Sicherheit durch Integration?: Die wirtschaftliche und politische Integration Westeuropas 1947 bis 1957/58 9783486711790, 9783486567595

Der Autor betont den untrennbaren Zusammenhang von politischer, wirtschaftlicher und militärischer Sicherheit in der ers

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German Pages 577 [580] Year 2003

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Sicherheit durch Integration?: Die wirtschaftliche und politische Integration Westeuropas 1947 bis 1957/58
 9783486711790, 9783486567595

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Krüger · Sicherheit durch Integration?

Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses bis 1956 Herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Band 6

R. Oldenbourg Verlag München 2003

Sicherheit durch Integration?

Die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit Westeuropas 1947 bis 1957/58

Von Dieter Krüger

R. Oldenbourg Verlag München 2003

Falls nicht alle Rechteinhaber ermittelt wurden, bitten wir gegebenenfalls um Mitteilung.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© 2003 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Str. 145, D-81671 München Internet: http://www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigen Papier (chlorfrei gebleicht). Satz: Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam Druck und Bindung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe Druckerei GmbH, München

ISBN 3-486-56759-4

Inhalt Vorwort

VII

I.

Einleitung

II.

Die amerikanische Initiative: Sicherheit durch Wirtschaftsdiplomatie?

19

1. 2. 3. 4.

19 23 37

5. 6. 7. 8.

Das Erbe des Bilateralismus Defizite des Multilateralismus Marshallplan und Integration Sicherheit durch europäische Zusammenarbeit? Brüsseler Pakt, Europarat und italienisch-französische Zollunion Das Scheitern der Wirtschaftsintegration: OEEC und Finebel Konvertibilität und Sicherheit: die Europäische Zahlungsunion Militarisierung statt Integration Der Marshallplan, ein »halber« Erfolg?

III. Die französische Initiative: Sicherheit durch Supranationalismus? 1. Der Schumanplan 2. Krise und Erfolg im Zeichen des Koreakrieges 3. Sicherheit durch vertikale Integration? Montanunion, Agrarintegration und EVG 4. Konvertibilität als Sicherheitsrisiko 5. Eindämmung oder Weiterentwicklung der Sechsergemeinschaft? Edenplan und Europäische Politische Gemeinschaft 6. Die Angst vor dem Bundesstaat 7. Agonie der politischen Integration im Zeichen militärpolitischer Neuorientierung 8. Allianz statt Integration: WEU und Rüstungspool IV. Die Initiative des Benelux: Sicherheit durch Wirtschaftsintegration 1. 2. 3. 4.

Defizite der NATO-Lösung Zusammenhalt durch Wirtschaftsintegration? Gemeinsamer Markt oder Freihandelszone? Die Bündniskrise als Durchbruch zur Wirtschaftsgemeinschaft

1

63 97 124 131 158 173 173 200 222 250 268 297 333 347 367 367 386 417 434

VI

V.

Inhalt

5. Eine Verbindung des wirtschaftlich Möglichen mit dem sicherheitspolitisch Nützlichen? Die Römischen Verträge 6. Gemeinsamer Markt in der Freihandelszone? 7. Die EWG als französische Einflußsphäre? Das Scheitern der Freihandelszone

479

Bilanz und Ausblick: Sicherheit ohne Integration

509

Verzeichnis der Abkürzungen Archivische Quellen Gedruckte Quellen Literatur Personenregister Zum Autor

459 468

527 529 530 533 563 569

Vorwort Das Ende des Kalten Krieges 1989 läutete einen Umbruch der internationalen Ordnung ein. Das Nordadantische Bündnis und die Europäische Union waren Teil des über ein halbes Jahrhundert gültigen bipolaren Weltsystems. Beide unterliegen seither dem raschen und in seinen Perspektiven ungewissen globalen Wandel. Die bereits vollzogene Ausdehnung der NATO und die anstehende Erweiterung der Europäischen Union sollen neue Stabilität schaffen. Mit dem Irakkrieg im Frühjahr 2003 brachen jedoch Spannungen auf, die sich sowohl in den transadantischen Beziehungen der Europäer zu den Vereinigten Staaten wie im Verhältnis der Europäer untereinander eingestellt haben. Allerdings: Konfliktfrei war das europäischamerikanische Verhältnis nie, beruhte es doch stets auf einer wechselnden Mischung aus Dominanz und Partnerschaft. Der enge Funktionszusammenhang zwischen transatlantischer NATO und europäischer Staatengemeinschaft wurde in den vergangenen Jahrzehnten nicht immer in gebotener Schärfe wahrgenommen. Tatsächlich war er für das nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene internationale System von Anfang an konstitutiv. Mithin mag vor dem Hintergrund der sicherheits- und europapolitischen Herausforderungen unserer Tage ein Blick zurück lohnen — ein Blick auf die Herausbildung des europäischen Netzwerks als Teil der transadantischen Sicherheitsgemeinschaft in den Jahren 1947 bis 1957. Dabei erschließen sich über die Erkenntnis der wechselseitigen Beeinflussung von Nordatlantischem Bündnis und Europäischer Gemeinschaft hinaus überraschende Parallelen. Überraschend deswegen, weil sich die internationalen Parameter ja seit 1989 so grundsätzlich verschoben haben. In den Jahren 1947 bis 1957 stand wie heute die Frage nach der Rolle der europäischen Nationalstaaten im Mittelpunkt. Können diese ihre Souveränität bewahren? Genügt eine Zusammenarbeit der Regierungen? Oder vermag sich Europa nur dann als eigenständiger Faktor der Weltpolitik zu behaupten, wenn die Staaten sich in eine Föderation integrieren? Fördert diese Föderation die wirtschaftliche, soziale und damit auch politische Stabilität der europäischen Gesellschaften? Optimiert die Föderation die Chancen der europäischen Volkswirtschaften auf dem Weltmarkt? Oder liefert die Föderation die europäischen Völker den Peripetien des Weltmarktes aus? Können die europäischen Staaten im Bündnis der Gefahren Herr werden, die in ihrem Vorfeld entstehen? Oder kann dies allein eine Föderation, zumal für den Fall, daß die Vereinigten Staaten ihre militärische Unterstützung verweigern? Das Militärgeschichtliche Forschungsamt legt mithin den Band 6 seiner Reihe »Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses bis 1956« genau zum rechten Zeitpunkt vor. Die einzelnen Bände der Reihe verstehen sich als Beiträge

VIII

Vorwort

zu einer staatenübergreifenden, multiperspektivischen Integrationsforschung. Im Sinne dieses Konzeptes beschreibt der Autor die europäische Zusammenarbeit und die Herausbildung ihrer Institutionen in ihrer Mehrdimensionalität aus multinationaler Perspektive. Unter der Leitfrage »Sicherheit durch Integration?« bietet dieses Buch eine Synthese der Europapolitik als Movens, Resultante und konstitutives Element der westlichen Sicherheitsgemeinschaft in der Frühphase. Dabei wird augenfällig, daß die Verfassung Europas, deren Reform jetzt auf der Tagesordnung steht, in ihren Grundzügen in dem behandelten Zeitraum und aus dessen sicherheitspolitischen Konstellationen heraus entstanden ist. Möge dieses Buch der gegenwärtigen Debatte Anstöße aus historischer Perspektive geben. Christa Gudzent hat den Band lektoriert, Carola Klinke kümmerte sich um die Textgestaltung und Wilfried Rädisch übernahm die Koordination. Ihnen und den anderen beteiligten Mitarbeitern der Schriftleitung gilt mein Dank, vor allem aber dem Autor, Dieter Krüger, für diese gründliche und wegweisende Studie. Dr. Jörg Duppler Kapitän zur See und Amtschef

I. Einleitung Die westliche Gemeinschaft ist weit über Militär- und Sicherheitspolitik hinaus angelegt und in verschiedenen internationalen Einrichtungen organisiert. Deren wichtigste ist die NATO, die sich entgegen der Absicht mancher ihrer Gründer rasch zur vorwiegend militärischen Veranstaltung entwickelte. Von früheren Militärallianzen unterscheidet sie sich durch Dauer und geographische Ausdehnung. In der Regel gehen Allianzen entweder an ihrer Schwäche und der Macht ihrer Gegner oder mit dem Ende der gemeinsamen Bedrohung zugrunde. Die NATO widersteht bis heute allen aus ihren inneren Widersprüchen resultierenden Anfechtungen. Als Ursachen werden ihre institutionelle Stetigkeit und der umfassende Charakter sicherheitspolitischer Zusammenarbeit genannt1. Daß in ihr souveräne Regierungen zusammenarbeiten, kennzeichnet die klassische Eigenschaft der NATO als Allianz. Historisch knüpft sie an der alliierten Kriegführung im Ersten und Zweiten Weltkrieg an2. Die Wahrung der Souveränität ist ein wesentliches, wenn nicht sogar das vorrangige Anliegen aller Mitglieder mit Ausnahme der Vereinigten Staaten. Für die Vormacht des Bündnisses ist dieses weniger Unterpfand politischer Unabhängigkeit als vielmehr Instrument ihrer Außen- und Sicherheitspolitik. Ihr Verhältnis zum Kollektiv der übrigen Mitglieder wie deren Verhältnis untereinander wird durch das von der jeweiligen Regierung definierte nationale Interesse bestimmt. Das Projekt »Entstehung und Probleme des Adantischen Bündnisses bis 1956« macht die Voraussetzungen, Ziele und Ergebnisse des zwischenstaatlichen sicherheitspolitischen Handelns in der Entstehungsphase des Bündnisses zum Gegenstand seiner Betrachtung aus »international-atlantischer Perspektive«. Die bislang vorherrschende nationale, bilaterale oder trilaterale (das atlantische Dreieck: Vereinigte Staaten, Großbritannien, Kanada) Sicht soll mit dem Ziel eines Beitrages zur »staatenübergreifenden Integrationsforschung« durch eine multiperspektivische Betrachtung ergänzt werden. Multiperspektivisch ausgelegt ist das arbeitsteilige Projekt, indem es auch den »parallel zur Sicherheitsintegration verlaufenden Prozeß der Koordinierung der westlichen Wirtschaftspolitik« darstellt3. Das Sicherheitsbedürfnis der Kollektivpersönlichkeit, die im 17. Jahrhundert begonnen hatte, sich als souveräner Nationalstaat zu etablieren, unterscheidet sich nicht wesentlich von dem der Einzelpersönlichkeit. Die körperliche bzw.

1 2 3

Vgl. Bozo, Defense, S. 65 - 70. Vgl. Soutou, Guerre, S. 208. Vgl. Wiggershaus, Konzeption, S. X I - X V I I I (Zitate S. X I I , XV).

2

I. Einleitung

De-Rfjk· Oom lift Anrwrlka: Οο·η jullle Mns w«t 0«u>IUg«r, ander« kom Ik η let mwr.

Der reiche Onkel aus Amerika: Seid ein wenig geselliger, sonst komme ich nicht mehr. Haagsche Post, 21. Januar 1950 institutionelle Unversehrtheit soll erhalten und die Unterwerfung unter einen fremden Willen vermieden werden. Die vitalen Interessen, von denen Existenz und Wohlfahrt abhängen, sind gegen andere zu wahren und geltend zu machen. Das Interesse des Staates zielt darauf, seine Handlungsfähigkeit zu erhalten, sie nach innen und außen auszubauen. Neben Militär und Diplomatie sind Außenhandel und Währungspolitik wesentliche Faktoren seiner Sicherheit nach außen. Denn die Zufuhr notwendiger Wirtschaftsgüter und der Export eigener Produkte und Dienstleistungen, um solche Einfuhren wiederum bezahlen zu können, sind Lebenselixiere moderner Industriestaaten. Wirtschaftliche Prosperität und ein ausreichendes Militärpotential sind Instrumente wie Ziele der Außenpolitik. Beide stehen in einem eigentümlichen Spannungsverhältnis. Denn zumindest langfristig ist wirtschaftliche die Voraussetzung militärischer Stärke. Schließlich sind Militärausgaben zunächst schlichter Staatskonsum. Im günstigsten Fall enden Rüstungsausgaben auf dem Schrottplatz, im schlimmsten werden sie »verpulvert«. Zunächst belasten Rüstungsausgaben Investitionen und Verbrauch. Andererseits setzen sie konjunkturelle und innovatorische Impulse frei, deren multiplikatorische Effekte am Ende ihren kontraktiven Charakter übertreffen können 4 . Darauf spielt der Begriff des »militärischen Keynesianismus« 5 an, mit dem die konjunkturellen Folgen der natioVgl. dazu bezogen auf den Untersuchungszeitraum Milward, Different Securities, S. 19-24. Abelshauser, Kriegswirtschaft, S. 537.

I. Einleitung

3

nalsozialistischen Aufriistungspolitik auf den Punkt gebracht werden. Freilich ruinierte das Deutsche Reich bereits vor der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges hemmungslos seine Währung in der Hoffnung, die unterworfenen Nachbarn würden ihm ein Vielfaches seiner Rüstungsinvestitionen bezahlen. Dieses Kalkül war indes schon nach dem Ersten Weltkrieg nicht aufgegangen, nicht einmal für die Sieger. In den Vereinigten Staaten dagegen lastete der Zweite Weltkrieg die brachliegenden industriellen Kapazitäten aus, stimulierte die Konjunktur und läutete eine anhaltende Wachstumsphase ein. Ab 1952 korrigierten die Westeuropäer die aufgrund des Koreakrieges hochgefahrenen Rüstungsprogramme nach unten. Gleichwohl blieb es bei Rüstungsausgaben, die erheblich über denen bisheriger Friedenszeiten lagen und dennoch das Wirtschaftswachstum nicht verhinderten 6 . Nichtsdestoweniger untergraben Rüstungsausgaben, wenn sie mit erheblichem Konsumverzicht ohne parallele Ersparnisbildung einhergehen, die soziale Kohärenz eines Staates. In besonderem Maße gilt dies für moderne Industriegesellschaften, die sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zunehmend auf Massenloyalität angewiesen sehen. Soziale Kohärenz ist in ihrer Abhängigkeit von wirtschaftlicher Wohlfahrt neben militärischer und wirtschaftlicher Stärke ein weiteres Element außenpolitischer Handlungsfähigkeit und darüber hinaus eine Existenzbedingung der Staaten überhaupt. Die Konkurrenz und Zusammenarbeit mit anderen Staaten — das Konzert der Mächte bei der Durchsetzung ihrer Interessen — vollzieht sich in einem Spannungsfeld zwischen zwei Polen. Der eine ist die Fremdbestimmung bis hin zum Untergang als Völkerrechts Subjekt, der andere die meist nur zeitlich und regional durchzusetzende Vorherrschaft 7 . Dabei kann regionale Dominanz wie im Falle Preußens und Savoyens im 19. Jahrhundert die wirtschaftliche und politische Integration ebenso fördern wie die alte Erfahrung, daß ähnliche Interessen häufig gemeinsam kostengünstiger durchzusetzen sind. Freilich wurde die wirtschaftliche Integration im deutschen Zollverein politisch erst durch »Blut und Eisen« vollzogen. Zusammenarbeit und Integration scheinen in der Logik der Verknüpfung der Volkswirtschaften zu einem Weltmarkt zu liegen. Die quantitative und qualitative Ausdehnung der Verkehrs- und Informationsbeziehungen im Weltmaßstab, wie sie mit den Anfängen des Atlantikhandels im 16. Jahrhundert einsetzte, schuf die Grundlage für den Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte auf einem tendenziell globalen Markt 8 . Der Welthandel bot immer Wohlfahrtschancen, die weit über den Vorteilen der Eroberung fremder Provinzen oder des Erwerbs von Kolonien liegen konnten. Nach modernem Verständnis beruht Handel auf der 1817 von David Ricardo formulierten Annahme, daß die komparativen Kosten für alle Volkswirtschaften sinken, wenn sie untereinander diejenigen Güter austauschen, die sie am günstigsten produzieren. Freilich gilt diese Annahme eben nur bei Freihandel und

"» MAEF, DE-CE, Bd 342, Bl. 46: Runderlaß, 1.2.1950; Stikker, Bausteine, S. 169 f. 4,11 Vgl. FRUS, 1949, IV, S. 425-468; Bossuat, Europe, S. 254 f.; Bührer, Westdeutschland, S. 147-157; Hogan, Marshall Plan, S. 217-222, 283-287, 329-331; Milward, Reconstruction, S. 191 -195; Spaak, Memoiren, S. 260-262. Für Lacroix-Riz - Frankreich, S. 167 - machten die Amerikaner aus der OEEC ihr »willenloses Werkzeug«. 41,2 Vgl. Milward, European Rescue, S. 323 f.; Pistone, Sforza, S. 627-630. 4( " Vgl. FRUS, 1949, IV, S. 349 f , 1950; III, S. 613 f.: Dunn an Acheson, 2.11.1949, Vermerk Kennan, 19.1.1950.

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II. Die amerikanische Initiative

Senators Joseph R. McCarthy wuchs der Druck, dem Kongreß ein überzeugendes Konzept vorzustellen, das auch die neuen sicherheitspolitischen Momente berücksichtigte. Offenkundig bewirkte Produktionssteigerung in Verbindung mit angebotsorientierter Stabilitätspolitik für sich noch kein außenwirtschaftliches Gleichgewicht, das doch die Sicherheit Westeuropas fördern sollte. In dieser Situation erinnerte sich die ECA seit Anfang 1949 zusehends an den bislang vernachlässigten Aspekt der Uberwindung des Handels- und Währungsbilateralismus in Europa 404 . Denn auf globalem Parkett war hier bislang wenig passiert. Parallel zum IWF wollten die Vereinigten Staaten eine multilaterale »International Trade Organization« auf der Grundlage der absoluten Meistbegünstigung errichten. Quantitative Handelsbeschränkungen sollten nur noch bei Zahlungsbilanzproblemen erlaubt sein. In mehreren Verhandlungsrunden in London (1946), Genf (1947) und Havanna (1948) waren die Amerikaner auf den entschlossenen Widerstand von Briten und Franzosen gestoßen. Erstmals wurde das strukturelle Anliegen der französischen Außenhandelspolitik während der gesamten ersten Integrationsdekade offenkundig. Der Monnetplan beruhte auf dem Grundgedanken, daß Handelsbeschränkungen die wirtschaftliche Modernisierung zu flankieren hatten. Deren Dauer hing nicht zuletzt von der Bereitschaft Washingtons ab, die erforderlichen Modernisierungsinvestitionen zu finanzieren. Lange Übergangsfristen, die Aussetzung der Meistbegünstigung bei Zahlungsbilanzproblemen und natürlich die Aufrechterhaltung der bestehenden Kolonialpräferenzen gehörten folglich zum französischen Repertoire. Die britischen Ziele waren ähnlich. Zusätzlich bemühten sich Briten, Australier und Neuseeländer, die Vollbeschäftigung als Ziel der Handelspolitik zu verankern. Ausschlaggebend war, daß die handelspolitische Diskriminierung der Sterlingzone gegen den Dollar nicht der Marshallhilfe geopfert werden mußte 405 . Im Ergebnis strebte die am 24. März 1948 unterzeichnete Charta von Havanna einen gemäßigten Protektionismus mit dem Ziel der Beschäftigungssicherung an. Der Unterschied zur Vorkriegszeit lag in der multilateralen Abstimmung. Angesichts der bescheidenen Erfolgsbilanz des IWF und der Priorität des Marshallplanes 406 verzichtete die Truman-Administration darauf, das verwässerte Projekt im Kongreß durchzusetzen. Die Zollsenkungspläne stießen zwar auf den Widerstand konservativer Republikaner um Senator Taft und ähnlich gesinnter Demokraten. Ausschlaggebend war jedoch die Sorge der Mehrheit der amerikanischen Volksvertreter, die Vereinigten Staaten könnten von einer supranationalen Organisation majorisiert werden und ihre Kontrolle über die Handelspolitik einbüßen 407 . « κ Vgl. Hardach, Marshall-Plan, S. 163-165; Marjolin, Travail, S. 212-218; Melandri, Etats-Unis, S. 247-252; ders., Role, S. 40; Stikker, Bausteine, S. 174-176. 405 Vgl. PRO, CAB 129/35, CP (49)114: President of Board of Trade, 10.5.1949; FRUS, 1949, I, S. 654-656: Holmes an Acheson, 27.1.1949. « Vgl. FRUS, 1949,1, S. 696-698: Runderlaß, 24.6.1949. 407 Vgl. Alphand, Etonnement, S. 200; Asbeek Brusse, Tariffs, S. 4 1 - 4 3 ; Bossuat, France, S. 204-209, 223-226; Gardener, Diplomacy, S. 269-286, 348-380; Irwin, GATT, S. 130 f.; Medick-Krakau, Außenhandelspolitik, S. 103-110; Zeiler, Protectionism, S. 342-346.

II. Die amerikanische Initiative

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Das seit 1947 zeitgleich von 23 Nationen verhandelte »General Agreement on Tariffs and Trade« versprach raschere Erfolge. Das im Gegensatz zur ITO schwache Sekretariat stellte die Kontrolle des Kongresses über die amerikanische Handelspolitik nicht in Frage. Wiederum ambitioniert war das Ziel der amerikanischen Delegation; wollte sie doch »reverse the international economic policy that the US has pursued for the past century and a half«. Im Gegensatz zur Zwischenkriegszeit hatten die Vereinigten Staaten nicht nur auf Kriegsschulden verzichtet und enorme Dollarhilfen bereitgestellt. Sie hatten entgegen allen vorherigen Vereinbarungen auch der eigenen handelspolitischen Diskriminierung zugestimmt, um wenigstens für die Zukunft den grundsätzlichen Wandel der Welthandelspolitik durchzusetzen. Was lag näher, als dabei auch die Marshallhilfe in die Waagschale zu werfen. Denn die eigene Öffentlichkeit erwartete, daß mit dem Smooth-Hawley-Tarif wenigstens im Grundsatz auch die Empirepräferenzen fielen 408 . Der britische Premier Attlee und Handelsminister Harold Wilson drehten den Spieß um; sie verknüpften Zugeständnisse bei den Präferenzen mit der Gewährung der Wirtschaftshilfe 409 . Auch in diesem Fall war der stellvertretende amerikanische Außenminister Lovett nicht bereit, das ERP als Druckmittel einzusetzen. Er fürchtete, die Briten könnten dann zur Freude der Sowjetunion den von der Labour-Linken geforderten weltweiten militärischen Rückzug antreten410. Folglich setzten Briten und Franzosen eine Reihe von weich definierten Ausnahmeregelungen, Ubergangsfristen und die Anerkennung bestehender Präferenzsysteme durch. Immerhin wurden mindestens 60 % des Welthandels im Rahmen von Präferenzsystemen abgewickelt. Die Beneluxstaaten hatten erreicht, daß die in einer Zollunion zusammengeschlossenen Volkswirtschaften wie ein einziges Land behandelt wurden. Auf französische Initiative — bei der Paris sich der Unterstützung des künftigen italienischen Zollunionspartners versichert hatte - wurden auch Übergangssysteme zu Zollunionen und Freihandelszonen genehmigt. Sie liefen ebenfalls auf Präferenzen hinaus. Durch Zweidrittel-Entscheidungen konnten Ausnahmeregelungen gebilligt werden. Die eigentlichen Zollsenkungsrunden im GATT beruhten auf Gegenseitigkeit. Die wichtigsten Anbieter und Bezieher bestimmter Gütergruppen verhandelten Tarifsenkungen, die dann auf dem Wege der Meistbegünstigung auf Dritte ausgedehnt wurden. Die Krux kleiner Länder mit kleinen Märkten lag in der geringen Verhandlungsmacht. Denn selbst die Vereinigten Staaten waren nicht bereit, die Festschreibung eines niedrigen Zolls als Gegenleistung für die Senkung eines Tarifs zu werten. Die Freizügigkeit der Arbeitskräfte kam als Gegenleistung 411 erst recht nicht in Frage. Schließlich nahmen die Amerikaner in den Runden von 1947 und 1949 tiefe Schnitte in ihre Tarife ohne die angestrebten handelspolitischen Gegenleistungen der Europäer hin. Diesen gelang es vielmehr, die in der Charta von Ha4I»8

411

Vgl. FRUS, 1947,1, S. 976 f., 987: Memo Wilcox, 6.8.1947, Statement, 15.9.1947 (Zitat). Vgl. PRO, CAB 129/20, CP (47)230, CAB 129/21, CP (47)278: Memo Prime Minister, 9.8.1947, Memo President Board of Trade, 6.10.1947. Vgl. FRUS, 1947,1, S. 981: Weisung Lovett, 26.8.1947. Vgl. auch ebd., S. 911 - 1025. So die Forderung des ital. stellvertretenden Ministerpräsidenten Saragat. Vgl. ACS, PCM/VCM, 3.5.1949.

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II. Die amerikanische Initiative

vanna vorgesehene Unzulässigkeit mengenmäßiger Beschränkungen erheblich aufzuweichen. Das erleichterte Zugeständnisse bei den Zolltarifen, solange die Einfuhren fast ausschließlich durch Quoten geregelt wurden 412 . Gegenüber ihren handelspolitischen Kritikern im Kongreß machte die Administration wiederum den Kalten Krieg zum »selling point«413. Nicht nur ECA und State Department, sondern auch Finanzminister Snyder, das Landwirtschaftsministerium und andere fanden sich 1949 mit einer »non-dollar trading area« in Westeuropa ab. Allerdings sollte die langfristige Diskriminierung gegen den Dollar nicht dazu fuhren, daß die Briten sich hier eine weitere Präferenzzone zulegten. Vielmehr sahen die Amerikaner im Abbau der Handelshemmnisse innerhalb Europas die Voraussetzung künftiger Wettbewerbsfähigkeit mit der Dollarzone 414 . In der Konsequenz münzte Hoffman im August 1949 die Integrationserwartungen des Kongresses in Forderungen zur Uberwindung des Bilateralismus innerhalb der OEEC um. Statt einzelne Länder zu stützen, wollte er jetzt im europäischen Rahmen gleichzeitig Handelshemmnisse abbauen, die Konvertibilität fördern und die Exporte in die Vereinigten Staaten steigern. Mit dem Hinweis, im Zweifel auch die Integrationsbemühungen einer begrenzten Zahl von Ländern besonders zu fördern, erwies Hoffman der französisch-italienischen Zollunion und ihrer möglichen Erweiterung auf den Benelux seine Referenz. Daß die ECA dem OEEC-Generalsekretär Marjolin prompt ihre Absicht mitteilte, aus den ERPZuteilungen der Länder auch noch 150 Mio $ für Integrationsprojekte herauszukürzen, ärgerte nicht zuletzt Großbritannien 415 . Der zwischenzeitlich von Paul Nitze geleitete Policy Planning Staff des State Department zweifelte, ob das Integrationsprogramm der ECA zum Abbau der Dollarlücke führe, begrüßte aber das Ziel der Einbindung Westdeutschlands. In jedem Fall wollte Acheson nunmehr die amerikanischen europapolitischen Ziele bewußt vage halten. In diesem Sinne veranlaßte er den Chef der ECA, den Begriff »unification« durch »integration« zu ersetzen, als dieser am 31. Oktober 1949 die OEEC zur Errichtung eines Gemeinsamen Marktes aufforderte 416 . Die Europäer beschlossen immerhin, 50 % des innereuropäischen privaten Handels von Quoten zu befreien 417 . Quoten waren nicht nur ein Instrument zum Schutz der Devisenreserven. Vielmehr dämpften sie auch den wirtschaftlichen Strukturwandel. Denn Importsubstitution wurde indirekt subventioniert, die Diversifikation der nationalen WirtVgl. Asbeek Brusse, Americans, S. 224 f., 227-230; dies., Tariffs, S. 5 2 - 5 4 , 218; Bossuat, France, S. 217-219, 227, 304-308; Evans, Kennedy, S. 8 - 1 1 , 39 f., 4 3 - 4 5 ; Irwin, GATT, S. 132-134, 137-140; Medick-Krakau, Außenhandelspolitik, S. 8 5 - 9 5 ; Milward and Brennan, Britain, S. 28; Snoy et d'Oppuers, Benelux, S. 40 f.; Zeiler, Protectionism, S. 347-355. 413 Zeiler, Protectionism, S. 349. « 4 Vgl. FRUS, 1949, IV, S. 793-799: Acheson an US-Botschaft London, 27. und 30.6.1949, Memo Thorp, 27.6.1949. « 5 Vgl. FRUS, 1949, IV, S. 399 f.: Millard an Acheson, 2.6.1949. Ή6 Vgl. Hoffman, Major Task, S. 144-150; D'Alger, S. 103-112; Mai, Germany, S. 96 f.; Spagnolo, Stabilizzazione, S. 275-277. 4 " Vgl. Hardach, Marshall-Plan, S. 165-169; Hogan, Marshall-Plan, S. 277 f.; Kaplan and Schleiminger, Payments Union, S. 2 8 - 3 1 . 412

II. Die amerikanische Initiative

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Schaft gefördert und die internationale Arbeitsteilung gebremst. Im Falle Großbritanniens wurde dies auch sicherheitspolitisch begründet. Die Kehrseite war der schleichende Verfall der internationalen Wettbewerbsfähigkeit 418 . Folgerichtig hatte die ECA die Quoten schon lange im Visier. Unter ihrem Druck konkurrierten seit Frühjahr 1949 britische und französische Überlegungen zur Liberalisierung des innereuropäischen Handels. Die französische Regierung wollte mit den OEECLändern eine selektive, gemeinsame Liste von Gütern aushandeln, die von Quoten befreit und für die ein Gemeinsamer Markt herzustellen war. Damit wurde die Liberalisierung bereits auf solche Güter beschränkt, deren Einfuhr die heimischen Produzenten nicht über Gebühr herausforderten. Zusätzlich sollten die Harmonisierung der Rohstoffpreise, der Geld- und Kreditpolitik, der sozialen und steuerlichen Lasten und vor allem Investitionsabsprachen die unerwünschten Nebenwirkungen verstärkten Wettbewerbs auffangen. Auf dieser Linie eines gemäßigten Dirigismus trafen sich die Freunde stärkeren Wettbewerbs im Quai d'Orsay und im französischen Finanzministerium mit ihren Kontrahenten in den technischen Ressorts. Bezeichnenderweise wurde die schrittweise Rücknahme der französischen Quoten ab Ende 1949 von der Erhöhung von Zolltarifen begleitet. Der italienische Ministerrat war sich einig, die Handelsliberalisierung nicht mitzumachen, bevor neue Zolltarife beschlossen waren. Dem drängelnden Harriman hielt der Leiter der Wirtschaftsabteilung des Palazzo Chigi entgegen, daß die Liberalisierung durch die Koordinierung der Wirtschaftspolitik ergänzt werden müsse, weshalb Italien die bilaterale Zollunion vorziehe 419 . Großbritannien wollte von Harmonisierung wenig wissen. Dagegen stellte der europaweite Abbau quantitativer Handelsbeschränkungen im gesamten Güterspektrum nicht das eigene Präferenzzollsystem, wohl aber die von Frankreich angestrebte kontinentale Zollunion in Frage420. Zudem verzeichneten die Briten 1949 Uberschüsse im Europahandel, was den Verzicht auf eigene Quoten erleichterte. In diesem Sinne erscheint das Konzept der Handelsliberalisierung — in britischer Beleuchtung, nicht der Absicht der ECA nach — als Rückkehr zum handelspolitischen Zustand der 1920er Jahre oder der Zeit vor 1914421. Von ihrem westdeutschen Ziehkind erwarteten die Amerikaner nicht nur finanzielle Stabilität bei maximaler Produktion für den Export nach Westeuropa, sondern auch, daß es als Avantgarde der Handelsliberalisierung auftrete 422 . Wirtschaftsminister Erhard wollte in diesem Sinne gegen die Bedenken des Landwirtschaftsministers »Schrittmacher [...] werden im Geiste der amerikanischen Wirtschaftspolitik« 423 . Nicht anders als die Briten mahnte freilich Bundeskanzler Adenauer, daß die Handelsliberalisierung im Rah4'8

Vgl. Milward and Brennan, Place, S. 1 8 5 - 1 8 7 , 190 f., 194 f., 201 - 2 0 3 . Vgl. ACS, P C M / V C M , 31.10.1949; A S D , Äff. Pol. 1 9 4 6 - 1 9 5 0 , Francia, 25/2: Quaroni an Minist. Äff. Est., 7.12.1949. 4211 Vgl. M e m o Gripps, 7.9.1948; zit. nach Britain and European Integration, S. 12 f. 421 Vgl. Bossuat, Vraie nature, S. 198 f.; Hardach, Plan Marshall, S. 480; Milward and Brennan, Place, S. 42 f. 422 Vgl. FRUS, 1949, III, S. 3 1 9 - 3 4 0 : Direktive für McCloy, 17.11.1949. « 3 KPBR, I, 1949, S. 114(11.10.1949).

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men der O E E C und eine Steigerung der Exporte in den Dollarraum den »Abbau der Schutzzollmauer« voraussetze, »die die Vereinigten Staaten in den zwanziger Jahren errichtet haben« 424 . In der Tat war das deutsche Parlament mehrheitlich protektionistisch, und selbst die traditionell gemäßigt freihändlerischen Branchen votierten für Handelsabkommen. Zum Leidwesen der Amerikaner gab die Bundesregierung im Einklang mit Niederländern und Belgiern daher zweiseitigen Handelsabkommen den Vorzug. Das deutsche Angebot der 75 %igen Liberalisierung vom Oktober 1949 beinhaltete folglich zahlreiche Kautelen 425 . Auf der Linie eines gemäßigten Bilateralismus lag auch ein Vorstoß Erhards bei Cripps Ende November 1949, um die Chancen für ein enges handelspolitisches Verhältnis zum Commonwealth auszuloten. Mit dem beabsichtigten Handel von deutschen Industriewaren gegen Lebensmittel und Rohstoffe aus dem Commonwealth hätte sich Großbritannien freilich selbst Konkurrenz gemacht. Cripps verwies seinen Kollegen folglich an die OEEC 4 2 6 . Die 50 %ige, 1950 auf 60 % erhöhte Liberalisierung war verhältnismäßig einfach zu erreichen, da zunächst einmal sämtliche Regierungseinfuhren ausgenommen waren. Denn Großbritannien, aber auch die Bundesrepublik führte einen erheblichen Teil der Nahrungsmittel durch staatliche Stellen ein. Die O E E C hatte drei Kategorien (Rohstoffe, Agrarprodukte und Industriewaren) gebildet. Bezogen auf den Wertumfang des Basisjahres 1948 mußte die Liberalisierungsmarge in allen drei Kategorien in etwa erreicht werden. Die überproportionale Befreiung solcher Güter, die kaum mit inländischen Erzeugnissen konkurrierten, wurde dadurch nur minimal erschwert. Insgesamt wurde allerdings nicht der potentiell mögliche, sondern der 1948 vereinbarte Handel der westeuropäischen Staaten von Quoten befreit. Im übrigen blieben vorläufig zahlreiche Länder hinter den Liberalisierungszielen zurück427. Gleichwohl forderten die betroffenen Gewerbe alternativ die Anwendung und Erhöhung bestehender Zolltarife. Zunehmend enttäuscht reagierten die Niedrigzollländer (Benelux, Dänemark und Schweden) auf die Wiederkehr protektionistischer Tarife, die das G A T T offenkundig nicht verhindern konnte. Die O E E C ihrerseits zeigte jedoch keinerlei Neigung, den Erwartungen der Niedrigzollländer entgegenzukommen und im Gleichschritt mit den Quoten auch die Zölle abzubauen 428 . Das Schicksal der 1947 in Brüssel eingesetzten Studienkommission war symptomatisch. Großbritannien schlug hier mit Unterstützung des Benelux und Dänemarks eine marktwirtschaftlich ausgerichtete Zollunion vor, während Frankreich und Italien eher zu regulierten Märkten tendierten, die ja auch ihr gemeinsames Zollunionsprojekt kennzeichneten. Hinter dem britischen Vorschlag verbargen sich « 4 AAP, 1949/50, S. 66: Adenauer an McCJoy, 19.1.1950. Vgl. Asbeek Brusse, Tariffs, S. 230; Bossuat, France, S. 688-692, 694 f.; Bührer, Westdeutschland, S. 138-141, 179-188; ders., Liberalisierung, S. 144-146, 150-159; Cairncross, Years, S. 284-287; Milward, Reconstruction, S. 299-306; Milward and Brennan, Britain, S. 4 7 - 5 1 . Vgl. PRO, Τ 229/179; Erhard/Cripps, 26.11.1949. 427 Vgl. Milward and Brennan, Britain, S. 53 f., 5 8 - 6 4 . « 8 Vgl. Asbeek Brusse, Tariffs, S. 80 f., 84 f.; Stikker, Bausteine, S. 184.

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Überlegungen der britischen Ministerien, ob die engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Europa mögliche Verluste im Commonwealth ausgleichen konnte. Die Briten plädierten für einen von Zöllen und Quoten freien Stahlhandel. Dagegen bestanden die Italiener auf Zöllen, die ihre hohen Produktionskosten kompensierten. Den Franzosen schwebte eine Art internationales Stahlkartell vor. Die Niederlande bestanden auch hier auf den Einschluß Deutschlands und Großbritanniens. Irland, die Schweiz, Portugal und Griechenland lehnten eine Zollunion ohnehin ab. Die Skandinavier richteten sich nach der Haltung Londons. Hier verlor man jedoch die Lust an einer Zollunion, da das damit verbundene politische Ziel der Stabilisierung des Vorfeldes mittlerweile durch den Brüsseler Pakt verwirklicht wurde. Folgerichtig erklärte Großbritannien im November 1948 sein Desinteresse an der Kommission. Die war damit am Ende, auch wenn sie über eine Zollnomenklatur weiter arbeitete. Ihr Hauptzweck hatte darin bestanden, den über den Marshallplan debattierenden Kongreßabgeordneten in Washington Integrationsbereitschaft zu signalisieren429. Freilich versprach die 1949 begonnene Liberalisierung ebenfalls nur mittelfristig Ergebnisse. Daher ermunterten Hoffman, Harriman und Snyder im September 1949 den französischen Außenminister Schuman und Finanzminister Petsche, ihr Zollunionsprojekt weiterzuverfolgen. Hoffman forderte erneut, gegenüber Kongreß und amerikanischer öffentlicher Meinung mit »praktischen und dramatischen Beispielen für eine europäische Zusammenarbeit« aufzuwarten 430 . Das kündigte die Wende der amerikanischen Europapolitik zu kontinentalen Lösungen an. Im Frühjahr 1949 konnte Schuman die förmliche Ablehnung des Zollunionsvertrages mit Italien durch die Interessenvertretung der Wirtschaft nur dadurch vermeiden, daß er lange Übergangsfristen zusagte. Wiederum suchte die französische Regierung ihr Heil in der Erweiterung auf Belgien, das im Januar 1949 aufgrund der erheblichen Defizite alle Exporte nach Frankreich ausgesetzt hatte. Petsche ventilierte die moderate Liberalisierung des Handels-, Zahlungs- und Kapitalverkehrs auf der Grundlage reduzierter Quoten und freier Wechselkurse. Bezeichnenderweise sollten Zölle zunächst bestehenbleiben. Die Wirtschaftsdiplomaten Alphand und Marjolin waren sich einig, daß Frankreich das Heft in die Hand nehmen mußte, wenn es unvorteilhafte amerikanische Vorschläge vermeiden wollte. Als Alphand im April 1949 die amerikanische Unterstützung für diese Alternative zur schwächelnden Zollunion mit Italien und zu der von den Briten gebremsten OEEC sondierte, versprach Harriman sofort den Beistand der ECA und der Administration 431 . Die Gelegenheit schien günstig. Seit März 1949 spitzte sich die Krise um die niederländischen Zahlungsbilanzdefizite gegenüber Belgien zu, deren Lösung die Holländer von einem gemeinsamen Devisenpool des Benelux erwarte-

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Vgl. Asbeck Brusse, Tariffs, S. 5 8 - 6 0 , 62 f.; Lynch, France, S. 104-107; Milward, Integrazione, S. 111, 114-118; Godts-Peters, Politique, S. 228-231; Young, France, S. 121 f. Vgl. MAEF, DE-CE, Bd 577, Bl. 50 f., 5 2 - 5 4 : Queuille an Petsche, 13.9.1949; franz. Botschaft Washington, 16.9.1949; PRO, CAB 129/37, CP (49)203: Bevin/Cnpps, 25.10.1949. Vgl. MAEF, DE-CE, Bd 577, Bl. 3 1 - 3 7 : Vermerk Alphand, 15.4.1949; Alphand, Etonnement, S. 211 (2.5.1949).

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ten. Der niederländische Finanzminister Pieter Lieftinck forderte im Juni 1949 im Gegenzug zum Abbau der Handelsbeschränkungen innerhalb des Benelux die scharfe Diskriminierung von Dollarimporten, die Anlehnung an die Sterlingzone und den Verzicht der Belgier auf den Goldausgleich von Zahlungsbilanzdefiziten. Im Gefolge der Sterlingabwertung wertete auch Holland überproportional stark ab. Nichtsdestoweniger hing der Erfolg der am 5. Oktober 1949 unterzeichneten »Preunion« des Benelux von der Devisenlage der Niederländer und diese von ihrem Anteil an der Marshallhilfe ab. Im übrigen waren neben der Kohle die für Belgien wie Luxemburg heiklen, aber für die exportorienderte holländische Landwirtschaft wichtigen Agrarprodukte von der Handelsliberalisierung ausgenommen. Das Risiko unbegrenzter belgischer Kredite an den Partner war also keineswegs gebannt; im Gegenteil verschärfte sich das niederländische Defizit weiter. Obwohl die französisch-belgischen Überlegungen vom Sommer 1949 einen denkbaren Ausweg darstellten, erkannten die Niederländer in floatenden Kursen und freizügigen Kapitalbewegungen die Gefahr anhaltender Verschärfung bestehender Ungleichgewichte. Sie wollten statt dessen nur den Handel und Dienstleistungsverkehr liberalisieren. Während Italien sich Verhandlungen kaum entziehen konnte, lehnte Lieftinck im September 1949 die Pläne nicht zuletzt deswegen rundweg ab, weil Deutschland wieder nicht dabei sein sollte. Alternativ propagierte er die Ausweitung der von der OEEC betriebenen Handelsliberalisierung nach britischem Muster und ein multilaterales Zahlungssystem knapp unterhalb der völligen Integration von Defiziten und Überschüssen. Denn Belgier und vor allem Amerikaner veranlaßten die Niederlande, ihre frankophobe Skepsis gegen kleineuropäische Lösungen hintanzustellen und mitzuverhandeln. Rückenwind erhielt das französische Projekt durch eine Resolution der Beratenden Versammlung des Europarates im September 1949. Vollbeschäftigung, Steigerung des Lebensstandards und Dollarersparnis stellten die Fixsterne eines Integrationsprogramms dar, das »central planning«, »guaranteed markets«, die Koordinierung der Grundstoffindustrien und der Landwirtschaft mit einer grundsätzlich marktwirtschaftlichen Ordnung verbinden wollte. Die allmähliche Freizügigkeit für Menschen, Kapital und Waren sowie die entsprechende Konvertibilität der Währungen untereinander sollte von der Harmonisierung der Sozial- und Steuerpolitik der Staaten begleitet werden 432 . Am 29. Oktober 1949 - also unmittelbar vor der Adresse Hoffmans — stellte Petsche seinen Plan der OEEC vor433. Mit der zunächst »Fritalux«, dann »Finebel« getauften Initiative wollte sich der Quai d'Orsay, wie eine Analyse Alphands im Oktober 1949 verdeutlichte, als Vorreiter der europäischen Integration profilieren. Das sollte den Kongreß beruhigen und die Vereinigten Staaten davon abhalten, diese Führungsrolle womöglich den Deutschen zu übertragen. Die sollten später in die ohne ihre Mitwirkung geschaffenen Strukturen eingefügt werden. Schließlich war ein Alternativkonzept für den Fall zu « 2 Vgl. PRO, CAB 129/37, CP (49)203: Bevin/Cripps, 25.10.1949 (Annex A); Erste Sitzungsperiode des Europarates, in: EArch, 4, 1949, S. 2559 f. « 3 Vgl. Erklärung Petsche, 29.10.1949 in: D'Alger, S. 93-102.

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entwickeln, daß die Handelsliberalisierung der OEEC das für Frankreich erträgliche Maß überschritt. Denn die Briten sähen die Handelsliberalisierung »als Ziel an sich und nicht als Mittel, um die Integration der europäischen Volkswirtschaften anzustoßen«. Unter dem Druck der ECA suchten sie auf diese Weise, sich eines großen Teils ihrer Verantwortung zu entledigen (»ä s'exonerer en fait d'une large part de ses responsabilites«). Daher wollte Schuman die »engstmögliche Zusammenarbeit der teilnehmenden Länder« eben ohne die Briten in regionalen Zusammenschlüssen (»associations regionales«) unter dem Dach der OEEC verwirklichen. Cripps begrüße das Unternehmen, womöglich in der Hoffnung, daß es scheitere 434 . Tatsächlich hatte er gemeinsam mit Bevin die Parole wohlwollender Neutralität ausgegeben, solange Großbritannien nicht handelspolitisch diskriminiert wurde 435 . Nichtsdestoweniger fürchtete Bevin, Westeuropa werde von der Sterlingzone und Skandinavien abgekoppelt. Das hinderte ihn nicht daran, auch die parallel verhandelte Zahlungsunion im Rahmen der OEEC zunächst mit Skepsis aufzunehmen. Cripps paßte die ganze Richtung nicht. Zum Arger Harrimans kritisierte er ziemlich rüde die beharrlichen amerikanischen Forderungen nach Fortschritten in der OEEC und bei der Integration 436 . Auch der italienische Ministerrat wollte zunächst alle multilateralen Initiativen im Rahmen der OEEC halten und keinesfalls hinter dem zurückfallen, was in den bilateralen Verhandlungen mit Frankreich erreicht worden war. Einige Minister wollten sich lieber auf ein nationales Investitionsprogramm für Süditalien konzentrieren 437 . Der in der ersten Dezemberhälfte 1949 tagenden Expertenrunde zum Finebel gelang es kaum, die zahlreichen Interessengegensätze einzuebnen. Frankreich wollte alle Quoten, Exportsubventionen und Doppelpreise beseitigen und flexible Wechselkurse einführen. Die wirtschaftliche Öffnung sollte im Gegenzug von der Harmonisierung der Geld-, Kredit- und Finanzpolitik, von Investitionslenkung, Kartellen, einer Investitionsbank und von der Koordinierung der Agrarpolitik begleitet werden. Belgien begrüßte zwar flexible Wechselkurse, lehnte jedoch im Einklang mit den Niederländern industrielle Absprachen und den erkennbar vom Monnetplan geprägten Dirigismus ab. In diesem Punkt wußte man sich mit der ECA einig. Die Niederlande überzeugten ihren Beneluxpartner, auf flexible Wechselkurse zu verzichten. Frankreich war hier kompromißbereit, zumal Italien fürchtete, damit eine Kapitalflucht über Belgien in die Schweiz auszulösen. Italien bestand ein weiteres Mal darauf, daß von Anfang an auch die Freizügigkeit der Arbeitskräfte zu entwickeln sei. Das lehnten vor allem Holland und Luxemburg ab. In •»•» MAEF, DE-CE, Bd 341, Bl. 348-351: Runderlaß, 5.11.1949. Vgl. auch Asbeek Brasse, Tariffs, S. 60 f.; dies., Americans, S. 22 f.; Bagnato, Storia, S. 171-175; ders., France, S. 708-712; Griffiths et Lynch, Echec, S. 160-172; Grosbois, Benelux; S. 520-524; Guillen, Projet, S. 150-153; Kipping, Kartelle, S. 123-126; Godts-Peters, Politique, S. 318 f.; Schräm, Netherlands, S. 537-539. « ä Vgl. PRO, GAB 129/37, CP (49)203: Bevin/Cripps, 25.10.1949. « f ' Vgl. FRUS, 1950, III, S. 627-629, 1608 f.: Bevin an Acheson, 11.2.1950, Memo McClov, 20.1.1950; Hogan, Marshall Plan, S. 301-307. 417 Vgl. ACS, PCM/VCM, 23.9. und 31.10.1949.

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der Frage der Abschaffung der Quoten war Italien gespalten; sein Industriellenverband war dagegen. Die Vorstellungen der ECA, den europäischen Handel vollständig zu liberalisieren und die europäischen Währungen untereinander konvertibel zu machen, führten Italien an die Seite Frankreichs. Dieselbe Wirkung hatten die niederländischen Vorstellungen zum Zoll- und Quotenabbau. Allerdings teilte Rom in der Frage der Einbeziehung der Bundesrepublik eher die Haltung Den Haags 438 . Die von Niederländern und Belgiern geforderte Liberalisierung von 75 % bis 1950 und von 100 % bis 1951 sollte nicht ohne gleichzeitige oder gar vorherige Harmonisierung der gesamten wettbewerbsrelevanten Politik stattfinden. Im Gegenzug neigte Italien dazu, Paris in der Frage eines verzögerten Beitritts Westdeutschlands entgegenzukommen. Das entsprach ja auch dem eigenen Interesse, zwar möglichst viel Gemüse nach Norden zu exportieren, aber die heimische Industrie keinem übermäßigen Wettbewerb auszusetzen. Grundsätzlich war Italien jedoch an der Mitwirkung der Deutschen interessiert, die Holland immer mehr zur Vorbedingung machte. Schuman sagte seinem Kollegen Stikker um die Jahreswende 1949/50 zu, Finebel nicht ohne die Deutschen anlaufen zu lassen. Diese hatten schon Anfang November 1949 förmlich gebeten, in die Verhandlungen einbezogen zu werden 439 . Mit seiner Zusage reagierte Schuman nicht nur auf den Druck der ECA, sondern auch auf die Forderung des Landwirtschaftsministers. Wenn sich die Landwirtschaft der italienischen Konkurrenz aussetzen solle, so Pierre Pflimlin, sei dies auch der Industrie gegenüber der deutschen Konkurrenz zuzumuten. Tatsächlich war der deutsche Markt für die französischen Bauern nicht minder attraktiv als für ihre holländischen Kollegen. Freilich bestanden dagegen sowohl im Quai d'Orsay selbst wie auch im Industrieministerium erhebliche Widerstände. Denn inzwischen grassierte die Sorge besonders vor dem Wettbewerb der deutschen Metallverarbeiter. In der Frage des Agrarhandels Schloß sich Luxemburg den Franzosen an, mußte es doch damit rechnen, daß seine extrem geschützte Bauernschaft der niederländischen Konkurrenz erlag. Hier tendierten sogar die besonders liberalisierungsfreudigen Belgier ins französisch-italienische Lager. Als die Niederlande angesichts ihrer schwachen Verhandlungsmacht im GATT obendrein die drastische Reduzierung der Zölle forderten, stießen sie zwangsläufig auf den Widerstand Frankreichs und Italiens. Wie Italien bald bewies, konnten Zölle die protektionistische Wirkung der entfallenden Quoten kompensieren. Einig wurde man sich jedoch über den intergouvernementalen Zuschnitt des gemeinsamen administrativen Apparates, den man auf ein Minimum beschränken wollte 440 .

«8 Vgl. ASD, Äff. Pol. 1946-1950, Francia, 25/2: Quaroni an Minist. Äff. Est, 30.11., 2.12., 3.12. und 9.12.1949, Sforza an Botschaft Washington, 3.12.1949, Cattani an Min. Äff. Est., 11.12.1949. "-W Vgl. AAP, 1949/50, S. 17, 47 f.: Adenauer an AHK, 7.11.1949, Vermerk Kordt, 3.1.1950. 440 Vgl. MAEF, DE-CE, Bd 577, Bl. 76-108, Schlußbericht. Vgl. auch ebd., Bl. 251 - 2 7 8 ; Asbeek Brusse, Tariffs, S. 62; Bookestijn, Nation State, S. 297 f.; Gerbet, Integration, S. 62; Griffiths et Lynch, Echec, S. 178-188; Lynch, France, S. 121 f.; Godts-Peters, Politique, S. 330-333; Thiemeyer, Pool Vert, S. 37.

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In letzter Instanz diskutierten Franzosen und Italiener auf der einen und Niederländer und Belgier auf der anderen Seite über das bis heute aktuelle Problem der Integration von Wirtschaftsstandorten. Dabei besteht folgende Alternative: Die Produktionsfaktoren konkurrieren freizügig zu den Kosten ihres jeweiligen Standortes einschließlich Steuern und sozialer Kosten. Der Wettbewerb der Standorte führt zu ihrer Anpassung auf dem Wege des Strukturwandels. Dieser kann von der dramatischen Verschlechterung der Lebensumstände der Bevölkerung begleitet sein. Oder die Steuern und sozialen Kosten aller Standorte werden administrativ bzw. auf dem Wege der Vereinbarung so weit angeglichen, daß sie den Wettbewerb der Produktionsfaktoren kaum mehr beeinflussen. Damit entfallt allerdings auch die Kompensation struktureller Nachteile durch niedrige Steuern und Sozialkosten. In der Konsequenz erwarten benachteiligte Standorte in der Regel Transferleistungen, wie sie in den französischen und italienischen Vorschlägen über Modernisierungs-, Investitions- und Anpassungsfonds sowie Investitionslenkung in schöner Regelmäßigkeit auftauchen sollten. Anders als Frankreich mußten das strukturstarke Belgien und die mit niedrigen Löhnen gesegneten Niederlande die Standortkonkurrenz kaum fürchten. Im Gegenteil! Allerdings wurde das Problem der mangelnden Komplementarität auch durch Finebel nicht gelöst. Daher bestanden die Niederländer auf den Einschluß Westdeutschlands und überzeugten Belgien sogar von der Notwendigkeit der Assoziierung Großbritanniens. Die Bedeutung des britischen Marktes begann abzunehmen, als der Handelsvertrag von 1949 den niederländischen Exporteuren die Schleusen zum westdeutschen Markt öffnete, wo sie an die Stelle der ostdeutschen Agrarproduzenten traten. Damit sah sich die niederländische Diplomatie aufgerufen, kontinentale Losungen ins Auge zu fassen, sofern diese — wie Finebel — die Position auf dem deutschen Markt nicht wieder in Frage stellten. Das relativierte die bisherige außenpolitische Bedeutung Londons, das einem kontinentalen Wirtschaftsverbund unterstellte, er werde sich protektionistisch gegen die britische Wirtschaft abschließen und womöglich bald unter deutsche Vorherrschaft geraten. Genau aus diesem Grunde wollte Frankreich die Bundesrepublik zunächst außen vor halten. Der sozialistische Abgeordnete Francis Leenhardt verlieh dem ja keineswegs nur in Frankreich verbreiteten Unbehagen Ausdruck, als er am 24. November 1949 trompetete: »Mit Deutschland als Teil eines regionalen Verbandes wird Frankreich zum Gemüsegarten; dies ist die Verwirklichung von Hitlers Traum ungeachtet seiner Niederlage, das deutsche Europa 441 .« In diesem Sinne sollte Finebel auch die Annäherung zwischen Italien und der Bundesrepublik bremsen. Folgerichtig hauchte die französische Diplomatie dem bilateralen Zollunionsprojekt gelegentlich wieder etwas Leben ein, obwohl die im Juli 1949 unterzeichneten Zusatzprotokolle seine Aussichten weiter verdüstert hatten. Der italienische Außenminister Sforza erreichte Ende Januar 1950 die Zustimmung de Gasperis zu einer Doppelstrategie. Er wollte sich zwar ernsthaft an der Handelsliberalisierung 441

»L'Allemagne integree dans un groupement regional c'est la France jardin potager, c'est le reve d'Hider realise malgre sa defaite, c'est l'Europe allemand.« Zit. nach Bossuat, Conceptions, S. 39.

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der OEEC beteiligen, schon um den Amerikanern zu gefallen. Sollte die sterile OEEC dabei scheitern, um so besser. Denn er bevorzugte mittlerweile Finebel 442 ; entsprach sie doch nicht nur der französischen, sondern auch der ihr ähnlichen italienischen Interessenlage. Aber Finebel war erledigt, als im Frühjahr 1950 die amerikanisch inspirierte Zahlungsunion der OEEC Gestalt annahm 443 . Isoliert betrachtet, mag Finebel nicht mehr als eine Trumpfkarte (»pion«) der Europapolitik der Vereinigten Staaten444 gewesen sein, um den Briten die Alternative einer Zahlungsunion schmackhaft zu machen, oder ein Instrument der belgischen Diplomatie, um die Niederlande auf Beneluxkurs zu halten 445 . Tatsächlich wurde hier erstmals der kleineuropäische Integrationsansatz 446 und der mit ihm einhergehende Gegensatz zwischen einem eher protektionistischen und einem eher freihändlerischen Konzept formuliert. Allenfalls die Tatsache, daß Frankreich den zu freihändlerisch ausgelegten Vorstellungen der Amerikaner und Briten konstruktiv vorbeugen wollte, rechtfertigt das rückblickende Urteil Alphands, das Projekt sei nicht politisch, sondern wirtschaftlich motiviert gewesen 447 . Ansonsten war das Streben nach wirtschaftlicher Sicherheit gegenüber der Bundesrepublik und nach einer kontinentalen Einflußsphäre nicht zu übersehen. Immerhin hatten einige aus dem Scheitern des Projekts gelernt. Botschafter Quaroni war Ende 1949 überzeugt, daß die wirtschaftlich ausgelegte Europapolitik immer stärker von den wirtschaftlichen Interessengruppen definiert wurde 448 . Bereits im Sommer hatte er empfohlen, auf den wirtschaftlichen Vorwand zu verzichten und den eigentlichen politischen Kern des bilateralen Projektes mit Frankreich herauszuarbeiten: das gemeinsame Sicherheitsinteresse gegenüber Deutschland und der Sowjetunion sowie das Problem der angelsächsischen Dominanz in Westeuropa. Wenn die wirtschaftliche nicht der politischen Zusammenarbeit geopfert werde, nehme am Ende das politische Verhältnis zu Frankreich Schaden 449 . Freilich stand Italien dann vor der Alternative traditioneller Diplomatie oder politischer Integration. Auch Schuman sah sich dem ins Parlament und in die Ressorts verlängerten Druck der Interessengruppen ausgesetzt, die um ihre protektionistischen Wärmestuben fürchteten. Ferner erkannte er in den ministeriellen Apparaten die voraussichtlichen Bremser diplomatischer Initiativen. Petsche und die eigene Wirtschaftsabteilung des Quai d'Orsay verstanden Finebel als Gegengift gegen die von den Amerikanern und der OEEC betriebenen Öffnung der französischen Volkswirtschaft. Über den Botschafter in London, Massigli, die politische Abteilung des Quai d'Orsay und über «2 Vgl. ACS, PCM/VCM, 28.1.1950. Vgl. Asbeek Brusse, Tariffs, S. 1 4 4 - 1 4 7 ; Bagnato, Storia, S. 151 f., 2 1 3 - 2 1 7 ; Bossuat, France, S. 7 1 2 - 7 2 1 ; Guillen, Projet, S. 1 5 4 - 1 6 4 ; Hogan, Marshall Plan, S. 2 7 9 - 2 8 2 ; Kipping, Kartelle, S. 1 2 7 - 1 3 0 ; Milward, Reconstruction, S. 3 0 6 - 3 1 6 ; Godts-Peters, Politique, S. 3 2 0 - 3 2 7 , 337; Serra, Unione, S. 94 f. 444 Bossuat, France, S. 721. Vgl. auch Milward and Brennan, Britain, S. 52 f. 4 4 5 Vgl. Godts-Peters, Politique, S. 326. 4« Vgl. Griffiths et Lynch, Echec, S. 188. 447 Vgl. HAEG, INT 487, 20.4.1988, S. 2. 448 Vgl. Battilossi, Italia, S. 246 f. 448' Vgl. FRUS, 1949, IV, S. 14 f., 257 f.: Harriman an Lovett, 9.1.1949, Katz an Hoffman, 31.3.1949.

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Staaten unterminieren. Allerdings wurde ein »comprehensive, world-wide program« empfohlen. Dabei sollte Westdeutschland die europäischen Rüstungsbemühungen durch geeignete Zivilprodukte unterstützen 488 . In diesem Sinne unterstrich auch Acheson den Vorrang des Wiederaufbaus, der finanziellen Stabilität und der Funktionsfahigkeit eines europäischen Zahlungssystems. Vielleicht sei »some diversion of resources from recovery program« erforderlich. Aber er warnte vor einem unrealistischen Programm, mit dessen Scheitern man nur Moskau einen Gefallen erweise. Vielmehr seien vor allem Bezüge aus der Dollarzone zu kompensieren, die für die zusätzliche Rüstungsproduktion benötigt wurden 489 . Nitze von der Wirtschaftsabteilung des State Department schlug nach einer Europareise im Januar 1949 schon andere Töne an. Kein Mitglied des Brüsseler Pakts sei bereit, zusätzliche Verteidigungsausgaben aufzubringen. Da die Europäer diese vielmehr vom amerikanischen Steuerzahler erwarteten, empfahl er eine »>carrot and stickarmy of Europe< instead of nationalistic armed forces loosely coordinated«. Die amerikanische Militärhilfe müsse einem sicherheitspolitisch und militärisch integrierten Brüsseler Pakt zugute kommen. Andernfalls unterstütze man nur europäische Nationalarmeen, was die Belastung der eigenen Wirtschaft kaum rechtfertige. Folgerichtig kritisierte Douglas die bilaterale Verhandlung der Militärhilfe518. Er ahnte, daß sich der verständliche Vgl. FRUS, 1949, IV, S. 244-248: European Correlation Team, 25.3.1949. 5i+ Kaplan, United States, S. 129. Vgl. ebd., S. 103-107, 121-130; ders., N A T O , S. 33 f.; ders.; Community, S. 2 9 - 3 2 , 4 0 - 4 9 ; Guillen, Frankreich, S. 105 f.; Harst, European Union, S. 143-146; Kaspi, Prelude, S. 194-198; Knapp, Aspekte, S. 305; Krieger, Security Policy, S. 110-114; Massigli, Comedie, S. 127-129; Varson, Patto, S. 212-243; Zeeman, Brüsseler Pakt, S. 411,414,423. 515 Vgl. Kaplan, Community, S. 6 0 - 6 5 . 316 Vgl. FRUS, 1948, III, S. 300-310: Lovett an Harriman, 3.12.1948 (Zitate S. 303 f.). ^ Vgl. FRUS, 1949, IV, S. 255-257: Memo Bohlen, 31.3.1949. Das lag auf der Linie Kennans, der ohnehin eine amerikanischen Sicherheitsgarantie für den Brüsseler Pakt dem Atlantikpakt vorgezogen hätte. Vgl. Kennan, Memoiren, S. 412. 5 8 ' FRUS, 1949, IV, S. 250 f.: Douglas an Seer, of State, 26.3.1949.

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Kontrollbedarf der amerikanischen Volksvertreter mit der Abneigung der europäischen Staaten traf, außen- und sicherheitspolitische Souveränitätsrechte aufzugeben. Tatsächlich bliesen die Vereinigten Staaten selbst mit der Entscheidung für bilaterale Militärhilfe dem Brüsseler Pakt das Licht der Integration aus519. Da Douglas fast im gleichen Atemzug der britischen Europapolitik Realismus bescheinigte520, waren seine Vorstellungen wohl ganz im Sinne seines Gastlandes vor allem auf die Kontinentaleuropäer gemünzt. Denn unter den Auspizien des Atlantikpaktes beruhte das britisch-amerikanische Verhältnis auf zwei Prämissen. Die Vereinigten Staaten hofften, im Rahmen des Paktes das eigene militärische Engagement in Europa zu begrenzen, wobei ihnen die Briten hier wie in Asien helfen sollten. Für die Briten Schloß ihre Rolle als Junior in der Weltliga die paritätische Mitgliedschaft in der Regionalliga aus. Atlantikpakt und Fusion mit Europa galten als unvereinbar 521 . Nach anfänglichem Zögern nahmen die Amerikaner den europäischen Wunsch nach einer Militärorganisation der Allianz positiv auf. Je deutlicher sich deren Aufbau abzeichnete, desto unwichtiger wurde der Brüsseler Pakt für London. Allerdings gelang es Bevin im November 1949 nicht, seine kontinentalen Partner vom Primat der atlantischen Allianz zu überzeugen. Frankreich und Benelux legten Wert auf die verbindlichere Beistandsklausel des Brüsseler Paktes. Der Nordatlantikvertrag hatte das politische Hauptanliegen der Europäer erfüllt, die Vereinigten Staaten in die Verantwortung für die militärische Sicherheit einzubinden und damit das Risiko für einen möglichen Angreifer zu erhöhen. Sein militärischer Wert war mangels Streitkräften auf dem Kontinent ungewiß. Die Vereinigten Staaten hätten ihre Atombomber entweder im strategischen Luftkrieg eingesetzt, der die Eroberung des größten Teils Europas nicht verhindern konnte, oder mit ihnen den Rückzug auf die europäische Peripherie gedeckt. Für eine Zerschlagung der Sowjetunion reichten die Kernwaffen nicht, wie Truman selbst schon bei der Unterzeichnung des Nordatlantikvertrages andeutete 522 . Darüber war sich wohl auch Stalin im klaren, andernfalls er in Prag und Berlin wohl weniger entschlossen vorgegangen wäre. In jedem Fall behielten sich die Amerikaner vorläufig die alleinige Verantwortung über den Nukleareinsatz vor, ohne daraus eine kohärente Nukleardiplomatie zu entwickeln. Die Zeichen für eine europäische Integration im Rahmen der NATO a la Harriman standen unter diesen Umständen nicht gerade günstig 523 . Der administrative Ausbau der atlantischen Allianz lief dann ebenfalls nur zögernd an. Zur Jahreswende 1949/50 beschloß der Brüsseler Pakt, seinen Rüstungs- und

519 Vgl. Watt, Bemerkungen, S. 370. 520 Vgl. FRUS, 1949, IV, S. 371 -373: Douglas an Seer, of State, 8.2.1949. 521 Vgl. Foot, Britain, S. 68 f.; Massigli, Comedie, S. 134. 522 Vgl. Wiehes und Zeeman, Lehrstunde, S. 416. 523 Vgl. Dockrill, Security Policy, S. 4 8 - 5 0 ; Gaddis, We now Know, S. 98-100; Greiner, Planungen, passim, bes. S. 244-247; ders., Entwicklung, S. 28, 34, 50, 58 f., 61; Kaplan, Amerika, S. 9; Milward, NATO, S. 47 f.; Schmidt, Strukturwandel, S. 7 9 - 8 1 ; Soutou, Frankreich, S. 212, 216; ders., Guerre, S. 242; Trachtenberg, Peace, S. 8 8 - 9 0 ; Wheeler, Strategy, S. 122 f.

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Finanzausschuß auf die NATO überzuleiten 524 , ohne damit deren Überlegungen zur Finanzierung der Aufrüstung zunächst zu beschleunigen. Beim Aufbau ihrer Militärorganisation unter den Auspizien des Koreakrieges profitierte die NATO von der Vorarbeit der Brüsseler Organisation 525 . Die besaß nunmehr vorwiegend deutschlandpolitische Funktion. Das unterstrich ein niederländischer Vorstoß. Nach dem Scheitern der Pariser Außenministerkonferenz im Frühjahr 1949 forderte Stikker am 16. Juni 1949 im Brüsseler Pakt in Absdmmung mit seinen Beneluxkollegen Spaak und Bech die enge europäische Einbindung Westdeutschlands. Sie war freilich nicht nur ein Gebot des außenwirtschaftlichen Interesses, das sich in der Forderung niederschlug, möglichen deutschen Autarkietendenzen entgegenzutreten. Vielmehr hegte man Sorgen vor einer Ostorientierung. Das Land sollte daher bis zur ausreichenden politischen und militärischen Stabilisierung Europas besetzt bleiben und weder über Truppen noch über eine eigene Rüstungsproduktion verfügen. In den Augen der niederländischen Diplomatie rechtfertigte die sowjetische Gefahr nicht die Unterschätzung der von Westdeutschland ausgehenden Risiken 526 . Bevin und Schuman billigten im Konsultativrat die niederländischen Vorschläge, die den Interessen der Großmächte durchaus entgegenkamen. Auch im britischen Kabinett wurden Vorkehrungen gegen unfaire Handelspraktiken der künftigen Bundesregierung gefordert 527 . Hier verbanden sich historische Reminiszenzen mit der Sorge der britischen Industrie vor der raschen Rückkehr der deutschen Wettbewerber. Freilich waren weder die Regierung und erst recht nicht die britische Industrie zwischen 1946 und 1950 bereit, durch eine energische Exportoffensive kontinentaleuropäische Märkte zu besetzen, bevor die deutschen Exporteure wieder antreten konnten. Statt auf dem Kontinent Risiken einzugehen, die deutsche Exporteure später in Kauf nahmen, wandelte die britische Industrie auf den traditionellen Pfaden in den Commonwealth und die Sterlingzone. Sie überließ das europäische Feld den Deutschen. Das entsprach zwar den politischen Prioritäten. Allerdings sollten sich die europäischen Märkte bald als viel dynamischer erweisen als die überseeischen 528 . Im übrigen hielt Bevin im Frühjahr 1949 eine Wirtschaftsdiplomatie des Kreml für denkbar, der deutschen Wirtschaft Absatzchancen im Osten zu eröffnen, um Westdeutschland in den östlichen Orbit hinüberzuziehen. Für Schuman war der deutsche Osthandel keine größere Gefahr als die Überflutung der westeuropäischen Märkte mit deutschen Produkten. Besorgt hatten die eigenen Handelsattaches registriert, daß französische Exporteure bereits Marktanteile an ihre deutschen Wettbewerber verloren. In französischen Augen profitierten diese von niedrigen Lohn- und Energiekosten sowie einem

52" Vgl. FRUS, 1950, III, S. 7 2 - 7 4 : Bericht, 27.4.1950. 5« Vgl. Kaplan, United States, S. 151-153, 168; ders., NATO, S. 50; Massigii, Comedie, S. 133; Wovke, Militärorganisation, S. 137-143. 52(· Vgl.' auch Kersten, Niederlande, S. 128-131. 527 Vgl. PRO, CAB 128/13, CM (48)81,15.12.1948; CAB 128/15, CM (49)26, 7.4.1949. 528 Vgl. Milward, European Rescue, S. 403-408.

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günstigen Wechselkurs. Man befürchtete, daß die Deutschen das Scheitern der Zollunion mit Italien nutzten, um hier an die Stelle Frankreichs zu treten529. Ähnlich wie nach dem Ersten Weltkrieg nahmen die Franzosen den Nachbarn trotz fehlender militärischer Macht als wirtschaftliche Bedrohung wahr 530 . In der Konsequenz drängte Schuman auf einen »firm political link«, mit dem der Teilstaat fest mit dem Westen zu verbinden sei. Denn mit dem Rückzug der Alliierten aus der Besatzungsverwaltung wuchsen in Paris wie in Den Haag die Sorgen vor einer »Rapallo«-Politik. Wie einst die frühe Weimarer konnte die junge Bonner Republik versucht sein, vor dem Hintergrund der Annäherung an die Sowjetunion einen unabhängigen nationalistischen Kurs zu steuern, der auch die alten Industrieführer und Nationalsozialisten wieder an die Schaltstellen der Macht führte 531 . Bevin und Schuman dämpften gleichwohl die Erwartung der Niederländer, Westdeutschland rasch dem Europarat zu assoziieren532. Die vom Spitzensoldaten des Brüsseler Paktes, Bernard L. Montgomery, als Antwort auf die militärische Schwäche Europas schon 1948 angeregte Wiederbewaffnung Deutschlands wurde von den Politikern ohnehin abgelehnt533. Nichtsdestoweniger zeichnete sich sowohl im Brüsseler Pakt wie in der NATO ein erheblicher Rüstungsbedarf ab, sollte die Verteidigung am Rhein mehr als eine Beschwörungsformel sein. Die Verhandlungen des Konsultativrates im Frühjahr 1950 ließen jedoch wenig Zweifel an der Priorität, die das Wirtschaftswachstum nach wie vor gegenüber der Aufrüstung genoß 534 . Der Koreaschock riß den Brüsseler Pakt nur für einen Augenblick aus seiner Lethargie 535 ; dann sank er endgültig ins Koma! Bevin beklagte die dilatorische Behandlung der Verteidigung. Statt die eigenen Ressourcen zu mobilisieren, hätte jeder Staat zunächst die Maßnahmen der anderen Staaten abgewartet. Schuman räumte immerhin das Versagen der Staatsmänner und ihrer Beamten ein, den Parlamenten die Notwendigkeit höherer Verteidigungsausgaben konkret nachzuweisen. Der belgische Außenminister Zeeland deutete an, die Gründer des Brüsseler Paktes hätten gegenüber ihrer gemeinsamen Organisation versagt. Unverblümt formulierte Bech: »We had completely failed to put any teeth in it.« Einen unfreiwillig skurrilen Beigeschmack hatte da die Aufforderung Bevins, den »utmost vigour« jetzt ausgerechnet im »true spirit of the Marshall Plan« zu unternehmen, dessen integrativen Impulse niemand konsequenter verwässert hatte und weiter verwässerte als die britische Regierung. Kaum weniger fragwürdig klang die vollmundige Ankündigung Zeelands, sein Land werde jetzt auch auf Kosten des wirtschaftlichen Wiederaufbaus alles tun, die militärische Stärke des Paktes zu steigern; Vgl. MAEF, DE-CE, Bd 368, Bl. 160-165: Vermerk, 18.5.1949. Vgl. Kipping, Kartelle, S. 8 6 - 9 0 ; Lappenküper, Beziehungen, S. 90 f. Vgl. Auriol, Journal, III, 1949, S. 196 f., 200 f , 2 1 4 - 2 1 6 (19., 21. und 26.4.1949). Vgl. PRO, DG 1/1/2, Bl. 2 2 - 2 8 : Konsultativrat, 17./18.6.1949. Vgl. Auriol, Journal, III, 1949, S. 441; Bossuat, France, S. 657-662, 667-674; Hogan, Marshall Plan, S. 287-291; Kaplan, NATO, S. 38; Wiggershaus, Pro; Zeeman, Brüsseler Pakt, S. 405, 415-418. 534 Vgl. PRO, DG 1/1/2, Bl. 152-168: Konsultativrat, 16./17.4.1950. 535 Vgl. Kaplan, United States, S. 150 f. 525

530 S3' 532 533

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versuchte die belgische Regierung doch auch in Zukunft genau das zu vermeiden536. In dieser Beleuchtung war der belgische Vorschlag eines gemeinsamen Rüstungsfonds womöglich kaum mehr als der Versuch, der eigenen Industrie neue Absatzchancen zu erschließen. Bevins Vorschläge liefen letztlich darauf hinaus, das zu tun, was der Pakt ohnehin zu tun gedachte, und vor allem die Enquete des Rates der NATO-Botschafter (Rat der Ministerstellvertreter) zur Weiterentwicklung des Bündnisses zu unterstützen. Schuman meinte zwar, daß die Allianz trotz der Vorarbeiten des Brüsseler Paktes ebenfalls noch keinen Verteidigungsplan zuwege gebracht habe. Dennoch setzte auch er seine Hoffnungen auf ein immer engeres Verhältnis zu der entstehenden Organisation des Nordatlantikpaktes 537 . Folgerichtig resümierte Stikker als Vorsitzender, daß »more concrete measures« eigentlich nur vom Stellvertreterrat der NATO zu erwarten seien. Im Rahmen des Brüsseler Paktes war ein Problem kaum zu lösen, das den Holländern jetzt anders als im Jahr zuvor auf den Nägeln brannte. Sie empfänden zwar keine »particular warmth for the Germans«, so Stikker, drängten angesichts der Verteidigungslinie des Brüsseler Paktes an Rhein und Ijssel jedoch auf Klärung des deutschen Beitrages zur Verteidigung Westeuropas. Der sollte nicht zuletzt den eigenen Haushalt vor massiven Rüstungsausgaben bewahren 538 . Dagegen warnte Bevin vor der Aufstellung deutscher Truppen, bevor diese nicht in französische und belgische Verbände von ausreichender Stärke integriert werden konnten. Im übrigen wollte er die Ausrüstung der wenigen vorhandenen Streitkräfte nicht dadurch beeinträchtigen, daß die spärliche Rüstungsproduktion noch mit Deutschen und Italienern geteilt werden mußte. Zudem fürchtete er, die Sowjets durch den Beschluß, die Deutschen wiederzubewaffnen, erst recht zu einer Attacke zu provozieren, der man dann nichts entgegenstellen könne 539 . In Rom fühlte man sich in seiner von Anfang an gehegten Abneigung gegen Militärbündnisse bestätigt. Der Brüsseler Pakt habe politisch und diplomatisch versagt und militärisch nichts erreicht540. Es war mithin nur konsequent, daß die Mitglieder des Paktes ihre Militärorganisation im Dezember 1950 aufgaben. Vorläufig fand europäische Verteidigungspolitik unter den Auspizien amerikanisch-britischer Präponderanz in der NATO statt541. Je stärker die Allianz in den Vordergrund trat, desto deutlicher schwand die Notwendigkeit, europäische sicherheitspolitische Strukturen zu schaffen. Dabei sollte das seiner Natur nach intergouvernementale atlantische Bündnis im Zuge seiner institutionellen Entwicklung eine zuvor nicht gekannte Stufe der Integration hervorbringen, aber eben nur der Integration der operativen militäriDas prosperierende Belgien habe sich, so wurde im November 1949 im britischen Kabinett geklagt, einem angemessenen Beitrag zur »Western Union defence« verweigert. Vgl. PRO, CAB 128/16, CM 67(49), 17.11.1949. 537 Vgl- auch Guillen, Frankreich, S. 113 f. 538 Vgl a u c h Harst, European Union, S. 116. »'•> Vgl. PRO, DG 1/1/2, Bl. 210-223: Konsultativrat, 1.8.1950. 5« Vgl. ASD, Äff. Pol. 1946-1950, Italia, Nr. 195: Runderlaß, 23.12.1950. 54! Vgl. FRUS, 1950, III, S. 606 f.: Murphy an Acheson, 20.12.1950; Zeeman, Brüsseler Pakt, S. 418-424. 536

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sehen Führung. Dem hatte Kanada bereits bei der Gründung vorzubeugen versucht. Obwohl einige kanadische Diplomaten ein Militärbündnis favorisierten, wollte der stellvertretende kanadische Außenminister Lester Pearson einen Atlantikpakt nicht vorrangig auf militärischen Garantien gründen. Vielmehr sollte es die westlich-demokratischen Wertvorstellungen möglichst weltweit durchsetzen542. Mit Zustimmung Kennans mahnte er im Juli 1948, die »russische« Gefahr nicht zur ausschließlichen »raison d'etre« der geplanten Allianz zu machen. Wenn man das kollektive Sicherheitssystem nicht auf eine breitere Basis stelle, werde es das ausschlaggebende Motiv seiner Gründung nicht überleben543. Wie der Marshallplan sollte die Allianz als »dynamic counter-attraction of a free, prosperous and progressive society as opposed to the society of the Communist world« wirken544. Pearsons Prophezeiung sollte zwar nach vier Jahrzehnten nicht eintreten. Aber die kanadische Diplomatie verfolgte mit der von ihr aktiv betriebenen atlantischen Allianz ein doppeltes sicherheitspolitisches Anliegen. Wie die neutralen Kleinstaaten Europas mußte auch Kanada 1939 erkennen, daß der außenpolitische Isolationismus im Rahmen des Commonwealth die Bedrohung des Landes und die erneute Verwicklung in einen europäischen Großkonflikt nicht verhindert hatte. Dann stellte man nahezu verbittert fest, daß Kanada zwar einen erheblichen wirtschaftlichen und militärischen Anteil an der Kriegsanstrengung der Alliierten trug. Die Amerikaner waren jedoch ebensowenig bereit wie die Briten, im Gegenzug den Kanadiern eine entsprechende politische Mitwirkung einzuräumen. Wirtschaftlich wie militärisch trat Kanada während des Krieges von der britischen in die amerikanische Sphäre über. Damit zeichnete sich die Gefahr ab, die erst 1931 den Briten abgetrotzte volle Souveränität womöglich an den übermächtigen Nachbarn wieder zu verlieren. Vor diesem Hintergrund strebte Kanada ein kollektives Sicherheitssystem an, das ihm erlaubte, seinen politischen Einfluß dort geltend zu machen, wo es im eigenen nationalen Interesse einen entsprechenden Beitrag leistete. Wo es das dagegen nicht tat, wollte es das Feld den Großmächten überlassen. Die anhaltende wirtschaftliche Prosperität des Landes hing von Ausfuhren ab, die den Einfuhrüberschuß mit den Vereinigten Staaten finanzierten545. Das legte ein wirksames transatlantisches Wirtschaftsbündnis nahe, das die im Sommer 1949 kulminierende Währungskrise bereinigen sollte. Obwohl die Kanadier mit ihren Ausfuhren nach Großbritannien traditionell ihre Defizite im Nordamerikahandel kompensierten, wollten die Briten einen zunehmenden Teil ihrer Einfuhren in nicht-konvertiblen Sterling statt in Dollar bezahlen und scheuten sich nicht, den Rückzug britischen Kapitals anzudrohen546. Unter diesen Umständen erwartete Pearson einerseits »a basis for positive economic and financial cooperation between the United King5« 543 5« 5«

Vgl. DCER, XIV, S. 490: Pearson an King, 12.4.1948. Vgl. FRUS, 1948, III, S. 159 f.: Washingtoner Verhandlungen, 7.7.1948. FRUS, 1948, III, S. 245: Washingtoner Verhandlungen, 9.9.1948. Vgl. Kieninger, Containment, S. 30-36, 43-47, 58-113, 216-260. Vgl. PRO, CAB 128/16, CM 48(49), 51(49), 52(49), 25., 29.7. und 12.8.1949.

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dom and Canada which would balance and complement the obligations assumed by the United Kingdom towards the European countries participating in the OEEC«. Andererseits sollten die Vereinigten Staaten für ein »multilateral clearing« in die Pflicht genommen werden, auf daß die Europäer ihre Dollarbilanzen nicht ausschließlich zu Lasten der Hartwährungsländer ausglichen 547 . Zwar teilte Ottawa seit 1947 die westliche Überzeugung, daß von der Sowjetunion eine Bedrohung ausgehe. Gleichzeitig wollte man vermeiden, durch die den Amerikanern unterstellte Zuspitzung des Gegensatzes zu den Sowjets in eine militärische Auseinandersetzung verwickelt zu werden. Diese Interessen sprachen für eine Allianz sowohl mit den Vereinigten Staaten wie mit den westeuropäischen Großmächten, die das gemeinsame Sicherheitsinteresse vor allem politisch und wirtschaftlich befriedigte. Sie sollte das »doppelte Containment«, so Kieninger, sowohl der Sowjetunion wie der Vereinigten Staaten sicherstellen. Dabei wollte die kanadische Diplomatie der ideologischen Herausforderung durch den Kommunismus durchaus offensiv begegnen. Der primär politische Atlantikpakt sollte »confusion, uncertainty and mistrust [bewirken], if not in Russia itself, then among satellites«548. Den übermächtigen Nachbarn dagegen galt es in ein adantisches System von Institutionen einzubinden, die vor allem die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen ihrer Mitglieder förderten. Eine erneute Mediatisierung wie im Zweiten Weltkrieg war zu vermeiden. Daher sollte der geplante Nordatlantikrat auch mit Zweidrittel-Mehrheit entscheiden. Dennoch wollte man den Vereinigten Staaten faktisch ein Vetorecht zugestehen 549 . Folgerichtig nutzte der kanadische Premierminister 1948 den Beginn der Washingtoner Verhandlungen über den Nordatlantikpakt, um die vor der Unterzeichnung stehende nordamerikanische Freihandelszone im letzten Moment zu kippen. In einem nordatlantischen Wirtschaftsverbund war die Gefahr der Übernahme der kanadischen durch die amerikanische Wirtschaft geringer 550 . Außer den Niederlanden mit ihren Zollsorgen zeigten allerdings weder die übrigen Brüsseler-Pakt-Staaten noch die Amerikaner Interesse an einer wirtschaftlichen und kulturellen Dimension 551 . Selbst Kennan plädierte nach der Sommerpause 1948 dafür, die nicht-militärischen Ziele des späteren Artikels 2 des Nordadantikvertrages nur mehr als Option für eine ferne Zukunft und als zivilen Zuckerguß einer Militärallianz aufzunehmen. Die Europäer signalisierten ihre widerwillige Zustimmung 552 . Als Acheson im Januar 1949 das State Department übernahm, 5-t7 Vgl. PAC, RG 2-B2, C-20-5, Bd 245, CD 897: Memo Pearson, 16.2.1949. 5-t» DCF.R, XIV, S. 637: Reid an Wrong, 6.11.1948. 5·»« Vgl. DCER, XIV, S. 523, 664 f., 698: Memo Reid, 26.6.1948, Reid an St. Laurent, 15.11.1948, Memo Claxton, 1.12.1948. 5511 Vgl. Kieninger, Containment, S. 299-302; Letourneau, Kanada, S. 6 1 - 6 9 ; ders., Dimension, S. 2 0 - 3 2 . 551 Vgl. FRUS, 1948, III, S. 169-182, 315-317: Washingtoner Verhandlungen, 9.7. und 13.12.1948; FRUS, 1949, IV, S. 85 f.: Washingtoner Verhandlungen, 8.2.1949; Wiehes and Zeeman, Origins, S. 161. 552 Vgl. FRUS, 1948, III, S. 226: Arbeitsgruppe, 2.9.1948; DCRR, XIV, S. 589-592, 758: Wrong an Pearson, 4.9.1948, Worktng Group, 23.12.1948.

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lehnte er die Gemeinplätze ab. Dabei berief sich der neue Außenminister auf die Ablehnung Senator Vandenbergs und des Kongresses. Tatsächlich stand diese Haltung für die Abkehr Washingtons vom Paradigma des Marshallplanes. Dagegen beschworen die Kanadier die Vorbehalte ihrer Öffentlichkeit gegen ein reines Militärbündnis. Sie wandten sich an die Europäer. Die Briten reagierten eher lau, stimmten aber einer unverbindlichen Formel zu. Dagegen unterstützten Holländer, Belgier und Franzosen jetzt die kanadische Forderung 553 . Der kanadische Premier Louis St. Laurent intervenierte bei Truman 554 . Am Ende billigte Acheson das Vertragsziel, die wirtschaftlichen Konflikte unter den Partnern auszuräumen und die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu fördern. Die Formulierung war zwar in der Praxis vieldeutig. Aber sie bot mehrere Vorteile. Sie kaschierte den faktischen Bruch mit dem Prinzip der Sicherheit durch Wirtschaftsdiplomatie und beschwor das gemeinsame Anliegen, das Erbe des Bilateralismus zu überwinden. Sie milderte in diesem Sinne den militärischen Charakter der künftigen Allianz. Schließlich hielt sie die Option einer wirtschaftlichen Konsolidierung des atlantischen Dreiecks ebenso offen wie die einer großen euro-atlantischen Wirtschaftsgemeinschaft 555 . Anders als der Brüsseler Pakt mit seinen Anläufen zu einer zivilen Zusammenarbeit besaß die neue Allianz demnach von Anfang an rein militärischsicherheitspolitischen Charakter. Das machte insbesondere den Beitritt Italiens zum Problem, dessen Öffentlichkeit einer Militärallianz mindestens ebenso ablehnend gegenüberstand wie die kanadische. Andererseits war die Einbindung Italiens in den Atlantikpakt für die Fortentwicklung des kontinentaleuropäischen Kontextes ebenso zentral wie bei den Gründern der Allianz umstritten. Die effektive Bündelung der europäischen Ressourcen war für Lovett im Juli 1948 nur in einem zugleich erweiterten und tiefer integrierten Brüsseler Pakt denkbar. Dagegen gaben dessen Mitglieder der Konsolidierung Vorrang vor der Erweiterung in die skandinavische und mediterrane Peripherie. Weder der französische Botschafter in Washington noch sein niederländischer Kollege wollten in der großen OEEC das Modell für den kleinen Brüsseler Pakt erkennen. Der amerikanische Wunsch nach Aufnahme Italiens stieß daher auf wenig Gegenliebe. Frankreich wollte sich nicht mit Italien militärisch belasten. Freilich sah sich der französische Botschafter in Washington dem Vorwurf des nationalen Egoismus ausgesetzt, als er ziemlich unverblümt vor allem Rüstungsgüter für das eigene Land reklamierte. Der niederländische Vertreter wollte den Brüsseler Pakt als harten Kern in eine größere atlantische Allianz integrieren, was dem kanadischen Wunsch einer vom europäischen Bündnis unterschiedenen nordatlantischen Gemeinschaft ohne automatische Beistandspflichten entgegenkam 556 . Ähnlich plädierte Kennan für die Assoziierung der Vgl. DCER, XV, S. 523-525, 527, 533-536, 546 f.: Wrong an Pearson, 9.2., 19.2., 21.2. und 25.2.1949, Pearson an Wrong, 9. und 21.2.1949, Pearson an die Botschaft Paris, Brüssel und Den Haag, 17.2.1949; PRO, CAB 128/15, CM 14(49): Kabinett, 22.2.1949. 554 Vgl. DCER, XV, S. 1464, 1468: Memo Wrong, 12.2.1949, Wrong an Pearson, 18.2.1949. 555 Vgl. Kaplan, United States, S. 117 f.; Kieninger, Containment, S. 428-450. 55« Vgl. FRUS, 1948, III, S. 163-182, 208, 214-220: Washingtoner Verhandlungen, 8.7., 9.7. und 20.8.1948, Besprechung Bohlen/Berard, 6.8.1948.

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restlichen OEEC-Staaten mit dem auf die Atlantikanrainer zu begrenzenden Bündnis. Er hegte ebenfalls Zweifel, ob Italien diesem angehören sollte. Dagegen setzte sich Hickerson, Leiter der Europaabteilung des State Department, Ende August 1948 für die Aufnahme Italiens in den Adantikpakt ein. Die Amerikaner bemühten wieder die Sdmmung ihrer Volksvertreter für eine »confederation of Europe«. Die Administration könne kein Bündnis vorschlagen, das die Europäer eher entzweie als vereine. In der Zwischenzeit opponierte vor allem Holland gegen eine italienische Beteiligung. Die Amerikaner suchten nach einer Einbindung Italiens unterhalb der Schwelle der Mitgliedschaft 557 . Ihre Haltung war genauso zwiespältig wie die der Westeuropäer. Die strategische Bedeutung der Po-Ebene lag auf der Hand. Die südliche Flanke der Verteidigung zwischen Elbe und Rhein hätte gleichsam in der Luft gehangen, wenn hinter dem in Teilen sowjetisch besetzten Österreich und der neutralen Schweiz ein neutrales oder gar sowjetfreundliches Italien stand; von der politischen Destabilisierung Westeuropas ganz abgesehen. Gleichwohl waren zunächst weder Europäer noch Amerikaner und Kanadier bereit, der italienischen Regierung handfeste Zusagen und militärische Unterstützung in Aussicht zu stellen. Ohne diese konnte Ministerpräsident de Gasperi allerdings kaum wagen, sein Land gegen die in der Bevölkerung populäre Äquidistanz militärisch festzulegen. Folglich hoffte er bis Ende 1948, im Rahmen der OEEC die wirtschaftliche über die politische bis zur militärischen Integration fortzuschreiben558. Ende 1948 machten Briten, Kanadier, Holländer weiter Front gegen Italien. Belgien war immerhin nicht grundsätzlich gegen dessen Beteiligung, die nun auch die Amerikaner, mit Ausnahme Lovetts, forderten 559 . Bevin hätte ebenso wie Lovett den Europarat als politische Klammer zwischen Italien und der künftigen Allianz vorgezogen. Dagegen mahnte die Arbeitsebene der Washingtoner Konferenz im Dezember 1948, es sei »illogical to exclude Italy from this Pact while encouraging efforts to integrate her more fully into the Western European economic organization - such as the projected Franco-Italian Customs Union« 560 . Frankreich hatte sich inzwischen entschieden, Italien durch das Zollunionsprojekt sowohl gegen Westdeutschland als auch gegen die Dominanz der Amerikaner im eigenen Fahrwasser zu halten. Es versprach sich von dem Verbündeten die Stärkung des eigenen Einflusses im Adantikpakt. Wenn Italien dazugehörte, war im übrigen auch die Aufnahme seines von Frankreich beherrschten nordafrikanischen Hinterlandes fast zwangsläufig. Bevin milderte seinen Widerstand, als Acheson die Bereitschaft ventilierte, die zusätzliche Militärhilfe für Italien nicht aus dem für die übrigen 55" Vgl. FRUS, 1948, III, S. 203 f., 225, 241: Arbeitsgruppe, 26.7. und 2.9.1948, Kcnnan an Lovett, 31.8.1948, Memo, 9.9.1948; DCER, XIV, S. 572 (Zitat): Stone an Pearson, 13.8.1948. Vgl. auch Barie, Stage, S. 51 f.; Kaplan, United States, S. 81 - 8 4 . 55» Vgl. FRUS, 1948, III, S. 252 f., 298: Dunn an Marshall, 15.9.1948, Kirk an Marshall, 29.11.1948. 55' Vgl. FRUS, 1948, III, S. 316, 3 2 4 - 3 3 2 : Washingtoner Verhandlungen, 13. und 22.12.1948; Kieninger, Containment, S. 413 f.; DCER, XIV, S. 723 f., 747 f., 769 f.: Working Group, 15. und 17.12.1948, Wrong an Pearson, 24.12.1948. 5«> FRUS, 1948, III, S. 340: Bericht, 24.12.1948.

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Mitglieder vorgesehenen Kuchen herauszuschneiden 561 . Botschafter Tarchiani in Washington erhielt am 6. Januar 1949 ein wiederum mit Garantieforderungen gespicktes Memorandum seiner Regierung, das nicht nur in Brüssel schlecht aufgenommen wurde 562 . Es sollte der Sorge vor einer Neuauflage der Brüsseler Allianz Ausdruck verleihen, deren militärischer Wert in keinem Verhältnis stand zu den mit ihr einhergehenden innen- und außenpolitischen Risiken 563 . Tarchiani gab dem Memorandum dennoch den Tenor eines Beitrittsgesuchs. Gleichzeitig warnte er vor Unruhen und Destabilisierung, sollte ihm nicht entsprochen werden. Außenminister Sforza signalisierte dem amerikanischen Botschafter Dunn den Wunsch, dem nordatlantischen, nicht aber dem Brüsseler Pakt beizutreten. Er hegte überdies Hoffnungen auf Fortschritte bei der Revision des Friedensvertrages. Die Kanadier gaben im Laufe des Februars ihren Widerstand gegen den italienischen Beitritt auf. Dagegen schwenkte jetzt Truman kurz ins Lager der Skeptiker. Einem französischen Rat folgend, beantragte Italien am 1. März 1949 formell den Beitritt564. Das geschah vor allem, so de Gasperi im Kabinett, »um zu verhindern, daß man außen vor gehalten werde« (»per evitare di essere tenuti fuori«) 565 . Tatsächlich hätte Italien andernfalls mit Griechenland und der Türkei das mediterrane Vorfeld des Atlantikpaktes gebildet und wäre damit eher noch abhängiger von den Vereinigten Staaten geworden 566 . Trotz der fortdauernden Halbherzigkeit in Rom war damit die Grundlage für einen massiven Vorstoß geschaffen. Angesichts der französischen Drohkulisse glaubte der britische Botschafter in Washington, Franks, daß »a pistol was put at his head«. Die Wellen der Verärgerung schlugen kurzzeitig hoch, aber bereits am 7. März 1949 hatten die Franzosen den Widerstand gegen Italien als Mitgründer der Allianz überwunden 567 . Mit seinem Plazet honorierte Acheson auch den Beitritt der Italiener zum Europarat. Die Niederländer stellten ihren Widerstand ein, als Frankreich ihnen Unterstützung bei den Verhandlungen der UNO über Indonesien versprach. Denn das kleine Holland bekam den Druck der anti-kolonialistischen Stimmung des Kongresses zu spüren. Er bestand auf der politischen Lösung des Konfliktes, bevor die Niederlande Militärhilfe erhielten. Die Hoffnung, mit dem Beitritt die amerikanische Haltung zu mildern, scheiterte trotz britischer und französischer Unterstützung an der kompromißlosen Haltung Achesons. Italien kehrte

562 5« 564

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VgLFRUS, 1949, IV, S. 2 7 - 3 4 , 4 4 - 4 6 , 48: Washingtoner Verhandlungen, 14.1.1949, Holmes an Acheson, 24.1.1949, Caffery an Acheson, 24.1.1949, Acheson an Botschaft London, 26.1.1949. Vgl. ACS, N1 Sforza, Nr. 4/18: ital. Botschaft Brüssel an Minist. Äff. Esteri, 22.1.1949. Vgl.ACS, PCM/VCM, 11.3.1949. Vgl. auch ebd., 8.3.1949. Vgl. FRUS, 1949, IV, S. 18 f., 23 f., 125 f.: Dunn an Marshall, 10.1.1949, Memo Hickerson, 12.1.1949, Memo Acheson, 28.2.1949, Tarchiani an Acheson, 1.3.1949; DCER, XV, S. 500, 509, 512, 514, 544-546, 563: Wrong an Reid, 14.1.1949, Wrong an Pearson, 19.1., 2.2. und 25.2.1949, Pearson an Wrong, 7.2.1949; Weber, Weg, S. 216 f. Vgl.ACS, PCM/VCM, 8.3.1949. Vgl. Spineüi, Diario, S. 51 (20.3.1949); Nuti and Cremasco, Linchpin, S. 325. Vgl. FRUS, 1949, IV, S. 126-135 (Zitat S. 130), 141 f., 151-163, 166-174: Washingtoner Verhandlungen, 1., 4. und 7.3.1949, Memo Acheson, 2.3.1949; PRO, CAB 129/33, CP (49)56: Memo Bevin, 8.3.1949; Barie, Stage, S. 5 2 - 5 4 ; Bagnato, France, S. 103-106.

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mit seinem Beitritt zum Atlantikpakt nicht nur endgültig in das Konzert der europäischen Staaten zurück. Vielmehr war die politische Einbindung ins westliche Lager die Voraussetzung für seine spätere Rolle als Protagonist der europäischen Integration. Freilich verkannte Sforza nicht, daß auch in der neuen Allianz keine Gleichrangigkeit (»eguaglianza«) zwischen den Nationen bestand. Daß die atlantische Beistandsformel im Vergleich zur Brüsseler vage ausfiel, sah Sforza eher als Vorteil. Jetzt saß man unter dem amerikanischen Nuklearschirm, ohne daß man im Konfliktfall sofort mit den eigenen schwachen Kräften geradestehen mußte. Der stellvertretende Ministerpräsident Saragat brachte die Auffassung der westeuropäischen Staatsmänner schlechthin auf den Punkt, wenn er glaubte, daß »die Furcht der Russen vor der Atombombe den Kern der Verteidigung darstellt«568. Daß Italien gleichzeitig den Europarat mitgründete und den Zollunionsvertrag mit Frankreich unterzeichnete, kaschierte die Tatsache, daß es sich einer Organisation anschloß, deren rein militärisch-sicherheitspolitischer Charakter rasch augenfällig werden sollte. Das widersprach der außenpolitischen Überzeugung, daß das eigene Land vor allem politisch und wirtschaftlich in den Westen einzubinden sei. Dagegen gefährdete die Aufrüstung die wirtschaftliche Zusammenarbeit; zumal eine Aggression der Sowjets aus der Sicht Roms als unwahrscheinlich galt. Die traute man eher dem jugoslawischen Nachbarn zu. Folgerichtig bemühte sich Italien ebenfalls, den politischen Charakter der Allianz zu stärken. Der Sitz in der Planungsgruppe Westeuropa der NATO wurde ihm dann ebenso verweigert wie der in der Standing Group 569 . Die Italiener konnten sich bei ihrem Bestreben, in dem Spitzengremium der Allianz mitzuwirken, nicht auf weltweite »Verpflichtungen« berufen. Die Drei waren nicht bereit, den italienischen Beitritt zur Allianz mit Fortschritten in der Kolonialfrage zu honorieren 570 . Diese hätten vielleicht solche Verpflichtungen nach sich gezogen, von denen man in Rom annahm, sie förderten die Rückkehr in den Kreis der europäischen Großmächte 571 . Dagegen erkannte de Gasperi in der »Unione Europea« und der Zollunion mit Frankreich längst passendere Schlüssel zum Salon der Großen 572 . Außenminister Schuman war es im April 1949 gelungen, mit den Angelsachsen die Standing Group als Exekutivausschuß des Militärkomitees des Atlantikpakts zu vereinbaren. Während letzterem die Spitzenmilitärs aller Mitglieder angehörten, saßen in der Standing Group nur die der großen Drei. Die prestigeträchtige Mitgliedschaft im Führungsclub mag das dumpfe Gefühl der Franzosen beruhigt haben, letztlich nicht mehr zu sein als kontinentales Fußvolk der nuklear bestückten 5«! ACS, PCM/VCM, 28.4.1949. Vgl. FRUS, IV, S. 323-325, 328 f.: Acheson an Botschaft Rom, 3.9.1949, Memos Achcson. Vgl. auch Auriol, Journal, III, 1949, S. 82; Bagnato, Storia, S. 151 f.; Kaplan, United States, S. 141; Manning, Pays-Bas, S. 438-441; Smith, U.S. Security, S. 143-154; ders., United States, S. 8 5 - 8 8 ; Varsori, De Gasperi, S. 8 5 - 9 1 ; ders., Italia, S. 592-594, 621 f.; Vigezzi, De Gasperi, S. 5 0 - 5 7 ; Weber, Weg, S. 221; Wiehes and Zecman, Origins, S. 160-162 f. 57" Vgl. DCER, XV, S. 561: Wrong an Pearson, 4.3.1949. 5 , 1 Vgl. Brogi, Egemonia, S. 30 f. ™ Vgl. ACS, PCM/VCM, 10. und 25.5.1949.

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angelsächsischen See- und Luftmacht. Truman, Acheson und Verteidigungsminister Johnson versuchten am Vorabend der Unterzeichnung des Atlantikpaktes am 3. April 1949 die europäischen Außenminister auf die sicherheitspolitischen Ziele einzuschwören, die sie mit dem künftigen Doppelpack aus Allianz und Marshallplan anstrebten. Das programmatische Leitmotiv war der wirksame Widerstand gegen die sowjetische Bedrohung, der keine Gegensätze unter den europäischen Verbündeten duldete. Deutschland und Japan sollten als wirtschaftliche und vielleicht eines Tages auch militärische Mächte wieder hergestellt und als tragende Elemente eines regionalen Unterbündnisses in die westliche Gemeinschaft eingefügt werden. Zugleich erwarteten die »alten« Verbündeten Großbritannien und Frankreich, daß die Amerikaner ihren Vorsprung vor den »neuen« Verbündeten sicherstellten573. Dabei wünschte Washington, daß die Europäer sich vom klassischen Kolonialismus verabschiedeten, der weniger einbrachte, als er kostete. Die Europäer waren freilich überzeugt, daß ihr Großmachtstatus nicht zuletzt gegenüber den Deutschen auch durch den Kolonialbesitz unterstrichen wurde. Nur so ist denn auch die Sehnsucht der Italiener nach ihren verlorenen Kolonien zu erklären. Die militärischen Aufgaben sollten so verteilt werden, daß die Vereinigten Staaten und in zweiter Linie die Briten die Seemacht und das Potential zur strategischen Luftkriegführung stellten. Dagegen hatten Franzosen, Italiener, Belgier und Niederländer Bodentruppen und taktische Luftstreitkräfte aufzubauen. Die strategische Planung lag in den Händen des Dreierklubs. Die Europäer sollten flankierend O E E C , Brüsseler Pakt und Europarat zu einer umfassenden wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit ausbauen. Tatsächlich zeigten die Europäer wenig Neigung, die von den Amerikanern geforderten Opfer zu bringen. Schuman bestand auf einem kontrollierten, dezentralisierten und schwachen Deutschland. Bevin fürchtete die deutsche und japanische Handelskonkurrenz. Stikker glaubte auf die Ressourcen Indonesiens nicht verzichten zu können. Sforza betonte, daß der Erfolg des Marshallplanes von Exportchancen auf den amerikanischen Markt abhing. Bevin bekräftigte gegen die Kritik an seiner Europapolitik, daß »our attitude toward the continent is somewhat like that of the US«. Eine »Lehrstunde in Machtpolitik«574 waren diese Verhandlungen für beide Parteien. Die Europäer wurden mit der amerikanischen Forderung konfrontiert, ihre nationale Sicherheitspolitik an den übergeordneten Interessen der westlichen Gemeinschaft auszurichten, wie sie die Vereinigten Staaten definierten. Und die Amerikaner mußten einsehen, daß ihre Europapolitik bei aller gebotenen Form abgelehnt wurde und nur ihre militärpolitischen Vorstellungen ohne offenen Widerspruch blieben. Die Europapolitik entsprach erstens der Forderung der amerikanischen Vereinten Stabschefs, eine starke Führungsposition im Bündnis mit größtmöglicher Handlungsfreiheit zu verbinden. Zweitens war sie ein wesentliches Attribut des französischen — und natürlich auch britischen — Großmachtanspruches. Drittens war die Standing Group der institutionelle Niederschlag des infor573 Vgl Schmidt, Strukturwandel, S. 10. 574 Vgl. Wiehes und Zeeman, Lehrstunde (Zitat S. 422).

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mellen Dreierklubs, von dem sich die übrigen Bündnispartner nur ungern majorisieren ließen575. Die zunehmende Militarisierung förderte die europäische Integration nicht. Acheson und Zeeland waren sich im September 1949 über die Krise der Europapolitik einig576. Historiker bestätigen meist den Eindruck der Zeitgenossen, 1949/50 seien die amerikanischen Hoffnungen auf die rasche Fusion wirtschaftlicher und politischer Souveränität vornehmlich an der Entscheidung Großbritanniens zerschellt, seinen globalen Ambitionen absoluten Vorrang vor seinen europäischen Interessen einzuräumen 577 . Faktisch war diese Entscheidung auch eine amerikanische 578 . Die Vereinigten Staaten akzeptierten in den Finanzverhandlungen mit den Briten im Herbst 1949 die Axiome der britischen Außenpolitik. Die NATO enthob London noch deutlicher als die OEEC - deren intergouvernementalen Charakter es erfolgreich verteidigt hatte - der Notwendigkeit politischer Integration. Die »permanent alliance«579 verbürgte ein Maximum von Sicherheit um den Preis minimaler Einbußen an souveräner Handlungsfreiheit. Für Acheson und Harriman hatte sich der integrative Impetus des Marshallplanes erschöpft. Sie spielten ihn jetzt zur »fire-fighting operation« herunter, deren vorrangiges Ziel nicht die Integration gewesen sei. Man dürfe daher die OEEC nicht mehr weiter unter Druck setzen, sonst werde sie sich auflösen. Nitze und Douglas zweifelten, ob die Föderation überhaupt sinnvoll sei. Für Kennan und Bohlen war sie ohne Großbritannien unmöglich, seine Mitgliedschaft in einer Föderation jedoch gleichbedeutend mit der Auflösung des Empire. Douglas wollte die Sterlingzone und die Führung der Briten im Commonwealth erhalten, obwohl sich deren Rolle dort von der Vormacht zum Mitglied wandle. Für Kennan hingegen war Deutschland ohne europäische Föderation kaum zuverlässig einzubinden. Im Ergebnis beharrte man im Political Planning Staff darauf, daß die Briten die Wirtschaftsintegration nicht blockieren, sie vielmehr anführen sollten. Wie die Marshallplaner ihre »Hauptgegenspieler« 580 im Ringen um die Integration dazu zwingen wollte, blieb jedoch unklar, wenn das State Department in einem Strategiepapier vom April 1950 wiederholte, daß man trotz der zahlreichen Gegensätze dazu verdammt sei, im Weltmaßstab vorrangig mit den Briten zusammenzuarbeiten. In der Tat hatte man im Januar 1950 mit den Briten den Austausch militärischer Informationen vereinbart. Seit der Berliner Blockade waren in Großbritannien strategische Bomber stationiert, die mittlerweile zu Kernwaffenträgern umgerü"

™ 5" 5"8 579

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Vgl. FRUS, 1951, III, S. 6 4 4 - 6 4 6 : Spofford an Acheson, 4.9.1951; DCF.R, XVI, S. 865, 1014: Nordatlantikrat, Mai und September 1950; Pedlow, NATO, S. 1 5 4 - 1 5 6 ; Costigliola, France, S. 72 f.; Greiner, F-ntwicldung, S. 30; Soutou, Frankreich, S. 212 f.; Wovke, Militärorganisation, S. 1 3 4 - 1 3 7 . Vgl. FRUS, 1949, IV, S. 423 f. Vgl. Hardach, Marshall-Plan, S. 1 7 9 - 1 8 1 ; Hogan, Marshall Plan, S. 309 f.; I.undestad, Fmpire, S. 3 3 - 3 8 ; Melandri, Etats-Unis, S. 3 8 - 4 1 ; ders., Integration, S. 6 3 7 - 6 3 9 . Vgl. dagegen Heideking, Pragmatismus, S. 318 f. Heuser, Mentalities, S. 36. Wurm, Großbritannien, S. 81.

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stet worden waren. Die Insel wurde damit zu einer der wichtigsten Stützpunkte der amerikanischen Nuklearkriegführung 581 . Für Acheson hatte die nüchterne Wirtschaftsintegration »no popular appeal, there would be no [...] torch-light parades in celebration of a payments union«. Das Deutschlandbüro des State Department war sich mit dem amerikanischen Hohen Kommissar in Bonn, John McCloy, einig, daß OEEC und Europarat für die Deutschen »no political sex appeal« mehr hätten. Da das vorherrschende Interesse von Briten und Franzosen im Schutz vor deutscher Wirtschaftskonkurrenz liege, gefährde die Abwesenheit von »leadership« und »vital ideas« die von den Vereinigten Staaten angestoßene Europapolitik. Daher müsse die politische der wirtschaftlichen Integration den Weg ebnen. In diesem Sinne plädierte McCloy doch wieder für Schritte in Richtung einer Föderation, die am besten noch vor einer Wiedervereinigung Deutschlands erfolgen sollten582. Ähnlich dachte Kennan. Die landläufige amerikanische Überzeugung, daß die Integration die Voraussetzung der wirtschaftlichen Stabilisierung Westeuropas sei, teilte er nicht mehr 583 . Da sich ein Gutteil der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit künftig im Rahmen des Nordatlantikpaktes vollzog, erkannte Acheson in ihm das »vehicle« der europäischen Integration; zumal man dort ja Mitglied sei. Denn der Brüsseler Pakt, so der amerikanische Botschafter in Paris, David Bruce, war zu klein und mittlerweile rein militärisch orientiert. Der müde Europarat besaß kaum Zuständigkeiten. Allerdings bedürfe die Allianz einer starken zivilen Führung. Davor schreckten selbst die Vereinigten Staaten zurück; wollten sie doch ebenfalls keine Souveränitätsrechte abtreten. Im Vorfeld der Drei-Mächte-Verhandlungen im Mai 1950 plädierte Bruce vier Wochen später für eine atlantische Gemeinschaft unter Einschluß Kanadas und der Bundesrepublik, die über den militärischen Bereich hinausreichen müsse. Das entsprach im übrigen den nicht-militärischen Vertragszielen des Nordatlantikpaktes, über deren Erfüllung das State Department nur unbestimmte Vorstellungen entwickelt hatte. Douglas - mit dem sich Bruce eine interessante Kontroverse lieferte, wie eng denn die »special relationship« zu den Briten ausfallen dürfe 584 — vertrat den britischen Standpunkt, die Allianz auf die Sicherheitspolitik zu beschränken. Allerdings war er sich mit Bohlen einig, daß diese einer politischen Führung bedürfe. Der Ausbau ihrer Führungsorganisation, so die Empfehlung der Botschafter in Westeuropa, solle die Allianz in die Lage versetzen, Politik, Wirtschaft und Militär zu koordinieren 585 . Das kam Acheson entgegen. Er dachte nicht nur über ein einflußreiches NATO-Sekretariat unter voller amerikanischer BeteiliVgl. auch Baylis, Defense Relations, S. 40 f., 74-84; Greiner, Entwicklung, S. 31; Hogan, Marshall Plan, S. 313-315; Lord, Creation, S. 7 7 - 8 1 ; Mai, Germany, S. 9 4 - 9 6 . 582 Vgl. dazu Rupieper, Policy, S. 47 - 51. 583 Vgl. Kennan, Memoiren, S. 450. 58" Vgl. auch FRUS, 1950, III, S. 960 f., 972-974. 585 Vgl. FRUS, 1950, III, S. 6 3 - 6 5 , 70 f., 617-622, 6 3 8 - 6 4 2 (Zitat S. 639 f.), 795-824, 869-881: Bruce an Acheson, 25.4.1950, Vermerk Acheson, 19.1.1950, Paper: Art. 2, 25.4.1950, Besprechung Acheson, Rusk, Douglas u.a., 7.3.1950, Botschafterkonferenz, 22.-24.3.1950, State Dpt. Paper, 19.4.1950; FRUS, 1950, IV, S. 5 9 7 - 6 0 2 (Zitat): Bureau of German Affairs, 11.2.1950. 581

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gung und in enger Verbindung mit der OEEC und dem Europarat nach, sondern auch über eine adantische Gemeinschaft mit deutscher Beteiligung586. Die britische Regierung erwartete, daß Washington die außen- und sicherheitspolitische Zusammenarbeit nicht dazu mißbrauchte, sie zu Maßnahmen zu drängen, von denen sie die Schwächung ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Lage erwartete. Allenfalls die Sorge der Briten, die Amerikaner könnten die Franzosen und vor allem die Deutschen zu ihrem bevorzugten Partner in Europa machen, bot der amerikanischen Diplomatie einen Ansatzpunkt 587 . Im Mai 1950 verständigten sich die Vereinigten Staaten und Großbritannien in bilateralen Verhandlungen auf Formelkompromisse. Sie kaschierten das Grundproblem, daß sich Amerikaner und Briten im Grundsatz in zahlreichen internationalen Fragen ebenso einig waren, wie sie in der Europapolitik auseinander lagen. Die Amerikaner akzeptierten, daß ihr Partner eine »organic union« ablehnte. Dafür stimmten die Briten einer »European cooperative action« als Element eines atlantischen Systems zu. Sie sollte nicht zuletzt der deutschen Wirtschaft die westeuropäischen Märkte öffnen, damit sie nicht auf Osthandel angewiesen war. Im Gegenzug wollten sich beide Mächte künftig fortlaufend konsultieren 588 . Als die Briten dann auch noch der EZU zustimmten, erfreuten sie sich wieder des nahezu ungetrübten Wohlwollens der Amerikaner. Die Stabilität der Briten galt ihnen wieder als Garant für den Fortschritt des europäischen Wiederaufbaus 589 . Frankreich strebte im Frühjahr 1950 eine transatlantische Wirtschaftsgemeinschaft an, in der die OEEC mit der Bundesrepublik aufging. Man dachte sogar an den Artikel 2 des Atlantikvertrages, kam davon aber rasch ab; hätte es doch den Beitritt der Deutschen zur NATO nahegelegt. Das Bündnis sollte ohne die Deutschen nicht nur die Aufrüstung planen, sondern auch über deren Finanzierung entscheiden. Nichtsdestoweniger sollte sich Bonn künftig ebenfalls und die Amerikaner weiterhin an der Finanzierung der Aufrüstung beteiligen. Denn Frankreich könne über die Kosten für den Indochinakrieg und die bereits vereinbarten Rüstungsbeiträge in Europa hinaus keine weiteren Lasten schultern. Gleichzeitig bemühten sich die Franzosen, ihren Einfluß im Bündnis durch Bildung eines Hohen Atlantischen Rates zu erweitern590. Bevin lehnte eine neue Organisation ebenso ab wie die Absicht, den Beitritt der Bundesrepublik zur NATO auf Dauer zu verhindern. Er hielt die Trennung zwischen wirtschaftlichen und verteidigungswirtschaftlichen Fragen für unrealistisch. Er bemühte sogar den bislang wenig geschätzten 58' Vgl. Melandri, Etats-Unis, S. 245-247, 253 f.; Müward, NATO, S. 243. 587 Vgl. PRO, CAB 128/17, CG 29(50), 8.5.1950; GAB 21/1761: Permanent Under-Secretary Comm., 28.4.1950. 588 Vgl. PRO, CAB 129/39, CP 92(50): Bevin, 2.5.1950; FRUS, 1950, III, S. 955-960, 9 6 7 - 9 7 0 (Zitat S. 970), 1013-1018, 1040-1043: US-Delegation an Acheson, 3.5.1950, UK/US-Report, 5. und 6.5.1950. Vgl. auch ebd., S. 854-893. 589 So ein kanadischer Beobachter. Vgl. DCER, XVI, S. 1650 f.: Pierce an Heenev, 8.7.1950. 59« Vgl. MAEF, Cabinet Schuman, Bd 147, Bl. 262-265: Vermerk Alphand, 17.3.1950 (nebst hs. Zusatz von Schuman); DCER, XVI, S. 1634 f.: Hochkommissar London an Pearson, 15.5.1950; Bossuat, France, S. 739 f.; Soutou, Frankreich, S. 215 f.

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Artikel 2, um die Option offenzuhalten, in Zukunft aus der NATO ein »forum« zu machen, »in which broad economic questions are handled« 591 . War das eher »spoiling tactic«592, so hatte die kanadische Diplomatie Ende 1949 ernsthaft darüber nachgedacht, wie sie den Artikel 2 mit Leben füllen konnte. Der dem eigenen Export abträgliche Plan der europäischen Zahlungsunion war nahezu der klassische Fall, in dem ein atlantisches Wirtschaftsforum hätte hilfreich sein können. Da die Amerikaner kein Interesse daran hatten, ließ Ottawa den Gedanken im April 1950 fallen593. Im Nordatlantikrat forderte Norwegen am 17. Mai 1950 mit kanadischer, belgischer und niederländischer Unterstützung eine atlantische Wirtschaftsgemeinschaft. Acheson nahm das positiv auf, reklamierte allerdings die Zuständigkeit der NATO für die Rüstungswirtschaft. Sforza wollte Überschneidungen durch die enge Verbindung des Nordatlantikrates zu den europäischen Organisationen vermeiden. Auch Stikker warnte vor Überschneidungen mit dem Europarat und der OEEC. Er plädierte wie Schuman für eine erweiterte OEEC. Bevin zog dagegen eher eine Einrichtung auf Grundlage des Artikels 2 vor. Die Sicherheit vor den Deutschen wollte Stikker durch deren Einbindung in ein immer enger zu knüpfendes Netz europäischer wirtschaftlicher Zusammenarbeit erreichen. Die Sicherheit vor den Sowjets sollte dagegen die Allianz gewährleisten. Er empfahl den schließlich verwirklichten Kompromiß der Assoziierung der Vereinigten Staaten und Kanadas mit der OEEC. Im Ergebnis wollte der Nordatlantikrat die Arbeit der anderen Organisationen berücksichtigen und nicht zuletzt ein wirksames Instrument der Verteilung zusätzlicher Rüstungsaufwendungen auf die einzelnen Mitglieder finden59'». Der Koreakrieg verlieh dem Problem der Aufgabenverteilung zwischen NATO und OEEC neue Dringlichkeit, verfolgten doch beide bislang konkurrierende Ziele. Für Botschafter Douglas machten ihre Verpflichtung auf Wiederaufbau, Vollbeschäftigung und Sozialpolitik sowie der starke britische Einfluß die OEEC zum ungeeigneten Forum für verteidigungswirtschaftliche Fragen595. Angesichts der immer noch im Aufbau befindlichen NATO plädierte die ECA für eine Aufgabenteilung. Danach sollte die NATO die Aufrüstung planen und durchführen, die OEEC dagegen die Wirtschaftspolitik der Staaten so harmonisieren, daß trotz mas591 Vgl. PRO, CAB 129/39, CP 92(50): Bevin, 2.5.1950 (Zitat); DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 9: Zweiseitige Ministerbesprechung, 10.5.1950; FRUS, 1950, III, S. 1014, 1 0 2 4 - 1 0 2 7 : Acheson, 9.5.1950, US-Del, 10.5.1950. Vgl. auch ebd., S. 894 f., 9 1 1 - 9 1 3 ; Schwabe, Akt, S. 221 - 2 2 3 . 592 Milward, United Kingdom, S. 85. 5M Vgl. DCER, XV, S. 1 1 7 2 - 1 1 7 6 , 1 1 8 0 f., 1183 f., 1191 - 1 1 9 3 , 1197: Memo Wirtschaftsabteilung, 21.11.1949, Interministerielle Besprechung, 7.12.1949, Wrong an Pearson, 10.12.1949, Memo Plumptre, 17.12.1949 und 6.1.1950; ebd., XVI, S. 8 4 1 - 8 4 3 , 8 4 5 - 8 4 9 : Wrong an Pearson, 12. und 21.4.1950, Hochkommissar London an Pearson, 22.4.1950. 594 vgl. PRO, CAB 129/40, CP 118(50): Bevin, 26.5.1950; FRUS, 1950, III, S. 1 1 4 - 1 1 8 , 6 5 9 - 6 6 1 , 1 0 4 0 - 1 0 4 3 , 1054 f., 1 0 6 9 - 1 0 7 1 : Acheson, 16. und 17.5.1950, US-Del., 11.5.1950, Memo Jessup, 13.5.950, US-Del., 16.5.1950; DCER, XVI, S. 872 f.: Nordatlantikrat, 15.-19.5.1950. Vgl. auch Kersten, Bündnispolitik, S. 170; Hogan, Marshall Plan, S. 3 3 2 - 3 3 4 . 5M Vgl. FRUS, 1950, III, S. 2 0 9 - 2 1 1 : Douglas an Acheson, 16.8.1950.

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siver Aufrüstung der Lebensstandard möglichst gehalten, die Handelsliberalisierung weitergeführt und Inflation vermieden werden konnte 596 . Der Vorteil, auch die neutralen Länder in die gemeinsame Verteidigungsanstrengung einzubinden, stieß bei diesen freilich auf wenig Gegenliebe 597 . Schließlich verbürgte die »zivile« OEEC Schweden und der Schweiz die notwendige Anlehnung an die Vereinigten Staaten und Westeuropa - die nicht zuletzt durch ihre Handelsinteressen gegenüber Deutschland geboten war —, ohne daß die Glaubwürdigkeit ihrer Neutralität in Frage gestellt wurde 598 . Die von Bevin und seinen Kollegen gehegte Hoffnung, künftig durch effektivere wirtschaftspolitische Abstimmung viel mehr Kanonen und dennoch genauso viel Butter produzieren zu können, galt Hochkommissar McCloy, Douglas und anderen Diplomaten als »sheer nonsense« 599 . Im Dezember 1950 entschlossen sich Acheson und Harriman zwar zu einer teilweisen Personalunion zwischen den amerikanischen Delegierten bei NATO und OEEC. Von der Zusammenlegung beider Einrichtungen sprach man nicht mehr. Außenminister Sforza hatte den Eindruck, sein amerikanischer Kollege wolle das Verhältnis NATO/OEEC nicht weiter verfolgen. Da die Bundesrepublik vorläufig nicht Mitglied der NATO werden sollte, aber Mitglied der OEEC war, sollten möglichst viele wirtschaftliche Fragen im Rahmen der OEEC behandelt werden. Die NATO baute folgerichtig einen eigenen Wirtschaftsbereich auf. Die OEEC blieb als Instrument der Zusammenarbeit souveräner Regierungen die intergouvernementale Alternative zu supranationalen Integrationsversuchen 600 . Nach wie vor stehe Europa, so Sforza am 19. Dezember 1950 im Nordadantikrat, nicht nur der sowjetischen, sondern auch der deutschen Gefahr gegenüber. Gerade weil er mit Nachdruck deutsche Truppen für die atlantische Streitmacht forderte 601 , fürchtete er das ihm gleichsam naturwüchsig dünkende Dominanzstreben der Deutschen. Man müsse sie mit einem »organized Europe« konfrontieren, auf daß ihre »tremendous productive capacity and powers of initiative could be utilized safely«. Ohne diese »Utopian idea [...] the whole scheme could not succeed«. Bevin hatte schon im September 1950 seinen Kabinettskollegen empfohlen, sich in der Frage der dringend benötigten Militärhilfe nicht noch einmal dem Drängen des Kongresses nach Integration auszusetzen wie weiland beim Marshallplan 602 . Folglich hatte er für die Idee seines italienischen Kollegen wenig übrig. Er forderte die Konzentration auf die rasche und massive Steigerung der Rüstungsproduktion. Die So auch die Ausführungen Bissels vor dem Wirtschaftsausschuß der OEEC. Vgl. MAEE, DECE, Bd 342, Bl. 105-109: Vermerk, 6.10.1950. Vgl. MAEE, DE-CE, Bd 342, Bl. 116-119: Declaration Hammerskjöld, 6.10.1950. 598 Vgl. Silva, Introduction, S. 283 f., 287, 293-298; Zbinden, Integrationspolitik, S. 390 f. => '> ' FRUS, 1950, III, S. 672: McCloy an Acheson, 15.8.1950. Vgl. PRO, CAB 129/40, CP 118(50): Bevin, 26.5.1950; Hardach, Marshall-Plan, S. 128-130; Hogan, Marshall Plan, S. 340 f. 6(10 Vgl. FRUS, 1950, III, S. 664-674, 682-691; ACS, PCM/VCM, 12.10.1950; Camps, Institutions, S. 72 f.; Marshall Plan. Retrospective, S. 85; Hogan, Marshall Plan, S. 311 - 3 1 3 ; Knapp, Aspekte, S. 302 f.; Milward, NATO, S. 245-247; Schwabe, Marshal·Plan, S. 60 f. 6111 Vgl. KPBR, III, 1950, S. 153: Besprechung McClov/Adenauer, 24.9.1950. Vgl. PRO, CAB 128/18, CM 55(50), 4.9.1950. 596

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Briten hatten angesichts der globalen Rohstoffknappheit, die der Koreakrieg ausgelöst hatte, eine trilaterale Rohstoffbehörde mit den Vereinigten Staaten und Frankreich außerhalb von NATO und OEEC vorgeschlagen. Nur widerstrebend räumten sie der OEEC eine gewisse Koordinationsfunktion ein. Eigentlich hatten sie diese aus Fragen der Rohstoffe, die überwiegend aus Gebieten außerhalb ihres Vertragsbereiches bezogen wurden, ganz heraushalten wollen 603 . Der holländische Außenminister Stikker fühlte sich in dieser Frage von seinem traditionellen Verbündeten als Satellit behandelt und mit der OEEC die ganze Integration in Frage gestellt604. In der Tat mußten Niederländer, Italiener, Portugiesen und andere den Eindruck haben, daß die Großen nach wie vor nicht willens waren, eine für die äußere Sicherheit und die innere Stabilität der Staaten existentielle Frage im Rahmen von NATO und OEEC zu behandeln. Indem es dasselbe Großmachtverhalten an den Tag legte, schwächte auch Frankreich die OEEC 605 . Weder Stikker noch sein norwegischer Kollege gaben sich wirklich zufrieden mit der Versicherung Bevins und Achesons, daß die Politik der Rohstoffbehörde mit OEEC und NATO koordiniert werden solle606. Der britische OEEC-Delegierte Edmund Hall-Patch warnte Bevin zu Jahresbeginn vor der anhaltenden Unzufriedenheit der Europäer mit dem von den Vereinigten Staaten vorgegebenen Aufrüstungskurs und mit der offensichtlichen Neigung der Briten, unter diesen Auspizien die wirtschaftliche Zusammenarbeit in die NATO zu verlagern. Auch Schatzkanzler Gaitskell blieben die zunehmenden Vorbehalte in den Reihen der OEEC gegen die NATO nicht verborgen: Sein italienischer Kollege Pella wähne dort eine »gang of militarists« am Werke; wie der Italiener dächten viele. Um seine Führung in der OEEC zu wahren, so Hall-Patch, solle Großbritannien im Gegenteil die Initiative zur Wiederbelebung der OEEC ergreifen. Er empfahl im Einklang mit deren Generalsekretär Marjolin, daß die OEEC ihren Apparat der NATO zur Verfugung stelle. Im Foreign Office kam der Vorschlag, die NATO zu diesem Zweck nach Paris zu verlegen, nicht gut an607. Als Vorsitzender des Ministerrats der OEEC vertrat Stikker im Januar 1951 gleichwohl die Notwendigkeit einer an Rüstungsprioritäten orientierten Rohstoffbewirtschaftung. Sein belgischer Kollege Zeeland beklagte das Fait accompli der Großmächte. Haushaltsminister Pella war enttäuscht, daß Frankreich nicht engagierter die Interessen der kleinen Länder wahrgenommen hatte. Er unterstrich den inneren Zusammenhang zwischen Artikel 2 und OEEC-Konvention, von Verteidigung und Wirtschaft. Schuman rechtfertigte das eigene Vorgehen mit dem Hinr,03 Vgl. F R U S ; 1950, III, S. 607-609, 1739-1746, 1787 f.: Truman-Attlee-Brieftvechsel und Gespräche, 6., 22. und 28.12.1950; MAEF, DE-CE, Bd 342, Bl. 114: Runderlaß, 9.10.1950. Vgl. DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 375 (Fiche 198/1): Hall-Patch an Strang, 2.1.1951, FO an Botschaft Washington, 10.1.1951; FRUS, 1951, III, S. 414: Anderson an Acheson, 11.1.1951; Gaitskell, Diaries, S. 224; Stikker, Bausteine, S. 199-201. 605 Vgl. Bossuat, Nature, S. 196 f.; Hogan, Marshall Plan, S. 346-349. «κ Vgl. FRUS, 1950, III, S. 595-604: Protokoll Nordatiantikrat, 19.12.1950. Vgl. DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 369-375, 375: Hall-Patch an Bevin, 1.1.1951, Besprechung Strang, Makins u.a., 3.1.1951; Gaitskell, Diaries, S. 225; Marjolin, Travail, S. 238 f.

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weis, daß die Rohstoffe ein weltweites Problem seien, dessen Schwerpunkt außerhalb Europas liege. Im übrigen wollte er die Funktionskreise Rüstung, Rohstoffe und europäische Zusammenarbeit getrennt halten. Das warf ein bezeichnendes Licht auf die Grenzen auch seiner Integrationsbereitschaft, trotz der zeitgleich verhandelten französischen Integrationspläne. Am Ende wurde das Vorgehen der Großmächte gebilligt. Nichtsdestoweniger manifestierte sich in dem integrationsunfreundlichen Rohstoffgremium wie in der Standing Group der Dreierclub der Großmächte. Das Schloß nicht aus, daß sich Frankreich der kleineren Partner erinnerte, wenn es galt, eigene Interessen gegenüber Washington zu wahren. So wollte Paris im März 1951 die OEEC dafür gewinnen, gegen den möglichen amerikanischen Oktroi von Produktions- und Verbrauchsverboten vorzugehen. Es scheiterte an den Briten608. Freilich begann die Rohstoffsituation sich zu diesem Zeitpunkt schon wieder zu entspannen. Die Episode belegt, daß die OEEC selbst an der Schnittstelle zwischen wirtschaftlicher und militärischer Zusammenarbeit nicht recht als Gremium der politischen Koordinierung taugte. Allerdings war auch der Brüsseler Pakt kaum in der Lage, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik abzustimmen. Die oben behandelte Sitzung seines Konsultativrates vom 1. August 1950 machte offenkundig, wie abwegig die Sorge Achesons war, die Europäer könnten womöglich dem Brüsseler Pakt Vorrang geben gegenüber der organisatorisch noch in den Kinderschuhen steckenden NATO. Andererseits ist diese Sorge ein Indiz für die unterschwellige Ambivalenz gegenüber der europäischen Zusammenarbeit 609 . Der Rücktritt ihres Leiters Hoffman im September 1950 dokumentierte, daß die ECA ihren Zenit überschritten hatte. Der Koreakrieg verhalf dem in NSC 68 niedergelegten neuen Kurs des State Department endgültig zum Durchbruch. Die Vereinigten Staaten verdreifachten ihren Verteidigungshaushalt und begannen Ende 1950 die wirtschaftlichen Konsequenzen zu spüren. Die Lebenshaltungskosten stiegen trotz höherer Steuern und Lohn-/Preis-Kontrollen. Die Rohstoffknappheit erforderte Bewirtschaftungsmaßnahmen. Der Kongreß drängte jetzt immer stärker auf Umwidmung der Wirtschafts- in Militärhilfe 610 . Der neue ECAChef, William Foster, sagte zu, mit der Wirtschaftshilfe die Verteidigungswirtschaft der Empfänger zu unterstützen. Nur in Deutschland und Frankreich sah die ECA noch die Notwendigkeit, den Lebensstandard zu steigern. Immerhin hielt sie am Ziel der Integration fest. Als sich Truman im Dezember 1950 entschloß, zusätzliche Truppen nach Europa zu entsenden, rief das die aus ERP-Tagen bekannte konservative Opposition um Taft und Hoover auf den Plan. Wollte die Administration das westeuropäische Potential dem westlichen Lager erhalten, so schwebte ihren Kritikern eher die »Festung Amerika« vor. Diese Vorstellung mag den Forderungen der amerikanischen Diplomaten an die Europäer Nachdruck verliehen «>» Vgl. MAEF, DE-CE, Bd 342, Bl. 133-145, 154 f.: Vermerke, 19.1. und 10.3.1951. Vgl. auch Bührer, Westdeutschland, S. 235-239. Vgl. FRUS, 1950, III, S. 53: Acheson an US-Botschaft London, 15.4.1950. 6 , 0 Vgl. auch FRUS, 1950,1, S. 407-413: Memo (16.11.1950).

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haben. Andererseits bremste die Opposition den Abbau der Zölle und leistete damit dem Fortbestehen der Dollarlücke Vorschub. Sie hatte sich durch zunehmende europäische Exportchancen infolge des Koreakrieges kurzfristig entspannt. Ferner wurde die Administration bedrängt, bei den Europäern verschärfte Embargobestimmungen im Osthandel durchzusetzen. Angesichts der in ihren Augen zu geringen Eigenleistungen der Europäer bekämpften die Konservativen im Frühjahr 1951 vor allem die Wirtschaftshilfe, die sie um über 1 Mrd auf ca. 1,5 Mrd $ herunterzufahren vermochten. Davon sollte dann unter Mißachtung der SnoyMarjolin-Formel nahezu die Hälfte an die wichtigsten Verbündeten Großbritannien und Frankreich gehen 611 . In konsequenter Fortsetzung dieser Linie schlug Truman dem Kongreß im Mai 1951 die Zusammenfassung der Auslandshilfe in einem einheitlichen »Mutual Security Program« vor, in dem die Wirtschaftshilfe der Aufrüstung untergeordnet wurde. Das entsprechende Gesetz forderte anders als der Marshallplan auch die politische Integration. Mit der »Mutual Security Agency« wurde im Oktober 1951 eine weitere Sonderverwaltung geschaffen. Harriman hatte sich durch seinen frühzeitigen Paradigmenwechsel für die Berufung zu deren Leiter profiliert 612 . Die zunehmende Befriedigung des zunächst vordringlichen Bedürfnisses der europäischen Staaten nach wirtschaftlicher Sicherheit schärfte den Blick für die militärische Bedrohung durch die Sowjetunion, gegen die der Brüsseler Pakt keinen wirksamen Schutz zu organisieren vermochte. Mit der Eskalation des Kalten Krieges wuchs die amerikanische Bereitschaft, den Europäern Militärhilfe nach dem Vorbild des Marshallplanes zu gewährleisten. Die erwartete Eigenleistung der Europäer blieb auch diesmal weitgehend aus. Denn die Umleitung von Ressourcen aus dem wirtschaftlichen Wiederaufbau schien die erreichte wirtschaftliche und soziale Sicherheit in Frage zu stellen. Durch die bilaterale Gewährung der Militärhilfe und den organisatorischen Ausbau der NATO büßte der Brüsseler Pakt seine militärische Funktion vollständig ein und wurde als Grundlage der politischen Integration nahezu bedeutungslos. Sowohl die europäische Föderation wie die globale Arbeitsteilung mit den Briten lagen im amerikanischen Sicherheitsinteresse; beide Ziele konnten nicht miteinander in Einklang gebracht werden. Die Europapolitik stagnierte, da die Amerikaner die britische Auffassung akzeptierten, daß die sicherheitspolitische Zusammenarbeit der Angelsachsen die Integration in föderative Strukturen Westeuropas ausschloß 613 . Die atlantische Allianz löste das britische Sicherheitsproblem ohne Souveränitätseinbußen. Sie entwickelte sich rasch gegen das ursprüngliche kanadische und italienische Interesse zu einem von den Großmächten dominierten Militärbündnis. Die Auseinandersetzung über die künftige Aufgabe der OEEC markierte den »triumph of military over economic diplomaVgl. Block, Origins, S. 114 f., 119-112; Bossuat, France, S. 425, Hardach, Marshall-Plan, S. 241 f., 244 f., 205-207; Hogan, Marshall Plan, S. 342 f., 380-390, 392 f.; Kaplan, United States, S. 146-149; ders., NATO, S. 40 - 42. « 2 Vgl. Bossuat, Europe, S. 225; Hardach, Marshall-Plan, S. 132 f.; Hogan, Marshall Plan, S. 391 f. 613 So jüngst auch Schwabe, Cold War, S. 21 f. 611

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cy«614. Mit seiner Mitgliedschaft im Atlantikpakt kehrte Italien zwar in den Kreis der europäischen Akteure zurück. Allerdings registrierte die entthronte europäische Großmacht die fehlende politische Koordination der Allianz und den mangelnden Einfluß der kleineren Mitglieder. Dieses Defizit an politischer Sicherheit und das anhaltende Sicherheitsbedürfnis gegenüber Deutschland gerieten zur Voraussetzung künftiger europapolitischer Initiativen Italiens. Vorläufig waren die Europäer froh, so Kennan in der Retrospektive, daß der Atlantikpakt ihrem Sicherheitsbedarf gegenüber der Sowjetunion und Deutschland gleichermaßen Rechnung trug und sie so der Notwendigkeit enthob, beiden gegenüber eine europäische Politik zu finden. Das änderte sich mit dem Koreakrieg. Jetzt trat das Bedürfnis nach Sicherheit vor Deutschland hinter dem nach Sicherheit vor der Sowjetunion zurück 615 . Der Integrationsprozeß begann, auf getrennten Bahnen zu verlaufen, sieht man von der am Ende vergeblichen EVG-Konferenz ab. Die militärische Integration schritt unter amerikanischer Führung in der intergouvernementalen, atlantischen NATO voran. Das militärische Sicherheitsbedürfnis gegenüber der Sowjetunion war folglich für die Zukunft kein wichtiges Motiv der europäischen Integration mehr 616 . Dagegen stagnierte die wirtschaftliche Integration, je schwächer hier die amerikanischen Impulse wurden. Denn die Uberwindung des Bilateralismus der Zwischenkriegszeit durch Handelsliberalisierung und Zahlungsunion der OEEC blieb auf Westeuropa beschränkt. Gleichzeitig waren Europäer und Amerikaner sich einig, daß es die künftige Wirtschaftsmacht Bundesrepublik in einem Netzwerk europäischer Einrichtungen zu verankern galt. Weder Europarat noch OEEC stellten hinreichend zuverlässige Anker dar. In der Konsequenz wurde das Sicherheitsbedürfnis gegenüber Deutschland das vorherrschende Motiv der Integration, für die es neue Wege jenseits des Marshallplan-Paradigmas zu finden galt. Denn die mit der wachsenden Bedeutung der NATO einhergehende rasche Militarisierung der amerikanischen Auslandshilfe lag auch im »semi-echec« des Marshallplanes begründet. Er schien sein Ziel zu verfehlen, die wirtschaftliche und soziale Sicherheit der europäischen Gesellschaften zu erhöhen. Denn die Dollarlücke verschwand ebenso wenig wie die Inflation und die wirtschaftliche und politische Zersplitterung der Europäer 617 . Dwight D. Eisenhower, der künftige Alliierte Oberbefehlshaber Europa, brachte im Januar 1951 einen vorherrschenden Eindruck von seiner Europareise mit: »the extreme poverty of Western Europe« 618 . Worin bestand demnach der Erfolg des Marshallplanes?

ι-·14 Hogan, Marshall Plan, S. 382. 615 Vgl. Kennan, Memoiren, S. 460; Soutou, Guerre, S. 20 f. 616 So jüngst auch Schwabe, Cold War, S. 31 f. 617 Vgl. Bossuat, France, S. 797 f. 618 FRUS, 1951, III, S. 451: Besprechung Truman, Acheson, Eisenhower u.a., 31.1.1951.

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8. Der Marshallplan, ein »halber« Erfolg? Der Marshallplan ist längst zum »Gattungsnamen« 619 geworden. Er steht für jede Form von Anschubfinanzierung, welche wirtschaftlich fortgeschrittene Staaten Ländern gewähren, die durch Krieg, Katastrophen und/oder Unterentwicklung zurückgebliebenen sind. Der Grundgedanke ist: Der wirtschaftlich Starke hilft dem wirtschaftlich Schwachen, rascher als sonst möglich zu ihm aufzuholen, und verspricht sich davon in wohlverstandenem Eigeninteresse dessen Stabilisierung. Im Rückgriff auf den Mythos übersehen Politiker und Journalisten in aller Regel ebenso großzügig wie sträflich Voraussetzungen, Bedingungen und Ergebnisse des damaligen Unternehmens 620 . Mit diesem beschäftigen sich indessen Historiker seit über drei Jahrzehnten. Für die frühe Forschung hatte die Dollarhilfe fundamentale Wachstumshemmnisse beseitigt und damit den langen Aufschwung der 1950er und 1960er Jahre wenigstens ermöglicht, wenn nicht gar angestoßen. Das ERP erlaubte die Einfuhr von Lebensmitteln, Rohstoffen und Kapitalgütern, die nur gegen Dollars auf dem Weltmarkt zu haben waren. Die Gegenwertfonds ersetzten die kriegsbedingt weitgehend vernichteten Ersparnisse und Kapitalmärkte. Die Revisionisten der 1960er und 1970er Jahre verstanden den Marshallplan als Instrument einer umfassenden Strategie des amerikanischen Imperialismus zur Schaffung einer Einflußzone. Danach dominierten wieder mehr wirtschaftshistorische Fragestellungen 621 . Manz, Abelshauer und Milward deuteten die Dollarlücke nicht als Symptom der Krise von 1947, sondern als Folge ehrgeiziger Investitionsprogramme, die eine erhebliche Importnachfrage auslösten. Faktisch trat das ERP an die Stelle von UNRRA und die vor allem in Westdeutschland wichtige GARIOA, mit denen die Vereinigten Staaten den fehlenden Kapitalexport nach Europa ersetzt hatten und etwa gleichbleibend über ein Drittel ihrer Ausfuhren nach Europa finanzierten. Freilich konnte dieses auch nach 1950 nicht vom Dollartropf abgehängt werden, durch den ab 1951 allerdings zunehmend Militärhilfe flöß. Die Krise von 1947 war bereits überwunden und der Wiederaufbau weitgehend abgeschlossen, bevor die Dollars Ende 1948 greifen konnten. Mit Cleveland war ein ehemaliger Marshallplaner, zum Mißvergnügen anderer Zeitzeugen, ebenfalls zur Auffassung gelangt, auch ohne ERP hätte man die erforderlichen Investitionen durchführen können, wenn man den westeuropäischen Lebensstandard bis 1950 auf dem niedrigen Niveau des Jahres 1947 belassen hätte. Nur Frankreich und die Niederlande benötigten so hohe Lebensmittelzufuhren, daß sie diese durch Drosselung ihrer Kapitalgüterimporte nicht hätten auffangen können. Der durchweg hohe Anteil von Rohstoffen (zwischen 29 % bei Frankreich und fast 42 % bei Großbritannien) und 619 620 621

Abelshauser, Bedeutung, S. 407. So schon Kennan, Memoiren, S. 356 f. Die wissenschaftliche Kontroverse fassen zusammen Asbeek Brusse/Griffiths, Past, S. 15-17; Berger und Ritsehl, Rekonstruktion, S. 485 f.; Eichengreen, Mainsprings, S. 1 6 - 2 0 ; Kindleberger, Marshall Plan, S. 247-262; Maier, Zukunft, S. 4 6 - 4 9 .

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Lebensmitteln (an der Spitze Westdeutschland und Österreich mit fast 41 bzw. über 48 %) an den Hilfslieferungen unterstreicht, daß die Marshallplaner sinnbildlich eher einen vorhandenen Motor mit Treibstoff versorgten, als daß sie den Motor selbst lieferten 622 . Allein in Frankreich und Belgien/Luxemburg überstiegen Kapitalgüter die 20 %-Marke (Westdeutschland nur 3 %). Folglich wirkte das ERP für Abelshauser und Milward vor allem beschleunigend auf ein bereits angelegtes Wachstum. In den Niederlanden stand das Programm für vier, in Frankreich noch für zweieinhalb und in Westdeutschland nur noch für ein halbes Jahr Wirtschaftswachstum 623 . Nach Abelshauser unterstützte der Marshallplan zwar die marktwirtschaftliche, konsumgüterorientierte und zugleich auf Stabilität der Währung zielende Politik Erhards, war aber keineswegs ihre zwingende Voraussetzung. Ähnlich glauben auch Toniolo und Savona, daß das ERP den Wachstumspfad der italienischen Volkswirtschaft nicht nennenswert beeinflußt, allenfalls die monetaristische Wirtschaftspolitik unterstützt habe624. Folgt man dieser Interpretation, hatte der Marshallplan nur marginale Bedeutung für die wirtschaftliche Sicherheit der Empfängerstaaten. Warnte bereits Milward, die Bedeutung des Marshallplanes zu unterschätzen 625 , so schrieb Wexler die Zuwächse der Jahre 1948 bis 1951 fast pauschal seiner Wirkung zu. Das Bruttosozialprodukt Westeuropas nahm um 32,5 % und die Bruttokapitalbildung um über 30 % zu; die Industrieproduktion lag (ohne Westdeutschland) 1951 bereits 40 % über Vorkriegsniveau. Parallel legten der innereuropäische Handel um 70 % und die Exporte in den Rest der Welt um 66 % zu. Somit sei der angestrebte »strong production effort« erreicht und ein nachhaltiges Wachstum eingeläutet worden. In der langfristigen Wirkung sei der Plan demnach eine der »great economic success stories«626. Ähnlich glaubt Gaddis, mit der »Bretton Woods-Marshall Plan synthesis« hätten die Vereinigten Staaten ein »lubrication system for global capitalism« geschaffen. Es habe verhindert, daß die Weltwirtschaft erneut zusammenbrach, und statt dessen die Prosperität der 1960er Jahre eingeleitet627. Die Frage nach dem Kausalzusammenhang von ERP und Nachkriegswachstum wird dadurch freilich nicht wirklich beantwortet 628 . So blieb der Beitrag des ERP zur Kapitalbildung mit schätzungsweise 1 % über die gesamte Laufzeit bescheiden. Nur in Westdeutschland und Italien steuerte es 1948 und 1949 rund 3 0 % zur Nettokapitalbildung bei629. Das außenwirtschaftliche Gleichgewicht, die innere Stabilisierung und die Integration Westeuropas — also die siS o s c h o n B o h l e n - W i t n e s s , S. 2 6 6 - i m R ü c k b l i c k . V g l . A b e l s h a u s e r , P l a n M a r s h a l l , S. 4 1 6 f., 4 2 0 - 4 2 5 ; B o s s u a t , E u r o p e , S. 144 f.; C l e v e l a n d , M a r shall Plan, S. 5 9 - 6 6 ; M i l w a r d , R e c o n s t r u c t i o n , S. 9 2 - 1 0 7 , 4 6 9 f.; S p a g n o l o , S t a b i l i z z a z i o n e , S. 1 2 5 - 1 2 9 , 1 3 3 - 1 3 6 . 6 2 4 Vgl. A b e l s h a u s e r , Plan M a r s h a l l , S. 4 1 8 f.; S a v o n a , S t a b i l i z z a z i o n e , S. 188; T o n i o l o , Utilizzazione, S. 192. 6 2 5 V g l . M i l w a r d , R e c o n s t r u c t i o n , S. 112 f. 85 Vgl. Hogan, Cross, S. 463-482. Vgl. Hogan, Marshall Plan, S. 334 f. « " Vgl. BDFD, II, S. 577-580 (Zitate S. 577, 579 f.): Vermerk Monnet, 3.5.1950.

III. Die französische Initiative: Sicherheit durch Supranationalismus? 1. Der Schumanplan Am 9. Mai 1950 verkündete Schuman seinen Vorschlag 1 , ausgehend von der westdeutschen und französischen die gesamte westeuropäische Kohle- und Stahlindustrie zu integrieren. Begrenzung, Fokussierung und Innovation sollten erklärtermaßen rasch eine funktionierende europäische Insel im Meer der Nationalstaaten schaffen. Die Fokussierung zielte auf die direkte Verständigung über die deutsche Schwerindustrie. Eine neuartige supranationale Wirtschaftsbehörde sollte die Ruhr auf Dauer der einseitigen deutschen Verfügung entziehen. Die pragmatische Begrenzung auf einen Schlüsselsektor, d.h. auf eine vertikale Integration, minderte die Zahl der betroffenen wirtschaftlichen Interessengruppen, welche die horizontalen Integrationsansätze mit Italien und dem Benelux konterkariert hatten. Dabei mochten Begrenzung und Fokussierung den Staaten den Souveränitätsverzicht erleichtern. Mit der Idee der Integration der Märkte knüpfte man an die Philosophie der OEEC und des GATT an. Schuman lancierte seinen Vorschlag wenn nicht unter Umgehung der eigenen, so doch der fremden diplomatischen Apparate. Diesmal sollte der Wein auf dem Tisch stehen, bevor man die Flaschen füllte, aus denen er verwässert wurde. Nur Acheson und Adenauer wurden kurz vorher eingeweiht. Daß ihn sein amerikanischer Kollege nicht sofort unterrichtet hatte, nahm Bevin nicht ohne Grund als »Franco-American plot« wahr 2 , signalisierte es doch die Tendenz Washingtons, in den Angelegenheiten des Kontinents nicht mehr vorrangig mit den Briten, sondern mit den Franzosen zu verhandeln, sobald die mit einer konstruktiven Offensive ihre Führungsfähigkeit unter Beweis stellten. Bevin sah zwangsläufig die britische Rolle als Besatzungsmacht in Deutschland und das britisch-amerikanische Sonderverhältnis berührt, von dem sein amerikanischer Kollege ohnehin nüchternere Vorstellungen hatte. Schuman ging es indessen weniger um ein »fait accompli« gegen die Briten als vielmehr um einen »psychological shock« auf die europäische und deutsche Politik3. Er hatte einen Vorschlag Monnets und seines Plankommissariates aufgegriffen, der bei Ministerpräsident Bidault

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Vgl. EArch, 5, 1950, S. 3091 f. Plowden, Industrialist, S. 86. DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 23: Besprechung Bevin, Acheson, Schuman, 11.5.1950.

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auf wenig Interesse gestoßen war. Dagegen erkannte Schuman hier die Quintessenz der seit Sommer 1948 gesuchten europapolitischen Alternative 4 . Tatsächlich hatte sich die französische Diplomatie parallel zur Krise der amerikanischen Europapolitik im Herbst 1949 immer tiefer in eine »Sackgasse« 5 verrannt. Der Versuch, der Bundesrepublik ein Tableau der um Frankreich gruppierten europäischen Mächte gegenüberzustellen, war gescheitert. Die Vereinigten Staaten hatten den Rückzug der Briten aus der Europapolitik letztlich sanktioniert. Dagegen saßen die Deutschen seit Oktober in der OEEC. Die Ruhrbehörde war im Gegensatz zu den alliierten Aufsichtsgremien ein schwaches Kontrollorgan, das sich nach Auffassung eines deutschen Stahlindustriellen in der »praktischen Wirtschaft kaum irgendwie störend bemerkbar macht« 6 . Die Ruhrbehörde war offensichtlich nicht der Hebel, um die nach französischem Verständnis künstlichen Wettbewerbsvorteile der deutschen Schwerindustrie (vertikale Konzentration, Verbundwirtschaft, Doppelpreise und Frachttarife) zu beseitigen und die zur Fortführung des Monnetplans dringend benötigte preiswerte Koksversorgung der eigenen Stahlindustrie sicherzustellen. Die Amerikaner weigerten sich zunehmend, die überlegenen deutschen Kapazitäten abzubauen. Die notwendige Aufrüstung sprach gar für die raschere Lockerung der politischen Fesseln, welche die deutsche Schwerindustrie noch ertragen mußte. Die Dynamik ihrer Unternehmer, niedrige Löhne, ein bescheidener Lebensstandard und die viel zu weit gehende Abwertung machten die Bundesrepublik in Verbindung mit der Handelsliberalisierung in französischen Augen zum gefährlichen Konkurrenten. Die von Westdeutschland ausgehende wirtschaftliche hatte die militärische Bedrohung keineswegs verdrängt, sondern nur vorübergehend auf den zweiten Platz verwiesen. Die Ruhr in deutscher Hand konnte jederzeit wieder zur Rüstungsschmiede werden. Der Bundeskanzler gab sich in französischer Sicht als Europäer, obwohl es ihm vor allem darum gehe, mit Hilfe der Amerikaner den engen HandlungsSpielraum seiner Regierung zu Lasten Frankreichs zu erweitern. Dagegen werde die eigene Nation in den Vereinigten Staaten und in Europa als Vertreter eines altmodischen Nationalismus empfunden. Es galt, den Deutschen klarzumachen, daß eine europäische Gemeinschaft nicht nur des Gleichgewichts der ganzen Volkswirtschaften bedürfe. Vielmehr müsse durch »Zusammenschluß der betroffenen Unternehmen« ein Gleichgewicht auch der jeweiligen Schlüsselindustrien geschaffen werden 7 . Seit 1949 reifte bei französischen Politikern und Beamten die Ahnung, daß es dafür unmittelbarer und eher kooperativer Absprachen mit der sich organisierenden Bundesrepublik bedurfte. Dabei konnte man auf dem Gebiet der Schwerindustrie an überlieferte 4

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Vgl. Acheson, Creation, S. 385-388; Bossuat, France, 746-749; Gerbet, Origines, S. 216-222; Küsters, Verhandlungen, S. 7 4 - 7 7 ; Lappenküper, Schuman-Plan, S. 409-411; ders., Beziehungen, S. 240-245; Melandri, Etats-Unis, S. 272-277; Monnet, Erinnerungen, S. 390-395; Poidevin, Schuman, S. 259 f., und dagegen Milward, Reconstruction, S. 395 f.; Bidault, Resistance, S. 216-219. Kipping, Kartelle, S. 118. BD FD, II, S. 633: Sohl an Hallstein, 25.8.1950. BDFD, I, S. 208 f.: Vermerk, 3.1.1950.

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Formen der Zusammenarbeit zwischen Lothringen als Erz- und der Ruhr als Kohlelieferanten anknüpfen. Monnets Sorge um das Scheitern seines Modernisierungskonzepts mag auch der Sorge um die Zukunft des Plankommissariates entsprungen sein. Mit der Frage nach den Realisierungschancen ihrer Ziele wurde die nach der Notwendigkeit dieser Behörde gestellt. Die Verlängerung der Investitionslenkung in die europäische Dimension versprach hier Kontinuität 8 . In der Rückschau erweckt Monnet den Eindruck, er habe mit dem originären Konzept der Supranationalität zur Lösung des französischen Sicherheitsproblems ohne Diskriminierung der Deutschen die französische Außenpolitik innerhalb von zwei Wochen aus ihrer Verstrickung in den Kalten Krieg befreit. Tatsächlich hatte er eine Idee auf den Punkt gebracht, die längst in der Luft lag9. Mit ihrem »coup de theatre of unparalleled boldness« 10 machten Monnet und Schuman den Gedanken zur Tat. Monnet selbst hatte sich bei einem Besuch in den Vereinigten Staaten schon im April 1948 mit der Auffassung der Marshallplaner identifiziert, daß die europäische Eigenleistung der Modernisierung und Produktivitätssteigerung letztlich die Föderation erfordere 11 . Staatspräsident Auriol dachte im Dezember 1948 an die europäische Integration als Lösung des Ruhrproblems 12 . Zur gleichen Zeit äußerte Bevin die Vermutung, »sooner or later, it might be possible to achieve a functional integration of certain basic industries throughout Western Europe« 13 . Im Februar des gleichen Jahres war der amerikanische Botschafter Douglas mit seinem Vorschlag, die Ruhrbehörde auch auf andere Regionen auszudehnen, in London noch auf eisige Ablehnung gestoßen 14 . Zeitgleich zu den Bemühungen der OEEC um koordinierte Investitionsprogramme der europäischen Schlüsselindustrien diskutierte die Wirtschaftskonferenz der Europabewegung im April 1949 die Integration industrieller Branchen. Dabei variierten die Vorstellungen zwischen industrieller Selbstverwaltung unter loser Aufsicht der OEEC und einer Behörde mit mehr oder minder umfassenden Zuständigkeiten. Im State Department wurde ebenfalls über eine supranationale Exekutive zur Einbindung Deutschlands nachgedacht. Die Beratende Versammlung des Europarates verwarf den Gedanken der Integration industrieller Branchen im Herbst 1949 allerdings noch als zu weitgehend 15 .

Vgl. Bührer, Frankreich, S. 230 f.; Hitchcock, France, S. 606-627; Hogan, Marshall Plan, S. 364 f.; Milward, Reconstruction, S. 371-391, 395, 398. '' Vgl. Monnet, Erinnerungen, S. 367-373, und dazu Bossuat, France, S. 741; Gillingham, Coal, S. 149 f.; Lappenküper, Beziehungen, S. 88-106; Milward, Reconstruction, S. 395 f.; Europäische Integration, S. 118- 120. Alfred Grosser sah den Vorschlag bereits im Mai 1950 als Frucht längerer Überlegungen Schumans. Vgl. PA, Β 10/573, Bl. 18-21: Vermerk Haack, 12.5.1950. 111 Gillingham, Coal, S. 297. 11 Vgl. Monnet, Correspondance: Monnet an Schuman, 18.4.1948. 12 Vgl. Auriol, Journal, II, 1948, S. 574 f. (10.12.1948). υ PRO, CAB 128/13, CM (48)82, 22.12.1948. " Vgl. Melandri, Röle, S. 37. Vgl. Gerbet, Ongines, S. 206; Kipping, Kartelle, S. 119-123, 146-149; Schwabe, Marshall-Plan, S. 61. R

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Im November und Dezember 1949 diskutierte das französische Kabinett diese alternative Perspektive. Schuman erwog, die befürchtete Uberproduktion von Stahl für eine Lösung des deutschen schwerindustriellen Produktionsniveaus im Rahmen des Europarates zu nutzen. In der zutreffenden Annahme, daß zwar die Städte der Deutschen zerstört, ihre Industrieen aber intakt seien, warnte Innenminister Jules Moch vor dem Gedanken ihrer europäischen Einbindung. Damit ebne man Deutschland nur den Weg. Es werde um so erfolgreicher auf die europäischen Märkte vorstoßen, je mehr die Briten sich vom Kontinent zurückzögen. Folgerichtig empfahl er, weiterhin auf Reparationen zu bestehen, auf die auch Justizminister Mayer nicht ganz verzichten wollte. Denn die Bundesrepublik dürfe nicht zum Zugpferd des Marshallplanes werden. Allerdings barg die Fortsetzung der defensiven Deutschlandpolitik für Mayer die Gefahr, daß die Vereinigten Staaten bald in der Bundesrepublik und nicht mehr in Frankreich den Vorsteher (»chef de file«) seiner europäischen Partner sehe. Dagegen wollte Moch die »Politik der Artischokke« beenden, bei der Zugeständnisse in Serie an die Adresse Washingtons in letzter Konsequenz in die einhellig abgelehnte Aufrüstung der Deutschen mündeten. Mit Ministerpräsident Bidault teilte Mayer dagegen die Hoffnung, die Briten würden sich doch noch einem Europa nach französischen Vorstellungen anschließen. Das vermeintliche britische Interesse an der Verstaatlichung der deutschen Schwerindustrie stieß bei Auriol auf wenig Sympathie. Um die unerwünschte Machtkonzentration des Staates zu vermeiden, müsse die Verstaatlichung durch die Internationalisierung unter Einschluß der französischen, belgischen und britischen Schwerindustrie ergänzt werden. Andre Frangois-Poncet, der französische Hohe Kommissar in Bonn, plädierte darüber hinaus für die »konzertierte Verwaltung der Industrien« im gesamten, auch im landwirtschaftlichen Grundstoffbereich. Die Übertragung der französischen Wirtschaftslenkung auf Europa sollte Teil einer abgestimmten Politik sein, die auch dem von Frangois-Poncet als »Hider von links« apostrophierten deutschen Oppositionsführer Kurt Schumacher jeglichen Ansatz nehmen sollte, die Westmächte gegeneinander auszuspielen. Dabei dachten sowohl Diplomaten, Beamte des Industrieministeriums wie Industrielle vorwiegend an ein internationales Stahlkartell unter politischer Aufsicht 16 . Am Jahresende waren sich Regierung und Präsident zwar einig, daß man die Schwerindustrie der ganzen Region internationalisieren wollte. Daß man den Deutschen gleichzeitig nur die technischorganisatorische Assoziierung mit dem Europarat zuzugestehen gedachte, machte offenkundig, daß der politische Durchbruch noch auf sich warten ließ17. Die Unterabteilung Mitteleuropa des Quai d'Orsay mahnte im April 1950, der erwarteten deutschen diplomatischen Offensive gegen das Besatzungsstatut mit einer aktiven Integrationspolitik zuvorzukommen, ohne die Besatzung und Entmilitarisierung aufzugeben. Unter anderem sollte die Bundesrepublik in einer supranationalen europäischen Versammlung ohne Zuständigkeit für Außen- und Sicherheitspolitik 1 Vgl. HAEG, INT 9, S. 9a, 20. 86 87

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beklagten, daß Paris die adantische Gemeinschaft offenbar gegen eine europäische Föderation eintauschen wolle. Selbst Neigungen zu einem neutralen Kontinentalblock in Aquidistanz zu beiden Supermächten Schloß man nicht aus. Die Deutschlandabteilung des Foreign Office sah im Schumanplan dagegen vor allem die Fortsetzung der bisherigen französischen Ruhrpolitik mit anderen Mitteln. Sie plädierte für wohlwollende Neutralität. In einer ersten gemeinsamen Einschätzung folgten das Schatzamt, das Foreign Office, das Handelsministerium und andere im wesentlichen dieser Linie. Die Beamten erwarteten, die Deutschen würden den alten Wein auch dann verschmähen, wenn er ihnen in neuen Schläuchen kredenzt wurde. Dagegen warnte der britische Hohe Kommissar, den Enthusiasmus der Deutschen zu unterschätzen. Für Europa seien sie bereit, über wirtschaftliche Nachteile hinwegzusehen; zumal die Bundesrepublik von der Integration von Souveränität nur profitieren könne. In den Augen der Londoner Ministerialbeamten konnte jedoch kein Staat die Hoheit über die Schwerindustrie aufgeben, ohne die außenpolitische Handlungsfähigkeit in Frage zu stellen. Sie spekulierten, ob die Franzosen vielleicht doch eine politische Föderation anstrebten. Die Minister hielten diese für ein »essential pre-requisite of such a scheme« 91 . Auch für den britischen Botschafter vor Ort hatte Paris seine Politik gegenüber Deutschland und Italien völlig revidiert. Trocken schrieb Oliver C. Harvey seinem Außenminister, die Franzosen nähmen nun die europapolitischen Bälle auf, die Bevin selbst, Churchill und die Amerikaner ständig in den Raum geworfen hätten. Jetzt trete Frankreich die Führung in der Europapolitik an, die damit einen ähnlichen »turning-point« erreicht habe wie seinerzeit mit dem Marshallplan. Der Botschafter trat der naheliegenden und gleichwohl unzutreffenden Unterstellung entgegen, Monnet und andere hätten die Briten von Anfang an außen vor halten wollen92. Tatsächlich suchten die Protagonisten des Schumanplans - vor dem Hintergrund der Europabegeisterung der Öffentlichkeit und der Amerikaner — nach innovativen Antworten auf die Furcht vor erneuten Aggressionen des östlichen Nachbarn und vor dessen wirtschaftlicher Konkurrenz. Offenbar erkenne man auch die Bereitschaft Bonns, »to subsidise the French economy«. Nicht zuletzt der französische Bauer habe Westdeutschland als Exportmarkt entdeckt. Möglicherweise verfestige sich unter diesen Auspizien die bereits mit Finebel deutlich gewordene Neigung, lieber den französischen Protektionismus auf den westeuropäischen Wirtschaftsraum auszudehnen, als sich auf »world arrangements« der Briten einzulassen. Monnet habe größten Wert auf die britische Beteiligung gelegt, aber eben nicht um den Preis der Verwässerung seines Konzepts. Schließlich wolle er den

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Vgl. DBPO, Ser. II, Vol. 1, S. 5 - 7 , 16-18, 2 6 - 2 8 (Zitat S. 27), 3 5 - 4 5 , 93 f., 119-122, 163 (Fiche 92/1), 194-199: Besprechung, 10.5.1950, Memo Stevens, 10.5.1950, Ministerbesprechung, 11.5.1950, Memo, 11.5.1950, Berthoud an Makins, 25.5.1950, Memo Wilson, 31.5. und 5.6.1950, Robertson an Younger, 19.6.1950; Bullen, Government, S. 202-204; ders., Britain, S. 328; Dell, Schuman Plan, S. 285-287; Young, France, S. 141 - 145. Vgl. dazu Bullen, Government, S. 206 f., 210; Milward, United Kingdom, S. 49 f.; Young, Britain, S. 32 f.; ders., Britain, France, S. 152, und dagegen Dell, Schuman Plan, S. 290-295; Lord, Creation, S. 13-20; Trausch, Schuman-Plan, S. 112.

194

III. Die französische Initiative

Deutschen nicht gestatten, sich der angestrebten Einbindung wieder zu entziehen. Harvey sah im mentalen Gegensatz zwischen »French cartesianism« und »British empiricism« einen Teil des Problems. Er hoffte, es möge im Zuge der Verhandlungen der Franzosen mit ihren Partnern gelingen, doch noch eine mehr intergouvernementale Lösung ins Spiel zu bringen 93 . Staatsminister Kenneth D. Younger, Vertreter Bevins, glaubte ebenfalls, daß Frankreich nun tatsächlich eine Föderation anstrebe. Im Gegensatz zu seinem Botschafter unterstellte Younger Motive, die eher das britische Trauma als die möglichen Gründe der Franzosen dokumentierten: schlichtes »living on a hand to mouth basis«, wiederbelebte germanophile Neigungen aus den 1930er und 1940er Jahren, die Verdrängung des britischen und amerikanischen Einflusses vom Kontinent und sogar eine »neutrality as was practised by the Vichy Government«, mit der Franzosen und Deutsche sich einem Krieg mit der Sowjetunion zu entziehen hofften 94 . Fra^ois Fornier Seydoux, der Leiter der Europaabteilung des Quai d'Orsay, empfahl daher, die Treue zum Atiantikpakt zu betonen, um genau dieser Deutung vorzubeugen. Da Frankreich nun die »direction politique« in Europa übernehme, rechnete er mit Querschüssen der Briten über Den Haag. Er glaubte auf die Beteiligung der Briten als Gegengewicht zur Bundesrepublik verzichten zu können, solange man sich der amerikanischen Unterstützung sicher sein könne 95 . Unter wirtschaftlichen Aspekten schien die britische Skepsis keineswegs zwingend. Die Wettbewerbsfähigkeit der britischen Stahlindustrie und ihre hauptsächlich außerhalb der geplanten Montangemeinschaft liegenden Exportmärkte ließen die freie Wahl, ihr beizutreten oder es zu lassen. Der staatliche Bergbau wollte sich keinesfalls einer womöglich marktwirtschaftlichen Ordnungspolitik der Europäer unterwerfen. Die Stahlindustrie schwankte zwischen der Sorge, politisch mißbraucht zu werden, und dem Interesse an europaweiter Regulierung des Stahlmarktes 96 . Eine interministerielle Arbeitsgruppe sah angesichts der erwarteten Uberkapazitäten auf dem europäischen Stahlmarkt in Monnets Behörde jedenfalls eine sinnvolle Veranstaltung. Sie versprach den Traum zu erfüllen, durch Planung im Ergebnis dieselbe Strukturanpassung zu bewirken wie die Marktwirtschaft, allerdings ohne deren soziale Kosten. Angesichts der verhältnismäßig starken Position der britischen Schwerindustrie galten die Risiken ihrer Integration als mäßig, sofern man die strategischen Erfordernisse berücksichtigte. Die Kohle- und Stahlgemeinschaft müsse weder supranational sein noch zwangsläufig in eine Föderation münden. Die Vorstellungen der interministeriellen Arbeitsgruppe von Struktur und Aufgaben der Behörde unterschieden sich dann auch kaum mehr von denen des Μ Vgl. DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 7 3 - 7 5 (Zitat S. 75), 182-186 (Zitate S. 184 f.): Harvey an Bevin, 19.5.1950, Harvey an Younger, 6. und 15.6.1950. Auch Massigli berichtet, der Schumanplan sei in London wie eine Bombe eingeschlagen und werde dort als dem Marshallplan vergleichbare Sensation gewertet. Vgl. MAEF, DE-CE, Bd 577, Bl. 162-165, 19.5.1950. "t Vgl. DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 171-175 (Zitat S. 174): Younger an Harvey, 12.6.1950; Lord, Creation, S. 99 f. '5 Vgl. BD FD, I, S. 230-232: Vermerk Seydoux, 5.6.1950. 96 Vgl. Milward, Reconstruction, S. 402 f.; ders., United Kingdom, S. 55 f., 58.

III. Die französische Initiative

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Benelux. Ein übergeordneter Beamtenausschuß empfahl ein Kollegialorgan mit zunächst nur beratender Funktion unter der Aufsicht eines Ministerrates. Dagegen wollte der Economic Planning Board der Behörde wenigstens bei Investitionslenkung und Kartellen eigenständige Befugnisse einräumen 97 . In den Augen der britischen Spitzenmilitärs erforderte die notwendige Aufrüstung der Bundesrepublik deren politische und wirtschaftliche Integration. Der Schumanplan sei ein »extremely important step« dazu. Selbst aus der Deutschlandabteilung des Foreign Office warnte eine einzelne Stimme, die deutsche Industrie werde den Kontinent beherrschen, wenn man selbst der Montangemeinschaft fernbleibe. Die Militärs erwarteten überdies von besseren wirtschaftlichen Bedingungen im allgemeinen und sinkenden Stahlpreisen im besonderen mehr Haushaltsmittel für die Aufrüstung. Freilich wollte das Verteidigungsministerium das Urteil der Stabschefs — »no serious military disadvantages« und »long term strategic advantages« — nicht unwidersprochen lassen. Es wiederholte seine Warnung vor dem möglichen Verlust rüstungsrelevanter schwerindustrieller Kapazitäten und seine Kritik an den amerikanischen Integrationsforderungen. Später räumte Verteidigungsminister Shinwell ein, daß ein gescheiterter Schumanplan einem Rückschlag im Kalten Krieg gleichkomme. Dennoch dürfe sich Großbritannien nicht auf die föderalistische Perspektive festlegen lassen. Im übrigen bestehe die Gefahr, daß die NATO geschwächt werde. Dahinter verbargen sich naheliegende Sorgen, daß die Vereinigten Staaten in einem kontinentalen Subsystem der als Organisation ja erst im Aufbau begriffenen Allianz den Ersatz für das eigene Engagement in Europa sehen könnten 98 . Die Unterstaatssekretäre im Foreign Office, Ivone A. Kirkpatrick und William Strang, beharrten auf dem Grundsatz, daß Großbritannien sich nicht über den »point of no return« hinaus in Westeuropa wirtschaftlich integrieren dürfe, gleichgültig ob der Schumanplan früher oder später auf einen Bundesstaat hinauslaufe. Zwar erleichtere er die Wiederbewaffnung der Deutschen. Das rechtfertige jedoch nicht, die atlantische Gemeinschaft und das Commonwealth zugunsten der Europapolitik zu vernachlässigen 99 . Im übrigen unterstellten die Spitzendiplomaten, daß die nationale Mobilisierung der Ressourcen und ihre Koordinierung durch die Regierungen die aktuelle Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses deutlicher und schneller erhöhen werde als die komplexe und langwierige Integration10". Die Commonwealth-Staaten mögen gegen eine Europapolitik votiert haben, welche die britische Führungsrolle beeinträchtige. Ihre Haltung war freilich keineswegs einhellig und überdies von handelspolitischen Interessen beeinflußt. In der Praxis

'•»

Vgl. DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 1 8 6 - 1 9 1 , 2 0 0 - 2 0 9 , 208 (Piche 109/1): Arbeitsgruppe, 16.6.1950, Kabinettssekretär, 20.6.1950, Stevens an Younger, 20.6.1950, Arbeitsgruppe, 16.6.1950. Vgl. dazu Lord, Creation, S. 4 3 - 4 7 ; Milward, United Kingdom, S. 1 3 4 - 1 3 6 . Vgl. DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 2 8 - 3 2 , 5 5 - 5 8 , 2 3 9 - 2 4 2 : Mimstrv of Defence, 11.5.1950, Vermerk Rickham, 15.5.1950, Memo Shinwell, 1.7.1950; Lord, Creation^ S. 97 f., 1 0 2 - 1 0 9 , 112; Milward, P.uropean Communities, S. 110 f. Vgl. DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 3 2 - 3 5 , 133-135: Memo Kirkpatrick, 11.5.1950, Strang an Younger, 2.6.1950. Vgl. Lord, Creadon, 98 f.

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III. D i e f r a n z ö s i s c h e Initiative

machten sie sich wohl weniger Sorgen um die mögliche Integration ihrer Vormacht, als diese vorgab 101 . Insgesamt lagen die Vorteile des Schumanplans ebenso auf der Hand 102 wie seine Ablehnung durch die britische Regierung. Folglich war guter Rat über die einzuschlagende Taktik teuer. Die Ministerialbürokratie empfahl die Teilnahme an den Verhandlungen als Beobachter - eine Verlegenheitslösung. Schuman und Monnet waren nicht bereit, »den Charakter der unabhängigen Hohen Behörde verwässern zu lassen«103. Der Quai d'Orsay ließ Bevin ebenfalls abblitzen, als er den Verhandlungen im großen Kreis französisch-deutsche Sondierungsgespräche mit britischer Beteiligung vorschalten wollte. Gleichwohl versuchte die französische Diplomatie, noch Formelkompromisse auszuloten, die London die Beteiligung ermöglichte. Derweil geriet die nur zu begründete Sorge, in Washington als Saboteur der europäischen Integration dazustehen 104 , zum britischen Hauptanliegen. Der von Frankreich abgelehnte Vorschlag einer Außenministerkonferenz erging wohl in der Hoffnung, wenigstens die Niederländer noch aus dem sich abzeichnenden Sechserclub herauszubrechen. Dabei ignorierte man allerdings, daß das handelspolitische Interesse der Niederlande an Großbritannien abnahm. Ihr Handelsvertrag mit Westdeutschland hatte 1949 die Schleusen auf den dortigen Markt geöffnet, während der Handel über den Kanal nicht-konvertible Sterlingüberschüsse einbrachte, die dann auch noch abgewertet worden waren. Unter Leitung von Morrison beschloß das Kabinett am 2. Juni 1950, Verhandlungen über den Schumanplan abzulehnen. Im übrigen tröstete man sich mit der trügerischen Hoffnung, als Besatzungsmacht im Ruhrgebiet noch genügend Einflußmöglichkeiten zu haben 105 . Die Begründung dieser Entscheidung lieferte der nationale Exekutivausschuß der Labour Party zwei Wochen später in einem Statement. Es war mit Billigung, wenn nicht sogar auf Veranlassung Bevins von Dalton verfaßt worden, der es auch der Öffentlichkeit präsentierte. Zum Mißbehagen Atdees fand es dort größeren Widerhall, als man trotz der klaren Sprache erwartet hatte106. Nach den Grundsätzen des nationalwirtschaftlich ausgerichteten Keynesianismus waren die Autoren nicht bereit, die Souveränität über die Wirtschafts- und Außenpolitik an ein supranationales Repräsentationsorgan oder Parlament abtreten, da sie dort mit dauerhaften anti-sozialistischen Mehrheiten rechneten. Die Schwäche der kontinentalen 101 Vgl. D B P O , Ser. II, Vol. I, S. 2 4 2 - 2 4 6 : M e m o Gordon-Walker, 3.7.1950; Lord, Creation, S. 76. 102 Vgl dagegen Rosengarten, Großbritannien, S. 1 1 8 - 1 2 2 , 142 f. 103 Schuman an Massigli, 5.7.1950; zit. nach D'Alger, S. 134. i° 4 Eine Gruppe von Senatoren ventilierte die Halbierung der ERP-Zuweisungen, sollten die Briten nicht mitziehen. Vgl. M A E F , D E - C E , Bd 577, Bl. 192: Bonnet an Min. Äff. Etr., 23.6.1950; FRUS, 1950, III, S. 7 1 5 - 7 1 7 : Bruce an Acheson, 4.6.1950. Vgl. auch Neuss, Geburtshelfer, S. 71. i»5 Vgl. D B P O , Ser. II, Vol. I, S. 6 8 - 7 2 , 89, 9 4 - 9 6 , 9 7 - 9 9 , 135 f., 1 4 0 - 1 4 4 : Makins an Bevin, 18.5.1950, Bevin an Harvey, 25.5.1950, Monnet an Plowden, 25.5.1950, Bevin an Harvey, 26.5.1950, Besprechung Bevin, Morrison, Younger, 2.6.1950, Kabinettssitzung, 2.6.1950; FRUS, 1950, III, S. 7 1 7 - 7 2 0 : Douglas an Acheson, 5.6.1950. Vgl. auch D B P O , Ser. II, Vol. I, S. 1 0 3 - 1 1 9 , 1 2 5 - 1 3 1 , 1 4 4 - 1 9 4 ; Griffiths, Stranglehold, S. 1 5 - 1 7 ; Schwabe, Ein Akt, 229; Young, France, S. 1 5 4 - 1 5 7 . los Vgl. Dalton, Diary, S. 4 7 5 - 4 7 8 ; Milward, United Kingdom, S. 133 f.; Young, France, S. 159 f.

III. Die französische Initiative

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Demokratien galt als Ausdruck fehlender Vollbeschäftigung und sozialer Gerechtigkeit. In dieser Perspektive geriet der Schumanplan zwangsläufig zum Anschlag auf die Wirtschaftsdemokratie, auf die Vollbeschäftigung und natürlich auf London als »nervecenter of the Commonwealth and banker of the Sterling Area«. Nicht institutionelle Probleme, sondern die realen Interessengegensätze der Völker begründeten die Schwierigkeiten der Europapolitik. Diese könnten jedoch nur durch die Zusammenarbeit der Regierungen überwunden werden. Mehrheitsentscheidungen würden nur das bislang erreichte Vertrauen zwischen den Völkern in Frage stellen. Folgerichtig sollte auch im Europarat alles so bleiben, wie es war107. Während der kranke Bevin im Sinne dieser Schlußfolgerung weiter passiv bleiben wollte, witterte Schatzkanzler Cripps angesichts der Regierungskrise in Frankreich und der dortigen Widerstände gegen den Schumanplan Morgenluft. Der französische Botschafter Massigli warb ausdrücklich für britische Gegenvorschläge. Cripps wollte mit Skandinavien und den Niederlanden eine Alternative ins Spiel bringen. Dafür hatte ein Ministerausschuß unter seiner Leitung am 1. Juli 1950 das Konzept einer Montangemeinschaft vorgelegt. Es unterschied sich kaum noch von den niederländischen Vorstellungen und ging der Regierung gleichwohl zu weit. Das umfassende Vetorecht des Ministerrates galt hier als unabdingbare Voraussetzung. Folgerichtig erhielt der niederländische Außenminister Stikker auch keine Antwort, als er seine britischen Gesprächspartner konkret fragte, ob London denn mitziehe, wenn man den supranationalen Charakter der Hohen Behörde und die föderalistischen Perspektiven des Schumanplans eliminiere. Bevin sah sich in einer Zwickmühle. Gegenvorschläge wurden als Querschüsse, Passivität als völlige Ablehnung interpretiert. Mangels britischer Gegenvorstellungen blieb dem Benelux wenig anderes übrig, als die supranationalen Vorgaben so weit wie möglich im eigenen Interesse zu modifizieren108. Aus Washington mahnte Botschafter Franks, den Schumanplan ausdrücklich zu unterstützen und sich Formen der Assoziierung zu überlegen. Im Foreign Office traute man den Kontinentaleuropäern zunächst nicht zu, den Plan in die Tat umzusetzen. Dagegen meldeten die Diplomaten vor Ort, wie sich nach der grundsätzlichen Entscheidung für den holländischen Vorschlag eines Ministerrates eine ganze Reihe von Kompromissen abzeichneten. Britische Gegenvorschläge 109 konnten jetzt endgültig in der Schublade verschwinden. Die Zeit dafür war verstrichen, nachdem die Deutschen im August 1950 den Supranationalismus der Franzosen noch überboten 110 . Vgl. European Unity (Zitat S. 5). Vgl auch Hogan, Marshall Plan, S. 365-367; Lord, Creauon, S. 47-52. I"8 Vgl. DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 210-213, 224 f., 234-238, 246-250, 252 f.: Kabinett, 22.6.1950, Younger an Harvev, 28.6.1950, Bcricht Ministerausschuß, 1.7.1950, Vermerk Harvev, 3.7.1950, Kabinett, 4.7.1950,'Hall-Patch an Younger, 6.7.1950. Vgl. auch ebd, S. 228-233, 238 (Anm. 7); Dell, Schuman Plan, S. 287; Lord, Creation, S. 129-133; Plowden, Industrialist, S. 87, 91 f.; Young, France, S. 162- 164. " " Vgl. DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 280 (Fiche 150/1): Draft U.K. Proposais, 24.7.1950. " " Vgl. DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 259 f., 263-265, 274-277, 285, 295-298: Franks an Makins, 14.7.1950, Makins an Franks, 17.7.1950, Hayter an Stevens und Younger, 25.7.1950, Havter an Bevin, 11.8.1950, Kirkpatrick an Bevin, 23.8.1950; Milward, United Kingdom, S. 140 f. 11,7

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III. Die französische Initiative

Der Koreakrieg stimulierte offenbar föderalistische Neigungen der Europäer und amerikanische Unterstützung dafür. Gleichzeitig stabilisierte der Schumanplan das kontinentale Vorfeld. Die Risiken eines westeuropäischen Blockes hielt Botschafter Harvey denn auch für weit geringer als dessen Vorteile, trotz der jahrhundertealten Überzeugung, nach der England genau dies zu verhindern hatte111. Folglich gab es keinen Grund, den Plan zu bekämpfen. Bis März 1951 galt Bevins Entscheidung, abzuwarten und sich nicht dem Verdacht auszusetzen, das Unternehmen durch Gegenvorschläge torpedieren zu wollen 112 . In der Logik dieser Entscheidung tendierten die Londoner Ressorts im Juli 1950 dazu, sich der künftigen Montangemeinschaft mit dem Ziel zu assoziieren, deren Kompatibilität mit dem GATT sicherzustellen. Denn in seinem Rahmen strebte man die »multilateralisation of our trade with the whole world« einschließlich des Übergangs zu Konvertibilität an. Wie das GATT als Gewähr gegen ein Präferenzsystem zu Lasten der Briten, galt die NATO als Garant gegen eine mögliche Neutralitätspolitik der Europäer. Deren Stabilität rechtfertigte sogar begrenzte handelspolitische Opfer 113 . In diesen Überlegungen kündigte sich die globale Ausrichtung insbesondere der britischen Währungspolitik an. Sie sollte die Rolle der Londoner City als Weltfinanzplatz unterstreichen. Das Commonwealth als vielbeschworenes Argument gegen die europäische Integration stand dafür als Metapher. Zwar schienen die weitgehend informellen Gebilde Commonwealth und Sterlingzone tatsächlich kaum vereinbar mit den bürokratischen Konstruktionen der Europäer. In der Praxis hätte die Mitgliedschaft in der Montangemeinschaft die Führungsrolle der Briten im Commonwealth wohl ebensowenig berührt wie die Frankreichs in der Union Franfaise 114 . Allerdings unterlag das Commonwealth zentrifugalen Tendenzen. Der ANZUS-Pakt, den Australier und Neuseeländer 1951 ohne die Briten mit den Amerikanern schlossen, wurde in London mit gemischten Gefühlen aufgenommen 115 . Der Pakt war ein Indiz für den schleichenden Substanzverlust des Commonwealth, wo die Briten selbst in der Regel nicht ohne amerikanische Unterstützung auskamen. Sie wollten dem nicht durch die Integration mit dem Kontinent auch noch Vorschub leisten116. Massigli ging mithin fehl, wenn er glaubte, vor allem das Defizit an politischer Kontrolle der recht technokratisch konzipierten Hohen Behörde gelte den Briten als Stein des Anstoßes 117 . Großbritannien hätte auch auf der Geschäftsgrundlage Monnets darauf vertrauen können, ein seinen Interessen weitgehend entsprechendes Verhandlungsergebnis zu erzielen118. In diesem Sinne sollte Churchill ein gutes Jahr später den voreilim »2 ι» 114

Vgl. DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 346-349: Harvey an Bevin, 23.11.1950. Vgl. Lord, Creation, S. 122-128. Vgl. DBPO, Ser. II, Vol. I, S267-271: Memo, 19.7.1950. Vgl. dagegen Milward, United Kingdom, S. 61. 115 Vgl. dazu Baylis, Defense, S. 61. 116 Vgl. Dell, Schuman Plan, S. 302; Lord, Creation, S. 6 5 - 7 6 , 86 f.; Milward, Reconstruction, S. 406 f. i " Vgl. Massigli an Schuman, 17.6.1950; zit. nach D'Alger, S. 125-130. "8 Vgl. Dell, Schuman Plan, S. 283 f., 288-292.

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gen Verzicht der Labour-Regierung kritisieren, obwohl auch er der geplanten Gemeinschaft keinesfalls beitreten wollte 119 . Tatsächlich mutete der Stand der Pariser Verhandlungen schon im Herbst 1950 wie eine »späte Rache der von Großbritannien vertretenen Auffassung« an120. Im Sommer 1950 war allerdings noch nicht absehbar, daß die Montangemeinschaft alles andere sein sollte als der erste Schritt in einen europäischen Bundesstaat. Die britische Regierung nahm die Erwartung Monnets und Hallsteins ernst, daß die supranationale Montangemeinschaft überhaupt nur Sinn mache, wenn sie auf die allmähliche Föderalisierung der Mitgliedsstaaten hinauslief. Wenn sie sich darauf einließ, gab es nur die Alternative, irgendwann mit ungewissen Folgen vom fahrenden Zug zu springen oder dessen Fahrziel zu akzeptieren. Damit hätte man sich freilich von der Doktrin vom angestrebten Gleichgewicht der Beziehungen zum Commonwealth, zu den Vereinigten Staaten und zum Kontinent verabschiedet, über die sich Labour und Tories ja einig waren. Der amerikanische Botschafter Douglas sah im Commonwealth-Argument eine Ausrede. Gleichgültig welche Partei am Ruder sei, werde Großbritannien sich nie auf eine Föderation einlassen121. Je deutlicher Großbritannien dem Kontinent gegenüber eine der amerikanischen Haltung vergleichbare Rolle als Förderer, aber nicht als Teil der europäischen Integration herauskehrte 122 , desto mehr erodierte die beanspruchte Vermittlerfunktion. Die Amerikaner erkannten jetzt in den Franzosen und künftig vielleicht in den Deutschen die Führungsmacht der Kontinentaleuropäer, die ihrerseits die Briten zusehends als Bremser abschrieben. Schließlich sollten auch erhebliche Rüstungsanstrengungen eher die britische Wirtschaft unterminieren als den Weltmachtanspruch stützen123. Letztlich verabscheuten die britischen Politiker den Gedanken der Föderation aus denselben Gründen wie die Bevölkerung, die sie wählte: Zweimal hatte die globale Allianz der Anglophonen die Insel verteidigt, während der Kontinent einmal fast und das zweite Mal ganz überrannt worden war. Eine Föderation mit den offenbar militärisch leichtgewichtigen, politisch unzuverlässigen und obendrein mehrheitlich konservativ-kapitalistisch ausgerichteten Europäern schien da nicht verlockend. Noch lange sollten die europäischen Einrichtungen als »Organisation der Verliererstaaten« 124 wahrgenommen werden. Folglich war das Problem der Sicherheit vor den Deutschen für die Briten, anders als für die Franzosen, nicht vorrangig 125 . Insofern hatte Morrison Recht, wenn er denn wirklich seine Entscheidung gegen Verhandlungen über den Schumanplan damit begründete: »the "'•> Vgl. PRO, CAB 129/48, C 32(51): Memo Churchill, 29.11.1951. 1211 Ranieri, Espansione, S. 202. 121 Freilich teilte er die in Wirklichkeit unsichere Annahme der britischen Regierung, sie stünde vor der Alternative eines starken Commonwealth unter ihrer Führung oder seiner Auflösung bei gleichzeitiger Integration der Insel in den Kontinent, wobei letzteres nicht im amerikanischen Interesse üege. Vgl. FRUS, 1950, III, S. 252 f.: Douglas an Acheson, 30.8.1950. '22 Vgl. Hogan, Marshall Plan, S. 179 f. • 21 Vgl. Dilks, Britain, S. 417 f.; Lord, Creation, S. 8 f., 3 6 - 3 8 , 6 3 - 6 5 , 83 f., 8 7 - 9 0 . 124 Kaiser, Großbritannien, S. 157. Vgl. auch Trausch, Schuman-Plan, S. 111 f. '25 Vgl. Wurm, Paths, S. 1 8 1 - 1 8 3 , 185 f.; Young, France, S. 1 6 4 - 1 6 6 .

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Durham miners wouldn't like it126.« Im übrigen verliert diese Entscheidung etwas von ihrer Dramatik, betrachtet man sie im Verlauf der gesamten ersten Integrationsdekade. London setzte seinen bereits mit dem Brüsseler Pakt eingeschlagenen europapolitischen Kurs fort und machte im Sommer 1950 augenfällig, daß ein Europa der zwei Geschwindigkeiten Wirklichkeit geworden war 127 . Das war sowieso kaum zu vermeiden, wie Sforza erkannte, der folgerichtig für eine geeignete Verbindung zwischen dem »großen« Europa des Europarates und der kleinen Sechsergemeinschaft eintrat128. Der Schumanplan jedenfalls entthronte Großbritannien noch nicht in seiner Rolle als Vermittler zwischen Deutschen und Franzosen sowie als Partner der Kleinen gegen die europäischen Großmächte 129 . Frankreich wurde zunächst zwar bevorzugter Partner der Vereinigten Staaten in der Europapolitik. In der Sicherheitspolitik und in der NATO blieb dies jedoch Großbritannien. Dabei war noch lange nicht ausgemacht — und ist vielleicht bis heute nicht ausgemacht —, ob der intergouvernementale Ansatz nicht doch der realistischere war. Folgerichtig verweigern sich britische Historiker gelegentlich der kritischen Wertung der damaligen Entscheidung durch ihre europabegeisterten kontinentalen Kollegen 130 . Die Verlängerung des Schumanplans in die Außen- und Sicherheitspolitik schien zunächst jedoch dafür zu sprechen, daß Frankreich auf dem Wege war, ein Kerneuropa zu schaffen.

2. Krise und Erfolg im Zeichen des Koreakrieges Hochkommissar McCloy in Bonn hatte auf den Beginn des Konfliktes in Fernost spontan mit dem Gedanken der militärischen Integration der Europäer reagiert. Dennoch warnten er und Botschafter Bruce in Paris ihren Minister im August und September davor, die Verhandlungen mit Militärfragen zu belasten. Schließlich sollte der Schumanplan in französischen Augen nicht zuletzt gerade diese umgehen. Dagegen empfahl Acheson seinem Präsidenten Ende Juli 1950, das deutsche rüstungswirtschaftliche Potential so in Europa einzubinden, daß die Ruhr nie wieder als autonomes Rüstungszentrum und Grundlage für eine äquidistante Schaukelpolitik fungieren konnte. Ungewollt bestätigte der amerikanische Außenminister das militärische Argument der Briten gegen den Schumanplan, nämlich daß Spezialisierung der schwerindustriellen Produktion die autonome Versorgung mit Rüstungsgütern verhindere 131 . Im amerikanischen Verbindungsstab zu Monnet wurde bereits überlegt, wie aus dessen Hoher Behörde ein Kriegswirtschaftsamt zu ma126 Vgl Plowden, Industrialist, S. 9 1 - 9 4 (Zitat S. 91), und dagegen Milward - United Kingdom, S. 71 f. der in der öffentlichen Meinung keinen Faktor von Gewicht sieht. 127 Vgl. ähnlich auch Milward, United Kingdom, S. 52 f., 69 f. 128 Vgl. Pistone, Sforza, S. 620 f. 129 Wie Lord - Creation, S. 90 - meint. 130 Vgl. Milward, United Kingdom, S. 76; Wurm, Großbritannien, S. 5 8 - 6 4 . 131 Vgl. Gilüngham, European Coal, S. 253; Lord, Creation, S. 113-116; Neuss, Geburtshelfer, S. 72 f.

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chen war 132 . Tatsächlich hatten Amerikaner und Briten bis Korea beteuert, die Deutschen zumindest vorläufig nicht wiederbewaffnen zu wollen, um hinter den Kulissen gerade darüber nachzudenken. Anfang September 1950 einigten sich State Department und Pentagon, die Verstärkung der eigenen Truppen und den Ausbau der Militärorganisation der NATO mit der Aufstellung eines westdeutschen Kontingentes zu verknüpfen. Indem er dieses Junktim akzeptierte, verabschiedete sich Bevin von der bislang eingenommenen britischen Position, eine umfassende Bewaffnung der Deutschen zu vermeiden. Dieser Kurswechsel der Briten mag den Franzosen ebenso abrupt vorgekommen sein wie den Briten der französische europapolitische Coup wenige Monate zuvor. Paris fand sich in der gewohnten Zwickmühle wieder. Einerseits lagen deutsche Soldaten im Interesse der Sicherung des eigenen Vorfeldes; andererseits löste fünf Jahre nach Kriegsende nichts größere Ängste aus133. Monnet erkannte vor allem die Gefahr, die seinem Konzept der Einbindung der Bundesrepublik in eine »supranationale Gemeinschaft« drohte. Womöglich offerierte der im September 1950 in New York und Washington zu verhandelnde Verteidigungsbeitrag den Deutschen raschere Fortschritte auf dem Wege zur Souveränität als die Integration der Schwerindustrie. Denn die war ja mit wirtschaftlichen Nachteilen verbunden. Damit schwand aber auch die Grundlage für das Geschäft der politischen gegen wirtschaftliche Zugeständnisse. Folgerichtig schlug Monnet vor, »Deutschland durch einen erweiterten Schumanplan in Europa zu integrieren« 134 . Die übliche französische Hinhaltetaktik konnte nicht verhindern, daß die NATO-Staaten den amerikanischen Wunsch unterstützten. Kaum verschleiert stimmte Frankreich daher dem Ergebnis der Septemberverhandlungen wenigstens im Grundsatz zu. Die Bundesrepublik sollte einen Verteidigungsbeitrag leisten, wofür ihr Fortschritte auf dem Wege zur Souveränität in Aussicht gestellt wurden. Diese Chance wollte Adenauer nutzen 135 . Alarmiert notierten Monnet und Bruce das überraschend veränderte (»brusque transformation«) deutsche Auftreten in Paris noch vor dem Abschluß der Verhandlungen in New York. Schuman selbst klagte dort, die Deutschen hätten mit Rücksicht auf ihren in Rede stehenden Verteidigungsbeitrag bereits die Gangart bei den Verhandlungen über den Schumanplan verlangsamt 136 . In britischen Augen war eine fatale Wechselwirkung entstanden. Bonn lege ständig neue Forderungen nach. Dagegen mache die französische Bürokratie den Deutschen Zugeständnisse erst dann, wenn sie nicht mehr zu ver-

135 1,4 135 136

Vgl. FRUS, 1950, III, S. 746-752: McCloy an Achcson, 24.8.1950, Bruce an Cheson, 12.9.1950; Gillingham, European Coal, S. 254 f.; Maier, Auseinandersetzungen, S. 5 - 7 ; Schwabe, Kin Akt, S. 524 f , 527 f. Vgl. Melandri, Etats-Unis, S. 295-298; Neuss, Geburtshelfer, S. 97-109; Wiggershaus, Entscheidung, S. 325-338, 350-362; Young, France, S. 170 f. Vgl. Monnet, Correspondance, S. 53-55, 57 (Zitat): Monnet an Schuman, 9. und 16.9.1950. Vgl. Herbst, Sdl, S. 9 - 1 1 ; Lappenküper, Beziehungen, S. 106-115, 260-262, 523-534; Lord, Creadon, S. 117; Neuss, Geburtshelfer, S. 109-113; Wiggershaus, Entscheidung, S. 374-389. Vgl. Monnet, Correspondance, S. 56 (Zitat): Monnet an Schuman, 14.9.1950; FRUS, 1950, III, S. 339, 749: Acheson an Webb, 23.9.1950, Bruce an Acheson, 21.9.1950; Schwabe, Ein Akt, S. 231 f.

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meiden waren. Sie wolle nicht eher mit den Deutschen militärisch zusammenarbeiten, als bis man im nicht-militärischen Bereich positive Erfahrungen gemacht hatte137. Dadurch sahen sich die amerikanischen Diplomaten bestätigt, die den vorsichtigen Kurs Achesons kritisierten und eine aktive europapolitische Führungsrolle forderten. Das State Department fragte seine europäischen Missionen nach dem Sinn einer möglichen massiven Initiative zugunsten föderaler Strukturen in Westeuropa, ohne die die amerikanische Hilfe offenbar nicht den optimalen Wirkungsgrad erreiche. Nicht nur Douglas in London, auch Bohlen in Paris riet ab. Für ihn konnte die fehlende Motivation der Nationalstaaten nicht schlicht durch amerikanische Führung ersetzt werden. Die Integration lasse sich nur mit und durch die nationalen Regierungen durchsetzen. Selbst aus Brüssel war das Echo negativ. Überzeugt von supranationalen Lösungen, glaubte Spaak gleichwohl, daß die Vereinigten Staaten vor allem über die NATO und die ECA helfen könnten. Für Douglas hing der Fortschritt der Integration vom Ausgleich zwischen Franzosen und Deutschen ab. Das State Department wähnte letztere zu Jahresbeginn 1951 fast schon in einer »bargaining position«, was ihre politische Einbindung um so dringlicher machte. Die romanischen Völker galten »by very reason of their latin nature« als instabil und bedurften demnach am ehesten amerikanischer Führung. Dagegen schienen Skandinavier, Niederländer und vornehmlich Briten erfolgreich konsolidiert. Die »closer political, economic and security cooperation« werde am besten im Rahmen der NATO verwirklicht. Denn deren Bedeutung reiche weit über das Bündnisgebiet hinaus, da die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in Europa sich unmittelbar auf Afrika, den Mittleren und Fernen Osten sowie auf Lateinamerika auswirkten 138 . Mithin durften sich Briten und später auch Franzosen bestätigt fühlen, wenn sie ihre Europapolitik als Funktion ihrer globalen Außenpolitik verstanden. Denn das alles andere verdrängende Leitmotiv der amerikanischen Europapolitik schien die Einbindung der Deutschen in das westliche Lager zu sein. Sie sollte offenbar in einer nicht allzu fernen Zukunft den Abbau der unmittelbaren Verantwortung der Vereinigten Staaten für die Bundesrepublik ermöglichen. Unter diesen Umständen konnten die Deutschen nach Auffassung Monnets bereits in den Verhandlungen über den Schumanplan die Trümpfe ausspielen, die sie in der Debatte über ihren Verteidigungsbeitrag erlangten, und umgekehrt. Wiederum wollte er die Flucht nach vorn antreten. Wenn man weiter gegen deutsche Truppen opponiere, werde man nicht nur die politische Initiative und die politische Führung in Europa verlieren. Die Bundesrepublik werde dann in nationalem Rahmen bewaffnet und damit über den Schumanplan eher in Bonn als in Paris entschieden werden. Alternativ skizzierte er eine Europaarmee unter einheitlicher supranationaler Führung bei einheitlichem Kommando, einheitlicher Organisation, Ausrüstung und Finanzie137 Vgl. DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 336 (Fiche 177/1): Harvey an Bevin, 6.11.1950. « « Vgl. FRUS, 1950, III, S. 674-682: Runderlaß, 5.10.1950, Bohlen, Douglas, Murphy an Acheson, 14.-20.10.1950; ebd., 1951, III, S. 396-400: Memo State Dpt. an Präsidenten, 5.1.1951; Mai, Germany, S. 96 f., 101 f.

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rung. Ein Junktim sollte sicherstellen, daß vor der Europaarmee die Montangemeinschaft entstand, die nicht im Strudel der sicherheitspolitischen Auswirkungen des Koreakrieges untergehen sollte139. Monnet »europäisierte« und erweiterte seinen Gedanken eines NATO-Rüstungsfonds vom Juli 1950, den Finanzminister Petsche und die französische Diplomatie aufgegriffen hatten. Sie verknüpften den ehrgeizigen Plan, 15 zusätzliche Divisionen aufzustellen, mit dem in Washington, aber auch in Den Haag wenig geschätzten Vorschlag, einen integrierten NATO-Haushalt einzuführen. Die Mitglieder sollten proportional zu ihrem Volkseinkommen beitragen. Der Vorschlag bündelte mehrere Absichten. Die Vereinigten Staaten und andere hätten einen Teil der französischen Last schultern müssen, die der Indochinakonflikt laufend vergrößerte. Mehr eigene Verbände nahmen der Forderung nach deutschen Soldaten etwas Wind aus den Segeln. Allerdings sollten die Deutschen in die gemeinsame Kasse einzahlen. Wenn alle Rüstungslasten trugen, sollte die deutsche Industrie nicht frei von solchen Lasten die Exportmärkte erobern 140 . Jedoch konnte auch hier Monnet nicht die alleinige Vaterschaft am Gedanken reklamieren. Außenminister Sforza hatte bereits im April 1950 einen noch weiter gehenden Versuchsballon gestartet. Er forderte eine europäische Armee mit deutscher Beteiligung und standardisierter Ausrüstung unter einem integrierten Oberkommando. In den Verhandlungen des Nordatlantikrates vom Mai 1950 erklärte sich Sforza bereit, »to go along with other nations in renouncing a part of sovereignty and considering Italian armed forces as integral part of unit«. Ausschlaggebend war die Enttäuschung über die marginale Rolle Italiens in der NATO, das anhaltende Mißtrauen gegen Italien in London und Paris, Sorgen über die unzulängliche Beistandsgarantie des Nordatlantikvertrages und die schwach gedeckte Nordflanke (Osterreich und Süddeutschland) 141 . Sforza fand keine Resonanz in Washington und begrüßte im Herbst 1950 den amerikanischen Vorschlag, das eigene Engagement in Europa zu erhöhen, sofern die Deutschen bewaffnet wurden. Dabei sah er sich sogar als Sachwalter der langfristigen französischen Interessen. Schuman habe ihm versichert, das ausgesprochen zu haben, was er angesichts der Haltung seiner Regierung nicht habe sagen können 142 . Dagegen gewann Churchill im August 1950 die Zustimmung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates für seine Forderung, eine »vereinte europäische Armee« zu schaffen 143 . Adenauer bot den Alliierten sofort ein deutsches Kontingent an144. Daß Churchill vor allem an den 1,9

Vgl. Monnet, Correspondance, S. 6 1 - 6 3 : Monnet an Schuman, 14.10.1950; Monnet, Erinnerungen, S. 431 - 4 4 2 ; Vial, Monnet, S. 208-221. n" Vgl. FRUS, 1950, III, S. 151-159, 168-172, 220-224: Bruce an Acheson, 28.7., 1. und 17.8.1950; Lappenküper, Beziehungen, S. 541 f.; Schröder, Monnet, S. 143-148; Harst, European Union, S. 160-162; Vial, Monnet, S. 201 f.; Volkmann, Adenauer, S. 171 f. Vielleicht mag dabei mancher die hohen deutschen Besatzungslasten vergessen haben. 141 Vgl. FRUS, 1950, III, S. 92, 106 (Zitat): D u n n an Webb, 5.5.1950, Acheson an Webb, 16.5.1950. Vgl. auch Sebesta, Europa, S. 113 f. i « Vgl. ACS, P C M / V C M , 12.10.1950; Magagnoli, Italien, S. 4 3 - 4 5 . 143 Vgl. F.Arch, 5, 1950, S. 3374-3376. i « Vgl. Adenauer und die Hohen Kommissare, I, S. 229 (17.8.1950).

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Kontinent und weniger an die britische Insel dachte, ließ er jetzt ebenso offen wie drei Jahre zuvor. Die britische Regierung wollte darüber keinesfalls verhandeln, weil dem Europarat die Kompetenz für Verteidigungsfragen fehlte 145 . Als sich der Konflikt mit den Vereinigten Staaten über den deutschen Militärbeitrag abzeichnete, griff die französische Regierung nach dem von Monnet gereichten Strohhalm, zumal weder der Quai d'Orsay noch die Gegner der Bewaffnung der Deutschen konstruktive Alternativen anzubieten hatten 146 . Im Oktober 1950 erreichte Ministerpräsident Rene Pleven die Zustimmung der Nationalversammlung zu dem nach ihm benannten Plan 147 einer europäischen Armee, der sich ausdrücklich am Schumanplan orientierte. Tatsächlich reflektierte die knapp skizzierte institutionelle Struktur den Stand der Pariser Verhandlungen. Ein europäischer Verteidigungsminister sollte seine Direktiven von einem Ministerrat erhalten und zugleich einer europäischen parlamentarischen Versammlung verantwortlich sein. Anders als beim Schumanplan war die Diskriminierung der Bundesrepublik augenfällig. Ihre nationale Bewaffnung sollte ausgeschlossen werden. Deutsche Soldaten sollten auf Bataillonsebene integriert werden, während die übrigen Teilnehmer weiterhin nationale Streitkräfte unterhalten durften. Sie hatten das Recht, ihre Kontingente bei Bedarf wieder nationalem Befehl zu unterstellen. Operativ unterstanden die Streitkräfte den Stäben der NATO, der die Deutschen nicht angehören sollten. Die Verteidigungsgemeinschaft wollte man nicht vor dem Schumanplan abschließen. Offenkundig sollte der amerikanische Druck in der Wiederbewaffnungsfrage auf die Montanverhandlungen umgeleitet werden. Entsprechend skeptisch wurde der Plan bei Briten und Amerikanern zunächst aufgenommen 148 . Dagegen plädierte Bohlen für Unterstützung des Plevenplans, um den Schumanplan zu retten 149 . Daß der Plevenplan »again was improvised by the same team and in the same place, >rue de Martignacfraternal association of the English speaking world« und erst dann »ally and friend« eines »United Europe« 295 . Das Foreign Office sah mithin keinen Grund, seine Attitüde behäbiger Gelassenheit aufzugeben. Vorläufig werde das anhaltende Mißtrauen zwischen Deutschen und Franzosen dafür sorgen, daß die Sechsergemeinschaft Großbritannien weder militärisch bedrohen noch politisch vom Kontinent verdrängen könne. Die wirtschaftlichen Risiken galten ebenfalls als marginal. Langfristig wollte man jedoch nicht ausschließen, was Auriol Kopfzerbrechen bereitete, nämlich daß Deutschland die Sechsergemeinschaft in einen Revanchekrieg gegen die Sowjetunion und Polen verwickle. Das eigentliche Risiko erkannten die britischen Diplomaten in der wirtschaftlichen Vorherrschaft eines Kontinentalblockes unter deutscher Führung. Gegenüber den Kreisen, besonders in Frankreich, welche OEEC und NATO als Verwässerung der europäischen Integrationsbewegung betrachteten, sollte die Notwendigkeit herausgestrichen werden, die Sechsergemeinschaft in die Allianz einzubinden. Der neue Außenminister Eden glaubte, die größere NATO sei für Frankreich vorteilhafter als 292 DDB, II, S. 306: Vermerk Papeians de Morchoven, 21.12.1951. 2M Vgl. AAP, 1951, S. 620-624 (Zitat S. 622): Außenministerkonferenz, 15.11.1951; Preda, Storia, S. 149-151. 29" Vgl. AAP, 1952, S. 9-12: Gespräch Adenauer/McCloy, 4.1.1952. 295 Vgl. PRO, CAB 129/48, CP 32(51), 29.11.1951.

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die kleine EVG; denn hier werde die Bundesrepublik eine bedeutendere Rolle spielen. Dabei blendete er freilich die britisch-französische Rivalität aus. Die Allianz sollte auf der Grundlage des Artikel 2 des Atlantikvertrages in andere Felder der Zusammenarbeit erweitert werden. Auch der Europarat als Instrument der intergouvernementalen Zusammenarbeit müsse in diesem Sinne genutzt werden. Gleichwohl wollte Eden föderative Pläne der Kontinentaleuropäer durchaus fördern, freilich ebenfalls nur von außen. Seine Hoffnung, damit der vermeintlichen Fehldeutung der Londoner Europapolitik entgegenzuwirken, lag in der Logik der nachdrücklich bestätigten Drei-Kreise-Doktrin 296 . Die Wahrnehmung der britischen Europapolitik auf dem Kontinent veränderte sich kaum. Hier verstand man Großbritannien eben nicht als weiteren atlantischen Onkel, von dem die zerstrittene Familie sich durch sanften Druck, Rat und viel Geld zur Einigkeit anhalten ließ. Vielmehr galt London als Oberhaupt der Familie, das gefälligst an deren Zusammenleben teilzunehmen hatte. Daß das als positiv empfundene Statement des Innenministers David Maxwell-Fyfe im Europarat durch eine ebenso unmißverständliche Erklärung Edens gegen eine britische Beteiligung am Plevenplan konterkariert wurde 297 , bestätigte zwangsläufig den Eindruck, daß sich in London wenig geändert hatte. Das merkte auch Adenauer rasch, als er im Dezember 1951 Churchill besuchte. Er kritisierte die Politik des früheren Außenministers Morrison 298 . Mit dem Schlagwort: »Mit Europa, aber nicht in Europa!« bekannte sich der neue Premierminister jedoch zu europapolitischer Kontinuität. Konsterniert mußte der Kanzler lernen, wie sehr Churchill noch in den hergebrachten Kategorien der Machtpolitik dachte299: Deutschland sei Frankreich eindeutig überlegen, daher werde sich Großbritannien im Falle einer erneuten Attacke sofort auf die Seite der Franzosen stellen. Beide Länder sollten sich so eng verbinden, daß ihre »Truppen [...] unter dem Klang der Marseillaise und [ausgerechnet!] der >Wacht am Rhein< zusammen marschieren«. Aber selbst dann müsse Großbritannien für Gleichgewicht sorgen. Im übrigen versuchte er, Adenauer die Sorge auszureden, man werde sich auf Kosten der Bundesrepublik mit der Sowjetunion arrangieren300. Den Kanzler beunruhigte Churchills Idee einer Gipfelkonferenz mit Stalin. Freilich wollte der Brite damit nicht zuletzt den Weltmachtanspruch gegenüber Washington unterstreichen. Mit demselben Bild der unter den Klängen von »Marseillaise« und »Wacht am Rhein« marschierenden Truppen begegnete Churchill zwei Wochen später auch Auriol. Dessen Furcht vor einer deutschen Nationalarmee konnte oder wollte er 2W> Vgl. DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 7 8 1 - 7 8 8 , 7 9 0 - 7 9 3 : Memo Permanent Under Secretary's Committee, 12.12.1951, Runderlaß Eden, 15.12.1951; FRUS, 1951, III, S. 701: Gespräch Acheson, Eden u.a., 5.11.1951. 2 Vgl. auch Girault, On the Power, S. 561. *'" Vgl. AAP, 1951, S. 6 4 6 - 6 5 1 (Zitat S. 647): Besprechung Adenauer/Churchill, 4.12.1951.

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nicht verstehen, propagierte er doch eine Europaarmee als »coalition force«, für die alle Staaten Divisionen ihrer nationalen Streitkräfte abstellten301. In den Besprechungen mit Ministerpräsident Pleven und Außenminister Schuman betonten Churchill und Eden ihr Wohlwollen gegenüber Schuman- und Plevenplan. Wahrscheinlich werde man sich sogar assoziieren302. Die Wahrnehmung der Franzosen blieb vorhersehbar negativ. Für Pleven war Churchill dem europäischen Gedanken unzugänglich (»impenetrable«) 303 . Während der französische Ministerpräsident den Egoismus und die Ignoranz der Briten beklagte, polierte der deutsche Spitzendiplomat Blankenhorn die Haltung Churchills zur Unterstützung des wirtschaftlichen und politischen Zusammenschlusses des Kontinents auf 304 . Die amerikanische Diplomatie begrüßte Churchills Wunsch, die im Zweiten Weltkrieg bewährte »working relationship« zu beleben. Denn unter Morrison habe es damit nicht zum besten gestanden. Schließlich wollte man — bei aller Skepsis gegen die Idee eines Treffens mit Stalin — an der bewährten Arbeitsteilung mit dem Juniorpartner bei der Führung des westlichen Lagers festhalten. Das galt in besonderem Maße für den Nahen Osten und Asien, wo die Amerikaner den Ruch des Kolonialismus vermeiden wollten. Sie erwarteten zwar eine aktivere europapolitische Unterstützung der Briten, teilten im übrigen aber deren Auffassung, daß die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Westeuropa ihre gemeinsamen Ziele vorrangig im Rahmen der NATO verfolgen sollten305. Folglich bewirkte der amerikanische Druck vorläufig nur die Bereitschaft Londons, die Beistandsverpflichtung des Brüsseler Paktes auf die EVG auszudehnen und eigene Truppen auf dem Kontinent zu belassen 306 — viel in britischen, wenig in kontinentalen Augen. Spätestens die Beratungen der Außenminister Acheson, Schuman und Eden im Februar 1952 machten augenfällig, daß hinsichtlich der deutschen Rolle in der EVG ein weiteres Mal die NATO »das eigentliche Instrument der Kontrolle« war 307 . Immerhin mögen die britischen Zusagen geholfen haben, den Weg zur Unterzeichnung des EVG-Vertrages freizuräumen. Auf der letzten Etappe stellten die von Frankreich forcierte Saarfrage, der deutsche finanzielle Verteidigungsbeitrag, der deutsche Wunsch nach gleichzeitigem Beitritt zur NATO und die niederländische Forderung nach einer dem Nordatlantikvertrag angeglichenen Laufzeit die 301 Vgl. Auriol, Journal, V, 1951, S. 600-602, 608 (17. und 19.12.1951); FRUS, 1951, IV, S. 993 (Zitat): Bruce an Acheson, 19.12.1951. Ähnlich argumentierte Churchill später auch gegenüber Acheson. Vgl. Acheson, Creation, S. 598 f. M2 Vgl. DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 795 f.: Besprechung, 17.12.1951. 301 Auriol, Journal, V, 1951, S. 605 (19.12.1951). ••»ι Vgl. PA, Β 2/20, Bl. 268-272: Gespräch Blankenhorn/Wendt und Rundfunkrede, 11.12.1951. 305 Vgl. FRUS, 1951, IV, S. 9 8 0 - 9 8 9 (Zitat S. 984): Memo, 20.11.1951, Sitzung State Dpt. und Joint Chiefs of Staff, 21.11.1951; ebd., 1952-1954, S. 720-722: Gifford an State Dpt., 28.12.1951; ebd., 1952-1954, VI, S. 711-713: Strategiepapier, 21.12.1951. » Vgl. Eden, Full Circle, S. 3 1 - 3 9 , 4 2 - 4 4 ; Fursdon, Community, S. 137-141, 143-146; Maier, Auseinandersetzungen, S. 7 2 - 7 4 , 119 f., 123; Melandri, Etats-Unis, S. 348-351; Milward, United Kingdom, S. 103-105. 307 Maier, Auseinandersetzungen, S. 98. Vgl. auch Fursdon, Community, S. 141 -143; Mai, Germany, S. 105; Trachtenberg, Peace, S. 120 f.

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größten Stolpersteine dar. An ihrer Beseitigung oder Umgehung hatte die amerikanische Diplomatie wiederum erheblichen Anteil. In Verbindung mit den Fortschritten der EVG förderte die Ratifizierung des Schumanplans am 13. Dezember 1951 in Paris und am 11. Februar 1952 in Bonn amerikanische Hoffnungen, daß es nun mit der politischen Integration vorangehe 308 . A m Ende warf der EVG-Vertrag mehr Fragen auf, als er beantwortete 309 . Wie in der Montanunion hatten die Deutschen im Lauf der Verhandlungen — mit der gravierenden Ausnahme der NATOMitgliedschaft — jene Gleichberechtigung durchgesetzt, hinter der sich in französischen Augen der Wunsch verbarg, sich jeder Verpflichtung und jeder Konsequenz aus der Vergangenheit (»de toute hypotheque et de toute consequence du passe«) zu entziehen 310 . Folgerichtig versicherte Blank der eigenen Regierung, der Plevenplan sei weithin überwunden worden, während der französische Delegationsleiter Alphand seinem Kabinett die Kontinuität zwischen EVG und der ursprünglichen Initiative anpries 311 . In Brüssel noderte man mit Genugtuung die institutionellen Regelungen 312 . Denn Art. 39, Abs. 2 des Vertrages über die EVG stipulierte im Gegensatz zu dem über die Kohle- und Stahlgemeinschaft eine eindeutige Richtlinienkompetenz des Ministerrates. Seine einstimmig zu verabschiedenden Richdinien setzten den Rahmen für das exekutive Kommissariat (nicht: Behörde) und konnten den supranationalen Charakter der EVG erheblich einschränken 313 . Das galt angesichts fehlender Befugnisse der parlamentarischen Versammlung nicht zuletzt für die »Einstimmigkeit des Ministerrates bei der Festsetzung des BudgetVolumens« 314 . Für den Bundeskanzler wurde der EVG-Vertrag nichtsdestoweniger zum außenpolitischen Meilenstein. Durch seine Koppelung mit dem Deutschlandvertrag verschaffte er der Bundesrepublik ein hohes Maß an Selbstbestimmung. Er setzte allen Hoffnungen auf eine Neutralisierung der Bundesrepublik ein Ende, die Adenauer genauso fürchtete wie die Westeuropäer. Der Vertrag verlieh auch den amerikanischen Europafreunden Rückenwind. Nicht zuletzt sollte er die Homogenität des westeuropäischen Lagers stärken. Sie galt dem Kanzler als Voraussetzung einer künftigen Verständigung mit der Sowjetunion 315 . Entsprechend gering war die Neigung, sich mit den komplexen technischen Details auseinanderzusetzen. Die praktische Funktionstüchtigkeit der EVG hing freilich nicht nur vom Gelingen der militärischen Integration ab, die schon schwierig genug war. Auch die Koordination der Außen- und Sicherheitspolitik der Sechsergemeinschaft durch immerhin neun Kommissare, den Ministerrat und ein mit der Montanversammlung weitgehend identisches Parlament war angesichts des überragenden Einflusses der .in« Vgl. Maier, Auseinandersetzungen, S. 8 2 - 1 2 4 ; Melandri, Ktats-Unis, S. 3 5 1 - 3 5 5 , 358 f.; Neuss, Geburtshelfer, S. 1 4 7 - 1 6 4 , 1 6 9 - 1 7 7 ; Preda, Storia, S. 1 9 9 - 2 2 6 . W Vgl. Fursdon, Community, S. 187, 151 - 186. " " BDFD, I, S. 123: Berard an Mm. Äff. Etr., 18.2.1952. 111 Vgl. Lappenküper, Beziehungen, S. 631. Vgl. DDB, II, S. 348 f.: Vermerk, 16.4.1953. 311 Zum Verhältnis Ministerrat-Kommisssariat-Versammlung vgl. Schwengler, Anspruch, S. 418-424. AAP, 1952, S. 99: Vermerk Viaion, 28.1.1952. ^ä Vgl. KPBR, V, 1952, S. 2 7 4 - 3 0 2 (10.5.1952).

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NATO noch vorstellbar. Wie sollte jedoch die kurzfristig angelegte Aufstellung und Ausrüstung bei einem allenfalls mittelfristig funktionstüchtigen Finanzsystem funktionieren, das im Vergleich zur Montanunion erheblich größere Summen bewegte? Denn zunächst stellten die Beiträge der Mitgliedsstaaten die Haupteinnahmequelle der EVG dar. Die Bundesrepublik hatte nämlich keinen Mindestbeitrag und kaum Kriterien zur Feststellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Mitgliedsstaaten durchsetzen können. Ende 1951 hatten die Außenminister das Problem der Lastenverteilung dadurch entschärft, daß die Beiträge zur EVG sich an den in der NATO eingegangenen Verpflichtungen ausrichten sollten316. Für deren Höhe waren die im Temporary Council Committee der NATO entwickelten Verfahren wegweisend 317 . Damit wurde die EVG von der Bereitschaft der nationalen Parlamente abhängig, jährlich den jeweiligen Beitrag zu bewilligen. Eine weitere Einnahmequelle stellte die amerikanische Militärhilfe dar, über deren Höhe der Kongreß entschied. Die bei Rüstungsvorhaben kaum zu umgehende längerfristige Planung war unter diesen Umständen schwer vorstellbar. Das eigentliche Problem der übernationalen Finanzhoheit war jedoch, daß sie in dem immer noch segmentierten und weitgehend bilateral organisierten europäischen Wirtschaftsraum verwirklicht werden sollte. Da die Währungen nicht konvertibel waren, sollten Transferzahlungen auf ca. 15 % der jeweiligen Summe beschränkt werden, obwohl sich Truppen und Rüstungsaufträge vermutlich nur im Ausnahmefall gleichmäßig auf die Staaten hätten verteilen lassen. Angesichts der völlig disparaten Gehälter in der Sechsergemeinschaft sah man — wie bei der Montanunion — ein Gehaltsniveau weit über dem nationalen Durchschnitt vor. Es hätte die EVG mit erheblichen Personalkosten und die EZU mit Rücküberweisungen zusätzlich belastet. Die prekäre Existenz der Zahlungsunion war überhaupt Voraussetzung für die Arbeitsfähigkeit einer integrierten Armee der sechs Staaten mit untereinander nicht konvertierbaren Währungen. Schon die 15 %-Maxima hätte die EZU nur mit Mühe verrechnen können. Die Volkswirtschaften der Sechsergemeinschaft befanden sich auf einem unterschiedlichen Entwicklungsstand. Ihre Konjunkturen verliefen eher ungleichzeitig. Ihre Inflationsraten waren ebenfalls disparat, ihre Devisenreserven meist gering. Obendrein folgte ihre Wirtschaftspolitik unterschiedlichen Ordnungsvorstellungen. Dabei schlugen die ineffizienten, aber von mächtigen sozialen Interessen verteidigten Steuersysteme Frankreichs und Italiens besonders zu Buche. Insgesamt konnte die EVG nur dann funktionieren, wenn ihre Mitgliedsstaaten bereit waren, ihre Haushalts-, Steuer- und Finanzverfassungen vorerst zu harmonisieren und längerfristig zu integrieren318. Dies setzte freilich kurzfristig die Überwindung des Bilateralismus durch die Harmonisierung der Volkswirtschaften und langfristig die politische Integration voraus. Insgesamt offerierten NATO und OEEC den großen Rahmen der Befriedigung des militärischen und wirtschaftlichen Sicherheitsbedürfnisses. Diese gesamt(west) Vgl. AAP, 1951, S. 727-737: Ministerkonferenz, 28.und 30.12.1951. Vgl. dazu Hammerich, Operation. 3 '8 Vgl. Köllner und Volkmann, Aspekte, S. 826 -841, 856-867, 8 6 9 - 873. 316 317

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europäische Architektur hatten die Kontinentalstaaten durch ein Bündnis ergänzt, das einerseits den in Westdeutschland und Frankreich, aber auch in den italienischen und niederländischen Eliten populären Europagedanken politischinstitutionell umsetzte und andererseits erstmals die Oberfläche diplomatischer Allianzen verließ. Das sicherheitspolitische Problem der Bewaffnung der Bundesrepublik sollte nach dem für die Aufhebung der politischen Kontrollen der deutschen Schwerindustrie gefundenen Modell einer supranationalen Sechsergemeinschaft gelöst werden. Im großeuropäischen Rahmen wurde somit eine kleineuropäische Föderation denkbar. Allerdings war das dominante Motiv für die Schaffung der Sechsergemeinschaft das Begehren nach Sicherheit vor Deutschland. Die Weiterentwicklung der Sechsergemeinschaft hing jetzt von der Frage ab: Drängten sich ihren Mitgliedern weitere Gründe auf, Souveränitätsrechte zu fusionieren? Gründe, die über das begrenzte und durch die erreichten Lösungen entspannte Bedürfnis nach Kontrolle der Deutschen hinausgingen? Die Anfänge der Agrarintegration machten deutlich, daß der Impetus nachließ, wenn die politischen und militärischen hinter den wirtschaftlichen Motiven zurücktraten. Großbritannien hielt an der bloßen Assoziierung als Kompromiß zwischen militärischer und wirtschaftlicher Handlungsfreiheit und politischer Mitsprache fest. Das hatte ambivalente Folgen für die Sechsergemeinschaft. Grundsätzlich konnte sich eine kleinere Gruppe zwar rascher einigen als eine größere. Der politische Einfluß der kleinen gegenüber den großen Staaten war in einer kleinen Gruppe zunächst größer. Andererseits stieg das Risiko der Kleinen, von einem einzigen oder zwei Großen erst majorisiert und dann mediatisiert zu werden. Im übrigen war die Perspektive für Frankreich besonders zwiespältig. Es hätte die Mitglieder der Gemeinschaft gern selbst mediatisiert. Ihm fehlte dazu jedoch die Wirtschaftskraft des deutschen Rivalen, dessen tatsächlichen oder vermeintlichen Dominanzstreben es ohne die Briten zu erliegen fürchtete. Unter diesen Vorzeichen war fraglich, ob sich die vertikale Integration so rasch auf weitere Bereiche der europäischen Zusammenarbeit ausdehnen ließ, daß die politische Integration unumgänglich wurde. Nur durch Fusionierung von Parlamentssouveränität konnte die beim Aufbau der Hohen Behörde und der Planung der EVG augenfällige Schwäche einer politikfernen technokratischen Bürokratie überwunden werden. Je länger die Integration nur eine Teilmenge abdeckte und deren Organisation in letzter Instanz nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner der Mitgliedsstaaten möglich war, desto deutlicher mußten die Teilgemeinschaften wirtschaftliche, soziale, politische und militärische Verhältnisse in Rechnung stellen, die sich ihrem Einfluß entzogen. Ohne die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und ohne eine gemeinsame Währungspolitik - oder am besten: einer Währungsunion — war die supranationale militärische und wirtschaftliche Integration ein Unternehmen mit ungewissen Aussichten. Die Aussichten, den währungsund handelspolitischen Bilateralismus zu überwinden, verdüsterten sich 1952 eher, als daß sie sich aufhellten.

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4. Konvertibilität als Sicherheitsrisiko Von 1949 bis ins Frühjahr 1950 hatte die Bundesrepublik zum Leidwesen von Franzosen und Briten Exportüberschüsse im Handel mit der OEEC erzielt. Die sprunghaft wachsende Nachfrage im Gefolge des Koreakrieges veranlaßte die deutsche Industrie, sich trotz explodierender Preise am Wettlauf um Rohstoffe über den aktuellen Bedarf hinaus zu beteiligen. Sie wollte zunächst die steigende Binnennachfrage befriedigen und künftige Exportchancen zu dann weiter steigenden Preisen wahrnehmen. Tatsächlich waren es die von Quoten befreiten Rohstoffausfuhren auf dem deutschen Markt, die Großbritannien und Frankreich zu Gläubigern und die Bundesrepublik zum Sorgenkind der EZU machten. Das Defizit mit der EZU wurde durch drei Faktoren verschärft. Die am Außenhandelsvolumen von 1949 ausgerichtete Quote war zu gering. Die Marshallhilfe war für 1949/50 auf etwas mehr als ein Drittel zurückgefahren worden. Im Oktober 1950 und zeitgleich mit dem Beginn der Zahlungsbilanzkrise liberalisierte die Bundesrepublik 65 % ihrer Einfuhren. Zu Jahresende bescheinigte die OEEC den Deutschen, daß sie die Vorgabe erreicht hatten. Freilich geriet die Bundesregierung unter wachsenden Druck der ECA, der AHK und selbst der Briten, ihre marktwirtschaftliche Wirtschaftspolitik zu modifizieren. Die ECA scheute sich nicht, mit der Einstellung der Marshallhilfe zu drohen. Die Briten hegten den Verdacht, die Deutschen wollten die gedrosselte Marshallhilfe durch EZU-Kredite ersetzen, für die dann Briten und andere Partner der Zahlungsunion geradezustehen hatten. Während die Amerikaner wieder höhere Einfuhrquoten forderten, stieß das bei Briten und Franzosen auf wenig Begeisterung. Dagegen plädierten Niederländer und Dänen gerade deswegen für Aufhebung der deutschen Importliberalisierung, weil sie acht- bis zehnmal so viel in Westdeutschland absetzten wie 1948. Sie wollten überproportionale Einschränkung im noch nicht liberalisierten Bereich vermeiden, der vor allem ihre landwirtschaftlichen Produkte betroffen hätte. Wirtschaftsminister Erhard lehnte Einfuhrkontrollen im Herbst 1950 strikt ab. Er hielt die geld- und währungspolitischen Maßnahmen der Bank deutscher Länder für ausreichend und forderte von der EZU erweiterte Kredite. Er verstand das Defizit als vorübergehendes Ungleichgewicht, ausgelöst durch Rohstoffimporte, denen bald ein gesteigerter Fertigwarenexport folgen mußte. Zwei Gutachter der EZU teilten im Grunde diese Auffassung und empfahlen einen mit Auflagen verknüpften Sonderkredit. Allerdings wurden die Mahnungen der EZU, endlich für höhere Exporte zu sorgen, im Winter 1951 immer dringlicher. Tatsächlich schien der Sonderkredit wirkungslos zu verpuffen, ohne daß sich eine Stabilisierung abzeichnete. Gegen den Widerstand des Wirtschaftsministers setzten der Bundeskanzler und Marshallplanminister Blücher am 27. Februar 1951 im Kabinett die Aufhebung der Importliberalisierung durch. Blücher wollte über die industriellen Selbstverwaltungsorgane die Schwerindustrie dazu anhalten, die äußere zu Lasten der Binnennachfrage zu bedienen. Hochkommissar McCloy nutzte die Gunst der Stunde und

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drängte auf Korrektur des marktwirtschaftlichen Kurses. Ihn störte nicht die doktrinäre Prinzipienreiterei, die Adenauer seinem Wirtschaftsminister vorwarP 19 . Vielmehr verstanden die Amerikaner die Investitions- und Außenhandelslenkung als Voraussetzung eines deutschen Aufrüstungsbeitrages, nachdem der Schumanplan und die Ergebnisse der Verhandlungen der NATO im Herbst 1950 das Fundament dafür gelegt hatten. Der Kanzler seinerseits führte die wirtschaftliche und militärische Integration ins Feld, die bald in eine »europäische Föderation« münde, um wirtschaftliche Solidarität der Amerikaner mit der Bundesrepublik einzufordern320. McCloy setzte sich für die Zuteilung von Marshallhilfe in einem Umfang ein, der die Zahlungsbilanzkrise überwinden half. Mit der Annahme, die strukturell gesunde deutsche Wirtschaft werde diese rasch durchstehen, sollten Erhard und die Gutachter der EZU recht behalten. Schon bevor die Importbeschränkungen greifen konnten, stellten sich im April 1951 wieder Exportüberschüsse ein. Der Sonderkredit war bereits im Mai 1951 getilgt. Die Handelspartner hatten die deutschen Quoten hingenommen, ohne spornstreichs ihrerseits die Einfuhr deutscher Waren zu kontingentieren, wie dies vor Einrichtung von OEEC und EZU der Fall gewesen wäre. Im Gegenzug verteilte die OEEC die verbleibenden Importe nach Westdeutschland unter ihren Mitgliedern. Im April 1952 hatte die Bundesrepublik schon wieder über 76 % ihres Außenhandels liberalisiert und nahm damit eine Spitzenposition in der OEEC ein. Obwohl die Bundesregierung als »solider und zuverlässiger Partner« wahrgenommen werden wollte, so Blücher321, folgte die deutsche Wirtschaftsverwaltung auch hinsichtlich der Wiederaufnahme der Handelsliberalisierung — den Vorstellungen der EZU und OEEC nicht so verzugs- und widerstandslos, wie diese forderten. Das war nicht nur Ausdruck des wachsenden Selbstbewußtseins der Deutschen, sondern spiegelte auch das funktionelle Spannungsverhältnis zwischen der nationalen und übernationalen Ebene wider. Letztere hatte ihre Feuertaufe zunächst bestanden, indem sie den Rückfall in die bilaterale Gewohnheit des »Rettesich-wer-kann« verhinderte. Die Bundesrepublik suspendierte ihre wirtschaftliche Souveränität, während die Partner auf Retorsion verzichteten. Erhard ging im Januar 1952 mit dem Gefühl aus der Krise, daß man vielleicht bald zur Konvertibilität vorstoßen könne. Das werde den EZU-Mechanismus überflüssig machen, der in letzter Instanz den Austausch der Produktionsfaktoren nur behindere. Dabei hatte das 1951 doch noch erreichte außenwirtschaftliche Gleichgewicht der Bundesrepublik weder das deutsche Handelsbilanzdefizit mit den Vereinigten Staaten noch das Dollardefizit der OEEC insgesamt verändert. Folgerichtig teilten Adenauer, Blücher, der Bundesfinanzminister Fritz Schäffer und die Zentralbank die Hoffnung des Wirtschaftsministers nicht322. Im Gegenteil, die deutschen FachbeVgl. KPBR, 4, 1951, S. 179 f., 191, 205, 212 f., 220 (23.2., 27.2., 6.3., 8. und 9.3.1951); Lenz, Tagcbuch, S. 112 (23.7.1951). 3211 AAP, 1951, S. 479: Gespräch Adenauer, Harriman, McClov u.a., 30.8.1951. « i KPBR, 4,1951, S. 306 (13.4.1951). 122 Vgl. Berger und Ritsehl, Rekonstruktion, S. 505-509, 511-515; Büggeln, Ruropa-Bank; Buchheim, Bundesrepublik, S. 93 f.; Bührer, Westdeutschland, S. 198-229, 267-271; Dickhaus, Ger-

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amten wollten den Einfluß der EZU auf die nationale Geld- und Kreditpolitik eher noch verstärken 323 . Die OEEC erfuhr letztlich keine Stärkung aus dem Erfolg der EZU. Generalsekretär Marjolin schlug im Februar 1951 ein Programm aus Zollsenkungen, Handelserleichterungen, Inflationsbekämpfung und eine Sozialcharta vor. Obwohl letztere in der britischen Regierung als Mittel gegen die wachsenden kontinentalen Vorbehalte gegen die Aufrüstung galt, hielt sie an der Priorität der Aufrüstung fest und wollte die wirtschaftspolitischen Funktionen der OEEC auf die NATO übertragen. Da auch die Vereinigten Staaten die enge Zusammenarbeit zwischen beiden Organisationen forderten, war Marjolin bereit, den Economic and Finance Board der NATO, bestehend aus den zuständigen Ministern der OEEC-Staaten innerhalb der NATO, durch seinen Apparat zu unterstützen. Dies geschah dann auch im Rahmen des TCC. Aber die Uberführung in die NATO lehnte Marjolin im Einklang mit der Mehrheit der Europäer ab. Dies lag auch nicht im Interesse der Bundesrepublik, die in der OEEC einen bescheidenen diplomatischen Einfluß entfaltete, während sie der NATO ja gar nicht angehörte. Französische und schwedische Überlegungen, die OEEC durch eine Verknüpfung mit dem Europarat zu beleben, stießen nicht nur bei der britischen, sondern zunächst auch bei der französischen Regierung auf Skepsis. Erst im November 1951 machte sie sich den Gedanken zu eigen. Stikker warb weiter für eine umfassendere atlantische Integration auf der Grundlage des Artikels 2. Im Juli 1951 schlug Marjolin vor, in fünf Jahren die Produktion der Volkswirtschaften der OEEC um ein Viertel zu steigern. Auch die ECA erkannte hierin erneut den Königsweg zu Kanonen und Butter. Obwohl Marjolin auf den früher selbstverständlichen Gedanken der Bündelung und Integration bereits verzichtet hatte, wurde der Vorschlag ohne klare Zielvorgaben und eindeutige Prioritäten in London mit Zurückhaltung aufgenommen. Die neue britische Regierung wollte NATO und OEEC weiter getrennt halten und damit den Einfluß der Standing Group bewahren. Sie sah Anfang 1952 offenbar den Zeitpunkt gekommen, der OEEC durch die Halbierung ihres Haushaltes die europapolitischen Flügel zu stutzen. Zum Leidwesen ihres Ratsvorsitzenden Stikker und der MSA wurde die Organisation — anders als von Deutschen und Holländern — weder von den Briten noch von den Franzosen konsultiert, bevor sie wieder Handelsquoten einführten. Freilich waren auch die Vereinigten Staaten nicht bereit, sich vor der Umwidmung ihrer Wirtschafts- in Militärhilfe mit der OEEC zu beraten. In der Tat galt in Washington die OEEC als Ziehkind der ECA/MSA und die NATO als das des State Department, wo man dann auch das Ende der OEEC ventilierte, wenn Deutschland erst einmal der NATO beigetreten war. Für Acheson blieben OEEC und NATO vorläufig jedoch »part and parcel of the same idea« man Attitudes, S. 205; dies., It is only, S. 189 f.; Dove, Britain, S. 186 f.; Hardach, Marshall-Plan, S. 2 9 3 - 2 9 5 , 2 9 7 - 3 0 8 , 3 1 7 - 3 2 1 ; Hentschel, Zahlungsunfähigkeit, S. 106 f.; Hogan, Marshall Plan, S. 3 5 5 - 3 5 8 , 362 f.; Kaplan and Schleiminger, Payments Union, S. 9 8 - 1 1 6 ; Peter, Großbritannien, S. 1 4 8 - 1 5 0 ; Schwartz, Integration, S. 2 4 0 - 2 4 4 . 323 Vgl. AAP, 1952, S. 152: Besprechung Hotz, Albrecht u.a., 15.2.1952.

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der amerikanisch-europäischen Partnerschaft. Für die Amerikaner bestand kaum Veranlassung, von der im TCC bewährten Zusammenarbeit zwischen beiden Organisationen abzugehen. Schließlich wollten sie die Briten nicht mehr in eine europäische Föderation nötigen. Im übrigen machten sich die europapolitischen Hoffnungen der Europäer mittlerweile an der Sechsergemeinschaft fest. Die Zusammenarbeit von NATO und OEEC begrüßte neben der Bundesrepublik auch Frankreich, da Deutsche und Neutrale automatisch abgekoppelt würden, wenn die NATO die außenwirtschaftspolitische Koordinierung übernahm. Zwar bestätigte der Ministerrat der OEEC die Zusammenarbeit mit der NATO und den Erhalt der EZU. Ansonsten beschloß man »plans to make paper programmes«. Die Briten setzten eine 30 %ige Kürzung des Etats der OEEC durch324. Die NATO vermochte zur Einlösung des Artikels 2 wenig beizutragen. Die amerikanische Diplomatie hatte im Sommer 1951 »pretty wordy and imprecise« Vorstellungen zur Belebung der nicht-militärischen Zusammenarbeit entwickelt 325 . Offenbar sollten die Bindungen der kontinentalen Sechsergemeinschaft an das Bündnis gefestigt werden. Dagegen hoffte der niederländische Außenminister Stikker, eine wirtschaftspolitisch engagierte NATO werde den Widerspruch zwischen Aufrüstung und Wirtschaftswachstum entspannen. Etwas perplex reagierte Kanada auf diese unerwartete Wende. Der Leiter der Wirtschaftsabteilung des Außenministeriums erteilte den Vorstellungen einer NATO-weiten Präferenzzollzone eine klare Absage. Ihm galt der multilaterale Freihandel als regulative Idee der kanadischen Handelspolitik. Folgerichtig hielt er auch wenig von der europäischen Wirtschaftsintegration, deren Erfolg allein von amerikanischer Unterstützung abhänge. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit entspringe im wesentlichen den praktischen Handelsbeziehungen. Daher erkannte er nur wenige Bereiche, in denen das Bündnis in wirtschaftlichen Fragen hilfreich sein konnte. Gleichwohl befürwortete er eine Übernahme von Zuständigkeiten der OEEC durch die NATO, um einem protektionistischen Block der Kontinentaleuropäer vorzubeugen. Ein Diplomat der kanadischen Botschaft in Washington begrüßte zwar die europäischen Integrationsbemühungen, wollte sie aber ebenfalls atlantisch einbinden. Er schlug die gemeinsame Verteilung und Finanzierung der Aufrüstung nach französischem Muster vor. Ein weiterer Spitzendiplomat stimmte das in den nächsten Jahren vorherr-

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Vgl. FRUS, 1951, III/l, S. 81 f.: Spofford an Acheson, 6.3.1951; ebd., VI, S. 2 - 4 (Zitat S. 3), 8 - 1 1 , 3 0 - 3 3 , 3 7 - 4 3 , 4 8 - 5 2 , 6 5 - 6 7 , 756 f.: Acheson an US Botschaft NATO, 9.2.1952, Porter an Stikker, 7.3.1952, Porter an MSA, 20.-22.3.1952, Acheson an Eden, 21.3.1952, Eden an Acheson, 26.3.1952, Spofford an State Dpt., 27.3.1952, Draper an MSA, 31.3.1952, Martin an Merchant, 22.4.1952, Vermerk Perkins, 7.1.1952; DCER, XVIII, S. 1 3 8 2 - 1 3 8 8 (Zitat S. 1384): Parkinson, 3.4.1952; MAEF, DE-CE, Bd 342, Bl. 2 3 0 - 2 3 2 , 2 4 5 - 2 4 8 : Memo, 31.1.1952, Ergebnisprotokoll, 3.3.1952; ebd., Bd 577, Bl. 3 3 7 - 3 4 1 : Vermerk, 10.7.1951; De Gasperi Scnve, 1, S. 235 f.; Pella an de Gasperi, 18.5.1951. Vgl. auch Asbeck Brusse, Trade, S. 129 f.; Bossuat, France, S. 8 6 6 - 8 7 1 ; ders., Europe, S. 2 2 0 - 2 2 4 ; Bührer, Westdeutschland, S. 240 f., 2 5 5 - 2 6 2 ; Gaitskell, Diaries, S. 265 f.; Hogan, Marshall Plan, S. 4 0 5 - 4 0 9 , 4 1 2 - 4 1 4 ; Malmborg, Defence Issues, 255 f. So der kanadische stellvertretende Außenminister. DCER, XVII, S. 918: Heenev an Pearson, 6.9.1951. Vgl. ebd.: Memo der US-Botschaft Ottawa, 29.8.1951.

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sehende Thema an und forderte eine maximale Abstimmung der Außen- und Außenwirtschaftspolitik der NATO-Mitgliedsstaaten im Rahmen bindender Konsultationsverpflichtungen. Sie sollte sich in einem gemeinsamen Vorgehen in der UNO und im GATT niederschlagen 326 . Im September 1951 setzte die NATO einen Ausschuß der Außenminister Zeeland, Pearson, de Gasperi, Stikker, Halvard Lange (Norwegen) und des Vorsitzenden des Stellvertreterrates ein. Er sollte sich über die Stärkung des inneren Zusammenhalts der Allianz Gedanken machen, der den kleineren Mitgliedsstaaten am Herzen lag. Das galt vor allem für die Koordinierung der Außenpolitik durch frühzeitige Konsultationen (nach Artikel 4). Schließlich war unübersehbar, daß der Ausbau der Organisation aus der militärischen Spitze des Bündnisses eine nahezu bilaterale Veranstaltung der Amerikaner und ihrer britischen Juniorpartner machte327. Die NATO sollte ihre Aktivitäten auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Beziehungen ausdehnen, freilich ohne Überschneidung mit der OEEC. Italien setzte sein Auswanderungsproblem auf die Tagesordnung und forderte Formulierungen zur Gleichberechtigung der Mitgliedsstaaten. Derweil warnten Großbritannien und Portugal vor einem Ausbau der NATO-Organisation. Zum Leidwesen Stikkers gerieten die Ergebnisse der für die Minister tätigen Arbeitsgruppe mager. Selbst Pearson sah ein, daß wirtschaftliche Funktionen und die unklare Zuständigkeitsabgrenzung zur OEEC das Bündnis nur zusätzlich belasteten 328 . Unterdessen warnte der kanadische Botschafter in Washington, daß dort in Wirklichkeit kein großes Interesse am Artikel 2 bestehe. Im Gegenteil unterstelle man den Kanadiern, sie wollten durch ihre Forderung nach nicht-militärischer Zusammenarbeit von ihrem unzureichenden Beitrag zur Vorbereitung der Allianz auf den totalen Krieg ablenken. Er empfahl ein »window-dressing« zum Artikel 2 und ein beherzteres Eintreten für eine integrierte kontinentaleuropäische Gruppe im Bündnis 329 . Kaum verklausuliert räumten die fünf Außenminister in ihrem Bericht an den im Februar 1952 in Lissabon tagenden Nordatlantikrat ein, daß die militärische Sicherheit letztlich die »raison d'etre« der NATO sei. Nur soweit die gemeinsame Verteidigung gelinge, sei die Ausdehnung auf andere Felder denkbar. Die Fünf taten sich im übrigen schwer, den Charakter der »Atlantic Community« zu erklären, deren Substanz sie weniger in den Institutionen als im Geist des Bündnisses wähnten. Andererseits glaubten sie um seiner »enduring nature« willen auf dessen Vertiefung und Erweiterung nicht verzichten zu können. Ihre praktischen Vorschläge blieben mehr als bescheiden. Sozialpolitisch hatten Nordamerika und Europa ohnehin keine Gemeinsamkeiten. Bei der Kultur wurden Studentenaustausch, '2f> Vgl. DCER, XVII, S. 894 f., 900-907, 911-917, 926-929: Runderlaß Pearson, 15.11.1951, Memo Plumptre, 31.8.1951, Memo LePan und Memo Reid, 6.9.1951. 327 Vgl dazu Greiner, Entwicklung, S. 79. 328 Vgl. FRUS, 1951, III, S. 679, 688, 740 f.: Acheson an Truman, 19.9.1951, US-Del. an State Dpt., 20.9. und 29.11.1951; DCER, XVII, S. 932-934: Heeney an Hochkomm. London, 2.10.1951; ebd., XVIII, S. 688-692: Hochkomm. London an Heeney, 11.2.1952, Pearson an Hochkomm. London, 13.2.1952. 129 Vgl. DCER, XVII, S. 9 3 4 - 9 3 7 (Zitat S. 936): Memo Wrong, 15.10.1951.

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Reisegruppen und Lehrerseminare empfohlen. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit blieb Domäne der O E E C . Sie sollte allenfalls vage unterstützt werden, etwa in der Frage des Arbeitskräfteeinsatzes in der Rüstung 330 . In der Konsequenz empfahl der Leiter der Wirtschaftsabteilung des kanadischen Außenministeriums rund ein Jahr später, den Ardkel 2 nicht mehr allein deshalb als Mißerfolg zu sehen, weil die Allianz sich nicht mit internationalen Wirtschaftsproblemen befasse, solange diese anderswo behandelt würden. Immerhin hätten die Bündnispartner mit dem Ardkel 2 die Abstimmung ihrer Außenwirtschaftspolitik im Grundsatz vereinbart 331 . Die Zukunft der O E E C wurde freilich auch durch die Weltkonjunktur verdüstert. Parallel zur Erholung der deutschen gerieten die niederländische, britische und die französische Zahlungsbilanz unter Druck. Kreditpolitische Maßnahmen in den Vereinigten Staaten, in Westdeutschland und Belgien läuteten das Ende des Koreabooms ein, dem Großbritannien und Frankreich Dollarzuflüsse in seine Überseegebiete verdankten. Der Verfall der Rohstoffpreise seit Frühjahr 1951 kostete Dollar, ohne den Preisauftrieb in Großbritannien und Frankreich zu dämpfen. Die Rüstungsnachfrage wirkte zum einen preistreibend, zum anderen als Exportbremse. Erst Mitte der 1950er Jahre erreichten die britischen Ausfuhren wieder das alte Niveau. Zudem riefen die Staaten der Sterlingzone ihre im Koreaboom verdienten Dollarguthaben ab. Zeitgleich mit der Liberalisierung von 90 % seiner Einfuhren verzeichnete Großbritannien entgegen allen Erwartungen im Handel mit den OEEC-Staaten ein wachsendes Defizit, dessen strukturellen Charakter man zunächst kaum wahrnahm. Mit Stirnrunzeln registrierte die O E E C im Juni 1951, daß Holland seit einem Jahr 90 % seines Handels mit den Benelux-Partnern liberalisiert hatte und jetzt Zahlungsbilanzdefizite anhäufte. Außerdem litt es gemeinsam mit Dänemark, Griechenland und der Türkei in besonderem Maße unter den Importbeschränkungen der Bundesrepublik. Daher suspendierten die Niederlande im September 1951 ebenfalls die OEEC-Liberalisierung. Sogar die Aufhebung der Liberalisierung innerhalb des Benelux war im Gespräch. Zur selben Zeit kehrte die Labour-Regierung mit leeren Händen von den Finanzverhandlungen mit den Vereinigten Staaten zurück. Schatzkanzler Gaitskell hatte die Amerikaner mit der Ankündigung schockiert, das geplante Rüstungsprogramm drastisch zugunsten der Exportindustrie zusammenzustreichen. Insbesondere das amerikanische Finanzministerium wollte gleichwohl weder die verlangte Rohstoff- noch allgemeine Dollarhilfe gewähren 332 . V o r dem Hintergrund des britischen Wahlkampfes begannen die Devisenreserven zu schmelzen. Die neue konservative Regierung richtete im November 1951 wieder Quoten ein und führte im folgenden Februar 1952 die Liberalisierung auf 46 % zurück. Außerdem kürzte sie den Haushalt drastisch. Jetzt schien die aus der Zwischenkriegszeit bekannte Kettenreaktion doch noch einzusetzen. Frankreich verzeichnete einen Preisauftrieb Vgl. F R U S , 1951, III, S. 1 8 0 - 1 9 0 (Zitat S. 181): Bericht, 19.2.1952; Ismav, N A T O , S. 1 5 0 - 1 5 3 . Μ' Vgl. D C F R , X I X , S. 698: Memo Ritchie, 10.2.1953. Vgl. Gaitskell, Diaries, S. 275, 282 f.; Peter, Großbritannien, S. 127 f.; Plowden, Industrialist, S. 122 f.

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von 23 %, für den nicht zuletzt Lohnsteigerungen von ca. 30 % verantwortlich waren. Gegen den Abfluß der Devisenreserven forderte der Zentralbankchef Importbeschränkungen und die Kürzung von Rüstungsausgaben 333 . Folgerichtig hob Frankreich ebenfalls die Handelsliberalisierung auf. Jetzt geriet auch Italien unter Druck, das 1951 dank seiner Ausfuhren nach Frankreich und Großbritannien eine Überschußposition in der EZU aufgebaut hatte. Während die Einfuhren von Kohle und Maschinen stabil blieben, brachen die Agrar- und Textilausfuhren weg. Das französische Defizit gegenüber der EZU erreichte den Scheitelpunkt im Sommer 1952. Jetzt begann ein Stützungskredit der Zahlungsunion zu greifen. Anders als im Falle der Bundesrepublik war er nicht mit förmlichen Auflagen verbunden. Denn London und Paris weigerten sich, ihre Wirtschaftspolitik auf den Prüfstand der EZU zu stellen334. Freilich fand keine der deutschen vergleichbare Erholung statt, da neben den Importen auch die Exporte zurückgingen. Zu Jahresende 1952 lag die französische Industrieproduktion nur 9 % über dem Niveau des besten Vorkriegsjahres 1929. Das Wirtschaftswachstum litt weiter unter einem Haushalt, der durch den Indochinakrieg, die Aufrüstung und öffentliche Investitionen belastet war. Andererseits stabilisierte die amerikanische Militärhilfe die Devisenreserven, nachdem die französische Regierung eine weitere Abwertung aus politischen Gründen ablehnte. Die Staatsnachfrage auf dem schwach entwickelten Kapitalmarkt behinderte die Selbstfinanzierung der Wirtschaft. In der Quintessenz setzte sich die Überzeugung durch, daß der Gleichschritt zwischen der kontrollierten Öffnung der französischen Volkswirtschaft im Rahmen der OEEC und ihrer Modernisierung gescheitert war 335 . Die Suspendierung der Handelsliberalisierung bedrohte die OEEC kaum weniger als die Bestrebungen, sie der NATO einzuverleiben. Auf dem Gipfel der britischen Zahlungsbilanzkrise begann Schatzkanzler Butler auch noch, am zweiten Standbein der OEEC zu rütteln und die Existenz der EZU aufs Spiel zu setzen. Er nahm im Februar 1952 den Konvertibilitätsplan auf, den Beamte seines Hauses und der Zentralbank ausgearbeitet hatten. Danach sollten bereits aufgelaufene Sterlingguthaben blockiert und konsolidiert werden. Anschließend wollte man den Kurs des Pfundes für Ausländer innerhalb einer Bandbreite freigeben und den Umtausch zu diesem floatenden Kurs in Gold und Devisen erlauben. Die auf festen Kursen basierende EZU — über die nach Angabe des Vorsitzenden ihres Direktoriums immerhin 60 % des Welthandels abgerechnet wurden 336 — war damit kaum vereinbar. Deren Mitglieder hätten zum Schutz ihrer Währungen Einfuhren aus der Sterlingzone ebenso diskriminiert wie solche aus dem Dollarraum. AllerVgl. Auriol, Journal, VI, 1952, S. 138 (20.2.1952). " 4 Vgl. FRUS, 1952-1954, VI, S. 58: Besprechung Acheson, Stikker, Harriman, 10.4.1952. 335 Vgl. Asbeek Brusse, Tariffs, S. 8 1 - 8 4 ; Buchheim, Wirtschaftsbeziehungen, S. 8 7 - 8 9 ; Bossuat, Nature, S. 199; ders., Politique, S. 332; Cairncross, Economy, S. 101, 103 f.; Fauri, Italy, S. 140; Grosbois, Benelux, S. 525-527; Hentschel, Zahlungsunfähigkeit, S. 108-111; Kaplan and Schleiminger, Payments Union, S. 125-127, 138-43; Milward and Brennan, Britain's Place, S. 7 0 - 7 6 ; Lynch, France, S. 133, 135-137; Saint-Paul, France, S. 300 f. " Vgl. BArch, Β 146/232e: Ansprache Mangold, 30.10.1952.

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dings vermutete man in London, daß mit dem Ausscheren der Belgier die EZU sowieso nicht mehr verlängert werde. Denn im August 1951 war die belgischluxemburgische EZU-Quote ausgeschöpft worden. Großbritannien, Skandinavien und die Niederlande weigerten sich regelwidrig, ihre die Quote überschreitenden Schulden zu mehr als der Hälfte in Gold auszugleichen. Die Belgier drohten im März 1952, das System zu verlassen, und mahnten die Neuverteilung der Rüstungslasten an. Die Amerikaner weigerten sich, der EZU weitere Mittel zur Verfügung zu stellen. Enttäuscht registrierten die Briten, daß die Belgier die EZU am Ende doch nicht platzen ließen. Offenbar waren sie mitderweile anders als vor 1950 geneigt, ihren europäischen Handelspartnern die Einfuhren aus Belgien zu kreditieren. Freilich sprach der Anteil der OEEC von über 60 % am gesamten belgischen Export ebenso gegen den Rückzug aus der EZU wie deren Rolle bei der Stabilisierung des Benelux. Zudem hatten die Niederländer zu Jahresbeginn 1952 ihre Rolle als Schuldner der EZU mit der eines Gläubigers vertauscht. Nur widerwillig akzeptierten der amerikanische Finanzminister Snyder und sein Ressort die Auffassung Achesons und Harrimans, daß eine ablehnende oder nur neutrale Haltung zur EZU die militärische Stabilisierung Europas konterkariere337. Die Mitarbeiter des TCC hatten Ende 1951 gemahnt, die Bedeutung der Zahlungsunion für die Aufrüstung und die EVG nicht zu unterschätzen. In seinem Schlußbericht unterstrich das TCC deren doppelte Funktion. Einerseits sollte sie verhindern, daß handelsbedingte innereuropäische Zahlungsbilanzdefizite die Aufrüstung behinderten. Andererseits erlaubte sie die Verrechnung notwendiger Transferzahlungen. Künftig sollte die Verteilung der Rüstungsaufträge und der amerikanischen Militärhilfe die jeweilige Schuldner- bzw. Gläubigerposition der NATO-Staaten in der EZU in Rechnung stellen — eine Reminiszenz an den Marshallplan. Sogar die direkte Uberweisung von Militärhilfe in den Dollarbestand der Zahlungsunion wurde empfohlen. Im Gegenzug sollte die innereuropäische Handelspolitik der NATO-Staaten die rüstungsbedingten Transferzahlungen berücksichtigen 338 . Die Kritiker der Konvertibilitätspläne in der Londoner Bürokratie sahen denn auch erhebliche Widerstände der Amerikaner und der NATO-Partner voraus. Im Kabinett mußte Butler Ende Februar Churchill zugestehen, daß zu der im Mai anstehenden Verlängerung der ungeliebten EZU eigentlich keine Alternative bestand, wollte man nicht den Rückfall der europäischen Wirtschaft in den Bilateralismus der Vorkriegszeit provozieren und damit die Aufrüstung konterkarieren. Vielleicht waren die wirtschaftlichen Voraussetzungen, insbesondere ausreichende Devisenreserven und der Abbau der Nominalwertüberhänge, für eine beschränkte Konvertibilität grundsätzlich gegeben 339 . Ausschlaggebend war jedoch die Sorge, auch die Bandbreite, in der das Pfund floaten durfte, durch eine Verknappung der Vgl. FRUS, 1952-1954, VI, S. 3 3 - 3 7 , 5 3 - 6 0 , 7 9 - 8 1 : Zeeland an Acheson, 15.3.1952, Besprechungen Acheson, Stikker, Harriman, 3. und 10.4.1952, Anderson an MSA und Stikker an Acheson, 9.6.1952. » » Vgl. PRO, Τ 235/34: Roll an Compton und Hall-Patch, 23.11.1951, Roll an Hall-Patch, 26.11.1951; BA-MA, B W 3/93, TCC-Report, P. III, 18.12.1951, Bl. 6 9 - 7 3 . 3.w Vgl F.ichengreen, Reconstructing, S. 4 4 - 6 4 .

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Geldmenge verteidigen zu müssen. Das gefährdete die Vollbeschäftigung, die den Tories kaum weniger am Herzen lag als ihren Vorgängern. Buder wäre dagegen bereit gewesen, diesen Preis zu zahlen, um dem marktwirtschaftlichen Strukturwandel wieder zu seinem Recht zu verhelfen. Hierin war er sich mit den Beamten des amerikanischen Finanzministeriums einig, die den Defizitären der EZU eine Deflationspolitik zumuten wollten. Die britische Regierung beschränkte sich jedoch auf Importrestriktionen, einen höheren Diskontsatz und Haushaltskürzungen 340 . Die EZU wurde verlängert, wenn auch nur um ein Jahr. Vor diesem Hintergrund wärmte Butler seinen Plan im Herbst 1952 als »collective approach« wieder auf. Jetzt sollten das Pfund Sterling, die Deutsche Mark, der französische und Schweizer Franc zu floatenden Kursen ausländerkonvertibel gemacht werden. Der Name signalisierte nur scheinbar, daß Großbritannien in Abstimmung mit den OEEC-Partnern den Umbau der EZU anstrebte. London verhandelte den Plan nicht mit der OEEC, sondern zunächst nur mit den Vereinigten Staaten und Kanada. Angesichts der fortbestehenden Skepsis im Washingtoner Finanzministerium und in der amerikanischen Zentralbank gegen die Diskriminierung von Gütern aus der Dollarzone rechnete London mit amerikanischer Unterstützung, zumal es mit dem Abbau der Präferenzzölle lockte. Die Kanadier begrüßten das Vorhaben aus denselben Gründen, aus denen sie für ein wirtschaftliches Aufgabenspektrum der NATO eintraten. Vielleicht erlaubte der »collective approach«, gemeinsam mit den Vereinigten Staaten die Diskriminierung der Dollarzone durch OEEC und EZU abzubauen. Verärgert notierten dagegen die Europäer, daß die Briten wieder einmal aus der Solidarität ausscherten. Mit einem amerikanischen Plazet gewappnet, wollten sie den kontinentalen Widerstand von vornherein unterlaufen. Daß die angestrebte Ausländerkonvertibilität den Handelsaustausch fördere, leuchtete den Europäern nicht ein. Sie reflektierte vielmehr das Interesse der City, dem die konservative Regierung mehr unterlag als ihre Vorgängerin 341 . Hier wurde in Erinnerung an die Zeit vor 1931 die Renaissance des Finanzplatzes London angestrebt. Während die deutsche Exportindustrie von der eher unterbewerteten Währung profitierte, lag den britischen Bankiers vor allem das Pfund als Handels- und Reservewährung am Herzen. Die Exportchancen der eigenen Industrie außerhalb der Sterlingzone galten als zweitrangig. Die für Frankreich, Italien und die Niederlande charakteristische Verknüpfung der Außenhandelspolitik mit der Industrie- und Wirtschaftspolitik fiel in Großbritannien angesichts der Fixierung auf den Sterling als einem wesentlichen Unterpfand der Weltgeltung aus. Dagegen wollten die europäischen Unternehmer vor allem den Handel von Waren und Dienstleistungen in

340 Vgl Cairncross, Recover)', S. 2 3 4 - 2 6 5 ; Dickhaus, Payments Union, S. 190 f.; Eichengreen, Reconstructing, S. 88 f.; Kaplan and Schleiminger, Payments Union, S. 1 3 0 - 1 3 4 , 1 5 1 - 1 5 3 , 1 6 4 - 1 6 6 ; Milward, European Rescue, S. 3 5 1 - 3 5 8 , 367; ders., Motives, S. 2 6 1 - 2 6 5 ; ders., European Monetary Agreement, S. 1 1 6 f.; ders., Belgium, S. 148 f.; Plowden, Industrialist, S. 146, 154 f. '"ι Vgl. dazu auch AAP, 1953, S. 134, 136: Vermerk Hallstein, 2.2.1953.

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der eigenen Währung finanzieren. Freilich hatten auch die Staaten des Commonwealth empfohlen, den Plan zunächst mit Washington zu verhandeln. Unter dem Sdchwort »trade, not aid« knüpften Außenminister Eden und Schatzkanzler Buder bei ihrem Besuch in Washington im März 1953 an die Uberlegungen internationalistischer Republikaner und liberaler Wirtschaftskreise aus dem Vorjahr an. Der Abbau von Importbeschränkungen sollte es den Europäern endlich ermöglichen, auf dem amerikanischen Markt die Dollars zu verdienen, die bislang als Marshall- und Militärhilfe gewährt wurden. Konkret erwarteten die Briten - neben finanzieller Unterstützung und der Erhöhung der Quote der Sterlingzone im IWF auf mehr als das Doppelte - den drastischen Abbau der amerikanischen Zölle und sonstigen Importbeschränkungen. Auf die eher rhetorische Frage, ob die Europäer den Schritt in die Konvertibilität mitmachten, so ihn die Amerikaner denn unterstützten, mußte Buder einräumen, daß er mit den Europäern nur auf der Grundlage amerikanischer Zusagen verhandeln wollte. Frustriert erkannte er, daß Außenminister Dulles und sein amerikanischer Kollege George M. Humphrey nicht bereit waren, die EZU vorzeitig britischen Ambitionen zu opfern 342 . Diese zerschellten weniger an der Verweigerung erweiterter Einfuhrchancen und finanzieller Hilfe343. Vielmehr hatten Präsident Eisenhower, Harold Stassen, Nachfolger Harrimans als Direktor der MSA, und vor allem Dulles die EVG und die mit ihr verknüpfte EPG zu ihrem Baby gemacht. Sie nahmen an, daß beide Projekte ohne EZU ebensowenig lebensfähig seien wie die Montanunion 344 . Im übrigen fürchtete die amerikanische Diplomatie, daß womöglich nicht einmal Großbritannien selbst die Konvertibilität durchhalten könne, geschweige denn der Kontinent mit seinen geringen Dollarreserven. Die bescheidenen Erfolge der letzten fünf Jahre standen womöglich auf dem Spiel. Im Ergebnis hatte sich Großbritannien europapolitisch weiter isoliert. Es tröstete sich mit der Hoffnung, daß Paris mit der EPG bald Schiffbruch erleiden werde. Je deutlicher sich die amerikanische mit der französischen Europapolitik identifizierte und auf konkrete Alternativen verzichtete, so die britische Erwartung, desto lauter werde dann auf dem Kontinent die Notglocke wieder die Stunde der britischen Diplomatie einläuten. Nach der Abfuhr in Washington wandten sich Butler und Eden doch noch an die OEEC. Der Schatzkanzler forderte, in einem geographisch möglichst weit gesteckten Raum und möglichst im Gleichschritt den freien Verkehr von Waren und Währungen herzustellen. Vermutlich mit Blick auf Frankreich wollte er für eine Übergangszeit sogar ein Nebeneinander konvertibler und nicht-konvertibler Währungen in Europa hinnehmen, was freilich an den Exportinteressen der Kontinentalstaaten vorbeiging. Die EZU sollte bis Juni 1954 in ein multilaterales System unter dem Dach von IWF und GATT überführt werden.

14S ,44

Vgl. FRUS, 1952-1954, VI, S. 9 2 1 - 9 5 3 , 9 5 6 - 9 6 0 (Zitat S. 925): Verhandlungen Dulles, Kden, Butler, Humphrev u.a., 4.-7.3.1953; Medick-Krakau, Außenhandelspolitik, S. 191 f.; Schmidt, Kanada, S. 178 f. ' Wie Butler - Memoirs, S. 1 6 7 - 169 - im Rückblick meint. So auch Dunn, mittlerweile Botschafter in Paris. Vgl. FRUS, 1 9 5 2 - 1 9 5 4 , V, S. 1560: Dunn an State Dpt., 3.2.1953.

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Praktisch dachte Butler neben der obligatorischen Forderung nach Abbau des amerikanischen Protektionismus an die Wiederaufnahme der Handelsliberalisierung und an ein Floaten der Währungen in Bandbreiten. Eden forderte, daß der Westen nicht dauerhaft in regionale Wirtschaftsblöcke auf der Grundlage der Diskriminierung Dritter zerfallen dürfe. Vielmehr müsse seine weltweite Zusammenarbeit im Dreieck von OEEC, Vereinigten Staaten und Commonwealth angestrebt werden^. In der OEEC wurde ebenfalls über Konvertibilität nachgedacht. Sie galt als denkbares Instrument, die Staaten zu mehr finanzieller Disziplin zu erziehen. Nicht zuletzt der deutsche Wirtschaftsminister hatte sich im Herbst 1952 zur Konvertibilität bekannt. Er sah die Bundesrepublik in einer ähnlichen Lage wie weiland Belgien: Parallel zu wachsenden Überschüssen in der EZU akkumulierte sie ein Defizit mit der Dollarzone. Kaum anders als die amerikanischen und britischen Protagonisten des Multilateralismus wollte Erhard die deutsche Wirtschaft auf den Weltmarkt orientieren. Tatsächlich waren OEEC und EZU mit marktwirtschaftlichen Ordnungsvorstellungen allenfalls vorübergehend vereinbar. Einerseits erlaubten sie die Volumensteigerung des Außenhandels. Andererseits lenkten sie den Handel um, verzerrten die komparativen Kosten und verhinderten die Aufnahme von Krediten im Ausland. Anders als die Briten forderte Erhard volle und nicht nur Ausländerkonvertibilität, die er zudem noch mit einer scharfen Handelsliberalisierung aller Mitglieder verknüpfen wollte. Die Voraussetzung dafür waren jedoch realistische, nicht künstlich unter- oder überbewertete Währungen (wie Deutsche Mark bzw. Franc), ausreichende Devisenreserven, die Beseitigung der Liquiditätsüberhänge, Lohndisziplin, die Allokation von Ressourcen in der Exportproduktion und der Abbau der Handelsbarrieren 346 . Dem deutschen Zentralbankchef Wilhelm Vocke galten Franc und Sterling als »ausgesprochen kranke Währungen«, die nur durch eine entsprechende Sanierungspolitik der Staaten zu kurieren seien. Allerdings hegte er nicht die Illusion, man könne den Franzosen und Briten eine Stabilitätspolitik vorschreiben. Er mahnte Erhard, nicht »wieder den praeceptor Europae« zu spielen. Anders als der Wirtschaftsminister glaubte der Zentralbankchef auch nicht an die integrative Wirkung der Konvertibilität. Bei floatenden Kursen werde man womöglich in die alte Gewohnheit zurückfallen, notwendige innere Sanierungs- und Stabilisierungsmaßnahmen durch Abwertung zu umgehen. Die Abwertung gegen den Dollar werde am Protektionismus der Vereinigten Staaten ohnehin nichts ändern. In der Konsequenz werde auch die europäische Binnenkonvertibilität die Stabilität der Währungen kaum beeinflussen; denn die richte sich vor allem nach ihrem Verhältnis zum Dollar. Daher solle man Franzosen und Briten lieber zur Wiederaufnahme der Handelsliberalisierung drängen 347 . Die deutsche Exportindustrie teilte den pragmatischen Standpunkt der Bank deutscher Länder. Sie konnte ihre Ausfuhr vor allem in die kleineren NachbarlänVgl. BA 136/1309: Blücher an Adenauer (nebst Non-papers von Butler und Eden), 8.4.1953. 346 ygL dazu Eichengreen, Mainsprings, S. 21 - 2 4 . 347 BA, Β 102/11579: Vocke an Erhard, 11.12.1952. 345

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der zwischen 1950 und 1953 erheblich steigern. Bei anhaltender Dollarknappheit erfreuten sich westdeutsche Kapitalgüter dort einer regen Nachfrage. Im Gegenzug bot der deutsche Markt den Spezial- und Nischenprodukten der kleinen Nachbarn gute Absatzchancen. Dieser Trend setzte sich fort. Wie bei anderen westeuropäischen Volkswirtschaften blieb die deutsche Ausfuhr nach Nordamerika auch nach 1955 bescheiden, wogegen die nach Westeuropa weiter zunahm. Hier entstand statt der Dollar- eine DM-Lücke, die ihren Ausdruck in deutschen EZU-Überschüssen fand. Für die Briten war Westeuropa als Absatzmarkt im Vergleich zum Commonwealth vorläufig nachrangig. Für die deutsche Wirtschaft war der Weltmarkt dagegen allenfalls die Taube auf dem Dach. Die hoffnungsvolle Sechsergemeinschaft hätte sich rasch in dem Gegensatz zwischen Hart- und Weichwährungsländern verheddert. Freilich hätte ein den Briten verbundener Block kontinentaler Hartwährungsstaaten, bestehend aus der Bundesrepublik, der Schweiz, Belgien und vielleicht den Niederlanden, die europapolitischen Eindämmungsbemühungen gegenüber der Sechsergemeinschaft wirkungsvoll unterstützt. Aufgrund seiner Abhängigkeit vom Export nach Westeuropa und der Bedeutung der EZU für das innere Gleichgewicht des Benelux war selbst Belgien nicht bereit, die Zahlungsunion vorschnell über Bord zu werfen, wie Erhard bei einem Besuch bei Zeeland feststellen mußte 348 . Das galt auch für die Niederlande, obwohl auch sie, wie gesagt, mitderweile zu den Gläubigern der EZU gehörten. Die Gläubiger verdienten ihr Geld im protektionistischen EZU/OEEC-Raum, wenn auch um den Preis der Vorfinanzierung des eigenen Absatzes durch Kredite an die EZU, was die Inflation anheizte. Folgerichtig lagen die Positionen Erhards und Butlers, aller Übereinstimmung im Grundsätzlichen zum Trotz, weit auseinander 349 . Das Direktorium der EZU lehnte unter diesen Umständen ebenfalls den vorzeitigen Ubergang zur Konvertibilität ab. Die Direktoren aus den Gläubigerländern Bundesrepublik, Belgien, Niederlande und Schweiz empfahlen alternativ die schrittweise »Härtung« der Zahlungsunion, also einen höheren Ausgleich von Defiziten in Gold/Dollar. Sobald Defizite zu 100 % auszugleichen waren, hätte faktisch Konvertibilität bestanden. Während Frankreich einst ebenfalls mit floatenden Kursen geflirtet hatte, konnte es sich jetzt nichts mehr davon versprechen. Im Sommer 1953 unterschied es sich kaum mehr von den Defizitären Griechenland und Türkei, für die der EZU-Kredit existentielle Bedeutung besaß. Folgerichtig verhielt es sich unentschieden, als das belgische Direktoriumsmitglied einen Goldausgleich von 50:50 statt 40:60 forderte, im Gegenzug aber die Quoten um 20 % erhöhen wollte. Wieder leisteten die Briten mit den Norwegern im Schlepptau entschiedenen Widerstand. Die belgische Forderung nach einem 100 %igen Ausgleich der Kredite, welche die Quote überschritten, scheiterte; ebenso deutsche Vorstellungen, nach denen das Direktorium das Recht erhalten sollte, in die nationale Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten einzugreifen. Immerhin wurde die EZU erneut verlängert. 148

Vgl. AAP, 1953, S. 393 f.: Pfeiffer an Ausw. Amt, 5.5.1953. Vgl. AAP, 1953, S. 4 6 2 - 4 6 7 : Runderlaß Maltzan, 23.5.1953.

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Im Herbst 1953 stand die Bundesrepublik selbst am Pranger. Sie hatte exzessive Überschüsse angehäuft und wurde jetzt aufgefordert, ihre Einfuhren drastisch zu liberalisieren und eine Haushalts-, Zins- und Lohnpolitik einzuschlagen, die Einfuhren förderte. Erhard antwortete mit der Forderung nach Konvertibilität und drohte mit einseitigen Schritten. Den einseitigen Übergang zur Konvertibilität hatten selbst die Briten nicht ernsthaft erwogen. Allerdings wurde er von Adenauer zurückgepfiffen. Insbesondere aus »Rücksichtnahme auf Frankreich« habe sich die Bundesregierung noch nicht festgelegt350. Erhard sah ein, daß die Bundesrepublik aufgrund ihrer europäischen Bindungen offenkundig den Übergang zur Konvertibilität nicht anführen konnte. Daher versuchte er den amerikanischen Finanzminister Humphrey zu überzeugen, daß »Europa [...] von den USA mitgerissen werden« müsse. Die EZU finanziere die innere Unordnung Europas und isoliere es damit dauerhaft vom Weltmarkt. Die gleiche Wirkung habe die fortgesetzte Dollarhilfe der Vereinigten Staaten. Aus diesem Grunde lehnte er auch britische Forderungen nach einem namentlich von den Amerikanern zu finanzierenden Fonds zur Pufferung des Übergangs zur Konvertibilität ab. Nur innere Stabilisierung, Konvertibilität und Öffnung der europäischen Märkte für amerikanische Wettbewerber führe zur rationellen Entwicklung der Produktivkräfte und zwinge die Europäer zur Schaffung eines Gemeinsamen Marktes. Erhard glaubte, daß Benelux, Schweiz und Italien sich einem »Konvertierbarkeitsblock« der Amerikaner, Briten und Deutschen anschlössen. Dagegen fehle Frankreich die politische Kraft, die selbst als notwendig erkannte Sanierung einzuleiten. Alarmiert registrierte die französische Vertretung in Bonn, daß Finanzminister Schäffer noch weiter ging als der Wirtschaftsminister. Er wollte im Rahmen der geplanten europäischen politischen Gemeinschaft den Franzosen eine stabilitätsorientierte Geld- und Währungspolitik auferlegen und in der Konsequenz eine Gemeinschaftswährung schaffen. Ohne Franzosen, darüber war sich auch Erhard im klaren, war letzten Endes weder die Konvertibilität zu leisten, geschweige denn die Integration fortzusetzen. Folgerichtig befürwortete er in diesem Fall ebenfalls Übergangsbeihilfen. Humphrey erkannte natürlich die Verwandtschaft mit den Vorstellungen Butlers, dessen Schocktherapie er schon im Vorjahr abgelehnt hatte. In Washington bevorzugte man den allmählichen Übergang zu floatenden Kursen mit Hilfe der EZU. Eine Neuauflage des Debakels von 1947, als die Einführung der Konvertibilität Großbritannien an den Rand der Zahlungsunfähigkeit getrieben hatte, sollte vermieden werden 351 . Der Schatzkanzler holte sich wenig später352 erneut eine Abfuhr der Amerikaner, die ihre Unterstützung vom umfassenden Abbau der Dollardiskriminierung 350 KPBR, VI, 1953, S. 510 (10.11.1953). Vgl. auch AAP, 1953, S. 1 0 1 2 - 1 0 1 4 : Adenauer an Erhard, 27.11.1953. 351 Vgl. BA, Β 102/11579: Besprechung Erhard, Humphrey u.a., 3.12.1953; FRUS, 1 9 5 2 - 1 9 5 4 , I, S. 3 4 0 - 3 4 8 : Williams an Randall-Kommission, 15.12.1953; MAEF, DE-CE, Bd 521, Bl. 3 8 5 - 3 8 7 : Berard an Bidault, 29.1.1954; AAP, 1953, S. 1 1 0 2 - 1 1 0 5 : Krekeler an Hallstein, 16.12.1953. 352 Vgl. FRUS, 1 9 5 2 - 1 9 5 4 , VI, S. 1 0 2 8 - 1 0 3 0 : brit. Memorandum, April 1954.

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abhängig machten. Hier waren nur die Bundesrepublik und der Benelux vorangekommen, die bis November 1954 79 bzw. 86 % der Dollareinfuhren liberaüsiert hatten, während Frankreich und Italien an ihren Quoten gegen den Dollarraum festhielten. In Washington galt die OEEC nach wie vor als »effective forum for coordinating work on international trade and payments of European member countries«353. Folgerichtig wandte sich Butler im Juni 1954 erneut an die Organisation. Hier stieß er auf den einhelligen Widerstand des Benelux, Frankreichs und Italiens gegen den Übergang zur Konvertibilität. Stassen knüpfte die amerikanische Bereitschaft, einem europäischen Stützungsfonds das amerikanische Kapital der EZU zur Verfügung zu stellen, erneut an die umfassende Liberalisierung der Dollareinfuhren und einen substantiellen Eigenbeitrag der Europäer. Unterdessen sahen sich Blücher und Erhard in der EZU nicht zuletzt von Butler unter Druck gesetzt. Seine Forderung nach einem höheren Einfuhrvolumen zu Lasten der Investitionen interpretierte der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Blücher als Versuch, »die wirtschaftliche Expansion der Bundesrepublik zu drosseln«354. Widerwillig räumten die Deutschen der EZU neue Kredite ein. Immerhin wurde die EZU im Frühjahr 1954 durch die Rate 50:50 gehärtet. Und die Briten konsolidierten ihre multilateralen Schulden ihr gegenüber in bilateralen Abkommen. Die Konvertibilitätsfrage spaltete sogar die Bundesregierung. Erhard sah in weltweiter Konvertibilität geradezu die Voraussetzung weiterer Integration. Die nationalen Interessen könnten durch Zölle hinreichend gewahrt werden. Dem Landwirtschaftsminister Heinrich Lübke kam der französische Widerstand gegen die britischen Konvertibilitätspläne dagegen gerade recht. Mit seiner Mahnung, alles zu vermeiden, was Frankreich die Mitwirkung an der europäischen Integration erschwere, rannte er bei Adenauer offene Türen ein. Der betrachtete die »Wirtschaftspolitik als eine Funktion der Außenpolitik« und legte Erhard nahe, bei seinen Konvertibilitätsplänen in der OEEC die französische Haltung in Rechnung zu stellen355. Politische Nützlichkeitserwägungen und die Scheu vor schwierigen Märkten gingen demnach Hand in Hand. Neben der Landwirtschaft galt vor allem die Exportindustrie als Gegner der Konvertibilität. Sie hätte die deutschen Exporteure zum Wettbewerb in den Dollarräumen gezwungen, »statt wie bisher auf das Risiko des Steuerzahlers und auf Kosten der Bjank] deutscher] L[änder] bequeme Märkte >abgrasen< zu können« 356 . Die Konzentration auf die bequemen Märkte der OEEC füllte den Goldschatz der Zentralbank. Denn im September 1954 konnte vor dem Hintergrund einer günstigen Konjunktur die Rate 75:25 erreicht werden. Den Vorschlag Belgiens, der Schweiz und Italiens, auf 100 zu erhöhen und damit faktisch Konvertibilität zu schaffen und im Gegenzug den Stützungsfonds einzurichten, lehnte London vorerst ab357. FRUS, 1 9 5 2 - 1 9 5 4 , 1 , S. 366: National Advisory Council, 9.7.1954. KPBR, VII, S. 203 (12.5.1954). Vgl. ebd., S. 1 4 6 - 1 4 8 (6.4.1954). Vgl. KPBR, VII, S. 309 f. (13.7.1954). PA, Ref. 210, Nr. 3: Besprechung Hallstein, v. Maltzan, van Scherpenberg u.a., 12.7.1954. 35" Vgl. Boccia, United States, S. 211; Bossuat, Nature, S. 205 f.; Bührer, Westdeutschland, S. 2 7 4 - 2 7 8 , 2 8 8 - 3 0 5 , 3 0 8 - 3 2 0 ; Cairncross, Economy, S. 1 2 1 - 1 2 4 ; Dickhaus, It is only, ^

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Ungeliebt, aber unverzichtbar, bot die Zahlungsunion die Grundlage, auf der die Handelsliberalisierung wieder aufgenommen werden konnte, als die Symptome der Koreakrise und des anfanglichen Aufrüstungsfurors allmählich abklangen. Im März 1953 überwand die britische Regierung ihre Bedenken gegen die mögliche Beeinträchtigung der Zahlungsbilanz und begann, die Einfuhren erneut zu liberalisieren. Belgier und Deutsche sollten mitziehen, Franzosen und Italiener daran gehindert werden, die Schraube der Restriktionen weiter anzuziehen. Von der Belebung der O E E C versprach sich London Auftrieb für seine Konvertibilitätspläne358. Kurzfristig hoffte es, von den expandierenden Volkswirtschaften des Kontinents zu profitieren. Langfristig wollte es die europäische in die Weltwirtschaft integrieren. Freilich galt es, davor noch die Hürde des Abbaus der Dollardiskriminierung zu nehmen, die ja auch den Briten schwergefallen war. Vor allem Franzosen und Italiener begrüßten die Reliberalisierung der britischen Einfuhren. Denn sie litten weit mehr unter den britischen Quoten als umgekehrt die Briten unter denen der Franzosen und Italiener. Gegen die britische Perspektive wollten beide den europäischen Wirtschaftsraum in dem Maße gegen unerwünschte Weltmarktkonkurrenz absichern, wie sie selbst ihre Volkswirtschaften nach Europa hin öffneten. Allerdings setzte London den Quotenabbau ebenfalls so behutsam ins Werk, daß sich seine Devisenreserven erholten und die Zahlungsbilanz verbesserte. Die Lage blieb prekär. Denn die Reserven der Sterlingzone überschritten nie den Bestand von 4 Mrd $ des Jahres 1950 und lagen meist zwischen 2 und 3 Mrd $, was in etwa dem Einfuhrbedarf von drei Monaten gleichkam. Dagegen sanken die Sterlingguthaben kaum unter 4 Mrd $. Im Juni 1954 waren gerade 80 % der privaten Einfuhren wieder quotenfrei. Trotz wachsender Zahlungsbilanzüberschüsse reliberalisierte die Bundesrepublik ebenfalls sehr verhalten. Lagen Belgien, Portugal, die Schweiz und Italien im Sommer 1952 bei über 95 %, konnten die Deutschen nur mit knapp 81 % aufwarten. Während die Bundesrepublik jetzt gut 84 % anbot, offerierte Italien 100 %. Rom baute sogar Quoten gegenüber Drittländern ab, wenn diese O E E C Währungen entgegennahmen. Dabei lagen seine effektiven Zölle sogar leicht unter französischem Niveau. Die verbleibenden Quoten dienten dem Schutz der Landwirtschaft und des Fiat-Konzerns, dem fast eine Monopolstellung auf dem Binnenmarkt eingeräumt wurde. Allerdings forderte Haushaltsminister Pella, daß die O E E C die Bedingungen verschärfte, unter denen die Liberalisierung ausgesetzt werden konnte. Das zielte gegen Frankreich, das sich in den Augen seiner O E E C Partner allzu gemütlich in seinem durch Quoten und Zölle geschützten Binnenmarkt einrichtete. Im Sommer 1953 verweigerte die O E E C der fortgesetzten einS. 191 f., 193 f., 2 0 6 - 2 0 8 ; Hentschel, Zahlungsunfähigkeit, S. 112-115; Kaplan and Schleiminger, Payments Union, S. 160-162, 168-183, 185-199, 206, 208 f., 211 f.; Milward, European Rescue, S. 3 5 8 - 3 8 5 , 390-395; ders., Motives, S. 2 6 5 - 2 7 1 , 2 7 5 - 2 8 1 ; ders., Deutscher Außenhandel, S. 4 7 6 - 4 7 8 , 484 f.; ders., European Monetary Agreement, S. 118 f., 127; Milward and Brennan, Place, S. 67 f., 8 3 - 8 7 ; Plowden, Industrialist, S. 155 f.; Romero, US Attitudes, S. 107-109. WS Vgl. PRO, CAB 128/26, CC 23(53), 26.3.1953.

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seitigen Suspendierung der Handelsliberalisierung ihre Zustimmung. Darauf reliberalisierte Paris bis Oktober 1953 kümmerliche 8 %. Gleichzeitig verkündete London das Ziel von 75 %, um den Druck auf Frankreich aufrechtzuerhalten 359 . Dessen schwache Vorstellung im zentralen Politikfeld der OEEC ging mit der allmählichen Verabschiedung aus der EVG einher. Beides unterstrich zu Jahresende 1953 den Eindruck, daß Frankreich die Initiative in der Europapolitik verloren hatte 360 , ohne daß sein britischer Rivale um die Führungsrolle in Europa davon letztlich profitierte. Trotz fehlender Sanktionsmöglichkeiten übte die OEEC mit ihren Vorgaben einen informellen Druck auf die Mitgliedsstaaten aus, die Interessen der Handelspartner in Rechnung zu stellen. Da Quoten Güterimporte wirksam verhinderten, mag ihr Abbau Wachstumseffekte freigesetzt haben. Freilich war dies keineswegs gleichbedeutend mit der Rücknahme des Protektionismus 361 . Im Gegenteil! Die OEEC sah sich veranlaßt, die Rücknahme exzessiver Zölle anzumahnen, mit denen mancher Staat den Abbau quantitativer Handelshemmnisse kompensierte. War dem GATT bis 1949 ein gewisser Abbau der Zölle gelungen, sollte sich das in der Runde von Oktober 1950 bis April 1951 in Torquay nicht wiederholen. Westdeutschland hatte den Unterzeichnern der Charta von Havanna einseitige Meistbegünstigung einräumen müssen. Zum gelinden Entsetzen der europäischen Exporteure, aber mit Billigung der A H K ging es jetzt mit einem am europäischen Durchschnitt orientierten Tarifschema in die Runde. Freilich hatten auch Italien und Frankreich ihre Tarife schon auf die deutsche Konkurrenz ausgerichtet. Der Schumanplan läutete keine Revision der französischen Zollpolitik ein, die im Gegenteil im GATT höhere Tarife für mechanische Produkte durchsetzen wollte. Italien hatte 1950 sein Tarifschema überarbeitet und dabei eine Bandbreite zwischen möglichen Maximal- und tatsächlichen Arbeitstarifen geschaffen, das ihm die Gratwanderung zwischen dem erforderlichen Schutz und dem notwendigen Anpassungsdruck für die eigene Wirtschaft erlaubte. Tatsächlich sollte sich das Land 1953 auch wieder den Defizitären der EZU zugesellen, weil seine Einfuhren hoch blieben. War Frankreich ursprünglich bereit, seine Tarife zu senken, geriet es im Verlauf der Konferenz immer stärker unter protektionistischen Druck der eigenen Industrie. Großbritannien hatte seinen Protektionismus nach 1945 nur wenig reduziert. Seine Tarife lagen kaum unter denen der Hochzolländer Frankreich und Italien. Sein Interesse galt dem Abbau der amerikanischen, kaum der westeuropäischen Zölle, bei möglichst geringen Zugeständnissen bei den Empirepräferenzen. Schließlich sollte der geschützte Handel mit dem Commonwealth und ein zunehmender Handel mit den Vereinigten Staaten die Voraussetzungen für die Konvertibilität des Sterling schaffen. Freilich waren die Vereinigten Staaten nicht zu ein-

^'g'· Asbeek Brusse, Trade, S. 130; Bührer, Westdeutschland, S. 2 7 8 - 2 8 7 ; ders., Liberalisierung, S. 1 6 0 - 1 6 2 ; Bossuat, France, S. 8 7 1 - 8 7 3 ; Cairncross, Hconomv, S. 1 1 6 - 1 1 9 ; Fauri, Italv, S. 140, 142 f.; Milward and Brennan, Place, S. 7 8 - 8 1 , 8 8 - 9 5 , 186 f.; Zamagni, Miracle, S. 206 f. ' w Vgl. DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 8 8 7 - 8 9 0 , 9 3 3 - 9 3 5 : Havter an Hood, 28.6.1952, Vermerk Dixon, 29.8.1952. Zit. nach Preda, Soglia, S. 104. +*" Vgl. AAP, 1952, S. 4 8 4 - 4 8 6 , 4 9 3 - 4 9 5 : Walther an Ausw. Amt, 18. und 25.6.1952; BDED, I, S. 2 5 5 - 2 5 7 : Walther an Ausw. Amt, 2.7.1952; Lenz, Tagebuch, S. 430 (25.9.1952). « ι Auriol, Journal, VI, S. 400 (20.6.1952).

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mit der Sowjetunion direkt ins Geschäft zu kommen 442 . Dagegen fürchteten die Skeptiker, daß letzten Endes nicht die Deutschen in die französische Europapolitik eingebunden, sondern Frankreich in den nationalistischen Irredentismus und Revanchismus der Deutschen verstrickt werde 443 . Tatsächlich hoffte Adenauer ja, daß die Kohärenz des westlichen Lagers und dessen »Politik der Stärke« die Sowjets zu einem vertraglichen Ausgleich veranlassen werde. In diesem Rahmen war dann auch eine Wiedervereinigungsperspektive denkbar 444 . Westlich des Rheins wurde die »Politik der Stärke« in einem anderen Licht gesehen. Man fürchtete, daß sie vielleicht rasch zum Sicherheitsrisiko für die Länder wurde, die mit der Bundesrepublik in einem Kontinentalblock zusammengespannt waren, den die Deutschen dominierten. In diesem Sinne beharrte Auriol auf der seit vier Jahren gepflegten Mißbilligung (»desaccord total«) der Deutschlandpolitik und lehnte den supranationalen Charakter der politischen Gemeinschaft ab. Die Sorge vor einem Kontinentalblock unter deutscher Führung beunruhigte auch die sowjetischem Gemüter mehr als ein westdeutscher Beitritt zur vorläufig noch nicht allzu bedrohlichen NATO. Daher träumte Auriol nicht grundlos weiter von einer Europapolitik gemeinsam mit den Briten und von einem »modus vivendi« mit der Sowjetunion im Rahmen der UNO 445 . Auch Stikker lehnte den Vorschlag einer politischen Gemeinschaft zunächst rigoros ab446. Bei der Außenministerkonferenz der Sechs vom 25. Juli 1952 war er nur widerwillig bereit, über den französisch-italienischen Antrag zu sprechen, auf der Grundlage der Resolution der Beratenden Versammlung und des Artikels 38 EVG-Vertrag die Montanversammlung mit dem Entwurf eines Statuts zu beauftragen447. Allerdings waren die Tage Stikkers als Außenminister gezählt. Er nahm nur noch für eine geschäfts führende Regierung teil. Sein Nachfolger Beyen plädierte auf der Außenministerkonferenz der Sechsergemeinschaft am 10. September 1952 dafür, die Erarbeitung eines politischen Statuts einer Diplomatenkonferenz zu übertragen. Der Belgier Zeeland unterstützte seine Anregung, auch die Chancen der wirtschaftlichen Integration zu verhandeln, wogegen de Gasperi keine Einwände hatte. Dagegen setzten Schuman, Adenauer und de Gasperi durch, daß nun doch das Montanparlament beauftragt wurde. Nur mit Mühe konnte Schuman jedoch erreichen, daß die Gemeinsame Versammlung im Gebäude des Europarates tagte und möglicherweise sogar dessen administrative Strukturen nutzte. Damit nahm er nicht nur auf London Rücksicht. Auch in der französischen Nationalver442 v g l . Monnet, Correspondence, S. 147 f.: Monnet an Schuman, 9.7.1952; Bossuat, France, S. 880 f.; Küsters, Vormarsch, S. 268 f. So auch Pleven zu den Motiven der Kritiker seines Planes. Vgl. A A P , 1952, S. 703: Vermerk Hallstein, 17.11.1952. 444 Vgl. Knipping, Orientation, S. 523 f. t « Vgl. Auriol, Journal, VI, S. 4 1 4 f. (Zitat), 455 f. (23.7.1952), 518 (20.8.1952); Mastny, NATO, S. 412. 44 Vgl. DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 883 f.: Butler an Eden, 27.6.1952. 447 Vgl. MAEF, DE-EC, Bd 522, Bl. 18 f., 2 3 - 2 6 , 3 5 - 3 7 , 45 f.: Garnier an Min. Ä f f . Etrangeres, 5., 10., 18.7.1952, Sitzung Außenministerkonferenz, 25.7.1952; BDFD, I, S. 257 f.: franz.-ital. Vorschlag, 23.7.1952. 443

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Sammlung galt eine Sechsergemeinschaft ohne Verbindung mit dem Europarat und den Briten als unattraktiv 448 . Der Bundeskanzler sorgte dafür, daß das Ergebnis bis zum 10. März 1953 nicht der künftigen EVG-Versammlung, wie der französischitalienische Vorschlag vorsah, sondern der Konferenz der Außenminister vorzulegen war. Offenkundig wollte er gleichermaßen die Ausflucht in die europaparlamentarische Unverbindlichkeit verbauen wie den Einfluß der Regierungen auf das weitere Schicksal des erwarteten Statutentwurfs sicherstellen. Um die vom EVGVertrag vorgesehene Zahl von 87 Sitzen zu erreichen, wurden je drei Abgeordnete der großen Völker aus dem Kreis der Beratenden Versammlung des Europarates kooptiert. Zum Vorsitzenden wurde Spaak gewählt. Nicht nur Mollet449 gehörte zu der Minderheit, die den Auftrag der Außenminister ablehnte. Er fürchtete das deutsche Übergewicht angesichts des Fernbleibens der Briten. Auch die vier deutschen Sozialdemokraten stimmten offen gegen das Vorhaben, um Kohärenz mit ihrer Opposition gegen die EVG zu demonstrieren 450 . Die neue »Ad-hocVersammlung« richtete einen Verfassungsausschuß unter Vorsitz von Heinrich v. Brentano ein, der immerhin der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages vorstand. Im Verfassungsausschuß waren die großen Völker mit je sechs und der Benelux mit acht Abgeordneten vertreten451. In Italien erreichte die Propaganda der Föderalisten um Spinelli unter den Auspizien der gemeinsamen Initiative mit Frankreich einen Höhepunkt. Gern hätte man den eigenen Regierungschef zur Ikone des Föderalismus gemacht. Tatsächlich sollte der Beschluß der Außenminister der Sechs dessen letzter europapolitischer Erfolg sein452. London parierte mit der Forderung, bereits die Gemeinsame Versammlung der Montanunion im Rahmen des Europarates einzurichten und das Projekt der politischen Gemeinschaft zusammen mit dem Edenplan im Europarat zu verhandeln 453 . Für die deutsche Diplomatie war das vor allem Störfeuer. Sie war nicht gewillt, noch vor der Konsolidierung der Sechsergemeinschaft deren supranationale Philosophie intergouvernemental verwässern zu lassen. Freilich konnte man schon mit Rücksicht auf das französische Parlament den Edenplan nicht einfach vom Tisch wischen 454 . Der Hochkommissar Kirkpatrick handelte sich dennoch eine Abfuhr +»" Vgl. DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 959 f.: Harvev an Eden, 12.9.1952; Lappenküper, Beziehungen, S. 285; EPE, S. 1 8 - 2 0 . 449 Vgl. seine Rede in der Beratenden Versammlung im September 1952, in: EPE, S. 31 - 3 3 . «> Vgl. dazu MAEF, Cabinet Schuman, Bd 143, Bl. 189: Note, 13.9.1952; Kim, Fehlschlag, S. 1 7 8 - 1 8 0 ; EPE, S. 39. Vgl. MAEF, DE-CE, Bd 521, Bl. 73: Außenmin. an franz. Botschaft Rom, 30.8.1952; Cabinet Schuman, Bd 143, Bl. 189: Note, 13.9.1952. Vgl. auch Fischer, Bundesrepublik, S. 281 f.; Griffiths and Milward, Beyen Plan, S. 5 9 8 - 6 0 0 ; Küsters, Vormarsch, S. 2 7 2 - 2 7 4 ; Pastorelli, Politica, S. 1 9 4 - 1 9 6 ; Preda, Soglia, S. 89, 1 2 7 - 1 3 3 , 181 f., 185. Der Begriff »ad-hoc« war in der diplomatischen Terminologie der Zeit ebenso populär wie die »Weisen«, vielleicht wegen seiner inhaldichen Beliebigkeit. 452 Vgl. Magagnoli, Italien, S. 147 f.; Preda, Storia, S. 2 4 5 - 2 4 8 ; Ranieri, Espansione, S. 2 6 2 - 2 6 4 . 453 Vgl. MAEF, DE-CE, Bd 521, Bl. 69 f.: Aide-Memoire Bntannique, 9.7.1952. 4^4 Vgl. AAP, 1952, S. 3 1 0 - 3 1 2 , 5 2 7 - 5 3 0 , 5 7 3 - 5 7 8 : Vermerk Thierfelder, 25.4.1952, Runderlaß Hallstein, 15.7.1952, Vermerk Thierfelder, 23.8.1952.

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des Bundeskanzlers ein, als er dessen Haltung zum Edenplan sondierte455. Der positiven Resonanz, die Eden mit seiner Rede in der Beratenden Versammlung des Europarates im September 1952 fand 456 , entsprach das Mißtrauen, mit dem die Deutschen nicht nur diese Rede, sondern selbst die von de Gasperi und Spaak registrierten457. Schließlich hatte Schuman bereits auf der vorangegangenen Außenministerkonferenz gegen Adenauer die Gemeinsamkeiten zwischen Edenplan und dem geplanten politischen Statut hervorgehoben. Er neigte offenkundig dazu, den Gegensatz zwischen Großbritannien und dem Kontinent zu glätten. In deutschen Augen ging darin die Saat der Zweifel auf, welche die britische Diplomatie streute, indem sie die dafür nur zu empfänglichen Franzosen vor der Hegemonie der Deutschen in einer kontinentalen Gemeinschaft warnte. Indem er die föderalistische Rolle der Staaten in der künftigen europäischen Gemeinschaft unterstrich, zielte Adenauer auf die Sorgen des Benelux. Tatsächlich fand die Auffassung der italienischen Abgeordneten von der Montanunion als souveränem Teilstaat und ihre entschiedene Ablehnung des Edenplans kaum Anklang in der Beratenden Versammlung. Zur Überraschung der deutschen Diplomatie votierte sie im Gegenteil am 30. September 1952 mit den Stimmen auch der Abgeordneten aus der Sechsergemeinschaft ausdrücklich für den Edenplan 458 . Hallstein vermutete, die Abgeordneten hätten womöglich verkannt, daß sie den Ministerrat der Montangemeinschaft konterkarierten. Er hoffte dennoch, den Beschluß in Richtung einer Assoziierung der Briten mit einer Sechsergemeinschaft abbiegen zu können 459 . Im Gegensatz zu der klaren Ablehnung durch Monnet zeichneten sich die französischen Fürsprecher des Edenplans in britischen Augen durch eine gewisse »woolliness« aus, von der auch Schuman nicht frei sei. Immerhin hatte letzterer seinem britischen Kollegen versichert, daß er die Zuständigkeit der politischen Gemeinschaft auf Montanunion und EVG beschränken und sie nicht zum »hub of the European Movement« machen wolle. Auch Seydoux betonte, Schuman habe eine Festlegung auf den Föderalismus immer vermieden. Ähnlich fragte sich auch Acheson, ob Schuman am Ende Erfolg habe, wenn er seinen Angriff auf die nationalstaatliche Souveränität durch die Komplexität seiner Konstruktionen tarne. Mollet und die Sozialisten, so der britische Botschafter Harvey, folgten vor allem ihrem »anti-Vatican complex«. Sie fürchteten ein katholisches Kleineuropa 460 . Aber nicht nur Monnet, auch Italiener und Niederländer widersetzten sich zunächst dem französischen Plan, die Sekretariate der Versammlungen « 5 Vgl. DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 950 f.: Kirkpatrick an Eden, 7.9.1952. Vgl. DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 966, 970: Nutting an Makins, 23.9.1952. 457 Vgl. EPE, S. 2 2 - 2 6 , 29 f. Dagegen glaubt Massigli - Comedie, S. 335 - , de Gasperi habe die Briten zu diesem Zeitpunkt schon abgeschrieben gehabt. « 8 Vgl. Β 10/817, Bl. 91-92a: Jansen an Ausw. Amt, 3.10.1952; Β 10/841, Bl. 104-107, 160-164: Vermerke Thierfelder, 19.9. und 3.10.1952; EPE, S. 3 9 - 4 2 . Vgl. Β 2/14, Bl. 7 - 1 2 , 3 3 - 3 8 (Zitat S. 38): Runderlasse Hallstein, 16.9. und 7.11.1952. 460 Vgl. DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 956 f., 962(Zitat), 9 8 0 - 9 8 3 (Zitat S. 980 f.), 1000 f.: Eden an Harvey, 10.9.1952, Gespräch Eden, Schuman u.a., 15.9.1952, Harvey an Eden, 16.10.1952, Scarlett an Dixon, 7.11.1952; Kim, Fehlschlag, S. 309.

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des Europarates und der Montanversammlung zusammenzulegen. Am Ende sahen sie darin — wiederum zum Leidwesen der Deutschen — ein unschädliches Zugeständnis der Sechsergemeinschaft an die Briten461. Den möglichen Elan der Abgeordneten der Ad-hoc-Versammlung wollten die Regierungen durch eine präzisere Beschreibung ihrer Aufgaben in Form eines Fragebogens zügeln. Dazu setzten sie eine Arbeitsgruppe ein. Hier erwiesen sich deutsche Zweifel an der französischen Haltung bald als begründet. Während Staatssekretär Hallstein, sein Spitzendiplomat Blankenhorn und der italienische Delegierte Francesco Cavaletd für eine umfassende politische Gemeinschaft eintraten, wollte sich Frankreich auf ein parlamentarisches Dach für Montanunion und EVG beschränken 462 . Die Benelux-Staaten mußten demnach nicht für ihr Konzept einer beschränkten Konföderation mit enger Assoziierung der Briten in den Ring steigen. Während die belgischen Oppositionspolitiker Spaak und Fernand Dehousse auf europaparlamentarischer Bühne das große Rad des Föderalismus drehten, betonte die Brüsseler Regierung gegen die angestrebte »Dynamik« 463 den rein beratenden Charakter der Ad-hoc-Versammlung. Zeeland verstand das künftige europäische Parlament als beratendes Zweikammerorgan (»pouvoir deliberatif bicameral«)464. Der direkt gewählten Versammlung sollte eine Zweite Kammer aus Delegierten der Staaten zur Seite stehen, die ebenso wie die kollektive Exekutive möglichst einvernehmlich oder mit qualifizierter Mehrheit entschied. Im übrigen drängte Zeeland im Oktober 1952 die britische Diplomatie zu eindeutigeren Alternatiworschlägen. Sie sollten es ihm erleichtern, die föderalistische Entwicklung zu bremsen. Außerdem schlug er vor, den Brüsseler Pakt wiederzubeleben. Den einen Vorschlag lehnten die Briten ab, um nicht die EVG zu gefährden; den anderen, weil sie längst NATO und OEEC dem Brüsseler Pakt vorzogen 465 . Luxemburg setzte auf maximale Kompetenzen des Ministerrates, der möglichst auch die Exekutive benennen sollte. In der Konsequenz vermieden die Regierungen jegliche Erwähnung von Föderation oder Konföderation 466 . Stikker hatte Beyen eine Europapolitik hinterlassen, die vor allem das Schlimmste verhüten wollte, nämlich die allmähliche Auflösung des kleinen Königreichs in einer westeuropäischen Föderation, die nicht von der traditionellen Schutzmacht jenseits des Kanals, sondern von den großen kontinentalen Nachbarn bestimmt wurde — einer so wenig vertrauenerweckend wie der andere. Die Montanunion war Vgl. ΡΛ, BIO/653, Bl. 3 2 6 - 3 3 6 : Vermerk Overbeck, 30.12.1952; Β 10/654, Bl. 1 3 4 - 1 4 1 , 2 2 0 - 2 2 3 : Vermerke Overbeck, 6. und 19.5.1953. Vgl. AAP, 1952, S. 6 6 2 - 6 7 2 : Vermerk Schwarz-Liebermann, 20.10.1952; DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 9 7 5 - 9 7 7 : Hayner an Hood, 6.10.1952; Kim, Fehlschlag, S. 1 1 6 - 1 2 0 ; Lappenküper, Beziehungen, S. 286 f.; Sevdoux, Erinnerungen, S. 162 f. 4W AAP, 1952, S. 685: Hausenstein an Ausw. Amt, 29.10.1952. ->"'> MAEF, D E - C F , Bd 521, Bl. 139 f.: Zeeland, 22.10.1952. 4« Vgl. DBPO, Ser. II, Vol. I, S. 9 8 6 - 9 9 0 : Eden an Warner, 17.10.1952; D D B , II, S. 255 f.: Gespräch Zeeland, Eden u.a., 15.10.1952; PA, Β 10/591, Bl. 143: Pfeiffer an Ausw. Amt, 5.11.1952. Vgl. MAF.F, DE-CE, Bd 578, Bl. 28 f.: Vermerk Europadirekdon, 15.1.1953; Dumoulin, Paradoxes, S. 351 f.; Küsters, Vormarsch, S. 274 f.; Magagnoli, Italien, S. 1 7 5 - 1 7 8 ; Nies-Berchem, Pavs, S. 384; Preda, Soglia, S. 192 - 1 9 9 .

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vor allem deswegen ein niederländischer Erfolg, weil man die Integration auf die Schwerindustrie hatte begrenzen und eine Dynamik zur politischen Integration hatte verhindern können. Die Wende vom Beobachter zum Mitglied der EVGKonferenz zeigte das Dilemma, daß die Niederlande das »britische« Abwarten zwar vorgezogen hätten, sich diese Defensive aber weder politisch noch wirtschaftlich erlauben konnten. Allein die EVG schien eine für Frankreich erträgliche Bewaffnung der Bundesrepublik möglich zu machen, und von den Vereinigten Staaten wurde diese Lösung immer dringlicher eingefordert. Zudem gewann der Europagedanke in der eigenen Öffentlichkeit an Anziehungskraft. Der Versuch, im Rahmen des GATT oder wenigstens der OEEC die Zölle abzubauen, war dagegen auf ganzer Linie gescheitert. Ob die OEEC die Handelsliberalisierung wieder würde aufnehmen können, war ungewiß. Die Aussichten, wenigstens bei der Sicherstellung der Agrarausfuhr weiterzukommen, waren nicht ermutigend, solange eine europäische Agrargemeinschaft im Rahmen des Europarates oder der OEEC verhandelt wurde. Die wichtigsten Auslandsmärkte lagen ohnehin in der Sechsergemeinschaft. Hier besaß Holland zudem einen erheblich größeren Einfluß als in der OEEC, insbesondere wenn es sich mit Belgien einig war. Beyen zog daraus die Konsequenz, nur dann in den sauren Apfel fortschreitender politischer Integration zu beißen, wenn ihn die Partner durch die Öffnung ihrer Volkswirtschaften versüßten. Ministerpräsident Drees unterstützte ihn nur halbherzig, da er nicht glaubte, daß steigende Preise infolge wachsender Bezüge aus der protektionistischen Sechsergemeinschaft durch steigende Exportchancen wettgemacht würden. Allerdings besaß Beyen die Zustimmung des Landwirtschaftsministers Mansholt und des neuen Wirtschaftsministers Jelle Zijlstra, als er Adenauer die neue Richtung eines konstruktiveren Kurses andeutete. Zeeland signalisierte dem Bundeskanzler, daß er den Plan seines niederländischen Kollegen guthieß, obwohl er die Koordinierung der Währungspolitik und die Harmonisierung der Löhne berücksichtigt sehen wollte467. Der Plan ging den Regierungen am 11. Dezember 1952 offiziell zu. Mit dem Zweifel, ob die Arbeiten an der EPG nicht den Montan- und den EVG-Vertrag gefährdeten, verband die Haager Regierung die Forderung, neben der politischen schon jetzt auch die wirtschaftliche Integration voranzutreiben. Sie legitimierte ihr Bestreben mit der Philosophie des Marshallplanes. Der doppelten Gefahrdung der westeuropäischen Gesellschaften durch den Totalitarismus von außen und innen gelte es durch Steigerung von Produktion und Produktivität entgegenzutreten. Nur die Öffnung der kleinräumigen Volkswirtschaften werde gleichermaßen »Kanonen und Butter« ermöglichen. Zu diesem Zweck sollten Einfuhrzölle, quantitative und sonstige Handelshemmnisse innerhalb eines verbindlich vereinbarten Zeitrahmens und unter Einschluß des Agrarhandels vollständig abgebaut werden. Die durch hohe Zahlungsbilanzdefizite gebotene Suspendierung konnte dann nur noch die gl. MAEF, DE-CE, Bd 21, Bl. 91 f., 139 f.: Beyen an Adenauer (Abschrift), 1.11.1952, van Zeeland (dto.), 22.10.1952; Griffiths and Milward, Beyen Plan, S. 595-599; Asbeek Brusse, Tariffs, S. 152-154; Harryvan u.a., Attitudes, S. 326-331; Milward, European Rescue, S. 183 f.

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Gemeinschaft veranlassen. Für die erforderliche Stabilität der Währungen sollte jedoch nicht eine eigentlich naheliegende Währungsunion, sondern die Koordinierung der Währungs- und Sozialpolitik sorgen. Damit machte Beyen die EZU zur stillschweigenden Voraussetzung seines Plans. Für das Auswärtige Amt zielte dieser auf die Agrargemeinschaft, mit der Mansholt ein halbes Jahr zuvor gescheitert war. Die Nationalstaaten sollten so viele außenwirtschaftliche Souveränitätsrechte an die supranationale Organisation abgeben, daß diese die Öffnung der Volkswirtschaften gegen den Widerstand der Interessengruppen durchzusetzen vermochte. Daß der Plan zunächst allenfalls in der Sechsergemeinschaft Chancen hatte, stand der Forderung nach einer »weitreichenden Integration (a vaste echelle)« ebensowenig entgegen wie die nach enger Zusammenarbeit mit Nicht-Mitgliedern; sollten damit doch alle Landsleute beruhigt werden, die sich weder wirtschaftlich noch politisch völlig von England abkoppeln wollten 468 . Mit der von Spaak gegen die Deutschen durchgesetzten Entscheidung, daß die Beobachter des Europarates an allen Sitzungen teilnehmen durften, wollten auch die Abgeordneten der Ad-hoc-Versammlung den Briten die Tür weiter offenhalten. Während Spinelü alle Schlüsselpositionen der Ad-hoc-Versammlung mit ausgewiesenen Föderalisten zu besetzen versuchte, hielten sich die französischen Abgeordneten dabei bereits ziemlich bedeckt. Wie kaum anders zu erwarten, prallten die Freunde breiter öffentlicher Debatten, die vorsichtigen Sucher nach Kompromissen in den Ausschüssen, die Anhänger supranationaler und intergouvernementaler Lösungen, die Befürworter einer Einbindung der Briten, die Anhänger einer Berücksichtigung der Überseeterritorien und die Bannerträger französischer »Gloire« aufeinander. Kein Wunder also, daß die nationalen Interessengegensätze eher zugespitzt als eingeebnet wurden. Kein Wunder auch, daß sich die von Brentano geteilte Hoffnung Monnets zerschlug, langwierige Verhandlungen vermeiden und durch ein Grundsatzdokument rasch Pflöcke einschlagen zu können. Monnets Naturell hatte die Erinnerung an das Schicksal des Document de Travail offenbar schnell verdrängt. Die Direktwahl der Parlamentarischen Versammlung konnte nur gegen scharfen Widerstand der niederländischen Abgeordneten durchgesetzt werden. Im Gegenzug erreichten sie, daß die Zusammensetzung der ersten Völkerkammer noch von den nationalen Parlamenten bestimmt wurde. Wie in den Montanverhandlungen blitzten die Deutschen mit ihrem an den eigenen Verfassungsorganen orientierten Konzept ab. Franzosen, Belgier und Niederländer bevorzugten einen Senat als zweite Kammer, dessen Mitglieder die nationalen Parlamente entsandten (ähnlich wie die Abgeordneten der Beratenden Versammlung). Sowohl in der Völkerkammer wie im Senat wurde die Zahl der Sitze zugunsten der kleinen Nationen gewichtet. Den rund 300 000 Luxemburgern wurden immerhin 12 von 231 bzw. 4 von 87 Sitzen zugestanden. Der schwarzafrikanische Abgeordnete Leopold Seng-"8 Vgl. MAEF, DE-CE, Bd 521, Bl. 3 3 0 - 3 3 2 (Zitat Bl. 331): Memo, 11.12.1952; PA, Β 10/897, Bl. 1 - 6 , 16-20: Beyen an Adenauer (nebst Memo), 10.12.1952, Vermerk Ophüls, 19.12.1952; Griffiths and Milward, Beyen Plan, S. 601; Harrvvan u.a., Attitudes, S. 329-333.

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hör hatte die Vertretung der Überseeterritorien gefordert. Die französischen Abgeordneten waren sich einig, »die Schlacht zu schlagen« 469 , und erreichten zusätzlich zu ihren 63 Abgeordneten noch sieben weitere Sitze. Zumindest in der Völkerkammer besaß Frankreich damit ein deutliches Übergewicht gegenüber den beiden anderen großen Völkern. Der Exekutive, die sofort die Funktionen der Hohen Behörde und des Kommissariates übernehmen sollte, stellte man den Ministerrat zur Seite. Er sollte nach den Vorstellungen des Verfassungsausschusses den Präsidenten des Exekutivrates ernennen. Die Abgeordneten entschieden dann doch, ihn vom Senat wählen zu lassen. Die Völkerkammer konnte nur den gesamten Exekutivrat mit einer Dreifünftel-Mehrheit zum Rücktritt zwingen. Dem Ministerrat sollten auch die assoziierten Staaten angehören — eine kleine Reverenz an den Edenplan. Hatte der Verfassungsausschuß die Entscheidungen des Exekutivrates noch an die Billigung durch zwei Drittel des Ministerrats binden wollen, tauchte diese Klausel in der Endfassung der Versammlung nicht mehr auf. Allerdings bedurfte der Exekutivrat der einstimmigen Billigung des Ministerrates in Fragen der Außenpolitik und der gemeinschaftseigenen Steuern. Schon im Verfassungsausschuß hatten die Franzosen eine gemeinsame Außenpolitik ausgeschlossen; werde diese doch in der NATO und nicht in der EVG koordiniert 470 . Die Franzosen wehrten sich gegen jede weitere Souveränitätseinbuße. Gleichwohl setzten die Italiener eine Zuständigkeit der EPG für die Fragen der Außenund Finanzpolitik durch, die sich aus der Montanunion und EVG ergaben. Mit einem Konsultations- und Initiativrecht nahm man die niederländische Forderung nach einem Gemeinsamen Markt auf, die Franzosen und Luxemburger abgelehnt hatten. Als das Plenum der Ad-hoc-Versammlung im Januar 1953 zusammentrat, überzogen die Gaullisten das gesamte Vorhaben mit ihrer Kritik. Das entsprach ihrer Haltung zum EVG-Vertrag. Sie plädierten für einen Bund der Nationalstaaten. Während die französischen Sozialisten mehr denn je auf Zuständigkeitsbegrenzung setzten, unterstützten die Italiener den holländischen Wunsch nach wirtschaftlichen Zuständigkeiten der Gemeinschaft. Das lag in der Konsequenz der Forderung nach Koordinierung der europäischen Wirtschaftspolitik, wie sie de Gasperi in der Beratenden Versammlung vorgetragen hatte. Mit der Freizügigkeit aller Bürger der künftigen Gemeinschaft war es überdies gelungen, die mögliche Grundlage zur Wiederaufnahme der Arbeitsemigration zu schaffen. Allerdings entschied während einer fünfjährigen Übergangsfrist der Ministerrat einstimmig über die Wirtschaftspolitik. Den auf die Saar bezogenen Artikel des Entwurfs hatten die Abgeordneten leer gelassen; eine Mine für das ganze Unternehmen 471 . Am 10. März 1953 billigte die Ad-hoc-Versammlung mit einer Mehrheit von 50 Stim469 Vgl. Preda, Soglia, S. 325. 470 Vgl. dazu AAP, 1952, S. 748 f.: Vermerk Schwarz-Liebermann, 11.12.1952. 471 Vgl. Carlier, Dehousse, S. 367-376; Griffiths, Beyen Plan, S. 169 f.; Griffiths and Milward, Beyen Plan, S. 602 f.; Harryvan u.a., Attitudes, S. 335-337; Kim, Fehlschlag, S. 109 f., 143-177, 183-185, 187-189; Küsters, Vormarsch, S. 276-282; Lappenküper, Beziehungen, S. 294 f.; Magagnoli, Italien, S. 180-183, 192-195; Preda, Soglia, S. 186 f., 200-251, 321-332; dies., Costituzione; EPE, S. 2 1 , 4 3 - 6 1 .

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men bei fünf Enthaltungen, aber bemerkenswerten 31 Abwesenden den Verfassungsentwurf 472 . Der Entwurf erfüllte die Erwartungen der Föderalisten nicht. Wieder wirkten die Nationalstaaten über den Ministerrat an der Gesetzgebung mit473. Spinelli hatte im Verfassungsausschuß betont, daß es des Supranationalismus nicht bedürfte, wenn der Ministerrat seinem Charakter nach in der Lage wäre, eine angemessen umfassende und einheitliche Politik der Gemeinschaft zu definieren. Immerhin war es dem Italiener gelungen, die Zuständigkeiten des Ministerrates einzuschränken 474 . Folgerichtig blieb dem Quai d'Orsay die evolutionäre Natur (»caractere evolutif«) des Verfassungsentwurfs nicht verborgen. Nur scheinbar habe die Versammlung die Grenzen des Souveränitätstransfers und die Prärogative des Ministerrats respektiert. Tatsächlich könne die EPG rasch originäre Zuständigkeiten der Kohleund Stahlgemeinschaft an sich ziehen und zur Ausweitung der eigenen Kompetenzen nutzen. In diesem Sinne galt der Exekutivrat der EPG als entweder überflüssig oder gefährlich, sofern seine Zuständigkeit gegenüber der Hohen Behörde nicht klar abgegrenzt wurde 475 . Die Nationalstaaten waren es auch, die über Krieg und Frieden befanden und mit ihren Beschlüssen in der NATO die Kontrolle über den eigentlichen Oberkommandeur der Euroarmee ausübten, den SACEUR 476 . Dagegen hatte Spinelli konsequent vorgeschlagen, daß die Gemeinschaft den Verteidigungszustand feststelle, die Mobilmachung beschließe und anstelle der Staaten Mitglied der NATO werde. Über die zahlreichen Widersprüche des EVGVertrages waren sich die Mitglieder des Verfassungsausschusses weitgehend einig. Zugleich wußten sie, daß die eigentlich erforderliche Anpassung des EVGVertrages an das Statut der EPG das »Aus« für beide bedeutet hätte477. Mit dem ambivalenten Charakter des Verfassungsentwurfs sollte Mollet die Ablehnung durch die SFIO begründen. Habe man bereits die unzureichende demokratische Kontrolle der Hohen Behörde angemahnt, so werde in der EVG die Exekutive weder durch den Ministerrat und erst recht nicht durch die Versammlung hinreichend politisch kontrolliert. Allein um diese sicherzustellen, habe man eine strikt auf EVG und Montanunion beschränkte politische Gemeinschaft ins Auge gefaßt. Die Ad-hoc-Versammlung habe dies als Auftrag mißdeutet, eine Sechser-Föderation zu schaffen, welche die Öffentlichkeit der betroffenen Länder überwiegend ablehne. Sie habe den supranationalen Charakter zugunsten der Ausweitung der Zuständigkeiten so weit zurückgenommen, daß die Bundesmacht nur noch eine »virtuelle Zuständigkeit« besitze. In Wahrheit gäben die Staaten den Ton an. Der enge Arbeitszusammenhang zwischen der Bundesexekutive und den nationalen Regierungen werde die europäische Versammlung auf Jahre hinaus auf die 4~2

Vgl. Loth, Weg, S. 102 f., und die Endfassung in: EPE, S. 6 2 - 7 7 . Vgl. auch die Kritik Monnets gegenüber Spaak am 6.1.1953, in: Monnet, Correspondance, S. 158 f. 4 - 4 Vgl. Preda, Costituzione, S. 391 -403, 444-448. « Vgl. MAEF, DE-CE, Bd 578, Bl. 7 - 1 5 : Vermerk, 5.1.1953. 4"6 Vgl. Pistone, Spinelli, S. 410; Woyke, Militärorganisation, S. 144. 4 " Vgl. Preda, Costituzione, S. 164-171, 451 -453, 462 f. 4"3

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Rolle beschränken, welche gegenwärtig die Konsultatiwersammlung des Europarates spiele. Freilich widersprach Mollets anhaltende Präferenz für den Edenplan seiner bemerkenswert weitsichtigen Kritik des Verfassungsentwurf. Letztere stieß sowohl im Auswärtigen Amt wie bei deutschen Abgeordneten der Ad-hocVersammlung auf Zustimmung 478 . Die britische Regierung kündigte ihren Widerstand gegen die » reine Professorenarbeit ohne Wirklichkeitswert« an479. Dagegen versicherten Außenminister Dulles und MSA-Chef Stassen den Protagonisten der Ad-hoc-Versammlung, ihr Entwurf entspreche genau dem, was Präsident Eisenhower und die gesamte neue Administration erwarteten480. In der Tat waren deren Spitzendiplomaten mindestens ebenso europaorientiert wie ihre Vorgänger; zumal einige Marshallplaner im Amt blieben481. Nach dem Beitritt der Bundesrepublik hatten Italien und Großbritannien den Europarat im Herbst 1951 als Instrument zur Durchsetzung völlig entgegengesetzter europa- und sicherheitspolitischer Ziele entdeckt. Italien wollte eine föderative Entwicklung anstoßen. Sie sollte der E V G ihren vorwiegend militärischen Charakter nehmen und seinen in den bestehenden intergouvernementalen Strukturen bescheidenen politischen Einfluß erweitern. Dagegen wollte Großbritannien die Vorbehalte im Benelux und in Frankreich gegen den Supranationalismus nutzen, um die Sechsergemeinschaft durch den Europarat einzudämmen. Dies sollte den britischen Einfluß auf dem Kontinent sicherstellen, ohne daß die Insel sich an dessen Integration beteiligen mußte. Schuman und die Deutschen griffen den italienischen Vorschlag auf, um das Politikdefizit der E V G und der Montanunion zu schließen. Aus der Gemeinsamen Versammlung der Montanunion wurde ein Konvent gebildet, der erstmals Struktur und Perspektiven eines europäischen Souveräns umriß. Er sollte die militärischen und wirtschaftlichen Sicherheitsbedürfnisse der Mitgliedsstaaten in einer übernationalen europäischen Entität aufheben und befriedigen. Nicht der konkurrierende Edenplan stellte das ambitionierte Unternehmen in Frage. Daß die vertikale Integration der Streitkräfte ohne politische Integration unvollkommen war und überhaupt nur durch deren Einbindung in die N A T O funktionieren konnte, lag auf der Hand. Zwiespältig war jedoch der Entschluß de Gasperis, das Politikdefizit der E V G zu nutzen, um drei miteinander verknüpfte nationale Anliegen zu befördern. Die politische Gleichberechtigung mit Frankreich in Europa sollte den außenpolitischen Handlungsspielraum erweitern. Dabei durfte der steigende Warenaustausch mit der Bundesrepublik — der Handel mit Frankreich litt unter der suspendierten Handelsliberalisierung482 — nicht dazu führen, daß Italien nun in Bonner Kielwasser geriet. Angesichts der Erfahrungen mit dem « Vgl. PA, Β 10/859, Bl. 190-194, 211-217 (Zitat Bl. 216), 230 f.: Vermerk v. Puttkamer, 12.6.1953, Memo Mollet, Vermerk, 19.6.1953; Kim, Fehlschlag, S. 181 f., 189 f. 479 So ein Spitzendiplomat des FO. AAP, 1953, S. 339: Vermerk Blankenborn, 10.4.1953. Vgl. ebd., S. 379: Besprechung Adenauer, Kirkpatrick, Hallstein, 4.5.1953, nebst Aide-Memoire. «o Vgl. MAEF, DE-CE, Bd 521, Bl. 210: Vermerk, 5.2.1953. 481 Vgl. Schwabe, Do Personalities, S. 253-255. 482 Vgl Bagnato, Storia, S. 262-264; Ranieri, Espansione, S. 81. 47

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Zollunionsprojekt auf der einen und mit der marginalen Rolle in der NATO auf der anderen Seite lag es nahe, den Pudel dort zu greifen, wo sein politischer Kern war. Andererseits verknüpfte Italien sein Projekt der wirksamen Koordinierung der europäischen Außen-, Sicherheits- und Finanzpolitik mit dem Schicksal der unausgegorenen EVG. Der wachsende amerikanische Enthusiasmus für dieses Unternehmen mag den Blick dafür verstellt haben, daß sich das Schicksal der Zollunion zu wiederholen begann, wie Cavaletti, Leiter der italienischen EVG-Delegation, im Oktober 1952 erkannte 483 . Im Verlauf des Ratifizierungsprozesses verabschiedete sich der französische Partner aus dem gemeinsamen Vorhaben. Den Niederländern diktierte ihr wirtschaftliches Sicherheitsinteresse den Abbau des Protektionismus, den Franzosen das ihrige genau das Gegenteil. Durch ihr Junktim zwischen EPG und einem Gemeinsamen Markt sollten die Niederländer den Franzosen die wirtschaftlichen Argumente für ihre in letzter Instanz politische Entscheidung liefern.

6. Die Angst vor dem Bundesstaat Der Zollabbau als Kern des Beyenplans war naturgemäß auch dem protektionistischen Italien nicht sonderlich sympathisch, zumal die Freizügigkeit der Arbeitskräfte kein Thema des Planes war. Folgerichtig dachte man in Rom spontan daran, mit einem modifizierten Präferenzzollplan ä la Pella zu antworten 484 . In Bonn meldeten die Fachminister Erhard, Schäffer und Blücher Bedenken gegen den Beyenplan an. Eine Zollunion müsse das Ziel, nicht der Beginn der wirtschaftlichen Integration sein, so Erhard. Uberhaupt fürchtete man jetzt, durch einen europäischen Verfassungsentwurf »zu stark festgelegt« zu werden 485 . Blücher deutete die Beyeninitiative als Bremse der politischen Integration. Nur in der Beschränkung auf EVG und Montanunion liege die Chance, diese zu beschleunigen. Allerdings bevorzugten er und sein OEEC-Delegierter die wirtschaftliche Zusammenarbeit im weiteren Rahmen von OEEC, EZU und GATT. Noch deutlicher signalisierte Erhard seine Nähe zu britischen Vorstellungen. Als vorrangiges Ziel der Koordination der europäischen Wirtschaftspolitik galt ihm die Beseitigung der quantitativen Handelshemmnisse und die Herstellung der Konvertibilität. Der Zollabbau schien ihm weniger dringlich486. Monnet sah in der strikten Begrenzung die Chance, ein Europaparlament mit einem direkt gewähltem Unter- und einem aus den Delegierten der Nationalparlamente zusammengesetzten Oberhaus zu schaffen. Vgl. Cavaletti an Min. Äff. Est., 29.10.1952; zit. nach Preda, Soglia, S. 202. 484 Vgl Magagnoli, Italien, S. 1 8 5 - 187, und dagegen H a r r w a n u.a., Attitudes, S. 343 f. KPBR, VI, 1953, S. 180 (20.2.1953); Lenz, Tagebuch,' S. 561 (20.2.1953). Eine interministerielle Beamtenrunde am 5.2.1953 ergab kein eindeutiges Bild. In einem europäischen Bundesstaat, so die allgemeine Tendenz, könne es ohnehin keine Zölle, Kontingente und unterschiedliche Währungen mehr geben. Vgl. AAP, 1953, S. 1 4 9 - 1 5 1 . 4«f' Vgl. PA, Β 10/897, Bl. 118 f.: Blücher an Ausw. Amt, 19.2.1953; BA, Β 102/11409: Albrecht an Ausw. Amt, 5.1.1953; ebd. Β 102/11410: Erhard an Ausw. Amt, 19.2.1953; Milward, European Rescue, S. 198 f., und dagegen Lappenküper, Beziehungen, S. 288 f. 485

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Ihm sollte die volle Organisationsgewalt und die parlamentarische Kontrolle der Exekutive zustehen 487 . Cleveland, der amerikanische Vertreter bei der Montanunion, interpretierte das niederländische Junktim als erneuten Kompromiß der gegensätzlichen europapolitischen Strömungen im Haager Kabinett. Wollten Mansholt und Beyen mit der wirtschaftlichen auch die politische Integration fördern, sei eine Minderheit um den Regierungschef Drees geneigt, mit dem Junktim die politische Integration zu hintertreiben. Deren Hauptwidersacher wähnte Cleveland in Belgien. Er empfahl, die Niederländer von den Belgiern zu trennen, indem ihnen eine Agrargemeinschaft in Aussicht gestellt wurde 488 . Es kam genau umgekehrt. Die Belgier erwärmten sich im Laufe des Frühjahrs 1953 zusehends für den Beyenplan, ergänzten ihn allerdings um die Forderung, die EPG möge sich auch um die Wechselkurse kümmern. Freilich erkannte Zeeland — nicht ohne kritische Kommentare aus den eigenen christdemokratischen Reihen — in der Akzentuierung des wirtschaftlichen Aspekts die Chance, die ungeliebten institutionellen Vorstellungen de Gasperis etwas zu verwässern 489 . Schließlich galt der belgischen Regierung nicht einmal der EVG-Vertrag als Projekt sui generis, sondern vor allem als weiterer Schritt zum deutsch-französischen Ausgleich 490 . Die holländische Initiative konnte von den Großen der Sechsergemeinschaft nicht mehr ignoriert werden. In Rom wurde die Kompensation des militärischen Charakters der EVG durch wirtschaftliche Zuständigkeiten begrüßt. Nur Landwirtschaftsminister Fanfani plädierte für die OEEC als alleinigen Bezugsrahmen der Wirtschaftsintegration. Die übrigen Fachminister einschließlich des Zentralbankchefs konnten sich erweiterte wirtschaftliche Zuständigkeiten der Sechs durchaus vorstellen, wenn diese dann auch einen Ausgleichsfonds und die Freizügigkeit von Arbeitskräften und Gütern einschlossen. Im Februar 1953 einigte sich das Kabinett, künftig die vertikale Integration nicht mehr weiterzuverfolgen. Statt dessen sollten im Rahmen der Sechs folgende Prioritäten der horizontalen Wirtschaftsintegration durchgesetzt werden: zunächst die Erfüllung der Liberalisierungsziele der OEEC, dann die Herstellung der völligen Freizügigkeit des Warenverkehrs und erst danach der progressive Abbau der Zölle491. Ähnlich begrüßten das Auswärtige Amt und das Bonner Wirtschaftsministerium den Gedanken, die vertikale stärker durch horizontale Integration zu ersetzen. Für Erhard genossen freilich finanzielle Stabilität und Konvertibilität als Voraussetzungen einer marktwirtschaftlichen Ordnung des Gemeinsamen Marktes ohne Subventionen Priorität gegenüber einem nur »allmählichen Zollabbau« 492 . Die Wirtschaftsabteilung des Quai d'Orsay mahnte Ende 1952, daß eine EPG nach holländischen Vorstellungen die gesamte Handelspolitik der Mitgliedsstaaten Vgl. FRUS, 1952-1954, VI, S. 200-202: Dunn an State Dpt., 2.10.1952; Dwan, Monnet, S. 155. Vgl. PA, Β 10/897, Bl. 2 2 - 2 4 : Vermerk Ophüls, 22.12.1952; Griffiths and Milward, Beyen Plan, S. 604 f. 489 Vgl. Dumoulin, Paradoxes, S. 354-357. 4* MAEF, DE-CE, Bd 521, Bl. 151-159, 257-260: Vermerk, 29.12.1952; ebd., Bd 578, S. 123-126: Vermerk, 19.2.1953; BDFD, II, S. 701-707: Vermerk Wormser, 9.2.1953; e b d , I, S. 253-255: Vermerk Sauvagnargues, 26.6.1952; Auriol, Journal, VII, S. 67 (26.2.1953); Bossuat, Nature, S. 210; Seydoux, Erinnerungen, S. 155.

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ihrer Zuständigkeiten ausüben. Damit zeichne sich ab, daß die Verfassung der EPG auch ohne vorherige Verhandlungen der nationalen Regierungen verändert werde. Abwegig sei das Argument, die EVG — von der EPG ganz zu schweigen — bringe keinen größeren Souveränitätsverlust mit sich als die bereits vollzogene Integration in die NATO. Die integrierte Führung durch den SACEUR kompensiere nur die unbestimmte Beistandsklausel nach Artikel 5 und greife allein im Verteidigungsfall. Im übrigen sei die NATO »eine Allianz klassischen Typs«. Gehe der Verlust der Hoheit über die Außenpolitik mit dem über die Wirtschaft einher, bestehe die Gefahr, daß Frankreich nicht mehr an der Seite der Amerikaner und Briten in der Standing Group die Strategie der NATO mitbestimme. Das werde dann »exklusives Privileg« der Angelsachsen. So werde der Tag kommen, »an dem Frankreich von einem Europa aufgesogen sein wird, von dem wir nicht wissen, wie es aussehen wird, [...] während England England bleiben wird, [...] ungeachtet des Schicksals Frankreichs in der Europäischen Politischen Gemeinschaft, wenn es Deutschland einst [...] gelingt, sich wiederzuvereinigen«. Schließlich habe Brentano für den Fall der Wiedervereinigung bereits die Forderung nach einer geänderten Gewichtung der deutschen Stimmen angedeutet. Dagegen werde bei deutschfranzösischen Zwistigkeiten der Rekurs jenseits des Kanals ausfallen. Die Briten würden sich wohl nicht mehr in die inneren Angelegenheiten der EPG einmischen. Naheliegend war nicht nur der Eindruck Bechs, die Franzosen trauten sich den Wettbewerb mit Deutschland als Gleichberechtigte nicht zu. Sie mißtrauten auch der Bindungskraft des Supranationalismus. Anders als von der Präsenz von Besatzungstruppen erwartete die Europaabteilung von der Militärintegration auf dem Niveau der Armeekorps angesichts der nationalen Führungskomponente des Bevollmächtigten Generals keine hinreichende Garantie gegen ein Abdriften der Westdeutschen in den Sowjetorbit. In der Quintessenz empfahl die Europaabteilung, die Supranationalität der EVG weiter auszuhöhlen, da man sie nicht einfach über Bord werfen könne. Gegenüber dem gegenwärtigen Supranationalismus wollte die Europaabteilung äußerstenfalls sogar den deutschen Beitritt zur NATO vorziehen. Nichts traf die Grenznutzenüberlegung der französischen Diplomatie besser als die Frage: »Ist es klug, in der trügerischen Hoffnung, unsere Nachbarn in Fesseln zu legen, uns selbst zu fesseln?« Folgerichtig wollte sie Balance halten zwischen dem »großen« Europa der 15 und dem »kleinen« der Sechs. Denn Großbritannien habe sich ja nicht völlig vom Kontinent verabschiedet, wie der Edenplan zeige495. Die Pariser Diplomatie hatte sich dem europapolitischen Tenor ihrer britischen Kollegen verblüffend genähert 496 . Im März 1953 notierte man in der Wirtschaftsabteilung, daß selbst Schuman — inzwischen von Bidault abgelöst — mittlerweile eingestehe, daß Frankreich mit der Sorge vor dem Verlust der wirtschaftliVgl. MAEF, DE-CE, Bd 521, Bl. 1 9 9 - 2 0 6 : Vermerk, 31.1.1953; ebd., Bd 521, Bl. 2 6 1 - 2 6 8 : Vermerk Conseillier Juridique, 17.3.1953; ebd., Bd 578, Bl. 3 0 - 3 3 (Zitat Bl. 30 f.): Vermerk, 15.1.1953; AAP, 1953, S. 397 f.: Jansen an Ausw. Amt, 6.5.1953; BDFD, I, S. 2 6 2 - 2 6 4 , 4 1 4 - 4 2 0 (Zitate S. 4 1 7 f., 420): Vermerk Seydoux, 2.1.1953, Vermerk Gros, Seydoux u.a., 28.1.1953; und dazu Kim, Fehlschlag, S. 1 9 9 - 2 0 9 , 2 1 2 - 2 1 4 , 2 6 2 - 2 6 5 . «« Vgl. auch Bossuat, France, S. 8 8 3 - 8 8 6 ; ders., Nature, S. 212.

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chen und politischen Kontrolle der Überseeterritorien in letzter Instanz vor demselben Problem stehe wie Großbritannien 497 . Der Generalsekretär des interministeriellen Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa dämpfte freilich in einer Vorlage für den Ministerpräsidenten die Schreckensszenarien der Diplomaten 498 . Eine Währungsunion sei keineswegs zwingende Folge der horizontalen Integration. Vielmehr genüge es, die EZU bis zur Konvertibilität zu härten, um eine gewisse Stabilität der Währungen der Mitglieder einer Wirtschaftsgemeinschaft herzustellen. Die Formen der damit verbundenen Ausgabendisziplin könnten dann durchaus souverän bestimmt werden. Die europäische Arbeitsteilung werde auch nicht zwangsläufig zu Konzentration und Arbeitsplatzabbau in der französischen Industrie führen, eröffne der Landwirtschaft jedoch glänzende Perspektiven als Ernährer der Wirtschaftsgemeinschaft. Gerade bei Rohstoffknappheit könne der Gemeinsame Markt stärker auftreten als jeder der Sechs für sich. Wolle man dagegen von der Sterlingzone profitieren, werde man unter den Einfluß der Londoner Zentralbank geraten, ohne daß die Briten deshalb unbedingt ihre Empirepräferenzen opferten. Die Stabilität der französischen Gesellschaft galt dem Generalsekretär als eher schwaches Argument. Der Mittelstand sei durch zwei lange Inflationsphasen ohnehin ausgelaugt. Nach der italienischen müsse sich die französische Arbeiterschaft mit dem niedrigsten Lebensstandard in Westeuropa begnügen. Allerdings dürfe die Freizügigkeit nicht zur Belastung des französischen Arbeitsmarktes führen. Auch bei den Uberseegebieten sah er eher Chancen als Gefahren. Wenn man den Partnern diese Märkte öffne, müßten die sich im Gegenzug auch an den Risiken und Kosten beteiligen. Das reflektierte die in Paris um sich greifende Erkenntnis, daß das nationale Kapital nicht ausreichte, die Uberseegebiete zu entwickeln 499 . Im Ergebnis warnte der Generalsekretär, bei den Verhandlungen der Außenminister über den Verfassungsentwurf den Eindruck zu erwecken, als habe Frankreich einen außenpolitischen Kurswechsel vollzogen. Vorbehaltlich eines allmählichen Überganges und der Wahrung der Vollbeschäftigung solle Frankreich den Beyenplan positiv aufnehmen — ein Gedanke, der sich bei den französischen Europapolitikern erst drei Jahre später durchsetzen sollte. Selbst die Wirtschaftsabteilung des Quai d'Orsay räumte ein, daß Montanunion und Beyeninitiative dasselbe Ziel hätten. Allerdings werde mit der letzten eine Beschleunigung angestrebt, welche die bereits erreichte Montangemeinschaft auf Spiel setzte500. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates des Bonner Wirtschaftsministeriums betonte die mögliche Eigendynamik des Beyenplanes 501 . Die WirtschaftswisVgl. MAEF, DE-CE, Bd 578, Bl. 258-263: Vermerk, 13.3.1953. Einen ähnlichen Eindruck gewann auch der deutsche Botschafter Hausenstein, der Schuman gar die für einen bedeutenden Staatsmann notwendige Festigkeit des politischen Wollens absprach. Vgl. AAP, 1953, S. 686 f.: Vermerk Hausenstein, 15.7.1953. Vgl. MAEF, DE-CE, Bd 521, Bl. 241-248. Vgl. dazu PA, Β 10/818, Bl. 140-143: Hausenstein an Ausw. Amt, 4.3.1953. 5Pools«< nun wieder auf der Linie seines Ministers lag. Der Ad-hoc-Versammlung wollte man folglich mit »Vorsicht« und »Langsamkeit« begegnen 534 . Das kam den Vorbehalten Zeelands — der sich dafür bereits einen öffentlichen Rüffel Spaaks eingehandelt hatte535 — und Bechs durchaus entgegen. Letzterer warnte vor »allzu radikalen Zentralisierungstendenzen« der Ad-hoc-Versammlung, denen sein Land die Zustimmung verweigern werde 536 . Außer de Gasperi und in zweiter Linie Adenauer wollte kein Außenminister allzu sehr mit dem Produkt dieser Versammlung identifiziert werden. Das belegte deren Konferenz am 24. Februar 1953, in der über die Form beraten wurde, in der man den Verfassungsentwurf in Empfang nehmen sollte. Dagegen wiederholte Beyen hier mit Unterstützung Zeelands seine Forderung nach einer supranationalen Zollunion als Ergänzung der EPG. Allerdings wollte er auf eine Währungsunion vorläufig verzichten und an der EZU festhalten. Adenauer — dem ein hoher Ministerialbeamter attachiert wurde, um unerwünschte wirtschaftspolitische Entschlüsse zu verhindern537 — unterstützte Beyen insofern, als er glaubte, daß die EPG mehr sein müsse als die Kumulation der Zuständigkeiten der Montanunion und der EVG. De Gasperi begrüßte die Erweiterung um wirtschaftliche Zuständigkeiten, betonte 530

531 "2 53' 534

535 5W 537

MAEF, DE-CE, Bd 578, Bl. 286-308: Ergebnisprotokoll, 11.2.1953; Seydoux, Erinnerungen, S. 168 f. Vgl. Auriol, Journal, VII, S. 58 f. (20.2.1953). Vgl. FRUS, 1952-1954, V, S. 1559: Dunn an State Dpt., 3.2.1953; ebd., VI, S. 1329 f., 1341 f.: Dulles an US Botschaft Paris, 26. und 30.3.1953. Zu den Saarverhandlungen der Deutschen mit der Regierung Mayer vgl. Lappenküper, Beziehungen, S. 393-415. Vgl. AAP, 1953, S. 281 f.: Kessel an Ausw. Amt, 13.3.1953. Vgl. Bossuat, France, S. 884, 894 f., 897 f.; ders., Nature, S. 208-212; Massigli, Comedie, S. 354 (Zitat); Thiemeyer, Pool Vert, S. 83 f. Vgl. PA, Β 10/859, S. 17 f.: Siegfried an Ausw. Amt, 5.3.1953. Vgl. AAP, 1953, S. 73 f.: Jansen an Ausw. Amt, 16.1.1953. Vgl. KPBR, VI, 1953, S. 180 (20.2.1953); Lenz, Tagebuch, S. 561, 564 (20. und 22.2.1953).

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aber — offenkundig im Gegensatz zu den eigenen Ministern - seine Präferenz für ein branchenweises Vorgehen. Dagegen teilte Bech mit seiner Weigerung, ohne präzise Zuständigkeitsbeschreibung weitere Souveränitätsrechte aufzugeben, den Standpunkt Bidaults; zumal der Luxemburger die Zollunion nicht zur Voraussetzung der EPG machte. Bidault deutete die Bedenken seines Hauses gegen einen Gemeinsamen Markt der Sechs an. Er war aber bereit, insbesondere die Frage der Investitionslenkung im Rahmen der Außenministerkonferenz zu beraten, obwohl für ihn die Finanzierung der Rüstung Priorität besaß 538 . Bereits im Vorfeld der Konferenz hatte er Beyen gewarnt, daß er der durch die EVG aufgewühlten Öffentlichkeit nicht auch noch eine Wirtschaftsgemeinschaft zumuten könne. Das Beispiel der Zollunion mit Italien zeige, daß die Europabegeisterung der Franzosen in sich zusammenfalle, sobald die Interessengruppen auf den Plan träten. Dagegen glaubte Beyen, keine EPG durch das niederländische Parlament bringen zu können, die auf EVG und Montanunion beschränkt bleibe 539 . Im Anschluß an die Außenministerkonferenz bemühte sich Bidault, im bilateralen Austausch mit seinem italienischen Kollegen den »Geist von Santa Margherita« wiederzubeleben, nachdem er de Gasperi unmittelbar nach Amtsantritt schon europapolidscher Kontinuität versichert hatte. Das praktische Ergebnis war noch bescheidener als das von Santa Margherita: vage Zusagen über die Reliberalisierung des französischen Außenhandels, kleine Erleichterungen für italienische Arbeitsemigranten, nichts über die im Koma liegende bilaterale Zollunion. Die Ernüchterung der Italiener kam zwangsläufig den Deutschen zugute, deren beunruhigend gute Beziehungen mit Rom die französische Diplomatie doch hatte etwas konterkarieren wollen 540 . Denn nach Auffassung Bidaults hatten Italiener und Deutsche in der Frage der EPG eine »große Eile« an den Tag gelegt. Das wertete man in Frankreich unter dem Eindruck der Kritik Adenauers an den EVG-Zusatzprotokollentwürfen 541 . Auriol schimpfte in sein Tagebuch: »Adenauer, der Üble, erhebt das Haupt. [...] Die Amerikaner, Idioten und Geschäftemacher, unterstützen ihn. [...] Die italienischen und deutschen Heuchler entlarven sich.« Seine Bemerkung, Schuman sei von seinen jesuitischen Kollegen überflügelt worden, reflektierte das Mißtrauen, mit dem zahlreiche europäische Sozialisten das Wohlwollen der Katholischen Kirche für die EPG aufnahmen. Es sollte nicht lange dauern, bis derartige Stimmungen beim Bundeskanzler Wirkung zeigten. Derweil propagierte Auriol sein Alternativkonzept einer »großen« europäischen Konföderation unter Einschluß der Briten mit einem Generalstab und einer Exekutive, an deren Spitze die Regierungschefs stehen sollten. Die Idee war zwischen den Vorschlägen der Sozialisten und Gaullisten angesiedelt und besaß letztlich intergouvernementalen Charakter. Er hoffte, Europa fiele dann »eine Art Schiedsrichterrolle (arbitrage) zwi·"» Vgl. MAEF, DE-CE, Bd 582, Bl. 5 - 1 0 , 16-20: Protokolle 24.2.1953, 16.3.1953; AAP, 1953, S. 228-231: Vermerk Sachs, 24.2.1953; Kim, Fehlschlag, S. 231 -233. 5"» Vgl. MAEF, DE-CE, Bd 578, Bl. 127-132: Besprechung Beven/Bidauk, 20.2.1953. 540 Vgl. Bagnato, Storia, S. 266-269, 273-276; Guillen, Questions, S. 39 f. 5-" Vgl. dazu Lenz, Tagebuch, S. 569, 572 (28.2. und 3.3.1953).

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sehen den zwei Kontinenten« zu542. Offenbar lebte der Staatspräsident außenpolitisch nach wie vor von Illusionen. Derweil versuchte Bidault im Sinne der Europaabteilung seines Hauses zu verhindern, daß Frankreich nach Inkrafttreten von EVG und EPG »just one of many European countries« werde. In Absprache mit de Gaulle schlug er den Angelsachsen die förmliche Vereinbarung von Dreimächtekonsultationen vor. Amerikaner, Briten und Kanadier waren jedoch keinesfalls bereit, den Franzosen eine Art Dreierdirektorium zuzugestehen, dem diese mit der EVG als Hausmacht angehörten. Daß die Angelsachsen diese Hoffnungen im Keim erstickten, machte die von ihnen so nachhaltig begrüßte EVG und EPG in französischen Augen immer häßlicher und die Rückkehr zur klassischen Machtpolitik zusehends attraktiver543. Mit »Heil denen, die das Abenteuer suchen!« empfing Bidault als Vorsitzender der am 9. März 1953 in Straßburg tagenden Außenministerrunde den Präsidenten der Ad-hoc-Versammlung, als dieser den Verfassungsentwurf überreichte 544 . Das Zitat Elisabeth I. hatte die französische Seelenlage getroffen. Man hatte sich am 9. Mai 1950 auf ein Abenteuer eingelassen, das im günstigen Fall ungewiß, wahrscheinlich aber nicht gut ausging, wenn man nicht bald die Notbremse zog. Denn kein Franzose konnte im Ernst erwarten, daß Deutsche, Niederländer, Flamen und Italiener sich auf die Forderung des gaullistischen Abgeordneten in der Ad-hocVersammlung, Jean Maroger, einließen. Der konnte sich Europa nach vorangegangener völliger Auflösung der Nationalstaaten nur als Zentralstaat nach französischem Muster, mit Französisch als einziger Amtssprache und Paris als Hauptstadt vorstellen 545 . Folgerichtig wies Bidault den Wunsch Spaaks zurück, die Versammlung möge ein Mandat zur Weiterarbeit erhalten. Er teilte die Auffassung Zeelands 546 und Bechs, daß die Ad-hoc-Versammlung ihre Mission erfüllt und damit ihre Existenzberechtigung verloren habe. Alle drei stimmten zwar dem Vorschlag Beyens zu, bald eine Vorbereitungskonferenz der Regierungen mit der Prüfung des Verfassungsentwurfs zu betrauen. Aber alle drei lehnten auch die von Adenauer und de Gasperi begrüßte Anregung des Niederländers ab, die Abgeordneten der Ad-hoc-Versammlung zu beteiligen. Der Italiener war — wie der amerikanische Beobachter vor Ort — überzeugt, daß das Schicksal der EPG letztlich von der Ratifizierung der EVG abhänge. Wie ein siamesischer Zwilling lebte die EPG, solange die EVG lebte. Mithin war die EPG zu diesem Zeitpunkt zwar gefährdet, aber noch keineswegs politisch tot547. Der Bundeskanzler wollte vermeiden, daß der Auriol, Journal, VII, S. 60 (23.2.1953), 71, 77 (2. und 4.3.1953). Vgl. auch ebd, S. 73 (3.3.1953), 111 (26.3.1953), 132 (24.4.1953), 423 (16.9.1953); Kim, Fehlschlag, S. 234 f., 310-312. 5« Vgl. FRUS, 1952-1954, VI, S. 895-904, 1331-1334 (Zitat S. 1333): Besprechung Dulles, Eden u.a., 5.3.1953, Dulles an US Botschaft Paris, 1333 f.; Kim, Fehlschlag, S. 198, 235 f.; Schmidt, Strukturwandel, S. 219. 544 Vgl. Pflimlin, Memoires, S. 80; Spaak, Memoiren, S. 295, und dazu Kim, Fehlschlag, S. 233 f.; Preda, Soglia, S. 333-336. 5« Vgl. Preda, Soglia, S. 337-339. 5« Vgl. auch PA, Β 10/859, Bl. 1 9 - 2 1 : Vermerk Ophüls, 21.3.1953. 547 Wie Küsters - Vormarsch, S. 284 f. - meint. 542

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Entwurf auf den Schreibtischen der Ministerialbeamten versandete. De Gasperi hoffte, unabhängig vom Ratifizierungsprozeß durch klare politische Entscheidungen der Außenminister die Vorbereitungskonferenz zur EPG so zu steuern, daß diese nicht zuletzt die technischen Details der Umsetzung verhandelte. Gleichwohl wollte er die Vorbereitungskonferenz gegen belgisch-französisch-luxemburgische Neigungen auf dem Niveau einer Regierungskonferenz halten. Am 12. Mai 1953 sollte das weitere Vorgehen beraten werden 548 . Daß de Gasperi dem Unternehmen den Schwung erhalten wollte, überrascht weniger als das gleichgerichtete Bestreben Beyens. Freilich wurde der Gemeinsame Markt der Sechs auch in den Augen der holländischen Parlamentarier desto attraktiver, je weniger sich die Hoffnung auf einen »Pool Vert« erfüllte. Folgerichtig gestalteten sich die italienischniederländischen Beziehungen angesichts vergleichbarer Probleme und verwandter Ziele im Zeichen der europäischen Integration immer dichter549. Der französische Landwirtschaftsminister Laurens signalisierte dem niederländischen Kollegen Mansholt Ende 1952 noch seine grundsätzliche Zustimmung zu einer Agrargemeinschaft. Freilich forderten die Interessenverbände unter dem Eindruck zunehmender handelspolitischer Probleme in Europa nicht nur in Paris, sondern auch in Rom und Bonn die Fortsetzung des nationalen Protektionismus. In Bonn lehnten Blücher und Erhard die Fortsetzung der vertikalen Integration ohnehin ab. Sie befürworteten eine Weltmarktorientierung, die im übrigen auch dem deutschen Futtermittelimport aus Nordamerika entsprach. Sie überließen jedoch das Feld den Protektionisten des Landwirtschaftsministeriums und des Bauernverbandes. Dessen Präsident wurde dann auch zum Delegationsleiter der bevorstehenden Agrarkonferenz ernannt. Zu Jahresbeginn 1953 stellte Mansholt fest, daß Monnet sich mit dem Amtsantritt in Luxemburg vom Verbündeten zum Gegner gewandelt hatte. Die Agrarintegration galt dem Franzosen nurmehr als Bremse der politischen Integration. Der italienische Landwirtschaftsminister Fanfani scherte sich nicht mehr um die Europapolitik seines Ministerpräsidenten. Er dachte vor allem an den britischen Agrarmarkt und bevorzugte die OEEC. Ähnlich verhielt sich Belgien; stellte die Landwirtschaft doch schon bei der Wirtschaftsintegration des Benelux das Haupthindernis dar. Schließlich war das sicherheits- und europapolitische Interesse der Amerikaner an der Agrarintegration so gering, daß in diesem Fall ihr Interesse an einem niedrigen Außenschutz der möglichen Agrargemeinschaft dominierte. Mansholt versuchte im Vorfeld der Agrarkonferenz, die Partner der Sechsergemeinschaft auf seine institutionellen Vorstellungen einer supranationalen Agrargemeinschaft einzuschwören. Dagegen stellte der Quai d'Orsay im Rückblick auf die Jahre 1951/52 fest, daß schon damals neben den Holländern nur Griechen und Türken Interesse an einer supranationalen Lösung 548 Vgl. MARF, DR CR, Bd 582, Bl. 2 7 - 3 2 : Protokoll 9.3.1953, 16.3.1953; BDFD, I, S. 265-267: Außenministerkonferenz, 9.3.1953; FRUS, 1952-1954, VI, S. 280: Hillenbrand an Camp, 18.2.1953; Lenz, Tagebuch, S. 580 (10.3.1953). Vgl. dazu auch Fischer, Bundesrepublik, S. 286; Magagnoli, Italien, S. 196 f.; Massigli, Comedie, S. 366 f. 5« Vgl. FRUS, 1952-1954, V, S. 764: Gespräch Acheson, Luns u.a., 11.3.1953; PA, Β 2/860, Bl. 192-195: Holleben an Ausw. Amt, 2.5.1953.

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gezeigt hätten. Angesichts der aktuellen strikten Ablehnung in Brüssel und der Zurückhaltung in Bonn und Rom warnten die französischen Diplomaten vor einer eigenen Initiative und plädierten für bilaterale Absatzverträge 550 . Das erlaubte nicht zuletzt, den privilegierten Absatz der Agrarprodukte der Überseeterritorien aufrechtzuerhalten. Wie London sah man darin auch in Paris eine wichtige Grundlage der politischen Bindung der Uberseegebiete an das Mutterland 551 . Laurens hoffte, der Widerstreit der Meinungen der vielen Konferenzteilnehmer werde ihm das Eingeständnis ersparen, daß Frankreich den Pool Vert nicht mehr wollte. Ähnlich dachten der italienische und belgische Landwirtschaftsminister. Folgerichtig brachte die Agrarkonferenz vom 16. bis 20. März 1953 kein anderes Ergebnis als ihre Vorgängerin ein Jahr zuvor; zumal sich mit Frankreich, Italien und Belgien innerhalb der Sechsergemeinschaft eine Ablehnungsfront gegen die Niederlande gebildet hatte. Die Franzosen forderten noch den Einschluß der Überseeterritorien, was die anderen ablehnten. Beschlossen wurde eine weitere Konferenz im Folgejahr und die Einrichtung einer Interimskommission 552 . Diese schlug im Juli 1953 zum Leidwesen der Amerikaner ein Präferenzzollsystem vor. Das rückschauende Urteil Pflimlins, sein Plan sei vor allem an der Vielzahl der Beteiligten gescheitert 553 , trifft nicht ganz ins Schwarze. Tatsächlich arbeiteten Briten, Skandinavier und Schweizer nur mit, um eine supranationale Lösung zu verhindern. Die Briten hofften nicht ganz zu Unrecht, daß die Niederländer wieder auf den Pfad intergouvernementaler Zusammenarbeit in der OEEC zurückfänden. Erstens lief der Protektionismus der Franzosen, Italiener und Deutschen ihren Interessen zuwider. Zweitens waren die holländischen Landwirte vor allem am Freihandel, weniger an supranationalen Einrichtungen interessiert. Entscheidend war, daß in Paris der Pool Vert mehr noch als EPG und EVG als lästiges Erbstück aus vergangenen Tagen galt. Nur aus Pietät stellte man es zunächst in die Rumpelkammer, anstatt es gleich zu entsorgen. Der industrielle Spitzenverband verhielt sich offiziell neutral. Aber der Pool Vert hatte noch weniger Freunde im französischen Unternehmerlager als die EPG. Der Wirtschaftsdiplomat Wormser empfahl, konsequent auf OEEC-Kurs zu gehen. Bidault steuerte bilaterale Verträge zur Absatzsicherung an. Das Landwirtschaftsministerium hielt dagegen noch an dem Gedanken einer intergouvernementalen europäischen Agrarbehörde fest. Auch Adenauer wollte aus europapolitischen Gründen weiterverhandeln. Nach den erfolgreichen Bundestagswahlen vom September 1953 erklärte sein Landwirtschaftsminister Lübke allerdings eine Agrar- ohne vorherige politische Gemeinschaft für aussichtslos. Mansholt, der sich im November 1952 noch mit Laurens einig geglaubt hatte, setzte seine Hoffnungen jetzt folgerichtig in eine horizontale Integration im Rahmen der EPG 554 . Er war sogar bereit, die zollpolitischen Forde55» 551 552 553 554

Vgl. MAEF, DE-CE, Bd 578, Bl. 79-82: Vermerk, 14.2.1953. Vgl. Kim, Fehlschlag, S. 210-212. Vgl. AAP, 1953, S. 297-303: Vermerk Hermes, 26.3.1953. Vgl. Pflimlin, Memoires, S. 51. Vgl. FRUS, 1952-1954, VI, S. 443-225: Chapin an State Dpt., 25.3.1953, Runderlaß Smith, 27.5.1953; Boccia, Green Pool, S. 298-300; Bossuat, France, S. 790-792; ders., Nature, S. 218 f.;

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rungen zurückzustellen und überhaupt Zugeständnisse zu machen, wenn Frankreich nur endlich die EVG ratifizierte. Wirtschaftsminister Zijlstra glaubte ebenfalls nicht recht an einen reinen Zollabbau ohne Harmonisierung von Steuern, Löhnen, Preisen und Beschäftigungspolitik. Gegenüber den komplizierten Projekten EVG und EPG bevorzugte Ministerpräsident Drees jedoch nach wie vor den deutschen NATO-Beitritt und die Fortsetzung der rein wirtschaftlichen Integration 555 . Im Ergebnis bestärkte sich die Haager Regierung in der Auffassung, daß es die EPG keinesfalls ohne wirtschaftliche Integration geben dürfe 556 . Folgerichtig forderte Beyen statt der fünfjährigen Übergangsfrist, während der die Maßnahmen der EPG der einstimmigen Zustimmung des Ministerrates bedurften, die Vereinbarung eines festen Zeitplanes für den Abbau der Zölle einschließlich der Herstellung eines gemeinsamen Außenzolles. Nur die Gemeinschaft sollte über Ausnahmeregelungen entscheiden. Unterschiedliche Kostenstrukturen der Volkswirtschaften galten als natürliche Voraussetzung und ein erheblicher Strukturwandel nicht zuletzt auf dem Arbeitsmarkt als notwendige Folge der horizontalen Integration, abgefedert durch einen Anpassungsfonds. Dagegen berge die vertikale Integration die Gefahr, daß Absprachen zu Lasten anderer Branchen den Strukturwandel behinderten. Entscheidend sei die durchgreifende Modernisierung der europäischen Produktionsapparate, welche der europäische Protektionismus seit dem Ersten Weltkrieg verhindert habe. Folgerichtig dürfe sich ein Gemeinsamer Markt auch nicht durch ein Präferenzsystem vom Weltmarkt abschotten, sondern müsse sich auf einen gemeinsamen, moderaten Außenzoll verständigen55^. Die Wirtschaftsabteilung des Quai d'Orsay nahm an, daß diese ganz auf der Linie der Marshallplaner liegende Argumentation der Niederländer jenseits des Atlantiks ein positives Echo finden werde 558 . Allerdings bestätigten die Holländer mit ihren institutionellen Vorstellungen den Eindruck, daß sie die EPG vor allem als Vehikel ihrer handelspolitischen Forderungen betrachteten. Denn die Direktwahl des Europaparlamentes lehnten sie mit dem fadenscheinigen Argument ab, die nationalen Parteien könnten sich auf keine gemeinsame außenpolitische Haltung einigen und es dürfe kein Gegensatz zu den nationalen Parlamenten entstehen 559 . Dasselbe galt für Belgien, das neben dem Gemeinsamen Markt einen paritätisch besetzten Senat und eine Veränderung der

Bührer, Westdeutschland, S. 333-339; ders., Pressure Groups, S. 85 f.; Girvin, United Kingdom, S. 99-102, 104-106; Griffiths, Mansholt Plan, S. 101-106; Kluge, Pool Noir, S. 265-268; Milward, European Rescue, S. 302-306; Mioche, Patronat, S. 249; Mommens, Integration, S. 5 9 - 6 1 ; ders., Agriculture, S. 122-124, 127 f.; ders., Politics, S. 190-193; Noel, Pressure Groups; Thiemeyer, Pool Vert, S. 77-110, 265 f. Vgl. AAP, 1953, S. 443 f.: Mühlenfeld an Ausw. Amt, 16.5.1953. 556 Vgl. Harrwan u.a., Attitudes, S. 337, 340; Milward, European Rescue, S. 188. Vgl. MAEF, DE-CE, Bd 521, Bl. 284-294: Memo Beyen, 5.5.1953. Vgl. auch BA, Β 102/11408: Beven an Adenauer, 14.2.1953; Harryvan u.a., Attitudes, S. 333-335, 339. 55» Vgl. MAEF, DE-CE, Bd 521, Bl. 295-298: Vermerk, 9.5.1953. 55'J Vgl. MAEF, DE-CE, Bd 521, Bl. 249-252: mederl. Note, 18.2.1953.

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Exekutive forderte560. Dagegen empfahl die Europaabteilung des Quai d'Orsay angesichts drohender weiterer Souveränitätsverluste, die bisherigen Versammlungen von Montanunion und EVG durch eine direkt und allgemein gewählte Versammlung zu ersetzen. Ihre Zuständigkeit sollte sich freilich wieder nur auf Empfehlungen beschränken, über welche die Regierungen dann in Verhandlungen entschieden. An die Stelle des Exekutivrates trat der Ministerrat der EPG. Er erteilte der Hohen Behörde und dem Kommissariat einstimmig zu beschließende Direktiven. Daneben sollten die Ministerräte der EVG und Montanunion fortbestehen561. Damit stutzten die Diplomaten den Entwurf der Ad-hoc-Versammlung, abgesehen von der Direktwahl, im Grunde auf das zurück, was im Europarat und in der Montanunion verwirklicht worden war. Gleichwohl sollte es noch einmal über 25 Jahre dauern bis ein derartiges direkt gewähltes Europaparlament ohne echte Zuständigkeiten das Licht der Welt erblickte. Gegen die Zauderer in Paris und Brüssel wollte das Auswärtige Amt gemeinsam mit Italien auf politische Grundsatzentscheidungen der Außenminister drängen 562 . Aber am 11. Mai 1953 schlug Premierminister Churchill, zum Leidwesen der eigenen Regierung und des Parlamentes, eine Gipfelkonferenz mit der Sowjetunion vor. Daß er die Franzosen an diesem Gipfel nicht beteiligen wollte, wirkte wie ein Sturzbach auf die Mühlen derjenigen in Paris, die von EVG und EPG keine Stärkung des Führungsanspruches, sondern im Gegenteil das Ende der eigenständigen französischen Außenpolitik erwarteten. Es war nur ein schwacher Trost, daß Eisenhower gegen den Rat des State Department die Beteiligung der Franzosen durchsetzte. Der Brite reagierte auf die konzilianten Töne, mit denen die Erben Stalins zunächst einmal Verwirrung im westlichen Lager stiften wollten, um die eigenen Reihen nach dem Tod des Diktators zu ordnen. Churchill war offenbar bereit, auf die sowjetischen Sicherheitsinteressen einzugehen. Er Schloß ein wiedervereinigtes neutrales Gesamtdeutschland nicht mehr aus563. Staatssekretär Otto Lenz kehrte mit einem Bericht von einer Amerikareise zurück, der den Sorgen Adenauers neue Nahrung gab: Die neue Eisenhower-Administration hatte offenbar noch nicht Tritt gefaßt. Die Kritiker der europazentrierten Außenpolitik waren auf dem Vormarsch. Senator Taft, Republikaner wie Eisenhower, glaubte, Briten und Franzosen drängten zum Arrangement mit den Sowjets. Das galt ihm als willkommenes Argument, die bisherige Sicherheits- und Europapolitik erneut in Frage zu stellen. Die deutschen Sozialdemokraten hegten wie ihre französischen Genossen in dieser Situation wieder Hoffnungen, über eine Vier-Mächte-Verständigung die Wiedervereinigung zu fördern. Der Bundeskanzler teilte die Auffassung seines italienischen Kollegen, daß Churchill letztlich zur antiquierten Gleichgewichtspoli560 Vgl. PA, Β 10/859, Bl. 3 4 - 3 6 : Pfeiffer an Ausw. Amt, 28.4.1953, nebst van Zeeland an Calmes, 8.4.1953 (Abschrift). 5« Vgl. MAEF, DE-CE, Bd 578, Bl. 355-357: Vermerk, 5.5.1953. 562 Vgl. PA, Β 10/891, Bl. 14-16: Runderlaß, 15.4.1953. 563 Yg[ Adamhwaite, Eden, S. 38 f.; Lappenküper, Beziehungen, S. 191; Lenz, Tagebuch, S. 628 (22.5.1953); Maier, Auseinandersetzungen, S. 150 f.; Mastny, NATO, S. 420-423; Neuss, Geburtshelfer, S. 217; Soutou, Frankreich, S. 224 f.

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tik gegenüber dem Kontinent tendiere. Die Ausführungen des britischen Premierministers konnten Adenauer nicht wirklich beruhigen; er sah seine gesamte Deutschland- und Außenpolitik in Frage gestellt564. Bislang hatte er klug die Waage gehalten zwischen wirksamer Unterstützung de Gasperis und vorsichtiger Zurückhaltung. Denn leicht konnte die EPG in den mißtrauischen Augen der Partner Züge neuen deutschen Dominanzstrebens annehmen, wenn Bonn sich zu eifrig für sie engagierte. Für Adenauer genoß jetzt die Rettung der EVG und der mit ihr verknüpften vertraglichen Regelung der deutsch-alliierten Beziehungen Vorrang. Das bedeutete konkret: keine zusätzliche Belastung der EVG durch den Verfassungsentwurf der Ad-hoc-Versammlung, nachdem die Franzosen mit den Protokollentwürfen zum EVG-Vertrag eben die Bremse gezogen hatten. Mit Erleichterung registrierte Adenauer bei einem Treffen mit Ministerpräsident Mayer und Bidault im Vorfeld der Außenministerkonferenz am 11. Mai 1953, daß die beiden über die mit ihnen nicht abgesprochene Initiative Churchills genauso besorgt waren wie er selbst. Für den Bundeskanzler war jetzt nur noch das politische Dach für EVG und Montanunion wichtig. Entgegen dem »im Ton etwas hochgenommenen« Verfassungsentwurf wollte er mit »weiser Zurückhaltung« vorgehen und eine »Kompetenzkompetenz« der politischen Gemeinschaft vermeiden. Darin ging er konform mit Mayer und sogar weiter als Bidault. Der hatte nichts gegen die parlamentarische Erörterung neuer Zuständigkeiten, solange die Regierungen darüber entschieden. Die Franzosen hielten dann auch an der Direktwahl fest. Adenauer hatte hier gegen eigene Bedenken den Vertretern der Regierungsfraktion in der Ad-hoc-Versammlung und seinen Kabinettskollegen nachgegeben. Ein Beschluß der Beratenden Versammlung des Europarates mag ihn in dieser Entscheidung bestärkt haben565. Auf der eigentlichen Konferenz der Außenminister forderte de Gasperi klare politische Vorgaben für die Regierungskonferenz über den Verfassungsentwurf. Er warnte, der europäischen öffentlichen Meinung den Eindruck zu vermitteln, daß die Regierungen eine hoffnungsvolle Idee schlicht fallen ließen. Die Gemeinschaft müsse verwirklicht werden, andernfalls stehe der Frieden auf dem Spiel. Dagegen teilte Adenauer jetzt die Auffassungen der französischen Anhänger von EVG und EPG: Die Ministerrunde möge auf der Grundlage der jeweiligen Verträge daran gehen, nurmehr die Montanunion und die EVG durch eine politische Behörde zu krönen (»coiffer«). Dabei könne eine kleine Expertenrunde assistieren. Eine Regierungskonferenz sollten die Außenminister dagegen erst ins Leben rufen, nachdem eine auf die Montan- und Verteidigungsgemeinschaft beschränkte EPG gebildet war, um dann vielleicht den Verfassungsentwurf zu verhandeln. Das ging nun selbst Bidault zu weit. Man könne den Verfassungsentwurf nicht einfach fallenlassen. Zeeland und Beyen hätten mit dem Verzicht auf 5M Vgl. AAP, 1953, S. 4 3 2 - 4 3 6 , 4 8 0 - 4 8 6 : Gespräch Adenauer/Churchill, 15.5.1953, Gespräch Hallstein/Bruce, 30.5.1953; Lenz, Tagebuch, S. 631 f., 634, 640, 642 f., 645 (22.5., 28.5., 5.6., 9.6., 10.6.1953); Brogi, Italia, S. 91 f. Vgl. KPBR, VI, 1953, S. 2 7 9 - 2 8 2 (8.5.1953); BDFD, I, S. 268: Vermerk Blankenhorn, 13.5.1953; PA, Β 10/859, Bl. 1 8 3 - 1 8 6 : Gespräch Adenauer, Mayer, Bidault, 11.5.1953; Auriol, Journal, VII, S. 158 (8.5.1953).

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die institutionellen Vorschläge des Verfassungsentwurfs vermutlich gut leben können. Aber eine beschränkte EPG unter Fortfall aller wirtschaftlicher Integrationsmaßnahmen lag keineswegs in ihrem Interesse. Zeeland stellte ein klares Junktim zwischen EPG und Gemeinsamem Markt auf. Rührend war der Hinweis Beyens, daß die niederländischen Vorschläge keineswegs der besonderen Wirtschaftslage des Landes entsprängen. Vielmehr beruhten sie auf der Uberzeugung, daß nicht zuletzt wirtschaftliche Zusammenarbeit »Interessenidentität« stifte. Weil dies zu diesem Zeitpunkt genau nicht so war, hatte dagegen Adenauer die Forderung nach dem Gemeinsamen Markt fallengelassen. Er war damit zwangsläufig und im Sinne seiner Fachminister Blücher und Erhard wieder auf die OEEC eingeschwenkt. Im Ergebnis einigten sich die Außenminister auf eine Konferenz ihrer Stellvertreter über den Verfassungsentwurf. War es Zufall, daß der Kanzler den anschließenden Gedankenaustausch der Minister über den Entwurf Staatssekretär Hallstein überließ? Hier übernahm Zeeland die Rolle, die einst Bevin gespielt hatte. Er forderte eine »Gemeinschaft souveräner Staaten, welche die Rechtspersönlichkeit wahrt, deren geschichtliche Mission und moralische Autorität respektiert und zu gemeinsamem Gebrauch einige ihrer Zuständigkeiten zusammenführt, auf daß sie von einer supranationalen Einrichtung im Interesse aller eingesetzt werden« 566 . Mit denselben Worten ließe sich, nebenbei bemerkt, mühelos der heutige Zustand der Europäischen Union beschreiben. Die Legitimität der künftigen Gemeinschaft leitete sich für Zeeland zwar auch — dem Grundsatz der Volkssouveränität folgend — aus dem Kollektiv der europäischen Bürger her, die durch die Völkerkammer vertreten wurden. Insoweit die Gemeinschaft »keine anderen Zuständigkeiten ausübt als diejenigen, welche die Staaten ihr übertragen werden«, waren es jedoch in erster Linie die Nationalstaaten, die ihr die Existenzberechtigung verliehen. Das belegen drei Elemente der belgischen Position: erstens die Forderung nach einem Sezessionsrecht als Ultima ratio der Wahrung des nationalstaatlichen Interesses; zweitens die Weigerung, der Völkerkammer Kompetenzkompetenz einzuräumen — worüber sich alle einig waren —; und drittens die kollegiale Exekutive. Vor allem in einem paritätisch besetzten und in besonderen Fällen zur einstimmigen Entscheidung verpflichteten Senat sah Zeeland die für sein Land unabdingbare Vertretung der Nationalstaaten. Noch weiter ging der luxemburgische Außenminister Bech, der gleich dem Ministerrat die erforderliche Prärogative verschaffen wollte, um die Lebensinteressen der Staaten sicherzustellen. Hier hakte Hallstein ein, um wieder die Bundesratslösung ins Spiel zu bringen. Die zielte freilich auf die gewichtete Vertretung regionaler Interessen in einem Bundesstaat aus eigener Wurzel, den der Benelux gerade nicht wollte. Zeeland durfte die Hoffnung hegen, daß Großbritannien sich einer nach seinen Vorstellungen verfaßten Gemeinschaft doch noch annähern könne. Er regte daher an, interessierte Staaten als Beobachter an der bevor566

»[...] Communaute d'Etats souverains, conservant leur personnalite de droit, gardant leur mission seculaire et leur autorite morale et mettant en commun l'usage de certains pouvoirs pour qu'ils soient exerces dans l'interet de tous ä l'intervention d'un organisme supranational f...].«

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stehenden Regierungskonferenz zu beteiligen. Im Ergebnis einigten sich die Außenminister, den Entwurf der Ad-hoc-Versammlung als unverbindliche Diskussionsgrundlage der Regierungskonferenz anzunehmen. Der Frage Brentanos, des Vorsitzenden des Verfassungsausschusses der Ad-hoc-Versammlung, nach der möglichen Beteiligung der Autoren des Entwurfs wich Bidault aus. Eine Arbeitsgruppe der Protagonisten einschließlich Sekretariat arbeitete gleichwohl bis 1954 weiter. Im Gegensatz zu Frankreich und den Niederlanden war die Bundesrepublik nämlich nicht bereit, den Abgeordneten den Geldhahn zuzudrehen 567 . Das Auswärtige Amt verbuchte die Konferenz schon deshalb als Erfolg für das deutsch-italienische Anliegen, weil es mit Hilfe Bidaults gelungen sei, gegen den Benelux eine Folgekonferenz in Rom durchzusetzen. Offenbar konnte Zeeland seinen niederländischen Kollegen nicht zur eigenen Skepsis gegen die EPG bekehren. Den tatsächlichen Stand der Dinge offenbarte die Bitte Hallsteins, in Rom »den supranationalen Charakter der angestrebten Konstruktion in der Erscheinungsform abzuschwächen und etwaige bundesstaatliche Züge ganz in den Hintergrund treten zu lassen«568. Immerhin blieb der Vorschlag, auf die Völkerkammer ganz zu verzichten, Mindermeinung im Auswärtigen Amt 569 . In der Literatur wird die geänderte Haltung Adenauers erwähnt, aber die fundamentale Bedeutung seines Richtungswechsels nur selten herausgehoben 570 . Das ist nicht zuletzt seinem prinzipientreuen Pragmatismus geschuldet. Adenauer verband feststehende politische Grundüberzeugungen mit einer bemerkenswerten Flexibilität bei deren Umsetzung 57 '. Angesichts eines geänderten Umfeldes gewichtete er Prioritäten neu, ohne sie selbst aufzugeben. Sein »Alpdruck« hieß zum damaligen Zeitpunkt »Potsdam« 572 . Aus Sorge, sein Staat werde nach Stalins Tod auf dem Altar der Entspannung und einer Viermächtevereinbarung geopfert, warf der Bundeskanzler die supranationale Perspektive vorerst über Bord, um den sicherheits- und deutschlandpolitisch bedeutsamen Kern der EVG, die Einbindung der Bundesrepublik in die atlantische Gemeinschaft und die Ablösung des Besatzungsstatuts zu retten. Er hoffte wohl eher, daß Bidault seine Haltung geändert habe, als daß er davon überzeugt war573. Jedenfalls lag für Adenauer die Konsequenz auf der Hand, wenn jetzt Vgl. MAHF, D R - α · , Bd 522, Bl. 9 9 - 1 1 7 , (Zitat Bl. 109): Protokoll, 12. und 13.5.1953; ebd., Bd 521, Bl. 3 3 3 - 3 3 5 , 4 0 0 - 4 0 4 : Vermerk, 1.7.1953, Vermerk Kuropadirektion, 3.12.1954, und dagegen die geglättete Version in AAP, 1953, S. 421 - 4 2 7 : Vermerk Puttkamer, 13.5.1953, sowie bei Blankenhorn, Verständnis, S. 149 f. Vgl. auch Fally, Grand-Duche, S. 1 8 0 - 1 8 3 ; Griffiths and Ntilward, Beven Plan, S. 605 f., Harrvvan u.a., Attitudes, S. 341 f. ™ Vgl. ΡΛ, Β 2/860, Bl. 2 2 2 - 2 2 4 : 'Mühlenfeld an Ausw. Amt, 10.6.1953; ebd., Β 10/891, Bl. 3 4 - 3 9 : Runderlaß, 28.5.1953; ebd., Β 2/8, Bl. 128 (Zitat): Vorbesprechung, 28.5.1953. < ' ·'> Vgl. Kim, Fehlschlag, S. 276 f. Selbst Kim - Fehlschlag, S. 2 3 9 - 2 4 5 , 363 - und Fischer - Bundesrepublik, S. 2 8 9 - 2 9 1 - , die den deutschlandpolitischen Zusammenhang (»Potsdam-Komplex«) der llntscheidung des Kanzlers andeuten, verkennen den grundsätzlichen Wandel seiner F.,uropapolitik. Vgl. dagegen jüngst Lappenküper, Beziehungen, S. 299 f., im Anschluß an Schwarz, Ära, S. 181. 5"' Vgl. Weidenfeld, Sorge, S. 3 2 2 - 3 2 4 . BDFD, I, S. 154: Interview, 11.6.1953. Vgl. auch I-appenküper, Beziehungen, S. 199-221; Strauß, Rrinnerungen, S. 203. " Vgl. AAP, 1953, S. 431: Gespräch Adenauer/Churchill, 15.5.1953.

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sogar der britische Premierminister in der Verständigung mit den Sowjets einen denkbaren Ausweg aus den wirtschaftlichen Folgen der Aufrüstung erkannte: Alle Franzosen mit dem Staatspräsidenten an der Spitze mußten sich bestätigt fühlen, daß der Ausweg aus der ungeliebten, ja gefährlichen EVG in der Wiederbelebung einer alten diplomatischen Partnerschaft mit den Russen lag. Jetzt gingen die Deutschen auf europapolitischen Gegenkurs und kündigten damit die »deutschitalienische Front« 574 , die sich in der gemeinsamen Kritik an den französischen Zusatzprotokollentwürfen auf der Februarkonferenz ein letztes Mal bewährt hatte575. Besorgt registrierten die Amerikaner die Tendenz, EVG und EPG zu entkoppeln. Sie mahnten Adenauer, nicht um des raschen Kompromisses mit Paris willen den Supranationalismus gänzlich von der Tagesordnung zu nehmen 576 . De Gasperi — den das Unternehmen des britischen Premiers nicht weniger alarmierte als den Bundeskanzler 577 - stand jetzt fast als europapolitischer Traumtänzer da578. Italien versuchte das Abgleiten der Verhandlungen auf die technische Ebene zu verhindern, die schon das Ende von Finebel und bilateraler Zollunion eingeleitet hätten. Rom teilte das niederländische Ziel der Wirtschaftsintegration, stellte sich aber Sonderkonditionen vor, wie man sie bei den Montanverhandlungen erlangt hatte. Der Ubergang zur Zollunion sollte etappenweise und in unterschiedlichen Rhythmen je nach wirtschaftlicher Lage des Landes erfolgen. Nicht nur bei Zahlungsbilanzschwierigkeiten, sondern auch bei tiefgreifender Schädigung einzelner Branchen sollten Ausnahmeregelungen gelten 579 . Mit diesen Vorstellungen stand Rom wieder fast an der Seite von Paris. Bonn konnte auch nicht einfach auf das niederländische Konzept von wenig politischer und viel wirtschaftlicher Integration einschwenken, weil es sich damit wieder den Ärger der Franzosen und die Skepsis der Italiener eingehandelt hätte580. Das Haager Außen- und das Wirtschaftsministerium schickten den Diplomaten Ernst van der Beugel und einen weiteren Spitzenbeamten auf Werbetour zu den Partnern. Im Gespräch mit den Bonner Ressorts wurde zwar »weitgehende Übereinstimmung in den Fragen der Wirtschaftsintegration« festgestellt. Dies allerdings nur, weil die Emissäre die Notwendigkeit einer gewissen Koordinierung auch der Währungs-, Geld- und Finanzpolitik in Verbindung mit der EZU eingeräumt und den Automatismus der geforderten Zollsenkungen zumindest verbal etwas zurückgenommen hatten. Damit trugen die Niederländer allerdings nicht nur Bonner und Brüsseler Vorstellungen Rechnung. Gegen Beyen galt den eigenen WirtschaftspoliGuillen, Questions, S. 37. Vgl. AAP, 1953, S. 232-235: Außenministerkonferenz, 24./25.2.1953; Melandri, Etats-Unis, S. 403. 576 Vgl. Fischer, Bundesrepublik, S. 293; Schwabe, Bündnispolitik, S. 84. " 7 Vgl. ACS, PCM/VCM, 20.6.1953. 578 Vgl. Magagnoli, Italien, S. 199 f. Vgl. MAEF, DE-CE, Bd 578, Bl. 414-416: ital. Aide-Memoire, 8.6.1953; PA, Β 2/8, Bl. 135, dto., 4.6.1953; Magagnoli, Italien, S. 202 f. 580 Vgl. Fischer, Bundesrepublik, S. 286 f. 574

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tikern die Harmonisierung als zwangsläufige Ergänzung des Zollabbaus 5 8 1 . Allerdings hätten die Niederländer damit die durch den Zollabbau angestrebte Stabilisierung ihrer exportorientierten Wirtschaft mit unerwünschten Einbußen an nationaler Souveränität über diese Wirtschaft bezahlt 582 . Waren sie dazu möglicherweise noch bereit, lag hier das eigentliche Problem für Zeeland 583 . Folgerichtig gewannen der Wirtschaftsdiplomat Wormser und andere in Paris den Eindruck, daß die Niederländer die steuerliche, soziale und geldpolitische Harmonisierung als Voraussetzung eines Gemeinsamen Marktes nicht akzeptieren würden. Denn supranational wollten die Niederländer ja nicht mehr über den Zollabbau als solchen, möglicherweise in Verbindung mit flankierenden Maßnahmen, entscheiden, sondern nur noch über zeitlich befristete Ausnahmen von der vorher verbindlich vereinbarten Regel. Das bestätigte ein Memorandum, mit dem die Niederländer am 1. August 1953 den Beyenplan in die Form von Artikeln des künftigen EPG-Statuts gössen. Danach unterschieden sich die Befugnisse der Gemeinschaft nicht mehr von denen der O E E C bei der Suspendierung der Handelsliberalisierung. Die Franzosen hatten Grund zur Annahme, daß der vertraglich vereinbarte Abbau der Binnenzölle und die Herstellung eines gemeinsamen Außenzolls im Zeitrahmen von zehn Jahren nicht im Interesse der italienischen und deutschen Schutzzöllner liege 584 . Die von Franzosen und Deutschen — bei allerdings nahezu gegensätzlichem ordnungspolitischen Grundverständnis — gleichermaßen gewünschte Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik fiel im Beyenplan fast unter den Tisch. Nur ein Investitionsfonds kaschierte den »Rückfall in eine einseitig handelspolitische Denkweise« 585 . Tatsächlich war dies der gemeinsame Nenner, auf den sich die beiden Strömungen in der niederländischen Politik und Diplomatie einigen konnten. Während Stikker — mittlerweile Botschafter in London — nach wie vor auf den größeren Rahmen der O E E C ohne die in seinen Augen verfrühte politische Integration setzte, war Beyen in Grenzen integrationswillig, ging aber nicht so weit wie Mansholt 586 . Die Wirtschaftsabteilung des Quai d'Orsay neigte jetzt ebenfalls dazu, auf die Integration der Wirtschaftspolitik am besten ganz zu verzichten. Der freie Warenverkehr lasse sich auch intergouvernemental regeln. Der dadurch freigesetzte Strukturwandel sollte durch einen Adaptionsfonds abgefedert und durch Investitionslenkung gesteuert werden. Keinesfalls durften Entwicklungen eines freien Marktes die politisch gewollten Ziele annullieren. Dasselbe galt für Weltmarkteinflüsse. Damit die der europaweiten Planification nicht entgegenwirkten, galt ein Vgl. Griffiths, Beyen Plan, S. 173 f.; Milward, European Rescue, S. 188 f. Vgl. PA, Β 10/898, Bl. 2 - 4 , 11-14: Vermerke Sachs und Müller, 2. und 3.6.1953; Kim, Fehlschlag, S. 274. 583 Vgl. Harryvan u.a., Attitudes, S. 343. SS« Vgl. MAEF, DE-CE, Bd 521, Bl. 315-319, 336-344: Vermerk, 20.5.1953, niederl. Botschaft an Min. Äff. Etr., 1.8.1953; ebd., Bd 579, Bl. 73-81: dto.; PA, Β 10/898, Bl. 200-210: dto.; Kim, Fehlschlag, S. 261 f. 5»5 PA, Β 10/898, Bl. 212: Vermerk Müller, 3.8.1953. 586 Vgl. Harryvan u.a., Attitudes, S. 346 f.; Harst, Pleven Plan, S. 156. 581

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ausreichend hoher Außenzoll als zwingende Voraussetzung. Unter diesen Prämissen könne die europäische Versammlung den Regierungen dann ihre Vorschläge unterbreiten, solange sie nicht auf eine supranationale Wirtschafts- und Finanzpolitik hinausliefen. Die Krux des intergouvernementalen Konzepts war freilich das bekannte Sicherheitsproblem, das alle supranationalen Überlegungen beflügelte. Nach einer möglichen Wiedervereinigung Deutschlands — die nicht an wirtschaftlichen Schwierigkeiten scheitern werde, wenn die politischen Voraussetzungen geschaffen seien — werde es in Westeuropa nur drei wirtschaftlich gleichwertige Faktoren geben: Deutschland, Großbritannien und den Rest einschließlich Frankreich. Deutschland besäße im Vergleich mit letzterem ein doppelt so großes industrielles und ein gleichwertiges landwirtschaftliches Potential. Je stärker die europäische Integration wieder intergouvernementale Züge annahm, desto größer war der Handlungsspielraum des dann wirtschaftlich mächtigsten Landes des Kontinents587. Im Kontrast zu den wirtschaftlichen Erfolgen des deutschen Nachbarn trudelte das eigene Land in die Krise. Im April und Mai 1953 meldete die Regierung dem Staatspräsidenten eine handfeste Rezession mit Arbeitslosigkeit, Außenhandelsdefizit und Versuchen, die Löcher im Haushalt zu begrenzen. Am 21. Mai 1953 trat die Regierung Mayer zurück. Erst nach vier Wochen wurde ein Kabinett unter Joseph Laniel gebildet, das sich mit den gleichen Haushaltsproblemen konfrontiert sah588. Der neue Finanzminister Edgar Faure wollte Produktion, Verbrauch und Ausfuhr stimulieren und gleichzeitig die Inflation in Schach halten. Da die Einfuhrquoten ungerechtfertigte Gewinne ermöglichten, sollten sie durch Zölle ersetzt werden. Uberhaupt wollte man die ungleiche Verteilung der sozialen Lasten korrigieren. Resigniert kommentierte Auriol die Abneigung des Bürgertums, einen größeren Anteil an der Finanzierung der staatlichen Aufgaben zu übernehmen, den Protest der Weinbauern und den Streik der Beamten: »Jeder verteidigt sein Beefsteak.« »Der Staat löst sich auf (se disloque) 589 .« Der Binnensicht entsprach die Außenwahrnehmung. Die erneute Betonung der NATO und das Bemühen um Einbindung der Briten galt als Zeichen der Schwäche. Angesichts der zunehmenden Handlungsunfähigkeit des politischen Systems in einer bedrohlichen Wirtschaftslage gab Paris offensichtlich seine Führungsrolle in Europa auf. Womöglich wurde Frankreich zum schwächsten Glied in der Kette, an dem die Sowjets den Hebel ansetzen konnten 590 . Je weniger Frankreich willens war und sich wirtschaftlich in der Lage fühlte, den Weg zu Ende gehen, den es 1950 eingeschlagen hatte, desto deutlicher sah es sich von Washington unter Druck gesetzt, genau das zu tun. Selbst eher deutschfreund587 Vgl. MAEF, DE-CE, Bd 522, Bl. 1 7 8 - 1 8 2 : Vermerk, 10.6.1953; ebd., Bd 579, Bl. 2 9 - 5 2 : Vermerk, 4.7.1953; Thiemeyer, Pool Vert, S. 102. 58» Vgl. Auriol, Journal, VII, S. 1 1 8 (15.4.1953), 150 f. (6.5.1953), 159 f. (8.5.1953), 2 7 6 - 2 7 8 (5.7.1953), 313 f. (5.8.1953). 589 Auriol, Journal, VII, S. 314, 321 (7. u. 9.8.1953); Alphand, Etonnement, S. 236 f. (12.8.1953). sw Vgl. AAP, 1953, S. 3 8 4 - 3 8 6 : Vermerk Kessel, 4.5.1953; FRUS, 1952-54, II, S. 5 5 6 - 5 5 8 : Nat. Intelligence Estimate, 23.10.1952; Massigü, Comedie, S. 368.

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liehe Franzosen teilten die »Zwangsvorstellung« des französischen Staatspräsidenten, Deutsche und Italiener könnten mit Billigung der Amerikaner die EVG in revanchistische Abenteuer verstricken 591 . Diese Sorge war angesichts der deutschen Teilung und des Triestproblems nicht ganz abwegig, beeindruckte die neue amerikanische Administration jedoch kaum. Finanzminister Maurice Bourges-Maunoury gewann den Eindruck, MSA-Chef Stassen wolle die amerikanische Indochinahilfe von der Ratifizierung der EVG abhängig machen 592 . Tatsächlich wurde die EVG immer mehr zur Pokerkarte. Je stärker sich die Eisenhower-Administration für sie engagierte, desto mehr diente sie den Franzosen als Druckmittel, um den Vereinigten Staaten die Kosten des Indochinakrieges aufzubürden. 1953 trugen sie bereits über 40 % der Kosten. Dabei stand dem französischen Finanzminister das Wasser schon so am Halse, daß er in den Indochinadollars ein Instrument sah, die Zahlungsbilanz zu stabilisieren. Die Amerikaner forderten im Gegenzug nicht nur die Fortsetzung der französischen Europapolitik, sondern militärische Erfolge in Fernost593. An die hatte schon Mayer nicht mehr geglaubt. Im Gegenteil wollte er den Indochinakrieg eigentlich so schnell wie möglich loswerden, weil man die Kosten nicht mehr tragen könne 594 . Bestärkt durch die optimistische Einschätzung des amerikanischen Botschafters in Paris und durch die vorsichtige Unterstützung seines britischen Kollegen, hegte Außenminister Dulles eine kühne Hoffnung. Wenn alle Vertragspartner ratifizierten, werde die EVG zum »rolling bandwagon«, dem sich Frankreich nicht mehr entziehen könne. Selbst die Vereinten Stabschefs ordneten ihre Bedenken gegen den Kontrollcharakter der EVG gegenüber den Deutschen dem politischen Impetus des neuen Außenministers unter595. Eisenhower hegte angesichts der EPG mit der Ratifizierung gar die Erwartung, daß die Europäer sich bald zu einem »Bund« zusammenschlossen 596 . Je mehr Dulles unter Druck der amerikanischen öffentlichen Meinung geriet, desto mehr neigte er dazu, im State Department nur noch »happy-talk about integration«55" zuzulassen. Daß die Administration die Europapolitik ihrer Vorgängerin fortsetzen wollte, stieß angesichts eines erheblichen Haushaltsdefizits im Kongreß um so weniger auf Begeisterung, als Integrationserfolge ausblieben, nachdem der EVG-Vertrag unterzeichnet worden war. Mit Mühe gelang es, einen Gesetzentwurf des Abgeordneten James Richard zu verwässern. Er wollte die Hälfte der Militärhilfe so lange für die EVG reservieren, bis diese in Kraft getreten war598. Auf einer Rundreise durch Europa sprach Dulles vom mög-

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5i» Vgl. Blankenhorn, Verständnis, S. 173 f. 6 " Die tatsächlich keine echte Runde der Außenminister-Stellvertreter war. Denn nur die Bundesrepublik (Hallstein) und Italien schickten veritable Staatssekretäre; die anderen ließen sich durch Botschafter und Sondergesandte vertreten.

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lehnte es ab, die parlamentsverantwortliche Exekutive durch exekutive Befugnisse des Ministerrates zu konterkarieren. Am weitesten gingen dabei Holland, Frankreich und in zweiter Linie Belgien. Sie forderten, daß der Ministerrat auch die Exekutive ernenne. Nach niederländischer Auffassung sollte der Exekutivrat sogar das Recht haben, Gesetze der Völkerkammer zu blockieren. Offenkundig erwarteten die Niederländer, daß ein europäischer Gesetzgeber andere Parameter setzte als die eigene auf niedrigen Löhnen und steigenden Exporten beruhende Wirtschaftspolitik. Gleichzeitig lehnten sie und die Luxemburger gegen alle anderen ab, den Exekutivrat als Dach über der Hohen Behörde und dem Kommissariat einzurichten. In der Konsequenz wäre also eine weitere europäische Exekutive mit rein wirtschaftspolitischer Funktion entstanden. Denn Holländer und Belgier erklärten wirtschaftliche Befugnisse zur Conditio sine qua non, was Deutsche, Italiener und Luxemburger in dieser Schärfe nicht taten. Dagegen verweigerte Frankreich kategorisch sämtliche wirtschaftliche Zuständigkeiten. Ungeachtet der Nähe ihrer wirtschaftspolitischen Vorstellungen lagen Belgier und Deutsche in der Frage eines Initiativrechtes der Versammlung auf wirtschaftspolitischem Gebiet auseinander. Die Belgier wünschten genau diesen Druck der Europaparlamentarier auf die Regierungen nicht. Die Franzosen wiederum hatten da keine Bedenken. Einig war sich Paris mit dem Benelux jedoch darin, die außenpolitischen Zuständigkeiten strikt auf den mit der Montanunion und der EVG vereinbarten Rahmen zu beschränken. Dagegen forderten Italien und die Bundesrepublik europapolitische Befugnisse und die allgemeine Koordinierung der Außenpolitik der Mitgliedsstaaten. Der Ministerrat sollte hier seine Hauptbetätigung finden. Eigentlich war dies die Aufgabe des Brüsseler Pakts, dem Bonn und Rom jedoch nicht angehörten. Frankreich und Belgien wollten die EPG für einen Beitritt der Überseegebiete offenhalten. Mit der Sezessionsklausel hoffte Belgien einer unumkehrbaren Entscheidung ausweichen zu können. Dagegen zielte das von den Niederlanden geforderte Expulsionsrecht-in Verbindung mit ihren wirtschaftlichen Forderungen vor allem gegen Paris. Die Verhandlungen über die wirtschaftlichen Zuständigkeiten standen unter dem Vorbehalt der französischen Verweigerung, waren aber gleichwohl zukunftsweisend. Die Niederlande und Belgien forderten eine Zollunion mit gemeinsamem Außenzoll, was Luxemburg nur unter der Bedingung mittrug, daß seine Landwirtschaft davon ausgenommen blieb. Die Bundesrepublik und Italien teilten diese Perspektive, betonten aber gegen den niederländischen Automatismus das schrittweise Vorgehen. Italien machte allerdings die Freizügigkeit der Arbeitskräfte wenigstens am Ende der Ubergangsperiode zur Voraussetzung, was neben Frankreich auch Luxemburg strikt ablehnte. Frankreich wollte den Gemeinsamen Markt allenfalls als regulative Idee akzeptieren. Aufgrund seiner Überseegebiete beanspruchte es maximale wirtschaftspolitische Handlungsfreiheit. Den Zoll- und Quotenabbau zog es nur unter zwei Bedingungen überhaupt in Erwägung. Erstens sollten Schutzklauseln ermöglichen, Zölle und Quoten kurzfristig teilweise oder vollständig wieder einzuführen. Zweitens sollten langfristige Kompensationsklauseln einzelnen Branchen die rasche Anpassung ersparen. Dem entsprach die Forderung

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nach begrenztem Kapitalverkehr und Investitionslenkung, die alle anderen mehr oder minder deutlich ablehnten. Am konsequentesten verweigerte sich Belgien sämtlichen Ausnahmeklauseln und überhaupt dem französischen Dirigismus. Niederländer und Deutsche wollten durch einen subsidiären Anpassungsfonds die vom Strukturwandel ausgelösten tiefgreifenden Verwerfungen abfedern. Den Italienern lag die Beschäftigung und Wiedereingliederung der Arbeitskräfte besonders am Herzen. Die Deutschen wollten mit dem Fonds vor allem die Modernisierung finanzieren. Ihre Forderung nach Koordinierung der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik unterschied sich der Grundintention nach vom französischen Dirigismus. Zwar strebten Marktwirtschaftler wie Dirigisten nach Überwindung des Bilateralismus. Die Marktwirtschaftler wollten allerdings einen europaweiten Wettbewerb freisetzen und den ordnungspolitischen Rahmen des Gemeinsamen Marktes schaffen, der unter dem Leitmotiv geld- und haushaltspolitischer Stabilität stand. Der Dirigismus war dagegen defensiver Natur. Wettbewerb und der durch ihn ausgelöste Strukturwandel durften nur stattfinden, soweit sie den gesellschaftlichen Status quo nicht in Frage stellten. Das Stabilitätsbedürfnis des dirigistischen Staates war in erster Linie sozialer und sicherheitspolitischer und erst in zweiter Linie finanzieller Natur. Hier nahmen Italien und die Niederlande eine Haltung zwischen der französischen Auffassung auf der einen und der deutsch-belgischen Position auf der anderen Seite ein. Das zeigt die italienische Forderung nach dem Vorrang der Konvertibilität innerhalb der Gemeinschaft gegenüber dem Ziel der Konvertibilität mit einer möglichst großen Zahl von Staaten. Sie entsprach dem zollpolitisch gestützten Monetarismus, in dem Italien das seinen Verhältnissen kongeniale wirtschaftspolitische Instrument erkannt hatte. Die Niederlande wollten die erwünschten größeren Exportchancen nur ungern durch höhere Grundstoffund vor allem höhere Lohnkosten gefährden, wenn sie gezwungen sein sollten, ihren exportorientierten Dirigismus aufzugeben 620 . Die Wirtschaftsabteilung des Quai d'Orsay resümierte das Ergebnis von Rom: Die Luxemburger würden alles akzeptieren, vorausgesetzt, es werde nicht auf sie angewendet. Tatsächlich taktierte der Kleinstaat auch im Benelux so, daß seine Partikularinteressen halbwegs gewahrt wurden. Der luxemburgische Wirtschaftsminister Rasquin stand dann auch eher im französischen als im Lager seiner Beneluxpartner. Er wollte den Weg in den Gemeinsamen Markt mit Garantien, Ausnahmen und der Ultima ratio der Suspendierung pflastern. Darüber sollten die Staaten mindestens während der ersten fünf Jahre einseitig entscheiden. Nicht nur 62o Vgl. PA, Β 2/8, Bl. 2 - 5 2 ; Bericht an die Außenminister, 9.10.1953; ebd., Β 2/9, Bl. 1 1 8 - 1 3 9 , 1 4 0 - 1 4 3 : Organe der EPG (Svnopse), 29.10.1953, Vermerk Müller, 20.11.1953; ebd., Β 10/891, Bl. 7 8 - 8 6 ; BA, Β 136/3956: Erster bis Dritter Bencht über den Stand der Konferenzarbeit, 2.10., 10.10. und 4.11.1953; BDFD, I, S. 2 7 3 - 2 7 8 : Runderlaß Hallstein, 21./22.10.1953; AAP, 1953, S. 8 1 7 - 8 2 1 : Vermerk HaUstein, 24.9.1953. Vgl. auch MAEF, DE-CE, Bd 584 passim; Fischer, Bundesrepublik, S. 293 f.; Griffiths and Milward, Beven Plan, S. 6 0 7 - 6 1 1 ; Kim, Fehlschlag, S. 2 8 5 - 2 9 1 ; Lappenküper, Beziehungen, S. 3 0 7 - 3 0 9 ; ' Magagnoli, Italien, S. 2 2 2 - 2 3 0 ; MüllerArmack, Weg, S. 7 0 - 7 4 ; Nies-Berchem, Pays, S. 3 8 4 - 3 9 0 ; Preda, Soglia, S. 3 8 8 - 3 9 2 ; Romero, Migration, S. 43 f.

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für die Landwirtschaft, sondern auch bei Löhnen, Soziallasten und beim Verkehr wollte er für sein Land Ausnahmeregelungen anstreben. Im übrigen sollte der Ministerrat die Exekutive der EPG möglichst lange an möglichst kurzer Leine führen621. Italien werde, so der Quai d'Orsay weiter, mit Ausnahme der Freizügigkeit der Arbeitskräfte im letzten Moment alle Verpflichtungen vermeiden wollen, die nicht nur allgemeiner Natur seien. Die Bundesrepublik werde die Wirtschaftsgemeinschaft am Ende nicht zur Bedingung machen. Dagegen wolle Belgien mit dieser Bedingung womöglich das gesamte Vorhaben scheitern lassen. Die kindische (»puerile«) Haltung der Niederlande werde sich in dem Maße ändern, wie Beyen klar werde, daß er andernfalls die Verantwortung für das Scheitern zu übernehmen habe 622 . Solange Den Haag sowohl die stabilitätsorientierte Harmonisierung als auch die Freizügigkeit der Arbeitskräfte ablehnte, war in der Tat ein gemeinsamer Nenner mit Bonn und Rom kaum denkbar. Folgerichtig sahen sich die Niederländer mit dem amerikanischen Wunsch nach einer verbindlicheren Haltung in der Zollfrage konfrontiert. Dagegen hegte die französische Diplomatie die berechtigte Hoffnung, daß die Bundesregierung in Fortsetzung des bereits vom Kanzler eingeschlagenen Kurses zugunsten des französischen Modells auf den Gemeinsamen Markt verzichtete. Ähnlich konnte die Neigung Zeelands gedeutet werden, sich zunächst auf die EVG zu konzentrieren und die institutionellen Vorstellungen der Ad-hocVersammlung durch das Junktim mit einem Gemeinsamen Markt auszubremsen. Daher hatte Landwirtschaftsminister Mansholt schon während der Konferenz in Rom eine flexiblere Haltung seiner Regierung angemahnt. Mit der Forderung, die Herstellung eines Gemeinsamen Marktes der künftigen EPG zu überlassen, biß er vor allem bei Ministerpräsident Drees auf Granit. Denn der lehnte dies als Einstieg in die gefürchtete »Kompetenzkompetenz« ab. Während Beyen im Oktober 1953 immerhin über eine 15- statt zehnjährige Übergangsfrist und über eine Teilung in vorab vereinbarte und von der EPG zu beschließenden Regelungen nachdachte, hatte Drees seine Vorbehalte gegen die Sechsergemeinschaft im allgemeinen und die EPG im besonderen nie überwunden. Im November 1953 propagierte Beyen als »Notlösung« einen Einbau der demokratischen Kontrolle in die EVG. Mit Hallstein wußte er sich einig, daß eine parlamentsverantwortliche europäische Exekutive mit eigenen Finanzquellen nur langfristig verwirklicht werden könne. Für den Augenblick hatte die EVG Priorität. Das Haager Kabinett neigte nun ebenfalls dazu, die EPG auf die EVG zu beschränken. Um das französische Veto gegen westdeutsche Truppen endlich zu überwinden, war man bereit, sowohl auf die Eingliederung der Montanunion wie auf einen Gemeinsamen Markt vorläufig zu verzichten. Für Drees blieb das Junktim mit dem Gemeinsamem Markt der Hebel, die EPG zu kippen. Im Gegensatz zu seinem Außenminister hoffte er, die Entspannung im Ost-West-Verhältnis werde die EVG vielleicht entbehrlich machen. Das provozierte die Kritik jüngerer sozialistischer Abgeordneter an der restriktiven Vgl. dazu Fully, Grand-Duche, S. 180-185; Snoy et d'Oppuers, Benelux, S. 83. f'22 Vgl. MAEF, DE-CE, Bd 579, Bl. 118-120 (Zitat Bl. 119): Vermerk, 21.10.1953. 621

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Europapolitik der Regierung, die den Ministerpräsidenten zu einer moderateren Haltung bewog 623 . Auch Zeeland hielt am Junktim fest624. In Paris warnte Auriol, daß er das unklare Schicksal der Union Frar^aise zum Anlaß nehmen werde, formell verfassungsrechtliche Bedenken gegen die EPG und den Gemeinsamen Markt geltend zu machen 625 . Dabei störte ihn vor allem die auch ihm als notwendig einleuchtende Koordination der Außenpolitik. Denn die wollte er weder der Sechsergemeinschaft noch der NATO überlassen. Fürchtete er in der einen das Übergewicht der Deutschen, so in der anderen das der Amerikaner. Ihm schwebte offenbar eine Art britisch-französischer Gleichschritt im Rahmen des Europarates vor. Freilich wähnte er vor allem in der Anglophobie Bidaults den Grund für die geringen Erfolgsaussichten solcher Überlegungen 626 . Die Standpunkte blieben nach Rom so disparat wie zuvor. Die Außenministerkonferenz der Sechs in Den Haag vom 26. bis 28. November 1953 war bestrebt, den Schein zu wahren. Immerhin stimmten die Niederlande jetzt der sofortigen Direktwahl zu, während Italien die Gewichtung der Sitze in der Versammlung weiter ablehnte. Dafür signalisierte es seine Bereitschaft, die Mitglieder der Exekutive durch die Regierungen bestimmen statt durch parlamentarische Gremien wählen zu lassen. Eine Studienkommission sollte die EPG weiterverhandeln 62 ". Der neue italienische Ministerpräsident und Außenminister Pella befaßte die Außenministerkonferenz mit einem Memorandum zum Triest-Problem 628 . Er unterstrich damit den Paradigmenwechsel der italienischen Europapolitik. Mit Italien ging der eigentliche Protagonist der politischen Integration allmählich von Bord des sinkenden Schiffes. Beim langjährigen Haushaltsminister Pella - »kein Europäer« 629 genoß die monetaristische Sanierungspolitik Vorrang. Schon de Gasperi hatte die Lösung der Triestfrage in der Hoffnung verzögert 630 , die forcierte Integrationspolitik werde auch dafür ein für Italien günstigeres Klima schaffen. Tatsächlich profitierte Jugoslawien vom wachsenden Wohlwollen der Amerikaner und Briten, die das Land durch eine Allianz mit den neuen NATO-Mitgliedern Türkei und Griechenland im Balkanpakt an die Allianz heranführten. Pella sah in der von Washington ersehnten Ratifizierung der EVG das probate Druckmittel; zumal er als Chef einer Minderheitsregierung auf die Unterstützung der Rechtsparteien angeVgl. MARF, DR-CE, Bd 579, Bl. 125-127, 185, 276 f.: Garnier an Min. Äff. Rtr., 31.10., 12.11. und 2.12.1953; PA, Β 10/898, Bl. 227-229: Dt. Botschaft Den Haag an Ausw. Amt, 28.12.1953; ebd., Β 2/860, Bl. 240-251: Vermerke Ophüls, 16. u. 26.11.1953, Mühlenfeld an Ausw. Amt, 2. u. 17.12.1953; Dumoulin, Paradoxes, S. 362; Griffiths, Beven Plan, S. 174 f.; Griffiths and Milward, Beven Plan, S. 611 f.; Harst, Pleven Plan, S. 156 f.; Kim, Fehlschlag, S. 292-297. «-1 Vgl. MARF, DR-CE, Bd 579, Bl. 215; Riviere an Min. Äff. Rtr., 19.11.1953. 25 Vgl. Auriol, Journal, VII, S. 449, 498-501 (6.10. und 6.11.1953). '•2' Vgl. Auriol, Journal, VII, S. 460-462, 471 f., 6 7 7 - 6 7 9 (7., 14.und 20.10.1953). Vgl. MARF, DR-CR, Bd 522, Bl. 191-223: Protokoll, 26.-28.11.1953; BDFD, I, S. 278 f.: Runderlaß Parodi, 1.12.1953; AAP, 1953, S. 973-976: Gespräch Beven/Hallstein, 16.11.1953; Fischer, Bundesrepublik, S. 295-297; Harryvan u.a., Attitudes, S. 345 f.; Kim, Fehlschlag, S. 297-299; Magagnoli, Italien, S. 231 f. Vgl. MARF, DR-CR, Bd 522, Bl. 228-235: Rxpose Pella. 62,> So der Leiter der ital. RVG-Delegation. Vgl. AAP, 1953, S. 944: Vermerk Speidel, 3.11.1953. 630 Vgl. dazu auch FRUS, 1952-1954, V, S. 692 f.: G 1 fford an State Dpt., 25.9.1952.

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wiesen war. Verteidigungsminister Taviani formulierte die Überzeugung der gesamten Regierung, wenn er im September 1953 glaubte, daß die Abgeordnetenkammer ohne eine Lösung in Triest die EVG nicht ratifizieren werde. Naturgemäß provozierte das den gleichen Unwillen bei Amerikanern und Briten wie seinerzeit der Versuch Sforzas, die Europapolitik zum Instrument der Revision des Friedensvertrages zu machen. Gleichwohl besaß Pella die Unterstützung Botschafter Quaronis und anderer Granden der italienischen Diplomatie. Die italienische Regierung unterstellte den Jugoslawen die Absicht, die von ihnen besetzte Zone von Triest zu annektieren und verlegte Streitkräfte an die Grenze. In einer einseitigen Erklärung kündigten die Vereinigten Staaten und Großbritannien daraufhin am 8. Oktober 1953 den Abzug ihrer Besatzungstruppen aus der Stadt Triest und die Übergabe an Italien an. Frankreich — als eine der Garantiemächte des Friedensvertrages mit Italien — war empört über das mit ihm nicht abgestimmte Vorgehen. Die Briten mochten sich freuen, daß sich das angelsächsische Sonderverhältnis einmal mehr bewährte. Für die NATO insgesamt war es eine schwere Schlappe. Sie blieb wieder völlig außen vor, obwohl ein Angriff jugoslawischer Truppen auf die in Triest einrückenden Italiener vermutlich den Bündnisfall ausgelöst hätte. Die Regierung in Rom — der die Franzosen nicht eingestanden hatten, daß auch sie düpiert worden waren — unterstellte Franzosen und Briten, sie wollten Italien schwach halten. Die Mehrheit des Kabinetts wollte sogar mit Konsequenzen für den Atlantikpakt drohen. Das lehnten Innenminister Fanfani als »nationalen Selbstmord« und später auch Taviani als verrückt (»follia«) ab631. Freilich galt das Vorgehen der Briten und Amerikaner auch in kanadischen Augen als Beleg dafür, daß die Allianz noch nicht zu der politischen Gemeinschaft geworden war, die sie wie die Italiener 1949 angestrebt hatten. Ohne sich über die französischen Möglichkeiten in Triest Illusionen zu machen, plädierte Quaroni jetzt für die Wiederannäherung an Frankreich und für dessen Unterstützung in der Saarfrage. Vermutlich kannte er das dem italienischen Anliegen verwandte Kalkül des Quai d'Orsay, daß die Amerikaner um der EVG willen die Deutschen zu Kompromissen an der Saar drängen könnten 632 . Die Verhandlungen Pellas mit Bidault blieben freilich wieder ohne greifbare Ergebnisse. Dafür kam der deutsch-italienische Gleichschritt weiter außer Tritt, nachdem Adenauer mit Blick auf Paris bereits zu Amtszeiten de Gasperis sein Engagement für die EPG zurückgefahren hatte. Folgerichtig war die Hoffnung von Botschafter Bruce wenig realistisch, Adenauer könne anstelle der Amerikaner die düpierte Regierung Pella zur Ratifizierung der EVG drängen 633 . Der italienische Versuch, mit der EVG in Triest zu pokern 634 , scheiterte. Ein weiteres Mal hatte Rom sowohl den amerikanischen Einfluß als auch die eigene europapolitische Bedeutung überschätzt. Vgl. ACS, PCM/VCM, 18.9., 27.10. und 6.11.1953 (Zitat). (.32 Vgl. dazu Lappenküper, Beziehungen, S. 415-426. 633 Vgl. AAP, 1953, S. 789, 821 f.: Gespräch Adenauer, Bruce, Conant, Hallstein, 9.9.1953, Vermerk Hallstein, 24.9.1953. « 4 Vgl. AAP, 1953, S. 856, S. 1002-1004, 1083: Kessel an Ausw. Amt, 3.10.1953, Brentano (Rom) an Ausw. Amt, 21.11.1953, Gespräch Adenauer/Eden, 13.12.1953. 631

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Nachdem sie faktisch das Hinterland von Triest den Jugoslawen hatte überlassen müssen, trat die Regierung Pella im Januar 1954 zurück. Die neue Regierung unter Scelba sah sich ähnlich wie die französische Regierung dem wachsenden Druck von Dulles ausgesetzt, die EVG endlich zu ratifizieren. Scelba versicherte Adenauer, daß man die Lösung des Triestproblems nicht zur Voraussetzung mache. Allerdings würde sie die Ratifizierung erheblich erleichtern. Dagegen warnte Unterrichtsminister Gaetano Martino vor dem fatalen Eindruck, daß die italienische Regierung ihre gesamte Europapolitik nur als Instrument zur Lösung des Triestproblems betrachte. In der Tat war die EVG »Italy's only carrot«, so die amerikanische Botschafterin Booth Luce in Rom. Denn Washington konnte die Apenninenhalbinsel angesichts ihrer politischen und vor allem geostrategischen Bedeutung nicht einfach links liegen und den Kommunisten überlassen 635 . Im April 1954 beschloß die italienische Regierung, den EVG-Vertrag dem Parlament vorzulegen. Wie in Frankreich versuchten Kommunisten und Sozialisten eine einheitliche Abwehrfront von links bis rechts aufzubauen. Die Regierung antwortete mit einer Propagandakampagne, bei der mit Hilfe der Europabewegung darin durchaus an de Gasperi anknüpfend — vor allem die europäische Einigung herausgestellt und der militärische Aspekt zurückgenommen wurde. Weder Außenminister Piccioni noch Scelba wollten das eigene Parlament zur Eile anhalten, solange die französische Nationalversammlung zögerte636. Obwohl mit der Entscheidung des belgischen Senats im März 1954 alle anderen EVG-Partner ratifiziert hatten, folgte Italien nicht. Denn im Mai 1954 kam es erneut zu heftigen italienisch-amerikanischen Spannungen in der Triestfrage. Booth Luce erging sich in düsteren Prognosen eines politischen Sieges der Sowjets im Kalten Krieg mit einem neutralistischen Westeuropa und einem sowjetfreundlichen Italien als Ergebnis. Erst Ende Juli 1954 leitete die italienische Regierung den Ratifizierungsprozeß ein. Als die Triestfrage im Oktober 1954 durch Teilung gelöst wurde, konnte das der EVG nicht mehr helfen. Immerhin belastete das Problem dann den italienischen Beitritt zur Westeuropäischen Union nicht mehr 637 . 7. Die Agonie der politischen Integration im Zeichen militärpolitischer Neuorientierung Unmittelbar nach der Haager Außenministerkonferenz fand Anfang Dezember 1953 auf den Bermudas der seit langem anvisierte westliche Dreiergipfel statt. Im 52 Vgl Eursdon, Community, S. 2 3 4 - 2 4 2 ; Magagnoli, Italien, S. 2 5 0 - 2 6 2 ; Maier, Internationale Auseinandersetzungen, S. 1 6 3 - 1 7 1 , 1 7 7 - 1 8 1 ; ders., Auseinandersetzungen, Unterbündnis, S. 451 f.; Milward, European Communities, S. 1 1 2 - 1 1 6 ; Neuss, Geburtshelfer, S. 2 2 7 - 2 3 3 ; Soutou, Frankreich, S. 2 2 5 - 2 3 0 ; Wampler, Goals, S. 354 f. Vgl. D C E R , X V I I I , S. 7 2 2 - 7 2 9 , 7 3 9 - 7 4 1 , 7 6 0 - 7 6 2 : NATO-Botschaft an Pearson, 25. und 26.6.1952, Pearson an NATO-Botschaft, 27.6.1952, Plumptre an Pearson, 7.8.1952, Wilgress an Hochkomm. London, 11.8.1952, Heenev an Pearson, 17.11.1952.

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III. Die französische Initiative

den finanziellen Lasten der Großen zu beteiligen 654 . Im Vorfeld der DreierKonferenz auf den Bermudas hatten Türken, Belgier und Italiener erneut politische Konsultationen gefordert. Die Italiener wollten der möglichen Viermächtekonferenz gar ein Außenministertreffen des Bündnisses unter Einschluß der Deutschen vorschalten. Wieder zeitigte die kanadische Diplomatie bemerkenswerte Einsichten in die strukturellen Grenzen des intergouvernementalen Bündnisses. Das Forum des Adantikrates sei zu groß, so der kanadische NATO-Botschafter, als daß die Großmächte hier in offener Debatte eine gemeinsame Position zu politischen Grundfragen finden könnten. Vielmehr müßten diese ihre für das Bündnis konstitutive Übereinstimmung in bilateralen Konsultationen vorklären. Die politische Konsultation in der NATO stehe demnach nicht am Anfang, sondern am Ende des diplomatischen Prozesses. Der eigenen Regierung empfahl er, durch bilaterale Konsultationen im Rahmen des Sonderverhältnisses zu London und Washington Einfluß auszuüben. Die kleineren Allianzpartner sollten »refrain from needlessly rocking the boat«. Vielleicht ließen sich Griechen, Türken, Italiener, Norweger und Dänen ja ebenfalls im Wege bilateraler Konsultationen einbinden. Für echte Entscheidungen, so sein Resümee, bedürfe es eines supranationalen Nordadantikrates655. Paris war angesichts der politischen Priorität, die es der nordatlantischen Allianz und seinen Überseeterritorien einräumte, nicht mehr weit von der Haltung Londons entfernt. Eine EVG/EPG nach französischem Modell hatte — wie zuvor schon Finebel und die Montanunion — den Charakter eines Instrumentes, die Kontinentalstaaten um die Führungsmacht zu gruppieren, um nicht zuletzt deren Gewicht in der Allianz zu erhöhen. Die Briten hatten sich für eine eigenständige Großmachtrolle im Rahmen der NATO entschieden. Vor die Alternative gestellt, dem britischen Beispiel zu folgen oder eine kontinentale Gemeinschaft aufzubauen, entschied sich die französische Diplomatie unter Bidault zu einem entschlossenen »Sowohl-als-auch« 656 . Es war mithin nur konsequent, die politische Integration auf die EVG zu beschränken. Der Wettbewerb in einem Gemeinsamen Markt hätte angesichts der Unfähigkeit der französischen Republik zu wirtschaftlichen und sozialen Reformen deren politischen Führungsanspruch wirtschaftlich konterkariert. In der Tat war Paris nicht gewillt, so Adenauer im Januar 1954, die Bundesrepublik als gleichberechtigten Partner in sein Verhältnis zu den Vereinigten Staaten und Großbritannien einzubeziehen. Das französische Schwanken barg jedoch die Gefahr, daß die wachsende Verärgerung bei den amerikanischen Volksvertretern mit wachsendem Störfeuer aus Moskau einherging 657 . Unter dem Eindruck, daß den Deutschen ihre wirtschaftlichen Erfolge schon wieder zu Kopf stiegen und man sich mithin beeilen müsse, dachte die britische Regierung darüber nach, «4 Vgl. DCER, XIX, S. 690, 698 f.: Memo Davis, 4.2.1953, Memo Ritchie, 10.2.1953. « 5 Vgl. DCER, XIX, S. 715 f., 7 1 9 - 7 2 1 (Zitat S. 720), 725 f., 730-732: Heeney an Wrong, 10.6.1953, Heeney an Pearson, 23.6.1953, NATO-Botschaft an Pearson, 8. und 17.7.1953, Pearson an NATO-Botschaft, 23.7.1953. 656 Vgl. Schmidt, Strukturwandel, S. 306; Soutou, France, S. 45 f. Vgl. KPBR, VII, 1954, S. 23 f. (12.1.1954).

III. Die französische Initiative

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den Franzosen die Ratifizierung dadurch schmackhaft zu machen, daß man eine der vier Panzerdivisionen der Rheinarmee dem Kommando der EVG unterstellte658. Derweil erwogen in Bonn Adenauer und sogar der Marshallplanminister Blücher, den Franzosen irgendwie wirtschaftlich unter die Arme zu greifen 659 . Die Haager Außenministerkonferenz der Sechs hatte eine Studienkommission eingesetzt. Hier zeigten sich Deutsche und Holländer kaum geneigt, ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen abzuschreiben. Die Deutschen verteidigten den Gemeinsamen Markt als Voraussetzung größerer europäischer Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt, kamen aber der französischen Haltung insofern entgegen, als der Zollabbau die Verhältnisse in den einzelnen Branchen berücksichtigen sollte. Ferner sollte die Herstellung des Gemeinsamen Marktes überhaupt erst nach einer Ubergangsfrist von drei Jahren anlaufen. Dennoch gab Frankreich am Ende seinen Generalvorbehalt gegen den Gemeinsamen Markt nicht auf. Die holländischen Delegierten wollten sich zwar auf einen flexibleren Ubergangsprozeß einlassen, wurden aber von Beyen auf Linie gehalten. Nach wie vor lehnte der den Vorschlag Mansholts ab, die künftige Gemeinschaft statt mit handelspolitischen Vorgaben mit Vollmachten zur Herstellung eines Gemeinsamen Marktes auszustatten. Dieser sollte keinesfalls zwangsläufig in die politische Vereinigung der Mitgliedsstaaten münden. Darin war Holland sich mit den Beneluxpartnern gegen die Bundesrepublik und Italien einig. Für Frankreich war der Gemeinsame Markt überhaupt nur unter der Voraussetzung einer »gewissen Wirtschaftslenkung (planification)« vorstellbar, was wiederum auf scharfen Protest Belgiens stieß660. Für die künftigen Überlegungen zum Gemeinsamen Markt steckten diese Verhandlungen den Problemhorizont ab. Für den Augenblick war das Bonner Wirtschaftsministerium überzeugt, daß alles letztlich an Frankreich scheitern werde 661 . Im März 1954 entschieden Frankreich und die Niederlande, zunächst die Ratifizierung der EVG abwarten. Erst danach sollte an der EPG weitergearbeitet werden 662 . Mit Rückendeckung des Bundeskanzlers wie des Landwirtschaftsministers und zum Leidwesen der deutschen OEEC-Freunde kam das Auswärtige Amt dem französischen Agrarprotektionismus entgegen663. Auf der Konferenz der Agrarminister vom 6. bis 10. Juli 1954 stand erneut eine europäische Agrarorganisation sowie die Frage von Präferenzzöllen im europäischen Agrarhandel zur Debatte. Paris wollte Präferenzzölle mit einer eigenen Agrargemeinschaft verknüpfen. Dagegen befürworteten die Briten die OEEC und die Meistbegünstigung. Während '58 Vgl. PRO, CAB 128/27, 10 u n d l 7 (54), 22.2. und 10.3.1954, und dazu Milward, United Kingdom, S. 1 1 8 - 1 2 3 ; Ruane, Reappraisals, S. 161. 6='J Vgl. AAP, 1953, S. 1074: Gespräch Adenauer/Dulles, 13.12.1953; KPBR, VII, 1954, S. 62 (17.2.1954). «>" Vgl. MAEF, DE-CH, Bd 521, Bl. 3 0 2 - 4 9 0 (Zitat Bl. 368); Asbeck Brusse, Tariffs, S. 1 5 4 - 1 5 7 ; Griffiths, Beven Plan, S. 175 f.; Griffiths and Milward, Beven Plan, S. 6 1 3 - 6 1 7 ; Kim, Fehlschlag, S. 3 0 0 - 3 0 3 ; Preda, Soglia, S. 4 0 8 - 4 2 1 . Vgl. BA, Β 102/11416, Vermerk, 15.3.1954. 662 Vgl. BDFD, I, S. 284: Runderlaß Hallstein, 27.3.1954; Magagnoli, Italien, S. 231 - 2 3 6 . f ' « Vgl. AAP, 1953, S. 1 1 1 9 - 1 1 2 3 , 1138-1140: Hermes an Adenauer, 19.12.1953, Vermerk Ophüls, 23.12.1953.

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die belgische Landwirtschaft jetzt die Liberalisierung im Rahmen der OEEC ohne gleichzeitige Harmonisierung ablehnte, war die Haager Regierung zur Übertragung der europäischen Landwirtschaftspolitik auf die OEEC bereit. Mansholt hoffte, in diesem Rahmen doch noch eine supranationale Agrargemeinschaft anzuschieben. Die wirtschaftliche Integration im Rahmen der OEEC galt den Italienern mittlerweile als »Leitgedanke (principio informatore)«. Allerdings wollten sie diese mit Präferenzzöllen verknüpfen, was wiederum alle anderen ablehnten. Am Ende schwenkten selbst Franzosen und Deutsche wieder auf die OEEC ein, in der ein Ministerausschuß für Landwirtschaft eingerichtet werden sollte. Im übrigen billigte man zweiseitige Verträge, die in Grenzen ja ebenfalls Präferenzzölle zuließen. Mehr denn je befürworteten auch die Amerikaner eine OEEC-Lösung. Damit war die vertikale Integration der Landwirtschaft vorläufig gescheitert. Der Druck der nationalen Bauernverbände war zu groß. Das Kalkül, die französischen Bauern könnten, wie beim Schumanplan, jetzt der EVG über die parlamentarischen Hürden helfen, ging nicht auf. Die Briten mag dieses Ergebnis in der vermeintlichen Gewißheit bestätigt haben, daß die Kontinentalstaaten auf absehbare Zeit keine Wirtschaftsgemeinschaft auf die Beine brächten 664 . Im April 1954 eröffnete der Unterstaatssekretär des State Department, Walter Bedell Smith, dem deutschen Gesandten, daß die Vereinigten Staaten nunmehr ihre konventionelle Rüstung zurückführen und statt dessen die Nuklearisierung voranzubringen gedächten. Denn zum einen schloß er eine aktuelle Aggressionsbereitschaft der Sowjets aus. Zum anderen hielt er die Europäer inzwischen für wirtschaftlich und militärisch hinreichend stabil665. Bestärkt von Bruce als amerikanischer Beobachter im Pariser Interimsausschuß 666 , drohte Dulles im Nordadantikrat im Dezember 1953 für den Fall des Scheitems der EVG mit dem Rückzug der USA auf die europäische Peripherie 667 . Er wiederholte damit nur seine Warnung vom Jahresbeginn. Vor dem Hintergrund der Blockade in Frankreich und Italien mag sie gleichwohl als »Schocktherapie« 668 gewirkt haben. Sie läutete freilich nicht die Heilung, sondern das finale Stadium der EVG ein. Das alternativlose Beharren des Außenministers auf der EVG war selbst in der eigenen Diplomatie nicht unumstritten. Es war jedoch durch ein Strategiepapier des Nationalen Sicherheitsrates vom August 1953 gedeckt 669 . In Frankreich nährte Dulles den Verdacht, die Vereinigten Staaten wollten hinter dem Schutzschild einer wachsenden EVGStreitmacht ihr militärisches Engagement in Europa kostengünstig minimieren. Vgl. DDI·, 1956,1, S. 1 5 5 - 1 5 7 : Couve de Murville an Pineau, 4.2.1956. » 4 PRO, CAB 128/30, CM 10(56), 9.2.1956. 115 Vgl. Ellison, Europe, S. 3 8 - 4 0 ; Kaiser, Großbritannien, S. 187; Young, Parting, S. 2 1 7 f. · " Spaak, Memoiren, S. 308. Vgl. auch DDI·', 1955,1, S. 166: Riviere an Pineau, 6.2.1956. 111

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warf man den Deutschen angesichts der Kritik der Industrie an der Montanunion und der geplanten Atomgemeinschaft vor, daß ihnen die Europapolitik desto mehr zur Last wurde, je mehr sie ihr früheres Wirtschaftspotential und ihren »Rang als Großmacht« wiedergewönnen 117 . Tatsächlich plädierte Strauß für eine Juniorpartnerschaft mit den Vereinigten Staaten. Die Deutschen sollten sich dafür durch den Aufbau eines militärischen und nuklearen Potentials qualifizieren. Mit der »SechserIntegration« komme man ohnehin nicht weiter. Erhard kritisierte, daß die Amerikaner »das ganze Heil von der europäischen Integration erwarten«, die doch an der »Schlappheit« der anderen scheitere. Adenauer legte ihm nahe, über Integration am besten zu schweigen 118 . Wenige Tage später machte der Bundeskanzler von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch. Nur ein integriertes Europa könne bei den Verhandlungen der Weltmächte über die Sicherheit in Europa und die Wiedervereinigung Deutschlands sein Gewicht in die Waagschale werfen. Erst wenn die Sowjets jede Hoffnung verlören, in einem Westeuropa disparater Nationalstaaten Boden gutzumachen, könne man mit ernsthaften Zugeständnissen rechnen. Schließlich sei ein dauerhafter deutsch-französischer Ausgleich nur auf dem Wege der Integration zu erwarten. In der Konsequenz müsse die vertikale und horizontale Integration gleichermaßen fortgesetzt werden. Da die OEEC unzureichend sei, sollte die »feste Bindung der Sechs« durch »gemeinsame Institutionen« angestrebt werden. Jetzt hieß es unmißverständlich: »In den Dienst dieser politischen Zielsetzung müssen alle fachlichen Erwägungen treten119.« Dabei war selbst die deutsche Schwerindustrie keineswegs so integrationsfeindlich, wie französische Beobachter glauben machten. Die Wirtschaftsvereinigung der Eisen- und Stahlindustrie mahnte vor allem, die Diskriminierung der deutschen Unternehmen aus militärischen oder sonstigen politischen Erwägungen zu vermeiden. Die Wirtschaftsvereinigung Bergbau hoffte gar, die Defizite der Montanunion durch eine horizontale Integration zu überwinden. Stabile Wechselkurse, eine europäisch koordinierte Wirtschaftspolitik und beschränkte Schutzklauseln sollten eine echte Standortkonkurrenz freisetzen. Zur europäischen Zusammenarbeit um ihrer selbst willen hatten sich freilich nur wenige deutsche Unternehmer bekehrt 120 . Adenauer hatte die Auffassung von Hallstein und Ophüls gegen die der Mehrheit seiner Fachminister aufgewertet. Er hatte auch gegen London votiert, ohne sicher zu sein, daß ihm am Ende der französische Partner nicht erneut abhanden kam. Durch ein »Machtwort« 121 entschieden war der innerdeutsche Dissens damit i' 7 Vgl.'Joxe an Pineau, 15.2.1956; zit. nach Bührer, Frankreich, S. 243; DDF, 1956, I, S. 4 7 8 - 4 8 0 : de Margerie an Pineau, 23.3.1956. »8 Vgl. KPBR, IX, 1956, S. 8 7 - 9 7 (Zitate S. 87, 92, 97) (11.1.1956). Vgl. BDFD, I, S. 5 9 6 - 5 9 8 : Adenauer an die Bundesminister, 19.1.1956. 120 Vgl PA, Ref. 210/4: Wirtschaftsvereinigung Bergbau an Brentano, 18.2.1956, Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie, Februar 1956; Bührer, Frankreich, S. 234 f.; ders., German Industry, S. 9 2 - 9 5 , 1 0 4 - 1 0 6 . 121 Bührer, Westdeutschland, S. 359. Vgl. auch Lappenküper - Beziehungen, S. 1004 - , der diese Einschätzung auf S. 1029 wieder stark einschränkt.

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keineswegs, wie die Kabinettsdebatte im Vorfeld der Außenministerkonferenz der Sechs in Brüssel zeigte. Strauß forderte, sich hinsichtlich der jetzt von Frankreich forcierten Nukleargemeinschaft zu entziehen. Unisono mit Erhard und der deutschen Industrie schlug er ein Junktim zwischen dieser und dem Gemeinsamen Markt vor. Im Gegensatz zu Außenminister Brentano und dessen Staatssekretär Hallstein teilte Adenauer jetzt die Bedenken seiner Fachminister gegen ein Brennstoffmonopol und die Genehmigungspflicht für neue Anlagen; witterte man hier doch offenbar wieder diskriminierende Kontrolle. Am Ende Schloß sich das Kabinett der Auffassung des Ministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit Blücher an, vorläufig die Atompläne der OEEC und der Sechsergemeinschaft gleichermaßen mitzutragen. Dagegen hatte Hallstein die Atompläne der OEEC als britisches Störfeuer empfunden 122 . Drei Wochen später erklärte er, daß die deutsche Mitarbeit an den Nuklearplänen der OEEC keine Alternative zu den Brüsseler Plänen darstelle, vielmehr vollständig mit diesen kompatibel sei123. Tatsächlich war es dem Kabinett nicht nur gelungen, die OEEC als Option offenzuhalten und die Richtlinienweisung zu entschärfen 124 . Vielmehr barg das Junktim zwischen vertikaler und horizontaler Integration die Aussicht, den Supranationalismus womöglich überhaupt zu umgehen 125 . Unterdessen hatte in Frankreich nicht der als Europagegner verschrieene Mendes France, sondern mit dem Sozialisten Mollet ein erfahrener Europapolitiker die Regierungsgeschäfte übernommen. Er hatte einst die Europapolitik Schumans abgelehnt. Tatsächlich war die EVG auch an der Spaltung der SFIO gescheitert, die europapolitisch eher indifferent war. Mitderweile hatte hier der Gedanke Platz gegriffen, daß man den Europagedanken nicht den Christdemokraten überlassen sollte. Ein ähnlicher Wandel hatte sich bei den deutschen Genossen vollzogen. Wie die SPD war die SFIO dem von Monnet ins lieben gerufenen »Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa« beigetreten. Die Leitung der französischen Außenpolitik übernahmen mit Pineau, dem Staatssekretär Maurice Faure und Marjolin als Mitglied im Kabinett des Außenministers drei »Europäer«. Die Auswirkungen selbst einer begrenzten Öffnung der französischen Volkswirtschaft auf die wichtigste sozialistische Wählerklientel der gewerblichen Arbeitnehmer erschienen schwer kalkulierbar. Selbst Monnet teilte den weitverbreiteten Widerwillen der französischen Öffentlichkeit gegen den Abbau des Protektionismus und setzte weiterhin auf vertikale Integration. Unter diesen Auspizien habe er, so behauptet Pineau im Rückblick, schweren Herzens die horizontale Wirtschaftsintegration zurückgestellt. Er habe jedoch mit Mollet und Staatspräsident Rene Coty abgesprochen, wie die Vorgängerregierung die Atomgemeinschaft zu favorisieren, um am Ende der Wirtschaftsgemeinschaft die Bahn zu brechen. Freilich scheint es außer Vgl. KPBR, IX, 1956, S. 1 8 7 - 1 9 1 (10.2.1956). 'Μ Vgl. PA, Β 2/30, Bl. 1 8 2 - 1 8 5 : Presseinformationsgespräch, 1.3.1956. 124 Vgl. dagegen Kckert, Kernenergie, S. 3 2 3 - 3 2 5 . 125 Vgl. Bührer and Schröder, Revival, S. 193 f.; Küsters, Gründung, S. 2 2 2 - 2 2 6 ; ders., Origins, S. 221 f.; Weilemann, Haltung, S. 539 f.

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den wiederholten Äußerungen von Pineau selbst keine anderen Hinweise zu geben, daß die Atomgemeinschaft letztlich als Nebelvorhang (»ecran de fumee«) gedient habe, hinter dem die Regierung Mollet von Anfang an die horizontale Integration betrieb126. Der frühere Außenminister mag in der Retrospektive zum taktischen Coup aufgebauscht haben, was in der Konsequenz der Gedanken lag, die eine jüngere Generation von Politikern und Beamten anstellte, die über die französischen Grenzen hinweg zu blicken pflegte. Immer noch triumphierte der »Colbertisme« 127 über das Hauptanliegen des Monnetplanes, die französische Volkswirtschaft fit zu machen für den internationalen Wettbewerb. Schon im Vorjahr hatte sich eine Regierungskommission über die Ursachen des hohen französischen Preisniveaus Gedanken gemacht. Die Löhne lagen in Frankreich höher als in Westdeutschland, Italien und den Niederlanden, aber unter denen in Großbritannien, Belgien und der Schweiz. Allerdings waren die Lohnnebenkosten die höchsten in ganz Westeuropa und die 40-Stunden-Woche eingeführt. Im Gegensatz zu Landwirtschaft und Dienstleistung war die Industrie hoch besteuert, obwohl die Steuerlast gemessen am Bruttosozialprodukt in Frankreich eher niedriger war als in der Bundesrepublik und Großbritannien. Im Ergebnis wurde eine durchgreifende Steuerreform mit Verlagerung von den indirekten zu den direkten Steuern vorgeschlagen. Ferner sollten die europäischen Staaten zu annähernd gleichen Arbeitszeiten und gleichen Löhnen für Frauen und Männer verpflichtet werden. Nur dann könne man die Handelsliberalisierung fortsetzen 128 . Die Harmonisierung von Lohn- und Lohnnebenkosten wurde eine französische Kardinalforderung an die europäischen Handelspartner. Die Steuerreform unterblieb dagegen. Marjolin hatte im Sommer 1955 in einer Artikelserie die Wirtschaftsmentalität der Franzosen für die wachsende Isolierung des Landes verantwortlich gemacht. Jeder erwarte vom Staat, er möge ihm bis ans Ende seiner Tage die Ausübung des einmal gewählten Berufes oder Gewerbes garantieren. Jeder Wirtschaftszweig wolle durch den Staat in seiner gegenwärtigen volkswirtschaftlichen Bedeutung gegen jegliche Veränderung von Nachfrage und Rentabilität erhalten und geschützt werden. Die Industrie erhebe den Anspruch, nicht nur im Mutterland, sondern auch in den Uberseeterritorien ihre Produkte sicher und zu überhöhten Preisen abzusetzen. Aller zwischenzeitlichen Erholung zum Trotz finanziere Frankreich mit einer tendenziell inflationären Haushalts- und Geldpolitik eine kontrollierte, subventionierte und nach außen abgeschüttete Wirtschaft sowie großzügige soziale Kompensationen einer ungerechten Verteilung staatlicher Lasten. Diese mentale und wirtschaftliche Stagnation wollte Marjolin nach erfolgter Abwertung des Franc durch die stufenweise Wiedereingliederung der französischen Volkswirtschaft in die europäische und die Weltwirtschaft überwinden, um an deVgl. Groeben, Deutschland, S. 289; Guillen, France, S. 516-518; ders., Europe, S. 506 f.; Küsters, Gründung, S. 218-222; Lappenküper, Beziehungen, S. 887-890; Loth, EuropaKonzeprionen, S. 597 f.; Marjolin, Travail, S. 281; Pineau et Rimbaud, Pari, S. 185-197 (Zitat S. 196); Pineau, Diskussionsbeitrag, in: Rilancio, S. 282 f.; HAEG, INT 8, S. 1 - 7 . 127 HAEG, INT 601, S. 9. 128 Vgl. Lynch, France, S. 138-140. 126

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ren Wachstum mit einer 4 bis 5 %igen Steigerung des französischen Volkseinkommens teilzunehmen. Freilich bestärke - ganz wie Erhard moniert hatte — die anhaltend hohe Dollarhilfe Washingtons die Pariser Regierung in ihrer Abneigung gegen eine Francabwertung. In den Augen Marjolins war nicht der von der französischen Öffentlichkeit abgelehnte Supranationalismus ausschlaggebend. Viel wichtiger erschien ihm ein Integrationsszenario, bei dem die europäischen Staaten sich zum einen auf Ziele und die Vorgabe von Zwischenzielen und zum anderen auf Konsultationsmechanismen und Maßnahmen einigten, um Krisen aufzufangen 129 . Die Frage war wieder einmal, wie den Bürgern, den Interessengruppen und ihren Gewährsleuten in der Nationalversammlung die Taube auf dem Dach schmackhafter zu machen war als der zusehends mickrige Spatz in der Hand. Jedenfalls stieg wie in einer kommunizierenden Röhre mit dem französischen Interesse an der Atomgemeinschaft die Aussicht, auch den Gemeinsamen Markt durchzubringen. In diesem Sinne empfahlen Etzel in Brüssel, der Europaexperte des Wirtschaftsministeriums Groeben in Bonn, aber auch der Palazzo Chigi in Rom, am Gleichschritt festzuhalten. Darauf einigten sich die Partner dann auf der Brüsseler Konferenz. Im übrigen sollte die Mitarbeit an den Nuklearplänen der O E E C parallel weiterlaufen. Ein erneuter Vorstoß, Brentano für die Entkoppelung zu gewinnen, scheiterte. Gleichwohl hoffte der Quai d'Orsay, mit Hilfe aus Rom die Haltung des Benelux und der Deutschen noch etwas aufzuweichen. Martino bestand jedoch ebenfalls auf dem Gleichschritt von Nuklear- und Wirtschaftsgemeinschaft mit dem Ziel der politischen Integration. Das hinderte Italien nicht, sich ebenfalls bei den Amerikanern um bilaterale Zusammenarbeit zu bemühen. In Paris sah man allmählich ein, daß die Hinhaltetaktik zum Ende kam und bald die zuständigen Stellen und Interessengruppen mit dem Gemeinsamen Markt zu befassen waren 130 . Der am 21. April 1956 verabschiedete Bericht des Spaakausschusses 1 3 1 bestätigte, daß sich die Waagschale zugunsten der horizontalen Integration gesenkt hatte. Die »Euratom« hatte hier eher additiven Charakter. Das verbindende Element beider Vorschläge bestand in der Hoffnung, die relativ standortneutrale Kernenergie werde die Entwicklung strukturschwacher Regionen fördern. Vor allem Frankreich fürchtete, ein Gemeinsamer Markt komme am Ende nur den Industriestandorten an Rhein und Ruhr zugute. Schließlich hatte die Kommission akzeptiert, daß die Harmonisierung der Volkswirtschaften mit ihren spezifischen Kostenvor- und nachfeilen einschließlich steuerlicher und sozialer Lasten vorwiegend marktwirtschaftlich, das heißt über den gemeinschaftsweiten Wettbewerb erfolgen sollte. Die 129

»i

Vgl. Marjolin, Travail, S. 2 5 0 - 2 5 4 ; dazu Kaplan and Schleiminger, Pavments Union, S. 2 6 7 f., 270. Vgl. D D I · , 1956,1, S. 1 5 7 - 1 5 9 , 1 6 5 - 1 6 7 , 2 0 7 - 2 1 0 , 272 f., 5 2 6 - 5 2 8 : F o u q u e s - D u p a r c an Pineau, 4.2.1956, Riviere an Pineau, 6.2.1956, Vermerke, 15. und 23.2.1956, Vermerk der Wirtschaftsabteilung, 6.4.1956; F R U S , 1 9 5 5 - 1 9 5 7 , IV, S. 4 1 7 - 4 1 9 : Gespräch Dulles, Martino, 1.3.1956; M A F F , D K - C H , B d 268, Bl. 355 f.: G e s p r ä c h Pineau/Brentano, 20./21.2.1956; Lappenküper, Beziehungen, S. 1 0 0 7 - 1 0 0 9 ; Weilemann, Haltung, S. 541 f. Vgl. A F , S. 2 7 7 - 3 3 4 .

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Binnenzölle sollten in einem Übergangszeitraum von mindestens zehn und höchstens 15 Jahren abgebaut werden. Dies allerdings nicht linear, wie von den Niederländern angestrebt, sondern selektiv unter Berücksichtigung besonders empfindlicher Branchen. Eine Freihandelszone wurde abgelehnt. Die GATT-Verpflichtung zur Meistbegünstigung und praktische Gründe der Zollumgehung sprachen angeblich dagegen. Der gemeinsame Außenzolltarif lief — ebenfalls zu Lasten der Niederländer — auf ein arithmetisches Mittel der bestehenden nationalen Tarife hinaus. Schutz- und Ausnahmeregelungen waren sowohl bei den Binnen- wie bei den Außenzöllen nur mit Zustimmung der europäischen Wirtschaftsbehörde möglich. Damit sollten künstliche Kostenvorteile durch einseitige Abwertungen vermieden werden. Denn bei der Währungspolitik reichten die Empfehlungen kaum über das Postulat der Abstimmung und gegenseitigen Unterstützung hinaus. Insbesondere die Niederländer zogen die Suspendierung des Zollabbaus durch die europäische Wirtschaftsbehörde den Alternativen wirtschaftspolitische Lenkung und Transferzahlungen vor. Dagegen sollte der Übergang von der einen zur nächsten Etappe des Zollabbaues verbindlich geregelt werden und nicht zur Disposition der europäischen Wirtschaftsbehörde stehen. Marktwirtschaftskonform waren der Bankencharakter des Investitionsfonds zur Entwicklung der Infrastruktur und Energieerzeugung sowie die subsidiären und zeitlich befristeten Hilfen des Adaptionsfonds. Italienische Hoffnungen, über diese Fonds europäische und vor allem deutsche Ressourcen für Süditalien zu mobilisieren, hatten damit einen Dämpfer erhalten. Immerhin sollten beide in Verbindung mit der gemeinschaftsweiten Strukturpolitik auch das Problem der Freizügigkeit der Arbeitskräfte entspannen. Ähnlich war Euratom gedacht. Sie sollte Nuklearforschung eher initiieren und koordinieren als selbst durchführen, gemeinsame Betriebe eher anregen als selbst betreiben. Sie sollte Investitionen fördern, aber keinesfalls lenken. Ein Vorkaufsrecht für Rohstoffe hatte die gleichberechtigte Versorgung zu gleichen Preisen sicherzustellen. Deutlich relativiert wurde das gemäßigt marktwirtschaftliche Konzept durch die Empfehlung, angesichts ihrer überragenden wirtschaftlichen und politischen Bedeutung auch die Landwirtschaft zu integrieren. Die europäische Exekutive hatte eine gemeinsame Agrarpolitik zu entwickeln. Sie sollte neben der gesicherten Versorgung vor allem stabile Märkte und ein angemessenes Einkommensniveau der durchschnittlich produktiven bäuerlichen Familienbetriebe gewährleisten. Die »Kommissionen« der Wirtschaftsgemeinschaft und der Euratom — offenbar scheute man die Assoziation mit der Hohen Behörde mehr als die mit der verblichenen E V G — beschlossen nach den Vorstellungen des Spaakausschusses mit einfacher Mehrheit. Allerdings waren sie ziemlich eng an den Ministerrat angebunden, der seinerseits nur in Ausnahmefällen mit qualifizierter Mehrheit, in der Regel aber einstimmig entschied. Die Kommission der Wirtschaftsgemeinschaft wachte über die Einhaltung der Verträge und besaß ein Initiativrecht, war aber im Grunde wie ihre nukleare Schwester ein Gemeinschaftsorgan der im Ministerrat kommunizierenden Regierungen. Ihre parlamentarische Kontrolle war entsprechend schwach. Die Gemeinsame Versammlung konnte die Kommission zum Rücktritt zwingen und die Haushaltsvorschläge der europäischen Exekutive als Ganze ab-

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lehnen. Der Zwang zur pauschalen Ablehnung setzte dem Einfluß der Gemeinsamen Versammlung auf die Politik des Ministerrates eine hohe Hürde; die denkbare Opposition hätte nur die Kommission, nie den Ministerrat selbst getroffen 132 . Institutionell knüpfte der Ausschuß zwar am institutionellen Tableau der Montanunion an. Gemessen an den tatsächlichen Befugnissen stand die Kommission jedoch zwischen der Hohen Behörde und den Sekretariaten von O E E C und Europarat. Sie war eher technokratische Veranstaltung133 als »wahrhaft supranationale Wirtschaftsregierung«134. Von einer föderalen Komponente 135 konnte allenfalls sprechen, wer die Entwicklungsmöglichkeiten der Gemeinsamen Versammlung sehr optimistisch beurteilte. Tatsächlich hatte Spaak die heiklen institutionellen Fragen umschifft, indem er den Supranationalismus zur »ultima ratio«136 machte. Freilich verschob er damit das Problem eher, als daß er es löste. Während die italienischen Regierungsparteien den Bericht eher lauwarm aufnahmen, reagierte der Benelux, kaum überraschend, positiv; ähnlich die deutsche Diplomatie. Vielleicht wirkte das Projekt ja als Antidotum gegen den Schwächezustand in Großbritannien und Frankreich und die durch ihre Verstrickung in die Konflikte auf Zypern und in Algerien geförderte Desintegration der NATO. Aufgrund der »Uneinigkeit der drei westlichen Großmächte«, so Blankenhorn, fielen konzeptionelle Überlegungen des Bündnisses, wie den neuen Herausforderungen der Sowjets zu begegnen sei, weitgehend aus. Dulles habe zwar zu den von Italien, Kanada und anderen geforderten Konsultationen viel angekündigt. Aber gerade Zypern und Nordafrika dürften nicht zu deren Gegenstand gemacht werden. Martino beklagte gegenüber seinem französischen Kollegen, daß sein Land nach wie vor vom amerikanischen Bündnispartner nicht für voll genommen werde. Auch die NATO stand vor dem bekannten Problem des Intergouvernementalismus: Abhilfe, so Blankenhorn, könne eigentlich nur der revolutionäre Schritt bringen, Konsultationen im Rahmen der NATO mit Mehrheit zu beschließen 137 . Tatsächlich stellte der in den Genfer Konferenzen des Vorjahres und in der deutlichen Reduzierung der sowjetischen Streitkräfte zum Ausdruck gekommene Wille zur Entspannung den Bündniszusammenhalt in Frage. Abrüstungsverhandlungen mit den Sowjets standen bevor, und die Deutschen fühlten sich in deren Vorbereitung nur ungenügend eingebunden. Daher bereitete der Zustand der Allianz ihnen besonderes Kopfzerbrechen. Dabei durften sie keinen der großen Drei verprellen138. Es lag mithin in Vgl. Dumoulin, Travaux, S. 2 0 8 - 2 1 0 ; Griffiths and Asbeek Brusse, Cabinet, S. 4 6 9 - 4 7 4 ; Küsters, Gründung, S. 203 f., 2 3 9 - 2 5 0 , 264 f.; Loth, Deutsche und französische Interessen, S. 176 f.; Spaak, Memoiren, S. 317 f.; Thiemeyer, Pool Vert, S. 1 6 1 - 1 6 4 ; Weilemann, Haltung, S. 540 f. 133 Vgl Sadrin (Finanzministerium) an Ramadier, 28.4.1956; zit. nach D'Alger, S. 1 4 8 - 156. 134 D D F , 1956, I, S. 729: Vermerk Wirtschaftsabteüung, 7.5.1956. 135 Vgl. Küsters, Gründung, S. 265. 136 Palayret, Negociations, S. 120. 137 Vgl. PA, Β 2 / 6 5 , Bl. 5 1 - 5 6 (Zitat Bl. 52): Vermerk, 15.5.1956; D D F , 1956, I, S. 665: Gespräch Pineau, Martino u.a., 26.4.1956; Blankenhorn, Verständnis, S. 248 f. 138 Vgl. K P B R , I X , 1956, S. 2 9 9 - 3 0 4 (12.4.1956); PA, Β 2 / 6 5 , Bl. 412: Krekeler an Hallstein, 29.5.1956; Heinemann, Zusammenwachsen, S. 242 f.; Thoß, Beitritt, S. 211 - 2 1 3 . 112

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ihrem Interesse, daß Spaak, Pearson und Martino in den Vordergrund traten. Die Sicherung gegen eine bewaffnete Aggression erfüllte das Bündnis halbwegs zufriedenstellend. Da waren sich Dulles, Spaak, Pineau und der neue britische Außenminister Selwyn Lloyd einig. Neue Gefahren drohten dem Bündnis dagegen vor allem aus dem Nahen und Fernen Osten. Hier gelte es, die Entwicklungsländer gegen den kommunistischen Einfluß zu wappnen. In der NATO sollte zwar über deren wirtschaftliche Unterstützung beraten werden, aber die Allianz nicht selbst die Wirtschaftshilfe planen oder gar verteilen. Enttäuscht registrierte Martino, daß seine Vorschläge erneut zu Protokoll genommen wurden, ohne daß sich jemand recht dafür erwärmen wollte. Dabei war sein Land nicht minder betroffen, wenn sich die Systemkonkurrenz aus Zentraleuropa an seine Gegenküste verlagerte. Im übrigen hielt sich die italienische Diplomatie ihre Erfahrungen in der Nahostpolitik zugute. Sie leitete daraus den Anspruch ab, sowohl in der NATO wie in der Europapolitik gleichberechtigt neben Briten, Franzosen und Deutschen gehört zu werden«?. Freilich sah auch Spaak keinen Sinn in wirtschaftlichen Aufgaben des Bündnisses. Die Sowjets verfolgten mit neuen diplomatischen Mitteln weiter ihre alten Ziele: die europäische Integration zu verhindern und die NATO zu eliminieren. Gleichzeitig prägten mangelnde Abstimmung und politische Gegensätze die Allianz. Unter Anspielung auf das Brüsseler Unternehmen forderte er: »We must >relaunch< Atlantic pact and at this meeting reaffirm our alliance.« Auf der Grundlage von Artikel 4 sollte der Westen im Nordatlantikrat auf den Feldern Entspannung, Abrüstung und wirtschaftliche Zusammenarbeit eine gemeinsame Linie gegenüber der Sowjetunion abstimmen. Brentano und sein portugiesischer Kollege schlossen sich an. Pearson unterstützte die italienischen Vorstellungen, wollte aber den Apparat der NATO nicht ausdehnen. Kanada hoffte, damit den Gefahren vorzubeugen, die das Projekt der Sechsergemeinschaft barg. Obwohl man es als Beitrag zur politischen Stabilisierung Europas begrüßte, teilte man die britischen Sorgen vor neuen Präferenzen, vor der politischen Spaltung Westeuropas und deren Auswirkungen auf OEEC und NATO 140 . Es sollte guter Brauch werden, »to take no action substantially affecting other members without prior NATO consultation«. Mit der Entsendung von Staatssekretären zu bedeutenden Sitzungen des Stellvertreterrates hoffte Brentano diese künftig zu erleichtern. Das eigentliche Problem bestand darin, wie die politischen Interessenunterschiede zwischen den kleinen und großen Mitgliedern sowie der Supermacht ausgeglichen werden konnten Dulles lenkte davon ab, indem er die Europäer für die mangelnde Kohärenz der Allianz verantwortlich machte. Zwar boten WEU, Montanunion, OEEC und EZU keine Garantie, daß Europa nicht doch in die alten selbstzerstörerischen Gegensätze zurückfiel. Noch immer fehlte auch eine Institution zur Schaffung gemeinsamer Märkte. Allerdings konnte eine wirkungsvolle europäische Integration besonders auf wirtschaftlichem Gebiet die politische Kon-

140

Vgl. dazu Brogi, Egemonia, S. 344-346; Di Nolfo, Politics, S. 533 f. Vgl. dazu FRUS, 1955-1957, IV, S. 374 f.: Besprechung Couillard, Frank u.a., 21.12.1955.

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sultation der NATO allenfalls erleichtern, nicht ersetzen. Offensichtlich war dies auch das Ziel Spaaks: wirtschaftliche Abstimmung der Europäer im Rahmen eines Gemeinsamen Marktes und gegenseitig flankierend Abstimmung über die Politik gegenüber der Sowjetunion und über außereuropäische Entwicklungen in der NATO. Lloyd griff gern die amerikanische Anregung einer Kommission auf, die sich Gedanken über künftige Konsultationen machen sollte. Vielleicht ließen sich hier Bedürfnisse im Rahmen der NATO befriedigen, welche die Sechsergemeinschaft veranlaßte, ihre Integration fortzusetzen. Er schlug neben Pearson und Martino den Norweger Lange vor. Die Nominierung der ersten beiden lag nahe. Daß kein Vertreter der Großen Drei den Ausschuß vervollständigte, war allerdings kein gutes Omen. Briten und Franzosen hielten sich von dem Unternehmen fern. Sie wollten ihren außenpolitischen Handlungsspielraum nicht durch Pflichten zur Konsultation mit den kleineren Allianzmitgliedern beschränken, sondern allenfalls durch Konsultationspflichten der Supermacht erweitern141. Norwegen hoffte, eine politisch aktive NATO werde der ungeliebten europäischen Integration etwas Wind aus den Segeln nehmen 142 . Dulles unterstellte im Ergebnis den Verbündeten, sie seien den Italienern gefolgt, um nach Möglichkeit über die NATO noch amerikanische Gelder lockerzumachen und die Amerikaner zu veranlassen, ihre Außenpolitik »for review by NATO« vorzulegen. Der Forderung nach Integrationsbemühungen und einer kohärenten Haltung gegenüber Moskau seien sie jedoch ausgewichen. Folgerichtig schrieb er seinem Präsidenten, daß er von den »Drei Weisen« nichts Grundstürzendes erwarte 143 . Entsprechend skeptisch beurteilte dann auch Spaak deren Erfolgsaussichten und setzte seine Priorität in der Europapolitik. Immerhin befürwortete er politische Konsultationen, während die Niederländer den Status quo nicht ändern wollten. Luxemburg und Dänemark lehnten Konsultationen ebenfalls aus Sorge vor äußerer Einmischung in ihre Politik ab. Eisenhower richtete immerhin noch einen hochkarätigen Verbindungsstab zu dem Ausschuß ein. Aber schon im Juni 1956 erklärten die Amerikaner Pearson, daß sie weder bereit waren, das Bündnis wirtschafts- und entwicklungspolitisch zu erweitern, noch es über ihre globale außenpolitische Strategie mitbestimmen zu lassen. Der französische Außenminister zog informelle Konsultationen einem formalen Verfahren vor. Damit war die kanadische Absicht gescheitert, die so auch von Italienern, Deutschen und anderen geteilt wurde, nämlich eine Pflicht zur Konsultation in allen Fragen zu vereinbaren, die das Verhältnis der Partner untereinander oder zur Sowjetunion betrafen, und zwar unabhängig von ihrer geographischen Zuordnung zum Bündnisgebiet144. 141

142

144

Vgl. FRUS, 1 9 5 5 - 1 9 5 7 , IV, S. 55, 5 7 - 6 0 (Zitat S. 59), 6 3 - 7 3 (Zitat S. 66): Nordatlantikrat, 4.-6.5.1956; Blankenborn, Verständnis, S. 249 f.; Ellison, Europe, S. 20, 58 f. Vgl. Pharo und Eriksen, Norwegen, S. 99. Vgl. FRUS, 1 9 5 5 - 1 9 5 7 , IV, S. 75, 78 (Zitat): Dulles an Eisenhower, 5.5.1956, Nat. See. Council, 10.5.1956. Vgl. Heinemann, Zusammenwachsen, S. 2 4 6 - 2 5 0 ; Sinasac, Wise Men, S. 3 2 - 3 9 ; Thoß, Beitritt, 5. 214 f.

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Die in der Konferenz deutlich gewordene »Müdigkeit« und die »zentrifugalen Kräfte« der Allianz, so Brentano, gaben dem Bundeskanzler ein weiteres Mal Anlaß, das Scheitern der EVG zu bedauern. In Frankreich wie in Großbritannien wähnte er noch immer Kräfte am Werke, welche »die Herrschaft der vier Mächte« zunächst neben und schließlich über der NATO errichten wollten. Es lag unter diesen Umständen nahe, daß die Bundesregierung beschloß, über den Bericht der Spaakkommission zu verhandeln. Allerdings entsprach sie dem Wunsch der deutschen Industrie nach einem Junktim zwischen Atom- und Wirtschaftsgemeinschaft. Dabei gelang es Hallstein freilich nicht, die Fachressorts weitgehend aus der Vorbereitung der Verhandlungen herauszuhalten. Erhard hatte sich mitderweile mit dem Gemeinsamen Markt des Brüsseler Ausschusses angefreundet. Er mahnte freilich, eine verbraucherorientierte Koordinierung der nationalen Wirtschaftspolitik und eine liberale Zoll- und Handelspolitik festzuschreiben. Sorgen machten ihm die agrarpolitischen Vorstellungen. Obwohl diese dem traditionellen Protektionismus Rechnung trugen, votierte das Landwirtschaftsministerium gegen den Bericht. Strauß sondierte ungeachtet des politisch motivierten Interesses des State Department an der Euratom weiter die Chancen der bilateralen Zusammenarbeit mit Amerikanern und Briten145. In der Tat war es Spaak gelungen, seinem Bericht die Ambivalenz zu verleihen, die häufig das Geheimnis politischer Erfolge auszumachen scheint. Den Europafreunden versprach er, daß der Zug nun endlich mit dem Ziel Föderation abfahre, den Europaskeptikern, daß dieser Zug noch lange unterwegs sein werde 146 . Die Sechsergemeinschaft stand nun in der »Grauzone zwischen politischer Verbindlichkeit und rechtlicher Unverbindlichkeit« 147 . Ihr weiteres Schicksal hing davon ab, ob Frankreich sich für die helle oder die dunkle Seite der Grauzone entschied. Ein weiteres Mal steckte das Land in der Zwickmühle zwischen der Notwendigkeit, langfristig wirtschaftliche und politische Stabilität herzustellen, und der Sorge, mit schmerzlichen wirtschaftlichen und sozialen Reformen den sozialen Frieden aufs Spiel zu setzen. Retrospektiv betonen Marjolin und M. Faure, die schärfsten Gegner des Projektes hätten weniger in den Verbänden gesessen — deren Vertreter vor allem ihre Partikularinteressen im Auge hatten — als vielmehr in der Ministerialbürokratie. Aus ihren Reihen seien Politiker, namentlich Mendes France, Unternehmer und Vertreter der Landwirtschaft immer wieder angestachelt und munitioniert worden 148 . Der Vorsitzende des Unternehmerdachverbandes mahnte vor allem den Gleich1« Vgl. KPBR, IX, 1956, S. 343 f., 349 und ähnlich ebd., 4 4 2 - 4 4 9 , 4 5 1 - 4 5 4 (26.6.1956). Vgl. auch BDFD, I, S. 5 9 8 - 6 0 1 : Erhard an Brentano, 26.5.1956; PA, Ref. 210/4: Berg an Adenauer, 12.3.1956; Eckert, Kernenergie, S. 3 2 5 - 3 2 7 ; Küsters, Gründung, S. 253 f., 2 5 6 - 2 6 0 ; ders., Federal Republic, S. 500 f. 146 So auch ein belgischer Zeitzeuge. Vgl. Dumoulin, Belgique, S. 192. 147 Küsters, Gründung, S. 268. Mit dem Argument der vermeintlichen Unverbindlichkeit des Berichtes wischte Adenauer die Bedenken des Agrarstaatssekretärs vom Tisch. Vgl. Groeben, Deutschland, S. 278 f. , 4 8 Vgl. HAEG, INT 601, S. 9 - 1 2 , 18; Guillen, Europe, S. 511 f.; Marjolin, Travail, S. 283; Küsters, Gründung, S. 2 5 4 - 2 5 6 .

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schritt von Zollsenkungen mit Ausgleichs- und Harmonisierungsregelungen sowie die Einbeziehung der Uberseeterritorien an. Das war ein Indiz, daß die französische Industrie mehrheitlich mögliche Vorteile eines Gemeinsamen Marktes erkannte, während einzelne Branchen nur Nachteile fürchteten 149 . Trotz Ausfuhrbeihilfen und Importabgaben erfüllte Frankreich nicht einmal die Liberalisierungsvorgabe der OEEC. Daher sah die Wirtschaftsabteilung des Quai d'Orsay den Zollund Quotenabbau vor allem während der zweiten Phase der Übergangsperiode als unkalkulierbares Risiko. Schließlich verlange der Spaakbericht, daß man der einseitigen Suspendierung endgültig entsage, ohne daß im Gegenzug die geforderte Harmonisierung der Sozialkosten verbindlich zugesagt worden sei. Damit sah man sich in demselben Dilemma wie weiland die Briten: Konnte man in den abfahrenden Zug einsteigen, wenn man nahezu sicher war, daß man unterwegs abspringen werde? Machte man nur die erste Phase der Ubergangsperiode zur Zollunion mit, war das Ergebnis bestenfalls eine Präferenzzollzone — welche die Angelsachsen und das GATT nicht akzeptieren würden - und schlimmstenfalls ein dem Scheitern der EVG vergleichbares Debakel. Blieb man im Zug sitzen, führte die Reise in eine marktwirtschaftliche Ordnung. Im Finanzministerium beschwor man eine soziale Revolution der Arbeiterschaft und des Kleinbürgertums, wenn man auf den Protektionismus verzichtete. Der Komplex Zölle und Quoten sei nur im Gleichschritt mit der Abwertung der Währung und der längst überfälligen Reform des gesamten Steuersystems zu lösen. Die Wirtschaftsdiplomaten räumten ein: »Der Gemeinsame Markt ist der eigentliche Schmelztiegel der europäischen Einheit.« Freilich galt ihnen dieser Vorteil auch als größter Nachteil. Erneut fragte man, ob eine rasche und umfassende Wirtschaftsintegration ohne gemeinsame Währung, ohne wirtschaftspolitische und schließlich auch bald außenpolitische Integration möglich sei. Für die bloße Koordination der Wirtschaftspolitik, so das Staatssekretariat für Wirtschaft, waren die vorgesehenen Institutionen zu stark, für eine echte Integration zu schwach. Nach Auffassung des Finanzministeriums lag die Gemeinschaftswährung ebenso in der Logik des Gemeinsamen Marktes wie eine gemeinsame Agrarpolitik. In jedem Falle aber sei die Abwertung des Franc weiter durch Ausgleichsabgaben und -Subventionen im Außenhandel sowie durch einen über die EZU hinausgehenden Devisenausgleichsfonds abzufedern. Immerhin kam eine vom Finanzministerium eingesetzte Kommission 1956 zu der Auffassung, daß ein Gemeinsamer Markt keine wesentlich größere Herausforderung darstelle als die Liberalisierung von 90 % der Einfuhren im Rahmen der OEEC. Denn ca. 70 % der Einfuhren kamen aus der Bundesrepublik, dem Benelux und Italien. Zudem waren Sonderregelungen für besonders betroffene Branchen und eine gewisse Angleichung der Steuer- und Soziallasten eher in einem Gemeinsamen Markt zu erreichen als in der OEEC. Allerdings müsse der Franc abgewertet werden. Freilich war das Finanzressort überzeugt, die Partner zögen größeren Nutzen aus der Öffnung der französischen 14'

Vgl. Villiers an Wollet, 7.5.1956, zit. nach D'Alger, S. 1 6 4 - 1 6 6 ; BDFD, II, S. 7 9 5 - 7 9 9 : Stellungnahme des CNPI\ 9.8.1956; Mioche, Patronat, S. 251 f., 2 5 3 - 2 5 7 .

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Volkswirtschaft als Frankreich umgekehrt aus der Öffnung der Märkte der Fünf, zumal die eigene Ausfuhr zu über die Hälfte in die Überseegebiete ging. Das Überseeministerium blies dann auch in dasselbe Horn wie die britische Diplomatie. Die Union Fra^aise sei die viel vollständigere Währungs- und Wirtschaftsgemeinschaft. Der Lockerung der wirtschaftlichen werde die Auflösung der politischen Bindungen auf dem Fuße folgen. Das stelle die afrikanische Mission (»vocation africaine«) Frankreichs in Frage. Hier hatte die »Schnittstelle«, welche die britischen Geister so beflügelte, also ebenfalls Konjunktur. Gelang es, die Partner an den Koloniallasten zu beteiligen und die Märkte der Überseegebiete in den Außenschutz des Gemeinsamen Marktes einzubeziehen, war ein euroafrikanischer Markt mit Frankreich als Drehscheibe vorstellbar. Die Wirtschaftsabteilung des Quai d'Orsay verschloß sich nicht der Einsicht, daß künftige Wachstumschancen davon abhingen, daß die eigene Wirtschaft dem Wettbewerb ausgesetzt wurde. Dennoch überwog, wie in den Bonner Fachressorts, die Skepsis. Die OEEC galt als hinreichendes Instrument, um mehr Wettbewerb zu schaffen, ohne erneut die Risiken des Supranationalismus zu beschwören. Ohne Frankreich würden die Benelux-Staaten und Italien wohl kaum einen Gemeinsamen Markt allein mit den Deutschen schaffen. Und Frankreich habe sich weder durch die Resolution von Messina noch den Brüsseler Sachverständigenbericht dazu verpflichtet. Folgerichtig solle zunächst einmal die bescheidenere Euratom angestrebt werden. Freilich war die Haltung der französischen Ministerialbürokratie in dieser Frage kaum weniger schwankend. Zwar wollte man gern den Beistand der Partner zur Entwicklung der zivilen Kernenergie nutzen, aber sich von diesen keinesfalls in deren militärische Nutzung hineinreden lassen. Während Monnet, sein Aktionskomitee und die sozialdemokratischen Parteien Westeuropas auf die Bombe verzichten wollten, hielt die Bürokratie das für unannehmbar. Der amerikanische Botschafter in Paris erkannte sofort, welche Gefahr hier lauerte. Die Franzosen stünden kurz davor, Kernwaffen herzustellen. Zugleich sei dies gegenwärtig die einzige Trumpfkarte, die sie den Deutschen gegenüber in der Hand hielten. Andererseits waren die Partner voraussichtlich nicht bereit, angestrebte Synergieeffekte zu finanzieren, von denen sie nicht in gleicher Weise profitierten. Insgesamt, so faßte das Staatssekretariat für Wirtschaft die Bedenken der französischen Ressorts gegen den Gemeinsamen Markt zusammen, habe die Spaakkommission noch keine Entscheidung zwischen der französischen keynesianischen und der orthodoxen Wirtschaftspolitik der Deutschen, Belgier und Italiener getroffen 150 . Im Ergebnis 150 Vgl. DDF, 1956, I, S. 135-140 (Zitat S. 138), 610-613, 636-640, 645-654, 703-705, 725-731, 760-763: Vermerke der Wirtschaftsabteilung, 2.2., 17.4., 21.4., 25.4., 3. und 7.5.1956, Deffcrre an Pineau, 15.5.1956; ebd., S. 550-557: Vermerk, 8.4.1956; D'Alger, S. 148-156, 160-163, 167-183 (Zitat S. 169), Sadrin an Ramadier, 28.4.1956, Vermerk Staatssekretariat Wirtschaft, 3.5.1956, Deffcrre an Mollet, 17.5.1956, Vermerk Finanzministerium, 24.5.1956; BDFD, II, S. 785-787: Vermerk Ramadier, 2.5.1956; FRUS, 1955-197, IV, S. 401: Dillon an State Dpt., 3.2.1956; Bossuat, Nature, S. 221 -223; ders., F.lite, S. 28 f.; Fischer, Atomenergie, S. 280 f.; Küsters, Gründung, S. 300-302; Lappenküper, Beziehungen, S. 1011-1015; Lynch, France, S. 174-176; Milward, European Rescue, S. 208-214.

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einigten sich die Ressorts, in der Außenministerkonferenz der Sechsergemeinschaft vom 29. bis 30. Mai 1956 in Venedig, Euratom zu forcieren und auf Einbeziehung der Überseeterritorien zu bestehen. Außerdem sollte es keinen automatischen Einstieg in die zweite Phase des Übergangs zum Gemeinsamen Markt geben, dieser vielmehr von hinreichender Harmonisierung der Produktionsbedingungen abhängig gemacht werden. Parallel zu ihrer Europapolitik hatten Mollet und Pineau eine Verständigungsinitiative gestartet, die in einer Reise nach Moskau vom 15. bis 19. Mai 1956 gipfelte. Bonn beäugte die Reise zunächst argwöhnisch. Es hatte seit dem Scheitern der Vier-Mächte-Außenministerkonferenz im Oktober 1955 in der Sorge gelebt, die Westmächte könnten sich doch noch mit den Sowjets über ein Sicherheitssystem einigen, mit dem die deutsche Teilung gleichsam den westlichen Segen erhielt. Der Kreml machte unterdessen deutlich, daß die Wiedervereinigung für ihn vorerst kein Thema mehr war. Immerhin billigte Chruscev Frankreich eine besondere Rolle bei der Förderung der Entspannungspolitik zu, was seinen Eindruck auf die SFIO nicht verfehlt haben mag. Die Reise der Franzosen stand für die Doppelstrategie der französischen Deutschlandpolitik. Zwar sollte die Bundesrepublik europäisch eingebunden werden. Aber die Viermächte-Karte wollte man nichtsdestoweniger in der Hinterhand behalten. In diesem Sinne sollte der Faden nach Moskau nie ganz abreißen. Die Deutschen beruhigten sich, da die Gegensätze zwischen Moskau und den Franzosen offenbar ihre Gemeinsamkeiten bei weitem überwogen. Die Konferenz von Venedig versprach die Überwindung der europapolitischen Stagnation, wenn dies schon in der Deutschlandpolitik nicht gelang. Schließlich nahmen Mollet und Pineau denjenigen den Wind aus den Segeln, die einer konstruktiven Europapolitik und einer Annäherung an die Bundesrepublik mit dem Vorwurf begegneten, die Chancen zu einer Verständigung mit den Sowjets seien nicht hinreichend ausgelotet worden. In Venedig interpretierten die Partner den französischen Wunsch nach Verlängerung der ersten Etappe als Versuch, die Wirtschaftsgemeinschaft auf die lange Bank zu schieben. Am Ende war Pineau doch bereit, über beide Teile des Spaakberichtes im Zusammenhang zu verhandeln. Dabei verzichtete er vorläufig auf die militärische Nutzung der Kernenergie. Die Niederländer bestanden auf einem niedrigen Außenzoll, die Luxemburger auf Ausnahmeregelungen für ihre Landwirtschaft und die Italiener auf der besonderen Berücksichtigung des Mezzogiorno durch den Investitions- und Adaptionsfonds. Die Einladung sollte an alle Mitglieder der OEEC ergehen, was den Briten erneut eine Tür öffnete 151 . Damit konnten die Regierungsverhandlungen starten. Im Rückblick glaubt Groeben, der an der Schlußredaktion des Spaakberichtes mitgearbeitet hatte, nicht mit Messina, sondern erst mit Venedig habe der Einstieg '5i Vgl. DDI·', 1956, I, S. 9 1 7 - 9 3 1 : Protokoll, 8.6.1956; BDI ; D, I, S. 601 f.: Hallstein an Ausw. Amt, 30.5.1956; Küsters, Gründung, S. 2 6 0 - 2 6 3 ; Lappenküper, Beziehungen, S. 8 9 0 - 8 9 9 , 9 0 5 - 9 0 8 , 1016 f.; Ix>th, Deutsche und französische Interessen, S. 1 7 6 - 1 7 8 : Lynch, I-rance, S. 176 f.; Pineau et Rimbaud, Pari, S. 204 - 207; Soutou, France, S. 44; Thoß, Beitritt, S. 183 - 1 9 8 .

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in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft begonnen. Tatsächlich feierten Beyen und die niederländische Diplomatie — bei aller Skepsis der öffentlichen Meinung — die Konferenz schon deswegen als Erfolg, weil Frankreich bereit war, nach zwei Jahren Pause wieder über horizontale Wirtschaftsintegration zu verhandeln. Ähnlich empfand auch Spaak die Haltung Pineaus als Wendepunkt. Er erwartete den Erfolg aus vier Gründen: Der Energiebedarf der expandierenden Volkswirtschaften wachse exponentiell. Die automatisierte Massenproduktion erfordere große Absatzgebiete. Die Europäer müßten auf die wirtschaftliche Offensive Chruscevs reagieren, indem sie sich der afrikanischen Märkte versicherten; schließlich strebten die Supermächte neben der politischen auch die wirtschaftliche Einbindung der Peripherie in die eigene Sphäre an152. Es handelte sich also um die bekannte Melange militärischer, wirtschaftlicher und politischer Sicherheitsinteressen, die für die Fortschreibung der Sechsergemeinschaft sprachen. 1955/56 schwankten die europäischen Regierungen zwischen Angst und Hoffnung. Die Skepsis der deutschen Fachministerien und deutscher Wirtschaftskreise gegen die supranationale Wirtschaftsintegration hielt in Frankreich, Großbritannien und vor allem im Benelux sicherheitspolitische Bedenken wach gegen eine Rückkehr der souveränen Bundesrepublik zu einer unabhängigen Außenpolitik. Negativ reziprok wurden die deutschen Außenpolitiker von der Sorge beherrscht, einem Arrangement der Großmächte mit der Sowjetunion geopfert zu werden. Die NATO schien politisch erschöpft. Deutsche, Niederländer und Belgier hofften, die fortgesetzte wirtschaftliche Integration werde die abnehmende Bindungskraft des atlantischen Bündnisses durch wachsende Kohäsion Westeuropas kompensieren. Die Italiener sahen zunächst in der NATO größere Chancen, gemeinsam mit Kanada ihren außenpolitischen Einfluß im Bündnis und darüber im Nahen Osten zu erweitern. Von der Sechsergemeinschaft versprachen sie sich hauptsächlich wirtschaftliche Vorteile. Frankreich hoffte ebenfalls, europäische Ressourcen für sein zivil wie militärisch motiviertes Nuklearprogramm zu mobilisieren, fürchtete aber die Marktwirtschaft und den Supranationalismus. Mit der Entkoppelung von Atomgemeinschaft und Gemeinsamem Markt sollte zunächst Zeit gewonnen werden. Derweil begann die Regierung die Voraussetzungen zu prüfen, unter denen sie ihren Wählern das Risiko der wirtschaftlichen Öffnung zumuten konnte. Für die deutschen Wirtschaftspolitiker lag dagegen eine weltmarktorientierte Handelsliberalisierung und die Konvertibilität nach britischem Muster im wirtschaftlichen Interesse der Bundesrepublik. Immerhin freundete man sich allmählich mit einem Gemeinsamen Markt als Alternative an, sofern dieser marktwirtschaftlich gestaltet wurde. Großbritannien schwankte zwischen seiner traditionellen Ausrichtung auf das Commonwealth und der Erkenntnis, daß diese wahrscheinlich schon mittelfristig die kontinentalen Absatzmärkte nicht ersetzen konnte. Außerdem fühlte es sich durch Amerika zu einer konstruktiven Europapolitik gedrängt. Die Eisenhower-Administration unterstützte das Projekt einer Atomgemeinschaft, um beson152

Vgl. MAEF, Europe 1956-1960 Generates, Bd 184, Bl. 186-190: Beauverger an Pineau, 6.6.1956; DDF, 1956,1, S. 911 f.: Dufournier an Pineau, 8.6.1956; HAEG, INT 501, S. 13.

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ders die nuklearen Ambitionen der Deutschen zu kontrollieren. Ob es am Ende gelang, die politischen Risse im atlantischen und europäischen Netzwerk durch wirtschaftliche Integration zu kitten, hing einmal mehr von der Kompromißbereitschaft der Bonner Regierung ab. Sie wurde wesentlich vom Fortgang ihres europapolitischen Binnendiskurses unter den Vorzeichen britischer Alternativangebote als Reaktion auf die französische Entscheidung von Venedig beeinflußt. 3. Gemeinsamer Markt oder Freihandelszone? Thorneycroft hatte schon 1952 darüber nachgesonnen, den Forderungen des Niedrigzollklubs in der OEEC entgegenzukommen. Im Mai 1956 unternahm der Klub einen erneuten Vorstoß. Die Niederländer wollten denjenigen in Paris und Rom den Kamm stutzen, die hofften, das protektdonistische Biotop des nationalen Wirtschaftsraumes durch das des Gemeinsamen Marktes zu ersetzen. Dieses Signal schien den Erfolg der Sechs in Venedig ebenso in Frage zu stellen wie der anhaltende Widerstand der deutschen Fachressorts gegen die Messinakonzeption und die Avancen Spaaks an die Adresse Londons. Vor diesem Hintergrund schnürte ein Kabinettsausschuß unter Leitung des neuen Schatzkanzlers Macmillan und des Handelsministers am 31. Mai 1956 ein neues europapolitisches Paket. Die für die Commonwealthbeziehungen zuständigen Fachminister stimmten widerwillig und vermutlich in der Hoffnung zu, daß aus Messina am Ende doch nichts werden würde. Das neue Konzept verknüpfte den Abbau der Schutzzölle gegen Westeuropa mit der Aufrechterhaltung des privilegierten Zugangs des Commonwealth zum britischen Markt und mit dem Konvertibilitätskurs, den fortzusetzen der Rat der OEEC im Vorjahr beschlossen hatte153. Eine interministerielle Arbeitsgruppe goß am 27. Juli 1956 diesen Plan — als eine von sechs Varianten — in Form eines Berichts. London stellte sich auf den Erfolg des Gemeinsamen Marktes ein und gab seine Hoffnung vom Herbst des Vorjahres auf, das Messinaprojekt von der OEEC aus torpedieren zu können. Eine Freihandelszone der Briten, Österreicher, Schweizer und Skandinavier - die unterentwickelten Länder Griechenland, Türkei und Irland blieben am besten außen vor - mit dem Gemeinsamen Markt sollte den Zugang zu den expandierenden europäischen Märkten offenhalten. Da die Freihandelszone keinen gemeinsamen Zoll gegen Dritte kannte, behielt London freie Hand gegenüber dem Commonwealth. Da man diesen dauerhaft nicht schlechter behandeln konnte als die Europäer, glaubte man, der Abbau der Präferenzzölle werde dem der Tarife gegen Europa folgen, zumal die Empirepräferenzen bereits zu bröckeln begannen. Hielt die britische Industrie jedoch erst einmal den Wettbewerb der Europäer und des Commonwealth aus, konnte sie sich getrost auch der amerikanischen Konkurrenz stellen. Vorläufig sollten die fortbestehenden Präferenzen den wachsenden europäischen Konkurrenzdruck auf die eigene Industrie

1« Vgl. dazu PRO, CAB 129/75, CP (55)42: Memo Macmillan, 16.6.1955.

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kompensieren, von der man annahm, daß sie in ihrer Mehrheit (insbesondere die Kapitalgüterindustrie) profitieren werde. Schließlich mochte der Gemeinsame Markt die Konvertibilität der europäischen Währungen fördern, was von den Protagonisten des »collective approach« freilich bezweifelt wurde. Die Freunde der Freihandelszone erwarteten dagegen die Aufwertung der City als Kapitalmarkt auf der Schnittstelle zwischen Europa und dem Commonwealth. Die Freihandelszone kam nicht ohne eine gewisse Abstimmung der Wirtschafts- und Sozialpolitik aus, die sich freilich an den bewährten Verfahren des GATT, des IWF, der Sterlingzone und OEEC orientieren sollte. Plötzlich war man um die Zukunft der OEEC als Instrument der gemeinsamen europäischen Wirtschaftspolitik besorgt. Daß er die Landwirtschaft gänzlich ausschloß, war der Pferdefuß des Plans. Denn die Sechsergemeinschaft hatte dieses Thema nur vorläufig zurückgestellt, aber keineswegs von der Liste der Hausaufgaben gestrichen. Auch London verschaffte dem heimischen Gartenbau und der eigenen Landwirtschaft gerade staatliche Existenzgarantien. Gleichzeitig wollte man die Agrareinfuhren aus dem Commonwealth eher steigern als reduzieren, um diese wichtige wirtschaftliche Klammer nicht zu gefährden. Beides vertrug sich kaum mit Agrareinfuhren vom Kontinent. Folgerichtig rechnete man mit dem Widerstand der Dänen, Niederländer und Italiener, denen man bilateral entgegenkommen wollte. Freilich sei das politische Interesse der beiden letzten am Gemeinsamen Markt groß. Sie würden ihn nicht schon deswegen aufgeben, weil eine Mehrheit der OEEC sich auf den britischen Plan einließ. Bei Frankreich war man zuversichtlich, die Anbindung der Briten werde die Wirtschaftsgemeinschaft mit der übermächtigen Bundesrepublik in den Augen vieler Franzosen erst erträglich machen. Die Arbeitsgruppe ging von der Zustimmung des Commonwealth aus, sofern die Vereinigten Staaten den Plan guthießen. Denn die erforderliche Genehmigung des GATT war nur mit amerikanischer Hilfe zu erlangen. Man rechnete mit der Unterstützung der Europafreunde im State Department und anderswo, aber auch mit deren Bestreben, die eigenen Handelsinteressen zu wahren. Damit hatte die Konferenz von Venedig auch in London einen Strategiewechsel ausgelöst. Lag bisher der Akzent auf dem Versuch, die kontinentalen Pläne intergouvernemental zu verwässern und eine Blockbildung zu verhindern, zeichnete sich jetzt ein offensiveres Konzept ab. Neben den Quoten sollten auch die Zölle abgebaut werden. Freilich war nur ein Teil der Regierung und der Ministerialbürokratie entschlossen, sich der europäischen Konkurrenz zu stellen und nicht mehr nur einseitig auf den Handel mit dem Commonwealth zu setzen154. Die Sitzungen des Rates der OEEC im Juli 1956 überstand Frankreich überraschend glimpflich, nachdem es heftige Kritik an seinen Ausfuhrbeihilfen erwartet 154 Vgl. PRO, CAB 129/82, CP (56), S. 191 f.: Memo/Note Macmiüan und Thorneycroft, 27. und 28.7.1956; Vermerk Schatzamt, 1956, zit. nach Britain and European Integration, S. 33 f.; Ellison, Europe, S. 3 0 - 3 2 , 4 1 - 4 4 , 5 2 - 5 8 , 6 0 - 6 3 , 66 f., 223 f.; Kaiser, Großbritannien, S. 7 1 - 8 4 ; Macmillan, Riding, S. 7 3 - 8 1 ; Milward, European Rescue, S. 309-311; ders., United Kingdom, S. 236-247; Milward and Brennan, Place, S. 116 f ; Young, Britain, S. 50 f.

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hatte. Man glaubte folgerichtig, die Partner hätten das französische Argument vergleichsweise höherer sozialer Belastungen unausgesprochen akzeptiert. Die im Vergleich zu den Partnern verzögerte Handelsliberalisierung privilegierte Frankreich. Es lag nahe, mit der Forderung nach sozialer Harmonisierung diesen prima vista erfreulichen Zustand zu verlängern und obendrein durch Exportbeihilfen der Abwertung weiter zu entgehen 155 . Dagegen wurde Großbritannien dafür gescholten, daß es immer noch nicht 90 % seines Europahandels liberalisiert hatte. Benelux und Skandinavier forderten den Abbau der Zölle. Letztere drohten sogar mit Rücknahme der Liberalisierung, wenn sich bei den Zöllen nichts bewegte. Dazu waren die Briten freilich nicht bereit, sollte sich »our main competitor in world trade, Germany« der Vorteile des Gemeinsamen Marktes erfreuen, von dem man selbst ausgeschlossen blieb. London »arranged discredy«, daß der britische Generalsekretär der OEEC den Vorschlag einer Assoziierung von OEEC und Sechsergemeinschaft unterbreitete, um die Attacke des Benelux und der Skandinavier zu parieren und die Stimmung zu testen. Die Amerikaner fürchteten offenbar, daß die Briten sich in Europa eine zweite Präferenzzone schaffen wollten, und forderten den Abbau der Dollardiskriminierung. Kanada protestierte ebenfalls und zog den Ausbau der nordatlantischen Gemeinschaft vor. Die Franzosen nahmen den Vorschlag als ernst gemeint und als Weiterentwicklung des britischen Denkens wahr. Immerhin setzte man eine Arbeitsgruppe ein 156 . Bei den Brüsseler Verhandlungen reagierte Staatssekretär M. Faure tatsächlich mit dem Vorschlag, unverbindlich zu verhandeln, weil viele Franzosen die britische Beteiligung forderten. Der Luxemburger interpretierte den Vorschlag als reines Störfeuer, sein belgischer Kollege als taktisches Manöver gegen den Niedrigzollklub. Beyen wollte nur auf der Plattform von Venedig, also am liebsten gar nicht verhandeln. Im Auswärtigen Amt erkannte man »Existenzsorgen der OEEC«, deren Aktivität sich mit der Handelsliberalisierung erschöpft habe. Hier fühlte man sich an den Edenplan erinnert, mit dem die Briten weiland die Sechsergemeinschaft zu konterkarieren gehofft hatten. Gegenüber der verhältnismäßig übersichtlichen Sechsergemeinschaft werde die Freihandelszone einen erheblichen Lenkungs- und Kontrollaufwand erfordern. Daher werde der Vorschlag wohl auf eine Zollsenkungsrunde der OEEC hinauslaufen. Gegen scharfe Kritik an dieser Auffassung und eine positive Wertung des Vorschlages des Generalsekretärs insistierte der zuständige Referent, die Briten wollten nur Zeit gewinnen und würden den Plan dann rasch fallen lassen 157 . Diese Mindermeinung lag nahe. Die Briten wollten der kleinen Sechsergemeinschaft erneut einen größeren Hut überstülpen. Gleichwohl begannen sie jetzt, was vorher nie zur Debatte stand, nämlich den allmählichen Vgl. dazu Rvc Svartavatn, Quest, S. 9 0 - 9 2 . 'M Vgl. PRO,' CAB 129/82 CP (56)171, 172 (Zitate): Memo Macmillan und Macmillan/ Thornevcroft, 9.7.1956; ebd., CAB 128/30, CM (56)49, 12.7.1956; ΜΛΓ·:ΐ·\ DFl-CR, Bd 55, Bl. 41 f.': Protokoll; D D F 1956, II, S. 182 f.; Rundcrlaß Pineau, 28.7.1956; KPBR, IX, S. 489 f. (20.7.1956); DIU, S. 107 f. Vgl. PA, Β 10/927, Bl. 3 f., 1 3 - 1 5 , 1 9 - 2 1 : Vermerk Carstens, 2 0 J . 1 9 5 6 , Vermerke Hartlieb, 25. und 31.7.1956, Vermerk Scherpenberg, 15.8.1956; Lee, Elites, S. 48 f. 155

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Rückzug aus dem System von Ottawa: »a dramatic policy change«, wenn auch nur »within Whitehall's perspective« 158 . Für Erhard bot der britische Vorschlag die Aussicht, »eine protektionistische Insel« der Sechs zu vermeiden. Nicht nur er selbst, sondern auch Blücher und andere waren überzeugt, Frankreich werde beim Gemeinsamen Markt nicht mitziehen. Der galt mithin als politisch erledigt. Unter diesen Umständen wollte Adenauer eben mit der Freihandelszone weiterkommen. Strauß sondierte beharrlich die bilaterale Nuklearzusammenarbeit mit den Amerikanern, obwohl die immer deutlicher Euratom bevorzugten. Er versuchte die Gunst der Stunde zu nutzen und plädierte dafür, auch Euratom in den größeren Zusammenhang der nuklearen Kooperation der OEEC einzufügen. Adenauer kritisierte die britischen Bestrebungen nach konventioneller Abrüstung. Er hatte den Eindruck, Premierminister Eden spiele im Ost-West-Dialog die Viermächtekarte, derweil Macmillan die europäische Zusammenarbeit betone. Gegenüber der paradoxen Interessengemeinschaft der Amerikaner und Sowjets, die im Zuge von Abrüstungsverhandlungen ihr Nuklearpotential konservieren wollten, solle man die nukleare Abrüstung anstreben und zugleich das eigene westdeutsche konventionelle Potential aufbauen. Blücher wollte in dieser Lage »den verzweifelten Versuch machen, das einige Europa zu schaffen. Nur dann habe Europa wirklich die Aussicht, als Machtfaktor zwischen den USA und der Sowjetunion weiterzubestehen«. Am 13. Juli 1956 wurde der Vorschlag Radfords bekannt. Der Vorsitzende der Vereinten Stabschefs wollte angeblich die konventionellen Streitkräfte der Vereinigten Staaten um 800 000 Mann reduzieren. Das verlieh dem Aufbau der konventionell ausgerichteten Bundeswehr den Geschmack einer womöglich nicht mehr ganz zeitgemäßen Veranstaltung. Die Bundesregierung sah ihre Annahme bestätigt, nur die Koordination der europäischen Politik könne verhindern, daß die eigenen Interessen sich im Ost-West-Dialog der Großmächte verloren. Alarmiert hatte man registriert, daß die Briten sich nicht nur weigerten, in der WEU über strategische Fragen, insbesondere der Nuklearbewaffnung und des Truppenabbaues, zu reden. Offenbar war London auch nicht bereit, hier eine europäische Linie abzustimmen. Folgerichtig sah sich Bonn wieder auf den wirtschaftlich und innenpolitisch labilen Partner in Paris verwiesen, der seine Sicherheit durch die Pläne der Angelsachsen genauso gefährdet sah wie die Deutschen159. Je deutlicher die Atombombe die sicherheitspolitischen Beziehungen beherrschte, desto weniger war Paris bereit, auf ein militärisches Atomprogramm zu verzichten. Das Militär hatte den Eindruck gewonnen, daß in Venedig der Forderung der Deutschen und des Benelux nachgegeben worden war, keine Bombe zu 158 Milward, European Rescue, S. 429. Vgl. ebd., S. 424 f., 428-431; Asbeek Brusse, Tariffs, S. 170-173; Bührer, Westdeutschland, S. 363-367; Ellison, Threatening, S. 68 f.; Küsters, Gründung, S. 280-289; Milward and Brennan, Place, S. 121 - 123. 159 Vgl. KPBR, IX, S. 391 f. (6.6.1956), 4 8 4 - 4 9 2 (Zitate S. 488, 491) (20.7.1956), 501 f. (26.7.1956); DDF, 1956, II, S. 149-151, 202-207: de Margerie an Pineau, 23.7.1956, Chauvel an Min. Äff. Etr., 1.8.1956; Dockrill, No Troops, S. 129-133; Lappenküper, Beziehungen, S. 910 f.; Loth, Deutsche und französische Interessen, S. 179-181; Thoß, Beitritt, S. 216-221.

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entwickeln. Die NATO-assignierten französischen Verbände in Deutschland, die für den Algerienkonflikt ausgedünnt wurden, bedürften unbedingt der nuklearen Ausstattung. Staatssekretär M. Faure unterstrich, daß die Regierung an der ursprünglichen, zweigleisigen Strategie festhalte: die zivile Kernenergieproduktion multilateral in der Euratom, der Bau der Bombe unilateral national nach einer mehrjährigen Karenz, die man für Forschungszwecke sowieso benötige. Gerade Euratom sichere ein Maximum an nationalem Spielraum und vor allem Unabhängigkeit gegenüber den Vereinigten Staaten. Freilich mußte sich Faure von Spaak fragen lassen, woher das wirtschaftlich angeschlagene Land die Mittel nehmen wolle, gleichzeitig die B o m b e zu bauen, die zivile Kernenergie zu nutzen, Schwarzafrika wirtschaftlich und finanziell zu stabilisieren und Afrika zu entwickeln. Denn seit dem Frühjahr 1956 verschlechterten sich Handels- und Zahlungsbilanz. Das Haushaltsdefizit kletterte ebenso wie die Inflationsrate unter der Wirkung steigender Verteidigungsausgaben — mittlerweile standen 400.000 Mann in Algerien - und einer satten Erhöhung der Löhne und Pensionen, mit denen sich die Regierung Mollet sozialpolitisch profilierte. Eine Mißernte zwang Frankreich gar, amerikanischen »Dumping«-Weizen zu kaufen, um seine Exportverpflichtungen gegenüber Westdeutschland zu erfüllen. Dabei hätte man den amerikanischen Weizen gern von den europäischen Märkten verdrängt 160 . Dulles wünschte den Kernwaffenverzicht nach dem Modell von Spaak und Monnet, wagte aber nicht, den Franzosen dies offen vorzuschlagen. E s hätte zwangsläufig französische Sorgen genährt, im Bündnis nur noch das Kanonenfutter angelsächsischer Nuklearstrategen zu stellen. Dulles fürchtete, die Bonner Regierung werde die nukleare Rüstung der Franzosen mit der Forderung nach Gleichberechtigung beantworten. Früher oder später rückten die Deutschen dann vermutlich von ihrem einseitigen Kernwaffenverzicht im Rahmen der W E U ab 161 . Das Bündel französischer Politikziele schien tatsächlich vermessen (»temeraire«), wie Spaak meinte. Aber es war die große Herausforderung an die französische Diplomatie, im europapolitischen Rahmen genau dies durchzusetzen: die Mobilisierung europäischer Ressourcen zur Unterfütterung der französischen Großmachtrolle auf allen als wesentlich erachteten Politikfeldern. U m die Nationalversammlung rechtzeitig einzubinden, ließen die Protagonisten der Europapolitik der Pariser Regierung im Juli 1956 ihre Verhandlungsziele absegnen. Spaak hatte M. Faure zwar wenig Hoffnung auf Erfüllung seiner wirtschaftlichen Forderungen gemacht. Aber er hatte seine Bereitschaft signalisiert, Euratom und Gemeinsamen Markt zeitlich zu entkoppeln, solange die Gewähr bestehe, daß die Nationalversammlung am Ende auch letzterem zustimme. Spaak war besorgt, die Amerikaner könnten das von Strauß in den Vereinigten Staaten betriebene bilaterale Abkommen mit den Deutschen schließen und Belgien seine Vorteile als Uranlieferant Die Amerikaner verkauften ihre Weizenüberschüsse seit 1954 europäischen Importeuren unter Inzahlungnahme europäischer Währungen. Vgl. dazu Kaplan and Schleiminger, Payments Union, S. 270-272; Thiemeyer, Pool Vert, S. 141 f., 210 f. >61 Vgl. FRUS, 1955-1957, IV, S. 442-444: Runderlaß DuUes, 24.5.1956. 1611

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einbüßen. Mit Blick auf die Deutschen und mit niederländischer Unterstützung beharrte er auf einem lückenlosen Brennstoffmonopol der Euratom. Dulles seinerseits drohte dem unbotmäßigen Strauß: »Dictation is bad but an attitude of indifference would also be a false approach.« Wollte der Amerikaner doch Euratom zu einer Art europäischer Atomregierung machen, was sogar im Auswärtigen Amt auf Skepsis stieß. Strauß konterte locker, er könne sich umgekehrt die Atomgemeinschaft nur als Teil einer europäischen Bundesregierung vorstellen. Angesichts anhaltender Bedenken gegen protektionistische Übergangsmaßnahmen bei der Schaffung des Gemeinsamen Marktes war Dulles nur konsequent, wenn er das Junktim zischen diesem und der Euratom ablehnte. Mit halbwegs gutem Gewissen konnte die Pariser Regierung mithin Finanzminister Ramadier nachgeben, der nach wie vor für die Entkoppelung eintrat. Die für die Interessengruppen weniger heikle Euratom sollte im Vordergrund gehalten und dabei nur noch so supranational gestaltet werden, wie technisch absolut erforderlich. Sie durfte ein nationales Atomwaffenprogramm nicht behindern. Folgerichtig sollten Versammlung und Gerichtshof auch nicht mit den entsprechenden Organen der Montanunion fusioniert werden. Der Gemeinsame Markt wurde an die Einbeziehung der Überseeterritorien, an den Investitionsfonds und vor allem an die soziale Harmonisierung geknüpft, für die sich mitderweile vor allem die SFIO stark machte 162 . Entsprechend verärgert reagierte Mollet, als die Hohe Behörde just zum Zeitpunkt der Parlamentsdebatte eine Broschüre über die Löhne, Soziallasten und Steuern in der Gemeinschaft herausgab. Die Autoren nahmen die Harmonisierungsforderung aufs Korn. Dabei galt der Vergleich allein der Sozialkosten als unzulässig. Vielmehr seien die gesamten Faktorkosten gegenüberzustellen. Dann werde schnell deutlich, daß die regionalen Unterschiede innerhalb der einzelnen Volkswirtschaften bedeutender seien als diejenigen zwischen den Volkswirtschaften. Die steuerliche Belastung sei in Frankreich nicht so viel höher, wie immer behauptet werde. Im übrigen sollten hohe Preise ja durch Wechselkursanpassungen ausgeglichen werden — das Anathema der französischen Währungspolitik. Andererseits ändere eine Abwertung nichts an der Grenzkostensituation einzelner Industrien. Die dürften die Franzosen freilich nicht den Partnern anlasten. Als man in Paris einen förmlichen Protest vorbereitete, knickte die Hohe Behörde ein und zog die Broschüre zurück 163 . Tatsächlich erinnerten ihre Argumente an die Erhards. Immerhin zeigte die Parlamentsdebatte, daß die französische Landwirtschaft ihr Herz für einen Gemeinsamen Agrarmarkt zu entdecken begann, sollte der ihr, wie im Spaakbericht angedeutet, Einkommen und Absatz garantieren. Andererseits warn162

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Vgl. DDF, 1956, I, S. 1026 f., 1051-1058 (Zitat S. 1055): Gespräch Pineau/Dulles, 18. und 19.6.1956, Vermerk Faure, 25.6.1956, Gespräch Faure/Spaak, 26.6.1956; ebd., 1956, II, S. 88 f.: Runderlaß, 13.7.1956; FRUS, 1955-1957, IV, S. 422 f., 4 3 5 - 4 4 1 (Zitat S. 440), bes. S. 436, 441, 450-453: Gespräch Dulles, Silvercruys u.a., 2.4.1956, Gespräche Strauß, Dulles, Elbrick u.a., 14.5.1956, Runderlaß Dulles, 13.7.1956. PA, Ref. 210/4: Vermerk, 31.5.1956; Strauß, Erinnerungen, S. 230 f. Vgl. ACS, PCM/CIR, Nr. 182: ital. Botschaft Paris an Min. Äff. Est., 20.7.1956 (nebst Anlage), 30. und 31.7.1956. Möglicherweise bezieht sich Marjolin - Travail, S. 297 — auf diese Episode.

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ten die meisten Sprecher vor einer schlichten Übernahme der institutionellen Verfassung der Montanunion 164 . Die Brüsseler Verhandlungen begannen am 26. Juni 1956. Adenauer hatte sich erneut für Ophüls, mittlerweile Botschafter in Brüssel, als Chef der deutschen Delegation entschieden. Zum Vorsitzenden des Unterausschusses Gemeinsamer Markt wurde Groeben bestellt, auf Wunsch von Spaak und gegen den Rat des Wirtschaftsministeriums. Die Federführung übernahm erneut das Auswärtige Amt. Erhard hatte gefordert, die Delegation dem Kabinettsausschuß für Wirtschaft zu unterstellen. Den deutschen Europafreunden standen auf französischer Seite M. Faure, Marjolin und zunächst auch der Euroskeptiker Wormser gegenüber 165 . Faure merkte rasch, daß die ausschlaggebenden Kontrahenten in Bonn saßen, als er im September 1956 die deutsche Kompromißbereitschaft sondierte. Erhard empfing den Franzosen mit dem amerikanischen Slogan »Convertibility begins at home.« und lehnte sowohl die Harmonisierung der Soziallasten, die Fortführung der Exportbeihilfen und die unilaterale Suspendierung ab. Den französischen Schwierigkeiten wollte er allenfalls durch einen einseitigen Aufschub der Wirksamkeit des Gemeinsamen Marktes Rechnung tragen166. Fast noch hartleibiger zeigte sich Strauß167, darin auch von Brentano unterstützt. Weder das Eigentum noch das Liefermonopol an Kernbrennstoffen war er bereit, Euratom einzuräumen. Skeptisch nahm er den Anspruch auf, daß Frankreich die Ergebnisse seiner militärisch orientierten Forschung für sich behalten wollte. Die drei Aspekte zusammengenommen schürten das Mißtrauen, daß die Deutschen vor allem als Geldgeber und weniger als Nutznießer gebraucht wurden. Siegfried Balke, Nachfolger von Strauß als Atomminister, brachte das Unbehagen der Deutschen wenig später auf den Punkt: »Europa kommt nicht, wenn wir es nicht bezahlen 168 .« Unterdessen übte die amerikanische Diplomatie weiter Druck auf Strauß und den Bundeskanzler aus, zumal auch die amerikanische Atomenergiekommission weiter für bilaterale Abkommen warb 169 . Bei Adenauer registrierte Faure die beherrschende Sorge vor dem Radfordplan und einer europäischen Isolierung. Die europapolitischen Gegensätze glaubte Adenauer durch die Regierungschefs überwinden zu können, wenn man im Gegensatz zu früher nur »eine erheblich funktionellere und weniger institutionelle Sichtweise« pflege. Im übrigen wollte er die Vertragswerke für die Briten offenhalten, von denen er annahm, daß ihre außenpolitischen Probleme ihnen eine europaiM Vgl. Asbeek Brusse, Euratom, S. 214-220; Guillen, Europe, S. 510 f.; ders., Traite d'F.uratom, S. 121; ders., Prance, S. 518 f.; Küsters, Gründung, S. 294-299; ders., Origins, S. 223 f.; Lappenküper, Beziehungen, S. 1020-1022; Palavret, Negociation, S. 128 f.; Thiemever, Pool Vert, S. 206-209, 211-213; Trachtenberg, Peace, S. 150 f. 165 Vgl. Groeben, Deutschland, S. 279 f.; Küsters, Gründung, S. 272-274; Palavret, Negociation, S. 123. 166 Vgl. auch Thiemever, Pool Vert, S. 227 f. i(i7 Vgl auch Fischer, Atomenergie, S. 274 f. 148 KPBR, IX, S. 658 (24.10.1956). '«> Vgl. FRUS, 1955-1957, IV, S. 466-468, 472 f , 476 f., 480 f., 495-497: Elbnck/Furlev an Smith, 26.9.1956, Dulles an US Botschaft Bonn, 30.9.1956, Gufler an State Dpt., 4.10.1956, Hoover an Dulles, 24.1.0.1956, Conant an State Dpt., 30.10.1956, L. Strauss an Hoover, 19.12.1956.

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freundlichere Haltung nahelegten 170 . Die französische Seite folgerte, daß im Gegensatz zu Erhards prinzipiellem Gegensatz (»opposition de doctrine«) Adenauer und Brentano die Probleme in einem »deutsch-französischen Tete-ä-tete« lösen wollten, das freilich »diskret« bleiben müsse 171 . Tatsächlich begann man im Auswärtigen Amt, auf der Linie Spaaks über eine Aufweichung des Junktims nachzudenken 172 . Unterdessen hatte Faure der eigenen Regierung Anfang September 1956 die — mithin vorrangig in bilateralen Verhandlungen mit Bonn zu erreichende — Modifizierung des Spaakberichtes als einzig denkbare Option vorgestellt. In seiner ursprünglichen Fassung werde der Bericht in der Nationalversammlung scheitern. Eine isolierte Euratomlösung wiederum sei mit den Partnern nicht zu machen. Wenn nach der EVG nun auch die Brüsseler Verhandlungen an Frankreich scheiterten, war der politische Schaden unabsehbar, ohne daß die wirtschaftlichen Probleme deshalb an Brisanz verloren. Lynch bringt das wirtschaftliche Sicherheitskalkül der Pariser Regierung auf den Punkt. Während sie »could minimize the risks to the economy of joining the Common Market it was not obvious how it would minimize the risks of not joining« 173 . Folgerichtig präsentierte Faure am 19. September 1956 der Brüsseler Konferenz den bekannten Forderungskatalog, angereichert durch drei weitere Punkte. Der Übergang von der ersten zur zweiten Etappe der Einführung des Gemeinsamen Marktes sollte durch den Ministerrat einstimmig beschlossen werden. Das hätte Paris ermöglicht, den Zollabbau anzuhalten, sollte die gewünschte Annäherung der Arbeitskosten ausbleiben. Ferner wurde ein Aufschub für das Inkrafttreten des Gemeinsamen Marktes erwartet, bis Frankreich den Algerienkonflikt beendet hatte. Schließlich sollte die Frage der Überseeterritorien verhandelt werden. Der Versuch, die Arbeitskosten nach oben zu harmonisieren, wurde von Luxemburg ausdrücklich geteilt. Der Kleinstaat wollte nicht nur seine Landwirte gegen die holländische Konkurrenz, sondern sich selbst gegen eine Flut italienischer Arbeitsimmigranten schützen. Er teilte überdies das deutsche Bestreben, insbesondere italienische Erwartungen an den Investitions- und den Anpassungsfonds zu dämpfen. Die deutsche Forderung nach einem mäßigen Außenzoll kam den Niederländern entgegen. Sie spielten im übrigen jetzt im Sinne Mansholts vor allem die institutionelle Karte und reklamierten weitreichende Entscheidungsbefugnisse der Kommission und die Parität im Ministerrat, was den intergouvernementalen Auffassungen der Franzosen diametral entgegenstand 174 . Erhard und Strauß kritisierten, unterstützt vom Arbeitsminister, die französischen Forderungen. Die Vorstellung angeglichener Arbeitskosten gehe von der "o Vgl. DDF, 1956, II, S. 384-387, 3 9 2 - 3 9 4 404-407: Gespräch Faure/Erhard, 16.9.1956, Gespräch Faure, Adenauer, Brentano, 17.9.1956, Gespräch Faure/Strauß, 25.9.1956. 171 DDF, 1956, II, S. 387 f.: Margerie an Pineau, 17.9.1956. "2 Vgl Lappenküper, Beziehungen, S. 1022 f. 173 Lynch, France, S. 178. ™ Vgl. BDFD, I, S. 604-608: franz. Delegation; PA, Β 2/11, Bl. 225-228, 233-236, 240-242, niederl., luxemb. und dt. Delegation, 19.9.1956; Küsters, Gründung, S. 303-305; Trausch, Luxembourg, S. 437-441.

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unsinnigen Annahme aus, gemeinschaftsweit ein annähernd gleiches Kosten- und Produktivitätsniveau durchzusetzen, was nicht einmal innerhalb der nationalen Volkswirtschaften möglich sei. Mit dem Ziel, den Standortwettbewerb weitgehend auszuschalten, versuche Frankreich die Folgen der ausstehenden Abwertung und seines inneren Reformstaues auf die Partner abzuwälzen. Gleichzeitig wolle es selbst jedoch freie Hand behalten, sich den eingegangenen Verpflichtungen zu entziehen. Sollte aber »das langsamste Schiff [...] das Tempo des europäischen Geleitzuges bestimmen«, so Erhard, werde am Ende die Integration des Weltmarktes womöglich schneller voranschreiten als die des Gemeinsamen Marktes175. Einen Standortwettbewerb wollte indessen auch das Bonner Landwirtschaftsministerium seinen Bauern nicht zumuten. Hier war man überzeugt, daß der Spaakbericht die deutsche Landwirtschaft zugrunde richte. Der Gegensatz zwischen Lübke und Erhard veranlaßte letzteren, seine Kritik am Agrarprotektionismus der Bundesregierung auch öffentlich zu äußern, was der Bundeskanzler prompt rügte. Der Einfluß der Agrarinteressen auf die deutsche Europapolitik blieb dennoch moderat, solange sie nicht an gleichgerichteten französischen Vorstellungen anknüpfen konnten 176 . Adenauers Eindruck, Washington wolle sich auf eine nuklear gewappnete Festung Amerika zurückziehen, verschob seine bisherigen außenpolitischen Prioritäten. Bislang stand die enge Anlehnung an die USA an erster, die Verankerung im Bündnis an zweiter und die Integration in Westeuropa an dritter Stelle. Jetzt gab er sich überzeugt, daß die Bundesrepublik auf sich selbst gestellt und auf die Unterstützung der Europäer angewiesen sei. Es galt, das europäische Konzert zu beleben und zugleich den eigenen Staat durch dessen rasche Aufrüstung unter den ersten Stimmen zu piazieren177. Erneut stellte sich die Frage, welchen langfristigen wirtschaftlichen Preis die Bundesrepublik für das kurzfristige politische Ziel bezahlen wollte, einen europäischen Geleitzug überhaupt erst einmal zusammenzustellen. Das Auswärtige Amt glaubte nicht, daß »die volkswirtschaftliche Auffassung politischen Erfordernissen geopfert werden muß«. Gegen die »ungerechtfertigt pessimistischen Auffassungen« Erhards war es zuversichtlich, gemeinsam mit den anderen Staaten einen Kompromiß finden zu können1"8. Bei einem deutsch-französischen Treffen am 29. September 1956 stimmte Adenauer ausdrücklich der Auffassung Mollets zu, daß »politische Entscheidungen auch unter Hintansetzung wirtschaftlicher Gesichtspunkte zu treffen« seien. Unter den gegebenen Umständen legte das den Eindruck nahe, daß bei den Deutschen die Schmerzgrenze wirtschaftlicher Zugeständnisse noch lange nicht erreicht sei. Dasselbe galt für den Versuch Hallsteins, die Bereitschaft der Franzosen auszuloten, sowohl Euratom als auch den Gemeinsamen Markt abzuschließen, so man ihre Forderungen denn erfüllte1"9. Vgl. BDI D, I, S. 608 f.: Strauß an Brentano, 1.10.1956; ebd., II, S. 8 0 6 - 8 1 3 (Zitat S. 807): Erhard an Adenauer, 25.9.1956, Storch an Adenauer, 27.9.1956; Thiemever, Pool Vert, S. 217 f. Vgl. HAF.G, INT 501, S. 16; Thiemever, Pool Vert, S. 2 2 8 - 2 3 0 . 177 Vgl. KPBR, IX, S. 591 f. (12.9.1956);'Knipping, Orientation, S. 521. 17« Vgl. PA, Β 12/12, Bl. 5 9 - 6 3 : Stellungnahme, 25.9.1956. ,7 Vgl. Gaddis, We now know, S. 173-176. 205 Vgl. PA, Β 2/30, Bl. 278 f.: Presseinformationsgespräch, 16.8.1956; DDF, 1956, II, S. 231 f.: de Margene an Pineau, 7.8.1956; ebd., 1956, III, S. 162: Couve de Murville an Pineau, 3.11.1956. 2m

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Haltung Washington gegenüber zu erreichen. Damit am Ende Briten und Franzosen nicht ebenfalls auf den Gedanken kamen, die Bundesrepublik »an die Russen [zu] verkaufen«, wollte er den Aufbau der »Wehrmacht« vorantreiben, der noch immer an den Folgen der Stagnation im Zeichen der E V G litt. Der Kanzler hoffte, auf der Grundlage französischer Vorschläge zur Rüstungszusammenarbeit - in die er Italien eingebunden wissen wollte — Elemente der E V G wieder aufzugreifen. Vor allem aber war Adenauer — ungeachtet der Warnungen aus dem Auswärtigen Amt und dem Wirtschaftsministerium — entschlossen, am 6. November seinen seit längerem ausgemachten Besuch in Paris anzutreten, um die bilateralen europapolitischen Gegensätze zu überwinden 206 . Ganz anders reagierte die italienische Regierung, die sich im Gegensatz zur deutschen mit ihrer Öffentlichkeit einig wußte. Sie teilte die Auffassung ihres Außenministers. Für Martino konnte die italienische Haltung nur deckungsgleich sein mit der amerikanischen. Freilich dürfe man Briten und Franzosen nicht verprellen und müsse die Schwächung der N A T O vermeiden 207 . Tatsächlich hegte Italien erhebliche Sympathien für die Araber, die sich mit Petroleuminteressen verbanden. Es warb um amerikanische Unterstützung für seine Bestrebungen, im Nahen Osten den Einfluß der Kolonialmächte England und Frankreich teilweise zu ersetzen, ohne seine atlantischen Verpflichtungen zu gefährden. Daß sowohl Amerikaner wie Ägypter auf italienische Vermitdung verzichteten und Pineau die Italiener nicht in seine Pläne einweihte, war freilich ein Indiz für den weiterhin geringen Spielraum der italienischen Diplomatie 208 . Fast nur noch die Bonner standen der französischen Regierung wacker zur Seite. Dagegen blieb deren Verhältnis zu London ambivalent. Im Zeichen der sich zuspitzenden Krise hatte Mollet den Briten am 10. September 1956 wieder einmal den spektakulären Fusionsvorschlag von 1940 unterbreitet und/oder den Beitritt seines Landes zum Commonwealth angeboten. Für Eden galt ein britisch-französischer Staat, ergänzt um die Aufnahme der Skandinavier und des Benelux in das Commonwealth als Alternative zu Macmillans und Thorneycrofts Plan einer Freihandelszone. Freilich wurde eine »organic association with France« schnell zugunsten einer »association« zwischen den WEU-Staaten und den übrigen OEEC-Mitgliedern verworfen 209 . Letztlich fürchtete London, das wirtschaftlich marode Frankreich werde die eigenen wirtschaftlichen Probleme verschärfen. In einem Bündnis der wettbewerbsschwachen britischen Unternehmen mit ihren französischen Pendants werde der Protektionismus fröhliche Urstände feiern. Der Gold- und Devisenpool werde durch seine Ausdehnung auf 2«> Vgl. KPBR, IX, 1956, S. 682-684 (Zitate S. 683 f.) (5.11.1956), 703-709 (Zitate S. 709) (9.11.1956); ebd., X, 1957, S. 70 (9.1.1957); PA, Β 2/106, fol. 66-68: Vermerk Fechter, 2.11.1956; DDF, 1956, III, S. 164 f.: Couve de Murville an Pineau, 3.11.1956; Lappenküper, Beziehungen, S. 915-917; Müller-Armack, Weg, S. 122 f.; Thoß, Beitritt, S. 226. 2°7 Vgl. ACS, PCM/VCM, 1. und 31.10.1956. 208 Vgl. Brogi, Egemonia, S. 212-236; Di Nolfo, Power Politics, S. 539-543; Nuü and Cremasco, Linchpin, S. 328 f. 209 Vgl. PRO, CAB 128/30, CM 65(56), 18.9.1956; ebd., CM 67(56) (Zitate), 26.9.1956.

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Frankreich zwar dessen Zahlungsbilanzprobleme dämpfen, aber das Vertrauen der Sterlinggläubiger erschüttern und damit die Sterlingzone überhaupt in Frage stellen. Attraktiver schien die Ausdehnung des Commonwealth auf den Kontinent. Freilich erinnerte die Ministerialbürokratie an die erheblichen Risiken eines erforderlichen Umbaus des Commonwealth: Womöglich drifteten die übrigen Kontinentalstaaten um so sicherer in den sowjetischen Einflußbereich, während die asiatischen und afrikanischen Mitglieder die Gemeinschaft verließen; von den kolonial- und handelspolitischen Problemen ganz zu schweigen. Selbst eine große europäische Freihandelszone mit den Subsystemen einer britisch-französischen, einer skandinavischen und einer Zollunion zwischen Bundesrepublik, Italien und dem Benelux war komplizierter als eine Sechsergemeinschaft im Rahmen der zur Freihandelszone erweiterten OEEC 210 . Lynch glaubt, die Fusion mit Großbritannien sei alternativ zur Sechsergemeinschaft Mollets »preferred foreign policy option« gewesen. Bereits bevor sich Mollet und Adenauer zeitgleich zum Höhepunkt der Doppelkrise von Suez und Ungarn auf einen Kompromiß in der Europapolitik einigten, habe sich die französische Regierung angesichts der britischen Ablehnung für die zweitbeste Lösung, die Sechsergemeinschaft, entschieden. Aus anderer Warte, aber in ähnliche Richtung argumentieren Milward und Thiemeyer mit ihrer Auffassung, die Entscheidung für einen deutsch-französischen Kompromiß sei bereits beim Treffen Mollet/Adenauer Ende September 1956 gefallen. Möglicherweise versprach sich Mollet von der englischen Karte in der Hinterhand etwas Luft gegenüber der Einheitsfront seiner fünf Messinapartner in den praktischen Fragen der Gestaltung des Gemeinsamen Marktes 211 . Tatsächlich spukte der Gedanke der Staatenfusion immer wieder durch französische Köpfe. Im übrigen hatte der Sozialist Mollet gegenüber dem Christdemokraten Schuman — zeitweise unisono mit dem Sozialisten Auriol und zahlreichen französischen Diplomaten — ein »großes« Europa unter Einschluß Englands gefordert. Dennoch ist fraglich, ob die Offerte Mollets mehr war als ein Versuchsballon, um die wirtschaftlichen Zugeständnisse zu erkunden, welche die Briten im Vergleich zu den fünf Messinastaaten den Franzosen einzuräumen bereit waren. Wie Mollet und Pineau vor der Konferenz von Venedig nach Moskau gereist waren, um dem Vorwurf zu begegnen, man habe Alternativen nicht ausgelotet, erneuerte der französische Ministerpräsident das Fusionsangebot zu einem Zeitpunkt, wo ein Erfolg des gemeinsamen britisch-französischen Vorgehens in Nahost nicht auszuschließen war. Die Briten hatten jedoch auf amerikanischen Druck hin sofort beigedreht. Damit konnte für die Franzosen kein Zweifel mehr bestehen, daß die Briten gegen jede denkbare europäische Konstellation unerschütterlich an ihrem Sonderverhältnis zu den Vereinigten Staaten festhielten 212 .

2111 211

212

Vgl. Kane, Community, S. 9 0 - 9 2 ; Lynch, France, S. 178-180; Warner, Aspects, S. 5 3 - 5 6 . Vgl. Lvnch, Prance, S. 183; Milward, European Rescue, S. 214 f.; ders., United Kingdom, S. 257, 260 f.; Thiemever, Pool Vert, S. 222 f. Vgl. Warner, Aspects, S. 64 f.

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Adenauer erlebte mit, wie das französisch-britische Verhältnis auf einen Tiefpunkt stürzte. Pineau berichtet, daß am Nachmittag des 6. November 1956 in das Gespräch mit Adenauer hinein ein Telefonanruf Edens an Mollet durchgestellt wurde, in dem der Brite mitteilte, Eisenhower fordere ultimativ Waffenstillstand binnen zwölf Stunden 213 . Auf die Bitte Mollets, man möge zunächst Aufschub verlangen, gestand der Brite, daß er unter dem Druck, den die Amerikaner auf das Pfund ausübten, bereits eingewilligt hatte. Das einseitige Vorgehen der Briten war nicht nur ein Bruch der bilateralen Absprachen und ein böses Omen für den Algerienkonflikt. Es beleuchtete grell die eigene Ohnmacht, wenn man von den offenbar unzuverlässigen Angelsachsen im Stich gelassen wurde. Adenauer empfahl seinem französischen Kollegen, der amerikanischen Nötigung nachzugeben, und zog die naheliegende Konsequenz: »Et maintenant, il faut faire l'Europe 214 .« Der Deutsche bekräftigte seine Auffassung, die Amerikaner trügen die Verantwortung für die Suezkrise. Allerdings war ihr Verhalten in seinen Augen auch eine Reaktion auf das Scheitern ihrer Hoffnung auf ein vereintes Europa. Damit legte er dezent den Finger in die Wunde, für die vornehmlich die Franzosen verantwortlich waren. Mit ihren europapolitischen Hoffnungen, so die — wahrscheinlich nicht mit Absicht übertriebene — Schlußfolgerung des Bundeskanzlers, hätten die Amerikaner auch ihre Führungsrolle in der NATO aufgegeben. Er bezweifelte gegen Mollet und sogar gegen seinen eigenen Außenminister, daß sie nach der Reduzierung ihres konventionellen Potentials noch bereit seien, wegen Westeuropa in eine nukleare Auseinandersetzung einzutreten. In der Konsequenz sollten sich die Europäer unter Einschluß der Briten einigen, um den Vereinigten Staaten geschlossen gegenüberzutreten. Mollet blieb hinsichtlich der von Adenauer angestrebten Wiederbelebung der WEU skeptisch. Vor dem Hintergrund der Ausrüstung der Bundeswehr zog Paris eine hochrangige bilaterale statt der tri- oder gar multilateralen Rüstungszusammenarbeit im Rahmen der WEU vor. Mit diesem Gedanken trachtete Adenauer in Reaktion auf den Radfordplan seit Sommer 1956 dem Konzept Idee eines Rüstungspools als Ersatz für die EVG neues Leben einzuhauchen 215 . Im Ergebnis war man sich über die Belebung von WEU und NATO sowie über die Fortsetzung der Sechsergemeinschaft einig216. Unter diesen Auspizien formulierten Marjolin und der deutsche Diplomat Karl Carstens217 unterdessen einen Kompromiß, um die Brüsseler Blockaden zu überwinden. Das Auswärtige Amt unterstellte, daß die Regierung Mollet im Gemeinsamen Markt und Euratom ebenfalls die »Bausteine der politischen Einigung« sehe, dies 2»

Vgl. FRUS, 1955-1957, XVI: Telefongespräch Eisenhower/Eden, 6.11.1956. 214 Pineau et Rimbaud, Pari, S. 223; HAEG, INT 8, S. 8. 2 , 5 Vgl. Küsters, Gründung, S. 321-324; Lappenküper, Beziehungen, S. 917; Thoß, Komponenten, S. 496 f. 216 Vgl. DDF, 1956, III, S. 197-202, 231 -238: Vermerk für den Ministerpräsidenten (nebst Memo, 25.9.1956), 3.11.1956, Gespräch Mollet/Adenauer, 6.11.1956. 217 Leiter der Unterabteilung Zwischen- und überstaatliche Organisationen im Ausw. Amt. Vgl. Lappenküper, Beziehungen, S. 1000 f.

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aber gegenüber der Nationalversammlung verschleiern müsse. Daher betone sie ihre wirtschaftlichen und technischen Forderungen an die Partner. Die Bundesregierung befinde sich genau in der entgegengesetzten Lage; sie müsse ihre voraussichtlichen Zugeständnisse durch das europapolitische Ziel rechtfertigen. Dem französischen Bestreben, durch Stärkung des Ministerrates den eigenen Parlamentariern die Sorgen vor dem Supranationalismus zu nehmen, konnte man folglich »nur in Grenzen folgen«. Während die deutsche Diplomatie in der Frage des Brennstoff(versorgungs)monopols kompromißbereit war, wollte sie in der Frage der Einbeziehung des Spaltmaterials für militärische Zwecke hart bleiben. In den bilateralen Verhandlungen — für die man das Plazet der anderen Ressorts eingeholt hatte — wurde jedoch genau umgekehrt das Versorgungsmonopol aufgeweicht und dafür der militärische Bereich ausgeklammert. Ihr Zugeständnis verstanden die Franzosen überdies als Ausgleich dafür, daß sie ein Vorgriffsrecht (»preciput«) für die nationale Produktion von Spaltmaterial für ihr militärisches Nuklearprogramm beanspruchten. Mollet mag persönlich vor allem an der zivilen Nutzung der Kernenergie interessiert gewesen sein, das Parlament und die eigene Partei wollten auch die Bombe. Euratom war tot, als es den Franzosen gelang, die Bombe vollständig aus der Euratom herauszuhalten 218 . Beim Gemeinsamen Markt wollten die Deutschen lieber eine Sonderstellung der Franzosen hinnehmen als das marktwirtschaftliche Grundkonzept aufzuweichen. Folgerichtig milderte Frankreich seine Forderungen zur Harmonisierung von Löhnen und Arbeitszeiten (insbesondere zur Uberstundenvergütung). Dafür wurde ihm die Fortsetzung der Ausfuhrbeihilfen und Einfuhrabgaben zugestanden 219 . Pineau hatte mithin Grund sich zu freuen. Der Bundeskanzler habe nicht ohne Ergebnisse von seiner umstrittenen Reise zurückkommen wollen. Das habe seine Kompromißbereitschaft gefördert 220 . Tatsächlich sah Adenauer seine Zugeständnisse durch die französische Bereitschaft, NATO und WEU wiederzubeleben, »voll gerechtfertigt«. Für Brentano teilte Paris die Uberzeugung, daß die »europäische Einigung heute notwendiger sei denn je«221. Tatsächlich hatten die Franzosen einen ungedeckten Scheck auf eine Zukunft ausgestellt, über die in erster Linie Amerikaner und Briten entschieden. Zur Freude des französischen Botschafters in Bonn hatte Adenauer der Versuchung widerstanden, in der Krise des westlichen Lagers »eine privilegierte Rolle« zu spielen. Vielmehr sei die deutsche Diplomatie bemüht, die amerikanisch-europäischen wie die britisch-französischen Gegensätze zu überwinden und in der NATO den »status quo ante« wiederherzustellen. Adenauer werde daher gegen den herrschenden Trend in der öffentlichen Meinung europa218 219

22,1 221

So M. Faure im Rückbück. HAEG, Int 601, S. 14. Vgl. BDFD, I, S. 614-616: Vorschläge der dt. und franz. Sachverständigen, 6.11.1956; ebd., II, S. 830-833: Vermerk Valery, 9.11.1956; PA, Β 2/12, Bl. 6 4 - 7 2 : Gesprächsunterlage Bundeskanzler/Mollet, o.D.; Carstens, Erinnerungen, S. 206-208; Eckert, Kernenergie, S. 327-329; Guillen, France, S. 520-522; Küsters, Gründung, S. 319-321, 325-330; ders., Federal Republic, S. 501-503; Thiemever, Pool Vert, S. 218-222; Thoß, Komponenten, S. 497 f. Vgl. DDF, 1956, III, S. 249-251: Runderlaß Pineau, 8.11.1956. Vgl. KPBR, IX, S. 693 f. (7.11.1956); Loth, Interessen, S. 181.

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politisch auf Kurs bleiben 222 — gute Aussichten für die französischen Sonderwünsche. Die französischen Zugeständnisse bei Löhnen und Sozialkosten folgten der Einsicht, daß hier nicht der wahre Grund der fehlenden französischen Wettbewerbsfähigkeit lag. Im Vergleich der Jahre 1948 und 1957 verzeichnete die französische Industrie einen Produktivitätszuwachs (64 %), der zwar nur halb so groß war wie der Zuwachs der deutschen und italienischen Industrie (123 bzw. 117 %). Er lag aber immer noch um 20 % über den Zuwächsen der Beneluxindustrie. In Dollar lag die Zunahme der Lohnkosten sogar erheblich niedriger als in der Bundesrepublik (35 statt 55 %), wenn auch nicht so niedrig wie im Niedriglohnland Holland (18 %). Die Stücklöhne waren in Dollar in Frankreich wie in Holland um 17 % gesunken. Dagegen fiel der Rückgang in Italien und der Bundesrepublik etwa doppelt so hoch aus (32 bzw. 35 %). Belgien mußte sogar eine minimale Steigerung hinnehmen. Ein ganz anderes Bild ergab sich, betrachtete man die Lohnentwicklung in heimischer Währung. Da waren die französischen Lohnkosten gegenüber der Produktivität dann um mehr als das Doppelte (150 %) gestiegen, während die Steigerung in der Bundesrepublik deutlich hinter dem Produktivitätszuwachs zurückblieb (96 %). In der signifikant niedrigen Zunahme um weniger als die Hälfte (53 %) wirkte sich die italienische Stabilitätspolitik aus223. Die Zahlen bestätigen erneut die fehlende Abwertung des Franc als die eigentliche Krux der französischen Wirtschaftspolitik. Ein Vergleich der französischen, deutschen und belgischen Automobilindustrie ergab zwar unterschiedliche Anteile der Soziallasten an den Stundenlöhnen ( von 45, 35 und 25 %), die sich aber bei der Betrachtung der gesamten Arbeitskosten deutlich relativierten (192, 185 und 266 FF). Im Kohlebergbau lagen die deutschen Arbeitskosten zwar 36 FF niedriger als die französischen. Aber gewichtiger war der Abstand zwischen Lothringen und Nord- bzw. Zentralfrankreich (mit 47 bzw. 59 FF). Bedeutsam war die Gleichstellung von Frauen und Männern sowie die 40-Stundenwoche. Die Deutschen lehnten beide beharrlich ab. Lieber wollten sie Sonderklauseln für betroffene französische Branchen zugestehen, um einen lohnseitigen Preisauftrieb zu vermeiden 224 . Marjolin und Carstens hatten vor allem »Formelkompromisse« 225 ausgehandelt. Seit dem Schumanplan über den Spaakbericht bis zur Gegenwart begleiten diplomatische Lösungen die europapolitischen Einigungen; zunächst sind sie der Schlüssel zum Erfolg, dann belasten sie dessen Umsetzung in praktische Politik. Adenauer hatte im Vorfeld des Kompromisses seinen Wirtschaftsminister mit dem Argument auf Linie gebracht, daß er in Anbetracht von Suez und Ungarn selbst dann an den Brüsseler Verhandlungen festhalten wolle, wenn Erhard womöglich die besseren Vorstellungen zur Wirtschaftsintegration vertrete. Drehte Erhard aus »politischer Einsicht« bei, so machte er jetzt Front gegen Formeln, die »mehr ge222 223 224 225

Vgl. DDF, 1956, III, S. 405 f.: Couve de Murville an Pincau, 24.11.1956. Vgl. Cassiers, Miracle, S. 280. Vgl. Lynch, France, S. 180-182; Rye Svartavatn, Quest, S. 9 6 - 9 9 . Thiemeyer, Pool Vert, S. 268.

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genseitiges Mißtrauen als Gemeinsamkeiten« ausdrückten und für ihn auf »ein bürokratisch manipuliertes Europa« hinausliefen. Freilich mußte er sich von Etzel vorwerfen lassen, daß er selbst wenig mehr zu bieten hatte als einen einstimmig entscheidenden Ministerrat mit der Kommission als exekutivem Sekretariat — eine Neuauflage des Europarates mithin und die Fortsetzung der müde gewordenen OEEC. Kaum von der Hand zu weisen war schließlich das Argument, daß die britischen Freihandelszonenpläne den Gemeinsamen Markt auf dem Kontinent voraussetzten. Scheiterten die Europäer, waren die Briten kaum bereit, die Lasten und Risiken der Freihandelszone auf sich zu nehmen. Dies war auch die Ansicht des französischen Botschafters in London. Allerdings durfte sich Erhard durch den Fortgang der Brüsseler Verhandlungen in seinem Ärger über die erfolgreiche Verhandlungstaktik der Franzosen bestätigt sehen. Während sie die Europapolitik mit den »Bleigewichten« ihrer Partikularinteressen belasteten, wollten sie zugleich »in der Pose der guten Europäer paradieren« und ihn selbst »zum schlechten Europäer stempeln«226. Kaum hatten die Delegationsleiter in Brüssel den deutschfranzösischen Kompromiß am 16. November 1956 akzeptiert, packte M. Faure unter Berufung auf den grundsätzlichen Beschluß von Venedig eine alte Forderung erneut auf den Tisch. Wollten die Briten die Europäer eher indirekt an den Kosten ihres kolonialen Erbes beteiligen, indem sie die Landwirtschaft ausklammerten und auf den gemeinsamen Außenzoll verzichteten, waren die Franzosen bestrebt, ihre Partner direkt zur Kasse zu bitten. Die geforderte Assoziierung der Überseeterritorien lief praktisch auf deren stufenweise Öffnung für den Export der Mitglieder des Gemeinsamen Marktes hinaus. Im Gegenzug sollten die Agrarexporte der Überseeterritorien auf dem durch garantierten Absatz zu garantierten Preisen geprägten künftigen Agrarmarkt der Sechsergemeinschaft untergebracht werden. Vor allem erwartete man von der Gemeinschaft, daß sie 1 Mrd S für einen Investitionsfonds der Überseegebiete aufbrachte. Erst wenn europäische Investitionen in die Überseegebiete flössen, sollten diese auch für den Absatz der Partner geöffnet werden22". Eine europäische Investitionsbank für die Überseegebiete unter Heranziehung der Staaten ohne Kolonien wurde bereits im September 1952 in der Versammlung des Europarates verhandelt. Denn in dem Maße, wie der Investitionsbedarf der Überseegebiete die Fähigkeit des Mutterlandes überstieg, ihn zu befriedigen, wuchs die Bereitschaft, sich den Vereinigten Staaten zuzuwenden. Die Anbindung der (meist afrikanischen) Überseegebiete spielte in die Überlegungen zur EPG hinein und gehörte zu den ersten Forderungen der französischen Wirtschaft nach Erscheinen des Spaakberichtes. Seit 1955 identifizierte sich der MRP unter dem Schlagwort »Euroafrique« zusehends mit dem Gedanken, die französischen Positionen in Afrika durch die Sechsergemeinschaft zu flankieren. Ähnlich sah die 226

Vgl. Briefwechsel Erhard/Etzel, 16.11. und 3.12.1956, in: Enders, Integration, S. 160- P I (Zitate S. 161, 163); D D F , 1956, III, S. 426: Chauvel an Pineau, 29.11.1956; Küsters, Gründung, S. 332 f.; ders., Adenauer, S. 76 f. 22" Vgl. BDI D, I, S. 618-621: Erklärung der franz. Delegation.

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SFIO in europäischen Investitionen die Chance einer allmählichen Entkolonialisierung unterhalb der Schwelle der vollständigen Unabhängigkeit. Beide Parteien reagierten damit auf die zentrifugalen Kräfte, welchen die Union Fran9aise ebenso unterlag wie das Commonwealth. Den französischen Überseegebieten fiel nach 1948 die Aufgabe zu, durch Rohstoff- und Lebensmittelexporte in dritte Länder und das Mutterland Dollars zu verdienen bzw. zu sparen. Tatsächlich kam es in Teilbereichen zu Dollarimportsubstitution. Französische Exporteure erfreuten sich eines Heimspiels auf den Überseemärkten, die durch Quoten und Devisenkontrollen gegen Dritte geschützt waren. Eine Minderheit der französischen Unternehmer mit der Textilindustrie an der Spitze wollte diese klassische Handelsbeziehung zwischen Kolonien und Mutterland bewahren. Eine Mehrheit war 1956 hingegen bereit, sich der Konkurrenz der europäischen Industrie auf diesen Märkten zu stellen, sofern deren Heimatländer auch einen Teil der Lasten übernahmen. Denn seit 1952 stiegen die Zahlungsbilanzdefizite der Überseeterritorien. 1954 griff wechselseitige Unzufriedenheit um sich. Dem französischen Steuerzahler wurden neben den Budgetdefiziten des Mutterlandes auch die der Überseeterritorien aufgebürdet. Die französische Landwirtschaft sah sich zunehmender Konkurrenz aus Übersee ausgesetzt. Und die Überseeterritorien klagten, daß sie die französischen Industrieprodukte zu Preisen weit über denen des Weltmarktes abzunehmen hatten. Die Regierung Faure hatte die europäische Lösung dieser Probleme zurückgestellt; sie konzentrierte sich zunächst auf Euratom. Die Regierung Mollet kam bei den Überseeterritorien ebenfalls zu der Überzeugung, daß es teurer war, sie nicht anzuschließen als sie zu assoziieren. Insofern war ihre Forderung ein Indiz, daß sie sich nunmehr endgültig für den Gemeinsamen Markt entschieden hatte. Die Mobilisierung europäischer Ressourcen für eine Art französischen Marshallplan in Afrika paßte zudem zum Konzept der Regierung Mollet, den algerischen Unabhängigkeitsbestrebungen mit der Peitsche des Militärs und dem Zuckerbrot von Investitionen entgegenzutreten 228 . In bilateralen Beratungen hatte Paris die kleine Kolonialmacht Belgien überzeugt, den Vorschlag mitzutragen 229 . Den Franzosen ging es nicht nur um Entwicklungshilfe. Sie hofften auch, den hohen Anteil der Mutterländer am Außenhandel der Überseegebiete und des Kongo zu stabilisieren und den niedrigen Anteil der vier Partner zu erhöhen. Dabei versprach man sich nicht zuletzt erweiterte Absatzchancen für die schwarzafrikanische Landwirtschaft 230 . Deutsche, Italiener und Luxemburger reagierten zwar skeptisch. Immerhin signalisierten die Deutschen ihre Bereitschaft, die Frage in einem Zusatzprotokoll zu regeln. Die Italiener waren mit ihren Wünschen für Süditalien auf den Widerstand der Holländer gestoßen. Die Deutschen waren dagegen schon vor Beginn der Brüsseler Regierungs228

229 230

Vgl. Frank, Alternative, S. 168-171; Girault, France, S. 353-369; Guillen, Europe, S. 508 f.; Küsters, Gründung, S. 333f.; Lynch, France, S. 190-203; dies., Restoring, S. 7 0 - 7 2 ; Schreurs, Marshall Plan, S. 8 9 - 9 1 . Vgl. D D F , 1957, II, S. 504 f.: Bousquet an Pineau, 7.10.1957. Vgl. MAEF, Europe 1956-1960, G e n e r a t e s , Bd 184, Bl. 321-332: Bousquet an Pineau, 30.10.1956.

IV. Die Initiative des Benelux

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Verhandlungen bereit gewesen, den Italienern hinsichtlich Emigration und Entwicklung des Südens entgegenzukommen. Deren grundsätzliches Interesse an der horizontalen Integration sollte gefördert werden, um sie gegen die Skeptiker in Paris im gemeinsamen Boot zu halten. Im Vorfeld eines erneuten Italienbesuchs im Juli 1956 unterstrich Adenauer, wie bedeutend es sei, die Mezzogiornopläne der Regierung in Rom zu unterstützen, um das Land gegen den Kommunismus zu stabilisieren. Enttäuscht registrierte man dagegen im November 1956 in Brüssel, daß Italien »den retardierenden französischen Einflüssen« unterliege. Tatsächlich stand Rom hinsichtlich seiner veralteten Landwirtschaft besonders im Süden vor einer widersprüchlichen Aufgabe. Einerseits mußte sie Ressourcen für ihre Modernisierung und damit für die Steigerung ihrer Produktivität aufbringen, die es ihr ermöglichten, nicht zuletzt auf dem deutschen Markt als Wettbewerber der Niederländer aufzutreten. Andererseits bedeutete Produktivitätssteigerung zwangsläufig Freisetzung von Arbeitskräften. Das legte für die Ubergangsphase Protektionismus und Präferenzen nahe, welche die Länder der Gemeinschaft veranlaßte, ihren Importbedarf unabhängig von Weltmarktpreisen vorrangig aus der Produktion der Gemeinschaft zu decken. Damit waren die italienischen und französischen Interessen teilidentisch gegenüber Bestrebungen, auch im Agrarbereich möglichst marktwirtschaftliche Regelungen zu treffen und einen moderaten Außenzoll durchzusetzen 231 . Als die Franzosen den Italienern eine Sonderregelung für Süditalien zugestanden, gaben die ihre Vorbehalte gegen die Einbeziehung der Uberseeterritorien auf. Dagegen ließen die Holländer sich durch die Sirenengesänge Spaaks von einer »großen Politik« in Europa und Afrika nicht beirren. Sie kritisierten, die Franzosen hätten zunächst die Zuständigkeit der Institutionen des Gemeinsamen Marktes beschnitten, um sie jetzt zu überfrachten. Im Haager Kabinett plädierte Außenminister Luns dafür, den zwischen Adenauer und Mollet vereinbarten Kompromiß zu akzeptieren. Dagegen kritisierten Landwirtschaftsminister Mansholt und seine föderalistischen Mitstreiter die Verwässerung des Supranationalismus. Sie versprachen sich nicht zuletzt von der aktiven Rolle des Europaparlaments die Förderung niederländischer Interessen. Dagegen setzte Wirtschaftsminister Zijlstra auf den Ministerrat. Ministerpräsident Drees blieb ohnehin bei seiner Skepsis. Eine Ablehnungsfront der Föderalisten und der Euroskeptiker lag in der Luft. Mit den Ausfuhrbeihilfen der Franzosen wollte man sich ebensowenig abfinden wie mit deren Absicht, die eigene Produktion von Spaltmaterial für sich zu reservieren. Die niederländische Landwirtschaft polemisierte gegen Mindestpreise bei Agrareinfuhren. Den Haag spiele, so resümierte Pineau, die britische Freihandelszone gegen den Gemeinsamen Markt aus, der sich mittlerweile weit vom ursprünglichen Beyenplan entfernt hatte. Bei den Deutschen notierte er jetzt dagegen »eine feste Entschlos-

2-Ί Vgl. P A , Ref. 2 1 0 / 4 : Vermerk Müller-Roschach, 15.6.1956; ebd., Β 1 0 / 9 1 9 , Bl. 239 f. (Zitat): Vermerk Hartlieb, 1 3 . 1 1 . 1 9 5 6 ; K P B R , IX, 1956, S. 4 7 0 (11.7.1956); Thiemever, Pool Vert, S. 2 1 3 - 2 1 6 , 2 3 8 f., 2 4 4 f., 2 4 7 - 2 4 9 .

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senheit, [einen Vertrag] abzuschließen« 232 . In der Tat galt das, was Erhard als Verstrickung in die französische Kolonialpolitik kritisierte, dem deutschen Außenminister als Erfüllung eines lang gehegten Wunsches der Europäer, der bislang immer an den Kolonialmächten gescheitert sei. Dabei bedurfte die Einbeziehung der Uberseegebiete, die diesen eine Präferenz beim Zugang zum Gemeinsamen Markt einräumte, der Zustimmung des GATT. Damit spielte man Großbritannien ein Druckmittel in die Hand. Gegen die britische Kritik an der Assoziierung der Überseeterritorien übernahm der deutsche Diplomat Carstens die französische Argumentation. Danach wog das Interesse, daß Afrika durch französische Kontrolle gegen kommunistische Infiltration gewappnet werde, höher als handelspolitische Vorteile der Deutschen und Holländer 233 . Mollet beharrte weiter auf einem ausschließlichen Eigentumsrecht der Euratom an Spaltmaterial, um den Vereinigten Staaten gegenüber eine lückenlose Kontrolle des zivilen Brennstoffkreislaufs nachzuweisen und damit von deren Einmischung unabhängig zu werden. Atomminister Balke war nicht gerade glücklich über den in Paris gefundenen Kompromiß. Er mahnte den Bundeskanzler, wenigstens hier den Franzosen nicht nachzugeben. Schließlich seien sich Wirtschaft und Wissenschaft einig, daß es Frankreich ein weiteres Mal vor allem darum gehe, die deutsche Nuklearpolitik unter Kontrolle zu halten. Adenauer reagierte auf das Drängen Mollets spät und ausweichend 234 . Inzwischen hatten die Vereinigten Staaten Vorstellungen ihrer Atomenergiekommission 235 umgesetzt und den Bezugspreis für angereichertes Uran so weit gesenkt, daß der Bau einer europäischen Isotopentrennanlage im Umfang von ca. 500 Mio D M nicht mehr lohnte. Für den Quai d'Orsay entfiel damit der attraktivste Aspekt der Euratom. Das Versorgungsmonopol stellte hinreichend sicher, daß die Deutschen sich nicht ihrer industriellen Kapazitäten bedienten, um in bilateraler Zusammenarbeit mit den Amerikanern ein Nuklearprogramm ins Werk zu setzen, welches das seiner Nachbarn überflügelte. Eigentumsrechte der Euratom am Spaltmaterial sahen die Diplomaten unterdessen selbst mit gemischten Gefühlen; räumte es doch womöglich den Deutschen einen Mitbesitz an französischen Kernwaffen ein. Tatsächlich wollte Adenauer an der Isotopentrennanlage vorläufig festhalten, um »in der militärischen Entwicklung ein Wort mitzusprechen«. Wirtschaftlich galt den französischen Diplomaten die Kernenergie mittlerweile und für länger als zu unbedeutend, als daß sich damit größere politische Hoffnungen verbinden könnten; zumal sie ihren gemeinschaftlichen Charak232 Vgl. D D F , 1956, III, S. 401 f. (Zitat), 415 f., 451 f.: Runderlaß Pineau, 24.11.1956, Beauverger an Pineau, 27.11.1956, Rundetlaß Pincau, 1.12.1956; ACS, PCM/CIR, Nr. 182: ital. Botschaft Den Haag an Min. Äff. Est., 22.1. und 18.2.1957; Griffiths, Common Market, S. 195 f.; Griffiths and Asbeek Brusse, Cabinet, S. 476-478, 482-485; Lynch, France, S. 203 f. 2-M Vgl. B D F D , I, S. 621-623: Brentano an Adenauer, 8.12.1956; PA, Β 2/925, Bl. 272-275, 282-285: Ophüls an Ausw. Amt und Vermerk v. Stempel, 6.3.1957, Carstens an dt. Botschaft London, 15.3.1957; Küsters, Federal Republic, S. 504. 23" Vgl. D D F , 1956, III, S. 288 f., 494 f.: M. Faure an Couve de Murville, 13.11.1956, Couve de Murville an Pincau, 8.12.1956; BDFD, II, S. 847-850: Balke an Adenauer, 8.12.1956; ebd., I, S. 623 f.: Adenauer an Mollet, 14.1.1957. 233 Vgl. FRUS, 1955-1957, IV, S. 396 f.: Besprechung Dulles, L. Strauss u.a., 25.1.1956.

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ter bereits stark eingebüßt habe. Für die Europapolitik sei die Atomgemeinschaft demnach »eine entscheidende Etappe« 236 . Gegen Jahresende 1956 hatten die Brüsseler Delegationen den Rohbau der künftigen Wirtschaftsgemeinschaft errichtet. Beim Außenzoll 237 standen sich die Benelux-Staaten auf der einen und Franzosen und Italiener auf der anderen Seite gegenüber. Die Deutschen wußten sich im Grundsatz mit dem Benelux darin einig, einen moderaten Durchschnitt der bestehenden Tarife zu erreichen. Mit ihrer Forderung nach Ausnahmetatbeständen standen sie im Lager der Romanen. Auch hinsichtlich des Agrarmarktes teilten die Deutschen eher die protektionistische Haltung der Franzosen, Luxemburger und Italiener als die freihändlerischen Forderungen der Niederländer. Die deutsche Landwirtschaft trug mit 11 % nahezu ebensoviel zum Bruttosozialprodukt bei wie die niederländische (12 %), belgischluxemburgische (8 %) und französische (15 %). Mit 35 % verbuchten die niederländischen Landwirte einen immerhin dreimal so hohen Anteil an den gesamten Ausfuhren wie ihre französischen Wettbewerber (15 %). Ahnlich hoch wie in der deutschen war der Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft des Benelux. Dagegen waren es in der britischen Landwirtschaft nur 5 % der Erwerbstätigen, die auch nur 5 % des Bruttosozialproduktes erwirtschafteten. Die französische Landwirtschaft beschäftigte 25 % und die italienische sogar 41 % aller Erwerbstätigen 238 . Vorhersehbar gehörte der Erhalt der Landwirtschaft als Erwerbsquelle einer großen Minderheit der europäischen Bevölkerung zu den zentralen Aufgaben des Gemeinsamen Marktes. Die französische Delegation ging davon aus, daß angesichts der überall regulierten Agrarmärkte die europäische »planification« im Sinne der weitgehenden Übertragung der Vorstellungen der eigenen Landwirte auf die Ebene des Gemeinsamen Marktes erheblich leichter falle als im gewerblichen Bereich. Fand eine derartige europäische Agrarordnung die Billigung der mächtigen Landwirtschaftslobby des französischen Parlamentes, stand der Ratifizierung des Gemeinsamen Marktes kaum mehr etwas im Wege. Praktisch bedeutete das, daß der gemeinschaftsinterne Abbau der Zölle und Quoten mit dem Aufbau eines Präferenzsystems auf der Grundlage zweiseitiger Liefer- und Abnahmeabkommen einherging. Sank der Preis unter ein Minimum, wurde die Einfuhr ausgesetzt. Galt das für eine immerhin lange Ubergangsphase, so sollte es im Agrarhandel mit Dritten auf unabsehbare Zeit bei Kontingenten, Staatshandel und Absatzsubventionen bleiben. Obendrein sollten bei all dem auch noch die hergebrachten Handelsbeziehungen der Mitgliedsstaaten mit den Überseegebieten berücksichtigt werden. Ebenfalls auf Dauer angelegt war ein Garantiefonds, gespeist aus nationalen Abgaben und aus dem Investitions- und Anpassungsfonds der Gemeinschaft. Ihm oblag der Ankauf von Überschußmengen, die zu den Mindestpreisen nicht mehr abzusetzen waren. Letztere sollte der Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit - also *>

Vgl. Buchheim, Wiedereingliederung, S. 171-181; ders., Wirtschaftsbeziehungen, S. 89-100; Kaplan and Schleiminger, Payments Union, S. 275-277; Milward, European Rescue, S. 120, 134-167, 436 f.; ders., Deutscher Außenhandel, S. 477-479, 482, 486-488; Ranieri, Italian industry, S. 185-192, 198; Romero, Migration, S. 5 2 - 5 6 ; Rontini, Governo, S. 536 f.; Zamagni, Miracle, passim. 297 Marjolin, Travail, S. 303. Ähnlich resümiert jüngst Svartavatn, Quest, S. 102. 298 Ygi Carstens, Erinnerungen, S. 212 f., und dagegen Milward, European Rescue, S. 283 f. 299 Snoy et d'Oppuers, Benelux, S. 30.

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lamentarische Vertretung der Steuerzahler und Verbraucher offenbar nicht übermäßig den Kopf zerbrechen mußten. Kein Wunder, daß am Ende der 1960er Jahre allein die Agrarpolitik echt »vergemeinschaftet« war 300 . Folgerichtig wurde die europäische Gemeinschaft bis in die Gegenwart vornehmlich mit einer monströsen Agrarordnung und einer ebensolchen Bürokratie assoziiert. Diese Europäisierung national nur schwer lösbarer Fragen sollte Schule machen 301 . In den agrarpolitischen Bestimmungen der Römischen Verträge wird im übrigen die Ambivalenz der Wirtschaftsgemeinschaft deutlich. Die Volkswirtschaften wurden geöffnet, aber — zumindest auf absehbare Zeit — nicht zum Weltmarkt, sondern mit dem Ziel, eine relativ geschlossene weltwirtschaftliche Region zu bilden. Mithin war die EWG vorerst kein Beitrag zur Globalisierung. Sie wäre es gewesen, wäre die Einbindung in eine größere europäische oder gar europäisch-adantische Freihandelszone gelungen. Andererseits war in den zunächst eher intergouvernemental angelegten Institutionen der E W G eine Tendenz zur transnationalen, nicht unbedingt supranationalen Politiksetzung angelegt. In der Konsequenz der Zugeständnisse an Frankreich hatten sich die Römischen Verträge jedenfalls weit vom Spaakbericht und noch weiter vom Beyenplan entfernt. Entsprechend widerwillig stimmte ihnen schon die niederländische Regierung zu. Besonders auf Euratom hätte man gern verzichtet. Die Haager Europafreunde trösteten sich und andere mit den programmatischen Verheißungen für eine supranationale Zukunft. In Belgien konnte der Widerstand des belgischen Königs und seines Ministerpräsidenten gegen die Unterzeichnung nur durch die gemeinsame Rücktrittsdrohung Spaaks und des Wirtschaftsministers Rev überwunden werden. Die Ratifizierungsdebatten machten augenfällig, daß die BeneluxStaaten sich vor einem »Sprung ins Dunkle« wähnten. Gleichwohl dachte niemand ernsthaft an eine schlichte Ablehnung. Das Grundanliegen des Beyenplans, die horizontale Wirtschaftsintegration, konnte durchgesetzt werden, wenn auch zu einem sehr viel höheren Preis als die Niederlande ursprünglich zu zahlen bereit waren. Ministerpräsident Drees hoffte daher, den Protektionismus der Partner durch eine Freihandelszone mit dem Rest der OEEC zu mindern. Im übrigen sollte die Umsetzung der Verträge zur Nachbesserung genutzt werden 302 . Angesichts der berechtigten Erwartungen, daß der — zunächst von Campilli geleitete — Investitionsfonds vor allem dem eigenen Lande zugute komme 3 " 3 , stimmten die italienischen Abgeordneten mehrheitlich zu; selbst die Sozialisten begnügten sich mit Stimmenthaltung. In der Bundesrepublik stimmten die Sozialdemokraten zu. 3IKI Vgl Ambrosius, Wirtschaftsraum, S. 1 0 3 - 1 0 7 ; Hendriks, Creation; Kohler-Koch, Interessen, S. 9 7 - 1 0 0 ; Mikvard and Sorensen, Interdependence, S. 11 f.; Thiemever, Pool Vert, S. 241 - 2 4 3 , 258 f.; Milward, Ruropean Rescue, S. 2 2 9 - 2 3 6 , 3 1 1 - 3 1 7 . 3111 Vgl. Schumann und Müller, Integration, S. 350. -1'12 Vgl. MARI·', Rurope 1956-1960, G e n e r a t e s , Bd 186, S. 2 1 0 - 2 1 2 : de Beauverger an Min. Aft. Rtr., 7.8.1957; PA, Ref. 210, Nr. 22: Dt. Botschaft Den Haag an Ausw. Amt, 7.8., 11.9. und 12.9.1957.; Asbeck Brusse, Ruratom, S. 2 2 0 - 2 2 2 ; Dingemans/Boekestijn, Netherlands, S. 225 f.; Griffiths, Common Market, S. 2 0 0 - 2 0 2 ; Milward, Ruropean Rescue, S. 2 2 0 - 2 2 2 . Vgl. dazu Müller-Armack, Weg, S. 192-204.

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Die Liberalen lehnten dagegen aus deutschlandpolitischen Gründen ab, obwohl die fünf Partner mit der nach Ostdeutschland offenen Zollgrenze dem Rechtsstandpunkt der Bundesregierung einen nicht unerheblichen Tribut gezollt hatten. Die Abgeordneten des Benelux und der Bundesrepublik bedauerten, daß die nationalen Parlamente Souveränitätsrechte abtraten, ohne diese im Europaparlament wiederzufinden. Die Deutschen ratifizierten daher »befriedigt, aber ohne wirkliche Begeisterung«. Wie den Niederländern erleichterte die Aussicht auf die Ergänzung durch eine Freihandelszone auch der deutschen Industrie die Zustimmung zur EWG 3 0 4 . Dagegen unterstrich die französische Regierung in der Nationalversammlung die ausschlaggebende Rolle des Ministerrates. Wie M. Faure im Rückblick betont, war die Situation genau umgekehrt als zu Zeiten der EVG. Während die Ereignisse in Indochina deren Agonie beschleunigten, passierten die Römischen Verträge im Windschatten der sich zuspitzenden Entwicklung in Algerien. Das war nicht überraschend; ging es diesmal doch weder um die Abschaffung der französischen Armee noch um die Beschränkung der außen- und sicherheitspolitischen Souveränität. Im Ratifizierungsprozeß unterstrich die Regierung nachdrücklich, daß sie die zahlreichen Sonderregelungen nicht mit dem Verzicht auf Souveränität bezahlt habe 305 . Im übrigen trat mit der französischen Landwirtschaft eine mächtige Lobby für die Verträge an306. Die Skepsis gegenüber den Römischen Verträgen in der Sechsergemeinschaft nährte britische Hoffnungen, die Ratifizierung werde vielleicht doch noch scheitern — eine Illusion307. Wie die Ratifizierung der Montangemeinschaft war auch die des Gemeinsamen Marktes alles andere als eine Liebesheirat. Eher widerwillig schlossen die Europäer eine Vernunftehe aus drei Gründen: Nach langer Verlobungszeit war ein klares Nein teurer als ein zaghaftes Ja. Jeder erwartete, daß die eigenen Vorteile, namentlich die wirtschaftlicher Natur, größer ausfielen als die der Partner. Und man hoffte, sich am Ende so zusammenzuraufen, daß man in der Arena der Weltpolitik nicht als Aschenbrödel ohne halbwegs feste Beziehung dastand; zumal hier vorläufig und für lange Zeit noch Gütertrennung herrschen sollte. Zumindest in der Politik sind die Vernunftehen die stabileren.

6. Gemeinsamer Markt in der Freihandelszone? In London hatte man den Einfluß Erhards über- und die Macht Spaaks unterschätzt. Ebenfalls überschätzt hatte man die französische Skepsis gegen den Gemeinsamen Markt und unterschätzt die französische Bereitschaft, an der Saar zu 30t Vgl. DDF, 1957, II, S. 39-42 (Zitat S. 40): Couve de Murville an Pineau, 6.7.1957; Schulte, Challenging, S. 172 f. 305 Vgl. dazu PA, Β 20/19: v. Maltzan an Ausw. Amt, 10.4.1957. 306 Vgl M. Faure, Diskussionsbeitrag, in: Rilancio, S. 289; Griffiths and Asbeek Brusse, Cabinet, S. 492 f., Küsters, Gründung, S. 427-430, 451-479; Loth, Europa-Konzeptionen, S. 593 f.; ders., Deutsche und französische Interessen, S. 186; HAEG, INT 601, S. 15. 307 Vgl. Ellison, Europe, S. 106 f.; Küsters, Gründung, S. 415-419.

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vorteilhaften Bedingungen eine Position zu räumen, die sowieso nicht mehr zu halten war 308 . Die Überraschung über den Erfolg der Sechsergemeinschaft verband sich mit dem nachwirkenden Schock über die Ereignisse in Nahost. Beide förderten das dumpfe Gefühl, die Europapolitik gefährlich vernachlässigt zu haben 309 . Mit dem drittgrößten Verteidigungshaushalt (nach den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion) unterhielt Großbritannien ein über den halben Globus verteiltes Militär. Darunter litten die zivile Forschung, die Produktivitätsentwicklung der Industrie und nicht zuletzt der Kurs des Sterling. Die hohe Besteuerung drohte, die wissenschaftliche Elite außer Landes zu treiben. Gleichwohl hatte das Militär die politische Niederlage nicht verhindert. In der Konsequenz sollten die globalen militärischen Positionen zurückgenommen, die konventionelle Rüstung drastisch ab- und das nukleare Abschreckungspotential ausgebaut werden. J e mehr in Zukunft das politische Gewicht Großbritanniens — abgesehen von der Atom- und der in der Entwicklung befindlichen Wasserstoffbombe — von der Produktivität und Innovationsfähigkeit der Industrie abhing, desto bedeutender wurden die expandierenden Märkte des Kontinents. Insofern glaubte auch der scheidende Premierminister Eden um die Jahreswende 1956/57, daß die Lage des Landes nach Suez »may [...] determine us to work more closely with Europe«. Freilich werde »Europe [...] not welcome us simply at the moment it may appear to suit us to look to them« 310 . Bislang hatte London, den Blick nach Übersee gerichtet, den Europäern auf dem Kontinent den Rücken zugekehrt. Hoffnungsvoll hatten sie jeden Blick aufgefangen, den die stolze Britannia ihnen über die Schulter zuwarf. Das hatte sich geändert. Jetzt mußte Großbritannien seine Blickrichtung ändern, was auch Unternehmer und Gewerkschaften verstanden hatten 311 . Bei den Europäern griff indessen das Gefühl Platz, notfalls auch allein zurechtzukommen. Je mehr sie sich mit der Sechsergemeinschaft beschäftigten, desto mehr wandten sie nun ihrerseits der Insel den Rücken zu. Im Quai d'Orsay wollte man schon zu Jahresende 1956 jede Störung der Brüsseler Verhandlungen durch die britisch inspirierte OEEC vermeiden. Die Freihandelszone kam allenfalls als Ergänzung, nicht anstelle des Gemeinsamen Marktes in Frage 312 . Unter dem Eindruck der Ereignisse in Nahost war London entgangen, daß im Lauf des Jahres 1956 eine deutsch-französische Partnerschaft die Geschicke des Kontinents zu bestimmen begann. Je mehr sich diese 1957 konsolidierte, desto schwieriger wurde das Terrain für Alternativmodelle der britischen Europapolitik. Mit der Suezkrise beschäftigt, hatte das Foreign Office dieses Feld weitgehend dem Schatzamt überlassen. Gegen Ende des Jahres ergriff die Diplomatie wieder die Initiative, um den Freihandelsvorschlag politisch zu flankieren. Dabei dachte man an die Fusion von Europarat und OEEC und sogar

" « Vgl. Macmillan, Riding, S. 6 8 - 7 0 . »'·> Vgl. DDF, 1956, III, S. 427: Chauvel an Pineau, 29.11.1956. 51,1 Vgl. PRO, CAB 128/30, CM 2(57), 8.1.1957; ebd., PRI-M 11/1138, 56695: o.D. (Zitat). 311 Vgl. Kaiser, Großbritannien, S. 161 - 165; Peden, Perceptions, S. 1 5 3 - 155. Vgl. DDF, 1956, III, S. 560: Vermerk der Wirtschaftsabteilung, 20.12.1956; ebd., 1957, I, S. 1 1 8 - 1 2 0 : Vermerk, 19.1.1957.

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an die Aktivierung der WEU im Rahmen des wieder aufgewärmten Edenplans 313 . Zu Jahresbeginn 1957 hoffte der britische Außenminister Lloyd, mit der Freihandelszone und einer »Grand Assembly of Europe« wieder die europapolitischen Akzente zu setzen314. Der Vorschlag, alle europäischen Parlamentarischen Versammlungen zu integrieren, knüpfte auch an den Konsultationswünschen der europäischen NATO-Partner und an der Unzufriedenheit der Abgeordneten der WEU an. Hier hatte sich seit Herbst 1956 der aus dem Europarat bekannte Gegensatz zwischen Ministerrat und Parlamentariern eingestellt. Letztere wollten sich nicht länger damit zufrieden geben, daß die WEU nurmehr Notar (»depositaire«) der gegenseitigen Beistandsverpflichtung war, ihre sicherheitspolitischen Aufgaben jedoch so gut wie vollständig an die NATO abgetreten hatte. Die WEU werde von dieser nicht einmal informiert, geschweige denn mit europäischen Verteidigungsfragen befaßt. Der Benelux lehnte den Wunsch der WEU-Parlamentarier schlicht ab. Auch Außenminister Pineaus Verständnis für ihre Informationsbedürfnisse hielt sich in Grenzen. Für ihn war die Existenz der WEU im Schatten der NATO kein brennendes Problem. Der Wunsch der Abgeordneten, in die Kontrolle der Rüstung auch die des Nuklearmaterials einzubeziehen, kam für Verteidigungsminister Bourges-Maunoury schon gar nicht in Frage. Das waren schlechte Aussichten für die Bonner Pläne, die WEU zu aktivieren. Freilich ergaben französische Sondierungen kein klares Bild, worauf die Deutschen praktisch hinaus wollten. Sie dachten offenbar an eine Initiative zur nicht-militärischen Zusammenarbeit parallel zu den Überlegungen der NATO, die politische Zusammenarbeit zu stärken. Auslöser sei die deutsche Sorge, die europäisch-amerikanischen Bindungen könnten sich weiter lockern. Außenminister Brentano halte die NATO im Augenblick für scheintot315. Tatsächlich stellte der Bundeskanzler im Herbst 1956 konkrete Schritte zugunsten der Brüsseler Verhandlungen zurück 316 . Im Dezember warf er den Briten vor, daß es ihnen gelungen sei, die in London sitzende WEU »praktisch auf Eis zu legen«. Um endlich eine europäische Sicherheitspolitik anzustoßen, sollten die WEU an den Sitz der NATO nach Paris verlegt, die Einstimmigkeit von Ministerratsentscheidungen aufgehoben und Konsultationsverpflichtungen im Rahmen der NATO vereinbart werden. Uber die Belebung der NATO durch politische Konsultationen, aber auch der WEU wußte sich Adenauer mit dem italienischen Staatspräsidenten und dem italienischen Außenminister einig, als diese Anfang Dezember 1956 Bonn besuchten 317 . Der Bundeskanzler signalisierte vorsichtige Zustimmung zu den Plänen Gronchis. Durch den Ausbau der Parlamentarischen 313 Vgl. Ellison, Europe, S. 7 7 - 8 0 , 115, 227 f. 311 Vgl. PRO, CAB 128/30, 3(57), 8.1.1957. 315 Vgl. DDF, 1956, III, S. 297-300, 369 f., 375-377, 495 f., 518-520: Chauvel an Pineau, 21.11.1956, Couve de Murville an Pineau, 21.11.1956, Pineau an Chauvel, 21.11.1956, Couve de Murville an Pineau, 8.12.1956, Bourges-Maunoury an Pineau, 10.12.1956; DDB, II, S. 387 f.: Vermerk, 23.11.1956; Kaiser, Großbritannien, S. 196 f.; Thoß, Beitritt, S. 226 f. 3'6 Vgl. Lappenküper, Beziehungen, S. 1037 f. 317 Vgl. KPBR, IX, 1956, S. 7 6 0 - 7 6 2 (Zitat S. 761) (8.12.1956).

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Versammlung der W E U sollte nicht zuletzt der amerikanischen Öffentlichkeit der Eindruck vermittelt werden, daß die Europäer nun zusammenrückten. Vielleicht konnten die Vereinigten Staaten sogar für ein gemeinsames euro-amerikanisches Entwicklungsprogramm für den Nahen Osten gewonnen werden, bei dem Italien und die Bundesrepublik als kolonial wenig oder gar nicht belastete Staaten eine führende Rolle spielten 318 . Etwas voreilig urteilte mithin der französische Botschafter in Rom, FouquesDuparc, wenn er annahm, das Debakel der EVG habe die Italiener endlich vorsichtig werden lassen (»une fois pour toutes rendus prudents et empiriques«). Sie scheuten sich, durch politische Integrationsideen den Erfolg der Wirtschaftsintegration in Frage zu stellen 319 . Tatsächlich hatten die Italiener ihren früheren Ideen keineswegs abgeschworen, zumal sie Grund zu der Sorge hatten, daß politische Konsultationen im Bündnis womöglich ohne sie und auf ihre Kosten stattfanden 320 . Außenminister Martino flankierte sein Engagement für mehr Mitsprache der Kleinen in der N A T O durch eine Initiative in der WEU. Im Ministerrat forderte er am 10. Dezember 1956, über die wirtschaftliche Integration des Gemeinsamen Marktes hinauszugehen. An der EPG anknüpfend, sollte die WEU zur »echten politischen Vereinigung« fortgeschrieben werden. Dazu sollten die Versammlung direkt gewählt werden und der Ministerrat zu regelmäßigen Konsultationen zusammenkommen, um »die Allianz durch den Beitrag einer harmonischen und konstruktiven Union zu stärken. Die W E U würde damit der Kern der atlantischen Gemeinschaft werden.« Brentano unterstützte den Vorschlag der Direktwahl. Der Vorschlag einer europäischen als Vorstufe einer atlantischen politischen Gemeinschaft, mindest aber als europäischer Säule der N A T O wurde von den Außenministern Pineau und Spaak lauwarm begrüßt. Beide hofften, die Briten mit der Sechsergemeinschaft assoziieren zu können. Dagegen kündigte Llovd neue Vorschläge für eine Freihandelszone und die Reduzierung der Rüstungsausgaben an 321 . Zum Leidwesen ihrer europäischen Partner hatten die Briten schon 1956 in der Standing Group dafür plädiert, die Nuklearstrategie des Bündnisses zu Lasten der konventionellen Truppen weiter zu forcieren. Jetzt meldeten sie in bilateralen Gesprächen mit Dulles und Humphrey den Wunsch an, ihre konventionellen Truppen abzubauen und im Gegenzug mit Atomwaffen auszurüsten. Dem ersten Anliegen stand die Verpflichtung entgegen, die Rheinarmee im Umfang von vier Divisionen nebst taktischen Luftstreitkräften nicht gegen das Votum des Ministerrates der W E U abzubauen. Lloyd war bereit, diese Zusage notfalls zu brechen. Die Nuklearisierung hing zunächst von der Bereitschaft der Amerikaner ab, den Briten diese Waffen zu liefern. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, beklagte Macmillan,

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Vgl. Gespräch Gronchi/Adenauer, 6.12.1956; zit. in: Brogi, Kgemonia, S. 368 - 3 7 2 . Vgl. auch ebd., S. 2 3 8 - 2 4 0 . Vgl. DDF, 1956, III, S. 476: Fouques-Duparc an Pineau, 6.12.1956. Vgl. Brogi, Kgemonia, S. 2 4 0 - 2 4 3 . Vgl. DDF, 1956, III, S. 5 1 2 - 5 1 8 : WF.U-Ratstagung, 10.12.1956; Lappenküper, Beziehungen, S. 1041; DEI, S. 116.

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die Briten hätten zwar den Krieg gewonnen, müßten gleichwohl enorme Rüstungslasten schultern, die ihr Wirtschaftswachstum behinderten. Dagegen betrieben die Deutschen ihre Aufrüstung nur sehr zögernd und eilten folgerichtig von einem wirtschaftlichen Erfolg zum nächsten. Daß nun auch der Juniorpartner Nägel mit denselben Köpfen machen wollte wie die eigenen Militärs schon seit rund drei Jahren, brachte die Amerikaner in keine kleine Verlegenheit. Dulles wiegelte ab. Eisenhower habe den Deutschen zugesagt, die amerikanischen Truppen zu straffen (»streamlining«), aber keine Divisionen zurückzuziehen. Im übrigen warnte Dulles sowohl in den bilateralen Gesprächen wie später im Nordatiantikrat, sich zu sehr auf Atomwaffen zu verlassen. Man laufe Gefahr, nicht mehr flexibel reagieren zu können 322 . Das Problem der Briten mit der Flexibilität war freilich das der übrigen Europäer. Sie sollten durch ausreichende, konventionell wohl gerüstete und damit teure Truppen den Gegner zwingen, das Ausmaß seiner Absichten offen zu legen und so viel Zeit gewinnen, daß die Supermacht nicht gezwungen war, sofort in den umfassenden nuklearen Schlagabtausch einzusteigen. Briten und Franzosen interpretierten das als Aufforderung zur Fehlinvestition. Angesichts massiver sowjetischer Überlegenheit konnte die konventionelle Rüstung im Ernstfall nur wenig oder nichts bewirken. Konventionelles Militär im bisherigen Umfang plus Nuklearrüstung hätte Großbritannien jedoch restlos überfordert. Schließlich war man entschlossen, sich im Rahmen einer Freihandelszone dem verschärften Standortwettbewerb in Westeuropa zu stellen. Folgerichtig strebten die Briten erneut ein den amerikanischen Vorstellungen verwandtes Dispositiv an: Die Kontinentaleuropäer, vor allem die Deutschen, stellten die Bodentruppen, man selbst offerierte den Nuklearschirm und wollte in der Folge auch zivilwirtschaftlich gegenüber den Deutschen wieder Boden gutmachen 323 . Der italienisch-deutsche Vorschlag verlief im Sande, wie Adenauer beklagte. Überhaupt stehe die W E U völlig im Schatten der NATO, obwohl das geringe Interesse der Amerikaner und Briten am atlantischen Bündnis doch offensichtlich sei324. Für diese Einschätzung sprach die Reaktion des amerikanischen Außenministers, als dessen französischer Kollege ihn für eine »atlantische Koordination« in den Angelegenheiten zu gewinnen suchte, die außerhalb des Bündnisgebietes lagen. Die Abneigung, die Dulles dem Wunsch des Franzosen entgegenbrachte, die Konsequenzen der Suezkrise zu besprechen, war kaum kleiner als seine Zurückhaltung gegenüber dem Bericht, den die Drei Weisen am 17. November 1956 vorgelegt hatten 325 . Der Bericht 326 dokumentierte das Dilemma der kleinen und mittleren Staaten, mehr Objekt als Subjekt der Allianz zu sein. Schließlich hatte der Ausbau der Militärorganisation und dann die Durchsetzung der Nuklearstrategie die relati322 Vgl. FRUS, 1955-1957, IV, S. 9 9 - 1 0 2 , 123-133 (Zitat S. 125): Gespräch Eisenhower, Dulles, Radford u.a., 2.10.1956, Gespräch Dulles, Lloyd, Humphrey, Macmillan u.a., 11.12.1956. 323 Vgl. Baylis, Ambiguity, S. 2 3 0 - 2 3 3 ; Greiner, Entwicklung, S. 47, 138-140, 147 f.; Schmidt, Dimensionen, S. 206-214.; ders., Strukturwandel, S. 188 f., 329, 339 f. 324 Vgl. KPBR, VII, S. 774 f. (19.12.1956). 325 Vgl. DDF, 1956, III, S. 501-508: Gespräch Pineau/Dulles, 10.12.1956. 326 Vgl. BA-MA, BW 2/20047: Bericht des Dreier-Ausschusses, 16.11.1956.

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ve Hegemonie der Vereinigten Staaten fortlaufend gesteigert. Daß der Nationalstaat den gegenseitigen Abhängigkeiten des Nuklearzeitalters nicht mehr gerecht werde, mochten selbst die Staatsmänner der Großmächte als grundsätzliche Erkenntnis einräumen. Die praktische Schlußfolgerung, den Zusammenhalt des Bündnisses durch die »teilweise Souveränitätspoolung« zu stärken, stieß jedoch spätestens dann auf Widerstand, wenn damit eine Einbuße an politischer Handlungsfreiheit verbunden war. Vollends undenkbar schien der Verzicht der Supermacht auf ihre autonome Entscheidung über den Kernwaffeneinsatz. Je größer die Erstschlagskapazität der anderen Seite geriet, desto geringer wurde die Zeitreserve für Konsultationen. Nicht de iure, aber de facto nahmen die Europäer hin, daß der amerikanische SACEUR bei Gefahr im Verzug über den Kernwaffeneinsatz entschied327. Schließlich strebten Großbritannien und Frankreich nach einer Art Sperrminorität am weltweiten Atomwaffenbestand, weil sie »Wert darauf legten, die amerikanische Rolle als Sicherheitsgarant [...] nachzuahmen, statt sich auf eine Stufe mit der Bundesrepublik zu stellen«328. Diese versuchte ihrerseits im Sinne einer angestrebten Gleichberechtigung, die nukleare Option mindestens offenzuhalten325. Von der intergouvernementalen Allianz versprachen sich die Nationalstaaten eine sicherheitspolitische Existenzgarantie, die ihnen andernfalls nur die politische und militärische Integration in einen Bundesstaat geboten hätte. Dies allerdings um den Preis, daß die Großmächte die Allianz nur dann und so weit ins Spiel brachten, wie dies ihrem national definierten Interesse entsprach. Blieben gegensätzliche Interessen ungelöst, öffneten sich der konkurrierenden Supermacht Einfallspforten in die Interaktion der verbündeten Staaten. Jetzt ging es den kleineren Mitgliedern darum, diesen Preis durch Konsultationen zu verringern. Selbst die Kanadier bezweckten mit ihren Konsultationsforderungen ja keinen Souveränitätsabbau, sondern im Gegenteil die Stabilisierung ihrer nationalen sicherheits- und außenpolitischen Handlungsfähigkeit 330 . Die Großmächte sollten dazu gebracht werden, ihre Politik sowohl innerhalb wie außerhalb des Bündnisgebietes immer dann mit den Kleinen abzustimmen, wenn deren Interessen berührt waren, und zwar in aller Regel bereits bevor die Großmächte sich festgelegt hatten. Da von der Supermacht kaum zu erwarten war, daß sie sich dazu förmlich verpflichtete, blieben die Vorschläge zur institutionellen Reform des Bündnisses ebenso vage wie maßvoll. Die Rolle des Generalsekretärs und des Stellvertreterrates war aufzuwerten. Die Ständigen Vertreter sollten umfassendere Vollmachten erhalten und in besonderen Fällen die Außenstaatssekretäre an ihre Stelle treten. Ähnlich unbestimmt blieb die Schlußfolgerung aus dem sowjetischen Bestreben, die nahöstliche und afrikanische Flanke des Bündnisses wirtschaftsdiplomatisch aufzuweichen. Die NATO sollte 327 328 329 330

Vgl. Greiner, Entwicklung, S. 160-162; Loth, Sicherheit, S. 317 f.; Maier, Politische Kontrolle, S. 4 2 - 4 5 ; Trachtenberg, Peace, S. 166-170, 176 f. Schmidt, Strukturwandel, S. 250. So das Resümee von Fischer, Atomenergie, S. 283-289. Vgl. auch Schmidt, Dimensionen, S. 81, 191-193, 342-344. Vgl. dazu Würzler, Kanada, S. 93 f.

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keine eigene wirtschafts- oder entwicklungspolitische Aktivität entfalten. Indem sie atlantische und europäische Zusammenarbeit als einander ergänzend beschworen, räumten die Berichterstatter ein, daß sie auch in Zukunft an der Arbeitsteilung zwischen einer intergouvernementalen Außen- und Sicherheitspolitik und einer stärker integrierten europäischen Handelspolitik festhalten wollten. Angesichts der offensichtlichen Desintegrationserscheinungen unterstrichen die Drei Weisen im Nordatlantikrat die Notwendigkeit der informellen politischen Abstimmung bis hin zur Fusion von Souveränitätsrechten als Existenzgrundlage der Allianz. Dabei gestand man den drei Führungsmächten zu, daß deren globale Interessen im Ausnahmefall auch unilaterale Reaktionen erforderten. Hier hakten Dulles und Lloyd ein. Unter Hinweis auf weitere Bündnisse der Supermacht lehnte der Amerikaner verbindliche Konsultationspflichten ab. Der Nordatlantikrat dürfe schon deshalb nicht über die Außenpolitik der Vereinigten Staaten mitentscheiden, weil damit alle anderen Bündnisse, welche die Supermacht geschlossen hatte, gleichsam der NATO nachgeordnet würden. Das nähmen die betreffenden Staaten kaum hin. Die Begründung erinnerte nicht zufallig an das britische Argument, wonach die Commonwealthverpflichtungen der Einbindung in einen europäischen Koordinationsmechanismus entgegenstünden. Tatsächlich reklamierten die kleinen und mittleren Mitglieder die Vereinigten Staaten nur als Bündnispartner. Sie verkannten, daß die Supermacht die »Balance zwischen ihren europäischen und asiatisch-pazifischen Sicherheitssystemen finden mußte« 331 . Erneut und zutreffend unterstellte Dulles den Europäern, sie beabsichtigten, mit der Konsultationsforderung dem Zwang zur engeren militärischen, politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit untereinander zu entgehen: »greater unity in Council is no substitute for even more far reaching unity between certain members.« Dabei dachte er jetzt auch an den Gemeinsamen Markt, der den Gegensatz zwischen Rüstung und Wirtschaftswachstum entspannen sollte. Lloyd wollte sich ebenfalls nicht von jedem Mitglied des Bündnisses in die britische Außenpolitik hineinreden lassen. Er verstand NATO und WEU als »high military and political directorate« und wollte Montanunion, EZU, Gemeinsamen Markt und Euratom an die OEEC anbinden. Schließlich sollten alle Parlamentarischen Versammlungen zu einer einzigen zusammengefaßt werden. Während Brentano tapfer dagegen hielt und die Vorschläge der Drei Weisen als notwendiges Minimum bezeichnete, ruderte Martino zurück 332 . Die Außenminister der NATO akzeptierten die Forderung nach Konsultationen als »Empfehlung«. Das Unternehmen der Drei Weisen mag den Zusammenhalt der NATO gefördert haben. Zunächst änderte es aber nichts daran, daß weder die Briten und erst recht nicht die Amerikaner bereit waren, ihren globalen Handlungsspielraum freiwillig durch Konsultationen mit den kontinentalen Staaten einzuschränken. Die Allianz blieb ein Militärbündnis, in dem die Gewichte ungleich verteilt waren. Folgerichtig konnte sich die von Spaak als besonders ungemütlich 331 332

Schmidt, Strukturwandel, S. 37. Vgl. FRUS, 1955-1957, IV, S. 115, 138-147, 164: Nordadantikrat, 11. und 13.12.1956, Dulles an Eisenhower, 15.12.1956.

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empfundene Konstellation der Suezkrise wiederholen, in der die europäischen Klein- und Mittelstaaten sich zwischen einer Kombination der europäischen Großmächte oder der Supermacht entscheiden mußten 333 . Der Bundeskanzler ließ Brentano ein Jahr später bei Dulles nachfassen. Der räumte ein, daß sich sein Land in der Suezkrise weit vom Nordadantikrat entfernt habe und auch er mit dem Ergebnis der Drei Weisen unzufrieden sei. In der Sache - das heißt bei der Forderung nach größeren Entscheidungsbefugnissen der NATO-Botschafter im Stellvertreterrat - gab er nicht nach. Die Allianz beruhe auf einem Gleichgewicht der drei Elemente Konsultation, Vertrauen und Handlungsfähigkeit. Tatsächlich standen die drei Begriffe für das Bemühen der Supermacht, die Souveränität der Bündnispartner zu respektieren, die Wirksamkeit ihrer Führungsrolle sicherzustellen und den eigenen globalen Handlungsspielraum zu wahren. Damit bestätigte sich die Erfahrung, welche die Europäer bereits in den Marshallplanverhandlungen gemacht hatten: zwar definierte sich ihr Verhältnis zu den Amerikanern nicht ausschließlich machtpolitisch, was die Attraktivität des Bündnisses gegenüber möglichen europäischen Alternativen unterstrich 334 . Strittig blieb gleichwohl die Legierung der drei Elemente. Ungehalten fuhr Dulles den beharrlichen Blankenhorn an: »The NATO allies, [...] would be doomed if the United States were not in a position to act quickly and decisively.« Selbst eine Verbindlichkeit, die Verbündeten zu informieren, lehnte der Amerikaner kühl ab 335 . In der Konsequenz blieb »konkrete Gleichbehandlung« in der N A T O auf der Agenda des italienischen Außenministers 336 . Dabei konnte Italien diesen Anspruch vorläufig nicht hinreichend wirtschaftlich oder gar militärisch fundieren. Adenauer plädierte dagegen schon im Dezember 1956 dafür, die Bundesrepublik durch beschleunigte Aufstellung der Bundeswehr und ihre Ausrüstung mit taktischen Atomwaffen zum Machtfaktor in der NATO zu machen. Gleichzeitig sollte die europäische Integration vorangetrieben werden. Mit »Europa-Fetzen« wollte er sich nicht zufrieden geben 337 . Da die britischen sicherheitspolitischen Vorstellungen von den Amerikanern sehr verhalten aufgenommen wurden, war Llovd im Januar 1957 ebenfalls bereit, die europäische militärische Integration voranzubringen. Dabei dominierte freilich die Sorge, mit einer »unilateral reduction in defence expenditure« die Europäer zu verprellen. Er wollte ihnen statt dessen ein »bürden sharing« im Rahmen der W E U offerieren. Denn in der »NATO with its large military bureaucracy« glaubte er damit nur auf wenig Gegenliebe zu stoßen. Ähnlich wie die französische Diplomatie entdeckte der britische Außenminister angesichts 3« Vgl. FRUS, 1955-1957, IV, S. 117: Nordatiantikrat, 12.12.1956; Blankenhorn, Verständnis, S. 259 f.; Ellison, Europe, S. 97 f.; Heinemann, Zusammenwachsen, S. 2 5 4 - 2 5 9 , Sinasac, Wise Men, S. 4 0 - 4 5 ; Thoß, Beitritt, S. 230 f. w-t Vgl. Gaddis, We now Know, S. 2 0 0 - 2 0 2 . « 5 Vgl. FRUS, 1955-1957, IV, S. 1 8 6 - 1 8 7 , 192, 194 f., 200-202, 2 0 6 - 2 0 9 (Zitat S. 208): Bruce an State Dpt., 19.11.1957, Adenauer an Dulles, 19.11.1957, Gespräch Dulles, Brentano u.a., 23. und 24.11.1957; Blankenhorn, Verständnis, S. 278 f. » Vgl. PA, Ref. 210/19: Klaiber an Ausw. Amt, 10.10.1957. Vgl. KPBR, IX, S. 7 7 5 - 7 7 7 (Zitat S. 775) (19.12.1956).

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der sich öffnenden Schere zwischen nuklearen Ambitionen und finanziellen Möglichkeiten die europäische Zusammenarbeit. Er wollte gemeinsam mit den Westeuropäern die Wasserstoffbombe bauen und mit ihnen »within NATO a group almost as powerful as the United States« werden. Die Alternative sei die Erosion des britischen Nuklearpotentials oder der Bankrott infolge eines nationalen Atomprogrammes. Militärische Integration und Lastenteilung förderten freilich die politische Integration. Es war mithin nicht nur eine Reaktion auf die Pläne Adenauers, wenn der Schatzkanzler und das Foreign Office dem deutschen Botschafter in London die Rüstungskooperation als ersten Schritt zu einer europäischen Konföderation schmackhaft zu machen versuchten 338 . Das rief die Phalanx der Bedenkenträger in der Bürokratie und im Kabinett auf den Plan. Lord President Douglas-Home und der Verteidigungsminister beschworen Gefahren für das Sonderverhältnis zu den Vereinigten Staaten und fragten, ob man denn wirklich auch den Deutschen Atomwaffen in die Hand geben wolle. Die nukleare Zusammenarbeit wollten sie bei künftigen europapolitischen Initiativen lieber außen vor lassen. Lloyd meldete dagegen Zweifel an der künftigen Gültigkeit des Sonderverhältnisses an. »On equal terms« könne man mit den Amerikanern nur noch als »part of an association of Powers« verhandeln, »which had greater political, economic and military strength than we alone could command.« Im Grunde nahm der Außenminister den Gedanken Bevins wieder auf, das eigene Land als Führer eines europäischen Blockes zu etablieren, der mit der Supermacht halbwegs auf Augenhöhe zusammenarbeitete und die noch nicht blockgebundenen jungen Staaten in Asien und Afrika zu beeinflussen vermochte. Im Ergebnis einigte sich die Regierung auf die Priorität der Verhandlungen über die Freihandelszone; sie sollten »stop short of federation«. Damit war dem kühnen Vorschlag Lloyds der Wind aus den Segeln genommen. Die vorherrschende wirtschaftliche Ausrichtung der britischen Europapolitik wurde bestätigt. Ein weiteres Mal hatte London für die Vettern und gegen die Europäer votiert 339 . Nur wer den Zusammenhang mit seinen gescheiterten Überlegungen zu einer europäischen Nuklearrüstung außer Acht läßt, wird Lloyds »Grand Design« als bloßen Versuch interpretieren, »Konfusion zu schaffen« 340 . Der »Europäisierung der Atomwaffe« zog London das amerikanische »Entscheidungsmonopol« über den Kernwaffeneinsatz vor 341 , zumal den Amerikanern im Gegenzug zur Stationierung von Mittelstreckenraketen die Stärkung des bilateralen Sonderverhältnisses abgehandelt werden sollte. Zwar spielte Präsident Eisenhower mit dem Gedanken, den Europäern die Verfügung über Kernwaffen einzuräumen. Tatsächlich kam es 1957/58 zu einer engen und exklusiven Nuklearzusammenarbeit der Briten mit den Amerikanern. Letztlich lief sie jedoch eher auf nukleare Teilhabe als Partnerschaft hinaus. Die KontinentaleuroM« Vgl. dazu ΡΛ, Β 2/104, Bl. 73 f.: Vermerk Herwarth, 9.12.1956; ebd., Β 10/925, Bl. 218 f.: Herwarth an Ausw. Amt, 22.1.1957. 33« Vgl. PRO, CAB 128/30, CM 3(57), 8.1.1957; Ellison, Europe, S. 91 f., 98-103; Kaiser, Großbritannien, S. 101-103. 340 Küsters, Europapolitik, S. 212. 341 Loth, Sicherheit, S. 317.

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päer wollten durch ausreichende konventionelle Streitkräfte den Zeitpunkt der Eröffnung des umfassenden Atomkrieges hinausschieben. Dagegen plädierten die Briten 1957 für die rasche nukleare Antwort auf denkbare sowjetische Übergriffe auf das Vertragsgebiet des Bündnisses 3 4 2 . Aber in letzter Instanz handelte es sich nur um »geborgte Abschreckungsqualität« 343 , die — wie später auch im Falle Frankreichs - nur den privilegierten Status im Bündnis untermauerte. Folgerichtig stellte das Foreign Office Anfang 1958 fest, daß das Mißtrauen der Europäer zu- und ihre Bereitschaft abgenommen hatte, die Freihandelszone gegen die Franzosen durchzusetzen 344 . Folgerichtig ging es Lloyd nach der Neubildung des Kabinetts vornehmlich darum, den Europäern den Abbau des kontinentalen Engagements als »realistic reassessment o f our contribution to European defence« zu verkaufen, ohne den Eindruck zu vermitteln »to dissociate ourselves from Europe«. Die Initiative zur Zusammenfassung der verschiedenen parlamentarischen und intergouvernementalen europäischen Gremien sollte dem vorbeugen. Der neue Premierminister Macmillan wollte mit europapolitischen Vorschlägen - die nicht zufällig an den Edenplan erinnerten — vornehmlich »retain the goodwill o f our fellow members o f W E U in connection with the reduction o f our forces in Europe«. V o n der europäischen Zusammenarbeit bei der Rüstungsforschung und -entwicklung hielt auch der neue Verteidigungsminister Sandys — ein ebenso profilierter konservativer Europapolitiker wie der Premier — gar nichts 345 . Nach wie vor galt den Briten die Europapolitik als Zuckerguß. Sie sollte den kontinentalen Partnern die bittere Pille einer unilateralen sicherheitspolitischen Entscheidung versüßen. Ferner sollte sie die Kompatibilität der Sechsergemeinschaft mit der N A T O sicherstellen 346 . Mit Argwohn nahm dann auch Dulles die Vorschläge seines britischen Kollegen auf. Zum einen wollte er verhindern, daß aus der W E U ein »inner circle in N A T O « wurde. Zum anderen wollte er vermeiden, daß die E W G als einziges Gremium, das die Perspektive politischer Integration versprach, von der O E E C aufgesogen wurde. Das Europaparlament sollte folgerichtig nicht mit den bedeutungslosen Versammlungen des Europarates und der W E U verknüpft werden 347 . Am 26. Februar 1957 begründeten die Briten in der W E U ihre Reduzierungspläne mit der angespannten Wirtschaftslage. Das überzeugte niemanden; ging es doch erkennbar darum, die Rüstung kostenneutral auf reduzierte Stärken bei nuklear gesteigerter Feuerkraft umzustellen. Lloyds — angesichts der Haltung seiner Kabinettskollegen zwangsläufig wolkigen - Perspektiven einer sich allmählich zum

Vgl. Baylis, Defense Relations, S. 8 8 - 9 0 ; ders., Ambiguity, S. 2 5 0 - 2 6 0 ; Greiner, Entwicklung, S. 1 6 7 - 1 6 9 ; Schmidt, Dimensionen, S. 1 8 7 - 1 9 1 , 195 f., ders., Strukturwandel, S. 348 f.; Trachtenberg, Peace, S. 1 9 3 - 2 0 0 . 343 Schmidt, Strukturwandel, S. 61. Vgl. auch Heuser , Mentalities, S. 3 2 - 3 4 . 344 Vgl. Vermerk, 27.1.1958; zit. nach Britain and European Integration, S. 50 f.; Ellison, Europe, S. 1 6 6 - 1 7 1 . 343 Vgl. P R O , C A B 1 2 8 / 3 1 , 12 f. (57) (Zitat), 19. und 22.2.1957. 34 Vgl. D D B , II, S. 282: Vermerk Champenois, 11.1.1957. 347 Vgl. FRUS, 1 9 5 5 - 1 9 5 7 , IV, S. 5 3 4 - 5 3 6 (Zitat S. 535): Runderlaß, 6.3.1957. 342

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veritablen europäischen Bündnis wandelnden WEU wirkten da keineswegs beruhigend. Im Gegenteil! Die Franzosen forderten erst recht den Schulterschluß mit der NATO, um dort den britischen Plänen zu begegnen und dies in möglichst enger Abstimmung mit den Partnern der Sechsergemeinschaft. Botschafter Chauvel in London war Diplomat genug, um über einen Kuhhandel nachzudenken. Er wollte den Briten ihren voraussehbaren Widerstand gegen die - namentlich von Frankreich zu verantwortenden — diskriminierenden Aspekte des Gemeinsamen Marktes abhandeln, die dem GATT und der OEEC zuwiderliefen, indem man ihnen in der Europapolitik entgegenkam. Bei einem bilateralen Gipfeltreffen Anfang März 1957 warfen sich Mollet und Macmillan in bizarrer Weise gegenseitig ihren Hang zu unilateralen Entscheidungen vor. Sowohl in der Frage des britischen Truppenabbaus, der Freihandelszone und der Fusion der europäischen Parlamentarischen Versammlungen blieben die Gegensätze unversöhnt. Daß die Briten dem Angebot nuklearer Zusammenarbeit auswichen, bestärkte die Franzosen darin, das zivile Programm mit der Euratom und den Bombenbau unilateral zu betreiben 348 . Am Ende ging es der britischen Regierung nur noch darum, einen förmlichen Mehrheitsbeschluß der Partner zu vermeiden, der sie gezwungen hätte, den WEUVertrag zu brechen 349 . Als Paris und London die Frage erörterten, ob man eher in der NATO oder in der OEEC die gemeinsame Haltung gegenüber der sowjetischen Reaktion auf den Gemeinsamen Markt und Euratom abstimmen sollte, fiel offenbar keinem der beiden die Institution ein, die eigentlich nahe lag350. Die WEU kümmerte weiter dahin. Bislang — auch von der Forschung kaum gewürdigt 351 — hatte Lloyd tatsächlich die Chance einer neuen britischen Europapolitik erkannt, die bewußt auf sicherheits- und nuklearpolitische Integration setzte. Sie wurde verpaßt. Statt dessen hielt London an dem zwar hergebrachten, aber nicht unbedingt bewährten Konzept fest, das Schatzkanzler Thorneycroft und Handelsminister Eccles im Januar 1957 Außenminister Spaak erläuterten. Die Zusammenarbeit sollte vornehmlich intergouvernementaler und ausschließlich wirtschaftlicher Natur sein. Die vermeintlich oder tatsächlich weiter gehende Sechsergemeinschaft galt es institutionell zu umarmen und ihre Märkte bei geringstmöglichen Gegenleistungen — also ohne Einbeziehung der Überseeterritorien und der Agrarprodukte - für die eigene Ausfuhr offenzuhalten. Dafür war der Truppenabbau auf dem Kontinent keine günstige Begleitmusik 352 . Mithin konterkarierte die Regierung Macmillan die Ernsthaftigkeit, mit der sie nach Suez ein Arbeitsverhältnis zur Sechsergemeinschaft im Rahmen einer Freihandelszone suchte, durch den Eifer, mit dem sie das Sonderver-

·""> Vgl. DDF, 1957, I, S. 385-388, 427-432: Chauvel an Pineau, 3.3.1957, Gespräch Mollet, Macmillan u.a., 9.3.1957; PRO, CAB 128/31, CC 14(57), 28.2.1957. 349 Vgl. PRO, CAB 128/31,17(57), 12.3.1957. " " Vgl. DDF, 1957,1, S. 526-528: Pineau an Chauvel, 29.3.1957. Ml So Ellison, Europe, S. 97. «2 Vgl. Chauvel an Min. Äff. Etr., 17.1.1957, zit. nach D'Alger, S. 198-201; Macmillan, Riding, S. 432-434.

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hältnis zu den Amerikanern wiederzubeleben versuchte 353 . Ob eine nuklearstrategische Zusammenarbeit mit den Sechs statt dem nuklearen Exklusiwerhältnis zu den Vereinigten Staaten der Freihandelszone auf die Sprünge geholfen hätte, darf zumindest gefragt werden. Kein Wunder, daß das Auswärtige Amt auch bei der etwas europafreudigeren Regierung Macmillan »erhebliche Unsicherheit über den weiteren Weg« wähnte. Keinesfalls wollte die deutsche Diplomatie mit Rücksicht auf London auf dem Weg zum Gemeinsamen Markt innehalten. Ohne ihn werde die Freihandelszone rasch in sich zusammenfallen 354 .

7. Die E W G als französische Einflußsphäre? Das Scheitern der Freihandelszone Bei der Suche der Sechs nach einer gemeinsamen Position gegenüber dem britischen Vorschlag konnte der französische Unterhändler Marjolin Verständnis für die eigenen Vorstellungen verbuchen: Der fehlende Außenzoll sollte durch eine scharfe Ursprungskontrolle ersetzt werden. Nur damit konnte halbwegs verhindert werden, daß billige Weltmarktprodukte über das Land der Freihandelszone mit den niedrigsten Zöllen eingeführt wurden, um dann in den Gemeinsamen Markt weitergereicht zu werden - und sei es in weiterverarbeiteter Form. Agrarprodukte sollten ebenso einbezogen werden wie die Uberseeterritorien. Die Garantien, die Frankreich im Rahmen des Gemeinsamen Marktes zugestanden worden waren, seien ihm auch in der Freihandelszone einzuräumen. Grundsätzlich sollte die EWG allen europäischen Staaten offenstehen, aber der Beitritt nicht zur Veränderung der Verträge führen 355 . Die Franzosen konnten auch in dieser Frage mit den Italienern rechnen. Das Verhältnis zu den lateinischen Vettern hatte zwar den fast exklusiven Charakter der frühen Jahre verloren. Vom Triestproblem und von den lästigen Klauseln des Friedensvertrages gleichermaßen befreit, strebte das Land in den Augen des Quai d'Orsay nicht nur nach größerem diplomatischen Spielraum. Vielmehr setzte es trotz mancher Enttäuschung in enger Abstimmung mit Paris seinen europapolitischen Kurs fort. Auch in der U N O arbeiteten beide eng zusammen, wobei Rom sich ungeachtet seiner abweichenden Haltung in der Suezkrise der Stimme gegen Franzosen und Briten enthalten hatte 356 . In der Frage der Freihandelszone wiesen die italienische und die französische Position eher noch größere Gemeinsamkeiten auf als in der des Gemeinsamen Marktes. Im Dezember 1956 hatte Italien seine Erwartungen an die künftige Freihandelszone mitgeteilt: neben dem freien Verkehr der Produktionsfaktoren und einem gemeinsamen Außentarif den Einschluß der Landwirtschaft und finanziellen Beistand für besonders

^ » •«J 356

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Ellison, Europe, S. 2 3 3 f. PA, Β 2 / 9 2 5 , Bl. 2 2 4 f. (Zitat Bl. 225), 2 2 8 - 2 3 1 : Vermerk, 2 1 . 1 . 1 9 5 7 , Runderlaß, 5.2.1957. DDI·", 1 9 5 7 , 1 S. 2 1 6 - 2 1 8 : Bousquet an Pineau, 9.2.1957. D D I ; , 1957, I, S. 5 3 4 - 5 4 1 : Vermerk Unterabteilung Südeuropa, 30.3.1957.

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belastete Branchen. Andernfalls fürchteten sie die weitere Benachteiligung der strukturschwachen Gebiete 357 . Im Ministerrat der O E E C warnte Thorneycroft im Februar 1957 vor den politischen Konsequenzen, sollte die Freihandelszone scheitern. Er Schloß den Beitritt zum Gemeinsamen Markt ebenso aus wie die Ausdehnung der Freihandelszone auf Agrarprodukte. Sie sollten weiter vorrangig aus dem Commonwealth eingeführt werden. Freilich wollte er auch die heimische Landwirtschaft nicht opfern. Für Finanzminister Ramadier standen ein weiteres Mal die sozialen Folgen zunehmender wirtschaftlicher Konkurrenz im Vordergrund. Selbst den Einschluß der Landwirtschaft sah er vorwiegend als soziales Problem. Folgerichtig warnte er vor Sozialdumping und erwartete auch von der Freihandelszone Harmonisierung. Da 35 % der italienischen, aber nur 4 % der britischen Exporte Agrarprodukte seien, forderte Italien fast noch nachdrücklicher als Frankreich, diese einzubeziehen. Wirtschaftsminister Erhard warb für eine marktwirtschaftlich verfaßte, nichtprotektionistische und auf allmähliche Öffnung zum Welthandel ausgerichtete Zone, in der zu allem hin auch noch freier Kapitalverkehr und möglichst Konvertibilität hergestellt werden sollte. Er hoffte, damit den paragraphenseligen Perfektionismus der E W G vielleicht doch noch zu überwinden, und stimmte hier völlig mit der Haltung der deutschen Wirtschaft überein. Im Interesse eines möglichst wenig segmentierten Welthandels mahnten die Kanadier die Vereinbarkeit mit dem G A T T an. Sie hofften ebenfalls, den Protektionismus der Zollunion durch eine Freihandelszone zu korrigieren. Allerdings machten sie ihre Unterstützung für die Briten davon abhängig, wie weit diese ihren bilateralen Verpflichtungen nachkamen. Damit ergab sich ein diffuses Bild. Die Briten fanden bei den Skandinaviern und Schweizern kaum Unterstützung, zumal die Dänen ebenfalls die Berücksichtigung der Landwirtschaft forderten. Die Peripherie (Griechenland, Türkei, Portugal, Island und Irland) war ohnehin zu schwach. Die Griechen forderten einen Strukturfonds und wollten gleichzeitig Erziehungszölle aufrechterhalten. Spaak sah in der Handelsumlenkung das Hauptproblem des Verhältnisses der E W G zur Freihandelszone, über die man immerhin zu verhandeln gedachte 358 . Unterdessen hatte in Bonn der Wind endgültig gedreht, wie Erhard in der Kabinettssitzung am 15. Februar 1957 feststellen konnte. Für Finanzminister Schäffer wollte Frankreich mit seinen Forderung, die Uberseeterritorien mitfinanzieren zu lassen, »den Bogen überspannen«. Außenminister Brentano warnte, daß der Gemeinsame Markt nicht zustande komme, wenn man hier nicht nachgebe. Für Erhard war das kein Problem, da der Gemeinsame Markt für ihn sowieso »nicht das Kernstück, sondern ein Teilstück der Freihandelszone« darstellte. Im Gegensatz zur französischen Wirtschaft hielt er die britische für »gesund und produktiv« und

Vgl. Fauri, Italy, S. 49. 35» Vgl. DDF, 1957, I, S. 283-288: Runderlaß Pineau, 20.2.1957; BDFD, II, S. 871-873: Erhards Erklärung, 12.2.1957; MAEF, DE-CE, Bd 343, Bl. 172-196: Ministerratssitzung, 12.-14.2.1957; Bührer, Westdeutschland, S. 367-370; ders., Industry, S. 107 f.; Schmidt, Kanada, S. 180-185; DEI, S. 116-121,123-127.

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war überzeugt, daß London die Freihandelszone nunmehr ernsthaft wolle. Dagegen wiederholte Adenauer die bekannte Formel, »daß der politische Zweck der Hauptzweck« des Gemeinsamen Marktes sei. »Wer den politischen Zweck nicht bejahe, könne immer noch für den wirtschaftlichen Zweck gewonnen werden«. Er mahnte, daß »die Mitwirkung Englands keineswegs überschätzt werden« dürfe, und überzeichnete die französischen Ressourcen ebenso wie die britischen Abstiegstendenzen. Der Außenminister hatte sich das französische Argument zu eigen gemacht, daß zunächst der gemeinsame Markt abgeschlossen und ratifiziert werden müsse. Brentano, Justizminister Hans-Joachim v. Merkatz - beide einst Protagonisten der Ad-hoc-Versammlung — und der liberale Wohnungsbauminister gingen zutreffend davon aus, daß die Briten weiterhin die politische Einheit Europas ablehnten. Daher wollte Merkatz die »politische Einheit über den Gemeinsamen Markt« anstreben. In diesem und im Sinne des deutsch-italienischen Vorschlages führte Adenauer die Direktwahl des Europaparlaments ins Feld 359 . Folgerichtig notierte Botschafter Couve de Murville nach Unterzeichnung der Römischen Verträge einen Stimmungswandel bei den Deutschen. Gleichermaßen mißtrauisch gegenüber Briten und Franzosen, räumten sie mittlerweile dem politisch motivierten Gemeinsamen Markt größere Bedeutung ein als der wirtschaftlich ausgelegten Freihandelszone 360 . Die französische Harmonisierungsforderung ließ die alte Kontroverse zwischen Auswärtigem Amt und dem Wirtschaftsministerium fortleben. Hallstein wollte angesichts ihrer inneren Situation den Franzosen die Verhandlung darüber nicht verweigern361. Mit Genugtuung registrierte Botschafter Chauvel anläßlich eines Besuchs von Erhard in London im April 1957, daß die Römischen Verträge Fakten geschaffen hatten. Von denen konnte auch ihr bedeutendster Gegner nicht mehr absehen. Die frühere Grundsatzkritik am Gemeinsamen Markt war nun nicht mehr von ihm zu hören. Umgekehrt galt der deutsche Wirtschaftsminister in London zusehends als Verbündeter von fragwürdigem Einfluß. In der Tat hatte Erhard seine Niederlage mit der Formel kaschiert, daß »der Gemeinsame Markt« politisch dem entspreche, was er immer gefordert habe. Wirtschaftlich bedürfe er jedoch der Ergänzung durch die Freihandelszone. Er wußte sich mit Finanzminister Thorneycroft und Handelsminister Eccles über die Vorteile einig, welche die Freihandelszone dank weniger Ausnahmeregelungen und stärkerer Automatik bot. Befremdet notierte Erhard jedoch die strikte Weigerung, Agrarprodukte aufzunehmen362. Unterdessen unterstrichen die Franzosen im Brüsseler Interimsausschuß zur Vorbereitung der E W G , daß sie die Freihandelszone nur zu annähernd denselben Bedingungen akzeptieren wollten wie den Gemeinsamen Markt. Die Haltung der Italiener war identisch. Die im EWG-Vertrag verankerten Kompromisse durften iw K P B R , X , S . 1 4 3 - 1 4 5 . v>» Vgl. D D F , 1957,1, S. 6 5 6 - 6 5 8 : Couve de Murville an Pineau, 24.4.1957. 361 Vgl. PA, Β 2 / 1 0 4 , Bl. 5 0 - 5 2 , 56 f.: Besprechung Blücher, Storch, Hallstein, Westrick u.a., 15.4.1957, Hallstein an dt. Botschaft Brüssel, 15.4.1957. Vgl. D D F , 1957, I, S. 5 4 8 - 5 5 0 : Chauvel an Pineau, 2.4.1957; Ellison, Europe, S. 108 f.; D E I , S. 129.

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nicht über eine Freihandelszone wieder ausgehebelt werden. Die Diskriminierung der Briten durch den Gemeinsamen Markt rechtfertigten Franzosen und Italiener mit deren Commonwealthpräferenzen. Das widersprach freilich dem GATT, das die alten gegenüber neuen Präferenzen ja tolerierte. Beide lehnten die Auffassung der Deutschen und Niederländer ab, daß der Vertrag unter Umständen an ein Abkommen über die Freihandelszone anzupassen sei. Immerhin neigten die Belgier in dieser Frage ihren niederländischen Partnern zu, obwohl sie ansonsten die französisch-italienische Auffassung teilten, sich nicht unter Druck setzen zu lassen und am liebsten erst nach Ratifizierung des Gemeinsamen Marktes ernsthaft zu verhandeln. Die Deutschen wollten mit einer gemeinsamen Position der Sechs in eine Grundsatzdebatte über die Prinzipien der Freihandelszone eintreten. Damit zeichnete sich ein eher dilatorisches Verhalten der Sechs ab. Lloyds Vorschlag, die Versammlungen von Montanunion, Euratom, Gemeinsamem Markt, Europarat und WEU zu fusionieren, stieß ebenfalls auf wenig Begeisterung des Interimsausschusses. Die Italiener empfahlen zunächst die Personalunion der Abgeordneten, Standortidentität und gemeinsame Verwaltungen der verschiedenen Versammlungen. Die Deutschen wollten sämtliche Überlegungen auf die Zeit nach Inkrafttreten der Sechsergemeinschaft verschieben. Dabei betonte Pineau, daß seine Regierung entschlossen sei, »sich nicht auf den Weg der politischen Integration der Sechs zu begeben, bevor nicht der abschließende Nachweis erbracht wurde, daß eine Zusammenarbeit im größeren Rahmen unmöglich ist«. Zumindest solange über die Freihandelszone verhandelt wurde, sollte sich demnach keiner Illusionen machen, daß der wirtschaftlichen nun rasch die politische Sechserintegration folge 363 . In London sah man sich nach Unterzeichnung der Römischen Verträge und angesichts der schleppenden Behandlung des eigenen Vorschlages mit einer »economic threat« konfrontiert. Eccles beschwor das Trauma des Kontinentalblockes, den England als sicherheitspolitische Herausforderung über Jahrhunderte bekämpft hatte. Indem er Adenauer zugestand, daß dieser persönlich die Hegemonie nicht anstrebe, schürte er die Germanophobie 364 . Da der Gemeinsame Markt nicht mehr verhindert werden konnte, sollte er in eine Freihandelszone eingebaut werden365. Sollte dies mißlingen, erkannte das Schatzamt folgende Risiken: den Verlust wertvoller Märkte auf dem Kontinent (vor allem in den Niederlanden), die Gefährdung britischer (Finanz-)Dienstleistungen für den Kontinent, verschärfte Konkurrenz der Europäer auf den Uberseemärkten und den möglichen Anschluß der Skandinavier an die Sechsergemeinschaft. Die Annahme, daß die Europäer sich augenscheinlich nicht über die politischen und militärischen Folgen ihrer Integrationsstrategie im klaren seien, war durchaus zutreffend. Denn die Römischen Ver-V>3 Vgl. D D F , 1957, I, S. 6 4 2 - 6 4 5 (Zitat S. 645), 711-713, 736 f.: Bousquet an Pineau, 18.4. und 6.5.1957, Runderiasse Pineau, 19.4. und 1.5.1957; PA, Ref. 210/13: Ophüls an Ausw. Amt, 9.5.1957, Ophüls/Hartlieb an Carstens, 21.5.1957, Vermerk Stempel, 22.5.1957, Vermerk Hardenberg, 22.5.1957. 3M Vgl. M A E F , Europe 1956-1960, G e n e r a t e s , Bd 193, Bl. 36 f.: Chauvel an Pineau, 28.5.1957; Ellison, Europe, S. 124 f. 3M Vgl. D D F , 1957, I, S. 689-691: Chauvel an Pineau, 27.4.1957.

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träge waren einerseits vorwiegend politischen Motiven entsprungen und verbanden sich mit mehr oder minder diffusen europapolitischen Zielen. Aber sie waren andererseits auch Ausdruck der stillschweigenden Ubereinkunft, daß Europa vorläufig nur auf der Grundlage des kleinsten gemeinsamen wirtschaftlichen Nenners zu machen und die politische Integration allenfalls auf Sparflamme zu betreiben war. Letztlich hatten die Familienmitglieder auf dem Konunent gehandelt, wie der mächtige Verwandte auf der Insel es ihnen jahrelang empfohlen hatte: »Macht etwas, aber macht es ohne mich, meinen Segen habt ihr!« Just als man sich auf dem Kontinent an diesen Gedanken gewöhnt hatte, zeitigte der britische Verwandte die schmerzliche Erkenntnis, daß er weitaus mehr von der Familie abhängig war, als er selbst geglaubt hatte. In gelassener Behäbigkeit hatte er nicht wahrgenommen, daß die Chancen schwanden, sich gestaltend in die Politik der Europäer einzumischen. Fast naiv war die Hoffnung, die Sechs Anfang 1957 noch bewegen zu können, die Unterzeichnung der Verträge zu verschieben. Beeinflussung der kontinentalen Parlamentarier, gar die Drohung, die Handelsliberalisierung der OEEC zurückzunehmen, und der Versuch, damit die grundsätzliche Zustimmung der OEEC zur Freihandelszone zu erhalten, waren zweifelhafte Druckmittel. In die richtige Richtung gingen Überlegungen, vielleicht doch Kompromisse in der Agrarfrage zu finden, sich an Investitionsfonds zu beteiligen und von den Europäern Entgegenkommen in der Frage der französischen Exportbeihilfen zu erwarten. Freilich war sich die Londoner Regierung über die Richtung ihrer Europapolitik nicht wirklich einig 366 . Für den Premierminister führte das Scheitern des Freihandelsprojektes »inevitably to the disintegration of the European policy which, in common with our allies, we had hitherto pursued, involving the collapse of the North Atlantic Treat)· Organisation and of the existing system of defence of Western Europe against Soviet Union«. Folgerichtig wollte er zunächst den exponiertesten NATO-Staat mit der Drohung eines Rückzuges aus der westeuropäischen Sicherheitspartnerschaft unter Druck setzen. Er hoffte, daß Adenauer diesen an Frankreich weitergab 36- . In einer Zeit, in der Macmillan von der W E U vor allem die Zustimmung zum Truppenabbau erwartete, waren seine »politico-military weapons« 168 reichlich stumpfe Schwerter. Im Ernst glaubte doch keiner der britischen Staatsmänner und Beamten daran, die Allianz aufs Spiel zu setzen, von der die Sicherheit des Landes und ein Stück weit auch sein globaler Handlungsspielraum abhing. So bedeutend war die Freihandelszone selbst dann nicht, wenn die Hoffnung trog, notfalls mit dem Commonwealth plus Skandinavien wirtschaftlich allein durchzukommen. Folgerichtig vereinbarte der Premierminister mit Adenauer am 8. Mai 1957 einen Kom-

3f'K

Vgl. Ellison, Europe, S. 35 f , 63 f., 8 7 - 8 9 , 121 f. Vgl. PRO, C A B 1 2 9 / 8 7 , C P 106(57): M e m o Thornevcroft, 30.4.1957; ebd., C A B 1 2 8 / 3 1 , CC 37(57) (Zitat), 2.5.1957. Macmillan, Riding, S. 437. Vgl. dazu Ellison, Europe, S. 1 3 6 - 1 3 8 ; Milward, United Kingdom, S. 2 8 1 .

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promiß. London wollte die Ratifizierung der Römischen Verträge abwarten; im Gegenzug sollte Bonn sich danach für die Freihandelszone stark machen 369 . Unterdessen sah sich Paris ja nicht nur mit den Reduzierungswünschen der Briten konfrontiert. Außenminister Dulles räumte ein, daß man in den Vereinigten Staaten ebenfalls darüber nachdenke und die Haltung des Kongresses von den britischen Plänen beeinflußt werde. Damit wuchs die Sorge, daß der Westen auf eine begrenzte Aggression nur mit einem Kotau oder der Entfesselung eines Atomkriegs antworten könne. Außerdem kündigte Dulles die Reduzierung der Militär- und Wirtschaftshilfe an370. Beides förderte die französische Neigung, sich dem Experiment der Freihandelszone nur dann auszusetzen, wenn dies zu den Bedingungen geschah, die man beim Gemeinsamen Markt erzielt hatte, wie Thorneycroft und Eccles in ihren Verhandlungen mit Staatssekretär M. Faure feststellen mußten 371 . Mithin konnte sich London nur mit der vagen Zusicherung der Deutschen und Franzosen trösten, über die Freihandelszone zu verhandeln. Ferner hoffte man, daß die Dänen und andere vom Handel mit der Sechsergemeinschaft abhängigen Staaten nicht die Flucht nach vorn antraten 372 . Da sich dennoch nichts bewegte, lockte Lloyd im Juli 1957 einerseits mit der »bombe europeenne« und drohte andererseits, im GATT gegen den Gemeinsamen Markt anzutreten, sollten Franzosen und Deutsche von ihrer Zusage abrücken 373 . Er konnte davon ausgehen, daß die Amerikaner hier die zahlreichen diskriminierenden Aspekte des EWG-Vertrages, insbesondere den Agrarmarkt, zur Sprache brachten 374 . Die Wirtschaftsabteilung des Quai d'Orsay mahnte ebenfalls eine Entscheidung an, wolle man nicht von den Briten und den EWG-Partnern an die Wand gedrückt werden. Wie der Gemeinsame Markt sei auch die Freihandelszone in letzter Instanz keine technische, sondern eine politische Frage. Vor allem mit Bonn müsse Einigkeit erzielt werden, welche der drei denkbaren Optionen anzustreben sei: erstens eine auf der Achse Paris-Bonn beruhende Sechsergemeinschaft, der die Briten auf unabsehbare Zeit fernblieben und die die restlichen Staaten wirtschaftlich diskriminiere; zweitens eine mit dem Gemeinsamen Markt weitgehend deckungsgleiche Freihandelszone; oder drittens eine lockere und einfache Freihandelszone, deren Mitglieder im Gegenzug eine gewisse Diskriminierung durch den Gemeinsamen Markt hinnahmen 375 . Der Bericht des britischen Schatzkanzlers an die OEEC plädierte klar für die dritte Option, freilich ohne Diskriminierung. Er besaß die Unterstützung der Commonwealthstaaten. Die erwarteten, daß eine britisch geführte Freihandelszone Vgl. DEI, S. 139 f. "o Vgl. DDF, 1957,1, S. 737-745: Gespräch Dulles, Mollet u.a., 6.5.1957. 371 Vgl. DDF, 1957, I, S. 760 f.: Bousquet an Pineau, 9.5.1957; Leroy-Beaulieu an Ramadier, 7.5.1957, zit. nach D'Alger, S. 211 f. Vgl. PRO, CAB 128/31, CC 43(57), 29.5.1957; Ellison, Europe, S. 122-124, 127. Vgl. DDF, 1957, II, S. 6 5 - 6 9 (Zitat S. 68): Chauvel an Pineau, 11.7.1957. ™ Vgl. FRUS, 1955-1957, IV, S. 507-509, 549-553: Runderlaß Dulles, 26.1.1957, Dillon an Randall, 11.4.1957; Neuss, Geburtshelfer, S. 327-333. 375 Vgl. DDF, 1957, II, S. 8 - 1 2 : Vermerk, 1.7.1957.

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den Protektionismus der Sechsergemeinschaft dämpfe. Freilich bestärkten sie die britische Regierung in dem Bestreben, die Überseegebiete aus der Zone ebenso herauszuhalten wie Agrarprodukte. Auch in bilateralen Gesprächen mit den Franzosen zeichnete sich keine Veränderung der britischen Haltung ab376. In der Konsequenz schwenkte der niederländische Landwirtschaftsminister Mansholt ins Lager der Gegner der Freihandelszone. Dagegen hofften Wirtschaftsminister Zijstra und Regierungschef Drees, die Freihandelszone möge den Protektionismus der EWG mildern. Sie fürchteten, Vergeltungsmaßnahmen gegen den gemeinsamen Außenzoll könnten die eigenen Ausfuhrchancen beeinträchtigen. Sie wollten jedoch die Landwirtschaft einbeziehen, wozu sich im übrigen im August 1957 auch die Bundesregierung entschloß. Die Italiener machten den Briten ebenfalls klar, daß eine auf Industrieprodukte beschränkte Freihandelszone für sie nicht in Frage komme 377 . Sie schlossen sich im Brüsseler Interimsausschuß den Franzosen an, die sich dort auch der vorsichtigen Unterstützung der Belgier erfreuten. Der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Alfred Müller-Armack, versuchte zum Leidwesen des französischen Delegierten, soviel wie möglich von der Konzeption seines Ministers zu retten. Der Vertreter des Auswärtigen Amtes hielt indes die französische Auffassung, daß Freihandelszone und Gemeinsamer Markt sich letztlich ausschlössen »für hart, aber realistisch«. Das britische Vorhaben werde scheitern, »sofern nicht ein wirklicher weltpolitischer Auftrieb (ä la Suez) erfolgt«. Mithin machte sich Marjolin bei den Deutschen, im Gegensatz zu den Niederländern, berechtigte Hoffnungen, sie zum eigenen Standpunkt zu bekehren 378 . Die Bundesregierung unterstützte die französische »Maximalposition« 379 allenfalls unfreiwillig — als Folge ihrer konzilianten Haltung gegenüber Paris. Der Bericht des Vorsitzenden des Interimsausschusses vom Oktober 1957 kam Frankreich entgegen. Die Grundsätze des Berichts wurden der OEEC in Form eines Fragebogens übermittelt. Alternativ zum Gleichschritt mit der EWG wurde der etappenweise Abbau der Zölle und Quoten erwogen. Vor dem Übergang zur nächsten Etappe sollte das Gleichgewicht der eingeräumten Handelserleichterungen und ihre Auswirkungen auf die Volkswirtschaften festgestellt werden. Dabei sollten unter Umständen auch einzelnen Ländern der EWG oder sogar der EWG insgesamt einseitige Ausnahmeregelungen eingeräumt werden. Freizügigkeit war neben den Waren einschließlich der Agrarprodukte auch für Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskräfte vorgesehen. Schließlich sei die Währungs-, Konjunktur-, Sozial- und Finanzpolitik auch im Rahmen der Freihandelszone zu harmonisieren. Die komplizierten

Vgl. ACS, PCM/CIR, Nr. 182: Rapport, 22.7.1957; DDF, 1957, II, S. 8 3 - 8 5 , 144 f.: Chauvel an Pineau, 1 3 J . 1 9 5 7 , Pineau an Chauvel, 27.7.1957; DEI, S. 142. 37 " Vgl. Fauri, Italy, S. 50 f.; Küsters, Europapolitik, S. 214; Dingemans/Boekestijn, Netherlands, S. 2 2 6 - 2 2 8 . 378 Vgl. PA, Ref. 210/13: Vermerk Hartlieb (Zitat), 26.7.1957, Ressortbesprechung, 31.8.1957; DDF, 1957, II, S. 4 1 7 - 4 2 1 : Vermerk Marjolin, 16.9.1957. 379 So Küsters, Europapolitik, S. 214. 376

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Fragen der Ursprungskontrolle und der Behandlung der Überseegebiete wurden nur angedeutet380. Die britische Regierung wollte sich mit dieser Entwicklung nicht abfinden. Sie berief Reginald Maudling Anfang August 1957 zum Koordinator des Projektes mit Kabinettsrang. Wenige Wochen später präsentierte er dem Kabinett ein Strategiepapier. Es war eine erste Lockerungsübung in der Agrarfrage, ohne die weitere Fortschritte in der O E E C ausgeschlossen waren. Allerdings stand die Regierung nicht nur unter dem Druck des nationalen Bauernverbandes. Die Kanadier wollten jetzt den Commonwealthhandel ausweiten, um ihre Abhängigkeit von der amerikanischen Wirtschaft zu reduzieren381. Überraschend angesichts der bekannten Idiosynkrasien, ventilierte Maudling einen »institutional approach«. Praktisch verbarg sich dahinter jedoch zunächst nicht viel mehr als die Wiederaufnahme der früheren Verhandlungen über eine Agrargemeinschaft der O E E C , mit der man die Alternative von Abnahmevereinbarungen für bestimmte Produkte zunächst umgehen wollte. Die Agrargemeinschaft sollte einstimmig entscheiden und neben der Freihandelszone eingerichtet werden, da ja keiner der Staaten der Sechsergemeinschaft den freien Handel von Agrarprodukten anstrebe. Die britischen Landwirte müßten den Wettbewerb ihrer Kollegen vom Kontinent kaum fürchten, sah der Gemeinsame Markt doch Mindestpreise vor. Dagegen hätten sich die Verbraucher auf höhere Lebensmittelpreise einzustellen382. Auch im Brüsseler Interimsausschuß hatte man mittlerweile festgestellt, daß die Gestaltung des Agrarmarktes der erst im kommenden Jahr einzurichtenden Kommission vorbehalten war. Die Bedeutung dieser Frage schwand angesichts der sich weiter verhärtenden Position Frankreichs. Es stimmte zwar dem Abbau der Kontingente im Rahmen der Freihandelszone zu. Beim Zollabbau wollte es sich jedoch nur noch auf vier Jahre festlegen. Das wäre auf einen Präferenzzoll hinausgelaufen, der mit dem G A T T nicht vereinbar war. Folgerichtig wurde bereits ein Sonderstatus der Franzosen in der Freihandelszone überlegt383. Die französische Haltung war weit weniger konstruktiv, als Maudling Anfang Oktober 1957 annahm. Er glaubte, vor allem die Bundesrepublik, aber auch Benelux und — aus politischen Gründen — sogar Italien seien an der Freihandelszone interessiert. Dagegen werde Frankreich dieselbe Taktik wie bei den Brüsseler Verhandlungen einschlagen, um Sonderkonditionen für die eigene Wirtschaft herauszuschlagen384. Tatsächlich konnte nicht einmal die Wiedereinführung von Importquoten verhindern, daß Frankreich Ende 1957 nahezu zahlungsunfähig wurde. Vgl. ACS, PCM/CIR, Nr. 182: Rapport du President du Comite Interimaire, 10.10.1957; KPBR, X, S. 391 f. (9.10.1957); DEI, S. 143-145. Mi Vgl. dazu I'RUS, 1955-1957, IV, S. 635 f.: Botschafterkonferenz, 19.-21.9.1957; Ellison, Europe, S. 130-132, 146 f.; Milward, United Kingdom, S. 273 f. Vgl. PRO, CAB 129/88, CP 188(57), Note, 24.8.1957; ebd., CAB 128/31, CC 62(57), 27.8.1957; Ellison, Europe, S. 141 f.; Kaiser, Großbritannien, S. 165; Macmillan, Riding, S. 438 f.; Milward, United Kingdom, S. 296-299. Maudling bekleidete das Amt des »Paymaster-General«. J»' Vgl. PA, Ref. 210/14: Vermerk Harkort, 16.9.1957, Vermerk Stempel, 21.9.1957. 384 Vgl. PRO, CAB 128/31, CC 72(57), 8.10.1957; Ellison, Europe, S. 144-146. 380

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Handelsminister Eccles wiegte sich in der trügerischen Hoffnung, die Diskrepanz zwischen der französischen und der deutschen Währung werde den Gemeinsamen Markt so stark belasten, daß die Freihandelszone womöglich noch vor ihm in Kraft treten werde 385 . Dagegen beschwor Maudling unter dem Eindruck der Ratifizierung der E W G durch die Bundesrepublik und Frankreich am 4. Oktober 1957 die Gefahr der »competition from this economic giant throughout the world«. Sollte der Gigant sich in Ermangelung seiner Einbindung in eine Freihandelszone obendrein noch protektionistisch geben, käme dies einem fatalen Rückschlag für die auf Welthandel und Konvertibilität orientierte britische Außenwirtschaftspolitik gleich. Das Kernproblem sah Maudling allerdings darin, die rein wirtschaftliche Zusammenarbeit der Freihandelszone mit der auf politische Integration angelegten supranationalen Wirtschaftsgemeinschaft zu vermitteln 386 . Wie schon beim Schumanplan, neigten die Briten dazu, den supranationalen Charakter der kontinentalen Integrationsansätze zu überschätzen. Vornehmlich in ihren programmatischen Etiketten, weniger in der nüchternen Wirklichkeit ihrer Institutionen, begründeten die Römischen Verträge ein »ambitious arrangement« 387 . Der Popanz des Supranationalismus entsprang der nur widerwillig hingenommenen Notwendigkeit, die britische Wirtschaftspolitik mit den Europäern abzustimmen. Die Regierung fürchtete die Verlegenheit, die Interessen der britischen Farmer und der betroffenen Commonwealthstaaten dem Fortschritt der Verhandlungen opfern zu müssen und damit unter deren politischen Druck zu geraten. Denn mit institutionellen Vereinbarungen allein, ohne den Abbau von Quoten und Zöllen, würden die Europäer sich kaum abspeisen lassen. Wie die Kabinettssitzung am 8. Oktober 1957 zeigte, hegte Macmillan selbst gegen eine Agrargemeinschaft Vorbehalte. Die Verhandlungen des GATT über den Gemeinsamen Markt sollten zur Durchsetzung britischer Forderungen genutzt werden. Einerseits wollte Macmillan nicht von einem »Statute« der Freihandelszone sprechen, sondern lieber von allgemeinen Regelungen. Andererseits sollten deren Institutionen denen des Gemeinsamen Marktes an »dignity« und »authority« nicht nachstehen 388 . Das GATT erlaubte Zollunionen nach dem Muster der EWG. Problematisch waren jedoch der auf mindestens ein Jahrzehnt angelegte Zollabbau und die Assoziierung der Überseeterritorien. Beides lief auf langjährige Präferenzzölle hinaus. Diese bedurften der Zustimmung des GATT. Aus politischen Gründen begrüßte Kanada sowohl die E W G als auch den Beitritt der Briten zur Freihandelszone, obwohl sich die Industrie Sorgen um ihren Export machte. Ottawa warnte die Messinastaaten vor einer protektionistischen Handelspolitik. Das entsprach der Stimmung im GATT. Dessen Mitglieder sahen ein, daß eine Ablehnung des Gemeinsamen Marktes den Gedanken der europäischen Integration und das GATT in Vgl. I-RUS, 1955-1957, IV, S. 563: Gespräch F.ccles, Dillon u.a., 26.9.1957. » Vgl. PRO, GAB 129/89, C 222(57): Memo, 4.10.1957. M" Ellison, Europe, S. 134. » Vgl. PRO, GAB 129/89, G 219(57), 4.10.1957; ebd., GAB 128/31, 72(57) (Zitate), 8.10.1957; Ellison, Europe, S. 1 4 8 - 1 5 0 ; Macmillan, Riding, S. 439 f.

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den Augen der EWG-Staaten diskreditiert hätte. Bei einigen Mitgliedern, insbesondere bei Japan und Brasilien, zeichnete sich dennoch eine harte Haltung ab. Insgesamt waren die Interessen der Mitglieder jedoch so disparat, daß eine Ablehnungsfront nur schwer zusammenzubringen war 389 . Für den Quai d'Orsay barg das GATT ein doppeltes Risiko. Einerseits konnte es von Deutschen und Niederländern genutzt werden, die Handelspolitik der EWG liberal zu gestalten. Andererseits blieb die britische Haltung, nach der sich auch andere Länder richteten, nur so lange positiv, wie sich London und die Skandinavier Hoffnung auf die Freihandelszone machen konnten 390 . Für die Briten stellte sich die Frage, ob die eigenen Kolonien oder gar die Dominions in die Freihandelszone eingebracht werden sollten, um damit Gleichberechtigung zu schaffen. Die britische Regierung war sich rasch einig, daß man lieber Sondervereinbarungen treffen wollte, um die Diskriminierung gegenüber den Überseegebieten des Gemeinsamen Marktes zu vermeiden. Da dies auch die Sorge der lateinamerikanischen und anderer Mitglieder war, ließ sich das GATT als Druckmittel einsetzen 391 . Tatsächlich monierte Großbritannien im September 1957 offiziell die Präferenzen der Uberseeterritorien auf dem Gemeinsamen Markt. Die Sechsergemeinschaft wollte dagegen ihre Entwicklungshilfe für die Uberseegebiete ins Feld führen, um eine breite Solidarisierung mit dem britischen Standpunkt zu verhindern. Nichtsdestoweniger geriet der geplante Außenzoll der EWG im GATT im November 1957 in die Kritik der Vereinigten Staaten, Kanadas, Australiens und anderer. Der Commonwealth schoß sich auf die Präferenzen der Uberseegebiete ein. Andererseits registrierte die französische Diplomatie eine zunehmende Unterstützung der Vereinigten Staaten, die offenbar ein vitales Interesse am Erfolg der EWG besaßen 392 . Dies war keineswegs nur politischer Natur. Zu Recht galt der Gemeinsame Markt trotz seiner protektionistischen Züge schon früh als »juicy opportunity for direct investment« 393 . Der Fortgang des Projektes der Freihandelszone ließ freilich keine Milderung des britischen Standpunktes erwarten. Im Gegenteil sah sich Pineau im März 1958 veranlaßt, die Briten davor zu warnen, sich an die Spitze der Opposition im GATT zu setzen, wolle es keine Klimaverschlechterung bei den Verhandlungen über die Freihandelszone riskieren394. Die kamen indessen kaum voran. Unmittelbar vor der Tagung des Ministerrates der OEEC vom 16. bis 17. Oktober 1957 waren sich Maudling und M. Faure einig, daß in Frankreich eine feind389 Vgl. ACS, PCM/CIR, Nt. 182: ital. Botschaft Ottawa an Min. Ä f f . Est, 20.2.1957; MAEF, Europe 1 9 5 6 - I960, Generalites, Bd 186, Bl. 7 3 - 7 7 : Bousquet an Pineau, 4.4.1957. 390 Vgl. DDF, 1957, II, S. 126 f.: Vermerk Wirtschaftsabteilung, 22.7.1957. 391 Vgl. PRO, CAB 128/31, CC 29(57), CC 38(57), 3., 4. und 6.5.1957; ebd., CAB 129/89, C 220f.(57): Noten Maudling, 4.10.1957. Vgl. DDF, 1957, II, S. 483 f., 490 f., 522, 616, 6 4 7 - 6 5 1 , 7 2 3 - 7 2 5 : Vermerke Wirtschaftsabteilung, 30.9., 2.10. und 30.10.1957, Chauvel an Pineau, 9.10.1957, Philip an Pineau, 8.11.1957, Note des Min.Aff.Etr. an die brit. Botschaft, 20.11.1957; Ellison, Europe, S. 1 6 0 - 1 6 2 ; Romero, Eyes, S. 1 6 7 - 1 7 1 . 393 FRUS, 1 9 5 5 - 1 9 5 7 , IV, S. 556: Frank an Dillon, 24.5.1957; Neuss, Geburtshelfer, S. 333 f. 394 Vgl. DDF, 1958,1, S. 381 f.: Pineau an Chauvel, 22.3.1958.

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selige Stimmung gegen die Freihandelszone aufgekommen sei. Tatsächlich hatten die französischen Unternehmer deren Unvereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt erklärt. Allerdings hegten auch die britischen Unternehmer Zweifel an der Freihandelszone und bestanden auf den Empirepräferenzen 395 . Faure bestritt zwar, daß die Haltung der französischen Unternehmer die der Pariser Regierung sei. Freilich befand sich diese wieder einmal in der Krise. Die Erkundigung des Briten, ob es denn unter diesen Umständen überhaupt noch Lösungsansätze gebe, vermochte Faure dann auch nur unverbindlich zu beantworten. Entsprechend bescheiden war das Ergebnis des Ministerrates — trotz eines erneuten Plädoyers des deutschen Wirtschaftsministers. Man einigte sich, ohne in eingehende Beratungen einzutreten, auf einen Regierungsausschuß unter Maudlings Vorsitz, nachdem dieser und Thorneycroft »unausweichliche politische und selbst militärische Folgen einer wirtschaftlichen Spaltung Europas« angedroht hatten. Die französische Diplomatie blieb dennoch bei ihrer Auffassung, daß die britischen und französischen Ziele letztlich unvereinbar seien, obwohl sich London in der Agrarfrage bewegte. Ohnehin zweifelte mancher kontinentale Politiker und Diplomat an der Aufrichtigkeit der Briten. Vielleicht betrieben sie die Freihandelszone doch nur, um die E W G scheitern zu lassen 396 . Kein Wunder, wenn der deutsche Vertreter im Brüsseler Interimsausschuß Ende November 1957 keine gemeinsame Position der Sechs gegenüber London mehr erwartete. Wieder war es zwischen Müller-Armack und den Franzosen — mit den Belgiern »in französischem Fahrwasser« — zu Kontroversen gekommen. Immerhin schlug der italienische Außenhandelsminister Guido Carli im letzten Quartal 1957 vor, einen Teil der Agrarprodukte im Rahmen der Freihandelszone wie Industriegüter zu behandeln und für einen weiteren Teil sensibler Produkte jährlich zu verhandelnde Quoten zu vereinbaren. Es verstand sich von selbst, daß zu den letzteren die Produkte der italienischen Landwirtschaft zählten (Wein, Früchte, Gemüse, Reis und andere). Andererseits beobachtete der deutsche Vertreter, daß die Italiener bei der Forderung nach Freizügigkeit der Arbeitskräfte in der Freihandelszone bereits zurückzurudern begannen. Sie sorgten sich um die Konkurrenz griechischer Arbeitskräfte. Im übrigen griffen jetzt bilaterale Vereinbarungen, nicht zuletzt mit der Bundesrepublik 397 . Die Industriellen und Landwirte Italiens waren sich mit ihren französischen Kollegen einig, daß man die Freihandelszone am besten vermied. Der Zugang zu dem bei weitem wichtigsten Auslandsmarkt Bundesrepublik war der italienischen Industrie durch die EWG sicher. Denkbare Vorteile auf dem für sie nicht mehr so bedeutenden britischen Markt rechtfertigten nicht die voraussichtlichen Nachteile zunehmenden ausländischen Wettbewerbs in der Freihandelszone. Dennoch war die italienische Regierung nicht so ablehnend wie die franW5 Vgl. BDI-D, II, S. 875 f.: Entschließung, 17.9.1957; Mioche, Patronat, S. 252 f.; DEI, S. 143. ™ Vgl. DDF, 1957, II, S. 5 4 7 - 5 4 9 , 589 f.: Gespräch M. I-'aure/Maudling, 16.10.1957, Runderlaß. 25.10.1957; Ellison, Europe, S. 1 5 6 - 1 6 0 ; DF.I, S. 145-148. yr Vgl. dagegen Fauri - Italy, S. 52 f. - , wonach Maudling die Skepsis der britischen Gewerkschaften gegen die italienische Freizügigkeitsforderung betonte. Vgl. auch Romero, Migration, S. 4 9 - 5 1 .

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zösische, denn Italien war in höherem Maße vom Außenhandel abhängig als Frankreich. Bezeichnend war die Haltung in den Fragen Außenzoll und Ursprungskontrolle. Außenminister Pella gab sich flexibel, solange sein Land sensible Güter, die über Länder der Freihandelszone mit einem Tarif unter dem des Gemeinsamen Marktes eingeführt wurden, mit einer Ausgleichsabgabe belegen durfte. Den Franzosen unterstellte Rom, daß sie nicht nur die Freihandelszone nicht wollten, sondern auch am GATT kein Interesse hatten, um die schmerzhafte innere Stabilisierung zu vermeiden, von der je länger desto deutlicher die Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs abhing 398 . Eine vermittelnde Haltung der italienischen Regierung lag auch in der Logik ihres Vorschlags, ein euro-amerikanisches Entwicklungshilfeprogramm für den Nahen Osten ins Werk zu setzen. Pella appellierte damit zwar an den Geist des Artikels 2, wollte das Projekt institutionell jetzt jedoch bei der OEEC ansiedeln, zumal es aus Rückflüssen der Marshallhilfe gespeist werden sollte. In dem Projekt fokussierten mehrere sicherheitspolitische Anliegen des Landes: Stabilisierung der NATO-Südflanke und der Gegenküste, nationale Export- und Petroleuminteressen und gleichberechtigte Mitsprache im westlichen Bündnis. Dabei galt es nicht zuletzt, die Politik gegenüber der Supermacht in der NATO, die Nahost- und die Europapolitik zu koordinieren. Im Sinne seiner bisherigen Haltung lehnte Dulles das Projekt Ende 1957 ab399. Im Februar 1958 ließ Staatssekretär M. Faure Wirtschaftsminister Erhard und dessen Staatssekretär Müller-Armack abblitzen. Sie hatten den Franzosen mit dem Argument von der Freihandelszone überzeugen wollen, daß deren Scheitern den Sowjets nütze und womöglich der Labour Party wieder an die Regierung verhelfe. Kaum größere Wirkung hatte die Warnung vor einer Separatveranstaltung der Briten mit dem Rest der OEEC. Faure beharrte auf der einhelligen Ablehnung durch Berufsverbände und Parlament. Die rechtlich denkbare Einführung der Freihandelszone durch einstimmigen Ministerratsbeschluß der EWG hielt er für vollends abwegig 400 . Unterdessen geriet der Maudlingausschuß der OEEC dank der Haltung der Deutschen und des Benelux in britischen Augen zu einer ermutigenden Veranstaltung. Allerdings betonten die Deutschen immer wieder die Integrität der EWG als Voraussetzung der Freihandelszone 401 . Zu Jahresbeginn 1958 lag dem Ausschuß ein britischer Vorschlag für ein Landwirtschaftsabkommen vor. Danach sollte zwar die zollfreie Einfuhr der Agrarprodukte des Commonwealth gewahrt werden, ansonsten aber die Formel der Sechs für die Gestaltung des Agrarmarktes greifen: Produktivitätssteigerung plus Einkommensgarantien. Hatten die Briten ihre Empirepräferenzen über die Anleiheverhandlungen von 1945 und das GATT von 1947 hinübergerettet, so machten die Franzosen sie hier erneut zum Thema. Zu ihrem Leidwesen war die Aufnahme der Dominions in die Freihandelszone jedoch Vgl. PA, Ref. 210/14: Vermerk Hartlieb (Zitat), 8.11.1957, Vermerk Stempel, 28.11.1957; DDF, 1957, II, S. 9 8 0 - 9 8 2 : Palewski an Min. Äff. Etr., 28.12.1957; Fauri, Italy, S. 5 1 - 5 4 , 5 9 - 6 3 . Vgl. Brogi, Egemonia, S. 2 8 0 - 2 8 4 , 2 8 7 - 2 9 2 , 338 f. « Vgl. DDF, 1 9 5 8 , 1 , S. 2 1 6 - 2 1 9 : Gespräch, 18.2.1958. 401 Vgl. Ellison, Europe, S. 1 6 2 - 1 6 6 , 1 7 1 - 1 7 6 . 398

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ebenso fatal für den europäischen Agrarmarkt wie attraktiv für die europäische Industrie 402 . Maudling mahnte zu Beginn des Jahres 1958 bei der eigenen Regierung Kompromisse hinsichtlich der Harmonisierungsforderung und der Zölle an, die ihm die konstruktive Fortsetzung seiner Arbeit in der OEEC ermöglichen sollten. Andernfalls laufe man Gefahr, daß auch die kleineren europäischen Staaten sich der mittlerweile in Kraft getretenen EWG anschlossen. Nach Auffassung des Kabinetts durften solche Kompromisse freilich nicht den Zusagen zuwiderlaufen, die man den betroffenen Interessengruppen gemacht hatte. Lieber sollte Maudling den Europäern gegenüber die alte Leier des britischen Rückzugs aus Europa und der politischen und wirtschaftlichen Vorherrschaft der Deutschen anstimmen. Offenkundig verkannte London, daß das Gruselszenario desto mehr seine Wirkung verfehlte, je stärker die Deutschen die Interessen der Franzosen und Italiener in Rechnung stellten. Wenig tragfähig war auch die Hoffnung, die Niedrigzollländer der EWG — also vor allem die Niederlande — gegen Frankreich in Stellung zu bringen 403 . Der niederländische Wirtschaftsdiplomat van der Beugel wollte zwar die Freihandelszone, um den Protektionismus der EWG zu kompensieren. Er hatte kein Interesse, London vor die Alternative: Commonwealth oder Europa zu stellen. Aber er bestand auf dem Einschluß der Landwirtschaft. Schließlich hegte die niederländische Wirtschaft ebenfalls Vorbehalte gegen die Freihandelszone. Beschwert von hohen Einfuhrzöllen und den sonstigen Lasten des Gemeinsamen Marktes wollte man sich ungern dem Wettbewerb Dritter stellen, die davon frei waren. Die Skeptiker wollten zunächst abwarten, wie die EWG funktioniere4*14. Nachdem Pineau im Januar 1958 vor dem Hintergrund der ablehnenden Stimmung in der französischen Öffentlichkeit erneut britische Zugeständnisse gefordert hatte, zweifelten Lloyd und Eccles bereits am guten Willen Frankreichs. Tatsächlich blieben die britischen Warnungen nicht ganz ohne Resonanz. Die Europaabteilung des Quai d'Orsay plädierte aus politischen Gründen für die Freihandelszone. In Krisen, wie der vergangenen in Nahost, und bei politischen Themen globalen Zuschnitts, wie bei den Abrüstungsgesprächen, hänge die Entwicklung vor allem von Amerikanern und Briten ab. In der britischen Präsenz auf dem Kontinent erkannte man eine zusätzliche Garantie für den amerikanischen Nuklearschutz. Außerdem wolle man ja vielleicht mit den Briten nuklear zusammenarbeiten. Schließlich könnte Skandinavien noch stärker zum Neutralismus tendieren und Österreich vollends unter den wirtschaftlichen Einfluß der Bundesrepublik geraten.

«2 Vgl. DDF, 1957, II, S. 6 8 9 - 6 9 4 , 8 0 7 - 8 1 0 , 8 3 6 - 8 3 8 : Vermerke Wirtschaftsabteilung, 18.11., 29.11. und 3.12.1957; Ellison, Europe, S. 181; Macmillan, Riding, S. 440 f.; Milward, United Kingdom, S. 300 f.; DEI, S. 1 4 8 - 1 5 4 , 1 5 6 - 1 5 9 , 1 6 2 - 1 6 4 . Vgl. PRO, GAB 128/32, CG 5(58), 14.1.1958; ebd., GC 14(58), 4.2.1958; Ellison, Europe, S. 181 f. Vgl. ΜΛΕΕ, Europe 1 9 5 6 - 1 9 6 0 , Nr. 193, Bl. 38 f., 5 1 - 5 3 : Ruffin an Min. Äff. Etr., 30.9. und 3.10.1957.

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Dagegen besitze die Freihandelszone eine Attraktivität für die europäische Peripherie (Finnland, Jugoslawien), die der EWG abgehe 405 . Zu Jahresbeginn 1958 einigten sich die Außenminister Brentano und Pineau, daß die Kommission der mittlerweile in Kraft getretenen EWG die Haltung der Sechs zur Freihandelszone in ähnlicher Weise koordinieren solle wie vorher der Interimsausschuß. Bestand Erhard auf einer einheitlichen Position der Sechs, war M. Faure nur bereit, die französischen Vorschläge an die OEEC mit den fünf Partnern zu diskutieren. Tatsächlich versuchte Paris, zunächst die Fünf davon zu überzeugen, den Gedanken der vertikalen Integration wieder aufzuwärmen. Es schlug Abkommen zwischen EWG und OEEC auf Branchengrundlage (»industryby-industry«) vor, um das bekannte Gleichgewicht zwischen Wettbewerb und Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen. Die Niederlande und Belgien lehnten das ab, während Luxemburg positiv reagierte. Sehr genau registrierten die Franzosen, daß Brentano bilaterale Verträge zwischen der EWG und den einzelnen OEEC-Staaten begrüßte. Diese Aufwertung der EWG gegenüber der OEEC wollte Erhard dagegen vermeiden. Obendrein forderte Frankreich eine Karenz (»decalage«) von bis zu drei Jahren zwischen den Zollsenkungen der EWG-Staaten untereinander und denen gegenüber der OEEC 406 . Carli entwickelte in gleicher Absicht den Vorschlag von Ausgleichsabgaben weiter. Er stieß bei den Skandinaviern auf Sympathie, weil er niedrige Einfuhrzölle zuließ. Freilich war ein derartiges System unterschiedlicher Abgaben nur in begrenztem Umfang und für begrenzte Zeit denkbar. Deutsche, Schweizer und Briten fürchteten dann auch, sich ein bürokratisches Monstrum einzuhandeln. Im übrigen erkannten die Briten natürlich, daß Ausgleichsabgaben einen Gutteil der Vorteile der Freihandelszone zunichte machten. Entweder sie erhöhten die Zölle gegenüber dem Commonwealth, den Vereinigten Staaten und anderen, oder sie nahmen die Belastung der eigenen Ausfuhren in die EWG hin. Carli glaubte wie Erhard, daß der Weg der EWG ohne Einbindung in eine Freihandelszone in den Protektionismus führe. Mit seiner Absicht, den heimischen Protektionismus gleichsam zu überlisten, stieß er selbst bei der italienischen Wirtschaft auf Ablehnung 407 . Mit verhaltener Begeisterung notierte der Quai d'Orsay, der mit maßgeblicher französischer Hilfe zum Kommissionspräsidenten gekürte Hallstein sei »weniger weit von der französischen Haltung entfernt als die Mehrzahl unserer Partner in der Gemeinschaft«. In der Tat hielt die Kommission die französisch-italienischen Forderungen nach Harmonisierung der Handelspolitik, der Sozialpolitik und der Wettbewerbsvorschriften, nach Ausgleichsabgaben und einer,

Vgl. DDF, 1958,1, S. 7 0 - 7 3 , 84 f., 191 f.: Gespräch Pineau/Lloyd, 18.1.1958, Chauvel an Pineau, 25.1.1958, Vermerk Europaabteilung, 17.2.1958. Ähnlich wie die Europaabteilung mahnte auch Botschafter Chauvel. Vgl. DDF, 1957, II, S. 863 f., 8.12.1957. 4W> Vgl. DDF, 1958, I, S. 9 4 - 9 6 , 264-266, 292 f.: Bousquet an Pineau, 27.1.1958, Vermerk, 3.3.1958, Pineau an Seydoux, 8.3.1958; Ellison, Europe, S. 183-185; Lappenküper, Beziehungen, S. 1071 f.; Milward, United Kingdom, S. 283-285; Dokumentation, S. 162. «>7 Vgl. Ellison, Europe, S. 188 f.; Fauri, Italy, S. 5 5 - 5 9 ; DEI, S. 165; PRO, CAB 129/93, C 110(58): Bericht Econ. Steering Comm., Mai 1958. 405

IV. Die Initiative des Benelux

493

allerdings kurzen, Karenz für angemessen 408 . Kein Wunder, daß Monnet darüber nachdachte, die EZU durch ein Währungssystem der Sechsergemeinschaft zu ersetzen. Namentlich die Deutschen hätten dann für die zunehmenden Zahlungsbilanzdefizite Frankreichs geradezustehen gehabt 409 . Ungemütlich für London war der französische Vorschlag, die Commonwealthpräferenzen auf die europäischen Staaten auszuweiten — ein kluger Schachzug gegen die Kritik an den Präferenzen der Überseeterritorien im GATT. Denn vor allem in Australien und Neuseeland fand der Gedanke durchaus Anklang; fürchteten sie doch den Verlust von Märkten auf dem Kontinent. Das nahm dann auch der britischen Drohung, sich auf den Commonwealth zurückzuziehen, einiges an Wirkung. Im Gegenteil laufe man Gefahr, so Maudling im Kabinett, selbst unter die »combination of pressure from the Six and of some members of the Commonwealth« zu geraten, die ihrerseits im französischen Interesse von London die Ausweitung der Präferenzen als Gegenleistung für eine Freihandelszone fordern könnten. Folgerichtig empfahl es sich, nicht lautstark gegen den französischen Vorschlag zu polemisieren. Vorsichtig mahnte Maudling, daß der eigene Vorschlag so »tailor-made to suit British requirements« wohl nicht bleiben könne. Tatsächlich arbeitete die Zeit jetzt immer deutlicher für Frankreich, wenn zeitgleich zur ersten Zollsenkung der EWG am 1. Januar 1959 auch die Zölle der Sechs gegenüber dem Rest der OEEC abgebaut werden sollten. Allerdings zeigte die Musterung der eigenen Schlachtordnung und die der Gegner die verblüffende diplomatische Stärke der ihrem Ende entgegentaumelnden Vierten Republik. Denn in der OEEC konnte sich Maudling eigentlich nur noch auf Schweizer, Österreicher und Skandinavier verlassen. Die gefühlsmäßige Anhänglichkeit des Benelux an die alte Schutzmacht überschätzte er ebenso wie deren Sorge, in der Sechsergemeinschaft verlorenzugehen. Erst recht galt das für den Einfluß Erhards und all der deutschen Minister, die glaubten, Bonn habe die französische Zustimmung zum Gemeinsamen Markt zu teuer bezahlt. Sie hatten gegenüber den »francophil Germans, led by Dr. Adenauer himself«, längst den Kürzeren gezogen. Dagegen zählten zu den Verbündeten Frankreichs — neben den »protectionists everywhere« — mittlerweile auch das »establishment« der »European senior officials and civil servants, men like Hallstein, Marjolin and Monnet, who exert an enormous influence«. Sie betrachteten die Sechsergemeinschaft mit Recht als ihr Verdienst und würden die einst so überheblichen Briten nun gerne etwas vor der Tür warten lassen. Ihr Einfluß werde im Falle britischer Unbeugsamkeit womöglich entscheidend. In der Tat waren selbst die deutschen Europabeamten Hallstein und Groeben nur begrenzt kompromißbereit. Die letztlich nur vom Ministerrat abhängige, als supranational verstandene eigene Behörde hätte dem Einfluß der intergouvernementalen Einrichtungen der Freihandelszone unterlegen. Und die hätten die programmatische Raison d'etre der Europabürokratie, die »föderative Struktur der ar nicht aus, forderte sie aber auch nicht. Eine europäische Außenpolitik war dagegen in der Struktur der supranationalen EVG angelegt. In der Konsequenz ihres Scheiterns existierten die alten innereuropäischen Rivalitäten gleichsam unter der Decke des Kalten Krieges fort. Ob die Befriedung der west/mitteleuropäischen Binnenbeziehungen des adantischen Bündnisses bedurfte, erscheint eher fraglich. Ohne den Griff des totalitären Dritten Reiches nach der Herrschaft über Europa hätte das mit den Verträgen von Locarno 1925 wiederhergestellte Konzert der europäischen Mächte einen erneuten militärischen Großkonflikt zwischen den Demokratien vermutlich verhindert1. Im übrigen konnte die NATO den begrenzten Konflikt zwischen ihren Mitgliedern Türkei und Griechenland um Zypern auch nicht verhindern. Die relative Unabhängigkeit der Nationalstaaten hatte ihren Preis. Die politischen und strategischen Paradigmen des Bündnisses wurden in erster Linie von seiner Vormacht und in zweiter Linie von den beiden Großmächten bestimmt. Das zeigte die Nuklearisierung zunächst der amerikanischen, dann der NATO-Strategie. In die Formulierung der Politik der westlichen Sicherheitsgemeinschaft fühlten sich die kleineren Mitglieder nur unzureichend eingebunden. Großbritannien und Frankreich waren bestrebt, mit der Standing Group und dem informellen Dreierklub - der sich zunächst vor allem an der gemeinsamen Verantwortung für Berlin und Deutschland als Ganzes festmachte — möglichst viel von vergangener Glorie zu retten. Vor allem galt es, den Abstand gegenüber dem deutschen Bündnispartner zu wahren. Je mehr dessen wirtschaftliche Dynamik die des Vereinigten Königreiches überflügelte, von Frankreich ganz zu schweigen, desto wichtiger wurde die nationale Verfügung über Kernwaffen, um die politisch-diplomatische Superiorität '

Vgl. Soutou, Order, S. 337 f.

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zu unterstreichen. Die hohen Kosten hätten ein europäisches militärisches Nuklearprogramm nahegelegt. Es wurde zwar in London, Paris, Rom und Bonn erwogen, wäre aber letztlich wieder auf eine Integration der Außen- und Sicherheitspolitik hinausgelaufen. Daher entschieden sich zunächst Großbritannien und dann auch Frankreich für eigene Kernwaffen und die entsprechende Stärkung des Nationalstaates. Das Streben nach einer eigenen Abschreckung unterstrich den Anspruch auf eine Führungsrolle im westlichen Bündnis neben den Vereinigten Staaten. Wirklich unabhängig von der Nuklearpolitik der Supermacht sollte die Verfügung über Kernwaffen weder Briten noch Franzosen machen 2 . Folgerichtig kam es auch zu keiner anhaltenden Solidarisierung der kleinen und großen Mitglieder gegen die Führungsmacht der Allianz. Vielmehr kommunizierten und kommunizieren bis heute die Bündnisstaaten je nach Opportunität auf dem bilateralen und/oder dem multinationalen atlantischen Kanal. Den Europäern stand darüber hinaus auch noch der multinationale europäische Kanal zur Verfügung, der freilich bis in die Gegenwart für Fragen der militärischen Sicherheit kaum Bedeutung erlangte. De Gaulle versuchte, alle drei Bälle in der Luft zu halten. Loyalität zur Allianz und zu ihrer militärischen Integration wurde in breiten Kreisen der deutschen Öffentlichkeit als existentielle Voraussetzung der Bundesrepublik verstanden. Nur wenige sahen in der militärischen Zusammenarbeit mit Frankreich eine denkbare Alternative. Mit ihrer Präambel zum Elysee-Vertrag von 1963 bestätigten die Abgeordneten des Deutschen Bundestages — trotz der Anlehnung an Frankreich im Rahmen der Sechsergemeinschaft — das atlantische Bündnis und bilaterale Verhältnis zu den Vereinigten Staaten als oberste Maxime der deutschen Außenpolitik 3 . Ähnlich verhielt es sich bei Italien, insgesamt trogen die westeuropäischen Nationalstaaten die Vereinigten Staaten in ihrer Funktion als europäische Ordnungsmacht einem europäischen Souverän vor. Dabei ist es bis heute geblieben. In der Konsequenz ist die vor allem in der amerikanischen Literatur betonte Funktion der Vereinigten Staaten als Stifter der europäischen Einheit 4 zu relativieren. Mit ihrer wirtschaftsdiplomatischen Initiative haben sie die europäische Zusammenarbeit angestoßen. Nach 1950 unterstützten sie die supranationale Initiative Frankreichs desto energischer, je deutlicher sich die Franzosen selbst aus ihr verabschiedeten. Nach dem Scheitern der EVG ist eine vergleichsweise deutliche europapolitische Zurückhaltung spürbar. Schon 1949 freilich galten die NATO und die enge sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit den Briten den Vereinigten Staaten als vorrangige Instrumente ihrer Außenpolitik, denen sich europapolitische Ziele unterzuordnen hatten. Großbritannien und die NATO waren den Amerikanern im Zweifel wichtiger als die europäische Integration. Insofern verhielten sie sich spiegelbildlich zu den europäischen Nationalstaaten. Denn auch für diese genoß das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten Vorrang vor der Intergration.

2 1 4

Vgl. Krieger, NATO, S. 109. Vgl. Heuser, Mentalities, S. 205 - 212, 216 - 222, 225 - 229. Vgl. Wurm, Fiarly European Integration, S. 13 f.

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Die britischen und französischen Kernwaffen dokumentierten auch die anhaltende Sorge der Europäer, die Amerikaner könnten sich im Zweifel aus ihren europäischen Verpflichtungen zurückziehen, um sich mit den Sowjets über die Köpfe der Verbündeten hinweg zu arrangieren. Besonders ungemütlich war diese Vorstellung für die wachsende Zahl der Deutschen, welche die demokratische, kapitalistische und mental den Vereinigten Staaten und Westeuropa verbundene Bundesrepublik keinesfalls einem neutralen oder gar sowjetfreundlichen Gesamtdeutschland im Niemandsland zwischen den Blöcken opfern wollten. Die Suezkrise machte den instrumenteilen Charakter augenfällig, den das Bündnis für die Vereinigten Staaten besaß, insbesondere im Gegensatz zu dessen existentieller Bedeutung für viele seiner europäischen Mitglieder. Den Europäern wurde das Sicherheitsdefizit bewußt, das in der Allianzstruktur angelegt war. Es lag nahe, dieses Defizit durch den Schulterschluß mit den europäischen Partnern auszugleichen. Freilich war die WEU dazu ebenso ungeeignet wie ihr Vorläufer, der Brüsseler Pakt. Briten und Franzosen sahen in ihm kaum mehr als die völkerrechtliche Ergänzung des Nordatlantikpaktes durch eine automatische Beistandsklausel und einen Kontrollmechanismus, der verhindern sollte, daß die Bewaffnung der Deutschen aus dem Ruder lief. Allenfalls als politisches Bündnis der westeuropäischen Kernstaaten hätte die WEU Sinn gemacht. Aber zu einer echten Abstimmung ihrer Außenpolitik, womöglich gar durch Mehrheitsentscheidungen, waren Briten und Franzosen nicht bereit. Solange die NATO ihr militärisches Sicherheitsbedürfnis hinreichend befriedigte, bestand keine Veranlassung, die WEU aus ihrem Dornröschenschlaf wach zu küssen. Denn denkbare wirtschaftliche Funktionen — wie sie die Gründer des Brüsseler Paktes anfangs vorgesehen hatten — wurden längst von anderen Einrichtungen wahrgenommen. Der von den Vereinigten Staaten zunächst angestrebte globale Multilateralismus hatte die europäischen Nachkriegsdemokratien destabilisiert. Das hätte schon mittelfristig zur erneuten militärische Bedrohung Nordamerikas führen können. Die OEEC war der institutionelle Niederschlag des Marshallplanparadigmas, durch regionale wirtschaftliche Zusammenarbeit kollektive Stabilität und Sicherheit zu schaffen. Die Überwindung der Wirtschaftsblöcke als Kernziel der RooseveltAdministration wurde nicht aufgegeben, sondern als langfristige Orientierung definiert. Denn die regionale Begrenzung der Freizügigkeit von Wirtschaftsgütern und vor allem ein funktionstüchtiges Verrechnungssystem für ihre nicht-konvertiblen Währungen erlaubte den europäischen Staaten die Öffnung ihrer Volkswirtschaften für einen moderaten Standortwettbewerb im westeuropäischen Rahmen. Zu Recht versprachen sie sich davon Produktivitätszuwächse. Die Amerikaner hatten die wirtschaftliche Sicherheit ihrer Verbündeten als Element ihrer militärischen Sicherheit verstanden. Die Förderung des Wiederaufbaus und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit dämpfte zahlreiche binneneuropäische sowie amerikanisch-europäische Interessengegensätze. Damit wurde das notwendige Klima für die Bildung und den Zusammenhalt des westlichen Lagers geschaffen. Soweit die nationalen Interessengruppen ihr dies zugestanden, akzeptierte die amerikanische Regierung die handelspolitische Diskriminierung. Der eigene große, vom Weltmarkt relativ un-

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abhängige Binnenmarkt erleichterte dieses Opfer. Die Marshallplaner hofften, die kollektive Abstimmung der nationalen Wiederaufbaupläne im europäischen Rahmen führe über kurz oder lang zur Integration der Wirtschaftspolitik der Nationalstaaten und darüber hinaus sogar zur Föderation. Dagegen konterkarierten die amerikanischen Volksvertreter ihre eigene Absicht, einen europäischen nach dem Modell des amerikanischen Bundesstaates zu formen. Sie vereinbarten ihre Anschubfinanzierung für den europäischen Wiederaufbau bilateral mit den europäischen Staaten statt mit deren Kollektivorgan. Damit war vielleicht die Verwendung der Mittel wirksamer zu kontrollieren. Sicher konnten auch die eigenen außenpolitischen und wirtschaftlichen Interessen besser zur Geltung gebracht werden. Kein Zufall mithin, wenn die Briten als wichtigste Verbündete besonders wohlwollend bedacht wurden. Aber die OEEC und den Brüsseler Pakt hatte der Kongreß damit letztlich desavouiert. Auch hinsichtlich des Weltmarktes - den die Roosevelt-Administration im Blick gehabt hatte — war die Errichtung des (westeuropäischen Wirtschaftsraumes zwiespältig. Die europäische Arbeitsteilung wurde nach französisch-italienischem Konzept desto intensiver, je mehr die binneneuropäischen Schotten an die Außengrenzen des europäischen Wirtschaftsraumes verschoben wurden. Zur Reglobalisierung trug die erste Integrationsdekade nur bedingt bei. Zwar war in der EWG der Keim zu deren transnationaler Fortbildung angelegt. Sie hat gegenwärtig ein beachtliches Niveau erreicht, ist aber durch die anstehende Ausdehnung der europäischen Gemeinschaft auch von Rückschlägen bedroht. Andererseits dürfen sich von der Entwicklung zwischen 1947 und 1958 eher die Globalisierungsskeptiker bestätigt sehen, die im Weltmarkt die Summe seiner regionalen Segmente und die Nationalstaaten als Protagonisten der Politik sehen. Trotz allergischer Reaktionen auf die gelegentlich als demütigend empfundenen Klauseln, kamen die bilateralen Verträge der Amerikaner mit den europäischen Empfängerländern dem Interesse ihrer nationalen Regierungen entgegen. Denn für sie genossen die nationalen wirtschaftspolitischen Ziele Vorrang gegenüber ihrer europäischen Abstimmung. Der souveräne Zugriff auf die nationalen Ressourcen galt den europäischen Regierungen als Voraussetzung wirtschaftlicher und militärischer Sicherheit. Die amerikanische Marshallplanverwaltung unterwarf sich letztlich dieser Logik und flankierte die nationalen Vorhaben. Ihr Bestreben, eine relativ autonome politische Spitze der OEEC und womöglich den Grundsatz von Mehrheitsbeschlüssen durchzusetzen, scheiterte am britischen Widerstand. Die OEEC fiel damit als Schrittmacher einer politischen Integration aus. Die EZU zeigte überdies, daß die währungspolitische Zusammenarbeit als existentielle Voraussetzung des multilateralen europäischen Binnenhandels durchaus auf dem Wege der Zusammenarbeit der Regierungen gelöst werden konnte. Über die Europäische Währungsschlange der 1970er und das Europäische Währungssystem der 1980er Jahre bis zur Europäischen Währungsunion und zur Europäischen Zentralbank unserer Tage reicht die Fernwirkung dieser intergouvernementalen Einrichtung. Deren Beziehungen zur Luxemburger und später Brüsseler Europabürokratie blieben ziemlich lose. Mit dem Atlantikpakt und der OEEC schien ein Gutteil der Probleme gelöst, welche die innere und äußere Sicherheit der westeuropäischen Nationalstaaten

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gefährdeten. 1949 wollten sich die Amerikaner in Europa angesichts der sowjetischen Atombombe und des Sieges der chinesischen Kommunisten jedoch nicht mehr ausschließlich auf die wirtschaftliche Stabilisierung verlassen. Sie forderten nunmehr auch massive Rüstungsanstrengungen der Westeuropäer. Unter dem Schlagwort »Hilfe zur Selbsthilfe« wollte Washington sie nach dem Vorbild des Marshallplanes unterstützen. Die meisten Europäer waren freilich nicht bereit, die ersten Erfolge wirtschaftlicher Stabilisierung aufs Spiel zu setzen, indem sie nun Ressourcen massiv in die Rüstung umsteuerten. Folgerichtig versuchten sie, sich ihre Rüstungsanstrengungen von den Vereinigten Staaten finanzieren zu lassen. Wie im Falle des Marshallplanes wurde die Militärhilfe bilateral gewährt. Der Koreakrieg förderte nicht nur die Bereitschaft der Europäer zu Eigenleistungen. Er beschleunigte auch den Aufbau der Organisation des Atlantikpaktes, der den Brüsseler Pakt als militärische Veranstaltung vollständig ersetzte. Gleichzeitig ließ das Interesse nicht nur der Briten, sondern auch der Amerikaner an der OEEC nach, je deutlicher sich die Europapolitik militarisierte und um die NATO kreiste. Die Einrichtung der Standing Group, die Besetzung der meisten militärischen Spitzenpositionen durch Amerikaner und Briten, schließlich die Einführung der Atomwaffen auf allen operativen und taktischen Ebenen — von Waffen also, über deren Einsatz in letzter Instanz Amerikaner und vielleicht noch Briten entschieden — machten aus dem Bündnis ein Instrument amerikanischer Vorherrschaft. Folgerichtig kam es in der Außenansicht zur weitgehenden Gleichsetzung der NATO mit den Vereinigten Staaten und damit zu einer Zuspitzung der Bipolarität. Das hatten die Amerikaner bei der Gründung des Atlantikpaktes nicht gewollt 5 . Allerdings war die amerikanische Dominanz partnerschaftlich gemildert und wurde obendrein von den Europäern als kostengünstige Überlebensgarantie ihrer Nationalstaaten gewünscht. Mitte der 1980er Jahre stellte Milward den Europaenthusiasten unter den Historikern ein neues historiographisches Paradigma entgegen. Nach seiner Interpretation hatten sich die politischen Eliten Westeuropas entschlossen, ihre Nationalstaaten durch proto- oder semi-supranationale Zusammenarbeit aus den wirtschaftlichen und sozialen Nöten zu befreien, in die sie in der Konsequenz der Entwicklung seit dem Ersten Weltkrieg geraten waren. Dagegen ist ein wesentliches und neues Ergebnis der synthetischen Zusammenschau der ersten Integrationsdekade in diesem Buch, daß vor allem das nordadantische Bündnis die europäischen Demokratien der zwingenden Notwendigkeit enthob, dem totalitären Stalinismus eine politisch integrierte europäische Gemeinschaft gegenüberzustellen, die allenfalls militärisch zu besiegen war. Die NATO rettete den Nationalstaat und verhinderte die politische Integration. Der Impuls des Marshallplanes blieb mithin — gemessen am Ziel der Föderation — auf halbem Wege stecken. Bei der Erzeugung von Bündnisloyalität als Voraussetzung der amerikanischen Rolle als europäische Führungsund Ordnungsmacht war sein Erfolg jedoch nicht zu übersehen.

5

Vgl. Schmidt, Strukturwandel, S. 94.

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Gleichwohl dauerten erhebliche Sicherheitsdefizite fort. Sie wurden in der Krise der Europapolitik 1 9 4 9 / 5 0 offenkundig. Frankreich hatte mit seiner v o m kollektiven Trauma bestimmten Deutschlandpolitik Schiffbruch erlitten. Mit angelsächsischer Billigung streifte der gefürchtete Nachbar eine Fessel des Besatzungsrechts nach der anderen ab. D e n n die westeuropäischen Volkswirtschaften waren auf die deutschen Abnehmer und Lieferanten angewiesen. Eine rasche Bewaffnung der Deutschen forderten spätestens nach Ausbruch des Koreakrieges nicht nur die Angelsachsen, sondern auch die besonders exponierten Niederländer und Italiener. K a u m weniger erfolgreich war der Versuch verlaufen, auf dem Feld der Außenwirtschaftspolitik mit Italien und dem Benelux eine Einflußsphäre zu schmieden, um den Druck der angelsächsischen Deutschlandpolitik auszutarieren. Aus derselben sicherheitspolitischen Problemlage entstanden, stellte das Projekt einer europäischen parlamentarischen Versammlung gleichwohl ein neues K o n z e p t dar. Erstmals handelte es sich nicht mehr nur um die Zusammenarbeit von Regierungen, sondern langfristig um die Fusion nationaler parlamentarischer Souveränität und in der Konsequenz um die Schaffung eines europäischen Souveräns. Insofern war der Europarat ein unmittelbarer Vorläufer der E V G und E P G . D e r britische Widerstand gegen die Politisierung der O E E C und gegen Kompetenzen der Beratenden Versammlung dokumentierte ein E u r o p a der zwei Geschwindigkeiten. Eine G r u p p e von Kontinentalstaaten war bereit, Souveränitätsrechte an eine übernationale Einrichtung abzutreten, wenn damit die verbleibende nationale Souveränität um so sicherer stabilisiert oder — wie im Falle der Bundesrepublik — überhaupt erst erreicht werden konnte. Folgten die Europäer dem Grundsatz: »Verbunden werden auch die Schwachen mächtig«, antworteten die Briten: »Der Starke ist am mächtigsten allein. [...] D o c h was ihr tut, laßt mich aus eurem Rat, [...] Bedürft Ihr meiner zu bestimmter Tat, [...] es soll an mir nicht fehlen/'« Freilich wollte sich Frankreich mit der europäischen Versammlung den Pelz waschen, ohne sich naß zu machen. Mit der Rolle als europapolitische Speerspitze verbanden sich der kontinentale Führungsanspruch und die Hoffnung, von den Amerikanern als europäischer Partner von halbwegs der gleichen Bedeutung akzeptiert zu werden wie die Briten. Ferner sollte den Deutschen eine europäische Alternative zum Irredentismus angeboten werden, was ä la longue auch gelang. Eine echte Fusion von Souveränitätsrechten stand vorläufig nicht auf dem Programm. D a s machte es L o n d o n leicht, den Europarat zu einer von den Regierungen kontrollierten Spielwiese für nationale Parlamentarier und diplomatische Versuchsballons der Nationalstaaten zu verwässern. D a s italienisch-französische Zollunionsprojekt, dann Finebel, schließlich auch der Schumanplan und zu einem guten Teil auch Euratom und E W G reflektierten zwar die wirtschaftliche Notwendigkeit, die Kleinräumigkeit der Volkswirtschaften zu überwinden. Aber die konkrete institutionelle F o r m war der Ausdruck politischer Interessen. Diese Einrichtungen sollten sicherheitspolitische Defizite des Brüsseler, dann des Atlantikpaktes durch eine dauerhafte wirtschaftliche Integrati6

I ; ricdrich Schiller, Wilhelm Teil, Erster Aufzug, Dritter Akt.

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on Europas ausgleichen. Dabei stand die Einbindung Westdeutschlands an erster Stelle. Der Vorschlag, das Ruhrgebiet in einen übernationalen Grundstoffmarkt unter Aufsicht einer supranationalen Behörde für Kohle und Stahl einzubinden, war ein Geniestreich. Denn er befriedigte das militärische, politische, wirtschaftliche und soziale Sicherheitsbedürfnis der beteiligten Staaten. Er befreite die Franzosen von dem Alptraum, daß an der Ruhr ein weiteres Mal die Waffen für einen Überfall auf die Nachbarn geschmiedet wurden. Er ersetzte die diskriminierende Kontrolle der Deutschen durch die gleichberechtigte Fusion wirtschaftspolitischer Souveränität. Die Bundesrepublik, die Benelux-Staaten und Italien verbuchten einen Zuwachs an außenpolitischer Gestaltungsmacht. Insbesondere Italien hatte in der Deutschlandpolitik bis zur Gründung der Montanunion so gut wie nichts zu melden, obwohl es wirtschaftlich und militärisch von den deutschen Geschicken betroffen war. Zugleich wurde ein wirtschaftliches Ordnungsmodell gefunden, das die Waage hielt zwischen Regulierung und Marktwirtschaft. Dabei mag der Wettbewerb nicht in dem Maße realisiert worden sein, wie dies Monnet vorgeschwebt hatte. Insbesondere die belgische und italienische Industriepolitik profitierte von Zuwendungen, für die vor allem die wirtschaftsstarken Deutschen aufkamen. Die Skepsis oder gar Feindseligkeit von Teilen, aber eben auch nur von Teilen der europäischen Industrie reflektierte deren Gefühl, zur Verwirklichung von politischen Zielen mißbraucht zu werden. Verlockend erschien der Gedanke, die Kosten für die Strukturanpassung und Entwicklung weiterer Branchen sowie die Sicherung von Exportmärkten gleichsam zu »europäisieren«. Das galt zunächst für die meist über den Grenzkosten produzierende Landwirtschaft, dann für die teure Kernenergiewirtschaft. Denn die vertikale Integration schien mit einem erträglichen Verlust an wirtschaftspolitischer Souveränität einherzugehen. Allerdings konnten sich bei einem längeren Nebeneinander europäischer und nationaler Märkte Standortungleichgewichte in den engen Grenzen einer Branche kaum ausgleichen, vom Nebeneinander verschiedener nationaler und europäischer Wirtschaftsbehörden ganz zu schweigen. Nur die allmähliche horizontale Integration der Volkswirtschaften in einen Gemeinsamen Markt versprach Strukturwandel mit Produktivitätszuwächsen ohne soziale Turbulenzen. Natürlich hatte ein Gemeinsamer Markt seine Tücken, insbesondere wenn er, wie im Falle der italienischfranzösischen Zollunion und des Finebel, auf der zu schmalen Grundlage kaum oder unzureichend komplementärer Volkswirtschaften errichtet werden sollte. Nicht in der intergouvernementalen Organisation, sondern in der Verbindung von Kleinräumigkeit und unzureichender Komplementarität lagen dann auch die Hauptschwierigkeiten der horizontalen Wirtschaftsintegration des Benelux. Für eine lange Übergangszeit hätte ein europäischer Binnenmarkt auch auf dem Wege von Regierungsabsprachen und kleinen intergouvernementalen Sekretariaten nach dem Modell der OEEC, der EZU und des Benelux hergestellt werden können, wie dies den Briten und vor allem Erhard vorschwebte. Schließlich ist es bis in die Gegenwart zu keiner Vergemeinschaftung der Wirtschafts- oder gar der Sozialpolitik gekommen. Die nationalen Regierungen versuchten im Gegenteil, den Krisenphänomenen der 1970er und 1980er Jahre zunächst durch eine keynesianisch,

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dann eher angebotsökonomisch inspirierte Wirtschaftspolitik zu begegnen. Das stärkte die Rolle der Nationalstaaten und führte zu einer bemerkenswerten Standortkonkurrenz innerhalb der europäischen Gemeinschaft. Demgegenüber blieb die Entwicklung einer europäischen (Wirtschafts-)Staatlichkeit in den Anfängen stekken7. Wenigstens bis %um Ende der 1950er Jahre ist kein europäisches Wirtschaftsproblem erkennbar, das nicht auf dem Wege der Zusammenarbeit der Regierungen hätte gelöst werden können. Vielleicht wäre der Rahmen der OEEC selbst dafür zu groß gewesen. Eine Avantgarde, die rascher integrierte als die weniger entwickelte Peripherie, liegt in der Logik der europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit überhaupt. Das bei Mansholt anklingende Argument, die supranationale Organisation beuge dem Einfluß nationaler Interessenverbände auf die nationalen Regierungen vor, trifft nicht ganz ins Schwarze. Einerseits »europäisierten« sich die Interessenverbände. Andererseits bewegten sich sowohl die Hohe Behörde als auch die Europäische Kommission in der Bandbreite, welche die Regierungen ihnen zugestanden. Dafür sorgte die institutionelle Struktur dieser nur in Grenzen supranationalen Gemeinschaften. Die Nationalstaaten hatten exekutive Befugnisse vor allem deshalb an supranationale Einrichtungen abgetreten, um die Bundesrepublik in dem Maße in ein europäisches Netzwerk ein^ubinden, wie sie aus der Besat^ungsherrschaft entlassen wurde. Nur bei Niederländern und Italienern sind noch andere Motive erkennbar. Die einen strebten nach langfristiger Sicherung ihrer Absatzmärkte gegen die nationalen Interessenverbände in den Zielländern ihres Exportes. Die anderen suchten die politische Gleichberechtigung mit den europäischen Großmächten. Dieses Anliegen teilten die Italiener mit den Deutschen. Zwar besaß die Sechsergemeinschaft künftig supranationale Bürokratien als Exekutive, aber ohne deren Kontrolle durch einen europäischen Souverän. Die Rolle des Gesetzgebers und Kontrolleurs übten und üben bis heute die Regierungen aus, in der Regel auf der Grundlage einstimmiger Entscheidungen. Folglich versprach die Position des Kommissionspräsidenten der Sechsergemeinschaft zunächst keinen größeren Handlungs Spielraum als die des Generalssekretärs der OEEC. Kein Wunder also, daß der eigentliche Schöpfer der EWG nicht an deren Spitze treten wollte. Spaak erkannte, daß auf unabsehbare Zeit die Musik auf adantischer Bühne gespielt wurde. Der ambitionierte ehemalige Außenminister wollte bei den ersten Geigen weiterspielen und zog das Amt des Generalsekretärs der NATO vor. Der Vorsitz in der Kommission war dagegen einem politisch erfahrenen Spitzenbeamten ä la Hallstein auf den Leib geschnitten. Wenigstens in seiner Rolle als belgischer Außenminister der Jahre 1955/56 handelte Spaak im übrigen auch nicht als der Nestor der europäischen Integration, als der er heute gemeinhin gesehen wird — und wohl auch gesehen werden wollte. In Wirklichkeit strebte er mit Euratom und schließlich — anfangs eher widerwillig — mit der EWG nicht mehr an als die europapolitische Ergänzung einer grundsätzlich auf die NATO orientierten belgischen Sicherheitspolitik.

1

Vgl. Ambrosius, Wirtschaftsraum, S. 205 - 209.

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Mit der vertikalen Integration des Militärs, der Kopie des Schumanplans, wollte sich die französische Regierung zunächst einmal Luft verschaffen gegenüber dem Wunsch nach Wiederbewaffnung der Deutschen. Die von den Briten gefürchtete Eigendynamik des Supranationalismus trat ein, als drei Partner sich von der Integration von Souveränität einen bedeutenden Zuwachs an Sicherheit versprachen. Adenauer sah die Chance, das Besatzungsregime abzulösen und zugleich die Bundesrepublik in einen westeuropäischen Kontext einzubinden. Dadurch übernahmen die europäischen Nachbarn Mitverantwortung für die Sicherheit der Bundesrepublik. Das beugte sowjetischen und ostdeutschen Übernahmebestrebungen ebenso vor wie der denkbaren Wiederbelebung der Viermächteverantwortung a la Potsdam, die in Berlin ja bis zum Ende des Kalten Krieges aufrechterhalten wurde8. Die Amerikaner hofften, daß eine supranationale Verteidigungsgemeinschaft ihrem SACEUR kurzfristig mehr europäische Soldaten zuführte, ohne daß dessen Einfluß geschmälert wurde. Mittelfristig erleichterte das den Abbau der eigenen Truppenpräsenz auf dem Kontinent. Langfristig stand Westeuropa politisch halbwegs geeint auf eigenen Füßen und glich damit einen Teil der sowjetischen Bedrohung aus. Überdies wurde ein weiteres Mal »europäisiert«, was den Franzosen an Westdeutschland Angst machte: erst dessen Schwerindustrie, jetzt dessen künftiges Militär. De Gasperi schrieb den — einst von Bidault aufgegriffenen und im Europarat nahezu entsorgten — Gedanken fort, einen europäischen Souverän zu schaffen. Er überdeckte damit die bei den Italienern unpopuläre Militarisierung der Europapolitik. Die NATO und eine vorwiegend militärische EVG bescherte dem Land vielleicht mehr militärische Sicherheit, aber kaum mehr außenpolitischen Einfluß. Wenn die wahlberechtigte Bevölkerung über die Geschicke Europas direkt mitbestimmte, durfte sich Italien eine Steigerung seines außenpolitischen Einflusses versprechen. Vielleicht ließen sich dem Wähler dann vermehrte Rüstungsanstrengungen als Preis für die Erweiterung des politischen Spielraumes innerhalb einer stabilen europäischen Gemeinschaft vermitteln. Umgekehrt mauerten Luxemburg, Belgien und Holland gegen den Einfluß eines Europaparlamentes, über das sie naturgemäß einen geringeren Einfluß ausübten als die bevölkerungsstarken Staaten. Der Grundsatz, die europäischen Streitkräfte, die im Ernstfall vom SACEUR kommandiert wurden, durch eine supranationale Kollegialbehörde in enger Anbindung an einen Ministerrat verwalten zu lassen, war als Übergangslösung denkbar; zumal die Sicherheitspolitik im Rahmen der NATO halbwegs abgesprochen wurde. Schon mittelfristig mußte den Abgeordneten der nationalen Parlamente auffallen, daß sie die Kontrolle über die Streitkräfte faktisch dem Kommissariat und dem SACEUR überlassen hatten. Allenfalls über ihre Regierung und den Ministerrat konnten sie dann noch Einfluß ausüben. Anders als bei der Schwerindustrie war eine technokratische Entpolitisierung der Einrichtung, an die die Staaten die Wahrung ihrer militärischen Sicherheit - und damit einen Kernbereich ihrer Souveränität — abtraten, auf Dauer nur schwer vorstellbar. Mithin lag es nahe, sowohl die Montanunion als auch die EVG mit einem gemeinsamen politischen Dach zu ver8

Vgl. Soutou, Order, S. 345 f.

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sehen. Die britische Regierung erkannte im Europarat das Instrument, um einer Entwicklung entgegenzusteuern, die womöglich mit der Bildung einer Föderation der kontinentalen Kernstaaten endete. Wann immer die Briten in der Vergangenheit vom Kontinent verdrängt wurden, stand ihre Sicherheit auf dem Spiel. Selbst eine Konföderation war nur schwer zu kontrollieren und barg das Risiko erneuter deutscher Vorherrschaft, schlimmstenfalls in Juniorpartnerschaft mit der Sowjetunion. Dagegen griffen Italien und Frankreich das Paradigma des Europarates auf, um aus seiner Versammlung die Konstituante eines künftigen europäischen Teilsouveräns über der Montanunion und der EVG zu schaffen. Die Niederlande erkannten in diesem Vorstoß die Chance, im Rahmen der Sechsergemeinschaft ihre Exportmärkte — vor allem für Agrarprodukte — dauerhaft zu sichern. Denn bislang waren sie damit in allen internationalen Gremien gescheitert. Welche Bedeutung für ihre wirtschaftliche Sicherheit sie diesem Problem zumaßen, zeigt ihre bereits in den Verhandlungen über eine Agrargemeinschaft deutlich gewordene Hinwendung zu supranationalen Lösungen. Folgerichtig stellten die Niederländer jetzt ein Junktim auf zwischen Souveränitätsverzicht zugunsten einer EPG und deren Zuständigkeit für horizontale Wirtschaftsintegration. Damit war für Frankreich der sicherheitspolitische Grenznutzen seiner supranationalen Initiative überschritten. Der weitgehende Verzicht auf die Wehrhoheit und die Suprematie in den Überseegebieten war bereits ein hoher Preis für den Sicherheitszuwachs, den die politische und militärische Einbindung der Bundesrepublik bot. Die reformunfähige und wirtschaftsschwache Vierte Republik empfand den von den Niederländern und in Grenzen auch von den anderen Partnern geforderten gemeinschaftsweiten Wettbewerb als Gefährdung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Sicherheit. Der Supranationalismus schien genau das heraufzubeschwören, was die EVG verhindern sollte: die Vorherrschaft der Deutschen und eine denkbare Verstrickung in deren Wiedervereinigungsbestrebungen. Ein weiteres Mal bot sich die NATO als Ausweg an. Deren Struktur hatte sich so weit entwickelt und verfestigt, daß eine in die Allianz eingebundene deutsche Nationalarmee in französischen Augen ihren Schrecken allmählich verlor. Obendrein erleichterte die Entscheidung für eigene Kernwaffen den Verzicht auf die EVG. Sie hätte nur die französische Handlungsfreiheit beschränkt und die atomare Teilhabe der Deutschen heraufbeschworen. Zwar scheiterte der Plan der vertikalen Integration der europäischen Rüstungsindustrie. Dafür konnte Frankreich ein bilaterales Handelsabkommen mit der Bundesrepublik abschließen. Mithin war ein System bilateraler Abmachungen denkbar. Sie boten Vorteile für die französische Wirtschaft, insbesondere für die Landwirtschaft und Rüstungsindustrie, und ließen eine gewisse Anbindung der Deutschen in den Bereichen erwarten, die von der NATO nicht abgedeckt wurden. Die Pariser Volksvertreter vollstreckten die von Mendes France getroffene Entscheidung, sich der obsoleten supranationalen Initiative seiner Vorgänger zu entledigen. Freilich war die politische Integration nicht nur für Frankreich ein Instrument zur Durchsetzung nationalstaatlicher Anliegen. Auch das italienische Engagement verflüchtigte sich in dem Maße, wie die politische Integration keinen Beitrag mehr

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zur Lösung des Triestproblems versprach und die erwarteten wirtschaftlichen Vorteile eher unsicher wurden. Adenauer legte die politische Integration 1953 auf Eis, als er erkannte, daß sie womöglich seinem Streben nach Beendigung des Besatzungsregimes zuwiderlief. Und er nahm sie 1955 vom Eis, als er begann, am Wert amerikanischer Sicherheitsgarantien zu zweifeln. Für die Holländer war die politische Integration die Brechstange, um die Zollmauern der Protektionisten zu schleifen. Die Schaffung eines europäischen Souveräns war keinem Zeitpunkt eigenständiges politisches Ziel der Nationalstaaten, sondern ein Instrument %ur Durchsetzung ihrer jeweiligen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Sicherheitsinteressen. Daß die Regierungen der Nationalstaaten nicht ohne weiteres ihre eigene Abschaffung auf die Fahnen schreiben, liegt auf der Hand. Manche schienen und scheinen diese Banalität jedoch zu vergessen, wenn sie genau das von ihnen erwarten. Sie mythologisieren Monnet und Schuman im Vergleich mit gegenwärtigen Entscheidungsträgern zu Politikern, die, von nationalen Interessen weitgehend frei, allein die Integration Europas angestrebt hätten. Tatsächlich sind beide wohl erst dann zu der Auffassung gelangt, daß die Nationalstaaten ihre »raison d'etre« allmählich verlören, als sie ihre politische Gestaltungsmacht eingebüßt hatten 9 . Daß nicht zuletzt Vertreter der Brüsseler Verwaltung am Mythos Schuman und Monnet mitstrickten 10 , nimmt kaum Wunder. Angesichts gelegentlicher Zweifel der Öffentlichkeit an ihrer Existenzberechtigung, an ihrem Umfang und an ihrer fehlenden Transparenz greift diese Bürokratie gern auf die bizarre Vorstellung Monnets zurück, eine vermeintlich interessenfreie Beamtenschaft werde ein vereintes Europa schaffen. Freilich haben die Mitgliedsstaaten diesem Selbstverständnis einer wohlbestallten Verwaltungselite mit der Formel von der Kommission als Hüterin der Verträge sogar völkerrechtliche Weihen erteilt. Eher fraglich ist bis heute, ob die supranationale Gemeinschaftsbürokratie aus sich heraus die ihr unterstellte Eigendynamik hervorbringt, um die Integration der Gemeinschaft selbst voranzubringen. Mit dem Scheitern der EVG und dem Beitritt der Deutschen zur NATO war die politische Integration Europas vom Tisch, und zwar für die kommenden Jahrzehnte. Geblieben waren die Probleme, welche die NATO nicht zu lösen vermochte. Sie zentrierten sich weiter um das geteilte Deutschland. Die Bonner Außenpolitiker sahen in der NATO und den anderen Gremien der intergouvernementalen Zusammenarbeit keine hinreichende Gewähr gegen ein deutschlandpolitisches Arrangement der Großmächte zu Lasten der Bundesrepublik. Spiegelverkehrt fürchteten die Benelux-Staaten, ihr Nachbar könne sich von ihnen abund der Sowjetunion zuwenden. Zudem mißfiel ihnen und den Italienern, daß die Franzosen offenbar ihre politische Stärke bilateral mit den Deutschen in einseitige wirtschaftliche Vorteile zu Lasten Dritter umzumünzen versuchten. Mit seiner Initiative wollte der Benelux die Deutschen horizontal in einen supranationalen Gemeinsamen Markt und vertikal in eine ebensolche Atomgemeinschaft einbinden. » 10

Vgl. Milward, Conclusions, S. 185. Vgl. Trausch, Schuman-Plan, S. 107 f.

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Bei den Betroffenen stieß das auf die entschiedene Ablehnung der Wirtschaftspolitiker. Sie wehrten sich dagegen, daß die Freunde der Integration nun auf dem vermeintlich einfacheren Umweg über die Wirtschaft versuchten, woran sie auf direktem Wege gescheitert waren. Sie teilten die britische Auffassung, nach der die Zusammenarbeit der Regierungen im Rahmen der O E E C / E Z U einerseits und des G A T T andererseits einen optimalen Wettbewerb der europäischen Volkswirtschaften erlaube, ohne künstliche Isolierung der starken Standorte vom Weltmarkt, ohne Transferzahlungen der starken an die strukturschwachen Staaten und im Ergebnis ohne Subventionierung der französischen Reformunfähigkeit. Immerhin war auch das Argument der Integrationsfreunde kaum zu widerlegen, daß eine ernsthafte Rezession die bisherigen Erfolge bei der Uberwindung des Bilateralismus schnell zunichte machen konnte. Ihr stärkstes Argument waren die Desintegrationserscheinungen der N A T O mit ihrem Höhepunkt in der Suezkrise. Die Isolierung der Franzosen und die Angst des Bundeskanzlers vor der Unberechenbarkeit der Amerikaner brachte dann den Durchbruch für E W G und Euratom. Geldwerte Zugeständnisse der wirtschaftsstarken Partner an Franzosen und Italiener erleichterten beiden die Zustimmung. Die Zukunftsvorstellungen nicht nur der britischen Politiker und Spitzenbeamten, auch die ihrer Wähler wurden von der Erinnerung an eine imperiale Vergangenheit beherrscht. Der europäische Kontinent war über Jahrhunderte als Ansammlung von Staaten wahrgenommen worden, die heute Verbündete und morgen Gegner waren. E s galt, sie im Gleichgewicht und damit den Rücken frei zu halten für den Aufbau des eigenen Uberseeimperiums. Vielleicht neigt das germanische Denken dazu, Begriffe für das zu nehmen, was sie ausdrücken — im Gegensatz zur lateinischen Rhetorik. Sie bringt keineswegs nur funkelnde Worthülsen hervor, aber ihre Begriffe stehen in der Praxis häufig vieldeutigen Interpretationen offen. Dazu kam die kulturelle Tradition eines Volkes, das den mittelalterlichen Personenverbandsstaat mit seinen gewohnheitsrechtlichen politischen und gesellschaftlichen Beziehungen und seinen fallweisen Rechtsentscheidungen in demokratische Formen überführt hatte. Die Codices, Verfassungen und Vertragswerke der am römischen Recht geschulten Advokaten kontinentaler Provenienz waren den britischen Politikern innerlich fremd. Sie überschätzten in der Konsequenz die praktische Bedeutung der supranationalen Formeln 11 . Denn der Montanvertrag und erst recht die Römischen Verträge hatten zwar supranationale Bürokratien, aber keine europäische Souveränität stipuliert. Mithin hatte kein qualitativer Paradigmenwechsel vom Intergouvernementalismus zum Supranationalismus stattgefunden. Der Montanvertrag und die Römischen Verträge schufen eine »dialektische Mehrdeutigkeit«12, von der bis heute nicht ausgemacht ist, ob sie die europäische Integration am Ende wirklich förderte oder eher behinderte. Daher gab es auch keinen außerhalb der mentalen Befindlichkeit angesiedelten Grund, warum das Vereinigte Königreich sich diesen wirtschaftlichen Einrichtungen nicht anschloß. Nicht ohne 11 12

Vgl. Heuser, Mentalities, S. 2 5 - 2 8 , 41 - 4 3 ; Milward, United Kingdom, S. 443 f. Schneider, Integration, S. 8.

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Sophismus argumentiert Milward neuerdings, die Politik der britischen Regierungen in den frühen 1950er Jahren sei unter den damaligen Voraussetzungen durchaus vernünftig gewesen, dann aber an der notwendigen strategischen Neujustierung gescheitert 13 . Tatsächlich verstellte die vermeintliche Alternative »Europa oder Commonwealth« und die Fixierung auf die Juniorpartnerschaft mit den Amerikanern den Blick für die Chance, eine europäische Gemeinschaft mitzugestalten. Als die Briten das verstanden hatten, war es zu spät. 1963 verweigerte ihnen de Gaulle den Beitritt. Der Franzose wollte keinen konkurrierenden Protagonisten auf europäischer Bühne. Als London nach einer weiteren Dekade endlich beitrat, veränderte das den strukturellen Charakter der Europäischen Gemeinschaft kaum. Ganz anders hätte sich das im Falle von EVG und EPG dargestellt, die am Ende ja auch die Franzosen nicht wollten. Die Versuche eines »Containments der Sechsergemeinschaft« von außen durch den Edenplan, durch eine gesamteuropäische Versammlung a la Lloyd und schließlich durch die Freihandelszone wurden entweder obsolet oder scheiterten. Die Hinnahme der EWG und der Versuch, ihren protektionistischen Charakter durch Einbindung in eine Freihandelszone zu mildern, war die pragmatische Antwort auf die unterschiedliche Auffassung über die Intensität der wirtschaftlichen Integration zwischen der Sechsergemeinschaft auf der einen und dem Rest der OEEC auf der andern Seite. Allerdings sprach die Absicht, Agrarprodukte außen vor zu lassen, nicht gerade für die analytische Schärfe der Briten. Die völlige Ergebnislosigkeit der Debatten über die Agrarintegration seit 1950 hatte ihren Blick verstellt für die Tatsache, daß die Agrarlobbyisten der Sechsergemeinschaft gleichwohl in dieselbe Richtung zu denken begannen. Ein Agrarmarkt, auf dem der Wettbewerb durch Preis- und Abnahmegarantien ersetzt wurde, war nun mal allein durch protektionistische Isolierung eines hinreichend großen und halbwegs komplementären Wirtschaftsgebietes vom Weltmarkt denkbar. Dieser Agrarmarkt war nur im Gleichschritt mit einem Gemeinsamen Markt für industrielle Erzeugnisse durchsetzbar. Wer demnach seine Fertigwaren in den Gemeinsamen Markt einführen wollte, mußte sich im Gegenzug am Gemeinsamen Agrarmarkt beteiligen. Die Regierungen erkannten hierin die Lösung eines Problems, von dem die Interessenvertreter der Landwirtschaft seit langem und mit Erfolg behaupteten, daß es die soziale Stabilität der europäischen Gesellschaften gefährde. Den Preis des Protektionismus zugunsten eines personenmäßig schrumpfenden Erwerbszweiges zahlten nicht nur die Verbraucher der Sechsergemeinschaft und die landwirtschaftlichen Erzeuger in den Entwicklungsländern. Der Agrarmarkt sollte in den kommenden Jahrzehnten den Löwenanteil der Ressourcen der EWG aufzehren. Diese Mittel fehlten der europäischen Forschungs- und Industriepolitik. Die Gefahr, technologisch hinter den Vereinigten Staaten und Japan zurückzufallen, drohte nicht nur den europäischen Exporteuren, sondern auch der Rüstungsindustrie. Die Briten überschätzten den Stellenwert wirtschaftlicher Argumente im europapolitischen Gesamtkalkül der Staaten der Sechsergemeinschaft. Die Einbindung 13

Vgl. Milward, United Kingdom, S. 7 f.

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der E W G in eine Freihandelszone lag zwar im Interesse der Industrie der Bundesrepublik und des Benelux. Andererseits waren diese Staaten nicht bereit, dafür den Ausbau und die Konsolidierung ihrer Gemeinschaft mit Frankreich und Italien aufs Spiel zu setzen. Denn die Sechsergemeinschaft schien — abgesehen von der Agrarfrage - die sicherheitspolitischen Lücken zu füllen, welche das atlantische Bündnis und seine wirtschaftlichen Anhängsel O E E C und G A T T offen ließen. Frankreich besaß in der Sechsergemeinschaft eine »Sperrminorität«. Die Vierte Republik verweigerte sich vor allem, weil die Freihandelszone das Gleichgewicht zwischen Öffnung der nationalen Märkte und der »Europäisierung« des Protektionismus gefährdete. De Gaulle sah in der E W G dagegen vor allem wieder das machtpolitische Instrument, um Frankreich als Führungsnation des Kontinents zu etablieren. Insofern war die E W G die späte Erfüllung der einst mit dem Zollunionsprojekt und Finebel gehegten Hoffnungen. Der Erfolg der E W G und das Scheitern der Freihandelszone bestätigten ein Motiv, das allen Bestrebungen zugrunde lag, welche die wirtschaftliche Integration Westeuropas über den Horizont der Zusammenarbeit der Regierungen hinausführen wollten. Sie waren der Kompromiß zwischen der Annahme, daß nur die politische Einigung seiner Kernstaaten auf Dauer die Sicherheit Europas gewährleiste, und dem Unwillen dieser Staaten, tatsächlich Souveränität abzutreten. Wirtschaftliche Integration war der Ursat^ für die politische Integration, der die Staaten nicht bereit waren. Tatsächlich veränderte die europäische Gemeinschaft die machtpolitischen Beziehungen zwischen ihren Mitgliedern 14 , allerdings nur insoweit, als sie die ausschlaggebende Nordadantische Allianz ergänzte. Bis heute ist die Überzeugung verbreitet, immer intensivere wirtschaftliche Zusammenarbeit werde am Ende zwangsläufig die politische Einigung bewirken. Der Historiker vermag diese Auffassung nicht zu widerlegen. Die Rückschau auf ein halbes Jahrhundert europäischer Integration spricht jedoch nicht dafür, daß sich ein Bundesstaat gleichsam unbemerkt über die Hintertür einstellt. Niemand stellte diese Annahme deutlicher in Frage als de Gaulle. Entgegen allen neo-funktionalistischen Hoffnungen stärkte er in den 1960er Jahren den intergouvernementalen Charakter der E W G . Mit der Gründung des Europäischen Rates 1974 dokumentierten die Regierungen, daß die nunmehr erweiterte Gemeinschaft eines Gremiums bedurfte, um die Europapolitik wirksam zu koordinieren — nota bene eine klassisch intergouvernementale Veranstaltung neben und über der Kommission 1 5 . Folgerichtig zweifelten immer mehr Politikwissenschaftler am Spillover-Effekt. Zunehmende wirtschaftliche und selbst politische Koordination führten offenbar doch nicht zwangsläufig zur Integration der Politik 16 . In der ersten Integrationsdekade wurde die im Grundsatz bis heute gültige Struktur der europäischen Gemeinschaft geschaffen. Obwohl historische Vergleiche meist mehr Fragen aufwerfen als beantworten, erinnert die europäische Verfas-

14 15 16

Vgl. Mihvard and Serensen, Interdependence, S. I 7 . Vgl. Mihvard and Sorensen, Interdependence, S. 24 f. Vgl. Aybet, Dynamics, S. 26; Girvin and Griffiths, Origins, S. X X X I V f.; Mihvard and Sorensen, Interdependence, S. 3 - 5 ; Moravcsik, Choice, S. 4 8 9 - 4 9 4 ; Rosamond, Theories, S. 7 4 - 9 7 .

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sung an die des Bismarckschen Kaiserreichs. Dessen exekutive Gewalt lag in den Händen der im Bundesrat vereinten Fürsten und ihrer Regierungen unter Vorsitz des Kaisers und seines Reichskanzlers. Ihre Zusammenarbeit funktionierte im Rahmen eines Grundkonsenses zwischen den großen Bundesstaaten Preußen und Bayern. Rasch dominierte die Reichsleitung die praktische Politik des Reiches. Diese rudimentäre Reichsregierung wurde nicht vom Reichstag gewählt und von ihm allenfalls informell kontrolliert. Mithin unterlag die politikferne und bürokratische Reichsverwaltung gesellschaftlichen Einflüssen und Interessen, die vom direkt gewählten Reichstag nicht gefiltert wurden — den von den Zeitgenossen oft so genannten »unterirdischen« Einflüssen der Schwerindustrie, der Großagrarier, der Interessen- und Agitationsverbände und anderer Gruppierungen der bürgerlichen Eliten. Die Parlamentarisierung des Reiches erfolgte erst kurz vor dessen Zusammenbruch. Hier enden allerdings die Ähnlichkeiten. Denn dem mit gleichem Stimmrecht gewählten Reichstag standen von Anfang an das Recht zur Gesetzgebung und das Budgetrecht zu. Mit diesen Instrumenten gelang es den Abgeordneten im Laufe der Zeit, ihren Einfluß auf die Politik der Reichsleitung immer mehr auszudehnen 17 . Da den Abgeordneten des Europaparlamentes genau diese Rechte fehlen, werden sie durch den Mangel an echter Gestaltungsmacht diskreditiert. Folgerichtig werden die nationalen Parlamente der europäischen Staaten oder ein Teil von ihnen wohl ihr Recht zur Gesetzgebung und das Budgetrecht in den Bereichen an das Europaparlament abtreten müssen, die europäisch geregelt werden sollen. Das Demokratiedefizit ist das gegenwärtig »drängendste Problem« 18 . Gleichwohl ist die »Parlamentarisierung« Europas kein Allheilmittel. Daneben müssen Zuständigkeitsabgrenzungen gegenüber den Staaten, Regionen und Gemeinden treten und deren Mitwirkung an der europäischen Gesetzgebung klar geregelt werden 19 . Nur politische Integration, so mag man in gegenwärtiger Perspektive schlußfolgern, schafft den europäischen Souverän. Die politische Integration in diesem Sinne ist auch der Vertrag von Maastricht vom 7. Februar 1992 schuldig geblieben. Die europäische Staatengemeinschaft nennt sich seitdem zwar »Union«. Im übrigen stellt der Vertrag jedoch das bekannte, hochkomplexe und in sich disparate Ergebnis des Abgleiche nationaler Interessen dar, das den hergebrachten institutionellen Paradigmen folgt. Die Grenze zwischen internationaler und nationaler Politiksphäre mag zwar weiter verwischt worden sein, »obsolet« 20 ist sie mitnichten. Ein weiteres Mal war weniger der Spillover-Effekt als vielmehr der sicherheitspolitische Wille ausschlaggebend, das vereinigte Deutschland dauerhaft in der europäischen Gemeinschaft zu verankern. Das vielleicht wichtigste Ergebnis des Vertrages ist die mittlerweile durchgeführte Währungsunion, das die Dominanz der Bundesbank in der 17

18 19 20

Vgl. Mußgnug, Beziehungen, S. 109-120, 127. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß die Parlamente der Bundesstaaten mit ungleichem Stimmrecht gewählt wurden, was das Reichstagswahlrecht undemokratisch austarierte. Loth, Beiträge, S. 102. Vgl. ebd., S. 106 Vgl. Boldt, Wirtschaftsgemeinschaft, passim. Schumann und Müller, Integration, S. 341.

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europäischen Währungspolitik beendete. Freilich weist die Europäische Zentralbank die bekannten Strukturmerkmale auf: Sie ist autonom und korrespondiert mit 16 Regierungen und der europäischen Kommission, die ihre Finanz- und Wirtschaftspolitik vorläufig nur locker koordinieren. Von der nationalen Politik wird jedoch die Mobilität der Produktionsfaktoren und die Flexibilität von Preisen und Löhnen abhängen, von denen in letzter Instanz die Wohlfahrtsgewinne oder -einbüßen der Währungsunion abhängen. Zwar war auch die frühere deutsche Zentralbank unabhängig. Sie besaß in der Bundesregierung jedoch nur einen Partner, dessen konjunkturpolitische Vorstellungen sie in Rechnung stellen konnte. Die Europäische Zentralbank wird sich angesichts konkurrierender wirtschaftspolitischer Ziele in technokratischer Manier allein auf die Geldwertstabilität beschränken 21 . Dagegen mag die Standortkonkurrenz der Mitgliedsstaaten mangels wirksamer Koordination der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik in einen Wettlauf um die niedrigsten Steuern und Sozialstandards münden - eine für keynesianisch inspirierte Sozialdemokraten heute ebenso gruselige Aussicht wie für ihre Vorfahren in den 1950er Jahren. Kein Historiker wird im Stil seiner Kollegen im 19. Jahrhundert Deutungshoheit für die Gegenwart beanspruchen. Allerdings wurde in dieser Studie ein Problem von erheblicher Fernwirkung auf heute anstehende politische Entscheidungen behandelt. Der Historiker gestattet sich daher am Ende seiner Betrachtung, den Bogen von der Geschichte in die Zukunft der europäischen Integration zu schlagen: Die Europäer stehen seit dem Ende des Kalten Krieges vor der Aufgabe, das zwischen 1947 und 1958 geschaffene und in Grundzügen bis heute überlieferte europäische System zu reformieren. Mit der Aufnahme der ehemaligen Satellitenstaaten der Sowjetunion nebst Türkei und Zypern in die Europäische Union wird ein Gebilde entstehen, das an die frühere O E E C erinnert. Die Integration eines von Kurdistan bis zum Nordkap, von den Karpaten bis zu den Hebriden reichenden Staatenkonglomerats ist heute jedoch ebenso schwer vorstellbar wie vor einem halben Jahrhundert. Will man diese Form des institutionellen Zusammenschlusses, wird man eher den intergouvernementalen Charakter der Europäischen Union als deren supranationale Perspektive stärken. Schließlich streben auch die künftigen bzw. neuen Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft und der NATO nichts weniger an als den raschen Verzicht auf ihre noch junge Unabhängigkeit. Vielmehr gilt es, die nationalstaatliche Souveränität durch die Transferzahlungen und Absatzchancen der Gemeinschaft auf der einen und durch das Bündnis mit den Vereinigten Staaten im Rahmen der NATO auf der anderen Seite zu festigen. Die Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners der national definierten Interessen von dann über zwei Dutzend Staaten kann nur ein europäischer Souverän überwinden. Der läßt sich vermutlich nur aus einer Kerngruppe von Staaten mit ähnlichem Entwicklungsniveau, hoher gegenseitiger Akzeptanz der Staatsvölker 21

Vgl. Ambrosius, Wirtschaftsraum, S. 1 6 1 - 1 7 4 ; Boldt, Wirtschaftsgemeinschaft, S. 2 4 6 - 2 4 9 ; Milward and Sorensen, Interdependence, S. 2 8 - 3 2 ; Schneider, Integration, S. 2 6 - 2 8 ; Weidenfeld, Rolle, S. 322.

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und weitgehender Identität der politischen Interessen bilden. Ein bundesstaatlicher Kern in einer intergouvernementalen, eher wirtschaftlich ausgerichteten Großgemeinschaft würde das »Europa der zwei Geschwindigkeiten« bestätigen, das in der hier betrachteten Epoche Wirklichkeit wurde. Allerdings besteht auch keine geschichtliche Zwangsläufigkeit eines europäischen Bundesstaates, wie dessen Apologeten gern unterstellen. Ein »Europa der Vaterländer« ä la de Gaulle oder Bevin würde womöglich desto besser funktionieren, je eindeutiger sich die Europäer für diesen Weg entschieden. Mehr oder minder koordiniert würden die europäischen Staaten weiterhin ihre Außen- und Sicherheitspolitik in der Allianz selbständig betreiben. Freilich zeichnen sich bereits jetzt Tendenzen der Vereinigten Staaten ab, ihre Politik ohne allzu enge Konsultation der europäischen Verbündeten relativ autonom im Zusammenspiel mit den beiden anderen verbliebenen Weltmächten China und Rußland zu führen. In der Konsequenz könnte die nordatlantische Allianz zur schlichten Gefolgschaft mutieren, deren sich die Supermacht nach Maßgabe ihrer autonom definierten globalen Interessen bedient. Im Gegenzug zu der nach wie vor notwendigen Bereitschaft der Supermacht, für die Sicherheitsbedürfnisse der Europäer einzustehen, hätten diese die amerikanischen Entscheidungen vor allem nachzuvollziehen und kaum mitzubestimmen. Der gegenwärtige Versuch, eine europäische Militärorganisation neben dem Bündnis hochzuziehen, dokumentiert eher den schleichenden Funktionsverlust der NATO als den Willen der Europäer zur Integration. Eine halbwegs eigenständige globale Rolle der Europäer — mithin die »dritten Kraft«, von der Bevin, Adenauer, vielleicht auch de Gasperi und viele Freunde der Europaidee gelegentlich geträumt hatten — erscheint nur auf der Grundlage integrierter europäischer Streitkräfte und einer integrierten Sicherheitspolitik denkbar. Je länger desto deutlicher zeigen sich die Nationalstaaten durch den Unterhalt autonomer Streitkräfte überfordert. Dabei seien Fragen der Migration, der binneneuropäischen wirtschaftlichen Stabilität und der handels- und entwicklungspolitischen Beziehungen ausdrücklich unter Sicherheitspolitik subsummiert. Integrierte europäische Sicherheitspolitik ist wohl heute wie vor einem halben Jahrhundert nur in einer Europäischen Politischen und Verteidigungs-Gemeinschaft denkbar. Die schlechteste aller Lösungen wäre, wenn Europa sich tatsächlich mit dem »eigentümlichen Schwebezustand« zwischen Bundesstaat und Staatenbund »als Dauerzustand« abfände. Sowohl die Nationalstaaten wie die erweiterte Gemeinschaft liefen Gefahr, in einem »dynamischen Mehrebenensystem« 22 handlungsunfähig zu werden. Es dürfen Wetten darauf abgeschlossen werde, daß die Entscheidung für die Föderation durch eine sicherheitspolitische Ausnahmesituation bewirkt werden wird. Vielleicht werden es nicht die Vorteile der Globalisierung, sondern ihre Nachteile sein, welche die Europäer veranlassen, mehr Sicherheit durch politische Integration zu suchen.

22

Schumann und Müller, Integration, S. 354.

Abkürzungen ACS

Archivio Centrale dello Stato, Rom AE Der Aufbau Europas. Pläne und Dokumente AHK Alliierte Hohe Kommission ANZUS Australia—New ZealandUnited States (Pazifischer Verteidigungspakt) APZg Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament ASD Archivio storico-diplomatico del Ministero degli Affari Esteri, Rom BA Bundesarchiv, Koblenz BA-MA Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg i.Br. BDFD Die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich. Dokumente CDU Christlich-Demokratische Union CECA Communaute Europeenne du charbon et de l'acier CED Communaute Europeenne de la Defense, siehe auch EDC und EWG CEEC Committee on European Economic Cooperation Comitato interministeriale di CIR ricostruzione CNPF Conseil National du Patronat Frangais Costituzione Per una costituzione federale dell'Europa

D&S DBPO DC DCER DDB DDF DH Diss. DM Dpt. EArch ECA EDC EEC EFTA EPE EPG ERP EUI EWG EZU FF Finebel

Diplomacy & Statecraft Documents on British Policy Overseas Democrazia Cristiana Documents on Canadian External Relations Documents diplomatiques beiges Documents diplomatiques frangais Diplomatic History Dissertation Deutsche Mark Department Europa-Archiv European Cooperation Administration European Defence Community siehe OEEC European Free Trade Association Europäische politische Einigung. Dokumentation Europäische Politische Gemeinschaft European Recover}' Program European University Institute Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäische Zahlungsunion Französische Franc Zollunionsprojekt von 1949; Aneinanderreihung der Kürzel der beteiligten Staaten Frankreich, Italien, Niederlande, Belgien, Luxemburg

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Abkürzungen

Foreign Office Foreign Relations of the United States, Washington D.C. GAB Gabinetto GARIOA Government and Relief in Occupied Areas GATT General Agreement on Tariffs and Trade HAEG Historisches Archiv der Europäischen Gemeinschaften, Florenz HZ Historische Zeitschrift IMF International Monetary Fund ITO International Trade Organization JEIH Journal of European Integration History KPBR Kabinettsprotokolle der Bundesregierung MAEF Ministere des Affaires Exterieures, Paris MGFA Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam MRP Mouvement Republicain Populaire MSA Mutual Security Agency NATO North Adantic Treaty Organization NF Neue Folge Nachlaß N1 National Security Council NSC OECD Organization for Economic Cooperation and Development OEEC Organization for European Economic Operation FO FRUS

PA

Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin PCI Partito Comunista Italiano PCM/VCM Presidenza del Consiglio dei Ministri, Verbali del Consiglio dei Ministri PhD Philosophische Dissertation PRO Public Record Office, Kew Gardens, London PVS Politische Vierteljahresschrift Record Group RG RH Revue historique RI Relations internationales SACEUR Supreme Allied Commander Europe SC Storia Contemporanea Section Fran^aise de SFIO l'Internationale Ouvriere SPD Sozialdemokratische Partei Deutschland SRI Storia delle relazione internazionali Temporary Council ComTCC mittee UEP Union europeenne de paiements, siehe auch EZU United Nations Organization UNO UNRRA United Nations Relief and Rehabilitation Administration UP University Press VCM Verbali del Consiglio dei Ministri VfZ Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte WEU Westeuropäische Union

Quellen- und Literaturverzeichnis Archivische Quellen Public Archives of Canada, Ottawa RG 2: Privy Council Office Public Rfcord CAB 128: CAB 129: DG 1: FO 371: PREM 11: Τ 229: Τ 232: Τ 235:

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Archivio storico-diplomatico del Ministero degli Affari Esteri, Rsm Affari Politici 1946-1950 Affari Economici, Ufficio II Gabinetto 1943-1958 Ministere des Affaires Externum, Paris DE-CE: Service de cooperation economique Cabinet Schuman Europe 1956-1960, Generalites Archivio Centrale dello Stato, Rom Presidenza del Consiglio dei Ministri, Verbali del Consiglio dei Ministri: Kabinettsprotokolle Nachlaß Sforza CIR: Comitato interministeriale di ricostruzione Bundesarchiv, Kohlen% Β 102: Bundesministerium für Wirtschaft Β 136: Bundeskanzleramt Β 146: Bundesministerium für den Marshallplan

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Personenregister Acheson, Dean 25, 37 f., 107,109 f., 114 f , 133,135, 143-146, 148-150, 152-155,160,173, 179, 200, 202, 205, 209, 226, 228, 237, 241, 245, 252, 257, 275, 283, 290, 304 f., 335, 344 Adenauer, Konrad 82 f., 87, 90, 115, 173,177 f , 181,184, 201,203, 207-211, 213, 217, 225, 232, 240, 242, 244 f., 247, 251, 262 f., 268, 271 f., 277 f., 283, 287 f., 290, 292, 306-308, 310-312, 314, 316-320, 325-327, 332-334, 336, 338 f., 341 f., 344 f., 347, 350 f., 353 f., 356 f., 359 f., 371, 375, 379 f., 386 f., 392, 396, 403-405, 420, 423-425, 429-431, 433 f., 437-442, 445 f , 448, 450 f., 455, 461 -463, 466, 470, 472, 475 f., 481 -483, 493, 498-500, 502, 504, 506,518, 520, 526 Alphand, Herve 41, 54,101,117 f., 122, 165, 247, 284, 306, 327, 352, 499 Atdee, Clement 67, 87 f., 113, 127, 196,229 Auriol, Vincent 14, 38, 60, 76, 78, 81 f., 108, 136,175 f., 240, 243-245, 288, 303, 305, 311, 313, 322, 327, 331,334, 362, 439 Balke, Siegfried 423,446 Bech, Josef 67, 86, 139 f., 225, 243, 301, 310-312, 318, 325 f., 346, 349 f., 369, 372, 375, 465 Bedell Smith, Walter 340 Beugel, Ernst Hans van der 320, 356, 369, 491,502 Bevan, Aneurin 229

Bevin, Ernest 26, 28, 31, 39, 42 f., 54, 57, 63-74, 77-79, 81 f., 84-87, 89 f., 97, 99,105,107 f., 110,119,125, 130, 132,135-141,145,148,151-154, 173,175,193 f , 196-198, 201, 205, 213, 222, 225, 269 f., 272, 318, 350, 385, 390, 476, 496, 526 Beyen, Willem 18, 288, 291 - 293, 298, 310-313, 315, 317 f., 320 f., 325, 330, 339, 342, 355 f., 358, 361, 367, 369 f., 371 f., 375, 379 f , 386, 390, 398, 401, 416, 419, 431 Bidault, Georges 39, 45, 54, 58, 64, 68, 71-74, 77, 79, 81, 83,173,176, 179, 301, 308, 310-312, 314, 317, 319, 324-327, 331 f., 334, 337 f., 351, 518 Bilotte, Pierre 396 Bissel, Richard J. 99,124 Blank, Theodor 241 f., 247, 275, 305 f., 357 Blankenhorn, Herbert 184, 246, 291, 399, 409 Blücher, Franz 177, 184, 207, 209 f., 216, 250 f., 263, 297, 313, 318, 339, 353, 388 f , 395, 405, 420, 433 Boetzelaer van Oosterhout, Carel van 67, 71 Bohlen, Charles 107, 134,149 f , 202, 204 Booth Luce, Clare 325, 333, 397, 399 Bourges-Manoury, Maurice 323, 470 Bowie, Robert R. 207,232 Brentano, Heinrich von 289, 293, 301, 319, 379, 396, 399, 405, 407, 410-412, 423 f., 432, 441, 451, 455, 470 f., 474 f., 480 f., 492, 497-499

564

Personenregister

Brink, Jan van den 126,186, 215, 238 Bruce, David 150,179, 200 f., 239, 241, 283, 327, 332, 340 Buder, Richard A. 239, 256-263, 282, 387, 390, 393 f., 426, 428 Caffery, Jefferson 42,132 Camp, Miriam 38, 283 Campilli, Pietro 278, 402, 467 Carli, Guido 489,492 Carsten, Karl 440, 442, 446, 456 f. Cavaletti, Francesco 297, 377 f. Chauvel, Jean 429, 478, 481, 501 Chruscev, Nikita S. 392, 398, 415 f., 504 Churchill, Winston 82 f., 193,198, 203, 235, 244-246, 257, 282, 316 f., 324, 334, 336, 348, 374, 496 Clay, Lucius D. 38, 46,102 Clayton, William 25, 37-43, 46, 51, 54, 57, 93 Cleveland, Harold Van B. 38, 47,158, 298 Colbert, Jean-Baptiste 21 Coty, Rene 405 Couve de Murville, Maurice 481,498, 500 f. Cripps, Stafford 34, 70, 97,102-105, 107 f., 116,119,124 f., 127, 179, 192, 197,215 Dalton, Hugh 27 f , 34, 85, 88,196, 269 Dehousse, Fernand 291 Douglas, Lewis 42, 98,106, 131,137, 149 f., 152 f., 175, 199, 202 Douglas-Home, Alexander F. 427, 476 Drees, Willem 49,186 f., 242, 292, 298, 315, 330, 431, 445, 451, 467, 485 Dulles, John Foster 34, 38, 72, 233, 259, 296, 308, 323 f., 333, 335, 340 f., 344, 347, 350, 352, 358, 362, 392, 397-399, 401, 403, 409-411, 421 f., 435, 437, 450, 471 f., 474 f., 477, 484, 490, 495-498, 500, 502 Dunn, Arthur 54,146

Duparc siehe Fouques-Duparc Eccles, David 427, 478, 481 f., 484, 487, 491,497 Eden, Anthony 83, 244-246, 259, 280-282, 290, 305, 348-350, 358, 361, 374, 401 -403, 420, 427, 429, 438, 440, 469, 503 Einaudi, Luigi 52 f., 56,101, 224 Eisenhower, Dwight D. 157, 239, 241, 259, 275, 283, 296, 308, 316, 323, 335-337, 344, 383, 398, 403, 411, 440, 472, 476, 499 Erhard, Ludwig 109,115 f., 159, 163 f., 168,177,184, 207, 209 f., 216, 230, 250 f., 260-269, 297 f , 303, 313, 318, 354, 356-358, 362, 371, 375-378, 380, 384-389, 396, 404 f., 407, 412, 420, 422-425, 430, 433 f., 442 f., 446, 449 f., 452, 458-460, 463 f., 468, 480 f., 490, 492 f., 497, 501,503, 506 f., 516 Etzel, Franz 359, 375, 377, 385, 407, 443, 464 Fanfani, Amintore 90, 278 f., 298, 313, 332, 498 Faure, Edgar 322, 354, 359 f., 375 Faure, Maurice 405,412,419,421, 423 f., 430, 443, 460, 468, 484, 488-490,492 Foster, William 155 Fouques-Duparc, Jaques 90 f., 212, 327, 471 Frangois-Poncet, Andre 176, 206, 220, 378 Franks, Oliver 57 f., 136,146,197 Fulbright, J.William 35, 59 f. Gaitskell, Hugh 20,127,154, 229, 255 Gasperi, Alcide de 11, 35, 52 f., 57, 71, 79 f , 87, 90, 92, 94,111,121, 145-147,164, 211, 214, 224, 240, 242, 254, 268, 271, 273-279, 284, 286-288, 290, 294, 296, 298, 304, 308, 310-313,317, 320, 324 f., 331-333, 344 f., 362,518, 526

Personenregister

Gaulle, Charles de 307, 312, 465, 496-506, 508, 511,523, 526 Groeben, Hans von der 378, 407, 415, 423, 455, 458, 461,493 Gronchi, Giovanni 397, 470 Hall-Patch, Edmund 154,282 Hallstein, Walter 83,184,187 -189, 192, 199, 205 f , 210, 222, 244, 270, 275, 279, 282, 287, 290 f., 318 f., 325, 327, 330, 357, 367, 376 f., 380, 385 f., 389, 391, 400, 404 f., 412, 425 f., 429 f., 437, 450, 458, 481, 492 f., 497, 517 Harriman, William A. 47, 97 f., 105, 110,115, 117, 119,131 f., 137 f., 149 f , 153, 156, 163,179, 228, 257, 259 Harvey, Oliver C. 193 f., 198, 226, 290, 303 Heinemann, Gustav 177, 268 Hickerson, John D. 136,145 Hider, Adolf 121,176 Hoffman, Paul G. 97, 99 f., 105, 110, 114,117 f., 124,135, 155, 225 Hoover, Herbert 46 f., 59,155 Hull, Cordell 24 Humphrey, Georg M. 259, 262, 335, 398, 471 Jackson, Charles D. 399 Johnson, Lyndon B. 135,148 Kaiser, Jakob 268 Kennan, Georg F. 37 f., 41 -43, 48, 66,107,131,133-135,142-144, 149 f., 157,160,170 Keynes, John Maynard 25 f., 28 f. Kindleberger, Charles P. 24, 37, 47, 129 Kirkpatrick, Ivone A. 195, 205 f., 289 LaMalfa, Ugo 211,272,276 Lange, Halvard 254, 371,411, 436 Laniel, Joseph 322, 327 Laurens, Camille 239 f., 313 f. Leenhart, Francis 121 Lenz, Otto 316, 456 f.

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Lieftinck, Pieter 118, 126,186, 238 Lippmann, Walter 34 Lloyd, Selwyn 410 f., 470 f., 474-478, 482, 484, 491, 500 f., 504, 522 Lovett, Robert A. 40 f., 58, 66, 68, 113,131, 135,137,144 f. Lübke, Heinrich 263,314,354,375, 425, 450 Luns, Joseph 431,445 McCarthy, Joseph R. 112 McCloy, John 150,153, 180, 200, 205-207, 210, 219, 239, 241, 244, 250 f., 268, 307 Macmillan, Harold 83, 270,281 f., 348, 360, 362, 372, 390 f., 393, 398, 400-402, 417, 420, 428 f., 435, 438, 455, 471, 477 f., 483, 487, 494, 497-501, 503 Mallet, Victor 85,88,206 Mansholt, Sicco 186, 238 f., 240, 292 f., 298, 313 f., 321, 330, 339 f., 358, 370, 379, 384, 424, 431, 445, 455, 466, 485,517 Mao Tse-tung 134 Margue, Nicolas 287 Marjolin, Robert 7,14, 62,100, 102, 114,117,154, 252, 304, 360, 405-407, 412, 423, 440, 442, 461, 466, 479, 485, 493 Maroger, Jean 312 Marshall, George C. 17, 38, 40, 42 f., 47-49, 56-59, 67 f., 78 f., 90, 94, 107,131,135,160 Martino, Gaetano 333, 355, 374, 396-398, 407, 409-411, 432, 438, 451,471,474 Massigli, Rene 64, 81, 90, 122,197 f., 226, 287, 310, 348, 350, 352, 359, 373, 379, 382 Maudling, Reginald 486 - 489, 491, 493 f., 498, 500-503, 506 Maxwell-Fyfe, David 245, 390 Mayer, Rene 44, 58, 76,176, 179, 232, 308, 310, 317, 323, 360, 460, 464

566

Personenregister

Mendes France, Pierre 341, 347 f., 351 -357, 359, 405, 412, 450, 455, 519 Merkatz, Hans-Joachim von 481 Moch, Jules 176,229 Mollet, Guy 85, 89, 224, 269 f., 285, 289 f., 295 f., 382, 405, 415, 422, 425, 430, 433, 438-441, 445 f., 451, 466, 478 Molotov, Vjaceslav M. 39 f., 54 Monnet, Jean 30, 44, 58, 76 f., 83,101, 160 f., 165, 172 f., 175,177-191, 193 f., 196,198-204, 206-209, 213 f., 217, 220, 222, 224, 226, 231 -235, 237, 239 f., 270, 274-276, 279, 285, 287, 290, 293, 297, 303, 313, 343 f., 359 f., 362, 368 f., 371, 374 f., 377 f., 382, 399 f., 405, 414, 421,458, 493,516, 520 Montgomery, Bernard L. 140 Morrison, Herbert 192, 196,199, 222, 226, 228 f., 239, 245 f., 271 f. Müller-Armack, Alfred 485, 489 f., 495, 501 f., 507 Nasser, Gamal Abd el 434 f., 437 Nitze, Paul 114,133 f., 149 Nutting, Anthony 90,280 Ophüls, Friedrich 275, 283, 303, 306, 357, 376, 380, 388 f., 391, 395, 399, 404, 423, 455 Pacciardi, Randolfo 79, 211, 275 f., 278 f., 308 Parodi, Alexandre 308 f. Pearson, Lester Β. 142, 254, 305, 396-399, 41 Of. Pella, Giuseppe 101,105,154,164, 215 f., 238, 264, 271, 276, 279, 297, 331-333, 382, 458, 490 Petsche, Maurice 104,117 f., 122,132, 161,178 f., 184, 203, 215, 266, 271 Pflimlin, Pierre 120, 236 f., 239 f., 266, 314 Piccioni, Attilio 276, 333 Pinay, Antoine 307 f., 359 f., 371 f., 375, 380-382, 398,401,498

Pineau, Christian 402, 405 f., 410, 415, 416, 432, 438-441, 445, 452, 461, 470 f., 482, 488, 491 f. Pleven, Rene 204 f., 246, 266, 275, 327, 460 Plowden, Edwin 230 Poincare, Raymond 78 Quaroni, Pietro 54 f., 65 f., 79, 81, 87, 91-95,122, 212, 273, 304, 332, 337, 374, 379 Queuille, Henri 108, 132 Radford, Arthur W. 335, 420 Ramadier, Paul 38, 64, 76, 83,132, 136, 402, 422, 449, 480 Rasquin, Michel 329,465 Rey, Jean 460,467 Reynaud, Paul 85, 326 f. Ricard, Pierre 185, 232, 234 Ricardo, David 3 Richard, James 323 f. Roosevelt, Franklin D. 7,21,24 Rostow, Walt 37 f. St. Laurent, Louis 144 Sandys, Duncan 82, 477 Saragat, Giuseppe 79, 90, 101, 147 Scelba, Mario 276, 333, 342, 355, 397 f. Schäffer, Fritz 251, 262, 297, 395, 450, 480, 503 Schumacher, Kurt 176, 225 Schuman, Robert 17, 44, 78, 83 - 95, 111,117,119 f., 122,132,139-141, 147 f., 152,154,173-179,181,187, 196, 201, 203,205, 210, 212, 220, 237, 240,246, 274-279,282 f , 286-288, 290,296, 299, 301, 305, 307 f., 311, 327, 344, 362, 405, 439, 520 Segni, Antonio 238 Senghor, Leopold 293, 299 Seydoux de Clausonne, Francis Fornier 194, 290, 309, 379, 498 f. Sforza, Carlo, Graf 43, 53, 56, 65, 79, 81, 90-95, 97,111,121,146-148, 152 f., 178-180,182,186, 200, 203, 211, 213, 240, 271-273, 332, 345

Personenregis ter

Shinwell, Emmanuel 192,195, 229 Snoy et d'Oppuers, Jean-Charles, Comte 102 Snyder, John W. 105, 114, 117, 257 Spaak, Paul Henri 48, 50 f., 62 f., 67, 69, 71, 74, 76, 82, 84 f., 88, 97 f., 104, 110 f., 127,136,139,202, 224 f., 243, 270, 277, 279 f., 285, 289-291, 293, 303, 310, 312, 342, 346, 349, 351, 356, 364 f., 368-372, 374 f., 380-382, 386, 388 f , 391-393, 396, 398, 400-403, 409-412,416 f., 421,423 f., 429, 431, 436 f., 445,463 f , 467 f , 471,474, 478,480, 496,498, 517 Spierenburg, Dirk 187 -189, 242 Spinelli, Altiero 270, 274, 279, 285-287, 289, 293, 295 Staf, Cornelis 358 Stalin, Iosif V. 39, 74,134,138,171, 245 f., 268, 316, 319, 324, 337, 392 Stassen, Harold 259, 263, 296, 323 Stikker, Dirk U. 85,111,120,125 f., 128,139,141,148,152,154,186,197, 215 f., 228, 238 f., 241 -243, 252, 254,270 f., 278,282, 284, 288,291, 321 Strang, William 195 Strauß, Franz Joseph 375, 395 f., 402, 404 f , 412, 420-424, 430

567

Taft, Robert A. 59, 72,112, 155, 316 Tarchiani, Alberto 39, 52 f., 92, 146, 212, 374 Taviani, Paolo 186, 244, 282, 325 f., 332 Teitgen, Pierre-Henri 83, 309, 326 f. Thomeycroft, Peter 400,402,417, 428, 438, 478, 480 f , 484, 489 Togni, Guiseppe 180, 186, 213 Truman, Harry S. 24, 26, 34, 52, 59, 71 f., 133,135,138,144, 146,148, 155 f., 205, 266, 434 Vandenberg, Arthur H. 29, 56, 59 f., 72,144 Vanoni, Ezio 276, 378 Vocke, Wilhelm 260 Webb, James W. 179 Wendel, Humbert de 218 Wilson, Harold 113,229 Wormser, Olivier 309, 314, 321, 352, 423, 495 Younger, Kenneth D. 194 Zeeland, Paul van 127 f., 140, 149, 154, 210, 218, 224 f., 243, 254, 261, 286, 288, 291 f., 298, 305, 310, 312, 317-319, 321, 326, 330 f., 337, 342, 346, 369 Zijlstra, Jelle 292, 315, 370, 431, 445, 460, 485

Zum Autor Dr. Dieter Krüger, geb. 1953 in Konstanz, Wissenschaftlicher Direktor im Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Veröffentlichungen u.a.: Nationalökonomen im wilhelminischen Deutschland, Göttingen 1983; The American Attempt to Decentralize the German Big Banks After 1945, in: Rivista di storia economica/International Issue, 2 serie, 1 (1984), S. 94-118; Borghesia colta e riforma sociale. La »Gesellschaft für Soziale Reform« tra guerra e rivoluzione (1914-1920), in: Cultura politica e societä borghese in Germania fra Otto e Novecento, a cura di Pierangelo Schiera e Gustavo Corni, Bologna 1986, S. 87-151; Privatversicherung und Wiederaufbau. Probleme der Reorganisation des Versicherungsgewerbes in Westdeutschland 1945-1952, in: Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 74 (1987), S. 514-540; Max Weber und die »Jüngeren« im Verein für Socialpolitik, in: Max Weber und seine Zeitgenossen, hrsg. von Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schwentker, Göttingen 1988, S. 98-118; Sozialisierung der Privatversicherung? Auseinandersetzungen um Trägerschaft und Betriebsform in der deutschen Versicherungswirtschaft 1900-1950, in: Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 78 (1989), S. 346-377; Gustav Schmoller und der moderne deutsche Kapitalismus, in: Gustav Schmoller in seiner Zeit: die Entstehung der Sozialwissenschaften in Deutschland und Italien, hrsg. von Pierangelo Schiera und Friedrich Tenbruck, Bologna, Berlin 1989, S. 369-397; Dienststellen zur Vorbereitung des westdeutschen Verteidigungsbeitrages 1950-1955, 2 Bde, Koblenz 1992 (= Findbücher zu Beständen des Bundesarchivs, 40); Das Amt Blank. Die schwierige Gründung des Bundesministeriums für Verteidigung, Freiburg 1993; Die Anfänge der Bundesmarine 1950-1955, in: Marineforum, 70 (1995), H. 1/2, S. 2 - 6 , H. 3, S. 29 f.; Archiv im Spannungsfeld von Politik, Wissenschaft und öffentlicher Meinung. Geschichte und Uberlieferungsprofil des »Berlin Document Center«, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 45 (1997), S. 49 - 74; Zeitgeschichtsschreibung und informationelle Selbstbestimmung. Archivgesetzgebung im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Verwaltung, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 45 (1997), S. 793-817; Die EVG - Ein Vorbild für eine zukünftige Europaarmee?, in: Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Der Weg zu integrierten europäischen Streitkräften?, hrsg. von Werner Hoyer und Gerd F. Kaldrack, Baden-Baden 2002, S. 43-57; Konspiration als Beruf. Deutsche Geheimdienstchefs im Kalten Krieg, hrsg. zus. mit Armin Wagner, Berlin 2003.