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German Pages 236 [240] Year 2005
Kierkegaard Studies Monograph Series 12
Kierkegaard Studies Edited on behalf of the
Søren Kierkegaard Research Centre by Niels Jørgen Cappelørn and Hermann Deuser
Monograph Series 12 Edited by Hermann Deuser
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Markus Kleinert
Sich verzehrender Skeptizismus Läuterungen bei Hegel und Kierkegaard
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Kierkegaard Studies Edited on behalf of the Søren Kierkegaard Research Centre by Niels Jørgen Cappelørn and Hermann Deuser Monograph Series Volume 12 Edited by Hermann Deuser
The Foundation for the Søren Kierkegaard Research Centre at Copenhagen University is funded by The Danish National Research Foundation.
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ISBN 3-11-018318-8 ISSN 1434-2952 Copyright 2005 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin All rights reserved, including those of translation into foreign languages. No part of this book may be reproduced or transmitted in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopy, recording or any information storage and retrieval system, without permission in writing from the publisher. Printed in Germany Disk conversion: OLD-Satz digital, Neckarsteinach Cover design: Christopher Schneider, Berlin
Inhalt 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Hegels Begriff der Negativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Der ‚spekulative Karfreitag‘ als Aufgabe der Philosophie (Glauben und Wissen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Skeptizismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Die negative Seite der Philosophie (Verhältniß des Skepticismus zur Philosophie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. ‚Sich vollbringender Skeptizismus‘ (Phänomenologie des Geistes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Ironie als Negativbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Leere und Fülle (in Anlehnung an Journal DD) . . . . . . . 3.1.1. Die Komödie der Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2. „[M]eine Untersuchung über Ironie und Humor“ . 3.1.3. Eine wegweisende Aufzeichnung . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4. Die vermißte Lebensanschauung (Aus eines noch Lebenden Papieren) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Exkurs über Jean Pauls Humor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1. „Humor, als das umgekehrte Erhabene“ . . . . . . . . 3.2.2. Das beispielhafte Weltverhältnis des Humoristen Giannozzo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Das vieldeutige Nichts (Über den Begriff der Ironie) . . . 3.3.1. Die widersprüchliche Rechtfertigung der Ironie . . 3.3.2. Der Zweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3. Der Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Der Prüfstein des Zweifels (Johannes Climacus) . . . . . . . 3.4.1. Das Gerede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2. Die Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7 33 34 40 50
59 59 60 70 73 80 83 84 90 102 103 137 144 152 157 165
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Inhalt
3.5. Der Agon der Logoi (Entweder-Oder) . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1. Das willkürliche Nichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2. Das versöhnliche Nichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.3. Das erbauliche Nichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.4. Die unversöhnliche Mitteilung . . . . . . . . . . . . . . . . .
178 184 196 204 206
4. Nachbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungs- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Danksagung Prof. Dr. Günter Häntzschel und Prof. Dr. Bernhard Lypp haben das Entstehen dieser Arbeit als Dissertation an der Ludwig-MaximiliansUniversität München betreut. Ihnen möchte ich zuallererst für die freundliche Wegleitung, das Zutrauen und die Hilfestellung auf dieser Gratwanderung zwischen Philosophie und Literatur sehr herzlich danken. Daneben schulde ich Dr. habil. theol. Jon Stewart für die Betreuung in Dänemark besonderen Dank. Danken möchte ich auch meiner Familie und denen, die die Arbeit in theoretischer Hinsicht bereicherten und in praktischer Hinsicht unterstützten: Prof. Dr. Hendrik Birus; Dr. h.c. Niels Jørgen Cappelørn; Prof. Dr. Hermann Deuser; Joakim Garff Ph.D.; Prof. Dr. Annegret Heitmann; Prof. Dr. Inka Mülder-Bach; Tonny Aagaard Olesen Ph.D.; Stig Olsen, cand. mag.; Dr. Richard Purkarthofer; Ettore Rocca Ph.D.; Christian Fink Tolstrup, cand. theol.; Katarina Yngborn, M.A.; Dr. Loel Zwecker. Last, not least sei den Institutionen gedankt, deren Förderung die Arbeit ermöglichte: der Bayerischen Graduiertenförderung, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und dem Søren Kierkegaard Forskningscenter ved Københavns Universitet. Das letztgenannte Institut hat überdies die vorliegende Veröffentlichung großzügig bezuschußt.
1. Vorbemerkung Das Interesse dieser Arbeit gilt den skeptischen Denk- und Ausdrucksformen, mit denen Hegel und Kierkegaard den Anspruch auf absolute Wahrheit verbinden. Die fokussierten skeptischen Denkund Ausdrucksformen sollen in Hegels und Kierkegaards Philosophie eine Läuterung bewerkstelligen, die man sich folgendermaßen vorzustellen hat: die Motivation der Läuterung ist ein Zustand, in dem die Wahrheit absichtlich oder unabsichtlich mit bedingt gültigen Gewißheiten identifiziert wird, in dem der Bann der Reflexion über das Leben verhängt ist. Durch die Läuterung soll dieser Zustand überwunden, das Verlangen nach einer nicht auf eine bedingte Gewißheit reduzierten Wahrheit freigesetzt und eine unbedingte Gewißheit erschlossen werden. Hegel entwirft mit dem ‚sich vollbringenden Skeptizismus‘ einen Läuterungsprozeß, der durch Verzweiflung das Wahre aufschließt. Dagegen erscheint Kierkegaards dauerhafte Mobilisierung des Zweifels gegen das Wissen und einen zugerichteten Glauben als ‚sich verzehrender Skeptizismus‘ (mit einer Formulierung von B. Lypp).1 Kierkegaards Literarisierung der Philosophie ist als ein Versuch zu verstehen, die unentwegte Prüfung von Glauben und Wissen zu artikulieren. Daß sich Hegels und Kierkegaards Philosophie durch den gewählten Interpretationsansatz auf eine neuartige Weise zueinander in Beziehung setzen und vergegenwärtigen lassen, verdeutlicht ein Überblick über die Arbeit, an den sich methodologische Angaben und Hinweise zum Stand der Forschung anschließen. Im ersten Teil der Arbeit wird die Herausbildung des ‚sich vollbringenden Skeptizismus‘ in Hegels Jenaer Schriften verfolgt: die in Glauben und Wissen formulierte fundamentale Reflexionskritik ist dem sogenannten Skeptizismus-Aufsatz zufolge Bestandteil einer jeden wahren Philosophie; doch erst der in der Phänomenologie des 1
B. Lypp verwendet diese Formulierung, der die vorliegende Arbeit den Titel verdankt, als Gegenbildung zu Hegels ‚sich vollbringendem Skeptizismus‘ in seinem Aufsatz „Unglückliches Bewußtsein – Ästhetik der Existenz – Ironie“ in Akzente 44 (1997), S. 291.
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1. Vorbemerkung
Geistes entworfene „sich vollbringende Skepticismus“ (PdG 56) vermag die radikale Negation der Reflexion mit dem positiven Wissen des Wahren zu verbinden (und darin Reflexion wie Reflexionskritik zu rechtfertigen). Die negierende, skeptische Methode wird durch die sich selbst erzeugende Position vervollständigt. Der erste Teil der Untersuchung verfolgt somit auch die Entstehung der Hegelschen Dialektik, wobei darauf zu achten ist, daß die als Läuterung behandelte Dialektik nicht nur aus der Perspektive eines unbeteiligten Beobachters, sondern auch aus der Perspektive dessen, der den dialektischen Prozeß zu durchlaufen hat, betrachtet wird. Die Gewaltsamkeit der Dialektik wird vom Standpunkt dessen aus gesehen, der ihr in der Läuterung ausgesetzt ist. Angesichts der zugemuteten Gewalt sind Ausweichbewegungen des Betroffenen verständlich; Hegels Paradebeispiel einer derartigen Bewegung ist die Ironie (die romantische Ironie), die im Zusammenhang der Kritik der Reflexionskultur als mangelhafte Negativität und nicht durchgeführte Läuterung zu verurteilen ist. Hegels Läuterung bildet den Hintergrund, vor dem sich das verwandte Projekt Kierkegaards abhebt. Kierkegaard fordert ganz im Sinne Hegels eine fundamentale Kritik der Reflexion, die aber gerade nicht wahres Wissen zu erschließen vermag, sondern einen etwaigen Glauben vergegenwärtigen und der Verkehrung des Glaubens in reflexives Wissen vorbeugen soll. Der zweite Teil der vorliegenden Arbeit untersucht, wie Kierkegaards Projekt in seinen frühen Schriften (wozu die Schriften bis einschließlich Entweder-Oder gerechnet werden) Gestalt annimmt. In Kierkegaards frühesten Aufzeichnungen werden bereits verschiedene Möglichkeiten der Reflexionskritik auf ihre Rückhaltlosigkeit hin überprüft, wobei sich insbesondere ein dem Geschmack der Zeit angepaßter philosophischer Zweifel als untauglich erweist. Welche Schwierigkeiten der bei dieser Prüfung favorisierte Humor bietet, mag hier ein Seitenblick auf Jean Pauls Humor und dessen literarische Gestaltung illustrieren. In der Ironie-Schrift präzisiert Kierkegaard anhand der Sokratischen Ironie die für eine Läuterung erforderliche reflexionsdestruierende Negativität, und er versucht, diese Negativität von der in Hegels Dialektik implizierten abzugrenzen. Die fragmentarische Erzählung Johannes Climacus oder De omnibus dubitandum est wiederholt und intensiviert die Beschäftigung mit dem Zweifel, wobei die durch die Literarisierung gegebenen Möglichkeiten der Kritik ansatzweise genutzt werden. In Entweder-Oder gelingt Kierkegaard mit Hilfe der virtuosen Literarisierung die Artikulation eines Zweifels, der sich gegen die Sicherheiten der Reflexion wie ei-
1. Vorbemerkung
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nes nur reflektierten Glaubens richtet, ohne den Zweifel durch dessen Artikulation zu konterkarieren. Dieser gelungene Ausdruck eines ‚sich verzehrenden Skeptizismus‘ bildet den Fluchtpunkt der vorliegenden Arbeit. Soweit ein assoziativer Überblick, der weder alle untersuchten Texte auflisten noch die Untersuchungsergebnisse referieren soll. Er mag immerhin andeuten, daß die Konstellation von Hegel und Kierkegaard durch eine an der läuternden Skepsis ausgerichtete Interpretation in neuem Licht erscheint; beispielsweise wird die Perspektivensensibilität beider Autoren sichtbar, die den Interpreten dazu verpflichtet, die jeweiligen Läuterungskonzepte unter Berücksichtigung der Perspektive des davon Betroffenen zu thematisieren.2 Die Auswahl der untersuchten Texte ist mit Bezug auf Hegel durch die Formel des ‚sich vollbringenden Skeptizismus‘ vorgegeben: die Arbeit beschäftigt sich vor allem mit den Schriften der Jenaer Periode, die diesen Skeptizismus konstituieren. Mit Bezug auf Kierkegaard ist die Konzentration auf die frühen Schriften (also die Schriften bis einschließlich Entweder-Oder) durch folgende Überlegung zu rechtfertigen: zum einen entstehen diese Schriften in einer Phase der intensiven Auseinandersetzung mit Hegel und mit den dänischen Hegelianern (was nicht zwangsläufig die Auseinandersetzung mit Hegels ‚sich vollbringendem Skeptizismus‘ bedeutet); zum anderen vollzieht sich während dieser Phase die entscheidende Literarisierung philosophischer Probleme. Der Vergleich der ausgewählten Texte folgt allein heuristischen und nicht etwa philosophiegeschichtlichen Erwägungen; Beobachtungen zu Kierkegaards nachweislicher Hegel-Rezeption werden allenfalls beiläufig notiert. Wenn Texte aus dem zeitgenössischen Kontext hinzugezogen werden, geschieht auch das nur in heuristischer Absicht. Wie schon hervorgehoben, wendet sich Kierkegaard mit der Fortentwicklung seines Läuterungsprojekts der literarischen Darstellung zu. Mit Hilfe der Literarisierung wird zum Beispiel ein philosophischer Standpunkt dem ‚test of ridicule‘ unterzogen oder der reflexiven Vereinnahmung der kommunizierten Reflexionskritik Wider2
Die Assoziation mit der Aristotelischen Katharsis ist irreführend, insofern weder Hegel noch Kierkegaard eine Reinigung der Reflexion im Sinne eines Genitivus separativus anstreben, sondern eine Reinigung vom unbedingten Anspruch der Reflexion (und eine Neubestimmung der Beziehung von Reflexion und Wahrheit); vgl. H. Flashars Artikel „Katharsis“ in Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. v. J. Ritter und K. Gründer, Bd. 4, Basel, Stuttgart 1976, Sp. 784-786.
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1. Vorbemerkung
stand geleistet; die literarische Darstellung vermag zudem den vermeintlich unbeteiligten Beobachter seiner Beteiligung, der vorgängigen Verwicklung in den dargestellten Problemzusammenhang zu überführen. Es versteht sich aufgrund des so zentralen Verhältnisses von Philosophie und Literatur von selbst, daß die vorliegende Arbeit interdisziplinär – philosophisch und literaturwissenschaftlich – ausgerichtet ist. Angesichts der immensen Forschungsliteratur zum Verhältnis von Hegel und Kierkegaard wird von einem allgemeinen Forschungsbericht abgesehen.3 Die Auseinandersetzung mit einschlägigen Forschungsbeiträgen in den folgenden Untersuchungen mag zur Entschuldigung dieser Auslassung dienen, vor allem aber das Fehlen des hier vorgeschlagenen Interpretationsansatzes in der bisherigen Forschung: ein Vergleich von Hegel und Kierkegaard, der von Hegels Jenaer Schriften ausgeht und dabei den Skeptizismus in den Mittelpunkt rückt, bezeichnet einen weißen Fleck in der philosophischen Kartierung. Erstaunlicherweise ist dieser Vergleich auch dort unterblieben, wo er für die behandelte Thematik unverzichtbar scheint: K. Kaufmann erklärt in ihrer Studie „Vom Zweifel zur Verzweiflung“ die titelgebenden Begriffe zu Recht zu Grundbegriffen der Philosophie Kierkegaards; obgleich sie in Hegels ‚sich vollbringendem Skeptizismus‘ ausdrücklich eine begriffliche Vorlage Kierkegaards ausmacht, wird diese Vorlage überhaupt nicht untersucht, vielmehr als phantasmagorisches Schlagwort behandelt, gegen das sich trefflich Scheingefechte führen lassen.4 Der mit dieser Arbeit erhobene Anspruch auf eine innovative Interpretation schließt natürlich nicht aus, daß sich in der traditionellen Forschung Vorausdeutungen auf den Interpretationsansatz finden. Wenn zum Beispiel K. Vieweg mit Blick auf das Verhältnis von Hegel und Friedrich Schlegel die 3
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Einen guten Überblick über die Forschung zum Verhältnis von Hegel und Kierkegaard bietet z.B. J. Stewart Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, New York 2003, v.a. S. 3-32. Stewarts Untersuchung erschien nach Fertigstellung der vorliegenden Arbeit, doch durfte d. Verf. freundlicherweise einige Kapitel des Manuskripts einsehen. Das Rezeptionsverhältnis zwischen Hegel und Kierkegaard klassifiziert H. Schulz, „Kierkegaard über Hegel. Umrisse einer kritisch-polemischen Aneignung“ in Kierkegaardiana 21 (2000), S. 152-178. K. Kaufmann Vom Zweifel zur Verzweiflung. Grundbegriffe der Existenzphilosophie Sören Kierkegaards, Würzburg 2002, in bezug auf Hegel insb. S. 37-39, 133, 137f. Nur die fehlende Auseinandersetzung mit Hegels Skeptizismus ermöglicht es, diesen mit den Überlegungen des Ethikers aus Entweder-Oder oder mit dem cartesischen Zweifel kurzzuschließen. Ferner vernachlässigt Kaufmann die eigens erwähnte Literarizität der Kierkegaardschen Texte in deren Interpretation.
1. Vorbemerkung
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noch ausstehende Erforschung des Beziehungsgefüges von Negativität, Skepsis und Ironie anmahnt, bleibt diese Mahnung auch mit Blick auf das Verhältnis von Hegel und Kierkegaard gültig.5 Um ein zweites, direkt auf Hegel und Kierkegaard bezogenes Beispiel hinzuzufügen: J. Ringleben zeigt in einer kleinen Untersuchung über Paradox und Dialektik mit Bezug auf die Philosophischen Brocken, wie Kierkegaard das Paradox des Gottmenschen allein zur Zerrüttung des Denkens einsetzt und das abstrakte Paradox fixiert; dagegen bedeutet das Paradox in der Hegelschen Dialektik die Zerrüttung des verständigen Denkens, die sich als vernünftige begreifen läßt, das heißt, das Paradox steht in einem begreifbaren Zusammenhang mit dem Denken. Hegels Dialektik des Übergangs wird von J. Ringleben anhand der Wissenschaft der Logik dargestellt, doch findet sich beiläufig eine Andeutung der hier betonten Perspektive dessen, der den dialektischen Prozeß erfährt.6 Die Fruchtbarkeit des hiermit skizzierten Forschungsansatzes sollen die folgenden Kapitel belegen.
2. Hegels Begriff der Negativität Um Hegels Begriff der Negativität darzustellen, wird die Abhandlung Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjectivität, in der Vollständigkeit ihrer Formen, als Kantische, Jacobische, und Fichtesche Philosophie als Ausgangspunkt gewählt. Der Begriff der Negativität erhält in der Abhandlung seine Kontur innerhalb Hegels Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Reflexionskultur. Diese Kultur des gemeinen Menschenverstandes steht für universale Entzweiung, als deren erkenntniskritischer Ausdruck der Titel der Abhandlung, der Gegensatz von Glauben und Wissen, gelten kann. In seiner Kritik der sogenannten Reflexionsphilosophien der Subjektivität, die eine Systematisierung des trivialen verständigen Denkens betreiben, skizziert Hegel eine radikale Negativität, die – begriffen und gegen die Reflexionskultur geltend gemacht – wahre Philosophie konstituiert. Die Kennzeichnung der für vernünftiges Erkennen unabdingbaren Negativität kulminiert in der Schlußpassage der Ab5
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K. Vieweg Philosophie des Remis. Der junge Hegel und das ‚Gespenst des Skepticismus‘, München 1999, v.a. S. 186. J. Ringleben „Paradox und Dialektik. Bemerkungen zu Kierkegaards Christologie“ in Kierkegaardiana 19 (1998), S. 29-42, die besagte Andeutung ebd. S. 42 Note 28.
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2. Hegels Begriff der Negativität
handlung im Begriff des „speculativen Charfreytag[s]“ (GuW 414), mit dem Hegel die Aufgabe gegenwärtiger Philosophie angibt. Hegels Negativitätsbegriff und der damit verbundene Appell an die Philosophie werden in einem interpretierenden Gang durch die Abhandlung vorgestellt. Dem Zusammenhang von radikaler Negativität und wahrer Philosophie folgt die Untersuchung dann unter Akzentuierung des Einleitungsproblems, der Frage nach dem Anfang vernünftigen Erkennens. Der Unterscheidung zwischen wahrer Philosophie und im Gegensatz von Glauben und Wissen befangener Reflexionsphilosophie entspricht die Unterscheidung zwischen wahrem und falschem Skeptizismus; im sogenannten Skeptizismus-Aufsatz versucht Hegel, den wahren Skeptizismus von verschiedenen Fehlformen zu reinigen und damit das Verhältnis des Skeptizismus zur Philosophie zu klären. Der wahre Skeptizismus, definiert als vollständige Verneinung des fortwährend entzweienden verständigen Erkennens, ist demnach Bestandteil jeder wahren Philosophie. Den problematischen Zusammenhang des in emphatischem Sinne skeptischen und des spekulativen Denkens erhellt schließlich das Programm der Phänomenologie des Geistes, das den wahren Skeptizismus zum „sich vollbringende[n] Skepticismus“ (PdG 56) vervollständigt. Die Methode bestimmter Negation garantiert diesem Programm gemäß den notwendigen und vollständigen Fortgang des Läuterungsprozesses, den das natürliche Bewußtsein mit seinen ungeprüften reflexiven Sicherheiten zum wahren Wissen hin durchläuft. Das Einleitungsproblem ist somit gelöst. Grundsätzlich läßt sich der Begriff der Negativität nun vor dem Hintergrund des Absoluten, das sowohl als Substanz als auch als Subjekt zu denken ist, bestimmen. Dem wahren Skeptizismus, der mit radikaler Negativität die einseitigen Reflexionsbestimmungen überwindet und der in seiner Durchführung als ‚sich vollbringender Skeptizismus‘ des Absoluten teilhaftig ist (beziehungsweise dem zweifelnd-verzweifelnden Bewußtsein das wahre Wissen aufschließt), wird hier eine mangelhafte Form der Skepsis gegenübergestellt. Diese unzureichende Skepsis schreckt trotz der in ihr energisch betonten Negativität vor der Verzweiflung, dem Verlust jedweden vertrauten Selbst- und Weltverständnisses, zurück – und trägt den Namen Ironie. Im Gegensatz zu der in das System der Wissenschaft führenden bestimmten Negation läßt sich die Ironie formelhaft als Selbstgenuß mit Hilfe der abstrakten Negation beschreiben. Einschlägige Belege werden Hegels späteren, nach der
2.1. Der ‚spekulative Karfreitag‘ als Aufgabe der Philosophie
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Zeit in Jena veröffentlichten Schriften (zum Beispiel der Solger-Rezension und den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie) entnommen, da sich Kierkegaard an deren Darstellung der Ironie orientiert. Soweit zur Vorgehensweise.7 Ein Fazit wird die Ergebnisse der einzelnen Analysen so zusammenstellen, daß sie in der anschließenden Beschäftigung mit Kierkegaard zum Tragen kommen.
2.1. Der ‚spekulative Karfreitag‘ als Aufgabe der Philosophie (Glauben und Wissen) In einer Lektüre von Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjectivität, in der Vollständigkeit ihrer Formen, als Kantische, Jacobische, und Fichtesche Philosophie, Hegels umfangreichstem Beitrag zum Kritischen Journal der Philosophie, verdient zuallererst der Titel Aufmerksamkeit. Eine Erläuterung des Titels unter Hinzuziehung der einleitenden Passagen (GuW 315-324) soll einen Überblick über die Schrift verschaffen und die die Auslegung leitenden Begriffe entwickeln.8 Die Begriffe Glauben und Wissen, erstes Kolon der Titelperiode, bezeichnen zwei Weisen, des Wahren teilhaftig zu werden. Die Beziehung zwischen beiden läßt sich anhand des Verhältnisses von Religion und Philosophie beschreiben. Auf eine vermeintliche Auflösung dieses Verhältnisses hin arbeitet die Aufklärung: die „aufklärende Vernunft“ (GuW 315), selbst ausschließlich der Sphäre der Bedingtheit, der Relationalität, zugeordnet, behandelt Glauben und Wissen ihren 7
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Die gelegentliche Bezugnahme auf Hegels frühe Schriften und die Jenaer Systementwürfe soll Verbindungen andeuten, ohne die Entwicklung in Hegels Denken durch anachronistischen und kompilativen Zugriff auf die Texte zu verschleiern. Eine prägnante Darlegung der Hegelschen Versuche, als deren Abschluß und Einlösung der ‚sich vollbringende Skeptizismus‘ verstanden werden kann, beinhaltet B. Lypps Aufsatz „Philosophie als ‚sich vollbringender Skeptizismus‘“ in Evolution des Geistes: Jena um 1800. Natur und Kunst, Philosophie und Wissenschaft im Spannungsfeld der Geschichte, hrsg. v. F. Strack, Stuttgart 1994, S. 519-531. Mit der in diesem Kapitel vorgestellten Interpretation ist die von G. Ralfs zu vergleichen, „‚Glauben und Wissen‘. Eine Interpretation von Hegels Journal-Aufsatz aus dem Jahre 1802“ in Lebensformen des Geistes. Vorträge und Abhandlungen von Günter Ralfs, hrsg. v. H. Glockner, Köln 1964, S. 214-258. Ralfs bietet einen eng an den Text anschließenden Kommentar und einige Verbindungen zu anderen Arbeiten Hegels; der Begriff der Negativität wird leider nicht pointiert, so daß die Interpretation der wichtigen Schlußpassagen von Glauben und Wissen sehr allgemein gehalten ist.
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2. Hegels Begriff der Negativität
beschränkten Mitteln gemäß. Durch Verfälschung des Begriffs des Absoluten im Sinne des Unbedingten wird die Sphäre der Bedingtheit, der festgestellten Entgegensetzung, totalitär; sind Glauben und Wissen erst einmal in diese Sphäre herabgewürdigt, läßt sich die Überlegenheit der trivialen Aufklärungsphilosophie über die trivialisierte Religion behaupten. Durch die Selbstermächtigung der Aufklärung ist das Potential sowohl der religiösen Anschauung des Wahren als auch der vernünftigen Erkenntnis des Wahren verloren. Die Philosophie kann nun den aufklärerischen Optimismus zurückweisen und die Dürftigkeit der zugehörigen Vernunft, die (in Hegels Begrifflichkeit) nichts anderes ist als der absolut gesetzte Verstand, bloßlegen. Die bloße Negation der Aufklärung in der Philosophie bedeutet jedoch nicht, daß die auf ihr Vermögen kritisch reflektierenden philosophischen Entwürfe sich schon über die Sphäre der Bedingtheit erhoben haben. Die Philosophie, die Hegel in seiner Abhandlung kritisiert, wird im Titel als Reflexionsphilosophie der Subjektivität ausgewiesen. Die Bezeichnung Reflexionsphilosophie besagt, daß in dieser Wissensform die Reflexion und damit die in der Aufklärung universalisierte Entgegensetzung gültig bleibt. Die Philosophie vollzieht angesichts der erkannten Beschränktheit des Verstandes eine Selbstbescheidung, sie schließt sich selbst angesichts ihrer bedingten Mittel von der Erkenntnis des Unbedingten aus. Die Herrschaft des Verstandes zeigt sich demzufolge in zwei Bereichen: innerhalb des Wissens, das als Bereich der Bedingtheit definiert wird und für das sich die Philosophie daher zuständig wähnt, proliferieren die Gegensätze; durch die Unterscheidung von einem Bereich des Wissens und einem Bereich des Glaubens, dem das dem Wissen unzugängliche Unbedingte vorbehalten ist, wird ferner der Gegensatz von Erkenntnis und Absolutem zementiert. Genauer ist der Gegenstand der Hegelschen Kritik als Reflexionsphilosophie der Subjectivität spezifiziert. Man mag das als einen Dogmatismus der Subjektivität verstehen, der die Bedeutung des Relatums Subjektivität einseitig hervorhebt, ohne die die absolute Subjektivität relativierende Subjekt-Objekt-Relation zu berücksichtigen. Das Bedürfnis nach Unbedingtheit ist in den Reflexionsphilosophien der Subjektivität durchaus vorhanden; aus diesem Bedürfnis heraus wird kurzerhand Bedingtheit negiert oder, mit anderen Worten, dem Endlichen das Unendliche entgegengesetzt. Die Fähigkeit zur bloßen, ‚reinen‘ Negation alles Bedingten oder Endlichen wird dem Subjekt (dem Denken oder Ich) zugewiesen und das derart ne-
2.1. Der ‚spekulative Karfreitag‘ als Aufgabe der Philosophie
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gierende Subjekt festgestellt. Durch das Verharren in einer Entgegensetzung ist das negierende Subjekt aber gerade nicht unbedingt, nicht unendlich – es gehört unweigerlich der ausgeschlossenen Sphäre der Bedingtheit oder Endlichkeit an. Die absolute Unendlichkeit, die den Gegensatz von Endlichkeit und (pointiert gesprochen) endlicher Unendlichkeit überwindet, bleibt dagegen unerkennbar und höchstens im Glauben zugänglich. Das hiermit entworfene Schema enthält in nuce die in Hegels Abhandlung vorgebrachte Kritik, wobei die so schematisierte Kritik natürlich erst in der Anwendung auf eine besondere Philosophie anschaulich wird. Mit einer Hegelschen Formel läßt sich das Schema als das „subjective Princip“ (GuW 316) bezeichnen, das für die Bildung der Zeit verantwortlich ist. Um das universelle Wirken dieses Prinzips zu verdeutlichen, schildert Hegel zwei Erscheinungen, die den kritisierten Philosophien vorhergehen beziehungsweise diese begleiten: die schöne und die (in emphatischem Sinne) empirische Subjektivität (GuW v.a. 316-320). Die schöne Subjektivität wendet sich sehnend und ahnend an das unerkennbare Absolute, sorgsam darum bemüht, den sehnsüchtigen Glauben vor jeder Verunreinigung mit dem auf das Endliche beschränkten Erkennen zu bewahren. Der Schmerz, den das Subjekt über die Trennung vom Absoluten empfindet, ist ihm gerade der Beleg dafür, daß der Versuch einer wissensmäßigen Vermittlung von Subjekt und Absolutem und damit die Hypostasierung des Absoluten unterbleibt. Durch das Ausschließen des Bedingten und durch das Festhalten am sich sehnenden endlichen Subjekt wird die Bedeutung des Negierten, des Verstandes, jedoch indirekt bestätigt. Es verwundert daher nicht, daß die empirische Subjektivität von demselben subjektiven Prinzip wie die vor aller Objektivität zurückschreckende ‚schöne Seele‘ bestimmt ist. Die unglückliche Situation des Sehnens ist in die glückliche Befriedigung im Endlichen verkehrt, die die triviale Aufklärung verspricht. Der aufklärerische Eudämonismus verlegt die Idee der Glückseligkeit in das Endliche, so daß das gemeine Subjekt durch tüchtigen Gebrauch seiner Verstandeskräfte eine ebenso gemeine Glückseligkeit erlangt – von einer unbedingten Idee oder einer Überwindung der verständigen Entgegensetzung von Subjekt und Objekt kann bei dieser empirischen Versöhnung keine Rede sein. Die drei von Hegel untersuchten Philosophien lehnen, wie oben angedeutet, den aufklärerischen Stolz auf die Macht des Verstandes ab. Ihre Leistung besteht aber nicht darin, das subjektive Prinzip zu überwinden, vielmehr stellen sie das durch den Gegensatz im Wissen beziehungsweise den Gegensatz von
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2. Hegels Begriff der Negativität
Glauben und Wissen konstituierte Schema in äußerster Radikalität dar;9 so wird beispielsweise das dem Endlichen entgegengesetzte Unendliche, der von dem mannigfaltigen Empirischen abstrahierte bloße Begriff, ohne maskierenden Zusatz festgehalten. Das solchermaßen klar und deutlich artikulierte subjektive Prinzip ermöglicht es, die Konstellation der Reflexionsphilosophien der Subjektivität zu begreifen: Innerhalb dieses gemeinschaftlichen Grundprincips, der Absolutheit der Endlichkeit und des daraus sich ergebenden absoluten Gegensatzes von Endlichkeit und Unendlichkeit, Realität und Idealität, Sinnlichem und Uebersinnlichem, und des Jenseitsseyns des wahrhaft Reellen und Absoluten bilden diese Philosophieen wieder Gegensätze unter sich, und zwar die Totalität der für das Princip möglichen Formen. (GuW 321)
Das subjektive Prinzip, die zugrundeliegende Relationalität, ist in Reinform dargestellt; zugleich wird in den drei Philosophien je ein Relatum der Subjekt-Objekt-Relation forciert beziehungsweise eine formale Synthese der Relata angestrebt. Wenn die die Reflexionsphilosophie der Subjektivität in der Vollständigkeit ihrer Formen darstellenden Philosophien schließlich als Kantische, Jacobische, und Fichtesche Philosophie benannt werden (in der letzten Konstituente des Titels), darf diese Nennung nicht über die Vielfalt der von Hegel herangezogenen Erscheinungen täuschen. Hegels Abhandlung behandelt implizit wie explizit sowohl philosophische als auch unwissenschaftliche Erscheinungsformen des subjektiven Prinzips, die sich als mehr oder weniger ausgebildete Formen den drei genannten Vertretern zuordnen lassen. Durch den detaillierten Kommentar des Titels ist eine Orientierung über die Abhandlung gegeben, so daß sich nun der zu untersuchende Negativitätsbegriff genauer verorten läßt. Der alles durchdringende 9
Die Reflexionskultur, deren subjektives Prinzip in den besagten Philosophien seine ultimative Ausgestaltung erhält, charakterisiert Hegel zusammenfassend wie folgt: „Es ist also in diesen Philosophieen nichts zu sehen, als die Erhebung der ReflexionsCultur zu einem System; eine Cultur des gemeinen Menschenverstandes, der sich bis zum Denken eines Allgemeinen erhebt, den unendlichen Begriff aber, weil er gemeiner Verstand bleibt, für absolutes Denken nimmt, und sein sonstiges Anschauen des Ewigen und den unendlichen Begriff schlechthin auseinander läßt, es sey entweder, daß er auf jenes Anschauen überhaupt Verzicht thut, und sich im Begriff und der Empirie hält, oder daß er beyde hat, aber es nicht vereinigen, sein Anschauen nicht in den Begriff aufnehmen, noch Begriff und Empirie gleicherweise vernichten kann.“ (GuW 322f.). Die schöne Subjektivität hat gegenüber der empirischen immerhin den Vorzug, das wenn auch schmerzliche Bewußtsein der ausstehenden Versöhnung von Endlichem und Unendlichem wachzuhalten; der Negativität, die den Gegensatz durch das Vernichten der beiden Entgegengesetzten überwindet, ermangeln beide.
2.1. Der ‚spekulative Karfreitag‘ als Aufgabe der Philosophie
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Bann des subjektiven Prinzips besteht in einer mangelhaften Negation, der Negation durch bloße Entgegensetzung. Sie ist dafür verantwortlich, daß noch das ehrgeizigste Streben nach Unendlichkeit zur Herrschaft des Endlichen beiträgt. Als Alternative zu dieser die bloße Endlichkeit sichernden Negation entwirft Hegel die radikale oder wahre Negation, die anstelle des die Entgegensetzung konservierenden Entgegensetzens die Vernichtung beider Relata der Entgegensetzung fordert. Mit einer wegweisenden Gegenüberstellung von radikaler Negation und dem Endlichen verpflichteter Negation schließt Hegels Exposition: […] wenn das Absolute zusammengesetzt wäre aus Endlichem und Unendlichem, so würde die Abstraction vom Endlichen allerdings ein Verlust seyn, aber in der Idee ist endliches und unendliches Eins, und deßwegen die Endlichkeit als solche verschwunden, insofern sie an und für sich Wahrheit und Realität haben sollte; es ist aber nur das, was an ihr Negation ist, negirt worden, und also die wahre Affirmation gesetzt. Das höchste Abstractum jener absolutgemachten Negation ist die Egoität, wie sonst das Ding die höchste Abstraction der Position; Eins wie das andere ist selbst nur eine Negation des andern […]. (GuW 324)
Die wahre Negation des Endlichen wird als spekulative Position begriffen; die Negation des Endlichen ist die Vernichtung der im Endlichen selbst wirksamen entgegensetzenden Negation und gilt als wahre Affirmation. Die an dieser Stelle nur angedeutete Negation der Negation darf nicht die Gewaltsamkeit der wahren Negation übersehen lassen, denn für das sich als Endliches schlechthin bewahren wollende Endliche bedeutet diese Negation tatsächlich Vernichtung, unabhängig von der durch die Negation hindurch offenbarten Wahrheit des Endlichen. Die äußerste Negation, die das absolut gesetzte Endliche von sich aus zuläßt, beschreibt der zweite angeführte Satz: die Opposition von Subjekt und Objekt wird in der „absolutgemachten Negation“ des Ausschließens – wie hinzuzufügen ist – gerade befestigt, und die Zuordnung des bloß postulierten Unbedingten zur Subjekt- oder zur Objekt-Seite ist nachgerade beliebig. Der für Hegel entscheidenden reflexionsdestruierenden Negativität (und den damit verwandten Begriffen, zum Beispiel der ‚negativen Seite der Vernunft‘ oder dem ‚absoluten Nichts‘) wird im folgenden nachgegangen. Wenn Hegels Kritik auch auf der Unterscheidung von mangelhafter und vollkommener Negation beruht, so läßt sich doch nach einer weitergehenden Bestimmung seines eigenen Standorts fragen. Hinweise auf das affirmierte vernünftige Erkennen erfolgen meist beiläufig, neben den Andeutungen bezüglich der wahren Negation sind besonders die bezüglich einer Verbindung von vernünftigem Erkennen und An-
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2. Hegels Begriff der Negativität
schauen auffällig.10 Interessanter als diese bruchstückhaften positiven Bestimmungen ist aber die Beschaffenheit der philosophischen Kritik. Die gelungene Kritik der Reflexionsphilosophie, die als vollständige Widerlegung des subjektiven Prinzips auftritt, ist selbst als Einleitung in die wahre Philosophie zu verstehen. Während der Reflexionsphilosophie allenfalls hinsichtlich der Tendenz auf das Unbedingte hin ein vernünftiger Einsatz zugebilligt wird, führt die Kritik systematisch die Unmöglichkeit einer reflexiven Erkenntnis des Wahren vor Augen; diese Kritik erscheint somit als Appell, die Anstrengung der Negation des unzulänglichen reflexiven Erkennens auf sich zu nehmen. Inwieweit damit schon der Anfang der Spekulation gemacht ist, wird zu prüfen sein. Die in der Orientierung über Hegels Abhandlung hervorgehobenen Begriffe der wahren Negation und der vernünftiges Erkennen ermöglichenden philosophischen Kritik (inklusive des Einleitungsproblems) leiten die weitere Lektüre. Der so ausgerichteten Lektüre ist es – nebenbei bemerkt – weder um einen kompletten Kommentar zu tun, noch ist darin Hegels Darstellung der verschiedenen Philosophien auf ihre Korrektheit hin zu prüfen. Die Kantische Philosophie verdient laut Hegels Darstellung das Lob, die vernünftige Idee bewußt artikuliert zu haben – und um so schwerer wiegt der Tadel, daß sie diese Idee mit derselben Bewußtheit wieder verfälsche.11 Die Idee der absoluten Identität definiert die 10
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Als Hinweis auf die wahre Negation ist z.B. zu verstehen, daß vernünftiges Erkennen den beschränkenden Standpunkt eines erkennenden Subjekts nicht gelten lassen kann (GuW 322) oder daß vernünftiges Erkennen die beiden Relata der verständigen Relation von Unbedingtheit und Bedingtheit gleichermaßen vernichtet (GuW 322f.). Als Andeutung der gültigen Anschauung des Absoluten sei beispielsweise die vollkommene oder ewige Anschauung angeführt (GuW 317f. bzw. 318f.), die der ins Endliche gebannten schönen und empirischen Subjektivität verschlossen bleiben muß. Wenn Hegel von der Anschauung und der Erkenntnis des Absoluten spricht (z.B. GuW 322), ist damit zwar eine Einschränkung der vernünftigen Erkenntnis als einziger Möglichkeit der Teilhabe am Absoluten, aber keine endgültige Entgegensetzung vorgenommen. Möglicherweise ist Hegels positive Bewertung der Anschauung ein Zugeständnis an Schelling als Mitherausgeber des Kritischen Journals der Philosophie, s. W. Jaeschke Die Vernunft in der Religion. Studien zur Grundlegung der Religionsphilosophie Hegels, Stuttgart, Bad Cannstatt 1986, S. 146. Das Urteil, der Kantische Kritizismus verspiele sein auf Einheit angelegtes Unternehmen in der zementierten Entzweiung, fällt Hegel z.B. GuW 343: „So wie die wahrhaft speculative Seite der Kantischen Philosophie allein darin bestehen kann, daß die Idee so bestimmt gedacht und ausgesprochen worden ist, und wie es allein interessant ist, dieser Seite seiner Philosophie nachzugehen, so viel härter ist es, das Vernünftige nicht etwa nur wieder verwirrt, sondern mit vollem Bewußtseyn die höchste Idee verderbt und die Reflexion und endliches Erkennen über sie erhoben werden zu sehen.“
2.1. Der ‚spekulative Karfreitag‘ als Aufgabe der Philosophie
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Wissenschaft, es gilt, von dieser Idee „[…] ganz allein die Philosophie anzufangen und sie als den alleinigen Inhalt derselben anzuerkennen“ (GuW 325).12 Beiseite sei bemerkt, daß mit dieser das Reich der Philosophie eröffnenden wie erschöpfenden Idee nicht das Problem der Einleitung in die Wissenschaft gelöst ist. Die absolute Identität, deren Artikulation Kant bescheinigt wird, läßt sich als Einheit jenseits des Entgegensetzens fassen, das bedeutet, auch der Gegensatz von Einheit und Nicht-Einheit ist in der absoluten Einheit aufgehoben. Gegenüber dem in Entgegensetzung Befangenen verhält sich die absolute Identität nicht ausschließend, sondern indifferent: das isolierte Endliche, jedwedes mit dem Anspruch auf Unbedingtheit auftretende Bedingte ist nichtig, und das heißt in der Tat gleich gültig. Die absolute Identität ist keine aus der Vereinigung des Getrennten nachträglich gewonnene Einheit, sondern geht jeder Trennung als die Getrennten konstituierend voraus. Um die ursprüngliche vernünftige Identität zu explizieren und von der bloß formalen, verständigen Identität zu unterscheiden, sei an alternative Begriffsformen Hegels erinnert: die Beziehung von Beziehung und Entgegensetzung, die Identität von Identität und Nicht-Identität ist von der reinen Beziehung, von der der Nicht-Identität entgegengesetzten Identität zu unterscheiden.13 Das Fanal der Vernunftidee in der Kantischen Philosophie ist die Frage: „wie sind synthetische Urtheile a priori möglich“ (GuW 326), deren Beantwortung die absolute Identität enthält, das gemeinsame Prinzip der verschiedenen menschlichen Vermögen. Die vernünftige Identität wird allerdings nicht unmittelbar dargestellt, sondern so, wie sie im Bewußtsein erscheint. Das sei durch Hegels Diskussion des Urteils veranschaulicht: […] allein jene Einheit ist bey Kant unwidersprechlich die absolute, ursprüngliche Identität des Selbstbewußtseyns, welche apriorisch absolut aus sich das Urtheil setzt, oder vielmehr als Identität des Subjectiven und Objectiven im Bewußtseyn als Urtheil erscheint; diese ursprüngliche Einheit der Apperception, heißt synthetisch eben wegen ihrer Doppelseitigkeit, weil in ihr das Entgegengesetzte absolut Eins ist […]. (GuW 328)
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Vgl. Hegel über den praktischen Glauben der Kantischen Philosophie als lediglich entstellten Ausdruck der absoluten Identität von Denken und Sein: „Diese Idee ist nun durchaus keine andere, als diejenige, welche der ontologische Beweis, und alle wahre Philosophie als die erste und einzige, so wie allein wahre und philosophische erkennt.“ (GuW 345). Dieser hier zur erläuternden Paraphrase frei wiedergegebenen Begriffsformen bedient sich Hegel zur Bestimmung seines emphatischen Lebensbegriffs und des Absoluten im sogenannten ‚Systemfragment von 1800‘ respektive in der im Folgejahr veröffentlichten ‚Differenz-Schrift‘.
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2. Hegels Begriff der Negativität
Die absolute Identität konstituiert die Trennung, die vom urteilenden empirischen Bewußtsein allein berücksichtigt wird. Sind im Urteil Besonderes und Allgemeines, Subjekt und Prädikat, auch auseinander getreten, so zeigt das Urteil der forcierten Nicht-Identität zum Trotz die zugrundeliegende Identität an – Hegel verweist auf die im Urteil nicht reflektierte Kopula ‚ist‘. Das Urteil ist demzufolge im doppelten Sinne Erscheinung der Vernunft: bei ausschließlich beachteter Trennung der Relata bloßer Schein, bei Achtsamkeit auf die implizierte, der Nicht-Identität vorausgehende Identität Widerschein der Vernunft.14 Mit Hilfe dieses Doppelsinns läßt sich auch Hegels Kritik der Kantischen Philosophie beschreiben. Daß die Philosophie die Erscheinung der Vernunft berücksichtigt, ist spekulativ, wenn die erscheinende Trennung als mittelbare Darstellung der vernünftigen Einheit begriffen wird. Wenn allerdings die Erscheinung fixiert und damit die vernünftige Erkenntnis unterbunden, wenn die Erscheinung absolut gesetzt und dadurch weder Erscheinung noch Wesen in Wahrheit erkannt wird, hat die Reflexionsphilosophie gesiegt; so läßt sich beispielsweise der fixierten Nicht-Identität des Urteils die Identität des im Urteil Unterschiedenen entgegenhalten, aber diese in Satz und Gegensatz fortschreitende Negation bedeutet unübersteigliche Relationalität. Das Abfallen vom spekulativen Unternehmen markiert Kants Bewertung des Verstandes: einerseits wird die Unmöglichkeit einer verständigen Erkenntnis des Wesens der Dinge (Ding an sich) bewiesen, andrerseits die Möglichkeit einer vernünftigen Erkenntnis verneint und damit dem Verstand das Monopol menschlichen Erkennens zugesprochen. Mit dem Verhältnis von Erkennendem und Erkanntem befaßt, unterbleibt der Schluß von der Scheinhaftigkeit des Objekts auf die des Subjekts – und damit die wahre Negation beider Relata – zugunsten der festgestellten Relation und eines allein gültigen Relatums. Die Absolutsetzung verständiger Erkennt14
In seiner die Auseinandersetzung mit ‚Urteil und Sein‘ fortführenden Darlegung konfrontiert Hegel das die Nicht-Identität ausdrückende Urteil mit dem die NichtIdentität wie die Identität zur Erscheinung bringenden Schluß: „Das Vernünftige […] dieses Urtheils, die absolute Identität, als Mittelbegriff, stellt sich aber im Urtheil nicht, sondern im Schluß dar; im Urtheil ist sie nur die Copula: ist, ein Bewußtloses; und das Urtheil selbst ist nur die überwiegende Erscheinung der Differenz […]“ (GuW 328). Vgl. zu Hegels Diskussion von Urteil und Schluß z.B. G. Ralfs „‚Glauben und Wissen‘. Eine Interpretation von Hegels Journal-Aufsatz aus dem Jahre 1802“, a.a.O., S. 234f.; R. Hanna „From an Ontological Point of View: Hegel’s Critique of the Common Logic“ in The Hegel Myths and Legends, ed. by J. Stewart, Evanston, Illinois 1996, S. 253-281.
2.1. Der ‚spekulative Karfreitag‘ als Aufgabe der Philosophie
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nis ist um so bedauerlicher, als dadurch vernünftige Momente verloren gehen, die aufgrund der Ableitung des Verstandes aus der absoluten Identität im Verstandesvermögen und besonders deutlich in der Idee eines ‚intuitiven Verstandes‘ vorliegen.15 Die Relationalität, für die der absolut gesetzte Verstand verantwortlich ist, wird erkannt, ein vernünftiges Überwinden der Verhältnismäßigkeit aber dem Glauben und nicht dem Wissen überlassen. Die Einsicht in die Beschaffenheit der für das Wissen konstitutiven Negation, die als bloß entgegensetzend den Dualismus perpetuiert, bewirkt die Forderung einer nicht dualistischen Negation, die das Vernichtetwerden der beiden Opponenten eines Gegensatzes impliziert – wohlgemerkt, nur die Forderung. In dem Gegensatz von (verendlichter) Unendlichkeit und Endlichkeit innerhalb des Wissens und der Gegenüberstellung von bedingtem Wissen und unbedingtem Glauben ist unschwer das eingangs erläuterte ‚subjektive Prinzip‘ auszumachen, das Charakteristikum 15
Wenngleich Hegels Argumentation hier nicht wiedergegeben werden kann, sei doch angemerkt, daß die vernünftige Einheit als Prinzip auch des Verstandesvermögens gleichsam eine Relativierung des bloßen Gegensatzes von Einheit und Trennung erfordert. In der die ‚Zweiheit‘ des Gegensatzes auflösenden ‚Dreiheit‘ besteht die spekulative Leistung. „In diese Triplicität ist allein der Keim des Speculativen gelegt, weil in ihr zugleich ursprüngliches Urtheil, oder Dualität, also die Möglichkeit der Aposteriorität selbst liegt, und die Aposteriorität auf diese Weise aufhört, dem Apriori absolut entgegengesetzt, und ebendadurch das Apriori auch, formale Identität zu seyn. Die reinere Idee aber eines Verstands, der zugleich aposteriorisch ist, die Idee der absoluten Mitte eines anschauenden Verstandes werden wir nachher berühren.“ (GuW 335, vgl. 340-343). Hier ist das Augenmerk auf den Begriff der Mitte zu richten. Mit diesem Begriff wird das Dynamisieren einer statischen Relation angezeigt, das heißt, die Mitte erlaubt ein In-Beziehung-Setzen von sowohl Beziehung als auch Entgegensetzung der Relata. Durch die Spezifizierung der Mitte als ‚absolute Mitte‘ ist angezeigt, daß mit der Mitte nicht zwangsläufig die Aufhebung jeder Entgegensetzung verbunden ist. Um die Relevanz der Mitte als Vermittlungsmöglichkeit zu illustrieren – die auch in verwandten Begriffsbildungen, z.B. dem den Schluß gegenüber dem Urteil auszeichnenden „Mittelbegriff“ (GuW 328), zu beobachten ist –, seien einschlägige Belege aus dem Kant-Abschnitt der Abhandlung angegeben: GuW 336, 337, 338, 343, v.a. 344 und 346; vgl. den späteren Hinweis auf Platons Timaios als Referenztext, GuW 372. Ferner darf der Hinweis auf die eminente Verwendung des Mittebegriffs in den Jenaer Systementwürfen der Jahre 1803-04 nicht unterbleiben, verfolgen diese Vorlesungsmanuskripte doch den Weg des Bewußtseins qua Mitte durch eine Reihe unvollständiger Vermittlungen hin zur vollständigen, der ‚Mitte der Mitten‘. Hegel Jenaer Systementwürfe I. Das System der spekulativen Philosophie, Fragmente aus Vorlesungsmanuskripten zur Philosophie der Natur und des Geistes, neu hrsg. v. K. Düsing und H. Kimmerle, Hamburg 1986, S. 189-232. Vgl. B. Lypp „Philosophie als ‚sich vollbringender Skeptizismus‘“, a.a.O., v.a. S. 527f.
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2. Hegels Begriff der Negativität
der Reflexionsphilosophie. Soll die Kantische Philosophie, deren Zugehörigkeit zu den Reflexionsphilosophien erwiesen ist, schließlich innerhalb dieser Philosophien genauer situiert werden, so repräsentiert sie die objektive Form der ‚absoluten Subjektivität‘. Diese befremdliche Formulierung besagt, daß die Gegensätze der Reflexionsphilosophie zwar nicht überwunden werden, daß aber Kants Philosophie „[…] von beyden Theilen der Reflexion, dem Endlichen und Unendlichen, das Unendliche über das Endliche erhebt, und hierin das Formelle der Vernunft wenigstens geltend macht.“ (GuW 346). Die Unendlichkeit der Vernunft ist in Entgegensetzung zur Endlichkeit, als formale Unendlichkeit, lanciert. Wenn man den als ‚subjektives Prinzip‘ oder ‚absolute Subjektivität‘ bezeichneten Sachverhalt als fixierte Besonderheit umschreibt, wird die Spannung zur objektiven Form besonders deutlich. Eine Philosophie der fixierten Besonderheit in einer vom Besonderen abstrahierenden Form bedeutet die äußerste dem ‚subjektiven Prinzip‘ mögliche Abstraktheit – und bereitet das Aufheben der Besonderheit vor: „[…] und die Subjectivität ist allein durch ihre Reinheit fähig, in ihr entgegengesetztes, die Objectivität überzugehen […]“ (GuW 346). Die Zuspitzung des Kontrasts birgt die Möglichkeit des Übergangs in sich, die Hegel aber an dieser Stelle nicht weiter verfolgt. Als Gegenstück zu der von Kant repräsentierten objektiven Form stellt die Jacobische Philosophie die subjektive Form der Reflexionsphilosophie dar,16 sie hält sozusagen dem Endlichen die Treue. Der von Kant durch die Ausrichtung auf die formale Unendlichkeit bereitete Weg wird verlassen, der Anfang wahrer Philosophie nicht genutzt (GuW 350). Seine besonders ausführliche Darstellung der Jacobischen Philosophie, die wohl der Popularität dieser subjektiven Reflexionsphilosophie als eines Themas verschiedenster Variationen Rechnung trägt, gliedert Hegel nach dem darin vertretenen Wissens- und Glaubensbegriff. Der Verstand ist Jacobis epistemologischer Gewährsmann, die ‚natürliche‘ Philosophie (GuW 356f.) läßt ausschließlich formales Wissen gelten. Erkenntnisgewinn bedeutet demzufolge die dem Satz vom zu vermeidenden Widerspruch gehorchende Untersuchung des empirisch Gegebenen (auch der Satz des Grundes wird durch die Unterscheidung zweier unverbundener Bedeutungen, das heißt Identität und Kausalität, dualistisch verstanden). Aus der Spinoza-Kritik, die Jacobi, mit dem Rüstzeug des formalen Wissens ausgestattet, vornimmt, ist die Kollision zweier Unendlichkeitsbegriffe 16
Vgl. die Synopse von Kantischer und Jacobischer Philosophie GuW 383.
2.1. Der ‚spekulative Karfreitag‘ als Aufgabe der Philosophie
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hervorzuheben (GuW 354-359): das „infinitum actu“ (GuW 354) Spinozas, das wirklich Unendliche, ist definiert als „[…] die absolute Affirmation der Existenz irgend einer Natur; das Endliche im Gegentheil als eine theilweise Verneinung.“ (GuW 354). Das durch entgegensetzende Negation produzierte Endliche ist in dem Unendlichen eingeschlossen, das selbst, absolut affirmativ, gerade nicht negiert und nicht bestimmt ist (omnis determinatio est negatio). Durch Abstraktion, das heißt durch Isolation der im Unendlichen enthaltenen Momente, läßt sich dem Unendlichen das Endliche gegenüberstellen; die entgegensetzende Negation trennt das unbedingte Unendliche von dem bedingten Endlichen. Statt diesen durch Abstraktion hervorgebrachten Gegensatz, in dem jedes Relatum nur das Gegenteil des anderen und dadurch bedingt ist, zu vernichten, kann sich das Bewußtsein in der reflexiven Bedingtheit einrichten. Der Gegensatz wird durch Fixierung positiviert, die einander bestimmenden Relata im Gegensatz festgestellt. Das Bewußtsein begnügt sich mit dem auf diese Weise als ‚nicht-bestimmt‘ bestimmten Absoluten.17 Von dieser Position des relationalen oder empirischen Unendlichen aus (die Jacobi vertritt) ist Spinozas Unendliches schlicht ‚unverständlich‘. Das Relationalität überhaupt erst ermöglichende Unendliche kann von dem formal Wissenden allenfalls in der Sphäre des Endlichen fixiert werden, und innerhalb des Herrschaftsbereichs des Verstandes ist die Kritik des derart verfälschten Vernünftigen als Ungereimtheit billig.
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Das Unendliche Spinozas ist der intellektuellen Anschauung vorbehalten, in der das spontane Zusammenbrechen der verständigen Verhältnisse erlebt wird; demgegenüber besteht die Jacobische Unendlichkeit gerade in der Befestigung der Verhältnisse durch die in der Analyse allein waltende entgegensetzende Negation. Zur Illustration sei eine (auch terminologisch interessante) Konfrontation der beiden Unendlichkeitsbegriffe und der zugehörigen intellektuellen Anschauung bzw. verständigen Analyse angeführt: „Wir sehen in diesem Beispiel [Spinozas mathematischem Gleichnis, d. Verf.] nemlich das Unendliche, das oben als die absolute Affirmation, oder der absolute Begriff bestimmt worden ist, zugleich für die Anschauung, also im Besondern dargestellt, und der absolute Begriff ist actu die Identität Entgegengesetzter; werden diese Theile auseinander gehalten, und als solche identisch gesetzt, ist dieß Besondere, als solches wirklich gesetzt, in Zahlen ausgedrückt, und soll es in seiner Incommensurabilität nach dem Begriff identisch gesetzt werden, so entspringt die empirische Unendlichkeit in den unendlichen Reihen der Mathematiker; die Incommensurabilität aber besteht darin, daß das Besondere von der Subsumtion unter den Begriff entbunden, in Theile zerlegt wird, und diese absolut bestimmte und absolut gegeneinander ungleiche sind, und wenn sie vorhin im intuitiven Begriff gleichgesetzt, itzt einander verglichen werden, nicht mehr in der Identität, sondern nur im Verhältnisse sind […].“ (GuW 357f.).
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2. Hegels Begriff der Negativität
In einer für das hier leitende Interesse zentralen Zusammenführung der Begriffe Unendlichkeit und Negativität bestimmt Hegel „de[n] wahre[n] Charakter des Denkens, der Unendlichkeit ist“ (GuW 358), wie folgt: […] indem nemlich der absolute Begriff Unendlichkeit, – an sich absolute Affirmation aber gegen das Entgegengesetzte und Endliche gekehrt ist, als ihre Identität, so ist es absolute Negation; und diese Negation als seyend, reell gesetzt, ist das Setzen entgegengesetzter; + A – A = 0; das Nichts existirt als + A – A, und ist seinem Wesen nach Unendlichkeit, Denken, absoluter Begriff, absolute reine Affirmation. (GuW 358)
Entscheidend ist die Beachtung der Perspektive: das Unendliche erscheint quasi ‚für das Endliche‘. Das Unendliche erscheint im Endlichen als Negation, und zwar im Unterschied zu der das Endliche konstituierenden Entgegensetzung als absolute Negation. Das Unendliche darf das Endliche nicht ausschließen, da es in der (ausschließenden) Beziehung sein unbedingtes Wesen einbüßt. Vom Standpunkt des dem Unendlichen immanenten Endlichen aus erscheint das Unendliche deshalb nicht als Gegenstand, sondern als ‚schlechthin Nichts‘. Allein durch das Setzen Entgegengesetzter ist die Verendlichung des Unendlichen – die Verendlichung durch das Positionieren innerhalb eines Gegensatzes – verhindert. Damit ist die Aufgabe vernünftigen Erkennens vorgegeben: die verständige Entgegensetzung nicht länger mittels entgegensetzender Negation zu überbieten, sondern die Vernichtung der beiden im Gegensatz stehenden Bestimmungen zu bewerkstelligen. Statt sich in der schlechten Unendlichkeit der (beliebig wiederholbaren) Entgegensetzung von Entgegensetzung und Vereinigung zu verlieren, gilt es, sich dem Nichts der Reflexion zu stellen.18 Diese Aufgabe der Philosophie ist deutlicher zu erkennen, wenn Hegel schließlich synoptisch drei Formen der Unendlichkeit unterscheidet. Der für den Begriff der Negativität fundamentale Überblick sei hier vollständig wiedergegeben: […] das wahrhafte Unendliche ist die absolute Idee, Identität des Allgemeinen und Besondern, oder Identität des Unendlichen, und Endlichen selbst; nemlich des Unendlichen, insofern es einem Endlichen entgegengesetzt ist, und dieses Unendliche ist reines Denken, gesetzt als diese Abstraction ist es reine absolutformale Identität, reiner Begriff, Kantische Vernunft, Fichte’sches Ich. Aber gegen dieses Endliche gestellt, ist es 18
Vgl. GuW 369: „[…] daß für die Reflexion das Nichts da anfängt, wo keine absolute, isolirte, von der absoluten Substanz abstrahirte Endlichkeit, und daß die dem Nichts der Reflexion entgegengesetzte Realität der Reflexion, das Etwas der Reflexion schlechthin nur diese absolute Entgegensetzung und absolute Endlichkeit ist.“ Im Fichte-Abschnitt der Abhandlung wird das absolute Nichts der Reflexion wiederholt thematisiert, GuW 396, 398f.
2.1. Der ‚spekulative Karfreitag‘ als Aufgabe der Philosophie
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ebendeßwegen, absolutes Nichts desselben, + A – A = 0; es ist die negative Seite der absoluten Idee; dieses Nichts als Realität gesetzt, die Unendlichkeit selbst nicht als Subject oder Produciren, als welches sie reine Identität sowohl als Nichts ist, sondern als Object, oder Product, ist sie das + A – A, das Setzen entgegengesetzter. Aber keine von diesen Formen der Unendlichkeit ist noch die Unendlichkeit der Einbildung, oder die empirische; die erste Unendlichkeit ist die der absoluten Vernunft; die Unendlichkeit der reinen Identität oder der Negativität ist die der formalen oder negativen Vernunft; das Unendliche aber, in seiner Realität, als + A – A, wovon das eine selbst als unendliches, das andere als endliches bestimmt wird, oder die Endlichkeit überhaupt, ist das der Reflexion und der Einbildung, wozu das oben angezeigte gehört, wenn ein Endliches als absolut d.h. zugl. als ein anderes gesetzt werden soll. (GuW 358f.)
Die erste Form, das wahre Unendliche, kann als Absolutes nicht entgegengesetzt sein. Die zweite Form ist demgegenüber abstrakt und formal, mit der Entgegensetzung von Unendlichem und Endlichem versehen, allerdings steht sie für die totale Vernichtung des Endlichen. Die Verdinglichung des Unbedingten durch seine Beziehung zum Bedingten wird vermieden, indem das Unbedingte als absolute Negation des Bedingten erscheint – der Ausdruck „die negative Seite der absoluten Idee“ vereinigt die Momente des In-Beziehung-Setzens und des gleichzeitigen Bewahrens der Absolutheit.19 Die Unendlichkeit wird nicht als Subjekt, als die verständigen Gegensätze konstituierend begriffen, sondern gewissermaßen von diesen produzierten Gegensätzen her durch deren Vernichtung. Die dritte Form der Unendlichkeit ist durch uneingeschränktes Entgegensetzen definiert; das Unbedingte wird in der widersinnigen Form des bedingten Unbedingten postuliert. Von Hegels detaillierter Darlegung ausgehend, kann man die Aufgabe vernünftigen Erkennens folgendermaßen präzisieren: das absolute Nichts durch Selbstdestruktion der Reflexion zustande zu bringen und auszuhalten, das heißt, die negative Seite des Absoluten nicht sofort durch Reflexion zu positivieren. Die Strategie, die zerstörerische negative Seite des Absoluten als Unendliches in einem verständigen Gegensatz gegen das Endliche zu entschärfen, kennzeichnet die Reflexionsphilosophie. 19
An dieser Stelle mag eine Anmerkung zu dem Begriff ‚Seite‘ hilfreich sein. Hegels Absicht hintertreibend, kann die Rede von der negativen Seite des Absoluten zu der Vorstellung fester Entgegensetzungen verleiten: die damit bezeichnete Vernichtung des Endlichen durch das wahre Unendliche ist nicht in eine fixe Entgegensetzung zu übertragen, hier das ‚außerhalb‘ des wahren Unendlichen bestehende Endliche – dort das wahre Unendliche. Weder die Errichtung eines dem Absoluten entzogenen ‚Außen‘ noch die fixe Unterscheidung eines negativen und eines positiven Absoluten würde der Vernunft gerecht.
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2. Hegels Begriff der Negativität
Wäre die Jacobische Philosophie ganz und gar dem formalen Wissen, das sie vorgeblich als allein gültiges anerkennt, verpflichtet, ließe sich Hegels Interesse an dieser Form der Reflexionsphilosophie nur schwer erklären. Doch Hegel kann auch in Jacobis Denken spekulative Momente aufzeigen, die dem verständigen Prinzip zuwiderlaufen; exemplarisch ist dafür der Begriff des ‚Sinnes‘, der als Mitte zwischen Subjekt und Objekt die verständige Entgegensetzung überwindet.20 Problematisch sind diese spekulativen Anläufe, die (in der gerade erarbeiteten Begrifflichkeit) ein Aufgeben des Standpunkts der empirischen zugunsten der absoluten Unendlichkeit andeuten, weil sie bloß ‚geistreich‘, das heißt subjektiv, mit Einschränkungen versehen, vorgebracht werden. Die vernünftigen Bruchstücke widersetzen sich dem der Philosophie allein angemessenen „articulirten wissenschaftlichen Worte (Logos)“ (GuW 360), sie bleiben letztlich unphilosophische „Anfänge von philosophischen Gedanken“ (GuW 399).21 Das der Jacobischen wie jeder Reflexionsphilosophie zugrundeliegende subjektive Prinzip bewirkt, daß auch der Glauben in ein Bedingtes verwandelt ist. So entlarvt Hegel den Jacobischen Glaubensbegriff als Rettungsversuch des endlichen Subjekts, das sich gerade im Eingestehen seiner Endlichkeit zu bewahren weiß.22 (Die Ausdehnung des Glaubensbegriffs „auf die empirische unmittelbare Vorstellung der gemeinen Objectivität“ (GuW 375), die Hegel Jacobi vorwirft und in der er die Abstammung der deutschen Reflexionskultur
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Hinsichtlich Jacobis Begriff des ‚Sinnes‘ s. GuW 361, 369, 372, 375. An der ersten der angegebenen Textstellen entwirft Hegel, Jacobis Darstellung kommentierend, ein Bild der absoluten Unendlichkeit: „Die Mitte aber dieses Cirkels, welche Mittelpunkt und Peripherie zugleich ist und den Wechsel festhält, nicht eins verschwinden läßt, so wie das Andere auftritt, würde die Idee der Vernunft, der absoluten und doch zweyendigen Identität des Einen und Vielen seyn […].“ Dieses Bild der wahren Identität gleicht mutatis mutandis Philosophemen, denen gemäß Gott als Mittelpunkt und Kugel zugleich vorzustellen ist; vgl. F. Kaulbachs Artikel „Punkt, Punktualität“ in Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. v. J. Ritter und K. Gründer, Bd. 7, Darmstadt 1989, Sp. 1711-1714. Ergänzend sei noch darauf hingewiesen, daß Hegel für die Vernunft auch das Modell des Organismus wählt und sie damit von dem bloß mechanischen Verstand abgrenzt (z.B. GuW 372). Vgl. GuW 361f., 375. GuW 375: „[…] dieß Verhältniß nun einer absoluten Endlichkeit zum wahrhaft Absoluten ist der Glaube, in welchem die Subjectivität sich zwar vor dem Ewigen als Endlichkeit und Nichts anerkennt, aber selbst dieß Anerkennen so einrichtet, daß sie sich als ein an sich, außer dem Absoluten seyendes rettet und erhält.“; vgl. GuW 379f., 382f.
2.1. Der ‚spekulative Karfreitag‘ als Aufgabe der Philosophie
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vom englischen Empirismus angezeigt sieht, sei hier übergangen.)23 Der Glauben an die absolute Identität verdeutlicht die Gewaltsamkeit, die mit der negativen Seite des Absoluten verbunden ist. Die Unzulänglichkeit der Reflexion wird erkannt, doch statt sich konsequenterweise dem absoluten Nichts der Reflexion auszusetzen, gesteht das gläubige Subjekt lieber seine Schwäche ein – und hat sich in der halbherzigen Negation seiner selbst eigenmächtig bestätigt. Man kann von einem befangenen – also mittelbaren oder reflektierten – Glauben sprechen. Weder wird die Entgegensetzung von Endlichem und Unendlichem des verständigen Wissens im Glauben zunichte, noch vernichtet sich das endliche reflektierende Subjekt im Glauben. Hegel kontrastiert diese Rettung des Endlichen mit dem unbefangenen Glauben: „Die ganze Sphäre der Endlichkeit, des selbst Etwas seyns, der Sinnlichkeit, versinkt im wahrhaften Glauben vor dem Denken und Schauen des Ewigen, was hier Eins wird, alle Mücken der Subjectivität verbrennen in diesem verzehrende[n] Feuer, und selbst das Bewußtseyn dieses Hingebens und Vernichtens ist vernichtet […].“ (GuW 379). Die unendliche Hingabe, die der naive Glauben als „reine rücksichtlose Position“ (GuW 379) aufbringt, bleibt dem befangenen Subjekt verschlossen. Der Weg zum Absoluten führt für das dem Bann der Reflexion unterworfene Subjekt gleichsam durch die Reflexion hindurch: durch das Setzen des Entgegengesetzten zu jeder Bestimmung und somit das Vernichten der beiden einander entgegengesetzten Bestimmungen – durch das absolute Nichts. Den Verlust jedes reflexiven Standpunkts, den der unbefangene Glauben ebenso wie die sich in die Selbstdestruktion treibende Reflexion mit sich bringt, versucht das im doppelten Wortsinne eitle Subjekt der Jacobischen Philosophie zu umgehen. Dementsprechend propagiert die praktische Philosophie Jacobis eine einseitig subjektive Sittlichkeit. Besonders deutlich zeigt sich Hegel zufolge die Gestalt der durch de23
Vgl. Hegels späteres Urteil über Hamanns ambigen Glaubensbegriff: „Auch die Sätze über den Glauben sind auf ähnliche Weise zunächst vom christlichen Glauben hergenommen, aber zu dem allgemeinen Sinn erweitert, daß die sinnliche Gewißheit von äußerlichen, zeitlichen Dingen – ‚von unserem eigenen Dasein und von der Existenz aller Dinge‘ – auch ein Glaube genannt wird. In dieser Erweiterung ist das Prinzip des Glaubens von Jacobi bekanntlich zu dem Prinzip einer Philosophie gemacht worden, und man erkennt in den Jacobischen Sätzen nahezu wörtlich die Hamannschen wieder. Der hohe Anspruch, den der religiöse Glaube, und zwar nur in Recht und Kraft seines absoluten Inhaltes hat, ist auf diese Weise auf das subjektive Glauben mit der Partikularität und Zufälligkeit seines relativen und endlichen Inhaltes ausgedehnt worden.“, Hegel Hamanns Schriften, TWA 11, 302.
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2. Hegels Begriff der Negativität
monstrative Selbstverleugnung nur potenzierten Subjektivität in Jacobis poetischen Arbeiten.24 So erfährt das endliche Subjekt im Glauben oder in der sittlichen Schönheit eine gewisse Beruhigung, doch handelt es sich um eine vom Narzißmus des Subjekts verunreinigte Versöhnung. Der Glauben ist als bewußtes Gegenstück zum unzulänglichen Verstand instrumentalisiert und das endliche Subjekt als Akteur in den Mittelpunkt gerückt, so daß die Versöhnung – zumal im Vergleich mit der den Schmerz festhaltenden schönen Subjektivität, die oben skizziert wurde – korrumpiert erscheint. Schlägt man den Jacobischen Weg der geretteten Subjektivität ein, ist sogar noch eine Potenzierung seiner Philosophie denkbar. In der potenzierten Gestalt (der subjektiven Form der Reflexionsphilosophie) vollzieht das Subjekt eine Vereinigung mit dem als ‚Universum‘, als lebendiges Ganzes, vorgestellten Objekt – und macht die tatsächliche Vereinigung apostatisch zur subjektiven Leistung.25 Damit wird in dieser philosophischen Strömung, der Hegel vor allem den Schleiermacher der Reden über die Religion zurechnet, die Entgegensetzung von Subjekt und Objekt kurzfristig überwunden, um dann die absolute Identität, die absolute Unendlichkeit, endgültig mit subjektiver Beschränkung zu versehen; diese Subjektivierung der objektiven Versöhnung kann 24
25
GuW 382: „[…] ein Betrachten seiner selbst, welches mit schöner Individualität eben die Verwandlung vornimmt, die mit dem Glauben vorging, nemlich durch dieß Bewußtseyn individueller Schönheit sich das Bewußtseyn der aufgehobenen Subjectivität und des vernichteten Egoismus zu geben, aber durch dieß Bewußtseyn gerade die höchste Subjectivität und innern Götzendienst gesetzt und sie zugleich gerechtfertigt zu haben.“; in seiner drastischen Polemik verwendet Hegel zur Charakterisierung des narzißtischen Subjekts auch die Metaphorik der „Unzucht mit sich selbst“ (GuW 383, vgl. 385). GuW 385: „Wenn das Diesseits, was Wahrheit hat, statt die Wirklichkeit zu seyn, das Universum, und die Versöhnung mit der Natur Identität mit dem Universum, als Empfindung unendliche Liebe, als Anschauung aber Religion ist, aber so, daß diese Identität selbst, es sey mehr als Passivität des Auffassens und innern Nachbildens oder mehr als Virtuosität, etwas schlechthin subjectives und besonderes bleiben, ihre Aeußerung nicht befestigen, noch ihre Lebendigkeit der Objectivität anvertrauen, und hiemit eben die vorige Reflexion der Sehnsucht auf das Subject behalten soll, so hat das Jacobische Princip die höchste Potenzirung erreicht, deren es fähig ist, und der Protestantismus, der im Diesseits Versöhnung sucht, hat sich auf das Höchste getrieben, ohne aus seinem Charakter der Subjectivität herauszutreten.“ Die zustimmend beschriebene Versöhnung durch Liebe respektive Religion gemahnt vielleicht an Hegels einschlägige Entwürfe aus der Frankfurter Zeit; allerdings führt seine eigene Fortentwicklung auch vor Augen, wie schwer die mit dem Liebesbegriff einhergehenden Probleme, z.B. die kritisierte Subjektivierung des objektiven Schauens, zu lösen sind.
2.1. Der ‚spekulative Karfreitag‘ als Aufgabe der Philosophie
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beispielsweise durch die Inthronisation des virtuosen religiösen Künstlers geschehen, der als endliches Subjekt für die Versöhnung verantwortlich zeichnet. Nach Hegels Kritik der Kantischen und Jacobischen als der objektiven und subjektiven Form der Reflexionsphilosophie steht nun noch seine Kritik der Fichteschen Philosophie aus, die – soviel läßt sich nach der geleisteten Arbeit schon formulieren – vor der Aufgabe des absoluten Nichts der Reflexion wie jede Philosophie des subjektiven Prinzips versagen muß. Die Fichtesche Philosophie versteht Hegel schematisch als den Versuch einer Vereinigung der beiden behandelten Formen der Reflexionsphilosophie. Der Mangel der einseitig objektiven beziehungsweise subjektiven Form werde jedoch nicht durch eine Vernichtung der Einseitigkeit behoben, sondern eine selbst mit dem Makel der Bedingtheit versehene Vermittlung als Lösung ausgegeben.26 Unabhängig von der Fichte zugeordneten ‚Kantianisierung‘ des Jacobischen Entwurfs, verdient das von Hegel konstatierte Fehlen radikaler Negativität Aufmerksamkeit. Man rufe sich die in der Auseinandersetzung mit Jacobis Unendlichkeitsbegriff entwickelten Unterscheidungen in Erinnerung (GuW v.a. 358f.): das Unbedingte, die absolute Identität, bedeutet Vernichtung des selbstgenügsamen Bedingten – ausschließlich auf diese Weise lassen sich Unbedingtheit und bloß Bedingtes überhaupt in ein Verhältnis setzen, nur so ist die Rede von der negativen Seite der Vernunft sinnvoll. Hinsichtlich der Fichteschen Philosophie lautet Hegels Urteil, daß diese, obwohl in Fichtes Ich die negative Seite der Vernunft herausgestellt ist, an der Aufgabe des absoluten Nichts scheitert.27 Die negative Seite der Vernunft, für die Fichtes Ich einsteht, wird (im strengen Wortsinn) vergegenständlicht, sie steht als Gegenstand in einer Differenz. Wo das absolute Nichts durch Verstandestätigkeit Gegenstand geworden, die negative Seite der Vernunft positiviert ist, bleibt das Absolute, die Vernunft, nicht unbeschädigt. Die als notwendig anerkannte Gewalt des absoluten Nichts, die beide Relata verständiger Relationen (und das bedeutet: denken26
27
Vgl. G. Ralfs „‚Glauben und Wissen‘. Eine Interpretation von Hegels Journal-Aufsatz aus dem Jahre 1802“, a.a.O., S. 249-255. In der erwähnten Passage, die die verschiedenen Begriffe der Unendlichkeit zusammenstellt, wird bereits Fichtes Leistung bestimmt: „Diese abstrahirte Unendlichkeit der absoluten Substanz ist dasjenige, was Fichte als Ich, oder reines Selbstbewußtseyn, reines Denken, nemlich als das ewige Thun, oder Produciren der Differenz, welche das reflectirte Denken immer nur als Product kennt, unserer neuen subjectivern Cultur näher gebracht hat.“ (GuW 358).
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2. Hegels Begriff der Negativität
des Subjekt wie gedachtes Objekt) gleichermaßen vernichtet, wird geflohen, der Bann der Reflexion erhält sich durch Positivierung des schlechthin Negativen; so kann Hegel festhalten: „[…] es gibt im Fichte’schen System, eben so wenig dasjenige Dritte, welches wahrhaftig das Erste und Einzige ist, als auch die nicht dualistische Negativität, die Unendlichkeit, das Nichts rein seyn kann; sie soll rein seyn, aber wird es nicht; sondern sie selbst wird wieder fixirt, und dadurch absolute Subjectivität.“ (GuW 399). Die Folgen der absoluten Subjektivität, die unüberwindliche Entgegensetzung von Bedingtem und Unbedingtem sowohl innerhalb des Wissens als auch im Gegensatz von Glauben und Wissen, weist Hegel ausführlich in Fichtes theoretischer und praktischer Philosophie nach.28 Den für diese Lektüre gewählten Leitbegriffen folgend, ist die Diskussion des Anfangs der wahren Erkenntnis von besonderem Interesse. Mit dem absoluten ‚Ich gleich Ich‘ sieht Hegel gerade ein Bestimmtes (ein Entgegengesetztes) zum Ausgangspunkt gemacht, und er erhebt den Einspruch, in der sogenannten ‚Deduktion der Sinnenwelt‘ werde das mangelhafte Absolute zum Behuf des postulierten Fortgangs instrumentalisiert. Das Fichtesche Ich soll gleichermaßen absolut und ‚rein‘ absolut sein: einerseits schlechthin unbedingt, andrerseits unbedingt als dem Bedingten entgegengesetzt. Diese beiden Bestimmungen des Ich werden nicht vereinigt. In der zweiten Bestimmung, als bedingt Unbedingtes, kann das Ich leicht als Anfangspunkt des Prozesses präsentiert werden, der aus der Leere reiner Identität als notwendiges Gegenüber die Fülle der Nicht-Identität ableitet. Der Mannigfaltigkeit des Endlichen bleibt Fichte also ex negativo ebenso verpflichtet wie Jacobi positiv. Ist jedoch die Differenz von Anfang an eingezogen, kann sie auch durch noch so engagiertes Reflektieren nicht mehr in absoluter Indifferenz getilgt werden. Demgegenüber betont Hegel, daß „[…] das Ganze das Erste der Erkenntniß seyn“ (GuW 393) muß.29 Wenn das Ganze qua Absolutes nur „durch wahrhafte intellectuelle Anschauung“ (GuW 392) zugänglich ist, bleibt die Aufgabe der 28
29
Als bündige Darstellung des subjektiven Prinzips in Fichtes Philosophie s. GuW 396, auch das Fazit 412. Die dem Ganzen ‚für die Erkenntnis‘ in derselben Passage (GuW 393) beigefügte Möglichkeit eines Ganzen ‚für die Vorstellung‘ wird als ungenügend verworfen. Sie bestünde darin, die Differenz zwischen Teil und Ganzem überhaupt nicht zu ziehen und sich derart unbefangen im Endlichen zu bewegen, daß durch bloße Vervollständigung der Bewegung eine Vorstellung des Ganzen zustande kommt. Der Makel der auf diese Weise erhaltenen Totalität ist die darin stillschweigend ausgeschlossene Differenz.
2.1. Der ‚spekulative Karfreitag‘ als Aufgabe der Philosophie
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Philosophie zu klären. Versteht man die Philosophie als konsequenten Gebrauch des Verstandes, so bleibt ihr das Ganze verschlossen – sogar das Bedürfnis nach Überwindung der alles ihrem System der Verhältnismäßigkeit einverleibenden Reflexion führt nur dazu, das Nichts der Reflexion in ein verstandesmäßig handhabbares Objekt zu verwandeln. […] die höchste Anstrengung des formalen Denkens ist die Anerkennung seines Nichts und des Sollens; aber weil es sich nicht wahrhaft aufgibt, ist das Sollen perennirend, es ist ein bleibendes Wollen, das nichts kann, als nur bis zur Unendlichkeit und zum Nichts, aber nicht durch dasselbe hindurch zur positiven vernünftigen Erkenntniß durchbrechen. (GuW 396)
Das wahre Erkennen erfordert die Vernichtung der reflexiven Bestimmungen, die das vertraute Verständnis von Selbst und Welt ausmachen. Nicht das artikulierte Bedürfnis nach dem Nichts der Reflexion, das den Artikulierenden gerade in der Bezugnahme auf das Nichts vor der Vernichtung bewahrt, sondern das tatsächliche ‚SichAufgeben‘ ist unumgänglich. Daß Hegel die Vernichtung der Reflexion als Passage zum Erkennen des Absoluten versteht, verändert nicht die Gewaltsamkeit der Vernichtung. Das Betreten dieser Passage gestattet dem Erkennenden nur die restlose Aufgabe der Reflexion, so auch seines sich durch verständige Entgegensetzung verfestigenden Selbst – und das ohne die Garantie des Durchbruchs zu vernünftiger Erkenntnis, die innerhalb der Sphäre der Reflexion ja nicht einsichtig gemacht werden kann. Als Anfang wahrer Philosophie gilt Hegel demzufolge, „das absolute Nichts zu erkennen“ (GuW 398), die negative Vernunft bezeugt sich darin, daß sie „[…] das Entweder, Oder, was ein Princip aller formalen Logik und des der Vernunft entsagenden Verstandes ist, in der absoluten Mitte schlechthin vertilgt […]“ (GuW 399).30 Das Erkennen des absoluten Nichts belegt die sich selbst vernichtende Reflexion: das zerstörerische ‚tertium datur‘ bricht die Macht des Verstandes, die Relata der verständigen Relation werden beide gleichermaßen vernichtet. An dieser Stelle sei deutlich hervorgehoben, daß die Vernichtung der verständigen, entgegensetzenden Negation in der (wie es weiter oben hieß) ‚nicht-dualistischen Negativität‘ keine schlechthinnige Verdammung des Verstandes darstellt: verurteilt wird der hybride Verstand, der sich in der Reflexionskultur zum Alleinherrscher ausgerufen hat. Erst durch den Anspruch der Reflexion auf absolute Erkenntnis (ein Anspruch, den die vom 30
Vgl. zum Begriff der Mitte die ausführliche Anmerkung oben (im Zusammenhang des Kant-Abschnitts) und im Fichte-Abschnitt von Hegels Abhandlung: GuW 387, 401.
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2. Hegels Begriff der Negativität
subjektiven Prinzip ableitbaren Erkenntnisformen direkt oder indirekt, ex negativo, erheben) wird die relative Wahrheit des Verstandes zur unerträglichen Trivialität, deren Unerträglichkeit das fortlaufende Bemühen um das vermeintliche Ganze nur steigert. Ein Fazit von Hegels Fichte-Kritik läßt sich vor der nun ausführlich entworfenen Aufgabe der Philosophie leicht geben: trotz der spekulativen Ausrichtung wird das absolute Nichts nicht zur ersten Aufgabe der Philosophie gemacht, geschweige denn die den Verstand zerrüttende Arbeit durchgeführt (als Surrogat für das damit vergebene Unendliche muß ein unendlicher Progreß, also eine verständige, empirische Unendlichkeit, oder ein dem Wissen entgegengesetzter Glauben dienen). In seiner Auseinandersetzung mit Fichte entwickelt Hegel ferner interessante Überlegungen zum Prozeßcharakter des wahren Unendlichen;31 ihre eindringlichste Gestaltung erfahren diese Überlegungen aber in den Schlußpassagen der Abhandlung, zu denen die Lektüre nun übergeht. Hegel hebt in den die Abhandlung schließenden Abschnitten die Bedeutung der Negativität hervor, um (vor dem Hintergrund der erarbeiteten Einsichten) den gegenwärtigen Stand der Philosophie, die Leistung der drei kritisierten Entwürfe und die Aufgabe zukünftigen Philosophierens genau zu bestimmen. Die Situation der Entzweiung bleibt bestehen, wenn die Reflexionsphilosophie den Status der Unbedingtheit statt der Objektseite nun der Subjektseite zuerkennt. Der Verstandesdogmatismus produziert auch in der neuesten Philosophie, die sich dem subjektiven Prinzip (mit seiner Entgegensetzung von Unendlichem und Endlichem sowie dem dieser Entgegensetzung wieder entgegengesetzten Jenseits) verschrieben hat, unüberwindliche Gegensätze. Das in den Mittelpunkt gerückte Subjekt kann die Entgegensetzung innerhalb des Wissens beziehungsweise von Glauben und Wissen nicht aufheben. Mit den entsprechenden Ausführungen zu Seele, Welt und Gott erscheint die ‚Metaphysik der Subjektivität‘ als Spiegelbild ihrer auf einseitiger Objektivität gründenden Vorgängerin (GuW 412). Trotz der Fortsetzung der Entzweiung deutet die Entwicklung der Reflexionsphilosophie auf eine Zäsur: das subjektive Prinzip ist in all seinen sich gegenseitig widersprechenden Formen gestaltet. Die drei behandelten Philosophien haben als objektive, subjektive und objektiv-subjektive Form je ein im gemeinsamen subjektiven Prinzip enthaltenes Moment fokussiert; das jeweilige Moment wurde zum Unbedingten 31
V.a. GuW 408.
2.1. Der ‚spekulative Karfreitag‘ als Aufgabe der Philosophie
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erklärt und die zugehörige Reflexionsphilosophie konsequent ausgeführt. Die vollständige Verwirklichung dieser Philosophie, die keine wesentlich neue Form mehr erhalten kann, drängt auf die Überwindung des zugrundeliegenden Prinzips, auf den Ausdruck der wahren Unendlichkeit, der Vernunft. Entsprechend bewertet Hegel die gegenwärtige ‚Bildung‘ der Philosophie: „[…] so ist hierinn unmittelbar die äußere Möglichkeit gesetzt, daß die wahre Philosophie, aus dieser Bildung erstehend, und die Absolutheit der Endlichkeiten derselben vernichtend, mit ihrem ganzen, der Totalität unterworfenen Reichthum sich als vollendete Erscheinung zugleich darstellt […].“ (GuW 413). Hegels Kritik hat demnach das Ziel, den gegenwärtigen Zustand der Philosophie und die in ihm liegende Möglichkeit seiner Überwindung begreifbar zu machen. Eine Überwindung, die nur durch immanente Kritik erfolgen kann – das Formulieren eines ‚vernünftigen Standpunkts‘ im Modus der Entgegensetzung würde die Herrschaft der Reflexion nur verlängern. In der erschöpfenden Kritik des subjektiven Prinzips, die der durch gegensätzliche Ausbildung desselben Prinzips generierten ‚Bildungsreihe‘ in ihrer Vollständigkeit nachgeht, ist die Forderung des absoluten Nichts enthalten. Nur durch immanente und systematische Kritik des Falschen fördert die philosophische Kritik das Auftreten des Wahren.32 32
Vgl. mit der Vorsicht, die aufgrund der unklaren Urheberschaft geboten ist, die von Hegel unter Mitwirkung Schellings verfaßte Einleitung. Über das Wesen der philosophischen Kritik überhaupt und ihr Verhältnis zum gegenwärtigen Zustand der Philosophie insbesondere, TWA 2, 171-187. Diesem Programm des Kritischen Journals der Philosophie zufolge stellt philosophische Kritik die Frage, inwieweit der untersuchte Gegenstand dem Maßstab der Vernunft genügt. Die Antwort kann durch immanente Kritik erfolgen, die sich den Kontrast zwischen beanspruchter Unbedingtheit und tatsächlich vorliegender Bedingtheit zunutze macht. Dabei gebührt den philosophischen Arbeiten, die die Entzweiung mit dem Gegensatz von Glauben und Wissen in äußerster Abstraktion aufstellen, das Verdienst, als Extrem dem Übergang in die Vernunft gleichsam vorzuarbeiten; die auf die Spitze getriebene Entzweiung impliziert die eigene Vernichtung in der unbedingten Einheit (ebd. 181f.). Damit die Kritik des Mangelhaften aber zu der Erkenntnis des Wahren führen kann, ist die Möglichkeit einer solchen vernünftigen Erkenntnis einzuräumen: „Es muß notwendig an die Möglichkeit einer solchen wirklichen Erkenntnis, nicht bloß an jenes negative Durchwandern oder perennierende Aufschießen neuer Formen geglaubt werden, wenn eine wahre Wirkung von einer Kritik derselben, nämlich nicht ein bloß negatives Zerschlagen dieser Beschränktheiten, sondern von ihr eine Wegbereitung für den Einzug wahrer Philosophie erwartet werden soll […].“ (ebd. 185). Hegels Kritik in Glauben und Wissen setzt die Möglichkeit wahrer Erkenntnis voraus, beschränkt sich aber weitgehend auf den Appell, die Konsequenzen aus dem erkannten Bann der Reflexion zu ziehen und sich dem absoluten Nichts zu stellen.
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2. Hegels Begriff der Negativität
Um die Reflexionsphilosophie der Subjektivität, deren Formen der wahren Philosophie direkt vorhergehen, innerhalb der Philosophiegeschichte qua Bildungsgang des Denkens gerecht zu bewerten, ist der Begriff der Negativität maßgebend. Die zentrale Zusammenführung von Unendlichkeit und Negativität wird aufgegriffen, jetzt allerdings zusätzlich der Prozeßcharakter des Absoluten betont. Die negative Vernunft, die die empirische Unendlichkeit schlechthin vernichtende Negation, ist Motor der Bewegung, die die wahre Unendlichkeit konstituiert. Das Begreifen dieser durch die Destruktion produktiven Negativität leitet Hegels Urteil. Als entscheidende Frage gilt, inwieweit in den behandelten Philosophien das Denken als Unendlichkeit und negative Seite des Absoluten, welche die reine Vernichtung des Gegensatzes, oder der Endlichkeit, aber zugleich auch der Quell der ewigen Bewegung oder der Endlichkeit, die unendlich ist, das heißt, die sich ewig vernichtet, aus welchem Nichts und reinen Nacht der Unendlichkeit die Wahrheit als aus dem geheimen Abgrund, der ihre Geburtsstätte ist, sich emporhebt, – erkannt wird. (GuW 413)
Die so beschworene Positivität der Negativität wird an dieser Stelle aber nicht weiter erläutert. Der gegenwärtige Dualismus, die Reflexionskultur, verhindert die gültige Einsicht in die Bedeutung der Negativität: der Reflexion wäre die zerstörerische negative Seite der Vernunft nur in Beziehung auf die positive Seite, die absolute Identität, zu vermitteln. Das Vorurteil absoluter Differenz muß die behandelten Philosophien zwangsläufig in ihrem Bemühen um das Absolute scheitern lassen; als Maßstab der Beurteilung gilt Hegel die sozusagen dennoch erbrachte ‚Negations-Leistung‘: zum einen wird im Ringen um wahre Unendlichkeit die negative Seite der Vernunft, die das Endliche schlechthin vernichtet, sofort durch die bloß entgegensetzende Negation fixiert und damit in ein Verhältnis gebracht, verendlicht. Durch reflexive Positivierung der negativen Vernunft fällt die Reflexionsphilosophie stets in die Sphäre der Endlichkeit zurück. Zum anderen ist die dem Subjekt zugesprochene Unendlichkeit, die in der festgestellten Entgegensetzung gegen das Objekt doch nur eine bedingte Unendlichkeit sein kann, immerhin der Versuch, die Sphäre der Endlichkeit zu übersteigen. Das bedingt Unendliche steht, „[…] weil sein innerer Charakter, Negation, Indifferenz ist […]“ (GuW 413), trotz seiner Bedingtheit der wahren Unendlichkeit gleichsam näher als das bloß Endliche. Die Reflexionsphilosophie der Subjektivität hat die Tendenz zum wahren Unendlichen.
2.1. Der ‚spekulative Karfreitag‘ als Aufgabe der Philosophie
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Die Aufgabe der Philosophie ist in der sorgfältigen Analyse der auf dem Höhepunkt der Reflexionskultur erbrachten ‚NegationsLeistung‘ enthalten. Die wahre Philosophie, die sich über die Bildungen der Reflexionsphilosophie der Subjektivität erhebt und deren Tendenz zur wahren Unendlichkeit durch die wirkliche Teilhabe an der wahren Unendlichkeit ersetzt, muß die vollständige Vernichtung des Endlichen ohne Verendlichung der vernichtenden Unendlichkeit herbeiführen und erdulden. Die negative Seite der Vernunft, zu der sich die sich selbst vernichtende Reflexion erhebt, muß ohne jede Einschränkung als Vernunft gelten. Eine derartige Einschränkung ist noch in dem „Gefühl: Gott selbst ist todt“ (GuW 414)33 vorhanden, das die Erkenntnis der notwendigen Selbstzerstörung des Verstandes nicht ersetzen kann. Der Appell an die Philosophie lautet, das absolute Nichts eben als absolut zu begreifen. Hegels abschließender Satz beschreibt die Aufgabe einer Systematisierung des ‚Gott selbst ist tot‘ auf eindringliche Weise: […] also der Philosophie die Idee der absoluten Freyheit, und damit das absolute Leiden oder den speculativen Charfreytag, der sonst historisch war, und ihn selbst, in der ganzen Wahrheit und Härte seiner Gottlosigkeit wiederherstellen, aus welcher Härte allein, weil das Heitre, Ungründlichere und Einzelnere der dogmatischen Philosophieen, so wie der Naturreligionen verschwinden muß, die höchste Totalität in ihrem ganzen Ernst und aus ihrem tiefsten Grunde, zugleich allumfassend, und in die heiterste Freyheit ihrer Gestalt auferstehen kann, und muß. (GuW 414)
Die in dieser Periode nachvollzogene Auferstehung bedarf einer wichtigen Ergänzung: für die Vernunft, für die wahre Philosophie ist das absolute Nichts eine Seite des Absoluten – für den Verstand, für das in der Reflexionskultur befangene Subjekt bedeutet Hegels Appell des „speculativen Charfreytag[s]“ (GuW 414) nur die Vernichtung. Man könnte diesen ‚Karfreitag‘ mit der Verzweiflung über den systematisch herbeigeführten Verlust jedweden vertrauten Begriffs von uns selbst, der Welt und der Wahrheit übersetzen, mit dem Kollabieren jeder sei es durch Fremdbezug, sei es durch Selbstbezug herge-
33
Vgl. zu dem Ausdruck ‚Gott selbst ist tot‘ H.-W. Schütte „Tod Gottes und Fülle der Zeit. Hegels Deutung des Christentums“ in Zeitschrift für Theologie und Kirche 66 (1969), S. 62-76; H.-D. Ueltzen „‚Gott selbst ist tot‘. Historische Bemerkungen zur Entstehung des Liedes und der Rede vom Tod Gottes“ in Evangelische Theologie 36 / 31 Neue Folge (1976), S. 563-567. Hinsichtlich Hegels späterer Verwendung des Ausdrucks in der Phänomenologie des Geistes s. W. Jaeschke Die Religionsphilosophie Hegels, Darmstadt 1983, S. 64-68.
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2. Hegels Begriff der Negativität
stellten Sicherheit. Diese Verzweiflung gilt es unumgänglich zu machen und zu erleiden.34 Im Rückblick auf die Abhandlung und als Zwischenergebnis läßt sich festhalten: Hegel unterscheidet die wahre Negation von der reinen, bloß entgegensetzenden Negation. Die wahre Negation bedeutet die Vernichtung der reinen Negation, die als Generator der Entzweiung das Unglück der Zeit nur verschlimmern kann. Die negative Seite der Vernunft, die mit der Selbstzerstörung des Verstandes auftritt, verlangt rückhaltlose Verzweiflung des (endlichen) Subjekts. Die prekäre Lage der Philosophie rührt daher, daß nur die Unmöglichkeit einer verständigen Erkenntnis des Absoluten innerhalb des Verständigen zu erkennen ist. Hinsichtlich der Mitteilbarkeit folgt, daß jede positive Mitteilung des Absoluten unweigerlich der Fixierung und Verdinglichung anheimfällt, von der sogar das absolute Nichts nicht verschont bleibt. Nur die Selbstzerstörung der Reflexion, die den Verlust jeder absichernden Gewißheit ertragende Verzweiflung, leitet die wahre Philosophie ein. Die Frage nach dem Herbeiführen der Verzweiflung und deren Einleitungsfunktion, also der genaue Zusammenhang von Verzweiflung und Vernunft, wird die Untersuchung im folgenden beschäftigen. Nachtrag, Jacobi noch einmal. Mit einem Seitenblick soll noch Hegels Jacobi-Rezension betrachtet werden, die fünfzehn Jahre nach der Veröffentlichung von Glauben und Wissen in den Heidelbergischen Jahrbüchern der Literatur erscheint.35 Der Begriff der Negativität wird in diesem Text, in dem die Polemik gegen Jacobi der freundlichen Anerkennung gewichen ist, mit besonderer Deutlichkeit behandelt. Der Zusammenhang von negativer und positiver Vernunft steht zur Diskussion, die bereits in den Schlußpassagen der frühen Ab34
35
Vgl. in bezug auf die Schlußpassagen von Hegels Abhandlung G. Ralfs „‚Glauben und Wissen‘. Eine Interpretation von Hegels Journal-Aufsatz aus dem Jahre 1802“, a.a.O., S. 255-258. Aufgrund der fehlenden Beschäftigung mit der ‚negativen Seite des Absoluten‘ vernachlässigt Ralfs die Gewalt, die das Endliche in der Vernichtung durch das Unendliche erfährt; der ‚spekulative Karfreitag‘ und der nur angedeutete Zusammenhang von Negativität und Positivität im dialektischen Prozeß bedürfte weiterer Erklärung. Vgl. ferner W. Jaeschke Die Vernunft in der Religion. Studien zur Grundlegung der Religionsphilosophie Hegels, a.a.O., S. 142. Jaeschke versteht den ‚spekulativen Karfreitag‘ als Kennzeichnung der in der Reflexion befangenen Philosophien, mit der die philosophiegeschichtliche Berechtigung der als Auferstehung vorgestellten Spekulation geltend gemacht wird; die vorliegende Arbeit versucht dagegen zu verstehen, was diese Auferstehung für den in der Reflexion Befangenen bedeutet. Hegel [Über] Friedrich Heinrich Jacobis Werke. Dritter Band, TWA 4, 429-461.
2.1. Der ‚spekulative Karfreitag‘ als Aufgabe der Philosophie
31
handlung aufgeworfene Frage, inwiefern die radikale Negation des Endlichen positiv ist. Die Antwort soll anhand der Bedeutung der Negativität gegeben werden. Das Einziehen einer feststehenden Entgegensetzung innerhalb des Absoluten, die Hegel in Jacobis Unterscheidung des Absoluten qua Substanz und qua Geist erkennt, bietet eine bloß verständige Lösung. Dagegen impliziert das Absolute qua ‚absolute Negativität‘, daß der ‚Abgrund‘36 des Nichts (will man die wohl auf 1. Mose 1,2 zurückgehende Metaphorik aufnehmen) der Ort der Schöpfung ist: Indem sie [die absolute Substanz, d. Verf.] nämlich als die Wahrheit der einzelnen Dinge, welche in ihr aufgehoben und ausgelöscht sind, erkannt worden, so ist die absolute Negativität, welche der Quell der Freiheit ist, die in sie selbst bereits gesetzte Bestimmung. – Es kommt hierbei nur darauf an, die Stellung und Bedeutung des Negativen richtig ins Auge zu fassen. Wenn es nur als Bestimmtheit der endlichen Dinge genommen wird (omnis determinatio est negatio), so ist damit die Vorstellung aus der absoluten Substanz heraus, hat die endlichen Dinge aus ihr herausfallen lassen und erhält sie außer ihr. So aber wird die Negation, wie sie Bestimmtheit der endlichen Dinge ist, nicht aufgefaßt als im Unendlichen oder als in der Substanz, die vielmehr das Aufgehobensein der endlichen Dinge ist. – Wie aber dagegen die Negation in der Substanz ist, dies ist schon gesagt, und das systematische Fortschreiten im Philosophieren besteht eigentlich in nichts als darin, zu wissen, was man selbst schon gesagt hat; – die Substanz soll nämlich sein das Aufgehobensein des Endlichen, damit sagt man, daß sie ist die Negation der Negation, da dem Endlichen nur die Negation zugeteilt ist; als Negation der Negation ist die Substanz hiermit die absolute Affirmation und ebenso unmittelbar Freiheit und Selbstbestimmung.37
Das Zitat bietet eine konzise Gegenüberstellung von verständiger und vernünftiger Negation: die bloße Negation durch Entgegensetzen stellt die Entzweiung auf Dauer, die Negation dieser entgegensetzenden Negation vernichtet das fixierte Endliche in der wahren Unendlichkeit. Die ‚Negation der Negation‘ setzt Hegel gleich mit ‚absoluter Affirmation‘, ‚Freiheit‘ und ‚Selbstbestimmung‘. Gerade der letztgenannte Begriff kann den Prozeßcharakter des Absoluten einsichtig machen: sich-selbst-bestimmen (determinatio) bedeutet nichts anderes als sich-selbst-negieren (negatio); die Substanz qua ‚absolute Negativität‘ macht sich demnach sich selbst negierend zu bloß Entgegengesetztem und negiert die Entgegensetzung als ‚Negation der Negation‘ wieder, ist in dieser Bewegung schlechthin affirmativ. Auch wenn Hegel in der zitierten Passage den Begriff des Absoluten nicht ausführlich behandelt, sind entscheidende Merkmale im Begriff der
36 37
Ebd. z.B. 432, vgl. GuW 413. Hegel [Über] Friedrich Heinrich Jacobis Werke. Dritter Band, TWA 4, 434f.
32
2. Hegels Begriff der Negativität
Negativität (der ‚absoluten Negativität‘)38 impliziert. Mit Blick auf Glauben und Wissen ist zu bemerken, daß die endgültige Bedeutung des Begriffs der Negativität von Hegel erst durch den Begriff des Absoluten als Prozeß (wie er schließlich in der Phänomenologie des Geistes seine Ausgestaltung findet) erschlossen werden kann. Aus Jacobis irrigem Verständnis der Negativität resultiert eine falsch verstandene Unmittelbarkeit. So kann Hegel dem Nachdruck Jacobis auf unmittelbare Erkenntnis des Absoluten durchaus zustimmen; unmittelbare Erkenntnis wird jedoch nicht durch den Ausschluß von Vermittlung, durch einfache Entgegensetzung, gewonnen, sondern durch die zwangsläufig selbst vermittelnde Vernichtung der Vermittlung; nicht die im Gegensatz zur Mittelbarkeit stehende Unmittelbarkeit, sondern die (mit einer früheren Wendung Hegels) ‚wiederhergestellte Unmittelbarkeit‘ kennzeichnet vernünftiges Wissen. Während Jacobi in der frühen Abhandlung eindeutig selbst als Reflexionsphilosoph verurteilt wird, rückt die Heidelberger Rezension Jacobis Kritik an der Verstandesmetaphysik in den Vordergrund. In dieser Kritik und der einhergehenden „[…] Notwendigkeit einer völlig veränderten Ansicht des Logischen […]“39 besteht Jacobis Leistung. Die neue, spekulative Ansicht des Logischen (des Verstandes) wird in den folgenden Kapiteln der vorliegenden Arbeit deutlicher. Eine eingehendere Untersuchung des Verhältnisses von Hegel und Jacobi hätte neben den behandelten Texten die zahlreichen impliziten und expliziten Jacobi-Bezüge in Hegels Schriften sowie Jacobis Repliken zu beachten.40 38
39 40
Die im Begriff der ‚absoluten Negativität‘ kombinierten Begriffe doppelter Negation hat D. Henrich (mit Bezug auf die Wissenschaft der Logik) gründlich analysiert, „Formen der Negation in Hegels Logik“ in Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels, hrsg. und eingeleitet v. R.-P. Horstmann, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1989, v.a. S. 224. Hegel [Über] Friedrich Heinrich Jacobis Werke. Dritter Band, TWA 4, 455. Besonders aufschlußreich ist im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit ein Kommentar Jacobis, der sich auf das in Glauben und Wissen von ihm gezeichnete Bild bezieht, s. den Anhang zu F. Köppen Schellings Lehre oder das Ganze der Philosophie des absoluten Nichts, nebst drey Briefen verwandten Inhalts von Friedr. Heinr. Jacobi, Hamburg 1803, S. 207-278. Die Bezugnahme auf Schelling ist vielleicht verwirrend, doch wird hier Schellings Philosophie mit der Hegels im wesentlichen identifiziert, was die beiden Herausgeber des Kritischen Journals der Philosophie durch den Verzicht auf namentliche Kennzeichnung der Beiträge nahelegten; das im folgenden zu Schelling Bemerkte ist also auch auf Hegel zu beziehen. Jacobi versteht sich als erster Adressat der Abhandlung Glauben und Wissen, und er erklärt die Aggressivität der dort gegen ihn gerichteten Polemik mit dem Ärger, den die vormalige Anerkennung Jacobischer Positionen den jetzigen Idealisten des Kritischen Journals der Philosophie bereitet. Dabei würdigt Jacobi durchaus die rhetorische Qualität des Texts, für den er mit sicherem Urteil Hegel verantwortlich macht, wenn das Lob auch am
2.2. Skeptizismus
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2.2. Skeptizismus Das Verhältnis von sich selbst zerstörender Reflexion und sich selbst erzeugender Vernunft, dem Absoluten, steht in diesem Kapitel zur Ende dem Verdruß über eine verfälschende Darstellung weicht. Aus Jacobis zutreffendem Überblick über Glauben und Wissen sei die Achtsamkeit auf die ‚merkwürdigen‘ Schlußpassagen herausgehoben, die (in einer der den Briefen für die Veröffentlichung hinzugefügten Anmerkungen) vollständig wiedergegeben werden (ebd. die Note S. 224-226). Während der Haupttext die von Hegel avisierte Vernichtung der Reflexionsphilosophien behandelt, bietet die Note eine eigentümliche Deutung des ‚spekulativen Karfreitags‘: „Hierauf folgt noch am Schlusse S. 188, daß wir unter uns dreyen (vornehmlich aber doch Kant und Fichte, die deswegen mit der wahren Philosophie ‚unmittelbarer zusammenhangen‘) den spekulativen Charfreytag, der sonst historisch war, in der ganzen Wahrheit und Härte seiner Gottlosigkeit wieder hergestellt haben, ‚aus welcher Härte allein, weil das Heitre, Ungründlichere und Einzelnere der dogmatischen Philosophieen, so wie der Naturreligionen verschwinden muß, die höchste Totalität in ihrem ganzen Ernst und aus ihrem tiefsten Grunde, zugleich allumfassend, und in die heiterste Freyheit ihrer Gestalt auferstehen kann, und muß.[‘]“ (ebd. die Note S. 226). Demnach würde der ‚spekulative Karfreitag‘ die Herrschaft der Reflexionsphilosophien der Subjektivität und nicht deren Untergang in der sich selbst zerstörenden Reflexion beschreiben; in dieser Lesart liegt jedoch eine Vermengung der ‚Negations-Leistung‘, nach der Hegel den Wert der Kantischen, Jacobischen und Fichteschen Philosophie bemißt, und des Maßstabs der absoluten Negation (eben des ‚spekulativen Karfreitags‘) vor. Nach der Auseinandersetzung mit Hegels Aufsatz stellt Jacobi das Schellingsche Identitätssystem als konsequente Weiterentwicklung der Kantischen Philosophie dar. Unabhängig von den Unzulänglichkeiten des idealistischen Entwurfs, die beispielsweise mit der Formel der ‚Identität der Identität und Nicht-Identität‘ aus Hegels Differenz-Schrift nur überdeckt und nicht beseitigt würden, erhebt Jacobi Einspruch gegen die Prätention der Philosophie ‚aus einem Stück‘, am Pranger steht die erschlichene Voraussetzung der Erkennbarkeit des Absoluten für den Menschen. Köppens Abhandlung ist eine Entwicklung dieses Jacobischen Themas. Die Schellingsche Philosophie versuche die creatio ex nihilo. Diese Hybris verwechselt die bedingte menschliche Erkenntnis mit der unbedingten göttlichen, die ‚Nachkonstruktion einer verborgenen Vorkonstruktion‘ mit der absoluten Konstruktion. Stets bleibt der ‚absolute Nihilismus‘ widersprüchlich; in der Schellingschen Philosophie, die sich auf die absolute Vernunft beruft und die verständige Reflexionsphilosophie verachtet, ist gerade durch die Entgegensetzung von Vernunft und Verstand die Reflexion am Werk. Mit dieser ‚Reflexion incognito‘, dem Widersinn einer die Verschiedenheit ausschließenden Einheit, operiert Köppens Kritik. Unermüdlich wird die Schellingsche Philosophie nach bestehenden Gegensätzen, dem unvermittelten Eines und Alles, durchsucht, um die Entgegensetzung dann mit Hinweis auf die absolute Identität (im Sinne ‚der Nacht, in der alle Kühe schwarz sind‘) lächerlich aufzulösen. Zu dieser Polemik gehört beispielsweise auch die Konstruktion im Krebsgang (ebd. S. 86) oder das Anlegen der Schellingschen Maske (ebd. S. 168-182). Im Zuge dieses polemischen Einsatzes wird auch die Abhandlung Glauben und Wissen dem kritisierten Nihilismus zugeordnet (ebd. S. 144-167), ohne Köppens Argumentation eine neue Richtung zu geben. Das
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2. Hegels Begriff der Negativität
Diskussion. Zwischen Glauben und Wissen als „[…] Phänomenologie der durch Reflexion und Subjektivität zur bloßen Ratio degradierten Vernunft“41 und Phänomenologie des Geistes, zwischen Aufgabe und Einlösung des ‚spekulativen Karfreitags‘, paßt die Analyse von Hegels Skeptizismus-Aufsatz. Der Aufsatz verdeutlicht die Problemstellung insofern, als die Unumgänglichkeit der wahren Negation, aber noch nicht der Zusammenhang von wahrer Negation und Vernunft ausgeführt ist.42 2.2.1. Die negative Seite der Philosophie (Verhältniß des Skepticismus zur Philosophie) Der vollständige Titel des Skeptizismus-Aufsatzes gibt die Gliederung der Untersuchung vor: Verhältniß des Skepticismus zur Philosophie, Darstellung seiner verschiedenen Modificationen, und Vergleichung des neuesten mit dem alten.43 In einem ersten Schritt wird der für die Philosophie unabdingbare, authentische Skeptizismus vorgestellt, der dann in einem zweiten Schritt mit abgewandelten Formen des Skeptizismus kontrastiert wird. Das Verhältnis des Skeptizismus zur Philosophie ist dadurch bestimmt, „daß mit jeder wahren Philosophie der Skepticismus selbst
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Ergebnis ist die Gegenüberstellung von der göttlichen Fülle des Lebens (und dem jedem Wissen vorhergehenden Glauben) und der leeren Gespensterwelt des ‚absoluten Nihilismus‘. Vgl. zur Kritik des Idealismus als Nihilismus z.B. G. Müller „Jean Pauls Ästhetik im Kontext der Frühromantik und des deutschen Idealismus“ in Früher Idealismus und Frühromantik. Der Streit um die Grundlagen der Ästhetik (17951805), hrsg. v. W. Jaeschke und H. Holzhey, Hamburg 1990, S. 159-163. Diese treffende Kennzeichnung stammt von H. Glockner, s. G. Ralfs „‚Glauben und Wissen‘. Eine Interpretation von Hegels Journal-Aufsatz aus dem Jahre 1802“ in Lebensformen des Geistes. Vorträge und Abhandlungen von Günter Ralfs, hrsg. v. H. Glockner, Köln 1964, S. 222. Im Umkreis der genannten Problemstellung stehen auch die erst in jüngster Zeit wieder zugänglichen Fragmente aus Hegels Vorlesungsmanuskripten von 1801-02, doch würde das diese Vorlesungen beschäftigende Verhältnis von Reflexion und Spekulation eine eigene Untersuchung erfordern. Der Skeptizismus-Aufsatz erscheint ein Vierteljahr vor Glauben und Wissen im Kritischen Journal der Philosophie. Wer die interessante Auseinandersetzung zwischen Hegel und Schulze, dessen Kritik der theoretischen Philosophie im SkeptizismusAufsatz rezensiert wird, weiter verfolgen möchte, sei verwiesen auf K.R. Meist „‚Sich vollbringender Skeptizismus‘. G.E. Schulzes Replik auf Hegel und Schelling“ in Transzendentalphilosophie und Spekulation. Der Streit um die Gestalt einer Ersten Philosophie (1799-1807), hrsg. v. W. Jaeschke, Hamburg 1993, S. 192-230.
2.2. Skeptizismus
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aufs innigste Eins ist […]“ (Sk 206). Als die „negative Seite“ (Sk 207) jeder wahren Philosophie wendet sich die Skepsis gegen die Erkenntnis durch Verstandesbegriffe. Die skeptische Vorgehensweise erläutert Hegel (am Beispiel des Platonischen Parmenides) folgendermaßen: Dieser platonische Skepticismus geht nicht auf ein Zweifeln an diesen Wahrheiten des Verstandes, der die Dinge als mannichfaltig, als Ganze, die aus Theilen bestehen, ein Entstehen und Vergehen, eine Vielheit, Aehnlichkeit u.s.w. erkennt, und dergleichen objective Behauptungen macht, sondern auf ein gänzliches Negiren aller Wahrheit eines solchen Erkennens. Dieser Skepticismus macht nicht ein besonderes Ding von einem System aus, sondern er ist selbst die negative Seite der Erkenntniß des Absoluten, und setzt unmittelbar die Vernunft als die positive Seite voraus. (Sk 207)
Entscheidend ist die Radikalität des Zweifels. Die durch Entgegensetzung strukturierten Reflexionsbegriffe sind dem Bedingten zugeordnet, das Absolute qua Unbedingtes kann durch sie nicht erkannt werden. Während das partielle ‚Zweifeln‘ negierend innerhalb des Bedingten verbleibt, verneint der authentische Skeptizismus die ganze Verstandeserkenntnis. Die radikale Negation der Reflexion setzt nach Hegel unmittelbar die Vernunft als Positivum voraus. Doch wird das mit der durchgeführten Skepsis verbundene vernünftige Erkennen des Absoluten im Skeptizismus-Aufsatz nicht behandelt. Man mag die intellektuelle Anschauung assoziieren, was allerdings neue Fragen aufwerfen würde.44 Die vereinzelten Aussagen über das Vernünftige, die der Aufsatz enthält, bleiben unzureichend. Das Vernünftige muß dem Angriff der Tropen des Skeptizismus standhalten; um beispielsweise nicht im Verhältnis zu anderem zu stehen, wird es als das Verhältnis bestimmt (Sk 220). Diese als Negationen der Verschiedenheit, des Verhältnisses zu anderem und der unbewiesenen Voraussetzung eines von zwei Gegenteilen gemachten affirmativen Aussagen sind aber infolge dieser Herkunft aus einer unausgewiesenen Negation nur unbestimmte Ausdrücke der Identität, der Selbstbezüglichkeit und der wahren Unendlichkeit des Absoluten, solange ihnen keine Anschauung bzw. Selbstanschauung der Vernunft entspricht.45 44
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Vgl. K. Düsing: „Die Vorstellung einer höheren Einheit geht in Hegels frühem Jenaer Ansatz nicht aus diesem Widerspruch [keine verständige Erkenntnis des Absoluten, d. Verf.] selbst hervor, sondern nur aus der durch die Paradoxie des Endlichen als einer negativen Parusie des Unendlichen ‚postulierten‘ intellektuellen Anschauung.“, in seinem Aufsatz „Die Entstehung des spekulativen Idealismus. Schellings und Hegels Wandlungen zwischen 1800 und 1801“ in Transzendentalphilosophie und Spekulation. Der Streit um die Gestalt einer Ersten Philosophie (1799-1807), hrsg. v. W. Jaeschke, Hamburg 1993, S. 158. M. Baum Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, Bonn 1986, S. 187.
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2. Hegels Begriff der Negativität
Die unzureichende Bestimmung der vernünftigen Erkenntnis mag zum einen den äußeren Umständen geschuldet sein, Hegels Aufsatz ist Rezension und nicht systematische Abhandlung. Zum anderen deutet diese Leerstelle aber auf das bereits erwähnte Mitteilungsproblem: die Unumgänglichkeit einer radikalen Negation der Reflexion ist zu vermitteln, wohingegen das positiv mitgeteilte Absolute vom Verstand fixiert und zum Ding gemacht würde. Vor dem Hintergrund dieser Problematik gewinnt Hegels Entwurf einer vernünftigen Sprachform seine Bedeutung. Die vernünftige Sprachform muß von dem Gebrauch der Begriffe, den das verständige Urteil macht, abweichen. Dem authentischen Skeptizismus entspricht die Mitteilung durch Verstoß gegen den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch: „[…] wenn in irgend einem Satze, der eine Vernunfterkenntniß ausdrückt, das Reflectirte desselben, die Begriffe, die in ihm enthalten sind, isolirt, und die Art, wie sie verbunden sind, betrachtet wird, so muß es sich zeigen, daß diese Begriffe zugleich aufgehoben, oder auf eine solche Art vereinigt sind, daß sie sich widersprechen, sonst wäre es kein vernünftiger, sondern ein verständiger Satz.“ (Sk 208). Der vernünftige Satz ist antinomisch. Den für den Verstand konstitutiven Satz vom zu vermeidenden Widerspruch verletzend, behauptet der vernünftige Satz zu dem Gesetzten zugleich das kontradiktorisch Entgegengesetzte. Hegel zeigt an Beispielen,46 daß sich jeder vernünftige Satz in zwei sich kontradiktorisch widersprechende Sätze auflösen läßt. Den im vernünftigen Satz enthaltenen Widerspruch versteht Hegel als Negation der beiden Relata der widersprüchlichen Relation (Sk 208)47 – er stellt das sprachliche Pendant zu der im vorigen Kapitel herausgearbeiteten wahren Negation dar, die das reflexive Negieren, die Bestimmung wie deren Negation gleichermaßen negiert. Der authentische Skeptizismus ist zwangsläufig in jeder Philosophie, die mit der bedingten Erkenntnis des Unbedingten bricht, enthalten; sprachlicher Ausdruck der Einsicht in die Unzulänglichkeit der Reflexion ist der vernünftige Satz. Zur Verdeutlichung und Ergänzung seien nun die anderen Modifikationen der Skepsis umrissen. Der pyrrhonische Skeptizismus kann als Isolierung des vorgestellten, der Philosophie immanenten gelten. Es handelt sich um „eine Er46
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Die Spinoza entlehnten Beispiele (causa sui, causa immanens, Antinomie des Einen und Vielen) müssen natürlich in der von Spinozas Begriffsverständnis mitunter abweichenden Deutung Hegels aufgefaßt werden, s. Baum Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, a.a.O., S. 177-181. Vgl. ebd. S. 178.
2.2. Skeptizismus
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ziehung, zu einer Lebensweise“ (Sk 216), nicht um eine eigene Philosophie; so können die ersten zehn der von Sextus erwähnten Tropen als Lebensmaximen verstanden werden. Sie wenden sich gegen das gemeine Bewußtsein, „welches das Gegebene, die Thatsache, das Endliche, (dieß endliche heiße Erscheinung, oder Begriff) festhält, und an ihm als einem Gewissen, Sichern, Ewigen klebt […].“ (Sk 215). Die unmittelbare Gewißheit des gemeinen oder natürlichen Bewußtseins erschüttert der pyrrhonische Skeptizismus durch die Anwendung der Tropen, „aus der in dem Endlichen selbst zu erkennenden Antinomie erkennt er die Unwahrheit desselben.“ (Sk 215). Das natürliche Bewußtsein erfährt mit Hilfe der Tropen die Dürftigkeit seiner unmittelbaren Gewißheiten, und damit ist das Ziel dieser Skepsis erreicht, denn die Distanzierung von den vermeintlichen Sicherheiten soll die Seelenruhe, die Ataraxie, hervorbringen. Die Vernunft erscheint nur indirekt, in der Negation der Reflexion. Da er das natürliche Bewußtsein radikal verunsichert,48 sich selbst aber jeder positiven Lehre enthält, kann der pyrrhonische Skeptizismus als Protreptik aufgefaßt werden. Die fünf (beziehungsweise sieben) späteren Tropen, die Sextus nennt (Sk 218), nehmen eine Zwischenstellung ein: mit dem pyrrhonischen Skeptizismus haben sie die Wendung gegen die Wahrheiten des natürlichen Bewußtseins gemein, mit dem neuesten Skeptizismus (das heißt dem von Schulze vertretenen) verbindet die späteren Tropen der Angriff auf die vernünftige Erkenntnis. Erfolgreich können die Tropen, die ja selbst Reflexionsbegriffe enthalten, dem gemeinen Bewußtsein die Begrenztheit seiner verständigen Wahrheiten, die Unmöglichkeit einer derartigen Erkenntnis des Absoluten, demonstrieren. Das Vernünftige wird von diesen Tropen, denen die „reine Differenz“ (Sk 219) eigen ist, nicht belangt. Nur scheinbar wenden sie sich gegen die Vernunft, die zuvor verendlicht, in ein Verständiges verwandelt wird. „Da also diese Tropen alle den Begriff eines Endlichen in sich schließen, und sich darauf gründen, so geschieht durch ihre Anwendung auf das Vernünftige unmittelbar, daß sie dasselbe in ein endliches verkehren […].“ (Sk 220). Der mit den späteren Tropen argumentierende Skeptizismus kann die Erkenntnis der Vernunft durch sich selbst lediglich dadurch bestreiten, daß er die Vernunft zu etwas Endlichem, mit Entgegensetzung Behaftetem, macht (Sk 48
Dem gemeinen Bewußtsein fällt die Unzuverlässigkeit seiner Gewißheiten bisweilen selbst auf, allerdings nicht in der durch den Skeptizismus verbürgten Ausnahmslosigkeit.
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2. Hegels Begriff der Negativität
212f.). Seine einzige Tätigkeit besteht dann darin, die selbst hervorgebrachte Endlichkeit der Vernunft durch das Aufweisen der Antinomie (der endlichen Unendlichkeit) zu denunzieren. Wird die Skepsis nicht in pyrrhonischer Manier gegen die Reflexion, sondern gegen die Möglichkeit des Erkennens überhaupt gerichtet, so gerät die derart doktrinäre Skepsis in einen Selbstwiderspruch: „[…] die reine Negativität oder Subjectivität ist also entweder gar Nichts, indem sie sich in ihrem Extrem vernichtet, oder sie müßte zugleich höchst objektiv werden […]“ (Sk 221). Eine Negation der Negation als produktive Alternative zur sich in letzter Konsequenz selbst destruierenden bloßen Negativität wird hier lediglich angedeutet. Der neueste Skeptizismus, den Schulze in seiner Kritik der theoretischen Philosophie vorträgt, läßt sich durch zwei Merkmale charakterisieren. Zum einen gibt er die skeptische Haltung gegenüber dem gemeinen Bewußtsein auf, zum anderen ist seine Trennung von Denken und Sein die Absolutsetzung des Verstandes. Damit widerspricht er geradewegs dem von Hegel als authentisch gewürdigten Skeptizismus (der negativen Seite der Philosophie). Die von Schulze geprägte Modifikation des Skeptizismus verläßt sich auf die Bewußtseinstatsachen und das reflexive Wissen. Dem Impetus, die Gewißheiten des gemeinen Bewußtseins und die Wahrheiten der Reflexion ins Wanken zu bringen, wird direkt zuwidergehandelt. Wenn die Bewußtseinstatsache als schlechthin verläßlich gilt, ist eine diese unmittelbare Gewißheit übertreffende Erkenntnis überhaupt nicht zu motivieren, die Metaphysik bleibt unerklärlich (Sk 202f.).49 Während die pyrrhonischen Tropen als Lebensmaximen fungieren, erklärt Schulze den Skeptizismus zur positiven Philosophie; Bewußtseinstatsachen und empirische Wissenschaften werden als Grundlage des Wissens ausgegeben, ferner nimmt Schulze eine – dem klassifikatorischen Eifer des Verstandes geschuldete – Einteilung der Philosophie in verschiedene Disziplinen und des menschlichen Geistes in verschiedene Qualitäten vor (Sk 200f. bzw. 236-238). Das Verfahren, das von diesem Skeptizismus gegen die Vernunfterkenntnis ins Feld geführt wird, ist „[…] das Läugnen der Vernunftwahrheit, und zu diesem Behuf die Verwandlung des Vernünftigen in Reflexion, der Erkenntniß des Absoluten in endliches Erkennen.“ (Sk 223). Auf diese Weise wird die verständige Behandlung des Vernünftigen fortgeführt, die wie erwähnt ein Merkmal der fünf späteren Tropen bildet. Der philosophische Ausgangspunkt 49
Dementsprechend schwer fällt Schulze auch die Motivation der pyrrhonischen Skepsis an der Sinneswahrnehmung, Sk 204f.
2.2. Skeptizismus
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ist die Differenz von Denken und Sein, das heißt, der Dualismus des Verstandes gilt unbedingt. „Diese Trennung des Vernünftigen, in welchem Denken und Seyn Eins ist, in die entgegengesetzten Denken und Seyn, und das absolute festhalten dieser Entgegensetzung, also der absolut gemachte Verstand macht den unendlich wiederholten und überall angewandten Grund dieses dogmatischen Skepticismus aus.“ (Sk 223).50 Die Anwendung der Differenz – „in ihrer höchsten Abstraction und in ihrer wahrsten Form“ (Sk 223) – bestimmt die Grundsätze des neuesten Skeptizismus und die von Hegel exemplarisch untersuchte Auseinandersetzung Schulzes mit Leibniz. Schulzes Definition der theoretischen Philosophie als Suche nach dem reifizierten Absoluten jenseits der Erscheinung dient dazu, die Aussichtslosigkeit dieser selbst so zugerichteten Philosophie durch Hinweis auf die Nicht-Identität von Denken und Sein vorzuführen (Sk 201). Hegels Darstellung der Modifikationen des Skeptizismus folgt einer Verfallsgeschichte vernünftiger Erkenntnis: von der gegen die Reflexion gerichteten Skepsis (als Bestandteil der Philosophie oder als Lebensmaxime) zu dem Hilfsmittel einer sich gegen die Vernunft absichernden Reflexionsphilosophie, von der vernünftigen Identität zu der zementierten Nicht-Identität von Denken und Sein. Aus Hegels Kritik ist ersichtlich, daß sich die von ihm affirmierte Philosophie nicht in den vom Verstand festgestellten Trennungen bewegt; mit spärlichen Bemerkungen deutet Hegel das Wesen und die Methode der wahren Philosophie an: […] das Wesen des Wissens besteht in der Identität des Allgemeinen und Besondern, oder des unter der Form des Denkens und des Seyns gesetzten, und Wissenschaft ist ihrem Inhalte nach eine Verkörperung jener vernünftigen Identität und von ihrer formalen Seite eine beständige Wiederholung derselben […]. (Sk 223) Auch die Wissenschaft der Philosophie wiederholt nur immer eine und eben dieselbe vernünftige Identität, aber dieser Wiederholung quellen aus Bildungen neue Bildungen hervor, aus denen sie sich zu einer vollständigen organischen Welt ausbildet, die in ihrem Ganzen, so wie ihren Theilen als dieselbe Identität erkannt wird; die ewige Wiederhohlung jenes Gegensatzes aber, der auf Desorganisation und das nihil negativum ausgeht, ist von seiner negativen Seite ein ewiges Gießen des Wassers in ein Sieb, von seiner positiven Seite aber, die beständige und mechanische Anwendung einer und eben derselben verständigen Regel, daraus nie neue Form aus Form hervorkommt, sondern immer dasselbe mechanische Werk gethan wird […]. (Sk 224)
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Den Kontrast zwischen ‚dogmatischem Skeptizismus‘ und philosophischer Spekulation belegt auch die Begrifflichkeit: „[…] was diese Vernunft producirt, ist nie etwas anders, als daß der Begriff nicht das Ding sey; und eine solche Vernunft ist es gerade, welche von der Speculation Verstand genannt wird.“ (Sk 228).
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2. Hegels Begriff der Negativität
Im Unterschied zum bloßen Negieren des neuesten Skeptizismus, der über den Verweis auf die Nicht-Identität von Denken und Sein nicht hinauskommt, muß die produktive Methode der philosophischen Wissenschaft Zusammenhang stiften. Genauere Angaben über das vernünftige Auseinander-Hervorgehen des Bestimmten, das dem organizistisch verbildlichten Wissen beziehungsweise der Wissenschaft zugrunde liegt, macht Hegel nicht.51 Grundsätzlich besteht die Aufgabe der Philosophie darin, die vom gemeinen Bewußtsein bewußtlos vorausgesetzte vernünftige Identität ins Bewußtsein zu heben (Sk 226). Der Skeptizismus-Aufsatz stellt in Gestalt des authentischen Skeptizismus die Forderung auf, den Zweifel zum Verwerfen der Möglichkeit einer reflexiven Erkenntnis des Wahren zu steigern. Der authentische Skeptizismus arbeitet somit dem ‚spekulativen Karfreitag‘ zu und stellt das Gegenstück des zeitgenössischen Skeptizismus dar, der sich der Reflexion anvertraut. Unbeantwortet bleibt jedoch die Frage, wie die radikale Skepsis als negative Seite der Philosophie zu dem vernünftigen Wissen als positive Seite gehört. Eine radikale, in keine Philosophie integrierte Skepsis wäre dazu verurteilt, entweder auf eine Lebensmaxime reduziert zu werden oder sich bei uneingeschränkter Realisierung gegen sich selbst zu richten. Die so markierte Leerstelle des Skeptizismus-Aufsatzes füllt das Programm der Phänomenologie des Geistes, das in Einleitung und Vorrede aufgestellt wird.52 2.2.2. ‚Sich vollbringender Skeptizismus‘ (Phänomenologie des Geistes) Die Einleitung der Phänomenologie des Geistes (PdG 53-62) geht von der Notwendigkeit einer „Darstellung des erscheinenden Wissens“ (PdG 55) aus, um die Wissenschaft als solche erkennbar zu machen und von den Erscheinungen eines unwahren Wissens zu befreien. Die Darstellung muß mit dem natürlichen Bewußtsein ihren Anfang nehmen und kann „[…] als der Weg des natürlichen Bewußtseyns, das zum wahren Wissen dringt, genommen werden; oder als der Weg der Seele, welche die Reihe ihrer Gestaltungen, als durch ihre Natur ihr vorgesteckter Stationen durchwandert, daß sie sich zum Geiste läutere, in51 52
Vgl. Baum Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, a.a.O., S. 192-194. Vgl. E. Csikós „Hegels Verhältnis zum Skeptizismus“ in Jahrbuch für Hegelforschung 1 (1995), S. 121-139; Hegels Überwindung des bloß negativen Skeptizismus in der Dialektik gelingt Csikós zufolge nur durch nachträgliche Uminterpretation des Skeptizismus.
2.2. Skeptizismus
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dem sie durch die vollständige Erfahrung ihrer selbst zur Kenntniß desjenigen gelangt, was sie an sich selbst ist.“ (PdG 55). Der Läuterungsprozeß führt das natürliche oder gemeine, das heißt das die Wahrheit seines Wissens nicht thematisierende Bewußtsein zur wahren Selbsterkenntnis, zum absoluten Wissen, da „das Absolute allein wahr, oder das Wahre allein absolut ist.“ (PdG 54). Mit der wahren Selbsterkenntnis des geläuterten Bewußtseins ist die Intention der Wissenschaft, nämlich „das wirkliche Erkennen dessen, was in Wahrheit ist“ (PdG 53), realisiert. Umschrieben als vollständige Selbsterfahrung der Seele, besteht der Läuterungsprozeß in der dialektischen Bewegung des Bewußtseins, die im folgenden skizziert wird – keinesfalls ist diese ‚Reinigung der Seele‘ etwa als ein Kultus vorzustellen (man vergleiche die einschlägigen Passagen über den abstrakten Kultus der ‚Kunst-Religion‘, v.a. PdG 383).53 Wenn die dialektische Bewegung mit äußerster Konsequenz vollzogen wird, vollbringt sich der Skeptizismus – mit einer vorausdeutenden Wendung: die Philosophie erfüllt ihre Aufgabe und macht den ‚spekulativen Karfreitag‘ zum Moment des Wahren. Der ‚sich vollbringende Skeptizismus‘ (der schon durch die Anspielung auf das Johannesevangelium Erlösung verspricht) bedeutet zunächst die radikale Skepsis gegenüber den Wahrheiten des natürlichen Bewußtseins. Voraussetzung für die Läuterung des Bewußtseins ist die Steigerung einer willkürlichen und oberflächlichen Skepsis zur totalen, des Zweifels zur Verzweiflung. „Der sich auf den ganzen Umfang des erscheinenden Bewußtseyns richtende Skepticismus macht dagegen den Geist erst geschickt zu prüffen, was Wahrheit ist, indem er eine Verzweiflung an den sogenannten natürlichen Vorstellungen, Gedanken und Meynungen zustande bringt […].“ (PdG 56). Die Gesamtheit der Gewißheiten des natürlichen Bewußtseins, die von Verstandesbegriffen abgeleitet sind, ist zu verneinen – eine Aufnahme des im vorigen Kapitel geschilderten authentischen Skeptizismus. Die Bestimmungen dieses desperaten Zweifels entwickelt Hegel durch den Vergleich mit mangelhaften Formen des Zweifels. Natürlich versagt ein augenblickliches, auf eine beliebige Gewißheit beschränktes ‚Zweifeln‘ vor dem Gebot der Verzweiflung.54 Doch auch der solch
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Vgl. ferner mit Bezug auf die Läuterung E. Bloch „Das Faustmotiv der Phänomenologie des Geistes“ in Hegel-Studien 1 (1961), S. 155-171. „[…] was unter zweifeln verstanden zu werden pflegt, ein Rütteln an dieser oder jener vermeynten Wahrheit, auf welches ein gehöriges wiederverschwinden des Zweifels und eine Rückkehr zu jener Wahrheit erfolgt, so daß am Ende die Sache genommen wird wie vorher.“ (PdG 56).
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2. Hegels Begriff der Negativität
kontingentem Zweifel durch den Vorsatz ‚de omnibus dubitandum est‘ an Systematizität überlegene Zweifel greift zu kurz: das sich nun ausschließlich auf seine eigenen Vorurteile berufende natürliche Bewußtsein glaubt die Läuterung mit dem gefaßten Beschluß schon abgetan (PdG 56). Die entscheidende Bestimmung für die mit der Verzweiflung einsetzende Bewegung liefert Hegels Kontrast von abstrakter und bestimmter Negation (wenngleich Hegels diesbezügliche Ausführungen in der Phänomenologie des Geistes andeutend bleiben). Der mit der abstrakten Negation operierende Skeptizismus begnügt sich mit dem Aufweis der Unwahrheit, die Bedingtheit der geprüften Position zieht deren Verwerfung nach sich – ohne die Position der prüfenden Instanz zu beeinträchtigen, die sich gerade im wiederholten Aburteilen der eigenen Souveränität versichert. So bleibt das skeptische Subjekt fixiert, um an den beliebigen von außen beigebrachten Positionen sein fruchtloses Vernichtungswerk zu verrichten. Diesem statischen Skeptizismus setzt Hegel die Methode der bestimmten Negation entgegen, die die Dynamik der Läuterung verantwortet; sie gewährleistet als dem Prozeß immanente Verfahrensweise den notwendigen und vollständigen Fortgang des Skeptizismus. Während die abstrakte Negation mit dem Aufweisen der Unwahrheit endet, setzt die bestimmte Negation das Wissen um die Unwahrheit selbst wiederum der Prüfung aus. Sie [die der abstrakten Negation entsprechende Gestalt des Bewußtseins, d. Verf.] ist nemlich der Skepticismus, der in dem Resultate nur immer das reine Nichts sieht, und davon abstrahirt, daß diß Nichts, bestimmt das Nichts dessen ist, woraus es resultirt. Das Nichts ist aber nur, genommen als das Nichts dessen, woraus es herkömmt, in der That das wahrhafte Resultat; es ist hiemit selbst ein bestimmtes und hat einen Innhalt. Der Skepticismus, der mit der Abstraction des Nichts oder der Leerheit endigt, kann von dieser nicht weiter fortgehen, sondern muß es erwarten, ob, und was ihm etwa neues sich darbietet, um es in denselben leeren Abgrund zu werfen. Indem dagegen das Resultat, wie es in Wahrheit ist, aufgefaßt wird, als bestimmte Negation, so ist damit unmittelbar eine neue Form entsprungen, und in der Negation der Uebergang gemacht, wodurch sich der Fortgang durch die vollständige Reihe der Gestalten von selbst ergibt. (PdG 57)55
Die im Skeptizismus-Aufsatz nur postulierte Methode der Wissenschaft ist jetzt entwickelt. Für das natürliche Bewußtsein bedeutet sie folgendes: die unmittelbare Gewißheit (an sich) wird vom Bewußt55
Vgl. „[…] daß nemlich das jedesmahlige Resultat, welches sich an einem nicht wahrhafften Wissen ergibt, nicht in ein leeres Nichts zusammenlauffen dürfe, sondern nothwendig als Nichts desjenigen, dessen Resultat es ist, aufgefaßt werden müsse; ein Resultat, welches das enthält, was das vorhergehende Wissen Wahres an ihm hat.“ (PdG 61).
2.2. Skeptizismus
43
sein selbst thematisiert (für es) und hierbei als bloß subjektive Wahrheit erkannt (für es an sich); dabei bleibt die Negation aber nicht stehen, vielmehr erfolgt nun die Thematisierung beziehungsweise Prüfung des Wissens von der bloß subjektiven Wahrheit als des neuen unmittelbar Wahren (für es an sich als neues an sich). Durch die bestimmte Negation führt der Skeptizismus nicht zum bloßen Nichts, sondern der Prüfende findet jeweils ein bestimmtes Resultat zur nächsten Prüfung vor. Diese Prüfungen werden solange fortgesetzt, bis das als ‚Prüfungsergebnis‘ erhaltene Wahre mit dem Wissen davon übereinstimmt, das Bewußtsein also erkennt, was es an und für sich ist. Der Widerspruch von Begriff und Gegenstand (oder von Wissen und Wahrem, von für es und an sich), die in ein und demselben an der Wahrheit seines Wissens zweifelnden Bewußtsein kollidieren, verhindert ein vorzeitiges Abbrechen des Skeptizismus; die Struktur der ‚Selbstprüfung‘ eines Bewußtseins ist der Anfang der durch systematische Wiederholung der ‚Selbstprüfung‘ (bestimmte Negation) konstituierten ‚dialektischen Bewegung‘, die erst mit der Entsprechung von Begriff und Gegenstand endet.56 Das die Unwahrheit seines Wissens ‚erfahrende‘ und daraufhin das Wissen um die Unwahrheit seines Wissens dem Zweifel aussetzende Bewußtsein durchläuft die „Geschichte der Bildung des Bewußtseyns selbst zur Wissenschafft“ (PdG 56). Die notwendige und vollständige Folge von Enttäuschungen schließt mit dem wahren Wissen. Während das natürliche Bewußtsein erst durch die läuternde Skepsis zur Wissenschaft, zur Erkenntnis dessen, was es an und für sich ist, gelangt, ist die Wissenschaftlichkeit der Läuterung selbst für den unbeteiligten Beobachter erkennbar (PdG 60f.). Die geschilderte dialektische „Umkehrung des Bewußtseyns“ (PdG 61), das sein ursprüngliches Wahres in Gestalt des Wissens um die Unwahrheit des Ursprünglichen neu thematisiert, bringt für das betroffene Bewußtsein eine neue Gewißheit hervor, deren Zustandekommen es aber nicht begreift; die Entstehung der Gewißheit ist nicht für das Bewußtsein (für es), sondern nur für den Beobachter (für uns) erkennbar, und wenn dieses Hervorgehen in seiner Notwendigkeit begriffen wird, ist die Bildung des Bewußtseins selbst schon durch wahres Wissen erkannt, schon Wissenschaft. 56
Vgl. hierzu M. Theunissen, der die Dialektik von Gegenstand und Begriff nach dem Modell des Entsprechens und des Übergreifens verfolgt, „Begriff und Realität. Hegels Aufhebung des metaphysischen Wahrheitsbegriffs“ in Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels, hrsg. und eingeleitet v. R.-P. Horstmann, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1989, S. 324-359.
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2. Hegels Begriff der Negativität
Daß die bestimmte Negation das natürliche Bewußtsein auf wissenschaftliche Weise zur Wissenschaft führt, darf die Gewalt nicht vergessen lassen, die das Bewußtsein dabei erleidet.57 Das natürliche Bewußtsein muß den Verlust aller vertrauten Gewißheiten herbeiführen, und es muß die Anstrengung auf sich nehmen, sich (sein in der Enttäuschung entstandenes Wissen um die Unwahrheit des Wissens) unentwegt dem Zweifel auszusetzen. Es ist daher nicht verwunderlich, daß das natürliche Bewußtsein aus ‚Angst oder Furcht vor der Wahrheit‘ dem Läuterungsprozeß zu entgehen trachtet; Hegel beschreibt verschiedene Fluchtversuche: das Bewußtsein kann sich in Bewußtlosigkeit stürzen oder die empfindsame Anschauung des Wahren kultivieren,58 es kann das „trockne Ich“ (PdG 58) genießen, das nach abstrakter Negation aller Standpunkte übrig bleibt. Zugleich weist Hegel darauf hin, daß sich das Bewußtsein diese Fluchtversuche (zumindest die beiden ersten der genannten Möglichkeiten) selbst vereitelt, da es den Stachel der Läuterung in sich trägt. Schließlich bedeutet die skeptische Läuterung die Verwirklichung des Begriffs, den das Bewußtsein schon besitzt. Der Terminus ‚Begriff‘ ist in diesem Zusammenhang nicht als Reflexionsbegriff zu verstehen, er entspricht vielmehr dem Wahren: vom bloßen Begriff des natürlichen Bewußtseins, dem noch leeren Begriff des Wissens ausgehend, realisiert sich der Begriff in der erkannten Identität von Begriff und Gegenstand. Hegel beschreibt die Entwicklung des natürlichen Bewußtseins deshalb auch als „[…] die bewußte Einsicht in die Unwahrheit des erscheinenden Wissens, dem dasjenige das reellste ist, was in Wahrheit vielmehr nur der nichtrealisirte Begriff ist.“ (PdG 56). Die Bedeutung des ‚nichtrealisierten Begriffs‘, den das natürliche Bewußtsein hat, darf nicht übersehen werden: er ist Movens des Läuterungsprozesses. Erst die Bemühung um die Identität von Wissen und Wahrheit bei gleichzeitigem Bewußtsein der Nicht-Identität ermög57
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Dieser Einwand trifft auch J. Stewarts Deutung der bestimmten Negation; es wird gewissermaßen ausschließlich die Perspektive des wissenschaftlichen Beobachters (für uns) und nicht die des sich läuternden Bewußtseins (für es) berücksichtigt. J. Stewart „Hegel’s Doctrine of Determinate Negation: An Example from ‚Sense-Certainty‘ and ‚Perception‘“ in Idealistic Studies Volume 26 (1996), Number 1, S. 57-78. Als Andeutung der intellektuellen Anschauung läßt sich die Möglichkeit verstehen, „[…] daß sie [die Angst vor der Wahrheit, d. Verf.] als Empfindsamkeit sich befestigt, welche alles in seiner Art gut zu finden versichert; diese Versicherung leidet eben so Gewalt von der Vernunft, welche gerade darum etwas nicht gut findet, in so fern es eine Art ist.“ (PdG 57). Hier wird das Innewerden einer universalen Einheit versichert, in der doch die bloße Differenz Bestand hat.
2.2. Skeptizismus
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licht den Skeptizismus. „Das Bewußtseyn aber ist für sich selbst sein Begriff, dadurch unmittelbar das hinausgehen über das Beschränkte, und, da ihm diß Beschränkte angehört, über sich selbst […]“ (PdG 57). Der Begriff hindert das natürliche Bewußtsein daran, sich mit seinen unmittelbaren Gewißheiten zu begnügen. Daß dabei der ‚Unruhe des Gedankens‘ eine die Selbstgenügsamkeit des natürlichen Lebens unterbindende Funktion zukommt (PdG 57), weist auf eine veränderte Bedeutung der Reflexion hin. Das Verhältnis von Begriff und Verstand, die modifizierte Bedeutung des Verstandes, soll hier in bezug auf Hegels Vorrede erörtert werden. Zuvor sei auf die ebenfalls modifizierte Bewertung der intellektuellen Anschauung hingewiesen. War diese in Hegels früheren Entwürfen zumindest ein Kandidat für die ungeklärte positive Erkenntnis des Wahren, so zählt sie jetzt zu den Fluchtbewegungen des natürlichen Bewußtseins, das sich gegen den Verlust seiner Gewißheiten sträubt und damit gegen den Läuterungsprozeß zum absoluten Wissen. Ein Zwischenergebnis (mit Rückblick auf den Skeptizismus-Aufsatz). Das einleitend entworfene Programm der Phänomenologie des Geistes nimmt die radikale Kritik einer reflexiven Erkenntnis des Wahren in der Kritik des natürlichen Bewußtseins auf. Durch die Unterscheidung von abstrakter und bestimmter Negation läßt sich das Problem der wissenschaftlichen Methode lösen: der Skeptizismus vollbringt sich durch bestimmte Negation selbst zum wahren Wissen (ohne ein Supplement wie die intellektuelle Anschauung zu benötigen); die verurteilte destruktive Methode des ‚nihil negativum‘ läßt sich nun als abstrakte Negation charakterisieren. Die bloße oder abstrakte Negation bleibt in den verständigen Entgegensetzungen gefangen; zum Beispiel argumentiert eine kritisch mit dem Werkzeug Erkenntnis hantierende Epistemologie ebenso wie Schulzes Postulat der Nicht-Identität von Denken und Sein ‚dogmatisch skeptisch‘. Durch die Hinzuziehung einiger Passagen der Vorrede lassen sich das Programm des ‚sich vollbringenden Skeptizismus‘ und die angedeuteten Modifikationen in Hegels Entwurf zusätzlich beleuchten (diese Ergänzung erhebt selbstverständlich nicht den Anspruch einer der Bedeutung der Vorrede als Manifest der Hegelschen Philosophie gerecht werdenden Interpretation). In der Vorrede der Phänomenologie des Geistes (PdG 9-49) bestimmt Hegel ausdrücklich das Absolute. Einer der von Hegel genannten Formeln der Spekulation entsprechend kommt es im wissenschaftlichen Erkennen darauf an, „[…] das Wahre nicht als Substanz, sondern eben so sehr als Subject aufzufassen und auszudrücken. Zugleich
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2. Hegels Begriff der Negativität
ist zu bemerken, daß die Substantialität so sehr das Allgemeine, oder die Unmittelbarkeit des Wissens, als diejenige, welche Seyn oder Unmittelbarkeit für das Wissen ist, in sich schließt.“ (PdG 18). Das sich selbst erzeugende Absolute ist qua bloßes Subjekt die „reine einfache Negativität“ (PdG 18) und vollzieht so die „Bewegung des sich selbst Setzens, oder die Vermittlung des sich anders Werdens mit sich selbst“ (PdG 18). Das Ganze dieser Bewegung ist nicht unmittelbar, sondern allein im philosophischen System darzustellen. Diese kompilierten Aussagen über das Absolute können durch folgende Überlegung erläutert werden: schon in der Einleitung wird der Begriff als ‚realisierter Begriff‘ des Bewußtseins der vernünftigen Identität von Denken und Sein gleichgesetzt; die verständige Entzweiung von Wissen und Wahrheit und deren vernünftige Vereinigung konstituieren den Begriff. Die darin implizierte Bewegung des Begriffs entspricht dem Absoluten, das als Prozeß von Entzweiung und Vereinigung aufzufassen und auszudrücken ist. Die Bewegung des Begriffs mitzuvollziehen und als solche zu verstehen ist Aufgabe der Philosophie. Das Absolute schließt die Entzweiung nicht aus, erst die Entfremdung – „der Ernst, der Schmerz, die Geduld und Arbeit des Negativen“ (PdG 18) – verwirklicht den Prozeß des Wahren. Die notwendige Entfremdung ist die Leistung des also am Vermittlungsgeschehen beteiligten Verstandes. In dieser Bewertung des Verstandes ist eine Revision Hegels auszumachen: der in den vorangegangenen Entwürfen unbestimmt gebliebene Zusammenhang von Verstandeskritik und vernünftiger Erkenntnis läßt zu, daß die Reflexion aus dem Wahren ausgeschlossen und dessen Erkenntnis anderen, nicht genauer bezeichneten Erkenntnisformen vorbehalten wird; der nun vorgenommenen Revision zufolge vereitelt die nach wie vor berechtigte Kritik der absolut gesetzten Reflexion aber selbst das wissenschaftliche Erkennen, „[…] wenn die Reflexion aus dem Wahren ausgeschlossen und nicht als positives Moment des Absoluten erfaßt wird.“ (PdG 19f.). Die Zugehörigkeit der Reflexion zum ‚Leben der Wahrheit‘ betont Hegel, indem er Wahrheit resümiert als „[…] de[n] Proceß, der sich seine Momente erzeugt und durchläufft, und diese ganze Bewegung macht das Positive und seine Wahrheit aus. Diese schließt also ebensosehr das Negative in sich, dasjenige, was das Falsche genannt werden würde, wenn es als ein solches betrachtet werden könnte, von dem zu abstrahiren sey.“ (PdG 34). Die Bedeutung des Verstandes kann durch die Wissenschaft selbst illustriert werden. Die Geschichte der Wissenschaft ist als Bildungsgeschichte des Wahren hin zur „Einsicht des Geistes in das, was das Wis-
2.2. Skeptizismus
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sen ist“ (PdG 25), dem sich als Geist wissenden Geist, zu verstehen. Die Bildung erfordert ein In-Bewegung-Setzen der den gegenwärtigen Stand der Bildung kennzeichnenden vertrauten Vorstellungen. Diese Vorstellungen sind Gedachtes, das heißt, daß die Unmittelbarkeit des Daseins schon in der angeeigneten Vorstellung davon überwunden ist. Das Resultat dieser Aneignung wird aber selbst noch unmittelbar hingenommen. Die erforderliche Entfremdung, eine Dynamisierung der Vorstellungen, bewirkt die Analysearbeit des Verstandes: „[…] denn nur darum, daß das Concrete [die Vorstellung, d. Verf.] sich scheidet, und zum Unwirklichen macht, ist es das sich bewegende. Die Thätigkeit des Scheidens ist die Krafft und Arbeit des Verstandes, der verwundersamsten und größten, oder vielmehr der absoluten Macht.“ (PdG 27). Die Zerstörung der Unmittelbarkeit durch die „ungeheure Macht des Negativen“ (PdG 27) bedeutet die Zergliederung der Vorstellungen in reine Gedanken, die Überführung in „Eigenthum des reinen Selbstbewußtseyns“ (PdG 28). Die Gedanken sind damit aber noch nicht begriffen; die Tätigkeit des Verstandes erscheint als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung der Bildung. Die Gedanken sind dem Denken selbst vertraut, das Begreifen erfordert deshalb eine Abstraktion des Denkens von sich selbst. Dieses „[B]egeisten“ (PdG 28) der Gedanken erfolgt, indem das Denken die Unbedingtheit von Ich und Gegenstand aufgibt: Die Gedanken werden flüssig, indem das reine Denken, diese innere Unmittelbarkeit, sich als Moment erkennt oder indem die reine Gewißheit seiner selbst von sich abstrahirt; – nicht sich wegläßt, auf die Seite setzt, sondern das Fixe ihres Sichselbstsetzens aufgibt, sowohl das Fixe des reinen Concreten, welches Ich selbst im Gegensatze gegen unterschiedenen Inhalt ist, – als das Fixe von Unterschiedenen, die im Elemente des reinen Denkens gesetzt an jener Unbedingtheit des Ich Antheil haben. (PdG 28)
Auf diese Weise erhebt sich die Wissenschaft zum Begriff, dessen Bewegung die vermeintlichen Fixpunkte eines unwahren Wissens nicht einfach beiseite läßt, sondern in sich schließt. Hinsichtlich der Vorrede ist also zunächst festzuhalten, daß einerseits die Unmöglichkeit einer reflexiven Erkenntnis des Wahren bestätigt, andrerseits die Reflexion neu bewertet wird, und zwar als Moment des ‚ganzen Wahren‘. Die besondere Anlage der Phänomenologie des Geistes als ‚Darstellung des erscheinenden Wissens‘ wird in der Vorrede (in Übereinstimmung mit der Einleitung) kurz skizziert. Die verständige NichtIdentität von Wissen und Wahrheit motiviert die Erfahrungsschritte des natürlichen Bewußtseins hin zur schließlich gewußten vernünftigen Identität.59 Die Systematizität dieses Bildungsprozesses verbürgt die bestimmte Negation, deren Bedeutung sich jedoch hinter dem
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2. Hegels Begriff der Negativität
Rücken des durch sie geleiteten Bewußtseins verbirgt und nur einem unbeteiligten Beobachter offenbart. Die Vorrede enthält ferner Ausführungen über das Prinzip der spekulativen Philosophie, die vernünftige Identität von Denken und Sein. Das philosophische Erkennen besteht darin, der dem jeweiligen Gegenstand immanenten Bewegung zu folgen. Die Wissenschaft beschränkt sich auf das nur scheinbar unergiebige, passive Verfolgen der Selbstbewegung des Seienden. Hegel spricht in diesem Zusammenhang ja von der „List“ (PdG 40) der Wissenschaft, deren Wissen der Versenktheit in den jeweiligen Inhalt entstammt. Erfolgreich ist dieses Verhalten des wahren Erkennens, weil das Seiende selbst Begriff ist. Erst durch Selbstbewegung ist das Dasein wirklich (wahr). Der Verstand qualifiziert das bloße Sein als bestimmtes Seiendes. „Das Daseyn ist Qualität, sich selbst gleiche Bestimmtheit oder bestimmte Einfachheit, bestimmter Gedanke; diß ist der Verstand des Daseyns.“ (PdG 40). Da sich die fixierten Bestimmungen des jeweiligen Gegenstands unter dem verweilenden Blick der Wissenschaft selbst transzendieren, ist der die Dialektik dieser Bestimmungen mitvollziehende Beobachter zugleich auf den Gegenstand konzentriert und über ihn hinaus. Der analysierende Verstand liefert dabei für die dialektische Entwicklung notwendige Bestimmungen, ohne die Notwendigkeit dieser Arbeit einzusehen.60 Bezüglich Hegels Ausführungen zur vernünftigen Identität ist zu beachten, daß die Erhellung des Grunds der Spekulation der modifizierten Bewertung des Verstandes mit zu verdanken ist. Auch in der Vorrede formuliert Hegel sein philosophisches Programm in der mitunter polemischen Abgrenzung von verschiedenen, den Zeitgeist dominierenden Formen unwahren Wissens, von denen hier zwei – die intellektuelle Anschauung und das räsonierende Denken – besondere Aufmerksamkeit verdienen. Alle Formen derartigen Wissens verbindet die Weigerung, die Anstrengung des wissenschaftlichen Erkennens auf sich zu nehmen. Die von Hegel als Unphilosophie verurteilten Erkenntnisformen sind dabei mehr oder weniger offensichtlich von dem Bedürfnis geleitet, das erschütterte Vertrauen in die unmittelbaren Gewißheiten des Bewußtseins wiederherzustellen. 59 60
Mit Bezug auf die ‚Erfahrung‘ s. PdG 29. Vgl. PdG 40: „So ist also die Verständigkeit ein Werden, und als diß Werden ist sie die Vernünftigkeit.“ Der Verstand bringt durch Analyse die Bewegung hervor, die als Bewegung des Begriffs, als Wahrheit, nicht ‚für ihn‘ ist. Das Begreifen des Werdens ist der Vernunft (dem Geist) vorbehalten.
2.2. Skeptizismus
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Diesem Bedürfnisse soll sie [die Philosophie, d. Verf.] also nicht so sehr die Verschlossenheit der Substanz aufschliessen, und diese zum Selbstbewußtseyn erheben, – nicht so sehr ihr chaotisches Bewußtseyn zur gedachten Ordnung und zur Einfachheit des Begriffes zurückbringen, als vielmehr die Sonderungen des Gedankens zusammenschütten, den unterscheidenden Begriff unterdrücken und das Gefühl des Wesens herstellen, nicht sowohl Einsicht als Erbauung gewähren. (PdG 12f.)
Angesichts der Anstrengung, die dem hinsichtlich der Gültigkeit seiner Gewißheiten ohnehin verunsicherten Bewußtsein von der Wissenschaft zugemutet wird, flüchtet dieses zu philosophischen Surrogaten. Die die Gegenwart charakterisierenden Entgegensetzungen werden entweder formalistisch, in einem willkürlich angewandten Schema vereinigt oder in reiner Identität zum Verschwinden gebracht. Diese reine oder „absolute Identität“ (PdG 38) erfüllt die Wünsche der „kraftlose[n] Schönheit“ (PdG 27), indem sie den Verstand mit seinen Unterscheidungen ausschaltet, und wird durch intellektuelle Anschauung erfahren. Da die Vermittlung aber Konstituens des Absoluten ist, wendet sich Hegel gegen solch unmittelbare Erkenntnis des Wahren. Diese in erster Linie gegen Schelling gerichtete Polemik beinhaltet insofern eine Selbstrevision, als Hegel in seinen vorangegangenen Arbeiten die anschauende Teilhabe am Wahren zumindest zugelassen hatte. Das räsonierende Denken, als zweite markante Fehlform des Wissens, ist durch die Wiederholung abstrakter Negation und ein nicht in Frage gestelltes Subjekt gekennzeichnet (PdG 41-46). Insofern sich das räsonierende Subjekt durch bloße Aburteilung über jeden Wahrheitsanspruch erhebt, präfiguriert es in seiner negativen Freiheit den im folgenden Kapitel dargestellten Ironiker. Der positive Ausdruck des Räsonierens ist das Urteil, in dem die Verbindung von Subjekt und Prädikat, nicht aber die Notwendigkeit eben dieser Verbindung zum Ausdruck kommt. Als Gegenstück zur defizienten Form des Urteils entwirft Hegel den spekulativen Satz als die dem Wahren angemessene Ausdrucksform. Der spekulative Satz muß die Prozessualität des Absoluten artikulieren; wenn das Absolute nicht nur als Substanz, sondern ebenso sehr als Subjekt auszudrücken ist, läßt es sich weder mit einem einzelnen Wort nennen noch als grammatisches Subjekt fassen (PdG 20f.). Im spekulativen Satz vollzieht sich vielmehr eine Bewegung des Subjekts zum Prädikat, wodurch das Subjekt im Prädikat ‚wiedergefunden‘ wird – „[d]er feste Boden, den das Räsonniren an dem ruhenden Subjecte hat, schwankt also, und nur diese Bewegung selbst wird der Gegenstand.“ (PdG 43). Die Differenz von Subjekt und Prädikat ist im spekulativen Satz nicht schlechterdings
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2. Hegels Begriff der Negativität
beseitigt, wie auch die Reflexion im Absoluten nicht vernichtet ist. Hegels vereinzelten, bisweilen kryptischen Bemerkungen über den spekulativen Satz zufolge schließen sich in dieser Ausdrucksform Nicht-Identität und Identität zu einem Ganzen zusammen. „So soll auch im philosophischen Satze die Identität des Subjects und Prädicats den Unterschied derselben, den die Form des Satzes ausdrückt, nicht vernichten, sondern ihre Einheit als eine Harmonie hervorgehen.“ (PdG 43f.). Der spekulative Satz ist allerdings nur der Keim einer wissenschaftlichen Äußerung, die sich im explizit dialektischen Bezug der Sätze aufeinander entfaltet. Ein Vorläufer des spekulativen Satzes wurde in der vorliegenden Arbeit bereits behandelt: der im Skeptizismus-Aufsatz entworfene vernünftige Satz verstößt gegen den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch; nach diesem Verstoß gegen die verständigen Ausdrucksregeln ist allerdings ein Supplement vonnöten, das die vernünftige Einheit der einander widersprechenden Reflexionsbegriffe zu fassen vermag. Auch der spekulative Satz bricht mit den vertrauten verständigen Formen, er bedarf jedoch keiner Vervollständigung. Die Bewegung im spekulativen Satz ist der Ausdruck des Wahren. Über die Bedeutung des Skeptizismus in Hegels Philosophie läßt sich folgendes festhalten: der ‚spekulative Karfreitag‘ soll durch den authentischen Skeptizismus, die Negation der verständigen Erkenntnis des Wahren, herbeigeführt werden. Die Umsetzung des authentischen Skeptizismus, dessen Ausdruck der vernünftige Satz ist, in eine produktive Methode der Wissenschaft gelingt zunächst nur ansatzweise; ergänzend werden vernünftige Erkenntnisformen angedeutet. Erst mit der bestimmten Negation steht die Methode zur Verfügung, die das Bewußtsein durch systematischen Zweifel zum absoluten Wissen läutert. Der ‚sich vollbringende Skeptizismus‘ ist die wissenschaftliche Einleitung in die Wissenschaft. Die Spezifizierung des Absoluten, das als Substanz und Subjekt aufzufassen ist, bedeutet eine Neubewertung der im Werden des Wahren implizierten Reflexion. Die Ausdrucksform des sich selbst erzeugenden Absoluten ist der spekulative Satz (beziehungsweise die Dialektik im System spekulativer Sätze).
2.3. Ironie als Negativbeispiel Im Vergleich mit der durchgeführten Skepsis, die den Jammer des ‚spekulativen Karfreitags‘ einschließt und als ‚sich vollbringender Skeptizismus‘ zum wahren Wissen führt, erscheint die Ironie als eine
2.3. Ironie als Negativbeispiel
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nicht-durchgeführte Skepsis. Mit den inzwischen zur Verfügung stehenden begrifflichen Mitteln läßt sich die Ironie leicht charakterisieren. Die Ironie erfüllt scheinbar die mit dem Begriff des ‚spekulativen Karfreitags‘ bezeichnete Aufgabe, während sie ihr entschieden zuwiderhandelt. Die Trauer über den Verlust aller vertrauten Selbstund Weltverhältnisse läßt das ironische Subjekt unberührt: es versteht die durchschaute Nichtigkeit der Reflexionskultur als Lizenz, das Subjekt als Unbedingtes auszurufen und das diesem entgegengesetzte Bedingte zum Material zu erklären. Das absolute Nichts der Reflexion verlangt das Opfer des sich in erstarrten reflexiven Verhältnissen erhaltenden Subjekts, das vertraute Ich kann die skeptische Zerrüttung des Verstandes nicht unbeschadet überstehen; dieser Selbstaufgabe verweigert sich das ironische Ich, obgleich es die Nichtigkeit der verständigen Verhältnisse selbst anführt. Als das die Nichtigkeit des Bedingten aussprechende Ich behält es sich eine Schutzzone vor. Derjenige, der die Vernichtung des bloß Bedingten betreibt, vergewissert sich in dieser Vernichtung seiner Unantastbarkeit. Das Zurückschrecken vor der Gewalt des absoluten Nichts treibt in eine vorgetäuschte Vernichtung. Man ist derartigen Täuschungen in der vorliegenden Arbeit schon begegnet, zum Beispiel sei an Hegels Kritik des Jacobischen Glaubensbegriffs (in Glauben und Wissen) erinnert. Der befangene Gläubige gesteht seine Ohnmacht ein, um sich durch das Eingeständnis die eigene Macht zu bestätigen. Von diesem heuchlerischen Glauben unterscheidet sich die Ironie durch das Offenlegen ihres Tuns: der Ironiker verheimlicht seine Rettungsabsicht nicht, zumindest nicht vor sich selbst. Er bedient sich der abstrakten Negation nicht nur zur skeptischen Zurückweisung jedes ‚Wahrheitsangebots‘,61 sondern zur Willkürherrschaft über das bloß Bedingte; die Verwendung der abstrakten Negation ist zu deren Genuß, zum durch abstrakte Negation garantierten Genuß seiner selbst verstärkt. Das Nichts der Reflexion ist sozusagen in den Dienst des ironischen Subjekts gestellt und folglich die Entgegensetzung von unbedingtem Ich und bedingter Welt und Wahrheit unaufhebbar. Als so extreme Entgegensetzung erhält die Ironie in Hegels Philosophie eine Sonderstellung; die Zuspitzung der Entzweiung ist der Ort des Umschlags in die Einheit, die äußerste Entgegensetzung bereitet die Negation des Gegensatzes vor. Die Ironie erscheint deshalb an Wendepunkten. Aus der Phänomenologie des Geistes ließe sich als Beispiel die Versöhnung des sich bekennenden Bösen und 61
Vgl. PdG 57, 119-121.
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2. Hegels Begriff der Negativität
des Hartherzigen anführen,62 durch die der Läuterungsprozeß des Bewußtseins in gewissem Sinne abgeschlossen wird. Hier soll die Ironie jedoch, wie eingangs angekündigt, anhand einiger Belege aus Hegels späteren Schriften dargestellt werden.63 In dem Kapitel der Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, das der Periode von den Sophisten bis zu den Sokratikern gewidmet ist,64 wird der Begriff der Ironie spezifiziert. Die von Hegel ‚verwissenschaftlichte‘ philosophiegeschichtliche Periode kann als Zeitalter der subjektiven Reflexion des Absoluten bezeichnet werden, das Subjekt thematisiert als Denkendes das Wahre und seine Beziehung zum Wahren. Eingeleitet wird dieser Prozeß durch die Sophisten, die dem gemeinen Bewußtsein das Vergnügen an einem unreflektierten objektiven Wahren vergällen; die sophistische Argumentation stützt sich auf die Macht des Gedankens, das in konkreten Vorstellungen ruhende gemeine Bewußtsein wird zur Abstraktion veranlaßt. Damit geht die Sophistik über das bloß partielle Zweifeln hinaus, ihre Dialektik hat einerseits wissenschaftliche Bedeutung; andrerseits bleibt die Sophistik bei der Auflösung der unreflektierten Gewißheiten stehen, das Ergebnis der sophistischen Reflexion bleibt wegen des fehlenden absoluten Prinzips willkürlich. (In diesem unbefriedigenden räsonierenden Denken erkennt Hegel übrigens einen Vorläufer der gegenwärtigen Reflexionskultur.) Als Wende erscheint nun die Gestalt des Sokrates, der das Prinzip des Guten zum Bewußtsein bringt, womit der subjektiven Reflexion Objektivität verliehen 62
63
64
Für die Kennzeichnung als ‚ironisch‘ ist die spezifische Verwendung der abstrakten Negation, nicht der Gebrauch des Ironiebegriffs ausschlaggebend; vgl. zu dem genannten Beispiel E. Hirsch „Die Beisetzung der Romantiker in Hegels Phänomenologie. Ein Kommentar zu dem Abschnitte über die Moralität“ in Materialien zu Hegels ‚Phänomenologie des Geistes‘, hrsg. v. H.F. Fulda und D. Henrich, 8. Aufl., Frankfurt a.M. 1992, S. 245-275. In seiner Rechtsphilosophie weist Hegel am Ende der die Ironie expressis verbis thematisierenden Moralitätsdiskussion auf die entsprechenden Passagen der Phänomenologie des Geistes zurück, Hegel Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. Mit Hegels eigenhändigen Notizen und den mündlichen Zusätzen, TWA 7, 279f. Vgl. mit der folgenden Darstellung E. Behlers Studien „Friedrich Schlegel und Hegel“ in Hegel-Studien 2 (1963), S. 203-250, und Ironie und literarische Moderne, Paderborn 1997, v.a. S. 115-149, 224-230, 233-235. Auffallend ist in diesen Studien Behlers ‚harmonistisches‘ Verständnis der Hegelschen Dialektik, das das in der vorliegenden Arbeit fokussierte absolute Nichts mißachtet. Hegel Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I, TWA 18, 404-560. Grundsätzlich bleibt die Editionsgeschichte dieses Texts zu bedenken, s. die redaktionelle Anmerkung in Hegel Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, TWA 20, 520-527.
2.3. Ironie als Negativbeispiel
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werden soll. Doch läßt sich dabei nicht von einer (systematischen) Philosophie sprechen, das Verhalten des Sokrates ist entscheidend. Um das vermeintlich wissende Bewußtsein zum Ausführen seines Standpunkts (sei es eine konkrete Vorstellung, sei es ein abstrakter Gedanke) zu bewegen, stellt sich Sokrates unwissend. „Dieses ist dann die Seite der berühmten Sokratischen Ironie. Sie hat bei ihm die subjektive Gestalt der Dialektik, sie ist Benehmungsweise von Person zu Person.“65 Indem sie die verhärteten Vorurteile aufweicht, steht die Sokratische Ironie im Dienst der wahren Erkenntnis – und mit einer wichtigen Nebenbemerkung transponiert Hegel diesen Ironiebegriff auf das Absolute: „Alle Dialektik läßt das gelten, was gelten soll, als ob es gelte, läßt die innere Zerstörung selbst sich daran entwikkeln, – allgemeine Ironie der Welt.“66 Von dieser berechtigten Ironie möchte Hegel die unberechtigte Ironie unterschieden wissen, die – inspiriert von Fichtes absolutem Ich –67 das in Entgegensetzung verharrende Subjekt zum Absoluten erklärt. Die „bestimmte Ironie“68 des Sokrates als dialektisches Verfahren stellt keineswegs die Legitimation der sich an der reinen Negation weidenden Subjektivität bereit. Vielmehr liegt die Bedeutung der Sokratischen Methode (für deren genaueres Verständnis auch die Maieutik zu behandeln wäre) in der Radikalisierung des Zweifels, sie fördert ein protreptisches ‚de omnibus dubitandum est‘.69 Neben der Sokratischen Verstellung bleibt die im Sinne der gerade zitierten ‚Weltironie‘ ironische Konstellation zu berücksichtigen, in die Sokrates selbst als ‚welthistorische Person‘ gestellt ist: „Aber seine tragische Ironie ist sein Gegensatz seines subjektiven Reflektierens gegen die bestehende Sittlichkeit, – nicht ein Selbstbewußtsein, daß er darübersteht, sondern der unbefangene Zweck, zum wahren Guten, zur allgemeinen Idee zu führen.“70 Die von Sokrates ‚unbefangen‘ geltend gemachte Subjektivität ist genauso berechtigt wie die damit in ihrer Verbindlichkeit verletzte Objektivität. Die tragische Kollision und die die beiden unmittelbaren 65 66 67
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70
Hegel Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I, TWA 18, 458. Ebd. 460. Vgl. in denselben Vorlesungen den Abschnitt über Hauptformen, die mit der Fichteschen Philosophie zusammenhängen, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, TWA 20, 415-420. Hegel Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I, TWA 18, 461. Vgl. ebd. 466f.: „Es ist Verwirrung, mit der die Philosophie überhaupt anfangen muß und die sie für sich hervorbringt; man muß an allem zweifeln, man muß alle Voraussetzungen aufgeben, um es als durch den Begriff Erzeugtes wiederzuerhalten.“ Ebd. 461.
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2. Hegels Begriff der Negativität
Opponenten vernichtende Vermittlung, Entgegensetzung und Vernichtung der Entgegensetzung, sind Momente des sich selbst erzeugenden Absoluten.71 Das besagt auch, daß die durch Sokrates initiierte subjektive Reflexion des Wahren selbst in das Werden des Wahren eingebunden ist. So können die Sokratiker mit ihrer abstrakten Aufnahme und beliebigen Konkretisierung des Sokratischen Prinzips des Guten die abermalige verständige Entgegensetzung der vernünftigen Einheit illustrieren (zum Beispiel wird die kynische Schule von dem Vorsatz getragen, eine abstrakte Freiheit des Subjekts gegen die Verwicklung in die Wirklichkeit zu erstreiten). Der von der Sokratischen Ironie streng unterschiedenen nachfichteschen Ironie begegnet man auch in dem berühmten Paragraphen 140 der Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse.72 Hier ist das Selbstbewußtsein mit der Entgegensetzung von subjektiver Handlung und objektiver Sittlichkeit konfrontiert. Trotz dieser Entgegensetzung kann das Selbstbewußtsein seine Handlung als gut darstellen, das bedeutet, die Subjektivität behauptet sich als das Absolute. Im Verlauf der Präsentation der Hauptgestalten dieser Subjektivität wird der Anschein sittlicher Objektivität zusehends abgelegt und die absolute Subjektivität erkennbar: die äußerste Zuspitzung stellt die Ironie dar, das ironische Ich ist unverkleidet „Virtuosität, Genialität – Meister des Sittlichen“,73 also Meister des Wahren. Die Willkürherrschaft des ironischen Ich ist in dem absoluten Ich der Fichteschen Philosophie angelegt. Ferner sieht Hegel die behandelten Formen absoluter Subjektivität durch die dominante Philosophie der Nicht-Erkennbarkeit des Absoluten begünstigt. (Diesen Verzicht auf die Erkenntnis des Absoluten und das supplementäre Verstandesspiel moderner Sophisterei, die gebildete Reflexionskultur, hat man in der Lektüre von Glauben und Wissen kennengelernt.) Die unberechtigte Ironie, der auf abstrakte Negation gestützte Selbstgenuß des Ich, markiert auch in der Rechtsphilosophie eine Situation äußerster Entzweiung, die als forcierte Entzweiung der Aufhebung unmittelbar vorhergeht. Die hauptsächlich mit Friedrich Schlegel assoziierte Ironie erhält in der Philoso71
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Die tragische Ironie – und die Betonung liegt hier auf dem Begriff tragisch – erlaubt Hegel die Parallelisierung von Sokrates und Christus, ebd. 513f. Hegel Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. Mit Hegels eigenhändigen Notizen und den mündlichen Zusätzen, TWA 7, 265-286; in bezug auf die Ironie s. ebd. 277-280, aus den Bemerkungen und dem Zusatz v.a. 280f., 284, 285f. Ebd. 279.
2.3. Ironie als Negativbeispiel
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phie Solgers eine wissenschaftlichere Gestalt,74 so daß die anschließende Lektüre von Hegels Solger-Rezension naheliegt. In seiner Rezension über Solgers nachgelassene Schriften und Briefwechsel75 entwirft Hegel ein allgemeines Bild der zurückliegenden Periode, in die sich Solgers besonderes Streben einordnen läßt. Im Rückblick ist die ‚Abstraktion der Innerlichkeit‘ als Charakteristikum der vergangenen Jahrzehnte erkennbar; so verhält sich das Subjekt bloß ‚aburteilend‘ gegen das Objekt (eine genaue Übersetzung der abstrakten Negation) und wähnt sich in der Entgegensetzung über jeden Gegenstand erhaben. Die Popularität des Ironiebegriffs kann als Symptom diese Diagnose stützen,76 als Akme der krisenhaften Entwicklung gilt wiederum Friedrich Schlegel. Demgegenüber läßt sich in Solgers Philosophie durchaus ein spekulatives Bedürfnis ausmachen, allerdings wird die Spekulation, die das mit der absoluten Subjektivität in Blüte stehende Zeitalter des Verstandes überwinden könnte, nur ansatzweise verwirklicht. Solger verbleibt bei dem ‚endlich Unendlichen‘: das Prinzip der Negation der Negation als wahrer Affirmation ist fokussiert, und doch wird dieser Begriff wahrer Unendlichkeit verendlicht. Die dem philosophischen Erkennen zugeordnete absolute Negation erscheint ungenügend, solange die Prozeßhaftigkeit des Wahren nicht begriffen ist; deshalb wird dem mit absoluter Negativität hantierenden philosophischen Erkennen eine religiöse Anschauung des Wahren an die Seite gestellt. Der so eingerichtete Dualismus kennzeichnet Solgers Ironie, die als zum Prinzip gemachte Ironie spekulative Bedeutung hat: Dies ist nämlich jene Negativität überhaupt, die in der Steigerung bis zu ihrer abstrakten Spitze die Grundbestimmung der Fichteschen Philosophie ausmacht; im Ich = Ich ist alle Endlichkeit nicht nur, sondern überhaupt aller Gehalt verschwunden. Der höchste Anfangspunkt für das Problem der Philosophie ist mit dieser Steigerung allerdings zum Bewußtsein gebracht worden, von dem Voraussetzungslosen, Allgemeinen aus das Besondere zu entwickeln, – einem Prinzip, das die Möglichkeit dazu enthält, weil es selbst schlechthin der Drang der Entwicklung ist.77
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Solger habe in der Ironie „[…] die Seite des eigentlichen Dialektischen, des bewegenden Pulses der spekulativen Betrachtung ergriffen und festgehalten.“, ebd. 277. Hegel Solgers nachgelassene Schriften und Briefwechsel, TWA 11, 205-274. Hegels Ärger über diesen populären Ironiebegriff ist noch in der Rückschau nicht zu übersehen; z.B. sei Solgers Kritik tingiert von der Verwendung des Ironiebegriffs „[…] in dem Sinne, der häufig damit verbunden ist […], daß es die reinste Ironie ist, in dem Stücke irgendeinen Wert antreffen zu wollen, welche Täuschung irgendeiner Erwartung denn eben der Humor der Sache sein soll.“, ebd. 221. Ebd. 254.
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2. Hegels Begriff der Negativität
Die Negativität ist aber nur als Negation der Negation Puls des Absoluten. Trotz seines Interesses für die spekulative Negativität hat Solger die Entwicklung des Prinzips nicht durchgeführt, sondern das Prinzip selbst eingeschränkt und sich durch die festgestellte Unterscheidung von philosophischem Erkennen und ‚Erfahren der göttlichen Tatsache‘ der Reflexion überantwortet. Die Bedeutung der modernen Ironie für die Kunst wird in Hegels Vorlesungen über die Ästhetik behandelt.78 Der moderne Ironiker identifiziert sich mit dem der Fichteschen Philosophie entlehnten absoluten Ich. Der Auftritt als absolutes Ich, und das bedeutet zunächst einmal das Unterfangen, „[…] als Künstler zu leben und sein Leben künstlerisch zu gestalten“,79 macht dem Ironiker die Exklusivität seines Standpunkts, die Göttlichkeit seiner ‚formellen Freiheit‘, deutlich. „Und nun erfaßt sich diese Virtuosität eines ironisch-künstlerischen Lebens als eine göttliche Genialität, für welche alles und jedes nur ein wesenloses Geschöpf ist, an das der freie Schöpfer, der von allem sich los und ledig weiß, sich nicht bindet, indem er dasselbe vernichten wie schaffen kann.“80 Die Freude über die formale Schöpferkraft wird aber durch die Inhaltslosigkeit der Schöpfungen getrübt; die Allmacht des Ironikers ist nicht von dieser Welt, und so muß er sich denn ‚schönseelisch‘ vor deren Ansprüchen in Acht nehmen. Daß sich das ironische Ich nur aburteilend seiner Macht versichern kann, belegt dessen künstlerische Produktion; so darf im (poetischen) Kunstwerk nichts als in sich beständig dargestellt werden, um sich nicht als Beständiges der ironischen Subjektivität entgegensetzen zu lassen. Das Ironische aber als die geniale Individualität liegt in dem Sichvernichten des Herrlichen, Großen, Vortrefflichen, und so werden auch die objektiven Kunstgestalten nur das Prinzip der sich absoluten Subjektivität darzustellen haben, indem sie, was dem Menschen Wert und Würde hat, als Nichtiges in seinem Sichvernichten zeigen.81
Daß vor dem Ironiker alles nichts gilt, unterscheidet die Ironie vom Komischen, das sich gleichsam berichtigend gegen dieses oder jenes wendet, sofern es sich als bloß Relatives für Absolutes ausgibt. Auch in dieser Darstellung der modernen Ironie betont Hegel die Ausnahmestellung Solgers. Solger forciert die ironische Negativität (und entzieht sie damit der Instrumentalisierung durch den sich selbst genie78 79 80 81
Hegel Vorlesungen über die Ästhetik I, TWA 13, v.a. 93-99, 210f. Ebd. 94. Ebd. 95. Ebd. 97.
2.3. Ironie als Negativbeispiel
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ßenden Ironiker), wobei die isolierte und verabsolutierte Negativität keine Vermittlung zuläßt: Hier kam er auf das dialektische Moment der Idee, auf den Punkt, den ich „unendliche absolute Negativität“ nenne, auf die Tätigkeit der Idee, sich als das Unendliche und Allgemeine zu negieren zur Endlichkeit und Besonderheit und diese Negation ebensosehr wieder aufzuheben und somit das Allgemeine und Unendliche im Endlichen und Besonderen wiederherzustellen. An dieser Negativität hielt Solger fest, und allerdings ist sie ein Moment in der spekulativen Idee, doch, als diese bloße dialektische Unruhe und Auflösung des Unendlichen wie des Endlichen gefaßt, auch nur ein Moment, nicht aber, wie Solger es will, die ganze Idee.82
Auf diese Weise kann die abstrakte Negation (sei sie nun den Händen des Ironikers entzogen oder nicht) nicht überwunden werden. Ein Fazit bezüglich der Ironie. Die mangelhafte Negativität der Ironie (läßt man die Sokratische Ironie einmal außer acht) erscheint im Widerspruch, den ‚spekulativen Karfreitag‘ herbeiführen zu wollen und zugleich bewußt das Aufgeben der Reflexion zu vereiteln. Diese Widersprüchlichkeit kennzeichnet das ironische Subjekt, das sich durch abstrakte Negation der eigenen Absolutheit versichert, wie das nicht begriffene Prinzip Ironie, bei dem die Entwicklung der Negativität durch eine endgültige Trennung von Wissen und Glauben blokkiert wird. Schließlich sei der bisherige Arbeitsverlauf resümiert. In Glauben und Wissen weckt das Unglück der Reflexionskultur, die auf die bloß entgegensetzende Negation gegründet ist, das Bedürfnis der Philosophie. Die Reflexionskultur, die sich vom Wahren selbst ausschließt, kann nur durch die Vernichtung der verständigen Entgegensetzungen überwunden werden: die Erfüllung des Bedürfnisses der Philosophie erfordert also, die Reflexion in die Selbstzerstörung zu treiben und den damit verbundenen Verlust der vertrauten Verständigung über Selbst, Welt und Wahrheit zu erleiden. Die Unumgänglichkeit des ‚spekulativen Karfreitags‘ ist anerkannt, wenngleich Hegel zu diesem Zeitpunkt die radikale Negativität nur andeutend als Moment des Absoluten bestimmt. Die Mitteilung des Vernünftigen erfolgt durch die ‚philosophische Kritik‘ an den Reflexionsphilosophien; diese Mitteilung ex negativo sichert das Vernünftige vor der
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Ebd. 98f. Diese Darstellung ließe sich schematisch mit der in den §§ 79-82 der Enzyklopädie gebrauchten Terminologie so erläutern: Solger hat die negativ-vernünftige Seite des Wahren forciert und dadurch die verständige und die positiv-vernünftige Seite ausgeschlossen; Hegel Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, TWA 8, 168-179.
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2. Hegels Begriff der Negativität
Verkehrung in ein bloß Entgegengesetztes, die bei direkter Mitteilung geschieht. Die Bewältigung der mit dem ‚spekulativen Karfreitag‘ gestellten Aufgabe leistet der Skeptizismus. Der im Skeptizismus-Aufsatz vorgestellte wahre Skeptizismus besteht in der konsequenten Verstandeskritik, die sich im ‚vernünftigen Satz‘ ausdrückt – er wiederholt gleichsam die Aufgabe der Philosophie, indem er bis zur ‚negativen Seite der Vernunft‘ führt. Das Programm der Phänomenologie des Geistes steht für die Durchführung des Skeptizismus, die radikale Negativität leitet zum positiven wahren Wissen. Der in der Einleitung entworfene ‚sich vollbringende Skeptizismus‘ verstärkt den Zweifel zur Verzweiflung an den verständigen Gewißheiten, darüber hinaus ermöglicht die bestimmte Negation die systematische Fortsetzung des Erfahrungsprozesses, den das Bewußtsein durchläuft. Nur der durch bestimmte Negation systematisierte Zweifel garantiert (auf wissenschaftlichem Weg) Zugang zur Wissenschaft. Der Begriff des Absoluten wird endgültig in der Vorrede bestimmt: die sich als stete Vermittlung ereignende Selbsterzeugung des Absoluten vermag allein der spekulative Satz auszudrücken. Die verständige Entgegensetzung und die vernünftige Vernichtung der Entgegensetzung sind als Momente der Vermittlung erkannt, das heißt, die Vernichtung der fixierten Entgegensetzungen im ‚spekulativen Karfreitag‘ ist als Moment des Wahren begriffen. Vor dem Hintergrund der durchgeführten Skepsis wurde Hegels Ironiebegriff als mangelhafte Negativität oder nicht-durchgeführte Skepsis vorgestellt. Die Ironie erscheint als Koketterie mit dem absoluten Nichts, das um die Nichtigkeit des Verständigen wissende Subjekt verweigert sich dem Schluß auf seine eigene Nichtigkeit – ja schwingt sich alles aburteilend selbst zum Absoluten auf. Wo die ironische Negativität spekulatives Interesse hervorruft, wird gleichwohl die Vernichtung aller reflexiven Bestimmungen vermieden. Indem die Ironie den Verlust der reflexiven Gewißheiten vermeidet und lieber die äußerste Entzweiung von Subjekt und Objekt befestigt, veranschaulicht sie indirekt die Gewaltsamkeit des ‚spekulativen Karfreitags‘. Die so zusammengestellten Ergebnisse werden im weiteren Verlauf der Arbeit dazu beitragen, Kierkegaards Gegenentwurf zu Hegels ‚sich vollbringendem Skeptizismus‘ zu interpretieren – den Entwurf einer Läuterung, die durch das Zusammenbrechen aller reflexiven Gewißheiten den Gegensatz von Glauben und Wissen vergegenwärtigen und seine Überwindung verhindern soll.
3.1. Leere und Fülle
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘ 3.1. Leere und Fülle (in Anlehnung an Journal DD)83 Welche Bedeutung der Läuterung in Kierkegaards Denken zukommt und wie sich dadurch Hegels und Kierkegaards Philosophie vergleichen lassen, soll hier zunächst durch die Lektüre einiger früher Aufzeichnungen Kierkegaards, des Journals DD, erkundet werden. Eine erste Orientierung hinsichtlich Kierkegaards Läuterung läßt sich mit Hilfe der in der Überschrift genannten Begriffe der Leere und der Fülle geben.84 Mit dem Begriff der Leere ist Hegels und Kierkegaards Gegenwart charakterisiert. Die Gegenwart wird als triviale Leere erfahren, die man gut als Reflexionskultur beschreiben kann. Die Reflexionskultur bedeutet (wie in den vorigen Kapiteln dargelegt) Alleinherrschaft des Verstandes, eines Erkennens, das sich ausschließlich im Bedingten bewegt und trotzdem den Anspruch auf Unbedingtheit erhebt. Wenn die Situation eines sich vom Unbedingten ausschließenden Erkennens unglücklich ist, dann macht die Konkurrenz verschiedener Formen eines derartigen Erkennens das Unglück nur schmerzlicher. In dieser unglücklichen Situation entsteht das Bedürfnis nach einer Läuterung. Die Läuterung soll von den vielen bedingten Wahrheiten, die die Reflexionskultur bilden, befreien und die unbedingte Wahrheit zugänglich machen. Eine jede der vielen bedingten Wahrheiten ist wertvoll, nur bleibt ihr Wert eben an diese oder jene Bedingung gebunden; sie wird in dem Moment wertlos, in dem sie als unbedingte gilt. Derjenige, der sich auf diese Wahrheit verläßt, hetzt von einer Bedingung zur nächsten, um sich schließlich der Einsicht in die Leere der Reflexionskultur zu stellen oder aber vor dieser Einsicht zu fliehen. Von der Läuterung wird die unbedingte Wahrheit erwartet, eine Wahrheit, die sich als schlechthin verläßlich erweist, und das bedeutet auch, daß der Wert der vielen bedingten Wahrheiten erst in dem Zusammenhang mit der unbedingten Wahrheit besteht. Das Gegenstück zur leeren Reflexionskultur bildet die unbedingte Wahrheit oder die Fülle der Wahrheit. Die mit der Läute-
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Dieses Kapitel ist eine überarbeitete und erweiterte Fassung des Aufsatzes: d. Verf. „Leere und Fülle. Möglichkeiten der Läuterung bei Hegel und Kierkegaard“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 2003, S. 168-188. Das Vokabular von Leere und Fülle wird hier in freier Anlehnung an den jungen Hegel verwendet, es findet sich mit der hier interessierenden Bedeutung aber auch bei Kierkegaard, exemplarisch in Über den Begriff der Ironie.
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
rung angestrebte Überwindung der Reflexionskultur ist allerdings eine zweischneidige Angelegenheit: einerseits möchte man mit der Reflexionskultur, mit den von ihr bereitgestellten Formen der Verständigung über Ich, Welt und Wahrheit, brechen; andrerseits bleiben diese Verständigungsformen, mögen sie auch noch so unbefriedigend sein, die allein vertrauten. Die Läuterung verlangt die Vernichtung des Vertrauten, sie ist deshalb aus der Perspektive des Betroffenen furchtbar, und diese Perspektive des Betroffenen darf nicht vergessen werden. Kierkegaard beschäftigt sich in Journal DD mit verschiedenen Möglichkeiten der Läuterung, zum Beispiel mit der Ironie, dem Humor und – worauf besonderes Gewicht gelegt werden wird – dem Zweifel. Diese Möglichkeiten unterscheiden sich vor allem dadurch, mit welcher Radikalität das sich läuternde Subjekt die Vernichtung des Vertrauten jeweils durchführt. Allgemein läßt sich die Läuterung also durch folgendes Schema beschreiben: der sich Läuternde läßt die Leere der Trivialität (Bedingtheit) in einer reinigenden Leere zugrunde gehen, um so der Fülle der Wahrheit (Unbedingtheit) teilhaftig zu werden. Das Schema wird nun durch die Lektüre des Journals DD veranschaulicht. 3.1.1. Die Komödie der Wirklichkeit In Kierkegaards Journal DD zieht wohl zuerst die dramatische Skizze „Der Streit zwischen dem alten und dem neuen Seifenkeller“ die Aufmerksamkeit des Lesers auf sich.85 Die mit dem Titel aufgerufene Kopenhagener Anekdote der zwei sich gegenseitig ausmietenden Seifenkeller mag als Bild für die Reflexionskultur gelten – ein endloses Debattieren, wenn alles bedingt ist, läßt sich letztlich alles mit gleichem 85
DD:208, SKS 17, 279-297 / GW1 XXX 20, 151-172. Vgl. L. Jaurnow / K. Ravn „Tekstredegørelse“ in SKS K17, 357-369 (oder „Critical Account of the ‚Journal DD‘“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 2001, S. 453-461). Die Kommentatoren von SKS vermuten aufgrund intertextueller Indizien (den zahlreichen Anspielungen auf Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag), daß die undatierte SeifenkellerSkizze auf der Rückseite des Journals vor den datierten Aufzeichnungen auf der Vorderseite angefertigt wurde; die bisherige Forschung ging verständlicherweise von einer späteren Entstehungszeit der Seifenkeller aus. Auch wenn die vorliegende Untersuchung nicht an vorgängige anschließt, sei auf eine Zusammenstellung einschlägiger Forschungen hingewiesen: D.R. Law „The literary sources of Kierkegaard’s ‚The Battle between the Old and the New Soap-Cellars‘“ in International Kierkegaard Commentary. Early polemical writings, ed. by R.L. Perkins, Macon, Georgia 1999, S. 159.
3.1. Leere und Fülle
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Recht vertreten, allenfalls Umkehrungen kommen zustande. Wie schwer es ist, sich dieser Situation zu entziehen, geht aus einem zweiten Titelvorschlag hervor, der lautet: „Aus eines noch Lebenden Papieren wider seinen Willen herausgegeben von S. Kierkegaard“.86 Der noch Lebende ist Teil der reflektierenden Gegenwart, ihr ‚abzusterben‘ steht ihm noch bevor; und da sich die Reflexionskultur noch ihre schärfsten Kritiker mühelos einverleibt, da Kritik qua Entgegensetzung die Macht der Reflexionskultur potenziert, ist jede Stellungnahme eine Teilnahme wider Willen. Eine Illustration der Reflexionskultur ist zum Beispiel auch die Fliege, die laut dramatis personae „mehrere Jahre beim seligen Hegel zu überwintern verstanden hat und so glücklich gewesen ist, während der Abfassung seines Werkes ‚Phänomenologie des Geistes‘ zu mehreren Malen auf seiner unsterblichen Nase zu sitzen“.87 Die Anregung zu diesem Bild findet Kierkegaard in Görres’ Christlicher Mystik,88 ohnehin eine wichtige Inspirationsquelle für die kleine Satire. Görres und Kierkegaard diagnostizieren der Gegenwart das ‚mythisierende Prinzip‘. Das Unbedingte, ja alles über den gemeinen Menschenverstand Hinausgehende, ist in lückenloser Bedingtheit verflüchtigt. Das bewirkt (mit Blick auf die ‚Hegelsche Fliege‘) die Trivialisierung der Philosophie. Die Ausgangssituation ist hiermit zur Genüge vorgestellt, und man kann nun die Versuche des Helden verfolgen, diese unglückliche Situation zu überwinden. Im ersten Akt versucht der Held, namens Willibald, die Unendlichkeit der Reflexion zu genießen. Wenn die Selbstreflexion des Subjekts schon auf keinen wesentlichen Inhalt stößt, dann möchte dieses schattenhafte Subjekt sich zumindest schöpferisch seiner selbst versichern; doch alles, was es hervorbringen kann, sind nur ebenso wesenlose Geschöpfe. Und diese selbst hervorgebrachten Geister wird es nun nicht los. Kierkegaard bietet ein Arsenal von Bildern auf – Schatten, Echo, Spuk –, die er immer wieder zur Verbildlichung der Reflexion verwenden wird. Insbesondere das Echo, diese Reflexion im wörtlichen Sinne, macht die auszehrende Wirkung des Reflektierens anschaulich. Der Versuch des Helden, sich in der Reflexion einzurich86
87 88
DD:208, SKS 17, 280 / GW1 XXX 20, 152. Die hier vorgeschlagene Auslegung läßt auch eine Beziehung zu Kierkegaards Buch über Andersen erkennen, das später unter diesem Titel erscheint (s. Kap. 3.1.4.). DD:208, SKS 17, 281 / GW1 XXX 20, 151. J. v. Görres Die christliche Mystik, Bd. 1, Graz 1960, S. 7; vgl. überhaupt die Vorrede, ebd. S. 3-18. Kierkegaard weist in Journal CC auf diese Vorlage hin, CC:12, SKS 17, 199 / GW1 XXX 20, 119.
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ten, reflektierend einen (transreflexiven) Halt zu gewinnen, ist eine Karikatur dessen, was Kierkegaard in Über den Begriff der Ironie als nachfichtesche Ironie bezeichnet und worin er das Charakteristikum des ‚romantischen Projekts‘ erblickt.89 Doch Willibalds Anstrengungen führen nicht zu dem gewünschten Ergebnis. Wenn er am Ende des ersten Akts der Welt ‚abstirbt‘, um seinen Echos zu entkommen, darf man das als Absage an die romantische Ironie verstehen. An die Stelle der Ironie tritt im zweiten und dritten Akt der Zweifel. In der räsonierenden Philosophen-Gesellschaft, in der sich der Held nun befindet, herrscht erwartungsgemäß keine Einigkeit darüber, was der philosophische Zweifel eigentlich ist. Einer spricht von Skepsis, die in Hegels Philosophie ihre endgültige Durchführung und Überwindung erfahren habe, so daß jetzt allein der Genuß der unbezweifelbaren Wahrheit zurückbleibt (Hr. v. Springgaasen). Ein anderer nimmt sich das Recht heraus, diese Meinung seines Gesprächspartners sofort zu bezweifeln, so daß für ihn die eigene Meinung die Wahrheit ist und bleibt (Hr. Phrase). Beide Standpunkte sind natürlich lächerliche Zerrbilder des Zweifels, sei es, daß man sich mit der Behauptung des Zweifels oder mit dem Verweis auf den Zweifel eines anderen begnügt, sei es, daß man im Eifer der Prüfung das Prüfen des eigenen Standpunkts vergißt. Wie wenig überzeugend diese Standpunkte auch sein mögen, der Held konvertiert zu ihnen, und Kierkegaards Skizze erhält ein ebenso plötzliches wie unbegründetes Ende. Man kann festhalten, daß Kierkegaard in den Seifenkellern sowohl die Ironie als auch den Zweifel der Lächerlichkeit preisgibt, weil sich beide an der Reflexionskultur beteiligen statt diese zu boykottieren. Es lohnt sich jedoch, dem Verdikt über den Zweifel weitere Aufmerksamkeit zu schenken. Kierkegaard wird den Zweifel immer wieder als Läuterungsmöglichkeit disqualifizieren. Deshalb ist zu fragen, was sich Kierkegaard unter Zweifel vorstellt und was genau die Kritik 89
Ein Hinweis auf dieses ‚romantische Projekt‘ – womit Kierkegaards Verallgemeinerung des Epochenbegriffs Rechnung getragen wird – ist z.B. der Name des Helden, der Eichendorffs Novelle Viel Lärmen um Nichts entlehnt sein dürfte. Diese Novelle ist selbst ein spielerischer, selbstbezüglicher Kommentar der romantischen Literatur. Kierkegaard würdigt an anderer Stelle ausführlich Eichendorffs Novelle und das darin angewandte Verfahren, die wechselseitige Bedingung von romantischem Eskapismus und trivialer Wirklichkeit in ironischen und humoristischen Kollisionen zu entlarven, Not3:17, SKS 19, 116-118. Vgl. E. Hirsch Kierkegaard-Studien, Gütersloh 1933, S. 432 [fortlaufender Zählung], D.R. Law „The literary sources of Kierkegaard’s ‚The Battle between the Old and the New Soap-Cellars‘“, a.a.O., S. 174-193.
3.1. Leere und Fülle
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(und damit die lächerliche Darstellung) motiviert, auch wenn man zur Beantwortung dieser Frage ein wenig ausholen muß. Kierkegaards Spott über den Zweifel hatte einen aktuellen Anlaß. Bei diesem Anlaß handelt es sich um eine Rezension von Martensen, die gerade in einer literarischen Zeitschrift (Maanedsskrift for Litteratur) erschienen war.90 Martensen bespricht darin einen populärphilosophischen Vortrag von Heiberg, und er benutzt diese Gelegenheit dazu, seinen während einer Bildungsreise durch Europa entwickelten philosophischen Standpunkt dem dänischen Publikum zu präsentieren. Dieser Standpunkt wird oft mit dem Schlagwort ‚theonome Spekulation‘ bezeichnet, womit der Abstand zu Heibergs Hochstimmung, in der die Hegelsche Lehre unters Volk gebracht werden soll, angezeigt ist.91 Auch wenn es Martensen in der besagten Rezension um eine anerkennende Kritik der Hegelschen Philosophie zu tun ist, leitet er mit seinem vielbeachteten Text überhaupt erst eine breite 90
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H.L. Martensen „Indledningsforedrag til det i November 1834 begyndte logiske Cursus paa den kongelige militaire Høiskole. Af J.L. Heiberg, Lærer i Logik og Æsthetik ved den kgl. militaire Høiskole. 42 S. 8.“ in Maanedsskrift for Litteratur 16 (1836), S. 515-528. Vgl. die mit einer Einleitung versehene Übersetzung: d. Verf. „Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 2003, S. 506-522. Martensens noch während der Reise verfaßte Abhandlung über Lenaus Faust enthält eine programmatische Passage, die Martensens Position charakterisiert und die Argumentation der hier interessierenden Rezension von Heibergs Einführungsvortrag vorwegnimmt: „Die Philosophie der modernen Zeit, das alte credam ut intelligam aufgebend und mit Cartesius ihren Ausganspunkt in Zweifel nehmend, hat ihr Cogito ergo sum, diese Selbstposition des menschlichen Geistes, in seiner Abstraction vom Schöpfer* [* Man vergleiche die wichtige Schrift Fr. Baaders: Vorlesungen über religiöse Philosophie. München 1827.], in Hegel vollendet, und die verschiedenen Formen des philosophischen Rationalismus sind in den Hegelschen Pantheismus als Momente aufgenommen worden. Schon ist aber von mehreren Seiten die Stimme laut geworden, daß die Surrogate des Pantheismus dem speculativen Geiste keine wahre Befriedigung geben, und daß der die Wahrheit suchende Geist diese nur in seinem Schöpfer finden könne. Der dem Zweifel und dem abstracten Denken anheimgefallene Geist sucht jetzt das Leben und die Versöhnung in dem lebendigen Gott, und der erste Schritt hiezu ist das Bekennen seiner Creatürlichkeit. Das ganze Streben der modernen Philosophie war in seinem innersten Wesen ein Faustisches; und wie der Kreis des philosophischen und poetischen Rationalismus jetzt abgeschlossen scheint, wie das Bewußtseyn hierüber erwacht, so hat auch ein junger Dichter, von den tiefsten Interessen des forschenden Geistes bewegt, die Idee des Faust, die dem Deutschen so nahe ans Herz gelegt ist, wieder aufs neue aufgenommen, und versucht, sie nicht von irgend einem dieser Idee äußerlichen und fremden, sondern von ihrem eigenen Standpunkt, dichterisch zu behandeln.“, Ueber Lenau’s Faust. Von Johannes M…….n, Stuttgart 1836, S. 11-13.
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akademische Hegel-Rezeption in Dänemark ein (der der bekennende Hegelianer Heiberg vorgearbeitet hatte). Martensens Rezension ist somit für die Vermittlung Hegelschen Denkens und die Gestalt eines populären Hegelianismus bedeutsam. In Martensens Argumentation ist der Zweifel ein wichtiges Moment. Die Bedeutung des Zweifels ist mit dem die Gegenwart kennzeichnenden Rationalismus verbunden. Zum Vergleich wird die vorrationalistische christliche Philosophie skizziert, in der der Glauben dem Wissen vorgeordnet und ein unbedingtes menschliches Wissen unmöglich ist. Die gläubige Gewißheit der Wahrheit beinhaltet die Möglichkeit des Zweifels, der Glauben ist nicht gegen Zweifel gefeit. Die Vorrangstellung des Glaubens vor dem Wissen ist im Rationalismus, der dem Menschen die Fähigkeit eines unbedingten Wissens zuerkennt, aufgegeben. Nun ist nicht länger Gottesfurcht, sondern Zweifel der Anfang der Weisheit.92 Der Zweifel ist das Mittel, das das Bedingte vom Unbedingten im menschlichen Wissen trennt und dessen Gebrauch sich nach dem Ermitteln der unbedingten Wahrheit erübrigt. Gemäß dem Schlachtruf ‚de omnibus dubitandum est‘ prüft der Zweifelnde die Unbedingtheit seines Wissens und abstrahiert von allem bloß Bedingten (eine Prüfung, die Martensen als Läuterungsfeuer verbildlicht);93 allein das Denken als solches kann in dieser Prüfung bestehen. Das für den Rationalismus so entscheidende Mittel des Zweifels verlangt eine Präzisierung. Martensen betont, daß der Vorsatz zu zweifeln oder ein eingeschränkter Zweifel natürlich nicht genügen – ein allumfassender Zweifel muß verwirklicht werden. Die Durchführung dieses radikalen Zweifels hat die Hegelsche Philosophie als „vollendetste und umfassendste Entwicklung des rationalen Wissens“94 geleistet. Während die rationalistischen Philosophien vor Hegel nur eine mangelhafte Abstraktion von dem Bedingten erreichen (und damit selbst auf die eine oder andere Weise bedingt bleiben), realisiert die Hegelsche Philosophie den totalen Zweifel, so daß nach Abstraktion von allem Bedingten allein „das rein Abstrakte selbst, das reine Sein = Nichts“95 bestehen bleibt. Der unbedingte Anfang der Philosophie ist gewonnen. Die Fragen, wie man sich die von Hegel geleistete Abstraktion und vor allem wie man sich die daran 92
93 94 95
H.L. Martensen „Indledningsforedrag til det i November 1834 begyndte logiske Cursus paa den kongelige militaire Høiskole. Af J.L. Heiberg […]“, a.a.O., S. 516. Ebd. S. 519. Ebd. S. 515. Ebd. S. 521.
3.1. Leere und Fülle
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anschließende Konkretion, die dialektische ‚creatio ex nihilo‘, vorzustellen hat, beantwortet Martensen nicht. Er geht vielmehr zur Rationalismuskritik über: der Rationalismus versagt vor seinem eigenen Anspruch, da das zweifelnd erlangte Unbedingte immer bedingt bleibt (beispielsweise finde das Zufällige im System einfach keinen Platz) – Hegels Philosophie wäre demzufolge selbst eine Reflexionsphilosophie. Die Heilung für das „von der Reflexion zerrissene Bewußtsein des gegenwärtigen Menschengeschlechts“96 sei deshalb nicht vom Rationalismus, sondern nur von einer religiösen Philosophie zu erwarten. Repräsentativ für Martensens Anliegen ist die Schlußpassage: Hier erlaube ich mir nur, Goethes Faust in Erinnerung zu rufen. Auch er hat den Glauben zugunsten des Zweifels aufgegeben. Auch er spekuliert über Logos, aber kann sich in keiner Weise damit abfinden, daß das „das Wort“ bedeuten soll. Er umschreibt es deshalb das eine ums andere Mal – darin ein getreues Bild für die neuere Spekulation in ihrem Verhältnis zur Offenbarung. Der Dichter wurde von einem richtigen Gespür geleitet, denn auf die unterschiedliche Auffassung von Logos kommt es an. Das ist der wissenschaftliche Streitpunkt zwischen dem Rationalismus und der christlichen Philosophie, ob es echt spekulativ heißen muß, „das Wort“, oder ob es heißen muß, „der Gedanke“ war im Anfang und war Gott; ob demnach „das Wort“, dieses Licht, ohne das der Gedanke selbst in Dunkel gehüllt ist, wie die im Schoß der Möglichkeit schlummernde Monade, unerschaffen und allem menschlichen Bewußtsein voraus gedacht werden muß, oder ob erst der Mensch es – erfunden oder gefunden hat? Hat er es aber gefunden, so war es ja im Anfang, und Gott braucht sich dann nicht in der Geschichte offenbar werden, sondern ist sich offenbar von Ewigkeit an.97
Die Behandlung des Zweifels erfolgt bei Martensen also im Zusammenhang einer Zeitdiagnose, einer Darstellung des gescheiterten Rationalismus. Nun wurden argumentative Mängel bereits angedeutet: der gegen Hegel erhobene Vorwurf der Reflexionsphilosophie bleibt unverbindlich, solange der vermittelnden Leistung der Dialektik nicht nachgegangen wird. Das Plädoyer für eine zeitgemäße religiöse Philosophie bleibt unverbindlich, solange diese nicht charakterisiert wird. Schließlich wäre auch die Bedeutung der Dialektik für Martensens eigene Argumentation zu klären; verdeutlicht der Konflikt von mittelalterlichem Glauben und neuzeitlichem Wissen die Dialektik des Glaubensbegriffs (da Glauben die Möglichkeit des Zweifels einschließt, ist die Gefahr einer rationalistischen Abkehr vom Glauben niemals zu beseitigen), oder erfolgt Martensens Kritik des Rationalis96 97
Ebd. S. 525. Ebd. S. 527f. (Vgl. zu den Faust-Bezügen in Kierkegaards Seifenkeller-Skizze C. Roos Kierkegaard og Goethe, København 1955, S. 130-147.)
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mus im Rahmen einer nichtsdestotrotz rationalistischen Geschichtsphilosophie, einer begriffenen Geschichte. Kierkegaard hat ähnliche Einwände in Journal BB festgehalten.98 Das Provozierende in Martensens Darstellung des Zweifels tritt jedoch besonders hervor, wenn man diese mit ihrer Vorlage, dem in der Hegelschen Philosophie eingeschlossenen Skeptizismus, vergleicht. Der Vergleich bezieht sich auf den erörterten ‚sich vollbringenden Skeptizismus‘ der Phänomenologie des Geistes. Die Anlage der Phänomenologie des Geistes ergibt sich daraus, daß die Wissenschaft in einem Konkurrenzverhältnis zu unwahrem Wissen auftritt; um sich gegen das unwahre Wissen zu behaupten, muß sie diesem zum wahren Wissen werden. Die für den Läuterungsprozeß des unwahren Wissens erforderliche Skepsis geht über den Vorsatz zu zweifeln oder ein willkürliches Zweifeln hinaus, sie bedeutet den realisierten totalen Zweifel. Das entspricht Martensens Beschreibung des rationalistischen Zweifels. Damit jedoch von einem Läuterungsprozeß die Rede sein kann, muß der Fortgang der skeptischen Prüfung gewährleistet sein. In Hegels Konzeption garantiert die bestimmte Negation den notwendigen und vollständigen Fortgang. Die Systematizität der Prüfung ist dabei nur für einen Beobachter erkennbar, von dem sich läuternden Bewußtsein wird verlangt, die Prüfung trotz ständiger Enttäuschung fortzusetzen. Ohne den durch bestimmte Negation garantierten Fortgang der Prüfung kann der Skeptizismus zu einer Waffe werden, mit der man jeden fremden Wahrheitsanspruch zurückweist und gerade in diesem Zurückweisen die eigene Macht genießt (die abstrakte Negation, die von dem bestimmten Ergebnis der Prüfung abstrahiert). Die von Hegel konzipierte Prüfung bedeutet 98
In Kierkegaards Notiz wird zudem Martensens verheimlichte Abhängigkeit von Baaders ‚religiöser Philosophie‘ betont: „Martensens Abhandlung in der Monatsschrift ist von einer ganz sonderbaren Art. Er ist nämlich, nachdem er über alle seine Vorgänger Bock gesprungen ist, in eine unbestimmbare Unendlichkeit vorgerückt; denn da sein Standpunkt nicht gegeben ist, diesen kündigt er nämlich an, ist seine Kritik Hegels äußerlich und seine Existenz schwebend, und da die Abhandlung selbst nicht mit einer äußerst individuellen Darstellung und Farbe, nicht mit seinem Bild ausgemünzt ist, so daß man, wohin sie käme, sagen müßte: so gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, so könnte man auch hinsichtlich seines Verhältnisses zu [einem] einzelnen Gelehrten in München seine Abhandlung ‚ein fliegendes Blatt aus München‘ [im Original deutsch] nennen, das nun in der Monatsschrift niet- und nagelfest wurde – (Unter diesem Bild verstehe ich nicht ein Faksimile seiner Handschrift, nicht seine Gesichtszüge auf Stein gezeichnet; sondern eher der Marke des Fabrikmeisters auf Papier gleich, die sowohl ist als auch nicht ist, und die jeden Lügen strafen soll, der es als seines auszugeben wagt.).“, BB:32, SKS 17, 121f.
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für das sich läuternde Bewußtsein also einerseits die Vernichtung der vertrauten Gewißheiten – und dieses gewaltsame Moment ‚für es‘ ist zu beachten –, andrerseits ist diese Vernichtung in einen Läuterungsprozeß eingebunden. Im Vergleich mit Hegels ‚sich vollbringendem Skeptizismus‘ ist Martensens Darstellung des Zweifels fragwürdig. Dafür lassen sich vor allem zwei Gründe anführen (einmal abgesehen von dem Umstand, daß es sich bei der Rezension um eine, wenn auch programmatische, Gelegenheitsarbeit handelt). Erstens, Martensen postuliert einen absoluten Zweifel, ohne dessen Umsetzbarkeit auszuführen. Die Methode der bestimmten Negation als Garant einer systematischen Skepsis fehlt. Das mag mit dem zweiten Grund zusammenhängen: Martensen orientiert sich an Hegels Descartes-Darstellung in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (und vielleicht auch an den Bemerkungen zum Skeptizismus in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften).99 Die Bedeutung von Zweifel und Skeptizismus dort ist von der in der Phänomenologie des Geistes zu unterscheiden. Dem cartesischen Zweifel gebührt das Verdienst, die Philosophie von anderen Autoritäten befreit zu haben und sie beim ‚reinen Denken‘ beginnen zu lassen; dieser Zweifel, das ‚de omnibus dubitandum est‘, endet genauer gesagt beim verständigen Denken als solchen und kann nicht bis zur Einsicht in die vernünftige Identität von Denken und Sein durchgeführt werden. Dem cartesischen Zweifel fehlt also gerade die dialektische Entwicklung des ‚sich vollbringenden Skeptizismus‘. Ferner ist Hegels Begrifflichkeit in den Descartes-Passagen emphatisch; der Skeptizismus bezeichnet allein den abstrakt negierenden Skeptizismus, dem ebenfalls die bestimmt negierende Entwicklung des ‚sich vollbringenden Skeptizismus‘ fehlt. Die Hegelsche Revision des Skeptizismus in der Enzyklopädie ist auf eine neue Perspektivierung zurückzuführen, die Einlei99
Hegel Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, TWA 20, 123-157, insb. 127-129; Hegels §§ 78 und 81 der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, TWA 8, 167f., 172-176 (wobei es sich hier wohlgemerkt um die Ausgabe von 1840 handelt, vgl. die redaktionelle Anmerkung in Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften III, TWA 10, 424f.). Hinweise auf die Veränderungen in Hegels Begriff des Skeptizismus findet man bei F. Duque „Die Selbstverleugnung des Endlichen als Realisierung des Begriffs“ in Skeptizismus und spekulatives Denken in der Philosophie Hegels, hrsg. v. H.F. Fulda und R.-P. Horstmann, Stuttgart 1996, S. 135-152. Ferner ist Martensen durch die deutschen Hegelianer beeinflußt; der in der Rezension beschriebene ‚absolute Zweifel‘ wird von ihm z.B. rückblickend auch Daubs Dogmatik zugeordnet, Af mit Levnet. Meddelser, første Afdeling, Kjøbenhavn 1882, S. 117.
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
tung in die Wissenschaft erfolgt nicht als Läuterung des natürlichen Bewußtseins, sondern als gleichsam objektivierter Überblick. Indem sich Martensen an diesen Hegelschen Darstellungen des Zweifels und des Skeptizismus orientiert, kann er zwar einige Schlagworte wiederholen, aber keine plausible Durchführung des Skeptizismus bieten. Der Schlagwortcharakter des absoluten Zweifels läßt dessen Durchführung, durch die der Zweifelnde seiner Gewißheiten verlustig geht, vergessen. Der Zweifel verkommt zur Pose oder zum raschen Aburteilen jeder Meinung und begegnet so personifiziert in Kierkegaards Seifenkellern. Dieser domestizierte Zweifel wird von Kierkegaard satirisch attackiert – sein Urteil über den ernsten Zweifel wird anders ausfallen. Abschließend eine Bemerkung über die literarische Gestalt der Seifenkeller-Skizze. Man hat in dieser Skizze einen Nachzügler der romantischen Komödie erkannt, man hat ferner in den akademischen Zirkeln des damaligen Kopenhagen das Vorbild (und eine möglicherweise anvisiert gewesene Leserschaft) für Kierkegaards Satire vermutet.100 Das sei unbestritten. Nicht berücksichtigt wurde aber bislang, daß es für die satirische Dramatisierung der Hegelschen Philosophie und ihrer Anhänger einige Vorläufer gibt. Das wohl bekannteste Beispiel trägt den Titel Die Winde oder ganz absolute Konstruction der neuern Weltgeschichte durch Oberons Horn, gedichtet von Absolutulus von Hegelingen; dieses ‚Zauberspiel‘ stammt von O.F. Gruppe, erschien in erster Auflage 1831 und sei hier stellvertretend genannt, da Hegel selbst es noch mit Verdruß zur Kenntnis genommen hat.101 Sofern in derartigen Texten die Hegelsche Philosophie verspottet werden soll, setzt man zum Beispiel bei Hegels Sprache an. Hegels avancierte Mitteilungsform, die dem gemeinen Verstand freilich zuwiderlaufen soll, wird in einer Alltagssituation erprobt, und der Verdacht des Irrsinns ist schnell bei der Hand. Oft wird in diesen Texten aber weniger die Hegelsche Philosophie als vielmehr ihre Gefolgschaft angegriffen, das heißt der inflationäre Anspruch auf absolutes Wissen und der diesen Anspruch begleitende Jargon. Als zweites Beispiel sei Das Centrum der Speculation von Rosenkranz ge100
101
Vgl. z.B. E. Hirsch Kierkegaard-Studien, a.a.O., S. 555-559 [fortlaufender Zählung], oder F. Brandt Den unge Søren Kierkegaard. En række nye bidrag, Kopenhagen 1929, S. 419-446. [O.F. Gruppe] Die Winde oder ganz absolute Konstruction der neuern Weltgeschichte durch Oberons Horn, gedichtet von Absolutulus von Hegelingen, 2. Aufl., Leipzig [1832], wieder abgedruckt in Hegel-Spiele, hrsg. v. H. Höfener, [Hamburg] 1977, S. 70-200. Vgl. K. Rosenkranz Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Leben. Supplement zu Hegel’s Werken, Berlin 1844, S. 383.
3.1. Leere und Fülle
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nannt,102 obgleich diese Komödie erst nach Kierkegaards Entwurf erscheint. In Rosenkranz’ Text werden selbstbezüglich das Epigonenproblem der nachhegelschen Philosophie und darüber hinaus die satirischen Hegel-Spiele kommentiert; die resignierte Diagnose lautet, daß die Auseinandersetzungen innerhalb des Hegelianismus wohl nicht einmal genug Stoff für eine komödiantische Behandlung liefern. Der Hinweis auf die deutschen Hegel-Spiele beabsichtigt nicht, ein Vorbild für Kierkegaards Seifenkeller aufzuzeigen; ob Kierkegaard derartige Texte kannte, steht dahin. Der Vergleich mit den deutschen Texten verdeutlicht aber, daß Kierkegaards Satire auf die dänische Hegel-Rezeption und nicht auf Hegel selbst gemünzt ist (den Seifenkellern liefert ja vor allem Martensens Rezension Material). Insofern die dänische Hegel-Rezeption als zermürbendes Räsonnement karikiert wird, fällt das Urteil über das gegenwärtige Philosophieren in Dänemark und Deutschland gleich aus. Im Vergleich fällt ferner auf, daß Kierkegaard die dramatischen Mittel nur zurückhaltend nutzt, für die spätere Literarisierung philosophischer Überlegungen wird er das Drama bekanntlich nicht verwenden. Nichtsdestotrotz kündigt sich die Strategie der Kritik durch satirische Literarisierung (inklusive Theatralisierung) bereits an.103
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[K. Rosenkranz] Das Centrum der Speculation. Eine Komödie. Herausgegeben von Karl Rosenkranz, Königsberg 1840, wieder abgedruckt in Hegel-Spiele, hrsg. v. H. Höfener, [Hamburg] 1977, S. 223-334. Vgl. R. Unger „Karl Rosenkranz als Aristophanide. Interpretation einer literarischen Episode aus den Schulkämpfen des Späthegelianismus“ in Gesammelte Studien. Dritter Band. Zur Dichtungs- und Geistesgeschichte der Goethezeit, Darmstadt 1966, S. 268-297. Ein aktuelles Beispiel für die literarische Auseinandersetzung mit Hegel bietet R. Menasses ‚Trilogie der Entgeisterung‘, zu der folgende Texte zählen: Sinnliche Gewißheit. Roman, Frankfurt a.M. 1996, Selige Zeiten, brüchige Welt. Roman, Frankfurt a.M. 1997, und Schubumkehr. Roman, Frankfurt a.M. 1997. Die Bezugnahme auf Hegel ist in der Figur des Leo Singer besonders deutlich, versucht dieser doch, sein alltägliches Verstehen und Handeln an der Phänomenologie des Geistes auszurichten. Um die eigene Gegenwart zu begreifen, sieht sich Singer jedoch dazu genötigt, eine Fortsetzung von Hegels Werk zu erarbeiten. Die Umsetzung dieses Vorhabens kann man in Selige Zeiten, brüchige Welt verfolgen (insb. S. 166, 298f., 318f., 329, 349f., 369f., 372). Der fiktional annoncierte Text ist später (mit der Autorangabe R. Menasse) unter dem Titel Phänomenologie der Entgeisterung. Geschichte des verschwindenden Wissens, Frankfurt a.M. 1995, erschienen. In diesem wie auch immer in den Romankontext einzuordnenden Text wird die Dialektik der nachhegelschen Geschichte entwickelt, die vom absoluten Wissen in eine nicht ‚dialektisierbare‘, weil im emphatischen Sinne widerspruchslose Gegenwart führt; dabei wird die unvermeidliche Beeinflussung des gegenwärtigen Beobachters berücksichtigt. Die genannten Texte loten einige Möglichkeiten der literarischen Auseinandersetzung mit Hegel aus; eine eingehendere Untersuchung würde aber vom Gegenstand der vorliegenden Arbeit ablenken.
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
3.1.2. „[M]eine Untersuchung über Ironie und Humor“ In den Aufzeichnungen, die Kierkegaard neben dem dramatischen Versuch in Journal DD einträgt, ist die Ironie wieder ein wichtiger Gegenstand; doch wird die Ironie nun nicht (wie in den Seifenkellern) mit dem Zweifel, sondern mit dem Humor verglichen. Kierkegaard spricht ausdrücklich von einer „Untersuchung über Ironie und Humor“,104 und diese soll hier kurz zusammengefaßt werden. Ironie und Humor sind Versuche, das bloß Bedingte zugunsten des Unbedingten zu überwinden. Der grundlegende Unterschied besteht darin, daß der Ironiker die Überwindung des Bedingten nicht auf seine eigene Bedingtheit bezieht, während sich der Humorist gerade der eigenen Bedingtheit bewußt ist, seine Verzweiflung über die Eitelkeit der Welt Selbstverleugnung mit einschließt. Der Humor ist mit dem Christentum verbunden. Durch das Christentum wird der Gegensatz von Unbedingtheit und Bedingtheit gleichsam radikalisiert, erst der Bezug auf die christliche Lebensanschauung ermöglicht die humoristische Erhebung über die Relativität von Welt und Selbst. Die Rede vom christlichen Humor ist jedoch doppeldeutig: daß das Christentum den Humor ermöglicht, bedeutet nicht, daß der Humorist aus einer christlichen Glaubensgewißheit heraus handelt. Der im Christentum selbst enthaltene Humor wird, in radikalisierter Form, von Hamann verkörpert, während Heine den am Christentum Ärgernis nehmenden Humoristen repräsentiert.105 Kennzeichnend für den Humoristen ist nicht der Glauben, die positive Gewißheit des Unbedingten, sondern die negative Einsicht in die universale Bedingtheit. Diese Perspektive des Humoristen ist entscheidend. Indem er beispielsweise willkürlich Belanglosem unbedingten Wert beimißt, deutet er die universale Bedingtheit an – letztlich kann das scheinbar Wertvolle ebenso wenig einem unbedingten Anspruch genügen wie das offensichtlich Wertlose. Die Aufmerksamkeit des Humoristen und das humoristische Verfahren sind auf das Bedingte gerichtet, allein die vor Augen geführte Haltlosigkeit des Bedingten kann als Verweis auf das Unbedingte gelten. Diese Perspektive des Humoristen wird auch von Jean Paul be-
104
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DD:75, SKS 17, 245f. Ohne Vollständigkeit beanspruchen zu wollen, seien hier die Passagen des Journals DD zusammengestellt, die man sicher zu der „Untersuchung über Ironie und Humor“ zählen darf: SKS 17, 214ff., 224ff., 234ff., 243ff., 248. (Die Zusammenstellung beschränkt sich auf die dänische Ausgabe, in der Kierkegaards Journal in unverfälschter Gestalt wiedergegeben ist.) DD:3, SKS 17, 214; DD:39, SKS 17, 235 / T 1, 141.
3.1. Leere und Fülle
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tont, dessen vergleichbarer Humorbegriff im folgenden Kapitel (Kap. 3.2.) behandelt wird.106 Die skizzierte humoristische Lebensanschauung ist natürlich nicht als Standpunkt in die Reflexionskultur eingliederbar und problemlos mitteilbar, sie äußert sich vielmehr in der auf Dauer gestellten Beunruhigung, der Absage an die Sicherheit der Standpunkte. Im Vergleich mit dem Humor ist die Ironie mangelhaft. Zwar bescheinigt Kierkegaard der Ironie durchaus ein Verdienst. Sie verleidet es dem Ironiker, sich besinnungslos im Bestehenden einzurichten, sie sichert die für jede Läuterung notwendige Vereinzelung. Vor der Selbstprüfung schreckt der Ironiker jedoch zurück, er verweigert den Schluß von der Nichtigkeit der Welt auf die eigene Nichtigkeit. Der Mangel der Ironie oder der ironischen Negativität besteht darin, daß sie nicht negativ genug ist. Die defizitäre Negativität erspart dem ironischen Ich die Verzweiflung. Die so vermiedene Verzweiflung rächt sich aber dadurch, daß auch die dem unversehrten Ich entgegengesetzte Welt niemals überwunden werden kann. Der sich der nichtigen Welt entgegensetzende Ironiker potenziert die Macht des Bedingten statt sie zu brechen; er handelt seiner eigenen Absicht zuwider, denn solange sich Ich und Welt gegenseitig bedingen, bleibt noch das ehrgeizigste Schweben über der Welt deren Anerkennung. Mit Blick auf Kierkegaards Kritik der romantischen Ironie in seiner Dissertation lassen sich diese Überlegungen folgendermaßen ergänzen: es ändert an der mißlichen Lage des Ironikers nichts, wenn nun das ironische Ich als unbedingter Maßstab herhalten soll. Die Unbedingtheit des Ich wird mit dessen Weltlosigkeit erkauft, indem die wechselseitige Bestimmung von Ich und Welt einfach ignoriert wird. Die Ironie kann die fixierten Entgegensetzungen der Reflexionskultur nicht wirklich überwinden, die Leere der Reflexionskultur wird allenfalls hinter einem pompös zum Schöpfer stilisierten Ich verborgen. Die Selbstermächtigung des ironischen Ich, insbesondere dessen Vergleichgültigung der Moral, ist als Folge einer mißlungenen Läuterung zu begreifen. 106
Der Humorist Jean Paul wird in Journal DD nur beiläufig erwähnt (DD:18[e], SKS 17, 225). Vgl. aber Kierkegaards Hinweis auf Daubs Überlegungen zum Humor (DD:6a, SKS 17, 216). Daubs Überlegungen verraten Jean Pauls Einfluß und würdigen diesen als bedeutendsten deutschen Humoristen; dabei nimmt Daub bezeichnenderweise auf die humoristischen Figuren in Jean Pauls großen Romanen Bezug, D. Carl Daub’s Vorlesungen über die philosophische Anthropologie in D. Carl Daub’s philosophische und theologische Vorlesungen, hrsg. v. Marheineke und Dittenberger, 1. Bd., Berlin 1838, S. 481-484.
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
In der entscheidenden Kritik, daß die Ironie trotz aller zur Schau gestellten Negativität für eine gelingende Läuterung nicht negativ genug ist, stimmen Hegel und Kierkegaard überein. In Journal DD geht Kierkegaard jedoch weder auf Hegels eigene Ironiekritik noch auf die der Hegelianer ein, wie intertextuelle Bezüge belegen. Kierkegaard exzerpiert den Begriff der ‚Willkür‘ aus Rosenkranz’ Encyklopädie der theologischen Wissenschaften und den Begriff der ‚religiösen Ironie‘ aus Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen, die beide der Ironiekritik aus Hegels Philosophie des Rechts nachgebildet sind; die naheliegende Kritik des unbedingten Ich als ‚Meister des Sittlichen‘ wird aber weder in Journal DD noch in den ausführlicheren Rosenkranz- und Erdmann-Exzerpten in Journal KK beziehungsweise Notizbuch 4 verfolgt.107 Die Ironie ist nicht die einzige mißlingende Läuterung, die in Journal DD behandelt wird. Von dem spießbürgerlichen Behagen im Bedingten, dem schon das Bedürfnis einer Läuterung ganz unverständlich sein muß, einmal ganz zu schweigen. Als mißlingende Läuterung kann beispielsweise ein durch Betäubung des Bewußtseins erfahrener Pantheismus gelten, das Erlebnis des Absoluten, in dem die Relativität des Lebens einfach verlischt. Das bedeutet nichts anderes, als daß die Relativität aus dem Absoluten ausgeschlossen und durch diesen Ausschluß gerade befestigt wird. Diese traumhafte Versöhnung, die keine schmerzhafte Selbstverleugnung erfordert, kann den wirklichen Entzweiungen der Reflexionskultur nicht Stand halten.108 Auch die neuere, insbesondere die idealistische Philosophie zählt Kierkegaard zu den mißlingenden Läuterungen. Laut Kierkegaard beruht diese Philosophie – wie die Ironie – allein auf Reflexion. Sie ist förmlich Sinnbild und nicht Überwindung der Reflexionskultur. Die Leere der unwirklichen Reflexion wird allenfalls – wie bei der Ironie – durch ein leeres unbedingtes Ich verschleiert.109 Ein Zwischenergebnis. Der Ironiker möchte die Läuterung selbst verantworten. Es handelt sich bei der Ironie wie auch bei den anderen mißlingenden Läuterungen um den Versuch, sich faustisch selbst zu 107
108 109
Vgl. K. Rosenkranz Encyklopädie der theologischen Wissenschaften, Halle 1831, § 43 (S. 72-74), § 53 (S. 93-97), und DD:36[a], SKS 17, 234, KK:4, SKS 18, 343-352; J.E. Erdmann Vorlesungen über Glauben und Wissen als Einleitung in die Dogmatik und Religionsphilosophie, Berlin 1837, S. 80-88, und DD:81, SKS 17, 248, Not4: 13-45, SKS 19, 145-169. Zu Hegels Behandlung der Ironie in der Rechtsphilosophie s. Kap. 2.3. DD:30, SKS 17, 231f. / T 1, 137 [verkürzt]. Z.B. DD:51, SKS 17, 239 / T 1, 143; DD:85, SKS 17, 249 / T 1, 150.
3.1. Leere und Fülle
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erlösen. Das faustische Moment ist vielleicht leise in der derben Beschimpfung ‚fanden i vold‘ zu vernehmen, mit der Kierkegaard Ironie und zeitgenössische Philosophie zusammenführt; ‚fanden i vold‘ bedeutet wörtlich ‚in der Gewalt des Teufels‘.110 Der Humorist hingegen überantwortet sich dem Läuterungsgeschehen. In der Lektüre des Journals DD standen somit drei Möglichkeiten der Läuterung im Vordergrund: Zweifel, Ironie und Humor. Kierkegaard verwirft den lächerlichen Zweifel (der selbstverständlich von dem in der Hegelschen Philosophie eingeschlossenen Skeptizismus zu unterscheiden ist) und die Ironie; allein den Humor läßt er als gelingende Läuterung gelten. Angesichts dieses Befunds drängt sich die Frage auf, wie sich denn nun der ernste, Hegelsche Zweifel und der von Kierkegaard favorisierte Humor zueinander verhalten. Die Antwort auf diese Frage ist anhand einer außergewöhnlichen Aufzeichnung zu entwickeln, in der Zweifel und Humor verglichen werden, so daß sich hier abschließend eine Hegelsche und eine Kierkegaardsche Läuterung gegenüberstehen. 3.1.3. Eine wegweisende Aufzeichnung In einer Aufzeichnung vom (2.) April 1838 formuliert Kierkegaard die Frage: „Inwieweit gibt es ein korrespondierendesa Element in Hamanns tiefem persönlichen Protest gegen die Bedeutungs-Realität des Daseins und dem eigentlich ernsten Zweifel in der modernen Philosophie. –“111 Und ein gutes Jahr später fügt Kierkegaard die Anmerkung hinzu: agerade weil es ein solches gibt, gerade deshalb muß man sagen, daß die Idee des GottMenschen nicht nur ein Erkenntnisgegenstand, sondern zugleich ein erbaulicher Gedanke ist, der alle Unzufriedenheit über die Welt vertreibt, jede Mißweisung berichtigt, ein Gedanke, der dann tröstend zu Hilfe kommt, wenn selbst das Große in der Welt uns
110
111
DD:18 und DD:18b, SKS 17, 225 / T 1, 133. Das Thema des Faustischen im weiteren Sinne wird in verschiedenen Variationen durchgeführt, vgl. z.B.: „Hegel ist ein Johannes Climacus, der nicht wie die Giganten den Himmel stürmt, indem er Berg auf Berg wälzt – sondern er entert ihn mit seinen Syllogismen. Den 20. Januar 1839“, DD:203, SKS 17, 277 / T 1, 171. Der Vergleich von Hegel und Johannes Climacus paßt hervorragend zur vorliegenden Untersuchung, sofern man bei der Paradiesesleiter an die Leiter denkt, die das natürliche Bewußtsein von der Wissenschaft erwarten darf und mit deren Hilfe es sich zum Standpunkt der Wissenschaftlichkeit überhaupt läutert (PdG 23)! DD:100, SKS 17, 253.
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
klein scheint, wenn sich das Denken dabei ängstigt, wie dem Unbedeutenden in der Welt doch auch sein Recht widerfahren kann. Den 20. Mai 1839.112
Die eingangs gestellte Frage nach dem Element, das Hamann, den Repräsentanten des christlichen Humors, und den Zweifel verbindet, wird nicht ausdrücklich beantwortet.113 Aus der späteren Anmerkung läßt sich zunächst einmal ganz allgemein schließen, daß beide, Zweifel und Humor, mit einem unbedingten Maßstab über Wahrheit entscheiden, der ihnen die scheinbaren, bloß bedingten Wahrheiten vergällt. Zweifel und Humor verbindet die Überwindung der bloßen Bedingtheit, wenngleich sich die aus dieser Überwindung resultierende Beziehung zu unbedingter Wahrheit fundamental unterscheidet.114 Um die Beziehung von Zweifel und Humor genauer zu klären, soll der „eigentlich ernste[] Zweifel in der modernen Philosophie“ mit dem Hegelschen Skeptizismus identifiziert werden. Diese Lesart ist heuristisch zu rechtfertigen (auch wenn sie von Kierkegaards eigenen Intentionen abweichen dürfte).115 Durch diesen präzisierenden Eingriff wird anhand von Zweifel und Humor eine Hegelsche mit einer Kierkegaardschen Läuterung kontrastiert. Die „Idee des Gott-Menschen“ ist das Maß von Humor und Zweifel. Diese Idee, die Einheit des Unbedingten und des Bedingten, übersteigt den Verstand; das verständige Denken zerbricht an der Möglichkeit, das Absolute in ein Verhältnis zu dem bloß Relativen zu setzen und das Wesen des Absoluten wie das des Relativen in diesem Verhältnis zu bewahren. Humor und Zweifel betreiben mit dieser 112 113
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DD:100a, SKS 17, 253. Um den Vergleich von Humor und Zweifel nicht zu verunklaren, wird im folgenden nur Kierkegaards Verständnis des Humoristen Hamann berücksichtigt; ein Vergleich mit Hegels Verständnis könnte sich an der ausführlichen Rezension in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik orientieren, Hegel Hamanns Schriften, TWA 11, 275-352, zu Hamanns ‚subjektivem Humor‘ insb. 280, 336. Kierkegaards Aufzeichnung wird mißverstanden, wenn der Vergleich von Humor und Zweifel auf eine Entgegensetzung reduziert wird; den Vorwurf solcher Simplifizierung muß sich T.H. Croxall gefallen lassen, der die Aufzeichnung beiläufig so kommentiert: „He [Kierkegaard] finds the God/Man the answer to philosophic doubt – a point we should remember as we read [De omnibus dubitandum est].“, T.H. Croxall „An assessment“ in Kierkegaard Johannes Climacus or, De omnibus dubitandum est and A sermon, translated, with an assessment by T.H. Croxall, London 1958, S. 35. Die vorgeschlagene Lesart des „eigentlich ernsten Zweifel[s] in der modernen Philosophie“ läßt sich auch damit verteidigen, daß Kierkegaard in späteren Arbeiten auf den Hegelschen Skeptizismus Bezug nimmt; das Musterbeispiel ist die fragmentarische Erzählung Johannes Climacus oder De omnibus dubitandum est (vgl. Kap. 3.4.2.).
3.1. Leere und Fülle
75
Idee die Zerstörung des verständigen Erkennens. Der Bann des totalisierten Verstandes wird gebrochen, indem das humoristische oder zweifelnde Subjekt seine Zugehörigkeit zur nichtigen Reflexionskultur eingesteht. Diese Reinigung ist das „korrespondierende[] Element“ in Humor und Zweifel, nach dem Kierkegaards Aufzeichnung fragt. Angesichts dieser Entsprechung bleiben die Unterschiede (die letztlich Kierkegaards Ablehnung des Zweifels veranlassen) zu untersuchen. Hier sind zwei Überlegungen anzustellen. Erstens, der Zweifler kann die Bedingtheit der verständigen Wahrheiten erkennen und das Mißverhältnis zur beanspruchten Unbedingtheit aufzeigen, doch hat er dadurch noch nicht das unbedingt Wahre gewonnen. Zweitens, der Gewinn des unbedingt Wahren ist prinzipiell als Wissen oder als Glauben vorstellbar. Das Problem, inwiefern die skeptische Vernichtung der Unwahrheit zu der positiven Erkenntnis der Wahrheit führt, beschäftigt Hegel. Der Zusammenhang von Skeptizismus und Spekulation, Zerrüttung des Verstandes und vernünftiger Erkenntnis des Wahren, wird endgültig erst mit dem ‚sich vollbringenden Skeptizismus‘ hergestellt. Wenn man diesen Läuterungsprozeß mit dem Wahrheitsbegriff der Phänomenologie des Geistes verbindet, erhält die verständige Erkenntnis eine neue Bedeutung. Der Verstand darf nicht nur als Hindernis betrachtet werden, das für eine vernünftige Erkenntnis aus dem Weg zu räumen ist; das Erkennen einer Wahrheit, aus der der Verstand schlechterdings ausgeschlossen wird und ausgeschlossen bleibt, kann nicht zufriedenstellen. Ist das Wahre aber sowohl als Substanz als auch als Subjekt zu denken, dann erfolgt das verständige Reflektieren, das Entzweien, mit derselben Notwendigkeit wie die Überwindung der fixierten Entzweiungen. Dementsprechend gewinnt der Zweifler mit dem wahren Wissen am Ende der Läuterung auch einen neuen Blick auf diesen Läuterungsprozeß selbst: die falschen und überwundenen Meinungen (zu denen beispielsweise auch das sich absolut setzende ironische Ich zählt) sind unwahr, sofern sie als wahre fixiert werden, sie sind wahr, sofern sie als Momente des Wahren begriffen werden. Hegels ‚sich vollbringender Skeptizismus‘ stellt also den Zusammenhang von Negation des Bedingten und positiver Erkenntnis des Unbedingten her. Kierkegaards Kritik am Zweifel wird nun zum Humor überleiten. Ein Unterschied zwischen Zweifel und Humor ist in Kierkegaards Frage angedeutet, indem der Humor mit der Persönlichkeit des Humoristen verbunden („Hamanns tiefe[r] persönliche[r] Protest [Hervorhebung d. Verf.]“) und dem unpersönlichen philosophischen
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
Zweifel gegenübergestellt wird. Die genaue Unterscheidung von Zweifel und Humor, die dann auch erklären kann, weshalb der Humor die Persönlichkeit des Humoristen betrifft, erfolgt jedoch in der Anmerkung. Kierkegaard verdeutlicht den Unterschied anhand der für den Zweifel wie für den Humor konstitutiven unbedingten Idee, indem er betont, „[…] daß die Idee des Gott-Menschen nicht nur ein Erkenntnisgegenstand, sondern zugleich ein erbaulicher Gedanke ist […] [Hervorhebung d. Verf.]“. Das erbauliche Moment vervollständigt den Humor. Angesichts der „Idee des Gott-Menschen“ muß dem Humoristen gerade seine menschliche Bedingtheit bewußt werden, aber diese Idee bietet dem Verzweifelten Trost. Man kann sich das Erbauliche der Idee des Gottmenschen, das Kierkegaard an dieser Stelle nur andeutet, vielleicht damit erklären, daß der über seine Bedingtheit Verzweifelnde die Möglichkeit einer Vereinigung des Unbedingten und des Bedingten, des Göttlichen und des Menschlichen, in der Gottmenschlichkeit Christi erfährt. Diese Erfahrung würde als Glauben die Persönlichkeit des Humoristen in einem umfassenden Sinne betreffen und wäre nicht als Wissen wirksam. Das Erbauliche verbindet die Negation der bloß bedingten Wahrheiten mit einer Glaubensgewißheit als positiver Beziehung zum Unbedingten. Das Erbauliche ist hier Kierkegaards Gegenstück zum ‚sich vollbringenden Skeptizismus‘, mit dem Hegel das negative und das positive Moment der Läuterung verbindet. Diese Bedeutung des Erbaulichen erhellt zum Beispiel folgende Notiz aus dem in den Jahren 1840-41 angelegten Journal HH (die später im „Ultimatum“ von Entweder-Oder ausgeführt wird, vgl. Kap. 3.5.3.):116 116
Man mag bereits die Betonung des Erbaulichen als Kritik an Hegel verstehen, dem Kierkegaard das Verkennen des Erbaulichen vorwirft: „Es ist merkwürdig mit dem Haß, den Hegel auf das Erbauliche hat, der überall hervorsticht; aber das Erbauliche ist kein Betäubungsmittel, welches einschläfert, es ist das Amen des endlichen Geistes und ist eine Seite der Erkenntnis, die nicht übersehen werden darf. Den 10. Juli 1840“, Pap. III A 6 / T 1, 229f. Hegel hat in seiner Polemik einen anderen Begriff des Erbaulichen vor Augen, nämlich das Unterdrücken der Reflexion zugunsten eines Einheitserlebnisses (z.B. PdG 12f., zitiert in Kap. 2.2.2.) – einen Begriff des Erbaulichen, der dem oben als mißlingende Läuterung beschriebenen Pantheismus nahekommt. Eine prägnante Bestimmung von Kierkegaards Begriff des Erbaulichen enthält ex negativo das sechste der Vorworte, in dem Nikolaus Notabene eine „Erbauungsschrift für Gebildete“ annonciert, SKS 4, 493-496 / GW1 XI u. XII 7, 202-205. Vgl. zu der im Erbaulichen implizierten Negativität S.K. Bruun „The Concept of ‚The Edifying‘ in Søren Kierkegaard’s Authorship“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 1997, S. 228-252.
3.1. Leere und Fülle
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Über das Erbauliche, das in dem Gedanken liegt, daß wir gegen Gott immer unrecht haben. sonst müßten wir versucht werden, der Vorsehung zu mißtrauen. Denn gäbe es einen Menschen, einen einzigen, ob er der mächtigste war, der auf Erden gelebt hat, oder der geringste, dies tut nichts zur Sache, der beim Jüngsten Gericht mit Recht sagen könnte, für mich wurde nicht gesorgt, in dem großen Haushalt war ich vergessen; oder der, wenn er auch sich selbst viel anlastete, doch mit Recht würde sagen können: ich bekenne es, ich irrte auf Erden, ich wich ab vom Weg der Wahrheit, aber ich bereute doch meine Sünde, ich bemühte meine Kräfte mit aufrichtigem Vorsatz zum Guten, ich erhob meine Stimme und rief zum Himmel um Hilfe, aber niemand antwortete, ich sah keinen Ausweg, keine wenn auch noch so ferne Beruhigung … Wäre es so, dann wäre ja alles Torheit, wo wäre dann die Grenze. – Jeder, der der Versuchung nachgegeben hat, muß ja doch zugeben, daß es eine Möglichkeit gab, daß im nächsten Augenblick schon die Hilfe da gewesen wäre; und dies ist kein Sophismus, wie es dem zweifelnden Sinn scheinen könnte, der sagen wird, das kann man immer behaupten, sondern eine Betrachtung.117
Der Gedanke, gegen Gott immer unrecht zu haben, ist erbaulich, weil der Mensch nur durch Betonung der eigenen Ohnmacht das Verhältnis zu göttlicher Allmacht erfassen kann; die Schwierigkeit besteht darin, das ins Verhältnis gesetzte Göttliche nicht in bloß Verhältnismäßiges zu verkehren. Die Verkehrung erfolgt zum Beispiel, wenn sich ein Mensch auf seine göttlicher Hilfe entzogene Hilflosigkeit beruft („[…] dann wäre ja alles Torheit, wo wäre dann die Grenze.“); Kierkegaard verhindert diese Korruption des Verhältnisses von Mensch und Gott, indem er dem vermeintlich Rettungslosen die Möglichkeit der Rettung vorhält. Es bleibt zu beachten, wie Kierkegaard seine Überlegungen abschließend qualifiziert. Wer sich auf dem Standpunkt menschlicher Verständigkeit verschließt, wird die vorgehaltene Möglichkeit der Rettung abweisen; die „Betrachtung“ erbaut nur den, der ein Verhältnis zum Göttlichen zuläßt. Den angedeuteten Überlegungen zum Erbaulichen entsprechend wäre die humoristische Betonung der vollkommenen Ohnmacht des Menschen Ausdruck eines Verhältnisses zu göttlicher Allmacht. Das Erbauliche ist, wohlgemerkt, Komplement des Humors. In Kierkegaards ‚Untersuchung über Ironie und Humor‘ wird die Unsicherheit des Humoristen betont, dessen Verzweiflung über das Bedingte unabhängig von einer Beziehung zum Unbedingten erfolgt. Die Gefahr, daß sich die Verzweiflung des Humoristen beispielsweise in Selbstund Weltekel verwandelt, kann nicht ausgeräumt werden. Das Verhältnis von Humor und Glauben wird in der eingangs zitierten Aufzeichnung nicht problematisiert, da Kierkegaard den (wenn auch po117
HH:10, SKS 18, 130f.
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
lemischen) christlichen Humoristen Hamann im Sinn hat. Die humoristische Verzweiflung kann einen Glauben nicht erzwingen, aber für die demütige Aufnahme des Glaubens sorgen (und die Unbegreiflichkeit des Geglaubten sichern).118 Der in Kierkegaards Aufzeichnung angelegte Vergleich von Zweifel und Humor ist folgendermaßen zusammenzufassen: Zweifel und Humor reinigen von selbstgenügsamer Bedingtheit. Diese Läuterung ist im Falle des philosophischen Zweifels mit dem Wissen des Unbedingten und im Falle des erbaulichen Humors mit der Gewißheit des Unbedingten verbunden. Dementsprechend erhält der Zweifel unterschiedliche Bedeutung. Bei Hegel wird der Zweifel zum Skeptizismus gesteigert, der den Zweifelnden zum wahren Wissen führt. Der nicht radikalisierte Zweifel bleibt als Ungewißheit an die Reflexion gebunden; deshalb ist er wie die Reflexion fixiert unwahr, als Moment in der Selbstbewegung des Wahren wahr. Bei Kierkegaard erhält der Zweifel seine Bedeutung im Widerspiel von Glauben und Zweifel. Die Glaubensgewißheit wird ebenso als Überwindung des Zweifels erfahren, wie sie beständig dem Zweifel abzutrotzen ist; der Zweifel verhindert den Verlust des Glaubens in der vermeintlichen Sicherheit des Wissens.119 118
119
Die Bedeutung der Verzweiflung für die demütige Aufnahme des Glaubens illustriert z.B. folgende Aufzeichnung: „… Denn Leid ist ein altes Wort, es ist ebenso alt wie die Welt, aber ‚der Tröster‘, das ist auch ein altes Wort; aber doch nicht ganz so alt, wie es auch im Leben des einzelnen nicht so alt wird, wenn er auch noch so alt würde; es ist doch stets dem Tage eine Nacht vorausgegangen, eine Nacht, wo er aus Furcht vor der Welt Jesum besuchte, oder eine Nacht, da er an allem verzweifelte, da er nichts Festes zwischen Himmel und Erde fand, eine Mitternacht, – da Christus ihn besuchte, da Christus kam, wie vormals zu den Jüngern, durch verschlossene Türen. Den 18. Januar 1839“, DD:200, SKS 17, 277 / T 1, 170. Diese Überlegungen zum Verhältnis von Glauben und Zweifel lassen sich z.B. mit P. Tillichs Studie Rechtfertigung und Zweifel (1924) vergleichen, in Hauptwerke, hrsg. v. C.H. Ratschow, Band 6, Theologische Schriften, hrsg. v. G. Hummel, Berlin, New York 1992, S. 83-97 (diesen Hinweis entnimmt d. Verf. H. Deuser Kleine Einführung in die Systematische Theologie, Stuttgart 1999, S. 132). Der Zweifel bewahrt das Bedürfnis des Absoluten und treibt den Zweifler zu Versuchen der Gotteserkenntnis, deren schlechthinniges Scheitern den Zweifel radikalisiert. Das Erscheinen des Glaubens in dieser Situation charakterisiert Tillich folgendermaßen: „Die Rechtfertigung des Zweiflers ist nur möglich als Durchbruch der unbedingten Gewißheit durch die Sphäre der Ungewißheiten und Irrungen; es ist der Durchbruch der Gewißheit, daß die Wahrheit, die der Zweifler sucht, der Lebenssinn, um den der Verzweifelte ringt, nicht das Ziel, sondern die Voraussetzung alles Zweifels bis zur Verzweiflung ist. Es ist das Erfassen der Wahrheit als Gericht an jeder Wahrheitserkenntnis. Es ist das Aufbrechen des Sinngrundes als unbedingter Gegenwär-
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Der Vergleich von Zweifel und Humor ist der Vergleich der von Hegel und von Kierkegaard angesichts der Reflexionskultur entworfenen Läuterung. Abschließend seien diese Entwürfe noch einmal so miteinander konfrontiert, daß auch die übrigen in Kierkegaards Journal DD behandelten Läuterungsversuche verortet werden. Um ein unglückliches Glück im Bedingten zu verhindern, ist eine Reinigung vonnöten, in der die Vernichtung des Unbedingtheit für sich beanspruchenden Bedingten herbeigeführt wird – mit anderen Worten, in der die Leere der Reflexionskultur als absolute Leere erfahren wird. Dieser aus der Sicht des Betroffenen furchtbaren Erfahrung weicht der Ironiker oder ein lächerlicher Zweifler aus. Die Forderung der Reinigung stellen Hegel und Kierkegaard. Die Hegelsche Läuterung ist der ‚sich vollbringende Skeptizismus‘; der Zweifler verliert alle Gewißheiten, um durch systematischen Zweifel schließlich den Gegensatz von Glauben und Wissen (so wie alle anderen fixierten Gegensätze) zu überwinden. Die Kierkegaardsche Läuterung ist der Humor. Die Verzweiflung des Humoristen ist erbaulich, insofern die Verzweiflung über das Bedingte mit einer unbedingten Gewißheit verbunden ist; diese Gewißheit ist aber nicht die Überwindung des Gegensatzes von Glauben und Wissen, sondern ein von den Anmaßungen des Wissens gereinigter Glauben. Dieses Resümee gibt an, was man sich unter dem Läuterungsmotiv bei Kierkegaard vorzustellen hat und wie sich Kierkegaards und Hegels Philosophie dadurch vergleichen lassen. Das durch den Gegensatz von Glauben und Wissen sowie verschiedene Formen der Negativität markierte Gebiet der Läuterung ist freilich erst erkundet, eine genauere Kartierung erfolgt durch die Interpretation ausgewählter Schriften Kierkegaards. Die Auslegung des Journals DD soll mit einem kurzen Blick auf das nah verwandte schriftstellerische Debüt Kierkegaards abgeschlossen werden.
tigkeit und zugleich unbedingter Forderung, um ihn zu ringen, es ist die Gegenwart der lebendigen Wahrheit als unsagbarer und doch immer vom neuen zur Aussage drängenden Tiefe.“ (ebd. S. 89). Die widersinnige Beziehung zur Allmacht, in der sich dem Ohnmächtigen das Allmächtige als Abgrund und Grund zeigt, ermöglicht den Zweifel, wohingegen die in der Wahrheitssuche des Zweiflers vorausgesetzte Unabhängigkeit den Zweifelnden betrügt. Die durchbrechende unbedingte Gewißheit ist ebenso die Überwindung des Zweifels, wie sie den Zweifelnden zum steten Ringen um einen unerschütterlichen Halt verpflichtet.
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
3.1.4. Die vermißte Lebensanschauung (Aus eines noch Lebenden Papieren) Kierkegaards Auseinandersetzung mit Andersen in Aus eines noch Lebenden Papieren verbindet die Kritik von Künstler, Kunst und Gegenwart. Die eigentliche Andersen-Kritik steht in einem Rahmen, der den Kritiker selbst in Frage stellt. Laut Vorwort hat der fiktive Herausgeber eigenmächtig die Veröffentlichung der Kritik betrieben, gegen die sich deren Verfasser sträubte; der Kritiker möchte die mißverstehende Zeit nicht durch eine Stellungnahme zu weiteren Mißverständnissen herausfordern. Der rätselhafte Titel, Aus eines noch Lebenden Papieren, herausgegeben wider seinen Willen von S. Kjerkegaard, läßt sich vielleicht so deuten: der Kritiker beteiligt sich nur widerwillig an der Reflexionskultur, der er als noch Lebender selbst zugehört. Die Problemlage entspricht damit der der Seifenkeller-Skizze, für die der Titel ursprünglich vorgesehen war.120 Im Bewußtsein des eigenen Ungenügens kann der Kritiker in der Schlußpassage auch Sympathie mit dem harsch kritisierten Andersen andeuten, leiste dieser Poet doch, wenn auch noch so ungenügend, Widerstand gegen eine durch und durch prosaische Zeit. Die Andersen-Kritik beginnt mit einer Beschreibung des Zeitgeists. Das Zeichen der Zeit ist dem Kritiker zufolge der Neuanfang, mit dem sich jeweils der Anspruch auf Unbedingtheit verbindet. Während sich das Neuanfangen normalerweise als triviales Aburteilen alles Vorhergehenden äußert und beliebig zu wiederholen ist, ohne jemals eine tatsächliche Weiterentwicklung einzuleiten, lassen sich auch anspruchsvollere Gestalten dieser Zeittendenz ausmachen. Die Hegelsche Philosophie und ein von einer ursprünglichen Persönlichkeit getragener Protest sind immerhin konsequente Versuche, ein Unbedingtes geltend zu machen, auch wenn weder eine unwirklich bleibende Philosophie noch ein polemischer Protest die gegenwärtige Reflexionskultur tatsächlich überwinden können. Die Antwort auf die Frage, wie denn nun eine gelingende Überwindung der Reflexionskultur aussieht, ist in der Andersen-Kritik enthal120
Im Vergleich mit dem Titel der Seifenkeller-Skizze ist die Verfremdung des Herausgebernamens und eine unbedeutende Wortumstellung zu vermerken. Die bisherigen Auslegungen können den rätselhaften Titel sowie dessen erneute Verwendung nur mangelhaft erklären, vgl. SKS K1, 68, 77; eine Ausnahme bildet J. Garff SAK Søren Aabye Kierkegaard. En Biografi, 1. udgave, 4. oplag, København 2000, S. 129.
3.1. Leere und Fülle
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ten. Um die dem Künstler beigemessene Bedeutung zu verstehen, ist eine stillschweigend gemachte Voraussetzung zu explizieren: der Dichter erschafft mit der Dichtung einen Mikrokosmos, wozu ihn ein vergleichbar souveränes Verhalten in der Lebenswelt (Makrokosmos) befähigt – kurz, er muß über eine verläßliche Lebensanschauung verfügen. Um eine solche Lebensanschauung zu erlangen, ist eine Entwicklung zu durchlaufen. Über den Wert von Dichter und Dichtung entscheidet also, ob der Dichter diese Entwicklung durchlaufen hat und über eine verläßliche Lebensanschauung verfügt. Bedenkt man die Verbindung von der Kritik des Künstlers mit der der Zeit, ist zu folgern, daß diese Entwicklung nicht nur für den Künstler unabdingbar ist, sondern prinzipiell dem Mißstand der Reflexionskultur abhelfen kann. Im folgenden werden die Hinweise zusammengestellt, mit denen der Kritiker diese notwendige Entwicklung erläutert. Um das negative Urteil über Andersen als Romandichter hervorzuheben, stellt der Kritiker der zentralen Besprechung von Andersens Nur ein Spielmann einige positive Gegenbeispiele voran. Vor allem Thomasine Gyllembourgs ‚Alltagsgeschichten‘ wird eine gelungene künstlerische Innovation bescheinigt, und der Kritiker beschreibt die dazugehörige Lebensanschauung als unzeitgemäße „Resignation, welche nicht Folge eines Drucks von außen ist […], sondern sich entwikkelt aus einer inneren Spannkraft, aus der Freude, welche die Welt überwunden hat“.121 Andersens entscheidender Mangel besteht hingegen darin, daß er keine läuternde Entwicklung durchlaufen und folglich keine derartige Lebensanschauung erworben hat. Das vom Kritiker bemühte, der Hegelschen Dialektik nachgebildete dreigliedrige Entwicklungsschema vom Lyrischen durch das Epische zum Dramatischen (das vermutlich auf Heibergs populäre Darstellungen anspielt)122 verdeckt kaum, daß letztlich ein religiöser (christlicher) Standpunkt angestrebt ist. Daran läßt die folgende Beschreibung der Lebensanschauung keinen Zweifel, in der der Kritiker die anvisierte Anschauung durch das unvermittelte Zitat von Römer 8,38f. charakterisiert (und durch die Unvermitteltheit des Zitats zugleich Mißtrauen erregt): […] sie ist eine von keiner Empirie zu erschütternde errungene Sicherheit in sich selbst, möge sie sich denn nun entweder lediglich in allen weltlichen Verhältnissen orientiert 121 122
SKS 1, 23 / GW1 XXX 20, 53 [Übers. modifiziert]. Vgl. SKS K1, 93. Die Bezugnahme auf Heiberg mag darauf zurückzuführen sein, daß Kierkegaards Aus eines noch Lebenden Papieren ursprünglich als Beitrag zu Heibergs Zeitschrift Perseus gedacht war.
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
haben (ein rein menschlicher Standpunkt, z.B. Stoizismus), als die sich dadurch außerhalb jeder Berührung mit einer tieferen Empirie Haltende, – oder möge sie in ihrer Richtung auf den Himmel (das Religiöse) in diesem das Zentrale gefunden haben, sowohl für ihre himmlische wie für ihre irdische Existenz, die wahre christliche Gewißheit gewonnen haben, „daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm Herrn“.123
Der Pessimismus, der Andersen zugeschrieben wird, ermangelt der weltlichen wie der religiösen Sicherheit. Die pessimistische Einstellung ist allenfalls als Moment in der Entwicklung auf eine Lebensanschauung hin gerechtfertigt: „[…] daß ein derartiges Mißtrauen gegen das Leben zwar eine Wahrheit enthält, sofern es dazu anleitet, ein Vertrauen zu erringen (in diesem Sinne sagt z.B. der Prediger Salomonis, daß alles eitel ist), aber zu einer Unwahrheit wird in dem gleichen Augenblick, in dem es sich abschließend bestimmt zu einer letzten Entscheidung der Lebensfrage.“124 Andersen fehlt die Weiterentwicklung, die den Dichter auszeichnende „gestorbene und verklärte Persönlichkeit“125 (diese Formulierung macht noch einmal die Verwandtschaft mit dem im gleichen Sinne ‚noch lebenden‘ Kritiker deutlich). Die Hinweise des Kritikers auf die Entwicklung einer verläßlichen Lebensanschauung sind vage und widersprüchlich, so deutet er durch das dreigliedrige Entwicklungsschema und die Bibel-Bezüge einen dialektischen Bildungsprozeß und den christlichen Glauben an, ohne auch nur deren Beziehung zueinander zu klären. Die Unzulänglichkeit der Hinweise ist damit zu rechtfertigen, daß der Kritiker, der eingangs behandelten Herausgeberfiktion zufolge, selbst der Reflexionskultur angehört, daß er selbst keine verläßliche Lebensanschauung besitzt. Kierkegaards zügig verfaßte Polemik Aus eines noch Lebenden Papieren (die ein unbedeutendes polemisches Scharmützel nach sich zog)126 zeugt von dem Bedürfnis einer verläßlichen Lebensanschauung, ohne diese Anschauung selbst oder die dafür zu durchlaufende Entwicklung eindeutig anzugeben; die Auseinandersetzung mit 123 124 125 126
SKS 1, 32 / GW1 XXX 20, 63 [Übers. modifiziert]. SKS 1, 35 / GW1 XXX 20, 66f. SKS 1, 37 / GW1 XXX 20, 69. Andersen revanchiert sich für die Kritik in Aus eines noch Lebenden Papieren, indem er dem philosophierenden Friseur in seinem Vaudeville En Comedie i det Grønne Zitate aus Kierkegaards Besprechung in den Mund legt und so deren Unverständlichkeit vorführt, H.C. Andersen En Comedie i det Grønne, Vaudeville i een Akt efter det gamle Lystspil: ‚Skuespilleren imod sin Villie‘ in Det Kongelige Theaters Repertoire. Sjette Deel, Kjøbenhavn 1841, v.a. S. 3. Vgl. SKS K1, 74-76.
3.2. Exkurs über Jean Pauls Humor
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Andersen variiert auf diese Weise das erarbeitete Motiv der Läuterung. Bevor die Arbeit die Weiterentwicklung dieses Motivs in Kierkegaards Schriften verfolgt, soll die in Journal DD fokussierte Läuterungsmöglichkeit des Humors wie angekündigt durch einen Exkurs über Jean Pauls Humor illustriert werden.
3.2. Exkurs über Jean Pauls Humor Im vorigen Kapitel wurde behauptet, daß Kierkegaards Humorist mit dem Humoristen Jean Pauls die Perspektive teilt: der humoristische Blick richtet sich auf das bloß Bedingte, dessen radikale Kritik als Verweis auf das dem Blick entzogene Unbedingte gilt. Um diese Behauptung zu belegen, soll in einem Exkurs Jean Pauls Humor in Theorie und literarischer Praxis vorgestellt werden. Die Bezugnahme auf Jean Paul erfolgt also, um die humoristische Läuterung zu illustrieren, und nicht, um eine intertextuelle Beziehung zu analysieren (Kierkegaards Beziehung zu Jean Paul wie auch zu den in mancher Hinsicht vergleichbaren Autoren Hippel oder Baggesen ist, nebenbei gesagt, schwer zu bestimmen).127 Um die genannte Aufgabe zu erfüllen, wird wie folgt verfahren. In einem ersten Schritt wird Jean Pauls Humorbegriff vor allem mit Bezug auf die Vorschule der Ästhetik erörtert. Mit Hilfe des so erarbeiteten Wissens über Bedeutung und Funktionsweise des Humors soll in einem zweiten Schritt exemplarisch die Figur Giannozzo, deren Montgolfieren-Journal: Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch im Anhang zum Titan mitgeteilt wird, als Humorist interpretiert werden. Die Theorie des Humors dient dabei als Hilfe, sie fördert eine Auslegung des Texts, ohne dessen Literarizität als Fassade eines expositorisch schon festgestellten Gehalts zu entwerten. Die Abwendung von und die Zuwendung zu der Welt sind als Bestandteile humoristischen Verhaltens an Giannozzos Tun detailliert zu untersuchen. Zu berücksichtigen bleibt der Ort des Texts im Anhang zum Titan; die Verbindung Giannozzos zu den Protagonisten des ‚italienischen Romans‘, insbesondere zu dem „humoristischen Sonderlinge“128 Schoppe oder 127
128
Einen Versuch, Kierkegaards Verhältnis zu Jean Paul zumindest in groben Umrissen zu bestimmen, unternimmt d. Verf. in „Apparent and Hidden Relations between Kierkegaard and Jean Paul“ in Kierkegaard and His German Contemporaries, ed. by J. Stewart [in Vorbereitung]. SW I 3, 138.
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
auch zu dem ‚Leibgeberianismus‘ der Clavis Fichtiana, wird abschließend angedeutet.129 3.2.1. „Humor, als das umgekehrte Erhabene“ Aufschluß über Jean Pauls Lehre vom Humor erhält man vor allem im sechsten bis neunten Programm seiner Vorschule der Ästhetik. Mit der Zusammenstellung von Lächerlichem, Witz und Erhabenem wird in den angeführten Programmen gleichsam der Hintergrund entworfen, auf dem dann der Humor hervortritt. Schematisch wird dem Erhabenen als ‚angeschauter Vernunft‘ zum einen das Lächerliche als ‚angeschauter Unverstand‘ und zum anderen der Witz als ‚angeschauter Verstand‘ zugeordnet.130 Als Gemeinsamkeit dieser verschiedenen ‚Erfahrungen‘ wird festgehalten: gegeben ist ein Gegensatz; ausschließlich subjektives Tätigsein bewirkt eine unerwartete Zusammenschau des Gegensätzlichen, einen Wechsel; während dieser plötzlichen, von Unlust und Lust begleiteten Oszillation innerhalb des Gegensatzes wird das verantwortliche Subjekt – in einer Reflexion seines Tuns – des jeweils entscheidenden Vermögens (der Vernunft oder des Verstandes) inne. Es bleibt hinzuzufügen, daß das Vermögen des Verstandes im Lächerlichen nur gebrochen, eben anhand der Ungereimtheit, anschaulich wird. Dieser spröde Überblick wird faßlicher, wenn man sich dem Lächerlichen eingehender widmet. Jean Paul zufolge werden im Lächerlichen zwei verständige Vorstellungen überblendet. Als Beispiel dient der sich im Dunkeln über einem Abgrund wähnende und verzweifelt festklammernde Sancho Pansa, der sich aber, für den Beobachtenden ersichtlich, nur knapp über dem Boden befindet – erst das ‚Unterstellen‘ der beobachtenden Ansicht beim Beobachteten erzeugt Widersprüchlichkeit, Komik.131 Für die Beschreibung dieser Operation des ‚Unterstellens‘, des ‚Andichtens‘, verwendet Jean Paul folgende Begrifflichkeit: Man erlaube mir der Kürze wegen, daß ich in der künftigen Untersuchung die drei Bestandteile des Lächerlichen als eines sinnlich angeschaueten unendlichen Unverstandes 129
130 131
Eine Untersuchung des Zusammenhangs von Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch und Titan hätte die ursprüngliche Anordnung der Texte zu beachten: Giannozzos Aufzeichnungen sind zunächst (innerhalb des zweiten Bändchens des Komischen Anhangs) dem zweiten Band des Titan angefügt, s. W. Höllerers Nachwort, SW I 3, 1144. Als prägnanter Beleg z.B. Jean Paul Vorschule der Ästhetik, SW I 5, 175. Ebd. 110.
3.2. Exkurs über Jean Pauls Humor
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bloß so nenne, wie folgt: den Widerspruch, worin das Bestreben oder Sein des lächerlichen Wesens mit dem sinnlich angeschaueten Verhältnis steht, nenn’ ich den objektiven Kontrast; dieses Verhältnis den sinnlichen; und den Widerspruch beider, den wir ihm durch das Leihen unserer Seele und Ansicht als den zweiten aufbürden, nenn’ ich den subjektiven Kontrast.132
Der Humor ist nun eine Radikalisierung des Lächerlichen. Bewegt sich das Lächerliche innerhalb des Verständigen, so liegt im Humor eine Oszillation zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit, Verstand und Vernunft vor. Die vorausgesetzte Entzweiung wird geschichtlich (geschichtsphilosophisch) mit dem Christentum verbunden.133 Das Verhalten des humoristischen Subjekts kennzeichnet Jean Paul unter Zuhilfenahme der am Komus erarbeiteten begrifflichen Werkzeuge. Hier finden wir nur jenen unendlichen Kontrast zwischen den Ideen (der Vernunft) und der ganzen Endlichkeit selber. Wie aber, wenn man eben diese Endlichkeit als subjektiven Kontrast jetzo der Idee (Unendlichkeit) als objektivem unterschöbe und liehe und statt des Erhabenen als eines angewandten Unendlichen jetzo ein auf das Unendliche angewandte Endliche, also bloß Unendlichkeit des Kontrastes gebäre, d.h. eine negative? Dann hätten wir den humour [Hervorhebung d. Verf.] oder das romantische Komische.134
Das Bedingte wird demnach zum Ausgangspunkt und Maßstab einer Vergleichung mit dem schlechthin Unbedingten, der Idee. Natürlich ist diese Beschreibung der Verschärfung komischer Inkongruenz unter romantischen Bedingungen auslegungsbedürftig. Vier Bestandteile des Humors werden zum Behuf der Erläuterung unterschieden (§§ 32-35 der Vorschule). Zwischen den ersten beiden Bestandteilen herrscht ein Abhängigkeitsverhältnis: die ‚humoristische Totalität‘, die vernichtende Wendung gegen die Endlichkeit als
132
133
134
Ebd. 114. Vgl. als Erläuterung des gesamten dem Komus gewidmeten § 28 der Vorschule U. Profitlich „Zur Deutung der Humortheorie Jean Pauls. ‚Vorschule der Ästhetik‘ § 28 und § 31“ in Zeitschrift für deutsche Philologie 89 (1970) H. 2, S. 161-165. Profitlich reduziert die im Zitat aufgezählten drei auf zwei Kontraste, da das ‚sinnlich angeschaute Verhältnis‘ als Situation des lächerlichen Objekts keinen eigenständigen Kontrast ausmache, ebd. S. 163 Anm. 12. Welche Bedeutung Jean Pauls Humor auch für eine Rationalitätskritik hat, die die Verbindung von Humor und Christentum löst, zeigt J. Ritter in seinem berühmten Aufsatz „Über das Lachen“ in Subjektivität. Sechs Aufsätze, Frankfurt a.M. 1989, S. 62-92, insb. S. 84-92. Jean Paul Vorschule der Ästhetik, SW I 5, 124f. Mit dem englischen Begriff ‚humour‘ weist Jean Paul auf Aspekte wie z.B. die Universalisierung und die Selbstbezüglichkeit des Humors hin, die er der englischen Humordiskussion entlehnt. Vgl. den Kommentar des § 31 von U. Profitlich, „Zur Deutung der Humortheorie Jean Pauls. ‚Vorschule der Ästhetik‘ § 28 und § 31“, a.a.O., S. 165-168.
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
solche, wird bewerkstelligt durch ‚die unendliche Idee des Humors‘. Diese weltverachtende Idee des Humors, die als Faktor Unendlichkeit die Vernunft geltend macht, verhindert die Bequemlichkeit des falschen Humors; eine Bequemlichkeit, die sich gegen diese oder jene Besonderheit richtet, ohne die Endlichkeit insgesamt abzulehnen. Die ‚humoristische Subjektivität‘135 bestimmt als dritter Bestandteil den Ort humoristischen Geschehens: nur im Subjekt kann der Faktor Unendlichkeit dem Bedingten entgegengehalten werden, eine objektive Darstellung des Vernünftigen verwandelt dasselbe ja gerade in ein Verständiges. Der Widerstreit zwischen Vernunft und Verstand wird innerhalb des humoristischen Subjekts ausgetragen, er verlangt deshalb die Erhebung über die eigene Bedingtheit, ein Erheben über sich selbst. Erst an dieser Stelle erhält die Kennzeichnung des Humors als „das umgekehrte Erhabene“136 ihre Prägnanz. Die denkende Überschreitung der den Menschen für gewöhnlich einschließenden Grenzen, die Transgression als eigentliche Bestimmung des Menschen, ist seit der antiken Diskussion das wesentliche Merkmal des Erhabenen. Während sich im Erhabenen zum Beispiel durch die Macht der Natur dem von ihr bedrohten Menschen im Durchleiden seiner physischen Unterlegenheit seine moralische Übermacht offenbart, bleibt der Humor dem Endlichen verpflichtet. Stets bringt der Humorist das Bedingte in Beziehung zum Unbedingten, ohne doch in 135
136
Vgl. U. Profitlich „‚Humoristische Subjektivität‘. Über einige Äquivokationen in Jean Pauls ‚Vorschule der Ästhetik‘“ in Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft 6 (1971), S. 66-85. Jean Paul Vorschule der Ästhetik, SW I 5, 125. Das Erhabene wird in vielen Werken Jean Pauls implizit wie explizit thematisiert, hier nur einige Beispiele: im Titan wird während des Romaufenthalts (im Anklang an Burke) über das Schöne und das Erhabene diskutiert (Titan, SW I 3, 577-580). Da die Erfahrung des Erhabenen für die Romanfiguren häufig mit der Peterskirche verbunden ist, mag daran erinnert werden, daß die Peterskirche zu den wenigen Kunstwerken gehört, die Kant in der „Analytik des Erhabenen“ als Beispiel nennt, Kant Kritik der Urteilskraft, hrsg. v. K. Vorländer, mit einer Bibliogr. von H. Klemme, 7. Aufl., Hamburg 1990, S. 96. Auf Kants Begriff des Erhabenen nimmt ein ‚Jus de Tablette für Mannspersonen‘ im Anhang zum Quintus Fixlein Bezug (Leben des Quintus Fixlein, SW I 4, 201), in der Vorschule widmet sich § 27 Kants und Schillers Bestimmung des Erhabenen (Vorschule der Ästhetik, SW I 5, 105-109). Trotz der auffälligen Auseinandersetzung mit dem Erhabenen ist Jean Pauls eigenes Verständnis nur schwer bestimmbar, da er den unterschiedlichen rhetorischen und ästhetischen Theorien des Erhabenen einzelne Momente entnimmt. Für die vorliegende Arbeit mögen die allgemeinen Hinweise, die oben im Zusammenhang mit der Verbindung von Lächerlichem, Witz und Erhabenem bzw. der Gegenüberstellung von Humor und Erhabenem gegeben wurden, genügen.
3.2. Exkurs über Jean Pauls Humor
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dieser Vernichtung des Bedingten endgültig über den Kontrast von Bedingtem und Unbedingtem hinauszugelangen. Da die totale Verneinung des Bedingten dem Humoristen einziges Mittel einer ‚Annäherung‘ an das Unbedingte ist, „gleicht [er] dem Vogel Merops, welcher zwar dem Himmel den Schwanz zukehrt, aber doch in dieser Richtung in den Himmel auffliegt. Dieser Gaukler trinkt, auf dem Kopfe tanzend, den Nektar hinaufwärts.“137 Die ‚humoristische Sinnlichkeit‘ als vierter Bestandteil des Humors ist aus der besonderen Bedeutung des Endlichen für den Humoristen leicht erklärbar. Je eindringlicher die Konkretisierung des Endlichen, um so deutlicher erfolgt die Vernichtung des Endlichen durch die unendliche Idee, der Vorgang wird für das humoristische Bewußtsein anschaulich. Nach der Funktionsweise des Humors bleibt die Motivation eines derartigen Verhaltens zu klären. Das humoristische Erheben über sich selbst reinigt von irdischer Bedingtheit, bemüht sich um die ‚gottmenschliche‘ Bestimmung des Menschen. War die Endlichkeit ausnahmslos der vernichtenden Idee des Unendlichen ausgesetzt, kann der geläuterte Humorist das je besondere unzulängliche Endliche nachsichtig behandeln. So fordert Jean Paul im Tonfall frühromantischer Programmatik: „[…] alles muß romantisch, d.h. humoristisch werden.“138 Die damit beschworene Läuterung entspricht dem durchgängig verwirklichten ‚Lebens-Humor‘ oder ‚Welt-Humor‘. Vorbildlich sei diese Haltung zum Beispiel in der Platonischen Ironie umgesetzt (wobei Ironie als besondere Ausprägung dem Humor untergeordnet ist):139 „Platos Ironie […] könnte man, wie es einen Welt-Humor gibt, eine Welt-Ironie nennen, welche nicht bloß über den Irrtümern (wie jener nicht bloß über Torheiten), sondern über allem 137 138 139
Jean Paul Vorschule der Ästhetik, SW I 5, 129. Ebd. 127. Laut Vorschule der Ästhetik ist die Ironie als komische Objektivität zu verstehen; das heißt mit Bezug auf die oben angeführte Begrifflichkeit der drei Kontraste im Lächerlichen: in der Ironie wird der subjektive Kontrast zugunsten betonter Darstellung des objektiven Kontrasts verborgen. Diese Ironie ist von Fehlformen, beispielsweise der den attackierten Gegenstand schlichtweg verkehrenden Ironie, oder auch von Persiflage und Travestie zu unterscheiden. In der gattungspoetologischen Gliederung des VIII. Programms der Vorschule wird die Ironie als komische Objektivität dem Humor subsumiert (‚epischer Humor‘); vgl. U. Profitlich „‚Humoristische Subjektivität‘. Über einige Äquivokationen in Jean Pauls ‚Vorschule der Ästhetik‘“, a.a.O., S. 74-77. Es ist fraglich, wie streng Jean Paul seine begrifflichen Bestimmungen beachtet, werden doch z.B. in dem oben angeführten Zitat zu Platons ‚Welt-Ironie‘ Ironie und Humor eher aufgrund des Gegenstands denn einer unterschiedlichen Vorgehensweise gesondert.
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
Wissen singend und spielend schwebt; gleich einer Flamme frei, verzehrend und erfreuend, leicht beweglich und doch nur gen Himmel dringend.“140 Die von humoristischer Kunst geförderte Lebenshaltung beschreibt Jean Paul später in der ‚Kleinen Nachschule‘ als (an Matthäus 18,3 angelehnten) Kindersinn.141 Der Humor beinhaltet also einerseits eine Abwendung vom, eine Überwindung des Endlichen und andrerseits eine erneute, möglicherweise von Milde bestimmte Zuwendung, der Humorist hält dem Überwundenen die Treue. Er vollzieht eine Bewegung, die zu wiederholen ist, die Erhebung über sich selbst ist stets neu zu erringen. Der Wechsel zwischen Ab- und Zuwendung läßt sich mit der Lehre der „drei Wege, glücklicher (nicht glücklich) zu werden“,142 ergänzen. Diese Lehre, im „Billett an meine Freunde“ dem Leben des Quintus Fixlein vorangestellt, präsentiert drei Maximen: die heroische Erhebung über die Welt, die sich selbst beschränkende Einrichtung im Kleinen, schließlich den Wechsel zwischen Erhebung und Beschränkung. Der dritte Weg stellt eine Vermittlung her zwischen Bestimmung und Bedürfnis, zwischen wahrer und wirklicher Natur des Menschen – und ist von jedem Menschen zu bewältigen. Die Zwischenstellung dieses anempfohlenen Weges ähnelt der Situation des Humoristen, der sich durch Ab- und Zuwendung gegenüber der Welt gleichsam im Grenzbereich zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit zu halten sucht. Der Ort, den Jean Paul selbst dem Humor zuweist, ist skizziert. Zusätzlich soll eine Untersuchung G. Voigts (Die humoristische Figur bei Jean Paul) berücksichtigt werden, die für die Interpretation des Humoristen Giannozzo wertvolle Anregungen bietet und deren einschlägige Argumente kurz wiederzugeben sind.143 Den Humor kennzeichnet demnach das Bestreben, trotz sentimentalischer Ausgangslage die geistig-seelische Totalität des Menschen zu gewinnen. Das Sentimentalische bedeutet Entzweiung, bezeichnet den Zustand nach 140 141 142
143
Jean Paul Vorschule der Ästhetik, SW I 5, 156. Jean Paul Kleine Nachschule zur Ästhetischen Vorschule, SW I 5, 469. Jean Paul Leben des Quintus Fixlein, SW I 4, 10; die entsprechenden Ausführungen ebd. 10-13. Es sei darauf hingewiesen, daß in der „Geschichte meiner Vorrede zur zweiten Auflage des Quintus Fixlein“ der Humor angesprochen wird. Im Streitgespräch des (fiktiven) Autors Richter mit dem Kunstrat Fraischdörfer kündigt der Autor eine Abhandlung über den Humor an und zählt schon einige Bestimmungen auf, ebd. 27. G. Voigt Die humoristische Figur bei Jean Paul, 2., unveränderte Aufl. erschienen als Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft 4 (1969), S. 7-144.
3.2. Exkurs über Jean Pauls Humor
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dem Verlust sinnlicher, unreflektierter Einheit und vor dem Erlangen moralischer Einheit – in dieser Situation erscheint die Aufgabe eines approximativen Ringens um das Ideal. Je nach Stellung der Wirklichkeit zum Ideal lassen sich verschiedene ‚Sprachgebärden‘ unterscheiden: das satirische Urteil über die unzulängliche Wirklichkeit, der elegische Blick auf das verlorene und der rhapsodische Blick auf das zukünftige Ideal; diese ‚Sprachgebärden‘ entsprechen anthropologischen Vermögen, da die Empfindungsweise der Satire dem Verstand, die Empfindungsweise der Elegie beziehungsweise der Rhapsodie dem Gefühl zugeordnet ist. In Jean Pauls Humor wird ein Weg aus der Entzweiung angedeutet: das Verständige wird vernichtet, um gefühlsmäßig am Unendlichen teilzuhaben. Der Humorist bleibt geprägt vom Verstand, mit dessen Hilfe er satirisch gegen die Gegenwart revoltiert; zu einer stabilen Verbindung der anthropologischen Vermögen, zu dem Gewinn geistig-seelischer Totalität des Menschen kommt es nicht. Und an dieser Stelle zündet die Pointe der Argumentation Voigts: der Humorist ist Stellvertreter des Menschseins. Auf seiner ‚exzentrischen Bahn‘ verbleibt der Humorist als Reflektierender zwangsläufig in der Entzweiung. Die Gestalt des Humoristen verdeutlicht das Scheitern des sich wissend selbst bevollmächtigenden Subjekts, sie verkörpert Jean Pauls Wort „‚Das Leben wird nur angeschaut, nicht begriffen‘“.144 Ohne diese Argumentation komplett übernehmen zu müssen, läßt sich vor allem die Unterscheidung der drei ‚Sprachgebärden‘, das heißt der kritischen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit und der vergangenheits- beziehungsweise zukunftsbezogenen Beschwörung des Ideals, als hilfreiche Erläuterung von Jean Pauls humoristischem Programm verstehen. So spiegelt sich die Trias der Empfindungswei144
Zitiert nach G. Voigt Die humoristische Figur bei Jean Paul, a.a.O., S. 137. Die hier in Auszügen wiedergegebene Argumentation Voigts beruft sich auf zwei Gewährsleute: Kierkegaard und Benjamin. Der Bezug auf Kierkegaards Humorbegriff erfolgt sporadisch und in allzu unkritischer Anlehnung an die späteren pseudonymen Schriften (vgl. ebd. S. 20f., 111-115, 136). Benjamins Ursprung des deutschen Trauerspiels ist das Fundament der ganzen Argumentation, wie zum Beispiel auch die These, daß Jean Paul für die anschauende und gegen die begreifende Behandlung des Lebens plädiert, in Anverwandlung Benjaminscher Überlegungen aufgestellt wird. Um den Exkurs hier nicht unangemessen zu erweitern, kann die Beziehung von Voigts Argumentation und Benjamins Trauerspiel-Buch nicht erörtert werden. Nicht unterbleiben soll aber der Hinweis auf Benjamins eigene Rezension „Günther Voigt, Die humoristische Figur bei Jean Paul. Halle / Saale: Max Niemeyer Verlag 1934. 98 S.“ in Gesammelte Schriften III, hrsg. v. H. Tiedemann-Bartels, Frankfurt a.M. 1972, S. 421-423.
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
sen auch in der Gliederung des folgenden Kapitels, das den Luftschiffer Giannozzo als Humoristen zu interpretieren versucht. 3.2.2. Das beispielhafte Weltverhältnis des Humoristen Giannozzo Der Humor erfordert die Überwindung der Welt bei gleichzeitiger Treue zum Weltlichen, den oszillierenden Verlauf des ‚dritten Weges, glücklicher zu werden‘. Untersucht wird zunächst der erste Bestandteil dieser Bewegung, die Erhebung über die Welt – die eine Erhebung des Humoristen über sich selbst mit einschließt. Eindringliches Bild für Giannozzos Erhebung über die Welt ist natürlich seine Stellung als Luftschiffer. Er befindet sich in der Schwebe zwischen dem wie auch immer in Frage gestellten göttlichen und dem menschlichen Bereich, zwischen Himmel und Erde. Erst diese Distanz erlaubt die Beobachtung des Irdischen schlechthin, für die sein Vehikel ausgerüstet ist. Die Ausstattung – die Gondel des Luftschiffs besitzt an jeder Seite Fenster, vor allem aber einen verglasten Boden – betont die Inspektionsabsicht. Mit den Namen des Gefährts läßt sich die Haltung des darin Reisenden charakterisieren: verweist der gewählte Name „Siechkobel“ (G 931) auf eine schmerzliche Quarantäne des distanziert Beobachtenden, so tritt dieser in seiner „Orlogkobel“ (G 982) – zusätzlich mit einem „Kriegsperspektiv“ (G 932) versehen – dem Verachteten kämpferisch entgegen. Giannozzo bezeichnet die Erde wiederholt als Gefängnis (z.B. G 929f., 942) (und während seiner „Achten Fahrt“ wird sie ihm im wörtlichen Sinne zum Kerker), auf das der mit dem Ballon Entkommene nun herabsieht. Indem er einem Verwandten gegenüber sein Unternehmen von kommerziellen Hintergedanken freispricht – „‚Wahrlich, bloß zur Lust leb’ ich oben und aus Ekel am Unten.‘“ (G 988) – und wütend einen mit der Luftschifferei Handel treibenden Konkurrenten attackiert (G 982), ist ein wichtiges Kennzeichen des verachteten irdischen Kerkers bestimmt: die Alleinherrschaft der Zweck-Mittel-Rationalität im Dienste der Bedürfnisbefriedigung des einzelnen. Der über die derart instrumentalisierte Vernunft ‚erhabene‘145 Standpunkt des Luftschiffers ermöglicht ihm 145
Die naheliegende Assoziation mit dem Erhabenen des rhetorischen und philosophischen Diskurses wird im Text selbst hergestellt; beispielsweise schildert Giannozzo das unterschiedliche Erlebnis der Höhe im Luftschiff und im Gebirge, woraufhin der Herausgeber in einer Anmerkung auf die Bedeutung des Maßstabs für eine überwältigende Wirkung der Höhe verweist (G 961).
3.2. Exkurs über Jean Pauls Humor
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sowohl Beobachtung als auch (künstlerische) Darstellung des Erspähten, als deren Ergebnis ja das Tagebuch Giannozzos vorliegt: „[…] und so ist für meinen Pinsel die Erde nach Verhältnis gerade in der rechten Erdferne von meiner Zeichenfeder“ (G 979). Von dieser assoziativen Charakteristik des Ballonfahrers jetzt genauer zu Auslöser und Folge der Weltverachtung: Giannozzos satirischer Blick trifft auf ein Panoptikum unmoralischen Verhaltens; als Humorist erweist sich Giannozzo aber erst, wenn das besondere menschliche Laster durch Verallgemeinerung als Merkmal des Menschen erscheint und der spottende Satiriker sich als dieser Menschheit zugehörig erfährt. Giannozzos Auseinandersetzung mit der verachteten Welt bestimmt sein Verhalten und sein Schreiben, die enggeführten Bereiche des Handelns und des schriftlichen Handelns seien hier zugunsten der Anschaulichkeit vorläufig unterschieden. Als Thema des Humoristen läßt sich der menschliche Egoismus ausmachen, ein Thema, das in vielen Variationen durchgeführt wird. Der Egoismus korrumpiert alle Lebensbereiche, nimmt das emotionale und das rationale Vermögen des Menschen in seinen Dienst. In zahlreichen Episoden ist Giannozzo als Schelm bemüht, die Herrschaft der Selbstsucht zu erschweren. Wenn eine grundlegende Erschütterung schon nicht möglich scheint, bleiben doch Wege, verstörend auf die Menschen zu wirken. Aber es geschah doch etwas, wenn ich füllte und in die Luft flog; es wurden mir doch, wenn ich so luftseefahrend weniger wie Howard durch die Kerker als um den großen Kerker aller kleinen reiste, Mittel und Wege gezeigt, besser auf die Menschen zu wirken, es sei nun, daß ich einige Steine meines Ballastes auf sie werfe, oder daß ich als herabkommender révenant wie ein Falke auf ihre Sünden stoße, oder daß ich mich ihnen unsichtbar mache und fest in solcher Lufthöhe und Barometertiefe. (G 929f.)
Damit werden in der ‚ersten Fahrt‘ einige Handlungen angekündigt, die Giannozzo während seiner Reise ausführen wird; beispielsweise überfällt er den Gefühle heuchelnden Verführer Fahland (‚vierte Fahrt‘) oder greift Steine schleudernd in eine Schlacht ein (‚vierzehnte Fahrt‘). Stets richtet sich der Satiriker gegen ein konkretes Angriffsziel, sei es die im Zeremoniell versteinerte Abendgesellschaft in Vierreuter, seien es die arbeitswütigen Ulrichsschlager Handelsmänner oder auch der sieche Adel im Kurbad; und in jeder Situation bemüht sich Giannozzo um Verstörung, in den genannten Beispielen: die vermeintliche Ohnmacht aus Langeweile und die inszenierte Batrachomyomachie, das hyperbolische Lob der Arbeit, das (zweideutige) Lob des Bauern im adligen Hochzeitsspiel. Die Welt erscheint als immerwährender Werkeltag, sie ist Kampfplatz des Egoismus mit
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
drastischer Vervollkommnung in der Völkerschlacht. Die Verachtung der Welt läßt sich auch an Giannozzos Gebrauch seines Posthörnchens, eines wichtigen Requisits, erkennen. Das Instrument wird zur Waffe in der handgreiflichen Auseinandersetzung mit den Mülanzer Wachen (G 974), löst mit dem Marseiller Marsch einen Alarm aus (G 980) und stellt durch sein dreiundzwanzigmaliges Echo den Reiseschriftsteller vor ein physikalisches Rätsel (G 996). Für den Luftschiffer schießen die verschiedenen Beobachtungen, die ja durchaus konkrete Verhaltensweisen des einzelnen oder gesellschaftlicher Gruppen für die herrschenden Mißstände verantwortlich machen, zum Welttheater zusammen. Die Universalisierung des einzelnen Lasters zur Lasterhaftigkeit des Menschen überhaupt bringt das Bedürfnis einer Apokalypse, eines Weltgerichts, hervor (G 932, 934). Und in Ermangelung des göttlichen Gerichts verspricht sich Giannozzo von seinem Vortäuschen des Jüngsten Tages eine Läuterung, die Simulation des Weltgerichts ist die Mission, die er bis zuletzt, bis zu seinem Tod im Gewitter, erfüllen will. Von entscheidender Bedeutung ist, daß Giannozzo als Humorist um seine Zugehörigkeit zur verachteten Welt weiß. Die bloß negative Freiheit des satirischen Ich besitzt keinen unbedingten Maßstab zur Beurteilung des Menschlichen. Dieser Haltlosigkeit wird sich der Luftschiffer während seines Aufenthalts auf dem Brocken bewußt. Drunten liegen die müden Wachslarven auf dem Hinterkopf, hier oben steht eine reflektierende auf dem Hals, sagt’ ich und griff über mein Gesicht, um solches wie eine Larve abzunehmen und zu besehen. In der Mitternacht dämmerte ein langes Morgenrot und wollte erfreuen; aber ich lachte darüber, daß uns das auch wieder einen flüchtigen Freudenmorgen und Trost vorspiegele; da war mir plötzlich, als sei die ganze Welt und mein Leben in einem Paar Träumen weggetropft, und das Ich sagte zu sich selber: ich bin gewiß der Teufel; schrieb ich nicht vorhin? – (G 965f.)
Im Anschluß wird der verzweifelte Luftschiffer, der die Sünden der anderen als Gespenst geißeln möchte, als Zeuge des ‚närrischen Menuetts‘ selbst von einem ‚révenant‘ heimgesucht. Eine Erhebung über die Welt gelingt nur mit Hilfe der unendlichen Idee des Humors, sie schließt das Eingeständnis der eigenen Bedingtheit, die Selbstrelativierung ein.146 Das eigene Ich erlaubt Giannozzo keine Erhebung über die Welt, sinnbildlich am Ende der ‚siebten Fahrt‘: das Verfolgen
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Vgl. auch die fragwürdige Utopie des in der ‚dritten Fahrt‘ entworfenen ‚FischEden‘, das die selbstherrliche Freiheit des satirischen ‚Haifisches‘ Giannozzo veranschaulicht (G 941f.).
3.2. Exkurs über Jean Pauls Humor
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der untergehenden Sonne bleibt vergeblich, trotz Abwerfen des Ballastes bleibt Giannozzo der Erde verbunden (G 972). Der Wunsch nach einer Überwindung der Welt wird noch einmal in der ‚elften Fahrt‘ dargestellt. Das Überschreiten des Bedingten – der einsame Luftschiffer befindet sich Himmel und Meer als sozusagen Katalysatoren des Erhabenen ausgesetzt – ist ihm nicht unmittelbar vergönnt. Der gen Himmel gerichtete Blick kann den „Paternosterschnuren von Welten über mir“ (G 961) keinen Trost abgewinnen. Statt eines unbefangenen Glaubens vertritt Giannozzo einen mit dem Zweifel streitenden Glauben, zweifelnd besitzt er die unendliche Idee. Angesichts der nach Sonnenuntergang finster unter dem ‚väterlichen‘ Himmel liegenden Erde fragt er: „Großer Sohn! führest du mich zum Vater, wenn ich einmal zu dir komme? –“ (G 992); und ebenso fraglich bleibt die nach dem finsteren Karfreitag durch die Aurora symbolisierte Auferstehung: „Ich stehe noch kalt und bleich an meinem Horizont und gehe noch hinunter zu dem dunkeln Eise; aber werd’ ich auch wie diese, o Gott, wärmer und heller aufgehen und wieder einen heitern Tag durchlaufen in deiner Ewigkeit? –“ (G 992). Über die humoristische Weltverachtung des Luftschiffers ist festzuhalten: der Ärger über das unmoralische menschliche Treiben, ja das Welttheater überhaupt ist deutlich.147 Durch viele Beispiele wird die Unzulänglichkeit des Irdischen vor Augen geführt, wobei der Humorist sich selbst dem Unzulänglichen verhaftet weiß. Die vernichtende Idee des Humors, vor deren Unbedingtheit sich die Bedingtheit alles Irdischen erst offenbart, ist Giannozzo nicht in einer positiven Bestimmung verfügbar, sondern läßt sich als Maßstab seiner universalen Kritik erschließen. Neben dieser indirekten Mitteilung finden sich Ansätze zu einer direkten Formulierung der unendlichen Idee – allerdings, wie gerade gezeigt, in Frageform.
147
Die Verwandlung der Kritik besonderen unmoralischen Verhaltens in die Verachtung des Irdischen unterscheidet den Humoristen vom Satiriker. H. Widhammer ist wohl beizupflichten, wenn er die Vernachlässigung der satirischen Gesellschaftskritik zugunsten eines umfassenden humoristischen Pessimismus beklagt. Eine Vernachlässigung, die durch die ‚romantisierende‘, konkrete Zeitkritik in der Kritik der Endlichkeit aufhebende Tendenz der Vorschule der Ästhetik gefördert werde. Widhammers literatursoziologische These, das Humoristische ausschließlich als „gesellschaftlich vermitteltes Durchgangsmoment der Jean Paulschen Zeitkritik“ zu verstehen, findet allerdings keine zufriedenstellende Begründung, s. H. Widhammer „Satire und Idylle in Jean Pauls ‚Titan‘. Mit besonderer Berücksichtigung des ‚Luftschiffers Giannozzo‘“ in Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft 3 (1968), S. 75.
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Bisher wurde Giannozzo anhand seiner Schelmenstücke untersucht, jetzt soll der Schriftsteller betrachtet werden. Schließlich liegt mit seinem Tagebuch ein Text vor, den er gleich im ersten Satz als Vermächtnis an die Nachwelt ausweist; hinterlassen in der Hoffnung, „daß ich die Allermannsseelen recht damit in Ärger setze.“ (G 927). Um den Zusammenhalt dieses Adressatenkreises zu sprengen, soll der Text auch die revolutionäre Technik von Giannozzos Ballon öffentlich verbreiten. Giannozzo befindet sich über dem theatrum mundi, er fertigt auf seinem „alles zusammenspinnenden Weberschiffe“ (G 961) die postum veröffentlichte textura an. In seinem Text selbst wird die Funktion von Sprache und Schrift diskutiert. Betont wird dabei die suggestive, die Wirklichkeit verändernde Qualität des Wortes – nicht zuletzt nimmt das Unternehmen des Luftschiffers seinen Ausgang von dem Wort „révenant“ (G 929). (Im Zusammenhang mit den utopischen Momenten des Texts wird auf diese Kraft des Wortes zurückzukommen sein.) Daneben wird die Satire als Textsorte ausdrücklich kommentiert: nicht der Spott über das Individuelle, sondern die illustrierende Stellvertretung des gerügten Besonderen für das Allgemeine ist textkonstituierend. Das erklärt Giannozzo dem Rezensenten Scharweber, nicht ohne eine selbstbezügliche Volte auf den tatsächlich vorliegenden Text: „‚[…] Nein, die Kunst braucht die einzelnen Menschen nur als Farbenkörner, nicht als Urbilder. Sogar wenn ich die heutige Satire aufschriebe, setzt’ ich Euern Namen nur statt eines fingierten hinein.‘“ (G 977). Ferner erhält der witzige Erzählstil Giannozzos eine Rechtfertigung. Während seiner Schilderung des erschlafften Jahrhunderts (zu Beginn der ‚dreizehnten Fahrt‘) preist der Verfasser die Provokation, die der Dithyrambus des Witzes für seine Leserschaft bedeutet. „Ich bescheide mich daher gern, daß die sattelfesten steifgestiefelten Deutschen mir auf alle jene weit voneinander entlegenen Gleichnisse von ihrer Sattelfestigkeit nur mit wahrem Abscheu nachgesprungen sind.“ (G 999). Doch führt diese immanente Diskussion von Sprache und Schrift nicht dazu, daß Giannozzo große Hoffnungen hinsichtlich der Wirkung seiner Taten und seines Texts hegt. Einen Beleg der Wirkungslosigkeit liefert die (mündlich vorgetragene) Rede vor dem bäurisch verkleideten Adel im Kurbad (G 1002-1004), denn die Satire wird von den verspotteten Zuhörern lachend, dankbar und ohne weitere Konsequenzen entgegengenommen. Ja, selbst der Spuk eines Wiedergängers vermöchte die trägen Bewohner der Werkeltags-Welt nicht aufzuschrecken; die mutatis mutandis dem humoristischen Verfahren vergleichbare Konfrontation mit dem Überirdischen oder Unverständigen würde,
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als Tollheit abgetan, höchstens einen Arztbesuch nach sich ziehen (G 929).148 Es bleibt zu berücksichtigen, daß Giannozzos Tagebuch in eine Herausgeberfiktion gebettet ist. Die Rolleneinkleidung des Herausgebers verdient Aufmerksamkeit. Seinem (in der Vorrede des zweiten Anhangbändchens zum Titan dargelegten) um Versöhnung bemühten Programm gemäß, greift der Herausgeber bisweilen mäßigend in Giannozzos Satiren ein. Auch unterdrückt er die aufrührerische Verbreitung der Bauanleitung des Ballons (G 928). Das wütende Eingreifen des Luftschiffers, der Steine auf ein Schlachtfeld schleudert, wird als Teilnahme am allgegenwärtigen Geflecht der Aggression verurteilt (G 1007). Daneben erfüllt der Herausgeber eine rhetorische Funktion, beeinflußt er doch durch seine Vorausdeutung den Spannungsverlauf des Texts (vgl. den Kommentar zu Giannozzos Todesahnung, G 972). Trotz der versöhnenden Tendenz bleibt der Herausgeber ein Doppelgänger des Helden: wie dieser wehrt er sich satirisch gegen Mißstände, man denke nur an seine Vorsichtsmaßnahmen für die Bettruhe der fürstlichen Familie bei Brandkatastrophen (G 980). Auch die utopischen Momente in Giannozzos Tagebuch, die unten analysiert werden, sind in den Anmerkungen des Herausgebers auszumachen; hierzu zählt beispielsweise das Lob des Herzens, der ‚moralischen Schönheit‘ (G 950), oder die wenn auch vage Hoffnung auf ein zukünftiges ‚moralisches Reich‘ (G 999). Wiederholt wird die Identität von Herausgeber und realem Autor nahegelegt;149 so verteidigt sich der Herausgeber gegen Giannozzos Verdikt über Jean Pauls ‚Simultanliebe‘ (G 945), und er zeichnet für das, angeblich bei Lafontaine aufgefundene, Makulaturblatt Jean Pauls verantwortlich. Der Text dieses Makulaturblatts, als Anhang der ‚zwölften Fahrt‘ beigelegt, ähnelt wiederum Giannozzos Ausführungen. Hier sei nur ein Aphorismus wiedergegeben, der die läuternde Funktion der Poesie betont: „Gleich dem Jüngsten Tage verwandelt uns die Poesie, indem sie uns verklärt, ohne uns zu verändern.“ (G 997). Bedenkt man diese Spiegelungen zwischen dem fiktiven Herausgeber ‚Jean Paul‘ und Giannozzo und wägt zugleich die sa148
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Man vergleiche die Beschreibung des Gespenstertreibens mit den Humor-Bestimmungen der Vorschule der Ästhetik, insb. der Reaktion des gesunden Menschenverstandes auf das Streiten von Bedingtheit und Unbedingtheit im humoristischen Subjekt, SW I 5, 132. Die suggerierte Identität von Herausgeber und realem Autor sollte aber nicht zu einer Gleichsetzung verführen, die in der Forschung beispielsweise H. Widhammer „Satire und Idylle in Jean Pauls ‚Titan‘. Mit besonderer Berücksichtigung des ‚Luftschiffers Giannozzo‘“, a.a.O., vornimmt.
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tirischen und utopischen Züge der Herausgeberfigur ab, erweist sich der optimistische Herausgeber als abgemilderter Giannozzo, nimmt ‚Jean‘ die Verstärkung des ‚Giannozzo‘ zurück (das italienische Suffix ‚-ozzo‘ läßt sich als ‚suffisso accrescitivo‘ verstehen). Nach der satirischen Weltverachtung verfolgt die Untersuchung nun Giannozzos Weltgewinn, die elegische und rhapsodische ‚Sprachgebärde‘. Neben der ex negativo aus der Kritik zu erschließenden Vorstellung des Ideals enthält Giannozzos Text durchaus einige Hinweise, wie man sich eine ideale Vergangenheit oder eine ideale Zukunft vorzustellen hat. Für die ideale Vergangenheit läßt sich vor allem das ‚anonyme Paradies‘, das der Luftschiffer auf seiner ‚siebten Fahrt‘ besucht, als Beleg beibringen. An zentraler Stelle, in der Mitte des gesamten Texts, beschreibt die Bewegung dieser Fahrt eine Abwendung von und erneute Hinwendung zu der Erde. Giannozzo flüchtet von einem Schlachtfeld auf der Erde in den Himmel, erlebt träumend eine Verklärung im Wolkenmeer, läßt sich endlich auf das unbekannte verheißungsvolle Land nieder. Im Anschluß reist er durch verschiedene bereits liebgewonnene Landschaften. Abschließend bemüht er sich um eine endgültige Erhebung über die Welt, er verfolgt die untergehende Sonne und wird auf sein Unvermögen, seine Geschöpflichkeit zurückgeworfen – diese Erfahrung der conditio humana wurde oben erwähnt. Das ‚anonyme Paradies‘ als ideale Station auf seiner Reise wird sprachlich angekündigt, wieder ist die suggestive, magische Qualität des Wortes ausschlaggebend: „‚Von der Stadt Gottes ist wie von Pompeja erst eine Gasse aufgedeckt!‘ So rief es im Traum; dann wiederholte es bloß sinnlose Worte: Pompeja – Hesperien – warme Blütenwälder – warme Blütenwälder – und dunkle Wellen der Lust liefen über mich hinüber.“ (G 967). Das Erleben des schließlich betretenen Paradieses wird folgendermaßen wiedergegeben: „Ich wurde von dem dunkeln Paradies wie von einem stummen Kinde angelacht; alles, was unbekannt um mich lag, glich einem alten erinnerten Wiegenliede, nicht einer kunstgärtnerischen Georgika.“ (G 968). In konzentrierter Form ist hier das Naive als Charakteristikum des locus amoenus erkennbar. Der Vergleich mit kindlicher Freude, die keine sprachliche Vermittlung benötigt, mit der Erinnerung an früh gehörte Melodien, deutet auf das von keiner Reflexion unterbrochene Gefühl der Harmonie. Giannozzo wird sich hüten, diese Einheit durch Kenntnis des Namens der Landschaft zu zerreißen. Ein weiteres Merkmal des heraufbeschworenen Ideals ist das allgegenwärtige Klingen, Musik ist nicht mehr zum Schlachtenlärm pervertiert. Durch die Begegnung mit der liebenden Teresa, Vorbotin des
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befreiten weiblichen Geschlechts (G 969), wird die Liebe gefeiert, der Luftschiffer selbst agiert als Norden und Süden vereinender Liebesbote. So entwirft Giannozzo mit dem ‚anonymen Paradies‘ ein absichtlich naiv belassenes Urbild, das vom Gefühl der Einheit getragen wird. Mit Recht spricht J. Fohrmann von der Zitathaftigkeit des vom Luftschiffer gepriesenen Zaubergartens, der als offensichtlich literarisch vermitteltes goldenes Zeitalter in Szene gesetzt wird.150 Schon in Giannozzos Tagebuch wird die Unmöglichkeit des Verweilens in diesem pseudo-naiven Zustand demonstriert. Die letzte, ‚vierzehnte Fahrt‘ entwirft regelrecht eine Umkehrung der Bewegung, die die ‚siebte Fahrt‘ vollzieht. Auf seiner letzten Etappe ist Giannozzo noch ein kurzer Blick auf einen Landstrich vergönnt, der ihn traumhaft bekannt anmutet. Er identifiziert das einst besuchte Paradies nun namentlich als Schwaben, das – dem prosaischen Blick angemessen – nicht mehr die liebende Teresa, sondern die Straßenräuber des ‚Wiener Schubs‘ beherbergt. Die Inversion der ‚siebten Fahrt‘ fortsetzend, treibt Giannozzo von dem ehemals zauberisch verklärten Landstrich fort und über ein gräßliches Schlachtfeld. Die Flucht vor der Gegenwart in einen vorreflexiven Zustand wird zu keinem Zeitpunkt als möglich vorgestellt. Wenn das Ideal naiver Einheit auch unwiderruflich verloren ist, bleibt der Humorist Giannozzo doch nicht ganz und gar der verhaßten Gegenwart ausgeliefert – auch in der verachteten Werkeltags-Welt lassen sich Zeichen der Hoffnung ausmachen, behält der Pessimismus nicht das letzte Wort. Hin und wieder affirmiert Giannozzo selbst zukunftsweisende Veränderungen, beispielsweise begrüßt er die politische Situation der Schweiz, in seinen Forderungen läßt sich zuweilen die ‚Emanzipation des Individuums, des Weibes und des Fleisches‘ erahnen. Weitaus deutlicher kündet jedoch die Anfertigung seines Journals selbst von Hoffnung: zum einen ist der Text der egoistischen Masse als Stachel vorgesetzt, zum anderen aber den Freunden, den ‚Brüdern des Herzens‘ als erfreuendes Vermächtnis hinterlassen (G 927). Von diesen Freunden wird Graul genannt, dem es vor der Gegenwart wohl ebenfalls ‚graut‘; ihm ist das Tagebuch gewidmet, in den Selbstgesprächen des Helden wird er häufig als Gegenüber vorgestellt (z.B. G 932f.). Indem Giannozzo die Freunde als ‚Brüder seines Herzens‘ anspricht, ist das Gefühl als Vermittlungsinstanz des Ideals bestimmt. In dieser Wertschätzung kommt der Luftschiffer, der laut eigenem Bekunden 150
J. Fohrmann „Jean Pauls ‚Titan‘. Eine Lektüre“ in Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft 20 (1985), S. 9.
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„[…] ein Misanthrop der Köpfe weit mehr als der Herzen geworden [ist], weil am Ende jeder Kopf uns mit seinem Ufer und seinem Meeresgrunde erschüttert und erschreckt […]“ (G 951f.), mit den entsprechenden Hoffnungen des Herausgebers überein. Doch symbolisiert das Herz nicht nur die uneingeschränkte Möglichkeit selbstloser Freude. Die mit seiner Mißachtung angezeigte Korruption des Gefühls verschließt der Gegenwart auch das die Wirklichkeit verklärende ästhetische Erleben.151 Mehrmals wurde der Einfluß vermerkt, den das Wort auf die Wirklichkeit ausüben kann. Der Aufbruch des Luftschiffers wird von dem Wort „révenant“ ausgelöst (G 929), das naive Paradies der ‚siebten Fahrt‘ wird durch die betörende Wiederholung „bloß sinnlose[r] Worte“ (G 967) angekündigt. Und in dem fatidiken Traum zu Beginn der ‚vierzehnten Fahrt‘ spricht Graul einige „Worte ohne vielen Nexus“ (G 1005); obwohl den Freunden Giannozzo und Graul im Traum wie im Leben eine Umarmung verwehrt bleibt, stellt die Niederschrift des Luftschiffers eine Verbindung her, spricht Graul doch als Schlußwort die ihm im Tagebuch zugeordneten Sätze nach dem Tod seines Freundes aus: „Ich spreche die vernünftigen Worte nach, die mir sein Traum in den Mund gelegt: ‚Giannozzo, wo lebst du, Lämmchen? Kannst du mir nicht erscheinen? Wahrlich, ich gedenke deiner, armer Teufel!‘“ (G 1010). Mit diesen Worten werden Eigenschaften Giannozzos, sein Leiden an der Welt, die Reinheit des Gefühls, vielleicht auch sein mephistophelischer Spott, assoziativ aufgerufen. Daß die zunächst unverständlichen, nur suggestiven Worte eine verstehbare Bedeutung erhalten und daß diese Worte nun mit der neuen Bedeutung wiederholt werden, mag die Hoffnung des gesamten Tagebuchs andeuten, in der Wirklichkeit Spuren zu hinterlassen und auf die Wirklichkeit Einfluß zu nehmen. Betrachtet man das textimmanente Geschick, das Giannozzos Tagebuch widerfährt, kann trotz der unglücklichen Umstände von einer glücklichen Entwicklung gesprochen werden. Bis zu seinem Tod im Gewitter führt der Ballonfahrer seinen 151
Das überschwengliche Lob des ästhetischen Erlebens sei hier wiedergegeben, ist damit doch das utopische Potential der Kunst bezeichnet: „Hell steigt der Genius vom Himmel nieder, und das Gewölke erglänzet weit, wenn er es durchdringt; und der ätherische Geist berührt die Erde: da verwandelt sich alles – die Felsen gehen auf und zeigen stille große Gestalten – auf die Leinwand und die Mauern fällt der Widerschein von fernen Göttern und ihren Himmeln – alle Körper erklingen, Sehne, Holz und Gold, und die Luft durchfliegen Lieder –; aber die dumpfe Menschenherde hebt ein wenig den Kopf von der Weide verwundert auf und bückt sich wieder und graset weiter; nur einige werden geheiligt und knien verklärt.“ (G 949).
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Text fort, der den Absturz unbeschadet übersteht und tatsächlich veröffentlicht wird. Zum Zeichen der Hoffnung wird auch Giannozzos letzte musikalische Tat. Obzwar als Fanal gegen die egoistische Masse beabsichtigt – „[…] und ich will jetzt mit meinem Posthörnchen wütig ins Wetter blasen, wie ihr Mozart drunten im Don Juan, und den Heuchlern auf dem Boden den Anbruch des Jüngsten Tages weismachen – –“ (G 1010) –,152 vernimmt sein Freund Graul das Signal. Graul gibt sich im erläuternden Nachwort zum Text seines verunglückten Freundes als dessen Doppelgänger zu erkennen, schließlich war er der närrische Tänzer auf dem Brocken, die Personifikation der Gedanken Giannozzos (G 966). Und da Graul die Sätze aus Giannozzos Traum wiederholt, behält auf jeden Fall der Humorist das letzte Wort. Trotz der Katastrophe wird mit Graul das Fortleben des Humoristen und, da Graul auf seine fertiggestellte Clavis (Fichtiana) verweist, die Fortsetzung des Texts angedeutet. Um Giannozzo als Humoristen zu interpretieren, wurde der Wechsel von Weltverachtung und Weltgewinn verfolgt. Giannozzo steigert die satirische Kritik zur Weltverachtung, diese Radikalisierung der Kritik verbildlicht der den Boden des Allzumenschlichen fliehende Ballonfahrer. Von einem Humoristen Giannozzo läßt sich aber erst sprechen, wenn der Satiriker seine Kritik gegen die eigene Bedingtheit richtet; als in diesem Zusammenhang entscheidende Passage wurde Giannozzos Verzweiflung angesichts der Maskenhaftigkeit des eigenen Ich angeführt, die schreckliche Selbsterkenntnis, die ihn auf dem Brocken überfällt. Die unendliche Idee, das Widerlager der radikalen Welt- und Ich-Kritik, ist nur ex negativo durch ebendiese Kritik ausgedrückt, der positive Ausdruck gläubiger Weltüberwindung wird in Frage gestellt. Die utopischen Momente in Giannozzos Text – vor allem mit dem Gefühl und der Kraft des Wortes verknüpft – bleiben unsicher, über Veränderung und Veränderbarkeit der Welt wird kein abschließendes Urteil gefällt.153 152
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Das Posthörnchen als Instrument Giannozzos weist auf die weltverachtende und weltbejahende Seite des Humoristen. Es ist satirische Waffe, so soll es noch an dieser Stelle das Weltgericht vortäuschen; und es verbindet Giannozzo mit der Musik, die seine Vorstellung des Ideals stets begleitet (man denke nur an das klingende Paradies der ‚siebten Fahrt‘). Diese Vorläufigkeit, die Ambivalenz zwischen Distanzierung von der Welt und Hoffnung auf eine neue menschliche Gemeinschaft, betont J. Fohrmann in seiner Interpretation des Titan, s. „Jean Pauls ‚Titan‘. Eine Lektüre“, a. a. O., v. a. S. 7-13, 32.
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Die Interpretation von Giannozzos Montgolfieren-Journal schließt mit einer Überlegung zum Kontext des Texts. Die radikale Kritik der Welt wirft das satirische Subjekt auf das eigene Ich zurück; es stellt sich die Frage, ob das derart ‚reflektierte‘ Subjekt das Ich als Garanten der kritischen Position festhält oder das Ich in selbstbezüglicher Kritik der eigenen Bedingtheit überführt. Diese Fragestellung ist ein mögliches Verbindungsglied zwischen Giannozzos Text und dem vorangestellten Titan, was kurz demonstriert werden soll. Eindringlich ist die Problematisierung des Ich im Titan mit der Figur des Humoristen Schoppe verknüpft. Schoppe beherrscht das satirische Spiel mit der potenzierenden Reflexion, wenn er beispielsweise einem Maskenball die Verdopplung der Redoute als Marionettenspiel entgegenhält oder bei seiner eigenen Demaskierung stets eine neue ‚Unterzieh-Maske‘ zum Vorschein kommt (innerhalb des ‚50. Zykels‘). Die Gefahr, die das Spiel mit dem Ich in sich birgt, wird in Schoppes Lebenslauf deutlich. Die potenzierende Reflexion bedeutet den Verlust des Ich als unumstößliche Orientierung. Haltlos der Verfolgung durch ‚ein Ich‘ preisgegeben, gerät Schoppe ins Tollhaus. Die Diagnose des obskuren Anstaltsleiters: „Ein Fichtianer kann er sein (aus seinem Ich schließ’ ichs) und ein Humorist auch; ist nun aber eines von beiden nur schwer von Verrückung zu trennen, wie viel mehr ihre Einigung!“154 Schoppe stirbt schließlich durch die Konfrontation mit einem Doppelgänger – zugleich versichert der unentwegte Namenstausch (Schoppe / Leibgeber / Graul) eine Fortsetzung. Die Verflüchtigung seiner selbst in universaler Maskenhaftigkeit verbindet den Humoristen Schoppe mit seinem erklärten Feind Roquairol.155 Letzterer verkörpert nolens volens die Ästhetisierung der Existenz, er ist zur unablässigen Beobachtung seiner selbst verdammt. Noch bei seinem Selbstmord abstrahiert er von sich selbst; er setzt das Geschehen als Theaterstück in Szene und möchte durch Machination das Gericht über sein Ich selbst vornehmen (‚130. Zykel‘). Von den dem Roman als Anhang beigegebenen Texten entwirft schließlich die Clavis Fichtiana des Humoristen Leibgeber das Schreckensbild, das aus der Verwechslung des empirischen mit dem (Fichteschen) absoluten Ich hervorgeht. Gefangen im
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SW I 3, 776. Auf das in Schoppes verächtlichem Urteil über die „poetische Weltverachtung“ (SW I 3, 495) verborgene Ahnen der eigenen Ähnlichkeit mit Roquairol weist der Erzähler in einem hellsichtigen Kommentar hin (ebd.); vgl. auch W. Rehm „Roquairol. Eine Studie zur Geschichte des Bösen“ in Begegnungen und Probleme. Studien zur deutschen Literaturgeschichte, Bern 1957, S. 188, 226.
3.2. Exkurs über Jean Pauls Humor
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„bloße[n] Spiegeln des Spiegelns“156 verharrt das sich selbst betrügende Ich. Die Konfrontation von Endlichkeit und Unendlichkeit in ein und demselben humoristischen Subjekt ist ein Bestandteil des Humors, der dem gesunden Menschenverstand notwendig zuwiderläuft. Der fatale Selbstverlust in der Tollheit, der unablässig experimentierende Blick auf das Dasein, die Absolutsetzung des endlichen Ich sind Motive des Titan (beziehungsweise seines Anhangs), die mit Giannozzos Tagebuch korrespondieren, indem sie Gefahren des humoristischen Subjekts darstellen. Das soll als Hinweis auf die Verbindung von Text und Kontext genügen. Der Exkurs verdeutlicht also, daß Jean Pauls Humor die radikale Überwindung des bloß Bedingten bedeutet, die zugleich dem Bedingten verbunden bleibt und allein durch dessen Überwindung auf das Unbedingte verweist; eine fabelhafte Illustration des Humoristen bietet die Vorschule der Ästhetik mit dem Vogel Merops, der verkehrt herum, mit dem Kopf nach unten, in den Himmel auffliegt.157 Wenn man sich mit diesem Humorbegriff und dem Merops gar nicht unähnlichen Luftschiffer Giannozzo im Sinn nun wieder Kierkegaard zuwendet, erscheint dessen Humor in hellerem Licht. Daß Kierkegaards und Jean Pauls Humorist dieselbe Perspektive haben, daß sie zum einen bei der Kritik des bloß Bedingten den Kritiker nicht vergessen und zum anderen diese radikale Kritik ohne unbedingte Absicherung erfolgt, ist mittlerweile, nimmt man das im vorigen und in diesem Kapitel Erarbeitete zusammen, evident. Die Beschäftigung mit Jean Pauls literarischer Darstellung des Humoristen verdeutlicht aber zusätzlich, was die Perspektive des Humoristen für diesen selbst bedeutet. Giannozzo führt vor Augen, wie schwer die konsequente Kritik von Welt und Ich zu ertragen und aufrechtzuerhalten ist, wenn diese Kritik zu keiner verläßlichen Gewißheit führt und von dieser gestützt wird. Angesichts dieser Ungewißheit des Humoristen wird die Versuchung verständlich, den unbedingten Anspruch aufzugeben und sich zum Beispiel mit einem einigermaßen zusagenden oder gar nicht erst problematisierten beliebigen Standpunkt zu identifizieren. Die durch Giannozzo illustrierte Ungewißheit hat auch Kierkegaards Humorist zu ertragen. Aufschlußreich ist aber neben Giannozzos Abwendung von der Welt auch seine Zuwendung zu ihr: die humoristische Erhebung 156 157
SW I 3, 1055. Jean Paul Vorschule der Ästhetik, SW I 5, 129; s. oben Kap. 3.2.1.
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
über die Welt und sich selbst darf nämlich nicht mit einer Zerstörung verwechselt werden; das gilt genauso für Kierkegaards humoristische Läuterung. (Zu den vage utopischen Momenten bei Giannozzo wäre aus Kierkegaardscher Sicht anzumerken, daß bloß weltliche Verbesserungen eine unbedingte Gewißheit nicht verschaffen oder ersetzen können.) Der durch den Exkurs erhellte Humor wird auch im folgenden Kapitel wieder begegnen, das in der Auseinandersetzung mit Kierkegaards Über den Begriff der Ironie verschiedene Läuterungsmöglichkeiten prüft; in der Magisterabhandlung ist es Kierkegaard besonders um eine Klärung des diesen Möglichkeiten zugrundeliegenden Begriffs der Negativität zu tun.
3.3. Das vieldeutige Nichts (Über den Begriff der Ironie) „[…] eine, sei es auch bloß subjektive, Spekulation, in welcher das Individuum in einem gewissen Maße verschwindet, eben sofern da das empirische Ich verschwindet, und die idealen Bestimmungen des reinen Ichs sich entfalten.“ (SKS 1, 199 / BI 153) „Für die Ironie wird Alles Nichts; aber Nichts kann auf mehrere Weisen verstanden werden.“ (SKS 1, 296 / BI 263 [Übers. modifiziert])
Kierkegaards Magisterabhandlung Über den Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates ist wesentlich eine Abhandlung über Negativität, über berechtigte und unberechtigte Formen der Negativität und deren Unterscheidung. Die Relevanz dieser Unterscheidung können die als Motto präsentierten Auszüge andeuten: die Unterscheidung von berechtigter und unberechtigter Negativität verlangt zum Beispiel die Verständigung darüber, wie sich das vieldeutige ironische Nichts zu der in der knapp umrissenen ‚Spekulation‘ implizierten Vernichtung verhält. Die vorliegende Untersuchung wird Kierkegaards Überlegungen mit Hegels Begriff der Negativität vergleichen und auf diese Weise eine mehr oder weniger verdeckte Widersprüchlichkeit der Ironie-Schrift aufdecken. Der Vergleich bemüht, wohlgemerkt, den anhand Hegels Jenaer Schriften erarbeiteten Begriff der Negativität und nur am Rande die späteren Darstellungen des Sokrates und der Romantiker.158 Je deutlicher die aufzudeckende Wi158
Eine Übersicht über die Texte Hegels, auf die sich Kierkegaard nachweislich bezieht, bietet SKS K1, 184f., 324f.
3.3. Das vieldeutige Nichts
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dersprüchlichkeit in Kierkegaards Überlegungen erfaßt wird, desto leichter lassen sich die an die Ironie-Schrift anschließenden Schriften als Fortsetzungen (und Versuche zur Beseitigung der Widersprüchlichkeit) verstehen. Die Untersuchung der Ironie-Schrift erfolgt in drei Teilen. Im ersten Teil wird die mit der Legitimierung der Ironie verbundene Verwendung der Hegelschen Philosophie, die mitunter verworrene implizite Zustimmung zu und Ablehnung von Hegels dialektischer Methode, expliziert. Diese Verworrenheit wird bei dem Vergleich der weltgeschichtlichen Bedeutung von Sokrates und Christus besonders augenfällig. Der zweite Teil der Untersuchung ist dem Zweifel, dessen Bedeutung für die Ironie-Schrift zumeist übersehen wird, gewidmet. Der Zweifel erfährt, insbesondere wenn er mit der Spekulation assoziiert wird, eine widersprüchliche Behandlung. Im dritten Teil wird schließlich den Hinweisen auf eine religiöse Negativität nachgegangen, die zum Beispiel anläßlich der Abgrenzung der Ironie vom Humor gegeben werden. Im Hinblick auf die Literarisierung philosophischer Problemstellungen in den auf die Ironie-Schrift folgenden Schriften ist zu berücksichtigen, daß sich Kierkegaard in seiner Magisterabhandlung andeutungsweise auch literarischer Mittel, beispielsweise der satirischen Darstellung oder der gezielt mehrdeutigen Metaphorik, bedient. 3.3.1. Die widersprüchliche Rechtfertigung der Ironie Um die Diskussion über die Berechtigung der Ironie als spannungsvolle Auseinandersetzung mit Hegels Dialektik zu begreifen, seien die entscheidenden Schritte aus Kierkegaards Argumentation, der Aufbau der Ironie-Schrift, nachvollzogen und kommentiert. Der Kommentar orientiert sich an der Frage, was man unter den hier gleichbedeutenden Begriffen des absoluten Nichts und der unendlichen absoluten Negativität, mit denen Kierkegaard die reinste Gestalt der Ironie kennzeichnet, zu verstehen hat.159 Kierkegaards einleitenden Überlegungen zum Verhältnis von Begriff und Erscheinung zufolge erhält man den Begriff der Ironie nur durch das Begreifen der geschichtlichen Erscheinungen, und das heißt zuallererst durch ein zuverlässiges und begreifbares Bild des 159
Der Kommentar des ersten Teils der Ironie-Schrift forciert den Begriff des absoluten Nichts, der des zweiten Teils den Begriff der unendlichen absoluten Negativität.
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ersten Ironikers Sokrates. Die Beschäftigung mit Sokrates macht es unvermeidlich, „[…] an der Richtigkeit des bekannten philosophischen Satzes, daß das Äußere das Innere, das Innere das Äußere sei, ein bißchen zu zweifeln“ (SKS 2, 11 / EO 11) (um mit den Einleitungsworten Victor Eremitas zu sprechen). Die Erscheinung des Sokrates ist weder unmittelbarer Ausdruck seines Wesens noch direkter Gegensatz seines Wesens, so daß man, sei es nun unmittelbar oder mittelbar, von der Erscheinung auf das Wesen schließen könnte. Das zweifelhafte und unberechenbare Verhältnis von Wesen und Erscheinung des Sokrates erklärt Kierkegaard damit, daß das Wesen oder der Standpunkt des Sokrates Ironie ist. Als gute Veranschaulichung des ironischen Verhältnisses von Wesen und Erscheinung darf gelten, was Kierkegaard beiläufig über die Physiognomie des Sokrates anmerkt: Alle Wahrheit der Physiognomie hängt indes von dem Satze ab, daß das Wesen ist und nur ist, soweit es in der Erscheinung ist, oder das die Erscheinung die Wahrheit des Wesens, das Wesen die Wahrheit der Erscheinung ist. Nun ist freilich das Wesen die Negation der Erscheinung, es ist jedoch nicht ihre absolute Negation, denn damit wäre das Wesen selbst ja eigentlich verschwunden. Eine solche Negation indes ist in gewissem Maße die Ironie, diese negiert das der Erscheinung Zugehörende, nicht um durch diese Negation zu „setzen“, nein, sie negiert das Erscheinende überhaupt, sie flüchtet zurück anstatt herauszugehen, sie ist nicht in der Erscheinung, sie sucht mittels der Erscheinung zu täuschen, die Erscheinung ist nicht dazu da, das Wesen zu offenbaren, sondern es zu verstecken. (SKS 1, 256f. Note 1 / BI 218 Note 1 [Übers. modifiziert])160
Die von der Physiognomik vorausgesetzte verständliche Vermittlung von Erscheinung und Wesen wird durch die (hier nicht genauer charakterisierte) ironische Auflösung jeder Vermittlung verhindert. Um die Erklärung, der Standpunkt des Sokrates sei Ironie, zu plausibilisieren, will Kierkegaard im umfangreichen ersten Teil seiner Magisterabhandlung zeigen, daß allein diese Erklärung mit den drei großen Sokratesdarstellungen von Xenophon, Platon und Aristophanes vereinbar ist, daß sie mit den Informationen über den historischen Sokrates übereinstimmt, ja daß sie durch die weltgeschichtliche Bedeutung des Sokrates zwingend erforderlich wird. Die demgemäß vorgenommene kombinatorische Lektüre der drei genannten Sokratesdarstellungen ermöglicht es, in diesen Darstellungen jeweils ein Mißverständnis des Sokrates zu erkennen, genauer ein Mißverständnis des „geheimnisvolle[n] Nichts, welches 160
Das Zitat vermittelt nicht nur einen Eindruck von Kierkegaards Ironiebegriff, sondern auch von den damit zusammenhängenden Schwierigkeiten: es drängt sich sofort die Frage auf, was eine ‚in gewissem Maße absolute Negation‘ ist.
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im Leben des Sokrates eigentlich die Pointe ausmacht […]“ (SKS 1, 203 / BI 158).161 Das erste Mißverständnis: Xenophon stellt einen räsonierenden Sokrates dar. Laut Xenophon beteiligt sich Sokrates an der Reflexionskultur statt deren fixierte Reflexionen ironisch zum Einsturz zu bringen; beispielsweise lehrt der Sokratische Unterricht das Abschätzen des Nützlichen, das situative Unterscheiden von mehr oder weniger Nützlichem – dabei entbehrt das jeweils bedingte Maß des unbedingten Maßstabs. Die Spannung zwischen Wesen und Erscheinung, das ‚geheimnisvolle Nichts‘ des Sokrates, übersieht Xenophon. Sein Sokrates vertritt sozusagen ein relatives Nichts (eine relative Negativität, also eine relative Positivität), und Sokrates kann deshalb wohl dieser oder jener Reflexion, nicht aber dem willkürlichen Reflektieren der Sophisten überhaupt Paroli bieten. Das zweite Mißverständnis: Platon stellt einen spekulierenden Sokrates dar. Platons Sokratesdarstellung bereitet die Schwierigkeit, daß in ihr Sokratisches und Platonisches Philosophieren scheinbar ununterscheidbar verschmolzen ist. Um Sokratische und Platonische Elemente dennoch zu unterscheiden, arbeitet Kierkegaard zunächst das Verfahren der dargestellten Sokratesfigur heraus, das in einer absoluten Abstraktion besteht. Sokrates greift die Meinungen seines Gesprächspartners über den zur Diskussion stehenden Gegenstand auf, er fördert durch beharrliches Ausfragen die Widerlegung jeder (konkreten) Bestimmung, so daß nach der somit durchgeführten Abstraktion schließlich nur das schlechthin Unbestimmte (als ebenso abstrakte wie nichtssagende Bestimmung) zurückbleibt.162 Einerseits erhebt sich Sokrates ständig über das als bedingt Durchschaute und macht auch seinem Gesprächspartner eine Beruhigung im Bedingten unmöglich, andrerseits verweigert er sich selbst wie seinem Gesprächspartner ein positives Ergebnis (das positive Unbedingte oder den positiven Maßstab). Das ‚geheimnisvolle Nichts‘ des Sokrates ist also das absolute Nichts, womit besagt ist, daß Sokrates das Relative absolut negiert, ohne das Absolute positiv geltend zu machen. Kierke161
162
Das Verständnis des Sokrates ergibt sich aus der Kombination von drei möglichen Mißverständnissen, also via negationis (SKS 1, 244 / BI 205); insofern ähnelt die Vorgehensweise derjenigen Hegels in Glauben und Wissen, wo durch Kritik der drei sich ergänzenden Fehlformen der Philosophie deren Überwindung herbeigeführt und die wahre Philosophie eingeleitet werden soll. Das Ergebnis konsequenter Abstraktion ist absehbar, so heißt es zum Beispiel in bezug auf Platons Phädon: „Jedoch dies gänzlich Abstrakte […] wird zuletzt das noch am meisten Abstrakte, das Leichteste, nämlich das Nichts.“ (SKS 1, 125 / BI 68).
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gaard bezeichnet dieses auszehrende oder (um an die Schlüsselwörter Leere und Fülle zu erinnern) entleerende Sokratische Verfahren als negative Dialektik, als Dialektik, die ein ‚negatives Ergebnis‘ zeitigt, indem sie am Negativen als Ergebnis festhält. Die Rede vom absoluten Nichts des Sokrates ist insofern gefährlich doppeldeutig, als man die (absolute) Negativität oder aber das Absolute (der Negativität) hervorheben kann. Die erste Deutung ist die gerade skizzierte negative Dialektik: Sokrates richtet über alles Bedingte, indem er dessen Bedingtheit aufzeigt, und so und nur so kann er das Unbedingte geltend machen. Wollte man dennoch von Sokratischer Positivität sprechen, dann höchstens von mittelbarer, nämlich von dem positiven Vermögen zu dauerhaft negativem Tun. Die zweite Deutung des absoluten Nichts versteht die darin enthaltene Beziehung zum Absoluten als Beziehung zum positiv zugänglichen Absoluten. Dieser positiven oder spekulativen Dialektik gemäß richtet Sokrates über alles Bedingte (indem er dessen Bedingtheit aufzeigt), um das auch anders, nämlich positiv zugängliche Absolute geltend zu machen. Während die negative Dialektik mit dem Nichts endet, wird das Überwinden aller falschen Vorstellungen über das Absolute in der spekulativen Dialektik durch ein Erkennen des Absoluten vervollständigt. Mit Hilfe der Gegenüberstellung von negativer und spekulativer Dialektik will Kierkegaard die Sokratischen und die Platonischen Elemente in Platons Sokratesdarstellung unterscheiden: er ordnet die in dieser Darstellung enthaltene negative Dialektik Sokrates (der Sokratischen Ironie) und die darin ebenfalls enthaltene spekulative Dialektik Platon zu. Es bleibt zu ergänzen, daß die spekulative Dialektik Platons nur eine mangelhafte Spekulation bewerkstelligt, da die positive Erkenntnis des Absoluten nicht überzeugend mit der Sokratischen Negativität vermittelt ist, sondern das Mythische und das Bildliche als positives Supplement unvermittelt hinzugesetzt werden. Das dritte Mißverständnis: Aristophanes stellt einen komischen Sokrates dar; er bietet in seinen Wolken gleichwohl die verhältnismäßig treueste Sokratesdarstellung.163 Anläßlich der diffizilen Unterscheidung von Sokratischem und Platonischem in der Platonischen Sokratesdarstellung hat Kierkegaard den Ironiker als negativen Dialektiker charakterisiert. Diese negative Dialektik hat die Eigenschaft, sich niemals auf einen ein für alle Mal ausgesprochenen Standpunkt reduzie163
Die Wolken des Aristophanes werden in Kap. 3.5.4. wieder behandelt, wenn der in dieser Komödie ausgetragene Agon der Logoi als ein Modell für Entweder-Oder vorgestellt wird.
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ren zu lassen. Sie überführt jeden Standpunkt der der eigenen absoluten Prätention widersprechenden Relativität, heischt Abstraktion von ‚in gewissem Maße‘ gültigen Standpunkten und darf konsequenterweise nicht selbst zu einem ebensolchen werden. Mit anderen Worten, die bedingungslose Vernichtung des sich verkennenden Bedingten darf sich nicht im Bedingten einrichten – im selben Augenblick wäre der nur durch die Negation des Bedingten gewährleistete Bezug zum Unbedingten verspielt. Die prekäre Lage eines derart unfaßlichen Standpunkts erlaubt eine komische Darstellung, und eben diese liefert Aristophanes in seiner Komödie. Die Leistung des Aristophanes besteht darin, das ‚geheimnisvolle Nichts‘ des Sokrates eben als Nichts, und zwar als absolutes Nichts, erfaßt, dessen radikale Negativität fixiert und dabei der Versuchung zur Positivierung widerstanden zu haben. Der Aristophanische Sokrates verbleibt bei der rücksichtslosen Zerstörung des Verbindlichen, ohne etwas an die Stelle des Zerstörten zu setzen. Was in der Aristophanischen Darstellung nicht genügend zum Ausdruck kommt, wodurch sich auch diese Sokratesdarstellung in ein Mißverständnis verwandelt, ist der Genuß des Sokrates. Sokrates genießt sich selbst in seinem zerstörerischen Tun, in der Aufkündigung des alten Prinzips der Sitte; im Selbstgenuß des Sokrates kündigt sich das neue Prinzip, die der Sittlichkeit entfremdete Subjektivität, an. Indem Kierkegaard den Standpunkt des Sokrates als Ironie bestimmt, kann er die drei großen Sokratesdarstellungen in einen Zusammenhang bringen. Die negativ dialektische Arbeit des Ironikers besteht darin, das als unbedingt Geltende in seiner Bedingtheit bloßzustellen, und allein mittels dieses Bloßstellens verhilft er dem Unbedingten zur Geltung; das vermeintlich Unbedingte wird vor dem unbedingten Nichts des Sokrates zuschanden, dem sich das Unbedingte allein von dieser vernichtenden Seite zeigt. Xenophon begeht den Fehler, Sokrates dem bloß Bedingten zuzurechnen, bei dem dessen zerstörerische Tätigkeit jeweils anhebt. Platon weiß Sokrates der Sphäre des bloß Bedingten enthoben, begeht aber den Fehler, Sokrates das Unbedingte auch in positiver Gestalt zuzurechnen. Aristophanes rechnet dem Sokrates allein das unbedingte Nichts zu und kommt damit der Wahrheit am nächsten; sein Fehler besteht darin, den Genuß zu vernachlässigen, den Sokrates das Geltendmachen des unbedingten Nichts verschafft. Die drei prominenten Mißverständnisse des Sokrates verweisen auf das mit der Ironie qua unbedingtem Nichts verbundene Mitteilungsproblem. Wer das unbedingte Nichts wie einen beliebigen Standpunkt einfach mitteilt, verkehrt es in ein bedingtes Nichts
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und fügt es den gängigen Formen der Verständigung ein, gegen die sich das absolute Nichts gerade richtet. Es ist deshalb zu beachten, daß der Standpunkt des Sokrates nicht in einer einzelnen Aussage, sondern in seiner Abstraktionstätigkeit, in seiner konsequent negativ dialektischen Arbeit, zum Ausdruck kommt. Diese Arbeit muß wieder und wieder bei einem sich überschätzenden Standpunkt ansetzen, um diesen als bloß bedingt zu verwerfen (und kann nicht von dem stellvertretenden Verwerfen eines bedingten Standpunkts zum Erkennen des Unbedingten übergehen). Der negative Dialektiker ist also weder Gefangener des bloß Bedingten (Xenophons Mißverständnis) noch Bote des direkt mitteilbaren Unbedingten (Platons Mißverständnis) – er genießt (Aristophanes’ Mißverständnis) die unaufhörlich zu wiederholende Vernichtung des bloß Bedingten, die ihm das anders nicht mitteilbare Unbedingte abverlangt. Die Identifikation des Sokratischen Standpunkts als Ironie bekräftigt Kierkegaard damit, daß sie sich mit dem (vermeintlich) verbürgten Wissen über den geschichtlichen, den wirklichen Sokrates verbinden läßt. Da diese historische Bekräftigung das bislang Erarbeitete nicht sonderlich verändert, genügen hier ein paar Anmerkungen. Das Sokrates zugeschriebene absolute Nichts wird durch dessen Berufung auf seinen Dämon nicht positiviert, durch die Beziehung zu einer ganz und gar abstrakten (und sich zudem nur negativ äußernden, nur abratenden) Gottheit. Der mit der Berufung auf den besonderen, persönlichen Dämon zum Ausdruck kommende Bruch mit dem allgemein Verbindlichen ist bekanntlich folgenreich. Durch die im Dienst des Dämons unermüdlich erbrachte negativ dialektische Arbeit fördert Sokrates den Bruch mit dem Geltenden bei seinen Zeitgenossen. Die erste Anklage, Sokrates nehme nicht die Götter an, welche der Staat annimmt, und er führe neue Gottheiten ein, ist deshalb zutreffend. Der hergebrachte Glauben an die Götter ist für Sokrates nicht mehr verbindlich, und das gilt auch dann, wenn sich Sokrates auf seine Unwissenheit beruft und mit dem Dämon eine bloß abstrakte Gottheit einführt. Als Beleg für das Zutreffen der zweiten Anklage, Sokrates verführe die Jugend, kann schon gelten, daß der Bruch mit der verbindlichen Sitte das Familienverhältnis vergleichgültigt und Sokrates die erzieherische Autorität übernimmt. Zwischen den beiden Standpunkten, die sich hier gegenüberstehen, dem Ironiker (und der in ihm sich ankündigenden Subjektivität) auf der einen Seite und der substantiellen Sittlichkeit auf der anderen Seite, vermittelt kein Drittes. Das bedingungslose Festhalten am Standpunkt des unbedingten Nichts, an der damit erlangten negativen Freiheit, besiegelt das Schicksal des Sokrates.
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Kierkegaard möchte, nach der Ermöglichung seines Sokratesverständnisses durch die raffinierte Kombination der drei Darstellungen und nach der ‚Verwirklichung‘ seines Verständnisses durch den Vergleich mit dem geschichtlichen Sokrates, eben dieses Verständnis als notwendig ausweisen. Wer den geschichtlichen Prozeß in seiner Notwendigkeit begreife, der müsse den Standpunkt des Sokrates als Ironie begreifen. In Kierkegaards ‚Erzählung‘ der Weltgeschichte, der als notwendig begriffenen Geschichte, markiert Sokrates eine Zäsur: Das im klassischen Griechenland für alle unmittelbar Verbindliche (das Prinzip Sittlichkeit) wird Gegenstand der Reflexion, insbesondere die Abstraktionskunst der Sophisten läßt das Vertraute immer fragwürdiger werden. Mit der berechtigten prüfenden Reflexion des Gültigen ist die Büchse der Pandora geöffnet, denn durch die Reflexion hat das Geltende die Macht des unmittelbaren Überzeugens verloren und das Reflektieren findet kein Ende. Da sich die sophistische Reflexion, die jedes persönlichen oder wissenschaftlichen Halts ermangelt, beliebig weit treiben läßt, bedeutet ihre Herrschaft das Errichten der Reflexionskultur, in der das Wahre sich einem willkürlichen und widerrufbaren Abbruch der Reflexion verdankt und immer verhandelbar bleibt. In dieser Situation tritt Sokrates auf. Er überwindet die Reflexionskultur – durch Überbieten der Reflexion. Wer sich der Reflexionskultur entgegenstellt, ist deren leichte Beute, schließlich besteht die sophistische Strategie gerade darin, fixierte Standpunkte virtuos gegeneinander auszuspielen. Sokrates aber radikalisiert die Reflexion aufs äußerste, er läßt das willkürliche Abbrechen der Reflexion – und damit ein Ergebnis, von dem man abstrahieren könnte – nicht als Wahrheit gelten. Das Ergebnis seiner vollständigen Abstraktion ist das Bekenntnis völliger Unwissenheit. Sokrates überführt auf diese Weise die Reflexionskultur ihrer Nichtigkeit und bahnt einem neuen Prinzip (dem Prinzip Subjektivität) den Weg. Die Befähigung zur vernichtenden Kritik der Reflexionskultur erhält Sokrates durch sein konsequentes Reflektieren und gerade nicht durch die Opposition im Namen eines neuen Prinzips. Sokrates macht unwiderstehlich das absolute Nichts geltend, nicht aber das Absolute, das in der Reflexionskultur sofort in ein relatives Absolutes verkehrt würde. Dieser entscheidende Punkt in Kierkegaards ‚Erzählung‘ von Sokrates als weltgeschichtlicher Zäsur macht auch die im engeren Sinne nachsokratische Geschichte begreifbar. Das neue Prinzip ist mit Sokrates nur derart abstrakt verbunden – er verschafft ihm Geltung, ohne es geltend zu machen –, daß sich die unterschiedlichsten philosophischen Schulen mit ihrer jeweiligen Konkretisierung des
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neuen Prinzips von Sokrates herleiten können. Kierkegaard illustriert seine weltgeschichtliche ‚Erzählung‘ mit einem Vergleich, der die Unwiderlegbarkeit des Sokratesverständnisses bestätigen soll, sich jedoch als Danaergeschenk erweist. Der besagte Vergleich dient der Rechtfertigung der Sokratischen Ironie (als Standpunkt des absoluten Nichts, der dem Absoluten negativ Geltung verschafft, ohne es positiv geltend zu machen). In dieser legitimierenden Absicht vergleicht Kierkegaard das Verhältnis von Ironie und Subjektivität in der Antike mit dem Verhältnis von Gesetz und Gnade im Christentum. Der Vergleich soll hier ausführlich zitiert werden: Gleich wie darum bei den Juden, die doch das Volk der Verheißung gewesen sind, die Skepsis des Gesetzes die Bahn brechen mußte, mit ihrer Negativität den natürlichen Menschen gleichsam verzehren und ausglühen mußte, auf daß die Gnade nicht eitel genommen würde, gleichermaßen mußte bei den Griechen, dem Volke, das man im weltlichen Sinne wohl das auserwählte, das glückliche Volk nennen dürfte, […] das Schweigen der Ironie diejenige Negativität sein, welche es verhinderte, daß die Subjektivität eitel genommen würde. Denn die Ironie ist gleich dem Gesetze eine Forderung, und die Ironie ist eine ungeheure Forderung. Denn sie verschmäht die Realität und heischt die Idealität […]. Daß die Idealität nun bereits in diesem Verlangen nach ihr da ist, wenngleich allein als Möglichkeit, das ist klar, denn in geistiger Hinsicht ist das Begehrte stets schon im Begehren da, sofern das Begehren genommen wird als eben die Regungen selbst des Begehrten in dem Begehrenden. […] Aber die Ironie des Sokrates richtete sich nicht bloß wider die Sophisten, sie richtete sich wider das Bestehende insgesamt; von dem allem forderte er Idealität, und diese Forderung war das Gericht, welche dem Griechentum das Urteil sprach und es verdammte. Seine Ironie ist aber nicht etwa bloß das von ihm im Dienst der Idee gebrauchte Werkzeug gewesen, die Ironie ist sein Standpunkt, mehr als sie besaß er nicht. Hätte er die Idee besessen, so wäre seine vernichtende Wirkung niemals so durchgreifend geworden. Der das Gesetz verkündigt hat, er ist nicht zugleich der gewesen, welcher die Gnade gebracht; der, welcher die Forderung in aller ihrer Strenge geltend gemacht, ist nicht etwa der gewesen, welcher der Forderung genugzutun vermochte. Man hat sich jedoch zu erinnern, daß zwischen der Forderung des Sokrates und deren Erfüllung nicht die tiefe Kluft befestigt gewesen ist wie zwischen dem Gesetz und der Gnade. In der Forderung des Sokrates war der Möglichkeit nach (kata dynamin) die Erfüllung enthalten. (SKS 1, 257-259 / BI 219-221 [typographisch korrigiert])164
Im Vergleich wird zunächst die das Gesetz wie die Ironie auszeichnende Negativität hervorgehoben; diese Negativität erscheint in
164
Kierkegaards Vergleich bedient sich, wenn er das Scheitern des Menschen am Gesetz herausstellt, des in der theologischen Tradition so genannten ‚zweiten Gebrauchs‘ des Gesetzes; vgl. z.B. H. Deuser Die zehn Gebote. Kleine Einführung in die theologische Ethik, Stuttgart 2002, S. 24-29; ferner E. Hirschs Anmerkung zu einer Parallelstelle, BI 365f. Anm. 340.
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Form einer Forderung, der das bislang Gültige schlechterdings nicht genügen kann. Eine der Bibel-Referenzen des Vergleichs ist von besonderem Interesse,165 da sie ein Leitmotiv der Ironie-Schrift anzeigt: indem das Gesetz als unerfüllbare Forderung auf den christlichen Glauben vorbereitet, ist es Zuchtmeister (ein Bezug auf Galater 3,24f.: „Also ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christum, daß wir durch den Glauben gerecht würden. Nun aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister.“).166 Gesetz und Ironie machen beide einen unbedingten Maßstab geltend; das Vermögen, diesen Maßstab geltend zu machen, ist jedoch streng von dem zu unterscheiden, diesem Maßstab zu genügen. Im Falle der Sokratischen Ironie wurde diese Unterscheidung mit Hilfe des absoluten Nichts verdeutlicht: Sokrates kann nur fordernd (negativ) dem Absoluten Geltung verschaffen, ohne es positiv geltend zu machen. Durch seine unangreifbare Forderung wird Sokrates zum Richter seiner Gegenwart,167 in der der Anwalt des unbedingten Maßstabs keinen bedingten und damit angreifbaren Stand165 166
167
Vgl. SKS K1, 302. Vgl. die Wiederholungen dieses Bezugs im zweiten Teil der Ironie-Schrift, die an entsprechender Stelle kommentiert werden (SKS 1, 300f. / BI 267f., 355 / 331). Der Begriff des Zuchtmeisters begegnet in vielen Werken Kierkegaards, als Beispiele seien die folgenden Anspielungen in Der Begriff Angst und Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift genannt: „Es gilt von der Ethik, was da vom Gesetze gesagt wird, daß sie ein Zuchtmeister ist, welcher, indem er fordert, mit seinem Fordern lediglich richtet, nicht zeugt.“ (SKS 4, 324 / GW1 XI u. XII 7, 14); „Während der Glaube bisher in der Ungewißheit einen nützlichen Zuchtmeister gehabt hätte, würde er in der Gewißheit seinen gefährlichsten Feind bekommen.“ (SKS 7, 36 / GW1 XVI 10, 25). Man vergleiche auch Kants Begriffsverwendung anläßlich der „Unmöglichkeit einer skeptischen Befriedigung der mit sich selbst veruneinigten reinen Vernunft“: „Und so ist der Skeptiker der Zuchtmeister des dogmatischen Vernünftlers auf eine gesunde Kritik des Verstandes und der Vernunft selbst. Wenn er dahin gelangt ist, so hat er weiter keine Anfechtung zu fürchten; denn er unterscheidet alsdann seinen Besitz von dem, was gänzlich außerhalb demselben liegt, worauf er keine Ansprüche macht und darüber auch nicht in Streitigkeiten verwikkelt werden kann. So ist das skeptische Verfahren zwar an sich selbst für die Vernunftfragen nicht befriedigend, aber doch vorübend, um ihre Vorsichtigkeit zu erwekken und auf gründliche Mittel zu weisen, die sie in ihren rechtmäßigen Besitzen sichern können.“, Kant Kritik der reinen Vernunft, nach der 1. und 2. Original-Ausg. hrsg. v. R. Schmidt, mit einer Bibliogr. v. H. Klemme, 3. Aufl., Hamburg 1990, S. 701 (A 769 / B 797). Die Metapher des Richters wird (v.a. zur Entgegensetzung von Sokrates und Christus) wiederholt verwendet, vgl. z.B. „Er [Sokrates] war nicht gekommen, die Welt zu erlösen, sondern sie zu richten.“ (SKS 1, 220 / BI 178), „Er [der Ironiker] ist derjenige, der da Gericht halten soll.“ (SKS 1, 298 / BI 265).
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punkt bezieht. Die strenge Unterscheidung zwischen dem Aufstellen der Forderung und deren Erfüllung wird im Falle des Gesetzes durch die Gegenüberstellung von Moses und Christus und durch die Gegenüberstellung von Johannes dem Täufer und Christus zum Ausdruck gebracht. Das mosaische Gesetz bereitet als Zuchtmeister (negativ) auf den Glauben vor, dessen Gewißheit (positiv) die Gnade schenkt; die Forderungen Johannes des Täufers sind negative Vorbereitung auf den positiven Christus. Wer aber um des Vergleichs von Gesetz und Ironie willen die Forderung des Gesetzes wie die der Ironie mit dem absoluten Nichts übersetzt, bemerkt die Unstimmigkeit des Vergleichs. Die Sokratische Ironie ist als Forderung im wörtlichen Sinne das absolute Nichts, denn die Forderung des Sokrates hat eine, wenn auch mittelbare Beziehung zur Wahrheit (und diese Beziehung ist nun ‚für uns‘ als für die Beobachter der Weltgeschichte erkennbar). Kierkegaard präzisiert die Beziehung zur Wahrheit dadurch, daß das Wahre als Möglichkeit bereits in der Forderung impliziert ist („In der Forderung des Sokrates war der Möglichkeit nach […] die Erfüllung enthalten.“). Das trifft für das Gesetz nicht zu. Vom Standpunkt des Glaubens aus erscheint das Gesetz als vorbereitender Zuchtmeister, doch hat die Vorbereitung auf die Glaubensgewißheit keinerlei Einfluß. Wenn man das Gesetz gleichwohl als absolutes Nichts bezeichnen würde, dann nur, um mit einer mißverständlichen Hyperbel die Radikalität der Forderung auszudrücken, der der Mensch nicht genügen kann, ohne aber der Forderung selbst eine (erkennbare, unmittelbare oder mittelbare) Beziehung zum Absoluten zuzusprechen. Kierkegaard erinnert an diesen Unterschied durch die Warnung, über den Vergleich von Ironie und Gesetz nicht zu vergessen, „[…] daß zwischen der Forderung des Sokrates und deren Erfüllung nicht die tiefe Kluft befestigt gewesen ist wie zwischen dem Gesetz und der Gnade“; die in Kierkegaards Formulierung enthaltene Anspielung auf das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus (Lukas 16,26) soll die unvermittelbare Trennung von Gesetz und Gnade hervorheben. Obgleich Kierkegaard auf die Unstimmigkeit des Vergleichs von Gesetz und Ironie nicht weiter eingeht, ist eine Widersprüchlichkeit der Argumentation aufgedeckt: die Geschichte ist zu begreifen und nicht zu begreifen. Kierkegaard bringt seine weltgeschichtliche Rechtfertigung des Sokrates in Bedrängnis, wenn das Erscheinen Christi einen unbegreiflichen Bruch in der Geschichte bedeutet, die als begreifbare, in ihrer Notwendigkeit nachvollziehbare Geschichte behandelt wird. Der Standpunkt des Sokrates wird in einer begreifbaren Weltge-
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schichte verortet, während das Erscheinen Christi ein derartiges Begreifen verunmöglicht.168 Der Versuch, die Sokratische Ironie weltgeschichtlich zu situieren, soll die negativ dialektische Arbeit des Sokrates rechtfertigen. In diesem Versuch setzt Kierkegaard stillschweigend eine begreifbare Geschichte voraus, in die sich die Sokratische Ironie eingliedern läßt: das absolute Nichts des Sokrates steht im Dienst des sich in der Weltgeschichte manifestierenden Absoluten (wobei weder das Absolute noch die Geschichtlichkeit des Absoluten expliziert wird). Der Vergleich von Ironie und Gesetz stellt die Begreifbarkeit der Geschichte in Frage, und wenn der vorausgesetzte Geschichtsbegriff nur bedingt gilt, dann läßt sich aus ihm keine unbedingte Rechtfertigung der Sokratischen Ironie (beziehungsweise der Kierkegaardschen Sokratesdarstellung) gewinnen. Mit der herausgearbeiteten Widersprüchlichkeit ist eine widersprüchliche Bezugnahme auf Hegel verbunden. In seinem Rechtfertigungsversuch verwendet Kierkegaard zustimmend die auf einen Schematismus reduzierte Geschichtsphilosophie Hegels; der Vergleich von Gesetz und Ironie schränkt die Gültigkeit des Schemas wieder ein und beraubt die Rechtfertigung der Ironie ihrer Voraussetzung. Diese prinzipielle Auseinandersetzung mit Hegels Philosophie geschieht unausgesprochen, wohingegen sich die in der Ironie-Schrift hie und da ausgesprochene Kritik (zum Beispiel in der „Beilage. Hegels Sokratesverständnis“) oft mit Modifikationen begnügt. Um die das Sokratesverständnis flankierende Auseinandersetzung mit Hegel zu verdeutlichen, sei Hegels Begriff der Negativität und insonderheit sein Begriff des absoluten Nichts kurz vergegenwärtigt. Der Begriff des absoluten Nichts gehört zu den Begriffen, mit denen Hegel (exemplarisch in Glauben und Wissen) das Verhältnis zwischen dem in die Reflexion gebannten Bewußtsein und dem Absoluten bestimmt: nur die Vernichtung der reflexiven Entgegensetzungen kann ein Verhältnis zu dem schlechterdings nicht Entgegengesetzten herstellen, die Selbstvernichtung des totalitären Verstandes ist die negative Seite der Vernunft oder negative Vernunft. Kurz, das absolute Nichts ist das Absolute – aus der Perspektive des 168
An diesem geschichtsphilosophischen Dilemma vermag die Kontrastierung von Sokrates und Christus, die Kierkegaard insb. in der Auseinandersetzung mit F. Ch. Baur vornimmt, nichts zu ändern, vgl. z.B. SKS 1, 76 / BI 12, 265 (in der fortlaufenden Note) / 227f. (in der fortlaufenden Note), ferner die daraus resultierende erste Disputationsthese 65 / 3.
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darauf nur Reflektierenden. Das reflektierende Bewußtsein versucht, der gebotenen Verzweiflung zu entgehen, sich der gebotenen Selbstvernichtung zum Trotz selbst zu erhalten, indem es das absolute Nichts in ein relatives Nichts verkehrt und so der Reflexionskultur einverleibt.169 Ergänzend sei auf Hegels ‚vorgreifende‘ Übersicht über die Momente des Logischen in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften verwiesen.170 Die Momente des Logischen, des Wahren, sind als solche nur auf einer (wenn das Wortspiel gestattet ist) Momentaufnahme des Logischen sichtbar, durch die der Verstand das prozessuale Absolute fixiert und das Ganze der Wahrheit in drei Teile zergliedert. Von den so ermittelten drei Momenten des Logischen – dem abstrakten oder verständigen, dem dialektischen oder negativ-vernünftigen und dem spekulativen oder positiv-vernünftigen Moment – ist für die vorliegende Untersuchung das negativ-vernünftige relevant. Das negativ-vernünftige Moment ist die Vernichtung des bloß Endlichen durch das Aufweisen der auf Ausschluß gründenden Beständigkeit des Endlichen – und somit der Unbeständigkeit. Vor dem Blick der negativen Vernunft schlägt jede Verstandesbestimmung in das sie als Ausgeschlossenes Konstituierende um; diese radikale Vernichtung des Endlichen durch sich selbst kann keine sich dem Endlichen entgegensetzende Kritik leisten.171 In einem ‚mündlichen Zusatz‘ wird das negativvernünftige Moment mit der Sokratischen Ironie illustriert. Wie in Hegels Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie gilt die Sokratische Konversationspraxis als freilich unwissenschaftliche, subjektive 169
170
171
Vgl. Th. Kobuschs Artikel „Nichts, Nichtseiendes“ in Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 6, hrsg. v. J. Ritter und K. Gründer, Darmstadt 1984, v.a. Sp. 826f. Hegel Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, TWA 8, 168-180 (§§ 7983). Die Bezugnahme auf Hegels Enzyklopädie ist nur als Ergänzung zu verstehen, weil auf die unverläßliche Edition der dritten Fassung mitsamt den ‚mündlichen Zusätzen‘ verwiesen wird, vgl. die redaktionelle Anmerkung in Hegel Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften III, TWA 10, insb. 424f.; gleichwohl ist die Referenz berechtigt, da Kierkegaard diese nicht autorisierte Edition der Enzyklopädie zur Verfügung stand. Als verläßliche Edition ist folgende Ausgabe zu vergleichen, Hegel Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), hrsg. v. F. Nicolin und O. Pöggeler, Nachdruck der 3. Ausg. Heidelberg: Osswald 1830, 8., um ein Literaturverz. erw. Aufl., Hamburg 1991. Dem negativ-vernünftigen Moment des Logischen entspricht der in der Wissenschaft eingeschlossene Skeptizismus. Hegel verwendet den Begriff des Skeptizismus in der ‚Einteilung der Logik‘ nur für die von der Philosophie isolierte Skepsis, die sich mit der abstrakten Negation des Endlichen begnügt und also nicht selbst vollbringen kann.
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Form der Dialektik.172 Sokrates ermuntert den Gesprächspartner durch die eingestandene Unwissenheit dazu, eigene Gewißheiten auszusprechen, die sich in der Konversation in ihr Gegenteil verkehren (wobei sich die dialektischen Umkehrungen bis zum Innewerden der Unwissenheit steigern lassen). Die List des Sokrates, gerade durch Anerkennung die Selbstaufhebung des Anerkannten zu fördern, so daß die Gewißheiten des Gesprächspartners nicht aufgrund des äußeren Widerspruchs implodieren, sondern aufgrund ihrer inneren Widersprüchlichkeit explodieren, kennzeichnet das Verfahren der Dialektik überhaupt; deshalb charakterisiert Hegel die Dialektik in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen auch als ‚Weltironie‘: „Alle Dialektik läßt das gelten, was gelten soll, als ob es gelte, läßt die innere Zerstörung selbst sich daran entwickeln, – allgemeine Ironie der Welt.“173 Hegels Begriff des absoluten Nichts (des negativ-vernünftigen Moments) bildet den Hintergrund, vor dem sich der für Kierkegaards Sokratesverständnis wesentliche Begriff des absoluten Nichts abhebt, so daß sich folgendes Fazit ziehen läßt: Das absolute Nichts ist ein unverhältnismäßiger Angriff auf die im Verhältnismäßigen erstarrte Reflexionskultur. Den Appell, sich dem absoluten Nichts zu stellen, äußert Hegel anläßlich der Auseinandersetzung mit den Reflexionsphiloso172
173
„Unter den Alten wird Platon als der Erfinder der Dialektik genannt, und zwar insofern mit Recht, als in der Platonischen Philosophie die Dialektik zuerst in freier wissenschaftlicher und damit zugleich objektiver Form vorkommt. Bei Sokrates hat das Dialektische, in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Charakter seines Philosophierens, noch eine vorherrschend subjektive Gestalt, nämlich die der Ironie. Sokrates richtete seine Dialektik einmal gegen das gewöhnliche Bewußtsein überhaupt und sodann insbesondere gegen die Sophisten. Bei seinen Unterredungen pflegte er dann den Schein anzunehmen, als wolle er sich näher über die Sache, von welcher die Rede war, unterrichten; er tat in dieser Beziehung allerhand Fragen und führte so die, mit denen er sich unterredete, auf das Entgegengesetzte von dem, was ihnen zunächst als das Richtige erschienen war. […] Platon zeigt dann in seinen strengen wissenschaftlichen Dialogen durch die dialektische Behandlung überhaupt die Endlichkeit aller festen Verstandesbestimmungen.“, Hegel Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, TWA 8, 174. Hegel Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I, TWA 18, 460; vgl. Kap. 2.3. Um eine Vorstellung von dieser allgemeinen Selbstaufhebung des Verständigen zu geben, verweist der bereits erwähnte ‚mündliche Zusatz‘ in der Enzyklopädie auf die religiöse Vorstellung von der Macht Gottes, die über alles Irdische Gericht hält: „[…] daß das Prinzip derselben [der Dialektik] der Vorstellung von der Macht Gottes entspricht. Wir sagen, daß alle Dinge (d.h. alles Endliche als solches) zu Gericht gehen, und haben hiermit die Anschauung der Dialektik als der allgemeinen unwiderstehlichen Macht, vor welcher nichts, wie sicher und fest dasselbe sich auch dünken möge, zu bestehen vermag.“, Hegel Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, TWA 8, 175.
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phien seiner Zeit und der Sokrates der Ironie-Schrift anläßlich der Auseinandersetzung mit der sophistischen Willkür. In beiden Fällen wird die Negativität, die Leere des absoluten Nichts betont, die sich gegen die Fülle gegeneinander positionierter Standpunkte richtet. Um mit dieser Negativität über die Reflexionskultur richten zu können (das Bild des Gerichts verwenden, wie gezeigt, Hegel und Kierkegaard), muß sich der Richter selbst dem absoluten Nichts stellen und den Verlust all seiner Gewißheiten ertragen. Die mit dem Schlagwort des absoluten Nichts bezeichnete rücksichtslose, in dieser Rücksichtslosigkeit auch selbstzerstörerische Vernichtung der selbstgenügsamen Reflexion verbindet Hegel und Kierkegaards Sokrates. Sie unterscheiden sich durch die Antwort auf die Frage, inwiefern die Selbstzerstörung des Verstandes als vernünftig erkannt werden kann, inwiefern das absolute Nichts zur Erkenntnis des Absoluten führt. Hegel beantwortet diese Frage mit dem Konzept des prozessualen Absoluten; vom vernünftigen Standpunkt aus ist das Aufstellen der verständigen Entzweiungen wie die Vernichtung der festgestellten Entzweiungen als notwendig erkennbar. Die negative Vernunft ist das negativ-vernünftige Moment des Wahren. Kierkegaard scheint diese Antwort zu übernehmen. In Kierkegaards weltgeschichtlicher Schau ist der rechtfertigende Zusammenhang von absolutem Nichts und Absolutem hergestellt, der Sokrates selbst, dem geschichtlichen Vertreter des absoluten Nichts, verborgen bleibt. Diesen Zusammenhang belegt die ‚Erzählung‘ von Sokrates als weltgeschichtlichem Janus, der zufolge Sokrates die griechische Sittlichkeit in die Selbstaufhebung treibt und so unwissend die Subjektivität zu konstituieren hilft. Unabdingbare Voraussetzung dieser Rechtfertigung ist das Konzept des prozessualen Absoluten, das die Sokratische Ironie als Modell der ‚Weltironie‘, die negative Dialektik als negativ-vernünftiges Moment des Wahren zu verstehen erlaubt. Kierkegaard widerruft diese Voraussetzung mit dem Vergleich von Ironie und Gesetz, indem sich das Erscheinen Christi, des mit Christus verbundenen Glaubens, der Einordnung in eine dialektisch rekonstruierbare Geschichte entzieht. Hegel legitimiert das absolute Nichts als ein Moment des prozessualen Absoluten; Kierkegaard verwendet diese Legitimation des absoluten Nichts zur Rechtfertigung des Sokrates und konterkariert sie zugleich durch den Bezug auf Christus. Die Folgen der Widersprüchlichkeit, des ungelösten ‚Rechtfertigungsproblems‘, zeigen sich im zweiten Teil der Ironie-Schrift; bevor sich der Kommentar diesem Teil zuwendet, soll die Auslegung des ersten Teils mit ausgewählten Forschungsbeiträgen verglichen werden.
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In der Forschungsliteratur wird Hegels Einfluß auf Kierkegaards Sokratesdeutung oft erörtert, schließlich zeugt Kierkegaards Magisterabhandlung von diesbezüglicher ‚anxiety of influence‘. Erstaunlicherweise begnügen sich viele Forschungsbeiträge damit, Details der Sokratesinterpretation von Hegel und Kierkegaard miteinander zu vergleichen, ohne die prinzipielle Bedeutung der Hegelschen Dialektik für Kierkegaards Sokratesdeutung zu klären. Das soll den Wert derartiger Forschungen überhaupt nicht in Frage stellen, von denen stellvertretend eine Untersuchung J. Stewarts genannt sei („Hegel’s Presence in ‚The Concept of Irony‘“).174 Dem in besagter Untersuchung ermittelten Befund, daß eine wesentliche Beziehung zu Hegel nicht im formalistischen Aufbau der Ironie-Schrift (mit dem Dreischritt von Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit des Sokratesverständnisses), sondern in der Verbindung zu den einschlägigen Passagen aus Hegels Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie besteht, ist beizupflichten. Angesichts der vielen Bezugnahmen auf diese Vorlesungen, die in der Untersuchung zusammengestellt werden, betrachtet Stewart die Ironie-Schrift resümierend als mitunter zustimmenden, mitunter ablehnenden Kommentar zu Hegels Sokratesdarstellung.175 Trotz der 174
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J. Stewart „Hegel’s Presence in ‚The Concept of Irony‘“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 1999, S. 245-277. Vgl. W. v. Kloeden Kierkegaard und Sokrates. Sören Kierkegaards Sokratesrezeption, hrsg. v. W. Trautmann, Bochum 1991, v.a. S. 14-22; J. Stewart „Hegel und die Ironiethese. Zu Kierkegaards ‚Über den Begriff der Ironie‘“ in Jahrbuch für Hegelforschung 3 (1997), S. 157-181; E. Behler „Kierkegaard’s ‚The Concept of Irony‘ with Constant Reference to Romanticism“ in Kierkegaard revisited, ed. by N.J. Cappelørn and J. Stewart, Berlin, New York 1997, v.a. S. 23-25; E. Behler Ironie und literarische Moderne, Paderborn 1997, v.a. S. 157-170; G. Böhme Der Typ Sokrates, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1998, v.a. S. 190-194. Wenn J. Stewart in seiner Untersuchung exemplarisch Kierkegaards Bezugnahmen auf Hegel hervorhebt, so betont G. Böhme exemplarisch die sich in diesen Bezugnahmen abzeichnenden Unterschiede. Kierkegaards Sokrates-Darstellung verrät laut Böhme bereits existentialistische Züge, beispielsweise werde weniger der Begriff denn die Daseinsform der Ironie dargestellt, weniger die wissenschaftlich begriffene Subjektivität denn die vom Standpunkt des Subjekts aus erfahrene Subjektivität. Böhmes Gewichtung dieser zu Recht bemerkten Existentialisierung wird aber nur dadurch möglich, daß Kierkegaards Rechtfertigungsversuche der ironischen Existenzform marginalisiert werden. „Im übrigen ist Kierkegaard mit Hegel in der welthistorischen Bedeutung des Sokrates durchaus einig – obgleich es auch hier eine Nuancenverschiebung gibt. Für Hegel ist, was sich mit Sokrates vollzieht, die Erscheinung einer neuen Gestalt des objektiven Geistes. Sokrates ist für diese Erscheinung nur der zufällige Träger, sie ist auf eine individuelle Person nicht wirklich angewiesen. Kierkegaard kommt gerade von der anderen Seite: Da für ihn Ironie eine Daseinsform ist, muß sie von einem individuellen Menschen gelebt werden – und die historische Bedeutung, die sich daran anschließt, ist demgegenüber eher historisch kontingent.“, G. Böhme Der Typ Sokrates, a.a.O., S. 192.
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sorgfältig belegten Verbindung vernachlässigt Stewart die Frage, ob Kierkegaard mit den vielen Bezugnahmen auf Hegels Vorlesungen auch die diesen Vorlesungen zugrundeliegende Dialektik als gültig übernimmt oder nicht. Erst mit dieser Frage wird die hier herausgearbeitete Widersprüchlichkeit der Ironie-Schrift relevant. Die Frage stellt sich in anderer Form erneut, wenn Stewart auf Kierkegaards überraschende Verwendung von Hegels Begrifflichkeit hinweist.176 Es bleibt nämlich zu klären, ob Kierkegaard die Hegelsche Terminologie im Sinne Hegels verwendet oder nicht. In Kierkegaards Über den Begriff der Ironie ist zum Beispiel die Bedeutung des Begriffs ‚Weltironie‘ gegenüber Hegels Verwendung entscheidend verändert, wenn sich nur ein Teil der Geschichte ‚weltironisch‘ verstehen läßt und ein anderer Teil diese Deutung verunmöglicht; in diesem Fall ist die ‚Weltironie‘ nicht mehr qua Dialektik ein Moment des Wahren, sondern nur ein mehr oder weniger plausibles Schema der Geschichtsdeutung.177 (Dieser verändernde Begriffsgebrauch ist erst recht in Kierkegaards Debüt Aus eines noch Lebenden Papieren, in dem Stewart einen vergleichbaren Rückgriff auf Hegels Begrifflichkeit bemerkt, festzustellen, wo eine ohnehin eher dem formalistischen Hegelianismus denn Hegel selbst entlehnte Rede unvermittelt neben einer ‚religiösen Rede‘ zu stehen kommt.) Kierkegaards verändernder Begriffsgebrauch sollte aber nicht dazu verführen, die Ironie-Schrift samt und sonders zu einer Parodie der Hegelschen Philosophie zu erklären.178 Diese pauschale 176
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„Not only does Kierkegaard draw heavily on the structure and content of Hegel’s thought in ‚The Concept of Irony‘, but he also in many passages makes use of clearly Hegelian language. […] Thus, as both this work and ‚From the Papers of One Still Living‘ attest, Hegel’s philosophical language seems to have been perceived by Kierkegaard as a legitimate tool for expressing his ideas. This is of particular interest since even during this early period he is critical of the use of philosophical jargon as is evinced by ‚The Battle Between the Old and the New Soap-Cellars‘.“, J. Stewart „Hegel’s Presence in ‚The Concept of Irony‘“, a.a.O., S. 277. Die als Beispiel gewählte ‚Weltironie‘ nennt Kierkegaard explizit im zweiten Teil der Ironie-Schrift (SKS 1, 300 / BI 267), die anhand dieses Beispiels verdeutlichte Bedeutungsmodifikation betrifft aber die behandelte widersprüchliche Rechtfertigung der Ironie. Eine schlüssige Widerlegung der pauschalisierenden ‚Ironie-These‘ bietet J. Stewart: diese Lesart von Über den Begriff der Ironie mißachtet nicht nur den Positionierungsversuch gegenüber Hegel, sondern auch Kierkegaards diesbezügliche spätere Selbstkritik (ferner verkennt die ‚Ironie-These‘ die historischen Bedingungen, wenn sie die ironische Attacke mit einer Hegemonie der Hegelianer motiviert), s. „Hegel und die Ironiethese. Zu Kierkegaards ‚Über den Begriff der Ironie‘“, a.a.O., das Fazit S. 179-181. Die spezifizierte ‚Ironie-These‘ E. Behlers, der zufolge Kierkegaards Anverwandlung von Hegels Begriff der unendlichen absoluten Negativität
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‚Ironie-These‘ hantiert nicht nur mit einem auffallend trivialen Ironiebegriff, sondern ignoriert Kierkegaards widersprüchliche Positionierung gegenüber Hegel. Den gebührenden Nachdruck auf die Bedeutung der Hegelschen Dialektik für Kierkegaards Argumentation legt Andreas Frederik Beck, ein Zeitgenosse Kierkegaards. Beck, der als Opponent ex auditorio an der Disputation der Ironie-Schrift teilgenommen hatte,179 veröffentlichte seinen Kommentar später als Rezension; diese Rezension erschien zuerst in dänischer Sprache in Fædrelandet und bald darauf – leicht überarbeitet – in deutscher Übersetzung in den Deutschen Jahrbüchern für Wissenschaft und Kunst.180 Im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung ist eine Passage dieser Rezension hervorzuheben, die sich auf Kierkegaards Darstellung der Verurteilung des Sokrates bezieht. Kierkegaard stellt, so Beck, den Prozeß zwischen Staat und Sokrates als Kollision zweier ebenso gleichberechtigter wie unvermittelbarer Ansprüche dar, deren Tragik sich dem „universellen historischen Standpuncte“,181 nicht jedoch den Konfliktparteien selbst erschließt. Vom weltgeschichtlichen Standpunkt aus läßt sich das tragische Schicksal des Sokrates mit dem Christi vergleichen: In der Weltgeschichte hat er [Sokrates] Recht behalten, ebenso wie Christus, der auch vom Staate verurtheilt wurde. Ihre Stellung ist nämlich in gewisser Rücksicht dieselbe, und doch wiederum unendlich verschieden. In Sokrates trat das occidentalische Princip der Subjectivität zum ersten Male in der Weltgeschichte auf in der abstractesten Be179
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eine ‚ironische‘ Opposition darstellt, ist vor diesen Einwänden in Schutz zu nehmen; die in den Mittelpunkt gerückte Neudefinition des Schlüsselwortes unendliche absolute Negativität, die Behler als Verwandlung des absoluten Nichts in eine ‚nicht dialektisierbare Ironie‘ beschreibt, ignoriert jedoch Kierkegaards zeitweilige Übernahme der Hegelschen Definition und löst so die Widersprüchlichkeit der IronieSchrift auf, vgl. E. Behler „Kierkegaard’s ‚The Concept of Irony‘ with Constant Reference to Romanticism“, a.a.O., S. 20-23, 27f.; Ironie und literarische Moderne, a.a.O., S. 166-170. SKS K1, 144f. [A.F.] Beck „Om Begrebet Ironi, med stadigt Hensyn til Socrates. Af S.A. Kierkegaard. Kjøbenhavn. Philipsen. 1841.“ in Fædrelandet Nr. 890, 29. Mai 1842, Sp. 71337140; Nr. 897, 5. Juni 1842, Sp. 7189-7191. [A.] F. Beck „Om Begrebet Ironi med stadigt Hensyn til Socrates. Af S.A. Kierkegaard. (Ueber den Begriff der Ironie mit steter Rücksicht auf Sokrates ec.) Kjöbenhavn 1841. Philipsen.“ in Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst, Nr. 222, 17. September 1842, S. 885-888; Nr. 223, 19. September 1842, S. 889-891. [A.] F. Beck „Om Begrebet Ironi med stadigt Hensyn til Socrates. Af S.A. Kierkegaard. (Ueber den Begriff der Ironie mit steter Rücksicht auf Sokrates ec.) Köbenhavn 1841. Philipsen.“, a.a.O., S. 889.
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stimmung als Ironie, in Christus, der höchsten Entwicklungsspitze des orientalischen Geistes, trat auch eine alle Mächte des Lebens auflösende Negativität auf, die jedoch als religiös*) [*) oder als das Pathos, die Wahrheit in die Welt zu bringen und „im Reiche Gottes“ zu verwirklichen] zugleich auch unendlich positiv war. Es ist daher richtig, wenn der Verf. gegen Baur bemerkt, daß die Aehnlichkeit zwischen Christus und Sokrates in ihrer Unähnlichkeit bestehe, obwohl er kaum in der Art und Weise, wie wir den Unterschied angegeben haben, mit uns einig sein wird.182
Beck rührt an die Widersprüchlichkeit der Ironie-Schrift: einerseits bezieht Kierkegaard den ‚universellen historischen Standpunkt‘, von dem aus Sokrates und Christus vergleichbare Wendepunkte der Weltgeschichte sind, andrerseits soll Christus dem weltgeschichtlichen Verstehen entzogen sein. In der zitierten Passage skizziert Beck, wie ein weltgeschichtlicher Vergleich von Sokrates und Christus aussehen könnte,183 und er fügt mit Recht hinzu, daß Kierkegaard (obgleich Beck in seiner Rezension mehrmals eine linkshegelianische Tendenz der Ironie-Schrift suggeriert) diesem Vergleich mit seiner Eingliederung Christi in die dialektisch begriffene Geschichte niemals zustimmen würde. In diesem Vergleich ist der mit Christus eingetretene Bruch mißachtet, die ‚tiefe Kluft‘ (um die Formulierung des Vergleichs von Ironie und Gesetz aufzunehmen) eingeebnet. Eine Replik Kierkegaards auf Becks Rezension enthält der namentlich gezeichnete Zeitungsartikel „Öffentliche Beichte“,184 ein in Fædrelandet abgedrucktes Präludium zu Entweder-Oder. In diesem Artikel verwehrt sich Kierkegaard gegen den von Beck (der „die Religion abgeschafft hat, um Platz fürs System zu bekommen“)185 unterstellten Linkshegelianismus und gegen Becks Kritik am Anspielungsreichtum und Stil der Ironie-Schrift. Die eigene widersprüchliche Auseinandersetzung mit der Hegelschen Dialektik, die Becks linkshegelianische Unterstellungen mit ermöglicht, läßt Kierkegaard unkommentiert. Im zweiten Teil der Ironie-Schrift möchte Kierkegaard das mit Bezug auf den ersten Ironiker Sokrates Entwickelte für ein prinzipielles Bestimmen des Ironiebegriffs und seiner gegenwärtigen Erscheinungsformen verwenden. Bevor er sich der zeitgenössischen Ironie 182 183
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Ebd. In der dänischen Fassung der Rezension beklagt Beck übrigens, daß Hegel angesichts seiner gewaltigen Aufgabe eine dialektische Anschauung von Christus leider nur andeuten konnte (!), „Om Begrebet Ironi, med stadigt Hensyn til Socrates. Af S.A. Kierkegaard. Kjøbenhavn. Philipsen. 1841.“, a.a.O., Sp. 7189. Kierkegaard „Öffentliche Beichte“, GW1 XXXII 22, 3-13; vgl. zu diesem journalistischen Tusch vor der Veröffentlichung von Entweder-Oder J. Garff SAK Søren Aabye Kierkegaard. En Biografi, 1. udgave, 4. oplag, København 2000, S. 187f. Kierkegaard „Öffentliche Beichte“, GW1 XXXII 22, S. 6.
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genauer zuwendet, stellt Kierkegaard in Entsprechung zum ersten Teil der Abhandlung die Negativität der Ironie und den Maßstab für eine Beurteilung der Ironie noch einmal vor. Es bietet sich also die Gelegenheit, die hier bislang erarbeitete Interpretation zu überprüfen. Um die radikale Negativität der Ironie zu verdeutlichen, entwirft Kierkegaard in den „Orientierende[n] Betrachtungen“ (SKS 1, 285296 / BI 249-263) eine Taxonomie der Ironie. Diese Taxonomie beruht anfänglich auf der mit der rhetorischen Ironie exemplifizierten Bestimmung, daß in der Ironie „[…] die Erscheinung nicht das Wesen, sondern das Gegenteil des Wesens ist“ (SKS 1, 286 / BI 251). Kierkegaard unterscheidet die verschiedenen Formen der Ironie, indem er das problematisierte Verhältnis von Erscheinung und Wesen von einem leicht zu bestimmenden zu einem schlechterdings unbestimmbaren steigert. Gemäß dieser Ordnung (die hier nur im Grundriß wiedergegeben wird) ist die Ironie entweder kommunikativ, indem die eigentliche Bedeutung mehr oder weniger das Gegenteil des ironisch Gesagten ist; oder aber die Ironie blockiert Kommunikation, indem sie nicht signalisiert wird oder indem sich die eigentliche Bedeutung des als uneigentlich Durchschauten nicht berechnen läßt. Letztere, die polemische, unberechenbare Ironie, ist bis zu einer Lebensanschauung steigerbar, bei der der Ironiker sein Wesen vor der Welt völlig verbirgt. Damit ist die anfängliche Bestimmung der Ironie hinfällig, denn das Wesen des Ironikers ist jetzt nicht mehr das Gegenteil der Erscheinung, sondern Wesen und Erscheinung stehen in überhaupt keinem bestimmbaren Verhältnis mehr. (Die ironische Aufhebung des Verhältnisses von Wesen und Erscheinung wurde eingangs durch die nicht zu bewältigende Schwierigkeit illustriert, die Sokrates einer verständigen Physiognomik bereitet.) Erst der Ironiker, der die völlige Inkommensurabilität von Wesen und Erscheinung genießt, bezieht den Standpunkt der Ironie. Nur von dieser extremen Ironie gilt: „[…] das Ganze des Daseins wird von ihr sub specie ironiae betrachtet. Insofern ersieht man, daß Hegel die Ironie mit Recht als ‚die unendliche absolute Negativität‘ bezeichnet.“ (SKS 1, 292 / BI 259). Die reine Ironie bezeichnet eine Negativität, die sich keiner Entwicklung eingliedern läßt, und diese ‚Anschlußunfähigkeit‘ der Ironie verdeutlicht Kierkegaard durch eine Spezifikation des Nichts: Für die Ironie wird Alles Nichts; aber Nichts kann auf mehrere Weisen verstanden werden. Das spekulative Nichts ist das in jedem Augenblick vor der Konkretion Verschwindende, da es selber des Konkreten Trieb, des Konkreten nisus formativus ist; das mystische Nichts ist ein Nichts für die Vorstellung, ein Nichts, welches doch ebenso inhaltsreich ist, als das Schweigen der Nacht Stimme hat für den, der Ohren hat zu hören; das
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ironische Nichts endlich ist die Totenstille, in welcher die Ironie als Wiedergängerin Spuk macht (man nehme den letzten Ausdruck durchaus doppeldeutig). (SKS 1, 296 / BI 263 [Übers. modifiziert])
Das ironische Nichts entzieht sich der spekulativen Vermittlung, in der die Negativität gleichsam als Motor des prozessualen Absoluten begriffen ist (in der das negativ-vernünftige Moment nur in eins mit dem verständigen und dem positiv-vernünftigen Moment das Wahre ist); es entzieht sich ebenso der mystischen Vermittlung, in der die Vernichtung des Bedingten eine Anschauung des Unbedingten ermöglicht.186 Das ironische Nichts ist als sich selbst genügende Negativität (ohne spekulative oder mystische Vermittlung) auf Dauer gestellt; die kleine Allegorie der ‚Wiedergängerin‘ Ironie ist so zu verstehen, daß die Ironie, indem sie die Erscheinung wieder und wieder als unwesentlich negiert und sich zugleich jeder Positionierung zu enthalten sucht, selbst etwas Wesenloses, Spukhaftes, wird. Das ausdrücklich doppeldeutige ‚Spuken‘ ergänzt diese Wesenlosigkeit der Ironie durch den Genuß, den das Schalten und Walten mit der Erscheinungswelt gewährt (das dänische ‚at spøge‘, ‚spuken‘, bedeutet sowohl ‚als Gespenst umgehen‘ als auch ‚scherzen‘).187 Wie inzwischen ausführlich demonstriert, möchte Kierkegaard den Standpunkt der Ironie nicht nur beschreiben, sondern auch rechtfertigen. Diese Rechtfertigung erfolgt durch Verortung des Standpunkts 186
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Vom Standpunkt der spekulativen Vermittlung aus kann die mystische als mangelhafte, noch nicht begriffene Vermittlung gelten; vgl. z.B. Hegel Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, TWA 8, 178f. Anläßlich der Frage, inwieweit es Sokrates mit seiner Unwissenheit ernst war, spezifiziert Kierkegaard ein weiteres Mal das Nichts. Der Ironiker genießt seine Herrschaft über die als nichtig bloßgestellte Reflexion; das ironische Nichts, das ihm diese Herrschaft verleiht, ist weder als Standpunkt mit den Standpunkten der Reflexionskultur vermittelbar noch als Moment einer sich vollziehenden Vermittlung zu begreifen. Demnach macht der Ironiker das Nichts ernsthaft gegen die Reflexionskultur geltend und vereitelt zugleich, dieses Nichts als ernsthaften (vermittelbaren) Standpunkt zu erfassen. Das ironische Nichts wird deshalb verkannt, wenn es als spekulativer oder persönlicher Standpunkt behandelt wird (wobei Kierkegaard im folgenden Zitat Wissenschaft und Existenz polemisch als Alternativen präsentiert): „In letzter Instanz muß der Ironiker stets etwas ‚setzen‘, aber das von ihm so ‚Gesetzte‘ ist das Nichts. Nun aber ist es unmöglich, daß man das Nichts ernst nehme, ohne entweder zu etwas zu kommen (dies geschieht, wenn man es spekulativ ernst nimmt), oder zu verzweifeln (wenn man es persönlich ernst nimmt). Keines von beiden indes tut der Ironiker, und insofern darf man auch sagen, es sei ihm damit nicht ernst. Die Ironie ist das unendlich leichte Spiel mit dem Nichts, ein Spiel, das sich durch das Nichts nicht erschrecken läßt, sondern noch einmal mehr den Kopf hochreckt.“ (SKS 1, 306f. / BI 275).
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in der begriffenen Geschichte; als Beispiel für die Notwendigkeit der Ironie in der Weltgeschichte dient wiederum Sokrates („Weltgeschichtliche Giltigkeit der Ironie, die Ironie des Sokrates“, SKS 1, 297-308 / BI 263-277). Kierkegaard erinnert ein ums andere Mal daran, daß die ironische Negativität nicht entschärft werden dürfe, daß der ironische ‚Spuk‘ sich spekulativen oder mystischen Aufklärungen widersetzt; in diesem Zusammenhang legt Kierkegaard dar, wie er die von Hegel übernommene Bezeichnung der Ironie als unendliche absolute Negativität versteht: „Sie [die Ironie] ist Negativität, denn sie tut nichts als verneinen; sie ist unendlich, denn sie verneint nicht diese oder jene Erscheinung; sie ist absolut, denn dasjenige, kraft dessen sie verneint, ist ein Höheres, das jedoch nicht ist.“ (SKS 1, 299 / BI 266). Der Ironiker verwirklicht die so definierte unendliche absolute Negativität. Kierkegaard wirft Hegel vor, die unendliche absolute Negativität nur als das negativ-vernünftige Moment des Wahren zu begreifen, das heißt, allein vom Standpunkt spekulativer Vermittlung aus auf den Ironiker zu blicken. Dieser Vorwurf ist insofern billig, als Hegel die Fügung unendliche absolute Negativität nur einmal und zwar als gleichbedeutend mit dem negativ-vernünftigen Moment des Wahren verwendet.188 Daß aber der Vorwurf, Hegel berücksichtige prinzipiell nur die Perspektive dessen, der schon miteinander vermittelte Standpunkte überblickt, und vernachlässige die Perspektive dessen, der einen Standpunkt vertritt, nicht aufrechtzuerhalten ist, verdeutlicht exemplarisch die doppelsinnige Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins. Dagegen muß sich Kierkegaard den Vorwurf der Einseitigkeit gefallen lassen, wenn er seine Rechtfertigung des Standpunkts Ironie nicht etwa aus der Perspektive des Ironikers, sondern aus weltgeschichtlicher Perspektive vornimmt. Diese Rechtfertigung der Ironie ist in Kierkegaards oben zitierter Definition der unendlichen absoluten Negativität angelegt: die Ironie ist nicht nur eine allumfassende Verneinung, sondern sie steht als allumfassende Verneinung im Dienste „ein[es] Höhere[n], das jedoch nicht ist“. Diese Bevollmächtigung wird damit einsichtig gemacht, daß das ‚Höhere‘, das den Ironiker zu seiner negativen Arbeit befähigt, erst möglich, aber noch nicht verwirklicht ist. Der Ironiker weiß freilich nicht um seine ‚höhere‘ Bevollmächtigung, ansonsten ließe sich nicht länger von einer allumfassenden Verneinung sprechen. Indem er die Nichtigkeit des Geltenden aufzeigt, arbeitet er der Verwirklichung eines unbe188
Vgl. Hegel Vorlesungen über die Ästhetik I, TWA 13, 98f., zitiert und kommentiert in Kap. 2.3.
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kannten ‚Höheren‘ zu. Kierkegaard stellt den Ironiker ausdrücklich in den Dienst der Hegelschen ‚Weltironie‘, also der Dialektik, die durch Anerkennung die Selbstaufhebung des Anerkannten fördert. In der folgenden Illustration der ‚Weltironie‘ erkennt man unschwer das Pendant zu dem folgenschweren Vergleich von Ironie und Gesetz aus dem ersten Teil der Ironie-Schrift: Eben weil jede einzelne geschichtliche Wirklichkeit stets doch nur Moment ist in der Verwirklichung der Idee, trägt sie in sich selber den Keim ihres Untergangs. Dies zeigt sich vor allem sehr deutlich am Judentum, dessen Bedeutung als Durchgangsmoment besonders auffallend ist. So war es schon eine tiefe Ironie über die Welt, wenn das Gesetz, nachdem es die Gebote verkündigt hatte, die Verheißung hinzufügte: ‚so du diese Gebote tust, so wirst du selig werden‘, da es sich ja eben erwies, daß die Menschen das Gesetz nicht erfüllen konnten, und somit eine Seligkeit, die an diese Bedingung geknüpft ward, mehr als hypothetisch wurde. Daß aber das Judentum sich mit sich selber vernichtete, das zeigt sich eben an seinem geschichtlichen Verhältnis zum Christentum. Wenn wir, ohne weiter auf eine Untersuchung der Bedeutung von Christi Erscheinen einzugehn, dieses lediglich als einen Wendepunkt in der Weltgeschichte festhalten, so wird man doch allda die ironische Formation ebenfalls nicht missen können. Diese ist nun auch gegeben mit Johannes dem Täufer. Er war nicht, der da kommen sollte, er war nicht wissend von dem, was da kommen sollte, und gleichwohl vernichtete er das Judentum. Er vernichtete es also nicht mit dem Neuen, sondern er vernichtete es mit dem Judentum selbst. Er heischte vom Judentum, was das Judentum leisten wollte – Gerechtigkeit; aber diese zu leisten, war das Judentum nicht imstande, und dadurch verfiel es dem Untergang. Johannes ließ also das Judentum bestehen und entwickelte in ihm zugleich den Keim des Untergangs. (SKS 1, 300f. / BI 267f. [Übers. modifiziert])
Wiederum wird die weltgeschichtliche Berechtigung der Ironie zum einen mit dem Gesetz als dem Zuchtmeister und zum anderen mit Johannes dem Täufer, gleichsam dem Anwalt des Zuchtmeisters, veranschaulicht. Wiederum ist die Berechtigung der Ironie von dem Begreifen der geschichtlichen Erscheinungen durch die wesentliche Dialektik abhängig; sie steht unter einem Vorbehalt: „Wenn wir, ohne weiter auf eine Untersuchung der Bedeutung von Christi Erscheinen einzugehn, dieses lediglich als einen Wendepunkt in der Weltgeschichte festhalten […]“. Mit der fraglichen Gültigkeit der Dialektik, der sich die Bedeutung von Christi Erscheinen offenbar nur unzureichend erschließt, verliert die Ironie ihre fraglose Berechtigung. In Entsprechung zum ersten Teil der Ironie-Schrift charakterisiert Kierkegaard die Ironie im zweiten Teil als allumfassende Verneinung, und wieder verstrickt er sich bei dem Versuch, die allumfassende Verneinung als notwendig zu rechtfertigen, in Widersprüche. Das ‚Rechtfertigungsproblem‘ beeinflußt natürlich die verhältnismäßig kurz gehaltene Behandlung der romantischen Ironie und das befremdliche Programm einer beherrschten Ironie, mit dem die Ironie-Schrift schließt.
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Kierkegaards Kritik der romantischen Ironie ist erklärtermaßen auch eine Zeitkritik. Die als romantische Ironie bezeichnete Form der Negativität ist ein ‚ausgesprochener‘ (SKS 1, 282 / BI 246), das heißt reflektierter Standpunkt, der als Abkömmling der Fichteschen Philosophie charakterisiert wird. Das Postulat eines voraussetzungslosen Anfangs verbindet Fichtes Philosophie mit der ‚nachfichteschen Ironie‘, deren Variationen sich dadurch unterscheiden, wie der voraussetzungslose Anfang jeweils bestimmt wird: meist wird Fichtes Ich dem ironischen Individuum gleichgesetzt, Fichtes (trivialisierte) Theorie gewissermaßen in die alltägliche Praxis überführt, so daß das ironische Ich sich als unbedingt und die stets bedingte Wirklichkeit als seiner Willkür unterworfen begreift; diese Variation der Ironie, in der sich der Ironiker als Schöpfer der Wirklichkeit (künstlerischer wie nicht-künstlerischer ‚Schöpfungen‘) versteht, exemplifiziert Kierkegaard mit Schlegel und Tieck. Ferner wird die ironische Negativität, die der sich selbst vergötternde Ironiker gegen die Wirklichkeit richtet, radikalisiert, also auch gegen den Ironiker selbst gerichtet, ohne daß diese konsequente Negativität philosophisch begriffen wird; als Vertreter dieser Variation der Ironie gilt Solger. (Da Kierkegaard Solgers Ironie in die Nähe der Andacht rückt, wird diese Variation der Ironie in Kap. 3.3.3. im Zusammenhang mit dem Glauben behandelt.) Angesichts des herausgearbeiteten ‚Rechtfertigungsproblems‘ ist nun von besonderem Interesse, wie Kierkegaard die romantische Ironie als unberechtigte, genauer als unberechtigte Erfüllung eines berechtigten Bedürfnisses, ausweist. In dürftiger Zeit ist das Bedürfnis nach Veränderung wohl berechtigt, doch dient die romantische Ironie weder als Korrektiv in der Zeit noch als Katalysator einer Zeitenwende. Die Dürftigkeit der Zeit besteht in ihrer Zufriedenheit mit dem bloß Bedingten; Kierkegaard schildert diese Dürftigkeit als spießbürgerliche Leidenschaftslosigkeit und malt so aus, was Hegel unter trivialer Reflexionskultur versteht. Als Korrektiv in der Zeit ist die romantische Ironie nicht zu rechtfertigen, da sich das Korrektiv verselbständigt. Die ins Bedingte gebannte Gegenwart wird vom Romantiker nicht um den Bezug zum Unbedingten bereichert, sondern als bedingte verworfen und dem Schalten und Walten des unbedingten Ironikers unterworfen; in diesem Sinne charakterisiert Kierkegaard die von den Romantikern unternommene Poetisierung der prosaischen Welt (mit einer Entlehnung aus Heines Romantischer Schule) als berechtigte, doch unberechtigt übertriebene Verjüngung (SKS 1, 337 / BI 310). (Als Gegenstück zu dieser unkontrollierbaren Ironie, die statt des gegenwärtigen Miß-
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stands gleich die Wirklichkeit überhaupt entwertet, bahnt sich die kontrollierbare beherrschte Ironie an.) Als Katalysator einer Zeitenwende ist die romantische Ironie auch nicht zu rechtfertigen, da sie das Übel der Zeit nicht behebt, sondern perpetuiert. Solange der romantische Ironiker die Negativität nur gegen die Wirklichkeit, nicht aber mit gleicher Härte gegen sich selbst richtet, kann die Reflexionskultur nicht überwunden werden. Die verweigerte Einsicht, daß die Nichtigkeit der Wirklichkeit auch die Nichtigkeit dessen bedeutet, der sich negierend auf diese Wirklichkeit bezieht, führt ‚verschlimmbessernd‘ dazu, daß die vom Spießbürger bejahten Entzweiungen der Reflexionskultur als vom Romantiker verneinte, als scheinbar überwundene unüberwindlich werden. Als Zwischenergebnis läßt sich also festhalten, daß die romantische Ironie zu negativ ist, um korrigierend in die Gegenwart einzugreifen, und zu positiv, um eine neue Gegenwart herbeizuführen. Die Kritik der romantischen Ironie als mangelhafte Negativität verbindet Kierkegaard und Hegel. Wenn Hegel bereits in Glauben und Wissen Fichtes Versuch einer Überwindung der Reflexionskultur als unzureichend kritisiert, dann gilt das erst recht für die ‚Hauptformen, die mit der Fichteschen Philosophie zusammenhängen‘. Die romantische Ironie wird (wie in Kap. 2.3. ausgeführt) als mangelhafte Form der Negativität verurteilt, die dem Ironiker mit Hilfe abstrakter Negation Selbstgenuß gewähren soll. Der Ironiker versichert sich durch Negation alles Bedingten der eigenen Unbedingtheit – weshalb sein Negieren zugleich äußerst rücksichtslos und äußerst rücksichtsvoll ist und im Vergleich mit der Negativität, die Hegel mit dem Stichwort des ‚spekulativen Karfreitag‘ einfordert und die keinerlei Rücksicht kennt, moderat erscheint. Da Kierkegaard – wie zeitweilig auch sein verehrter Lehrer Poul Martin Møller –189 Hegels Argumentation übernimmt und diese modifi189
Ein Zeugnis von Møllers Zustimmung zu Hegels Kritik der romantischen Ironie ist der Fragment gebliebene Artikel „Om Begrebet Ironie“; dieser Text, der den Titel von Kierkegaards Ironie-Schrift vorwegnimmt, wurde bereits um 1835 anläßlich einer Diskussion in der Maanedsskrift for Litteratur verfaßt, aber erst über ein Jahrzehnt später postum veröffentlicht; „Om Begrebet Ironie“ in P.M. Møller Efterladte Skrifter, tredie bind, anden udgave, Kjøbenhavn 1848, S. 152-158. Møller konzentriert sich in seinem Text auf die ‚praktische oder moralische Ironie‘. Diese Ironie zählt zu den Formen subjektivistischer Willkür, die sich aus der mißverstandenen Philosophie Fichtes herleiten, und sie kommt exemplarisch in Schlegels Lucinde zum Ausdruck. Møllers Darstellung ist weitgehend der Hegelschen Kritik nachgebildet, auf die sie sich denn auch ausdrücklich beruft.
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ziert, sei hier die Frage übergangen, ob Hegels polemische Kritik der romantischen Ironie gerecht wird oder nicht.190 Die vorgestellte Kritik der romantischen Ironie ist Kierkegaard offenkundig zu schwach, um diesen Standpunkt als unberechtigt zu disqualifizieren. Die Formen der Kritik, derer er sich bedient, um eine endgültige Verurteilung der romantischen Ironie zu plausibilisieren, lassen eine entscheidende Neuorientierung erkennen. Die inzwischen vertraute Form der Kritik besteht im Anlegen des problematischen weltgeschichtlichen Maßstabs: was im Falle der Sokratischen Ironie in der Bildungsgeschichte der Subjektivität berechtigt war, dient im Falle der romantischen Ironie einem unberechtigten Subjektivismus. Dieses Urteil verlangt weitere Erklärungen. Zunächst ist zu klären, ob Sokrates und der Romantiker (der romantische Ironiker) denselben Standpunkt der unendlichen absoluten Negativität vertreten, ob sich der Romantiker dem absoluten Nichts mit derselben Rückhaltlosigkeit stellt wie Sokrates. Wenn Sokrates und der Romantiker denselben Standpunkt vertreten, bleiben die geschichtlichen Bedingungen zu klären, unter denen dieser Standpunkt jeweils geltend gemacht 190
Für letzteres wird in der Forschung oft plädiert. E. Behler zufolge verschließt sich Hegel der philosophischen Bedeutung der Schlegelschen Ironie; Hegels Polemik, die Denunziation der Ironie als eitler Subjektivismus und der gegen Schlegel erhobene Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit, soll die Verwandtschaft von Dialektik und Ironie und eine möglicherweise von Schlegel erhaltene Anregung verdecken. Da diese Apologie Schlegels die Hegelsche Dialektik nur vom Standpunkt des Beobachters aus berücksichtigt (vom Standpunkt des Aufgehobenseins aus), wird die dialektische Negativität vernachlässigt. E. Behler „Friedrich Schlegel und Hegel“ in Hegel-Studien 2 (1963), S. 203-250; Ironie und literarische Moderne, a.a.O., S. 115149, 224-230, 233-235. K.H. Bohrer zufolge mißachtet Hegel weniger die philosophische Bedeutung der romantischen Ironie als die in Schlegels Texten sich äußernde ästhetische Diskursform; weil sich der mit Schlegels Stil verbundene Diskurs formal und inhaltlich Hegels Diskurs schlechterdings widersetzt, charakterisiert Bohrer die Auseinandersetzung zwischen Schlegel und Hegel als geistesgeschichtlich paradigmatischen Zusammenprall der Sprache der Ironie mit der Sprache des Ernstes. K.H. Bohrer Die Kritik der Romantik. Der Verdacht der Philosophie gegen die literarische Moderne, Frankfurt a.M. 1989, S. 138-181, v.a. S. 142157; vgl. zu Bohrers These des ironischen und des ernsten Diskurses „Sprachen der Ironie – Sprachen des Ernstes. Das Problem“ in Sprachen der Ironie – Sprachen des Ernstes, hrsg. v. K.H. Bohrer, Frankfurt a.M. 2000, S. 11-35, und „Hat die Postmoderne den historischen Ironieverlust der Moderne aufgeholt?“ in Postmoderne. Eine Bilanz, Sonderheft, Merkur 52 (1998), S. 794-807. Vgl. zum Verhältnis von Dialektik und Ironie ferner R. Bubner „Zur dialektischen Bedeutung romantischer Ironie“ in Die Aktualität der Frühromantik, hrsg. v. E. Behler und J. Hörisch, Paderborn, München u.a. 1987, S. 85-95; K. Vieweg Philosophie des Remis. Der junge Hegel und das ‚Gespenst des Skepticismus‘, München 1999, v.a. S. 183-206, 220f.
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wird – das schließt eine geschichtsphilosophische Verhältnisbestimmung von Antike und Moderne mit ein. Nur wer den Geschichtsverlauf in seiner Notwendigkeit begreift, kann über die Berechtigung der Ironie in der Geschichte mit letzter Sicherheit urteilen. Die weltgeschichtlich argumentierende Kritik nötigt Kierkegaard den Anspruch einer Geschichtsphilosophie auf, was spätestens dann nicht mehr zu übersehen ist, wenn mit der romantischen Ironie die zeitgenössische verurteilt werden soll – ohne die weltgeschichtliche Absicherung des Urteils könnte sich der verurteilte Standpunkt der Gegenwart ja als berechtigt erweisen. Die geschichtsphilosophische Last, die mit dieser Kritik der romantischen Ironie zu übernehmen ist, wird dafür verantwortlich sein, daß Kierkegaard eine andere Form der Kritik in den Vordergrund rückt.191 Die neue Form der Kritik verzichtet auf die geschichtsphilosophische Rechtfertigung (und bricht überhaupt das Monopol philosophisch-wissenschaftlicher Erörterung), sie bringt die Romantikkritik durch eine Darstellung der ironischen Existenz zum Ausdruck. Dabei sind zwei Momente zu berücksichtigen: zum einen werden anhand der historischen Romantik die Merkmale einer universellen Daseinsform dargestellt; zum anderen wird diese Daseinsform weniger analysiert denn vor den Augen des Lesers inszeniert. Kierkegaard verfolgt, was passiert, wenn die als mangelhafte Negativität beschriebene Ironie die Existenz eines Menschen bestimmt; er mißt den Ironiker an seinem Anspruch, poetisch zu leben. Derjenige, der sich gegenüber einer als bedingt entlarvten Wirklichkeit als unbedingt erfährt, scheint beneidenswert; er bewahrt sich die Freiheit von jeder Verbindlichkeit, er verhindert zum Beispiel durch beliebig potenzierbare Reflexion auf jede Verbindung, jemals gebunden zu sein. Die Fülle der Möglichkeiten, die dem Ironiker als Dichter im emphatischen Sinne zur Verfügung stehen, überdeckt eine wirkliche Leere. Dichten bedeutet hier, daß sich das Selbst und die Welt immer wieder neu und immer wieder anders vorstellen lassen, daß der Ironiker als Autor 191
Vermutlich aus demselben Grund vernachlässigt Kierkegaard die gleichzeitige Romantikkritik der Junghegelianer. Schon A.F. Beck merkt in seiner Rezension der Ironie-Schrift an, daß Kierkegaard die ausführliche Kritik der romantischen Ironie in dem Manifest Der Protestantismus und die Romantik von Th. Echtermeyer und A. Ruge ignoriert, „Om Begrebet Ironi med stadigt Hensyn til Socrates. Af S.A. Kierkegaard. (Ueber den Begriff der Ironie mit steter Rücksicht auf Sokrates ec.) Kjöbenhavn 1841. Philipsen.“, a.a.O., S. 890 (Anm.). Vgl. zu dieser von Kierkegaard übergangenen Romantikkritik E. Behler Ironie und literarische Moderne, a.a.O., S. 151-153, K.H. Bohrer Die Kritik der Romantik, a.a.O., S. 188-202.
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über seiner poetischen Wirklichkeit steht und (moralisch) nicht zu belangen ist. Die Nichtigkeit des Wirklichen färbt jedoch auf den Ironiker ab: wenn das Selbst in momentane Stimmungen zerfällt und die Welt zur bloßen Requisite wird, die es jeden Augenblick neu zu arrangieren gilt, erweist sich als einzig verläßlicher Grund des Ironikers eine abgründige Langeweile.192 Kierkegaard charakterisiert die Langeweile wie folgt: „Langeweile, diese inhaltslose Ewigkeit, diese genußlose Seligkeit, diese oberflächliche Tiefe, diese hungrige Übersättigung. Langeweile aber ist eben die in ein persönliches Bewußtsein aufgenommene negative Einheit, in welcher die Gegensätze untergehen.“ (SKS 1, 320 / BI 291). Langeweile ist das Bewußtsein des Nichts. Das bringt Kierkegaard im ersten Satz des Zitats dadurch zum Ausdruck, daß die stichwortartige Nennung des Begriffs Langeweile die Assoziation aneinandergereihter Umschreibungen auslöst, die das Quälende der totalen, konstanten Uninteressiertheit wiederholen und schließlich in Oxymora gipfeln. Das Oxymoron kann ein prägnanter Ausdruck der radikalen Verstandeskritik sein, die durch Zusammenstellen sich gegenseitig negierender Reflexionsbegriffe erfolgt.193 Dem Ironiker ist die Nichtigkeit bloßer Reflexion bewußt, ohne daß diese Bewußtheit auch in bezug auf das eigene Bewußtsein angewandt wird. Er hält die Selbstanwendung auf Distanz, durch die der Bewußtseinsgegenstand Nichts zum das Bewußtsein zerrüttenden absoluten Nichts würde. Das Bewußtsein des Nichts ermöglicht dem Ironiker ein Leben im Unverbindlichen – mag er sich nun als Zuschauer über jede Verbindung oder als Träumer vor jede wirkliche Verbindung stellen –, dessen Genuß aber von der zugrundeliegenden Langeweile bedroht ist. In Kierkegaards Darstellung der ironischen Existenz lassen sich somit Charakteristika der Existenzweise erkennen, die in Entweder-Oder unter dem Namen des Ästhetischen diskutiert wird. Die Kritik der romantischen Ironie ist für die Anlage der IronieSchrift bedeutsam, weil die widersprüchliche Inanspruchnahme der Geschichtsphilosophie durch die Kritik mittels Darstellung der ironischen Existenz ersetzt wird. Diese neue Form der Kritik und die darin sich andeutende Diskussion des Ästhetischen wird in der Forschung 192
193
Der Augenblick, den der Ironiker als unverbindlichen Moment gegen eine verbindliche Kontinuität ausspielt, droht sich bei längerem Hinsehen als ‚negativer Augenblick‘ zu erweisen, vgl. hierzu K.H. Bohrer Ästhetische Negativität, München, Wien 2002. Man erinnere sich an die von Hegel im Skeptizismus-Aufsatz konzipierte Sprachform des ‚vernünftigen Satzes‘.
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eingehend behandelt,194 worüber die die Magisterabhandlung kennzeichnende Konkurrenz verschiedener Formen der Kritik vergessen wird. Unter der Überschrift „Ironie als beherrschtes Moment. Die Wahrheit der Ironie“ (SKS 1, 352-357 / BI 328-335) skizziert Kierkegaard abschließend eine Form der Ironie, die das berechtigte Gegenstück zur unberechtigten romantischen Ironie abzugeben scheint. Diese Form wird in der orientierenden Taxonomie der Ironie schon angedeutet (SKS 1, 289-292 / BI 255-258): um die Fron in spießbürgerlichen Verhältnissen zu lindern, sei es erlaubt, die anderen bisweilen hinsichtlich der eigenen Person zu täuschen und sich dadurch ihren Verhältnissen zu entziehen, der Prosa selbstverständlicher Endlichkeit mit poetischer Unendlichkeit zu begegnen. Doch wie raffiniert diese Täuschung auch immer durchgeführt wird, das Bedürfnis, „zwischendurch einmal Mensch zu sein und nicht immer und ewig Kanzleirat“ (SKS 1, 291 / BI 257), begnügt sich mit einer momentanen Befreiung. Eine derart kontrollierte momentane Befreiung ist deshalb nicht mit der unkontrollierbaren negativen Freiheit zu verwechseln, die den der unendlichen absoluten Negativität verschriebenen Ironiker der spießbürgerlichen Wirklichkeit entfremdet. Die Kontrolle, die eine Verselbständigung der ironischen Entlastung im lastenden Alltag verhindert, wird im Zusammenhang der Ironie-Taxonomie nicht thematisiert. Die Antwort auf die Frage, wie man sich die Kontrolle der Ironie vorzustellen hat, erhält man erst auf den letzten Seiten der Ironie-Schrift – und sie gebiert neue Fragen. „Ironie als beherrschtes Moment. Die Wahrheit der Ironie“ – die Ironie ist als beherrschtes Moment wahr, sie ist also als vermittelbare und vermittelte berechtigt. Mit dieser Proklamation widerspricht das letzte Kapitel der vorhergehenden Argumentation: während die Ironie als nicht vermittelbare (nicht positivierbare) Negativität, als absolutes Nichts und unendliche absolute Negativität, gekennzeichnet und über die Berechtigung einer solchen Negativität diskutiert wurde, wird nun plötzlich eine vermittelbare Ironie als Hilfsmittel eines gelingenden Lebens anempfohlen. Dieser Sinneswandel verdient Auf-
194
Vgl. H. Dierkes „Friedrich Schlegels ‚Lucinde‘, Schleiermacher und Kierkegaard“ in Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 57 (1983) H. 3, v.a. S. 440-446; E. Behler „Kierkegaard’s ‚The Concept of Irony‘ with Constant Reference to Romanticism“, a.a.O., v.a. S. 26-29, und Ironie und literarische Moderne, a.a.O., v.a. S. 171-181, 204-211; K.H. Bohrer Die Kritik der Romantik, a.a.O., S. 62-72, 153-157.
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merksamkeit. Das in Aussicht gestellte gelungene Leben beruht auf Vermittlung, was Kierkegaard am Beispiel des Dichters (im emphatischen Sinne des Schöpfers, wie die Beispiele Shakespeare, Goethe und Heiberg verdeutlichen) demonstriert: so wie im Kunstwerk jedes Moment eben als Moment des Ganzen (des Mikrokosmos) berechtigt ist, so ist jedes Kunstwerk als Moment in der Entwicklung des Gesamtwerkes berechtigt, und so legitimiert sich letztlich alles im Leben des Künstlers, des Dichters, als Moment des Ganzen (des Kosmos). Das Zauberwort lautet Vermittlung, durch die dem Besonderen wie dem Allgemeinen sein Recht wird. Die Vermittlung ist in der beherrschten Ironie impliziert, die sowohl negiert als auch die Negation (durch Negation der Negation) in eine positive Bildung einbindet. Die Vermittlungsleistung der beherrschten Ironie erhält ein Lob, das den Widerspruch zum Ausgangspunkt der Ironie-Schrift auf die Spitze treibt: „[…] das Wesen ist nichts anderes als die Erscheinung, die Erscheinung nichts anderes als das Wesen […]“ (SKS 1, 354 / BI 330) (wieder sei an die undeutbare Physiognomie des Sokrates erinnert). Um die Vermittlung zu leisten, um die Ironie zu beherrschen und als beherrschte zu gebrauchen, ist ein Standpunkt vonnöten, von dem aus sich das Verhältnis der Momente zum Ganzen und also das Ganze überhaupt ausmachen läßt – und diesen Standpunkt bietet die Philosophie. Der Dichter, der auf das Verhältnis von Moment und Ganzem reflektiert, kann die Vermittlung nur durch eine „Gesamtanschauung der Welt“ (SKS 1, 353 / BI 329) bewerkstelligen, er muß „in gewissem Maße Philosoph“ (SKS 1, 353 / BI 329) sein. Bei der Philosophie handelt es sich um die neue Spekulation, die Hegelsche Spekulation, die das Wahre als das Ganze erkennen läßt (und sich nicht wie die alte, die Platonische Spekulation mit mythischen oder bildlichen Supplementen aushilft). Der exemplarisch vom Dichter bezogene philosophische Standpunkt ist prinzipiell jedem Menschen zugänglich und damit die für ein gelingendes Leben erforderliche Vermittlung. Wer sich als Moment des Ganzen begreift, der kann positiv frei in der Wirklichkeit leben und auf diese Weise wirklich poetisch leben (wonach der von der Wirklichkeit negativ freie romantische Ironiker vergeblich trachtet).195 Um den verheißungsvollen philosophischen Standpunkt zu beziehen, ist es nötig, „die Ergebnisse der Wissenschaft in das persönliche Leben zu überführen, diese sich persönlich anzueignen“ (SKS 1, 195
Vgl. die Andeutungen in bezug auf die positive Freiheit: SKS 1, 230 / BI 188, 255 / 216, 270 / 234, 286 / 251.
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356 / BI 333). Die ins Leben transponierte Philosophie gestattet es, die eigene Lebensgeschichte nach dem Vorbild der Weltgeschichte zu begreifen. Der Begriff des Zuchtmeisters, mit dem bislang die weltgeschichtliche Bedeutung der Ironie veranschaulicht wurde, illustriert nun die Bedeutung der Ironie für das einzelne Leben: Die Ironie ist ein Zuchtmeister, welcher nur von dem gefürchtet wird, der ihn nicht kennt, welcher aber geliebt wird von dem, der ihn kennt. Wer Ironie schlechterdings nicht versteht, wer für ihr Raunen kein Gehör besitzt, er ermangelt eben damit (eo ipso) desjenigen, das man den absoluten Anfang des persönlichen Lebens nennen könnte, er ermangelt desjenigen, das da in einzelnen Augenblicken dem persönlichen Leben unentbehrlich ist, er ermangelt des Bades der Erneuerung und Verjüngung, der Reinigungstaufe der Ironie, welche die Seele aus dem Gebundensein ihres Lebens im Endlichen, möge sie gleich kraftvoll und stark darinnen leben, erlöst; er kennt nicht die Erfrischung und Stärkung, die darin liegt, daß man, wenn die Luft zu drückend wird, sich entkleidet und sich ins Meer der Ironie stürzt, natürlich nicht, um darinnen zu bleiben, sondern um gesund und froh und leicht die Kleidung wieder anzulegen. (SKS 1, 355 / BI 331f. [Übers. modifiziert])
Durch die beherrschte Ironie gewinnt man den unbedingten Ausgangspunkt, „den absoluten Anfang des persönlichen Lebens“, von dem aus sich das Leben im Bedingten souverän führen läßt. Die Ironie, durch die sich der einzelne seiner fundamentalen Unabhängigkeit versichert, ist das existentielle Äquivalent zum wissenschaftlichen Zweifel, der den voraussetzungslosen Anfang der Philosophie sichert. Soweit das Programm der durch eine existentiell wirksame Philosophie domestizierten Ironie, die ein poetisches Leben in der Prosa der Wirklichkeit verspricht. Daß die von der beherrschten Ironie versprochene positive Freiheit (die Vermittlung von Unbedingtheit und Bedingtheit) mit Vorsicht zu behandeln ist, wird in der gerade zitierten Passage schon durch die Verwendung widersprüchlicher Vokabulare signalisiert: die ironische Negativität, die das bloß Bedingte vom Unbedingten scheidet, wird in assoziativer Manier als Verjüngung und als Wiedergeburt dargestellt; während die Verjüngung als Entbindung von dem gleichwohl übernommenen Verbindlichen erscheint (wodurch sich diese kontrollierte Verjüngung von der unkontrollierbaren der Romantik unterscheidet), bezeichnet die Wiedergeburt, auf die zum Beispiel die Rede von der Reinigungstaufe der Ironie anspielt, die Neuschöpfung des Gläubigen. Das überschwengliche Lob des Zuchtmeisters Ironie erweist sich bei genauerer Betrachtung der Begrifflichkeit als fragwürdig – die beherrschte Ironie wird zugleich als wiederholbare und als einmalige, als flüchtige und als dauerhafte, als selbst verantwortete und als nicht selbst verantwortete Läuterung, kurz als Verjüngung und als
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Wiedergeburt charakterisiert. Diese widersprüchliche Darstellung des Wirkens der beherrschten Ironie ist lediglich ein Beleg dafür, daß deren gesamtes Programm nicht begründet wird: das Lob des geliebten Zuchtmeisters Ironie spendet nicht der, der sich dem Zuchtmeister aussetzt, sondern der, der die verheerende Negativität des Zuchtmeisters mit einer Positivität zu verbinden vermag; eine derartige Vermittlung leistet die neue Spekulation, über deren Transposition ins Leben sich Kierkegaard ausschweigt. Bevor aus dem beredten Schweigen über die Umsetzbarkeit der Philosophie Schlüsse gezogen werden, ist zu beachten, daß das ohnehin fragwürdige Programm der beherrschten Ironie in den letzten Absätzen der Ironie-Schrift eine zusätzliche Einschränkung erfährt. Zwar wird die durch beherrschte Ironie erlangte positive Freiheit ausdrücklich als Läuterung gewürdigt, die sich nicht als Läuterung von der Wirklichkeit, sondern in der Wirklichkeit vollziehe: in praktischer Hinsicht in der auf „eine[r] gewisse[n] Apriorität“ beruhenden Handlung und in theoretischer Hinsicht, indem „das Wesen sich zeige[] als die Erscheinung“ (SKS 1, 357 / BI 334). Die Berechtigung der Ironie erschließe sich aber letztlich nur im Zusammenhang mit der christlichen Religion; zur Kennzeichnung dieser endgültigen Berechtigung verwendet Kierkegaard den Begriff des Humors: Humor enthält eine weit tiefere Skepsis als Ironie; denn hier dreht sich alles nicht um die Endlichkeit, sondern um die Sündigkeit; die Skepsis des Humors verhält sich zu der der Ironie wie Unwissenheit zu dem alten Satz: credo quia absurdum; aber der Humor enthält auch eine weit tiefere Positivität; denn er bewegt sich nicht in humanen, sondern in gottmenschlichen (theanthropischen) Bestimmungen, er findet nicht Ruhe darin, daß er den Menschen zum Menschen macht, sondern darin, daß er den Menschen zum Gottmenschen macht. (SKS 1, 357 / BI 334f.)
Was hier als Ausblick präsentiert wird – Kierkegaards Magisterabhandlung bricht nach dem zitierten Hinweis auf den Humor und einem lakonischen Verweis auf Martensens einschlägige Ausführungen jäh ab – verdeutlicht die ungelöste Schwierigkeit, mit der die IronieSchrift kämpft. Die Parallelisierung von Ironie und Humor erklärt nämlich nicht, ob sich die Bedeutung der Ironie in derselben Weise begreifen läßt wie die Bedeutung des Humors, ob dieselbe Dialektik für den Menschen und für den Gottmenschen gilt. Gerade die unproblematische Parallelisierung von Ironie und Humor lenkt die Aufmerksamkeit auf das problematische Verhältnis von Philosophie und Religion, von Wissen und Glauben. Das großsprecherische Programm der beherrschten Ironie erweist sich als undurchführbar. Um es durchzuführen, wäre zum einen die
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Philosophie im Leben des einzelnen zu verwirklichen (‚die Wissenschaft persönlich anzueignen‘), zum anderen das Verhältnis von philosophischem Wissen und christlichem Glauben zu erhellen. Solange diese beiden Aufgaben nicht gelöst sind, wird die Hoffnung auf eine philosophische Versöhnung (von Bedingtem und Unbedingtem) enttäuscht. Das Schlußkapitel der Magisterabhandlung darf deshalb als ironisch in dem Sinne gelten, der in der Ironie-Taxonomie als maßloser Beifall für das Nichtige bestimmt wird (SKS 1, 288f. / BI 253f.). Diese ironische Kritik an der Philosophie wird verkannt, wenn die gesamte Ironie-Schrift als Parodie abgetan oder aber das Programm der beherrschten Ironie plausibilisiert wird.196 Wenn das Schlußkapitel als im emphatischen Sinne ironisch bezeichnet wird, ist das nicht einer Abwertung gleichzusetzen. Das Lob, das Kierkegaard der Philosophie zollt, soll deren Mängel verdeutlichen. Diese Strategie der Kritik ließe sich – ohne das Schlußkapitel nun überbewerten zu wollen – als Sokratische Ironie bezeichnen, die durch Anerkennung die Selbstaufhebung des Anerkannten fördert: Kierkegaards Lob der Philosophie zielt darauf ab, die philosophischen Erklärungen der Weltironie selbst einer unerklärlichen Weltironie zu opfern. Die ironische Lesart des Schlußkapitels verlangt zugleich das Eingeständnis, daß die avisierte Darstellung einer gegenwärtig schlechthin berechtigten Form der Ironie, die sich insbesondere dem Übel der romantischen Ironie konfrontieren läßt, ausbleibt. Im Schlußkapitel werden mit dem Zweifel und dem Humor die Gegenstände betont, denen sich hier die beiden folgenden Kapitel widmen werden: wenn die Ironie als existentielles Äquivalent des wissenschaftlichen Zweifels gilt, bleibt die Bedeutung des Zweifels in der 196
Um zwei Beispiele für derartige Plausibilisierungen zu geben: Beck versteht in seiner wiederholt herangezogenen Rezension die beherrschte Ironie als Korrektiv, deutet den Maßstab für die Korrektur aber nur an: „Ungeachtet nun die moderne Form der Ironie im Allgemeinen vom Hrn. Verf. als unberechtigt erkannt wird, so ist er doch nicht der Meinung, damit ihr Recht gegen die Trivialität und Geistlosigkeit, worein sowohl die Herrlichkeit des Lebens als der Intelligenz hinauslaufen kann, ihr abzusprechen; da aber solche Trivialität nur eine isolirte und beschränkte Stellung hat und das Weltleben im Allgemeinen nicht durchdringt, so hat die Ironie ihre Stelle als beherrschtes Moment.“, „Om Begrebet Ironi med stadigt Hensyn til Socrates. Af S.A. Kierkegaard. (Ueber den Begriff der Ironie mit steter Rücksicht auf Sokrates ec.) Kjöbenhavn 1841. Philipsen.“, a.a.O., S. 890f. R.L. Perkins problematisiert die beherrschte Ironie überhaupt nicht, sondern gesteht ihr geradewegs eine existentielle ‚Vermittlungsfähigkeit‘ zu, die Hegels Objektivismus überlegen sei, „Hegel and Kierkegaard: Two Critics of Romantic Irony“ in Hegel In Comparative Literature, Review Of National Literatures Vol. I, Nb. 2, Fall 1970, v.a. S. 249-252.
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Ironie-Schrift zu klären; und wenn die endgültige Berechtigung der Ironie zum Humor führt, ist zu prüfen, welchen Aufschluß man über den Humor, überhaupt über Formen der Negativität unter der Bedingung des Christentums erhält. Das Ergebnis der widersprüchlichen Rechtfertigung der Ironie, der Diskussion über berechtigte und unberechtigte Formen der Negativität: Die Ironie des Sokrates ist das absolute Nichts oder die unendliche absolute Negativität, das heißt totale (konsequenterweise auch selbstbezügliche) und auf Dauer gestellte Negation der Reflexion. Die ‚Weltironie‘ (als Formel für Hegels Dialektik) soll einen derartigen Standpunkt endgültig berechtigen, erweist sich jedoch insofern als ungeeignet, als ihre Rechtfertigungskompetenz eine ausnahmslos dialektisch begreifbare Geschichte erfordert. Die romantische Ironie und die beherrschte Ironie unterscheiden sich darin von der des Sokrates, daß ihnen der Selbstbezug, die ironische Wendung gegen den Ironiker, fehlt (der Agent des reflexionskritischen Impulses perpetuiert die Reflexion); die Kritik dieser Formen der Negativität ergänzt beziehungsweise ersetzt den ungeeigneten Maßstab der ‚Weltironie‘ durch andere Verfahren: die Kritik der romantischen Ironie erfolgt durch Kritik der romantischen Existenzweise, die Kritik der beherrschten Ironie besteht darin, daß der philosophische Standpunkt, von dem aus sich die Ironie beherrschen ließe, überhaupt nicht verwirklicht ist. Wie das Ergebnis verdeutlicht, entwirft Kierkegaard mit dem absoluten Nichts eine Extremform der Negativität, die zwar ohne geschichtsphilosophische Rechtfertigung bleibt, aber anderen Formen aufgrund ihrer Konsequenz überlegen ist; dieses absolute Nichts wird in der Lektüre von Entweder-Oder erneut in den Mittelpunkt rücken, da sich das Figurenpersonal vor allem dadurch voneinander unterscheidet, wie es das absolute Nichts versteht und wie es sich zu ihm verhält. Während die Ironie-Schrift die herausgearbeitete Widersprüchlichkeit ignorieren zu können vorgibt, finden sich Zeugnisse für Kierkegaards gleichzeitiges Ringen um eine widerspruchsfreie Stellung gegenüber Hegels Dialektik. Ein besonders eindrucksvolles Zeugnis dieses Ringens sind die ersten fünf Aufzeichnungen in Journal HH.197 197
HH:1-5, SKS 18, 125f. / T 1, 227f. [nur auszugsweise in der deutschen Auswahl]. Vgl. E. Hirsch Kierkegaard-Studien, Studien des apologetischen Seminars in Wernigerode, Heft 32 (1930), Heft 36 (1933), unveränderter Neudruck der Ausgaben Gütersloh 1930 und 1933, Vaduz / Liechtenstein 1978, S. 568-579, v.a. 568f. [fortlaufender Zählung].
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In diesen Aufzeichnungen versucht Kierkegaard, seinen „Standpunkt für eine spekulative chr[istliche] Erkenntnislehre“198 zu skizzieren, indem er Hegelsche und christliche Spekulation konfrontiert und sich auf das unsichere Gelände einer geschichtsphilosophischen Querelle des Anciens et des Modernes (zwischen Antike und Christentum) wagt. Kierkegaard bringt seinen Standpunkt auf die Formel „‚Alles ist neu in Christo.‘“.199 Mit dieser Formel ist der Bruch markiert, den das Erscheinen Christi in der Geschichte bedeutet; in der Geschichte des einzelnen Menschen erfolgt dieser Bruch mit dem Glauben an Christus, dem ‚Von-neuem-Geboren-Werden‘ des Gläubigen (man vergleiche den Evangelientext des Sonntags, auf den Kierkegaard seine Aufzeichnungen datiert: Johannes 3,1-15).200 Gerade durch die Hervorhebung dieses Bruchs wird aber die Frage dringlich, in welchem Verhältnis Schöpfer / Schöpfung und Christus, ferner (bezogen auf den Gläubigen) ‚alte‘ und ‚neue Kreatur‘ zueinander stehen. Wenn Kierkegaard in den Aufzeichnungen die Antwort auch schuldig bleibt, so verneint er doch vehement, daß dieses Verhältnis mit Hilfe der Mediation, also der dialektischen Vermittlung im Hegelschen Sinne, zu begreifen ist. Die Philosophie könne den Bruch in der Weltgeschichte nicht festhalten, unweigerlich werde der Bruch in der Geschichte zu einem Moment innerhalb des Ganzen verflüchtigt. Kierkegaard charakterisiert den verworfenen Standpunkt der nivellierenden Vermittlung mit der Formel „‚Es gibt nichts Neues unter der Sonne.‘“.201 Die avisierte ‚spekulative christliche Erkenntnislehre‘ ist offenkundig nicht spekulativ im Sinne der Hegelschen Spekulation – wie sich aber die ‚Neuschöpfung‘, das ‚Von-neuem-Geboren-Werden‘ des Gläubigen denken, spekulativ erfassen läßt, wird höchstens suggeriert.202 Kierkegaards Skizze mag von zeitgenössischen Diskussionen in Dänemark veranlaßt worden sein, insbesondere von einer Kontroverse 198
199 200 201 202
HH:2, SKS 18, 125 / T 1, 227; in H. Gerdes’ Übersetzung ist die „spekulative chr[istliche] Erkenntnislehre“ fälschlich auf eine „spekulative Erkenntnislehre“ reduziert. Ebd. (mit Bezug auf 2. Korinther 5,17). SKS K18, 185. HH:2, SKS 18, 125 / T 1, 227 (mit Bezug auf Prediger 1,9). Einer eingehenderen Untersuchung von Kierkegaards Skizze bleibt es vorbehalten, einerseits zu prüfen, ob die polemisch dargestellte Mediation tatsächlich Hegels Dialektik gerecht wird, andrerseits den Andeutungen auf eine alternative, christliche Vermittlung nachzugehen. Die Vagheit dieser Andeutungen läßt sich damit veranschaulichen, daß das Christentum zum Beispiel mit einem „Verjüngungstrank“ verglichen wird (ebd.), obgleich die Vorstellung der Verjüngung üblicherweise mit der Vorstellung der Wiedergeburt konfligiert (wie oben im Zusammenhang mit der beherrschten Ironie ausgeführt).
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über Hegels Kritik der klassischen Logik; im Rahmen dieser Kontroverse, an der sich beispielsweise Mynster, Heiberg und Martensen beteiligten, wurde der Begriff der Mediation vor allem im Bereich von Theologie und Religionsphilosophie diskutiert.203 Unabhängig von der aktuellen Veranlassung läßt Kierkegaards Entwurf erkennen, wie präzise er das Problem der uneingeschränkten oder eingeschränkten Gültigkeit der Hegelschen Dialektik faßt – ohne es zu lösen. Die Kritik an der Spekulation ist präzise (und schwerwiegender als eine Kritik des lächerlichen Gebarens der dänischen Hegelianer); gleichwohl bleibt die Anziehungskraft der Spekulation in deren Kritik erkennbar, die ‚spekulative christliche Erkenntnislehre‘ hat einen, freilich emphatischen, spekulativen Anspruch. Der Seitenblick auf die Aufzeichnungen in Journal HH bereichert die vorliegende Untersuchung, da Kierkegaard in dem Journal das Problem herausarbeitet, das als unterdrücktes Über den Begriff der Ironie umtreibt. 3.3.2. Der Zweifel Die Parallelisierung von Ironie und Humor, mit der Kierkegaards Magisterabhandlung abbricht, mag dazu beigetragen haben, daß andere Formen der Negativität nicht gebührend beachtet werden. Besonders frappierend ist die Nichtbeachtung des Zweifels, dessen Untersuchung sowohl die Ironie-Schrift erhellt als auch prinzipiell über Kierkegaards Verständnis des Zweifels unterrichtet. Das Ignorieren des Zweifels ist um so erstaunlicher, als bereits der erste Korrektor von Kierkegaards Über den Begriff der Ironie, der Dekan der philosophischen Fakultät Frederik Christian Sibbern, in seinem Gutachten auf einen Zusammenhang von Ironie und Skepsis aufmerksam macht und das Herstellen dieses Zusammenhangs zu Kierkegaards originärer Leistung zählt. In der für Sibbern charakteristischen Ausdrucksweise heißt es in dem Gutachten: […] so zielt sie [die Abhandlung] in ihrem ersten und größten Hauptteil darauf ab, eine, soweit ich weiß, dem Verfasser eigentümliche, aber durch das viele, das in der neuesten Zeit über Sokrates geschrieben wurde, hervorgerufene Idee durchzuführen, die [Idee], Sokrates als denjenigen zu betrachten, dessen Hauptbedeutung es ist, ein 203
Exemplarische Stellungnahmen aus dieser Kontroverse über die Mediation bietet der Kommentar, SKS K18, 185-189. Vgl. V. Kuhr Modsigelsens Grundsætning, Kjøbenhavn og Kristiania 1915. Kierkegaard spielt durch den Gebrauch der zum Schlagwort avancierten Formel Aut-aut / Entweder-oder in der Ironie-Schrift (SKS 1, 139f. / BI 84, 86) vielleicht auf diese Kontroverse an.
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Hauptvertreter der Art Ironie gewesen zu sein, die mit der später in Griechenland ausgebildeten Skepsis verwandt ist und ein natürliches Durchgangsglied gewesen zu sein scheint, um durch Bekämpfung der Sophisten zu einem gründlicheren Philosophieren zu gelangen.204
Die von Sibbern bemerkte Ähnlichkeit von Sokratischer Ironie und antikem Skeptizismus, die beide als negative Vorbereitung einer positiven Philosophie fungieren, bedarf der Ergänzung, daß sich Kierkegaards Darstellung der Sokratischen Ironie offensichtlich mit verschiedenen Formen des Skeptizismus in Verbindung setzen läßt: der Standpunkt des Sokrates wird zum einen mit der antiken Skepsis assoziiert, wenn beispielsweise der Zustand ironischer Entfremdung als Ataraxie bezeichnet wird;205 zum anderen ähnelt die negative Dialektik des Sokrates, das Verfahren der absoluten Abstraktion (die zum reinen Sein wie zum Nichts führt), deutlich den zu Kierkegaards Zeit geläufigen Darstellungen des spekulativen Zweifels.206 Es bleibt ferner hinzuzufügen, daß Sibbern in seinem Gutachten zu Recht einen Zusammenhang von Ironie und Skepsis andeutet, sich aber zu Unrecht auf Kierkegaards Abhandlung beruft, wenn der erste Ironiker Sokrates als „ein Hauptvertreter der Art Ironie“ seiner Einzigartigkeit verlustig geht. Um die Bedeutung des Zweifels in der Ironie-Schrift zu ermessen, sind die vereinzelten Überlegungen über den Zweifel zusammenzustellen; diese lassen sich alle der Frage subsumieren, ob ein totaler Zweifel realisierbar ist. Die Totalität des Zweifels wird mehrmals behandelt. Besonders interessant ist der folgende – anläßlich des ‚negativen Ergebnisses‘ in Platons Protagoras vorgenommene – Vergleich von Skepsis und Ironie: […] und ein negatives Ergebnis in seinem reinsten und unvermischtesten Zustande kann allein von der Ironie geliefert werden; denn selbst die Skepsis ist stets etwas setzend, dahingegen unternimmt die Ironie fort und fort den freilich tantalischen Ver-
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205
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Zitiert nach SKS K1, 133. Das Beurteilungsverfahren von Kierkegaards Magisterabhandlung wird dokumentiert ebd. 129-145 (vgl. C. Weltzer „Omkring Søren Kierkegaards Disputats“ in Kirkehistoriske Samlinger, sjette række, sjette bind, 1948-50, S. 284-311). „Die harmonische Einheit der schönen Individualität wird von der Ironie gestört, und in gewissem Maße wird sie auch in Sokrates gestört, in jeglichem Moment wird sie in ihm vernichtet, verneint. […] Über diese Vernichtung aber erhebt sich die ironische Unerschütterlichkeit, Ataraxi[e] (um an einen Ausdruck aus dem Skeptizismus zu erinnern) höher und höher.“ (SKS 1, 257 / BI 219). Man vergleiche z.B. Martensens Darstellung des spekulativen Zweifels in der – in Kap. 3.1.1. behandelten – Rezension von Heibergs Einführungsvortrag.
3.3. Das vieldeutige Nichts
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such, gleich jener alten Hexe fürs erste alles zu verzehren und alsdann sich selber mit aufzufressen, oder, wie es von der Hexe heißt, den eigenen Magen zu fressen. (SKS 1, 116 / BI 57)207
Die im Zitat erwähnte Skepsis kann als sophistische Skepsis identifiziert werden, da sie innerhalb der Reflexion verbleibt; sie unterscheidet sich dadurch von der Ironie, vor deren unendlicher absoluter Negativität keine reflexive Bestimmung bestehen kann. Mit der wesentlich radikaleren Reflexionskritik der Ironie ist jedoch die Schwierigkeit verbunden, daß sich der Standpunkt des absoluten Nichts konsequenterweise auch gegen sich selbst richtet und sich als Standpunkt selbst aufhebt. Das Dilemma eines Standpunkts, der sich als ‚gesetzter‘ Standpunkt selbst widerspricht, entbehrt nicht des Komischen (und das berechtigt, wie oben bemerkt, Aristophanes zu seiner komischen Darstellung des Sokrates); in der zitierten Passage führt Kierkegaard das Dilemma des Standpunkts Ironie mit dem Bild der Hexe, die sich tantalisch selbst zu verzehren versucht, drastisch vor Augen (leider ist die Quelle dieses Bilds nicht ermittelt). Bevor die Suche nach einem Ausweg aus diesem Dilemma verfolgt wird, ist Kierkegaards Urteil über die Totalität des Zweifels zu ergänzen. Daß die reflexionsimmanente Skepsis im Vergleich mit der reflexionsdestruierenden Ironie konservativ erscheint, bedeutet kein prinzipielles Hintansetzen der Skepsis. Der Zweifel, der die reflexionsimmanente Skepsis über sich hinaus treibt, begegnet unter dem Begriff des spekulativen Zweifels, und zwar an bedeutsamer Stelle in der Ironie-Taxonomie: der entscheidende Unterschied zwischen einer Ironie, in der das Verhältnis von Wesen und Erscheinung (wie kompliziert auch immer) berechenbar ist, und der unberechenbaren Ironie, in der die Begrifflichkeit von Wesen und Erscheinung kollabiert, wird mit Hilfe des spekulativen Zweifels markiert: Der Unterschied zwischen allen diesen hier angedeuteten Äußerungen von Ironie ist darum bloß quantitativ, betrifft ein Mehr oder Minder; dahingegen unterscheidet die Ironie in strengerem Sinne (sensu eminentiori) sich qualitativ von der hier beschriebenen Ironie, ebenso wie der spekulative Zweifel sich von dem vulgären und empirischen qualitativ unterscheidet. (SKS 1, 292 / BI 258 [typographisch korrigiert])208 207
208
Vgl. die Gegenüberstellung des negativen Sokrates und des verhältnismäßig positiven Gorgias, SKS 1, 253f. Note 1 / BI 214f. Note 1. Vgl. den Seitenhieb gegen die gegenwärtige Reflexionskultur: „Ebenso ist unsre Zeit auch keine zweifelnde Zeit, immerhin sind doch viele Äußerungen von Zweifel übrig geblieben, an denen man den Zweifel sozusagen studieren kann, wiewohl ein qualitativer Unterschied bleibt zwischen einem spekulativen Zweifel und einem vulgären Zweifel an dem oder jenem.“ (SKS 1, 286 / BI 250f.).
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Die Totalität verbindet die „Ironie in strengerem Sinne“, das heißt die unendliche absolute Negativität, und den spekulativen Zweifel; zugleich ist zu bemerken, daß der spekulative Zweifel nur durch das Merkmal der Totalität definiert wird. Die Vergleichbarkeit von Ironie und Zweifel läßt eine Präzisierung der Unterschiede angeraten sein. Kierkegaard ist deshalb in der Ironie-Taxonomie, in der er nach dem Vorbild des Paragraphen 140 in Hegels Philosophie des Rechts neben der emphatischen Ironie auch deren Begriffsumgebung vorstellt, sorgfältig auf die Unterscheidung von Ironie und Zweifel bedacht (wobei er die ausdrückliche Differenzierung von Zweifel und spekulativem Zweifel unterläßt). Um der Ineinssetzung von Zweifel und Ironie vorzubeugen, werden zwei Unterschiede betont: „Teils aber muß man sich erinnern, daß Zweifel eine Begriffsbestimmung ist, Ironie ein Fürsichsein der Subjektivität; teils, daß die Ironie wesentlich praktisch ist, und daß sie nur theoretisch ist, um abermals praktisch zu sein, mit andern Worten, daß es der Ironie nicht um die Sache, sondern um sich selber zu tun ist.“ (SKS 1, 295 / BI 261f.). Der erste Unterschied wird lakonisch konstatiert: der Zweifel wird der (objektiven) Philosophie, die Ironie dem einzelnen Subjekt zugeordnet. Der zweite Unterschied betrifft die Funktion von Zweifel und Ironie: während der Zweifel dazu dient, den Gegensatz von Wesen und Erscheinung durch wahres Wissen schließlich zu überwinden, dient die Ironie dem Ironiker gerade dazu, das Kollabieren dieses Gegensatzes auf Dauer zu stellen. Mit der Totalität des Zweifels verhält es sich also laut Ironie-Schrift folgendermaßen: der Zweifel ist entweder mit Voraussetzungen behaftet (die sophistische Skepsis) oder bis zur Voraussetzungslosigkeit radikalisiert (der spekulative Zweifel); als abstraktes, vorübergehend verwendetes Werkzeug unterscheidet sich der radikale Zweifel von der eine konkrete Lebensweise dauerhaft ermöglichenden Ironie. Diese Unterscheidung von wissenschaftlichem Zweifel und lebensbezogener Ironie wird dadurch begünstigt, daß der spekulative Zweifel nur durch das Merkmal Totalität definiert wird, ohne daß die Verwirklichung dieses totalen Zweifels erläutert würde. Die Unwirklichkeit des totalen Zweifels leitet die Untersuchung zurück zu dem Dilemma des konsequent negativen Standpunkts, das das Bild der sich selbst verzehren wollenden Hexe veranschaulicht. Im Zusammenhang der Probe, der Kierkegaard sein Sokratesverständnis durch den Vergleich mit dem geschichtlichen Sokrates unterzieht, findet man die Erklärung, daß das Dilemma des konsequent negativen Standpunkts der Existenzvergessenheit geschuldet ist: das Di-
3.3. Das vieldeutige Nichts
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lemma löst sich auf, wenn der Standpunkt praktisch verwirklicht und nicht nur theoretisch behandelt wird; die existentielle Realisierung verschafft dem radikal negativen Standpunkt Dauer, sie verhindert, daß dem Versuch der Hexe, sich selbst zu verzehren, jemals Erfolg beschieden ist. Die Entgegensetzung von Leben und Wissenschaft, Existenz und System, wird so am Beispiel der Ironie und an dem des Zweifels erläutert: Aber man erinnert sich nicht daran, daß ein Standpunkt im Leben sich niemals so ideal, wie er im Systeme ist, findet; man erinnert sich nicht daran, daß die Ironie, wie jeder andre Standpunkt im Leben, ihre Anfechtungen hat, ihre Kämpfe, ihre Rückfälle, ihre Siege. So ist z.B. auch Zweifel im System ein verschwindendes Moment; in der Wirklichkeit aber, wo sich der Zweifel vollzieht im ständigen Widerstreit mit allem, was da aufstehen und wider ihn Bestand haben will („verstörend alle Höhe, die sich erhebet … und gefangen nehmend in den Gehorsam“ […]), hat er in einem andern Sinne sehr viel Inhalt. (SKS 1, 214f. / BI 171 [Übers. modifiziert])
Das Vokabular des Vergleichs legt nahe, im Glauben das Musterbeispiel eines existentiellen Standpunkts, eines Standpunkts im Leben, zu erkennen. Während der spekulative Zweifel als unwirklich gegenüber der zu verwirklichenden Ironie disqualifiziert wird, ist der umrissene existentielle Zweifel erklärungsbedürftig; die mit dem existentiellen Zweifel assoziierte kryptische Bezugnahme auf 2. Korinther 10,5 deutet E. Hirsch resümierend so, „daß Kierkegaard den Zweifel wesentlich als lebenverzehrende Entzweiung mit Gott und Christus versteht“,209 gleichwohl läßt sich der existentielle Zweifel als unabdingbares Widerlager der Glaubensgewißheit verstehen, das den Glauben als Standpunkt im Leben mit konstituiert. Während der existentielle Zweifel nur angedeutet ist, wird das deutliche Urteil über den spekulativen Zweifel in der Ironie-Schrift sogar wiederholt: die Unwirklichkeit des totalen Zweifels wird (wie in der Ironie-Taxonomie und in der angeführten Gegenüberstellung von Leben und Wissenschaft) ein weiteres Mal im Programm der beherrschten Ironie hervorgehoben, wo die beherrschte Ironie ja als existentielles Äquivalent des wissenschaftlichen Zweifels präsentiert wird. Der vorliegende Kommentar hat die (im erläuterten Sinne) ironische Qualität des Schlußkapitels der Ironie-Schrift damit belegt, daß in diesem Kapitel die Realisierbarkeit der modernen Spekulation einfach vorausgesetzt wird; solange die Umsetzung der Philosophie im Leben des einzelnen jedoch aussteht, ist die Beherrschung der iro-
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BI 354 Anm. 203.
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nischen Negativität, die den bedrohlichen Zuchtmeister in einen geliebten verwandelt, bloß Phantasma. Der Vergleich von Zweifel und Ironie im Schlußkapitel lenkt die Aufmerksamkeit demnach auf die Unwirklichkeit des totalen Zweifels; durch die Verwendung als fünfzehnte Disputationsthese verändert sich jedoch die Bedeutung: „XV. Ebenso wie die Philosophie mit dem Zweifel, ebenso beginnt ein Leben, das menschenwürdig genannt werden kann, mit der Ironie.“ (SKS 1, 65 / BI 4).210 Die in Anlehnung an das Schlußkapitel formulierte These beraubt den Vergleich nicht nur seines Kontexts, sondern verleiht ihm als letzter These auch den Hauch einer Summa. Die Verwendung des Vergleichs als These ist folgenreich: die Entsprechung von philosophischem Zweifel und existentieller Ironie suggeriert zwar eine Entgegensetzung von Philosophie und Leben, gleichwohl verhindert das Herauslösen aus dem Kontext der beherrschten Ironie, daß der Zweifel zwangsläufig einer unwirklichen Philosophie zugeordnet und vor allem daß die Ironie mit einer philosophisch beherrschten Ironie identifiziert wird (in der These ist, wohlgemerkt, von Ironie und nicht von beherrschter Ironie die Rede); der als These verwendete Vergleich forciert den Anfang als Vergleichsmoment von Zweifel und Ironie (dessen Bedeutung im Schlußkapitel von der ironischen Philosophiekritik überlagert wird). Wenn man den forcierten Anfang als unbedingten Anfang versteht, läßt sich die These folgendermaßen reformulieren: Wie der Zweifel den unbedingten Anfang der Philosophie ermöglicht, so ermöglicht es die Ironie dem einzelnen, sich des die Menschlichkeit des einzelnen konstituierenden Unbedingten zu vergewissern. Die Reformulierung verdeutlicht, daß die fünfzehnte These weniger ein Ergebnis als vielmehr ein Problemaufriß ist: einmal abgesehen davon, ob der philosophische Zweifel seine Aufgabe erfüllt und ob der gegebenenfalls erlangte unbedingte Anfang mit dem Wirklichkeitsverlust der Philosophie erkauft ist oder nicht, bleibt in der These ungeklärt, was für eine Ironie der Garant eines menschenwürdigen Lebens (das hier allein der Bezug zum Unbedingten definiert) ist. Vergegenwärtigt man sich die in der Magisterabhandlung behandelten Hauptformen der Ironie unter dem Gesichts-
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Vgl. SKS 1, 354f. / BI 331: „Man hat in unsrer Zeit oft genug von der Bedeutung des Zweifels für die Wissenschaft gesprochen; aber was der Zweifel für die Wissenschaft ist, das ist die Ironie für das persönliche Leben. Ebenso daher wie die Männer der Wissenschaft behaupten, daß ohne den Zweifel wahre Wissenschaft nicht möglich sei, ebenso und mit gleichem Recht kann man behaupten, daß ein echt humanes Leben nicht möglich ist ohne Ironie.“
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punkt des Anfangs, so ist die Sokratische Ironie der bloße unbedingte Anfang, das Verharren bei der Negation jeder Bedingung; die romantische Ironie übernimmt den Impuls des unbedingten Anfangs von Fichtes Philosophie und verwandelt ihn in ein beliebig wiederholbares Neuanfangen, da sich der Kontrolleur des vermeintlich absoluten Neuanfangs von diesem ausnimmt und ihn damit relativiert; das Versprechen der beherrschten Ironie, die Negation jeder Bedingung mit dem Bedingten zu vermitteln, erfolgt vom Standpunkt des Unbeteiligten aus, dem die Mühe des unbedingten Anfangs durch dessen Reduzierung auf ein Moment erspart bleibt. Die am Anfang orientierte Übersicht verdeutlicht, daß nur die Sokratische Ironie auf den unbedingten Anfang vom Standpunkt des Anfangenden aus hinwirkt. Wenn Kierkegaards fünfzehnte These also auch mit Bezug auf die beherrschte Ironie formuliert ist, so stellt sie – für sich genommen – einen Bezug zur Sokratischen Ironie her und verallgemeinert diese Ironie, das absolute Nichts, zur Bedingung eines menschenwürdigen Lebens. Auf diese Weise deutet die These auf Themen in Kierkegaards späteren Schriften voraus; diese Vorausdeutung dürfte für die Popularität der oft zitierten These verantwortlich sein, obwohl deren Mehrdeutigkeit, die mehrdeutige Verbindung zur Ironie-Schrift, nicht zu vereindeutigen ist. Die Bedeutung des Zweifels in der Ironie-Schrift läßt sich wie folgt zusammenfassen: einerseits entspricht die Totalität des spekulativen Zweifels der Totalität der Ironie, andrerseits ist der auf die Totalität reduzierte spekulative Zweifel unwirklich und von der existentiell wirksamen Ironie zu unterscheiden. Zu beachten ist Kierkegaards Begriff des philosophischen als eines allumfassenden Zweifels, über dessen Verwirklichung vom Standpunkt des Zweifelnden aus man nichts erfährt. Die vereinzelten, oft nur andeutenden Bemerkungen zum Zweifel erlauben eine Vorschau auf den weiteren Verlauf der Untersuchung: der existentielle Zweifel ähnelt als dauerhaft zu bewährender Standpunkt im Leben dem Glauben, dessen Bedeutung in der Ironie-Schrift das folgende Kapitel nachgeht; die mehrdeutige fünfzehnte Disputationsthese verbindet den Zweifel, der den unbedingten Anfang der Philosophie gewährleisten soll, mit der Ironie, deren Negativität die ein menschenwürdiges Leben auszeichnende Unbedingtheit zuteil werden läßt – die These steckt damit das Gebiet ab, auf dem sich die Lektüre von Entweder-Oder bewegen wird.
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3.3.3. Der Glauben Kierkegaards Überlegungen über ironische und skeptische Negativität werden von solchen über religiöse Negativität begleitet; all diese Überlegungen sind dadurch miteinander verbunden, daß sie die Bedeutung und Berechtigung einer radikalen Negativität betreffen. (Die Formen der religiösen Negativität werden in der Ironie-Schrift nicht danach unterschieden, ob sie im Umkreis des Glaubens verortet oder mit dem Glauben verbunden sind.) Ein markantes Beispiel religiöser Negativität ist der Humor, der in der Ironie-Schrift, von einigen wenigen Anmerkungen abgesehen,211 durch die Behandlung im letzten Absatz hervorgehoben ist. Wie oben zitiert und kommentiert, gipfelt das Programm der beherrschten Ironie in der Parallelisierung von Ironie und Humor: die dem Menschen durch beherrschte Ironie gewährte Vermittlung von Bedingtem und Unbedingtem erhalte ihre endgültige Berechtigung in religiösem Zusammenhang, als humoristische Vermittlung des gläubigen Menschen mit Gott. Eine Erklärung, was es mit der humoristischen Vermittlung auf sich habe, ersetzt der lakonische Schlußsatz: „[…] und sofern man Stoff zum Nachdenken begehren sollte, möchte ich hinweisen auf Professor Martensens Anzeige von Heibergs neuen Gedichten.“ (SKS 1, 357 / BI 335).212 Bei besagter Anzeige handelt es sich um Martensens umfangreiche Kritik von Heibergs Nye Digte in Fædrelandet, die vor allem der ‚apokalyptischen Komödie‘ En Sjæl efter Døden [Eine Seele nach dem Tode] gewidmet ist.213 Heibergs Komödie verfolgt das Geschick einer unreflektiert der Reflexion verfallenen Seele nach dem Tode: nachdem die Seele weder die Prüfung durch Petrus an der Himmelspforte noch die durch Aristophanes, der an der Grenze des Elysiums Wache hält, besteht, landet sie schließlich bei Mephistopheles in der Hölle, deren Anwärtern keine Prüfung abverlangt wird. Die Aussöhnung der Seele mit ihrem Geschick erfolgt dadurch, daß sich die Hölle als Kopie des vertrauten irdischen 211
212
213
Vgl. SKS 1, 287 Note 1 / BI 252 Note 1, 293f. Note 1 / 259f. Note 1. Ferner beziehen sich einige Entwürfe zu Über den Begriff der Ironie auf den Humor (Pap. III B 11, 16, 17, 19, 24), die Hirsch in Auswahl übersetzt wiedergibt, BI 373 Anm. 407. H. [L.] Martensen „Nye Digte af J.L. Heiberg (1841. 8. 249 S. Reitzel.)“ in Fædrelandet Nr. 398, 10. 1. 1841, Sp. 3205-3212; Nr. 399, 11. 1. 1841, Sp. 3213-3220; Nr. 400, 12. 1. 1841, Sp. 3221-3224. J.L. Heiberg En Sjæl efter Døden. En apocalyptisk Comedie in Nye Digte, Kjøbenhavn 1841, S. 29-158.
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Tuns und Treibens erweist, daß das Jenseits eine Fortsetzung der Hölle ist, in der die Seele bereits im Diesseits weilte. Das Unglück der in der Hölle der Verständigkeit glücklichen Seele wird von Heiberg literarisch dargestellt, wobei die Literarisierung eher Ummantelung der sich darunter deutlich abzeichnenden philosophischen Belehrung ist. Martensen beschränkt sich in seiner Rezension ausdrücklich auf die philosophische Bedeutung und läßt die Literarisierung beiseite. Die ‚apokalyptische Poesie‘, als deren Vertreter der Untertitel Heibergs Komödie ausweist, versteht der Rezensent als Versuch, vom Standpunkt der endgültigen Wahrheit aus über die Gegenwart zu urteilen, das Jüngste Gericht zu antizipieren. Das Urteil fällt in diesem Fall über eine naiv der Reflexion ergebene Zeit, über eine triviale Reflexionskultur. Die Apokalypse der von ungeprüften Reflexionsbestimmungen geprägten Zeit ist die Enthüllung der konstitutiven Bedingtheit dieser Bestimmungen; dabei besteht die Gefahr, die bedingte Reflexion der unbedingten Wahrheit kurzerhand entgegenzusetzen und die Apokalypse der Reflexion durch diese dauerhafte Entgegensetzung in eine Apokalypse innerhalb der Reflexion zu verkehren. Die Gefahr der verkehrten Apokalypse ist gebannt, wenn die Bedingtheit des Vertrauten ebenso eingesehen wird wie der Zusammenhang, in dem das Vertraute eben als Bedingtes mit dem Unbedingten steht. Diese vervollständigte Apokalypse, die Ungültigkeit und Gültigkeit des bloß Bedingten erweist, ist der christliche Humor. Um dem deutschen Leser einen Eindruck von Martensens Rezension zu vermitteln, sei hier die für den Begriff des Humors entscheidende Passage wiedergegeben: Oder besser gesagt, die Dialektik zwischen dem Komischen und Tragischen wird in dem Humoristischen zur Ruhe kommen, dem nicht nur negativ, sondern positiv Komischen, dem spekulativ Komischen, das sich zur Ironie verhält wie der Tiefsinn zum Scharfsinn. Das Humoristische, das ausschließlich dem Christentum zugehört, enthält die ganze Ironie, die poetische Gerechtigkeit gegenüber der gefallenen Welt, aber zugleich die Fülle der Liebe und der Versöhnung. Es enthält den ganzen Welt-Schmerz, überwunden in der Tiefe eines Reichtums an Freude. Gerade weil die humoristische Anschauung die ganze Welt nicht nur durch ein moralisches, sondern ein metaphysisches Medium betrachtet, sieht sie alle Gegensätze als dialektische; dasselbe Prinzip der Sündhaftigkeit, das in den Bösen ist, sieht sie auch in denen, die Gute und Fromme genannt werden, dasselbe Gepräge der Endlichkeit in dem, das geringfügig genannt wird, sieht sie auch in dem, das groß und bedeutend genannt wird; das alles ist Eitelkeit und das aus dem Grunde, daß das alles doch bloß zu dieser zerbrechlichen Welt gehört. Aber sie liebt diese Welt trotz ihrer Zerbrechlichkeit, ihrer Bosheit und Schlechtigkeit, und so wie sie die ganze Endlichkeit ohne Ausnahme zugrunde gehen läßt und den Unterschied zwischen groß und klein aufhebt, so rettet sie auch und stellt die ganze End-
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lichkeit wieder her, das Geringste mit dem Größten. In einer divina commedia, die das humoristische Prinzip in sich hätte, würde Gott nicht nur als der gerechte Weltenrichter vorgestellt werden, sondern als der absolute Geist, der die Menschen nicht nur durch ethische, sondern genauso sehr durch metaphysische, nicht nur durch tragische, sondern genauso sehr durch komische Kategorien anschaut und der sie zuletzt alle in Gnaden aufnimmt, weil sie nicht nur sündig, sondern endlich sind, nicht nur böse, sondern schlecht, nicht nur verdammungswürdig, sondern lächerlich, nicht nur gefallen sind, sondern einer gefallenen Welt zugehören.214
Der Humor wird als Vervollständigung der Ironie charakterisiert, im Humor geht das bloß Bedingte im doppelten Sinne zugrunde: der Humor enthält das ironische Gericht über alles Bedingte und die unbedingte Rettung des Gerichteten.215 An die Stelle einer Erklärung, wie sich diese humoristische Rettung vollzieht, tritt die den Mangel nur dürftig verschleiernde Konfusion von Wissen und Glauben: das Humoristische ist das „spekulativ Komische[]“, „das ausschließlich dem Christentum zugehört“. Es bleibt ungeklärt, ob die humoristische Versöhnung eine begriffene oder geglaubte ist (und ob diese Unterscheidung Bestand hat). Die Versicherung der Versöhnung, die anscheinend keiner Erklärung bedarf, verharmlost das ironische Gericht über alles Bedingte; zu dieser Verharmlosung trägt Martensens salbungsvolle Ausdrucksweise bei, in der der „Welt-Schmerz“ immer schon überwunden scheint. Schon dieser Überblick über Martensens Rezension verdeutlicht die Bezüge zu Kierkegaards Ironie-Schrift. Martensen parallelisiert
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H. [L.] Martensen „Nye Digte af J.L. Heiberg (1841. 8. 249 S. Reitzel.)“, a.a.O., Sp. 3212. Der Begriff des Humors wird explizit nur selten in Martensens Rezension verwendet, vgl. „Selbst die selige Freude des Paradieses hat etwas Tautologisches, weil es in seiner ganzen Fülle des christlichen Humors ermangelt. Die innere Unendlichkeit der Seligkeit behält stets etwas Abstraktes, wenn sie nicht die Endlichkeit in all ihren Momenten enthält. Der Mensch kann in seinem Paradies nicht vollkommen selig sein, wenn er nicht seine ganze Welt in all ihrer Endlichkeit mit sich nehmen kann. Aber durch das Humoristische wird es möglich, daß das Geringe, das Unbedeutende, das, was an und für sich trivial ist, in den Himmel kommen kann, weil es Moment in dem poetischen Spiel der humoristischen Weltanschauung werden kann.“, ebd. Sp. 3210; „Falls sie [die Heibergs Komödie den Titel gebende ‚Seele nach dem Tode‘] also nicht nur für andere, sondern für sich selbst komisch werden kann, falls sie zu einer höheren Ironie sowohl über sich selbst wie über Mephistopheles kommen kann, wird sie auch befreit werden können. Ihre realistische Verstokkung wird sich dann auflösen und in einem humoristischen Äther verdunsten, durch den hindurch sie sich zu einer besseren Seligkeit aufschwingt.“, ebd. Sp. 3218. Vgl. Hegels Verbildlichung des dialektischen Moments des Wahren als Gericht und Kierkegaards Verbildlichung der Sokratischen Ironie als Gericht, die beide in Kap. 3.3.1. wiedergegeben werden.
3.3. Das vieldeutige Nichts
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Ironie und Humor, wobei der christliche Humor die radikale Negation des Bedingten mit dessen versöhnlicher Rechtfertigung vermittelt; diese humoristische Vermittlung ist jedoch diffus, solange ihr Verhältnis zum christlichen Glauben und zur philosophischen Spekulation nicht präzisiert wird (und solange die Bedeutung der Negation in der Vermittlung verharmlost ist). In Kierkegaards Magisterabhandlung entspricht der Humor der unter die Bedingung des Christentums gestellten beherrschten Ironie; die vergleichbare Vermittlungsleistung von beherrschter Ironie und christlichem Humor würde jedoch erst deutlich, wenn das Verhältnis des Humors zum christlichen Glauben und zum philosophischen Wissen (dessen Verwirklichung die Beherrschung der Ironie verspricht) geklärt und überhaupt die Begreifbarkeit des Humors erwiesen ist. Mit dem Hinweis auf Martensens Rezension bleibt Kierkegaard dem ‚ironischen‘ Charakter des Schlußkapitels treu: Martensens Überlegungen zum Humor sind von der selbstgefälligen ‚Spekulation‘ und dem Changieren zwischen Wissen und Glauben geprägt, die Kierkegaard im Schlußkapitel aufs Korn nimmt.216 Die mit dem christlichen Glauben verbundene Negativität ist deutlicher zu erkennen, wenn man die Hinweise zusammenstellt, die neben dem hervorgehobenen Humor die religiöse Negativität betreffen. Vor der Untersuchung dieser Hinweise ist die Warnung angebracht, daß Kierkegaards Bezugnahme auf den Glauben in der Ironie-Schrift jeweils besonderer Prüfung bedarf. Das betrifft vor allem die direkten und indirekten Bibel-Zitate. So wurde zum Beispiel bei der Kommentierung des Schlußkapitels darauf hingewiesen, daß in der Charakteristik der beherrschten Ironie das Vokabular religiöser und nicht-religiöser Läuterungsvorstellungen verwendet und miteinander vermischt wird. Die mehrdeutige Bezugnahme auf den Glauben sei an einem weiteren Beispiel (aus dem Kapitel „Nachfichtesche Ironie“) illustriert: Kierkegaard erkennt Fichtes Leistung im Ringen um einen voraussetzungslosen Anfang der Philosophie, dessen Ergebnis das ebenso voraussetzungslose wie inhaltslose Ich darstellt. Um diese Inhaltslosigkeit zu überwinden, um dem leeren Den-
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Den Verdacht, daß Kierkegaards Hinweis auf Martensens Rezension wohl ironisch zu verstehen sei, äußert bereits der Zeitgenosse Fr. Helweg in seiner Studie über den Hegelianismus in Dänemark, „Hegelianismen i Danmark“ in Dansk Kirketidende Nr. 51, 16. 12. 1855, Sp. 825-837; Nr. 52, 23. 12. 1855, Sp. 841-852 (zu Kierkegaards Ironie-Schrift im allgemeinen Sp. 829-837, 841f., zum Hinweis auf Martensen im besonderen Sp. 842).
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ken Fülle zu verleihen, „muß es sich nähren lassen“ (dieses Zitat und die folgenden SKS 1, 310 / BI 279) (wobei das dänische ‚føde‘ ‚nähren‘ und ‚gebären‘ bedeuten kann);217 das leere Subjekt muß sich dem „substantiellen Leben[]“ überantworten, wie Kierkegaard in atemlos aneinandergereihten Vergleichen wiederholt, in denen er auf die Bibel anspielt und auch die Sprache der Mystik bemüht („[…] wie Tauler bei einem noch konkreteren Verhältnis so schön sagt: ‚Doch dieses Verlieren, dies Entschwinden / Ist eben das echte und rechte Finden.‘“).218 Der Appell, das unbedingte Subjekt habe das Ausschließen des Bedingten aufzugeben, wird also mit der Weltund Selbstaufgabe des Gläubigen (und möglicherweise auch mit dem Wiedergeboren-Werden des Gläubigen) verglichen. Das Evozieren des Glaubens (wobei die Evokation durch die Vagheit der Anspielungen eher gesteigert wird) läßt den Verdacht aufkommen, daß Kierkegaard die Philosophie nicht nur durch den Vergleich mit einem Aspekt des Glaubens, sondern durch den Glauben selbst kritisiert; diesen Verdacht mag die Unübersehbarkeit der Evokation abschwächen, schließlich geht Kierkegaard keineswegs einlullend vor, wenn er das idealistische Ich vor das mystische Nichts stellt. Wie man das Verdachtsmoment auch gewichtet, der dafür verantwortliche mehrdeutige Bezug auf den Glauben ist typisch für Kierkegaards Magisterabhandlung. Mit der erforderlichen Vorsicht nun zu den Hinweisen auf die religiöse Negativität. Kierkegaard vergleicht die ironische Negativität der Antike und die religiöse des Christentums in programmatischer Manier anhand der jeweiligen Auffassung des ‚Absterbens‘: die Durchführung des in der Ironie ‚intellektuell‘ aufgefaßten ‚Absterbens‘ verbleibt in der Negativität des auf Dauer gestellten Unwissens, während sich das im Christentum ‚moralisch‘ aufgefaßte ‚Absterben‘ als Überwindung der Sünde zugunsten der Wiedergeburt des Gottmenschen vollzieht (SKS 1, 134-136 / BI 78-80). Obgleich die in einen positiven Zusammenhang einbezogene Negativität des Glaubens der dauerhaften ironischen Negativität entgegengesetzt ist, sind beide durch die Radikalität verbunden; die totale Negativität der Sokratischen Ironie entspricht der als erbaulich charakterisierten religiösen Unwissenheit (beziehungsweise 217
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In letzterem Sinne versteht der Kommentator in SKS offensichtlich das Wort, vgl. SKS K1, 341f. Vgl. die Belege in SKS K1, 341f., und J. Taulers „Von der Seligkeit des Seyns in Gott“ in Nachfolgung des armen Lebens Christi, neu hrsg. v. N. Casseder, Frankfurt a.M. 1821, S. 253-255.
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auf die Praxis bezogen dem Unvermögen).219 Kierkegaard behandelt die im Glauben implizierte Negativität besonders eingehend, wenn er (im Rahmen der Ironie-Taxonomie) Ironie und Andacht miteinander vergleicht: von der Ironie unterscheidet sich die Andacht dadurch, daß in ihr die Beziehung zur Welt zugunsten der Beziehung zu Gott verneint wird, wobei die andächtige Verneinung der weltlichen Beziehungen die rückhaltlose Verneinung des weltlichen Ich mit einschließt. Hinzu kommt, daß der andächtige Sinn, wenn er sagt, daß alles Eitelkeit ist, mit der eignen Person keine Ausnahme macht, von ihr nicht Aufhebens macht, vielmehr, auch sie muß überseit, auf daß das Göttliche von ihrem Widerstehen nicht zurückgestoßen werde, sondern sich in den andächtig sich auftuenden Sinn ergieße. Ja, in den tiefer gehenden Erbauungsschriften gewahren wir, daß der fromme Sinn gerade die eigene endliche Persönlichkeit für das Elendigste von allem hält. (SKS 1, 296 / BI 262f.)
In der Andacht ist die Anwendung religiöser Negativität auf den Gläubigen selbst augenfällig, die Kierkegaard mit dem Begriff des Erbaulichen verbindet.220 Da die Selbstbezüglichkeit der Ironie nicht grundsätzlich abzusprechen ist, läßt sich die Ironie, die sich auch gegen den Ironiker selbst richtet, als Andacht verstehen – wohlgemerkt als unfruchtbare Andacht, weil die konsequente Verneinung zusammenhangslos, ohne Bezug auf eine Erlösung, bleibt. In diesem Sinne versteht Kierkegaard Solgers Ironie als Andacht: Solger macht die Ironie konsequent als unendliche absolute Negativität geltend, vermag diese radikale Negativität aber mit keiner Position zu vermitteln.221 Die andächtige Abkehr von der eitlen Welt und von dem eitlen Ich ist konterkariert, wenn der Andächtige die Überwindung seiner selbst 219
220
221
Der Standpunkt des Sokrates entspricht einer religiösen Unwissenheit, „[…] welche in einer völligen Unwissenheit ihre Erbauung sucht und ihre Frömmigkeit bekundet, ebenso wie z.B. in einer weit konkreteren Entwicklung Schleiermacher im Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit das Erbauliche suchte.“ (SKS 1, 181 / BI 223, vgl. 81-83 Note 1 / 18f. Note 1). Diese Unwissenheit kennzeichnet den ‚Narren in dieser Welt‘ (1. Korinther 3,18), den sich, wie Kierkegaard polemisch anmerkt, Christen besonders in bewegten Zeiten zum Vorbild nehmen (SKS 1, 317 / BI 287). Auf die Bedeutung des Erbaulichen in Kierkegaards Ironie-Schrift weist A.J. Burgess hin, „The Upbuilding in the Irony of Kierkegaard’s ‚The Concept of Irony‘“ in International Kierkegaard Commentary. The Concept of Irony, ed. by R.L. Perkins, Macon, Georgia 2001, S. 141-160. Burgess konzentriert sich in seiner Untersuchung allein auf die gerade zitierte Passage; der von ihm im Vergleich von Erbaulichem und Ironie bemühte Ironiebegriff unterscheidet sich von dem in der vorliegenden Arbeit entwickelten, da Burgess aus dem Umstand, daß Hegel die Fügung unendliche absolute Negativität in der Auseinandersetzung mit Solger gebraucht, folgern zu können glaubt, daß diese Negativität allein bei Solger und nicht bei Hegel relevant sei. SKS 1, 343 Note 1 / BI 317 Note 1, 344f. / 318f.
150
3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
mit einem Anspruch auf die Beziehung zu Gott verknüpft. Das für den Glauben konstitutive Überantworten äußert sich als Bereitschaft, ‚sich dichten zu lassen‘, das heißt dem Anspruch auf Selbstschöpfung im griechischen Sinne („[…] ihre [der Individualität] Tätigkeit ist die, ‚für sich‘ zu werden, was sie ‚an sich‘ ist.“, SKS 1, 317 / BI 287) oder im romantischen Sinne (der Ironiker als freier Schöpfer) zu entsagen (SKS 1, 316f. / BI 286f.). Die Überwindung der Welt und seiner selbst bedeutet aber nicht, daß sich der Gläubige von der profanen Wirklichkeit zurückzieht, um durch diesen Rückzug seine Glaubensgewißheit vor Verunreinigung zu schützen. Während die Verachtung der Wirklichkeit und das Leben in einem eingebildeten Reich gerade Merkmale des romantischen Ironikers sind, ermöglicht es der religiöse Sieg über die Welt, mit der unbedingten Gewißheit im Bedingten zu leben (SKS 1, 330332 / BI 302-305). Der negativen Freiheit des Ironikers wird die positive Freiheit des Gläubigen gegenübergestellt. Diese Gegenüberstellung findet in zwei Auffassungen der Liebe ihre Entsprechung: der Auffassung, die mächtige Unmittelbarkeit der Liebe sei gegen die vermittelnde Reflexion zu verteidigen, steht die Auffassung gegenüber, der zufolge das unmittelbar Bezwingende der Liebe erst durch die Vermittlung mit der Wirklichkeit dem Liebenden Macht über die Wirklichkeit verleiht.222 Die durch den Glauben erlangte positive Freiheit, die unbedingte Gewißheit innerhalb des Bedingten, ähnelt der im Schlußkapitel ironisierten positiven Freiheit, die die Philosophie verspricht.223 Wenn das Lob der beherrschten Ironie ironisch ist, so ist das Lob des vorgestellten Glaubens zumindest fragwürdig: die dargestellte positive Freiheit des Gläubigen steht im Verdacht, die religiöse Negativität zu leicht zu nehmen. Der Verdacht, daß sich ein Wissensanspruch in den Glauben eingeschlichen hat, daß der Mensch die ‚Unbeherrschbarkeit‘ des Glaubens verharmlost, wird in der Lektüre des zweiten Teils von Entweder-Oder wieder begegnen, auf den die besagten Passagen der Ironie-Schrift vorausdeuten (vgl. Kap. 3.5.2.). Daß sich der Gläubige weder aus der Welt zurückziehen noch in der Welt beruhigen darf, sei abschließend durch folgendes Zitat
222
223
Der Anziehung der ‚vorreflexiven‘ Liebe ist zu entsagen, soll die Liebe als Macht über die Reflexion innerhalb derselben verwirklicht werden; die Realisierung der Liebe erfordert eine ‚Resignation‘ (SKS 1, 324 / BI 295, 333 / 306). Vgl. E. Hirschs Auslegung des Schlußkapitels, der zufolge die Verwirklichung der beherrschten Ironie den Glauben voraussetzt, Kierkegaard-Studien, a.a.O., S. 600602 [fortlaufender Zählung].
3.3. Das vieldeutige Nichts
151
verdeutlicht: „So ist z.B. der Glaube ein Sieg über die Welt; und gleichwohl ist er ein Kampf, und wenn er gekämpft hat, so hat er über die Welt gesiegt; und dennoch hatte er über die Welt schon gesiegt, bevor er gekämpft. So wird der Glaube also, was er ist, der Glaube ist kein ewig währender Kampf, sondern er ist ein Sieg, der da kämpft.“ (SKS 1, 349 / BI 325). Mit anderen Worten, der Glauben hat eine Geschichte, er bedeutet Überwindung wie Überwinden des Zweifels. Als Fazit ist festzuhalten, daß Kierkegaard zum einen die im Glauben implizierte Negativität betont, zum anderen das Verhältnis der positiven Glaubensgewißheit zur Wirklichkeit problematisiert. Die Untersuchung von Kierkegaards Über den Begriff der Ironie läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: Ironie als absolutes Nichts oder unendliche absolute Negativität radikalisiert den Zweifel am Wissen zur Vernichtung der Reflexion; diese fundamentale Reflexionskritik (die der Versuchung zur poetischen oder philosophischen Verharmlosung des absoluten Nichts widersteht) kann im Zusammenhang des Glaubens erfolgen, der den Zweifel als ‚Widerlager‘ zuläßt. Es ist charakteristisch für die Ironie-Schrift, daß die Überlegungen zu Zweifel, Wissen und Glauben weniger diskursiv denn in tentativer und vielstimmiger Form erfolgen; beispielsweise sei an das ironische Schlußkapitel oder die mehrdeutige Überblendung verschiedener Vokabulare erinnert. Um dem Gegenstand seiner Abhandlung gerecht zu werden, holt Kierkegaard die Genehmigung zur Verwendung der dänischen statt der üblichen lateinischen Sprache ein und erteilt sich selbst die Genehmigung zu einer unüblichen Form. Daß diese Form im wissenschaftlichen Betrieb Anstoß erregen würde (und zum Beispiel von den Korrektoren der Abhandlung entsprechend getadelt wurde), war vorhersehbar; in einer während der Arbeit an der Abhandlung verfaßten Notiz verbittet sich Kierkegaard die von „manch halbstudierte[m] hegelianische[n] Räuber“ erwartete Kritik unter anderem mit folgender Begründung: „[…] daß man über einen negativen Begriff nicht schreiben kann, wenn nicht auf diese Weise, und anstatt ununterbrochen zu versichern, daß der Zweifel überwunden, die Ironie besiegt ist, sie einmal sprechen zu lassen.“224 Diese Begründung gilt erst recht für die Literarisierung der Philosophie in den Schriften, die auf die IronieSchrift folgen. Die Ironie als reflexionsdestruierendes absolutes Nichts läßt sich nicht in den vertrauten Formen der Verständigung mitteilen, die das absolute Nichts relativieren; die literarische Vergegenwärti224
Pap. III B 2.
152
3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
gung des absoluten Nichts versucht dem Mitteilungsproblem gerecht zu werden, dem Sokrates durch sein negativ dialektisches Tun und Hegel durch die vernünftigen oder spekulativen Ausdrucksformen begegnet. Indem Kierkegaard die Bedeutung des absoluten Nichts im Zusammenhang von Zweifel, Wissen und Glauben literarisch darstellt, soll der Leser zur Teilnahme gezwungen werden, er soll erfahren, daß die Darstellung sein eigenstes Interesse betrifft, daß er in der Auseinandersetzung von Zweifel, Wissen und Glauben Stellung beziehen muß und immer schon Stellung bezogen hat. Wie sich der so herausgearbeitete Gegenstand der Ironie-Schrift literarisieren und dabei vertiefen läßt, untersuchen die beiden folgenden Kapitel anhand von Johannes Climacus und Entweder-Oder. Der zuerst behandelte Text Johannes Climacus läßt sich in dieser Hinsicht als Vorübung verstehen, insofern die Literarisierung nur versuchsweise eingesetzt wird.
3.4. Der Prüfstein des Zweifels (Johannes Climacus) Im Mittelpunkt der Fragment gebliebenen Erzählung Johannes Climacus oder De omnibus dubitandum est steht der Prüfstein des Zweifels, und zwar in dem Doppelsinn, daß die Prüfung den Zweifler wie den Zweifel betrifft. Was auf die Probe gestellt wird, deuten Titel und Motti an (wobei im folgenden nur einige Bedeutungen der vieldeutigen Paratexte ausgewählt sind): mit dem titelgebenden Namen Johannes Climacus sind Glauben und Zweifel assoziiert, einerseits der Jünger Christi und die Himmelsleiter, andrerseits der Zweifler Faust und die Leiter, die das natürliche Bewußtsein in Hegels Phänomenologie des Geistes von der Wissenschaft fordert und mit deren Hilfe es auf den Standpunkt der Wissenschaftlichkeit überhaupt gelangt. Der auf diese Weise mit dem Namen Johannes Climacus assoziierbare Zweifel wird durch den alternativen Titel der Erzählung in den Mittelpunkt gerückt, indem das auf Descartes’ Principia philosophiae zurückgehende ‚de omnibus dubitandum est‘ schlagwortartig einen methodisierten fundamentalen Zweifel bezeichnet.225 Das mit
225
Die im Doppeltitel nahegelegte Gleichsetzung von Johannes Climacus und dem Schlagwort ‚de omnibus dubitandum est‘ wird in der Erzählung ausgeführt: „[…] de omnibus dubitandum est. Damit stand er nun vor dem Satz, der eine entscheidende Rolle in seinem Leben spielen sollte. Dieser Satz wurde für sein Leben das, was in der Geschichte eines Menschen sonst oft ein Name ist, man kann alles in Kürze sagen, indem man diesen Namen nennt.“ (Pap. IV B 1, S. 114 / JC 121).
3.4. Der Prüfstein des Zweifels
153
den Titeln aufgerufene Verhältnis von Glauben und Zweifel wird durch die beiden Motti um zusätzliche Gesichtspunkte bereichert: in dem Spinoza-Zitat, dem ersten Motto, wird ein echter von einem unechten, bloß mit Worten versicherten Zweifel unterschieden, dessen Vertreter mit der Versicherung des Zweifels die eigene Verstocktheit kaschieren; das zweite Motto ist einer Passage aus dem ersten Brief des Paulus an Timotheus entnommen, in der Timotheus zur vorbildhaften Ausübung des Glaubens angehalten wird; der durch die Verwendung in Kierkegaards Erzählung hergestellte Zusammenhang zwischen beiden Motti läßt sich vorausdeutend damit erläutern, daß das Gerede vom Zweifel zu den verführerischen „ungeistlichen Altweiberfabeln“ (1. Timotheus 4,7) zählt, vor denen sich der ‚gutgläubige‘ Jüngling zu hüten hat. Der paratextuell angedeutete Inhalt von Kierkegaards Erzählung – das Verhältnis von Glauben und Zweifel beziehungsweise verschiedenen mehr oder weniger ernsten Formen des Zweifels – ist hier von den vorangegangenen Untersuchungen her vertraut; das entscheidende Merkmal von Johannes Climacus ist die Behandlung des vertrauten Inhalts in der neuen Form der Erzählung, als die die Schrift im Untertitel ausgewiesen ist. In der wichtigen, der Erzählung vorgeschalteten Note „Bitte zu beachten.“ gibt der explizite Erzähler selbst über die Bedeutung der gewählten Form Auskunft.226 Die Erzählung soll dem unwirklichen Gerede der gegenwärtigen Philosophie inhaltlich und formal Widerstand leisten, indem sie die Verwirklichung des Gesagten einfordert und erreicht – die gemeinhin geltenden Vorstellungen verkehrend, soll also die literarische Fiktion den Realitätsbezug im Sinne der Übereinstimmung von Sagen und Tun sichern. Die Abneigung, die der Erzähler gegenüber bloßem Gerede hegt, wird übrigens dadurch veranschaulicht, daß neben der besagten Note die Abbildung einer Hand mit hinweisendem Zeigefinger angebracht ist (Pap. IV B 1, S. 103, leider
226
Der Erzähler ist sich der Zustimmung desjenigen zur Erzählform gewiß, der den Wirrwarr gegenwärtigen Philosophierens als solchen durchschaut: „[…] der wird es gewißlich in der Ordnung finden, daß ich auch durch die Form der widerwärtigen Unwahrheit entgegenzuarbeiten suche, welche das Kennzeichen ‚der neuern Philosophie‘ ist, die vor allem dadurch von der älteren sich unterscheidet, daß sie entdeckt hat, es wäre eine Lächerlichkeit zu tun, davon man selbst sagt, man tue es oder habe es getan; – er wird es in der Ordnung finden und nur gleichwie ich beklagen, daß der, welcher hier damit den Anfang macht, nicht größere Vollmacht hat als ich.“ (Pap. IV B 1, S. 104 / JC 110).
154
3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
fehlt diese Abbildung in der deutschen Übersetzung); das der Täuschung, der unwirklichen Referenz verdächtige symbolische Zeichen wird sozusagen von einem ikonisch reproduzierten Index kontrolliert. Aufgrund des in und mit seiner Erzählung gesicherten Wirklichkeitsbezugs versteht sich der Erzähler als Avantgarde des Widerstands gegen die unwirkliche Philosophie, mag er auch keine andere Vollmacht als eben den Anspruch auf Wirklichkeit besitzen; dem Selbstverständnis des Erzählers zufolge fängt mit der Erzählung der Protest wider die Philosophie an, während der Held der Erzählung mit dem Anfang der Philosophie zu kämpfen hat. Die Selbstauslegung, die der Erzähler dem Leser noch vor dem Anfang der Erzählung offeriert und die dieser exponierten Stellung wegen die Lektüre zu lenken vermag, erklärt die Erzählung über den Anfang der Philosophie zum Anfang des Endes der Philosophie. Zur Reserve gegenüber einer solchen fiktionsimmanenten, vereindeutigenden Selbstauslegung mahnt sogleich die Erzählung, wenn in der auf das ‚Notabene‘ folgenden Einleitung, in der der Erzähler den Titelhelden Johannes porträtiert, die Zwiespältigkeit des Erzählens vor Augen geführt wird (Pap. IV B 1, S. 104-112 / JC 111-118). Das einleitende Porträt zeigt den Studenten Johannes als Verkörperung des abstrakten Denkens, als allein an der Systematizität seines Denkens, der notwendigen und vollständigen Folge der Gedanken Interessierten. Die Konzentration auf das Innere und das Ignorieren des Äußeren wurden, so informiert der Erzähler, durch die Erziehung gefördert. Der kleine Johannes entwickelt eine außergewöhnliche Einbildungskraft, wenn er an der Hand seines erzählenden Vaters oder im Zwiegespräch mit dem Vater Spaziergänge durch das Zimmer unternimmt; auf diesen Spaziergängen verleiht die Gabe des Erzählens die Macht, die versagte wirkliche Welt durch eine in der Fülle der Konkretion erzählte Welt zu ersetzen oder gar zu überbieten. Die Allmacht des Erzählers in der erzählten Welt kompensiert die tatsächliche Weltlosigkeit. Die schulische Bildung fördert Johannes’ Einbildungskraft durch die ‚philosophierende‘ Sprachlehre, wenn auch nicht in der übervollen Konkretion der imaginierten Spaziergänge, sondern in erhabener leerer Abstraktion. Neben der Gewalt der Einbildungskraft erfährt Johannes, als Zeuge der Disputationen des Vaters und auch in der Schule, die Macht der Dialektik als plötzliche Verfremdung des Vertrauten oder als Umschlagen einer Aussage in ihr Gegenteil. Es ist wichtig zu bemerken, daß eher Johannes’ Erfahrung der Dialektik denn die Dialektik selbst dargestellt wird; durch die mangelnde Erhellung erscheint sie erst recht als
3.4. Der Prüfstein des Zweifels
155
Faszinosum.227 Um nicht der im Spiel von Rede und Gegenrede erfahrenen, faszinierenden Dialektik ausgeliefert zu sein, vielmehr diese selbst zu beherrschen, übt sich Johannes im systematischen Denken; das sich selbst vollkommen durchsichtige Denken habe keinen blinden Fleck, der eine überraschende Verfremdung zuläßt, einem dialektischen Umschlag zuarbeitet. Wenn Johannes bei seinen Übungen im systematischen Denken, bei seinen Versuchen, Gedankenfolgen und deren Umkehrung unverändert zu wiederholen, auf besondere Schwierigkeiten stößt, sucht er den Beistand der Sprache: er spricht in feierlicher Klausur zu sich selbst die Worte ‚ich will es‘, um durch diese autohypnotische Prozedur die allmähliche Verfertigung seiner Gedanken zu erzwingen (Pap. IV B 1, S. 110f. / JC 117). Das Verkünden des Entschlusses urgiert dessen Umsetzung, die Bewältigung der gedanklichen Herausforderungen. Die Einleitung von Johannes Climacus verdeutlicht – besonders eindringlich anhand der ‚eigenlebigen‘ erzählten Spaziergänge –, daß das Erzählen wohl Wirklichkeit simulieren, nicht aber Wirklichkeit garantieren kann, womit der Erzähler seine programmatische Emp227
Die wundersamen Verwandlungen, die den kleinen Johannes während der Disputationen seines Vaters so nachhaltig beeindrucken, illustriert der Erzähler mit einem Vergleich, der als Musterbeispiel für die suggestive Darstellung dialektischer Macht gelten darf: „Es geschah; in einem Nu war alles umgekehrt, das Erklärliche unerklärlich gemacht, das Gewisse zweifelhaft, das Gegenteil einleuchtend. Wenn ein Hai seine Beute packen will, so muß er sich auf den Rücken herumwerfen, denn sein Rachen sitzt auf seiner Bauchseite; er ist am Rücken dunkel, silberweiß unter dem Bauche. Es soll ein herrlicher Anblick sein, diesen Wechsel in der Farbe zu sehen; sie soll zuweilen so stark blinken, daß es dem Auge nahezu wehe tut, und doch macht es Freude es anzuschauen.“ (Pap. IV B 1, S. 108f. / JC 114). Die Plötzlichkeit der dialektischen Verwandlung ist veranschaulicht durch ein den Blick gleichermaßen zurückstoßendes und anziehendes Blinken. Man vergleiche mit der zitierten Darstellung eine Passage der Ironie-Schrift, in der das Verhältnis des Sokrates zu seinen Schülern charakterisiert wird; da die negativ dialektische Arbeit des Sokrates die Entwertung des bloß Verhältnismäßigen bedeutet, ist der Erfolg seiner Arbeit auch die Aufkündigung des Verhältnisses von lehrender Autorität und lernendem Schüler. Das plötzliche Erscheinen der von Sokrates katalysierten ‚Selbstbeziehung‘ der Schüler wird mit einem diese plötzlich erleuchtenden ‚Silberblinken‘ illustriert (wobei die Anspielung auf 1. Korinther 15,51f. die Bedeutung der Wandlung zusätzlich pointiert): „Und wenn dann sämtliche Bande der Vorurteile gelöst waren, wenn alle geistigen Verhärtungen erweicht worden waren, wenn seine Fragen alles zurechtgerückt und die Wandlung ermöglicht hatten, so erreichte das Verhältnis seinen Gipfel in jenem bedeutungsvollen Augenblick, in jenem Silberblinken, dadurch in einem Nu Licht in ihre Bewußtseinswelt fiel, wo er alles vor ihnen umkehrte, so geschwinde wie ein Augenblick und so lang wie ein Augenblick, wo alles für sie anders ward ‚plötzlich, in einem einzigen Augenblick‘ […].“ (SKS 1, 237 / BI 196).
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
fehlung der Erzählung als Antidoton der Philosophie abzuschwächen oder zu präzisieren gezwungen ist. Wenn die Einleitung ferner die Beziehung von Denken und Sprache hervorhebt, indem zum Beispiel das väterliche Disputieren dem Nachweis mangelhaft durchdrungener Gedanken dient, wird ein die nachfolgende Handlung verbindendes Moment betont: im ersten Teil der Erzählung erscheint die Sprache in Gestalt eines das Denken konfundierenden Geredes, im zweiten Teil offenbart das ‚Aussprechen‘ den für das Bewußtsein konstitutiven Widerspruch von Denken und Sein. Der Eindruck, den der Leser der Einleitung von Johannes und dessen rekapitulierter Entwicklung zurückbehält, ist insofern befremdlich, als eine Entwicklung eigentlich fehlt: Johannes ist und bleibt die Personifikation des abstrakten Denkens, „[…] sein ganzes Leben war Denken“ (Pap. IV B 1, S. 109 / JC 116).228 Diese Unveränderlichkeit ist das Gegenteil der Bildungsgeschichte, die der Leser in einer als biographischer Abriß abgefaßten Einleitung erwarten dürfte. Den gleichsam ungebildeten Johannes kennzeichnet allein das abstrakte Denken, und zwar eine derart selbstverständliche Intellektualität, daß ihm der Gegensatz von Geist und Körper oder von Idealität und Realität gänzlich fremd ist: „Die Idealität, von der er sich nährte, lag ihm so nahe, alles ging so natürlich her, daß sie seine Wirklichkeit wurde und er wiederum erwarten mußte, draußen in der Wirklichkeit um ihn die Idealität zu finden.“ (Pap. IV B 1, S. 111 / JC 117). Diese Gutgläubigkeit kommt den ätherischen Johannes in der Auseinandersetzung mit den philosophischen Wortführern teuer zu stehen (sie ist außerdem, wenn man Johannes’ uneingeschränkte Intellektualität als Wirklichkeitslosigkeit versteht, für das Abbrechen der Erzählung mitverantwortlich). Aufgrund seines einleitend charakterisierten Wesens fühlt sich der Student Johannes zur Philosophie hingezogen; seine Annäherung an die Philosophie geschieht in Reflexionen über deren Anfang, genauer: über den absoluten Anfang und den diesen voraussetzungslosen Anfang, der allein der Philosophie angemessen sei, ermöglichenden Zweifel. Die verschiedenen Formen des so in den Mittelpunkt gerückten Zweifels sind durch Titel und Motti angedeutet, und die beiden ausgeführten Teile der Erzählung lassen sich dadurch kennzeichnen, welche Form des Zweifels jeweils Johannes’ Reflexionen zugrunde 228
Der Erzähler vergleicht Johannes’ Konzentration auf das Denken mit der für das Weibliche konstitutiv erachteten auf die Liebe; dazu ist zu bemerken, daß der Erzähler den Helden seiner weibliche Figuren ermangelnden Erzählung mehrmals effeminiert, vgl. Pap. IV B 1, S. 138 / JC 146, 141 / 148f.
3.4. Der Prüfstein des Zweifels
157
liegt. Die je einen Teil der Erzählung beherrschenden Formen des Zweifels sind besonders deutlich in einem der zahlreichen Entwürfe bezeichnet; vermutlich mit Bezug auf das als Titel vorgesehene Schlagwort ‚de omnibus dubitandum est‘ hält dieser Entwurf fest: Hegel müßte es erläutern. – In der Phänomenologie eine einzige Stelle [Hervorhebung d. Verf.] – wie soll ich mich anstellen damit, und doch ist es die Bedingung, um zum Anfang zu gelangen. Er dachte, das muß schwer sein, er dachte, ich komme nicht weiter als zum Anfang. da dort nichts zur Erklärung gesagt wird, so muß es so leicht zu verstehen sein, er schämte sich, danach zu fragen. Andere meinten, daß Hegel es doch getan hätte. nun sollte man beginnen. die ewige Philosophie.229
Und eine Hinzufügung lautet: „Prof. Martensen machte eine Ausnahme, er erklärt: daß das nichts Leichtes ist, das kann man doch verstehen, wenn es nur etwas helfen würde.“230 Die Erklärungsbedürftigkeit des Hegelschen Zweifels, und zwar unter expliziter Bezugnahme auf die Phänomenologie des Geistes, wird also beklagt; wer als Anfänger der Philosophie einer Erklärung bedarf, wird mit dem Hinweis auf Hegels Autorität oder mit einer Trivialisierung des Zweifels abgefertigt, für die die Martensen zugeschriebene Erklärung ein Beispiel abgibt. Die beiden angesprochenen Formen des Zweifels sind das Movens von Johannes Climacus: der triviale Zweifel beherrscht den ersten Teil der Erzählung und der erklärungsbedürftige den zweiten. Es ist nun zu untersuchen, wie die im Entwurf namentlich konkretisierten Formen des Zweifels in anonymer und verallgemeinerter Form den Inhalt und die Form der Erzählung bestimmen. 3.4.1. Das Gerede Im ersten Teil der Erzählung arbeitet sich Johannes an den kursierenden Meinungen über den philosophischen Zweifel ab. Mit der ihm eigenen Gewissenhaftigkeit macht er das Verhältnis zwischen dem Gebot, an allem zu zweifeln, und der Philosophie zum Gegenstand seiner 229
230
Pap. IV B 2,4. Die dänischen Herausgeber identifizieren die ‚einzige Stelle in der Phänomenologie‘ zu Recht mit Hegels Ausführungen über den ‚sich vollbringenden Skeptizismus‘ in der Einleitung. Pap. IV B 2,7. Vgl. H.L. Martensen „Indledningsforedrag til det i November 1834 begyndte logiske Cursus paa den kongelige militaire Høiskole. Af J.L. Heiberg, Lærer i Logik og Æsthetik ved den kgl. militaire Høiskole. 42 S. 8.“ in Maanedsskrift for Litteratur 16 (1836), S. 519.
158
3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
Überlegungen, da dieses Gebot die Rede der Philosophierenden beherrscht und in variierenden Wendungen zur Vorbedingung der Philosophie erklärt wird.231 Was als „ein ermunterndes Vorspiel“ (Pap. IV B 1, S. 115 / JC 122) vor den Überlegungen zur Philosophie selbst gedacht ist, erweist sich als wenig ermunternd. Bevor man sich Johannes’ Überlegungen zuwendet, darf nicht übersehen werden, daß der über den Zweifel reflektierende Johannes selbst nicht zweifelt. Johannes zweifelt nicht an den Parolen seiner Zeitgenossen, die er vertrauensvoll aufnimmt, und er zeigt Selbstzweifel nur insofern, als er sich hilfesuchend den Parolen der anderen anvertraut. Die Schwierigkeiten, in die sich Johannes bei seinem Versuch, das Verhältnis von Zweifel und Philosophie zu bestimmen, sofort verstrickt, sind besonders gut nachvollziehbar, wenn man sich das in den Parolen zum Ausdruck kommende Verständnis des Zweifels anhand eines exemplarischen Texts vergegenwärtigt. Als beispielhafter Souffleur für Johannes fungiert Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag (die hier schon mehrfach herangezogen wurde): sie ist Stichwortgeber im wörtlichen und in dem übertragenen Sinne, daß die in der Rezension dargestellte Konzeption des Zweifels den gutgläubigen Johannes zur Verzweiflung bringt. Die Rezension sei deshalb mit Blick auf die für die Erzählung wichtigen Momente in Erinnerung gerufen.232 Als Gegenteil der religiösen Philosophie, in der die gläubig angeschaute Wahrheit stets selbständig gegenüber dem Anschauenden bleibt und der Widerstreit von Glauben und Zweifel unaufhebbar ist, versteht Martensen das rationalistische Projekt, das der Wahrheit keine Selbständigkeit gegenüber dem Wissen der Wahrheit einräumt. Damit das Wissen seiner wahren Selbständigkeit inne wird, hat es sich von allen unwahren Beschränkungen zu befreien, und das Werkzeug dieser ‚faustischen‘ Befreiung ist der Zweifel, der sich mit dem Wissen um die Wahrheit des Wissens selbst aufhebt. Martensen verfolgt den Rationalismus von Descartes, dessen ‚de omnibus dubitandum est‘ den allumfassenden Zweifel zu realisieren gebietet,233 bis zu Hegel, 231
232
233
„[…] 1. Die Philosophie beginnt mit dem Zweifel; 2. man muß gezweifelt haben, um zum Philosophieren zu gelangen; 3. die neuere Philosophie beginnt mit dem Zweifel.“ (Pap. IV B 1, S. 115f. / JC 122 [typographisch korrigiert]). Martensens Rezension zählt zu den Texten, die die dänischen Herausgeber von Johannes Climacus in ihren intertextuellen Hinweisen anführen, vgl. die Anmerkungen Pap. IV B 1, S. 115. H.L. Martensen „Indledningsforedrag til det i November 1834 begyndte logiske Cursus paa den kongelige militaire Høiskole. Af J.L. Heiberg […]“, a.a.O., S. 519.
3.4. Der Prüfstein des Zweifels
159
der den gebotenen Zweifel durchführt. In Martensens Darstellung erscheint der rationalistische Zweifel als abstrakte Negation, deren radikaler Gebrauch zum reinen Denken führt; die systematische Durchführung des rationalistischen Zweifels wird in der Darstellung aber nicht behandelt. Wenn Martensen den neuzeitlichen Rationalismus mit Descartes’ Philosophie beginnen läßt, kann er sich auf Hegels Darstellung in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie berufen,234 wo Descartes einprägsam die Bedeutung einer Zäsur innerhalb der Philosophiegeschichte zugesprochen wird: Er hat von vorn angefangen, vom Denken als solchen; und dies ist ein absoluter Anfang. Und daß nur vom Denken angefangen werden müsse, drückt er so aus, daß man an allem zweifeln müsse. Zum ersten Erfordernis der Philosophie macht Descartes, daß man an allem zweifeln, d.h. alle Voraussetzungen aufgeben müsse. De omnibus dubitandum est, war der erste Satz des Cartesius, – dies Versenken aller Voraussetzungen und Bestimmungen selbst.235
In Hegels Darstellung ist dieser Zweifel ein vorübergehend eingesetztes Mittel, mit dessen Hilfe sich das Denken von allen bloß vorgegebenen Meinungen emanzipiert und ‚reines Denken‘ wird; weder setzt Hegel den von allen Vorurteilen abstrahierenden Zweifel dem ‚sich vollbringenden Skeptizismus‘ gleich, noch entspricht das ‚reine‘, das heißt hier das verständige Denken dem absoluten Wissen. Es ist hinzuzufügen, daß sich Hegel nicht nur inhaltlich, sondern auch formal von der in ihrer Bedeutung gewürdigten Philosophie des Descartes distanziert, über dessen Darstellungsweise es heißt: „[…] er geht ganz einfach und kindlich dabei zu Werke, – es ist Erzählen [Hervorhebung d. Verf.] seiner Gedanken nacheinander.“236 Martensen schließt also in seiner Rezension die Philosophie von Descartes und Hegel kurz und erspart sich so eine Behandlung der Hegelschen Dialektik. Der erste Teil von Johannes Climacus erprobt, was passiert, wenn man den soeben an einem repräsentativen Beispiel rekapitulierten Diskurs beim Wort nimmt. Johannes widmet sich dem ‚de omnibus dubitandum est‘ als dem Anfang der Philosophie zuerst in der Wendung, daß die neuere Philosophie mit dem Zweifel beginnt (Pap. IV B 1, S. 116-126 / JC 123-133). Sofort stellt sich Johannes die Frage, ob der Zweifel nur die geschichtlich einzuordnende neuere Philosophie 234
235 236
Hegel Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, TWA 20, 123-157, insb. 127-129. Ebd. 127. Ebd. 126.
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
oder die Philosophie überhaupt initiiert und von welchem Standpunkt aus sich darüber entscheiden läßt; trotz einiger Umdeutungsversuche bleibt das Verhältnis einer geschichtlichen Gestalt der Philosophie zur ewigen Wahrheit rätselhaft. Das Rätsel scheint Johannes nur dadurch lösbar, daß der Vertreter der neueren Philosophie zugleich ein Wissen über seine endgültige Bedeutung besitzen muß, ein ‚absolutes Wissen‘, das die eigene Erscheinung als Moment des wesentlichen Ganzen begreift. Solange aber der konkrete einzelne dem im ‚absoluten Wissen‘ erfaßten abstrakten Ganzen entgegengesetzt bleibt, ist Allwissenheit dem Existierenden versagt, was sich Johannes damit verdeutlicht, daß ein noch Lebender keine endgültig transparente Lebensgeschichte besitzen kann.237 In seiner ersten Überlegung wird Johannes auf Gegensätze (wie zum Beispiel den von Vorläufigkeit und Endgültigkeit) aufmerksam, deren Vermittelbarkeit ihm unverständlich ist; er verwahrt sich gegen eine Vermittlung, die kurzerhand von dem einen Bestandteil des Gegensatzes absieht (und den anderen unbeschadet zu bewahren glaubt). Um der Schwierigkeit der ersten Wendung des Diskurses zu entgehen, setzt Johannes die darin genannte neuere Philosophie der Philosophie überhaupt gleich und erhält so die zweite Wendung: die Philosophie beginnt mit dem Zweifel (Pap. IV B 1, S. 126-139 / JC 134-146). Die Schwierigkeit ist damit nicht behoben. Johannes versteht den anempfohlenen Zweifel als abstrakte Negation, als das Anzweifeln jeder vorgängigen Meinung, woraus zu folgern ist, daß der Zweifel eine anzuzweifelnde Meinung voraussetzt und einen voraussetzungslosen Anfang verunmöglicht, auch daß die Philosophie sich in die desperate Disparatheit sich überbietender und isolierender Standpunkte 237
„Hierüber wurde er sich selber klar durch eine Betrachtung des persönlichen Lebens. Wenn einer zurückschaut auf sein Leben, so kann insbesondere dessen früherer Teil sich sehr wohl als von einer Notwendigkeit durchdrungen erweisen. Falls hingegen einer beim Beginnen eines bestimmten Zeitabschnitts vorerst sich dieses Abschnitts bewußt werden will in seiner ewigen Giltigkeit als Moment seines Lebens, so wird er ihn gerade daran hindern, daß er irgendeine Bedeutung gewinnt, sofern er ihn aufheben will, ehedenn er gewesen, sofern er den Willen hat, daß das, was ein Gegenwärtiges ist, im gleichen Moment sich ihm als ein Vergangenes erzeigen solle.“ (Pap. IV B 1, S. 125 / JC 133). Diese Betrachtung mag auch als Mahnung dienen, die verschiedenen Perspektiven innerhalb der Erzählung nicht zu verwirren: während der Erzähler beispielsweise die Übereinstimmung von Wesensart und vergangener Erziehung des Helden konstatiert und sich von den zukünftigen Ereignissen unbeeindruckt zeigt, während also die Haltung des Erzählers Einblick in die Zwangsläufigkeit des Erzählten signalisiert, erfährt der Held der Erzählung seine Handlungen als frei.
3.4. Der Prüfstein des Zweifels
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auflöst. Es ist jedoch nicht nur die Einsicht in die Unfruchtbarkeit der abstrakten Negation, die Johannes vom Gebrauch des anempfohlenen Zweifels abhält; die intellektuelle Ablehnung dieses selbstgefälligen Anzweifelns wird von einer emotionalen begleitet. Letztere äußert sich zum Beispiel im Vergleich von dem abstrakt negierenden Zweifel mit dem Zauberschwert aus dem Märchen, das gezogen einen Blutzoll, das Blut des Überbringers fordert (Pap. IV B 1, S. 137 / JC 145). Johannes lehnt ein Verhalten ab, das die Autorität desjenigen, der den Appell des philosophischen Zweifels ausgibt, sofort mit Hilfe des gebotenen Zweifels untergräbt, um sich im Handstreich selbst zu ermächtigen; er begnügt sich vielmehr damit, sein Verhältnis zu dem Appell des philosophischen Zweifels – also das komplizierte Verhältnis zu einem Satz, der jedes verbindliche Verhältnis dementiert – zu bedenken. Von einigen Ablenkungen durch den Diskurs der Philosophierenden unterbrochen,238 verfolgt Johannes die Frage, wie sich der einzelne zu jenem Appell (der zweiten Wendung) verhält. Im Zusammenhang dieser Fragestellung, die den einzelnen und sein Verhalten in den Mittelpunkt rückt, skizziert Johannes die Unterscheidung zwischen vom Subjekt unabhängigen und vom Subjekt abhängigen Äußerungen. Wenn sich der Johannes umtreibende Satz nicht immanent rechtfertigen läßt, ist seine Geltung an die Autorität dessen, der ihn aufstellt, gebunden; der Mitteilende, der Lehrer, bürgt mit seiner – sei es auf Talent oder Vollmacht beruhenden – Autorität für die Wahrheit des Mitgeteilten. Den objektiven Aussagen, beispielsweise der Philosophie, stehen die subjektiv verbürgten ethischen oder religiösen Aussagen gegenüber, als deren exemplarische Bürgen Sokrates und Christus angeführt werden. Allein der Bezug auf den Mitteilenden erlaubt es bei diesen subjektiven Aussagen, die wahre Aussage von dem lügnerischen Gerede zu unterscheiden. Das bedeutet mit Blick auf das Gebot des Zweifels: wer das Gebot des abstrakt negierenden Zweifels konsequent befolgt, ist zur Selbstermächtigung gezwungen; wenn man das Gebot zudem als subjektiv verbürgten Satz versteht, dann bedeutet die Befolgung die nicht objektiv zu rechtfertigende Entmachtung des Gewährsmanns,
238
Zu diesem Ablenkungen zählt beispielsweise die Rede vom ‚subjektiven Anfang‘ der Philosophie, der mit dem Entschluß des Bewußtseins, sich zum Denken zu erheben, erfolgt; die dänischen Herausgeber der Erzählung verweisen auf entsprechende Ausführungen von P.M. Stilling (Pap. IV B 1, S. 131), ferner ist Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, TWA 8, 168 (die erläuternde Anmerkung zu § 78) zu vergleichen.
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
die Entmachtung des bürgenden Lehrers durch den Schüler – und dazu sieht sich Johannes nicht befugt. Mit den Überlegungen des Helden läßt sich sein eigenes Geschick kommentieren: Johannes versucht, sich zu dem ‚de omnibus dubitandum est‘ zu verhalten; obgleich ihm eine objektive Autorisierung des Gebots nicht gelingt, der Zusammenhang des Gebots mit dem Anfang der Philosophie unverständlich bleibt, hält er im Vertrauen auf die (subjektive) Autorität der gebietenden Philosophierenden daran fest. Johannes hütet sich davor, das mit der zweiten Wendung des Diskurses offerierte blutdürstige Zauberschwert anzunehmen, und wendet sich der dritten und letzten Wendung zu, der zufolge man gezweifelt haben muß, um zum Philosophieren zu gelangen (Pap. IV B 1, S. 139-141 / JC 146-149). In dieser Wendung ist, wohlgemerkt, der Zweifel als Prüfung dem Anfang der Philosophie selbst noch vorgeordnet. Johannes bemerkt, daß diese Prüfung den Schüler von jeder lehrenden Autorität befreit, ja daß konsequenterweise keine Instanz den Zusammenhang von Zweifel und Philosophie garantieren kann. Er sieht sich dazu gezwungen, die Herausforderung der unwägbaren Prüfung anzunehmen, sich notgedrungen auf den Satz ‚de omnibus dubitandum est‘ unter Absehung von allen Rücksichten und Ratschlägen zu konzentrieren: „[…] ihn zu durchdenken aus aller meiner Macht, zu tun, was er besagt, mit aller meiner Leidenschaft.“ (Pap. IV B 1, S. 141 / JC 149). Im ersten Teil der Erzählung reflektiert Johannes über den Zweifel und über den Anfang der Philosophie – so daß ihn das Reflektieren vom initiierenden Zweifel abhält. Er meidet das Risiko des Zweifels, indem er über diesen nachdenkt. Die Überlegungen über den im Diskurs prominenten Zweifel pointieren dessen Widersprüchlichkeit. Seine Redlichkeit hindert Johannes daran, derartige Widersprüche zu übergehen: der ominöse unbedingte Anfang der Philosophie ist nicht durch einen selbst bedingten (nämlich das zu Bezweifelnde voraussetzenden) Zweifel zu erlangen; die Philosophie als philosophia perennis zerfällt, wenn der einzelne alle anderen Standpunkte anzweifelt und nur den eigenen (nicht in Frage gestellten) anerkennt; die Lehre vom Zweifel ist kommunizierbar nur um den Preis der Aufhebung der Kommunikationssituation, der Entmachtung des Lehrenden durch den sich ermächtigenden und in seiner eingebildeten Macht vereinzelnden Schüler. Johannes’ unfreiwillige Entdeckung besteht darin, daß das mit dem ‚de omnibus dubitandum est‘ verbundene Versprechen der unbeding-
3.4. Der Prüfstein des Zweifels
163
ten Wahrheit gebrochen wird, solange der geforderte Zweifel allenfalls die abstrakte Negation bedeutet; solange die (dialektische) Durchführung des Zweifels ignoriert wird, ist der Zweifel, der das bloß Bedingte zu überwinden verspricht, dessen Komplize. Diese Komplizenschaft eines um seine Durchführung gebrachten Zweifels mit der bloßen Reflexion kennzeichnet die stellvertretend herangezogene Rezension von Martensen, die eine Vorlage für den von Johannes in seiner Trivialität decouvrierten Diskurs sein könnte.239 Wenn man sich daran erinnert, wie Kierkegaard ebendiesen lächerlichen Zweifel bereits in der Seifenkeller-Skizze satirisiert, ist die Verwandtschaft der Helden Willibald und Johannes nicht zu verkennen.240 In den Seifenkellern und in Johannes Climacus sucht ein leichtgläubiger Held sein Heil bei den Philosophen; während Willibald sich nach anfänglichem Zögern von den Personifikationen des lächerlichen Zweifels bekehren läßt, versucht Johannes vergeblich, sich diesen Zweifel persönlich anzueignen, und entlarvt so die Rede der Philosophierenden als unwirkliches Gerede. Die anfangs vorgestellte Intention des expliziten Erzählers scheint verwirklicht, indem der fehlende Zusammenhang von philosophischer Rede und Tat aufgezeigt wird. Wenn man allerdings bedenkt, daß die Erzählung als geeignete Form der Opposition gegen die Phi239
240
Daß eine intertextuelle Verbindung bestehen könnte, ist bei der bislang nicht befriedigend gelungenen Datierung von Kierkegaards Erzählung zu berücksichtigen. Die dänischen Herausgeber datieren die Erzählung auf die Jahre 1842-43, vgl. T.H. Croxall „An assessment“ in Kierkegaard Johannes Climacus or, De omnibus dubitandum est and A sermon, translated, with an assessment by T.H. Croxall, London 1958, S. 17. Im Widerspruch zu dieser Datierung, die sich u.a. auf eine spätere Journalaufzeichnung Kierkegaards beruft (vgl. aber die in Kap. 3.4.2. vorgeschlagene Lesart dieser Aufzeichnung!), plädiert H. Fenger für eine weit frühere Datierung der Erzählung oder wenigstens ihres Entwurfs, nämlich auf das Jahr 1838, H. Fenger Kierkegaard-Myter og Kierkegaard-Kilder. 9 kildekritiske studier i de Kierkegaardske papirer, breve og aktstykker, with a Summary in English, Odense 1976, S. 116-120. Unter dem Eindruck von Martensens Erfolg (nicht zuletzt der Rezension von Heibergs Einführungsvortrag) habe Kierkegaard seine Erzählung als Polemik gegen die dänischen Hegelianer entworfen; diese polemische Intention widerlegt die – ohnehin die Literarizität der Erzählung mißachtende – autobiographische Lesart, die populäre Identifikation der Johannes Climacus-Figur mit dem realen Autor. Wie auch immer die Erzählung schließlich datiert werden mag, sie darf auch nicht auf eine bloße Polemik wider den dänischen Hegelianismus reduziert werden; diese Reduktion nivelliert die Form und simplifiziert den Inhalt der Erzählung, v.a. den nicht trivialen Hegel-Bezug des zweiten Teils. K. Jensenius Nogle Kierkegaardstudier. „De tre store ideer“, Kjøbenhavn 1932, S. 71f.
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losophie gewählt wurde, fällt das Zurücktreten der Narrativität im ersten Teil auf. In dem Moment, in dem Johannes mit seinen Überlegungen über das ‚de omnibus dubitandum est‘ beginnt, scheint seine Persönlichkeit in Vergessenheit zu geraten. Damit ist freilich nur eine Tendenz bezeichnet, schließlich wird der unverkennbare Charakter von Johannes Climacus gelegentlich in Erinnerung gerufen; man denke zum Beispiel an die Beschämung des zurückhaltenden Jünglings angesichts der ihm mit dem Zauberschwert der abstrakten Negation angetragenen Macht. Dieses tendenzielle Vergessen der Persönlichkeit läßt sich zum einen mit Johannes’ Charakter erklären, dessen allein an konsequenten Gedankenfolgen interessierte Perspektive der Leser in den Überlegungen teilt; zum anderen ist dieses Vergessen mit der Wirkung des philosophischen Diskurses auf Johannes zu plausibilisieren, als Übertragung der Vergessenheit der Existenz, der die ein ‚absolutes Wissen‘ prätendierende Philosophie bezichtigt wird. Dem einleitend geschilderten Charakter des Protagonisten ist es wohl auch zuzuschreiben, daß Johannes sich nicht mit einem ‚Erzählen seiner Gedanken‘ begnügt, also die angebliche Form der Philosophie des Descartes übernimmt; der Drang zur sofortigen Systematisierung der Gedanken ist schon äußerlich durch paragraphische Ordnung signalisiert.241 Trotz dieser Erklärungsmöglichkeiten besteht die Gefahr, daß die Unterscheidbarkeit von histoire und discours schwindet und damit das Potential der Erzählung.242 Es bleibt zu berücksichtigen, daß Johannes’ Überlegungen selbst das Problem der Mitteilung betreffen, skizziert er doch objektive und subjektive Mitteilungsformen; wäh241
242
In einem Entwurf zu dem nicht ausgeführten dritten Teil der Erzählung bereut Johannes das Hintanstellen von Descartes: „Er bereut, daß er nicht sofort mit Cartesius begonnen hat, und das um so mehr, als er sich erinnert, daß Hegel bei Cartesius dessen ‚kindliche und einfältige Darstellung‘ lobt – aber das war gerade der Grund, weshalb er nicht begann; denn das klang wie Spott von Hegel, der wohl weit davon ist, das Kindliche und das Einfältige anzupreisen und der auch an anderen Stellen über Cartesius sagt: ‚mit ihm ist weiter nichts anzufangen‘ [im Original deutsch].“, Pap. IV B 13,17. In den Entwürfen findet sich eine Note, die den Beginn von Johannes’ Überlegungen flankiert (nämlich Pap. IV B 1, S. 116 / JC 123); darin bemerkt der Erzähler das Zurücktreten der Narrativität und versucht, dem drohenden Vergessen der Erzählform vorzubeugen: „Ich werde nun den erzählenden Stil bis auf weiteres aufgeben, denn die eigentliche philosophische Überlegung ist gleichgültig gegen die Persönlichkeit. Jedes Mal, wenn er hingegen erforderlich wird, werde ich ihn wieder gebrauchen, da ich den Leser bitten muß zu erinnern, daß hier nicht nur von der Bedeutung und dem Inhalt jenes philosophischen Satzes gehandelt wird, sondern daß ich auch das Leben des Johannes Climacus erzähle.“, Pap. IV B 7,5.
3.4. Der Prüfstein des Zweifels
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rend explanatorische Überlegungen die avisierte Erzählung überlagern, widmen sich diese Überlegungen, wenn auch nicht der Erzählform im besonderen, doch den Mitteilungsformen im allgemeinen. Nach Johannes’ Auseinandersetzung mit dem lächerlichen Zweifel ist nun die mit dem ernsten zu untersuchen, sowie die Bedeutung der Narrativität in dieser Auseinandersetzung. 3.4.2. Die Tat „[…] Diese Möglichkeit des Zweifels ist dem Dasein wesentlich, ist das Geheimnis der menschlichen Existenz. […]“243
Johannes setzt das ‚de omnibus dubitandum est‘ im zweiten Teil der Erzählung insofern in die Tat um, als er sich von dem philosophischen Gerede distanziert und unter eigenem Befehl zu denken versucht. Daß Johannes über den Zweifel nun unter Absehung von kursierenden Meinungen nachdenkt, bedeutet jedoch nicht, daß er zu zweifeln beginnt; die Unterscheidung zwischen dem Zweifel am eigenen Wissen und dem angestrebten Wissen über den Zweifel ist stets zu beachten. Der Held erwägt verschiedene Vorgehensweisen, um das Wesen des Zweifels zu ergründen. Da von einer Beobachtung der vielfältigen Erscheinungen des Zweifels nicht die erwünschte Wesensbestimmung zu erwarten ist – worauf schon die unberechenbare ‚paradoxe Dialektik‘ von Glauben und Zweifel hindeutet (Pap. IV B 1, S. 144f. / JC 153) –, vollzieht Johannes eine Kehre von der Erfahrung des Zweifels zu der Bedingung der Möglichkeit des Zweifels, genauer zu der Frage: „Wie die Existenz beschaffen sein muß, damit das Zweifeln möglich werde?“ (Pap. IV B 1, S. 144 / JC 153). Indem hier in einem ersten Schritt Johannes’ Antwort auf diese Frage kommentiert wird, kommt ansatzweise die den zweiten Teil der Erzählung untergründig bestimmende Form des ernsten Zweifels zum Vorschein, so daß die Erzählung in einem zweiten Schritt mit dem Modell dieses ernsten Zweifels, das in Hegels Phänomenologie des Geistes vorliegt, verglichen werden kann. In der Beantwortung seiner transzendentalen Frage nach dem Zweifel beschäftigt sich Johannes genau genommen nicht mit der den Zweifel ermöglichenden Beschaffenheit der Existenz, sondern der des Bewußtseins. Die Möglichkeit des Zweifels setzt eine Zweiheit voraus, die folglich im Bewußtsein aufzufinden ist; diese für das Be243
Pap. IV B 10,11.
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wußtsein konstitutive Zweiheit entsteht in dem Moment, in dem gesagt wird, was ist; der in dieser ‚Urteilung‘ entstehende Widerspruch von Wort (Logos, Denken) und Sein, Mittelbarkeit und Unmittelbarkeit, bildet das Bewußtsein: „Die Unmittelbarkeit ist die Realität, die Sprache ist die Idealität, das Bewußtsein ist der Widerspruch. In dem Augenblick, da ich die Realität aussage, ist der Widerspruch da; denn was ich sage, ist die Idealität.“ (Pap. IV B 1, S. 146 / JC 155 [Hervorhebung d. Verf.]). Die Möglichkeit des Zweifels ist dadurch gegeben, daß das Bewußtsein selbst ein Widerspruch ist. Johannes versucht, den für das Bewußtsein konstitutiven Widerspruch genauer zu bestimmen, indem er eine weitere Unterscheidung vornimmt: er unterscheidet zwischen den zwei Relata, die den Widerspruch ermöglichen, und dem wirklichen Widerspruch, der als Relation nicht auf die Relata zu reduzieren ist und ein drittes Moment darstellt; diese Differenzierung wird terminologisch durch die Unterscheidung von ‚Reflexion‘ als den Widerspruch ermöglichender Zweiheit und ‚Bewußtsein‘ als den Widerspruch darstellender Dreiheit wiedergegeben. Als Synonym für das dreiteilige Bewußtsein nennt Johannes das ‚Interesse‘ (dessen Dreiteiligkeit man damit erläutern mag, daß der Interessierte sozusagen als Dritter an einem Verhältnis Anteil nimmt). Die hier zusammengefaßten Überlegungen verwendet Johannes dazu, um ebenso knapp wie rabulistisch mit der modernen Philosophie, die sich die Überwindung des Zweifels zugute hält, abzurechnen (Pap. IV B 1, S. 148f. / JC 157f.). Das Rabulistische besteht darin, daß das philosophische Wissen mit der Reflexion identifiziert, als (im erläuterten Sinne) ‚uninteressiert‘ charakterisiert wird. Wenn das philosophische Wissen erst einmal als Reflexion definiert ist, läßt sich eine Überwindung des Zweifels mit Hilfe des derart zugerichteten Wissens leicht ad absurdum führen – bleibt die Reflexion doch dem interessierten Zweifel als dessen Ermöglichung immer ausgeliefert.244 Ebenso leicht fällt es Johannes, im Vergleich von antiker Skepsis und moderner Überwindung der Skepsis zugunsten der ersteren zu entscheiden; während die sich mit der Reflexion begnügende Philosophie dem von ihr ignorierten Zweifel gegenüber wehrlos bleibt, durchschaut der antike Skeptizismus das Abhängigkeitsverhältnis von Zweifel und Interesse und versucht, mit der Verwand244
„Man ersieht daraus, daß der Zweifel der Anfang ist zur höchsten Form des Daseins, denn er vermag alles andre zu seiner Voraussetzung zu haben.“ (Pap. IV B 1, S. 149 / JC 157). Über die Durchführung dieses Zweifels schweigt sich Johannes jedoch aus.
3.4. Der Prüfstein des Zweifels
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lung des Interesses in Teilnahmslosigkeit die Möglichkeit des Zweifels zu beseitigen. Nachdem er die moderne Philosophie en passant verworfen hat, wendet sich Johannes noch einmal dem für das Bewußtsein konstitutiven Widerspruch zu. In dem Augenblick, in dem gesagt wird, was ist, entsteht der Widerspruch, kollidieren Idealität und Realität. Diese Kollision verdeutlicht Johannes nun mit dem Begriff der Wiederholung (beziehungsweise Erinnerung), wobei seine Ausführungen nicht deutlich zwischen dem Auftreten der Kollision und der bewußten Entdeckung der Kollision unterscheiden. „Sobald die Frage nach einer Wiederholung entsteht, ist der Zusammenstoß da; denn Wiederholung ist nur denkbar bei etwas, das vorher gewesen ist.“ (Pap. IV B 1, S. 149 / JC 158 [typographisch korrigiert]). Die Unabdingbarkeit des Widerspruchs demonstriert Johannes dadurch, daß in jedem Bestandteil des Widerspruchs für sich genommen Wiederholung undenkbar ist, daß sie weder in der bloßen Realität noch in der bloßen Idealität zu denken ist. Um eine andere Begrifflichkeit zu verwenden, weder bloße Nicht-Identität noch bloße Identität, sondern erst deren ‚Zusammenstoß‘ erlaubt die Rede von einer Wiederholung. Mit dem Aussprechen (dessen, was ist) konstituiert sich das Bewußtsein als Widerspruch; ebenso signalisiert die Frage nach einer Wiederholung, daß das Bewußtsein aus völliger Unbestimmtheit, das heißt Bewußtlosigkeit, zum als Widerspruch bestimmten Bewußtsein erwacht ist. Dieses Ergebnis, das Begreifen des Bewußtseins als Widerspruch, bestätigt sich Johannes, wenn er die Wiederholung in der Form der Erinnerung thematisiert.245 An dieser Stelle bricht die Erzählung ab. Für das Abbrechen der Erzählung läßt sich – die Entwürfe des realen Autors hin oder her – eine fiktionsimmanente Erklärung geben. Nachdem Johannes im zweiten Teil der Erzählung zur Beantwortung seiner Frage nach der Bedingung der Möglichkeit des Zweifels angehoben hat, übernimmt der Erzähler, sieht man von einigen wenigen Fußnoten ab, mehr und mehr die Perspektive des Helden. In Johannes’ Betrachtungen, die der Leser verfolgt, ist die Diegese zugunsten eines sachlichen Berichts verdrängt. Die Betrachtungen ergeben, daß das Bewußtsein als widersprüchliches Verhältnis von Idealität und Realität zu verstehen ist. Dieses Ergebnis kontrastiert mit der ätherischen Verfaßtheit des Helden; in der einleitenden Charakteristik wird 245
„Die Frage geht hier näher um eine Wiederholung im Bewußtsein, mithin um die Erinnerung.“ (Pap. IV B 1, S. 150 / JC 159).
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Johannes als Gedankenspieler, als allein in der Idealität beheimatet vorgestellt. Nimmt man diese Charakterisierung beim Wort und versteht Johannes als Personifikation eines unwirklichen Denkens, dann wird die Widersprüchlichkeit darin deutlich, daß die Reflexionen des idealen Johannes über den Zweifel in die Einsicht münden, daß erst der Widerspruch von Idealität und Realität das Bewußtsein und damit den Zweifel ermöglicht. Die Spannung zwischen der Konstitution des Helden und seiner Untersuchung blockiert deren Fortsetzung; wenn man seinen Untersuchungsergebnissen zustimmt, ist zum Beispiel zu klären, ob sich nicht Johannes selbst des bloß reflektierenden Denkens befleißigt und deshalb den Zweifel immer verfehlen muß. Angesichts solcher Schwierigkeiten läßt sich durchaus nachvollziehen, daß Johannes sein ambitioniertes Experiment abbricht und seine Geschichte ein ‚Lebensfragment‘ bleibt. Überblickt man nun den zweiten Teil der Erzählung, mag es befremden, diesen als Auseinandersetzung mit dem ernsten Zweifel zu verstehen. Bei aller Achtung für die Entschlossenheit, mit der Johannes seine Frage unbeirrt von den Parolen des Zeitgeists verfolgt, das Verhältnis von moderner Philosophie und Zweifel wird (anläßlich des Vergleichs von antikem Skeptizismus und moderner Philosophie) doch allzu eilfertig behandelt. Die Auseinandersetzung mit dem ernsten Zweifel ist deshalb auch nicht in dieser beiläufigen Behandlung zu suchen, ja überhaupt nicht in einer ausdrücklichen Behandlung des Zweifels – die interessante Auseinandersetzung verbirgt sich vielmehr im Verhältnis von Johannes’ Überlegungen zu einer Vorlage. J. Stewart gebührt in diesem Zusammenhang das Verdienst, die Parallelen in dem zweiten Teil von Kierkegaards Erzählung und dem ersten Kapitel von Hegels Phänomenologie des Geistes entdeckt zu haben, also in den Überlegungen, die Johannes über den Zweifel anstellt, und den Erfahrungen, die das natürliche Bewußtsein mit der sinnlichen Gewißheit macht.246 Hier ist Stewarts Auslegung des intertextuellen Bezugs kurz zu betrachten, die dann – vor dem Hintergrund der die vorliegende Arbeit leitenden Interessen – überprüft werden soll. Stewart macht zunächst darauf aufmerksam, daß der zweite Teil von Johannes Climacus mehr oder weniger deutlich auf das Kapitel „Die sinnliche Gewißheit; oder das Diese und das Meynen“ (PdG 63-70), das erste Kapitel der Phänomenologie des Geistes, hin246
J. Stewart „Hegel als Quelle für Kierkegaards Wiederholungsbegriff“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 1998, S. 302-317.
3.4. Der Prüfstein des Zweifels
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weist.247 Wer dem Hinweis folgt, entdeckt eine überraschende Ähnlichkeit der Texte. In Hegels Präsentation bemüht sich das natürliche Bewußtsein darum, die sinnliche Gewißheit, die für es selbstverständliche Gewißheit vom Sein der sinnlichen Dinge, zum Ausdruck zu bringen. In dem Augenblick aber, in dem das natürliche Bewußtsein die Gewißheit vom Sein dieses oder jenes Gegenstands ausspricht, verstrickt es sich in Widersprüche und tritt seinen langwierigen Bildungsprozeß an (den ein Beobachter kommentierend verfolgt): stets ist nämlich die Aussage des natürlichen Bewußtseins das Gegenteil des Gemeinten. Gerade der Halt der deiktischen origo, die Referenz auf das Ich, Hier und Jetzt, entzieht sich dem Aussagenden; der intendierte Ausdruck des Besonderen ist Ausdruck für Allgemeines. Der Versuch, die Überzeugung auch nur des Vorhandenseins (eines beliebigen Gegenstands) sprachlich wiederzugeben, scheitert; wie die Aussage über den vorhandenen Gegenstand mißlingt auch die anschließende Aussage über das vorhandene Wissen vom Gegenstand oder das Aufzeigen der vorhandenen Beziehung von Gegenstand und Wissen. Die Ruhe des natürlichen Bewußtseins ist dahin; der Versuch, die Gewißheit durch Bezugnahme auf das Objekt, das Subjekt oder deren bloße Verbindung zu restituieren, mißlingt, weil bei jedem Versuch der Widerspruch vom Sagen des Allgemeinen und Meinen des Besonderen erfahren wird. Angesichts dieser Rekapitulation wird die von Stewart betonte Ähnlichkeit von Hegels und Kierkegaards Text sichtbar. Laut Stewarts Untersuchung folgen Johannes’ Überlegungen zum Bewußtsein (als Widerspruch von Sprache und Wirklichkeit) beziehungsweise zur Wiederholung der Hegelschen Darstellung, wenn sie sich auch einer 247
In einer Anmerkung assoziiert der Erzähler Johannes’ Überlegungen mit Hegels Phänomenologie des Geistes: „Wovon Johannes sich hier Rechenschaft gibt, ist nicht ohne Bedeutung. Die Terminologie der neueren Philosophie ist oft verwirrend. So spricht sie z.B. von ‚sinnlichem Bewußtsein‘, ‚wahrnehmendem Bewußtsein‘, ‚Verstand‘ usw., obwohl sie es weit eher Sinnesempfindung, Erfahrung nennen müßte; denn im Bewußtsein liegt mehr. Es wäre überhaupt recht interessant zu sehen, wie Hegel den Übergang von Bewußtsein zu Selbstbewußtsein, von Selbstbewußtsein zu Vernunft bilden wollte. Wenn der Übergang bloß in einer Überschrift besteht, so ist es leicht genug.“ (Pap. IV B 1, S. 147 Note / JC 156 Note). Übrigens legt die Erwähnung der sinnlichen Gewißheit in anderen Schriften Kierkegaards mitunter einen Bezug zu Hegels Behandlung nahe, vgl. z.B. Johannes Climacus in der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift: „Die sinnliche Gewißheit ist Trug (vergl. die griechische Skepsis und die ganze Darstellung in der neueren Philosophie, woraus man sehr vieles lernen kann) […].“ (SKS 7, 81 / GW1 XVI 10, 73; vgl. SKS K7, 144f.).
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anderen Terminologie bedienen: Johannes erfährt die Unabdingbarkeit des Widerspruchs von Idealität und Realität im Laufe einer triadischen Argumentation, die das Bewußtsein oder die Wiederholung vergeblich auf den einen oder den anderen Bestandteil des Widerspruchs zu reduzieren versucht.248 Wenn die Bedeutung des Widerspruchs und dessen Bekräftigung in dreiteiliger Argumentation Hegels und Kierkegaards Text verbindet, so trennt sie laut Stewart der Umgang mit dem Widerspruch: wo Hegels Text auf die Aufhebung des Widerspruchs zielt, behält in Kierkegaards Text die Aporie das letzte Wort.249 Die von Stewart am Begriff der Wiederholung ausgerichtete Beziehung zwischen Kierkegaards und Hegels Text erscheint in einem anderen Licht, wenn man bedenkt, daß die Enttäuschungen, die das natürliche Bewußtsein mit der sinnlichen Gewißheit erfährt, den für die Phänomenologie des Geistes programmatischen ‚sich vollbringenden Skeptizismus‘ einleiten. Die Berücksichtigung dieser Konzeption des Skeptizismus erfordert es, auf wichtige Vergleichsmomente – nämlich Anfang, Perspektivierung und Fortgang – in Hegels und Kierkegaards Text zu achten. Der Weg zum wahren Wissen beginnt für das natürliche Bewußtsein damit, daß es seine Gewißheiten ausspricht und in den geschilderten Widerspruch von Sagen und Meinen gerät; das natürliche Bewußtsein wird der Unwahrheit seines Wissens inne und bemüht sich in immer neuen Versuchen, eine Entsprechung von Wissen und Gegenstand des Wissens, das wahre Wissen, zu erlangen. Diese Versuche werden aus der Doppelperspektive des in seinen Versuchen befangenen natürlichen Bewußtseins (‚für es‘) und des unbefangenen Beobachters (‚für uns‘) verfolgt, wobei das andauernde Verzweifeln des Bewußtseins nur für den Beobachter als Durchführung des ‚sich vollbringenden Skeptizismus‘ erscheint. Der Fortgang der Versuche besteht deshalb seitens des Bewußtseins darin, den Verlust des vermeintlich wahren Wissens in den Gewinn des Wissens um die Unwahrheit des Wissens zu verkehren und dieses neue Wissen wiederum zu prüfen, während der Beobachter den Fortgang als durch bestimmte Negation organisiert und folglich als systematischen Fortgang begreift. Während das natürliche Bewußtsein zutraulich seine Gewißheit in Worte zu fassen versucht und damit den ‚sich vollbringenden Skepti248
249
J. Stewart „Hegel als Quelle für Kierkegaards Wiederholungsbegriff“, a.a.O., S. 313-316. Ebd. S. 316f.
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zismus‘ in Gang setzt, beschränkt sich Johannes auf das Reflektieren über den Zweifel. Johannes ist weder im ersten noch im zweiten Teil der Erzählung Zweifler in dem Sinne, daß er Überzeugungen äußert und diese dann freiwillig prüft oder unfreiwillig zu prüfen gezwungen wird.250 Wenn ein hier eingangs zitierter Entwurf darüber klagt, daß Hegel zu wenig Aufschluß über den für die Philosophie relevanten Zweifel bietet („In der Phänomenologie eine einzige Stelle […]“),251 so erübrigt sich diese Klage, sobald der Held sich zur Äußerung einer Überzeugung entschließen und damit den Weg des fortgesetzten Zweifels antreten könnte. An die Doppelperspektive der Vorlage erinnert in formaler Hinsicht vor allem der zweite Teil der Erzählung; während im ersten Teil die Erzähler- und Figurenperspektive in den Bericht des auktorialen Erzählers eingelassen sind, beschränkt sich der Erzähler im zweiten Teil weitgehend darauf, die referierten Überlegungen der Figur in Anmerkungen zu kommentieren. In inhaltlicher Hinsicht ähnelt die Perspektivierung der Vorlage eher dem ersten Teil der Erzählung: die Unterscheidung zwischen der Perspektive ‚für es‘ und ‚für uns‘ dort (zwischen dem den enttäuschenden Erfahrungen ausgelieferten Bewußtsein und dem um die Systematizität der Enttäuschungen wissenden Beobachter) begegnet hier in Gestalt des dem philosophischen Diskurs vertrauenden Johannes und des den Diskurs als Gerede durchschauenden und damit um Johannes’ zwangsläufige Enttäuschung wissenden Erzählers. Inwiefern der Erzähler auch dem Johannes des zweiten Teils überlegen bleibt – läßt man die in den Anmerkungen zur Schau gestellte überlegene philosophische Bildung einmal beiseite –, ist schwerer zu entscheiden; immerhin unterbleiben alle Anstalten, Johannes in seinem Ringen mit dem Widerspruch zugunsten eines Fortgangs der Erzählung beizustehen. Daß der Hegelsche Beobachter die Erfahrungen des natürlichen Bewußtseins begreift, wohingegen der Kierkegaardsche Erzähler (im zweiten Teil) lediglich philosophiegeschichtliche Bezüge zu den Überlegungen seines Helden herstellt, verweist auf die wesentlich verschiedene Anlage der Texte. Der bereits behandelte unterschiedliche Anfang zieht Unterschiede im Verlauf – und in der dazugehörigen Beobachterposition – nach sich. Das natürliche Bewußtsein erfährt die Unwahrheit seines Wissens und geht dazu über, das Wissen 250
251
Laut Entwurf sollte Johannes erst im dritten Kapitel des zweiten Teils der Erzählung selbst zweifeln, wobei sich die Durchführung des Zweifels der zehn skeptischen Tropen bedienen könne, Pap. IV B 13,14 / JC 160 [z.T.]. Pap. IV B 2,4.
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um die Unwahrheit seines Wissens zu prüfen, wobei für den Beobachter die für den Übergang verantwortliche bestimmte Negation ersichtlich ist. Johannes versagt sich das Vorbringen eigener Gewißheiten, die sich dem Zweifel aussetzen ließen, und verlegt sich auf transzendentale Überlegungen über den Zweifel; wenn in diesen Überlegungen auch eine an die Erfahrung des natürlichen Bewußtseins erinnernde dreiteilige Argumentation begegnet, darf nicht übersehen werden, daß sich Johannes mit keinem der in der Argumentation verwendeten einseitigen Standpunkte identifiziert. Solange sich der reflektierende Johannes aber zu keiner verbindlichen Aussage eigener Sicherheiten hinreißen läßt, bleibt die Vermittlungsleistung der bestimmten Negation verborgen, die die auf die Prüfung der Sicherheiten folgende Verunsicherung in eine neue, freilich neu zu prüfende Sicherheit verwandelt. Das Abbrechen der Erzählung läßt sich deshalb auch damit erklären, daß die am Beispiel der Wiederholung veranschaulichte Aporie für den aphatischen Johannes eine unaufhebbare Blockade bedeutet, zu deren Überwindung keine bestimmte Negation bereitsteht. Die Anlage der Erzählung verhindert also das Hervortreten des Übergangs, über dessen Unbegreiflichkeit sich der Erzähler mit Blick auf die Phänomenologie des Geistes mokiert (Pap. IV B 1, S. 147 Note / JC 156 Note). Ein Fazit. Indem sich Johannes am Prüfstein des Zweifels zu bewähren versucht, werden zwei Formen des Zweifels, der lächerliche und der ernste Zweifel, geprüft. Im ersten Teil der Erzählung erweist sich das gänzlich isolierte ‚de omnibus dubitandum est‘, das ein Kennzeichen der dänischen Hegel-Rezeption bildet, durch den Versuch einer Verwirklichung als nicht realisierbares Gerede. Der zweite Teil enthält intertextuelle Referenzen auf Hegels Phänomenologie des Geistes; da aber entscheidende Merkmale des Prätextes im Posttext keine Beachtung finden, bedeutet der durch die Übernahme formaler und inhaltlicher Merkmale angezeigte Bezug noch keine überzeugende Auseinandersetzung mit dem ‚sich vollbringenden Skeptizismus‘. Hinsichtlich der Textsorte ist zu bemerken, daß die programmatisch gegen den zeitgenössischen philosophischen Diskurs gerichtete Form der Erzählung nur ansatzweise entwickelt wird; in beiden Teilen verdrängt der konventionelle philosophische Diskurs (der immerhin die Mitteilbarkeit thematisiert) die literarische Diegese. Das Verdrängen der Diegese wird im folgenden noch daran demonstriert, daß der zweite Teil von Kierkegaards Erzählung die Momente seiner Hegelschen Vorlage ignoriert, die eine literarische Behandlung nahelegen.
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Daß gerade Hegels Behandlung der sinnlichen Gewißheit zur Literarisierung motivieren mag, verdeutlicht ein Kommentar von J. Loewenberg, der das einschlägige Kapitel der Phänomenologie des Geistes mit einer gelungenen Formulierung als ‚Komödie der Unmittelbarkeit‘ bezeichnet.252 Hegels dialektische oder ‚skeptisch-positive‘ Methode ist Loewenberg zufolge überhaupt mit der Komik verwandt: Briefly, the intent of the dialectical method is to impersonate the incongruous. The word which fitly describes such intent is the word ‚comic‘; for the aim of all comic art is to render ridiculous situations or characters that are out of joint. But the logical absurdity inherent in comic figures, when made manifest by faithful impersonation, furnishes its own logical catharsis. The recognition of a self-contradictory situation, it is believed, must lead to its abandonment. This postulate of rationalism, governing the construction of all genuine comedy, dominates Hegel’s Phenomenology. The Phenomenology is a comedy of errors ingeniously enacted in the interest of what Hegel conceives to be the truth. Successive impersonation of types of conception as comic, comic because they betray to ‚us‘ the contradictions hidden from their adherents, this is the task which Hegel assigns to the dialectical method.253
Mit Recht wird hier die Bedeutung der theatralen Darstellung in Hegels Werk hervorgehoben, der Dialektiker legt die Maske dessen an, an dem sich die innere Zerstörung entwickelt. Die Einsicht in die Verbindung von Dialektik und Komik tröstet darüber hinweg, daß Loewenberg die Verzweiflung des unfreiwilligen Komikers vernachlässigt und den intendierten ‚kathartischen‘ Prozeß nur andeutet. Mit Bezug auf Hegels Darstellung der sinnlichen Gewißheit betont Loewenberg die eminente Bedeutung des Aussprechens der Gewißheit; der Anfang des ‚kathartischen‘ Prozesses ist davon abhängig, daß sich das natürliche Bewußtsein um einen sprachlichen Ausdruck seines Vorwissens bemüht (und nicht beispielsweise schweigend Verifikation wie Falsifikation des Vorwissens verhindert).254 Sobald das natürliche Be252
253 254
J. Loewenberg „The Comedy of Immediacy in Hegel’s ‚Phenomenology‘ (II.)“ in Mind 44 (1935), S. 21-38. Ebd. S. 22. Loewenberg wendet gegen Hegels Darstellung der sinnlichen Gewißheit ein, daß darin die Entsprechung von Unmittelbarkeit und dem Diskurs über die Unmittelbarkeit, von sinnlicher Gewißheit und deren Darstellung, vorausgesetzt wird; „The contradiction is not in sense-certainty but only between it and discourse.“, ebd. S. 36. Vgl. C. Rossets Plädoyer für das ‚Prinzip der hinreichenden Wirklichkeit‘, Das Prinzip Grausamkeit, aus dem Französischen von P. Geble, Berlin 1994, S. 16-18. Für K.H. Bohrer ist Hegels Analyse der sinnlichen Gewißheit ein Musterbeispiel philosophischer Positivität, die den ‚negativen Augenblick‘ nicht zu fassen vermag, s. Ästhetische Negativität, München, Wien 2002, S. 138-140, 374 (vgl. ferner in bezug auf Hegels Kritik des unglücklichen Bewußtseins und Hegels Vorstellung vom Tod ebd. S. 160-166, 204f. bzw. S. 168f.).
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
wußtsein seine Gewißheit zur Sprache gebracht hat, entdeckt es seine unfreiwillige Antiphrasis, den Gegensatz von Sagen und Meinen – die ‚Komödie der Unmittelbarkeit‘ hat begonnen. Das performative Moment in Hegels Darstellung der sinnlichen Gewißheit ist mindestens so deutlich wie im einschlägigen Kapitel der Phänomenologie des Geistes in einer Passage der Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie ausgeprägt. Im Zusammenhang mit den Sokratikern, genauer dem Megariker Stilpon,255 bietet Hegel (mutatis mutandis) eine Kurzfassung des Dilemmas der sinnlichen Gewißheit; daß Kierkegaard mit dieser Passage gut vertraut war, belegt schon die Behandlung der Sokratischen Schulen in der IronieSchrift.256 Laut Hegel bedient sich Stilpons Eristik des verständigen Gegensatzes von bloß Allgemeinem und Besonderem, und sie besteht darin, das Allgemeine gegen das sich dem sprachlichen Ausdruck entziehende Besondere geltend zu machen; da Stilpon nur das bloß Allgemeine als Wahrheit anerkennt, gilt die Tautologie als Ausdruck des Wahren. Das Bewußtsein des Gegensatzes vom Sagen des Allgemeinen und Meinen dieses oder jenes Besonderen sieht Hegel in der gegenwärtigen Bildung dagegen vernachlässigt. Auf eine Widerlegung derer, die „unmittelbar [behaupten], das Unmittelbare sei das Wahre“257 – dazu zählt ausdrücklich der Skeptizismus neuerer Zeit –, kann jedoch verzichtet werden; diese müssen nur beim Wort genommen werden: Sie brauchen nur nach dem aufgefaßt zu werden, was sie sagen; sie sagen nämlich immer etwas anderes, als sie meinen. Es ist das Frappanteste, daß sie das gar nicht sagen können, was sie meinen. Sie sagen: das Sinnliche; dies ist ein Allgemeines, alles Sinnliche, ein Negatives des Diesen, – oder Dieser ist alle Diese. Das Denken enthält nur Allgemeines, das Diese ist nur ein Gemeintes; sage ich: Dieses, so ist es das Allgemeinste; z.B.: Hier ist das, was ich zeige, – Jetzt, indem ich rede; aber Hier und Jetzt ist alle Hier und Jetzt. Wenn ich sage: Ich, so meine ich mich, diese einzelne Person von allen anderen unterschieden. Ich bin aber eben so ein Gemeintes; ich kann mich, der ich meine, gar nicht sagen. Ich ist absoluter Ausdruck. Ich und kein anderer als Ich, – so sagen alle von sich; Ich ist jeder. Wer ist da? – Ich. – Das sind alle. Allgemeines ist; aber auch das Einzelne – ist nur Allgemeines, so sehr, daß im Wort, Sprache, einer Existenz aus dem Geiste geboren, das Einzelne, wie es gemeint wird, gar nicht Platz finden kann. Die Sprache drückt we-
255 256
257
Hegel Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I, TWA 18, 534-538. SKS 1, 259-262 / BI 221-224. Auf die Vertrautheit mit diesem Abschnitt der Hegelschen Vorlesungen ist vermutlich zurückzuführen, daß Kierkegaard in seinem Handexemplar von Entweder-Oder neben dem ‚Diapsalma‘ über die Tautologie (SKS 2, 47 / EO 48f.) auf Stilpon verweist, vgl. SKS K2-3, 110 (wo die Hegelsche Vorlage leider ignoriert ist). Hegel Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I, TWA 18, 536.
3.4. Der Prüfstein des Zweifels
175
sentlich nur Allgemeines überhaupt aus; was man aber meint, ist das Besondere, Einzelne. Man kann daher das, was man meint, in der Sprache nicht sagen.258
Die Apologeten der Unmittelbarkeit sind rhetorische Ironiker. Hegel analysiert die unvermeidliche Verwandlung des Gesagten ins Gegenteil des Gemeinten nicht nur, er inszeniert sie; zum Beispiel übernimmt er die Rolle des natürlichen Bewußtseins (das den gemeinen Menschenverstand, den neuesten Skeptizismus und die Philosophie der sinnlichen Gewißheit gleichermaßen repräsentiert) und führt vor, daß sich die Rede des natürlichen Bewußtseins in einer Weise gegen dessen Intentionen verkehrt, die an das verhängnisvolle Gespräch zwischen Odysseus und Polyphem gemahnt: „Wer ist da? – Ich. – Das sind alle.“ Ein zweites Beispiel. Hegel stellt die Verkehrung des Besonderen ins Allgemeine in äußerster Konzentration dar; eine vermeintlich selbstverständliche Feststellung über das Besondere muß man nur einen Augenblick gelten lassen – nur für die Dauer eines Gedankenstrichs –, schon ist das Besondere in das Allgemeine verwandelt: „Allgemeines ist; aber auch das Einzelne – ist nur Allgemeines […]“. Mit Blick auf Kierkegaards intertextuelle Referenz auf Hegels Darstellung der sinnlichen Gewißheit ist festzuhalten, daß die Performanz und Theatralität – also für eine Literarisierung günstige Merkmale – des Prätextes im Posttext ignoriert werden. Wenn man nun diesen Befund mit der bereits konstatierten Verdrängung der Diegese in Kierkegaards Text zusammennimmt, lautet das erstaunliche Ergebnis, daß der Hegelsche Prätext den Leser deutlicher involviert als der Posttext, der keinen ‚interessierten‘ Leser zu erzwingen vermag. Es ist gerade der auf den Leser ausgeübte Beteiligungsdruck, der die im nächsten Kapitel behandelte Schrift Entweder-Oder von dem Fragment Johannes Climacus unterscheidet. Obgleich das Fragment zu Kierkegaards Lebzeiten nicht veröffentlicht wurde, hinterläßt es Spuren in Kierkegaards Schriften, und zwar nicht nur in dem allgemeinen Sinne, daß die in Johannes Climacus behandelten Themen für Kierkegaards Philosophie zentral sind; vielmehr finden sich mehr oder weniger deutliche Bezugnahmen auf die Erzählung. Hier seien abschließend zwei Bezugnahmen angeführt, die Auslegungshilfen anbieten (beziehungsweise sich als solche verstehen lassen); dabei tritt auch die Notwendigkeit der Reserve gegenüber derartigen durch den Verfasser autorisierten Auslegungen hervor.
258
Ebd. 536f.
176
3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
Die erste Bezugnahme findet man im Korpus der unveröffentlichten Schriften. Aus Anlaß der Aristoteles-Lektüre (und zwar des dritten Kapitels des dritten Buchs von Aristoteles’ De anima) notiert Kierkegaard in Journal JJ, daß das erwähnte Kapitel ebenso durch den Begriff des Irrtums motiviert ist wie sein eigener „kleine[r] Aufsatz ‚De omnibus dubitandum‘“.259 Diese Feststellung ist in zweifacher Hinsicht befremdlich. Zum einen ist der von Kierkegaard fokussierte ‚Irrtum‘ dem Fragment De omnibus dubitandum est nicht ohne weiteres eindeutig zuzuordnen; zum anderen ist die Kennzeichnung des Fragments als Aufsatz auffällig, zumal dieser Aufsatz folgendermaßen spezifiziert wird: „worin ich meinen ersten Versuch einer kleinen spekulativen Entwicklung machte“.260 Ferner datiert Kierkegaard den Beginn seiner Arbeit an dem sogenannten Aufsatz auf die Mitte des Jahres 1843.261 Der Kommentator P. Tudvad hat versucht, Kierkegaards nachträgliche Fokussierung des ‚Irrtums‘ als Schlüsselbegriff von Johannes Climacus zu erklären; er bezieht den ‚Irrtum‘, für den sich in Kierkegaards Text kein expliziter Beleg findet, auf den von Johannes als irrig entlarvten philosophischen Diskurs oder auf den antiken Skeptizismus, dem die Absicht, Irrtümer zu vermeiden, beigelegt wird.262 Hier soll eine andere Erklärung vorgeschlagen werden, die überdies die ganze Journalaufzeichnung erhellt. Was Kierkegaard an Aristoteles’ Argumentation fasziniert und worin er die Verbindung zu seinem eigenen Versuch erblickt, ist die Bedeutung der Voraussetzung des Irrtums.263 Eines der Kriterien, mit deren Hilfe Aristoteles die Systematisierung der Sinnes- und Vernunftvermögen vornimmt, ist die Unterscheidung zwischen Vermögen, die immer wahre Erkenntnis liefern, und Vermögen, deren Erkenntnis wahr oder falsch ist; die Möglichkeit des Irrtums ist Indikator der letztgenannten. Dieser Unterscheidung der Vermögen entspricht bei Kierkegaard die Unterscheidung zwischen dem bewußtlosen Bewußtsein, für das alles wahr (und alles falsch) ist, und dem reflektierenden Bewußtsein, das Wahrheit und Falschheit kennt, die Unterscheidung zwischen der unbestimmten Unmittelbarkeit und der als Unmittelbarkeit bestimmten. Kierkegaards Held beantwortet die Frage nach 259 260 261 262 263
JJ:288, SKS 18, 231 / T 1, 340 [z.T.]. Ebd. Vgl. SKS K18, 369. Ebd. Vgl. Aristoteles Über die Seele, Griechisch-Deutsch, mit Einleitung, Übersetzung (nach W. Theiler) und Kommentar hrsg. v. H. Seidl, griechischer Text in der Edition von W. Biehl und O. Apelt, Hamburg 1995, S. 152 / 153 – 164 / 165 (427a 17 – 429a 9).
3.4. Der Prüfstein des Zweifels
177
der existentiellen Voraussetzung des Zweifels mit der Zwiefältigkeit, der notwendigen Kollision von Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit – und gibt damit auch eine Antwort auf die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit des Irrtums. Wenngleich ein einzelnes Moment aus dem Zusammenhang der Aristotelischen Erörterung isoliert wird, legt die hier vorgeschlagene Erklärung doch eine übereinstimmende Bedeutung des Irrtums bei Aristoteles und Kierkegaard (Johannes Climacus) frei; dagegen bleiben Tudvads Vorschläge – die eher einen landläufigen Irrtum denn dessen Bedeutung bei Aristoteles betreffen – unverbindlich. Da Kierkegaards Text die existentielle Voraussetzung des Zweifels aber erst im zweiten Teil thematisiert, ist zu vermuten, daß die Journalaufzeichnung mit Blick auf den zweiten Teil angefertigt wurde; diese Vermutung wird durch die übrigen Angaben der Aufzeichnung gestützt: aufgrund der verdrängten Erzählform mag der zweite Teil von Johannes Climacus als ‚Aufsatz‘, aufgrund des Inhalts als ‚Versuch einer kleinen spekulativen Entwicklung‘ bestimmt werden. Daß sich Kierkegaards Aufzeichnung auf den zweiten Teil bezieht, könnte auch die überraschende Datierung erklären; während der erste Teil, wie oben angemerkt, unter dem Eindruck der dänischen Hegel-Rezeption Ende der 1830er Jahre verfaßt scheint, mag die Arbeit am zweiten Teil mit seiner gewichtigeren Bezugnahme auf Hegel zu einem deutlich späteren Zeitpunkt vorgenommen sein (und Kierkegaard datiert sie mit der Mitte des Jahres 1843 ja auf einen Zeitpunkt, an dem zum Beispiel Entweder-Oder bereits publiziert ist!). Kierkegaards Aufzeichnung in Journal JJ ist also eine auf den zweiten Teil von Johannes Climacus bezogene Ergänzung. Kierkegaards zweite Bezugnahme auf Johannes Climacus steht in einer veröffentlichten Schrift. Da der Zweifel ein Leitmotiv in Kierkegaards Schriften bildet, sind natürlich zahlreiche Bezüge zur Johannes Climacus-Erzählung herstellbar. Eine Passage der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift sticht jedoch dadurch hervor, daß sie – zumindest auf den ersten Blick – die Erzählung in Form eines Gedankenexperiments evoziert und interpretiert, daß sich also der fiktive Autor der Nachschrift, Johannes Climacus, als Interpret der Erzählung versucht, die seinen Namen trägt.264 Das Pseudonym Johannes Climacus entwirft in der besagten Passage einen Plan, um zu demonstrieren, daß die wissenschaftliche Wahrheit niemals die existentiell relevante sein kann. Die Demonstration erfolgt dadurch, daß ein ‚existierender Zweifler‘ die Überwindung seines Zweifels von der Philosophie, und 264
SKS 7, 282f. / GW1 XVI 11, 11; vgl. z.B. SKS 7, 113f. / GW1 XVI 10, 110f.
178
3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
zwar ausdrücklich der Hegelschen, erhofft und sich dieser ganz und gar anvertraut. Es handelt sich um einen ironischen Plan in dem Sinne, daß durch maßlose Affirmation die Nichtigkeit des Affirmierten, hier die Irrelevanz wissenschaftlicher Wahrheit für den Existierenden, evident werden soll. Die rückhaltlose Überantwortung an die Philosophie führt drastisch vor Augen, daß die beängstigende Ungewißheit des ‚existierenden Zweiflers‘ durch kein von der Existenz abstrahierendes Wissen zu beruhigen ist. Das Vorbild für diesen Zweifler, den unfreiwilligen Ironiker, ist der Johannes der frühen Erzählung: ein gutgläubiger Jüngling, der sich ‚mit weiblicher Hingabe‘ und unerbittlicher Konsequenz der Philosophie anvertraut. Ein genauerer Vergleich der im Gedankenexperiment und in der Erzählung entworfenen Figuren läßt aber wichtige Unterschiede hervortreten. Der Held der Erzählung kann nur mit Einschränkungen als ‚existierender Zweifler‘ gelten: zum einen wird er nicht durch den Zweifel, sondern durch seinen idealen Habitus zur Philosophie getrieben; zum anderen ist es aufgrund dieser ätherischen Wesensart fraglich, ob gerade dieser Held die Existenz im Prozeß mit der Philosophie vertreten kann. (Ferner ist zu bedenken, daß sich der Held der Erzählung nicht der Hegelschen Philosophie anvertraut, sondern den Hegel-Rezipienten, und allenfalls einige Merkmale der Hegelschen Philosophie imitiert.) Eingedenk der angeführten Unterschiede ist festzuhalten, daß Kierkegaards (Johannes Climacus’) spätere Anspielung auf die Erzählung vielleicht als Anregung zur Interpretation beitragen, sie aber nicht ersetzen kann. Kierkegaards eigene Kommentare zu Johannes Climacus sind als unverbindliche Bereicherung der hier erarbeiteten Interpretation zu verstehen. Nach diesem Nachtrag zur Interpretation von Johannes Climacus wendet sich die Untersuchung nun Entweder-Oder zu. Während sich die Aufmerksamkeit in Johannes Climacus auf den Zweifel, vor allem auf den philosophischen Zweifel, konzentriert, werden in EntwederOder verschiedene Formen der Negativität dargestellt und in einer Diskussion gegenübergestellt; die in der Erzählung nur im Ansatz verwirklichte Literarisierung wird dabei vervollkommnet, um den Rezipienten in einen Diskutanten zu verwandeln.
3.5. Der Agon der Logoi (Entweder-Oder) Kierkegaards Entweder-Oder ist ein Ausdruck des ‚sich verzehrenden Skeptizismus‘, das heißt eines nicht zu beruhigenden Zweifels, der die Sicherheit des Wissens raubt und das Widerlager eines etwaigen
3.5. Der Agon der Logoi
179
Glaubens bildet. Die Artikulation dieses ‚sich verzehrenden Skeptizismus‘ soll einen Positionierungszwang vergegenwärtigen, ins Bewußtsein rufen, daß die Auseinandersetzung mit Glauben und Wissen keine Unbeteiligtheit zuläßt. Eine Verwissenschaftlichung des Zweifels, die den Zweifel als ‚negative Position‘, als doktrinelle Wissenskritik, versteht, ist dabei zu verhindern, da ein derart integrierter Zweifel seinen Positionierungszwang eingebüßt hätte. Der Zweifel, um dessen Artikulation es Kierkegaard zu tun ist, verwehrt eine zugunsten des Wissens oder des Glaubens vorgenommene Moderation. Kierkegaard kommuniziert den ‚sich verzehrenden Skeptizismus‘ in Entweder-Oder dadurch, daß unvereinbare Positionierungsmöglichkeiten in dem von Zweifel, Wissen und Glauben eröffneten Raum literarisch dargestellt und miteinander konfrontiert werden. Diese Positionierungsmöglichkeiten lassen sich mit Hilfe des Begriffs der Läuterung charakterisieren. Wer die eingeschränkte Gültigkeit seines Wissens erfährt, urgiert die Vernichtung der Gewißheiten, um durch diese schmerzliche Reinigung – vielleicht – einer endgültigen Gewißheit teilhaftig zu werden; wo sich jede Gewißheit in beliebig potenzierbaren Entzweiungen verflüchtigt, soll die Reinigung vom bloß Entzweiten eine gegen jede Verflüchtigung immune Gewißheit verschaffen; oder in Anlehnung an das Vokabular der IronieSchrift: wer am ausschließlich geltenden Mehr oder Weniger, am stets verhandelbaren Maß leidet, arbeitet dem absoluten Nichts oder der unendlichen absoluten Negativität zu, um einen unumstößlichen Maßstab zu erhalten. Die von Kierkegaard in Entweder-Oder dargestellten Standpunkte sind insofern Läuterungsversuche, als mit ihnen eine Überwindung der als bedingt durchschauten Gewißheiten zugunsten einer unbedingten Gewißheit angestrebt ist; diese Versuche unterscheiden sich dadurch voneinander, mit welcher Radikalität das bloß Bedingte der Vernichtung jeweils preisgegeben wird und vor allem von welcher Perspektive aus das absolute Nichts geltend gemacht wird. Die drei Standpunkte, die in der Interpretation behandelt werden, lassen sich mit Hilfe des letztgenannten Unterscheidungsmerkmals so kennzeichnen: die ästhetische Lebensanschauung, der erste Standpunkt, verbleibt vor dem absoluten Nichts; die ethische Lebensanschauung, der zweite Standpunkt, bezieht sich auf das zurückliegende absolute Nichts; der mit dieser ‚Rückschau‘ verbundenen Gefahr der Relativierung, der Vergegenständlichung des absoluten Nichts begegnet schließlich der dritte, in der Predigt des „Ultimatums“ entworfene Standpunkt (gewissermaßen eine Revision des zweiten Standpunkts).
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
Die Literarizität von Entweder-Oder sorgt dafür, daß der Rezipient die angedeuteten Positionierungsmöglichkeiten nicht teilnahmslos registriert, sondern sie als Möglichkeiten einer von ihm zu leistenden, immer schon vollzogenen wie neu zu vollziehenden Positionierung erfährt. Der Zusammenhang zwischen den Positionierungsmöglichkeiten und den in Kierkegaards vorhergehenden Schriften thematisierten Möglichkeiten der Läuterung ist leicht herstellbar, man denke zum Beispiel an die in Über den Begriff der Ironie behandelten Formen negativer und positiver Freiheit. In Entweder-Oder werden diese Standpunkte allerdings in der Rede imaginärer Vertreter vorgetragen und durch die Verflechtung und Verschachtelung der fiktiven Autoren in eine nicht harmonisierbare Auseinandersetzung gebracht. Diese Auseinandersetzung hat die Eigenschaft, jeden Beobachter in einen Teilnehmer zu verwandeln. Der Rezipient des Texts wird auf die Bedeutung der Positionierung aufmerksam, ohne daß er eine der im Text vorgestellten Positionen übernehmen müßte oder gar zur Übernahme einer präferierten Position gedrängt würde. Er erhält den Appell, seine eigene Position zu klären. In der folgenden Interpretation werden zunächst die drei erwähnten Positionen behandelt, wobei die jeweilige Perspektivierung des in der Läuterung implizierten absoluten Nichts als Fokus dient (in diesem Zusammenhang erfährt auch die Beziehung zum Zweifel Aufmerksamkeit). Mit der Perspektivierung des absoluten Nichts ist das Problem der Verständigung über das absolute Nichts, des angemessenen Ausdrucks, verbunden; diese Problematik begleitet die Interpretation in dreierlei Gestalt: in Gestalt des Ausdrucks der Positionen; der Verständigung zwischen den Positionen; und des Appells, der an den Beobachter des Diskurses ergeht. Inwiefern Entweder-Oder durch diesen Appell den ‚sich verzehrenden Skeptizismus‘ artikuliert, verdeutlicht die Interpretation schließlich durch den Bezug auf einen vergleichbaren Diskurs – den Agon der Logoi aus den Wolken des Aristophanes. Die Untersuchung des in Entweder-Oder dargebotenen Diskurses darf natürlich den nicht übergehen, der die Veröffentlichung verantwortet – den Herausgeber Victor Eremita. Am Anfang seines Vorworts steht der Zweifel, der pointierte Hinweis auf das zweifelhafte Verhältnis von Äußerem und Innerem: „Es ist dir vielleicht doch schon zuweilen eingefallen, lieber Leser, an der Richtigkeit des bekannten philosophischen Satzes, daß das Äußere das Innere, das Innere das Äußere sei, ein bißchen zu zweifeln.“ (SKS 2, 11 / EO 11). Die Polemik richtet sich also gegen die durch ein Schlagwort aufgeru-
3.5. Der Agon der Logoi
181
fene ‚Aufhebung‘, die vernünftige Vermittlung verständiger Gegensätze (sei das Schlagwort nun mit Bezug auf Hegels Philosophie oder ein daran anschließendes Philosophieren gewählt).265 Indem Victor Eremita den „bekannten philosophischen Satz[]“ des spekulativen Zusammenhangs beraubt und ihn in die alltägliche Kommunikation zwischen Herausgeber und Leser einbettet, wirkt der Satz freilich widersinnig; wie sehr sich eine solche Transposition der spekulativen Rede auch für eine Polemik eignet, sie birgt die Gefahr, daß sich die Kritik im Aufzeigen der selbst verfertigten Widersinnigkeit erschöpft (Vorteil wie Nachteil dieses Verfahrens veranschaulichen die bereits behandelten ‚Hegel-Spiele‘). Victor Eremitas Zweifel ist nicht mehr und nicht weniger als eine Problematisierung der Vermittlung, die unentschieden läßt, ob sie dem Kurzschluß von Äußerem und Innerem, also einer mit den Mitteln der Verstandes zuwege gebrachten Vermittlung, oder aber der vernünftigen Vermittlung gilt. Und diese Unentschiedenheit ist charakteristisch für den Herausgeber. Der Zufall beschert ihm Gelegenheiten zur Aufdeckung von Widersprüchen zwischen dem Äußeren und dem Inneren: den rätselhaften Sekretär, der plötzlich seine Diskretion aufgibt und das Geheimfach mit den Papieren offenbart; und natürlich die so aufgefundenen Papiere selbst, durch deren Lektüre sich Victor Eremita in das Innenleben der Verfasser einschleicht. Obgleich der Herausgeber in seinem eingangs geäußerten Verdacht nur bestätigt wird, zeugt sein erster Kommentar zu den Papieren keineswegs von einer skeptischen Lektürehaltung: In diesen Papieren erhielt ich Gelegenheit, einen Einblick in das Leben zweier Menschen zu tun, der meinen Zweifel daran, daß das Äußere das Innere sei, noch bestärkte. Das gilt insonderheit von dem einen der beiden. Sein Äußeres hat mit seinem Inneren in vollkommenem Widerspruch gestanden. Auch von dem andern gilt es bis zu einem gewissen Grade, insofern er unter einem ziemlich unbedeutenden Äußeren ein recht bedeutendes Inneres verborgen hat. (SKS 2, 12 / EO 12)
Der selbsternannte Anwalt des Zweifels vertraut den Papieren wie seinem Verständnis derselben. Der Verdacht, daß sich der Widerspruch von Äußerem und Innerem im Zeugnis des Innenlebens wiederholen könnte, daß der Ausdruck des Inneren nicht das Innere sei, kommt hier nicht auf. Das Vertrauen und Selbstvertrauen des Herausgebers veranschaulicht die Selbstverständlichkeit, mit der er das Verhältnis zwischen äußerer Erscheinung und innerem Wesen der Verfasser bestimmt, zumal er Informationen über das Auftreten der unbekannten Verfasser nur den Papieren entnehmen kann (und zwar 265
Vgl. z.B. SKS K2-3, 85f.
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
vor allem den Papieren einer Partei, des Ethikers, dem der Herausgeber wohl das „recht bedeutende[] Innere[]“ bescheinigt). Die Reserviertheit gegenüber der philosophischen Aufhebung beeinträchtigt zumindest nicht Victor Eremitas Vertrauen, daß das Innere zu äußern und das Verhältnis von Äußerem und Innerem zu ermitteln ist.266 Das Vorwort belegt ferner, wie gewissenhaft, mitunter betulich der Herausgeber seiner Aufgabe gerecht zu werden versucht. Daß er die Papiere übrigens zunächst der Umstände halber in einem „Mahagonikasten, in dem sonst ein paar Pistolen zu liegen pflegten“ (SKS 2, 14 / EO 15), verwahrt, illustriert deren Brisanz und läßt ein Duell assoziieren – eine Andeutung des in den Papieren ausgetragenen Agon. Durch seine Titelwahl hebt Victor Eremita die Unvereinbarkeit der an diesem Streit beteiligten Parteien hervor, zugleich wiederholt er den Zweifel an der philosophischen Vermittlung, die kein fixes Entweder-oder akzeptiert. Hegel verwendet den Ausdruck ‚Entwederoder‘ als Kennzeichen der Verständigkeit;267 und in der Debatte über Hegels Vermittlung und deren Berechtigung in der Theologie, die Ende der 1830er Jahre die dänische Intelligenz beschäftigt, wird das Entweder-oder oder Aut-aut regelrecht zum Slogan.268 Victor Eremita verwendet diese Parole jedoch in einem neuen Zusammenhang, er forciert damit den unaufhebbaren Gegensatz zwischen zwei Lebensanschauungen. Die Titelwahl mobilisiert vertraute Diskussionszusammenhänge und verdeutlicht durch deren Transposition zugleich die Eigenständigkeit der Papiere des Ästhetikers und des Ethikers. Die Autonomie der Papiere betont auch die Enttäuschung einer identifikatorischen Neugierde. Victor Eremita schätzt das Schweigen der Papiere darüber, ob und gegebenenfalls zugunsten welcher Lebensanschauung sich die Verfasser einigen, da dieses Schweigen die Aufmerksamkeit des Lesers von den Vertretern der Lebensanschauungen auf die Anschauungen selbst lenkt. Derart direkte Lektürean266
267
268
Die Annahme einer Übereinstimmung von Ausdruck und Innerem legen z.B. auch die mit größter Selbstverständlichkeit angestellten graphologischen Vermutungen nahe (SKS 2, 14f. / EO 15f.). Stellvertretend sei hier ein Zitat aus Glauben und Wissen wiederholt: „[…] das Entweder, Oder, was ein Princip aller formalen Logik und des der Vernunft entsagenden Verstandes ist“ (GuW 399). Auf diese Debatte wurde im Zusammenhang mit Kierkegaards ‚spekulativer christlicher Erkenntnislehre‘ in Journal HH schon einmal hingewiesen (Kap. 3.3.1.). Vgl. die Rekonstruktion der Debatte bei V. Kuhr Modsigelsens Grundsætning, Kjøbenhavn og Kristiania 1915; J. Stewart „The Title ‚Either/Or‘ and Its Origin“ in Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, New York 2003, S. 184-195.
3.5. Der Agon der Logoi
183
weisungen werden durch indirekte ergänzt. Anläßlich der Beschäftigung mit den Papieren des Ästhetikers und dem potenzierten Herausgeberverhältnis (der Ästhetiker erscheint als Herausgeber des „Tagebuchs des Verführers“) räumt Victor Eremita ein, daß die unglaubwürdige Verschachtelung der Autoren seine eigene Glaubwürdigkeit gefährdet; in rezeptionsästhetischer Begrifflichkeit: der (implizite) Autor läßt den fiktiven Herausgeber die Herausgeberfiktion eines expliziten Autors kommentieren. Der Text verweist damit auf das Artifizielle seines Aufbaus, er signalisiert die eigene Fiktionalität. Durch diese Signale wird der Rezipient zum einen in kritische Distanz zum Text gerückt, die unmittelbare Anteilnahme am illusionären Geschehen soll ebenso verhindert werden wie die unkritische Übernahme von textimmanenten Deutungsangeboten, allen voran von Victor Eremitas Verständnishilfen; zum anderen wird die Relevanz des Texts als eines Experiments angedeutet, das den aktivierten Rezipienten betrifft.269 Das Vorwort annonciert Entweder-Oder als das Manifest zweier unvereinbarer Lebensanschauungen, mit denen zwei Ausprägungen der existentiellen Widersprüchlichkeit von Äußerem und Innerem korrespondieren. Es mahnt zugleich zu einer kritischen und engagierten Lektüre, die sich auch in der Zurückhaltung gegenüber dem unzuverlässigen Verfasser des Vorworts und dem darin Annoncierten zu bekunden hat. Die Untersuchung widmet sich im folgenden den in den Papieren von A und B vertretenen Standpunkten und deren jeweiliger Beziehung zum absoluten Nichts, zu der jedes Entweder-oder destruierenden Negativität.
269
Vgl. W. Baumgartner „Natürlich, ein altes Manuskript … Die Herausgeberfiktion in Almqvists ‚Amorina‘ und in Kierkegaards ‚Entweder-Oder‘ – zum fiktionalen Kommunikationsangebot zweier romantischer Romane“ in Festschrift für Oskar Bandle, hrsg. v. H.-P. Naumann, Basel, Frankfurt a.M. 1986, v.a. S. 271-283. Zu Recht widerspricht Baumgartner in seiner rezeptionsästhetisch ausgerichteten Arbeit der ‚intentionalistischen‘ Lektürepraxis, die Kierkegaards Selbstauslegungen für verbindlich erklärt; in seiner von derartigen Vorgaben befreiten Textinterpretation erscheint Entweder-Oder als den Zeugnissen der romantischen Ästhetik entsprechendes ‚offenes Kunstwerk‘: „Weder Kierkegaards Theorie der indirekten Mitteilung noch die ironische Fiktionspraxis von ‚Entweder-Oder‘ läßt sich wirkungstheoretisch aufgrund ihres vorgewußten christlich-religiösen Fluchtpunkts von Texten unterscheiden, die intentional der Ästhetik romantischer Ironie entsprungen sind. Als Kommunikationsangebot funktionieren sie wie alle fiktionalen Texte, deren kalkulierte Unbestimmtheit zu ihrer Appellstruktur gehört […] [.]“, ebd. S. 276.
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
3.5.1. Das willkürliche Nichts Um die Beziehung der ästhetischen Lebensanschauung zum absoluten Nichts zu verstehen, werden drei Texte des Ästhetikers untersucht: die Sammlung der „Diapsalmata“, „Der Reflex des antiken Tragischen in dem modernen Tragischen“ und „Die Wechselwirtschaft“. Das Motto der „Diapsalmata“ (SKS 2, 25-52 / EO 27-55) gibt mit dem „[…] tout n’est rien“ (SKS 2, 26 / EO 27) das Thema vor, das die Aphorismen des Ästhetikers verbindet und das sie refrainartig wiederholen.270 Aber Nichts kann bekanntlich auf mehrere Weisen verstanden werden. Das Nichts der Diapsalmata bezeichnet die Nichtigkeit einer nur mittelbaren Existenz. Der Existierende ermangelt des unmittelbar evidenten Sinns und ist dem Spiel beliebig zu vervielfältigender und aufeinander verweisender Sinnangebote ausgeliefert. Das Sinnbedürfnis wird durch diese Surrogate gesteigert. Wer sich den Angeboten zuwendet, hat gegen ein unmittelbares Verhältnis zum Leben die ‚maßlose‘ Reflexion über das Leben eingetauscht: „Meine Betrachtung des Lebens ist ganz und gar sinnlos. Ich nehme an, daß ein böser Geist mir eine Brille auf die Nase gesetzt hat, deren eines Glas in ungeheurem Maßstabe vergrößert, deren anderes Glas im gleichen Maßstabe verkleinert.“ (SKS 2, 33 / EO 33). Die Wirklichkeit scheint im Spiel zu erwägender Möglichkeiten zu verschwinden; dem bloß Reflektierenden entzieht sich die unmittelbare Präsenz: der gegenwärtige Augenblick wird wohl oder übel als bereits vergangen oder noch bevorstehend erfahren. Das Bewußtsein der Haltlosigkeit aller Reflexionen, die als ersatzweise Fülle die zugrundeliegende Leere überdecken, äußert sich zum Beispiel als cafard. Eine pseudoverständige Begründung dieses Überdrusses an der Verständigkeit, die Begründung der Weigerung, den Schein sinnvoller Entscheidungen aufrechtzuerhalten, nimmt sich natürlich lächerlich aus: „Gar nichts mag ich. Ich mag nicht reiten, das ist eine zu starke Bewegung; ich mag nicht gehen, das ist zu anstrengend; ich mag mich nicht hinlegen, denn entweder müßte ich liegenbleiben, und das mag ich nicht, oder ich müßte wieder aufstehen, und das mag ich auch nicht. Summa summarum: gar nichts mag ich.“ (SKS 2, 28 / EO 28). Die Unzufriedenheit dessen, der um die Nichtigkeit der Reflexion weiß, nimmt zu angesichts der Begeisterung für die Reflexion, die die Mitwelt kennzeichnet. Das Bedürfnis eines unbedingten Halts ist dieser Mitwelt fremd, weil der Verstand für die Erfüllung aller Bedürfnisse sorgt. Der Ästhetiker beobachtet die zeitgenös270
Vgl. zur Verbindung von Diapsalma und Kehrreim SKS K2-3, 87f.
3.5. Der Agon der Logoi
185
sische Reflexionskultur, die der von Hegel als aufklärerischer Eudämonismus bezeichneten Variante entspricht. Eine Kostprobe: […] Ich sah, daß es der Sinn des Lebens ist, einen Broterwerb zu finden, und sein Ziel, Justizrat zu werden; daß es die reiche Lust der Liebe ist, ein wohlhabendes Mädchen zu heiraten; daß es der Freundschaft Seligkeit ist, einander in Geldverlegenheiten auszuhelfen; daß Weisheit ist, was die meisten darunter verstehen; und daß Begeisterung ist, eine Rede zu halten; daß Mut ist, eine Geldstrafe von 10 Talern zu riskieren; daß Herzlichkeit ist, nach einem Mittagessen ‚Wohl bekomm’s!‘ zu sagen; daß Gottesfurcht ist, einmal im Jahr zum Abendmahl zu gehen. Das sah ich, und ich lachte. (SKS 2, 43 / EO 44)
Mit der kleinlichen Auflistung gesonderter Lebensbereiche samt zugeordnetem Sinn ist dieser ‚Schöpfungsbericht‘ die formale Nachahmung des geschilderten Glücks im Bedingten, das von keinem unbedingten Bedürfnis getrübt wird und das dem Befund entspricht, daß die Zeit ohne Leidenschaft ist.271 Die Zufriedenheit im Bedingten beruht auf dem Verzicht auf einen sich über alle Bedingungen hinwegsetzenden Anspruch (in welcher Gestalt dieser auch erhoben werden mag). Der Ästhetiker hält diesem Anspruch die Treue; sein Zweifel wacht darüber, daß der Anspruch nicht unmerklich abstumpft. Bevor den Anstrengungen nachgegangen wird, die der Ästhetiker zur Erfüllung seines unbedingten Anspruchs unternimmt, eine Bemerkung über den Zweifel. Der Zweifel des Ästhetikers konserviert den unbedingten Anspruch und verhindert zugleich dessen Erfüllung. Dieser Zweifel hat nämlich die Züge des bloß aburteilenden Skeptizismus, der den Aburteilenden selbst vom strengen Gericht ausnimmt. Solange sich der Zweifel nicht gegen den Zweifelnden selbst richtet, bleibt diesem nur das eintönige Geschäft des Aburteilens im Dienste der Langeweile.272 271 272
Z.B. SKS 2, 36 / EO 37. Vgl. „Der Zweifler ist ein Μεµαστιγωµενος; wie ein Kreisel hält er sich je nach den Peitschenschlägen für kürzere oder längere Zeit auf der Spitze, zu stehen vermag er nicht, ebensowenig wie der Kreisel.“ (SKS 2, 33 / EO 33f.). Die Untauglichkeit des Zweifels als Standpunkt beruht auf der Annahme, der Zweifler habe einmal von allen Bestimmungen zu abstrahieren und diese Abstraktion dann ohne konkretes Widerlager zu fixieren. Der bloß aburteilende Skeptizismus entgeht dem Dilemma, indem er gar nicht erst eine absolute Abstraktion beabsichtigt, sondern das zweifelnde Subjekt unangetastet läßt; um in Erscheinung zu treten, ist dieses allerdings auf die Vorgabe zu negierender Positionen angewiesen. Um einem Mißverständnis vorzubeugen, ist hinzuzufügen, daß auch der ‚sich verzehrende Skeptizismus‘ von dem im Diapsalma illustrierten Dilemma nicht betroffen ist. Dieser Skeptizismus verlangt vom Zweifler nicht eine einmalige und einseitig zu fixierende Abstraktion, sondern dem Bedingten wie dem Unbedingten gerecht zu werden (durch wiederholte Vergegenwärtigung der Bedingtheit des Wissens und der Unbeweisbarkeit des Glaubens). Der Zweifler ähnelt in diesem Fall – um ein dem Diapsalma entsprechendes Bild zu verwenden, das aber nicht überstrapaziert werden darf – dem Flagellanten.
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
Die pathetische Klage des Ästhetikers über seinen alles verzehrenden Zweifel, der den Aufenthalt in der verdrießlichen Leere verlängert, täuscht hinsichtlich der Radikalität dieses Zweifels: „[…] Und was sollte mich auch zerstreuen können? Ja, wenn ich eine Treue zu sehen bekäme, die jede Prüfung bestünde, eine Begeisterung, die alles trüge, einen Glauben, der Berge versetzte; wenn ich einen Gedanken fühlte, der das Endliche und das Unendliche verbände! Der giftige Zweifel meiner Seele aber verzehrt alles.“ (SKS 2, 46 / EO 48). Um die Leere zu überwinden, müßten die vermißten Leidenschaften den Zweifler anders betreffen denn nur als Zerstreuungsmittel – vor einer rückhaltlosen Betroffenheit nimmt er sich jedoch in Acht. Die im Dienste der Zerstreuung instrumentalisierten Leidenschaften entsprechen letztlich den spießbürgerlich herabgestimmten, deren Lächerlichkeit die oben zitierte Liste demonstriert. Vom Standpunkt des exklusiven Zweifels aus läßt sich die Reflexionskultur zwar nicht überwinden, wohl aber ein Ablenkungssystem ersinnen, wenn sich der Zweifler nur zu seiner Selbstherrlichkeit bekennt und diese zu gebrauchen versteht; ein gutes Beispiel für ein perfektes Ablenkungssystem wird später die ‚Wechselwirtschaft‘ abgeben. Während der ästhetische Zweifler also beklagt, wovon er insgeheim profitiert, enthalten die „Diapsalmata“ auch einige Ansätze, die diagnostizierte Reflexionskultur zu überwinden. Als Ansporn dienen dabei Spuren der Unmittelbarkeit, die sich in der Gegenwart erhalten haben: zu ihnen zählt zum Beispiel die Naivität des Kindes oder die literarische Darstellung von Leidenschaften.273 Diese Spuren erinnern an den unbedingten Anspruch, wenn die Erinnerung angesichts der herrschenden Korrumpierung des Anspruchs auch schmerzlich ist. Den Schmerz verschlimmert, daß die Spuren keine Anleitung zur Überwindung der Reflexionskultur geben, so daß sich der von der Erinnerung ausgehende Impuls in Resignation verkehren kann: die Unreflektiertheit des Kindes ist unwiderruflich verloren, die Kunst als Schutzzone der Leidenschaften zeugt gerade von der Perfektion der Reflexionskultur, die sie gefährdende Impulse in den Bereich literarischer Fiktion kanalisiert und darin freizügig schalten und walten läßt.274 Der Ästhetiker begnügt sich weder mit der Elegie auf die ver273
274
Vgl. z.B. die Diapsalmata über das Verblassen der kindlichen Farbenfreude und über Oehlenschlägers Aladdin SKS 2, 31 / EO 31f. bzw. SKS 2, 30 / EO 30f. Im Wettstreit der Künste gebührt der Musik eine Sonderstellung als dem der Idee der Unmittelbarkeit entsprechenden Medium; hierzu ist natürlich die Abhandlung über das ‚Musikalisch-Erotische‘ zu vergleichen.
3.5. Der Agon der Logoi
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lorene Unmittelbarkeit – die allenfalls um den Preis der Selbstaufgabe in Schlaf und Tod wiederzuerlangen ist –275 noch mit der artistischen Ersatzhandlung. Er gibt sich nicht mit einer bewußtlosen oder ersatzweisen Erfüllung seines Anspruchs zufrieden; vielmehr verlegt er sich auf den Versuch, die konstatierte Mittelbarkeit ins Extrem zu treiben, auf daß die selbstbewußt gesteigerte und beherrschte Mittelbarkeit in eine neue Unmittelbarkeit umschlage. Das Programm dieser selbst wiederhergestellten Unmittelbarkeit enthält das folgende Diapsalma: Mein Leid ist meine Ritterburg, die einem Adlerhorste gleich hoch oben auf der Berge Gipfel in den Wolken liegt; keiner kann sie erstürmen. Von ihr fliege ich hinunter in die Wirklichkeit und packe meine Beute; aber ich bleibe dort unten nicht, meine Beute bringe ich heim, und diese Beute ist ein Bild, das ich hineinwebe in die Tapeten auf meinem Schloß. Dort lebe ich wie ein Toter. Alles Erlebte tauche ich hinab in die Taufe des Vergessens zur Ewigkeit der Erinnerung. Alles Endliche und Zufällige ist vergessen und ausgelöscht. Da sitze ich als ein alter, ergreister Mann, gedankenvoll, und erkläre mit leiser Stimme, fast flüsternd, die Bilder, und neben mir sitzt ein Kind und hört zu, obwohl es sich an alles erinnert, noch eh’ ich es erzähle. (SKS 2, 51 / EO 54)276
Der Ästhetiker nutzt die völlige Entfremdung von der Wirklichkeit, sein ‚Abgestorbensein‘, um die Wirklichkeit nach seinem Willen neu zu erschaffen. Seine Kunst besteht darin, jede Verbindlichkeit der Wirklichkeit zurückzuweisen, um ihr als unverbindlichem Material Bedeutungen zuweisen, sie in ein Bild verwandeln zu können. Wenn die Wirklichkeit ihre Bedeutung nur dieser willkürlichen und widerruflichen Zuweisung verdankt, genießt der Ästhetiker die eigene Macht. Das Programm des Diapsalmas ist aber erst dann durchgeführt, wenn der Ästhetiker die zugewiesenen Bedeutungen als verbindlich erfährt, wenn die Textur der Bilder so dicht ist, daß die unter Aufwendung der Reflexion erzeugten Bilder den Bildner selbst bannen und quasi die sentimentalische und naive Empfindungsweise kurzschließen. Die Kunst des Ästhetikers darf nicht mit der die Wirklichkeit komplementierenden verwechselt werden, die eine leidenschaftslose Zeit mit dargestellten Leidenschaften unterhält; seine Kunst ist Neuschöpfung der Gegenwart ‚für ihn‘, sie läßt das Leben ganz und gar in einer Reproduktion des Lebens aufgehen. Die musterhafte Verwirklichung dieses Programms ist „Das Tagebuch des Verführers“. In der vorletzten Aufzeichnung – in der Johannes zu 275 276
Z.B. SKS 2, 38f. / EO 39. Vgl. Adornos Kommentar zu diesem Diapsalma im Zusammenhang der ‚Paradoxien des Ästhetischen‘, Kierkegaard. Konstruktion des Ästhetischen. Mit einer Beilage, neue, um die Beilage erweiterte Ausgabe, Frankfurt a.M. 1962, S. 118-123.
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
Cordelia aufbricht, um die hyperreflexiv arrangierte Verführung zu vollenden – notiert der Verführer: „Alles ist Bild, ich selbst bin ein Mythos meiner selbst […]“ (SKS 2, 431 / EO 520 [Hervorhebung d. Verf.]). Das ‚Alles ist Bild‘ ersetzt das ‚Alles ist Nichts‘. Und doch ist die Herrschaft der Reflexion nicht gebrochen, solange das schöpferische Subjekt die Wiederherstellung der Unmittelbarkeit verantwortet und diese Verantwortung allenfalls im ekstatischen Augenblick vergißt. Die Reflexion verbirgt sich in der Beziehung des unbedingten Subjekts, das seine Unbedingtheit durch Ausschluß des Bedingten sichert, zum Objekt, das als Material die subjektive Neuschöpfung bedingt. Diese der Willkür des Subjekts vorenthaltene Beziehung veranschaulicht das zitierte Diapsalma dadurch, daß der Bildner, wie gewaltig der Abstand zwischen seiner Erhabenheit und der niederen Wirklichkeit auch sein mag, auf Raubzüge in der Wirklichkeit angewiesen bleibt. Auch die triumphierenden Worte Johannes des Verführers widerlegen sich selbst, sind Ausdruck einer aufgeschobenen Unmittelbarkeit: der Kommentator hält Abstand vom kommentierten Bild, er bleibt Beobachter. Der dargestellte Versuch, die Reflexionskultur durch die selbst wiederhergestellte Unmittelbarkeit zu überwinden, widerlegt sich selbst. Kierkegaard gestaltet hier die Kritik aus, die sich zuvor mit der andeutungsweisen Darstellung einer ironischen Existenz begnügte (die Kritik der romantischen Ironie in der Ironie-Schrift). Der Ästhetiker ist ein Vertreter der Ironie oder ‚Willkür‘, die Hegel wie Kierkegaard wegen mangelhafter Negativität als Läuterungsmöglichkeit disqualifizieren; es wird sich jedoch insbesondere in der Abhandlung über das Tragische zeigen, daß der Ästhetiker diese Ironie trotz der durchschauten Widersprüchlichkeit vertritt. Wenn der Ästhetiker gegen die Reflexionskultur revoltiert, hat konsequenterweise auch seine Mitteilung gegen die für den Verstand gültigen Mitteilungsregeln zu verstoßen. Ein auffälliges Zeugnis dieses Verstoßes ist das Diapsalma „‚Entweder-Oder‘. Ein ekstatischer Vortrag“ (SKS 2, 47-49 / EO 49-51). Darin wird in einer Suada die ‚Gleichgültigkeit‘ der gegensätzlichen Existenzmöglichkeiten proklamiert: „Heirate, du wirst es bereuen; heirate nicht, du wirst es auch bereuen; heirate oder heirate nicht, du wirst beides bereuen; entweder du heiratest oder du heiratest nicht, du bereust beides.“ (SKS 2, 47 / EO 49), und so weiter. Die unter der Maske des Sokrates verkündete Lebensweisheit der Vergleichgültigung schlechterdings aller Gegensätze wird als Standpunkt vorreflexiver Unmittelbarkeit propagiert. Der Vortragende will sich der Determination wie der Negation
3.5. Der Agon der Logoi
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enthalten, um die Büchse der Pandora gar nicht erst zu öffnen, die zum Beispiel den Gegensatz von Äußerem und Innerem samt den damit verbundenen Mißverständnissen enthält. Obwohl die zitierte Mitteilungsform Hegels vernünftigem Satz – mit dem systematischen Verstoß gegen den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch – gleicht, distanziert sich der Vortragende entschieden von der Mediation: sein Ausdruck gilt einer vorreflexiven Unmittelbarkeit, die der Gefahr, sich der Reflexion durch Ausschluß der Reflexion zu ergeben, entgeht. Der Vorteil dieses Philosophems liegt auf der Hand: da man sich zur Unmittelbarkeit in kein Verhältnis setzen kann, ohne sie in Mittelbarkeit zu verwandeln, ist die vorgetragene Philosophie ‚unwidersprechlich‘. Der Nachteil besteht darin, daß sie auch unaussprechlich ist. Indem man die unreflektierte Unmittelbarkeit ausspricht, ist sie der Reflexion, der Entgegensetzung von Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit, gewichen. Diese mit dem Aussprechen vollzogene Vermittlung und ihre Folgen erörtert ja Johannes in De omnibus dubitandum est ausführlich, wenn er die Bedingung der Möglichkeit des Zweifels untersucht. Der Ästhetiker täuscht die Aussprache des Unaussprechlichen vor, indem er seinen Grundsatz ex negativo (durch die Kritik der Mediation hindurch) und im ekstatischen, ‚aus jeder Bestimmtheit heraustretenden‘ Vortrag charakterisiert. Trotz der Bemühungen, einen Grundsatz ohne ‚Setzung‘ auszusprechen, ist der Widerspruch uneinholbar, daß ein Plädoyer für die Unmittelbarkeit deren Verlust anzeigt.277 Ein Zwischenergebnis. Der Verfasser der „Diapsalmata“ fällt das Urteil über die nichtige Reflexionskultur, ohne den Urteilsspruch auf sich selbst zu beziehen und sich dem absoluten Nichts der Reflexion zu stellen. Diese Charakteristik läßt sich auch mit K.H. Bohrers Feststellung verbinden, daß der Ästhetiker durch die Ästhetisierung seiner Aufzeichnungen den eigens fokussierten ‚negativen Augenblick‘ positiviert (allerdings vernachlässigt Bohrer die Frage, ob nicht der in 277
Vgl. V. Kuhrs kleine Abhandlung über den ‚Satz des Widerspruchs‘, Modsigelsens Grundsætning, a.a.O., die leider nicht ins Deutsche übersetzt ist. Ausgehend von Hegels Vermittlung und der dänischen Debatte über die Vermittlung verbindet Kuhr überzeugend eine Aufzeichnung Kierkegaards über die Tautologie (Pap. II B 177) mit dem Diapsalma über die Tautologie (SKS 2, 47 / EO 49) und dem oben behandelten ‚ekstatischen Vortrag‘. Seine Kennzeichnung des Ästhetischen, Ethischen und Religiösen anhand des Verhältnisses zur Vermittlung ist – bei aller Verknappung – anregend. Die Marginalisierung von Kuhrs Studie in N. Thulstrups Forschungsgeschichte ist also ungerechtfertigt, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel. Forschungsgeschichte, Stuttgart, Berlin u.a. 1970, S. 61-66.
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
Entweder-Oder dargestellte Diskurs eine radikalere Negativität artikuliert).278 Die beiden im folgenden untersuchten Texte des Ästhetikers verdeutlichen, daß er ernst oder scherzend vor dem absoluten Nichts verharrt. Der Ästhetiker bestimmt seine Untersuchung „Der Reflex des antiken Tragischen in dem modernen Tragischen“ (SKS 2, 137-162 / EO 165-196)279 als den Versuch […] zu zeigen, wie das dem antiken Tragischen Eigentümliche sich in das moderne Tragische aufnehmen lasse, dergestalt, daß das wahre Tragische hierin zum Vorschein kommt. Aber wie sehr ich mich auch bemühen werde, daß es zum Vorschein komme, so werde ich mich doch jeglicher Prophezeiung darüber enthalten, daß es das sei, was die Zeit fordert, so daß sein Erscheinen gänzlich ohne Folgen bleibt, und dies um so mehr, als die ganze Zeit mehr auf das Komische hinarbeitet. (SKS 2, 140f. / EO 167)
Diese Bestimmung des Vorhabens ist aufschlußreich auch mit Bezug auf den Standpunkt, von dem aus das Vorhaben durchgeführt wird. Trotz der ostentativen Zurückhaltung gegenüber einer Vorhersage dessen, was die Zeit fordert, beansprucht der Ästhetiker, die Vergangenheit und auch die Gegenwart auf ihren Begriff zu bringen. Wie im Zitat schon angedeutet, beobachtet er in seiner Gegenwart die Tendenz zum Komischen. Mit diesem Befund wiederholt er die Diagnose der „Diapsalmata“ in abgewandelter Form: die Komik der Gegenwart besteht – formelhaft gesprochen – darin, daß sich das einzelne Subjekt durch Reflexion der Substantialität entfremdet und sich in äußerster Entfremdung als bloßes Subjekt fixiert („[…] und zwar liegt das Komische darin, daß die Subjektivität als die bloße Form sich geltend machen will.“, SKS 2, 142 / EO 169). Das einzelne Subjekt reflektiert auf das für alle Verbindliche und alle Verbindende, das durch diese Reflexion seine unmittelbare Überzeugungskraft verliert und als Angezweifeltes immer für Zweifel anfällig bleibt; durch die konsequente Anwendung dieser ‚subjektiven Reflexion‘, durch die das Subjekt auf sich selbst zurückgeworfen wird und sich auf sich selbst konzentriert, gewinnt das Subjekt negative Freiheit, die Freiheit von aller Verbindlichkeit, und im Bewußtsein dieser Freiheit behauptet es seine Unbedingtheit. Mit dieser Behauptung gerät das Subjekt aller-
278 279
K.H. Bohrer Ästhetische Negativität, München, Wien 2002, S. 19-25. Es sei angemerkt, daß sich gerade dieser Text aus As Papieren gut mit Kierkegaards Über den Begriff der Ironie vergleichen ließe; ein Vergleich hätte besonders darauf zu achten, wie der Ästhetiker die mit seiner Aufgabe verbundenen geschichtsphilosophischen Fallstricke umgeht, die Kierkegaard in der Ironie-Schrift Schwierigkeiten bereiten (vgl. Kap. 3.3.1.).
3.5. Der Agon der Logoi
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dings in einen Selbstwiderspruch, wodurch es auf den Beobachter komisch wirkt: die prätendierte Unbedingtheit des einzelnen bleibt nämlich schon durch die Entgegensetzung gegen das Allgemeine bedingt. Der komische Selbstwiderspruch läßt sich – unter Anverwandlung eines Hegelschen Ausdrucks – auch damit wiedergeben, daß jeder als ‚absolutes numerisches Eins‘ anerkannt sein will. Die komische Zeit ist demnach eine Reflexionskultur, in der die Herrschaft der Reflexion nicht nur spießbürgerlich hingenommen, sondern von lauter Eiferern der ‚subjektiven Reflexion‘ kultiviert wird. Der Ästhetiker parallelisiert seine auf das Komische hinarbeitende Gegenwart ausdrücklich mit der von Aristophanes verspotteten: Und hat nicht unsere Zeit eine auffallende Ähnlichkeit mit jener, die selbst Aristophanes nicht einmal lächerlicher gemacht hat, als sie wirklich war? Ist nicht in politischer Beziehung das Band, das die Staaten unsichtbar und geistig zusammenhielt, gelöst, ist nicht in der Religion die Macht, die das Unsichtbare festgehalten hat, geschwächt und vernichtet, haben nicht Staatsmänner und Geistliche das gemeinsam, daß sie, wie ehemals die Auguren, sich nicht gut ansehen können ohne ein Lächeln? Eine Eigentümlichkeit hat freilich unsere Zeit vor jener in Griechenland voraus, die nämlich, daß unsere Zeit schwermütiger und daher tiefer verzweifelt ist. So ist unsere Zeit schwermütig genug, um zu wissen, daß es etwas gibt, was Verantwortung heißt, und daß dies etwas zu bedeuten hat. (SKS 2, 141f. / EO 168)
Das reflektierende Subjekt, das sich mit keinen vorgefundenen Verhältnissen mehr abfinden, in keine vorgegebenen Verhältnisse mehr einpassen will, erfährt seine negative Freiheit als Lizenz und als Last. Der Zweifel, mit dem das Subjekt das Geltende in ein bedingt Geltendes verwandelt, läßt sich durch das unbedingt gelten sollende Subjekt nicht wieder beruhigen; der Selbstwiderspruch des unbedingten Subjekts verhindert eine Kontrolle der Reflexion. Daß der Ästhetiker die Last der negativen Freiheit insbesondere der Moderne zurechnet, ist mit der Annahme zu erklären, daß sich in der Antike die Subjektivität überhaupt erst konstituiert, die sich in der Moderne selbst genießen will. Der Ästhetiker verbindet die Analyse der Gegenwart nun mit Überlegungen zur tragischen Schuld. Die Schuld in der antiken Tragödie ist von der in der modernen Tragödie wesentlich verschieden. Die tragische Schuld in der Antike ist zugleich allgemeine und individuelle Schuld, in ihr ist das Schicksal und die persönliche Verfehlung untrennbar verbunden, so daß der tragische Held zugleich nicht verantwortlich und verantwortlich ist. Indem sich das moderne Subjekt aus allen Verbindungen herausreflektiert, ist die tragische Schuld ihrer Zweideutigkeit beraubt: der tragische Held der Gegenwart kennt nur individuelle Schuld und hat alle Verantwortung zu übernehmen.
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Er ist eindeutig – mit ethischen Maßstäben – zu beurteilen. Dem Schuldigen erscheint die Last der negativen Freiheit in der Unmöglichkeit einer Entschuldigung. Der Ästhetiker deutet jedoch eine Entlastungsmöglichkeit an, und diese Andeutung ist im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung besonders interessant. Die Entlastung des modernen Helden kann nicht durch Wiederherstellung der antiken Einbindungen geschehen, deren unmittelbare Verbindlichkeit verloren ist und durch kein noch so engagiertes Bemühen restituiert werden kann (ein Engagement für Unmittelbarkeit konterkariert sich selbst). Das zweifelnde Subjekt hat die unmittelbare Entlastung verloren und die Last der Verantwortung allein übernommen. Die vom Ästhetiker entworfene Entlastungsmöglichkeit besteht darin, das zweifelnde Subjekt in die Verzweiflung zu treiben, in der es der Scheinhaftigkeit seiner behaupteten Selbständigkeit innewird – und das heißt, in der es eine neue Entlastung erfährt. Diese Entlastung des ethisch Schuldigen erfolgt also nicht durch die verlorene ästhetische Unmittelbarkeit, sondern durch eine neue, eine religiöse Unmittelbarkeit: Während aber das Ästhetische diese Ruhe gewährt, bevor noch der tiefe Gegensatz der Sünde geltend gemacht ist, so gewährt das Religiöse sie erst, nachdem dieser Gegensatz in seinem ganzen Schrecken sichtbar wurde. Gerade in dem Augenblick, da der Sünder fast zusammensinkt unter der allgemeinen Sünde, die er sich selbst aufgeladen hat, weil er fühlte, daß nur je schuldiger er würde, um so größer auch die Aussicht auf Erlösung sei, in eben diesem Augenblick des Grauens zeigt der Trost sich darin, daß es die allgemeine Sündhaftigkeit ist, die auch in ihm sich geltend gemacht hat; dieser Trost aber ist ein religiöser Trost, und wer auf einem anderen als diesem Wege, etwa durch ästhetische Verflüchtigung, dahin zu gelangen meint, der hat den Trost mißbraucht und hat ihn eigentlich nicht. (SKS 2, 145f. / EO 173f.)
Der Ästhetiker versteht die Schuld als Zuchtmeister: die Verzweiflung des modernen Subjekts, das sich die Schuld ganz und gar selbst anlastet, bereitet den religiösen Trost vor und verhindert dessen Verwechslung mit anderen vermeintlichen Möglichkeiten der Entlastung. Der verwirrende übergangslose Gebrauch der religiösen Begrifflichkeit mag zum einen darauf zurückzuführen sein, daß das Verständnis der Schuld als Zuchtmeister auf das Religiöse hin den Standpunkt des Religiösen erfordert; zum anderen mahnt dieser übergangslose Wechsel der Begriffe, der zum Beispiel die Schuld mit der Sünde gleichsetzt, zur Vorsicht gegenüber diesem religiösen Standpunkt. Schon die Selbstsicherheit, mit der der Ästhetiker das Religiöse als Moment eines dialektischen Prozesses begreift, sollte davor warnen, das Religiöse ohne weiteres als Glauben (beziehungsweise als christlichen
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Glauben) zu verstehen.280 Der Ästhetiker erblickt in der skizzierten Entlastungsmöglichkeit das Desiderat der Gegenwart: „In gewissem Sinne ist es daher schon ein sehr richtiger Takt, wenn unsere Zeit das Individuum für alles verantwortlich machen will; das Unglück aber ist, daß sie es nicht tief und innerlich genug tut, und daher ihre Halbheit; sie ist selbstklug genug, die Tränen der Tragödie zu verschmähen, aber sie ist auch selbstklug genug, der Barmherzigkeit entraten zu wollen.“ (SKS 2, 146 / EO 174). Das moderne Subjekt habe sich dem eigenen Anspruch auf Selbstverantwortung zu stellen, um zu verzweifeln und in der Verzweiflung die Fixierung der negativen Freiheit zu überwinden. Wie verträgt sich diese Anweisung mit der eingangs hervorgehobenen Reserve gegenüber einer Vorhersage dessen, was die Zeit fordert? Die vom Ästhetiker entworfene Entlastungsmöglichkeit des von der Last der negativen Freiheit überforderten Subjekts wird durch den Rahmen der Abhandlung in Frage gestellt. (Einmal abgesehen davon, daß die erwähnte Bedenklichkeit des Religiösen ein unkritisches Befolgen der Empfehlung des Ästhetikers verhindert.) Die Abhandlung wird im Untertitel als Vorlesung vor den ‚symparanekromenoi‘ vorgestellt. Diese ‚Mitverstorbenen‘, an die sich der Ästhetiker direkt wendet (SKS 2, 150-152 / EO 180-182), zeichnen sich dadurch aus, daß sie dem Nichts der Reflexionskultur verfallen sind. Sie beobachten die Komik der Gegenwart, die Nichtigkeit der sich verselbständigenden ‚subjektiven Reflexion‘, und wissen sich der Reflexionskultur zugehörig; gleichwohl unterscheiden sich die ‚symparanekromenoi‘ von den komischen Subjekten durch die Zelebrierung der Nichtigkeit – sie sind Vertreter der reflexionsimmanenten Ironie. Zum Beispiel zelebrieren sie die Bedingtheit durch Antizipation: jede Produktion ist von vornherein als Bruchstück beabsichtigt, wie ja auch die Abhandlung des Ästhetikers laut Untertitel ‚ein Versuch im fragmentarischen Streben‘ ist. Während die komischen Subjekte den selbst verursachten Substanzverlust mitunter durch die Bildung von Assoziationen aufhalten möchten (die als beliebiges Zusammenschließen vereinzelter Subjekte den Substanzverlust unfreiwillig beschleunigen), betreibt die Assoziation der ‚symparanekromenoi‘ die äußerste Steigerung des Substanzverlusts: die Mitglieder dieser asozialen Assoziation verbindet nur die Unverbindlichkeit, das einzig Beständige des Gemeinwesens ist die permanente Neudefinition. Indem die Abhandlung des Ästhetikers als Rede anläßlich eines Konvents 280
Vgl. auch die Nebenbemerkungen über Christus, SKS 2, 142 / EO 169, 149 / 178.
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der ‚symparanekromenoi‘ erscheint, wird die Zugehörigkeit des fiktiven Autors zur Reflexionskultur hervorgehoben. Verbindet man dieses Autorenporträt nun mit dem Appell zu verzweifeln, ergibt sich, daß der Autor selbst den Appell nicht befolgt. Obwohl er die Nichtigkeit bloßer Reflexion durchschaut, scheut er die Verzweiflung, die den Verlust der im ironischen Reflektieren erfahrenen Selbstbestätigung bedeutet. Er vertritt die Ironie also trotz des durchschauten Zusammenhangs von Ironie und Reflexion (worauf oben bereits hingewiesen wurde). Mag der Appell zur Verzweiflung berechtigt sein oder nicht, der Ästhetiker verbleibt auf jeden Fall vor der Verzweiflung. Auch die moderne Antigone, mit deren Darstellung der Ästhetiker das Vorhaben seiner Untersuchung schließlich durchführt („[…] zu zeigen, wie das dem antiken Tragischen Eigentümliche sich in das moderne Tragische aufnehmen lasse […]“), ist gerade nicht eine Illustration der entworfenen Entlastungsmöglichkeit, der Läuterung durch ethische Schuld zum Religiösen hin. Hier muß die Andeutung genügen, daß das antike Tragische im modernen Tragischen Anlaß ‚subjektiver Reflexion‘ wird. Die moderne Antigone verfällt einer nicht zu beruhigenden und nicht mitteilbaren Reflexion über die Schuld – und erregt ob dieses Verfallenseins natürlich die Sympathie der ‚symparanekromenoi‘.281 Die Abhandlung über das Tragische zeugt von der Spannung zwischen der angedeuteten Überwindung bloßer Reflexion und deren Befestigung; die Schrift, die hier als drittes und letztes Beispiel für die ästhetische Lebensanschauung herangezogen wird, perfektioniert dagegen den Genuß der befestigten Reflexion. Die als „Versuch einer sozialen Klugheitslehre“ bezeichnete „Wechselwirtschaft“ (SKS 2, 271-289 / EO 329-349) ist das Manifest der reflexionsimmanenten Ironie. Das Motto aus Aristophanes’ Plutos (SKS 2, 272f. / EO 329f.) – die in der stichomythischen Aufzählung vor Augen geführte Beliebigkeit wie Bedeutungslosigkeit aller Güter – ist eine furiose Wiederholung des ‚Alles ist Nichts‘ der „Diapsalmata“. Das Programm des Ästhetikers ist nun der Versuch, den Überdruß am Nichtigen in Genuß zu verwandeln. Die Reflexionskultur erzeugt Langeweile; diese geht aus der Einsicht in die bloße Bedingtheit hervor und befällt deshalb nur den, der das Bedürfnis des Unbedingten nicht zugunsten der herrschenden Zweck-Mittel-Rationalität zurechtgestutzt hat. Die sich als Lange281
Vgl. J. Stewart „Two Interpretations of ‚Antigone‘“ in Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, New York 2003, S. 218-225.
3.5. Der Agon der Logoi
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weile äußernde Einsicht in die Sinnlosigkeit des Lebens bannt den Einsichtigen als „dämonische[r] Pantheismus“ (SKS 2, 279 / EO 336): Im Pantheismus liegt im allgemeinen die Bestimmung der Fülle; mit der Langeweile ist es umgekehrt: sie ist auf Leere gebaut, ist aber eben deshalb eine pantheistische Bestimmung. Langeweile ruht auf dem Nichts, das sich durch das Dasein schlingt, ihr Schwindel ist wie jener, der uns befällt, wenn wir in einen unendlichen Abgrund blikken, unendlich. (SKS 2, 280 / EO 338 [orthographisch korrigiert])
Dem Schwindel der Langeweile setzt der Ästhetiker ein ironisches Programm entgegen, das in nuce darin besteht, vom Standpunkt der negativen Freiheit aus die Wirklichkeit in Interpretationen der Wirklichkeit zu verwandeln und so zu genießen. Der Ironiker versucht nicht, die Wirklichkeit zu verändern, er verändert das Erleben der Wirklichkeit. Die für die ironische Erlebnisweise unabdingbare negative Freiheit bedeutet nicht, die Wirklichkeit zu fliehen, sondern sich der Wirklichkeit niemals rückhaltlos auszusetzen. Die immer wachsame Reflexion des Ironikers verhindert, daß er erlebt, ohne sich zugleich in ein Verhältnis zu dem Erleben zu setzen. Er macht sich für die unkontrollierbare Wirklichkeit unangreifbar, um sie als von ihm interpretierte Wirklichkeit zu erleben und immer wieder neu zu interpretieren. Daß die Wirklichkeit in den Interpretationen ‚aufgehoben‘ ist, verleiht der Existenz spielerische Leichtigkeit.282 Um die negative Freiheit, das „vollkommene Schweben“ (SKS 2, 284 / EO 343), und damit die Interpretationshoheit über die Wirklichkeit zu erhalten, muß der Ironiker sowohl sich selbst als auch der Mitwelt gegenüber Unverbindlichkeit bewahren; eine verbindliche Teilnahme, zum Beispiel durch Freundschaft, Ehe oder Beruf, ist gefährlich, weil sie den ständigen Wechsel zwischen den Interpretationen der Wirklichkeit erschwert. Der Ironiker verändert seine Wirklichkeit durch das ‚wechselwirtschaftende‘ Erleben, ohne auf Veränderungen in der Wirklichkeit angewiesen zu sein. Er wechselt zwischen Perspektiven auf die Wirklichkeit, die mit derselben Leidenschaft in einem Augenblick geltend gemacht und im nächsten ersetzt werden. Um neue Sichtweisen zu erfinden und durch deren Anwendung die Gleichgültigkeit des Wirklichen zu pointieren, ist der Zufall zu berücksichtigen; 282
Die Fähigkeit des Ironikers, die Wirklichkeit in Interpretationen ‚aufzuheben‘, entspricht mit den Worten des Ästhetikers der Fähigkeit, das Gegenwärtige durch ‚Erinnerung‘ zu verwandeln, und zwar so, daß die Erinnerungen unverbindlich bleiben: „Vergessen und Erinnerung sind somit identisch, und die künstlerisch zuwege gebrachte Identität ist der archimedische Punkt, mit dem man die Welt aus den Angeln hebt.“ (SKS 2, 284 / EO 343).
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3. Die Entstehung von Kierkegaards ‚sich verzehrendem Skeptizismus‘
als Beispiel für die geschickte Verwendung des Zufälligen führt der Ästhetiker den im Schweiße seines Angesichts philosophierenden Schwätzer an, dessen Gesellschaft dadurch erträglicher wird, daß der Ästhetiker seine ungeteilte Aufmerksamkeit auf eine Nebensächlichkeit, auf die mit dem Vortrag assoziierte Transpiration, richtet (SKS 2, 288 / EO 348). Das hier skizzierte Programm der ‚Wechselwirtschaft‘ soll die dauerhafte Veränderung ermöglichen, die den Schwindel der Langeweile überwindet. Es ist durchaus doppeldeutig, daß der Ästhetiker von Anfang an auf die Verständigkeit seiner Ausführungen hinweist. Einerseits ist die verständige Entwicklung des Programms der ‚Wechselwirtschaft‘ natürlich satirisch: die Darstellung des Programms folgt den Regeln der Reflexion, deren Totalisierung für die Langeweile verantwortlich ist, gegen die sich das dargestellte Programm wendet. Als Illustration dieser satirischen Widersprüchlichkeit mag gelten, daß die allgemeinverständliche ‚soziale Klugheitslehre‘ gerade die Unverantwortlichkeit des einzelnen gegenüber der Allgemeinheit proklamiert. Andrerseits ist die ‚Wechselwirtschaft‘ in der Tat verständig: das ironische Programm befestigt mit ungeheuerem Reflexionsaufwand die Selbstbehauptung des Subjekts, damit die reflexive Entzweiung. Als Ergebnis ist festzuhalten, daß sich der Ästhetiker bis zur Forderung einer reflexionsdestruierenden Negativität, des absoluten Nichts, hinreißen läßt, ohne aber selbst die Konsequenzen aus dieser Forderung zu ziehen. Das absolute Nichts wird in ein willkürliches verwandelt, in eine reflexionsimmanente Negativität, durch deren Handhabung sich das ironische Subjekt allen Ansprüchen der Wirklichkeit entzieht und sich schlecht und recht in der erlangten Unverbindlichkeit unterhält.
3.5.2. Das versöhnliche Nichts Die ethische Lebensanschauung vermittelt das Bedingte und das Unbedingte – und das erklärtermaßen nicht durch philosophische Aufhebung. Um den Ästhetiker von dieser Vermittlungsleistung zu überzeugen, um zu zeigen, daß die ethische Lebensanschauung allein den Anspruch erfüllt, der den Ästhetiker umtreibt und der letztlich den Genuß ironischer Unverbindlichkeit verleidet, schreibt der Ethiker zwei Briefe an den Ästhetiker. Wie man sich die ethische Vermittlung vorzustellen hat, erläutert er darin anhand zweier ‚Aneignungspro-
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zesse‘, dem der Liebe und dem der Persönlichkeit. Durch die Fokussierung des Verhältnisses der ethischen Vermittlung zum absoluten Nichts (und durch die Anknüpfung an das im vorigen Kapitel Erarbeitete) kann sich die Untersuchung auf einige diesbezüglich relevante und repräsentative Passagen aus den weitschweifigen Briefen des Ethikers beschränken. Der erste Brief – „Die ästhetische Gültigkeit der Ehe“ (SKS 3, 13151 / EO 525-703) – erläutert die ethische Vermittlung am Beispiel der Liebe. Das Verständnis dieser Vermittlung erhält besondere Bedeutung in einer der bloßen Reflexion verfallenen Zeit. Der Ethiker charakterisiert die gegenwärtige Reflexionskultur anhand der Auswirkungen, die sie auf die Vorstellung von Liebe hat: die Überzeugungskraft der ‚romantischen Liebe‘ ist dahin, da deren Unmittelbarkeit nur aus der Sicht des Reflektierenden, das heißt als ‚ausgeschlossene Mittelbarkeit‘ betrachtet wird. Die Denunziation dieser Liebesvorstellung als ‚mittelbare Unmittelbarkeit‘ fällt somit leicht. Was in der ‚romantischen Liebe‘ spontan vereinigt ist, indem zum Beispiel der Augenblick ewige Bedeutung erhält, ist für den Reflektierenden – allen voran für den Ästhetiker – entzweit, so daß die zeitgemäßen reflexiven Liebesvorstellungen immer nur eingeschränkt überzeugen: sie machen entweder den Moment oder die Kontinuität geltend, entweder einen berechneten Augenblick oder die ‚Vernunftehe‘. Der Ethiker stimmt mit dem Ästhetiker in der Zeitdiagnose der Reflexionskultur überein. Diese Übereinstimmung veranschaulicht die von beiden vorgenommene Parallelisierung der eigenen Zeit mit dem Zerfall der griechischen Polis; der Ästhetiker vergleicht in seiner Untersuchung über das Tragische die von der ‚subjektiven Reflexion‘ geprägte Gegenwart mit der des Aristophanes283 – der Ethiker beschreibt den gegenwärtigen Substanzverlust folgendermaßen: Unsere Zeit erinnert sehr an die Auflösung des griechischen Staates. Alles besteht zwar noch, doch glaubt niemand mehr daran. Das unsichtbare geistige Band, das ihm Gültigkeit verleiht, ist verschwunden, und so ist die ganze Zeit komisch und tragisch zugleich; tragisch, weil sie untergeht, komisch, weil sie fortdauert, denn es ist doch stets das Unverwesliche, welches das Verwesliche, das Geistige, welches das Leibliche trägt, und wenn es sich denken ließe, daß ein entseelter Leib noch eine kleine Weile die gewohnten Funktionen erfüllen könnte, würde das gleichermaßen komisch und tragisch sein. (SKS 3, 28 / EO 542)
Der Ethiker vertritt nun eine Lebensanschauung, die weder versucht, das unmittelbar Geltende zu fixieren oder die verlorene Unmittelbar283
Vgl. SKS 2, 141f. / EO 168 (zitiert in Kap. 3.5.1.).
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keit wiederherzustellen, noch die zersetzende Reflexion des Geltenden hinnimmt; die ethische Lebensanschauung verwandelt vielmehr das unmittelbar Geltende in einen Prozeß, der den Gegensatz von bloßer Unmittelbarkeit und bloßer Mittelbarkeit überwindet. Diese entscheidende Verwandlung wird mit dem Verhältnis von ‚erster Liebe‘ und christlicher Ehe exemplifiziert. Die ‚erste Liebe‘ hat die Macht des Unmittelbaren, sie ist für die Liebenden unbedingt gültig; und doch ist diese Sicherheit fragil, da die zugrundeliegende Unmittelbarkeit dem Angriff der Reflexion schutzlos preisgegeben und durch jede Veränderung gefährdet ist. Sicherheit gewinnt die Liebe durch eine ‚Resignation‘: die Liebenden vertiefen die bloß unmittelbare Liebe, indem sie die Liebe mit einem Vorsatz bekräftigen und Gott dafür danken, so daß sie die Liebe als Gabe und Aufgabe zugleich empfangen (z.B. SKS 3, 63f. / EO 588f.). Die Liebenden sind so von dem Zwang entbunden, die Unmittelbarkeit der Liebe konservieren zu müssen, vielmehr haben sie die ethisch und religiös verklärte Liebe zu verwirklichen, deren unbedingte Macht sie in der steten Auseinandersetzung mit dem Bedingten erfahren. Der Ethiker versteht die Ehe als eine Verklärung der Liebe, weil der unbedingte Impuls der ungeschichtlichen ‚ersten Liebe‘ in die geschichtliche Ehe übersetzt und damit überhaupt erst lebbar geworden ist; demzufolge hält also die vermeintlich prosaische Ehe der poetischen Liebe die Treue, sie allein entfaltet das Poetische. Als Ehemann beansprucht der Ethiker Unbedingtheit im Bedingten (positive Freiheit), die Unbedingtheit seiner Liebe bewährt sich in der Auseinandersetzung mit dem Bedingten, während dem Ästhetiker nur die negative Freiheit bleibt, die vermeintliche Unbedingtheit reflexiver Liebessurrogate als solche zu entlarven (SKS 3, 83 / EO 614). In einer für die vorliegende Untersuchung besonders interessanten Passage resümiert der Ethiker die Darstellung von Liebe und Ehe und verbindet sie mit dem Zweifel (SKS 3, 96-98 / EO 632-634). Während jeder Zweifel die ‚erste Liebe‘ entmachtet, erfährt die eheliche Liebe ihre Macht in der ständigen Überwindung des Zweifels. Der Ethiker kennzeichnet die eheliche Liebe als Unmittelbarkeit, die die Reflexion nicht zu fürchten hat, weil sie sich durch die Überwindung der Reflexion erhält. Diese sich durch Überwinden der Mittelbarkeit konstituierende Unmittelbarkeit konfrontiert der Ethiker mit der bloßen Unmittelbarkeit: Und jetzt kehre ich alles um und sage: das Ästhetische liegt nicht im Unmittelbaren, sondern im Erworbenen; die Ehe aber ist eben jene Unmittelbarkeit, welche die Mittelbarkeit in sich hat, jene Unendlichkeit, welche die Endlichkeit in sich hat, jene Ewig-
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keit, welche die Zeitlichkeit in sich hat. Dergestalt erweist sich die Ehe in doppeltem Sinne als Ideal, sowohl in antiker wie in romantischer Bedeutung. Wenn ich sage, das Ästhetische liege in dem Erworbenen, so soll damit keineswegs gesagt sein, daß es in dem bloßen Streben als solchem liege. Dieses ist nämlich negativ, das bloß negative aber ist niemals ästhetisch; wenn es dagegen ein Streben ist, das den Inhalt in sich hat, ein Streit, der den Sieg in sich hat, so habe ich in dieser Doppelheit das Ästhetische. (SKS 3, 97 / EO 633)
Die eheliche Liebe ist ‚schön‘, weil sie Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit vermittelt – mit einer prägnanten Formel des Ethikers: „Die Schönheit hingegen liegt darin, daß in und mit dem Zweifel das Unmittelbare erworben wird.“ (SKS 3, 98 / EO 633 [Hervorhebung d. Verf.]). Die Vermittlung erfolgt also durch einen Prozeß der Aneignung des Gegebenen; das Musterbeispiel für eine solche Aneignung ist die des Glaubens, auf die an späterer Stelle denn auch verwiesen wird (SKS 3, 99 / EO 635). Die Vermittlung schlägt fehl, wo der Zweifel nicht das Widerlager des Unmittelbaren bildet, sondern schlechthin gelten soll. Folglich verurteilt der Ethiker die […] Begeisterung der Verzweiflung, mit der man in unserer Zeit das Erworbene anpreisen hört, im Gegensatz zu dem Unmittelbaren, als ob es eben darauf ankäme, alles in Grund und Boden zu zerstören, um von neuem aufzubauen. Es hat mich wirklich beängstigt, den Jubel zu hören, mit dem jüngere Menschen gleich den Schreckensmännern der französischen Revolution rufen: de omnibus dubitandum. (SKS 3, 97 / EO 633)
Dieser Aufstand der Zweifler ist nach Meinung des Ethikers einer Verwechslung von wissenschaftlichem und persönlichem Zweifel geschuldet.284 Der Versuch, das wissenschaftliche ‚de omnibus dubitandum est‘ im persönlichen Leben zu verwirklichen, verhindert auf jeden Fall die ethische Vermittlung: sei es, daß der Versuch mißlingt, die Aufgabe des totalen Zweifels den Zweifler überfordert und dieser sich im unabschließbaren Zweifeln verliert (man denke nur an die Mühen von Johannes Climacus im ersten Teil der gleichnamigen Erzählung); sei es, daß der Versuch gelingt, der Zweifler den totalen Zweifel durchführt und vor allem wieder überwindet, wodurch die angezweifelte Unmittelbarkeit verschwunden und – unvermittelt – durch eine neue ersetzt, gegen eine andere ausgetauscht wäre. Ein derart abstrakter Zweifel scheitert so oder so an der Vermittlung von
284
Laut Kierkegaards Entwurf ist dieser wissenschaftliche Zweifel übrigens als Anspielung auf den von Hegel in der Phänomenologie des Geistes geforderten Zweifel gedacht, SKS K2-3, 282; ein zusätzlicher, äußerlicher Beleg für den in der vorliegenden Arbeit mehrmals festgestellten Befund, daß Kierkegaard den Hegels Spekulation inhärenten Skeptizismus mit der Behauptung, an allem zu zweifeln, gleichsetzt.
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Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit, die der Ethiker für die Aneignung beansprucht. Am Beispiel der Schönheit der ehelichen Liebe erläutert der Ethiker also die Vermittlung, die seiner Meinung nach das Desiderat der im reflexiven Zerfall begriffenen Gegenwart bildet. Die ethische Vermittlung ist in dem emphatischen Sinne schön, daß der Aneignung die stetige Vermittlung der Gegensätze gelingt. Um aber die vom Ethiker der eigenen Zeit entgegengehaltene Vermittlung beurteilen zu können, bedarf es einiger Präzisierungen: die in der Vermittlung implizierte Negativität, die in dem Beispiel der verklärten Liebe als Resignation erscheint, ist herauszuarbeiten; ferner, wie sich der Ethiker zu dieser Negativität verhält und welche Wirkung dieses Verhalten auf den Ästhetiker als den Adressaten der ethischen Mitteilung hat. Diese Fragen sollen mit Hilfe des zweiten Briefs des Ethikers – „Das Gleichgewicht zwischen dem Ästhetischen und dem Ethischen in der Herausarbeitung der Persönlichkeit“ (SKS 3, 153-314 / EO 704914) – beantwortet werden. Die im Titel genannte ‚Herausarbeitung‘ der Persönlichkeit bezeichnet einen Bildungsprozeß, in dem derjenige, dem die unmittelbar vorausgesetzte Sinnhaftigkeit seines Lebens, die ehedem fraglos gültige Orientierung in bezug auf sich selbst, die Welt und die Wahrheit fremd geworden ist, einen neuen Sinn, eine endgültige Orientierung erhält (vgl. z.B. „[…] die Persönlichkeit will sich ihrer selbst in ihrer ewigen Gültigkeit bewußt werden.“, SKS 3, 183 / EO 742). Die Bildung der Persönlichkeit ist mit dem Erhalt des unbedingten Sinns aber nicht abgeschlossen, der gerade stetig anzueignen ist. Der Ethiker erläutert den Bildungsprozeß in ständiger Auseinandersetzung mit der ästhetischen Lebensanschauung. Er verortet die ästhetische Lebensanschauung innerhalb des Bildungsprozesses: der Verlust der unmittelbaren Gewißheiten, der Zweifel am vorgefundenen Sinn, ist ein Moment des Prozesses; der Ästhetiker fixiert allerdings diesen Verlust und blockiert eine Weiterentwicklung. Der Ästhetiker forciert die in den vertrauten Gewißheiten verborgene Ungewißheit und fügt sich – mit der Maske des Glücklichen – in die Vorläufigkeit und Beliebigkeit jedes Lebenssinns. Der Ethiker demaskiert den Ästhetiker, insofern er dessen Verzweiflung über das bloß Bedingte offenbart; und zugleich demaskiert der Ethiker die ästhetische Verzweiflung, die dem Verzweifelnden die Selbstaufgabe letztlich erspart. Wenn man von dem Zusammenhang des ethischen Bildungsprozesses einmal absieht, steht diese ethische Analyse des Ästheti-
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kers in Übereinstimmung mit dem im vorigen Kapitel festgehaltenen Befund, daß der Ästhetiker eine reflexionsdestruierende Negativität allenfalls fordert, diese selbst aber konterkariert. In der für die vorliegende Arbeit entscheidenden Passage rät der Ethiker dem Ästhetiker, wie die ästhetische Verzweiflung zu überwinden ist: Was hast Du also zu tun? Ein anderer würde vielleicht sagen: Heirate, dann hast Du andere Sorgen; allerdings, doch fragt es sich, ob Dir damit gedient ist, und wie Du auch über das andere Geschlecht denken magst, Du denkst doch zu ritterlich, als daß Du aus diesem Grunde heiraten wolltest; und außerdem, kannst Du Dich selbst nicht halten, so findest Du schwerlich einen anderen Menschen, der dazu imstande wäre. […] Was ist also zu tun? Ich habe nur eine Antwort: verzweifle! [ / ] Ich bin ein Ehemann, meine Seele hängt wahrlich fest und unerschütterlich an meinem Weibe, an meinen Kindern, an diesem Leben, dessen Schönheit ich allezeit preisen werde. Wenn ich also sage: verzweifle, so ist es kein exaltierter Jüngling, der Dich in den Strudel der Leidenschaften hineinwirbeln möchte, kein spöttischer Dämon, der dem Schiffbrüchigen diesen Trost zuruft, nein, ich rufe es Dir nicht zu als einen Trost, nicht als einen Zustand, in dem Du verharren sollst, sondern als eine Tat, die der Seele ganze Kraft, ganzen Ernst und ganze Sammlung erfordert, so wahr es meine Überzeugung ist, mein Sieg über die Welt, daß jeder Mensch, der nicht die Bitterkeit der Verzweiflung geschmeckt, doch stets den Sinn des Lebens verfehlt hat, und sei sein Leben noch so schön, noch so freudenreich gewesen. Du begehst keinen Betrug an der Welt, in der Du lebst, Du bist nicht verloren für sie, weil Du sie überwunden hast, so wahr ich mich dessen getröste, ein rechtschaffener Ehemann zu sein, obwohl auch ich verzweifelt habe. (SKS 3, 199f. / EO 764f.)
Verworfen wird zunächst der Vorschlag, sich von dem Verlust der unmittelbaren Gewißheiten abzulenken, indem man zum Beispiel die Verbindlichkeit eines ‚sittlichen Lebens‘ simuliert. Die Überwindung der ästhetischen Verzweiflung ist vielmehr deren Radikalisierung –285 der ethische Appell zu verzweifeln ist der Appell, die Erkenntnis des bloß Endlichen auf den Erkennenden selbst anzuwenden. Man kann sich diese Verzweiflung als das Eingeständnis absoluter Ohnmacht vorstellen. Mit anderen Worten, die Verzweiflung über das Nichtige wird nur durch das absolute Nichts überwunden. Bezeichnend für die ethische Lebensanschauung ist der Kommentar, der auf das Gebot der Verzweiflung folgt; darin erklärt der Ethiker den Entschluß zur Verzweiflung zum Moment einer Lebensanschauung. Diese Lebensanschauung, die deutlich als Glauben stilisiert ist, beinhaltet die radikale Verzweiflung, die Überwindung der Welt, und die Hinwendung zur Welt. Unabhängig davon, wie diese Freiheit von der Welt in der Welt im einzelnen vorzustellen ist, verdeutlicht die zitierte Passage schon das Verhältnis des Ethikers zur radikalen Verzweiflung: er 285
Vgl. SKS 3, 219 / EO 790.
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ordnet die radikale Verzweiflung rückblickend in einen Bildungsprozeß ein. Aus der Perspektive dessen, der in der Verzweiflung ein Moment bei der ‚Herausarbeitung‘ der Persönlichkeit erblickt, verliert sie ihre furchtbaren Züge. Es besteht so die Gefahr, daß die Verzweiflung aus Kalkül erfolgt, wobei das Kalkül die radikale Verzweiflung in Heuchelei verwandelt; anders formuliert: das absolute Nichts wird hypostasiert und in Reflexion verkehrt. Das Gebot zu verzweifeln, das der Ethiker an den Ästhetiker richtet, ist vor dem Hintergrund dieser Überlegungen zur ethischen Lebensanschauung zu betrachten. Die geforderte Verzweiflung wird als Moment eines Bildungsprozesses präsentiert. Die Aufforderung zur Verzweiflung muß dann aber für denjenigen, an den sie sich richtet, unverständlich sein: wer vor der radikalen Verzweiflung steht, kann die nachträglich in ein Moment verwandelte Verzweiflung nicht als solche verstehen. Das Gebot, um eines Bildungsprozesses willen zu verzweifeln, setzt das Kalkül voraus, das die Verzweiflung konterkariert. Obwohl der Ethiker darauf bedacht ist, den Ästhetiker nicht zu einer bloß ablenkenden Scheingewißheit zu überreden, sondern für die Durchführung der Verzweiflung, für die Aufgabe aller Gewißheiten plädiert, gibt seine Rede diese Verzweiflung nicht wieder. Die Verzweiflung scheint erträglich, wenn die dadurch bewerkstelligte Bildung garantiert ist; und diese Garantie kommt in den Worten des Ethikers zum Ausdruck (– der Eindruck einer Erfolgsgarantie wird durch den jovialen Tonfall, der in den Briefen vorherrscht, verstärkt). Im Appell des Ethikers an den Ästhetiker ist das absolute Nichts in ein versöhnliches Nichts verwandelt. Diese Verwandlung wird durch die ethischen Erläuterungen der Verzweiflung nicht korrigiert; sie betreffen die Vermittlung von der Verzweiflung an der Welt und dem in der Verzweiflung erhaltenen Grund des Engagements in der Welt, von negativem und positivem Moment der Bildung. Der Ethiker entwickelt in diesen Erläuterungen seine Theorie der Wahl (die unter anderem die Unterscheidung von Verzweiflung und Zweifel einschließt).286 Indem der Ethiker verzweifelt, indem er sich der Erfahrung stellt, daß in seinen unmittelbar gegebenen Lebensverhältnissen kein endgültiger Sinn zu finden ist, wird er zu der unverlierbaren Gewißheit seiner selbst geführt, die sich in der Übernahme der Verantwortung für die vormals hingenommenen Lebensverhältnisse äußert. Die ethische Wahl verschafft die posi286
SKS 3, 203-205 / EO 768-771. Vgl. die Auseinandersetzung mit der philosophischen oder ästhetischen ‚Aufhebung‘, SKS 3, 166-172 / EO 719-727, 214f. / 783f.
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tive Freiheit, daß heißt eine Unabhängigkeit, die von den Abhängigkeitsverhältnissen nicht einfach absieht, sondern in ihnen erfahren wird und sich in ihnen zu bewähren hat.287 Die dazugehörigen Überlegungen des Ethikers, wie zum Beispiel diese konkrete Freiheit mit der Pflicht zusammenhängt, sind hier zu übergehen. Es ist festzuhalten, daß der Ethiker die radikale Verzweiflung (das absolute Nichts) in eine erfolgreiche Entwicklung integriert. Die Aufforderung des Ethikers an den Ästhetiker, die ästhetische Verzweiflung durch diese ethische Verzweiflung zu überwinden, muß für letzteren unverständlich sein; die ethisch zugerichtete Verzweiflung ist ein Ausdruck der Rationalität, an der der Ästhetiker leidet. (Als Hinweis auf eine verdächtige Verfügbarkeit der Verzweiflung kann übrigens gelten, daß der Ethiker das mit der Verzweiflung verbundene Ringen um eine neue Unmittelbarkeit dem eigenen Geschlecht vorbehält.)288 Während die ästhetische Lebensanschauung vor dem absoluten Nichts zurückscheut, relativiert die ethische Lebensanschauung rückblickend das absolute Nichts; bevor abschließend die Inszenierung dieser konfligierenden Positionen kommentiert wird, ist das vom Ethiker beigefügte „Ultimatum“ zu berücksichtigen.
287
288
Als Abriß der ethischen Wahl und ihrer Vermittlungsleistungen kann folgende Passage gelten: „Er [der ethisch Wählende, d. Verf.] ist also im Augenblick der Wahl in der vollkommensten Isolation, denn er zieht sich aus der Umgebung heraus; und doch ist er im selben Moment in absoluter Kontinuität, denn er wählt sich selbst als Produkt; und diese Wahl ist die Wahl der Freiheit, dergestalt, daß man, indem er sich selbst als Produkt wählt, ebensogut von ihm sagen kann, er produziere sich selbst. Er ist also im Augenblick der Wahl am Schluß, denn seine Persönlichkeit schließt sich zusammen; und doch ist er im selben Augenblick gerade am Anfang, denn er wählt sich selbst nach seiner Freiheit. Als Produkt ist er eingezwängt in die Formen der Wirklichkeit, in der Wahl macht er sich selbst elastisch, verwandelt er seine ganze Äußerlichkeit in Innerlichkeit.“, SKS 3, 239f. / EO 816. „[…] und das Weib soll des Zweifels Angst oder der Verzweiflung Qual nicht kennen, sie soll nicht außerhalb der Idee stehen, aber sie hat sie aus zweiter Hand.“, SKS 3, 294 / EO 888; „Das kommt daher, daß es dem Manne wesentlich zugehört, gezweifelt zu haben, und davon wird alle seine Gewißheit ein Gepräge tragen.“, SKS 3, 298 / EO 893. Die Vorstellungen des Ethikers über Mann und Frau ähneln in dieser Hinsicht denen des Ästhetikers, wenn sich die daraus abgeleitete Bedeutung von weiblicher Einfalt und männlichem Zweifel auch unterscheidet, vgl. z.B. As ‚Schattenriß‘ von Faust und Gretchen (SKS 2, 200-209 / EO 242-253).
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3.5.3. Das erbauliche Nichts „[…] denn daß er immer unrecht hat, das ist der Flügel, auf welchem er sich über die Endlichkeit hinausschwingt, das ist das Sehnen, mit welchem er Gott sucht, das ist die Liebe, in welcher er Gott findet.“ (SKS 3, 331 / EO 930)
Der Ethiker sendet das „Ultimatum“ (SKS 3, 315-332 / EO 915-933) an den Ästhetiker, weil die darin enthaltene Predigt (der Predigtentwurf) eines Freundes die ethische Lebensanschauung rekapituliere; in den einführenden Bemerkungen läßt er zudem durchscheinen, daß dieser Freund selbst seine ‚wiedererlangte Zufriedenheit‘ dem propagierten ethischen Bildungsprozeß zu verdanken hat. Die unterstellte Geistesverwandtschaft dürfte dafür verantwortlich sein, daß der Ethiker den Predigttext übermittelt, obwohl er an früherer Stelle eine Idiosynkrasie gegen erbauliches Schrifttum bekundet (SKS 3, 75 / EO 604). Hier wird das „Ultimatum“ nur insofern behandelt, als es eine Korrektur am versöhnlichen Nichts vornimmt. Der übermittelte Text steht unter dem Titel „Das Erbauliche, das in dem Gedanken liegt, daß wir gegen Gott immer unrecht haben.“ (SKS 3, 320 / EO 917).289 Sobald der Mensch auf sein Verhältnis zu Gott reflektiert, sobald er seine bedingten Gewißheiten auf eine unbedingte Gewißheit bezieht, sieht er sich enttäuscht: das Unbedingte entzieht sich der bedingenden Reflexion; dem Bedürfnis einer unbedingten Gewißheit ist aber weder mit einem ‚bedingten Unbedingten‘ gedient noch mit einer vorläufigen oder annäherungsweisen Beziehung von Bedingtem und Unbedingtem, die die Unruhe der Reflexion nur steigert. Der Mensch erfährt die Zweifelhaftigkeit seiner Gewißheiten, ohne diesen Zweifel durch die Restitution der Unreflektiertheit oder den Bezug auf eine über jeden Zweifel erhabene Gewißheit wieder beruhigen zu können. Angesichts dieser Situation wird folgende Alternative formuliert: So haben wir denn nur die Wahl, entweder nichts vor Gott zu sein, oder in ewiger Qual jeden Augenblick von vorn anzufangen, ohne jedoch anfangen zu können; denn wenn wir mit Bestimmtheit sollen entscheiden können, ob wir im gegenwärtigen Augenblick recht haben, so muß diese Frage mit Bestimmtheit für den vorhergehenden Augenblick entschieden sein, und so immer weiter zurück. (SKS 3, 325 / EO 923)
Das unglückliche Reflektieren wird durch das Nichts überwunden, im Sinne des erbaulichen Gedankens, gegen Gott immer unrecht zu ha289
Vgl. den Entwurf HH:10, SKS 18, 130f. (hier Kap. 3.1.3.); ferner eine Parallelstelle (mit Bezug auf Lukas 19,41-48) im zweiten Brief des Ethikers, SKS 3, 222-229 / EO 794-803.
3.5. Der Agon der Logoi
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ben. Nun läßt sich dieser Gedanke dadurch erklären, daß ein Verhältnis zwischen Mensch und Gott eben nur als Verhältnis zwischen Ohnmacht und Allmacht verständlich ist, soll das Verhältnis nicht die menschliche Bedingtheit oder die göttliche Unbedingtheit mißachten (und sich damit als Verhältnis zwischen Mensch und Gott aufheben). Die im „Ultimatum“ mitgeteilte Betrachtung hebt aber wieder und wieder hervor, daß das Erbauliche des Gedankens, gegen Gott immer unrecht zu haben, nicht mit dem Gedanken verwechselt werden darf: das Verhältnis zwischen menschlicher Ohnmacht und göttlicher Allmacht ist nicht deshalb erbaulich, weil die Überlegung zum Verhältnis von Ohnmacht und Allmacht den Menschen überzeugt, sondern weil sich in diesem Verhältnis die Liebe des Menschen zu Gott ausdrückt: So ist also dies, daß du gegen Gott immer unrecht hast, nicht eine Wahrheit, die du erkennen mußt, nicht ein Trost, der deinen Schmerz lindert, nicht ein Ersatz für etwas Besseres, sondern es ist eine Freude, in der du siegst über dich und die Welt, deine Wonne, dein Lobgesang, deine Anbetung, ein Beweis dafür, daß deine Liebe glücklich ist, wie nur die Liebe es ist, mit welcher man Gott liebt. (SKS 3, 329f. / EO 929)
Entscheidend ist nicht ein Wissen, sondern die Erfahrung einer Gewißheit, die von dem unabschließbaren Zweifel befreit und zum Handeln begeistert. Diese Erfahrung ist eine nicht genauer bestimmte Glaubensgewißheit, wobei der Glauben einerseits als gegeben vorausgesetzt wird und andrerseits von dem Gläubigen neu zu vergegenwärtigen ist. Die Erbauung ist demnach die Vergegenwärtigung des Glaubens, durch die der Mensch seine forcierte Ohnmacht als Entlastung oder Erhebung erfährt (man vergleiche das Motto dieses Kapitels). Vergleicht man die hier ausgewählten Überlegungen des „Ultimatums“ mit den Briefen des Ethikers, die sie vorgeblich rekapitulieren, ist ein Unterschied auffallend, der sich als Gegensatz von Versicherung und Verunsicherung beschreiben läßt. Während der Ethiker zur Verzweiflung anleitet und ihre Überwindung versichert, ist der Verfasser des „Ultimatums“ um Verunsicherung bemüht: um den vorausgesetzten Glauben zu vergegenwärtigen ist die Absage an alle bedingten Gewißheiten erforderlich; diese Absage kann als „eine Freude, in der du siegst über dich und die Welt“, erlebt werden. Ein einklagbarer Anspruch auf die so erfahrene unbedingte Gewißheit würde den ‚Sieg über sich selbst und die Welt‘ nur verhindern. Nachdem die in Entweder-Oder dargestellten Positionen anhand ihrer Stellung zu einer reflexionsdestruierenden Negativität, zum absoluten Nichts, charakterisiert sind, ist die Konstellation dieser Positionen zu interpretieren.
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3.5.4. Die unversöhnliche Mitteilung Der Leser der von Victor Eremita herausgegebenen Papiere wird enttäuscht: die in den Papieren dargestellten Lebensanschauungen verbindet der Anspruch auf eine unbedingte Gewißheit, der gegenüber einer Beruhigung im Bedingten behauptet wird – eine überzeugende Einlösung des Anspruchs bleibt aber aus. Die Reflexionskultur, die die Beruhigung im Bedingten perfektioniert, wird durch die dargestellten Anschauungen nicht überwunden: der Ethiker wendet gegen den Ästhetiker zu Recht ein, daß eine virtuose Vergleichgültigung der Reflexion diese niemals überwindet, sondern den Virtuosen an die Reflexion bindet; zu Unrecht verwandelt der Ethiker die Überwindung der Reflexion in ein Moment eines überblickbaren Prozesses, er setzt die Überwindung bloßer Verhältnismäßigkeit sofort ins Verhältnis (was die ästhetische Sicht auf die ethische Botschaft verdeutlicht); das „Ultimatum“ läßt sich dagegen als Warnung verstehen, sich bei der Suche nach einer unbedingten Gewißheit nicht von einer bedingten täuschen zu lassen. Daß Neugier, die sich auf die Verfasser der Papiere und eine Auflösung ihrer Kontroverse richtet, enttäuscht wird, kündigt Victor Eremita an; während diese Enttäuschung das Interesse des Lesers von den Vertretern der Lebensanschauungen auf diese selbst lenken soll, wirft die Enttäuschung darüber, daß die Lebensanschauungen an ihrem eigenen Anspruch scheitern, den Leser auf sich selbst zurück. Wenn sich der in diesem Sinne enttäuschte Leser in Ermangelung einer überzeugenden Vorgabe seiner eigenen Lebensanschauung zuwendet, geschieht dies auf eine neue Weise: wer die in Entweder-Oder inszenierte Auseinandersetzung mit der Aufmerksamkeit begleitet, daß er die wechselseitige Disqualifizierung der beteiligten Standpunkte erkennt, hat die Bedeutung der Verunsicherung für jedwede Lebensanschauung begriffen, soll eine auf das Wissen oder den Glauben gestützte Lebensanschauung nicht unvermerkt zur beliebigen Gewißheit verkommen. Der Leser hat sich über das eigene Bedürfnis nach einer unbedingten Gewißheit klar zu werden und zu fragen, inwieweit eine als Wissen oder als Glauben erscheinende Gewißheit dieses Bedürfnis befriedigt. Wie auch immer eine unbedingte Gewißheit aussehen mag, sie hat sich gegen die Mängel der disqualifizierten Anschauungen zu behaupten. Die unvermeidliche Verwicklung in den listig arrangierten Konflikt der Lebensanschauungen vergegenwärtigt dem Leser zudem, daß er an der Auseinandersetzung über eine verläßliche Lebensanschauung immer schon beteiligt ist: in dem
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Spannungsfeld von Zweifel, Glauben und Wissen hat er immer schon Stellung bezogen (– und sei es durch den Versuch, die Auseinandersetzung zu ignorieren oder zu vergleichgültigen). Indem ‚Entweder-Oder‘ diesen Positionierungszwang vergegenwärtigt und zugleich zu einer radikalen und dauerhaften Verunsicherung der eigenen Gewißheiten anhält, gelingt Kierkegaard die Artikulation des ‚sich verzehrenden Skeptizismus‘. Mit anderen Worten, Kierkegaard weist auf die Bedeutung des die Reflexion überwindenden absoluten Nichts hin, ohne sich durch die Mitteilung einer ‚skeptischen Position‘ zu kompromittieren. Um die abstrakt skizzierte Rezeption des in Entweder-Oder dargestellten Disputs zu illustrieren, soll ein überraschend vergleichbarer Disput hinzugezogen werden: der Agon der Logoi aus den Wolken des Aristophanes.290 In der Ironie-Schrift mißt Kierkegaard dieser Komödie besondere Bedeutung bei, weil deren Sokrates-Darstellung das absolute Nichts der Sokratischen Ironie nicht verfälscht; der Agon der beiden Logoi wird bei dieser Gelegenheit nur nebenbei erwähnt.291 In Entweder-Oder lassen sich einige Parallelen zu diesem Wettstreit ausmachen, die zum einen die Gestalt der miteinander Streitenden und zum anderen den Ausgang des Streits betreffen. In den Wolken erfolgt der Auftritt der beiden Reden im Rahmen der Sokratischen Unterweisung. Strepsiades, bei dem diese Unterweisung nicht recht anschlagen wollte, drängt seinen Sohn Pheidippides in die Lehre des Sokrates, da er sich damit der drängenden Alltagssorgen zu entledigen hofft. Um dem Wunsch des Strepsiades nachzukommen, Pheidippides möge die Beherrschung der gerechten und der ungerechten Rede erlernen, überantwortet Sokrates den Schüler dem Auftritt der Reden selbst und zieht sich zurück. In der Figur der Ungerechten Rede und der Figur der Gerechten Rede stehen sich die Repräsentanten der neuen und der alten Bildung gegenüber; auf der einen Seite steht der Vertreter der subjektiven Willkür, der auf seine virtuose Redefähigkeit vertraut und sich keinen Genuß versagen muß; auf der anderen Seite steht der Vertreter der Sitte, der sich auf das Recht und die Gottheit beruft und an die Pflicht erinnert. Mit
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Aristophanes Die Wolken. Komödie, Übersetzung, Nachwort und Anmerkungen von O. Seel, Stuttgart 1996, S. 57-70 (Vers 889-1104). Vgl. Kap. 3.3.1.; Kierkegaards Kapitel über Aristophanes in Über den Begriff der Ironie, SKS 1, 179-203 / BI 131-158; vgl. ferner Hegel Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I, TWA 18, 481-487 (461, 497); Hegels Bezug auf die Wolken im Religions-Kapitel der Phänomenologie des Geistes, PdG 399.
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Blick auf Entweder-Oder ist zum einen die Widersprüchlichkeit dieser Gegenüberstellung von Unrecht und Recht zu beachten: beide Reden stehen im Dienst der Sokratischen Unterweisung, das heißt der Lehre, die in der Komödie für die neue Bildung der Zeit mit verantwortlich gemacht wird;292 eine eindeutige Zuordnung von Unrecht und Recht ist trotz der holzschnittartigen Charakteristik der beiden Kontrahenten verunmöglicht (das unterscheidet den Aristophanischen Agon der Logoi von dem Prodiceischen ‚Herakles am Scheideweg‘, der durch die Briefe des Ethikers geistert).293 Zum anderen ist der Ausgang des Streits zu bedenken: vom Unrecht auf die im Publikum herrschende Bildung hingewiesen, gibt sich das Recht nicht einfach geschlagen, sondern springt kurzerhand selbst von der Bühne herab ins Publikum. Kehrt man von dem antiken Agon der Logoi der Wolken zu dem modernen in Entweder-Oder zurück, ist die Verwandtschaft so zu erklären: die Papiere des Ästhetikers und die des Ethikers gebärden sich als Ausdrucksformen einer willkürlichen Subjektivität und einer – wenn auch ‚gebildeten‘ – Sittlichkeit. Der Schein ihrer Selbstsicherheit trügt, da weder der Ästhetiker noch der Ethiker die als aristophanisch erfahrene Gegenwart überwinden,294 vielmehr sich beide wechselseitig der Zugehörigkeit zu eben dieser Gegenwart überführen. Die ästhetische und die ethische Lebensanschauung bieten – wie die Ungerechte und Gerechte Rede der Komödie – keine Alternative. Als Pendant zu dem Sprung ins Publikum läßt sich die oben beschriebene Enttäuschung des Lesers von Entweder-Oder verstehen, durch die der Leser auf seine eigene Lebensanschauung zurückgeworfen wird, diese prinzipiell zu überprüfen hat und sich als Mitspieler in Kierkegaards Agon der Logoi begreift, ohne daß ihm seine Rede zugeteilt würde.
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Diese Widersprüchlichkeit provoziert Droysen in der Einleitung seiner Übersetzung zu heftiger Kritik, Aristophanes Die Wolken in Aristophanes Werke, dritter Theil, uebersetzt von J.G. Droysen, Berlin 1838, S. 16f. Xenophon Erinnerungen an Sokrates, Übersetzung und Anmerkungen von R. Preiswerk, Nachwort von W. Burkert, Stuttgart 1997, S. 43-47. Vgl. E. Panofsky Hercules am Scheidewege und andere antike Bildstoffe in der neueren Kunst, Reprint der Ausgabe Berlin, Leipzig 1930, mit einem Nachwort zur Neuaufl. von D. Wuttke, Berlin 1997. Vgl. SKS 2, 141f. / EO 168 (zitiert in Kap. 3.5.1.), SKS 3, 28 / EO 542 (zitiert in Kap. 3.5.2.).
4. Nachbemerkung
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4. Nachbemerkung Um die Denkfiguren, deren Auftreten und wechselseitiges Verhältnis diese Arbeit untersucht hat, zu einem einprägsamen Schlußbild zusammentreten zu lassen, beschränkt sich der Rückblick auf vier Thesen. Diese Thesen sollen die beiden Pole vergegenwärtigen, in deren Feld sich die einzelnen Untersuchungen bewegt haben (nicht aber diese Bewegungen ersetzen). 1. Hegel und Kierkegaard verbindet die von selbstgenügsamer Reflexion reinigende Läuterung. 2. Hegel entwirft die Läuterung als ‚sich vollbringenden Skeptizismus‘, der zugleich die Berechtigung von Reflexionskritik und Reflexion erschließt. 3. Kierkegaard verkennt Hegels Läuterung. Zu dieser Verkennung trägt die Trivialisierung des der Philosophie immanenten Skeptizismus in der dänischen Hegel-Rezeption bei, die Kierkegaards literarische Satirisierung des Zweifels provoziert. 4. Kierkegaard entwirft die Läuterung als ‚sich verzehrenden Skeptizismus‘. Dieser Skeptizismus bezeichnet einen unablässig zu wiederholenden Zweifel, der einerseits die Sicherheiten des Wissens einreißt, andrerseits als Verunsicherung das Widerlager eines Glaubens bildet oder bilden kann. Den Zweifel und den damit verbundenen ‚existentiellen Positionierungszwang‘ vergegenwärtigt Kierkegaard, indem er unvereinbare Positionierungsmöglichkeiten literarisch darstellt und sich gegenseitig decouvrieren läßt. Zum Schluß sollen drei Möglichkeiten, wie sich an die vorliegende Arbeit anschließen ließe, angedeutet werden. So liegt es beispielsweise nahe, den ‚sich verzehrenden Skeptizismus‘ und seine eventuellen Veränderungen in Kierkegaards späteren Schriften zu verfolgen, wobei die prominente Bedeutung des Zweifels in den erbaulichen Reden auffällt; eine solche Untersuchung mag sich an der Frage orientieren, inwieweit das die Autorisation des Autors problematisierende Werk Kierkegaards als ‚zuchtmeisterliche‘ Intervention zu verstehen ist. Die in dieser Arbeit nachgezeichnete Konstellation läßt sich ferner anhand der Diskussion des Faustischen darstellen, an der sich Hegel, die Hegelianer und Kierkegaard explizit und implizit beteiligen. Dabei birgt insbesondere das jeweilige Verhältnis zu Goethes Faust heuristisches Potential, wenngleich dieses manchmal unter den Stellungnahmen der Diskutanten verschüttet wird (unter dem Aspekt der Läuterung ist zum Beispiel auch die „Bergschluchten“-Szene und deren rätselhafte Stellung in der Tragödie zu berücksichtigen). Schließ-
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4. Nachbemerkung
lich ist zu fragen, inwieweit Hegels und Kierkegaards Zeitdiagnose und die entsprechenden skeptischen Formulierungen eines absoluten Anspruchs heute zu vernehmen oder zu reformulieren sind. Bei der Beantwortung dieser Fragen mag ein Blick darauf helfen, wie in jüngster Zeit über religiöse Erfahrung am Beispiel des Verhältnisses von Glauben und Wissen verhandelt wird.
Abkürzungs- und Literaturverzeichnis Zur Zitierweise Die Zitation mit Abkürzung erfolgt nach dem Schema: Abk., Abtlg. römische Ziffer, Bd. arabische Ziffer, S. arabische Ziffer (z.B. SW I 1, 1). Eine Ausnahme bilden Kierkegaards Papirer, die üblicherweise nach folgendem Schema zitiert werden: Pap., Abtlg. römische Ziffer, Bd. arabische Ziffer, Gruppe Buchstabe, Aufzeichnung arabische Ziffer (ggf. S. arabische Ziffer) (z.B. Pap. I 1 A 1, S. 1). Aus Kierkegaards Schriften wird die Stelle im Original und dann die zitierte Übersetzung nachgewiesen. Wo nicht anders vermerkt, handelt es sich prinzipiell um eine Übersetzung des Verfassers. Abkürzungen BI
Sören Kierkegaard: Über den Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates, GW2 XXXI 25. EO Sören Kierkegaard: Entweder-Oder. Teil I und Teil II. Unter Mitwirkung von Niels Thulstrup und der Kopenhagener Kierkegaard-Gesellschaft hrsg. v. Hermann Diem und Walter Rest. Aus dem Dänischen von Heinrich Fauteck. 5. Aufl. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1998. G Jean Paul: Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch, SW I 3, 9251010. GuW Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjectivität, in der Vollständigkeit ihrer Formen, als Kantische, Jacobische, und Fichtesche Philosophie. In: Jenaer Kritische Schriften. Hrsg. v. Hartmut Buchner und Otto Pöggeler, GW 4, 315-414. GW Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Gesammelte Werke. In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hrsg. v.
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GW1
GW2
JC Pap.
PdG Sk
SKS
SW
T 1-5 TWA
Abkürzungs- und Literaturverzeichnis
der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. Hamburg: Meiner 1968ff. Sören Kierkegaard: Gesammelte Werke. 36 Abtlg. in 26 Bdn. und Registerbd. Übers. und hrsg. v. Emanuel Hirsch, Hayo Gerdes und Hans-Martin Junghans. Düsseldorf, Köln: Diederichs 1950-1969. Sören Kierkegaard: Gesammelte Werke. 36 Abtlg. in 30 Bdn. Übers. und hrsg. v. Emanuel Hirsch, Hayo Gerdes und HansMartin Junghans. 2. Aufl. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1986-1995 (GTB Nachdruck 600-629). Sören Kierkegaard: Johannes Climacus oder De omnibus dubitandum est, GW2 X 8, 109-164. Søren Kierkegaards Papirer. Bd. I-XI. Ved P.A. Heiberg, V. Kuhr og E. Torsting. København: Gyldendalske Boghandel, Nordisk Forlag 1909-1948; Anden forøgede Udgave, bd. IXVI. Ved N. Thulstrup (Index ved N.J. Cappelørn). København: Gyldendal 1968-1978. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Phänomenologie des Geistes. Hrsg. v. Wolfgang Bonsiepen und Reinhard Heede, GW 9. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Verhältniß des Skepticismus zur Philosophie, Darstellung seiner verschiedenen Modificationen, und Vergleichung des neuesten mit dem alten. In: Jenaer Kritische Schriften. Hrsg. v. Hartmut Buchner und Otto Pöggeler, GW 4, 197-238. Søren Kierkegaards Skrifter. Udg. af Niels Jørgen Cappelørn, Joakim Garff, Jette Knudsen, Johnny Kondrup, Alastair McKinnon og Finn Hauberg Mortensen. Bd. 1-55. København: Søren Kierkegaard Forskningscenteret og G.E.C. Gads Forlag 1997ff. Jean Paul: Sämtliche Werke [10 Bände in 2 Abteilungen]. Hrsg. v. Norbert Miller [Jugendwerke hrsg. v. Norbert Miller und Wilhelm Schmidt-Biggemann]. Frankfurt a.M.: Zweitausendeins 1996. Sören Kierkegaard: Die Tagebücher. Bd. 1-5. Übers. und hrsg. v. Hayo Gerdes. Düsseldorf, Köln: Diederichs 1962-1974. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Auf der Grundlage der Werke von 1832-1845 neu edierte Ausgabe. Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1986ff. (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 601-620) (Theorie-Werkausgabe).
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Register (Personen und Stellen in Auswahl)
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Köppen, Friedrich
32-34
Lenau, Nikolaus 63 Loewenberg, Jacob 173f. Lypp, Bernhard 1 Martensen, Hans Lassen 63-68, 144-147, 157, 158f., 163 Menasse, Robert 69 Møller, Poul Martin 126
67, 152, 158f., 164
Eichendorff, Joseph von 62 Erdmann, Johann Eduard 72
Panofsky, Erwin 208 Platon 15, 35, 105f., 107f. Pyrrhon 36f.
Fichte, Johann Gottlieb 56, 125
Ringleben, Joachim 5 Rosenkranz, Karl 68f., 72
23-26, 53, 54,
Görres, Joseph von 61 Goethe, Johann Wolfgang 209 Gruppe, Otto Friedrich 68 Hamann, Johann Georg 21, 70, 73-78 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1-5, 558, 66-68, 72, 73-79, 113-115, 126f., 157, 158f., 168-175, 209f. Heiberg, Johan Ludvig 63f., 81, 144f. Heine, Heinrich 70, 125 Jacobi, Friedrich Heinrich 51 Jean Paul 2, 70f., 83-102
16-23, 30-34,
Kant, Immanuel 12-16, 111 Kierkegaard, Søren 1-5, 59-83, 102-208, 209f.
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 12, 27, 32-34, 49 Schlegel, Friedrich 54, 55, 125 Schleiermacher, Friedrich 22 Schulze, Gottlob Ernst 34, 38f. Sibbern, Frederik Christian 137f. Sokrates 52-54, 103-116 Solger, Karl Wilhelm Ferdinand 55f., 56f., 125, 149 Spinoza, Baruch de 16f., 36, 153 Stewart, Jon 117f., 168-170 Stilpon 174 Tillich, Paul
78f.
Voigt, Günther 88f. Xenophon
105, 107f., 208