu betonen. Damit ist man auf die Performativität von Gefühlen zurückgeworfen. W. M. Reddy versuchte anhand der Wechselwirkungen zwischen Gefühlsausdruck und „gefühlter“ Emotion, die Grenzen zwischen äußerlichen und innerlichen Prozessen aufzulösen sowie ihre Auswirkungen auf die Betrachter von Gefühlsäußerungen einzubeziehen. Demnach könne es bei Normtransgressionen zur Eskalation innerhalb einer Gruppe, Gemeinschaft oder sogar Gesellschaft kommen, wie er am Beispiel der Französischen Revolution zeigt. Dann gerät die durch die Elite gesetzte Norm 52 53 54
Sturheit: Cass. Dio 28, 95, 3; Hinterleute: Liv. per. 69; Plut. Mar. 31, 1; Oros. 5, 17, 11; Badian (1984) 138 f. Oros. 5, 17, 10. Cass. Dio 28, 95, 3 (Übers. O. Veh).
11.2 Die Wucht des squalor: Das explosive Gemisch von Trauer, Wut und Zorn
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(emotional regime) in einen Widerspruch mit anderen Gruppenwerten.55 Für das vorliegende Beispiel hieße das allein, dass das Volk die Normen der Elite inkorporiert hatte oder umgekehrt, dass bereits eine Abweichung in der politischen Klasse massiv sanktioniert wurde und Furius nicht genügend emotional work aufbringen konnte, die bestehenden Unterschiede zu überbrücken.56 Die Deckungsgleichheit bestimmter Werte und Normen zwischen Senatorenstand und Plebs entspricht auch dem Bild der politischen Kultur in Rom (Kap. 2.3). Dabei gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass die Quellen sehr häufig beabsichtigen, ein Bild von der Menge zu zeichnen, das die Plebs in einem ungünstigen Licht erscheinen lässt. Dazu zählt auch, dass das Volk beeinflussbar und wankelmütig sei und nicht in der Lage, seine Emotionen zu bändigen. Insofern ist die von Appian vorgegebene Spontanität des Vorgehens gegen Furius mit Fragezeichen zu versehen. Plausibler ist die Annahme, dass „Stimmungsmacher“ von Seiten der Meteller eingesetzt wurden, die sich besonders gerührt zeigten und ihre Mitbürger dadurch zu animieren suchten, es ihnen gleich zu tun. Allzu offensichtlich sollte die Parteinahme nicht sein, um nicht an Wirkung einzubüßen. Von solchen „Animateuren“ ist wohl bei fast jedem (erfolgreichen) squalor auszugehen, auch wenn man nur dürftige Spuren davon in der Überlieferung findet. Doch in einer oben erwähnten Passage stößt man auf dieses Phänomen. Bei Cicero heißt es, Marius sei von den Taten und Worten des Antonius derart bewegt gewesen, dass er zu weinen anfing und damit sowohl den Verteidiger als auch die Richter zu Tränen rührte. Sicherlich dürfte sich diese Unterstützung zumeist subtiler gestaltet haben als in diesem Fall. Die Parteilichkeit des Marius lag auf der Hand, denn Aquilius war im Jahr 101 v. Chr. nur Konsul von Marius’ Gnaden geworden, der ihn damit für seine Treue im Kimbernfeldzug belohnte. Insofern fiele eine Verurteilung auch auf den vielfachen Konsul zurück, was seine politische wie emotionale Anteilnahme erklären dürfte. Dass es solche meinungsbeeinflussenden Gestalten auch auf der Gegenseite eines Trauerakteurs gab, illustriert die Erwähnung Plutarchs, dass Cicero von den Leuten des Clodius beschimpft, mit Schmutz und Steinen beworfen und vom Forum gedrängt wurde.57 Es ist davon auszugehen, dass sich viele Passanten diesen Stimmungsmachern anschlossen, wenn sie sich durch das Benehmen Ciceros nicht ohnehin gereizt sahen.
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Vgl. Reddy (2001); kritisch Rosenwein (2002). Emotional work bei Hochschild (2006), die darauf hinwies, dass es für Angehörige einer Gruppe ebenso wichtig ist, sich angemessen zu fühlen wie sich entsprechend der herrschenden Gruppennormen zu verhalten. Gemeinsamer Konsulat: Plut. Mar. 14, 7; Stimmungsmacher: Plut. Cic. 30, 7; die fehlenden Durchschlagskraft der Aktion bei Cicero aufgrund der Gegenmaßnahmen in Kap 13.2; dort auch zu den erwähnten Agitatoren.
12. ANSPRUCH, AKZEPTANZ, AUTHENTIZITÄT: ZWISCHEN ERINNERUNG UND INVEKTIVE Dieses Kapitel handelt von den Normen und Werten, auf die man vermittels eines squalor Bezug nahm. Von Interesse ist, was die Zuschauer daran schätzten und wie sie eine akzeptierte Szene honorierten.1 Wertschätzung eines Traueraktes konnte sich ebenso in Kommemorierung niederschlagen wie in der Möglichkeit zur Invektive. Es ist bereits mehrfach aufgefallen, dass bestimmte im Diskurs der Elite präsente Grundwerte eine besondere Rolle spielten und sich unterschiedliche, doch nahestehende Normen in der Praxis des squalor materialisierten. Von clementia war kurz die Rede, als es um die emotionale Seite symbolischen Trauerns und die Möglichkeit des Nachgebens ging, fides betraf die Unterwerfung.2 Treue steht in einem engen semantischen Zusammenhang mit pietas; ihrer Bedeutung im Rahmen symbolischer Trauerakte gilt der erste Teil des Kapitels. Weiterhin wird danach gefragt, welche personellen Neigungen die Zuschauer eines squalor besaßen: War ihnen ein Akteur lieber als der andere? Welche Möglichkeiten der Einflussnahme besaßen die Protagonisten auf die Umstehenden, bevor die Darbietung überhaupt begann? Die Rekonstruktion von Reaktionen der Zuschauer birgt methodische Schwierigkeiten. Es gibt kaum Zeugnisse davon, welche Effekte Trauerakte gerade auf unbeteiligte Passanten hatten. Daher nähert sich das Folgende den Wirkungen auf die Anwesenden von der Seite der Protagonisten, die lediglich Botschaften zu senden gedachten, die das Publikum auch ansprachen. Sowohl die Erinnerung an fromme Leistungen als auch der Versuch nachträglicher Diskreditierung von gegnerischer Seite waren für die Inszenierung von Authentizität bedeutend und umfassen den zweiten Punkt. Dabei wird die Einbeziehung des materiellen Befunds aus Münzen, Büsten und Schleuderbleien helfen, die Argumentation zu erweitern und neue Perspektiven auf den squalor zu eröffnen. 12.1 DAS PIETAS-MOMENT AUF SEINER SEITE HABEN: MÜNZEN UND BEINAMEN In den Reden vor Volk und Senat pointiert Cicero die pietas seines Bruders. Selbst in seinen Briefen, die für ein kleineres, erlesenes Publikum gedacht waren, vergisst Cicero nicht, seinem Quintus gebührend zu danken.3 Die Erwähnung des Bruders 1 2 3
Reaktionen auf erfolglose Trauerakte sind kaum fassbar, da sie häufig misslangen, weil sie ignoriert oder gar nicht erkannt wurden. Somit finden sie wenig Niederschlag in den Quellen, jedoch konnten Gegner ein Scheitern antizipieren; vgl. Kap. 13 und 14. Siehe bereits Kap. 11 bzw. 9.3 sowie Kap. 13.2 zum Nachgeben als strategische Antwort auf einen squalor. Cic. Att. 3, 10, 2: quo caream honore, qua gloria, quibus liberis, quibus fortunis, quo fratre? quem ego, ut novum calamitatis genus attendas, cum pluris facerem quam me ipsum semperque
12.1 Das pietas-Moment auf seiner Seite haben: Münzen und Beinamen
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im ersten Brief aus dem Exil zeugt von der Gewissheit Ciceros, Quintus habe sich, als er für ihn einen squalor darbot, pius verhalten. Damit stellt sich die Frage, wie Trauerakt und pietas überhaupt zusammenhängen. Warum verwendete man Trauerzeichen, um auf seine Verbundenheit mit Verwandten hinzuweisen? Wieso galt es den meisten Römern als pius, wenn ein Angehöriger für ein in Bedrängnis geratenes Familienmitglied die Kleider wechselte?4 Viele Trauerakte waren als Attacken auf den Ruf eines politischen Gegners konzipiert. Den Rivalen ohne gegebenen Anlass anzugehen, war durchaus die Regel. Besser wirkte die Invektive aber, wenn man sie unter dem Deckmantel der Verwendung für eine andere Person platzierte. Der squalor bot die Gelegenheit, Kontrahenten anzugreifen, ohne den politischen Zwist in den Vordergrund zu stellen. Das war aber nur möglich, weil pietas einen so basalen Grundwert darstellte wie kaum ein anderer in Rom; das zeigt sich auch in der erneuten Aufwertung der Pietas im Prinzipat des Augustus und seiner Fokussierung auf den gerächten Mord an seinem Adoptivvater.5 Es herrschte die Auffassung, dass pietas die rechte Pflichterfüllung gegenüber den (engsten) Verwandten und den Göttern bezeichne. Seit Cicero trat die Dienstbarkeit zum Vaterland, nicht als res publica, sondern bezeichnenderweise als patria hinzu, was den Kern der pietas als verwandtschaftliche Verpflichtung unterstreicht.6 Dass es ebenfalls als verbindlich betrachtet wurde, einen lieben Verwandten zu rächen, wenn ihm ein Leid zugefügt worden war, bezeugen die Quellen ebenfalls. Ein weiteres Indiz für den Gebrauch von Zeichen der Trauer in Verbindung mit der Pietas ist auf spätrepublikanischen Münzen zu finden. Als besonders aussagekräftig kann ein Aureus angeführt werden, den Sex. Pompeius auf Sizilien und in Spanien in Umlauf brachte (Abb. 3).7
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fecissem, vitavi ne viderem, ne aut illius luctum squaloremque aspicerem aut me quem, ille florentissimum reliquerat, perditum illi adflictumque offerrem. mitto cetera intolerabilia; etenim fletu impedior. – Vgl. Kap. 3.1 und 7.2. Auch Cic. de orat. 2, 167 legt den Zusammenhang nahe, wenn er die Position eines Diskussionsteilnehmers referiert: „Si pietati summa tribuenda laus est, debetis moveri, cum Q. Metellum tam pie lugere videatis.“ Zur pietas des Augustus Zanker (1990) 108–10; Flaig (2009) zeigt am Beispiel der Verginia und Lucretia, wie Rache in der römischen Geschichte immer mit dem Ende nicht legitimierter Herrschaft verbunden war. Augustus geriert sich in seinem Handeln als Rächer und wahrer Nachfolger Caesars. Vendetta wurde zum positiv konnotierten Gründungsakt der Monarchie, welcher die in die Krise geratene Republik neu gründete. Cic. rep. 6, 20: … et pietatem, quae cum magna in parentibus et propinquis tum in patria maxima est … RRC 511/1; die Datierung ist unklar (43/42 bis 36 v. Chr.); siehe auch den Denar RRC 511/3 mit dem Kopf des Pompeius Magnus und derselben Legende auf der Vorderseite; die Rückseite zeigt die Brüder Anapias und Amphinomus, wie sie ihre Eltern auf den Schultern tragend vor dem ausbrechenden Ätna in Sicherheit bringen; darüber CLAS . ET . ORÆ MARIT . EX . S . C; als Vorbild diente wohl die Prägung des M. Herennius; vgl. RRC 308/1 mit Berkowski (2014) 145–50; ferner RRC 458/1. RRC 511/2&4 nehmen nur über die gleiche Legende auf der Vorderseite Bezug zur pietas. Schon im Gefolge seines Bruders ließ Sextus in Spanien Emissionen mit dem Portrait des Vaters oder Bruders auf der Vorderseite und der Abbildung der pietas auf der Rückseite ausgeben; RRC 477/1–3; vgl. Kopij (2011) 208 f.; die (pietas-)Prägungen des Sextus umfassend bei Welch (2012) 182–95.
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12. Anspruch, Akzeptanz, Authentizität: Zwischen Erinnerung und Invektive
Abb. 3: Aureus des Sex. Pompeius aus Sizilien, 42–40 v. Chr.; RRC 511/1; Avers: Bärtiger Kopf des Sex. Pompeius nach rechts, dahinter MAG PIVS aufwärts; davor IMP . ITER abwärts, gerahmt von einem Eichenkranz; Revers: Kopf des Cn. Pompeius Magnus und bärtiger Cn. Pompeius einander zugewandt, links lituus, rechts Dreifuß; oben PRÆF, unten CLAS . ET . ORÆ MARIT . EX . S . C
Die Söhne des Pompeius Magnus tragen einen Bart,8 der in den Jahren des Bürgerkrieges zu einer weit verbreiteten Symbolik auf Münzen zählte. Auch Brutus oder Antonius zeigten sich auf ihren Prägungen bärtig.9 Was die besagte Reihe außergewöhnlich macht, ist ihre Legende neben dem bärtigen Kopf des Sextus, die den Bezug zur pietas herstellt. Demnach trat er in die Fußstapfen seines Vaters, indem er sich als Magnus bezeichnen ließ. Gleichzeitig verwies er auf sein Handeln nach den Regeln der Pietas, denn die Ehrung des toten Vaters, der auf der Rückseite abgebildet ist, beinhaltete vor allem dessen Tod zu rächen. Damit ist der Bart Zeichen der Trauer und beabsichtigten Rache. Die Selbststilisierung des Sextus wurde zum Ausdruck seines politischen Programms. Die Rückseite zeigt neben Cn. Pompeius Magnus das Profil des bereits nach der Schlacht bei Munda hingerichteten älteren Sohns gleichen Namens, ebenfalls mit Trauerbart, der dem in Ägypten enthaupteten Vater galt,10 und unterstreicht die Pietas des Sextus doppelt; auch für das Andenken seines Bruders setzte er sich militärisch ein.11 Die Bedeutung dieses Vorhabens wird durch das Format der Münze unterstrichen, denn der Aureus war mit 19 mm Durchmesser eine der
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Eine Behandlung der Verwendung von Pietas und des Denars durch Sextus bei Kopij (2011) 214. – Imperator iterum nimmt auf bislang erzielte Erfolge und die zweite imperatorische Akklamation Bezug. Dazu nun ausführlich Biedermann (2013); ferner Hölscher (1984) zur spätrepublikanischen Münzpropaganda. Auch der ältere Sohn gedachte seinem ermordeten Vater im Medium der Münze; vgl. Kopij (2011) 207 f. Die Prägung mit PRAEF // CLAS . ET . ORAE / MARIT . EX . S . C verweist auf den rechtmäßigen Anspruch der Sextus von Senat verliehenen Privilegien; zur Politik des Sex. Pompeius siehe umfassend Welch (2012).
12.1 Das pietas-Moment auf seiner Seite haben: Münzen und Beinamen
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größten im Umlauf befindlichen Prägungen republikanischer Zeit und besaß einen entsprechenden Materialwert, der den Symbolgehalt der Emissionen unterstrich. Die Erblichkeit von Feindschaften, die sich in Rache manifestierte, schlägt sich besonders bei Vater-Sohn-Beziehungen nieder. Öffentlich bekundet wurde diese Absicht üblicherweise durch die Zurschaustellung von Trauerzeichen. Nicht selten oblag es Frauen, zur Rache aufzurufen.12 Neben der Kleidung war ein deutliches Signal ihres Anliegens, sich die langen Haare zu raufen und auf die Brust zu schlagen. Dabei findet der Teil der Trauer Ausdruck, den man als planctus beschrieb.13 Augustus rühmte seine erfolgreiche Vendetta in seinem Tatenbericht und stiftete Mars Ultor einen Tempel.14 Seine frühe Münzprägung zeigt ihn häufig mit Bart.15 So wird neben der Trauer, die Pietas berührte und an das Mitleid der Zuschauer appellierte, auch ein Aspekt pointiert, der die aggressive Seite des Trauerns betont. In agrarisch geprägten Gesellschaften war der Verlust eines Familienmitgliedes nicht nur ein emotionaler Schock, sondern bedrohte auch die Existenz des gesamten Hofes, dessen reibungsloses Funktionieren nur durch das Zusammenwirken der gesamten Familie garantiert wurde. Besonders katastrophal war es, wenn der Verstorbene über ein (noch) nicht weiter gegebenes Spezialwissen verfügte. Brach ein Glied in der Produktionskette weg, war auch die Effektivität des Gutes gefährdet, da man häufig am Rande der Existenz wirtschaftete. Dieses Glied dürfte nicht selten der Familienvater oder einer der Söhne des Hauses gewesen sein. Auf letzteren lag die ganze Hoffnung der Familie, auch nach dem Tod des Vaters überlebensfähig zu bleiben. Insofern trugen die Männer, vor allem die Väter, besondere Verantwortung für das Wohlergehen der Angehörigen, mussten aber von diesen ihrerseits unterstützt und geschützt werden. So eine Form der Gesellschaft bildete noch das frühe Rom und ländliche Regionen der späten Republik. Selbst Mitglieder der hauptstädtischen Oberschicht gerierten sich – obwohl weit vom aktiven Landleben entfernt – gern als fleißige Bauern. Es entwickelte sich früh eine besondere Form der Familienstruktur, die dem Hausherrn als pater familias ein außerordentliches Gewaltmonopol zugestand (patria potestas). Zur Familie zählten dabei alle im Haus (domus) lebenden agnatischen Verwandten – also auch erwachsene Söhne – sowie Sklaven und gelegentlich liberti.16 Die männlichen Römer schützten das Privileg der patria potestas durch einen stillschweigenden Konsens: Die Rechte des Hausvaters waren nur in Notfällen aufzuheben. Auf die rechtliche Stellung des Familienvaters und seine unabdingbare Position in der häuslichen Gemeinschaft berief man sich gern in Notsituationen. So vertraute Tiberius Gracchus seine Kinder 12 13 14 15 16
Vererben von Feindschaften bei Flaig (2003a) 137–54; Thomas (1997); Prescendi (1995); Verwendung von Trauerzeichen als Rachepraxis bei Thomas (1997) 171–3; die Frauen u. a. bei Šterbenc Erker (2009) 144–7; (2011); Prescendi (2008); (2000a); Mustakillio (2003). Crinibus solutis: Catull. 64, 348–50; Tib. 1, 1, 67 f.; Liv. 1, 26, 2; pectus plangere: Prop. 2, 13, 27; Petron. 111, 2; dazu auch Kierdorf (1991) 74; vgl. Kap. 6.1. R. Gest. div. Aug. 2; 21; 29; Ov. fast. 5, 571–77. Die zahlreichen Belege versammelt Biedermann (2013); ferner Fetzer (1952) 143–5. Zu segmentären Familienstrukturen Goody (2002) 15–31; für Rom kann hier kein Forschungsüberblick gegeben werden, vgl. aber zumindest Martin (2009); Linke (1995) besonders 81–5; Bettini (1992).
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12. Anspruch, Akzeptanz, Authentizität: Zwischen Erinnerung und Invektive
und Ehefrau dem Schutz der Plebs an und trug schwarze Kleidung, als sich die Lage zuspitzte. Tiberius bat dabei um seinen Schutz, damit die Familie, deren Oberhaupt er seit Kindesalter und dem Tod seines Vaters war, nicht in existenzielle Bedrängnis geriet. Ähnlich verhielt sich Ser. Sulpicius Galba. Cato beklagte dessen skandalösen Freispruch.17 Die Autonomie der Familie zählte hier mehr als die korrekte Amtsführung. Der Verlust des pater familias hätte katastrophale Folgen für die Verwandten gezeitigt. Versorgung und Rechtssicherheit wären gefährdet. So konnte sich die Plebs nicht dazu entschließen, den Angeklagten zu verbannen; zumal Galba die Beteiligten im Wissen um die Bedeutung ihrer eigenen Stellung als (potentielle) Familienväter bestätigte. Die Suggestion von Gleichheit mit der Plebs stand dabei im Vordergrund. Zwar wurde diese Egalität nur für die Angelegenheiten väterlicher Verantwortung erzeugt, doch strahlte sie auf die gesamte Stellung des Mannes in der römischen Gesellschaft aus und verfehlte ihre Wirkung unter den Stimmberechtigten nicht.18 Es zeigt sich, welche Assoziationen der Verlust oder die Furcht eines Verlustes innerhalb der Familie bei den Römern haben konnte, was insbesondere für den pater familias galt. Man kann ebenso nachvollziehen, dass bei nicht direkt betroffenen Kreisen Trauer mitunter zu Wut und aktiver Rache umschlug.19 Dazu war aber der Bezug zu einer wie auch immer gearteten Ungerechtigkeit herzustellen. Diesen Mechanismus machte sich jeder zunutze, der einen Trauerakt darbot. Somit war die Rezeption des Trauerrituals für die Durchführung eines squalor vor allem von Bedeutung, da es die so wichtige familiäre Ebene berührte. Dabei galt es immer den Anspruch auf pietas-Handeln zu sichern. Ohne Instanz, die das überprüft, blieb die Behauptung Makulatur. So erging es L. Antonius. Er setzte sich im Perusinischen Krieg nachdrücklich für seinen Bruder ein und legte sich aufgrund dessen eigenmächtig den Ehrennamen Pietas zu. Seine Zeitgenossen und die Nachwelt erkannten das Cognomen nicht an. In der literarischen Überlieferung ist es allein Cassius Dio, der davon berichtet. Er hält fest, dass Lucius auf eigene Initiative (αὐτῷ) den Ehrennamen führte und nicht verliehen bekam.20 Hier ist zwar von keiner Traueraktion die Rede, doch wird deutlich, dass es vor allem um Akzeptanz durch die behaupteten Taten und Eigenschaften stets angemessenes
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Liv. per. 49; zu weiteren Berichten und der Forschungsliteratur Kap. 2.1 mit Anm. 24. Zur Unterstützung des squalor durch die Familie schon Stroux (1929) 62 und nun ausführlich Hall (2014). Zur Symbolisierung der Existenzbedrohung durch einen squalor Kath (2012) 63 f.; zur Rolle der Väter Späth (2002); Thomas (2005). Zur Betonung von Gemeinsamkeiten von statusungleichen Akteuren Kap. 5 sowie 8. Dem entspricht die Vorstellung der Rache als Pflicht, die in eine Gewaltspirale mündete; Flaig (2003a) 137–54. Cass. Dio 48, 5, 4: … ἀντελαμβάνετο καὶ οὐδενὸς αὐτῷ ὑφίετο (διὰ γὰρ τὴν πρὸς τὸν ἀδελφὸν εὐσέβειαν καὶ ἐπωνυμίαν ἑαυτῷ Πιέταν ἐπέθετο) … Weitere Belege sind Münzen des M. Antonius mit Bezug auf den Bruder (RRC 516/1–5 mit der Legende PIETAS COS. und der vergöttlichten Pietas auf der Rückseite mit Storch im linken Feld) und Inschriften, die aber als QuasiSelbstzeugnisse nicht als Anerkennung des Ehrennamens gelten dürfen; vgl. MRR II, 370; die Nennung des Beinamens in den verschiedenen Medien bei Fetzer (1952) 145–7.
12.1 Das pietas-Moment auf seiner Seite haben: Münzen und Beinamen
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Handeln und Verhalten ging, die L. Antonius fehlte, weil sein Ansehen als Bruder des Triumvirs durch die augusteische Agitation gelitten hatte. Auch bei Prozessen fanden sich in der Regel eine Reihe von Personen ein, die dem Angeklagten durch Trauerzeichen, Bittgesten oder ihre bloße Anwesenheit beistanden. Ciceros Verteidigungsreden bezeugen, welche feinen Abstufungen es dabei gab. So konnte man einander umarmen oder weinend aufstehen, gelegentlich muss aber der Anwalt in die Rolle der Unterstützer schlüpfen – entweder weil diese sich zierten selbsterniedrigende Posen einzunehmen, oder weil der Anlass für exzessive Demutsbekundungen nicht geeignet schien. Als Gruppen lassen sich Kinder, Eltern und Geschwister sowie enge Freunde und politische Weggefährten identifizieren; in Ermangelung auch Delegationen des Heimatortes.21 Verheerend war die Wirkung eines squalor, der die Unterstützung durch Familienangehörige dezidiert vermissen ließ. Um das Jahr 384 v. Chr. wurde M. Manlius Capitolinus das Streben nach der Königswürde zum Vorwurf gemacht; dabei verlor er nicht nur die Gunst des Volkes, sondern auch die Unterstützung seiner Familie. Selbst die Feinde C. und App. Claudius hätten angesichts der Bedrohung durch einen Prozess zusammengestanden, so Livius, und führt damit die Unerhörtheit des Ereignisses bei den Manlii aus, die allerdings ihre patrizische Sittenstrenge gegen den Vorwurf der mangelnden pietas setzen konnten.22 Einen Angehörigen bei einem Prozess nicht zu helfen, war schon der Erwähnung wert; einen squalor gegen ihn zu richten, anders als in der Kaiserzeit, undenkbar. Doch auch das Undenkbare hat seinen Platz in der römischen Geschichte – freilich unter verkehrten Vorzeichen. So heißt es etwa, die Sabinerinnen hätten einen Trauerakt dargeboten, um ihre Brüder und Väter von der Idee abzubringen, ihre Männer mit Krieg zu überziehen.23 Ferner nahm man für die Frühzeit an, die Frauen Roms hätten sich vor die Mauern der Stadt begeben. Sie suchten das Lager der Volsker samt ihres aus Rom verbannten Heerführers Coriolan auf, den sie um Auflösung der Blockade gegen seine Heimat veranlassen wollten. Dabei seien die Mutter Veturia und Ehefrau Volumnia vorangegangen, hätten nicht nur die Kinder mitgeführt, sondern auch Trauer getragen. Coriolanus brach über dieser emphatischen Geste seiner weiblichen Angehörigen ein und zog seine Truppen ab, wie es heißt.24 Die pietas21 22
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Umarmung der Mutter: Font. 46; Schwester: Font. 48; Vater: Cael. 79; Kinder: Sull. 88 f.; Sest. 10; 144–6; Flac. 106; Heimatort: Planc. 21; Mur. 86; 90; Cluent. 197 f.; zu unterschiedlichen Nuancen Hall (2014) 75–93. Liv. 6, 20, 1: Quod ubi est factum, primo commota plebs est, utique postquam sordidatum reum viderunt nec cum eo non modo patrum quemquam, sed ne cognatos quidem aut adfines, postremo ne fratres quidem A. et T. Manlios, quod ad eum diem nunquam usu venisset, ut in tanto discrimine non et proximi vestem mutarent: App. Claudio in vincula ducto C. Claudium inimicum Claudiamque omnem gentem sordidatam fuisse … Vgl. Liv. 3, 58, 1. Für Stroux (1929) 63 der erste Beleg eines „Alleingangs“; zur Strenge der Manlier Liv. 8, 7, 1 ff. mit Walter (2004b). Dion. Hal. 2, 45, 5: μετὰ τοῦτο ἐξῄεσαν ἐσθῆτας ἔχουσαι πενθίμους, τινὲς δὲ αὐτῶν καὶ τέκνα νήπια ἐπαγόμεναι. – Vgl. Kap. 4.3. Dion. Hal. 8, 45, 1: … πρώτη μὲν αὐτῷ δεξιωσομένη προσῆλθεν ἡ μήτηρ πένθιμά τε ἠμφιεσμένη τρύχη καὶ τὰς ὁράσεις ἐκτετηκυῖα ὑπὸ τῶν δακρύων, ἐλεεινὴ σφόδρα. 8, 46, 2: … ἄγουσαι τὰ τέκνα καὶ τοῖς πενθίμοις τούτοις ἠμφιεσμέναι τρύχεσι … Siehe auch Dion. Hal. 8, 47, 4, wo angedeutet wird, dass die Mutter ohnehin wegen der Verbannung des Sohnes in Trauer gehüllt
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12. Anspruch, Akzeptanz, Authentizität: Zwischen Erinnerung und Invektive
Regel wurde nur durchbrochen, wenn die Existenz der res publica zur Disposition stand. Der Tod einer verwandten, befreundeten oder irgendwie nahestehenden Person zwang zu Zeichen der Trauer. Diese konnten gegen die Verursacher des Ablebens gewendet werden, wenn die Todesumstände zweifelhaft oder eindeutig unnatürlich waren. Man konnte Rache nehmen, indem man durch den Gebrauch von Trauerkleidern auf einen Verantwortlichen verwies und seinem Ruf schadete. Der mehrfach besprochene Fall des jungen Mannes gegen den Reichen in Senecas Streitreden veranschaulichte das nachdrücklich und stellte die pietas des Knaben heraus. Gelegentlich mag diese Symbolik zur Blutrache aufgerufen haben.25 Wahrscheinlich weitete sich der Anspruch auf Vendetta mit der qualitativen Verschärfung des politischen Konkurrenzkampfes in der römischen Elite aus. Gerade Trauerakte zeigen, dass es gar nicht zum Äußersten kommen musste, sondern wie ein Familienangehörigen oder engen Freunden zugefügtes Unrecht ebenso zur Rache auffordern konnte – besonders wenn es um Verbannungen, aber auch unliebsame Beschlüsse oder Entehrungen ging.26 Diese pietätvolle Verpflichtung konnte ebenso gut vorgeschoben sein, um einen Konflikt auf eine höhere Stufe der Eskalation und der Bereitschaft zur Anwendung von Gewaltmitteln zu heben, denn sich für jemand anderen als sich selbst derart zu verwenden, besaß in der Regel eine höhere Effizienz, da eigensüchtige Motive nicht im Vordergrund zu stehen schienen.27
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war (ἀποθέσθαι τε ἤδη τὸ πένθος ὃ διὰ τὰς ἐμὰς ὑπέμειναςͺ … καὶ παύσασθαι τιμωρουμένην με τῷ σχήματι τούτῳ) mit Plut. Coriol. 20, 5, sowie Dion. Hal. 8, 39, 4, wo Valeria, Schwester des Publicola, die übrigen Frauen aufruft in Trauerkleidern zur Mutter des Coriolanus zu ziehen. – Ferner Plut. Coriol. 34 f.; App. civ. 1, 3 sowie Val. Max. 5, 4, 1 und Liv. 2, 40 mit Kowalewski (2002) 34–41 ohne explizite Trauerelemente. – Überhaupt spielen Frauen im Werk des Dionysios bei Trauerakten eine zentrale Rolle; siehe auch Dion. Hal. 6, 51, 2, wo Plebejerinnen in Trauerkleidern und mit den Kindern auf dem Arm, die Patrizier um Ausgleich ersuchen; weiter Dion. Hal. 8, 41, 2, wo Coriolan durch seine weiblichen Familienmitglieder im squalor vor Gericht unterstützt wird. Warum Dionysios das Phänomen hauptsächlich als Option der Frauen (zumeist mit ihren Kindern) beschrieb, kann nur vermutet werden. Es ist möglich, dass er als Grieche die Hikesie vor Augen hatte, die auch von Männern durchgeführt wurde, während der squalor in den übrigen Quellen zumeist als Handlungsmöglichkeit der Männer im politischen Zwist auftritt; Männer nur vor Gericht bei Dion. Hal. 8, 41, 2; 9, 49, 4. Flaig (2009); Thomas (1997); ferner Šterbenc Erker (2009). Eben deswegen versuchten Teil der Oberschicht der ausufernden Praxis gesetzlich Einhalt zu gebieten; freilich mit mäßigem Erfolg; siehe Kap. 13.1 und 14.1. Zur Glaubwürdigkeit bei den Zuschauern Morstein-Marx (2004) 165; Kath (2012) 74–8 mit Kap. 5.2 f. und 9.
12.2 Kommemorierung und ikonographische Repräsentation
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12.2 KOMMEMORIERUNG UND IKONOGRAPHISCHE REPRÄSENTATION: BÜSTEN, GEMMEN, SCHLEUDERBLEIE Wie eben gezeigt, bedürfen Münzen als bedeutendes Medium materieller Kultur in der Antike und Träger mehrerer Trauerszenen eingehender Besprechung. In der Republik trat pietas als ideologisches Kampfmittel häufig in Verbindung mit bärtigen Münzportraits in Erscheinung.28 Obwohl symbolische Trauerakte auf Münzen ihren Ausdruck in erster Linie in der Darstellung eines Bartes finden, kann eine Prägung auch ohne die Abbildung von Gesichtshaar auf den squalor verweisen, wie die Denare des Metellus Pius zeigen. Im Jahre 100 v. Chr. war Q. Caecilius Metellus Numidicus über die Bestimmungen des popularen Ackergesetzes (lex Appuleia agraria) mit dem L. Appuleius Saturninus in Streit geraten, weshalb der Tribun beim Volk um die Verbannung des Numidicus ersuchte. Der Zensorier kam einem Beschluss zuvor und trat freiwillig den Weg in das Exil nach Rhodos an, bevor seine Verurteilung rechtskräftig wurde.29 Infolgedessen versuchte der Sohn des Numidicus zunächst beim Senat, danach beim Volk auf der Straße, um Unterstützung für die Rückberufung seines Vaters zu werben. Dabei ließ er sich Haare wie Bart stehen und legte schäbige Kleider an. Für seinen Einsatz erhielt der junge Metellus den Beinamen Pius, doch über fast zwei Jahre zog es sich hin, bevor seinem Vater die Rückkehr gestattet wurde. Darüber hinaus kostete die Missachtung der Aktion P. Furius das Leben. Dieser squalor war so wirkmächtig, weil der Sohn dabei Handlungen mit Zeichen verband, die den Zuschauern aus anderen Szenen des Alltags bekannt waren, und die man als Trauer- und Bittgesten identifizieren kann. Diese Gesten transportierten zentrale Wertvorstellungen der Römer. Wie bedeutend dieses Verhalten war, zeigt, dass der junge Metellus aufgrund seines energischen Einsatzes den Ehrennamen Pius erhielt.30 Sein ritualisiertes Handeln sprach die Bevölkerung auf einer emotionalen Ebene an. Bedeutsam ist dabei die Betonung von pietas-Handeln31, denn die Pflichterfüllung gegenüber Republik, Familie und Göttern erforderte jenes Repertoire von Zeichen und Gesten, die sich der junge Metellus zunutze machte: Er wendete sich an Senat und Plebs, und ging zwischen ihren Mitgliedern umher; er ließ Bart und Haare wachsen, legte zudem dunkle Gewänder an, wie bei einem
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Bei zahlreichen Trauerakten ließen die Protagonisten einen Bart oder die Haare stehen; vgl. Cic. Verr. 2, 2, 62; 5, 128; Liv. 2, 23, 2; 6, 16, 8; 27, 34, 5; 44, 19, 6; Diod. 36, 15 frg.; 16 frg.; Val. Max. 1, 7, 7; Sen. contr. 1, 1, 17–9; 10, 1, 2; FIRA I, Nr. 44, col. 2, Z. 22; Lucan. 2, 376; Plut. Ant. 18, 1; 80, 3; Cic. 9, 2; 30, 4; Mar. 41, 4; App. civ. 1, 306; 4, 176; Dig. 47, 10, 15, 27; 39; demonstrative Rasur als Zeichen der Ablehnung eines squalor bei Gell. 3, 4, 1; Plut. Cic. 35, 5; Oros. 5, 17, 5; als Nachlässigkeit des Angeklagten bei Sid. Apoll. epist. 1, 7, 9. Damit entging er einer härteren Strafe; Cic. fam. 1, 10 (9), 16; Liv. per. 69; Vell. 2, 15, 4; Val. Max. 3, 8, 4; Plut. Mar. 29, 6–8; App. civ. 1, 138 ff.; Oros. 5, 17, 3–5; zum Rückzug Habenstein (2015) 146. Zur politischen Konstellation Linke (2005) 83–90; CAH IX, 142; zum Fall des Numidicus MRR 1, 375 f.; Gruen (1968) 180. Val. Max. 5, 2, 7; Diod. 36, 16, 1; App. civ. 1, 148; Cass. Dio 28, 95, 1 u. v. a. m. Thome (2000) 30 zur pietas als zentralem Wert; Haltenhoff (2001) 188 zur praktischen Umsetzung.
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12. Anspruch, Akzeptanz, Authentizität: Zwischen Erinnerung und Invektive
Todesfall unter Verwandten oder in Zeiten der Staatstrauer, die der Besänftigung der Götter galt. Rasch hielt die Szene Einzug in das kollektive Gedächtnis der Römer. Pius selbst trug dazu nicht unwesentlich bei. Als Gesandter Sullas in Norditalien kämpfte er gegen die Marianer und ließ anlässlich seines Erfolgs um das Jahr 81 v. Chr. eine Reihe von Münzen prägen, die er an seine Truppen ausschüttete: Die Vorderseite trägt den Kopf der Pietas mit Diadem nach rechts blickend. Im rechten Feld befindet sich ein Storch. Auf der Rückseite des Denars ist ein nach links stehender Elefant abgebildet. Im Abschnitt unterhalb der Standlinie befindet sich die Legende Q(uintus) . C(aecilius) . M(etellus) . P(ius) . I(mperator), die die imperatorische Akklamation zur Schau stellt. Gleichzeitig erinnerten sie an den Vorfahren L. Caecilius Metellus, der Hasdrubal bezwang, erkennbar an dem erbeuteten, karthagischen Kriegselefanten, dem Wappentier der Meteller (Abb. 4).32 Auf der Rückseite eines zweiten Denars mit der gleichen Vorderseite rief der abgebildete lituus den Vater des jungen Metellus ins Gedächtnis. Im unteren Feld trägt die Münze die Legende IMPER mit Lorbeerrahmen.33 Die Erinnerung an die Vorfahren zu pflegen, kann ebenfalls als Akt der Pietas gedeutet werden. Beide Münzen zeigen auf der Vorderseite einen Frauenkopf mit Diadem. Man ist sich einig, dass es sich dabei um die vergöttlichte Pietas handelt.34 Zwar fehlen ihr die für die Kaiserzeit üblichen Attribute wie Schleier oder patera, doch lässt sich die Frau eindeutig durch den ihr zur Seite gestellten Storch identifizieren. Störche galten bereits im klassischen Griechenland als Symbol familiärer Treue und Bindung. Es wurde ihnen nachgesagt, dass die jungen Vögel die älteren aus Dankbarkeit für ihre elterliche Fürsorge fütterten, wenn sie gebrechlich würden. Noch der ältere Plinius kannte diesen zoologisch nicht haltbaren Topos. Später pries Solinus die in der gens Metella heimische pietas. Appian schreibt eine rührselige, aber wohl fiktive Geschichte aus den Bürgerkriegen zwischen Vater und Sohn ebenfalls den Metelli zu; demnach habe der Sohn bei Actium auf Seiten Octavians gekämpft, der Vater für Antonius. Nachdem der Vater in Ketten und Lumpen vor das Tribunal geführt wird, wirft sich der Sohn vor den jungen Caesar und bittet um Milde für den Vater. Wenn er den alten Metellus zum Tode verurteile, dann den jungen am besten gleich mit. Appian berichtet, dass Octavian am Ende nachgab.35 Daraus werden zwei Dinge ersichtlich. Zum einen war das pietätvolle Handeln des jungen Metellus in den achtziger Jahren einem Publikum bekannt, das die Symbolik des Denars verstehen konnte und bewahrte. Es dürfte sich dabei vornehmlich um eine italische Öffentlichkeit gehandelt haben, für die die Ereignisse zu Rom 32 33 34 35
RRC 374/1&2a mit Berkowski (2014) 150–2; der Elefant als Familienemblem der Metelli bei RRC 262/1–5; 263/1; 269/1–2&4; 369/1; 459/1; zur Elefantensymbolik bei den Metelli ferner Nousek (2008) 299 f. RRC 374/2b; vgl. Berkowski (2014) 151. Ein auf den lituus verweisendes Augurat ist nicht bezeugt. Die vergöttlichte pietas wurde ab dem dritten Jahrhundert v. Chr. verehrt; Plaut. Rud. 190–192; Curc. 639 f. Die Störche schon bei Aristoph. Av. 1353 ff. und Aristot. hist. an. 9, 13; vgl. Plin. nat. 10, 63. – Die pietas Metella bei Solin. 1, 124 f.; die Metelli vor Octavian bei App. civ. 4, 175–8.
12.2 Kommemorierung und ikonographische Repräsentation
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Abb. 4: Denar des Q. Caecilius Metellus Pius aus Norditalien, 81 v. Chr., RRC 374/1; Avers: Frauenkopf (Pietas) nach rechts mit Diadem, rechts Storch; Revers: Elefant nach links; darunter Legende: Q . C . M . P . I
eine größere Relevanz und Zugänglichkeit besaßen; zum anderen eignete sich das Medium der Münze hervorragend dazu, die eigene Biographie und die Geschichte der Familie in entlegene Gebiete der Republik tragen zu lassen; zumal die Serie zunächst an Legionäre in Norditalien ausgeschüttet wurde. Gleichzeitig wurde das Bild vom Handeln des Pius über Jahrhunderte konserviert. Er nutzte die ganze Palette republikanischer Medien, um seiner Taten zu gedenken. Wie die unmittelbar folgenden Generationen gegenüber einzelnen Akteuren eingestellt waren, spielte eine nicht zu unterschätzende Rolle. Schon Cicero nahm darauf Bezug.36 Ferner gebührt dem Bart bei numismatischen Trauerszenen besondere Beachtung. Nicht immer ist eindeutig, ob es sich bei Gesichtshaar auf einer spätrepublikanischen Emission um einen Trauerbart handelte, denn ein kurzer, struppiger Bart begegnete auch andersweitig37 Es ist anzunehmen, dass Gesichtsbehaarung neben Trauer sowohl auf die bärtigen Ahnen verweisen, die die Ideale der Republik hochhielten und nun in Gefahr waren (Brutus, Domitius Ahenobarbus), als auch das Vendetta-Moment betonen und auf die Bedrohung eines Bürgerkrieges anspielen konnte (Octavian, Antonius, Sex. Pompeius). Zudem nahm man Bezug auf den Soldatenbart und rückte das Militärische in den Vordergrund.38 Doch die bereits für 36
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Cicero fehlte es bei seiner Traueraktion am pietas-Moment, denn er trat offenkundig nur für sich selbst ein, doch auch seinem Bruder Quintus war wenig Erfolg beschieden. Dass Cicero das exemplum pietatis des Metellus vierzig Jahre später benutzte, zeugt von seiner schriftlichen Fixierung – vielleicht durch den breit zirkulierenden Brief des Numidicus an seine Freunde, dazu FRM 44–8. Zudem hatte sein Unterstützer zur Rückkehr P. Cornelius Lentulus Spinther (cos. 57) ebenfalls in einer Senatssitzung auf die parallelen Fälle hingewiesen (siehe Cic. Red. Sen. 25); zum Münzprogramm der Metelli Hölkeskamp (2016); Itgenshorst (2005) 133–5; zum Beinamen Pius Kajanto (1965) 251; Fetzer (1952) 139–47; zu Spinther MRR II, 199 f. Linfert (1976) 168–74 will allerdings in zahlreichen Münzen der Jahrtausendwende den Trauerbart sehen und verweist auf ein seltenes Portrait des Germanicus, der seinen Thronanspruch unterstreicht. Zur Bärtigkeit spätrepublikanischer Münzportaits Biedermann (2013); zur römischen Bartkultur Blümner, Privataltertümer, 267–71; Marquardt, Privatleben, 582–4; Alki. 3, 19, 2 spricht zudem vom schmutzigen Bart der Stoiker; freilich sind Stoa und squalor kaum vereinbar; zum Aussehen der maiores auch Meister (2009).
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12. Anspruch, Akzeptanz, Authentizität: Zwischen Erinnerung und Invektive
Kleidung nachgewiesene semantische Offenheit einzelner Symbole darf auch hier gelten: Gezielt wurde mit der Mehrdeutigkeit des Bartes bei erwachsenen Männern gespielt und jedem Betrachter der Münze eine eigene Deutung offeriert, die mehrere Anspielungen einschließen konnte. Das legen Darstellungen des Bartes nahe, denn Bart war nicht gleich Bart. Wie bei der Kleidung gilt es auch hier, die „feinen Unterschiede“ herauszustellen. Es war etwas anderes, einen ungestutzten, verwildert wirkenden Bart zu tragen, als ihn fein entlang der Schläfen zu rasieren. So zeigen die Münzportraits des Octavian keinen Vollbart, sondern rahmen das Gesicht an Kinn und Schläfe ein. Dieser Stil ist vor allem für junge Männer belegt, die Cicero barbatuli iuvenes nannte. Darunter verstand man, wenn nicht Octavian, so doch Leute, die in einer Phase, bevor sie Spitzenämter begleiteten, mit einem dandyhaften Lebensstil und devianten Verhalten auf sich aufmerksam machten.39 Die Medialität der Münze und der überbordende Gebrauch von Bärten auf spätrepublikanischen Prägungen stellten eine neue Qualität symbolischer Trauerakte dar, die vor allem pietas akzentuierte, ob als Trauer über den Verlust eines Angehörigen, als Aufruf zur Rache oder Betrübnis über den Bürgerkrieg. Besonders im Fall von Rom abwesender Akteure wie Brutus, Sex. Pompeius, aber auch Antonius bot sich das Medium der Münze an, seine (symbolische) Trauer über die engen Grenzen des Lokalen hinaus publik zu machen. Die Verbreitung einzelner Münzen lässt sich dabei nur unter großem Aufwand nachvollziehen; die meisten Funde wurden trotz der Annahme einer weiteren Verbreitung im Imperium Romanum im engeren Umfeld ihrer Prägestätte gemacht. Auch Octavian, der die meiste Zeit der Triumviratsphase und des Konflikts mit Antonius im Westen zubrachte, ermöglichten Münzen, auf seine Trauer für den verstorbenen Vater und die programmatische Rache für dessen Ermordung hinzuweisen. Er perpetuierte die Trauerszene, indem der Trauerakt in Edelmetall gestanzt und der Moment festgehalten wurde. Dabei eignete sich allein die Abbildung eines Bartes für die dauerhafte Zurschaustellung eines Traueraktes im Medium Münze, denn die Kleidung war auf den wenige Millimeter großen Münzen nicht als Trauergewand zu identifizieren – zumal es sich nur durch Glanz, Farbe und Qualität, nicht aber in Schnitt oder Drapierung vom togatus unterschied, der regelmäßig auf Münzen begegnet.40 Anders gekleidet erschien man schnell als unrömisch (vgl. Abb. 1). Überhaupt stellt sich bei der geringen Größe des Denars und Aureus die Frage, wie deutlich das Anliegen wurde und ob es tatsächlich wahrgenommen wurde. Auch die Bittgesten, die im Rahmen von Traueraktionen zur Anwendungen kamen, eignen sich nicht, im Medium der Münze auf symbolisches Trauern zu verweisen, denn sie weckten primär andere Assoziationen: Das Greifen der Hände konnte kaum vom Reichen der Hände unterschieden werden und war als Motiv des Vertragsschlusses oder der Freundschaftsbekundung bekannt. Eindringlichere Bittgesten wie der 39
40
Zu den verschiedenen Barttypen auf spätrepublikanischen Münzen Biedermann (2013); zu den „Bärtchen tragenden Jungchen“ Cic. Att. 1, 14, 5; 1, 16, 11; vgl. Timmer (2005); Benner (1987) 81 f.; 169–71; ferner Meister (2009) zum wilden Aussehen des Piso (horridus); zum Alter von Bartträgern Gell. 3, 4, 3. Siehe z. B. RRC 242/1; 291/1; 301/1; 330/1; 351/1; 372/1 f.; 391/2; 413/1; 415/1; 419/2; 433/1; 439/1; siehe auch RIC I2 138 f., wo bereits die längere, augusteische Toga zu sehen ist.
12.2 Kommemorierung und ikonographische Repräsentation
245
Kniefall boten sich nicht an (vgl. Abb. 2), weil sie den Unterwerfungsgestus aus seiner Situationsbezogenheit lösten und monumentalisierten; damit untergrub man den eigenen Herrschaftsanspruch. Zudem stellte die ähnliche Darstellung unterworfener Könige ein Problem dar, nicht nur bei der Identifikation der intendierten Botschaft; entweder man setzte sich mit Monarchen auf eine Stufe oder wurde als Empfänger der Bitte betrachtet – beides lag nicht im Interesse der Münzherren, die alle vorgaben, für die Republik einzustehen.41 Möglicherweise zeigen einige spätrepublikanische und frühkaiserzeitliche Büsten einen squalor. Allerdings fällt die Identifikation des Portraits häufig schwer, sodass man sich in Vorsicht üben muss, auf was das Gesichtshaar verweist. Eine struppig vollbärtige Bronzefigur in der Eremitage bildet vielleicht Sex. Pompeius ab und wäre damit die einzige figürliche Abbildung eines Trauerbartes aus republikanischer Zeit: Frisur und Bart stimmen ikonographisch mit dem Aureus überein. Auch M. Junius Brutus, der 43/42 v. Chr. eine vergleichbare Goldprägung ausschüttete, wurde in der Bronze erkannt.42 Zwei leicht bärtige Büsten im Nationalmuseum Stockholm und Museo Chiaramonti des Vatikans wurden im Vergleich mit dem numismatischen Befund ebenfalls als Brutus identifiziert, wobei unklar ist, ob es sich beim Bart um die barbula junger Römer, einen Trauer- oder Ahnenbart handelt.43 Der Schnitt zahlreicher Gemmen ist an spätrepublikanische Münzportraits angelehnt. So ist ein Berliner Karneol quasi identisch mit der oben besprochenen Prägung des Sextus.44 Auch Brutus erscheint mehrfach.45 Mit dem Prägen und Portraitieren quasi-virtueller Trauerszenen währte der Eindruck des symbolischen Trauernden über Jahre, zumindest bis die Emissionen aus dem Zahlungsverkehr verschwanden. Mit der Abbildung ist freilich nichts darüber gesagt, ob die Trauerszenen wirklich stattfanden und ein Octavian oder Brutus tatsächlich in Lumpen und mit Bart in der Öffentlichkeit erschienen. Wahrscheinlich ist, dass man nur vorgab, auf Dauer in Trauer zu sein, denn erst mit der erfolgten Vendetta wurde man die Zeichen der Trauer los. Aus anderen Zusammenhängen ist bekannt, wie einzelne Protagonisten damit haderten, die Kleider einmal gewechselt zu haben, aber nun die Trauerzeichen aufgrund verschleppter Prozesse und gegnerischer Agitation nicht mehr ablegen zu können; das aber beschnitt die Handlungs41 42 43 44
45
Zu den Kniefallszenen auf Münzen der Republik vgl. RRC 422/1; 426/1; 431/1; 510/1; vgl. mit Kap. 9.3. Objektnummer: ГР-11234 (Objektnummer ГР-21634 für eine Glas-Gemme des Sex. Pompeius); vgl. Nodelman (1987) 56 und Balty (1979) 201–3, der insgesamt aber argumentiert, das Profil passe besser zu Brutus; siehe ebd. die Abbildungen 3, 5, 9 und 12. Vgl. Nodelman (1987) 41–56 mit Abbildungen der Büsten und Münzen, die Brutus zeigen; vgl. RRC 507/1a-b zu den Goldprägungen sowie die berühmte EID MAR-Emission RRC 508/3. Vgl. Furtwängler (1900) Tafel 47, no. 40; Zazoff (1983) 281–4 und Zwierlein-Diehl (2007) 123, die sich nicht zu einer Identifizierung des Portraitierten hinreißen lässt, aber fälschlicherweise einen der barbatuli iuvenes erkennt; jedoch beißt sich der Diminutiv barbula deutlich mit dem groben, stoppeligen Vollbart der Gemme. Furtwängler (1900) Tafel 47 versammelt römische Portraitköpfe, die zum Teil bärtig sind, einige können in der Tat als barbatuli gelten (no. 1; 44), doch viele Bärte sind eher horridus und asper; vgl. no. 4 f.; 9; 11; 23; 25; 27 und 37 (beide Brutus); 39–42; 54.
246
12. Anspruch, Akzeptanz, Authentizität: Zwischen Erinnerung und Invektive
freiheit und wirkte sich negativ auf das Prestige aus. Wie im Brief des Metellus Celer an Cicero ist es denkbar, dass die Münzmeister und ihre Auftraggeber nur Erwartungen gerecht werden wollten, die man ohnehin an sie richtete: Angehörige, Freunde und Vaterland gemäß den Anforderungen an einen pietätvollen Charakter zu ehren wie zu rächen.46 An der gleichzeitigen Darstellung und Abbildung verschiedener Bürgerkriegsakteure mit Bart, was jeweils unterschiedliche Deutungen zulässt, werden verschiedene Optionen, mit dem eigenen, aber auch einem gegnerischen squalor umzugehen, gut deutlich. Es herrschte in der ausgehenden Republik nicht nur ein Kampf um militärische Vorherrschaft, sondern auch um die Deutungshoheit und die Legitimität einzelner Gesten und Symbole. Die Verknappung eines squalor zum bärtigen Portrait stellt einerseits den Höhepunkt der Trauerakte dar, denn die Prägung setzt ein blitzschnelles Erkennen der Semantik voraus. Andererseits führte die inflationäre Verwendung des Anspruchs auf Trauer zu Abnutzungserscheinungen: Symbolische Trauerakte machten immer weniger betroffen.47 Diese Semantisierung zeigt sich auch in der Prägung sogenannter glandes plumbae. Diese Schleuderbleie, bei den Römern häufig eichelförmig, doch letztlich in Form und Größe variierend, waren in der Antike weit verbreitet.48 Nicht selten findet man Geschosse mit Gravuren, Inschriften oder Prägungen, die den eigenen Feldherrn preisen und den gegnerischen zum Teil derbe verspotten.49 Auch die Truppen des Q. Sertorius in Spanien verwendeten beschriftete Bleikugeln im Kampf gegen Metellus Pius. Dabei kokettierte Sertorius mit pietas und nahm Bezug auf seinen Widersacher Pius, indem er Schleuderblei mit der Prägung Q(uintus) Sertor(ius) proco(n)s(ul) – Pietas anfertigen ließ. Mit dem Verweis auf das Prokonsulat des Sertorius in der Provinz Hispania ist eine Zeit zwischen 76 und 73 v. Chr. gesichert. Wichtig für den vorliegenden Zusammenhang ist der Zusatz Pietas, den die Forschung bislang als Ausdruck der Vaterlandsliebe des abtrünnigen Sertorius verstand. Der isolierte General wolle zum Ausdruck bringen, dass er nach wie vor im Dienste der res publica stehe und vielmehr die gegenwärtigen Machthaber das
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48 49
Zum Problem des erzwungenen sordes Kap. 14.1; zu Celer Kap. 3.1; ähnlich vorsichtig Hall (2014) 66; 107 f. Eine Durchsicht der zwischen den Jahren 44 und 31 v. Chr. angefertigten Prägungen ergab 41 Abbildungen einen squalor indizierender Bärte: RRC 480/22; 488/1 f.; 490/1–4; 492/1 f.; 493/1; 494/17&32 f.; 496/1 f.; 506/1; 507/1; 508/3; 511/1; 513/2; 517/1 f.; 518/1 f.; 519/2; 523/1; 525/1 f.; 526/1&3; 528/2 f.; 529/1 f.; 531/1; 534/3; 535/1 f.; 538/1; 540/1 f.; siehe auch Biedermann (2013). Vgl. zuletzt Rihll (2009); die Bleie gaben auch taktische Informationen preis; siehe Bell. Hisp. 13. Obszöne Schmähungen des Octavian durch Soldaten des L. Antonius vor Perusia bei CIL I 682 mit Zangemeister (1885) 58, ferner ebd., 62; allein die Anrede mit „Octavian“ bzw. „Octavius“ statt des erwünschten „Caesar“ war Beleidigung genug: Man antwortete entsprechend; vgl. CIL I 684 mit Zangemeister (1885) 65; beide Seiten beleidigten und demoralisierten sich also gegenseitig; ein Indiz auch bei App. civ. 5, 148, wo die Bleie erwähnt werden; vgl. Rosen (1976). Schon 90/89 v. Chr. wendeten die Bewohner von Asculum ähnliche, weniger derbe Sprüche auf Bleigeschossen gegen Pompeius Strabo; dazu McDermott (1942).
12.2 Kommemorierung und ikonographische Repräsentation
247
Gemeinwesen bedrohten. Pietas sei hier als pietas erga patriam zu lesen.50 Die Reklamation der pietas durch Sertorius ist jedoch nicht weiter belegt und die ideologische Interpretation fraglich. Die pietas gegenüber dem Vaterland zur Schau zu stellen, ist ohnehin erst ab Cicero überliefert.51 Die Assoziation der pietas mit dem Kontrahenten Metellus war dagegen einschlägig, wurde aber von der Forschung bislang nicht ausreichend gewürdigt.52 Vor dem Hintergrund der Tradition von Schmähinschriften auf Bleigeschossen scheint eine andere Deutung möglich: Indem man die Truppen des Metellus mit seinem eigenem Beinamen beschoss, überzog man den gegnerischen General mit Spott. Schließlich hatte Metellus wenige Jahre zuvor mit einer Prägung seiner pietas gedacht und seine Siege im Bürgerkrieg verherrlicht.53 Insofern verhöhnte man die früheren Taten des Metellus. Sertorius und seine Leute ließen ihm quasi ihrerseits die proklamierte pietas zukommen: Stück für Stück. Die Mannschaften des Sertorius erbaute das sicherlich, sofern sie keinen Anstoß an der Zweckentfremdung der pietas nahmen, aber aus ihrer Perspektive musste sich bereits die Emission des Metellus und sein Bezug auf pietas als Heuchelei darstellen. Ob die Legionäre des Sertorius die Münzserie des Metellus kannten, ist leider nicht zu klären; es ist sogar unwahrscheinlich, dass dieselben Soldaten zur Zeit beider Prägungen an den jeweiligen Orten präsent waren. Der Beiname, den sich Metellus aufgrund seines squalor und Einsatzes für den Vater verdient hatte, war allemal geläufig; dafür sorgte er selbst bei jeder Gelegenheit. Sertorius waren sicher die Prägung und die Geschichte um den Beinamen vertraut. Freilich ist der sprachliche Duktus ein ganz anderer als bei den vulgären Beleidigungen der Generäle durch feindliche Legionäre, doch auch die Materialität des Geschosses spricht für eine Deutung, die Bezug auf Metellus Pius und nicht auf die Vaterlandsliebe des Sertorius nimmt: Blei galt zwar als wertvolles, nicht aber edles Metall und diente nie der Untermalung der eigenen Stellung; repräsentativen Charakter trug es nicht. Zugleich parodierte es die Prägung der pietas durch Metellus auf Silber, denn Blei nutzte man gerade nicht zur Herstellung von Münzen, sondern neben Schleudergeschossen verwendete man es vornehmlich für Gefäße, Rohre und Verplombungen, also für den alltäglichen Bedarf ohne repräsentativen Nutzen.54 Gleichwohl rief man den squalor des Pius unweigerlich in Erinnerung. Das barg freilich die Gefahr, den Kampfesmut der Gegenseite anzustacheln. Dass die Prägung auf Blei jedoch offiziell anmutet, ist problematisch. Solche Botschaften wie auf den glandes aus Spanien kommunizieren stets in zwei Richtun50 51 52 53 54
Berkowski (2014) 152–7; Manchón Zorrilla (2014); zum Fundkontext der geprägten Schleuderbleie Beltrán Lloris (1990), besonders 214 mit Abbildung. Vgl. Cic. inv. 2, 66, das allerdings in die Zeit des Sertorius fällt und möglicherweise auf die Reklamation der pietas erga patriam durch Sertorius Bezug nimmt: pietatem, quae erga patriam aut parentes aut alios sanguine coniunctos officium conservare moneat … Beltrán Lloris (1990) 220–3 stellt den Zusammenhang her, geht aber nicht weiter darauf ein. Metellus war 82 bis 80 v. Chr. vir monetalis; vgl. MRR III, 40 f.; er kämpfte von 80 bis 71 v. Chr. in Spanien, seit 77 mit der Unterstützung des Pompeius; vgl. Plut. Sert. 1, 5 und 12, 4–27, 1; ferner Plut. Pomp. 17–20. Vgl. Meier (1995).
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12. Anspruch, Akzeptanz, Authentizität: Zwischen Erinnerung und Invektive
gen: zum einen dorthin, von wo geworfen, geschleudert oder katapultiert wird und zum anderen nach da, wo die Projektile einschlagen. In Bürgerkriegssituationen mit der ihnen eigenen Freund-Feind-Wahrnehmung ist das von großem Wert, denn aus dem Fundkontext ist nicht restlos zu klären, wer genau sich dieser Geschosse bediente; wenige Meter machen auf einem Schlachtfeld bereits einen gehörigen Unterschied aus: Wenn man also die beschrifteten glandes als subversive Strategien versteht, ist es ebenso möglich, dass die Seite des Metellus die Partei des Sertorius verhöhnte, indem ihrem Anführer das Prokonsulat hämisch zugestanden wurde, während man ihn mit der pietas des Metellus eindeckte. Je formeller der Aufdruck daherkam, umso beißender war der Spott, mit dem man die Gegner überzog. Freilich bleibt der damit erzielte Effekt unberechenbar und der Aufwand außerordentlich hoch; schließlich mussten reichlich Geschosse mit der Prägung versehen werden, doch spiegelt sich darin die Hartnäckigkeit des Kampfes wider, der über Jahre hinweg geführt wurde – gleich welche politische Botschaft kommuniziert werden sollte. Diese Deutung fügt sich in die seit dem ersten Jahrhundert v. Chr. bekannte Praxis ein, über Bei- und Ehrennamen politischer Rivalen zu witzeln.55 An diesem Fund werden die „semantischen Kämpfe“ der späten Republik gut sichtbar – schon die gleichzeitige Prägung von Münzen mit Trauerbärten durch verschiedene Bürgerkriegsparteien legt diese Deutung nahe. Bei semantischen Kämpfen geht es um die politische Auseinandersetzung mit Begriffen und negativ belegten Gegenbegriffen; hier birgt sogar ein und derselbe, von beiden Seiten benutzter, umgedeuteter und normativ aufgeladener Begriff (pietas) sowohl positive als auch negative Konnotationen und wird vom Politischen in einen militärischen Konflikt überführt. Das Phänomen entspricht Semantisierungen, die man für die späte Republik vermehrt beobachten kann.56 Zum anderen offenbart die Bleiprägung die nach Jahrzehnten mögliche Agitation gegen einen squalor oder seine Propagierung. Dadurch wird der Jahre zurückliegende squalor erneut vergegenwärtigt und wie im Fall symbolischer Trauerakte auf Münzen imaginiert. Die Möglichkeiten der politischen Gegner, sich dagegen zur Wehr zu setzen und gegen eine politisch motivierte Trauerinszenierung anzugehen, werden im Folgenden behandelt.
55 56
Zu Witzeleien mit Beinamen Matthews (1973); Corbeill (1996) 57–98; Meister (2012) 25 f. Zum Konzept semantischer Kämpfe grundlegend Koselleck (1985) besonders 113 und 211 ff.; die Anwendung auf die römische Republik und ihre Grenzen werden diskutiert bei Nebelin/ Tiersch (2017).
13. RÜCKZUG UND WIDERSTAND: REAKTIONEN POLITISCHER GEGNER Bezeugte Trauerakte beruhten auf Konflikten in der römischen Oberschicht (Kap. 2.2). Wenn man sich die komplexe Kommunikationssituation eines squalor genauer besieht, wird man gewahr, dass sowohl am Konflikt Unbeteiligte als auch Involvierte Adressaten der Szene waren. Wurde man Augenzeuge, konnte man sich einer emotionalen Stellungnahme nicht entziehen, selbst wenn man kein Interesse an der Angelegenheit zu haben schien. Dadurch dass man den Streit öffentlich austrug, wurde er zur Sache aller.1 Die meisten Zuschauer traf die Aktion unvermittelt, während sie ihren Tagesgeschäften nachgingen. Vermutlich entschied sich im Bruchteil einer Sekunde, ob ein zufälliger Beobachter angetan war oder nicht. Man wog die verschiedenen Deutungsoptionen blitzschnell ab und entschied sich ebenso rasch für eine Position. Sofort glich man seine Interpretation mit dem Gesamtbild der Erscheinung ab, ob man den Protagonisten und dessen Auftreten kannte, ob man ihm wohl gesonnen war oder ihm gegenüber feindlich gestimmt. In einem zweiten Schritt spielten sicherlich Abwägungen über direkte oder indirekte Nahbeziehungen zum Akteur oder seinen Gegnern eine Rolle. Gerade die Einstellung zum Trauerakteur machte einen gehörigen Teil der Überzeugungskraft aus, denn wer beim Volk unbeliebt war, durfte auch beim Einzelnen mit keiner Welle der Sympathie rechnen. So legte Kaiser Nero seine Pläne zu einem squalor angesichts der aufgeheizten Stimmung in Rom schnell zu den Akten, denn er befürchtete, sein Anliegen gar nicht vortragen zu dürfen, sondern zuvor von der wütenden Menge in Stücke gerissen zu werden, während sich Cicero verzockte.2 Der Bezug der Situation auf den Kontext bestimmte auch beim Einzelnen darüber, ob die Aktion glückte oder ihr Ziel verfehlte. Oben konnte gezeigt werden, dass der Verweis auf pietas die Erfolgsaussichten steigerte. Fremde Menschen konnten sich gerührt zeigen; die eigenen Anhänger ohnehin, falls sie nicht bereits ins Bild gesetzt waren, auch wenn von Ankündigungen oder Absprachen nichts bekannt ist. Zusammen stellten sie die Schar an Personen dar, die das explosive Gemisch aus Trauer und Zorn zum Ausbruch bringen konnten, sofern richtig stimuliert. Allein das Vorhandensein dieser Menge als Drohkulisse genügte mitunter, um einen Gegner zum Einlenken zu bringen. Als problematisch waren diejenigen Passanten einzustufen, die sich dezidiert vom squalor fernzuhalten suchten und weder für ihren Protagonisten noch für des1 2
Zur privaten Aufladung und Nutzung des öffentlichen Raums Russell (2016); dazu auch Kap. 2.3. Suet. Nero 47, 2: Parthosne an Galbam supplex peteret, an atratus prodiret in publicum proque rostris quanta maxima posset miseratione veniam praeteritorum precaretur, ac ni flexisset animos, vel Aegypti praefecturam concedi sibi oraret. inventus est postea in scrinio eius hac de re sermo formatus; sed deterritum putant, ne prius quam in forum perveniret discerperetur. – Vgl. Kap. 14; zu Ciceros Aktion vor allem Kap. 3.1.
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13. Rückzug und Widerstand: Reaktionen politischer Gegner
sen Rivalen Partei ergreifen wollten, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Gleich ob sie sich innerlich zu der ein oder anderen Seite hingezogen fühlen mochten, ein neutraler Status war qua Anliegen der Traueraktion weder vorgesehen noch möglich. Da ein symbolischer Trauerakt immer als Polarisierung in auswegloser Situation zu gelten hatte, kaufte man sich damit auch das Problem des Schwarz-WeißSchemas ein, denn jeder, der nicht auf die Traueraktion reagierte, sich zu distanzieren oder diplomatisch zu verhalten suchte, spielte zwingend dem Gegner in die Karten, der jede ausgebliebene Reaktion als Erfolg für sich verbuchen konnte. Der status quo, den man durch eine große, situative Anhängerschaft zu ändern suchte, blieb ohne die Reaktion der Mehrheit der Anwesenden intakt. Folglich mussten „neutrale“ Beobachter vom Trauerakteur als Hindernis verstanden werden. Offene Feindschaft konnte man ihnen nicht entgegenbringen, da immer noch die Möglichkeit bestand, sie umzustimmen; potentielle Feinde waren sie allemal. Demnach ist eine qualitative Abstufung zwischen den konkreten und den unfreiwilligen Gegnern des Protagonisten vorzunehmen. Daneben gab es die durch die Aktion positiv angesprochenen Teilnehmer der Szene und die ohnehin wohl gesonnene Gefolgschaft des Protagonisten. Von neutralen Zuschauern der Szene kann keine Rede sein, denn ein jeder wurde – freiwillig oder nicht – polarisiert wie politisiert. Nicht nur beim Akteur eines squalor achtete die Öffentlichkeit auf das stete Einhalten gesellschaftlicher Normen und Werte. Auf der Seite der Personen, auf die ein Trauerakt abzielte, war die Zuschreibung von clementia von Bedeutung, wie die Geschichte von P. Furius zeigte. Ein Problem stellten natürlich die offenkundig verfeindeten Leute unter den Betrachtern der Trauerinszenierung dar. Mit ihnen musste man rechnen, sonst wäre die Bedrohungslage, in Lumpen auftreten zu müssen, nicht akut gewesen. Die folgenden Überlegungen gehen daher der Frage nach, welche Reaktionen man mit einem squalor bei seinen Kontrahenten auslösen konnte und wie die Trauersymbolik als Attacke auf den politischen Gegner wirkte. Bei der Vieldeutigkeit der Trauerakte je nach Anlass und Situation ist auch mit unterschiedlichen Rückwirkungen zu rechnen. Daher wird der Fokus insbesondere auf Maßnahmen liegen, die man ergreifen konnte, sobald man sich seiner Lage als von einem squalor betroffene Person bewusst geworden war. Rhetorische Paraden bleiben dagegen unberücksichtigt, da man ihre Wirkung selten einschätzen kann – zumal sie den squalor ins Gedächtnis riefen und damit das Gegenteil bewirken konnten.3 13.1 AKTIVIERUNG DES SCHAMGEFÜHLS UND DIE KRÄNKUNG DER EHRE: PUDOR UND INFAMIA Nicht selten war eine unmittelbare Reaktion des Publikums gar nicht vonnöten, um mit einem squalor das gewünschte Ziel zu erreichen. Vielmehr führten häufig bereits die Wahrnehmung eines Trauerakts und das Bewusstsein des Beschuldigten, 3
Siehe dazu Cic. Vatin. 30–2 und leg. agr. 2, 13 mit Kap. 5.2 f.; Pis. 89 mit Kap. 14.1; vgl. Hall (2014) 44–9.
13.1 Aktivierung des Schamgefühls und die Kränkung der Ehre: pudor und infamia
251
dass er gemeint war, zu einer Lösung des Konflikts. Bisweilen genügte die Androhung eines symbolischen Traueraktes, um sein Anliegen durchzusetzen.4 Aber warum waren so viele Römer darauf erpicht, von einem squalor verschont zu bleiben? Einer Antwort muss man sich über einen Vergleich nähern, da Belege für das Innenleben Betroffener fehlen und methodische Probleme hervorrufen. Daher behandelt der folgende Unterpunkt auch Formen sogenannter „Volksjustiz“, die einzelnen Facetten symbolischer Trauerakte gleichen konnten. Der Ruf und die Ehre (honor) waren den Römern, und gerade den Nobiles, von ungemein großer Bedeutung. An der Qualität des Ruhmes (gloria) bemessen trug die römische Elite Statuskämpfe aus, und umso größer war die Angst davor, das „Gesicht zu verlieren“, denn ein Gesichtsverlust ging mit einem massiven Imageschaden einher (infamia).5 Je höher die Infamierung war, umso bedrohter war der zum Teil vererbte, zum Teil erworbene Status innerhalb der Oberschicht. Im Extremfall verlor man seine bürgerlichen Rechte, da eine Beschmutzung des Standesethos eine zensorische Rüge und eine formal-juristische Infamierung nach sich zog, die mit vielerlei Ehrstrafen und persönliche Sanktionen einhergingen. Diese Verbindung tritt besonders im Fall des C. Licinius Macer zutage, der fälschlich meinte freigesprochen worden zu sein und wieder ins Senatorengewand schlüpfte (praetextam ponere). Als er von seiner Verurteilung erfuhr, nahm er sich das Leben.6 Infamia, in älteren Zeugnissen ignominia, bezeichnete Facetten gesellschaftlicher Erniedrigung wie „Schande“ und „Schmach“. Sie fassten aber im juristischen Sinn keinen Tatbestand, vielmehr subsumierte man unter ihnen den Zustand der Ehrlosigkeit, der erst zum Rechtsverlust führte. Dieser Gefahr war nicht nur die Elite ausgesetzt, sondern sie betraf die gesamte Bevölkerung.7 Auch Mitglieder der Plebs wurden im Rahmen ihrer Statusansprüche mit Ehrverlusten konfrontiert. Man konnte sich jeder Zeit in den öffentlichen Räumen der Stadt blamieren und damit seinen guten Ruf nicht nur vor den Anwesenden in Gefahr bringen, sondern die Eigenheit der fama ist es, auch an die Ohren der Abwesenden vorzudringen. Der gute Ruf und das üble Gerücht stellten zwei Seiten derselben Medaille dar.8 Somit dürfte das Volk ein ebenso großes Schamgefühl bei öffentlichen Auftritten gekannt haben wie die römische Oberschicht. Aus diesem Grund war jeder Schritt vor die eigene Haustür riskant und im Vorfeld gut zu planen: Wie trat man auf, womit musste man rechnen, wem konnte man begegnen, waren Fragen, die man lieber vorab klärte, um nicht unangenehm überrascht zu werden. Somit war jeder Auftritt in der Öffentlichkeit prekär, da er den sozialen Status des Akteurs potentiell bedrohte. Genau das fürchteten Senatoren am meisten. Wie aber sahen solche Blamagen aus? Dabei gilt es zu unterscheiden zwischen versehentlich herbeigeführten Erniedrigungen und gezielt verursach4 5 6 7 8
Liv. 4, 43, 7–9; Val. Max. 6, 5, 2; dazu auch Kap. 5.3. Barton (2001); Lendon (2011); vgl. Hölkeskamp (1995) 22 zur doppelten Bedeutung von honos/honor. Val. Max. 9, 12, 7; Plut. Cic. 9, 1–3; vgl. Kath (2012) 66. Zur zensorischen Rüge Kap. 14.1. Vgl. Kaser (1956); Privatrecht, 623–5; Raber (1969). Dazu jetzt Meister (2017b); Laurence (1994) missachtet diese Dialektik konsequent; ferner Kap. 6.3; zur Rolle der Öffentlichkeit auch Kap. 2.3 und 2.4.
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13. Rückzug und Widerstand: Reaktionen politischer Gegner
ten Ehrverlusten durch andere. Sich selbst blamieren, konnte man durch ungeschickte Rhetorik, Mimik und Gestik. Schlechte Reden waren ebenso peinlich wie Zuckungen, unangebrachtes Husten und Niesen. Von der römischen Elite erwartete man ein überdurchschnittlich hohes Maß an körperlicher Kontrolle; das zeigt auch die kontinuierliche Debatte über verrutschte Kleidungsstücke oder den Gang von Senatoren. Über Sozialisierung und Normkonformität wirkte man diesen Bedrohungen des Renommees entgegen.9 Doch nicht nur unkontrollierte Bewegungen und Mangel an rhetorischem Talent gereichten zur Schande, auch der überzogene, regelmäßige und offenkundige Verkehr in unschicklichen Personenkreisen wie Freigelassenen, Prostituierten und Gladiatoren schadete dem persönlichen Ansehen, denn diese Leute waren bereits infamiert. Von einem solchen Umgang war dringlich abzuraten, denn ein Gerede über einen ausschweifenden Lebensstil forcierte den Ehrverlust und spielte den eigenen Gegnern in die Karten. Überhaupt waren Rivalen häufig Initiatoren kollektiver Anfeindungen. Dazu nutzten sie Methoden traditioneller Rügebräuche. Bekannt sind das Singen denunziatorischer Lieder auf offener Straße, vor dem Haus des Betroffenen oder am Marktplatz (occentatio), zirkulierende Schmähschriften ähnlichen Inhalts (libelli famosi) sowie das öffentliche wie lautstarke Einfordern schuldiger Güter und Gaben (flagitatio). Alle rügten von der Gemeinschaft als ungebührlich bewertetes Verhalten öffentlichkeitswirksam, indem Spottlieder auf die betroffene Person angestimmt wurden oder ihr Haus belagert und mit Graffiti beschmiert wurde. Kontrahenten nutzten die „Macht der Straße“ und wandten diese Praktiken in politischen Auseinandersetzungen an. Darauf konnte mit einer Injurien-Klage reagiert werden, doch das war nicht ratsam, denn je mehr man sich gegen Verleumdung wehrt, desto mehr setzte sie sich fest – Aussitzen war die bessere Option.10 Dann ließ man es darauf ankommen, ob die Plebs tatsächlich reagierte, wie sich es der Urheber der Szene erhoffte. Der Volkstribun Furius verspekulierte sich, was ihn das Leben kostete, andere wie Pompeius und Crassus hatten mehr Erfolg (s. u.). Aus der Prekarität jeden öffentlichen Erscheinens resultierten ein verhältnismäßig großes Schamgefühl (pudor) in der Oberschicht und der Wille, möglichst alle Gefahren des Statusverlustes zu vermeiden.11 Der Diskurs über die soziale Form der Scham, die von der körperlichen zu trennen ist (pudicitia), lässt sich schon bei Plautus greifen. Dass die Scham als Antithese zum guten Ruf fungierte, belegt auch der Wertediskurs der Jahrtausendwende.12 Szenen der Entehrung (infamia) fanden auf dem Markt, den Straßen und vor den Häusern der Betroffenen statt. Das galt 9 10
11 12
Zu habituellen Invektiven Corbeill (2004) 107–39; Meister (2009); (2017c); zur senatorischen Sozialisation Scholz (2011); Flaig (1993). Vgl. Usener (1965) 361 f.; 374; Wittmann (1972); Lintott (1968) 6–16; Nippel (1988); nun auch Kelly (2013); Kath (2012) 68–70; zur plebejischen Liederkultur Horsfall (2003) 11–9; 31–47; zur Injurien-Klage Raber (1969) und Kap. 13.2; zu Graffiti und ihrer politischen wie moralischen Wirkung Keegan (2014) 173–84; 243 ff.; (2011); Hillard (2013); Morstein-Marx (2012) für die Republik; Zadorojnyi (2011) für den frühen Prinzipat. Zum Schamgefühl Barton (2002); (2001); Kaster (1997); zum Imageschaden Jackob (2012). Plaut. Epid. 166–7; Hor. carm. saec. 57–60; carm. 1, 24, 6–8. – Ferner Radke (1959) 1947; Bendlin (2001).
13.1 Aktivierung des Schamgefühls und die Kränkung der Ehre: pudor und infamia
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auch für den squalor, zielte er doch darauf ab, Personen in der Öffentlichkeit zu diffamieren. Das führt zurück zu Senecas Beispiel einer Injurie (Kap. 7.3). Dabei wird der Amtsanwärter zum einen dadurch attackiert, dass ihm subtil mit Gewalt gedroht wird. Zum anderen gerät sein Leumund in Verruf, da es so scheint, als habe er nicht genügend für seinen Klienten Sorge getragen. Da der Junge als adsectator und sordidatus auftritt, wird das schmutzige Äußere dem Patron zur Last gelegt. Daher schrieb die Elite ihrem Umfeld das Tragen einer Toga vor, um nicht in den Verdacht des Geizes oder mangelnder Liquidität zu geraten. Dafür spricht die enge Verknüpfung mit der salutatio, bei der man ohne Toga gar keinen Zugang erhielt, da man durch Kleidung die Zugehörigkeit zur römischen Bürgerschaft demonstrierte. Nach Beendigung der Aufwartung begab man sich mit einem Teil dieser Klienten auf das Forum (deductio in foro), von denen wiederum ein Teil den ganzen Tag an der Seite des Patrons verharrte. Außerdem stießen weitere Personen hinzu, die nicht an der morgendlichen Begrüßung teilgenommen hatten, sodass der Eindruck entstand, der Politiker sei den gesamten Tag von Anhängern und Unterstützern umgeben.13 Das Äußere der adsectatores durfte insgesamt weder allzu positiv noch zu ungepflegt ausfallen, denn das Image der Klienten verband man mit dem des Patrons. Wenn Gesetze kaum dazu in der Lage waren, Personen, die sich geschädigt sahen, von Praktiken der Entehrung wie dem squalor zu schützen, konnte man als Betroffener häufig nur dazu übergehen, dem Konfliktpartner Zugeständnisse zu machen, um nicht in Misskredit zu geraten. Außerdem wirkten pudor und die Furcht vor infamia bereits in einer frühen Phase der Interaktion soweit, dass der offene Konflikt meistens gemieden wurde. Die Plebs jedenfalls konnte infolge eines symbolischen Traueraktes starke Gefühle des Mitleids und der Sympathie aufbringen, wenn sie sich in die Lage des Geschädigten versetzt sah. Dem entspricht auch das Bild, das man von Angeklagten gewinnt: Auch vor Gericht neigte man dazu, selbst offenkundig schuldige Delinquenten freizusprechen; es sei an das Exempel des Galba erinnert.14 Diese Emotionen konnten mitunter in Wut, Aggression und offene Gewalt umschlagen. Selbst wenn es nicht zum Mob kam, versuchte doch der von einem squalor betroffene Akteur zumindest seinen Ruf oder gar Leib und Leben zu schützen, indem er es erst gar nicht dazu kommen ließ, dass ein anderer ihn mit einem squalor nachstellte. Umso verständlicher wird die Konsensbereitschaft römischer Senatoren; sie wollten die Gefahr, mit Rügebräuchen belegt zu werden, soweit wie möglich reduzieren, indem sie ihre fama betonten. Die zahlreichen Bestimmungen in den römischen Digesten, die Spottgesänge, Schmähschriften, aber auch das stetige Verfolgen einer Person unter Strafe stellten, legen davon Zeugnis ab, denn sie gehen auf durch den Senat initiierte Verbote zurück.15 Pudor entsprach durchaus einem Schutzmechanismus vor entehrenden Praktiken. Umgekehrt wird sich im Folgenden zeigen, dass Trauerakte nicht nur als eine bestimmte Form „italischer Volksjustiz“ (H. Usener) gelten dürfen, wenn die Antizipation von psy13 14 15
Zu adsectatio, Toga bei salutatio und ianitores Kap. 8.3 mit Anm. 64 f.; ferner Kap. 7.3. Vgl. Quint. inst. 9, 3, 56; Cic. Verr. 1, 1, 1 f.; Att. 4, 15, 4; 18, 3; dazu Nippel (1988) 65 A. 51. Vgl. die Sammlung in Dig. 47, 10: de iniuriis et famosis libellis mit Raber (1969); ferner Wittmann (1972).
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chischen und physischen Maßnahmen im Vordergrund stand, sondern dass man ihnen auch mit Rügepraktiken begegnen konnte.16 Entehrende Maßnahmen selbst einzusetzen, war also alles andere als schandhaft oder ehrenrührig. So konnte man mit einem squalor gegen einen squalor angehen. Auf diese Weise war man symbolischen Trauerakten nicht immer schutzlos ausgesetzt. Clodius etwa trat mit seinen Männern Cicero in den Straßen direkt entgegen und hinderte ihn an der Durchführung seines squalor. Es lässt sich nur mutmaßen, ob es Cicero gelungen wäre, die römischen Bürger wieder auf seine Seite zu ziehen, hätte er seine Aktion ungehindert durchführen können. Clodius schien es zumindest trotz seines Einflusses auf die Plebs zu befürchten. Das leitet zu den Maßnahmen über, die man gegen eine symbolische Trauerbekundung ergreifen konnte. 13.2 GEGENMASSNAHMEN ERGREIFEN: INJURIEN-KLAGE, MILDE UND OBSTRUKTION Man war einem squalor also nicht hilflos ausgeliefert. Im Gegenteil: Zum einen zeigt die Fülle an misslungenen Trauerakten, wie prekär die Lage für beide Seiten im Angesicht einer mutatio vestis war. Zum anderen konnte man Maßnahmen ergreifen, um der Ehrverletzung beizukommen. Dazu zählte vor allem die Möglichkeit zur Klage. Schon Senecas gescheiterter Kandidat für die Prätur beabsichtige, den mittellosen Knaben anzuzeigen, da er ihm ein Unrecht (iniuria) getan habe, indem er ihn öffentlich des Mordes beschuldigt und ihm dadurch das Amt verleidet hatte.17 Injurien umfassten allerlei Verletzungen der Persönlichkeitsrechte, angefangen bei der physischen Gewalt gegen eine Person oder seine Sklaven bis hin zur Nötigung und Schädigung seines Leumunds.18 Die Beschmutzung der Ehre eines römischen Bürgers durch einen anderen interessiert dabei besonders. Eine klassische Form der Persönlichkeitskränkung, die zur Gegenklage führen konnte, waren Schmählieder oder -schriften. Diese Praxis spiegelt sich bereits in den Komödien des Plautus wider. Die Strafen für iniuria reichten dabei von Geldbußen über Exilierung bis zur Verurteilung zum Tode in den älteren Bestimmungen der Zwölftafeln. Die Tendenz ging allerdings dahin, Klagen ebenso wie den Tatbestand zu vermeiden, indem eine penible Beschreibung des Delikts vor dem Prätor verlangt wurde. Die als weitere Entwürdigung empfundene Prozedur lehnte man häufig ab, auch weil sie die Schande vor aller Augen reproduzierte. Dadurch konnten juristische Auswüchse alltäglichen Zanks eingeschränkt werden, doch es begünstigte verleumdende Attacken.19 16 17 18 19
Vgl. Martin (2002) 156; Nippel (1988) 123; zum ausgeprägten Rügewesen im archaischen und klassischen Griechenland Schmitz (2004) 359–409. Überhaupt ist die Frage nach der Rechtmäßigkeit dieser Klage Gegenstand des Streitgesprächs (controversiae); Sen. contr. 10, 1, 1 ff.; vgl. Wittmann (1972) 33 f. Zu den Facetten der iniuria Simon (1965); zur Rufschädigung aus juristischer Sicht Pólay (1989) 517; Raber (1969); aus politischer und kultureller Perspektive u. a. Corbeill (1996); Pina Polo (1996); Meister (2012) 51–94. Vgl. Mommsen, Strafrecht, 805 f.; Kaser, Privatrecht, 625.
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Die Injurie bei Seneca bestand darin, den Reichen mit der Traueraktion zu beleidigen. Nicht nur die schmutzige Kleidung des Jungen färbe auf den Ruf des Bewerbers ab, sondern auch die Behauptung, der reiche Mann sei der Mörder des Vaters oder zumindest der Auftraggeber des Anschlages. Der Tenor der Antworten und Färbungen neigt zwar dazu, dem Jungen Recht zu geben und die Klage als unzulässig abzulehnen, doch einzelne Bestimmungen in den Digesten sprechen eine andere Sprache. Sie weisen nicht nur auf den historischen Hintergrund des Falls bei Seneca hin, was für das Genre der controversiae eine Ausnahme darstellt; vermutlich gab es im republikanischen Rom tatsächliche eine ähnliche Konstellation. Interessanter ist, dass der römischen Elite daran lag, einen ausufernden squalor einzuhegen:20 Üblicherweise verbot der Prätor, was anderer Leute Ruf schadete; deshalb wird, wer auch immer etwas macht oder sagt, um einem anderen zu schädigen, der iniuria angeklagt. Was zur Schädigung eines anderen zählt, sind die folgenden Dinge: wie z. B. aus Missgunst Trauerbzw. schmutzige Kleidung [tragen], oder sich den Bart und Haare lang wachsen lassen […].
Wenn der Ruf einer angesehenen Persönlichkeit attackiert wurde, war darauf zu achten, dass es in geregelten Bahnen verlief und nicht in Scharen daran partizipiert wurde wie im Fall Ciceros, wo von freilich übertriebenen zehntausend Begleitern berichtet wird. Nur den Zensoren stand es zu, eine Rüge auszusprechen. Eine Traueraktion unterlief dagegen die zensorische Autorität und stellte für jedes Mitglied der politischen Klasse eine potentielle Gefahr dar.21 Die Kontrolle über rufschädigende Maßnahmen wurde daher den Prätoren zugebilligt, die die Rechtsaufsicht hatten. Man beschloss, nur noch Verwandten eines Angeklagten, Exilierten oder sonst direkt Betroffenen die Trauersymbolik einzuräumen:22 Es ist keinem erlaubt, öffentlich beschmutzte Kleidung im Namen einer Sache anzulegen und die Haare lang wachsen zu lassen, wenn es nicht der Unterstützung eines Verwandten dient, damit man auf diese Weise nicht wider Willen gegen jemanden Zeugnis ablegen kann.
Gleichwohl galten diese Bestimmungen auch der Eindämmung überbordender Rachespiralen zu Gericht, denn Trauerzeichen wie Kleidung, Bart und Haar zählten zu den Mitteln, die man im Prozess einsetzte. Gegenseitige Anklagen wurden im Laufe des zweiten Jahrhunderts v. Chr. immer mehr Instrument elitärer Konfliktaustragung. Doch nur selten folgte der mutatio vestis eine Klage auf dem Fuße. Im Gegenteil war das die Ausnahme. Aber eine Verhandlung wurde wahrscheinlich, sobald 20
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Dig. 47, 10, 15, 27 (Übers. CD): Generaliter vetuit praetor quid ad infamiam alicuius fieri. proinde quodcumque quis fecerit vel dixerit, ut alium infamet, erit actio iniuriarum. haec autem fere sunt, quae ad infamiam alicuius fiunt: ut puta ad invidiam alicuius veste lugubri utitur aut squalida, aut si barbam demittat vel capillos submittat … Daube (1991a) datiert die Episode in das zweite Jahrhundert v. Chr., was mit Kap. 2.1 einhergeht, da Trauerakte zu jener Zeit erst langsam aufkamen; vgl. Blonski (2008) 42 f. Flaig (2003a) 101 f.; Thomas (1997); zur zensorischen Rüge wegen eines squalor Kap. 14.1. Dig. 47, 10, 39 (Übers. CD): Vestem sordidam rei nomine in publico habere capillumve summittere nulli licet, nisi ita coniunctus est adfinitati, ut invitus in reum testimonium dicere cogi non possit. – Stroux (1929) 62 f. datiert die Aufzeichnung in die Zeit des Antoninus Pius, das Verbot war älter; vgl. Blonski (2008) 42 f.
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sich ein squalor mit dem stillschweigenden Verfolgen einer Person verband (adsectari). Klagte man, ohne verfolgt zu werden, gegen das unrechtmäßige Tragen dunkler Kleider, gestand man vielmehr ein, dass man sich angesprochen fühlte; Cicero bedauerte, einen ähnlichen Fehler begangen zu haben. Auch das hartnäckige Folgen auf Schritt und Tritt kannte die römische Rechtsprechung als Form der Injurie. Umgekehrt war das adsectari nicht in jedem Fall ein Tatbestand der iniuria – oben war von der Verbindung zu römischen Nahbeziehungen die Rede –, sondern lediglich in verschiedenen Kombinationen, wozu das dunkle Gewand zählen konnte.23 Je nach Konfliktlage erfüllte ein Trauerakt tatsächlich den Tatbestand der Nötigung. Doch gerade wenn ein squalor dazu diente, eine Klage zu evozieren, galt er als legitim, um seiner Sache öffentlich Gehör zu verschaffen.24 Daraus wird ersichtlich, dass es keine harten Kriterien gab, wann eine Injurienklage gegen eine symbolische Trauerbekundung erhoben wurde. Jeder potentielle Kläger musste klug abwägen, ob er einen Trauerakt als so herabwürdigend empfand, dass er das Risiko einging, vor Gericht zu ziehen und damit seine vermeintlichen Taten einem größeren Publikum kundzutun. Alternativ konnte man es vorziehen, die Schmach vorerst hinzunehmen. Das Blatt konnte sich wenden, wenn es gelang, die Beleidigung so gut zu ertragen, dass man sie einfach aussaß, indem man einfach nicht reagierte und wartete bis das politische Tagesgeschäft andere Schlagzeile machte oder die Rivalen müde wurden, täglich als sordidati aufzutreten. Explizit finden sich kaum Spuren dieser Strategie. Vielleicht kann man sie den Quellen entnehmen, wenn man bedenkt, wie häufig eine mutatio vestis vermerkt wird, ein späteres Ablegen dunkler Kleider dagegen nicht.25 So auch in einer Episode, die Cassius Dio bespricht. Es geht um die verspätete Bewerbung des Pompeius und Crassus für den Konsulat im Jahr 55 v. Chr. Da sich die beiden erst nach Ablauf der Bewerbungsfrist auf eine wiederholte Zusammenarbeit einigen konnten, versuchten sie mittels des instrumentalisierten Tribuns C. Cato, die Wahl zu verhindern und einen interrex bestimmen zu lassen. Darüber äußerten die meisten Senatoren ihren Unmut, indem sie bei einer ersten Debatte die Curie verließen, bei einer zweiten beschlossen, Trauer anzulegen.26 Die Episode endete, indem sich kein Senator mehr fand, der gegen den gefassten Beschluss intervenierte; Pompeius und Crassus wurden ohne Gegenkandidaten zu Konsuln gewählt. Jedoch blieb ein Gros der Senatoren für den Rest des Jahres von 23 24 25 26
Das Verfolgen bei Dig. 47, 10, 15, 19; 47, 10, 15, 22 f. – Zu adsectatio und Nahbeziehungen Kap. 7.3 und 8.3. Cic. Verr. 2, 5, 128 f.; Sen. contr. 7, 3, 1; 10, 1 ff.; Sid. Apoll. epist. 1, 7, 9–11; vgl. Mommsen, Strafrecht, 797. Scheinbar ein Spezifikum der Erzählungen zum squalor bei Cass. Dio; vgl. 37, 40, 2; 39, 28, 2; 39, 39, 3. Cass. Dio 39, 28, 1–3, besonders 2: καὶ τότε μὲν οὕτω διελύθησαν, αὖθις δὲ ἐπειδὴ τὰ αὐτὰ ἐγίγνετο, τὰς στολὰς καθάπερ ἐν συμφορᾷ τινι μετεκδῦναι ἐψηφίσαντο … M. Cato versuchte noch eine Abstimmung zu verhindern, indem er nicht-senatorische Personen aus dem Freien dazuholte. Mit deren Anwesenheit wäre der Senat nicht beschlussfähig gewesen; Liv. per. 105: Cum C. Catonis tribuni plebis intercessionibus comitia tollerentur, senatus vestem mutavit. – Dazu de Libero (1992) 37 A. 51; für C. Cato (tr.pl. 56) MRR II, 209; andere Tribune gewährten den Leuten M. Catos keinen Zutritt und es wurde im Sinne der Triumvirn abgestimmt.
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religiösen Festen und Alltagskleidung fern, ändern konnten sie mit ihrer Aktion nichts.27 Ähnliches galt für Ciceros Bruder und Metellus Pius, die über Monate nichts erreichten, ehe sich der politische Wind in der Hauptstadt gedreht hatte. Ihre Gegner fühlten sich offenkundig stark genug, die Attacke durch einen squalor in Kauf zu nehmen. Je länger also ein squalor währte, umso größer wurde das Potential, selbst bloß gestellt zu werden, aber auch die Möglichkeit letztlich doch noch ans Ziel zu gelangen; die Aktion aufzugeben, ohne etwas bewirkt zu haben, konnte peinlich werden.28 So erging es wenig später Pompeius und Crassus selbst. Die Konsuln erlitten eine politische Niederlage, als sie den Widerstand gegen ihre Aushebung für den Partherfeldzug mit einem squalor zu brechen versuchten, der jedoch ignoriert wurde. Sie kehrten sang- und klanglos zum Alltagsgewand zurück.29 Um einen squalor versanden zu lassen, brauchte man ein dickes Fell und einen langen Atem – oder die nötigen Mittel, wie Pompeius; der Ruf nahm ohnehin Schaden; ohne die nötige auctoritas war das undenkbar. Meistens blieb das Dilemma, rasch reagieren zu müssen. Man konnte der Sache auf zwei Wegen begegnen. Die erste Option nennt E. Flaig die „Disposition des Nachgebens“. Man nahm dem Gegner den Wind aus den Segeln, indem man seinem Anliegen Gehör schenkte und nach bedeutungsschwangerem Zögern zum Wohl der res publica einlenkte. Damit vermied man einen anhaltenden Konflikt, der zur Eskalation neigte. Möglich war das Nachgeben aber nur, wenn in der Sache überhaupt Einvernehmen herzustellen war und keine familialen Rachepflichten oder Existenzängste eine Einigung verhinderten. Als clementia inszeniert konnte ein Zurückweichen, sorgfältig abgestimmt, sogar als Tugend interpretiert werden, während man sie bei anderen Gelegenheit von seinem Gegenüber reziprok einforderte.30 Zumeist war das kein sachliches, sondern ein ritualisiertes Nachgeben – man war ja auch nicht argumentativ überzeugt worden. Vielmehr ging es darum, in den Modus der Beratung zurückzukehren und die „Konsensfiktion“ (M. Jehne) aufrechtzuerhalten. Als Beispiel führte Flaig das Einlenken des Tiberius Gracchus im Konflikt um sein Ackergesetz an. Als sich ihm zwei Konsulare zu Füßen warfen, ihn bei den Händen fassten und unter Tränen anflehten, an der kommenden Senatssitzung teilzunehmen, um gemeinsam zu be27
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Cass. Dio 39, 30, 1–4, besonders 4: οὐ μέντοι οὔτε τὴν ἐσθῆτα μετημπίσχοντο οὔτε ἐς τὰς πανηγύρεις ἐφοίτων … Die Zersplitterung wird offensichtlich, wenn Cass. Dio 39, 29, 1 notiert, dass sich Clodius als Handlanger des Pompeius gerade dem Beschluss mutatio vestis verweigerte und in seiner alltaglichen Kluft gegen Cn. Cornelius Lentulus Marcellinus kokettierte. Marcellinus (cos. 56) zählte zu den Senatoren in Schmutzkleidung und sprach vor dem Volk über die missliche Lage des Gemeinwesens, wobei die übrigen Senatoren gejammert hätten. Damit versetzte er die Plebs in größte Niedergeschlagenheit; Cass. Dio 39, 28, 4 f.: … καὶ συνδραμόντος ἐπὶ τούτῳ τοῦ πλήθους ἐς πᾶν κατηφείας αὐτοὺς κατέστησαν, δημηγορῶν μὲν ὁ Μαρκελλῖνος … Zu Marcellinus MRR II, 207 f. Zur Entehrung durch das Verharren in der vestis sordida Kap. 14.1.; ferner v. Woess (1931) 354–6. Cass. Dio 39, 39, 3: καὶ ταύτην μὲν εὐθὺς μεταγνόντες καὶ μηδὲ προφάσεώς τινος ἐπιλαβόμενοι μετεσκευάσαντο … Vgl. Flaig (2003a) 105 f.; Konstan (2005); zur clementia auch Kap. 10; ferner Konik (1988). Milde ist nur in einem Verhältnis von Über- und Unterordnung denkbar und durfte keinesfalls (allzu deutlich) propagandistisch ausgeschlachtet werden.
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ratschlagen, kam er nicht umhin nachzugeben.31 Kein Argument überzeugte Tiberius; es gab nicht einmal eines. Vielmehr wurde er durch das den aristokratischen Habitus verkehrende und Hierarchien nivellierende Verhalten umgestimmt; schließlich standen die beiden gewesenen Konsuln in der senatorischen Rangordnung weiter über dem Volkstribun. Eine Weigerung, auf das Anliegen der beiden Konsulare einzugehen, hätte nicht nur den offenen Bruch mit dem Senat besiegelt, sondern mitunter das Volk und die eigenen Anhänger verstimmt, denn die Plebs fungierte als Regulativ nobilitärer Konflikte und befürwortete eine Einigung üblicherweise.32 Wurde die Eintracht (concordia) nicht gewahrt, wie es das Volk wünschte, konnten sich gewaltsame Konflikte entladen, wie das Beispiel des P. Furius lehrt, der sich einer Einigung stur und scheinbar ohne Grund widersetzte. Er bezahlte mit dem Leben, indem er von den anwesenden Mitgliedern der Plebs zerfleischt wurde. Bei Plutarch findet sich ein ähnlicher Mechanismus. Als sich der Tribun M. Octavius weigerte, von seinem Veto gegen die tiberianische Gesetzgebung Abstand zu nehmen, wählte Gracchus das letzte Mittel und stellte den Antrag, seinen Amtskollegen abzuwählen – ein unerhörter und singulärer Vorgang. Dieses Novum war aber nicht ohne Weiteres möglich, denn zunächst scheint Tiberius der unversöhnliche Partner zu sein; auch hier hatte das Volk eine Wächterfunktion und war in Form des concilium plebis organisiert zugegen. Gracchus gelang es die Vorzeichen umzukehren, indem er Octavius inständig und graduell abgestuft ersuchte einzulenken. Damit kam er der Konsenspflicht vor dem Volk nach und testete zugleich die Härte des Widerstands seiner Gegner aus: Wie weit waren sie bereit zu gehen? Sie nahmen das Äußerste auf sich, das Tiberius in vergleichbarer Situation mit den Konsularen nicht gewagt hatte. Octavius wurde abgesetzt und entkam der wütenden Menge nur mit Not.33 Die Beispiele des Furius und Octavius zeigen, dass physische Gewalt bei Trauerakten eine Rolle spielen konnte. Ihre Gegenspieler, Metellus Pius und Tiberius Gracchus, bauten eine Drohkulisse auf und nahmen billigend in Kauf, dass ihre Kontrahenten gelyncht wurden, wenn ihre Aktion fruchtete. Aber auch mit einem squalor belegte Akteure konnten körperliche Mittel in die Waagschale werfen, um der Szene entgegenzuwirken, sie zu sabotieren oder gar zu beenden. Cicero etwa versuchte, Clodius mit einem squalor zu belegen und die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen. Doch der Volkstribun und seine Anhänger ließen ihn erst gar nicht gewähren:34
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Plut. Tib. Gracch. 11, 2: τοῦ δὲ καὶ τὸ μέλλον ὅσον οὔπω δεινὸν ἤδη συμφρονοῦντος, καὶ δι᾿ αἰδῶ τῶν ἀνδρῶν πυθομένου τί κελεύουσι πράττειν αὐτόν, οὐκ ἔφασαν ἀξιόχρεῳ εἶναι πρὸς τηλικαύτην συμβουλίαν, ἐπιτρέψαι δὲ τῇ βουλῇ κελεύοντες καὶ δεόμενοι συνέπεισαν. Die „Plebs als Hüterin der Eintracht“ ebenfalls bei Flaig (2003a) 105–9, der das Volk jedoch nicht ausreichend differenziert; zur Heterogenität der Plebs dagegen Kap. 2.3 und 2.4. Vgl. Hall (2014) 16 f.; Flaig (2003a) 99–104. Plut. Cic. 30, 7 (Übers. K. Ziegler). – Zu Octavius App. civ. 2, 55 f.; Cass. Dio 38, 14, 7 mit MRR I, 493; zu Furius vor allem Kap. 11.2; zum Vorgehen des Clodius Benner (1987) 54 f.
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Aber überall trat ihm Clodius in den Gassen entgegen, begleitet von seinen frechen, mutwilligen Burschen, welche fortwährend in zügelloser Weise über die veränderte Kleidung und Erscheinung Ciceros spotteten, ihn oft mit Kot und Steinen bewarfen und ihm so bei seinen Bittgängen hinderlich waren.
Das war eine eindeutige Ehrverletzung (iniuria) Ciceros, doch im juristischen Sinne konnte er sie nicht geltend machen, denn er trat in seinem Aufzug bereits aus freien Stücken als symbolisch Entwürdigter auf.35 Der Tatbestand der Injurie dagegen war nur erfüllt, wenn der betroffenen Person ein Status oder Handeln zugewiesen wurde, das ihrem sozialen Prestige nicht entsprach, wie es bei Senecas beleidigten Kandidaten der Fall war. Injurienklagen waren nur relativ zum eigenen symbolischen Kapital möglich. Insofern konnte sich Cicero nicht legal gegen die Attacken wehren, ohne eigene Gefolgsleute in den Straßenkampf zu führen; stattdessen wählte er das Exil. Die Mittel der Clodianer waren dabei mehr oder weniger einschlägig. Spottrufe stellten ein gängiges und probates Instrument der Stimmungsmache dar. Auch Pompeius litt unter ihnen, wenn er in der Volksversammlung sprach.36 Von Spottgesängen und Schmähschriften war bereits kurz die Rede. Das Werfen mit Steinen und Schmutz diente als weitere Stufe der Entwürdigung. Als Werkzeug des Widerstands im Straßenkampf waren vergleichbare Praktiken verbreitet. So steinigten Mitglieder des Senats den in Misskredit geratenen Tribun Saturninus und seine Anhänger mit Dachziegeln, die sie von ihren Häusern regnen ließen – freilich eine radikalere Aktion, doch die Steinigung (lapidatio) zählte zu anerkannten Traditionen in Ehrkonflikten.37 Cicero mit Straßendreck zu bewerfen, entbehrte nicht einer gewissen Komik für seine Feinde, da seine Kleider als sordidatus bereits verunreinigt waren. Man kann sich die Spottrufe der Clodianer gut vorstellen, wie sie höhnten, Cicero bei seiner Aufmachung lediglich behilflich zu sein: Der Schmutz gebühre nur ihm.
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Vgl. Cic. Att. 3, 10 und 3, 15; nach Stroux (1929) 63 A. 4 war das Vorgehen der Clodianer nur möglich, da Cicero politisch als sordidatus auftrat; im Rahmen eines Prozess sei er geschützt gewesen. Plut. Pomp. 48, 7; dazu Nippel (1988) 121; das Kratzen des Kopfes mit einem Finger galt als weibische oder lüsterne Geste, die die männlich dominierte contio als mollitia auslegte; vgl. Meister (2012) 61. App. civ. 1, 145; Flor. epit. 2, 16, 2; Aur. Vict. vir. ill. 73, 11 und Plut. Cat. minor 28; Cass. Dio 37, 43, 3; dazu auch Lintott (1968) 6 f. Als M. Calpurnius Bibulus 59 v. Chr. versuchte, die Abstimmung über das Ackergesetz seines Kollegen C. Julius Caesar zu verhindern, indem er das Obnuntiationsrecht in Anspruch nahm, ließ Caesar ihn von den Schlägertrupps des Vatinius erst mit Mist bewerfen und dann mit Waffengewalt vom Forum verjagen; Exkremente bei Plut. Cat. minor 32, 2; Pomp. 48, 1; ferner Suet. Vit. 17, 2; die gewaltsame Vertreibung vom Forum bei Cic. Vatin. 5; Cass. Dio 38, 6, 2 f.; App. civ. 2, 38 f.; ferner de Libero 2001 oder Cic. dom. 6; zum Fall des Bibulus Burckhardt (1988) 197 f.; Thommen (1989) 243; de Libero (1992) 61 f.; zum ius obnuntiandi Rüpke (2005) 1441–56. – Zu Bibulus und seinen Gründen, keinen squalor zu riskieren Kap. 14.
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Zuletzt wird erwähnt, dass der Konsular bei Seite geschoben wurde, sobald er das Wort an einzelne Bürger zu richten gedachte, wie es beim ambulativen Teil des squalor gebräuchlich war.38 Hier kam der Physis besondere Bedeutung zu. Körperkontakt auf den Straßen Roms war nicht ungewöhnlich, auch nicht mit fremden Menschen; die Gassen waren eng, die Plätze überfüllt, in der Mittagszeit kaum ein Durchkommen möglich. Auch bei der ambulatio, bei der ein großes Gefolge von Freunden und Klienten teilnahm, stürzte man sich ins Gemenge. Vielleicht machten ein paar eigene Leute Platz für angesehene Männer. Höhere Magistrate verfügten dafür über Liktoren, was sie deutlich aus der Menge heraushob und gegenüber Standesgenossen privilegierte. Beim squalor war mit zahlreichen Berührungen zu rechnen, zu denen das emphatische Ergreifen der Hände anderer Personen zählte. Der entscheidende Unterschied zwischen diesen üblichen Formen des Körperkontakts der Elite mit der Plebs und der Passage bei Plutarch besteht darin, dass die Initiative normalerweise von der politischen Klasse ausging. Unerhört war es, dass die Leute des Clodius den Konsular Cicero anfassten. Das tat man nicht ungestraft, denn eine Injurienklage war möglich. Die besonderen Umstände ermöglichten es den Clodianern, diese Regeln zu suspendieren und ohne Folgen davonzukommen. Schläge blieben Cicero erspart. In anderen Fällen sind sie durchaus anzunehmen. Auch wenn man wenig davon erfährt, ist es wahrscheinlich, dass solche Formen der Obstruktion häufiger vorkamen, denn einerseits stellten sie ein wirksames Mittel der Sabotage gegen einen squalor dar, andererseits sind zahlreiche missglückte Trauerakte bekannt, sodass man sich solche Gegenmaßnahmen gut vorstellen kann.39 Kurze Zeit später griff Clodius zu einem anderen Instrument. Bei der Abstimmung über eine kollektive mutatio vestis für Cicero im Senat umstellte er mit seinen Schlägertrupps die Kurie und schüchterte die Senatoren ein. Obwohl das Gremium dennoch einen Beschluss zugunsten Ciceros fasste, verhinderten die Konsuln letztlich eine Volksbefragung. Die Drohungen des Volkstribuns konterten einige Senatoren damit, dass sie beim Verlassen eine scheinbar spontane Trauerak-
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Das Beiseiteschieben vom Versammlungsplatz – auch mit Waffengewalt – war in der späten Republik gängige Praxis geworden; Cic. Phil. 1, 25; 3, 30; App. civ. 1, 128; Cass. Dio 38, 6, 2; 39, 35, 4; 42, 32, 4 mit Plut. Ant. 9, 2. Zudem bot es sich an, bereits zu früher Stunde Parteigänger im öffentlichen Raum zu platzieren, die Gegnern und deren Anhängern den Zugang zu prominenten Abstimmungsorten versperrten. An promulgierten Wahltagen kam es vor, dass das comitium bereits am frühen Morgen durch die Anhänger einer politischen Gruppe besetzt war. Die übrigen Wähler erhielten bei Überfüllung keinen Einlass in die Komitien; damit war der Wahlausgang vorprogrammiert; zur (frühmorgendlichen) Platzierung von (teils bewaffneten) Stimmungsmachern Cic. Sest. 75; Att. 4, 3, 4 f.; Plut. Cat. minor 27; C. Gracch. 13, 3; Cass. Dio 39, 65, 1 f. mit Cic. Att. 4, 20 , 4; dazu Laser (1997) 206–8; Nippel (1988) 57 f.; zu diesen Gewaltmitteln umfassend Lintott (1968) 67–73. Der Begriff der Obstruktion wird hier als Strategie der Verhinderung von politischen Aktionen jedweder Art verstanden; de Libero (1992) 11 fasst Obstruktion dagegen enger und beschreibt sie als Verhinderungstaktik im Rahmen gesetzlicher und traditioneller politischer Verfahren, um vor allem die Gesetzgebung zu beeinträchtigen; ein umfassender Begriff von politischer Kultur schließt den squalor hier ein.
13.2 Gegenmaßnahmen ergreifen: Injurien-Klage, Milde und Obstruktion
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tion inszenierten und ihre Verzweiflung zur Schau stellten, indem sie ihre Kleider zerrissen.40 Neben milden Nachgeben und strengen körperlichen Vorgehen gegen einen Rivalen konnten auch subtilere Formen angewandt werden, um einen squalor zu sabotieren und nicht in offenen Konflikt zu treten. Nach der Niederlage von Mutina schlug sich Antonius zu Lepidus durch, um sich seiner Truppen zu bemächtigen. Laut Plutarch versuchte Lepidus mit Trompeten das Bitten des Antonius, der sich vor den Soldaten mit Bart und dunkler Kleidung zeigte, zu übertönen.41 Lepidus wusste, welche Wirkung die Aktion des Antonius auf seine Legionäre haben konnte und zu welchen Schritten sie ihn auffordern würden. Antonius setzte sich letztlich durch, doch mit solchen Schattierungen, die weder ein Zurückweichen erzwingen, noch die Konfrontation suchen, ist durchaus zu rechnen, auch wenn es an Zeugnissen weitgehend mangelt. Die vorgebrachten Fälle zeigen, welche Bandbreite es gab, auf symbolisches Trauern zu reagieren, wenn man unmittelbar davon betroffen war. Zum einen konnte man den formalen, juristischen Weg beschreiten und gegen die Sache klagen. Das war langwierig und verschaffte auf die Schnelle keine Genugtuung. Zudem bestand das Risiko, dass der Anlass zum Trauerakt den Kläger in ein unvorteilhaftes Licht rückte. Ein geschickter Schachzug war es, Milde walten zu lassen und bei Möglichkeit nachzugeben. Dabei konnte man seine eigene Tugendhaftigkeit stilisieren, weil man angab, den Konflikt nur zum Wohl des Gemeinwesens gescheut zu haben. Schnell konnte man auch mit den Regeln der Straße Abhilfe gegen einen belastenden squalor schaffen. Dabei musste man sich aber sicher sein, dass der Kontrahent auch zurückstecken würde und keine weitere Eskalation riskierte. Auch war es unabdingbar, richtig einzuschätzen, ob die übrigen Akteure die Sabotage des Traueraktes akzeptieren würden. Keine Begebenheit ist überliefert, in der das Volk auf die Obstruktion gegen den squalor reagiert und dem Protagonist beisprang. Denkbar ist es allemal. Gerade die Gegenmaßnahmen verdeutlichen, dass die Reaktionen auf symbolisches Trauern so vielfältig waren wie die Szenen selbst. Spott, Werfen mit Dreck und Steinen, letztlich das physische Abdrängen politischer Gegner; alle Strategien für sich entfalteten bereits eine immense Wirkung, wenn sie zur rechten Zeit eingesetzt wurden. Die Rivalen eines Trauerakteurs bedienten sich ebenfalls eines Zeichenrepertoires bekannter Praktiken, transferierten sie in andere Zusammenhänge und kombinierten sie bei Bedarf neu, um sie der Situation anzupassen. Das war dringend angeraten, sonst lief man Gefahr, Zeichen und Gesten situativ unangemessen zu gebrauchen und einen erneuten Gegenangriff zu provozieren.
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Plut. Cic. 31, 1; siehe auch Kap. 6.2. Plut. Ant. 18, 1 f.: καὶ κόμη μὲν ἀτημελὴς καὶ βαθὺς πώγων μετὰ τὴν ἧτταν εὐθὺς ἦν αὐτῷ καθειμένος, λαβὼν δὲ φαιὸν ἱμάτιον ἐγγὺς προσῆγε τῷ χάρακι τοῦ Λεπίδου καὶ λέγειν ἤρξατο. πολλῶν δὲ καὶ πρὸς τὴν ὄψιν ἐπικλωμένων καὶ τοῖς λόγοις ἀγομένων, δείσας ὁ Λέπιδος τὰς σάλπιγγας ἐκέλευσε συνηχούσας ἀφελέσθαι τὸ κατακούεσθαι τὸν Ἀντώνιον. – Dazu auch Kap. 9.3; vgl. Plut. Ant. 44, 3; mor. 201c zum squalor des Feldherrn.
V. TEIL ZUSAMMENFASSUNG
14. DIE GEGENPROBE: ERWARTBARES UND NICHT-ERWARTBARES VERHALTEN Im Laufe der Arbeit sind Episoden begegnet, die einen ähnlichen Verlauf folgten und nur bei genauerer Analyse Unterschiede offenbarten. Sie vermittelten bei kleineren und größeren Abweichungen das Bild eines Idealtyps eines squalor, wie er am Anfang der Arbeit skizziert wurde.1 Dazwischen sind aber immer wieder Fälle angeführt worden, deren Verlauf weniger typisch war, oder Episoden, über die man aus anderen Quellengattungen als den typischen historiographischen Berichten erfuhr und zusätzliche Informationen bieten, die Geschichtsschreibung selten liefert. Einige davon waren Gegenstand des vorherigen Kapitels wie Ciceros Traueraktion, Senecas Streitschrift und Dokumente juristischer Provenienz. Im Folgenden werden solche „besonderen“ Begebenheiten noch einmal systematisch und unter veränderter Fragestellung behandelt. Der Fokus liegt nun ausdrücklich auf der Unregelmäßigkeit der Regelmäßigkeit von Trauerakten und was diese Brechungen über Mechanismen und Wandel des squalor verraten. Das kann nur vor dem Panorama der vorherigen Kapitel und der zurückliegenden Gesamtschau erfolgen. Die Frage, welches Verhalten im Bezug auf symbolisches Trauern erwartbar war und welches nicht, zeitigt auch die Verwunderung über Episoden, in denen symbolische Trauerakte ausblieben, obwohl man meinen könnte, sie hätten im Sinne ihres Protagonisten wirken können. Was ist damit gemeint? Der Konsul des Jahres 59 v. Chr. M. Calpurnius Bibulus versuchte die Abstimmung über das Ackergesetz seines Amtskollegen Caesar dadurch zu verhindern, dass er begann, solange den Himmel zu beobachten, bis ungünstige Vorzeichen erschienen, die die Wahl religiös diskreditierten (ius obnuntiandi). Caesar ließ ihn von den Schergen des Vatinius erst mit Dreck bewerfen und dann mit Waffengewalt vom Forum vertreiben.2 Am Folgetag beschwerte sich Bibulus förmlich über den offenen Rechtsbruch seines Kollegen im Senat, doch keiner der Senatoren wagte es, die Klage zu unterstützen. Daraufhin zog er sich von allen Amtsgeschäften zurück, verließ sein Haus nicht mehr und widersprach nur noch schriftlich sämtlichen Amtshandlungen seines Kollegen, ohne eine Wirkung zu erzielen.3 Vor dem Hintergrund dieser berühmten Begebenheit bot sich zweimal die Möglichkeit zum symbolischen Trauern: Zum einen hätte Bibulus auf die Obnuntiation verzichten und dunkel gekleidet gegen die Eingabe Caesars protestieren können; der Ausgang wäre freilich ungewiss, denn Trauerakte konnten misslingen oder Folgen zeitigen, die beide Seiten nicht absehen konnten. Ebenso kam es vor, dass auch 1 2 3
Vgl. die Begebenheit um Saturninus in der Einleitung; zum Idealtyp ferner Kap. 4.1. Dazu auch Kap. 13.2 mit Anm. 37. Zu den Luhmann’schen Erwartungserwartungen Meier (1984) 200 f. Vgl. Burckhardt (1988) 197 f.; Thommen (1989) 243; zum ius obnuntiandi Rüpke (2005) 1441–56.
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14. Die Gegenprobe: Erwartbares und nicht-erwartbares Verhalten
Leute in (symbolischer) Trauer vom Forum gedrängt wurden, wie es bei Cicero der Fall war. Allerdings stellte ein squalor – in Abhängigkeit von der Intensität der Darbietung, ob man flehte, Hände ergriff, weinte oder eben nicht – ein weicheres Vorgehen als die Obnuntiation dar, das Caesar vielleicht nicht zu einer so restriktiven Maßnahme genötigt hätte. Selbst bei Verabschiedung des Ackergesetztes wäre der symbolische Protest des Bibulus geblieben. Kleidung und Ehre wären vielleicht nicht beschmutzt worden, auch wenn Cicero kurze Zeit später trotz oder gerade wegen seines squalor mit Straßendreck beworfen wurde. Der unablässige Einspruch gestaltete sich jedenfalls wirkungslos. Des Weiteren bestand die Möglichkeit, vor dem Senat in Schwarz zu erscheinen, um die Senatoren aufzurütteln, doch Bibulus versäumte diese Option und erhielt keine Unterstützung. Somit konnte er auch keinen Beistand für weitere Trauer- und Bittgesten erwarten. Hätte er damit die Senatoren umstimmen können? Das ist Spekulation. Nachdem er bereits gewaltsam aus dem öffentlichen Raum vertrieben worden war, blieb ihm nichts Anderes übrig als das restliche Konsulatsjahr in seinem Haus zuzubringen, statt anhaltend schmutzig in der Öffentlichkeit zu erscheinen, damit gegen das Vorhaben Caesars vorzugehen, doch nichts zu bewirken außer einem Ehrverlust. Dass es wohl häufiger Erwägungen gab, einen squalor darzubieten, ohne dass die Pläne in die Tat umgesetzt wurden, bezeugt Sueton. Demnach soll Nero Überlegungen zu einem Rücktritt gehegt haben. Dazu wollte er in Schwarz auftreten (atratus). Allein er hatte 68 n. Chr. bereits derart an Rückhalt in der Bevölkerung verloren, dass er befürchtete, schon auf dem Weg zum Forum in Stücke gerissen zu werden, und so verzichtete er letztlich auf diesen Schritt.4 In beiden Fällen fehlte den Akteuren die Hoffnung auf Akzeptanz ihres squalor durch die Öffentlichkeit. Gegenmaßnahmen waren nur dann legitim, wenn sich niemand dagegen stemmte. So erklärt sich, warum die Praxis der mutatio vestis an Stellen der Geschichte ausblieb, wo man sie zunächst vermuten könnte.5
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Suet. Nero 47, 2; kurz darauf soll er sich fast im Stile eines squalor aus dem Staub gemacht haben, nur das Moment der Verborgenheit unterscheidet den Aufzug vom Gewand eines sordidatus; vgl. Suet. Nero 48, 1: … nudo pede atque tunicatus, paenulam obsoleti coloris … Vielleicht war diese Erscheinung Grund dafür, dass Sueton von weiteren Erwägungen ausging. Zum schwindenden Rückhalt Neros im Volk Flaig (2003b); zum Rücktrittsgesuch eines Kaisers mittels Trauerakt vgl. die Episode um Vitellius in Kap. 7.2 bzw. Kap. 15; für das Verbergen in nicht standesgemäßer Kleidung Kap. 5.1. Nach Plut. Ant. 44, 2 wollte Antonius im schwarzen Gewand vor seine Legionen treten, nachdem sie eine Schlacht gegen die Parther verloren hatten. Aber Freunde rieten ihm davon, seine Soldaten damit zu demoralisieren: Ἀντώνιος δὲ βουλόμενος προσαγορεῦσαι τοὺς στρατιώτας ᾔτησε φαιὸν ἱμάτιον, ὡς οἰκτρότερος ὀφθείη. τῶν δὲ φίλων ἐναντιωθέντων ἐν τῇ στρατηγικῇ φοινικίδι προελθὼν ἐδημηγόρησε, τοὺς μὲν νενικηκότας ἐπαινῶν, ὀνειδίζων δὲ τοὺς φυγόντας. – In Val. Max. 1, 6, 11; Flor. 2, 13; Suet. Galb. 18, 2 und SHA Comm. 16, 6 trägt der Feldherr bzw. Kaiser jeweils kurz vor seinem Tod schwarz; vgl. Dion. Hal. 4, 66, 1.
14.1 Die Klaviatur des squalor spielen: Sanktionen und Konzessionen
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14.1 DIE KLAVIATUR DES SQUALOR SPIELEN: SANKTIONEN UND KONZESSIONEN Von besonderem Interesse für eine Gegenprobe sind solche Notizen, die nicht nur von Trauerakten berichten, für oder gegen sie argumentieren, sondern solche, in denen von der gezielten Einflussnahme auf den Gebrauch eines squalor erzählt wird. Daher geht es in diesem Punkt um Sanktionen gegen symbolisches Trauern, aber auch darum, wie man sie geschickt im juristischen Zeremoniell einsetzte. Da der squalor unter verschiedenen Voraussetzungen auftreten konnte, behandelt dieser Punkt nicht die Maßnahmen gegen eine selbstständig initiierte Traueraktion, sondern vor allem das Verhalten im Angesicht des vor Gericht obligatorischen Kleiderwechsels. Insofern sind die folgenden Bemerkungen, wenn nicht zu verwechseln mit Maßnahmen der politischen Kontrahenten gegen einen squalor (Kap. 13.2), so doch mit ihnen verwandt. Zunächst wird gezeigt, wie nicht unmittelbar beteiligte Akteure eingriffen. Dass die Grenzen zwischen den Möglichkeiten politischer Gegner, symbolisches Trauern zu sabotieren, und den Absichten anderer Beteiligter, den Gebrauch einzudämmen, zum Teil fließend waren, zeigten bereits die Anordnungen aus den Infamie-Paragraphen der Digesten. Zum einen betraute man den Prätor mit der Aufsicht über Trauerakte und nur noch Verwandten einer gefährdeten Person genehmigte man den squalor, um Angehörige ostentativ zu unterstützen. Zum anderen aber stellt sich die Frage, wer Interesse an der Einhegung der Praxis hatte. Da eine Infamierung umso mehr schadete, je höher die soziale Stellung war, verwundert es nicht, dass sich diese Bestimmungen erhalten haben, denn sie schützten die privilegierte Elite, die Einfluss auf die Kodifizierung besaß. Nicht immer bedarf es inschriftlich erhaltener consulta, Pandekten und anderer Rechtsquellen, um explizite und implizite Regulierungen zum symbolischen Trauern aufzuspüren. Gelegentlich schimmern rechtliche Bestimmungen auch durch die literarische Überlieferung durch, aber auch ein Selbstzeugnis liegt vor, das von einer Sanktion gegen eine Traueraktion berichtet. Cicero ist es, der sich über die Konsuln des Jahres 58 v. Chr. beschwerte, sie hätten der römischen Bürgerschaft nicht gestattet, für ihn Trauer zu tragen; die mutatio vestis zu untersagen, sei wie ein Trauerverbot auszusprechen, mahnt Cicero und tadelte beide Konsuln.6 Diese Äußerungen sind freilich mit Vorsicht zu genießen, denn sie dienen der Selbstvergewisserung und Legitimation vergangener Ereignisse, die nicht zugunsten Ciceros verliefen. Dennoch war es den amtierenden Konsuln möglich, das geplante consultum zu hintertreiben, indem sie dafür sorgten, dass es nicht vor das Volk gebracht wurde. Dass Cicero das als Ächtung empfand, liegt auf der Hand, denn nur selten untersagte man das Trauern. Dazu zählte etwa der exzessive planctus, den bereits die Zwölftafeln einschränkten. Schwerer wog für Cicero die Nähe zur damnatio memoriae und der mit ihr verknüpften hostis-Erklärung.7 Besonders gut ist die ab6 7
Cic. Red. Sen. 31; siehe auch Cic. Pis. 17 f.; Sest. 26 f.; vgl. Hall (2014) 45–8; 127; ferner Meister (2012) 54–91. Diese war Teil der üblichen Strafen gegen Staatsfeinde (hostis) und beinhaltete die Tilgung des Andenkens an den Betroffenen. Die Namen besonders verhasster Personen wurden aus sämtlichen Annalen entfernt, alle erreichbaren Bildnisse und Inschriften zerstört, Münzen zum Teil
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14. Die Gegenprobe: Erwartbares und nicht-erwartbares Verhalten
olitio nominis für die hohe Kaiserzeit belegt, aber auch in der Republik findet man Spuren.8 Zu den Bestimmungen zählten auch Trauerverbote, die das öffentliche Gedenken an den Verstorbenen unterbanden. Im kleinen Kreis aber gestattete man durchaus eine Anteilnahme am Tod eines Staatsfeindes, aber die Ahnenmasken verfemter Angehöriger durften nicht im Leichenzug gezeigt werden; überhaupt waren öffentliche Trauerbekundungen für sie untersagt.9 Mitunter verhinderte man Trauerrituale für einen Staatsfeind, indem man seinen Leichnam in den Tiber warf, sofern man seiner habhaft wurde – für Tiberius Gracchus ist das gut bezeugt; ohne Körper gestaltete sich die Bestattung schwierig, auch wenn es dafür Lösungen wie Wachsfiguren gab. Dass sich Cicero vielleicht wie ein Gracchus vorkam, liegt auch an der rituellen Zerstörung seines Hauses; sie zählte zu den üblichen Maßnahmen des römischen Gemeinwesens gegen Staatsfeinde.10 Warum man interessiert war, Trauerinszenierungen für hostes abzustellen, ist offenkundig, wenn man sich einerseits die Unterstützerbasis einzelner Protagonisten wie Cicero und Antonius, die zu Staatsfeinden erklärt wurden, vor Augen führt, andererseits überlegt, welche Ausmaße ein Begräbnis annehmen konnte, sobald die Zuschauer in Rage gerieten (vgl. Kap. 7.1). Die Beschwerde, Piso und Gabinius hätten das Trauern der Bürgerschaft unterbunden, ist Teil der Rehabilitationsstrategie Ciceros nach seiner Rückkehr aus dem Exil, aber sie zeigt, welche Mittel anderen Akteuren zur Verfügung standen, um einem squalor zuvorzukommen. Auch wird klar, dass in der Republik Beteiligte, die qua ihres Amtes vor allem dem Gemeinwohl und nicht Singularinteressen dienen sollten, keineswegs neutral waren; unter Caesars Druck handelten Piso und Gabinius auch im Einklang mit Ciceros Todfeind Clodius. Vor diesem Hintergrund ist auch die Invektive gegen Piso, er habe nur wegen einer vorzeitigen Abberufung aus Makedonien Lumpen getragen und Trauer zur Schau gestellt, verständlich. Nicht nur, dass der Anlass unangemessen war und sich eine derartige Selbsterniedrigung eines Konsulars vor den Provinzialen nicht ziemte, zudem durfte Piso aus Ciceros Sicht kein Mitleid erwarten, hatte er doch
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eingeschmolzen oder geschliffen. Man vermied, den Verurteilten öffentlich zu erwähnen, obwohl die Nennung seines Namens selten unter Strafe stand. Die jüngere Forschung hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Maßnahmen keineswegs wirklich zu einem Vergessen des Betroffenen führten. Im Gegenteil wurde die Erinnerung durch die Verfluchung der Person bewusst wachgehalten. So kennt man zahlreiche der damnatio anheimgefallene Namen. Oft lässt sich sogar zeigen, dass man Namen und Bildern der Betroffenen absichtlich unvollkommen tilgte: Es sollte erkennbar bleiben, dass etwas entfernt wurde und als warnendes Beispiel dienen; keiner wollte als negatives exemplum in die Geschichte eingehen; vgl. Flower (2006b) xix–xxii; passim. Für die Republik und den frühen Prinzipat besonders Flower (2006b); Mustakillio (1994). Wie etwa bei Plut. Tib. Gracch. 20, 2; C. Gracch. 17, 5, aber auch bei Fulvius Flaccus und Saturninus. Zu einzelnen Bestimmungen und Praktiken Flower (2006b) 64 f.; 76 mit 301 A. 30; 81; 83–5; 135 mit 318 A. 64 und 172 sowie die ausführliche Fallstudie zu Cn. Calpurnius Piso von Eck u. a. (1996), ferner Nippel (1988) 85 f.; 93 f.; 103; 146. Dazu die gesamte Rede de domo sua, die belegt wie wichtig Cicero die Angelegenheit um sein Haus war. Aus persönlichen und politischen Gründen besaß eine Restitution für ihn hohen symbolischen Wert, um vollständig rehabilitiert zu werden; vgl. Flower (2006b) 102 f.; Nippel (1988) 16; 85 f.; 92; 117; 179 A. 53.
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dessen squalor sabotiert. Ob Piso tatsächlich in sordibus auftrat oder Cicero nicht gezielt polemisiert, bleibt dagegen fraglich, denn in Makedonien erreichte man nicht das gewünschte Zielpublikum.11 Umgekehrt konnte man symbolisches Trauern vorgeben, um eine Nahbeziehung zu suggerieren, die nicht existierte. So führte Cicero in pro Plancio an, sein Mandant sei ihm in Lumpen und ohne die Zeichen seiner Promagistratur entgegengezogen, als der Konsular im Exil ankam. Auch in Dyrrachium leuchtet ein squalor wenig ein, doch versuchte Cicero seine enge Verbindung zu Plancius zu untermauern, indem er vortäuschte, er habe sich auf diese Weise für ihn verwendet. Die Behauptung war leicht; niemand im Prozess gegen Plancius konnte das bezeugen.12 Einem Trauerverbot ähnelt auch der Fall des bereits erwähnten M. Livius Salinator.13 Dieses Mal stehen nicht sein Schweigen oder der argumentative Gegensatz von Bewerbertoga und Trauertracht im Vordergrund. Vielmehr interessieren die Sanktionen, die die Zensoren L. Veturius Philo und P. Licinius Crassus gegen Salinator veranlassten. Bekanntermaßen zwangen sie ihn, sich zu rasieren und die vestis sordida abzulegen.14 Ob es sich dabei um eine zensorische Rüge handelte, ist nicht vollständig zu klären, doch ist es wahrscheinlich, denn eine nota censoria legitimierte das Eingreifen der Zensoren in persönliche Belange; sie stellte eine „bequeme Waffe im Kampf gegen persönliche Feinde und rivalisierende Faktionen“ dar und wirkte aufgrund ihres moralischen statt rechtlichen Anspruchs infamierend.15 Die Nachricht kann man nicht bei Seite lassen, wenn man der Wirkmacht eines squalor nachgeht. Was waren die Motive der Zensoren, in den Lebensstil des Konsulars einzugreifen? Zunächst scheint es auf der Hand zu liegen, dass Zensoren gewählt wurden, um den Lebenswandel römischer Bürger zu überwachen; ihnen oblag die Sittenaufsicht. Doch dann stellt sich die Frage, gegen welche Regeln Sa11 12
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Cic. Pis. 89: Quid quod tu totiens diffidens ac desperans rebus tuis in sordibus, lamentis luctuque iacuisti …? – Zu Ciceros Invektiven gegen Piso Meister (2009); zum fraglichen squalor siehe Metellus Celer in Kap. 3.1. Cic. Planc. 98: simul ac me Dyrrachium attigisse audivit, statim ad me lictoribus dimissis, insignibus abiectis, veste mutata profectus est. – Hall (2014) 114 stellt heraus, wie Cicero immer wieder sein Schicksal mit dem seiner Mandanten verknüpft, die ihm während der Verbannung beistanden. Zum adventus auch Meister (2013). Liv. 27, 34, 5 f.; vgl. Habenstein (2015) 132–6; Hall (2014) 42 f. Eine irritierende Passage befindet sich bei Suet. Tib. 58: damnato reo paulatim genus calumniae eo processit, ut haec quoque capitalia essent: circa Augusti simulacrum servum cecidisse, vestimenta mutasse, nummo vel anulo effigiem impressam latrinae aut lupanari intulisse, dictum ullum factumue eius existimatione aliqua laesisse. – Demnach beleidige die mutatio vestis nahe eines Augustus-Standbildes den vergöttlichten Prinzeps. Ob es sich dabei um das Anlegen dunkler Kleider handelte, die als schlechten Omen für das Kaiserhaus galt, oder um den Wechsel in den Kriegsmantel, den Augustus für die Stadt Rom ablehnte, muss offen bleiben; dazu Rüpke (1990) 135 f. Die erzwungene Rasur stellt einen universalen Rügebrauch dar, der oft unter Anwendung massiver körperlicher Gewalt vonstattengeht, gelegentlich auch als Rupfen oder Versengen der Bart- und Kopfhaare; zum antiken Griechenland Schmitz (2004) 339–48, besonders mit den ethnologischen Parallelen (ebd., 104; 345; 381). Kunkel/Wittmann (1995) 271 f.; 405–19; ferner Mommsen Staatsrecht II, 377–82 und Kübler (1936) mit 1055.
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linator verstoßen hatte. Dabei gilt es, die Interessen mehrerer Akteure zu berücksichtigen, denn unklar ist, gegen wen sich der Trauerakt richtete. Livius gibt an, es ging um die mahnende Erinnerung an das Salinator zugefügte Unrecht nach seinem Konsulat. Nach seiner Amtszeit war er der schlechten Amtsführung angeklagt worden.16 Nachdem die Klage gelegt war, wechselte Salinator vermutlich die Kleider, wie es Angeklagte zu tun pflegten – und trug sie als Zeichen des Protests über Jahre hinweg.17 Die Bürger Roms als Zielscheibe des squalor liegen insofern nahe, da sie über Schuld und Unschuld des Angeklagten befanden. Die Mahnung der Bürgerschaft erklärt allerdings nicht die Rüge der Zensoren. Freilich war ihnen an einer Eintracht von Elite und Volk gelegen, doch die Maßnahme scheint überzogen. Wahrscheinlicher ist, dass senatorische Belange von der Traueraktion des Salinator berührt wurden. Offenkundig richtete sich sein squalor auch an seine Standesgenossen, die es nicht verstanden hatten oder gewillt waren, ihn vor Strafverfolgung zu schützen, denn ein solcher Prozess fand im dritten Jahrhundert v. Chr. in der comitia centuria statt, wo begüterte Römer ein deutliches Übergewicht besaßen. Dieser Vorwurf lag schwer auf dem Senatsadel, dessen Autorität gegenüber dem Volk auch auf der Suggestion von Homogenität beruhte. Der Eindruck von Einheit im Senat basierte teils auf dem geteilten Habitus seiner Mitglieder. Salinator unterlief mit seiner Aktion den Wunsch, Konflikte im Senat unsichtbar zu machen, und die „Konsensfiktion“ der Senatoren, die gegenüber der Plebs zumeist mit einer Stimme aufzutreten pflegten. Damit einher ging die Notwendigkeit senatorischer 16
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Vermutlich entzog sich Salinator einer formalen Strafe, indem er vorzeitig das Exil wählte; ob er im Nachgang verurteilt wurde, wie es bei der interdictio der Fall war, ist unwahrscheinlich, da er Jahre später ohne Weiteres zurückkehren durfte. Das schließt eine Verurteilung nicht aus, man erfährt jedoch nichts davon. Zum Interdikt und freiwilligem Exil Kap. 2.2. Ein vergleichbares Beispiel liefert C. Marius, der 87 v. Chr. als vermeintlich ungerecht behandelter Imperator ebenfalls aus der Verbannung heimkehrte. Dabei war sein Äußeres heruntergekommen und sein Haar lang. Die Rückkehr war allein möglich, da Sulla nach Osten aufgebrochen war. Man sieht gut, dass nicht dringend der squalor eine Aufhebung der Exilierung bewirken musste, sondern auch veränderte politische Konstellation in Rechnung zu stellen waren; App. civ. 1, 304 ff.; Plut. Mar. 41, 4; Gran. Lic. 35, 8 Criniti. In Rom angekommen, sorgte Marius rasch für die Aufhebung des Interdikts gegen ihn; vgl. Nippel (1988) 225 A. 29; insgesamt Kelly (2006) 3, passim; Dieses Zeichen konnte man nur als Drohung nahender Auseinandersetzungen verstehen. Bei Salinator spielte das scheinbar keine Rolle. Sicherlich schwang unter den Augenzeugen auch eine Portion Mitleid für das dem ehrbaren Konsular Marius zugefügte Unrecht mit. – Dass Marius auch im Exil zerlumpte Kleider trug und wenig Acht auf Haar und Rasur gab, verdeutlicht eine Anekdote bei Val. Max. 2, 10, 6. In der Verbannung sollte Marius im Auftrag der Optimaten getötet werden, doch der Attentäter hadert wegen des schäbigem Aussehens des Marius. Zwar fehlt Marius das Publikum, die Wirkung auf den Attentäter blieb jedoch eine ähnliche wie vor einer lokalen Öffentlichkeit: Auf dem Forum des Verbannungsortes traf man nicht nur die regionale Elite, sondern auch Gesandte Roms und fremder Völker, denen man die prekäre Lage ebenfalls nahezubringen suchte. So behielt Marius bei seiner Heimkehr einfach das Äußere bei, das er in Afrika an den Tag legte. Auch Salinator nahm Bezug auf seine Zeit im Exil, wenn er Kleidung und Tonsur präsentierte, die Feldarbeit abverlangte. Besucher und Öffentlichkeit mussten darin eine gewisse Tugendhaftigkeit entdecken. Den Rezipienten des Livius war der Fall des Marius sicher besser bekannt und sie mochten sich erinnert fühlen, sobald sie die Salinator-Episode vernahmen. Liv. per. 79 etwa kannte die Details um die Rückkehr aus dem Exil.
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Uniformität. Er legte Differenzen offen, indem er sie visualisierte, denn Kern des squalor war der optische Unterschied zum üblichen Äußeren. Sein Verstoß bestand also nicht so sehr darin, sich gegen die Etikette zu kleiden, sondern den Senat bloßzustellen; das galt es zu sanktionieren. Salinator blieb der einzige Römer, der im Senat als sordidatus auftrat.18 Später sollte ihm die mit dem squalor unter Beweis gestellte Standhaftigkeit (constantia) ein zweites Konsulat einbringen. Dass Salinator Zeichen der Trauer trug, bis es ihm untersagt wurde, verweist auf ein anderes Phänomen, das sich allerdings erst für den frühen Prinzipat fassen lässt. Unter Augustus nahm die Praxis überhand, eine Klage zu legen und seinen Gegner damit zum Kleiderwechsel zu zwingen. Das war allein unter der Bedingung möglich, dass die Symbolik inzwischen obligatorischer Bestandteil forensischer Verfahren geworden war. Dann aber ließ man das Verfahren versanden und der Angeklagte bekam keine Möglichkeit, sich der schäbigen Kleider zu entledigen; vielmehr sah er sich genötigt unablässig als sordidatus aufzutreten. Es lag nicht in den Händen des Beklagten, sich der Sache zu erwehren, sondern es oblag allein dem Kläger, die Angelegenheit zu einem Ende zu bringen; der Angeklagte war zur Passivität verdammt. Diese Machtlosigkeit bedeutete einen Ehrverlust, weil man ständig unstandesgemäß erscheinen musste, ohne Abhilfe schaffen zu können.19 T. Annius Milo jedenfalls war bereits 56 v. Chr. wiederholt unter Anklage in sordibus erschienen, ehe er den squalor vier Jahre später ablehnte.20 Belegt ist diese Praxis durch zwei Erwähnungen bei Sueton. Vor allem Augustus nahm sich des Problems an. Er tilgte die Namen der Angeklagten, die länger als eine festgelegte Dauer auf einer Liste anhängiger Prozesse standen, und führte eine Frist ein, die zwischen Erhebung der Klage und dem eigentlichen Prozess verstreichen durfte, ehe die Sache passé war.21 Ergänzt wird der Passus durch eine Erwähnung, dass Augustus prüfte, ob es sich bei den gerichtlichen Streitigkeiten lediglich um persönliche Fehden handelte oder ob schwerwiegende Delikte vorlagen. Dabei zeigt sich deutlich, auf welch drastische Weise der Prinzeps in die ritualisierte Konfliktaustragung der Elite und aller anderen Untertanen eingriff. Trotz der zeitgenössischen und historischen Autorität des Augustus scheinen die Maßnahmen nur mittelfristig gefruchtet zu haben. Bereits für Vitellius ist ähnliches erneut bezeugt. Als Galba ihn in das Lager der niedergermanischen Truppen entsandte, „[…] schlug er keinem, der etwas von ihm wollte, etwas aus, ja er tilgte sogar von sich aus die Bemerkungen über diejenigen, die gebrandmarkt worden waren, den Angeklagten 18 19 20 21
Sonst sind nur die Geschichten von Gesandten in der Kurie belegt; vgl. Liv. 45, 22, 2: … in hoc squalore venimus in curiam … Außerdem Stroux (1929) 61, der die gens togata überzeichnet. Das deutet sich auch an, wenn Kaiser Claudius auf die „Anklägertyrannei“ verweist; vgl. Stroux (1929); v. Woess (1931); die Antwort der Angeklagten, sich dem squalor einfach zu entziehen, in Kap. 14.2. Zunächst vom 7. Februar (Cic. Q. fr. 2, 3, 1 f.) bis mindestens Mai (Q. fr. 2, 6, 4); Cic. Sest. 144 listet Milo im März als sordidatus; Ascon. 25 Clark als Unterstützer; vgl. Hall (2014) 52; 60 f.; zur Verweigerung Kap. 14.2 Suet. Aug. 32, 2: diuturnorum reorum et ex quorum sordibus nihil aliud quam voluptas inimicis quaereretur nomina abolevit condicione proposita, ut si quem quis repetere vellet, par periculum poenae subiret. – Zur Praxis auch Bablitz (2007) 84 f. und Hall (2014) 62 f.; die Dauer bleibt unbestimmt.
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14. Die Gegenprobe: Erwartbares und nicht-erwartbares Verhalten
nahm er die schmutzige Kleidung weg, Verurteilten erließ er die Strafen.“22 Doch nicht jeder Trauerakt von Dauer ging auf verschleppte Prozesse zurück, wie die Berichte zu Metellus Pius und Q. Cicero zeigen.23 Trauerverbote, zensorische Rüge und kaiserliche Verordnungen zeigen, dass der squalor verschiedenen Einflüssen und Regeln unterlag, die nicht sofort sichtbar werden, aber auch, dass das Spiel mit der Trauersymbolik unterschiedlich gut beherrscht wurde. Im Rahmen fester Regularien fanden Akteure Wege, sich den squalor zu eigen zu machen und bewährte Rituale zu unterminieren. Sie griffen eingespielte Praktiken auf und dehnten sie in erlaubten oder unerlaubten Maß. Dabei testeten sie nicht nur die Präferenz- und Widerstandsstärke ihrer Kontrahenten, sondern überhaupt was die Gesellschaft gewillt war, ihnen durchgehen zu lassen.24 Dass es dabei auf Nuancen ankam, illustriert die abgeschwächte Form eines Trauerakts: Von Zeit zu Zeit trug man nicht die vestis sordida, um sich demonstrativ unterwürfig oder erniedrigt zu zeigen, sondern man legte nur die senatorischen Standeszeichen ab. So sollen es 53 v. Chr. infolge von Unruhen und der Verschiebung der Konsulwahlen mehrere Senatoren getan haben. Auch Cicero versuchte sich erst an einem squalor, nachdem sein Rundgang bei den Mächtigen Roms nicht gefruchtet hatte.25 Da der squalor im Laufe des ersten Jahrhunderts v. Chr. ein fester Bestandteil der politischen Kultur wurde, war er ein geeignetes Mittel, Normen zu hinterfragen, anzureißen oder gar zu überschreiten – immer vor dem Hintergrund die eigene Person in ein rechtes Licht zu rücken; sei es durch fromme Befolgung der Tradition oder durch gezielte Normtransgression. Wie flexibel der Umgang mit Trauersymbolik im Kaiserreich geworden war, zeigt eine Traueraktion unter Nero, die sich so gar nicht mehr in das bislang angelegte Schema symbolischer Trauerakte fügt: Cassius Dio berichtet, wie Unbekannte die letzte verbliebene Statue der jüngeren Agrippina mit Lumpen verhüllten, um auf ihre Trauer aufmerksam zu machen und gegen Nero zu protestieren.26 22 23 24 25
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Suet. Vit. 8, 1 (Übers. H. Martinet): … nihil cuiquam poscenti negavit atque etiam ultro ignominiosis notas, reis sordes, damnatis supplicia dempsit. – Zur Verzögerung der Prozesse auch Stroux (1929) 39–60. Stroux (1929) 69 A. 6 versteht gerade mit Nachdruck vorgebrachte Trauerakte falsch, indem er sich auf Verschleppungen bezieht, wie es angeblich bei Cic. Verr. 2, 2, 62 der Fall sei. Doch M. Cicero verweist auch darauf, dass die Dauer des squalor (biennium!) das Mitleid steigerte. Das meint eigensinnig wie bei Lüdtke; vgl. Kap. 1.1; auch die an subversiven Strategien interessierte Butler (1998) 226 verweist auf die „Möglichkeit des Sprechaktes als Akt des Widerstands“. Zu den Senatoren Cass. Dio 40, 46, 1: καίπερ καὶ τὴν βουλευτικὴν ἐσθῆτα καταθέμενοι κἀν τῇ ἱππάδι τὴν γερουσίαν ὥσπερ ἐπὶ μεγάλῳ τινὶ πένθει συνάγοντες. Zu Cicero Cass. Dio 38, 14, 7: καὶ τὴν βουλευτικὴν ἐσθῆτα ἀπορρίψας ἐν τῇ ἱππάδι περιενόστει, πάντας τε τούς τι δυναμένους, οὐχ ὅπως τῶν ἐπιτηδείων ἀλλὰ καὶ τῶν ἀντιστασιωτῶν, καὶ μάλιστα τόν τε Πομπήιον καὶ τὸν Καίσαρα … Zur Praxis Hall (2014) 46 f.; Edmondson (2008) 29 f.; Heskel (1994) 142; zu den Dio-Stellen Freyburger-Galland (1993) hier 121–6; siehe auch Val. Max. 6, 4, 4 und Cic. Planc. 98, wo das Ablegen der Statuszeichen in Kombination mit dem squalor erwähnt wird; ähnlich bei militärischen Niederlagen bzw. Todesfällen: Liv. 9, 7, 8 und Suet. Aug. 100, 2. Die Epitome unter Cass. Dio 62, 16 reihen sich in diesen stillen Widerstand ein, besonders 2a: Ὅτι εἰσιόντος Νέρωνος εἰς τὴν Ῥώμην τοὺς τῆς Ἀγριππίνης ἀνδριάντας καθεῖλον·μὴ φθάσαντες δὲ ἕνα ἀποτεμεῖν ῥάκος αὐτῷ ἐπέβαλον ὥστε δοκεῖν ἐγκαλύπτεσθαι, καί τις παραχρῆμα
14.2 Verweigerte Trauerinszenierungen: Die causa Appietata
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14.2 VERWEIGERTE TRAUERINSZENIERUNGEN: DIE CAUSA APPIETATA Eine weitere Möglichkeit, sich den squalor zu eigen zu machen, stellte der demonstrative Verzicht auf symbolisches Trauern dar (Kap. 5.3). Dabei ging es vornehmlich um die Kleidungscodes, mit denen man bei einer mutatio vestis spielte und wie man mit dem squalor Aufmerksamkeit erregte. Hier interessieren Motive und Mechanismen des Kleiderwechsels sowie gegenseitige Bezüge. Im frühen fünften Jahrhundert v. Chr. lässt Livius den Patrizier Appius Claudius sich unter Anklage weigern, die Kleider zu wechseln.27 Der Konsular war beschuldigt worden, eine neue Landverteilung hintertrieben zu haben, gleichwohl galt die Anklage seinem Verhalten als Konsul des Vorjahres, in dem er versuchte hatte, gegen die neu geschaffene Institution des concilium plebis vorzugehen. Er entging seiner Verurteilung allein durch Suizid. Seine Entscheidung von einem squalor Abstand zu nehmen, begründet Livius letztlich mit der üblichen Polemik gegen die Claudier, denen Hochmut (superbia) und Grausamkeit (crudelitas) vorgeworfen wurde.28 Sich mit dem Volk gemein zu machen, widersprach dem claudischen Selbstverständnis. Gleichzeitig legt Livius den Feinden des Appius eine gewisse Bewunderung seiner Standhaftigkeit (constantia) in den Sinn. Diese constantia mag Livius im berühmtberüchtigten Schauprozess gegen den Redner und Rechtsgelehrten P. Rutilius Rufus gefunden haben. Im Jahr 94 v. Chr. schützte er als Legat die Provinzbewohner vor der Willkür der publicani. Deren Lobby beschuldigte Rufus in Rom eines crimen repetundarum, um ihn durch eine Verurteilung aus dem Weg zu schaffen.29 Wie es laut Überlieferung seinem vorbildlichen Charakter entsprach, verbat er sich unter diesen Voraussetzungen die übliche Verteidigung.30 So weigerte er sich während des Prozesses, sowohl Trauer zu tragen, als auch die Zeichen seines Standes abzulegen, da er meinte damit seine Schuld zu gestehen. Er wusste die politische Lage wohl zu sondieren und protestierte gegen die bereits absehbare Verurteilung. Allein es half nichts und er trat den Weg in
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ἐπιγράψας προσέπηξε τῷ ἀνδριάντι „ἐγὼ αἰσχύνομαι καὶ σὺ οὐκ αἰδῇ.“ – Weitere Schmähungen gegen Nero bei Suet. Nero 39, 1–3; 45, 2; vgl. Flower (2006b) 10; zu den bei der Polemik gegen Nero verwendeten Graffiti Zadorojnyi (2011). Liv. 2, 61, 5: Illum non minae plebis, non senatus preces perpellere unquam potuere, non modo ut vestem mutaret aut supplex prensaret homines, sed ne ut ex consueta quidem asperitate orationis, cum ad populum agenda causa esset, aliquid leniret atque submitteret. – Siehe auch Dion. Hal. 9, 54, 4 mit Kap. 5.3 und dem Verhältnis zur Weigerung des Clodius; vgl. Meister (2017c) 192 f.; Stroux (1929) 63–5; Kath (2012) 63 A. 10. So der Vorwurf des Volero bei Liv. 2, 56, 7 und ähnlich unmittelbar vor der Weigerung in Liv. 2, 61, 3 f. Liv. per. 70; Cic. Rab. Post. 27; Font. 38; Pis. 95; Vell. Pat. 2, 13, 2; Val. Max. 2, 10, 5; Sen. epist. 79, 14, Ascon. 21 Clark; Tac. ann. 3, 66, 1; zur Konstellation Badian (1997) 120–3; David (1980) 186. Zum Charakter des Rufus Cic. Brut. 113 f.; Cass. Dio 28, 97, 2. Meister (2017c) 192 sieht die Aktion als Provokation der Richter; zum Prozess Kallet-Marx (1990); zu den Folgen nun Habenstein (2015) 143–6.
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14. Die Gegenprobe: Erwartbares und nicht-erwartbares Verhalten
die Verbannung an. Die Begebenheit dürfte Livius aus der Autobiographie des Rutilius Rufus bekannt gewesen sein.31 Die Geschichte des Milo könnte Livius noch aus erster Hand gekannt haben. Milo war wegen Mordes an Clodius erneut angeklagt, weigerte sich dieses Mal aber Lumpen anzulegen. Er räumte die Tat, nicht aber die Schuld ein, denn er habe in Notwehr gehandelt. Sein Anwalt Cicero erwähnt in seiner Verteidigungsrede explizit, Milo habe ihm untersagt, mit den üblichen Appellen an das Mitgefühl der Richter zu arbeiten und unterstrich sie dadurch gerade. Auf diese Weise habe Milo, so Plutarch, selbst zu seiner Verurteilung beigetragen.32 Wenn es die Schuld des Angeklagten nicht zu leugnen galt, war das beste Mittel der Verteidigung zum einen die deprecatio, die sich auf den guten Ruf, die Taten für das Gemeinwesen und nicht zuletzt auf den symbolischen Trauerakt im Prozess als bereits abgeleistete Ehrenstrafe verlegte. Zum anderen konnte die Rechtmäßigkeit der Tat in den Vordergrund gestellt werden. Cicero beabsichtigte ersteres, Milo letzteres; auch wenn es geplant sein mochte, die Trauer der Anhänger Milos durch sein eigenes Ablehnen der vestis sordida zu betonen, ging die Verteidigungsstrategie nicht auf. Die Episode, die Gellius über Scipio Aemilianus berichtet, kann Livius mehreren Biographien entnommen haben. Scipio wurde 139 v. Chr. der Prozess gemacht, nachdem er vom Tribun Tib. Claudius Asellus angeklagt worden war, die zeremonielle Reinigung des Bürgerheeres (lustrum), nicht sachgemäß durchgeführt zu haben.33 Im Prozess entlarvte Scipio die Anklage des Asellus als Retour für dessen Ausschluss aus dem Ritterstand und legt sich – seiner Unschuld bewusst – weder Bart noch beschmutzte Kleider zu.34 Die Begebenheit unterscheidet sich von den anderen, indem ein weniger senatstreuer Nobilis im Mittelpunkt steht,35 vor allem 31
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Val. Max. 6, 4, 4: … nec obsoletam vestem induit, nec insignia senatoris deposuit, nec supplices ad genua iudicum manus tetendit, nec dixit quicquam splendore praeteritorum annorum humilius … Oros. 5, 17, 12: Rutilius quoque vir integerrimus adeo fidei atque innocentiae constantia usus est, ut die sibi ab accusatoribus dicta, usque ad cognitionem neque capillum barbamve promiserit neque sordida veste humilive habitu suffragatores conciliarit, inimicos permulserit, iudices temperarit, orationem quoque a praetore concessam nihilo summissiorem quam animum habuerit. – Zu den Memoiren des Rufus FRM 59–70. Cic. Mil. 92: Quid restat nisi ut orem obtesterque vos, iudices, ut eam misericordiam tribuatis fortissimo viro quam ipse non implorat, ego etiam repugnante hoc et imploro et exposco? Nolite, si in nostro omnium fletu nullam lacrimam aspexistis Milonis … 105: neque enim prae lacrimis iam loqui possumus, et hic se lacrimis defendi vetat. Plut. Cic. 35, 5: … αὐτοῦ τοῦ Μίλοωνος εὐθαρσῶς καὶ ἀδεῶς παρισταμένου τῷ ἀγῶνι καὶ κόμην θρέψαι καὶ μεταβαλεῖν ἐσθῆτα φαιὰν ἀπαξιώσαντος. ὅπερ οὐχ ἥκιστα δοκεῖ συναίτιον αὐτῷ γενέσθαι τῆς καταδίκης. – Zur Diskrepanz zwischen Verteidiger und Mandant vgl. Ascon. 36 Clark; Hall (2014) 90–2 und 60 f., wo er darüber spekuliert, Milo habe es nicht mit der Trauer der Fulvia und Clodianer aufnehmen wollen. Als Zensor änderte er die abschließende Gebetsformel; vgl. Val. Max. 4, 1, 10, wo auch der Fall der Rüge auftritt, allerdings für einen gewissen C. Licinius Sacerdos; dazu North (1976) 3; Klinghardt (1999) 7. Gell. 3, 4, 1 mit Kap. 5.3. – Die Lebensberichte erwähnt Gell. 3, 4, 2 f.; zur strittigen Datierung MRR I, 480. Vielleicht nahm er Bezug auf den älteren Africanus, der sich zierte, überhaupt vor Gericht zu erscheinen und tatsächlich nicht vorgeladen wurde; vgl. Liv. 38, 52, 2; 53, 10; Plut. Cat. maior 15, 2; Cass. Dio 19, 63 frg.
14.2 Verweigerte Trauerinszenierungen: Die causa Appietata
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aber dadurch, dass Scipio trotz seiner Weigerung zum Kleidertausch als einziger der vier Angeklagten freigesprochen wurde. Die übrigen stellten sich selbst mit der demonstrativen Verneinung des Kleidungswechsels in den Vordergrund. Scipio dagegen legte den Fokus nicht nur auf seinen eigenen Ruf. Vielmehr zielte er auf das Prestige des Asellus ab. Indem er die unlauteren Beweggründe des Tribuns enthüllte, rückte der Kläger in den Mittelpunkt, der sich dem Würgegriff seines Gegenübers nicht mehr entziehen konnte. Den Gegenstand des Prozesses machte Scipio vergessen. Dazu trug auch die vestis candida bei, von der Gellius schreibt. Sein Auftreten war keiner Kandidatur geschuldet, wie ein solches Äußeres häufig nahelegt, dennoch verfolgte er eine Strategie, der auch ein Amtsanwärter nachging: Scipio stellte durch die weiße Kleidung sein reines Gewissen zur Schau und setzte der Erwartungshaltung des Publikums ein Protestzeichen entgegen, indem er den Gegensatz zwischen dem Erscheinungsbild eines Amtsbewerbers und eines Angeklagten betonte. Damit kommt die Begebenheit zwar nicht als Vorlage für Livius’ Appius infrage, sehr wohl aber als Vorbild für das Verhalten des Rufus und Milo vor Gericht, denn durch Erfolg wird man zum role model für nachfolgende Generationen. Allerdings erfährt man aus den Quellen vor allem, wie negativ die Nachwelt die Weigerung auffasste, sich der mutatio vestis zu entziehen, denn nur Aemilianus gelang es, die Anklage abzuschmettern. Die demonstrative Ablehnung der Unterwerfung mittels einer Trauergeste vor Gericht galt noch im zweiten Jahrhundert n. Chr. als Ausdruck harschen patrizischen Verhaltens. Sueton kannte noch den Topos der Verweigerung von Demutsgesten durch Angeklagte. Er bezieht sich sicherlich auf den Fall des Appius Claudius, wenn er die streng aristokratische Haltung der Claudier in seiner Tiberius-Vita referiert.36 Überhaupt ist auffällig, dass symbolische Trauerakte nur selten bei patrizischen gentes begegnen. Die Unterstützung des Appius Claudius durch seinen familieninternen Gegner Gaius wird entsprechend hervorgehoben.37 Kein Fabier oder Valerier bot einen squalor dar. Servilier, Scipionen und plebejische Luculler werden von Cicero nicht namentlich genannt und treten zudem in Gruppe, nicht allein, auf; selbst Clodius verwehrte sich und Manlius Capitolinus galt als schwarzes Schaf.38 Nur die plebejischen Metelli und Sempronii scheuten sich nicht vor einem squalor. Aristokratischer Stolz war nicht allein der Grund, einen Trauerakt abzulehnen. Vielmehr kam es auf den Anlass an. Scipio scheute nicht grundsätzlich vor emphatischen Gesten zurück; der mangelnden Moral seiner Truppe vor Numantia begegnete er, indem er unter ihnen im schwarzen Kriegsmantel umherging. Clodius warf sich in Lumpen vor die Richter des Bona Dea-Prozesses und Milo trat mindestens 36 37 38
Suet. Tib. 2, 4: … ne capitis quidem quisquam reus apud populum mutare vestem aut deprecari sustinuerit … Zum Claudier-Bild Wiseman (1979) 57–112; Walter (2004a) 121–30; vgl. Clodius in Kap. 5.3. Liv. 6, 20, 1 unterstreicht die Untat des Torquatus, dessen Familie nicht in Trauer erschien; vgl. Liv. 3, 58, 1. Cic. Quir. 6; Red. Sen. 37; Clodius: Cic. Red. Sen. 12; Cass. Dio 39, 29, 1; Capitolinus: Anm. 37; Kap. 12.1.
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14. Die Gegenprobe: Erwartbares und nicht-erwartbares Verhalten
im Prozess gegen Sestius als sordidatus auf.39 Einige Zeugnisse lassen vermuten, dass man sich gerade unter Anklage mit Trauerzeichen schwertat, weil sie die dignitas unterhöhlten. Nicht nur Milo überließ Tränen und squalor anderen, auch Mn. Aquilius delegierte die wesentliche Arbeit an seinen Anwalt. Die Ehrbekundungen für Rutilius Rufus sprechen dieselbe Sprache. Jedoch war eine solche Haltung nicht sonderlich pragmatisch. Daher klaffen Anspruch und Praxis der Verteidigungsstrategie auseinander.40 Die Praxis des Verzichts auf symbolisches Trauern scheint in der Kaiserzeit noch zugenommen zu haben. Claudius prangert in einer durch einen Papyrus überlieferten Rede an, dass die Sitte um sich greife, unter Anklage weder Kleider zu wechseln noch Bart und Haare wachsen zu lassen. Der Prinzeps sah sich veranlasst, den squalor einzufordern, da dadurch Prozesse verschleppt würden. Beschmutzte Kleider waren inzwischen ein so fester Bestandteil des forensischen Zeremoniells geworden, dass man ohne sie nicht verfahren konnte. Es ist nicht bekannt, wie erfolgreich man damit war, aber eine Zunahme der Sitte, sich der mutatio vestis zu entziehen, indiziert gewisse Erfolgsaussichten. Die Ablehnung war auch dem erwähnten Umstand geschuldet, dass viele Beschuldigte per Klage in die vestis sordida gezwungen wurden, ohne sie wieder ablegen zu können, da der Wechsel des Gewands obligatorsich geworden war. Dem versuchten sie zu entgehen, indem sie erst gar nicht als sordidati auftraten. Inzwischen vertraute man mehr auf den positiven Effekt der constantia als auf das Mitleid der Geschworenen. Die Praxis hatte sich um die Jahrtausendwende soweit durchgesetzt, dass eine Verweigerung als klarer Affront gegen das juristische Zeremoniell galt, ja den Prozess verhinderte.41 Gleichzeitig erlaubte die mutatio vestis es nicht mehr, ein Ausrufezeichen zu setzen und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen. Damit hatten sich die Vorzeichen deutlich vertauscht. War der Auftritt des Vatinius in der toga pulla noch ein Hingucker, vermochte gleiches im frühen Prinzipat das Ausbleiben des Kleiderwechsels zu bewirken; dessen wurde sich aus Sicht des Kaisers überreichlich bedient, sodass Claudius dem Einhalt zu gebieten dachte – bei mäßigem Erfolg.42 Mit der Häufigkeit der Verweigerung verlor die Aktion an Schlagkraft und der Kleiderwechsel an Potential, die Leute zu bewegen. Das leitet zur Frage nach dem Verschwinden des squalor über. 39 40 41 42
Zu Scipio Hall (2014) 50 f.; Plut. mor. 201c: αὐτὸς δὲ σάγον ἐμπεπορπημένος μέλανα περιῄει, πενθεῖν τὴν τοῦ στρατεύματος αἰσχύνην λέγων. – Zu Clodius Kap. 5.3; zu Milo Kap. 14.1 und Hall (2014) 89–93. Vgl. Rhet. Her. 2, 25; vgl. Hall (2014) 34–9 und 64 f.; David (1992) 622; zu Aquilius Kap. 9.1 und 11.1. Hall (2014) dagegen sieht symbolisches Trauern vor allem durch Cicero ausgeschlachtet, während es zuvor nur sporadisch zum Einsatz kam. Durch dessen Erfolg angespornt habe sich der squalor verbreitet. FIRA I, Nr. 44, col. 2, 17–22 (=BGU II, 611 = ChLA X, 418): Adiuuan[t] quidem hoc | … pro[po] situm accusa[to]rum et reorum | del[i]ciae, q[uo] min[u]s inuidio[s]um sit eorum | tale factum qui iam sq[ua]lorem sumere | barbamque et capillum [s]ummittere, … col. 3, 1–3: sua caussa quo magis miserab[i]lis ui[d]e[atur], | fastidiunt. Sed [u]ide[a]nt [ipsi quid haec] sibi a [natura] | data inst[r]umenta mise[rationis prosint]. – Vgl. Stroux (1929) 61–70; v. Woess (1931) 354–6; zur Praxis der kaiserlichen Edikte Millar (1992) 252–60; zu Vatinius Cic. Vatin. 30–2 und Kap. 5.3.
15. DAS ENDE SYMBOLISCHER TRAUERAKTE: VERSCHLEISS UND PRINZIPAT Wenn gegen Beginn der Untersuchung eine Genealogie des squalor rekonstruiert wurde, stellt sich am Ende unweigerlich die Frage nach seinem Verschwinden. Die Beschwerde des Kaisers Claudius, dass sich zahlreiche Angeklagte weigerten, Bart und Haare wachsen zu lassen und damit die Prozesse unzulässig verschleppten, zeugt davon, wie tief der Brauch bereits in das juristische Zeremoniell eingeschrieben war. Auch der jüngere Plinius beschreibt die Routine dieses Verhaltens vor Gericht unter Domitian und noch die Digesten aus der Zeit Justinians verzeichnen den Brauch.1 Auch wenn diese Bestimmung viel älter zu sein scheint, wurde ihr noch im 6. Jahrhundert n. Chr. eine solche Bedeutung beigemessen, dass man sie in den Gesetzeskanon aufnahm. Ihr Wert wird vor allem darin bestanden haben, die Kontinuität römischer Rechtsprechung bis in die Republik zurückverfolgen zu können, denn nicht alles, was die Digesten ausführen, referierte auf zeitgenössische Praktiken.2 Zu Gericht scheint die Praxis tief in die Spätantike hineinzureichen.3 Noch nach Jahrhunderten der Kenntnis trug es sich jedoch zu, dass man sich beim squalor verzettelte. So meinte ein Arvandus im Jahr 469 n. Chr., seine Unschuld vor Gericht zu demonstrieren, indem er nicht die Kleider wechselte. Im Gegenteil zeigte er sich frisch rasiert, gebadet, elegant gekleidet und parfümiert, wie Sidonius anmerkt. Arvandus wurde allerdings dadurch übertölpelt, dass seine Ankläger in grauem Gewand erschienen und die Sympathien der Richter auf sich zogen.4 Seine Gegner boten Mittel auf, die auch den Klägern zustanden.5 Ein nachträglich darge1 2 3
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FIRA I, Nr. 44, col. 2, 18–22 (dazu schon Kap. 5.3 und 14.2) bzw. Plin. epist. 7, 27, 5 und 14; ferner Prud. cath. 7, 149–60; weitere, späte Belege bei Stroux (1929) 68 f. Dig. 47, 10, 15, 27; 10, 39; zur Datierung der leges in das zweite Jahrhundert v. Chr. Daube (1991a); (1991b). Auf eine mögliche Verbindung zum mittelalterlichen Brauch, Buße in Sack und Asche zu tun, sei zumindest hingewiesen. Das Büßergewand (cilicium) jedenfalls geht auf biblische Referenzen zurück, die ihren Sitz im römisch-hellenistischen Osten haben; zum cilicium Innemée (1994); zum Einsatz des Büßerhemds in der symbolischen Kommunikation des Mittelalters vgl. Althoff (1997) 211 f. Sidon. epist. 1, 7, 9–11: procedit noster ad curiam paulo ante detonsus pumicatusque, cum accusatores semipullati atque concreti nuntios a decemviris opperirentur et ab industria squalidi praeripuissent reo debitam miserationem sub invidia sordidatorum. … illud sane aerumnosissimum, sicuti narravere qui viderant, quod, quia se sub atratis accusatoribus exornatum ille politumque iudicibus intulerat, paulo post, cum duceretur addictus, miser nec miserabilis erat. quis enim super statu eius nimis inflecteretur, quem videret accuratum delibutumque lautumiis aut ergastulo inferri? – Dazu Croom (2002) 20 f.; vgl. Blonski (2008) 50. Bei Cic. Verr. 2, 5, 128; 130 etwa erscheint der Nebenkläger Sthenius als sordidatus, während Verres selbst in sordibus ist; Verr. 2, 1, 152: Hic istius scelerato nefarioque latrocinio bonis patriis fortunisque omnibus spoliatus venit in iudicium, si nihil aliud, saltem ut eum cuius opera ipse multos annos esset in sordibus paulo tamen obsoletius vestitum videret. – Vgl. Sen.
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15. Das Ende symbolischer Trauerakte: Verschleiß und Prinzipat
botener squalor konnte Arvandus nicht mehr retten und er wurde zu einer Haftstrafe verurteilt. Anders verhält es sich mit der Anwendung des Kleiderwechsels außerhalb einer formalen Gerichtssituation. Die letzte Nachricht hinsichtlich einer mutatio vestis, die weder durch einen unmittelbaren Todesfall bedingt war, noch zu Gericht stattfand, berichtet von Kaiser Vitellius. Laut Sueton sei dieser aufgrund militärischer Bedrängnis als sordidatus auf das Forum gezogen und habe um die Annahme seines Rücktritts gebeten.6 Bei Tacitus wird zudem die familiale Situation betont. Hier ist von einem schwarzen Mantel die Rede, mit dem er das Forum betrat. Dabei habe er seinen Sohn wie im Leichenzug mitgeführt.7 Hinter der Aktion des Vitellius verbarg sich ein abgekartetes Spiel, das seine Anhänger durchschauten. Er hatte sich bereits mit Vespasians Bruder Sabinus und C. Licinius Mucianus, Vespasians Statthalter, arrangiert. Der Kaiser gedachte abzudanken, sofern ihm Sicherheit gewährt und für sein Auskommen gesorgt werde.8 Als die plebs urbana und seine Legionen seinem Anliegen nicht nachkamen, nahm der Kaiser Sabinus fest. Als der Flavier in Ketten auf dem Kapitol vorgeführt wurde, forderten die schäbigen Teile der Plebs (sordida pars plebis) den sofortigen Tod des Sabinus, obwohl Vitellius nichts dergleichen zu beabsichtigen schien. Daraufhin nahm der „Mob“ die Sache selbst in die Hand und zerfleischte Sabinus. Mit dem Mord an Vespasians Bruder, der Vitellius zur Last gelegt wurde, schnitt die Gefolgschaft des Kaisers ihm jede Möglichkeit zur gütlichen Einigung ab. Hätten seine Anhänger ihm den Rücktritt gewährt, wäre er mitunter unbeschadet davongekommen, sie aber wären dem Zorn der Sieger anheimgefallen.9 Daher nahmen Teile des Volks und der Soldaten sich des Wunsches des Kaisers nicht an und ignorierten seinen squalor. Eine solche Darbietung wurde nur befürwortet, wenn das Gemeinwohl davon keinen Schaden nahm oder profitierte. Vitellius hatte sich aber im Volk und Heer bereits im Vorfeld beliebt gemacht, indem er sich deren Loyalität durch Freigiebigkeit vergewissert oder erkauft hatte. Wenn
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contr. 10, 1 ff., wo der Knabe den Prozess durch einen squalor ersetzt, da er sich vor Gericht keine Chancen ausmalt. Suet. Vit. 15, 2: … sordidatus descendit ad rostra multisque cum lacrimis eadem illa, verum e libello testatus est. – Zur recusatio imperii des Vitellius Huttner (2004) 171 ff.; zur miseratio des Vitellius Levene (1997) und Habenstein (2015) 234–8. Nero soll ähnliche Überlegungen zu einem Rücktritt gehegt haben und wollte dazu ebenfalls in Schwarz auftreten (atratus). Während die Aktion des Vitellius durch drei unterschiedliche Notizen belegt ist, mutet die Episode als Rückprojektion des Vitellius-Beispiels an. Selbst von einer gefundenen Notiz der Rede wird berichtet; Suet. Nero 47, 2; siehe auch Kap. 14. Tac. hist. 3, 67, 2. – Zur Verbindung zwischen squalor und pompa ebenfalls Kap. 7.2. Auch das Argumentieren mit Kindern ist inzwischen im Rahmen der Untersuchung hinlänglich bekannt geworden. Zum Plan und seinem Scheitern Richter (1992) 214 f. Tac. hist. 3, 74, 2; vgl. Levick (1999) 50 f.; Nippel (1988) 158. – Hier spielt erneut die Verbindung von Trauergewand und der Kleidung einfacher Leute eine Rolle; vgl. Kap. 5.2. Überhaupt stützen sich ‚schlechte‘ Kaiser auf die plebs sordida, während sich „gute“ Kaiser auf die pars populi integra berufen; vgl. Kröss (2017) 150; 292; ferner Kap. 2.4. Zum Verhältnis von Vitellius und Volk Newbold (1973); Yavetz (1969); der Mord an Sabinus als Schuld des Vitellius bei Tac. hist. 3, 81, 2.
15.1 Den Kaiser nicht herausfordern wollen
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man Suetons Narrativ betrachtet, korrespondiert diese ostentative Großzügigkeit gewissermaßen mit dem Sturz des Vitellius: Der Ausschnitt, in dem Vitellius erstmals versucht, die Gunst der Legionen zu gewinnen, verweist ebenfalls auf die Praxis als Angeklagter in Lumpen zu Gericht zu erscheinen.10 Noch im gleichen Abschnitt sollte Vitellius von den niedergermanischen Legionen zum Kaiser ausgerufen werden. Insofern klammert Sueton Aufstieg und Fall des Vitellius durch zwei Erwähnungen derselben rhetorischen Strategie. Der Kleidertausch angesichts einer Bedrohung stellt die Eckdaten der Erzählung bei Sueton dar. So erklärt sich auch das Ende, das Sueton dem Kaiser angedeihen ließ, denn Vitellius muss erneut in Lumpen auftreten: Die Verurteilten eines Gerichtsverfahrens wurden im Anschluss an ihren Prozess auch dadurch bloßgestellt, dass man sie der Öffentlichkeit in zerfetzten oder dunklen Kleidern vorführte.11 Nachdem Rom durch Vespasians Truppen eingenommen worden war, wird Vitellius selbst in zerrissenen Gewändern vorgeführt, gefoltert und schließlich hingerichtet, ohne dass ihm ein ordentlicher Prozess zuteilwurde, wodurch er zusätzlich entehrt wurde.12 Cassius Dio wertet die Bedeutung der Kleidung ebenfalls auf und spielt mit ihrer Bedeutung, indem er die Unsicherheit des Kaisers in der umstellten Stadt durch ständigen Kleidertausch signalisiert.13 Durch die vorherige Generosität des Vitellius wurde sein persönlicher Nutzen als Gemeinwohl gedeutet. Daher verweigerten die Anwesenden den Rücktritt; zumal ein unerhörter Vorgang: Ein Kaiser dankte nicht ab, er starb!14 Die Vorstellung, der Kaiser lasse das Volk und die Truppen im Stich, galt als Verrat. Auch einen Präzedenzfall, auf den sich in Bedrängnis geratene Caesaren berufen konnten, wollte man sicher nicht schaffen, da es Stabilität durch Herrschaftskontinuität und damit das gesamte Gemeinwesen gefährdete. 15.1 DEN KAISER NICHT HERAUSFORDERN WOLLEN Mit dem Vierkaiserjahr enden Belege für den außergerichtlichen squalor. Den schriftlichen Zeugnissen lassen sich keine Gründe für das Verschwinden der Praxis entnehmen. Abseits der Diskussion um symbolisches Trauern ist argumentiert worden, dass mit dem Beginn der Flavischen Dynastie eine Veränderung des Prinzipats
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Suet. Vit. 15, 2; siehe auch Suet. Vit. 8, 1 mit Kap. 14.1. Pausch (2003) 90; Plut. Aem. 34, 1; App. civ. 4, 176; ferner noch bei Amm. 14, 5, 9. Suet. Vit. 17, 1 f.; zur Darstellung des Todes von Vitellius bei Sueton Cizek (1975); vgl. Tac. hist. 3, 85; Cass. Dio 64, 21 f. – Zu zerrissenen Kleidern als Form der Trauerkleidung siehe Kap. 6.2. Cass. Dio 64, 16, 3 f.: … καὶ ἰδιωτεύσων ἡτοιμάζετο. καὶ ἔστι μὲν ὅτε τὴν χλαμύδα τὴν πορφυρᾶν ἐφόρει καὶ ξίφος παρεζώννυτο, ἔστι δ᾿ ὅτε ἐσθῆτα φαιὰν ἀνελάμβανεν. – Die Stelle legt die Interpretation mehrerer Versuche der Abdankung nahe; Flaig (1992) 564 f. erkennt mindestens drei Anläufe; ferner Davenport (2014). Vgl. Tac. hist. 3, 68, 1: repentina vis dictatorem Caesarem oppresserat, occultae Gaium insidiae, nox et ignotum rus fugam Neronis absconderant, Piso et Galba tamquam in acie cecidere … Dazu auch Galtier (2011); ferner Schunck (1964) 69–72.
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15. Das Ende symbolischer Trauerakte: Verschleiß und Prinzipat
einherging.15 Diese führte zu einer veränderten Form der Öffentlichkeit, die eine entscheidende Rolle für das Gelingen und Scheitern eines Traueraktes spielte. Cassius Dio vermerkt diesen Wandel bereits für die augusteische Zeit, auch wenn darin kein geringes Maß an Nostalgie mitschwingt.16 Während die „guten“ Kaiser der julisch-claudischen Dynastie stets den Anschein erweckten, in der Tradition der Republik zu stehen und im Einklang mit dem Senat zu herrschen, änderten die ersten Flavier dieses Verhältnis. Unter Vespasian und Titus wurde zwar die Würde der Senatoren weitgehend geachtet, aber Einfluss auf politische Entscheidungen wurde ihnen nur dem Anschein nach gewährt. Trotz der demonstrativen Nähe zu augusteischer Kultur verwalteten sie das Gemeinwesen autoritärer als der erste Prinzeps. Die flavische Politik war nur insofern augusteisch, dass die Flavier – wie Augustus den Anschein der res publica restituta wahrte – die Politik des ersten Kaisers als Blendwerk einsetzten und vorgaben, das augusteische Zeitalter wiederzuleben.17 Eine republikanische Gesinnung stand dagegen für eine Form politischer Auseinandersetzung, die den öffentlichen Raum suchte und ihn zum Ort der politischen Debatte machte. In julisch-claudischer Zeit war dies noch zum Teil möglich, wenn auch nur punktuell und häufig konfliktual.18 Dass dies unter den Flaviern nicht mehr gefragt war, zeigt der Umgang mit C. Helvidius Priscus. Dieser legte stets eine ernste Miene auf und gab sich angesichts kaiserlicher Festlichkeiten demonstrativ missmutig, wobei er wie viele seiner Parteigänger die Augenbraue als Zeichen der Skepsis hochzog. Diese Einstellung galt als Ausdruck stoischer tristitia und subtiler Opposition.19 In welchem Verhältnis diese Haltung zu symbolischen Trauerakten stand, ist schwierig zu bestimmen. Tristitia weist zwar auf Trauer hin, doch strenger Stoizismus beißt sich mit dem emotionalen Appell eines squalor. Auch von 15 16
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Zur Funktion des Prinzipats und Weltreiches umfassend Millar (1992); Roller (2001); Garnsey/ Saller (2014); Eich (2014). Cass. Dio 53, 19, 1–3 (Übers. O. Veh): „[F]rüher wurden bekanntlich sämtliche Vorkommnisse und mochten sie sich selbst in weiter Ferne zutragen, vor den Senat und das Volk gebracht. Und so erfuhren alle davon, und viele berichteten schriftlich darüber, wodurch sich die Wahrheit über den Ablauf der Dinge, auch wenn Furcht und Gunst, Freundschaft und Feindschaft noch so sehr die Darstellungen einiger verfärbten, bis zu einem gewissen Grade wenigstens bei den anderen Geschichtsschreibern, welche die nämlichen Gegenstände behandelten, sowie in den öffentlichen Aufzeichnungen feststellen ließ. Doch seit jener Zeit begann man die meisten Ereignisse heimlich und verborgen zu behandeln, und wenn trotzdem einige Dinge zufällig in die Öffentlichkeit drangen, so finden sie keinen Glauben, weil man sie jedenfalls auf ihren Wahrheitsgehalt nicht prüfen kann; denn man argwöhnt, daß sich alle Worte und Taten nur nach den Wünschen der jeweiligen Machthaber und ihrer Anhänger richten. Und so schwatzt man von vielen Dingen, die sich gar nicht zutrugen, während man von anderem, was sich bestimmt ereignet, nichts weiß; jedenfalls laufen fast sämtliche Geschehnisse in einer Version um, die sich mit den Tatsachen nicht deckt.“ Zur Rolle der Öffentlichkeit bei den Flaviern Yavetz (1987); Boyle (2003), zu allgemeinen Aspekten Pfeiffer (2009); Griffin (2000); Levick (1999). Russell (2016) 187–94 sieht diesen schleichenden Prozess bereits seit der späten Republik am Werk. Zur strukturellen Transformation Nebelin (2014) 161–5; zu Konflikten in julisch-claudischer Ära Barghop (1994); zur tristitia Graßl (1975); Wacke (1979); schon Piso legt tristitia an den Tag; vgl. Meister (2009).
15.1 Den Kaiser nicht herausfordern wollen
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der übrigen Trauersymbolik erfährt man bei Helvidius nichts;20 er sollte schließlich verbannt und hingerichtet werden.21 Der Tod des Priscus ist zudem Indiz für das Ausbluten alter Familien. Das hatte weitreichende Folgen für die Überlieferung und Kenntnis traditioneller Kommunikationsformen im öffentlichen Raum. Ohne den Erhalt der Familienarchive, verschriftlichter Leichenreden, tituli und stemmata in den Häusern altrepublikanischer gentes gingen auch zahlreiche exempla verloren, an die die Erinnerung an situationsbezogene und den jeweiligen Konflikten angemessene Handlungen gekoppelt war. Schon in den Bürgerkriegen der Republik und unter verschiedenen Kaisern, aber letztlich doch im Vierkaiserjahr und unter den Flaviern wurde die alte Elite sukzessive ausgetauscht und durch Honoratioren von Kaisers Gnaden ersetzt.22 Diese neue Führungsschicht hatte das traditionelle Verhalten des republikanischen Establishments weder verinnerlichen können, noch bedurfte sie einer oppositionellen Haltung, denn sie verdankten ihre Stellung erst dem Kaiserhaus.23 Neue Senatoren dürften Fälle der mutatio vestis zwar aus Livius und anderen zeitgenössischen Schriften gekannt haben, doch die Durchschlagkraft der Traueraktionen wird dort kaum so deutlich wie in der Praxis. Das Volk war wohl noch weniger dazu in der Lage, republikanische Formen symbolischer Kommunikation mit der Oberschicht zur Anwendung zu bringen oder zu deuten. Einen regelmäßigen, aber vor allem gezielten Zugang zu der Form literarischer Tradition, die diese exempla enthielt, besaß die Plebs trotz öffentlicher Bibliotheken nur bedingt; dafür hatte arbeitende Bevölkerung kaum Zeit. Auch die mündliche Überlieferung zur Republik kam in dieser Zeit an ihre Grenzen, da das kommunikative Gedächtnis, das in der Lage ist solche Praktiken und die Erzählungen darüber zu bewahren, lediglich einen Zeitraum von drei Generationen umfasst. Aus der Perspektive des Jahres 69 n. Chr. stellte dieser Zeitraum etwa die Distanz zur Zeit der Republik dar. Für 22 n. Chr. vermerkt Tacitus den Tod der letzten Augenzeugin der Republik.24 Aber bereits das Scheitern des Vitellius und seiner Traueraktion zeugt vielleicht von der Unkenntnis des Brauchs in Teilen der römischen Gesellschaft; der Elite war die Episode um den Kaiser allemal mahnendes Beispiel für ein Misslingen eines squalor. Warum hätte man an dieses klägliche Vorbild anknüpfen sollen? Ein Versuch das Volk anzurufen, die Legionen umzustimmen oder die Senatoren für sich zu gewinnen, musste zwangsläufig als „Herausforderung des Kaisers“ (E. Flaig) gelten, die dieser nicht dulden konnte. Damit gewann man wenig, aber riskierte alles. Das galt schon seit Augustus. Tatsächlich nehmen Traueraktionen 20 21
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Zu verschiedenen philosophischen Strömungen in der späten Republik, die ein dem squalor nahes Erscheinungsbild einfordern, siehe Zetzel (2016) besonders 55. Seine Opposition galt schon Vitellius, dem er im Senat widersprach. Verheiratet war er mit der Tochter des P. Clodius Thrasea Paetus, der unter Nero ebenfalls für seine Einstellung sterben musste. Unter Vespasian forderte Helvidius die Finanzhoheit für den Senat und erkannte den Kaisertitel nicht an; vgl. Malitz (1985). Zu familialer Kontinuität und Diskontinuität im Senat Klingenberg (2011) besonders 137–77. Vgl. Eck (2009); Mellor (2003); Fluktuationen gab es schon in der Republik; vgl. Hölkeskamp (2010) 78–86. Tac. ann. 3, 75 f.; dazu Cancik-Lindemaier/Cancik (1987); Assmann (2007) 48–55, besonders 50 f. weist auf die implizite Kenntnis der Theorie durch Tacitus hin.
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15. Das Ende symbolischer Trauerakte: Verschleiß und Prinzipat
außerhalb von Prozessen mit dem Beginn des Prinzipats merklich ab. Man findet vor allem Gerichtsszenen, in denen man sich der Trauersymbolik bediente. Die wenigen Beispiele waren von mageren Erfolgen gekennzeichnet und luden ebenso wenig wie die Aktion des Vitellius zur Nachahmung ein. Zudem veränderte sich das kommunikative Dreigestirn zwischen beiden Rivalen und ihren Beobachtern deutlich, denn spätestens seit Tiberius fanden zahlreiche Kapitalprozesse vor dem Senat statt.25 Dadurch entfiel die Öffentlichkeit als Appellationsinstanz, aber auch die zum Teil raue Atmosphäre, die man auf dem Forum zu erwarten hatte.26 Das Zusammenwirken dieser Faktoren illustriert die von Tacitus geschilderte Libo-Affäre. Im Jahr 16 n. Chr. war M. Scribonius Libo Drusus während des Konsulats seines Bruders Prätor. Noch im Amt wurde Libo angeklagt, einen Umsturz gegen Tiberius zu planen. Dabei gelang es Libo nicht, den Verdacht gegen ihn zu zerstreuen, obwohl er unter anderem die Kleider wechselte.27 Daran ist zunächst nichts Bemerkenswertes auszumachen. Diese Traueraktion dürfte jedoch vollends ins Leere gelaufen sein. Einige „vornehme Frauen“ hatte Libo wohl als Unterstützerinnen für seinen squalor aufbieten können, alle Verwandten bis auf seinen Bruder lehnten es jedoch ab, ihn zu unterstützen, was eine Ungeheuerlichkeit darstellte und den Angeklagten der Verurteilung preisgab.28 Schon unter Tiberius scheint sich ein Wandel vollzogen zu haben. Waren in republikanischer Zeit politische und juristische Streitigkeiten mitunter auch familiäre Fehden, sprengte das Korsett des Prinzipats alte Mechanismen der Loyalität. In der Republik setzte man sich noch unter Gefahr für seine Verwandten und Freunde ein, schon die frühe Kaiserzeit schuf hingegen eine Aura der Furcht, die das Ende familiärer Solidarität auf dem Feld der politischen Klage zur Folge haben konnte. Niemand traute sich, dem unter Verdacht des Hochverrates geratenen Libo Hilfe zu leisten.29 Mit der Bürde eines missratenen squalor musste Libo nachsteuern und weitere Mittel zur Erregung von Mitgefühl einsetzen. Zunächst versuchte er, das Mitleid der Kurie und aller Zuschauer zu gewinnen, indem er eine Krankheit vortäuschte (morbus). Dazu ließ er sich in einer Sänfte bis vor das Ratsgebäude bringen, in dem die Verhandlung stattfand. Dabei stützte er sich auf seinen Bruder, als er den Senat 25 26 27
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Vgl. Hartmann (2016) 216 f. A. 35 mit einer Diskussion verschiedener Positionen zum Wandel. Zu den veränderten Bedingungen für Redner im Prinzipat Tac. dial. 34; 37; 39, 4; 40 mit Hall (2014) 144 f. Tac. ann. 2, 27–32, besonders 29, 1: Libo interim veste mutata cum primoribus feminis circumire domos, orare adfinis, vocem adversum pericula poscere, abnuentibus cunctis, cum diversa praetenderent, eadem formidine. – Zur gesamten Affäre umfassend Pettinger (2012) besonders 29–46; siehe auch Naiden (2006) 60; 147; 167, wobei nicht gesichert ist, ob der Bruder Lucius auch eine vestis sordida trug. Es könnte sein, dass er ebenfalls angeklagt war. Zur Verschwörung Suet. Tib. 25, 1–3; ein ähnlicher Fall unter Claudius bei Tac. ann. 12, 59, 2, wo von der entehrenden Klage die Rede ist (indignas sordes); ferner Tac. dial. 12. Thomas (1997); vgl. den Fall des Capitolinus bei Dion. Hal. 11, 49, 4; Liv. 6, 20, 1. Einen Angehörigen bei einem Prozess nicht zu helfen, war der Erwähnung wert; einen squalor gegen ihn zu richten, in der Republik undenkbar; vgl. Liv. 3, 58, 1. Zu pietas und dem Ausbleiben familiärer Unterstützung Kap. 12.1. Vgl. Kneppe (1999) 144 f.; zum Klima der Angst Barghop (1994); Flaig (1992) 94–131; zur supplicatio unter Caesar Hall (2014) 93–6.
15.2 Die Schwächung familialer und Stärkung militärischer Nahbeziehungen
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betrat und die Anklage verlesen wurde; die brüderliche Hilfe und Gebrechlichkeit sind als Mittel der miseratio zu werten.30 Kaiser Tiberius verzog während der gesamten Sitzung keine Miene. Als die Sitzung vertagt wurde, geriet Libo in so große Verzweiflung, dass er sich das Leben nahm, um einer entehrenden Verurteilung zu entgehen. Er schien zu wissen, dass ihm seine Selbstinszenierung keinen Vorteil verschaffen konnte, schon gar nicht unter den erschwerten Bedingungen, dass ihn seine Familie im Stich ließ und sich auch der Kaiser nicht gerührt zeigte, während man von den übrigen Senatoren keine Reaktion vor der des Tiberius erwarten durfte. Dieser jedenfalls erklärte nach Libos Freitod, er habe vorgehabt, den Angeklagten zu verschonen, doch der sei ihm mit seinem Selbstmord zuvorgekommen. Er gab also vor, Libo habe sein Verhalten falsch gedeutet. Tatsächlich hatte Libo dem Ruf des Kaisers durch seinen Freitod geschadet, denn dass ein Angeklagter die Sache selbst in die Hand nahm, ohne zum Suizid aufgefordert worden zu sein, entmündigte den Prinzeps und brüskierte ihn.31 Libos Leumund war so für die Nachwelt wiederhergestellt. Unter rein symbolischen Gesichtspunkten nahm Libos Aktion also einen erfolgreichen Ausgang, auch wenn der squalor nur marginal dazu beigetragen haben dürfte, sondern eine neue Konstellation dafür verantwortlich war; instrumentell blieben die Sache und sein Leben verloren. 15.2 DIE SCHWÄCHUNG FAMILIALER UND STÄRKUNG MILITÄRISCHER NAHBEZIEHUNGEN Von den Problemen familiärer Loyalität zeugt auch das Verhältnis von Kaiser Tiberius zur älteren Agrippina.32 Er bezichtigte sie, ihren Gatten Germanicus sowie ihre Söhne gegen ihn in Stellung gebracht zu haben; sie ihn hingegen, den Tod ihres Mannes mitzuverantworten.33 Letztlich stirbt Agrippina in Gefangenschaft. Einige 30
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Tac. ann. 2, 29, 2: die senatus metu et aegritudine fessus, sive, ut tradidere quidam, simulato morbo, lectica delatus ad fores curiae innisusque fratri et manus ac supplices voces ad Tiberium tendens immoto eius vultu excipitur. – Zum stufenweisen Einsatz symbolischer Aufwendungen Kap. 4.1 mit der Geschichte um den älteren Gracchus; vgl. unten die Geschichte von C. Vibius Serenus, in der Ketten erwähnt werden. Tac. ann. 2, 31, 1 f.; dazu Gärtner (2010). Insbesondere, dass Beschuldigte zum Schutz der eigenen Familie den Selbstmord als Ausweg wählten, wurde später als ehrenhaft, aber als dem Gemeinwohl der res publica abträglich betrachtet. Die Quellen kommentieren den Suizid als sinnloses Opfer, der jedenfalls nicht als vorbildhaftes, moralisches Verhalten für Standesgenossen in schwierigen Zeiten dienen kann. Die Häufung der Prozesse ist auch ein Gradmesser für die Moralität der Herrschaft eines princeps. Agrippina ist eine der wenigen Frauen, von der eine vergleichbare Begebenheit aus historischer Zeit berichtet wird. Allerdings konzentrierte sich die kaiserzeitliche Historiographie auf den Kaiserhof und die darin lebenden Menschen, wodurch Frauen viel schneller in den Fokus rückten, zumal die Zahl potentieller männlicher Handlungsträger durch Bürgerkrieg und Intrigen geschrumpft war. Zu ihrem Charakter Tac. ann. 1, 40–45; 69; besonders 40, 4–41, 1, wo eine trauerszenenähnliche Episode berichtet wird. Auch Ciceros Tochter; Cic. dom. 59 und die Frauen des Antonius in App. civ. 3, 211; vgl. Kap. 8.4; ferner Kap. 9.2. Familiäre Konflikte bei Tac. ann. 2, 43, 5 f.; der Prozesse bei ann. 4, 52, 1–68, 4.
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Jahre zuvor aber versuchte sie gegen den Kaiser Stimmung zu machen, indem sie sich schäbig kleidete, als ihre Cousine Claudia Pulchra wegen ihres angeblich unsittlichen Lebenswandels und eines vermeintlichen Komplottes gegen den Prinzeps angeklagt war. Die Verhandlung war ein Stellvertreterprozess und richtete sich eigentlich gegen Agrippina, die ihre Betrübtheit und Bedrohung, aber auch Solidarität mit der vestis sordida anzeigte.34 Im persönlichen Gespräch mit Tiberius spielte sie die Pietas-Karte, indem sie sich auf ihre gemeinsame Abstammung von Augustus als Enkelin bzw. Sohn berief; wie könne Tiberius Opfer für den Vater darbringen, andere Verwandte dagegen gerichtlich belangen. Diese rhetorische Strategie gibt Auskunft über die hohe Bildung, die Tacitus ihr zuschrieb. Claudia wurde dennoch zum Tode verurteilt.35 Damit verfehlt dieser squalor sein Ziel, nicht aber ohne der Nachwelt ein mahnendes Beispiel familialer Treue gegenüber der Cousine und mangelnder pietas des Kaisers zu hinterlassen. Aber an wen richtete sich die Aktion überhaupt, gab es doch keine mächtige Nobilität mehr, die sich ihres Anliegens annehmen konnte? Das gilt auch für das Beispiel des Libo. Schon in der Republik führte man einen squalor auf dem Forum oder dem Kapitol auf, jedenfalls dort, wo er gut für ein breites, bisweilen ausgesuchtes Publikum zu sehen war. Die Szene appellierte sowohl an das Ehrgefühl und Pflichtbewusstsein der Senatoren als auch an die pietas und misericordia der Plebs. Nachdem der Senat im Hinblick auf Schlichtung inneraristokratischer Konflikte als Entscheidungs- bzw. Konsensorgan weggefallen war, stand allein das Volk zur Verfügung, um Streitigkeiten zu sanktionieren. Die Plebs sah es sogar als Pflicht an, über die Sittenhaftigkeit der kaiserlichen Familie zu wachen, was besonders Nero zu spüren bekam.36 Genau darauf zählten Libo und Agrippina. Neben Volk und Senat waren die Legionen entscheidender politischer Faktor im Kaiserreich.37 Somit verwundert es wenig, dass erst in der Kaiserzeit im Heerlager Trauerakte dargeboten wurden, freilich unter tribunalähnlichen Umständen. Allerdings galt dies nur in Truppenteilen mit römischen Bürgern. Auxiliarverbände folgten in der Regel den Legionen. Schon bei Vitellius, der bei seinem Amtsantritt in Germanien einige Soldaten von ihrer Schuld freisprach und damit vom Lumpengewand erlöste, hörte man vom Feldlager als Interaktionsraum, der auch die Möglichkeit zur symbolischen Trauer bot. Dabei erfuhr man von der Freigiebigkeit des Vitellius. Sie dürfte auch der Grund gewesen sein, warum er die beiden ranghohen Offiziere Suetonius Paulinus und Licinius Proculus begnadigte, obwohl diese sich gegenüber Otho loyal verhielten. Im Gegensatz zu Sueton, der demonstrative Großzügigkeit für dieses Verhalten anführte, war Tacitus darüber erstaunt. Allerdings hatten 34 35 36 37
Tac. ann. 4, 52, 2: se imaginem veram, caelesti sanguine ortam, intellegere discrimen, suscipere sordis. Siehe insgesamt Tac. ann. 4, 52, 1 ff.; 66, 2; Cass. Dio 59, 19, 1; zur Identität Pulchras Groa (1898). Zu symbolischen Rügen kaiserlichen Verhaltens Cass. Dio 62, 16. Zur politischen Rolle der plebs urbana nun umfassend Kröss (2017). Zur Bedeutung der Legionen Flaig (1992) 132–73; bündig Seelentag (2004) 26–8; Hekster (2007) 358; nun auch Eich (2014); ferner Roller (2001) 23–30; Saller (2002) 81–3; Garnsey/ Saller (2014) 114–9.
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beide Generäle einen squalor praktiziert, um ihrer Verurteilung zu entgehen. Ihr Auftreten stellte Vitellius die Möglichkeit zur Verfügung, seine clementia als neuer Imperator unter Beweis zu stellen.38 Soldaten waren auch Empfänger kollektiver Trauerakte anderer Kulturen, die an die Rhodier erinnern. So kamen etwa die Lingonen, nachdem sie von Galba aufgrund von Untreue beim Aufstand des Vindex abgestraft worden waren, mit Gesandten in das Heerlager der Römer und klagten bei den Leuten des Vitellius über das ihnen zugefügte Unrecht (iniuria) und die Bevorzugung des Nachbarstammes. Den Legionären erzählten sie, sie sähen auch deren dringliche Lage. Das taten sie, während ihre Mimik ihr Äußeres unterstrich und die Römer aufhetzte.39 Für die römische Autorität bestand die Gefahr des Aufstandes, da die Truppen durch die Kämpfe und Unsicherheit des Jahres 68/69 n. Chr. strapaziert waren. Deshalb ließ der General Hordeonius Flaccus alle Gesandten der Lingonen wegschicken oder töten, wodurch die Ruhe wiederhergestellt worden sei.40 Die Eigenheiten soldatischer Unterwerfungsgesten zeigt eine Episode, in der der Legat Tampius Flavianus von den Legionären als vermeintlicher Verräter zur Rechenschaft gezogen werden soll. Flavianus bot mehrere Stufen der Selbsterniedrigung dar, die die Soldaten aber darin bestärkten, ihn für schuldig zu halten. Warum sonst müsste er sich fürchten? Darin zeigt sich das mangelnde Gespür für den rechten Rahmen und Zeitpunkt,41 aber auch, dass sich das Zielpublikum gegen den Akteur wenden konnte. Insgesamt ist der militärische squalor eine interpretatorische Herausforderung, weil nicht immer klar wird, ob nicht der öffentliche Raum Roms in die Erzählung vom Feldlager projiziert wird und der Autor die politische Kultur der Hauptstadt soldatisch durchdekliniert.42 Einen der wenigen instrumentell erfolgreichen Auftritte im Prinzipat brachte C. Vibius Serenus dar. Auch hier geht es um ausgebliebene familiale Solidarität. Bald nach der Libo-Affäre wurde er wegen schlechter Amtsführung verbannt.43 Später holte man Vibius aus dem Exil, um ihn de maiestate anzuklagen. Dabei trat er wohl in der vestis sordida auf. Soweit erscheint die Begebenheit üblichen Mus38 39
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Tac. hist. 2, 60, 1: Suetonium Paulinum ac Licinium Proculum tristi mora squalidos tenuit, donec auditi necessariis magis defensionibus quam honestis uterentur. Tac. hist. 1, 54, 1: legati eorum in squalorem maestitiamque compositi per principia per contubernia modo suas iniurias, modo vicinarum civitatium praemia, et ubi pronis militum auribus accipiebantur, ipsius exercitus pericula et contumelias conquerentes accendebant animos. – Siehe auch Tac. hist. 1, 63, 2, wo sich verschiedene gallische Stämme flehend an römische Soldaten wenden, um verschont zu werden: isque terror Gallias invasit, ut venienti mox agmini universae civitates cum magistratibus et precibus occurrerent, stratis per vias feminis puerisque,quaeque alia placamenta hostilis irae … Die Mittel lassen auf einen squalor schließen; vgl. Kap. 3.2. Tac. hist. 1, 53, 2 f.; 54, 2 f. Ähnlich ausländische Würdenträger schon in der Republik; vgl. Kap. 9.3. Tac. hist. 3, 10, 2; Flavianus entkommt nur mit Müh und Not; ein squalor wird leider nicht explizit erwähnt. Vergleichbare Probleme begegneten beim Trauerakt des Celer (Kap. 3.1) und den Bärten spätrepublikanischer Portraits (Kap. 12.2); Hall (2014) hebt immer wieder auf die Möglichkeit literarisch-rhetorischer Stilisierung ab. Tac. ann. 4, 13, 2; Vibius zählte zu den Anklägern des Libo.
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tern zu folgen. Allerdings war der Ankläger sein eigener Sohn gleichen Namens, der sich von dem Prozess erhoffte, in der Gunst des Kaisers aufzusteigen. Neben der Auflösung familiärer Bande verstärkte die jämmerliche Erscheinung des älteren Vibius, dass er zusätzlich zum squalor in Ketten gelegt war.44 Zumindest befolgte Vibius einen Rat des Quintilian, auch die Götter anzurufen. Der squalor könnte zumindest dazu beigetragen haben, dass Vibius die Anklage entkräften konnte.45 Insgesamt stehen kaiserzeitliche Trauerakte für das Symptom, dass politische Machtkämpfe nicht mehr zwischen verfeindeten Nobiles und ihren Anhängern, sondern innerhalb der zusammengeschrumpften Führungselite, allen voran dem Kaiserhaus, ausgetragen wurden, während gleichzeitig die Legionen in die Auseinandersetzungen hineingezogen wurden. Gerade im Werk des Tacitus lässt sich anhand des Phänomens squalor herausarbeiten, was sich im Umgang der Elite untereinander und mit der Plebs durch die Umwandlung Roms von der Republik zu einer gemäßigten Monarchie veränderte. Die Oberschicht kommunizierte nun über andere Formen rituellen Handelns als den squalor, da häufig die dafür nötige familiäre Unterstützung, auch durch Klienten, ausblieb.46 Das ist auf die Ausrichtung des politischen Systems auf den Prinzeps zurückzuführen; es machte alte Loyalitäten obsolet, denn jeder war letztlich an den Kaiser gebunden, nur ihm verpflichtet. Dementsprechend verlagerten sich politische Konflikte, die vormals juristisch oder in der späten Republik gewaltsam ausgetragen wurden, nun in die Familien, besonders in die domus Augusta. Symbolische Trauerakte sind immer weniger Instrument großer Politik zwischen politischen Gruppen und Akteuren. Als Mittel zur Austragung verschiedener Konflikte, die sich um die Nähe zum Kaiser drehen, taugen sie wenig. Außerdem wurde gezeigt, wie das Militär zusehends an Bedeutung gewann. In der Republik spielten die Legionen selten eine Rolle, wie sie es etwa bei Vitellius taten.47 Was außerdem hinzukommt, sind Attribute, die den squalor symbolisch weiter aufladen: Ketten und Krankheit. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass es sich hierbei um eine literarische Ergänzung des Tacitus oder bewährte Bestandteile der miseratio handelte, um die Szene auszuschmücken.48 44
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Tac. ann. 4, 28, 1: Isdem consulibus, miseriarum ac saevitiae exemplum atrox, reus pater accusator filius – nomen utrique Vibius Serenus – in senatum inducti sunt. ab exilio retractus inluvieque ac squalore obsitus et tum catena vinctus peroranti filio comparatur. – Ob die Fesseln dem Angeklagten angelegt wurden oder er sie aus Gründen der Inszenierung erbat, kann nicht geklärt werden. Eine befürchtete Flucht mutet jedenfalls absurd an; die Ketten hatten wohl symbolischen Wert für beide Seiten; Vibius wendete zusätzlich Symbolkapital auf, wie es auch bei Libo mit der Krankheit oder dem Zensor Gracchus der Fall war; vgl. Kap. 4.1. Tac. ann. 4, 28, 3: at contra reus nihil infracto animo obversus in filium quatere vincla, vocare ultores deos, ut sibi quidem redderent exilium … Siehe auch Quint. inst. 6, 1, 34. – Das dürfte Tiberius verärgert haben und ließ den Kaiser schlecht aussehen. Zur Haltung des Tiberius Tac. ann. 4, 29, 2 f., wo von Hass (odium) die Rede ist. So spielte Denunziantentum eine gewichtige Rolle; vgl. Roller (2001) 77–88; siehe auch Winterling (2008) zu den Nahbeziehungen im Prinzipat sowie umfassend Ganter (2015). Selten trat ein Feldherr in Schmutzkleidern vor seine Soldaten, gleichwohl scheint hier dem Mittel des Zerreißens der Kleider eine zentrale Funktion zugekommen und optional gewesen zu sein; vgl. Kap. 6.2 sowie Plut. Ant. 44, 3 und mor. 201c. Vielleicht übertrug sich das angenommene Äußere auf Körper und Geist; vgl. Kap. 5.2.
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Was symbolische Trauerbekundungen anbelangte, waren die Kaiser demnach bis zu den Flaviern noch in einem gewissen Maße von der Akzeptanz verschiedener Institutionen abhängig. Die Stellung des Kaisers basierte auf der Anerkennung durch Senat, Volk und Heer sowie die Prätorianer; ein Appell eines politischen Gegners an diese Instanzen musste nicht als Kampfansage gemeint sein, aber auf jeden Fall so verstanden werden, denn die Mahnung untergrub die Autorität des Kaisers, da nur er Gnade gewährte.49 Die Flavier hingegen hatten ein ungeheures Kapital an Anerkennung durch die Befriedung des Reiches angehäuft. Das erübrigte eine Bitte an die übrigen politischen Institutionen, denn diese hatten nicht den Einfluss, den Kaiser umzustimmen, war eine Entscheidung bereits endgültig gefällt. Ein Anliegen, wie es durch eine Traueraktion vorgebracht werden konnte, wurde durch andere Formen der Kommunikation ersetzt. Dabei trat die mutatio vestis, die immer auch eine drohende Komponente besaß, vollkommen in den Hintergrund, denn sie wäre der Sache nicht dienlich gewesen. Schließlich verfügte der Kaiser über ungleich größere Machtmittel. So trat die Facette des Bittens an einen sowohl situativ als auch strukturell mächtigeren Gesellschaftsakteur hervor, sie bedurfte aber keines squalor, sondern erfolgte in streng formalisierten Bahnen, etwa in Huldigungen und Appellationen.50 Inwiefern sich auch die Trauerkultur angesichts signifikanter Veränderungen der politischen Ordnung wandelte, war nicht Gegenstand dieser Arbeit und wurde bereits andernorts besprochen.51 Nur auf einen gravierenden Einschnitt sei hier hingewiesen, da er symbolische Trauerakte unmittelbar betrifft. In der späten Republik prägten „Konsens und Konkurrenz“ das aristokratische Bestattungszeremoniell. Trotz der Möglichkeit, sich und die gens im Rahmen eines funus zu profilieren, wurden Grenzen des Machbaren ausgereizt, doch selten überschritten.52 Caesar zeigte bei der Beerdigung seiner Tante Julia 69 v. Chr. nicht nur erstmals seit Sullas Diktatur ein Bildnis des Marius in Form eines imago, was ein großes politisches Risiko darstellte. In der Leichenrede wagte er es zudem, sowohl königliche Herkunft als auch göttliche Abstammung zu reklamieren. Beides galt als verpönt. Dennoch blieben solche Aktionen zumeist im Rahmen des nobilitären Miteinanders.53 Im Prinzipat monopolisierte Augustus das Anrecht auf eine politisch wirksame Beisetzung. Sein eigens testamentarisch, bis ins kleinste Detail geregelte Begräbnis legt davon Zeugnis ab. Anders als in republikanischer Zeit führte der Leichnam des 49 50 51 52 53
Flaig (1992); zur Kritik am „Akzeptanzsystem“ siehe u. a. Meister (2012) 193 f. mit weiterführender Literatur; ferner Seelentag (2004) 17–29. Bellen (1997); Millar (1990); (1992) 229–52; Mommsen, Staatsrecht II, 295; Strafrecht, 275– 9; 468–73; ferner Saller (1982). Vgl. Hope/Huskinson (2011); Hope (2009); Rüpke/Scheid (2009); Schrumpf (2006); Engels (1998); Hinard (1995); Wesch-Klein (1993); Toynbee (1971); Mau (1897). Vgl. Hölscher (2004) mit Kap. 5.3; zu Erwartungserwartungen der Nobiles aneinander Meier (1984) 200 f. Zum imago Mariana Plut. Caes. 5, 2; 6, 1 f.; Plut. Caes. 5, 4 f. fährt fort, Caesar habe als erster Römer eine laudatio funebris auf eine junge Frau, seine verstorbene Gattin, gehalten; für beides habe er die Gunst des Volkes erhalten. Zum Anspruch der Abstammung in der Rede Suet. Iul. 6, 1; vgl. zu weiteren Innovationen der pompa Flower (1996) 123 f.; zum Bildnisverbot gegen Marius Flower (2006b) 129–32.
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Prinzeps selbst die Ahnenreihe an und präsentierte sich als Anfang einer neuen Epoche; dann folgten die maiores des Augustus, allerdings begleitet durch viri summi der Republik bis hin zum mythischen König und Stadtgründer Romulus. Neusequenzierung und Aufnahme berühmter Persönlichkeiten unter die eigenen Ahnen stellte die leichte Veränderung republikanischer Leichengänge in den Schatten und suspendierte die Ansprüche anderer gentes. Jede Angleichung an dieses Zeremoniell musste den Kaisern und potentiellen Nachfolgern als Herausforderung erscheinen. So verwundert es wenig, dass die letzte typisch republikanische Leichenfeier einer Frau 22 n. Chr. vorbehalten blieb: der Schwester des Brutus, Nichte des Cato und Gattin des Cassius namens Junia. Danach blieben Leichenzüge mit ius imaginum allein der Kaiserfamilie vorbehalten.54 Vor diesem Hintergrund änderte sich zweifelsfrei die Wahrnehmung einer Bestattung im öffentlichen Raum. Zwar gab es noch Leichenzüge durch die Straßen mit den üblichen Zeichen und Gesten der Trauer, doch der Prachtentfaltung waren deutliche Grenzen gesetzt. Das musste Auswirkungen auf Trauerakte haben, denn sie funktionierten besonders gut vor der Kontrastfolie eines nobilitären funus. Ein weiterer gewichtiger Grund für das stetige Verschwinden des squalor ist die Ritualisierung symbolischer Trauerakte vor Gericht. Sie taugten nicht mehr dazu, auf seine Sache aufmerksam zu machen, wenn sie obligatorisch waren. Keiner konnte seine außerordentliche Demut vor der res publica zur Schau stellen, wenn es alle auf die gleiche Weise taten.55 Dem wurde einerseits mit der demonstrativen Verweigerung zur mutatio vestis begegnet, um das subversive Element wiederzubeleben. Andererseits versuchte man neue Elemente beizumengen, wie die vorgegebene Krankheit des Libo oder die Ketten des Vibius nahelegen. Nicht auszuschließen ist auch, dass Libo versuchte die miseratio zu steigern, indem er seine Angehörigen anwies, vom Prozess fernzubleiben; ein Angeklagter ohne Unterstützung der eigenen Familie mutete besonders jämmerlich an.56 Diese Sichtweise fügte sich zumindest in das skizzierte „Spiel mit Trauerakten“, denn das Ausbleiben familiärer Solidarität kann als Normverletzung gelesen werden, die große Aufmerksamkeit auf sich zog – allein die Quellen erlauben eine solche Interpretation kaum, doch die scheinbare Zunahme familiärer Brüche, die im squalor der Kaiser54
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Zur Leichenfeier des Augustus mit Details, die die Invertierung belegen, Cass. Dio 56, 34 f., hier 34, 2 f.; ferner Suet. Aug. 100; Tac. ann. 1, 8 f.; zum Wandel der pompa funebris im Prinzipat Hölkeskamp (2006) 395 f.; Sumi (2005) 253–61; Flaig (2003a) 94–8; Flower (1996) 223– 55; Walter (2004b) 408–26; Price (1987); zu Junia Tertia und ihrer politische Probleme verursachenden Genealogie Tac. ann. 3, 76 mit Cancik-Lindemaier/Cancik (1987). Hall (2014) 48; 157 sieht keine inflationäre Verwendung des squalor, was er auf dessen „unpredictability“ zurückführt. Der überbordende Gebrauch in Ciceros Prozessreden und die Verwendung bärtiger Münzportraits sprechen eine andere Sprache; vgl. Cic. Rosc. Am. 146; Verr. 2, 2, 62; 3, 6; 4, 41; 5, 128; 130; Cluent. 18; 192; Mur. 86; Flac. 106; Sest. 1; 26 f.; 144–6; Cael. 4; Scaur. 49; Planc. 21; 29; 87; 98; Lig. 32 f.; ferner Mil. 92; 105. Zu den Münzen Kap. 12.2 mit Anm. 47. Freilich war der squalor in der späten Republik kein Muss; Kap. 14.2. In der späten Republik versuchte man noch mangelnden Familienunterstützung oder familiale Statusdefizite zu überspielen; vgl. Hall (2014) 33–5; der auf Cic. Rosc. Am. 13 verweist, wo der Mandant eines Leibwächters bedürfe, weil seine Familie ihn nicht schützen könne. Das trägt zur miseratio bei; siehe auch Hall (2014) 75–93.
15.2 Die Schwächung familialer und Stärkung militärischer Nahbeziehungen
289
zeit sichtbar wird, weist darauf hin. Trauer vor Gericht war zum starren Ritual geronnen, das nur wenig auf Interaktion ausgelegt war.57 Nicht umsonst beklagt Claudius, die Weigerung vieler Angeklagter, sich in sordibus zu zeigen. Ähnliches galt für Augustus und Vitellius.58 Damit gab es außerhalb der Gerichtshöfe keinen Bedarf mehr, eine bestimmte politische Haltung durch das Anlegen besonderer Kleider zu signalisieren oder Akteure zu beeinflussen.
57 58
Nebelin (2014) 163 unterstreicht, dass „involutive“ Prozesse (A. Winterling) zu einer „Verregelung und Normverhärtung“ führten, die die Flexibilität der politischen Kultur hemmten; vgl. Lundgreen (2011). Suet. Claud. 15 zeigt bei aller Polemik, dass der Kaiser Wert auf Kleiderfragen in juristischen Kontexten legte; vgl. Wallace-Hadrill (2008) 42 f.; zum subversiven Element des squalor Kap. 5.3 und 14.2.
16. FAZIT: EINE POLITISCHE KULTUR IN BEWEGUNG Die Untersuchung des squalor hat zuallererst zutage gefördert, dass römische Kultur kein statisches Ganzes war, sondern ein ausgesprochen lebendiges Gebilde. Innerhalb einer einzelnen Praxis konnten zahlreiche Querverweise auf andere Sitten und Bräuche aufgezeigt, mögliche Assoziationen rekonstruiert und Inversionen erklärt werden. Der squalor zeigte sich als eine durch seine Akteure formbare Praxis, die immer wieder aktualisiert und den Umständen angepasst werden konnte. Ohne ein gehöriges Aneignungs- und Subversionspotential ist das kaum denkbar, denn es betraf Trauer- und Bestattungsrituale, Funktionen und Ausdrucksformen römischer Nahbeziehungen und individuelle wie kollektive Unterwerfungspraktiken, zu deren Verständnis die vorliegende Studie ebenfalls beitragen kann. Vor diesem Fenster befindet sich der squalor, wenn nicht im Zentrum, so doch an einem wichtigen Verbindungspunkt zahlreicher Fäden, die gemeinsam das „symbolische Netz“ römischer Kultur und Politik bildeten. Diese Position trug zum Wiedererkennungswert bei und war für ein Gelingen unerlässlich. Wer meint, am Ende einer solchen Untersuchung müsse eine sowohl allgemeine als auch allgemein gültige Deutung des Phänomens squalor stehen, verkennt die Qualität symbolischen Handelns. Man kann zwar versuchen, symbolisches Trauern in ein größeres Panorama römischer Geschichte einzuordnen. Jedoch ist es gerade ein Spezifikum eigensinniger Trauerakte mit ihren zahlreichen symbolischen und instrumentellen Schichten, sich einer umfassenden Interpretation zu entziehen. Daher standen einzelne Episoden Pate für verschiedene Facetten des squalor, ohne dass die jeweilige Nuance in jeder Aktion hervortreten musste. Im Gegenteil war das weder möglich noch nötig, denn Trauerakte besaßen eine Bandbreite an Deutungsoptionen, die sich zum Teil ausschlossen. Allerdings ist man bei diesem Befund stark an die Überlieferung zurückgebunden, die Berichte ihrerseits filterte. Eine Kohärenz suggerierende Darstellung dagegen führte die zurückliegende Arbeit ad absurdum. Der Vielschichtigkeit ebenso wie der inneren Widersprüchlichkeit und Dynamik des squalor wäre eine solche Herangehensweise abträglich. Zwar mag eine plausible Deutung symbolischer Trauerakte im Einzelfall gelingen. Tatsächlich changiert die Interpretation auf instrumenteller Seite zwischen Schlichtung und Verschärfung, während sie sich auf symbolischer Ebene zwischen Trauer/Mitleid und Zorn/Wut bewegt. Doch verlangt die Analyse jener Trauerinszenierungen angesichts polyvalenter Zeichen die Anerkennung ihres Symbolwertes, der sich einer universalen Auslegung der Praxis – zumal aus historischer Perspektive – verschließt. Das bedeutet keine Beliebigkeit, sondern dieser Ansatz spiegelt die Eigenheit performativer Akte wider, die trotz der Veränderbarkeit von Zeichenassoziationen eine Dekodierbarkeit der vorgezeigten Symbole und Gesten garantieren und eine emotionale Authentizität sicherstellen sollen, auf denen sowohl instrumentelle als auch symbolische Wirkmacht eines squalor beruhen (Kap. 1).
16.1. Literarische Inszenierung und narrative Logik: Die Trauerszenen
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Abschließend gilt es nun, die wichtigsten Linien nachzuziehen, Leerstellen zu markieren und die Praxis symbolischer Trauerakte in einen historischen Rahmen einzuordnen. Was bleibt also am Ende einer Untersuchung, die weniger chronologisch als problemorientiert nach Funktion und Wirkung symbolischen Trauerns fragte? Im vorhergehenden Kapitel wurde zwar die Frage nach dem Verschwinden des squalor verfolgt und in einem frühen Punkt seinem Erscheinen auf der Bühne römischer Politik nachgegangen (Kap. 2.1), doch interessierte sich die Analyse im Wesentlichen für die Mechanismen, die zum Gelingen oder Scheitern einer Traueraktion beitrugen. Dabei kann nicht geleugnet werden, dass der Gebrauch von Trauerzeichen im politischen Raum, zumeist ohne tatsächlichen Todesfall, auch historischen Wandlungen unterlag. Daher gliedert sich das Fazit in die Ergebnisse zur Quellengestalt eines squalor, ein Teilfazit, das sich strukturellen Fragen widmet, denen die Arbeit zu begegnen gedachte, fährt mit einer „kleine Geschichte“ symbolischer Trauerakte fort und geht abschließend in einer Synthese der drei Aspekte auf politische Dynamiken der späten Republik ein, die den Gebrauch symbolischen Trauerns bestimmten, denn der squalor, sein Funktionieren oder Fehlen, war immer auch Spiegel der politischen Ordnung. 16.1 LITERARISCHE INSZENIERUNG UND NARRATIVE LOGIK: DIE TRAUERSZENEN Bei der Untersuchung von Position und Ausgestaltung von Trauerszenen im Quellenmaterial konnte festgestellt werden, dass Trauerakte der Rechtfertigung bedurften, wenn sie scheiterten, was gut an den Reden Ciceros abzulesen ist. Die ohnehin moralisierende, nicht-argumentative, sondern auf Affekte ausgelegte Strategie des squalor konnte dann im Nachhinein nochmals unterstrichen werden, indem man den eigenen Misserfolg umdeutete. Dabei zeichnete man den Fehlschlag als charakterliche Entlarvung der politischen Gegner, denn die Missachtung eines solchen Appells erforderte ebenfalls eine fundierte Erklärung vor Standesgenossen und Volk. An den Werken der Zeitzeugen lässt sich besonders der Unterschied zwischen instrumentellen und symbolischen Wert einer Aktion ablesen. Selbst bei einem gescheiterten squalor, der zur Verurteilung oder Verbannung führen konnte, hatte man die Möglichkeit, das misslungene Vorgehen als moralischen Sieg und Demaskierung der Gegner zu feiern, indem man publizistisch tätig wurde.1 Quer zu dem Teil der Arbeit, der inszenatorische und narrative Strategien beinhaltete, wurde immer wieder das Spannungsverhältnis zwischen Bericht und Ereignis betont. Es war von Fall zu Fall zu entscheiden, ob ein Trauerakt wirklich stattfand oder die Autoren und Urheber – insbesondere wenn es sich um literarische oder materielle Selbstzeugnisse handelte – entweder nur vorgaben in sordibus zu sein oder es anderen zum Vorwurf machten, ohne das die römische Öffentlichkeit 1
So der Fall bei Rutilius Rufus (Kap. 2.2) oder Cicero (Kap. 3.1). Allerdings unter verschiedenen Vorzeichen; der erste sah seiner Verurteilung lakonisch entgegen und verbat sich den squalor, der zweite überstürzte seine Aktion und versuchte, die Sache nach seiner Rückkehr aus der Verbannung in ein günstigeres Licht zu rücken.
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16. Fazit: Eine politische Kultur in Bewegung
das nachvollziehen konnte. Dabei ging es einerseits um den squalor im Feldlager (Kap. 3.1; 6.2 und 15.2) oder in den Provinzen (Kap. 14.1), andererseits um die ikonographische Repräsentation auf Münzen, Gemmen und Büsten (Kap. 12.2). Die Aneignung der Trauersymbolik für andere, politische Zwecke kannte nahezu keine Grenzen und verlor auch nach ihrem Verschwinden nicht an Attraktivität für ein gelehrtes Publikum. Fast alle Autoren, die über die römischen Verhältnisse des Betrachtungszeitraumes berichten, halten Informationen bereit. Sie verwendeten Trauerszenen in ihren Berichten teilweise unterschiedlich, auch weil sie die Praxis verschiedentlich deuteten, doch teilten sie nicht nur die Faszination für den squalor, sondern setzten ihn narrativ ähnlich ein, um Konflikte zu navigieren. Dabei bieten sie gezielt gelungene oder missglückte Trauerzenen auf, schlichten die Szenerie oder spitzen sie zu. Gerade mit der Tendenz, Traueraktionen im Narrativ scheitern zu lassen, hatten antike Literaten ein gutes Mittel an der Hand, ihre Erzählung voranzutreiben. Damit machten sich die Autoren die Eigenheit zunutze, dass sich Trauerakte in einem besonderen Spannungsfeld von symbolisch-expressiven und instrumentellen Anliegen abspielten (Kap. 1.3). Am Beispiel des Livius zeigte sich für die römische Historiographie, dass Trauerszenen häufig Produkte wechselseitiger Beziehungen zwischen Tradition und Zeitgeschichte waren. Die Beobachtung, dass sich zahlreiche Trauerakte aus quasi-mythischer und historisch sicherer Zeit stark ähnelten, führte zur Annahme, dass sich diese Begebenheiten narrativ und historisch bedingten; konkret, dass vage Ahnungen von frühen Trauerszenen die Verwendung in historischer Zeit bestärkten, da man sich auf den mos maiorum berufen konnte. Gleichzeitig wirkte die detaillierte Kenntnis aktualisierter Trauerakte auf die historiographische Ausgestaltung zurück. Beides zusammen schuf eine feste Verankerung in der römischen Überlieferung (Kap. 3.2). Dieses Phänomen ließ sich zum Teil auch für griechischsprachige Historiographie ausmachen. Sie deuteten die Sitte stets vor dem Fenster der Hikesie, was zu Unstimmigkeiten, aber auch Deutungen der Praxis führte (Appian), die römische Quellen nicht bieten und einen, wenn auch textlich und kulturell gebrochenen Einblick in die zeitgenössische Reflektion eines squalor erlauben (Kap. 3.3). Interessant ist das Verständnis des Cassius Dio, der versuchte den squalor im Vergleich mit Staatstrauer zu erläutern; ähnlich Plutarch. Ihnen war gemein, dass man Trauerakten in ihrer Zeit – anders als in der Republik – außer im Gericht kaum noch begegnete, was den Versuch des bildhaften Vergleichs erklärt. Wenn man die Position von Trauerszenen in der Gesamtkomposition historiographischer und biographischer Zeugnisse vor Augen führt, fiel zudem auf, dass eine Vielzahl symbolischer Trauerbekundungen im Umfeld von Scheidewegen römischer Geschichte begegnet (Kap. 4.2). Einerseits verweist die dabei verwendete Trauersymbolik bereits im Vorfeld auf Auseinandersetzungen, die auch tödlich enden konnten, fungiert also im Stile eines Vorzeichens. Andererseits bot die Option des Gelingens oder Misslingens, die Trauerszenen innewohnte, den Autoren die Möglichkeit, historische Abläufe ganz nach ihrem Gutdünken zu modellieren – vor allem Trauerakte scheitern zu lassen, um Konflikte zu antizipieren, weil bei fehlgeschlagenen Szenen politische oder gesellschaftliche Brüche offen zutage treten. Im Zuge dessen gibt der squalor den Autoren die Gelegenheit, verhärtete Fronten und
16.2 Die Systematik im Kleinen: Ein ahistorisches Resümee
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radikalisiertes Vorgehen zu veranschaulichen (Kap. 4.3). Gelegentlich werden solche Entwicklungen nur angedeutet, wenn eine Trauerszene zunächst keinen Erfolg zeitigt, dann aber doch zum Ziel führt, weil entweder die Gesten intensiviert oder andere Zeichen wie Tränen oder Drohungen hinzugefügt werden (Kap. 4.1). Ein solches Vorgehen war nicht nur narrativen Notwendigkeiten geschuldet, sondern fand sich auch realiter wieder und hatte unweigerlich Auswirkungen auf die literarische Modellierung anderer Trauerszenen. Das ließ sich für Appian, Dio oder Plutarch, aber vor allem für Livius zeigen, der sich aufgrund seiner Materialfülle für eine nähere Untersuchung aufdrängte. Gerade Livius nutzt dieses Konfliktpotential, um aus der losen Kenntnis einer idealisierten Frühgeschichte der Republik ein lesenwertes Narrativ zu gewinnen. Dabei verbindet er die teilweise zu exempla geronnenen Erzählungen aus der Zeit der Ständekämpfe auch vermittels Trauerszenen. Aus diesem Grund findet man auch auffällig viele Trauerzenen in der republikanischen Frühzeit. Ähnlich verhält es sich mit Dionysios von Halikarnassos (vgl. Kap. 9.2; 12.1). Bei ihm treten häufig Frauen in dunklen Gewändern auf (Sabinerinnen; Lucretia; Coriolans Frau und Mutter; secessio plebis). Damit weist er ebenfalls auf soziale Brüche hin, denn sobald Römerinnen politisch aktiv wurden, lag in der Vorstellung ihrer Männer etwas im Argen. Die Frauen der Römer sind es, die auf die Notwendigkeit eines (zu erneuernden) Konsenses hinarbeiten und nicht zuletzt das pietas-Moment akzentuieren. Andere Autoren überliefern weniger Trauerszenen oder ihre Bücher zur römischen Frühgeschichte sind nicht erhalten. Diese Form der Anordnung und Ausgestaltung von Trauerszenen ist besonders vor dem Fenster der Erfahrungen von Trauerakten aus der späten Republik verständlich. Soweit fassbar geht die Auffassung späterer Autoren auf die Zeugnisse des Cicero,2 Livius und vielleicht auch Dionysios bzw. deren heute verlorenen Quellen aus Annalistik und Rhetorik zurück. Damals zeichneten sich deutlicher als zuvor desintegrative Kräfte in der politischen Praxis ab, die sich auch in den Berichten über den squalor niederschlugen. 16.2 DIE SYSTEMATIK IM KLEINEN: EIN AHISTORISCHES RESÜMEE Das führt zurück zu Fragen der politischen Kultur. Damit einher geht die Bestimmung von Erfolg und Misserfolg eines symbolischen Traueraktes, die auch in den Erzählungen von Bedeutung war. Vor der Folie einer Unterscheidung von Ausdrucks- und Inhaltsseite einer politischen Kultur besitzen auch die einzelnen rituellen Elemente dieses Gemeinwesens sowohl expressive als auch instrumentelle Facetten. Im Fall des squalor heißt das, eine von einem Publikum zurückgewiesene Trauerbekundung galt zunächst instrumentell als gescheitert; dann musste man schmachvoll zurückstecken und ein unliebsames Gesetz passieren lassen oder gar 2
Hall (2014) 129–54 untersucht, wie repräsentativ das Bild war, das uns durch Ciceros Reden vermittelt wird, und kommt zu dem Schluss, dass auch andere – jedoch nicht alle Redner – Mittel wie squalor, Tränen und Verwandte vor Gericht (und außerhalb) bedienten, um ihr Publikum für sich zu gewinnen. Die Zurückhaltung eingiger Akteure gehe auf, die Einschätzung der eigenen rhetorischen Fähigkeiten, der Beimessung von Wirkmacht oder ideoligische Gründe zurück.
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16. Fazit: Eine politische Kultur in Bewegung
das Exil aufsuchen. Mittel- oder langfristig konnte dieses Misslingen aber auch als Erfolg ausgeschlachtet und die Deutung vollkommen verkehrt werden, wenn sich die politische Stimmung in Rom gewendet hatte oder der alte Feind umgekommen war (Cicero; Metellus Pius; Crassus und Pompeius). Der symbolische Gebrauch von Trauerzeichen machte die Umdeutung eigener Handlungen im Nachhinein möglich. So konnten instrumentell missglückte Trauerakte von der Nachwelt – von der antiken wie modernen Historiographie – als symbolische Erfolge eingestuft werden; es lag nicht immer im Horizont des Protagonisten, das zu beurteilen. Zugleich kam es vor, dass instrumentell gelungene Trauerakte als repressiv wahrgenommen wurden und auf diese Weise keine gute Presse lieferten; dann wurden sie symbolisch zumindest dubios wahrgenommen (Antonius). Auch wurde das Kriterium zur Bestimmung eines squalor beleuchtet: Es zeigte sich, dass Kleidung, die Vorraussetzung für die Identifikation solcher Szenen war, nicht nur die Deutung als Trauergewand zuließ, sondern eine zweite semantische Ebene beinhaltete. Diese ist als die Kleidung der mittellosen Schichten zu beschreiben. Insofern vermittelte jede Traueraktion potentiell zwei Botschaften; die des trauernden Römers, aber auch die des unterwürfigen Aristokraten gegenüber dem Volk, mit dem er zu paktieren suchte. Je nachdem wie stark man einzelne Nuancen akzentuierte, trat das eine oder das andere in den Vordergrund (Kap. 6–9). Das tat man entweder durch den Einsatz emphatischer Gesten wie dem Rundgang auf dem Forum und dem Ergreifen der Hände eines Gegenübers, bisweilen mit Verweisen auf die eigenen Kinder oder Tränen. Auch verbal konnte man sich an die Anwesenden richten, aber ebenso demonstrativ schwiegen. Gleichwohl waren die Zuschauer – darunter nicht nur die in sich diverse Plebs, sondern auch Standesgenossen – in der Lage, jeder Zeit der Szene ihre eigene Interpretation überzustülpen, die sich ebenfalls zwischen den untrennbaren Polen Trauer und Selbsterniedrigung bewegte: Demonstrative Niedergeschlagenheit und Demutsgestus schlossen sich nicht aus, sondern ihre Vermengung, die auch zu Irritationen unter den Beteiligten führen konnte, stellt ein zentrales Merkmal symbolischer Trauerinszenierungen dar. Damit ist nichts über den Erfolg des squalor gesagt. Sein Gelingen hing in hohem Maße von der Angemessenheit der Darbietung in Konstellation und Situation ab wie vom feinsinnigen Einsatz einzelner Zeichen und Gesten oder der günstigen Zusammensetzung des Publikums, vor dem man agierte. Besonders die demonstrativ zur Schau getragene pietas konnte dabei helfen, die Beobachter von der Richtigkeit des eigenen Anliegens zu überzeugen (Kap. 12.1). Insofern versprach ein Trauerakt mehr Erfolg, wenn man sich für jemand anderen verwendete und nicht für sich selbst auftrat. Umgekehrt barg diese Option ein geringeres Risiko für den eigenen Ruf, da ein Scheitern nicht zwingend mit der eigenen Person in Verbindung gebracht wurde. Gerade die Zuschauer urteilten über die korrekt gewählte Intensität des Trauergebarens und stellten damit die zentrale Instanz dar, die es zu gewinnen galt. Diese Anwesenden waren es, die als Multiplikatoren ihr Urteil in der Stadt verbreiteten und zum Ruf des Protagonisten beitrugen. Ein wichtiger Richtwert war dabei neben der Angemessenheit die Glaubwürdigkeit des squalor und seines Akteurs: Stimmte sein Handeln nicht mit dem von ihm zuvor im politischen Prozess gewonnenen Bild überein, konnte die Sache auf taube Ohren stoßen wie bei Cicero. Ein Appell an eine be-
16.2 Die Systematik im Kleinen: Ein ahistorisches Resümee
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stimmte Gruppe fruchtete nur, wenn man bereits vorher und bestenfalls ohne Zwang ein (gutes) Verhältnis zu der jeweiligen Institution gepflegt hatte, seien es Senat, Plebs, Legionen, die eigene Gefolgschaft oder andere Gruppierungen. Umgekehrt bedeutet das nicht grundsätzlich, dass populäre Politiker mit einer Traueraktion sofort erfolgreich waren; manche ließ man lange warten, ehe man ihrem Wunsch nachkam, wie Metellus Pius erfahren musste. Dabei präsentieren sich Trauerakte in einer großen Bandbreite, sowohl was ihre Anlässe anbelangt, als auch was den Verlauf betrifft. Das eine grundsätzlich probate Mittel zur Überzeugung der Anwesenden gab es nicht. Stets blieb man auf Konstellation und Situation zurückgeworfen, die es immer wieder neu zu bewerten galt und dem Protagonisten ein feines Gespür für individuelle wie kollektive Befindlichkeiten abverlangte, um sein Publikum nicht zu verstimmen. Überhaupt waren die Reaktionen der Zuschauer vielfältig (Kap. 11 und 12). Meistens war die Wirkung an die Darbietung der Szene durch den Trauerakteur gekoppelt. Man stieß auf Mitleid und Sympathie, wenn die Aktion gut verlief, auf Ignoranz bis Unmut, wenn sie misslang. Selbst ein gelungener squalor konnte umschlagen, sofern die Zuschauer sich derart angesprochen fühlten, dass sie sich zum Eingreifen veranlasst sahen. Dann nahm die Aktion Ausmaße an, die selten kalkulierbar waren und zu handfesten Auseinandersetzungen führten – beabsichtigt oder nicht (Kap. 7.1; 11.2). Manchmal konnte man aber noch so gut vorbereitet sein und alles „richtig“ gemacht haben: Wenn der Trauerakteur seinen Kredit verspielt hatte, halfen auch Tränen nicht. Häufig platzierten Gegner eigene Gefolgsleute an öffentlichen Plätzen, um diesen Effekt zu verstärken. Den Effekt, den man auf die Zuschauer hatte, konnten Trauerakteure allerdings kaum bemessen, auch wenn man über die rechtzeitige Platzierung von Claqueuren das Seine tat, um die Stimmung unter den Anwesenden zu beeinflussen (Kap. 13.2). Zumeist äußerten die Beteiligten ihre Bewertung emotional. Leider konnten diese Reaktionen nur gebrochen im Spiegel der Überlieferung und des historischen Wandels skizziert werden. Gefühle werden nur da (scheinbar) sichtbar, wo sie narrativ über Zeichen und Gesten angelegt sind. Nur unter der Prämisse einer Kopplung von Empfindung und Verhalten können Aussagen über Emotionen getroffen werden. Gerade hier wünschte man sich eine breitere Quellenbasis, die es erlaubte, auch über das Publikum präzisere Aussagen machen und die emotionale Pointe der Trauerakte besser beschreiben zu können. Dafür interessierten sich die antiken Autoren im Fall der Trauerszenen leider zu wenig. Eine Untersuchung zur Semantik antiker Emotionen könnte diesen Mangel beheben, würde aber den Rahmen dieser Untersuchung sprengen. Insgesamt stellt die antike Überlieferung aber eine Fundgrube für symbolische Trauerakte dar, die nun gründlicher erschlossen wurde. In einem Fazit darf nicht fehlen, dass die Möglichkeit bestand, die in den Quellen wiederkehrenden Muster symbolischer Trauerakte auf das Äußerste zu strapazieren, denn feste Vorschriften gab es nicht, die Rhetorikhandbücher gaben lediglich Ratschläge. Das gilt etwa im Hinblick auf Anlass und Konstellation. Situativ testeten die Akteure die Grenzen des Zulässigen aus; das barg ein gewisses Enttäuschungspotential, das sich in den zahlreichen gescheiterten Trauerbekundungen niederschlägt und die Gefahr des Misslingens potenzierte. Gleichsam versuchte man, die ungeschriebenen Gesetze des squalor durch Interpretation ritualisierter
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16. Fazit: Eine politische Kultur in Bewegung
Verfahrensregeln zu nutzen und beispielsweise das Gerichtswesen zu sabotieren. Besonders hier kommt die Eigensinnigkeit symbolischer Trauerakte zum Tragen, die bestehende Ordnung nicht ersetzen, sondern ihr lediglich Nadelstiche versetzen zu wollen. Das beobachtet man auch bei einigen Methoden, mit denen man gegen den squalor vorging, wenn man ihn für unangebracht hielt oder dem Trauerakt als politischer Gegner ausgesetzt war (Kap. 13 und 14). 16.3 EINE „KLEINE GESCHICHTE“ DES SQUALOR Zunächst wurde nachgezeichnet, dass sich ab dem Zweiten Punischen Krieg historisch glaubwürdige Fälle der mutatio vestis finden lassen – sowohl durch Kollektive (Senat; Gesandte) als auch Einzelakteure (Salinator). Dafür sind der Wandel in der Führungsschicht nach Cannae und ein damit steigendes Konkurrenzbewusstsein verantwortlich. Die Zeit davor bis etwa 300 v. Chr. bzw. bis zur Gallierkatastrophe liegt aufgrund der schwachen Quellenlage weitgehend im Dunkeln (Torquatus; Tusculaner); es ist nicht auszuschließen, doch unwahrscheinlich, dass einzelne Trauerepisoden in diese Phase fielen, die durch antike Historiker besprochen wurde, ohne dass ihre Werke oder entsprechende Passagen heute vorliegen. Schon in der Erzählung vom squalor des Manlius Capitolinus zeichneten sich desintegrative Kräfte ab, ohne dass man dem Bericht Glauben schenken muss. Der Wert frühzeitlicher Trauerszenen dagegen (Coriolan; namenloser Veteran) besteht in der Deutung spätrepublikanischer und kaiserzeitlicher Trauerakte durch die Autoren der jeweiligen Epoche. Während diese quasi-mythischen Erzählungen häufig aus narrativen Gründen scheiterten (Kap. 3 und 4), kann man für die Zeit zwischen dem Zweiten Punischen Krieg bis kurz vor den Gracchen konstatieren, dass Trauerakteure zumeist ihr Ziel erreichten, denn diese Szenen waren auf Ausgleich bedacht. Hierbei ist zu bedenken, dass die Quellen den in diese Jahrzehnte fallenden Aufstieg Roms als Folge einer harmonierenden Elite verklären, um die rasante Expansion zu erklären; innenpolitische Konflikte werden dabei durch den Erfolg und die reintegrative Macht von Trauerakten überspielt (der ältere Gracchus; Galba). Gleichwohl zeigt die Notwendigkeit einer immer riskanten mutatio vestis, dass Konflikte innerhalb der Elite bereits früh zur Marginalisierung Einzelner führten. Doch erst gegen Ende des zweiten Jahrhunderts trägt der squalor auch offenkundig zur politischen Polarisierung bei (Tiberius Gracchus vs. Manlius und Fulvius). Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den zahlreichen Trauerszenen in den Ständekämpfen wider (Manlius und Furius; Verginius). Schon vor, aber besonders ab 133 v. Chr. scheinen sich alte Vertrauens- und Loyalitätsbeziehungen zwischen einfachem Volk und politischer Klasse zersetzt zu haben. Noch 138 v. Chr. hatte der amtierende Konsul das Volk schroff in die Schranken weisen können, ohne dass es zum Aufruhr kam, indem er der Plebs zu schweigen befahl, denn er wisse besser als die Bürger, was gut für das Gemeinwesen sei.3 Kurze Zeit später ließ der squalor Emotionen hochkochen, ohne dass die Nobilität etwas entgegenzusetzen vermochte (Saturninus). 3
So P. Cornelius Scipio Nasica laut Val. Max. 3, 7, 3; vgl. Hölkeskamp (1995) 40 f.; Jehne (2011) 111 f.; zur nobilitären auctoritas siehe auch Liv. 31, 6 f.; Cic. Mur. 24.
16.3 Eine „kleine Geschichte“ des squalor
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Um 100 v. Chr. war der squalor bereits fest in der politischen Kultur der Republik verankert. Mit zunehmender Anwendung verschliss sich diese Möglichkeit jedoch und ging in ritualisierte Handlungsweisen über, wodurch nun ein Verstoß gegen die neu gewonnenen Verhaltenscodices die Chance bot, auf sich aufmerksam zu machen (Aemilianus). Während diese subversive Strategie zunächst nur selten genutzt wurde (Rutilius Rufus; Milo), nahm sie mit dem Ende der Republik und dem frühen Prinzipat sukzessiv zu (Bestimmungen des Augustus, Claudius, Vitellius) und wurde ihrerseits Vorbild für Anekdoten der Frühzeit (Appius Claudius). Das zeigten die Abschnitte zum Subversions- und Skandalisierungspotential der Praxis deutlich (Kap. 5.3; 13.2 und 14.2), denn eine Grundvoraussetzung des erfolgreichen squalor war es, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu gewinnen. Die Eigensinnigkeit einzelner Akteure führt unmittelbar zu einem Einschnitt in der Geschichte symbolischer Trauerbekundungen. Die Reduzierung des squalor auf Gemmen und Büsten, aber besonders Münzportraits in der Zeit des Zweiten Triumvirats markierte den Höhepunkt der Trauerszenen (Kap. 12), denn die massenhafte Emission ist nur vor der breiten Kenntnis der Praxis und ihrer symbolischen Elemente möglich. Ferner musste die hohe Wahrscheinlichkeit der Stimulation gewünschter Emotionen gegeben sein. Zugleich führte der überbordende Gebrauch symbolischer Trauerakte auf Münzen ebenso zum Verschleiß wie ihre Ausführung zu Gericht. Cicero erwähnt die schmutzige Kleidung seiner Mandanten oder ihrer Angehörigen in fast jeder Gerichtsrede; Cassius Dio weiß von einem weiteren Dutzend Trauerakten allein in der Mitte des ersten Jahrhunderts v. Chr. zu berichten: Das Publikum stumpfte stetig ab, bis es den squalor als Voraussetzung politischen Handelns, nicht aber als aktives Vorgehen selbst wahrnahm. Ein erneuter Wandel vollzog sich seit Augustus (Kap. 15). Aufgrund einer veränderten politischen Öffentlichkeit musste jeder squalor als Herausforderung des Kaisers gelten, denn ihn versuchte man damit zu einer bestimmten Entscheidung zu nötigen, indem man sich Volk, Senat oder Legionen gewogen machte. Das führte einerseits zum Rückgang von Trauerakten. Andererseits bedienten sich zusehends Mitglieder der kaiserlichen Familie der Praxis, um entweder den Ruf des Monarchen zu attackieren (Agrippina) oder selbst ein riskantes Begehren zu formulieren (Nero; Vitellius). Dabei werden die geminderte Bedeutung familialer Unterstützung bei einem und die gewachsene Bedeutung demonstrativer Nähe zum Heer durch einen squalor virulent. Sowohl mit ihrer Abnahme als auch mit ihrem häufigen Scheitern verloren Trauerakte an Vorbildwirkung und waren nicht mehr attraktiv genug, die Selbsterniedrigung angesichts schwindender Erfolgsaussichten hinzunehmen. Die Flavier letztlich machten keinen Hehl mehr aus den politischen Realien und offenbarten damit die Aussichtslosigkeit eines squalor. Insgesamt spiegelt symbolisches Trauern die Dynamik der politischen Kultur Roms wider. Trauerakte erfuhren häufig an den Stellen Wandlungen, an denen auch das politische System einer Neuausrichtung unterlag.
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16. Fazit: Eine politische Kultur in Bewegung
16.4 VON DER GESCHICHTE ÜBERHOLT: DER NIEDERGANG SYMBOLISCHER TRAUERAKTE Ebenso verhält es sich mit der Einordnung symbolischer Trauerakte in die politischen Entwicklungen der ausgehenden Republik. Während es eben um die Geschichte des squalor ging, kann man den Blick auch auf symbolisches Trauern in der Geschichte der römischen Republik richten, denn wie gezeigt wurde, werden an dieser Praxis auch Entwicklungen innerhalb der politischen Kultur sichtbar. Zahlreiche Arbeiten haben zeigen können, dass die römische Trauerkultur auf das Engste mit dem politischen Feld verzahnt war. Verwandte eines Verstorbenen inszenierten die Beisetzung als Verlust der gesamten Gemeinschaft. Das zeigt deutlich, dass der Tod eines Politikers Auswirkungen auf das politische Klima in Rom hatte: Koalitionen fingen an zu bröckeln, Positionen verloren an Gewicht, Gruppierungen gewannen Oberwasser oder versanken in der Bedeutungslosigkeit. Häufig markierten besonders aufwendige oder – im Gegenteil – besonders schmucklose Bestattungen, die zur Eskalation neigen konnten, Störungen der sozialen Ordnung und des gesellschaftlichen Konsenses (Kap. 7). Mit beiden Optionen wurde die hohe Erwartungshaltung an Normkonformität enttäuscht. Zugleich war es ein zentraler Charakterzug des oligarchischen Regimes, dass sich einzelne Mitglieder unentwegt gegenseitig zu übertreffen suchten; sei es durch ostentativen Pomp oder demonstrativen Verzicht. Die mannigfachen Trauerverbote aus der Republik zeugen von diesem Spannungsfeld; sie sollten verhindern, dass Bestattungen zur politischen Demonstration einer unterlegenen Gruppierung gerieten. Umgekehrt gab es – wenn auch wenige – Grabluxusgesetze, die Prunkentfaltung limitieren sollten.4 In diesem Zusammenhang lässt sich ein Thema aufwerfen, dem im Rahmen dieser Arbeit nicht nachgegangen werden konnte, weil es den squalor lediglich streift: Im gleichen Maß wie das Erfordernis zur Profilierung durch eine imposante Leichenfeier, stiegen auch die Erwartungen an das Schauspiel, die den Zuschauern immer intensivere Gefühlsäußerungen abverlangten. Es ist nicht auszuschließen, dass der Einzelne, aber auch die Masse immer schwieriger zu mobilisieren war und der Elite jenen wachsenden Aufwand auferlegten, um überhaupt eine Reaktion provozieren zu können. Je mehr man Nuancen im Leichenzug änderte, um den Toten und seine Angehörigen zu inszenieren, desto größere Anteilnahme forderte man auch von den Zuschauern ein. Diese ihrerseits zeigten sich allzu verständig und versuchten den Zeichen und Gesten durch gesteigerte Formen der Trauerbekundung entgegenzukommen.5 Diese Beobachtung fügt sich in einen generellen Trend zur späten Republik, nach dem Teile der Plebs aus Sicht der elitären Überlieferung auf politische Geschehnisse zusehends emotionaler und militanter reagierten. Das lässt sich auf die Steigerungslogik des letzten Jahrhunderts der Republik zurückführen. So sehr man das Volk für seine Belange einzuspannen gedachte, in4 5
Zur römischen Trauerkultur Kap. 5–7; zu Grabluxusgesetzen Engels (1998) 155–87; ferner Nebelin (2014) 154. Zur stärker ausschlagenden Amplitude von Ausdrucksformen bei solchen und vergleichbaren Anlässen sowie die höhere Gewaltbereitschaft bei der städtischen Plebs bereits Nippel (1988); Will (1991); Kap. 7.1.
16.4 Von der Geschichte überholt: Der Niedergang symbolischer Trauerakte
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dem man zusätzliche Ehren für Verstorbene reklamierte oder ihren Einsatz für das Volk betonte, so deutlicher wurde, dass sich die städtische Plebs – war sie noch so heterogen – als eigenständiger politischer Faktor herausschälte, dem es gelang einzelne Akteure vor sich herzutreiben.6 Dadurch verloren einzelne Mitglieder der politischen Klasse nicht nur sukzessiv die Kontrolle über, sondern auch das Gespür für die Straße.7 Eine systematische Einbeziehung politischer Dynamiken und verstärkten Differenzierungen jener Zeit verweist zurück auf den squalor, ohne dass jene im Kern der Arbeit standen. Nur soviel: Rom trat seit dem Ende des Zweiten Punischen Krieges in eine Phase der intensivierten Konkurrenz innerhalb der Nobilität ein, die spätestens mit den Gracchen zu einer tiefen Spaltung der römischen Oberschicht führte. Es besteht durchaus ein Unterschied darin, ob ein Mann wie Galba, der wegen Kriegsgräuel an den Lusitaniern 149 v. Chr. vor Gericht stand, sich mit der Unterstützung der meisten Senatoren an das Volk wenden konnte, oder populare Politiker wie Gracchus oder Saturninus sich als Gegner der Senatsmehrheit schutzflehend den Bürgern näherten. Fehlschläge wie bei Cicero und 56 v. Chr. zur Verhinderung der erneuten Konsulatsbewerbung von Pompeius und Crassus können als Indizien für einen grundlegenden Vertrauensverlust führender Senatoren gegenüber römischen Bürgern gesehen werden. Das erschwert den Umgang mit symbolischen Trauerakten, denn sie lassen sich nur vor diesem Hintergrund auf die Ereignisse seit dem späten zweiten Jahrhundert v. Chr. beziehen. Die Notwendigkeit der nobiles und aufstrebender homines novi, sich unablässig gegenüber Standesgenossen zu profilieren, spiegelt sich auch im squalor wider. Er gab ihnen die Möglichkeit, in schwierigen Situationen den eigenen Handlungsdruck umzukehren und Spielräume der Gegenüber einzuengen. Gleichwohl entsprach man dabei Erwartungshaltungen, die an die eigene Person herangetragen wurden, und konnte sich prächtig in Szene setzen. Der squalor suspendierte adlige Konkurrenz nicht, sondern verstärkte sie auf der Ebene demonstrativen Statusverzichts. Die bei allen Konflikten doch lange Zeit der Konsensbereitschaft der politischen Klasse ermöglichte es, Trauerakte als Schlichtungsrituale zu begreifen. Dieser Konsens wurde auch durch das Volk gewährleistet, denn es überwachte den Wettbewerb in der Oberschicht penibel. Niemandem war daran gelegen, einen Rivalen auf eine Art und Weise auszuschalten, die auf einen selbst zurückfallen oder angewandt werden konnte; zumal die politisierten Elemente der Plebs kritisch arg6
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Ein ähnliches Phänomen findet sich auch bei den Legionen und ihren Befehlshabern wider: Die Soldaten stellten immer höhere Forderungen an ihre Generäle (Beuteanteil; Landverteilung), die dadurch zu immer neuen militärischen Abenteuern gezwungen waren, um diese Ziele durchsetzen zu können und das Überlaufen ihrer Leute zu Rivalen zu verhindern. Besonders Appian arbeitet Legionäre und Veteranen als politische Faktoren heraus; vgl. Roller (2001) 23–30; Sion-Jenkis (2000) 102 f. A. 252; ferner Schneider (1977). Vgl. Kap. 2.3 und 2.4; in der Feststellung schlagen sich die widersteitenden Positionen zur plebs contionalis nieder: Meier, RPA, 114 f., der eine Kontinuität der contio als probouleutisches Gremium des Volkes annimmt, und Mouritsen (2001) 38–62, der für die späte Republik contiones als Plattform politischer Agitation beschreibt.
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16. Fazit: Eine politische Kultur in Bewegung
wöhnten, welche Aktion als legitim zu erachten war und welche nicht. Jedem Angehörigen der römischen Elite erschien es nur zu klar, dass eine Missachtung eines squalor eine Zurücksetzung bedeutete, die den symbolisch angedeuteten sozialen Tod des Trauerakteurs in die Tat umsetzte. Folglich hatte auch das demonstrative Ignorieren einer mutatio vestis eine starke performative Kraft. Die bis in das späte zweite Jahrhundert v. Chr. hohe Wahrscheinlichkeit, dass ein squalor gelang, bereitete jedoch den Boden für immer illusorischere Forderungen, die man mit der Praxis verband. Galbas Bitte um Freispruch war nur die erste in einer langsam wachsenden Liste von Begebenheiten, die den Mechanismus symbolischer Trauerakte ausreizten. Freilich kommen solche Fälle erst ab den sechziger Jahren des ersten Jahrhunderts v. Chr. gehäuft vor. Die Polarisierung und Radikalisierung politischer Strategien wie die populare Methode schlugen sich nur allmählich in symbolischen Trauerakten nieder. Noch Saturninus konnte mit seiner Aktion trotz seiner feindlichen Haltung gegenüber der Senatspolitik die offene Konfrontation durch seinen Erfolg vertagen und auch Optimaten wie die Metelli setzten symbolisches Trauern ein. Letztlich jedoch verschliss sich das Konsensmoment des squalor. Das geht zumal auf die gewandelte Rolle des Volkes, zumindest seines politisierten bzw. politisch aktiven Arms (plebs contionalis), zurück. Nun wendete man Trauerakte entweder in Situationen an, in denen sie tatsächlich das letzte Refugium darstellten wie bei Lepidus, oder in denen ein Einlenken der Gegenseite quasi unmöglich war. Letzteres kalkulierte das eigene Scheitern gezielt ein. Man suggerierte den Willen zum Konsens, ohne wirklich darauf zu setzen, dass die anderen nachgaben. Lediglich die politische Öffentlichkeit war Ziel der Agitation. Indem man Konsensbereitschaft vortäuschte, stellte man den guten Willen der Gegenspieler infrage. Das erzwungene Ablehnen eines squalor durch die Konkurrenz eröffnete dann weitere Optionen, noch vehementer gegen die Rivalen vorzugehen. Eine solche Begebenheit stellt die Reaktion der Triumvirn Crassus und Pompeius sowie ihrer Anhänger auf die Prozessflut gegen ihre Parteigänger und die Agitation gegen den geplanten Partherfeldzug dar (55 v. Chr.); an Schlichtung war den Konsuln nicht gelegen.8 Damit wandelte sich aber der Charakter der „zwingenden Gesten“ nachhaltig, denn ihr Ziel war es nicht mehr Gegner zum Einlenken zu bewegen. Vielmehr antizipierte man eine Verweigerungshaltung, die radikalere politische Mittel legitimierte und potentiell in eine Eskalation des Konflikts mündete. Von diesem Vorgehen war es nicht mehr weit in die Bürgerkriege des ausgehenden ersten Jahrhunderts v. Chr., die das Wesen symbolischer Trauerakte grundlegend veränderten und zuletzt nicht
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Cass. Dio 39, 39, 2 f.; zum Kontext CAH IX 399–402 und Kap. 13.2. Verweigerte Trauerakte spielten ebenso, aber weniger subtil mit dem aufgekündigten Konsensbewusstsein in der Oberschicht.
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nur den Niedergang des squalor in der frühen Kaiserzeit einleiteten, sondern auch die republikanische Ordnung zu Grabe trugen.9
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Der präsumtiv mit symbolischer Trauer angedeutete Tod der Republik, wie ihn einige Episoden andeuten, wurde tatsächlich von der Geschichte überholt; vgl. Catos squalor für die sterbende Republik mit Plut. Cat. Minor 53,1: Ἀπ᾿ ἐκείνης δὲ λέγεται τῆς ἡμέρας μήτε κεφαλὴν ἔτι κείρασθαι μήτε γένεια μήτε στέφανον ἐπιθέσθαι, πένθους δὲ καὶ κατηφείας καὶ βαρύτητος ἐπὶ ταῖς συμφοραῖς τῆς πατρίδος ἓν σχῆμα νικώντων ὁμοίως καὶ νικωμένων ἄχρι τελευτῆς διαφυλάξαι. Lucan. 2, 374–8: (ut primum tolli feralia viderat arma, / intonsos rigidam in frontem descendere canos / passus erat maestamque genis increscere barbam: / uni quippe vacat studiis odiisque carenti / humanum lugere genus) … Dazu Goodman/Soni (2012) 166 und 229.
QUELLENVERZEICHNIS Im Folgenden werden nur tatsächlich im Wort zitierte Autoren und Werke aufgenommen. Originaltext, Übersetzung und Zählung folgen den angegebenen Tusculum-Ausgaben. Wo kein Tusculum-Band vorliegt, wird der Text der Loeb- oder Teubner-Edition entnommen, während Übersetzung und Zählung der einsprachigen Ausgabe entstammen. Ausnahmen bilden Asconius, das commentariolum petitionis, Gaius, die Digesten und Quintilian sowie die im Abkürzungsverzeichnis genannten Arbeiten. Bei den Zählungen wurde der Option mit der kleinteiligeren Nummerierung der Vorzug eingeräumt, um ein rasches Auffinden der Stelle zu ermöglichen. Ist keine deutsche Übersetzung angegeben, stammt sie von mir und ist mit der Ergänzung „Übers. CD“ versehen. Textkritische Bemerkungen finden sich am jeweiligen Ort. Aetna, Calpurnius Siculus, Publilius Syrus, Laus Pisonis, Grattius, Minor Latin Poets, Volume I: Publilius Syrus, Elegies on Maecenas, Grattius, Calpurnius Siculus, Laus Pisonis, Einsiedeln Eclogues, Aetna, transl. by J. W. Duff & A. M. Duff. Cambridge 1934. Appian, Roman History, Vol. II, ed. and transl. by B. McGing. Cambridge 1912. Appian, Roman History, Vols. III&IV: The Civil Wars, Books 1–5, transl. by H. White. Cambridge1913. Appian, Römische Geschichte. Erster Teil: Die römische Reichsbildung, übers. v. O. Veh, durchges., eingel. u. erl. v. K. Brodersen. Stuttgart 1987. Appian, Römische Geschichte. Zweiter Teil: Die Bürgerkriege, übers. v. O. Veh, durchges., eingel. u. erl. v. W. Will. Stuttgart 1989. Q. Asconius Pedianus, Orationum Ciceronis. Quinque Enarratio, hrsg. u. erl. v. A.C. Clark. 5. Aufl. Oxford 1966. L. Cassius Dio Cocceianus, Roman History, Vols. I–VIII: Books 1–70, transl. by E. Cary / H. B. Foster. Cambridge 1914–25. L. Cassius Dio Cocceianus, Römische Geschichte, 5 Bde., übers. v. O. Veh. Düsseldorf 2007. M. Tullius Cicero, Ad familiares, hrsg. u. übers. v. H. Kasten. 4. Aufl. München/Zürich 1989. M. Tullius Cicero, Atticus-Briefe, hrsg. u. übers. v. H. Kasten. 3. Aufl. München 1990. M. Tullius Cicero, Die Philippischen Reden, übers. v. M. Fuhrmann, hrsg., überarb. u. eingel. v. R. Nickel. Berlin 2013. M. Tullius Cicero, Die politischen Reden, 3 Bde., hrsg., übers. u. erl. v. M. Fuhrmann. München 1993. M. Tullius Cicero, Die Prozessreden, 2 Bde., hrsg. übers. u. erl. v. M. Fuhrmann. Zürich/Düsseldorf 1997. M. Tullius Cicero, De finibus bonorum et malorum, hrsg. v. A. Kabza. München 1960. M. Tullius Cicero, De inventione, hrsg. u. übers. v. Th. Nüßlein. Darmstadt 1998. M. Tullius Cicero, De officiis, hrsg. u. übers. v. K. Büchner. 4. Aufl. Düsseldorf/Zürich 2001. M. Tullius Cicero, De oratore, hrsg. u. übers. v. Th. Nüßlein. Düsseldorf 2007. M. Tullius Cicero, De re publica, hrsg. u. übers. v. R. Nickel. Mannheim 2010. M. Tullius Cicero, In Verrem, hrsg. u. übers. v. M. Fuhrmann. 3., aktual. Aufl. Berlin 2011. M. Tullius Cicero, Orationes, recognovit brevique adnotatione critica instruxit A. C. Clark. Oxford 1909. M. Tullius Cicero, Orator, hrsg. u. übers. v. B. Kytzler. 4. durchges. Aufl. Düsseldorf/Zürich 1998. Q. Tullius Cicero, Commentariolum petitionis, hrsg., übers. u. komm. v. G. Laser. Darmstadt 2001.
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ABBILDUNGSNACHWEISE Abb. 1:
Abb. 2:
Abb. 3:
Abb. 4:
Denar des L. Aemilius Lepidus Paullus aus Rom, 62 v. Chr.; RRC 415/1; Avers (nicht abgebildet): Frauenkopf nach rechts mit Schleier und Diadem; links PAVLLVS LEPIDVS; rechts CONCORDIA; Revers: Tropaeum, rechts davon ein Togatus, links ein Nicht-Togatus und zwei kleinere Nicht-Togati; unten PAVLLVS; oben TER Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Objektnummer: 18256591; Gewicht: 4,13 g; Durchmesser: 19 mm; Stempelstg.: 6 Uhr; Aufnahme durch Reinhard Saczewski Denar des Faustus Cornelius Sulla aus Rom, 56 v. Chr.; RRC 426/1; Avers (nicht abgebildet): Frauenkopf nach rechts mit Diadem und gebundenem Haar; links lituus; rechts FAUSTUS; Revers: Sulla sitzend nach links; links Bocchus knieend einen Ölzweig haltend in der rechten Hand; rechts Jugurtha knieend mit hinter dem Rücken gefesselten Händen; rechts FELIX Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Objektnummer: 18201846; Gewicht: 3,93 g; Durchmesser: 19 mm; Stempelstg.: 6 Uhr; Aufnahme durch Reinhard Saczewski Aureus des Sex. Pompeius aus Sizilien, 42–40 v. Chr.; RRC 511/1; Avers: Bärtiger Kopf des Sex. Pompeius nach rechts, dahinter MAG PIVS aufwärts; davor IMP . ITER abwärts, gerahmt von einem Eichenkranz; Revers: Kopf des Cn. Pompeius Magnus und bärtiger Cn. Pompeius einander zugewandt, links lituus, rechts Dreifuß; oben PRÆF, unten CLAS . ET . ORÆ MARIT . EX . S . C Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Objektnummer: 18215719; Gewicht: 8,04 g; Durchmesser: 19 mm; Stempelstg.: 7 Uhr; Aufnahme durch Reinhard Saczewski Denar des Q. Caecilius Metellus Pius aus Norditalien, 81 v. Chr., RRC 374/1; Avers: Frauenkopf (Pietas) nach rechts mit Diadem, rechts Storch; Revers: Elefant nach links; Legende: Q . C . M . P . I Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Objektnummer: 18256594; Gewicht: 3,48 g; Durchmesser: 17–20 mm; Stempelstg.: 3 Uhr; Aufnahme durch Reinhard Saczewski
INDEX 1. STELLENREGISTER Accius trag. 86 Ribbeck: 123 trag. 374 Ribbeck: 121; 124 Aischylos Eum. 43–5: 207 Eum. 259: 199 Pers. 1046: 137 Suppl. 189 f.: 199 Alkiphron 3, 19, 2: 243 Ammianus Marcellinus 14, 1, 1: 119 14, 5, 9: 127; 279 14, 8, 4: 169 15, 12, 2: 119 19, 1, 10: 161 28, 6, 15: 136 29, 1, 14; 2, 13: 121 30, 5, 18: 122 (Ps.-) Apollodor 3, 6, 4: 122 Appian civ. 1, 3: 201; 240 civ. 1, 10: 64 civ. 1, 39: 105 civ. 1, 59: 178; 180 civ. 1, 62: 55; 89; 105; 128; 184 f.; 215 civ. 1, 63 f.: 106 civ. 1, 65: 107 civ. 1, 67: 55 civ. 1, 67 f.: 90 civ. 1, 67–70; 71 f.: 107 civ. 1, 110 f.: 161 civ. 1, 128: 260 civ. 1, 138 ff.: 241 civ. 1, 145: 259 civ. 1, 147: 230 civ. 1, 147 f.: 229 civ. 1, 148: 164; 229; 241 civ. 1, 286–99: 145
civ. 1, 300: 108; 146 civ. 1, 304 ff.: 270 civ. 1, 306: 89; 108; 153; 200; 241 civ. 1, 355 f.: 146 civ. 1, 500: 166 civ. 2, 15: 64 civ. 2, 38 f.: 259 civ. 2, 55: 89; 123; 200 civ. 2, 55 f.: 79; 141; 258 civ. 2, 55–7: 82; 89; 200 civ. 2, 77 f.: 157 civ. 2, 147 f.: 159 civ. 2, 346: 82; 211 civ. 2, 509; 526: 158 civ. 2, 599: 166 civ. 2, 600–14: 158 civ. 2, 607–17: 163 civ. 2, 613: 158 civ. 3, 51: 121 civ. 3, 211: 89; 190; 192; 283 civ. 3, 249: 192 civ. 4, 175–8: 242 civ. 4, 175 f.: 143 civ. 4, 176: 89; 127; 200; 241; 279 civ. 5, 10 f.: 192 civ. 5, 148: 246 civ. 5, 302: 148 civ. 5, 330–41; 400; 424–6: 148 civ. 5, 510 ff.: 210 civ. 5, 522 f.: 210 Ib. 225: 47 Mithr. 4: 46 Mithr. 242: 146 Mithr. 242 f.: 177 Mithr. 247: 147 Apuleius flor. 3, 16: 173 flor. 4: 172 flor. 19: 123 flor. 19 f.; 32: 161 met. 2, 23, 5: 123 f. met. 2, 26, 7: 150 met. 2, 27, 7: 121; 124 met. 3, 8, 1: 123 f.
334
Index
met. 3, 25, 2: 136 met. 4, 23, 3: 142 met. 4, 25, 1: 136 met. 4, 34, 4 f.: 173 met. 4, 34, 5 f.: 173 met. 6, 10, 1: 150 met. 7, 27, 2: 123 f.; 136 met. 8, 6, 7: 173 met. 8, 7, 1 f.: 141 met. 8, 7, 2: 136 met. 8, 8, 2: 136; 142 met. 8, 9, 2: 136 met. 10, 12: 172 met. 11, 3, 5: 123
Jes 44, 20: 122 Jes 58, 5: 122 Joel 1, 13: 122; 137 Jona 3, 6: 122 Klgl 3, 16: 122 1 Kön 21, 27: 122 2 Kön 6, 30: 122 Lk 10, 13: 122 Mal 3, 21: 122 1 Mos 18, 27: 122 Mt 11, 21: 122 Off 6, 12: 122 Ps 102, 10: 122 2 Sam 13, 18 f.; 14, 2: 122
Aristophanes Av. 1353 ff.: 242
Calpurnius Flaccus decl. 29: 15
Aristoteles Ath. pol. 43, 6: 208 hist. an. 9, 13: 242 phgn. 808b, 11: 224 rhet. 1386a, 32 f.: 223
Calpurnius Siculus ecl. 7, 26 f.; 80 f.: 119
Artemidor 2, 3; 4, 49: 172 Asconius 18 Clark: 169 21 Clark: 273 22 Clark: 188 24 f. Clark: 169 25 Clark: 180; 183; 271 28 Clark: 157 36 Clark: 274 66 Clark: 169 73–84 Clark: 182 Augustus R. Gest. div. Aug. 2; 21; 29: 237 R. Gest. div. Aug. 32: 16 Aurelius Victor epit. Caes. 16, 13: 73 vir. ill. 15, 4: 145 vir. ill. 72, 6: 150 vir. ill. 73, 11: 259 Bibel Est 4, 1; 3: 122 Hes 28, 18: 122 Hiob 16, 15; 30, 19: 122 Jer 6, 26: 122; 137
Cassius Dio 1, 5, 7 frg.: 84 5, 16 ff. frg.: 201 8, 16 frg: 84 19, 63 frg.: 274 20, 66, 4 frg.: 205 24, 83, 7 frg.: 89; 105; 128; 170; 184; 197 24, 83, 8: 104 28, 95, 1: 104; 228; 241 28, 95, 1 f.: 164 28, 95, 2: 231 28, 95, 3: 232 28, 97, 2: 273 36, 52, 2–4: 206 37, 33, 3: 44; 47; 64; 89; 108; 123; 200 37, 40, 2: 47; 64; 89; 108; 123; 200; 256 37, 43, 1–3: 109 37, 43, 3: 64; 76; 104; 259 37, 51, 3: 76 38, 6, 2: 260 38, 6, 2 f.: 259 38, 14, 7: 64; 73; 89; 104; 123; 191; 200; 258; 272 38, 16, 3: 73 38, 16, 2 f.: 80 38, 18, 1 ff.: 140 39, 28–40: 96 39, 28, 1–30, 4: 44; 64; 104; 109 39, 28, 1–3: 256 39, 28, 4 f.: 257 39, 28, 2: 73; 256 39, 29, 1: 133; 257; 275
1. Stellenregister 39, 29, 1–3: 133 39, 30, 1–4: 257 39, 30, 4: 257 39, 35, 4: 260 39, 39, 2 f.: 104; 109; 300 39, 39, 3: 256 f. 39, 64, 1: 166 39, 65, 1 f.: 260 40, 46, 1: 73; 272 40, 49, 1–4: 157 40, 49, 3: 158 40, 64, 1: 144; 150 41, 9, 1 f.: 44 41, 11, 2: 90 42, 32, 4: 260 42, 43, 3: 209 42, 43, 4: 104 44, 36, 1–52, 3: 158 44, 50, 4: 158 48, 5, 4: 238 48, 31, 6: 144; 148 48, 37, 7: 148 48, 43, 3: 157 48, 54, 7: 148 49, 8, 3 ff.; 12, 3 f.: 210 49, 37, 6: 148 51, 16, 1: 174 53, 19, 1–3: 280 54, 1, 4: 144; 148 54, 35, 4: 166 54, 35, 5: 73 55, 8, 5: 89; 121 56, 23, 1: 143 f. 56, 31, 2 f.: 73; 89; 121; 173 56, 34, 2 f.: 288 56, 34, 1: 163 56, 34, 3: 165 56, 44, 1: 163 59, 10, 8: 140 59, 11, 1–4: 166 59, 19, 1: 284 61, 7, 4: 163 62, 16: 272; 284 62, 16, 2a: 272 64, 16, 4: 170 64, 18, 2: 163 64, 21 f.: 279 69, 10, 4: 89; 121 74, 4, 2: 163 Cato agr. 34, 2; 135, 2; 151, 2: 120 agr. 96, 2, 4: 124
335
FRH 7, 1 (= Cic. Brut. 89 f.): 47; 75; 91 FRH 7, 2 (= Front. epist. ad Caes. 3, 21, 4): 47; 91 Catull 64, 348–50: 136; 237 64, 350 f.: 122 64, 351: 136 M. Cicero ad Q. fr. 2, 3, 1: 123 ad Q. fr. 2, 3, 1 f.: 180; 271 ad Q. fr. 2, 6, 4: 180; 271 Arch. 6: 80 Att. 1, 16, 4: 80 Att. 1, 14, 5: 133; 244 Att. 1, 16, 2: 133 Att. 1, 16, 11: 119; 244 Att. 3, 10: 78 Att. 3, 10: 259 Att. 3, 10, 2: 78; 234 Att. 3, 15: 259 Att. 3, 15, 5: 78 Att. 4, 3, 4 f.: 260 Att. 4, 15, 4; 18, 3: 253 Att. 4, 20, 4: 260 Att. 5, 20, 9; 6, 1, 12; 7, 8, 5; 9, 6, 1: 172 Att. 9, 8 (7) C: 213 Att. 9, 17, 1; 19, 1: 172 Att. 12, 14, 3: 140 Att. 14, 10, 1: 160 Balb. 56; 61: 196 Balb. 62: 187 Brut. 22: 145 Brut. 61; 62: 166 Brut. 80: 47 Brut. 89 f.: 47; 75; 91 Brut. 113 f.: 273 Brut. 128; 135: 80 Brut. 164: 18 Brut. 224: 12; 119 Cael. 4: 44; 123; 288 Catil. 2, 2; 4, 3: 196 Catil. 4, 10: 80 Cato 4, 12: 166 Cluent. 9; 27: 163 Cluent. 18: 44; 288 Cluent. 28: 173 Cluent. 87: 119 Cluent. 95: 80 Cluent. 192: 44; 288 Cluent. 201: 173 de orat. 1, 225: 18
336 de orat. 1, 227 f.: 47 de orat. 1, 239: 187; 189 de orat. 2, 44: 165 de orat. 2, 34: 196 de orat. 2, 167: 235 de orat. 2, 178: 225 de orat. 2, 185: 196 de orat. 2, 189: 225 de orat. 2, 195: 15; 121 f.; 143; 151; 196 f.; 215; 226 de orat. 2, 196: 197; 226; 227 de orat. 2, 263: 47 de orat. 2, 339: 119 de orat. 3, 10; 12; 217: 196 de orat. 3, 24: 58 de orat. 3, 128: 119 de orat. 3, 133: 186 div. 1, 56: 91 div. 1, 97 f.: 198 dom. 6: 259 dom. 26: 64; 80; 131; 149; 196 dom. 55: 131 dom. 59: 196 dom. 59: 81; 124; 174; 188; 196; 283 dom. 78; 80: 55 dom. 82; 87: 80 fam. 1, 10 (9), 16: 241 fam. 4, 5, 1–6: 140 fam. 5, 1: 76 f. fam. 5, 16, 6: 140 fam. 9, 24 (21), 2: 164 fin. 4, 5: 183 Flacc. 56: 119 Flacc. 75: 172 Flacc. 106: 44; 196 Font. 38: 273 Font. 46: 239 har. resp. 55: 74 inv. 1, 15: 195 f. inv. 1, 109: 227 inv. 2, 66: 247 inv. 2, 104 f.: 195 inv. 2, 104–8: 197 Lael. 37: 80 leg. 2, 14: 229 leg. 2, 24: 172 leg. 2, 58: 157 leg. 2, 59: 136; 141 leg. 2, 61 f.: 126 leg. 2, 64: 141 leg. 2, 65: 166 leg. 3, 20: 119 leg. 3, 26: 80
Index leg. agr. 2, 1: 164 leg. agr. 2, 13: 90; 106; 123; 128 f.; 250 leg. agr. 2, 100: 166 Lig. 32: 196 Lig. 32 f.: 44; 288 Lig. 33: 123 Lig. 38: 195 Mil. 13; 20; 36: 196 Mil. 86: 166; 173 Mil. 92: 274; 288 Mil. 105: 274; 288 Mur. 24: 296 Mur. 44 f.; 67; 70–2: 187 Mur. 76: 119 Mur. 86: 44; 239; 288 Mur. 88: 164 Mur. 90: 169 off. 2, 44; 3, 3: 58 orat. 53; 67: 196 orat. 115: 183 orat. 148: 196 Phil. 1, 25: 260 Phil. 2, 15: 188 Phil. 2, 20: 172 Phil. 2, 73: 121; 125 Phil. 3, 30: 260 Phil. 5, 31: 74 Phil. 5, 46; 53: 144 Phil. 6, 2: 74 Phil. 8, 29: 58 Pis. 1: 164; 166 Pis. 8 f.; 12: 196 Pis. 17: 131 Pis. 17 f.: 44; 267 Pis. 18: 131 Pis. 22; 27: 119 Pis. 36: 196 Pis. 62; 66: 119 Pis. 67: 121; 125 Pis. 72: 119 Pis. 89: 77; 141; 197; 250; 269 Pis. 95: 273 Pis. 99: 121 Planc. 9 ff.: 178 Planc. 12: 119 Planc. 19: 87 Planc. 21: 44; 123; 169; 187; 239; 288 Planc. 29: 44; 123; 288 Planc. 33: 74 Planc. 39: 143 Planc. 51: 181; 193 Planc. 66: 188 Planc. 87: 44; 288
1. Stellenregister Planc. 98: 145; 269; 272; 288 Planc. 99; 101 f.: 196 Planc. 104: 227 Q. Rosc. 23: 119 Quinct. 4: 196 Quinct. 30: 196 Quinct. 50: 173 Quir. 6: 49; 64; 80; 167; 183; 275 Quir. 7 f.: 188; 197 Quir. 8: 95; 123; 131; 132; 196 Quir. 37: 81 Rab. Perd. 12: 80 Rab. Post. 16: 164 Rab. Post. 26 f.: 121 Rab. Post. 27: 273 rep. 1, 6: 80; 145 rep. 1, 47: 178 rep. 1, 62; 2, 31; 53; 55: 145 rep. 6, 20: 235 Red. Sen. 7 f.: 81 Red. Sen. 10: 119 Red. Sen. 12: 79; 109; 121; 131; 132; 275 Red. Sen. 13: 196 Red. Sen. 16: 149 Red. Sen. 25: 80; 243 Red. Sen. 31: 44; 131; 267 Red. Sen. 37: 49; 64; 80; 121; 167; 183; 188; 197; 275 Rosc. Am. 13; 146: 288 Scaur. 23: 119 Scaur. 49: 44; 119; 123; 196; 288 Sest. 1: 44; 64; 121; 123; 196; 288 Sest. 19: 95; 128 Sest. 26: 44 Sest. 26 f.: 267 Sest. 27: 197 Sest. 32 f.: 131 Sest. 60: 119 Sest. 75: 260 Sest. 106: 59; 61 Sest. 130: 80 Sest. 144: 169; 180; 271 Sest. 144 f.: 44; 121; 123 Sest. 146: 121 Sull. 67: 128 Sull. 74: 196 Sull. 88: 164 Sull. 88 f.: 239 Sull. 90 f.: 196 Tusc. 1, 115: 173 Tusc. 2, 55: 141 Vatin. 1: 119 Vatin. 5: 259
337
Vatin. 8: 196 Vatin. 10 f.; 13: 119 Vatin. 30: 44 Vatin. 30–2: 61; 76; 121; 123; 133; 141; 250; 276 Verr. 1, 1, 1 f.: 253 Verr. 2, 1, 152: 44; 123; 125; 277 Verr. 2, 2, 62: 44; 121; 202; 241; 272; 288 Verr. 2, 3, 6: 44; 202; 288 Verr. 2, 4, 41: 44; 66; 121; 178; 180; 190; 202; 288 Verr. 2, 4, 54: 121 Verr. 2, 4, 147: 80 Verr. 2, 5, 24: 196 Verr. 2, 5, 40: 136 Verr. 2, 5, 50: 121 Verr. 2, 5, 118: 161 Verr. 2, 5, 127 f.: 125 Verr. 2, 5, 128: 56; 66; 190; 202; 241; 277; 288 Verr. 2, 5, 128 f.: 256 Verr. 2, 5, 128–30: 44 Verr. 2, 5, 130: 56; 277; 288 Q. Cicero comm. pet. 2: 188 comm. pet. 18: 177 comm. pet. 34: 187 Claudian Gild. 135: 136 Claudius Quadrigarius FRH 14, 74 (= Prisc. Gramm. 7, 347 H): 91 Codex Theodosianus 9, 17, 5, 1: 168; 174 Coelius Antipater FRH 11, 58 (= Cic. div. 1, 56): 91 Columella 1, pr. 24; 2, 2, 19; 4, 33, 1: 120 6, 2, 6; 7, 13, 1: 124 Consolatio ad Liviam (Skutsch) Ps.-Ov. cons. ad Liv. 97; 158: 161 Ps.-Ov. cons. ad Liv. 186: 73 Ps.-Ov. cons. ad Liv. 202: 173 Ps.-Ov. cons. ad Liv. 317; 318: 136 Ps.-Ov. cons. ad Liv. 460: 173
338 Corpus Inscriptionum Latinarum (CIL) I 682; 684: 246 II 05439: 157 VI 01527; 10230: 165 VI 12649: 162 VI 13782: 163 VIII 14683: 173 X 01935: 163 XI 1420, 20: 123 XIV 02112: 173 Curtius Rufus 3, 11, 25: 142 4, 1, 22, 2–23, 7: 128 4, 10, 15; 5, 6, 5: 142 5, 12, 12: 122; 142 f. 6, 9, 25: 123 7, 2, 5: 137 7, 5, 24: 142 8, 2, 5: 137 10, 5, 19: 122; 136; 142 f. Demosthenes or. 18, 107: 208 Digesten 3, 2, 8: 123 5, 11, 7, 35: 164 15, 3, 19; 30, 113, 5; 34, 2, 40, 2: 172 35, 1, 91, 1: 173 47, 10, 9 pr.: 150 47, 10, 15, 19: 174; 188; 256 47, 10, 15, 22 f.: 174; 188; 256 47, 10, 15, 22: 152 47, 10, 15, 27: 55; 64; 152; 241; 255; 277 47, 10, 39: 55; 64; 152; 188; 241; 255; 277 47, 12, 3: 157 47, 20, 15, 27: 188 47, 21, 2; 48, 5, 39: 54 48, 8, 3, 5: 55 50, 7, 18: 16 Diodor 3, 27, 2; 8, 39, 4: 200 13, 101, 6: 45 17, 47, 3–5: 128 27, 4, 1–8: 208 31, 5, 3: 44; 85 34, 5: 161 34, 26, 1: 80 36, 15 frg.: 11; 95; 241 36, 15 f. frg.: 200
Index 36, 15, 2 frg.: 19; 65 36, 16 frg.: 19; 65; 228; 241 Dionysios von Halikranassos: antiquitates Romanae 2, 19, 2: 89; 121 2, 38–40: 137 2, 45, 5: 84; 94; 106; 239 3, 27, 2: 89 4, 62, 4: 198 4, 64, 5–67, 2: 159 4, 66, 1: 89 f.; 121; 148; 159; 266 4, 66, 1 f.: 151 4, 67, 3; 70, 3: 162 4, 71, 2: 159; 162 4, 76, 3: 160 4, 76, 3 f.: 159 5, 17, 2: 89; 121 5, 17, 2 f.: 166 5, 19, 3: 145 5, 48, 3: 165 5, 48, 4: 136 6, 26, 3: 182 6, 51, 2: 102; 240 6, 51, 3 ff.: 102 8, 39, 3 f.: 94; 106 8, 39, 4: 191; 200; 202; 240 8, 41, 2: 94; 240 8, 44, 3: 145 8, 45, 1: 201; 239 8, 45, 1–47, 1: 64; 94 8, 46, 2: 239 8, 47, 4: 239 9, 37, 2–38, 3: 101 9, 49, 4: 240 9, 54, 4: 133; 273 9, 54, 5: 166 11, 38, 1 ff.: 159 11, 39, 2: 165 11, 39, 6: 172 11, 49, 4: 195; 282 14, 6, 2 f.: 86 Ennius Telamo 311 Vahlen: 47; 72 Telephus 330 Vahlen: 47; 72 trag. 276: 123 Euripides Alc. 217 f.: 137 El. 501: 138 El. 1214–7: 199 Hec. 655: 137
1. Stellenregister Hel. 1088: 137 Iph. A. 1438: 137 Iph. T. 362 f.: 199 Eutropius 6, 3: 169 Fannius FRH 9, 4 (= Plut. Tib. Gracch. 4, 5 f.): 91 Festus 5 Lindsay: 178 15 Lindsay: 178 f. 53 Lindsay: 163 161 Lindsay: 173 272 Lindsay: 126 273 Lindsay: 126 338 Lindsay: 141 342 Lindsay: 124 484 Lindsay: 173 Florus epit. 1, 3, 4: 145 epit. 2, 13: 90; 148 epit. 2, 8: 173 epit. 2, 16, 2: 259 Fontesiuris Romani Anteiustininiani (FIRA) I, Nr. 44, col. 2, 19: 123 I, Nr. 44, col. 2, 22: 241 I, Nr. 44, col. 2, 17–22 (= BGU II, 611 = ChLA X, 418): 276 I, Nr. 44, col. 2, 18–22: 277 I, Nr. 44, col. 3, 1–3: 276 Frontinus strat. 4, 5, 6: 55; 137 Fronto ep. 3, 21, 4: 47; 75; 91 Gaius inst. 1, 161: 55 inst. 3, 220: 188 Gellius 1, 5, 3: 128 2, 13, 4 f.: 91 3, 4, 1: 132; 186; 241; 274 3, 4, 2 f.: 274 3, 4, 3: 244 3, 18, 2: 154 6, 5, 7: 123
6, 9, 12: 91 10, 15, 25: 173 14, 7, 9;13: 154 17, 2, 7: 168 Granius Licinianus 35, 8 Criniti: 81; 108; 119; 153; 270 (Ps.-) Heraklit epist. 7, 5, 2: 55 Herodian 4, 2, 1–3: 73 4, 2, 2: 163 7, 7, 1: 63 Hispania Epigraphica 1 (1989), 151, Z. 10 f.: 203 Historia Augusta (SHA) Diad. 7, 10: 173 Comm. 16, 6: 90; 148; 266 Gord. 13, 4: 142 Heliog. 32, 1: 142 Aur. 7, 11: 166 Max. 17, 2: 172 Max. 31, 1: 123 Homer Hymn. 2, 42: 138 Il. 1, 498–500; 8, 371: 199 Il. 18, 22 f.: 138 Il. 18, 23 f.; 23, 40: 122 Il. 23, 40 f.: 138 Il. 24, 93 f.: 137 Il. 24, 508: 199 Il. 24, 640: 122; 138 Il. 28, 25: 138 Od. 7, 153: 199 Od. 20, 17: 137 Od. 22, 334 f.: 199 Horaz carm. 1, 24, 6–8: 252 carm. 2, 10, 7: 119 carm. saec. 57–60: 252 epist. 1, 7, 5 f.: 126 epist. 2, 2, 72–6: 168; 174 epod. 17, 46: 119 sat. 1, 6, 41–3: 174 sat. 1, 6, 42–4: 168 sat. 1, 8: 163 Schol. Hor. epod. 17, 48: 163
339
340 Isidor von Sevilla orig. 12, 7, 5: 120 orig.19, 24, 6: 183 orig. 20, 11, 7: 163 Josephus Flavius bell. Iud. 1, 25, 4: 71; 150 Juvenal 1, 96; 119; 3, 127: 188 3, 128: 137 3, 148 f.: 118; 143 3, 171 f.: 172 3, 172–8: 117 3, 213: 121; 124 10, 245: 122 8, 1–8; 19: 164 8, 142: 188 10, 245: 122–4; 136 10, 262: 136; 142 13, 127: 137 13, 132 f.: 136; 142 15, 134 f.: 122 Schol. Iuv. 8, 175: 163 Laktanz inst. 2, 14, 6: 172 inst. 2, 14, 19: 163 Livius 1, 10, 1: 84; 94 1, 11, 5–9: 137 1, 13, 1: 84; 142 1, 26, 2: 136; 237 1, 29, 3: 151 1, 47, 7; 10: 178 1, 47, 11: 119 1, 57, 9–59, 13: 160 1, 58, 11 f.: 160 1, 59, 3: 162 1, 59, 3 ff.: 159 1, 59, 6: 179 2, 7, 7: 145 2, 21, 5 f.: 110 2, 23, 2: 241 2, 23, 3: 44; 109 2, 23, 3–4: 87 2, 23, 4: 55 2, 23, 5–11: 109 2, 23, 12 ff.; 15: 110 2, 35, 5: 182 2, 40, 1–11: 201 2, 54, 3: 121; 180 f.
Index 2, 54, 3 f.: 64; 100; 185 2, 54, 4: 171; 185 2, 56, 3: 104 2, 56, 5–61, 9: 105 2, 56, 7: 273 2, 58, 1: 105 2, 61, 3 f.: 273 2, 61, 5: 123; 133; 182; 273 2, 61, 9: 166 3, 7, 7: 199; 201 3, 12, 1: 182 3, 27, 2: 74 3, 35, 1: 178 3, 45 ff.: 159 3, 45, 5 f.: 189 3, 47, 1: 121; 123 3, 47, 1 f.: 63; 102 3, 47, 1–3: 148; 181 3, 47, 3: 102; 151 3, 48, 3: 189 3, 58, 1: 121; 123; 239; 275; 282 3, 72, 1 f.: 179 4, 6, 9: 178; 180 4, 25, 9–14: 65; 130 4, 25, 11: 65 4, 25, 13: 185 4, 42, 7: 123 4, 42, 7–9: 96; 106; 131 4, 42, 8: 121 4, 43, 7–9: 123; 251 4, 44, 6–10: 131 5, 24, 9: 51 5, 30, 4: 182 5, 50, 7: 165 6, 1, 1–3: 86 6, 14, 3–7: 87 6, 16, 4: 55; 123 6, 16, 4–8: 94 6, 16, 8: 241 6, 20, 1: 94; 121; 123; 239; 275; 282 6, 20, 2: 123 6, 37, 12; 42, 2: 198 8, 32, 11: 142; 150 8, 33, 5: 189 8, 37, 8–12: 85 8, 37, 9 f.: 85 8, 37, 9: 123 8, 40, 4: 166 9, 7, 7 f.: 74 9, 7, 8: 74; 137; 272 9, 40, 9: 182 10, 7, 11: 164 21, 62, 9: 200
1. Stellenregister 22, 1, 15: 198 f. 22, 6, 11–3: 50 22, 10, 8: 199 22, 10, 9: 198 22, 11, 5: 145 22, 56, 4: 108 22, 56, 4 f.: 50 23, 22, 10–23, 8: 48 24, 10, 13: 199 f. 24, 43, 2 f.: 99 25, 4, 9: 55 26, 9, 7: 199 26, 29, 2: 47; 85; 189 26, 29, 2 f.: 95; 132 26, 29, 2–5: 66 26, 29, 3–5: 103 26, 29, 5: 189 f. 26, 29, 9: 104 27, 4, 15: 198; 200 27, 20, 9: 154 27, 24, 5 f.: 153 27, 25, 3–5: 154 27, 25, 6–27, 7: 104 27, 34, 5: 44; 47; 55; 61; 64; 96; 123; 241 27, 34, 5 f.: 134; 269 27, 34, 8: 155 27, 34, 12: 185 27, 37, 4: 198 27, 51, 9: 199 28, 27, 15: 189 29, 16, 6: 47; 66; 85; 208 29, 19, 7–10: 209 30, 17, 6: 199 30, 21, 10: 200 30, 40, 4: 199 31, 6 f.: 296 31, 8, 2: 199 32, 1, 14: 198 f. 34, 7, 3: 172; 185 34, 7, 8–9: 117 34, 7, 10: 136 34, 9, 3: 85 34, 55, 3: 198 35, 34, 7: 63; 71 36, 1, 2: 199 36, 37, 5: 201 37, 57, 13: 182 38, 42, 7: 16 38, 52, 2; 53, 10: 274 39, 22, 4: 198 39, 39, 2: 182 39, 40, 12: 47 40, 37, 3: 198
40, 37, 4: 201 41, 13, 3; 42, 2, 6: 198 43, 13, 8: 201 43, 14, 1: 97 43, 16, 14: 97 44, 14, 1 ff.: 97 44, 19, 6: 241 44, 19, 6 f.: 44; 47; 66; 85; 103; 209 45, 2, 6: 199 45, 4, 2: 85; 206 45, 7, 4: 47; 127 45, 7, 4 f.: 205 45, 15, 1–9: 98 45, 20, 9 f.: 44; 47 45, 20, 10: 66; 85; 190 45, 21, 1–8: 46 45, 21, 3: 87 45, 22, 2: 61; 271 45, 28, 2: 85 45, 39, 16 f.: 143 45, 40, 6 f.: 140 45, 41, 1–12: 140 45, 44, 4–21: 46; 205 45, 44, 19–20: 46 51, 9 frg.: 123 per. 49: 47; 54; 91; 106; 238 per. 58–61: 98 per. 69: 56; 232; 241 per. 70: 122; 273 per. 72 f.: 74 per. 79: 270 per. 105: 123; 256 Livius Andronicus carm.19, 225: 126 Lucan 2, 18–44: 44; 47; 108; 138 2, 32; 37; 39 f.; 235; 335: 136 2, 372: 55 2, 374–8: 301 2, 376: 241 3, 292: 173 3, 735–40: 161 8, 372: 163 Lukian von Samostata luct. 11: 136 f.; 161 luct. 12: 122; 142 luct. 12 f.: 141
341
342 Macrobius Sat. 1, 14, 5: 178 Sat. 3, 15, 4: 121; 124 Sat. 6, 2, 22: 172 Martial 1, 103, 5: 118 1, 108, 7: 188 2, 11, 5: 137 2, 18: 187 2, 24, 1 f.: 125 2, 36, 2: 55; 119 2, 57, 5; 3, 4, 6: 188 3, 7, 2: 187 3, 30, 3: 189 3, 36: 118; 187 3, 46: 187 f. 4, 26, 4: 189 4, 34: 118 4, 53: 119; 123 5, 22; 48: 187 6, 48, 1: 189 6, 50, 2: 118; 189 7, 33, 1: 118 7, 44, 2: 164 8, 3, 10: 126 8, 33, 3–6: 189 8, 75, 8 f.: 163 9, 49, 5–8: 118 9, 57, 8: 172 9, 100: 118; 187–9 10, 10: 187 10, 11, 5 f.: 117 10, 18, 4: 188 10, 74: 187 f. 10, 76, 8: 118 10, 82, 2: 188 10, 96, 11 f.: 118 11, 24, 11: 188 12, 72, 4: 117 14, 68: 126 14, 125; 157 f.: 118 40, 1, 1: 164 Minucius Felix 12, 6: 172 Nikolaos von Damaskos 127, 8: 144 Nonius 263 Lindsay: 123 362 Lindsay: 178 368; 549 f.Lindsay: 136
Index 869; 880 Lindsay: 124 882 Lindsay: 123–5 Orosius 5, 17, 3–5: 241 5, 17, 10; 11: 232 5, 17, 12: 123; 274 5, 19, 24: 146 Ovid am. 1, 8, 65: 164 am. 2, 4, 40 f.: 119 am. 2, 6, 1 f.: 173 am. 2, 8, 22: 119 am. 3, 6, 47; 58: 136 ars 1, 535; 3, 708: 136 epist. 5, 71: 136; 142 epist. 5, 72: 136 epist. 11, 57 f.: 144 epist. 11, 92: 136 epist. 12, 153: 144 epist. 12, 153 f.; 14, 51: 136 fast. 1, 261 f.: 137 fast. 3, 493: 119 fast. 3, 864; 4, 25: 136 fast. 4, 133–64: 122 fast. 5, 571–77: 237 Ib. 100: 136 met. 2, 341; 584: 136 met. 3, 481: 137 met. 4, 138: 136 met. 4, 546: 142 met. 4, 590; 5, 473: 136 met. 6, 288; 568: 123 met. 7, 848: 144 met. 8, 448: 123 met. 8, 536: 136 met. 9, 166: 142 met. 9, 636 f.: 136; 142 met. 10, 723; 11, 49: 136 met. 11, 669: 123 met. 11, 682: 136 met. 11, 726: 142 met. 13, 491: 136 met. 14, 420: 142 met. 14, 420 f.: 136 met. 14, 776: 137 met. 15, 803: 136 Pont. 1, 9, 48; 51: 173 Pont. 2, 2, 45: 162 trist. 1, 3, 78: 136 trist. 1, 8, 14: 173 trist. 3, 3, 40: 162
1. Stellenregister trist. 3, 3, 48: 136 trist. 3, 5, 40: 173 trist. 4, 2, 73: 123 Paulus sent. 5, 23, 1: 55 Persius 3, 104: 161 5, 19: 121; 124 5, 177: 183 Schol. Pers. 5, 19: 121; 124 Petron 14: 143 21, 1: 122 42, 6: 162 58, 12: 173 f. 81, 2: 137 98, 7: 142 111, 2: 136; 173; 237 124, 1: 142 126, 5: 119 133, 4: 142 Philologos 39: 136 Plautus Asin. 5, 2, 60: 161 Asin. 497: 72; 125 Cas. 446: 182 Cist. 114: 47; 72; 174 Curc. 639 f.: 242 Epid. 166–7: 252 Epid. 174: 173 Poen. 63: 161 Poen. 267: 72; 125 Poen. 1194 f.: 122 Rud. 190–192: 242 Rud. 270: 182 Plinius maior nat. 7, 120: 181 f.; 193 nat. 7, 139: 166 nat. 7, 144; 146: 173 nat. 8, 194: 172 nat. 10, 63: 242 nat. 10, 122; 11, 63: 173 nat. 11, 157: 136 nat. 21, 5: 172 nat. 24, 11: 161 nat. 28, 3: 122
343
nat. 35, 6; 153: 164 nat. 37, 9: 207 Plinius minor epist. 2, 9, 5: 178 epist. 4, 2; 7: 139 epist. 7, 17, 9: 119 epist. 7, 27, 5; 14: 277 epist. 7, 29, 3: 119 epist. 8, 12, 5: 173 paneg. 23, 3: 189 Plutarch Aem. 2, 4: 180 Aem. 5, 5: 140 Aem. 23; 26: 205 Aem. 31, 5: 143; 183 Aem. 34: 205 Aem. 34, 1: 127; 279 Aem. 35, 1; 2 f.: 140 Agis 17, 1 f.: 45 Ant. 5 f.: 121 Ant. 9, 2: 260 Ant. 10: 121 Ant. 14, 2–4: 159 Ant. 14, 7 f.: 158 Ant. 18, 1: 55; 241 Ant. 18, 1 f.: 210; 261 Ant. 32, 6 f.: 148 Ant. 44, 2: 266 Ant. 44, 3: 145; 261; 286 Ant. 80, 3: 174; 241 Brut. 18: 121 Brut. 20, 2 ff.: 159 Brut. 20, 5; 8–11: 158 C. Gracch. 4, 1–3: 80 C. Gracch. 13: 121 C. Gracch. 13, 3: 260 C. Gracch. 13, 3–14, 3: 161 C. Gracch. 17, 5: 268 Caes. 5, 2; 4 f.; 6, 1 f.: 287 Caes. 30, 3: 44; 47; 64; 73; 89; 108; 123; 200 Caes. 31; 38; 45: 121 Caes. 57, 2: 213 Caes. 68, 1–7: 159 Caes. 68, 3–6: 128 Cam. 25: 121 Cat. maior 15, 2: 274 Cat. minor 6, 3: 43; 125 f.; 128 Cat. minor 26, 1–29, 4: 76 Cat. minor 27: 260 Cat. minor 28: 259 Cat. minor 32, 2: 259
344 Cat. minor 53, 1: 44; 55; 301 Cic. 9, 2: 44; 241 Cic. 19, 3: 127 Cic. 30 f.: 79; 131 Cic. 30, 4: 89; 123; 200; 241 Cic. 30, 4–31, 1: 64; 77 Cic. 30, 6: 178 Cic. 30, 7: 233; 258 Cic. 31, 1: 73; 79; 144; 148; 261 Cic. 32, 1: 55 Cic. 35, 5: 241; 274 Cic. 48, 4: 79 Coriol. 11, 3: 169 Coriol. 14, 1: 177; 180; 183 Coriol. 14, 1 f.: 122 Coriol. 20, 5: 121; 240 Coriol. 22: 121 Coriol. 30, 2; 33, 1: 201 Coriol. 34 f.: 240 Coriol. 34, 1: 64; 201 Crass. 6, 1: 146 Crass. 13, 4: 79 Fab. 1, 5: 166 Fab. 4, 2: 145 Fab. 9: 48 Fab. 24, 3; 4: 166 Luc. 35, 3: 204 Luc. 43, 2 f.: 157 Luc. 43, 3: 165 Mar. 10: 207 Mar. 14, 7: 233 Mar. 29, 2: 56 Mar. 29, 6–8: 241 Mar. 31, 1: 232 Mar. 32: 207 Mar. 41, 4: 81; 108; 119; 153; 241; 270 mor. 201c: 132; 145; 204; 261; 276; 286 mor. 283a: 90 Pomp. 3, 1 f.: 99 Pomp. 3, 3: 204 Pomp. 5, 1 f.: 146 Pomp. 13, 1 f.: 99 Pomp. 13, 2: 204 Pomp. 17–20: 247 Pomp. 22, 2: 177; 180 Pomp. 22, 5: 145 Pomp. 48, 1: 259 Pomp. 48, 7: 259 Pomp. 59, 1: 44; 47; 64; 73; 89; 108; 123; 200 Pomp. 72: 121 Publ. 17: 121 Publ. 9, 7: 166
Index Publ. 10, 5: 145 Publ. 23, 2 f.: 165 qu. R. 14: 137 qu. R. 49: 122; 183 qu. R. 81: 128 Rom. 19: 84 Sert. 1, 5: 247 Sert. 3: 121 Sert. 6, 1: 146 Sert. 12, 4–27, 1: 27 Sol. 21, 4 f.: 122 Sull. 3; 6: 207 Sull. 38: 163 Thes. 18, 1: 207 Thes. 22, 5: 136 Tib. Gracch. 1: 107 Tib. Gracch. 4, 1: 181 Tib. Gracch. 4, 5 f.: 91 Tib. Gracch. 10, 7–11, 2: 44; 64; 105; 181 Tib. Gracch. 10, 7: 89; 123; 200 Tib. Gracch. 11, 2: 258 Tib. Gracch. 13, 5: 44; 89; 105; 106; 123; 128; 160; 184; 200 Tib. Gracch. 19; 20: 107 Tib. Gracch. 20, 2: 268 Tim. 39, 1 f.: 136 Polyainos 8, 23, 23: 55 Polybios 2, 16, 14; 56, 11–2: 45 3, 20, 3: 64; 75 3, 20, 1–5: 45 3, 20, 3: 45 3, 78, 3: 45; 121 4, 21, 1: 46 5, 53, 6: 164 6, 14, 7 f.: 55 6, 53 f.: 45 6, 53 ff.: 31 6, 53, 1–54, 3: 156 6, 53, 3: 170 6, 53, 7: 172; 185 6, 54, 2: 166 6, 54, 3: 169 6, 54, 9 f.: 166 8, 21, 10: 45; 121 10, 4, 8: 183 14, 1, 13: 45; 121; 200 15, 25, 4: 45 26, 1, 5: 180 30, 4, 5: 44; 46; 75; 85
1. Stellenregister 30, 4, 8–17: 46 30, 19, 1–6: 46; 205 30, 19, 4: 75 31, 28: 140 32, 3, 8: 89; 200 Pomponius Porphyrio Hor. comm. 2, 2, 74: 173 Hor. comm. 2, 20, 22: 123 Priscian Gramm. 7, 347 H: 91 Properz 1, 19, 4: 173 2, 5, 21: 142 2, 9, 10: 136 2, 13, 20; 21: 162 2, 13, 24: 173 2, 13, 27: 136; 237 2, 15, 17–20: 151 2, 22, 42: 119 3, 6, 13: 122; 143 4, 2, 56: 189 4, 4: 137 4, 7, 9: 172 4, 7, 27: 123 4, 7, 27 f.: 130 4, 11, 61: 172; 185 4, 11, 97: 123 Prudentius cath. 7, 149–60: 277 Ps.-Caesar Bell. Alex. 32: 209 Bell. Afr. 21: 177 Bell. Hisp. 13: 246 Quintilian decl. mai. 5, 17; 8, 10: 173 decl. mai. 6, 9: 172 decl. mai. 10, 3; 4: 136 decl. mai. 10, 8: 123 f. decl. mai. 12, 9; 19, 4: 173 decl. min. 1, 24: 171 decl. min. 260, 26: 123 decl. min. 329, 15: 173 decl. min. 283, 2: 123 inst. 2, 12, 10: 120 inst. 2, 15, 7: 144 inst. 2, 15, 8: 47 inst. 3, 7, 2: 166
inst. 3, 7, 18: 145 inst. 5, 10, 71: 127; 136 inst. 5, 13, 5: 197 inst. 6, 1, 23: 227 inst. 6, 1, 24: 106 inst. 6, 1, 30: 226 inst. 6, 1, 30 f.: 158; 196 inst. 6, 1, 30–3: 15; 44 inst. 6, 1, 33: 106; 123 inst. 6, 1, 33 f.: 227 inst. 6, 1, 34: 196; 286 inst. 6, 2, 29–32: 197 inst. 6, 4, 6: 120 inst. 7, 4, 17: 195 inst. 7, 4, 17 ff.: 196 inst. 7, 4, 18; 19: 195 inst. 9, 3, 56: 253 Rhetorica ad Herennium 1, 3: 224 1, 24:195–197 1, 25: 197 2, 23–5: 195; 196 2, 25: 276 3, 13; 3, 19; 3, 24; 3, 26 f.: 224 4, 44 f.: 54 4, 60: 224 Roman Imperial Coinage (RIC) I2 138 f.: 244 I2 299: 137 I2 610: 610 Roman Republican Coinage (RRC) 28/1; 2; 29/2: 207 242/1: 244 243/1: 207 262/1–5; 263/1; 269/1–2&4: 242 291/1; 301/1: 244 308/1: 235 312/1; 319/1; 326/1: 207 330/1: 244 332/1: 207 344/2: 137 351/1: 244 369/1: 242 372/1 f.: 244 374/1&2a; 374/2b: 242 391/2; 413/1; 415/1; 419/2: 244 422/1: 245 422/1a-b: 207 426/1: 245 427/1: 207
345
346 431/1: 245 433/1; 439/1: 244 452/4; 454/1: 207 458/1: 235 459/1: 242 468/1–2: 207 477/1–3: 235 480/22; 488/1 f.; 490/1–4; 492/1 f.; 493/1; 494/17&32 f.; 496/1 f.; 506/1; 507/1: 246 507/1a-b: 245 508/3: 246 510/1: 245 511/1: 246 511/2&4; 511/3: 235 513/2: 246 516/1–5: 238 517/1 f.; 518/1 f.; 519/2; 523/1; 525/1 f.; 526/1&3; 528/2 f.; 529/1 f.; 531/1; 534/3; 535/1 f.; 538/1; 540/1 f.: 246 Sallust Catil. 30: 47; 108 hist. frg. 3 Eisenhut: 44; 63; 75; 123; 177 Iug. 4, 5 f.: 166 Iug. 4, 6: 164 Iug. 32, 5: 205 Iug. 33, 1: 75 Iug. 85, 25–30: 166 Iug. 85, 39: 65; 119 Sempronius Asellio FRH 12, 7 f. (= Gell. 2, 13, 4 f.): 91 Seneca maior contr. 1, 1, 17–9: 226 contr. 1, 2, 8: 119 contr. 6, 6, 1: 173; 188 contr. 7 pr. 3–6: 119 contr. 7, 3, 1: 122; 256 contr. 7, 3, 7: 122 contr. 7, 5, 3: 119 contr. 7, 21, 10: 164 contr. 9, 1, 11: 119 contr. 9, 5, 1: 122; 124; 126 contr. 9, 13, 2: 15 contr. 10, 1 ff.: 256 contr. 10, 1, 1: 152 contr. 10, 1, 1 ff.: 15; 254 contr. 10, 1, 2: 125; 186 contr. 10, 1, 3: 188 contr. 10, 1, 4: 189 contr. 10, 1, 5: 152 contr. 10, 1, 6; 9: 152
Index contr. 10, 1, 12 f.: 188 dial. 11, 17, 5: 137 suas. 6, 14 f.; 24: 141 Seneca minor ad Helv. 2, 2; 16, 1: 123 ad Marc. 2, 5: 123 ad Marc. 3, 2: 161 ad Marc. 9, 2: 173 ad Marc. 15, 3: 166 ad Polyb. 15, 5: 161 ad Polyb. 17, 5: 55 Apocol. 4, 2 f.: 161 benef. 1, 6, 2: 123 benef. 2, 35: 196 benef. 3, 28, 2: 164 benef. 4, 12: 196 brev. 20, 5, 8: 173 epist. 18, 2: 74 epist. 30, 5: 173 epist. 44, 5: 164 epist. 70, 10: 173 epist. 79, 14: 273 Herc. f. 1106 f.: 137 Herc. O. 183 f.: 136 ira 1, 16; 3, 4: 137 ira 1, 16, 5: 173 f. ira 1, 19, 3: 143 ira 2, 1: 196 ira 3, 35, 5: 65; 119 ira 5, 19, 4: 143 ira 8, 6: 187 nat. 3, 18, 6: 173 Oed. 63: 173 Oed. 533; 553: 123 Phoen. 95: 173 Thy. 524–6: 128 Thy.1049 f.: 137 tranq. 11, 7: 174 Tro. 64; 66 f.; 93 f.; 107; 110 f.; 120: 136 vit. beat. 7, 3: 161 Servius Aen. 1, 712: 166 Aen. 2, 539: 173 Aen. 3, 64: 121 Aen. 3, 67: 141 Aen. 6, 72: 198 Aen. 6, 218: 161 Aen. 6, 222: 163 Aen. 7, 599: 173 Aen. 9, 485: 161 Aen. 11, 64: 163
1. Stellenregister Aen. 11, 80: 172 Aen. 11, 93: 123; 173 Aen. 11, 206: 157 Aen. 11, 211: 123 Aen. 12, 395: 162 Aen. 12, 606: 141 ecl. 2, 28: 123 Sidonius Apollinaris epist. 1, 7, 9: 241 epist. 1, 7, 9–11: 56; 121; 256; 277 epist. 1, 7, 11: 121 epist. 5, 7, 3: 121 Silius Italicus 1, 630–2: 47 1, 672–4: 148 1, 673: 142 12, 473; 15, 394 f.; 16, 436: 173 Solinus 1, 124 f.: 242 Sophokles Oid. T. 3: 207 Statius silv. 2, 1, 157: 173 silv. 2, 1, 171: 136; 142 silv. 2, 6, 82 f.; 3, 3, 175 f.: 136 silv. 5, 1, 20: 136; 142 silv. 5, 1, 179: 136 silv. 5, 1, 195: 161 silv. 5, 1, 210–6: 162 silv. 5, 5, 13: 136 Theb. 3, 125 f.; 5, 254: 142 Theb. 6, 182: 173 Theb. 6, 621–6: 122 Theb. 8, 644 f.: 136 Theb. 9, 354: 142 Theb. 12, 110: 136 Theb. 12, 417 f.: 161 Schol. Stat. Theb. 6, 55: 163 Sueton Aug. 23, 2: 55; 143; 146 Aug. 24, 2: 127 Aug. 32, 2: 271 Aug. 40, 5: 118; 120 Aug. 44, 2: 120 Aug. 52: 144 Aug. 52, 2: 148; 197 Aug. 73: 43
Aug. 75: 125 Aug. 99, 1: 161 Aug. 100: 288 Aug. 100, 2: 137; 173; 272 Aug. 100, 3: 166 Aug. 100, 4: 127 Cal. 13, 1: 123; 173 Cal. 22, 3: 178 Cal. 24, 2: 55; 137 Claud. 15: 289 Galb. 3: 164 Galb. 18, 2: 90; 121; 148; 266 Iul. 6, 1: 166; 287 Iul. 33, 1: 144; 147 Iul. 67, 2: 55 Iul. 82, 4: 160 Iul. 84, 2 f.; 85, 1: 158 Iul. 85, 1 f.: 159 Nero 13: 206 Nero 22, 2: 119 Nero 37, 1: 164 Nero 39, 1–3: 273 Nero 42, 1: 142; 146 Nero 45, 2: 273 Nero 47, 2: 121; 229; 249; 266; 278 Nero 48, 1: 122; 266 Nero 50: 162 Otho 4, 2: 178 Tib. 1, 2: 166 Tib. 2, 4: 123; 133; 197; 275 Tib. 3, 2: 155 Tib. 3, 2, 18: 123; 136 Tib. 25, 1–3: 282 Tib. 32, 2: 173 Tib. 58: 269 Vesp. 2, 2: 187 Vit. 8, 1: 272; 279 Vit. 15, 2: 170; 197; 278 f. Vit. 17, 1: 143 Vit. 17, 1 f.: 279 Vit. 17, 2: 259 Tabula Hebana Tab. Heb.: 157 Tabula. Siarensis Tab. Siar.: 157 Tab. Siar. frg. b, col. II, 3: 123 Tab. Siar. frg. b, col. II, 3 f.: 124 Tacitus ann. 1, 8 f.: 288 ann. 1, 40–45; 1, 40, 4–41, 1; 1, 69: 283
347
348
Index
ann. 2, 27–32: 212; 282 ann. 2, 29, 1: 123; 190 ann. 2, 29, 2; 31, 1 f.: 283 ann. 2, 32, 1: 164 ann. 2, 43, 5 f.: 283 ann. 2, 73, 4: 157 ann. 2, 75, 2: 134 ann. 2, 82 f.; 3, 1 f.: 157 ann. 3, 1, 4: 140 ann. 3, 2, 2: 119; 121; 173 ann. 3, 4, 1: 173 ann. 3, 5: 163 ann. 3, 17, 1: 134 ann. 3, 66, 1: 273 ann. 3, 75 f.: 281 ann. 3, 76: 288 ann. 3, 76, 1 f.: 164–6 ann. 4, 13, 2: 285 ann. 4, 28, 1: 123; 153; 286 ann. 4, 28, 3; 29, 2 f.: 286 ann. 4, 52, 1–68, 4: 283 ann. 4, 52, 1 ff.: 284 ann. 4, 52, 2: 123; 174; 284 ann. 4, 66, 2: 284 ann. 5, 1, 3: 165 ann. 11, 36, 1: 142 ann. 13, 3, 1–3: 166 ann. 13, 17, 3: 173 ann. 16, 6, 2: 165 ann. 12, 59, 2: 282 dial. 12; 34; 37; 39, 4; 40: 282 hist. 1, 4, 3: 63; 119; 130 hist. 1, 53, 2 f.; 54, 1; 54, 2 f.; 63, 2; 2, 60, 1; 3, 10, 2: 285 hist. 3, 67, 2: 49; 171; 278 hist. 3, 68, 1: 279 hist. 3, 68, 2: 171 hist. 3, 74, 2: 65; 119; 130; 229; 278 hist. 3, 81, 2: 278 hist. 3, 85: 279 hist. 4, 27, 2: 150 Terenz Eun. 646; 820: 142 Eun. 937: 125 Haut. 297: 121 Haut. 297–9: 125 Phorm. 1026: 173 Tertullian coron. 10, 2: 172 ieiunio 16: 173
Thukydides 1, 126, 11; 136, 3: 199 Tibull 1, 1, 67 f.: 136; 237 1, 1, 68: 122; 136 1, 10, 61–3: 151 3, 2, 18: 123; 136 Titinius 184 Ribbeck: 72; 125; 183 Valerius Antias FRH 15, 58 (= Gell. 6, 9, 12): 91 Valerius Maximus 1, 1, 21-ext. 1: 208 1, 6, 11: 90; 148; 266 1, 7, 7: 241 2, 7, 8: 150 2, 10, 5: 273 2, 10, 6: 81; 108; 119; 153; 270 3, 7, 1: 80 3, 7, 3: 296 3, 8, 4: 241 4, 1, 1: 145 4, 1, 10: 274 4, 1, 12: 173 5, 1, 1: 44 5, 1, 1 f.: 66; 209 5, 1, 2; 2, 1: 173 5, 2, 7: 231; 241 5, 4, 1: 201; 240 5, 5, 4: 172 5, 8, 3: 166 5, 10, 2: 140 6, 4, 4: 123; 272; 274 6, 5, 2: 123; 131; 251 7, 5, 2: 181; 193 7, 8, 5: 173 8, 1, 2: 47 8, 1, 3; 6: 195 8, 14, 4: 207 8, 15, 1: 164 9, 6, 1: 137 9, 10, 1: 85; 86 9, 12, 7: 44; 196; 251 Varro ling. 5, 22: 179 ling. 5, 28: 178 ling. 5, 35: 163 ling. 5, 41: 137
1. Stellenregister ling. 5, 132: 177 ling. 5, 132, 4; 133, 1; 4: 124 ling. 7, 30: 178 f. ling. 7, 88: 198 ling. 8, 13; 9, 33: 123 Men. 222: 163 Men. 303: 173 rust. 1, 69, 2: 163 rust. 2, 9, 14, 5: 124 Velleius Paterculus 1, 10, 3; 4 f.: 140 2, 4, 6: 163 2, 7, 4: 80 2, 13, 2: 273 2, 15, 4: 241 2, 24, 5: 146 2, 80, 3 f.: 210 2, 99, 4: 145 Vergil Aen. 3, 64: 123 f.
Aen. 3, 610: 199 Aen. 3, 610 f.: 204 Aen. 4, 589: 136 Aen. 5, 685: 142 Aen. 7, 503: 136 Aen. 11, 86–90: 141 Aen. 11, 292 f.: 204 Aen. 12, 155: 136 Aen. 12, 602: 142 Aen. 12, 604–11: 136 Aen. 12, 609: 136; 142 Vitruv 6, 3, 6: 164 Xenophon hell. 1, 7, 8: 45 Zonoras 7, 11, 2: 198 Zwölftafelgesetz 10, 1 (Düll): 157 10, 3–4 (Düll): 141
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2. PERSONENREGISTER Die Auflistung römischer Namen folgt dem Gentizilnomen, danach der stirps; das Praenomen ist nur relevant, wenn kein Zweig oder Beiname zu ermitteln ist. Kaiser werden dagegen mit ihren gängigen Namen ohne Titulatur geführt. Zur besseren Orientierung sind das höchste Amt oder die Regierungszeit vermerkt (republikanische Ämter folgen MRR, kaiserzeitliche Ämter und Regierungsjahre DNP). Dabei beziehen sich die Jahreszahlen, wenn nicht anders vermerkt, auf die Zeit v. Chr. Als mythisch wurden Figuren klassifiziert, die der römischen Tradition entspringen; ähnliches gilt für die mit Fragezeichen versehenen Amtsjahre. Ferner wurden fiktive Gestalten markiert. a) Einzelne Abdalonymos (König von Sidon 333–12): 12876 Achaios: 4513 M. Aemilius Lepidus (Triumvir): 210 f.; 261; 300 L. Aemilius Lepidus Paullus (cos. 50): 20557; 206 L. Aemilius Paullus (cens. 164): 127; 140; 1764; 205 f. ; 21070; 211 M. Aemilius Scaurus (cens. 109): 150; 180 19; 205 Agrippina d. Ä.: 1575; 17486; 283 f.; 297 Agrippina d. J.: 272 Aischines: 223 Anapias (myth.): 2357 Antiochos III. (König des Seleukidenreiches 222–187): 209 Antiochos IV. Epiphanes (König des Seleukidenreiches 175/0–64): 10329; 18021 T. Annius Luscus (cos. 153): 107 T. Annius Milo (praet. 55): 88; 18019; 271; 274–6; 297 Antoninus Pius (Kaiser 138–61 n. Chr.): 25522 L. Antonius Pietas (cos. 41): 238 f.; 24649 M. Antonius (tr.pl. 167): 8759 M. Antonius (Triumvir): 4338; 13717; 148; 158 f.; 17486; 190–2; 21070; 22419; 22737; 228; 236; 238; 242–4; 261; 2665; 268; 28332; 294 M. Antonius Orator (cos. 99): 122; 150 f.; 196 f.; 225 f.; 233 Antyll(i)us (fikt.?): 160 Amphinomus (myth.): 2357 L. Appuleius Saturninus (tr.pl. 103 und 99): 11–20; 24; 26; 37; 42; 65; 95; 16024; 177; 228–32; 241; 259; 2651; 2689; 296; 299 f. Mn. Aquilius (cos. 101): 122; 150 f.; 196 f.; 225–7; 233; 276
Q. Arrius (praet. 73): 133 Astymedes: 46 Attalos III. Philometor Euergetes (König von Pergamon 138–33): 107 Areios: 174 Arvandus: 277 f. Augustus; siehe auch C. Octavius / Octavian (Triumvir; Kaiser 31 v. Chr.-14 n. Chr.): 43; 120; 13717; 142–6; 148; 150 f.; 16339; 16547; 174; 19821; 210 f.; 235; 237; 242–6; 26913; 271; 280 f.; 284; 287–9; 297 C. Aurelius Cotta (cos. 75): 447; 62 f.; 177 Hannibal Barkas: 45; 47 f.; 104; 15475 Hasdrubal Barkas: 242 Bocchus I. (König von Mauretanien 110–81): 207 L. Caecilius Metellus (cos. 251): 242 M. Caecilius Metellus (cos. 115): 168 f. Q. Caecilius Metellus Balearicus (cens. 120): 168 C. Caecilius Metellus Caprarius (cens. 102): 8034; 167; 169 Q. Caecilius Metellus Celer (cos. 60): 76 f.; 18856; 246; 26911; 28542 L. Caecilius Metellus Diadematus (cens. 115): 8034; 167; 169 Q. Caecilius Metellus Macedonicus (cens. 131): 184 Q. Caecilius Metellus Nepos (cos. 98): 8034; 167–9; 183 f. Q. Caecilius Metellus Nepos (cos. 57): 76 f.; 7928; 10950 Q. Caecilius Metellus Numidicus (cens. 102): 19; 43; 56; 80 f.; 96; 167–9; 183 f.; 191; 228; 231; 241 f.; 24336
2. Personenregister Q. Caecilius Metellus Pius (cos. 80): 19 f.; 35; 42 f.; 65 f.; 96; 167–70; 174; 183; 188; 212 f.; 228–32; 241–3; 246–8; 257 f.; 272; 294 f. Q. Caecilius Metellus Pius Scipio (cos. 52): 169 Q. Calidius (tr.pl. 98): 231 L. Calpurnius Bestia (cos. 111): 205 M. Calpurnius Bibulus (cos. 59): 25937; 265 f. Cn. Calpurnius Piso (cos. 7): 134; 2689 L. Calpurnius Piso Caesoninus (cos. 112): 195 L. Calpurnius Piso Caesoninus (cos. 58): 79; 82; 128 f.; 131; 149; 192; 19714; 24439; 268 f.; 28012 L. Calpurnius Piso Frugi (cos. 133): 10535 C. Canuleius (tr.pl. 98): 229; 231 Sp. Cassius Vecellinus (cos. 502; 493; 486?): 10019 Chaireas: 45–7 Claudia Pulchra (Cousine der Agrippina): 284 Claudius (Kaiser 41–54 n. Chr.): 27119; 276 f.; 28227; 289; 297 M. Claudius: 101 f. Tib. Claudius Asellus (tr.pl. 140): 274 f. Nero Claudius Drusus (cos. 9): 20761 Nero Claudius Germanicus (cos. 12; 18 n. Chr.): 134; 140; 15167; 1575; 7; 16339; 24337; 283 M. Claudius Marcellus (cos. 222; 214; 210; 208; suff.cos. 215): 103 f.; 189 f. C. Claudius Nero (cos. 207): 153 f. App. Claudius (cos. 495?): 88; 110; 133; 182; 1957; 273; 275; 297 App. Claudius (Decemvir?): 101–3; 105; 151; 159 App. Claudius Pulcher (cos. 143): 98; 150; 18126 App. Claudius Pulcher (cens. 50): 150 C. Claudius Pulcher (cos. 177): 63; 97 f.; 186 P. Clodius Pulcher (aed. 56): 77–82; 132; 18750; 191; 212; 233; 254; 25727; 258–60; 268; 27327; 274–7639 Sex. Cloelius: 157 Cornelia (Mutter der Gracchen): 10537 Cornelia (verstorbene Gattin Caesars): 28753 L. Cornelius Cinna (praet. 44): 158
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L. Cornelius Cinna (cos. 87): 108; 145–7; 149–51; 15813 Cn. Cornelius Lentulus Marcellinus (cos. 56): 25727 P. Cornelius Lentulus Spinther (cos. 57): 24336 P. Cornelius Lentulus Sura (cos. 71): 127 P. Cornelius Scipio Aemilianus Africanus (cens. 142): 86; 132; 14022; 16444; 18647; 20450; 274 f.; 297 P. Cornelius Scipio Africanus (cens. 199): 4513; 18337; 20968; 27435 L. Cornelius Scipio Asiaticus (cos. 83): 121 P. Cornelius Scipio Nasica Serapio (cos. 138): 107; 18124; 193; 2963 P. Cornelius Scipio Nasica Serapio (cos. 111): 167 P. Cornelius Scipio Nasica (praet. 93): 167; 169 L. Cornelius Sulla Felix (dict. 82–79): 52; 54 f.; 9069; 108; 121; 146 f.; 20453; 207; 211; 242; 27017; 287 P. Decius (praet. 115): 150 Demetrios von Pharos: 153 Demosthenes: 223 Diodorus von Melita: 66; 179 f.; 19067; 191 Diokletian (Kaiser 284–305 n. Chr.): 73 Domitian (Kaiser 81–96 n. Chr.): 19926; 277 Cn. Domitius Ahenobarbus (cos. 32): 243 Cn. Domitius Ahenobarbus (cos. 96): 168 L. Domitius Ahenobarbus (cos. 94): 168 Eurylochos: 71 f.; 8964 Q. Fabius Maximus Verrucosus (cens. 230): 14548; 15475 C. Fibulus: 13396 C. Flaminius (cens. 220): 1764 C. Flavius Fimbria (leg. 86/85): 146 f.; 149; 151; 1778; 20453; 211 M. Flavius (tr.pl. 327 und 323?): 85 T. Flavius Sabinus (suff.cos. 47 n. Chr.): 6598; 229; 278 L. Fufius (tr.pl. 91 oder 90): 150 Fulvia (Witwe des Clodius): 157–9; 166; 191; 27432 Fulvius1: 10536; 181; 296 M. Fulvius Flaccus (cos. 125): 2689
Mehrere Fulvier kommen hier in Frage: F. Münzer; s. v. Ser. Fulvius Flaccus; RE VII; 1 (1910); 248; hält den Konsul von 135 ohne Angabe von Gründen für den richtigen Konsular. Es könnte sich aber ebenso gut um C. Fulvius Flaccus (cos. 134) oder M. und Q. Fulvius Nobilior (cos. 159 bzw. 153) handeln. Gerade die betonte Ehrwürdigkeit legt einen älteren Senator nahe; zumal er in Begleitung eines Manlius erscheint; der vielleicht in ähnlichem Alter war; dazu siehe unten.
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M. Furius Camillus (cens. 403?): 50 L. Furius Medullinus (cos. 474?): 42; 100 f.; 104 f.; 180; 185; 296 L. Furius Philus (cos. 136): 230 P. Furius Philus (tr.pl. 99): 81; 96; 15813; 164; 18125; 213; 228–33; 241; 250; 252; 258 A. Gabinius (cos. 58): 79; 82; 131; 149; 268 Galba (Kaiser 68/9 n. Chr.): 142; 2492; 271; 285 Cn. Genucius (tr.pl. 473?): 100 f.; 104 Giton (fikt.): 173 C. Helvidius Priscus (praet. 70 n. Chr.): 280 f. C. Helvius Cinna (tr.pl. 44): 158; 164; 229 M. Herennius (cos. 93): 2357 Hermeros (fikt.): 173 Herodes der Große (König von Judäa; Galiläa; Samaria): 712 M. Hordeonius Flaccus (suff.cos. 47 n. Chr.): 285 Horatia (myth.): 13711 L. Hortensius (tr.pl. 422?): 131 Q. Hortensius Hortalus (cos. 69): 8032 L. Icilius (tr.pl. 456–455 und 449?): 102 Isokrates: 223 Jugurtha (König von Numidien 118/6–105): 205; 207 Julia (Tante Caesars; Gattin des Marius): 287 Julian (Kaiser 360–3 n. Chr.): 168; 174 C. Julius Caesar (dict. 49–44): 86; 9172; 12981; 133; 144; 14653; 1575; 158–63; 165; 191; 20450; 213; 22419; 22727; 228 f.; 2355; 25937; 265 f.; 268; 28229; 287 C. Iulius Vindex (Statthalter der Gallia Lugdunensis): 285 Junia Tertia (Schwester des Brutus; Nichte des Cato; Gattin des Cassius): 288 L. Junius Brutus (cos. 509?): 159 f. M. Junius Brutus (praet. 44): 4338; 13717; 159; 236; 243–5; 288 Mn. Juventius Thalna (cos. 163): 8759 Kleopatra VII. Philopator (Königin von Ägypten 52–30): 174 Knabe; anonymer junger Mann bei Seneca (fikt.?): 56; 125; 152 f.; 155; 172 f.; 186–9; 227; 240; 253–5; 2775 Licinius Proculus: 284 f. M. Licinius Crassus (Triumvir): 2125; 43; 90; 96; 10950; 133; 167; 252; 256 f.; 294; 299 f. P. Licinius Crassus (cos. 97): 18961
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P. Licinius Crassus (Sohn des Triumvirs): 7931 P. Licinius Crassus Dives (cens. 210): 269 f. L. Licinius Lucullus (cos. 74): 167; 204 C. Licinius Mucianus (suff.cos. 64 n. Chr.): 278 C. Licinius Sacerdos: 27433 M. Livius Macatus: 15475 M. Livius Salinator (cens. 204): 4724; 6182 f.; 88; 96; 134; 14444; 153–5; 185; 227; 269–71; 296 Lucretia (myth.): 90; 14857; 151; 159 f.; 162; 2355; 293 Sp. Maelius (myth.): 49 Manlius2: 10536; 181; 296 M. Manlius Capitolinus (cos. 392?): 49; 942; 239; 275; 28228; 296 L. Manlius Torquatus (cos. 65): 12875 C. Manlius Vulso (cos. 474?): 42; 100 f.; 104 f.; 180; 185; 296 C. Marcius Coriolanus (myth.): 50; 942; 121; 14548; 183; 201 f.; 239 f.; 296 C. Marius (cos. 107; 104–100; 86): 19; 64 f.; 80 f.; 86; 88; 105; 108; 119; 16658; 197; 231; 233; 27017; 287 Menodoros: 148 Mithridates VI. Eupator (König von Pontos 120–63): 11; 147 Munatia Plancina: 134 T. Munatius Plancus (tr.pl. 52): 157 Nero (Kaiser 54–68 n. Chr.): 63; 142; 146; 20660; 229; 249; 266; 272; 2786; 28121; 284; 297 L. Ninnius Quadratus (tr.pl. 58): 8032 Cn. Octavius (cos. 87): 108 M. Octavius (tr.pl. 133): 258 L. Opimius (cos. 121): 160 Otho (Kaiser 69 n. Chr.): 284 Parthenius (fikt.): 11816 Perseus (König von Makedonien 179–168): 8550; 127; 14340; 205 f.; 21070; 211 Phaeton (myth.): 4511 Pheroras: 712 Philostratos: 174 Q. Pleminius: 208 f. Cn. Pompeius: 236 Sex. Pompeius: 4338; 13717; 147–51; 235 f.; 243–5 Cn. Pompeius Magnus (cos. 70; 55; 52): 2124; 43; 7619; 90; 9172; 96; 9914; 10950; 132 f.;
A. und T. Manlius Torquatus (cos. 164 bzw. 165) sind die einzigen gewesenen Konsuln; die in Frage kommen.
2. Personenregister 14548; 1578; 159; 206; 236; 24753; 252; 256 f.; 259; 294; 299 f. Q. Pompeius Rufus (tr.pl. 52): 157 Cn. Pompeius Strabo (cos. 89): 24649 M. Pomponius (praet. 161): 8759 T. Pomponius Atticus: 78; 80; 82; 160 C. Pomptinus (praet. 63): 133 P. Popilius Laenas (cos. 132): 80 f. C. Porcius Cato (tr.pl. 56): 256 M. Porcius Cato Censorius (cens. 184): 47; 75; 91; 12027; 12238; 132; 238 M. Porcius Cato Uticensis (praet. 54): 43; 128; 25626; 288; 3019 Prusias II. (König von Bithynien 182–149): 46; 205 Ptolemaios IV. Philopator (König von Ägypten 221–204): 4511 Ptolemaios V. Epiphanes (König von Ägypten 205–180): 209 Ptolemaios XIII. (König von Ägypten 51–47): 20967 Volero Publilius (tr.pl. 472–1?): 104; 27328 P. Quinctilius Varus (cos. 13): 142; 14337 K. Quinctius (fikt.): 182 L. Quinctius Cincinnatus (suff.cos. 460?): 154 T. Quinctius Flaminius (cos. 198): 71 Romulus (myth.): 84; 288 P. Rutilius (tr.pl. 169): 97 P. Rutilius Rufus (cos. 105): 53; 9811; 196; 273–6; 2911; 297 C. Scribonius Curio (cos. 76 oder tr.pl. 50): 8032 L. Scribonius Libo Drusus (cos. 16 n. Chr.): 282 M. Scribonius Libo Drusus (praet. 16 n. Chr.): 19069; 212; 282–6; 288 C. (L.?) Sempronius Atratinus (cos. 423?): 131 C. Sempronius Gracchus (tr.pl. 123–2): 6496; 81; 98; 160 f. Tib. Sempronius Gracchus (tr.pl. 133): 2128; 2335; 54; 8035; 8759; 89–91; 9914; 105–8; 128; 160; 169–71; 181; 184 f.; 197; 213; 231; 237; 257 f.; 268; 296; 299 Tib. Sempronius Gracchus (cens. 169): 42; 97–100; 171; 186; 28330; 28644; 296 L. Sergius Catilina (praet. 68): 13820 Q. Sertorius (praet. 83): 246–8 C. Servilius Glaucia (praet. 100): 231 f. P. Servilius Rullus (tr.pl. 63): 10639; 128–30; 18543 C. Servilius Vatia: 167 P. Servilius Vatia Isauricus (cos. 79): 167; 169 Ser. Sulpicius Galba (cos. 144): 47; 54; 75; 89; 91; 124; 132; 169; 171; 195; 238; 253; 296; 299 f.
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Ser. Sulpicius Galba (cos. 108): 18961 C. Sulpicius Gal(l)us (cos. 166): 54 Sosylos: 45–7 Sthenius: 56; 66; 190 f.; 2775 C. Suetonius Paulinus (cos. 66 n. Chr.): 284 L. Tampius Flavianus: 285 Tarpeia (myth.): 13711 Sex. Tarquinius (myth.): 159 L. Tarquinius Priscus (myth.): 178 L. Tarquinius Superbus (myth.): 159 f. C. Terentius Varro (cos. 216): 1764 P. Clodius Thrasea Paetus (suff.cos. 56 n. Chr.): 28121 Tiberius (Kaiser 14–37 n. Chr.): 20761; 282–4; 28645 Tigranes II. (König von Armenien 95–55): 206 Tiridates I. (König von Armenien 52/53–63 und 66–75 n. Chr.): 20660 T. Titius: 140 Titus (Kaiser 79–81 n. Chr.): 280 Tullia (Tochter des M. Cicero): 81; 140; 174 86; 283 32 M. Tullius Cicero (cos. 63): 1512; 15; 23; 2443; 27; 42 f.; 48; 5346; 54; 5558; 57–9; 64; 74–82; 84; 90; 92; 96; 10639; 10950; 121–3; 128–33; 140 f.; 148–51; 160; 166–70; 17486; 179 f.; 183; 190–2; 196 f.; 200; 20243; 212; 214; 223–7; 23148; 233–5; 239; 243 f.; 246 f.; 249; 254–60; 265–9; 272; 274–6; 28332; 28855; 291; 293 f.; 297; 299 Q. Tullius Cicero (praet. 62): 81; 187; 234; 257; 272 Umbricius (fikt.): 118 Valeria (Schwester des Publicola?): 201; 23924 L. Valerius Flaccus (cos. 195): 8759; 1178 P. Valerius Publicola (suff.cos. 509; cos. 508–7; 504?): 145; 159; 201; 23924 P. Vatinius (cos. 47): 6181; 133 f.; 141; 25937; 265; 276 Vercingetorix: 20450 Vergilia (Gattin des Coriolan?): 20241; 293 Verginia (myth.): 101 f.; 14857; 159 f.; 16235; 181; 2355 L. Verginius (Vater der Verginia?): 63; 102 f.; 151; 181; 296 C. Verres (praet. 74): 56; 66; 121; 12560; 179 f.; 2775 Vespasian (Kaiser 69–79 n. Chr.): 279–81 Veteran; namenloser; alter Mann bei Livius (fikt.): 109; 296 Veturia (Mutter des Coriolan?): 19173; 202; 239; 293
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Index
L. Veturius Philo (cens. 210): 134; 269 C. Vibius Serenus d. Ä.: 28330; 285 f.; 288 C. Vibius Serenus d. J.: 286 Vitellius (Kaiser 69 n. Chr.): 4134; 7931; 14444; 170 f.; 197; 229; 2664; 271; 278 f.; 281 f.; 284–6; 289; 297
A. Vitellius Germanicus (Sohn des Kaisers): 171; 278 Volumnia (Mutter/Gattin des Coriolan?): 20241; 239
b) Kollektive Bei den römischen gentes ist stets die lateinische Option mitzudenken; bspw. Metelli oder gens Metella für „Meteller“. Ägypter: 47; 66103; 85; 87; 10329; 208 f. Aitoler: 8550; 8759 Catilinarer: 77 f.; 127 Claudier: 110; 125; 16656; 23922; 273; 275 Clodianer: 74; 77; 79; 81; 148 f.; 157; 162; 18750; 212; 233; 254; 258–60; 27432 Cornelier; siehe auch Scipiones: 14022 Fabier; siehe auch Fabii Maximi: 14022; 275 Flavier: 279–81; 287; 297 Gracchen: 5140; 52; 5555; 98 f.; 10535; 13186; 16126; 296; 299 Meteller: 19; 56; 8034; 81 f.; 92; 96; 167–71; 183 f.; 191; 230–3; 242; 24336; 275; 300 Lingonen: 285 Lokrer: 47; 66103; 85; 87; 208 f. Luculler: 167; 275 Manlier: 239
Papiria, tribus: 86 Pollia, tribus: 86 Popilier: 81 f.; 92 Rhodier: 2443; 46 f.; 6182; 66; 85; 87–8; 177; 189–91; 209; 285 Römerinnen: 19173; 293 Sabiner: 47; 84–7; 109 Sabinerinnen: 942; 239; 293 Scipionen; siehe auch Scipiones: 8034; 14022; 167; 275 Sempronier: 13186; 275 Servilier: 8034; 167; 275 Sikuler; siehe auch Syrakuser: 47; 66; 85; 87; 103; 132; 179; 189–92 Tusculaner: 48; 85–8; 189; 296 Valerier: 275
3. Sachregister
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3. SACHREGISTER a) Akteure, Empfänger und Publikum des squalor Abwesende von Rom: 76 f.; 81; 244; 251; 268 f. Anwesende, siehe Publikum adsectatores: 77; 8034; 175 f.; 187–9; 253; 255; 260 Ahnen, siehe maiores albati: 120 Angeklagte: 12; 16; 2129; 22; 39; 4514; 53–6; 74; 78; 85; 97; 105; 122–34; 150 f.; 169; 1777; 179; 18647; 194–7; 209; 225–7; 232; 238 f.; 24128; 253; 255; 269; 271 f.; 274 f.; 277; 279; 282–4; 28644; 288 f.; 297 Anwälte: 56; 82; 102; 122; 12342; 150; 194–7; 227; 233; 239; 274; 276 atrati: 11922; 121; 13186; 2492; 266; 2774; 2786 Begleiter, siehe adsectatores Brüder: 76 f.; 81; 167–9; 171; 234; 2357; 236; 238 f.; 24336; 257; 278; 282 f. Bürger: 13; 17; 24; 55; 58–60; 63; 65; 71; 77; 80; 83 f.; 91; 97; 101 f.; 106 f.; 109 f.; 116–31; 13820; 145 f.; 153; 160; 162; 172; 176 f.; 17813; 180; 184; 188 f.; 193; 197; 216; 228; 233; 251; 253 f.; 260; 267–70; 284; 296; 299 candidati: 41; 86; 979; 104; 120; 12238; 153; 173 f.; 176–89; 216; 254 f.; 259; 275 Claqueure: 227; 233; 259 f.; 295 clientes: 17; 2129; 31; 51; 63; 65; 101; 108; 11711; 118; 157; 159; 161–3; 173; 175–8; 184–90; 194; 225; 253; 260; 286 deductores: 162; 187; 253 Diktator: 5555; 9069; 144 f.; 147; 154; 159; 20762; 287 f. Ehefrau: 71; 157; 15811; 159; 190 f.; 20241; 238 f.; 283; 28753; 288 Enkel: 11057; 184; 284 equites: 1818; 52; 59 f.; 63–5; 79; 97 f.; 116; 129 f.; 140; 19172; 231; 274 Familie: 15; 2128 f.; 30; 32; 43; 46; 48; 51–4; 56 f.; 63 f.; 71; 73; 7618; 77; 79; 81; 91; 102; 105 f.; 125; 133; 138; 140; 160–2; 164–72; 183 f.; 190–2; 202; 226; 230 f.; 235–43; 257; 267 f.; 275; 278; 281–6; 297 Feldherren: 40; 86; 9914; 104; 133; 146 f.; 14857; 167; 1778; 203 f.; 20761; 208; 225; 246 f.; 26141; 2665; 28647; 2996 Frauen: 2130; 34; 44; 71; 85; 10225; 116 f.; 12237; 12450; 134; 136 f.; 139–42; 151; 158–60; 162; 16549; 168; 172; 174; 17812;
18858; 199–202; 237; 239; 282; 28332; 288; 293 Freigelassene, siehe liberti Freunde: 15; 31; 61; 712; 72; 81 f.; 133; 140; 148; 150; 157; 162; 165; 172; 17811;190; 239 f.; 24336; 246; 260; 2665; 282 Gesandtschaften: 11 f.; 16; 18; 20; 44; 46; 51; 59; 8550; 87; 10329; 147; 202–11; 239; 242; 27017 f.; 285; 296 Geschworene: 12; 17; 1818; 47; 53; 102; 12238; 124; 127; 129; 132 f.; 19067; 195 f.; 208; 225–7; 233; 27330; 274–7 Großväter: 84; 150; 169; 18339 homines novi: 81 f.; 100; 119; 16658; 176; 170; 23148; 299 Kaiser: 112; 44; 142–4; 14857; 1575; 16547; 168; 170 f.; 174; 210; 249; 2664 f.; 26913; 271; 276; 277–89; 297 Kandidaten, siehe candidati Kinder: 34; 44; 4724; 54; 71; 8447; 85; 91; 10225; 10640; 158; 167; 169; 201 f.; 226; 237; 239; 2787; 294 Kläger: 12; 17; 39; 56; 978; 12454; 12560; 180; 194; 1958; 256; 261; 271; 275; 277; 28543; 286 Klienten, siehe clientes Könige: 11; 44; 46; 51; 712; 10329; 127; 12867; 14340; 129; 159; 178; 202–11; 245; 288 Konsulare: 42; 65; 78; 9914; 100–5; 13186; 150; 15373; 155; 180 f.; 185; 18961; 225; 257 f.; 260; 268–70; 273 Konsuln: 44; 62 f.; 66103; 7619; 79; 103; 105; 108; 131; 145; 149 f.; 154; 15813; 160; 171; 1764; 177; 17917; 184; 190; 197; 208; 23047; 233; 256–8; 260; 265–7; 273; 296; 300 liberti: 4619; 63; 65; 9811; 165; 20554; 230; 237; 252 maiores: 19; 2234; 48; 83; 95; 128 f.; 133; 154; 1562; 16337; 164–8; 170; 172; 200; 207; 242 f.; 245; 268; 288 Mandanten, siehe Angeklagte Mütter: 10537; 14548; 167; 190; 19173; 202; 239 f.; 293 patroni: 4721; 66; 117 f.; 133; 162; 175 f.; 178; 18018; 182; 186–91; 253 Peregrine (siehe auch Gesandtschaften): 1616; 34; 52; 59; 6598; 77; 84; 116; 18860; 190; 202 f.; 207; 268; 27017; 273; 28540
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Index
plebs: 17; 2128; 26; 34; 49; 57–60; 63; 77; 95 f.; 99–102; 10433; 105; 107; 110; 119–23; 128 f.; 131 f.; 144 f.; 14857; 151; 153; 157–60; 163; 16866; 176 f.; 180; 183–5; 193; 228–31; 233; 238 f.; 241; 251–4; 257 f.; 260; 270; 281; 284; 286; 294 f.; 298 – contionalis: 64; 299 f. – sordida: 65 f.; 123–6; 130; 216; 278 – urbana: 20; 63 f.; 76; 95; 158; 278; 28436; 299 populus: 12; 14; 16–8; 20 f.; 23; 447; 49; 51; 53; 57–60; 62–7; 77 f.; 8034; 82; 90 f.; 95–102; 104–6; 108; 110; 116; 119–21; 125; 128–32; 134; 139 f.; 144 f.; 149; 153–5; 157; 159–63; 166 f.; 170–80; 184 f.; 193; 202 f.; 212; 215 f.; 224; 227–9; 231–4; 239; 241; 249; 251; 25727; 258; 261; 266 f.; 270; 273; 27536; 278–81; 284; 287; 291; 294; 296–300 praetextati: 39; 5450; 116; 120; 126; 186 Prätoren/Prätorier: 55; 81; 8759; 127; 150; 15813; 171; 177; 254 f.; 267; 282 Prokonsuln: 51; 76; 246–8 Provinzbewohner, siehe Peregrine publicani: 53; 5662; 97–100; 273 pullati: 119–21 Publikum: 14–8; 2129; 26 f.; 34; 36; 40; 45; 59 f.; 61 f.; 66; 77; 82; 88; 90; 101 f.; 110 f.; 119; 124; 128; 130; 141; 143–6; 151–3; 156–8; 160; 162 f.; 166; 168; 170 f.; 176; 179 f.; 210; 212–4; 216; 221; 223–8; 234; 237; 24027; 241 f.; 249–51; 256; 258; 268–70; 275; 279; 282; 284 f.; 292–5; 297 f. Quiriten, siehe Bürger Richter, siehe Geschworene Ritter, siehe equites salutatores: 187 f. semipullati: 12136; 2774 Senatoren 11 f.; 1512; 16–8; 2442; 46–8; 51–3; 57–60; 63–6; 79; 85; 95–8; 100; 103; 10950; 53; 116; 121; 12875; 130; 144; 148 f.; 150; 15579; 1764; 180–2; 18964; 190–2; 229; 231; 251–3; 256 f.; 260;
265 f.; 270; 272; 27431; 280 f.; 283 f.; 299 Sklaven: 34; 40; 59; 63; 65; 73; 102; 116; 121; 12558; 237; 254 Söhne: 19; 49; 54; 65; 7931; 89 f.; 98; 102; 10640; 11057; 116 f.; 12347; 12454; 137; 140; 159; 166–9; 171; 173 f.; 1789; 190 f.; 1958; 206; 20762; 212; 230; 236 f.; 23924; 241 f.; 278; 283 f.; 286 Soldaten: 40; 4513; 63–5; 74; 77; 86; 9914; 102; 108–10; 127; 142; 145–7; 150; 17173; 177; 204; 210; 242 f.; 246 f.; 261; 2665; 271; 274 f.; 278 f.; 281; 284–7; 295; 297; 2996 sordidati: 48; 60; 63; 66; 100; 10223; 103; 121 f.; 125; 130; 13186; 133 f.; 143; 16761; 16866; 17175; 177; 179; 18018; 18229; 183–6; 195 f.; 20659; 20967; 23922; 253, 256; 259; 2664; 271; 276; 2774 f.; 278 Steuerpächter, siehe publicani Töchter: 81; 84; 101 f.; 140; 151; 17486; 181; 28121; 28332 togati: 6496; 96; 116; 189; 20557; 206; 244; 331 turba (pullatorum): 64; 11818; 11924; 120; 185; 18962 Väter: 19; 46; 54; 8447; 96–9; 101 f.; 125; 13718; 140; 151–3; 159; 169; 173; 181; 183; 186; 189 f.; 212; 230; 235–9; 241 f.; 244; 247; 255; 284 Verbannte: 19; 63; 71; 74; 81; 167; 169; 184; 239; 241; 255; 27717; 281; 285 Verurteilte: 44; 52–6; 63; 127; 13187; 143, 153 f.; 17385; 190 f.; 251; 2677; 27016; 272; 274; 277–9; 284 Volk, siehe populus Volkstribune: 12; 17 f.; 20; 44; 52; 77; 82; 85; 8759; 89 f.; 96–101; 104–6; 11921; 128 f.; 131–3; 145; 157; 159 f.; 180; 184 f.; 205; 213; 228–32; 241; 252; 256; 258–60; 274 f. Zensoren: 44; 5662; 6183; 63; 96–100; 117; 134; 14548; 150; 154; 167 f.; 171; 184; 196; 214; 231; 241; 251; 255; 269 f.; 27433; 28644 Zuschauer, siehe Publikum
3. Sachregister
357
b) Aspekte der politischen Kultur und Darstellungsformen des squalor Abstimmungen: 52; 55; 89; 97 f.; 105; 107; 148; 154; 179; 183 f.; 25626; 25937; 260; 265 adsectatio: 15268; 171–5; 176; 186–9; 253; 256 ambitio/ambulatio (circumire): 13; 24; 41; 62; 6494; 8551; 91; 954; 97; 100; 10223; 25; 10328; 146; 176; 177; 178–80; 182; 183; 185; 18643; 189–92; 194; 201; 260; 28227 amictus: 12; 118; 12450; 125; 127; 171; 174; 205; 278 anulus: 116; 14650; 172; 1958; 20762 appellatio: 24; 46; 153; 176 f.; 180; 18858; 20558 Aufbahrung, siehe collocatio Authentizität: 18; 46; 64; 130; 132; 155; 189; 193 f.; 205; 211; 224; 22634; 234; 240; 290; 294 barba, beim (symbolischer) Trauern: 12; 13; 32; 34; 37; 43; 56; 96; 115; 11921; 12342; 129; 137–8; 139; 143; 172; 174; 18856; 200; 208; 236–7; 241; 243; 245–6; 248; 255; 261; 274; 276; 277; 28855 – der Ahnen: 128; 154; 243; 245 – der Barbaren: 20761 – der Landbevölkerung: 153 – der Legionäre: 243; 261 – in hellenistischen Kulturen: 208 – (keine) Rasur: 6182; 134; 153; 209; 24128; 244; 269; 27017; 277 – Trageweisen: 43; 244 Bart, siehe barba Begräbnis/Bestattung, siehe funus Bindungswesen, siehe Nahverhältnisse/-beziehung Bürgerkrieg: 44; 49; 5561; 78; 80; 100; 108; 111; 13820; 14653; 151; 236; 242–8; 281; 28332; 300 cena: 40; 51; 133; 191 collocatio: 31; 140; 156; 162–3 deditio: 24; 8550; 147; 202–11 Demutsgestus, siehe deprecatio deprecatio: 1515; 14442; 150; 195–7; 202; 209; 225–6; 228; 274; 27536 Emotionen, siehe Gefühle Entehrung: 44; 101; 12027; 127; 150 f.; 159 f.; 16235; 18229; 195; 215; 231; 240; 251–4; 25728; 259; 266; 271; 279; 28227; 283 fasces: 10744; 1167; 145; 17175; 172
funus: 11–3; 31–2; 35–6; 37; 48; 5453; 72–4; 11712; 12347 f.; 124–6; 133; 136; 138; 139; 156–74; 178; 191; 228 f.; 268; 287–8; 290; 298 – funus imaginarium: 16340; 16865 – funus publicum: 16651 Fußfall (siehe auch: sich zu Füßen werfen): 205; 210 f. Gastmahl, siehe cena Gefühle: 12; 18; 22 f.; 42; 49; 54; 57; 7722; 101; 124; 129; 138; 142 f.; 145; 157; 158–62; 169 f.; 180–2; 196; 199; 216 f.; 221–33; 234; 237; 241; 249; 253; 280; 290 f.; 292; 295–8 – Ausdrucksformen/Äußerungen: 21; 59; 76 f.; 8470; 102; 108 f.; 124; 136 f.; 140–2; 149; 157; 18335; 216 f.; 221 f.; 226; 232; 237; 241; 246; 298 – Kontrolle: 14; 12665;142; 152; 160; 199; 221 f. Geleit, siehe adsectatio Geschlechterverhältnis: 2130; 325; 338; 115; 1164; 139–42; 18060; 199–202 Gesicht (siehe auch barba): 40; 43; 129; 139; 141; 143; 224; 241; 243–5; 252; 285 Haare: 12 f.; 15; 2232; 55; 77; 8447; 108 f.; 129; 136 f.; 139; 14236; 14337; 153; 172; 199 f.; 20761 f.; 208 f.; 237; 241; 255; 26914; 27017; 276 f. Händegreifen/-schütteln, siehe prensatio Hikesie: 4721; 72; 89; 91; 17174; 194; 199 f.; 207–11; 23924; 292 Kleiderwechsel, siehe vestem mutare Kleidung, bunt: 122; 165 – dreckig/schmutzig: 12–3; 32; 34; 41; 47; 53; 55–6; 62; 65; 72; 76; 84–5; 8963; 100; 102; 10639; 108–9; 115; 118; 120; 122–7; 130; 1362; 143; 152; 165; 168; 170; 173; 179–81; 18333; 184; 186; 188; 19067; 19173; 196; 200; 202; 206; 212; 214; 216; 231; 253; 255; 25727; 266; 272; 274; 276; 28647; 297 – dunkel: 13; 2231; 32; 41; 43; 54; 56; 89–92; 105; 108; 115; 118; 120–2; 126; 127; 131; 136–8; 139; 144; 146; 14857; 149; 156; 159; 165; 171–2; 181; 18333; 185–6; 190; 194; 197; 201; 20556; 208; 213–4; 216; 241; 256; 261; 26913; 279; 293 – farblos/matt: 117; 183 – glänzend/hell/leuchtend: 41; 43; 117; 132; 165; 172; 183; 186; 201; 213; 244
358 – –
Index
Qualität: 117–8; 125; 244 schwarz: 4514; 54; 712; 89 f.; 95; 97; 117 f.; 121–8; 1362; 151; 159 f.; 171; 174; 186; 192; 197; 20450; 205; 238; 250; 275; 275 – Verschleiß/Abrieb: 115; 117 f.; 126; 18543 – verunreinigen/waschen: 117 f.; 120; 12240; 125; 259 – zerfetzt/zerrissen: 108; 118; 122 f.; 126; 132; 136; 143–6; 148–51; 158; 197; 261; 275; 279 – zerreißen, siehe vestem scindere Klientelwesen, siehe Nahverhältnisse/-beziehung Körperhaltung: 39; 129 f. – -kontakt: 260 – -kontrolle: 252 – -teile: 136; 194; 199 – -sprache: 39; 41; 73 – -verletzung: 5454; 101; 150; 254 – Zustand: 109; 208; 27017 Kriegsmantel, siehe paludamentum laudatio funebris: 31; 48 f.; 92; 15812; 165 f.; 168 f.; 173; 22419; 227; 281; 287 Leichenbahre: 139; 14030; 162 f.; 165 f.; 171 f. – -gefolge: 164 f.; 172 f. – -gewand: 171 f.; 185 – -mahl: 133 – -rede, siehe laudatio funebris – -wäsche: 161 f.; 17280 – -zug, siehe pompa funebris Leichnam: 157 f.; 160–4; 165 f.; 168; 172 f.; 268: 287; 298 lugubria: 123–5 Makedonischer Krieg, Dritter: 85 Mantel, siehe amictus miseratio: 1515; 171; 19713; 225; 227 f.; 2492; 2774; 2786; 283; 286; 288 Mitleid (erheischen), siehe miseratio Modellierung des Handelns: 19; 75; 92; 125; 128; 215; 299 morgendlicher Empfang, siehe salutatio mos maiorum: 34 f.; 18123; 292 mutatio vestis; siehe vestem mutare Nahverhältnisse/-beziehung: 13; 24; 56; 66; 117 f.; 14652; 162; 174 f.; 176–92; 193 f.; 197; 203; 20451; 206; 225; 216; 249; 253; 256; 260; 269; 283–9; 290 Narben (zeigen): 6080; 109 f.; 122; 141; 143; 151; 164; 183; 196 öffentliche Meinung (siehe auch Öffentlichkeit): 15; 4617; 56–61; 66; 72; 75; 77; 90; 95 f.; 99 f.; 106–8; 110 f.; 140; 152 f.; 155;
159; 174; 180; 182; 190 f.; 193; 209; 213; 227; 231; 233; 249; 251 f.; 258–60; 282; 284; 294 f. ovatio: 16656; 225 f. palla: 123–5 paludamentum: 116; 13820; 2662; 26913; 275; 28647 Patronage, siehe Nahverhältnisse/-beziehung planctus: 8447; 91; 108; 136–51; 157 f.; 18335; 199; 221; 232; 237; 267; 28647 pompa, circensis: 148; 37; 40 – funebris: 136; 148; 24; 31; 49; 89; 126 f.; 156 f.; 159; 161–3; 164–75; 185; 18857; 268; 278; 287 f.; 298 – triumphalis: 148; 37; 40; 127; 140; 166; 169; 186; 20556; 205; 226 prensatio: 12; 17; 24; 9914; 10223; 176–8; 180–2; 184; 193; 195; 203 f.; 216; 244; 257; 260; 266; 27327; 294 Prozessionen, siehe pompa Punischer Krieg, Erster: 84 – Zweiter: 47–51; 84; 153; 208; 296; 299 Purpur: 40; 43; 97; 116; 126–8; 171; 20556; 206 Rhetorik: 15; 21 f.; 24; 42; 4724; 50 f.; 53 f.; 60; 7928; 95; 103; 105; 107; 109; 1179; 119; 145; 159; 170; 177; 180; 195; 212; 223–8; 250; 252; 279; 284; 28542; 293; 295 Ring, siehe anulus Rundgang, siehe ambitio/ambulatio Rutenbündel, siehe fasces sagum (sumere): 7414; 110; 13820; 20450; 26913 salutatio: 17; 24; 118; 177; 180; 182; 187 f.; 189–92; 253 Schmuck: 15; 40; 1167; 1178; 130; 136 f.; 158 f.; 162 f.; 166; 172 f.; 201; 226; 298 Schuhe: 116; 12237 Schweigen/stille Betrübnis, Tränen: 34; 59; 102; 137; 139; 14857; 151–6; 186; 194; 196; 256; 269; 296 Selbsterniedrigung/Unterwürfigkeit: 23; 57; 65; 82; 86; 101; 122; 127–30; 139; 149–51; 165; 176; 183, 194; 197; 201; 204–7; 239; 268; 272; 275; 285; 288; 294; 297 sich zu Boden werfen: 51; 85; 145 f.; 176; 194; 208 sich zu Füßen werfen: 712; 108; 133; 145 f.; 151; 192; 194–7; 199; 204; 210; 229; 257 supplicatio, forensisch: 1515; 2336; 24; 89; 97; 145; 1777; 194–7; 208 f.; 211; 225; 28229; – religiös: 24; 41; 89; 133; 198–202; 208 f.; 211
3. Sachregister toga/Toga: 116–20; 12237 f.; 123 f.; 126 f.; 144; 149; 183; 188; 24440; 253 – abgenutzt: 118 – candida: 13; 41; 9710; 132; 180; 182–7; 213; 269; 275 – libera: 116; 150; 21070 – muliebris: 1178 – perversa: 173 – picta: 40; 172; 186 – praetexta: 39; 79; 116 f.; 126–8; 13291; 145; 17175; 213; 22627; 251 – pulla: 119 f.; 12135; 123 f.; 12561; 12666; 133 f.; 276 – pura: 13; 39; 116 f.; 172; 213 – purpura: 171 – virilis: 116; 162 Totenrede, siehe laudatio funebris Triumphzug, siehe pompa triumphalis tumultus, siehe sagum sumere tunica/Tunika: 117 f.; 120; 122 f.; 126 f.; 14442; 151; 17282; 196; 206; 2664 – clavus angustus/latus: 116 – ohne: 12238; 183 – palmata: 40; 186 – pulla: 121 f. – ungegürtet: 55; 127
359
vestem mutare: 20; 2125; 30; 2443; 33 f.; 41; 43; 45; 47; 50; 53; 56; 63 f.; 73–6; 78–82; 85 f.; 89–91; 95–100; 105 f.; 11056; 12027; 121; 123; 129–34; 13820; 141; 148 f.; 181 f.; 185 f.; 189; 194; 197; 210; 228; 235; 23922; 230; 23922; 245; 254–7; 260; 266 f.; 269–71; 273; 275–8; 281 f.; 287 f.; 296; 300 vestem scindere (siehe auch Kleidung, zerfetzt/ zerrissen): 8447; 91; 108; 122; 141; 142–51; 18335; 28647 vestis: 117 – obsoleta: 10223; 123; 12873; 13498; 27431; 2775 – pulla: 12029 – sordida: 49; 64; 71; 77; 8447; 8551; 95 f.; 9710; 10328; 119; 123–5; 131 f.; 17175; 176; 182 f.; 185 f.; 189; 19066; 215 f.; 226; 255; 269; 272; 274; 276; 28227; 284 f. – squalida: 4723; 10951; 12561; 255 Unterwerfung, siehe deditio Verweigerung des squalor: 27; 39; 53; 132–4; 186; 24128; 25727; 271; 273–6; 288; 3008 Wahlkampf: 13; 24; 36 f.; 41; 52; 153; 166; 176 f.; 180 f.; 183 f.; 186 f.; 193; 201; 214; 216
c) Konzepte Aneignung: 13; 25; 27; 31; 34; 36–9; 8150; 14652; 155 f.; 167; 170; 176; 178; 189; 213; 290; 292 Balanceakt/feines Gespür: 13; 17; 24; 34; 58; 78; 11710; 134; 224; 230; 256; 285; 295; 299 Bricolage: 13; 26; 3721; 38; 71; 208 Eigen-Sinn: 27; 37 f.; 155; 213; 27224; 290; 296 f. face-to-face-Kommunikation/-Interaktion: 15; 23–5; 4510; 57; 65; 91; 130; 144; 149; 177; 182; 201; 204 f.; 214–6; 253; 289 Diskurs/diskursive Praxis: 27; 31–3; 35 f.; 39; 42; 47; 61; 66; 71–4; 81; 85; 87; 92; 1163; 120; 122; 124; 13393; 139; 142; 151; 182, 186; 211; 2155; 2212; 226; 234; 252 Habitus/Hexis: 15; 32; 129; 140; 200; 258; 270 Kommunikation: 15; 42 f.; 44; 50 f.; 59; 130; 14546; 147; 15580; 177; 207; 2144; 216; 247 f.; 281 f.; 286 f. – doppelbödig: 15812 – Partner: 33; 150; 152 – Prozesse: 44; 127; 214
symbolisch: 14; 20; 2231; 2231; 2338; 25; 222; 2773; 281 Kreativität: 38; 71; 73 f.; 86; 92; 178 Performanz / performativer Akt: 137; 14 f.; 17; 20; 23; 25–7; 31–6; 3721; 3927; 41; 43; 51; 711; 72; 8447; 115 f.; 141; 176; 203; 212; 217; 22630; 228; 232; 290; 300 politische Kultur: 111; 13 f.; 25–7; 42; 58; 7516; 7618; 15272; 178; 192; 216; 233; 26039; 272; 285; 293; 297 f. – flexibel/lebendig: 26 f.; 36; 155; 28957; 297 – statisch: 26 Rituale / ritualisiertes Handeln: 12; 14; 2124; 2338; 25 f.; 31 f.; 3412; 35; 37–42; 4619; 4721; 56; 72; 8550; 89; 132–4; 138 f.; 162; 176; 179; 189; 193; 198–200; 202; 206; 216; 2226; 229; 238; 241; 257; 268; 271 f.; 288–90; 295; 297; 299 role model: 86; 88; 110; 215; 275 Strategie, politisch: 15; 17; 19; 23 f.; 38; 42; 45 f.; 49–51; 54; 56; 60; 71; 92; 103; 108; 110; 125; 128–30; 13499; 14650; 149; 151; 153 f.; 156; 168; 170 f.; 1762; 184 f.; 190; –
360
– –
Index 196; 213; 215–7; 221; 223; 22629; 2342; 248; 256; 26039; 261; 268; 27224; 274–6; 291; 297; 300 narrativ: 55; 8760; 90 f.; 93; 94–111; 291 nicht-argumentativ/nonverbal: 2336; 46; 48; 53; 144; 18335; 194; 209; 224 f.; 22633; 291
–
persuasiv/rhetorisch: 57; 180 f.; 223; 227 f.; 279; 284 Subversion: 26; 38 f.; 133 f.; 248; 255; 270; 27224; 288 f.; 290; 297
d) Narrative und ikonographische Repräsentation Amiternum-Relief: 12237; 137; 14030; 1562; 16236; 163; 16547 (Auto-) Biographie: 7618; 82 f.; 92; 10746; 142; 149; 243; 274; 292 Büsten: 16547; 234; 245; 292; 297 Dubletten: 19; 27; 85–8; 91; 95; 14857; 18125; 198 exempla: 19; 34 f.; 67; 727; 75; 80–2; 86–8; 92; 97; 133; 140; 144; 169 f.; 1764; 193; 195; 24336; 2677; 281–3; 293 fama/Gerücht: 58–60; 63; 147; 152–5; 189; 210–2; 251–3 Gemmen: 245; 292; 297 Geschichtsschreibung: 112; 20; 25 f.; 51; 67; 71–3; 75; 83; 86–95; 97; 103; 110 f.; 144; 148; 150; 159; 1954; 215; 228; 232; 265; 28016; 28532; 294 – griechisch(-sprachig): 75; 88 f.; 10743; 13820; 142; 148; 211 – pragmatisch: 45 – römisch: 4512; 8656; 200; 292 – theatralisch/dramatisch: 4512 glandes pumbae: 234; 246–8 Haterier-Relief: 12237; 137; 140; 17280
Modellierung, literarisch: 2022; 47; 93; 94–111; 215; 292 f. Münzen: 4338; 119; 13717; 169; 205–7; 234–8; 241–8; 2677; 28855; 292; 297 Schleuderbleie, siehe glandes pumbae Selbstzeugnisse: 76; 78; 83; 23820; 267; 291 Tradition: 31; 39; 105; 116; 141; 14959; 178; 181; 191; 200; 213; 252; 259; 272 – familial: 92; 9914; 125; 16337; 164; 166; 281; 287 – literarisch: 26; 45; 67; 82 f.; 86–95; 126; 133; 140; 16126; 162; 292 – republikanisch: 95; 13921; 163; 165; 183–5; 193; 203; 21071; 247; 280 f. Vorbild (siehe auch exempla): 7928; 87 f.; 91; 953; 96; 19067; 215; 275; 281; 297 Vorlage: 1921; 85; 87–91; 95; 133; 215; 275 Wechselspiel/-wirkung, Praxis/Praxis: 13 f.; 16; 18; 25; 39; 43; 58; 9914; 134; 203; 214; 232 – Praxis/Text: 20; 27; 32; 36; 72; 75; 86–8; 92; 9914; 10536; 133; 2786; 292 – Text/Text: 19 f.; 87 f.; 9914; 215
e) Normen und Werte amicitia/Freundschaft: 12; 17; 56; 14856; 174; 28016 clementia/Milde: 712; 96; 99; 129; 147; 174; 195; 197; 204–6; 210 f.; 213; 234; 242; 250; 257; 261; 285 dignitas/Würde: 15; 8034; 81; 12665; 142; 215; 276 fama/Ruf(-schädigung): 15; 21 f.; 2338; 48; 56; 60; 63; 151–5; 169; 18124; 188; 211 f.; 235; 240; 251–3; 25418; 255; 257; 275 f.; 283; 294; 297 fides/Treue: 81; 130; 14653; 1776; 178; 182; 193; 203 f.; 213; 233 f.; 242; 278; 282–4; 286; 296
honos(-r)/Ehre: 15; 5768; 7825; 81; 96; 101; 157; 161; 168–70; 17279; 184; 18546; 206; 228; 231; 2343; 238; 241; 248; 250–4; 266; 274; 28331; 299 libertas/Freiheit: 77; 109 f. patria/Vaterland: 7929; 13291; 170; 201; 235; 239; 246 f. pietas/Pflicht: 2130; 77; 8034; 81; 13186; 15475; 174; 184; 188; 210; 213; 230; 234–44; 246–9; 28228; 284; 293 f. pudicitia: 15268; 252 pudor: 251–3
3. Sachregister
361
f) Orte (des squalor) comitia: 22, 42; 50; 5347; 59; 61–3; 77; 66103; 91; 153; 190; 208; 232; 259 f. – centuriata: 97 f.; 104 – tributa: 104 f. concilium plebis: 73; 105; 185; 258; 273 contio: 59; 6181; 62–4; 71; 102; 105; 12027; 145 f.; 16651; 17385; 183; 25936; 2997; 300 domus: 15; 17; 31 f.; 66; 105 f.; 156–8; 161–5; 171; 188–92; 202; 20967; 237; 251–3; 259; 265 f.; 268; 281 – Augusta: 144; 16547; 26913; 281; 286 Feldlager: 4619; 145–7; 204 f.; 261; 284 f.; 292 Forum: 15–7; 34; 40; 53; 59; 61 f.; 64, 74; 79–81; 89; 91; 102, 109; 120; 129; 157; 160; 162; 165; 170 f.; 176; 181; 187 f., 192–4; 212; 233; 2492; 253; 25937; 265 f.; 27017; 278; 282; 284; 294 Gerichte/Prozesse: 11 f.; 16; 18; 22–4; 41 f.; 44–7; 49–57; 6182; 62; 64; 74 f.; 77; 82; 978; 99; 101 f.; 122–4; 126 f.; 129–34; 153; 16863; 66; 173; 179–82; 185; 194–7; 208; 215; 224; 227–3046; 239; 245; 253;
255 f.; 25935; 267; 270–80; 282–4; 286; 288 f.; 292 f.; 296 f.; 299; 300 – Hochverratsprozess: 105 – Repetundenprozess: 52 f.; 9811; 273 – (tribunizische) Rechenschaftsprozess: 53; 101; 153 – Strafprozess: 54; 1777; 282 – Volksgericht: 77; 98; 270 – Zivilprozess: 5245; 56 Öffentlichkeit/öffentlicher Raum: 12; 14 f.; 19; 2128; 22; 27; 31 f.; 45; 50; 57–62; 66 f.; 78–80: 86; 95; 101; 111; 115 f.; 127; 132 f.; 135; 141; 14651; 153; 157; 159–62; 16444; 168; 177; 192; 194; 2155; 230; 237; 242; 245; 249–56; 26038; 266 f.; 27017; 279–81; 285; 288; 295 Senatsgebäude: 61; 66103; 79; 85; 139; 144; 148; 154; 157 f.; 160; 192; 20554; 209; 24336; 260; 266; 27118; 2774; 282 f. Straßen (Roms): 17; 2129; 34; 46; 77; 58; 61; 82; 100; 10953; 125; 139; 160; 168; 174; 186 f.; 191; 213; 241; 252–4; 259–61; 288; 299
g) Reaktionen auf den squalor ambitus: 149; 176; 18544 aquae et igni interdictio (siehe auch Exil): 55 f.; 72; 7827; 27016 f. Aufruhr: 12; 18; 6598; 90; 102 f.; 104; 10744; 108; 133; 157–64; 272; 296; 298 f. Aussitzen: 104; 252; 257; 271 clementia, siehe unter Normen und Werte Exil: 19; 2127; 43; 50; 53–6; 64; 71 f.; 75–81; 90; 96; 99; 108 f.; 121; 134; 13921; 14026; 13921; 14754; 148; 153 f.; 167 f.; 183; 188; 197; 211 f.; 215; 228; 231; 235; 23924; 240 f.; 254 f.; 259; 268–70; 274; 285 f.; 291; 294 Gegen-squalor: 56; 277 Gewalt: 16; 21; 49; 95; 107 f.; 137 f.; 146; 14857; 15165; 15579; 157; 159 f.; 164; 197; 211; 213; 228 f.; 23819; 240; 253 f.; 258–6038; 265 f.; 26914; 285 f.; 2985 Hass: 159; 1764; 225; 2677; 28645 Ignoranz: 79; 98 f.; 212; 222 f.; 2341; 241; 257; 278; 291; 295; 300 iniuria/Injurien-Klage: 22; 448; 8447; 109; 125; 150; 152 f.; 15578; 160; 168; 173 f.; 188; 252–6; 259 f.; 285
lapidatio: 14650; 229; 259 Mitgefühl/Mitleid: 12; 14; 18; 49; 54; 85; 90; 95 f.; 102; 107; 11820; 131; 138; 143, 156 f.; 170; 172; 185; 190; 201; 210; 217; 222–8; 237; 253; 268; 27017; 27223; 274; 276; 282; 290; 295 pudor, siehe unter Normen und Werte Rüge/-bräuche: 208; 252–4; 28436 – zensorisch: 96; 15474; 251; 255; 269 f.; 272; 27433 Scham, siehe pudor Schläge: 15064; 157; 160; 18750; 191; 224; 228; 25937; 260 Spott/-gesänge: 40; 77; 119; 128; 132; 246–8; 252 f.; 259; 261; 265 f. Verbannung, siehe Exil Verschleiß: 246; 276; 288 f.; 297–9 Werfen mit Straßendreck/Schmutz: 79; 81; 195; 233; 259; 265 f. Zerfleischen/in Stücke reißen: 158; 164; 229; 249; 258; 266; 278 Zorn/Wut: 18; 138; 158; 160; 217; 222–4; 228; 231; 238; 249; 253; 258; 290
p o t s da m e r a lt e rt u m s w i s s e n s c h a f t l i c h e b e i t r äg e
Herausgegeben von Pedro Barceló, Peter Riemer, Jörg Rüpke und John Scheid.
Franz Steiner Verlag
ISSN 1437–6032
29. Pedro Barceló (Hg.) Religiöser Fundamentalismus in der römischen Kaiserzeit 2010. 250 S. mit 26 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09444-3 30. Christa Frateantonio / Helmut Krasser (Hg.) Religion und Bildung Medien und Funktionen religiösen Wissens in der Kaiserzeit 2010. 239 S. mit 8 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09690-4 31. Philippe Bornet Rites et pratiques de l’hospitalité Mondes juifs et indiens anciens 2010. 301 S., kt. ISBN 978-3-515-09689-8 32. Giorgio Ferri Tutela urbis Il significato e la concezione della divinità tutelare cittadina nella religione romana 2010. 266 S., kt. ISBN 978-3-515-09785-7 33. James H. Richardson / Federico Santangelo (Hg.) Priests and State in the Roman World 2011. 643 S. mit 24 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09817-5 34. Peter Eich Gottesbild und Wahrnehmung Studien zu Ambivalenzen früher griechischer Götterdarstellungen (ca. 800 v.Chr. – ca. 400 v.Chr.) 2011. 532 S., kt. ISBN 978-3-515-09855-7 35. Mihály Loránd Dészpa Peripherie-Denken Transformation und Adaption des Gottes Silvanus in den Donauprovinzen (1.–4. Jahrhundert n. Chr.) 2012. X, 312 S. und 13 Taf. mit 35 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09945-5 36. Attilio Mastrocinque / Concetta Giuffrè Scibona (Hg.) Demeter, Isis, Vesta, and Cybele
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Studies in Greek and Roman Religion in Honour of Giulia Sfameni Gasparro 2012. 248 S. mit 48 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10075-5 Elisabeth Begemann Schicksal als Argument Ciceros Rede vom „fatum“ in der späten Republik 2012. 397 S., kt. ISBN 978-3-515-10109-7 Christiane Nasse Erdichtete Rituale Die Eingeweideschau in der lateinischen Epik und Tragödie 2012. 408 S., kt. ISBN 978-3-515-10133-2 Michaela Stark Göttliche Kinder Ikonographische Untersuchung zu den Darstellungskonzeptionen von Gott und Kind bzw. Gott und Mensch in der griechischen Kunst 2012. 360 S. und 32 Taf. mit 55 Abb. ISBN 978-3-515-10139-4 Charalampos Tsochos Die Religion in der römischen Provinz Makedonien 2012. 278 S. und 44 Taf. mit 58 Abb., 5 Ktn. und 3 Plänen, kt. ISBN 978-3-515-09448-1 Ioanna Patera Offrir en Grèce ancienne Gestes et contextes 2012. 292 S. mit 22 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10188-2 Vera Sauer Religiöses in der politischen Argumentation der späten römischen Republik Ciceros Erste Catilinarische Rede – eine Fallstudie 2012. 299 S., kt. ISBN 978-3-515-10302-2 Darja Šterbenc-Erker Die religiösen Rollen römischer Frauen in „griechischen“ Ritualen
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2013. 310 S., kt. ISBN 978-3-515-10450-0 Peter Eich / Eike Faber (Hg.) Religiöser Alltag in der Spätantike 2013. 293 S. mit 24 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10442-5 Nicola Cusumano / Valentino Gasparini / Attilio Mastrocinque / Jörg Rüpke (Hg.) Memory and Religious Experience in the Greco-Roman World 2013. 223 S. mit 24 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10425-8 Veit Rosenberger (Hg.) Divination in the Ancient World Religious Options and the Individual 2013. 177 S. mit 11 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10629-0 Francesco Massa Tra la vigna e la croce Dioniso nei discorsi letterari e figurativi cristiani (II–IV secolo) 2014. 325 S. mit 23 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10631-3 Marco Ladewig Rom – Die antike Seerepublik Untersuchungen zur Thalassokratie der res publica populi romani von den Anfängen bis zur Begründung des Principat 2014. 373 S. mit 17 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10730-3 Attilio Mastrocinque Bona Dea and the Cults of Roman Women 2014. 209 S. mit 16 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10752-5 Julietta Steinhauer-Hogg Religious Associations in the Post-Classical Polis 2014. 189 S. mit 18 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10646-7 Eike Faber Von Ulfila bis Rekkared Die Goten und ihr Christentum 2014. 300 S. mit 5 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10926-0 Juan Manuel Cortés Copete / Elena Mun ˜ iz Grijalvo / Fernando Lozano Gómez (Hg.) Ruling the Greek World Approaches to the Roman Empire in the East 2015. 192 S., kt. ISBN 978-3-515-11135-5
53. Mirella Romero Recio (Hg.) La caída del Imperio Romano Cuestiones historiográficas 2016. 220 S. mit 9 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10963-5 54. Clifford Ando (Hg.) Citizenship and Empire in Europe 200–1900 The Antonine Constitution after 1800 years 2016. 261 S., kt. ISBN 978-3-515-11187-4 55. Valentino Gasparini (Hg.) Vestigia Miscellanea di studi storico-religiosi in onore di Filippo Coarelli nel suo 80° anniversario 2016. 786 S. mit 136 Abb., geb. ISBN 978-3-515-10747-1 56. James J. Clauss / Martine Cuypers / Ahuvia Kahane (Hg.) The Gods of Greek Hexameter Poetry From the Archaic Age to Late Antiquity and Beyond 2016. XIV, 458 S., kt. ISBN 978-3-515-11523-0 57. Katharina Waldner / Richard Gordon / Wolfgang Spickermann (Hg.) Burial Rituals, Ideas of Afterlife, and the Individual in the Hellenistic World and the Roman Empire 2016. 264 S. mit 25 Abb., kt. ISBN 978-3-515-11546-9 58. Jessica Schrader Gespräche mit Göttern Die poetologische Funktion kommunikativer Kultbilder bei Horaz, Tibull und Properz 2017. 314 S., kt. ISBN 978-3-515-11700-5 59. Timo Klär Die Vasconen und das Römische Reich Der Romanisierungsprozess im Norden der Iberischen Halbinsel 2017. 290 S. mit 7 Abb., kt. ISBN 978-3-515-11739-5 60. Hans-Ulrich Wiemer Kulträume Studien zum Verhältnis von Kult und Raum in alten Kulturen 2017. 307 S. mit 68 Abb., kt. ISBN 978-3-515-11769-2
Hans-Ulrich Wiemer (Hg.)
Kulträume Studien zum Verhältnis von Kult und Raum in alten Kulturen
Potsdamer altertumswissenschaftliche beiträge – band 60 der herausgeber Hans-Ulrich Wiemer ist seit 2010 Inhaber des Lehrstuhls für Alte Geschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Zahlreiche Publikationen zur Geschichte der hellenistischen Welt (u.a. über Feste und käufliche Priestertümer), der Spätantike (u.a. zu Libanius und Julian) und der Völkerwanderung (u.a. zu Theoderich und seinen Goten).
Welches Verhältnis herrscht zwischen Kult und Raum in alten Kulturen? Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes suchen Antworten auf diese Frage. Dabei spannen sie einen weiten Bogen, der von der europäischen Steinzeit über Hethiter, Kelten, Griechen und Römer bis in die christliche Spätantike reicht. Stets aber geht es um die Frage, wie sich das Verhältnis von kultischen Praktiken und Diskursen zum Raum konkret gestaltet. Die dafür verwendeten Materialien sind höchst unterschiedlich: Sie umfassen materielle Überreste und Bilder ebenso wie Texte verschiedenster Art und in einer Vielzahl von Sprachen. Breit ist daher auch das Spektrum der beteiligten Disziplinen: von der Ur- und Frühgeschichte über die Klassische Archäologie, die Indogermanistik sowie die Alte Geschichte bis hin zu den Wissenschaften vom Alten und vom Neuen Testament, der älteren Kirchengeschichte sowie der Religionswissenschaft. mit beiträgen von Andreas Pastoors, Doris Mischka, Norbert Oettinger, Bernhard Maier, Henrik Pfeiffer, Andreas Grüner, Hans-Ulrich Wiemer, Lukas Bormann, Hanns Christof Brennecke, Annette von Stockhausen, Jan N. Bremmer
2017 307 Seiten mit 40 Fotos, 26 Abbildungen und 2 Karten 978-3-515-11769-2 kart. 978-3-515-11770-8 e-book
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Warum trauerten römische Senatoren ständig? Vielfach berichten antike Quellen davon, dass die Römer Trauergewänder anlegten, sich einen Bart wachsen ließen, bisweilen hemmungslos weinten und sich in Verzweiflung sogar die Kleider vom Leib rissen – typische Bestandteile römischer Trauerkultur, ohne dass ein Todesfall vorlag. Christopher Degelmann geht in seiner Studie diesem Phänomen nach, indem er einerseits aufzeigt, wie fest Zeichen und Gesten des Trauerns in der römischen Politik zwischen 200 v. und 69 n. Chr. verankert waren, auch wenn sie in ihrer
Wahrnehmung und Bewertung immer ambivalent blieben. Andererseits untersucht Degelmann den gezielten Einsatz solcher Szenen durch antike Literaten und stellt die verschiedenen Ausdrucksformen von Trauer zusammen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Angehörige der Oberschicht einige Symbole des Trauerns mit einem breiten Spektrum anderer Elemente aus der römischen Lebenswelt kombinierten, um ihren Standpunkt in der politischen Auseinandersetzung zu festigen oder Gegner zu sabotieren. So entsteht ein neues Bild der politischen Kultur im alten Rom.
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ISBN 978-3-515-11784-5
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