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German Pages 385 [388] Year 1996
Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens
Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens Vergleichende Studien zum Funktionswandel des Lachens vom Mittelalter zur Gegenwart
herausgegeben von Lothar Fietz, Joerg O. Fichte, Hans-Werner Ludwig
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1996
Die Abbildung auf dem Umschlag stammt aus: Macdonald Critchley, The Citadel of the Senses and other Essays, 1986, Raven Press Books, Ltd., New York
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens : vergleichende Studien zum Funktionswandel des Lachens vom Mittelalter zur Gegenwart / hrsg. von Lothar Fietz ... - Tübingen : Niemeyer, 1996 NE: Fietz, Lothar [Hrsg.] ISBN 3-484-40139-7 © Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1996 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. Druck: Guide-Druck GmbH, Tübingen Einband: Geiger, Ammerbuch
Vorwort
Der vorliegende Band macht die Ergebnisse des Dreizehnten Blaubeurer Symposions zugänglich, das vom 23. bis 26. Februar 1995 im Heinrich-FabriInstitut der Universität Tübingen zum Thema "Semiotik, Rhetorik und Ästhetik des Lachens" in einem kleineren Kreis von Fachwissenschaftlern der Anglistik, Amerikanistik, Germanistik, Romanistik, Rhetorik und Soziologie stattfand. Die Veranstalter sind zu großem Dank verpflichtet der Deutschen Forschungsgemeinschaft, durch deren finanzielle Unterstützung das Symposion ermöglicht wurde, der Vereinigung der Freunde der Universität Tübingen, die eine Ausfallbürgschaft übernahm, den Wissenschaftlichen Leitern des Geistesund Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums der Eberhard-Karls-Universität, den Herren Professoren Brinkmann und Rössler, die dem Projekt mit großem Interesse und Wohlwollen begegneten, und dem Beirat des Forschungszentrums, der die Möglichkeit eröffnete, daß das Symposion im Heinrich-Fabri-Institut Blaubeuren stattfinden konnte. Die Planung und Durchführung des Symposions wäre nicht denkbar gewesen ohne die organisatorische Kompetenz und Hilfe von Herrn Anton Knittel, M.A., dem Assistenten des Leiters des Heinrich-Fabri-Instituts, von Herrn Dr. Peter Paul Schmierer und Frau Svenja Kuhfuß, Assistenten am Seminar für Englische Philologie, und von Frau Stefanie Köhler und Frau Evelyn Görlacher, die über genderspezifische Ridicula in der neuesten englischen und deutschen Literatur promovieren und so für ein zuverlässiges Protokoll der Tagung sorgen konnten. Besonderer Dank gebührt dem Max Niemeyer Verlag, der die Publikation der Ergebnisse dieses Symposions ohne finanziellen Zuschuß ermöglichte. Für die Erstellung der für die Drucklegung notwendigen Postscript-Datei sind die Herausgeber des vorliegenden Bandes Frau Christel Reinhold, Frau Renate Schneider und Frau Ursula Schröter zu großem Dank verpflichtet, die die Einzelbeiträge formal aufeinander abzustimmen hatten, bevor Frau Svenja Kuhfuß und Herr Dr. Peter Paul Schnierer den Computersatz vornehmen konnten. Frau Tanja Lindl, Frau Sibylle Metzger und die Herren Günter Leypoldt und Frank Löffler haben in allen Stadien mit großer Umsicht das Manuskript überprüft und korrigiert. Tübingen, im September 1995
L.F., J.O.F., H.-W.L.
Inhaltsverzeichnis
LOTHAR FIETZ Einleitung TEIL I:
Interdisziplinäre Grundlegung
l 5
LOTHAR FIETZ Möglichkeiten und Grenzen einer Semiotik des Lachens
7
GERT UEDING Rhetorik des Lächerlichen ANTON C. ZIJDERVELD A Sociological Theory of Humor and Laughter
21
TEIL II: Mittelalter
47
37
WALTER HAUG Schwarzes Lachen: Überlegungen zum Lachen an der Grenze zwischen dem Komischen und dem Makabren
49
SEBASTIAN NEUMEISTER Die Praxis des Lachens im Decameron
65
GERHILD SCHOLZ WILLIAMS Das Fremde erkennen: Zur Erzählfunktion des Lachens im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit 82
JOERG O. FICHTE Lachen und komplexe narrative Strukturen in der mittelenglischen höfischen Romanze
97
JOERG O. FICHTE Ergebnisprotokoll der Sektion "Mittelalter" TEIL III: Renaissance bis 18. Jahrhundert
117 121
ANDREAS KABLITZ Lachen und Komik als Gegenstand frühneuzeitlicher Theoriebildung 123
MARIA MOOG-GRÜNEWALD "Pour ce que rire est le propre de rhomme": Zu einer Anthropologie des Lachens in der französischen Renaissance 154
VÜi
Inhaltsverzeichnis
FRANK BAASNER Lächerliches und Gelächter im Roman des siglo de oro
168
LOTHAR FIETZ Von der Sündhaftigkeit zur Lächerlichkeit der Vanitas
189
MANFRED PFISTER "An Argument of Laughter": Lachkultur und Theater im England der Frühen Neuzeit 203
GEORG BRAUNGART Le ridicule: Sozialästhetische Normierung und moralische Sanktionierung zwischen höfischer und bürgerlicher Gesellschaft - Kontinuitäten und Umwertungen 228
LOTHAR FIETZ "Versuche" einer Theorie des Lachens im 18. Jahrhundert: Addison, Hutcheson, Beattie 239
LOTHAR FIETZ Ergebnisprotokoll der Sektion "Renaissance bis 18. Jahrhundert" TEIL IV: 19. und 20. Jahrhundert
252 257
GÜNTHER BLAICHER Byrons Lachen und die zeitgenössische Rezeption 259 HANS BORCHERS Die amerikanische Tall Tale: Rhetorik und soziale Funktion . . . . 275
HELMBRECHT BREINIG Überlegenheit, Harmonie und die Macht der Diskurse: Zur Funktion des Lachens in den späteren Schriften Mark Twains 293
JÜRGEN WERTHEIMER Hierarchien des Lachens: Machtstrukturen der Affektäußerung im Roman des 19. Jahrhunderts 312
BERNHARD GREINER Meta-phoren: das Lachen und die Zeichen in Elias Canettis Autobiographie 325
HANS-WERNER LUDWIG "This Terrible Deformity of Laughter": Vom Theater der Grausamkeit (Artaud) zum Theater der Katastrophe (Barker) 341
HANS-WERNER LUDWIG Ergebnisprotokoll der Sektion "19. und 20. Jahrhundert"
375
LOTHAR FIETZ Einleitung
Die Konzeption dieses Symposions ergab sich aus einer Forschungslücke. Bisher wurde die Diskussion des Phänomens des Lachens in den Literaturwissenschaften einerseits stark gattungsbezogen geführt, wenn es darum ging, die Komödie, die Satire, den Witz, etc. als Stimuli des beim Leser intendierten Lachens zu analysieren; andererseits war sie stark theoriebezogen, wenn Bergsons, Bachtins, Plessners, etc. Lachtheorien dazu dienten, Ridicula, Typen des Lachens und seiner Funktionen zu klassifizieren. Das hat insgesamt zu Übergeneralisierungen und damit zu einer Vernachlässigung der historischen und kulturspezifischen Dimensionen des Untersuchungsgegenstandes geführt. Aus dem kritischen Unbehagen an Theoriemodellen, die zu ahistorisch-reduktionistischen Betrachtungsweisen führen, wenn sie als die richtigen, konkurrenzlosen und damit unüberholbaren Modelle verinnerlicht werden, wuchs das Projekt hervor, die ahistorischen Ansätze durch Textanalysen zu kontrapunktieren, die der historischen Vielfalt des dargestellten und intendierten Lachens und seiner Bedingungen Rechnung tragen. Beim Dreizehnten Blaubeurer Symposion trafen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen der Anglistik, Amerikanistik, Germanistik, Romanistik, Rhetorik und Soziologie zusammen, um das Problem des dargestellten und intendierten Lachens und der dazugehörigen Ridicula und Ludicra unter dem Aspekt ihrer historischen Jeweiligkeit zu diskutieren und in Bezug zu setzen zu den ideen-, literatur- und gesellschaftsgeschichtlichen Kontexten. Ein solcher historisch-komparatistischer Ansatz unterliegt von vornherein vielfältigen Einschränkungen: Aus organisatorischen Gründen mußte das komparatistische Projekt auf die Anglistik, Amerikanistik, Germanistik und die Romanistik beschränkt und der weite Bereich der Slavistik ausgeklammert bleiben. Die Deutung des Lachens als Zeichen von Stimmungen, Haltungen, Einstellungen und dessen Funktionen im Primärbereich der Lebenswirklichkeit unterliegt zudem eher spekulativen Annahmen und Ansichten und entbehrt noch weitgehend einer semiotisch-analytischen Fundierung. So besteht ein unübersehbarer Hiat zwischen primärer Lebenswirklichkeit und den mimetischen Künsten, in denen das dargestellte oder durch sie intendierte Lachen schon immer als ein Phänomen der Textualisierung in Erscheinung tritt. Ein solcher Hiat kann gültig nur überbrückt werden, wenn die Literaturwissen-
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Lothar Fietz
schaft in Zusammenarbeit mit den Wissenschaften, die extraliterarische Wirklichkeit zum Gegenstand haben, zu entscheiden vermag, ob ein Text die historische Lebenswirklichkeit reflektiert oder ob er einen Gegenentwurf zu ihr darstellt und so Vorstellungen entwickelt, wie eine veränderte Lebenswirklichkeit beschaffen sein könnte und sollte. Die theoretische Grundlegung von Kooperationsmodellen, durch welche die verschiedenen kulturellen 'Reihen' funktional aufeinander bezogen werden können, ist längst vorhanden. Die Umsetzung in die Praxis aber stößt an Grenzen, die den Einzeldisziplinen als Lehr- und Forschungseinheiten gesetzt sind oder die sie sich selbst setzen. Die Beiträge zum Dreizehnten Blaubeurer Symposion reflektieren Möglichkeiten interdisziplinärer Zusammenarbeit und Wege der Grenzüberschreitung in verschiedene Richtungen: vom literarischen Text zur extratextuellen Primärwirklichkeit; von der Literatur- zur Rhetorikgeschichte; von einer Nationalliteratur zu anderen; und schließlich - chronologisch gesehen - über schematische Grenzziehungen hinweg, die sich bei der Periodisierung der Ideen- und Literaturgeschichte etabliert haben. Daß ein Symposion, das sowohl einem historischen wie einem komparatistischen Ansatz verpflichtet ist, keine 'flächendeckende' Analyse des textualisierten Phänomens des Lachens in Angriff nehmen kann, versteht sich wohl. Deshalb sind die einzelnen Beiträge daraufhin ausgerichtet, aus der Geschichte des dargestellten und intendierten Lachens in den verschiedenen Literaturen Umbruch- und Krisenstadien darzustellen, die nicht ohne weiteres mit etablierten Periodengrenzen gleichzusetzen sind, sondern die vielmehr durch problematische und problematisierende kreative Individuen wie zum Beispiel Boccaccio, Rabelais, Cervantes, Shakespeare, Shaftesbury, Byron, Fontäne oder Barker markiert werden, die sich an den Zwängen der herrschenden Normsysteme reiben. Zugespitzt auf das Phänomen des Lachens bedeutet dies, daß dieses immer in Bezug zu setzen ist zu den Gegenkräften der Disziplinierung oder Unterdrückung aus theologischen, moralischen, politischen oder gesellschaftskonventionellen Gründen, das heißt, in Bezug zu den Grenzen, die dem Lachen in spezifischen historischen Situationen gesetzt sind. Der Absicht der Organisatoren des Symposions, die Komplexität der historischen Befunde nicht einem ahistorisch-reduktionistischen Verfahren zu unterwerfen, ist von den Beitragenden dankenswerterweise in hohem Maße Rechnung getragen worden, und so ergibt sich zwar kein lückenloses, aber ein differenziertes Bild wichtiger Stadien im Wandel der Einstellungen zum Lachen in verschiedenen Nationalliteraturen und ihrer gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen. Im Vergleich der Literaturen untereinander wurden außerdem synchrone und asynchrone Wandlungsprozesse ebenso deutlich wie Unterschiede und Sonderentwicklungen. Wenn ein Teil des Ertrags dieses Symposions in der Sichtung und Untersuchung wichtiger Wandlungsstadien in der Geschichte des dargestellten und
Einleitung
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intendierten Lachens zu sehen ist, dann besteht ein anderer in einer Vielfalt von Fragestellungen, die sich aus den historisch-komparatistischen Ansätzen herauskristallisierten und die in den Diskussionen problematisiert, modifiziert und weiterverfolgt wurden. Die Vorentscheidung für eine historische Betrachtungsweise schließt nicht aus, daß immer wieder nach möglichen anthropologischen Konstanten zurückgefragt wird, die den kultur- und periodenspezifischen Erscheinungen des Lachens zugrunde liegen. Sobald der Begriff der Konstante den der Struktur ersetzt, wird deutlich, daß nicht mehr von Ewigkeitsstrukturen und Universalien die Rede ist, sondern von Konventionen, die geistesgeschichtliche Prozesse eine Zeitlang strukturieren und ihnen eine gewisse Kontinuität verleihen können. Aufs engste verbunden mit dieser Historisierung des Strukturbegriffs ist der implizite und explizite Gebrauch des Normbegriffs, dem nur durch Reifizierungsprozesse auf fälschliche Weise der Status einer unverbrüchlichen Gesetzlichkeit zugeschrieben werden kann. Zugespitzt auf das Problem des Lachens heißt dies, daß Lachen als Verlachen von Nonnabweichungen ein normkonformes Verhalten, als karnevaleskes Lachen dagegen eine normkritische oder gar normbrechende Haltung signalisieren kann. Nur dadurch, daß die jeweiligen kultur- und periodenspezifischen Normsysteme zum dargestellten oder intendierten Lachen in Bezug gesetzt werden, kann der Spielraum bestimmt werden, innerhalb dessen sich Lachen als Ausdruck menschlichen Verhaltens einerseits entfalten kann und darf, andererseits aber beschränkt, diszipliniert, domestiziert und instrumentalisiert wird im Sinne der jeweilig herrschenden gesellschaftlichen, theologischen und politischen Normsysteme und Machtstrukturen. In den hier skizzierten Problemrahmen gehört auch die geschmacksgeschichtlich interessante Frage nach der Schicklichkeit des Lachens in den jeweiligen Gesellschaftsräumen. So war das Symposion darauf ausgerichtet, das Phänomen des dargestellten und intendierten Lachens in historische, komparatistische und interdisziplinäre Kontexte einzubetten und dabei Hauptstadien des Funktionswandels vom Mittelalter zur Gegenwart zu ermitteln.
TEIL I Interdisziplinäre Grundlegung
LOTHAR FIETZ
Möglichkeiten und Grenzen einer Semiotik des Lachens
Die Grundbegriffe des Lachens und des Lächelns sind in verschiedenen Nationalsprachen zwar verschieden untergliedert, aber insgesamt ist ein relativ hoher Grad der Ausdifferenzierung festzustellen. So wird im Deutschen durch Präfixierung etwa zwischen "anlachen," "auslachen" und "verlachen," oder durch analytische Hinzufügung von Adverbien wie "frech," "gezwungen," "herzlich" oder "spöttisch" zum Grundverb "lachen" zwischen verschiedenen, sich durch Lachen ausdrückenden Haltungen unterschieden. Das Englische kennt neben dem Grundverb "to laugh" andere Facettierungen wie "to chuckle," "to giggle," "to guffaw," "to snigger," "to titter" neben einer Fülle von analytisch erzeugten Subkategorisierungen. Die Sichtung der in einer Sprache verfügbaren Bezeichnungen für den Begriffskomplex des Lachens und des Lächelns, wie sie für das Englische von Madeleine Schneeberger und für das Deutsche von Michael Schlaefer1 vorgenommen wurde, könnte den Eindruck erwecken, daß durch die semantische Analyse der Signifikate von Bezeichnungen für Lachen und Lächeln der Code des Phänomens des Lachens zu entschlüsseln und damit das Problem von einer semantischen auf eine semiotische Anschauungsebene zu bewegen sei. Solche Ansätze greifen, zumindest im Lichte der jüngeren Entwicklungen in der Geschichte der Semiotik, als Grundlagenwissenschaft nicht nur verbaler Zeichensysteme betrachtet, zu kurz. Ein semiotischer Ansatz muß der Tatsache Rechnung tragen, daß Verben, Nomina, Phrasen und Paraphrasen, die verschiedene Arten des Lachens und Lächelns bezeichnen, Bezeichnungen sind, die selbst wieder symptomatische Zeichen für Emotionen, Haltungen oder Stimmungen im Lachenden bezeichnen. Aus semiotischer Perspektive erscheinen die semantischen SignifikatAnalysen als Analysen des Sprechens über etwas, das selbst Zeichenstruktur hat, und dabei wird die Illusion erzeugt, daß das extra-symptomatische Signifikat des Symptoms des Lachens erkennbar und diagnostizierbar sei, so als ob dem Lachen ähnlich wie dem sprachlichen Code feste gesellschaftliche Konventionen zugrunde lägen.
1
Madeleine Schneeberger, Das Wortfeld des Lachens und Lächelns im modernen Englisch (Winterthur, 1964). Michael Schlaefer, Studien zur Ermittlung und Beschreibung des lexikalischen Paradigmas "lachen" im Deutschen (Heidelberg, 1987).
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Lothar Fietz
Aus diesen Vorbemerkungen ergeben sich hinsichtlich einer semiotischen Betrachtungsweise des Phänomens des Lachens eine Reihe von Schlußfolgerungen, die zum einen die historische Verortung des semiotischen Ansatzes und zum ändern den Untersuchungsgegenstand selbst betreffen. Die Zeichenlehre als Grundlage der Sprachphilosophie und Sprachwissenschaft hat eine lange Geschichte, wie sie von Eugenio Coseriu,2 beginnend mit Heraklit über Plato, Aristoteles, Augustin, Leibniz bis hin zu Rousseau mit Ausblicken auf das 20. Jahrhundert dargestellt worden ist. Nähme man die strukturale Semiologie von de Saussure und die daraus ableitbaren Ansätze in der strukturalistischen Phonologic und Semantik zum Ausgangspunkt der Betrachtungen, dann hätte man, das Lachen als Zeichen verstehend, nach den zwei "Teilen" des Zeichens, das heißt nach dem Signifikans und nach dem Signifikat zu fragen. Die vorher zitierten Verben für "lachen" aus dem Deutschen und Englischen suggerieren, daß verschiedene Arten des Lachens verschiedene "Bedeutungen" haben. Voraussetzung der Bedeutungsdifferenzierung wäre - wenn Lachen nur ein akustisches Phänomen wäre - eine Phonologie des Lachens, mittels derer Phoneme des Lachens als bedeutungsdifferenzierende Elemente zu definieren wären. Was die strukturale Phonologic für die Sprachen als verbale Codes geleistet hat, ist für eine Para-Sprache wie das Lachen ein unbeschriebenes Blatt geblieben. Zwar vermeint man, in der Lebenswirklichkeit das Lachen als Zeichen einer Haltung deuten zu können, ebensooft aber registriert man an sich selber und anderen eine Verunsicherung, die durch Lachen und Lächeln, die sich einer Deutung entziehen, hervorgerufen wird. So lassen sich zwar die sprachlichen Bezeichnungen für "lachen" phonologisch und semantisch analysieren als referentielles Sprechen über das Lachen, aber diese Analyse leistet nur mittelbar etwas zur Decodierung des Lachens als symptomatisches Zeichen, indem sie die einer Sprache inhärenten Kategorien der Differenzierung vorgibt. Durch ein solches kategoriales Raster wird denkbar, was "Lachen" in der Lebenswirklichkeit bedeuten könnte, aber nicht ohne weiteres erschließbar, was Lachen als symptomatisches Zeichen in der Lebenswirklichkeit tatsächlich bedeutet. Wenn in den vorausgehenden Überlegungen vom Lachen als einem symptomatischen Zeichen die Rede war, dann geschah das im Vorgriff auf ein semiologisches Theoriemodell, das der Wiener Linguist Karl Bühler unter dem Aspekt der Darstellungsfunktionen der Sprache3 entwickelt und auf dem 4. Linguistenkongreß 1936 in Prag als "Strukturmodell der Sprache" vorgestellt
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3
Eugenio Coseriu, Die Geschichte der Sprachphilosophie von der Antike bis zur Gegenwart: Eine Übersicht. Teil I: Von der Antike bis Leibniz. Teil H: Von Leibniz bis Rousseau. Tübinger Beiträge zur Linguistik, ed. Gunter Narr (Tübingen, 1969; 1972). Karl Bühler, Sprachtheorie: Die Darstellungsfunktion der Sprache (1934; Stuttgart, 1965).
Möglichkeiten und Grenzen einer Semiotik des Lachens
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hatte.4 Bühler modellierte die Theorie von der Struktur des Zeichens in eine Theorie von der Funktion des Zeichens um, wobei ihm zunächst die "semantischen Funktionen des (komplexen) Sprachzeichens" wichtig waren. Er unterschied unter funktionalen Aspekten "Symbol" und "Signal" vom "Symptom (Anzeichen, Indicium)," das in "seiner Abhängigkeit vom Sender, dessen Innerlichkeit es ausdrückt,"5 zu deuten ist. Roman Jakobson führte die funktional-semiologischen Überlegungen Bühlers weiter und legte in dem 1960 erschienenen Beitrag "Linguistik und Poetik"6 die Grundlagen für eine semiotische Kommunikationstheorie, in der Sprache "in der ganzen Vielfalt von Funktionen erforscht werden"7 muß. Während Bühler sein Funktionsmodell allein am verbalen Sprachsystem entwickelt hatte, bezog Jakobson bei der Definition der "emotiven" oder "expressiven" Funktion, die weitgehend mit Bühlers Anschauung von der "symptomatischen" Funktion identisch ist, nicht nur verbale, sondern - wenn auch nur am Rande - ebenso para-verbale "Lautmuster" wie "Schnalzlaute" in seine Betrachtung ein. Würde man die funktionale Semiologie Jakobsons auf das Phänomen des Lachens anwenden, dann wäre dieses, unter dem Aspekt der Zeichenfunktion betrachtet, eindeutig der Kategorie "emotiv" zuzuordnen oder - in der Terminologie von Bühler - als symptomatisches Zeichen der "Innerlichkeit" des Lachenden zu verstehen. Aber weder Bühler noch Jakobson haben sich mit dem komplizierteren semiologischen Phänomen des deskriptiven oder metaphorischen Sprechens über Phänomene beschäftigt, die selbst wieder symptomatische Zeichen für "Innerlichkeit" im Sinne von Haltungen oder Emotionen des Zeichensenders sind. Jakobsons Kategorien der referentiellen und der metasprachlichen Funktion greifen aber - was die Brauchbarkeit ihrer Anwendung auf das Phänomen des Lachens anlangt - über Bühler hinaus. Über den Begriff der referentiellen bzw. metasprachlichen Funktion läßt sich sowohl die Mitteilung als auch die Reflexion über das Lachen als eine primäre Zeichenwirklichkeit (= Zeichensystem der Lebenswirklichkeit) fassen, deren Kategorisierung allerdings durch das sekundäre Zeichensystem der Sprache vorgegeben wird. Wendet man zudem Jakobsons Kategorie der "phatischen" Funktion auf das primäre Zeichensystem des Lachens an, dann eröffnet sich ein weiterer Blick auf das Phänomen: Als Zeichen verstanden, verweist das Lachen nicht nur zurück auf eine Emotion oder Haltung des Lachenden, sondern spielt eine eminente Rolle im Kommunikationsprozeß zwischen Individuen im Sinne eines Zeichens, das
Karl Bühler, "Das Strukturmodell der Sprache," Travaux du Cercle Linguisüque de Prague 6 (1936; 1968) 3-12; cf. dazu Lothar Fietz, Strukturalismus: Eine Einführung (Tübingen, 21992) 34ff. Karl Bühler, Sprachtheorie 28. "Linguistik und Poetik," Strukturalismus in der Literaturwissenschaft, ed. Heinz Blumensath(Köln, 1972) 118-147. Ibid. 121.
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Lothar Fietz
zwischenmenschliche Beziehungen anbahnen, stiften, aber auch stören oder sogar unterbrechen kann. Zur Analyse dieser Funktion reicht der von Malinowski geprägte und von Jakobson übernommene Begriff der "phatischen Funktion"8 allerdings nicht aus, denn darunter verstanden Malinowski wie Jakobson den "Austausch von ritualisierten Formeln [...] mit dem einzigen Ziel, die Kommunikation zu verlängern."9 Auf dem Hintergrund der Vielfalt der Wirkungen, die Lachen im kommunikativen Prozeß auf den Angelachten, Ausgelachten oder Verlachten haben kann, versteht es sich von selbst, daß die Kategorie der "phatischen Funktion" zu eng gefaßt ist, um die Diversität der Funktionen zu erfassen, die Lachen im zwischenmenschlich-kommunikativen Prozeß haben kann. Dies ändert nichts an der richtungsweisenden Theorie, die dem funktional-semiotischen Ansatz des Jakobsonschen Modells innewohnt und die auf eine Semiotik vorausweist, die "alle kulturellen Vorgänge (d.h. wenn handelnde Menschen ins Spiel kommen, die aufgrund gesellschaftlicher Konventionen zueinander in Kontakt treten) als Kommunikationsprozesse untersucht."10 In der weltanschaulichen Setzung von "Kultur als Kommunikation" emanzipiert sich die jüngere Semiotik von der strukturalen Semiologie, deren Untersuchungsgegenstände die Struktur von Zeichen oder im de Saussureschen Sinne von Zeichen-Teilen (Signifikans und Signifikat) waren, die sich aber - befruchtet durch funktionale Gedankengänge eines Bühler oder Jakobson - zur Semiotik als Grundlage der Kommunikationswissenschaften entwickelten, in denen verbale neben nicht-verbalen und para-verbalen Zeichen als Kommunikationsinstrumente im Mittelpunkt des Interesses stehen. Wenn Bühler neben der symbolischen und symptomatischen Funktion von Zeichen noch die Signal-Funktion des Zeichens als "Appell an den Hörer, dessen inneres und äußeres Verhalten es steuert, wie andere Verkehrszeichen,"" ins Spiel bringt, dann nimmt er intuitiv trotz aller terminologischen Unscharfe einen Teil der kommunikationstheoretischen Implikationen der modernen Semiotik vorweg. Im Unterschied zur strukturalen Semiologie, die im Ansatz noch vorwiegend semantisch orientiert war, tritt durch die Vermittlung von Bühler und Jakobson neben den verschiedenen referentiellen Funktionen die kommunikative Funktion verstärkt in Erscheinung: das Zeichen als Instrument der Kommunikation und damit als Stimulus von Vorstellungen im Zeichenempfänger. Damit kompliziert sich das semiotische Problem selbst im verbalen Bereich, in dem ein hoher Grad von Konventionalisierung vorausgesetzt werden kann, noch einmal im Sinne der Frage, ob die von einem Sender
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B. Malinowski, "The Problem of Meaning in Primitive Languages," The Meaning of Meaning, ed. C.K. Ogden and I.A. Richards (New York; London, 953) 296-336. 9 Roman Jakobson, "Linguistik und Poetik" 123. 10 Umberto Eco, Einführung in die Semiotik (München, 1972) 32. " Karl Bühler, Sprachtheorie 28.
Möglichkeiten und Grenzen einer Semiotik des Lachens
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intendierte und mittels Zeichen übermittelte Botschaft trotz eines konventionalisierten Übertragungscodes vom Empfänger in der intendierten Art und Weise auch wahrgenommen wird.12 Die Unsicherheiten und Probleme, die für einen stabilisierten Übertragungscode verbaler Art gelten, potenzieren sich noch einmal, wenn es sich, wie im Fall des Lachens, um para-verbale Ausdrucksais Kommunikationsmittel handelt, die nicht in dem Maße gesellschaftlich verfestigt sind wie die einer Nationalsprache. Dennoch wird - wie eingangs erwähnt - durch die differenzierten sprachlichen Bezeichnungen für "Lachen" der Eindruck erweckt, daß der Code von Lachvorgängen bekannt sei und daß das Lachen Konventionen unterliege, mittels derer es möglich ist, es im Primärbereich der Lebenswirklichkeit eindeutig in seinen emotiven und zwischenmenschlichen Implikationen und Funktionen zu decodieren. Obwohl Sprachsystemen die Weisheit von Generationen innewohnt, stellen sie gleichzeitig aber als Filter, durch die der Mensch die Lebenswirklichkeit wahrnimmt, Beschränkungen der Wahrnehmungs- und Deutungshorizonte dar, die sich in der Stereotypie und Sterilität der wissenschaftlichen Fragestellungen nur zu oft manifestieren. Im Verlauf der oben skizzierten Entwicklungen zu einer Semiotik als kultureller Kommunikationstheorie sind zwar die Grundlagen zu einer Literatursemiotik,13 zu einer Architektursemiotik,14 zu einer Medizinsemiotik15 neben rudimentären Grundlagen zu anderen Teilsemiotiken gelegt worden, aber die Ansätze zur Grundlegung einer para-sprachlichen Semiotik von George L. Trager16 sind in den Anfängen steckengeblieben, und so hat es
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Bernd Engler, der diese Überlegungen kritisch überdacht hat, verdanke ich in diesem Zusammenhang einen interessanten Hinweis auf die metakommunikative Funktion des Lachens. Dem Lachen über etwas kann das Lachen als Verständigung über Ridicula vorausgehen. So gesehen, sagt Engler, kommt "dem Lachen auch eine metakommunikative Funktion zu, insofern es auch dazu dient, sich über den Code bzw. die Normen, auf dem bzw. denen die weitere Kommunikation gründen soll, zu verständigen. Indem zwei Personen über etwas lachen, versichern sie sich gegenseitig der Akzeptanz des jeweiligen gemeinsamen Systems von Wertsetzungen. Mit diesem Akt wird nicht nur festgestellt, was 'lachhaft' ist und was nicht, sondern vielmehr ein gemeinsamer Bezugspunkt zu einem kulturellen Code geschaffen, mittels dessen eine verbale Kommunikation erfolgreich ablaufen kann." Cf. u.a. Maria Corti, An Introduction to Literary Semiotics (Bloomington; London, 1978). Manfred Hardt, Poetik und Semiotik: Das Zeichensystem der Dichtung (Tübingen, 1976). Cf. Elisabeth Walther, "Semiotik und Architektur," Allgemeine Zeichenlehre (Stuttgart, 1974) 139-142. Cf. Umberto Eco, Einführung in die Semiotik 21. George L. Trager, "Paralanguage: A First Approximation," Language in Culture and Society, ed. Dell Hymes (New York, 1964). - G.B. Milner, "Homo Ridens: Towards a Semiotic Theory of Humour and Laughter," Semiotica 5 (1972): 1-30, beschränkt sich darauf, die altbekannte Struktur der Ridicula als Abweichung von Normsetzungen vor allem im Hinblick auf Wortspiele, Schüttelreime etc. zu exemplifizieren. In keiner der nachfolgenden Arbeiten zur nicht-sprachlichen Semiotik wird das Problem des Lachens als Kommunikationsproblem behandelt: cf. Siegfried Frey, Die nonverbale Kommunikation (Stuttgart, 1984). Paul Ekmann, Wallace V. Friesen und Phoebe Ellsworth, Gesichts-
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Lothar Fietz
auch keinen weiterführenden Versuch gegeben, das para-sprachliche Phänomen des Lachens unter ausgesprochen semiotischen Aspekten theoretisch und praktisch in den Griff zu bekommen. Dies bedeutet nicht, daß das Lachen nicht unter psychologischen, moralischen, soziologischen, literarischen und rhetorischen Aspekten Beachtung gefunden hätte, wohl aber, daß den einzelnen Theorien und Untersuchungen zumeist der kleinste gemeinsame semiotische Nenner von der "Kultur als Kommunikation" abgeht. Die meisten dieser Studien wären aber in die Kategorien einer allgemeinen Semiotik übersetzbar, wenn man von den Grundfunktionen eines jeden Zeichens im Kommunikationsprozeß ausginge, nämlich einmal von der Funktion, auf vom Sender intendierte Vorstellungen zu verweisen, und zum ändern, diese bei ungestörter Kommunikation beim Zeichenempfänger wieder zu stimulieren. Aus der generellen Einsicht in die Bezeichnungs- und Stimulationsfunktion von Zeichen, die auch für para-verbale Zeichen gilt, ergeben sich für eine Semiotik des Lachens folgende theoretische und praktische Fragestellungen. Die semiotische Erschließung des Lachens als symptomatisches und kommunikatives Zeichen in der Lebenswelt hängt von der Bedingung ab, daß ein den sprachlichen Codes vergleichbarer Code auch für das Lachen vorausgesetzt werden kann. Betrachtet man das Lachen als symptomatisches Zeichen zunächst einmal unter dem Signans-Aspekt, dann erweist sich, daß das Signans eine komplexe Struktur aufweist: Das Lachen hat nicht nur akustische Qualität, sondern es manifestiert sich als ein Zusammenspiel sowohl von lautlichen Zeichen als auch von "Körpersprache," wobei vor allem dem Gesichtsausdruck eine besondere Bedeutung zukommt. Dies ist ein bekannter Sachverhalt, der aber eher unter anatomischen denn unter semiotischen Gesichtspunkten Beachtung gefunden hat. Der Mediziner Macdonald Critchley hat die das Lachen als Lautphänomen begleitenden und unterstützenden körpersprachlichen Erscheinungen folgendermaßen beschrieben: [...] there takes place a contraction of the facial muscles [...]. The orbiculares oculorum go into action. The mouth opens, widely so in the vulgar; flushing of the face and lacrimation occur when the laughter is extreme. The musculature of the trunk and upper limbs undergoes changes in tonus. At first there is a spasm so that the neck and head are thrown back [...]. The truncal muscles, including the diaphragm and perhaps the elevators of the shoulders, contract and relax. Semipurposeful movements, unattractive to observe, may supervene whereby the laugher may slap his thighs, clap his hands, or violently nudge his neighbour. When laughter becomes excessive, a tonelessness develops that is not altogether pleasant to experience or to behold.
spräche: Wege zur Objektivierung menschlicher Emotionen (Wien; Köln; Graz, 1974). Yves Winkin, Rhetorique du corps (Bruxelles, 1988). Volker Kapp, ed., Die Sprache der Zeichen und Bilder: Rhetorik und Kommunikation in der frühen Neuzeit, Ars Rhetorica, Bd. l (Marburg, 1990).
Möglichkeiten und Grenzen einer Semiotik des Lachens
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In women the urinary sphincters may relax. The arms and trunk may flop forward helplessly, and it is not unknown for the lower limbs to become flaccid, causing a fall. Hence the expressions "to die with laughter," "to roll in the aisles."17
Dieses Zusammenspiel von verschiedenen akustischen und körperlichen Äußerungen ist wohlbekannt und intuitiv vermeintlich auch deutbar, aber es gibt weder Untersuchungen zu einer "Phonologic des Lachens," ganz zu schweigen von einer Analyse des Zusammenspiels von akustischen und körpersprachlichen Elementen im Rahmen eines emierbaren und verifizierbaren kommunikativen Codes des Lachens. Diese Feststellung betrifft natürlich nicht nur die Signans-Dimension des Lachens als symptomatisches Zeichen, sondern gleichermaßen den Signifikat-Bereich der bezeichneten geistigen Veranlagung, der seelischen Zustände oder moralischen Haltungen. Die philosophischen Versuche einer Theorie des Lachens laufen allesamt darauf hinaus, das Lachen auf dem Boden von jeweiligen anthropologischen Grundannahmen auf daraus ableitbare Grundhaltungen und Veranlagungen zu reduzieren.18 So ist für Thomas Hobbes im Rahmen seines Menschenbildes das Lachen nur denkbar als Ausdruck einer grundsätzlichen Neigung des Menschen, sich über andere zu überheben, das heißt Ausdruck von Stolz und Überheblichkeit. In einem philosophischen Streitgespräch über das Lachen zwischen Destouches, Fontenelle und Montesquieu19 wird das spekulative Reduktionsverfahren in seiner ganzen Problematik offensichtlich: Destouches - mit der logischen Antithese von Lachen und Weinen argumentierend entwickelt seine These vom Lachen als einer Grundbefindlichkeit, nämlich der Freude, worunter er sowohl die positive Variante "echter" Freude als auch die der Schadenfreude einschließen kann: Now two sorts of Laughter arise from this rational joy; the one pure, innocent, modest, and ingenious: the other hath a vicious tendency, and is said to imply a mixture more or less intense of pleasure and malignancy.20
Fontenelle dagegen widerspricht sowohl dem Absolutheitsanspruch der Hypothese von Destouches wie auch dessen anthropologischen Grundannahmen. Er versucht seine "Vermutung" zu plausibilisieren, daß das Lachen Ausdruck von Torheit oder zeitweise abhanden gekommener Vernunft sei:
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Macdonald Critchley, The Citadel of the Senses and other Essays (New York, 1986) 55. Cf. Lothar Fietz, "'Versuche' einer Theorie des Lachens im 18. Jahrhundert: Addison, Hutcheson, Beattie." S.u. S. 239ff. Cf. Anonymous, An Essay on Laughter, Wherein Are Displayed Its Natural and Moral Causes, With the Arts of Exciting It: Quid Rides? (London, 1769).
Ibid. 22.
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I conclude folly to be the prevailing cause of Laughter, and that the accompanying convulsion of the organs, is the certain proof of her victory. The vain and fruitless attempts which a drunken man makes to recal his judgment, cannot vouch for his not being intoxicated: and the struggles which enamoured hearts endeavour to make against the pleasing passion of love, are too generally the proof of their being irresistibly enthralled. The more reason labours to oppose and stifle Laughter, the more its breaking forth proclaims it to be an attendant on folly. These reflections are, methinks, sufficient to prove, that Laughter, Folly, and Deliriousness, are very nearly synonymous expressions.21 Montesquieu - an Hobbes geschult - widerspricht zwar dem Ausschließlichkeitsanspruch der Thesen seiner Kontrahenten, versucht aber, seine These, daß der Stolz und die Überheblichkeit "Ursache" des Lachens seien, zu vereinbaren mit den Hypothesen seiner Vorredner: In several respects, however, the system of joy may be conciliated with that of pride, as likewise, on certain occasions, may be admitted that of folly; pride being a weakness that borders very nearly on a mis-use of reason, or folly, by means of those joy-giving emotions and a secret satisfaction that are felt by the soul.22 Übersetzt man das kausale Argument von den Ursachen des Lachens in eine semiotische Aussage vom Lachen als symptomatischem Zeichen für eine geistige Veranlagung, einen seelischen Zustand oder eine moralische Haltung, dann erweist sich an den hier vorgestellten spekulativen Theorien des Lachens, die um viele andere erweiterbar wären, daß der Signifikatbereich spekulativ erschlossen und damit reduziert wird. Ein solches nichtsemiotisches Verfahren trägt der Tatsache keine Rechnung, daß Freude, Schadenfreude, Hohn, Stolz und Überheblichkeit nicht wie Seelenzustände endogener Art behandelt werden können, sondern daß sie - abgesehen von angeborener Torheit - exogener Art sind, und daß sie so in einem Wahrnehmungs- und Kommunikationsprozeß von außen induziert sind, was die Problematik des Lachens noch einmal in dem Sinne kompliziert, daß das Lachen nicht nur auf endogene seelische und geistige Zustände verweist, sondern gleichermaßen und darüber hinaus auf die sie induzierenden extrasubjektiven Gegenstände, Situationen und Vorgänge. Eine semiotische Signifikat-Analyse des Lachens muß also notwendigerweise neben den innersubjektiven Emotionen die sie stimulierenden extrasubjektiven Ridicula umfassen, die historisch jeweilig sind und die allein über die kulturellen, gesellschaftlichen und moralischen Konventionen
21 22
Ibid. 68. Ibid. 92.
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erschließbar werden, aufgrund derer Lachen erlaubt, diszipliniert oder gar verboten ist. Als zweites kommt bei der Zeichenpraxis in der Lebenswirklichkeit ein Weiteres hinzu, das - wie schon vorweggenommen - mit der engen Begriffsdefinition der "phatischen" Zeichenfunktion kaum abzudecken ist, nämlich der intentionale Gebrauch des Lachens als Anweisungszeichen im zwischenmenschlichen Bereich, wobei es in seiner ganzen Bandbreite von heiter-geselligen über kritische bis zu höhnisch-feindlichen Ausdrucksformeln mit dem Zweck eingesetzt werden kann, zwischenmenschliche Beziehungen anzubahnen, auf Distanz zu halten oder gar auseinanderbrechen zu lassen. In diesem Kontext gewinnt das Lachen über die Seelenzustände und deren exogene Stimuli bezeichnende eine weitere, darüber hinausgehende Funktion: Über die durch das Zeichen "Lachen" erzeugte Vorstellung wird eine gesteuerte Reaktion intendiert und damit wird das Lachen zu einem Manipulationsinstrument im zwischenmenschlichen Bereich, mittels dessen nicht nur Interaktionen gesteuert, sondern auch über deren wahre Hintergründe hinweggetäuscht werden kann. Shakespeare hat seinen Hamlet mit einem hohen Bewußtsein von dem manipulatorischen Potential des Lachens und des Lächelns ausgestattet, wenn er ihn sagen läßt: "That one may smile, and smile, and be a villain."23 Das symptomatische Signans, das durch den Willen des Heuchlers und Täuschers eines authentischen Signatums ermangelt und dennoch aufgrund seiner Konventionalität beim Zeichenempfänger die Illusion einer "echten" Vorstellung hervorruft, wird so zum Instrument manipulatorischer Handlungen, die ebenso zu kulturellen Prozessen gehören wie die Stimulierung von authentischen Vorstellungen. Nach der Eruierung der Probleme, die das Lachen als symptomatisches und kommunikatives Zeichen in der Lebenswelt aufwirft, muß die semiotische Problematik des sekundären Systems der sprachlichen Bezeichnungen für das Lachen umrissen werden. Die vorausgehenden Überlegungen haben u.a. deutlich werden lassen, daß die Erschließung des Primär-Codes des Lachens weitgehend determiniert wird durch die im Sekundär-Code einer verbalen Sprache vorgegebenen Bezeichnungen für verschiedene Arten des Lachens, das heißt - anders gewendet daß die Anschauungen vom para-sprachlichen Primär-Code vermittelt und vorstrukturiert werden durch die schematisierten Ansichten, die den sprachlichen Bezeichnungen für das Lachen unterlegt sind. Eine semantische Komponenten-Analyse der Bezeichnungen für das Lachen führt zu Semen, die Lachvorgänge der Intensität und Lautstärke nach voneinander differenzieren ("Tränen lachen," "aus vollem Halse lachen," "sich biegen vor Lachen," "sich
Shakespeare, Hamlet, 1.5.108.
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krank, schief, krumm, scheckig lachen," etc.). Eine zweite Komponentengruppe differenziert zwischen seelischen Zuständen und moralischen Haltungen, die von Freude, Belustigung und Entspannung von Zwängen der Lebenswirklichkeit bis zur moralisch-kritischen Anspannung zum höheren Menschsein reichen, wie sie sich etwa im Verlachen und Hohnlachen als Äußerungen der Überlegenheit und Überheblichkeit manifestiert. Dies führt hinüber zur dritten Kategorie der semantischen Komponenten, die zwischen verschiedenen Arten der sozialen Interaktion differenzieren, wie sie in Verben oder Phrasen wie "zulächeln," "anlachen," "auslachen," oder "in sich hineinlachen" zum Ausdruck kommen. Die Vorstellung vom "gezwungenen Lachen" oder von jemandem, der sich "das Lachen verbeißt," impliziert dazuhin Vorstellungen eines hierarchischen Ordnungssystems, das soziologischer wie moralischer Natur sein kann. In der Komponenten-Analyse sprachlicher Codes leuchten die schematisierten Ansichten als überpersönliche Denkkonventionen auf, die einerseits ein Klassifizierungsraster für Lachvorgänge in der Lebenswirklichkeit anbieten, die aber andererseits gerade aufgrund ihrer Natur als Schematisierungen zu einem ahistorischen Denken veranlassen und denen so aufgrund ihrer Konventionalität Begrenzungen innewohnen, die den Blick auf das Zeichenphänomen des Lachens in der Lebenswirklichkeit, die immer nur historisch zu definieren ist, verstellen. In der Gesamtheit der kulturellen Wirklichkeit aber gibt es neben den überindividuellen, sozial und national konventionalisierten Sprachsystemen kulturelle Institutionen wie die der darstellenden Kunst und der Literatur, die sich zwar einerseits aufgrund ihrer mimetischen Intentionen der vorgegebenen Schematisierungen bedienen müssen, um Kommunikation über Primärwirklichkeit zu ermöglichen, die aber andererseits - wenn sie neben der mimetischen auch eine kritische Funktion erfüllen - sich in ständiger dialektischer Auseinandersetzung mit den Schematisierungen befinden, die in den Kommunikationsmedien vorgegeben sind. Dieser dritte Bereich von Texten als Superzeichen, ihrer Struktur und ihrer kulturellen Funktionen muß zum Schluß in den Mittelpunkt der Betrachtungen rücken. Das gemeinsame Kennzeichen von Texten - in welcher medialen Einkleidung oder Realisierung sie auch in Erscheinung treten - ist, daß sie individuelle Autoren haben, daß sie datierbar und damit historisch verortbar sind. Affirmative Texte reproduzieren und bestätigen die in einem historischen Augenblick gängigen schematisierten Ansichten. Kreativ-problematische Texte müssen sich zwar ebenfalls des kollektiv normierten Sprachmaterials bedienen, aber sie befinden sich durch die Intention und den Willen ihrer Autoren gleichzeitig in kritischer Spannung und Auseinandersetzung mit den im kollektiven Kommunikationsmedium der Sprache vorgegebenen Schematisierungen und Stereotypen. Zugespitzt auf das Phänomen des Lachens bedeutet dies, daß Texte, in denen verschiedene Arten von Lachen im Raum sozialer
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und kommunikativer Interaktionen bezeichnet, dargestellt und inszeniert werden, über die emotive Bedeutung zurückverweisen auf die Gegenstände, Situationen und Vorgänge, die zu einer bestimmten Zeit Lachen erregen, und auf mögliche Einstellungen zu solchen Ridicula. In der Geschichte der durch Texte vermittelten lachenerregenden Gegenstände, deren "Lächerlichkeit" konventionalisierten Normvorstellungen entspringt, enthüllt sich die historische Jeweiligkeit der Ridicula und Ludicra.24 Für den mit dem jeweiligen historischen Normsystem vertrauten Leser oder Zuschauer wird die Darstellung der lachenerregenden Gegenstände zum Signans für die emotive Qualität des dadurch intendierten Lachens oder - soweit sich der Leser oder Zuschauer auf das den lachenerregenden Gegenständen zugrundeliegende Normsystem einläßt, einlassen kann oder einzulassen versteht - auch zum Stimulus seines Lachens. T.S. Eliot hat die hier beschriebenen Mechanismen in einem anderen Zusammenhang, in dem es ihm allgemeiner um literarische Darstellungsmöglichkeiten von Gefühlen ging, auf den Darstellungsmodus "gegenständlicher Entsprechungen" reduziert. In seinem 1919 erschienenen "Hamlet"Essay heißt es: The only way of expressing emotion in the form of art is by finding an Objective correlative'; in other words, a set of objects, a situation, a chain of events which shall be the formula of that particular emotion; such that when the external facts, which must terminate in sensory experience, are given, the emotion is immediately evoked.25
Wenn Eliot davon spricht, daß "gegenständliche Entsprechungen" zur Formel eines bestimmten Gefühls werden können, dann meint er damit, daß die Darstellung solcher Entsprechungen auch Signans von Seelenzuständen ist, weil - in der Lebenswirklichkeit - Seelenzustände durch solche exogenen Stimuli hervorgerufen werden können. Auf der anderen Seite hat er die Stimulans-Funktion von Zeichen im Sinn, wenn er fortfährt, daß die "gegenständliche Entsprechung" nicht nur zeichenhafte Formel eines Seelenzustandes, sondern - im literarischen Kommunikationsprozeß - Stimulus der gemeinten Emotion beim Zuschauer und Leser werden kann. Damit ist ein für literarische Texte relevanter semiotischer Sachverhalt umschrieben, und, zugespitzt auf das Problem des Lachens, heißt dies, daß die Darstellung von Ridicula und
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Die keineswegs gängige, aber höchst hilfreiche Unterscheidung wurde von Francis Hutcheson, Thoughts on Laughter and Observations on 'The Fable of the Bees' in six Letters (Glasgow, 1758; Bristol, 1988) 36, eingeführt, und er meinte damit, daß das Ludicrum im Unterschied zum Ridiculum ein belustigt-entspannendes Lachen ohne moralische Kritik auslösen kann. S.u. Lothar Fietz, "'Versuche' einer Theorie des Lachens ...", 239ff. T.S. Eliot, Selected Prose, ed. John Hayward (London, 1953) 107f.
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Ludicra zum Signans und Stimulus der von einem Textautor intendierten emotionalen Wirkung im Leser oder Zuschauer wird, die sich durch Lachen äußern kann. Voraussetzung für den Erfolg einer solchen mittels Texten intendierten Strategie ist, daß sich der intendierte Leser oder Empfänger auf das den "gegenständlichen Entsprechungen" unterliegende implizite Normsystem einlassen kann und einlassen will. Wenn in den vorausgehenden Überlegungen differenziert wurde zwischen Ridicula und Ludicra, dann hat dies etwas zu tun mit der Struktur der lachenerregenden Gegenstände und den verschiedenen Qualitäten des durch sie stimulierten Lachens. Ridicula und Ludicra haben bei aller Verschiedenheit auf die noch näher einzugehen sein wird - eine gemeinsame Grundstruktur. Man rekurriert bei der Definition des Lächerlichen gern auf die aristotelische Poetik, wo es im 5. Kapitel heißt: Das Lächerliche ist nämlich ein mit Häßlichkeit verbundener Fehler, der indes keinen Schmerz und kein Verderben verursacht, wie ja auch die lächerliche Maske häßlich und verzerrt ist, jedoch ohne den Ausdruck von Schmerz.26 Hier findet sich eine Grundanschauung, die es lohnt, weitergedacht und dabei erweitert zu werden: Wenn Aristoteles das Phänomen des Lächerlichen mit interpretierenden Anschauungen wie "Fehler," "Verzerrung" und "Leidlosigkeit" umkreist, dann eignet den ersten beiden Begriffen der kleinste gemeinsame semantische Nenner der Normabweichung, die allerdings nur dann komisch oder lächerlich ist, wenn sie auf eine leidlose Art und Weise geschieht. Solche Gedankengänge hat Emil Staiger in seine Terminologie der Grundbegriffe übersetzt, wenn er sagt: Wenn wir vom Tragischen erklärten, daß es den Rahmen einer Welt sprengt, so gilt vom Komischen, daß es aus dem Rahmen einer Welt herausfällt und außerhalb des Rahmens in selbstverständlicher, fragloser Weise besteht. [...] Aus dem Rahmen fällt [...] der aristophanische Phallos und Wanst, eine ungeheure rote Nase oder ein Ohr, das als Löffel absteht. Den Rahmen bildet hier der Bezugszusammenhang eines organischen Ganzen, das wir im Sinne haben, wenn wir einen menschlichen Körper betrachten.27 Auch in der Staigerschen Definition bildet die Vorstellung der Normabweichung die Grundlage der Definition des Komischen. Der "Rahmen," von dem er spricht, ist ein Normrahmen, von dem etwas abweicht oder aus dem es sogar herausfällt. Aber an die Stelle der aristotelischen Bedingung der Leidlosigkeit tritt bei Staiger das Moment der "Fraglosigkeit" im Sinne einer Unbe-
26 27
Aristoteles, Poetik. Griechisch/Deutsch, übers., ed. Manfred Fuhrmann (Stuttgart, 1991) 17. Emil Staiger, Grundbegriffe der Poetik (Zürich, 21951) 197f.
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kümmertheit um das durch den Rahmen vorgegebene Normsystem. Versteht man unter Normen Setzungen und Normalitätskonventionen, dann läßt sich das Problem des Lächerlichen und Komischen von einer ahistorisch-strukturalen auf eine historische Anschauungsebene transponieren. Dabei zeichnen sich, abhängig von jeweiligen geistesgeschichtlichen Situationen, zwei Varianten der lachenerregenden Normabweichung ab, die voneinander verschiedene Haltungen zur Norm und Konvention und damit zwei verschiedene Grundarten des Lachens stimulieren. Im Rahmen von noch intakten gesellschaftlichen, moralischen, politischen und kulturellen Nonnsystemen rufen Normabweichungen und Normverletzungen Haltungen hervor, die sich im Verlachen als Überlegenheitslachen derer manifestieren, die auf das herrschende gesellschaftliche, politische und kulturelle Normsystem verpflichtet und eingeschworen sind. In historischen Situationen, in denen die genannten Normsysteme als erstarrte, lästige und zwangausübende Systeme wahrgenommen werden, erscheinen die Normabweichung und der Normbruch nicht mehr als verlachenswert, sondern stimulieren vielmehr ein sympathisierendes Lachen. Zur Erfassung solcher Umbruchstadien in den Normsystemen und der sich daraus ergebenden Verschiebungen und Wandlungen von Haltungen und Einstellungen reichen die in der aristotelischen Poetik vorgegebenen Kategorien nicht aus. Ahistorische Grundbegriffe wie das Lächerliche und das Komische oder das Ridiculum müssen in ihrer historischen Jeweiligkeit auf dem Hintergrund der maßgebenden Normsetzungen untersucht werden. Was das Phänomen der Ludicra anlangt, so ist deren Bezug auf die obengenannten lebenswirklichen Norm- und Zwangssysteme nicht so unmittelbar und offensichtlich wie bei den Ridicula, obwohl sie mit ihnen die grundsätzliche Struktur der Normabweichung teilen: Ludicra sind nach James Beattie Produkte einer "ludicrous composition,"28 das heißt, artistische Konstrukte, die sich nicht unmittelbar auf ein Normsystem der Lebenswirklichkeit, wohl aber wie die Parodie oder die Travestie auf zur Norm gewordene Prätexte beziehen, die sie deformieren und dadurch ein Vergnügen am Spiel mit ästhetischen Normen intendieren, das sehr wohl ein belustigtes und vergnügtes Lachen auslösen kann. Obwohl Staiger seinen Grundbegriff des Komischen nicht differenziert, illustriert er den hier als Ludicrum bezeichneten Sachverhalt treffend mit einem Zitat aus Nestroys Judith-Parodie und einem Kommentar dazu: "Aber sehr frugal speist der Holofernes, Nur ein Huhn mit Salat und ein Schnitzel, ein kälbemes ..." [...] unsere Aufmerksamkeit [wird] durch den an den Haaren herbeigezogenen, über alles Maß aufdringlichen Reim vom Sinnzusammenhang abgelenkt. Statt
28
Cf. James Beattie, "An Essay on Laughter and Ludicrous Composition," Essays (1776; Hildesheim; New York, 1975). Cf. dazu Lothar Fietz, "Von der Sündhaftigkeit zur Lächerlichkeit der Vanitas." S.u. S. 189ff.
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Lothar Fietz die Spannung durchzuhalten, in die uns das Ziel des Satzes versetzt, fahren wir gleichsam seitlich aus und ergötzen uns an dem zwecklosen Lautspiel. Bei gewöhnlichen lyrischen Reimen lachen wir nicht, weil da der zartere Einklang nur den Sinn zum Schweben und Klingen bringt, nicht aber aus dem Netz der Sinnbezüge herausfällt.29
Wir haben bisher drei lachenerregende Gegenstände ihrer inneren Struktur nach voneinander abgegrenzt und dabei immer das Verhältnis zu Normsystemen und Normabweichungen als Ausgangspunkt der Überlegungen gewählt: In diesem typologischen Rahmen betrachtet, wird moralisch-kritisches Überlegenheitslachen provoziert und der Verlachte der Lächerlichkeit preisgegeben, wenn der Lachende selber noch unproblematisch einem Normsystem verpflichtet ist, von dem der Verlachte abweicht. Eine zweite Art des Lachens wird stimuliert, wenn das institutionalisierte Normsystem als überholt erkannt wird. Abweichungen davon stimulieren ein zustimmendes und sympathisierendes Lachen mit dem, der von überholten Normen abweicht und dabei neue Normvorstellungen ins Spiel bringt. Mit der Übertragung solcher Mechanismen von der Lebens- auf die Kunstwirklichkeit rücken moralische Normen als Bezugssysteme aus dem Blickpunkt und werden ersetzt durch ästhetische Normen. Die lachenerregende Kritik von literarischen Texten durch literarische Texte, wie sie durch das intertextuelle Verfahren der Parodie und Travestie geübt wird, führt von den lachenerregenden und lächerlichen Gegenständen der Lebenswelt hinüber zu den ridikülisierten Gegenständen im innerliterarischen Bereich und schließlich und endlich zur Frage, was literarische Texte durch die Strategie der Lächerlichmachung zur Kritik und Subversion der lebenswirklichen Normsysteme leisten können.30 Die Überlegungen zur Struktur der Ridicula und Ludicra als Signifikanten für die beim Leser oder Zuschauer intendierten Emotionen, Stimmungen oder moralischen Haltungen, die sich potentiell in verschiedenen Arten des Lachens äußern können, haben hinübergeführt zu der Frage nach der intendierten und virtuellen Wirkung des Lachens als Zeichen von Zustimmung oder Subversion in der Lebenswirklichkeit. Versteht man mit der neueren Semiotik Kultur als Kommunikation, dann spielt das Lachen als Zeichen für seelische Zustände und moralische Haltungen - obwohl es in seiner Zeichenstruktur noch nicht genügend erforscht ist - eine wichtige Rolle im kulturellen Haushalt, ob es durch lachenerregende Gegenstände der Lebenswirklichkeit oder durch "ludicrous compositions" induziert oder durch lebenswirkliches Normdenken oder ästhetisches Decorum diszipliniert und domestiziert wird.
29 30
Emil Staiger, Grundbegriffe der Poetik 198. Cf. M.M. Bakhtin, Literatur und Karneval: Zur Romantheorie und Lachkultur (München, 1968).
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Rhetorik des Lächerlichen
Bedenkt man die bruchstückhafte Überlieferung, so mag bereits der Tatsache, daß in der nur unzureichend dokumentierten Entstehungsgeschichte der Rhetorik dennoch auch vom Problem des Lachens schon die Rede ist, ein Hinweis auf seinen Stellenwert in der Theorie und Praxis der Beredsamkeit entnommen werden. Von Gorgias, der nach der typisierend vereinfachenden Überlieferung der Begründer der zweckfreien Lob- und Tadelrede gewesen sein soll, bemerkt Aristoteles, er habe ("übrigens ... richtig," wie er hinzufügt) empfohlen, "man müsse den Ernst der Gegner durch Lachen und ihr Lachen durch Ernst zunichte machen."1 Die Äußerung steht in einem ziemlich umfänglichen Kontext zeitgenössischer und gleichsam interdisziplinärer Diskussionen über die menschlichen Affekte, den ich hier nur streifen kann und den man oftmals zudem aus späteren Zeugnissen erschließen muß. Die vorsokratische Philosophie beherrscht eine negative Sicht der Affekte überhaupt, sie zu wecken bedeutet Unheil, und wie die Arzneikunst die Übel des Körpers heilt, so befreit die Weisheit die Seele von den Affekten, meinte Demokrit.2 Auch bei Platon findet man solche Einschätzungen, doch im Philebos wird immerhin die Mischung aus "wahrster Lust" und "wahrster Erkenntnis" als Voraussetzung für das "wünschenswürdigste Leben" angenommen, wenn auch die Vernunft dem Guten näher bleibt als die Lust. Im Phaidros hat Platon, wie man weiß, die Kenntnis der Affekte als grundlegend für eine wirklich technische Rhetorik angesehen, und Aristoteles zog aus dieser Einsicht die weitreichendsten Konsequenzen. Doch das ist nur eine Linie. Eine andere könnte man als die kultisch-medizinische bezeichnen, auch sie ist rhetorisch bedeutsam geworden. Aus der Pythagoreischen Schule wird von einer mittels Musik bewirkten Seelentherapie berichtet. lamblichos, der neuplatonische Pythagoras-Biograph, schildert sehr anschaulich, wie sich zu Beginn des Frühlings der Lehrer mit seinen Schülern in einem Kreis zusammenfand.
1
2
Aristoteles, Rhetorik, übers., mit. e. Bibl., Erl. u. e. Nachw. v. F.G. Sieveke (München, 1980) 223; III, 18. 7; 1419b (= Rhet.). Demokrit, "Fragment 68 B 31," Die Fragmente der Vorsokratiker, griech.-dt., übers. H. Diels, ed. W. Kranz, 2. Bd. (Berlin, "l960) 152.
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Er [Pythagoras] setzte in die Mitte eines Kreises von Sängern einen Leierspieler. Während seines Spieles sangen sie gemeinsam Heilgesänge, die sie in heitere Stimmung brachten und der Seele Harmonie und Eurhythmie verliehen.3 Durch Singen befreite man sich von Nöten und sogar Krankheiten, besondere Lieder und Gesänge beschlossen den Tag, um seine Wirrnisse, sein Getöse zu überwinden, beim morgendlichen Aufstehen wurden Trägheit und Schlaftrunkenheit derart musiktherapeutisch vertrieben. Die Methode folgte der medizinischen Regel: "Das Entgegengesetzte ist das Heilmittel für das Entgegengesetzte,"4 und die Rhetorik wird sich dieses Prinzip auf ihre Weise zunutze machen. Es spielt beim Gebrauch der affektischen Überzeugungsmittel eine wichtige Rolle, zu denen auch das Lachen gehört. Das Thema, das uns hier beschäftigt, hat Aristoteles wohl als erster auf eine auch für die Rhetorik zureichende Weise behandelt. Insgesamt hat er ja die wirkungsvollsten Folgerungen aus Platons Anforderungen an die Beredsamkeit gezogen. Seine Rhetorik, obgleich eigentlich bloß ein Manuskript, das er als Unterlage für seinen Unterricht benutzte, ist daher kein ausgearbeitetes Lehrbuch oder philosophisches Grundlagenwerk, aber auch keine Anweisung zur kunstgerechten Redeproduktion wie die einschlägigen Werke, die vor ihm kursierten. Auf diesen Aspekt legt er sogar vergleichsweise wenig Gewicht. Statt dessen steht die Rhetorik als Theorie des Meinungswissens und der wahrscheinlichen Schlüsse, der glaubhaften Argumentation und des Überzeugens durch Gefühlsgründe (Psychagogie) im Mittelpunkt seiner Überlegungen. Doch nicht das rhetorische Schlußverfahren interessiert in unserem Zusammenhang. Neben den topoi der rhetorischen Rationalität systematisiert Aristoteles die topoi der Affekterregung (pathos) und der Charakterdarstellung (ethos): Von den Überzeugungsmitteln, die durch die Rede zustande gebracht werden, gibt es drei Arten: Sie sind nämlich entweder im Charakter des Redners begründet oder darin, den Hörer in eine gewisse Stimmung zu versetzen, oder schließlich in der Rede selbst, d.h. durch Beweisen oder scheinbares Beweisen.5 Die Glaubwürdigkeit der Person, ihre Klugheit, moralische Integrität und wohlwollende Haltung ergeben eine ebensolche Fülle von Beweismitteln wie die Affekte, in welchen die Zuhörer ihre Meinung bilden oder ihr Urteil abgeben. Ob jemand als tugendhaft oder bestechlich gilt, ist für eine Entscheidung daher ebenso wichtig wie die Gefühlsgrundlagen, von denen man
3 4 5
J. Schuhmacher, Die Anfänge der abendländischen Medizin in der griechischen Antike (Stuttgart, 1965) 45. Ibid. 122. Aristoteles, Rhetorik I, 2, 3; 1356a.
Rhetorik des Lächerlichen
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bei der Urteilsfindung ausgeht, ob man also in Zorn oder Mitleid gestimmt ist. In der antithetischen Behandlung der Affekte folgt Aristoteles dem angeführten therapeutischen Prinzip: Zorn kann durch die entgegengesetzte Sanftmut, Feindschaft durch Freundschaft und Hassen durch Liebe gleichsam bearbeitet werden, so daß ihre Wirkungen neutralisiert oder sogar umgekehrt werden. Freundlichkeit bzw. Wohlwollen oder Gunst sind die Affekte, die dem Lachen und der Heiterkeit (welche Aristoteles nicht gesondert aufführt) am nächsten kommen. Auch sie werden auf ihre Negationen, Schmerz und Notbedürfnis, bezogen und als Wohltat und Hilfeleistung in solchen Pathos-Situationen empfohlen.6 Die wissenschaftliche Beweiskraft der affektischen topoi mag gering sein, die Wirkung von Gefühlsgründen, ihre Glaubwürdigkeit, ist damit nicht in Frage gestellt. Aristoteles zieht in diesen Kapiteln einerseits die Konsequenz aus Platons Forderung nach einer psychologischen Begründung der überzeugenden Rede (seiner Einsicht folgend, daß die Affekte das menschliche Wollen bestimmen), andererseits entspricht er auch der Forderung seines Lehrers nach der ethischen Begründung der Redekunst. Rhetorik und Ethik werden über die Topik der Charakterdarstellung aufs engste vermittelt und mit ihrer Verpflichtung auf Handlungsorientierung und Entscheidungsfindung im Raum der Polis zudem mit der Politik verbunden. Obwohl diese Überlegungen scheinbar noch weit von meinem eigentlichen Thema entfernt liegen, bilden sie doch schon das System von Beziehungen, in welchem auch das Komische, Lachenerregende und schließlich das Lachen selber ihren Platz haben. Zur näheren Erforschung dieser Verhältnisse bei Aristoteles begegnet freilich die bekannte Schwierigkeit, daß ihre konsistente Darstellung nicht überliefert ist. Sowohl zu Beginn des 6. Kapitels seiner Poetik wie auch an zwei Stellen in der Rhetorik1 verweist der Verfasser auf seine Untersuchung des Lächerlichen, die sich an seine Theorie der Tragödie und des Epos anschließe. Eben dieses zweite Buch der Poetik aber ist verlorengegangen. Dennoch sind wir nicht bloß auf Vermutungen angewiesen. Der Philosoph, der den Menschen auch als das lachende Lebewesen von den Tieren unterschieden wissen wollte, hat diesem Gegenstand auch außerhalb der poetologischen Reflexionen immer wieder seine Aufmerksamkeit geschenkt. Ja, schon diese anthropologische Auszeichnung ist nicht unwichtig für unsere Überlegungen. Sie gehört nicht zum physischen, sondern zum moralischen Zustande des Menschen, dessen besondere Ausprägung sich in seinem Charakter (eben dem ethos) darstellt.
6 7
Aristoteles, Rhetorik II, 7. Aristoteles, Rhetorik I, 11; III, 18; cf. M. Fuhrmann, Die Dichtungstheorie der Antike: Aristoteles - Horaz - 'Longin'. Eine Einführung (Darmstadt, 21992) 61.
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In diese Richtung zielen auch alle anderen Betrachtungen, die Aristoteles dem Thema gewidmet hat. Im 4. Buch der Nikomachischen Ethik erörtert er es im Kontext der geselligen Tugenden. "Da es im Leben auch eine Erholung gibt," so beginnt das 14. Kapitel, und bei dieser eine mit heiterem Scherz verbundene Unterhaltung, so scheint es auch hier eine angemessene Art des Verkehrs zu geben, eine Art zu sprechen was und wie man soll, und ebenso zu hören, obschon es auch wieder einen Unterschied macht, ob man bei solchen Gesprächen das Wort führt oder bloß zuhört. Offenbar findet sich aber auch hier der Mitte gegenüber ein Zuviel und ein Zuwenig.8 Diese beiden Möglichkeiten bestimmen das Schema, in dem Aristoteles Witz, Scherz und Gewandtheit abhandelt. Dem einen Pol des "Zuviel" ordnet er die Possenreißer zu, also jene "lästige[n] Menschen," die "sich mehr Mühe geben, Lachen hervorzurufen, als etwas Anständiges zu sagen;" an dem anderen Pol erscheint der steife und trockene Pedant, eine Art geselliger Analphabet also, dem alles Gewinnende fehlt. "Die aber angemessen zu scherzen wissen," fährt Aristoteles fort, heißen artig und gewandt, als wüßten sie sich wohl zu wenden. Denn solche Scherze sind gleichsam Bewegungen des Charakters, des inneren Menschen, und wie man die Körper nach ihren Bewegungen beurteilt, so auch des Menschen sittliche Eigenart. [...] Wie ist nun der, der auf die rechte Weise spottet, zu bestimmen? Etwa dahin, daß er sage was für einen humanen Mann paßt, oder dahin, daß er den Hörer nicht kränke oder ihn gar ergötze? Oder sollte auch das zu unbestimmt sein? Ist doch dem dies, dem jenes unangenehm und angenehm, wonach sich dann auch die Aufnahme richtet, die das Gehörte findet. So wird denn gelten müssen, daß unser Mann sich nur solches zu sagen erlaubt, was er selbst gern mit anhört. Er wird sich also nicht alles erlauben. Der Spott ist eine Art Schmähung, und die Gesetzgeber verbieten gewisse Schmähungen; vielleicht sollten sie auch gewisse Spöttereien verbieten. Der freie und gebildete Mann wird sich nun von selbst so verhalten, indem er sich selbst gleichsam Gesetz ist.9 Nach diesen Erläuterungen läßt sich schon genauer angeben, in welchem Verhältnis Heiterkeit und Lachen zu den Tugenden des geselligen Verkehrs stehen. Sie wahren eine Mittellage zwischen unflätigem, zotigem Verhalten und griesgrämiger Unbeweglichkeit. Als besondere Arten des Umgangs und der Rede haben sie auch besondere Emotionen zur Wirkung: Ergötzen, Wohlwollen, Geneigtheit, die aus der Darstellung des Charakters und der sittlichen
Aristoteles, Nikomachische Ethik, übers. E. Rolfes, ed. G. Bien, (Hamburg, 41985) 96; IV, 14; 1127bf. Ibid. IV, 14; 1128a.
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Eigenart hervorgehen. Auch als Merkmal der humanen Gesinnung zeichnet Aristoteles hier bereits die angemessene, moderate Weise des scherzhaften Verhaltens aus und gibt damit den Grundton an, der die Behandlung des Themas, besonders nach seilen des Humors, bis in die Neuzeit durchzieht. Schließlich kommt er auch auf die Ironie zu sprechen, die in der "Rhetorik" besonders herausgestellt wird, und natürlich fehlt dabei auch der Hinweis auf Sokrates nicht. Allein, auch in diesem Punkte gibt es keine Sicherheit, denn auch das Ironische kann durch ein Zuviel oder Zuwenig verzerrt werden, entweder durch übertriebene Selbstverkleinerung, die nur eine Spielart der Prahlerei ist, oder durch Verstellung "in kleinen und offenkundigen Dingen,"10 die als Ziererei von Schlauköpfen erscheint. Den direkten wirkungsintentionalen Bezug zur Rhetorik aber gibt der fast beiläufige Hinweis darauf, daß "das Komische ungemein beliebt ist und die meisten für Scherz und Spott mehr als gebührlich eingenommen sind"." In den analogen Partien seiner Rhetorik-Vorlesungen entfaltet Aristoteles diese Gedanken nun unter der Perspektive der rhetorischen Überzeugungsmittel. Das Lachen und das Lächerliche, da allgemein als angenehm empfunden, werden nun auch dem "Gebiet des Angenehmen"12 zugeordnet, also den über den Charakter vermittelten Ethos-Emotionen, die im Vergleich mit denen des Pathos einer sanfteren, niedrigeren Affektstufe angehören. Ihren Ort sieht Aristoteles insbesondere im ersten Teil der Rede, in dem es darauf ankommt, den Zuhörer wohlwollend zu stimmen, wozu besonders helfen kann, "ihn zum Lachen zu bringen. Zur leichteren Auffassung des Sachverhalts," heißt es weiter, "wird - sofern nur guter Wille vorhanden ist - alles das beitragen und auch, wenn man als rechtschaffener Mann erscheint; denn solchen schenkt man besonders gern Gehör." Angesichts dieses Zusammenhangs verwundert es dann nicht, daß sich der Redner nur der Arten des Lächerlichen bedienen soll, die sich "für den freien Mann" schicken, also keine niedrige, sklavische Gesinnung verraten. "Es steht aber die Ironie einem freien Mann eher zu Kopf als die Possenreißerei; denn dabei trägt er das Lächerliche zu seinem eigenen Vergnügen vor, der Possenreißer jedoch tut es zum Vergnügen anderer."13 Die Unterscheidung ist bedeutsam, gerade weil Aristoteles an dieser Stelle dem Kern- und Basis-Satz seiner Rhetorik, wonach der Zuhörer in allem richtunggebend sei, also die entscheidende Instanz für den Redner abgeben solle, zu widersprechen scheint. Warum denn soll es falsch sein, das "Vergnügen anderer" zu erregen, wenn man es auf deren Zustimmung abgesehen hat? Die Ungereimtheit löst sich, wenn man der ethischen Fundierung der
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Ibid. IV, 13; 1127b. Ibid. IV, 14; 1128b. Aristoteles, Rhetorik I, 11, 29; 1372bf. Ibid. III, 18,7; 1419b.
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Rede gedenkt, die durch die Person des Redners garantiert werden soll. Erscheint dieser selber als lächerliche Figur, als Jeck im Rednerkleide, wie das der Possenreißer tut, stellt er seine persönliche Glaubwürdigkeit zur Disposition. Seine rhetorischen Schlüsse mögen dann noch so vollendet, seine Schilderung des Tatbestandes mag noch so zutreffend sein, man wird sie ihm einfach nicht mehr abnehmen. Diese Gründe gilt es zu begreifen, um einmal die Aristotelische Rhetorik nicht bloß argumentationstheoretisch zu verkürzen, wie dies vorwiegend die Rezeption des 20. Jahrhunderts getan hat - man denke nur an Chaim Perelman und seine Schule; und um zum anderen das Problem angemessen einzuschätzen, welches das Lachen und das Lächerliche für die Rhetorik ab ovo darstellt. Gewiß bilden den Hintergrund die anfangs erwähnten Bestrebungen der Antike zur Bändigung und Kultivierung der Affekte. Gleichwohl hat das Lachen in der Literatur vor allem in Gestalt der Komödie und sogar in der Philosophie der Antike - denken wir an den lachenden Philosophen Demokritos von Abdera, der die Euthymia, die Wohlgemutheit, als das höchste Gut bezeichnete - eine Hochschätzung erfahren, der in der Rhetorik die völlige Entsprechung fehlt. Schon bei Aristoteles erscheinen die vergleichbaren Überlegungen wie eine prekäre Gratwanderung, mit der beständigen Gefahr des Absturzes verbunden. Das ist der Hauptgrund - und nicht die Behandlung des Themas im 2. Buch der Poetik -, warum Aristoteles in der Rhetorik das Lächerliche so restriktiv bearbeitet hat. Einige Formen der Scherzrede beschreibt er, wenn er auf die "Wirkung geistvoller Worte"14 zu sprechen kommt, dabei insbesondere die witzige Sentenz und verschiedene Formen des Wortwitzes berücksichtigend, wie die durch Paronomasie, Allusion und Homonymie entstehenden Prägungen, also Wortspiele, die auf phonetischem Gleichklang oder phonetischer Ähnlichkeit, aber semantischer Verschiedenheit beruhen. Wichtiger freilich als diese wenigen Beispiele erscheint mir die rhetorische Erklärung der witzigen Wirkung, die nämlich die Ebene der sprachlichen Konstitution verläßt. Sie tritt ein, sagt Aristoteles, wenn sie "der Erwartung des Hörers [widerspricht]."15 Es ist also nicht erst Cicero, der das Lachen aus enttäuschter Erwartung begründet; indem er es allerdings in den Mittelpunkt seiner Theorie des Scherzes und der Scherzrede stellt, erweist er sich als der eigentliche Wegbereiter dieser wohl erfolgreichsten rhetorischen Bestimmung des komischen Wirkungsmechanismus. Wie auch sonst, so besteht Ciceros besonderes Verdienst nicht in neuen Entdeckungen, sondern in der Entschiedenheit und Konsequenz, mit der er die überlieferten Gedanken aufgreift und zum System erhebt. In De inventione
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Aristoteles, Rhetorik, ed., übers. P. Gohlke (Paderborn, 1959) 213: III, 11, 6: 1412a. Ibid.
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finden sich noch kaum Spuren der späteren ausführlichen theoretischen Behandlung. Der junge Autor erwähnt hier nur die ermunternde Wirkung des Lachens und empfiehlt dem Redner, es durch einen lächerlichen Gegenstand dann zu erregen, wenn Ermüdung das Publikum zu überwältigen droht.16 Was Cicero schließlich in De oratore zur rhetorischen Theorie des Komischen beisteuert, bezieht sich zunächst auf die allgemeinen Voraussetzungen und Funktionen. "Gewinnend und besonders nützlich sind aber oft Witz und Humor," so läßt er Antonius anheben und sogleich hinzufügen: "sie setzen allerdings, auch wenn sich alles andere systematisch lehren läßt, besondere Gaben der Natur voraus und brauchen kein System."17 Caesar, der nun den Stab übernimmt, übt zunächst Kritik an den einschlägigen griechischen Büchern, die entweder auf abgeschmackte und fade Weise oberflächlich theoretisierten oder bloße Proben des Witzes und Humors böten. Doch dann bemerkt er einen generellen Gattungsunterschied. "Es gibt nämlich zwei Arten des Humors: Die eine breitet sich gleichmäßig über die gesamte Rede aus, die andere ist pointiert und knapp; die erstere hieß bei den Alten Launigkeit, die letztere Wortwitz."18 Bei Prozessen könnten beide Genera der Scherzrede viel ausrichten, um den Gegner lächerlich zu machen (hier nennt er Beispiele treffenden, verletzenden Wortwitzes) oder durch die Verbreitung von Heiterkeit und guter Laune Sympathie zu gewinnen. So habe Crassus, berichtet der Gesprächspartner, niemals größeren Eindruck beim Volk hinterlassen als mit seiner mit Humor und Heiterkeit gewürzten Rede. Freilich wird auch in diesem grundlegenden Teil des Gesprächs über den Witz schon die nicht mehr neue Regel in Erinnerung gerufen, daß "ein Scherz der Würde keinen Abbruch"19 tun darf. Leicht kaschiert erscheint hier erstmals das ethische Argument gegen das Lächerliche und seine emotionale Wirkung in Antithese zur dritten rhetorischen Wirkungsfunktion, die in der Geschichte des Lächerlichen häufig als Folie herbeizitiert wird. Denn Würde, dignitas, ist der Ausdruck des erhabenen Charakters, der sich in Pathos-Situationen bewährt. Dies ist die stoische Variante des Redner-Ideals, die in der Renaissance und bis weit ins 18. Jahrhundert hinein Geltung behalten wird. Sie steht auch im Hintergrund des Ratschlags, der seine Anwendung in Gerichtsprozessen betrifft. Denn man soll die Scherzrede zwar zweckmäßig einsetzen, also gegen einen Widersacher "und besonders, wenn man mit seiner Dummheit sein Spiel treiben kann," doch möglichst als Reaktion auf eine
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M.T. Cicero, De inventione/De optima genere oratorum/Topica, lat.-engl., ed. H.M. Hubbell (London; Cambridge, 1960) 50ff., XVIII. M.T. Cicero: De oratore/Über den Redner, lat.-dt., ed., übers. H. Merklin (Stuttgart, 2 1976) 345; II, 216. Ibid. 347; 11,218. Ibid. 355; II, 229.
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Herausforderung: "es sieht ja dann so aus, als ob wir ruhig gewesen wären, wenn man uns nicht herausgefordert hätte."20 Die spezielle Diskussion des Komischen leitet Crassus in Ciceros Lehrdialog mit der zusammenfassenden Bemerkung ein, daß sich das Thema zwar nicht theoretisch (er meint: in einem Regel-Werk) abhandeln lasse, daß aber die Begabung durch Bemühung oder Übung (exercitatio) sehr wohl vervollkommnet werden könne. Alsdann übernimmt Caesar die Gesprächsführung: Was das Lachen betrifft, so gibt es fünf Fragen, die zu untersuchen sind: Einmal, was es ist; zum ändern, woher es kommt; drittens, ob der Redner den Wunsch haben soll, Heiterkeit zu erregen; viertens, wie weit er gehen soll; fünftens, welche Arten des Lächerlichen es gibt. Was dabei die erste Frage angeht, was das Lachen an und für sich ist, wie es erregt wird, wo es sitzt, wie es entsteht und so plötzlich hervorbricht, daß wir, auch wenn wir den Wunsch haben, nicht an uns halten können, und wie es zugleich den Körper, den Mund, die Adern, die Augen, die Miene ergreift, so mag Demokrit sich darum kümmern. Denn diese Frage hat nichts mit unserem Gespräch zu tun, und wenn sie etwas mit ihm zu tun hätte, würde ich mich trotzdem nicht schämen, etwas nicht zu wissen, was nicht einmal die wissen, die es erwarten lassen.21 Die zweite Frage, die darauf hinausläuft, worüber man lacht, wird ganz im Sinne der Aristotelischen Poetik beantwortet, wo das Lächerliche als "ein mit Häßlichkeit verbundener Fehler" definiert ist - "von einer gewissen Häßlichkeit und Mißgestalt,"22 schreibt Cicero. Das Zartgefühl, das es uns heute verbietet, körperliche Defekte zum Gegenstand des Scherzes zu machen, besaßen die Alten bekanntlich nicht, und der hinkende Hephaistos erregte ob seiner Krüppelgestalt ebenso das Gelächter der Homerischen Götter wie Ares und Aphrodite, die in eheschänderischer Lust unter dem Netz des Betrogenen zappeln. Die dritte Frage wird vorbehaltlos bejaht: Der Redner soll Heiterkeit erregen, weil sie ihm Sympathie einträgt und er, wenn er zudem über Bildung, Geschmack und Scharfsinn verfügt, auch noch auf Bewunderung rechnen kann. Die vierte Frage zielt auf die rhetorisch besonders prekären Nebenwirkungen des Lächerlichen. Denn weder das besonders ruchlose Verbrechen noch das außerordentliche Unglück dürfen Gegenstand des Scherzes sein, will man nicht, daß er sich gegen die eigene Person richtet. Das richtige Maß ist das wichtigste Erfordernis beim Gebrauch des Witzes: was also "weder besonderen Haß noch außergewöhnliches Mitleid verdient" und derjenige, der sich nicht allgemeiner Beliebtheit erfreut, das alles kann Gegenstand des Spottes werden. Häßlichkeit und körperliche Mängel bieten besonders geeigneten Stoff
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Ibid. 353ff.; II, 229f. Ibid. 359; II, 235. Ibid. 359; II, 236.
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für den Witz, auch dabei solle der Redner freilich weder possenhaft noch übertrieben wirken. Zwei Arten des Lächerlichen skizziert Caesar dann zur Beantwortung der fünften Frage, und zwar eine Komik, die in der Sache, eine zweite, die in der Formulierung liegt. Das in den res wurzelnde Lächerliche teilt sich wieder in zwei Unterarten: die erste verfährt anekdotisch und narrativ und bringt so die komische Eigenart einer Person oder einer Handlung zum Ausdruck; die zweite geht mimetisch-parodierend vor, indem sie sich die Nachahmung von spotterregenden Fehlern zum Ziel setzt. Aller anfänglichen Skepsis zum Trotz gipfelt Ciceros Diskussion des ridiculum in einer Topik der Scherzrede, die er zunächst ganz allgemein an die rhetorische Topik überhaupt anschließt; die Fundstätten ernsthafter Gedanken stimmen mit denjenigen der Witze und Scherzreden überein: Der Unterschied besteht nur darin, daß Ernsthaftigkeit in ehrenhaften und ernst zu nehmenden, Witz in verschrobenen und gleichsam mißgestalteten Dingen liegt. So können wir uns mit denselben Worten über einen braven Sklaven lobend und, wenn er nichts taugt, scherzhaft äußern. Köstlich ist der allbekannte Ausspruch Neros über einen diebischen Sklaven: Er sei der einzige, für den im Hause nichts verriegelt noch verschlossen sei. Dasselbe sagt man gewöhnlich auch bei einem guten Sklaven; dabei bedient man sich hier auch derselben Worte. Die Quellen, aus denen man schöpft, sind aber in allen Fällen dieselben.23 So daß also die loci a persona und die loci a re gleichermaßen auf überzeugende Argumente wie auf lächerliche Gegenstände zu führen vermögen. Gleichwohl nennt Cicero auch einige besondere Gesichtspunkte, unter denen das Komische eines auch ernsthaft möglichen Gedankens in Erscheinung tritt. Die Fälle aber, die auf der Sache und dem Gedanken selbst beruhen, sind den Arten nach unzählige, nach Gattungen jedoch nur wenige. Denn man erregt Gelächter, indem man Erwartungen täuscht, indem man anderer Leute Eigenart verspottet und sich über seine eigene lustig macht, durch Ähnlichkeit mit etwas Häßlicherem, durch Ironie und dadurch, daß man Ungereimtes sagt und Dummheit tadelt. So muß, wer witzig reden will, gleichsam mit der natürlichen Voraussetzung für diese Gattungen versehen und so geartet sein, daß sich selbst seine Miene jeweils nach der Art des komischen Effektes richtet; denn je gestrenger und mürrischer sie wirkt, wie es bei dir der Fall ist, Crassus, um so witziger erscheint gewöhnlich, was man sagt."24 Die ausführliche Rekonstruktion von Ciceros Theorie des Komischen oder Lächerlichen, denn um eine solche handelt es sich trotz des anfänglichen Dementis natürlich, erlaubt es mir jetzt, mich mit den wichtigsten Ergän-
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Ibid. 367f.; II, 248. Ibid. 393f.; II, 289.
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zungen zu begnügen, die Quintilian seinem Lehrmeister hinzufügte, dem er im übrigen ziemlich weitgehend gefolgt ist. Dabei möchte ich auch den besonderen Akzent berücksichtigen, den der Autor des wichtigsten rhetorischen Erziehbuchs, also der Institutio oratoria, den Einschränkungen der Scherzrede gegeben hat. Er erinnerte nämlich an deren humane Verpflichtung, die auch Aristoteles hervorgehoben hatte. Es sei unmenschlich, das Unglück anderer zu verhöhnen, einen Freund zu verletzen und statt Mitleid Spott zu erregen. Hier wird ein pädagogischer Ton hörbar, den Cicero so nicht kennt. Die Fundstellen des Lächerlichen beschränkt Quintilian auf insgesamt drei: aus der körperlichen Beschaffenheit, aus der Gesinnung oder schließlich aus dem, was außerhalb liege, solle der Redner seine komischen Einfalle beziehen; wobei gerade die dritte Kategorie die Verlegenheit deutlich macht, die eine spezifische Topik des Lächerlichen den rhetorischen Theoretikern bereitet. Von größerer Prägnanz erscheinen die Methoden und Techniken zur Erzeugung des Lachens. Mimetische Vergegenwärtigung und anekdotisches Erzählen sind auch für Quintilian die Hauptmittel der Scherzrede, die zur Erzählung gehört, während er vom Witz brevitas und - das ist ein wichtiger Akzent - urbanitas, also die Bildung und Überlegenheit römischen Geistes, erwartet. Doppeldeutigkeit, Namenverdrehung, Anspielung gehören wiederum zu den bevorzugten Techniken, besonderes Gewicht legt Quintilian auf simulatio und dissimulatio, die auf der Ähnlichkeit bzw. Unähnlichkeit der Menschen, Tiere und Dinge beruhen - ein in der Geschichte der europäischen Kunst besonders fruchtbar gewordener Gedanke. "Das meiste Gelächter," schätzt Quintilian, gibt es beim Sich-Stellen und -Verstellen, was ja nah verwandt und fast gleich ist; liegt doch der Unterschied nur darin, daß man im einen Fall sich stellt, als sei einem eine bestimmte Auffassung wirklich zu eigen, im ändern Fall vorgibt, man habe keine klare Vorstellung von dem, was der andere meint. [...] Für solche Verstellung bietet zweifellos die Doppeldeutigkeit die häufigste Gelegenheit. So bot sie sich dem Cascellius, als er einem Manne, der ihn geschäftlich um Rat fragte und dabei sagte: 'Ich will das Schiff teilen', zur Antwort gab: 'Dann ist es hin!' Doch läßt sich der Sinn auch gern anders lenken, wenn man von Schlimmerem auf Harmloseres abbiegt, wenn etwa jemand auf die Frage, was er von einem Manne, der beim Ehebruch ertappt worden war, für eine Meinung habe, die Antwort bereit hatte: daß er zu langsam gewesen sei.25 Bis hierher läßt sich zusammenfassend sagen, daß in der antiken Rhetorik über das Problem des Komischen ziemliche Einigkeit herrscht. Es gilt als ein heikles und schwieriges, doch durchaus überzeugungskräftiges Mittel der Rede. Spannungslösung und Sympathiegewinnung rücken es in den Geltungsbereich des rhetorischen ethos, also jener emotionalen Redefunktion, die der
25
M.F. Quintilianus, Institutio oratoria/Ausbildung des Redners, lat.-dt., l. Teil, ed., übers. H. Rahn (Darmstadt, 21988) 749; VI, 3, 85 u. 87.
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Unterhaltung und Zerstreuung, dem delectare und conciüare, dient. Den Richter zum Lachen zu bringen, rechnet Quintilian daher zur "Leistung des Redners auf dem Gebiete der Gefühlswirkungen,"26 wobei es nicht um Leidenschaftserregung, sondern um die Bewegung der eher sanften und milden Affekte geht. Das ethos, das in Person und Charakter des Redners erscheint und seine Glaubwürdigkeit begründet, bewirkt nach rhetorischer Theorie "eine gelassene Gemütsemotion"27 des Wohlwollens, der Freundlichkeit und Geneigtheit. Sie geht aus von der "Eigenart menschlichen Verhaltens"28 in seiner bloßen, gewöhnlichen Natürlichkeit, von vita et mores in ihrer menschlich-geselligen Erscheinung sowie von der Tugend der comitas (Leutseligkeit) und ist damit eine Wirkung der humanitas. Wir Heutigen können freilich kaum noch ermessen, wie gerade die Einschränkungen im Gebrauch des Lächerlichen mit seiner tatsächlichen Verwendung zusammenstimmen. Das klassische Zeitalter war trotz aller theoretischen Bedenken bemerkenswert unbefangen im Umgang mit den lächerlichen Seiten des Menschen. An das Homerische Gelächter der Götter habe ich schon erinnert, und Cicero, der Meister der Invektive und Personalsatire, hat beispielsweise seinen Gegner Piso als Schafskopf, Schwein und Geier verhöhnt, ihn auch einen Zuchthengst genannt, der aufwiehert, sobald auch nur ein Philosoph von "Lust" spricht; noch dazu sei er ein elender Schlemmer, ein "römischer Epikur," jedoch ein "Erzeugnis des Stalles, nicht der Schule,"29 abscheulich aus dem Munde stinkend und zudem von Galliern abstammend, die mit Hosen herumlaufen. Aussehen und Abstammung, auch der Name waren herausragende Gegenstände von Ciceros Spottlust: Was gewinnt er allein an Beschimpfungen dem Namen seines Gegners Verres ab, da verres, verris (m.) 'das Schwein' heißt. Des Verres' Rechtsprechung nennt er zum Beispiel "ius verinum": da 'ius' auch 'Sauce' heißen kann, bedeutet der doppelsinnige Ausdruck zugleich 'Schweinebrühe',30 und als sein Gegner einen jüdischen Scheinankläger präsentiert, fragt Cicero hinterlistig: "Was hat denn der Jude mit dem Schwein zu schaffen?"31 Übrigens bedient sich auch der jüdische Witz ganz ungeniert aller besonders ins Auge fallenden körperli-
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28 29 30 31
Ibid. 715; VI, 3, 1. K. Dockhorn, "Die Rhetorik als Quelle des vorromantischen Irrationalismus in der Literatur- und Geistesgeschichte," Macht und Wirkung der Rhetorik: Vier Aufsätze zur Ideengeschichte der Vormoderne (Bad Homburg v.d.H.; Berlin; Zürich, 1968) 50. K. Dockhorn, "Wordsworth und die rhetorische Tradition in England," Macht und Wirkung 34. M.T. Cicero, Reden gegen Piso, Sämtliche Reden, Bd.IV, eingel., übers, u. erl. M. Fuhrmann, (Zürich; München, 1980) 166. M.T. Cicero, "Zweite Rede gegen C. Verres," Reden gegen Verres II, lat.-dt., ed., übers. G. Krüger (Stuttgart, 1989) 111; I, 6; 157; I, 121. Plutarch, Große Griechen und Römer, Bd. IV, eingel., übers. K. Ziegler, (Zürich; Stuttgart, 1957) 259.
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eben Defekte: "Rabbi," beschwert sich ein Buckliger, "jeden Schabbes predigt Ihr, wie vollkommen Gott alles erschaffen hat. Seht mich an!" Der Rebbe sieht ihn von allen Seiten an und sagt: "Nu, seid Ihr für einen Buckligen nicht vollkommen geraten?"32 Wichtig sind solche Beispiele aus einem Grunde: Die Bindung des Komischen an die humanitas kennt wie diese selber keine Reservate, die prinzipiell ausgespart werden müßten, kurz, auch dem Witz ist nichts Menschliches fremd. Es sind allein die Adressaten und die Gelegenheit, welche dem Redner Zurückhaltung oder Verzicht auferlegen. Cicero markiert einige Grenzen, die entweder im Anlaß, in der Würde des Redners oder in der aktuellen Situation begründet sind. Grimassieren und übertriebenes Nachahmen, wie Komödianten und Possenreißer es lieben, vertragen sich nicht mit dem oratorischen Idealbild des vir bonus, der schließlich ein Muster sämtlicher ernsthaft positiver Möglichkeiten des Menschen darstellt. Versucht man einmal, alle wesentlichen Merkmale zusammenzunehmen, die in der antiken Rhetorik für die lachenerregende Rede und den Witz genannt wurden, wird man auf einen gemeinsamen Nenner stoßen. Denn ob, wie von Aristoteles, ein mit Häßlichkeit verbundener Defekt oder, von Cicero, die Fehlerhaftigkeit überhaupt als Anlaß genannt wird oder ob Quintilian in der Vorspiegelung das witzigste Verfahren sieht, jedesmal liegt eine Unangemessenheit, rhetorisch gesprochen, eine aptum-Verletzung, zugrunde. Das kann ein unangemessener Körperbau, eine unangemessene Haltung oder Geistestätigkeit sein. Aber Sie mögen mir nun einwenden, dies sei doch nur eine rein formale Bestimmung, Unangemessenheit setze einen Maßstab voraus, der durch sie verletzt werde. Und es ist wahr, das Komische ist immer eine Maßstabsverletzung, wobei das Maß des Richtigen nicht ein für allemal feststeht, sondern kulturell und historisch variabel ist. Daher kommt es, daß wir Witze aus fremden Kulturen oftmals nicht verstehen oder uns mühsam zusammenreimen müssen, von welchem Maßstab aus sie komisch wirken. Die prinzipielle Geltung der aptum-Verletzung als Strukturmerkmal von Witz und Komik geht aber noch weiter. Die Plötzlichkeit und Überraschung selber gehören dazu, die nach rhetorischer Überzeugung auch das Ideal der Scherzerzählung, brevitas, die Kürze also, begründen und denen auf der Rezipientenseite der plötzliche Ausbruch des Lachens, sein Zünden, wie der Sprachgebrauch es so treffend formuliert, entspricht. "Wenn man gantz unerwartete Schertze vorträgt, so überfällt man den Zuhörer, und läßt ihm nicht viel Zeit nachzudencken [...] Man kan sagen, daß das unerwartete in einem
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S. Landmann, ed., Der jüdische Witz: Soziologie und Sammlung, vollst, neu bearb. u. wesentl. erg. Aufl. (Ölten; Freiburg i.Br, "1988) 141.
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Schertze, ein Mittel sey, viele andere Fehler des Schertzes zu verbergen,"33 sagt noch im 18. Jahrhundert Georg Friedrich Meier ganz im Sinne Ciceros. Der Maßstab, der jeweils verletzt wird, ist das durch gesellschaftlichen Konsens, durch Ideologie und öffentliche Meinung eigentlich Erwartete. Eine Unangemessenheit liegt schließlich auch sämtlichen Techniken des komischen Ausdrucks zugrunde, ob es sich dabei einerseits um das unangemessene Verhältnis von Scherz und Scherzgegenstand handelt, wie bei der übertriebenen Nachahmung, der euphemistischen Beschreibung, dem Understatement, der Ironie, oder, mit Jean Paul gesprochen, der Anwendung des Endlichen auf das Unendliche, so daß ein umgekehrt Erhabenes entsteht;34 oder ob auf der anderen Seite der rhetorische Ausdruck selber unstimmig ist, also wie beim Wortwitz zweideutig, ungereimt oder überspannt. "Überhaupt besteht ja [...] die ganze Kunst," behauptet Quintilian, "mit gesalzenem Witz zu sprechen, darin, anders, als es richtig und wirklich ist, zu sprechen."35 Bis in den Vortrag hinein kann man dieses Schisma verfolgen, und sämtliche Redelehrer warnen ihre Schüler davor, die Scherzrede etwa mit lächerlichem Gebärdenspiel oder selber lachend vorzubringen, vielmehr mache "den größten Eindruck die ernste Haltung des Sprechenden."36 Es ist ja bekannt: der Unbewegte, ja Mürrische ist der beste Witzeerzähler, und Charlie Chaplin oder besonders Buster Keaton haben die Empfindungslosigkeit und Selbstdistanziertheit zum komischen Prinzip schlechthin erhoben. Gerade die Teilnahmslosigkeit, mit der Charlie auch außerhalb der Fabrik die automatische Schraubbewegung an allem Schraubenähnlichem, ob Mantelknopf, Brille oder Schmuckstück, ausprobiert, oder die ungerührte Habachtstellung mit der Hand an der Mütze, in der Kapitän Keaton zusammen mit seinem Schiff langsam in den Fluten verschwindet, wirken umwerfend komisch - jede emotionale Unterstreichung oder sogar bloße Andeutung hätte die komische Wirkung vermindert. Georg Friedrich Meier konzentriert daher seine "Gedancken von Schertzen" im wesentlichen auf deren Vortrag, weil nichts schädlicher ist, als wenn sich der Scherzende selber lächerlich macht. Das Lächerliche markiert rhetorisch zugleich Grenze und Wirkung des sozialen Konsenses. Dessen kontrollierte Verletzung muß sich noch im Rahmen des Tolerierbaren bewegen, darf das Taktgefühl, den Sinn für das Schickliche, das decorum, nicht wirklich verletzen. Auf sozialer Ebene wiederholt sich jene Zweideutigkeit, die das Lächerliche für den Redner, für seine persönliche Glaubwürdigkeit schon immer besitzt. Die in einem umfassenden Sinne gesellschaftsethischen Konsequenzen wurden in Anknüpfung an Aristo-
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G.F. Meier, Gedancken von Schertzen (Halle, 1744; Kopenhagen, 1977) 81. Cf. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, Werke, Bd.5, ed. N. Miller (München, 1963) 124f. Quintilianus, Institutio oratorio Bd. l, 749; VI, 3, 89. Ibid. 725; VI, 3, 26.
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telische Gedanken daraus freilich erst in der Renaissance gezogen; ihnen sollen einige Schlußbemerkungen gelten. Als Castiglione Ciceros Buch vom Redner in das Buch vom Hofmann, sein Libro del Cortegiano, übersetzte, hat er auch die Theorie des Komischen nicht vernachlässigt - oder besser: er hat deren Bedeutung für die höfische Konversation zu einem Angelpunkt seiner Gesellschaftslehre gemacht. Dabei bedurfte es nur geringer Veränderungen, und die meisten Bestimmungen konnte er so übernehmen, wie er sie vorfand. Ob er das Lachen als eigentümliches menschliches Merkmal feiert, es als Zeichen der Erholung, als Audruck des Wohlwollens oder Mittel des Vergnügens bestimmt, seine antiken Gewährsmänner sind manchmal bis zum Wortlaut und bis in die Beispiele hinein gegenwärtig. Das gilt auch für die Markierung der Grenzen, die der Hofmann beim Gebrauch des Lächerlichen zu beachten hat: Die Gelegenheit also oder gleichsam der Quell, woraus das Lächerliche hervorgeht, besteht in einer gewissen Ungestalt; denn man lacht nur über das, was Unschicklichkeit an sich hat und schlecht anzustehen scheint, ohne es jedoch zu tun. Ich weiß es nicht anders zu erklären; wenn Ihr selbst darüber nachdenkt, werdet Ihr sehen, daß das, worüber man lacht, fast immer etwas ist, was sich nicht schickt und doch nicht schlecht ist. Welches also die Mittel sind, die der Hofmann anwenden muß, um zum Lachen zu bewegen, und bis zu welcher Grenze, werde ich mich Euch zu sagen bemühen, soweit mein Urteil es mir zeigen wird. Es schickt sich für den Hofmann nicht immer, zum Lachen zu bringen, und auch nicht die Art, auf die es die Verrückten und Betrunkenen, die Dummköpfe und Tölpel und ebenso die Narren tun; obwohl an Höfen diese Arten von Menschen anscheinend erforderlich sind, verdienen sie es doch nicht, Hofmänner genannt, sondern nur nach ihrem Namen und als solche, die sie sind, eingeschätzt zu werden. Auch Grenze und Maß, durch Spott lächerlich zu machen, müssen sorgfältig beachtet werden, ebenso wer es ist, den man verspottet [...]." Das Beispiel illustriert sehr schön die eben angedeutete Abhängigkeit von den antiken Autoren: man meint Cicero sprechen zu hören. Allein, die Neuorientierung ist ebenfalls unverkennbar, sie entsteht ausschließlich durch die speziellen Erfordernisse des sozialen Orts, den der Redner nun als Hofmann betritt. Nicht die menschliche Würde ist es nunmehr, die sakrosankt erscheint und jeder Verletzung wehrt, sondern die "Würde des Edelmanns,"38 dessen Leichtigkeit und Anmut im Verhalten sich in den Scherzen als "etwas Elegantes und Gutes"39 ausdrücken. Sehr viel mehr noch als der Redner ist der Hofmann gehalten, die Gefahr einer exzessiven Wirkung des Lächerlichen zu
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B. Castiglione, Das Buch vom Hofmann, übers., erl. F. Baumgart (München, 1986) 172; Buch II, XLVI. Ibid. 178; II, L. Ibid. 176; II, XLIX.
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vermeiden. Mit "einem gewissen Ernst durchaus geistvoll [zu] spotten, ohne Gelächter zu erregen,"40 ist das eigentliche Ideal, und gerade der kurze Scherz, das Witzwort, mit seinem "schnellen Scharfsinn"41 birgt auch die Gefahr, "bösartig und giftig zu erscheinen."42 Schon Cicero und Quintilian hatten die Ironie unter allen Formen der Komik besonders ausgezeichnet; Castiglione erachtet sie konsequenterweise als besonders angemessen "für hochstehende Personen, weil sie [die Ironie] gesetzt und doch gesalzen ist und man sie bei spaßhaften und auch bei ernsten Gelegenheiten anwenden kann."43 Zusammenfassend heißt es dann gegen Schluß des 2. Buches vom Hofmann: Wenn also der Hofmann beim Spotten und Scherzen Rücksicht auf Zeit, Personen und seine Stellung nimmt und nicht zu aufdringlich dabei ist - denn den ganzen Tag, bei allen Gesprächen und ohne Anlaß stets darauf zu bestehen, verursacht wahrlich Verdruß -, dann wird er witzig genannt werden können. Desgleichen muß er sich davor hüten, allzu bitter und bissig zu sein und als bösartig bekannt zu werden, indem er ohne Ursache oder mit offensichtlichem Haß spottet, oder zu mächtige Personen neckt, was unklug wäre, oder zu elende, was grausam hieße, oder zu schurkische, was nutzlos wäre, oder indem er Dinge sagt, die solche beleidigen, die er gar nicht beleidigen möchte, was Unwissenheit bedeutet: denn es gibt immer einige, die sich für verpflichtet halten, wo sie nur können, ohne Rücksicht zu sprechen und zu sticheln, mag die Sache dann laufen, wie sie will. Unter diesen sind welche, die, um nur ein Wort witzig anzubringen, sich nicht scheuen, die Ehre einer Edelfrau zu beflecken, was durchaus schlecht und schwerster Strafe wert ist, weil die Frauen in diesem Fall zu den Unglücklichen zählen und es nicht verdienen, darin angegriffen zu werden, wo sie keine Waffen zur Verteidigung besitzen. Außer den diesbezüglichen Eigenschaften muß derjenige, der scherzhaft und witzig sein will, eine gewisse, für alle Arten von Scherzen geeignete Natur haben und ihnen Gewohnheiten, Gesten und Gesicht anpassen; je ernsthafter, strenger und würdevoller dieses ist, desto gesalzener und scharfsinniger läßt es das Gesagte erscheinen.44
Unterm Primat der Adressatenabhängigkeit jeder wirkungsvollen Rede hat somit die ständische Umdeutung des Witzes und der Scherzrede begonnen. In zwei Überlieferungsstränge differenziert sich die bei Cicero und Quintilian einheitliche rhetorische Theorie des Komischen: sie wird einerseits aufgenommen in die poetologischen und ästhetischen Reflexionen, wo vor allem ihre Verbindung mit der Komödie fruchtbar wird, und findet andererseits Eingang
40 41 42 41 44
Ibid. Ibid. Ibid. Ibid. Ibid.
194; II, LXVI. 184; II, LVII. 185; II, LVII. 201; II, LXXIII. 212f.; H, LXXXIII.
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in die Gesellschaftslehren, in deren Rahmen sie - von Castiglione bis Knigge - in das Ideal einer humoristischen Lebenseinstellung überführt wird. Im vollen Bewußtsein, daß Ciceros Diktum von der Schwierigkeit, witzig über den Witz zu reden, in besonderer Weise für einschlägige Vorträge und Tagungen gilt, möchte ich uns mit einer Ermunterung in die folgenden Tage entlassen, die Knigge so schön für den geselligen Umgang formuliert hat: Wer noch aus ganzem Herzen lachen, sich den Aufwallungen einer lebhaften Freude überlassen kann, der ist kein ganz böser Mensch. Tücke und Bosheit machen zerstreut, ernsthaft, nachdenkend, verschlossen, mais un homme, qui rit, ne sera jamais dangereux. [...] Echte muntre Laune aber pflegt ansteckend zu sein, und diese Epidemie hat etwas so Wohltätiges; es ist ein so wahres Seelenglück, einmal alle Sorgen und Plagen dieser Welt weglachen zu dürfen, daß ich irgend anrate, sich zur Munterkeit anzufeuern, und wenigstens ein paar Stunden in der Woche auf diese Weise der gesitteten Fröhlichkeit zu widmen.45
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A. Freiherr von Knigge, Über den Umgang mit Menschen, ed. G. Ueding (Frankfurt a.M, 1977) 122.
ANTON C. ZIJDERVELD
A Sociological Theory of Humor arid Laughter
Preliminary remarks This essay presents an interpretation of humor and laughter from a sociological point of view.1 Thus, the essay does not present an essentialist definition of humor and laughter that claims to capture their essence in an abstract way. It rather tries to shed conceptual light on humor and laughter from a sociological angle. This angle is particularly relevant, since both phenomena are, as we shall see in more detail below, entrenched in social and cultural contexts. As to the sociological angle, various approaches are conceivable. The present approach is usually called the sociology of knowledge in the Anglo-Saxon, and KulturSoziologie in the Continental-European world. Some feel the need to distinguish between the concepts of humor, wit, comedy, irony, etc. Usually, such distinctions are rather arbitrary and heuristically not very fruitful. In addition, there are enormous semantic difficulties as to the precise meanings of these words in the various languages. The German word Witz, for instance, is hard to translate into English. It certainly is not the same as wit. It is even doubtful whether the German Humor contains the same semantic meaning as the English word humor. If Freud's well-known, yet rather arbitrary distinction of Witz, Humor and Komik is translated into 'humor, wit and comedy' one encounters great conceptual and semantic difficulties. This essay employs 'humor' as an umbrella term which will be defined sociologically. Laughter is closely linked to it, yet treated as an independent variable. There is, of course, laughter without humor, as there is humor without laughter. The often employed, rather simple definition of humor as everything that elicits laughter, is therefore very insufficient. Laughter is a physiological phenomenon which can be humorous, but which often is not, as in the case of the laughing response to tickling, or the un-
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The ideas developed here were taken from a larger systematic study on humor and laughter. Cf. my Humor und Gesellschaft: Eine Soziologie des Humors und des Lachens, translated from the Dutch original text by Diethard Zils (Graz; Wien; Köln, 1976). See also my trend report with an annotated bibliography, published by the International Sociological Association: The Sociology of Humour and Laughter, Current Sociology 31.3 (Winter 1983).
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stoppable fit of giggles in the case of extreme fatigue. But then, such physiological responses can again be defined as quite funny and humorous by beholding witnesses depending on the situation in which they occur. They are often employed as a technique in slapstick comedies. Moreover, laughter, and in particular its kin phenomenon, the smile, are often mere expressions of politeness, or signals of the willingness to keep communication open and fluid: 'keep smiling!' Here again, humor is not part of laughter. It again shows that humor and laughter ought to be distinguished conceptually.
Humor from a sociological point of view In everyday life people engage in scores of humorous exchanges. Indeed, sociologically speaking, humor is a matter of social interaction and communication. A man on an uninhabited island may be the target of many jokes, he himself has no occasion to engage in humorous interactions, and thus has very little to laugh about. It needs at least two to crack jokes and engage in mirthful laughter. Someone obviously traveling by himself in a bus or street-car, who smiles and giggles incessantly, makes a strange impression on his fellow travelers, to say the least. Thus humor and laughter are very social by nature, as was observed by Henri Bergson in his celebrated essay on humor and laughter, Le rire: "Notre rire est toujours le rire d'un groupe."2 However, humor is not just a social but above all a cultural phenomenon. In humor people play with the values, norms and meanings of the social world they live in. Sociologically speaking, humor can be defined as the social game people play with the values, norms and meanings of their society in general, or of the group or sub-group they live in. This needs further explication. Let us first focus upon the values, norms and meanings which, as it were, are 'the stuff of humor.' In any society, the values, norms and meanings which structure the lives of individuals possess three basic characteristics: they are (a) institutionalized, (b) traditional, and (c) differentiated. Values, norms and meanings are not amorphously scattered about in society. On the contrary, they are structured, patterned, or in sociological parlance: institutionalized. In fact, they constitute a meaningful and moral order - a nomos which enables individuals to live meaningful, coherent lives, and to engage in meaningful, coherent interactions. If this meaningful and moral order is disturbed, for instance by war or by influential social and cultural
Henri Bergson, Le rire: Essay sur la signification du Comique (1905; Paris, 1935) 6.
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changes, as in the case of rapid industrialization, a deep and unsettling sense of anomie may emerge.3 Values, norms and meanings are not invented ad hoc, on the spur of the moment, but in fact passed on from generation to generation. They are part of the historical chain of tradition. Each generation will have its impact on this tradition and thus contribute to the change of values, norms and meanings. Yet, in order to participate in the meaningful and moral order of one's society, one has to link in with the chain of tradition. Thus institutionalization is paired to enculturation. The young members of society are introduced to the values, norms and meanings of tradition, and so are the incoming outsiders: "This is the way we do things around here." At this point we must discuss briefly Bergson's celebrated and often quoted theory of laughter, which is indeed a sociological one, yet is substantially the precise opposite of the one defended here. Bergson's notion of humor derives from his philosophical vitalism. Life is, according to him, a continuous stream of consciousness, of time-awareness, of duree. Life is anti-mechanical. Comedy then is to Bergson a mechanical repetition within this duree - a 'mecanisation de la vie', something mechanical in something living and lively. Since the mechanical is unexpected, it will elicit a laughing response. He gives the example of Pascal who once remarked that we are humorously pleased and smile when we see an identical twin; it is like an unexpected and funny trick of nature. There is a kind of rigidity here which we correct by a smiling or laughing response. The sociologist turns this argument around: human life is, as far as culture is concerned, solidly institutionalized, more or less explicitly patterned and structured, and thus from a sociological point of view mechanical. Not Bergson's duree but habitualization, routinization and role-behavior are the sociological characteristics of human life. That makes much of our acting, thinking and feeling predictable, understandable and accountable. Through humor, this sociological order is for a while - it lasts till the laughter has ended - put in disarray, in disorder. Contingencies and surprises of sorts are introduced for the duration of the humorous interaction. In sum, humor or comedy is not 'mecanisation de la vie', but on the contrary, a vitalization of what happens to be socio-culturally mechanical. Incidentally, in most cultures this humorous play with institutionalized values, norms and meanings is itself again organized and institutionalized. For instance, folly which all over the world and from very ancient times on has occurred in many different cultural contexts, has been organized and institutio-
For the concept of anomie cf. Emile Durkheim, Le suicide (1897; Paris, 'Ί986) 264-282. Cf. also Rene K nig, "Anomie", Fischer Lexikon Soziologie (Frankfurt a.M., 1958) 17-25.
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nalized in societies of fools and ceremonial roles, such as e.g. that of the court jester. It was felt that the game with the traditional, sacred and therefore tabooed values, norms and meanings could not be allowed to run wild and unlicensed. In Bergsonian terms, the demechanization of life had to be brought under mechanical control again. This notion was part of the very fundamental idea, alien to rationalist modernity, that the values, norms and meanings of tradition had a metaphysical origin and essence, and carried forces, which were highly ambiguous: civilizing and uncivilizing, divine and demonic. The humorous exploits of fools unleash these forces which is a hazardous thing to do and thus ought to be brought under the control of institutionalization and organization.4 But let us return to the main argument. Despite the structuring and controlling processes of institutionalization and enculturation, culture - and it is, of course, culture that we are dealing with here - is a very complex phenomenon. Even in its most 'primitive' stage it is never a uniform thing, but always a differentiated composite of various processes. The values, norms and meanings of a society are, to begin with, differentiated alongside class lines, gender lines and ethnic lines, causing the emergence of different sub-cultures. What differentiates them most, of course, is the unequal distribution of power and authority among them. But there is another, more intrinsic differentiation of culture. It is the differentiation - as emphasized by Claude Levi-Strauss - between antithetical aspects of human nature and culture: male-female, young-old, poor-rich, largesmall, ugly-beautiful, good-bad, dumb-smart, left-right, low-high, black-white, human-divine, abnormal-normal, etc. A cultural order, a nomos as a moral and meaningful Gestalt, is always a historically specific and hierarchical configuration of these polar opposites of the human condition at some place in some time. The number of possible combinations of these polar opposites is nearly infinite, and so is, as a result, the variety of cultural configurations in time and space. In order to avoid a misleading, static conception of such a Gestalt, it is necessary to realize the fact that (a) cultural configurations will differ from other configurations, (b) will change over time, and (c) will be ambiguous and incongruous. In fact, it is this incongruity and ambiguity which is crucial, if we look at society and culture from a sociological point of view. They are also crucial, if we want to understand humor sociologically. Humor then can be defined sociologically as playing with the institutionalized, traditional and polarly differentiated values, norms and meanings of a given society, or of a given group within society. A humorist, someone who performs a humorous act or interaction, is a homo ludens who engages in
Cf. my Reality in a Looking-Glass: Rationality Through an Analysis of Traditional Folly (London, 1982).
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cultural jugglery: he or she shuffles playfully the components of the surrounding nomos about, turns the established order of polar opposites around, upsidedown, inside-out, inverting the often venerated, if not tabooed, hierarchies of tradition. Attention is paid, in particular, to the ambiguities and incongruities of the human condition in society and culture. In fact, incongruity and ambiguity is the essence of most verbal and practical jokes. Humorous words, acts and events constitute a mirthful play, not a rebellion or revolution that aims at the fundamental change or destruction of the institutionalized and traditional order. Destroying the cultural order would for the humorist be the same as a child destroying its toys. Indeed, the values, norms and meanings of the surrounding nomos are the toys of the humorist as a mirthful homo ludens. This emphasis on the playful nature of humor stands in sharp contrast to the, by now, conventional notion of humor as an aggressive act at the expense of someone who is the victim of the joke. In this conceptual tradition, forged by Plato, Hobbes and Freud, laughter is viewed primarily as 'laughing at.' Since Freud's celebrated essay on "Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten" this interpretation of humor as conscious or unconscious aggression has obfuscated the fact that much of man's humorous exploits consists of a harmless play with the ambiguities and incongruities of daily life. There is, of course, aggressive humor as well as sardonic laughter at the expense of others, but it is a gross generalization to simply define all humor and laughter as being essentially aggressive. However, up to this point the argument has been too voluntaristic. It starts off with the simplistic idea that the humorist intends to be humorous, which then results in an action or interaction which is in itself funny. This idea is illconceived, because the intention to be humorous or funny is not sufficient, and often not even essential, to humor. Shakespeare was quite explicit on this point: "A jest's prosperity lies in the ear of him that hears it, never in the tongue of him that makes it."5 Indeed, there are numerous acts, words and events that are not at all intended to be funny or humorous, and yet are experienced as funny or humorous by beholding witnesses. And the other way round there are people who (often desperately) try to be funny, yet are not perceived so by others. The joke falls flat on its face, the only person laughing might be the jester himself - which, incidentally, might again be very funny in the eye of a beholder. This is an important sociological insight: humor is in the eye and ear of the beholder! We might paraphrase the famous theorem of W.I. Thomas, which has always been used as a definition of the self-fulfilling prophecy ("If people define situations as real, they are real in their consequences"): if people define
William Shakespeare, Love's Labour's Lost (Oxford, 1954) 103, V.2.
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situations as funny, they are funny in their consequences. But then the question arises how in fact people define situations - acts, words, events - as humorous. One thing is very clear: not by saying with a stern face "this is funny". That definitely would kill any potential trace of humor. The definition takes place by laughter. Indeed, laughter is, in a sociological sense, the only appropriate language of humor.
Laughter: the language of humor The naive interpretation of language runs as such: we have thoughts or emotions first, which we then express verbally by means of language and speech. The latter are thus viewed in an instrumental manner as dependent variables. Yet, it is a basic presupposition of social psychology that we human beings are at all able to think and feel, because we are speaking animals. The gift of language and speech is the very motor, if not the source, of our cognitive and emotive capacities. Language is then viewed as an independent variable. The same rather simple instrumental interpretation is often presented in the case of laughter: people engage in humorous acts and words to which others then respond with laughter. Laughter is thus viewed as a dependent variable within a behavioristic scheme of stimulus and response. This is as insufficient as the instrumental view on language as the expression of previous and subjective thoughts and emotions. For a more subtle interpretation of laughter we will have to turn things around: situations - actions, stories, events - are humorous because there are people who by laughing define them as being funny. Laughter is a response and is an expression of a subjective sense of humor, but it is much more than a behavioristic response and an instrumental expression. Laughter is a constitutive component of the humorous situation. The prosperity of a jest lies in the ear of him that hears it, not in the tongue of him that makes it. Just as cognition and emotion are dependent on language, humor is dependent on laughter. In fact, laughter is, in this sense, the language of humor. Incidentally, just as there is silent speech, usually called 'thought' or 'reflexion', there is an internal, silent laughter, a concealed amusement. Naturally, not all words, acts and events qualify as humor. If that were so, humor would be a dependent variable vis-ä-vis laughter. This is obviously not so, since there are scores of stories, actions and events which can and will not be defined as humorous by beholders. Only those acts, words and events qualify which somehow shake up the institutionalized and traditional order of values, norms and meanings, turning them upside-down, inside-out, focussing on their incongruities and ambiguities.
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In other words, humor presents some sort of disorder: by laughing about it people declare the disorder as something not to worry about, as something harmless. The disorder initially creates a cognitive and moral dissonance, but the dissonance is laughingly defined as harmless and thereby laughed away. However, the success of this move depends on the cultural context of the beholders. This is sociologically important. A blasphemous or an obscene joke may count on a raucous laughter within the regular army, and will thereby be defined as humorous, but the very same joke will certainly not be laughingly defined as funny and harmless within the Salvation Army. That means, laughter and humor are independent of each other, but dependent upon the surrounding social and cultural context. It is often said that the unexpected is crucial to humor. Indeed, the unexpected change of perspective, the unexpected inversion of meanings, values and norms, heightens the sense of humor on the part of the beholders. Yet, there is a paradox here, because often, as in the case of comic theatre, comic movies or stand-up comedians, the audience expects the unexpected. The situation has been defined in advance as a laughing and thus humorous one, and expensive tickets have been bought to boot. Things have to go very wrong, if the audience will not foster the prosperity of the jests by laughing responses. In daily life speaking invites verbal responses which themselves cause verbal responses. We call it conversation, and when the conversation runs, it is impossible to distinguish between stimulus and response: each response is a stimulus and vice versa. In that case we speak of a 'symbolic interaction' or communication. It is the same with laughter as the language of humor: laughter invites, triggers laughter which again invites and triggers laughter. The result is a humorous interaction as a meaningful communication, albeit in most cases without words. This is very basic: the only adequate response to laughter is, of course, not speech but laughter. Such laughter as a chain of stimuli and responses constitutes a rather thick definition of the situation as being a funny and humorous one. However, the humorous interaction, as discussed up to this point, still lacks the dimension which Bergson correctly emphasized so strongly: humor and laughter are collective phenomena. They ought to be located sociologically within the human group. This is illustrated in particular by what has aptly been called inclusive and exclusive laughter.6 Jokes and the laughter they elicit forge a sense of group-awareness and thus of collective identity. This is inclusive laughter. However, they also establish the boundaries of the group
Cf. the 'classic' treatment by E. Dupreel, "Le probleme sociologique du rire," Revue Philosophique 106 (1928): 213-260. An English summary of Dupreel's theory can be found in R. Piddington, The Psychology of Laughter (New York, 1963) 218-220.
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and thus function as shibboleths which separate the outsiders from the insiders. The same jokes and laughter are thereby exclusive. This ambiguity of inclusion and exclusion is apparent in much of Jewish humor. It has been observed that Jewish jokes are often antisemitic. Psychoanalysts tend to interpret this as evidence of an alleged Jewish self-hatred. One of them even argued that the emphasis upon inferiority in these jokes conceals an aggressive tendency: by feigning weakness an attempt is made to beat the opponent or antagonist.7 Apart from the question of whether such a collective Selbsthaß really exists, it seems clear that the antisemitic content of Jewish jokes is the very opposite of self-hatred. It rather testifies to the fact that the collective identity is firmly established: "Our group awareness is firm and secure to such an extent that we can crack antisemitic jokes, laugh at them, define them as being funny; at the very same time we laugh at those who believe in and enact antisemitism." Inclusion and exclusion are subtly intertwined. Inclusive and exclusive laughter enable people to establish and maintain their collective identity. In the case of cultural minorities within a larger society this may strengthen the sense of dignity and pride. In the case of occupation, as for instance during World War II, it may contribute to a sense of superiority and liberty. Jokes at the expense of the enemy and its collaborators fortify feelings of solidarity, and thereby forge a passive resistance.8 Many jokes delineate the borders between 'us' and 'them'. Often such jokes are racist in essences, as the jokes about Poles in America, Turks in Europe, or the less venomenous jokes about neighboring nations such as the Scots and the English, the Dutch and the Belgians, the 'anglophones' and the 'francophones' in Quebec. Usually such mutually disparaging jokes run along the same lines: potent-impotent, generous-stingy, smart-dumb. One sociologist interpreted such jokes as attempts to maintain and emphasize borderlines between collectivities which in (post)modern society evaporate and fade away. In an increasingly borderless world, such mutually disparaging jokes attempt to maintain some clear distinctions between 'us' and 'them'.9
7
s 9
Theodor Reik, "Zur Psychoanalyse des jüdischen Witzes," Imago 15 (1929): 63-88. See also B. Rosenberg, G. Shapiro, "Marginality and Jewish Humor," Midstream 4 (1958): 70-80. A.J. Obrdlik, "Gallow's Humor: A Sociological Phenomenon," American Journal of Sociology 47 (1942): 709-716. C. Davies, "Ethnic Jokes, Moral Values and Social Boundaries," British Journal of Sociology 33.3 (1982): 383-403.
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In conclusion Naturally, we tend to reject disparaging jokes morally, if not moralistically. This is an interesting point to end with: are such jokes morally dangerous and thus reprehensible? The Russian linguist Viktor Sklovskij once remarked: "The blood in anecdotes is not bloody; things are not crucial but the relationships between things."10 We may elaborate on this a bit further. All there is in these disparaging jokes is a verbal play with opposites which do not refer to any extra-linguistic reality. Even aggressive and bloody jokes are but words stimulating laughs. There is a good deal of aggression and cruelty in the fairy tales of the Grimms, and Agatha Christie designed many murderous plots and intrigues, but neither the Grimms, nor Miss Christie, nor their readers could be accused of being aggressive, cruel, let alone murderous. When we read them to our children, we do not fear that they may develop sadist and murderous tendencies. The blood in these anecdotes is not bloody. And the other way round, very few true sadists and killers will spend their spare time reading the Grimm fairy tales or the Christie murder stories. The same mechanism may well be at work in the case of disparaging jokes. It is not the content but the context in which they are told that makes them bloody and potentially harmful. Here again we witness the intrinsically sociological nature of humor and laughter.
10
V.B. Sklovskij, "Zur Theorie des Komischen," Neues Forum 14 (1967): 755-758.
TEIL II Mittelalter
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Schwarzes Lachen: Überlegungen zum Lachen an der Grenze zwischen dem Komischen und dem Makabren
i Man hat gesagt, komisch sei das, worüber man lache. Das hört sich trivial und wenig ergiebig an. Jedenfalls sieht man sich gleich zu der Frage weitergedrängt, wie jene Konstellation ihrer Struktur nach zu beschreiben ist, die Lachen auslöst, also Komik konstituiert. Und so hat man denn die lebensweltlichen oder narrativen Konstellationen theoretisch zu fassen versucht, bei denen das Lachen sozusagen als Reaktion des Betrachters bzw. des Hörers oder Lesers herausspringt. Doch die Ergebnisse dieser Bemühungen sind höchst heterogen ausgefallen; man hat sich auf keine 'Formel' des Komischen einigen können. Immerhin aber hat diejenige Odo Marquards einen besonders nachhaltigen Eindruck hinterlassen; sie lautet: "Komisch ist und zum Lachen bringt, was im offiziell Geltenden das Nichtige und im offiziell Nichtigen das Geltende sichtbar werden läßt".' Marquard nennt diese Definition freilich "pure Notwehr," oder man kann es auch plump sagen: seine Definition ist unzureichend, und er weiß dies auch selbst: Das Nichtige im offiziell Geltenden und das Geltende im offiziell Nichtigen erscheint nur unter bestimmten Bedingungen komisch: Man muß den Widerspruch komisch nehmen, d.h. man muß, statt mit einer Aktion auf ihn zu reagieren, bereit sein, über ihn zu lachen. Und das impliziert, daß man mit ihm nicht fertig werden kann oder will.2 Anders gesagt: Lachen bedeutet Kapitulation vor dem genannten Widerspruch. Ein offiziell geltendes Gesetz z.B., das sich als untauglich und somit als nichtig erweist, braucht nicht zwingend einen komischen Effekt zu haben, es kann auch Empörung auslösen und zur Aktion, zur Abschaffung, drängen. Die Marquardsche Formel faßt also nur den objektiven Aspekt des Phäno-
1
2
Odo Marquard, "Exile der Heiterkeit," Das Komische, ed. Wolfgang Preisendanz, Rainer Warning, Poetik und Hermeneutik VII (München, 1976) 133-151, hier 141. Marquard baut dabei auf Überlegungen Joachim Ritters auf: "Über das Lachen," Subjektivität (Frankfurt a.M., 1974) 62-92. Dies eine Feststellung Helmuth Plessners, "Lachen und Weinen," Philosophische Anthropologie (Frankfurt a.M., 1970) 11-171, hier 99, den Marquard (Anm. 1) 143 zitiert.
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mens; die darauf bezogene subjektive Seite scheint demgegenüber nicht formalisierbar, sie beruht auf einer Haltung, die als anthropologische Möglichkeit zur Verfügung steht. Und von ihr aus blickt man auf den objektiven Befund, den die Marquardsche Formel zum Ausdruck bringt, unter ganz spezifischen Bedingungen, die es einem erlauben, mit Lachen darauf zu reagieren. Man faßt diese Bedingungen am besten negativ: Die komische Sicht wird verhindert, wenn der Zwang, mit dem Widerspruch doch fertig werden zu müssen, stärker ist als die Bereitschaft zur Kapitulation. Oder allgemeiner ausgedrückt: Der Feind der komischen Sicht auf den Marquardschen Widerspruch ist das Engagement. Henri Bergson hat von einer Anästhesie des Herzens als Voraussetzung für die lachende Reaktion gesprochen.3 Das Komische ist also objektiv nicht greifbar, wenngleich es möglich ist, objektive Bedingungen zu schaffen, damit ein Sachverhalt dem Lachen überantwortet werden kann. Man sieht sich vielmehr bei der Frage nach dem Verhältnis von Komik und Lachen auf eine anthropologische Grundgegebenheit zurückverwiesen. Sie ist prägnant in dem Diktum gefaßt: "Der Mensch ist das Tier, das lacht." Das bedeutet, daß das Verhältnis von Komik und Lachen keinen erfolgversprechenden Zugang zu einer Analyse der betreffenden Phänomene darstellt; ja, es führt vom Kern des Problems weg. Das läßt sich im übrigen schon daran ablesen, daß sich der Satz "Komisch ist das, worüber man lacht" nicht umkehren läßt. Denn man lacht nicht nur deshalb, weil einem etwas als komisch erscheint, es gibt auch das spontane Lachen als Ausdruck schlichter Daseinsbejahung und Lebensfreude, ja als Manifestation vitaler Überlegenheit. Man hat gesagt, das erste Lachen habe der Wilde ausgestoßen, als er seinen Fuß auf den Nacken des niedergestreckten Gegners setzte. Noch König Artus bricht in Lachen aus, nachdem er den Riesen von Mont St. Michel getötet hat.4 Daraus ergibt sich meine These, daß das Phänomen des Lachens sich nicht im Blick auf das Komische, nicht über eine Analyse komischer Strukturen fassen läßt, daß vielmehr eine Theorie des Lachens die Voraussetzung ist für ein Verständnis dessen, was als komisch erscheint, sowie der vielfältigen Formen, in denen es sich insbesondere literarisch darstellt.
3 4
Henri Bergson, Le rire: Essai sur la signification du comique (Paris, 1899/1900), dt.: Das Lachen (Meisenheim am Glan, 1948) 9. Galfred of Monmouth, Historia Regum Britanniae X, 3. J.S.P. Tatlock, "Medieval laughter," Speculum 21 (1946): 289-294, führt weitere analoge Fälle an.
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II
Die 3. Szene des 2. Aktes von Schillers Räubern, die in den Böhmischen Wäldern spielt, hat einen ersten dramatischen Gipfelpunkt in der Rettung Rollers. In der Münchner Inszenierung von Fritz Kortner, 1953 am Residenztheater, tragen Karl Moor und seine Gesellen den kahlgeschorenen, zerschlagenen Roller auf die Bühne und werfen ihn auf den Boden. Sie haben ihn, als er schon an der Leiter zum Galgen stand, gerettet, indem sie die Stadt in Brand steckten und den Pulverturm über ihr in die Luft sprengten, so daß alles heimrannte und niemand mehr sich um den Todeskandidaten kümmerte. Und nun beginnt, bevor überhaupt ein Wort fällt, der auf dem Boden Gekrümmte sich herumzuwälzen und zu lachen - ein wildes, unbändiges Lachen, mit dem er nicht mehr aufhören kann, bis man ihn schließlich durch einen Fußtritt zur Besinnung bringt. Davon steht nichts in Schillers Bühnenanweisungen; es war ein Einfall des Regisseurs. Und die Wirkung war atemberaubend in ihrer Mischung von Erleichterung und Beklemmung, von Erlösung und Grauen. Lachen als Befreiung zum Leben, als Überwindung der Todesdrohung und Todesangst, Lachen aber auch aus dem heraus, was Roller ebenfalls noch innerlich vor Augen haben mußte: die Rettung angesichts der in Trümmer sinkenden, brennenden Stadt. In der Münchner Inszenierung war das nicht nur psychologisch treffend erfaßt und dramaturgisch glänzend gestaltet, sondern es kam damit auch das mit zum Ausdruck, was hinter Karl Moors Räuberdasein steht: der Gedanke, sich aus einer verkrustet tintenklecksenden Welt durch den rücksichtslosen Umsturz der Ordnung zu befreien und zu einem wahrhaftigeren Recht, zu einem gerechteren Leben, zurückzufinden. Konkret etwa dadurch, daß der edle Räuber das Erpressern und Wucherern abgenommene Geld an die Armen weitergibt. So wurde das Lachen Rollers bei dieser Aufführung zum Symbol für eine radikale Erneuerung des Lebens aus Not und Tod heraus, zugleich aber auch für die Schrecken, die die Zerstörung der bestehenden Ordnung mit sich bringen mußte. Es läßt sich somit am Lachen Rollers beispielhaft ablesen, daß das Lachen einen bipolaren Grund besitzt, und diesem verdankt es die eigentümliche Ambivalenz seiner Erscheinungsformen, durch die es sich einer eindeutigen Bestimmung immer wieder entzieht. Das Lachen ist zum einen der spontane Ausdruck der Vitalität.5 Es spielt zusammen mit Erneuerung, Fruchtbarkeit, Sexualität, Geburt. Es gibt das rituelle Lachen in den agrarischen Kulten als
Belege zum Folgenden bei Walter Haug, "Das Komische und das Heilige," Strukturen als Schlüssel zur Welt: Kleine Schriften zur Erzählliteratur des Mittelalters (Tübingen, 1989, Studienausgabe 1990) 257-274, hier 262f.
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Antwort auf den einsetzenden Regen, mythisch begrüßt es den wiedergeborenen Frühlingsgott. Bei der narrativen Ausfaltung der Korrelation erscheinen Ursache und Wirkung vertauschbar: Man lacht weil der Regen fällt, oder man bringt den Regengott zum Lachen, damit er sein Wasser fahren läßt. Eine der erzählerisch schönsten Varianten ist das Motiv vom Heilbringer, der durch sein Lachen die Natur zum Blühen bringt, ja, der Blumen lachen kann. Oder: Im Märchen wird die Prinzessin gewonnen, indem man sie zum Lachen bringt. Liebe und Lachen gehören zusammen. Bei den Eskimos meint 'miteinander lachen' soviel wie 'miteinander schlafen'.6 Ein später Ausläufer dieses rituellen Ansatzes findet sich noch im mittelalterlichen Risus paschalis, jenem Lachen, das der Priester an Ostern in der Gemeinde durch Scherze von der Kanzel anstößt, um damit gewissermaßen künstlich die alte agrarische Replik auf die Auferstehung und Erlösung hervorzurufen.7 Zum ändern aber hat dieses Lachen in all seiner lebensbejahenden Positivität eine tödliche Rückseite. Indem es als psychophysiologische Eruption das durchbricht, was dem Leben vernichtend entgegensteht, sitzt ihm sozusagen der Schrecken des Todes noch im Nacken. Kortners Roller-Szene demonstrierte dies auf das eindrucksvollste. Und so kann sich denn das Lachen auch zurückwenden gegen das, was ihm im Nacken sitzt. Dann wird aus dem Freudenlachen über die Wiederkehr des Lebens das aggressive Lachen wider den Tod. Man lacht, um den Tod zu vertreiben, ja, mit Lachen holt man Tote ins Leben zurück. Franz Dölger hat eine Fülle von Belegen für diese Wende gesammelt.8 Von da aus aber ist es nur ein kleiner Schritt zum Verlachen des Tödlichen, das man bezwungen hat. Am Gegenpol zum lebensbejahenden Lachen steht das Gelächter des Töters: König Artus auf Mont St. Michel. Durch diese Wende verändert sich auch die Objektrelation des Lachens, genauer: es gewinnt erst dadurch einen intentionalen Aspekt. Denn das Lachen als schlichter Ausdruck der Vitalität besitzt an sich kein Objekt, sondern es ist einfach das anthropologische Korrelat zu der sich erneuernden Welt. UrsacheFolge-Relationen sind nur narrative Ausfaltungen dieser Korrelation, und deshalb sind sie auch umkehrbar: man lacht, weil es regnet, und es regnet, weil man lacht. Anders verhält es sich, wenn das Lachen sich gegen das Tödliche wendet und damit zu einem intentionalen Akt wird. Wo es ein Objekt gibt, lassen sich auch echte Kausalverhältnisse - also nicht nur narrative Explikationen einer Korrelation - herstellen. Wer durch Lachen tötet, lacht zugleich über das Tödliche, das er überwunden hat, und damit wird das
Diesen Hinweis verdanke ich Valentin Braitenbergs Vortrag bei der Tübinger Ringvorlesung über das Lachen im WS 91/92. Literaturangaben bei Haug, "Das Komische und das Heilige" 264, Anm. 26. Franz Dölger, "Lachen wider den Tod," Pisciculi: Studien zur Religion und Kultur des Altertums: Festschr, Franz Joseph Dölger (Münster, 1939) 80-85. Cf. im weiteren Haug, "Das Komische und das Heilige" 263, Anm. 22.
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Überwundene lächerlich. Als solches aber kann es zur komischen Ursache des Lachens werden. Anders gesagt: das intentionale Lachen findet seine Begründung schließlich in seinem Objekt. Ein Paradefall ist der komische Teufel im mittelalterlichen religiösen Drama. Der Teufel als der Inbegriff alles Negativen, der Sünde und des Todes, ist durch Christi Auferstehung entmachtet worden. Der Heilsplan läßt ihm im Grunde keine Chance. Aber seine groteske Fratze spiegelt noch immer das Entsetzen, das er als Verkörperung des Prinzips der Verneinung und Vernichtung hervorrufen darf und soll. Zugleich ist diese Häßlichkeit aber komisch, da das Grauen, das sich in ihr ausdrückt, letztlich ohnmächtig ist. Das Verlachen des Teufels an Ostern ruht also zum einen auf jener Ambivalenz auf, die zwischen dem lachenden Sieg des Lebens und der lachenden Vernichtung des Todes spielt: die beglückende Befreiung vom Tod durch die Erlösungstat des Gottessohnes ist verbunden mit dem Nachhall des Schrekkens, den sie hinter sich gelassen hat. Im Spiel aber wendet man sich diesem Schrecken wiederum zu, man setzt ihn mit der Teufelsbrut in Szene, um über ihre groteske Ohnmacht Lachen hervorzurufen. Damit ist jene kausale Umdrehung erreicht, über die das Objekt des Lachens zu seiner komischen Ursache wird. Komisch wird dieses Objekt also dadurch, daß es bedrohlich erscheint, obschon seine Bedrohlichkeit immer schon überwunden ist. So kann man letzten Endes sagen: Komisch ist das Tödliche, das selbst dem Tod verfallen ist. Das Lachen, ursprünglich jener Akt, der die Überwindung des Todes bedeutet, entspringt nun der Inszenierung des überwundenen und damit ins Komische verzerrten Todes. Hier schließt sich nun jener ganze Bereich des Karnevalesken an, jene temporäre Umkehrung aller Ordnung, die aber lizenziert ist, d.h. durch ihre raumzeitliche Begrenzung in Bann gehalten wird: ein Chaos auf Zeit, eine intermediäre Befreiung zum Negativen, bei der aus dem verlachten Tod der lachende Tod wird. Das karnevaleske Chaos ist zugleich zerstörerisch, vital und lachhaft. Wieder vertauschen sich dabei die Relationen: Das Negative in seiner grotesken Komik - Ausdruck der bloß lizenzierten Bedrohung - wird zum Nährboden eben jenes Befreiungsaktes, der die Bedingung seiner Möglichkeit war. Das treffendste Bild dafür ist der schwangere Tod. Der Karneval bietet gegenüber dem Ostergeschehen also die genaue Umdrehung der Lachperspektive. Der verlachte Teufel wird zum lachenden Teufel, der besiegte Tod zum gebärenden Chaos. Aber beides gehört zusammen, denn es handelt sich nur um wechselnde Aspekte der einen Grundkonstellation: die lachende Lebenbejahung auf dem Hintergrund des getöteten Todes auf der einen und die Erweckung des Lebens aus dem tragikomischen Chaos auf der ändern Seite.
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III
Von dieser Basis aus sind nun die literarischen Möglichkeiten dieser Konstellation zu erörtern. Zunächst wird man feststellen, daß sie - mit ihren unterschiedlichen Akzentsetzungen - schlicht narrativ abgebildet werden kann. Damit verzichtet man auf eine genuin literarische Umsetzung. Das Lachen steckt in diesem Fall sozusagen im Text - wie beim Beispiel von Kortners Roller-Szene. Das Publikum hat dabei nichts zu lachen, es sei denn, es lasse sich anstecken. Man kann - um ein berühmtes Beispiel zu nennen - den Bericht der Maria über Malvolio in Twelfth Night III.2 als so überwältigende Lachkaskade inszenieren, daß nicht nur die Kontrahenten auf der Bühne, Sir Toby, Sir Andrew und Fabian, sondern auch die Zuschauer im Parkett und auf den Rängen sich ihr nicht zu entziehen vermögen - der Lachsack-Effekt. In der Regel aber gilt - und jeder gute Theatermann weiß dies -, daß, je mehr auf der Bühne gelacht wird, das Publikum um so weniger zum Lachen geneigt ist. Doch die genuin literarische Umsetzung jener elementaren Erfahrung, die Lachen hervorruft, läßt die bloß abbildende Darstellung hinter sich zurück, sie zielt vielmehr darauf, die betreffende Erfahrung im Leser oder Hörer neu in Gang zu setzen, also die Lebenssituation des Lachens in eine literarische Situation zu transponieren. Die Frage ist, was dabei mit der Grundkonstellation geschieht, d.h. inwieweit die fiktionale Erfahrung der Lebenserfahrung des Lachens äquivalent sein kann, ob dabei etwas verloren geht, während sich möglicherweise neue Perspektiven eröffnen, kurz: Bringt die Literarisierung einen Gewinn, und wenn ja, welcher Preis wird dafür bezahlt? Die wohl elementarste Form literarischer Komik ist der Schwank. Dabei erscheint auf einer einfachsten Stufe die Differenz zwischen Leben und Literatur, was den Lacheffekt betrifft, als nur gering, d.h., die Transposition fällt in dieser Hinsicht nicht merklich in die Augen. Wenn z.B. zwei Freunde sich nach vielen Jahren zufällig in einem Barbiersalon wiederbegegnen und sich mit eingeschäumtem Gesicht enthusiastisch in die Arme fallen, daß es nur so spritzt, so ist der Lacheffekt kaum schwächer, wenn ich das nicht in Wirklichkeit erlebe, sondern es mir erzählt oder als Film vorgeführt wird, ja, es kann die narrative und insbesondere die filmische Darstellung sogar wirkungsvoller sein, da sie schärfer zu pointieren und Ablenkendes besser auszublenden vermag. Anders gesagt: die Konzentration auf das Komische muß ich in der Wirklichkeit selbst leisten, während sie mir bei der literarischen Umsetzung abgenommen wird. Weshalb aber lachen wir bei der geschilderten Szene? Deshalb, weil die elementare Macht der Wiedersehensfreude über alle Normalität hinweggeht, ja sie in eine Unordnung verwandelt, die zur Negativfolie der Emotionen der beiden Freunde in ihrer unwiderstehlichen Lebendigkeit wird. Zu dieser Folie
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gehört das Schreckensgesicht des Barbiers, der seinen Salon in einer weißen Kleckserei untergehen sieht, dazu die flüchtenden Kunden, das dabei umstürzende Mobiliar usw. Auch wenn man diesen lachhaften Kontrast literarisch eindringlicher stilisieren kann, als die Wirklichkeit ihn bieten mag, bleibt man bei diesem einfachen Typus aber doch in der Nähe bloßer Imitation lebensweltlicher Komik. Und dies insbesondere dann, wenn die Protagonisten in ihrer Freude selbst lachen - was aber den Lacheffekt beim Publikum, wie gesagt, mindert. Man kann dieser Episode die berühmte Szene mit Charlie Chaplin am Fließband gegenüberstellen: Durch eine kleine Verzögerung des Handgriffs, den Charlie zu tun hat, gerät der ganze Ablauf in Unordnung, bis schließlich die Maschinerie im totalen Chaos zusammenbricht. Dabei versucht Charlie verzweifelt, diesen Zusammenbruch aufzuhalten, was ihm aber trotz größter Anstrengung natürlich nicht gelingt. Er kann dabei selbst nicht lachen, aber das Publikum lacht, weil durch das kleine Versäumnis etwas Menschliches eine unmenschliche Mechanik zerstört. Das Opfer, Charlie, ist dem Schrecken der Zerstörung ausgeliefert, aber letztlich kann er ihm nichts anhaben; das Tödliche ist gebannt durch Charlies unberührbare Einfältigkeit, die im Ernst seiner bewegungslosen Miene zum Ausdruck kommt. Und so realisiert er auch nicht die Befreiung, die er ungewollt bewirkt hat. Gerade dadurch aber wird diese Realisierung dem Publikum zugespielt, das in Lachen ausbrechen darf. Und eben dies, daß das Publikum funktional in den komisierenden Prozeß einbezogen wird, ist das Kriterium für den Übergang zur eigentlichen Literarisierung - im Gegensatz zur bloßen literarischen Imitation lebensweltlichen Lachens. Freilich bewegt man sich mit den beiden geschilderten Beispielfällen noch auf einer relativ schlichten Stufe der literarischen Umsetzung. Um so deutlicher aber tritt zutage, in welcher Weise die Literarisierung sich jene Ambivalenz der lebensweltlichen Konstellation, die Lachen auslöst, zunutze macht. Im Spiel zwischen dem Lachen als Ausdruck des erneuerten Lebens und dem Lachen über den besiegten Tod - ein Sieg, der diesen in seiner Schrecklichkeit komisch erscheinen läßt - kann, wie gesagt, diese Komik wiederum als Ursache des Lachens verstanden werden. Und so wird es möglich, diese Konstellation in ihren vielfältigen Varianten bewußt aufzusuchen, ja, indem man dabei den Blick für sie schärft, das Leben überhaupt unter ihrem Aspekt zu betrachten: Wo immer Routine, Erstarrung, Mechanisierung, Leere oder auch nur müde Normalität, kurz: ein Mangel an Lebendigkeit zu konstatieren ist und wo man zugleich die Kraft hat, das Vitale oder auch nur das Humane dagegenzusetzen, treten Analoga zur komischen Grundsituation, zum Tödlichen, das dem Tod verfallen ist, in den Blick. Und an dieser Stelle kann die Literarisierung ansetzen, indem sie solche Analoga konstruiert, dabei aber und hier liegt, wie gesagt, die entscheidende Differenz - das in die Situation
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gebundene Lachen ausspart, um es dem Publikum zuzuweisen. Dabei erlaubt die fiktionale Konstruktion einerseits eine schärfere Pointierung des Komischen, da sie alles, was den Lacheffekt verhindern oder beeinträchtigen könnte, auszuklammern imstande ist. Auf der ändern Seite geht dem Komischen jedoch viel von seinem Schrecken verloren, da aufgrund des Fiktionalitätsbewußtseins die Bedrohung nicht mehr existentiell greift: Das Publikum weiß, daß Charlie nichts Tödliches widerfahren wird, und es lacht aus dieser Gewißheit heraus, und nicht, weil es mit dem Helden tatsächlich dem Tod entronnen wäre, wie dies bei der ins Heilsgeschehen einbezogenen österlichen Gemeinde der Fall ist.
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Von dieser einfachen Stufe aus aber eröffnen sich komplexe, nun genuin literarische Möglichkeiten, die letztlich auch den Schrecken, wenngleich in veränderter Form, wieder in die Erfahrung des Komischen hereinzuholen vermögen. So kann man einen Schwank in der Weise ansetzen, daß man eine erstarrte Ordnung in ihrer Brüchigkeit zeigt. Das braucht an sich noch keinen komischen Effekt auszulösen - das Nichtige im Geltenden ist, wie gesagt, allein noch nicht komisch -, aber wenn die Brüchigkeit sich in einem Ordnungsverstoß manifestiert, kann dieser zum Hebel werden, mit dem das ganze Regelgefüge aus den Angeln zu hieven ist. Der Paradefall ist der Ehebruch. Die Frage nach einem guten Grund für den Seitensprung eines Ehepartners, d.h. der Verdacht einer leer gewordenen Beziehung, stellt sich mit unweigerlicher Selbstverständlichkeit ein. Der Ehebruch erscheint als Bruch einer brüchigen Ordnung. Und das erlaubt es dem Schwank, eine Replik in Szene zu setzen, die, legitimiert durch den Ordnungsverstoß, diesen überbietet und dabei durch die lebendige Zerstörung des Zerstörerischen Komik erzeugt. Als Beispiel die "Wiedervergeltung," eine Kurzerzählung von Hans Folz.9 Hier treibt es einer mit der Frau seines besten Freundes. Der betrogene Ehemann bekommt Wind davon, gibt vor zu verreisen, um dann das Paar zu überraschen. Der Liebhaber kann im letzten Moment in eine Truhe flüchten. Der Ehemann hat dies aber bemerkt, er zitiert die Frau des Freundes her und läßt ihr die Wahl, sich ihm entweder auf ebendieser Truhe hinzugeben oder ihren Mann nicht mehr lebend zu sehen. Da auch der Eingeschlossene jämmerlich um Rettung fleht, ist sie dazu bereit, und die betrügerische Ehefrau muß bei dem Vergeltungsakt zusehen. - Die Erzählung findet sich auch bei
Hanns Fischer, Studien zur deutschen Märendichtung (Tübingen, 21983) Nr. 30s.
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Boccaccio, der freilich noch eine Schlußkapriole anfügt: Die zwei Paare versöhnen sich hinterher beim Wein, und weil alle das Spiel übers Kreuz eigentlich ganz vergnüglich fanden, beschließen sie, es künftig so weiterzutreiben.10 Der Ansatz ist also eine Ehe, die anscheinend Wünsche offenließ und damit den Seitensprung provozierte. Dieser Durchbruch durch eine brüchige Ordnung ist an sich noch ohne komisches Potential. Erst die Replik darauf, die in gezielter Inszenierung den Ehebruch spektakulär überbietet, eröffnet Möglichkeiten für Komik. Bei Folz ist diese Replik einigermaßen derb, sie bleibt in Zwang und Schrecken stecken; bei Boccaccio wird sie in einem witzigen Salto zu dem neuen Vierervergnügen weitergespielt. Je unverschämter wieder ein fröhliches Leben aus der maroden Ordnung und ihrer Tödlichkeit herauswächst, um so freier kann man lachen. Das Vergnügen nährt sich also aus der Fragwürdigkeit der Replik, in der Lebendigkeit und Zerstörung eine explosive Verbindung eingehen. Das Muster, das hinter diesem quasi-legitimen Spiel in und mit der Unordnung steht, ist schwerlich zu verkennen. Es handelt sich im Prinzip um nichts anderes als um die literarische Umsetzung der lebensweltlichen Wende vom verlachten Tod zum lachenden Tod, vom Sieg über das Chaotische zu seiner lizenzierten Inszenierung in der verkehrten Welt des Karnevals. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, daß das Lachen auf der literarischen Ebene nun gewissermaßen doppelschichtig wird. Die Basis bleibt der eruptive Befreiungsakt, in dem es seinen Ursprung hat. Dieses elementare Lachen aber wird überlagert von einem Spaß mehr intellektueller Art, der dem Raffinement der Replik entspringt. Und hier liegen denn auch die besonderen literarischen Chancen dieses Typs. Je ingeniöser es gelingt, die Replik zu einem einfallsreich-hintergründigen Manöver auszubauen, ein desto höheres Niveau erreicht die narrative Kunst, d.h. desto vollkommener erfüllt man die erzählerischen Möglichkeiten, die die Konstellation bietet. Als Zielform läßt sich angeben: eine um so größere Heiterkeit bei um so härterem Schrecken." Die Varianten dieses Typs der lizenzierten Replik sind vielfältig. Eine besondere und narrativ sehr fruchtbare Form entwickelt sich unter der Voraussetzung, daß allein schon die Möglichkeit zu einer Replik eine fragwürdige
10
Dec. VIII, 8. Cf. Walter Haug, "Entwurf zu einer Theorie der mittelalterlichen Kurzerzählung," Kleinere Erzählformen des 15. und 16. Jahrhunderts, ed. Walter Haug, Burghart Wachinger, Fortuna vitrea 8 (Tübingen, 1993) 1-36, hier 31f. " Dies ist selbstverständlich nicht die einzige Richtung, in der die Literarisierung des Komischen gehen kann, es gibt eine Reihe noch ganz anderer Möglichkeiten, die literarische Erfindung in komische Dissonanzen hineinzuführen. Ein Paradefall ist z.B. Ulrichs von Lichtenstein 'Frauendienst', in dem fiktives Rollenspiel und politische Realität zum Lachen miteinander verschränkt werden. Dazu die vorzügliche Analyse von Jan-Dirk Müller, "Lachen - Spiel - Fiktion: Zum Verhältnis von literarischem Diskurs und historischer Realität im 'Frauendienst' Ulrichs von Lichtenstein," DVjs 58 (1984): 38-73.
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Ordnung voraussetzt. Nocheinmal der Paradefall: wenn ein Ehebruch möglich ist, dann offenbart dies die Fragwürdigkeit der betreffenden Ehe; ein Ehebruch rechtfertigt sich also immer schon dadurch, daß er zustande kommt. Wenn man ihn dabei mit Raffinement und Ingenuosität inszeniert, so schließt dies zugleich in sich, daß es dem Betrogenen nicht nur an sexueller, sondern auch an intellektueller Lebendigkeit fehlt. Impotenz und Dummheit sind Ausdruck einer leer gewordenen, tödlich erstarrten Ordnung, sie legitimieren immer schon eine Replik, die dies nicht nur aufdeckt, sondern darüber hinaus den Zusammenbruch der Ordnung als lachenden Befreiungsakt in Szene setzt. Als Musterbeispiel für diese Variante kann die Kurzerzählung vom "Knecht im Garten" dienen:12 Eine Frau 'gesteht' ihrem Mann im Bett, daß sein Knecht sie zu einem Stelldichein in den Garten gebeten habe. Er solle doch statt ihrer und in ihren Kleidern hinausgehen und sich von seiner Treulosigkeit überzeugen. Der Ehemann tut dies, und während er draußen ist, vergnügen sich der Knecht und die Frau miteinander. Hinterher geht der Knecht dann hinaus und verprügelt den verweiblichten Ehemann, indem er zu ihm/ihr sagt, er habe sie nur prüfen wollen. Der Mann ist beglückt von der Treue seines Knechtes, und dieser kann nun, ohne Verdacht zu wecken, weiterhin mit der Ehefrau sein bettespil treiben. Der Betrogene wird um so komischer, je mehr er glaubt, der Überlegene zu sein: Er macht das Bett für den Buhler frei, bezieht von diesem dann Prügel und ist über all dies glücklich und voller Dankbarkeit!
Das Starre ist immer auch dumm, das Tödliche ist geistlos und umgekehrt. Deshalb kommt es zu der für die Schwankreplik typischen Koppelung von sexueller Mächtigkeit und intellektueller Einfallskraft. Man sollte jedoch nicht übersehen, was diese Koppelung für das Lachen, das aus ihr entspringt, bedeutet: im Gelächter über das Zusammenspiel von Sex und Geist schwingt etwas Erschreckendes mit. Es stammt nicht mehr aus dem Entsetzen über die zusammenbrechende Ordnung, sondern aus einer Inhumanität, die darin liegt, daß bei dem genannten Zusammenspiel, den Rahmenbedingungen des Komischen entsprechend, das Herz ausgeklammert ist, aber eben nicht allein zugunsten der Vitalität, sondern zugleich und möglicherweise in höherem Maße als Auslieferung an den Intellekt. So wird denn zwar das Moment des Schrekkens, das das Lachen ursprünglich mitprägt, durch die Fiktionalisierung aber verloren geht, auf der höheren literarischen Ebene zurückgeholt, aber es hat
Fischer, Studien zur deutschen Märendichtung Nr. 105e.
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seinen Charakter grundlegend verändert. Es ist nicht mehr der Nachklang des überwundenen Todes, sondern es resultiert aus der Kälte des Geistes, der sich die Legitimität für sein ingeniöses Spiel aus dem Negativen holt und dieses auch im Lachen letztlich nicht mehr loswerden kann. Dieses Lachen, das das Negative nicht mehr hinter sich, sondern gewissermaßen vor sich hat, nenne ich - in Anlehnung an das französische rire noir und das englische dark laughter - 'schwarzes Lachen'. Es nährt sich von der Erfahrung seiner eigenen Negativität, und es steht deshalb immer an jenem kritischen Punkt, an dem es an ihr zu ersticken droht. Ein Paradefall für dieses schwarze Lachen ist die Erzählung von den drei Mönchen zu Kolmar.13 Der Autor nennt sich Niemand - ein Tarnname, für den er wohl gute Gründe gehabt haben dürfte. Die Protagonisten sind ein Mann, der Unglück hatte und sich in Geldnot befindet, und seine züchtige junge und sehr fromme Frau: si het liep den werden got (v.21). Vor Ostern geht sie ins Dominikanerkloster zu Kolmar zum Beichten. Der Mönch, der die Beichte abnimmt, legt ihr als Buße für ihre Sünden auf, daß sie ihn zu sich einlasse und ihm zu Willen sei. Zudem bekomme sie dreißig Mark. Die Frau erschrickt, verspricht ihm aber, daheim zu sehen, ob sich eine Gelegenheit finden lasse. Um aber doch zu einer Beichte mit Absolution zu kommen, geht sie ins Franziskanerkloster. Auch hier fordert der Mönch, nachdem sie gebeichtet hat, heimliche Minne, und er verspricht ihr sechzig Mark. Und wieder vertröstet ihn die Frau. Nun versucht sie es ein drittes Mal bei den Augustiner Eremiten. Mit entsprechendem Ergebnis, und sie soll hundert Mark bekommen. Zuhause bricht sie voller Empörung über das Ansinnen der Mönche in Tränen aus. Ihr Mann dringt in sie, und so erzählt sie, was ihr geschehen ist. Der denkt an seine Geldnot und läßt sie die Mönche herbestellen, den ersten am Abend, den zweiten um Mitternacht und den dritten in der Frühe. Bevor der erste auftaucht, füllen die beiden einen Bottich mit siedendheißem Wasser. Als der Dominikaner sich meldet, muß er erst sein Geld aushändigen; doch dann beginnt der Ehemann, der sich versteckt gehalten hat, wild an die Wand zu poltern. Die Frau drängt den Mönch, sich im Bottich zu verbergen; er springt hinein und kommt zu Tode. Entsprechend wird mit dem Franziskaner um Mitternacht und dann wieder mit dem Augustiner Eremiten in der Frühe verfahren. So hat das Paar sich nun glücklich finanziell saniert, aber drei Leichen im Haus. Doch der Mann weiß sich zu helfen. Er stellt einen der Mönche neben die Haustüre und spricht einen betrunkenen Scholaren an, der gerade vorbeikommt: er könne sich 4 Pfennige verdienen, wenn er den Mönch in den Rhein werfe. Der ist
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Ibid. Nr. 92. Cf. Volker Schupp, "Die Mönche von Kolmar: Ein Beitrag zur Phänomenologie und zum Begriff des Schwarzen Humors," Festschr. Friedrich Maurer (Düsseldorf, 1968) 199-222.
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bereit dazu, aber als er sich den Lohn holen will, steht da der zweite Mönch, und der Hausherr behauptet, er habe den Auftrag nicht richtig ausgeführt, der Mönch stehe doch noch immer da. Da schultert der Schüler auch den zweiten und trägt ihn zum Rhein. Indessen stellt der Mann den dritten neben die Türe, und als der Schüler wiederkommt, muß er nocheinmal ran. Auf dem Rückweg begegnet er einem Mönch, der gerade zur Frühmesse geht, und da glaubt der Scholar, daß der Abtransportierte ein viertesmal zurückkomme. So greift er sich den Widerstrebenden und wirft ihn ebenfalls ins Wasser. Nun endlich kann er seine vier Pfennige in Empfang nehmen - einen Pfennig pro Mönch, wie der Erzähler bemerkt! Diese Geschichte könne - so das Epimythion - zum einen als Exemplum dafür dienen, daß oft ein Unschuldiger für eine Missetat büßen müsse, und zum ändern solle sie davor warnen, wie die drei Mönche die Beichte zu mißbrauchen: sie hätten zurecht ihren Lohn bekommen. Wie so häufig bei mittelalterlichen Kurzerzählungen geht die angehängte Moral völlig am Witz der Geschichte vorbei. Denn dieser liegt natürlich nicht in der Lehre, die man angeblich aus ihr ziehen kann, sondern in dem schlaufrechen Manöver, mit dem das Paar die Lüsternheit der Mönche nützt, um sich wirtschaftlich zu sanieren. Und diese Perspektive wird dann im zweiten Teil raffiniert weitergetrieben: die drei Leichen sollen mit einem Minimum an finanziellem Aufwand entsorgt werden. Daß dann noch ein vierter Mönch daran glauben muß, das entlockt dem Ehemann nur den Seufzer: "Gott möge ihm Leib und Seele bewahren." Das Negative erscheint hier in der Maske des Religiösen. Die klerikale Institution offenbart ihre Verderbtheit im Versuch der sexuellen Erpressung über die Beichte. Die Erpressung aber legitimiert ihre Überbietung im Mord. Ob man da am Rand der Schwärze noch lachen kann, ist fraglich, jedenfalls steckt das komische Potential nicht im Morden selbst, sondern im Gesetz der Serie, das, beim Beichten angefangen, den Einzelnen ausblendet und das dann eine replizierende Strategie zeitigt, die in einem doppelten Dreischritt durchgespielt wird, zunächst als akkumulierende Vermögensbildung und dann als Minimierung der Unkosten. Das Vergnügen an der Ingenuosität und die Schwärze des kalten Kalküls halten sich dabei wohl die Waage. Wirkliche Heiterkeit aber stellt sich ein, wenn erzählt wird, wie der restlos frustrierte Scholar schließlich noch einen vierten, lebendigen Mönch sozusagen als Dreingabe in den Rhein kippt. Warum kann man bei diesem Ende dann doch befreit lachen? Deshalb, weil die Replik damit aller Schläue zum Trotz dem Kalkül des Paares entgleitet und sich verselbständigt. Der Zufall als Handlanger des Chaotischen übernimmt die Regie. Das lizenziert illegitime Tun des Paares wird damit doch noch in eine höhere Mechanik von Verstoß und Replik hereingeholt, und so bekommt es denn einen Teil des Lachens ab, das es selbst nicht aufkommen ließ.
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Es zeigt sich also: Wenn die Replik auf die intellektuelle Ebene beschränkt bleibt, wenn also das Über-die-Stränge-Schlagen keine elementare Komponente mehr hat, so legitimiert der primäre Verstoß nur noch das Böse, nicht mehr jene Lebendigkeit des Chaotischen, die sich gegenüber einer falschen Ordnung lachend rechtfertigt. In dem Moment jedoch, wo die böse Replik überspielt wird, indem man sie über eine letzte, zufällige Reprise ins Chaotisch-Unkalkulierbare zurückholt, stellt sich zumindest ein makabres Vergnügen wieder ein. Der vierte Mönch rettet die komische Konstellation. Einen Höhepunkt in der schwarzen Linie mittelhochdeutscher Novellistik stellt Heinrich Kaufringers "Unschuldige Mörderin" dar.14 Auch hier gibt es eine Serie von vier Morden, aber sie sind nicht wie in den "Mönchen zu Kolmar" das Ergebnis kühler Planung, sondern sie sind aus purer Not geboren. Eine Gräfin soll einen König heiraten. Am Tag vor der Hochzeit redet ein Knecht seinem Herrn ein, die Gräfin sei gar nicht so tugendhaft, wie sie sich gebe. Der Ritter läßt sich zu einem Abenteuer verlocken; er erscheint abends bei der Gräfin, gibt vor, der König zu sein: er möchte sie schon in der Nacht vor der Hochzeit um ihre Liebe bitten. Zögernd geht sie darauf ein. Er verrät sich aber im Bett durch eine kleine Unvorsichtigkeit. In Panik schlägt sie ihm den Kopf ab. Um die Leiche wegzuschaffen braucht sie Hilfe von ihrem Pförtner; der aber verlangt als Lohn, daß sie ihm zu Willen sei. Sie nimmt das auf sich, aber als der Pförtner die Leiche in die Zisterne wirft, stößt sie ihn gleich mit hinunter. Indessen wartet der Knecht mit dem Pferd auf seinen Herrn, und da der nicht kommt, wird er als Pferdedieb aufgegriffen und gehängt. Es folgt die Hochzeit mit dem König: Um ihre verlorene Unschuld zu vertuschen, schiebt die Gräfin ihm im Dunkeln ihre Dienerin unter. Diese weigert sich aber hinterher, mit ihr den Platz zu tauschen. Da zündet die Gräfin kurzerhand das Bett an, rettet den König und läßt die treulose Dienerin verbrennen. Es schließen sich 32 Ehejahre an, die vollkommen glücklich hätten sein können, wenn der Gräfin nicht die Mordserie auf der Seele gelegen hätte. So gesteht sie ihrem Mann schließlich, was sie getan hat, und er, bewegt von dem, was sie um seinetwillen auf sich zu nehmen bereit war, verzeiht ihr die Mörderei, und der Dichter bestätigt ihre Unschuld, ja, er bemerkt ausdrücklich, daß Gott ihr geholfen habe, die Übeltäter der gerechten Strafe zuzuführen. Man hat sich mit dieser rabiaten Geschichte schwer getan. Kurt Ruh bewertet den Schluß als einen "argen theologischen Mißgriff und meint, daß es "mit der sittlichen Bewertung der Geschichte nicht eben gut bestellt" sei, aber er hält dem ihre erzähllogische Stringenz entgegen: Sie könne und dürfe als
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"ungewöhnliche, sensationelle, sogar widersinnige Geschichte" so ablaufen; in der unerhörten inneren Konsequenz liege ihre zwingende Überzeugungskraft.15 In unserem Zusammenhang ist die Frage wiederum nicht die nach der Moral, sondern die, ob es in dieser Geschichte etwas zu lachen gibt. Wie bei den "Mönchen zu Kolmar" steckt ein komisches Potential in der Serie der Morde. Dort läßt die kalte Finanzstrategie jedoch bestenfalls eine schwarze Heiterkeit zu; um so dankbarer ist man dann freilich dafür, daß man bei der Episode mit dem vierten Mönch lachen darf. In der "Unschuldigen Mörderin" führt der erste Mord zum zweiten und beides zu einem dritten - ein weiterer, der Justizmord am ungetreuen Knecht, liegt in seiner Zufälligkeit wiederum quer, doch ohne daß er einen dem vierten Kolmarer Opfer entsprechenden fröhlichen Effekt auslösen würde. In den "Mönchen zu Kolmar" stehen die drei Beichtiger für einen insgesamt korrumpierten Klerus, und dies legitimiert nicht nur die mörderische Replik, sondern darüber hinaus die raffiniert-witzigen Finanzmanöver zum eigenen Nutzen. Dabei ist es freilich gerade dieser Nutzeffekt, der ein Spiel rein um des Spiels willen und damit ein unangefochtenes intellektuelles Vergnügen verhindert. In der "Unschuldigen Mörderin" hingegen gibt es kaum eine Strategie, die über die momentane Not hinauszielte. Das intellektuelle Spiel reduziert sich damit auf die immer neue Geistesgegenwart der Gräfin. Das komische Potential liegt in der verzweiflungsvollen Serie der Zwänge, in die sie schuldlos-schuldig hineingerät, deren sie sich aber mit einem äußersten Maß an rücksichtsloser Kühnheit gewachsen zeigt. Wenn man hier lacht, kann es sich aufgrund dieser bösen Siege über das Böse nur um ein schwarzes Lachen handeln, wobei dieses hier jedoch nicht aus der Kälte kommt, sondern sich einer ändern Radikalität verdankt. Denn: Sexueller Betrug und sexuelle Erpressung stehen zwar ähnlich wie in den "Mönchen zu Kolmar" für eine verbrecherisch-gemeine Welt, was die Gräfin aber dagegen zu setzen hat, ist nicht eine Kosten-Nutzen-Rechnung, sondern die Idee einer integeren Liebe, eine Idee, die verblüffenderweise gerettet wird, obschon sie im Grunde schon verloren ist. Man sollte sich deshalb über die zweiunddreißigjährige Wartezeit bis zum Geständnis nicht wundern. Sie hat ihren guten Sinn darin, daß sie es erlaubt, diese Integrität der Liebe trotz allem Wirklichkeit werden zu lassen und durch sie allein das Böse im Bann zu halten, d.h., ohne daß es vorweg durch eine Enthüllung und einen Akt der Verzeihung aus der Welt geschafft worden wäre. Denn zunächst ist diese Integrität ja quer zur sinnlichen Verwirrung völlig abstrakt, und darum kann sie auch so rabiat sein, daß man zum
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Kurt Ruh, "Kaufringers Erzählung von der 'Unschuldigen Mörderin'," Interpretation und Edition deutscher Texte des Mittelalters: Festschr. John Asher, ed. Kathryn Smits, Werner Besch, Victor Lange (Berlin, 1981) 164-177, hier 172, 177.
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Lachen ansetzen mag, wenngleich es jeweils sofort vom Entsetzen eingeholt wird. Und wenn sich der Ablauf hier ebenfalls verselbständigt, nämlich mit dem Justizmord am Knecht, dann bewirkt der Zufall hier eine gerechte persönliche Strafe, er ist nicht Selbstdarstellung seines eigenen Prinzips. Und deshalb ist diese Dreingabe anders als beim vierten Mönch in Kolmar kaum vergnüglich, sondern sie bestätigt nur, gewissermaßen objektiv, die Verfallenheit des Bösen an den Tod - wobei man (so meint die Geschichte) durchaus ein wenig nachhelfen darf.
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Zum Schluß - statt einer Zusammenfassung - eine äußerste Verdichtung der in Frage stehenden Konstellation in einem Cartoon: An der Straße ein Schild "Vorsicht! Spielende Kinder." Davor ein Autofahrer, der offenbar bereit ist, vom Gas wegzugehen. Hinter der Kurve, um die er gleich biegen wird, zwei Kinder oben an der Böschung, die den richtigen Moment abwarten, um einen ordentlichen Steinbrocken auf die Straße hinuntersausen zu lassen. Schwarzes Lachen aufgrund einer mit sparsamsten Strichen gezeichneten komisch-tödlichen Szene. Wie fügt sie sich in mein Konzept? Ordnungen haben die Tendenz, zu erstarren und damit böse und brüchig zu werden. Aber man braucht gar nicht so weit zu gehen: auch eine gute Ordnung ist eine Abstraktion, sie reduziert Komplexität, sie leugnet, was sich ihr nicht fügt: das Zufällige und das Mehrdeutige. Das in dieser Weise Ausgeschlossene aber verlangt sein Recht als Teil der Wirklichkeit, es fordert eine Replik heraus, die dies aufdeckt, ja die auch hier die Lizenz erhält, die Ordnung aufzulösen, zu zerstören und damit die Komplexität des Lebendigen indirekt, d.h. lachend zurückzugewinnen: man heilt nicht, sondern man läßt den Widerspruch stehen. Denn heilen hieße ja nur, die Ordnung verbessern, und man müßte erneut dagegen angehen. Den Widerspruch stehen lassen, das heißt demgegenüber, in die Erfahrung der grundsätzlichen Defizienz jeder Ordnung hineinführen. Man akzeptiert diese Defizienz lachend, also der Unordnung Raum gebend, das Leben bejahend. Der beschriebene Cartoon impliziert eine gut geordnete Welt: der Verkehr ist geregelt, die Stärkeren nehmen auf die Schwächeren Rücksicht - eine Ordnung somit durch Verordnungen in wohlbedachter Abstufung. Aber die Kinder, die man behüten will, sind nicht so, wie man es nach geltender Vorstellung erwartet, sie 'spielen' nicht im Sinne der offiziellen Semantik. Die Wörter 'Vorsicht' und 'Spiel' erweisen sich als zweideutig. Der brave Verkehrsteilnehmer aber vertraut dem Eindeutigen und wird gerade durch seine brav-langsame Rücksichtnahme zum komisch-makabren Opfer seiner verfestigten Semantik. Dabei ist darauf zu achten, daß die Replik wie beim
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vierten Mönch und beim gehängten Knecht gewissermaßen entpersonalisiert und deshalb besonders komisch ist. Die Kombination des Verkehrsschilds mit den bösen Kindern ist ja nicht das Ergebnis einer subjektiven Aktivität replizierender Figuren, sondern ein unvermitteltes Konstrukt des Zeichners, der damit objektive Verhältnisse insinuiert. Das Kontingente, das Ambige, das Nicht-Verfügbare scheint damit aus eigener Kraft zu replizieren, und gerade diese entpersönlichte Form einer komischen Reaktion treibt zur Grenzsituation, zum Grausamen und Bitteren, weiter. Das Zufällige hat einen Hang zum Mord, ja, es tendiert zur Mordserie. Und nirgendwo ist der Zufall zufälliger als in der Serie, in der er gewissermaßen sein eigenes Prinzip herausstellt: der Zufall wird gerade dadurch besonders zufällig, und damit komisch, daß er gesetzlich zu sein scheint, was er seinem Wesen nach gar nicht sein kann. In der Wiederholung zeigt er sich als selbsttätiges Spiel, das zum Abgrund hintreibt. Und deshalb findet hier das schwarze Lachen ein besonders ergiebiges Revier.
SEBASTIAN NEUMEISTER Die Praxis des Lachens im Decameron
Über das Lachen philosophieren schon Sokrates in der Darstellung Platons, Aristoteles und Cicero in ihren Schriften über den Redner, die italienischen Humanisten und die französischen Moralisten, die Theoretiker des englischen Humors und die deutschen Philosophen, die das Lachen, wie üblich, sehr ernst nehmen.1 Im folgenden soll es nicht so sehr um eine Teilnahme an dieser philosophischen Debatte gehen wie um die Phänomenologie des Lachens, gewonnen aus einem einzigen literarischen Text. Giovanni Boccaccios Decameron, entstanden in der Mitte des 14. Jahrhunderts, kann als ein kanonischer Text im Bereich der Lachkultur gelten und deshalb, zumindest partiell, auch als Ausgangspunkt für eine solche Phänomenologie des Lachens genommen werden. Angesichts der großen Zahl möglicher Beispiele für das Lachen im Decameron bedarf die Auswahl besonderer Kriterien. Im Einklang mit dem zeitgenössischen Theoriehorizont, aber - was erstaunen könnte - auch mit der neueren Boccaccio-Philologie, bietet sich als Autorität Cicero an, ein Autor, der Boccaccio als einem der Begründer des italienischen Humanismus wie seinem Zeitgenossen Petrarca selbstverständlich vertraut war.2 Im zweiten Buch über den Redner (De oratore) handelt Cicero vom Lächerlichen als Gegenstand des Redners und seiner Reden und konstatiert, darin im nachhinein von dem spätantiken Theoretiker Quintilian bestätigt, zweierlei Arten des Lächerlichen: Es gibt zwei Arten komischer Texte: die einen werden aus der Sache, die anderen aus dem Wort gezogen. [...] Lächerlich in der Sache ist, was aus einer irgendwie verzerrten Nachahmung gemacht werden kann. [...]
' Cf. A. Hügli, "Lächerliche (das)," Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 5 ed. Joachim Ritter u. Karlfried Gründer (Basel; Stuttgart, 1980) S. v. 2 Zur Cicero-Begeisterung Petrarcas cf. Horst Rüdiger, "Die Wiederentdeckung der antiken Literatur im Zeitalter der Renaissance," Herbert Hunger u.a., Die Textüberlieferung der antiken Literatur und der Bibel (München, 1975); rpt. v. Geschichte der Textüberlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur (1961) 530f.
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Sebastian Neumeister
Lächerlich in Worten aber ist das, was aus dem Witz des Wortes oder des Satzes hervorgeht.3 Verbunden ist dieser letzte Hinweis mit der Warnung, es dabei nicht nach Art der Spaßmacher zu übertreiben. Es ist schon mehrfach konstatiert worden, daß sich dieselbe Unterscheidung auch im Decameron machen läßt, daß sich also viele der Novellen des Buches diesen zwei Gruppen zuordnen lassen (was natürlich Überschneidungen und Kombinationen nicht ausschließt). Entweder nämlich handelt es sich um Streiche (beffe), die jemandem gespielt werden, oder um schlagfertige Antworten oder Ausreden (motti), mit denen einer sich aus einer Verlegenheit hilft.4 Denn, wie Filostrato einmal formuliert, "gut zu reden ist bei jeder Gelegenheit ein schönes Ding, am schönsten aber dünkt mich diese Redegabe, wenn sie sich da bewährt, wo die Notwendigkeit sie dringend erfordert."5 So soll zum Beispiel nach dem Beschluß der zur Königin des sechsten Tages gewählten Elisa an diesem Tag von denen erzählt werden, "die durch ein geschicktes Wort fremde Neckereien zurückgegeben oder durch kühnes Erwidern und schnellen Entschluß einem Verlust, einer Gefahr oder Kränkung entgangen sind." (331) In den Erzählungen des siebten Tages dagegen geht es nach dem Beschluß Dioneos um Streiche, "welche, sei es aus Liebe oder um sich aus einer Verlegenheit zu ziehen, Frauen ihren Männern gespielt haben," (363) und ebenso am achten Tag, nach dem Beschluß Laurettas, um solche, "welche tagtäglich eine Frau dem Manne oder der Mann der Frau oder auch ein Mann dem anderen spielt." (411, vgl. 408) Die Beispiele sind im folgenden den Novellen des sechsten und des achten Tages entnommen, geht es doch hier, wie zitiert, nicht nur um Streiche, die Frauen ihren Männern gespielt haben, sondern auch um solche in der Gegenrichtung bzw. allein unter Männern. Lauretta, die Königin dieses achten Tages, verzichtet damit generös auf die 'Retourkutsche' zur Thematik des siebten Tages, die ja allein den Männern die Opferrolle zuweist. Daß sie dennoch die Partei ihrer Geschlechtsgenossinnen ergreift, zeigt die bemerkenswerte Tatsache, daß sie Streiche allein unter Frauen - die es ja wohl auch geben soll - als Thema einfach nicht zuläßt.
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Duo sum enim genera facetiarum, quorum alterum re tractantur, alterum dicto. [...] In re est item ridiculum, quod ex quadam depravata imitatione sumi solet. [...] In dicto autem ridiculum id est, quod verbi aut sententiae quodam acumine movetur. De oratore, ed. A.S. Wilkins (Oxford, 1902) II, 59, 239-244. Cf. dazu etwa Hermann H. Wetzel, Die romanische Novelle bis Cervantes (Stuttgart, 1977) 72-78. Dekameron, 344 (VI, 6). Das Dekameron wird im folgenden unter Angabe der Seitenzahl nach den folgenden Ausgaben zitiert: Tutte le opere di Giovanni Boccaccio, vol. IV (Milano, 1976) bzw. Dax Dekameron. Vollständige Ausgabe in der Übertragung von Karl Witte, durchgesehen von Helmut Bode, Exempla classica 32 (Frankfurt a.M., 1961).
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Weshalb wird nun gelacht in den Novellen des sechsten und achten Tages des Decameron, worüber und von wem? Um von der etwas blassen und schulmäßigen Einteilung Ciceros in res und dicta, bzw. motto und beffa, wegzukommen, soll im folgenden eine etwas andere Einteilung benutzt werden. Zunächst muß natürlich vom Lachen selbst die Rede sein, von seinen Eigenheiten und seinen Anlässen. Dann ist von denen zu sprechen, die die Opfer des Lachens sind, von denen also, über die gelacht wird. Und schließlich, drittens, sollen die betrachtet werden, die selber lachen, diejenigen also, die sich zu Herren des Lachens machen können. Für das Lachen selbst als ein Naturphänomen, das hervorbricht, ohne daß jemand es gezielt herbeigeführt hätte, dürften die Novellen des Decameron eigentlich wenig Material bieten. Denn wir haben es ja hier mit Literatur zu tun, mit Fiktion also, die ein Autor zu einem bestimmten Zwecke gezielt konstruiert, zum Zwecke der Belehrung oder der Unterhaltung etwa, als Anregung zum Nachdenken oder eben einfach zum Lachen. Damit sind bestimmte Formen des Lachens ausgeschlossen, die ohne Außensteuerung auftreten, auch wenn sie natürlich einen Anlaß haben: Das alberne Lachen, das verlegene Lachen, das glückliche Lachen, das Lachen in einer Situation, im Spiel oder über ein plötzlich sichtbar werdendes Phänomen. Wer hier nicht lachen kann, selbst wenn er nicht lachen will, ist ein Unmensch, denn, wie schon Rabelais wußte: "Le rire est le propre de rhomme."6 Das Lachen als Phänomen, um das es hier geht, Lachen pur sozusagen, ist, wie gesagt, immer wieder Gegenstand der philosophischen und anthropologischen Spekulation gewesen, und es empfiehlt sich nicht, hier mitzuspekulieren. Vielmehr soll neben die Natürlichkeitsbeobachtung eine zweite gestellt werden, die Feststellung nämlich, daß all die genannten Lacharten ein Mißverhältnis zum Anlaß haben, ein Mißverhältnis zwischen dem, was der Ernst eigentlich erfordert, und der diesem Ernst durchaus nicht angemessenen Reaktion darauf. Hier ist auch der Vorwurf anzusiedeln, das Lachen zeuge von man-
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Rabelais, Vorspruch, Gargantua, ed. Ruth Calder, M.A. Screech, V.L. Saulnier (1534; Geneve-Paris, 1970) 7. Der vollständige Text ist aufschlußreich für das (noch) spätmittelalterliche Verständnis des Lachens als eine Sünde (Boccaccio wehrt es im Schlußwort des Decameron in ähnlicher Weise ab wie Rabelais): Aux Lecteurs Amis lecteurs, qui ce livre lisez, Despoüillez vous de toute affection, Et, le lisants, ne vous scandalisez: II ne contient mal ne infection. Vray est qu'icy peu de perfection Vous apprendrez, si non en cas de rire; Aultre argument ne peut mon cueur eure, Voiant le dueil qui vous mine et consomme: Mieulx est de ris que de larmes escrire, Pource que rire est le propre de rhomme. VIVEZ JOYEUX.
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gelnder Reife, bzw. wie Boccaccio im Schlußwort des Decameron schreibt, "es stehe einem geprüften und ernsten Manne übel an, also geschrieben zu haben." (592) Schwerer noch wiegt der Vorwurf, das Lachen sei sündhaft und eine Erfindung des Teufels. Diese negative Auffassung vom Lachen - man könnte sie die mittelalterliche-klerikale nennen - hat der Karnevalstheorie des Lachens Vorschub geleistet, der Theorie nämlich, daß der Karneval den Ernst und seine Hierarchien im Zeichen einer befristeten Narrenfreiheit vorübergehend außer Kraft setzt. Diese Theorie von einem dem Lachen und damit dem Teufel befristet zugestandenen Karneval paßt nun, so meine ich, überhaupt nicht auf das Decameron. Denn Boccaccio zeigt in seinen Geschichten gerade nicht, wie Michail Bachtin formuliert, "kleine Zeitinseln, auf denen die Welt aus ihrer offiziellen Bahn gehen durfte - aber ausschließlich in der Schutzform des Lachens,"7 sondern, in den Worten des Philosophen Joachim Ritter, das Lachen als ein Spiel, dessen einer Partner das Ausgegrenzte, dessen anderer Partner die ausgrenzende Lebensordnung selbst ist. Diese den Menschen je leitende Lebensordnung des Ernstes ist die Voraussetzung, ohne die das Spiel des Komischen und Lächerlichen und der Sinn, der diesem Spiel je innewohnt, nicht verständlich ist. Denn in diesem Spiel wird die Zugehörigkeit alles dessen zur Lebensordnung erwiesen, was für den Ernst nur als das Nichtige und Entgegenstehende außen vor bleiben muß. Das Lächerliche wäre in diesem Sinn am Entgegenstehenden das Moment, durch das diese seine Zugehörigkeit zur Lebenswelt sichtbar und positiv ergriffen werden kann.8 Boccaccio grenzt auch in den Novellen des Decameron das Lächerliche nicht negativ aus, sondern demonstriert vielmehr, wie es mitten im Leben und in der Gemeinschaft entsteht, wenn auch meist auf Kosten derer, über die gelacht wird. Doch morgen schon, das lehrt die schnelle Folge der Geschichten, könnten ja die Rollen vertauscht sein ... Zwei Beispiele sollen für die gerade nicht konträre, sondern innerweltliche Kraft des Lachens im Decameron angeführt werden. Sie liegen sozusagen noch vor der Tür jener kunstvollen Erzählgebäude, in und mit denen die Novellenerzähler ihre Zuhörer und Boccaccio seine Leser zum Lachen bringen. Zu Beginn des sechsten Tages kommt es unter den Mägden und Knechten des Landhauses, in dem sich die sogenannte brigata, bestehend aus sieben edlen Jungfrauen und drei Jünglingen, aufhält und Geschichten erzählt, eben die Novellen des Decameron, zu einem Streit. Von der Küche her dringt, wie es heißt, "ein gewaltiger Lärm". Ursache ist ein Disput zwischen Licisca und Tindaro, und zwar darüber, ob Mädchen im allgemeinen unschuldig in die Ehe gehen oder nicht. Dioneo, von Elisa zum Richter über diese Streitfrage ge-
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"Literatur und Karneval," Zur Romantheorie und Lachtheorie (München, 1969) 34. "Über das Lachen," Subjektivität: Sechs Aufsätze (Frankfurt a.M., 1974) 35-92, hier 76f.
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macht, entscheidet sich ohne zu zögern für den zweiten Teil der Alternative, für Licisca, die diese Ansicht wortreich vertritt. Doch nicht dies ist es, was hier interessiert, sondern der Effekt, den ihr Wortschwall auf die Anwesenden macht. Während nämlich, so Boccaccio, "Licisca noch also redete, vollführten die Damen solch lautes Gelächter, daß man ihnen hätte bequem sämtliche Zähne ausziehen können."(332) Was wir hier haben, ist das Lachen als Naturgewalt, die alle erfaßt, als eine Reaktion auf den Streit und sein Thema, die ebenso unangemessen ist wie unüberwindlich. Das Lachen der Zuhörer hängt sicherlich auch mit dem anzüglichen Thema des Disputs zusammen, vor allem aber mit dem Kontrast, der durch die Ansiedlung der Auseinandersetzung ausgerechnet beim Küchenpersonal und durch die lautstarke Form derselben erzeugt wird. Die sieben edlen Jungfrauen aus Florenz lachen nicht nur über die Fragestellung, sondern auch über die Form ihrer Erörterung - beides zusammen löst das sozusagen zahnärztliche Lachen aus. Ein zweites Beispiel, diesmal aus einer Novelle selbst. Es geht hier, in der sechsten Novelle des sechsten Tages, um eine Wette, die Michele Scalza, "welcher der spaßhafteste und ergötzlichste Gesell von der Welt war und immer die absonderlichsten Einfalle bei der Hand hatte," (342) für die Behauptung eingeht, die Florentiner Familie der Baronci seien das edelste und älteste Geschlecht der Welt. Michele Scalza trägt die Behauptung lächelnd vor und er wird dafür ausgelacht. Doch als er seine Behauptung begründet hat, sind die Lacher auf seiner Seite und er gewinnt die Wette. Ein von Boccaccio sorgfältig aufgebauter Vorgang also und ein von Michele Scalza genau kalkulierter Effekt. Insofern handelt es sich hier also nicht um ein spontanes und unkontrolliertes Lachen, sondern ganz im Gegenteil um dessen gezielte Erzeugung. Dennoch leuchtet auch hier noch das Lachen als Naturgewalt durch die Ritzen der Wettkonstellation (es geht übrigens, typisch italienisch, um eine Mahlzeit für sechs Gäste, die der Gewinner nach Belieben bestimmen kann). Denn warum sind die Baronci das edelste und älteste Geschlecht der Welt? Während Ihr alle anderen mit wohlgebildeten Gesichtern, in denen die einzelnen Teile im richtigen Verhältnis zueinander stehen, seht, könnt Ihr wahrnehmen, daß unter den Baronci der eine ein übermäßig langes und schmales Gesicht hat, während dafür das des anderen über alle Maßen breit ist. Dieser hat eine gewaltige lange Nase, jener eine kurze; das Kinn eines dritten steht weit vor und ist nach oben gekrümmt, die großen Kinnbacken aber gleichen denen eines Esels. Ja, es gibt deren, die ein großes und ein kleines Auge haben und das eine höher stehend als das andere. Kurz, ihre Gesichter sehen ganz so aus wie die, welche die Kinder machen, wenn sie erst eben anfangen, zeichnen zu lernen. So ergibt sich denn, wie ich Euch sagte, gar deutlich, daß unser Herrgott sie gemacht hat, als er erst malen lernte.
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Daraus folgt aber, daß sie älter sind als die anderen Geschlechter, und mithin auch adliger. (343f.)9
Wer die Profilstudien Leonardo da Vincis kennt, weiß genau, wie die Baronci ausgesehen haben müssen - es ist ihre Häßlichkeit, die Michele Scalza seine Wette gewinnen läßt, eine Naturqualität also, die auch in der Wirklichkeit Gelächter erregt, ganz ohne menschliches Zutun, wie das Spielen junger Hunde oder ein Frosch, der aus dem Teich hervorlugt. Lachen als ungewollte Reaktion auf etwas, das aus dem Rahmen des Üblichen fällt oder im Kontrast zu ihm steht, genutzt hier allerdings durch einen, der sich auf Neckereien versteht. Eine Naturqualität ganz besonderer Art ist die Dummheit, auch wenn der Dumme heute, im Zeitalter der political correctness, nur noch als "lernschwach," "Spätentwickler" oder, das ist die amerikanische Variante, gar als "anders Begabter" bezeichnet werden darf.10 Immer wieder nimmt sich Boccaccio in seinen Novellen die Dummen, die Tölpel, die Toren, die Ungeschickten vor, lassen sich doch gerade mit ihnen die schönsten Effekte erzielen. Effekte sind, das sei noch einmal betont, gezielt herbeigeführte Situationen und Reaktionen, die das bloße Überwältigtwerden durch plötzlich sichtbar werdende Lächerlichkeit ebenso übertreffen wie Michele Scalza die naturgegebene Häßlichkeit der Baronci durch die Kunst seiner Wette übertrifft. Wir treten damit in den eigentlichen Bezirk des Lachens bei Boccaccio ein, die präzis konstruierte Situation. Es ist das Reich derer, die durch eine geschickt herbeigeführte Situation oder ein geschicktes Wort andere zu Opfern des Lachens machen, aber auch - das sei angesichts manch grausamer Streiche nicht vergessen - einfach zu bedauernswerten Opfern ihrer eigenen Dummheit. Und andererseits natürlich auch das Reich derer, die sich durch Intelligenz davor retten, vor dem Lachen oder aber - auch hier gilt der Zusatz aus einer bedrohlichen, ja manchmal lebensbedrohenden Situation. Beginnen wir mit den Opfern des Lachens, ihrer Bloßstellung oder, wie man wohl auch sagt, ihrer "Vorführung". "Lachen heißt: schadenfroh sein,
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dove voi tutti gli altri vedrete co' visi ben composti e debitamente proporzionati, potrete vedere i Baronci quäl col viso molto lungo e stretto, e quäle averlo oltre a ogni convenienza largo, e tal v'e col naso molto lungo e tale l'ha corto, e alcuni col mento in fuori e in sü rivolto e con mascelloni ehe paion d'asino; e evvi tale ehe ha l'uno occhio piü grosso ehe Paltro, e ancora chi ha Fun piü giü ehe l'altro, si come sogliono essere i visi ehe fanno da prima i fanciulli ehe apparano a disegnare. Per ehe, come giä dissi, assai bene appare ehe Domenedio gli fece quando apparava a dipingere, si ehe essi son piü antichi ehe gli altri e cosi piü gentili. (555) Eine nicht zu unterschätzende Folge dieses Wertewandels ist die Tatsache, daß im amerikanischen Film des Jahrhundertendes an die Stelle des eiskalten Killers der Dumme als Held tritt - "Heute machen Deppen wieder Karriere," FAZ vom 26.1.1995 - und damit als einer, der es den Klugen einmal 'zeigt', die Hierarchie der Intelligenz, die bei Boccaccio herrscht, umkehrt.
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aber mit gutem Gewissen," schreibt Friedrich Nietzsche in der Fröhlichen Wissenschaft. Genau darum geht es. Man könnte natürlich auch Mitleid mit den Opfern des Lachens haben und sich mit ihnen solidarisieren, statt das Arrangement zu bewundern, das sie bloßstellt. Doch dann nähme man die Sache ernst und aus der komischen Geschichte würde eine traurige, ja zuweilen eine tragische. Das ist dann eine andere Geschichte, zu gestalten mit anderen Mitteln - man denke an die Novellen von Heinrich von Kleist. Die zehn Mitglieder der Brigata aber wollen gerade nicht traurig sein, sie haben ja die Pest im Nacken, nein: sie wollen sich ergötzen, also lachen. Das aber setzt voraus, daß sie sich gerade nicht mit den Opfern solidarisieren, sondern Distanz zum Erzählten halten: Schadenfreude mit gutem Gewissen. Um ihnen das zu ermöglichen, kennzeichnet Boccaccio die Protagonisten seiner Novellen vielfach als Opfertypen, die schon äußerlich oder durch ihr Verhalten zeigen, daß man nicht nur ungestraft, sondern auch ohne schlechtes Gewissen über sie lachen darf. Hierher gehört zum Beispiel der Maler Calandrino, ein einfältiger Mensch von wunderlichen Sitten, welcher zumeist mit zwei anderen Malern umging, von denen der eine Bruno und der andere Buffalmacco hieß, sehr spaßhafte Leute, im übrigen aber aufgeweckt und verständig. Diese verkehrten mit Calandrino vor allem deshalb, weil sein Benehmen und seine Einfalt ihnen oft großen Spaß bereiteten. (418)" Ihm einen Streich zu spielen, fällt also leicht. Denn nicht nur ist er besonders naiv, sondern seine Freunde sind auch besonders produktiv im Erfinden von Schabernack: Man läßt ihn den Stein Heliotrop suchen, der angeblich unsichtbar macht (VIII, 3), man stiehlt ihm das mühsam aufgezogene Schwein (VIII, 6), man macht ihm weis, er sei schwanger (IX, 3), man bringt ihn mit einem Wunderamulett in große Verlegenheit (IX, 5). Alles geht im übrigen ohne größeren Schaden für Calandrino, aber sehr zum materiellen Vorteil und zur Freude der Spaßmacher aus. Das Gelächter ist allgemein. Zahlreich sind auch sonst die Fälle von Naivität oder Dummheit, die das Lachen der Brigata auslösen. Ein Beispiel dafür bietet schon die erste Novelle des Decameron, in der die Einwohner einer Stadt in Burgund ("fast das ganze Volk der Stadt," wie es im Text heißt) der falschen Beichte des Erzschurken Ser Capparello, genannt Ciappelletto, Glauben schenken und ihn zum Heiligen machen;12
" uom semplice e di nuovi costumi. II quäle il piü del tempo con due altri dipintori usava, chiamati Tun Bruno e 1'altro Buffalmacco, uomini sollazzevoli molto ma per altro avveduti e sagaci, li quali con Calandrino usavan per ciö ehe de' modi suoi e della sua simplicitä sovente gran festa prendevano. (681) 12 Cf. dazu die Interpretation von Kurt Flasch, "Die Schlüsselnovelle: Der Notar als Heiliger," Giovanni Boccaccio, Poesie nach der Pest: Der Anfang des Decameron ItalienischDeutsch (Mainz, 1992) 115-153.
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aber auch die Novelle IV, 2 um Madonna Lisetta, der der Franziskanermönch Frate Alberto weismacht, der Erzengel Gabriel liebe sie höchstpersönlich;13 der redegewandte Bruder Cipolla, dem die einfältigen Bewohner von Certaldo, trotz eines Versuches, ihn zu entlarven, abnehmen, daß er eine wundertätige Feder desselben Erzengels Gabriel bzw. Kohlen, mit denen der heilige Laurentius geröstet wurde, in seinem Köfferchen habe (VI, 10); der Richter ohne Hosen in VIII, 5, der dumme Arzt in VIII, 9 und viele andere mehr. Es sind zugleich Geschichten, die zeigen, daß das Decameron aus den Quellen des Mittelalters schöpft.14 Die Funktion des Lachens im Decameron erschöpft sich nicht in der Erzeugung von Schadenfreude ohne schlechtes Gewissen. Zu zahlreich sind dafür die Novellen, in denen die Kontrahenten einander ebenbürtig sind oder aber die Intelligenz des vorgesehenen Opfers unterschätzt wird, so daß dieses sich, ob mit Gelächter oder ohne, aus zum Teil durchaus unangenehmen Situationen zu befreien vermag. Das Lachen nimmt hier, sofern überhaupt gelacht wird, einen ganz anderen Charakter an, es wird funktional, praktisch, ja zum Kampfmittel, sei es, daß man - und all dies sind ja im Deutschen stehende Redewendungen - gute Miene zum bösen Spiel macht, daß man die Lacher auf seine Seite bringt oder daß dem lachenden Dritten das Lachen im Halse stecken bleibt. Das beifällige, das bewundernde, das befreiende, das höhnische Lachen kommen hinzu. Durch den Wechsel vom harmlosen Streich zur schwierigen Situation ergibt sich plötzlich ein Panorama des Lachens, das zeigt, wie sehr es doch immer an den Ernst gekettet ist, aus ihm entsteht und zu ihm gehört.15 Deshalb muß hier auch sehr deutlich unterschieden werden zwischen dem Lachen über die Geschichte, die erzählt wird, und dem Lachen innerhalb der Novellen selbst, sofern hier überhaupt gelacht wird. Und nicht zufällig fällt die Grenze zwischen beiden Gruppen häufig mit der zwischen beffa-Noveüen und motto-Novellen, zwischen Geschichten von gelungenen Streichen und solchen von schlagfertigen Antworten zusammen. Beginnen wir mit den Streichen. Anders als die Novellen des siebten Tages, in denen es meistens um Frauen geht, die erfolgreich ihre Liebschaften vor dem Ehemann verbergen, handelt die Mehrzahl der Novellen des achten Tages von regelrechten Duellen oder Betrügereien, die gelingen oder die gerächt werden. Zweimal ist hier von geldgierigen Frauen die Rede, die mit ihren eigenen Waffen geschlagen werden (VIII, l und 10). Zweimal geht es um Kleriker, die einer Frau nachstellen, einmal mit Erfolg (VIII, 2), einmal mit einem bösen Ende (VIII, 4). Außerdem erleben wir den Rachefeldzug eines
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Cf. dazu die Interpretation von Erich Auerbach, Mimesis: Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur (Bern, 1946 u.ö.) Kap. IX. Cf. M. Landau, Die Quellen des Dekameron (Stuttgart, 21994). So auch Joachim Ritter in dem zitierten Aufsatz.
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Gelehrten, der mit beträchtlichem technischen und rhetorischen Aufwand eine Frau bestraft, die ihm zuvor übel mitgespielt hat (VIII, 7), und die weit weniger aufwendige Rache eines betrogenen Ehemannes, der seinem besten Freund, der der Betrüger ist, Gleiches mit Gleichem vergilt (VIII, 8). Gelacht wird in diesen Geschichten, in denen es zum Teil hart auf hart geht, verhältnismäßig wenig, es sei denn, in sehr unangenehmer Art: höhnisch, belustigt, schadenfroh, triumphierend. Einzig die letztgenannte Novelle endet ausgeglichen mit einem Essen zu viert, "im besten Frieden von der Welt" (457). Die Frauen der Brigata allerdings, dies sei hinzugefügt, wagen es nach dieser doch sehr gewagten Geschichte nicht zu lachen, sie schwatzen nur, wie es heißt, "eine Zeitlang über die von den beiden Sienesem eingeführte Weibergemeinschaft" (457). Auch sonst verzeichnet Boccaccio, sieht man von den schon kommentierten Tölpelgeschichten ab, nur einmal bei einer der Kleriker-Geschichten das Gelächter der Erzählgemeinde, sonst nur Lob für gerechte Rache, aber auch Mitgefühl, ja Schmerz angesichts der davon Betroffenen. Das Fazit der be/jfa-Novellen des achten Tages ist ziemlich eindeutig: Streiche, die naiven, dummen, eingebildeten Personen gespielt werden, tun nicht weh und fallen dem Lachen anheim. Streiche dagegen, die wehtun, ob sie nun das Recht auf ihrer Seite haben oder nicht, erzeugen Reaktionen des Ernstes, also Lob oder Mitleid, nicht aber Lachen. Ähnlich fällt das Ergebnis bei den moito-Novellen des sechsten Tages aus: viermal wird gelobt, viermal wird gelacht und zweimal fehlt die Angabe einer Reaktion der Zuhörer. Anlaß dafür ist, wie schon der Titel des sechsten Tages besagt, "ein geschicktes Wort," "kühnes Erwidern" oder "ein schneller Entschluß," mit denen jemand einen Angriff auf die eigene Person erfolgreich abwehrt. Und nicht nur beim Lob der Brigata, sondern auch bei ihrem Lachen ist Bewunderung im Spiel, Bewunderung für den Erfmdungsgeist und die Intelligenz der Betroffenen. Das Lachen ist, wenn es denn eintritt, ein wertendes, es erwächst aus der Distanz derer, die wie die Spaßmacher innerhalb der Novellen nicht selbst betroffen sind und sich problemlos heraushalten können. Das Lachen ist Ausweis der Freiheit, in der sich die Zuhörer als Zuhörer befinden und wir als Leser mit ihnen, Resultat der Freude an einer schon abgeschlossenen, also schon zum Kunstwerk gewordenen Geschichte. Und auch die Streiche selbst sind ja, wie man immer wieder feststellen muß, ausgesprochene Kunstwerke. Und indem Boccaccio die hundert Novellen seines Decameron in einen Rahmen einpaßt, der selbst schon vorführt, wie das unbeschwerte Lachen entsteht, lädt er uns geradezu ein, uns die Freiheit der Distanz zu nehmen. Ganz anders ist dagegen die Funktion des Lachens innerhalb der beffaNovellen zu bewerten. Ihnen wollen wir uns nunmehr zuwenden, immer im Blick auf die Praxis des Lachens im Decameron. Denn hier zeigt sich, welche nicht nur ästhetisch erfreuende, sondern auch lebenspraktische, ja verändernde Kraft dem Lachen innewohnt. Das gilt schon für den Maler Giotto, "einen der
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ersten Sterne des florentinischen Ruhmes," wie Boccaccio schreibt, der seinem Begleiter, als dieser ihn wegen seines wenig attraktiven Äußeren aufzieht, mit genau der gleichen Münze heimzahlt: Lachen gegen Lachen, eine Rechnung, die überzeugt (VI, 5). Lachen, und zwar in seiner schmerzlichsten Form, nämlich als Auslachen, ist auch die Kur, die eine wie üblich junge und schöne Witwe einem Kleriker verabreichen läßt, dem Dompropst von Fiesole, der ihr nachstellt. Die Dame präsentiert ihn der Öffentlichkeit im Ergebnis eines kleinen Arrangements statt ihrer selbst mit einer häßlichen Dienstmagd im Bett und liefert ihn so dem öffentlichen Spott aus (VIII, 4). Vom Lachen ist allerdings am dieser Novelle nicht ausdrücklich die Rede. Dennoch können wir es uns lebhaft vorstellen, denn, wie Boccaccio berichtet, noch lange nach diesem Streit zeigen die Gassenjungen von Fiesole mit dem Finger auf den Geistlichen und rufen: "Ei, seht doch den, der bei der Ciutezza geschlafen hat." (428) Boccaccio verfährt hier ähnlich diskret wie in der Novelle vom Erzengel Gabriel als Liebhaber einer einfältigen Venezianerin. Auch hier wird nur berichtet, daß man auf dem Rialto erzählt, wie der Engel Gabriel in der Nacht bei Madonna Lisetta geschlafen habe, wie er, als die Schwäger ihn bei ihr gefunden, aus Angst ins Wasser gesprungen und, wie man nicht wisse, was aus ihm geworden sei. (230)'6 Vom Lachen ist nicht die Rede, doch kann kein Zweifel daran bestehen, daß sich, wie Erich Auerbach angesichts dieser indirekten Redeweise bemerkt, "die Venezianer auf dem Rialto totlachen."17 Zwei Fälle also, in denen das Lachen über zwei Männer siegt, die den Frauen nachstellen. Daß es sich dabei beide Male um Kleriker handelt, ist, wie man weiß, kein Zufall. Boccaccio nimmt sie ständig aufs Korn, stärker jedenfalls als andere hochstehende Personen, deren Verderbtheit oder Unfähigkeit Gelegenheit zu Streichen bietet. Demgegenüber kommen die Gelehrten und die Intellektuellen der Zeit bei Boccaccio relativ gut weg. Die ernste Antwort etwa, mit der Guido Cavalcanti in der neunten Novelle des sechsten Tages den Spott seiner Mitbürger zum Schweigen bringt, zeigt nur, daß das Lachen nichts gegen einen modernen Philosophen vermag, als der Cavalcanti hier dargestellt wird.18
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come l'agnolo Gabriello era la notte andato a giacere con Madonna Lisetta e, da' cognati trovatovi, s'era per paura gittato nel canale, ne si sapeva ehe divenuto se ne fosse. (375) Ibid. 211. Cf. dazu auch Sebastian Neumeister, "Die Entstehung der italienischen Nationalliteratur im Florenz des 14. Jahrhunderts," Nation und Literatur im Europa der frühen Neuzeit, ed. Klaus Garber (Tübingen, 1989) 226-239, hier 229-231.
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Die Geschichte ist aus zweierlei Gründen von Bedeutung. Zum einen, weil hier ein uraltes Klischee in sein Gegenteil verkehrt wird, das Klischee vom lebensuntüchtigen Gelehrten oder, wenn man so will, vom zerstreuten Professor. Eine der ersten Fassungen dieses Topos steht in Platons Dialog Theaitetos: So erzählt man sich von Thaies, er sei, während er sich mit dem Himmelsgewölbe beschäftigte und nach oben blickte, in einen Brunnen gefallen. Darüber habe ihn eine witzige und hübsche thrakische Dienstmagd ausgelacht und gesagt, er wolle da mit aller Leidenschaft die Dinge am Himmel zu wissen bekommen, während ihm doch schon das, was ihm vor der Nase und den Füßen läge, verborgen bleibe.19 Hans Blumenberg hat dieses Motiv in allen seinen Verzweigungen in einem kleinen Buch analysiert, das den Titel Das Lachen der Thrakerin trägt und den Untertitel Eine Urgeschichte der Theorie. Denn um die Theoretiker, die Wissenschaftler geht es hier, die vor lauter Wissen nicht mehr wissen, wohin sie die Füße setzen, die, wie Blumenberg auch bemerkt, zwar wie alle echten Philosophen wissen, daß sie nichts wissen, aber nicht, was sie nicht wissen. Das nun hatten die Florentiner, die in ausgelassener Stimmung durch die Stadt ritten, auch von Guido Cavalcanti gedacht, einem, wie es heißt, "der besten Denker auf der Welt und ein vorzüglicher Kenner der Naturphilosophie Eigenschaften, um welche diese Gesellschaft sich allerdings wenig bekümmerte." (348) Obwohl andererseits auch "ein ergötzlicher Gesellschafter und von vorzüglichen Sitten," gilt Cavalcanti doch als einer, der "nicht selten ganz in seine Gedanken vertieft, den Umgang mit Menschen mied." (348) Als jedoch die fröhliche Gesellschaft ihn in stiller Betrachtung auf einem Friedhof entdeckt und über ihn herfällt, antwortet er ihnen nur: Ihr Herren, hier in Eurem Haus muß ich mir wohl gefallen lassen, daß Ihr mir sagt, was Euch gut dünkt." (349) Sprach's und verschwand. Die Gesellschaft bleibt verdutzt zurück und muß sich erst von dem klugen Messer Betto erklären lassen, was Cavalcanti ihnen eigentlich gesagt hat: Die Grabmäler sind ja, wenn Ihr wohl aufmerken wollt, die Häuser der Toten; denn in sie legt man die Toten und in ihnen weilen sie. Diese nun nennt er unsere Wohnung, um anzudeuten, daß wir und alle anderen ungelehrten und unwissenden Leute im Vergleich mit ihm und den übrigen Gelehrten für geringer als Tote zu achten sind. Darum sagt er, wenn wir uns hier befänden, seien wir zu Hause. (350)20
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I74a/b. In der Übersetzung von Martin Heidegger zitiert nach Hans Blumenberg, Das Lachen der Thrakerin: Eine Urgeschichte der Theorie (Frankfurt a.M., 1987) 13f. queste arce sono le case de' morti, per ciö ehe in esse si pongono e dimorano i morti; le quali egli dice ehe son nostra casa, a dimostrarci ehe noi e gli altri uomini idioti e non letterati siamo, a comparazion di lui e degli altri uomini scienziati, peggio ehe uomini morti, e per ciö, qui essendo, noi siamo a casa nostra. (564)
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Die Weisheit also schafft es - vielleicht als einzige -, dem Gelächter des Spotts etwas entgegenzusetzen, das, wenn nicht ein Gegengelächter, so doch Verblüffung und damit Ruhe erzeugt, jene admiratio, mit der die Theoretiker des Komischen im 16. Jahrhundert das Lachen charakterisieren werden. Was hier sichtbar wird, und das ist der zweite wichtige Aspekt dieser Geschichte, ist nichts weniger als ein verdeckter Zusammenhang zwischen der Weisheit oder Intelligenz und dem Lachen als zwei gleich wirksamen Waffen im intellektuellen Überlebenskampf des Decameron. Wir werden darauf zurückkommen. In seiner ganzen Schärfe wird ein solcher Überlebenskampf in der schon erwähnten siebten Novelle des achten Tages ausgetragen, in jenem erbitterten Duell also zwischen einem verliebten Gelehrten und einer jungen und schönen Witwe (von denen es in Florenz offenbar nicht wenige gibt), die ihn nicht erhört. Im Gegenteil, sie läßt ihn eine ganze lange Winternacht in ihrem Hofe frieren und sieht sich sein Elend "mit dem größten Gelächter von der Welt" an (437). Aber, so die Erzählerin Pampinea: Ach die Ärmste, die Ärmste. Sie wußte nicht, Ihr Mädchen, was es heißt, mit einem gelehrten Mann anzubinden. (437)21 Dieser nämlich, dessen Liebe in Haß umgeschlagen ist, läßt sie zur Rache einen ganzen Sommertag hindurch nackt auf einem einsamen Turm in der Sonne braten. Gelehrte dürfen also nicht unterschätzt werden. Boccaccio jedenfalls zeigt mit schon sadistischer Ausführlichkeit, wie töricht eine Frau sein muß, die einen Gelehrten ebenso leicht anführen zu können glaubte wie einen anderen und nicht wußte, daß diese, wenn auch nicht alle, so doch zum größten Teil wissen, wo der Teufel den Schwanz hält. Und darum, geliebte Damen, hütet Euch, jemand betrügen zu wollen, doch besonders die Gelehrten. (453)22 Seine eigentliche Kraft entfaltet das Lachen, wenn es jemandem aus der Klemme hilft. Dies ist im sechsten Tag des Decameron zweimal der Fall. Der Koch Chichibio, dem sein Liebchen einen Kranichschenkel des herrschaftlichen Essens abgeschwatzt hatte und der nun seinem Herrn gegenüber die Existenz einbeiniger Kraniche beweisen muß, schafft es durch eine faule Ausrede, ihn zum Lachen zu bringen und so die Bestrafung zu vermeiden. Und Madonna Filippa aus Prato, des Ehebruchs mit einem "jungen und
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Ahi cattivella, cattivella! ella non sapeva ben, donne mie, ehe cosa e il mettere in aia con gli scolari. (712) non altramenti con uno scolare credendosi frascheggiare ehe con un altro avrebbe fatto, non sappiendo bene ehe essi, non dico tutti ma la maggior parte, sanno dove il diavolo den la coda. E per ciö guardatevi, donne, dal beffare, e gli scolari spezialmente. (737)
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schönen Edelmann" überführt, bringt durch ihre Darstellung der Rechtslage nicht nur fast sämtliche Einwohner von Prato zum Lachen, sondern sie erreicht auch, daß das Gesetz zu ihren Gunsten abgeändert wird. Genau das Gegenteil, nämlich daß sich gerade nichts ändert und dies durch humorlosen Ernst, bietet der unscheinbare, aber gleichwohl hochinteressante Fall der Nichte des Fresco da Celatico, genannt Cesca, aus der achten Novelle des sechsten Tages. Sie nämlich hielt sich für so hoch und erlesen, daß es ihr zur Gewohnheit geworden war, Männer und Frauen und was immer ihr unter die Augen kam, zu tadeln, ohne daß sie sich selbst dabei richtig einzuschätzen gewußt hätte. Dadurch wurde sie denn mehr als irgendeine andere unbequem, widrig und mehr als lästig, da es unmöglich war, ihr irgend etwas recht zu machen. Bei alledem war sie so hochmütig, daß, selbst wenn sie zum Stamme Karls des Großen gehört hätte, es dennoch zuviel gewesen wäre. Und wenn sie über die Straße ging, war ihr jeden Augenblick etwas nicht gelegen, so daß sie nicht aufhörte, die Nase zu rümpfen, als ob von jedem, den sie sah oder der ihr begegnete, unleidlicher Gestank sie anwehte. (347)23 Und als sie eines Tages wieder einmal total angewidert nach Hause kam, antwortete ihr Fresco, "dem das hochfahrende Wesen seiner Nichte gründlich mißfiel": "Mein Kind, wenn die unausstehlichen Leute Dir so widerwärtig sind, so besieh' Dich ja, wenn Du Deines Lebens froh bleiben willst, niemals im Spiegel."24 Der Onkel wendet also Ironie an, und zwar von der pädagogischen Sorte, deren Zweck nach Nietzsche "Demütigung, Beschämung [ist], aber von jener heilsamen Art, welche gute Vorsätze erwachen läßt und dem, welcher uns so behandelte, Verehrung, Dankbarkeit als einem Arzte entgegenbringen heißt."25 Doch Cesca versteht nicht: Sie aber, die hohler war als ein Schilfrohr und an Weisheit dem Salomon zu gleichen vermeinte, begriff den Stich des Fresco nicht besser als es ein Widder getan hätte und erwiderte, sie gedenke sich ebenso gut im Spiegel zu besehen
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se da tanto e si nobile reputava, ehe per costume aveva preso di biasimare e uomini e donne e ciascuna cosa ehe ella vedeva, senza avere alcun riguardo a se medesima, la quäle era tanto piü spiacevole, sazievole e stizzosa ehe alcuna altra, ehe a sua guisa niuna cosa si potea fare; e tanto, oltre a tutto questo, era altiera, ehe se stata fosse de'Reali di Francia sarebbe stata soperchio. E quando ella andava per via si forte le veniva del cencio, ehe altro ehe torcere il muso non faceva, quasi puzzo le venisse di chiunque vedesse o scontrasse. (560-561) "Figliuola, se cosi ti dispiaccion gli spiacevoli, come tu di', se tu vuoi viver lieta non ti specchiar giammai." (561) Menschliches, Allzumenschliches I, Aph.372.
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wie die anderen. Und so verharrte sie denn weiterhin in ihrer Einfalt und tut es noch heute. (347)26 Eine Charakterstudie, nicht mehr. Und doch gewinnt sie an Profil, wenn wir die erste Novelle desselben Tages danebenhalten. Sie handelt, das allein macht sie schon wichtig, von einem Kollegen Boccaccios, von einem Ritter nämlich, der einer edlen Dame den gemeinsamen Fußweg durch das Erzählen einer Geschichte verkürzen will: Madonna Oretta, beliebt es Euch, so will ich Euch einen großen Teil des Weges, den wir noch vor uns haben, durch eine wunderschöne Geschichte so sehr verkürzen, daß Ihr glauben sollt, Ihr säßet zu Pferde. (333)27 Die Dame stimmt zu und Der Herr Ritter, der seinen Degen im Streit wohl auch nicht besser zu führen wußte als zum Erzählen seine Zunge, fing nach dieser Erlaubnis eine Geschichte an, die in der Tat an sich gar schön war, die er aber jämmerlich verdarb, da er bald das gleiche Wort vier- oder fünfmal wiederholte, bald auf das schon Gesagte zurückkam, bald sich mit dem Ausruf "Nein, das hab' ich falsch erzählt!" unterbrach, bald endlich die Namen falsch sagte oder untereinander verwechselte, ganz zu schweigen, daß seine Worte weder dem Charakter der Personen noch den erzählten Ereignissen irgend entsprachen. (333f.)28 Boccaccio, der Erzähler, präsentiert uns hier eine bemerkenswerte Sammlung von vitia, von Fehlern also, die man beim Erzählen machen kann - genau die, deren er selbst sich in seinem Decameron nicht schuldig macht. Auch Madonna Oretta, "von erlesenen Sitten und der Rede kundig" (333), nimmt diese Fehler wahr: Ihr brach über diesem Erzählen der Angstschweiß aus und es wurde ihr beklommen ums Herz, als wäre sie krank. Endlich aber konnte sie es nicht mehr aushallen, und da sie gewahr wurde, daß der Edelmann in die Tinte geraten war
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Ma ella, piü ehe una canna vana e cui di senno pareva pareggiar Salamone, non altramenti ehe un montone avrebbe fatto intese il vero motto di Fresco, anzi disse ehe ella si voleva specchiar come l'altre. E cosi nella sua grossezza si rimase e ancor vi si sta. (561) "Madonna Oretta, quando voi vogliate, io vi porterö, gran parte della via ehe a andare abbiamo, a cavallo con una delle belle novelle del mondo." (537) Messer lo cavaliere, al quäle forse non stava meglio la spada allato ehe novellar nella lingua, udito questo, cominciö una sua novella, la quäle nel vero da se era bellissima, ma egli or tre e quatro e sei volte replicando una medesima parola e ora indietro tornando e talvolta dicendo: "Io non dissi bene" e spesso ne' nomi errando, un per un altro ponendone, fieramente la guastava: senza ehe egli pessimamente, secondo le qualitä delle persone e gli atti ehe accadevano, profereva. (537)
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und nicht wieder herausfand, sagte sie scherzhaft: "Messer, Euer Pferd hat einen harten Trab, drum bitt' ich Euch, laßt mich wieder absteigen." (334)29 Madonna Oretta äußert ihre Kritik nicht ironisch, wie Cescas Onkel in der siebten Novelle, sondern scherzhaft und in geistvoller Anknüpfung an die Pferde-Metapher des Ritters. Der Edelmann ist ihr darin ebenbürtig: Der Edelmann, der zum Glück geschickter im Verstehen als im Erzählen war, fühlte den Stachel und kehrte ihn zu Scherz und Heiterkeit. Dann aber wendete er sich anderen Geschichten zu und ließ die eine, die er begonnen und schlecht ausgeführt hatte, unbeendigt. (334)30 Scherz und Heiterkeit also, geboren aus Einsicht. Lachen ist nicht nur ein Naturphänomen und angenehm, es hilft nicht nur aus schwierigen Situationen und als Waffe, es bewahrt auch vor Lächerlichkeit und ist ein Ausdruck der Erkenntnis, ja der Selbsterkenntnis: Im Lachen gewinnt man Abstand zu sich selbst. Von hier aus ist der Weg nicht mehr weit zu einem Lachen, daß jenseits des kollektiven Lachens liegt, das integriert, aber auch jenseits des Lachens, in dem sich Bewunderung für gelungene Streiche und geistreiche Antworten ausdrückt. Das Lob und die Bewunderung, das viele der Helden Boccaccios bei ihren Zuhörern ernten, zeigt, daß das Lachen eine intellektuelle Dimension hat, die den bloßen Spaß übersteigt. Das Lachen kann dabei, wenn man den - wie es so schön heißt - Ernst des Lebens eine Zeitlang nicht ernst nimmt, auch eine mehr als nur intellektuelle, nämlich eine kontemplative Distanz erzeugen: als philosophisches Lachen. In ihm erfahren wir gleichsam die Antwort des Philosophen auf das Lachen der thrakischen Magd über Thaies: Jetzt ist es der Philosoph, der über die Welt lacht. Heraklit fand bekanntlich alles zum Weinen, sein Kollege Demokrit dagegen alles zum Lachen.31 Wer von den beiden hat recht, der, der die Welt ernst nimmt - dann ist sie zum Weinen - oder der, der über sie lacht? Die Antwort liegt vielleicht in der Mitte, sie findet sich unter dem Stichwort "Heiterkeit". Heiterkeit ist die Stimmung des Philosophen, der lacht, auch wenn er eigentlich weinen müßte. Es ist die Stimmung der Distanz zur
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Oretta, udendolo, spesse volte veniva un sudore e uno sfmimento di cuore, come se inferma fosse stata per terminare; la quäl cosa poi ehe piü sofferir non pote, conoscendo ehe il cavaliere era entrato nel pecoreccio ne era per riuscirne, piacevolemente disse: "Messer, questo vostro cavallo ha troppo duro trotto, per ehe io vi priego ehe vi piaccia di pormi a pie." (537) II cavalier, il quäle per avventura era molto migliore intenditor ehe novellatore, inteso il motto e quello in festa e in gabbo preso, mise mano in altre novelle e quella ehe cominciata aveva e mal seguita senza fmita lasciö stare. (537) Die Charakterisierung Demokrits als des lachenden Philosophen ist zuerst im Zusammenhang von Ciceros Bestimmung des komischen in De oratore dokumentiert (op. cit., II, 58, 235).
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Welt, in die uns die Philosophie versetzt, aber auch alle große Kunst, ohne daß wir deshalb die Welt aus den Augen verlieren, es ist die gelassene Humanität des alten Stechlin oder die grimmige Lakonik eines Gottfried Benn. Friedrich Schiller dankt im Prolog zum Wallenstein der Muse, [...] daß sie das düstre Bild Der Wahrheit in das heitre Reich der Kunst Hinüberspielt, die Täuschung, die sie schafft, Aufrichtig selbst zerstört und ihren Schein Der Wahrheit nicht betrüglich unterschiebt, Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst.32 Theodor W. Adorno hat dieses Wort Schillers, das einst zum Zitatenschatz des deutschen Bildungsbürgers gehörte, in einem späten Essay einer genauen Analyse unterzogen und stimmt ihm, zumindest in bezug auf die ältere Kunst, in seiner bekannten dialektischen Art letztlich zu: Kunst ist a priori, vor ihren Werken, Kritik des tierischen Ernstes, welchen die Realität über die Menschen verhängt. Indem sie das Verhängnis nennt, glaubt sie es zu lockern. Das ist ihr Heiteres; freilich ebenso, als Veränderung des jeweils bestehenden Bewußtseins, ihr Ernst. [...] Unter solchem Aspekt ist von jeglichem Kunstwerk sein Ernst zu fordern. Kunst vibriert zwischen ihm und der Heiterkeit als der Realität Entronnenes und gleichwohl von ihr Durchdrungenes. Allein solche Spannung macht Kunst aus.33 Die Grenze, die beide, Schiller wie Adorno, hier zwischen Heiterkeit und Ernst, zwischen Kunst und Leben sehen, ist die Grenze zwischen Freiheit und Zwang, einer Freiheit jedoch, die die Existenz des Zwangs, das Gezwungensein in der Welt nicht leugnet. Genau dies gilt nun auch für das Decameron. In den Novellen der zehn Erzähltage herrscht eine Praxis des Lachens, die, ganz wie Joachim Ritter postuliert hat, ein Teil des Lebensernstes ist, ja die ihm sehr häufig dient. Mit Heiterkeit der Kunst hat das zunächst wenig zu tun, zu ernst sind meist die Bedrohungen, deren sich der einzelne in den Novellen erwehren muß. Dennoch wissen wir natürlich, darauf hat zuletzt Kurt Flasch mit Emphase hingewiesen,34 daß die Novellen des Decameron bei aller Detailgenauigkeit nicht, wie oft behauptet, realistische Schilderungen aus dem Florenz des 14. Jahrhunderts sind, sondern vielmehr höchst kunstvoll kon-
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Friedrich Schiller, Sämtliche Werke, Bd. II (Dramen II) (München, 1965) 274. Theodor W. Adorno, "Ist die Kunst heiter?" Noten zur Literatur IV (Frankfurt a.M., 1974) 147-157, hier 149f. Cf. auch Harald Weinrich, "Drei Thesen von der Heiterkeit der Kunst," Literatur für Leser: Essays und Aufsätze zur Literaturwissenschaft (Stuttgart, 1971) 12-22. Kurt Flasch, Poesie nach der Pest 186-192.
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struierte Fiktionen. Sichtbar macht das aber Boccaccio in den Novellen nicht, würde er doch so selbst seine Realismus-Fiktion zerstören. Der Rahmen dagegen dokumentiert ausdrücklich, daß es sich um Erzählungen handelt, vorgetragen von Erzählern ganz unterschiedlichen Temperaments, auch wenn diese ihrerseits in ihren Erzählungen wieder versuchen, durch Eigennamen und konkrete Ortsangaben eine Realitätsfiktion aufrechtzuerhalten. Im Rahmen jedenfalls wird der mit Lachen gewürzten Lebensnähe der Novellen jene heitere Idealgesellschaft entgegengestellt, die sich mehr oder weniger lustige Geschichten erzählt. Allerdings geschieht dies vor dem Hintergrund der Pest in Florenz, also im Bewußtsein des Todes, so daß sich Adornos Feststellung bestätigt, daß Kunst "zwischen ihm [dem Ernst] und der Heiterkeit als der Realität Entronnenes und gleichwohl von ihr Durchdrungenes" vibriere. Die zehn edlen Jungfrauen und Jünglinge schaffen es, auf den Hügeln über Florenz durch das Erzählen von Geschichten, also durch Literatur, genau diesen Schwebezustand herzustellen, nämlich, wie Panfilo ganz am Ende des Decameron, nach der letzten Novelle formuliert: um uns zur Erhaltung unserer Gesundheit und unseres Lebens einige Erheiterung zu gewähren und dem Trübsinn, dem Schmerz und der Angst zu entgehen, die man in unserer Vaterstadt, seitdem diese traurige Pestzeit begonnen, beständig vor Augen hat. (587) Die zehn kehren, wie man weiß, nach vierzehn Tagen der Scherze und des Erzählens gestärkt und erfrischt in die Stadt zurück. Nur so nämlich, als zeitlich begrenzter Ausnahmezustand erhält das Erzählen wie das Lachen, das ihn begleitet, seinen Sinn: Lachen im Bewußtsein der Welt, wie sie ist. Sollte Bachtin doch recht haben?
GERHILD SCHOLZ WILLIAMS Das Fremde erkennen: Zur Erzählfunktion des Lachens im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit
In der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts widmet Laurent Joubert Marguerite de France, der Königin von Navarre, ein Traktat mit dem Titel Tratte du ris suivi d'un dialogue zur la cacographie frangaise (1579).1 In dieser Schrift stellt Joubert für seine königliche Leserin detaillierte Information über die Geschichte, Kultur, Psychologie und Physiologie des Lachens zusammen. Joubert begründet seine gelehrte Mühe damit, daß es dem Menschen allein gegeben sei, zu lachen und zu weinen, "Dieu luy ha ordonne le Ris, pour recreacion parmy ses deportemans" (232). Diese von Gott verliehene Auszeichnung mache es sinnvoll, dem Lachen - aber auch dem Weinen - eine ausführliche Untersuchung zu widmen (220-49). Und weiter schreibt er, "le pleur exprime bien vn mouvement contraire au Ris, comme il nait d'vne dissamblable passion du coeur" (241). Beide Gefühlsregungen ergänzten und bedingten einander; beide hätten ihren Ursprung im Herzen und nicht im Kopf; die Ursachen des Lachens seien jedoch noch nicht endgültig geklärt. Erst, wenn man die Handlungen und Reaktionen der Menschen sorgfältig beobachtet und analysiert habe, könne man am Ende das Geheimnis des Lachens ergründen, "quand ... nous sommes conduis, comme de main an main, a la notice des ses mysteres" (13). Das Mysterium wäre dann keins mehr. Im Laufe seiner Untersuchung zeigt Joubert unter anderem, daß geschlechterspezifisch gelacht wird. Den Frauen, so meint er, stünde Lachen besser, als den Männern, "etant plus belle visage, le Ris loy aet plus convenable que ä l'homme" (Epitre). Diese Tatsache stimmt überein mit der Feststellung, daß außer dem Lachen und dem Weinen auch die Einbildungskraft (imaginatid) ihren Ursprung in der Seele hat. In der weiblichen Physiologie und Pathologie spielt diese imaginatio eine wichtige Rolle; man denke an die potentiell negative Wirkung der imaginatio auf das ungeborene Kind. Ähnlich verhäng-
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(Genf, 1973); Laurent Joubert, Treatise on Laughter, übers. Gregory Daniel de Rocher (Alabama, 1980); weitere Renaissance-Traktate über das Lachen, siehe Colette H. Winn, "Rire et Angoise dans LHeptameron" Rocky Mountain Review of Language and Literature 41, 1-2(1987): 51.
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nisvoll ist die Verbindung von imaginatio und Sexualität, die zu Liebeskrankheiten aber auch zur Hexerei führen kann. Dieser frühneuzeitlichen Psychologie und Physiologie verpflichtet, fungiert die Einbildungskraft in Jouberts Genealogie des Lachens als unerläßliches Ingrediens nicht nur des Lachens, sondern auch der Sexualität. Beide Impulse werden beeinflußt und gelenkt von der imaginatio (144-5), die die Leidenschaft beim Liebesspiel erhöht, und, im Sinne der medizinischen Orthodoxie der Zeit, an der Formung des Charakters, Aussehens und Temperaments der dabei gezeugten Kinder beteiligt ist.2 Trotz seiner Bemühungen, Lachen und Weinen im Kontext der traditionellen Physiologie, Philosophie und Sozialtypologie zu untersuchen und als privilegierte Ausdrucksform menschlichen Daseins zu verstehen, muß Joubert am Ende zugeben, daß die Semiologie des Lachens keinesfalls eindeutig ist. Im Gegenteil, Lachen und Weinen stiften als Zeichen menschlicher Seelenzustände des öfteren eher Verwirrung als Klarheit. Manche Menschen weinen, wenn sie glücklich sind. Andere lachen, wenn sie leiden, oder wenn sie andere leiden sehen, "le Ris et fait de contraires mouvemans, ampruntes de joye et de tristesse," heißt die Überschrift von Kapitel 14 (87-90). Die schnelle und oft unvermittelte Aufeinanderfolge von Lachen und Weinen, ja, in Extremfällen, deren Gleichzeitigkeit, seien klassische Symptome der Liebeskrankheit. Bestätigt wird dies durch Jouberts Zeitgenosse, Jean Ferrand, der am Anfang des siebzehnten Jahrhunderts feststellt, "lovers are subject to all passions, joy, laughter, and sorrow."3 Die enge Verwandtschaft von Lachen und Liebe, so Ferrand, sei erkennbar an vielen Zeichen, so etwa in der Ikonographie des Liebesgottes Cupid, der mit lachendem Mund das Ziel für seine Pfeile sucht - wahres Kind seiner Mutter Aphrodite, die als die "das-Lachen-Liebende" im antiken Olymp Verwirrung stiftete. Das scheinbar sorglose Liebeslachen der Göttin hatte, wie man weiß, blutig-archaische Wurzeln. Hesiod bringt die Etymologie ihres Namens mit den Genitalien von Saturn in Verbindung, aus dessen in Meeresschaum verwandelten Blut Aphrodite geboren wurde (Ferrand 245). Aphrodites Geburt und ihre Rolle im Pantheon der Götter lassen die begriffliche und emotionale Nähe von Lachen und Sexualität erkennen, die für die Liebe und deren extreme Form, die als uterine fury bezeichnete Liebeskrankheit, charakteristisch ist. Nahe verwandt sind auch Liebeslachen und Unvernunft: Euripides leitet den Namen der Göttin von aphrodias her, was soviel heißt wie Torheit.
Gerhild Scholz Williams, "The Woman/The Witch: Variations on a Sixteenth Century Theme (Paracelsus, Wier, Bodin)," The Crannied Wall: Women, Religion, and the Arts in Early Modern Europe, ed. Craig A. Monson (Ann Arbor, 1992) 119-37. Jacques Ferrand, A Treatise on Lovesickness, ed. Donald A. Beecher and Massimo Ciavolella (Syracuse, 1990) 278.
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Die Bedeutung von Lachen und Weinen umfaßt wesentlich mehr als nur Gefühlsäußerungen. Lachen und Weinen ermöglichen zuweilen Kommunikation, wo Sprache versagt.4 Umgekehrt können beide Emotionen ohne die erklärende Sprache kaum ihre volle Wirkung entfalten.5 Das Lachen zu einem als unpassend empfundenen Zeitpunkt wird zum Drama, dessen intendierte Wirkung ohne eine sprachliche Erklärung oder Kommentierung erheblich geschwächt würde. Man denke an Cunnewares Lachen bei Parzivals Ankunft am Artushof; oder an Mephostophiles' Lächeln im Faustbuch. Auf Fausts Frage, was er, Mephostophiles, täte, hätte Gott ihn an Fausts Statt als "ein[en] Mensch[en] ... erschaffen," reagiert Mephostophiles menschlich und teuflisch zugleich - er lächelt, und er lügt.6 Beide Beispiele zeigen, wie das Lachen oder Lächeln die narrative Spannung wirkungsvoll steigert. Gefühlsregungen werden signalisiert, die nicht vordergründig zu erklären oder zu verstehen sind, die den Leser verunsichern, den Erzählfortgang in Frage stellen und gerade dadurch vorantreiben. Mephostophiles lächelt und seufzt, wenn er von der ihm verlorengegangen Gnade Gottes spricht, deren Grenzenlosigkeit und Unerschöpflichkeit er gleich darauf verleugnet, und die auch Faust wiederholt bezweifelt. Wenn, wie diese Textbeispiele zeigen, Lachen und Lächeln zur Artikulation von Gefühlsäußerungen und Seelenzuständen unverläßlich sind, sich aber oft dem vordergründigen Verständnis entziehen, erhöht dies nicht nur die narrative Spannung. Lachen kann auch Verunsicherung, Angst vor der Gefährdung der Normen menschlichen und gesellschaftlichen Umgangs und Unsicherheit über gesellschaftliche oder geschlechtliche Identität signalisieren, die sich bis zum Bedrohtfühlen steigern.7 Cunnewares Lachen bei Parzivals erstem Auftritt am Artushof ist von dieser Art; das Narrengelächter, das die frühe Neuzeit so insistent begleitet, reflektiert alle diese Möglichkeiten. Die Ambiguität von Mephostophiles' Lächeln verweigert die endgültige Antwort auf die Frage nach seiner Bedeutung: Lächelt er wehmütig, weil er die Erlösung verloren hat? Oder über Fausts Dummheit, der sich anschickt, die Seine aufs Spiel zu setzen? Oder spottet er der Heilswahrheit, die er gerade bezeugt hat? Der Text bleibt dem Leser die Antwort schuldig. Einige im Lachen implizierte narrative Möglichkeiten seien an Textbeispielen aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit dargestellt. Dabei bleibt
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"Laughter is fundamentally an interpretive act," Robert Longworth, "Interpretive Laughter in Sir Gawain and the Green Knight" Philological Quarterly 70, 2 (1991): 142. Charles R. Grüner, Understanding Laughter: The Workings of Wit and Humor (Chicago, 1978) 5-7. Historia von D. Johann Fausten, ed. Stephan Fussel und Hans Joachim Kreutzer (Stuttgart, 1988) 43. Longworth, "Interpretive Laughter" 142.
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die Frage, ob das Lachen im Text selbst thematisiert wird oder eine mögliche, vielleicht sogar gewünschte Reaktion des Lesers auf das Gelesene ist, außer Betracht. Wir werden sehen, daß das Lachen den Erzählfortgang vorantreibt, indem es Fragen aufwirft, die Spannung steigert und die Bereitschaft im Leser/Hörer erhöht, ungewöhnliche oder beängstigende Verhaltensweisen oder Erzählvorgänge als Strukturelement eines narrativen und informativen Ganzen zu akzeptieren. Wir werden aber auch sehen, daß das Lachen oft keinesfalls selbstverständlich oder gar 'natürlich' ist, sondern daß die Vorstellung, wann und wann nicht gelacht wird, gesellschaftlichen Zwängen und Vorstellungen gehorcht. Fallen die Menschen aus ihrer von ihrem sozialen Umfeld postulierten Rolle, wie etwa Frauen, die wie Männer handeln, oder Zauberer, die scheinbar ohne Grund in Gelächter ausbrechen, oder Hexen, die während der Folter lachen, oder Eingeborene, die Gäste weinend anstatt lächelnd willkommen heißen, dann hat dieses Verhalten Konsequenzen für den Erzählzusammenhang, für die Rezeption und für die Konstruktion einer gesellschaftlichen Realität.8
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Das erste Beispiel, ein Fabliau aus dem 13. Jahrhundert, De la dame escolliee (MR IV, 95-116), zeigt, was in der literaturwissenschaftlichen Begriffsbestimmung als conte a rire en vers definiert wird. Es handelt sich um eine Geschichte, in der das Verhältnis von Männlichkeit und Sexualität, und damit auf das engste verknüpft, die Herrschaft des Mannes über die Frau, den Lachanlaß ausmachen.9 Eine rebellische und widerspenstige Frau, Mutter einer Tochter im heiratsfähigen Alter, will ihrem Mann nicht zu Willen sein. Als die Tochter heiratet, verspricht sie ihrer Mutter, deren von dem Erzähler klar als negativ präsentierten mütterlichen Vorbild zu folgen. Der Schwiegersohn übernimmt es nun, das Versäumnis des Schwiegervaters nachzuholen. Er demonstriert nun anhand einer extrem brutalen Bestrafungsmethode, welche Folgen weiblicher Ungehorsam nach sich ziehen kann. Als die Tochter eines Tages ihrem Mann nicht auf das Wort gehorcht, was hier lediglich bedeutet, daß sie eine eigene Entscheidung fällt - unabhängig, also männlich, handelt -
Vergleiche hierzu Gutwirths Kategorisierung von Lachen als functionalist, "views that look upon explanation as an account of the wherefore of laughter;" psychological, "the emotional benefit to the one who does the laughing;" und intellectualist, "laughter [located] in a perception of an incongruity," in Marcel Gutwirth, Laughing Matter: An Essay on the Comic (Ithaca, 1993) 2. Morris Lacy, Reading Fabliaux (New York, 1993) 60-78.
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beschließt der junge Ehemann, sie zu "belehren."10 Er erklärt, daß der Stolz und die Störrigkeit der Schwiegermutter von den männlichen Genitalien herrührten, die in ihrem Körper wüchsen. Nur, wenn diese entfernt würden, werde sich das Verhalten der Schwiegermutter ändern, was einfach heißt, daß es der gesellschaftlichen Norm konform wird. Der Schwiegersohn schreitet kurzerhand zur Tat; er öffnet den Leib der Schwiegermutter und entfernt - mit einem geschickten Täuschungsmanöver, in das der Schwiegervater eingeweiht ist - die 'unpassenden' Genitalien aus ihrem Leib. Triumphierend präsentiert er Penis und Hoden - in Wirklichkeit die eines Stiers - den entsetzten Frauen. Von diesem Beweis 'biologischer' Persönlichkeitsbestimmung völlig verstört, schwören beide, von nun an ihren Ehemännern den erwarteten und gesellschaftlich sanktionierten Gehorsam entgegenzubringen. Das Gelächter des mittelalterlichen Lesers war diesem Fabliau gewiß, auch wenn es, "most misogynist text in a misogynist genre," dem heutigen Leser wenig humorig erscheinen mag (Lacy 60). Der Lachanlaß entspricht Jouberts Definition vom Lachen als Reaktion auf etwas, "par laquel et [sie] exprimee vne affeccion de chose laide, indigne de pitie" (167). Eine Frau, die sich 'männlich' benimmt, sich eine Geschlechtsidentität konstruiert, die ihr gesellschaftlich nicht zusteht, stellt sich außerhalb der gewohnten Ordnung. Sie ist 'häßlich' und nicht des Mitleids würdig. Sie übertritt die Grenzen des contrat social zwischen den Geschlechtem und droht damit, das traditionelle SexGender-System zu destabilisieren, die Ordnung möglicherweise bis zur Zerstörung der "social and institutional structures and social ideologies" zu hintertreiben.11 Das Entsetzen über die Gewalttätigkeit des Grafen, über die Absurdität seiner Handlung im Kontext der wiederherzustellenden gesellschaftlichen Ordnung, erweckt bei dem mittelalterlichen Leser den Lachaffekt. Die von dem unpassenden, 'männlichen' Verhalten der beiden Frauen erzeugte familiäre Spannung wird im Lachen des Lesers abgebaut.12 Die aus diesem Fabliau zu ziehende Lehre ist tiefgreifender, als dem simplen Schlußkommentar zu entnehmen ist. Ein Monstrum, eine 'Mannfrau,' ausgewiesen durch 'männliche' Genitalien - Joubert bezeichnet sie als "parties honteuse" (145) - wird durch das blutige Eindringen des Schwiegersohns in ihren Körper gezähmt. Eine umgekehrte Kastration, man könnte auch sagen, eine Vergewaltigung, findet statt. Da der Schwiegersohn die Schwiegermutter nicht direkt sexuell
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Jean-Claude Aubailly, "Le fabliau et les sources inconscientes du rire modiival," Cahiers de civilisation medievale 33, 2 (1987): 111. Julia Epstein und Kristina Sträub, ed., Body Guards: The Cultural Politics of Gender Ambiguity (London, 1991) 1, 2. Björn Ekmann, "Lachkulturforschung im Zeichen der Frage nach Funktion und Wert des Lachens," Jahrbuch für Internationale Germanistik, ed. Hans-Gert Roioff, Bd. XVI, 2 (Bern, 1984) 9.
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zähmen kann, um ihr ihre untergeordnete Stellung zu Bewußtsein zu bringen, tut er es metaphorisch-anschaulich. Nachdem sie viele Jahre in ihrer Ehe den Mann gespielt, d.h. ihren Mann 'entmannt' hat, gibt der Schwiegersohn nun vor, die Zeichen der Männlichkeit entfernt zu haben. Er stellt die Identität von Sex und Geschlecht wieder her.13 Die mit der Eheschließung verbundene sexuelle Herrschaft des Mannes über die Frau, die der Schwiegervater nicht aufrechterhalten konnte, wird mit diesem Gewaltakt bestätigt und legitimiert. Damit wird auch das gesellschaftliche Rollenverständnis der Tochter von neuem gefestigt. Der junge Ehemann schützt nicht nur die Ordnung in seiner Ehe, er erneuert und bestätigt auch den Kontrakt zwischen den Generationen, den die Schwiegereltern durch die Umkehrung der ehelichen Machtverhältnisse gefährdet hatten. Die erneute Bestätigung und Festigung sanktionierter Verhaltensformen geht über den Intimbereich der Ehe hinaus und hat gesellschaftliche Ramifikationen. Die Ordnung in der Ehe steht für die Ordnung in der Gemeinschaft, die ohne ein klares Sex-Gender-Verständnis nicht aufrechtzuerhalten ist. Hinzu kommt, daß die Handlung des Ehemanns das Unbehagen artikuliert, mit dem die Frau generell betrachtet wird. Als unvollkommener Mann - die mittelalterliche und frühneuzeitliche Physiologie folgt auch hier dem aristotelischen Modell - ist die Frau auch immer ein Mann in potentia; ihr ist es eher möglich, vollkommen - d.h. ein Mann - zu werden, als es der vollkommenen Kreatur, dem Mann, möglich ist, in die Unvollkommenheit herabzusteigen, eine Frau zu werden.14 Die Brutalität der männlichen Intervention, so der Erzähler in seinem Vor- und Nachwort, weckt erleichtertes Lachen darüber, daß zwei Frauen in ihre Schranken verwiesen werden.
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Es ist kein Zufall, daß das Fabliau De la dame escolliee in einem Sammelmanuskript erscheint, das zwei weitere Texte enthält, in denen über sexuelle Ambiguität gelacht wird. Bei dem einen handelt es sich um das Fabliau Dou prestre ki perdi les colles, und - für uns im folgenden von größerem Interesse - bei dem anderen um den Roman de Silence des Heldris von Cornwall.15
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"The body functions as an image or sign we use to understand social relationships, which include relationships between ourselves as selves and the body within which, as modern selves, we find ourselves inclosed," J.Epstein, K.Straub, ed. Body Guards 3. Thomas Laqueur, Auf den Leib geschrieben: Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud, übers. Jochen Bussmann (Frankfurt a.M., 1992). Peter L. Allen, "The Ambiguity of Silence: Gender, Writing, and Le Roman de Silence" Sign, Sentence, Discourse: Language in Medieval Thought and Literature, ed. Julian N. Wasserman and Lois Roney (Syracuse, 1989) 101; Sarah Roche-Mahdi, ed. and trans., Silence: A Thirteenth Century French Romance (East Lansing, 1992). Zwei Grafen heiraten Zwillingsschwestern. Bei dem Streit darum, welcher der beiden Schwestern das
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Im Roman de Silence erzählt Heldris die Geschichte einer Verwandlung. Silence, die Tochter des Grafen von Cornwall wird aus Erbschaftsgriinden als Mann erzogen. Nachdem sie/er sich in jeder Hinsicht als exemplarischer Ritter auszeichnet, legt sie am Ende ihre - dem Erzähler nach beispielhafte - ritterliche Männlichkeit ab. Das Fehlen der männlichen Genitalien, der petit cose, die der dame escolliees so brutal entfernt werden, machen Silences' Leben als Mann auf die Dauer unmöglich. Im Kontext mittelalterlicher adliger Verhaltensnormen beschert ihr die Rückkehr zur weiblichen Identität eine glückliche Zukunft. Sie heiratet den englischen König. Dessen Frau Eufeme wird wegen Ehebruchs mit einem Mann, der sich in Nonnenkleidem verkleidet unter ihrem Hofstaat aufhält, zusammen mit eben diesem Liebhaber hingerichtet. Aufgedeckt wird das komplizierte Verkleidungsspiel - zunächst unausgesprochen im Gelächter des Zauberers Merlin, "fil al diäble/ Car altre pere n'oit il onques" (5792-3), der mehr sieht und mehr weiß als normale Sterbliche (6195ff.). Merlins Enthüllung, im buchstäblichen und im metaphorischen Sinne, drängt Silence, die als Mann sprechen und als Troubador singen gelernt hatte, als Frau in die Wortlosigkeit der gesellschaftlichen Normen weiblichen Verhaltens zurück, "Sens de ferne gist en taisir ... Car fernes n'on sens que mais un,/ C'est taisirs" (6398-6402). Die Ambiguität impliziert in der Geste des Schreibens (Sprechens) über Silence (Schweigen), entspricht der Verwirrung, die das Gelächter und die Erklärungsverweigerung des Zauberers Merlin stiften.
väterliche Erbe zustehe, kommen beide Ehemänner ums Leben. Ihr Lehnsherr, König Ebain von England, verbietet daraufhin Frauen das Erbrecht. Einige Jahre danach gibt er die einzige Tochter des Grafen von Corwall, Eufemie, seinem Neffen Cador zur Frau. Cador übernimmt nach dem Tode des Grafen das Erbe seiner Frau wohl wissend, daß es der Familie verlorengeht, wenn kein Sohn geboren wird. Das erste und einzige Kind ist eine Tochter, Silence. Diese wird infolge der Erbschaftsproblematik in einem komplizierten Verkleidungs- und Versteckspiel fernab vom englischen Hofe als Junge, als Mann erzogen. Silence (von Anbeginn als "er", "Sohn" und "Mann" bezeichnet) kommt nach einigen Abenteuern an den englischen Hof, wo sich die Königin Eufeme in den schönen jungen Ritter verliebt und versucht, ihn zu verführen; jedoch vergebens. Aus verletztem Stolz bezichtigt sie ihn der Vergewaltigung. Als dies bei dem König nicht die erwartete eheliche Rache zeitigt, plant sie Silences Tod. Sie schickt sie/ihn mit einem gefälschten Brief an den französischen Königshof. Der Brief bittet den König, den Überbringer sofort zu töten. Der Plan mißlingt. Silence kehrt an den englischen Hof zurück, Eufeme versucht abermals, ihn für sich zu gewinnen; abermals ohne Erfolg. Diesmal kann sich König Ebain den Racheplänen seiner Frau nicht entziehen. Eine Aventüre soll sie/ihn das Leben kosten: Silence soll Merlin an den Hof bringen. Der Zauberer hatte geschworen, solange im Wald zu leben, bis eine Frau ihn an den Hof zurückführen würde. Silence ist erfolgreich; bei seiner Rückkehr entdeckt Merlin, dem alle Geheimnisse offenbar sind, dem Hof die wahre Natur von Silence und die Schuld der Königin. Eufeme und ihr Liebhaber, ein als Nonne verkleideter Ritter, werden hingerichtet; Ebain heiratet Silence. Das Dekret gegen die Erbfähigkeit der erstgeborenen Töchter wird aufgehoben.
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Merlin hatte die höfische Gesellschaft verlassen, um als wilder Mann, ("com uns ors velus") im Wald zu leben. Nur die List einer Frau, ("par engien de ferne" [5803]), so hatte er prophezeit, könne ihn aus der wilden Einsamkeit herauslocken. Silence erfüllt diese Prophezeiung; jedoch besiegt sie/er Merlin nicht im Kampf, sondern als Frau mit der Magie ihrer Kochkünste. Der Geruch gebratenen Fleisches bricht Merlins Widerstand, macht seiner selbstverordneten Isolation ein Ende und lockt ihn aus dem Wald heraus. Auf dem Weg zurück zum Hof lacht Merlin viermal, "each signifying a truth not known to those looking on."16 Bei Silences Anblick lacht er derart hemmungslos, daß der König in steigender Irritation eine Erklärung für Merlins seltsames Verhalten verlangt (6241 ff.). Der Streit um das als unpassend und beängstigend empfundene Gelächter Merlins steigert sich bis zur königlichen Todesdrohung; erst dann besinnt Merlin sich, und er setzt sein Lachen um in erklärende Sprache, bevor die königliche Angst vor dem mißverstandenen Lachen ihn tötet. ("Or voit bien Merlins qu'il morra/ S'il ne parole, et qu'il pora/ Salver sä vie par le dire" [6305-7]). Der geschwind eskalierende Zorn des Königs angesichts Merlins Weigerung, die gewünschte Auskunft zu geben, führt zum Streit um das im Lachen angedeutete Wissen, um Information, um Kontrolle, um Macht. "Merlin, par foi,/ Di por quoi resis tu de moi" (6413). Merlin weiß etwas, wovon der König ahnt, daß es ihm schaden könnte. Je mehr er und sein Hofstaat Merlin jedoch drängen, desto weniger zeigt sich Merlin geneigt zu reden. Er genießt den in seiner Rolle implizierten Wissensvorsprung, "Tant li delite li taisirs/ Que paries li est nonplaisir" (6281-2). Anders als das gesellschaftlich erzwungene Schweigen der Frau, ist Merlins Weigerung, sich zu erklären, ein Spiel mit Informationen, die bewußt vorenthalten, und deren potentieller Wert durch Merlins Lachen in den Köpfen der Umstehenden erheblich gesteigert wird. Sein Lachen erscheint als Ablehnung der im gemeinsamen Lachen gegebenen Integrationsmöglichkeit, die ihm, dem Außenseiter den Wiedereintritt in die höfische Gesellschaft ermöglichen könnte.17 Deshalb wirkt Merlins Lachen auch auf die Zuhörer am Hof bedrohlich; sie fürchten seine darin angedeutete Überlegenheit.18 Und das mit Recht, denn es stellt sich alsbald heraus, daß Merlin dem König die geheimen Gedanken und versteckten Identitäten der höfischen Gesellschaft offenbaren kann, ganz besonders die für den Erzählverlauf wichtigen Identitäten der Frau/des Mannes Silence und des
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Heather Lloyd, "The Triumph of Pragmatism: Reward and Punishment in Le Roman de Silence" Rewards and Punishments in the Arthurian Romances and Lyric Poetry of Mediaeval France, ed. Peter V. Davies and Angus J. Kennedy, Arthurian Studies 17 (Cambridge, 1987) 88. B. Ekmann, "Lachkulturforschung" 30. John Morreall, Taking Laughter Seriously (Albany, 1983) 6.
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Mannes/der Frau, der/die sich als Liebhaber Eufemes im Gefolge der Königin aufhält.19 Merlins Lachen enthüllt Geheimnisse; es signalisiert aber auch die Sinnlosigkeit menschlicher Sorgen und Pläne, "laughter bursts forth at the sudden revelation of the relativity of everything."20 Er lacht über die Blindheit eines Bauern, der in Unwissenheit seines nahen Endes ein paar neue Schuhe kauft und über einen Mann, der am Grabe seiner Frau weint, die ihn mit dem Priester betrogen hatte, der ihre Grabrede spricht. Merlins Lachen macht dem dynastischen Versteckspiel am englischen Hof ein Ende. Er deckt das Geheimnis des falschen Ritters Silence auf und ordnet so die höfischen und die genealogischen Verhältnisse, die durch die sexuelle Begehrlichkeit der Königin und die unbedachten Erbschaftsbestimmungen des Königs in bedrohliche Unordnung geraten waren. König Ebain darf die Unklarheiten impliziert in Merlins Lachen nicht dulden. Zuerst Lachen und dann Schweigen gefährden nicht nur Merlins Leben, sondern auch die höfische Ordnung: im Augenblick höchster Spannung und scheinbarer Lebensgefahr zeigt sich Merlin bereit zu reden. In diesem Augenblick erkennen Hofgesellschaft und König, daß Merlin - seiner göttlich/teuflischen Natur entsprechend - der einzige ist, der alle und alles durchschaut. Merlin wird zum idealen Leser, der nicht nur die offensichtlichen, allen zugänglichen Zeichen versteht, sondern der auch den Sinn, "la verte fine," wie Heldris es nennt (6525), hinter den Worten und den Erscheinungen erkennt.21 Seine magische, andeutungsweise auch satanische Gabe, Dinge zu sehen, die anderen verborgen bleiben, führt dazu, daß die sexuelle Unordnung, das potentielle gesellschaftliche Chaos - Silence kann als 'männliche' Frau nicht zeugen, die Königin zeugt mit ihrem Liebhaber möglicherweise Bastarde - der Ordnung weichen muß. Die in jeder Hinsicht exemplarische Silence wird Königin; sie tritt nun in die Rolle, für die nature, Frau Natur, sie ursprünglich geschaffen hat. Die Herrschaftspositionen sind bis auf weiteres gesichert. Silence tauscht männliches Reden ein gegen weibliches Schweigen. Spiel und Gegenspiel erreichen ihr gesellschaftliches Equilibrium.
19 20 21
Mikkel Borch-Jacobsen, "The Laughter of Being," MLN 102.4 (1987): 754. Borch-Jacobsen, 754. Kate Mason Cooper, "Elle et L: Sexualized Textuality in: Le Roman de Silence," Romance Notes 25, 3 (1985): 348; Simon Gaunt, "The Significance of Silence," Paragraph: A Journal of Modern Critical Thought 13, 2 (1990): 205.
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IV
Das teuflische Bedeutungspotential, angedeutet in Merlins Lachen, erscheint mehr als zwei Jahrhunderte nach der Veröffentlichung des Roman de Silence im Malleus Maleficarum. Hier geht es ebenfalls um Reden und Schweigen, um Lachen aber auch um Weinen, und ganz besonders um Sexualität und gesellschaftliche und religiöse Ordnung, um interpretative Akte, um "estrangement and complicity."22 Die fehlende petit cose der Silence und die 'männlichen' Genitalien der Dame escolliee, die zum Lachen anregten und der Sozialdisziplinierung und Wahrheitsfindung dienten, sind im Kontext der von Satan und der Hexe gefährdeten menschlichen Sexualität alles andere als lustig. Institoris berichtet, daß es Hexen gebe, "welche bisweilen [männliche Genitalien] in namhafter Menge, zwanzig bis dreißig Glieder auf einmal, in ein Vogelnest oder einen Schrank einschließen, wo sie sich wie lebende Glieder bewegen, Körner und Futter nehmen" (MM III, 85).23 Institoris berichtet von einem Mann, der nach Verlust seines Penis zu einer Hexe gegangen sei, die ihm geraten habe, auf einen Baum zu steigen und ein Glied aus eben so einem Nest herauszunehmen. "Als er ein großes nehmen wollte, sagte die Hexe: 'Nein, nimm das nicht'; und fügte hinzu, es gehöre einem Weltgeistlichen" (MM III, 86). Im Fabliau, wo sich Genitalien auch zuweilen allein auf den Weg machen, sprechen oder auch nicht, wachsen oder auch nicht, wäre eine solche Beschreibung Anlaß zum Lachen. Die meisten Leser des Malleus, besonders in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts, fühlten sich trotz der hier nicht zu überhörenden Klerikerkritik sicher nicht zum Lachen ermuntert. Die Verbindung von Magie und Sexualität - dem Leser von Fabliaux nicht unbekannt und in der Geburt der Liebesgöttin Venus und in Merlin personifiziert - nimmt gegen Ende des 15. Jahrhunderts bedrohliche Züge an.24 Im Hexenhammer steigert sich diese Bedrohlichkeit bis zur Dämonisierung ganz besonders der weiblichen Sexualität. Das Lachen vergeht dabei beiden Geschlechtern. Wenn trotzdem gelacht wird, dann hat das andere Gründe. Es ist nicht das befreiende Lachen gemeinsamen Einverständnisses, des Erkennens oder der Schadenfreude, sondern das hilflose Lachen der Ohnmacht angesichts der Inquisition oder das teuflische Gelächter gemeinsamer Sündhaftigkeit,
22 23 24
Longworth, "Interpretive Laughter" 20. Jakob Sprenger und Heinrich Institoris, Der Hexenhammer (Malleus maleficarum), ed., übers. J.W.R. Schmidt (1906; München, 1990). Alexandre Leupin, Barbarolexis: Medieval Writing and Sexuality, übers. Kate M. Cooper (Cambridge, 1989) 60. Leupin zitiert Alain de Lille, De planctu naturae, concerning homosexuality, "I turn from laughter to tears ... when Venus wars with Venus and changes 'hes' to 'shes' and with her witchcraft unmans man."
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zelebriert in der Ausgelassenheit des Hexensabbats, der in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts im Zentrum der Hexenpanik zu stehen kommt. Im Malleus erscheint eine der folgenreichsten Hexentheorien in ihrer ganzen grausamen Systematik. Institoris stellt fest, daß den Gefühlsäußerungen von Hexen kein Glauben zu schenken sei, denn Lachen und Weinen als Zeichen wahrer, ehrlicher Gemütsbewegung - wie Glück, Freude, Reue, Angst, Verzweiflung - seien den Hexen bei der Paktschließung mit Satan verlorengegangen. Auch wenn sie bei Verhören und Folterungen zum Weinen ermutigt werde, sei die Hexe, so der Malleus, unfähig, Tränen der wahren Reue und des Schmerzes zu vergießen. Um diesen Mangel zu vertuschen, reibe sie sich Speichel auf die Wangen und versuche, den Richtern Reue oder Angst vorzutäuschen (MM III, 91). Die Umkehrung aller Glaubens- und ErfahrungsWahrheiten angesichts der Satansbuhlschaft der Hexen macht eine Verteidigungsstrategie seitens der Hexe von Anbeginn schwierig, ja meistens zunichte. Ihr wird die Möglichkeit verwehrt, ihre Gefühlsregungen für sie sprechen zu lassen, womöglich an die Milde der Richter zu appellieren. Das Schmerzensgeheul der Gequälten, deren Unschuldsbeteuerungen und die sachlichen Verhöre und Urteilsbegründungen der Juristen bestimmen den Gerichtsdiskurs. Heinrich Institoris und die späteren Dämonologen warnen die Richter wiederholt, daß es schwierig sei, hexische Seelenregungen zu "lesen," und daß dadurch die Prozeßführung gegen Hexen erheblich erschwert werde. Ein Jahrhundert nach der Veröffentlichung des Malleus Maleßcarum rät der bekannte und oft zitierte Hexenjurist Jean Bodin, man solle Hexen nicht allein lassen, da sie vom Teufel Stärkung und Trost erführen, daß sie aber auch - in Augenblicken melancholischer Gemütsverdunkelung - zu Selbstmord neigten.25 Er zitiert Institoris und Danaeus bezüglich der Unfähigkeit der Hexen, zu weinen, schildert aber Fälle, wo Hexen angesichts von Folter und Hinrichtung lachen und springen (190). Bodin zitiert den Dämonologen Petrus Grillandus und dessen Beschreibung der satanischen Kontrolle über die Gefühlsäußerungen der Hexen: der Leutnant von Ribemont habe erzählt, "daß jm vnder ändern Vnholden/ denen er jhr Recht gethan/ eine bekant/ sie mögen nicht mehr denn drei Zähren auß dem Rechten Äug verzören" (229). Die angebliche Unzulänglichkeit, Falschheit und willentliche Irreführung durch hexische Gefühlsregungen kann kaum eindringlicher demonstriert werden, als mit dem Weinen von drei Tränen angesichts von Todesdrohung und Verdammnis. Die Zerstörung der Möglichkeit der unzweideutigen emotiven Kommunikation zwischen Ankläger und Opfer wird, angefangen mit dem Malleus, zum inkriminierenden Merkmal des Hexenwahns und der Prozeßführung.
25
Jean Bodin, Vom aussgelasnen wütigen Teuffelsheer, übers. Johann Fischart (1581; Graz, 1973) 173.
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Die Unverläßlichkeit, die völlige Umkehrung von 'normalen' menschlichen Gefühlsäußerungen gehört zur Definition der Hexerei als crimen exepium, als Verbrechen, das alle gewohnten rechtlichen Regeln außer Kraft setzt.26 Die Juristen sind angehalten, bei den Verhören jede Äußerung, jeden Seufzer, jedes Schweigen, jede Gesichts- oder Körperregung zu notieren, denn das Gespräch mit der Hexe war auch immer Kommunikation mit Satan. Lächelte oder lachte ein(e) Gefangene(r) doch einmal, weil vielleicht die Fragen zu absurd erschienen, so wurde dies im Prozeßprotokoll vermerkt. Ein solches Verhörprotokoll sei hier zitiert. Der der Hexerei angeklagte Stadtpfarrer Reichardt reagiert "mit lachendem Mund," total unfähig, auf eine Frage nach seinen Hexenkontakten; ein zweites Mal, lesen wir, habe er ebenfalls "lachend" auf eine Frage geantwortet; ein drittes Mal habe er auf die Frage, ob ein Seelsorger, der ein Zauberer sei, nicht mehr Schaden anrichten könne, als irgendeine andere Hexe, "mit lachendem mundt ohne Zweifel" geantwortet.27 Derselbe Geistliche erwidert auf die Frage, warum er beim Verhör denn überhaupt nicht weine, und warum er am Ort der Befragung keine Tränen vergieße, daß er dies vermeide, damit "man mechte eracht[en] er were schuldig" (167-68). Er weine jedoch allein in seiner Kammer (170). Er vergieße Tränen beim Lesen der Bibel, nur vor den Inquisitoren könne er nicht weinen. Die Verhöre zerstören die Normen menschlicher Kommunikation, er ist außerstande, seine Unschuld zu beweisen; die Richter können ihn aber auch nicht schuldig sprechen. Reichardt wird nicht verbrannt - er stirbt nach zwanzig Jahren Haft im Kerker eines "natürlichen" Todes. Im langjährigen Kampf gegen die Hexenverfolgungen spielt das ironische Lachen der Kritiker von Anbeginn eine wichtige Rolle. Einer, der versuchte, Ironie als Waffe gegen die Manie einzusetzten, war Johann Weyer, der die angeblich hexischen Gemütszustände zu pathologisieren und damit zu entdämonisieren suchte. Seinem Werk war erst Jahrzehnte nach seinem Tode Erfolg beschieden. Ebenfalls ein, wenn auch recht vorsichtiger, Verteidiger der Hexen war Johannes Scultetus (Anton Praeterius), dessen Gruendlicher Bericht von der Zauberey vnd Zauberern 1598 in Köln gedruckt wurde.28 Die allgemeine Überzeugung, daß Zauberer die Fähigkeiten hätten, Menschen in Tiere zu verwandeln, quittiert Scultetus mit einem buchstäblichen Lachen, "Ha, Ha, 26 27
28
Edward Peters, 'Folter': Geschichte der peinlichen Befragung, übers. Jost-Christian Rqjahn (1985; Hamburg, 1991). Harald Schwillus, Kleriker im Hexenprozeß: Geistliche als Opfer der Hexenprozesse des 16. und 17. Jahrhunderts in Deutschland, Forschungen zur fränkischen Kirchen- und Theologiegeschichte 16 (Würzburg, 1992) 145-150. Cf. Stuart Clark, "Glaube und Skepsis in der deutschen Hexenliteratur von Johann Weyer bis Friedrich Spee," Vom Unfug des Hexen-Processes: Gegner der Hexenverfolgungen von Johann Weyer bis Friedrich Spee, ed. Hartmut Lehmann und Otto Ulbricht (Wiesbaden, 1992)15-33.
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He," heißt es im Text (86). Faust verachtet er als billigen Possenreißer. Auf mehreren hundert Seiten nimmt Scultetus nicht nur die vermeintlichen Hexen in Schutz, sondern er attackiert scharf und oft mit an Sarkasmus grenzender Ironie auch die Ankläger und das Gerichts- und Herrschaftssystem, die die Hexenverfolgungen nicht nur tolerieren, sondern ermutigen. Als sicheres Mittel gegen die Hexerei schlägt er vor, man solle "alle Gemache deß ganzten Hauses jmmer wol butzen und sauber halten/ mit gutem Rauchwerck/ Dunst vnd Gestankt dämpfen. Deß Viehs auch warnemen mit Krippenfegen/ vnd was darzu gehoeret" (80). Sauberkeit ist dem Calvinisten Scultetus noch immer ein probates Mittel gegen Zauberei. Die Suche nach dem Hexenmahl und die Nadelprobe verlacht er buchstäblich, "sie [die Inquisitoren] geben vor/ der Teuffei sitze den Hexen in Haaren und Scham/ den woellen sie so vertreiben./ O deß armen Teufels/ d'sich mit so kleiner Liechtsflam vnd Rauch verjagen läßet/ das doch ein Kind außblasen kondet" (264-5). Bevor eine derartig ironisierende Haltung die gelehrte und Laienöffentlichkeit maßgeblich beeinflußen und die Hexenangst schwächen kann, vergehen noch mehrere Jahrzehnte. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erreichen die Hexenverfolgungen erneute und erschreckende Höhepunkte. Besonders zerstörerisch wütet der Hexenwahn im baskischen Grenzland zwischen Frankreich und Spanien. Der Jurist und Dämonologe Pierre de Lancre berichtet von einem der Hexerei verdächtigten Basken namens Isaac de Queyran, dem das Lachen eines Kindes zum Verhängnis wurde. De Lancre schildert diese Episode in seinem mehrfach edierten und aufgelegten Tableau de l'inconstance des mauvais anges et demons (1612).29 Als besagter Isaac nach längerer Abwesenheit ("aprez auoir change plusieurs fois de maistre," 145) im Haushalt eines ehemaligen Dienstherren auftaucht, führt dieser ihn zu seinem Sohn, der bei Isaacs Anblick auflacht ("lequel se print ä rire aussi tost qu'il le vit," 148). Die Eltern bitten Isaac, bei Gelegenheit wiederzukommen, "croyant parce qu'ils auoyent veu rire ä ce premier abbord, qu'il print quelque plaisir ä levoir" 148). Auf Drängen des Teufels (maling Esprit) kehrt er nachts ins Haus zurück, schiebt dem schlafenden Kind ein vergiftetes morceau in den Mund, worauf das Kind schwer erkrankt. Drei Monate ist es unfähig, zu sprechen, bis eine Reliquie der Heiligen Apollonia ihm die Zunge soweit löst, daß er diese bewegen und Zeichen machen kann (152). Die Metamorphose des lachenden Kindes zu einer stummen, stammelnden Kreatur, womöglich unter teuflischer Kontrolle, läßt sich unschwer in de Lancres Weltverständnis einordnen. Der Mensch, ganz besonders schutzlose Kinder, ist überall und immer gefährdet. Isaac selbst hatte sich dem Teufel im Kindesalter von zehn oder zwölf verpflichtet. Er hatte häufig dem Sabbath
29
Pierre de Lancre, Tableau de l'inconstance des mauvais anges et demons (Paris, 1612).
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beigewohnt. Auf dem Weg über seine lachende Unbefangenheit findet Satan den Weg zu dem Kind, genau wie er Jahre zuvor Zugang zu Isaac gefunden hatte.
In den zitierten Texten wird das Fremde im Kontext des Vertrauten an den verkehrten Verhaltensweisen sichtbar und erkennbar: die Frau mit männlichen Geschlechtsteilen im Bauch, die Hexe, die lacht, anstatt zu weinen, das Kind, dessen Lachen Vertrautheit signalisiert und Sprachverlust durch Teufelslist herbeiführt; der Liebeskranke, für den Lachen und Weinen jeden Bezug zu 'normalen' Gemütsregungen verlieren. Im Kontext solcher Verfremdungen ist es nicht verwunderlich, daß auch das Fremde in der Neuen Welt den frühneuzeitlichen Menschen nicht nur mit unbekannter Flora und Fauna konfrontiert, sondern auch mit fremdartigen, 'verkehrten' Gefühlsäußerungen der neuen Menschen. Jean de Lery berichtet über die Tupinamba, daß deren Willkommensrituale nicht nur Lobpreisungen, sondern auch rituelles Weinen einschließen. Er berichtet, daß er gesehen habe, wie die Frauen große Tränen vergießen, und daß der Besucher genötigt worden sei, zumindestens ein bißchen zu seufzen. Offensichtlich waren die Frauen für dieses Ritual zuständig; sie versammelten sich um den Besucher und "wein[t]en so den Willkommensgruß" (316). De Lery gibt uns keine Erklärung für dieses ihm merkwürdig erscheinende Verhalten. Die Umkehrung rudimentärer europäischer Umgangsformen ermöglicht es ihm jedoch, dem Leser mit wenigen Worten ein Gefühl für das Fremde an diesen neuen Menschen zu vermitteln. Zum Diskurs über die Einwohner der Neuen Welt gehört es von Anbeginn, daß sie als nicht adamitische Völker nicht wirklich mit den Europäern verwandt waren, und somit völlig andere Umgangsformen praktizierten.30 Die Begrüßung mag dem Leser zwar seltsam erscheinen, aber da er zuvor schon von den menschenfresserischen Bräuchen der Eingeborenen gehört hat, ist es ihm ein Leichtes, diese Seltsamkeit in ein schon vorgeformtes Bild einzufügen. Es geht hier weniger um das Interesse an oder um das Verständnis von den Gefühlen, die hinter dem fremden Brauch stecken könnten, als um den Wunsch, das ganz Fremde, völlig andere, aber doch noch irgendwie Menschliche in diesen Fremdlingen darzustellen. Sie lachen, weinen, essen, lieben und gebären, aber eben ganz anders als die europäischen Eroberer.
30
Sergio Landucci, /filosofi e i selvaggi: 1580-1780 (Bari, 1972) 23, 78. Auch Paracelsus beschreibt diese Menschen als nicht adamitisch in der Philosophia Sagax, 68.
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Wir kommen auf Joubert zurück. Lachen und Weinen sind menschlich; sie bleiben als Gemütsregungen geheimnisvoll, indizieren das Andere, Gefährliche, Erstaunliche, stellen Verbindungen her zur Sexualität und zu gesellschaftlichen Ordnungsimperativen. Im Erzählzusammenhang der Texte, die hier zur Debatte standen, signalisieren sie unterschiedliche narrative Möglichkeiten, Spannung und Verhüllung, Gefahr und Drohung; sie ermöglichen die Andeutung komplexer seelischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge und potentieller Lösungen. Lachen erweist sich häufig als geschlechtsspezifisch, sowohl im Erzählzusammenhang als auch in der Leserrezeption. Lachen und Weinen sind menschlich, wann jedoch gelacht und geweint wird, und wer lacht und weint - all das bleibt historisch, gesellschaftlich und geschlechtlich wandelbar.
JOERG O. FICHTE Lachen und komplexe narrative Strukturen in der mittelenglischen höfischen Romanze
Die Sonderstellung der me. Literatur ist ein bekanntes Phänomen: die englische Literatur im Hochmittelalter beginnt aufgrund der politischen Entwicklungen mit etwa einhundertfünfzigjähriger Verspätung. Auch im Hinblick auf die in der me. Literatur vertretenen Formen des Lachens macht sich diese zeitliche Verschiebung des Epochenbeginns bemerkbar; denn wenn auf dem Kontinent, z.B. in den höfischen Romanen Chretien de Troyes, schon sehr komplexe Formen des Lachens auftreten, findet man in der frühen me. Literatur des 13. Jahrhunderts überwiegend stereotype Formen, die sowohl für dieses Jahrhundert wie auch für spätere Jahrhunderte von der Forschung registriert und untersucht worden sind.1 Diese Formen des Lachens sind vor allem gattungs- bzw. typenabhängig. Gattungen und Typen sind wiederum soziologisch bedingt: in einem Land, in dem sowohl Adel als auch Klerus bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts fast ausschließlich Französisch bzw. Latein und Französisch sprachen und Englisch erst im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts zur allgemein anerkannten Literatursprache avancierte, blieb das Medium Englisch zunächst auf homiletische, legenden- und lehrhafte Dichtung beschränkt. Dazu traten noch ein paar vereinzelte weltliche Werke, vornehmlich La3amons Brut, eine Übertragung des höfischen Romans von Meister Wace ins Heroisch-Epische, und einige Romanzen (die englischen Varianten des höfischen Romans), die ebenfalls aus dem Französischen übertragen wurden. Wird in diesen Werken überhaupt gelacht, dann auf eine Art und Weise wie man es erwartet: die Heiligen lachen noch angesichts der schlimmsten Torturen über ihre Peininger, da sie sich der Freuden des Himmels gewiß sind,2 und die Helden im Brut, einschließlich König Artus, lachen verächtlich über
' Cf. H. Reinhold, Humoristische Tendenzen in der englischen Dichtung des Mittelalters (Tübingen, 1953); Gerhard Wahrig, "Das Lachen im Altenglischen und Mittelenglischen," ZAA 3 (1955): 274-304; Günther Blaicher, "Über das Lachen im englischen Mittelalter," DVjs 44 (1970): 508-29. 2 St. Lucy in The Early South-English Legendary, ed. Carl Horstmann, EETS 87 (1887) 105, 153-54; St. Edmund the king in The Early South-English Legendary, 298, 43-52; The Life of Saint Katherine, ed. E. Einenkel, EETS 80 (1884) 73,
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ihre Feinde.3 Beide Formen des Lachens sind hier Ausdruck einer gemeinsamen Grundhaltung: Geringschätzung und Verachtung des Gegners. Freudiges Lachen findet man zwar auch in den Romanzen und im Brut, aber diese Form des Lachens wird entweder mit dem idealen Helden4 oder mit den Göttern assoziiert5 und bleibt die Ausnahme im irdischen Bereich, wo freudiges Lachen oft Lüsternheit impliziert.6 In der geistlichen Dichtung verweist das freudige Lachen auf das "aa lestinde lahtre" [immerwährende Lachen], das den Gläubigen nach seinem Tod im Himmel erwartet.7 Es ist das in Lk. 6, 21 verheißene eschatologische Lachen. Alle anderen Arten des Lachens sind Sünde, wie die vielen Eintragungen im Middle English Dictionary belegen.8 Wer auf Erden lacht, verliert sein Seelenheil, denn Lachen, zusammen mit Eigenliebe und körperlicher Lust, beschwert die Seele.9 "Mann is swa blind Pat he farP to helle Iei3inde" [der Mensch ist so blind, daß er lachend zur Hölle fährt] heißt es im Traktat Vices and Virtues.10 Festzuhalten wäre also, daß die Bedeutungsformen des Lachens in der englischen Literatur des 13. Jahrhunderts äußerst begrenzt sind. Das Lachen ist entweder töricht, ein Zeichen der Welthaftigkeit und Sündhaftigkeit," oder es entspricht Hobbes' Definition vom Lachen als Ausdruck von "sudden glory," d.h. es ist Ausdruck eines plötzlichen Gefühls der eigenen Überlegenheit.12 Ein positives glückliches Lachen findet sich nur selten und gelächelt wird überhaupt nicht. Die ersten vereinzelten Belege dafür stammen aus der Zeit nach 1300 - erst im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts nehmen sie zu.13 In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ändert sich an diesem Sachverhalt wenig, wenngleich in der nun vermehrt auftretenden Gattung der Romanze ein fröhliches Lachen aus Lust und Freude jetzt häufiger zu finden ist. Allen diesen Formen des Lachens ist jedoch eines gemeinsam, nämlich Eindimen-
3
LaSamon, Brut, ed. G.L. Brook and R.F. Leslie, EETS 250 & 277 (1963 & 1978) 584, 11187; 618, 11836; 626, 11968-70. 4 Havelok the Dane, Middle English Verse Romances, ed. Donald B. Sands (New York, 1966) 82, 945-46: "Of alle men was he mest meke / Lauhwinde ay and blithe of speke." 5 La3amon, Brut 32, 614 (Hs. Caligula). 6 Ibid. 482, 9251-53 (Hs. Caligula); 678, 12966-67 (Hs. Caligula). 7 The Life of Saint Katherine 114, 2294. 8 Middle English Dictionary, ed. Hans Kurath and Sherman M. Kühn (Ann Arbor, 1957) 715. 9 Pater Noster in Old English Homilies, ed. R. Morris, EETS 53 (1873) 29. 10 Vices and Virtues, ed. Holthausen, EETS 89 (1888) 127, 5. " In dieser Hinsicht steht auch die frühmittelenglische Literatur fest in der europäischen Tradition. Cf. Gerhard Schmilz, "Ein Narr, der da lacht ... Überlegungen zu einer mittelalterlichen Verhaltensnorm," Vom Lachen, ed. Th. Vogel (Tübingen, 1992) 129-53 und die dort zitierte Literatur sowie Karl-Josef Kuschel, Lachen: Gottes und der Menschen Kunst (Freiburg/Basel/Wien, 1994) 85-116. 12 Thomas Hobbes, Leviathan, ed. A.R. Waller (Cambridge, 1904) 34. 13 Cf. Gerhard Wahrig, "Das Lachen im Altenglischen und Mittelenglischen" 413ff.
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sionalität. Das Lachen läßt sich genau zuordnen. Es ist entweder abschätzig, abwertend, höhnisch, sündhaft, töricht, gelegentlich triumphierend und selten freudig. Es ist weder rätselhaft, noch prophetisch, noch unverständlich. Es läßt sich eindeutig auf eine Situation oder Person beziehen und ist immer nach außen gerichtet. Ein Lachen über sich selbst oder ein gemeinsames Lachen aus unterschiedlichen Gründen fehlt in diesen Texten, die eine Vielschichtigkeit bzw. eine gewisse Ambiguität vermissen lassen. Von ihrer Stimmung und ihrer narrativen Struktur her sind sie eindeutig. Komplexität in der Aussage und Handlungsführung, die durch die Überlagerung mehrerer Perspektiven auch im Lachen erreicht werden könnte, findet man nicht. Diese Eindimensionalität ist natürlich auch durch die Struktur der verschiedenen Texttypen bedingt, in denen die narrative Entwicklung gradlinig bzw. chronologisch verläuft. Für expositorische Texte (Predigten, Homilien und Specula der verschiedensten Art) ist gradlinige Präsentation selbstverständlich - hier kommt es auf die klare Vermittlung von Sachverhalten an. Von den beiden Hauptvertretern nicht-expositorischer Texte, die nach dem biographischen Muster aufgebaut sind, nämlich Heiligenlegenden und Romanzen, folgt die Heiligenlegende dem bekannten Schema: Erwählung, Prüfung, (Martyrium) und Erhöhung. Die Handlung strebt auf diese Handlungsknoten zu, d.h., die Handlungsführung verläuft chronologisch, eindimensional. Im Aufeinandertreffen von Heiligem/er und seinen/ihren weltlichen Widersachern gibt es keine Ambiguität und deshalb auch keine komplexen Situationen. Das Lachen der Heiligen ist somit eindeutig definierbar: es richtet sich gegen das blinde und letztendlich vergebliche Wüten der Peiniger und basiert auf Heilsgewissheit. Sollten auch die Widersacher lachen, dann kann ihr Lachen nur törichtes Lachen sein, wie es immer wieder in den Traktaten über Tugenden und Laster angeprangert wird. Andere Formen des Lachens sind in dieser Gattung nicht vorstellbar. Der höfische Roman (vor allem der Prosaroman), der auch biographisch angelegt sein kann, muß nicht unbedingt chronologisch strukturiert sein - das zeigt im Französischen z.B. das komplizierte Handlungsgeflecht des ProsaLancelot aus dem Vulgata-Zyklus, in dem es eine Reihe von parallellaufenden Handlungssträngen gibt. In Handlungsknoten kommen mehrere dieser Stränge zusammen, d.h., mehrere Ebenen überlagern sich, so daß aus dem Zusammenspiel von partiellem Wissen der handelnden Figuren, dem Wissensvorsprung des Publikums und der Allwissenheit des Erzählers polyvalente Bedeutungen entstehen. An diesen Punkten ist auch ein mehrdeutiges Lachen möglich, das den Sachverhalt nicht oder nur unzureichend trifft und das auf den Lachenden zurückschlagen kann, oder aber eine Bedeutung hat, die den anderen Figuren verborgen bleibt bzw. nicht von ihnen akzeptiert wird. Dieses vielschichtige Lachen beherrscht bezeichnenderweise die Galehaut-Episode, in der ein heimliches Treffen von Lancelot und Guenever arrangiert wird. Hier ist das
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Lachen aller Beteiligten (mit Ausnahme von Artus) immer ein wissendes bzw. konspiratives Lachen, denn alle, außer Gauvain, der als einziger das volle Ausmaß dieser Liebe erahnt, haben unterschiedliche Kenntnisse von Lancelots Liebe zu Guenever und Guenevers Liebe zu Lancelot. Nur Artus' Lachen erfolgt in völliger Unkenntnis der Sachlage und entbehrt somit nicht einer gewissen Pikanterie, wenn er z.B. über Gauvains Erklärung lacht, der behauptet, er würde einzig und allein dem Schwarzen Ritter (alias Lancelot) gehören wollen, wäre er eine Dame, und wenn Guenever lacht, die, die Identität des Schwarzen Ritters erahnend, Gauvain beipflichtet. Erst bei dem von Galehaut arrangierten Zusammentreffen von Lancelot und Guenever offenbart sich die im Lachen und Lächeln versteckte und nur von Gauvain erahnte Wahrheit, die nicht einmal die beiden selbst kennen, eine Wahrheit, die sofort wieder vor den Augen der Welt, und vor allem vor Artus, verborgen werden muß.14 Komplexe Formen des Lachens sind jedoch auch im einsträngigen biographischen Roman möglich: hier kann Lachen den Ausgangspunkt einer Handlungskette markieren und so die Struktur des Romans mitbestimmen. In Chretiens Conte du Graal findet sich eine solche markante Stelle am Anfang des Werks, wenn der junge Perceval am Hof von König Artus von dem immer zu Spott und Hohn neigenden Keu verspottet wird. Keu schickt Perceval aus, um das offensichtlich Unmögliche zu tun, den Roten Ritter zu besiegen. Seines unhöfischen Benehmens wegen wird Keu von Artus getadelt, der dem Dümmling ritterliche Fähigkeiten nicht einfach absprechen will. Der schon im Gehen begriffene Perceval grüßt eine junge Hofdame (bei Wolfram Cunnewäre genannt), die seinen Gruß lachend erwidert und behauptet, er werde dereinst der beste Ritter der Welt sein. Nun hat diese Verheißung keinen auktorialen Rang, denn Chretien betont zweimal, daß es sich nur um die persönliche Meinung des Mädchens handelt. Trotzdem gewinnt die Aussage an Glaubwürdigkeit angesichts der Tatsache, daß das Fräulein sechs Jahre lang nicht gelacht hat. Zornig springt Keu auf, schlägt das Fräulein und befördert den am Kamin sitzenden Narren mit einem Fußtritt ins Feuer, weil dieser oft zuvor geweissagt hatte, daß das Fräulein nicht lachen würde, bis es die Krone der Ritterschaft erblickte. Der Narr schreit, das Mädchen weint und der junge Perceval reitet davon. Damit endet die Szene.15
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Le Livre de Lancelot del Lac, The Vulgate Version of the Arthurian Romances, ed. H. Oskar Sommer (Washington, 1910) III, 1: 253-63. Die Aufzählung der in dieser Episode vertretenen Arten des Lachens von Philippe M6nard, Le Rire et le sourire dans le roman courtois en France au moyen age (Geneve, 1969) 438, berücksichtigt in keiner Weise deren Zusammenspiel, so daß bei seiner Diskussion der Aufbau der Szene unerörtert bleibt. Die Szene wird übrigens im wesentlichen unverändert vom deutschen Übersetzer/Bearbeiter übernommen. Cf. Lancelot: Nach der Heidelberger Pergamenthandschrift Pal. Ger. 147, ed. Reinhold Kluge (Berlin, 1948) 285. Les Romans de Chretien de Troyes, Le Conte du Graal, ed. Felix Lecoy (Paris, 1981) I: 36-37, 1031-64.
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Als glaubwürdigen Propheten am Artushof fehlt es sowohl dem Mädchen als auch dem Narren an Autorität, obwohl der Narr, der sich immer in Opposition und Distanz zur höfischen Gesellschaft befindet, gerade aufgrund seiner fehlenden Autorität eine gewisse Glaubwürdigkeit besitzt. Angesichts von Percevals Unbedarftheit jedoch erscheinen die Prophezeiungen der beiden geradezu närrisch, denn Perceval wirkt in der höfischen Umgebung selbst wie ein Narr - Yonet z.B. lacht noch über Percevals unbeholfenen Versuch, dem Roten Ritter die Rüstung auszuziehen. Trotz, oder gerade wegen dieser Inkongruenzen hinterläßt das prophetische Lachen des Mädchens einen Nachhall, denn es verweist auf Percevals Bestimmung, von der er wegen seiner Unwissenheit und Mangel an Bildung noch weit entfernt ist. In diesem Lachen des Mädchens liegt die Zuversicht, daß Pereceval dereinst der Beste sein wird, und, wie sich später erweisen wird, der Erlöser. Der Weg zu diesem Ziel ist jedoch beschwerlich. Das Lachen bildet den Ausgangspunkt für eine Aventiurenkette, die einerseits Percevals Entwicklung zum besten Ritter verfolgt und andererseits auch den vorlauten Keu in seine Schranken weist; der wird schließlich sogar von Perceval aus dem Sattel geworfen und bricht sich den Arm, wie es der Narr vorausgesagt hatte, als Yonet dem Hof von Percevals Sieg über den Roten Ritter berichtete. Obwohl Perceval zu diesem Zeitpunkt noch die größte Prüfung seiner Ritterschaft bevorsteht, hat sich die erste Prophezeiung des Narren bereits bewahrheitet - Percevals Sieg über Keu -, so daß seine zweite, die das verheißende Lachen des Mädchens betrifft, an Glaubwürdigkeit gewinnt. So wird denn das Lachen des Mädchens zum Drehund Angelpunkt der Perceval-Handlung, die durch dieses Lachen strukturiert wird. Viermal während des Handlungsverlaufs wird die in diesem Lachen implizierte Weissagung wieder aufgenommen, die in der Erlösung des Gralkönigs ihre Vollendung finden soll. Durch diese Erlösungstat wird Perceval zum besten Ritter, wie es das lachende Mädchen prophezeit hatte. Damit wird aber auch der Artushof als höfische Utopie negiert, an dessen Stelle nun das Gralskönigtum tritt. Das verheißende Lachen impliziert also, selbst wenn es zu diesem Zeitpunkt noch nicht deutlich wird, letztendlich auch den Untergang der Artusgesellschaft, wie er im Morte Artu erzählt wird (Adolf Muschg hat dies im Kapitel "Das Lachen zu Nantes" in seinem Roman Der Rote Ritter richtig erkannt). Auch in der me. Literatur ist eine Parzival-Version überliefert, Sir Perceval ofGalles, die aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts stammt (1300-1340), d.h. über hundert Jahre später als Chretiens Werk entstanden ist. In dieser Romanze fehlt sowohl die Gralssuche als auch die Gawain-Handlung. Anstelle des Chretienschen Doppelkreisschemas finden wir folgende, für die me. Romanzenliteratur charakteristische, Struktur: der Motivkomplex 'Verlust und Wiedererlangung' ist mit dem Motivkomplex 'Liebe und Heirat' verbunden. Der erste Motivkomplex besteht aus der Episodensequenz: Verlust, Adoption,
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Erkennung und Wiedererlangung; der zweite aus der Episodenfolge: Liebe, gefährdete Heirat, Befreiung und Heirat. Wie Susan Wittig überzeugend nachgewiesen hat, bestimmen diese beiden gerade erwähnten Motivkomplexe, die aus zwei bzw. vier unterschiedlichen, miteinander kombinierbaren Episodensequenzen bestehen können, die narrative Struktur der me. Romanze des 13. und 14. Jahrhunderts.16 Dieses rekurrente Strukturmodell ist auf Eindeutigkeit der Handlungsführung ausgerichtet, ein Anliegen, das durch die Charakterisierung der Figuren unterstrichen wird. Der Held, eine Art männliches Aschenbrödel, besiegt ohne größere Anstrengungen alle seine Gegner, die entsprechend der Gattungstradition stark negativ gezeichnet sind. Da es in den me. Romanzen nur gute oder schlechte Charaktere gibt, entstehen keine Schattierungen oder Abstufungen. Es gibt nur ein entweder-oder, nie aber ein sowohl-als-auch bei der Charakterisierung, d.h. jegliche Nuancen, die zu einem komplexeren Menschenbild führen könnten, werden verwischt.17 Darin gleicht die me. Romanze den Heiligenlegenden. Folglich ist auch das Lachen der Romanzenhelden, sollte es überhaupt vorkommen, wie das der Heiligen eindeutig bestimmbar. Man lacht zumeist über jemanden, selten mit jemanden und noch seltener aus Freude. Die beiden letzten Formen des Lachens, die ein Abrücken von der Ich-Bezogenheit der Charaktere ausdrücken, finden sich vor allem in späten, mehr höfischen Romanzen. In Sir Perceval of Gattes gibt es zwar Anklänge an schwarzen Humor, es wird aber nicht gelacht.18 Obwohl der Autor dem Prätext, Chretiens Conte du Graal, im ersten Teil folgt, reduziert er die Artushandlung radikal. Diese Reduzierung ergibt sich logisch aus dem völlig anderen Strukturprinzip. Da Grals- und Gawainhandlung durch die Suche nach und durch das Wiederfinden der Mutter ersetzt werden, bedarf es keines durch Lachen geäußerten prophetischen Verweises auf Percevals Entwicklung zum besten Ritter. Ein verheißendes Lachen mit quasireligiöser Bedeutung wäre in dieser radikal weltlich orientierten Romanze fehl am Platz. Im übrigen ist der me. Perceval, trotz seiner fortwährenden Bezeichnung als "fole one Pe filde" [Narr auf dem Feld],19 von Anfang an der überragende Kämpfer, der keinerlei Ausbildung in der Handhabung von Waffen benötigt (deshalb fehlt die Gornemanz de Goort-Episode). Er ist es auch, weil ein Romanzenheld gattungsbedingt der
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Susan Wittig, Stylistic and Narrative Structures in the Middle English Romances (Austin; London, 1978) 135-78. Siehe dazu den grundlegenden Aufsatz von Dorothy Everett, "A Characterization of the English Medieval Romances," E&S 15 (1929) 98-121, deren Thesen in leicht variierter Form immer wieder aufs neue formuliert worden sind. Cf. Sir Perceval of Gales, ed. J. Campion und F. Holthausen (Heidelberg, 1913) 38, 1189-92; 67, 2094-95, wo erzählt wird, daß Perceval die Köpfe der Sarazenen wie Hagelkörner auf dem Gras hüpfen ließ, und daß er den Kopf des Riesen, der seiner Mutter nachstellte, abrasierte wie ein Barbier einen Bart. Ibid. 10, 289; 17, 505; 22, 660; 22, 674; 22, 681; 39, 1211; 48, 1498.
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beste Ritter sein muß. Ein Entwicklungsprozeß, wie ihn das verheißende Lachen des Mädchens im Conte du Graal ankündigt und strukturiert, wäre in der englischen Version unangebracht. Da die me. Romanzen von ihrer Aussage her (Affirmation der bestehenden durchlässigen feudalen Gesellschaftsordnung), ihrer Struktur nach (die Verbindung der beiden von Susan Wittig herausgearbeiteten Motivkomplexe) und durch ihre Charakterisierung der Figuren (Helden und Schurken) eindeutig festgelegt sind, fehlt ihnen jegliche Entfaltungsmöglichkeit, die den Erwartungshorizont des Publikums überschreiten könnte. Auch in dieser Hinsicht ist die me. Romanze eindimensional, so wie das gelegentliche, fast ausschließlich moralisch motivierte Lachen, das dort anzutreffen ist. Komplexere Formen dieser literarischen Gattung erscheinen erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts und mit ihnen auch komplexere Formen des Lachens, das nun sowohl moralische als auch ästhetische Bedeutung haben kann. Das Lachen in diesen Texten erfüllt vier Funktionen: erstens wird es zur Charakterisierung der Figuren eingesetzt; zweitens bestimmt es die Kommunikation zwischen verschiedenen Figuren; drittens markiert es (in Sir Gawain and the Green Knight) bzw. strukturiert es (im Troilus) die Handlung; und viertens indiziert es interdiskursive Schnittstellen, d.h., in diesen beiden Werken die Opposition zwischen säkularer und theologischer Diskursebene. Im Gegensatz zum Verfasser von Sir Perceval of Gaues war der sehr belesene Autor (wahrscheinlich ein Kleriker) von Sir Gawain and the Green Knight mit den Strukturen des klassischen Artusromans vertraut, die er systematisch invertiert, ein Verfahren, bei dem er sich auch des Lachens bedient.20 Es gibt keine me. Romanze, in der mehr gelacht wird als in Sir Gawain and the Green Knight, was in der Forschung durchaus bemerkt worden ist. Befaßte man sich jedoch bisher ausschließlich mit dem Lachen als kommunikativem Akt zwischen den einzelnen Personen im Kontext einer ausgeprägten Spielhandlung,21 soll hier die Funktion des Lachens vor dem Hintergrund des arturischen Strukturschemas untersucht werden. Erwartungsgemäß beginnt die Romanze mit einer Beschreibung derjoie, die am Artushof zur Weihnachtszeit herrscht. Der junge König, der als "sumquat childgered" [etwas kindisch] (V.86) bezeichnet wird, ist so ungestüm, daß er
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Cf. dazu Joerg O. Fichte, "Historia and Fabula. Arthurian Traditions and Audience Expectations in Sir Gawain and the Green Knight," Festschrift Walter Haug und Burghart Wachinger, ed. Johannes Janota et al. (Tübingen, 1992) 589-602. R.H. Bowers, "Gawain and the Green Knight as Entertainment," MLQ 24 (1963): 333^11; Edward T. Jones, "The Sound of Laughter in Sir Gawain and the Green Knight," Mediaeval Studies 31 (1969): 343-45; Martin Stevens, "Laughter and Game in Sir Gawain and the Green Knight," Speculum 47 (1972): 65-78; Robert Longsworth, "Interpretative Laughter in Sir Gawain and the Green Knight" PQ 70 (1991): 141^7.
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wieder einmal nicht essen will, bevor er von einem Abenteuer oder einer wunderbaren Begebenheit gehört hat.22 Trotz der prachtvollen Beschreibung der Festgesellschaft, die sich zu Weihnachten in Camelot versammelt hat, ihrer köstlichen Bewirtung und ihrer ausgelassenen Festfreude - die Damen lachen laut, selbst wenn sie beim Spiel verlieren (V.69) -, ruft die Charakterisierung dieses jungen draufgängerischen Königs ein gewisses Unbehagen beim Leser hervor. Dieses Unbehagen verstärkt sich, wenn der Autor die Beschreibung der Festlichkeiten mit einer occupatio jäh beendet. Mitten in die Festfreude bricht plötzlich die Gegenwelt in Gestalt eines riesigen grünen Ritters mit einer Streitaxt herein. Und nun erlebt Artus mehr als er sich so unüberlegt zu Beginn der Mahlzeit gewünscht hatte. Er ist mit einem übernatürlichen Wesen (nicht einem gewöhnlichen Vertreter der Gegenwelt) konfrontiert, das nicht den geringsten Respekt für den König und seine erlauchte Ritterschaft zeigt. Mokant erzählt der Grüne Ritter, er habe soviel vom Ruhm und der Höfischheit der Tafelrunde gehört, die ja in aller Munde seien, daß er sich nun selbst davon überzeugen wolle. Er will ein Spiel spielen, wie es zu Weihnachten üblich sei, und schlägt das Köpfungsspiel vor. Als die Tafelrunde vor Angst in tiefes Schweigen verfällt, verhöhnt der Herausforderer Artus und seine Ritter. "Where is now your sourquydrye and your conquestes, / Your gryndellayk and your greme, and your grete wordes? ... Wyth Pis he Ia3es so loude Pat Pe lorde greued;" [Wo sind denn nun der Ruhm, der Stolz, der Kampfesmut, die Entschlossenheit und die großen Worte? ... Dann lachte er so laut, daß sich der Herr (Artus) ärgerte] (V.311-12, 316). Gawain nimmt schließlich die aventure an, ein Gawain, der hier ganz im Chretienschen Sinn der arturische Musterritter ist. Nachdem das makabre Spiel vorbei und der Grüne Ritter mit dem Kopf in der Hand zum Saal hinausgeritten ist, lachen der König und Gawain über den Grünen Ritter und das wundersame Ereignis, bevor man etwas gezwungen mit den Festlichkeiten fortfährt. In dieser ersten Fitte, die gleichzeitig den ersten Abschnitt des Strukturschemas des Artusromans bildet, die Herausforderung, bewegt sich das Lachen vom freudigen Gelächter der Hofgesellschaft als Ausdruck höfischer Freude über das verächtlich herausfordernde Lachen des Antagonisten bis zum hohlen, beklommenen Lachen als Reaktion auf eine groteske Situation. In diesem Lachen, das zwischen Aktion und Reaktion schwankt, spiegeln sich die verschiedenen Erfahrungen des Hofes, des Herausforderers und des Protagonisten. Bedeutsam für den weiteren Verlauf der Romanze ist besonders das letzte Lachen als Ausdruck von als grotesk erfahrener Inkongruenz. Es ge-
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Alle Zitate sind folgender Ausgabe entnommen: Sir Gawain and the Green Knight, ed. J.R.R. Tolkien and E.V. Gordon, 2nd ed. Norman Davis (Oxford, 1967).
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schiebt in dem Moment, da der Sinnhorizont der Artuswelt nicht mehr der menschlichen Erwartung seiner Protagonisten entspricht, so daß die Orientierung versagt und die Welt unheimlich wird. Auf diese Erfahrung des Unheimlichen und Entsetzlichen reagieren Artus und Gawain mit Lachen zum Selbstschutz, selbst wenn dieses Lachen im Halse stecken bleibt, eine Reaktion, die das Groteske vom Absurden unterscheidet, dem man weder mit Lachen begegnen noch es im Verlachen bewältigen kann. Die Angst bleibt, ja sie wird geradezu durch dieses Lachen erst artikuliert, das keine kathartische Wirkung besitzt. Sobald der Grüne Ritter mit dem Kopf in der Hand davongaloppiert - die größtmögliche Deformation der Realität -, besteht kein Zweifel mehr daran, daß Gawain sich auf eine aventure eingelassen hat, die ein normaler Sterblicher nicht bestehen kann. Trotzdem mahnt ihn der Erzähler: "Now I>enk wel, Sir Gawan, / For woPe Pat Pou ne wonde / Pis auenture for to frayn / Pat Pou hatz tan on honde. [Überlege dir gut, Sir Gawain, daß du nicht wegen der Gefahr davor zurückschreckst, das Abenteuer zu erproben, das du auf dich genommen hast] (V.487-90). Dieses hohle, beklommene Lachen angesichts einer grotesken Situation überlagert folglich das weitere Geschehen, denn der Autor, der hier zwar Worte der Warnung spricht, enthält dem Protagonisten und dem Leser jegliche Information über den Verlauf der aventure-Pahrt vor. Gawain und der Leser befinden sich von nun an in einer Welt, in der sich die Grenzen von Schein und Sein verwischen und dadurch das Einhalten von moralischen Normen erschwert wird, denn was Gawain für Realität hält, ist in Wirklichkeit nur inszeniert. Als Gawain sich ein Jahr später zu Allerheiligen auf die Suche nach dem Grünen Ritter begibt, erscheint nach einer kurzen abenteuerlichen Reise auf sein Stoßgebet hin eine wunderliche Burg am Weihnachtsabend. Er wird von den Burgbewohnern aufs höflichste empfangen, und als der Burgherr erfährt, daß sein Gast der berühmte Gawain ist, "Loude Ia3ed he Perat, so lef hit hym Po3t" [lachte er darüber laut, denn es war ihm so lieb] (V.909). Auch alle anderen sind hoch erfreut, weil sie hoffen, von Gawain wahre Höfischheit zu erlernen. Es scheint, als sei die aventure-Fahn erfolgreich überstanden, denn es herrscht allgemein große Freude und das nicht nur des Festes wegen, sondern auch deshalb, weil Gawain als Ehrengast anwesend ist. Es wird gescherzt und gelacht, um ihn zu unterhalten. Am Ende des Abends macht der Burgherr aus Spiellaune heraus, wie es scheint, einen Vorschlag: Gawain solle sich am nächsten Tag von den Strapazen des langen Ritts ausruhen, während er auf die Jagd gehen wolle. Was immer sie gewännen, würden sie am Abend austauschen. Freudig stimmt Gawain zu und beide lachen (V. 1113). Damit endet die zweite Fitte. Obwohl es weder Gawain noch dem Leser zunächst bewußt wird, ist die Zwischeneinkehr auf der Burg nicht zufällig. Bevor Gawain seine Identität preisgibt, weiß der Burgherr bereits, wen er beherbergt, so daß er den ahnungslosen Gawain mit einem überlegenen Lachen in eine Situation hineinmanipulieren
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kann, in der später die eigentlichen Prüfungen stattfinden. Nicht auf der avenfiire-Fahrt durchs wilde Land Wirral muß sich Gawain bewähren, sondern während der Festtage auf der Burg, als er es am wenigsten erwartet. Auch hier wird das traditionelle Strukturschema wieder invertiert, denn die Zwischeneinkehr sollte ursprünglich nicht zur Prüfung des Helden dienen. Vom falsch verstandenen Lachen des Burgherrn beruhigt, wird Gawain sorglos und stimmt nun seinerseits fröhlich lachend einer Abmachung zu, von der er nicht weiß, daß sie ihm zur eigentlichen Prüfung werden soll. Damit setzt sich die schon zu Beginn einsetzende Doppelbödigkeit fort, denn dem beklommenen Lachen Gawains am Ende der ersten Fitte angesichts des grotesken Schauspiels des kopflosen Reiters folgt nun das Lachen seines Gegners, der den nichtsahnenden Gawain in eine heikle Situation bringt. Lachen wird hier kalkuliert gegen den Protagonisten eingesetzt, der das Wesen dieses Lachens in diesem Augenblick nicht zu erkennen vermag. Was ihm als Festfreude erscheint, angemessen für die weihnachtliche Jahreszeit, ist in Wirklichkeit die Freude seines Wirts über die gelungene Inszenierung einer Reihe von Prüfungen. Das Unbehagen, das durch die freudige Festtagsstimmung zunächst verdrängt wird, überfällt den Helden und den Leser jedoch sehr schnell wieder zu Beginn der dritten Fitte. Als der Burgherr zusammen mit seinem Gefolge zur Jagd aufgebrochen ist, sieht sich der zurückgebliebene Gawain plötzlich in der Rolle des Gejagten. Die Frau seines Gastgebers betritt sein Schlafzimmer und versucht, ihn zu verführen. Es entwickelt sich eine Auseinandersetzung zwischen den beiden, als Gawain versucht, einerseits seiner Treuepflicht gegenüber seinem Gastgeber nachzukommen, indem er sich keusch verhält, und andererseits die Avancen der Dame höflich abzuwehren, um seinen guten Ruf als höfischster aller Ritter zu wahren. An die Stelle der üblichen Brautwerbung, die eigentlich das Ende des ersten Kursus bilden sollte, tritt nun die Aufgabe, sich der aufdringlichen 'Braut' zu erwehren. An drei aufeinanderfolgenden Tagen finden diese Versuchungen statt und dreimal gelingt es Gawain, sich aus der mißlichen Lage zu befreien, ohne daß sein eigenes Ehrgefühl bzw. die Ehre der Dame oder des Burgherrn verletzt wird. All dies geschieht unter lautem Gelächter, das den Ernst der Situation überdecken soll, denn die Prüfung, der sich Gawain hier unterziehen muß, betrifft in Wirklichkeit seine ritterliche Ehre und Wahrhaftigkeit. Die lachend vorgetragenen Angriffe der Dame, die Gawain geschickt pariert, sollen darüber hinwegtäuschen, daß sich der Protagonist auf einer äußerst schwierigen Gratwanderung zwischen der Treuepflicht gegenüber seinem Gastgeber einerseits und dem Gebot zur Höflichkeit gegenüber der Dame andererseits befindet, die alles andere als komisch ist. Um die Schwierigkeit seiner Lage zu unterstreichen, läßt uns der Erzähler wissen, daß Gawain die letzte Versuchung, die auf seine Keuschheit abzielt, nur mit Hilfe von Marias
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Beistand meistert. Das Lachen bei Gawain, der Dame und beim Burgherrn hat dabei eine je andere Bedeutung: Gawains Lachen (eine Art 'Keep Smiling') angesichts seiner kompromittierenden Lage ist der trotzige Versuch, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, welches die Dame mit ihm treibt, deren äußerlich fröhliches Lachen bei jeder Versuchung immer noch eine zusätzliche Gefahr für den Helden birgt. Das gemeinsame Lachen von Gawain und dem Burgherrn nach dem Tausch des an dem jeweiligen Tage Gewonnen (Hirsche, Eber und Fuchs gegen einen, zwei bzw. drei Küsse) weist schließlich bei näherer Betrachtung gar keine Gemeinsamkeiten auf. Der allwissende Burgherr freut sich bereits auf die Fortsetzung der für Gawain unerquicklichen Versuchungen, während dieser froh darüber ist, den Tag wieder einmal glücklich überstanden zu haben. Auch hier spielt die Vielschichtigkeit des Lachens eine entscheidende Rolle, denn der Leser, der die Ereignisse immer nur aus Gawains Blickwickel zu sehen bekommt, kann zwar das Lachen Gawains und zum Teil auch das der Dame einordnen, es ist ihm jedoch nicht vergönnt, die Lage aus der übergeordneten Perspektive des Burgherrn zu betrachten. Dieser weiß nämlich, daß der Keuschheitstest nicht die entscheidende Prüfung ist. Als Gawain, zwar mit Marias Beistand, diese Prüfung erfolgreich bestanden hat, kehrt die Dame "wie der schlaue Fuchs" auf ihrer Fährte zurück und ändert ihre Strategie. Nicht mehr Gawains Keuschheit ist das Ziel ihres Angriffs, sondern seine verständliche Furcht, sich am nächsten Tag dem Enthauptungstest unterziehen zu müssen. Folglich bietet sie ihm ihren Gürtel an, der vor jeglicher Verletzung schützen soll - und dieses Angebot nimmt Gawain an. Anstatt dem Burgherrn, wie vereinbart, auch den Gürtel zu überlassen, gibt er ihm nur die drei Küsse. Damit aber verletzt er seine "lewte" [Treue] (V.2366) und somit seine Kardinaltugend "trawPe" [Wahrhaftigkeit]. Folglich nützt es Gawain nichts, daß er sich im Anschluß an die dritte Versuchungsszene von einem Priester die Absolution erteilen läßt, denn seine Beichte ist unaufrichtig. So schwingt in dem Lachen, das das abschließende Fest vor Gawains Aufbruch zur Grünen Kapelle am nächsten Morgen begleitet, eine gewisse Vorahnung mit, daß der Held nicht ganz ungeschoren davonkommen wird. Gawain hat zwar alle Versuchungen seiner Keuschheit gemeistert, aber aus Liebe zum Leben hat er seine ritterliche Ehre etwas verletzt. Da er sich der Tragweite seiner Unaufrichtigkeit in diesem Augenblick nicht bewußt ist, findet die strukturübliche Krise, die traditionell den erwählten Artusritter zur erneuten Queste bzw. aventure-Fahn aufbrechen läßt, hier noch nicht statt. Sie wird ans Ende des zweiten Kursus verlagert. Am Neujahrsmorgen begibt sich Gawain zur Grünen Kapelle, um sich dem Grünen Ritter zu stellen. Dort wird er mit seiner kleinen menschlichen Schwäche konfrontiert, nämlich, daß er am Abend zuvor den lebenverheißenden grünen Gürtel behalten hatte, den er laut Abmachung seinem Wirt hätte geben
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sollen, und somit seine Verpflichtung zur absoluten Wahrhaftigkeit aus purem Selbsterhaltungstrieb nicht völlig eingehalten hat. Für dieses aus menschlicher Sicht verständliche leichte Vergehen wird er beim dritten Axthieb des Grünen Ritters mit einer kleinen Wunde im Genick bestraft. Trotzdem bescheinigt ihm der Grüne Ritter, daß er der "fautlest freke" [fehlerloseste Mensch] (V.2363) auf Erden sei - im Vergleich mit den anderen Rittern "As perle bi Pe quite pese" [wie eine Perle unter weißen Erbsen] (V.2364) - und er entschuldigt Gawains Verhalten, der aus Liebe zu seinem Leben und nicht aus Habgier so gehandelt habe. Man sollte nun annehmen, daß sich Gawain angesichts des Lobes und der Entschuldigungen aus dem Munde seines Kontrahenten mit seinem Schicksal abfindet, aber er tut es nicht. Vielmehr gesteht er sein Fehlverhalten ein und bezichtigt sich der Sünden der Feigheit, der Habsucht und des Verrats. Er betrachtet sich als gescheitert, denn aus strikt moraltheologischer Sicht beurteilt hat er versagt. Doch der Grüne Ritter, der zwar das Geständnis akzeptiert, lacht nur über den moralischen Rigorismus des Helden und lädt ihn ein, mit ihm nach Hautdesert zurückzukehren, was Gawain strikt ablehnt. Er will zum Artushof zurück und zwar mit dem Gürtel, den er von nun an als Zeichen seiner Schmach tragen will. Als er dort ankommt und sich selbst anklagt, lachen Artus und seine Ritter. Der Hof will das Scheitern seines besten Ritters nicht akzeptieren. Vielmehr erhebt Artus das Symbol menschlicher Fehlbarkeit zu einem Orden und Ehrenzeichen, das von nun an alle Ritter der Tafelrunde tragen sollen. Die Ironie, die in dieser Verkehrung der Bedeutung des Gürtels liegt, ist unübersehbar, denn offensichtlich tragen die Mitglieder des Artushofes das Abzeichen zu Recht. Auch sie haben teil am Versagen ihres besten Ritters, so wie sie im klassischen Artusroman teilhatten an dessen Erfolg. Auch im letzten Abschnitt des Werks trägt das Lachen zur Umgestaltung des Strukturschemas bei. Wie Chretien konfrontiert der Autor von Sir Gawain and the Green Knight seinen Helden mit dem Tod. Doch diese entscheidende Szene wird nicht in etwas Positives verwandelt wie im Erec, im Yvain oder im Lancelot, sondern sie bildet nun den Auftakt zur völligen Desillusionierung des Protagonisten, die eben auch im Lachen nicht bewältigt werden kann. Obwohl Bertilacs entschuldigendes Lachen den Protagonisten aufmuntern und ihn veranlassen soll, seine Queste als gelungen zu betrachten, bleibt diesem nur die Erkenntnis, daß er sich zwar bemüht, aber aufgrund seiner fehlbaren menschlichen Natur versagt hat - eine Erkenntnis, die wiederum Artus und sein Hof mit ihrem Lachen ablehnen. Durch das deplazierte Lachen des Hofes wird Gawain nicht wieder in die höfische Gesellschaft integriert, sondern er bleibt ausgegrenzt. Außerdem wird durch die Ablehnung der Erfahrung, die der beste Artusritter auf seiner avenmre-Fahrt gemacht hat, der Nimbus arturischer Idealität, die bereits zu Anfang des Gedichts durch Bertilacs verächtliches Lachen hinterfragt worden war, nun endgültig zerstört. Ein übriges tut der Verweis auf den geschichtlichen Kontext des hier erzählten Geschehens, mit dem das Werk schließt. Die in ihrem törichten Lachen gefangene Artuswelt ist in den geschichtlichen Prozeß integriert, d.h., sie geht irgendwann ihrem Untergang entgegen, wenngleich sich der König und die
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Ritter der Tafelrunde dieser unaufhaltsamen Entwicklung nicht bewußt werden. Das Lachen der Artusgesellschaft fällt letztendlich auf sie selbst zurück, da sie nicht erkennt, daß das Versagen ihres besten Ritters die Existenzgrundlage dieser Gesellschaft in Frage gestellt hat. Der im klassischen Modell Chretienscher Prägung implizierte Anspruch auf die Idealität der Artusgesellschaft wird vom Autor dieses Werks negiert, so daß letztlich auch die Gattung mit ihrer charakteristischen Struktur ihre sinnstiftende Bedeutung als utopischem Entwurf verliert.23 Etwa zur gleichen Zeit, als Sir Gawain and the Green Knight im Nordwesten des Mittellandes als eine Absage an den Artusroman klassischer Prägung verfaßt wurde, schrieb Chaucer in London seinen Troilus. Es mag auf den ersten Blick befremdlich wirken, daß auch dieses Werk unter dem Aspekt 'Lachen und komplexe narrative Strukturen' behandelt werden soll, da eigentlich das Weinen im Troilus die vorherrschende Gefühlsäußerung ist. Es gibt keinen me. Text, in dem mehr Tränen fließen als hier. Der Held, Criseyde und selbst Pandarus vergießen Ströme von Tränen. "He wepte as he to water wolde" [Er weinte als ob er zu Wasser werden wollte], ein auktorialer Kommentar zu Pandarus tränenreicher Mitleidsbezeugung, beschreibt zutreffend den beherrschenden Affekt dieses Werks. Der Leser fühlt sich an die literarische Tradition der Empfindsamkeit erinnert, vor allem auch in der Kontrastierung höfisch-kluger Interaktionsrationalität mit dem Interesse an Privatheit, Freundschaft, Liebe und Glück, letzteres ausgedrückt in den Briefen der beiden Protagonisten. Wenngleich diese Neigung zum Weinen bereits in Chaucers Vorlage, Boccaccios Filostrato, vorhanden ist, so erscheint sie bei Chaucer mit der ihm eigenen Vorliebe für starke, wenn auch stilisierte Affekte noch ausgeprägter, so daß der moderne Leser sich manchmal nur schwer eines Lächelns erwehren kann, wenn Troilus in seinen eigenen Tränen zu ertrinken droht. Mit der starken Betonung von Emotionen markierte Chaucers Dichtung einen Wandel in der Literatur Londons, der offensichtlich den Geschmack seines Publikums traf, denn der Troilus wird im 15. und 16. Jahrhundert zum meist rezipierten Werk. Wie schon erwähnt charakterisieren Liebesleid, Klagen und übermäßiges Weinen bereits Boccaccios Filostrato. Die vier Belege des Lächelns und sieben des Lachens wirken wie Inseln der Heiterkeit in einem Meer von Tränen. Ihre Plazierung erfolgt rein situativ - strukturmäßig fallen sie nicht ins Gewicht. Bei Chaucer erhöht sich die Anzahl des Lächelns unwesentlich auf fünf Beispiele, die des Lachens jedoch auf siebzehn. Die Verteilung sieht wie folgt aus: ein Beispiel für das Lachen in Buch I (4 in B), acht Beispiele
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In der Forschung ist dieser Aspekt des öfteren unberücksichtigt geblieben. Cf. Larry Benson, Art and Tradition in Sir Gawain and the Green Knight (New Brunswick, 1965) 241.
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in Buch II (l in B aber nicht in C), 3 Beispiele in Buch III (nicht in B), ein Beispiel in Buch IV (nicht in B) und vier Beispiele in Buch V (2 nicht in B). Auffällig ist die enorme Steigerung von Belegen in Buch II und der Zuwachs in Buch V, in dem besonders das letzte dort erwähnte Lachen unsere Aufmerksamkeit verdient, weil es den Unterschied zwischen Boccaccios und Chaucers Konzeption deutlich werden läßt: bei Boccaccio schließt der IchErzähler seinen pseudo-autobiographischen Bericht nach dem Tod von Troiolo in folgender Weise: zunächst wendet er sich an die jungen Männer, denen Troiolos trauriges Schicksal eine Lehre sein sollte, nicht leichtfertig den Frauen zu vertrauen. Besonders die jungen seien unstet und unzuverlässig. Reifere Frauen hingegen seien beständiger. Nachdem der Erzähler seine Geschichte exemplarisch gedeutet hat, schließt er den Rahmen, indem er sich nun erneut an Filomena wendet, an die das Buch gerichtet ist. Das Buch dient als Mittler, um die Geliebte, beeindruckt durch Troiolos/Boccaccios Schmerz, zur Rückkehr nach Neapel zu bewegen. Dies ist das Ziel des Autors, der durch die Schilderung des Liebesleids seines Helden und Stellvertreters Filomenas Gunst wiedergewinnen will.24 Während sich die Erzählung bei Boccaccio kreisförmig schließt, d.h., die Troilus-Geschichte von dem pseudo-autobiographischen Rahmen eingeschlossen wird, verlagert sich das Geschehen bei Chaucer vom irdischen in den außerirdischen Bereich. Der Held wird nach seinem Tod zunächst auf die achte Sphäre entrückt, von wo er die Welt und sein eigenes Leid aus völlig anderer Perspektive sieht: And down from thennes faste he gan auyse This litel spot of erthe that with the se Embraced is, and fully gan despise This wrecched world, and held al vanite To respect of the pleyn felicite That is in heueve aboue, and at the laste, Ther he was slayn his lokyng down he caste. And in hym self he lough right at the wo Of hem that wepten for his deth so faste, And dampned al oure werk that foloweth so The blynde lust, the which that may nat laste, And sholden al oure herte on heuen caste; And forth he wente, shortly forto teile, Ther as Mercurye sorted hym to dwelle. (V, 1814-27)25
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Filostrato, Tutte le opere di Giovanni Boccaccio, ed. Vittore Branca (Verona, 1964) II: 224-28. Alle Zitate sind folgender Ausgabe entnommen: Geoffrey Chaucer, Troilus & Criseyde: A new edition of 'The Book of Troilus', ed. B.A. Windeatt (London; New York, 1984).
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Mit dieser Verschiebung der Perspektive verändert sich Troilus' Gemütshaltung, denn nun ist es ihm möglich, über das zu lachen, was ihn vorher unsäglich bekümmert hatte. Troilus, der zuvor zweimal belustigt gelächelt,26 aber nie gelacht hatte, lacht hier zum ersten Mal, als er die Nichtigkeit der Welt erkennt. Von dieser erhabenen Perspektive aus gesehen, erscheint ihm alles eitel, auch die Trauer um seinen Tod. Kurzum, sämtliche Gefühlsregungen werden von ihm, der zu seinen Lebzeiten völlig der Liebe und dem Liebesleid verfallen war, verworfen. Mit einem verächtlichen Lachen wird alles abgetan, was ihm einst Lebenszweck gewesen war. Mit seinem Lachen ähnelt er und überflügelt er zugleich Fortuna, von der im Proömium zu Buch IV, das den Umschwung einleitet, gesagt wurde: "And whan a wight is from hire whiel y-throwe, / Than laugheth she and maketh hym the mowe." (IV, 6-7). In diesem Moment stößt Fortuna Troilus lachend von ihrem Rad, auf das sie nun Diomedes setzt, der Criseydes Gunst gewinnen wird. Troilus muß nach einer kurzen Zeit des Liebesglücks nun Liebesleid erdulden. Fortuna steht dank ihrer Position als ewig wandelbares Element über dem Geschick der Menschen. Sie ist eine amoralische Größe. Ihr Lachen ist nicht das Lachen des Triumphs über einen Gefallenen; vielmehr lacht sie über die Dummheit derer, die glauben, daß für sie die Gesetzmäßigkeiten Fortunes keine Gültigkeit haben, und die meinen, dem ewigen Wandel, der alles Irdische umfaßt, nicht unterworfen zu sein. Nun, auf der achten Sphäre, teilt Troilus mit Fortuna die Erkenntnis, daß alles Irdische hinfällig und vergänglich ist. Sein Lachen beinhaltet jedoch noch mehr: es weist den Weg aus der Fortunawelt heraus zur himmlischen Glückseligkeit, die vor allem von dem erlangt werden kann, der sich bereits zu Lebzeiten den Glücksgütern und somit dem Einfluß von Fortuna entzieht. Troilus lernt das gleiche wie Boethius, wenngleich in der Consolatio Philosophiae die contemptus-mundi-Haltung nicht so stark ausgeprägt ist wie im Troilus, da es Boethius letztlich um die angemessene Hierarchisierung aller Güter geht (inklusive der weltlichen mit ihren eingeschränkten Bedeutungen im Vergleich zu den inneren moralischen Werten) in Relation zum summum bonum. Troilus hingegen distanziert sich radikal auch von seinem eigenen Leben, das er im Gegensatz zu Boethius verwirft; und so ist sein eindeutig verächtliches Lachen auch nicht die letzte Erkenntnis in diesem komplexen Werk, das vor allem in Buch II und Buch III durch sehr vielschichtige Formen menschlichen Lachens gekennzeichnet ist, deren Bedeutungen wiederum im Lichte des Lachens von Fortuna und von Troilus gesehen werden müssen. In Buch II und Buch III nämlich wird die bewußte Ambiguität menschlichen Verhaltens thematisiert und u.a. durch die Vielschichtigkeit des Lachens
26
Cf. Buch I, 194 und Buch II, 1639.
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ausgedrückt, wie sie in der traditionellen me. Romanze völlig unbekannt ist. Obwohl Troilus auch in diesem Buch als Protagonist auftritt, wird das Geschehen von den beiden anderen Hauptpersonen, Pandarus und Criseyde, bestimmt. Im Gegensatz zu Troilus, der in seinem Liebesleid monomanisch einseitig und wie gelähmt wirkt, agieren bzw. reagieren Pandarus und Criseyde. Pandarus versucht mit allen Mitteln seine Nichte für Troilus zu gewinnen, während Criseyde zwischen Zuneigung und Vorsicht schwankt. Es entwickelt sich ein kunstvolles verbales Geplänkel: Angriffe werden vorgetragen und pariert. Doppeldeutigkeiten werden aufgegriffen oder bleiben unbeantwortet. Innuendos erreichen ihr Ziel oder stoßen ins Leere.27 Zwei Meister in der Kunst der Rhetorik begegnen sich und kreuzen lachend die Klingen. Im Lachen miteinander, übereinander und im Geheimen entwickeln die beiden Charaktere Angriffs- und Abwehrstrategien. Lachen dient zur Solidarisierung, zur Verteidigung und zur Selbstpersiflierung, die wiederum darauf abzielt, den anderen für seine Zwecke einzuspannen. Lachen kann schließlich ungewollte Komik erzeugen, wie z.B. das gemeinsame Lachen von Pandarus und Criseyde aus völlig unterschiedlichen Gründen, wenn das Lachen der beiden vom unhörbaren Lachen des Autors übertönt wird. In einer von Chaucer in eigener Regie gestalteten Szene erscheint Pandarus als Werber für Troilus bei seiner Nichte, die sich zusammen mit zwei anderen Frauen im Salon des Hauses aufhält. Man liest aus einem Buch vor. "Is it of loue?" fragt Pandarus, damit er etwas lernen könne. Criseyde entgegnet:
27
Dieser Aspekt ist besonders in den letzten dreißig Jahren eingehend untersucht worden, denn wo Thomas R. Lounsbury 1892 nur zwei Wortspiele in Chaucers Dichtung zu finden glaubte, haben die Studien von Helge Kökeritz, "Rhetorical Word-Play in Chaucer," PMLA 69 (1954): 937-52; Haldeen Braddy, Geoffrey Chaucer: Literary and Historical Studies (Port Washington, 1971); und Thomas W. Ross, Chaucer's Bawdy (New York, 1972) sehr viel mehr, darunter auch sehr viele anzügliche, zutage gefördert - eine Anzahl davon auch im Troilus, wie die folgende, offensichtlich von Pandarus unbeabsichtigte, schlüpfrige Anspielung, die Criseyde zum Lachen bringt. Um Criseyde davon zu überzeugen, wie gut Troilus zu ihr passen würde, benutzt Pandarus folgendes Bild: "And right good thrifte, I prey to god, haue 3e That han swich oon y-kaught with-outen net; And be 3e wis as 3e be faire to see, Wei in the rynge than is the rubie set. Ther were neuere two so wel y-met, Whan 3e ben his al hool, as he is 3oure: Ther myghty god 3it graunte vs see that houre." "Nay, therof spak I nought, ha, ha!" quod she; "As helpe me god, 3e shenden euery deel." "O, mercy, dere Nece," anon quod he, "What so I spak, I mente naught but wel, ... (II, 582-92) 'Rubie' kann Penis bedeuten, 'rynge' Vulva und 'hool' Scham: "The cluster of 'ruby', 'ring', and 'hole' is too much for Criseyde, who is not so innocent as she sometimes likes to pretend (she is a widow, after all, though we are likely to forget it). She breaks out into uncontrollable giggles. Then Pandarus realizes what he has said, or implied, and tries to make amends." Thomas W. Ross, 105.
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"Onkel, deine Lehrmeisterin ist nicht hier." Darauf lachen beide herzlich und Criseyde fährt fort: "This romaunce is of Thebes that we rede..." Es folgt eine kurze Inhaltsangabe des Teils der Romanze, der bereits vorgetragen worden ist. Pandarus lacht über Criseydes witzige Antwort und Criseyde amüsiert sich über Pandarus' Frage, ob es sich bei der Romanze um einen Liebesroman handele. Lachend wird hier das Thema Liebe eingeführt, das Pandarus ansprechen will. Der zeitgenössische Hörer jedoch hätte noch einen weiteren Grund zum Lachen gehabt, der sich aus der Lektüre selbst ableitet. Die Thebais bzw. der Roman de Thebes ist die Vorgeschichte zur Trojageschichte; und so verweist der Thebenroman, der gelegentlich zusammen mit dem Roman de Troie des Benoit de St. Maure in ein und derselben Handschrift überliefert wurde,28 bereits auf den Trojanischen Krieg, bevor die Liebesgeschichte von Troilus und Criseyde noch begonnen hat. Das unglückliche Ende zeichnet sich hier schon ab.29 Auf Pandarus' Anraten jedoch legt Criseyde das Buch zur Seite und so bleibt auch ihr ihre eigene Geschichte verborgen. Das ist die Ironie oder ungewollte Komik, die sich hinter dem Lachen der beiden Figuren versteckt. Das nicht zu Ende gelesene Buch bzw. das unvollständig vorgetragene Zitat gehört zur mittelalterlichen Tradition. Sie haben Verweisfunktion, denn der Autor rechnet damit, daß dem Leser oder Hörer die volle Implikation der Fragmente bewußt wird, der somit einen Wissensvorsprung vor den Akteuren hat. Bevor sich das spätere Liebespaar zum ersten Mal getroffen hat, ist der unglückliche Ausgang ihrer Liebe durch die Autorität der historischliterarischen Zeugnisse vorherbestimmt. Anders als bei Boccaccio wird dieser Einfluß der unabänderlichen historischen Gegegebenheiten bei Chaucer viel stärker thematisiert. Damit erscheinen Pandarus' Bemühungen, in Troilus' Auftrag um Criseyde zu werben, und Criseydes Anstrengungen, sich diesen Werbungen nur ganz allmählich zu öffnen, in einem anderen Licht. Der Leser weiß, was geschehen wird, obwohl die Figuren glauben, sie könnten ihr eigenes Schicksal bestimmen. Bei Chaucer sind sowohl Pandarus als auch Criseyde sehr viel aktiver und sehr viel selbstbewußter als bei Boccaccio. Sie
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Alain Renoir, "Thebes, Troy, Criseyde and Pandarus," Studio Neophilologica 32 (1960): 16. Wohl kaum zufällig bemüht Chaucer die Thebengeschichte noch einmal in Buch V, 1457-1519; dort erzählt Kassandra, um Troilus' Traum vom Eber zu deuten, den Criseyde umarmt, die ganze Geschichte von Meleager und Tydeus, den Vorfahren von Diomedes. Tydeus war einer der Sieben, die gegen Theben gezogen waren. Die Geschichte selbst wird in Form des lateinischen Arguments aus Statius' Thebais zitiert. Der Eber bedeutet Diomedes, der nun Criseydes Herz besitzt. Somit werden am Ende beide, die Theben- und die Trojageschichte, zusammengebracht. Interessanterweise mißachtet auch Troilus, wie zuvor Pandarus und Criseyde, die in der Thebengeschichte enthaltene Wahrheit, die ihm Kassandra offenbart. Auch er glaubt nicht an die Macht der Geschichte, die das Schicksal des Einzelnen bestimmt, bis er einen augenfälligen Beweis für Criseydes Untreue erhält. Cf. auch Alice K. Miskimin, The Renaissance Chaucer (New Haven; London, 1975) 202-04.
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sind davon überzeugt, die Kontrolle ausüben und andere manipulieren zu können. In Wirklichkeit jedoch werden sie vom Erzähler gesteuert, der von seiner allwissenden Perspektive aus das Geschehen lenkt, wie z.B. in der zentralen Szene, wenn Pandarus Troilus' Brief überbringt. Criseyde ist zunächst bestürzt und will den Brief nicht annehmen, der ihr von Pandarus schließlich in den Ausschnitt gesteckt wird. Daraufhin lächelt sie und fordert ihren Onkel auf, die Antwort doch selbst zu schreiben. Pandarus geht darauf ein, will aber nur als Schreiber fungieren, der Criseydes Worte niederschreibt: Therwith she lough and seyde, "go we dyne." And he gan at hym self to iape faste, And seyde, "Nece, I haue so grete a pyne ffor loue that euerich other day I faste," And gan his beste iapes forth to caste, And made hire so to laughe at his folye, That she for laughter wende for to dye. (II, 1163-69) Indem sich Pandarus selbst persifliert - er spielt den erfolglosen Liebhaber, der er in Wirklichkeit auch ist - bringt er Criseyde zum Lachen und erreicht damit sein Ziel. Criseyde nimmt nicht nur den Brief an, sondern sie antwortet Troilus auch. Zwar ist ihre Antwort zunächst unverbindlich, aber sie hat sich damit auf Troilus eingelassen. Ihr ausgelassenes Gelächter soll nur ihre bevorstehende, von ihr jedoch selbst gewünschte 'Niederlage' in diesem Scheingefecht verdecken, denn Pandarus' Mission ist trotz ihrer 'Gegenwehr' erfolgreich gewesen. Der Leser weiß dies bereits vorher und kann das Spiel, das die beiden Charaktere miteinander spielen, ebenfalls mit einem Lachen quittieren. Das Geplänkel setzt sich in Buch III fort. Um ein Treffen zwischen Troilus und Criseyde zu arrangieren, lädt Pandarus seine Nichte zum Abendessen in sein Haus ein, als alles darauf hindeutet, daß es in dieser Nacht ein großes Unwetter geben wird. Lachend (sie glaubt, die Situation unter Kontrolle zu haben) lehnt Criseyde die Einladung ab mit dem Hinweis, daß es bereits jetzt schon regne. Trotzdem kommt sie und liefert sich somit Pandarus aus. Um Criseyde zu beruhigen, unterhält Pandarus sie nach dem Essen "To liken hire or that hire laughen made" (III, 613), und die Zeit vergeht. Als sie aufbrechen will, regnet es so stark, daß sich alle ihre Begleiterinnen vor dem Heimweg fürchten: "At which Pandare tho lough and seyde thenne,/ 'Now were it tyme a lady to gon nenne!"' (Ill, 629-30). Criseyde lacht zuerst, Pandarus zuletzt, denn er hat auch diese Runde gewonnen. Die Kontrolle der Situation, signalisiert durch das Lachen, ist von Criseyde an ihn übergegangen. Der Liebesnacht, die er für Troilus und Criseyde geplant hat, steht nun nichts mehr im Weg. Damit scheint das Ziel, die beiden auf immer zu vereinen, erreicht zu sein.
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In Buch II und Buch III beschreibt Chaucer mit großer Kunstfertigkeit, wie Pandarus und Criseyde Angriffs- und Abwehrstrategien entwickeln, wie sie Argumente erfinden, um ihre Aktionen zu rechtfertigen, wie sie den anderen zu täuschen versuchen und sich selbst täuschen, und wie sie schließlich das tun, was unvermeidlich/vermeidbar ist. Für ihr Verhalten gibt es gute Gründe, doch letztlich betrügen sich beide Charaktere selbst: Pandarus, weil er glaubt, alles sei manipulierbar, und Criseyde, weil sie meint, man könne in der Liebe zugleich unabhängig und engagiert sein. Und beide glauben schließlich, außerhalb der Geschichte zu stehen, eine Geschichte die Pandarus und die Liebenden in Kürze einholen wird. Über diese Anmaßung aber lacht Fortuna, die weiß, daß alles historisch Determinierte dem Wandel unterworfen ist. Troilus schließlich lacht, weil er von seiner überirdischen Perspektive her alles menschliche Streben als eitel und vergeblich erachten kann. Ich habe die verschiedenen Ebenen, auf denen das Lachen im Troilus angesiedelt ist, absichtlich vom Ende her aufgezeigt, damit die Hierarchisierung deutlich wird. Die Geschichte bewegt sich von der menschlichen Sichtweise der Gegebenheiten über die Fortunas bis zu der von Troilus auf der achten Sphäre. Troilus' Lachen ist jedoch nicht der abschließende Kommentar, sondern wieder nur eine mögliche Reaktion. Chaucers Werk endet nicht mit der Erkenntnis des Protagonisten, daß jedes auf sich selbst gerichtete menschliche Streben vergänglich ist und die Welt deshalb zu verachten sei. Vielmehr überhöht der Autor die philosophische Perspektive durch eine christliche, die den paganen Erfahrungshorizont von Troilus transzendiert. An die Stelle von Selbstbezogenheit tritt die Liebe zu dem, der aus Liebe zu uns den bitteren Kreuzestod auf sich genommen hat, denn in seiner wahrhaftigen Liebe gibt es keinen Wandel und keinen Verrat. Die Liebe Gottes und die Gottesliebe werden zu Konstanten in einer Welt, die die Protagonisten mit ihrem begrenzten Wissen nur als Welt der Fortuna erfahren haben. Sie ist das summum bonum, auf das sich das menschliche Streben ausrichten sollte. Diese tröstliche Erfahrung hat der Leser den Akteuren voraus, die von Chaucer im abschließenden Gebet an die Dreifaltigkeit miteinbezogen werden. Anstelle von Lachen und Weinen, diesen urmenschlichen Affekten in einer gefallenen Welt, tritt die Gnade Gottes, die den Menschen zum freudigen immerwährenden Lachen bringen kann, das nicht nur den Heiligen gewiß ist, sondern auch denen verheißen wurde, die auf Erden weinten. Und somit erfüllt sich der Wunsch des Autors, seine "tragedye" (V, 1786) möge zu "some comedye" (V, 1788) werden. Es handelt sich dabei nicht um eine weltliche Komödie im klassischen griechischen oder römischen Sinn, sondern um eine göttliche im Anklang an Dantes Divina Commedia, aus der Chaucer in Buch III, 1261-67 das Gebet des heiligen Bernhard an die Jungfrau Maria (Paradiso, 33, 13-18) entlehnt und Troilus in den Mund legt.
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Zum Abschluß sollte vermerkt werden, daß weder Sir Gawain and the Green Knight noch der Troilus für die me. Romanzendichtung des ausgehenden 14. Jahrhunderts typisch sind. Trotzdem zeigen diese beiden, in völlig unterschiedlichen Landesteilen und im Rekurs auf völlig unterschiedliche literarische Traditionen entstandenen Werke, daß auch in England, wenn auch mit der üblichen zeitlichen Verschiebung, komplexe narrative Strukturen entstehen, deren Komplexität u.a. durch den strukturierenden bzw. strukturmarkierenden Einsatz von Affekten erreicht wird. Anstatt des gelegentlichen situativen Lachens ohne weitreichende Verweisfunktion, das für die literarischen Produkte des 13. und frühen 14. Jahrhunderts so charakteristisch ist, finden wir nun Romanzen, in denen Lachen bzw. Lachen und Weinen die Struktur und dadurch auch die Bedeutung der Werke beeinflussen. Die Affekte werden sowohl thematisiert als auch instrumentalisiert. Eine breite Palette der im Lachen enthaltenen möglichen Aktionen und Reaktionen wird vorgeführt, deren Wirkungen dann im Wechsel und Zusammenspiel verfolgt werden. Daraus ergeben sich Brechungen und Überlagerungen von Perspektiven, die dazu beitragen, in Sir Gawain and the Green Knight das Strukturschema des klassischen Artusromans zu invertieren und dadurch Chretiens utopischen Entwurf zu negieren und im Troilus die Handlungsebenen zu hierarchisieren. Kurz vor dem Ende ertönt in beiden Werken ein Lachen, ein Lachen jedoch, das die Ambiguität dieses Affekts noch einmal deutlich ins Bewußtsein des Lesers rückt, denn hinter diesem Lachen verbergen sich Realitäten (das Eingebundensein in den geschichtlichen Prozeß in Sir Gawain and the Green Knight und die unzulässige Abwertung alles Menschlichen im Troilus), die weder durch dieses Lachen bewältigt noch in ihm aufgehoben werden können. In beiden Werken markiert dieses Lachen eine interdiskursive Schnittstelle. Der Macht- bzw. Autoritätsanspruch des moralisch-theologischen Diskurses, den Gawain für sich in Anspruch nimmt und auf den Chaucer, der Autor, im abschließenden Gebet verweist, überlagert den Anspruch des ästhetisch-säkularen Erzählens; so erweist sich der moralisch-theologische Diskurs im Foucaultschen Sinne als machtstabilisierende Organisationsform, die Denken, Rede und Handlung bestimmt. Eine Enttheologisierung und Sozialisierung des Denkens hat noch nicht stattgefunden, wie dies am Ende der Renaissance in Ansätzen geschieht. Folglich greifen in einer noch ausschließlich theologisch determinierten Welt beide Formen des menschlichen Lachens zu kurz; ihnen fehlt die Transzendenz, die letztlich nur das verheißene Lachen besitzt, das auf das Reich Gottes verweist, das Ziel allen menschlichen Strebens im Mittelalter.
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Ergebnisprotokoll der Sektion "Mittelalter'
In der Diskussion im Anschluß an die vier Vorlagen wurden insbesondere die folgenden zwei Fragen immer wieder erörtert: 1.
2.
Lassen sich auch für das Mittelalter ahistorische, anthropologische Universalien des Lachens postulieren, oder muß man von historischen Gegebenheiten ausgehen, die das Lachen sowohl in den Texten als auch beim Rezipienten bestimmen? Inwieweit können in einer theologisch determinierten Welt psycho-soziale und ästhetische Funktionen des Lachens wirksam sein?
Ad 1: Besonders im Anschluß an die Vorlage von Walter Haug, der mittelalterliche und moderne Texte mit Hilfe einer ahistorischen Theorie des Lachens zu entschlüsseln und zu deuten versuchte, ergab sich die für den weiteren Verlauf des Kolloquiums wichtige Frage, inwieweit Lachen als anthropologische Universalie oder als historisch determiniertes Phänomen zu verstehen sei. Läßt sich komplexes Lachen mit intellektuellem Aufwand (im Gegensatz zum einfachen, spontanen Lachen) in literarischen Texten bzw. als Reaktion auf literarische Texte ahistorisch deuten, oder muß man sich in der Interpretation des Lachens von historischen Gegebenheiten leiten lassen? Die hier aufgeworfene Frage verweist einerseits zurück auf die Theoretiker der Antike (Platon und Aristoteles) und andererseits nach vorne auf die der Moderne (wie z.B. Bergson und Ritter), die beide das Lachen als ahistorisches Phänomen aus philosophischer Sicht abhandeln. Lachen in der von Haug vorgestellten Theorie ist Ausdruck von Vitalität und Erneuerung des Lebens, eines Lebens jedoch, das den Tod noch vor Augen hat. Es ist ein Anlachen gegen den Tod, der durch die Verzerrung ins Komische überwunden wird. Lachen, hervorgerufen durch die Predigtmärlein zu Ostern, ist ein Befreiungsakt ebenso wie das Lachen, das durch den Schwank provoziert wird und als Replik auf eine erstarrte, leblose Ordnung zu verstehen ist. Das Negative wird im Lachen überwunden. Mit dieser Deutung der Funktion des Lachens in einem Typus von Schwank als Entlarvung und Entmechanisierung des Mechanischen und seiner Zurückholung ins Vitale wird bereits die Bergsonsche Auffassung vom Wesen des Lachens zur Interpretation einer mittelalterlichen Gattung her-
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angezogen. In einem anderen Typus der Schwankreplik jedoch versagen die Bergsonschen Kategorien - beim Makaberen, das heißt, bei den Erzählungen, in denen sich nur noch ein makaberes Vergnügen beim Leser oder Hörer einstellt, das aus der Erfahrung der eigenen Negativität herrührt und auf dem Spiel mit dem inszenierten Zufall beruht, das die 'komische' Situation rettet. Gegenüber dieser ahistorischen Betrachtung der Funktion des von der Gattung Schwank provozierten Lachens sind auch andere Deutungsansätze denkbar, die rein historisch verankert sind. Lachen kann als ausgrenzendes Lachen zur Solidarisierung des Schwankpublikums beitragen, so z.B. wenn es als Signum für den patriarchalischen Herrschaftsdiskurs dient, wenn es eine soziale Oberschicht gegen Rangniedrigere vereint oder aber die intellektuelle Überlegenheit einer Gruppe signalisiert. Unter diesen Gesichtspunkten ist das Lachen über das schwankhafte Geschehen kein universelles, ahistorisches Phänomen mehr, sondern typischer Ausdruck mittelalterlicher Vorstellungen und Erwartungen, die sich an eine bestimmte Gattung knüpfen. Einen Zwischentypus schließlich stellen die schwankhaften Erzählungen dar, in denen Lachen durch Bewunderung hervorgerufen wird, vor allem, wenn es sich um die kunstvolle Inszenierung von Überbietungen handelt. Im Mittelpunkt steht zunächst nicht die Solidarisierung, sondern das intellektuelle Vergnügen an der ingeniösen Lösung einer komplizierten Verstrickung. Das Lachen über Schlagfertigkeit und Geistesgegenwart holt den Ausgegrenzten dann aber in die Solidargemeinschaft der Lacher zurück. Damit gewinnt die historisch verankerte Gattung Schwank eine überhistorische Dimension, denn auch ein modernes Publikum kann sich diesem bewundernden Lachen anschließen. Ad 2: Ausgehend von Bachtins Vorstellung, daß der mittelalterliche Mensch gleichsam zwei Leben lebte: ein monolithisch-ernstes, düsteres, streng hierarchisch geordnetes, offizielles Leben und ein zweites, karnevalistisches Leben (frei, voll von ambivalentem Lachen, von Gotteslästerung und Profanation), wurde in der Diskussion die Frage erörtert, ob dieser Ansatz legitim sei und wenn ja, welche Freiräume sich vor allem in der Literatur des Mittelalters markieren lassen. Auch für diese Fragestellung wurden die Schwanke herangezogen sowie der literarische Rahmen des Decamerone und die Hierarchisierung der 'Lachebenen' in Chaucers Troilus. Man nahm Abstand von Bachtins strikter dualistischer Unterscheidung zwischen offizieller und karnevalistischer Kultur und seiner Definition des Karnevalesken als einer auf Zeit sanktionierten Subversion der offiziellen Ordnung. Vielmehr rückte der durch das Lachen hervorgerufene Entspannungs- bzw. Entlastungseffekt in den Mittelpunkt des Interesses. Dieser Tatbestand wurde besonders eingehend in Hinblick auf den Decamerone diskutiert, da Boccaccio im Rahmen zu seinem Erzählzyklus eine Ausnahmesituation schafft, d.h., die brigata entzieht sich der in Florenz wütenden Pest, um sich in der Abgeschiedenheit und Sicherheit
Ergebnisprotokoll der Sektion "Mittelalter"
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des isolierten Landgutes einem Prozess therapeutischen Erzählens zu unterziehen. Tod und Leben sind in diesem Erzählkomplex dialogisch miteinander verbunden, denn erst vor dem Hintergrund des Todes kann die Vielfalt des Lebens literarisch aufgefächert werden. Das durch den Text provozierte Lachen hat therapeutische und psychotherapeutische Wirkung zugleich, da es neben Entspannung auch immer ein Anlachen gegen den Tod bedeutet. Damit aber ist die im Decamerone verfolgte Absicht keine eskapistische - der Ausnahmezustand ist nicht von Dauer. Vielmehr benutzt Boccaccio den Zustand der ästhetischen Autonomie, um die Teilnehmer, auch durch Lachen gestärkt, wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Im Decamerone begegnen wir also bereits der Vorstellung vom Lachen als pädagogischem Kultivierungskonzept, das in der Renaissance an Bedeutung gewinnt. Es unterscheidet sich von der im Mittelalter weithin verbreiteten Auffassung vom Lachen als Ausdruck der Sündhaftigkeit des Menschen, die in der lachfeindlichen klerikalen Tradition vorherrscht. Selbst in Chaucers humanistisch geprägtem Troilus setzt sich letztendlich diese negative Bewertung des Lachens als Zeichen der vanitas durch, denn mit seinem Lachen entwertet der Protagonist alles Irdische, sei es Freud oder Leid. Die Verurteilung der vanitas aber, basierend auf der Vorstellung, daß Eitelkeit nicht nur lächerlich (Malvolio), sondern auch sündhaft (Falstaff) sein kann, ist auch noch in der englischen Literatur der Renaissance zu finden. Wie aus der kurzen Zusammenfassung des Diskussionsverlaufs deutlich geworden sein sollte und wie anhand der nachfolgenden Ergebnisprotokolle bestätigt wird, wurden in der Sektion "Mittelalter" vor allem weiterführende Fragen diskutiert, die den Untersuchungsgegenstand aus einer möglichen Epochenisolierung heraushoben. Bereits in dieser Sektion wurden Grundfragen zur Funktion des Lachens in literarischen Texten und als Reaktion auf literarische Texte gestellt, die im weiteren Verlauf des Symposiums unter anderen, zusätzlichen Aspekten immer wieder neu diskutiert wurden. Somit erfüllte diese Sektion die ihr zukommende Aufgabe als Ein- und Weiterführung zugleich.
TEIL III Renaissance bis 18. Jahrhundert
ANDREAS KABLITZ
Lachen und Komik als Gegenstand frühneuzeitlicher Theoriebildung: Rezeption und Verwandlung antiker Definitionen von risus und ridiculum in der italienischen Renaissance
Der verwirrende Zusammenhang des Lachens mit seinem Gegenstand hat das Nachdenken über sie seit den für uns greifbaren Anfängen beschäftigt. Irritieren aber mußte dieses Verhältnis, weil das Lachen, ein Ausdruck von Lebenslust und -freude, kaum als die angemessene Antwort auf ein Komisches erscheint, das man gemeinhin mit Kategorien der Negativität kennzeichnet. Denn komisch wirkt das Widersinnige, wirken die kleinen Fehler und Ungereimtheiten, welche uns dennoch ein gewisses, wiewohl paradoxes Vergnügen bereiten. Lachen, und nicht allein der Humor, meint stets ein "trotzdem". In unserem Jahrhundert hat Joachim Ritter die wohl griffigste Erklärung für diese zumindest vordergründig prekäre Beziehung formuliert.' Wenn das Lachen dem Abweichenden, dem Normwidrigen und Unordentlichen gilt, dann fügt es für ihn solche Verstöße gegen das Erwartete dem Dasein gerade wieder ein. Im Lachen behauptet sich die Energie eines Lebens, das sich als stärker denn alle ihm stets äußerliche Regulation erweist. Ja, im Lachen feiert dieses Leben gewissermaßen seinen Triumph über alle Normierungen; es markiert ihre Relativität und verhilft deshalb mit dem Ausdruck der Freude auch dem Ordnungsverstoß und der unbedachten Fehlleistung zu jenem Existenzrecht zurück, das ihnen wider alle normative Ausgrenzung als ein integraler Bestandteil des Daseins zukommt. Ritters dezidierte Lösung läßt sich in ihrer Exzentrizität ermessen, wenn man sie in den Horizont einer anderen Theorie des Komischen rückt, die - kaum weniger einflußreich gleichfalls aus dem Zusammenhang von le comique und la vie den Ansatz ihrer genau gegenläufig verfahrenden Erklärung entwickelt. Wie unschwer zu erkennen, ist damit auf Henri Bergsons Le rire angespielt, wo das Lachen und das Leben gegenüber Ritters Entwurf in symmetrischer Verkehrung einander
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"Was mit dem Lachen ausgespielt und ergriffen wird, ist diese geheime Zugehörigkeit des Nichtigen zum Dasein; sie wird ergriffen und ausgespielt, nicht in der Weise des ausgrenzenden Ernstes, der es nur als das Nichtige von sich weghalten kann, sondern so, daß es in der es ausgrenzenden Ordnung selbst gleichsam als zu ihr gehörig sichtbar und lautbar wird" (Ritter [1974], 76).
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zugeordnet sind. Le rire ergreift für ihn nicht die Partei eines Lebens, das sich mit seiner Hilfe aus dem Prokrustesbett befreit, in welches es durch alle regulativen Eingriffe gezwängt wird; vielmehr ist es in den Bund mit einem Leben gestellt, das sich lachend gegen seine Vergewaltigung durch le mecanique zur Wehr setzt.2 Diesmal weiß la vie sich einig mit einer sozialen Gemeinschaft, die mit ihrem Lachen gleichermaßen die Verletzung ihrer eigenen Prinzipien wie die Unterdrückung des Lebens durch mechanische Störung straft. Komisch also ist der Normverstoß das eine Mal, weil sein Effekt die Relativität aller Normierungen und den Sieg des Lebens über sie zum Ausdruck bringt, aber seine komische Wirkung läßt sich ebenso auf die Attacke gegen das Leben zurückführen, das eine zuversichtliche Soziologie in bestem Einvernehmen mit der Ordnung der Gesellschaft stehen sieht. Wenn im Spektrum der Theorien Ritters und Bergsons das Lachen als Ausdruck der Freude den Stellenwert des Ordnungsverstoßes gleichermaßen relativieren wie als Verletzung einer substantiellen Ordnung brandmarken kann, dann erklärt sich diese Zwiespältigkeit der Theorie aus dem Ungewissen Status, den alle Ordnung für dieses Denken besitzt. Ihr Schicksal entscheidet sich hier wie dort an ihrer Stellung zum 'Leben', jenem metaphysischen Rest, in dem die Philosophie sich einen Urgrund des Seins bewahrt hat, als sie dieses Sein aus ihrem ureigensten Medium, dem Denken, verbannt hatte und nun außerhalb seiner einen Ersatz suchte. Diese Auflösung des Zusammenhangs von Wesen und Denken aber läßt das Verhältnis von Ordnung und Leben letztlich zu einem aleatorischen werden, und solche Kontingenz spiegelt sich in den Varianten einer Analyse des Komischen, die dem Lachen eine je gegensätzliche Funktion zusprechen: Es kann die kategoriale Differenz von Leben und Ordnung kenntlich machen, indem es im Namen des Lebens den Normverstoß entwertet, und es kann im Zeichen desselben Lebens eine Ordnung verteidigen, in der sich la vie aufgehoben weiß. Stets aber bleibt das Lachen ein Anwalt der Eigentlichkeit, stets steht es auf der Seite der je letztgültigen Wahrheit, um ihr zu ihrem Recht zu verhelfen. Auch die Diskrepanz, die Ritters Analyse von derjenigen Bergsons trennt, beruht nur vordergründig auf einem Unterschied, der die Natur des Komischen selbst betrifft. Dessen je besondere Leistung erweist sich bei näherem Zusehen als eine abhängige Variable der - im Grunde kontingenten - Entscheidung über den Status aller Ordnung. Diese Beobachtung behält bei aller anderweitigen Unterschiedlichkeit ihre Geltung auch für die antike Theoriebildung, welche die frühzeitlichen Bemühungen um eine Erklärung von risus und ridiculum vorfanden und aus der sie
Als ein "m6canique plaquö sur du vivant," als ein "Mechanisches, das über etwas Lebendiges gestülpt wird*", bezeichnet Bergson den Kern aller Komik (Bergson [1958], 38). (Die mit * markierten Übersetzungen wurden vom Verfasser angefertigt.)
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wesentliche Impulse bezogen. Indes wäre es verfehlt, dabei von einem einheitlichen, in sich geschlossenen Korpus auszugehen. Vielmehr lassen sich gravierende Differenzen bemerken, und wie so oft spielen sich die entscheidenden Veränderungen zwischen Platon und Aristoteles ab; ihre Positionen präjudizieren sehr weitgehend alle späteren Befunde, die kaum anderes als konzeptuelle Varianten ihrer Deutungen darstellen. Am Anfang also steht Platon, und mit seiner eindringlichsten Analyse des Komischen im PhilebosDialog stellt er sich sehr entschieden ihrer Kardinalfrage: Wie läßt sich der irritierende Zusammenhang des Lachens mit seinem Gegenstand plausibel machen? Platons Antwort ist, wie kaum anders zu erwarten, die Antwort eines Moralisten. Das Komische selbst wie das Lachen sind die Folge eines Fehlverhaltens. Ursache alles Komischen ist für ihn eine mangelnde Selbsteinschätzung, die Unkenntnis der eigenen Person hinsichtlich Vermögen, Aussehen und Verstand.3 Vermeidbar also wäre dieser Fehler durch eine angemessene Erkenntnis, das moralische Übel ließe sich durch den rechten Einsatz der Vernunft verhindern. Indes legitimiert solche Selbstüberschätzung durchaus nicht das Gelächter der anderen über sie, und verdächtig muß es wirken, weil es ein Übel zum Anlaß der Freude nimmt. Platons Mißtrauen aber beinhaltet auch schon den Schlüssel zur Erklärung des Zusammenhangs zwischen dem Fehler des einen und dem Vergnügen des anderen: Das Lachen ist eine Folge des Neids, der niemandem ein Gut gönnen will und deshalb die Lust am Übel seiner Mitmenschen verursacht.4 Platons moralisierende Zuordnung von Komik und Lachen, die dieses selbst wie seinen Anlaß verwirft, bedient sich indes einer weiteren Spezifikation, um die besonderen Bedingungen zu bezeichnen, unter denen das Übel des einen den anderen erst ihr - bedenkliches - Vergnügen bereiten kann. Voraussetzung dafür ist die Machtlosigkeit dessen, der seine eigene Person nicht richtig einzuschätzen weiß. Sofern der Lachende die Rache des Betroffenen zu fürchten hat, sofern dessen mangelnde Selbsterkenntnis durch seine Machtstellung zur Gefahr wird, bleibt kein Raum für das Vergnügen am Komischen, weil es nur noch als eine potentielle Quelle von Schädigung erscheint.5 Das Lachen also verlangt die Möglichkeit distanzierter Betrachtung, erfordert das Fehlen aller Bedrohung, und diese Voraussetzung bleibt bei Platon an den sozialen Status dessen gebunden, der durch seine Selbstüberschätzung zur komischen Figur gerät. Das Komische wie das Lachen gehören zum Geltungs-
Cf. Platon, Philebos 48c-e. "Wer aber neidet, der wird sich wohl immer über die Übel des Nächsten erfreut zeigen" (Platon, Philebos 48b; Platon [1990] 379). "Denn die Unwissenheit der Mächtigen ist feindselig und schändlich, denn sie ist auch den Nächsten verderblich, sie selbst und ihre Abbilder; die Schwäche aber fällt uns in die Natur und das Gebiet des Lächerlichen" (Platon, Philebos 49c; Platon [1990] 383).
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bereich eines Verhaltens, das der rationalen Kontrolle untersteht und zugleich über kalkulierbare soziale Differenzen reguliert wird. Um zunächst die allgemeine Tendenz der Veränderung zu skizzieren, die Platons Analyse bei Aristoteles erfährt, läßt sie sich als eine Abstraktions- und Komplexitätssteigerung kennzeichnen, durch die vor allem der Geltungsbereich kontrollierbaren Verhaltens eingeschränkt wird. Es liegt auf der Hand, daß in der Folge dieser Transformation auch die moralische Besetzung des Komischen wie des Lachens deutlich reduziert wird. Einen wesentlichen Grund, präziser noch ein aufschlußreiches Symptom für diese Verwandlung bildet der Zusammenhang, der den Rahmen für Aristoteles' Erörterung des Komischen bietet. Sie findet sich in seiner Poetik, und dieser Umstand bringt zunächst den bekannten, überlieferungsgeschichtlichen Nachteil mit sich, daß der zweite Teil dieser Schrift verloren ist, welcher sich des näheren mit der Komödie beschäftigte. Indes beinhaltet auch der verbliebene Rest noch eine Fülle von Hinweisen auf den Komikbegriff des Stagiriten, dem wesentliche Merkmale aus der unmittelbaren Opposition zum Begriff des Tragischen zuwachsen. Schon Manfred Fuhrmann hat bemerkt, daß die Definition des Komischen als eine Umkehrung der generischen Bestimmung der Tragödie formuliert ist.6 Folgt man dieser Beobachtung und befragt das Verhältnis von Komik und Tragik auf seine Voraussetzungen wie Konsequenzen, so bietet es einen Schlüssel zur Erkenntnis der Veränderungen, die Aristoteles an der Analyse des in Platons Philebos vornimmt. Zunächst der Wortlaut seiner Definition: Die Komödie ist, wie wir sagten, Nachahmung von schlechteren Menschen, aber nicht im Hinblick auf jede Art von Schlechtigkeit, sondern nur insoweit, als das Lächerliche am Häßlichen teilhat. Das Lächerliche ist nämlich ein mit Häßlichkeit verbundener Fehler, der indes keinen Schmerz und kein Verderben verursacht, wie ja auch die lächerliche Maske häßlich und verzerrt ist, jedoch ohne den Ausdruck von Schmerz.7 Wie schon bei Platon ist das Komische als ein Übel bezeichnet, indes fällt ins Auge, daß dieser Fehler hier nicht auf eine Ursache hin transparent gemacht ist, sondern seine Wirkung spezifiziert wird. Dazu paßt auch das Beispiel der zum Lachen reizenden Maske, deren entstelltes Gesicht keinen Ausdruck von Schmerz zeigt. Dieser Wechsel der Perspektive von der Ursache hin zur Folge des Übels aber läßt sich in Verbindung bringen mit dem kontrastiven Modell der Tragödie, aus dessen Gegenüberstellung Aristoteles seine Definition des Komischen gewinnt. Denn tragische Wirkung erzielt "ein verderbliches oder schmerzliches Geschehen, wie z. B. Todesfälle auf offener Bühne, heftige
6 7
Aristoteles [1982] 116. Aristoteles, Poetik Kap. 5 (Aristoteles [1982] 17).
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Schmerzen, Verwundungen und dergleichen mehr."8 Das hier genannte Kriterium des folgenschweren Vorkommens macht indes nur einen Teil des spezifischen Potentials der Tragödie kenntlich. Ihr Effekt nämlich beruht wesentlich auf einem gewissen Mißverhältnis von Ursache und Wirkung, einer Diskrepanz, die Aristoteles im Zusammenhang seiner Charakteristik des tragischen Helden erläutert. Denn der für die Gattung typische mittlere Held erfährt ein nur in Grenzen verdientes Unglück, das Ausmaß seines Leids ist nicht vollständig seiner Verantwortung zuzurechnen, und eben deshalb erzeugt sein Schicksal Jammer und Schauder beim Zuschauer.9 Diese Dissoziation des Verlaufs der Ereignisse von den Kontrollmöglichkeiten der Handelnden, die partielle Autonomie des Geschehens gegenüber dem moralischen Standard seiner Akteure führt in diese Handlung ein Moment der Unberechenbarkeit ein, welches zugleich eine gewisse Machtlosigkeit der Handelnden gegenüber den Auswirkungen ihres Tuns bedeutet. Es ist ja dieser latente Konflikt von Moral und Logos, der einen Kernpunkt des Aristotelischen Tragödienmodells darstellt. Erkennbar fordert er den Rationalisten heraus, der denn auch gleich eine Lösung bei der Hand hat, um den entmachteten Logos in seine alten Rechte wiedereinzusetzen. Denn das Unerwartete, das Überraschende und deshalb so Wirkungsvolle soll gleichwohl folgerichtig eintreten. Genau um diesen Punkt kreist die berühmte Diskussion des Wahrscheinlichen der Tragödie im neunten Kapitel der Poetik, und das schlechte Gewissen des Logikers im Angesicht der Herausforderung, die die Tragödie für ihn bedeutet, scheint beruhigt durch die Differenzierung zweier hermeneutischer Perspektiven: Das prospektiv Unwahrscheinliche, das wider Erwarten Eintretende, erweist sich retrospektiv als schlüssig. Wie weitgehend auch immer diese Unterscheidung die Allzuständigkeit des Logos wiederherzustellen vermag, um der Eigenheiten der Tragödie Herr werden zu können, muß Aristoteles eine gewisse Diskrepanz von ethos und Logik zugestehen und in ihrer Konsequenz den Menschen einem nicht rundherum kontrollierbaren Handeln ausliefern. Es ist dieser Hintergrund der Tragödie, der die Differenz von Aristoteles' Komikbegriff gegenüber der Platonischen Analyse des Philebos nachvollziehen läßt, und hier verdient zunächst der Umstand Beachtung, daß Aristoteles' Definition des Lächerlichen sich schon in ihrer Formulierung als eine abhängige Größe erweist. Denn den konzeptuellen Kern des Komischen bestimmt der Stagirite mithilfe einer Negation, der Negation des Tragödienmodells, und macht schon allein damit die konzeptuelle Nachrangigkeit dieses Komischen kenntlich. Seine bereits mit der Formulierung signalisierte Abhängigkeit von der Tragödie aber kann erklären, warum sich bei Aristoteles auch nicht eine Spur jener Herleitung des Lachens aus dem Neid finden läßt,
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Aristoteles, Poetik Kap. 11. Aristoteles, Poetik Kap. 13.
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auf den es Platon zurückführt; vielmehr wird der Stagirite in der Nikomachischen Ethik eine funktionale Legitimität dieses ridiculum entwickeln,10 die Platons Hypothese, ohne dies ausdrücklich zu machen, konsequenterweise sehr entschieden verwirft. Auch diese mehr zwischen den Zeilen stattfindende Absage an Platons Theorie in der Ethik aber bezieht ihren Ansatz aus einer Funktion des Komischen, die sehr weitgehend dessen Rolle als einem Gegenentwurf zur Tragödie ähnelt. Hat die Tragödie ihr Zentrum in einem Fehl verhalten, das in keinerlei Verhältnis zur Schwere seiner Folgen steht, so holt die Komödie stattdessen ein Lächerliches auf die Bühne, dessen Natur in einem folgenlosen Fehler besteht. Die erwähnte logische Nachrangigkeit des Komischen gegenüber dem Tragischen als dessen Umkehrung äußert sich also auch in der Abhängigkeit seiner Wirkungen. Während das in seinen Konsequenzen unmäßige und nicht mehr zu steuernde Versagen Erschrecken und Betroffenheit auslöst, reizt die folgenlose Fehlhandlung zum Lachen. So bietet das Komische gewissermaßen die optimistische Variante jenes Ordnungsverlusts, den die Tragödie in all seiner Bedrohlichkeit vor Augen führt, und die Nachrangigkeit des Komischen macht zugleich seine Wirkung plausibel. Wenn der folgenlose Fehler Lachen hervorruft, also einen Ausdruck der Lust, dann erklärt sich dieses Vergnügen gewissermaßen aus einer Entlastungsfunktion. Die Befreiung aus der Sorge vor den unabsehbaren Konsequenzen des Handelns konkretisiert sich in der komplementären Erfahrung der Unerheblichkeit von Fehlern. So hätte das Komische seinen Anteil an einer Kartharsis, die angesichts eines unabwendbaren Unglücks zur Gelassenheit erziehen möchte und die doch zugleich darauf zählen kann, daß nicht alle Fehlleistungen lebensbedrohlich sein müssen, sondern auch belanglos ausfallen können. Im Nebeneinander von Komödie und Tragödie ist durch die Symmetrie ihres Verhältnisses jene Ordnung wiederhergestellt, welche die Dissoziation von Moral und Handlungslogik durcheinandergebracht hatte, und dieses Nebeneinander erweist sich zugleich als ein Nacheinander, das dem Lachen seine Identität als Ausdruck der Entlastung von der Sorge um die ebenso unabsehbaren wie unkontrollierbaren Folgen des eigenen Tuns verleiht. Wenn Aristoteles für die Platonische Erklärung des Lachens keinen Ort mehr hat, dann findet dies seinen Grund in der partiellen Preisgabe von dessen Glauben an die unumschränkte Macht der Moral. Das Lachen über das Komische ordnet nicht mehr zwei Formen eines vermeidbaren moralischen Versagens einander zu, sondern hat seinen Ursprung an der Grenze der Leistungsfähigkeit ethischer Disziplinierung des Handelns. Es bezieht nun seinen Impuls gerade aus den Erfahrungen der Machtlosigkeit gegenüber einem Lauf der
Cf. Aristoteles, Nikomachische Ethik X, 6.
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Dinge, der sich der Steuerung durch die Tugend teilweise entzieht. Platons Kategorie der Schwäche des Irrenden als Voraussetzung seiner komischen Wirkung ist bei Aristoteles denn auch entpersonalisiert. Verderblichkeit von Fehlern ist nicht mehr eine Frage sozialer Gewalt und deshalb mit dem Status von Personen verrechenbar, Machtlosigkeit entwickelt sich vielmehr zu einer strukturellen Konsequenz von Unabsehbarkeit; sie ist eine Wirkung jener Kontingenz, die aus der partiellen Diskrepanz von logos und ethos erwächst und deren Erscheinungsform in Gestalt der Tragödie für den Rationalisten Aristoteles zur Herausforderung gerät." Der Wechsel der Perspektive von der Erforschung der Ursachen von Komik und Lachen, welche Platon in einem vermeidbaren moralischen Versagen entdeckte, hin zu den nicht mehr rundherum kontrollierbaren Wirkungen des Fehlhandelns erklärt sich aus der Skepsis gegenüber der unbegrenzten Regulationsfähigkeit der Moral. Die Aufwertung des Komischen gegenüber Platon also stellt sich im Gefolge der Einsicht ein, daß Defizite der Ordnung unvermeidlich und nur zu bewältigen sind, wenn man die Logik der Unordnung rekonstruiert. Es ist eine gleiche Konzession, die hinter der Legitimierung des Scherzes in der Nikomachischen Ethik steht.12 Die schon in der Antike selbst13 wie auch weiterhin überaus erfolgreiche, hier entwickelte Figur der recreatio animi rechnet mit den Grenzen menschlicher Kraft zum tugendhaften Handeln, denn es bedarf eines Aufwands, der nicht unablässig zu erbringen ist. So wie die körperliche Anstrengung Pausen benötigt, um aus der Ruhe Energie für neue Leistungen zu gewinnen, gilt gleiches für die intellektuelle Tätigkeit des Menschen. Sie
" Machtverhältnisse als eine Konstituente des Komischen sollten in der Theorie unseres Jahrhunderts noch einmal in Friedrich Georg Jüngers Studie Über das Komische Bedeutung erlangen. Es ist für ihn schlechthin die Perversion einer gegebenen Hierarchie, das - lächerliche - Aufbegehren des Schwächeren, welches eine entsprechende Wirkung hervorruft. Auch dies ist eine entschiedene Gegenposition zu Ritters Theorem - das Komische als eine Form der Stabilisierung von Herrschaft geht kaum mit dessen Akzentuierung seiner subversiven Potenzen auf. Er verwandelt im gleichen Zug den Anteil der Macht am Komischen, den Platon ihm zugewiesen hatte und rückt eine dem Komischen selbst äußerliche Bedingung in dessen Zentrum. Nicht als Ermöglichungsgrund für die lustvolle Wahrnehmung eines Häßlichen tritt nun Machtlosigkeit in Erscheinung, sondern als Voraussetzung einer Selbstüberhebung, die allererst zum Lachen reizt. Wenn Jüngers Analyse ungeachtet aller Differenzen eine Gemeinsamkeit mit Ritters Erklärung aufweist, dann besteht diese in seiner Reduktion der moralischen Norm auf Hierarchien der Macht, welche in anderer Form gleichfalls die Substanzlosigkeit dieser moralischen Ordnung postuliert. Indes ereilt Jüngers Erklärungsversuch das Schicksal aller Bemühungen um eine inhaltliche Definition des komischen Konflikts: die Notwendigkeit der Metaphorisierung, die zugleich die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bezeugt. So kann das Beispiel Gogols, die überlange Nase, welche "gleichsam die Forderung erhebt", das ganze Gesicht habe sich nach ihr zu richten, eben nur noch im Sinne eines 'als ob' interpretiert werden (Jünger [1948] 16). 12 Cf. Aristoteles, Nikomachische Ethik IV, 14. 13 Nur einige Hinweise seien gegeben: Xenophon, Symposion I, 1; Seneca, De tranquillitate animi XVII, 4f.; Plinius, Epistulae 8, 21, 1-2. Zur Figur des cf. Suchomski [1975].
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verlangt nach Entspannung und findet sie in Spiel und Scherz. Wieder ist es unübersehbar die Argumentation eines Logikers, der die Eignung des iocus für diesen energetischen Zweck begründet. Entspannend nämlich wirkt bemerkenswerterweise die - spielerische - Verletzung des Sittengesetzes; der Scherz ist nichts anderes als eine Form der Beleidigung, und so schöpft der Verstand Kraft für die Tugend, indem er - unernst - ihre Verletzung ausprobiert. Für einen Logiker charakteristisch, sind also Entspannung und Negation einander zugeordnet. Diese funktionale Legitimation des Komischen distanziert sich, wie erwähnt, deutlich von Platons Urteil, der das auf den Neid zurückführte. Nun ist es gerade in den Dienst der Tugend und nicht mehr in den Gegensatz zu ihr gestellt. Diese ihm zugewiesene Leistung aber wird noch einmal plausibel durch den Status, den das Komische in der Poetik als eine Figur der Entlastung besaß. Denn auch der Scherz befreit aus den Ansprüchen einer Moral, indem er ihre Geltung temporär aufhebt und das in ihr Ausgegrenzte positiviert. Die mit einem Ausdruck der Lust versehene Negation des Sittengesetzes befreit also vorübergehend von den Anforderungen einer Ethik, der nicht ohne eine zeitweilige Ausnahme von ihren Verpflichtungen Genüge getan werden kann. Weil aber der Scherz zugleich den Ernst negiert, kann er der Tugend auch nicht gefährlich werden und bestätigt somit ihren Vorrang. Wieder bringt das Komische einen Kompensationseffekt mit sich und korrigiert die Verwerfungen der Ordnung. Wenn das animal rationale durch unablässige Tugend überfordert wird, dann hat dies seine ontologische Ursache in der Bindung der Seele an einen Körper, den diese Seele um ihres eigenen Wohlergehens willen stets zu beherrschen hat, und dieser energetische Aufwand zur Disziplinierung des ihr selbst Fremden und sie potentiell Störenden erfordert einen Ausgleich. In diesem Sinn setzt der Scherz die Moral vorübergehend außer Kraft und bewirkt eine Entlastung, die im Lachen über das Verbotene zum Ausdruck kommt. Erneut also stellt die Komplementarität zweier Unordnungen die Ordnung wieder her. Dieser Effekt aber markiert deutlich den Unterschied gegenüber einer Theorie des Komischen, die - wie bei Ritter - in seinem Zeichen dem Anderen der Ordnung als dem Eigentlichen zum Durchbruch verhilft. Das Komische bleibt bei Aristoteles im Bund mit einem Logos, dessen Stabilität gerade dann gefestigt wird, wenn er auch die Unordnung integriert. An der Nahtstelle von Ordnungsgefährdung und -Wiederherstellung angesiedelt und durch eine solche Sicherungsleistung vom Platonischen Anathema entlastet, wächst dem Komischen auf der Grundlage des Aristotelischen Denkens schließlich eine Funktion zu, die die nachfolgende Theorie vielleicht am entschiedensten beeinflussen sollte. Denn auch der Rhetoriker Aristoteles wußte Komik und Lachen einen Platz zuzuweisen und beschrieb den Witz als ein Instrument, sich das Wohlwollen des Publikums zu verschaffen. Zwar gehört er nicht zu den eigentlichen Überzeugungsmitteln, die das Zentrum der
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ars rhetorica ausmachen, doch erweist er treffliche Dienste als ein Ausweis der urbanitas des Redners, mit der er die unverzichtbare Sympathie seiner Hörer gewinnen kann. Aufschlußreich sind die genannten Beispiele der Ironie und des Wortwitzes, der aus dem Wechsel von Buchstaben entsteht.14 In beiden Fällen handelt es sich um eine Täuschung, wie der Stagirite ausführt, und diese Charakteristik erklärt zugleich ihr komisches Potential, das noch einmal aus Aristoteles' anderweitigen Erläuterungen des Lächerlichen plausibel wird. Auch hier haben wir es mit einer Positivierung von Negativität zu tun, die diese Negativität zugleich aufhebt. Denn die Täuschung ist nur eine scheinbare, der Verstoß gegen die Ordnung nur vermeintlich und deshalb lustvoll, weil er sich als folgenlos herausstellt. Noch einmal also haben wir es mit so etwas wie einer abgewendeten Gefahr zu tun. Indes verbindet sich die angenehme Wirkung dieser komischen Täuschung mit einer zweiten Ursache des Vergnügens an ihr, und gerade diese Verknüpfung sollte sich als folgenreich herausstellen. Die Zugehörigkeit von Ironie und Witz zum Repertoire der urbanitas bestimmt sie auch als den Ursprung einer höchst intellektuellen Lust, welche in der Freude an der Erkenntnis besteht. Denn urbanitas meint die Qualität einer Rede, die nicht unmittelbar transparent ist und deren Entschlüsselung einiger Mühe bedarf. Diese Enträtselung geht mit einem Lerneffekt einher, und ein solcher Gewinn deutet gewissermaßen auf den Kembestand Aristotelischer Anthropologie. Nicht allein ist das Erstaunen bei ihm als eine Voraussetzung allen Lernens, als der Anfang aller Philosophie begriffen, sondern der Erwerb von Kenntnissen, die Vermehrung seines Wissens bezeichnet eine der originärsten Tätigkeiten des animal rationale; und weil dies zutiefst seinem Wesen entspricht, bereitet es Vergnügen - wie für den Stagiriten auch alles andere Naturgemäße eine Quelle von Lust bedeutet.15 Die vis comica der vermeintlichen Täuschung also überkreuzt sich hier mit dem Lusteffekt des Lernens, und diese Verbindung wird zumal an der Schwelle der Neuzeit der Analyse des Komischen einen neuen Weg weisen. Zunächst aber bleibt diese Symbiose auf eine Strategie der Rhetorik beschränkt, und genau dies wird im Hinblick auf die erwähnten frühneuzeitlichen Transformationen zu beachten sein. Denn der Zusammenhang zwischen dem ridiculum und seiner rhetorischen Wirkung ist, gemessen an der Analyse der Natur des Komischen, kontingent. Diese Wirkung ist Effekt eines strategischen Kalküls, verdankt sich einem ingenium, das das ridiculum nutzbringend einzusetzen versucht. Aristoteles' Integration des in die Rhetorik aber bot den
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Aristoteles, Rhetorik III, 11, 6: "Femer beruht der Witz der sentenzenartigen Sprüche darauf, daß man das nicht sagt, was man meint [...] Dies ist auch die Wirkung der Wortwitze, die aus den Buchstaben und ihrem Wechsel resultieren; denn sie führen eine Täuschung herbei."
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Cf. hierzu des näheren unten A 44.
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römischen Rhetorikern Gelegenheit, an seine Überlegungen anzuknüpfen, als sie die Leistungen von Witz und Komik für die Redner definierten und zugleich normativ regulierten. Dem Repertoire rhetorischer Funktionen des ridiculum verdankt die Theorie denn auch eines der Kriterien, die bis in die moderne Theorie hinein für dessen Wirkung schlechthin verantwortlich gemacht werden: die Erwartungsdurchbrechung.16 Mir scheint es wesentlich, für diesen immer wieder genannten Typus des Komischen seinen Aristotelischen Hintergrund der Verbindung mit einem Lerneffekt als Quelle des komischen Vergnügens im Auge zu behalten. Erst dann wird die Distanz gegenüber jenen modernen Kommentatoren antiker Komiktheorien einsichtig, die sich daran gestört haben, daß es sich bei diesem Typus letztlich um eine Definition des Komischen schlechthin handle.17 Indes spiegelt eine solche, damit als transhistorisch gültig angesetzte Bestimmung dieses Phänomens eine wesentlich moderne Prämisse: die Definition des Komischen als einer Normabweichung, wobei diese Norm zugleich mit der Normalitätserwartung des - komisch - Überraschten identifiziert wird. Der Maßstab, an dem das Komische als eine Abweichung gemessen wird, aber ist damit ein erst hergestelltes Prinzip. Denn Normen setzen einen Akt der Normierung voraus, der solche Regelmäßigkeit erst schafft, und Erwartungen sind aus Erfahrungen destillierte Regelmäßigkeitsannahmen, die insofern erst Produkte von Beobachtungen darstellen. Doch die Struktur der Ordnung, an der das Komische sich bemißt, besitzt für die antike Theoriebildung einen entschieden substantielleren Charakter. Die Qualifikation dieses Komischen in Kategorien moralischer und ästhetischer Negativität meint deshalb stets den Konflikt mit einer wesenhaften Ordnung, die weit mehr ist als bloße Normalität oder Regelmäßigkeitsgläubigkeit. Auch die Enttäuschung der Erwartung hat deshalb noch einen Anteil absichtsvoller Täuschung, sie ist noch immer moralisch besetzt, wie es ja auch der Scherz in Aristoteles' Analyse ist - komisch fällt das eine wie das andere nur aus, weil das moralische Vergehen ein nur scheinbares ist. Die epistemische Dimension der Enttäuschung also bleibt verbunden mit den moralischen Aspekten einer Täuschung. (Wohl deshalb wird auch Cicero beides noch unmittelbar aneinanderfügen: "Überraschung wider alles Erwarten; Spott über fremden [...] Charakter [...] bringt die Leute zum Lachen."18 Erwartungsdurchbrechung und Verspottung liegen auch bei ihm noch dicht beieinander). Nur am Rande sei vermerkt, daß das in der jüngeren Literatur mit viel Kredit ausgestattete Kriterium der Erwartungsdurchbrechung weder historisch eine notwendige noch systematisch
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Cf. etwa Cicero, De oratore 2, 288f. (Cicero [1969] 227f.). Cf. etwa Fuhrmann [1973] 69 sowie Cooper [1922]. Cicero [1927] 212. ("expectationibus enim decipiendis et naturis aliorum inridendis risus moventur," Cicero, De oratore 2, 289). (Cicero [1969] 227f.).
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eine hinreichende Bedingung des Komischen darstellt: Auch das wider Erwarten Eintretende - dies ist im Grunde banal - reizt durchaus nicht immer zum Lachen. Die Konjunktur des Begriffs 'Erwartungsdurchbrechung' aber läßt, vielleicht weil er ein terminus technicus ist, über das Offensichtliche hinwegsehen. Konzeptuell führen die Erörterungen des Komischen in der späteren Rhetorik über den Stagiriten kaum hinaus; sie erschöpfen sich sehr weitgehend in einem Katalog von Sprachfiguren, mit deren Hilfe sich komische Effekte erzielen lassen, indes fehlt es diesen Typen zumeist am Aufweis jener spezifischen Qualität, der die je bezeichnete Sprachfigur eine entsprechende Wertung verdankt. Denn als solche, um zwei geläufige Beispiele zu erwähnen, sind weder Antithese noch Doppelsinnigkeit eine hinreichende Voraussetzung für das Lachen. Die Analyse der vis comica selbst führt indes kaum neue Argumente ein: Die nächste Frage betrifft den Sitz, die Fundstätte des Lächerlichen; sie liegt in einer gewissen Häßlichkeit und Verzerrung, Denn man lacht nur oder doch zumeist über das, was irgendeine Häßlichkeit bezeichnet, freilich in nicht häßlicher Weise bezeichnet.19 Ciceros bekannt gewordene Definition bleibt sehr weitgehend ihrem Aristotelischen Modell verpflichtet, nur tritt - den Interessen des Rhetors entsprechend - an die Stelle der Folgenlosigkeit ein anderes Kriterium. Komisch ist nun diejenige turpitudo bzw. deformitas, die gleichwohl dezent bezeichnet wird. Ciceros knappe Bemerkungen lassen die Leistung dieser leisen Diskrepanz von Wort und Ding offen. Resultiert die komische Wirkung aus diesem Mißverhältnis selbst? Oder bezeichnet die Forderung ehrenhafter Benennung des Häßlichen und Schändlichen nur eine Bedingung, unter der sie allererst zur Sprache gebracht werden können, ohne daß der Bezug von res und verba selbst einen Anteil an ihrem Effekt besitzt? Ciceros Analyse bleibt undeutlich, und auch kein anderer der römischen Rhetoriker vermag den konzeptuellen Ertrag der Aristotelischen Analyse wesentlich zu ergänzen.20 Indes sollte,
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Cicero [1927] 192f. ("Locus autem et regio quasi ridiculi - nam id proxime quaeritur turpitudine et deformitate quadam continetur; haec enim ridentur vel sola vel maxime, quae notant et designant turpitudinem aliquam non turpiter," Cicero, De oratore 2, 236). (Cicero [1969] 204). Diese Traditionalität geht gleichermaßen aus der Funktionsbestimmung hervor, die Cicero für den Redner formuliert: "Ich komme zur dritten Frage: Gelächter auszulösen gehört unbedingt zur Aufgabe des Redners; schon von selbst macht die Heiterkeit den, der sie hervorgerufen hat, beliebt; auch bewundem alle den Esprit, der oft in einem einzigen Worte, zumal der Antwort, aber zuweilen auch der Herausforderung liegt; es zerschmettert den Gegner, es umstrickt ihn, räumt ihn aus dem Wege, schüchtert ihn ein, widerlegt ihn; zugleich zeigt es den Redner als einen geschmackvollen, feinsinnigen, gebildeten Menschen, hauptsächlich aber wird es trübe und ernste Stimmungen mildem oder verscheuchen und häufig langweilige Dinge, denen mit Beweisen nicht leicht beizukom-
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ohne dies audrücklich zu machen, Quintilian entschiedene Bedenken an der Ciceromanischen Analyse anmelden, die in der Absicht einer Integration des Komischen in das Repertoire des Redners den komischen Effekt weitgehend auf dessen sprachliches Geschick reduziert. Das Lachen scheint nun allein jener urbanitas zu korrespondieren, die schon Aristoteles als eine Ursache des Vergnügens an Witz und Ironie beschrieb. Doch ihre vis comica speist sich aus anderen Quellen und verbindet sich nur mit einem Lerneffekt, der gleichfalls Lust bereitet. Gegen Ciceros salvierende Analyse, die den Anteil der turpitudo am Komischen gewissermaßen im non turpiter ihrer Darbietung zum Verschwinden bringt, macht Quintilian deshalb gerade den Stellenwert des Häßlichen und Schändlichen geltend und betont zumal jene Janusköpfigkeit des ridiculum, das ebenso aus absichtsvoller Geschicklichkeit wie aus unbeabsichtigter Fehlleistung entstehen kann: Denn ich glaube nicht, daß jemand befriedigend erklären könnte - so viele es auch versucht haben mögen -, woher der Lachreiz kommt, den nicht allein eine Handlung oder Bemerkung, sondern zuweilen auch eine Körperbewegung auslöst. Außerdem hat das, was zum Lachen bringt, keinen einheitlichen Grund: denn man lacht nicht nur über treffende und amüsante, sondern auch über törichte, zornige und ängstliche Bemerkungen und Handlungen, und deshalb läßt sich kein klarer Grund angeben, weil es vom Lachen zum Auslachen nicht weit ist. Es hat nämlich seinen Sitz in etwas Ungestaltem und Häßlichem, wie Cicero sagt, das, wenn es an anderen gezeigt wird, Urbanität heißt, kehrt es sich aber gegen den Redenden selbst, Torheit.21 Am Befund des Komischen als eines ästhetisch oder moralisch Mangelhaften hat auch das rhetorische Schrifttum nichts Substantielles geändert; dieses Urteil bleibt das letzte Wort antiker Theoriebildung. Ihre Variationen entstehen allein an der Frage des für das ridiculum kennzeichnenden Zusammenhangs zwischen einem nirgends bestrittenen Defizit und dessen Wirkung, welche als ein Ausdruck von Lust mit dessen Natur nicht in Einklang zu stehen scheint.
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men ist, durch Scherz und Laune hinwegfegen," (Cicero [1927] 193.) ("Est autem, ut ad illud tertium veniam, est plane oratoris movere risum; vel quod ipsa hilaritas benevolentiam conciliat ei, per quem excitata est; vel quod admirantur omnes acumen uno saepe in verbo positum maxime respondentis, non numquam etiam lacessentis; vel quod frangit adversarium, quod impedit, quod elevat, quod deterret, quod refutat; vel quod ipsum oratorem politum esse hominem significat, quod eruditum, quod urbanum, maxime quod tristitiam ac severitatem mitigat et relaxat odiosasque res saepe, quas argumentis dilui non facile est, ioco risuque dissolvit" Cicero, De oratore 2, 236). (Cicero [1969] 204f.). (Quintilian [1972] 717) ("neque enim ab ullo satis explicari puto, licet multi temptaverint, unde risus, qui non solum facto aliquo dictove, sed interdum quodam etiam corporis tractu lacessitur. praeterea non una ratione moveri solet: neque enim acute tantum ac venuste, sed stulte, iracunde, timide dicta, ac facta ridentur, ideoque anceps eius rei ratio est, quod a derisu non procul abest risus. 'habet' enim, ut Cicero dicit, 'sedem in deformitate aliqua et turpitudine', quae cum in aliis demonstrantur, urbanitas, cum in ipsos dicentis recidunt, stultitia vocatur," Quintilian, Inst. orat. VI, 3, 7f.) (Quintilian [1959] I, 330).
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Der Spielraum dieser Varianten erklärt sich dabei wesentlich aus dem Status, den man der gestörten Ordnung je zubilligt. Platons rigoristische Lösung geht von der ungebrochenen Stabilität dieser Ordnung aus; wo ihre Verletzung mit Lachen quittiert wird, kann deshalb nichts anderes als eine weitere Perversion vorliegen. Das positive Potential, das Aristoteles im Komischen entdeckt, erwächst demgegenüber aus der größeren Komplexität, die die Ordnung des Vorfindlichen für ihn besitzt; denn er kalkuliert Faktoren einer nicht zu steuernden Unordnung ein, welche durch kompensatorische Korrekturen aufgehoben werden können. Das Komische bildet deshalb eine Gelenkstelle innerhalb jener komplexeren Struktur. Seine zunächst verwirrende Verbindung von Mangel und Lust wird als recreatio animi in der Ethik wie als Gegenentwurf zur Tragödie in der Poetik gerade zum Instrument der Wiederherstellung einer gestörten Ordnung und ihrer Sicherung; Vergnügen bereitet nun ein Defizit, das andere Mängel ausgleicht und deshalb die entstandene Unordnung behebt. Auf dieser Grundlage vermag schließlich die Rhetorik eine Strategie auszudifferenzieren, die die komplementäre Zuordnung von Mangel und Lust in ein Instrument des Redners verwandelt. Wie unhintergehbar auch diese Aufwertung des Komischen zum absichtsvollen Verfahren indes noch immer an eine Definiton des ndiculum als ästhetischer wie moralischer Defizienz gebunden bleibt, ruft Quintilians unübersehbare Kritik an Ciceros Analyse in Erinnerung, deren Beschränkung auf das rhetorische Verfahren den letztlich ontologischen Status einer Ordnungsverletzung in den Hintergrund drängt, die alles ndiculum wesenhaft bestimmt. An dieser Stelle tritt der kategoriale Unterschied antiker Analysen des Komischen gegenüber einer modernen Theorie hervor, die gerade aus der heimlichen oder ausdrücklichen Überzeugung von der Labilität aller Ordnung die Charakteristik dieses Phänomens entwickelt. Erst wo die Ordnung auf Normierung oder Regelmäßigkeitsannahmen gründet, wo sie ein Hergestelltes oder Erwartetes ist, erst wo eine Macht der Regulierung oder das Bedürfnis nach Verläßlichkeit für diese Ordnung verantwortlich zeichnen, läßt sich das Komische als ein Kontrahent dieser Ordnung errichten, welche gerade an ihm die Brüchigkeit eines nur Gemachten zu erkennen gibt. Diese Komplementarität antiker und moderner Theorien aber verdeutlicht zugleich ihre Konstante: Die Bestimmung der Natur des Komischen ist hier wie dort eine abhängige Variable einer Ontologie, die sich in der Analyse dieses Widerparts aller Ordnung ihrer eigenen Ordnungen versichert. In diesem Sinne bietet gerade die Renaissance einen bemerkenswerten Umschlag der Theoretisierung des ndiculum, weil sie aus der Umbesetzung des überlieferten Befunds eine dem zitierten Schrifttum in seinen Konsequenzen gerade gegenläufige Analyse entwickelt. Die Bindung rinascimentalen Schrifttums an eine klassisch-antike Literatur macht die Feststellung der Verbreitung antiker Definitionen bei den Humanisten zu einer Banalität, und so besitzt erwartungsgemäß die Definition des
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Komischen als eine Form moralischer und ästhetischer Häßlichkeit allenthalben viel Kredit.22 Der Wahrheit über die je diskutierte Sache versichern sich die Humanisten bekanntlich sehr weitgehend durch das Zitat überkommener Texte, indes wird gerade der fast nominalistische Glaube an die Autorität des überlieferten Wortlauts immer wieder zum Anlaß wie zum Ansatz einer im Einzelfall recht entschiedenen Distanzierung gegenüber dem je Zitierten. Einen wesentlichen Grund solcher Transformationen bildet eine unumgängliche Konsequenz des Glaubens an die Wahrheit der Überlieferung, der sich auf kaum mehr als die Kriterien ihres bloßen Vorhandenseins und ihres Alters stützt: die letztlich egalitäre Geltung eines mitunter recht disparaten Schrifttums. Die Auseinandersetzung mit dem je diskutierten Gegenstand entwickelt sich folgerichtig sehr weitgehend zur Montage von Zitaten unterschiedlicher Herkunft, deren Kombination als schlüssige Folgerung aus der Prämisse einer einheitlichen Wahrheit für die Identität des je Zitierten erhebliche Konsequenzen mit sich bringen kann. Die entscheidende Divergenz gegenüber einer uns geläufigeren Hermeneutik ergibt sich letztlich aus der je unterschiedlichen Konstruktion des Kontexts, der den Horizont der Auslegung bildet. Während eine moderne Rekonstruktion von Aristoteles' Bemerkungen zum Komischen den Zusammenhang seines CEuvres privilegiert, um die charakteristischen Züge seines Konzepts aus der Logik seines Denkens herauszuarbeiten, während Textlektüre hier also weitgehend eine Rekonstruktion des Besonderen darstellt, ist die Perspektive naturgemäß eine andere, wo der einzelne Text als Fragment einer universellen Wahrheit gilt, derer man stets nur in den Splittern einer zerstreuten und deshalb vielfältigen Offenbarung' habhaft wird. Gegenüber der wahrheitsagnostischen Hermeneutik des besonderen Sinns betreibt eine Suche nach der Wahrheit in den Partikeln eines überlieferten Schrifttums schlüssig die Verbindung der je zu findenden Bruchstücke, um aus ihrer Zusammenschau Einblick in die verborgene Natur des je in Frage stehenden Gegenstands zu gewinnen. Welche Folgen dies im Einzelfall mit sich bringen kann, sei zunächst anhand einer recht einläßlichen Analyse des Komischen beobachtet, welche sich in Antonio Minturnos zweiter, in volgare verfaßter Poetik von 1564 findet:
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Um nur zwei signifikante und zeitlich voneinander recht entfernte Beispiele aus dem Cinquecento zu nennen: Fast wörtlich zitiert Trissino im Vorwort zu seiner Sophonisba die Aristotelische Poetik:"...so ahmt die Tragödie die besseren Verhaltensweisen nach und die Komödie die schlechteren, und daher bewirkt die Komödie Gelächter, das wiederum dem Häßlichen zugehört, da das, was lächerlich ist, mit Mängeln behaftet und häßlich ist.*" ("cosi la Tragedia imitando fa e costumi migliori, e la Comedia peggiori, e per ciö essa Comedia muove riso, cosa ehe partecipa di bruttezza, essendo ciö, ehe e ridicolo, difettoso, e brutto"), (Weinberg [1961] I, 369). Entsprechend heißt es in Torquato Tassos Discorsi del poema eroico: "...die Komödien, die mittels häßlicher Dinge Vergnügen bereiten und damit zum Lachen reizen*." ("le comedie, le quali dilettano con le cose brutte, e con quelle muovono a riso"), (Tasso [1959] 547).
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Die Witze haben nach übereinstimmender Auffassung aller ihren Ort in jenem Häßlichen, das entweder aus sich selbst heraus Staunen erzeugt oder auf erstaunliche Weise bezeichnet wird. Und daher lachen wir nur oder doch am meisten über die Dinge, die irgendetwas Häßliches auf nicht häßliche Weise darstellen.*23 Erkennbar orientiert sich diese Definition an der entsprechenden Analyse in Ciceros De oralore, teilweise nimmt sie sich wie eine Übersetzung aus, und der Hinweis auf die motti belegt, daß Minturno hier konsequenterweise die Witze des Redners im Blick hat. Indes beschränkt sich seine Typologie der ridicula nicht auf diesen einen Fall, und der Poetologe hat naheliegenderweise an jenen Gegenständen des Lachens ein besonderes Interesse, die nicht dem Einfallsreichtum des Rhetors, sondern dem Ungeschick und Unglück des Personals der Komödie ihre Wirkung verdanken: Und nicht weniger lachen wir über die Übel des Verstands, und zwar über die wirklichen oder die fingierten in Handlungen und in Worten, und ebenso über die wahren oder fingierten Übel, die durch Zufall zustande kommen. Und dies, obwohl es eigentlich überheblich und unmenschlich ist, fremdes Unglück, fremdes Leid, Schädigungen, Knechtschaft, Armut oder niedrige Herkunft zu verlachen. Aber wenn auch bei Schäden an Leib und Seele und bei Schicksalsschlägen das Vorkommnis an sich wenig Freude bereitet, so erzeugt es doch bisweilen großes Gelächter, wenn etwas unbedacht geschieht oder gesagt wird oder wenn jemand sich beim Hinfallen das Gesicht oder einen anderen Körperteil beschmutzt oder wenn jemand zufällig einen Teil seiner Kleider verliert.*24
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"II luogo adunque de' motti da tutti e posto in quella bruttezza, ehe genera merauiglia ö per se stessa, ö perche merauigliosamente si nota: ö per l'una, e l'altra cagione. Conciosia, ehe di quelle cose solamente, ouero il piü ci ridiamo, ehe dinotano, e dissegnano aJcuna bruttezza non bruttamente" (Minturno [1564/1971] 132). Die fast identische lateinische Formulierung in Minturno [1559/1970] 307. "Ne meno ci fanno ridere i uitij deH'animo ö ueri, ö finti negli atti, e nelle parole: & i ueri, ö finti mali della fortuna. Benche sia cosa troppo superba, & inhuma Faltrui infelicitä, l'altrui miseria, le ingiurie, la seruitü, la pouertä, l'oscuritä del sangue altrui schernire. Ma, come ehe ne' danni del corpo e dell' animo, e della fortuna il caso per se poco diletti; pur taluolta suscita gran risa, quando si fa, ö si dice alcuna cosa trascuratamente, ö se cadendo il uolto, ö pur altra parte del corpo s'imbratta, ö fortunalmente parte della roba si perde," (Minturno [1564/1971] 132). Cf. ebenso in seiner lateinischen Poetik: "Et quae turpiter aut uere, aut ficte ex animo oriuntur turn facta, turn dicta, ac mores improbi, prauaeque; affectiones, & quae item fortunae incommode tribuuntur, persaepe risum mouent; quanquam uel petulans atque; illiberale, uel insolens ac superbum est, res aduersas, calamitates, iniurias, seruitutem inopiam, generis obscuritatem, miseram ciusuis [sie!] conditionem irridere." (Minturno [1559/1970] 307). ("Und was der Verstand - sei es in Wahrheit, sei es zum Schein - auf häßliche Weise hervorbringt, sowohl Taten wie Worte, auch schlechte Sitten, unpassende Gefühle, und was schließlich dem Zufall an Ungelegenem zugeschrieben wird, reizt sehr oft zum Lachen, obwohl es dreist und unwürdig oder gar übermütig und hochmütig ist, über eines Anderen Widrigkeiten, Unglück, Schaden, Knechtschaft, Armut, niedrige Herkunft oder beklagenswerte Lage zu lachen.*")
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Diesmal sind es Laster und Unglück selbst, die als Ursachen des Lachens fungieren, und alle antiken Autoritäten haben darin zumindest eine notwendige Bedingung des Komischen entdeckt. Indes entsteht für Minturno ein argumentatives Problem gerade aus dem Zusammenhang seines eigenen Textes, näherhin aus der Nachbarschaft zum Zitat aus Ciceros De oratore, das unmittelbar vorauf geht. Die zu lösende Schwierigkeit besteht darin, daß dort die vis comica an eine Zusatzbedingung geknüpft war, das "non bruttamente" der Darstellung, welche nun ausfällt. Folgerichtig wird das Lachen im unverstellten Angesicht von Unglück und Fehlern anderer zum moralischen Skandalon, und in dessen Qualifikation scheint unverkennbar die schon Platonische Herleitung der Freude am Übel aus der moralischen Minderwertigkeit des Lachenden durch. Näherhin ist es, wie im besonderen das Attribut superbo zeigt, eine spezifisch christliche Interpretation dieses Vergnügens an fremdem Leid, und damit greift Mintumo auf die mittelalterliche Wendung der skeptischen Erklärung Platons zurück, welche die Kirchenväter entwickelten25 und die auch die Literatur der Renaissance noch kennt.26 Indes fällt auf, daß dem
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Einsicht nicht allein in die moralische Erklärung des Vergnügens am Komischen, sondern zugleich in seine theologische Begründung gestattet Augustinus' De peccatorum mentis et remissione. Den Zusammenhang der Erörterung bietet die Diskussion der Frage, warum kleine Kinder, obwohl keiner Sünde aus eigenem Tun fähig, scheinbar im Widerspruch dazu gleichwohl ihre Mütter während des Stillens schlagen und beißen. Der Kirchenvater erklärt dies als eine Folge ihrer ignorantia, um diesen Befund sodann wie folgt zu kommentieren: "Haec non modo feruntur, verum etiam diliguntur in parvulis, et hoc quo affectu, nisi carnali, quo etiam risus jocusque delectat, acutorum quoque hominum ipsa quasi absurditate conditus: quis si eo modo sentiretur, ut dicitur, non jam illi tanquam faceti, sed tanquam fatui riderentur? Ipsos quoque fatuos videmus, quos vulgo moriones vocant, ad cordatorum delicias adhiberi, et in mancipiomm aestimatione pretiosores esse cordatis. Tantum valet camalis affectus etiam minime fatuorum in delectatione alieni mali. Nam cum homini jucunda sit aliena fatuitas, nee ipse tarnen talis esse voluisset" (Augustinus [1865] c.148). (Das erträgt man nicht nur, sondern man schätzt es sogar an den kleinen Kindern, und aus welchem Begehren heraus, wenn nicht dem fleischlichen, durch das auch das Lachen und der Scherz erfreut, der selbst bei geistreichen Leuten gleichsam mit Abgeschmacktheiten gewürzt ist. Wenn dieser nun so empfunden werden sollte, wie man sagt, werden jene dann nicht eher als töricht denn als witzig verlacht? Wir sehen auch, daß die törichten Leute, die man gemeinhin Narren nennt, von verständigen Leuten zu Possenspielen herangezogen werden und bei der Bewertung von Sklaven teurer bezahlt werden als die gescheiten. Soviel bewirkt die fleischliche Leidenschaft auch bei den gar nicht Törichten durch die Freude am fremden Übel. Denn wenn dem Menschen auch das törichte Verhalten anderer angenehm sein mag, so möchte er sich doch selbst keineswegs so verhalten.*) Cf. in Trissinos Poetica: "Ma se l'obietto ehe se appresenta ai sensi e mescolato di alcuna bruttezza, muove riso, come una faccia brutta e distorta, un movimento inetto, una parola sciocca, una pronunzia goffa, una mano aspera, un vino di non grato sapore, una rosa di non bono odore, subitamente muove riso. E questi specialmente fanno ridere quando si speravano di megliori qualitä, ch.6 allora non solamente i sensi ma ancora la speranza rimangono lievemente offesi. E questo tale piacere ci avviene per esser l'uomo di sua natura invido e maligno, come nei piccoli fanciulli chiaramente si manifesta, i quali tutti sono invidiosi et hanno sempre duetto di far male se possono" (Trissino [1562/1970-1974] 70). (Aber wenn der Gegenstand, der sich den Sinnen darbietet, mit etwas Häßlichkeit vermischt ist, reizt er zum Lachen, wie etwa ein häßliches oder
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Autor diese Erklärung auch nicht mehr zu genügen scheint. So findet er denn auch in moralischer Perversion nicht mehr eine befriedigende Ursache der vis comica, vielmehr benennt er im folgenden eine Bedingung, die dieses Skandalon eher mindert. Denn zum Lachen reizt das Übel nicht als solches, verantwortlich dafür zeichnen nun die besonderen Umstände seines Erscheinens, sei dies eine nur beiläufige Erwähnung oder ein unverhofftes Auftreten ("quando si fa, ö si dice alcuna cosa trascuratamente [...] ö fortunalmente parte della roba si perde"). Zumal der Beginn dieses Satzes führt unübersehbar zu Ciceros Bezeichnung der besonderen Voraussetzungen zurück, unter denen das Häßliche und Schändliche Anlaß zum Lachen gibt, und das bei ihm allein für die sprachliche Vermittlung definierte Kriterium des "non bruttamente" ist nun mit "trascuratamente" in ein Merkmal ausgeweitet, das gleichermaßen eine Qualität der Darstellung wie die Umstände des Vorkommens bezeichnet. Minturnos Ausführungen zum Komischen sind für die frühneuzeitliche Theorie dieses Phänomens in zweifacher Weise signifikant. Zum einen belegen sie paradigmatisch die diskursiven Verfahren dieser Theorie, für die die Analyse des Gegenstands sehr weitgehend einer Vermittlung verschiedener und zugleich disparaten Zusammenhängen entstammender Fragmente eines in seiner Geltung fraglosen Schrifttums gleichkommt. In der Konsequenz dieses Vorgehens aber entstehen zugleich Erklärungsmuster, die von den je zitierten Positionen konzeptuell erheblich abweichen können, wie im konkreten Fall die Ausdehnung der Ciceronianischen Beschreibung komischer Strategien des
verzerrtes Gesicht, eine ungeschickte Bewegung, ein dummes Wort, eine ungeschliffene Aussprache, eine ungepflegte Hand, ein übelschmeckender Wein, eine Rose mit schlechtem Geruch sofort zum Lachen reizen. Und diese Dinge erregen das Lachen vor allem dann, wenn man von ihnen eine bessere Qualität erhofft hatte, weil nun nicht allein die Sinne, sondern auch die Erwartung in milder Form verletzt werden. Und dieses Vergnügen rührt daher, daß der Mensch von Natur aus neidisch und boshaft ist, was sich bei kleinen Kindern deutlich zeigt, die alle neidisch sind und stets Vergnügen daran haben, Böses zu tun, wenn sie nur können.*) Sehr pointiert zitiert noch Castelvetro in seinem Kommentar zur Aristotelischen Poetik die moraltheologische Erklärung von Komik und Lachen: "Gli 'nganni altrui, adunque, ci piacciono oltre a modo e ci dilettano e ci costringono per l'alegrezza a ridere, essendone cagione la natura nostra corrotta per lo peccato de' nostri primi parenti, la quäle si ralegra del male altrui come del proprio suo bene; e spezialmente del male ehe procede da quella parte ehe e propria deH'uomo, cioe dal senno naturale, parendo a coloro ehe non sono ingannati, veggendo gli altri ingannarsi, d'essere da piü di loro e di soperchiargli in quella cosa massimamente, cioe nella ragione, per ehe eglino s'avicinano a Dio e trapassano di gran lunga tutti gli altri animali" (Castelvetro [1978-79] I, 128) (Die Betrügereien an anderen also gefallen uns über die Maßen, erfreuen uns und zwingen uns durch die Freude daran zum Lachen. Der Grund dafür liegt in unserer Natur, die durch die Sünde unserer Urväter verdorben wurde und die sich an fremdem Leid genauso ergötzt wie am eigenen Wohlergehen und dabei vor allem an jenem Übel, das dem ureigenen Teil des Menschen entstammt, seinem Verstand. Es scheint nämlich denen, die nicht zum Opfer einer Täuschung werden, beim Anblick von Leuten, die ihr anheimfallen, daß sie wertvoller als jene und ihnen in genau jener Hinsicht weit überlegen seien, nämlich in der Vernunft, durch die sie Gott nahekommen und alle anderen Lebewesen weit überragen.*)
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Rhetors auf die generelle Analyse der vis comica belegt. Indes deuten die aus den spezifischen Bedingungen ihrer Rezeption sich ergebenden Veränderungen der zitierten Positionen zugleich auf einen zentralen und zugleich problematischen Punkt aller vorfmdlichen Erklärungen hin: die Plausibilität der Beziehung des komischen Gegenstands zu seiner Wirkung. Ausdrückliche Aussagen Aristoteles' zu ihrem Zusammenhang liegen nicht vor, seine Einschätzung läßt sich nur aus dem Kontext seines Werks erschließen, und so bleiben im Grunde nur zwei überlieferte Erklärungen zurück. Die platonisch-christliche Erläuterung des eigenen Vergnügens an fremdem Unglück mittels moralischer Perversion und die spezifisch rhetorische Bestimmung einer komischen Wirkung der Rede. Wie zu erkennen, zitiert Minturno im Grunde beide Analysen und -vermittelt zwischen ihnen, indem er den moralischen Vorbehalt durch den Rekurs auf ein ciceronianisches Zusatzkriterium mindert, dessen Geltungsbereich er zugleich wesentlich ausdehnt, um es dabei erkennbar zu verwandeln. Die Lösung, die Mintumo in der Vermittlung des Disparaten findet, erweist sich gegenüber den solchermaßen vermittelten Positionen selbst als weitgehend kontingent, und dies ist nur schlüssig, weil das Problem sich erst unter den besonderen Prämissen ihrer Rezeption stellt. Indes bietet der Spielraum, innerhalb dessen sich solche Kontingenz einstellt, zugleich ein Kriterium für die Signifikanz der je gefundenen Lösung, die eben als nur eine kontingente Alternative im Horizont anderer, eben nicht ergriffener Möglichkeiten Bedeutung gewinnt.27 Minturnos Erklärung einer vis comica der altrui infelicitä verrät denn auch die Nähe zu der wohl prägnantesten Theorie des Komischen in der Renaissance, die er übrigens bereits mit einer bislang unerwähnten Modifikation am Wortlaut von Ciceros De oratore zitiert: "II luogo adunque de' motti da tutti e posto in quella bruttezza, ehe genera merauiglia" hieß es bei ihm. Es ist der hier durch Kursivierung markierte Zusatz zu Ciceros Definition, der auf Minturnos Gewährsmann hindeutet. Recht großzügig nämlich wird hier behauptet, daß er sich bei dieser Formulierung um eine communis opinio handle. Diesem Urteil ist nur dann zuzustimmen, wenn man den im stillen schon vorausgesetzten Schritt einer Harmonisierung des Verschiedenen mitvollzieht. Denn die Herlei-
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Es verbleibt im gleichen diskursiven Raster, wenn die Vielfalt vorfindlicher Erklärungen Anlaß zum Verzicht auf eine einheitliche Theorie gibt. In diesem Sinne entscheidet sich Scaliger in seiner Abhandlung De subtilitate ad Hieronymum Cardanum: "Prima nomen nondum habet: sed aiunt: ubi quid ridicule dictum, factumue sit. Malim dicere sic: Aliquid praeter morem communem, aut expectationem, aut sententias Sapientum. Omnino difficile est explicatu, quae unius generis ambitu sub ridiculi nomine contineri uideatur" (Scaliger [1557] 412). (Die erste hat noch keinen Namen. Aber man sagt: dort wo etwas auf lächerliche Weise gesagt oder getan worden sei. Ich würde lieber so sagen: etwas jenseits der allgemeinen Sitte, der Erwartung oder des Urteils der Weisen. Gänzlich schwierig ist es zu erklären, was unter der Bezeichnung des 'Lächerlichen' je einer Eigenart zuzurechnen ist.*)
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tung des Komischen aus einer bruttezza, die merauiglia erzeugt, rekurriert bereits auf einen anderen Versuch, die verschiedenen Versatzstücke antiker Theorie zu einem schlüssigen Modell zusammenzufügen. Dahinter steht der theoretische Entwurf Vincenzo Maggis. Von Beginn seiner Untersuchung De ridiculis an rückt Maggi die Bedeutung der admiratio als Ursache des Lachens in den Vordergrund.28 Zum Verständnis dieser Kategorie ist es wesentlich, ihren Aristotelischen Ursprung noch einmal in Erinnerung zu rufen. Verwunderung ist für ihn eine Folge von Unwissenheit, die der Aufforderung gleichkommt, solche Unwissenheit zu beheben. Sie ist deshalb der Anfang allen Philosophierens und die ursprüngliche Motivation eines Lernens, das zu den natürlichsten Verhaltensweisen des Menschen als eines animal rationale zählt.29 Eine Verbindung zwischen dem Komischen und dem deutet sich in der Aristotelischen Rhetorik an, wie aus den oben untersuchten Beispielen hervorging, indes erwuchs, wie gleichfalls oben bemerkt, diese Wirkung entsprechender Witze oder der Ironie nicht aus ihrer Komik selbst, sondern aus ihrer urbanitas, in der sich ein ganz anderer 'Witz' des Redners zeigte: sein Ingenium?0 Die Besonderheit von Maggis Theorie des Komischen wird in einer Umbesetzung der 'Eigenheiten' eines spezifischen komischen Phänomens zum generellen Kennzeichen des ridiculum bestehen, und dies bedeutet vor allem die Verwandlung einer besonderen Handhabung eines komischen Effekts in eine Eigenheit der Natur des
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"Quod autem ad primum attinet, summa quaedem capita, unde omnia ridicula ducuntur, ostendemus, et qua ratione in omnibus ridiculis cum admiratione turpitudinem (si ridiculum esse debeat) connexam esse oporteat edocebimus," (Maggi [1550b/l 970-74] 94). (Was aber den ersten Punkt anbelangt, so wollen wir gewisse oberste Voraussetzungen, aus denen alle Formen des Lächerlichen abgeleitet werden, aufzeigen, und wir werden darlegen, warum notwendigerweise in allen Formen des Lächerlichen das Häßliche (soweit es lächerlich sein kann) mit Erstaunen verbunden ist.*) So heißt es am Beginn der Aristotelischen Metaphysik: "Denn Verwunderung war den Menschen jetzt wie vormals der Anfang des Philosophierens, indem sie sich anfangs über das unmittelbar Auffällige verwunderten, dann allmählich fortschritten und auch über Größeres sich in Zweifel einließen, z.B. über die Erscheinungen an dem Mond und der Sonne und den Gestirnen und über die Entstehung des Alls. Wer aber in Zweifel und Verwunderung über eine Sache ist, der glaubt sie nicht zu kennen. (Deshalb ist der Freund der Sagen auch in gewisser Weise ein Philosoph; denn die Sage besteht aus Wunderbarem)" (Aristoteles, Metaphysik I, 2 [Aristoteles [1978] 13]). Cf. eine entsprechende Äußerung in Aristoteles' Mechanica Kap. 1. Es ist für das folgende nicht unwesentlich festzuhalten, daß bei Aristoteles gerade eine Opposition zwischen dem Lächerlichen und dem Wunderbaren besteht, wie seine Bemerkungen zum des Epos im 24. Kapitel der Poetik belegen: "Man muß zwar auch in den Tragödien dem Wunderbaren Einlaß gewähren. Indes, das Ungereimte, die Hauptquelle des Wunderbaren, paßt besser zum Epos, weil man den Handelnden nicht vor Augen hat. So würden die Begleitumstände der Verfolgung Hektors auf der Bühne lächerlich wirken: die Griechen stehen da und beteiligen sich nicht an der Verfolgung; Achilleus jedoch warnt sie durch ein Kopfschütteln. Im Epos hingegen bemerkt man solche Dinge nicht," (Aristoteles, Poetik Kap. 24 [Aristoteles [1982] 83]).
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Komischen selbst.31 Daß es sich dabei nicht um eine bloße Fortschreibung tradierter Erläuterungen des ridiculum handelt, beansprucht der Verfasser am Beginn seiner Abhandlung ausdrücklich, wie er denn auch die Schwachstelle aller überkommenen Erklärungen beim Namen nennt: die Plausibilität des Zusammenhangs zwischen der turpitudo des Objekts und ihrer Wirkung.32 Ein solches Defizit geläufiger Theorien hatte schon Trissino beklagt,33 der sich indes einer platonisch-christlichen Lösung des prekären Mißverhältnisses von Ursache und Effekt angeschlossen hatte. Der Kem dieser Lösung besteht in der Verlängerung der Negativität des komischen Gegenstands in die gleichermaßen bedenkliche Motivation des Vergnügens an ihm, und genau diese Relation kehrt Maggi um, indem er die Natur des Lachens zum Anlaß einer Positivierung der komischen turpitudo nimmt. Dieses positive Potential, durch die sie schließlich zur Quelle einer legitimen Lust wird, besteht in ihrer Neuheit, deren Leistung Maggi noch einmal mit dem ausdrücklichen Hinweis auf Aristoteles' Rhetorik begründet.34 Angenehm ist das Neue, weil wir dadurch etwas lernen. Die Distanz von Maggis Analyse des Komischen gegenüber seinen antiken Vorgaben läßt sich zumal an der Spezifikation der Bedingungen ablesen, unter denen das Häßliche oder Schändliche, jene Quali-
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Symptomatisch in dieser Hinsicht ist Maggis ausdrückliche Ablehnung der Ciceronianischen Zusatzbedingung, die das non turpiter als unumgänglich für den komischen Effekt einer turpitudo betrachtete: "cum ridicula multa dentur, de quibus minime verum est dicere quod turpia sint non turpiter, ut in iis pene omnibus quorum est usus in comoediis. Mimi praeterea ac rustici turpibus turpiter prolatis risum commovent" (Maggi [1550b/l970-74] 101). ([...] da es viele lächerliche Dinge gibt, über die es abwegig wäre zu sagen, daß sie auf anständige Weise unanständig sind, wie das für fast alle gilt, die in den Komödien vorkommen. Außerdem erregen Schauspieler und tölpelhafte Menschen Gelächter mit unsittlichen Dingen, die auf unsittliche Weise vorgebracht werden.*) "Verum id mihi vere dicere posse videor, rem adeo difficilem esse ut hac in re multa etiam nunc non satis explicata videantur, et longe plura desiderentur. Cuius rei vel maximum id esse polest argumentum: omnes qui de ridiculis scripserunt a turpitudine quadam ridiculum proficisci fateri, nullum tarnen fuisse qui docuerit quaenam esset illis in rebus de quibus ridemus turpitudo illa, ac ipsius ridiculi causam patefecerit," (Maggi [ 1550b/l970-74] 93). (Soviel läßt sich meines Erachtens sagen, daß der Sachverhalt so schwierig ist, daß dabei viele Punkte bislang nicht genügend geklärt zu sein scheinen und dazu noch sehr viele Anstrengungen nötig sind. Der beste Beleg dafür ist wohl die Tatsache, daß alle, die über das Lächerliche geschrieben haben, der Ansicht sind, es entstehe aus einer gewissen Häßlichkeit; aber dennoch gibt es noch niemanden, der uns gezeigt hätte, worin jene Häßlichkeit in den Gegenständen, über die wir lachen, besteht und der uns den Grund für das Lächerliche selbst offengelegt hätte.*) "Ma per ehe cagione poi questa bruttezza muove riso, non dicono; e quella parte di Aristotele ehe forse lo dicea e perduta," (Trissino [1562/1970-74] 69). (Aus welchem Grund aber diese Häßlichkeit das Lachen hervorruft, das sagen sie nicht; und jener Teil des Aristoteles, in dem dies möglicherweise geklärt wurde, ist verlorengegangen.*) "Nova autem nobis esse iucunda, turn communi omnium hominum sensu, turn etiam testimonio Aristotelis in Rhetorica, capite de iucundis, quoniam addiscere iucundem est, declaratur," (Maggi [ 1550b/l 970-74] 100). (Es wird behauptet, Neuigkeiten seien für uns erfreulich, und zwar sowohl nach allgemeiner Überzeugung der Menschen, als auch nach dem Zeugnis des Aristoteles in der Rhetorik, im Kapitel über das Angenehme, und zwar deshalb, weil das Lernen Freude bereitet.*)
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tat des novum gewinnt, die seine anderweitigen Eigenschaften vergessen macht, und eine zentrale Rolle in diesem Zusammenhang spielt die Kategorie des Zufalls.35 Das Unerwartete, das Überraschende verwandelt die turpitudo nun in eine Quelle lustbringender Erkenntnis, und für dieses Moment des Unvorhergesehenen werden der Zufall und das Ingenium dessen, der eine Überraschung absichtsvoll arrangiert, zu gleichwertigen Ursachen.36 Der Abstand zur zitierten Aristotelischen Kategorie kommt gerade in der Natur eines Zufälligen und damit Ordnungswidrigen zum Vorschein, das gleichwohl die Ursache eines Erkenntnisgewinns bedeutet. Diese Distanz läßt sich zumal ermessen, wenn man sich die ganz anderen Wirkungen in Erinnerung ruft, die der Stagirite mit den Ordnungsdefiziten der Wirklichkeit verband. Der Ausfall von Schlüssigkeit im Ablauf des Geschehens wirkte bedrohlich in der Tragödie, und erst diese Erfahrung der Machtlosigkeit gegenüber einem Unbeherrschbaren erzeugte die komische Wirkung desjenigen Unglücks, das keinerlei Folgen mit sich bringt und somit von der Angst befreite, die die Erfahrungen mit dem Tragischen dem Menschen bereiten. Maggi aber begreift das Ordnungswidrige des Zufalls als Quelle eines intellektuellen Vergnügens, das durch einen Zuwachs an Erkenntnis entsteht. Diese Loslösung des Lemeffekts von der Ordnung der Welt, an die sie bei Aristoteles stets gebunden blieb, die Trennung der Prinzipien der Vernunft also von dieser Ordnung ist ein manifestes Symptom der stillschweigenden Absage an den antiken Kosmosglauben, der die Vernunft des Menschen und die Gesetze dieses Kosmos an denselben
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Zum Stellenwert des Zufalls als Quelle einer novitas, die admiratio erzeugt, cf. etwa folgende Analyse eines Beispiels aus Ciceros De oratore, bei dem Maggi von der eigenen Analyse seines Gewährsmanns (De oratore 2, 245) bemerkenswert abweicht: "In hoc quoque ridiculo est turpitudo cum admiratione, animi scilicet turpitude, hoc est imprudentia Philippi cum novitate, quoniam cadit in quem nolebat. Philippi vero turpitudo est sub genere turpitudinis animi a casu contingentis: fuit enim casus quod iudex brevior sederet cum ipse vellet testem pusillum irridere," (Maggi [ 1550b4/l970-74] 108). (Auch in dieser Form des Lächerlichen findet man die Häßlichkeit in Verbindung mit dem Staunen, und zwar eine Häßlichkeit des Geistes, die mit einer überraschenden Wirkung verbundene Unwissenheit des Philippus, da er jemanden verletzen wollte. Die Häßlichkeit des Philippus ist innerhalb der Gattung 'Häßlichkeit des Geistes' eine zufallsbedingte; es war nämlich ein Zufall, daß ein Richter vorsaß, der noch kleiner an Wuchs war als der Zeuge, den Philippus verspotten wollte.*) Zu einer entsprechenden Zuordnung von Zufall und maraviglia in F. Boncianis Lezione sopra il comporre delle novelle cf. ders. [1970-74] 160: "Onde e' si puö cavare fra tutte le cose quelle solamente muovere la maraviglia ehe dalla fortuna e dal caso procedono, e queste con piü forza cagionare cotale effetto quanto eile si scostano piü dal modo nel quäle esse accadere sogliono." (Daraus kann man ersehen, daß unter allen Dingen nur diejenigen Staunen erregen, die dem Schicksal und dem Zufall entspringen, und daß sie mit um so größerer Kraft einen solchen Effekt hervorrufen, je weiter sie sich von der Art und Weise entfernen, auf die sie sich üblicherweise ereignen.*) "Admiratio autem duobus modis contingit: vel enim turpitudo per se nova est, vel ratione modi exprimendae turpitudinis nova censetur," (Maggi [1550b/1970-74] 103). (Verwunderung aber stellt sich auf zweierlei Weise ein: Entweder ist das Häßliche selbst neu, oder es wirkt so durch die Art und Weise, auf die es zum Ausdruck gebracht wird.*)
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Logos band. Wo auch das Unvorhersehbare des Zufalls zum Ursprung der Erkenntnis werden kann, dort ist die Verfaßtheit einer Welt vorausgesetzt, die stets für Überraschungen gut ist. Maggis Umbesetzung der Aristotelischen admiratio-Kategone erweist sich deshalb als ein Symptom des Verlusts jener antiken Kosmosmetaphysik, wie er sich mit dem Nominalismus des Spätmittelalters vollzieht, und so steht sie nicht zufällig in der Nähe zu ähnlichen Umbewertungen dieser Kategorie. Hans Blumenberg hat auf eine Auseinandersetzung Scaligers mit Cardano aufmerksam gemacht, der das Urteil Falsa delectant quia admirabilia allein für Kinder und Toren gelten lassen möchte. Scaliger hält dem entgegen, daß dieser Satz grundsätzlich zutreffe und versieht seine gegenteilige Behauptung mit einer Begründung, die den Cusaner als ihren Ahnherren nicht verleugnen kann: Daß auch das Falsche und Monströse Freude bereitet, erklärt sich aus der Unendlichkeit des menschlichen Verstands, dessen Möglichkeiten der Erkenntnis keine Grenzen gesetzt sind.37 Entsprechende Äußerungen lassen sich im zeitgenössischen Schrifttum verschiedentlich finden38 und belegen jene Dissoziation der Ordnung der Welt von den Prinzipien des menschlichen Verstands, die in Maggis Analyse des Komischen diesem Phänomen eine neue Geltung erschließen. Ungeachtet
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Cf. Blumenberg [1969] 13: "At quare delectant admirabilia? Quia mouent. Cur mouent? Quia noua. Noua sane sunt, quae nunquam fuere, neque dum existunt. [...] Mentem nostram esse natura sua infinitam. Quamobrem & quod ad potentiam attinet, aliena appetere: & quod spectat ad intellectionem, etiam e falsis ac monstrorum picturis capere uoluptatem. Propterea quod exuperant uulgares limites ueritatis [...]," zitiert nach Scaliger [1557] 396. (Und warum erfreut das Staunenerregende? Weil es bewegt. Und warum bewegt es? Weil es neu ist. Neu sind in der Tat Dinge, die niemals vorgekommen sind und die es noch nicht gibt. [...] Unser Verstand ist seiner Natur nach unbegrenzt. Deswegen kann er auch, seinem Vermögen entsprechend, fremde Dinge erstreben, und, insofern es die Erkenntnis betrifft, auch aus falschen und sogar aus Darstellungen von abscheulichen Dingen einen Lustgewinn erzielen. Und dies geschieht deshalb, weil diese Dinge die gewöhnlichen Grenzen der Wahrheit überschreiten [...]*) So unterscheidet Pontano in seinem Actius-Dialog schon am Ausgang des Quattrocento die Dichtung von der Geschichtsschreibung ganz gegen Geist und Buchstaben der Aristotelischen Poetik: "proposito vero omnino pene aut maxime profecto differunt, cum altera veritati tantum explicandae, quamvis et exornandae quoque intenta esse debeat, poetica vero satis non habeat neque decorum suum servaverit nisi multa etiam aliunde comportaverit, nunc ex parte aut vera aut probabilia, nunc omnino ficta neque veri ullo modo similia, quo admirabiliora quae a se dicuntur appareant," (Pontano [1984] 332). (In der Hauptsache aber unterscheiden sie sich kaum oder in der Tat höchstens darin, daß die eine bemüht sein muß, nur die Wahrheit zu erklären, wenn sie sie auch ausschmückt, daß dies aber für die Dichtung nicht genügt und daß sie sich auch nicht ihrer Natur entsprechend verhielte, wenn sie nicht viele Dinge anderswoher bezöge, seien es Dinge, die teilweise wahr oder wahrscheinlich sind, seien es solche, die völlig erfunden und der Wahrheit in keiner Weise ähnlich sind, wodurch das, was sie sagt, um so größeres Erstaunen hervorruft.*) Zur Zuordnung von Dichtung und admiratio cf. ibid. 498ff. Der entschiedene Anti-Aristoteliker F. Patrizi da Cherso macht in Delia poetica in ähnlichem Sinne das incredibile der Dichtung zur unabdingbaren Voraussetzung ihrer Wirkung, welche nun wesentlich in der maraviglia besteht: "e come padre e genitore della maraviglia sarä da dirsi lo incredibile," (Patrizi [1969-1971], II, 306f.). ([...] und als Vater und Urheber des Staunens wird man das Unglaubliche nennen müssen [...]*.
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seiner turpitudo gehört es nun zum Repertoire einer Vernunft, gemessen an deren Unendlichkeit alle Ordnung nur Beschränkung sein kann, - einer Vernunft, die gerade durch die Positivierung des Häßlichen im Komischen ihre Überlegenheit über alle Schranken des je gegebenen befestigt.39 Die epochale Signatur von Maggis Positivierung des Komischen läßt sich im besonderen an gleichgerichteten Bemühungen ermessen, die gleichwohl andere Argumente für ein entsprechendes Ziel einsetzen. Signifikant in dieser Hinsicht sind zwei Texte, die an der Schwelle des 17. Jahrhunderts entstanden sind, als deren erster Campanellas lateinische Version seiner Poetik von 1612-13 betrachtet sei. Die Gemeinsamkeit mit Maggi besteht im Rückgriff auf jenes Aristotelische Theorem, demzufolge die Erkenntnis als eine der natürlichsten Verhaltensweisen des animal rationale dem Menschen Vergnügen bereitet, wobei das Bemerkenswerteste seiner Argumentation darin besteht, daß sie auf eine schlichte Umkehrung der geläufigen platonischchristlichen Erklärung des Zusammenhangs zwischen dem Lachen und seinem Gegenstand hinausläuft. Diskreditierte für die moralistischen Skeptiker die Natur des komischen Objekts das Vergnügen an ihm, so zielt Campanellas Erläuterung darauf ab, im Zeichen der Natur des Lachens die Negativität seines Anlasses zu leugnen: Das Lachen ist aber ein Ausdruck der Freude im menschlichen Gesicht; es ist daher Ausdruck der Wahrnehmung irgendeines Gutes, und deswegen lachen wir, wann immer wir etwas als gut empfinden, sei es nützlich, ehrenhaft oder angenehm, solange wir glauben, daß es für uns vorhanden ist. Denn wenn es unseren Gegnern gehört, lachen wir nicht, oder doch nur insoweit, als sie mit uns der Natur nach übereinstimmen und wir erkennen, daß auch wir das besitzen oder können, was jenen zu eigen ist.*40
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Für Unendlichkeit des menschlichen Verstandes cf. etwa folgende bekannte Äußerung in Nikolaui von Kues De coniecturis II, 14, 143, S. 143f.: "Homo enim deus est, sed non absolute, quoniam homo; humanus est igitur deus; [...] Non ergo activae creationis alius exstat finis quam humanitas. Non enim pergit extra se, dum creat, sed dum eius explicat virtutem, ad se ipsum pertingit. Nequequid quam novi efficet, sed cuncta, quae explicando creat, in ipsa fuisse comperit. Universa enim in ipsa humaniter exovotere diximus." (Der Mensch ist nämlich ein Gott, aber nicht auf absolute Weise, weil er ein Mensch ist, er ist also ein menschlicher Gott. [...] So hat die schöpferische Tätigkeit des Menschen kein anderes Ziel als den Menschen selbst. Denn er überschreitet sich nicht bei seiner Schöpfung, sondern bezieht sich dabei stets auf sich selbst. Auch schafft er nichts Neues, sondern alles, was er zustandebringt, hat er in sich selbst gefunden. Denn wir haben gesagt, daß die ganze Welt in seinem Schöpfungsvermögen steckt.*) "Est autem risus ostensio laetitiae in ore hominis; igitur est ostensio sensus alicuius boni; proptereaque quodcumque bonum sentimus, sive utile, sive honestum, sive iucundum, ridemus, dum illud nobis adesse putamus. Nam, si aliis inest inimicis, haud ridemus, nisi quatenus nobiscum conveniunt natura et, quod illi habent, nos habere vel posse intelligimus," (Campanella [1944] 336f.).
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Trissino und Castelvetro griffen angesichts dieser Eigenschaften des risus auf die moralische Belastung des Menschen zur Erklärung des Komischen zurück. Anders Campanella, der es schlicht leugnet, daß der risus mit dem brutto verknüpft sein könne, was freilich einer theoretischen Auflösung des ridiculum gleichkommt: Daher bewirkt auch der Mangel eines mit den Sinnen beobachteten Übels Lachen; deshalb lachen wir beim Unglück anderer Leute. So lache ich etwa, wenn ich den Sohn des Petrus ohne eine eigentliche Ursache aufgrund seiner Übereiltheit fallen sehe und zwar nicht deshalb, weil er hingefallen ist, sondern weil ich selbst nicht gestürzt bin, dies bedenke und daraus lerne, nicht zu fallen.*41 Wer im Angesicht des Übels anderer lacht, betrachtet nicht dieses malum, sondern einzig das eigene Wohlergehen, das ihm angesichts eines fremden malum bewußt wird, bzw. die Folgen, die er für sich daraus ableiten kann. In diesen Folgen steckt übrigens noch einmal das erwähnte Stück Aristotelischer Anthropologie, demzufolge der Mensch einer natürlichen Neigung entsprechend danach strebt, sein Wissen zu vermehren. Weil er sich damit seiner Natur gemäß verhält, ist das Lernen mit einer Empfindung von Lust verknüpft. Campanella aber macht sich dieses Argument zunutze für eine Erklärung des Komischen, die letztlich seine Negativität zum Verschwinden bringt. Das malum der anderen ist nicht mehr Gegenstand des Lachens, sondern nur noch ein Anlaß, der den Blick für das eigene bonum schärft. Der lustvolle Nutzen einer Erkenntnis der eigenen Freiheit von den Fehlern der anderen scheint vordergründig die Prinzipien einer Moral zu bestätigen, die sich in der Freude über die Übereinstimmung mit ihren Vorgaben behauptet. Indes ähnelt dieses Vergnügen gefährlich jener Lust am Übel der anderen, in der die christlichen Theoretiker die Spur einer erbsündigen superbia entdecken. So feiert auch der Lachende Campanellas im Grunde den Triumph seiner Überlegenheit, wenn er sich im Angesicht der Verfehlungen anderer der eigenen Freiheit solcher Fehler voller Vergnügen bewußt wird. Das Lernen, welches solche Freude bereitet, gründet auf einer Selbstwahrnehmung, die sich über die eigene Vortrefflichkeit Rechenschaft ablegt. Die scheinbare Bestätigung der Moral erweist sich bei näherem Zusehen als eine Form ihrer Subversion, und die letztlich selbstsüchtige Wendung Aristotelischer Erkenntnislust bringt noch einmal die Natur eines malum zum Verschwinden, dessen Mangel-
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"Ergo et carentia mali sensibiliter considerati risum praestat; quapropter ridemus et in aliorum malis, ut, cum video cadentem filium Petri sine causa ex inconsideratione, rideo, non quoniam ille cecidit et quia ille non consideravit, sed quia ego non cecidi, et quia considero, et quia inde disco non cadere," (ibid. 337).
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haftigkeit dieselbe Erkenntnis des Menschen erst zutage fördert.42 Die radikale Positivierung des komisch Widrigen untergräbt nun auch die skeptischmoralisierende Erklärung der Wirkung des Komischen, die in Platons Philebos für uns erstmals greifbar wird und die sich die Kirchenväter dann in ihrem Sinne zu eigen gemacht haben. Das Vergnügen an fremdem Unglück verkehrt sich zur lustvollen Selbstbestätigung, zur Erkenntnis der eigenen, und um ihres - scheinbar Aristotelisch begründeten - Effekts willen legitimen Überlegenheit. Konzeptuell in erkennbarer Nähe zu Campanellas theoretischer Skizze steht Antonio Lorenzo Polizianos 1603 erstmals erschienene Schrift De risu, eiusque causis et effectis, dilucide ac philosophice tractatis, llbri duo, die sich einer anderen Facette Aristotelischer Anthropologie bedient, um mit ihrer Hilfe einen Gegenentwurf zur Analyse des Komischen zu formulieren, die der Stagirite selbst entwickelt hat. Erneut ist es die Qualität der Reaktion, des Lachens als eines Ausdrucks der Freude, die über die Natur seines Anlasses entscheidet, und so kann es nur ein bonum sein, das den risus bewirkt. Anknüpfen kann Poliziano damit an die zitierte Stelle der Aristotelischen Rhetorik, die das Komische als etwas Angenehmes bezeichnet, wobei er mit Hilfe desselben Kapitels der Rhetorik diese Wirkung näherhin spezifiziert. Ange-
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Diese Analyse ist unübersehbar auch eine entschiedene Absage an Aristoteles' Theorie des Komischen, und so kann es kaum ausbleiben, daß Campanella sie ausdrücklich verwirft: "Insufficenter ergo, et contrarie, et a cortice definit Aristoteles ridiculum esse peccatum et turpitudinem sine dolore ac nocumento. Nam ridenti non nocet, nee dolet: aliis autem potest esse dolorificum. Praeterea ridemus absque turpi et peccato, ex sola boni apprehensione, nee de turpi peccato ridemus, nisi per accidens: immo contristamur; sed quatenus in illo nos haud esse sentimus: bonum est enim in peccato non esse," (ibid.). (Daher definiert Aristoteles unzureichend, widersinnig und oberflächlich das Lächerliche als Verfehlung und Häßlichkeit ohne Schmerz oder Schaden. Denn dem Lachenden schadet es nicht und fügt ihm keinen Schmerz zu; für die anderen aber kann es schmerzhaft sein. Daher lachen wir ohne ein Häßliches oder eine Verfehlung, aufgrund der bloßen Wahrnehmung eines Guten; und über eine schändliche Verfehlung lachen wir nicht, es sei denn unversehens, vielmehr werden wir durch sie betrübt. So lachen wir nur insofern, als wir bemerken, daß wir uns nicht in jener Lage befinden: Es ist nämlich ein Gut, nicht im Zustand der Sünde zu sein.*) Zwei Argumente führt Campanella gegen Aristoteles ins Feld. Das erste betrifft die Bemerkung, der Gegenstand des Lachens sei für den Betroffenen folgenlos. In der Tat wendet er sich damit gegen eine der Schwachstellen der Aristotelischen Definition. Es gibt auch den Fall, daß wir über das Folgenschwere lachen. Campanella aber nimmt dies zum Anlaß, die Existenz eines spezifischen komischen Objekts grundsätzlich in Frage zu stellen. Entscheidend in dieser Hinsicht ist sein zweites Argument. Wir lachen auch dort, wo sich weder turpe noch peccatum beobachten lassen. Also könne das turpe auch den risus nicht erklären. Wo Trissino und Castelvetro ein komplexes Modell ansetzen, um das Minderwertige mit dem Lachen verknüpfen zu können, da 'vereindeutigt' Campanella das ridiculum zugunsten der Merkmale des risus und löst damit freilich ein eigentlich Komisches in letzter Konsequenz auf. In Campanellas Poetik findet sich die radikalste Umkehrung der antiken Theorie des Komischen, das nun in den Eigenschaften des risus - im zweifachen Sinne des Wortes - aufgehoben ist.
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nehm ist das Komische, weil es auf einer Ähnlichkeit gründet.43 In der Tat bezeichnet Aristoteles das Ähnliche als lustvoll, denn alles, was unserer Natur entspricht, stellt eine Quelle der Lust dar.44 Erwartungsgemäß werden die klassischen Fälle des Komischen zur Herausforderung für diese Theorie, weil sie nun die Ähnlichkeit mit Personen postulieren muß, denen wir kaum werden ähneln wollen. Poliziano aber weicht dieser Herausforderung nicht aus: Warum aber lachen wir eigentlich über Possenreißer, Komiker und auch über Narren und geistlose Leute, so als seien sie uns ähnlich? Wäre es nicht menschlicher, Mitleid mit ihnen zu haben?*45 Was in diesen scurrae, mimi, homines fatui und amentes begegnet, das sind klassische Typen des ridiculum und nicht zuletzt kanonische Gestalten der Komödie. Um dieses mögliche Gegenargument abzuwehren, greift Poliziano auf ein anderes Aristotelisches Theorem zurück. Wie oben dargestellt, rechtfertigt der Stagirite in der Nikomachischen Ethik Komik und Lachen mit einem funktionalen Argument. Weil der Mensch bisweilen einer Erholung bedarf, um neue Kräfte für die Mühen des tugendhaften Handelns zu gewinnen, räumt Aristoteles der Komik, die einen spezifischen Verstoß gegen die Normen dieser Welt des Handelns mit sich bringt, einen gewissen Freiraum ein. Indes wandelt sich das Aristotelische Argument bei Poliziano erheblich: Von daher kommt, daß man sagt, ein einsamer Mensch sei Gott oder ein Tier, entweder nämlich nimmt er am Gastmahl der Weisheit teil, oder ist so stumpfsinnig, dumm, tölpelhaft und ohne Verstand, daß sein Geist beinahe ständig ohne Aufgaben bleibt, müßig und leer ist, so daß er, wie die Menschen es sonst tun, den Geist nicht zu entspannen braucht, und keinen Mangel an Scherzen und Witzen hat. Diese aber bewirken, daß wir von Natur aus die Menschen nicht selten den Törichten oder gar den Wahnsinnigen ähnlich nennen, denn den Verstand zu entspannen, bedeutet, wie Gellius gemäß Musonius gesagt hat, ihn zu verlieren.*46
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"Sic itaque nisi quidpiam inuidiae intercedat, in primis dulcis, suauisque est similis intellectu affectibus, moribusque, ab hoc qui corpore, aetate nimirum, complexione, forma, arte, ordine, patria, amicis, ac sanguine, quemadmodum omnes amati, erga amantes sunt, tertio qui potentia, ac diuitiis. Quemlibet autem sui similis opera, actionesque secundum naturam ridere contingit, sie pater iocos, ludosque paruuli filii, scitulos illos quidem ridet," (Poliziano [1603] 383). Aristoteles, Rhetorik I, 11, 25. "Vtrum vero scurras, mimosque nee non fatuos, amentesque homines, vt nostrorum similes ridemus? cum potius eorum dolere vicem humani esset?" (Poliziano [1603] 384). [Im Deutschen läßt sich die semantische Annäherung von remitiere und amittere durch die Ähnlichkeit des Wortkörpers nicht imitieren.] "...atque nine est, quod dicitur, hominem solitarium, aut Deum esse, aut bestiam, auf n. iugi sapientiae conuiuio fruitur, aut adeo hebetis sensus, bardusque stolidusque est, rationisque expers, vt pene semper intellectus muneribus vacet, otiosus, vacuusque sit, vt animi relaxationis ergo hominum consuetudine, ludicris ridiculisque non egeat. eo ista pertinent, vt dicamus natura homines non raro stultis insanisque saltern similes esse, nam animum remittere, vti Gellius ex
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Weil der Mensch auf die Erholung nicht verzichten kann, das animum remitiere aber einem animum amittere gleichkommt, steckt in uns, wenn wir lachen, ein wenig von den slulti, insani und fatui, und so hat unser risus auch hier eine Ähnlichkeit zur Grundlage. Die relaxatio ist von einem funktionalen Moment des risus zu einem explikativen geworden. Die für einen modernen Leser recht verstiegen anmutende, wiewohl sich noch einmal eines antiken Gewährsmanns versichernde Argumentation gewinnt ihre Plausibilität weiterhin aus einer Ordnung der Rede, die die Wahrheit aus der Kombination von Versatzstücken einer Überlieferung liest, welche als ein paradigmatisches Feld von sententiae organisiert ist. Man mag es als Symptom einer Spätstufe dieses Diskurses betrachten, daß die Lizenzen der Zuordnung augenscheinlich groß sind. Um so bedeutsamer aber wird die zugrundeliegende Absicht einer durchgängigen Positivierung des komischen Gegenstands erkennbar. Noch die Ähnlichkeit mit dem Dummkopf wird als lustvolle Übereinstimmung gedeutet, und der zur Begründung unternommene Rekurs auf die recreatio animi der Nikomachischen Ethik kann gleichwohl nicht darüber hinwegtäuschen, daß dieses Argument funktionaler Legitimation entschieden entstellt wird. Denn aus dem energetischen Effekt der Entlastung wird eine hermeneutische Figur der Usurpation entwickelt, die recht großzügig das malum in ein bonum verwandelt.47 Bei Campanella wie bei Poliziano sind es die Dispositionen der Wahrnehmung von Abweichungen, die ihr Negativitätspotential zum Verschwinden bringen, setzt sich der Nutzen des
Musonio ait, quasi ammittere est." (Ibid. 387). Indes zieht sich durch Polizianos Schrift ein tiefer Bruch, wenn er im weiteren Verlauf seiner Abhandlung noch einmal den erbsündigen Hang zur Überlegenheit als Quelle komischen Vergnügens einführt: "At vero eandem ob causam homines, si quern diuitem, aut virtute praestantem alium viderint, plerumque inuidia differuntur, intabescuntque, atque cum alios victos demissos, deliros, fatuosque, ineptosque cernunt ac pedentes, & saltanti personae togam inducentes, ac huiusmodi alia facientes sentiunt, desipiunt gaudio, soluuntur in risum, omnibusque incedunt laetitiis, neque modo si haec in aemulis ac inimicis perceperint, animaduerterintque, sed etiam si in amicis, suique similibus, euenit n. ob naturalem illam ex materia, atque ex peccato primi hominis ad mala, vitiaque propensionem, ac ob consuetidinem, vt homines vel imprudentes, inscientesque frequenter labantur necessariis suis inuidentes, eorumque errata, offensiones, casusque ridentes." (Ibid. 391f.) (Aus diesem Grund aber werden die Menschen von Neid zerrissen und gehen an ihm zugrunde, wenn sie jemanden sehen, der reich ist oder durch seine Tugend hervorragt; erblicken sie statt dessen Besiegte, Schwache, Narren, Ungeschickte, oder bemerken sie Furzende, solche, die einem Tanzenden eine Toga überziehen oder ähnliches machen, verlieren sie vor Freude den Verstand, zerplatzen vor Lachen und ergehen sich in allen Vergnügungen, und dies nicht allein, wenn sie solches bei Rivalen oder Feinden beobachten, sondern auch bei Freunden und ihresgleichen. Dies aber geschieht aufgrund ihrer durch die Materie und die Erbsünde natürliche Neigung zu Übeln und Lastern und wegen des Umstands, daß die Menschen durch Unvorsichtigkeit und Unwissenheit häufig zu Fall kommen, ihre Freunde und Verwandten beneiden und deshalb ihre Irrtümer, Unglücksfälle und Schicksalsschläge belachen.*) Konzeptuell läßt sich dies mit dem anfänglichen Modell nicht mehr verrechnen, und so mag diese Diskrepanz es nahelegen, die entschiedene Abkehr von der ursprünglichen, radikalen Positivierung komischer Negativität mit gegenreformatorischer Vorsicht zu begründen.
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Komischen für die eigene Erkenntnis zugunsten Objektiver' Qualitäten durch. Aristoteles' Theorie der Entlastung setzte noch immer die Prädominanz einer Natur und einer Ordnung voraus, deren Verwerfungen partielle Machtlosigkeit für den Menschen mit sich brachten, die durch komplementäre Erfahrungen der Entlastung von Bedrohung und Überforderung lustvoll kompensiert wurden. Nun aber formiert sich - bei den zuletzt zitierten wie bei Maggi - eine Theorie des Komischen, die den im Lachen greifbaren Effekt aus einer Erkenntnisleistung entwickelt, welche eine weitgehende Autonomie gegenüber den defizienten Qualitäten des Objekts solcher Freude besitzt und damit die hermeneutische Wirkung gerade gegen die an Gewicht verlierende Natur des Gegenstands durchsetzt. Nicht mehr die Entlastung von den Überforderungen durch eine übermächtige Natur steht an der Wiege komischen Vergnügens, sondern der im Rahmen einer verwandelten Anthropologie definierte Gewinn, welcher sich als ein intellektueller Nutzen gerade gegen die Qualitäten des Gegenstands des Lachens behauptet. Mit Maggi beginnt damit auch jene subversive Natur des Komischen theoretisch greifbar zu werden, die die Theorie bis dahin stets geleugnet hatte. Denn die intellektuelle Positivierung eines Schändlichen muß auch die Geltung einer Moral untergraben, die im Namen des Verstands einem solchen Verstoß gegen die Vernunft stets nur Verachtung entgegenbringen konnte. Noch bleibt die Defizienz des komischen Objekts selbst ganz unstrittig, um zugleich hinter den Effekten seiner Wahrnehmung zu verschwinden. Noch ist die Erklärung des Komischen entfernt davon, in seiner Unbotmäßigkeit selbst die Ursache seiner lustvollen Wirkung zu entdecken, um damit die Instabilität und Willkürlichkeit aller Ordnung bloßzulegen. Indes bildet sich am Beginn der Neuzeit eine Theorie des ridiculum, die für seine subversiven Potenzen erstmals einen legitimen anthropologischen Ort entdeckt.
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"Pour ce que rire est le propre de l'homme": Zu einer Anthropologie des Lachens in der französischen Renaissance
[...] c'est quelque chose, le rire: c'est le dedain et la comprehension meles, et en somme la plus haute maniere de voir la vie, 'le propre de l'homme,' comme dit Rabelays.1 "Pour ce que rire est le propre de rhomme" - zu dem arg strapazierten Diktum, gleichsam Motto des Rabelais'sehen Erzählwerks,2 hat sich eine stupende und nicht selten gescheite Forschung hinlänglich geäußert. Rabelais und das Lachen, oder: das Lachen Rabelais': Es ist kategorisiert, katalogisiert, semantisch und semiotisch deskribiert, und es ist schließlich zum Promotor einer folgenreichen Literatur- und Kulturtheorie geworden, die sich subversivkarnevalesk verselbständigt hat.3 Es bedürfte daher der Erfindungsgabe eines Panurge, der ja bekanntlich zugleich Schurke und Feigling ist, Neues zum Alten hinzuzufügen, richtiger hinzuzuschwindeln, oder anders noch: das Alte als neu zu erklären. Vielleicht aber genügt es, sich pantagruelistisch zu gebärden und eine Summa in nuce vorzustellen - eine Summa, die mehr sein könnte als die Addition ihrer Teile. Die Rede vom Lachen wechselt - so die allgemeine Beobachtung - in die Rede vom Komischen, und d.h.: das Interesse wendet sich von der Wirkung zur Ursache. So - um nur eines der bekanntesten Beispiele zu zitieren Bergsons Essay, der die Wendung bereits im Titel führt.4 Es verwundert daher nicht, daß auch und gerade für den Fall Rabelais' die Ursachen des Lachens, das genuin Komische, Auflistung und Beschreibung im Detail erfahren hat - nicht zuletzt auch in Orientierung und Weiterführung einschlägiger Theorien respektive Philosophien des Lachens, des Lächerlichen, des
Flaubert ä Louise Colet [Lettre du 2 mars 1854], Correspondance, ed. Jean Bruneau, 2 Vols. (Paris, 1980) 2: 529. Widmung "Aux Lecteurs" zu Gargantua, CEuvres completes, ed. Pierre Jourda, 2 vols. (1962; Paris, 1991). Im folgenden benutzte und mit (E C zitierte Ausgabe. Michail Bachtin, Rabelais und seine Welt: Volkskultur als Gegenkultur (Frankfurt a.M., 1987). Henri Bergson, Le rire: Essai sur la signification du comique (Paris, 1940).
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Komischen. So wußte man die komischen Verfahrensweisen traditionell zu unterscheiden nach "Wörtern" und nach "Sachen," zu gliedern in Worterfindung, Worthäufung, Wortspiel, Laut und Bild sowie in Satire, Parodie, Karneval, Groteske und darüber hinaus zu verweisen auf Gigantismus, Phantastik und Visionen.5 Auch eine vergleichende Gegenüberstellung von Laurent Jouberts Tratte du Ris (1579) und des Rabelais'sehen Lachens liegt vor: Sie belegt - eher unfreiwillig -, daß Rabelais' Erzähl werk die allgemein-theoretischen, primär physiologisch-psychologisch orientierten Überlegungen Jouberts zum Ursprung des Lachens gleichsam im voraus in praxi überbietet: "The Tratte du Ris might seem to be a great document of the Renaissance, but the truth remains that its philosophical and medical erudition is infinitely overshadowed by the sheer comic genius of Rabelais."6 Analoges ließe sich sagen von jedem Versuch, Modi und Spezifika des Komischen bei Rabelais zu sortieren, zu isolieren, zu theoretisieren: Man wird mit solchem Vorgehen dem Charakter des Werkes, insbesondere seiner Intention, nicht gerecht. Denn das Lachen, Begriff und Sache im Verständnis Rabelais', zugleich in der literarischen Realisierung, hat eine Dimension und gewinnt eine Funktion, die übliche Bestimmungen übersteigt. Das Lachen - so hoffen wir, verkürzt paradigmatisch zeigen zu können ist bei Rabelais weniger eine spontane Reaktion oder intellektuelle Antwort, als vielmehr eine Haltung, die das Werk als ganzes kennzeichnet und prägt und die in immer neuen Varianten sich manifestiert. Das Lachen ist kein Akzidens, kein Beiwerk, noch weniger Selbstzweck, sondern jene 'sustantificque mouelle,' die wie ein Hund aus dem Knochen zu saugen, Rabelais seinen Lesern im Vorwort zu Gargantua1 rät. Es ist nicht aggressiv, noch im Bachtinschen Sinne subversiv, es ist - wenn überhaupt - satirisch ausschließlich im Sinne der altrömischen Satura. Es ist Ausdruck des Lebens, und insofern ist es symbolisch; es gilt dem Leben, und insofern ist es therapeutisch; es schließt alle Erscheinungen des Lebens ein, und insofern ist es kosmisch. Man könnte versucht sein, in Rabelais'scher Manier von abzuleiten, denn tatsächlich erhält das Komische bei Rabelais kosmisches Ausmaß.8
Cf. dazu allgemein Frank-Rutger Hausmann, Frangois Rabelais (Stuttgart, 1979) 103-127, Kap. 8: "Komik, Erzähltechnik und sprachliche Neuerungen;" dort auch der Verweis auf die entsprechende Forschungsliteratur. Gregory de Rocher, Rabelais' Laughers andJoubert's Tratte du Ris (Alabama, 1979) 19. (E C I, 7. - Kluges dazu hat Leo Spitzer geschrieben: "Ancora sul prologo al Gargantua:' StF 9 (1965): 423^434. Cf. dazu z.B., wenn auch mit partiell anderem Verständnis: Anne Ogino, "Le comique et le cosmique dans l'oeuvre de Rabelais: l'61oge des dettes (Le Tiers Livre, eh. IIIch. IV)," Etudes de langue et litterature frangaises 53 (1988): 13-28.
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Dies scheint mit der notwendigen heuristischen Stringenz bislang nicht erkannt, wenngleich die Forschung zu Rabelais und seinem großen Erzählwerk übermäßig reich ist - weniger freilich an Methoden und Perspektiven als an Erläuterungen und Erklärungen: zur literalen Präsenz von Geschichte und Gegenwart, Religion und Politik, Philosophie und Theologie, Medizin und Jurisprudenz, Geographie, Astronomie, Ethnologie und schließlich der Litterae selbst - der Antike, des Mittelalters, der Epoche der Renaissance. Veritable Schatzgräbereien betrieb die gelehrte, findige und stets fündige RabelaisPhilologie, ist doch das Feld weit und tief, und es wird - so steht zu vermuten - noch für Generationen Entdeckungen bereithalten. Dessen ungeachtet: Literarische Quellen und philosophische Einflüsse en gros und en detail zu eruieren und offenzulegen, Camouflagen historisch-politischer Geschehnisse zu enttarnen, Anspielungen auf weltliche und klerikale Potentaten zu enthüllen ist mehr als nur philologisch verdienstvoll, hat - als Recherche zugestandenermaßen positivistischen Charakters - seinen Zweck nicht in sich selbst. Vielmehr dokumentieren diese Forschungen die universale Gelehrsamkeit des Dichters Rabelais und bezeugen die Fülle des Wissens und der Interessen seiner Zeit.9 In auffällig distanzierter Parallelität zur Erfassung der Realien vollzieht sich die Untersuchung der Sprache, des Stils, der Erzähltechniken und insbesondere der Komik. Im Extremfall führen diese die Formalia isolierenden Studien zur Auffassung eines 'comique absolu,'10 einer Komik um der Komik willen. Das Verdienst dieser Studien ist aber auch hier, die variierten Modi des komischen Ausdrucks zur Kenntnis gebracht und somit Rabelais' unendliche Möglichkeiten auch im sprachlich-stilistischen Bereich aufgezeigt zu haben. Ein drittes Forschungsinteresse gilt schließlich dem 'Sinn des Ganzen': Man ist bemüht, eine das gesamte Erzählwerk prägende Idee ausfindig zu machen oder doch zumindest eine allen Büchern einheitlich eignende Konzeption zu erweisen. Die Vorschläge und Sichtweisen sind vielfältig und different: Sie reichen von der Behauptung, Rabelais' Werk sei als Hymnus auf das Zeitalter der Entdeckungen und 'Weltreisen' zu lesen,11 bis zur Vorstellung, die Pentalogie sei nurmehr eine großangelegte Allegorie der neuplatonischen Lehre,12
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Richtungsweisend für alle späteren Studien die Arbeiten von Abel Lefranc und Jean Plattard. So z.B. Marcel Tetel, Etüde sur le comique de Rabelais (Firenze, 1964). Abel Lefranc, Les Navigations de Pantagruel: Etude sur la geographic rabelaisienne (Paris, 1895; Geneve, 1967). George Malary Masters, "The Hermetic and Platonic Tradition in Rabelais' Dive Bouteille" StF 10(1966): 15-29.
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von der Hervorkehrung des Rabelais'sehen Evangelismus und Erasmianismus13 bis zur bekannten Subversionsthese Bachtinscher Observanz. Auch hier gilt: Das weite Spektrum der Deutungen hat sein Fundamentum in der Vieldeutigkeit des Rabelais'sehen Werks. Die etwas großspurige, da im Detail unzulängliche Skizze der RabelaisPhilologie und ihrer Hauptausrichtungen hat nicht den Zweck, die Einzelergebnisse in Frage zu stellen, im ganzen den Wert der vorliegenden Forschungen für die Kenntnis des Rabelais'sehen Werks und seiner Zeit im geringsten zu schmälern. Und dennoch - dies wollte die Skizze zeigen - ist die Rabelais-Philologie bislang auf Holzwegen, insofern sie das Ganze um des Interesses am einzelnen willen aus dem Blick läßt. Auch die folgenden Bemerkungen können das Ganze nicht fassen - es bedürfte dazu einer Monographie -, doch sie hoffen, den entscheidenden Hinweis zu einem adäquaten Verständnis des Erzählwerks von Rabelais und dessen nicht nur historisch bedingter Intention zu geben. Rabelais' Pentalogie ist wohl das einzige literarische Werk, das einer so herausragenden Epoche wie der Renaissance in all ihrer Exuberanz und Lebensfülle, ihrer Freiheit und Neugierde, aber auch ihrer Bedrohtheit durchaus mimetisch Ausdruck zu geben vermochte: durch poetische 'Widerspiegelung' historischer Ereignisse und faktischer Gegebenheiten, durch literarische Bezugnahmen und philosophische Reflexionen, im ganzen durch 'Zitat' im engen und im weitesten Sinne, oder anders: durch raffinierte Verfertigung einer Makrointertextualität, die für den modernen Text- und Zeichenbegriff vielleicht der früheste Beleg ist. Rabelais' Erzählwerk ist eine Dichtung im Range von Wissen oder vielmehr ist ein Wissen, das dank einer spezifischen poetischen Präsentation, einer extremen Ver-dichtung Anspruch auf 'Wahrheit' und Humanität machen kann. Sie - wie bislang üblich - komisch zu nennen, verkürzt den Sachverhalt: Nicht alle Textpartien sind komisch und vor allem nicht in gleichem Maße. Was tatsächlich dem gesamten Text wie allen einzelnen Textpartien zugrunde liegt, ist das Lachen - anthropologisch und ethisch als Haltung, po'ietisch und ästhetisch als Struktur und als Verfahren. Und solchermaßen wird der Text in seinen einzelnen Teilen wie als ganzer zum Zeichen für das Lachen, zugleich für eine Anthropologie der Freiheit und eine Ästhetik der Versöhnung. Oder auch anders und pointierter noch: Das Lachen steht als Zeichen für ein ethisches Postulat, das nurmehr ästhetisch Wirklichkeit werden kann. Als erstes Beispiel par excellence und doch unter vielen kann Kapitel III von Pantagruel angeführt werden; es trägt die Überschrift: "Du deuil que
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Luden Fevbre, Le probleme de l'incroyance au XVI' siede: La religion de Rabelais (Paris, 21962); Michael A. Screech, L'evangelisme de Rabelais - Aspects de la satire religieuse au XVF siede (Geneve, 1959).
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mena Gargantua de la mort de sä femme Badebec."14 Daß hier die Frage, ob man lachen oder weinen soll, gelegentlich der für jeden Menschen gleichermaßen kapitalen wie unhintergehbaren Ereignisse seines Lebens, Geburt und Tod, erörtert wird, ist keine Nebensächlichkeit: Das Lachen bzw. Weinen erhält über das Moment des unmittelbaren Affektes hinaus den Rang einer grundsätzlichen Haltung, die man abwägt und für die oder gegen die man sich entscheiden kann. Die Situation: Der kleine Pantagruel ist gerade geboren, und da stirbt die Mutter noch im Kindbett - ein zumindest im 16. Jahrhundert (und später) recht alltägliches Vorkommnis. Doch der Vater und liebende Gatte ist perplex: hier seine tote Frau und da sein neugeborenes Kind, groß, gesund, lebensstrotzend. Gargantua ist buchstäblich hin- und hergerissen: Soll er weinen in Trauer über den Tod seiner Frau oder lachen in Freude über die Geburt seines Sohnes? Gargantua schickt sich an, die Frage zu entwickeln und in scholastischer Manier des Syllogismus, in modo et figura, zu entscheiden - doch es will ihm nicht gelingen: "par ce moyen, demouroit empestre comme la souriz empeigee ou un milan prins au lasset."15 Die Argumente, die das Weinen oder das Lachen geraten sein lassen, werden ins Feld geführt, wobei der Text die Unentschiedenheit in seiner Struktur, i.e. in den Alternanzen des dialogisch-dialektisch gestalteten Monologs, reflektiert: Heraclitus flens und Democritus ridens werden textuell und strukturell in ihrer Gegenbildlichkeit, aber auch unauflösbaren Einheit präsentiert. Zugleich aber suggeriert diese Struktur der Unentschiedenheit und Unauflösbarkeit durch Wortwahl, Wortfolge, im ganzen durch den vertraut-vertraulichen, versöhnlich-tölpelhaften Sprech- und Sprachstil, daß das Lachen obsiegen wird - freilich unter Einbezug des Weinens als immer gegenwärtiger Möglichkeit. Das bedeutet aber: Nicht durch scholastische Sophistereien, die parodistisch zitiert sind, wird die Frage entschieden, ob man weinen oder lachen soll bzw. muß im Leben, dessen Komplementärseite der Tod ist, sondern allein durch einen Text, der diese Unauflösbarkeit, Unhintergehbarkeit zeichenhaft abbildet und damit 'aufhebt' ins Poetische; durch einen Text, der damit Zeichen wird für ein Lachen, das als Haltung dem Leben als ganzem gegenüber ethisch postuliert, doch nurmehr ästhetisch 'realisiert' wird. Dafür steht in nuce der Epitaph, mit dem das Kapitel endet: Gargantua verfaßt ihn im frommen Gedenken an seine liebe verstorbene Frau Badebec; und er überwindet damit seine Trauer über den Tod, 'schreibt sich frei' für die Freude am Leben. Ganz ernsthaft sind die Worte gemeint, und doch machen sie lachen in ihrer burlesken Inkompatibili-
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(E C I, 232-234. (Übers.: "Wie Gargantua über den Tod seiner Frau trauerte.") Ibid. I, 232. (Übers.: "und so blieb er wie eine Maus im Pech oder der Milan im Schlagnetz.")
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tat mit der Gattung 'Grabaufschrift,'16 in ihrer eklatanten Inkongruenz zwischen dem, was man traditionellerweise erwartet, und dem, was geschrieben steht - Folge eines Verschnitts von durchaus geläufigen Epitaphpartien und das Decorum verletzenden, doch gutgemeinten Vergleichen, die eine Vorstellung geben sollen von den herausragenden Qualitäten der Verstorbenen. Abschluß und gleichermaßen Höhepunkt dieses Verfahrens der Stilmischung ist die letzte Zeile des Huitain: "Et mourut l'an et jour que trespassa."17 Die scherzhafte, quasi-tautologische Formulierung nimmt den Tod aus der Zeit heraus, schafft damit Raum für das Lachen und wird so zum Ausdruck unverwüstlichen Lebens. Das Ernste wird aufgehoben im Unernsten und gewinnt gerade in dieser Bewegung seine Ernsthaftigkeit zurück. An Logik und Wahrscheinlichkeit, gar am moralischen Maßstab wollen dieser Prozeß und seine Zeichen nicht gemessen sein, was wiederum nicht bedeutet, daß das Erzählwerk, seine Episoden und Digressionen, der Logik, der Wahrscheinlichkeit, gar der Moral entbehrten. Nur ist es eine Logik, eine Wahrscheinlichkeit und eine Moral, die allein durch das Erzählen und im Erzählen geschaffen wird, durch Verfahren und Strukturierung, Wortwahl, Wortfolge und Stilverschiebungen. Um mit aristotelischen Kategorien zu sprechen: Nicht die ist das Charakteristische und Originale an Rabelais' Pentalogie - die Gelehrsamkeit der Forscher hat für fast jede Zeile Vorbilder und Einflüsse aufgedeckt -, sondern die .18 Sie verhindert, daß der Leser aus dem Text 'ausbricht,' und sie ermöglicht das Lachen im Text und das Lachen als Text. Weiteres Beispiel dafür kann jene Episode aus Pantagruel sein, die erzählt, wie Panurge Gefallen an einer 'hochgestellten' Dame fand, sie in aller Deutlichkeit sein Begehren wissen ließ, zugleich - sozusagen als Köder - über seine ganz außergewöhnliche Potenz aufklärte, doch schnöde abgewiesen wurde; und wie er sich daraufhin rächt, indem er ihr das Geschlecht einer läufigen Hündin aufs Kleid streicht. Die Folge ist, daß ihr, als sie die Kirche verläßt, sämtliche Hunde des Sprengeis nachlaufen (Rabelais zählt 600 014) und sie bepissen, "ä quoy ne sceust trouver aulcun remede sinon soy retirer en son hostel, et chiens d'aller apres et eile de se cacher, et chamberieres de rire".19 Die Kammerzofen lachen. Doch worüber lachen sie? Über die ge-
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Zu dieser "Textsorte" allgemein cf. Cyrus L. Day, "Pills to Purge Melancholy," RES 8 (1932): 177-184. - Für den freundlichen Hinweis danke ich Herrn Günther Blaicher, Eichstätt. CE C I, 234. (Übers.: "Und sie starb im Jahr und am Tag, an dem sie dahinschied.") Cf. dazu allgemein Fra^ois Rigolot, Le Texte de la Renaissance: Des rhetoriqueurs a Montaigne (Geneve, 1982) 110. CE C I, 334. (Übers.: "worauf sie sich nicht anders zu helfen wußte, als sich in ihr Haus zurückzuziehen; die Hunde liefen hinterher, sie suchte Schutz, und die Kammerzofen lachten.")
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hetzte, völlig durchnäßte, von Kopf bis Fuß besudelte Herrin? Über die Hunde, die vor der Haustür einen Bach zusammenpinkeln, "auf dem Enten hätten schwimmen können,"20 oder gar über und mit Panurge, der sich so trefflich zu rächen wußte?21 Eine solcherart abwägende Reflexion trennt die Geschichte von ihrer Erzählung und verfehlt, indem sie moralisiert, die Rabelais'sehe "Moral," die ja gerade eine Verweigerung der Moral ist, jener üblichen, die eindeutig zuerkennt, abspricht, urteilt und rechtet. Rabelais' "Moral" konstituiert sich vielmehr im imaginären Raum des Erzählens, der der des Lachens ist, und der - nur scheinbar paradoxerweise - aus sich heraus und über sich hinaus wirkt ins 'Lebensweltliche'. Rabelais gelingt die Quadratur des Kreises mit dem sein gesamtes Erzählwerk kennzeichnenden Verfahren der Übersteigerung, der "Gigantisierung" bei Wahrung des Wirklichkeitsbezugs. Das beständige Changieren zwischen Realität und Irrealität wird aber allererst durch das Wort geleistet, die Wörter in ihrer synonymischen Fülle, ihrer phonetischen Sinnlichkeit und semantischen Ausdrucksstärke. Es genügte nicht, mit der Zahl six cens mille et quatorze chiens zu imponieren, um die eher unappetitliche Szene im Lachen aufzuheben, es bedurfte der Wiederholung und der Variation der Beschreibung der allenthalben herbeihastenden und sich um die schöne Frau scharenden Hunde, des Wechsels der Perspektive auf die erstaunten und amüsierten Zuschauer des Geschehens, der eingestreuten direkten Reden und Kommentare, des Tempos der Schilderung und des drastischen Ausdrucks. Deutlicher noch vermag diese Verfahrensweisen jene berühmte Episode aus Le Quart Livre zu machen:22 Pantagruel fährt mit Panurge, Jean des Entommeurs, Epistemon und anderen zur See und begegnet auf offenem Meer einem Schiff mit Handelsleuten. Man freut sich beiderseits über die unvermutete Begegnung, tauscht Informationen aus - und unversehens gerät Panurge mit dem Kaufmann Dindenault in Streit: hatte dieser ihn doch wegen seines fehlenden Hosenlatzes einen Hahnrei genannt. Derbe Beschimpfungen, grobe priapeische Aufschneidereien wechseln von Schiff zu Schiff, Degen werden gezückt - und nur ein entschiedenes Eingreifen Pantagruels kann Mord und Totschlag verhindern. Die Streithähne reichen sich die Hände "et beurent d'autant Tun ä l'autre dehayt, en signe de parfaicte reconciliation."23 Bei guter Laune aller kündigt Panurge, verhalten zur Seite sprechend, ein "hübsch
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Ibid. I, 335: "[...] auquel les Cannes eussent bien nage [...]." Cf. dazu die zwar sehr allgemeinen, doch treffenden Ausführungen von Milan Kundera, Verratene Vermächtnisse: Essays, aus dem Französischen von Susanna Roth (München, 1994) 9-37: "Erster Teil: Der Tag, an dem Panurge die Welt nicht mehr zum Lachen bringt." Le Quart Livre, chap. V-VIII ((E C II, 47-58). Ibid. II, 49. (Übers.: "Und tranken dann herzlich einander zu zum Zeichen vollkommener Aussöhnung.")
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unterhaltsames Spielchen"24 an: Er bringt Dindenault dazu, ihm einen Hammel zu verkaufen - den er umgehend ins Meer wirft. Die Folge: Alle übrigen Schafe laufen - ihrer Natur gemäß - dem Hammel nach, stürzen ins Meer, ersaufen; nicht anders der Kaufmann, die Treiber, die Schafsknechte: Indem sie zu retten suchen, was nicht mehr zu retten ist, "werden sie ins Meer gerissen und gehen jämmerlich unter."25 Pan urge steht mit der Ruderstange da, doch nicht, um den Ertrinkenden zu helfen, sie zu retten, sondern um zu verhindern, daß sie an Bord kommen. Dabei führt er ihnen "nach allen Regeln der Rhetorik"26 vor Augen, wie nichtig und elend diese Welt und wie herrlich und glückselig das Jenseits sei, dem sie entgegengingen. Falls sie es aber doch so übel nicht fänden weiterzuleben, wünscht er ihnen, sie mögen wie weiland Jonas einem Walfisch begegnen. Und als alle - Mann und Moutons - ertrunken sind, gratuliert Bruder Jean Panurge zu diesem Kriegsstückchen ("tour de vieille guerre"), doch er moniert, den Händler bezahlt und so völlig unnötigerweise Geld hinausgeworfen zu haben. Darauf Panurge: "C'est [...] bien chie pour l'argent! Vertus Dieu, j'ay eu du passetemps pour plus de cinquante mille francs."27 Und mit einem Bibelzitat sanktioniert er das Spielchen: "Mihi vindictam, et caetera." 'Bei Lichte besehen', und d.h. bei kruder Narration, sind die Vorgänge schrecklich, ist das Verhalten Panurges grausam, unmenschlich; die Wirkung müßte Entsetzen sein. Und dennoch ist die Episode komisch, evoziert sie Lachen. Der Grund liegt auch hier in der Inszenierung der Ereignisse, deren Retardierung durch beschreibende und dialogisierende Partien, sodann durch Altemieren von realistischer Darstellung und irrealer, ja surrealer Übersteigerung, die Kontrastierung von Längen und Knappheit, im ganzen durch eine außerordentlich raffinierte Strukturierung des Textes. Eine geradezu boccacceske Novellentechnik kommt zur Anwendung. Panurges plötzliche, von niemandem erwartete Handlung, der Wurf des Hammels ins Meer, steht in Kontrast und effektvoller Korrespondenz zum wortreichen, Mythologie, Kulturräume und Geschichte aufbietenden Elogium der Schafe von seilen des prahlerischen, zugleich geldversessenen Kaufmanns: Träger von Helle und Phrixus, Spender des Goldenen Vlieses, zugleich Hausordens von Burgund, "moutons de Levant, moutons de haulte fustaye, moutons de haulte gresse,"28 erscheinen die Vierbeiner noch im geringsten ihrer einzeln apostrophierten Körperteile zu nützlichen, köstlichen, edlen, erhabenen Zwecken bestimmt.
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Ibid. II, 50: "II y aura bien beau jeu." Ibid. II, 57: "Lesquelz tous furent pareillement en mer portez et noyez miserablement." Ibid.: "par lieux de rhetorique." Ibid. II, 58. (Übers.: "Was soll das lausige Geld! Ich habe, weiß Gott, viel Spaß gehabt für fünfzigtausend Francs.") Ibid. II, 50. (Übers.: "Levantinische Hammel, hohe Rasse, fetteste Sorte.")
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Die wiederholten kurzen Einlassungen Panurges, der Kaufmann solle ihm nur einen Hammel zu jedem ihm gutdünkenden Preis verkaufen, sind diesem immer erneut Anlaß, weitere Qualitäten der wolligen Tiere wortreich unter Aufbietung von sachlichen und sprachlichen Absurditäten zu rühmen. Die für Rabelais' Erzählwerk so charakteristische Mischung der Stilebenen, die gelehrten Anspielungen und Verweise, machen die Unvereinbarkeit von Wort und Sache evident, wirken komisch, rufen Lachen hervor. Das Elogium des Kaufmanns, das bereits durch eine Spannung des Inkompatiblen, des Kontrastiven gekennzeichnet ist, erhält seine das Lachen bergende und evozierende Funktion deutlich erst durch Panurges beherzte, doch schlau inszenierte Tat: Er wirft den blökenden Hammel über Bord, und alle Schafe stürzen hinterdrein: "Possible n'estoit les en guarder, comme vous scavez estre du mouton le naturel, tous jours suyvre le premier, quelque part qu'il aille. Aussi le diet Aristoteles, lib. 9 de Histo. animal, estre le plus sot et inepte animal du monde."29 Die Blödigkeit der Schafe wird mit einem Male offenbar - ohne Kommentar, und doch allein durch den Text, seine rhetorischen Strategien. Der sich ins Fell der Schafe krallende Kaufmann, desgleichen die übrigen Treiber und Schafsknechte, stürzen hinterher, "les prenens, uns par les cornes, aultres par les jambes, aultres par la toison."30 Der Verweis auf Odysseus und seine Gefährten, die, verborgen im Vlies der Schafe, aus der Höhle des Polyphem zu fliehen versuchten, ist listig und lustig: Diese retteten ihr Leben, indem sie sich an den Schafen festhielten, jene gehen unter, ertrinken und demonstrieren so ihre eigene Dummheit, die in Kontrast steht zu den Rodomontaden und schamlosen Beleidigungen des Kaufmanns. Auch hier wie allenthalben ist es wenig sinnvoll, nach Moral zu fragen oder - anders - "schwarzen Humor"31 am Werk zu sehen. Die Geschichte folgt ihren eigenen Regeln, die Reflexionen gar humanitärer Art ausschließen. Und dennoch ist sie in ihrer Hinter- und Abgriindigkeit 'göttlich human': indem sie nicht anprangert, sondern textuell lächerlich macht und gerade dadurch 'moralisch' wirkt. Die Vielfalt des Lebens bleibt davon unberührt bzw. wird gerade dadurch bestätigt. Daß letztlich aber Panurge so empfindlich-grämlich reagiert auf die Beleidigungen des Kaufmanns liegt daran, daß dieser ihm das Werteste geschmälert hat - selbiges, das ihm auch die große Zuversicht gab, eine der vornehmsten 29
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Ibid. II, 56. (Übers.: "Es war nicht mehr möglich, sie zurückzuhalten, da es ja, wie ihr wißt, die Natur der Hammel ist, immer dem ersten nachzufolgen, wohin er auch geht. Und so sagt Aristoteles, lib.9, de Histo. animal., daß das Schaf das dümmste und blödeste Tier der Welt ist.") Ibid. II, 57. (Übers.: "die einen bei den Hörnem, andere bei den Beinen, andere am Fell fassend".) So z.B. Maria Green, "Le comique de la cruaut6 chez Rabelais," L'humour d'expression fran^aise: Actes du colloque international Paris, 27—30 juin 1988, 2 vols. (Nice, 1990) I, 91-94.
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Damen von Paris erobern zu können: es ist der Hosenlatz, genauer das, was sich dahinter verbirgt. Hatte dieser sich doch vor den Angehörigen der theologischen Fakultät großen Ruhm erworben in dem pantomimischen Disput mit dem Engländer Thaumast.32 Probleme der Magie, Alchimie, Kabbalistik, Geomantie, Astrologie und Philosophie, zu deren Verhandlung menschliche Worte unzureichend schienen, sollten mit Zeichen der Körpersprache erörtert werden. Panurges "longue braguette" wußte am überzeugendsten zu argumentieren, hatte (fast) das letzte Wort bzw. setzte das letzte Zeichen und machte den Gegner ganz perplex. Diesem bleibt nurmehr das Zugeständnis, umfassend belehrt worden zu sein: [...] il [sc. Panurge] m'a ouvert le vrays puys et abisme de encyclopedie, voire en une sorte que je ne pensoys trouver homme qui en sceust les premiers elemens seulement; c'est quand nous avons dispute par signes, sans dire mot ny demy.33 Reine Abstraktionen des Geistes wurden wortwörtlich verleiblicht, wurden zu (Körper-) Zeichen, die das Lachen ermöglichen, insofern sie vom Lachen als (Lebens-) Zeichen ermöglicht sind.34 Auch hier obsiegt das schiere Leben nurmehr als Lachen im Text und bringt solcherart eine Wahrheit hervor, die Thaumast zwar nicht suchte, doch fand: eine Wahrheit, die in ihrer bis ans Groteske heranreichenden, exuberanten Körperlichkeit paradoxerweise ausschließlich durch die Sprache der Wörter zur Vorstellung kommt, somit qua Text ein Lachen provoziert, das jegliche Orthodoxie aufhebt, um eine Verbindlichkeit der Offenheit zu schaffen. Ebendiese Volte ist für Rabelais' Erzählen und seine Weltsicht charakteristisch: Sie steht für die Toleranz gegenüber der Fülle der Möglichkeiten menschlichen Denkens und Handelns, auch deren Absurditäten, zugleich für die Skepsis gegenüber einer Idealität, deren Voraussetzung jene Toleranz ist. So wird der allbekannte Theleme-Entwurf, Inbegriff und Höhepunkt humanistischer Anthropologie,35 bei aller Ernsthaftigkeit der Intention, ja idealistischer Emphase konterkariert durch die "rätselhafte Prophezeiung," den Enigme
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Pantagruel, chap. XVIII-XX ((E C I, 313-326). (E C l, 325. (Übers.: "[...] er hat mir den wahren Brunnen und Abgrund enzyklopädischen Wissens geöffnet, und dies auf eine Weise, daß ich nicht glaubte, jemanden zu finden, der auch nur die Anfangsgründe davon kennte; wir haben dabei nur durch Zeichen disputiert, ohne ein einziges Wörtchen zu sprechen.") Zur historischen Bedeutung der Pantomime, im ganzen zur Rolle insbesondere der mönchischen Zeichensprache für diese Szene s. die einläßlichen Ausführungen von Volker Roioff, "Zeichensprache und Schweigen: Zu Rabelais' Pantagruel XVIII-XX und Tiers Livre XIX-XX," ZRPh 90 (1974): 99-140. - Allerdings entgeht Roioff - bei aller Gelehrsamkeit - der von uns genannte Aspekt. Gargantua, chap. LII-LVH ((E C I, 188-205).
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en prophetic36, dessen 108 Verse auf einer Bronzetafel in den Grundmauern der Abtei gefunden wurden: Unfriede, Haß, Verfolgung, Tod und schließlich Erlösung werden geweissagt in apokalyptischen Tönen. Gargantua deutet den Text: "Le decours et maintien de verite divine,"37 und er entspricht in Sprache, Stil und Interpretation dem geradezu biblischen Ernst der "Prophezeiung". Doch Panurge wiegelt ab: "De ma part, je n'y pense aultre sens enclos qu'une description du jeu de paulme soubz obscures parolles"38 - und bietet ein Paradestück allegorischer Lektüre, die jeglichen Ernst spielerisch im Nonsens zerstreut. Die sprachlich-stilistisch wie inhaltlich gegenläufigen Bewegungen der Texte bringen in dialogisch-dialektischer Manier das Zugleich des Utopischen, Paradoxen, Widrigen im menschlichen Leben zur Vorstellung, nicht zur Lösung: an deren Stelle tritt das Lachen, das die Texte in ihren Verfahren generieren. Eine weitere Passage, die gleichfalls zu den bekannteren zählt, mag diese Beobachtung erhärten. Im Prolog von Le Tiers Livre39 treffen die Bewohner von Korinth alle Vorkehrungen, dem bevorstehenden Angriff Philipps von Makedonien zu widerstehen, die Stadt erfolgreich zu verteidigen. Die aufgeregte Geschäftigkeit der Korinther, ihre vielfältigen Tätigkeiten werden wiedergegeben in einer veritablen Kaskade von zwei Dutzend Verben und zwölf Dutzend Substantiven - kein Kriegsgerät, das nicht genannt, keine vorbereitende Handlung, die nicht Erwähnung fände. Diogenes, abseits, müßig, da ohne offiziellen Auftrag, sieht dem Treiben einige Tage zu. Doch dann nimmt er seine tönerne Tonne, rollt sie auf den Hügel Kranion und wird rührig: [...] en grande vehemence d'esprit desployant ses braz le tournoit, viroit, brouilloit, barbouilloit, hersoit, versoit, renversoit, nattoit, grattoit, flattoit, barattoit, bastoit, boutoit, butoit, tabustoit, cullebutoit, trepoit, trempoit, tapoit, timpoit, estouppoit, destouppoit, detraquoit, triquotoit, tripotoit, chapotoit, crouilloit, elangoit, chamailloit, bransloit, esbransloit, levoit, lavoit, clavoit, entravoit, bracquoit, bricquoit, blocquoit, tracassoit, ramassoit, clabossoit, afestoit, affustoit, baffouoit, enclouoit, amadouoit, goildronnoit, mittonnoit, tastonnoit, bimbelotoit, clabossoit, terrassoit, bistorioit, vreloppoit, chaluppoit, charmoit, armoit, gizarmoit, enhamachoit, empennachoit, caparassonnoit, le devalloit de mont ä val, et pracipitoit par le Cranie, puys de val en mont le rapportoit, comme Sisyphus faict sä pierre: tant que peu s'en faillit, qu'il ne le defongast.40
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Ibid. chap. LVIII ((E C I, 205-208). Ibid. I, 209. (Übers.: "Der Kampf und endliche Sieg der göttlichen Wahrheit.") Ibid. (Übers.: "Ich für mein Teil denke, daß da kein anderer Sinn dahintersteckt als die Beschreibung des Ballspiels.") (E C II, 393^t03. Ibid. I, 396f. (Übers.: "In höchster Aufregung und ohne seinen Armen auch nur einen Augenblick Ruhe zu gönnen, machte er sich daran, sie zu drehen, zu wenden, hin und her zu schwenken, schaukeln, auf den Kopf zu stellen, zu schütteln, daran zu klopfen, darauf zu schlagen, sie umzustürzen, mit dem Fuß vor sich herzustoßen, etwas hinein-
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Leo Spitzer41 hat dafürgehalten, Rabelais habe in der Übertragung äußerer Tätigkeiten auf die lebensabgewandte Haltung des Diogenes - insgesamt zählt man hier 64 (!) Verben - "eine geistige Haltung mit einer Dynamik ausgestattet), die nur der äußeren Handlung" zukomme: "Der unerhörte Wortrausch, der die ganze Welt der damaligen Technik, der damaligen Kriegführung, der damaligen äußeren Aktivität an das Faßrollen heranbringt, gilt gerade dem philosophischen Leben; f...]."42 Wiewohl die Insistenz Spitzers auf der Kenntnisnahme von Sprache, Stil, Form für das Verständnis des Rabelais'sehen Werkes nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, insbesondere zu einer Zeit, als die übrige Forschung sich noch positivistisch befleißigte: auf die Vermittlung eines "paradoxen Welterlebens" beschränken sich die sprachlichen, stilistischen, formalen Virtuositäten Rabelais' gerade nicht. Allen Ernstes werden die Krieg vorbereitenden Handlungen unter genauester Auflistung der termini technici in Sprache gebracht, und man wird auch hier den fachkundigen Autor bewundem ob dieses Kabinettstückes der Kürze und der (realistischen) Anschaulichkeit. Das gutgemeinte, da durch die drohende Gefahr durchaus gerechtfertigte Treiben der Korinther erfährt sodann seine Spiegelung in Diogenes' sinnlosem Traktieren der Tonne, die als rechte Sisyphus-Arbeit charakterisiert wird. Die Spiegelung ist zugleich eine Brechung: Sie macht - gerade auch durch die Folge von weniger semantisch begründeten, als phonetisch gereihten Verben - die Absurdität aller Kriegshandlungen augenfällig, darüber hinaus deren wohl unvermeidliche Wiederholungen, wie Geschichte und Gegenwart lehren. Das Intrikate ist aber auch hier, daß beide Texte sich nicht nur wechselseitig spiegeln und brechen, vielmehr daß die wechselseitige Spiegelung und Brechung, vermehrt und gestützt durch die ingeniösen Wortreihungen, Zeichen für das Lachen werden, das die soeben skizzierte Lektüre ermöglicht. Wenn zudem Rabelais seine eigene Schriftstellerei mit der Tätigkeit des Diogenes vergleicht, wird deren Status und Funktion evident: Lachen als Text zu konstituieren in der Absicht, eine Ethik der Weltklugheit ästhetisch zu vermitteln. Das Diktum "rire est le propre de rhomme" beschränkt sich in Intention und Bedeutung daher nicht auf das von Aristoteles Gemeinte: Lachen sei, unter allen Lebewesen, allein dem Menschen eigentümlich;43 vielmehr ver-
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zugießen, es wieder auszuschöpfen, sie erklingen zu lassen, zuzudecken, aufzudecken, nach rechts zu rollen, nach links, geradeaus, zurück, sie in die Höhe zu heben, auszuwaschen, hineinzukriechen, wieder herauszukriechen, darauf zu reiten und sich hineinzulegen; dann rollte er sie den Kranion hinab ins Tal, dann wieder den Berg hinauf wie Sisyphus seinen Stein, so daß er sie beinahe zertrümmert hätte." Aus: Gargantua und Pantagruel, 1 vols. [Frankfurt a.M, 1974] 1: 321). "Zur Auffassung Rabelais'," Romanische Stil- und Literaturstudien (Marburg, 1931) 109-134. Ibid. 126. Aristoteles, De partibus animalium III, 10.
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weist es geradezu emphatisch auf das 'proprium humanum' als dem wesensmäßig Menschlichen - nicht qua Natur, sondern qua Kultur. Daß dieses als 'proprium humanum' verstandene Lachen sich allererst im Text und durch den Text, also wortwörtlich, litteraliter, Ausdruck verschafft, formuliert Rabelais selbst mehrfach: so beispielsweise in der den oben zitierten Worten unmittelbar vorausgehenden Verszeile: "Mieulx est de ris que de larmes ecripre," deutlicher noch im "Prologue de l'Autheur" zu Le Tiers Livre: "[...] je riz, j'escripz, je compose, je boy."44 Lachen, Schreiben, Dichten, Trinken sind wenn nicht Synonyme, so doch einander erläuternde, ergänzende, die Ebenen wechselnde, sie zugleich verschränkende Begriffe mit jeweils metaphorischer Valenz: Trinken, Trunken-sein, Trinker-sein meint mit leiblicher Bildhaftigkeit jene unersättliche Curiositas, Energeia der Welterfahrung und des Lebensgenusses, die die Seele des Menschen "mit aller Wahrheit, allem Wissen und aller Weisheit" erfüllt - "de toute verite, tout savoir et philosophic."45 Das die Pentalogie eröffnende Diktum erfährt an deren Ende bei endlicher Auffindung der 'divine bouteille' die bezeichnende Variante: "[...] non rire, ains boire est le propre de rhomme"46 - nicht wie die Tiere "einfach und ohne weiteres," sondern "guten und kühlen Wein". Die Wahrheit, die der Wein hervorbringt, besteht aber darin, diese immer neu und von neuem zu finden und zu erfinden: "[...] en vin est verite cachee. La dive Bouteille vous y envoye, soyez vous mesmes interpretes de votre entreprinse."47 Die wiederholte Aufforderung zu trinken - "trinch" - endet nicht in einem orgiastischen Bacchanal, sondern im Furor poeticus aller Anwesenden: "[...] nous sommes en rithmaillerie"48 - ruft erstaunt, wie im Rausch, Bruder Jean aus, und der Leser erhält Kostproben sprachlicher und bildlicher Exuberanz — wie stets durchsetzt mit rarer Gelehrsamkeit, vermehrt durch den Witz des Wortes: Die Orgie des Trinkens, die die des Lebens ist, schafft sich Ausdruck in der Poiesis, den Litterae, die wiederum das Lachen als Haltung in sich bergen und hervorbringen. So ist letztlich Rabelais' Pentaologie in all ihrem sprachlichen, stilistischen, formalen Reichtum, der Vielfalt der Perspektiven und der Heterogenität der Themen die Summe ihrer Zeit, zugleich die poietische Illustration einer Bemerkung Montaignes: "La plus expresse marque de la sagesse, c'est une ejou'issance constante [,..]."49 Rabelais ist der erste und vielleicht der
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(E C I, 399. (Übers.: "Besser ist es, lachend als weinend zu schreiben." - "[...] ich lache, ich schreibe, ich dichte, ich trinke.") (EC II, 454. Ibid. (Übers.: [...] "Nicht trinken, sondern lachen ist das dem Menschen Eigentümliche.") Ibid. (Übers.: "[...] im Wein liegt Wahrheit." "Die göttliche Flasche führt euch dahin, seid selbst Deuter eures eigenen Vorhabens.") Ibid. II, 456. (Übers.: "[...] wir sind im Dichtertaumel.") Essais, ed. Maurice Rat, 2 vols. (Paris, 1962) 1: 173. (Übers.: "Das deutlichste Zeichen der Weisheit ist eine immerwährende Heiterkeit [...].")
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einzige, der diese 'Weisheit,' verstanden als "Philosophie und Daseinshaltung,"50 durch 'Lachen in Sprach-Zeichen' ästhetisch, rhetorisch, semiotisch vermittelt hat; dem Lachen ist damit eine einzigartige Dignität verliehen.
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Joachim Ritter, "Über das Lachen," Subjektivität (1940; Frankfurt a.M., 1974) 91.
FRANK BAASNER Lächerliches und Gelächter im Roman des siglo de oro
Das Zeitalter der spanischen Literatur, das mit dem Etikett "siglo de oro" bezeichnet zu werden pflegt, umfaßt die Jahre zwischen 1530 und 1680, also diejenigen Epochen, die im Falle anderer Literaturen als Renaissance und Barock voneinander abgegrenzt werden.1 Da eine solche Abgrenzung für die Entwicklung der spanischen Literatur in einzelnen Fällen zwar möglich, stets aber problematisch ist, werde ich mich im folgenden mit dem - alle Gegensätze einschließenden - Etikett "siglo de oro" begnügen. Dabei ist davon auszugehen, daß sehr unterschiedliche ideologische und ästhetische Tendenzen zeitgleich existieren, konkurrierende Angebote an das seinerseits heterogene Publikum darstellen.
Sozialhistorische Prämissen Wer sich dem Phänomen des Lachens in der Literatur des "siglo de oro" zuwendet, ist mit einer solchen Fülle an möglichen, ja sich aufdrängenden Untersuchungsgegenständen konfrontiert, daß die Beschränkung auf nur eine Gattung wohl begründet sein will. Tatsächlich mag es problematisch erscheinen, ausgerechnet jene Gattung, die, auch wenn der spanische Gattungsbegriff "comedia" nicht mit "Komödie," sondern mit "Drama" übersetzt zu werden pflegt, per definitionem vom Komischen handelt und daher Lachen provozieren bzw. auf der Bühne darstellen wird, aus der Untersuchung auszuklammern. In der Tat wird auch das Lachen der "comedia" in den folgenden Überlegungen eine nicht unbedeutende Rolle spielen, allerdings mehr als Kontrastfolie denn als eigener Untersuchungsgegenstand. Das Lachen in der "comedia" ist erfreulicherweise in neuerer Zeit erforscht und durch zahlreiche
1
Zur Genese und Problematik des Epochenbegriffs "siglo de oro" siehe Vf., "Die umstrittene Klassik. Das Siglo de oro in der spanischen Literaturgeschichtsschreibung des 18. und 19. Jahrhunderts," Klassik im Vergleich. Normativität und Historizität europäischer Klassiken (DF G-Symposion 1990). Ed. W. Voßkamp (Stuttgart, 1993) 212-231.
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Einzelstudien differenziert analysiert worden.2 Vorgreifend sei schon jetzt darauf hingewiesen, daß sich die Funktionen des Lachens in der "comedia" von denen des Gelächters im Schelmenroman (und auch im Quijote) im Sinne einer Opposition klar abgrenzen lassen. Innerhalb der erzählenden Gattungen mußte eine weitere Einschränkung erfolgen. Daß der bekannteste und bedeutendste Roman der spanischen Literatur, der Don Quijote von Cervantes, zu behandeln ist, versteht sich von selbst. Die übrigen narrativen Gattungen werden, von der Kurzform der Novelle einmal abgesehen, üblicherweise in Ritter-,3 Mauren-,4 Schäfer-5 und Schelmenroman unterteilt. Ritter-, Mauren- und Schäferroman sind idealisierende Formen der Fiktionalisierung, die konfliktfreie Welten entwerfen, zumindest die Auflösung aller Konflikte in einem glücklichen Ausgang als möglich erscheinen lassen. Diese Romanformen blenden das soziale und politische Konfliktpotential der Gesellschaft des "siglo de oro" aus und privilegieren höfische Werte und Umgangsformen. Unter dem Gesichtspunkt des Lachens sind sie insofern von geringerem Interesse, als die (nicht sehr zahlreichen) Lachszenen in der Regel harmonisierendes Gelächter darstellen, also solche Formen von Lachen, wo die Einheit der bestehenden, hierarchischen und höfischen Gesellschaft bekräftigt und beschworen wird. Damit stehen diese Lachformen jener Ideologie nahe, die für die überwiegende Mehrheit der "comedias" prägend ist: Im Lachen sollen auch jene Personen in die Ständegesellschaft eingebunden werden, denen die zunehmende Spaltung in Reiche und Arme zu schaffen machten. Ganz anders der Schelmenroman. In seinem großartigen sozialhistorischen Panorama der Rahmenbedingungen, innerhalb derer das Phänomen novela picaresca erst möglich und verständlich wird, unterteilt Jose Antonio Mara-
Siehe den schönen, von M. Vitse herausgegebenen Sammelband Risa y sociedad en el teatro espanol del Siglo de Oro. Rire et societe dans le theatre espagnol du Siede d'Or. Actes du 3eme colloque du Groupe d'Etudes Sur le Theatre Espagnol. Toulouse 31 Janvier - 2 fevrier 1980, 6d. du CNRS (Paris, 1980). Zu den einzelnen Beiträgen s.u. Nicht einsehen konnte ich die kürzlich erschienene Anthologie von A.J. Lopez Cruces, La risa en la literatura espanola. Antologta de textos (Alicante, 1993). Einen knappen, aber präzisen Überblick über die Romangattungen des "siglo de oro" bietet H. Baader, "Typologie und Geschichte des spanischen Romans im 'Goldenen Zeitalter'," Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Renaissance und Barock, ed. K. v. See, II. Teil, ed. A. Bück (Frankfurt, 1972) I03ff. Das früheste und bekannteste Beispiel ist die Historia del Abencerraje y la hermosa Jarifa (1565), die zudem Aufnahme in Jörge de Montemayors Diana fand. Auffällig auch die Tatsache, daß im Guzman de Alfarache die erste ausführliche, eingeschobene Novelle eine maurische Thematik hat (Ozmin y Daraja, in Guzman de Alfarache l. parte, libro primero, cap. VIII). An dieser Stelle wird der Kontrast zwischen idealisierender, geradezu utopischer Fiktion und Fiktionalisierung der sozialen Spannungen im Schelmenroman überdeutlich, ja die Geschichte ist u.a. gerade wegen dieses starken Kontrastes eingefügt. Die in Europa überaus erfolgreiche Gattung des (nachantiken) Schäferromans wurde von Jörge de Montemayors Siete libws de la Diana (1555) begründet und fand u.a. in Cervantes und Lope de Vega berühmte Vertreter.
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vail, der wie kein anderer die Gesellschaft des "siglo de oro" untersucht und in seinen zahllosen Studien zugänglich gemacht hat, die barocke Gesellschaft in drei Gruppen: "integrados, criticos integrados, discrepantes activos."6 Mit Maravall gehe ich davon aus, daß die ständische Gesellschaft um die Mitte des 16. Jahrhunderts die ersten ökonomischen und politischen Krisenphänomene zu bewältigen hat, ohne daß zu diesem Zeitpunkt von einem weit verbreiteten Bewußtsein der Krisenanfälligkeit und Reformbedürftigkeit der Gesellschaft ausgegangen werden kann. Um 1600 dann, und damit zum Zeitpunkt der Publikation des wichtigsten Schelmenromans, des Guzman de Alfarache von Mateo Alemän, sowie des unmittelbar darauf erschienenen Quijote, muß von einem tief in politischen und intellektuellen Kreisen verankerten Krisenbewußtsein ausgegangen werden. Die Figur des picaro, der im Mittelpunkt des Schelmenromans steht, ist Ausdruck dieses Krisenphänomens, unabhängig davon, wie die Autoren die Figur bewerten.7 Maravall unterscheidet, politisch gesehen, jene Autoren, die mit ihren Schelmenromanen auf nicht zu leugnende Spannungen und Auflösungserscheinungen in der barocken Gesellschaft hinweisen und somit implizit Reformen anmahnen wollen, von denjenigen, die sich in der Bewertung dieser sozialen Randfiguren darauf beschränken, härtere Kontroll- und Disziplinierungsmechanismen in Gang zu setzen. Vor diesem sozialhistorischen Hintergrund gewinnt die Gegenüberstellung der beiden komischen Figuren picaro und gracioso, der für die spanische "comedia" typischen komischen Figur,8 ihre Bedeutung. Auch der gracioso ist eine in eben jenen Krisenjahren um 1600 erfundene, zumindest in ihrer Bedeutung neu geprägte Figur, die auf ihre Weise Ausdruck des Bemühens um eine angemessene Reaktion der Kunst (hier des äußerst publikumswirk-
J.A. Maravall, La literatura desde la historia social (Madrid, 1986) 8ff. Maravall gibt folgende Kurzdefinitionen dieser Gruppen: "los integrados, afectos al sistema del absolutismo monärquico senorial e incluso, en una parte de ellos, defensores y propagandistas del mismo;" "un segundo grupo de los que aceptaban el sistema, pero sin dejar de ver las insuficiencias, los errores, los defectos que presentaba y que ellos con mayor o menor prudencia, criticaron por sus posibles graves consecuencias;" und schließlich die Gruppe der "desviados" oder "discrepantes activos": "un tercer grupo, al que hasta hace poco tiempo se le habia dedicado ninguna o muy poca atencion: los discrepantes activos, probablemente los menos numerosos, aunque fueran mäs de los que se suponia, en ciertos aspectos los mäs interesantes." S. 9. Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß nicht von einem direkten Abbildcharakter zwischen sozialer Realität und Fiktion im Schelmenroman ausgegangen werden kann. Allerdings hat Maravall nachweisen können, daß die Zuwanderung vom Land in die größeren Städte zu einer Auflösung des bislang relativ homogenen Dienerstandes führte, somit also vagabundierende und nur schwer in die Gesellschaft einzubindende Randgruppen entstanden. Somit kann davon ausgegangen werden, daß die Pikaro-Figuren zwar eine literarische Erfindung sind, aber auf reale soziale Veränderungen in der barocken Gesellschaft verweisen. Zur Figur des gracioso siehe etwa die Studie von B. Kinter, Die Figur des gracioso im spanischen Theater des 17. Jahrhunderts (München, 1978).
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samen und damit auch politisch relevanten Theaters) auf die Auflösungserscheinungen in der Gesellschaft ist. Während die "comedia" den Weg der Integration geht, mit dem Lachen also harmonisieren will und auf den Fortbestand der Gesellschaft in ihrer tradierten Form abzielt, markiert der picaro die zunehmende Bedeutung derjenigen Randgruppen, die Maravall als "discrepantes activos" bezeichnet. Das Lachen des picaros und das Lachen in der novela picaresca ist, so möchte ich als Anfangshypothese vorausschicken, kein harnionisierendes, sondern ein desintegratives, vereinzelndes Lachen. Der Zusammenhang zwischen den novelas picarescas, vor allem dem Guzman de Alfarache, und dem Quijote ist in vielerlei Hinsicht untersucht worden. An dieser Stelle gilt es festzuhalten, daß Cervantes mit Sicherheit in seinem Roman auch eine Antwort auf Mateo Alemäns äußerst düsteres, desillusioniertes und weltvemeinendes Weltbild geben wollte. Nicht zufällig ähneln sich die beiden Romane in mehr als einer strukturellen Hinsicht,9 und wenn man nach einzelnen, korrespondierenden Episoden und "burlas" sucht, so läßt sich manch ein aussagekräftiges Beispiel für unmittelbare intertextuelle Bezüge finden. Was die uns in erster Linie interessierende Frage des Lachens angeht, so ist offensichtlich, daß Cervantes hier neben die Form des desintegrierenden Lachens bewußt andere Formen stellen wollte, die auf den Diskurs der Renaissance (der Name Erasmus wird hier zurecht immer wieder genannt)10 zurückverweisen. Cervantes verzichtet allerdings ebenso bewußt darauf, die idealisierende Welt der Ritter- und Schäferromane ungebrochen zu übernehmen und damit lediglich zu restaurieren. Die von ihm inszenierten Formen des Lachens, so wird zu zeigen sein, sind weder mit dem höfischen noch mit dem pikaresken Lachen gleichzusetzen. Gemäß der Zielsetzung des Sammelbandes werde ich im folgenden nach Formen dargestellten Gelächters in den zu untersuchenden Texten fragen sowie nach den dies Gelächter auslösenden ridicula. Solch eine Fragestellung muß allerdings dahingehend erweitert werden, daß auch dasjenige Gelächter einbezogen wird, das nicht auf der Textebene zur Darstellung kommt, sondern dem Rezipienten vorbehalten bleibt: das (vermutete) Lachen des Lesers. Es ist ein Charakteristikum komischer Literatur, daß die zum Lachen reizenden und auf Gelächter abzielenden Szenen häufig (oder sogar in der Regel) das Gelächter gerade nicht selbst darstellen, sondern den Zuschauer oder Leser durch das Lachen in den kommunikativen Prozeß der Literatur einbeziehen. Wenn also auf der Textebene trotzdem Lachen inszeniert wird, so kann diesem eine
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Es ist wiederholt darauf hingewiesen worden, daß der Aufbau (zwei Teile, episodenhaftes Erzählen, horizontale und vertikale Bewegungen des Protagonisten, eingeschobene Novellen) der beiden Romane viele Parallelen aufweist. Siehe die ausführliche und unübertroffene Studie von A. Vilanova, Erasmo y Cervantes (Barcelona, 1989), von der Teile auf frühere Arbeiten zurückgehen.
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mehrfache Rolle zukommen. Es kann sich um nicht sonderlich herausgehobene Teile sozialer Interaktion zwischen den Figuren handeln, ähnlich konventionalisiert wie die Begrüßung, Befragung oder gemeinsame Handlungen wie essen, trinken etc. In diesen Fällen kann im Hinblick auf unsere Fragestellung von einer genauen Analyse abgesehen werden. Wichtig hingegen sind jene Textstellen, wo Taten der handlungstragenden Personen Gelächter der Umgebung auslösen, wo also eine Abweichung zwischen dem Verhalten dieser Person und der von der Umgebung erwarteten Norm erkennbar wird. Solche Situationen, und einige werden weiter unten eingehend analysiert, können (können, nicht müssen) die vom Autor intendierten Reaktionen des Lesepublikums vorbilden, sind also in gewissem Sinne modellhafte Situationen des Komischen, an denen der Leser seine eigenen Reaktionen messen kann, zu denen er jedenfalls eine zustimmende oder auch ablehnende Haltung einnehmen muß. Ich gehe davon aus, daß diesen Situationen inszenierten Lachens besondere Bedeutung sowohl für die Leserlenkung als auch für die implizierte Theorie des Komischen zukommt.
Poetologische Prämissen Bevor ich auf die einzelnen Texte eingehe, soll ein kurzer Blick auf die hier nicht näher behandelten Theorien des Komischen, wie sie in den Poetiken des spanischen "siglo de oro" anzutreffen waren, den Hintergrund skizzieren, vor dem die zu analysierenden Werke ihre Bedeutung entfalten. Stellvertretend für viele andere aristotelisch (und italienisch) geprägte Poetiken sei die Philosophia antigua poetica von Alonso Lopez Pinciano (1596) angeführt," deren 9. Epistel der "comedia" gewidmet ist. Anhand der Gattung der Komödie (und Lopez Pinciano meint hier - noch - die klassizistische Komödie, nicht die wenig später erfolgreiche comedia eines Lope de Vega) listet er verschiedene Varianten des Komischen auf. Allen ridicula gemeinsam sind die Charakteristika "feo" und "torpe" (32-33), wobei beides zunächst beschreibende, nicht wertende Kategorien sind. Auf Seiten des Lachenden erzeugen sie "risa," "deleite," "gracia". Die Differenzierung möglicher Fälle von Komik läßt erkennen, daß Lopez Pinciano an eine Skala von Komik dachte, die von derber Burleske ("faceto") bis zu urbaner, ja höfischer ("urbano," "cortesano")
" A.L. Pinciano, Philosophia antigua poetica, ed. A. Carballo Picazo, 3 Bde. (Madrid, 1973), 9. epistola in Band 3: 5-87. Es ist der Erwähnung wert, daß Lopez Pincianos Poetik in Dialogform abgefaßt ist, also nicht eindeutige und unwidersprochene Definitionen gegeben werden, sondern diskursive Annäherungen versucht werden. Dabei wird mehr als einmal die Vorstellung eindeutiger Gattungstrennung relativiert. Die Bedeutung von Lopez Pincianos Poetik besonders für Cervantes untersucht J.-F. Canavaggio: "Alonso Lopez Pinciano y la estetica literaria de Cervantes en el Quijote," Anales cervantinos (1958).
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Komik reichte, die sich durch "gracia" auszeichnet und eher mit Lächeln denn mit lautem Lachen quittiert wird.12 Die Beispiele, die er anführt, deuten darauf hin, daß für ihn die Quantität der Normabweichung (des "feo") die Qualität des Gelächters bestimmt. Allerdings betont Lopez Pinciano mehrmals, daß eine griffige und vollständige Definition des "ridiculo" aufgrund der großen Vielfalt lächerlicher Handlungen und Sprechakte nicht möglich ist: "las cosas que mueven a llanto se reducen fäcilmente a numero cierto, mas las que a risa, no tienen numero de muchas que son."13 Es ist auffällig, daß Lopez Pinciano im Unterschied zu anderen Theoretikern seiner Zeit dem Element der "admiratio" keine besondere Funktion beim Phänomen des Lächerlichen zuweist. Ja im Gegenteil: "admiracion" ist für ihn fast ausschließlich ein Phänomen der epischen und tragischen Dichtung, mit positiver Identifikation verbunden.14 Andere Theoretiker messen der "admiratio" hingegen Bedeutung für das Auslösen des Lachens bei.15 In der Definition Lopez Pincianos sowie in anderen theoretischen Texten des spanischen "siglo de oro" ist die karnevaleske Dimension des subversiven Lachens durchaus aufgehoben, allerdings erschöpfen sich die möglichen Formen des Lachens nicht auf das "vulgäre" Lachen, auf die "risa a carcajadas". Die subversive Dimension des Lachens als Infragestellung und (zeitlich begrenzte) Umkehrung der ernsten "realen" Welt wird in vielen Texten (sei es Prosa, sei es dramatische Dichtung) insofern entschärft, als das Gelächter von der dominanten, der "realen" Welt zugehörigen Ideologie funktionalisiert wird. Robert Jammes, der sich mit der sozialen Funktion des Lachens im Drama des "siglo de oro" befaßt hat, spricht von "recuperacion de la risa."16 Auf diese zu differenzierenden Funktionen des Lachens werden wir bei der Analyse der Romane zurückkommen. Mit Blick auf die folgenden Analysen sei auf zwei bei Lopez Pinciano erwähnte Besonderheiten des Lachens verwiesen: 1. Das Recht, lächerliche Figuren zu verlachen, endet beim Gebot der caritas. Gelacht werden darf nur, wo die lächerliche Figur nicht übermäßigen Schaden nimmt. 17 2. Es gibt das
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A.L. Pinciano, Philosophia antigua poetica Bd. 3: 21-22 zur Ständeproblematik in der Komödie. Ibid. Bd. 3: 31 ff. Besonders deutlich wird dies bei folgender Gegenüberstellung: "vn rostro hermoso mueue a admiracion, vno muy feo mueue a risa," ibid. Bd. 3: 34. Zum Begriff "admiratio" in der spanischen Literaturkritik siehe E.G. Riley, "Aspectos del concepto de admiratio en la teoria literaria del siglo de oro," Festschrift für Damaso Alonso (Madrid, 1963) Bd. 3: 173-183, und das Kapitel III.2 seines Buches Cervantes s Theory of the Novel (Oxford, 1962). Robert Jammes, "La risa y su funcion social en el siglo de oro," Risa y sociedad en el teatro espanol del Siglo de Oro. Rire et societe dans le theatre espagnol du Siede d'Or. Actes du 3erne colloque du Groupe d'Etudes Sur le Theatre Espagnol. Toulouse 31 Janvier - 2 fevrier 1980, eU du CNRS (Paris, 1980) 3-12. A.L. Pinciano, Philosophia antigua poetica Bd. 3: 34.
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Phänomen des verkehrten Lachens, der Vertauschung der Rollen beim Gelächter, ein Vorgang, den Lopez Pinciano "risa pasiva" nennt.18 Dabei rückt diejenige Figur, die eine andere vor der Umwelt lächerlich machen will, selbst unbeabsichtigt in die Rolle des Verlachten, weil das vermeintliche Opfer durch eine schlagfertige Reaktion die Situation zu ihren Gunsten zu verkehren weiß. Dieses Phänomen wird im Quijote mehrfach zu beobachten sein. Eine Eigenart der in narrativen Werken dargestellten Komik ist die sogenannte "burla". Es handelt sich um mehr oder minder kompliziert inszenierte Scherze (Possen, Schwanke), die keineswegs ein Privileg der niederen Gesellschaftsschichten sind. Ein klassisches und in der poetologischen Literatur oft genanntes Beispiel ist die Geschichte, wie zwei Studenten einem einfältigen Bauern die Wurst vom Brot stehlen, ohne daß dieser es merkt - die Erheiterung der Studiosi angesichts dessen Verwunderung steht der des Lesers (Zuschauers) in nichts nach. Aber wie gesagt gilt als "burla" auch die komplexe Inszenierung der Phantasiewelt eines Don Quijote im Palast der Herzoge. Der Scherz gehört gewissermaßen zu den gesellschaftlichen Umgangsformen und ist oft nach seiner Vollendung Gegenstand der Erörterung - ggf. sogar mit dem Opfer selbst (etwa in Quevedos Historia de la vida del Buscon, 1626, Kap. V). Die Wiedergabe von "burlas" zur Erheiterung des Lesers ist erklärtes Ziel der hier zu untersuchenden Romane. Gleich ob der Scherz grob oder kultiviert ausfällt, prinzipiell ändert sich nichts an der Tatsache, daß Handlungen auf Kosten einer lächerlichen Figur mit dem Ziel der Erheiterung der Mehrheit eingeleitet werden. Auf die verschiedenen Spielarten der "burla" werden wir zurückkommen.
Das Lachen in der novela picaresca Über die Problematik der Gattungsbezeichnung "Schelmenroman" ist viel gestritten worden. In einem Punkt jedenfalls, und dieser Punkt ist in unserem Kontext wichtig, stimmen die ansonsten sehr verschiedenen Romane überein: sie wollen unterhalten, nicht nur belehren, so sehr auch im Einzelfall die moralische Belehrung des zu besserem Leben Bekehrten Bedeutung erlangen mag (so im Guzman). Unterhaltend belehren sollen die Schelmenromane durch die in ihnen erzählten "burlas," durch Geschichten außerhalb der gesellschaftlichen Norm. Wir werden nun im einzelnen zu untersuchen haben, wer in jenen "burlas" über wen und was lacht und wie der Leser sich dazu selbst lachend verhalten soll.
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Ibid. Bd. 3: 73ff.
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Zunächst zum Urvater aller novelas picarescas, dem Lazarillo de Tormes (1554). Ein Junge aus der untersten Schicht der kastilischen Gesellschaft erzählt im Rückblick einem offensichtlich adeligen Zuhörer seinen abenteuerlichen Weg vom Blindenführer bis zum Ehemann der Konkubine eines Priesters. Seine Erlebnisse geben bisweilen Anlaß zu Gelächter, das nur teilweise im Text als solches dargestellt wird. An acht Stellen des Büchleins wird Lachen thematisiert. Die erste dieser Stellen ist programmatisch und darüberhinaus weltberühmt geworden. Lazarillo wird von seinem blinden Herrn, dem er zunächst dienen muß, in die Grundregel der Gesellschaft eingeführt, niemandem zu trauen: Der Blinde läßt sich von Lazarillo auf die (noch heute bestehende) Brücke über den Tormes führen, wo ein steinerner Stier die Brüstung ziert. Er läßt Lazarillo das Ohr an den Stein legen mit der Behauptung, er würde darinnen einen großen Lärm hören. Als Lazarillo der Aufforderung nachkommt, schlägt er dessen Kopf mit einer gewaltigen Ohrfeige an den Stein, lacht lauthals und sentenziert: "Necio, aprende: que el mozo del ciego un punto ha de saber mäs que el Diablo." (Dummkopf, lerne: der Blindenjunge muß immer ein wenig mehr wissen als der Teufel.) Dieser Leitsatz führt Lazarus zu großen Erkenntnissen und Techniken, die ihm in der Gesellschaft bestehen helfen. Zunächst berichtet er von den Tricks, die er gegen den Geiz des Blinden und zur Stillung seines Hungers erdachte. Lazarillo erweist sich als gelehriger Schüler des Blinden, wenn er ihn selbst betrügt, d.h. dessen eigenen Regeln folgt. Das Lachen - und ich gehe davon aus, daß das zeitgenössische Publikum über jene Form von "burla" lachen sollte - ist in diesen Fällen insofern subversiv, als es sich gegen eine Autorität richtet, auch wenn in diesem Fall die Autorität selbst ein Außenseiter der Gesellschaft ist. Allerdings bleibt Lazarillo trotz gewisser Fortschritte an Gerissenheit nicht vom Gelächter seiner Umwelt verschont. Als er meint, dem Blinden unerkannt eine Wurst vom Grill stehlen zu können, wird er von diesem ertappt und auf äußerst grobe Weise vorgeführt. Allgemeines Gelächter der schadenfrohen Gaffer ist die Folge. Auch wenn Lazarillo mit zunehmender Lebenserfahrung die Lacher durch seine erfolgreichen "burlas" auf seine Seite bringt, ist seine Position in der Welt bis zuletzt gefährdet. Versucht man, die Struktur der lachhaften und vor allem der im Text belachten Situationen zu erkennen, lassen sich einige Merkmale festhalten: Lächerlich ist, wer sich Illusionen über die Welt macht, lachen dürfen darüber all jene, die sich im Besitz des Wissens über die Funktionsmechanismen der Welt wähnen. Es wird nicht in erster Linie über die Tabuüberschreitung gelacht, denn die Lazarillo widerfahrenden Ereignisse sind ebenso erschrek-
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kend normal wie brutal.19 Lachen erntet man in dieser Gesellschaft dadurch, daß man auf Kosten nicht Angepaßter unter Beweis stellt, daß man die (brutalen) Regeln der Gesellschaft beherrscht. Die Trennung in lachenden und belachten Teil der Gesellschaft bleibt strikt erhalten. Gelächter führt zur Ausgrenzung eines Einzelnen, zur Selbstvergewisserung der Mehrheit. Lachen ist kein Akt der Verbrüderung aller Menschen in der Sinnenfreude, sondern eine Trennlinie, auf deren einer Seite diejenigen stehen, die die Welt illusionslos in ihrem Funktionieren durchschauen, auf deren anderer der (oder die) Einzelne zurückbleibt, der seine Lektion noch nicht gelernt hat. Bleibt die Frage nach dem Lachen des Lesers. Anfangs ist Lazarillo die "figura ridicula," über deren Naivität man lachen kann. Insofern steht der Leser auf Seiten der Mehrheit, die ihren Wissensvorsprung in Schadenfreude umsetzt. Aber der "Narr" Lazarillo, der nicht wegen eines Lasters ridikülisiert wird, sondern wegen seiner Unerfahrenheit, lernt schnell und wird nun selbst zum Lachenden, der mit gleicher Münze zurückzahlt. In dieser Entwicklung folgt ihm der Leser. In dem Maße, wie Lazarillo seinen Platz in der Gesellschaft findet, erzeugt er sympathisierendes Lachen des Lesers. Lazarillos Umgang mit der Welt in all ihrer Brutalität und Illusionslosigkeit zeugt von erheblicher Weltklugheit, "prudentia". Ganz bewußt verteidigt er die Situation, die er am Ende seines Leidensweges erreicht hat, wohl wissend, daß er kontinuierlich zum Hahnrei gemacht wird. Interessanterweise wird gerade über diesen (ansonsten oft komisch gestalteten Zustand) nicht gelacht, ja jede Anspielung auf diesen Umstand wird im Vorfeld von Lazarillo unterbunden. Am Ende seiner Lebensgeschichte hat er sich eine Position in der Gesellschaft erstritten, die nicht lächerlich ist. Zumindest auf der Ebene des Textes wird nicht mehr gelacht. Der Leser hingegen mag über die "Klugheit" des Helden schmunzeln. Verlacht zu werden ist die Schule des Lebens, selbst zum Lachenden zu werden, bedeutet Erfolg und Anpassung an die Lebensregeln. Die Welt des Lazarillo ist keine Gegenwelt zur ernsten Gesellschaft der Habsburger, sondern ein selektiver, teilweise karikaturaler Blick auf eine gesellschaftliche und menschliche Realität. Subversiv ist das Lachen in diesem Roman allerhöchstens insofern, als es die Menschen in ihrem wahren, häßlichen Wesen zeigt, ein Lachen also, das man eher als desillusionierend bezeichnen könnte. Die durchaus vorhandenen karnevalesken Elemente sind nicht positiv-sinnlich dargestellt, sondern als konkrete Erscheinungsformen des Überlebenskampfes "alle gegen alle" (z.B. die Bratwurst-Episode). Obwohl seitens des Lesers der "Lernprozeß" Lazarillos, der sich in seinem Wechsel von der verlachten zur lachenden Figur beobachten läßt, eine gewisse
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Hierin ist ein wichtiger Unterschied zur Lachtheorie der klassizistischen Poetik in Spanien zu sehen, wo die Grenzen des Lachens durch den der verlachten Person zugefügten Schaden gesetzt werden.
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Sympathie, zumindest Verständnis für seine Entwicklung und sein Verhalten hervorgerufen werden mag, kann man nicht davon ausgehen, daß die Autorintention eine andere denn die der abschreckenden (wohl auch satirischen) Wirkung gewesen ist. Eine wirklich positive Identifikation und damit eine Heroisierung der Außenseiterfigur zur Aufsteigerfigur, wie sie für die Schelmenromane seit dem 18. Jahrhundert typisch ist (als bekanntestes Beispiel sei auf Lesages Gil Bias de Santülane verwiesen), war nicht die Absicht derjenigen spanischen Autoren, die sich im Zeitalter des Barock dem Thema picaro widmeten. Ganz im Gegenteil: Die zeitgenössische Pädagogik ging davon aus, daß die relativ ausführliche und auch unterhaltende Darstellung dessen, was als abschreckendes Beispiel gerade nicht zur Identifikation einladen sollte, dem didaktischen Ziel (und d.h. der dominanten katholischen Moralkonzeption) nicht abträglich war. So wird die Außenseiterposition des picaro, auch wenn er (vorübergehend?) an die Gesellschaft Anschluß gefunden hat und deren Gesetze gewinnbringend auszunutzen weiß, niemals aufgehoben - und diesem prekären Zustand entspricht die Tatsache, daß die sozialen Konflikte zu keinem Augenblick in einem alle beteiligten Personen und Gruppen einschließenden Gelächter aufgehoben werden (wie es im Theater, der "comedia," durchaus die Regel war). Wenn, wie weiter oben ausgeführt, bisweilen mit dem Schelm dessen Gegner verlacht werden, so ändert das nichts an der grundsätzlichen Situation, daß Gelächter in der novela picaresca isoliert und nicht integriert. El picaro rie tambien, pero no rie en comunicacion integradora, sino al reves; rie desde su radical soledad. No rie de chanzas, chistes, agudezas, etc.; rie, vengativamente, de la crueldad, del engano, del mal, y, consiguientemente, del dolor que a otros ha producido, en contestacion al hostigamiento lacerante con que le han cercado en la vida.20 Dies läßt sich an einzelnen Episoden des Guzman de Alfarache belegen. Von besonderer Bedeutung für die Thematik des Lachens ist das 4. Kapitel des ersten Buches des ersten Teils. In diesem nicht zufällig zu Anfang des Romans plazierten Kapitel wird modellhaft eine für die pikareske Welt typische Lachszene durchgespielt. Vorausgegangen war eine für den noch jungen und unerfahrenen Guzmanillo äußerst unangenehme Episode, wo er von einer Wirtin betrogen worden war (sie hatte ihm ein Omelett vorgesetzt, das aus drei halbwegs frischen und drei schon weitgehend ausgebrüteten Eiern gefertigt worden war). Zwischenzeitlich hat er einen Fuhrmann getroffen, der zum Auffüllen eines Weinfasses in den nächsten Ort unterwegs ist und der sich seiner erbarmt, d.h. ihn auf einem seiner Maultiere mitnimmt. Als Guzmän von seinem Mißgeschick berichtet, bricht der Fuhrmann in schallendes Ge-
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J.A. Maravall, La literatura desde la historia social 240.
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lächter aus, das schier nicht enden will. Guzmän nimmt zunächst an, das Lachen sei gegen ihn gerichtet und habe sich an seiner Naivität entzündet eine Annahme, die, sieht man auf die Erlebnisse des Lazarillo, keineswegs unbegründet scheint. Aber der Fuhrmann lacht vielmehr, weil er selbst wenig später nach Guzmäns Unglück Zeuge einer Szene wurde, wo die betrügerische Wirtin selbst Opfer eines brutalen Scherzes zweier gleichfalls betrogener Soldaten wurde. Diese hatten die Schnäbel der Küken im Omelett entdeckt und, anstelle der Bezahlung für einen im Wirtshaus verzehrten Fisch, dieses der Wirtin mit Gewalt in die Augen geschmiert, ihr zudem das Gesicht mit heißer Asche eingerieben. Diese wirkungsvolle Rache ruft bei dem Fuhrmann und auch bei Guzmän Genugtuung hervor. Die in gewissem Sinne alttestamentarische Gerechtigkeit, die hier vorgeführt wird, ebnet dem in der Welt noch fremden Guzmanillo den Weg zur Selbständigkeit.21 In diesem Moment allerdings wird sich Guzmän auch bewußt, daß ihm zu dieser Selbständigkeit noch viel fehlt, ja er bedauert ausdrücklich, nicht selbst für Rache gesorgt zu haben.22 Das Programm ist somit vorgezeichnet: Wer als picaro bestehen will (bezeichnenderweise ist der oft als Guzmanillo bezeichnete junge Guzmän noch kein Pikaro, wird erst im 2. Buch des 1. Teils dazu), der muß lernen, die Lacher auf seiner Seite zu haben. Nun läßt Mateo Alemän diese ernüchternde und desillusionierte Sicht der Gesellschaft nicht unkommentiert stehen, sondern er ergänzt (wie stets in diesem Roman) die gesellschaftskritische Ebene durch einen theologischen Kommentar, durch den Verweis auf die "Sollbestimmungen" einer christlichen Weltordnung. Gemeinsam mit dem Fuhrmann und Guzmän reisen zwei Kleriker, von denen einer nun die Grundregel christlichen Denkens entwickelt, den Feinden zu vergeben. Nicht die Rache ist ein angemessenes Verhalten für den Christen, sondern die Vergebung, führt sie doch zur einzig relevanten Belohnung, dem ewigen Leben. Die theologischen Ausführungen füllen mehr Seiten als die nacherzählte "burla," und auch der anschließende Kommentar des "yo narrador," des zum Christentum bekehrten gealterten Guzmän, der hier seine Jugend nacherzählt, bezeugen, daß es Alemän mit der theologischen Belehrung ernst war. i Ah, buen Dios! jComo, si yo fuera bueno, lo que de aquel buen hombre oi debia bastarme! Pasose con la mocedad, perdiose aquel tesoro, fue trigo que cayo en el camino. (135)
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Im Rückblick betont das erzählende Ich ausdrücklich, daß ihm, dem kleinen Guzmän, die harten Lehren nicht erspart wurden und daß er erst lernen mußte, mit gleicher Münze heimzuzahlen ("Mas como nino debi de pasar por ello." lera parte, libro I, cap. IV, 123). Ich zitiere nach der Ausgabe Gili Gaya (Madrid, 1972ff.). "Yo [tengo] de que llorar — le respondi - para toda la mia [vida], pues no fui para otro tanto y espere venganza de mano ajena; pero yo juro a tal que, si vivo, ella me lo pague de manera que se le acuerde de los huevos y del muchacho," ibid. Bd. l, 126.
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Zwei Interpretationen solcher Lachszenen stehen somit einander gegenüber: eine innerweltliche, die darauf hinausläuft, sich der egoistischen Gesellschaft anzupassen und sich der eigenen Tüchtigkeit im Lachen über andere zu vergewissern, und eine theologische, die eine innerweltliche Gerechtigkeit als ohnehin illusorisch ansieht und ganz auf den jenseitigen Sieg der Besiegten setzt. Damit ist das desillusionierende Lachen von Anbeginn des Romans charakterisiert als Merkmal einer Gesellschaft, die auf Vereinzelung und Feindschaft basiert, nicht auf Solidarität und auch nicht auf fröhliche Kommunion des Kreatürlichen. Nicht zufällig wird leitmotivisch immer wieder auf diese Szene und das daraus resultierende Gelächter verwiesen. Dem Leser wird hier, deutlicher als im Lazarillo, die Aufgabe zugewiesen, selbst zu entscheiden, ob er sich mit dem allmählich in die Gesellschaft hineinwachsenden und zunehmend auf Seiten der Lacher positionierten Guzmän lachen will oder sich die Eitelkeit solch unchristlicher Heiterkeit stets vor Augen führen soll.
Lachen im Don Quijote de la Mancha Wie eingeschränkt die Wirkung der Komik und des Lachens im Schelmenroman ist, wird besonders deutlich, wenn man zum Vergleich Cervantes' Don Quijote heranzieht. Angesichts der ausufernden Menge an Sekundärliteratur zum berühmtesten Roman der spanischen Literatur ist es verwunderlich festzustellen, daß verhältnismäßig wenige Studien dem Phänomen des Gelächters gewidmet sind.23 Dies mag, wie Russell ausführt, mit der Rezeptionsgeschichte des Quijote zusammenhängen. So sehr es richtig ist, daß für die Leser des 17. und 18. Jahrhunderts der Roman vom Ritter der traurigen Gestalt in erster Linie ein lustiges Buch war, so unzweifelhaft kann man auch feststellen, daß mit Beginn des Einflusses der (deutschen) romantischen Literaturkritik der komische Aspekt des Buches in den Hintergrund getreten ist.24 Sismondis Diktum, der Quijote sei das traurigste Buch der Weltliteratur, mag stellvertretend für diese Lesart stehen. Russell legt seine Analyse ganz darauf an, den Nachweis zu führen, daß diese "ernste" Interpretation des
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Zu nennen wären aus neuerer Zeit etwa E. Gascon Vera, "La risa en el Quijote," Cervantes. Su obra y su mundo. Adas del l Congreso International sobre Cervantes, ed. M. Criado de Val (Madrid, 1981) 681-685, und vor allem P.E. Russells (wie immer erfreulich deutliche) Studie, "Don Quixote as a Funny Book," Modern Language Review (1969): 312-326, auch in P.E. Russell, Temas de la Celestina (Barcelona, 1978) 409-440. Ich zitiere den Quijote in der von Francisco Rodriguez Marin kommentierten Ausgabe der cläsicos castellanos, 8 Bde. (Madrid, 101975-83). Die Rezeptionsgeschichte des Quijote unter dem Gesichtspunkt der Einschätzung seiner Komik könnte m.E. eine sinnvolle Ergänzung (oder Fallstudie) zu einer Geschichte des Lachens sein.
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Quijote historisch falsch und dem Text nicht angemessen ist. Dabei legt er besonderen Wert auf die Tatsache, daß in beiden Teilen des Romans das laute, ungehemmte Gelächter eine große Rolle auf der Textebene spielt. Auch wenn die Richtigkeit dieses Nachweises ausdrücklich unterstrichen werden muß, scheint mir doch eine differenzierende Deutung des Lach-Phänomens im Quijote angemessen. Im folgenden werde ich also die im Text dargestellten Lach-Szenen sowie die ihm eingeschriebenen Leserorientierungen (im Sinne von Angeboten des - lachenden - Rezeptions Verhaltens) analysieren. Dabei ist von drei Schlüsselbegriffen auszugehen: "burla," "risa a carcajadas" (dem schallenden Gelächter) und "admiracion". Die Vorstellung einer deutlichen Entwicklung von der Burleske zu reflektiertem Amüsement im Sinne der "admiratio" ist, auch dies betont Russell, sicherlich falsch. Und trotzdem, so werde ich zu zeigen versuchen, sind verschiedene Schichten bei der lachenden Rezeption des Quijote zu unterscheiden, die teilweise anhand des im Roman abgebildeten Lachens vorgeprägt sind. In einem ersten Schritt gehe ich davon aus, daß sowohl Sancho als auch Don Quijote in beiden Romanteilen an der Nase herumgeführt und von der Umwelt belacht werden. Zwei Beispiele mögen diese Form der "burlas" illustrieren: In Kap. I, 17 wird Sancho Opfer eines groben Streichs, den ihm die um die Zeche geprellten Wirtsleute spielen - sie schleudern den ängstlichen Sancho auf einer Decke mehrfach in die Luft und ergötzen sich an seiner Angst und Hilflosigkeit. Don Quijote wird im zweiten Teil (II, 41) Opfer einer Inszenierung der Herzoge, die ihn eine fiktive Reise auf einem Holzpferd erleben lassen und ihn zum Schluß durch Zünden von Feuerwerkskörpern im Pferd unsanft zu Boden fallen lassen. Beide Fälle produzieren die bei Lopez Pinciano beschriebene "fealdad," ohne daß die Personen übermäßig Schaden nehmen. Solche und ähnliche Streiche25 ähneln den Episoden der Schelmenromane, wo die Dummheit und Naivität der verlachten Figuren zur Erheiterung der Umwelt eingesetzt werden. Es wäre falsch zu behaupten, daß diese burleske Ebene nur zu Beginn des Buches präsent ist und mit Entwicklung der Figur des Quijote und Sanchos (vor allem im zweiten Teil) durch andere Formen der Komik und des Lachens vollständig ersetzt wird. Immer wieder markiert Cervantes diese Ebene der "risa a carcajadas" ausdrücklich als eine mögliche Rezeptionsform, wenn er Formeln wie "Wen hätte dieser Anblick nicht zum Lachen gereizt?"26 verwendet, um den Leser in die Reaktion der Umwelt einzubeziehen. Somit sind Don Quijote und Sancho Panza als lächerliche Figuren von Anfang an festgelegt, der eine durch seine "locura," der andere durch seine
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Einige der Streiche sind vergleichsweise brutal und von gehässigem Lachen begleitet; so in Teil I, 43 und I, 52 und mehrfach in II, 32. Quijote Kap. I, 30, Bd. 3: 116.
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Dummheit. Aber auch Don Quijote kann am Lachen der Welt über Sancho partizipieren,27 so wie Sancho am Gelächter der anderen über Quijotes Wahn teilhat.28 Ja Sancho schlüpft in die Rolle derjenigen, die sich durch geplante Inszenierungen einen Spaß aus Don Quijotes Narretei machen. Diese Auflösung der Eindimensionalität Quijotes und Sanchos als lächerliche Figuren und ihre phasenweise Integration in die normale Welt der Lachenden ist nur ein Element in dem Spiel, das Cervantes mit dem Gelächter seiner Figuren und mit dem beim Leser hervorgerufenen Lachen inszeniert. Der Quijote bleibt lächerliche Figur immer dann, wenn er in seiner "locura" handelt, also keinerlei Integration in die Welt, keine Anpassung zu erkennen gibt. Allerdings, und hier beginnt nun die Funktion des Lachens sich zu verändern, gewinnen die Momente normaler Geistesverfassung vor allem im zweiten Teil an Gewicht. Der Umgang mit Don Quijote erschöpft sich nicht mehr, wie bei den beiden ersten Ausfahrten, im Gelächter über seinen Starrsinn, die reale Welt in vorgefaßte, den Ritterromanen entlehnte Schemata zu pressen. Die Teilhaber an der realen Welt motivieren ja überhaupt erst seine erneute Ausfahrt. Beispielhaft läßt sich an dem sehr langen Aufenthalt im Palast der Herzoge zeigen, wie sehr nun auch das Gespräch mit Don Quijote (und Sancho Panza) als Abwechslung im Leben kultivierter Personen genossen wird. Die beiden bieten eine nie sich erschöpfende Vielfalt von Anlässen zur "admiracion," zum Staunen über den Wahn einerseits, über die gerade im Kontrast auffällige Weisheit andererseits.29 Auerbach hat zurecht darauf hingewiesen, daß diese Weisheit nicht die Weisheit des Narren ist, sondern die des Alonso Quijano el bueno, der sich als Zivilperson hinter dem Löwenritter verbirgt. Don Quijote wird zunehmend in die Gesellschaft integriert, aber nicht durch eine Anpassung seiner Differenz an die Realität (wie der Lazarillo), sondern durch seine Unentbehrlichkeit für die Bewohner der realen Welt. Das (staunende) Lachen, das er in allen Aspekten seines Wesens bewirkt, ist keine radikale Infragestellung der Realität (zu keinem Moment wird der Leser unsicher in der Trennung in reale und "ver-rückte" Welt), sondern bereichert diese um eine heitere Ebene, löst die Realität bisweilen auf in ein (sprachliches) Spiel, an dem dann der Quijote gleichberechtigt mitwirkt.30 "Admira-
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Quijote I, 8 , Bd. 1: 196; I, 17, Bd. 2: 66; I, 19, Bd. 2: 118; beide zusammen lachen in I, 20, Bd. 2: 151; über Sancho in II, 12, Bd. 5: 218; II, 16, Bd. 5: 289 (über Sancho zu lachen heißt für Quijote, aus seiner Melancholie zu entfliehen), II, 21, Bd. 6: 52; II, 28, Bd. 6: 200; 11,29, Bd. 6: 211. So etwa ibid. I, 21, Bd. 2: 168 und II, 23, Bd. 6: 107. Zu diesem Phänomen mit Bezug auf Erasmus' Lob der Torheit siehe A. Vilanova, Erasmo y Cervantes 7ff. Die komische Auflösung der Realität wird natürlich auch dadurch gefördert, daß im zweiten Teil eine Kunstfigur als solche innerhalb der Fiktion den Rang einer real existierenden Person zugewiesen bekommt. Dieses mehrschichtige Spiel mit Fiktion und Realität ist allerdings auch schon im Guzman de Alfarache vorgeprägt, wo der Autor des
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cion" ist hier Teil des Lachens, nicht dessen notwendige Voraussetzung. Die burleske Ebene, die ohne "admiracion" auskommt, besteht wie gesagt kontinuierlich weiter. Allerdings bewahrt gerade die ästhetische Kategorie der "admiratio" die Teilhaber der realen Welt vor Langeweile, vor Repetition. Gleichermaßen ist es für den Leser zunehmender Anreiz für Gelächter zu sehen, mit welchem Variationsreichtum Cervantes die Kollisionen und Dialoge zwischen den beiden Welten der Normalität und des Wahns zur Darstellung bringt. Es fällt auf, wie im zweiten Teil jene Passagen zunehmen, wo Don Quijote nicht in Außenansicht beschrieben, sondern durch seine eigenen Diskussionsbeiträge in den ausführlichen Dialogen dargestellt wird. Der Text bleibt zwar in der Aussage, Don Quijote sei verrückt, eindeutig, aber auf der DialogEbene gewinnt die Welt des Quijote ein Eigengewicht. Gianni Celati hat dieses Phänomen treffend beschrieben: Don Chisciotte [...] a partire da un certo punto regolarmente spiega da se le proprie ragioni col discorso diretto, mentre il discorso indiretto e impiegato piuttosto per parlarci delle dubbie origini e della distanza da cui giunge questa "grande historia". E poi comincia sempre piü ad apparire un altro procedimento: il personaggio include la beffa, o l'equivovo in cui e incappato, in una meditazione ehe innesta segni invertiti per la sua lettura. In tal modo sfugge a tutti gli agguati di equivoci e qui pro quo, riuscendo invece a trovarci conferme per la sua allucinazione, e lo smascheramento teatrale non funziona piü come cura e dissoluzione del vizio. [...] Cosi la beffa si decodifica testualmente secondo due modi diversi: secondo la societä comica ehe partecipa all'aggressione al vizio, e secondo il carattere ehe incarna il vizio, ossia Don Chisciotte. Essendo queste due decodificazioni sempre parallele, e direi rigorosamente parallele, alia fine si presentano come una forma ripetitiva ehe pone il lettore in una specie d'obbligo di scelta per spartire il discorso del testo. [...] La follia incurabile di Don Chisciotte disgrega l'univocitä del mondo con un raddoppiamento ideologico ehe non permette piü un equo consenso con l'aggressione comica al vizio, e impone una lettura ambivalente delle sue stramberie.31 Der allen Demaskierungen und Heilungsversuchen widerstehende Wahnsinn des Quijote versetzt nicht nur den Leser in die Notwendigkeit, seiner Interpretation der Welt ansatzweise zu folgen, sondern setzt auch in den beteiligten (lachenden) Personen Ebenen frei, die diese sonst nicht hätten ausleben können: verkleidete Höflinge erweisen sich als begnadete Schauspieler bei den diversen Inszenierungen, die Welt wird zur Bühne, auf der aber nicht die
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apokryphen zweiten Teils des Buches als Diener des "richtigen" Guzmän zu dienen hat und schließlich, sich selbst für Guzmän haltend und geistig verwirrt, kopfüber ins Meer springt und ertrinkt (2. parte, libro II, cap. Iff. und vor allem cap. IX). G. Celati, "II tema del doppio parodico," Finzioni ocädentali (Torino, 1986) 103-154, hier 117f.
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satirische Ausgrenzung des komischen Charakters versucht wird, sondern wo das heitere Spiel zum Selbstzweck wird.32 Als Don Quijote nach erneuten Enttäuschungen zunächst aufgrund eines Gelübdes für ein Jahr in sein Heimatdorf verbannt ist und dann unversehens schwer erkrankt, sind all jene, die noch kurze Zeit vorher keine größere Freude kannten, als sich über ihn zu mokieren, ernsthaft traurig und in Sorge. Mit dem nahenden Tod fällt der Wahnsinn von ihm ab und zu aller Überraschung ("admiracion") sieht er im Rückblick seine eigene Verblendung. Dies ist für alle der beste Beweis seines nahen Todes. Sancho spricht für die Gemeinschaft, als er ihn anfleht, doch noch ein wenig in seinem Wahn auszuharren: "No se muera vuesa merced, senor mio, sino tome mi consejo, y viva muchos anos; porque la mayor locura que puede hacer un hombre en esta vida es dejarse morir, sin mäs ni mäs, sin que nadie le mate, ni otras manos le acaben que las de la melancolia."33 Allen wird etwas Liebgewonnenes fehlen, der Anlaß zur Überwindung der immer wieder erwähnten Melancholie, nicht ein Spielzeug für bösen Spott. Die Welt mit Don Quijote hat sich als riesiger Spielplatz erwiesen, wo man selbst als Teil der realen Welt in die verrücktesten Rollen schlüpfen kann, also gewissermaßen selbst zum Teil des karnevalesken Spiels wird. Dabei wird aber die reale Welt nicht suspendiert, in Frage gestellt oder sabotiert, sondern die humoristische Ebene erlaubt einen freieren, unbekümmerten Blick auf die Welt. Das Lachen mit und über Don Quijote ist der Luxus, der das Leben lebenswert macht. Die Welt ohne den Quijote hingegen ist gerade dieser, für alle beteiligten Personen erfreulichen Ebene beraubt. Die Tatsache, daß Don Quijote keine subversive Komik verkörpert, findet ihr Pendant in der Begrenzung des Lachens auf solche Formen der Komik, wo das Opfer nicht übermäßig Schaden nimmt. Schwarzer Humor etwa oder auch nur die Agressivität des Lachens wie in den meisten Schelmenromanen ist Cervantes fremd. Das Grundprinzip christlicher Solidarität, die "compasion," ist die natürliche Schranke, die von allen akzeptiert und als solche auch ausdrücklich thematisiert wird. So ist die Rückführung Don Quijotes in sein Dorf eine Tat der "misericordia": "(su) locura y sandez mueve ä que le tenga-
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Die Verwirrung der Rollen zwischen ernst und komisch läßt sich auch in den comedias Cervantes' beobachten, wo alle (und nicht nur die niederen, dazu prädestinierten) Personen zu komischen Figuren werden. "Por encima de todo, cabe subrayar que la comicidad de las figuras jocosas del teatro cervantino nunca trae consigo su propia finalidad, aun cuando parece encerrarse dentro de secuencias autonomes. En primer grado, se inserta en una polifonia que [...] llega a incorporar todas las formas de risa, haciendo de la totalidad de las dramatis personae otras tantas figuras del donaire: unas, como animadoras de una comicidad urbana, otras, como portadoras de una comicidad mäs basta, segun la misma division establecida por la preceptiva cläsica y senalada, entre otros, por Lopez Pinciano." Jean Canavaggio, "Las figuras del donaire en las comedias de Cervantes," Risa y sociedad en el teatro espanol del Siglo de Oro (Paris, 1980) 51-64. Quijote II, 74, Bd. 8: 327.
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mos lästima todos cuantos le conocemos."34 Dieses Prinzip wird auch von jenen akzeptiert, die sich eine besondere Freude aus den für Don Quijote inszenierten "burlas" machen: "iOh, senor - dijo Don Antonio -, Dios os perdone el agravio que habeis hecho ä todo el mundo en querer volver cuerdo al mäs gracioso loco que hay en el! ... si no fuese contra caridad, diria que nunca sane don Quijote, porque con su salud, no solamente perdemos sus gracias, sino las de Sancho Panza su escudero, que cualquiera dellas puede volver ä alegrar ä la misma melancolia."35 Es handelt sich in gewissem Sinne sehr wohl um die Kamevalisierung der Welt, aber ohne daß die bestehenden Hierarchien und Wertesysteme außer Kraft gesetzt werden. Sancho wird als Dummkopf Herrscher über eine Insel - aber dabei wird nicht ein real existierender Herrscher (vorübergehend) entmachtet, sondern die gesamte Situation wird als Schauspiel inszeniert. Das Lachen relativiert insofern, als jeder etwas zu lachen hat und lachen soll, aber es relativiert nicht den Geltungsanspruch der realen Welt. Fragen wir nach dem (möglicherweise) intendierten Gelächter des Lesers bzw. nach den verschiedenen Angeboten, die Erzählung lachend zu rezipieren. Die erste und naheliegenste Ebene ist, wie bereits erwähnt, das laute Lachen über die Streiche, die Sancho oder Don Quijote gespielt werden - mehrmals markiert mit dem Hinweis, über solch eine Situation müsse wohl jeder lachen. Schon der allererste Leser des Romans, der Übersetzer, muß mehrfach lauthals lachen, als er einzelne der Episoden zu Papier bringt. Mit fortschreitender Lektüre multiplizieren sich die Perspektiven, die der Leser als Lachender einnehmen kann. Mit Don Quijote kann über Sancho gelacht werden oder über das Staunen derer, die ihn noch nicht kennen und ob seiner unsinnigen Sprüche sprachlos sind; mit Sancho lachen wir über die unverbesserliche Verblendung seines Herrn; wir lachen mit denen, die wissend sind und die Scherze inszenieren (dabei hat der Leser den großen Vorteil, seine Erheiterung nicht unterdrücken zu müssen, während die beteiligten Personen die "risa disimulada" ertragen müssen); wir lachen über die Verkleidungen derer, die die Scherze darstellen wollen und sich dafür ihrerseits in lächerliche Positionen begeben. Der lachende Leser wird von Cervantes in eine Situation geführt, wo er nicht "für" oder "wider" Don Quijote entscheiden muß, sondern alle Perspektiven genußvoll in Gelächter umsetzen kann.36 Somit ist gerade das Lachen eine Rezeptionsform, die dem von Celati beschriebenen Parallelismus beider Weltanschauungen gerecht werden kann. Das
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Ibid. II, 65, Bd. 8: 195. Ibid. 195-196. Mit dieser Sicht gehen all jene nicht konform, die wie Benedetto Croce der Ansicht sind, jeder "gute Mensch" müsse sich notgedrungen mit dem tragisch empfundenen Helden Don Quijote identifizieren. Diese Lesart ist von Auerbach, Russell u.a. als zwar nicht abwegig, aber dem Text nicht eingeschrieben verworfen worden.
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Lachen über je verschiedene Figuren fängt den von Cervantes ganz offensichtlich intendierten Dialogismus des Romans auf. Neben lautes Lachen tritt beim Leser das Erstaunen (das auf der Textebene in zahlreichen Situationen der "admiracion" vorgeprägt ist), das physisch vielleicht zu Kopfschütteln und Aussagen wie "das kann doch nicht wahr sein" führen mag. Überraschung mit anschließendem Lachen tritt immer dort auf, wo Don Quijote einen unerwarteten Ausweg aus der Erkenntnis der Wahrheit und eine Möglichkeit findet, die Welt doch wieder im Ritter-Schlüsel zu lesen. An diesen Stellen, wo Don Quijote seine Geistesgegenwart und seine Phantasie unter Beweis stellt, findet im Lachen Identifikation statt (allerdings nicht im Sinne einer tragischen Identifikation). Die beiden erwähnten Lachformen hat Cervantes selbst als mögliche Varianten des Amüsements über seine Geschichte definiert. In einem häufig und kontrovers interpretierten Abschnitt in II, 44 (Bd.7, 128) wird es dem Leser anheim gestellt, zwischen zwei (graduell unterschiedenen) Formen des Lachens zu wählen: Deja, lector amable, ir en paz y en hora buena al buen Sancho, y espera dos fanegas de risa, que te ha de causar el saber como se porto en su cargo, y en tanto, atiende ä saber que le paso ä su amo aquella noche; que si con ello no rieres, por lo menos, desplegaräs los labios con risa de jimia, porque los sucesos de don Quijote, o se han de celebrar con admiracion, o con risa. Beide Varianten sind nicht als Gegensatz, sondern als unterschiedliche Ausprägungen derselben Grundstimmung zu verstehen, die je nach Situation oder Temperament des Lachenden ihren Ausdruck findet. Auch beide Elemente im Zusammenspiel sind offensichtlich von Cervantes eingesetzt worden. Nur ein Beispiel: Im Palastgarten der Duques wird Sancho und Don Quijote ein Streich gespielt, bei dem sie zu einem abenteuerlichen Ritt auf einem Holzpferd durch die Wolken animiert werden sollen. Trifaldi, Spielleiter der "burla," berichtet vom Tod einer Person mit den Worten: "dentro de tres dias la enterramos." Sancho, der schon eine ganze Weile mit Trifaldi dialogisiert, vermutet, daß sie dann wohl gestorben sein müsse. Eine vordergründig dumme Antwort, bringt sie doch die Evidenz in Form einer Vermutung zum Ausdruck. Der erste Reflex der Umstehenden (und des Lesers): man lacht über die Einfalt des Sancho. Aber Sancho gibt sich nicht geschlagen, sondern führt Trifaldi vor, indem er ihn belehrt, es gebe ja schließlich Scheintote und irrtümliche Begräbnisse. Vom ersten Lachen gerät der Leser in Verwunderung über Sanchos Schlagfertigkeit und Schläue und lacht in einem zweiten Schritt über die Naivität Trifaldis.37
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Hierbei handelt es sich um dasjenige Phänomen, das Lopez Pinciano "risa pasiva" genannt hat.
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"Admiration" und/oder "risa": dem Leser stehen viele Formen des Ausdrucks seiner Erheiterung offen. Nur eine Haltung scheidet aus: diejenige, nicht zu lachen. Das expliziert Cervantes in einem der wenigen, aber deutlichen satirischen Porträts im Roman. Es handelt sich um die Episode im Palast der Herzoge, wo ein Priester meint, durch moralische Ermahnungen dem Spuk ein Ende bereiten zu können und das moralisch zweifelhafte Lachen zu unterbinden. Er will nicht am Lachen teilnehmen, ja anderen das Lachen untersagen. Durch sein Verhalten wird er noch weiter aus der dominanten realen Welt ausgeschlossen als Don Quijote. Die einseitige Festschreibung der Moral auf ein einziges für alle gültiges Lebensideal wird seinerseits lächerlich gemacht. Es gelingt sogar Don Quijote in seiner "locura", den Prister als einen Dogmatiker bloßzustellen, der vordergründig über die Welt richten will. Die Welt ist nicht festgelegt, sondern in der "admiration" treten immer wieder neue Gesichtspunkte hinzu, über die gelacht wird, die erheitert ("gratia") zur Kenntnis genommen werden können und die abschließende, allgemeingültige Urteile über die Welt verbieten. Diese nie dogmatische, sondern stets tolerante Haltung Cervantes wird durch Don Quijote ebenso wie durch Sancho zum Ausdruck gebracht. "Muchos son los caminos por donde lleva Dios a los suyos al cielo" sagt Don Quijote (II, 8, Bd.5, 160) zu Sancho und bezieht sich dabei auf die Wahlmöglichkeit der Menschen, in einem Beruf ihrer Wahl Gutes zu tun. Und noch programmatischer spricht Don Quijote vor den Galeerensträflingen und deren Bewachern: "AM se lo haya cada uno con su pecado, Dios hay en el cielo que no se descuida de castigar al malo, ni de premiar al bueno, y no es bien que los hombres honrados sean verdugos de los otros hombres, yo yendoles nada en ello." (I, 22, Bd.2, 220) Selbst Sancho hat in den an der Seite Don Quijotes verbrachten Monaten erkannt, daß ein Faktum durch die Perspektive, aus der man es betrachtet, verschiedene Erscheinungsformen haben und konträre Bewertungen erfahren kann. Im Brief an seine Frau heißt es: "No diräs desto nada a nadie, porque pon lo tuyo en concejo, y unos dirän que es bianco, y otros que es negro." (II, 36, Bd.7, 12) Universelle Heiterkeit ist die angemessene Lebensform, um der unüberschaubaren Vielfalt der Welt zu begegnen, ohne der Melancholie anheimzufallen. Gelächter im Quijote zielt nicht auf eine Utopie, eine gänzlich andere Welt. Für Cervantes ist die Welt in ihrem Erscheinungsreichtum in Ordnung, so wie sie ist (was ihm den Vorwurf des "Reaktionärs" einbrachte). Das Lachen allerdings macht sie erträglicher.
Versuch einer Typologie des Lachens in den untersuchten Romanen Zusammenfassend ist festzuhalten, daß es sich bei allen spanischen Schelmenromanen des 16. und dann vor allem des 17. Jahrhunderts um Agres-
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sionslachen handelt. Lazarillo geht den Weg vom Opfer zum Teilhaber einer agressiven Welt und wird seinerseits zum Lachenden, ohne daß dem Leser eine eindeutige Direktive zur moralisierenden Rezeption des Erzählten vorgegeben wird. Im Guzman de Alfarache zielt das agressive Lachen auf die desillusionierte Analyse einer egoistischen Welt ab, die sich auf die ursprünglichen christlichen moralischen Werte zurückbesinnen muß, will sie nicht angesichts der enormen sozialen Spannungen ihren Zusammenhalt verlieren. Das Lachen in dieser Welt ist demaskierend, es zeigt die Vereinzelung und die Einsamkeit des Individuums. Hierin unterscheidet es sich signifikant vom gattungstypischen Gelächter in der "comedia," wo Lachen genau das Gegenteil bewirken, nämlich versöhnlich und ohne Ausgrenzung niederer Schichten auf die Möglichkeit verweisen soll, daß alle gesellschaftlichen Gruppen den ihnen zugewiesenen Platz zum eigenen und allgemeinen Wohl ausfüllen können. Das Lachen im Schelmenroman und das Lachen der "comedia" sind beides (nachtridentinische) Reaktionen auf soziale Krisenphänomene und zielen, jedes auf seine Weise, auf eine restaurative Lösung dieser Krise ab. Ganz anders das Lachen im Quijote: Auch dort gibt es zwar agressives, ausgrenzendes Lachen. Sowohl der Narr Quijote als auch der Tölpel Sancho sind Gegenstand dieses Lachens. Mit Verlauf des Romans aber integrieren sich beide Figuren so weit in die normale Welt, daß sie in Kommunikation mit ihr treten, ohne ihre von der Norm abweichenden Eigenheiten deshalb aufzugeben. Das führt zu einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Jede der Figuren lacht, teils aus ganz unterschiedlichen Erwägungen. Und was sehr wichtig ist: Diejenigen Figuren, die über den Quijote lachen wollen und deshalb komplizierte Possen inszenieren, werden für den Leser selbst zu lächerlichen Figuren. So wird nicht die klare Trennung in reale und verrückte Welt aufgelöst, wohl aber das Lachen als allen Beteiligten Gemeinsames markiert. Bezeichnenderweise ist caritas, d.h. die fundamentale menschliche Solidarität, ein Regulativ für den Spott - anders als in den Schelmenromanen. In gewissem Sinne greift Cervantes hinter das Denken der Gegenreformation zurück und besinnt sich auf fundamentale (christliche) Werte, wie sie etwa von Erasmus und anderen Philosophen der Renaissance vertreten wurden. Die Welt ohne den Guzmän oder Buscon kann sich daran erfreuen, daß es ihr gut geht; die Welt mit oder ohne Lazarillo ändert sich nicht - jeder hat aber zumindest die Chance, an ihr teilzuhaben. Die reale Welt wird auch durch den Quijote nicht demontiert oder negiert, sie bleibt ihrer selbst sicher. Aber sie erhält durch seine Obstination, sich trotz des Lachens der Umwelt, das als Korrektiv fungieren könnte, nicht von seiner fixen Idee abbringen zu lassen, eine zusätzliche Dimension der universellen und somit solidarisierenden Heiterkeit, die im Leser fortwirkt. Das Leben in all seinen Facetten erscheint durch die Konfrontation mit der närrischen Weltsicht eines Quijote erträglicher, leichter, gleicht einem Spiel. Ohne den Quijote - das zeigt die
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Sterbeszene - ist die Welt nicht anders, aber ärmer. Oder in den Worten Auerbachs: "Hier auf Erden liegt die Ordnung des Unüberschaubaren im Spiel: so schwer zu übersehen und zu beurteilen die Erscheinungen auch sein mögen, vor dem närrischen Ritter aus der Mancha werden sie zu einem Reigen heiterer und unterhaltsamer Verwirrung."38
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E. Auerbach, Mimesis: Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur (Bern, 1959) 342.
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Von der Sündhaftigkeit zur Lächerlichkeit der Vanitas
Erasmus von Rotterdam läßt im Lob der Torheit die Personifikation der Stultitia den Prediger Salomon anzitieren und auslegen: Doch zurück zum Prediger Salomo. Wenn er ausruft: "Es ist alles ganz eitel; es ist alles ganz eitel!," was anderes meint er damit, als daß, genau wie ich sagte, das menschliche Leben nichts als ein kurzweiliges Spiel der Torheit ist? [...] Und hören wir wieder Salomo im fünfzehnten Kapitel der Sprüche: "Die Torheit ist dem Toren eine Freude." Das besagt doch unzweideutig, es gebe ohne Torheit im Leben nichts Schönes.1
In der selbstgefälligen Selbstrechtfertigung und im Eigenlob der Stultitia überlappen sich Vorstellungen der Torheit als Beschränktheit auf das Irdische und der Eitelkeit als unrelativierter Selbst- und Weltbezogenheit. Im syllogistischen Raisonnement wird der Prediger zwar dem Buchstaben getreu zitiert, aber aufgrund des unrelativierten Selbstverständnisses der Stultitia zumindest schief ausgelegt als Plädoyer für die Torheit und Eitelkeit. Die Predigten des Salomo dagegen sind monoperspektivisch geschlossen: Zwischen der Torheit und der Weisheit als Weltwissen besteht zwar ein innerweltliches Gefalle, aber vom Ewigkeitsstandpunkt, der dem Prediger in der christlichen Rezeption zugeschrieben wird, erscheint auch die Weltweisheit als eitel und nichtig: Ich sah an alles Tun, das unter der Sonne geschieht, und siehe, es war alles eitel und Haschen nach Wind [...] Und ich richtete mein Herz darauf, daß ich lernte Weisheit und erkennte die Tollheit und Torheit. Ich ward aber gewahr, daß auch dies ein Haschen nach Wind ist.2
Wenn der Prediger von einem einheitlichen Standpunkt her argumentiert, verlagert Erasmus den Argumentationsstandort zur Stultitia, in deren Zitaten Salomos Botschaften zwar aufleuchten, um aber im gleichen Atemzug mit den perspektivisch beschränkten Auslegungen der Stultitia kontrapunktiert zu
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Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Schriften, ed. Werner Welzig, Bd. 2, Laus Stultitiae, Das Lob der Torheit, übers. Alfred Hartmann (Darmstadt, 1975) 181. Prediger Salomo l, 14.17.
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werden. Nur der mit der salomonischen Deutung der Eitelkeit als Weltverfallenheit vertraute Leser wird die Spannung zwischen Prä-Text und Interpretationstext als ironisch gemeinte Spannung wahrnehmen und die selbstgefällig-eitle Stultitia als lächerlich gemeinte Figur durchschauen. Es kommt ein Weiteres hinzu: Das elegische Bewußtsein des Predigers von der Vergänglichkeit, Eitelkeit und Nichtigkeit menschlichen Existierens steigert sich in der christlichen Überformung zur Weltverachtung und zur Forderung nach Weltabwendung, ein Prozeß, der in Augustins Entgegensetzung von Welt- und Gottesstaat kulminiert. Im Laufe dieses Fundamentalisierungsprozesses begann - wie Morton W. Bloomfield in seiner Untersuchung The Seven Deadly Sins3 dargestellt hat - zunächst im Cassianischen Todsündenkatalog die Cenodoxia mit der Superbia zu konkurrieren,4 um vom 13. Jahrhundert an als Vana Gloria mit Vorstellungen der Superbia zu verschmelzen.5 Die Eitelkeit, verstanden nicht nur als Nichtigkeit der vergänglichen Welt, sondern gleichermaßen als sündhafte Haltung des Menschen, schlägt, wie bei Chaucers Troilus, der nach seinem gewaltsamen Tod in der Schlacht zur achten Sphäre aufsteigt und aus dieser Distanz die Welt als einen Jahrmarkt der Eitelkeiten wahrnimmt, in Weltverachtung um: And down from thennes faste he gan avyse This litel spot of erthe, that with the se Enbraced is, and fully gan despise This wrecched world, and held al vanite To respect of the pleyn felicite That is in hevene above; [...] O yonge fresshe folkes, he or she, In which that love up groweth with youre age, Repeyreth horn fro worldly vanyte, And of youre herte up casteth the visage To thilke god that after his ymage Yow made, and thynketh al nys but a faire This world, that passeth soone as floures faire.6 Die salomonische Reflektion über die Eitelkeit degeneriert zum vielzitierten Schlagwort, etwa wenn Good Dede dem Eponymus des Jedermann-Orama einschärft: All erthly thynges is but vanyte Beaute strength / and dyscrecyon do man forsake
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Morton W. Bloomfield, The Seven Deadly Sins (Michigan, 1952; 1967). Cf. ibid. 69.
Cf. ibid. 105ff. Geoffrey Chaucer, The Book of Troilus and Criseyde, ed. Robert Kilburn Root (Princeton, 1926) 403f.
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Folysshe frendes and kynnesmen that fayre spake All fleeth saue good dedes and that am I.7 Hier zeichnet sich zur Abwendung von der Welt die Alternative einer via positiva ab, auf der die Eitelkeit als Selbstbezogenheit schon in der Welt durch die "gute Tat" der Mitmenschlichkeit eines praktischen Christentums überwindbar erscheint. Zeitgleich damit beginnen sich in den Interludien des 15. Jahrhunderts parallele Entwicklungen abzuzeichnen. In dem um 1425 entstandenen The Castle of Perseverance erscheint die Vana Gloria auf Seiten des Malus Angelus noch im Gefolge von Mundus, Voluptas und Stultitia und wird die Welt noch als eitel und nichtig abqualifiziert. In dem etwa 50 Jahre später geschriebenen Mankind werden die sich aus dem Vanitas-Begnff ergebenden Moralvorstellungen in dem Maße unterlaufen, wie die Moralität zur Komödie wird. So spult Mercy, die Personifikation der göttlichen Gnade, nachdem sie den Menschen aus den Fängen des Lasters gerettet hat, zwar noch die altbekannten Warnungen vor der Körperlichkeit, Sinnlichkeit und Eitelkeit ab, Thynke and remembyr the world ys but a wanite, As yt ys prowyd daly by diverse transmutacyon.8 aber die Gegenspieler von Mercy und Mankind sind hier nicht mehr große teuflische Dämonen, sondern Tunichtgut-Figuren wie Nought, Newguise, Nowadays und Mischief. Selbst der Teufel, der noch im Castle of Perseverance den großen Namen Belial trug, trägt hier einen Namen ohne Tradition im Lastersystem des Abendlandes. Er heißt Tilivillus, wahrscheinlich eine Kontamination aus den lateinischen Wörtern 'Titillus', der Kitzel, und 'vilis', gemein, abscheulich. Zwar klingt die orthodoxe Anschauung vom Teufel und den Lastern nach, aber das Gigantisch-Böse ist in Mankind der metaphysischen Dämonie entkleidet und auf die innerweltliche Ebene herabtransponiert. In diesem Entdämonisierungsprozeß werden die herkömmlichen Lasterpersonifikationen in komische Figuren verwandelt, mit denen sich das Publikum teilweise identifizieren oder die es als Stellvertreterfiguren eigener Anschauungen verstehen kann. Diese Mischfiguren präsentieren zwar noch zum Teil die konventionellen Lastervorstellungen, aber als komische Figuren können sie ungestraft Kritik an den stereotypisierten Tugend-Personifikationen äußern, ein Moment, das die Sympathielenkung beim Zuschauer nicht mehr der strengen orthodoxen Opposition von Gut gegen Böse unterwirft, sondern gerade durch die Einkleidung der Moralität ins komische Genre Mischhaltungen zuläßt, in
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Everyman: Materialien zur Kunde des älteren Englischen Dramas, rpt. by W.W. Greg from the edition by John Skot (Louvain, Leipzig, London, 1904) 30; 11.870ff. Mankind: The Macro Plays, ed. Mark Eccles, EETS 262 (Oxford, 1969) 184; II.909f.
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denen sich ein neues Verhältnis der bisher verteufelten Weltlichkeit implizit offenbart. Ziel der Komödie ist es, auf leidlose Art und Weise von den Anspannungen zum höheren Menschsein und vom Pathos des moralischen Dogmatismus zu entspannen. Eine spezifische Facette dieses Prozesses wird im Lob der Torheit des Erasmus sichtbar. Stultitia erfüllt die Bedingungen einer komischen Figur, die auf leid- und straflose Weise von den konventionalisierten Vorstellungsnormen abweichen darf, die aber andererseits durch das von Erasmus gepflegte ironische Verfahren der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Wenn vorher von Mischhaltungen die Rede war, die sich von den dogmatischen und fundamentalistischen Haltungen unterscheiden, dann werden solche durch die von Erasmus gepflegte ironische Technik intendiert: Auf der einen Seite wird die orthodoxe Bewertung der Vanitas evoziert, und auf der anderen Seite wird jene kontrapunktiert durch eine erkennbar törichte Auslegung des VanitasBegriffes durch Stultitia, die jedoch als komische Figur ungestraft agieren und argumentieren darf. Und so erscheint das eitle Weltgetriebe als "nihil aliud quam Stultitiae ludicrum,"9 als "nichts als ein kurzweiliges Spiel der Torheit." Obwohl der traditionelle Bewertungsrahmen sichtbar bleibt, wird der ehedem so theologisch und moralistisch aufgeladene Begriff der Vanitas im "Stultitiae ludicrum" auf die Ebene einer Lachen erregenden Spielerei mit Argumenten herabgeholt. Damit stehen wir an der Schwelle der im Titel dieses Beitrages signalisierten zweiten Entwicklungsphase, in der die Vanitas nicht mehr als eine Todsünde, sondern als ludicrum oder ridiculum in Erscheinung tritt. Dies hat seinen Grund darin, daß das metaphysische Spannungsfeld von Zeit und Ewigkeit, innerhalb dessen die Vanitas und Vana Gloria als Versuchungen zur Diesseitigkeit gesehen wurden, abgebaut und durch ein innerweltliches Spannungsfeld ersetzt wurde, das weitgehend soziologisch als hierarchisches Gesellschaftssystem zu bestimmen ist. Shakespeare hat mit Malvolio aus Twelfth Night den produktiven Prototyp einer Komödienfigur geschaffen, die durch ihre Verführbarkeit zur Eitelkeit eine lächerliche Figur wird. Malvolio ist zwiefach charakterisiert durch seinen Status als 'steward', das heißt als Maiordomo an dem kleinen Hof der Gräfin Olivia, und als Puritaner.10 Damit sind zwei Koordinaten genannt, mittels derer eine Figur wie Malvolio zu verorten ist: Im Rahmen des innerweltlichen Gefüges ist Malvolio ein gesellschaftlicher Status als Ort angewiesen, den er in der hierarchischen Gesellschaftsordnung nicht ungestraft überschreiten kann. Im puritanischen Protestantismus wirken - vermittelt durch Calvin - starke Impulse der religiösen Verachtung von Welt und Selbst nach. Der Versuchung 9 10
Erasmus, Das Lob der Torheit 180. Cf. Twelfth Night, ed. J.M. Lothian and T.W. Craik (London, 1975) 52; II.3.140.
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zur Eigenliebe und Eitelkeit soll die puritanische Tugend der Selbstverleugnung ('self-denial') entgegenwirken. Und so müßten eigentlich diese sozialen Regulative und religiösen Überzeugungen der Versuchung zur gesellschaftlichen und weltlichen Eitelkeit entgegenstehen. Dies ist auch solange der Fall, wie sich Malvolio selbst überlassen bleibt. Aber dann beginnt das unterhaltsame Spiel, das 'Ludicrum' der Verführung Malvolios zur Eitelkeit durch das Trio von Maria, Sir Toby Belch und Sir Andrew Aguecheek, die den Hofbeamten und Puritaner aus seiner ständisch und religiös motivierten Reserve gegenüber der verführerischen Welt der höheren Gesellschaft und dem Weltgenuß zu locken versuchen, indem sie seine Eitelkeit wecken. Die Verführer spielen Malvolio einen gefälschten Brief in die Hände, in dem ihm suggeriert wird, daß er zu Höherem bestimmt sei und daß er zum Zeichen der Erwiderung der Liebe der Gräfin gelbe Strümpfe, kreuzweise gebundene Strumpfbänder und im Gesicht ein Lächeln tragen solle. Malvolio setzt diese Anleitung zur lächerlichen Eitelkeit in die Tat um, er legt gelbe Strümpfe, kreuzweise gebundene Strumpfbänder an und trägt ein ständiges Lächeln einerseits als Zeichen des Einverständnisses und andererseits als unfreiwilliges Zeichen seiner Selbstgefälligkeit und Eitelkeit zur Schau. In dem erwähnten Trio, das Malvolio zu solchen Eitelkeiten verführt, ist auch ein drameninternes Publikum gegeben, das sich über die gelungene 'Entbindung' der eigentlich unerlaubten Eitelkeit laut lachend mokiert. Wie immer bei Shakespeare sind die Anweisungen für die Schauspieler nicht in Szenenanweisungen, sondern im Dialog selbst enthalten, etwa wenn Maria Malvolios Verhalten folgendermaßen kommentiert: Maria. If you desire the spleen, and will laugh yourselves into stitches, follow me. Yond gull Malvolio is turned heathen, a very renegado; for there is no Christian that means to be saved by believing rightly can ever believe such impossible passages of grossness. He's in yellow stockings! Sir Toby. And cross-gartered? Maria. Most villainously; like a pedant that keeps a school i' th' church. I have dogged him like his murderer. He does obey every point of the letter that I dropped to betray him: he does smile his face into more lines than is in the new map with the augmentation of the Indies: you have not seen such a thing as 'tis. I can hardly forbear hurling things at him. I know my lady will strike him: if she do, he'll smile, and take't for a great favour." Die implizite Regieanweisung besagt, daß die drameninternen Beobachter von Malvolio sich 'kaputtlachen' sollen, oder, wörtlich übersetzt, lachen sollen, bis sie "Seitenstiche bekommen": Der Auslöser dieses Gelächters ist die Figur des Puritaners, der - mit den Worten Marias - zum Heiden und Abtrünnigen von
" Ibid. 89; III.3.65-80.
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seinen religiösen Überzeugungen geworden ist, daß der Christ der eitlen Weltlichkeit abzusagen habe. Aber im Unterschied zu den Moralitäten und Interludien ist es nicht mehr die Eitelkeit und Weltverfallenheit als solche, die als sündhaft bloßgestellt werden sollen, sondern die Lächerlichkeit eines Malvolio besteht darin, zu den Großen der Welt gehören zu wollen, ohne die soziale Substanz dafür zu besitzen. Maria bezeichnet dieses Verhalten als "villainous." In der Bedeutung dieses Wortes überschnitt sich zur Zeit Shakespeares die Vorstellung vom Schurken mit der des ungelenken Tölpels und der dritten, des von einem Herrn abhängigen leibeigenen Bauern. Hier wird ein für die Komödie der folgenden Jahrhunderte äußerst produktives Thema präfiguriert, das Thema des Bauern als Möchtegem-Edelmann. Abstrahiert man von den soziologischen Inhalten dieser Aussage, dann wird eine für die Komödie der Zukunft charakteristische thematische Struktur sichtbar: Im Rahmen von hierarchischen Gesellschaftssystemen, in denen der Status des Einzelnen Bestandteil in einer vorgegebenen oder gar gottgegebenen Ordnung ist, erscheint die Mißachtung von Klassenschranken als unzulässig und die mißlingende Nachahmung der bezuggebenden Oberschicht als lächerlich. In Shakespeares Inszenierung der Malvolio-Figur klingt das religiöse Verbot der Eitelkeit nach, aber in der Stilisierung Malvolios als Puritaner ist das Eitelkeitsverbot nicht mehr als universelles Dogma, sondern als Norm einer radikalen protestantischen Sekte aufgefaßt. Dadurch wird die orthodoxe Vorstellung von der Vana Gloria als Todsünde schon eingeschränkt, und im Zuge der Soziologisierung der Normen wird aus der Eitelkeit als Todsünde eine soziale Untugend, die in der Komödie immer dann dem Gelächter preisgegeben wird, wenn einer Figur aufgrund ihrer sozialen Inferiorität die Nachahmung nicht gelingt und als unvollkommene Nachahmung durchschaubar wird. Das selbstgefällige Lächeln Malvolios ist das äußere Zeichen seiner gesellschaftlichen Anmaßung und Eitelkeit, und das stellvertretende Gelächter des Trios von Maria, Sir Toby Belch und Sir Andrew Aguecheek ist eine vielschichtige Reaktion auf die Handlungen des Malvolio, der zumindest in zwiefacher Hinsicht unter Anstachelung seiner unterdrückten Eigenliebe und Eitelkeit aus dem Rahmen der vorgegebenen und eigenen Normsetzungen herausfällt und so zu einer lächerlichen Figur wird: Der Knecht, der zum Herrn werden will und eine Herrenpose annimmt, ist zusammen mit dem Puritaner als enthemmtem Liebhaber eine lächerliche Figur, die allerdings bei Shakespeare im Unterschied zu anderen komischen Figuren nicht leid- und straflos bleibt, sondern - ganz in Übereinstimmung mit der noch latenten orthodoxen Bewertung der Eitelkeit - einer Bestrafung gerade durch die Figuren zugeführt wird, die ihn zur Eitelkeit verführten. Malvolios 'Sünde' der Eitelkeit, zu der er verleitet wurde, aber hat nicht mehr das Gewicht einer Todsünde, sondern erscheint in der Komödie Shakespeares als ein der Lächerlichkeit preisgegebenes Vergehen wider das höfische Decorum.
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Der religiöse und theologische Hintergrund der Vanitas-Oebatte des Mittelalters ist so bei Shakespeare noch sichtbar, aber in dieser Zeit des Überganges, in der orthodoxe und moderne Wertsysteme im Nebeneinander und in Konkurrenz zueinander existieren, zeigt sich, daß die zunehmende Enttheologisierung der Vanitas-Vorstellung einhergeht mit einer Soziologisierung der Normvorstellungen und daß im Gefolge dieses Umwertungsprozesses das Moment der gesellschaftlichen Eitelkeiten zum Ridiculum par excellence wird, das sich vorzüglich zum Komödienthema eignet. In diesen Prozeß der Enttheologisierung und Entdämonisierung der VanitasVorstellung wird neben dem Malvolio-Paradigma noch ein anderes sichtbar, das diesen Prozeß in einem noch fortgeschritteneren Stadium reflektiert und das exemplarisch an der Falstaff-Figur darzustellen ist: In der Falstaff-Figur, charakterisiert als "that reverend vice, that grey iniquity, that father ruffian, that vanity in years,"12 durchdringen sich Vorstellungen der Laster- und Sündenpersonifikationen aus den Moralitäten des Mittelalters. Die Hauptfunktion des Vice und seiner Gefolgschaft besteht in den Moralitäten in der Verführung der Jugend zum Laster und zur Sünde. So ist Falstaff einerseits als "old white-bearded Satan" und "abominable misleader of youth"13 charakterisiert und andererseits als "vanity in years," als ein den irdischen Genüssen verfallener alter Mann, ein welttrunkener Nachfahre des Silenus. Dieser Wortgebrauch macht deutlich, wieviele Komponenten der mittelalterlichen Vanitas-Vorstellung zusammen mit der Vorstellung vom Teufel abhandengekommen sind; und dies wird noch deutlicher, wenn Shakespeare aus dem umfassenden Vorstellungskomplex von Vanitas, Vana Gloria und Superbia, die weltliche Ruhm- und Ehrsucht ausgliedert und sie neben Falstaff durch die Hotspur-Figur verkörpern läßt. Der dann noch verbleibende Rest an Weltverfallenheit, für den Shakespeare dennoch die Bezeichnung 'vanity' beibehält, besteht in der unheroischen und anmaßungslosen Verfallenheit an die eigene Körperlichkeit als Teil der Weltlichkeit. Die von dem Streben nach weltlichem Ansehen, Ehre und Macht entlastete Vanitas tritt nun als Entspannung von der Anspannung zum höheren weltlichen Menschsein, als Entspannung von den Verkrampfungen des weltlichen Heroismus und damit als Sympathieträger in Erscheinung. Der seiner Körperlichkeit verfallene Falstaff antwortet dem Prinzen, der von ihm heroische Todesbereitschaft für das Vaterland fordert, so als ob sie mit der Selbstverleugnung vor Gott identisch wäre, folgendes: Prince. Why, thou owest God a death. Falstaff. 'Tis not due yet, I would be loath to pay him before his day - what need I be so forward with him that call not on me? Well, 'tis no matter, honour
12 13
King Henry IV, Part l, ed. A.R. Humphreys (London, 1966; 1980) 81; II.4.447f. Ibid. 456.
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pricks me on. Yea, but how if honour prick me off when I come on, how then? Can honour set to a leg? No. Or an arm? No. Or take away the grief of a wound? No. Honour hath no skill in surgery then? No. What is honour? A word. What is in that word honour? What is that honour? Air. A trim reckoning! Who hath it? He that died a Wednesday. Doth he feel it? No. Doth he hear it? No. Tis insensible, then? Yea, to the dead. But will it not live with the living? No. Why? Detraction will not suffer it. Therefore I'll none of it. Honour is a mere scutcheon - and so ends my catechism.14
Wenn - und darauf insistiert Shakespeare in Henry IV - Falstaff Eitelkeiten im Sinne von Weltlichkeit verkörpert, dann ist es eine um die Dimensionen von Ehrsucht, Stolz und Wille zur weltlichen Macht bereinigte 'Eitelkeit', eine unheroische Weltlichkeit und Körperlichkeit, die - im Unterschied zur Vanitas und Superbia von Hotspur - in der Welt keinen größeren Schaden anrichten kann. Diese Entdämonisierung der Vorstellung von der Weltverfallenheit ist - als Komödienstoff - nicht mehr Stimulus eines mißbilligenden und verächtlichen, sondern Quelle eines sympathisierenden Lachens mit Charakteren, die sich um das Problem der Eitelkeit und Weltlichkeit in doppelter Hinsicht nicht mehr scheren: Es fehlt ihnen gleichermaßen das durch den mittelalterlichen Todsündenkatalog vorgeschriebene Sündenbewußtsein wie der Antrieb zu Ansehen, Ehre und Macht in der Welt. Figuren, die wie Falstaff sowohl von der religösen Anstrengung als auch von der Eitelkeit, in der Welt zu Ruhm und Ehre gelangen zu müssen, entpflichtet und entbunden sind, sind so keine 'lächerlichen' Figuren mehr, die ein kritisches Lachen, ein Verlachen provozieren, sondern Figuren, die ein sympathisierendes Mit-Lachen deshalb stimulieren, weil sie auf eine straf- und leidlose Art und Weise eine Existenzform realisieren, die sich weder den theologischen noch den säkularen Zwängen zum höheren Menschsein unterwirft und so zur ästhetischen Entspannung der Zuschauer von den Zwängen der 'Realitätsnormen' werden kann. Falstaff s unheroische Weltverfallenheit entbehrt sowohl der blinden Überheblichkeit der Superbia als auch des Moments der Verführbarkeit eines Puritaners zur Eitelkeit, die einen Malvolio zur komischen Figur macht. Gereinigt von dem mittelalterlichen Sündenbewußtsein akzeptiert Falstaff Welt, Körper und deren Bedürfnisse, während sein Kumpan, Prince Hal, noch bevor er König wird und als Henry V den Thron besteigt, orthodoxe Vorbehalte gegen Falstaff als "vanity in years" äußert: Prince. [...] Thou art violently carried away from grace, there is a devil haunts thee in the likeness of an old fat man, a tun of man is thy companion. Why dost thou converse with that trunk of humours, that bolting-hutch of beastliness, that swollen parcel of dropsies, that huge bombard of sack, that stuffed cloak-
Ibid. 145; V.l. 126-141.
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bag of guts, that roasted Manningtree ox with the pudding in his belly, that reverend vice, that grey iniquity, that father ruffian, that vanity in years!15 Wenn die Akzeptanz der Körperlichkeit und die Befriedigung der körperlichen Bedürfnisse - wie hier - mit 'vanity' assoziiert wird, dann zeigt sich daran, wie weit die Vanitas bei Shakespeare enttabuisiert und damit des Teuflischen und der Sündhaftigkeit entkleidet ist. Wenn der zum König aufgestiegene Prinz Hai seinen früheren Kumpanen Falstaff folgendermaßen zurückweist, Prince. I know thee not, old man. Fall to thy prayers. How ill white hairs becomes a fool and jester! I have long dreamt of such a kind of man, So surfeit-swell'd, so old, and so profane; But being awak'd I do despise my dream.16 dann werden die zwei diskordanten Blickwinkel bewußt, aus denen Vanitas bei Shakespeare in Erscheinung tritt. Shakespeares Faszination durch eine weit- und körperbejahende Haltung ist ebenso offensichtlich wie die Relativierung und moralische Abwertung einer solchen Haltung als 'vanity' aus der Perspektive der Orthodoxie. Diese Doppelperspektive ist charakteristisch für die Übergangszeit, in der Shakespeare schrieb und in der orthodoxe Wertanschauungen im Nebeneinander mit enttabuisierten Sehweisen ko-existierten, ein Sachverhalt, der nicht nur für die Shakespearezeit, sondern bis weit ins 18. Jahrhundert hinein gültig ist. Gerade in der religiösen Literatur ist der orthodoxe Vamtas-Gedanke lebendig gehalten worden, wie zum Beispiel in John Bunyans The Pilgrim's Progress. Auf ihrer Pilgerreise zur Celestial City müssen Christian und Faithful den Versuchungen von Vanity Fair widerstehen. Dieser Jahrmarkt der Eitelkeiten ist ein Werk von Beelzebub, Apollyon (Abaddon) und Legion: [...] a fair wherein should be sold of all sorts of vanity, and that it should last all the year long. Therefore at this Fair are all such merchandise sold, as houses, lands, trades, places, honours, preferments, titles, countries, kingdoms, lusts, pleasures, and delights of all sorts, as whores, bawds, wives, husbands, children, masters, servants, lives, blood, bodies, souls, silver, gold, pearls, precious stones, and what not. And moreover, at this Fair there is at all times to be seen jugglings, cheats, games, plays, fools, apes, knaves, and rogues, and that of all sorts.17
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Ibid. 80; 440-449. King Henry IV, Part 2, ed. A.R. Humphreys (London, 1966; 1977) 182; V.5.47-51. John Bunyan, The Pilgrim's Progress (Harmondsworth, 1965; 1987) 136.
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Kennzeichen des Bunyanschen Jahrmarktes der Eitelkeiten ist das Moment der Käuflichkeit der Dinge dieser Welt und der Merkantilisierung der Wertvorstellungen, die dadurch inauthentisch werden. Als Henry Fielding im Jahre 1742 seine Theorie des "komischen ProsaEpos" entwarf, in deren Mittelpunkt neben der Heuchelei wiederum die Eitelkeit als Gegenstand der Komödie stand, griff er natürlich nicht auf Bunyan zurück, sondern schloß eher an die bei Shakespeare vorgegebenen enttheologisierten Deutungen der Eitelkeit an: The only Source of the true Ridiculous (as it appears to me) is Affectation. [...] Now Affectation proceeds from one of these two Causes, Vanity, or Hypocrisy: for as Vanity puts us on affecting false Characters, in order to purchase Applause; so Hypocrisy sets us on an Endeavour to avoid Censure by concealing our Vices under an Appearance of their opposite Virtues. [...] From the Discovery of this Affectation arises the Ridiculous - which always strikes the Reader with Surprize and Pleasure.18 Für Fielding ist die Eitelkeit wie die Heuchelei eine Spielform der Verstellung und des Vortäuschens: Die Eitelkeit als Bestreben, mehr zu scheinen als man ist, entsteht nach Fielding aus dem Bedürfnis, Lob und Zustimmung zu ernten. Im Unterschied dazu verfolgt die Heuchelei das Ziel, Schwächen und Laster zu verbergen, um dem Tadel zu entgehen. Beide Vortäuschungsvarianten werden allein als gesellschaftlich induziert begriffen. Sie entspringen nach Fielding der Motivation des Menschen, als gesellschaftlich akzeptabel zu erscheinen, und dieser Drang nach gesellschaftlicher Akzeptanz verführt zur Anpassung, Nachahmung und letztlich zur Vortäuschung nichtvorhandener gesellschaftlicher Tugenden und Werte bzw. - wie im Fall der Heuchelei zur Verhüllung von moralischen und gesellschaftlichen Defekten, zur Erzeugung eines falschen Scheins, dessen Aufdeckung ein mißbilligendes Lachen hervorruft. Ein solches Ridiculum kann nur in einer Gesellschaftsordnung geboren werden, die hierarchisch strukturiert ist und in der die Normvorstellungen von einer Gesellschaftsschicht vorgegeben werden, die aufgrund ihres hohen gesellschaftlichen Status und der damit verbundenen Macht nachahmenswert erscheint. Nur ein Gesellschaftssystem mit intakten authentischen Wertvorstellungen kann zur Identifikation und Nachahmung herausfordern, in deren Gefolge Angehörige von Klassen und Schichten, die nicht die gesellschaftlichen Voraussetzungen besitzen, solche Wertsetzungen auch zu erfüllen, als eitel und damit lächerlich erscheinen. Fielding hat die eitle Anmaßung, "dazugehören zu wollen," in mannigfaltigen Varianten inszeniert und durchgespielt, von denen hier nur eine vorgestellt werden soll, um den grundsätzlichen strukturellen Sachverhalt zu exemplifizieren: Mrs. Slipslop,
Henry Fielding, Joseph Andrews, ed. Homer Goldberg (New York, 1987) 6f.
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die ungebildete Kammerzofe von Lady Booby, ist von der Eitelkeit beseelt, als gebildet zu gelten, und sie verwendet deshalb mit Vorliebe Wörter lateinischen Ursprungs, sogenannte 'hard words', die sie aber nicht beherrscht und durch deren falschen Gebrauch ihre Eitelkeit, als gebildet zu erscheinen, entlarvt und der Lächerlichkeit preisgegeben wird: Mrs. Slipslop, the Waiting Gentlewoman, being herself the Daughter of a Curate, preserved some Respect for Adams; she professed great Regard for his Learning, and would frequently dispute with him on Points of Theology; but always insisted on a Deference to be paid to her Understanding, as she had been frequently at London, and knew more of the world that a Country Parson could pretend to. She had in these Disputes a particular Advantage over Adams: for she was a mighty Affecter of hard Words, which she used in such a manner, that the Parson, who durst not offend her, by calling her Words in question, was frequently at some loss to guess her meaning, and would have been much less puzzled by an Arabian Manuscript. Adams therefore took an Opportunity one day, after a pretty long Discourse with her on the Essence, (or, as she pleased to term it, the Incense) of Matter, to mention the Case of young Andrews [...] 'La Mr. Adams,' said Mrs. Slipslop, 'do you think my Lady will suffer any Preambles about any such Matter? She is going to London very concisely, and I am confldous would not leave Joey behind her on any account; for he is one of the genteelest young Fellows you may see in a Summer's Day, and I am confidous she would as soon think of parting with a Pair of her Grey-Mares: for she values herself as much on one as the other.' Adams would have interrupted, but she proceeded: 'And why is Latin more necessitous for a Footman than a Gentleman?19 Die sich selbst entlarvende und dadurch Lachen erregende sprachliche Eitelkeit wird in der englischen Komödie seit Shakespeares Mrs. Quickly bis hin zu Sheridans Mrs. Malaprop in den meisten Fällen durch Frauengestalten verkörpert: Mrs. Mal. Observe me, Sir Anthony. - I would by no means wish a daughter of mine to be a progeny of learning; I don't think so much learning becomes a young woman; for instance - I would never let her meddle with Greek, or Hebrew, or Algebra or Simony, or Fluxions, or Paradoxes, or such inflammatory branches of learning - neither would it be necessary for her to handle any of your mathematical, astronomical, diabolical instruments: - But, Sir Anthony, I would send her, at nine years old, to a boarding-school, in order to learn a little ingenuity and artifice. - Then, Sir, she should have a supercilious knowledge in accounts; - and as she grew up, I would have her instructed in geometry, that she might know something of the contagious countries; - but above all, Sir Anthony, she should be mistress of orthodoxy, that she might not mis-spell, and
Ibid. 20f.
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mis-pronounce words so shamefully as girls usually do; and likewise that she might reprehend the true meaning of what she is saying. - This, Sir Anthony, is what I would have a woman know; - and I don't think there is a superstitious article in it.20 Diese Erscheinungsformen des Lächerlichen sind in den Komödien des Elisabethanischen Zeitalters - und da vor allem bei Shakespeare - vorgegeben, aber in den Mittelpunkt einer Komödientheorie und Komödienpraxis treten sie erst im Werke Fieldings: Die Eitelkeit, nun verstanden als gesellschaftlicher Snobismus, als Nachahmung von Gesellschafts- und Bildungsnormen, die als authentisch gelten, und vor allem das Scheitern solcher Anpassungsversuche intendiert Heiterkeit und Lachen bei einem Leser oder Zuschauer, der solche Eitelkeiten durchschaut und dadurch ein Gefühl der Überlegenheit suggeriert bekommt, das selbst schon wieder ein Potential von Überheblichkeit und eitler Selbstgefälligkeit in sich tragen kann und so den Leser oder Zuschauer in die Haltung eines eitel lächelnden Malvolio manipulieren kann. Während Fielding sich als Begründer einer "new province of writing" sah, schloß Dr. Samuel Johnson mit The Vanity of Human Wishes (1748/49) an Juvenal an, dessen zehnte Satire er nachahmte. Juvenal hatte Heraklit von Ephesos beschworen, der die Torheiten der Menschen beweinte, aber auch Demokrit, der dem Pomp und der Eitelkeit seiner Welt mit der "Rüge des spöttischen Lachens"21 begegnete: Ständig hat Demokrit die Lungen vor Lachen geschüttelt, Nach seiner Art; und doch gab's damals noch nicht in den Städten Staats- und Festtagsgewänder und Ruten, Tribünen und Sänften. Hält' er den Prätor erlebt, wie stolz er stehet im Wagen, Über dem Staub des Zirkus erhaben, im Schmucke von Jovis Hemd und der Toga, der bunten, die wie ein purpurner Vorhang Ihm die Schultern umwallt; dazu kommt das Rund des gewalt'gen Kranzes, wie ihn kein sterblicher Nacken kann tragen - es hält ihn Schwitzend der Sklav und steht auf demselben Gefährt wie der Consul, Daß er sich nicht überhebe: wie hätte er da erst gelachet! Füge den Adler hinzu, der auf beinernem Szepter emporsteigt, Hier die Hornisten, und da die Begleiter des großen Triumphzugs Vortrupp, und neben den Rossen im weißen Gewand die Quiriten, Welche die Sportel, versenkt in den Beutel, zu Freunden ihm machte: Damals fand er schon Stoff zum Lachen, so oft er sich unter Menschen begab [...] Ja, er verlachte die Sorgen und auch die Freuden der Menge,
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R.B. Sheridan, The Rivals, The Plays & Poems of Richard Brinsley Sheridan, ed. R. Crompton Rhodes, vol. I (New York, 1962) 39. Juvenal, Satiren, übers. Ulrich Knoche (München, 1951) 104; 1.31.
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Manchmal auch ihre Tränen, und hieß das drohende Schicksal Sich zum Henker verfügen und wies ihm den schamlosen Finger.22 Auch Dr. Johnson beschwört Demokrit und stellt sich vor, wie er auf "Britain's modish tribe"23 reagieren würde. Dr. Johnson vereinbart die Juvenalsche Kritik an der Weltlichkeit und am weltlichen Pomp zumindest rhetorisch mit Salomons Vorstellung von der Eitelkeit als "einem Haschen nach Wind," wenn er davon spricht, daß der Mensch wie im Nebel trügerischen Phantomen nachjagt, "chases airy good."24 Die Versuchung durch das Modische, das schon in den Komödien von Ben Jonson ein zentrales Ridiculum war, reflektiert die im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert sich verstärkende Verschiebung von der Verachtung der eitlen und nichtigen Welt hin zur Ridikülisierung einer sich modischen, kurzlebigen und eitlen Wertvorstellungen verschreibenden Gesellschaft. Demokrit wird beschworen, wiederzuerstehen und diese Gesellschaft zu verlachen: Once more, Democritus, arise on earth, With chearful wisdom and instructive mirth, See motly life in modern trappings dress'd, And feed with varied fools th'eternal jest.25 Obwohl dieser Hang zum "bunten Leben" nach Dr. Johnson und nach Juvenal ein "ewiges Ridiculum" darstellt, aktualisiert jener sowohl die historischen Erscheinungsformen der Eitelkeit wie die im Schlußteil der Vanity of Human Wishes empfohlene Remedur: An die Stelle des Juvenalschen Stoizismus treten die christlichen Tugenden.26 Die Bestimmung des Eitlen und Nichtigen als des Modischen, die Kontamination von salomonischer Weltverachtung und demokritisch-juvenalischer Weltverlachung und die Vorstellung von den christlichen Tugenden als Erlösung von der Eitelkeit verraten die komplexen und komplizierten Kontexte, innerhalb derer bei Dr. Johnson im 18. Jahrhundert das Problem von Eitelkeit und Lächerlichkeit behandelt wurde. Als Thackeray ein Jahrhundert später Vanity Fair schrieb, schloß er eher an die durch Dr. Johnson vermittelte satirische Tradition als an Fieldings komische Prosa-Epen an, und dies hat seinen guten Grund darin, daß die Eitelkeit als gesellschaftlicher Snobismus und Nachahmung der normgebenden Gesell-
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Ibid. 11.33-53. Samuel Johnson, The Vanity of Human Wishes, Poems, ed. E.L. McAdam, Jr. and George Milne, The Yale Edition of Samuel Johnson, vol. VI (New Haven and London, 1964) 94; 1.61. Ibid. 1.10. Ibid. 94; 11.49-52. Cf. ibid. 107; 11.343ff.
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Schaftsschichten in dem Maße den Unterhaltungscharakter verlor, wie die verantwortlichen Herrschaftsschichten ihrer politischen und gesellschaftlichen Verantwortung nicht mehr gerecht und die durch sie gesetzten Normen so inauthentisch wurden, daß die Nachahmung der inauthentischen Werte und Normen kein belustigt-kritisches Lachen mehr stimulieren konnte, sondern dem den Jahrmarkt der Eitelkeiten betrachtenden Erzähler Anlaß zu einer tiefen Melancholie wurde.
MANFRED PFISTER
"An Argument of Laughter": Lachkultur und Theater im England der Frühen Neuzeit
l Von der Komik zum Lachen Die Shakespeare-Forschung, irritiert vom Eindruck, daß die beispiellose Blüte des elisabethanischen Theaters in einem dramentheoretischen Vakuum gediehen sei, hat sich in intermittierenden Anfällen immer wieder anheischig gemacht, dieses Vakuum aufzufüllen. Die antiken Autoritäten von Aristoteles bis Horaz, die spätlateinischen Grammatiker und ihre mittelalterlichen Nachbeter, die kontinentaleuropäischen und darunter vor allem die italienischen NeuAristoteliker wurden zu diesem Behuf herbeizitiert und ihre Bestimmungen des Dramas, der Tragödie und der Komödie zur genetischen Matrix, oder zumindest doch zur Wahrnehmungsfolie der Rezipienten, erklärt. Daß es gerade dieses theoretische Vakuum, verbunden mit einer reichen Praxis vielfältiger Traditionen theatralischer und quasi-theatralischer Repräsentationen gewesen sein könnte, die das Theater Marlowes, Shakespeares und ihrer Zeitgenossen so üppig ins experimentelle Kraut schießen hat lassen, wurde dabei erfolgreich verdrängt, und so blieb auch die eigentlich offenkundliche Tatsache, daß es, zumindest vor Jonson, keine eigenständigen elisabethanischen Theorien des Dramas und des Theaters, der Tragödie und der Komödie gab, eines der bestgehüteten Geheimnisse der Anglistik. Was das Hüten des Geheimnisses begünstigte, war u.a., daß jeder, der es lüften wollte, sich dem Verdacht aussetzte, in einen längst überholten Geniekult von Shakespeare als dem Sänger von "native wood-notes wild" (Milton, "L'Allegro") zurückgefallen zu sein. Um mein Argument auf die hier vor allem zur Debatte stehende Komödie und die Komik einzugrenzen: Was in einschlägigen programmatischen Texten der Elisabethaner, in Prologen, Epilogen oder Rahmenszenen oder in Sidneys oder Puttenhams Poetiken und Rhetoriken, zur Komödie als Gattung gesagt wird, geht nicht über die oft bemühte ciceronianische Formel des speculum vitae und über Donats oder Evanthius' spätlateinische und im Mittelalter perpetuierte Schematisierungen zum Glückswechsel (vom Unglück zum happy ending), zur Ständeklausel (mittleres Personal), zum Stoff (private Liebeshändel) und zur didaktischen Funktion hinaus. Das Besondere am Midsummer
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Night's Dream oder am Tempest läßt sich mit diesen kargen Schemata nicht fassen, ja nicht einmal das Besondere an Lylys Endimion, an Dekker's Shoemaker's Holiday oder Beaumont's Knight of The Burning Pestle. Und was die Komik oder das Komische betrifft, so kann schon ein Blick in das OED, in die Shakespeare-Konkordanz oder in die Standardliteratur dazu Aufschluß darüber geben, daß in elisabethanischen Texten keine einschneidenden Theorien zur Komik, etwa zur Diskrepanzstruktur des komischen Objekts als Stimulanz von Lachen, zu holen sind. Das Komische war im frühneuzeitlichen England noch kein Objekt philosophischer Konzeptualisierung, und das Wort comic fungierte als Adjektiv zu comedy und bedeutet nicht mehr als 'komödienhaft', "proper, or belonging to comedy" (OED). Bei Shakespeare kommt es nur zweimal vor, beide Male in der frühen Henry V7-Trilogie und beide Male als genre-marker. "Nay, then I see our wars / Will turn into a peaceful comic sport," meint Burgundy in der eitlen Hoffnung, die heroische Tragödie werde sich zur Komödie wenden (/ H VI, 2.2.44f.), und König Edward läßt die Trilogie der Rosenkriege glücklich ausklingen mit dem Ausblick auf "stately triumphs, mirthful comic shows, / Such as befits the pleasure of the court." (3 H VI, 5.7.43f.) Und Marvin T. Herricks komparatistische Studie zur Comic Theory in the Sixteenth Century (1950) ist, trotz ihres Titels, weitgehend eine Studie zur Theorie der Komödie, nicht der Komik, genauer zu den antiken und spätantiken Theorien der Komödie und ihren Renaissance-Kommentatoren, und kann dabei nur äußerst sporadisch auch aus englischen Quellen schöpfen, die gegenüber der kontinentaleuropäischen Diskussion durchwegs derivativ bleiben. So wie Ciceros Caesar in De oratore (II, 216ff.), nach einer ars der Komik, des locus und der facetiae befragt, befand, daß noch niemand dazu bisher eine Theorie vorgelegt habe, es sei denn eine so fade, daß man über ihre Abgeschmacktheit nur lachen könne ("nisi ipsa insulsitas rideatur," 217), so müssen auch wir feststellen, daß es keine bedeutsame und eigenständige elisabethanische Theorie der Komik oder der Komödie gab. Was es dagegen gab, und worauf die Fixierung auf eine Theorie der Komik und der Komödie lange Zeit den Blick verstellt hat, war eine reich entfaltete und energisch geführte Debatte über das Lachen, "an argument of laughter," wie ich das - Timon of Athens, 3.3.22 schamlos einen neuen Sinn unterlegend - nennen will. Womit ich, weiterhin auf Ciceros Bahnen wandelnd - auch in De oratore wendet schließlich Caesar das Gespräch vom Komischen zum Lachen (235ff.) - bei meinem, unserem Thema bin. Dieses unser Thema ist selbst das Resultat eines Themenwechsels innerhalb der Literaturwissenschaft von einer Rhetorik oder Philosophie des Komischen zu einer Anthropologie des Lachens, eines Themenwechsels, wie er vor allem durch die intensive, wenn auch späte Rezeption der Arbeiten Michail Bachtins zur "Lachkultur" und zum Karneval ausgelöst wurde. Und diese Neuorientierung der Fragestellung, die Bachtin
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bezeichnenderweise am frühneuzeitlichen Modell Rabelais' vorführt, findet ihr Korrelat im elisabethanischen "argument of laughter," das an traditionellen Theorien des Komischen und der Komödie vorbei eine Physiologie, Theologie, Ethik, Etikette und Ästhetik des Lachens perspektivenreich abschattete. Ein weiterer Beleg dafür, daß die Späte Neuzeit in der Frühen ihre eigene Vorgeschichte entdeckt?
2 Frühneuzeitliche Theorien des Lachens Die frühneuzeitliche Theorie des Lachens, zumindest in England, ist vor allem eine physiologische: Sie bindet das Lachen an den Körper, seine Physiologie und Symptomatik, sein Begehren und seinen körperlichen Ausdruck, und interessiert sich weniger, oder erst in zweiter Linie, für die logische Struktur des komischen Stimulus oder die psychologischen Mechanismen, die darauf reagieren. Lachen ist hier vor allem eine Körperbefindlichkeit, eine Körperfunktion. Obwohl Hobbes in seiner berühmten Theorie des Lachens als Ausdruck einer "Sudden Glory," eines spontanen und befreienden Überlegenheitsgefühls, einen entscheidenden Schritt in Richtung auf eine Psycho-Logik des Lachens vollzieht, bleibt diese Theorie von "those Grimaces called LAUGHTER" im Leviathan (1651) als Teil seiner Darstellung der körpernahen "animal motions," "appetite" und "aversion," noch stark an die physiologische Basis angebunden.1 Diese physiologische Grundierung tritt noch deutlicher hervor, wenn wir eine Generation zurückschreiten, zu Robert Burtons humanistisch-humoralpathologischer Anatomy of Melancholy, erstmals 1621 erschienen.2 Auch für Burton ist das Lachen eine "motion" des Körpers - eine jener Körperregungen, die es mit materiellen oder immateriellen Ausscheidungen des Körpers zu tun haben: "Weeping, sighing, laughing, itching, trembling, sweating, blushing, hearing and seeing strange noises, visions, wind, crudity, are motions of the body." (I, 423) Dieser kuriose, in sich aber durchaus stimmige Katalog gruppiert das Lachen mit seinem Gegenteil, dem Weinen und Seufzen, die ja auch auf Flüssigkeits- oder Luftaustoß beruhen, und reicht hinab bis zur Flatulenz ("wind") und zum Verdauen und Exkrementieren von nur Halbverdaulichem ("crudity"). Der - im Sinne Bachtins - "groteske Leib" des großen Lachers Falstaff drängt sich hier auf, ein Leib, der vor allem durch seine Körperöffnungen bestimmt ist und dessen Lachen nicht im Kopf, sondern als
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Thomas Hobbes, Leviathan, ed. C.B. Macpherson (Harmondsworth, 1968) 118-130, hier 125 u. 118f. Robert Burton, The Anatomy of Melancholy, ed. Holbrook Jackson, 3 Bde. (London, 1932; 1968).
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belly laugh in den Niederungen des Körpers seinen Ausgang nimmt.3 Das Körperorgan des Lachens ist dort angesiedelt, wo "the middle region or chest" auf den "lower belly" trifft, nämlich im "diaphragm or midriff, which is a skin consisting of many nerves, membranes; and amongst other uses it hath, is the instrument of laughing." (I, 152) Was die Zwerchfellschwingungen des Lachens auslöst, geht freilich von anderen Körperteilen aus: If the heart, brain, liver, spleen, be misaffected, as usually they are, many inconveniences proceed from them, many diseases accompany, as incubus, apoplexy, epilepsy, vertigo, those frequent wakings and terrible dreams, intempestive laughing, weeping, sighing, sobbing, bashfulness, blushing, trembling, sweating, swooning, etc. (I, 384) In dieser Beschreibung der Symptomatik des Melancholikers verbindet Burton, humoral-pathologisch orthodox, das Lachen mit dem spieen, der unmittelbar unter dem Zwerchfell liegenden Milz, deren Dysfunktion entweder Zorn und Übellaunigkeit oder aber exzessive Lachlust hervorruft. Auch Shakespeare wußte davon. "If you desire the spleen, and will laugh yourselves into stitches, follow me," läßt er in Twelfth Night (3.2.64f.) Maria ausrufen und verknüpft dabei metonymisch den Lachanfall mit dem auslösenden Körperorgan, und seine Isabella in Measure for Measure (2.2.125f.) spekuliert darüber, ob die Engel, statt über die Selbstüberschätzung der Menschen zu weinen, sich nicht totlachen würden, hätten sie nur eine menschliche Milz ("who, with our spleens, / Would all themselves laugh mortal").4 Lachen ist in dieser physiologischen Sicht sowohl Symptom der pathologischen Dysfunktion eines Körperorgans als auch deren Therapie. Lachen ist gesund - ist kathartisch oder, auf gut Elisabethanisch, eine purge. "Wee should laugh heartily, and without laughing my spleene would split," heißt es in John Lylys Mother Bombie (4.2.4f.): Lachen bringt dem Überdruck im strapazierten, überspannten Organ Erleichterung, ist - so Madius in De Ridiculis (1550) in einem von Aristoteles entlehnten Bild - wie Donner, in dem sich der Feuerstau der Gewitterwolke entlädt.5 Auch George Puttenham sieht das so und rechtfertigt in seiner Arte of English Poesie (1589) mit diesem Argument Komik, Witz und Spott, "bitter taunts, and privy nips, or witty scoffes and other merry conceits": "men would and must needs utter their splenes
Cf. Mikhail Bakhtin, Rabelais and His World, übers. Helene Iswolsky (Bloomington, Indiana, 1984), Kap. 5; dt. Ubers. (in Ausschnitten), Literatur und Karneval, ed., übers. Alexander Kaempfe (München, 1969) 15-23. Cf. auch Love's Labour's Lost, 3.1.73f. und 5.2.116f. - Zur frühneuzeitlichen Physiologie des Lachens und ihren antiken Vorgaben cf. auch Marvin T. Herrick, Comic Theory in the Sixteenth Century (Urbana, 111., 1950) 49-52. Cf. Herrick, Comic Theory 49f.
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[...]: or else it seemed their bowels would burst."6 Und ebenso betont Ben Jonson in den Prologen und kommentierenden Rahmenszenen zu seinen Komödien immer wieder die medizinisch-therapeutische Wirkung des Lachens, so etwa in The Magnetic Lady (1631), wenn er den Knaben der Schauspielertruppe einem voreingenommenen Kritiker versprechen läßt: [...] have patience but a pissing while: give our springs leave to open a little, by degrees; a source of ridiculous matter may break forth anon, that shall steep their temples, and bathe their brains in laughter, to the fomenting of stupidity itself, and the awakening any velvet lethargy in the house.7 Damit wird das Theater selbst zu einer Anstalt, einer Veranstaltung des Lachens als psychosomatischer Kur, und in der Tat empfiehlt Burton es in jenem Abschnitt, in dem er "mirth and merry company" als besonders probate remedia melancholiae, neben "honest and chaste sports" und "games" auch "scenical shows, plays," herausstellt.8 Lachen wird hier - und in zahlreichen vergleichbaren Stellen der Literatur der Zeit - in den Kontext von mirth und sport und revelry eingebettet, alles Formen einer geselligen und körperbetonten Ausgelassenheit, wie sie die elisabethanische Komödie immer wieder ausstellt und in denen sich der einzelne wieder ins Lot spielen und lachen kann und damit auch in die Lage versetzt wird, "civil ordinance" zu bewahren, sich in die gesellschaftliche Ordnung zu fügen.9 Nur als homo ridens ist der Mensch fähig zum zoon politikon, und, hier ist sich Burton mit Rabelais einig, das Lachen gehört wesentlich zum Menschsein: "To laugh is the proper passion of a man;" "le rire est le propre de rhomme."10 Auf eine Semantik des Lachens, eine Bestimmung der Struktur des Lachanlasses, des komischen Objekts, etwa im Sinn einer Normabweichung oder eines logischen Widerspruchs, braucht eine solche Physiologie des Lachens nicht zurückzugreifen, und auch die ethische Dimension - etwa, daß Lachen aggressiv und subversiv sein, verletzen und ausgrenzen könne - bleibt dabei weitgehend ausgespart. Diese ethische Dimension des Lachens wurde jedoch zur gleichen Zeit in den theologischen Diskursen des nachreformatorischen England hochgespielt und zu einer Grundfrage wahrhaft christlicher Lebensführung gemacht. Dieses "argument of laughter" war allerdings nicht, wie man
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George Puttenham, The Arte of English Poesie, Facsimile (Menston, 1968) 43. Ben Jonson s Plays, ed. Felix E. Schelling (London, 1910) 2; 519. The Anatomy of Melancholy 2; 119-126, hier 123. Puttenham, 43. - Zur Rolle saturnalischer Ausgelassenheit in Shakespeares Komödien cf. C.L. Barber, Shakespeare's Festive Comedy (Princeton, 1959), und allgemeiner zum Zusammenhang von Karneval und Theater Michael D. Bristol, Carnival and Theatre: Plebeian Culture and the Structure of Authority in Renaissance England (New York, 1985). The Anatomy of Melancholy 3; 90; Rabelais, Motto zu Gargantua et Pantagruel.
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zunächst annehmen könnte, ein Konflikt mit klar verteilten Rollen zwischen puritanischen Feinden des Lachens auf der einen Seite und anglikanischen oder humanistischen Apologeten auf der anderen. Daß ein so vereinfachtes Konfliktszenario ein verzerrtes Bild beschwört, zeigt sich schon darin, daß einerseits die Puritaner zwar die gerade entstandenen öffentlichen Theater als Anstalten des Lachens und der Ausgelassenheit bekämpften, sich selbst aber in der Auseinandersetzung mit der Amtskirche in den "Marprelate"-Pamphleten der brillantesten und schonungslosesten Strategien des Lächerlichmachen s bedienten, und daß andererseits ein Erasmus zwar das Lob der Torheit gesungen, aber doch in seinem Kommentar zum Neuen Testament Paulus' Mißbilligung des Lachens noch verschärft hat, oder daß es die Bischöfe waren, die 1599 Satiren brennen ließen und ein allgemeines Satireverbot verhängten. Alle Parteien waren vielmehr darauf aus, das Lachen zu regulieren, eine "true rule of mirth" durchzusetzen, wie das Richard Greenham in seinen Godly instructions/or the Due Examination and Direction of All Men (1612) nannte." Und sie griffen dabei oft auf die selben Autoritäten und Argumente zurück, wenn sie sich auch im Grad und Art der Regulierung unterschieden. Eine der hier - von beiden Seiten - ins Spiel gebrachten lach-apologetischen Argumentationslinien möchte ich, mir des Anachronismus' bewußt, als "naturrechtliche" bezeichnen: Das Lachen ist schon deshalb statthaft, weil es zur Natur des Menschen gehört. So argumentierte der katholische Theologe Thomas Jackson mit Berufung auf Aristoteles, nach dem der Mensch "the only animal that laughs" ist,12 daß der Mensch als vernunftbegabtes Wesen gar nicht umhin könne zu lachen. In seinem Treatise of the Holy Catholike Faith and Church (1627) schreibt er dazu in syllogistisch pointierter Argumentation: If the power of laughing proceede from the nature of man, and the nature of man consist in reason: It will bee very hard for any man to refraine laughing, that hath but so much reason to consider the vanity of this assertion.13 Und ebenso betonte der bedeutende puritanische Theologe William Perkins in seiner mehrmals neu aufgelegten Direction for the Government of the Tongue according to Gods word (1593), daß das Lachen ein Teil der von Gott gewollten Natur des Menschen ist und daher auch dankbar angenommen und ausgeübt werden soll. Er beruft sich dabei ebenfalls auf Aristoteles' Bestimmung des Menschen als vernunftbegabtes und des Lachens fähiges Wesen - in der
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Zit. n. Raymond A. Anselment, 'Betwixt Jest and Earnest': Marprelate, Milton, Marvel!, Swift & the Decorum of Religious Ridicule (Toronto, 1979) 8. De partibus animalium; zit. n. The Works of Aristotle, ed. J.A. Smith u. W.D. Ross, (Oxford, 1912) 5; 673a. Zit. n. Anselment, 'Betwixt Jest and Earnest' 4f.
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mittelalterlichen Version Notker Labeos: "animal rationale, mortale, risus capax."14 Dem stand eine biblische Argumentation entgegen, die nicht nur puritanische "Fundamentalisten" überzeugte, sondern auch den zitierten naturrechtlich-theologischen Apologeten dem Lachen enge Grenzen auferlegen ließ. Ecclesiastes 2, 2 ("I said of laughter, It is mad: and of mirth, What doeth it"), Lukas 6, 25 ("Woe unto you that laugh now! for ye shall mourn and weep.") und Paulus Brief an die Epheser 5, 4 ("Neither filthiness, nor foolish talking, nor jesting, which are not conveniert: but rather giving thanks.") waren dabei oft zitierte Stellen - inklusive der lachfeindüchen Kommentare der patristischen Tradition. "Quid nobis cum fabulis, cum risu? non solum profusos, sed etiam omnes jocos arbitror declinandos," hatte Bernhard von Clairvaux gefragt, und seine Antwort ist noch die des Erasmus in seiner Paraphrase upon the New Testament (1552): For Christians in theyr most spedy iourney to heaven, have continuall battayle with vyces, and so daungerous battayle, that they can have no leasure to applye such tryfles and sportes, but rather thei have to wepe.15 Und ebenso wurde der Hinweis des Heiligen Chrysostomos in seiner sechsten Homilie (über Matt. 11, 1/2), daß Christus zwar häufig geweint hat, nie aber von den Evangelisten lachend, oder auch nur lächelnd gezeigt wird,16 immer wieder aufgenommen, so etwa auch in Perkins' Direction: "we never read that he laughed."17 In einer solchen Perspektive erscheint das Lachen letztendlich nicht mehr als Gnadengeschenk Gottes an den Menschen, sondern als Fluch des Sündenfalls, wie das z. B. der Puritaner Thomas Granger in seiner Familiär Exposition or Commentarie on Ecclesiastes (1621) mit letzter Deutlichkeit aussprach: "if Adam had never fallen, there should never have beene laughter, nor weeping, but an heart possest with heavenly joy, even joyful sobriety."18 Schon angesichts solch biblischer Autorität war das theologische Ja zum Lachen immer nur ein eingeschränktes. Immer mußten die Umstände erwogen werden, und diese waren für die von der Act of Uniformity bedrohten und von der Amtskirche verfolgten Puritaner zunächst schon einmal nicht so, daß Lachen angezeigt und angemessen erscheinen konnte. Weit verbreitet war das Bild vom sauertöpfischen, in seine Sittenstrenge verliebten und heuchlerisch-
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Zu Notker cf. V.A. Kolve, "Religious Laughter," The Play Called Corpus Christi (London, 1966) 124-144, hier 127. - Zu Perkins cf. Anselment, 'Betwixt Jest and Earnest' 13. Zit. n. Anselment, 'Betwixt Jest and Earnest' 9. The Homilies of S. John Chrysostom on the Gospel of Matthew, übers. George Prevost, A Library of Fathers (Oxford, 1843) 11; 88. Zit. n. Anselment, 'Betwixt Jest and Earnest' 13. Zit. n. ibid. 13.
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devoten Puritaner in den Pamphleten und Satiren der Zeit, und Shakespeare hat diesem Bild im Malvolio seiner Twelfth Night ein über die Zeiten hinweg wirksames Denkmal gesetzt. Auch John Whitgift, der eifernde Puritanerhasser, der 1583 Erzbischof von Canterbury wurde und so eine verschärfte Politik gegen alle Nonkonformisten durchsetzen konnte, hatte in seinen polemischen Schriften seit den späten siebziger Jahren die Puritaner als trübsinnige Melancholiker gezeichnet, als Feinde aller Heiterkeit und allen Lachens. Die Antwort Thomas Cartwrights, der Hauptzielscheibe Whitgifts in dieser Kontroverse, war ein solches eingeschränktes Ja zum Lachen: Where he saith we seldom or never laugh, it is not therefore that we think it is not lawful to laugh, but that the considerations of the calamities of other churches and of the ruin of ours, with the heavy judgements of the Lord which hang over us, ought to turn our laughing into weeping; besides that a man may laugh although he shew not his teeth.19 Das Lachen, das sich der Puritaner hier nur noch zugesteht, ist ein inwendiges, ein entkörperlichtes Lachen, das keine Zähne mehr zeigt und angesichts der Verfolgung auch nicht mehr zeigen kann. Wird hier vor allem auf die lachfeindlichen Zeitläufte hin argumentiert, so argumentiert William Perkins in seiner Direction for the Government of the Tongue grundsätzlicher und listet systematisch einen Katalog von Regeln auf, die statthaftes Lachen moraltheologisch eingrenzen: The Preacher Saith: There is a time to laugh, and a time to weepe. [Eccl. 3, 4] When the Lord brought againe the captivity of S ion, wee were like them that dreame. Then was our mouth filled with laughter, and our tongue with joy. Now this mirth must be ioyned with the feare of God, otherwise Salomon saith well, / have said to laughter, thou art madde: and of ioy, what is that thou doest? And Christ saith, Woe to you that now laugh, for ye shall weepe, Secondly, with compassion and sorrow for Gods people in affliction and miserie [...] Thirdly, it must be sparing and moderate. Paul condemneth such as are lovers of pleasure, more than of GOD. Fourthly, it must be void of the practise of sinne. Moses is commended that hee refused the pleasures of sin.20 Vier Tendenzen der Regulierung und Moralisierung des Lachens, jener in physiologischer Sicht spontanen und unbändigen Körperreaktion, zeichnen sich hier ab: (1) Für ein gottesfürchtiges Lachen kann das Heilige und alles mit ihm Verbundene kein Gegenstand sein; es ist ihm tabu, und das Lachen darüber wird damit unter das Verdikt der Blasphemie gestellt. (2) Ein barm-
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The Works of John Whitgift, ed. John Ayre (Cambridge, 1851) 3; 523. Cf. dazu auch Ritchie D. Kendall, The Drama of Dissent: The Poetics of Nonconformity, 1380-1590 (Chapel Hill, 1986) 188. Zit. n. Anselment, 'Betwixt Jest and Earnest' 13.
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herziges Lachen klammert das Leid der Mitmenschen als Lachanlaß aus und respektiert somit das Verbot der Schadenfreude. (3) Perkins' viertem Punkt entsprechend muß das Lachen unschuldig sein und alles Obszöne - in den Worten von Paulus' Epheserbrief: "fornication, and all uncleanliness, or covetousness" und alle "filthiness" (5, 3f.) - meiden. Und schließlich muß, Perkins' drittem Punkt folgend, (4) Lachen maßvoll bleiben, eine seltene Ausnahme in einer ansonsten ernsten Lebensführung, und dieses Verbot des Exzesses impliziert auch eine verstärkte Körperkontrolle über das Lachen und somit seine Entkörperlichung. Ein vergleichbarer Katalog findet sich auch in der Predigt The Good and Evil Tongue Jeremy Taylors, als Kaplan Lauds und Karl I. alles andere als ein Puritaner. Seine sieben Punkte überschneiden sich weitgehend mit denen des Puritaners Perkins: The whole state of this question is briefly this; 1. If Jesting be unseasonable, it is also intolerable. [...] 2. If it be immoderate, it is criminal, and a little thing here makes the excess [...]. 3. If it be in an ordinary person, it is dangerous; but if in an eminent, a consecrated, a wise, and extraordinary person, it is scandalous. [...] 4. If the matter be not of an indifferent nature, it becomes sinful by giving countenance to a vice, or making virtue to become ridiculous. 5. If it be not watched that it complies with all that hear, it becomes offensive and injurious. 6. If it be not intended for fair and lawful purposes, it is sour in the using. 7. If it be frequent, it combines and clusters into a formal sin. 8. If it mingles with any sin it puts on the nature of that new unworthiness, beside the proper ugliness of the thing itself.21 Was Taylor hier stärker akzentuiert als Perkins, ist der schon jenseits der rein theologischen Argumentation liegende Aspekt eines decorum des Lachens und Spottens, das die Umstände der Situation, des Zeitpunkts und der Person zu berücksichtigen hat. Ein solches decorum des Lachens, das auch schon bei Cicero und anderen antiken Autoritäten diskutiert wurde (vgl. etwa De oratore, II, 247), liegt im Schnittpunkt von Ethik, Etikette (manners) und Ästhetik. Wo er sich weiterhin von Perkins unterscheidet ist, daß er, gewitzt wohl auch durch die Schärfe der puritanischen Satire gegen die Bischofskirche in der Marprelate-Kontroverse, ausdrücklich auch ein aggressives Verlachen verbietet - "when a jest hath teeth and nails, biting or scratching our brother, when it is loose and wanton, when it is unseasonable, and much or many, when it serves ill purposes or spends better time, then it is the drunkenness of the soul" (IV, 292) - und anderseits besonders warme Worte für die heilsame und gesellige Wirkung des rechten, d.h. eines unschuldigen und mäßigen Lachens findet: "when a facete [facetious] discourse, and an amicable friendly
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The Whole Works of the Right Rev. Jeremy Taylor, ed. Reginald Heber, rev. Charles Page Eden (London, 1868) 4; 190f.
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mirth, can refresh the spirit, and take off from the vile temptations of peevish, despairing, uncomplying melancholy, it must needs be innocent and commendable." (IV, 292). In solchen Formulierungen mündet das theologische "argument of laughter" in Positionen ein, wie sie innerhalb einer humanistischen Lachkultur (Erasmus, Morus) und im Rahmen einer Physiologie des Lachens schon angelegt waren.
3 Das Lachen und der Prozeß der Zivilisation (I): Das Lachen der Narren Ich habe es immer bedauert, daß Norbert Elias seinen Prozeß der Zivilisation allein an den Beispielen der Eßkultur, des Schneuzens und Spuckens, der Sexualität und des Kampfes erläutert und dabei das mit diesen Verhaltensfeldem vielfältig zusammenhängende Lachen weitgehend ausgespart hat. Dabei hätten doch die oben nur in einem schmalen Diskursausschnitt konkretisierten Versuche einer Disziplinierung der unbändigen Körperlichkeit des Lachens und der potentiell immer auch anarchischen und aggressiven vis comica ein besonders prägnantes Paradigma für die frühneuzeitliche Spannung zwischen offiziellen oder offiziösen Dezenz-Normierungen und einer dieser Kontrolle sich immer wieder entziehenden Praxis - von volkstümlichem misrule und topsy-turvidom bis zum railing und jesting in Pamphleten, Satiren und sogar Predigten - abgeben können, zudem ein Paradigma, dessen auch politische Implikationen im England unter der Act of Uniformity besonders einschneidend sind, denn im "argument of laughter" bündeln sich wie in einem Brennglas die zentrifugalen und zentripetalen Tendenzen der Zeit. Die Disziplinierung der Lachlust manifestiert sich in den unterschiedlichsten kulturellen Formationen und geht weit über die diskursiven Versuche hinaus, christliche Lebenspraxis auf ein moderates und unschuldiges Lachen einzustellen. So wurde zum Beispiel das Lachen erfolgreich aus der Ikonographie vorbürgerlicher und aristokratischer Selbstdarstellung ausgeblendet; ich bin mir zumindest keines Portraits oder Familienbilds aus dem frühneuzeitlichen England bewußt, in dem eine Person von Stand sich hätte lachend darstellen lassen. Selbst in Holbeins berühmtem Bild des household von Thomas Morus (um 1527) lacht niemand, obwohl sich der große Humanist programmatisch mit seinem Narren Henry Paterson abbilden ließ. Und nicht einmal Robert Burton lacht auf dem Frontispiz der Anatomy of Melancholy, obwohl er darauf ausdrücklich als "Democritus Junior," als der neue lachende Philosoph der Abderiten abgebildet ist. Eine andere Form der Kontrolle über das Lachen ist, es in Enklaven, in Lachnischen, in Sonderinstitutionen abzudrängen und einzugrenzen. Der
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professional court oder household fool ist ein bezeichnendes Beispiel dafür.22 So sieht z.B. Puttenham zwar im lauten und anhaltenden Lachen ausländischer Botschafter am Hof Elisabeths und in der Unfähigkeit gewisser ansonsten "very wise men," "[to] utter any grave and earnest speech without laughter," gravierende Verstöße gegen Dezenz und decorum und führt diese auf eine humoralpathologische Störung, ein "default in the spleene," oder aber auf "ill education or custome" zurück.23 Andererseits schätzt er aber die "skurrillity and unshamefastness" eines "common iester or buffon, such as take upon them to make princes merry," denn sie haben ihre eigene "certaine decencie." Er gibt dazu sogar eine Anekdote zum besten: when Sir Andrew Flamock, king Henry the eights standerdbearer, a merry conceyted man and apt to skoffe, waiting one day at the kings heeles when he entered the park at Greenewich, the king blew his home, Flamock having his belly full, and his tayle at commandement, gave out a rappe [Furz] nothing faintly, that the king turned him about and said how not sirra? Flamock not well knowing how to excuse his unmannerly act, if it please you Sir quoth he, your Maiesty blew one blast for the keeper and I another for his man. The king laughed hartily and took it nothing offensively: for indeed as the case fell out it was not undecently spoken by Sir Andrew Flamock, for it was the cleaneliest excuse he could make [...]. So was Flamocks action most uncomely, but his speech excellently well becoming the occasion.24 Die Anekdote ist in mehrfacher Weise instruktiv. Flamock, ein zweiter Sir John Falstaff, ist zwar Standesperson, hat aber wie dieser längst die - inoffizielle - Rolle eines jester des Königs übernommen und genießt damit die Lachlizenz, die Lizenz zum Lachen und Lachenmachen, des Hofnarren. Er selbst spielt das decorum des Standes ja witzig aus, indem er sein indezentes Signal durch den vorgeblichen Adressaten, den bloßen Diener des königlichen Wildhüters, manierlich macht. Und im Rahmen der oben skizzierten Physiologie des Lachens ist es schließlich bezeichnend, wie hier eine Exhalation, eine körpersprachliche Äußerung auf die andere antwortet - das königliche Lachen auf die Flatulenz seines retainer. Diese Lachlizenz des professionellen jester nahm allerdings auch der Literat, der Pamphletist, ja sogar der Prediger für sich immer wieder in Anspruch freilich immer im Bewußtsein, sich damit in einer riskanten Randzone des Erlaubten zu bewegen, und daher immer auch flankiert von metakommunikati-
~ Cf. dazu Enid Welsford, The Fool: His Social and Literary History (London, 1935) und Robert H. Goldsmith, Wise Fools in Shakespeare (East Lansing/Mich., 1968). 23 The Arte of English Poesie 244. 24 Ibid. 224. - Cf. zu Flamoek: Rosemary Kegl, '"Those Terrible Aproches': Sexuality, Mobility, and Resisting the Courtliness of Puttenham's The Arte of English Poesie," English Literary Renaissance 20 (1990): 179-208, hier 187-190; Jonathan Goldberg, Sodometries: Renaissance Texts, Modern Sexualnies (Stanford, CA, 1992) 49-51.
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ven Kommentaren und apologetischen Rechtfertigungen einer solchen Appropriation des Narren-rfecorwm. So ist eben Erasmus' Encomium moriae nicht nur ein Lachbuch, sondern mehr noch eine Rechtfertigung jener christlichpaulinischen Narrheit, als die die Welt die christliche Weisheit sieht, jenes Narrenwitzes, der verdeckte Wahrheiten aufdeckt und ausspricht, und auch jenes harmlosen sport, der Verkrampfungen löst. Und so wie Erasmus in seinem Letter to Dorp (1515) Cicero und Quintilian "for laying down rules for raising a laugh" rechtfertigend anführt,25 so bemüht auch Morus in The Apologye of Syr Thomas More Knyght (1533), seine Narrenrolle legitimierend, eine in diesem Zusammenhang von seinen Zeitgenossen oft zitierte antike Autorität, nämlich Horaz: "Ridentem dicere verum, quid vetat? [Sät. I, l, 24f.] Why shuld not a iester or a merie fellow tel truth?"26 Auch die Rhetorikhandbücher der Zeit - Thomas Wilson's Arte of Rhetorique, Puttenhams Arte of English Poesie und Henry Peachams Garden of Eloquence - räumten dem Redner mit Berufung auf Cicero und Quintilian das Recht ein, gelegentlich den Narren zu spielen, denn eine solche Rhetorik des Lachens könne, zurückhaltend dosiert, oft effektvoller Torheiten und Mißstände bloßlegen als die ernste Rede.27 Und selbst die puritanischen Pamphletisten und Prediger bedienten sich ausgiebig der Narrenrolle, rechtfertigten dies mit dem besonderen decorum der Situation, einen Narren als Widerpart zu haben, und konnten dabei alttestamentarische Autorität herbeizitieren: "Answer a fool according to his folly, lest he be wise in his own conceit" (Sprüche, 26, 5) - in den Worten "Marprelates" in seinen Attacken auf den anglikanischen Apologeten Dr. John Bridges, der selbst mit dem Waffen des Lächerlichmachens nicht sparsam umging: "I jested because I dealt against a worshipful jester, Dr. Bridges, whose writings and sermons tend to no other end than to make men laugh."28 Damit stellt sich sowohl die Admonition-Kontioverse der frühen siebziger Jahre29 als auch die MarprelateKontroverse der späten achtziger Jahre als ein lach-explosives und insofern auch politisch brisantes Szenario dar, in dem die puritanische wie die anglikanische Partei bei der anderen die Regeln gesitteten Lachens einklagte, jede der anderen einen "new Barbarisme," die Usurpation der Narrenrolle bei heiligen Dingen vorwarf und damit gerade das eigene Hohnlachen legitimierte.30
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Praise of Folly and Letter to Dorp 1515, übers. Betty Radice (Harmondsworth, 1971) 221. The Apologye of Syr Thomas More Knyght, ed. Arthur Irving Taft, EETS 180 (London, 1930) 194. Cf. dazu Anselment, 'Betwixt Jest and Earnest' 15-32. The Marprelate Tracts, 1588, 1589, ed. William Pierce (London, 1911) 118. Cf. dazu Donald McGinn, The Admonition Controversy (New Brunswick, 1949). Cf. dazu R.D. Kendall, The Drama of Dissent. Die Formulierung "new Barbarisme" stammt vom anglikanischen Theologen Richard Harvey (Anselment, 'Betwixt Jest and Earnest' 55).
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4 Das Lachen und der Prozeß der Zivilisation (II): Das Lachen im Theater Was unser Beispiel des professional fool gezeigt hat, ist, daß Lachen im Prozeß seiner Zivilisation in Reservate abgedrängt werden sollte, daß es andererseits aber immer wieder zum öffentlichen oder offiziellen Ärgernis aus seinem Gehege ausbrach und selbst aus dem Mund derer erschallte, die es einzudämmen sich anschickten. Mein zweites Beispiel für ein solches Lachreservat, das Theater, illustriert nicht nur die Anstrengungen, Lachen in gesonderten Nischen oder Institutionen zu marginalisieren und damit kontrollierbar zu machen, sondern darüber hinaus auch die Bemühungen innerhalb dieser Institutionen selbst, es weiter zu disziplinieren und damit neuen ethischen und ästhetischen Standards akzeptabel zu machen. Der puritanische Kampf gegen die public theatres ist so alt wie diese selbst: 1576 eröffnete James Burbage das erste öffentliche Theater in London, und 1579 eröffnete Stephen Gosson mit The School of Abuse containing a pleasant invective against Poets, Pipers, Plaiers, Jesters and such like caterpillars of the Commonwealth die puritanischen Attacken darauf.31 Der Kampf begann als erfolgreiche Verdrängung der Theater aus der City in die südlichen Vorstände jenseits der Themse durch den puritanisch bestimmten Magistrat und endete 1642 mit der vorübergehenden bzw. 1647 mit ihrer endgültigen Schließung als "Spectacles of pleasure, too commonly expressing lascivious Mirth and Levitie" durch das Parlament. Und dieser Kampf war, wie die Formulierung des Parlamentsdekrets schon deutlich macht, ein Kampf gegen das Theater nicht nur als immoralische Anstalt, die den Christenmenschen von Gebet und Schriftlektüre und die Lehrlinge von nützlicher Arbeit ablenkt, die ihren Zuschauern verlockende Muster sündigen und unbotmäßigen Verhaltens darbot und sich ihnen als Ort erotischer Ausschweifungen und geselliger Ausschreitungen anbot, sondern vor allem auch als Anstalt des Lachens. Von Gossons School of Abuse und Plays confuted in Five Actions (1582), vom anonymen Second and Third Blast of Retreat from Plays and Theatres (1580) bis zu William Prynnes über tausendseitiger summa anti-theatralica, dem Histriomastix (1632), schössen sich die Kritiker des Theaters immer wieder auf das Lachen ein, das das Theater zur immoralischen Anstalt machte - ein törichtes und maßloses Lachen, ein Lachen, das animierend und infizierend aus den Niederungen des Körpers und der Gesellschaft hervorbricht, ein obszönes und blasphemisches Lachen, dem nichts heilig, keine Autorität verbindlich ist und das alles in den Schmutz zieht. Dies ist zu bekannt, um hier noch einmal im Detail dokumentiert werden zu müssen. Interessanter ist jedoch, daß das Theater selbst - d.h. Theatermacher
31
Cf. dazu die reiche Dokumentation in E.K. Chambers, The Elizabethan Stage, Bd. l (Oxford, 1923), und Margot Heinemann, Puritanism and Theatre (Cambridge, 1980).
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und dem Theater nahestehende Literaten - auf solche Maßregelungen von außen mit Reinigungs- und Disziplinierungsprozessen im Inneren reagierte und das Lachen einer strengeren Kontrolle zu unterwerfen versuchte. Die dabei geltend gemachte Motivation und Intention war freilich zunächst eher eine ästhetische denn die ethische, die von den Theatergegnern vor allem ins Feld geführt wurde. Es ging darum, das volkstümliche Erbe normenunbekümmerter Spieltraditionen zu exorzieren oder es zumindest soweit zu kupieren, daß es nicht mehr in flagrantem Gegensatz zu den neuen, vom Kontinent importierten Regeln einer klassizistischen Dramentheorie stand. Auch in diesem Prozeß stand das Lachen im Mittelpunkt, vor allem das Lachen außerhalb der Komödie, das Lachen in der Tragödie und im Geschichtsdrama, das albern oder frech den Ernst und die Tragik durchbricht und ihnen damit ihre Würde nimmt. Was hier geltend gemacht wird, ist eine vierte Einheit neben den bekannten drei Einheiten von Raum, Zeit und Handlung: die Einheit der Gattung, eine ästhetische Act of Uniformity, die das Lachen aus ernsten Kontexten verbannen will. Bei John Lyly, im Prolog zu Midas (1589), heißt es zu solcher hybrider Heterogenität noch apologetisch: Time hath confounded our minds, our minds the matter, but all cometh to this pass, that what heretofore hath been served in several dishes for a feast is now minced in a charger for a gallimaufrey. If we present a mingle-mangle, our fault is to be excused, because the whole world is become an hogepodge.32
Wie kann, so fragt Lyly küchenmetaphorisch, unser Theater etwas anderes sein als ein Eintopf, ein Durcheinander von Hoch und Niedrig, von Ernst und Lachen, wo doch die Welt selbst, die gesellschaftliche Realität, dazu geworden sei. Eine solche Apologie weiß um die Norm, die sie verfehlt, ja akzeptiert sie, nimmt sich jedoch angesichts des allgemeinen topsy-turvidom der Zeitläufte die Lizenz des Lachens in unpassenden Kontexten heraus. Christopher Marlowe dagegen schlägt in diesem Prozeß der Zivilisierung des Theaters schon einen entschiedeneren Ton an, zumindest tut er dies im Prolog zum ersten Teil von Tamburlaine the Great (vor 1587), wo er verspricht, die Tragödie von allem Skurrilen und Grotesken, von allem - im doppelten Wortsinn - impertinenten Lachen zu reinigen und sie aus ihren volkstümlichen Niederungen auf die Höhen des Heroischen zu führen: From jigging veins of rhyming mother-wits, And such conceits as clownage keeps in pay, We'll lead you to the stately tent of war,
32
John Lyly, "Gallathea" and 'Midas', ed. Anne Begor Lancashire (London, 1970) 80. Cf. dazu Roben Weimann, Shakespeare und die Macht der Mimesis: Autorität und Repräsentation im elisabethanischen Theater (Berlin, 1988) 137-141.
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Where you shall hear the Scythian Tamburlaine Threatening the world with high astounding terms... 33 Das hohe Pathos des Blankverses soll das Reimgeklingel der alten heimischen Tragödie, die heroische Rhetorik die Körpersprache des "jigging" ablösen, jenes populären Hüpftanzes, dessen sich die Narren gerne bedienten, und deren alberne Spaße ("clownage") sollen ganz abgeschafft werden. Nun, wie der Kenner des Tamburlaine und der anderen Tragödien Marlowes, vor allem des Doctor Faustus, weiß: ganz so weit ging die "Vertreibung des Hanswurstes," seines Körpers und seines Lachens, auch bei Marlowe nicht. Dabei kennen wir die Stücke ja nur in ihren Drucken, und der Medienwechsel vom Theater zum Druck involvierte immer auch einen erhöhten Anspruch auf Dignität, eine Säuberung von impertinent Heterogenem, eine Distanznahme zum Volkstümlichen, eine Entkörperlichung, die auch das Lachen tilgte oder zumindest doch dämpfte. Daß, wie und warum das geschah, macht zum Beispiel der Vorspruch des Druckers "R.I." (Richard Jones) "To the Gentleman Readers: and others that take pleasure in reading Histories" zu den Tamburlaine-Ausgaben ab 1590 deutlich: I have purposely omitted and left out some fond and frivolous gestures, digressing (and in my poor opinion) far unmeet for the matter, which I thought might seem more tedious unto the wise than any way else to be regarded, though haply they have been of some vain conceited fondlings greatly gaped at, what times they were shewed upon the stage in their graced deformities.34 Abgesehen davon, daß ein gedrucktes Stück einen ganz anderen kulturellen Status beanspruchte als ein ephemeres Theatermanuskript, sich an ein exklusiveres Lesepublikum richtete, als das die heterogene Zuschauerschaft der öffentlichen Theater war, und damit sich auch jenen strengeren Normen der Dezenz und Pertinenz unterwarf, die das Lachen regulierten und dämpften, trug natürlich schon die unterschiedliche Materialität der Medien zu einer weitgehenden Tilgung des Lachens in den gedruckten Fassungen bei. Lachen als körpersprachlicher Ausdruck läßt sich eben nur schemenhaft in den gedruckten Sprachtext übertragen; es verliert dabei an Körperlichkeit oder hinterläßt überhaupt keine Spuren. Bühnenanweisungen, die es verzeichnen könnten, waren im englischen Drama der Frühen Neuzeit noch kaum entwikkelt und erschöpften sich meist in knappen Hinweisen zu Auftritten oder Abgängen oder zum Einsatz bestimmter Requisiten oder Musikinstrumente. So findet sich z.B. in allen zeitgenössischen Drucken aller Stücke Shakespeares nur eine einzige stage direction, die das Lachen einer Figur fordert, und auch
" Christopher Marlowe, The Complete Plays, ed. J.B. Steane (Harmondsworth, 1969) 105. Marlowe, The Complete Plays 587.
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diese einzige Ausnahme zählt nur halb, denn sie findet sich in The Taming of a Shrew, dessen Zusammenhang mit Shakespeares The Taming of the Shrew ein recht indirekter und noch nicht ganz geklärter ist. Das Lachen könnte sich natürlich dem Haupttext der Figurenreden in Transkriptionen des paralinguistischen "ha, ha, ha" einschreiben, doch auch solche Spuren des Lachens der Figuren sind in Shakespeares gedruckten Texten weitgehend getilgt. Sie fallen fast immer - wie Hamlets unberühmte letzte Worte: "O, o, o, o," die nur in einer Fassung des Hamlet überliefert sind - der literarischen Zensur des Druckers und späterer Herausgeber zum Opfer.35 Wo das Lachen den Prozeß seiner Drucklegung überlebt, ist vor allem in "Spiegelstellen,"36 d.h. in Sprechpassagen, in denen einzelne Figuren ihr eigenes Lachen oder das Lachen von Bühnenpartnem vermerken oder kommentieren, in "arguments of laughter," in denen das Lachen zum Gesprächsthema der Figuren und damit problematisiert wird, und im einsamen Lachen des verständigen Lesers, das im Vergleich zum kollektiven Lachen des Theaterpublikums erheblich in seiner körperlichen Energie gedämpft ist. Zurück vom vertexteten und gedruckten Lachen zum Lachen im Theater, vor allem jenem Lachen, das die tragische Fiktion durchbricht und sich zu verselbständigen droht! Es provozierte in besonderer Weise die neuen Normen eines zivilisierteren Theaters und Dramas, wie sie die avancierteren Kritiker und Dramatiker der Zeit durchzusetzen versuchten. Einer von ihnen ist Hamlet, der theaterenthusiastische Held des gleichnamigen Stücks.37 Er hält viel vom decorum und wenig vom Körper, seinem exzessiven Einsatz und seinem Lachen, im Theater. Gestikulieren, so belehrt er die Schauspieler aus der Hauptstadt, zerstöre allzu leicht die tragische Illusion: "this overdone, or come tardy off, though it make the unskilful [die Ungebildeten] laugh, cannot but make the judicious grieve" (3.2.25f.). Und besonders stören ihn improvisierte Lachszenen, die den dramatischen Zusammenhang zerreißen: O, reform it altogether. And let those that play your clowns speak no more than is set down for them; for there be of them that will themselves laugh to set on some quantity of barren spectators to laugh too, though in the mean time some necessary question of the play be then to be considered. (3.2.38^3)
35
36 37
Cf. zu solch systematischer Tilgung angeblicher "actor's interpolation" Terence Hawkes, That Shakespearian Rag: Essays on a Critical Process (London, 1986) 73-91. - Selbst in einer ausgesprochenen Lachkomödie wie Twelfth Night wird das Lachen einer Figur nur zweimal mit "ha, ha!" transkribiert, wobei sich solche Transkriptionen des Lachens insgesamt eher und charakteristischerweise in Prosa als in Verspassagen finden. Rudolf Stamm, "Die theatralische Physiognomie der Shakespearedramen," Maske und Kothurn 10 (1964): 263-274. Zu Hamlet als Metatheater cf. Manfred Pfister, "Kommentar, Metasprache und Metakommunikation im Hamlet," Shakespeare Jahrbuch (West) (1978/79): 132-151, und Robert Weimann, "Mimesis in Hamlet," Shakespeare and the Question of Theory, ed. Patricia Parker, Geoffrey Hartman (New York, 1985) 275-291.
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Dies mag zwar, wie oft bemerkt wurde, ein Schlaglicht auf Shakespeares eigene Theaterpraxis werfen: Er hat kaum mehr als ein Jahr vor Hamlet den körperpräsenten, pantomimisch agierenden, gerne frei improvisierenden und lustvoll zotigen Clown William Kempe, den Schüler des volkstümlichen Dick Tarlton und Darsteller von Dogberry, Bottom und Falstaff, aus seiner Truppe gefeuert und durch den intellektuelleren, subtileren, musikalisch und literarisch begabten Robert Armin ersetzt, der nun die Narrenrollen in As You Like It und Twelfth Night spielte - eine Umbesetzung und Neukonzipierung der Narrenrolle, die Hamlet sicher begrüßt hätte. Dennoch fragt man sich, ob Hamlet etwa die Totengräber-Szene des Stücks, in dem er selbst den Titelhelden abgibt, durchgehen hätte lassen, oder ob sie nicht seinen aristokratisch-klassizistischen Theatergeschmack zurückgenommener Körperlichkeit und vorgeschriebenen, wohl dosierten Lachens so irritiert hätte, daß er sich anheischig gemacht hätte, sie auch durch "some dozen or sixteen lines" (3.1.543) aus der eigenen prinzlichen Feder zu ersetzen. Wie dem auch sei: Die Spannung, oder zumindest das problematische Verhältnis zwischen dem Raisonnement des Protagonisten über die Notwendigkeit, das Lachen im Theater an die Normen des decorum, der dramatischen Funktionalität und der fiktionalen Geschlossenheit zu binden, und der dramaturgischen Praxis des Lachens in dem Stück Shakespeares, in dem er selbst vorkommt, und darüber hinaus in allen Stücken Shakespeares, thematisiert und problematisiert implizit das Lachen im Theater der Shakespearezeit. Ein besonderer Kritikpunkt Hamlets ist dabei ein Lachen auf der Bühne, bei dem nicht mehr die fiktionale Figur, sondern der Schauspieler, überwältigt von seiner Komik, selbst lacht und über diese Illusionsdurchbrechung mit dem von seinem Lachen angesteckten Publikum eine Lachgemeinschaft eingeht. Ein solches in doppelter Weise impertinentes Lachen - impertinent, weil im tragischen Kontext fehl am Platz, und impertinent, weil nicht zur Fiktion gehörig - nimmt auch der Satiriker, Amateurdramatiker und spätere Bischof Joseph Hall in der ersten Satire seiner Virgidemiarum (1597) aufs Korn: Now, lest such frightful shows of Fortune's fall, And bloody tyrant's rage, should chance appal The dead-struck audience, midst the silent rout Comes leaping in a self-misformed lout, And laughs, and grins, and frames his mimic face, And justles straight into the prince's place: Then doth the theatre echo all aloud With gladsome noise of that applauding crowd. A goodly hotch-potch! when vile russetings [Bauemtölpeleien] Are matched with monarchs and with mighty kings, A goodly grace to sober Tragic Muse, When each base clown his clumsy fist doth bruise,
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And show his teeth in double rotten row, For laughter at his self-resembled show.38
Der Klassizist Hall attackiert hier, was seit der Restaurationszeit comic relief genannt werden wird, also das Lachen, das einem tragisch strapazierten Publikum Abwechslung, Ablenkung und Entspannung verschaffen soll.39 Er nimmt dabei viel von dem vorweg, was Kritiker in England und auf dem Kontinent bis ins achtzehnte Jahrhundert auch gegen Shakespeare ins Feld führen sollten, nämlich daß solche komischen Interruptionen, solche Eruptionen des Lachens in der Tragödie ein sträfliches Zugeständnis an den niederen Geschmack der groundlings seien und den Geschmack der gehobenen und gebildeten Schichten verletzen. Und er kann dabei auf Lylys kulinarische Metapher vom "hotch-potch" zurückgreifen, die auch bei ihm gleichzeitig ästhetische und gesellschaftlich-politische Anarchie beschwört. Inbegriff dieser anarchischen Energien ist ihm das Lachen, das hier zur physisch abstoßenden Grimasse verzerrt wird und in der "self-resembled show" des tölpelhaften clowns, der sich selbst und nicht eine fiktive Figur darstellt, dessen Lachen kein fingiertes ist und damit die dramatische Fiktion durchbricht, seinen ästhetisch, ethisch und politisch anstößigsten Ausdruck findet. Solch kritische Interventionen von Theatermachern, Druckern und Kritikern zur Regulierung und Zivilisierung des Lachens im Lach-Refugium des Theaters erstreckten sich jedoch nicht nur auf das gattungsfremde und hybride Lachen in der Tragödie. Auch die Komödie sollte in ihrer vis comica zivilisierteren ethischen und ästhetischen Normen unterworfen und das Lachen in ihr damit gedämpft werden. Dies soll mein letzter Hinweis verdeutlichen, der dem prominenten Hofmann, Kriegshelden, Dichter und Romancier Sir Philip Sidney gilt. Ihm, dem glänzendsten der Puritaner, hatte Stephen Gosson hoffnungsvoll seine School of Abuse gewidmet, und Sidneys Defence of Poesie (um 1580) ist die Antwort darauf. Diese Verteidigung der Dichtkunst gipfelt in einer vernichtenden Kritik des zeitgenössischen englischen Theaters, der Tragödien wie der Komödien, von der er nur Sackville und Nortons gattungsreine Seneca-Tragödie Gorboduc ausnimmt. Beide Gattungen bedürften dringend der Zivilisierung, da sie die "rules neither of honest civility nor
38
39
Joseph Hall, Virgidemiarum, I.i.31^4, The Works, ed. Philip Wynter (Oxford, 1863) 9; 58. - Den Hinweis auf diese Stelle, nebst einem sehr erhellenden Kommentar dazu, verdanke ich einem Weimarer Vortrag Robert Weimanns im November 1994. Cf. dazu W.H. Hadow, The Uses of Comic Episodes in Tragedy, English Association Pamphlet 31 (London, 1915). - Diese erheblich zu kurz greifende Theorie und Apologie des Lachens im Herzen der Dunkelheit sollte erst in der Romantik, in Thomas de Quinceys Essay "On the Knocking on the Gate in 'Macbeth'," auf eine neue, einsichtsfördernde Ebene gehoben werden. Der jüngste Versuch zu diesem Thema, Nicholas Brookes Horrid Laughter in Jacobean Tragedy (London, 1979), enttäuscht durch seine Theorielosigkeit.
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of skilful Poetry" beachteten, also sowohl ethisch und gesellschaftlich als auch ästhetisch ungebändigt seien. Natürlich klagt er dabei die Normen der Einheit der Gattung ein, denn die "mongrel tragi-comedy," die englische Autoren statt richtiger Tragödien und richtiger Komödien bislang allein hervorgebracht haben, verstoße gegen alle "decency" und "discretion."40 An dieser Stelle wendet er sich dann der Komödie zu, insbesondere der Funktion des Lachens in ihr: So falleth it out that, having indeed no right comedy, in that comical part of our tragedy we have nothing but scurrility, unworthy of any chaste ears, or some extreme show of doltishness [Tölpelhaftigkeit], indeed fit to lift up a loud laughter, and nothing else: where the whole tract of a comedy should be full of delight, as the tragedy should be still maintained in a well-raised admiration. But our comedians think there is no delight without laughter; which is very wrong, for though laughter may come with delight, yet cometh it not of delight, as though delight should be the case of laughter; but well may one thing breed both together. Nay, rather in themselves they have, as it were, a kind of contrariety: for delight we scarcely do but in things that have a conveniency to ourselves or to the general nature: laughter almost ever cometh of things most disproportioned to ourselves and nature. Delight hath a joy in it, either permanent or present. Laughter hath only a scornful tickling. For example, we are ravished with delight to see a fair woman, and yet are far from being moved to laughter. We laugh at deformed creatures, wherein certainly we cannot delight. [...] Yet deny I not but that they may well go together. [...] For the representing of so strange a power in love procureth delight: and yet the scornfulness of the action stirreth laughter. But I speak to this purpose, that all the end of the comical part be not upon such scornful matters as stirreth laughter only, but, mixed with it, that delightful teaching which is the end of Poesy. (S. 46-48) Diese Argumentation marginalisiert das Lachen selbst in der Komödie, will das alberne und das obszöne Lachen ebenso aus ihr austreiben, wie es das durch antike Vorbilder und Autoritäten legitimierte satirische Verlachen zu einer bloßen Begleitstimme dämpfen will. "Delight," nicht Lachen, ist der rezeptionsästhetische Schlüsselbegriff in dieser Grundlegung einer neuen romanesken Komödienkonzeption, und das Lachen, das sich mit ihm und dem "delightful teaching" noch verbinden kann, ist eher ein identifikatorisches "Lachen mit" als ein aggressiv distanzierendes und ausgrenzendes "Lachen über" - oder ein zum Lächeln gedämpftes Lachen eher als dieses selbst. John Lyly wird aus solchen Überlegungen im Prolog zu Sapho and Phao (1584) die Konsequenz ziehen und sich zur Absicht bekennen "to breed [...] soft smiling, not loude laughing: knowing it to the wise to be as great a pleasure to heare
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English Critical Essays: Sixteenth, Seventeenth and Eighteenth Centuries, ed. Edmund D. Jones (London, 1947) 46.
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counsell mixed with witte, as to the foolish to have sporte mingled with rudenesse."41 Sidneys Argumentation liegt die Differenzierung zweier Formen oder Motivationen des Lachens zugrunde: ein Lachen, das sich mit der Positivität des Entzückens und der Freude verbindet, und ein Lachen, das die Negativität der Verachtung ausdrückt. In den Worten von Thomas Wilsons Complete Christian Dictionary (1612): "laughing signifieth both rejoycing and mocking, or scorning."42 Aus dieser Differenzierung lassen sich die beiden Hauptformen der spät-elisabethanischen Komödie entwickeln: die romaneske Komödie, in der wir am Witz, der spielerischen und erfindungsreichen Virtuosität und dem Charme der Hauptfiguren unsere Freude haben und mit ihnen leiden und lachen, und die satirische Komödie, die ihre Protagonisten in ihren follies und/oder vices unserem Verlachen preisgibt. Das Lachen disziplinieren sie beide: Die eine, indem sie es dämpft und entschärft; die andere, wie das Beispiel Ben Jonsons deutlich zeigt, indem sie es didaktisch funktionalisiert, in jenen strengen Dienst der Bloßstellung und der kathartischen Reinigung nimmt, der kein laughter for laughter's sake mehr vorsieht. Shakespeare hat an beiden Formen Anteil, und auch noch an allem Lachen, das sie zu exorzieren sich anschicken, und dies macht jede seiner Komödien und Lachszenen zur Probe aufs - lachende - Exempel.
5 Ausgestelltes Lachen bei Shakespeare Hier haben wir nun den Punkt erreicht, von dem aus sich eine Neulektüre von Shakespeares Stücken, der Komödien ebenso wie der Historien und Tragödien, eröffnen könnte. Sie würde danach fragen, wie sich ihnen das hier rekonstruierte "argument of laughter" eingeschrieben hat bzw. wie sie selbst die Debatte um das Lachen dramatisch und theatralisch fortschreiben. Auszugehen wäre dabei von der Beobachtung, daß in Shakespeares Theater sowohl auf der Bühne als auch im Publikum nicht nur häufig und auf unterschiedlichste Weise gelacht, sondern daß dieses Lachen immer wieder "ausgestellt" und damit thematisiert und problematisiert wird. Ausgestellt wird es schon dadurch, daß die Figuren nicht einfach lachen, sondern ihr eigenes Lachen oder das ihrer Bühnenpartner (und implizit damit auch das der Zuschauer) ausdrücklich kommentieren. Oft wissen wir überhaupt nur über solche Kommentare, daß an einer bestimmten Stelle von einer bestimmten Figur gelacht wird, womit die Kommentare dann auch die Funktion einer indirekten Bühnenanweisung erfüllen, Teil der "theatrical notation" 41 42
The Complete Works of John Lyly, ed. R.W. Bond (Oxford, 1902) 2; 371. Zitiert nach Anselment, 'Betwixt Jest and Earnest' 21.
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außersprachlicher und paralinguistischer Zeichen sind.43 Immer aber lenkt die Kommentierung des Lachens die Aufmerksamkeit auf dieses selbst, spezifiziert sie dessen Qualität und Funktion oder problematisiert sie dessen Angemessenheit oder Statthaftigkeit. Regelmäßig lösen zum Beispiel die Auftritte der Narren, ihre Spaße und Kabinettstücke wortverdrehenden Witzes, solche Kommentare aus - wie etwa in Violas bewundernder Würdigung von Festes Kunst des jesting in Twelfth Night: This fellow is wise enough to play the fool, And to do that well, craves a kind of wit: He must observe their mood on whom he jests, The quality of persons, and the time, And like the haggard, check at every feather That comes before his eye. This is a practice As full of labour as a wise man's art: For folly that he wisely shows is fit; But wise men, folly-fall'n, quite taint their wit. (3.1.61-69) Wo Viola Verständis für Festes subtiles Bewußtsein für ein differenziertes und differenzierendes Dekorum des Lachens zeigt und damit auch uns, die Lacher über Festes brillant subversive Wortspiele, auf ihrer Seite hat, weist Malvolio, der Feind des Lachens, der von den Sauf-, Freß und Lachkumpanen um Sir Toby zum grinsenden laughingstock gemacht werden wird, Olivia - und uns - ob ihres Lachens über Festes Narrenwitz zurecht: I marvel your ladyship takes delight in such a barren rascal: I saw him put down the other day with an ordinary fool, that has no more brain than a stone. Look you now, he's out of his guard already: unless you laugh and minister occasion to him, he is gagged. I protest I take these wise men, that crow so at these set kind of fools, no better than the fools' zanies. (1.5.81-88) Der durch solche Kommentare pointierte Kontrast zwischen Olivias und Violas lachender Aufgeschlossenheit und Malvolios Unfähigkeit zu lachen markiert hier, ganz im Sinn der humanistischen Argumentation, eine Wertskala geglückter Menschlichkeit und Zwischenmenschlichkeit, die im weiteren Verlauf des Stücks durch zusätzliche Dimensionen - karnevalesker Exzeß und Dekorum, Aggression und Mitgefühl - weiter ausdifferenziert wird. Dies erlaubt es schließlich, Twelfth Night, dessen Titel schon Lachen und Ausgelassenheit erwarten läßt, als ein "argument of laughter" zu lesen, das die zeitgenössischen Diskurse über das Lachen neu durchspielt. Als Kommentare noch stärker abgehoben sind Passagen, in denen das Lachen in Erzählungen ausgestellt wird. Hier wird von vergangenen Lachanlässen und vergangenem Lachen
43
Cf. Jörg Hasler, Shakespeare's Theatrical Notation: The Comedies (Bern, 1974).
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berichtet, die in solchem Erzählen immer schon wertend perspektiviert werden. So berichtet etwa Jacques in As You Like It ausführlich von seiner ersten Begegnung mit dem Narren Touchstone (2.7.12^1-3) und davon, wie dieser ihn mit seinem grimmigen Witz zum Lachen brachte: When I did hear The motley fool thus moral on the time, My lungs began to crow like chanticleer, That fools should be so deep-contemplative; And I did laugh, sans intermission, An hour by his dial. (28-33) In der narrativen Thematisierung des Lachens erscheint dieses durchaus problematisch: Nicht zufällig taucht hier dieselbe drastisch-physiologische Metapher des Krähens auf, mit der auch Malvolio den enthemmt Lachenden zum Tier reduziert, und nach Touchstones Zeitmessung, "an hour by his dial," zu lachen, heißt eben auch, dem eigenen Alter und Tod entgegenzulachen ("so from hour to hour, we ripe, and ripe, / And then from hour to hour, we rot, and rot;" 26f.). Das Lachen des Melancholikers, spasmodisch und gewaltsam, wird hier von diesem selbst in seiner Gebrochenheit ausgestellt und vom Duke Senior im Dialog mit ihm als Hohnlachen des verderbten Zynikers - "Thou thyself hast been a libertine" (65) - aus einer humanen Lachkultur ausgegrenzt. Das in Erzählungen thematisierte und damit auch ausgestellte Lachen ist ein von der Forschung zu den Komödien bislang noch kaum beachteter Kunstgriff Shakespeares. Er kommt jedoch auch in Stücken vor, die nicht unmittelbar zum komischen Genre gehören - so etwa mehrmals in Troilus and Cressida. In diesem späten Stück Shakespeares spielt das Lachen ja eine besonders problematische Rolle, durchkreuzt es doch in besonders eklatanter Weise den vom heroisch-epischen Stoff zu erwartenden Ernst. Immer wieder stürzt hier das heroische Pathos in komischem bathos ab, verkehrt sich der mythische Kampf um Troia in die grotesk vulgäre Banalität eines "quarrel" (Prologue, 10), eines "argument" um "a whore and a cuckold," um "war and lechery" (2.3.74-78), um "lechery" und "incontinent varlets" (5.1.97f.), um einen "cuckold," einen "cuckold-maker" und "bastards" (5.7.9-22). Shakespeares Griechen sind hier in der Tat nicht die mythischen Helden, die man erwarten würde, sondern "merry Greeks" (1.2.110; 4.4.55), und das heißt eben, zu ausgelassenem Lachen und ausschweifender Lüsternheit neigend. Pandarus' und Cressidas obszöne Anzüglichkeiten, Patrocles' Travestien des Heroischen, Ajax' eitle Selbstverliebtheit und vor allem und immer wieder Thersites' zynisch-satirische Reduktion des Menschlichen aufs Tierische, alles Hohen aufs Gemeine: sie alle provozieren ein Lachen, das alle christlichen, humanistischen und klassizistischen Disziplinierungsversuche nichtig erscheinen läßt. Und dieses Lachen wird nicht nur auf der Bühne vorgeführt, um damit auch
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den Zuschauer zu infizieren,44 sondern gerade auch in Erzählungen thematisiert. Schon in der zweiten Szene erzählt Pandarus Cressida, um dieser Troilus schmackhaft zu machen, wie ein graues Härchen in Troilus' noch spärlichem Bart die trojanische Hofgesellschaft lachen machte: "I cannot choose but laugh" - "Queen Hecuba laughed" - "And Cassandra laughed" - "And Hector laughed" - "there was such laughing, and Helen so blushed, and Paris so chafed, and all the rest so laughed that it passed [description]" (1.2.137-169). Pandarus' Erzählung ist von einer repetitiven Ausführlichkeit, die nicht nur Cressidas Geduld, sondern auch die der Zuschauer strapaziert, und sowohl der banal schlüpfrige Anlaß selbst als auch das nur gelinde witzige Scherzwort Troilus', das Pandarus ebenso umständlich wiedergibt, kehrt kritisch die Albernheit dieser Heroen des Trojanischen Kriegs hervor. Was hier noch einigermaßen harmlos bleibt, wird schon in der folgenden Szene erheblich verschärft - und dies vor allem dadurch, daß das thematisierte Lachen nun eines von unmittelbar politischer Brisanz ist. In der großen Ratsszene im Lager der Griechen analysiert Ulysses die Ursachen des bisherigen Mißerfolgs und findet diese im Zusammenbruch jeglicher Hierarchie. Als Beispiel für das allgemeine Drunter und Drüber der Stände und Ränge - auf gut Elisabethanisch: das topsy-turvidom von Hoch und Nieder, Erhaben und Gemein45 - erzählt er mißbilligend, wie sich Patroclus und Achilles mit "scurril jests" über die griechischen Heroen amüsieren (1.3.142-184). Achilles, ob dieser Spaße "from his deep chest laughs out a loud applause" (162) und gebietet, vom Lachen erschöpft sich auf dem Bett wälzend, Einhalt: , enough, Patroclus, Or gibe me ribs of steel: I shall split all In pleasure of my spleen.' (176-178) Ulysses' Lach-Kritik wird jedoch in zweifacher Weise relativiert: Erstens erscheint auch er selbst als witzelnder und intriganter Politiker als Teil des karnevalesken topsy-turvidom, und zweitens bilden Patroclus' Spaße und Achilles Lachen darüber in einer mis en abime die Struktur des Stücks selbst ab. Die Situation, von der Ulysses erzählt, ist die eines Spiels im Spiel: Patroclus, "like a strutting player," (153) führt "with ridiculous and awkward action" (149) Agamemnons heroisches und politisches Gehabe vor, und Achilles gibt dazu das dankbar lachende Publikum ab. Patroclus' parodistische
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45
Cf. dazu Klaus Schwind, "Schau-Spiel im Theater: Darstellende und zuschauende Mitspieler bei der Berliner Aufführung von Botho Strauß' Kalldewey, Farce," Forum Modernes Theater (1995): 1-24, hier 15. Schwind formuliert dazu die recht überzeugende These, daß eine solche "thematisierte Lach-Rezeptionsvorgabe ein prinzipielles Merkmal von Komödientexten" sei (Anm. 35, 23). Cf. dazu Manfred Pfister, "Comic Subversion: A Bakhtinian View of the Comic in Shakespeare," Shakespeare-Jahrbuch (West) (1987): 27^3.
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Aufführung, diese "scene of mirth," (173) gibt damit ein Modell dafür ab, was das Stück selbst ist: satirische Reduktion und Travestie. Dem Spiel im Spiel kommt nicht nur bei narrativer Vermittlung, sondern mehr noch, wenn es auf die Bühne gebracht wird, eine wichtige Funktion im Ausstellen von Lachen zu. Hier, wie auch in den mit ihm strukturell verwandten Belauschungsszenen, stehen sich auf der Bühne Akteure und Zuschauer gegenüber und kann sich also eine Lachgemeinde auf der Bühne über das Lächerliche vor ihren Augen verständigen und durch ihr Lachen das Publikum zum Lachen animieren. Die Zuschauer auf der Bühne und das Theaterpublikum bilden dabei eine Lachgemeinde, deren Lachen sich wechselseitig verstärkt, es sei denn, das Publikum kündigt diese Lachgemeinschaft auf oder lacht über, nicht mit den Lachern auf der Bühne. Das Lachen der Athener Hofgesellschaft über die wohlmeinenden, wenn auch reichlich unbedarften Handwerker-Tragödien in A Midsummer Night's Dream (5.1) stimuliert so einerseits die Lachlust der Zuschauer im Auditorium über deren unfreiwillige Komik, andererseits aber wird es auch als problematisches ausgestellt - als ein Lachen, in dem sich auch die soziale Arroganz der Aristokraten gegenüber den Handwerkern ausdrückt, und ein Lachen, das sich gedankenlos über die beschränkten Mittel der Fiktionsbildung im Volkstheater hinwegsetzt. Das Nebeneinander von Lachern und Kritikern des Lachens unter den Zuschauern auf der Bühne trägt dazu bei, diese Ambivalenz zu verdeutlichen. Hippolyta (offensichtlich von Lachen geschüttelt): "This is the silliest stuff that I ever heard." Theseus (mitfühlend die gute Absicht würdigend): "The best in this kind are but shadows; and the worst are no worse, if imagination amend them." (207-9). Besonders reich an Belauschungsszenen, in denen das Lachen auf der Bühne ausgestellt und in Kommentaren der Lauscher thematisiert wird, sind natürlich die Komödien. In Twelfth Night zum Beispiel stellen sich die Binnenakte als eine einzige, durch Vor- und Nachbereitung verkettete Folge von Belauschungsszenen (2.5; 3.4; 4.2) dar. Dabei weckt jeweils die planende Vorbereitung der Belauschungsintrige die komische Vorlust der zukünftigen Zuschauer auf der Bühne und im Auditorium und schafft damit einen verstärkenden Resonanzboden für das Lachen während des eavesdropping selbst. "Sport royal" verspricht Maria sich, ihren Kumpanen und dem Publikum und definiert dann gleich auch die Qualität des Lachens, das als "physic," als Medizin den eitlen Puritaner Malvolio von seiner Selbstverliebtheit und Selbstüberschätzung und die Zuschauer (im Sinn von Thomas d'Urfeys Pills to Purge Melancholy, 1719/20) von Langeweile und Trübsinn kurieren soll (2.3.172). Zu Beginn der Belauschungsszene 2.5 selbst wird dies nochmals in Erinnerung gerufen und damit die Vorlust auf das Lachen weiter angestachelt. Fabian: "If I lose a scruple of this sport, let me be boiled to death with melancholy." (2f.) Maria: "Observe him, for the love of mockery [...]. Close, in the
"An Argument of Laughter"
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name of jesting!" (18, 20) Wenn sie dann Malvolios Monolog belauschen können, wird das Lachen vor allem dadurch ausgestellt, daß sich die Lauscher, von Lachen geschüttelt, das Lachen immer wieder verbieten müssen ("Peace!" 30, 34, 38, 42, 51, 57, 65, 75), um nicht dem Spaß ein vorzeitiges Ende zu bereiten. Gerade dies aber steigert noch die Lachlust des Publikums, da es sich von solchem Zwang zur Selbstkontrolle glücklich frei weiß. Der Szenenschluß führt schließlich rahmend zum Anfang zurück, indem er den versprochenen "sport" (180) dieses "device" (183; vgl. 2.3.163) für eingelöst erklärt und gleichzeitig die nächste große Belauschungs- und Lachszene (3.4) als "the fruits of the sport" (197) ankündigt. Die so begonnene Serie ausgestellten Lachens bedeutet jedoch nicht einfache Wiederholung, sondern Steigerung und damit auch eine zunehmende Problematisierung des Lachens über ein Intrigeopfer, bei dem mehr und mehr das Verhältnis zwischen verdientem Verlachtwerden und lachender Aggressivität aus der Balance gerät und es allmählich sowohl den Intriganten auf der Bühne als auch dem Publikum im Theater die Lachlust und das Lachen verschlägt. Überlegungen und Beobachtungen dieser Art könnten hier also anschließen, und die Fragen, die sie zu verfolgen hätten, wären, (1) mit welchen dramaturgischen Mitteln das Lachen im Theater Shakespeares ausgestellt wird, (2) wie sich dabei das Lachen auf der Bühne zu dem im Zuschaueiraum verhält und (3) wie hier auf das zeitgenössische "argument of laughter," die Argumente für und wider das Lachen, Bezug genommen und die im Prozeß der Disziplinierung des Lachens immer enger gezogenen Grenzen der Dezenz und Pertinenz eingehalten bzw. überschritten und gerade im Überschreiten spektakulär bewußt gemacht werden. Da jedoch nicht nur dem Lachen, sondern auch dem Argument darüber Grenzen gesetzt sind - und seien es auch die Grenzen eines geordneten Konferenzablaufs -, konnte ich das hier nur noch an einigen Beispielen ausgestellten Lachens knapp illustrieren. Dies systematischer auszuführen, bedürfte es eines eigenen Aufsatzes, wenn nicht gar einer Monographie, und diese wäre, erstaunlicherweise, die erste zu diesem Thema des Lachens bei Shakespeare.
GEORG BRAUNGART
Le ridicule: Sozialästhetische Normierung und moralische Sanktionierung zwischen höfischer und bürgerlicher Gesellschaft - Kontinuitäten und Umwertungen
In Nietzsches berühmtem Aphorismus 125 aus der "Fröhlichen Wissenschaft" macht sich einer vor seinen Mitmenschen ziemlich lächerlich, als er sich mit einer Lampe in der Hand auf die Suche nach Gott macht: Habt Ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: "Ich suche Gott! Ich suche Gott!" - Da dort gerade Viele von Denen zusammen standen, welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein grosses Gelächter. Ist er denn verloren gegangen? sagte der Eine. Hat er sich verlaufen wie ein Kind? sagte der Andere. Oder hält er sich versteckt? Fürchtet er sich vor uns? Ist er zu Schiff gegangen? ausgewandert? - so schrieen und lachten Sie durcheinander. Der tolle Mensch sprang mitten unter sie und durchbohrte sie mit seinen Blikken. "Wohin ist Gott? rief er, ich will es Euch sagen! Wir haben ihn getödtet, - ihr und ich! Wir Alle sind seine Mörder! [...]."' Das Gelächter der Umstehenden ist zwar zunächst Zeichen der Verständnislosigkeit, aber mit ihm setzt, da der 'tolle Mensch' sich nicht beirren läßt, ein Prozeß der Verunsicherung ein, der in Betretenheit mündet: "Hier schwieg der tolle Mensch und sah wieder seine Zuhörer an: auch sie schwiegen und blickten befremdet auf ihn."2 Wer eine derart gravierende Botschaft zu verkünden hat, macht sich lächerlich; doch das desavouiert diese Botschaft nicht, im Gegenteil: Sie besteht die Probe. Sie besteht den 'test of ridicule,' wie ihn Shaftesbury konzipiert hatte. Auf ihn ist noch zurückzukommen. Der tolle Mensch hat einen Vorgänger, der sich ebenfalls mit einer Laterne auf die Suche macht. Nicht nach Gott, sondern - und damit wird Nietzsches Figur als Antithese erkennbar - nach einem Menschen. Es handelt sich um Diogenes von Sinope, jenen Cyniker des vierten vorchristlichen Jahrhunderts, der, in äußerster Bedürfnislosigkeit lebend, die Normen der Gesellschaft
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Friedrich Nietzsche, Sämtliche Werke, ed. Giorgio Colli und Mazzhino Montinari, 15 Bde. (München; Berlin; New York, 1980) 3: 480-82, hier 480f. Ibid. 481.
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verachtet und nach einer der vielen Anekdoten, die über ihn existieren, mit einer Laterne auf den Markt geht, um 'einen Menschen' zu suchen.3 Dieser Sonderling gilt in der ganzen frühen Neuzeit als Prototyp des gesellschaftsfeindlichen, ja subversiven und der staatlichen wie gesellschaftlichen Ordnung feindlichen Einzelgängers, der seine Notdurft in aller Öffentlichkeit verrichtet und es nicht für nötig hält, seine Blöße zu bedecken.4 Damit ist Diogenes in idealer Weise geeignet, die Notwendigkeit einer sozialethischen Normkategorie zu demonstrieren, die in der Höflingsliteratur (aber auch der Rhetorik) der frühen Neuzeit eine zentrale Rolle spielt: des Decorums. Wenn schon sein verlottertes Äußeres von 'Indezenz'5 gekennzeichnet ist, mehr noch sein konkretes Verhalten, dann manifestiert sich in seiner Lächerlichkeit der soziale Abweichler par excellence. Noch Knigge betont, er schreibe nicht für den "groben Cyniker," der "nach seinem Hottentotten-Systeme alle Regeln verachtet, welche Convenienz und gegenseitige Gefälligkeit den Menschen im bürgerlichen Leben vorgeschrieben haben."6 Und in Zedlers Universal-Lexicon heißt es von Diogenes lapidar, er "fragte nichts nach dem Wohlstand [womit die deutsche Entsprechung für aptum bzw. decorum gemeint ist], so, daß wenn ihm was ankam, er sich nicht scheuete, es auf öffentlichem Marckte zu thun."7 An der zwiespältigen Bewertung, die Diogenes jedoch gerade im 18. Jahrhundert erfährt, wird ein Umbruch deutlich, der für das Lächerliche insgesamt gilt. Nicht nur, daß der seinerseits durchaus nicht unumstrittene Rousseau ihn als ihm selbst verwandte Figur sieht - als den Naturburschen, den Dekadenzkritiker, dessen Außenseitertum sich gegen die Gesellschaft selbst kehrt, wenn er ihr mit der Lampe entgegenleuchtet und keinen 'Menschen' mehr findet.8 Die fortgeschrittene Aufklärung insgesamt bringt immer wieder positive Einschätzungen des Philosophen im Faß hervor. Auch Diderot widmet ihm in
Diogenes Laertius, De vitix philosophorum, VI, 2, 41: "Lucemam interdiu accendens, hominem, aiebat, quaero." - Zit. n. Klaus Herding, "Diogenes als Bürgerheld," im Zeichen der Aufklärung: Studien zur Moderne (Frankfurt a.M., 1989) 163-81 u. 219-31 (Anm.), hier 220, Anm. 6. So etwa bei Caspar Dornau, dem Lehrer von Martin Opitz, in seiner programmatischen Beuthener Antrittsrede von 1617. Cf. hierzu Wilhelm Kühlmann, Gelehrtenrepublik und Fürsienstaat: Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters, Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 3 (Tübingen, 1983) 140ff., hier bes. 142. Ibid. 142, Anm. 12. Hier zit. n. Wolfgang Promies, Der Bürger und der Narr oder das Risiko der Phantasie: Sechs Kapitel über das Irrationale in der Literatur des Rationalismus (1966; Frankfurt a.M, 1987) 102. Bd. 7 (1734), Sp. 977. - Zu Diogenes von Sinope cf. auch Peter Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft (Frankfurt a.M., 1983) 1: 296-319. Jean-Jacques Rousseau, Diskurs über die Ungleichheit — Discours sur l'inegalite, ed., übers., komment. Heinrich Meier (Paderborn, 1984) 264f. mit Anm. 332.
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Georg Braungart
der Encyclopedic 1754 innerhalb des Artikels über die Cynische Philosophie eine - allerdings offensichtlich nicht selbstverständliche und auch heftig kritisierte - Apologie.9 Neben Theodor Gottlieb von Hippel und anderen gehört auch Wieland zu den Freunden des Sonderlings. Er, "der einen 'Nachlass des Diogenes' fingierte, schätzte unter den Philosophen des klassischen Altertums den Zyniker am höchsten."10 Und für Friedrich Just Riedel ist Diogenes der Prototyp des mutigen Gesellschaftskritikers, der wie der vorschnell von der Bühne vertriebene Hanswurst das Gelächter der Mitmenschen auf sich zieht, das auf sie selbst zurückfallen wird." Und nicht zuletzt hier einzureihen ist Jean Paul, der im vierzigsten Paragraphen seiner 'Vorschule der Ästhetik' den Hanswurst und mit ihm Diogenes rehabilitieren möchte, wobei er ihn sich so vorstellt: "Nämlich frei, uneigennützig, wild, zynisch - mit einem Worte, Diogenes von Sinope komme als Hanswurst zurück, und wir behalten ihn alle."12 Ein wichtiger Aspekt dieser Figur und ihrer Umwertung ist, daß sich darin Lächerlichkeit und mit ihr Individualität nicht nur privativ, als Abweichung geltend macht, sondern zugleich als kritische Gegenposition. Das ist im Binnenraum der höfischen Geselligkeit undenkbar, denn dort ist das Lächerliche eine der schärfsten Sanktionsmöglichkeiten gegenüber der Abweichung von geltenden sozial-kommunikativen Normen. Wer sich lächerlich macht, ist sozial 'tot'. "Le ridicule deshonore plus que le deshonneur," formuliert La Rochefoucauld in seinem Aphorismus Nr. 326.l3 "Sich lächerlich zu machen in den Augen der Gesellschaft und dadurch von ihr stigmatisiert, von ihr ausgestoßen zu werden, schien der Übel größtes."14 Die ausführlichste Darlegung des Komplexes sind die in den Jahren nach ihrem ersten Erscheinen 1696 mehrfach wiederaufgelegten und auch ins Deutsche übersetzten 'Reflexions sur le Ridicule et sur les moyens de l'evi-
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Cf. ibid. Promies, Der Bürger und der Narr 237.
Cf. ibid. Zit. n. ibid. Zit. n. der grundlegenden Studie von Fritz Schalk zum Thema "Das Lächerliche in der französischen Literatur des Ancien Regime," Studien zur französischen Aufklärung (Frankfurt a.M., 1977) 164-205, hier 172. Christian Friedrich Weiser, Shaftesbury und das deutsche Geistesleben (Leipzig; Berlin, 1916) 119. - Die philosophische Entsprechung zu dieser Position ist die - physiologisch unterfütterte - 'Überlegenheitstheorie' von Thomas Hobbes (De nomine 12, 7): "Allgemein ist das Lachen das plötzliche Gefühl der eigenen Überlegenheit angesichts der fremden Fehler." - Zur Komik der 'Herabsetzung' ausführlich Bernhard Greiner, Die Komödie. Eine theatralische Sendung: Grundlagen und Interpretationen (Tübingen, 1992) 91 ff., zu Hobbes ibid. 98.
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ter' des Abbe de Bellegarde.15 Der Sache nach handelt es sich eigentlich um nichts anderes als das, was höfisch orientierte Verhaltenslehren sonst auch bieten. Eine rudimentäre Anthropologie wird mitgeliefert: Die Menschen seynd zu der Gesellschafft gebohren; dahero ist unter allen Wissenschafften diese die nützlichste, welche lehret, wie man leben soll. Man muß wider die Auslachens=würdigkeit auf steter Hut seyn, um alles dasjenige zu vermeiden, was diejenigen Personen, mit welchen wir umgehen, abschrekken, und diejenige Vergnügung vermindern kan, welche sie in unserm Umgange empfinden.16 Dabei finden sich bei Bellegarde durchaus deutliche Abgrenzungstendenzen, wenn es etwa über die Imitation höfischer Umgangszeremonien heißt: Die Bürger, die Landleute, und die Schul=Füchse seynd große Reverentz=Macher. Sie überschütten die Welt mit ihren unaufhörlichen Complimenten und mit quälenden Höflichkeiten. Sie verursachen bey allen Thüren eine neue Verwirrung, und man muß eine Stunde lang streiten, wer hinten nach gehen solle."17 Eine eigentliche 'Theorie' des Lächerlichen findet sich in Morvan de Bellegardes Buch jedoch nicht. Diese Norm hat fast den Status eines Axioms höfischen Verhaltens, das seinerseits keiner Rechtfertigung mehr bedarf, sondern vielmehr als letzte Instanz fungiert.18 Für diejenigen, die am Umgang der feinen Gesellschaft partizipieren, ist ihre Geltung selbstverständlich. So sucht man in der höfischen Verhaltenslehre - soweit ich sehe - eine ausgearbeitete Theorie' des Lächerlichen vergebens. In diesem Rahmen wird auch keine 'Theorie' benötigt, sondern allenfalls eine Thänomenologie' des Lächerlichen,
Ich benutze die zehnte Auflage (Amsterdam, 1712), REFLEXIONS SUR LE RIDICULE, ET SUR LES MOYENS DE L'EVITER. OU SONT REPRESENTEZ les different Caracteres & les Moeurs des Personnes de ce Siede. Par M. l'Abbo DE BELLEGARDE. Dixieme [!] Edition corrig6e & augmentee. A AMSTERDAM, Chez HENRI SCHELTE. Et se vend A LIEGE, chez J.F. BRONCART, Marchand-Libraire, en Souverain-Pont. M. DCCXII. - Die mir vorliegende deutsche Ausgabe: Des Herrn Abts von Bellegarde Betrachtungen über die Auslachens=würdigkeit und über die Mittel, selbige zu vermeiden, Darinnen die unterschiedlichen Gemüths-Beschaffenheiten und Sitten derer Personen dieser Zeit vorbestellet werden. Nach der siebenden Frantzösischen Edition in die Deutsche Sprache übersetzet, und mit einigen Anmerckungen vermehret, Durch den Verfasser der Europäischen FAMA (Leipzig, 1708). - Weiser, Shaftesbury und das deutsche Geistesleben 119, Anm. 2, nennt daneben sechs in dichter Folge erschienene englische Ausgaben. Morvan de Bellegarde, Betrachtungen über die Auslachens=würdigkeit l f. Ibid. 553. Fritz Schalk, Das Lächerliche in der französischen Literatur des Anden Regime, etwa 177f., liefert eine Fülle von Belegen für die Vermeidung des Lächerlichen als Generalmaxime.
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die ihrerseits vom Gegenstandsbereich her deckungsgleich ist mit dem Grundbestand der höfischen Verhaltens lehre überhaupt.19 Damit gehört die Kategorie des 'Lächerlichen' in den Normbereich dessen, was in der höfischen Gesellschaft weder justiziabel (durch Gesetze geregelt) noch moralisch sanktioniert ist, in einen Zwischenbereich oberhalb theologisch regulierter Moral und unterhalb gesetzlicher Normen: in den Bereich der Gesellschaftsethik also - in den Bereich dessen, was sich ziemt oder nicht ziemt, mithin in den Nonnbereich des 'decorum,' das in seiner Spätphase um die Wende zum 18. Jahrhundert auch 'ius decorum' genannt wird.20 Charakteristisch für diese Normen der 'bienseance'21 ist, daß in ihnen Ethik und Ästhetik zusammengehen, ja gleichursprünglich ansetzen: Wer sich durch unziemliches Verhalten, durch unziemliche Selbstpräsentation lächerlich macht, ruft Entrüstung und Mißfallen zugleich hervor. Deshalb muß, wer die Lächerlichkeit meiden will, über das Gespür für den guten Geschmack verfügen, wie etwa La Bruyere feststellt.22 Zusammen mit der Geschmackskategorie besiedelt das 'ridicule' also einen ethisch-ästhetischen Zwischenbereich, der auf die Normen einer höfischen Gesellschaftsformation bezogen bleibt. Von hier aus gesehen ist Shaftesburys platonisierend-neuplatonisches Ideal der Koinzidenz von Schönheit und Tugend durchaus kompatibel mit der höfischen Sozial-Ethik und -Ästhetik. Sein im 18. Jahrhundert vieldiskutiertes Konzept vom 'Test of Ridicule' ist in dieser Landschaft anzusiedeln. Retrospektiv gesehen wächst es aus dem höfischen Normensystem heraus, geht dann aber entschieden darüber hinaus - und dieser Umstand ist es, der ihn für die Rezeption auch im 'bürgerlichen' Kontext des 18. Jahrhunderts prädestiniert. Nach Shaftesburys Konzeption ist das von wahrem Wert, was dem Gelächter standhält.23 So heißt es gleich zu Beginn im "Sensus communis;"
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Zu beachten ist allerdings, daß für die höfische Konversation lautes Lachen - und sei es über Lächerliches - keineswegs opportun ist. So könnte sich, wer laut über Lächerliches lacht, selbst lächerlich machen. - Zur Sanktionierung des lauten Lachens cf. Dieter A. Berger, Die Konversationskunst in England 1660-1740: Ein Sprechphänomen und seine literarische Gestaltung (München, 1978) 53 und lOlf., zu Morvan de Bellegarde, ibid. 86, zu den 'Reflexions sur le ridicule' vor allem Christoph Strosetzki, Konversation: Ein Kapitel gesellschaftlicher und literarischer Pragmatik im Frankreich des 17. Jahrhunderts, Studia Romanica et Linguistica 7 (Frankfurt a.M., 1978) 115-17. Cf. hierzu knapp Georg Braungart, Hofberedsamkeit: Studien zur Praxis höfisch-politischer Rede im deutschen Territorialabsolutismus, Studien zur deutschen Literatur 96 (Tübingen, 1988) 27f. Cf. Strosetzki, Konversation 116. Ibid. 115. Wichtige Stellen sind u.a. A Letter concerning Enthusiasm, Sect. 2, und die ersten Abschnitte in Sensus Communis: An Essay on the Freedom of Wit and Humour, sowie ibid. Part 2, Sect. 1; Part 4, Sect. 1. - Zum Gesamtkomplex immer noch lesenswert: Weiser, "Der 'Spott' als Wahrheitsprobe: Die Shaftesburysche Ironie," Shaftesbury und das deutsche Geistesleben 117-53. S. daneben auch die Hinweise bei Markus Fauser,
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Denn das, was nur in einem gewissen Lichte gezeigt werden kann, ist zweifelhaft. Die Wahrheit, wie jeder eingesteht, kann sich aus jedem Gesichtspunkte betrachten lassen; und einer von den Hauptgesichtspunkten oder natürlichen Mitteln, vermittelst welcher man die Dinge ansehn muß, um sich eine vollständige Kenntnis derselben zu erwerben, ist die Spötterei selbst oder die Art von Probe, wodurch man entdeckt, was an irgendeinem Gegenstand gerechten Spott verdient.24 Die eine Stoßrichtung des Gedankens ist also durchaus kritisch, und die deutsche Rezeption, die Shaftesbury teilweise zum Erzspötter in Religionssachen machte, hat sich stark auf diesen Aspekt konzentriert.25 Dabei ist die Probe von Shaftesbury als Kriterium gedacht, das Kontingentes, der Mode und dem historischen Wandel Unterworfenes, aber auch von Anmaßung Geprägtes scheiden soll von jenen Gedanken und Überzeugungen, die der überzeitlichen Idee des Wahren und Guten und Schönen entsprechen oder nahekommen. "Denn nichts ist lächerlich als das Ungestalte; nichts ist probefest gegen den Scherz als das Schöne und das Wahre."26 Niklas Luhman faßt diese Position so zusammen: "Über Lächerlichkeit läßt sich das herauspräparieren, was ihr widersteht: die wahre Vernunft und die Natur," wobei er jedoch der fundamentalen Umorientierung, welche im 'ridicule' als 'manner of proof liegt, nicht gerecht wird, wenn er davon spricht, daß Shaftesbury das Verlachprinzip Bellegardes schlicht "aktiviert und methodisiert" habe.27 Denn damit ist nicht nur ein Wechsel der Perspektive voll-
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Das Gespräch im 18. Jahrhundert: Rhetorik und Geselligkeit in Deutschland, M & P Schriftenreihe (Stuttgart, 1991) 387f. Anthony Earl of Shaftesbury, Der gesellige Enthusiast. Philosophische Essays, ed. KarlHeinz Schwabe (München, 1990) 324; benutzte engl. Ausgabe: Characteristics of Men, Manners, Opinions, Times, etc., ed., with an Introduction and Notes, by John M. Robertson, 2 vols. (Gloucester, Mass., 1963) 1: 44: "For that which can be shown only in a certain light is questionable. Truth, 'tis supposed, may bear all lights; and one of those principal lights, or natural mediums, by which things are to be viewed, in order to a thorough recognition, ist ridicule itself, or that manner of proof by which we discern whatever is liable to just raillery in any subject." Cf. hierzu wieder Weiser, Shaftesbury und das deutsche Geistesleben 147ff., bes. 149. Einen guten Eindruck von der Diskussion unter den Zeitgenossen ermöglichten die Ausführungen bei Carl Friedrich Flögel, Geschichte der komischen Litteratur, 4 Bde. in 2 (1784; Hildesheim, New York, 1976) l, 104ff.: "Ob das Lächerliche der Probierstein der Wahrheit sey?" Shaftesbury, Der gesellige Enthusiast 367 (Sensus Communis, part 4, sect. 1), ed. Robertson, 1: 85: "There is a great difference between seeking how to raise a laugh from everything, and seeking in everything what justly may be laughed at. For nothing is ridiculous except what is deformet; nor is anything proof against raillery except what is handsome und just." Niklas Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik: Studien zur Wissensoziologie der modernen Gesellschaft. Bd. 3 (Frankfurt a.M., 1989) 191; cf. auch ibid. 405: "In einer Entschiedenheit wie nie zuvor wird nun noch einmal Lächerlichkeit als der Sanktionsmodus im Verkehr unter Menschen hervorgehoben, so als ob soziale Ordnung durch Bemühen um Vermeidung des Lächerlichseins garantiert werden könne. [...] Auch kommt
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zogen: Die feine Gesellschaft hatte durch das Verdikt der Lächerlichkeit ausgeschlossen, was ihren wandelbaren Geschmacks- und Verhaltensnormen nicht entsprach; und nun wird die wahre Tugend, die Wahrheit selbst dem Lachen entgegengeschickt, und sie wird sich behaupten. Darüber hinaus - und das ist entscheidend - ist in Shaftesburys Testprinzip - gut platonisch - letztlich eine gänzliche Enthistorisierung der Begriffe von Ethik und Ästhetik impliziert: das wirklich Gute und Schöne hält jedem Lachen stand; aber es ist nicht aus diesem Grunde das wirklich Gute und Schöne. In der Konsequenz ist hier das Prinzip sozialethischer, durch das decorum, die bienseance fundierter Verhaltensnormierung verabschiedet und umgekehrt ein Spielraum eröffnet für das Subjekt, das - wie Diogenes - den Vorwurf der 'Singularität' nicht scheut und im Zweifelsfall auch den weisen Narren spielt. Bei der Umwertung - oder auch Usurpation - des höfischen 'ridicule' konnte auch die zugehörige Argumentation in ihrem Grundbestand erhalten bleiben. Das wird etwa an Fieldings Vorrede zu den 'Adventures of Joseph Andrews' deutlich, der dem Abbe de Bellegarde vorwirft, er habe keine positive Bestimmung des Lächerlichen gegeben. Fielding definiert: "The only source of the true Ridiculous (as it appears to me) is affectation."28 Das ist aus der Perspektive des Höflings, der den anmaßenden (womöglich gar nichtadligen) Konkurrenten verlacht, ebenso einleuchtend wie aus der Perspektive des aufgeklärten Bürgers, der die zeremoniösen, 'unnatürlichen' Umgangsformen der höfischen, aber auch der sie imitierenden bürgerlichen Gesellschaft kritisiert. Bei diesem Frontwechsel in ridiculis sind verschiedene Konstellationen denkbar. Zum einen gibt es natürlich die satirische Verarbeitung höfischzeremoniellen Lebens in den verschiedensten Formen; allerdings werden hier meist kleinere Höfe oder der als heruntergekommen dargestellte Landadel aufs Köm genommen, wie etwa in dem Erfolgsroman 'Siegfried von Lindenberg' von Johann Gottwerth Müller von Itzehoe, der 1779 erschien und dann in mehreren erweiterten Ausgaben neu aufgelegt wurde. Häufiger findet sich jedoch in Deutschland das ernste hofkritische Modell vom 'redlichen Mann am Hofe', der in die Fänge der Intriganten und Schmeichler gerät und doch dabei immer seine Tugend bewahrt.29 Dabei wird im deutschen Kontext eine
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die Idee eines Testverfahrens hinzu: Man probiert es mit Auslachen; aber wenn man sich selbst damit lächerlich macht, zeigt dies, daß man nicht auf Seiten der Vernunft bzw. des Publikums operiert hat." The Works of Henry Fielding, ed. James P. Browne, vol. V. (London, 1903) 5: 15. Mustertext dieses Modells in Deutschland ist Johann Michael von Loens Roman Der Redliche Mann am Hofe; oder die Begebenheiten Des Graf ens von Rivera von 1740; cf. dazu Helmuth Kiesel, 'Bei Hof, bei Hall': Untersuchungen zur literarischen Hofkritik von Sebastian Brant bis Friedrich Schiller, Studien zur deutschen Literatur 60 (Tübingen,
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schroffe Konfrontation eher vermieden, handelt es sich doch bei dem Helden in Johann Michael von Loens Roman, der 'bürgerlichen' Werten zum Sieg an einem korrupten Hof verhilft, um einen Grafen; und der Verfasser des Romans ist selbst von Adel. Ähnlich kompromißlerisch, aber in der Einschätzung von Aufstiegsmöglichkeiten am Hofe wohl auch realistisch, ist das Beispiel, das sich im Dezember 1727 in Gottscheds moralischer Wochenschrift 'Der Biedermann' findet.30 Dort schreibt mit 'Wahrmund Treulieb von Aufrichtig' aus 'Altredlichshausen' ein Mann aus uraltem, aber verarmtem Adel an den Herausgeber. Er schildert ihm seine Lebensumstände und die seines Vaters, die sich vor allem durch ungerechte Behandlung an moralisch verkommenen Höfen auszeichnen, wobei selbstverständlich am Ende das Gute doch siegt. Der Vater des Briefschreibers, der "an einem kleinen Hofe die Stelle eines Cantzlers und Geheimten [!] Raths verwaltet" und die "Redlichkeit über alles" liebt, wird, da er seinem Herrn immer nur die Wahrheit sagen und ihm "zu seines Landes Besten" raten kann, durch die Intrigen von "Schmeichlern und Ohrenbläsern" zu Fall gebracht. Dabei spielt das Lächerlich-Werden eine wichtige Rolle. Sein Anbringen und seine Anschläge wurden dem Fürsten nicht nur lächerlich gemacht, sondern auch als schädlich vorgebracht, und ehe sichs mein Vater versähe, bekam er nicht allein seinen Abschied, sondern man deutete ihm auch dabey an, daß er sich in etlichen Tagen aus dem Lande machen sollte.31 Der Sohn, der sich für einige Jahre auf Kavalierstour begibt, muß nach seiner Rückkehr erfahren, daß die Mutter verstorben und der Vater verschollen ist. Um sein Erbe wiederzubekommen, wendet er sich an einige Vornehme des Hofes, um ihnen seine "gerechte Sache vorzustellen." Er wird von ihnen gut aufgenommen und hat so Gelegenheit, das Hofleben genauer kennenzulernen. Doch seine Erfahrungen sind nicht anders als die seines Vaters. Und wieder spielt das 'ridicule' eine wichtige Rolle: Jnsonderheit lemete ich bey einem grossen Gastmahle einen kennen, den man den Herren von Chamaeleon nannte. Er wüste sich in alle Gemüther zu schikken, war auch sinnreich und geschwinde, immer neue Arten zu erfinden, sich gefällig zu machen. Er wüste die, so sich nicht behelfen konnten, artig und sehr sinnreich aufzuziehen. Einem gewissen vornehmen vom Hofe sagte er etwas ins Ohr, so ein Schertz war. Es betraff aber die Policey, welche ein alter, erfahrner, kluger Mann zu verbessern sich angelegen seyn Hesse. Der vornehme Mann
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1979) 199-207, bes. 203ff. Johann Christoph Gottsched, Der Biedermann, Faksimiledruck der Originalausgabe Leipzig 1727-1729 mit einem Nachwort und Erläuterungen, ed. Wolfgang Martens (Stuttgart, 1975) 1: 129-32. Ibid. 130.
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lächelte darüber, und die ganze Gesellschafft hüb auch an zu lachen; obgleich die meisten noch nicht einmahl wüsten, was er gesagt hatte.32 Hier ist für den Herrn von Aufrichtig natürlich des Bleibens nicht. Auch wenn ihm ein wohlmeinender Höfling ein Rezept übermittelt, "wie einer sich an Hofe einschmeicheln könnte,"33 zieht er doch - nach altem Muster ('beatus ille qui procul negotiis') - das Leben in der Zurückgezogenheit vor: Bis dahin habe ich bey mir beschlossen, die Einsamkeit zu suchen, und in meinen ohne dem armseeligen Stande lieber unter leblosen Creaturen, als unter Menschen zu wohnen. Jch lebe noch immer auf einem kleinen Land=Guthe, und habe daselbst bishero mehr Vergnügen und Ruhe genossen; als in allen güldenen Pallästen. Die Leute betrügen mich nicht mehr: denn ich gehe nicht mehr mit ihnen um. Jch habe ihrer auch nicht mehr nöthig. Jch geniesse einer stillen Ruhe und angenehmen Freyheit, welche recht anzuwenden, mich die Weißheit meiner Bücher lehret, in welchen ich täglich zu lesen pflege.34 Der redliche Mann macht sich, so kann man aus dieser Geschichte lernen, unter den Schmeichlern und Lüstlingen am Hofe notwendigerweise lächerlich, und damit ist sein Schicksal besiegelt. Und die Lächerlichkeit ist geradezu der Beweis seiner Aufrichtigkeit. Es wird also ein Normensystem durch ein anderes ersetzt: Aus der höfischen Perspektive sanktioniert die Norm des Lächerlichen ein Verhalten, das die Regeln des 'decorum' und der galanten Konversation verletzt. Der Betroffene gerät ins Abseits, in die 'Singularität'. - Aus 'bürgerlich'-aufklärerischer Perspektive manifestiert sich in diesem Lächerlich-Werden dagegen gerade die Erfüllung einer höheren Norm, das Hochhalten von Wahrheit und Tugend. Das Prinzip des 'ridicule' als Sanktionsmechanismus gibt es auch über den Bereich der Höflingsliteratur hinaus: konstitutiv in der Verlachkomödie der Frühaufklärung. Eine Person oder Personengruppe, die das aufklärerische Normensystem verletzt, wird dem Lachen preisgegeben; dadurch wird dieses Normensystem bekräftigt. Die Analogie zum Höfisch-Lächerlichen scheint deutlich. Eine weitere Entsprechung liegt in der Zwischenstellung, den die verletzten Normen in der Komödie einerseits und im höfischen Kontext andererseits haben: In beiden Fällen geht es nicht um Kapitalverbrechen oder manifeste Unmoral und natürlich auch nicht um Kleinigkeiten, sondern um etwas dazwischen. Gottscheds Komödientheorie verlangt, durch Aristoteles legitimiert, daß die in der Komödie zu behandelnde Verfehlung nicht "straf-
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Ibid. 131. Ibid. Ibid. 132.
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bar" oder "widerlich oder gar abscheulich" sein dürfe und auch nicht rein lächerlich im Sinne der "Harlekins-Possen der Italiener."35 Doch die Gattungsgesetze der Komödie stehen einer dem Höfischen völlig analogen Anwendung des Lächerlichkeitsprinzips entgegen, denn der von der Poetik verlangte integrative, harmonisierende Schluß nimmt der Sanktion einen Teil ihrer Schärfe. Und so ist es nicht verwunderlich, daß der Verlachkomödie in ihrer reinen Ausprägung nur ein recht kurzes literaturgeschichtliches Leben vergönnt war. An den Komödien des jungen Lessing, aber auch im rührenden Lustspiel zeigen sich Tendenzen der Überwindung, die möglicherweise ihren tieferen Grund genau darin haben, daß das Verlachprinzip auf eine höfisch-hierarchische Sozialstruktur mit exklusivem Charakter angewiesen ist, während die Aufklärung ihrem Selbstverständnis nach eher egalitär und integrativ erscheint. Letztlich ist im weiteren Verlauf der Entwicklung eine Psychologisierung und Verallgemeinerung der Lachtheorien zu verfolgen, die jetzt das Komische, nun nicht mehr mit rein negativem Vorzeichen, aus Objektiven' Kriterien wie Inkongruenz oder Disproportion - Lessing spricht von 'Ungereimtheit'36 - erläutern wollen, zugleich aber auch auf den Rezeptionsakt abstellen.37 Warum spielt das 'ridicule', so möchte ich abschließend fragen,38 als soziales Sanktionskriterium in der Version etwa des Abbe de Bellegarde, im bürgerlich-aufklärerischen Bereich nicht mehr die Rolle, die es im höfischen zweifellos hatte? Ist dieser Umstand möglicherweise mit dem Niedergang der 'repräsentativen Öffentlichkeit' in Verbindung zu bringen? Und mit der Ausdifferenzierung einer Sphäre von Privatheit, die für soziale Diskriminierung durch Lächerlichkeit immer einen Rückzugsraum bereithält, in dem soziale Stigmatisierung zumindest teilweise kompensiert werden kann? Oder
35 36 37
38
Johann Christoph Gottsched, Schriften zur Literatur, ed. Horst Steimetz (Stuttgart, 1972) 186. Cf. den umsichtigen Artikel über das "Lächerliche" von A. Hügli im Historischen Wörterbuch der Philosophie, 5 (1980) Sp. 1-8, hier Sp. 5. Recht umfassend informiert darüber der Artikel "Lächerlich" in Sulzers Allgemeiner Theorie der schönen Künste, hier nach 2. Aufl., Bd. 3 (1793; Hildesheim, 1967) 132- 2. - Cf. dazu auch die Ergänzungen in Friedrich von Blankenburg, Literarische Zusätze zu Johann George Sulzers allgemeiner Theorie der schönen Künste (1797; Frankfurt a.M., 1972) 219f.; schließlich die große "Erste Abhandlung. Vom Komischen oder Lächerlichen überhaupt" in Flögels Geschichte der komischen Litteratur, l: 3-245, die in folgende Bestimmung mündet: "Aus der bisherigen Abhandlung und den angeführten Beyspielen erhellt also, wie ich glaube, ganz klar, daß die Empfindung des Lächerlichen aus der schnellen Wahrnehmung einer ungewöhnlichen, unerwarteten und seltsamen Verbindung ungleichartiger Dinge oder Begriffe entsteht." (Ibid. 244f.). - Ein anregender Überblick über den etwas verquälten Umgang der Aufklärung mit dem Phänomen des Lachens findet sich bei Markus Fauser, Das Gespräch im 18. Jahrhundert 382-401. Im Anschluß an die Überlegungen von Dietrich Schwanitz, "Natürlichkeit und Lächerlichkeit. Probleme der Verhaltensstilisierung in der englischen Restaurationskomödie," Stil: Geschichten und Funktionen eines kulturwissenschaftlichen Diskurselements, ed. Hans Ulrich Gumbrecht und K. Ludwig Pfeiffer (Frankfurt a.M., 1986) 426-46, hier 440.
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Georg Braungart
ist die 'bürgerliche Öffentlichkeit' in diesem Punkt ganz anders organisiert, insofern sie auf die 'virtutes homileticae,' die Tugenden geselligen Umgangs zwar nicht verzichtet, aber aus ihnen auch nicht ihren inneren Zusammenhalt begründet, sondern aus dem Authentizitäts- und Tugendpostulat? Unter dieser Perspektive wäre die Schlüsselrolle der Empfindsamkeit besonders evident. Und noch einmal gefragt: Ist der rapide Niedergang der Verlachkomödie Reflex dieser Entwicklung? Der auf seine Ehre fixierte und sich dadurch fast unglücklich machende Major Teilheim in Lessings Komödie 'Minna von Barnhelm' ist viel eher eine latent tragische als eine verlachenswerte Figur. Die Umstehenden in Nietzsches Aphorismus über den 'tollen Menschen' lachen das Lachen der Herabsetzung, das stigmatisierende Lachen über Lächerliches. Sie reagieren nach dem Muster der elitären Ridikülisierung. Wenn aber Helmut Plessner recht hat mit seiner These, wir lachten, "weil wir mit etwas nicht fertig werden,"39 dann steckt mehr in diesem Lachen über den verzweifelt-zynischen Gottsucher. Kants Bestimmung vom Lachen als jenem Affekt, der entsteht, wenn wir "der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts"40 beiwohnen, erfährt in der Moderne eine metaphysische Aufladung, genauer: Das Lachen als Modus des Umgangs mit einer 'Verschwindenserfahrung'41 markiert - zumindest bei Nietzsche - die Verzweiflung über die Verschwindenserfahrung schlechthin im Zeitalter nach der Aufklärung. Verlachen und Verzweifeln fallen dann in eins.
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40 41
So Odo Marquards lapidare Zusammenfassung von Plessners Position, '"Das Lachen ist die kleine Theodizee': Odo Marquard im Gespräch mit Steifen Dietzsch," Luzifer lacht: Philosophische Betrachtungen von Nietzsche bis Tabori, ed. Steifen Dietzsch (Leipzig, 1993) 8-21, hier 12. Kritik der Urteilskraft § 54. Steffen Dietzsch, "Nachbemerkung," Luzifer lacht 234-37, hier 235.
LOTHAR FIETZ
"Versuche" einer Theorie des Lachens im 18. Jahrhundert: Addison, Hutcheson, Beattie
In den poetologischen Reflexionen des Aristoteles verquicken sich werk- und wirkungsästhetische Fragestellungen mit soziologischen, affektpsychologischen und moralistischen. In der englischen Aristoteles-Rezeption des 16. und 17. Jahrhunderts wird diese Komplexität reduziert auf vorwiegend moralistische Fragestellungen. Aus den spärlichen Bemerkungen des Aristoteles zur Komödie und zum Lächerlichen1 liest Ben Jonson folgendes heraus: [...] as Aristotle saies rightly, the moving of laughter is a fault in Comedie, a kind of turpitude, that depraves some part of a mans nature without a disease. As a wry face without paine moves laughter, or a deformed vizard, or a rude Clowne, drest in a Ladies habit, and using her actions, wee dislike, and scorne such representations; which made the ancient Philosophers ever thinke laughter unfitting in a wise man. And this induc'd Plato to esteeme of Homer, as a sacrilegious Person; because he presented the Gods sometimes laughing. As, also, it is divinely said of Aristotle, that to seeme ridiculous is a part of dishonesty, and foolish. So that, what either in the words, or Sense of an Author, or in the language, or Actions of men, is a wry, or depraved, doth strangely stirre meane affections, and provoke for the most part to laughter.2 In Sir Philip Sidneys Poetologie des "delightful teaching" und in der Funktionsbestimmung der Literatur als "moving to well-doing"3 zeigen sich vergleichbare Tendenzen, wenn es dort heißt:
Cf. Aristoteles, Poetik. Griechisch/Deutsch, übers., ed. Manfred Fuhrmann (Stuttgart, 1991) 17: "Die Komödie ist [...] Nachahmung von schlechteren Menschen, aber nicht im Hinblick auf jede Art von Schlechtigkeit, sondern nur insoweit, als das Lächerliche am Häßlichen teilhat. Das Lächerliche ist nämlich ein mit Häßlichkeit verbundener Fehler, der indes keinen Schmerz und kein Verderben verursacht, wie ja auch die lächerliche Maske häßlich und verzerrt ist, jedoch ohne den Ausdruck von Schmerz." Timber: or, Discoveries: Made vpon Men and Matter, Works, ed. C.J. Herford, P. and E. Simpson, vol. VIII (Oxford, 1947) 643f. Sir Philip Sidney, An Apology for Poetry or The Defense of Poesy, ed. Geoffrey Shepherd (1595; London, 1965) 103; 112.
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Comedy is an imitation of the common errors of our life, which, he [= writer of comedies] represented in the most ridiculous and scornful sort that may be, so as it is impossible that any beholder can be content with such a one. [...] But our comedians think there is no delight without laughter; which is very wrong, for though laughter may come with delight, yet comes it not of delight, as though delight should be the cause of laughter; but well may one thing breed both together. Nay, rather in themselves they have, as it were, a kind of contrariety: for delight we scarcely do but in things that have a conveniency to ourselves or to the general nature; laughter almost ever cometh of things most disproportioned to ourselves and nature. Delight has a joy in it, either permanent or present. Laughter has only a scornful tickling. [...] We laugh at deformed creatures, wherein certainly we cannot delight. We delight in good chances, we laugh at mischances. [...] I speak to this purpose, that all the end of the comical part be not upon such scornful matters as stir laughter only, but, mix with it, that delightful teaching which is the end of Poesy. And the great fault even in that point of laughter, and forbidden plainly by Aristotle, is that they stir laughter in sinful things, which are rather execrable than ridiculous; or in miserable, which are rather to be pitied than scorned.4 Aristoteles wird von Sidney wie von Ben Jonson für Vorschriften und Urteile in Anspruch genommen, die sich bei ihm entweder nicht oder nicht in dieser moralistischen Einseitigkeit finden. Aristoteles war in erster Linie an den Gegenständen interessiert, die zum Lachen stimulieren. Zwei Vorstellungen durchdringen sich in seiner Bestimmung des Lächerlichen: Auf der einen Seite bestimmt er das Lächerliche als einen "Fehler, der indes keinen Schmerz und kein Verderben verursacht," auf der anderen als Verzerrung "ohne den Ausdruck von Schmerz." Fehler wie Verzerrung haben eines darin gemeinsam, daß sie Abweichungen von moralischen oder ästhetischen Normvorstellungen darstellen, die jedoch, um lächerlich zu wirken, die Bedingung der Schmerzund Leidlosigkeit erfüllen müssen. Im Unterschied zu seinen Auslegern in der englischen Renaissance, die einmal unter dem Eindruck stoisch-christlicher Vorstellungen stehen, daß das Lachen ein unziemlicher Affekt sei, den es zu unterdrücken gilt, und die sich gleichzeitig mit der puritanischen Kunstfeindlichkeit im allgemeinen und dem aus derselben Richtung kommenden Vorbehalt gegen die Komödie als Verherrlichung von Lastern im besonderen auseinanderzusetzen haben, spricht Aristoteles weder ein Lachverbot aus, noch differenziert er zwischen sittlich legitimem Verlachen und Lachen, so wenig wie er die moralistische Funktion von Kunst verabsolutiert. Als Thomas Hobbes um die Mitte des 17. Jahrhunderts das Problem des Lachens im Rahmen seiner Anthropologie wieder aufnahm, die er in den Schriften Human Nature (1650) und Leviathan (1651) entwickelte, gab er der Diskussion dadurch eine neue Wendung, daß er das Phänomen des Lachens
Ibid. 117; 136f.
"Versuche" einer Theorie des Lachens im 18. Jahrhundert
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im Zusammenhang seiner Lehre der Leidenschaften behandelte, ein Ansatz, der sich über Addison bis hin zu Montesquieu bis weit ins 18. Jahrhundert hinein als produktiv erweisen sollte. Der Leidenschaftskatalog von Thomas Hobbes basiert in seinen Grundzügen - wenn auch anders gegliedert - auf der Leidenschaftslehre des Thomas von Aquin. Im Rahmen der Opposition von delectatio und trisüüa ordnet Hobbes über verschiedene Vermittlungsschritte das Lachen dem Affekt der Freude zu. Diese kann nach Hobbes eine doppelte Ursache haben: Sie kann einmal der Bewunderung für jemand anderen, aber auch dem Stolz auf die eigene Kraft und Fähigkeit entspringen: Joy, arising from imagination of a mans own power and ability, is that exultation of the mind which is called GLORYING: which if grounded upon the experience of his own former actions, is the same with Confidence', but if grounded on the flattery of others; or onely supposed by himself, for delight in the consequences of it, is called V -GLORY: which name is properly given; because a well grounded Confidence begetteth Attempt; whereas the supposing of power does not, and is therefore rightly called Vaine. [...] Sudden Glory, is the passion which maketh those Grimaces called LAUGHTER; and is caused either by some sudden act of their own, that pleaseth them; or by the apprehension of some deformed thing in another, by comparison whereof they suddenly applaud themselves.5 Wenn nach Hobbes echter Stolz identisch ist mit gesundem Selbstvertrauen und diese sich in Freude und Hochstimmung manifestieren, dann unterscheidet er davon den falschen und eitlen Stolz, der sich statt im Selbstvertrauen in der Selbstgefälligkeit als Laster der "vain-glory" manifestiert. Dies ist die Argumentationsbrücke, die hinüberführt zur Bestimmung des Lachens als einer Grimasse, die einem jähen, und das heißt, unbedachten Gefühl des Stolzes entspringt und Zeichen eines selbstgefälligen Beifalls für sich selber ist. "Sudden Glory" berührt sich in den negativen Wertimplikationen sehr viel mehr mit "vain-glory" als mit der Vorstellung eines legitimen Gefühls des Stolzes auf die eigenen Fähigkeiten. Lachen ist also demnach Ausdruck einer plötzlichen, unreflektierten Selbstüberheblichkeit: [...] the passion of laughter is nothing else but sudden glory arising from some sudden conception of some eminency in ourselves, by comparison with the infirmity of others, or with our own formerly: for men laugh at the follies of themselves past, when they come suddenly to remembrance, except they bring with them any present dishonour.6
Thomas Hobbes, Leviathan, ed. C.B. Macpherson (Harmondsworth, 1977) 124f. Thomas Hobbes, Human Nature, The English Works of Thomas Hobbes, ed. Sir William Molesworth, vol. IV (London, 1840) 46.
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Joseph Addison hat die anthropologischen Gedankengänge von Hobbes im Spectator vom 24. April 1711 wieder aufgenommen und sie um Überlegungen erweitert, die grundsätzlich soziologischer Natur sind: Hobbes' "Infirmity of others" wird bei Addison zu einem Statusproblem im Rahmen hierarchischer Gesellschaftssysteme, die sich in der Hofordnung der Herrscherhäuser widerspiegeln, an denen - wie Addison sagt - "zahme Narren"7 zur Unterhaltung gehalten werden. Er sieht - zu Recht oder Unrecht sei dahingestellt - in den Clown-Figuren der Jahrmärkte und Zirkusse Parallelerscheinungen auf einer tieferen sozialen Ebene: [...] those circumforaneous Wits [... who] make their Audiences laugh, always appear in a Fool's Coat, and commit such Blunders and Mistakes in every step they take, and every Word they utter, as those who listen to them would be ashamed of.8 Der Mensch schafft sich im extraliterarischen Raum Einrichtungen und Gelegenheiten, seine Superioritätsbediirfnisse im Rahmen einer auf Statusgefällen beruhenden Gesellschaftsordnung unterhaltsam, und das heißt, auf eine für die Gesellschaftsordnung unschädliche Art und Weise, zu befriedigen. Am reinsten sieht er dieses Bedürfnis durch den am l. April gepflegten Brauch befriedigt, andere in den "April zu schicken," oder - wie es im Englischen heißt sie zu "April Fools"9 zu machen: Thus we see, in proportion as one Man is more refined than another, he chuses his Fool out of a lower or higher Class of Mankind; or, to speak in a more Philosophical Language, That secret Elation and Pride of Heart which is generally called Laughter, arises in him from his comparing himself with an Object below him, whether it so happens that it be a Natural or an Artificial Fool. It is indeed very possible, that the Persons we laugh at may in the main of their Characters be much wiser Men than our selves; but if they would have us laugh at them, they must fall short of us in those Respects which stir up this Passion.10 Addison verfolgt die sich aus Hobbes' anthropologischer Grundannahme ergebenden soziologischen Aspekte nicht weiter. Stattdessen entwirft er unterschwellig geplagt von dem Gedanken, daß das Lachen auf Kosten von anderen, die vermeintlich oder tatsächlich von niedrigerem Status sind, etwas Unerlaubtes sei - eine Theorie des Komischen, von dem er zwei Varianten unterscheidet, die falsche Komik ("FALSE HUMOUR") und die wahre Komik ("HUMOUR"). Im Zuge dieser Überlegungen setzt er dem negativ besetzten
7 8 9 10
Cf. Spectator No. 47, April 24 (1711; London, 1907; 1950): 142. Ibid. 143. Ibid. Ibid. 144.
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Begriff des Lachens den der Heiterkeit ("MIRTH") entgegen, die der wahren Komik zuzuordnen ist. Er skizziert diese Theorie des Komischen in Form einer allegorischen Genealogie: Die falsche Komik ist im Stammbaum das Kind, das aus der Verbindung von rasendem Irrsinn und Lachen hervorging, die selber wieder Kinder des Unsinns bzw. der Torheit sind, wobei der Unsinn von Trug und Falschheit abstammt. Die Ahnmutter der wahren Komik ist dagegen die Wahrheit, welche den gesunden Menschenverstand ("GOOD SENSE") hervorbrachte, als dessen Kinder Witz ("WIT") und Heiterkeit ("MIRTH") erscheinen, welche die personifizierten Eltern wahrer Komik und wahren Humors ("HUMOUR") sind. Addison faßt die Allegorie von der "falschen Komik" folgendermaßen zusammen: [...] FALSE HUMOUR differs from the TRUE, as a Monkey does from a Man. First of all, He is exceedingly given to little Apish Tricks and Buffooneries. Secondly, He so much delights in Mimickry, that it is all one to him whether he exposes by it Vice and Folly, Luxury, and Avarice; or, on the contrary, Virtue and Wisdom, Pain and Poverty. Thirdly, He is wonderfully unlucky, insomuch that he will bite the Hand that feeds him, and endeavour to ridicule both Friends and Foes indifferently. For having but small Talents, he must be merry where he can, not where he should. Fourthly, Being entirely void of Reason, he pursues no Point either of Morality or Instruction, but is Ludicrous only for the sake of being so. Fifthly, Being incapable of having any thing but Mock-Representations, his Ridicule is always Personal, and aimed at the Vicious Man, or the Writer; not at the Vice, or at the Writing." Reflexe des Hobbesschen Ansatzes, das Phänomen des Lachens als Ausdruck der Superbia und Vana Gloria im Begriffsfeld von Stolz, Eitelkeit und Überheblichkeit zu diskutieren, zeigen sich auch auf der französischen Seite bei Montesquieu, der in einem Streitgespräch die Thesen von Destouches und Fontenelle zu widerlegen versucht, daß das Lachen Ausdruck von Freude bzw. von Torheit sei, und der dabei - ähnlich wie Hobbes - Stolz und Eigenliebe als Ursache des Lachens ins Spiel bringt.12 Hobbes' "vain-glory" ist im mittelalterlichen Lasterkatalog identisch mit "superbia," die über die Vorstellung der Selbstbezogenheit und Eitelkeit vermittelbar ist mit einem Schlüsselbegriff der französischen Moralisten La Rochefoucault und Vauvenargues: Deren Kritik der menschlichen Natur kreist um den Zentralbegriff der "amour-propre," welche nach dem moralistischen Argument die Quelle von Selbstüberhebung und Verachtung des anderen ist. In Übereinstimmung sowohl mit Hob-
" Cf. Spectator No. 35, April 10 (1711; London 1907; 1950): 106f. 12 Das oben erwähnte Streitgespräch erschien in englischer Übersetzung unter dem Titel An Essay on Laughter, wherein are displayed its Natural and Moral Causes, with the Arts of Exciting It: Quid Rides? (London, 1769).
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bes als auch mit Vauvenargues erklärt Montesquieu die Ausgangsbasis seiner Argumentation folgendermaßen: [...] by [self-love] I do not mean here the love of ourselves; that personal interest which all creatures feel for their own preservation; by no means. I mean only, that presumptuous and over-weening sentiment in our own behalf from a proud comparison made to the disadvantage of others, and in fine what every body understands by these two words, vanity and prided Montesquieu stützt seinen "Versuch," einen kausalen Bezug zwischen Eigenliebe, Eitelkeit und Stolz auf der einen Seite und dem Lachen auf der anderen Seite herzustellen, mit legendären, historischen und literarischen Belegen. So ist für ihn die Quelle des "perpetual Laughter of Democritus" dessen exzessiver Stolz.14 Und so zieht er nach der Ausbreitung seiner Belege die an Hobbes erinnernde Schlußfolgerung: There now visibly results from the observations hitherto made, that this so necessarily inherent quality in all objects for the exciting of Laughter, springs from an apparent inferiority to ourselves in the object we laugh at; so that on their being presented to us, we can hardly keep under the involuntary sentiment arising from a vain and presumptuous comparison, made in our own behalf.15 Wenn Montesquieu zunächst von der zur Eigenliebe neigenden menschlichen Natur und damit von den anthropologischen Bedingungen des Lachens in jener her argumentiert, dann bezieht er in dem letzten Zitat die extrasubjektive Wirklichkeit als einen objektiven Stimulus für das Lachen in sein Argument mit ein und faßt so das Lachen als ein Phänomen der Interaktion zwischen einem sich überlegen begreifenden Subjekt und einer als inferior wahrgenommenen extrasubjektiven Wirklichkeit. Trotz dieser Ausweitung der Problematik auf den extrasubjektiven Bereich der Stimuli für das Lachen im Sinne objektiver Ridicula kehrt er immer wieder zu der anthropologischen Argumentation zurück, daß das Lachen seinen eigentlichen Grund in der anmaßend stolzen und eitlen menschlichen Natur habe: Be it then received as a constant principle, that Laughter flows from presumption, pride, or vanity, as its true and only source.16
13
Ibid. 85. - Mit der Unterscheidung von "self-love" und "love of ourselves" rekurriert Montesquieu hier auf eine Unterscheidung, die Vauvenargues im 24. Kapitel der Introduction a la connaissance de l'esprit humain (1746) zwischen "amour-propre" und "amour de nous-memes" getroffen hat. Im Unterschied zu Hobbes ist allerdings bei Vauvenargues das Problem der Eigenliebe weder mit der Eitelkeit noch mit dem Lachen in Beziehung gesetzt.
14
Ibid. 82.
15
Ibid. 98. Ibid. 105.
16
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Im Menschenbild von Thomas Hobbes und der daraus ableitbaren Soziallehre wie in seiner Theorie des Lachens schwingt die Vorstellung vom gefallenen Menschen nach, der in seiner Gottesferne selbstbezogen, eitel, stolz und überheblich ist. Die Vorstellung vom Lachen als einem selbstgefälligen und überheblichen Verlachen ist so eine Ableitung sekundärer oder gar tertiärer Art aus der Grundvorstellung von der Gefallenheit des Menschen. Ein Paradigmenwechsel ist logischerweise erst dann zu erwarten, wenn sich Verschiebungen im Menschenbild ergeben, wie sie sich etwa in der Philosophie Shaftesburys abzeichnen, der den Menschen mit "good nature" und einem angeborenen "moral sense" begabt sah, und der mit solchen Grundannahmen das Gegenbild zum orthodoxen christlichen Bild vom Menschen als einer gefallenen Kreatur konturierte, das im aufgeklärten Sentimentalismus des 18. Jahrhunderts ausgerundet wurde zum Bild des im Grunde seiner Natur guten und gutwilligen Menschen, der aufgrund seiner Kräfte der Imagination und Sympathie anderen Menschen als Mitmenschen begegnen kann. Diese in ihren sozialen Dimensionen um die Vorstellungen von Mitgefühl, Mitleid, Altruismus und Liebe kreisende Philosophie bedarf in diesem Zusammenhang nur da der weiteren Erläuterung, wo sie das Phänomen des Lachens in den Kontext des neuen Menschenbildes stellt. Dies geschieht zum erstenmal in Francis Hutchesons Thoughts on Laughter, die 1725 im Dublin Journal unter dem Pseudonym "Philomeides" erschienen. Hutcheson setzt sich explizit mit den Grundannahmen des Hobbesschen Menschenbildes auseinander und bedauert, daß jener unglücklicherweise has over-look'd every thing which is generous or kind in mankind; and represents men in that light in which a thorow knave or coward beholds them, suspecting all friendship, love, or social affection, of hypocrisy, or selfish design or fear.17
So beginnt Hutchesons Abhandlung über das Lachen mit der Auseinandersetzung mit einem Menschenbild, aus dem die "notions of natural affections, and kind instincts, the sensus communis, the decorum, and honestum, are almost banish'd."18 Wenn man die Prämissen des Hobbesschen Menschenbildes akzeptiert, dann ist es nur logisch, daß daraus nur das Lachen als Verlachen ableitbar ist; wenn man aber - wie Hutcheson es tut - von einer im Grunde guten menschlichen Natur und der angeborenen Fähigkeit zum Wohlwollen ausgeht, dann ergeben sich daraus andere Schlußfolgerungen, verschiedene Arten des Lachens betreffend: So differenziert Hutcheson zwischen "laughter and ridicule," zwischen Lachen und Verlachen, wobei er den Gegenbegriff
17
18
Francis Hutcheson, Thoughts on Laughter and Observations on 'The Fable of the Bees' in Six Letters (Glasgow, 1758; Bristol, 1988) 3f. Ibid. 4.
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zum Verlachen zunächst einmal negativ von diesem abgrenzt, wenn er sagt, daß dabei weder jemand verlacht werde, noch daß der Lachende sich mit etwas oder jemandem vergleiche; was soviel heißt, wie daß diese Art des Lachens zunächst einmal nicht moralisch aus einer Überheblichkeitshaltung heraus zu verstehen ist, sondern vielmehr dem Gefühl der Belustigung entspringt. Hutcheson sucht - wie es aufgrund seiner anthropologischen Prämissen zu erwarten wäre - die Stimuli dieser Art des Lachens zunächst einmal nicht im Raum der zwischenmenschlichen Beziehungen, sondern findet sie vielmehr inder komischen und lachenerregenden Kunst, und da vor allem im Bereich von "parody, and burlesque allusion."19 Damit verlagert er das Problem von der Ebene der Moral und Moralistik auf die der Wirkungsästhetik und literarischen Kommunikation: Parodie und burleske Anspielung sind nicht als zwischenmenschlich-moralische, sondern vielmehr als intertextuell-ästhetische Phänomene zu verstehen. Hutcheson wählt zur Demonstration dieses Sachverhaltes eine Stelle aus Samuel Butlers Hudibras (1663-68), in dem die burleske Anspielung zur Grundtechnik des Lachenerregens gehört. Die Göttin Pallas rettet den tapferen Talgol, dem eine Pistole an die Schläfe gehalten wird, folgendermaßen vor dem Tode: But Pallas came in shape of rust, And 'twixt the spring and hammer thrust Her Gorgon shield, which made the cock Stand stiff, as 'twere transform'd to stock.20 Doch dieses Verfahren der burlesken Anspielung und das durch den sogenannten "schein-heroischen" Stil erzeugte Lachen aus Belustigung geht weder auf Kosten Homers noch Butlers und würde - so argumentiert Hutcheson - nicht erregt werden, wenn Butler ohne das Verfahren des schein-heroischen Stils nur mitgeteilt hätte, daß der Ritter Talgol zu erschießen versuchte, aber daß seine Pistole so rostig war, daß sie nicht losging. Damit ist - wenn auch in einer sehr partikulären Form - das Problem des Lachens in den Kontext ästhetischer Kategorien gerückt: Unter dem Aspekt der lachenerregenden Stimuli betrachtet, bedeutet dies, daß in dem durch Hutcheson neueröffneten Argumentationszusammenhang neben das Ridiculum, das immer moralische Implikationen hat, die konkurrierende Kategorie des Ludicrum tritt, das ein belustigtes Lachen ohne moralische Kritik und Stellungnahme auslösen kann. Hutcheson charakterisiert daraufhin das durch ein Ludicrum stimulierte Lachen unter therapeutischem Aspekt als entspannendes Lachen, wenn es heißt:
19 20
Ibid. 5f. Ibid. 6.
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Every one is conscious that a state of laughter is an easy and agreeable state, that the recurring or suggestion of ludicrous images tends to dispel fretfulness, anxiety, or sorrow, and to reduce the mind to an easy, happy state; as on the other hand, an easy and happy state is that in which we are most lively and acute in perceiving the ludicrous in objects: any thing that gives us pleasure, puts us also in a fitness for laughter.21 Erst nach den Überlegungen zum Phänomen des Lachens im Kontext der Ästhetik kommt Hutcheson dann - wie nebenbei - auf die anthropologischen und zwischenmenschlichen Prämissen seines Menschenbildes zu sprechen, wenn er erklärt: We are disposed by laughter to a good opinion of the person who raises it, if neither ourselves nor our friends are made the butt. Laughter is none of the smallest bonds of common friendships, tho' it be of less consequence in great heroic friendships.22 Wichtiger als diese Nebenbeibemerkungen zur Funktion des Lachens im zwischenmenschlichen Bereich sind Hutchesons Beobachtungen, welche die geschichtliche Relativität von Ridicula und Ludicra betreffen. Er ist sich der Tatsache bewußt, daß das Lächerliche und das Lachenerregende historischen und kulturellen Definitionen im Sinne von Beschränkungen unterliegt: And hence we may see, that what is counted ridiculous in one age or nation, may not be so in another.23 Damit reißt Hutcheson die schwierige rezeptionsästhetische Frage unter historischem Aspekt an, deren explizite Beantwortung darauf hinauslaufen würde, daß bestimmte historische und kulturelle Vorprogramme auf Seiten des Lesers dafür verantwortlich sind, wenn ein Gegenstand oder eine Person als lächerlich oder komisch wahrgenommen werden: Dies heißt, daß bestimmte Bedingungen im wahrnehmenden oder lesenden Subjekt erfüllt sein müssen, daß Gegenstände oder Personen als lächerlich oder komisch aufgefaßt werden. Hutcheson hat diesen Gesichtspunkt der subjektiven und objektiven Bedingungen, wie sie durch historische Vorprogramme und Kommunikationsumstände gegeben sind, zwar nicht weiter verfolgt, aber seine grundsätzlichen Überlegungen zu rezeptionsästhetischen Problemen weisen weit über seine Zeit hinaus in die Zukunft, in der das Lachen nicht mehr ahistorisch als anthropologisches Phänomen bestimmt werden kann, sondern nur zu diskutieren ist
21 22 23
Ibid. 36. Ibid. 37. Ibid. 33.
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unter dem Aspekt jeweiliger reifizierter Anschauungen vom Lächerlichen und Lachenerregenden in verschiedenen historischen und kulturellen Kontexten. Neu - zumindest in der englischen Diskussion - ist auch Hutchesons Versuch, innerhalb der extrasubjektiven Stimuli für Affekte eine Abgrenzung und Zuordnung vorzunehmen, die eine starke Ähnlichkeit mit der Zuordnung von intendierten Affekten zu Gattungen in der aristotelischen Poetik aufweist: The enormous crime or grievous calamity of another, is not of itself a subject which can be naturally turned into ridicule: the former raises horror in us, and hatred; and the latter pity. When laughter arises on such occasions, it is not excited by the guilt or the misery. To observe the contorsions of the human body in the air, upon the blowing up of an enemy's ship, may raise laughter in those who do not reflect on the agony and distress of the sufferers; but the reflecting on this distress could never move laughter of it self.24 Fieldings Theorie des komischen Prosa-Epos ist weder ohne das veränderte Menschenbild Shaftesburys, noch ohne die daraus im Hinblick auf das Lachen und die davon abzugrenzenden Affekte als die durch Hutcheson gemachten Ableitungen denkbar. Hutchesons Verdienst in der Geschichte einer Theorie des Lachens besteht darin, die in der englischen Rezeption von Aristoteles und später bei Hobbes dominante moralistische Problematik entgrenzt und eine Entkopplung des Problems des Lachens von seiner moralischen Funktion geleistet zu haben. Dies wird am offensichtlichsten daran, daß dem moralistisch gesetzten Begriff des Ridiculum der konkurrierende Begriff des Ludicrum an die Seite oder auch entgegengesetzt wird, der keine moralische Funktion des Lachens, sondern vielmehr das Moment des Komischen als Stimulus eines belustigten Lachens impliziert. Unübersehbar ist bei Hutcheson das Moment einer historisch-relativistischen Betrachtungsweise, durch welche - erkenntnistheoretisch gesehen - die historisch jeweiligen Vorprogramme im wahrnehmenden Subjekt in Beziehung gesetzt werden zu extrasubjektiven Stimuli des Lachens. Das Lächerliche erscheint nun nicht mehr als etwas Objektives und Konstantes, sondern vielmehr als eine subjektive Ansicht vom Lächerlichen. Im Verhältnis zu der ahistorischen Argumentationsweise von Thomas Hobbes, die zudem nur auf eine moralistisch-anthropologische Betrachtung des Lachens zielte, manifestiert sich in Hutchesons Überlegungen zum Lachen ein Komplexerwerden der Argumentation in vielfältiger Richtung, auch wenn die einzelnen Argumentationsstränge nicht alle mit derselben Konsequenz zu Ende verfolgt werden. Als James Beattie 1764 das die bisherige Diskussion zusammenfassende, aber auch weiterführende Essay on Laughter and Ludicrous Composition schrieb, hatte Fielding bereits eine Theorie des komischen Prosaepos ent-
24
Ibid. 41 f.
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wickelt, in der ästhetische und moralische Fragen aufs engste aufeinander bezogen waren. Beattie greift im Ansatz - wie Fielding - auf die Position zurück, die Hutcheson markiert hatte, als er eine Differenzierung zwischen dem Konzept des Ridiculum und Ludicrum vornahm: Some authors have treated of Ridicule, without marking the distinction between Ridiculous and Ludicrous ideas. But I presume the natural order of proceeding in this Inquiry, is to begin with ascertaining the nature of what is purely Ludicrous. Things ludicrous and things ridiculous have this in common, that both excite laughter; but the former excite pure laughter, the latter excite laughter mixed with disapprobation or contempt. My design is, to analyse and explain that quality in things or ideas, which makes them provoke pure Laughter, and entitles them to the name of Ludicrous or Laughable.25 Beattie klammert aus seinen Betrachtungen zwei große Gebiete aus: Einmal den großen Bereich des kritischen, mißbilligenden oder gar verächtlichen Lachens, das einem Gefühl der moralischen Überlegenheit, die sich bis zur Überheblichkeit steigern kann, entspringt; und zum ändern den Bereich dessen, was er als "unnatürliches Lachen" im Unterschied zum "reinen, natürlichen, unschuldigen und angenehmen Lachen" bezeichnet. Unter ersterem versteht er einerseits ein heuchlerisches Lachen, das der Täuschung über die wahre Natur des Lachenden dient, und andererseits das schadenfreudige Lachen, das der niedrigen Gesinnung des Lachenden Ausdruck verleiht. Beattie beteuert: "My inquiries are confined to that species of laughter, which is at once natural and innocent."26 Und dieses unterteilt er - getreu seinem Drang nach klaren Klassifizierungen - wiederum in das von ihm so genannte "Animal Laughter" und das "Sentimental Laughter": Animal and Sentimental laughter are frequently blended; but it is easy to distinguish them. [...] Their principal difference is this: - the one always proceeds from a sentiment or emotion, excited in the mind, in consequence of certain objects or ideas being presented to it, of which emotion we may be conscious even when we suppress laughter; - the other arises, not from any sentiment, or perception of ludicrous ideas, but from some bodily feeling, or sudden impulse, on what is called the animal spirits, proceeding, or seeming to proceed, from the operation of causes purely material. - The present inquiry regards that species that is here distinguished by the name of Sentimental Laughter.27
25 26 27
James Beattie, "An Essay on Laughter and Ludicrous Composition," Essays (1776; Hildesheim; New York, 1975) 587. Ibid. 588. Ibid. 589.
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Lothar Fietz
Beattie beschreibt das "animal laughter" als einen unwillkürlichen und unkontrollierten Reflex, wie er etwa durch Kitzeln oder bei kleinen Kindern durch körperliches Wohlbefinden hervorgerufen wird. Die Abgrenzung des durch Körperfunktionen stimulierten reflexhaften Lachens von dem durch geistige und seelische Bewegungen und Gefühle stimulierten Lachen leitet sich aus der damals noch gängigen platonisch-neuplatonischen Anschauung von der Scheidbarkeit des Körpers von Geist und Seele ab. Dies ist nicht der Ort, der Haltbarkeit einer solchen historisch beschränkten Setzung nachzugehen, wohl aber, den sich für Beattie daraus ergebenden Ableitungen nachzuspüren. Beattie wirft in diesem Zusammenhang logischerweise die Frage auf, wie die Gegenstände beschaffen sein müssen, die eine "pleasing emotion"28 auslösen, welche die Voraussetzung eines gefühlsstimulierten Lachens ist: All I mean by this inquiry is, to determine, WHAT IS PECULIAR TO THOSE THINGS WHICH PROVOKE LAUGHTER; - OR, RATHER; WHICH RAISE IN THE MIND THAT PLEASING SENTIMENT OR EMOTION WHEREOF LAUGHTER IS THE EXTERNAL SIGN.29
Diese Frage nach der "Composition" lachenerregender Gegenstände führt Beattie zurück zu Hutcheson, und das heißt zum Problem der Strukturierung von Parodie, burlesker Anspielung und dem "schein-heroischen" Stil. Die Beispielsammlung, die Beattie zusammenträgt, ist umfangreicher als die von Hutcheson, aber die daraus ableitbare Theorie des Komischen und des Lachens führt nicht wesentlich über Hutcheson hinaus, sondern wird nur schärfer konzeptualisiert und exemplifiziert. Das Theorem, das Beattie dabei vielfältig an Beispielen durchspielt, lautet: "Laughter seems to arise from the view of things incongruous united in the same assemblage."30 So wird die Struktur des Komischen und Lachenerregenden gefaßt als Abweichung von einer gängigen Norm der Stimmigkeit und der Organismushaftigkeit von natürlichen und künstlichen Gegenständen: And therefore, instead of saying with Hucheson [sic], that the cause or object of laughter is an "opposition of dignity and meanness;" - I would say, in more general terms, that it is, "an opposition of suitableness and unsuitableness, or of relation and the want of relation, united, or supposed to be united, in the same assemblage."31
28
Ibid. 590. - Austauschbar mit diesem Begriff verwendet Beattie die Begriffe der "Risible Emotion" und des "Ludicrous Sentiment."
29
Ibid. Ibid. 600. Ibid. 603.
30 31
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Da es Beattie in erster Linie um die Struktur des komischen Kunstwerkes geht, kann er im Unterschied zu Aristoteles, der auch im Zusammenhang mit der Komödie von der Nachahmung menschlichen Handelns spricht, auf die aristotelische Zusatzbedingung der "Leidlosigkeit" verzichten. Hätte sich Beattie nicht vorwiegend an Samuel Butlers Hudibras und den parodistischen und burlesken Kompositionen seiner Zeit orientiert, dann hätte er seine Definition von der Struktur des Komischen auch auf die Komödie des Aristophanes anwenden und erkennen müssen, daß das Komische nicht nur ein Phänomen des hudibrastischen Stils ist, sondern gleichermaßen unter dem Aspekt der aristotelischen Nachahmungslehre anwendbar ist auf aus dem Rahmen der Normalität fallende Charaktere und deren Handlungen. Beatties Leistung in der Geschichte der Theorie des Lachens besteht darin, Hutchesons Gedankengänge aufgegriffen, weitergeführt, exemplifiziert und in einen weiteren Argumentationsrahmen gestellt zu haben, in dem die Frage eine wichtige Rolle spielt, wie der Affekt des Lachens beschränkt und behindert wird durch gegenläufige Affekte, durch kulturelle und soziale Konventionen von Geschmack, Dekorum und Tabu. Aus diesem Komplex von Fragestellungen und Problemen destilliert sich schließlich und endlich Beatties bemerkenswerte Definition des durch komische Anschauungen stimulierten Lachens und dessen Grenzen heraus: If, then, it be asked, WHAT IS THAT QUALITY IN THINGS, WHICH MAKES THEM PROVOKE THAT PLEASING EMOTION OR SENTIMENT WHEREOF LAUGHTER IS THE EXTERNAL SIGN? I answer, IT IS AN UNCOMMON MIXTURE OF RELATION AND CONTRARIETY, EXHIBITED, OR SUPPOSED TO BE UNITED, IN THE SAME ASSEMBLAGE. If again it be asked, WHETHER SUCH A MIXTURE WILL ALWAYS PROVOKE LAUGHTER? my answer is, IT WILL ALWAYS, OR FOR THE MOST PART, EXCITE THE RISIBLE EMOTION, UNLESS WHEN THE PERCEPTION OF IT IS ATTENDED WITH SOME OTHER EMOTION OF GREATER AUTHORITY.32
Ibid. 682.
LOTHAR FIETZ
Ergebnisprotokoll der Sektion "Renaissance bis 18. Jahrhundert"
Die Erörterungen in der dritten Sektion des Symposions kamen immer wieder auf folgende Fragestellungen zurück: 1. 2.
3.
4.
Wirken die mittelalterlichen Einstellungen zum Lachen in der Renaissance weiter, und wie sind etwaige Modifizierungen bedingt? Sind zwischen den europäischen Literaturen im Zeitraum von der Renaissance bis zum 18. Jahrhundert vergleichbare Erscheinungen, das dargestellte und das intendierte Lachen betreffend, festzustellen, und welchen extraliterarischen Bedingungen unterliegen Sonderentwicklungen? Wie wirkt sich die für die Ideen- und Rhetorikgeschichte relevante Rezeption der platonischen und aristotelischen Einstellung zum Lachen auf die Lachtheorien der Renaissance aus? Die Beobachtung von Kontinuität und Konstanz auf der einen und von Wandlungen und einer Pluralisierung der Einstellung zum Lachen auf der anderen Seite mündet in der grundsätzlichen Frage nach dem Verhältnis von Strukturen, Konstanten und Variablen, eine Fragestellung, auf die im Laufe aller Erörterungen immer wieder zurückgegriffen werden sollte.
Aus der mediävistischen Sektion ragten vor allem zwei Vorstellungskomplexe in die Diskussionen der Renaissance-Problematik hinein: Das im Decamerone dargestellte Lachen ereignet sich in einer zeitlich begrenzten Ausnahmesituation und in einer Exklave, die beständig auf dem Hintergrund der übergreifenden Situation von Tod und Vergänglichkeit in der Lebenswirklichkeit zu sehen ist, in der die Pest wütet. Lachen erscheint so als Zeichen einer zeitweisen Entspannung vom Leiden an der Lebenswirklichkeit durch das 'Genußmittel' künstlerischer Fiktionen, durch die Lachen stimuliert wird. Dieser Ausnahmeraum ist gleichzeitig gekennzeichnet als Raum heiterer Geselligkeit, die achtzig Jahre später in Castigliones // Cortegiano zur Grundbedingung höfischer Renaissance-Kultur erhoben wird, im Rahmen derer sich die Mitglieder dieser Kultur - bei aller möglichen Gegensätzlichkeit ihrer Weltanschauungen - immer gelassen lächelnd oder lachend begegnen. Bei Castiglione ist zwar im Unterschied zu Boccaccio die Gegenwelt jenseits des Hofes von Urbino nicht
Ergebnisprotokoll der Sektion "Renaissance bis 18. Jahrhundert"
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als Rahmen mitgesetzt, aber der Kenner der historischen Verhältnisse jener Zeit weiß, daß auch Urbino eine Exklave und Castigliones Verklärung dieser höfischen Welt viel mehr ein Gegenbild denn ein Abbild der damaligen Verhältnisse in Italien ist, ein Gegenbild, das jedoch Vorbildcharakter gewinnen sollte. In diesem Zusammenhang festzuhalten ist die Beobachtung, daß sich Lachen bei Boccaccio wie bei Castiglione in Ausnahmesituationen und Exklaven jenseits der übergreifenden Lebenswirklichkeit ereignet, im Raum der Kunst und der Artifizialität höfischen Lebens. Latent bleibt aber in diesen Darstellungen immer das 'Jenseits' der durch Vergänglichkeit, Tod oder todbringende Machtkämpfe charakterisierten Lebenswirklichkeit sichtbar. Tod und Sterben ist auch die letzte Bezugswirklichkeit für den 'risus paschalis' als entspanntes Lachen im Angesicht des durch die Auferstehung Christi überwundenen Todes. In solchen literarischen Kontexten wird das Phänomen des Lachens über die 'Brücke' der Entspannung von den Traumata des Lebens, Vergänglichkeit und Vernichtung immer assoziiert mit Überwindung des Todes oder - positiv gewendet - mit Leben jenseits der Ängste vor der Vergänglichkeit oder den Zwängen gesellschaftlicher Machtstrukturen. Von dieser mittels eines historisch deskriptiven Verfahrens erzielten Anschauung vom Lachen als einem Anlachen gegen den Tod oder als Ausdruck der Freude über die Auferstehung zum Leben ist es nur ein Schritt, die historischen Befunde in Beziehung zu setzen mit elementaren anthropologischen Anschauungen vom Lachen als Ausdruck der Freude über den Regen als Quelle der natürlichen Fruchtbarkeit, ein Lachen, das im magisch-vitalistischen Assoziationskontext, in dem die irreversible Ursache-Wirkung-Relation außer Kraft gesetzt ist, zum beschwörenden oder gar bewirkenden Lachen umgedeutet werden kann. Abstrahiert man von den verschiedenen geistesgeschichtlichen Kontexten, dann scheint das Lachen konstant assoziiert zu werden mit Leben, Fruchtbarkeit, Vitalität, die im mittelalterlichen Kontext jedoch immer vor dem Hintergrund von Tod und Vergänglichkeit relativiert erscheinen, die in der Renaissance aber in zunehmendem Maße eigenwertiger gesehen werden. Von hier aus ist es nur ein Schritt dahin, die Verwurzelung von Bergsons Theorie des Lachens historisch zu verorten: Wenn sich in der Renaissance die Anschauung von der Eigenwertigkeit von Leben, Vitalität und damit Diesseitigkeit verstärkt, dann stellt Bergsons Theorie des Lachens nur eine spätere historische Variante in diesem anhaltenden Umdenkungs- und Umwertungsprozeß dar, wenn er die Mechanisierung von Lebensvorgängen als Verlust an Vitalität deutet, der hinwiederum Ursache eines mißbilligenden Lachens ist. Wenn auf der mittelalterlichen Seite die Ausflucht aus dem Vergänglichkeitsbewußtsein oder die Freude über den durch die Auferstehung Christi überwundenen Tod als Bedingungen eines befreienden Lachens zu sehen sind, dann ist - nachvollziehbar an Bergson - in der jüngeren Neuzeit der Verlust
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Lothar Fietz
an Vitalität oder, anders gewendet, die zunehmende Mechanisierung des Lebens 'sentimentalischer' Anlaß für ein kritisch-mißbilligendes Lachen. Die in den jeweiligen Weltbildern dem Leben und der Vitalität zugeschriebene Wertigkeit bedingt die Art des Lachens. Der sich in den literarischen Quellen mit verschiedenen Arten des Lachens assoziierende Vorstellungskomplex von Leben, Vitalität und Fruchtbarkeit erfährt in den Fabliaux eine entscheidende Erweiterung, die ebenfalls auf die Renaissance vorausweist. Die Grundvorstellungen von Leben, Vitalität und Fruchtbarkeit werden in den Fabliaux spezifisch zugespitzt auf das Problem von Körperlichkeit, Sinnlichkeit und Sexualität, deren Darstellung gegen den Strich einer körper- und sinnenfeindlichen Theologie zum Gegenstand des Ergötzens und befreienden Lachens werden. Solche sich in den spätmittelalterlichen Literaturen geltend machenden Tendenzen zur Enttabuisierung von vitalen Lebensvorgängen, von Sinnlichkeit, Körperlichkeit und Diesseitigkeit verstärken sich im Laufe der darauf folgenden Entwicklungen. Neben der jenseitsorientierten Weltverachtung tritt ein immer größer werdendes Interesse an der Welt in Erscheinung, und damit geht ein Dominanterwerden des Lachens als Ausdruck von Körperlichkeit und Vitalität einher. Im Rabelaisischen Lachen macht sich - metaphorisch gesprochen - der aus platonisch-christlicher Sicht als Grab der Seele diffamierte Körper geltend, und so tritt in diesem neuen Menschenbild der Renaissance der Mensch als ein ganzheitliches Wesen von Körper und Geist in Erscheinung. Im dargestellten Lachen wird die diffamierte Seite der menschlichen Natur, die Körperlichkeit und Sinnlichkeit, gleichsam rehabilitiert. Dies sind Entwicklungen, wie sie sich gleichermaßen an Rabelais, Shakespeare und anderen Autoren der Renaissance verifizieren lassen. Die Subkategorisierung nach Typen und Funktionen des Lachens gewinnt in der Renaissance an weiterer Komplexität, wenn man die Platon- und Aristoteles-Rezeption in die Betrachtung einbezieht. Der zentrale Gedanke der Nikomachischen Ethik, der Gedanke der Mäßigung, der wohl ein Exzeßverbot, nicht aber ein Lachverbot impliziert, hat - wie die Geschichte der Rhetorik und die Modellvorstellungen einer idealen höfischen Kultur erweisen - nachhaltige Auswirkungen auch in der Renaissance, was die Vorstellungen des Decorums anlangt, die dem Lachen religiöse, moralische und ästhetische Grenzen setzen. Wenn Platon das Lachen in Zusammenhang brachte mit Neid und dem daraus abzuleitenden Vergnügen am "Übel des Nächsten" und es so als Ausdruck eines ordnungsverletzenden Fehlverhaltens qualifizierte, dann widersprach Aristoteles dieser Anschauung zwar nicht grundsätzlich, modifizierte sie aber durch die Einsicht, daß der Mensch durch die rigorose Einhaltung von moralischen Ordnungen überfordert sei und daß er der Entspannung von den Anspannungen zum höheren Menschsein bedürfe. Als Ort dieser Entspannung aber sah er nicht das Leben selbst, sondern vielmehr die komi-
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sehe Kunst, in der Normabweichungen und Normbriiche straffrei bleiben konnten. Diese Lizenzierung des Lachens über eigentlich Verbotenes ist für die Literatur der Renaissance von ebenso großer Bedeutung wie der Einfluß platonisch-christlichen Gedankenguts, wie es sich in Italien bei Minturno oder in England in der Kunst- und Lachfeindlichkeit des Puritanismus wiederfindet. Das Nebeneinander von christlich überformtem Platonismus auf der einen und Aristotelismus auf der anderen Seite bedingt die Vielfalt der Einstellungen zum Lachen, aber auch die in der Renaissance auftretenden Spannungen, die entstehen, wenn das dargestellte und intendierte Lachen reguliert, diszipliniert oder gar unterdrückt werden soll durch Lach- oder Exzeßverbote, wenn es aber gleichzeitig in dem Maße legitimiert und lizenziert wird, wie die aristotelischen Prämissen aufgenommen und in dem Sinne weitergedacht werden, daß das Anarchische, die Verletzung einer als Zwang und Unfreiheit empfundenen Ordnung - zumindest als Gegenstände der komischen Literatur - zu einer Quelle der Belustigung werden kann. Ein Gutteil der Shakespeareschen Komödien und des durch sie intendierten Lachens ist nicht vorstellbar ohne den anarchisch weitergedachten Aristoteles. Ohne dieses Spannungsverhältnis von platonischem und aristotelischem Gedankengut wäre auch eine Komödie wie Love's Labour's Lost als Satire auf den Platonismus und die platonischen Akademien genauso wenig denkbar wie das komische Epos Hudibras von Samuel Butler, in dem die puritanische Kunst- und Körperfeindlichkeit satirisiert wird. Eine ähnlich wichtige Rolle wie die Kategorie der Moderatio spielt in der Renaissance die der Admiratio, was vor allem an dem italianistischen und hispanistischen Symposionsbeitrag festzumachen, von da aber auch auf Erscheinungen in anderen Literaturen übertragbar ist. Die Admiratio ist Voraussetzung für ein Lachen, durch welches Zustimmung zu oder sogar Identifikation mit einer Figur signalisiert wird. Nimmt man - wie im Fall von Don Quichotte - zu der intratextuellen Reaktionssteuerung des Lesers die intertextuelle Dimension hinzu - in diesem Fall den Bezug auf die arturischen Ritterromane -, dann erschließt sich im Vergnügen an und in der Bewunderung der meisterlich gehandhabten parodistischen Textmanipulation eine weitere Quelle eines nun durch 'Kunstgriffe' intendierten Lachens. Dies führt hinüber von der Betrachtung der moralisch zu definierenden Ridicula zu den nur ästhetisch zu bestimmenden Ludicra, eine Unterscheidung, die im 18. Jahrhundert von Hutchinson und Beattie vorgenommen wurde und die sich für die Differenzierung von lachenerregenden Gegenständen als äußerst nützlich erweist. Im Hintergrund aller Überlegungen zu den historisch deskriptiv ermittelten Befunden stand die Frage nach der Einbettung der einzelnen literarischen Befunde in Kontexte und die Frage nach der Vermittlung zwischen einerseits
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ahistorischen und andererseits der Vielfalt der historischen Erscheinung Rechnung tragenden Ansätzen und Verfahren. Was die Kontextualisierung und damit die historische Verortung der literarischen Einzelbefunde anlangt, so boten die einzelnen Beiträge reiche Illustrationen komplementärer Einbettungsverfahren: Die historischen Orte einzelner Texte und der darin dargestellten oder durch sie intendierten Lachvorgänge ließen sich einerseits literaturgeschichtlich, andererseits aber auch ideen-, theologie-, philosophic-, Soziologie- und politikgeschichtlich einkreisen. Wichtig bei all diesen Verfahren war es, partielle Veränderungen im Ideengitter der Renaissance im Verhältnis zum Mittelalter zu eruieren, um dadurch das Problem von historischen Konstanten, die im strukturalen Kontext leicht für Ewigkeitsstrukturen gehalten werden, in Bezug zu setzen zu den partiellen Verschiebungen und Veränderungen anderer Teile desselben Ideengitters. Solche Verschiebungen werden etwa sichtbar in der Bewertung der Vanitas im Übergang vom Mittelalter zur Renaissance und weiter zum 18. und 19. Jahrhundert. In dem Maße, wie sich das Denken von reifizierten theologischen Vorstellungen wie der Sündhaftigkeit emanzipiert und an die Stelle eines religiös verwurzelten ein gesellschaftliches Wertesystem tritt, verschiebt sich die Bewertung der Eitelkeit von der Sündhaftigkeit zur Lächerlichkeit. In dem Augenblick, da diese Verschiebung im Normengitter einer Zeit stattfindet, kann die Eitelkeit auch zum lachenerregenden Gegenstand von Komödien werden. Eine andere Art der historischen Verortung kann - wie am hispanistischen Beitrag exemplarisch ersichtlich - durch die Soziologie- und politikgeschichtliche Kontextbildung versucht werden, ein Verfahren, das in modifizierter Form auch in dem germanistischen Beitrag angewendet wird, in dem es um das Lachen in einem sozialgeschichtlich interessanten Umbruchstadium zwischen höfischer und bürgerlicher Gesellschaft geht. In diesem Umbruchstadium wird das stigmatisierend gemeinte Lachen einer im Niedergang befindlichen Gesellschaftsschicht über die aufsteigende neue Gesellschaftsschicht des Bürgers und seiner Wertordnung geradezu zum Prüfstein der Gültigkeit der neuen Tugend- und Wertvorstellungen. Die Erörterungen im Symposion haben über die in den Einzelbeiträgen vorgelegten Befunde hinaus der Kontextbildung in komparatistischer, ideen-, theologie-, philosophic- und soziologiegeschichtlicher Hinsicht und einer Bündelung der historischen Daten und Vorausgriffen auf die Fragestellungen der dritten Sektion gedient, in der es um die Erörterung des dargestellten und intendierten Lachens im veränderten Kontext des 19. und 20. Jahrhunderts geht.
TEIL IV 19. und 20. Jahrhundert
GÜNTHER BLAICHER Byrons Lachen und die zeitgenössische Rezeption
Byrons Komik wird in zeitgenössischen Rezensionen und kritischen Pamphleten nur in Ausnahmefällen mit jenen altehrwürdigen Metaphern gekennzeichnet, denenzufolge das Lachen befreiend, erhellend, heilend und belebend ist.1 Stattdessen wird es als kaltblütig, herzlos, bösartig, gefährlich, herausforderndtrotzig, revolutionär oder satanisch bezeichnet und dementsprechend abgelehnt. Geht man den Ursachen dieser Verurteilung nach, so stößt man im wesentlichen auf zwei Begründungen: zum einen, so lesen wir, entzünde sich Byrons Lachen an ungeeigneten Gegenständen und zum anderen beruhe es auf einer Vermischung des Erhabenen, Ernsten, Würdevollen mit dem Lächerlichen und auf dem schnellen Abkippen des einen in das andere.
I
Die Unangemessenheit von Lachen und Gegenstand ist ein Phänomen, durch das sich Byron in der Sicht der Zeitgenossen von früheren Autoren der komischen Tradition in England abhebt. In einem 1821 geschriebenen Aufsatz über Byron lesen wir: Our writers have composed burlesque, and grossness, and caricature, and indecency; but they have not insulted the very principle of goodness, the image of God in the soul of man, by exciting the best affections of the spirit, and leading it to direct communion with the powers that scatter sublimity and beauty over this sublunary scene, in order to startle and shame it, by suddenly confronting it with a Satanic laugh at some mortifying slur thrown on what is best and fairest to human eye and thought, - and dearest to human feeling!2
1
2
Cf. das Einleitungskapitel in Verf., Die Erhaltung des Lebens: Studien zum Rhythmus der englischen Komödie von William Shakespeare bis Edward Bond, Eichstätter Beiträge, Bd. 5 (Regensburg, 1983) insbes. 18-34. "Living Autors. No IV. Lord Byron," The London Magazine 3 (1821): 50-61, hier: 56. Als häufigstes Beispiel für diese Komik wird auf die Schiffbruchepisode in Don Juan II hingewiesen. Für weitere Belege cf. Keith Walker, Byron's Readers: A Study of Attitudes Towards Byron 1812-1832, Salzburg Studies in English Literature, Bd. 88 (Salzburg, 1979) 73, 74, 124f., 126, 129.
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Günther Blaicher
Das Neue und Satanische dieser Komik und des aus ihm resultierenden Lachens besteht für die Zeitgenossen Byrons somit in der verächtlichen Herabsetzung der erhabensten Gefühle und Gedanken der Menschen, im Lächerlichmachen von Religion, Sitte, Vaterland und "Englishness".3 In einem nach der Lektüre von Don Juan geschriebenen Brief an Byron fragt Harriett Wilson, warum er (in I, 204-6) die Zehn Gebote parodiert habe, die doch nichts als Anleitungen zur Tugend geben und fährt fort: Let our religion alone, till you can furnish us with a more perfect creed. Till then, neither you nor Voltaire will ever enlighten the world by laughing at it.4 Detaillierter klagt der Geistliche C.C. Colton: He has an eternal sneer ever at command, not only for our forms, but also for our decencies; for our principles, no less than our prejudices; for all the errors that custom has reconciled, and for all the truths that wisdom has embalmed.5 Diese Aussagen verraten eine stark konservative, ethnozentrische und moralische Einstellung, was sich auch darin äußert, daß man Byron in eine Reihe mit Geistern stellte, die "aus dem Schlamm der französischen Revolution" aufgetaucht seien6 oder daß man ihm vorwarf, seine Sitten seien durch den Aufenthalt in Italien korrumpiert worden.7 Aber auch Heinrich Heine konnte 1826 gegen Byron den Vorwurf erheben, daß er, anstatt "den Untergang der alten Formen zu beklagen, sich sogar von denen, die noch stehen geblieben (seien), verdriesslich beengt fühl(e), sie mit revolutionärem Lachen und
Cf. William Roberts' Rezension von Childe Harold IV in der Augustnummer der British Review 12 (1818): 1-34, in The Romantics Reviewed: Contemporary Reviews of British Romantic Writers, ed. Donald H. Reimann, 5 vols. (New York, London, 1971) 1: 459ff. Harriett Wilson's Memoirs of Herself and Others. With a Preface by James Laver (London, 1929) 613. Tatsächlich waren derartige Parodien am Anfang des 19. Jahrhunderts nicht selten. Cf. A.G. L'Estrange, The History of English Humour (1872; New York, 1970) 192f. Ferner das Standardwerk von Dieter A. Berger, Die Parodie in der Dichtung der englischen Romantik (Tübingen, 1990). The Rev. C.C. Colton, Remarks on Lord Byron (1826; Folcroft Library Editions 1975) 36: "But what are we to think of that poet, who makes no distinctions'? who for what is great and good, has no esteem? for what is vile and grovelling no indignation? but treats them all alike with scorn, and merriment, and indifference. What are we to think of that cold-blooded being, who is never so happy as in detailing our present miseries, or detecting in our short-lived gratifications, the seeds of our future woe? whose joy, when he can predict our ruin, seems to be exceeded only by the verification of it." British Review 12 (Aug. 1818), in Reimann, The Romantics Reviewed 1: 459ff. Cf. die Rezension von Don Juan, Edinburgh Monthly Review 2 (October 1819): 468-486, in Reimann, The Romantics Reviewed 2: 798: "Everyone saw with regret, that Italian morals, not less than Italian skies, had found favour with the author of Beppo, - and that the majestic spirit of the noble poet was beginning to bow before the voluptuous profligacy of a foreign muse."
Byrons Lachen und die zeitgenössische Rezeption
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Zähnefletschen niederreissen möchte ..."8 In dieser Hinsicht wollte Heine nicht zum Nachfrevler werden. Byrons Lachen galt als umso gefährlicher, weil er eine Figur des öffentlichen Lebens war und weil man sich seinem Charme trotz moralischer Bedenken nicht entziehen konnte. C.C. Colton äußerte, was viele dachten: "The stupendous powers of a Byron can charm not only without all rules of criticism, and what is far more deplorable, of morality, but even against them."9 Ohne ernsthaft den Versuch zu machen, über das Verhältnis von Komik und Ästhetik, Komik und Moral, Komik und Wirklichkeit nachzudenken, löste man dieses Paradoxon dadurch, daß man bestimmte Bereiche des Lebens, Religion, Sitte, Moral und "Englishness" für das Lachen tabuisierte. Byrons Lachen wird dann als das Hohnlachen eines Frevlers diffamiert.10 Die zweite Begründung für die Ablehnung des Byronschen Lachens wurzelt stärker im Ästhetischen und Psychologischen. C.C. Colton bezichtigt Byron eines Bruchs des poetischen Dekorums. Wenn Byron den Leser zum Weinen veranlasse, ohne selbst zu weinen, und wenn er darüber hinaus dem von Mitleid ergriffenen Leser ins Gesicht lache, dann sei dies ein Bruch der Horazischen Regel "Si vis me flere ..."" Was Colton letztlich für psychologisch widersprüchlich hält, ist für William Hazlitt eine unerklärliche Anomalie: From the sublime to the ridiculous there is but one step. You laugh and are surprised that any one should turn round and travestie himself: the drollery is in the utter discontinuity of ideas and feelings.12
und: It is not that Lord Byron is sometimes serious and sometimes trifling, sometimes profligate and sometimes moral; but when he is most serious and most moral, he is only preparing to mortify the unsuspecting reader by putting a pitiful hoax upon him.13
8
9 10
11 12 13
Zit. bei Wilhelm Ochsenbein, Die Aufnahme Lord Byrons in Deutschland und sein Einfluß auf den jungen Heine (1905; Hildesheim 1975) 119. Colton, Remarks on Lord Byron 4. Für die Diskussion über die Bereiche "erlaubten Lachens" sowie über das "unschuldige Lachen" im 18. Jahrhundert cf. Stuart M. Tave, The Amiable Humorist: A Study in the Comic Theory and Criticism of the Eighteenth and Early Nineteenth Century (Chicago, 1960) 5 If. Für die Unterdrückung des satirischen Lachens und die Tabuisierung bestimmter Lebensbereiche für die komische Darstellung im 19. Jahrhundert cf. D.J. Gray, "The Uses of Victorian Laughter," Victorian Studies 10 (1967): 145-76, hier: 154ff. Colton, Remarks on Lord Byron 33. William Hazlitt, The Spirit of the Age, ed. E.D. Mackemess (London and Glasgow, 1969) 122. Ibid. 122.
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Günther Blaicher
Daß Hazlitt in diesem Phänomen ebenfalls den Bruch eines poetischen Dekorums sieht, geht aus seinem erläuternden Vergleich hervor: "It is as if the eagle were to build its eyrie in a common sewer, or the owl were seen soaring to the mid-day-sun."14 Zuvor hatte schon der Essayist des London Magazine die gewalttätige Nebeneinanderstellung von erhabenen Gefühlen und Byrons Hohnlachen als eine Beleidigung bezeichnet: But the quick alternation of pathos and profaneness, - of serious and moving sentiment and indecent ribaldry, - of afflicting, soul-rending pictures of human distress, rendered keen by the most pure and hallowed sympathies of the human breast, and absolute jeering of human nature, and general mockery of creation, destiny, and heaven itself, - this is a sort of violence, the effect of which is either to sear or to disgust the mind of the reader - and which cannot be fairly characterized but as an insult and outrage.15 Die Verurteilung der Byronschen Komik erfolgte in konservativen Magazinen und Reviews, die sich an eine breite Öffentlichkeit wandten und mit deren Hilfe man versuchen konnte, das Leserpublikum gegen den angeblich zersetzenden Einfluß Byrons zu immunisieren. Die tatsächliche Reaktion der zeitgenössischen Leser läßt sich aus Briefen und Tagebüchern der Zeit erahnen. Wenn Mrs Grant of Laggan 1824 in einem Brief über Byron allgemein sagte, "[he] has pleased us more than he ought to have pleased, and shocked us less than we ought to have been shocked,"16 so gilt dies auch für die Reaktion auf Byrons Komik. In einem Tagebuch aus der Zeit Georgs IV. wird im Zusammenhang einer Schilderung des dichterischen Werdegangs Byrons gesagt: "He gratifies malevolence by sarcasm that may provoke laughter, but which most men endeavour to suppress and restrain, even at the hazard of being deemed less intellectual."17 Glauben wir dem Verfasser, so empfanden die meisten Leser die Komik Byrons, unterdrückten ihr Lachen jedoch aus moralischen Erwägungen oder aus Gründen der Schicklichkeit. Daß diese Unterdrückung jedoch keineswegs so ohne weiteres und immer gelingen wollte, schildert Maria Edgeworth in einem Brief vom 1. Februar 1822 an Mrs Ruxton: Mr Ellice is a thick and thin friend of Lord Byron's and defends him and all his works against his wife and all the world. He would read passages of Don
14
Ibid. 123.
15
"Living Authors. Lord Byron" 56. Verf. gibt als Beispiel die bewegende Sterbeszene in Don Juan II, 88-90, die schon in 92 durch einen Ton leichtherzigen Scherzens abgelöst wird. Memoir and Correspondence of Mrs. Grant of Laggan, ed. J.P. Grant, 3 vols. (London, 1844) 3: 58. Diaries Illustrative of the Times of George the Fourth, ed. John Gait, 4 vols. (London, 1839) 4: 235.
16 17
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Juan to us and to tell you the truth the best of us and Lady Elizabeth herself could not help laughing. Lady Hannah turned her face almost off her shoulder and picked the embroidered corner almost out of her pocket handkerchief and she did not laugh.18 Die Komik Byrons läßt den Leser trotz gleichzeitiger moralischer Bedenken lachen. Zu diesem Befund kommt auch Felix Eberty in seiner Byronbiographie von 1862. Im Hinblick auf die Ehebruchsgeschichte im 1. Gesang von Don Juan schreibt er: Diese Dame und ihr Gemahl, Don Jose, sind unleugbar mit der Absicht geschildert, des Dichters eigene Erlebnisse während seines Ehestandes zu parodieren, und zwar in einer so giftig ironischen Weise, daß der Leser über sich selbst ärgerlich wird, wenn er trotz aller moralischen Mißbilligung doch nicht im Stande ist, das Lachen zu unterdrücken.19 Der publizierten Entrüstung über Byrons Lachen entspricht im privaten Bereich also die Empfindung eines moralischen Ärgernisses, das freilich nicht immer stark genug ist, den Ausbruch des Lachens zu unterbinden.
II
Die Verurteilung von Byrons Lachen durch die veröffentlichte Kritik bezieht sich auf die Komik der Werke Byrons und das in ihnen thematisierte Lachen. Um dieses recht verstehen zu können, erscheint es gerade bei diesem Dichter der Subjektivität sinnvoll, auf sein tatsächliches Lachen einzugehen, das aus den Briefen ersichtlich ist. Bei deren Lektüre fällt auf, daß das Lachen für Byron u.a. ein Mittel war, um sich von seiner Überzeugung schicksalhaften Unglücks20 und von dem Ruf, ein düsterer Melancholiker zu sein, zu distanzieren (II, 87). Er räumt zwar ein, daß dieser Ruf gewisse Vorteile mit sich bringe, weil er auf diese Weise von unerwünschten Bekanntschaften bewahrt bleibe, betont aber, er sei unter Freunden "a right merry and conceited fellow, and rarely 'larmoyant'," (III, 131).21 Byron sucht das gemeinsame Lachen mit Freunden, bedauert die Abwesenheit von Freunden, mit denen er lachen
18 19 20 21
Maria Edgeworth, Letters from England 1813-1844, ed. Christine Colvin (Oxford, 1971) 339. Felix Eberty, Lord Byron: Eine Biographie (Leipzig, 1862) 99. L.A. Marchand, ed., Byron's Letters and Journals, 12 vols. (1973-1982) 1: 114, 2: 20-21. Alle Zitate nach dieser Ausgabe. Ferner 5: 186: "... that I was not, and, indeed, am not even now, the misanthropical and gloomy gentleman he takes me for, but a facetious companion, well to do with those with whom I am intimate, and as loquacious and laughing as if I were a much cleverer fellow."
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könnte (II, 50) und fragt nach dem Verlust lieber Menschen, mit wem er wohl die lachende Seite des Lebens wiederentdecken könne (II, 80). Immer wieder stellt er sich vor, wie der jeweilige Adressat in dieser oder jener Situation gelacht hätte oder wie er beim Lesen einer Schilderung lachen werde. Als weiterer Grundzug von Byrons Lachen zeigt sich, daß er es als ein Mittel benutzte, um Kummer, Leid und Gemütsschwankungen zu überwinden. Im Jahre 1808 erklärt er das Lachen als das Zeichen eines vernünftigen Wesens, muß jedoch zugleich feststellen, daß seine Gemütsverfassung dem nicht immer entspreche (I, 173). Zwei Jahre später jedoch kann er schreiben, das Vergnügen am Lächerlichen mache sein Leben erträglich (II, 14), und nach der Rückkehr von seiner Orientreise läßt er erkennen, daß das Lachen für ihn ein Mittel der Lebensbewältigung geworden sei. Im Jahre 1811 schreibt er an Augusta Leigh: However, buffeting with the World has brought me a little to reason and two years' travel in distant and barbarous countries has accustomed me to bear privation and consequently to laugh at many things, which would have made me angry before. (II, 86) An die gleiche Adressatin schreibt er 1816 aus dem italienischen Exil: I remember a methodist preacher who on perceiving a profane grin on the faces of part of his congregation - exclaimed 'no hopes for them as laughs' and thus it is with us - we laugh too much for hopes - and so even let them go - I am sick of sorrow - (V, 144) Byron ging freilich über das Hinweglachen von Kummer und Widrigkeiten hinaus. Er lernt, wie Harriet Margaret MacKenzie dargelegt hat,22 die distanzierte Haltung des Betrachters einzunehmen, vergleicht bestimmte Ereignisse mit Szenen aus bekannten Komödien (III, 136) und kommentiert ein Dreiecksverhältnis, das ihn mit der verheirateten Frances Webster verbindet, gegenüber Lady Melbourne mit der Bemerkung: "Is not all this a comedy?" (Ill, 171, V, 76, IV, 218, VI, 180). Byron distanziert sich gleichsam von sich selbst, tritt aus der Situation heraus und breitet sie als amüsierter Beobachter vor den Augen Lady Melbournes aus, wobei ihm moralische Überlegungen nicht in den Sinn kommen. Das Lachen in Byrons Briefen wird durch zwei Ereignisse ganz auffällig modifiziert: durch den Tod seiner Mutter und seines Freundes Matthews im Jahre 1811 und durch die Beziehung zu Annabella Milbanke. Unter dem Eindruck des Todes und des Verlustes beobachtet Byron, daß sich sein Lachen in dieser Zeit verändert. Er spricht von "hysterical merriment" (II, 70) oder
22
Harriet Margaret MacKenzie, Byron s Laughter: In Life and Poetry (Los Angeles, 1973).
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von "laughter without merriment" (II, 70, 75), von einem "hohlen Lachen" (II, 77), das ihm keine Erleichterung verschaffe. Veränderte im Jahre 1811 die Erfahrung des Todes sein Lachen, so klingt von 1813 an in den Briefen an Annabella Milbanke ein apologetischer Ton an, wenn er sein Lachen erwähnt. So schreibt er 1813, sie möge ihn nicht für gefühllos halten, weil er in einer bestimmten Situation gelacht habe (III, 103). Wenig später verteidigt er sich gegen ihren Vorwurf, sein Lachen sei "false to the heart" mit der Bemerkung, ihr gegenüber sei er aufrichtig gewesen (III, 119). Wenn er einmal über ihre "forms and expressions" lacht, dann entschuldigt er sich sogleich und betont, er möchte nicht, daß sie weniger förmlich sei (IV, 130). Vor seiner Heirat schreibt er unter Tränen einen Abschiedsbrief an die Countess of Jersey, dessen Komik er mit der Bemerkung begründet, er müsse nun für den Rest seines Lebens ernsthaft sein (IV, 196). Im Februar 1816 läßt er seinen Freund Thomas Moore wissen: "I had, a few weeks ago, some things to say, that would have made you laugh; but they tell me now that I must not laugh, and so I have been very serious - and am" (V, 35f.). Als er nach dem Zerwürfnis im März 1816 um ein Gespräch mit den Rechtsberatern seiner Frau bittet und am Ende des Briefes in einen scherzhaften Ton verfällt, fügt er in einer Nachschrift hinzu, sie möge ihn nicht für gefühllos halten, aber es gebe Dinge, über die man entweder lachen oder weinen müsse. Er ziehe ersteres vor "even if it should be Sardonically" (V, 39). Annabella Milbanke teilte offensichtlich die Einstellungen, die bei Byrons zeitgenössischen Kritikern zur Verurteilung seines Lachens geführt hatten. Unter Annabellas Einfluß verdrängt Byron das Lachen, das er doch zuvor als ein wertvolles Mittel der persönlichen Daseinsbewältigung entdeckt und kultiviert hatte. Insgesamt wird das Lachen in den Briefen des Jahres 1816 nur viermal erwähnt.23 Ernsthaftigkeit, Förmlichkeit, Empfindsamkeit waren jedoch Haltungen, die Byrons angenommenem Habitus einfach zuwiderliefen. Wenn Byron das Lachen als Mittel zur Kontrolle seiner Gefühle zu gebrauchen lernte, so stellte er eine Distanz her zwischen sich und der Welt. Diese Haltung erlaubte es ihm einerseits, sein ganz persönliches Leben zu bewältigen, und sich gegen Verletzungen seines Gefühlslebens abzusichern, andererseits jedoch brachte sie ihn in einen Gegensatz zum Gefühlskult seiner Zeit. Dieser Konflikt deutet sich in seinem Verhältnis zu Annabella Milbanke an und schlägt sich in der Verurteilung seines Lachens durch die veröffentlichte Kritik nieder. Damit ist eine erste Erklärung für die Verurteilung von Byrons Lachen durch die Zeitgenossen gefunden. Was für den Dichter eine therapeutische Funktion hatte, wird auf dem Hintergrund einer epochalen und, wie Byron meint, geschlechtsspezifischen Einstellung zu einer Verletzung der
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Ibid. 92.
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heiligsten Gefühle des menschlichen Herzens. Byrons Lachen wird als kaltherzig abgelehnt.
III Wenden wir uns dem Lachen in Byrons Werken zu, so ist zunächst an Harriet MacKenzies Feststellung zu erinnern, daß Byron unter dem Einfluß seiner Freunde John Becher und R.C. Dallas, aber auch auf Rat seines Verlegers Murray hin bis ins Jahr 1817 hinein das Lachen in seinen Hauptwerken unterdrückt hat: "The attitude toward laughter in his verse lagged many years behind his attitude in practical life."24 Auch in diesem Bereich wirkt sich somit die beobachtete Unterdrückung des Lachens aus. Mit der Entscheidung, England 1816 zu verlassen und sich in ein freiwilliges Exil zu begeben, ließ Byron dann jene sozialen Zwänge hinter sich, die zu einer Verdrängung und Unterdrückung des Lachens in seinen Werken geführt hatten. Dies hat in der Byronkritik zu der These geführt, Byron habe sich unter dem Einfluß Italiens ganz der heiteren Seite des Lebens zugewandt. Schon Wilhelm Müller schrieb 1826 in seiner Byronbiographie: Nach seinem dreißigsten Jahr aber wurde unserm Dichter die finstere Maske seines Pilgers eine drückende Last, und er warf sie ab und nahm dafür das Schalksgesicht eines Don Juan über, welches sich natürlich der Lichtseite der Welt zukehrte. Was früher beweint wurde, wird nun belächelt oder mit einem Achselzucken abgefertigt; der Zorn ist in Spott übergegangen; die Welt und das Leben werden genommen und genossen wie sie sind.25 In der Tat hatte diese neue Lebenssituation für Byrons Behandlung der Komik Konsequenzen, und zwar u.a. für seine Behandlung der Liebe, der Natur und der "Englishness". Aufgrund seiner Lahmheit und Schüchternheit hatte Byron schon früh eine Abwehrhaltung gegen Emotionalität und Empfindsamkeit entwickelt. Gegenüber Augusta Byron äußert er einmal, die Liebe sei in seinen Augen "a mere Jargon of compliments, romance and deceit" (I, 52). Hätte er fünfzig Geliebte, so würde er sie alle im Verlaufe einer Woche vergessen, und sollte er sich doch an eine erinnern, so würde er darüber lachen wie über einen Traum. Lady Blessington dürfte mit ihrer späteren Vermutung recht gehabt haben, daß
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Ibid. 177. Wilhelm Müller, "Lord Byron," Zeitgenossen: Biographien und Charakteristiken, Neue Reihe 5.17-20 (Leipzig, 1826) 77. Cf. Helene Druschkovich, Ueher Lord Byron's "Don Juan", Diss., U Zürich (1879) 25: "Hat er seinen Hang über das Elend zu reflectiren, den Menschen als böse hinzustellen, bisher in ernster Weise manifestirt, so will er nun über Thorheiten, Unsittlichkeit, menschliches Missgeschick als solche lachen."
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Byron selbst eine idealistisch-sentimentale Seite gehabt habe,26 vor der er sich durch eine ironische Pose schützte: Byron seems to take a peculiar pleasure in ridiculing sentiments and romantic feelings; and yet the day after will betray both, to an extent that appears impossible to be sincere, to those who had heard his previous sarcasms: that he is sincere, is evident, as his eyes fill with tears, his voice becomes tremulous, and his whole manner evinces that he feels what he says.27
Vor 1816 erscheint diese sarkastisch-ironische Pose nur in Briefen und Gelegenheitsgedichten, wie "To a Lady who presented to the author a lock of hair braided with his own." In der Tat war sich Byron bewußt, daß er mit Childe Harold (1812-1818) den "cant of sentiment" in England nachgerade unterstützt hatte.28 In Don Juan (1818-1824) jedoch wird die Kritik am idealisierenden weiblichen Gefühlskult, an "romance" und an "cant of sentiment" offen zum Programm erklärt. An seinen Verleger John Murray schreibt er über die Absicht des Don Juan: ... it arises from the wish of all women to exalt the sentiment of the passions & to keep up the illusion which is their empire. - Now Don Juan strips off this illusion - & laughs at that and most other things. (VIII, 148)
Vergleicht man Childe Harold IV, 123 und die dort geäußerte idealistische Auffassung von Liebe und Schönheit mit der komischen Behandlung der Liebe in Beppo (1818) und Don Juan, so wird man Edward Profitt zustimmen, wenn er schreibt: Unable to move beyond an adolescent mentality, the Byronic hero falls into a posture of alienation; but that alienation became real and intolerable for Byron himself. What then? Werther shoots himself; Byron laughs. Laughter, then, became the final defence of a mind that could not move beyond youthful idealism and narcissism.29
Freilich ist einschränkend zu sagen, daß diese Funktion des Lachens in Briefen und Gelegenheitsgedichten schon seit 1808/09 nachweisbar ist und daß sie sich erst um 1817/18 in den großen Werken durchsetzt. Neben die desillusio-
26
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Lady Blessington's Conversations of Lord Byron, ed. Ernest J. Lovell, Jr. (Princeton; New Jersey, 1969), zit. Conversations, 35: "... the impression on my mind was, that he had both sentiment and romance in his nature; but that, from the love of displaying his wit and astonishing his hearers, he affected to despise and ridicule them." Cf. S.I 19 für ein umfassenderes Porträt des lachenden Byron. Ibid. 33. Ibid. 213. Edward Profitt, "Byron's Laughter: Don Juan and the Hegelian Dialectic," The Byron Journal 11 (1983): 40-46, hier: 42.
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nierende Darstellung des weiblichen Gefühlskultes tritt von Beppo an eine komische Demaskierung der sentimentalen Glorifizierung der Natur. Zwar ist dies eine Wendung gegen die Wordsworthsche Naturdichtung und gegen die zahlreichen schriftstellemden englischen Touristen, aber es ist auch die Reaktion auf Byrons eigene romantische Naturerfahrung, wie er sie in Childe Harold niedergelegt hatte. Don Juan mutet in dieser Hinsicht nachgerade wie eine Parodie von Childe Harold an. Ernest J. Lovell, der die Entwicklung der Naturauffassung Byrons untersucht hat, kommt zu einem analogen Befund wie Profi tt: His rejection of the sentimental cant about nature was in part the act of a sentimentalist trying to protect himself from the easy emotion, but the violence of his reaction almost certainly carried over into a distrust of the genuine emotion evoked by a natural scene.30 Byron hält freilich seine kritische Distanz nicht konsequent durch, weil sie letztlich einem Zug seines Wesens zuwiderläuft und setzt sich damit dem Vorwurf der "inconsistency" aus. In Don Juan reagiert er auf diesen Vorwurf mit dem Hinweis auf die Widersprüchlichkeit der Welt und der Menschen: If people contradict themselves, can I Help contradicting them and everybody, Even my veracious self? But that's a lie; I never did so, never will. How should I? He who doubts all things nothing can deny.31 Der Grund für die Nähe des Erhabenen und des Lächerlichen bei Byron liegt also in einem inneren Zwiespalt Byrons, wie Lady Blessington erkannt hat, aber auch in seiner Erkenntnis der Widersprüchlichkeit der Menschen. Wenn somit die These Müllers von Byrons Hinwendung zum Lachen nach seinem Wechsel nach Italien um 1817/18 im Hinblick auf die Darstellung von Liebe und Natur mit gewissen Einschränkungen eine Bestätigung findet, so wird sie in anderer Hinsicht doch fragwürdig, nämlich im Hinblick auf das hohle, höhnische Lachen angesichts des Zustands der Welt und der conditio humana, in dem sich keineswegs Byrons Hinwendung zur "Lichtseite der Welt" offenbart.
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Ernest J. Lovell, Jr., Byron: The Record of a Quest: Studies in a Poet's Concept and Treatment of Nature (Hamden, Conn., 1966), Kap. II, "Byron's laughter," 49-66, hier: 66. Cf. als Beispiel Don Juan I, 87-94. Lord Byron, Don Juan, ed. T.G. Steffan, E. Steffan, and W.W. Pratt (Harmondsworth, 1973) XV, 88. Alle Zitate nach dieser Ausgabe. Auf die Nähe des Don Juan zur menippeischen Satire hat Philip W. Martin hingewiesen: "Reading Don Juan with Bakhtin," Nigel Wood, ed., Don Juan (Buckingham; Philadelphia, 1993) 90-121, hier: 107ff.
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Wo in Childe Harold I und II die Gebärde des Lachens erscheint - in den Cantos III und IV wird es überhaupt nicht erwähnt - da ist es, auf Childe Harold übertragen, das hohle Lachen Byrons aus dem Jahre 1811, sowie das "laughter false to the heart," das Annabella Milbanke an Byron getadelt hatte. Es erscheint als ein Lachen, mit dem der Held die Erinnerung an Kummer und Tod zu überspielen sucht.32 Vom Giaour heißt es: "Not oft to smile descendeth he, / And when he doth 'tis sad to see / That he but mocks at Misery."33 Dieses bittere Hohnlachen über das Elend der Welt und der conditio humana erklingt in Byrons späteren in Italien verfaßten Werken immer wieder und stellt eine Kontinuität dar, welche die These Müllers teilweise widerlegt. In der Verserzählung The Island (1823) spottet die Zeit mit "eisernem Lachen" über die Menschen und ihre Vergänglichkeit.34 In dem Mysterienspiel Heaven and Earth (1823) erklingt das "horrid laugh" eines Höhlengeistes über die Sinnlosigkeit des Leids, das eine Sintflut über die Welt und die Menschen bringen wird.35 In einer bemerkenswerten Sequenz von Strophen in Don Juan (IX, 11-13) wird das höhnische Lachen des Todes über die conditio humana und die "nothingness of life" (VII, 6) erwähnt. In den bisher genannten Passagen ist dieses bittere Hohnlachen nicht das persönliche Lachen Byrons. Die Hinwendung ins Persönliche erfolgt aber am Ende jener Todessequenz in Don Juan: It is sad merriment, But still it is so; and with such example Why should not Life be equally content With his superior in a smile to trample Upon the nothings which are daily spent Like bubbles on an ocean much less ample Than the eternal deluge, which devours Suns as rays, worlds like atoms, years like hours? (IX, 13) Die von Cuvier aufgestellte Hypothese einer Pluralität der Welten, die metaphysische Skepsis Hamlets, die von Montaigne beschriebene paradoxale Erfahrung des Lebens als Tod (IX, 14—16), die von Philosophen und Theologen immer wieder beschriebene Eitelkeit menschlicher Dinge sind der Hintergrund für Byrons poetisches Bekenntnis: "And if I laugh at any mortal thing,
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Byron, Poetical Works, ed. Frederick Page (Oxford; New York, 1970); "Childe Harold's Pilgrimage" II, 97: "Then must I plunge again into the Crowd, / And follow all that Peace disdains to seek? / Where Revel calls, and Laughter, vainly loud, / False to the heart, distorts the hollow cheek, / To leave the flagging spirit doubly, weak; / ..." Ibid. "The Giaour" V, 850-852. Ibid. "The Island" II, 15. Ibid. "Heaven and Earth" I, iii, 54-75.
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I Tis that I may not weep, ,.."36 Aus seiner Skepsis heraus definiert er dann das Anliegen seines Epos als: A versified aurora borealis, Which flashes o'er a waste and icy clime. When we know what all are, we must bewail us, But ne-ertheless I hope it is no crime To laugh at all things, for I wish to know What after all are all things - but a show? (VII, 2) Die Totalisierung des Showcharakters der Welt als eines 'waste land' erlaubt nicht, daß einzelne Bereiche für das Lachen tabuisiert werden, wie es Byrons Zeitgenossen gerne gehabt hätten. Mit der jetzt erklärten Absicht, über alles zu lachen, widersetzt Byron sich entschieden der Unterdrückung des Lachens, zu der ihn Annabella Milbanke, seine Verleger und Freunde und die zeitgenössischen Rezensenten drängten. Sein Lachen mußte bei einem sich am tradierten christlichen Weltverständnis orientierenden Publikum Anstoß erregen. Von Byrons Zeitgenossen mochten nur wenige glauben, daß das Leben "keine Kartoffel" wert sei (VII, 4). Eine weitere schon angedeutete Konsequenz des Wechsels nach Italien war, daß Byron einen Vergleichspunkt fand, von dem aus er englische ethnozentrische Einstellungen im Hinblick auf Wetter, Sprache, Politik und Frauen in komischer Weise demaskieren konnte.37 Die andersartigen italienischen Sitten ließen ihm vor allem den Anspruch der Engländer, ein moralisches Volk zu sein und darin ernst genommen zu werden, in Frage stellen. Byrons in Beppo und Don Juan, z.T. unter Verweis auf die Klimatheorie, immer wiederkehrende Einsicht in die Relativität von Moralvorstellungen ermöglichte ihm jene Distanz, aus der heraus er die Moralvorstellungen der englischen Gesellschaft zum Gegenstand seiner Satire zu machen versuchte.38 Dabei stieß Byron jedoch auf das Problem, daß die englische Gesellschaft seiner Zeit ein derartiges Maß an Uniformität und Verfeinerung erreicht zu haben schien, daß sie ihm kaum noch Gegenstände der Satire darzubieten vermochte. Mit Bedauern stellt Byron in Don Juan fest: "Society is smoothed to that excess / That manners hardly differ more than dress" (XIII, 94). Aufgrund der Uniformität der Gesellschaft und einer glatten Monotonie gesellschaftlicher Charaktere (XIV, 16) gibt es kaum mehr singuläre satirische Objekte: Our ridicules are kept in the background, Ridiculous enough, but also dull.
36 37
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Don Juan IV, 4. Poetical Works "Beppo", 39^9 und 89. Cf. Don Juan I, 63.
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Professions too are no more to be found Professional; and there is nought to cull Of folly's fruit, for though your fools abound, They're barren and not worth the pains to pull. Society is now one polished horde, Formed of two mighty tribes, the Bores and Bored. (XIII, 95, XIV, 15-17) Aus der Distanz des italienischen Exils gewinnt er jedoch einen neuen Gegenstand der Satire: die Verdrängung von Moral durch "cant" und "hypocrisy," von Wahrheit durch Fiktionen in der englischen Gesellschaft. Byron stellt seinen persönlichen, der Wirklichkeit, Wahrheit und Freiheit verpflichteten Moralbegriff der angeblichen Pseudomoral der englischen Gesellschaft gegenüber. Zu Lady Blessington sagt er: "It is my respect for morals that makes me so indignant against its vile substitute cant, with which I wage war, and this the good-natured world chooses to consider as a sign of my wickedness."39 Byron greift damit das Selbstverständnis seiner englischen Zeitgenossen an, und diese reagierten in der Verletztheit ihrer nationalen Gefühle ihrerseits mit dem Vorwurf, er sei durch den Einfluß Italiens sittlich verdorben worden. Der Satiriker Byron richtet sich gegen eine ganze Gesellschaft, und damit war sein Scheitern vorprogrammiert. Sein Scheitern war aber noch aus einem anderen Grund zwangsläufig. Byron, der nach seiner Orientreise nur wenige Jahre in England gelebt hatte und nur einen kleinen Teil der englischen Gesellschaft tatsächlich aus eigener Erfahrung kannte, war ein Wandel im Hinblick auf die gesellschaftliche Bewertung der Heuchelei entgangen. Lady Blessington schrieb dazu: In his hatred of what he calls cant and hypocrisy he is apt to denounce as such all that has the air of severity; and which, though often painful in individual cases, is, on the whole, salutary for the general good of society. [...] Byron sees not that much of what he calls the usages of cant and hypocrisy are the fences that protect propriety, and that they can not be invaded without exposing what it is the interest of all to preserve.40 Diese Aufwertung der Heuchelei als einer gesellschaftlichen Tugend mußte Byrons satirischer Komödie vollends den Boden entziehen und sein Lachen als gesellschaftlich subversiv erscheinen lassen.
39 40
Conversations 171. Ibid. 174. Cf. hierzu Verf., "Die Diskussion um den Niedergang der englischen Komödie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts," Anglia 101 (1983): 421^55, hier: 437ff.
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IV
Wenn die bisherigen Ausführungen dargelegt haben, daß Byrons Lachen von seinen national denkenden, ihre 'Vorurteile' verteidigenden, von der Empfindsamkeit geprägten und christlich orientierten Zeitgenossen abgelehnt werden mußte, so ist damit die Frage nach dem Verhältnis von Komik und Moral, die sich in diesem Zusammenhang stellt, noch nicht beantwortet. Das Ärgernis des Lachens über Byrons Komik bestand ja für die Zeitgenossen entscheidend darin, daß man selbst dieses Lachen, das nicht immer zu unterdrücken war, mißbilligen mußte. Wenn nun die gesellschaftliche Unterdrückung des Lachens nicht gelingen wollte, so lag es nahe, Überlegungen darüber anzustellen, ob sich nicht doch etwas zu seinen Gunsten sagen ließe. Schon der Essayist des London Magazine macht in dieser Situation einen ersten Versuch der Rechtfertigung. Er betont, daß der Mensch schlechthin nicht konsistent sei, "a laughing animal, and a laughable one."41 Er führt weiterhin aus, daß man sich seit jeher Freiheiten gegenüber den strengen Lehren der Moralisten und gegenüber den wesentlichsten Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens herausgenommen habe: "The temptation to irreverent mirth and dangerous ridicule is so great, that we are obliged to seek securities against their effects, rather than to prohibit or severely condemn their exercise."42 Nach diesen psychologisch-anthropologischen Beobachtungen geht er dann auf den moralischen Aspekt des Problems ein. Der Verfasser räumt ein, daß Byrons Komik zwar den Geist des vor allem jugendlichen Lesers beschmutzen möge, sein Verhalten jedoch nicht beeinflussen könne und somit harmlos sei. Die teilweise Rechtfertigung der Komik Byrons erfolgt also aus der Verbindung einer fundamentalistischen mit einer utilitaristisch-pragmatischen Moralauffassung. Sie beinhaltet Verurteilung und Entlastung zugleich. Immerhin leistet die Komik nach dieser Auffassung eine Enthebung von den pragmatischen Konsequenzen einer moralisch bedenklichen Situation; warum allerdings diese Komik folgenlos bleiben soll, wird nicht geklärt. Einen Schritt weiter ging Karl Rosenkranz in seiner Ästhetik des Häßlichen (1853). Rosenkranz versteht in diesem Werk das Häßliche als einen vom Schönen abgeleiteten Begriff. Das Schöne ist die positive Voraussetzung des Häßlichen, das als die Selbstvernichtung des Schönen verstanden wird. Aufgrund dieses Zusammenhangs kann das Häßliche sich wieder in das Schöne auflösen.43 Instrument dieser "Aufheiterung des Häßlichen in's Schöne" (53)
41 42 43
"Living Authors. Lord Byron" 54. Ibid. 55. "Das Schöne wird in diesem Proceß als die Macht offenbar, welche die Empörung des Häßlichen seiner Herrschaft wieder unterwirft. In dieser Versöhnung entsteht eine unendliche Heiterkeit, die uns zum Lächeln, zum Lachen erregt. Das Häßliche befreit sich in dieser Bewegung von seiner hybriden, selbstischen Natur. Es gesteht seine
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ist die Komik. Dabei ist die Unfreiheit das entscheidende Merkmal des Häßlichen (62). Umgekehrt gehört die Freiheit als "Beseelung durch Selbsttätigkeit, durch ein ihm selber entströmendes Leben" (166) zum Begriff des Schönen. Komik ist daher auch das Mittel, die in allem Häßlichen eingeschlossene Unfreiheit zum Schönen hin zu befreien. Vor diesem Hintergrund betrachtet Rosenkranz in dem Abschnitt "Die Gemeinheit des Obszönen" einige heikle Szenen in Byrons Don Juan und schreibt: Diese ganze Region der sexuellen Gemeinheit kann nur durch die Komik ästhetisch befreiet werden. Die ethische Seite muß in diesem Fall ignorirt und nur der thatsächliche Widerspruch, der in der Situation als solcher liegt, festgehalten werden. Die Komik muß sich nur dem Geschehen als solchem zuwenden, denn jede tiefere Auffassung würde sie stören. Byron hat in seinem Don Juan diese Komik in sehr pikanten Szenen geübt, die uns lachen lassen, ohne uns zu entrüsten. Julia, die üppige Spanierin, stopft, als ihr Mann mit den Alguazils in ihr Zimmer dringt, Don Juan unter das Bettdeck und hält nun eine fulminante Predigt, wie man so schamlos sein könne, bis an ihr Bett zu dringen. Man durchsucht Alles in der Stube bis unter das Bett und findet nichts Verdächtiges, während der Schuldige im Bette schwitzt. Oder Don Juan wird von der Sultanin in Konstantinopel als Sclav gekauft, als Mädchen verkleidet, in den Harem gesteckt, da es aber noch an einem Bett für ihn fehlt, provisorisch für die erste Nacht einer der Odalisken zugesellt, welche dann einen so sonderbaren und lebhaften Traum träumt, daß ihr Aufschrei den ganzen Schlafsaal in Aufruhr bringt. In diesen Fällen muß die Komik, wie gesagt, von aller sittlichen Kritik abstrahiren, allein die Möglichkeit dieser Abstraction muß auch in dem ganzen übrigen Complex der Umstände liegen, wie wir z.B. hier in einem Harem von einem als Mädchen verkleideten Don Juan, der ohne sein Zuthun einer Odaliskin als Bettgenosse zuertheilet wird, die Vergessenheit der ethischen Postulate nicht überraschend finden werden. (246f.)
Nach Rosenkranz scheint die ästhetische Befreiung dieser Szenen darin zu liegen, daß der Erzähler sich jeglichen moralischen Kommentars enthält und sich auf die Darstellung der Inkongruenz der Situation konzentriert. Mag damit die ästhetische Befreiung durch die Komik von Seiten des Erzählers gegeben sein, so heißt dies jedoch nicht auch schon, daß der jeweils konkrete Leser seine eigenen moralischen Einstellungen gleichsam zwangsläufig suspendieren müsse, um die Situation mit gleicher Heiterkeit betrachten zu können. Verweigert der konkrete Leser aufgrund individueller oder gruppenspezifischer Einstellungen diese Suspension des moralischen Urteils, so findet
Ohnmacht ein und wird komisch. Alles Komische begreift ein Moment in sich, welches sich gegen das reine, einfache Ideal negativ verhält; aber diese Negation wird in ihm zum Schein, zum Nichts heruntergesetzt. Das positive Ideal wird im Komischen anerkannt, weil und indem seine negative Erscheinung sich verflüchtigt." Cf. Karl Rosenkranz, Ästhetik des Häßlichen (1853; Darmstadt, 1973) 7f. Alle Zitate nach dieser Ausgabe.
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eine ästhetische Befreiung keinesfalls statt, Entrüstung und Lachen werden einander gegenüberstehen. Rosenkranz' Theorie greift in diesem Falle nicht weit genug, weil er die subjektiven und relativen Dispositionen des jeweils realen Rezipienten nicht fixieren kann. Dennoch läßt sich die enthebende Komik dieser Passagen mit dem Rosenkranzschen Grundgedanken durchaus erklären. Die Inkongruenz der Situation in Dona Julias Schlafzimmer ist zwiefach: zum einen demaskiert der Widerspruch von Situation und empörter Rede die Dame als eine Heuchlerin, was oberflächlich betrachtet der Frauensatire dienen mag. Die ästhetische Häßlichkeit dieses Widerspruchs wird freilich dadurch gelöst, daß einerseits der Erzähler von aller "sittlichen Kritik abstrahirt," und daß vor allem andererseits diese Heuchelei eine Strategie der Befreiung und der Selbstbestimmung ist, welcher der Rezipient von einer höheren Norm aus ohne schlechtes Gewissen zustimmen kann. Wenn aber, wie die zeitgenössische Rezeption des ersten Canto von Don Juan zeigt, die spontane Selbstbestimmung der Frau in einer konventionellen, lieblosen Ehe durch die moralischen Normen der Zeit tabuisiert ist, dann ist moralische Empörung berechtigt. In diesem Sinne hat Rudolf Gottschall 186644 unter Rückgriff auf den Rosenkranzschen Begriff der ästhetischen Befreiung über Don Juan geschrieben: "Don Juan" ist eine ironische Polemik gegen die Herrschaft der Sitte, welche in jedem Lande mit dem Anspruch der Allgemeingültigkeit auftritt, während doch, was in dem einen von ihren Gesetzen geboten wird, in den ändern für verpönt und strafbar gilt. Gegenüber diesem Sittengesetz, das sich oft so tyrannisch geberdet, während es so für einen höhern Standpunkt sich selbst aufhebt, macht der Dichter, mit dem uralten Recht des Satirikers, durch alle Verschleierungen hindurch hinzuweisen auf die nackte menschliche Bedürftigkeit, die Gewalt des sinnlichen Triebes geltend, der in dieser ironischen Beleuchtung als der Kern, als das Bleibende in dem Wechsel der Erscheinungen, in der Maskerade der sittlichen Costume erscheint.45 Die von Gottschall beschriebene Enthebung ist freilich nur möglich, wenn der Betrachter nicht auf der Ebene der zeitgenössischen Sitte verharrt, sondern einen höheren Standpunkt einnimmt, der durch die Normen der Wirklichkeit und Freiheit bestimmt wird.
44 45
"Byron und die Gegenwart," Unsere Zeit 2. Hälfte (1866): 480ff. Ibid. 488.
HANS HORCHERS
Die amerikanische Tall Tale: Rhetorik und soziale Funktion
Amerikas literarischer Humor hat eine Geschichte, die bis zu den ersten Landnahmen durch europäische Seefahrer und Siedler im 16. und 17. Jahrhundert zurückreicht. Am Anfang finden wir die für das gierige Lesepublikum der Alten Welt geschriebenen, z.T. grotesk-übersteigerten Berichte über eine schier unfaßbare Natur. Im 20. Jahrhundert ist das Spektrum natürlich viel breiter. Es reicht von den zahlreichen Varianten des ethnischen Humors bis zum Schwarzen Humor, der seit den 60er Jahren im Roman, aber auch in Drama und Theater Eingang gefunden hat. Angesichts einer so langen Geschichte, in der der literarische Humor in Amerika wechselnden Bedingungen unterworfen war und sich in Formen und Funktionen stark diversifizierte, ist es müßig, nach einheitlichen Strukturen, ja nach einer ganz eigenen, nationalspezifischen Tradition des verschriftlichten Humors zu suchen. Benjamin Franklin mit seiner berüchtigten Anekdote von den Walen, die den NiagaraFall hochspringen,1 schrieb nicht nur in einer anderen Zeit, sondern auch in einem völlig anderen Kommunikationszusammenhang als z.B. Joseph Heller, dessen Roman Catch-22 1961 eine ganze Nation zum Lachen brachte. Und dennoch: Wenn wir für Amerika schon nicht eine die Jahrhunderte überdauernde und singuläre Tradition des literarischen Humors reklamieren können, so gibt es doch spezifische Konditionen und Erfahrungen, die eben nur an dieses Land, seine Besiedlung und seine gesellschaftliche Entwicklung gebunden sind und die bestimmte dominante Formen und Konventionen hervorgebracht haben, derer sich amerikanische Literaten bis heute immer wieder bedienen, um ihre Leser zum Schmunzeln und zum Lachen zu bringen. Zu diesen Konditionen und Erfahrungen gehört, eigentlich seit Kolumbus, die Grenze - gemeint als Demarkationslinie und Niemandsland zwischen uns und den anderen, zwischen Bekanntem und Unbekanntem, Kultur und Natur, zwischen östlicher Verfeinerung und westlicher Barbarei - oder auch, komplementär dazu, zwischen der Dekadenz der alten Welt und dem Glücksversprechen der neuen. In einem historisch-konkreteren Sinne meint Grenze darüber hinaus die frontier, also die mit der Eroberung des amerikanischen 1
Benjamin Franklin, Benjamin Franklin's Letters to the Press, ed. Verner W. Crane (Chapel Hill, 1950) 32-35.
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Kontinents im 18. und 19. Jahrhunderts langsam von Ost nach West vorrückende Siedlungslinie. In den Köpfen der mit Amerika in Berührung kommenden Menschen haben die an der Grenze gemachten Erfahrungen Dichotomien und Wahmehmungsbrüche evoziert. Nicht nur wurde hierdurch das Eigen- wie auch das Fremdbild der Amerikaner nachhaltig geprägt, die Spannungen, die in diesen Dichotomien enthalten sind, haben darüber hinaus durch die Jahrhunderte die Phantasie der Menschen beflügelt und sie zu Satire, Spott, Ironie und Humor angestachelt. Als Beispiel sei der uns allen bekannte Groucho Marx erwähnt, der die Desillusionierung des mit hochgesteckten Erwartungen nach Amerika gekommenen Immigranten in ein witziges Bonmot umsetzte: "When I came to this country I didn't have a nickel in my pocket. Now I have a nickel in my pocket."2 Die Pointe dieses Witzes liegt, rhetorisch gesehen, in der dreisten Manipulation des Adressaten, der nach dem ersten Satz die stereotype Geschichte vom glänzenden materiellen Erfolg des Einwanderers in Amerika erwartet. Inhaltlich gesehen, hebt Grouchos Kalauer auf die Kontrastierung von Ideal und Wirklichkeit in einer das Glück auf Erden versprechenden Gesellschaft ab. Hinzu kommt die Selbstverkleinerung des Erzählers, der zu erkennen gibt, daß er in dem vermeintlich so großen und reichen Amerika ein Versager geblieben ist. Vielleicht - dies am Rande - können wir in einer solchen Form der Auseinandersetzung mit dem Anderen, in dieser knitzen, selbstverleugnenden Abrechnung mit Amerika einen Grundzug des dort gewachsenen jüdischen Humors erkennen. Eine andere Form hat nicht die Verkleinerung, sondern die überdimensionale Vergrößerung zum dominanten Stilprinzip gemacht. Gemeint ist jene Form des literarischen Humors, von der in diesem Essay die Rede ist, die Tall Tale. Tall Tale würden wir im Deutschen wohl mit "Lügengeschichte" übersetzen müssen, wenn auch dadurch ein Konnotationsfeld eröffnet wird, das nicht wesentlich zum Verständnis der amerikanischen Variante beiträgt. Denn die Lügengeschichte ist natürlich eine Form, die es auch in vielen anderen nationalen Literaturen gibt und die historisch bis in die Antike zurückreicht. Nicht zuletzt findet sie sich in Deutschland, wo etwa Rudolf Erich Raspe um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert mit den spektakulären Reiseerzählungen des Lügenbarons von Münchhausen ein breites Publikum begeisterte. Obgleich amerikanische Literaten Raspe womöglich gekannt und ihm nachgeeifert haben,3 können wir die amerikanische Tall Tale nicht kurzerhand als
Nancy Pogel und Paul P. Somers, Jr., "Literary Humor," Humor in America: A Research Guide to Genres and Topics, ed. Lawrence E. Mintz (New York, 1988) 1. Zu Raspes Rezeption in England und Amerika cf. Walter Blair, "A German Connection: Raspe's Baron Munchausen," Essays on American Humor: Blair Through the Ages, ausgew. und ed. Hamlin Hill (Madison, 1993) 57-71.
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Münchhausen-Adaptation bzw. als amerikanische Ausprägung einer weltweit vorzufmdenen literarischen Konvention begreifen. Schon unter quantitativen Gesichtspunkten fällt auf, daß die Tall Tale in der amerikanischen Literatur einen viel bedeutenderen Stellenwert einnimmt, als es die Lügengeschichte in anderen Nationalliteraturen tut. So zeigt ein Blick in Ernest Baughmans Studie Type and Motif-Index of the Folktales of England and North America (1966), daß von den dort erfaßten 3871 humorvollen Erzählungen, die die FolkloreForscher für Amerika zusammengetragen hatten, der Löwenanteil, nämlich 3710 Erzählungen, der Gattung der Tall Tale zuzurechnen sind - gegenüber nur 29 Tall Tales, die unter den 3966 Exemplaren des literarischen Humors britischer, schottischer, walisischer und irischer Provenienz zu finden waren. Ein derartiger Befund wirft natürlich nachdrücklich die Frage nach den Gründen für diese ganz exorbitante Privilegierung der Tall Tale in Amerika auf. Ohne diese Frage hier systematisch beantworten zu können, sei erwähnt, daß Hyperbole, Vergrößerung, Übertreibung und Angeberei von einschlägig interessierten Literaturhistorikern schon sehr früh als zentrale Markenzeichen des amerikanischen Humors bezeichnet worden sind. Ein englischer Rezensent machte bereits 1838 im London and Westminster Review die entsprechende unmißverständliche Beobachtung: "The curiosity of the public regarding the peculiar nature of American humour seems to have been easily satisfied with the application of the all-sufficing word exaggeration."4 Und Howard Mumford Jones hat in seiner Studie O Strange New World von 1965 auf den wohl wichtigsten der amerikanischen Affinität zur Tall Tale zugrundeliegenden Ursachenkomplex verwiesen. Jones faßte seinen Überblick über die zahllosen frühen Reisebeschreibungen und Siedlerberichte, z.T. einschließlich der sogenannten promotional literature, folgendermaßen zusammen: The unpredictable, the abnormal, the inhuman, the cruel, the savage, and the strange in terms of European experience were from the beginning part of the image. [...] The New World was filled with monsters animal and monsters human; it was a region of terrifying forces, of gigantic catastrophies [...] where the laws of nature tidily governing Europe were transmogrified into something new and strange.5 Damit ist der Rahmen abgesteckt für ein Eingehen auf die hohe Zeit der amerikanischen Tall Tale, die anzusetzen ist etwa von 1830 bis zur Phase unmittelbar nach dem Bürgerkrieg. In diesen vier Dekaden haben die sogenannten Southwestern Humorists in Zeitungen und Zeitschriften, später dann auch zusammengefaßt in Anthologien, eine riesige Zahl von witzigen bis skurrilen, zum großen Teil dialektalischen, Geschichten vorgelegt und damit
Zitiert in Walter Blair, Native American Humor (1937; New York, 1960) 5. Jones, O Strange New World (London, 1965) 70.
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eine große Leserschaft, vor allem an der Ostküste, begeistert. Bedeutendstes Vehikel der Southwestern Humorists - gemeint sind mit der regionalen Bezeichnung übrigens das damals noch weitgehend unbesiedelte und unzivilisierte /ro/if/er-Territorium der heutigen Bundesstaaten Alabama, Arkansas, Georgia, Kentucky, Louisiana, Mississippi, Tennessee und Texas - war die Zeitschrift Spirit of the Times, die zwischen 1831 und 1861 existierte und bis 1856 von ihrem Begründer William T. Porter in New York herausgegeben wurde. Porter verstand es, die zahllosen Geschichtenerzähler und Amateurjournalisten des Südwestens - Flußfahrer, Armeeoffiziere, Zeitungsschreiber, Reisende, Siedler und Schauspieler, aber auch Anwälte, Ärzte und Kongreßabgeordnete - zur Veröffentlichung im Spirit zu animieren. Es waren Geschichten, Anekdoten und drollige Begebenheiten fiktiver oder berichtender Natur, die in den Bars und Gerichtssälen, auf den Flußdampfern und an den Lagerfeuern dieser Pioniergesellschaft anfänglich zumeist mündlich kursierten. Darüber hinaus wertete Porter die lokalen Zeitungen aus, die von den Menschen dieser Grenzgebiete gelesen wurden, etwa die New Orleans Picayune, die St. Louis Reveille, die Cincinnati News oder den Louisville Courier, und druckte die kuriosesten Schnurren und phantastischsten Tall Tales, die er dort finden konnte, im Spirit of the Times ab. Die Literaturgeschichtsschreibung hat den literarischen Humor und die Tall Tale des ante-bellum America seit der ersten modernen Anthologie, Franklin J. Meines Tall Tales of the Southwest (1930), als Vorläufer der Local ColorBewegung nach dem Bürgerkrieg und des amerikanischen Realismus in der zweiten Jahrhunderthälfte gedeutet. Sie hat darüber hinaus mit schöner Regelmäßigkeit auf den Einfluß der Southwestern Humorists in den Werken einer Reihe von großen amerikanischen Erzählern wie Mark Twain, William Faulkner oder Philip Roth hingewiesen. Was sie mit diesem entwicklungsgeschichtlichen Erklärungsmodell freilich nicht leisten konnte und nicht geleistet hat, ist, die angemessene Analyse und Würdigung einer zugegebenermaßen ästhetisch nicht hochstehenden, dafür aber genuin amerikanischen Bewegung voranzutreiben und sie im Blick auf narrative Struktur, rhetorische Usancen und soziale Funktionen in einer noch unfertigen amerikanischen Gesellschaft besser zu verstehen. Der vorliegende Essay will anhand von drei Tall Tales einen Beitrag zu ihrem besseren Verständnis in diesem Sinne leisten. Einer der ersten großen "Verschriftlicher" der Tall Tale war Augustus Baldwin Longstreet, Anwalt, Richter, Zeitungsverleger und später CollegePräsident, u.a. an den Universitäten von Mississippi und South Carolina. 1832 bis 1835 veröffentlichte er in der von ihm in Augusta, Georgia, herausgegebenen Zeitung The States Rights Sentinel eine Serie von humorvollen Skizzen, mit denen er Land und Leute in Georgia während der ersten fünfzig Jahre der Republik charakterisieren wollte. 1835 faßte er sie in der Sammlung Georgia
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Scenes zusammen, über die kein Geringerer als Poe in einer Rezension lobende Worte fand: "Seidom - perhaps never in our lives - have we laughed so immoderately over any book as over the one now before us."6 Schauen wir uns den ersten Text der Sammlung an mit dem Ziel, zu verstehen, was Edgar Allan Poe dermaßen zum Lachen reizte. Es handelt sich um die Skizze "Georgia Theatrics," und schon eine kursorische Lektüre läßt erkennen, daß sie uns zwei mögliche Lektüreebenen eröffnet. Auf der einen Ebene bietet "Georgia Theatrics" die realistische Aufarbeitung regionalen Lokalkolorits. Thema ist die Wildheit und Brutalität der Einheimischen, es geht um ihre Streitlust und ihre Neigung zu handgreiflichen Auseinandersetzungen. Der Erzähler beschreibt einen solchen Kampf, an dessen Ende er Zeuge der ihm widerwärtigen Technik des eye-gouging wird, wobei dem schon besiegten Gegner mit den Daumen die Augen aus den Höhlen gedrückt werden. Auf der zweiten Ebene wird das Interesse des Lesers dieser Tall Tale durch die Erzählerfigur gebunden. Es ist eine Figur, die dem Bericht über den Kampf in belehrender Manier einen Passus über den moralischen Tiefstand der backwoodsmen im Lincoln County, Georgia, vorschaltet: If my memory fail me not, the 10th of June, 1809 found me, at about 11 o'clock in the forenoon, ascending a long and gentle slope in what was called "The Dark Corner" of Lincoln. I believe it took its name from the moral darkness which reigned over that portion of the country at that time of which I am speaking.7 Dies ist die Stimme des von außen kommenden zivilisierten Beobachters, der nicht nur die Rohheit der Sitten der Menschen hier an der Grenze aus der überlegenen Perspektive des Easterner beklagt, sondern der auch mit seiner elaborierten Diktion die Prägung durch die konventionelle Poetik des Augustan Age zu erkennen gibt - wenn er etwa als Hintergrund des von ihm zufällig beobachteten wilden Handgemenges die liebliche Landschaft am Rande der Zivilisation als locus amoenus evoziert: Whatever may be said of the moral condition of the Dark Corner of the time just mentioned, its natural condition was anything but dark. It smiled in all the charms of spring; and spring borrowed a new charm from its undulating grounds, its luxuriant woodlands, its sportive streams, its vocal birds, and its blushing flowers.8 Östliche Verfeinerung und Überlegenheit erweisen sich am überraschenden Ende der kurzen Erzählung jedoch als trügerische Kategorien. Als nämlich der
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Franklin J. Meine, ed., Tall Tales of the Southwest (New York, 1930) XVIII. Walter Blair, Native American Humor 287. Ibid.
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Erzähler den Sieger des Kampfes zur Rede stellen will und auf ihn zugeht, begreift er zu seiner und zu unserer großen Verblüffung, daß es überhaupt keinen zweiten Kämpfer gegeben hatte, sondern daß der vermeintliche Sieger die brutale Schlägerei gewissermaßen als eine Form des Schattenboxens gegen einen imaginierten Gegner inszeniert hatte. Dem völlig verdutzten Erzähler hält er spöttisch und im breitesten regionalen Dialekt entgegen - "with a taunting curl of the nose": "You needn't kick before you're spurr'd. There a'n't nobody there, nor ha'n't been nother. I was jist seein' how I could 'a' fout."9 Longstreets Tall Tale, so könnte man zusammenfassen, greift die Vorurteile gegenüber den vermeintlich unzivilisierten und rohen Menschen an der frontier, wie sie bei den Lesern der Ostküstenmetropolen bestanden, auf, bestätigt sie zum Schein, um sie dann in einer überraschenden Wendung als östliche Projektionen zurückzunehmen und lächerlich zu machen. Als William Faulkner im Sommer 1954 der University of Miami einen Besuch abstattete, wurde er während seines Aufenthaltes auf dem Campus von einem Professor des dortigen Department of English und dessen graduate student betreut. Letzterer erzählte Faulkner, daß er an einer Dissertation arbeite über die Beziehung zwischen seinem, Faulkners, Erzählwerk und dem literarischen Humor des Südwestens in der Periode vor dem Bürgerkrieg. William Faulkner zeigte sich natürlich sehr interessiert und sprach von seiner Wertschätzung des Southwestern Humor, dabei hob er besonders die Erzählung "The Big Bear of Arkansas" hervor: [He] paid a fine compliment to Thomas Bangs Thorpe's "The Big Bear of Arkansas." The student said he thought he could detect similarities between that story and Faulkner's "The Bear." Faulkner looked surprised. Then: "That's a fine story. A writer is afraid of a story like that. He's afraid he'll try to rewrite it. A writer has to learn when to run from a story."10 "The Big Bear of Arkansas" gilt heute als eine der klassischen Erzählungen der amerikanischen Tall /e-Tradition. In Verlängerung dieser Aussage könnte man formulieren, daß ihr Autor, Thomas Bangs Thorpe, gesehen vor dem Hintergrund der Wirkungsgeschichte der Tall Tale, über eine klassische Biographie verfügte, insofern er sowohl Easterner wie auch Westerner war. Von Geburt ein aus Massachusetts stammender Neuengländer und Yankee, ging Thorpe aus gesundheitlichen Gründen als junger Mann nach Lousiana und verbrachte dort als Maler, Journalist und Schriftsteller die produktivsten
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Ibid. 289. Der Bericht über diese Begegnung findet sich in Walter Blair und Hamlin Hill, America's Humor: From Poor Richard to Doonesbury (New York, 1978) 200.
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Jahre seines Lebens. "The Big Bear of Arkansas" wurde 1841 im Spirit of the Times zum erstenmal veröffentlicht und später dann immer wieder anthologisiert.11 Die Geschichte wurde zum Klassiker, weil sie nicht nur eine tiefsinnige Fabel enthält, sondern auch Voraussetzungen und Zustandekommen des mündlichen Erzählens thematisiert und dabei die Umstände einer Tall TaleSitzung kongenial simuliert. Als Rahmenerzählung gebaut, bietet sie uns in der im Eröffnungsrahmen enthaltenen Exposition aus der Perspektive eines sich förmlich und distanziert gerierenden Ich-Erzählers einen informierten und informierenden Blick in die bunte Welt der Mississippi-Flußdampfer und ihrer Passagiere. Thorpe zeichnet diese Welt als veranlassendes Umfeld seiner Tall Tale. Mit der Flußgesellschaft an der Schnittstelle zwischen Zivilisation und Wildnis stellt er für den Leser des "Big Bear of Arkansas" einen der wichtigsten sozialen Kontexte für die Entstehung und Beförderung des mündlichen Erzählens im Amerika der Vor-Bürgerkriegszeit bereit - einen Kontext im übrigen, der ja auch in Mark Twains The Adventures of Huckleberry Finn das Ambiente abgibt. Der Text besteht aus einer Exposition, drei längeren Mittelteilen und einem prägnanten Schluß. Während der erste Teil, wie angedeutet, in das soziale Umfeld des nach der Exposition auftretenden Tall /e-Erzählers mit Namen Jim Doggett sowie in die äußeren Umstände und Bedingungen seines Agierens und Erzählens einführt, zeigen Teil 2 und 3 Jim Doggett in Aktion. Teil 2 bietet mehrere Kostproben seines hyperbolischen Humors, von Thomas Bangs Thorpe in Form von kleinen Dialogen zwischen Jim und diversen Mitreisenden realisiert. Teil 3 beginnt, nachdem etwa die Hälfte der Gesamterzählzeit verstrichen ist, und beinhaltet eine Binnenerzählung, die von Jim Doggetts langwieriger, aber schließlich erfolgreicher Jagd auf den im Titel figurierenden großen Bären von Arkansas handelt. Der kurze Schlußteil pointiert noch einmal das problematische und für unsere Analyse entscheidende Verhältnis zwischen Rahmenerzähler und Binnenerzähler. Ähnlich wie in Longstreets "Georgia Theatrics" ist auch in Thorpes "Big Bear of Arkansas" schon der stimmliche Unterschied zwischen dem von außen kommenden Rahmenerzähler und dem einheimischen Binnenerzähler deutlich erkennbar. Der zivilisierte Rahmenerzähler vermag es, seine Gedanken logisch fortschreitend und in ordentlichen hypotaktischen Satzkonstruktionen zu formulieren. Sein Bericht setzt in der Exposition des Textes ein mit einem kultiviert und distanziert klingenden Hinweis auf die Heterogenität der Passagiere auf einem Mississippi-Dampfboot:
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Spirit 11 (März 1841): 43-44. Zitiert wird im folgenden aus der von Walter Blair herausgegebenen Anthologie Native American Humor.
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A steamboat on the Mississippi frequently, in making her regular trips, carries between places varying from one to two thousand miles apart; and as these boats advertise to land passengers and freight at "all intermediate landings," the heterogeneous character of the passengers of one of these up-country boats can scarcely be imagined by one who has never seen it with his own eyes. Starting from New Orleans in one of these boats, you will find yourself associated with men from every state in the Union, and from every portion of the globe; and a man of observation need not lack for amusement or instruction in such a crowd, if he will take the trouble to read the great book of character so favorably opened before him. [...] In the pursuit of pleasure or business, I have frequently found myself in such a crowd.12 Zum syntaktisch wohlgeordneten Satzbau kommt ein gewähltes, Bildung verratendes Vokabular sowie, in bezug auf das darzustellende bunte Treiben an Bord, ein Anflug elitärer Distanz und Überlegenheit. Der Erzähler läßt durchblicken, daß er sich für einen Mann mit großer Beobachtungsgabe hält, der aus dem vor ihm aufgeschlagenen Buch über den menschlichen Charakter lesen wird. Er stellt sich also als kompetenten und verläßlichen Beobachter vor und appelliert damit an uns, ihm unser Vertrauen zu schenken. Ganz anders dagegen die Stimme Jim Doggetts. Er wird vom Erzähler als Naturbursche mit magnetisierender Ausstrahlung geschildert. Die Herzen der Mitreisenden fliegen ihm zu, als er die Kabine betritt und sofort machtvoll das Wort ergreift: [He] walked into the cabin, took a chair, put his feet on the stove, and looking back over his shoulder, passed the general and familiar salute of "Strangers, how are you?" [...] Some of the company at this familiarity looked a little angry, and some astonished; but in a moment every face was wreathed in a smile. There was something about the intruder that won the heart on sight. He appeared to be a man enjoying perfect health and contentment: his eyes were as sparkling as diamonds, and good-natured to simplicity. Then his perfect confidence in himself was irresistably droll. "Perhaps," said he, "gentlemen," running on without a person speaking, "perhaps you have been to New Orleans often; I never made the first visit before, and I don't intend to make another in a crow's life. I am thrown away in that ar place, and useless, that ar a fact. Some of the gentlemen thar called me green - well, perhaps I am, said I, but I arn't so at home; [...] And then they talked to me 'bout hunting, and laughed at my calling the principal game in Arkansaw poker, and high-low-jack. [...] Game, indeed, that's what city folks call it; and with them it means chippenbirds and shitepokes; maybe such trash live in my diggens, but I arn't noticed them yet; a bird anyway is too trilling. I never did shoot at but one, and I'd never forgiven myself for that, had it weighed less than forty pounds. I wouldn't draw a rifle on any thing less than that; and when I meet with another wild turkey of the same weight I will drap him."
Thorpe, "The Big Bear of Arkansas," Native American Humor 337.
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"A wild turkey weighing forty pounds!" exclaimed twenty voices in the cabin at once.13
Mehrere Beobachtungen lassen sich an dieser Textstelle festmachen. Zunächst einmal wird deutlich, daß Jim Doggett seine Ausgangsmotivation für das Erzählen von Tall Tales aus dem von ihm als antagonistisch empfundenen Gegensatz zwischen der Stadt, hier New Orleans, und seiner Heimat im Arkansas-Territorium am Rande der Wildnis ableitet. Um seine Stimme zu beschreiben, ist zu notieren, daß Jim mit - freilich nur angedeuteter - dialektalischer Färbung spricht, daß er sich über den verweichlichten Sprachgebrauch der Städter mokiert, daß er höchst idiosynkratische Insider-Bezeichnungen für die Fauna des Landes ("chippen-birds and shitepokes") verwendet, und daß er sich, etwa mit einem Satz wie "I never made the first trip before," souverän über die Regeln von Logik und Grammatik hinwegsetzt. Wichtige und für die Entstehung der Tall Tale aus einer volkstümlichen mündlichen Erzähltradition heraus relevante Attribute seines Auftretens sind ferner die Spontaneität, Selbstverständlichkeit und Beiläufigkeit, mit denen sich der Tall /e-Erzähler das Szenario für sein Geschichtenerzählen konstruiert. Der womöglich wichtigste Bestandteil dieses Szenarios ist seine dialogische Struktur. In der zitierten Passage sind Jim Doggetts Zuhörer von der Geschichte der Jagd auf den vierzigpfündigen Truthahn überrascht. Sie stacheln durch ihre Nachfrage den Erzähler zu einer weiteren lügenhaften Übertreibung an: "Yes, strangers, and wasn't it a whopper? You see, the thing was so fat that it couldn't fly far; and when he fell out of the tree, after I shot him on striking the ground he bust open behind, and the way the pound gobs of tallow rolled out of the opening was perfectly beautiful."14
Henry B. Wonham hat in einer neueren Arbeit die dialogische Struktur der Tall Tale als ihre rhetorische Grundsituation bezeichnet, wobei er im Hinblick auf die Zuhörerschaft zwischen den der Gemeinschaft des Erzählers Zugehörigen und den Außenseitern unterscheidet. Nach Wonham hat die Übertreibung die Funktion, Außenseiter mit Geschichten zu betrügen, die das von der Insider-Gemeinschaft Erlebte schamlos übertreiben, um den Außenseiter einerseits in die Gemeinschaft hineinzulocken, ihn andererseits aber auch auszugrenzen und dadurch die kulturelle Überlegenheit der Gemeinschaft zu bestätigen.15 Dies ist ein kommunikationsanalytisches Modell, das sich zunächst auf die mündliche Situation des Geschichtenerzählens bezieht, weil es
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Ibid. 338-339. Ibid. 339. Henry B. Wonham, Mark Twain and the Art of the Tall Tale (New York, 1993) 27.
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von einer mehr oder weniger spontanen Interaktion zwischen Erzähler und Zuhörern ausgeht. Die Bedeutung der Tall Tale ist in diesem Verständnis keine Funktion ihres Textes, also der vom Erzähler präsentierten Lügengeschichte, sondern wird maßgeblich im Dialog und in der Interaktion zwischen Insider-Gruppe und zuhörenden Außenseitern generiert. Thomas Bangs Thorpe hat in "The Big Bear of Arkansas" dieses Grundschema der mündlichen Erzählsituation, so gut es geht, simuliert und verschriftlicht. Dabei fällt auf, daß er zunächst einen anderen Solidarisierungseffekt intendiert als den von Wonham für die mündliche Situation reklamierten unter den Insidern der Gruppe. Der Tall /e-Erzähler ist nämlich bei Thorpe gewissermaßen ein Einzelkämpfer, der sich einer großen Gruppe von skeptischen Zuhörern gegenüber sieht - Zuhörer, die offenkundig aus zivilisierteren Regionen Amerikas oder Europas stammen und Jim Doggett mit ihren Kommentaren oder Einwürfen zu immer monströseren Lügengeschichten animieren. Eine Solidarisierung zwischen Jim und seinen Zuhörern findet hier, zumindest am Anfang der Interaktion, nicht statt. Mit Jim solidarisieren tut sich allenfalls der Leser, der sich das Lachen nicht verkneifen kann, wenn er die Fragesteller einen nach dem anderen der Lächerlichkeit preisgibt. So erläutert Jim einem "cynical-looking Hoosier,"16 also einem Yankee aus Indiana, der sich über die Moskitos in Jims geliebtem Arkansas ereifert, wie eben diese Moskitos in Arkansas einmal einen Yankee krankenhausreif gestochen und dann aus dem Land vertrieben haben. Und einem "gentlemanly foreigner"17 erzählt er von einer Bärenjagd, an deren Ende der Bär aus dem Einschußloch eine zehn Fuß lange Dampffontäne abgelassen habe. Zu den Fragestellern gehört auch der Rahmenerzähler. An einer für den Fortgang der Geschichte strategisch wichtigen Stelle, nämlich am Ende des zweiten Teils, fordert er Jim Doggett auf - nachdem dieser schon ein paar Anekdoten über die Bärenjagd in Arkansas zum besten gegeben hatte — "[to] give me a description of some particular bear hunt."18 Jim nimmt die Herausforderung an, zunächst zögernd und suchend, dann aber entscheidet er sich rasch für die Geschichte vom größten Bär, der jemals gejagt wurde, dem "Big Bear of Arkansas:" "Stranger," said he, "in bear hunts / am numerous, and which particular one, as you say, I shall tell, puzzles me. There was the old she devil I shot at the Hurricane last fall - then there was the old hog thief I popped over at the Bloody Crossing, and then - Yes, I have it! I will give you an idea of a hunt, in which the greatest bear was killed that ever lived, none excepted [...]."19
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Thorpe, "Big Bear" 339. ibid. 340. Ibid. 342-343. Ibid. 343.
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Für das Verständnis der Gesamterzählung zentral ist die Einsicht, daß der nun folgende Bericht über die Jagd auf den "Big Bear" die Qualität der Tall Tale transzendiert und in Bereiche des Mythologischen vordringt. Diese Einsicht resultiert nicht nur aus den überdimensionalen Attributen des Bären, seiner Riesengröße und -kraft. Der große Bär scheint darüber hinaus schier unerlegbar zu sein. Der renommierte und erfahrene Bärenjäger Jim Doggett verfolgt ihn über zwei lange Jahre, in denen seine Pferde und Jagdhunde immer wieder völlig erschöpft und aufgebraucht werden - und hat er ihn einmal gestellt, dann prallen am Kopf des Bären die Gewehrkugeln einfach ab. Ins Mythologische verweisen auch die sehr emotionalen Reaktionen Jims auf das Ungetüm, das er abwechselnd liebt - "I love him like a brother"20 - und dann wieder für den Teufel persönlich hält: "[...] I was hunting the devil himself."21 Das außergewöhnliche Format des Bären wird schließlich durch die am Ende der Erzählung nicht zu übersehende alttestamentarische Bildlichkeit unterstrichen, als der Bär als der "Schöpfungsbär" schlechthin apostrophiert wird: It was in fact a creation bar, and if it had lived in Samson's time, and had met him, in a fair fight, it would have licked him in the twinkling of a dice-box.22
Einen solchen Bär kann der Jäger natürlich nicht einfach nach Gutdünken erlegen, und die Szene, in der es Jim schließlich gelingt, den Bären durch einen gezielten Schuß zur Strecke zu bringen, hat gleichzeitig etwas Zufälliges und Peinliches. Jim war eines Tages aus dem Haus gegangen - aus alter Gewohnheit mit Bowieknife, seinem Hund, und mit seinem Gewehr -, um im Wald seine Notdurft zu verrichten: [...] I went into the woods near my house, taking my gun and Bowieknife along, just from habit, and there sitting down also from habit, what should I see, getting over my fence, but the bar\ [...] I raised myself, took deliberate aim, and fired. Instantly the varmint wheeled, gave a yell, and walked through the fence like a falling tree would through a cobweb. I started after, but was tripped up by my inexpressibles, [...] and by the time I reached him he was a corpse.23 "My private opinion" - so faßt Doggett seine Jagdgeschichte zusammen - "is, that that bar was an unhuntable bar, and died when his time come."24 Die skatologischen Begleitumstände der schließlichen Tötung des Bären haben natürlich einen gewissen humoristischen Effekt. Auffällig ist jedoch, daß
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Ibid. Ibid. Ibid. Ibid. Ibid.
345. 346. 348. 347. 348.
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Doggett, der vorher das humoristische Potential seiner Lügengeschichten stets voll ausgeschöpft hatte, hier auf diese Möglichkeit verzichtet und sich mit einer relativ diskreten Andeutung der peinlichen Situation, in der es ihm gelang, den Bären zu erlegen, zufrieden gibt. Wie die mythologische Färbung der Erzählung insgesamt deutet auch dieser Verzicht darauf hin, daß wir den Bericht über den Tod des großen Bären von Arkansas nicht einfach als weitere Tall Tale Jims verbuchen können, sondern als Allegorie - womöglich als Allegorie vom tragischen Verschwinden der paradiesischen Wildnis vor einer unaufhaltsam vorrückenden Zivilisation.25 In unserem Argumentationszusammenhang ist die allegorische Deutung der Binnenerzählung von Verfolgung und Tod des großen Bären von Arkansas jedoch weniger wichtig als die Art und Weise, wie Thomas Bangs Thorpe das Verhältnis zwischen Rahmen- und Binnenerzähler im kurzen Schlußteil des Textes auflöst. Die beiden letzten Absätze der Erzählung leisten dies mit dem folgenden Text: When the story was ended, our hero sat some minutes with his auditors in a grave silence; I saw there was a mystery to him connected with the bear whose death he had just related, that had evidently made a strong impression on his mind. It was also evident that there was some superstitious awe connected with the affair, - a feeling common with all "children of the wood," when they meet with anything out of their everyday experience. He was the first one, however, to break the silence, and jumping up he asked all present to "liquor" before going to bed, - a thing which he did, with a number of companions, evidently to his heart's content. Long before day, I was put ashore at my place of destination, and I can only follow with the reader, in imagination, our Arkansas friend, in his adventures [...] on the Mississippi.26 Jim Doggett ist von seiner eigenen Geschichte sichtlich ergriffen, schüttelt dieses mysteriöse Gefühl jedoch ab und verbrüdert sich mit einem Teil seiner Zuhörer bei einem anschließenden Trinkgelage. Wenn wir uns an die Kategorien Henry B. Wonhams erinnern, dann können wir feststellen, daß es am Ende dieser klassischen Tall Tale zu einer Solidarisierung zwischen dem Erzähler, jenem wilden und ungehobelten frontiersman Jim Doggett, und einigen seiner Zuhörer kommt - daß aber der sich eingangs als verläßlicher Beobachter und Kenner der menschlichen Natur einführende Rahmenerzähler ausdrücklich aus dieser Solidarisierung ausgenommen wird. Man könnte sogar noch einen Schritt weiter gehen und den letzten Absatz als seinen aktiven
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Diese Lesart findet sich z.B. in J.A. Leo Lemays Aufsatz "The Text, Tradition, and Themes of 'The Big Bear of Arkansas'," On Humor: The Best from American Literature, ed. Louis J.Budd und Edwin H. Cady (Durham, London, 1992) 168-189. Thorpe, "Big Bear" 348.
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Ausschluß aus der Gemeinschaft lesen, die Jim durch seinen faszinierenden Bericht zusammengeschweißt hatte. Obwohl "The Big Bear of Arkansas" insgesamt natürlich ein viel komplexeres narratives Konstrukt bietet als "Georgia Theatrics," können wir ein ähnliches Fazit ziehen wie nach der Analyse der Longstreet-Erzählung. Auch diese Tall Tale geht gewissermaßen zu Lasten des sophistizierten Vertreters der Ostküstengesellschaft. Seine vermeintliche kulturelle Überlegenheit mag es den Lesern der Spirit of the Times in New York, Boston und Baltimore leicht gemacht haben, sich auf die von Thorpe imaginierte bunte Welt der frontier einzulassen, am Ende wurden sie freilich düpiert und zusammen mit ihrem Führer in diese Welt, dem rationalen und scheinbar so überlegenen Rahmenerzähler, am Ufer des Mississippi ausgesetzt, ohne daß sie etwas vom Mysterium der Wildnis im Westen Amerikas und der sich dort formierenden neuen Gesellschaft verstanden hätten. Daß uns "The Big Bear of Arkansas" zu tiefen Einblicken in die kulturelle Problematik eines aus dem Konflikt zwischen Ost und West entstehenden Amerika verhilft, ist es, was Thorpes Erzählung über Longstreets Skizze erhebt. Samuel L. Clemens, 1835 geboren und an der Grenze aufgewachsen, wo er das Tall /e-Erzählen aus erster Hand erfahren hatte, veröffentlichte am 18. November 1865 in der New Yorker Saturday Press mit "The Notorious Jumping Frog of Calaveras County" wohl seine bekannteste dieser Tradition zuzurechnende Erzählung. Was eine solche Zuordnung in erster Linie zwingend macht, ist die aus der mündlichen Erzählsituation hergeleitete rhetorische Rahmenstruktur. Und zwar haben wir es mit einer sehr interessanten Variante zu tun, die über Sam Clemens' Affinität zur oral tradition der Tall Tale sowie über seine eigene Tätigkeit als der wohl erfolgreichste humorous lecturer seiner Zeit hinausweist. Die Erzählung handelt, kurz gesagt, von Jim Smiley, einem der Wettleidenschaft verfallenen Kalifornier, der die unmöglichsten Wetten gewinnt, bis ihm eines Tages ein Fremder über den Weg läuft, der ihn beim Wetten um den am weitesten springenden Frosch übers Ohr haut, um seinen Wetteinsatz betrügt und ihn damit zum lächerlichen Opfer des eigenen Wetteifers macht. Der Fremde hatte Jims Frosch heimlich mit Eisenschrot gefüllt und durch diesen Trick seinem eigenen Frosch zum Sieg verhelfen. Dies ist der Inhalt der Binnenerzählung, die von dem schrulligen Simon Wheeler, Bewohner eines kalifornischen Goldgräber-Camps, vorgetragen wird. Sie ist eingelagert in einen verschachtelten Rahmen, durch den, ähnlich wie in Thomas Bangs Thorpes Erzählung, die mündliche Erzählsituation simuliert werden soll. Clemens konstruiert diesen Rahmen in den beiden ersten Absätzen der Erzählung: In compliance with a request of a friend of mine, who wrote me from the East, I called on good-natured, garrulous old Simon Wheeler, and inquired after my friend's friend, Leonidas W. Smiley, as requested to do, and I hereunto append
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the result. I have a lurking suspicion that Leonidas W. Smiley is a myth; that my friend never knew such a personage; and that he only conjectured that if I asked old Wheeler about him, it would remind him of his infamous Jim Smiley, and he would go to work and bore me to death with some exasperating reminiscence of him as long and as tedious as it should be useless to me. If that was the design, it succeeded. I found Simon Wheeler dozing comfortably by the bar-room stove of the dilapidated tavern in the decayed mining camp of Angel's [...]. I told him a friend of mine had commissioned me to make some inquiries about a cherished companion of his boyhood named Leonidas W. Smiley-/?ev. Leonidas W. Smiley, a young minister of the Gospel, who he had heard was at one time a resident of Angel's Camp. I added that if Mr. Wheeler could tell me anything about this Rev. Leonidas W. Smiley, I would feel under many obligations to him.27 Wie in "Georgia Theatrics" und "The Big Bear of Arkansas" wird uns also auch in dieser Tall Tale eine Rahmenhandlung vorgeführt, in der ein offenbar gebildeter, aus dem Osten stammender Ich-Erzähler - hier durch einen gespreizten, beinahe an die juristische Fachsprache erinnernden Stilgestus charakterisiert ("I hereunto append the result") - im Westen, genauer: in einem kalifornischen Goldgräber-Camp, demontiert wird. Alle drei Erzählungen sind offensichtlich nach demselben Bauprinzip konstruiert. Sam Clemens hat dieses grundsätzliche und uns nunmehr schon geläufige Muster im "Jumping Frog" allerdings einer derart hochgradigen Verkomplizierung unterworfen, daß er seiner Erzählung damit zu einer neuen, die Analyse herausfordernden Qualität verhilft. Um es vorwegzunehmen: In der "Jumping Frog"-Erzählung wird die Funktion der verschriftlichten Tall Tale als Ridikulum, also als Heiterkeitsauslöser, und als pointierter Kommentar zur Situation der amerikanischen Kultur im Spannungsfeld zwischen Ost und West, unterlaufen bzw. nachgerade ad absurdum geführt. Es beginnt damit, daß Clemens den Rahmenerzähler über die Situation, in die er sich als Konsument der Binnenerzählung begibt, reflektieren läßt. Er ist sich der Tatsache bewußt, daß er voraussichtlich einem gewitzten Erzählkünstler, nämlich jenem alten Simon Wheeler, auf den Leim gehen wird. Zur von Clemens gebotenen Verkomplizierung gehört ferner, daß der Rahmenerzähler nicht aus eigenem Antrieb zu Simon Wheeler geht, sondern von einem Freund aus dem Osten zu ihm geschickt wird. Er hegt auch gleich den Verdacht, der Freund aus dem Osten habe ihn absichtlich in diese unangenehme Lage gebracht, als er ihn, den für solche Reize empfänglichen Ostküsten-Bildungsbürger, mit einem der großen Namen der griechischen Geschichte - Leonidas - zu Simon Wheeler schickte. Die Resonanz, die der Name erzeugt, entspricht dann aber in keiner Weise der mit dem Signal "Leonidas" konnotierten Erwar-
Walter Blair, Native American Humor 515.
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tung. Was er zu hören bekommt, hat nichts mit jener großen und tragischen Episode des klassischen Altertums zu tun, dem heldenhaften Abwehrkampf der Griechen gegen die Perser, sondern handelt sehr trivial vom wettsüchtigen Jim Smiley aus Kalifornien, der von einem dahergelaufenen Fremden hinters Licht geführt wird. Im Unterschied zu Thomas Bangs Thorpes Tall Tale wird bei Clemens der im Westen auftretende, scheinbar überlegene Ich-Erzähler aus dem Osten nicht erst im Verlaufe der fortschreitenden Erzählung dekonstruiert und bloßgestellt. Vielmehr steht von Anfang an fest, daß er dem schlitzohrigen Simon Wheeler zum Opfer fallen wird. Hinzu kommt, daß er von einem Mann aus dem Osten ("a friend of mine, who wrote me from the East"), gewissermaßen einem Angehörigen des eigenen kulturellen Lagers, hereingelegt worden ist - und, schließlich, daß er sich über all dies im klaren ist, daß er also seine prekäre Situation illusionslos und klarsichtig durchschaut. Bis zu diesem Punkt könnte man noch argumentieren, daß Clemens eine bedeutende Tradition der Tall Tale, nämlich ihre Tendenz, im amerikanischen Kulturkonflikt den Führungsanspruch der Ostküstengesellschaft gegenüber dem unzivilisierten Westen in Frage zu stellen und zu demontieren, konsequent fortgeschrieben habe. Dieser Lesart widerspricht jedoch massiv der Ausgang der von Simon Wheeler zum besten gegebenen Binnenerzählung. Wheeler erzählt nämlich, wie der raffinierte und vom Wetten besessene Kalifornier Jim Smiley von einem Fremden, und zwar einem Yankee, der geschickt als greenhorn und Naivling auftritt, hereingelegt wird.28 Die Binnenerzählung, so könnte man formulieren, neutralisiert mit der von ihr entfalteten moralischen Satire eine exakt gegenläufige satirische Vorgabe, die der Rahmen anbietet - und wir kommen zu der Einsicht, daß Clemens, falls er überhaupt einen kulturellen Kommentar abgeben wollte, der Verrätselung seines Standpunkts vor der eindeutigen Stellungnahme Vorrang geben wollte. Mit anderen Worten: Die in der Tall Tale so virulente Präokkupation mit dem Kulturkonflikt ist in "The Notorious Jumping Frog of Calaveras County" zwar vorhanden, aber sie ist von Clemens zur Bedeutungslosigkeit entschärft worden. Anders ist seine Strategie, einerseits dem Leser diese Thematik gleich zu Beginn der Erzählung mit großer Geste zu offerieren und schmackhaft zu machen, um sie andererseits im Verlaufe der Erzählung vollkommen zu neutralisieren, kaum zu verstehen.
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Die Erzählung selbst enthält zwar nicht den ausdrücklichen Hinweis, daß es sich bei dem Fremden um einen Yankee handelt, obwohl dies schon beim Lesen ausgesprochen plausibel ist. Die Vermutung des Lesers wird bestätigt in Clemens' später aufgezeichnetem Werkstattbericht über die Genese seiner sehr erfolgreichen Geschichte: "Private History of the 'Jumping Frog' Story," How to Tell a Story and Other Essays, Author's National Edition XXII (New York, 1899) 126.
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1895, also dreißig Jahre nach der Publikation des "Jumping Frog," formulierte Clemens in seinem Essay "How to Tell a Story" in wenigen Worten so etwas wie eine programmatische Definition der mündlich erzählten humoristischen Geschichte, die er als amerikanische Errungenschaft von den verwandten (europäischen) Formen der witzigen und der komischen Geschichte abgrenzte: There are several kinds of stories, but only one difficult kind - the humorous. [...] The humorous story is American, the comic story is English, the witty story is French. The humorous story depends for its effect upon the manner of telling; the comic story and the witty story upon the matter. The humorous story may be spun out to great length, and may wander around as much as it pleases and arrive nowhere in particular; but the comic and witty stories must be brief and end with a point. The humorous story bubbles gently along, the others burst. The humorous story is told gravely; the teller does his best to conceal the fact that he even dimly suspects that there is anything funny about it [...].29 Das zentrale Kriterium dieser für den mündlich vortragenden Komiker gemeinten Poetik ist die Attitüde des deadpan-Erzählers, also jenes Typs des amerikanischen standup comedian, dessen wichtigste Prinzipien die immer wieder vom Thema abschweifende langatmige Rede sowie die Maske der Humorlosigkeit sind. Die "Jumping Frog"-Geschichte zeigt indes, daß Clemens solche Prinzipien auch als Verschriftlicher der Tall Tale in die Praxis umzusetzen verstand. Der Binnenerzähler, der alte schwatzhafte Simon Wheeler aus einem kalifornischen Goldgräber-Camp, erinnert uns in seiner scheinbar völlig emotionslosen Art, die Geschichte von Jim Smiley und seinem Frosch, der angeblich weiter springen konnte als jeder andere, zum Besten zu geben, an Buster Keaton, den genialen Komiker der Stummfilmzeit: Simon Wheeler [...] reeled off the monotonous narrative which follows this paragraph. He never smiled, he never frowned, he never changed his voice from the gentle-flowing key to which he tuned his initial sentence, he never betrayed the slightest suspicion of enthusiasm; but all through the interminable narrative there ran a vein of impressive earnestness and sincerity [...].30 Aber auch die Geschichte als solche, so wie Simon Wheeler sie dem IchErzähler präsentiert, erfüllt ziemlich genau die Kriterien, die Clemens in "How to Tell a Story" für die amerikanische humorous story festlegt. In umständlicher Manier, unter Einbeziehung zahlreicher Digressionen und sorgfältiger
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Samuel L. Clemens, "How to Tell a Story," Selected Shorter Writings of Mark Twain, ed. Walter Blair (Boston, 1962) 239. Clemens, "The Notorious Jumping Frog of Calaveras County," Walter Blair, ed., Native American Humor (1937; New York, 1960) 515.
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Vermeidung einer spektakulären Pointe berichtet Simon Wheeler seinem Zuhörer, dem Ich-Erzähler, von der Wettleidenschaft Jim Smileys und von dessen Niederlage beim Wetten mit dem Fremden. Als Simon Wheeler nach Beendigung seiner Jim Smiley-Episode mit einer weiteren unerheblichen Geschichte, diesmal über eine einäugige Kuh, unterbrechungslos fortfahren will, nimmt der gelangweilte Ich-Erzähler schnellstens reißaus und beendet die Erzählung mit der lapidaren Bemerkung: "However, lacking both time and inclination, I did not wait to hear about the afflicted cow, but took my leave."31 Die "Jumping Frog"-Geschichte lebt, so können wir sagen, von Simon Wheelers betulichem, assoziativen und leicht verschrobenen Erzählstil sowie von der regionalen Färbung seiner Sprache, nicht aber vom Gestus der Übertreibung, von einer überraschenden Wende der Ereignisse oder gar von einer monströsen Begebenheit. Obgleich der Tall Tafe-Tradition entstammend, ist unverkennbar, daß "The Notorious Jumping Frog of Calaveras County" mit den für sie beschriebenen Strukturmerkmalen diese Tradition hinter sich läßt. Lebte die Tall Tale in ihrer klassischen Ausprägung, etwa in Thorpes "Big Bear of Arkansas," vom lebendigen Rhythmus aufeinanderfolgender Dialoge und unglaublicher Ereignisse, so ist im "Jumping Frog" diese Qualität nicht mehr vorhanden. Jim Smileys unglückseliger Frosch, der als eigentlich springfreudiges Tier hinten nicht mehr hochkommt, weil er den Bauch voller Schrot hat, mutet an wie ein kongeniales Bild für die narrative Monotonie, die in Clemens' Erzählung eingekehrt ist. Was jede der drei untersuchten Erzählungen in der ihr zugrunde liegenden dialogischen Grundstruktur sehr schön zeigt, ist die Herkunft des Genres aus der mündlichen Erzähltradition. Gemeinsam ist ihnen ebenfalls, daß sie diese Grundstruktur dazu benutzen, den neben der Sklavenfrage vielleicht bedeutendsten Konflikt der amerikanischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, die Konfrontation von vermeintlicher östlicher Überlegenheit und westlicher Unzivilisiertheit, aufzugreifen und durchzuspielen. Während die beiden frühen Erzählungen "Georgia Theatrics" (1835) und "The Big Bear of Arkansas" (1841) die Verhandlung dieses Konflikts ziemlich unverblümt ("Georgia Theatrics") bzw. mit einiger Subtilität ("The Big Bear") zu Lasten des gebildeten Rahmenerzählers aus dem Osten ausgehen lassen und sich dabei dezidiert der Versatzstücke der mündlich erzählten Tall Tale bedienen, verzichtet Clemens in seiner Erzählung von Jim Smiley und seinem Frosch, die bezeichnenderweise erst 1865, also nach dem Bürgerkrieg, erschien, auf die hyperbolen Strategien dieser Erzähltradition sowie auf eine eindeutige Festlegung im angesprochenen Kulturkonflikt. Es hat den Anschein, als spiele Clemens nur noch mit den Konventionen und Präokkupationen der Tall Tale, von denen im
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Ibid. 521.
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"Jumping Frog" allein die in der Rahmenform festgeschriebene Dialogstruktur geblieben ist. Das klassische Ridikulum der Tall Tale hingegen, das in der frechen und gigantischen Übertreibung der Merkmale eines neuen Landes begründet war und das Edgar Allan Poe zum herzhaften Lachen reizte, ist bei Clemens einer anderen Humorauffassung gewichen - einer Humorauffassung, so können wir vermuten, die begriffen hatte, daß die Literarisierung einer essentiell mündlichen Tradition langfristig nicht tragfähig sein würde. Der von Clemens eingeleitete und am "Notorious Jumping Frog of Calaveras County" festzumachende Paradigmawechsel weist voraus auf eine neue, ebenfalls genuine Form des amerikanischen Humors, für die der deadpan comedian die symptomatische Figur ist.
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Überlegenheit, Harmonie und die Macht der Diskurse: Zur Funktion des Lachens in den späteren Schriften Mark Twains
l Das Lachen in seinen kommunikativen Funktionen, die Produktion von Gelächteranreizen und deren Umsetzung bei den Rezipienten, aber auch die Vorstellungen darüber, was Humor, Komik, Satire und andere Formen der Lachkultur kennzeichnet, sind Teile des diskursiven Systems einer Epoche und einer Gesellschaft. Versteht man unter Diskursen im Sinne Foucaults anonyme, gesellschaftsspezifische Organisationsformen des Wissens, die Reden und Denken bestimmen, die Grenzen ziehen zwischen dem, was als richtig und dem, was als falsch, als eigen oder als fremd zu gelten hat, und die als "Redegewohnheitsnotwendigkeiten"1 jeweils machtstabilisierend fungieren, so fragt sich, was sich aus der Funktion des Lachens im Werk eines literarischen Autors und aus dem jeweils vermutlich angestrebten Leserlachen über bestimmte Merkmale der zeitgenössischen gesellschaftlichen Diskurse ableiten läßt. Zugleich lassen sich Vermutungen anstellen über den Erfolg oder Mißerfolg des kommunikativen Lachens. Kaum ein Autor scheint die Lachkultur seiner Epoche so überzeugend zu verkörpern wie Samuel Langhome Clemens (1835-1910), besser bekannt als Mark Twain. Zwar sind es die professionellen Leser, die ihm seinen Status als einer der Großen der Weltliteratur erstritten haben - mit Hinweisen auf seine Gesellschaftskritik, seine ästhetischen Innovationen und seine sprachlichstilistische Perfektion, ja sogar seinen philosophischen Tiefgang. Es ist jedoch kaum zu übersehen, daß Twains weltliterarische Kanonisierung zugleich Resultat seiner seit etwa 120 Jahren ungebrochenen Breitenpopularität ist, und diese beruht in erster Linie auf seinem Humor. Zu fragen bleibt allerdings, wieweit Twain sich wirklich mit seinem Publikum im Einklang befand. Erst wenn wir wissen, worüber bei der Lektüre Twainscher Werke gelacht wurde und wird, worüber nach Meinung des Autors gelacht werden sollte und wie es mit dem Gelächter seiner Figuren bestellt ist, können wir vielleicht fundierte
Kurt Röttgers, Spuren der Nacht: Begriffsgeschichte
und Systematik (Freiburg, 1990).
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Aussagen darüber machen, welchen Diskursen seiner Zeit er sich eingeschrieben hat, und mit welchen Konsequenzen. Seinen Zeitgenossen auf beiden Seiten des Atlantiks galt Twain als der bedeutendste Humorist seiner Epoche, wenn nicht gar der Menschheitsgeschichte. Ein britischer Journalist erklärte 1907 in der Liverpooler Post, "There is little doubt that the most humorous man the world has ever known is Samuel Langhorne Clemens".2 Nun ist nicht ganz eindeutig, was hier mit "humorous" gemeint war, doch die von Smith oder Budd3 ausgewerteten Pressetexte und sonstigen zeitgenössischen Äußerungen lassen auf zweierlei schließen. Twain galt einerseits als unübertroffener Produzent von Komik,4 von horse laughter, wie er es später nennen sollte. Als "Funniest Man in the World" sah ihn im Jahre 1900 eine New Yorker Zeitung,5 und diese Einschätzung wird etwa dadurch bestätigt, daß er auf seiner Vortragsreise um die Welt 1895-96 von Reportern belagert wurde, die auf sein nächstes Bonmot, seinen nächsten Witz, seine nächste Anekdote lauerten, um sie sofort an ihre Redaktionen zu telegraphieren.6 Als Zeitungskomiker und Entertainer hatte Twain sich zuerst einen Namen gemacht. Er hatte sich damit in die Tradition der journalistischen Southwestern Humorists vor dem Bürgerkrieg begeben, die Regionalrealismus mit der Behandlung des Exzentrischen verbanden und ihren hinterwäldlerischen Dialektsprechern mit ihren Lügengeschichten, ihrer sprachlichen Hyperbolik und ihren sprach verzerrenden Neologismen eine standardkulturelle Gegenperspektive als Norm zur Seite stellten, von der aus das Lokale belacht und verlacht werden konnte. Als reisender Vortragsunterhalter war Twain allerdings auch von den Literary Comedians der Nachkriegszeit beeinflußt worden, die eine Form des Komischen vertraten, bei der als Zielscheibe weniger Regionen oder soziale Schichten dienten, sondern die Ridicula der Gesamtgesellschaft. Dennoch appellierten auch diese Humoristen
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Zit. in Henry Nash Smith, "Mark Twain: 'Funniest Man in the World'," The Mythologizing of Mark Twain, ed. Sara de Saussure Davis u. Philip D. Beidler (Alabama, 1984) 162. Louis J. Budd, Our Mark Twain: The Making of His Public Personality (Philadelphia, 1983). Die Terminologie im Wortfeld Humor ist bekanntlich alles andere als einheitlich. Ich bezeichne mit Komik das, was zum Lachen oder Lächeln reizt, also insbesondere in einem relativ unlustfreien Rahmen erlebte Inkongruitätserscheinungen. Humor dient als Sammelterminus für nichtsatirisches Gelächter oder entsprechende Gelächterproduktion. Satire erzielt Aggressionslachen, also Hohn und Spott, gegenüber als negativ eingestuften Personen oder Institutionen und benutzt dabei Formen indirekter Darstellung wie etwa Ironie oder karikierende Übertreibung. Sie dient der Verbesserung der sozialen Verhältnisse. Dies unterscheidet ihre angestrebte Wirkung von nichtsatirischem Aggressionslachen, etwa beim tendenziösen Witz über ethnische Minderheiten. Zit. in Smith, "Mark Twain: 'Funniest Man in the World'" 162. Henry Nash Smith, "Mark Twain, Ritual Clown," American Literature, Culture, and Ideology: Essays in Memory of Henry Nash Smith, ed. Beverly R. Voloshin (New York, 1990) 237.
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an die Überlegenheitsgefühle der Zuhörer, wenn sie ihnen karikierend Sprachund Verhaltenskontraste vorführten oder ihre Fähigkeit testeten, Sprachspiele zu erkennen. Spuren dieses zweifachen Erbes von kontrastkomischer Unterhaltung finden sich nicht nur in Twains frühen Texten wie etwa der Geschichte vom "Celebrated Jumping Frog," sondern auch noch an vielen Stellen des späteren Oeuvres. Was den Effekt einzelner komischer Passagen anlangt, ist dies wohlbekannt. Wieweit diese Kontrastkomik sich jedoch mit dem satirischen Aggressionslachen Twains verband, wieweit also Überlegenheitsgelächter ein dominanter Zug seines Gesamtwerks blieb, bedarf der Untersuchung. Die andere Seite von Twains Image als Humorist war nämlich die des durchaus emstzunehmenden Sympathieträgers, der Verkörperung von warmherziger Humanität. Archibald Henderson hatte vermutlich recht, als er 1909, ein Jahr vor Twains Tod, im Harper's Monthly schrieb, "Mark Twain has a place in the minds and hearts of the great mass of humanity throughout the civilized world which, if measured in terms of affection, sympathy, and spontaneous enjoyment, is without parallel,"7 mochte dieses Bild des Autors auch von der Lebensrealität des verbitterten alten Mannes ebenso weit entfernt sein wie jenes vom lebenslangen Possenreißer. Zumal mit seinen Schriften von den späteren 1870er Jahren an erwarb sich Twain den Nimbus eines versöhnenden, das Marginalisierte durch seinen Humor integrierenden Menschen. Er lieferte die Möglichkeit für eine solche Rezeption, indem er, etwa in Adventures of Huckleberry Finn, das Ausgegrenzte in einer Weise präsentierte, daß es nicht zu abstoßend wirkte, sondern sich an die geltenden Normen anbinden ließ: Mochte Huck von Mundraub und Notlügen leben, so bestätigte er doch gewissermaßen die größere Ordnung, indem er durch seine Spontanaktion zugunsten Jims den Erfolg des Nordens im Bürgerkrieg noch einmal legitimierte. Mochte Twains Dialekttext auch die literarischen Konventionen brechen, so war das ganze doch noch als eine Art Roman rezipierbar und damit mit dem Literatursystem zu assoziieren. Mochten im Vorbürgerkriegssüden, wie das Buch ihn darstellte, Sklaverei, Gewalttätigkeit, Lynchjustiz und religiöser Wahn herrschen, so legte doch die Sichtweise des kindlich-naiven Dialekterzählers Huck einen heiter-versöhnlichen Schleier über das Geschilderte. Mochten schließlich die Naivität des entlaufenen Sklaven Jim oder die Bigotterie und Betulichkeit der diversen "Tanten"-Figuren Lachanreize bieten, so waren die hier zutage tretenden rassistischen und sexistischen Stereotypen so sehr Teil eines epochespezifischen gesellschaftlichen Diskurses, der insgesamt als good-natured galt, daß eher Vertrautheits- als Konfliktgefühle ausgelöst wurden.
ZU. in Arthur L. Scott, ed., Mark Twain: Selected Criticism (Dallas, 1955) 99.
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Wie häufig Twain es auf eine solche konziliatorische Lesart abgesehen hatte und wie stark er sich selbst mit seiner integrierenden Rolle identifizierte, läßt sich schwer sagen. Sicher ist jedoch, daß das Wort humorist, wie es die Mehrheit der Zeitgenossen um die Jahrhundertwende auf ihn anwandte, nicht mehr wie in den Jahrzehnten davor in Amerika üblich die Bedeutung des bloßen Produzenten komödiantischer Unterhaltung hatte, sondern die Integration des Diskordanten andeutete. Damit war Twain einer Humordefinition zugewiesen, wie sie dann im 20. Jahrhundert immer populärer wurde und wie sie z.B. Joachim Ritter (1940/41) ausformuliert hat. Im Lachen wird laut Ritter das Nichtige und Widrige, das Ausgegrenzte als Teil der Ordnung der Lebenswelt erkennbar; das Lachen vereint, wo der Ernst trennt.8 Allerdings war diese Humorkonzeption nicht neu, sondern reichte Jahrhunderte zurück. Im englischen Sprachraum wurde sie vor allem im 18. Jahrhundert bedeutsam, als z.B. bei Fielding und vor allem bei Sterne die bloßstellende, herabsetzende und satirisierende Funktion des Lachens, wie wir sie aus der Restoration Comedy kennen, zumindest ergänzt und allmählich abgelöst wurde durch good humor, durch das sympathetische Lachen über die liebenswürdigen kleinen Schwächen von Figuren wie Parson Adams oder Uncle Toby, die als Repräsentanten des Menschlich-Allzumenschlichen ein Teil der Gesellschaft sein sollten, statt ihr entgegenzustehen.9 Diese integrative Humorkonzeption befindet sich in scharfem Gegensatz zu der von Hobbes 1651 im Leviathan und anderwärts vorgetragenen Erklärung des Lachens als eines Ausdrucks von Überlegenheitsgefühl, das sich plötzlich, als "sudden glory," einstellt, wenn wir der Schwächen oder des Unglücks anderer gewahr werden. Auch dieses Konzept war zu Twains Zeit verfügbar, nicht nur für die Alltagskultur des Lachens, sondern auch für die Literatur. Wenn das Überlegenheitslachen nicht nur in Twains Frühwerk verbreitet zu finden wäre, so stünde zu vermuten, daß sich die aggressive Seite seines Lachens nicht so leicht in seine Rolle als engagierter Menschenfreund integrieren ließ, wie es die dominante Rezeption seines Werkes in seinen späteren Lebensphasen nahelegt. Eigentlich wäre dies der Normalfall: Damals wie heute gab es ein Nebeneinander von verschiedenen Formen humoristischer Praxis und daneben von unterschiedlichen oder gar gegensätzlichen Gelächtertheorien;10 an dieser Vielfalt partizipierte Twain. Allerdings scheint die Koin-
Joachim Ritter, "Über das Lachen," Blätter für Deutsche Philosophie 14 (1940/41): 1-21. Rpr. in Subjektivität (Frankfurt a.M., 1974) 62-92. Die anhaltende Wirkung von Ritters Gelächtertheorie wird in einer Reihe der Beiträge in dem von Wolfgang Preisendanz und Rainer Warning herausgegebenen Band Das Komische (München, 1976) deutlich. Cf. Stuart M. Tave, The Amiable Humorist: A Study in the Comic Theory and Criticism of the Eighteenth and Early Nineteenth Centuries (Chicago, 1960). Cf. Paul E. McGhee, "Current American Psychological Research on Humor," Jahrbuch für internationale Germanistik 16.2 (1984): 37-57.
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zidenz der Popularität des integrativen Modells vor allem mit den späteren Phasen des Aufstiegs des Bürgertums, damit aber auch mit Industrialisierung und Massenelend, mit Kolonialismus und Imperialismus, nicht zufällig, ebensowenig wie die Tatsache, daß Ritters Aufsatz mitten im 2. Weltkrieg geschrieben wurde. Wenn bei Dickens selbst die Darstellung des ManchesterKapitalismus ihren Platz in Romanen fand, die insgesamt als humoristisch rezipiert wurden, so muß man vermuten, daß nicht das Lachen, wohl aber die Interpretation des Lachens und des Lächerlichen Bestandteil eines gesellschaftlichen Diskurses war, der bestimmte Widersprüche sprachlich-textlich goutierbar machte. Bei Twain bedeutet dies, daß das Verhältnis von diskriminierendem und konziliatorischem Lachen, von subversiver Rolle und gesamtgesellschaftlichem Diskurs genauer zu bestimmen ist. Das Karnevaleske, das Bachtin als Spur der Volkstradition in der Gattung des Romans und speziell im humoristischen Erzählen von Rabelais an lokalisiert hat und das sich besonders in der parodistischen und intertextuellen Vielstimmigkeit des Romans zeigt," prägt Twains Oeuvre schon wegen des in seinen Lehrjahren als journalistischer und als Podiums-Entertainer Gelernten in besonderem Maße. Es manifestiert sich insbesondere als eine die soziale und kulturelle Herrschaft der neuenglischen Eliten problematisierende Tendenz, als das Anarchisch-Volkstümliche, das Smith in seiner früheren Twain-Studie unter dem Begriff des vernacular, der Sprache des Volkes, zu subsumieren versucht.12 Aber es fragt sich, wieweit damit auch herrschende Diskurse in Frage gestellt werden, wie dies ja, wenn überhaupt irgendwo, vornehmlich in den imaginativen Freiräumen der Kunst geschehen kann, ob also das subversive Element in Twains Schriften nicht selbst Teil eines größeren Diskurses ist.
II
Schauen wir uns an, wer beim späteren Twain lacht und warum. Und fragen wir uns, wann das Lachen der Leserinnen und Leser gefordert ist und wann nicht. Ich beginne mit Adventures of Huckleberry Finn (1884/85). Die humoristische Grundstruktur des Buches ist die des Naiven, für das der Buchanfang besonders prägnante Beispiele bietet. Huck berichtet: The widow she cried over me, and called me a poor lost lamb, and she called me a lot of other names, too, but she never meant no harm by it.... When you
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Michail M. Bachtin. Literatur und Karneval: Zur Romantheorie und Lachkultur (München, 1969). Henry Nash Smith, Mark Twain: The Development of a Writer (Cambridge, Mass., 1962).
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got to the table you couldn't go right to eating, but you had to wait for the widow to tuck down her head and grumble a little over the victuals, though there warn't really anything the matter with them.13 Huck ist der perfekte Naive, der von einem Tischgebet noch nie gehört hat und somit einen mit hohen Tabuschranken umgebenen Bereich, den der Religionsausübung, durch seine unpassende dialektale und kolloquiale Sprache in einen Zusammenhang bringt, der für normale Gesellschaftsangehörige unangemessen wäre. Bei Freud wird der Vorgang präzise beschrieben: Das Naive entsteht, wenn sich jemand über eine Hemmung voll hinaussetzt, weil eine solche bei ihm nicht vorhanden ist, wenn er sie also mühelos zu überwinden scheint. Bedingung für die Wirkung des Naiven ist, daß uns bekannt sei, er besitze diese Hemmung nicht, sonst heißen wir ihn nicht naiv, sondern frech, lachen nicht über ihn, sondern sind über ihn entrüstet. Die Wirkung des Naiven ist unwiderstehlich und scheint dem Verständnis einfach. Ein von uns gewohnheitsmäßig gemachter Hemmungsaufwand wird durch das Anhören der naiven Rede plötzlich unverwendbar und durch Lachen abgeführt....14 (Freud, 170) Da Huck ein Kind ist und überdies keinerlei Erziehung genossen hat, also nicht mit unseren Maßstäben zu messen ist, kann hier von "sudden glory" der Leserinnen und Leser kaum die Rede sein. Doch selbst wenn hier, anders als in The Adventures of Tom Sawyer (1876), nicht aus einer etwas amüsiert herablassenden Erwachsenenperspektive erzählt wird, der sich die Leserschaft anschließen mag, so bleibt doch festzuhalten, daß auch die komische Wirkung des Naiven eine überlegene Beobachterposition voraussetzt. Im übrigen ist anzunehmen, daß der Heiterkeitserfolg des Textes in der viktorianischen Epoche, in der er erschien, noch viel größer war, weil die hier naiv überwundenen Tabuschranken ungleich höher waren als heute. Es läßt sich außerdem feststellen, daß Twain es bereits hier, am Romananfang, nicht mit der zweckfreien Komik des Naiven bewenden läßt, sondern der von Huck intendierten Beschreibungsebene eine weitere unterlegt, die wir als tendenziös erkennen können: Die durch Hucks Worte erkennbare mechanische Abwicklung des religiösen Rituals signalisiert eine Diskrepanz zwischen dem religiösen Anspruch, dessen Opfer Huck durch die Erziehungsversuche der beiden Ziehmütter ja wird, und religiöser Praxis. Das Lachen, das durch diese Beobachtung ausgelöst wird, ist nicht mehr nur heiter, sondern enthält
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Mark Twain, Adventures of Huckleberry Finn, ed. Walter Blair u. Victor Fischer, The Works of Mark Twain, Iowa-California Edition, Bd. 8 (Berkeley, 1988) 2. Weitere Seitenangaben im Text unter HF. Sigmund Freud, Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. Studienausgabe, Bd. 4 (Frankfurt a.M., 1970) 170.
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ein Element von Gesellschaftskritik und damit von Aggression: die naive Komik ist zum Instrument der Satire geworden. Und eine dritte Beobachtung: Wenn Huck von "calling names" spricht, dann setzt er - in einem anderen Sinne naiv - jeglichen Sprachgebrauch dieser Art gleich; zwischen bemitleidenden Metaphern und names im Sinne von Schimpfwörtern kann er nicht unterscheiden. Wenn wir hier lachen, so deshalb, weil wir im Gegensatz zum Sprecher die verschiedenen Sprachverwendungen trennen können. Wie bei anderen Sprachspielen resultiert unsere Heiterkeit dabei aus dem, was Psychologen als Lem-Lust bezeichnen, aus der kognitiven Auflösung eines Problems.15 Auch von solchem Sprachhumor gibt es bei Twain eine ganze Menge. Allerdings ist auch hier eine satirische Zusatzebene zu vermuten. Twain attackiert die inflationäre Verwendung biblischer Bildlichkeit zumal im Kontext eines stark sentimentalisierten Häuslichkeits- und Familienkonzepts, wie es vom Geschlechterdiskurs des 19. Jahrhunderts den Frauen aufgenötigt wurde.16 Hier wie auch anderwärts in diesem Roman trennt das Lachen der Leserinnen und Leser sie von den Figuren - und umgekehrt. Um ein Beispiel für das Figurenlachen zu nennen: Lachen, so wissen wir, kann man auch aus purer Lebensfreude. Aber selbst bei der Schilderung jener Teile der Floßfahrt mississippiabwärts, die einigermaßen sorgenfrei verlaufen, läßt Twain uns nirgends in einer Weise an Hucks und Jims Daseinslust teilnehmen, daß wir solidarisierend zumindest lächeln könnten. Wir erfahren, daß die beiden Gesellschaftsflüchtlinge sich in natürlicher Nackheit bewegen, aber ihr Lachen können wir nur erahnen. Wo es überhaupt erwähnt wird, klingt es gedämpft: "It was kind of solemn, drifting down the big still river, laying on our backs looking up at the stars, and we didn't ever feel like talking loud, and it warn't often that we laughed, only a little kind of a low chuckle" (HF, 78). Dies läßt sich verallgemeinern - in diesem Hauptwerk der humoristischen Weltliteratur ist vom Lachen selten die Rede. Eine der Ausnahmen findet sich im satirischen Mittelteil des Romans, in dem Twain die erbärmlichen poor whites in den Kleinstädten am Fluß unter die Lupe nimmt. Wir erfahren hier, daß die Faulenzer, die auf den Straßen herumlungern, ihr Hauptvergnügen aus Tierquälerei beziehen, zum Beispiel, indem sie die Hunde auf ein Mutterschwein hetzen:
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Cf. u.a. Björn Ekmann, "Das gute und das böse Lachen: Lachkulturforschung im Zeichen der Frage nach Funktion und Wert des Lachens," Jahrbuch für internationale Germanistik 16.2 (1984): 13-15. Wieweit Twain selbst der bürgerlichen Idee der separaten Sphären für Männer und Frauen anhing, sei hier dahingestellt. Cf. etwa die diesbezüglichen Kapitel 5-8 in Cardwells The Man Who Was Mark Twain: Images and Ideologies (New Haven, 1991), wo allerdings etwas leichtfertig von psychopathologischen Symptomen die Rede ist.
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...and then you would see all the loafers get up and watch the thing out of sight, and laugh at the fun and look grateful for the noise. Then they'd settle back again till there was a dog-fight. There couldn't anything wake them up all over, and make them happy all over, like a dog-fight - unless it might be putting turpentine on a stray dog and setting fire to him, or tying a tin pan to his tail and see him run himself to death. (HF, 183) Selbst satirisches Aggressionslachen der Leser ist hier nicht zu erwarten, nur die nackte Empörung. Und auch bei der "Theateraufführung" durch King und Duke, wo der Kontrast zwischen Erwartung und Realisierung auf die unmittelbaren Rezipienten komisch wirkt, ist die Obszönität der Darbietung zwar stimulierend genug, um das (männliche) Publikum zu tosendem Gelächter zu bewegen und Huck zu der Bemerkung zu veranlassen, "it would a made a cow laugh, to see the shines that old idiot cut" (HF, 196), aber das Lesepublikum ist gerade wegen der Primitivität dieses Stücks frontier-Humor gehalten, sich davon zu distanzieren, sich also auf die Seite des Autors ziehen zu lassen. Auch im burlesken Schlußteil, der - welchen Schaden er auch immer an der Gesamtstruktur des Romans ausrichten mag - mit Situationskomik, Literaturparodie und sprachlichen Malapropismen der Leserschaft reichlichen Gelächterstoff bietet, bleiben die Wahrnehmungswelten von Lesern und Akteuren getrennt. Als Huck ein Stück Butter unter seinem Hut versteckt und diese zu schmelzen beginnt, so daß Aunt Sally meint, er habe "brain fever" und sein Gehirn laufe aus, erfahren wir nur von ihrer Erleichterung, als sie die Wahrheit herausfindet; die komische Unangemessenheit ihrer vorherigen Sorge wird ihr auch im nachhinein nicht bewußt. Twain sorgt also dafür, daß das Leserlachen stets eines der Überlegenheit und Distanz gegenüber der fiktionalen Welt bleibt, ob es nun aus der Erfahrung von Naivität, aus satirischer Attacke oder aus einem Gewahrwerden der in der Situationskomik manifest werdenden Inkongruitäten resultiert. Wenn sich der Autor jedoch einerseits mit den Lesern im gemeinsamen Lachen über manche Verhaltensweisen auch seiner Hauptfiguren solidarisiert, so benutzt er andererseits seinen jugendlichen Erzähler, um auch gegenüber seinem Publikum Überlegenheit zu demonstrieren. Wie John Seelye beobachtet hat, ist das Buch auch eine Art practical joke, den Huck den Leserinnen und Lesern spielt, denn zum Zeitpunkt seines Erzählens weiß er natürlich, daß seine und Jims Flucht in den Süden größtenteils völlig überflüssig war: Hucks Vater, vor dem er davonläuft, wird schon kurz nach Hucks Ausbruch aus der Blockhütte ermordet - eine Tatsache, die Jim ihm vorenthält -, und bald darauf läßt Miss Watson Jim frei - was wiederum Tom, als er in die Handlung eintritt, gegenüber Jim und Huck verschweigt. In jedem Fall wird durch die Nichtweitergabe von Wissen das Verhalten des/der anderen manipulierbar und kontrollierbar. Und ähnlich unterwirft auch Huck, der in diesem Fall als Twains Stellvertreter
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fungiert, durch seine Informationsverwaltung die Reaktionen der Leserschaft seiner Kontrolle.17
III
Die Ausübung von Kontrolle, das Ausnützen von Überlegenheit, erweist sich nachgerade als das Markenzeichen Twainscher Gelächterproduktion. In seinem Aufsatz "How to Tell a Story" unterscheidet Twain die scheinbar pointenlose "humorous story" als die typisch amerikanische Form narrativen Humors von der britischen "comic story" und der französischen "witty story," die beide pointenorientiert und dabei vom erzählten Inhalt abhängig seien. Die anspruchsvollste Form, die "humorous story," hänge dagegen von der Erzählwe/se ab, d.h. vom deadpan narrator, der so tun muß, als habe er keine Ahnung, daß das Erzählte komisch ist. Die ganze von Twain präsentierte Theorie ist primär eine der Leser- oder Hörerkontrolle. Solche Kontrolle, die sich in Twains frühen Texten vor allem als Zuhörermanipulation manifestiert, wird in A Connecticut Yankee in King Arthur's Court (1889) zu einem umfassenden Anliegen. Dieser Text, dessen Ausgangskonzept auf einen komischen Kulturvergleich zwischen dem arturischen England und dem Amerika des späten 19. Jahrhunderts zielte, woraus dann rasch satirische Kontrastierung wurde, wandelte sich bekanntlich im Laufe der Entstehung zur Rundumsatire, die die Sprecherfigur, den unfreiwillig zeitreisenden Yankee Hank Morgan, und die von ihm repräsentierte Welt und Werteordnung mit einschloß. In diesem Buch wird viel mehr gelacht als in Huckleberry Finn. Die Bewohner des alten Artusreiches verfügen dabei über einen Humor, der dem Yankee ebenso primitiv vorkommt wie dem Autor jener der Kleinstadtbewohner am Mississippi. Wie diese lachen die Menschen am Artushof über einen Hund, dem Sir Dinadan the Humorist (!) einen Metallbecher an den Schwanz gebunden hat. Und wie dies für einen Humoristen in einer nach Twains und des Yankees Meinung kindlich-primitiven Lachkultur typisch ist, lacht Dinadan selbst am lautesten über seinen Streich wie über seine Witze, die Hank sämtlich als fade und uralt einstuft. In Twains Kategorisierung wird er also der englischen "comic story" zugeordnet; vom amerikanischen deadpan narrator trennen ihn Epochen und Welten. Der arturische Humor paßt einerseits in das Hobbessche Konzept des SichWeidens am Mißgeschick anderer, sei es auch noch so schmerzhaft, andererseits in den Bereich des sexuellen Humors, der von der Überwindung von
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Cf. John Seelye, "The Craft of Laughter: Abominable Showmanship and Huckleberry Finn" Thalia: Studies in Literary Humour 4.1 (1981): 19-25.
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Hemmungsschranken zehrt, wobei diese hier jedoch sehr niedrig sind. Wie die "Wilden" in der Vorstellung des 19. Jahrhunderts sind die Arturianer sexuell weitgehend amoralisch, und ihre Freude am sexuellen Humor geht in das Lachen aus schierer, in Twains Terminologie "animalischer," Lebenslust über. So schildert Hank die Turnierzuschauer und vor allem Zuschauerinnen: It was a most gaudy and gorgeous crowd...and very characteristic of the country and the time, in the way of high animal spirits, innocent indecencies of language, and happy-hearted indifference to morals.... Those banks of beautiful ladies, shining in their barbaric splendors, would see a knight sprawl from his horse in the lists with a lance-shaft the thickness of your ancle clean through him and the blood spouting, and instead of fainting they would clap their hands and crowd each other for a better view....18 Kann sich Hank hier immerhin noch eine Art anthropologischer Beobachtungsdistanz erlauben, so kommt seine Verachtung unmittelbar zum Ausdruck, wenn die Lachenden Mönche sind, also einer ihm bedrohlichen Institution, der Kirche, angehören und sich die für ihn völlig inakzeptable Freiheit nehmen, sich über religiöse Tabus hinwegzusetzen: "Good old questionable stories were told that made the tears run down and cavernous mouths stand wide and the round bellies shake with laughter..." (CF, 254). Hank lacht jedoch auch selber. Er deutet an, daß er das Lächerliche seiner damaligen Situation erkennt und sich nachträglich über sein eigenes Unglück zu amüsieren vermag. Er entwickelt also retrospektiven Galgenhumor - die komischsten Passagen sind wohl jene in dem Kapitel "Slow Torture," die das Zusammentreffen seines modernen Bewußtseins und seiner modernen Annehmlichkeitsvorstellungen mit den Erfordernissen des Reisens als fahrender Ritter schildern. Er lacht über die mittelalterliche Kleidung, die ihn an Zirkuskostüme erinnert, wie umgekehrt die Arturianer über seinen Anzug lachen. Er lacht über die angeblichen Zauberkünste Merlins. Und er lacht über die antiquierte Sprache der Artuserzählungen aus Thomas Malorys Le Morte Darthur, die Twain Hanks Gefährtin Alisande in den Mund legt. Generell entspringt Hanks Lachen seinem Überlegenheitsgefühl - selbst sein Galgenhumor bezieht sich ja auf Situationen, in denen er unter der Ineffizienz der alten Ritterwelt leidet. Besonders aber fühlt er sich dem mittelalterlichen Humor überlegen. Wenn man das Buch insgesamt unter anderem als das Zusammentreffen einer mündlichen Welt mit der Welt moderner Schriftkultur
18
Mark Twain, A Connecticut Yankee in King Arthur's Court, ed. Bernard L. Stein, The Works of Mark Twain, Iowa-California Edition, Bd. 9 (Berkeley, 1979) 119. Weitere Seitenangaben im Text unter CY,
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sehen kann,19 dann spielt dabei die Konkurrenz der Lachkulturen eine herausragende Rolle. Nicht umsonst ist es die Auseinandersetzung mit dem Humoristen Sir Dinadan, die letztlich den Anstoß zur Auslöschung des Artusreiches gibt. Hanks Verwünschung Dinadans, als dieser einen besonders abgedroschenen Witz erzählt, führt Jahre später zum Kampf mit den Rittern. Sir Dinadan selbst wird von Hank zum Tode verurteilt, als er nach Einführung des Buchdrucks eine Fassung seiner Witze publiziert: der Kampf der Lachkulturen ist einer auf Leben und Tod. Daß Hank es nicht zulassen mag, gerade hier zurückzustehen, erhellt seine eigene Beteiligung an der erwähnten Erzählrunde im Kloster: At last I ventured a story myself; and vast was the success of it. Not right off, of course, for the native of those islands does not as a rule dissolve upon the early applications of a humorous thing; but the fifth time I told it, they began to crack in places; the eighth time I told it, they began to crumble; at the twelfth repetition they fell apart in chunks; and at the fifteenth they disintegrated, and I got a broom and swept them up. This language is figurative. Those islanders - well, they are slow pay, at first, in the matter of return for your investment of effort, but in the end they make the pay of all other nations poor and small by contrast. (CY, 254) Wie hier beim Witzeerzählen liebt es Hank auch sonst, wenn er die Bevölkerung vor sich in den Staub sinken, sich ihm völlig ausliefern sieht. An der zitierten Stelle wird besonders deutlich, wie Kontrolle durch Gelächtermanipulation Teil von Kontrolle schlechthin wird; in puncto Überlegenheitslachen braucht sich Hank vor den Arturianern nicht zu verstecken. Und noch eines wird deutlich: Es geht hier nicht nur um Macht, sondern auch um Geld, wie die ökonomische Metapher am Schluß enthüllt. Die Geschichte des Yankee ist ja auch eine des Unternehmers, der sich mit dem Artusreich einen neuen Markt eröffnet und dem es gelingt, in jedem Wirtschaftssektor ein absolutes Monopol zu haben - Konkurrenten, sei es beim Witzeerzählen, beim Zaubern oder in anderen Bereichen, werden rücksichtslos eliminiert. Der alte Spruch vom Zuletztlachen bewahrheitet sich hier auf besondere Weise. In diesem Kampf um die Lach-Überlegenheit überdauert das Lachen Merlins, der Hank in einen Zauberschlaf versetzt, nachdem dieser mit seinen jugendlichen Gefolgsleuten die gesamte Ritterschaft Englands vernichtet hat. Ich zitiere aus dem Bericht von Hanks Adlatus Clarence Merlins Worte und sein Ende an einem der elektrischen Zäune, die zu Hanks Defensivwaffen zählen:
19
Cf. H. Breinig, "Macht und Gegenmacht: Mündliches Wissen und Schriftlichkeit in Mark Twains A Connecticut Yankee in King Arthur's Court" Mündliches Wissen in neuzeitlicher Literatur, ed. Paul Goetsch (Tübingen, 1990) 121-35.
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"Ye were conquerors; ye are conquered!... Ye shall all die in this place - every one - except him. He sleepeth now - and shall sleep thirteen centuries. I am Merlin!" Then such a delirium of silly laughter overtook him that he reeled about like a drunken man, and presently fetched up against one of our wires. His mouth is spread open yet; apparently he is still laughing. I supppose the face will retain that petrified laugh until the corpse turns to dust. (CY, 489) Der Kampf der Kulturen endet in der Erstarrung des Todes, die das letzte Lachen pervertiert. Wie aber steht es mit dem Gelächter des Lesepublikums? Zunächst versucht der Ich-Erzähler Hank, durch deutliche Identifikationsanreize Leserinnen und Leser auf seine Seite zu ziehen. Wir lachen vermutlich mit ihm über die befremdlichen, aber harmloseren Seiten der Artuswelt. Doch wir lachen noch mehr über seine Erfahrung des Kontrastes zwischen dieser Welt und der seinen, die ja die Welt der Leserschaft bei Erscheinen des Buches war. In der Tradition dieser ersten Leserschaft amüsieren wir uns, wenn Hank im Zirkustrikot die Ritter mit einem Lasso aus dem Sattel hebt. Wir amüsieren uns, wenn er solche Inkongruität zwar nicht für die Arturianer, wohl aber zum eigenen Genuß und dem der Nachwelt unterstreicht, indem er die Ritter mit Reklameschildern behängt und sie damit für das 19. Jahrhundert lächerlich wirken läßt. Wir lachen über seine kolloquial-humorige Sprache, seinen tall talk und seine tall tales, also über seine Leistungen als Humorist. Und wir lassen uns von ihm in ein aggressives, satirisches Gelächter über Menschen einstimmen, die Schweine abküssen, weil sie sie für verzauberte Prinzessinnen halten. Aber wir lachen auch über Hank selbst, humorvoll über seinen schlechten Geschmack, wenn er von den billigen chromos schwärmt, den chromlithographischen Reproduktionen von Gemälden, die die Wohnungen des einfacheren amerikanischen Bürgertums schmückten, oder satirisch, wenn er die Börsenspekulation einführt. Wir lachen über seine Angeberei, seine Ignoranz, seine mangelnde Selbstdistanz. Je mehr sich die Satire des Buches auch gegen die Moderne, gegen die politischen Verhältnisse und die kapitalistischen und imperialistischen Ambitionen nicht zuletzt der USA selbst richtet, wendet sich auch das Aggressionslachen gegen Hank als Verkörperung solcher Ambitionen. Und wenn uns das Lachen anfangs immer wieder angesichts der Grausamkeit der mittelalterlichen Lebensverhältnisse vergangen war, so nun immer häufiger angesichts der von Hank importierten Merkmale der modernen Welt. Zugleich damit spaltet sich das Lesepublikum in Subjekte und Objekte der Satire.
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Ich habe an anderer Stelle darzulegen versucht, daß Twain sich der Ambivalenzen, die sich im Laufe der Entstehung des Romans aus dem Wechsel zwischen oft burlesker Komik einerseits und Satire andererseits sowie aus der Ausweitung der gesellschaftskritischen Attacken zur Universalsatire ergaben, sehr wohl bewußt war.20 Angesichts seiner anfangs sehr starken Identifikation mit seinem Titelhelden kam diese Entwicklung natürlich einem Stück Selbstdemontage gleich. Der Entstehungsprozeß des Buches belegt aufs Schönste, daß den herrschenden Diskursen nicht zu entkommen ist; da diese die Metaebene repräsentieren, die das Denken und Sprechen vorstrukturiert, sind sie nicht einfach durch Denken und Sprechen zu transzendieren. Der Versuch, den Diskurs der Vergangenheit, also monarchistische, feudalistische und kirchliche Redegewohnheitsnotwendigkeiten, kritisch zu beleuchten und sie durch Komik und Satire aus der Welt zu lachen, sie gewissermaßen ein zweites Mal zu begraben, führt zum Versuch einer Anwendung derselben Maßstäbe auf jene Diskurse, die die eigene Wirklichkeit konstruieren und beherrschen. Daraus kann jedoch nur Hilflosigkeit resultieren, da die dichterische Einbildungskraft das Gebäude zwar punktuell nach außen aufbrechen, es jedoch nicht durch einen Angriff von außen zum Einsturz bringen kann. Die gesellschaftlichen Diskurse des bürgerlichen 18. und besonders des 19. Jahrhunderts sind gekennzeichnet durch markante Aus- und Eingrenzungen, die zum Teil schon einige Jahrhunderte zuvor begonnen haben, nun aber, durch die moderne Wissenschaft gestützt, eine neue und umfassendere Gültigkeit erlangen. In dieser Epoche vollendet sich die Ausgrenzung des Kindes als eines von den Erwachsenen grundsätzlich verschiedenen Wesens, das als erziehungsbedürftig gilt und zum Objekt gesellschaftlicher Anpassungsmaßnahmen gemacht werden darf, ja muß - das Alter wird zu einer Kategorie gesellschaftlicher Differenz. Nicht nur die rasante Entwicklung des Schulwesens, sondern auch die Entstehung einer eigenen, primär didaktischen Kinderliteratur gehört hierher.21 Es ist die Epoche der Entdeckung der Zweigeschlechtlichkeit: Frauen gelten nun nicht mehr wie zuvor nur dadurch als von den Männern verschieden und insofern minderwertig, daß sie als eine anatomische Variante der Norm, nämlich des männlichen Körpers, gesehen werden, sondern sie werden "das andere Geschlecht". Sie gehören damit in
20
21
H. Breinig, Satire und Roman: Studien zur Theorie des Genrekonflikts und zur satirischen Erzählliteratur der USA von Brackenridge bis Vonnegut (Tübingen, 1984) 226-249. Die Entstehung des Kindheitsdiskurses im 16. Jahrhundert beschreibt Carmen Luke, Pedagogy, Printing, and Protestantism: The Discourse on Childhood (Albany, 1989). Zur Kinderliteratur siehe Ann MacLeod, A Moral Tale: Children's Fiction and American Culture (Camden, 1975).
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eine eigene Kategorie, die prompt dazu benutzt wird, sie gesellschaftlich auszugrenzen, ihnen mit Heim, Herd und Mutterschaft eine separate sphere zuzuweisen, die sie effektiv als Konkurrentinnen auf dem Arbeitsmarkt und in den gesellschaftlichen Führungsbereichen eliminiert.22 Fremde, gar Andersrassige, gelten weiterhin als nicht integrierbar; sie werden (wie dies schon in den spanischen Eroberungsberichten des 16. Jahrhunderts geschehen war) mit Vorliebe mit den Eigenschaften von Frauen oder Kindern oder sogar Tieren assoziiert. Ihre inzwischen nicht mehr biblisch, sondern wissenschaftlich begründete Andersartigkeit macht ihre Ausbeutung in der heimischen Plantagenwirtschaft oder in den in rascher Folge erworbenen Kolonien legitim. Die Angehörigen der Unterschicht sind nicht mit denselben Maßstäben zu messen wie jene des Bürgertums - die Reihe ließe sich fortsetzen. Zugleich fallen in diese Epoche besonders auffällige Konstruktionen von Gruppenidentität: der Nationalstaat, der Verein, der Männerbund usw. Sie repräsentieren eine patriarchal-überlegene Norm, die Harmonie selbst im Zeitalter des Sozialdarwinismus garantiert,23 da sie entsprechende Ein- und Ausgrenzungen des Unterlegenen ermöglicht. In Huckleberry Finn und A Connecticut Yankee wird nun erkennbar, wie das Lachen der Leser und mancher der Figuren im Sinne Bachtins als subversives Element eingesetzt werden kann, den Rahmen der Epochendiskurse jedoch kaum zu sprengen vermag. Twain beantwortet die didaktischen Geschichten vom good little boy mit einer vom bad little boy, der auf einer tieferen Ebene, nicht antrainiert und auch nicht wirklich reflektiert, sondern spontan dennoch ein guter Junge ist, aber Huck bleibt unintegrierbar, weil er sich nicht wie Tom am Ende von Tom Sawyer zum Protoerwachsenen mausert. Jim, der zum Gegenstand des freundlichen Rassismus ä la minstrel show gemacht wird, erhält zwar seine Freiheit und wird mit seiner Familie vereint, bleibt aber von der weißen Gesellschaft ebenso ausgeschlossen wie nahezu alle Schwarzen auch nach dem Bürgerkrieg. In A Connecticut Yankee kommt es noch schlimmer. Bis auf wenige Ausnahmen - Sandy mutiert zur bürgerlichen Ehefrau und Mutter, einige der jugendlichen Gefolgsleute Hanks erweisen sich als dauerhaft umerzogen - sind die Arturianer, d.h. die "Wilden," nicht mit bleibendem Erfolg (a) zu erziehen und (b) auszubeuten; sie müssen daher mit modernen Massenvernichtungswaffen beseitigt werden, soll die Geschichte im Sinne des Fortschrittsdiskurses vorankommen. Daß auch dieses nicht endgültig gelingt, bedeutet keine Rückkehr in idyllischere primitive
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Diesen Vorgang und die daraus resultierende Konstitution einer Kategorie "Frauenliteratur" beschreibt Susanne Opfermann, "Literatur und Geschlecht im 19. Jahrhundert: Zur diskursiven Konstruktion von 'Frauenliteratur' in den USA," Zeitschrift für Anglistik und Amerikanistik 41 (1993): 133^6. Man vergleiche hierzu etwa die Schriften des Stahlmagnaten Andrew Carnegie.
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Zustände, sondern nur das Überleben feudalistischer und klerikaler Elemente auch in Teilen der modernen Welt. Twains Bücher lassen verschiedene Sichtweisen aufeinanderprallen, aber die sich in literarischen Texten zeigende gesellschaftlich-ideologische Dialogizität im Sinne Bachtins liegt, wie Vittoria Borsö unlängst nachgewiesen hat, auf einer Ebene unterhalb des Diskurses, der als erkenntnisbezogene Metaebene auch durch eine noch so karnevaleske Stimmenvielfalt kaum nachhaltig zu erschüttern ist.24 Twain selbst machte sich folglich nur diese Stimmenvielfalt klar, die von ihm bewußt eingebrachten Widersprüche wie auch solche, die sich gleichsam von selbst ergeben hatten - auch dies bereits eine bedeutende Leistung -, nicht jedoch die übergreifende diskursive Konstruktion von Realität. Der größte Teil seines Lesepublikums erkannte noch nicht einmal die subversive Intention; die "Verstehensgewohnheitsnotwendigkeiten" (Röttgers), als die Diskurse ja auch funktionieren, verdrängen Diskursirritiationen ins Mißverstehen oder gleich ins Vergessen. Wenn man sagen kann, daß in Huckleberry Finn die Integration des Ausgegrenzten letztlich mißlingt und ein tragisches Ende nur durch eine völlig unrealistische tour de force der Koinzidenzen am Schluß zu vermeiden ist, so scheitert in A Connecticut Yankee das säuberliche Ausgrenzen, weil Twain zu ehrlich ist, die eigene Gesellschaft von der Attakke auszunehmen, das Ausgrenzungsmodell jedoch auch wieder nicht grundsätzlich aufgeben will oder besser: nicht aufgeben kann. Die Rezeptionsgeschichte zeigt indessen, daß die Leserschaft bei Huckleberry Finn auf einer durch den Humor geleisteten konziliatorischen und integrativen Aussage des Buches bestand. Umgekehrt läßt sich bei A Connecticut Yankee bis in unsere Tage eine verbreitete Neigung feststellen, den Roman als Niederschlag einer vom Autor ohne nennenswerte Einschränkung vertretenen Pro-Amerika- und Pro-Fortschrittshaltung zu sehen: ...the meaning of A Connecticut Yankee is, as the author repeatedly said it was, that the American nineteenth century, devoted to political and religious liberalism and to technology, was better than the traditional past. The efforts of modern men to continue a progress towards a fulfillment of material goals is shown to be a worthy mission of man.25 Natürlich brachte eine solche vereindeutigende Interpretation Twain mehr Zustimmung in Amerika ein; in Großbritannien gab es vor allem anfänglich recht empfindliche Reaktionen. Es läßt sich hier erkennen, daß Twains Einsatz des Lachens insgesamt als Bekräftigung einer positiven, harmonischen gesell24
25
Vittoria Borsö, "Utopie des kulturellen Dialogs oder Heterotopie der Diskurse?" Poststrukturalismus - Dekonstruktion - Postmoderne, ed. Klaus W. Hempfer (Stuttgart, 1992) 95-117. Everett Carter, "The Meaning of A Connecticut Yankee" American Literature 50 (1978): 440.
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schaftlichen Selbstsicht und eines abwertenden Fremdbildes verstanden wurde - Twains öffentliches Image läßt sich dadurch recht gut erklären, wie auch die Tatsache, daß etwa seine bitterbösen Attacken auf die imperialistische Expansionspolitik der USA um die Jahrhundertwende in der Presse oft als momentane Übellaunigkeit eines im Grunde guten Kerls verniedlicht wurden.
V
Diese Sicht hat nicht nur zu einer jahrzehntelangen Unterbewertung des Satirikers Twain geführt und zu einer reduzierten Wahrnehmung seiner Ziele, sondern auch dazu, daß die Allgegenwart des Überlegenheitslachens noch in seinem Spätwerk ignoriert wurde. Dieses Lachen über die aus überlegener Position beobachteten Inkongruitäten bestimmter gesellschaftlicher Aspekte wird zwar immer widersprüchlicher, weil Proliferation und Interferenz von Ridicula klare Zielrichtungen unmöglich machen, aber Twain hält dennoch und in überraschend starkem Maße an der Vorstellung von Gelächter als Überlegenheitsausdruck fest. Seine Wendung zu einem negativ-deterministischen Menschen- und Weltbild hatte schon in Hucks moralischen Reflexionen erste Spuren hinterlassen und war durch die in A Connecticut Yankee verdeutlichte, von der Geschichte erteilte Lehre von der menschlichen Unverbesserlichkeit gleichsam bekräftigt worden - insofern hätte ihm von nun an eigentlich nur noch der schwarze Humor geeignetes Medium sein können: das Lachen über die Absurdität menschlicher Existenz.26 Und sicherlich ist Pudd'nhead Wilson, wie in der Einleitung angedeutet wird, so etwas wie eine schwarzhumorige Version der Göttlichen Komödie. In den einzelnen Passagen dieses Anti-Romans über die Folgen der Vertauschung eines Herrenbabys mit einem Sklavenkind, über die Aufklärung eines Verbrechens und die fatale Determiniertheit jeglichen menschlichen Handelns dominieren jedoch die bei Twain üblichen Muster, und zwar verschärft. Auf der Figurenebene wiederholt sich das verächtliche Überlegenheitslachen der südstaatlichen Kleinstadtbewohner über Außenseiter und Fremde, zeigt sich ihre generelle Vorliebe für Hohngelächter und Schadenfreude. Bei den Lesern ist eine unvermeidliche Wirkung des Textes das Überlegenheitslachen über das Städtchen Dawson's Landing mit seiner Möchtegern-Kultur, über die Ehren-Rituale der südstaatlichen Gesellschaftsspitzen, freilich auch über die seltsame Logik der Sklavin
26
Twains späteres Werk ab Huckleberry Finn ist denn auch von Patricia M. Mandia als Demonstration von schwarzem Humor interpretiert worden, jedoch mit wenig Erfolg, weil die Autorin über keine klare Vorstellung von diesem Begriff verfügt und die Texte recht vereinfachend interpretiert. Cf. Comedic Pathos: Black Humor in Twain's Fiction (Jefferson, N.C., 1991).
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Roxy, mit der sie ihren Kindertausch rechtfertigt, oder über die Naivität der Schwarzen allgemein. Das Buch insgesamt enthüllt sowohl auf der Text- als auch auf der Leserebene, daß zu Überlegenheitsgefühlen nur wenig Anlaß besteht. Diese Einsicht hinderte Twain indessen nicht daran, weiterhin nach einer Überlegenheitsposition zu suchen, von der aus sich ausgrenzend lachen ließ, und zwar mit Vorliebe über das Überlegenheitsdenken anderer, im Roman wie im Leben. Konkurrenz dieser Art wurde zu einem seiner Hauptthemen. Rangordnungskämpfe prägen schon die Kinderwelt in Tom Sawyer. Hank beschreibt sie als Charakteristikum des zugleich kindlichen und primitiven Ritterlebens; solche Kämpfe zu gewinnen setzt er jedoch seinerseits alle seine Möglichkeiten ein. Der Hang zur Demonstration von Überlegenheit ist nicht bloß ein stammesgeschichtliches Relikt, sondern auch ein Merkmal der auf Konkurrenz errichteten bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft und prägt somit unübersehbar auch Twains Vorstellungswelt, wie die Genugtuung des Autors über Pudd'nhead Wilsons großen Gerichtsauftritt dokumentiert. Für Twains Spätwerk kennzeichnend ist nicht etwa ein Huck-Finn-artiger Ausstieg aus dem menschlichen Treiben, sondern die Fiktion transzendenter Macht, einer Position, von der aus Wahr und Falsch unterschieden, von der aus moralisch geurteilt und, zumindest mit Gelächter, bestraft werden kann. War Huck der ohnmächtige, Hank der selbst kompromittierte und Pudd'nhead Wilson der sich anpassende Außenseiter, so suchte Twain nun nach einer unangreifbaren Figur. In "The Man That Corrupted Hadleyburg" (1899) ist es der geheimnisvolle, clevere Fremde, der die Honoratioren der Stadt bloßstellt und durch ein Lachritual der Bürgerversammlung abstrafen läßt - was freilich nichts am Wahlerfolg eines der korrupten Bürger ändert. In den "Mysterious Stranger"-Fragmenten (1897-1908) fand Twain dann endlich mit dem Engel namens Satan bzw. No. 44 die richtige Gestalt, deren rangordnungskämpferische Überlegenheit in dem Fragment "Schoolhouse Hill" auch handfest ausgekostet wird. Während in dem Fragment "The Chronicle of Young Satan" das Gelächter der übrigen Figuren und das den Lesern gemachte Angebot an Ridicula sich im sonstigen Twainschen Rahmen bewegt, ist Satans gleichnamiger Neffe in einer Position, die gesamte Menschheitsgeschichte und die Summe aller menschlichen Errungenschaften mit satirischem Hohngelächter zu überschütten. Am Ende des Textes spricht er der Menschheit sogar den "sense of humor" ab: You have a bastard perception of humor, nothing more; a multitude of you possess that. This multitude see the comic side of a thousand low-grade and trivial things - broad incongruities, mainly; grotesqueries, absurdities, evokers of the horse-laugh. The ten thousand high-grade comicalities which exist in the world are sealed from their dull vision .... No religion exists which is not littered with engaging and delightful comicalities, but the race never perceives
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them. Nothing can be more deliciously comical than hereditary royalties and aristocracies, but none except royal families and aristocrats are aware of it .... Will a day come when the race will detect the funniness of these juvenilities and laugh at them - and by laughing at them destroy them? For your race, in its poverty, has unquestionably one really effective weapon - laughter. Power, Money, Persuasion, Supplication, Persecution - these can lift a colossal humbug, - push it a little - crowd it a little - weaken it a little, century by century: but only Laughter can blow it to rags and atoms at a blast. Against the assault of Laughter nothing can stand .... As a race, do you ever use it at all? No - you lack sense and the courage.27 Diesem Aufruf widerspricht jedoch Twains eigene Lebenserfahrung: Kein Zeitgenosse fand größeren Anklang mit dem Gelächter, das er provozierte, und dennoch richtete er nichts damit aus, sondern mußte nur erleben, daß sein satirisches Aggressionslachen der mentalen Zensur seiner Landsleute unterworfen und damit verharmlost wurde. Die Uneinheitlichkeit und schließlich Fragmentarik seines späteren Oeuvres ist sicherlich auch ein Resultat der vergeblichen Suche auch nach einer immanenten, nicht nur einer transzendenten Überlegenheitsposition, einer Position, die nicht von der Konziliatorik des gesellschaftlichen Gesamtdiskurses zu vereinnahmen war. Erschwert und letztlich unmöglich gemacht wurde ein Erfolg dieser Suche aber noch durch einen weiteren Aspekt. Das Überlegenheitslachen, das für Twain so kennzeichnend ist, findet seine Objekte überwiegend in der Vergangenheit und deren Erbe. Die Kindheit, der Vorbürgerkriegssüden, das Mittelalter, die Alte Welt werden so zum Gegenstand manchmal wohlwollenden, meist aber aggressiven Gelächters. Gerade in den "Mysterious Stranger"Fragmenten wird diese retrospektive Seite von Twains Humor und Satire überdeutlich, denn hier wird europäische Vergangenheit dargestellt, hier sind eine Gruppe von Jungen bzw. ein Jugendlicher die Perspektiventräger und sogar der Alte Süden taucht hier als anachronistischer Vorverweis auf. Die Haßliebe, die der Autor diesen Vergangenheiten entgegenbringt, rührt somit an die Wurzeln seiner eigenen Identität. In dem Maße, in dem die für die Abgrenzung (vom freundlichen Lachen bis zu Hohn und Verfluchung) benutzten Aspekte sich als Merkmale des persönlichen wie gesellschaftlichen Selbst enthüllen, bricht jedoch das kommunikative Dreieck von Sprecher, Gegenstand und Adressat zusammen, wie es für Humor wie Satire konstitutiv ist. Das Gelächter wird autoaggressiv und mündet in Vernichtungs- oder Fluchtphantasien: am Schluß des letzten "Mysterious Stranger"-Fragments steht nicht eine Apotheose des Lachens wie in "The Chronicle of Young Satan," sondern der hoffnungsvoll solipsistische Gedanke, diese fürchterliche Welt möge nur
27
Mark Twain, Mysterious Stranger Manuscripts, The Mark Twain Papers, ed. William M. Gibson (Berkeley, 1969) 164-166.
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das Produkt der eigenen Imagination und mithin ein schlechter Traum sein. Am Ende von Twains Lebenswerk findet sich mithin nicht detachierter und zugleich solidarisierender schwarzer Humor, sondern wir beobachten den weitgehenden Verlust von Humor, es sei denn als Produktion von horse laughter oder als öffentlich getragene Maske, die das Lachen zu einem unproblematischen Bestandteil der konfliktgeladenen, aber diskursiv als Gesamtharmonie konstruierten gesellschaftlichen Wirklichkeit werden ließ. Die so überwältigend und umfassend positive Aufnahme Twains trotz der Niveauunterschiede seines Werkes und trotz seiner Verletzung von ästhetischen und politischen Normen der gesellschaftlichen Elite bedarf der Erklärung. Henry Nash Smith hat durchaus plausibel die Rolle des späten Twain als Humorist und Satiriker mit der des rituellen Clowns der Stammesgesellschaften verglichen, der Tabuisiertes lächerlich machen und auf aktuelle Probleme hinweisen darf.28 Ein solcher Spaßmacher fungiert als Überdruckventil und entlastet die Gemeinschaft von den Schuldgefühlen, die der stets unvollkommene Umgang mit dem kulturellen Regelsystem hervorruft. Wenn er sich dabei selbst dem Gelächter aussetzt, erwirbt er sich doch zugleich den Respekt und die Zuwendung seiner Gesellschaft, die er durch sein Tun insgesamt in ihrer Ordnung stabilisiert. Twain, so Smith, erfüllte diese Rolle, indem er kulturell Geheiligtes wie die Formen der Hochkultur oder bestimmte soziale Normen irreverently, wie es damals hieß, dem Gelächter preisgab oder auch politische Entwicklungen wie den Einstieg der USA in den Kreis der imperialistischen Mächte geißelte. Wenn ihn selbst die kulturelle und gesellschaftliche Elite dennoch liebte und schätzte, so deswegen, weil man die Tabuverletzung als rituelle Funktion und nicht als ernsthafte Infragestellung der Ordnung auffaßte. Wie zu sehen war, bedarf diese Erklärung jedoch der Ergänzung durch den Hinweis auf jene Rezeptionsweise, die die nicht ausgrenzende, also heiter oder satirisch verlachende, sondern eingrenzende, sympathieschaffende Seite von Twains Humor akzentuierte, denn sie erst verhalf ihm zu seiner vollen Autorität. Funktionsanalogien bietet also nicht nur der tribale, sondern auch der Zirkusclown mit seinem doppelten Gesicht. Diese Doppelgesichtigkeit der Twainschen Popularität verweist wiederum auf seine spannungsreiche Teilhabe an öffentlichen Diskursen, deren manifeste und latente Seite eine höchst problematische Einheit ergaben.
Cf. Smith, "Mark Twain, Ritual Clown."
JÜRGEN WERTHEIMER
Hierarchien des Lachens: Machtstrukturen der Affektäußerung im Roman des 19. Jahrhunderts
Lachen als ein Spezifikum des menschlichen Verhaltens begleitet und kommentiert den Prozeß der zivilisatorischen und historischen Subjektwerdung des Individuums im gesellschaftlichen Kontext. So ist z.B. das grosrire Rabelais' ein Versuch Europas, sich auf heitere Art von Teilen seiner Vergangenheit zu lösen. Milan Kundera, einer der späten Geschichtsschreiber des Gelächters, betont denn auch den historischen Charakter des Phänomens des Lachens. Was Lachen wirklich ist und bedeutet, bestimmen, so Kundera, allein die sozialen Zusammenhänge, in denen es stattfindet. Er schreibt über das 'europäische Lachen': Für Rabelais waren Fröhlichkeit und Komik noch eins. Im 18. Jahrhundert ist Sternes und Diderots Humor noch eine zarte, nostalgische Erinnerung an die Rabelaissche Fröhlichkeit. Gogol, im 19. Jahrhundert, ist ein melancholischer Humorist: "Wenn man eine komische Geschichte lange und aufmerksam betrachtet, wird sie immer trauriger," sagt er. Europa hat die komische Geschichte seiner eigenen Existenz so lange betrachtet, daß sich im 20. Jahrhundert Rabelais' fröhliches Epos in lonescos verzweifelte Komödie verwandelt hat: "Es gibt kaum etwas, das das Schreckliche vom Komischen trennt." (lonesco). Die europäische Geschichte des Lachens ist abgeschlossen.1 Wenngleich diese Analyse Kunderas in einem sehr pauschalen und sehr finalen Sinn endet, so bleibt doch festzuhalten, und es ist dem sicherlich zuzustimmen, daß es im Verlauf der frühneuzeitlichen Entwicklung zu einer verstärkten Tendenz zur Reflexion, Intellektualisierung und Moralisierung des ursprünglich ungebundenen, subversiven Lachens zu kommen scheint, wobei das 18. Jahrhundert einen ersten systematischen Höhepunkt markiert. Dieser Einengungs- und Kodifikationsprozeß beinhaltet zugleich Reduktion, Verzicht und Preisgabe einer ursprünglichen Offenheit, deren Verlust für die Nobilitierung des Affekts gleichsam in Kauf genommen werden mußte. Neveu de Rameaus durch den Aufklärer selbst inszenierte Gegeninstanz, das Aufbegehren der asozialen, jede moralische Position verlachenden und verspottenden
Milan Kundera, Die Kunst des Romans: Essay (München, 1987) 141.
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Gegenstimme, markiert diesen dialektischen Bruch in der Logik des 18. Jahrhunderts.2 Dennoch bleibt, im ganzen gesehen, Neveu de Rameau nur ein interner Störfall: Auf breiter Front obsiegte, ohne Wenn und Aber, die Tendenz zur Disziplinierung, Sentimentalisierung des Lachens wie auch der lachenden Figuren selbst. Insbesondere im Verlauf des 19. Jahrhunderts kommt es zu dem, was man als eine systematische Domestizierung nahezu aller emotionalen und mentalen Äußerungen jenseits akzeptierter Normen bezeichnen kann. Das strenge Regelwerk der scheinbar liberalen bürgerlichen Gesellschaft kannte und perfektionierte viele Mechanismen der Disziplinierung, der "Angstapparat(e) aus Kalkül,"3 wie Fontäne sie nannte. Einen der effizientesten Mechanismen hierzu stellt der Versuch der Steuerung der Affekte dar. Die Romane Fontanes, Dickens', Flauberts, Tolstojs lassen sich nicht zuletzt als Szenarien über den Akt der Disziplinierung und Regulierung der Relation zwischen Empfindung und Ausdruck verstehen. Dabei kommt der Dominanz der Ausdrucksebene Priorität zu. Alle Figuren scheinen sich mit schlafwandlerischer Unsicherheit4 im Grenzraum zwischen subkutanem Empfindungsbedürfnis auf der einen Seite und suprakutaner, begrenzter Ausdrucksmöglichkeit auf der anderen zu bewegen. Der Erwartungshorizont des Normensystems, 'Familie und gesellschaftliches Umfeld' setzt das Tragen einer relativ perfekten Affektmaske voraus. Eine Maske, die kaum Risse aufweist und im Regelfall das natürliche Gesicht der Figur nahezu vollständig bedeckt.5 Verschiedenen Modi und Modulationen des Lachens kommt hierbei eine nicht unbedeutende Rolle zu, wobei diese Affektäußerung zugleich als psychologischer Kitt auf der einen und als potentieller Sprengstoff auf der anderen Seite figuriert. Als Kitt nämlich, insoweit es sich beim Lachen um den Ausdruck sozialer Konvergenz handeln kann, als eine Art hierarchisierendes und ausgleichendes Befriedungssignal. Auf der anderen Seite aber auch als Sprengstoff, insofern spezifische Formen des Lachens in gegebenen Situatio-
In Diderots Neveu de Rameau inszeniert der Enzyklopädist und Aufklärer für ein ausgewähltes Publikum (Handschriften kursieren nur im engen Kreis der Salons) die dialogische Konfrontation eines aufgeklärten Bewußtseins (genannt "moi") und einer parasitären, an Rabelais erinnernden Gegeninstanz (genannt "lui"). Im Verlauf des Gesprächs gerät "moi" der satirischen Vitalität des "lui" gegenüber in die Defensive. Cf. Jürgen Wertheimer, "Der Güter Gefährlichstes, die Sprache:" Zur Krise des Dialogs zwischen Aufklärung und Romantik (München, 1990) 42ff. Theodor Fontäne, Effi Briest, Sämtliche Werke, ed. Walter Keitel (Darmstadt, 1963) Abt.l, Bd. 4, 134. Immer wieder betont Effi z.B., daß es ihr "recht gut," "ganz gut" gehe oder verwendet andere, entsprechend unscharfe, Formulierungen zur Beschreibung ihres Empfindens. Im Verlauf des Romans erwirbt die anfangs völlig unverhohlen agierende Effi eine nachgerade virtuose Fähigkeit, eine "Maske" unverbindlicher Heiterkeit und Herzlichkeit zu tragen. Sie verwendet hierbei bewußt Techniken und Begriffe aus dem Bereich des Theaters (z.B. 169, 184, 197, 200).
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nen als Zeichen zur gesellschaftlichen wie auch individuellen Dekomposition wirken können. Die Konsequenz dieser Situation ist ein Verhaltensszenarium auf der Grundlage kopierter und kupierter Gefühlsimitate, echte Fälschungen gleichsam.6 Virtuelle Realitäten von Gefühlen treten an die Stelle von ursprünglich in den Individuen vorhandenen spontanen Verhaltensimpulsen. Während suprakutan die erwartete kalte Gefühlskopie allenfalls mittelstarker Affekte dargestellt wird, sammelt sich subkutan das real existierende Ensemble starker unmittelbarer Empfindungen und Empfindungsbedürfnisse. Durch die strikte Trennung beider Ebenen voneinander, der suprakutanen und der subkutanen, entwickelt sich allmählich - im Verlauf nahezu aller Einzelbiographien der betrachteten Romane läßt sich diese Tendenz beobachten - eine extreme Asymmetrie zwischen Affektbedürfnis und Affektdarstellung. Unter dem Leitsatz 'meine Umwelt darf nichts davon wissen' kaschieren und kupieren die Figuren Elemente des eigenen, authentischen Gefühlsinventars, um dafür imitierend, kopierend gesellschaftsadäquate Gefühlswerte anzunehmen. Das auf der Grundlage dieser Asymmetrie entstehende emotionale Vakuum wird nur zum Teil wahrgenommen. Der ausgetriebene Teil der Identität wird zugunsten des sozietätskonformen Verhaltensschemas negiert, was eine allmähliche Verödung der Persönlichkeit zur Konsequenz hat. So kann nicht verwundern, daß nahezu alle diese Biographien von starken Tendenzen zur Depression bestimmt werden.7 Was den Bereich der deutschen Literatur anbelangt, so artikuliert sich dieses Schema mit besonderer Eindringlichkeit in Fontanes Effi Briest. Major Crampas steht für all jene Verhaltensweisen, die den fragilen Pakt der innergesellschaftlichen Affektbefriedung bedrohen. Leitmotivisch mit der Aura des "Gefährlichen" in Verbindung gebracht, erschüttert sein bloßes Auftauchen und seine spezifische Art, mit dem Lachen umzugehen, nicht nur den Seelenfrieden Effis, sondern auch das gesellschaftliche Gesamtsystem. Nicht zufällig gilt seine Neigung dem Typus des destabilisierenden, dekomponierenden Gelächters in der Art, wie es Heine, Byron oder andere Autoren der Weltschmerzpoesie8 vermitteln, und so werden seine Zitate in ihrer doppeldeutigen Bedrohlichkeit empfunden:
Der Begriff der "Kopie" ist für L'Adultera ebenso wie für Effi Briest konstitutiv, und zwar sowohl allgemein thematisch (z.B. in bezug auf Bilder, cf. z.B. L'Adultera, 13) wie auch in bezug auf Gefühle. Hier ist nicht nur an Effi Briest zu denken, sondern auch an weniger vitale Figuren wie z.B. die Cocile des gleichnamigen Romans, die nahezu durchgängig eine reduzierte Existenz führt. S. v.a. Kap. 17. Crampas zitiert bevorzugt Heine. Der Typus von Heines Gelächter zeichnet sich sowohl durch Ridikülisierung der Umwelt wie zugleich auch der eigenen Position aus.
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"Nein, Crampas, so dürfen Sie nicht weitersprechen. Das ist indezent und degoutant zugleich. Und das alles so ziemlich in demselben Augenblicke, wo wir frühstücken wollen."9 Heines spezifischer Humor jedoch macht weder vor den Bedürfnissen der persönlichen Lebensform halt, noch auch vor ihren internen poetischen Demarkationslinien. Heine wie auch Crampas verlachen gleichermaßen, d.h. destruieren gleichermaßen, den Aspekt der reinen Poesie (bzw. des reinen Lebens) wie auch die Grundlagen der eigenen Gegenposition. Beide machen somit den supplementären Charakter der Existenz - auch der Existenz der Affekte - schonungslos transparent, was einen Verstoß gegen das interne Regelwerk der geschilderten Gefühlskultur darstellt. Markiert Crampas' Lachen einen besonders kritischen Punkt im Pakt zwischen suprakutanem und subkutanem Empfinden, so muß auch umgekehrt der stabilisierende Funktionswert spezifischer Formen des Lachens oder Lächelns im Regelwerk der Texte und Szenen demonstriert werden. In Fontanes L'Adultera exponiert sich die männliche Hauptfigur, der später von Melanie verlassene van der Straaten mehrfach durch seine direkte, häufig als degoutant empfundene Art, Dinge unverstellt beim Namen zu nennen und aus seinen Ansichten keinen Hehl zu machen. In der zur Diskussion stehenden Szene gibt er ein vernichtendes Urteil über Wagner ab und tut dies, was schlimmer ist, in Formen jargonhaften, dialektal gefärbten Sprechens. "Ich aber sag euch, es liegt umgekehrt, und wenn es nicht umgekehrt liegt, so sollt ihr mir wenigstens keinen Unterschied machen. Denn es ist schließlich alles ganz egal und, mit Permission zu sagen, alles Jacke [...]".'° Nahezu mechanisch unternimmt es ein Majordomus des guten Tons, der Gesellschaft die Wahrnehmung der vermeintlich unerträglichen Entgleisung zu ersparen. Er versucht dies durch ein Übertönen des Mißtons zu bewerkstelligen. Der Erzähler kommentiert und beschreibt das Verhalten wie folgt: Der aus der vergleichendsten Kleidersprache genommene Berolinismus, mit dem er seinen Satz abzuschließen gedachte, wurde auch wirklich gesprochen, aber er verklang in einem Getöse, das der Major durch einen geschickt kombinierten Angriff von Gläserklopfen und Stuhlrücken in Szene zu setzen gewußt hatte [...]. Und mit einer wohlgemeinten Kraftanstrengung, in der jetzt jeder zitternde Ton fehlte, wurde zugestimmt, [...] und kaum einer war da, der nicht an eine glücklich beseitigte Gefahr geglaubt hätte. Aber mit Unrecht."
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Fontäne, Effi Briest 138. Fontäne, L'Adultera, Sämtliche Werke Abt.l, Bd. 2, 33. Ibid. 33f.
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Van der Straaten indes hat längst die verdeckte Absicht der inszenierten Tarnmanöver bemerkt und geht der Angelegenheit - und dies beinhaltet den zweiten, gravierenderen Regelverstoß - nun auch verbal auf den Grund, d.h. er durchbricht willentlich die von der Gesellschaft erwarteten und angenommenen Verhaltensschemata. Er tut dies, indem er auf den zentralen Punkt der innergesellschaftlichen Abmachung provokativ aufmerksam macht. Bemerkenswert ist, inwieweit die Instanz des Erzählers hier nicht nur mittelbar, sondern explizit wertend in das Wahrnehmungsmuster der Gruppe eingeblendet zu sein scheint: Van der Straaten, absolut unerzogen, konnte, vielleicht weil er dies Manko fühlte, nichts so wenig ertragen, als auf Unerzogenheiten aufmerksam gemacht zu werden: er vergaß sich dann ganz und gar, und der Dünkel des reichen Mannes, der gewohnt war zu helfen, nach allen Seiten hin zu helfen, stieg ihm dann zu Kopf und schlug in Wellen über ihm zusammen. Und so auch jetzt. Er erhob sich und sagte: "Kupierungen sind etwas Wundervolles. Keine Frage. Ich beispielsweise kupiere Kupons. Ein inferiores Geschäft, das unter Umständen nichtsdestoweniger einen Anspruch darauf gibt, gegen Wort- und Redekupierungen gesichert zu sein, namentlich gegen solche, die reprimandieren und erziehen wollen. Ich bin erzogen." Er hatte mit vor Erregung zitternder Stimme gesprochen, aber mit zugekniffenem Auge fest zu dem Major hinübergesehen. Dieser, ein vollkommener Weltmann, lächelte vor sich hin und blinkte nur leise den beiden Damen zu, daß sie sich beruhigen möchten. Dann ergriff er sein Glas ein zweites Mal, gab seinen Zügen, ohne sich sonderlich anzustrengen, einen freundlichen Ausdruck und sagte zu van der Straaten [...].12 In Bruchteilen von Sekunden und durch ein internes affektisches Verweiszeichen - nämlich ein kurzes Lächeln -, von dessen Bedeutung jeder der in der Gesellschaft Agierenden weiß und zu wissen hat, wird so ein kritischer Moment der Destabilisierung einverständig abgefangen. Nicht etwa Gelächter oder Verlachen in bezug auf den sich Exponierenden, sondern lächelndes Einverständnis der 'intakten' Gruppenmitglieder untereinander bildet dabei das Zentrum des erfolgreichen Verdrängungs- und Abwehrmechanismus. Dem subtilen Gestus der affektischen Bewältigungssprache kommt innerhalb dieses Regelkreises eine erhebliche Bedeutung zu. Obwohl als erfolgreich, intelligent und moralisch hochstehend gekennzeichnet, gerät Ezel van der Straaten bereits in der Anfangsphase der Erzählung in einen Bereich jenseits der akzeptierten Verhaltensweisen der Gesellschaft, wird, obwohl Hauptfigur des Geschehens, marginalisiert und in eine Zone jenseits dessen, was als akzeptabel gilt, ge-
Ibid. 34. Hervorhebungen vom Verf.
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drängt.13 In einem Gespräch mit ihrem zukünftigen Geliebten Rubehn erklärt Melanie in bezug auf den, wie sie es nennt, "Ton des Hauses" voller innerer Abscheu: "Ein bißchen spitz, ein bißchen zweideutig, und immer unpassend. Ich befleißige mich der Ausdrucksweise meines Mannes. Aber freilich, ich bleibe hinter ihm zurück. Er ist eben unerreichbar und weiß so wundervoll alles zu treffen, was kränkt und bloßstellt und beschämt."14 Obwohl sie im intimen Gespräch mit van der Straaten diesen Ton bisweilen durchaus zu reproduzieren und zu erwidern weiß,15 lehnt sie ihn in der Situation des externen Gesprächs ab. Entsprechend der Kniggeschen Gesprächsmaxime.· Wem es darum zu tun ist, dauerhafte Achtung sich zu erwerben, wem daran liegt, daß seine Unterhaltung niemand anstößig, keinem zur Last werde, der würze nicht ohne Unterlaß seine Gespräche mit Lästerungen, Spott, Medisance und gewöhne sich nicht an den auszischenden Ton von Persiflage!16 bevorzugt sie ganz offenbar einen Gesprächs- und Verhaltenstypus der gesellschaftlich sanktionierten Dezenz, der im äußersten Widerspruch zum van der Straatenschen Verhaltensmodell steht. Im entscheidenden Gespräch kurz vor ihrer endgültigen Trennung von van der Straaten scheitern denn auch die Kommunikation und eine mögliche, sich abzeichnende Versöhnung an diesem Überschreiten der normierten Rhetorik sowohl im verbalen als auch im affektischen Bereich. Im Anschluß an eine lange Auslassung Ezels, in der er ihr ein großzügiges Arrangement auf der Basis des Vergessens des bisher Vorgefallenen anbietet und eine unbeschadete Rückkehr in die familialen Koordinaten großzügig in Aussicht stellt, kippt die Reaktion Melanies genau in dem Moment, in dem die imaginäre Demarkationslinie zwischen Dezenz und Indezenz formal verlassen wird: Melanie war, als er zu sprechen begann, tief erschüttert gewesen, aber er selbst hatte, je weiter er kam, dieses Gefühl wieder weggesprochen. Es war eben immer dasselbe Lied. Alles, was er sagte, kam aus einem Herzen voll Gütigkeit
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Vorwürfe, die Ezel zumeist nur ironisch parieren kann: "Ich bin es zufrieden und bedaure nur, allem Anscheine nach, wieder einmal Anstoß gegeben und das adelige Haus de Caparoux in seinen höheren Aspirationen verschnupft zu haben." Ibid. 64. Ibid. 67. S. z.B. in einem kleinen Gespräch, in dem es um das ernste Thema des Duells geht: "Melanie lachte. 'Nein, Ezel, ich stürbe wenn du mir totgeschossen würdest.' - 'Höre, dies solltest du dir doch überlegen. Das Beste, was einer jungen Frau wie dir passieren kann, ist doch immer die Witwenschaft [...]'." Ibid. 11. Adolph von Knigge, Über den Umgang mit Menschen, ed. Gert Ueding (Frankfurt a.M., 1977) 47.
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und Nachsicht, aber die Form, in die sich diese Nachsicht kleidete, verletzte wieder. Er behandelte das, was vorgefallen, aller Erschütterung unerachtet, doch bagatellmäßig obenhin und mit einem starken Anfluge von zynischem Humor. Es war wohlgemeint, und die von ihm geliebte Frau sollte, seinem Wunsche nach, den Vorteil davon ziehn. Aber ihre vornehmere Natur sträubte sich innerlichst gegen eine solche Behandlungsweise.17 Mit dem Hinweis auf den Formverstoß kann mithin Disziplinierung selbst potenter Figuren durchgesetzt werden. Denn letztlich wird nicht nur Melanie sich selbst aus der Gesellschaft ausgrenzen, sondern umgekehrt auch Ezel durch ihre Entscheidung, mit Rubehn die Familie zu verlassen, gesellschaftlich ausgrenzen. Um so bedrohter von diesem rigorosen gesellschaftlichen Exklusionsverfahren sind alle schwächeren Figuren, insbesondere Frauen. Melanie, die Ehebrecherin, muß auf Güter, Kinder und letztlich die ihr eigenen Verhaltensschemata verzichten, die ihr gleichfalls entzogen werden. Dazu gehört, in Analogie zu dem, was später Ingeborg Bachmann im Fall Franza entwickeln wird, selbst und gerade der Verzicht auf affektische, elementare Konditionen ihres Seins, mithin auf Teile ihrer Identität. In der Tat steht das Lachen, eine spezifische Signatur des Lachens, bei Fontäne nahezu synonym für den Kern figuraler Identität, der abgesprochen und nur gelegentlich wiedergefunden werden kann. Es ist symptomatisch, daß Melanie das Lachen, ihr Lachen, ihr absolutes Lachen erst wieder in Italien, also nach der eindeutigen Entscheidung zu einem neuen Leben jenseits der doppeldeutigen Situation in den Koordinaten der alten Gesellschaftsform, wiederfinden kann. In Venedig, symbolhafterweise vis-ä-vis der Kirche 'Delia Salute', kommt es zu einer Gesundung des verlorengegangenen Grundgefühls: [...] und sie lachte wieder, wie sie seit lange nicht mehr gelacht hatte, kindlich und harmlos. Ach, wem dies Lachen wurde, dem bleibt es, und wenn es schwand, so kehrt es wieder. Und es überdauert alle Schuld und baut uns Brücken vorwärts und rückwärts in eine bessere Zeit.18 Trotz dieser nahezu emblematischen Erhöhung - mit der Signatur des Lachens als Indikator für eine wiedergefundene Identität der Persönlichkeit19 - wird es eines langen und krisenhaften Selbstreduktionsprozesses bedürfen, um eine endgültige Versöhnung mit der Gesellschaft Realität werden zu lassen. Erst nach Bewährungsphasen der vollständigen gesellschaftlichen Isolation wie auch (was nicht unerheblich ist in bürgerlichem Kontext) des vollständigen finanziellen Ruins kommt es zu einer Wiederannäherung, innerhalb derer
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Fontäne, L'Adultera 100. Ibid. 105. Neben Effi werden auch Figuren wie Melanie und Ce"cile auf entscheidenden Stationen einer temporären Wendung zum Besseren diesen Typus des Lachens aufweisen.
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dann, wiederum durch einen Gestus des Lachens, Einverständnis und Lebensperspektive vermittelt wird: "Versuchen wir's. Also ein neues Leben, Melanie!" "Ein neues Leben! [...] Willst du? Glaubst du?" "Ja." "Topp." Und sie schlug in seine Hand und zog ihn unter Lachen und Scherzen in das Nebenzimmer [...].20 Wenn Außenseiter und Zentralfigur Ezel diesen Bund synchron hierzu beglaubigt, ist dies eine weitere Komponente im Stabilisierungspaktsystem, der einen komplexen Läuterungsprozeß zum Abschluß bringt, wobei das ausgetriebene und wiedergefundene Lachen Melanies als zentraler Indikator der Bewegung figuriert. Der realistische Roman versteht sich gleichsam als eine Installation, als ein Laboratorium zur genaueren Exploration von affektischen Verwerfungen als Signalen für gesellschaftliche Grenzbewegungen. Jenseits der romantischen Konzepte einer 'Gemütserregungskunst' gilt es hier, eine Poetologie der 'Gemütsunterdriickungskunst' zu definieren. Nicht von spätromantischem, weltschmerzhaften Abgesang, nicht vom Lachen des Heautontimoromenous ist hier die Rede, sondern von strenger Funktionalisierung der Affekte. Dies geschieht im Falle des Lachens zum einen durch Tilgung, Reduzierung und Herabstimmung als Signal für den permanenten Kompromiß mit der Gesellschaft, zum anderen durch Verwendung eines spezifischen Typus als Herrschaftsinstrument in und über eben dieselbe Gesellschaft. Gerade im Kontrast zwischen männlichen Figuren wie Crampas und Instetten in Effi Briest läßt sich die Differenz der Lachschemata nahezu prototypisch vergegenwärtigen. Beobachten wir im Fall von Crampas den Typus des destabilisierenden Lachens, so zeigt sich bei Instetten exemplarisch das Muster einer stabilisierenden, hieratisch organisierten Kultur des Lachens. Es ist nicht etwa so, daß Instetten nicht oder kaum lacht, im Gegenteil, nahezu ständig sind Begegnungen mit Effi durch einen spezifischen Gestus von Gelächter getragen. Allerdings handelt es sich dabei immer um ein Lachen, in dem Effi als Objekt eines überlegenen Lachgestus figuriert. Es ist ein Lachen über ihr Lachen oder über ihre Angst. Instetten ordnet durch sein Lachen den Affekt Effis gleichsam in sein selbst sich immer neu bestätigendes System ein. So lacht er, wenn das erste Mal vom Chinesen die Rede ist:
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Fontäne, L'Adultera 134f.
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"Ein Chinese, find' ich, hat immer was Gruseliges." "Ja, das hat er," lachte Geert.21 Gleichfalls wird Geert lachen, wenn das Grauen in Effi hochsteigt und immer neue Fragen nach der bedrohlichen Wirklichkeit anklingen: "Woran liegt es nur?" Instetten lachte.22 Lachen auch nach der ersten großen, fast panisch verlaufenen Nacht der Angst, die Effi allein erlebt, wenn Instetten letztlich kommentiert: "So sind alle Frauen," lachte Instetten.23 Auch hier vertreibt das Herrschaftslachen das Menschlichkeitslachen, das Lachen im gesellschaftlichen Kontext den Ausdruck der Empfindlichkeit. Nicht von ungefähr signalisiert Effi im Verlauf des Andauerns ihrer Ehe-, d.h. Herrschaftsbeziehung, ein allmähliches Verlöschen des anfangs für sie zentralen Emotionsbereichs.24 Sie wird gezwungen, gleichsam sich selbst zu verlassen, und die Chance auf eine Wiederkehr zu sich selbst wird von ihr als gering eingeschätzt. Selbst Momente spontanen Gelächters werden von der Gegenstimme der Bedrohung unterlaufen und konterkariert: Effi lachte so herzlich, wie sie seit lange nicht mehr gelacht hatte. Doch es war von keiner Dauer, und als Instetten ging und sie allein ließ [...], brach (es) wieder über sie herein, und sie fühlte, daß sie wie eine Gefangene sei und nicht mehr heraus könne.25 Wenig später wird diese Gesamtstimmung nachgerade in einen Abgesang an die eigene Lebensspur münden: "Hier ist mir, als ob ich in meinem ganzen Leben nicht mehr lachen könnte und überhaupt nie gelacht hätte, und du weißt doch, wie gern ich lache."26 In beiden Fällen erscheint die Signatur des Lachens als ein Synonym für die existentielle Befindlichkeit, welche sich durch eine spezifische, natürliche, mit sich selbst identische Form der Affektäußerung ausdrücken konnte und die
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Fontäne, Effi Briest 46. Ibid. 48. Ibid. 78. Effi wird im Schlußteil des Romans kein einziges Mal mehr lachen. Gleichzeitig geht sie ihrer gesellschaftlichen und familialen Existenz verlustig und wird durch Krankheit zu einer Art Schattenwesen. Fontäne, Effi Briest 169. Ibid. 212.
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nun in Gefahr gerät, diese elementare Identifikationsgrundlage zu verlieren. Daß sich dieser Verlust nicht zufällig oder willkürlich ereignet, sondern Resultat einer von der Gesellschaft selbst längst verinnerlichten und auch ad absurdum geführten Strategie ist, beweisen Aussagen Instettens, in denen er selbst sich als Objekt eines übergeordneten und absurden Gesetzes, in dem Herrschaftslachen Menschlichkeitslachen zu tilgen habe, betrachtet. Im Kampf zwischen gesellschaftlichem Gesetz und individuellem Bedürfnis wird die Priorität widerstandslos der ersten Kategorie zugeordnet. Dies nicht allein an der bekannten Schlüsselstelle, wo von dem 'tyrannisierenden GesellschaftsEtwas', das "nicht nach Charme und nicht nach Liebe und nicht nach Verjährung"27 fragt, die Rede ist, sondern auch später, nachdem Instetten aus dem Duell mit Crampas als Sieger hervorgegangen ist. Nun wird er seinerseits von den negierten Naturgesetzen des Lachens eingeholt, sieht sich selbst als steckengebliebenen Komödianten, das Szenarium des gesellschaftlichen Verhaltens als "halbe Komödie":28 "[...] ich finde das alles so trist und elend, und es wäre zum Totschießen, wenn es nicht so lächerlich wäre."29
Totschießen und Totlachen als Reaktionsmuster einer pervertierten Form der Existenz, in der dem Gesetz des Todes ein stärkeres Recht eingeräumt wird als dem des Lebens, des durch den Akt des Lachens beglaubigten Lebens. Auch in Romanen anderer Autoren - Autoren anderer Kulturen im Europa der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts - lassen sich ähnliche Schemata, das Lachen als lebendigen Impuls auszutreiben und durch ein sich selbst immer fragwürdiger werdendes Herrschaftslachen ersetzen zu lassen, erkennen. Madame Bovary von Flaubert und Anna Karenina von Tolstoj lassen sich als vergleichbare Paradigmen analog und different zitieren. Erscheint am Beginn der Liebesgeschichte der Gestus des Lächelns der Anna Karenina als Schlüssel der Liebesverständigung jenseits der gesellschaftlichen Normierung, wo durch den mimischen Gestus signalisiert wird, was durch das sonstige Verhalten negiert werden soll, so obsiegt doch am Ende eine fragile Chirurgie des Lachens, die nicht mehr an Überzeugungskraft beinhaltet als der Abgesang an die eigene Identität im Falle Instettens. Das Lächeln und Lachen als Brücke zum anderen, als kommunikativer Grundgestus, der Verbindungsebenen herstellt, die gesellschaftlich tabuisiert sind, wird abgelöst durch ein funktionalisiertes Lachen, welches strategisch eingesetzt wird:
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Ibid. 236. Ibid. 243. Ibid. 286.
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Bei diesen Worten lächelte Stepan Arkadjewitsch. Kein anderer hätte an seiner Stelle, einer solchen Verzweiflung gegenüber, sich erlaubt zu lächeln; denn ein Lächeln wäre als Brutalität erschienen; aber in seinem Lächeln lag eine solche Gutmütigkeit und eine solche fast frauenhafte Zärtlichkeit, daß sein Lächeln nichts Verletzendes, sondern vielmehr etwas Besänftigendes, Beruhigendes hatte. Die Art, wie er leise und beschwichtigend redete und lächelte, wirkte mildernd und beruhigend wie Mandelöl. Und Anna fühlte das in kurzem.30 Arkadjewitschs 'besänftigendes, zärtliches Mandelöl-Lächeln'31 wird von ihm selbst als chirurgisches Antidot gegen gesellschaftliche Irritationen angewandt, genauer: er glaubt an die Möglichkeit, mittels eines chirurgischen Instruments der Affektamputation Linderung bringen zu können. Daß der Versuch kläglich scheitern wird, daß mit den Affektkrücken und -Instrumenten nicht Ersatz für den bewußt ausgetriebenen Affekt geleistet werden kann, wird erst später evident. Im Moment der affektischen Zeremonie des Großmeisters des Lächelns Stepan Arkadjewitsch dominiert noch die Freude, die 'Rührung' über die eigene Kompetenz: Als er das Zimmer seines Schwagers verließ, war er gerührt; aber das hinderte ihn nicht, sehr zufrieden darüber zu sein, daß er diese Angelegenheit glücklich erledigt hatte [...]: "Welcher Unterschied ist zwischen mir und einem Chirurgen? Wenn ein Chirurg amputiert, so geht es dadurch allerhöchstens dem einen besser; ich aber habe eine Amputation vorgenommen, durch die es gleich drei Menschen mit einem Male besser geht."32 Der chirurgischen Selbststilisierung des virtuosen Lächelns steht im Fall der Emma Bovary eine brutale Schematisierung zweier denaturierter Formen des Lachens gegenüber. Emma lacht nicht eigentlich, sie spielt während der ganzen Erzählung und sie weiß vom schauspielartigen Charakter dieses Lachens und Lächelns: Manchmal erschrak sie selbst über die grausamen Verstellungen, die ihr in den Sinn kamen; und dabei galt es immer wieder, ein lächelndes Gesicht zu zeigen, sich selber die Lüge plappern zu hören, daß sie glücklich sei, und ständig so zu tun, als sei sie es auch wirklich.33 Die Aufgabe dieser lächelnden Maske der Lüge ist mit der Aufgabe der sozialen Existenz, letztlich mit der Existenz selbst identisch. Einmal wird Emma Bovary unverstellt lachen. Dies wird identisch sein mit ihrem Ende:
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Leo N. Tolstoj, Anna Karenina, übers. H. Röhl (Leipzig, o.J.) Bd. 2, 49.
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Cf. ibid. 55.
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Ibid. 59. Gustave Flaubert, Madame Bovary, übers. Hans Reisiger (Hamburg,61958) 88. (Ähnlich auch bei Effi Briest, cf. Anm. 5).
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Emma brach in ein schrilles, grelles Lachen aus, das gar nicht aufhören wollte: sie hatte einen Nervenanfall.34 Und noch einmal wird sie lachen, es wird ihr letztes Lachen sein: Sie brach in Lachen aus, ein wildes, entsetztes, verzweifeltes Lachen, denn sie glaubte das scheußliche Gesicht des Unglücklichen vor sich auftauchen zu sehen, wie ein Schreckgespenst aus der ewigen Nacht [...]. Ein letzter Krampf warf sie auf das Bett zurück. Alle traten hinzu. Sie war nicht mehr.35 Diese letzte, nicht subversive, sondern selbstdestruktive Form des Lachens kündigt den Pakt mit der Gesellschaft radikal auf, weit schlimmer, sie kündigt den Pakt mit sich selbst auf, verlacht den Glauben an die eigene Identität und artikuliert so affektsprachlich das eigene Todesurteil. In seiner sozialgeschichtlich angelegten, ungeheuer materialreichen Histoire des passions frangaises 1848-1945 zeichnet Theodore Zeldin36 das Tableau affektischer Äußerungsformen und -bedürfnisse im privaten und öffentlichen Leben des bürgerlichen Frankreich. Es fällt auf, daß zwar Ambition und Liebe, Wut und Politik, Hochmut, Heuchelei und Korruption dabei im Mittelpunkt stehen, Phänomenen des Lachens aber nur eine vergleichsweise marginale Rolle zugestanden wird. Bezeichnenderweise ausgerechnet im Umfeld von sozialer Unterdrückung kommt dem Gelächter im Kontext dieser Gesellschaftsordnung allenfalls Bedeutung zu, v.a. einem satirisch-destruktiven Lachen. Ausgespart bleibt (nicht nur in der Literatur) eben jener Bereich des sich selbst versichernden und befreienden Lachens, wie er für Fontanes Frauenfiguren so wichtig ist. Umgekehrt dominieren jene Formen der Ridikülisierung, die der Verfestigung dessen dienen, was man mit der jüngeren sozialphänomenologischen Forschung als Retablierung der 'Hackordnung' bezeichnen könnte.37 Als gesellschaftsdarwinistisches Verhaltensschema kommt dieser Form des Lachens eine gleichermaßen ausgrenzende (in bezug auf das abweichende Individuum) wie solidarisierende (was den Pakt der jeweiligen Gesellschaftsgruppe nach innen betrifft) Funktion zu. In Verbindung damit ist eine häufig nonverbal ausgetragene interne Verständigung bezüglich 'notwendiger' Ausgrenzungen zu sehen; dabei geht das eigentlich humorvolle Lachen, welches Gegensätze und Verspannungen ironisierend oder relativierend aufzulösen bemüht ist, kennzeichnenderweise seiner gesellschaft-
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Ibid. 212. Ibid. 250. Theodore Zeldin, Histoire des passions frangaises I848-1945, 5 vols. (Paris, 1980/81). Cf. Björn Ekmann, "Das gute und das böse Lachen. Lachkulturforschung im Zeichen der Frage nach Funktion und Wert des Lachens," Jahrbuch für internationale Germanistik (JBIG) 16 (1984): H 2, 30.
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lichen Bedeutung zunehmend verlustig. Es ist kein Zufall, daß der alte Stechlin, Repräsentant dieser Lachkultur, sich auf der Liste einer im sozialen Aussterben befindlichen Spezies situiert. Er zieht damit nur eine sehr pragmatische Konsequenz aus dem konkreten Befund der Welt um ihn her, die wiederum als symptomatisch für die Gesellschaft des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts gesehen werden darf.
BERNHARD GREINER
Meta-phoren: Das Lachen und die Zeichen in Elias Canettis Autobiographie
Das Lachen und die Zeichen: ihr Bezug zueinander wird in vielerlei Formen vorgestellt und realisiert, in der Regel aber stets in einem Verhältnis der Abhängigkeit (begründend oder 'taxierend')· Als eine ins Ungeregelte, Anarchische gehende Körperäußerung ruft das Lachen offenbar vehement Ordnungsdenken auf den Plan, das ihm Grenzen weist. Die geläufigste Beschränkung besteht darin, das Lachen auf eine bestimmte Zeichenordnung zurückzuführen, um es in dieser Bedingtheit dann festzuhalten. Die verschiedenen Theorien der Kontrastkomik sind hier zu nennen (aus einer Zeichenordnung, die die Struktur eines Mißverhältnisses zeigt, wird das Ver-Lachen abgeleitet)1 oder die Herleitung des Lachens aus der Struktur des Witzes als einer Konstellation, in der eine ausschließende Macht dazu gebracht wird, das selbst auszusprechen, was sie ausschließt2 (was zum Mit-Lachen oder 'grotesken' Lachen3 führt, beide zu verstehen als Lachen, das Unterdrücktes freisetzt). Das Lachen ist in solchen Bestimmungen rückwärts gebunden an eine jeweils vorgegebene Ordnung der Zeichen. Oder es wird umgekehrt vom Lachen ausgegangen, wie immer dieses induziert sein mag, um dann zu zeigen, wie dies vorgegebene Lachen - als virtuell anarchisch, entgrenzend, entstrukturierend - Ordnungen der Zeichen unterworfen wird. In der Bibel z.B. finden wir Abrahams und Saras Lachen auf Gottes Verheißung, daß ihnen in ihrem hohen Alter ein Sohn geboren werde, der dann folgerichtig auch den Namen
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Die Unterscheidung zwischen Ver-Lachen und Mit-Lachen als den zwei Grundformen des Lachens folgt Hans Robert Jauß, "Über den Grund des Vergnügens am komischen Helden," Das Komische, ed. Wolfgang Preisendanz und Rainer Warning (München, 1976) 103-132. So bestimmt Joachim Ritter das Lachen: Joachim Ritter, "Über das Lachen," Subjektivität (Frankfurt a.M., 1974). Innerhalb eines triebdynamischen Modells entwirft Freud dieselbe Struktur: das Lachen als Anwesenheit eines Ausgeschlossenen (Triebwünsche des Es) an der ausschließenden Macht (des Über-Ich, seiner Manifestationen); Sigmund Freud, Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, Studienausgabe, ed. A. Mitscherlich u.a., 10 Vols. (Frankfurt a.M., 1970) 4: 9-219. Im Sinne von: Charles Baudelaire, "Vom Wesen des Lachens und allgemein von dem Komischen in der Bildenden Kunst," Sämtliche Werke/Briefe, ed. F. Kemp u.a., 8 Vols. (Darmstadt, 1977) 1: 284-306.
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Yitzhak, übersetzt: 'er lacht', erhält. Die 'Vätergeschichte' mündet dann aber in den Bericht - und das scheint eines ihrer zentralen Anliegen zu sein -, wie dies Lachen dem Herrschaftsanspruch des göttlichen Wortes unterworfen wurde. In der theatralischen Veranstaltung 'Komödie' wiederum ist, um ein weiteres Beispiel zu nennen, das Lachen als konstituierende Gattungserwartung gesetzt, zugleich in der Ordnung des Theaters stets gehalten und begrenzt. Denn dieses vermag durch seine eigene Gesetzlichkeit auch da noch Halt und Kontur zu geben, wo das Lachen, das durch das dargestellte Geschehen erzeugt worden ist, alles durcheinander zu wirbeln droht (Aspekt der 'Formung des Karnevalistischen in der Komödie').4 Gegenüber solchen Eingrenzungen und Festlegungen des Lachens in der Ordnung der Zeichen zeigt Elias Canettis Autobiographie den seltenen Versuch, Lachen und Ordnung der Zeichen gleichberechtigt, wechselseitig einander Raum gebend, zu entfalten. So stehen hier nicht Bedingungs- und Unterwerfungsverhältnisse zur Debatte, sondern solche der Öffnung des einen für das andere. Anliegen ist nicht Gefügig-Machen, In-Grenzen-Halten des Lachens durch die Ordnung der Zeichen, auch nicht Ersetzen des einen durch das andere, vielmehr, das Lachen im Raum der Zeichen, bzw. die Zeichen im Raum des Lachens sich entfalten zu lassen. Eben solch ein Vorgang macht aber das Wesen der Metapher aus: ein Vorstellungsbereich breitet sich - ungeregelt, nicht auf eine Bedeutung festzulegen - in einem anderen Vorstellungsbereich aus.5 Auch das ist ein Aspekt des Lebendigen6 von Canettis Schreiben, daß es Lachen und Ordnung der Zeichen nicht aneinander begrenzt, sondern jedes auf seinem Feld zum 'Träger des anderen' werden läßt: Meta-phoren. Gegenüber der allgegenwärtigen, in einem ausgeklügelten System der Zeichenverweisung entworfenen Sprachthematik der Autobiographie Canettis (die Geschichte des Ich wird gegeben als Geschichte der Integration der verschiedenen Aspekte der Sprache)7 erscheint das Lachen in diesem Werk marginal.
Zum Lachen in der Bibel und zum Aspekt der 'Formung des Kamevalistischen in der Komödie' ausführlicher: Bernhard Greiner, Die Komödie. Eine theatralische Sendung: Grundlagen und Interpretationen (Tübingen, 1992), insbes. die Kap.: "Die Erweiterung des Blicks: Komödie als Theatergeschehen" und "Bezüge des Lachens zum Wort." Zu diesem Verständnis von Metapher: Harald Weinrich, "Semantik der Metapher," Folia Linguistica I (1967): 3-17. Canetti faßt sein Schreiben insgesamt als Tod-feindschaft - immer wieder explizit in seinen Aufzeichnungen, z.B. S. 23, 56, 112, 355 [Elias Canetti, Aufzeichnungen 1942-1985: Die Provinz des Menschen: Das Geheimherz der Uhr (München, Wien, 1983)] -, das ließ ihn zum Analytiker der 'Masse' wie der 'Macht' werden als den Grenzformen des Lebens: Aufhebung des einzelnen Lebens im Organismus der Masse, Konzentration und Erstarrung des Lebens im Machthaber, der sich das Leben aller ändern virtuell aneignet. Cf. Bernhard Greiner, "Akustische Maske und Geborgenheit in der Schrift: Die SprachOrientierung der Autobiographie bei Elias Canetti und Walter Benjamin," Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 34 (1993): 305-325. Die Sprachthematik deutet - wenn auch mit anderem Ergebnis - gleichfalls als zentral: Waltraud Wiethölter, "Sprechen - Lesen
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Nur in zwei Szenen hat es thematisch Eigengewicht; es sind allerdings markante Momente in der Geschichte des beschriebenen Ich. Die erste Geschichte des Lachens wird unmittelbar vor dem Kapitel gegeben, das das grundlegende Trauma des beschriebenen wie schreibenden Ich zum Thema hat und ist, wie sich zeigen wird, mit diesem Thema aufs engste verquickt (der Tod des Vaters als der nie verwundene Verlust und zugleich die Ermöglichung der außergewöhnlichen Liebesbeziehung zwischen Mutter und beschriebenem Ich). Die zweite Szene des Lachens gibt die Autobiographie sodann sehr herausgehoben am Schluß des zweiten Bandes, wenn sie auf den Moment zu sprechen kommt, an dem das beschriebene Ich mit dem Schreiben an seinem ersten Werk beginnt, mithin bei sich selbst ankommt als schreibendem Ich. Das geschieht eben dadurch, daß das Ich in einem Akt des Lachens den Kristallisationskern für die Zentral-Figur seines Romans (Die Blendung) findet. Zur ersten Szene des Lachens. Das sechsjährige Kind, seit ca. einem Jahr von der spagniolischen (d.h. sephardisch-jüdischen) Kolonie in Bulgarien nach England übergesiedelt, hat mit Hingebung Englisch gelernt, da der Vater sich mit dieser Sprache besonders identifiziert. Die Mutter besteht darauf, daß das Kind auch Französisch lernt, was einer französischen Hauslehrerin übertragen wird, die sich wenig Mühe gibt. Sie bringt dem Kind nur eine Lektion bei, vernachlässigt völlig die Aussprache, so daß der kleine Elias seinen französischen Text englisch ausspricht. Er trägt die Geschichte seinen Eltern vor: [...] ich sprach die Geschichte so dramatisch wie möglich - die Eltern schienen sehr amüsiert, es dauerte nicht lang, und sie lachten beide aus vollem Halse. Mir wurde sehr sonderbar zumute, so lang und so einträchtig hatte ich sie nie lachen gehört, und als es zu Ende war, spürte ich, daß sie mich nur zum Schein lobten. Ich ging gekränkt in das Kinderzimmer hinauf und übte die Geschichte immer wieder für mich, um ja nicht zu stocken und keine Fehler zu machen. Als nächstes Mal Gäste kamen, placierten sie sich alle im gelben Salon wie für eine Vorstellung, ich wurde heruntergeholt und aufgefordert, die französische Geschichte herzusagen. Ich fing an: 'Paul etait seul ä la maison', und schon verzogen sich alle Gesichter zum Lachen. Ich wollte es ihnen aber zeigen und ließ mich nicht beirren, ich sprach die Geschichte zu Ende. Als es so weit war, bogen sich alle vor Lachen. Mr. Calderon, der immer der lauteste war, klatschte in die Hände und rief: 'Bravo! Bravo!' Onkel Sam, der Gentleman, brachte den Mund nicht mehr zu und fletschte alle seine englischen Zähne. Mr. Innie streckte seine riesigen Schuhe weit vor, lehnte den Kopf nach hinten und heulte. Selbst die Damen, die sonst zärtlich zu mir waren, und mich gem auf den Kopf
- Schreiben: Zur Funktion von Sprache und Schrift in Canettis Autobiographie," DVjs 64 (1990): 149-171. Forschungen zu Canettis Autobiographie s. Gesamtbibliographie von Jutta Perisson-Waldmueller, "Hommage ä Elias Canetti," Austriaca 6 (1980): 185-186; hervorgehoben seien: Heinz Lüdde, "Lesarten der Selbstdarstellung: Zu einem autobiographischen Text von Elias Canetti," Kultur-Analysen. Psychoanalytische Studien zur Kultur, ed. A. Lorenzer (Frankfurt a.M„ 1986) 375-395; Friederike Eigler, Das autobiographische Werk von Elias Canetti (Tübingen, 1988).
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küßten, lachtem mit weit offenem Mund, als ob sie mich im nächsten Augenblick verschlingen würden. Es war eine wilde Gesellschaft, ich fürchtete mich, und schließlich begann ich zu weinen. Dieser Auftritt wiederholte sich öfters; wenn Gäste kamen, wurde ich unter viel Schmeicheleien gebeten, meinen Paul herzusagen, und statt mich zu weigern, gab ich mich jedesmal dazu her und hoffte, meine Quälgeister zu besiegen. Aber es endete immer auf dieselbe Weise, nur daß manche sich daran gewöhnten, die Sache im Chor mitzusagen und mich so zwangen, wenn mir das Weinen zu früh kam und ich schon aufhören wollte, bis zu Ende weiterzumachen. Man erklärte mir nie, was so komisch daran war, Lachen ist mir seither ein Rätsel geblieben, über das ich viel nachgedacht habe, es ist mir bis zum heutigen Tage ein ungelöstes Rätsel geblieben. (GZ 64f.)8 Am Lachen ist hier zum einen ein besonderer Grad von Gemeinschaftsbildung ('Einträchtigkeit') hervorgehoben; auf Seiten des Kindes impliziert dies die ebenso nachdrückliche Erfahrung, ausgeschlossen zu sein, ja massiv bedroht zu werden. Zum ändern ist die enthemmende, entmenschende Wirkung dieses Lachens betont (die Gesichter sind 'verzogen', ein Zuhörer 'fletscht die Zähne', ein anderer verfällt ins 'Heulen', die Damen haben den Mund offenstehen, als ob sie das Kind verschlingen möchten). Besonders wichtig scheint dem schreibenden Ich jedoch, denn dies wird wiederholt, daß das Lachen an den Vorgang des Sprechens gebunden ist. Der Vortrag ist nicht ein 'Witz', auf den anschließend das Lachen folgte. Das Kind bricht seinen Vortrag vielmehr nicht ab, es versucht, mit seiner Rede das Lachen niederzukämpfen, aber dieses ist offenbar an seine Rede gebunden; denn bei den Wiederholungen erzwingen die Gäste das Weiterreden, wenn das Kind abbrechen will. Die Erklärung, die das schreibende Ich für dieses Lachen gibt, zeigt beide Grundformen des Lachens beteiligt. Zum einen das Ver-Lachen als Innewerden eines Mißverhältnisses. Dieses liegt hier im Vollzug des Sprechens (korrekte vs. faktische Aussprache), nicht in einer von diesem ablösbaren Vorstellung. Erklärt wird das Lachen weiter aus einer Schwäche der Zuhörenden selbst: Die Gesellschaft der versammelten Rustschuker, die in der Schule der 'Alliance' zu Hause akzentfreies Französisch erlernten und nun mit ihrem Englisch einige Mühe hatten, fanden es unwiderstehlich komisch, dieses englische Französisch zu hören, und genossen, eine schamlose Meute, die Umkehrung ihrer eigenen Schwäche an einem Kind von noch nicht sieben Jahren. (GZ 65) Das ist, im Sinne Joachim Ritters, eine sprachtheoretische Begründung des Lachens. Die ausschließende Macht, hier die Norm einer guten englischen
Zitate aus Schriften Canettis werden im Text nachgewiesen, wobei folgende Siglen verwendet werden: GZ: Die gerettete Zunge (Frankfurt a.M., 1979); FO: Die Fackel im Ohr (Frankfurt a.M., 1982); A: Das Augenspiel (München, 1985); MuM: Masse und Macht (Frankfurt a.M., 1980); B: Die Blendung (Frankfurt a.M., 1965).
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Aussprache, die für die französisch orientierten Spagniolen schwer zu erfüllen ist, wird dazu gebracht, das selbst auszusprechen, was sie negiert (die andere, also die französische Sprache), wodurch sie sich selbst ihrer Macht beraubt, da sie sich für die Französisch-Kenner in der verballhornten Aussprache lächerlich macht. Die Erläuterung zeigt, daß die sprachtheoretische Begründung des Lachens mit der triebdynamischen Freuds homolog ist, Canetti dieser hier also folgt, obwohl er sich explizit von den Konzepten Freuds entschieden distanziert.9 Was er mit seiner Erklärung beruft, ist die Konstellation des anzüglichen Witzes. Ein 'Hemmungsaufwand', der von den Zuhörern ständig geleistet werden muß (das geläufige Französisch zurückzudrängen zugunsten einer auf solcher Basis schwer zu erlernenden korrekten englischen Aussprache), wird durch das englisch verballhornte Französisch des Kindes für den Moment 'erspart', die aufgestaute Energie kann sich entladen.10 Im Unterschied zum Witz wird dies aber nicht durch das einmalige Zünden einer Pointe erreicht, sondern nur solange, als das falsche Sprechen anhält, das die Norm des richtigen Sprechens, die Macht ausübt, depotenziert. In Canettis erster Szene des Lachens spricht nicht zuerst einer und lachen dann alle ändern, vielmehr wird nur gelacht, solange gesprochen wird. Dies gleichrangige Verhältnis von Lachen und Sprechen kommt dadurch zustande, daß Canetti das Lachen auf einen Aspekt der Sprache bezieht, der nur im Sprachvollzug gegeben ist, ein Aspekt zugleich, der im literarischen Schaffen Canettis zentrale Bedeutung hat. Canetti hat aus ihm eine eigene Theorie ('der akustischen Maske') entworfen.11 Es ist der sinnliche, physische Aspekt der Sprache, abgelöst, unabhängig von der Bedeutung, dem geistigen Aspekt (der Ton, die Musik, das Körperliche, das der Sprechende der Sprache jeweils mitgibt). Unter 'akustischer Maske' versteht Canetti den sinnlichen Gesamtein-
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Im zweiten Band der Autobiographie grenzt sich das schreibende Ich mehrfach gegen Freud ab (z.B. FO 115ff., 142ff.), wird dann auch das Hantieren der Freudianer mit dem Ödipus-Komplex lächerlich gemacht (Kap. "Der Ausbruch," FO 135); im ersten Band wird an einer für die hier betrachtete Szene des Lachens wichtigen Stelle (im Zusammenhang einer Sprachreflexion, die auf eine Szene folgt, in der bulgarische Mädchen Schauergeschichten erzählen) gleichfalls Distanz zu den Kategorien (hier der des 'Unbewußten') Freuds betont (GZ 16). Im dritten Band der Autobiographie spricht Canetti dann sogar von psychoanalytischer Verseuchung (A 158). Daß Masse und Macht entschieden gegen Freud geschrieben ist, sagt Canetti mehrfach; daß auch Die Blendung als eine Schrift gegen Freud aufgefaßt werden kann, hat jüngst Gerald Stieg dargelegt: Gerald Stieg, "Canetti und die Psychoanalyse: Das Unbehagen in der Kultur und Die Blendung," Elias Canetti: Londoner Symposium, ed. Adrian Stevens und Fred Wagner (Stuttgart, 1991) 59-73. Zu Freuds Konzeption des Witzes als erspartem Hemmungsaufwand·. Sigmund Freud, Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten (s. Anm. 2) insbesondere 139-148. Von Canetti erstmals erläutert in einem Artikel des Sonntag (Beilage des Wiener Tag) vom 18.4.1937; zitiert in Herbert G. Göpfert, ed., Canetti lesen: Erfahrungen mit seinen Büchern (München, 1975), 54f. Zur Bedeutung des Prinzips der 'akustischen Maske' für Canettis Dramenschaffen: Bernhard Greiner, Die Komödie (s. Anm. 4) Kap.: "Komödie der abgelenkten Wiederholung: Canettis Hochzeit."
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druck, den spezifische Wortwahl, Sprachmelodie, Sprechrhythmus eines Sprechenden hervorrufen, wodurch dieser zugleich vollkommen charakterisiert wird, wobei man von der Bedeutung des jeweils Gesagten völlig absehen könne. Das Kind der Autobiographie wird dieses Aspekts der Sprache sehr früh inne, bezeichnenderweise in Verbindung mit einer Körpererfahrung, einem lustvollen Berührt-Werden. Das beschriebene Ich erinnert eine Szene mit bulgarischen Bauernmädchen, die sich und ihm Schreckensmärchen von Wölfen und Werwolfen erzählen. Obwohl sehr verängstigt, empfindet das Kind dabei doch wohliges Umfangen-Sein: Auf einem der Sofas [...] kauerten wir uns alle dicht zusammen, mich nahmen sie in die Mitte, und nun begannen ihre Geschichten von Werwölfen und Vampiren. Kaum war eine zu Ende, begannen sie mit der nächsten, es war schaurig, und doch fühlte ich mich, auf allen Seiten fest an die Mädchen gepreßt, wohl. (GZ 15) In einer vermittelten Weise spielt die erste Szene des Lachens hierauf an. Die Lachgemeinschaft, die das Sprechen des Kindes schafft, wird als 'Meute' gedeutet. In Masse und Macht aber wird im Kapitel über 'die Meute' (als Ursprungsform der Masse) an die Faszination des Menschen für die Wölfe erinnert, bei denen die Meute schon vorgebildet sei, wobei sich diese Faszination u.a. in Geschichten von Werwölfen (Menschen, die sich bei Vollmond in einen Wolf verwandeln) niedergeschlagen hätten (vgl. MuM 105). Was das Kind beim Vorlesen des französischen Textes durch das groteske Lachen der Zuhörer erfährt, ist mithin der Aspekt des Verschlungen-Werdens als die andere Seite des Aspekts erotischer Verschmelzung, die beide in einem Sprechen gründen, an dem nicht der geistige Gehalt, d.h. die denotierbare Bedeutung, sondern das Physisch-Sinnliche betont ist (die bulgarisch erzählten Märchen, so fügt das schreibende Ich an der genannten Stelle in einer längeren Sprachreflexion an, hätten sich ohne sein Zutun in seiner Erinnerung ins Deutsche übersetzt. Sie seien ihm in aller Frische gegenwärtig, aber nicht in der Sprache, in der es sie gehört haben mußte. Wesentlich an diesem Sprechen war offenbar nicht das Wort, das sprachliche Zeichen in seiner Differenzqualität, z.B. gegenüber einer anderen Sprache, sondern die körperliche Gemeinschaftserfahrung, die es vermittelt hat). Das Sprechen in seiner sinnlich/physischen Qualität, das auf ein Suspendieren des Prinzips der Unterscheidung zielt, ist aber an der Stelle, da es die groteske Lachgemeinde hervorbringt, mit einem 'Fehler' behaftet, der sich erst durch Vergleichen herausstellt. So ist das Prinzip der Unterscheidung reetabliert. Das Kind spricht das eine Idiom (Französisch) im Melodieraum des anderen Idioms (Englisch) aus, es unterscheidet also nicht, wo man Unterscheidung verlangt. Daher erfährt es die Auflösung des Ich, mit der das Suspendieren des Prinzips der Unterscheidung verknüpft ist, nicht als lustvolle
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erotische Verschmelzung, sondern als Angst, verschlungen zu werden. Freud sehr nahe, deutet das schreibende Ich der Autobiographie in seiner Reflexion über die Angst,12 die es an dieser Stelle einschaltet, das Ich als Verfestigung, als Konturierung, die immer neu den Mächten abgerungen werden muß, die es mit Auflösung bedrohen. Dem entspricht Canettis Verständnis von Maske, wozu er in Masse und Macht u.a. ausführt: Die Wirkung der Maske ist hauptsächlich eine nach außen. Sie schafft eine Figur. Die Maske ist unantastbar und setzt eine Distanz zwischen den Beschauer und sich. [...] gleich hinter Maske beginnt das Geheimnis. [...] Sie drückt viel aus, aber sie verbirgt noch mehr. Sie ist eine Trennung: Mit einem gefährlichen Gehalt geladen, den man nicht kennen darf, zu dem eine Beziehung der Vertrautheit nicht möglich ist, kommt sie sehr nahe an einen heran; [...] Sie droht mit ihrem Geheimnis, das sich hinter ihr staut. [...] Die Maske ist also eben das, was sich nicht verwandelt, unverwechselbar, und dauernd, ein Bleibendes im immer wechselnden Spiel der Verwandlung. [...] Ihre Vollkommenheit beruht darauf, daß sie ausschließlich da ist und alles, was hinter ihr ist, unerkennbar bleibt. Je deutlicher sie selber ist, um so dunkler ist alles dahinter. Niemand weiß, was hinter der Maske hervorbrechen könnte. Die Spannung zwischen der Starrheit der Erscheinung und dem Geheimnis dahinter kann ein ungeheures Ausmaß erreichen. Sie ist der eigentliche Grund für das Bedrohliche der Maske. (MuM 420f.) Das Ich als eine Struktur, die ständig andrängenden Mächten der Entstrukturierung abgerungen werden muß, deren Macht die Angst anzeigt, kann so ganz im Sinne von Canettis Verständnis der 'Maske' als 'Charaktermaske' verstanden werden. Im physisch/sinnlichen Aspekt der Sprache reichen diese auflösenden Mächte in das Ich herein und brechen in einem grotesken Lachen durch, wenn z.B. 'falsch' mit diesem Aspekt der Sprache umgegangen wird. Erst in diesem Zusammenhang erschließt sich, weshalb das Konzept der 'akustischen Maske' so zentrale Bedeutung für Canettis Schreiben gewinnen konnte (nicht nur für seine Dramen, sondern ebenso für die Figurenkonzeption seines Romans; Franz Werfel fand nach einer Lesung Canettis für diesen die aufschlußreiche Charakteristik - mit der Canetti sich trotz aller Feindschaft zu Werfel identifizierte -, er sei "ein Tierstimmenimitator" [vgl. A 135f.]). Im Konzept der 'akustischen Maske' kann Canetti die virtuell Ich-auflösende Kraft des physisch/sinnlichen Aspekts der Sprache mit dem virtuell Ich-bildenden bzw. -erhaltenden Prinzip der Unterscheidung versöhnen, insofern eine
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"Am stärksten wuchert die Angst, es ist nicht zu sagen, wie wenig man wäre ohne erlittene Angst. Ein Eigentliches des Menschen ist der Hang, sich der Angst immer auszuliefern. Keine Angst geht verloren, aber ihre Verstecke sind rätselhaft. Vielleicht ist von allem sie es, die sich am wenigsten verwandelt. Wenn ich an die frühen Jahre denke, erkenne ich zuallererst ihre Ängste, an denen sie unerschöpflich reich waren. Viele finde ich erst jetzt, andere, die ich nie finden werde, müssen das Geheimnis sein, das mir Lust auf ein unendliches Leben macht." (GZ 65)
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'akustische Maske' ja erst dann gegeben ist, wenn das Physische, rein Klangliche des Sprechens ein jeweils besonderes Sprecher-Ich herauspräpariert. In der Szene, in der das falsche Sprechen des französischen Textes das groteske Lachen hervorruft, versagt das Gestalt gebende Moment der 'akustischen Maske', weil sich zwei Sprachmasken ineinander schieben. Statt ein Ich zu konturieren, läßt das Sprechen hier eindringen, wovon die Maske gerade trennen sollte: was sich hinter ihr 'staut', die Mächte der Auflösung. Sprach-Maske (Sprechen als 'akustische Maske'), die durchlässig ist für die Kräfte der Auflösung, die sich hinter ihr stauen: das ist in dieser Szene Canettis Entwurf des Lachens. Am Sprechen ist dabei nicht eine ablösbare geistige Bedeutung, sondern nur der sinnliche Aspekt akzentuiert, der an den Vorgang des Sprechens geknüpft bleibt. So erklärt sich, daß Lachen und Sprechen hier gleichzeitig gegeben sein müssen. Letzteres gilt aber nicht nur für das dargestellte Lachen; auch auf der diskursiven Ebene des Textes, auf der die Funktion dieses Kapitels in der berichteten Geschichte des Ich zur Debatte steht, sind Lachen und das Sprechen als Thema der Autobiographie zentral miteinander verknüpft. Um dies zu erhellen, ist nochmals von der gemeinschaftsbildenden Wirkung des sinnlich/physischen Aspekts der Sprache auszugehen. Das Kapitel Zaubersprache setzt erotisches Sprechen mit dem physischen Aspekt der Sprache gleich. Das Kind erfährt sich von der Liebessprache der Eltern ausgeschlossen: Sie liebten sich sehr in dieser Zeit und hatten eine eigene Sprache unter sich, die ich nicht verstand, sie sprachen deutsch, die Sprache ihrer glücklichen Schulzeit in Wien. (GZ 31) Auf das Ausgeschlossen-Sein antwortet das Kind mit der Strategie, Sätze i.S. der 'akustischen Maske', d.h. ohne ihre Bedeutung zu wissen, im genauen Tonfall, wie Zauberformeln zu wiederholen (GZ 32). Das Physische der Sprache verheißt die Glückserfahrung des Dyadischen, körperliche Gegenwart, Verbindung mit der Mutter, zugleich schließt es Dritte aus. Zur Erfahrung des Kindes wird, daß es durch perfektes Nachahmen des Tonfalls der Liebessprache, etwa der Weise, in der der Vater in dieser Sprache die Mutter ruft, sich in diese Gemeinschaft einschleichen, die Position des Vaters usurpieren kann (vgl. GZ 33). Eintreten in die Liebessprache bedeutet aber den Tod für den, der dabei ausgeschlossen wird. Das führt die Autobiographie in mehreren Szenen vor, es scheint ihr Skandalon zu sein. Die Gespräche mit einer Studienkollegin werden als Umarmungen beschrieben: Unsere Sätze verwickelten sich ineinander wie Haare, Stunden und Stunden dauerten die Umarmungen unserer Worte (FO 177). Gleichzeitig schließen diese Gespräche aus. Sie kreisen um einen galizischen Juden, umgeben diesen mit einer mythischen Aura, aber stehen gerade anstelle einer realen Zuwendung zu ihm. Als der Ausgeschlossene, so die Deutung des schreibenden Ich (vgl. FO 181), bringt
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er sich dann eines Tages um. Analog hat zuvor schon die Mutter das beschriebene Ich nach dem Tod des Vaters in die Position des Sprechers ihrer Liebessprache eingerückt (Kapitel Deutsch am Genfersee [GZ 80]): die Sprache unserer Liebe - und was war es für eine Liebe! - wurde Deutsch (GZ 87). Sein literarisches Schaffen deutet das schreibende Ich als in dieser Liebesrede gegründet. Entsprechend eignet sich die Mutter das erste Werk, den Roman Die Blendung, als 'mit ihrem Körper geschrieben' an: Das Buch, das sie gelesen hatte, sei Fleisch von ihrem Fleisch (GZ 74). Wenn das literarische Schaffen aber - im Ausspielen des physisch/sinnlichen Aspekts der Sprache Fortführung der Liebesrede ist, ist es auch permanentes Wiederholen des Aktes, andere Anwärter auf die Position solchen Sprechens auszuschließen, d.h. es ist zuerst und immer neu Wiederholen des Todes des Vaters (der Tod des Vaters wird in der Autobiographie auf den 'Verrat' der Mutter zurückgeführt, die 'Liebesgespräche' in deutscher Sprache über Literatur nicht mehr mit ihm, sondern mit einem fremden Arzt geführt zu haben). So ist das Schreiben in dieser Autobiographie als zutiefst ambivalent entworfen. Es ist Liebesrede, erotische Gemeinschaft mit der Mutter und immer neues Töten des Vaters. Das muß beim schreibenden Ich zu einem enormen Schuldbewußtsein führen. In der Stilisierung des Vaters als überaus sanft und zärtlich, zugleich zu einer Art wundertätigem Christus (anläßlich einer frühen lebensgefährlichen Krankheit des Kindes (Die Wunde verwandelte sich in ein Wunder, die Heilung setzte ein [GZ 42]) kann auch ein Bemühen am Werke sein, dies Schuldbewußtsein abzuarbeiten.13 In diesem Kontext erschließt sich der diskursive Sinn der ersten Szene des Lachens der Autobiographie. Sprechen in seinem physisch/sinnlichen Aspekt, das Vortragen des französischen Textes mit der falschen Aussprache, wird an dieser Stelle überaus genau als das gezeigt, was die spätere Liebesrede und das literarische Schaffen sein werden: Sprechen der Sprache der Mutter (hier das französische Idiom) mit dem Mund des Vaters (das englische Idiom), also Eintreten in die Position des Vaters als Sprecher der Liebesrede. Dieses Sprechen hat auch hier gemeinschaftsbildende Wirkung, aber nicht im erotischen Sinn (was implizierte, dem Ausgeschlossenen den Tod zu geben), sondern im entgegengesetzten Sinn, den Sprechenden mit Tod (Verschlungen-Werden von der Lachgemeinde) zu bedrohen. So vollzieht das schreibende Ich mit dieser Szene des Lachens eine Selbstbestrafung. Sie erfolgt in eben dem Moment, da der Tod des Vaters zu berichten ist, in dessen Folge das Kind zum Platzhalter in der Liebesrede mit der Mutter aufrückte. Das wiederum erläutert das schreibende Ich als die Schlüsselerfahrung, die es zu einem schreibenden gemacht hat. Wenn das schreibende Ich daher zur ersten Szene des Lachens in der Autobiographie anmerkt, das Lachen sei ihm
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Auf diesen Zusammenhang geht ausführlich ein: Waltraud Wiethölter, Sprechen - Lesen - Schreiben (s. Anm. 7).
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bis zum heutigen Tage ein ungelöstes Rätsel geblieben (GZ 65), so mag dies auf das Ungelöste des Schuldbewußtseins verweisen wie auf die grundlegende Offenheit des physisch/sinnlichen Aspekts der Sprache, in der das hier entworfene Lachen gründet: daß dieser Aspekt der Sprache Auflösung des Ich in erotischer Gemeinschaft ebenso bereithält wie Verschlungen-Werden von einer 'menschenfressenden' Lachgemeinde (vgl. GZ 61). Die erste Szene des Lachens der Autobiographie hat das Lachen und die Zeichen auf beiden Ebenen des Erzählens in einem parataktischen Verhältnis entworfen. Auf der Ebene der histoire in der Bindung des Lachens an die Präsentation einer 'akustischen Maske', auf der Ebene des discours in einer Verquickung des Lachens mit der ungelösten Begründungsproblematik des Schreibens. So überrascht es nicht, daß die Autobiographie das Lachen erneut zum Thema macht, wenn sie den Moment zu fassen sucht, da das beschriebene Ich mit dem Schreiben an seinem ersten literarischen Werk beginnt. Erneut werden Lachen und Zeichenbildung dabei parataktisch aufeinander bezogen. Der zweite Band der Autobiographie endet mit dem Ausblick auf das erste literarische Werk, den Roman Canettis. Der dritte Band setzt dann damit ein, daß der Roman fertiggestellt, das beschriebene Ich mithin ein Autor geworden ist. Der Augenblick der 'Erweckung' zum Roman-Autor aber - während bis dahin nur sehr weiträumige Projekte und unspezifische Aufzeichnungen zustande gekommen waren - ist eine Szene des Lachens. Drei Themenfelder werden in ihr zusammengeführt, jedes enthält zugleich einen Selbstentwurf des schreibenden Ich. Zur Sprache kommt in dieser Szene zum einen die Erfahrung der Masse, die einige Kapitel früher ausführlich beschrieben und erörtert worden ist: ein Massenauflauf der Wiener Arbeiter (anläßlich eines arbeiterfeindlichen Justizurteils), bei dem es viele Tote gab, dann auch der Wiener Justizpalast in Brand gesteckt wurde. Das wurde zu einer prägenden Erfahrung Canettis, die zu seiner lebenslangen Beschäftigung mit der Masse geführt hat. Das schreibende Ich der Autobiographie hebt an der Erfahrung der Masse deren eigenes Subjekt-Sein hervor. Das Ich sieht sich nur noch als Moment in der Eigendynamik der Masse.14 Besonders herausgehoben wird im Bericht über diese Ereignisse eine Person, die den Brand des Justizpalasts mit untröstlichem Jammer über die verbrennenden Akten begleitet. Die Haltung wird als komisch, zugleich aber als moralisch verwerflich gedeutet:
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So ist der gegenüber Freud grundlegend andere Ansatzpunkt der Massentheorie Canettis hier schon klar ausgebildet. Freud bestimmt die Masse, wie der Titel seiner Schrift (Massenpsychologie und Ich-Analyse) anzeigt, vom Ich aus, Canetti entwirft demgegenüber in Masse und Macht eine Theorie der Masse, die diese selbst als Subjekt faßt. Eine Vielfalt von Ansätzen der Auseinandersetzung mit Canettis Massentheorie versammelt: John Patillo-Hess, ed., Tod und Verwandlung in Canettis Masse und Macht (Wien, 1990).
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'Die Akten verbrennen! Die ganzen Akten!' 'Besser als Menschen!' sagte ich zu ihm, doch das interessierte ihn nicht, er hatte nur die Akten im Kopf [...] ich empfand ihn, sogar in dieser Situation, als komisch. Aber ich ärgerte mich auch. 'Da haben sie doch Leute niedergeschossen!' sagte ich zornig, 'und sie reden von den Akten!' Er sah mich an als wäre ich nicht da [...]. (FO 23If.) Das zweite Themenfeld ist um einen Studenten zentriert, den das beschriebene Ich in Wien kennengelernt hat. Der junge Mann ist vollständig gelähmt, kann nur den Kopf bewegen. Mit einem ungeheuren Lebenswillen hat er sich aber eine so umfassende philosophische Bildung erworben, daß ein berühmter Wiener Philosophieprofessor ihm Privatunterricht gibt und ihm zu einem Stipendium verhilft, mit dem er nicht nur sich, sondern auch seine elterliche Familie ernähren kann: An Thomas Marek zog mich vieles an, am meisten die Anstrengung, die er Tag für Tag daran wandte, seiner Ohnmacht Herr zu werden. Von allen Menschen, die ich je gekannt hatte, war er am schlechtesten dran, aber er sprach und ich verstand ihn, und was er sprach, hatte Sinn [...]. (FO 337) Marek ist eine Extremfigur, wie das beschriebene Ich sie in dieser Zeit als Figuren eines Romans zu konzipieren versucht. Er scheint durch seine Beschränkung in seiner Sicht auf die Welt und in seinem Handeln vollkommen festgelegt: Wenn man die Bedingung kannte, von der er abhing, hatte alles, was bei ihm geschah, Bestimmtheit und Konsequenz, nichts hätte anders sein können, als es war, sein Verhalten, dachte man, sei überschaubar und erfaßbar. (FO 340) Zum Faszinosum wird diese Gestalt jedoch erst, weil sie sich selbst noch in dieser erzwungenen Festlegung Leben bewahrt in dem Sinn, daß sie immer neue Seiten ihres Wesens offenbart, auf die man nicht gefaßt ist: Selbst in seiner Lage war er zu Verwandlungen fähig, die nicht vorauszusehen waren, das war es, womit er mich am meisten überraschte. Man meinte ihn zu kennen, und dann war er doch unabsehbar. (FO 340) Extreme Konturierung als Festgelegt-Sein auf nur eine Bedingung - für Canetti das in letzter Konsequenz tödliche Erstarren zur Maske (vgl. MuM 418f.) - vereint Marek derart mit dem Gegenprinzip des Lebens als Fähigkeit zur Verwandlung. Das dritte Themenfeld der zweiten Szene des Lachens betrifft die Pläne und Ansätze des Ich zu einem literarischen Werk. Der Blick von der eigenen Wohnung auf die riesige Wiener Nervenheilanstalt 'Steinhof' läßt im beschriebenen Ich den Plan keimen, verschiedene Figuren zu entwerfen, die alle eine vollkommen eigene, extrem vereinseitigte Sicht auf die Dinge haben und hierdurch vollständig definiert sind (z.B. einen religiösen Fanatiker, einen Samm-
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ler, einen Verschwender, einen Büchermenschen [vgl. FO 297f.]). Diese Figuren wären nicht einmal 'Masken' i.S. von Canettis späterer Definition, da sich unter ihrer Außenfläche nicht etwas 'staut', das sie zurückhielten, am Ausbruch hinderten (vgl. MuM 421). Jede dieser Figuren sollte vielmehr nichts anderes sein als ihr Wahnsystem, in dem sie autistisch existierten, d.h. unfähig zur Wahrnehmung und Verknüpfung mit anderem. Die Handlung des vorgestellten Werkes sollte darin bestehen, daß diese Figuren ihr jeweiliges Wahnsystem nebeneinander entfalteten, als eine Art Comedie Humaine an Irren (FO 338): Als Abschluß schwebte mir vor, daß sie zueinander sprächen. Aus ihrer Abgeschiedenheit heraus würden sie Sätze füreinander finden, und diese, in ihrer Absonderlichkeit, hatten einen ungeheuren Sinn." (FO 299) Es wäre der Sinn der Groteske, die sich hier zeigt als Mißlingen der Struktur der Metapher: ein in sich geschlossenes Wahnsystem wird in einem anderen ebenso in sich geschlossenen Wahnsystem hin und her bewegt und hierdurch mit fremdem 'Sinn' aufgeladen. In einer gewissen Weise führt der Roman Die Blendung dieses Konzept auch aus, allerdings entscheidend modifiziert. Diese Modifikation aber verdankt sich dem Lachen. Allein durch ihre Einseitigkeit definiert, wären die vorgestellten Figuren nur Oberfläche, zugleich extrem autistisch. Daher hütet das schreibende Ich sich, ihnen Namen zu geben. Denn das schüfe die - nicht erfüllbare - Erwartung, daß die Figuren unter ihrer Oberfläche noch etwas hätten, erwiese mithin ihre Leere. Analog bedroht Marek diese Figurenwelt, da er wie sie durch eine extreme Einseitigkeit definiert ist, gleichzeitig aber doch unter dieser Maske noch andere, überraschende Seiten hat. Dennoch verdankt sie Marek der Durchbruch zum Roman: er selbst, der im Verlauf weniger Monate zur stillen unablässig wirkenden Gefahr für mein Vorhaben geworden war, der ahnungslos in jede Figur Eingang gefunden hatte und sie von innen aushöhlte und entkräftete, wurde auch der Anlaß zu einer Rettung. (FO 340) Das beschriebene Ich berichtet Marek von seiner Erfahrung der Masse. Marek empfindet hierbei keinen Schrecken (während dem Ich die Auflösung in der Masse traumatisch war), die Erzählung stimuliert ihn vielmehr, insbesondere die Vorstellung des Feuers. Das Feuer wird Canetti später als das stimmigste Massen-Symbol erläutern (vgl. MuM 82f.). Den Bericht über den Mann, der das Verbrennen der Akten bejammert, begleitet Marek mit stürmischem Gelächter: er lachte so sehr, daß sein Wagen [d.i. sein Rollstuhl] ins Rollen geriet und mit ihm auf und davon fuhr. Das Lachen war zur treibenden Kraft geworden, da er nicht aufhören konnte, mußte ich ihm nachrennen, um ihn aufzuhalten, und spürte die kräftigen Stöße, die sein Lachen dem Wagen erteilte.
Meta-phoren
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In diesem Augenblick sah ich den 'Büchermenschen', eine der acht Figuren vor mir, an die Stelle des Akten-Jammerers sprang plötzlich er, er stand am Feuer des brennenden Justizpalastes, und es traf mich wie der Blitz, daß er mit all seinen Büchern zusammen verbrennen müsse. 'Brand', murmelte ich, 'Brand.' Thomas, als sein Wagen zum Stehen gekommen war und sein Lachen endlich aufhörte, wiederholte: 'Brand! Das muß ein Brand gewesen sein!' Er wußte nicht, daß das Wort jetzt für mich ein Name geworden war, der Namen eben des Bücherhelden, der von nun an so hieß, der erste und einzige der Figuren, die einen Namen bekam, und eben dieser Name war es, der ihn im Gegensatz zu den anderen Figuren vor der Selbstauflösung rettete. (FO 341)
Statt das Ich mit Auflösung (durch Verschlungen-Werden) zu bedrohen, wie dies die erste Szene des Lachens entworfen hat, ist das Lachen hier Gestalten bildend. Es gibt einen Namen und durch diesen der bisher nur flächenhaften Figur eine Geschichte, der Name ist ihre Geschichte. Das ist der Durchbruch, die Initiation in das Schreiben, so daß mit der Romanfigur zugleich ein AutorIch geschaffen wird. Parallel zum Lachen Mareks wird ein Zeichen gebildet, spricht das Ich den Namen der Hauptfigur seines Romans aus. Ausgegangen war dies Lachen, ehe es 'haltlos' in dem Sinne wurde, daß es den Körper in Bewegung setzte, der sich nicht zu steuern vermag, vom Ver-Lachen (des Akten-Jammerers), was den intellektuellen Akt des Vergleichens, das Feststellen eines Mißverhältnisses, voraussetzt, also das Prinzip der Unterscheidung etabliert. Hierzu parallel wird die virtuelle Figur des Romanprojekts, die bis dahin nur durch ihre Weltsicht umrissen war, auf einen Eigen-Namen festgelegt. So weit entspricht dieses Lachen und das mit ihm gebildete Zeichen der bisherigen Konzeption der Romangestalten als extrem einseitig und vollständig gegeneinander abgegrenzt. Das am Zeichen aktivierte Prinzip der Unterscheidung verbürgt dessen geistigen Gehalt, hier das Wahnsystem der Figur. Das Lachen Mareks schenkt aber mit dem Namen noch etwas anderes. Der Name formuliert das Ende der Figur, so schenkt das Lachen ihr eine Geschichte. Damit erst hat die Figur Spannkraft erhalten; sie ist und bleibt extrem einseitig, zur Maske erstarrt, autistisch und entsprechend von Selbstauflösung bedroht, zugleich aber hat sie mit ihrer Geschichte die Chance, bisher ungeahnte Seiten zu offenbaren, also sich zu verwandeln, was für Canetti gleichbedeutend ist mit lebendig-sein. Das Lachen hat sich derart mit der Gabe des Namens als strukturierend erwiesen (es hat abgegrenzt, ruhte als ein VerLachen auf dem Prinzip der Unterscheidung auf), zugleich aber auch als entstrukturierend (insofern es mit dem Schenken einer Geschichte Verwandlung bereithielt) und damit als ein entgrenzendes Mit-Lachen, das das Prinzip der Unterscheidung aufhebt. Wie aber wird erreicht, daß beide Aspekte des Lachens und des mit ihm gebildeten Zeichens, damit auch deren Gleichordnung, erhalten bleiben, also nicht der eine Aspekt sich den anderen unterwirft? Auf der Ebene des Romanschaffens ist das die Frage, wie das Paradox der
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Figur bewahrt wird, die das Lachen hier hervorgebracht hat, i.S. der Bestimmung, die Canetti in Masse und Macht von der Figur gibt, daß sie den Vorgang einer Verwandlung zugleich mit deren Ergebnis ausdrückt (MuM 419). Der mit dem Lachen entstandene Name gab der Figur Leben, indem er ihr eine Geschichte gab, eine Geschichte allerdings des Untergangs der Figur. So ist der Name inhaltlich der Tod der Figur, zugleich schiebt er diesen aber auch auf, eben durch die Geschichte, die erst zu ihm führt (während die noch flächenhaften Figuren schon immer im Horizont des Todes stehen: das Lebenverneinende ihres Autismus). Wenn die Figur am Ende des Romans den durch ihre Geschichte aufgeschobenen Tod doch erfährt, kommt sie aber in eben der Situation an, die sie diskursiv hat entstehen lassen. Das Ende der Figur mündet in ihren Beginn; die Vorstellung eines ungeheuren Brandes, sei es 'aller' Akten, sei es 'aller' Bücher (vgl. A 9) verbindet sich mit einem ungeheuren Lachen. Der Roman endet damit, daß die Hauptfigur, der Büchermensch, von 'Brand' zu 'Kant' und dann zu 'Kien' mutiert, in einem riesigen Feuer, das er aus seinen eigenen Büchern entfacht, selbst verbrennt: "Als ihn die Flammen endlich erreichen, lacht er so laut, wie er in seinem ganzen Leben nie gelacht hat." (B 414) Der Name, den das Lachen gegeben hat, der zum Kristallisationskern des Schreibens wurde, ist derart wie das Lachen selbst ambivalent. Er gibt der Figur, die bis dahin in ihrer geschichtslosen Einseitigkeit von Auflösung immer bedroht ist, die Chance der Verwandlung (mithin ist er entstrukturierend), gleichzeitig sagt er den Tod der Figur aus (insofern legt er fest, unterscheidet er), aber er biegt den Tod dann wieder zurück in die Situation, die die Figur hervorgebracht hat (womit er wieder ein Versprechen des Lebens gibt usw.). In der ersten Szene des Lachens war die Zeichenproduktion, die mit ihm verknüpft war, - mit dem Akzentuieren des sinnlich/physischen Aspekts der Sprache - als zutiefst widersprüchlich zu bestimmen: Glück erotischer Gemeinschaft bereithaltend, als Eintreten in die Liebessprache, zugleich aber im Bedrohen mit Verschlungen-Werden eine Selbstbestrafung vollziehend. Das findet sich am Zeichen, das in der zweiten Szene des Lachens entsteht, analog. Der Roman, der aus diesem Zeichen entsteht, wird in der zitierten Aneignung durch die Mutter (Fleisch von meinem Fleisch) als Werk der Liebesrede vorgestellt. Gleichzeitig gibt der Roman mit seinem autistischen, nur an Büchern interessierten Helden (der Titel Blendung zielt auf diesen Autismus) einen Selbstentwurf des schreibenden Ich,15 das derart im Vollzug der Lie-
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Canetti berichtet mehrfach in seiner Autobiographie, daß ihm der Vorwurf gemacht wurde, ihn interessierten nur Bücher (GZ 312f. und FO 109), er sei verblendet (FO 109). Selbstverständlich geht der Roman in diesem diskursiven Gehalt nicht auf. Zum Komplex 'Blendung' als einem der Leit-Themen Canettis: Bernhard Greiner, "Das Bild und die Schriften der 'Blendung': Über den biblischen Grund von Canettis Schreiben," Paradeigmata: Literarische Typologie des Alten Testaments, Zweiter Teil: 20. Jahrhundert (Berlin,
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besrede erneut eine massive Selbstbestrafung vornimmt, wie der Beginn des dritten Bandes der Autobiographie dann bestätigt: 'Kant fängt Feuer', so hieß damals der Roman, hatte mich verwüstet zurückgelassen. Die Verbrennung der Bücher war etwas, das ich mir nicht vergeben konnte. [...] Mir war zumute, nicht nur als hätte ich meine eigenen Bücher geopfert, sondern auch die der ganzen Welt [...]. Das alles war niedergebrannt, ich hatte es geschehen lassen [...]. (A 9) Das Lachen, das mit dem Schenken des Namens den Roman und das AutorIch geboren hat, mündet in ein Lachen, das die Welt der Bücher verschlingt und damit das schreibende Ich 'verwüstet'. So bestraft sich das Ich zugleich, indem es die Liebessprache als Autor spricht und entkommt es doch der Strafe, da es das verschlingende Lachen als identisch zeigt mit dem anderen, das Namen, Leben und Autorschaft gibt. Die beiden betrachteten Szenen stellen am Lachen, jeweils reziprok, eine grundlegende Ambivalenz heraus. Das Lachen vereinigt die Organisationsprinzipien 'Masse' (Entstrukturierung, Auflösung) und 'Macht' (Unterscheidung, Festlegung), aus deren Antagonismus und Zusammenspiel Canetti seine Welt entwirft und die geschichtliche Wirklichkeit deutet. Die erste Szene des Lachens akzentuierte mit den menschenfressenden Gästen (GZ 61) das entstrukturierende Moment, ließ in seinem Kem aber das Prinzip der Unterscheidung erkennen (als Norm, an der das Kind versagt bzw. unter der die Erwachsenen leiden). Die zweite Szene des Lachens akzentuierte mit der Gabe des Namens das strukturierende Moment, ließ in seinem Kern aber das Prinzip der Auflösung erkennen (mit der Vorwegnahme des Endes der Figur in ihrem Namen). Das zweite, gegenläufige Moment gewinnt das Lachen dabei jeweils durch den analogen Doppelaspekt der Zeichen, die mit ihm parallelisiert sind. Die Zeichen, die mit ihrem physisch/sinnlichen Aspekt dem Prinzip der Entstrukturierung und mit ihrem geistigen Aspekt zugleich dem der Unterscheidung verpflichtet sind, öffnen das Lachen zu dieser Dopplung, wie umgekehrt das Lachen die Zeichen und damit das Schreiben analog öffnet. Die von Canetti entworfene Welt ist ohne Lachen, das ist die furchtbare, eisige Kälte, die man in ihr erspürt hat.16 Die beiden betrachteten Szenen des Lachens sind im Werk Canettis die Ausnahme. Es sind transzendentale Szenen, des Lachens wie des Schreibens. Der Versuch, sie in dieser Funktion zu bestimmen, hält auch die Erkenntnis bereit, daß die Rede von der eisigen Kälte der Welt Canettis nur die halbe Wahrheit ist. Sie kann für die vorgestellte Welt
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1989) 543-562. Das Augenspiel zitiert als Reaktion des Komponisten Hermann Scherchen auf Canettis erste Komödie Hochzeit: Er habe die Hochzeit nochmals gelesen und einen Schreck bekommen über die hilflose, eisige Abstraktion, in der das alles sich abspiele. (A 57)
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Gültigkeit beanspruchen, während sich für den Akt des Schreibens Lachen und Bilden von Zeichen als metaphorisch verschränkt erwiesen haben. Das Schreiben ist Vollzug der Ambivalenz des Lachens, gibt ihm auf seinem Feld Raum, wie das Lachen auf seinem Feld die Ambivalenz des Schreibens sich ausbreiten läßt. In einer, wie stets bei Canetti, nur sacht gezogenen Spur wird dies vom Autor selbst bekräftigt. Das literarische Sprechen als Liebesrede (Sprechen der Sprache der Mutter mit dem Mund des Vaters) führt von der ersten Szene des Lachens an seine Selbstbestrafung im 'menschenfressenden' Lachen der Hörer bzw. Leser mit sich. Geboren wird das aus diesem Sprechen erwachsende Schreiben in einem zweiten, Namen und damit Leben gebendem Lachen. Nach dieser Initiation in das Schreiben stimmt dann das Ich sich täglich durch Lektüre Stendhals in das Schreiben ein (vgl. FO 343).l7 Warum Stendhal? Masse und Macht entwirft ihn als Ideal literarischer Unsterblichkeit (MuM 310). Stendhal habe ohne Wehleidigkeit nicht für seine Zeit geschrieben, was immer implizierte, zum Machthaber an den Lesern zu werden, sich von diesen zu 'nähren'. Stendhal habe vielmehr für die Nachwelt geschrieben, von der er sich dann auch weder 'nähren' konnte noch wollte. So habe er das Totenopfer, das jeder Macht inhärent ist, umgekehrt: Wer [..,] Stendhal aufschlägt, findet ihn selbst und alles wieder, das um ihn war, und er findet es hier in diesem Leben [gemeint: des Lesers]. So bieten sich die Toten den Lebenden als edelste Speise dar. Ihre Unsterblichkeit kommt den Lebenden zugute: in dieser Umkehrung des Totenopfers fahren alle wohl. Das Überleben hat seinen Stachel verloren [...]. (MuM 311) So ist auch hier die Selbstbestrafung, die das Schreiben erheischt, durch die Gabe eines Namens aufgeschoben und in ihren Gegensinn verkehrt. Aus der Angst des Schreibenden, von seinen Lesern als einer grotesken Lachgemeinde verschlungen zu werden, wurde ein tröstliches Sich-der-Nachwelt-als-SpeiseDarbieten. In solchen Umkehrungen vollzieht Canettis Schreiben das Lachen, das seine Welt nicht zu kennen scheint.
17
Ein anderes Verweisungssystem, das aber ebenso auf den Doppelaspekt des Zeichens rekurriert, wird von einem Bild aus entworfen, das als zweite Bedingung der Arbeit am Roman genannt wird: der Roman sei bei ständigem Blick auf Drucke von Grünewalds Kreuzigungsbild geschrieben worden (cf. FO 220); hierzu ausführlich: Bernhard Greiner, Akustische Maske (s. Anm. 7).
HANS-WERNER LUDWIG
"This Terrible Deformity of Laughter": Vom Theater der Grausamkeit (Artaud) zum Theater der Katastrophe (Barker)
Das dramatische Werk des zeitgenössischen englischen Autors Howard Barker, gelegentlich als "polyperspektivisch,"1 häufiger noch als unverständlich charakterisiert,2 widersetzt sich literaturwissenschaftlichem Schubladendenken. Barker paßt, so Günther Klotz, weder in das mainstream theatre (Ayckborn, Stoppard, Pinter, Frayn), noch in das sozialistische Theater im engeren Sinne (John McGrath), noch in das alternativ linke Theater, das inzwischen die großen Häuser erreicht hat (Brenton, Hare, David Edgar).3 Barker has a cult following, crystallized in a theatre company, The Wrestling School, that performs only his work. Nevertheless, the sheer density of his dialogue increasingly discourages audiences, who perhaps have to absorb him gradually over the years.4 So ist auch die Bezeichnung "postmodern" eher Eingeständnis des Mangels an klarer Bestimmbarkeit als positive Bestimmung.5 So viel scheint sicher: das Theater dieses "aesthetic-existentialist theorist"6 ist angesichts des Zusammenbruchs aller Metaphysik radikale Kritik an traditionellen Sinnangeboten, nicht minder radikal als die Nietzsches, Wildes oder Sartres, zugleich ist es getragen vom Glauben an die Regeneration des Menschlichen durch den Menschen, es fordert zu neuer Identitätsstiftung als Ausgang aus der Krisensituation auf, die es modellhaft ausagiert. Unter solchen Voraussetzungen kann eine Studie, die sich der Analyse von Formen und Funktionen des Lachens in drei Dramen Howard Barkers widmet,
1 2 3 4 5 6
Cf. Peter Paul Schmierer, Rekonventionalisierung im englischen Drama 1980-1990 (Tübingen, 1994) 96, 157ff. Cf. Sheila Johnston, "The Possibilities," Plays and Players (April 1988): 27. Günther Klotz, "Elitäres Theater kontra Massenkultur: Die unpopuläre Dramaturgie Howard Barkers," ZAA 37.2 (1989): 124-135. Ruby Cohn, Retreats from Realism in Recent English Drama (Cambridge, 1991) 15. Günther Klotz, "Howard Barker: Paradigm of Postmodernism," New Theatre Quarterly 25 (1991): 20-26. David Ian Rabey, Introduction, Howard Barker, Arguments for a Theatre (London, 1989) 9.
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weiterführen, indem sie versucht, Konvergenzen in der Theaterpraxis und im Ideengitter dieses Jahrhunderts darzustellen und Barker zu verorten. Der eigentlichen Untersuchung vorgeschaltet ist eine Vorüberlegung zum Status des Lachens im System der dramatischen Kommunikation.
l Vorüberlegung: Lachen im System dramatischer Kommunikation Phänomene wie das Lachen, wie auch systematisch gleich zu behandelnde Phänomene wie Weinen, Schreie, Seufzer usw., finden kaum Beachtung in der Handbuchliteratur zum Drama. In Manfred Pfisters Standardwerk Das Drama: Theorie und Analyse1 wäre das Lachen im Schema des "Repertoires der Codes und Kanäle" (dominant) unter dem akustischen Kanal anzusiedeln; dort fällt es zwischen den verbalen und paralinguistischen Codes einerseits, den nichtverbalen Codes andererseits der Nichterwähnung anheim.8 Arbeiten zur Theatersemiotik lassen bei der Behandlung des Lachens Uneinigkeit erkennen, und selbst da, wo es vorkommt, nimmt es eine marginale Rolle ein. Achim Eschbach ordnet das Lachen dem Zeichensystem Geräusch zu, das von den Zeichensystemen Sprache und Musik abgegrenzt wird, wobei der Autor besonders auf die Unterstützungsfunktion ("als Verstärkung, Wiederholung, 'Echo'") dieses Zeichensystems für andere ZeichenSysteme abhebt. Eschbach hält fest, daß dieses Zeichensystem "nicht auf bühnentechnische Elemente beschränkt bleibt, sondern auch Schreie, Pfiffe, Lachen, Schluchzen, Flüstern, Zischen, Trommelwirbel, der wie Maschinengewehre klingt, usw. einbezieht."9 In Keir Elams komplexem System der Theaterkommunikation tritt Lachen usw. als paralinguistischer Code auf. Als direkte Folge der sprachwissenschaftlichen Basis seines Ansatzes - sein wichtigster Gewährsmann ist George L. Trager - wird Lachen ausschließlich sprachbegleitend unter den "vocal characterizes" aufgeführt.10 Diese stehen in unmittelbarem Kontakt mit linguistischen Codes, die durch solche "vocal characterizers" modifiziert werden ("overcoding"). Damit ist auch klar, daß Lachen, Weinen, Schreien
7 8
9
10
Manfred Pfister, Das Drama: Theorie und Analyse (München, 1977). Ibid. 27; cf. zu paralinguistischen und außersprachlichen Codes weiter 36f.; unter paralinguistischen Merkmalen wird die Stimmqualität angeführt (178). Achim Eschbach, Pragmasemiotik und Theater: Ein Beitrag zur Theorie und Praxis einer pragmatisch orientierten Zeichenanalyse (Tübingen, 1979) 171. "George L. Trager [...] was able to identify three main classes of vocalic feature, 'voice set' [...], 'voice qualities' [...] and 'vocalizations' (the actual sounds emitted), which are further analysed into 'vocal characterizers' (laughing, crying, giggling, shouting, whispering, moaning, groaning, yawning, etc.), 'vocal qualifiers' [...] and 'vocal segregates' [...]." Keir Elam, The Semiotics of Theatre and Drama, New Accents, ed. Terence Hawkes (London: Routledge, 1980; *1991) 79.
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usw. nicht als systematisch unabhängig von linguistischen Codes gedacht werden. Es ist deutlich, daß durch diese Einordnung das theatralische Potential von Lachen und vergleichbaren Phänomenen unzulässig eingeschränkt wird. Bei Erika Fischer-Lichte gehört das Lachen ebenfalls zu den paralinguistischen Zeichen, allerdings differenziert sie unter diesen in einer Weise, die es möglich macht, Lachen und verwandte Phänomene einerseits als unabhängige Codes, andererseits im Zusammenspiel mit anderen, und zwar nicht nur linguistischen Zeichensystemen zu analysieren. Unter den paralinguistischen Zeichen wird das Lachen in die Unterklasse der "streng transitorisch[en] Zeichen" eingeordnet:1' Lachen, Weinen und Schreien als weder sprachbegleitende noch sprachersetzende paralinguistische Zeichen stellen dagegen einen Sonderfall dar. Sie sind Zeichen, die vor allem auf der Subjektebene Bedeutung erzeugen: sie drücken innere Vorgänge, vor allem Emotionen, des betreffenden Subjekts aus.12 Fischer-Lichte betont den kommunikativen Charakter dieser Zeichen sowohl als "Mitteilung über seine eigenen Emotionen" als auch als Mitteilung über das Verhältnis des Subjekts zu einem Kommunikationspartner, sowohl als "Ausdruck von Emotionen als auch als ein die Interaktion regulierender Faktor" (46), wobei "zur Interpretation der Zeichen Lachen, Weinen und Schreien nicht nur die Zeichen selbst herangezogen werden [dürfen], sondern auch die betreffenden Anwendungsregeln der jeweiligen Kultur" (46), mit denen sie konform gehen, zu denen sie jedoch auch im Widerspruch stehen können. Deshalb ist das unmittelbare interpretative Bezugssystem der "spezifische Code der herrschenden Theaterkonvention" (47). Die Etablierung des Lachens als eines unabhängigen Codes ist die Voraussetzung für seine Analysierbarkeit im Kontext aller anderen jeweils aktualisierten Zeichensysteme des Dramas. Manfred Pfister gibt unter dem Gesichtspunkt Diskrepanz das bekannte Beispiel aus Becketts Waiting for Godot, in
'' "Unter paralinguistischen Zeichen verstehen wir alle vokal erzeugten Laute, die weder als a) linguistische Zeichen noch als b) musikalische Zeichen noch c) als ikonische vokale Zeichen für nicht vom Menschen stammende Laute (wie Hundegebell, Vogelgezwitscher, Bahngeratter etc.) hervorgebracht werden. [...] Die derart bestimmten paralinguistischen Zeichen differenzieren wir in solche, die 1. länger andauernd und 2. streng transitorisch sind. Zu den Zeichen der ersten Art gehören alle stimmlichen Qualitäten, zu denen der zweiten alle jene, die nicht den stimmlichen Qualitäten zuzurechnen sind. Bei dieser zweiten Gruppe unterscheiden wir wiederum die paralinguistischen Zeichen, die stets in Kombination mit linguistischen Zeichen auftreten [z.B. Betonung, Intonation, Ausdrucksintention, Sprechtempo, Lautstärke], von denjenigen, die nicht sprachbegleitend sein müssen. Unter die letzteren subsumieren wir sowohl Lachen und Weinen als auch sprachersetzende Laute wie beispielsweise 'hm'." Erika Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters, Bd. 1: Das System der theatralischen Zeichen (Tübingen, 1988) 38f. 12
Ibid. 45.
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dem Redetext (Haupttext) und Inszenierungsanweisungen (Nebentext) krass auseinanderfallen: ESTRAGON: I'm going. (He does not move.) ESTRAGON: Well, shall we go? VLADIMIR: Yes, let's go. (They do not move.) VLADIMIR: We..? Shall we go? ESTRAGON: Yes, let's go. (They do not move.)n Dem wären die Stellen aus Becketts Endgame an die Seite zu stellen, an denen Hamm und Clov entgegen der durch den Kontext ausgelösten Erwartung beschließen, nicht zu lachen, ein Witz, der früher Lachen auslöste, bei Nell nun kein Lachen mehr hervorbringt oder Hamm und Clov sich gegenseitig versichern, sie könnten kein zweites Mal lachen.14 Dieses Auseinanderfallen von traditionell verbundenen Zeichensystemen wird auch bei Barker bedeutsam. Hier kann denn auch die Auffächerung der analytischen Fragestellungen für das Lachen ansetzen, die in der folgenden Übersicht im Blick auf die Detailstudien an drei Stücken Howard Barkers skizzenhaft - d.h. weder vollständig in systematischer Hinsicht, noch im Hinblick auf die Spielbreite der Phänomene - vorgestellt werden: I Lachen im Nebentext (paralinguistischer Code): - Wer lacht? (Figur, Chor, anonym/nicht-subjektbezogen) - Über wen wird gelacht? (Figurenbezug, Handlungsbezug) - Wann wird gelacht (und wann nicht)? (Handlungskontext, Redekontext) - Wie wird gelacht? (Was für ein Lachen? Auktoriale Inszenierung des Lachens) - Welche Funktion hat das Lachen im dramatischen Kontext? (z.B. redekommentierend, situationsklärend, situationsverändernd, figurencharakterisierend)15
13 14 15
Pfister, Das Drama 78. Samuel Beckett, Endgame (London, 1958, 1964; 1970) 16, 21 f., 40f. Hinsichtlich der Art und Weise der Inszenierung des Lachens und möglicher Funktionen ist an Samuel Becketts Katalog in Watt zu erinnern: "Of all the laughs [...] only three I think need detain us, I mean the bitter, the hollow and the mirthless. [...] The bitter laugh laughs at that which is not good, it is the ethical laugh. The hollow laugh laughs at that which is not true, it is the intellectual laugh. Not good! Not true! Well well. But the mirthless laugh is the dianoetic laugh, down the snout - haw! - so. It is the laugh of laughs, the risus purus, the laugh laughing at the laugh, the beholding, the saluting of the highest joke, in a word the laugh that laughs - silence please - at that which is unhappy." Samuel Beckett, Watt (London, 1963; 1981) 47.
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II
Interaktion von paralinguistischem Code mit anderen theatralischen Codes (linguistisch, kinetisch [body-language]) III Lachen im Haupttext (sprachlicher Code): Sprachliche Konstatierung oder Kommentierung des Lachens; Negation des Lachens; Lachverbot IV Lachen im Bezug zu den Konventionen des Theaters (Gattungskonventionen), z.B. der Komödie, Farce, Travestie, Tragödie V Thematische Funktion des Lachens.
2 Texte 2. l The Europeans Howard Barkers 1990 publiziertes Drama The Europeans16 spielt im Jahre 1683, unmittelbar nach dem Ende der Belagerung Wiens durch die Türken. Die historischen Ereignisse, die Verteidigung von Wien durch Graf Rüdiger von Starhemberg und die Entsetzung Wiens in der Schlacht am Kahlenberg durch Karl V. von Lothringen und den polnischen König Johann Sobieski, werden als Chance und Notwendigkeit begriffen, nach dem Chaos der Belagerung die religiösen, moralischen und kulturellen Werte der Gesellschaft neu zu begründen. Die bereits im Titel gegebene Ausweitung auf "The Europeans" stellt dieses Historiendrama in universale Zusammenhänge und deutet gleichzeitig eine Parallele zur Gegenwart an. Unter den Figuren des Dramas haben drei einen herausgehobenen Status: Leopold, Kaiser von Österreich, sowie sein General Starhemberg und Katrin, die von der Türkensoldateska vergewaltigte und verstümmelte Frau. Während Starhemberg als der starke Tatmensch erscheint, dessen Erfolge im Türkenkrieg seinen Ruhm ins Ungemessene steigen und ihn - für das Volk und seine Mutter - zum Gott werden lassen, ist Leopold dem Geschehen nicht gewachsen: "I slept in lovely beds while you thrust corpses into breaches of the wall" (2). Deutlich ist sein Realitätsverlust: während des Kriegsgeschehens diskutiert er mit dem Hofmaler über Kunst. Während es der Kaiserin überlassen bleibt, dem allgemeinen Gefühl der Befreiung von den Türken Ausdruck zu geben, bleibt Leopold merkwürdig distanziert. Das Drama beginnt mit Leopolds Auftritt und seinem siebenmaligen "I laugh": LEOPOLD: I laugh I laugh (He walks towards some squatting PRISONERS.) I laugh I laugh
Howard Barker, The Europeans, Playscript 118 (London, 1990).
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Where's the painter? (A FIGURE enters with an easel and board.) I laugh I laugh (The PAINTER sketches.) This pail which sodden s every turf This bowel which droops from every bush This crop of widows and orphans I laugh OFFICER (observing): The Turks: The Turks! LEOPOLD (unmoved): Fuck them. Hier konstatiert Leopold sein Lachen, es wird jedoch nicht dramatisch inszeniert. Denn im dramatischen Nebentext findet sich an dieser Stelle kein Hinweis auf das Lachen Leopolds, wie dies an anderer Stelle des Dramas geschieht.17 Das Drama setzt vor aller expositionellen Informationsvergabe mit einem Paradoxon ein - Reden über Lachen, dem jedoch kein tatsächliches Lachen entspricht: diese Inkongruenz zwischen sprachlicher Selbstdefinition einer Figur und ihrem Handeln muß vom Zuschauer auf Grund der nach und nach gegebenen Informationen zu Figur und Situation aufgelöst werden. In 1.1 hat der Zuschauer dazu nur weitere Diskrepanzen zwischen der Wirklichkeitswahrnehmung des Kaisers und der Kaiserin und die groteske Inkongruenz zwischen dem von der Kaiserin wiedergegebenen allgemeinen Gefühl der Entlastung und ihrer obszönen Sprache (3f.). 1.2 bringt den Bericht Katrins, der jungen Frau, die von türkischen Soldaten geschwängert und verstümmelt worden ist, über das, was mit ihr geschehen ist. Auch hier ist die dominante Wahrnehmung des Zuschauers die der Inkongruenz, in diesem Fall von Sprachinhalt und Sprachform: der grausige Inhalt wird in eine groteskelaborierte Sprache gekleidet. Katrin erklärt die Funktion der Rhetorik ihrer Rede selbst so: "I try to hide behind the language" (3) und "I'm so cruel, aren't I? It comes of having a vocabulary and no breasts don't touch" (6). Wie schon bei Leopolds Auftritt artikuliert auch hier die sprechende Figur die Möglichkeit von "madness": LEOPOLD:
You think I am mad but the mad are the speakers of our time. (2)
KATRIN: I'm mad, aren't I? I hate the word but technically it does seem suitable. Please call me mad I wish for it. I long for madness to be ascribed to me. I thirst for such a title. (6)
17
Cf. 1.8: "ARST: Now who's the bully! (He laughs. The PAINTER leaves.) Soul, I assume? The passing of soul? (Pause, then to ARST's horror, BOMBERG grips him from behind about the throat. LEOPOLD bursts out laughing. FEUKS tries to unlock BOMBERG's manic grip. The EMPRESS appears.) LEOPOLD: I laugh! I laugh!" (31)
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Katrin macht deutlich, daß durch ihre traumatische Erfahrung etablierte Werte und ihre sprachlichen Äquivalente wie etwa "home" für sie ihre Bedeutung verloren haben und bewußt negiert werden - "home is the instrument of reconciliation" (6) - vielmehr ihre Verletzung und ihr Schmerz ("agony") die letzte Gewißheit ausmachen, woraus sie ihre Identität schöpft: KATRIN: Don't call me silly in that way you do. (Pause) I can't go home because and do listen, this will be difficult for you, perhaps beyond your grasp - home is the instrument of reconciliation, the means through which all crime is rinsed in streams of sympathy and outrage doused, and blame is swallowed in upholstery, home is the suffocator of all temper, the place where the preposterous becomes the tolerable and hell itself is stacked on shelves. I wish to hold on to my agony, it's all I have. (Pause) (7) In der folgenden Szene wird Leopold fähig, die Situation und seine eigene Rolle darin zu deuten. Dies geschieht sowohl durch eine symbolische Handlung - Leopold stößt einen Stuhl um und setzt sich auf den umgestürzten Stuhl - als auch mit Worten: LEOPOLD:
Sometimes, you will want to laugh. And you will feel, no, I must not laugh. Sometimes you will suffer the embarrassment of one who feels exposed to an obnoxious privacy. You will feel, he should never have shown me that. And sometimes you will experience the terrible nausea that accompanies an idiocy performed by one for whom you felt respect. As if the world had lost its balance. I can only tell you, all these feelings I permit. So laugh when the urge seizes you, and then, be ashamed of the laugh. The Emperor only acts the insecurity of all order [...] (8f.)
Die Leitbegriffe dieser auf der Metaebene angesiedelten Aussage sind "embarrassment," "nausea," "shame," "[lost] balance," "insecurity." Damit hat Leopold sein eigenes Lachen vom Anfang des Stückes ebenfalls gedeutet als Symptom einer aus der Balance geratenen, unverständlich gewordenen Welt, der gegenüber sich der Mensch nur mittels eines zwangshaften Lachens verhalten kann, das allerdings sogleich als unangemessen eingestuft wird. Barkers Deutung des Lachens kommt Wolfgang Isers Deutung des Lachens bei Beckett als "ersticktes Lachen" sehr nahe,18 mit dem entscheidenden Unterschied freilich, daß Isers Analyse beim durch die Inszenierung hervorgerufenen Zuschauerlachen ansetzt und nicht bei der Ebene des inneren Kommunikationssystems des Dramas. Indem Barker das erstickte Lachen in die Szene selbst verlegt, ist er noch um einen Schritt radikaler als Beckett.
18
Wolfgang Iser, Die Artistik des Mißlingens: Ersticktes Lachen im Theater Beckens (Heidelberg, 1979).
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Andererseits läßt Leopolds Einlassung explizit die Möglichkeit offen, daß Figuren des Dramas innerhalb des Dramas selber streckenweise eine Zuschauerrolle übernehmen. Dieser Sachverhalt wird später wieder aufgenommen werden. In den folgenden Szenen sind Situtationsanalyse und der Prozeß der Rekonstruktion des Systems von Normen und Werten ineinander verschränkt. Morality, humour, language, art, currency I economy, die unter der Belagerung zusammengebrochen waren, müssen nun - in der Metaphorik der Kaiserin wie eine Puppe aus Bruchstücken zusammengeklebt werden: EMPRESS:
We must invent the Europeans now, from broken bits. Glue head to womb and so on. And fasten hair to cracked, mad craniums [...] (12)
Wie hier tritt an weiteren Schlüsselstellen das madness-Moil^ wieder auf; es kennzeichnet allgemein die Lage unter der Belagerung der Stadt:19 Der Kontrast zwischen Leopold, dem schwachen Kaiser, und Starhemberg, dem gottgleichen Helden, könnte nicht größer sein. Immer wieder bricht bei Leopold das "I laugh! I laugh!"20 vom Anfang durch, das die absurde Position Leopolds, aber auch der generellen Situation markiert.21 Starhemberg, dem von Volk und Kaiser quasi-göttliche Verehrung entgegengebracht wird, während die Kaiserin sich der sexuellen Attraktion des Siegers nicht entziehen kann, wird die Rolle des Erneuerers zugemessen: LEOPOLD:
[...] I cannot criticize them ... how can I, the arch-deserter, criticize? You must help us to restore ourselves. Be a mirror in which we dwarves may see the possibility of godlife self. (11)
Der Prozeß der Regeneration, der Wiedergewinnung von knowledge und Identität erfolgt im Durchgang durch den Schmerz (pain), propagiert in Starhembergs Programm einer Kunst des Schmerzes ("an art which will recall pain" [31]),22 aber auch symbolisiert durch Katrins öffentlich dargestellte Kindgeburt - "STARHEMBERG: Birth is a thing of beauty, surely? - MIDWIFE: It's a thing of pain" (33). Aber die Symbole bleiben ambivalent: Das Blut an den Händen der Hebamme symbolisiert Leben, das an Starhembergs Händen
19 20 21
22
Der Priester Orphuls wird später als "another madman of the siege" bezeichnet (17). Cf. 11, 31,45. Cf. im dramatischen Nebentext: "LEOPOLD (abandoning his absurd pose, and sitting on the floor)." (10); "FELIKS: This has been a foolish meeting - STARHEMBERG: It is a very foolish time." (31); in II.2, während Susannah dem Priester Orphuls obszönen Sex anbietet und Arbeiter ein Grab ausheben, fragt Leopold Orphuls: "Are you mad?" und erhält die Antwort: "I am not mad. I am perfectly normal, only more so." (37). Pain ist besonders in Akt II des Dramas ein mit hoher Frequenz vorkommender Leitbegriff.
"This Terrible Deformity of Laughter"
349
Tod. Das Lachen der Hebamme, das Leben symbolisiert, konfrontiert Starhemberg mit seiner Mortalität und bedroht ihn: (Pause, then STARHEMBERG walks away. The MIDWIFE accosts him.) MIDWIFE: You have some pain, mister [...] STARHEMBERG: Pain? Me? MIDWIFE: I think you will find death difficult. STARHEMBERG: Yes, I won't have it near me. MIDWIFE: You tease me, but I'd give you good advice if you would let me. STARHEMBERG: Do! I like the fact your hands are caked in blood. So were mine until recently. (The MIDWIFE goes close to him, intimately.) MIDWIFE: Hang yourself. (Pause. STARHEMBERG nods, as if in appreciation. The MIDWIFE squeals with laughter. He seizes her hand. She senses danger.) STARHEMBERG: It's you that must hang. MIDWIFE: Only a joke! STARHEMBERG: Yes, but I have no sense of humour. (35f.) Die religiöse Weltdeutung fällt dem Priester Orphuls zu, der in quasi-Blakescher Umwertung von Heaven and Hell auf das Evangelium des Judas setzt - knowledge als Voraussetzung des Erlösungswerks Christi - und den stöhnenden Gott, der über seine Schöpfung erschreckt ist, verkündigt: "Beauty, Cruelty, and Knowledge, these are the triple orders of the Groaning God" (39). Es ist folgerichtig, daß am Schluß des Dramas Katrin und Starhemberg in wechselseitigem Sich-Erkennen zueinanderfinden, während Leopold bei seinem Lachen des Erschreckens und des Nichtverstehens stehenbleibt (45). Die Analyse des Lachens in The Europeans läßt sich so zusammenfassen: In dramentechnischer Hinsicht nutzt Barker die Diskrepanz zwischen konstatiertem Lachen im Haupttext, dem keine Inszenierung des Lachens im Nebentext entspricht: Inkongruenz von Rede und Aktion. In traditioneller Weise tritt das Lachen als Indikator für die Interaktion der Figuren auf, des weiteren übernehmen Figuren die Zuschauerrolle, sie vertreten innerhalb des inneren Kommunikationssystems des Dramas den aktuellen Zuschauer. In thematischer Hinsicht markiert das Lachen zum einen die Inkongruenz zwischen Norm und Situation, Erkennen und Handeln, die Bodenlosigkeit und Sinnlosigkeit, wenn man will, die Absurdität des Seins, zum anderen aber im Lachen der Hebamme das Sich-Durchsetzen der Kräfte des Lebens. Gerade in dieser Szene sind laughter und pain einander spiegelbildlich zugeordnet, ein Sachverhalt, der ins Zentrum von Barkers Weltsicht führt.
350
Hans-Werner Ludwig
2.2 Golgo
In Barkers Golgo23 (1989), geschrieben für den zweihundertsten Jahrestag der Französischen Revolution, inszenieren eine Gruppe von Angehörigen des ancien regime in der Form eines (Gesellschafts-)Spiels die Leidensgeschichte Christi, während sich draußen die Revolutionäre dem Anwesen nähern. Am Ende steht der ebenfalls inszenierte, was die Hauptfigur angeht jedoch scheiternde, kollektive Selbstmord der Gruppe. Drei Elemente sind hier von Bedeutung: Das Drama ist zum ersten, wie The Europeans auch, in einer Krisenzeit, an einer Zeitenwende angesiedelt, die durch den Zusammenbruch eines alten Ordnungssystems gekennzeichnet ist, konkret: das ancien regime liegt in den letzten Zügen, das neue in Gestalt der Französischen Revolution und der Herrschaft des Volkes ("democracy") steht vor der Tür. Das Drama spielt zweitens auf zwei Ebenen. Die erste Spielebene (Hl) umfaßt die Handlung zwischen Whatto, Stoneheart, Gloria, Jane und weiteren Figuren von der Ankunft Whattos auf der Szene bis hin zum Vollzug und teilweisen Scheitern des kollektiven Selbstmords der handelnden Personen. Ihr überlagert wird als zweite Handlungsebene (H2) die Inszenierung der Kreuzigung Christi - quasi als "re-enactment" der Leidensgeschichte.24 Dabei übernehmen die Figuren der ersten Handlungsebene Rollen im Spiel im Spiel, beispielsweise Whatto als Christus, Stoneheart als Pilatus, der Priester als Barrabas und als Schacher am Kreuz, Rubber als Joseph, Goodgirl als Maria Magdalena, wobei Barker in einem typologischen Verfahren Kontraste und Parallelen zwischen beiden Handlungsebenen etabliert. Die Personen der ersten Handlungsebene diskutieren über ihre Rollenauffassungen, Whatto philosophiert über die Pluralität der möglichen Interpretationen. Das gesamte Ensemble fungiert als Zuschauerschaft (Hl) für die inszenierte Aufführung (H2). Drittens führt Barker als weitere Ebene den Chor ein, der im wesentlichen die erste Handlungsebene, besonders Whattos Reden und Handeln reflektiert und kommentiert. Dabei ist es offenbar wichtig, für den Zuschauer Distanz zu Whatto aufzubauen, ihn, die Hauptfigur und 'Inszenator' der gesamten Handlung, niemals vollständig als Sympathieträger erscheinen zu lassen. Indem Barker die durch die Handlungsträger vertretenen Normen relativieren läßt, macht er den im Stück dargestellten Zusammenbruch der alten Ordnung zum Paradigma der Relativierung von Werten und Normen überhaupt.
23 24
Alle Seitenangaben nach der Ausgabe Calder Playscript 117 (London, 1990). Cf. Hans Galinski, T.S. Eliots Murder in the Cathedral im Unterricht der Oberstufe (Braunschweig, 1964).
"This Terrible Deformity of Laughter"
351
Barker hat in Golgo wie auch in seinen anderen Stücken das Lachen sorgfältig inszeniert. Es ist im einfachsten Fall in traditioneller Komik begründet, entsteht dann aber in zunehmend komplexeren Zusammenhängen, die aus der absurden Grundsituation der Figuren resultieren.
2.2.1
Situationskomik
Situationskomik entsteht am Übergang zwischen den beiden Handlungsebenen, wird jedoch zur Groteske umgebogen. Unvermittelt erhebt sich aus der Figurenkonstellation der ersten Handlungsebene die nun Joseph genannte Figur, geht zum Kreuz und redet den Gekreuzigten an: JOSEPH: Not too late, I hope? (Pause.) Son? (Pause. His hands hang.) Oh, but it's been a most knotted life, mine. (Pause. He looks to the others.) I don't think he remembers me. (They laugh.) Well, who am I, indeed? [...] It's not-yourdad, come to see not-my-son. (The assembly laughs.) You know, the one who walked around like misery and taught you tenon joints - (They laugh.) Shut up, shut up - (He shakes his head.) How far I've come to be with you, I tell you things were driven through my palms also. (They laugh. He rebukes.) Yes, that's pain, too! (He addresses the cross.) They laugh at me! How they detest the failure. The crowd, how it detests the failure! And I am, I am, admittedly. I'm not too late, am I? Fifty miles is a stroll for a bloke my age, and I was never young, never, never young, which must explain a great deal of her. Well, I couldn't stick the discos and she. Your mother. Only seventeen when we. (56) Josephs Reflexion seiner Rolle als 'Nicht-Vater' seines 'Nicht-Sohnes', quasi als gehörnter Ehemann der Maria, stellt eine groteske Variante der biblischen Aussage der unbefleckten Empfängnis dar - der überalterte Joseph, dem die junge Maria weggelaufen ist - und wird entsprechend durch das Lachen des gesamten dramatischen Personals quittiert. Josephs eigene Einschätzung als Versager bestätigt das Lachen der Umstehenden - "They laugh at me! How they detest the failure. The crowd, how it detests the failure! And I am, I am, admittedly." Jegliches Gefühl des Mitleids mit einer traurigen Figur wird jedoch im Keim erstickt, wenn Joseph als Schaulustiger hektische Eile an den Tag legt, den Tod des Gekreuzigten nicht zu verpassen, und von Maria ein Sandwich fordert. Indem er sich sowohl als Versager als auch als Leidensmann stilisiert, schließlich seine eigene unrühmliche Rolle im Heilsdrama belacht, ruft er weitere Reaktionen der 'assembly' hervor: "The assembly claps - The assembly boos - They boo again. They hiss [...]." Das inszenierte Lachen der Schauspielertruppe nimmt hier das Lachen der Zuschauerschaft über die Fallhöhe der komischen Figur Joseph vorweg. Entsprechend wird Goodgirl von der 'assembly' belacht, als sie sich in der Rolle der Maria
352
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Magdalena versucht und daran scheitert, die Rolle der sexuell attraktiven 'woman of pleasure' darzustellen: (The assembly whistles and louts.) Why not I've got sex too, why not I have and She (They bawl.) Yes You I've been I've Suffered the Yes You bastards Yes (They stop, in a bawl of laughter. She prepares an entrance.) [...] (58) Das Lachen demaskiert zielgerichtet das Rollenverhalten der Figuren; die Inkongruenz von Figur und Rolle, bzw. die von Rollenerwartung (biblischer Bericht) und Rollenverhalten enthält ein doppeltes kritisches Potential: das Verhalten der Repräsentanten des ancien regime enthüllt sich als 'Tanz auf dem Vulkan', die Leidensgeschichte wird ihrer religiösen Bedeutsamkeit entkleidet, indem sie grotesk deformiert wird.
2.2.2
Eros und Thanatos
Obsessive Sexualität ist eine durchlaufende thematische Konstante des Stücks, die mit dem Todesmotiv und dem Motiv der verstreichenden Zeit verknüpft wird. Der obszönen Zurschaustellung von Sexualität entspricht die obszöne Sprache der Figuren. Einige Beispiele für die Koppelung von Eros und Thanatos: Goodgirls (Hl) Verkörperung der Rolle der Maria Magdalena (H2) löst eine entsprechende lüsterne Reaktion Josephs (H2) aus, die von Maria (H2) durch Schläge korrigiert wird. Während Whatto (Hl) von Janes (H2) körperlichen Reizen angezogen ist, taxiert diese - Stoneheart (Hl) charakterisiert sie als "[coming] directly from another man" (54) - vergleichend die Körper Jesus' (H2) und Pilatus' (H2). Maria Magdalena (H2), von Maria (H2) beschworen, nicht "[to] return to whoring," (58) kann ihren sexuellen Drang nicht beherrschen (59). Das Lied des blinden Soldaten (H2) verknüpft in grotesker Weise Verfall und Sexualität: I am in love with a yellow-skinned woman, Whose arse is cool as ice, She will bury me one day and weeping for less than an hour, Sell my tunic! (He moves, groping.)
"This Terrible Deformity of Laughter"
353
I am in love with a white-haired woman, Whose teeth are rotting. She abuses me as illiterate and worthless cannon-fodder then laughing, Licks my body! (He moves nearer the cross.) I am in love with a stooping woman, Whose lip is cracked and dry, She teaches me to repeat political slogans Whose meaning defeats me, Then fucks my brother! (They cheer him. He stumbles.) Whatto (Hl) lacht, als die beiden Schacher (H2) auf Jane und Stoneheart (Hl) spucken, die sich in ihrer Kußszene nicht stören lassen und erst durch einen Wasserguß Glorias (Hl) aus ihrer Umarmung gerissen werden. Der erste Schacher (H2) fordert Jane (Hl) in einem Lied auf, sich nackt zu zeigen; als sie sich vor allen entkleidet hat, löst dies Beifall der 'assembly' (HI) aus: "(Pause. Then a burst of enthusiastic applause from the assembly.)"
2.2.3
Diskrepanz von Gegenwartshandlung und inszenierter Aufführung, von Figur und Rolle
Lachen als Applaus der 'assembly' löst auch das Rollenspiel anderer Figuren aus, so beispielsweise das des Priesters (Hl), der Barrabas (H2) spielt (66f.). Eine andere Dimension erhält das Lachen jedoch aus dem grotesken Kontrast von Figur und Rolle. Dies ist besonders an Whattos (Hl) Christus-Darstellung (H2) ablesbar. Whatto selbst "gives birth to a laugh" (67), als er erkennt, daß er zur Übernahme der Christus-Rolle noch nicht geeignet ist, weil er seine Leidenschaften ("temper") nicht zügeln kann. Stattdessen spielt er einen Verrückten (lunatic H2), der bei der Kreuzigung Jesu unter dem Kreuz tanzt und verzückt die Haltung des Gekreuzigten imitiert. Der Nebentext beschreibt an dieser Stelle das Lachen mit großer Genauigkeit als künstliches Lachen, das auf seine Inszeniertheit, mit Roman Jakobson gesprochen, auf seine poetische Funktion und damit auf die Mehrebenentechnik des Dramas verweist: (The assembly stands, laughing as an audience laughs at a street performer. This laughter is orchestrated, rhythmic and consciously flat. During the laughter WHATTO dances a mockery of CHRIST. He stops suddenly. He picks his coat off the floor and slowly buttons it all the way up in silence.) (72)
354
2.2.4
Hans-Werner Ludwig
Lachen im Scheitern der Gegenwartshandlung
An Whatto, Spielführer in der Gegenwartshandlung (Hl), Hauptfigur im Spiel im Spiel (H2) läßt sich die Konvergenz beider Handlungen im Ablauf des Stücks beobachten. Beide Handlungen sind darauf angelegt, an Eindeutigkeit und Unausweichlichkeit zuzunehmen. Nachdem Whatto die Tore des Anwesens hat niederlegen lassen, so daß der Mob eindringen kann (Hl), entzieht er der Spielhandlung (H2) die Beliebigkeit der Interpretationen: WHATTO: I was afraid of this - plethora of interpretation. [...] This incessant proffering of versions. It's a madness. It's a fever. [...] No, we will not proffer more versions. That way lies madness of a different kind to the madness we normally embrace, that way lies negative madness. (70) Ziel der Gegenwartshandlung (Hl) ist der gemeinsame Tod der handelnden Figuren, wenigstens dem Anspruch nach wiederum perfekt von Whatto inszeniert: "I have attended to everything, as one who intends to vacate a property should leave it clean" (72). Während sich der Mob nähert - Nebentext: "The distant sound of carnival and mayhem." - wird in Agnews Rede der Zusammenhang von personaler Identität und gesellschaftlicher Rolle reflektiert, aus dem mit dem Zusammenbruch der gesellschaftlichen Ordnung die Reduktion der personalen Identität auf die bloße physische Existenz folgt. Deren Aufhebung im Selbstmord ist dann nur noch die Konsequenz aus den philosophischen Grundannahmen.· There are conditions under which a certain personality exists. With the removal of those conditions, the personality disintegrates. He who was in one condition awesome, lethal or intransigent becomes in the other eccentric, pitiful, absurd. (He shudders, with laughter or tears.) I so liked your company, I did thrive on his company ...! (He stops.) And this decay we cannot arrest. It is the very opposite of dentistry, from which I now wholly disassociate myself. [...] This man is the product of a dead culture which sadly we cannot ignore, which sadly cannot be left among the undergrowth like a fallen urn and we must stop laughing at his antics, stand up those who believe in the future. (No one moves.) I said stand up all. (He laughs.) You see, it requires tremendous courage to. In some conditions even cross the street but we. (WHATTO goes to him and wraps him in his arms. AGNEW weeps pitifully. FORGET sings.) (73f.) Die Verweigerung der Schauspielmetapher - "we must stop laughing at his antics" - signalisiert das Ende des Rollenspiels (Hl). Lachen und Weinen werden angesichts der existentiellen Grundsituation des bevorstehenden Todes austauschbar, ununterscheidbar: Nebentext: "He shudders with laughter or tears." Entsprechend faßt Whatto, der in diesem Augenblick noch immer glaubt, die Fäden auch der Gegenwartshandlung (Hl) in der Hand zu haben
"This Terrible Deformity of Laughter"
355
und nun die Rolle des executioner beansprucht - "Thank God for my Great Art" - die Würde des Menschen als absolute Konzentration auf den Tod: WHATTO: The first thing is not to change the subject, which is the habit of a dentist, the habit of a child's physician. On the contrary I found with minds as fine as yours only the subject itself would do, there is a dignity in that unblinking concentration on death which. Can you say death? (75) Whatto und Gloria lachen darüber, daß sie sich durch ihre Selbsttötung der Hinrichtung durch den Mob entziehen können (77), und Gloria lacht selbst noch, als die Bibliothek in Flammen aufgeht. Das Lachen der Selbstbehauptung stellt sich freilich als Selbsttäuschung heraus; denn die dramatische Ironie des Stückes liegt darin, daß Whatto zwar Stoneheart, Agnew, Rubber und Goodgirl tötet, seine eigene Hinrichtung jedoch an Glorias Inkompetenz scheitert. Damit bleiben am Schluß des Dramas Whatto und Gloria übrig, und unter dem von außen herandringenden Geräusch des Mobs und einem nunmehr anonym gewordenen, keiner Person mehr zuzuordnenden Gelächter "The sounds of destruction and laughter float on the air." - erkennt Whatto, daß er im letzten gescheitert ist. Fassen wir zusammen: In dramaturgischer Hinsicht bedeutsam ist die Mehrebenentechnik, die Verdoppelung des Schauspiels durch das Spiel im Spiel, die wechselseitige Spiegelung beider Ebenen, schließlich der Zusammenbruch der Inszenierung des Spiels, angezeigt durch das Verbot der Schauspielmetapher. Das Lachen in Golgo weist ein breites Funktionsspektrum auf, das von der Markierung komischer Fallhöhe (Joseph) über den Bezug zu grotesker Körperlichkeit und Sexualität bis zum Indikator der Absurdität der Existenz (Whatto) reicht und darüber hinaus noch das Scheitern des existentialistischen Entwurfs signalisiert: selbst das Verfügen des Menschen über seinen Tod als letzte Vergewisserung seiner Selbstmächtigkeit wird Whatto nicht gelassen.
2.3 The Last Supper Barkers im Jahre 1988 uraufgeführtes Drama The Last Supper25 entwirft in einer typologisch auf Stationen der Geschichte Jesu (Abendmahl, Gethsemane) projizierten Handlung das Psychogramm eines Sektenführers oder Gurus "Lvov, A Thinker" -, dessen Halt über seine Anhänger schwindet und dessen Lehre vor dem Vergessenwerden allein durch seinen Tod und Abendmahl gerettet werden kann: Abendmahl (The Last Supper) im radikalen Wortsinne
25
Calder Playscript 114 (London, 1988).
356
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verstanden als Tötung und Verspeisung des Propheten durch seine Anhänger - "our final dinner" (9). Das Stück spielt während eines vierzehnjährigen Krieges, zu einer Zeit, in der Soldaten sterben oder verstümmelt in die Lazarette zurückgebracht werden, Nahrung knapp ist und insgesamt Ordnung und Stabilität zusammengebrochen sind: das Kriegsende, von dem die Rekonstruktion der Ordnung erhofft wird, fällt mit Lvovs Tod zusammen. In die Haupthandlung eingebaut sind acht 'Gleichnisse', teilweise mit der Haupthandlung verschränkt, teilweise unabhängig, in einem Fall sogar ohne Text, insgesamt von ungeklärtem Status, möglicherweise - wie der Klappentext sagt - eine Darstellung von Lvovs Lehre. Wie auch die anderen behandelten Dramen Howard Barkers beruht auch dieses Stück auf der Konkurrenz unterschiedlicher Wertsysteme, wobei die Auseinandersetzung zwischen ihnen während des Krieges geführt wird, in dem die etablierte Ordnung aufgehoben ist: Lehre und Lebensform des Sektenführers Lvov und seiner zwölf Anhänger ("disciples") kontrastieren mit der durch den Chor vertretenen Volksreligion. In dem Maße wie im Verlauf der Handlung Lvovs Einfluß auf seine Anhänger schwindet, gewinnen bei ihnen andere Werte und Normen wieder die Oberhand. Das Stück ist deshalb auch als dramatische Inszenierung eines Normenkonfliktes zu verstehen. Unter diesem Aspekt vertreten die Jünger Lvovs einzeln oder in Gruppen verschiedene Einstellungen, von denen aus im Verlauf des Dramas Lvovs Lehren kritisiert und überholt werden: Marya, die Krankenschwester, eine lebenspraktische Einstellung und helfende Hinwendung zum kranken, verletzten Menschen, Sloman, der Zimmermann, und Susannah, die Köchin, einen skeptischen Rationalismus, Anna, die Prostituierte, eine lebenszugewandte, anarchische Sexualität, Apollo, der Dichter, und Forjacks, der Gelehrte, Kunst, Rhetorik und Philosophie. Jeder dieser Anhänger des Sektenführers beschreibt im Verlauf des Stückes die je spezifische Weise seines Verrats des Meisters (35ff.). Auch hier tritt Lachen in verschiedenen situativen Kontexten und mit unterschiedlichen Funktionen auf:
2.3.1 Lachen und Komik Die einfachste Form des Lachens, die keines weiteren Kommentars mehr bedarf, ist die sich aus Situationskomik (im weitesten Sinn) ergebende. Typisch dafür sind Indikatoren im Haupttext wie "funny" oder "ridiculous".26
26
Cf. 22: Das 'Problem' des Bauern wird angesichts der allgemeinen desolaten Situation als "funny" empfunden und belacht: "GISELA. Don't go. It doesn't hurt to be laughed at. What you said was funny, whether you knew it or not." - 29: "[Marya zeigt das durch ihre Arbeit als Krankenschwester blutbefleckte Kleid] MARYA. (Lifting it to show). The amputees! (She lets it fall, laughs.) I carry their limbs to the hut. We pile them in the
"This Terrible Deformity of Laughter"
357
Diese Form des Lachens tritt gehäuft am Anfang des Stücks auf, sie wird später durch andere, thematische Funktionen des Lachens verdrängt.
2.3.2
Metakommunikative Funktion des Lachens
Lachen in metakommunikativer Funktion dient der Herstellung des Einverständnisses zwischen Redepartnern. Judith lacht, weil sie das Kommunikationsverhalten Slomans durchschaut hat: SLOMAN: We had forgotten you, but that doesn't mean you aren't welcome ... (JUDITH laughs out loud.) What's funny? What's funny! JUDITH: You engineer the perfect compromise. You engineer. (29) 2.3.3
Anarchisches Lachen
Als Vorbereitung des "last supper" hat Anna Gin besorgt und dabei ihre 'beruflichen' Fähigkeiten als Prostituierte eingesetzt. Judith und Anna machen obszöne Witze darüber, wie Anna an den Gin gekommen ist (20). Auch hier hat das Lachen metakommunikative Funktion, es stellt Einverständnis zwischen den Redepartnern her. In einer weiteren Dimension, die später im Stück dominant wird, untergräbt jedoch bereits hier Annas Körperlichkeit, ihre Sexualität, Lvovs geistigen Anspruch. Ihr Verrat an Lvov besteht denn auch in ihrer, wie sie sagt, 'Selbst-Trivialisierung',27 der anarchischen Unterschreitung des geistigen Anspruchs Lvovs. Anna erscheint häufig durch obszöne Sprache charakterisiert und mit Lachen verbunden.28 Während Apollo den Widerspruch der Existenz der Sektenmitglieder zwar aufdeckt, sich aber an Äußerlichkeiten und Formalitäten festhält, als Dichter gewissermaßen Form vor Inhalt gehen läßt APOLLO: How beautiful it is, this table cloth. No wonder you lay your hands like flowers. What does it matter if the menu stinks, we have a table cloth white as a glacier, stiff as a glacier ... I used to sit in cafes with
27
28
hut. The hut is bursting and the door has to be forced. I am simply not strong enough. I say to the sentry, come on, help me shut the hut! We put our backs to it. Lvov, this is a funny sight! This fat-backed soldier and this skinny girl, shutting the house of legs." 33: "(A WOMAN enters dragging a strung bundle. She sits on it. [...] The sound of music on an ancient gramophone, [sic!] A MAN dances to a waltz with an imaginary partner. He stops. The WOMAN blows her nose. WOMAN. Do you think that's funny?" "ANNA. By marrying a glamourous idiot who will ruin my life. (Pause.) He will make me his thing. We will dance in the lights and imitate love. I will trivialize myself. That's betrayal, isn't it?" (36) Cf. 21, 41, 42; Auch Marya distanziert sich später (47) lachend von Lvov.
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one glass ... an oasis in a white landscape. All's well if the launderers are busy...! - bringt Anna die Verhältnisse auf den Punkt. Die Inkongruenz von Form und Inhalt wird auf Körperlichkeit und Sex - "the comic dimensions of imperfect sex" - heruntergebracht: ANNA: I brought the cloth. We fuck in table cloths. (JUDITH laughs.) We do! Obviously, there are no sheets, and since even the basest lout craves the false intimacy of sheets, we fuck in these ... (31) Später lachen Anna und Ivory über Lvovs gering ausgebildete sexuelle Potenz (42).
2.3.4
Das Nicht-Lachen des Propheten
Folgerichtig beschreibt sich der Prophet Lvov als einer, dessen Trick "knack" (23) - darin besteht, nicht zu lachen: Lvov: [...] I never laughed, I have no wit, the wit died in my jaw, how wonderful the absence of all wit, I sit so still and never tap my feet never trust the foot tappers or touch a stranger intimately and at the dance-hall wept, yes, wept, I am so tired of rebels [...] I never made a joke, I never ever made a joke, this terrible deformity of laughter makes you ugly, no, do not heed the order rise, cease laughing and pay your taxes. [-.] (23) Lachen, so der Text, 'deformiert auf schreckliche Weise', macht häßlich, wenn man vom Selbstbild des Propheten Lvov ausgeht. Die Bestätigung dieser bewußten Selbststilisierung Lvovs wird von ihm später selbst gegeben - nun allerdings "with a laugh." Daß Lvov hier und in anderen Kontexten gegen Ende des Dramas wieder lacht, ist Zeichen der Disintegration der Prophetenrolle: Lvov: (With a laugh.) Excellent! Listen I was not born with this face, no, I made it. Underneath it lie such long forgotten qualities as charm and mischief, humour, lechery, like tumuli in ancient landscapes, who would stop to excavate them now? I made myself terrible. I am Lvov, do you dare to murder me?29
29
Unmittelbar vor seiner Ermordung erzählt Lvov die Geschichte des kleinen Jungen, der niemals lachte - es ist seine Geschichte: "Lvov: I tell a story of a boy a lonely boy who never smiled except to please and never laughed except to hide from those already laughing." (5If.)
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359
Die Verweigerung des Lachens wie auch die des Tanzens hebt ihn von den Menschen ab, macht ihn besonders - Annas, Judiths und Giselas Lachen bilden die Folie der Normalität, von der sich Lvov abhebt. So sind seine Werte und Normen durchwegs Umkehrungen der 'normalen' Werte und Normen, sie sind vergleichbar mit Blakes 'voice of the devil' in The Marriage of Heaven and Hell: "unloving" wird als Tugend ausgegeben, "pity" und "charity" als Schwäche.30 Lvov bezieht wie ein moderner Sektenführer seine Attraktivität für die Menschen aus seinem Egoismus, dem Glanz, mit dem er sich umgibt. Mit der Formel der Selbstprädikation Jahwes "Ich bin, der ich bin" markiert Lvov seine Einzigartigkeit: SLOMAN: It's not Lvov's way, is it, to let the weak distract the strong? Lvov surrenders nothing. Lvov: Would you be here if I did? If I were naked, would you admire me? Because I have clothing, and there are many without. If I were filthy, would you admire me? For there are those without soap, and I keep soap. If I were all day carrying the crippled to the well, would you admire me? Because there are many without water, and I have strength. I am what I am and cannot be consumed in charity. SLOMAN: No, nor in skinning dogs. Nor gathering potatoes. Or clearing drains when the drains are blocked. (13) Der Zusammenbruch der Prophetenrolle schlägt sich in der Zurücknahme der Verweigerung des Lachens nieder. Als Lvov den Gehorsam seiner Anhänger dadurch prüft, daß er das aufgetischte Essen nach draußen zu den Armen bringen und seine Jünger leer ausgehen läßt, beginnen Susannah und Sloman aufzubegehren: Lvov: ... (They hang back, staring at the plates. He looks to SUSANNAH.) How she hates me ...! (He laughs.) And him! (He looks at SLOMAN. Some drift out of the door). (35)31 Unmittelbar anschließend diagnostiziert Dora den Verfall der religösen Gemeinschaft - "have you noticed, how we deteriorate?" (35) - und zieht für sich die Konsequenz der Anpassung an die veränderten Machtstrukturen durch Umorientierung weg von Lvovs statischem Ideal der completeness zu dynamischen Werten wie flexibility, growth, deterioration, alteration.
30
"Pity is theft." (37)
31
Weitere Stellen für Lvovs Lachen: 44, 45.
360
2.3.5
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Das chorische Lachen, "the cloud of laughter"
Mit der Kategorie des chorischen Lachens nähern wir uns dem Kern von Barkers Inszenierung des Lachens. An Golgo war zu beobachten, wie das Lachen am Höhepunkt der Handlung anonym wird, keiner einzelnen Person mehr zugeordnet werden kann. Dieser Sachverhalt wird in The Last Supper zentral. Als im Prolog Ella und Dora als Vertreterinnen ihres Meisters den Sinn seiner Schöpfung behaupten und Beifall dafür erheischen - "Laugh, you bastard, this is my creation, laugh"; "Applaud, you bastards!" - wird diese Rede von den Anweisungen im Nebentext "The terrible sound of laughter" und " terrible storm of laughter" (2) begleitet. Das anonyme Lachen, zudem qualifiziert als "schreckliches Lachen," erfüllt formal die Forderung der Prologsprecherinnen, entwertet zugleich ihre Aussagen. Anonymes Lachen, dessen Ursprung niemals genau zugeordnet werden kann, sich aber immer häufiger im Kontext des Auftretens des Chors findet und dessen Funktion unterstützt: "a mass of laughter," "the cloud of laughter," aber auch, in derselben Funktion und häufig willkürlich an die Stelle des Lachens gesetzt, Laute der Verwüstung, Trostlosigkeit, Verzweiflung, Mißklang - "the sound of desolation" und "a cacophony" - ziehen sich als anonymer Kommentar durch den Nebentext dieses Dramas. Schon früh etabliert der Chor eine kritische Gegenposition zu Lvov: MARY A: Who cares what you mean? I don't. (Lvov moves to the front of the stage. The sound of a murmuring crowd rises.) LVOV: I don't want to come! I don't want to come! (The sound is swamped by a mass of laughter.) Of course they are absurd! I see they are absurd, and the more absurd they are the less I want to leave them, why! (A mass of laughter.) CHORUS: The masses The masses They sing so beautifully The masses They tear the flags from gates And the eagles from the thrones of governors And piss into the mouths of dying officers! (19) Hier ordnet der Chorkommentar das Lachen implizit der revolutionären Masse, dem Volk, als Lvovs "Gegengottheit" zu. Im achten Gleichnis erklärt Ivory im Gespräch mit den Soldaten die "cloud of laughter" als Solidarität, als Ideal der Revolution: McNOY and McATLEE are carrying IVORY in a chair. They stop. The cloud of laughter passes. McNOY: Who is cheering?
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McATLEE: I've heard cheering before, but this is disembodied. IVORY: It is the irrepressible expression of solidarity which has become detached from humanity and drifts over the landscape. [...] Solidarity, equality, democracy (Sloman, 13) kennzeichnen das zu Lvov antagonistische Normensystem, das dem Volk zugeordnet ist. Später wird klar, daß der Chor selbst das Volk und der wahre Antagonist Lvovs ist. Der Chorkommentar ist durchweg von "A cloud of laughter" oder "A sound of desolation" begleitet (z.B. 26, 31, 37f., 43, 47), allerdings genügt bereits der Aufruf von "A cloud of laughter" usw. im Nebentext, um Lvovs Äußerungen kritisch umzuwerten und Lvovs Angst vor seiner Enthüllung (26) und seinem Machtverlust zu verstärken. Im Augenblick der Tötung Lvovs werden die Aussagen der Frauen (Dora, Marya, Anna) mit denen des Chors identisch (52). Barker hat die Funktion des 'disembodied laughter' in The Last Supper selbst so kommentiert: You may have noticed that we live in a laughing society. The sound of laughter mechanically reproduced, is the sound of this era. The status of comedians has never been higher. In my latest play, The Last Supper, laughter has become so artificial, so mechanical, that it has ceased to be attached to human beings at all, and drifts over the landscape like a storm cloud, discharging itself over battlefields and banquets alike ... I would suggest that a theatre which takes itself seriously - and it must do if people are to take it seriously - cannot any longer afford to be comic. In a culture of diseased comedy, it can't laugh.32 Barkers Erklärung stellt das anonyme, entkörperlichte Lachen in einen komplexen Wirkzusammenhang: einerseits gilt es in seinem mechanischen Charakter und seiner Ubiquität als Signum der Zeit und ist in seiner beunruhigenden Qualität Stimulus für Erkenntnis, andererseits muß es, um diese Wirkung entfalten zu können, von solcher Qualität sein, daß es nicht zur Entlastung des Zuschauers durch Komik kommt, daß beim Zuschauer eben gerade kein Lachen ausgelöst wird. Es entspricht Barkers Prinzip der Vermeidung direkter 'messages', daß diese Zusammenhänge im Stück selbst indirekt erschlossen werden müssen. Fazit: Die Spannweite des Lachens in The Last Supper reicht von der traditionellen Komik über explizite Bezüge zum Absurden33 und der anarchischen Körperlichkeit, die sich mit dem Konzept des Grotesken verbindet, bis zum abstrakten antagonistischen Formalprinzip und in seiner besonderen Qualität des 'disembodied laughter' zur umfassenden Zeitkritik.
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Howard Barker, "Radical Elitism in the Theatre," [published as "The Possibilities," Plays and Players, March 1988] Arguments for a Theatre 34. Absurd: 11, 19, 37; mad: 18.
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Dieser Sachverhalt, der die äußerste Steigerung der in allen drei Dramen Howard Barkers festgestellten Befunde darstellt, legt es nahe, im Rückblick noch einmal auf die eingangs diskutierten dramentechnischen Kategorien und methodischen Vorgaben zu reflektieren. Die methodische Grundvoraussetzung, das Lachen als einen von allen anderen dramatischen Codes unabhängigen zu etablieren, ermöglichte erst die Untersuchung der Interaktion zwischen den Codes, wobei das bedeutungskonstituierende Potential von Diskrepanzen zwischen den linguistischen, paralinguistischen und den durch den dramatischen Nebentext vorgezeichneten körpersprachlichen Codes in das Zentrum des Interesses getreten ist. In der Figurenrede konstatiertes Lachen entbehrt an Schlüsselstellen der Dramen der dramatischen Inszenierung. Diese Dissoziation von im traditionellen Theater verbundenen dramatischen Codes setzt sich auf anderen Ebenen fort: auf der Ebene der explizit bezeichneten (Sprach)Handlung in der Dissoziation von personalem Subjekt (agent) und der durch es ausgelösten Aktion: Das Lachen wird anonym, subjektlos und damit gewissermaßen Ursprungs- und ziellos: "Lachen über ..." geht in bloßem, subjektund objektlosem Lachen auf. Keiner dramatischen Instanz mehr zugeordnet, setzt es den durch die Grammatik, konkret die Subjekt-Prädikat-Objekt-Relation, traditionell gesetzten Weltbezug außer Kraft. Schließlich markiert, wiederum ablesbar an der Textualisierung des Lachens, der Zusammenbruch eines weiteren traditionellen Ordnungsgefüges, der Beziehung zwischen signifiant und signifie, einen weiteren Aspekt der bei Barker gestalteten fundamentalen Krise. Allen drei Formen der Dissoziation ist gemeinsam, daß in ihnen traditionelle Verstehensmuster aufgerufen und als inkohärent und widersprüchlich, als außer Kraft gesetzt, als absent deklariert werden, so daß ihre Dissoziiertheit oder Abwesenheit die Funktion von Indikatoren der in Barkers Dramen thematisierten Sinnkrise übernehmen kann. Solche an der Gattungspoetik, der Grammatik und der Semiotik ablesbaren Prozesse haben zugleich ihre ideengeschichtlichen Korrelate, denen in einem weiteren Schritt nachzugehen ist.
3 Kontexte Barker übernimmt wie auch andere Autoren des britischen Gegenwartstheaters - beispielsweise Edward Bond - etablierte Stoffe, große 'Mythen' der abendländischen Tradition, um sie gewissermaßen unter Laborbedingungen so umzuprogrammieren, daß an ihnen Grundsituationen des heutigen Menschen erprobt werden können. Seven Lears geht auf das archaische, vorshakespearesche Potential des Lear-Stoffes zurück, The Last Supper und Golgo nehmen Stationen der Geschichte Jesu, Abendmahl, Gethsemane, Golgatha wieder auf. Die Versuchsbedingungen von Barkers Theaterexperimenten sind im vorhinein sorgfältig festgelegt: Zumeist bewegt sich die Dramenhandlung in einem
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zeitweilig aus der Realität ausgegrenzten Handlungsraum, jedoch auf der Folie einer Krisen- oder Umbruchsituation: im Blick auf die analysierten Beispiele der Belagerung Wiens durch die Türken und ihr plötzliches Ende, der Ablösung des ancien regime in der Zeitenwende der Französischen Revolution oder einfach eines Krieges. Innerhalb dieser Technik des experimentellen Umprogrammierens kommt dem Lachen Indikatorfunktion zu. Die Analyse dreier Stücke hat die Bedeutsamkeit des Lachens in Barkers Theater hervortreten lassen - ein vergleichbarer Befund könnte für "howl of despair / pain" (Downchild, 8If., 89) und andere paralinguistische Codes, vor allem für den Bereich der Körpersprache, erhoben werden.34 In Barkers Theater gewinnt der direkte Ausdruck der Körperlichkeit, allgemein nichtverbale Kommunikation, großes - stellenweise gleich großes - Gewicht neben der sprachlichen Kommunikation. Das anarchische Moment derb bis obszön inszenierter Körperlichkeit ist Charakteristikum der Farce, die sich seit den in die liturgischen Spiele des Mittelalters eingesprengten Farcen im Sinne von Bachtins Lachkultur als Subversion jeweilig dominanter Theaterkonventionen begreifen läßt. Die tragische Farce, je nach Perspektive des Kritikers auch savage comedy35 genannt, gilt vielfach als die Ablösung der Tragödie im Drama des 20. Jahrhunderts. Die Sprache der Körperlichkeit gibt sich derb und obszön. In Barkers Stücken fällt die Dimension obsessiver Sexualität auf der Ebene der Handlung wie auf der des Dialogs auf. Der "Ein-Mann-Trend" Howard Barker (Günther Klotz)36 läßt sich nicht einfach einer Traditionslinie zuordnen, vielmehr konvergieren in Barkers Theater verschiedene Entwicklungslinien des modernen Theaters, die durch die Stichwörter des Absurden und des Grotesken bezeichnet sind und für die die Existentialphilosophie, besonders bei Camus (z.B. Le Mythe de Sisyphe) einerseits, die Tradition des Grotesken seit Baudelaire und die Wiederbelebung der Farce im Anti-Theater Alfred Jarrys und Antonin Artauds andererseits wegweisend gewesen sind. Ohne Unterschiede zu verwischen, lassen sich die folgenden Konvergenzen im Hinblick auf Theaterpraxis auf der einen Seite und dem mit den Konzepten des Absurden und Grotesken stichwortartig bezeichneten Ideengitter auf der anderen herausarbeiten.
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Cf. Tony Dünn, "Howard Barker: Socialist Playwright for Our Times," Gambit 11.41 (1984): 85-87. Cf. Kenneth Steele White, Savage Comedy Since King Ubu (Washington, 1980); Ute Drechsler, Die 'absurde Farce' bei Beckett, Pinter und lonesco. Tübinger Beiträge zur Anglistik, ed. Joerg O. Fichte und Hans-Werner Ludwig (Tübingen, 1988). Günther Klotz, "Zwischen Erfolgszwang und Engagement: Tendenzen im englischen Drama der achtziger Jahre," British Drama in the 1980s, ed. Bernhard Reitz und Hubert Zapf (Heidelberg, 1990) 55.
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3.1 Antonin Artaud In Artauds frühen Programmschriften zu einem anti-illusionistischen, antinaturalistischen Theater und seinen Theaterexperimenten im Theatre Alfred Jarry ist das Theater auf halbem Wege zwischen der Wirklichkeit und dem Unbewußten angesiedelt. Ein Hauptpunkt des Programms des Theatre Alfred Jarry ist die "Inszenierung der Gefühle und Gebärden der Darsteller." Mit Jarry teilt Artaud die Auffassung des Lachens - des schwarzen Humors - als Triumph des Menschen über sein tragisches Schicksal, als Mittel der Subversion der Wirklichkeit: Im Lachen steckt eine Tendenz auf Umkehrung der Formen, Deplazierung von Bezeichnungen, Verkehrung, Verrückung, Unordnung und Unlogik - ja, physischer Destruktion. So fordert die letzte Broschüre über das Programm des Theatre Alfred Jarry den schwarzen Humor und "das absolute Lachen" als wichtiges Ausdrucksmittel des Theaters ein, das das korrespondierende Lachen des Zuschauers evozieren soll.37 In dem Maße wie der Zuschauer im Sinne eines schockierenden, anti-illusionistischen Theaters durch die konkreten körperlichen Ausdrucksmittel - Stimme, Gebärden- und Körpersprache des Schauspielers bis hin zu den Geräuschen - in das Theatergeschehen einbezogen werden soll, tritt die Bedeutung des Dramentextes zurück. Artaud sucht die Gestik zu einem unabhängigen Theatercode zu machen, entsprechend findet sich in den Schriften zum Theatre Alfred Jarry auch programmatisch das Auseinandertreten der theatralischen Codes, die programmatische Diskrepanz von Dialog und Gestik. Auch die Stimme wird in Artauds Theaterschriften aus den Jahren 1925/26 zu einem Element einer Poetik des Körpers: Schreien, Stöhnen und andere nichtsprachliche menschliche Geräuschäußerungen werden als konstitutiv für sein Konzept eines "theatre de nerfs"38 angesehen. Großen Einfluß auf Artauds Theaterkonzeption hatte schließlich die Übertragung psychischer Vorgänge in die Zeichensprache von Körper und Raum im balinesischen Tanztheater. Auch im Theatre de la Cruaute betont Artaud die Ersetzung einer Poesie der Sprache durch eine Poesie im Raum,39 die Bedeutung der nichtsprachlichen Zeichen, einer 'szenischen Sprache' ("langage de la scene"), einer 'Raumsprache' ("langage dans l'espace"; "langage spatial"), einer
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Artaud, CEuvres completes II, 44; cf. Holger Fock, Antonin Artaud und der surrealistische Bluff: Studien zur Geschichte des Theatre Alfred Jarry (Berlin, 1988) 125f. Artaud, CEuvres completes II, 139; cf. Fock, Antonin Artaud und der surrealistische Bluff II, 135. Antonin Artaud, Das Theater und sein Double: Das Theatre de Seraphin (Frankfurt, '1979; 1983)40.
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'Sprache des Körpers oder der Gestik' ("langage des mouvements, des attitudes, des gestes") und stellt damit die Dominanz des sprachlichen Codes in Frage: "Briser le langage pour toucher la vie, c'est faire ou refaire le theatre."40 Ebenso hält sich im Theatre de la Cruaute der schwarze Humor ("humour-destruction") aus der Theaterkonzeption des Theatre Alfred Jarry durch, der einmal mehr als ein Mittel der Verhinderung illusionistischer Theaterrezeption eingesetzt wird.41 Das zeitgenössische Theater ist dekadent, weil es das Gefühl verloren hat für das Ernste einerseits und das Lachen andrerseits. Weil es gebrochen hat mit der feierlichen Tiefe, mit der unmittelbaren, verderblichen Wirksamkeit und - um alles zu sagen - mit der Gefahr. Weil es außerdem den Sinn verloren hat für den echten Humor und für das körperliche und anarchische Dissoziationsvermögen des Lachens. Weil es gebrochen hat mit dem Geist krasser Anarchie, der aller Poesie zugrunde liegt.42 Die Frage, ob und inwieweit Artaud seine Ziele im Theatre Alfred Jarry hat realisieren können, ist ebenso wie die nach der Kontinuität oder Diskontinuität seiner Vorstellungen im späteren Theater der Grausamkeit' für unseren Kontext eher unbeachtlich. Hier kommt es vor allem auf die Programmatik selber an: Artauds Programm ist als eine einflußreiche Position in der Herausbildung eines anti-realistischen Gegenwartstheaters anzusehen. Karl Alfred Blüher vertritt die These, das Drama Adamovs, lonescos und Becketts sei vom Konzept des 'Absurden' zu lösen und als nicht-mimetische Theaterform in der Nachfolge des Surrealismus und insbesondere "des aus dem Surrealismus hervorgegangenen Theatertheoretikers Antonin Artaud" zu verstehen, wobei "für Beckett und lonesco eine frühe, zumindest globale Kenntnis der Grundanschauungen Artauds angenommen werden darf."43 Becketts Kenntnis des Artaudschen Theatermodells wird vielfach behauptet.44 Die Diskussion dieser ideengeschichtlichen Gemengelage ist komplex genug; sie wird für die Angehörigen einer noch späteren Dramatikergeneration wie Howard Barker noch
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Antonin Artaud, (Euvres completes IV, 18. Cf. Karl Alfred Blüher, Antonin Artaud und das 'Nouveau Theatre' in Frankreich (Tübingen, 1991) 96f. Das Theater und sein Double 44f., 96. Blüher, Antonin Artaud und das 'Nouveau Theatre' in Frankreich 9f. "Man kann sagen, daß dieses Artaudsche Gelächter die Quelle ist, aus der Becketts Romane und lonescos Theater schöpfen [...]." John Fletcher, Die Kunst des Samuel Beckett (Frankfurt, 1969) 63. Deirdre Bair berichtet von einem Zusammentreffen Becketts mit Artaud, bei dem dieser nach Becketts eigener Aussage Beckett zutiefst unsympathisch gewesen ist. Im übrigen ist Roger Blin das Bindeglied zwischen Artaud und Beckett, der von sich gesagt hat, "[Beckett] became one of the two most important people in my life. He and Artaud divide my sentiments between them." Deirdre Bair, Samuel Beckett (New York, 1978) 405.
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um einiges komplexer. Wenn sich auch Bezüge zu Artauds Theaterkonzeption im Sinne direkter Einflüsse auf Barker nicht feststellen lassen, so hat die Forschungsliteratur doch begonnen, die Vergleichbarkeit der Konzepte herauszuarbeiten: "Barker's drama fulfils Artaud's personally-unrealized call for a theatre rebuilt on a concept of drastic action pushed to the limit."45
3.2 Das Absurde und das Groteske: Camus und Baudelaire Mit Camus verbindet die Barkerschen Protagonisten ihre Bewußtheit und der Bezug zu ihrer Körperlichkeit. Camus' Bestimmung des Gefühls des Absurden, als "Zwiespalt zwischen dem Menschen und seinem Leben, zwischen dem Schauspieler und seinem Hintergrund" (II) 46 in einer Welt, die undeutbar ist, in der Leben seines tieferen Grundes verlustig gegangen und deshalb sinnlos geworden ist, gilt gleichermaßen für die Protagonisten in Barkers Dramen wie Lvov und Leopold, deren Versuche, im Zusammenbruch von Ordnungssystemen Sinn zu bewahren oder zu stiften, scheitern. Sie repräsentieren Gegensätzliches: die Erfahrung der Unvernünftigkeit der Welt, das Bewußtsein des "Zwiespalts zwischen dem sehnsüchtigen Geist und der enttäuschenden Welt, ... Heimweh nach der Einheit, dieses zersplitterte Universum und der Widerspruch, der beide verbindet ..." (45) und die Selbstbehauptung und den Weg in die Revolte angesichts solcher Bewußtheit. Es ist bedeutsam, daß Camus das Paradigma des Selbstwiderspruchs, des absurden Menschen im Schauspieler aufsucht: "er ist derselbe und doch so verschiedenartig und vereinigt in einem einzigen Leib so viele Seelen" (70), und er weiß um den Hiat zwischen Sein und Schein. Lvov ist sich dessen bewußt, daß er seine Prophetenrolle inszenieren muß; sein Wissen um seinen schwindenden Einfluß ist Anstoß zur radikalsten Selbstinszenierung, der seines eigenen Todes im Last Supper. Auch bei Camus findet sich der Bezug zur Körperlichkeit, vordergründig als Theaterkonvention - "Es gehört zur Konvention des Theaters, daß das Herz sich nur durch die Gebärden oder im Körperlichen verständlich macht oder durch die Stimme, die gleichermaßen Körper und Seele ist" (69) - im tiefsten Sinn jedoch als "einzige Gewißheit" (74), als "Triumph des Fleisches," wie Camus in seinem Aufsatz über Kafka formuliert (106). Von hier aus bietet sich ein Rückblick an auf Baudelaires Essay "De l'essence du rire et generalement du comique dans les arts plastiques" (1855).
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David Ian Rabey, Howard Barker - Politics and Desire: An Expository Study of his Drama and Poetry, 1969-87 (New York, 1989) 5. Alle Seitenangaben nach Albert Camus, Der Mythos von Sisyphos: Ein Versuch über das Absurde (Reinbek, 1959).
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Baudelaires Bestimmung des Komischen und des Grotesken geschieht im Bezug auf die Karikatur und als Explikation der Paradoxie, daß der Mensch auf die Vorführung seiner eigenen seelischen und körperlichen Häßlichkeit mit einer "unausrottbare[n], durch nichts zu dämpfende[n] Heiterkeit" reagiert.47 Indem Baudelaire die bei Stendhal oder bei Hobbes vorgefundene Vorstellung - "Das Lachen entspringt der Überlegenheit" - durch den Satz - "Das Lachen entspringt der Vorstellung™ der eigenen Überlegenheit" (290) - korrigiert und dies als "satanische Idee" bezeichnet, erwächst auch bei ihm das Lachen aus der Zwiespältigkeit der menschlichen Natur, "Anzeichen eines unendlichen Elends und einer unendlichen Größe" des Menschen (292). Der Bezug zum Satanischen - das Lachen Melmoths des Wanderers - und der romantischen Groteske (E.T.A. Hoffmann) bei Baudelaire öffnet die Perspektive auf Wolfgang Kaysers Bestimmung des Grotesken und Bachtins Kritik an Kayser. Baudelaire entwickelt zwar seine Fassung des Grotesken als des "absolut Komischen," indem er in theoretischer Hinsicht an E.T.A. Hoffmanns Prinzessin Brambilla anknüpft, er gewinnt seine unmittelbare Anschauung jedoch aus der englischen Pantomime und aus der Darstellung des Grotesken in den Karikaturen Hogarths und Cruikshanks sowie aus Goyas Caprichos. Baudelaires Beschreibung der englischen Pantomime Arlequin, pantomime anglaise en 3 actes et 11 tableaux (1842) hat einige Berühmtheit erlangt. Er hebt an der englischen Fassung der klassischen Pantomime die Momente der Übertreibung des Körperlichen hervor: das Gewaltsame der Guillotinierung des Pierrot, das Groteske des kopflos agierenden Rumpfes, schließlich der alles ergreifende Taumel des absolut Komischen, der sich "unter schallendem Gelächter, in welchem eine ungeheure Zufriedenheit zum Ausdruck kommt," abspielt (299-302). Bernhard Greiner zieht zurecht die Linie des Lachens der radikalen Übertretung, der Grenzüberschreitung, der radikalen Relativität49 von Baudelaire über Nietzsche zu Georges Batailles 'souveränem Lachen'.50 Barker markiert, wie wir gesehen haben, zwei Deutungsebenen des Lachens durch Textsignale, die der Komik durch das Signal "funny" (oder "ridiculous"), die der absurden Farce durch das Signal "absurd." Die dritte Deutungsebene, die der grotesken Deformation der Wirklichkeit, ist nicht explizit begrifflich markiert, wohl aber durch den Bezug zu obsessiver Körperlichkeit, 47
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Charles Baudelaire, "Vom Wesen des Lachens und allgemein von dem Komischen in der bildenden Kunst," Sämtliche Werke l Briefe, ed. Friedhelm Kemp und Claude Pichois, vol. 1: Juvenilia l Kunstkritik 1832-1846 (München, 1977) 284ff., 285. Hervorhebung HWL. Bernhard Greiner, Die Komödie - Eine theatralische Sendung: Grundlagen und Interpretationen (Tübingen, 1992) 106-109. Georges Bataille, "Conferences sur le Non-Savoir," Tel Quel 10 (1962): 3-20. Cf. Rita Bischof, "Lachen und Sein: Einige Lachtheorien im Lichte von Georges Bataille," Lachen - Gelächter - Lächeln: Reflexionen in drei Spiegeln, ed. Dietmar Kamper und Christoph Wulf (Frankfurt, 1986) 52-67, bes. 65.
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ablesbar vor allem an kruder Sexualität, aber auch an der Entmetaphorisierung, dem Wörtlich-Nehmen traditioneller Vorstellungen wie der des Abendmahls in The Last Supper oder der Rekonstruktion Europas in The Europeans, symbolisiert in der Geburt des neuen Europäers, der aus einem Akt der Vergewaltigung hervorgehen mußte. Barkers Interviewäußerung - "Sexual love is regeneration"51 - läßt sich im Sinne von Bachtin deuten.52 Allerdings ist zweifelhaft, ob die strikte Abgrenzung des Absurden und des Grotesken, so wie sie beispielsweise noch Arnold Heidsieck treffen zu können glaubte - das Groteske als äußerste Deformation des Realen, das Absurde im Sinne Camus' als das Fehlen jeglichen Sinns im Leben des einzelnen, im Sinne Becketts das mit dem Faktum des Todes gesetzte allgemeine Schicksal des Menschen -, im Blick auf Barkers Dramen sinnvoll ist.53 Barker selbst trifft diese Unterscheidung nicht explizit.
3.3 Lachen und Körperlichkeit Helmuth Plessner hat Lachen und Weinen als "unbeherrschte und ungeformte Eruptionen des gleichsam verselbständigten Körpers" bestimmt, ein Ansatz der sich verschiedentlich in Theorien des Komischen und der Komödie wiederfindet.54 Von anderen geistesgeschichtlichen Voraussetzungen her kommt Susanne K. Langer zu ihrer Bestimmung des Wesens der Komödie als "pure sense of life," als "human life feeling," das sie als "rhythm of self-preservation" der Tragödie als "rhythm of self-consummation" entgegensetzt.55 Lachen geht nach dieser Bestimmung nicht von Objekten aus ("Lachen über etwas"), sondern ist in der Vitalität des Subjekts verankert: "laughter [...] seems to arise from a surge of vital feeling [...] the crest of the wave of felt vitality."56 So hatte auch Emil Staiger in den Grundbegriffen der Poetik aus der Komplementarität von Tragik und Komik das Komische als letzten Tri-
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Gambit 11.41 (1990): 36. Cf. Michail M. Bachtin, "Wolfgang Kaysers Theorie des Grotesken," Literatur und Karneval: Zur Romantheorie und Lachkultur (Frankfurt, 1990) bes. 29. Arnold Heidsieck, Das Groteske und das Absurde im modernen Drama (Stuttgart, 21971). Helmuth Plessner, "Lachen und Weinen: Eine Untersuchung der Grenzen menschlichen Verhaltens," Philosophische Anthropologie (Frankfurt, 1970) 39; cf. Greiner, Die Komödie - Eine theatralische Sendung 4f. "Comedy is an art form that arises naturally wherever people are gathered to celebrate life, in spring festivals, triumphs, birthdays, weddings, or initiations. For it expresses the elementary strains and resolutions of animate nature, the animal drives that persist even in human nature, the delight man takes in his special mental gifts that make him the lord of creation; it is an image of human vitality holding its own in the world amid the surprises of unplanned coincidence." Susanne K. Langer, Feeling and Form: A Theory of Art Developed From Philosophy in a New Key (London, 1953) 327, 331, 351. Ibid. 340.
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umph gedeutet, indem er dem Ausspruch des Sokrates am Ende von Platons Symposion den Sinn abgewinnt, ... daß der Tragiker sein Geschäft nur bis zum vernichtenden Ende durchführen kann, wenn er zuletzt statt in den Abgrund des Nichts, auf den Boden des Komischen fällt und über den Trümmern seiner Welt das Urgelächter dessen anstimmt, der weiß: der Geist vermag nicht ohne physische Basis wirklich zu sein, die physische Basis aber kann des Geistes entraten und ist sich selbst in elementarer Lust genug.57
Für einen zeitgenössischen Autor wie Barker sind traditionelle komische Effekte nur noch punktuell einsetzbar. Wortcliche und Wortwitz "are probes into the cultural matrix that plagues the comedian and the comic writer," Teil einer Strategie, die die Grenzen des kulturellen Konsenses auslotet.58 Lachen, das im Kontext des Absurden oder Grotesken auftritt, ist demgegenüber weit radikaler, weil ohne Katharsis. Funktional gesehen dienen die eher harmlosen komischen Effekte dazu, das absurde Lachen in seiner Radikalität hervortreten zu lassen. Barker weiß, daß ganz im Sinne traditioneller Komiktheorien das komische Lachen sich über die Verhältnisse erheben, damit die tragische Dimension, die angestrebte Beunruhigung des Zuschauers, die Offenheit des Endes aufheben kann. Typisch sind deshalb Figureneinreden, die den komischen Ausweg aus einer farcenhaften Situation verbauen: "Stop smiling, it's not funny. It's a fucking tragedy. You and your wonderful good humour [,..]"59 Victory, so David Ian Rabey, is not without humour, but it shuns the comic laughter of integration which seals perforations and indicates relief; it provokes tragic laughter.60
Entsprechend verfolgt Barker in den analysierten Dramen Strategien, die vermeiden, daß schon das Lachen der Figuren zum befreienden Lachen wird. Auf diese Weise wird auch für den Zuschauer das Lachen umprogrammiert, wird ihm die Möglichkeit eines harmonisierenden comic relief genommen. Dieser Deutungsansatz für Barkers "terrible laughter" als Ermöglichung neuer Erfahrung für den Zuschauer, als Aufdeckung von Ambiguitäten und Widersprüchlichkeiten, als Aufbrechen etablierter Grenzen und Konventionen, als Wahrheit jenseits der sprachlichen Kommunikation findet sich klarer noch in seinem Monologtext Don't Exaggerate und einer entsprechenden Interviewpassage:
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Emil Staiger, Grundbegriffe der Poetik (Zürich, 31956) 201. Eric Mottram, Gambit 11.41 (1984): 52, 56. Fair Slaughter (1977), cf. David Ian Rabey, Howard Barker, Politics and Desire: An Expository Study of His Drama and Poetry, 1969-87 (New York, 1989) 51. Rabey, Howard Barker - Politics and Desire 124.
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When did you last hear a laugh which was Not a spasm of intoxication Not a gesture of solidarity Not a gurgle of vanity The choral assent of intellectual poseurs but The irresistible collapse of words Before the spectacle of unbidden truth61 Barker unterscheidet auch hier wieder zwei Arten des Lachens, die erste eine konventionelle - in Barkers Sinn die falsche -, die auf Illusionierung, auf Stabilisierung traditioneller Vorstellungen und das Gefühl der Solidarität unter den Zuschauern gerichtet ist, die zweite eine desillusionierende, 'ent-täuschende', Erkenntnis provozierende Weise des Lachens. Die Nähe dieses zweiten Typs zu Becketts "mirthless" - oder "dianoetic" - "laugh" liegt auf der Hand, und damit ließe sich auch Adornos Deutungsansatz des Endspiels*1 und seine Kategorie der Negativität mit Gewinn an Barkers Dramen erproben. Wolfgang Iser hat, ausgehend von Adornos Formel des 'die Lacher erstickenden Lachens'63 Adornos Textbefunde durch solche aus Becketts eigener Berliner Inszenierung des Endspiels erweitert.64 Die Komik in Becketts Stücken führt "ein für die Komik sonst ungekanntes Maß an Unbehagen mit sich [...], das den Lacheffekt schließlich stranguliert" (7). Iser untersucht den Fall, daß das Lachen - als Krisenantwort des Körpers (Plessner) - als Ableitung des Komischen in Unernst durch Distanzierung des Rezipienten mißlingt und solches Mißlingen des Komischen "Deutungsbereitschaften mobilisiert" (21). Seine Beobachtung, daß die Beckettschen Figuren "immer dann in ein Lachen ausbrechen, wenn sie ihre eigene Situation gedeutet haben" (34) gilt auch für Barkers Figuren, beispielsweise für Lvov. Das freudlose Lachen, das seinen kathartischen Effekt verloren hat, bleibt, so Iser, dennoch Reaktion auf die conditio Humana, ist Indikator für "die Unmöglichkeit des Fertigwerdens mit dem Gewärtigen" (35). Unter solchen Überlegungen ist es gerade Funktion der Kunst, Sinnstiftung durch die Form zu verhindern: "Art brings chaos into order."65 Zur Funktion solchen Lachens noch einmal Barker selbst:
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Don't Exaggerate, zitiert nach ibid. 124. Theodor W. Adorno, "Versuch, das Endspiel zu verstehen," Noten zur Literatur II (Frankfurt, 1961) 188-236. Ibid. 211. Wolfgang Iser, "Die Artistik des Mißlingens: Ersticktes Lachen im Theater Becketts." Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Phü.-hist. Klasse Jg. 1979, Abh. 3 (Heidelberg, 1979) cf. bes. 7, 21, 35. Rabey, Howard Barker - Politics and Desire 196.
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Once that laugh occurs, the audience is open to a new variety of experience, perceiving ambiguities and unorthodoxies such as the simultaneous existence of cruelty and love, as when two lovers fight or strike each other; there's a moment of bewildering truth which encompasses cruelty and charity. I think real social compatibility is only possible when we break limits rather than keep imposing them.66 4 The Theatre of Catastrophe Durch Barkers programmatische Äußerungen zu seinem Theaterkonzept, wie sie vor allem in Arguments for a Theatre zusammengefaßt sind,67 zieht sich die Zurückweisung eines naturalistischen (20 et passim) oder realistischen (36, 51) Theaters jedweder Provenienz, z.B. des domestic drama, zugleich des Unterhaltungstheaters, für das paradigmatisch das Londoner mainstream theatre, das "Populist Theatre" der Thatcher Ära steht, insgesamt ein konformistisches Theater, das bestehende Werte affirmiert, das eine auf dem moralischen Konsens einer Zeit beruhende eindeutige Botschaft vermittelt, das der Zuschauerschaft das Gefühl der Solidarität gibt und sie "glücklich oder aufgebaut" (91) nach Hause entläßt. Barker nennt solches Theater verächtlich "massaging theatre" (30-32). Demgegenüber propagiert er selbst das Aufbrechen des "sequential, allknowing theatre" (37). Sein Theater ist ein solches der Partialität, verweigert eindeutige Botschaften ("knowledge") und bietet nur Versionen der Wahrheit an: The theatre is not a disseminator of truth but a provider of versions. Its statements are provisional. In a time when nothing is clear, the inflicting of clarity is a stale arrogance. (44) Dieses Theater soll den Zuschauer zum Gang ins Ungewisse verlocken, das die Möglichkeit eines "schmerzhaften" Wahrnehmungsschocks, "the pain of unknowing" (39) bereithält. "Do you want to pay £10 to be told what you know already?" (46) "The play of pain and problem" (32) soll das Gefühl von Konformität und Solidarität in der Zuschauerschaft aufbrechen, den versöhnlichen Schluß ("reconciliation") verweigern, das isolierte Individuum in solchem schmerzhaften Erkenntnisprozeß auf sich selbst zurückwerfen und ihm den Akt der Identitätsfindung ("self-description") abverlangen (70, 77).
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Zitiert nach Rabey, Howard Barker - Politics and Desire 124, der sich auf ein Interview mit Howard Barker am 2. Januar 1987 bezieht. Alle folgenden Zitate aus Howard Barker, Arguments for a Theatre, introd. David Ian Rabey (London, 1989).
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Diesem Ziel sind alle dramaturgischen Mittel untergeordnet: z.B. der Verzicht auf psychologisch stimmige Charaktere (5, 45), Konventionsbriiche (3), aber auch bewußt eingesetzte Obszönität der Sprache (28). Im Verzicht auf eindeutige Botschaften ist jedes Barker-Stück "provisional," es ist a-moralisch, indem es Stück für Stück jede Spur eines moralischen Konsenses zu demontieren trachtet (82). Barker verweigert konsequent das komische Lachen, die closure: The comedy that exists in my work is a cruel one, and the laughter that emerges uneasily from it is a laughter of disbelief and not a laugh of public unity [...] I realized that my theatre would be about dislocation and not unification. (3D In einer an Brechts Kleines Organon angelehnten Gegenüberstellung zwischen dem 'alten', Humanist Theatre genannten Theater und dem Theatre of Catastrophe grenzt sich Barker auch hinsichtlich des Lachens ab: The Theatre of Catastrophe [...] has no dialogue with [.·.] Those who ache to delight the audience Those who think laughter is a weapon of the oppressed [...] (89)
Und: The Humanist Theatre [·..] When we laugh we are together. [...] The audience is educated and goes home happy or fortified.
The Catastrophic Theatre Laughter conceals fear. The audience is divided and goes home disturbed or amazed. (91)
Wenn Lachen nicht mehr als bonding laughter fungieren darf, auch nicht als letzter Triumph angesichts tragischer Erfahrung, sondern, vergleichbar darin Beckett, allenfalls noch in der Funktion der radikalen Beunruhigung bestehen bleibt, so erscheint es folgerichtig, daß eine andere Grunderfahrung des Menschen als Weg zu authentischer Erkenntnis mobilisiert wird, die sich wiederum an die Körperlichkeit des Menschen bindet: Schmerz, pain, häufig gepaart mit desire (love). Stereotyp predigt Barker deshalb die Funktion von pain als "a door to catastrophic experience" (70), von "self-inflicted pain as a means to new knowledge" (76).
"This Terrible Deformity of Laughter"
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Wie Barker für sein Theater das Konzept der Komödie nur sehr eingeschränkt zuläßt, zumeist ganz verweigert, so bietet er stattdessen gewissermaßen als ihre Negation in erster Näherung das Konzept der Tragödie an: Tragedy is not about reconciliation. Consequently, it is the art form for our time. Tragedy resists the trivialisation of experience, which is the project of the authoritarian regime. People will endure anything for a grain of truth. But not all people. Therefore a tragic theatre will be elitist. Tragedy was impossible as long as hope was confused with comfort. Suddenly tragedy is possible again. (13) Allerdings genügen ihm letztlich auch traditionelle Vorstellungen der Tragödie, so wie er sie versteht, nicht, weil in ihr noch der scheiternde Held die bestehende moralische Ordnung bestätigt (54f.). Demgegenüber ist das Theatre of Catastrophe eine gesteigerte Tragödie, die Sinngebung endgültig verweigert: Sympathy, and the sudden liquidation of sympathy, the permanent disruption of character, the instability of motive, are some of the means available to this project. The abolition of routine distinctions between good and bad actions, the sense that good and evil co-exist within the same psyche, that freedom and kindness may not be compatible, that pity is both a poison and an erotic stimulant, that laughter might be as often oppressive as it is rarely liberating, all these constitute the territory of a new theatrical practice, which lends its audience the potential of a personal re-assessment in the light of dramatic action. The consequence of this is a modern form of tragedy which I would call Catastrophism. (52f.) Auffällig an diesen Bestimmungen des Theatre of Catastrophe ist, daß sie nur als Negation, wenn man will, als Dekonstruktion traditioneller Vorstellungen formulierbar sind. Das Lachen im Theatre of Catastrophe entspringt, mit Georges Bataille gesprochen, der Erkenntnis des Nicht-Wissens, der NichtBeherrschbarkeit der Welt: [...] parce que l'inconnu fait rire cela nous fait rire de passer soudain d'un monde oü chaque chose appartient ä un ordre stable et bien connu ä un monde oü notre assurance est renversee, si nous apercevons que cette assurance etait trompeuse et que, lä oü nous avions cru que toutes choses avaient ete strictement prevues, l'imprevisible est survenu, cet element imprevisible et renversant qui nous revele une verite derniere, que les apparences superficielles dissimulent, une parfaite absence de reponse ä notre attente: qu'en definitive, etant donne l'exercice de la connaissance, le monde est place tout entier hors d'at-
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leinte, que meme l'etre qui nous sommes est hors d'atteinte. C'est de cela que nous rions, c'est lä ce qui nous illumine, qui nous comble de joie.68 Dennoch, so Barker, ist die vom Zuschauer geforderte, aktiv zu 'wollende' Verweigerung von closure und das Auf-Sich-Nehmen existentieller "anxiety" im Wortsinn eine lebensrettende Verwundung: Slowly, the audience will discover the new theatre to be a necessity for its moral and emotional survival. It will endure the wound as a man drawn from a swamp endures the pain of the rope.69
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Georges Bataille, Tel Quel 10 (1962): 4. Barker, Arguments 87.
HANS-WERNER LUDWIG Ergebnisprotokoll der Sektion "19. und 20. Jahrhundert"
Grundlage der Sektion zur Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts bildeten Beiträge zur amerikanischen, zur deutschen und zur englischen Literatur. Entsprechend bildete der kulturvergleichende Aspekt einen ersten Schwerpunkt der Diskussion:
l Humor und Lachen im interkulturellen Vergleich Die Frage nach der nationalspezifischen Ausprägung einer Lachkultur wurde vor allem im Zusammenhang mit Helmbrecht Breinigs Beitrag zu Mark Twains Spätwerk und Hans Borchers' Funktionsanalyse der Tall Tale' diskutiert. Humor erscheint hier in seiner spezifisch amerikanischen Ausprägung, die dem Lachen des europäischen Kulturraums entgegengesetzt ist. Analog zur Funktion der "ethnic jokes" in Hinblick auf kulturelle Grenzziehung übernimmt der schwarze Humor die Funktion, die eigene Kultur von der vorgeblichen Überlegenheit des europäischen Kulturraums zu entlasten. In vergleichbarer Weise entwickelt sich, wie an Hans Borchers' Vorlage diskutiert wurde, die 'Tall Tale' an der Grenze von Kulturen, im Grenzbezirk zwischen Zivilisation und Nicht-Zivilisation. Die Lachkultur des amerikanischen Siidwestens leistet Identitätsstiftung und Gruppenkohärenz durch Abgrenzung von der Kultur des Nordens.
2 Lachkultur und gesellschaftliches Normensystem Anders einzuordnen ist das Lachen in Byrons Werk, wie die Diskussion von Günther Blaichers Vorlage ergab: Hier entwickelt sich eine aus der AutorBiographie zu deutende persönliche Lachkultur im Gegenüber zur dominanten Lachfeindlichkeit der herrschenden englischen Kultur. Gelingt es Byron zunächst noch, die Heuchelei der Gesellschaft im Lachen zu entlarven, so wird der "test by ridicule" (Shaftesbury) zunehmend wirkungsloser, zeigt die Nähe des Lachens zum Weltschmerz die Sinnlosigkeit der Welt an, wird es in Analogie etwa zu Burtons Democritus Juniors Umgang mit der Melancholie
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- zur privaten Selbsttherapie oder nimmt selbst pathologische Züge an. In der Diskussion wurde zugleich deutlich, daß dieses Funktionsspektrum des Lachens als extrem zeitgebunden anzusehen ist, nämlich lediglich für eine Übergangsperiode von wenigen Jahrzehnten zu Beginn des 19. Jahrhunderts Geltung beanspruchen kann, wie sich an den gänzlich andersartigen Funktionen des Lachens bei Dickens ablesen läßt. Überraschende Parallelen hinsichtlich des Gesellschaftsbezugs des Lachens ergaben sich in der Diskussion zu Jürgen Wertheimers Studie zum Lachen in Theodor Fontanes Werk: Lachen, hier vornehmlich exemplifiziert an L'Adultera, ist in seinen Abstufungen bis zum Lächeln Indikator für Herrschaftsverhältnisse, für das soziale Regelwerk der bürgerlichen Gesellschaft, es funktioniert als gesellschaftliche Regulierung und Disziplinierung der Affekte, ist aber auch hier wieder Indikator gesellschaftlicher Auflösungserscheinungen. Das subtile gesellschaftliche Machtspiel, die Irritation durch kalkulierte Formverstöße setzt das Normensystem der Lachkultur voraus - hierin durchaus analog zu Norbert Elias' Ansatz der Analyse des Wandels von Affekt- und Kontrollstrukturen in Gesellschaften, konkretisiert beispielsweise in der Eßkultur. Die Stabilisierung und DeStabilisierung des Lachens bei Fontäne markiert in der Auflösung gesellschaftlicher Formen zugleich die Entwicklungslinie der Literatur aus dem späten 19. Jahrhundert in die literarische Moderne.
3 Lachen in metaphorischer Funktion, als Indikator für übergreifende Strukturen Wieder anders stellte sich das diagnostische Potential des Lachens in Bernhard Greiners Studie zu Elias Canettis Autobiographie dar. Canettis sprachtheoretische Begründung von Komik in der Geretteten Zunge, die Struktur des dargestellten Lachens, wird mit Freuds triebdynamischer Begründung des Lachens homolog gesetzt und in einem weiteren Schritt über das Moment des Sprachvollzugs mit Canettis Theorie des literarischen Schaffens verknüpft. Das Lachen, das im übrigen eine seltene Ausnahme in Canettis Autobiographie darstellt, wird in seinen unauflöslich verbundenen Momenten der Identitätsstiftung und -auflösung so als Metapher des Schreibvorgangs deutbar.
4 Lachen im System der dramatischen Codes und als Indikator für die Verfaßtheit des zeitgenössischen Theaters Hans-Werner Ludwigs Beitrag wurde im darin vorgegebenen Horizont des zeitgenössischen Dramas und Theaters diskutiert. An die Beobachtung, daß das Lachen in den analysierten Dramen Howard Barkers aus dem strengen
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grammatischen Bezug von Subjekt und Objekt, ebenso aus dem Bezug von signans und signatum entlassen, subjektlos oder objektlos geworden ist, schlössen sich Überlegungen zum zeitgenössischen Theater an: Barkers 'Theater der Katastrophe' verweigert dem Zuschauer jegliche absolute Sinngebung, wobei sich das für die Moderne allgemeine Problem des Formbruchs als Form - die Notwendigkeit, die mit der Form gesetzte Sinngebung durch den Formbruch zugleich zu negieren - ebenso stellt wie das einer Quasi-Theologie, in der die im Wort angezielte Transzendenz sich in der unendlichen Rekursion der Signifikanten aufhebt. Barkers Theater verweigert die Katharsis der Tragödie ebenso wie die Entlastung der Komödie: Die Auflösung der traditionellen dramatischen Gattungen in Richtung der tragischen Farce oder der savage comedy findet ihr ideengeschichtliches Korrelat im absurden Theater, das Sinn radikal verweigert - so wie in Barkers Last Supper dem Protagonisten die letzte Selbstvergewisserung im selbstverantworteten, zugleich selbstinszenierten Tod verweigert wird.