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German Pages 500 Year 2022
WERNER HARTKE RÖMISCHE KINDERKAISER
WERNER HARTKE
ROMISCHE KINDERKAISER EINE STRUKTURANALYSE RÖMISCHEN D E N K E N S UND DASEINS
Unveränderter Nachdruck der 1. Auflage
AKADEMIE,VERLAG•BERLIN 19 7 2
Erschienen im A k a d e m i e - V e r l a g ( » m b H , 1 0 8 Berlin, L e i p z i g e r Straße 3 — 4 (Copyright 1 9 5 1 by A k a d e m i e - V e r l a g G m b H Lizenznummer: 2 0 2 • 100/194/72 H e r s t e l l u n g : V F . B Druckerei „ T h o m a s M ü n t z e r " , 5 8 2 B a d L i n g e n s a l z a / D D R B e s t e l l n u m m e r : 5 0 2 9 • IIS 7 M E D V 7 5 2 174 3
60,-
VORWORT
Als sich während der sechs Jahre des zweiten Weltkrieges Anfang 1944 eine kurze Gelegenheit ergab, meine Gedanken wieder auf wissenschaftliche Probleme zu richten, entstand aus der historischen Interpretation eines Satzes der Historia Augusta „Mögen die Götter uns schützen vor Kinderkaisern" eine Miszelle, die Lothar Wickert damals für die Klio annahm. Aber dieses Manuskript kam nicht mehr zum Druck und ist verlorengegangen. Die Folgen des Krieges zwangen mich in jeder Hinsicht zu einem neuen Anfang von Grund auf. Der Titel des Buches, das seit Ende Mai 1945 aus jenem ersten Gedanken entstand, bezieht sich, wenn auch nun kaum noch zureichend, auf einige historische und staatsrechtliche Erkenntnisse, die für die römische Kaiserzeit gewonnen sind. Im weiteren Sinne bezeichnet er aber bildlich den Weg eines gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Organismus von der lebenskräftigen, realistischen, .wahren' zur formstarken, symbolischen und .lügenhaften' Funktion als entwicklungsgeschichtliches Phänomen. Dieses Phäriomen wird auf den verschiedensten Gebieten, in Archäologie, in Philologie, Geschichte, Recht, in Mythos und Religion aufgesucht und beschrieben, zugleich soweit erforderlich in historischen Längsschnitten erfaßt. Eine Begrenzung ist dadurch gesichert, daß alles zusammen hier nur den Passepartout liefern soll, der möglichst viele Türen des Spezialproblems der Historia Augusta zu öffnen vermag. Dies wird fast überall weniger in Darstellung ausgeführt als in speziellen Untersuchungen, die jene vielleicht einmal vorbereiten können. Form und Methode des Buches sind oft durch die ungeheuren Schwierigkeiten bestimmt worden, denen die wissenschaftliche Arbeit eines Deutschen auch abgesehen von der Lage des persönlichen Falles seit 1945 unterworfen ist. Doch glaube ich die Veröffentlichung des Werkes verantworten zu können, obwohl es nicht ganz auf die gelernte Weise zustande gekommen ist. Die Möglichkeit, wieder fachwissenschaftliche Bücher zu benutzen, eröffnete sich nur langsam, und manche Literatur, besonders neueste, aber auch ältere, ist mir bis zuletzt unzugänglich gewesen. Darum blieb nichts anderes übrig, als allmählich bald diesen bald jenen Bauteil nachträglich durch solideres Material zu ersetzen. Einige Komplexe hätte ich schließlich lieber verselbständigt und im Interesse einer klaren Architektur vorher veröffentlicht, wenn man sich an eine Fachzeitschrift hätte wenden können. Die teilweise regelwidrigen und monströsen Anmerkungen bilden nur eine recht peinliche Notlösung, für die ich durch reichliche Verweisungen und Register einen Ausgleich zu finden bemüht gewesen bin. Leider mußte ich auch öfters darauf verzichten, bis zur Urquelle bestimmter Ansichten vorzudringen.
VI
Vorwort
Ohne Hilfe von vielen Seiten wäre eine Überwindung der Hindernisse kaum möglich gewesen. Dafür soll hier der Dank ausgesprochen werden. Mit größter Liberalität wurde nmir 1945 die ziemlich reichhaltigen Bücherbestände der alten Husumer Gelehrtenschule, des heutigen Hermann-Tast-Gymnasiums, zugänglich gemacht; auf diese Weise hatte ich überhaupt wieder einige Texte zur Verfügung. Ehrerbietig danke ich der Philosophischen Fakultät zu Göttingen, daß sie mir von Herbst 1945 bis Frühjahr 1948 provisorische Arbeitsmöglichkeit bot. Mehreren Mitforschern verdanke ich sachkundige Beratung; die betreffenden Stellen des Buches sind mit ihren Namen gezeichnet. In allen archäologischen Abschnitten hat mich W. H. Gross immer wieder durch Nachweis neuester Literatur und kritisches Urteil unterstützt. H. U . Instinsky las das Manuskript in der Form, wie ich es bis Sommer 1946, ohne die wissenschaftliche Literatur ausgiebiger benutzen zu können, mit nicht ganz der Hälfte des jetzigen Umfanges entworfen hatte, und regte durch einige Hinweise weiter an. Emst Hohl, mit dem ich im Oktober 1945 von Göttingen aus eine erste west-östliche Briefverbindung wiederherstellen konnte, lieh mir nicht nur seltene Spezialliteratur, sondern unterzog sich au£h liebenswürdigerweise der Mühe, nach dem Abschluß der Arbeit im Sommer 1948 zu Rostock das ganze Buch zu lesen. Außer mehreren Korrekturen und wertvollen Bemerkungen aus dem Schatze seiner Kenntnisse hat seine unbestechlich sachliche und klare Kritik in einem wichtigen Punkte mich zu einer Revision meiner Ansicht veranlaßt. Beim Lesen der Fahnenkorrektur unterstützte mich cand. phil. H. Zernial. Dem Akademie-Verlag und den für die Bereitstellung von Mitteln und Material verantwortlichen Stellen der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin danke ich dafür, daß sie vier Jahre nach einem Zusammenbruch größten Ausmaßes den schwierigen und kostspieligen Druck dieses Buches ermöglicht haben.
Rostock, den 6. August 1950
Werner Hartke
INHALTSVERZEICHNIS
I. Strukturpsychologische Voraussetzungen der Hermeneutik A. Sprachliche, literargeschichtliche, historische und anschauungsmäßige Grundlagen
i
Problem und Methode i . D i e Historia Augusta als Genos 4. Sprachliche Sterilität 5. Spätrömische Zustände und spätantike A n s c h a u u n g des Geschichtlichen in R a u m und Zeit : Frontalität und V e r g e g e n w ä r t i g u n g 6.
B. Wandlungen der Zeit-und
Raumanschauung
10
D e r formale A u s d r u c k der V e r g e g e n w ä r t i g u n g des Geschichtlichen (nunc-Formeln) 10. D i e geschichtswissenschaftliche, literarhistorische und geisteswissenschaftliche B e d e u t u n g der V e r g e g e n w ä r t i g u n g 14. Entwicklungsgeschichte der Z e i t - und R a u m anschauung: Tacitus und die Biographie, Plastik des 5. und 4. Jh.s v . C h r . , griechische und semitisch-christliche Historiographie (A. T . u. N . T . ) , Sallust 16. O b j e k t i v i e r t e und subjektivierte Anschauung des Geschichtlichen 21.
C. Wundererzählung und Gegenwart
23
D i e Briefform 23. R h y t h m i k der Historia A u g u s t a 25. Eine Herkulesaretalogie der Historia A u g u s t a und des Herodes Atticus 26. Vita Antonii 30. T o p o i der V e r g e g e n w ä r t i g u n g 32.
D. Historie und Gegenwart
34
D i e W i r k l i c h k e i t der V e r g e g e n w ä r t i g u n g e n in der Historia A u g u s t a 34. Das Septizonium 36. D a s Probusorakel 38. Daria ripensis, pontifices minores 40. Sehen und H ö r e n 44. Gräberanlagen. Constantinopel, magister militum 45. D e r Wahrheitsbeweis aus der räumlichen W i r k l i c h k e i t 49.
E. Wesen und Entwicklung des römischen Historismus im 4.Jahrhundert n. Chr.
51
D a s B u c h in der Krise sz• D a s lesende G ö t t e r k i n d : Prophetie, Epiphanie, R e aktion 55. D a s chronologische Problem der Historia A u g u s t a 57. D e r Historismus im spätantiken R o m 59. Ammians Berichte über die Sitten R o m s 61. C h r o n o l o g i e des ammianischen Geschichtswerkes 65.
F. Am Wege zur spätantiken Anschauungsweise D i e geistige Aneignungsmöglichkeit im Bereich des Zeitlichen 74. D i e Responsion v o n Sein (Mythos) und Z e i t (Geschichte) bei V e r g i l (Proöm. Georgica B u c h 1 u. 2) 75. D i e komparative Steigerung des Geschichtlichen innerhalb der Responsion bei V e r g i l und Plautus (Anfang des Persa) So. Mehrgleisiges (querschnittliches) und eingleisiges D e n k e n (Vergil und A p o l l o n i o s R h o d i o s ) 84. Geschichtlichkeit und historistisches S y m b o l bei V e r g i l 85. V e r g i l und die Gefahr des Stillstandes 8y. Methodische Folgerung 90.
74
VIII
Inhaltsverzeichnis
II. Dynastisches Denken und Legitimismus im römischen Kaisertum als Querschnitt durch die Historia Augusta 92 Termini post und ante quem f ü r die Historia Augusta 92. Die dynastische E r b f o l g e als Grundprinzip 95. Zweitrangigkeit der Adoption 100. Dynastische Fiktionen 101. Legitimierung durch den „ N a m e n " 103. Die spontane Selbstbenennung in der Historia Augusta und Spätrom J05. Die Spontaneität im Prinzipat 106. Der „ N a m e " im spätantiken Kaisertum 108. Pessimistische Beurteilung der Epigonen 109. Der dynastische Verzicht in Geschichte und Theorie (Traian, Alexander, Julian, A t t a lus) 114. Analyse v o n Hist. A u g . v. Hadrian. 4, 8-10 117. Der Verzicht auf den Kinderkaiser als N a c h f o l g e r (Kaiser Tacitus) und die Adoptionstheorie 120.
III. Verfassungsprinzipien des römischen Kaisertums A. Name und Alter
123
Die N a c h f o l g e der Antonine in der Historia Augusta 123. Eine Urvariante in der Historia Augusta 125. Spätrömische N a m e n g e b u n g in Historia Augusta, A m m i a n , Macrobius 126. Bestreitung der ausschließlichen legitimistischen Bedeutung des „ N a m e n s " in der Historia Augusta 133. Die Bedeutung der Antonine in der Spätzeit R o m s 138. Die Tendenz des Antoninennamens in der Historia Augusta und der „ N a m e " im spätrömischen Kaisertum 13g. Das Problem der hercditas im frühen Prinzipat (Tacitus' Galba- und Mucianrede) 142. Die Adoptionstheorie und das „ N a m e n " problem in Spätrom 147. Die Bedeutung des Alters f ü r den Kaiser 148. Legitimation des Kaisertums durch Vereinigung der Qualitäten in einer Person oder A u f s u m m i e rung durch mehrere Personen 151. Der Nothelfer 152.
B. Rangordnung und Legitimität
153
Das Alter und die R a n g o r d n u n g in der Samtherrschaft 153. senior, auctor imperii, pater J55. Lebens- und Dienstalter: Theodosius I. — Arcadius, Valentinian II.; G o r dian III. — Philippus A r a b s ; Theodosius II. - Valentinian III. 156. Das Verhältnis des Severus zu Pius/Marcus nach Hist. A u g . v . Getae 2, 2 15g. Severus - Clodius Albinus; Constantius II. - J u l i a n ; Maximus — Valentinian II. 164. D e r Mangel einer formalen Terminologie 168. Das Doppelprinzip der Legitimität und die Initiale der Proklamation 170. Kaiser und Gott 172. Mensch und Gott in R o m 173. Cicero, Tullia, Caesar, Octavian 176. E n t w i c k l u n g der theokratischen Legitimierung des Kaisertums 177. Blutsverwandtschaft und „ N a m e n " p r i n z i p zur Zeit der flavisch-valentinianischen Dynastie 180. Christliche Zersetzung des alten Legitimitätsprinzips 184. Ersatz des Adoptionsprinzips durch das „ N a m e n " p r i n z i p in seiner Bedeutung f ü r den spätrömischen A d e l 185. Die antike theistische Form als Ausdruck gesellschaftlicher E n t w i c k lungszustände 188.
IV. Römische Kinderkaiser A. Kinder auf dem Kaiserthron in der Historia Augusta Greise und Kinder als Kaiser igo. Disqualifikation der Kinderkaiser ig2. Die formalen und kompositorischen Mittel ( „ g u t e " und „schlechte" Kaiser, Barbar und Frauen) 194. Ausgleich der Kindlichkeit durch Leistung und Berater (Gordian III., Theodosiussöhne) ig8. Angaben über Lebensalter und Regierungszeit in der Historia Augusta igg. Vernebelung der Jugendlichkeit bei C o m m o d u s und Heliogabal 201. Alexander Severus als Gegenbild 204.
190
Inhaltsverzeichnis
B. Die Einstellung der Antike zu den Kinderkaisern
IX 207
Das Problem der „jungen Männer" in der Frühzeit des Prinzipats. Octavian 207. Synchronisierung von Octavians Frühgeschichte mit der Caesars und Pompeius' 208. Caesars Geburtsdatum 209. Caesars und Octavians Frühgeschichte in der Autobiographie des Augustus bei Velleius 210. Das Kind der 4. Ekloge 214. Die Problematik des Kinderkaisers Valentinian II. und das Nothelfertum der Kaiser 215. Wirklichkeit und S y m b o h z i S . Kinderkaiser bei den Hofrednern (Pacatus, Symmachus, Ambrosius) 219. Kinderkaiser in der höfischen bildenden Kunst 224. Kinderkaiser des 4. Jh.s 227. T h e o dosianische Problematik in der Historia Augusts 228. Valentinian II. - Saloninus 229. Marc Aurel, Avidius Cassius, Commodus, Claudius Pompeianus in der Historia A u gust a - Theodosius, Eugenius, Arcadius, Stilicho um 394/5 231. Die verschiedenen Verfassernamen der Historia Augusta und andere Schattierungsmittel in der Historia Augusta 233. Marc Aurel und Claudius Pompeianus auf der Marcussäule — Theodosius und Stilicho auf dem Theodosiusobelisken 235. Historia Augusta und dynastische Tendenzen des Theodosius 241.
V . Die querschnittliche Methode A. Das Verfasserproblem der Historia Augusta und die querschnittlich-akausale 243. Denkform Das Zeugnis des Anecdoton Holderi 243. Das Interesse für Malerei in der Historia Augusta 245. Das Regenwunder auf der Marcussäule 247. Spätantike Interpretationsweise von bildlichen Darstellungen 24g. Querschnittliche Interpretation der Marcussäule durch den Verfasser der Historia Augusta 251. Das Interesse für Malerei b z w . Mosaik bei den Nicomachi bzw. Symmachi 254.
B. Interpretation von Querschnitten
255
Historia Augusta 255. Assoziative Komposition 256. Komplementierende Parallelfassungen 257. Homer. Lucrez 259. Querschnittliche Quellenverwertung, Hist. A u g . v. Opilii Macrini 8 , 1 - 1 0 260. Textkritische Folgerungen 264. Vergil 4. ecl. v . 18-25 265. Claudian bell. Goth. 124fr. 268. Buch Hiob 270. Römisches Recht 271.
V I . Z u r Struktur von Gesellschaft und U m w e l t des ausgehenden 4. Jahrhunderts A. Witzige Lügenprophetie aus der Historia Augusta nach dem Jahre 376 n. Chr.
273
B. Sorgen um die Ernährung der Stadt Rom
277
D e r Getreidemangel von 394 und die Vita Aureliani der Historia Augusta 277. Ein Wirtschaftsplan der Aureliansvita für die Produktionssteigerung v o n W e i n 278. Spätrömische Feudalherren und der Weinpreis 283. Spätantike Monopolkämpfe und die Historia Augusta 285.
C. Symmachus und Nicomachus Das Datum der R e d e de censura repudianda des Symmachus 287. Der Versuch einer Wiederherstellung der Censur und die Valeriansvita der Historia Augusta 29J. D e r Gegensatz der Stadtpräfekten von R o m und Constantinopel 293. Der Spielluxus des Symmachus in der Historia Augusta 294. Die R e g e l u n g des Gerichststandes für Senatoren und die Historia Augusta 296.
287
X
Inhaltsverzeichnis D. Die Unterpfänder der Herrschaft Roms im Jahre 394 n. Chr.
298
Die Floralia im Carmen adversus paganos und in der Heliogabalvica der Historia Augusta 29S. Die Verfälschung der Nachrichten über Heliogabals Religionspolitik nach den Zuständen der Zeit des Theodosius I. 300. Die christliche Existenzgrundlage Roms im Jahre 394 301. Flora als Unterpfand der Größe Roms im Jahre 394 303. E. Kaiserliche Triumphe und Bauten
304
Polemik gegen Constantius II. in der Historia Augusta 304. Der Besuch Constantius II. in R o m im Jahre 3 $7 305. Analyse des Berichts Ammians. Das kaiserliche Zeremoniell. Kaiserliche Eile. Kaiserlicher Hochmut und Adoration des Volkes 306. Zwei Schichten in Ammians Bericht 317. Triumphe über Senatoren 317. Die Pompa des Gallienus in der Historia Augusta und ihr Bezug auf den Einzug des Constantius II. 318. Auswertung der behandelten Stellen 322.
V I I . Traian als Programm in Literatur, Baukunst und Politik des ausgehenden 4. Jahrhunderts A. Statistik
324
B 1. Der tatsächliche Anfang der Historia Augusta
326
Das Fehlen einer Vita Traiani 326. Die Selbstzeugnisse über den Anfang des Werkes 327. B 2. Ein neuer Nachweis für die Annalen des Nicomachus
329
Die Quellen des Schlusses der Historia Augusta 32g. Tacitusnachahmer 330. Bezugnahme auf Traian in den Annalen des Nicomachus 332. Ammians Bericht über Constantius II. Besuch auf dem Traiansforum in Rom und das Forum Tauri des Theodosius I. in Constantinopel 333. B 3. Die Historia Augusta ein Programm für undgegen Theodosius I.
3 34
Traian in der Alexander-Severus-Vita der Historia Augusta 334. Traian, Theodosius I. in ihrer Einstellung zum Weingenuß in der Historia Augusta 333. Das Forum Tauri des Theodosius I. in der Historia Augusta 336. Ein angebliches Standbild des Gallienus auf dem Esquilin beim Forum Tauri in R o m 337. Der angebliche Plan einer Verlängerung von Portiken in der Gallienusvita und wirkliche Bauten Constantinopel» 340. Der angebliche Plan einer Säule des Heliogabal, die Traiansäule und die Theodosiussäule 342. Imperialistische Opposition gegen Theodosius 343. Vom römischen ewigen Frieden und spätantiker Wirklichkeit. Probusvita 344. Die Probusvita der Historia Augusta und Claudians Gedicht auf das Konsulat der Probussöhne. Germanien römisch 346. Der christliche Pazifismus des Theodosius 348.
V I I I . Der K a m p f zwischen christlicher Eschatologie und römischem Imperialismus A. Endzeit und Romfeindschaft bei Lactanz Angriffe gegen das Siegesbewußtsein Namensänderung des Reiches 355.
Roms 352.
352 Lactanz'
Endzeitbild
353.
Inhaltsverzeichnis
B. Vergil und die Prägung des römischen Imperialismus
XI 355
Völkergruppierung in imperialistischen Formeln 355. Die historische Grundlage des Nord-Ost-Aspekts 357. Der Weltkreisaspekt in Vergil, Aeneis V I 358. Die K o m p o sition von Vergils 1 . Ekloge 362. Der Nord-Ost-Aspekt in Vergib 1 . Ekloge 363. Der Nord-Ost-Aspekt im Proöm. von Georgica 3 36g. Vergils imperialistische Idee in 1. Ekloge und 4. Ekloge 372. Das Proöm. der 4. Ekloge 373. Die Entwicklung der imperialistischen Idee bei Vergil 377. Die literarische imperialistische Formel 378. Die Prägung des Nord-Ost-Aspekts in der bildenden Kunst (Kelch von Orbetello, Augustus von Primaporta) 381. Der Nord-Ost-Aspekt bei Horaz und Asinius Pollio 384. Die Schöpfung des Nord-Ost-Aspekts durch Vergil 387.
C. Um Untergang und Ewigkeit Roms
388
Der Nord-Ost-Aspekt und der Nordkönig und Ostkönig in Lactanz' Endzeitschilderung 388. Die Claudiusorakel v o m Norden, Osten und dem römischen Staatsgott 390. Die biologische Endzeitspekulation des Lactanz 393. Vergleich mit anderen biologischen Geschichtsbetrachtungen der Antike 395. Die biologische Auffassung in der Carusvita der Historia Augusta 397. Die Polemik gegen Lactanz 398. Die Quelle der Polemik in der Historia Augusta 399. Die Apologetik des Nicomachus 401.
IX. Römische Adelsgcsellschaft. Kaiser und Päpste
403
Die Antinomien spät römischen Daseins 403. Der Zustand der Historia Augusta. Spätantike Lügner und Aretalogen 405. Klassizismus, Realismus und Karikatur 407. Der Mut zur richtigen geschichtlichen Erkenntnis 410. Die persönliche, soziologische und politische Grundlage der Historia Augusta 412. Die Bundesgenossenschaft zwischen Christen und heidnischen Reaktionären 413. Das Staats- und Kulturbewußtsein des heidnischen rörpischen Adels 414. Der Einzug des römischen Adels in die Kirche 415. Der spätrömische Feudalismus im Klassenkampf 416. Die politische und kulturelle Wirkung des Adels in der Kirche 419. Die spätantike revolutionäre Situation und die Feudalisierung der Kirche 421. Der Konflikt zwischen urchristlicher Sozialethik und gemeinsamen feudalen Interessen der Kirche und des Adels, zwischen Totalitätsanspruch der Kirche und Toleranzbedürfnis der heidnischen Reaktion 424. Zuflucht und Aufgabe 425.
Beilage I: Das Sy.mmachusfragment in Jordanes* Gotengeschichte
427
Problem und T e x t 427. Rhythmus und Isokolie bei Jordanes und Cassiodor 42g. Stileigentümlichkeiten des Jordanes 430. Klausel und Isokolie im Symmachusexzerpt 432. Der Vergleich mit der Paralleluberlieferung 434. Stilistische und inhaltliche Untersuchung des Symmachusexzerpts 435. Die Folgerungen für die Entstehung der Form des Exzerpts 438.
Beilage II: Das Forum Tauri in R o m
440
Die Überlieferung der Bibianalegende 440. Die Rezensionen der Legende 442. Der Inhalt der Bibianaakten und Pigmeniusakten 447. Die Redaktion der Bibianalegende auf Grund frühmittelalterlicher Ausgrabungen unter SS. Giovanni e Paolo in R o m 44g. Die Zuverlässigkeit der topographischen Angaben 430. Die Stiftung von S. Bibiana in R o m 455. Die Legende als historistische Sanktionierung 457. Die Entstehungszeit der Legende 460. Der überlieferte Verfassername und das Sammeln der Märtyrerakten 462. Die Bildungsidee des Legendenschreibers. Die Realität des in der Legende erwähnten Forum Tauri in R o m um 500 n. Chr. 464.
Nachträge Register
465 468
I. S T R U K T U R P S Y C H O L O G I S C H E DER
VORAUSSETZUNGEN
HERMENEUTIK
A . Sprachliche, literargeschichtliche, historische und anschauungsmäßige Grundlagen Die klassische Altertumswissenschaft steht heute mitten in einer Krise, deren Anzeichen sich im Verlauf der fortschreitenden Erschütterung der gesamten Gesellschaft seit einem Menschenalter immer deutlicher gezeigt haben. Es sind wohl Versuche unternommen worden, eine Erneuerung herbeizuführen. Aber keiner hat wieder jene eindrucksvolle Einheitlichkeit erreichen können, die noch uni die Jahrhundertwende für unsere Wissenschaft charakteristisch war. W e r n e r j a e g e r s großartiges Programm der Wiederbelebung eines weitere Kreise umfassenden Humanismus, das bei den Griechen seinen Ausgangspunkt wählte, hat eigentliche, noch heute bestimmende Wirkung nur auf die griechische Philologie gehabt. Alle Ansätze, in dieses humanistische Programm das Römertum einzubeziehen, blieben ziemlich unbefriedigend und ohne Überzeugungskraft. Diese Unvollständigkeit wie die tragische Tatsache seines moralischen Versagens vor den Realitäten unserer Welt — jedenfalls auf der Ebene der breiten Wirkung nach außen - beweisen, daß seine Grundlage doch zu schmal oder nicht tragfähig gewesen ist. Etwa hieran knüpfte auch die kritische Beschäftigung mit dieser Erscheinungsform des Humanismus an, die in Wissenschaft und Öffentlichkeit seit den letzten Jahren in Gang gekommen ist. Die ganze Art dieser Diskussion, am stärksten aber vielleicht das Erstaunen, das über die geringe Wirkungskraft auf die heutigen geistigen Strömungen laut wird, deutet darauf, daß es sich bei diesem .politischen' Humanismus um eine letzte, sehr schöne und bester deutscher Tradition entstammende Blüte am Baum der liberalen Gesellschaftskultur gehandelt hat. Die lateinische Philologie ist im Kerne von ihm unbeeinflußt einen eigenen Weg gegangen. Noch am Ausgang des 19. Jh.swar man bemüht, die Wirkung des Griechischen im Römischen aufzuspüren. In den nächsten Jahrzehnten aber richtete sich vor allem unter dem Einfluß R i c h a r d H e i n z e s das Augenmerk immer mehr auf die Besonderheit des römischen Wesens. Es war daher gegenüber der Entwicklung in der griechischen Philologie länger möglich und notwendig, kritische Tatsachenermittlung im Stile einer historischen Spezialwissenschaft zu treiben. Dabei ergab sich ein sehr bedeutendes und wirksames Bild des römischen Menschen. Sieht man freilich scharf zu, so erkennt man, daß weit überwiegend von den Großen unter den römischen Persönlichkeiten die R e d e gewesen ist, jenen, die in der Zeit eines glänzenden Aufstieges des römischen Gemeinwesens ihre geschichtliche Wirkung entfalteten. Jedenfalls in Deutschland ist diese lateinische Philologie 1
Hartkc,
Römischc Kinderkaiser
Strukturpsychologische Voraussetzungen der Hermeneutik
selten mit dem bewußten Anspruch aufgetreten, humanistisch wirksam werden zu wollen. Es ist aber sicher, daß gerade sie in den letzten Jahrzehnten weit einflußreicher gewesen ist, als der intellektuell und ästhetisch gebliebene griechische Neuhumanismus. Sie hat in der Tat das Weltgeschehen der letzten 25 Jahre beeinflußt. Jetzt sind nicht nur die Themen dieser Richtung der Philologie ausgeschöpft; mit der Erkenntnis, wie fragwürdig das sein kann, was sich „ G r ö ß e " nennt oder dafür gehalten wird, muß wiederum die Insuffizienz der Fragestellung erschütternd klar werden. Über die Ursachen der Größe R o m s im weitesten Sinne haben die lateinischen Philologen oft gesprochen, kein Philologe hat bisher eingehend das Wort genommen zu den Erscheinungsformen und Ursachen des Niederganges Roms. Das ist hier nicht gemeint im Sinne dieser oder jener einzelnen Tatsache, etwa einer Äußerung der Antike über ihr eigenes Verfallsbewußtsein, sondern das meine ich im Sinne der verstehenden Methode, die die Philologie von D i l t h e y gelernt hat. Hier lag ein schwerer Denkfehler vor, ein unreales Ausschalten der gesamten Kaiserzeit und Spätantike. Wir müssen daher kritisch zurück auf den Boden der Realitäten, das sind die menschlichen Erscheinungen der Geschichte R o m s von vor 753 v . Chr. bis nach 476 n. Chr. in ihrer Gesamtheit. Die merkwürdige Art von Verdrängung, die dieser Denkfehler anzeigt, ist nicht nur insgemein das Mirakel der geistigen Situation in den letzten Jahrzehnten. Sie kennzeichnet auch die spätantike Entwicklung Roms. Ihre Vorbedingung bildet eine Denkform, die nicht an eine bestimmte Zeit oder an ein bestimmtes Volk gebunden ist, aber trotz ihrer Allgemeinheit ist sie, wie es scheint, bisher nicht in ihren Eigentümlichkeiten und Gesetzmäßigkeiten erkannt worden. Man darf an dieses Problem nicht von irgendeiner Philosophie oder Theorie, die man gelernt oder sich konstruiert hat, herangehen, sondern nur kritisch von schlichten Beobachtungen her, die ich hier z. B. an ein spezielles spätantikes Thema anknüpfe. Aus ihnen müssen nach probaten Methoden des Verstehens die Erklärungen abgeleitet werden. Das so gewonnene Ergebnis wirkt überraschend. Wenn man sich methodologische Rechenschaft zu geben sucht, wird man bemerken, daß nichts anderes getan wurde, als den Weg zu gehen, auf dem die moderne Naturwissenschaft eine Methodenkrise vor Jahr und Tag gelöst hat. Und wenn wir es mit Verdrängungen hier zu tun haben, die in unseren Zeiten wie damals die gleichen waren, so sagt uns die wissenschaftliche Forschung, daß ihre Beobachtung und Bewußtmachung zugleich ihre Auflösung ist. Da liegt der .humanistische' Wert einer solchen Untersuchung. Die besondere Schwierigkeit des Weges, der hier eingeschlagen wird, empfiehlt es, mit einer Klarstellung der methodischen Grundsätze zu beginnen. Die Methode des Verstehens, die wir anwenden, muß eine komplexe sein und dem Leitsatz folgen: Isolieren ist der T o d der Wissenschaft. Ausgangspunkt wird, wie gesagt, immer nüchterne Observation und Analyse des Einzelproblems bleiben. Aus den Ergebnissen der Analyse des einzelnen allein können w.ir aber keine Lösung ableiten. Die Analyse des Einzelproblems muß zum Gegenpol haben die Analyse des Lebensraumes, in dem der Einzelfall steht. Wenn man zwei magnetische Pole kräftig umeinander bewegt, entsteht ein elektrischer Strom, der seinerseits das magnetische
Sprachliche, literargeschicluliche, historische und anschauungsmäßige G r u n d l a g e n
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Feld verstärkt. So weckt die polare Analyse der Einzelprobleme und ihres Lebensraumes unweigerlich eine synthetisierende Sinngestalt, mit der sie in einem dialektischen Verhältnis steht. Die Sinngestalt klärt sich fortschreitend aus der Analyse; die Deutung der Ergebnisse des Einzelfalls, ihre Wertung und Verifizierung ergibt sich dann aus der Möglichkeit oder Unmöglichkeit, den Einzelfall dem geschauten Ordnungsbilde zuzuordnen. Wenn von der Umrißzeichnung eines menschlichen Kopfprofils etwa Zusammenhangs- und beziehungslos nur die Linie vom Ansatz der Oberlippe bis zur Nasenwurzel und dazu die vom Nackenansatz bis zur Höhe des Scheitels gegeben sind, so vermag man bekanntlich in diesen Strichen nichts anderes als sinnlose Geraden und Krümmungen zu erkennen. Erst wenn beim Betrachten derselben die Organisationsform eines Kopfprofils bewußt ist, ordnen sich die Bruchstücke sofort zusammen und bringen nun weiter gleichzeitig in die ideelle Organisationsform ihrerseits individuelle Einzelzüge hinein. Für sprachliche und musikalische Sinngestalten gilt natürlich Entsprechendes 1 ). W . D i 11 h e y formulierte diese Grundlagen des Vferstehens so 2 ): „Aus den einzelnen Worten und deren Verbindungen soll das Ganze eines Werkes verstanden werden, und doch setzt das volle Verständnis des einzelnen schon das des Ganzen voraus. Dieser Zirkel wiederholt sich in dem Verhältnis des einzelnen Werkes zu Geistesart und Entwicklung seines Urhebers, und er kehrt ebenso zurück im Verhältnis dieses Einzelwerkes zu seiner Literaturgattung." Verständnis und wissenschaftlicher Fortschriti sind nur dann gesichert, wenn die vorhin gekennzeichneten Denk- und Arbeitsvorgänge also in ihrer wechselseitigen Bedingtheit und Rangfolge erkannt und beachtet werden. Apiioristische Entgleisungen liegen gewiß nahe, können bei genügender und vor allem nie ausgelassener methodischer Zucht aber ebenso leicht vermieden werden. Denn was man an leitenden Prinzipien in solcher Weise sieht, ist zwar außer von der Phantasie durch die eigene Lebenserfahrung entscheidend bestimmt; z. B . kann ich gar nicht leugnen, daß die unmittelbaren Erfahrungen einer radikalen Katastrophe wie des zweiten Weltkrieges, mehrjährige Erlebnisse aus weiten Gebieten und mit vielen Menschen eines sozial und geistig völlig anders organisierten Gebildes wie der Sowjetunion oder die eigene Anschauung des machiavellistischen Apparates der schlechthin absoluten Diktatur in Deutschland mir gänzlich neue Durchblicke öffnete. Aber diese Lebenserfahrung oder gar die Phantasie sollten — und brauchten — nicht allein und ausschließlich ohne rationale Kontrolle an dem geschichtlichen Stoff das leitende Prinzip abgeben. Die weit größere Gefahr für die Wissenschaft liegt darin, bei dem mephistophelischen Ergebnis zu enden: Man behält die Teile in der Hand, fehlt, leider! nur das geistige Band. Der Kritiker etwa, der nachweist, daß eine Kurve wie die vom Nackenansatz eines menschlichen Profils bis zur Höhe des Scheitels zu einem Kopfumriß zwar gehören kann, jedoch nicht unbedingt gehören muß, hat, wenn er hier stehenbliebe, die von ihm bekämpfte These, die diese Linie mit anderen zu einem Kopfprofil zusammenordnete, in keiner Weise erschüttert. Denn natürlich könnte man sich in der reinen Phantasie viele Dinge denken, so etwa den Umriß eines Gerätes wie der Sichel, zu dem *) J. S t e n z e l , Philosophie der Sprache, München 1934, i8ff. 2 ) Die Entstehung der Hermeneutik, Ges. Sehr. 5, 330.
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die betreffende krumme Linie an sich ebensogut weiter ausgezeichnet werden könnte. In solcher Weise habe ich die Aufgabe bei einem komplizierten und nur noch feinsten Arbeitsweisen zugänglichen Problem, den sog. Scriptores historiae A u g u stae gesehen und angefaßt 1 ). Es handelt sich um eine Sammlung von Biographien der Kaiser v o n Hadrian bis Carus, Numerian und Carinus, den Vorgängern Diocletians, die also über den Zeitraum von 117 bis 285 n. Chr. reicht. Angeblich ist sie von verschiedenen Autoren — es werden sechs Namen genannt — in diocletianisch-constantinischer Zeit um 330 n. C h r . geschrieben. Tatsächlich, das ist ziemlich sicher, stammt das W e r k von einem einzigen Verfasser aus späterer Zeit des 4. Jh.s n. C h r . Fraglich sind alle näheren Einzelheiten der Zeit, der Person, der Absichten usw. Zunächst müssen wir uns einer literaturgeschichtlichen Voraussetzung bewußt sein: Das ist die gemäß der Theorie strenge Gliederung der antiken Literatur in yevt]. Z u einem wahren Verständnis gelangt man bei jedem Produkt der antiken Kunstliteratur nur, indem man es durch die Prismen dieser ysvrj betrachtet. Dann zerlegt es sich wie das Licht in seine einzelnen Komponenten, und man kann klar unterscheiden, welches diese sind. Der Schlüssel zu einer Schrift w i e Tacitus Germania wurde z. B. auf diese Weise gefunden, und die Notwendigkeit dieses V e r fahrens ist in der philologischen Wissenschaft anerkannt und im allgemeinen auch befolgt worden. Im Laufe der Entwicklung ist eine Verflachung der Gattungsunterschiede dadurch eingetreten, daß die Rhetorisierung der allgemeinen Bildung zu einer Rhetorisierung und damit Angleichung der Gattungen führte. A b e r die methodische Forderung bleibt bestehen und m u ß gerade bei späten literarischen Erzeugnissen scharf ins A u g e gefaßt werden. Denn bei dem Stande unserer Ü b e r lieferung, der uns zwingt, vielfach rein rhetorische Elaborate als geschichtliche Quellen zu verwenden, kann die richtige Ermittlung historischer Tatbestände entscheidend davon abhängen. Die Historia Augusta gehört im Sinne dieser Ausführung zum Genos der historischen Biographie, und so hat F . L e o sie neben Sueton und anderen dort eingeordnet 2 ). Außerdem sind aber besonders zahlreiche und neue Elemente aus dem Genos der Epideixis, der Prachtrede, überhaupt der Rhetorik, und ohne davon immer klar getrenntwerden zu können, Elemente der Aretalogie, d. h. der W u n d e r erzählung, eingedrungen 3 ). Sie heischen unsere besondere Beachtung; der Einfluß der Aretalogie, der hier zum erstenmal behauptet wird, bedarf einer eigenen B e gründung. W i e w e i t , sprachwissenschaftlich gesehen, die Grenzen des Raumes gezogen sein müssen, den wir in Betracht zu ziehen haben, um Fehlwertungen zu vermeiden, zeigen jüngste Ergebnisse einfühlender Sprachanalyse durch S e e 1 an den Schriften *) Geschichte und Politik im spätantiken R o m , Klio Beih.45 (1940), weiterhin ,,Geschichte und P o l i t i k " zitiert. s ) Die griechisch-römische Biographie nach ihrer litterarischen Form, Leipzig 1901, 268 ff. 8 ) Ü b e r die Theorie, die in der Geschichtsschreibung nur ein viertes Genos der Beredsamkeit sehen wollte, v g l . E. R o h d e , Der griechische R o m a n 320, E. N o r d e n , Die antike Kunstprosa 81 f f , zuin B e g r i f f der Aretalogie v g l . R . R e i t z e n s t e i n , Hellenistische Wundererzählungen, Leipzig 1904, A . K i e f e r , Aretalogische Studien, Diss. Freiburg 1929, 2-36.
S p r a c h l i c h e , literargeschiclitliche, historische u n d a n s c l u u u n g s m ä ß i g e G r u n d l a g e n
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Sallusts 1 ). B e i Sallust greift nämlich nach seinen Beobachtungen der sprachlichstilistische Einfluß der Vorlagen über den R a h m e n des eigentlichen Zitats hinaus a u f die F o r m u n g der ganzen U m g e b u n g über. A u f die von S e e 1 gegebene k l a n g psychologische Erklärung möchte ich mich nicht unbedingt festlegen, w e i l ich diese Betrachtungsweise nicht ganz beurteilen kann. E t w a s Derartiges muß w a h r scheinlich d e r G r u n d sein, und jedenfalls h a t S e e l s erkennbare Schulung in dieser Anschauungsform ihn überhaupt befähigt, eine R e i h e v o n sprachlichen Erscheinungen in eine sinnvolle O r d n u n g zu bringen. Bei spätlateinischen Kompendien, w i e in geringerem M a ß e auch in der Historia Augusta, führten mich statistische Methoden unabhängig zu demselben R e s u l t a t : Ein solches W e r k erscheint w i e übersprenkelt mit color Sallustianus. Unter dem Einfluß gewisser sallustisch g e schriebener Vorlagen verdichten sich diese Farbkomplexe in einigen Partien derart, daß sogar einigermaßen klare Umrisse sich abgehoben haben und die Quellenschichtung erkennbar geworden ist. Das w i r k t „ g r o t e s k ' ^ ) und darum unglaubw ü r d i g . — A b e r jeder Zitierende zu jeder Zeit, kann man sagen, n i m m t subjektiv im Hinblick auf die sprachliche F o r m u n g eines Sprachinhalts gegenüber der zitierten V o r l a g e eine niederere Rangstellung ein. U n d z w a r eine u m so niederere, je höher der G r a d der Wörtlichkeit seines Zitats ist. Allein durch diese Tatsache w i r k t die Sprachform, der Stil eines Zitats mehr oder minder attraktiv auf die R e d e weise des Zitierenden. Im Prinzip steht das schon bei Piaton Pol. 395DÍF., und bezüglich der Bedeutung f ü r den Stil w a r sich die Antike darüber voll im klaren, w i e das 1 3 . Kapitel der Schrift vom Erhabenen zeigt. M a n könnte etwa das Bild wählen v o n Lichtquellen im D u n k e l , die, j e dunstiger und schlechter die A t m o sphäre, mit um so größeren und helleren Lichthöfen umgeben sind. Denn die Schriftsteller des 4. J h . s sind mäßige Talente, und die sprachlichen Möglichkeiten, die durch die Eigentümlichkeit der Sprachentwicklung seit dem Beginn des 2.Jh.s n . C h r . schon so eng begrenztwurden, sind restlos ausgeschöpft gewesen. Diese sprachliche Sterilität führte aber dazu, alle gegebene Sprachformung besonders begierig aufzusaugen. U n d w e n n , w i e in unserem Falle, bestimmte Phrasen, nämlich sallustische, vorliegen, so zeigt sich das in einer stärkeren Z u n a h m e der V e r w e n d u n g solcher Ausdrücke besonders da, w o sie aus einer gerade verwendeten V o r l a g e unmittelbar entnommen werden können, aber es ist ferner begreiflich, daß auch in den auf die Benutzung eines solchen charakteristischen Sprachprodukts folgenden Partien überhaupt diese angenommenen Phrasen häufiger werden. Diese Leute schreiben ja in W i r k l i c h keit kaum noch in ihrer Muttersprache, sondern w i e in einer fremden 3 ). Sprachlich noch souveräne Künstler, so Sallust oder Tacitus 4 ), lassen ihre Leser kaum das ') D i e I n v e k t i v e g e g e n C i c e r o , K l i o B e i h . 47 (1943), 9 ff. 2 ) W . E n ß l i n , G n o m o n 1 8 (1942), 2 5 2 . 3 ) D a s b e r e c h t i g t d a z u , d i e P e r f e k t f o r m e l l a u f -crc u n d -erunl u n d d g l . als T e s t z u b e n u t z e n . Ü b r i g e n s gilt das oben i m T e x t Gesagte auch f ü r den in einer K u l t u r g e m e i n s c h a f t u n d -epoche vorhandenen Kreis v o n S t r u k t u r z u s a m m e n h ä n g e n des Denkens und - bei der D i c h t u n g - v o n m e n s c h l i c h e n G e f ü h l e n u n d Schicksalen. D a h e r k a n n m a n nicht n u r reine F o r m e n u n d W o r t e s o v e r w e r t e n , s o n d e r n a u c h Z e i t b e g r i f f e , w i e ich das g e t a n habe (Geschichte u n d P o l i t i k 4 l f f . ) , u n d ähnliche B e g r i f f e , d i e d e r S t r u k t u r u n d V e r k n ü p f u n g v o n S i n n i n h a l t e n d i e n e n . E i n e Ä u ß e r u n g G o e t h e s f ü h r t S t e n z e l , a . O . (o. S. 3, 1 ) 1 0 6 an. 4
) Selbst A m m i a n u s M a r c e l l i m i s m u ß m a n hier u n b e d i n g t n o c h ein K i i n s t l e r t u m zubilligen, o b -
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merken, was bei späteren auf uns als Zeichen grotesker Unselbständigkeit wirken muß. Und doch tritt hier sogar schon Saliust mit den späteren Werken in einen Ordnungszusammenhang, der sich gegenseitig zu neuer Evidenz erhebt 1 ). Die Methodik der literarisch-sprachlichen Betrachtung muß, wie die knappe Skizze gezeigt hat, so aus allgemein menschlichen und allgemein antik-römischen Voraussetzungen abgeleitet werden. Für die sachliche Interpretation ist ein ähnlicher Weg einzuschlagen, damit dem spätantiken Gegenstande kommensurable Methoden angewandt werden können. Ich will an einem konkreten Einzelfall zeigen, worauf es ankommt. Der Kaiser Valentinian II. kam im Jahre 392 im Alter von 21 Jahren zu Tode, ein Ereignis, das den Anstoß zu weiteren revolutionären Erschütterungen abgab. Die ganzen Vorgänge bildeten nur den Abschluß einer zwangsläufigen Entwicklung, die ihre Ursache in der Hilflosigkeit des zu jungen Kaisers hatte. Man könnte nun behaupten, gewisse Hinweise auf die katastrophalen Folgen der Inthronisierung kindlicher Kaiser in der Historia Augusta beziehen sich auf eben diese geschichtliche Erfahrung. Der moderne Historiker 2 ) wird entgegenhalten, der „Knabe" Valentinian II. sei aber eben schon 21 Jahre gewesen und nicht mehr das Kind, von dem die Historia Augusta spreche. So objektiv berechtigt dieser historische Hinweis ist, er trifft neben das Problem. Denn nach seinem Tode verbinden sich gerade bei diesem Kaiser im christlichen Urteil der Spätantike die mannigfachen Wechselfälle seiner Regierungszeit mit dem Hinweis auf die Kindlichkeit des parvulus, pusillus im J ! 383, des puer im J . 388 (Aug. civ. dei 5,26); im J . 395 hebt auch der Heide Eunap (bei Zosimos 4, 19) 3 ) die Aktionsunfähigkeit des vierjährigen, im J . 375 eben Kaiser gewordenen Kindes hervor. Diese Äußerungen müssen besonders auffallen, weil sie keineswegs der sonstigen Gepflogenheit der Zeit entsprechen. Für uns wichtig ist aber gerade die .Anschauung' der Spätantike, nicht die Tatsachen im Sinne der modernen Geschichtsforschung. Dieser Teil der zeitgenössischen Anschauung läßt sich positivistisch feststellen, und das muß natürlich jeweils bei den einzelnen Problemen durchgeführt werden, wenn wir zu einem historischen Verständnis gelangen wollen. In hintergründigere gezirke dieser Anschauung führt aber folgende Erwägung: Die Historia Augusta oder Suetons de vitaCaesarum enthalten Biographien; alsGenos haben diese viele wohl er (und Claudian) von Herkunft Griechen, das Latein bestimmt nicht als Muttersprache schrieben; freilich erschließt es sich uns nicht so leicht. Formal ist der Vorgang nicht anders als bei jedem Sallustnachahnier zu verstehen, jedoch so, daß bei mangelndem einheitlichem Stilwillen oder Formgefühl die Nachahmung nur noch partienweise stärker hervortritt, w o sie unmittelbar aus der Quelle ausgestrahlt hat. Für diese A b schnitte gilt das, was Seneca in dem wichtigen Brief 1 1 4 , 17 von dem Sallustnachahmer A r r u n tius beschreibt - und kritisiert. Arruntius fand bei Saliust den Ausdruck exercilum argento fecil. Diesen interpretiert Seneca mit pecunia purai'it und fährt fort: hoc Arruntius amarc coepjt, posuit illud omnibus pagiais. dicit quodam loco: fugam nostris fccere (auch die Perfektform typisch sallustisch); alio loco: Hiero rex Syracusanoru in bellum fecit; et alio loco: qitae audita Panhormitanos dedere Romains fecere. In gleicher Weise bespricht er den katachrestischen Gebrauch von hicmare und den Plural famae. Sallusts Eigenarten amputatae sen/entiae, verba ante exspectatum cadentia, obsatra brevitas wirken geradezu ansteckend: quac aptid Sallustium rara fueriiut, apud hunc crebra sunt et paene Contimit... ille enini in haec incidcbat, at hie illa quaerebat. *) Vgl. W . E n ß l i n , a . O . (o. S. 5, 2) 263. 3 ) Geschichte und Politik 150, 1.
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römische und griechische Parallelen. Nur die Lateiner aber ordnen diese Biographien zu einer chronologisch lückenlosen Geschichte. Bei den Lateinern zieht sich also der strömende Fluß der Geschichte, wie ihn Livius oderTacitus zeichnen, zu einzelnen Tropfen zusammen, deren Nacheinander die chronologische Folge in völlig veräußerlichter Form und ohne jede innere Notwendigkeit nur noch andeutet. Das hat es vorher nicht gegeben 1 ). Diese Anschauungsweise, die also auch in der Historia Augusta vorauszusetzen ist, kann man mit dem terminologisch etwas verschwommenen Begriff „spätantik" zunächst einmal bezeichnen. Sie ist von ganz prägnanter Eigentümlichkeit, und wir wollen versuchen, ihr Wesen näher zu erkennen. Wenn man historische Reliefs der augusteischen oder traianischen Epoche, etwa die traianisch-hadrianischen R e liefs von den Rostra, betrachtet, so verläuft die auf dem Bildwerk dargestellte Handlung in einem idealen Räume, der außerhalb des Raumes des Betrachters gewissermaßen in der Bildebene des Reliefs selbst liegt. Jm 4. J h . hat sich das geändert, am deutlichsten im Bereich volkstümlich gefärbter Kunst, aber auch an offiziellen Monumenten. Äußerlich gekennzeichnet ist der Wechsel besonders durch die Frontalwendung der beherrschenden Figur des Kaisers und das Auseinandertreten der beigegebenen Gestalten. So blickt der Herrscher z. B. auf den späten Reliefs des Constantinbogens frei aus dem Bildrahmen heraus über den Betrachter selbst hin. Der Beschauer wird dadurch in den Kreis der auf dem Bildwerk zu seiten des Herrschers angeordneten Zuschauer gezogen. Der Raum des Reliefswölbt sich aus der Bildebene heraus zum Beschauer hin und schließt ihn selbst mit ein. G . K a s c h n i t z - W e i n b e r g , dem ich diese wesentliche Erkenntnis verdanke, schrieb darüber 2 ): „Das Relief ist nur Anweisung auf das, was im Bewußtsein des Beschauers selbst vor sich gehen soll, das heißt in unserem Falle gehören wir selbst zu den Zuschauern, fühlen selbst die Macht des Herrschers und erreichen dadurch jenes Raumgefühl und jenes Bewußtsein der innerlichen Z u sammengehörigkeit in viel höherem Grade als dort, w o wir als Außenstehende nur durch Aufgabe unserer Persönlichkeit den objektiven Angaben des Bildwerkes zu folgen vermögen 3 )." K a s c h n i t z - W e i n b e r g streift auch die Frage,wieweit ') F . L e o , Biographie (o. S. 4 , 2 ) versucht dieses Phänomen in der Hauptsache rein formgeschichtlich zu erklären. Literarische und philosophische Biographien waren bald an dem Faden der evQr)ftara und SiaSoy/ii in eine chronologische Ordnung gebracht worden (a. O. 46fF. 74f. 128. 132. 135). Formal konnte man hierin das Vorbild der lateinischen Kaiserbiographie erblicken (a.O. 142.300). Entfernter stehen Bücher vom Typus de viris illustribus, denen die Einheit des Schauplatzes und die Gleichmäßigkeit der biographischen Ausführung abgeht und auch eine größere Nachlässigkeit gegenüber der chronologischen Folge der Artikel eigen ist (a.O. 31. 101. i i 3 f . 132. 135. 1 9 8 , 1 . 3iof.). Stofflich erinnert L e o an die Schriften xegi xvgdvviov u. dgl. (a. O. 110, vgl. i o j . 1 1 2 ) , aber wie des Phainias, Idomeneus, Baton von Sinope und Charon von Karthago Werke wirklich ausgesehen haben, läßt sich kaum zuverlässig sagen (vgl. F. J a c o b y , R E 9 [1914], 9 1 1 ; R . L a q u e u r , R E 19 [1938], Ij66f.). Plutarch ist in seinen Kaiserbiographien, wie man an den erhaltenen Viten des Galba undOtho sieht, offenkundig nicht zu der Isolierung der einzelnen Personen durchgedrungen wie Sueton (Leo, a. 0{ 157). So bleibt Suetons Verfahren eine gründliche Neuerung, für deren inneres Verständnis bei L e o noch nicht Befriedigendes geboten wird (a.O. 1 1 . 16. 141 ff. 268f. 319). 2 ) Auch im Vorangehenden habe ich mich in einigen Wendungen an ihn angeschlossen. 3 ) G. K a s c h n i t z - W e i n b e r g , Spätrömische Porträts, Antike 2 (1926), 49; dort auch das Bildmaterial.
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einer so veränderten Raumanschauung eine Veränderung des Zeitbegriffs entspreche: Der eigentliche Zeitbegriff fehle und sei durch ein Wesen, ein Sein ersetzt. A n diesem Punkte, der für den Archäologen kein zentraler ist, setzt natürlich das Interesse des Philologen und Historikers vornehmlich ein. In der Tat ist der alte Zeitbegriff, der sich, geschichtlich gesehen, in der fließenden dynamischen Folge einmaliger Handlungen darstellt, etwa einer Schraubenspirale vergleichbar. Jener veränderte Zeitbegriff der Spätzeit ist indessen statisch geworden. Die Zeit verläuft nicht mehr spiralig, sondern die Spirale erscheint zusammengedrückt zur Kreisfläche. Natürlich verläuft die Geschichte weiter als spiraliger Prozeß, aber der Standpunkt des Betrachters hat sich geändert. Er hat sich nunmehr vor den Querschnitt der Spirale gestellt, und wenn er danach die Geschichte nicht geradezu zeitlos als Kreisfläche sieht, sondern unter seinem neuen Blickpunkt ihren Verlauf in der Zeit noch apperzipiert, so kommt sie doch röhrenförmig auf ihn zu, ja, er steht in dieser R ö h r e eingeengt darinnen. Formulieren wir psychologisch, so lautet dasselbe: Geschichte kann erlebnishaft aufgenommen werden; im Erlebnis kann man aber vieles zugleich erfahren, damit unmittelbar auch das Fließen der Zeit. Geschichte kann andererseits in einem geistigen A k t des Bewußtseins erfaßt werden; geistige A k t e sind indessen nur intermittierend möglich 1 ), und solche A k t e können nun einmalig und wiederholt erfolgen. Das Nacheinander wiederholter A k t e kann, muß aber nicht einem Nacheinander in der Zeit entsprechen, vielmehr können solche geistigen A k t e auch einen raum-zeitlich unveränderten Gegenstand mehrfach spiegeln. Denn jeder dieser A k t e faßt immer das, was real als Prozeß verläuft, zusammen und bringt es, zeitlich gesehen, damit zum Stillstand. Historisch ist ein solcher Wandel mit Hadrian zum Durchbruch gekommen 2 ); die Gründung eines Tempels der Dea R o m a sogar in der Stadt R o m selbst ist eines von mehreren äußeren Symbolen, die Ausprägung der Romidee gibt den ideologischen Unterbau 3 ). Diese gewandelte R a u m - und Zeitanschauung gestattet es also, die Geschichte ohne die Dimension der Zeit als Querschnitt zu sehen. Der Leser und Hörer ist bei solcher .Weltanschauung' zudem in den R a u m der Geschichte unmittelbar mit all seinen gegenwärtigen Gefühlen und Vorurteilen einbezogen. Er nimmt die Geschichte ganz subjektiv auf sich hin wie das Kind das Märchen, wie ein naives Gemüt den R o m a n und vor allem die Novelle, und wie der Christ die Bibel 4 ). Tendenz, missionarische, proselytenniacherische Lehrhaftigkeit sind in ') A u f die Notwendigkeit, dieses psychologische Gesetz bei der Betrachtung der Geschichte zu berücksichtigen, weist soeben auch W . S c h u b a r r , Christentum und Abendland, München 1 947. 192) Das Jahr 117, der Regierungsantritt Hadrians, ist ein epochaler Einschnitt in jeder B e ziehung, vorbereitet durch Nero und Domitian, vgl. die eindringende Studie von H. U . I n s t i n s k y , Kaiser und Ewigkeit, Hermes 77 (1942), vor allem 324fr 337. :l) Hellenistisch-orientalische Strömungen sind am Werke gewesen, obgleich es nie zu einer s\ esenhafcen Ausgestaltung im Sinne der Seinsform griechischer Götter kam. Man negiert in R o m die Zeit nie, aber man überspringt sie: Tausend Jahre gibt eine Prophezeiung in der 1 listoria Augusta Raum bis zur Vollendung des Römischen Reiches (s. u. S. 273 ff.). A u f die römische Provenienz der in Frage stehenden Kunstprodukte weist auch K a s c h n i t z - W e i n b e r g , a . O . 51. Zum Grundsätzlichen vgl. Geschichte und Politik 142. 4) A. v. D o m a s z e w s k i , Sber. Heidelberg 1920, Nr. 6, 28 spricht mit einem gewissen Recht von dem „traumartigen Denken des Fälschers", welches,,nicht mehr bestimmt ist durch
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gewissem Umfange notwendige Begleiterscheinungen einer solchen vergegenwärtigenden Form der Historie 1 ), und es bedarf der Überlegung, ob und unter welchen Voraussetzungen die alten Traditionen folgende Behauptung des Gegenteils in den antiken Schriften zu R e c h t bestehen kann. W e n n ich dabei die Naivität solcher Anschauungsform betonte, so betrifft das weder einen bestimmten Kreis von Lesern noch eine Kennung für den Verfasser, der sich z. B . in der illustren Gesellschaft eines Augustin befinden würde, sondern allein eine charakteristische Betrachtungsweise zunächst der Spätantike. Die Absicht, den Hörer eines literarischen ' Produkts historischen Inhalts in einen R a u m zu führen, in dem sich seine gegenwärtige Welt mit der geschichtlichen vereinigen kann, muß zu bestimmten zweckmäßigen Ausdrucksweisen führen. Die Geschichtsschreibung anderer Form, die in ihrer vergangenen Zeit bleibt und sie objektivierend dem Hörer gegenüber aufbaut, bedarf solcher Mittel natürlich nicht. Literarisch läßt sich jenes erste Ziel am einfachsten erreichen, indem man immer wieder Fakten der Vergangenheit unmittelbar mit solchen der Gegenwart verbindet. Das ist bei dem einzelnen historischen Ereignis undurchführbar. W o h l aber bringen diese oft Zustände in der gesellschaftlichen Struktur und Sitte, Gestaltungen des realen Raumes und Schöpfungen der Kunst und Literatur hervor, die dauern und gegenwärtige Zeugen der Vergangenheit sind. An ihnen kann man da leicht anknüpfen. Jeder kennt aus den Märchen den einfachen Kunstgriff, der sie mit der eigenen W e l t des Lesers oder Hörers verbindet : „ . . . und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute." Das Märchen von der grünen Schlange in Goethes Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten schließt: „ . . . und bis auf den heutigen Tag wimmelt die Brücke von Wandrern, und der Tempel ist der besuchteste auf der ganzen Erde 2 )." Dieses präsentische „noch heute" würde lateinisch lauten hodieque. Es reißt die Grenze zwischen Vergangenheit und Gegenwart nieder und schließt auch die Welten des Geschichtswerkes und seines Hörers in den gemeinsamen R a u m ein. Es vertritt neben anderen in ähnlicher Richtung wirkenden Mitteln die Frontalwendung der Mittelperson auf den archäologischen Monumenten 3 ). die Bedingungen des Raumes und der Z e i t " . Aber es ist offensichtlich verkehrt und willkürlich, wenn er das „notwendig später" setzt als die Dichter des 5. Jh.s n. Chr. ' ) W i e J . S t r o u x , Vergil, München 1 9 3 2 , 20 meint, es wird Glaube, nicht Geschichte geboten, erleuchtet statt belehrt. 2 ) Vorbereitet ist diese Vergegenwärtigung schon kurz vorher durch den Tempus wechsel : „...wohlmeinende Bescheidenheit hatte eine prächtige Decke über den zusammengesunkenen König hingebreitet, die kein Auge zu durchdringen vermag und keine Hand wagen darf w e g zuheben." 3 ) K . H ö n n , Quellenuntersuchungen zu den Viten des Heliogabalus und des Severus Alexander, Leipzig 1 9 1 1 , 2 0 1 , bemerkt die Häufigkeit derartiger Beziehungen auf vorausgegangene und spätere Zeiten in der Historia Augusta, die er aus dem Streben erklärt, den Anschein von Gelehrsamkeit zu erwecken. Auch J . S c h w e n d e m a n n , Der historische W e r t der Vita Marci bei den Script. Hist. A u g . , Heidelberg 1 9 2 3 , 204, 3 und A . J a r d é , Études critiques sur la vie et le règne de Sévère Alexandre, Paris 1 9 2 5 , 102, 1 betonen beiläufig diese Eigenart des R e d a k tors der Vita; über den W e r t dieser Hinweise äußern sie sich nicht. Eine summarische Bemerkung bei A . v. D o m a s z e w s k i , Sber. Heidelberg 1920, Nr. 6, 2 1 , dazu A n m . 2, ist offenbar nur auf Grund der Lemmata des Lexikons unter hodie, hodieque ohne kritische Uberprüfung gemacht.
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B . W a n d l u n g e n der Z e i t - u n d R a u m a n s c h a u u n g Der formale Ausdruck der Vergegenwärtigung zeigt sich in der Historia Augusta recht vielgestaltig 1 ), v . Hadrian. 3,5 unde hodieque imperatores sine paenulis a togatis videntur enthält zusätzlich das M o m e n t der Autopsie und präsentische Zeitstufe. Statt hodieque treten andere Wortverbindungen ein, besonders mit nunc gebildete w i e v . Gordian. 32,1 doittus Gordiauorum ctiam nunc extat. Seltener (dreimal) k o m m t proxime v o r w i e V . A u r e l i a n . 15,4 vidimus proxime consulatum Furii Placidi tanto ambitu in circo editum, ut..dann w e n i g e Male adhuc w i e v . Prob. 9,2 sepulcro ingenti... quod adhuc extat und einzelnes w i e huc usque v . M a x i m . Baibin. 1 6 , 1 ; hactenus v . Gallien. 1 9 , 4 ; aetate mea v . Prob. 2 , 1 ; v . Heliogabal. 24,6 quae saxa usque ad nostram memoriam manserunt, sed nuper eruta et exsecta sunt. D e r Begriff manere unterstreicht hier w i e auch an anderen Stellen noch die Absicht, den E i n druck einer bis in die Gegenwart reichenden Kontinuität hervorzurufen. Dieselbe W i r k u n g können die Phrasen haben, die im Präsens v o n einer R e g e l oder Sitte sprechen, w i e v . Aurelian. 5 , 5 : „ E r erhielt außerdem, als er als Gesandter zu den Persern gegangen w a r , eine Schale v o n der A r t , w i e sie der Perserkönig o f t dem Kaiser gibt (solet . . . dari), in die der Sonnengott eingeprägt w a r . . . " usw. 2 ). A b e r die gedankliche Operation, die die Verbindung v o n der Geschichte zur Gegenwart herstellt, verläuft hierbei offenbar schon etwas gezwungener und k o m plizierter ; die Vorstellung geht v o n der Gegenwart aus und erstreckt sich durativ auch in die Vergangenheit, aber es bleibt immer noch ein Sprung zwischen dem bestimmten geschichtlichen Ereignis und der unbestimmt durativen R i c h t u n g des Gedankens zu überbrücken. Gewisse präsentische Ausdrücke haben dann so allgemeinen Charakter, daß die Beziehung zu einem bestimmten vergangenen Ereignis gar nicht zustande k o m m t . Es handelt sich um objektives, gelehrtes R a n k e n w e r k , w i e v . Diadumen. 4 , 2 : „ G e w ö h n l i c h sind dann die Neugeborenen mit einer sog. Glückshaube ausgezeichnet, die die Hebammen abreißen" usw. A b e r der hier in Frage stehende Knabe hatte keine Glückshaube, sondern ein Diadem. Solches gelehrtes Beiwerk ist f ü r uns unbrauchbar 3 ). Formal v o n Bedeutung ist dann noch das Subjekt solcher Ausdrücke. Hier kommen v o r allem diejenigen Formeln in Betracht, die eine Autopsie oder eine Benennung enthalten. A n etwa fünfzehn Stellen w i r d im Präsens auf eine gegenwärtig gültige Bezeichnung verwiesen, drei dieser Stellen sind in gelehrter Weise aus Quellen übernommen 4 ). Es ist also die Frage, o b diese Bemerkungen jener Wichtige prinzipielle Beobachtungen linguistischer A r t gibt H. J e n s e n , Sprachlicher A m druck für ZeitaufFassungen, insbesondere am Verbum, Archiv für die gesamte Psychologie 1 0 1 (1938), 289fr. 2 ) Die Stelle wird im historischen Sinne für die Geschichte Aurelians als wertlos bezeichnet von W . H . F i s h e r , J R S t . 1 9 (1929), i 4 o f . 3 ) Hier subsumiere ich auch alle sentenzartigen Ausdrücke, die allerdings auch nicht nur rhetorisches Interesse für sich beanspruchen, vgl. R . P r e i s w e r k , „Sententiae" in Caesars Kommentarien, Mus. Helv. 2 (1945), 2 1 3 (auch zuSallust, der sie n u r i m j u g . aufweist, Livius undTacitus). 4 ) v. Veri 9 , 1 1 (Krankheit; die günstige historische Bewertung der Stelle durch O . T h . S c h u l z , Das Kaiserhaus der Antonine u. d. letzte Historiker R o m s , Leipzig 1907, 63 f. schränkt
W a n d l u n g e n der Zeit- und Raumanschauung
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Vergegenwärtigung dienen sollen oder ob sie objektives gelehrtes Interesse verraten. So hat z. B . F . M e h m e l , Virgil und Apolloriius Rhodius, Untersuchungen über die Zeitvorstellung in der antiken epischen Erzählung, Hamburg 1940, die zahlreichen nunc-Formeln bei Ap'ollonios Rhodios beurteilt. Er sagt beiläufig S. 68, Anm. 8 im Hinblick auf Vergil: „Solche Verbindung der Welt der Erzählung mit der Gegenwart der Wirklichkeit ist also etwas anderes als das häufige ,es ist noch heute zu sehen' bei Apollonius: dort tritt eine nüchterne prosaische, .wissenschaftliche* Angabe neben die künstlerische Darstellung, hier begegnen und verbinden sich in der Sphäre des Sinns und der Bedeutung künstlerische Welt und Wirklichkeit . . . " Das Problem ist hier mit der Entgegensetzung von Prosa und Kunst nur äußerlich beschrieben und noch nicht erklärt. Wir lassen Vergil vorerst beiseite. Aber worauf beruht die prosaische Nüchternheit der nunc-Formeln bei Apollonios ? Sehen wir uns die Ausdrücke bei Apollonios einmal auf ihr logisches Subjekt an; ich nehme die Beispiele des ersten Buches: xixhjaxovai (591); né 24 6 " 1J 14
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Wertvolle Beobachtungen zu dem Problem bietet E. F r a e n k e l , Kolon und Satz, N G G . 1932. I 9 7 f f ; 1933. 3i9fF.; vgl. besonders 348,1. a ) Zur Textgestalt siehe u. S. 110, 1.
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W i r befinden uns im 4. J h . in der Epoche der Sprachentwicklung, w o der A k zent der Sprache vom musikalischen zum exspiratorischen hinüberwechselt. Das Gefühl für die musikalische Länge und Kürze der Silben und die Modulierung der Tonhöhe schwindet und w i r d durch einen unterschiedlichen Intensitätsdruck ersetzt. Darum habe ich zur Bestimmung der R h y t h m e n sowohl die alten musikalischen Klauselformen durch Kürze und Länge w i e die neuen exspiratorischen durch zwei Akute bezeichnet 1 ). Unter den 31 Pausen haben zwei überhaupt keinen R h y t h m u s ; w i r treffen beide im 2. Kapitel. Z w e i haben nur musikalischen, z w ö l f nur exspiratorischen R h y t h m u s . Ich vergleiche damit ein Stück, das unrhythmisch gebaut oder zum Teil musikalisch rhythmisiert ist, w i e sich später (u. S. 1 1 8 ) ergeben wird, v . Hadrian. 3 und 4. Unter 23 schweren Pausen am Satzende nach der Interpunktion der Hohlschen Ausgabe sind dort nach dem Kursus 6 unrhythmisch, also ein Viertel, während in der Aeliusvita die entsprechenden Fälle ein Achtel der Gesamtzahl ausmachen. N a c h den R e g e l n der musikalischen Klausel sind in der Aeliusvita dagegen knapp die Hälfte der Pausen unrhythmisch. Dieses Ergebnis bestätigt die Richtigkeit der Vermutung, die als erster E. H o h I , N J b . 33 (1914), 7 1 1 , über den Charakter der in der Historia Augusta angewandten R h y t h m e n formuliert hat 2 ). Der Autor neigt zur Rhythmisierung, bevorzugt dabei den Cursus, läßt aber die Klausel nicht außer acht; e r w ä h l t daher atque Constantius, passend zu beiden Systemen, an Stelle des staatsrechtlich richtigeren atque Maximianus3), was höchstens Cursus ergibt 4 ). Merklich unterscheidet sich das Kapitel 1 v o n 2, in dem
*) Dabei setze ich - ~ - seltener - ~ - ~ - , neben diesen auch - ~ mit entsprechenden Auflösungen der Längen als .normale' Klauseln musikalischer Art ; ~ - ( - ) als exspiratorische Klauseln, sog. Cursus. Selbstverständlich braucht das nicht andere Rhythmenfolgen auszuschließen, aber es kommt mir nur auf das statistische Verhältnis dieser zu anderen Formen in den verschiedenen Vergleichstücken an. Parenthesen, wie ut antea solebat, können unrhythmisch ausgeklammert werden. Beim Cursus ist es möglich, v, i, qu silbisch oder konsonantisch zu lesen. Mit -)- sind .unrhythmische', mit ( + ) solche Stellen bezeichnet, bei denen nur eine musikalische Klausel existiert. *) Die Arbeit von S u s a n H. B a l l o u , De clausulis a Flavio Vopisco adhibitis, Weimar 1 9 1 2 , kommt zu keinem befriedigenden Ergebnis. Dagegen steht auch M . H a l l é n , In scriptores Historiae Augustae studia, Upsala 1 9 4 1 , in verstreuten Bemerkungen über R h y t h m i k auf H o h l s Standpunkt, vgl. besonders 30. 59, 1 . 93, 9. 98. 1 0 1 . 104. 8 ) Vgl. E . N o r d e n bei T h . M o m m s e n Ges. Sehr. 7, 3 2 5 , 1 . Die gleiche Reihenfolge übrigens auch v. Cari 18, 3 Galerium atque Constantium, hier Galerius statt Maximianus, weil die N o t wendigkeit der Unterscheidung von dem vorher genannten Maximianus Herculius bestand, H . P e t e r , Die Scriptores Historiae Augustae. Sechs litterargeschichtl. Untersuchungen, Leipzig 1892, 44, 3 gegen O. S e e c k , JclPh. 141 (1890), 6 i 8 f . Dagegen ist die Reihenfolge v . Prob. 1 , 5 omnes qui supersunt usque ad Maximianum Dioclctianumque dicturus offenbar durch das Todesdatum bestimmt, vgl. u. S. 1 5 7 und W . E n ß l i n , R E 1 4 (1930), 2491. 4 ) Die Mischung von Cursus und musikalischer (quantitierender) Klausel hatte zuerst E. N o r d e n , Kunstprosa 948, bei Augustin beobachtet. Dann glaubte man sie bei Symmachus und Ammian feststellen zu können (de G r o o t , H a g e n d a h l u. a.); es handelt sich bei jenem um quantitierende Klausel mit einer gewissen gleichzeitigen Beachtung des Akzents, bei diesem um die umgekehrte Erscheinung. Neuerdings ist man bis auf Arnobius (H. H a g e n d a h l , La prose métrique d'Arnobe. Contributions à la connaissance de la prose littéraire de l'Empire, Göteborgs Högskolas Arsskrift 42, Göteborg 1936, 78 u. ö.), j a sogar bis auf Cyprian (vgl. ders., a. O . 87 und Gnomon 1 5 [1939], 84ff.) zurückgegangen.
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der § i durchaus unrhythmisch komponiert wurde 1 ). Die Frage ist nun, woher die Briefform, die der Autor dieser Vita gegeben hat, gekommen ist 2 ). Ich will, von einer im wahrsten Sinne des Wortes erstaunlichen Vita ausgehend, eine Antwort zu geben versuchen. V o n der Jugend des Kaisers Maximin (235—238, geboren 172 oder 173) erzählt die Historia Augusta besonders in Kap. 2—6 seiner Vita seltsame Dinge. Die besonderen Kräfte des sehr jungen Mannes (peradulescens з, 6) haben ihm u. a. den Namen des Hercules eingetragen (4, 9. 6, 9). Die Länge des Körpers, die unermeßliche Breite, die Schönheit (vgl. 2, 2), Größe und Glanz der Augen (oculorum magnitudo et candor 3,6) werden hervorgehoben, ja nach einem Historiker Cordus die Länge genau zu 8 Vi» Fuß angegeben; 20 Kapitel später beträgt sie allerdings — trotz Rückverweis auf die erste Stelle — schon „knapp 8 1 / 2 Fuß" (6, 8. 28, 8). Er stammt von einem gotischen Vater und einer alanischen Mutter aus einem thrakischen D o r f ; das hat er zuerst selbst so mitgeteilt, später aber unterdrückte er diese Abstammung, um nicht als vollbarbarischer Kaiser zu erscheinen (1, 5fr.). Er sprach schlechtes Latein, beinahe ganz thrakisch (2, 5). U n geschlacht von Sitten (2, 2), fraß und soff er unermeßliche Mengen, eine ganze „capitolinische" Amphora 3 ), 40—60 Pfund Fleisch. W e g e n seiner Größe hielt er sich für unsterblich (9, 3) und vollbrachte unerhörte Heldentaten. Er lief ausdauernd wie ein Pferd, und im R i n g e n überwand er gleich danach zahlreiche Soldaten oder später bei einem zweiten R i n g k a m p f nach mehreren Soldaten einen Tribunen (3,3. Kap. 6). Formal ist die Erzählung dieser Taten beide Male von einem Dialog begleitet, einmal zwischen Maximin und Kaiser Severus, das andere Mal ist der Partner der Tribun. Die laszive Obszönität des Kaisers Heliogabal lehnte er ab und z o g sich ins Naturleben zurück (4, 7 ff.). U n d so wunderte sich Kaiser Severus, als er ihn sah (2, 6), und mit wunderbarem Vergnügen und wunderbarer Freudenbezeigung empfing ihn der neue Kaiser Severus Alexander (5, 4). W e n n im Neuen Testament ein Wunder erzählt ist, etwa der Sturm auf dem Meere gestillt wurde, heißt es, verwunderten sich die Menschen (Mt. 8, 27), und als Jesus Lahme, Blinde, Stumme und Krüppel heilte, verwunderte sich das V o l k (Mt. 15, 31). W i e w i r wissen, ist das eine feste Form. Das Hervorrufen des Staunens und Erschreckens ist der Sinn einer Literaturgattung, die w i r nach antiker Weise Aretalogie nennen. Sie schildert die kraftvollen Taten eines Helden oder Gottes, deren Charakter darin besteht, daß sie über den gewöhnlichen Menschenverstand hinausgehen 4 ). Dabei ist wortreicher grober Schwindel stilecht, aber er wird durch *) W e n i g ausgiebig sind die Bemerkungen v o n S. F r a n k f u r t e r i n : Eranos Vindobonensis 1893, 228. A u c h erledigen sich die Ansichten v o n O . T h . S c h u l z , Antonine 135, der z. B . 1, 3 v o n dem übrigen als Einschiebsel des letzten Redaktors absondern will. Das ist sprachlich nicht zu begründen. Z u m Stilunterschied v g l . E. N o r d e n , Kunstprosa 432. 2 ) R . G r a e f e n h a i n , D e more libros dedicandi apud scriptores Graecos et R o m a n o s o b v i o , Diss. M a r b u r g 1892, bespricht nur einige typische, mit anderen W i d m u n g e n übereinstimmende Phrasen (a. O . 13. 31). Es war anscheinend nicht m ö g l i c h , die Erscheinungsform als solche in die verschiedenen T y p e n v o n W i d m u n g e n einzuordnen. 3 ) Über den tollen W i t z s. E. H o h l , Hermes $2 (1917), 472ff. Burs. Jber. 200 (1924), 208 und и. S. 29, 1. 4 ) Die grundlegende A b h a n d l u n g stammt v o n R . R e i t z e n s t e i n , Hellenistische W u n d e r erzählungen, Leipzig 1904. Neuerdings A . K i e f e r , Aretalogische Studien, Freiburg 1929;
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zahlreiche Stilmittel verdeckt, die alle darauf zielen, die fabelhafte Geschichte trotzdem als wahr erscheinen zu lassen. Und sie wurden in der Tat geglaubt. So berichtet Augustin cura pro mort. ger. 15 ( C S E L 41, 644fr) von einem seiner Täuflinge, dieser wolle im Zustande des Scheintodes im Paradies gewesen sein, weil er in Verwechslung mit einem Namensvetter versehentlich zu früh dorthin abgeholt worden sei. Alles das wird mit genauen Ortsangaben, municipium Tulliense, Hippo, mit dem Hinweis auf eine bestimmte hasilica und ein baptisterium versehen (644, 8. 647, 2ff.). Es werden Leute erwähnt, „die jetzt bis zu diesem Augenblick leben" (qui nunc usque adhuc vivunt 645, 10). Augustin steht selbst dafür ein, es von ihm gehört zu haben; Zeugen aus den angesehenen Kreisen der Bürgerschaft bestätigen den schon längere Zeit zurückliegenden Scheintod und die Identität des Berichts mit dem damals nach dem Erwachen zuerst gegebenen (646, 15 ff.). Und das alles zweifellos in vollem Ernst und Glauben 1 ), obwohl es sich um ein altbekanntes, immer wieder erzähltes Märchen handelt2). Die Antike selbst hat sich über dieses merkwürdige Phänomen ihre Gedanken gemacht, und Lukian spottet in den Philopseudeis weidlich über solche leichtgläubigen Leute 3 ). Unter die Zahl derartiger literarischer Produkte rechnet ein Brief des Herodes Atticus an einen gewissen Julianus 4 ), den Philostrat vit. soph. 2, 1, 7 erhalten hat6). Da erzählt Herodes sein Zusammentreffen mit einem ländlichen Herakles in Attika. Gleich dem Hercules-Maximinus ist er noch recht jung, „mit dem ersten Bartflaum". Aber „wie ein großer Kelte" erreicht er eine Länge von „ungefähr acht Fuß". Wenn hier der Vergleich mit einem nordischen Barbaren gezogen wird und in der Maximinusvita eine bestimmte Angabe über die alanisch-gotische Herkunft des Helden erfolgt, so gehört das also zum Stil, und diese Forderung war wichtiger als der Widerspruch, der dadurch entstand, daß der Autor der Historia Augusta nach seiner historischen Quelle Herodian ) mehrfach Maximinus als Thraker bezeichnet (2, 5. 3, 3. 9, 5). Mit der Steigerung von den ungefähr 8 Fuß F . P f i s t e r , D i e R e l i g i o n der Griechen und R ö m e r , Burs. Jber. Suppl. 2 2 9 (1930), i j o f . 2 8 5 ; R o s a S ö d e r , Die apokryphen Apostelgeschichten und die romanhafte Literatur der Antike ( W ü r z b u r g e r Stud. 3), Stuttgart 1 9 3 2 . K . K e r e n y i , G n o m o n 1 0 ( 1 9 3 4 ) , 306. L . B i e h l e r , BEIOS ANHP. Das B i l d des „göttlichen Menschen" in Spätantike und Frühchristentum 1 und 2, W i e n 1 9 3 5 / 6 . A d . J ü l i c h e r , Hermes 54 ( 1 9 1 9 ) , 94fr. in E r g ä n z u n g v o n H . W e r n e r , Hermes 53 ( 1 9 1 8 ) , 2 4 3 ; vgl. R e i t z e n s t e i n , Wundererzählungen 6 ; Augustin als antiker und mittelalterlicher Mensch (Vortr. W a r b u r g ) , Berlin 1 9 2 4 , 53. 5 6 - 6 5 . D i e Kompliziertheit des Vorgangs, der weder als reine Literatur ( R e i t z e n s t e i n ) noch als bare Tatsache ( J ü l i c h e r ) beurteilt werden darf, analysiert trefflich J . G e f f c k e n , A R W . 3 1 ( 1 9 3 4 ) , I 2 f . , vgl. auch J . B a l o g h , Zeitschr. f. neutestamentl. Wissensch. 2 5 (1926), 2 6 6 f f . a
) P. W e n d l a n d , D e fabellis antiquis earumque ad Christianos propagatione, Göttingen 1 9 1 1 , 2 6 mit weiterer Literatur. J ) K a p . 2 5 bringt er eine ganz ähnliche Geschichte w i e Augustin. V g l . zum prinzipiellen Phänomen R e i t z e n s t e i n , Wundererzählungen 3 ff. und unten 406 f. 4 ) Vgl. M ü n s c h e r , R E 8 (1912), 948f. s ) R e i t z e n s t e i n , a. O . 7 1 . 9
) Z u r Benutzung Herodians v g l . T h . M o m m s e n , Ges. Sehr. 7 , 3 3 4 f f . ; E . S c h w a r t z , R E 5 (1903), 2 9 3 ; E . H o h l , Hermes 52 ( 1 9 1 7 ) , 4 7 3 , 5 und R E 1 0 ( 1 9 1 7 ) , 8 5 3 . Ansichten, die Herodian nur durch eine Zwischenquelle benutzt sein lassen, in der die historischen N a c h richten mit den privaten hier v o n uns behandelten verbunden gewesen seien (z. B . Cordus bei
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bei Herodeszuden 8VI 6 undweiter knapp 81/2 Fuß in der Historia Augusta, die sich sogar auf einen angeblichen historischen Quellenschriftsteller Cordus beruft, steht es genau so: denn jede nachfolgende Wundererzählung muß die Farben dicker auftragen. Gerade auch über die Herkunft des Herakles wird breit gehandelt 1 ). Nach der einen Ansicht sei er „eingeboren (ytjyev^) im boiotischen V o l k " g e wesen. Es wird dann eine zweite Version gegeben, die, wie von Maximin ähnlich berichtet ist, der Herakles selbst erzählt hat; sie macht nähere Angaben über die Mutter, eine starke Rinderhirtin, und den Vater Marathon. Herodes bemerkt bekräftigend, er habe das von ihm gehört, und fügt zum Namen des Vaters den Z u satz: „ V o n dem das Standbild in Marathon, es ist ein ländlicher Heros" id BV MaQaftwwi äyalfia, eaxi de ißcog yewgyixös)2). V o n der Person des Herakles lesen wir eine genaue Beschreibung; zottige, zusammengewachsene Brauen habe er besessen, ein Zeichen der Schönheit also 3 ). Gerühmtwird der helle Strahl aus den Augen 4 ). Ich lasse das aus, w o f ü r Parallelen in der Maximinusvita fehlen. Aber w i e dort ist er von rauhen Sitten, trägt Wolfsfelle und geflickte Kleider und schlägt sich mit Sauen, Schakalen, Wölfen und Stieren. W i e in der Maximinusvita wird die weitere Erläuterung der wunderbaren Kräfte in Dialogen zwischen Herodes und dem Helden gegeben. Dabei stellt sich heraus: Er ist langlebiger als die Sterblichen, frißt unter anderem zehn Tagesrationen Gerste — wieder steigert die Maximinusvita auf 40 und gar 60 Pfund Fleisch, natürlich wieder nach Cordus, dem „Spätgeborenen" 6 ), säuft einen xQaxfjQ fisyiaro; voll Milch, entsprechend der CapitoF. L e o , Biographie 278, vgl. Geschichte und Politik 84, 1) waren kaum begründet und erledigen sich jetzt implizit. l ) R e i t z e n s t e i n , Wundererzählungen 62. Das wird genügen, die Fälschung der alanischgotischen Herkunft und der Person des Cordus endgültig zu sichern, die man immer wieder bestritten hat. Z u ersterem Problem s. u. S. 102. j . 423. s ) Über den eponymen Heros von Marathon s. W r e d e , R E 14 (1928), 1428. 3 ) J. F ü r s t , Philologus 61 (1902), 387. B i e h l e r , a. O . I, 51. *) Was wie die Größe zum T y p des Heraklesbildes gehört (vgl. die Porträts bei Dikaiarch und Hieronymos v o n Rhodos FIIG. II 238, fr. 10, auf die F ü r s t , a. O . 430 verweist), darüber hinaus überhaupt zur Aretalogie, vgl. R . P f i s t e r , A r t . Epiphanie R E Suppl. 4 (1924), 3i4f.; Der Reliquienkult im Altertum ( R V V j), Göttingen 1909/12, 507fr. A l t h e i m hat sich doch wohl durch die entsprechende Stelle der Maximinusvita etwas allzu weit verführen lassen, vgl. E. H o h l , R h . Mus. 91 (1942), 165, 7. s ) Ich halte es methodisch für zulässig, wie E. H o h l , K l i o 12 (1912), 48if.; NJb. 33 (1914), 707; Burs. Jber. 200 (1924), 174 es tat, in den fingierten Schriftstellernamen redende Namen zu suchen. Redende Namen sind romanhaft-aretalogisch, K i e f e r , a. O . 57, 36. Cordus ist immer wieder der, der die „letzte" aretalogische Steigerung bringt. Der angeblich aus Cordus genommene, sicher gefälschte Brief (vgl. L . H o m o , R e v . histor. 132 [1919], 19) v. Maximin 12, 6 nennt die Zahl von 40000-50000 Schritt Entfernung. Vorher 12, 1 in einem fiktiven
Zahlenzusatz zur Quelle Herodian 7, 2, 3 f. jroAAijv yrjv ¿nrjk&ev bzw. ini nokv 7iQoexßi}oe wird gesagt, der Kaiser sei 30000-40000 Schritte in feindliches Land eingedrungen. Das ist eine offenbar zusammenhängende Zahlenklimax, und man darf daraus natürlich nicht mit L. H o m o , R e v . histor. 131 (1919), 224 auf eine lateinische Zwischenquelle zwischen Herodian und H i storia Augusta schließen; vgl. außer o. S. 27, 6 A . v. D o m a s z e w s k i , R h . Mus. 58 (1903), 544, 2 und die Kritik seiner späteren verwirrten Ansichten durch E. H o h l , Burs. Jber. 200 (1924), i84f. Das hatten auf andere Weise auch schon H e d w i g S e i d e n s c h n u r , Der historische W e r t der Vita Maximinorum duorum, Schreibmasch. Diss. Rosrock 1925, bes. 74 (mit einzelnem Irrtum) und A . P a s o l i , L'uso die Erodiano nella „Vita Maximini" (Annuario de!
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litia amphora voll W e i n bei Maximin 1 ). Allerdings während Maximin schlechtes Latein, beinahe thrakisch spricht, hat der Herakles des Herodes in der fieaoyaia Attikas das reine Attisch erlernt, das nicht w i e in Athen durch thrakische und pontische Sklaven verdorben war 2 ). Der attische Herakles besitzt eine beträchtliche Moralität. Ähnlich Maximin will er mit Weibern nichts zu schaffen haben, riecht der Milch an, daß sie von einer Frau gemolken war. Die Ehrenpreise der Griechen in den Wettkämpfen scheinen ihm unangemessen. Ganz entspechend den beiden Leistungsproben des Maximin will auch dieser Herakles nur gelten lassen, w e r schneller läuft als Pferd (und Hirsch) und im R i n g e n Stier und Bär besiegt — und er bedauert, daß es keine Löwen mehr zu bewältigen gebe 3 ). Eine solche Geschichte 4 ) bildete die Quelle dieses Teiles des Maximinusvita. Gewissermaßen der Aufhängepunkt dafür in dem Bericht der historischen Quelle Herodian waren ganz wenige Stichworte dort 6,8, i öiä fieye&og xal ioxvv adifiaxog
eg rovg inTisvovrag
2, 2 prima
stipendia
equestria
OTnauwrag huic fuere.
xaxazaydq erat enim
( v g l . 7 , 1, 12) = v . M a x i m i n . magnitudirte
corporis
conspicuus
usw. 8 ) A n diesen Begriffen der Größe und Kraft, die aretalogische Assoziationen weckten, setzte der Kompilator an ). Die halbbarbarische Hirtenexistenz, von der R . Ginnasio di Chiari), Milano 1927 und Sulla composizione di due brani paralleli degli „Scriptores historiae Augustae" (Maximini, 13, J - 1 9 e Gordiani, 7, 2—16) (Annuario del R . Liceo-Ginnasio „ U g o Foscolo" di Pavia), Voghera 1929, abgelehnt, v. Gordian. 17, 3 wird betr. den Adel des ersten Gordian der E r w ä g u n g empfohlen, o b er v o n den Scipionen, den Pompei, Antonini oder Antonii abstamme. Der Verfasser selbst halte es mit Cordus, der natürlich — aus „allen" diesen Familien den A d e l Gordians zusammengekommen sein lasse. ' ) Z u dieser Erfindung v g l . E. H o h l , Hermes 52 (1917), 472ff. (unter witziger Anspielung auf •den angeblichen Namen des Verfassers der Vita Capitolinus, zugleich die auf dem Capitol in R o m aufbewahrten Normalmaße); v g l . die epota vini amphora S u e t . T i b . 42, 2 als weitere Anregung. s ) In dem Streit, was v. Maximin. 2, 5 semibarbarus bedeutet, entscheidet die U m g e b u n g , in der es steht: adulescens, Sprachbefähigung des Maximin. Das sind, wie wir sahen, alles aretalogische Momente und zu denen gehört die geringe Zivilisation des Naturburschen, semibarbarus geht also nicht auf die Abstammung. R i c h t i g E. H o h l , R h . Mus. 91 (1942), 167f. gegen F. A l t h e i m , ebd. 90(1941), 200; 91 (1942) 350; Literatur und Gesellschaft i m ausgehenden Altertum 1, Halle 1948, 187. ' ) Ähnlich bittet M a x i m i n Vita 6 nach der schnellen Erledigung eines vorlauten Tribuns im R i n g e n um einen wahren Tribunen als Gegner. 4 ) Herodes hat den Brief geschaffen ähnlich den Geschichten über den Boioter SostratosHerakles (vgl. M ü n s c h e r , R E 8 [1912], 949). Lukian gibt im D e m o n a x 1 an, er habe diesen Sostratos in einer besonderen Schrift behandelt; die wenigen Andeutungen lassen die Ähnlichkeit des Stoffes deutlich erkennen. D e n gleichen T y p zeigt der Sostratos bei Plutarch quaest. conviv. 4, 1, 1 660 E. Über die Frage des Zusammenhanges aller dieser Gestalten, v g l : K . F u n k , Philologus Suppl. 10 (1907), 639fr H e l m , R E 13 (1927), 1735. Mehrere Naturburschen dieser A r t und dieses Namens nehmen an W i l a m o w i t z , Euripides Herakles 4 , Berlin 1895, 94 A n m . 174, E. R o h d e , Der griech. R o m a n 357, 1. M a n sollte für eine Zeit, die keine Irrenhäuser kannte, das nicht als unmöglich erklären, aber v g l . B i e h l e r , a . O . 1 , 5 5 . 6 1 . 6 9 f. 108. ') A u f die Parallele weist E. H o h l , R E 10 (1917), 855. D a ß ein zukünftiger Kaiser dem regierenden Herrscher bei Wettspielen auffällt, ist eine besondere Variante der Historia Augusta, die sie hier der Wettkampfleidenschaft ihres Herculesideals einfügt, H . D e s s a u , Hermes 24 (1889), 381.
•) L. W i c k e r t machte mich gesprächsweise darauf aufmerksam, daß die W a h l einer Heraklesaretalogie natürlich durch die seit alters mit dem Prin ipat verbundene Heraklesideologie v e r -
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Herodian an derselben Stelle erzählt, leitete die Gedanken in dieselbe Richtung einer bestimmten aretalogischen Literatur. R e i t z e n s t e i n 1 ) wies daraufhin, daß die Herakles-Episode eine Vorstufe der späteren Mönchslegenden erkennen läßt. Das asketische Naturideal ist schon hier deutlich angelegt. Und so finden wir dann in den Heiligenlegenden den gesamten Apparat der Aretalogien wieder. Berühmt und von besonderer Bedeutung für die ganze nachfolgende Zeit war die Vita Antonii des Athanasios (Migne PG 26, 835 fr.)2). In sie ist von Kap. 48-66, indem die Erzählung „wie von neuem anhebt",, eine lange Reihe von Wundergeschichten eingelegt, die durch das Zentralthema des i]oe/xelv und fiovä&iv zusammengehalten sind 3 ). Von diesem Teile an begegnen zahlreich die typischen Ausdrücke der Freude und des Wunderns über die Taten des Antonius 4 ). Die Vita anlaßt wurde. D i e Verbindung mit Kampfspielen war auch von dieser Seite gegeben, vgl. F. S a u t e r , D e r römische Kaiserkult bei Martial und Statius (Tüb. Beitr. 21), Stattgart 1934, 78FF. 1 1 6 .
!) Wundererzählungen 7 1 ; Sber. Heidelberg 1914, N r . 8, 2 1 ; Historia Monachorum und Historia Lausiaca (Forsch, z. R e l i g . u. Lit. des Alten und Neuen Testaments N F . 7), Göttingen 1916, 94,4.
) Vgl. K. H o l l , Ges. Aufs. 2, 268f. *) R e i t z e n s t e i n , Wündererzählungen 5 5 f f . ; Sber. Heidelberg 1 9 1 4 , N r . 8, 2OFF. Die K o m positionsfuge an dieser Stelle hat R e i t z e n s t e i n im wesentlichen richtig erkannt, im übrigen genügt aber auch seine Analyse noch nicht. Ziemlich gewaltsam verfährt J . L i s t , Das Antoniusleben des hl. Athanasius d. Gr. (Texte und Forsch, zur byzant.-neugriech. Philologie 11), Athen 1930. Er will das Schema des Enkomions einlinig durchführen, das er mit dem von H o l l gesehenen Aufstieg in Tugendstufen koppelt (vgl. bes. a. O . 34). Sachlich ganz falsch ist das freilich auch nicht. Es liegen drei Züge v o r : 1. Kap. 1 - 4 7 ; 2. Kap. 4 8 - 8 2 ; 3. Kap. 8 3 - 9 3 . Jeder Zug hebt von neuem an und gibt in einem in diesem Buche weiterhin zu klärenden Sinne eine Dublette. Jeder Zug ist, wenn auch in verschiedener und sich komplementierender Ausführlichkeit, bis zum T o d e des Antonius hingeführt: Kap. 47 eot; reAevrijs; zeAevrrjoa;; Kap. 82 Haltet euch f e m von der arianischen Häresie; die Motive beider Kapitel im Kap. 91 wieder aufgenommen in der auf den T o d hinführenden Erzählung, mit dem Kap. 92 schließt. Z u beachten ist ein charakteristischer Parallelbau: Z u g 1 und 2 enthalten z. B . jeweils ein Kap. rj&ov rt/xiortoav t rätirai ri/v yvcTjaiv, töjv onovdakov ev v/iiv ex rjyf nvxvozega; ro>v &£(oti> VoatpCov üvayvvxjto; raura /tav&av6vro>v. . . ; 9,13 (Migne 652) Iva Kai avToQ .Tfoieo^d/teco; xag &eiag Fou(p/i; rrj; iavxov oorynia; xegiö(>d£fl. Auf die Kyrill-Stelle wurde ich durch die Lektüre von H. L i e t z m a n n , Geschichte der alten Kirche 4, Berlin 1944, aufmerksam. Vgl. auch T h . B i r t , Die Buchrolle in der Kunst, Leipzig 1907. 3 5 : „Durch Bücherlesen wurde der Christ zum Christen erzogen." Breit behandelt A . v . H a r n a c k , Die Mission und Ausbreitung des Christentums i 4 , Leipzig 1924, 289ff., das Phänomen: Das Christentum war an sich keine „Religion des Buches" wie der Islam. Doch hat das Buch gerade bei seinen bedeutenden Persönlichkeiten früh eine gewichtige Rolle gespielt, natürlich zunächst das Alte Testament (a. O. 294, 2). *) Der Brief ist vor Ambr. ep. 1 Migne 1 6 , 8 7 5 abgedruckt; dort § 3. Julian trennte sich nie von seinen Büchern, sie begleiteten ihn auch auf seinen Feldzügen, E . K o r n e m a n n , Römische Geschichte, in: Einl.,in die Altertumswissenschaft 3 3 , Leipzig 1933, 1 1 8 . 2 ) Das Problem des lauten Lesens und Schreibens, erstmalig herausgestellt von E . N o r d e n , Kunstprosa 6, erfuhr eine umfassende Behandlung durch J. B a l o g h , Voces paginarum, Philologus 82 (1927), 84ff. 2 0 2 f f ; ein Nachtrag von L. W o h l e b , Philologus 85 (1930), i n . Vgl. auch E . N o r d e n , Agnostos Theos, Leipzig 1 9 1 3 , 361, 2 ; H. P e t e r , Wahrheit und Kunst (o. S. 1 5 , 2) 29, 1. 88, 1. 103. 425. s ) Aug. conf. 6, 3, 3, vgl. E . N o r d e n , a. O. 6, B a l o g h , a. O. 88—92. 2 i 9 f . 4 ) Antike 3 (1927), 351fr. 6 ) Eusebios h. e. 9, 5, 1. 7 , 1 . E. S tein, Geschichte des spätrömischen Reiches 1, Wien 1 9 2 8 , 1 3 6 .
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J u g e n d selber unersättlich Lektüre 1 ). U n d später, im Besitz der Macht, w a r er sich über die Bedeutung des Lesens f ü r sein religiöses und politisches Programm und f ü r die richtige Einstellung seiner Anhänger im klaren. Im Januar 363 äußert er in dem B r i e f an Theodoros ep. 89 b (Bidez) 300 C ff. seine Meinung dazu ausführlich. E r erörtert die Frage der geeigneten Lektüre für einen Priester: ovòè àvàyv(aafia
Ttäv iegco/iévcp
ngéjiei.
èyyivexai
yag
XH; xFJ YV/ji
diademi;
vjtò
rajv
Xóyov
(301 B / C ) . Darum lehnt er die Spottdichtung eines Archilochos und Hipponax und die alte Komödie ab und empfiehlt dafür v o r allem die große Philosophie, aber nicht Epikur und Pyrrhon. A u c h iaxogiai läßt er zu, soweit sie geschrieben wurden über w i r k l i c h : Vorgänge, dagegen nicht den erotischen R o m a n und alles Derartige 2 ). Schließlich drängt e r a u f die Aneignung der „alten und neuen" heiligen Hymnenpoesie 3 ). U m so mehr richtet auch die staatliche Inquisition ihre peinliche A u f m e r k s a m keit auf alles, was mit Büchern zusammenhängt. Gleich am Beginn der römischen Cäsarengeschichte, wahrscheinlich im Jahre 1 2 n . C h r . , belangt man nicht nur die Verfasser allzu freimütiger Bücher persönlich, sondern erfindet auch das A u t o dafé der Buchrollen mit ihren Werken ; fast immer trifft es Geschichtswerke. N o c h ist das ungewöhnlich, res nova et inusitata supplicium de studiis sunti, sagt der ältere Seneca controv. 10 praef. 5, und Cassius Severus, der die inquisitorische Methode bereits zu Ende denkt, kann damals noch den W i t z machen: Eigentlich gehöre dann auch er, der den Inhalt der inkriminierten Bücher gelesen habe und auswendig kenne, auf diesen Scheiterhaufen. Drei Jahrhunderte später ist es in bitterem Ernst soweit: „ C o m m o d u s ließ, so erfindet die Historia Augusta, auch einen, der das B u c h des (Suetonius) Tranquillus, das die Vita des Caligula enthält, gelesen hatte, den wilden Tieren vorwerfen, weil er denselben Geburtstag gehabt hatte w i e auch Caligula" (v. C o m m o d . 10, 2) 4 ). N u n konnte es ein todeswürdiges Staatsverbrechen sein, einen „ C a l i g u l a " auch nur zu lesen 5 ). ') J . G e f f c k e n , Kaiser Julianus (Erbe der Alten 8), Leipzig 1 9 1 4 , 6 ; F. S c h e m m e l , Philologus 82 (1927), 4 5 8 f . 2 ) 3 0 1 B ngénoi ö'äv ?jfilv iaxoQtuig èvxvyzàveiv ónóaai avve-/Qd) Zur Deutung vgl. E . N o r d e n , Die Geburt des Kindes, Leipzig 1 9 2 4 , i34ff. (Herkunft aus dem Bereich des lesenden Horusknaben), dagegen L. D e u b n e r , Gnomon 1 ( 1 9 2 5 ) , 1 6 7 (diesseitig römisch), vgl. P. C o r s s e n , Philologus 8 1 ( 1 9 2 6 ) , 5 7 , bei dem formengeschichtliche M o mente etwas zu kurz kommen; E. L i n k o m i e s , Arctos 1 ( 1 9 3 0 ) , 1 4 9 mit viel verfehlten Interpretationen. Sehr vorsichtig in seinem Urteil R i c h a r d H e i n z e bei H . D a h l m a n n , Gnomon 8 ( W z ) . 50of. Ich kann mich hier noch nicht ausführlicher äußern: So sicher die Farben römisch schillern, so sicher ist mir, daß der puer, von dem das Heil erwartet wird, eine unrömische Vorstellung ist. Davon handelt auch diese Untersuchung. Also ist das Kind doch wohl eines von besonderer Art? Auch pacatumque reget patriis virtutibus orbem ist nicht entweder diesseitigrömisch nur von diesem römischen Reich gesagt (so H e i n z e , a. O. 4 9 9 ) oder nur orientalische Idee ( N o r d e n , a. O . n 6 f f . ) . W i r werden noch bei Gelegenheit sehen, daß gerade bei Vergil zum ersten Male römische Wirklichkeit und orientalische Formentradition mit der Person des Octavian als Träger des Prinzipats zusammengeschlossen werden (s. u. 372fr.). Die 4. Ekloge zeigt jenes für den frühen Vergil so charakteristische Verschwimmen der Kontur zwischen Realität und Mythos. Das blieb übrigens auch das Kennzeichen des antiken Kaisertums, dessen eine „Geburtsurkunde" ( K a m p e r s ) die 4 . Ekloge in der Tat ist. Es kommt bei ihr darauf an, wo wir die Grenze zwischen Mythos, Mystik und Realität zu ziehen haben. Die formalen B e dingungen der Bukolik Vergils, die Linien, die zu Theokrit zurückführen, die vergilische B e sonderheit klärt B . S n e l l , Die Entdeckung des Geistes, Hamburg 1 9 4 6 , 233 ff- bes. 2 4 2 ( = A n tike und Abendland 1, Hamburg 1945, 2 6 f f . bes. 32). Vgl. u. S. 377 f. und 3 8 3 f r 2 ) Auch die Interpretation der schwierigen Verse - vor allem von v. 28 - , welche der Übersetzung zugrunde liegt, kann hier nur andeutend erfolgen. Zu facta parentis s. u. S. 3 7 5 , 3 . Die B e deutung der wundersamen Naturerscheinungen wird klarer werden, wenn die vorangehenden Verse i 8 f f . analysiert sind (s. u. S. 264fr.). Hier soll nur auf die Verse Lucrez 1, i 6 $ / 6 . 1 8 7 . 1 8 9 hingewiesen werden; sie stehen in einem großen zusammenhängenden Beweisgang, in dem
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„ N u n schenken wir den Alten Glauben (s. o. S. 50, 1), da du in deinen Kriegszelten nebeneinander Bücher und Waffen unter der Hand hast 1 ). Und für alle Verhältnisse der Umstände und der Zeiten hast du etwas durchzublättern: Die Geschichte bereitet dir Vergnügen in Schlachten, bei ermunternden Reden die Suasorien, die Schauspielerdialoge bei Unterhaltungen, die Gedichte bei Triumphen. Ich merke, daß ich eben recht auf die Beispiele der Alten abgeglitten bin . . . " und nach einem Pompeiusbeispiel: „Wenn mir höher hinauf zu schweben im dichterischen Stil erlaubt wäre, würde ich die ganze Auslassung des Vergil über das. neue Zeitalter dem Dichter ähnlich auf deinen Namen ausschreiben. Ich würde sagen, vom Himmel sei rückgekehrt Gerechtigkeit und überdies verspreche ergiebigen Ertrag die trächtige Natur" — schon blitzen in den Worten des Redners jene Verse Vergils auf, die den Zeilen über das lesende Götterkind unmittelbar folgen 2 ): „Jetzt würde mir auf sich breitenden Feldern von allein golden heranreifen die Saat, in den Dornen schwellen die Traube, vom Eichenlaub Honigtau träufeln. Wer würde sagen, dies sei unter deiner Ägide unglaublich, dessen hohe Anlage viel schon leistete und von dem man mehr noch zuversichtlich erhofft? Und fürwahr, wenn es recht ist, die Zukunft vorahnend zu erschließen, so spinnen schon längst die Fäden der Parzen das goldene Jahrhundert 3 )." So ist der mythische lesende Götterknabe Vergils schließlich spät doch in die Geschichte eingetreten 4 ). Lucrez jedes Wunder in der typischen antiken Erscheinungsform (vgl. subito 180. 186, repente 187, sine . . . laborc sponte sui 2 1 3 / 4 und vieles andere), das heißt aber jede wirksame göttliche Manifestation auf Erden a limine als absurd abweist: nec fructus iiem arboribus constare solercnt, st'd mutarentur, ferre omnes orniiia possent. (Vgl. Verg. ecl. 4, 39 omnis feret omnia tellus.) e terräque exorta repente arbusia salircnt. (quorum nihilßeri manifestum est, omnia quando paulatim crescunt, ut pur est semine certo.) Bei Vergil, der dem Propheten der materialistischen R a t i o gegenüber steht als der Prophet des Wunders und der Mystik, schieben sich die Vorstellungen wunderbarer Zeitlosigkeit und natürlicher Entwicklung in der Zeit ineinander, wie auch sonst in der Ekloge 4. Das heißt: Es kommen zwar im Zeitmaß normaler Entwicklung, aber fertige, reife Ähren aus dem Boden. Andere Erklärungen behandelt A . K u r f e s s , B p h W . 58 (1938), 9J9. ' ) Der Topos „Philologe und Soldat" in dieser Zuspitzung anscheinend nur noch bei T h e m i stios, W . P o h l s c h m i d t , Quaestiones Themistianae, Diss. Münster 1908, 72. Z u den „ A l t e n " vgl. Suet. A u g . 84, 1. 2 ) Es scheint mir sicher, daß Symmachus Erklärungen wie Servius buc. 4, 6. 7 usw. kannte, die in dem Gepriesenen der Ekloge den Augustus erblicken wollten, vgl. E . N o r d e n , Geburt des Kindes 156. Der Servius-Kommentar selbst lag 369 natürlich noch nicht vor, aber seine älteren Vorgänger müssen Symmachus bekannt gewesen sein. 3 ) or. 3, 7 f f . iatti credimus vetustati, cum in iisdem tentoriis tuis volumina et arma tractentur. tiec deest quod pro condicione rerum temporumque percenseas: historia oblectaris in proeliis, in adhortationc suasoriis, actionibus in colloquiis, carminibus in triumphis. sentio me ad cxempla veterum tempestivc esse dilapsutn . . . si mihi nunc altius evagari poetico liceret eloquio, totum de novo saeculo Maronii excursum vati similis in tuum nomen exeriberem; dicerem caelo redisse Justitiam et ultro uberes fetus tarn gravidam spondere naturam; nunc mihi in pitentibus campis sponte seges matura flavesceret, itt sentibus uva turgeret, de quernis frondibus rorantia mella sudarent. quis haec sub te tiegaret esse credenda, cuius indoles multa iam praestitit et adhuc spes plura promittit. et vere sifas est praesagio futura conicere, iamdudum aureum saeculum currunt fusa Parcarum. *) Unter Kaiser Gallienus finden wir diese vergilischen Motive mit Bezug auf die kindlichen
Wesen und Entwicklung des römischen Historismus im 4. J h . n. C h r .
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W i r werden sehen, das R o m des Altertums hat nicht aufgehört, ihm, dem Sonnenkinde östlicher Vorzeit, mochte es nun nahen im Purpurornat der Kaiser oder aus der Krippe im Stall zu Bethlehem, den Einzug in Stadt und R e i c h zu verwehren, und als es triumphierte, brachte es diesem R o m — den Untergang. Ein Mann, der dem höchsten Adel der Stadt R o m w o h l ganz nahestand, schrieb im 4. J h . die folgenden W o r t e : dii avertant priticipes pueros et patres patriae dici inpuberes et quibus ad subscribendum magistri litterari manus teneant, quos ad consulatus dandos dulcia et circuli et quaecumque voluptas puerilis invitet. quae (malum) ratio es[ habere imperatorem, qui famam curare non noverit, qui quid sit res p. nesciat, nutri10rem timeat, respiciat ad uutricem, virgarum magistralium ictibus terroriquesubiaceat, Jaciat eos consules dtices iudices quorum vitam merita aetates familias gesta non norit. „ D i e Götter mögen verhüten die Kinderkaiser, und daß den Titel des Vaters des Vaterlandes erhalten Knaben und die, denen beim Unterschreiben die Schreiblehrer die Hand führen, die durch Süßigkeiten und Käsekuchenkringel und sonstige kindliche Genüsse sich zur Verleihung des Konsulats bestimmen lassen. Wehe, welchen Sinn hat es, einen Kaiser zu haben, der seine Majestät nicht 711 wahren versteht, der das Wesen des Staates nicht weiß, den Erzieher fürchtet und nach der A m m e schielt, der vom Lehrer mit den Schlägen der schrecklichen R u t e bedroht ist, der die zu Konsuln, Generälen und Beamten macht, deren Leben und Verdienst, Alter, Familie und Leistung er nicht kennen kann." Diesen Stoßseufzer an die Götter hat der Verfasser in eine R e d e eines gewissen Maecius Falconius Nicomachus eingelegt, die unter Kaiser Tacitus (275—276) im römischen Senat gehalten sein sollte. Sie steht in der Tacitusvita der Scriptores historiae Augustae 6, 5. W i r wissen heute, Namen des Redners und Inhalt der R e d e sind unhistorisch. Sie entstammen dem Denken und den Umständen des 4. Jh.s 1 ). Problem ist immer noch, ob die näheren Bedingungen der Entstehung nach Ort, Zeit und Person des Verfassers zu bestimmen sind. Die Alternative lautete für die Scriptores historiae Augustae bekanntlich heute: Zeit des Julianus Apostata (361—363) oder des Ausgangs v o n Theodosius I. (um 395). E n ß 1 i n 2 ) und — kürzer, aber im selben Sinne — H o h l 3 ) haben neuerdings Kaisersöhne auf Münzbildern, H. M a t t i n g l y , Class. R e v . 48 (1934), 165, A . A l f ö l d i , N u mismatic Chronicle 9 (1929), 2 7 3 , K . K e r e n y i , Klio 29 (1936), 29, 2. J ) E . H o h l , Klio 1 1 ( 1 9 1 1 ) , 2 9 2 f . ; L. H o m o , Rev.histor. 1 5 1 (1926), 1 7 9 . 2 ) Gnomon 18 (1942), 248 fr. s ) B p h W . 62 (1942), 23öff. Ich habe durch die kundige, nüchterne und kontradiktorische K r i tik dieser beiden Gelehrten, die jeder Meister ihres Faches sind, in methodischer Hinsicht viel gelernt. E n ß l i n , dem der R a u m es gestattete, am ausführlichsten sich zu äußern, schlägt, um indem o. S. 4 ff. verwendeten Vergleich zu bleiben, folgenden W e g ein. E r nimmt die einzelnen Teile, die ich zu einem Gesamtbilde zusammenordnete, wieder auseinander und untersucht sie einzeln: E r konstatiert, daß a) einzelne dieser Teile nicht die Form haben, die ich zu sehen glaubte, sie also gar nicht in das Gesamtbild passend eingegliedert werden können; b) andere zwar passen können, aber nicht passen müssen. D i r Einwand a) bedarf ernster Überprüfung, evtl. des Austausches unbrauchbarer Teile durch bessere, wenn es sie gibt, b) besitzt kein entscheidendes Gewicht. E n ß l i n selber hat ein anderes Gesamtbild als ich: Julian, und zwar nicht als Idol, sondern der historische Kaiser 3 6 1 - 3 6 3 . E r nimmt aber von den einzelnen Teilen, die er von meinem Gesamtbild übrig behält, nur das wenigste, um es in sein julianisches G e samtbild einzugliedern. Das braucht noch kein entscheidender Einwand gegen E n ß l i n zu
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wieder auf die eben zitierte bemerkenswerte Stelle der Tacitusvita hingewiesen 1 ). Dazu argumentierte E n ß l i n folgendermaßen: Diese Worte konnten — da vorauszusetzen sei, daß die Historia Augusta auf die Einstellung des regierenden Kaisers positive Rücksicht nahm — nur geschrieben sein unter einem Herrscher, der selbst nicht als Kind auf den Thron gelangte. — Wenn die Prämisse richtig ist, scheidet die Epoche nach dem Tode des Theodosius (17. Januar 395), die R e gierungszeit des mit zehn Jahren zur Alleinherrschaft im Westen gelangten Honorius aus2). Oder, so fährt E n ß l i n fort, diese Stelle konnte nur geschrieben sein unter einem Kaiser, der selbst keine Kinder hatte. Das alles passe nur auf Kaiser Julian. Schon von Kaiser Jovian (363—364) an, so zeigt E n ß l i n weiter, wird immer deutlicher das Streben erkennbar, bereits in ganz jungem Lebensalter den leiblichen Söhnen die Nachfolge zu sichern. Insbesonders gilt das auch von Theodosius I. (379—395). Solche Auslassungen wären also keineswegs zweckmäßig in einem Werke gewesen, das bei diesem Kaiser Interesse zu wecken suchte, um ihn in bestimmter Richtung zu beeinflussen. Hier muß ich Bedenken anmelden. Denn der gesunde Menschenverstand und jedenfalls sicher der an bitteren Erfahrungen wieder gesundete Menschenverstand mußte jedem, auch dem fanatischsten Vertreter des Legitimismus sagen, daß ein kindlicher Thronfolger Spielball der machtgierigen Umgebung sein würde 3 ). Gerade die Sorge um die Dynastie zwang dazu, nach einer Lösung dieser Schwierigkeit sich umzusehen. Es gab deren mehrere, eine trägt die Tacitusvita vor, Theodosius selbst wählte eine andere und — wir werden erfahren, daß auch die Historia Augusta andere kannte. Übrigens vertrug der, wie wir gesehen haben, freimütige 4 ) Theodosius auch Wahrheiten. Ambrosius hat sie ihm oft ins Gesicht gesagt, aber auch der vorsichtige und konziliante Libanios hielt damit nicht immer hinter dem Berge, so etwa in der 30. Rede über die Schließung der heidnischen Tempel. Mein Urteil über die Nicomachusrede war folgendes gewesen: Die Einstellung der Historia Augusta zu dem Problem der dynastischen Erbfolge ist nicht einsein. A b e r wie E n ß l i n zugibt, fehlt in jedem Falle noch das stichhaltige Argument, daß nicht ein zeitloses Julianbild, sondern der historische Kaiser gemeint ist. Diesen genau und scharf charakterisierenden Z u g glaubt E n ß l i n nun in einem einzigen der v o n mir ursprünglich anders verwendeten Teile endlich gefunden zu haben. Ein großer Abschnitt dieses Buches dient dem Versuch nachzuweisen, daß dieser Teil 1. nicht die für E n ß l i n s Ansicht passende Form hat, 2. nur in mein Bild fugen- und anstandslos einzufügen ist. J ) Soeben vertritt in radikaler Skepsis F. D o r n s e i f f , D L Z . 66/8 (1945/7), 7 2 ff-> den konservativen Standpunkt (mit einigen Irrtümern in Einzelangaben), daß die Historia Augusta aus der ZeitDiocletians und Constantins stamme. N . T e r z a g h i , Storia della letteratura Latina, Mailand 1 9 4 1 , 4 5 2 f . , rechnet wenigstens mit einer zweiten Redaktion eines solchen Grundbestandes; ein Widerspruch dazu, wohl ein Mißverständnis, S. 5 2 1 über ein angebliches Fragment aus den Annalen des Flavianus Nicomachus in der Aureliansvita. 2 ) Weniger zuversichtlich kann man das sagen von den Regierungszeiten der beiden jugendlichen Kaiser Gratian und Valentinian II. ( 3 7 5 - 3 9 2 ) , da neben beiden die an Jahren älteren Augusti Valens (bis 378) und Theodosius stehen. 3 ) V g l . den Brief des österreichischen Botschafters in Neapel, Graf Kaunitz, vom 20. Januar 1 7 6 8 über den 16jährigen König Ferdinand von Bourbon (abgedr. bei E . C . C o n t e C o r t i , Untergang und Auferstehung von Pompeji und Herculaneum*, München 1944, 198 ff.) kurz vor der Götterdämmerung der Französischen Revolution. 4 ) Siehe o. S. 14.
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deutig. Einerseits wird das Erbrecht anerkannt, besonders dem sogenannten Flavischen Kaiserhaus der constantinischen Familie gegenüber, andererseits finden wir Gedankengänge, die letzten Endes stoisch-kynischer Philosophie entstammen und auf eine Bestreitung der Erbansprüche zugunsten eines Ausleseprinzips der Besten hinauslaufen. Beides steht unvermittelt nebeneinander, nicht nur in der Historia Augusta, sondern überall, w o die Forderungen der panegyrischen Gattung überwiegen. Wie sollte etwa ein Claudian Elogen auf den dank seiner Abstammung auf den Thron gekommenen njährigen Autokraten mit der nicht minder obligaten Forderung nach dem Adel herrscherlicher Leistung zu einer echten Einheit verbinden ! Widersprüche dieser Art sind eben Zeichen des allgemeinen Niedergangs, nicht Ausfluß einer enger umgrenzten Zeitlage. Das schließt, so argumentierte ich weiter, nicht aus, daß Zeitereignisse in diese an sich disharmonische Melodie Nuancierungen hineinbringen, die wohl erkennbar sein können. Als solche Variierung faßte ich auch das Thema der Nicomachus-Rede auf, die den Vorschlag macht, im Interesse einer starken Reichsführung zugunsten wirklich fähiger Persönlichkeiten den Erbanspruch unmündiger Erben einer Dynastie hintanzustellen. Ein Ereignis wie die Katastrophe des Knaben Valentinian II., dessen Jugendlichkeit Zeitgenossen in diesem Zusammenhange bemerken 1 ), konnte hier z. B. den Anstoß bilden2). Grundlage und Voraussetzung aller solcher Deutungen ist die gedankliche Verbindung von den Ereignissen der eigenen Gegenwart zu den „gelesenen" Vorgängen in der geschichtlichen, vor allem römischen Vergangenheit. Dieses Allegorisieren erwächst aus dem Bestreben, an den Inhalten der Bücher zu einer geistigen Ordnung der gegenwärtigen Geschehnisse zu gelangen. Die Historia Augusta geht aber über die rein spekulierende Haltung hinaus. Sie will nicht nur Kategorien liefern, sondern auch Gestaltung bewirken. Sie ist Propaganda für eine Ordnung der Weltfragen nach den Maßstäben der römischen Kaisergeschichte. Sie will nicht mehr nur geistige Antwort auf Fragen sein, sondern will reale Lösung der Probleme durch Wiederverwirklichung der geschichtlichen Vergangenheit 3 ). Die Historie bietet ihr einen gesunden Wechsel auf eine glückliche Zukunft in der Wirklichkeit. Als Septimius Severus, damals noch nicht Kaiser, „in R o m eintraf", 1 ) Vgl. o. S. 6. Der Versuch von archäologischer Seite, sein Alter noch zu erhöhen (Geburtsdatum nicht 371, sondern vor 369 und nach 366) scheint mir mit Rücksicht auf die Überlieferungsverhältnisse nicht geglückt zu sein (R. D e l b r u e c k , Spätantike Kaiserporträts von Constantinus Magnus bis zum Ende des Westreiches, Berlin 1933, i9of., s. dazu u. 225). 2 ) Für ein Abfassungsdatum der Historia Augusta um 395 tritt mit interessanten Gründen auf der Basis einer erstmaligen umfassenden Sammlung und Bearbeitung der Contorniaten, jener merkwürdigen spätantiken Art von Medaillen, A. A l f ö l d i ein: Die Kontorniaten, Festschrift der Ungar. Numismat. Gesellschaft zur Feier ihres vierzigjähr. Bestehens, Budapest 1943, bes. 55. 7$. A l f ö l d i gab mir, als ich im Frühjahr 1941 als Soldat ihn bei Gelegenheit in Budapest besuchte, liebenswürdigerweise Einsicht in sein Material und teilte mir das Ziel seiner Arbeit mit. — Anscheinend in nachtheodosianische Zeit will hinaufgehen J. S t r a u b , vgl. Philologus 95 (1943), 28of. Er geht aus von einer Verwandtschaft gewisser Gedankengänge der Historia Augusta mit Synesios de regno. Die nähere Begründung, die er in Aussicht stellte, bleibt abzuwarten. 3 ) Geschichte und Politik 4f. i28ff.
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so erdichtet 1 ) die Historia A u g u s t a v . Sever. i , 6, „ k a m er zu einem W i r t , der in derselben Stunde die Kaiservita des H a d r i a n las. D a s nahm er sich als Vorzeichen künftigen Kaiserglücks" 2 ). E i n w e n i g corriger la fortune galt bei diesem G e s c h ä f t nicht als unehrenhaft, w e n n auch nicht als empfehlenswert. D e r P a n e g y r i k e r hätte es w e i t m e h r tun müssen als der Historiker 3 ). A n w e i s u n g e n u n d W ü n s c h e der hohen und höchsten Herren an die Historiographen las m a n in den B r i e f e n des Plinius an Tacitus oder des Kaisers V e r u s an Fronto 4 ) und w a r selbst daran g e w ö h n t . Ihren Heliogabal läßt die Historia Augu&ta 8 , 4 . 5 an einige Skribenten den B e f e h l erteilen, sie sollten in der Biographie des D i a d u m e n u s , in dem er w e g e n seiner angeblich hohen moralischen Qualitäten einen unangenehmen K o n k u r r e n t e n in seinen Aspirationen a u f den Antoninusnamen erblickte, entsprechend ungünstig gefärbte Berichte geben 5 ). E s liegt sicher eine Fälschung des A u t o r s der Historia ') H a s e b r o e k , Severus 4; anders, aber ganz kritiklos O. Th. S c h u l z , Beiträge 36. 2 ) Hadriani vita impcratoria bezeichnet den Teil der Vita, der die Zeit seiner Herrschaft umfaßt, vgl. von Severus 18, 6 vitam suam privatum publicamque ipse composuit ad fidein (3, 2 historia vitac privatae). Hadriani vita bedeutet nach klarem Sprachgebrauch nicht die von Hadrian verfaßten libri de vita sua (vgl. v. Alexandr. Sever. 30, 6. v. Avid. Cass. 6, 6. 7; 9, 5. v. Get. 2, 1. v. Alexandr. Sever. j , 4. v. Heliogabal. 1 1 , 6. Quadr. tyr. 14, 4. v. Cari 4,2), anders P e t e r in H R R . 2, C L X X V I I . 3 ) An sich ist der alte technische Gegensatz zwischen ¿yxc't/uov und laroota natürlich gefallen. Der Begriff laudcs umfaßt auch das Geschichtswerk. So nennt Libanios ep. 983 Ammians Werk emöeigeig, und schon früher gehört Tac. Agr. 2 Hcrennio Scnccioni Priscus Helvidius laudatus zusammen mit Plin. ep. 7, 19, 5 de vita Helvidi libri (vgl. Cassius Dio 67, 13. 2V 4 ) Fronto 2, 3 ( i 3 l f . Naber), E. N o r d e n , Kunstprosa 83fr. 5 ) Insecutus est famam Macrini crudelitcr, sed mullo magis Diadunicni, quod Antoninus dictus est, Pseudoantoninum ut Pseudophilippum etun appellans, simul quod ex luxuriosissimo extitisse vir fortissimus optimus gravissimus severissimus diceretur. coegit denique scriptores nonnullos nefanda, immo potius impia de eiusdem victu et luxuria disputare, ut in vita eius . . . Gegenüber diesem Text in H o h l s Ausgabe zeigt die Überlieferung folgenden Zustand: Statt ut Pseudophilippum steht in P von erster Hand & Pseudophilippum. Ernster ist die Abweichung im Schluß des ausgehobenen Textes: Dort bietet P immo potius mipace de eiusdem dictum luxuria. H o h l wählte den oben angegebenen Text unter Annahme einer Lücke nach dem ut in vita eius. Mich störte das farblose victu et neben luxuria, victus bedeutet „Essen" im weitesten Sinne sowie als Gegensatz zu potus, vgl. v. Antonin. P. 7, j . v. Marc. Antonin. 28, 3. v. Maximin. 2 1 , 2. Auffällig war auch das lästige und überflüssige ut Pseudophilippum in der Nachbarschaft von dem nicht minder anstößigen ut in vita eius. Verlangt wird nach nefanda immo potius ein Adjektiv entsprechend nefanda, 2. B . impia wie in 2. — v. Aurelian. 19, j findet sich eine alte christianisierende Textänderung: 2 erhielt das Alte rogavit opem deorum quae numquam cuiquam turpis est; statt dessen P rogavit opem dei ut. Wieder stoßen wir auf ein rätselhaftes ut. Aber hier hilft die erkennbare Existenz einer Variante weiter. Ich schlage vor, statt ut zu lesen al, d. i. alius oder aliter, vgl. v. Hadrian. 26, 3. v. Ael. 3, 7. v. Antonin. P. i, 4 u. ö., also das alte Zeichen der Variante. Oder statt ut: vel; E. N o r d e n erklärte im Kolleg WS 1927 so Lucr. I, so die Überlieferung ut vacuas auris als Rest einer Variante nach 4, 912. Pseudophilippum ist dann also Variante zu Pseudoantoninum und zu streichen, wie schon Salmasius erkannte, in vita eius ist Variante zu mi pace; impia in 2 ist bereits ein Emendationsversuch. In dictum bzw. dictu 2 muß der Steigerungsbegriff zu nefanda liegen. Das ist dem Sinn des Ganzen entsprechend ficta. Paläographisch bietet die Verlesung von u in a keine Schwierigkeit. H o h l praef. VIII verweist auf diese Erscheinung als Kennzeichen eines vor unserer Überlieferung liegenden, in fränkischer Schrift geschriebenen Kodex; zu dictum < ficta vgl. v. Prob. 10, 2 in aegyptum < inepta. Vgl. Apul. met. 8, 1 : Der Bote will mira ac nefanda berichten, aus denen stilgewandre Leute eine historia in Buchform schaffen könnten; dem mirum entspricht sachlich das fictum in pejorativem Sinne. Es handelt
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Augusta vor, insofern er das dem Kaiser Heliogabal zuschreibt. Daß er sie aber sich nicht vollständig aus den Fingern gesogen hat, sondern der Wirklichkeit seiner Zeit nachbildete, darf man annehmen. Die neuere Forschung hat solches auf verschiedenen Wegen, z. B . in der Beeinflussung der Panegyriker durch die Kaiser, in der von propagandistischen Zielen bedingten Umbiegung der Historia Augusta festgestellt 1 ). Diese Haltung des Autors der Historia Augusta ist ein bemerkenswerter Sonderfall jenes zum Retraktieren und Allegorisieren neigenden Zeitgeistes. Die Zeugnisse für diesen Historismus im 4. J h . verteilet sich, wie ich früher einmal ausgeführt habe 2 ), so, daß bald nach dem Beginn des vorletzten Jahrzehnts die ersten uns kenntlich werden. Gewiß bedeutet das allein noch nicht, es habe vor diesem Zeitpunkt solche Strömungen nicht gegeben. Aber jene weltanschauliche Form des Historismus bedurfte doch wohl zu ihrer Entstehung eines so bedeutenden Aktes der Absage an die geheiligte Tradition, wie? es die Niederlegung des Pontifikats durch den Kaiser Gratian im Jahre 378/9 oder 382 darstellte 3 ). Hieran entzündete sich diese letzte Flamme und glühte noch lange ins 5. J h . hinüber. Man kann auf der anderen Seite sagen: Der Versuch, nach Geschichtsbüchern nicht nur geistig rätselhafte Probleme zu lösen, sondern real die Welt zu gestalten, ist so lebensfremd, daß man ihm von vornherein nur eine räumlich und zeitlich eng begrenzte dy.juy zubilligen kann. Tatsächlich können wir diese allgemein gehaltenen Behauptungen durch bisher nicht beachtete oder nicht ausgewertete Zeugnisse begründen und sogar noch gewisse Entwicklungslinien in ihrer Art und zeitlichen Abfolge bestimmen. Die Jahre dieser Ereignisse verlebte auch Ammianus Marcellinus in R o m 4 ) . Sein Verhältnis zum Adel war zunächst kühl. Gegenüber einem angesehenen Manne der christlichen Partei wie Probus findet er sogar recht scharfe Worte, sich um eine .Wunder'geschiehte, zu der außer Lügen auch aggt/ra gehören. V g l . Schol. Bobb. zu Juvenal 1 5 , 1 6 nam arithologi sunt, ut quidam volunt qui miras res, id est deorum virtutes loquuntur, mihi autem videtur arithologos Mos dici, qui ea quae dicta tion sunt in vulgusproferunt. Reitzens t e i n s Konjektur (Wundererzählungen 8) ficta statt dicta lehnt mit Recht ab I m i n i s c h bei K i e f e r , a. O . (o. S. 26, 4) 6, Anm. 1 5 . Die Historia Augusta meint also eine aretalogisch abgewertete Biographie. Ich lese: coegit denique scriptores nonnullos nefanda immo potius ficta in vita eins de eiusdem luxuria disputare. N u r die W o r t e iusecutus bis Diadumetii in dem zu Beginn der A n m . gegebenen Exzerpt werden durch Dio 79, 2 gestützt, H ö n n , a. O . 38. Alles übrige dürfte in der Tat aus Sueton Tib. 52, 2 (gegen Germanicus) herausgeholt sein ( H ö n n , a. O . 188), aber Sueton hat bezeichnenderweise nichts von dem Auftrag an die Tendenzhistoriker. ') W a s der Autor seinen Heliogabal hier anordnen läßt, beklagt er selbst als Prinzip, welches die historische Darstellung mancher Kaiser, vor allem der Usurpatoren verfärbte: „Erstens nämlich wird das, was wichtig ist für ihre Ehre, v o n den Schriftstellern entstellt (depravantur), zweitens wird anderfes unterdrückt (supprimutitur) . . . " (v. Pescenn. N i g r . 1, 2). A n anderer Stelle bei ähnlicher Veranlassung verweist er auf das Interesse des Herrschers, das in dieser Weise Beachtung verlangte: „Denn man kann nicht mehr von ihnen wissen, deren Leben auch darzustellen niemand wagt um derentwillen, von denen sie niedergeworfen wurden." (v. A v i d . Cass. 3, 1.) 2
) Geschichte und Politik 128 ff. ) V g l . zur Frage die Literaturangabe in Geschichte und Politik 90, 3. 4 ) V g l . im allgemeinen O . S e e c k , R E 1 (1894), 1 8 4 6 f r , u n d W . E n ß l i n , Z u r Geschichtsschreibung und Weltanschauung des A m m . Marc., Klio Beih. 1 6 (1923), 6ff.
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andererseits spricht er von den Heiden Symmachus und Praetextatus voller Verehrung 1 ), und die Familie der Nicomachi wird mit auszeichnenden Worten bedacht (23,1,4). Auch mit den prominenten Vertretern des Heidentums der übrigen Oikumene scheint er engere Verbindung gehalten zu haben. Jedenfalls sehen wir Libanios in Korrespondenz mit ihm stehen. Wie wir von diesem erfahren, war Ammian im Jahre 390 oder 391 in Vorlesungen seines Geschichtswerkes begriffen. Zweimal kommt Ammian in diesen res gestae auf die Verhältnisse in R o m im Sinne einer kulturgeschichtlich sehr interessanten Kritik am Leben des Adels und der Massen zu sprechen. Zum ersten Male geschieht das in dem ersten uns erhaltenen Buch, in 14, 6. Entsprechend seiner Gewohnheit stattet er den Bericht mit einigen eingestreuten exempla aus. 14,6,8 zitiert er für die Sitte, Statuen vergolden zu lassen, den Erfinder Acilius Glabrio: quod Acilio Glabrioni delatum est primo cum consiliis armisque regem superasset Antiochum. Und seine eigene Kritik daran kleidet er in die Worte Catos: „Wie schön es aber ist, diese unbedeutenden und ganz kleinen Dinge zu verachten und dafür die langen und steilen Pfade zum wahren R u h m hinauf zu streben, wie (Hesiod) der Dichter aus Askra sagt, das hat der alte Cato Censorius gezeigt..." Als er von denen spricht, die-mit ihrem Reichtum protzen, da beklagt er, sie hätten ganz vergessen, wie die Art ihrer Altvorderen war, die das Reich groß gemacht hatten: 1 4 , 6 , 1 0 ignorantes profecto maiores suos, per quos ita magnitudo Romana porrigitur, tioti divitiis eluxisse, sed per bella saevissima ttec opibus nec victu nec ittdumeiitorum vilitate gregariis militibus discrepatites opposita cuncta superasse virtute. Dafür gibt er dann 14,6, II die exempla des Valerius Publicola, des Regulus und der filia Scipiottis2). 14,6,25 erwähnt er die Segel, mit denen die Theater gegen die Sonne abgedeckt waren, und führt ohne inneren Zusammenhang mit seinem Thema an, Catulus habe sie zuerst aus Campanien eingeführt. 1 4 , 6 , 1 7 wird angesichts der Massen der Verschnittenen in den Villen des Adels an die Königin Semiramis, die Erfinderin des widernatürlichen Verfahrens der Kastrierung von Kindern erinnert 3 ), und schließlich vergleicht er 14,6,21 die frühere Gastlichkeit des Adels gegenüber gebildeten Fremden mit der lockenden Süße der Beeren bei Homers Lotophagen (t 94). Die meisten dieser Belege dienen offensichtlich nur dem Schmuck der Rede. So vor allem auch diejenigen, w o der Erfinder irgendeiner Sitte angeführt ist. Nur an zwei Stellen (§ 8 Ende und § 10/1) zitiert er die Vergangenheit in einer wertenden Haltung und unterstreicht damit seine eigene Kritik an bestimmten Zuständen. Die zweite große Erzählung von den Zuständen in R o m finden wir 28,4,6. Der Verkehr der Gebildeten untereinander ist frei von Fanatismus; wenn sich auch die S y m pathien deutlich abgrenzen, so ändert das nichts an einer humanistischen Grundhaltung gegenüber dem Andersdenkenden. Ammian behandelt z. B . auch den Präfekten von 3 7 9 Hypatius durchaus wohlwollend (29, 2, 16). Dieser war vermutlich Christ (O. S e e c k , R E 9 [1914], 2 4 9 ; das dort gegebene Datum, er habe 396 noch gelebt, ist nach den unten folgenden Darlegungen auf 393/4 zu berichtigen, da S e e c k von einem Abfassungsdatum des 29. Buches Ammians im Jahre 396 ausging). •) Der Topos auch bei Claudian in R u f . 1 , 2 0 3 , paneg. IV. cons. Honor. 4 i o f f . mit teilweise gleichen Namen, vgl. R . L a q u e u r , a. O . (o. S. 5 1 , 1 ) 19. 3 ) Der Topos wieder bei Claudian in Eutr. 1, 339.
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Auch sie enthält eine Anzahl exempla. Einmal beschreibt Ammian, wie die vornehmen Herren in den Bädern um eine meritorii corporis vetus lupa scharwenzeln: 28,4,9 «Sie machen ihr ziemlich geschmacklos den Hof, so wie die Parther der Semiramis, der Ägypter den Cleopatren oder die Karer der Artemisia oder der Zenobia die Palmyrener". Nach diesem Vergleich unterbaut er seine eigene Kritik wieder durch einen Rückblick auf die Geschichte: „ U n d das erlauben sich Männer, bei deren Vorfahren ein Senator vom Censor mit einer R ü g e belegt wurde, weil er zu einer Zeit, w o es noch Ärgernis erregte (am hellen Tage), in Gegenwart von beider Tochter seine Gemahlin zu küssen sich herausnahm 1 )." Gänzlich fehlen jene ohne Rücksicht auf das Haupthema eingeflochtenen Beispiele für den nnüToq evochv. Dafür bemerkt man aber folgenden Typus: 28,4,23 „Ein anderer schreitet trotz seiner nur mittleren Amtsstellung hocherhobenen Hauptes einher; seine alten Bekannten sieht er nur noch aus dem Augenwinkel an: Man könnte glauben (existimes), es kehre Marcellus nach.der Eroberung von Syrakus zurück." 28,4,21 kritisiert Ammian die Spielklubs: „Darum sind manche Leute aus diesen Klubs so ein Herz und eine Seele, man könnte sie für die Gebrüder Quintilii (die im 2. J h . n . C h r . einen auffallend ähnlichen Lebenslauf hatten) halten (existimes). Daher kann man beobachten, daß ein Mann, der zwar nicht von Stande (ignobilis), aber für die Geheimnisse der Würfelspielkunst sachverständig ist, wie Porcius Cato wegen seines Durchfalls bei der Praetorenwahl, den er vorher nicht vermutet und befürchtet hatte, einhergeht in betont gekränkter Würde, weil ihm bei einem großen Diner oder Cercle ein Prokonsular (Angehöriger einer hohen Rangklasse des senatorischen Feudaladels) vorgezogen wurde." Und von dem Geschäftsgebaren dieser Herren meint er mit einem von der Bühne genommenen Vergleich: 28,4,27 „Wenn diese ein Darlehen erbitten, dann wirst du sie sehen (videbis) klein (soccos, vom niedrigen Komödienschuh) wie (die Komödiantentypen) Micon und Laches; wenn sie zur Rückzahlung aufgefordert werden, dann auf Stelzen (coturnatos, vom hohen Schuh der Tragödie) und aufgeblasen, daß du sie für die berühmten Herakliden Cresfontes und Temenus halten kannst (putes)." In jenem ersten Exkurs gibt Ammian eine kühl berichtende Darstellung aus der Kultur- und Sittengeschichte der Stadt R o m . Wie einzelne klassizistische Bauglieder in der glatten nüchternen Architektur eines spätantiken Monumentalbaus erscheinen die exempla, die er einschiebt. Wir sehen nur den Schriftsteller Ammian selber, sein Publikum bleibt im Dunkeln. An der zweiten Stelle spricht er dagegen seine Leser und Hörer unmittelbar gerade in den exempla an: du könntest glauben, da kehrt Marcellus von Syrakus zurück — da kann man einen wie den Porcius Cato einherstolzieren sehen in seiner gekränkten Eitelkeit... Dort im 14. Buch sind es einzelne Schmuckformen, die er anwendet, hier stehen Verhaltungsweisen im Vergleich (gradi, concordes esse usw.). Im 14. Buch wissen die Objekte seiner Kritik, wie er sagt, selbst nicht, daß ihre maiores ganz anders geartet waren. Im 28. Buch ist der Vergleich so vollzogen, daß man sieht, Ammian rechnet bei seinen Lesern auf ein mitgehendes und einfühlendes Verständnis für die alten exempla, die er J
) Plutarch Marcus Cato 1 7 , 7.
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bringt. Aber Ammian sucht dort nicht nur in dieser Weise den Kontakt mit seinen) gleichgestimmten Gegenüber. Hier und da setzen sich die T y p e n , die er beschreibt und vergleicht, plötzlich in B e w e g u n g und laufen nun w i e der leibhaftige Alexander oder Caesar in der Gegenwart Ammians und seiner Hörer herum: 2 8 , 4 , 18 „Sodann ein anderer Teil von ihnen: W e n n sie in der Absicht, ihre Ländereien zu besuchen, einen weiteren Ausflug gemacht haben oder zu dem Zwecke, zu jagen, aber so, daß andere dabei die Anstrengungen tun, dann glauben sie, sie hätten eine Unternehmung vollbracht ähnlich den Märschen Alexanders oder Caesars, oder der Duiliusschlacht, wenn sie vom Avernersee auf buntbemalten Barken nach Puteoli gefahren sind, vor allem wofern sie das bei dunstheißem Wetter w a g e n . " So läßt Ammian nicht nur den Adel agieren, sondern auch das gemeine Volk, wenn es, über irgendwelche Theaterleute erbost, ad imitationein Tauricae gentis die A u s treibung der peregrini fordert, ohne deren Mithilfe sie doch nie ausgekommen sind (28,4,32). Der Ausdruck ad imitationem ist viel dynamischer zu verstehen als ein bloßes «i (4,9); dieses bedeutete einen formalen Vergleich, jenes enthält einen intentionalen Sinn. Auch hier fügt A m m i a n in seine Darstellung einen moralisierenden Rückblick auf die alte Zeit ein: „ D a s weicht stark ab von den Neigungen und dem Wollen jenes alten Volkes, von dem die Überlieferung viele feine und artige Worte berichtet." Im 14. Buch stellt A m m i a n seinem Bericht über die inneren Verhältnisse R o m s einen Überblick voraus über die glänzende geschichtliche Entwicklung hin zu dem Zustand der römischen Macht und Größe, w i e ihn die Kaiserzeit repräsentierte; die Antithese dazu bilden die Zustände in R o m . Im 28. Buch gipfelt Ammians Kritik darin, daß er den Widerspruch aufweist zwischen den Forderungen, die in den nach Auffassung dieses Adels so hochklingenden Geschlechternamen liegen 1 ), Forderungen, denen diese Kreise selbst nachzukommen meinen, und der hohlen Maskerade in historischen Kostümen, um die es sich in Wirklichkeit handelt: 2 8 , 4 , 1 1 „ U n d es sind doch Leute mit ernsten Grundsätzen und Verehrer wahren Männerwertes (wie sie glauben), aber wenn sie erfahren haben, jemand habe die Nachricht mitgebracht, es würden v o n irgendwoher Rennpferde und Rennwagenfahrer kommen, dann setzen sie demselben mit allen Mitteln zu und fragen ihn aus, so wie ihre Vorfähren die Tyndaridenbrüder (Castor und Pollux) ehrfürchtig anstaunten, als deren geschichtliche Siegesmeldungen alle Gemüter erfüllt hatten." A m m i a n und — kann man hinzufügen — der Kreis, zu dem er sich rechnet, um Symmachus und Praetextatus faßten die V e r pflichtung der Vergangenheit anders auf: 2 8 , 4 , 15 „Vieles Verschiedenes müßten sie im Hinblick auf die Größe ihrer ruhmvollen Geschlechter immer wieder lesen" — nicht nur einen Juvenal und Marius Maximus (s.o. S. 52) 2 ) — „ w e n n sie hören, w i e der zum T o d e verurteilte Sokrates im Gefängnis einen Mann, der kunstvoll ein Lied des Lyrikers Stesichoros sang, bat, er möge ihn diese Kunst lehren, so lange es noch möglich sei. Als der Musikus fragte, was ihm das denn ' ) Ü b e r die ironische B e w e r t u n g dieser falschen Ansprüche durch A m m i a n s. u. S. i 3 o f . 2 ) Freilich fühlt man sich in A m m i a n s Satire ( E . B i c k e l , Lehrbuch der Geschichte der r ö m i schen Literatur, Heidelberg 1 9 3 7 , 2 7 0 ) gerade an J u v e n a l erinnert, v g l . die diatribenhafte S a tire 1 1 , 1 9 9 : Im Z i r k u s haben die G r ü n e n gesiegt; nam si deßceret, maestam attonitamque vidercs
hanc tirbem, veiuti Cmnarum in pulvere vidis consulibus.
W e s e n u n d E n t w i c k l u n g des römischen Historismus im 4. Jh. n. C h r .
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nütze, da er doch morgen sterben solle, antwortete Sokrates, er w o l l e noch etwas mehr wissend aus dem Leben scheiden". Diese beiden Exkurse haben natürlich i m m e r einiges Interesse gefunden 1 ). A b e r es erschöpfte sich meist in den kulturgeschichtlichen Tatsachen, die man ihnen entnehmen konnte. M a n pflegte daher auch beide Berichte zusammenzuwerfen, ohne sich zu fragen, w i e A m m i a n dazu k o m m t , z w e i m a l gerade eine solche A b s c h w e i f u n g zu unternehmen 2 ). W i r haben nun gesehen, d a ß die beiden Erzählungen sich durch eine grundsätzlich verschiedene Haltung nicht nur A m m i a n s , sondern seiner Hörer und eine Verschiedenheit auch der sittengeschichtlichen T a t sachen unterscheiden. Im 14. Buch handelt es sich um eine pragmatische Darstellung der entarteten Zustände im römischen A d e l und V o l k . Diese stehen im Widerspruch zu dem als glänzend aufgefaßten Zustand des Reiches und werden objektiv an den Zuständen der Vergangenheit gemessen, die dem Historiker bekannt, jenen R ö m e r n aber in Vergessenheit geraten sind. A u s dem Bericht im 28. B u c h spricht dagegen eine verbreitete historistische Haltung. A u s der Vergangenheit, deren Kenntnis nicht nur bei dem Publikum A m m i a n s , sondern allgemein bei d e m A d e l und den Massen R o m s vorausgesetzt ist, w e r d e n bestimmte Wertmaßstäbe für das praktische Verhalten abgeleitet. A m m i a n und sein Kreis fühlen die wahre Gravität dieser W e r t e und ihrer Forderungen. D i e entartete M e n g e der R ö m e r glaubt sie zu fühlen, aber genügt sich in einer theaterhaften Nachäfferei. R o m bietet das Bild eines gespensterhaft w i e im Z i r k u s sich bewegenden historischen Wachskabinets. Angesichts derartig grundlegender Unterschiede ist es eigentlich erstaunlich, daß man überhaupt jene beiden Exkurse zu einer Gesamtschau vereinigte. M a n hätte bedenken sollen, daß jener im 14. Buch, dieser im 28. B u c h steht und zwischen der Abfassung der beiden Bücher ein nicht unbeträchtlicher Zeitraum gelegen haben m u ß . In dieser Zeit w a r aber allerhand W e l t b e w e g e n d e s passiert, und A m m i a n w i e R o m hatten sich geändert 3 ). D i e Daten für die Abfassung des Geschichtswerkes A m m i a n s h a t O . S e e c k , R E 1 (1894), 1846, zusammengestellt 4 ). W i r w o l l e n sie kurz prüfen. Grundlage ist der x)
Z u l e t z t v g l . J. S t r a u b , V o m H e r r s c h e r i d e a l i n d e r S p ä t a n t i k e u n d G e i s t e s g e s c h i c h t e 18), S t u t t g a r t 1939, 201 ff.
( F o r s c h u n g e n z. K i r c h e n -
2 ) I I . F u c h s , D e r g e i s t i g e W i d e r s t a n d g e g e n R o m i n d e r a n t i k e n W e l t , B e r l i n 1938, o r d n e t das T h e m a dieser E x k u r s e i n die a n t i k e D i s k u s s i o n ü b e r das R o m p r o b l e m ein, b e h a n d e l t aber 53 f. n u r d e n ersten, w i e das f ü r seine A b s i c h t a u c h g e n ü g t e . 3 ) A m m i a n l i e b t es, ü b e r e i n T h e m a m e h r m a l s i n E x k u r s e n sich z u ä u ß e r n . A l l e r d i n g s sind die b e i d e n E x k u r s e ü b e r die S i t t e n R o m s das e i n z i g e B e i s p i e l i n d e m e r h a l t e n e n T e i l des W e r k e s . A b e r R ü c k v e r w e i s e a u f die v e r l o r e n e n B ü c h e r z e i g e n , d a ß es m e h r d a v o n g e g e b e n hat. N a t ü r l i c h w a r e n das n i c h t e i n f a c h D u b l e t t e n . In d e r E i n l e i t u n g z u m E x k u r s ü b e r Ä g y p t e n 22, 15, 1 e r i n n e r t A m m i a n an seine B e h a n d l u n g des g l e i c h e n T h e m a s i n d e r G e s c h i c h t e H a d r i a n s u n d des S e v e r u s : digessimus Lite vha plcraque tiarrantes. L . J e e p , R h . M u s . 43 (1888), 6 o f f . , w i e s d a r a u f h i n , d a ß der uns e r h a l t e n e E x k u r s bis a u f eine k u r z e B e m e r k u n g n u r literarische Q u e l l e n r e p r o d u z i e r t . Jene a n d e r e n E x k u r s e h a b e n o f f e n s i c h t l i c h z u m U n t e r s c h i e d h a u p t s ä c h l i c h d u r c h A u t o p s i e g e s a m m e l t e s M a t e r i a l g e g e b e n . A u c h die R o m e x k u r s e b e t r a c h t e t J e e p k u r z u n t e r dieser P e r s p e k t i v e (a. O . 63). I h m d r ä n g t sich dabei aber v o r allem d e r E i n d r u c k der G l e i c h heit auf, da a u c h i h m die E x k u r s e k a u m m e h r als eine F u n d g r u b e v o n R e a l i e n sind. 4)
V g l . f e r n e r W . E n ß l i n , Z u r G e s c h i c h t s s c h r e i b u n g u n d W e l t a n s c h a u u n g des A m m . M a r c . , K l i o B e i h . 16 (1923), 6 f f . u n d E . S t e i n , G e s c h i c h t e I, 331 ff.
5
H a r ( k c , Römischc Kinderkaisi-r
Strukturpsychologische Voraussetzungen der Hermeneutik 9 8 3 . Brief des Libanios ( B d . 1 1 S. i 8 6 f . Foerster). A u s i h m erfahren w i r ,
Ammian
sei m i t V o r l e s u n g e n a u s s e i n e m G e s c h i c h t s w e r k b e s c h ä f t i g t 1 ) . D a s f ü h r t ins J . 3 9 0 / 9 2 . A m m i a n selber sagt in d e r V o r r e d e z u m 26. B u c h ad
usejue
memoriac
confinia
propioris
dargestellt
1 , 1 , er h a b e die G e s c h e h n i s s e
und
dann
zunächst
erwogen
an-
zuhalten2), u m sich nicht d e n G e f a h r e n auszusetzen, die so o f t dicht bei d e r W a h r heit
stehen,
ferner
um
den
Kritikern
zu
entgehen,
die
schreien,
wenn
nicht
berichtet w i r d , w a s d e r K a i s e r sagte u s w . D a s w i d e r s p r i c h t a b e r d e m Stil d e r G e schichtsschreibung, die nur die g r o ß e n Ereignisse darstellen soll, nicht die K l e i n l i c h keiten nebensächlicher V o r g ä n g e . W e n n
die einer erforschen w o l l t e , so fährt er
f o r t , m ü ß t e er die H o f f n u n g h e g e n , j e n e u n t e i l b a r e n leeren R a u m
fliegen
Körperchen, die durch
u n d die w i r G r i e c h e n A t o m e nennen, zählen zu
den
können3).
') D e r B r i e f stamme v o m E n d e des Jahres 3 9 2 ; die uns angehende Stelle lautet: „ I c h beneide dich, daß du R o m hast und R o m dich. D e n n du hast etwas, dem nichts auf E r d e n ähnlich ist, die Stadt d a f ü r einen M a n n , der ihren eigenen B ü r g e r n , die zu V o r f a h r e n H a l b g ö t t e r haben, nicht nachsteht (denn auch der Antiochener A m m i a n kann f ü r seine Heimat das beanspruchen). Es w a r nun f ü r dich schon etwas Großes, still in einer solchen Stadt zu leben und die W o r t e , die v o n anderen gesprochen w u r d e n , aufzunehmen - denn R o m birgt viele R e d n e r , die ihren Vätern nacheifern jetzt aber, wie man v o n denen hören kann, die v o n dort k o m m e n , hast du selbst uns Vortragsveranstaltungen (eritöet'Ueie) g e g e b e n und wirst weitere geben. D e n n das Geschichtswerk ist in viele Stücke zerlegt, und das L o b des erschienenen W e r k e s r u f t nach einem weiteren Teil. W i e ich höre, lohnt R o m selbst dir deine M ü h e und ist der Ansicht, du habest die einen ü b e r t r o f f e n , den anderen ständest du nicht nach. Das ehrt nicht nur den G e schichtsschreiber, sondern auch uns (Antiochener), zu denen der Geschichtsschreiber g e h ö r t . . . " Z u r Datierung v g l . O . S e e c k , Die B r i e f e des Libanius (Texte u. Unters, z. Geschichte d. altchristl. Literatur 30), Leipzig 1906, 202. 463. 2 ) convenerat inm referre a notioribus pedem, „es wäre nun z w e c k m ä ß i g g e w e s e n , v o n den b e kannten Ereignissen die Finger zu l a s s e n " ; zum Gebrauch des rhetorischen Plusquamperfekts v g l . M . L e u m a n n — I. B . H o f m a n n , Lat. G r a m m a t i k 567. *) A . v . G u t s c h m i d , K l . Sehr. 5, 5 7 1 bespricht die einleitende B e m e r k u n g A m m i a n s i m 26. B u c h . E r weist mit R e c h t darauf hin, A m m i a n habe am E n d e des 25. Buches den Abschluß gesucht, weil er allgemeinem Usus nach mit seinem Bericht nicht auf die R e g i e r u n g s z e i t des lebenden Kaisers ü b e r g r e i f e n wollte. G u t s c h m i d s w e i t e r e r Schluß, A m m i a n habe also unter Valens seine A r b e i t begonnen und deswegen zunächst mit J o v i a n abschließen wollen, ist f r e i lich dann nicht m e h r z w i n g e n d . D e n n nachdem 375 Valentinian II. Augustus g e w o r d e n w a r , konnte er auch die Geschichte des Valens, deren inhärierender Bestandteil die A u g u s t u s p r o klamation des Valentinian II. w a r , erst nach dessen T o d e veröffentlichen. A m m i a n führt die Arbeit mit dem 26. B u c h weiter, w i e er am Schluß sagt (26, 1 , 2), ohne Berücksichtigung der unwissenden K r i t i k des Publikums (inscitia vulgär i contentpta). Das geht offenbar nur auf j e n e unsachlichen S t i m m e n , die in einer historia allerhand nebensächliche Kleinigkeiten suchen. D e n anderen G r u n d , die G e f a h r e n , die aus einer Darstellung der G e g e n w a r t erwachsen könnten, e r w ä h n t er gar nicht mehr, offenbar weil sie nicht m e h r bestanden. Das Ganze macht den E i n druck, als ob, gerade als er mit seiner R e z i t a t i o n i n die N ä h e des 25. Buches g e k o m m e n w a i , sich die Lage geändert hatte. G u t s c h m i d , a. O . 570, konstatiert statt dieser v o n mir gegebenen E r k l ä r u n g nur einen „ G e d a n k e n s p r u n g " Ammians. D u r c h die gelehrte A b s c h w e i f u n g über die A t o m e sei er aus dem K o n z e p t gebracht w orden und habe darum vergessen, auf den ersten P u n k t , die G e f a h r e n einer Darstellung der G e g e n w a r t einzugehen. — Jedenfalls vergaß A m m i a n es, weil es eben nicht mehr v o n B e d e u t u n g war. - A u c h der A u t o r der Historia Augusta lehnt v . O p i l . M a c i i n . 1 , 3 f f . die Kleinigkeitskrämerei in der Geschichtsschreibung ab in P o l e m i k g e g e n den sog. J u n i u s C o r d u s , d . h . die A r e t a l o g i e ; f ü r ihn ist h e r v o r r a g e n d wichtig, daß m a n den Charakter der Kaiser kennenlernt, der in W i r k l i c h k e i t g e w u ß t w e r d e n muß. Ihm geht
Wesen und E n t w i c k l u n g des römischen Historismus im V J h . 11. C h r .
Tovq ).óyovQ Ttaoaóegàfieros eig y/ÌQir xaì ànéyDeiav 7ten).aopévoi(?rique autem adscrunt, Antonii nomen adscripserit. Heliogabalus v . Heliogabal. 1 , 5 . . . Antonini sihi nomai adsciverat vcl . . . vcl quod id nomai usque adco carum esse cognoverat gentibus, ut ctiam parricida Bassianus causa nominis amarctur. D i e Stelle stammt nach K o r n e m a n n , Hadrian 84, k a u m aus der g u t e n Quelle des A n o n y m u s , jedenfalls nicht ohne nachträgliche Überarbeitung. V g l . v . Caracall. 9, 2 filium rcliquit, qui postca et ipse Marcus Antoninus Heliogabalus dictus est; ita eniin nomai Antoninorum inoleverat, ut velli ex animis hoinituim non posset, quod omnium pectora velut AHI;, tiomen obsederat; verrät nach O . T h . S c h u l z , B e i träge 104, allerdings nur w e g e n postca et „ e i n e n späteren S t a n d p u n k t " , v. O p i l . M a c r i n . 1 0 , 2 (legionibus) cum Antoninus (Heliogabalus) ostenderetur, miro amore in eum omnibus inclinatis . . . auf inclinare als beliebtes W o r t des A u t o r s der Historia A u g u s t a weist H ö n n , a. O . 109, 2 1 8 . Die Grundlage des Berichts bildet hier Herodinn, s. 11. S. 260 ff. ; 1 0 . 3 Macrinusest rictus . . . amore Antonini (Heliogabnli). Diadumenus v . D i a d u m e n . 1 , 2 ingens macror obsedit omnium pcctora, quod Antoniuum in re p. non haberent existimantium, quod cum eo Romanum esset imperium periturum; 1 , 5 intellego praeterea desiderium ingens Antoniniani Hominis apud ros mauere; 6, 2 et fuit quidem tarn amabile Ulis temporibus nomen Antoninorum, ut qui eo nomine non niteretur, mercri non videretur imperium (ähnlich v . O p i l . M a crin. 3, 9); 6, 1 0 post hoc ipse Diadumenus ut commendaretur exercitui senatui populoque Romano, cum esset ingens desiderium Bassiani Caracalli, Antoninum appellatimi satis constat, v . O p i l . M a crin. 7, 5 filium.sanc suum, . . . ut suspicionem occisi a se Antonini remoreret, Antoninum vocavit ( = 3, 8) ; 6, 7 ne robis desit Antoninorum nomai, quod maxime diligitis; das ist nach K o r n e m a n n , a. O . 82, eine „ E i n l a g e " in das aus einer anonymen guten Quelle stammende Material, v . C a r a call. 8, 1 0 . . .filium suum, qui Diadumenus vocabatur. Antonimi»! roeavit, idcirco quod a praetorianis multum Antoninus desideratus est. H i e r scheint der A u s g a n g s p u n k t des desiderium-Schemas zu liegen, das aus A u r . V i c t o r 22, 1 - 2 e n t n o m m e n w u r d e ( R e u s c h , a. O . 54), was m i r w a h r scheinlicher ist als die A n n a h m e gemeinsamer Quelle ( E . K l e b s , R h . M u s . 45 [1890], 458, 4. 460, 4 ; H ö n n , a. O . 3 f . 6f.). v . D i a d u m e n . 6, i f f . der O r a k e l s p r u c h der dea Caelestis (s. o. S. 1 2 3 ) . Geta und Caracalla v . G e t . 1 , 3 f. Septimius Severus . . . in somnis vidit Antoninum sibi sticcessurum. quare statim ad milites processit et Bassianum filium maiorem natu Marcum Aurelium Antoninum appellavit. . . quod minori filio hoc facto ipse interclusisset aditum imperandi, etiam Cetam minorem filium Antoninum vocari iussit ( = v. D i a d u m e n . 6, 8. 9 ; v . Sever. 1 0 , 4. 5 ; eine tragische Fehldeutung des T r a u m e s : v . G e t . 3, 5 ; zur Fälschung des gesamten Passus v g l . H a s e b r o e k , Severus 88f.). 2, 2 f f . fuit autem Antoninus Geta etiam ob hoc ita dictus, quod iti animo habuit Severus, ut omnes deineeps prineipes quemadmodum Augusti, ita ctiam Antonini dicerentur, idque amore Marci ( = v. S e v e r . 1 9 , 2) . . . dicunt aliqui non in Marci honorem tantum Antonini nomini delatum . . .sed in eius qui Pius cognominatus est. . . et quidem ob hoc, quod Sererum il le ad fisci adrocationem delegerat ex formula forensi, cum ad tantos processus ei patuisset dati ab Antonino primi gradus vel honoris auspicium, simul quod nemo ei videretur felicior imperator ad commodandum nomen co principe, cuius proprium nomen iam per quattuorprincipes cucurrisset. v . Sever. 1 0 , 3 . . .filium suum maiorem Bassianum adposito Aurelii Antonini nomine Caesarem appellavit, ut fratrem suum Getam (Bruder des Severus) ab spe imperii, quam ille concepcrat.siimmorcrct; nach O . T h . S c h u l z , Antonine 1 1 4 , aus dem guten historischen Bestände, v g l . o. S. 99, 2. Commodus E r sollte nach einer Version kein echter S o h n des Marcus g e w e s e n sein (v. M a r c . Antonin. 19, 1, s. o. S. i n f.).
Name und Alter
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2. Tradition; auch die vaticinia, die angeblich die Nachfolge eines Trägers des Antoninennamens behaupteten, sind wohl ein Ergebnis des traditionellen G e wichts des Namens. 3. Reichsinteresse. Diese drei Gruppen sind innerlich nahe verwandt. Sie bezeichnen ihrem Wesen nach die Konzeritrierung des dynastischen Gefühls auf den Namen als solchen 1 ). Es kommen zum Schluß die akzidentiellen G r ü n d e : 4. Sondergründe jeweils aus der geschichtlichen Sonderlage des Einzelfalles heraus bei Commodus (adulterium), bei Geta (dati ab Antonino primi gradus auspicium), bei Diadumenus (ut suspicio a Macrino ititerfccti Antonini . . . tollerctur) usw. Aus diesem Überblick gewinnen w i r folgendes B i l d : V o n den acht vcri successores des Antoninennamens läßt die Historia Augusta nur noch bei drei den Herrschaftsanspruch unbestritten aus dem Erbrecht folgen. Diese drei werden v . D i a dumen. 7 , 4 genannt: Der Autor hat einige Verse gebracht, ut scirent omnes Antoninos pluris fuisse quam deos, ac trium prineipum amore, quo sapietttia bonitas pietas consecrata sit, in Antonino pietas, in Vero bonitas, in Marco sapietttia. Alle übrigen sind eben doch nicht „echte" Antonine. Das spricht ©r bei einigen der ursprünglichen acht Namensträger denn auch deutlich aus: Heliogabal v . Alexandr. Sever. 5, 3 ille subditivus ( = v . Heliogabal. 1 7 , 9 ) . v . Heliogabal. 33, 8 scientibtis cunctis istum Antoninum tarn vita falsum fuisse quam nomine. Diadumenus v . Heliogabal. 8, 4 Pseudoantonitium eum appellans. v . Opil. Macrin. 10, 6 . . . Antonitiorum nomini est velut iiothus adpositus2); 14, 2 unter Anspielung auf Ehebruch der Mutter und mit der in der Historia Augusta üblichen rhetorischen Spielerei um Kaisernamen: en Pius, eil Marcus, Veras mm tton fuit ille. C o m m o d u s : s. o. S. 1 3 4 , 1 . Pessimistische Grundanschauungen hatten w i r o. S. 1 1 1 ff. als Quelle der Kritik und Einschränkung des Erbfolgeprinzips gefunden. In ähnlichen Gedankengängen vernehmen w i r hier Klagen über eine fortschreitende Degenerierung der Träger ') Vgl. Th. M o m m s e n , Staatsrecht 2, 765. M o m m s e n sieht hier das Bestreben, sich von den Beherrschten durch eine besondere Gestaltung des Namens - mangels des Herrschertitels zu unterscheiden. Mich erinnert das aber auch an die Beschränkung gerade der vornehmsten Familien des frühen Rom auf nur wenige Vornamen, vgl. D o e r , a. O. 32ff. Familiendynastische Erwägungen aus alter römischer Adelstradition dürften auch bei Augustus wirksam gewesen sein, als er diese Sitte einführte; zur „Übernahme der Formen und gleichzeitigen Übertrumpfung des Geschlechteradeli" im Prinzipat vgl. jetzt B. S c h w e i t z e r , Bildniskunst (o. S. 19, 2) 3 j. Das gleiche gilt sicher für die spätantiken Adelsfamilien, deren Namensitten wir o. S. 1 3 2 besprochen haben. 2 ) Beide zuletzt genannten Stellen stehen in Absätzen, die vom Fälscher an ein Exzerpt aus guter Quelle angehängt wurden, H ö n n , a. O. 14.. 38. Auch nach K o r n e m a n n , Hadrian 87f., hat keiner der drei Belege der Heliogabalvita die gute historische Quelle zur Grundlage.
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des Namens Antoninus, eine Entwicklung, die mit Heliogabal im tiefsten Schmutz endet: v . Opil. Macrin. 7, 7 „Endlich gibt es Verse eines gewissen Poeten. In denen w i r d gezeigt, wie das nometi Antonitii angefangen hat mit Pius und allmählich durch die Antonine in den tiefsten Schmutz gezerrt wurde. Denn allein Marcus hat, w i e es scheint, jenen heiligen Namen durch seine Lebensart erhöht, Verus aber hat ihn entarten lassen, Commodus hat sogar die Ehre 1 ) des geheiligten Namens beschmutzt. N u n , was kann von Caracalla Antoninus, oder was über diesen Diadumenus gesagt werden, schließlich auch was über Heliogabal, der als letzter der Antonine, w i e überliefert ist, in tiefster Verkommenheit gelebt hat." Programmatische Bedeutung für die Stellungnahme des Verfassers der Historia Augusta besitzt, schon durch den U m f a n g herausgehoben, die Ablehnung des A11toninennamens durch Severus Alexander (222—235)"). Der Autor hat in w o h l erwogener Absicht diese Zurückweisung demjenigen Kaiser in den M u n d gelegt, den er in seinem gesamten Werk am stärksten herausstreicht, nächst den A n t o ninen, den er außerdem für das Interesse seiner Leser dadurch besonders auffällig macht, daß er ihn an die Gestalt des Julianus Apostata angleicht, adfinitas und cottsortio Hominis imperialis, so wird einleitend (5, 3) und abschließend ( 1 1 , 3) gesagt, hätten dem Kaiser Grund sein können, das mitten Atitonitiorum anzunehmen. Hierauf zielen auch die Akklamationen, die der Autor den Senat ausbringen läßt. E r zeichnet das Bild spätrömischer Senatsdemonstrationen, von denen ein authentisches Protokoll in den dem C o d e x Theodosianus vorangesetzten gesta senatum vom Jahre 438 n. Chr. erhalten ist. Der Antrag oder Vorschlag des Senats ist in den solennen Zurufen enthalten, unter denen neben vielen leeren Äußerungen devoter Ergebenheit folgende die wesentlichen sind 3 ): v . Alexandr. Sever. 7, 2 ttomen
Antoninorum
cogtwscat4).
tu purißca.
1 0 , 3 quomodo
quod
Augustus
ille
itifamavit
sie et Antoninus.
tu purißca.
seinguis
7 , 5 ut vivere
Antotiinorum
delectet,
et
sc Antoni-
') reverentia, das hier gebraucht ist, kommt in ähnlichem Gedankengang (reverentia Marci) v. Ver. 8, 5 in einem Zusatz des Kompilators vor, O . T h . S c h u l z , Antonine 6 2 ; S c h w e n d e m a n n , a. O . 1 5 9 , 9. 2 ) Ü b e r ihre Unechtheit H ö n n v a. O . 158fr., dessen Material allerdings sehr ungleichmäßigen W e r t hat und nach äußerlichsten Gesichtspunkten gesammelt ist, neuerdings J a r d e , a . O . 1 4 f r . ; E . H o h l , Burs. Jber. 2 5 6 ( 1 9 3 7 ) , 1 4 5 , 2. Gegenteilige Ansichten sind schwach begründet. P e t e r , Die S. H . A . 2 2 2 f . , L e c r i v a i n , a. O . 7 7 oder sehr vorsichtig formuliert, L . H o m o , R e v . histor. i j i (1926), 1 8 7 . 3 ) Die Protokollierung dieser Akklamationen in den Senatsakten wurde seit Traian üblich. D a ß tatsächlich auch Vorschläge in Form solcher Akklamationen gemacht wurden, wie uns das der A u t o r der Historia Augusta vorführt, zeigt das erwähnte Protokoll der Senatssitzung v o m J . 4 3 8 (Theod. libri X V I ed. T h . Mommsen 1, 2 p. 3, 7flf. 16. 2off.), v g l . T h . M o m m s e n , Ges. Sehr. 7, 2 5 5 , 3. Natürlich mußte diese A r t der Verhandlung gut vorbereitet sein. M e i n e s Erachtens erzählt uns Lactanz de mort. pers. 46, 6, wie es gemacht wurde. Kaiser Licinius hatte v o r der Schlacht auf dem Campus Serenus im Traume ein Gebet erfahren, das den Sieg g a r a n tierte. D e r W o r t l a u t zeigt ganz den Stil der Akklamationen: summ* deus te rogamus, sanete dem tc rogamus. omticm iustitiam tibi commendatnus, salutem nostram tibi commendamus, impetium nostrum tibi commendamus. per te vivimus, per te victores et felices existintus . . . usw. Dieser Akklamationstext w i r d vervielfältigt fitt libeliis pluribus) und an die Offiziere verteilt, damit ihn jeder seinen Soldaten beibringe. V o r der Schlacht (Kap. 4 6 , 1 0 ) w i r d der T e x t dann gesprochen. V g l . 0 . S . 3 5 , 1 . *) Eine Formel, die auch die adelsstolzen Senatoren v o n sich brauchten, v g l . S y m m . or. 8, 3 agitur in voturn recuperandi, quod genere quaesiverat inpulsu fortasse boni sanguinis, qui se Semper agnoscit.
Name und Alter
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nus vocetur. Parthos et Pcrsas... vincat. 9, 6 Aiitonini nomen ornabis. W e n n man sich bemüht, die Vorstellungen zu benennen, welche zu den einzelnen Akklamationen geführt haben, so kann man etwa fünf Bezeichnungen wählen : 1. Wiederherstellung der Ehre des durch Hcliogabal besudelten Namens (nomen purißca). z. Abstammung (sanguis sc cognoscat). 3. Tradition (quomodo Augustus, sie Antoninus). 4. Beliebtheit des Antoninusnamens (vivere delectet). 5. Reichsinteresse (Partlws ac Persas vincat)1). Der hier an erster Stelle zutage getretene Gegensatz zu dem Vorgänger Heliogabal gehört in die Gesamtkomposition beider Vitcn hinein ; diese beruht auf einer durchgehenden Antithese der beiden Kaiser. Im übrigen sind — abgesehen von der Herkunft aus kaiserlichem und, angeblich, antoninischem Blut — die Motive wohlbekannt. W i r finden die gleichen Varianten wieder, mittels deren der Autor bei vier von den a c h t , v e n successores des Antoninus die Brüchigkeit ihres N a c h folgeanspruchs implizite offenbar machte. Severus Alexander antwortet den Akklamationen des Senats ablehnend. Die Kernsätze seiner Weigerung sind folgende: 8, 4 hacc enim nomina insignia onerosa sunt. 9, 1 Antonitiorum 1 >el iam nunien potius quantum fuerit, meminit vestra dementia. 9, 4 nuper certe meministis ... qui gemitus fuerit, cum ... una vox esset... per hanc pestem tantum violari nomen. 9, 7 primiim (¡isplicet alienae familiae nomen adsumere, deinde tjuod gravari me credo. 10, 2 si enim Antonini nomen aeeipio, possmit et Traiani, possum et Titi, posstim et Vespasiani. 10, 4 Augustus primtis primus est huius auetor imperii et in eius nomen omnes velut quadein adoptione aut iure hereditario succedimus. Antonini ipsi Augusti sunt dicti. „Diese bedeutenden Namen sind schwerwiegend. - Der N a m e oder richtiger schon die Hoheit der Antonine, v o n welcher Größe sie w a r , weiß Euere Gnaden. - Neulich erinnert ihr euch g e w i ß . . . welch Stöhnen war, als eine einzige Stimme w a r . . . durch diese Pest sei v e r letzt worden der große Name. - Erstens mißfällt es, den N a m e n einer fremden Familie anzunehmen, zweitens, weil ich glaube, ich trage ihn als Last. — W e n n ich nämlich den N a m e n des Antoninus annehme, kann ich auch den Traians, des Titus und Vespasians. — Augustus ist der allererste Stifter dieses Kaisertums, und in seinem N a m e n folgen w i r alle nach w i e durch eine A r t A d o p t i o n oder nach Erbrecht. A u c h die Antonine wurden Augusti genannt."
Zusammengefaßt beruht seine Ablehnung also auf folgendem : 1. Der Name ist eine schwere Verpflichtung. 2. Seine späteren Träger haben sich nicht würdig gezeigt. J a r d é , .. O . 1 8 f . begnügt sich, durch den Nachweis der R h e t o r i k in diesen Äußerungen den historischen W e r t zu erledigen. A b e r ,Rhetorik* ist selbst nur wieder Ausdrucksmittel anderer historischer Zustände. E i n développement de pure rhétorique gibt es eigentlich nur auf den Schulen.
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3. Ich will nicht den so negativ und positiv belastenden Namen einer fremden Familie annehmen; mit anderen Worten, die vom Senat erwähnte Verwandtschaft ist in den Augen des Kaisers nicht stichhaltig. 4. Als traditioneller Titel ist der N a m e nicht berechtigt. Was bisher nur verdeckt angedeutet w a r , ist hier ausgesprochen, die Fragwürdigkeit unechter Erbansprüche, wie immer auch ihre Motivierung lauten mag. Der Senat tritt darauf von seinem Vorschlag zurück. Unter seinen Akklamationen ist eine bemerkenswert: 10, 6 tu fades, ut senatus bette principes eligat. Damit ist der Charakter dieser Entscheidung des Kaisers aber gekennzeichnet: Es ist eine antidynastische. Der gleiche, der senatorischen Ideologie 1 ) entstammende Grundsatz begegnete uns schon oben S. 1 2 1 f., als sich uns die Quintessenz der Anschauung des Verfassers vom idealen Kaiser ergab. Die abschließende Ansprache des A l e x ander enthält die W o r t e : 1 1 , 1 ettisurus ut et hoc nomen, quod in Imperium detulimus, tale sit, ut et ab aliis desideretur et bonis vestrae pietatis iudiciis offeratur. Sein Kaisertum ist auf die eigene Tüchtigkeit gegründet, nicht nur auf Erbfolgerechte und ähnliche, zum Teil nur scheinbare Stützen. Die Ausführlichkeit und Vielseitigkeit der Erörterung über den Antoninusnamen ist erstaunlich. B a y n e s vermutete in seinem Buche über das Problem der Historia Augusta 2 ), Julians Vorliebe und bewußter Anschluß an den Kaiser Marcus sei die Ursache für die Breite der Darlegungen der Historia Augusta 3 ). M a n braucht aber nicht nur an eine begrenzte, mehr theoretische Gewichtigkeit dieses Namens in historischem, rhetorischem oder auch philosophischem Sinne zu denken. Im Festkalender des Philocalus aus der Zeit des Constantius II. ist eine Gedenkfeier an die Adoption des Antoninus Pius verzeichnet, die zu so später Zeit noch in Lorium, seiner Heimat, veranstaltet wurde 4 ). Später, nachdem im Jahre 382 die staatlichen Subventionen f ü r den heidnischen Kult eingestellt waren, nahmen adlige G e schlechter R o m s den Priesterdienst auf ihre eigenen Kosten. V o n den Symmachi wissen w i r , daß sie gerade den Kult eines Antoninus, nämlich des Kaisers Pius, sich angelegen sein ließen. Höchstwahrscheinlich aus Anlaß des 300jährigen G e burtstages dieses Kaisers im Jahre 386, jedenfalls aber zwischen 382 und 394, kündigten sie ihren Adelsgenossen die Übernahme des Priestertums, das seinen Kult zu besorgen hatte, durch das Diptychon Delbrueck N . 59 in feierlicher Weise an. Vielleicht geschah es zusammen mit den verschwägerten Nicomachi, deren N a m e möglicherweise auf der verlorenen Haupttafel des Diptychons gestanden hat 6 ). ') V g l . die Stellensammlung aus der Alexander-Severus-Vita mit einigen Parallelen aus späteren Viten bei H ö n n , a. O . 124, 2 5 1 . 2 ) a. O . 66 f. 92 f. u. a. 3 ) Praktische Nachwirkungen dieser Vorliebe Julians bei W . W e b e r , G G A . 1908, 958, 4. *) C I L I 2 , p. 3 1 0 ; G. W i s s o w a , Relig. u. Kultus 2 , 459, 3. ®) Die Darstellung der erhaltenen Tafel, die noch ganz heidnisch gestaltet ist, gibt die Konsekration des Pius, vgl. E . W e i g a n d , Jahrb. Arch. Inst. 52 (1937), I 2 i f f . W e i g a n d konnte vor allem sicher nachweisen, daß das im Giebelschmuck angebrachte Monogramm das des S y m machus ist. Symmachus spricht selbst davon ep. 2, 1 2 an den älteren Nicomachus. Z u den Priesterdiptychen allgemein R . D e l b r u e c k , Die Consulardiptychen und verwandte D e n k mäler, Berlin 1929, 8f. E . H o h l macht mich allerdings gütigst darauf aufmerksam, daß R . H e r z o g , T r i e r e r Zeitschr. 13 (1938), i i ö f f . , unter Zustimmung von A . A I f ö l d i , Kontorniaten
13 4- 5) 1 )- Pertinax fordert den Schwiegersohn des Marcus, den Claudius Pompej a n u s a u f , d e n P u r p u r z u n e h m e n : sed ille
recusavit,
quia
¡am imperatorem
Pertinacem
i'idebat2). Bei allen diesen Stellen handelt es sich nicht um die R a n g o r d n u n g innerhalb eines auf mehrere Träger zergliederten Kaisertums, sondern um den V o r rang und damit die Legitimität des zuerst nach der gewaltsamen Erledigung des Thrones ausgerufenen Kaisers. Ähnliche Vorstellungen findet man auch sonst: T a citushist. 1 , 7 6 et occupavcrat aiiinios prior auditus und das Bedenken O t h o s hist. i , 37 „ A l s was ich v o r euch trete, Kameraden, kann ich nicht sagen, weil ich mich w e d e r für berechtigt halte, mich als Privatmann zu bezeichnen, da ich v o n euch Kaiser genannt werde, noch als Kaiser, da ein anderer Kaiser ist." Hier spielt die überragende charismatische und legitimierende K r a f t des tatsächlichen Besitzes einer rite übernommenen Kaisergewalt mit. Die Proklamation ist die Initiale aller sonst noch geltend zu machenden legitimistischen Instanzen, z. B. auch der dynastischen (vgl. o. S. 105)3).
Die Begabung der R ö m e r , sich in ihrem politischen Denken und Verfahren u n systematisch und unbekümmert den jeweiligen Umständen anzupassen, beobachtet man auch in diesen schwerwiegenden Fragen. Denn die besprochene A r t der Legitimierung gilt nur f ü r R o m und allenfalls Italien. U n d z w a r hauptsächlich f ü r die allerdings politisch entscheidende Schicht des Kapital- und Amtsadels. In den P r o 14, 4 : itaque grandaevum ¡am imperium videbitur Iiis, qui non ratione diertim mit mensium, sed operum multitudine et cffectarum rcrum modo Iuliani tempora mctic-Uur. Ich möchte daher gegen S c h w e n d e m a n n , a. O . 1 2 7 , 1 und gegen die auch textkritisch unglücklichen Ausführungen von R . W e r n e r , K l i o 26 ( 1 9 3 3 ) , 300f. mit K o r n e m a n n , a. O 7 2 , 2 für Pertinax mit einem späten Zusatz rechnen. ') Summarisch hält diese Nachrichten O . T h . S c h u l z , Beiträge 3 2 f . , für gute Überlieferung. 2 ) v. Pertinac. 4, 10. R . W e r n e r , K l i o 2 6 ( 1 9 3 3 ) , 297, ist der Ansicht, es gebe keinen Grund, an der Tatsächlichkeit des an dieser Stelle berichteten V o r g a n g s zu zweifeln. Immerhin besteht bei scharfem Zusehen zur sonstigen Überlieferung nur die einzige Parallele, daß D i o 7 3 , 1, 4 (aber schon nicht mehr Herodian 2, 2, 1 0 - 3 , 2) Pertinax nach der Ausrufung zum Kaiser zum Senat kommen läßt „ n o c h bei N a c h t " und daß ein enger Verkehr mit Pompejanus in anderem Zusammenhang sowie eine Teilnahme des Pompejanus an den Senatssitzungen zur Zeit des Pertinax v o n D i o 7 3 , 3, 1 ff. berichtet w i r d ( W e r n e r , a. O . 286). N u n erwähnt die Historia Augusta aber weiter, man habe den Portier des Senatsgebäudes nicht finden können, bekanntermaßen (vgl. Sueton, N e r o 46, 2) ein übles Omen, das auch v. Did. Iulian. 2, 4 v o r k o m m t . Das sieht nach T o p o s der Historia Augusta aus. Herodian 2, 3, 3 f. sagt nun, nachdem Pertinax zum Senat gekommen sei (hier bei Tagesgrauen), habe er dort Glabrio, der v o n uraltem G e schlecht w a r und sich v o n Aeneas ableitete, auf den Kaiserthron setzen wollen, aber der v e r zichtete ohne A n g a b e v o n Gründen. D a ß diese Erzählung v o n dem A n g e b o t an den Julierabkömmling mit dem an den Antoninusverwandten zusammenhängen muß, erscheint mir sehr wahrscheinlich. Es paßt das so sehr in den sonstigen R a h m e n der dynastischen Auffassung der Historia Augusta, daß ich hier ähnlich wie bei den clausae valvae auch an eine Umgestaltung des herodianischen M o t i v s durch die Historia Augusta glauben möchte. 3 ) Z u r E n t w i c k l u n g dieser charismatischen Autorität, die zunächst an die Person gebunden, schließlich zu einem „institutionellen C h a r i s m a " wurde, v g l . E n ß l i n in der gleich zu n e n nenden Schrift 26. Die behandelten Stellen sind schließlich w o h l ein Beweis dafür, wie allgemein die Anschauung bestand, daß der Prinzipat kein Schisma vertrage.
R a n g o r d n u n g und Legitimität
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vinzen beschritt man auch offiziell einen anderen W e g . M a n übernahm im Osten sofort die dort g e w o h n t e hellenistische A n s c h a u u n g v o m G o t t k ö n i g t u m . In den nichtgriechischen Landschaften beförderte man bald nach Kräften die Ausbreitung des Kaiserkultes, der in derselben R i c h t u n g w i r k t e . Ü b e r diese Fragen veröffentlichte v o r kurzem W . E n ß l i n eine gehaltvolle A r b e i t unter dem T i t e l : Gottkaiser und Kaiser v o n Gottes Gnaden, Sber. M ü n c h e n 1944 1 ). Ich w i l l im folgenden nur versuchen, einige v o n E n ß l i n schon angedeutete Linien schärfer auszuzeichnen. Bekanntlich scheiterte der Versuch, eine einheitliche Legitimierung a u f der altrömisch-hellenistischen Basis auch in R o m einzuführen, mit dem geglückten A t t e n tat a u f Julius Caesar an den Iden des M ä r z 44, nachdem Caesar selbst am 15. Februar desselben Jahres mit dem Verzicht a u f die K ö n i g s k r o n e schon zurückgewichen w a r . W a s danach in R o m selbst an legitimierenden Kräften für den Prinzipat aus der G ö t t e r w e l t abgeleitet w u r d e , hat i m H i n b l i c k a u f jenes oben festgestellte Doppelprinzip der Legitimierung zunächst nur akzessorischen, und z w a r gegebenenfalls initiativen oder kompensatorischen Charakter. D a b e i überschreitet man durchaus nicht das auch sonst d e m R ö m e r Z u m u t b a r e , abgesehen v o n der offiziellen staatlichen Fixierung. W e i l höchste virtus in der Förderung des Imperiums oder a u c h beschränkter individueller Interessen unter B e w e i s gestellt, w e i l damit Hilfe in höchster N o t g e k o m m e n w a r , w i r d der M a n n und sein Stamm f ü r den R ö m e r „ v o n G o t t e i n g e g e b e n " . N a c h d e m O c t a v i a n höchste Leistung für das R e i c h und sein G l ü c k gezeigt hat, als A n g e h ö r i g e r einer demissa ab Iovcgens, als divifilius erhält er schließlich den Augustusnamen, und w e n n dieser und das mit ihm verbundene Charisma auch a u f alle N a c h f o l g e r überging, so w u r d e er d o c h a u f lange hinaus nicht in dem Sinne institutionell und tot, d a ß er nicht die Erfüllung der B e d i n g u n g e n verlangt hätte, denen er ursprünglich verdankt wurde 4 ). M i t diesen Sätzen ist eine Position bezogen, die der historischen B e g r ü n d u n g bedarf. Es scheint bei der Diskussion der diffizilen Frage, welches die Absichten und die Stellung Caesars und die O c t a v i a n s gewesen seien (vgl. o. S. i o ö f . ) , die M e i n u n g der R ö m e r schlechthin v o n ihrer eigenen Gottähnlichkeit der H e r v o r h e b u n g zu bedürfen 3 ). C i c e r o spricht v o m uunien des Senats (Phil. 3, 13, 32) und v o m mimen der Quiriten (pro red. ad Q u i r . 8, 18), das er d e m der G ö t t e r gleich stellt 4 ), quasi aliqui dei sind die R i c h t e r C l u e n t . 69, 195, Inhaber oder wenigstens T e i l h a b e r der omnis deorum immortalium potestas M u r . 1, 2 5 ). W e i t e r e Belege führt A . D . N o c k , Journ. Hellen. Stud. 48 (1928), 3 1 , 5 1 , aus republikanischer Z e i t an. W ä h r e n d die bisherigen Stellen G r u p p e n w e s e n betreffen, k o m m e n w i r nun z u Einzelpersonen: C i c e r o c u m senat. grat. egit 4 , 8 prineeps P. Lentulus, paretis ac deus nostrae vitae . . . ; de nat. deor.2, 12, 32 ...Platonem quasi quendam deum philo so') Z u den eben gemachten A u s f ü h r u n g e n vgl. ebd. 34, 44 und ders. allgemein C a m b r . A n c . Hist. 12 (1939), 352ff. V g l . K . S c o t t , T h e Eider and Y o u n g e r Pliny on Emperor W o r s h i p , Transact. and Proceed. o f the A m e r . Philol. Assoc. 63 (1932), 157. 165. 2 ) V g l . E n ß l i n , a. O . 22. 25. 28. 32f. 45 (literarisch noch z u Z e i t e n Diocletians). 65 (beim Usurpator M a x i m u s der Sieg als allein durchschlagender B e w e i s der Gottbegnadetheit). 3 ) Ich wurde durch H a r a l d F u c h s wieder darauf aufmerksam, s.u. S. 187, 2. V g l . auch A . A l f ö l d i , R o m . M i t t . 50 (193s), 77. 4 ) V g l . A . A l f ö l d i , R o m . M i t t . 49 (1934), 50; P f i s t e r , R E 17 (1937), 1275. 1283. *) V g l . pro R a b . 6, 1 5 ; Polybios 21, 23, 2 ff. 30, 18, 5; A . A l f ö l d i , R o m . M i t t . 49 (1934), 53.
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Verfassungsprinzipien des römischen Kaisertums
phorum1). Schließlich zitiert N o c k Plautus Pcrsa 99*), w o Saturio zum Sklaven sagt: 0 mi Iuppiter terrestris. Diese Stelle beurteilte als plautinische Zutat E d . F r a e n k e l , Plautinisches im Plautus, Berlin 1922, 97, und fügt weitere hinzu: Casina 331 hic Iuppiter; 406 Iuppiter mens; 408 Inno mea; Pseudolus 335 Iuppiter lenonius. V o r allem kann dieser humanus Iuppiter sterben, Casina 334f. Das verbietet an sich die Identifikation des Menschen mit Gott 3 ), und der Widerspruch dient hier Plautus für die K o m i k der Bühncnsituation. Wiederum setzt der Dichter das Diesseits in Komparation zur Welt der Götter und* Mythen (s. o. S. 79 ff.), wieder gewinnt hierbei das hic et nunc den Vorrang Pseudolus 327 . . . ut ego liuic hic sacrißcem suiumo Iovi, iiam hic mihi nunc est miilto potior Iuppiter quam Iuppiter. Der Gedanke enthält also einmal den Unterschied zwischen Jupiter dem Gott und Jupiter hier auf Erden und zum anderen einen inneren Widerspruch zur tatsächlichen R a n g f o l g e der Werte. Denn „Jupiter hier" ist, abgesehen von dem gegenwärtigen, durch nunc als einmalig hervorgehobenen Fall, nicht nur nicht Gott, sondern auch nicht summus gegenüber dem O p timus Maximus, vielmehr ist es gerade umgekehrt 4 ). Darauf beruht der komische ') V g l . weiter noch M . P. C h a r l e s w o r t h , H a r v . T h e o l . R e v . 28 (1935), 1 2 7 , nach N o c k : ad Q u i r . post red. 5, 1 1 ; pro Sest. 69, 1 4 4 ; ad Attic. 4, 1 6 , 3 ; de or. 1 , 23, 1 0 6 ; 2, 42, 179. 2 ) W o r a u f dann auch O . I m m i s c h , Z u m antiken Herrscherkult, i n : Aus R o m s Z e i t w e n d e (Erbe der A l t e n 20), Leipzig 1 9 3 1 , 3 ff., verweist. 3 ) U . v. W i l a m o w i t z , D e r Glaube der Hellenen 2, Berlin 1 9 3 2 , 262 ff. 4 ) R i c h t i g beurteilt diese Stelle als „ s c h e r z h a f t " V o l l m e r zu Statins silv. 1 , praef. 14. D i e •Steigerung des hic et nunc gegenüber den G ö t t e r n w i r d , soweit ich sehe, v o m R ö m e r nur unter D o m i t i a n angesichts Jupiters vollzogen. E i n erster Versuch ist die gefährliche Frage des Caligula an den T r a g ö d e n Apelles v o n Askalon, I I . G e i z e r , R E 1 0 ( 1 9 1 7 ) , 4 1 1 ; I I . W i l l r i c h , K l i o 3 (1903), 444ff. Z u Martial und Statius unter D o m i t i a n v g l . V o l l m e r , a. O . ; F. S a u t e r , D e r römische Kaiserkult bei Martial und Statius (Tüb. Beitr. 2 1 ) , Stuttgait 1 9 3 4 , 2 1 . 59. 6 6 f f . 7 8 ; S c o t t , Imperial C u l t (o. S. 146, 5), 1 3 6 . 1 3 8 f - Allgemein verbreitet ist diese Steigerung i m Vergleich zu Bacchus - Hercules. W i e V e r g i l A e n . 6, 801 ff., zeigt, k o m m t das schon aus den A l e x a n d e r e n k o m i e n . W e i t e r e Belege aus Martial, Statius, Claudian, bei S a u t e r , ¡1. O . 8 3 ; S c o t t , a. O . 1 4 1 ; F r . C h r i s t , Die römische Weltherrschaft in der antiken D i c h t u n g (Tüb. Beitr. 3 1 ) , Stuttgart 1 9 3 8 , 1 3 0 . W o römisches Weltreich mit J u p i t e r und Kaiser zusammengebracht w i r d ( C h r i s t , a. Ü . 2 1 f., 54. 1 2 0 tf., 1 2 6 f f . ) , w i r d der Kaiser z w a r im Bilde und mit den Prädikaten Jupiters gesehen, aber Person und Bereich bleiben stets unterschieden. Jupiter, u m es mit einem späten Z e u g n i s zu sagen, geht es um spatium naturac, dem Kaiser um terrae (Claudiau paneg. M a n l . T h e o d o r , cons. praef. 1 1 ff.). tu seamdo Caesare regnes (Iuppiter) heißt es bei H o r a z c. 1 , 1 2 , 5 1 , w as entgegen H e i 11 zes E r k l ä r u n g zur Stelle durchaus i m Sinne der Ü b e r o r d n u n g Octavians über die übrige G ö t t e r w e l t außer J u p i t e r verstanden w e r d e n m u ß ; v g l . v . 18 und O . W e i n r e i c h , Zeitschr. f. Kirchengesch. 61 (1942), 33ti"., mit interessanten formalen Parallelen. Für Augustus sucht h i n g e g e n die Identifizierung mit J u p i t e r nachzuweisen M a r g a r e t M . W a r d , T h e Association of Augustus w i t h Iup., Studi e materiali di storia delle religione 9 (1933), 2 0 3 f f . A b e r sie dringt nirgends interpretatorisch in die T i e f e ; association und identification werden nicht geklärt. W e n n z. B . die Schlacht v o n A c t i u m als Entscheidung zwischen rector Olympi und Isis dargestellt w i r d (z. B . M a n i l . 1 , 9 1 6 f r . ) , ist das zumindest keine Identifizierung im religiösen Sinne. Es handelt sich vielmehr uin die behandelte Parallelisierung göttlichen und menschlichen Geschehens. Einzelnes kann dann schwerlich als B e w e i s f ü r eine ernsthafte .Identifizierung gelten, so w e n n H o r a z epist. 1 , 19, 43 in beabsichtigtem Sarkasmus und in einer heiklen Angelegenheit mit Iupitcr auf O c t a v i a n anspielt. Ausdruck gleicher psychischer B e d r ü c k u n g sind die adulatorischen Stellen, die sich gerade bei O v i d nach der V e r b a n n u n g finden, z. B . fasti 1 , 6 5 0 ; andere Belege bei P. R i e w a l d , D e
175
R a n g o r d n u n g u n d Legitimität
Effekt1). Man ging also mit den Göttern mindestens am Ende der Republik 2 ) schon lange recht rationalistisch um, und aus göttlicher Abstammung konnte keiner eine besondere Dignität gegenüber den anderen ableiten 3 ), eben weil schon der Advokat vor Gericht diese Dignität jedem unverbindlich zujonglieren konnte. Inoffizielle spontane Ehrungen durch die Massen kamen unbeanstandet vor 4 ). Was man also Caesar und nachher Augustus zuerteilte, war nichts grundsätzlich Neues, in der Sache nur eine Hervorhebung aus der Masse durch gewisse Insignien und Gesten, bei Octavian z. B. durch den auf die Romulus-Mythistorie veri m p e r a t o r u m R o m a n o r u m c u m certis dis et c o m p a r a t i o n c et a e q u a t i o n e , Diss. Halle 1912, 274f., u n d besonders K . S c o t t , E m p e r o r W o r s h i p in O v i d , T r a n s a c t . a n d P r o c e e d . of t h e A m e r . P h i l o I . A s s o c . 6 i ( 1 9 3 0 ) , 4 3 ff., bes. 5 2 ft". Z u r Frage d e r G l e i c h s e t z u n g v o n A u g u s t u s u n d M e r c u r v g l . a u ß e r R i e w a l d , a. O . 268, R . H e i n z e zu H ö r . c. i , 2, 43; K . S c o t t , H e r m e s 6 3 ( 1 9 2 8 ) , 1 5 f r . ; O . I n i m i s c h , H e r r s c h e r k u l t 26t'.; F. ^ l t h e i m , R o m . R e l i g i o n s geschichte 3, Berlin 1933, 62f. F ü r H o r a z ist O c t a v i a n — w i c h t i g ist das Z ö g e r n , m i t d e m er an diese M ö g l i c h k e i t d e n k t ( M e r c u r — patiens vocari Caesaris ultor, vgl. U . v. W i l a m o v v i t z , O e r G l a u b e der H e l l e n e n 2, B e r l i n 1932, 429), der b e s t i m m t bezeichnete, v o m H i m m e l g e k o m m e n e G o t t , der d a n n jedenfalls a b e r erst spät d o r t h i n z u r ü c k k e h r e n m ö g e . E . B i c k c l , B o n n . J b . 1 3 3 ( 1 9 2 8 ) , 1 4 , bezieht d i e B e d e n k l i c h k e i t H o r a z e n s n u r auf die Gleichsetzung O c t a v i a n s „ g e r a d e " m i t M e r c u r , w o d u r c h ein F r i e d e n s g o t t ( H e r m e s Logios) d e r g e w a l t t ä t i g e R ä c h e r Caesar g e w o r d e n sei. N a c h Lage der D i n g e k a n n sich d e r Z w e i f e l des H o r a z n u r a u f die I d e n t i f i z i e r u n g m i t d e m b e s t i m m t e n G o t t schlechthin b e z i e h e n ; B e d e n k e n a n d e r e r A r t g e g e n B i c k e l a u c h bei S a u t e r , a. O . 124, 13. A b w e g i g i m A n s c h l u ß an W i t t e G. S c h ö r n e r , Sallust u n d H o r a z ü b e r d e n Sittenverfall u n d die sittliche E r n e u e r u n g R o m s , Diss. E r l a n g e n 1934. ö j f . - Z u d e n V e r s u c h e n Caligulas v g l . S. E i t r e m , S y m b . Osloens. 11 ( 1 9 3 2 ) 2 2 f.; allgemein M . V o g e l s t e i n , a. O . (o. S. 107, 5), 44,4. N a t ü r l i c h k o m m e n u n t e r D o m i t i a n auch I d e n t i f i z i e r u n g e n m i t J u p i t e r (vor allem in B e t t e l g e d i c h t e n w i e bei O v i d ) v o r , S a u t e r , a. O . 5 6 . 5 9 f r 9 5 , n e b e n U n t e r s c h e i d u n g des noster Iuppiter hier v o n d e m J u p i t e r der G ö t t e r w e l t (a. O . 57. 73). - Aus d e n hier e n t w i c k e l t e n G r ü n d e n k a n n der r ö m i s c h e T r i u m p h a t o r auch n i c h t identisch m i t J u p i t e r sein, vgl. L. D e u b n e r , H e r m e s 6 9 ( 1 9 3 4 ) , 3 i 6 f f . , m i t w e i t e r e r L i t e r a t u r , d a g e g e n n e u e r d i n g s C h r i s t , a. O . 129, o h n e neue G r ü n d e ; vgl. A . A l f ö l d i , . R o m . M i t t . j o ( 1 9 3 5 ) , 2 8 , 6 . [ Z u H ö r . c. I, 2 v g l . K. S c o t t , e b d . 2 3 0 ; 0 . B r e n d e l , elxl 2 3 1 ff.; D. N o r b e r g , Etanos 44 (1946), 398ff.] *) M i t diesem H i n w e i s w e r d e n die G e g e n a r g u m e n t e e n t k r ä f t e t , die m a n g e g e n F r a e n k e l v o r g e b r a c h t h a t , der h i e r allerdings e t w a s a p o d i k t i s c h arbeitete. M a n wies auf ähnliche W e n d u n g e n bei d e n G r i e c h e n h i n , z. B. A. D . N o c k , a. O . 31, 52; O . W e i n r e i c h , M e n e k r a t e s Z e u s u n d S a l m o n e u s (Tiib. Beitr. 18), S t u t t g a r t 1933, 8. A b e r der plautinische J u p i t e r ist e b e n nicht J u p i t e r ; ZEVQ o tpavatog i m R h e s o s v. 3 5 5 OV /tot Zevg 6 ipavalog rjxeig ist sprachlich n i c h t g l e i c h Iupiler terrcslris u n d avzog "Agt/g i m R h e s o s v . 385fr. &eog cS Tgoia &eug avrog "Agtjg 6 ¿XQVftöviog v die Historia Augusta von Victor unabhängig sei und auf dessen Quelle zurückgehe, E. K l e b s , R h . Mus. 45 (1890), 441 f. Denn wir sehen, daß der Kompilator sich nach der Altersangabe unbedingt umsehen mußte, wenn sie seine Vorlage nicht enthielt. Der Autor der Historia Augusta setzt das Alter des Severus v. Pescenn. N i g . 5, 1 wie v. Sever. 22, 1 irrtümlich zu hoch an und polemisiert dabei gegen den Kaiser, der sich in der von ihm verfaßten Vit.i selbst als jünger bezeichne und dem Pescennius Niger aus seinem Alter einen V o r w u r f mache (s. o. S. 1 9 1 . 194, 2). Es liegt hier nicht so sehr eine „ t r ü b e " Quelle vor (O. T h . S c h u l z ,
201
Kinder auf dem Kaiserthron in der Historia Augusta Niger
(5, 1 , n u r u n g e f ä h r e L e b e n s z e i t , v g l . v . C l o d . A l b i n . 7 , 1 ) , Clodius
(7, 1 , n u r L e b e n s a l t e r ) , Caracalla Diadumenus
(9, i ) 1 ) , Macrinus
( 1 , 4 u n d 8 , 2 ) 3 ) , Alexander
Severus
(8, 2 u n d v . D i a d u m e n .
Albinus
i,4)2).
(60, r). H i e r e n d e t e i n e erste G r u p p e
v o n V i t e n , die s o l c h e A n g a b e n meist in F o r m g e n a u e r J a h r e s - , M o n a t s - u n d T a g e s z a h l e n i m Z u s a m m e n h a n g mit d e m T o d e des b e t r e f f e n d e n H e r r s c h e r s b r i n g e n . D e r R e s t z e r f ä l l t i n e i n e bis z u d e n s o g . d r e i ß i g T y r a n n e n r e i c h e n d e G r u p p e , in d e r die a n n a l i s t i s c h e Seite v i e l s o r g l o s e r b e h a n d e l t ist. T e i l w e i s e w i r d d e r a r t i g e s g a r nicht, oder Lebens- u n d R e g i e r u n g s z e i t (Gordian III., M a x i m u s u n d Balbinus)4), o d e r eines v o n b e i d e n e r w ä h n t 5 ) . A b C l a u d i u s bis e i n s c h l i e ß l i c h P r o b u s w i r d d i e R e g i e r u n g s z e i t , j e d o c h n i c h t d i e L e b e n s z e i t r e f e r i e r t 6 ) , u n d z w a r in d i e l a u f e n d e D a r s t e l l u n g e i n g e a r b e i t e t . I c h lasse d i e s e B e o b a c h t u n g z u n ä c h s t a u f sich b e r u h e n ; die g l e i c h e d r e i f a c h e G r u p p e n b i l d u n g e r g i b t sich a u c h a u s p h i l o l o g i s c h e n
und
stilistischen E r w ä g u n g e n , w a s ich später n o c h b e h a n d e l n m u ß . U n s interessieren d i e j e n i g e n K a i s e r d e r ersten G r u p p e , f ü r die k e i n e s o l c h e A n g a b e n g e m a c h t w e r d e n k ö n n e n . I c h z ä h l e zuerst d i e s o g . N e b e n k a i s e r a u f ; es s i n d n u r A e l i u s , A v i d i u s Cassius u n d Geta7). W i r dürfen im Fehlen v o n A n g a b e n über ihre Herrschaftsdauer u n d i h r L e b e n s a l t e r nichts a n d e r e s als d i e F o l g e des o f t v o m A u t o r b e k l a g t e n M a n gels an M a t e r i a l ü b e r diese v o n d e r s o n s t i g e n T r a d i t i o n s t i e f m ü t t e r l i c h b e h a n d e l t e n P e r s ö n l i c h k e i t e n e r b l i c k e n . B e m e r k e n s w e r t ist a b e r d e r A u s f a l l b e i C o m m o d u s . Beiträge 59) als einheitliche Tendenz, die psychoanalytisch betrachtet vermutlich der Anlaß des Rechenfehlers war. ') Das Alter Caracallas bei seinem Tode im Jahre 2 1 7 wird an dieser Stelle mit 43 Jahren zweifellos zu hoch angegeben. Man findet diese Zahl aber auch sonst, vgl. Eutrop 8, 20, 2, P. v. R o h d e n , R E 2 (1896), 2439. Mit Bezug auf das Kaisertum wird Caracalla dann in der Vita nur noch 1 1 , 4 adulcsccns genannt, als die Soldaten ihn zum „Augustus" machten, weil sein Vater wegen einer Gichterkrankung nicht fähig zur Regierung sei. Die Altersangabe ist wieder ein Zusatz des Autors zur Vorlage Aur. Vict. 20, 25, R e u s c h , a. O. 6of., und es handelt sich um die Nothelfer-Topik (s. o. S. 152), die den Autor bestimmte. Außerhalb der Vita rechnet die Iiistoria Augusta mit dem richtigeren Geburtsdatum 186, welches sich daraus ergibt, daß Caracalla bei seiner Erhebung zum Mitregenten im Jahre 198 ( H a s e b r o e k , Severus 1 1 3 ) im 13. Lebensjahr stand, v. Sever. 16, 3 = v. Diadumen. 6, 8. Dazu paßt das Alter von j Jahren, an der erdichteten Stelle v. Sever. 4, 6 (Hase b r o e k , a. O. 16, R e u s c h , a. O. 10). H a s e b r o e k , R e u s c h und mit viel Willkür A. v. D o m a s z e w s k i , Sber. Heidelberg 1918, Nr. 1 3 , 34. 138 folgen allerdings Cass. Dio 78, 6, 5, Epit. 2 1 , 7 , die v o m Jahre 188 ausgehen. 2 ) v. Opil. Macrin. 1 1 , 4 iam senior. 3 ) Die Angaben für das Lebensalter bei den letzten beiden Persönlichkeiten sind ganz allgemein gehalten (s. o. S. 1 9 5 , 2 ) , für Macrinus wird sie nur einmal in einer stark rhetorischen Redeneinlage und mit Gegenüberstellung des jugendlichen Alters des Sohnes gegeben. Über diese Stelle und ihre besondere Absicht s. o. S. i j o f . *) Jedoch muß man sich beides aus dem Kontext zusammenklauben. Es gibt nicht die geschlossenen Lemmata, die die erste Gruppe charakterisieren. 5 ) Das Interesse des Autors der Historia Augusta ist weiterhin wach, wie die Diskussion über die Regierungszeit des Gallienus und Valerianus v. Gallien. 2 1 , 5 zeigt. Vgl. auch A . v. D o m a s z e w s k i , Sber. Heidelberg 1 9 1 7 , N r . 1, 1 6 , 2 . Der Autor der Historia Augusta hatte also chronologische Berechnungen angestellt. Doch sind die kühnen Hypothesen D o m a s z e w k i s ohne alle Wahrscheinlichkeit. •) Außer wenigen ganz allgemeinen Hinweisen, wie v. Tacit. 4, $ u. ö. senex; v. Cari 7, 1 Numcrianum
7
adulescentem u n d 1 0 Carinus maior aetate ( N u m e r i a n o ) .
) Abgesehen von einigen allgemeinen Andeutungen wie v. Get. 1 , j minor filius; 4, 1 adules-
cens; 4, 2 Ituius illud pucri fortur insigne. A n d e r e s D e r a r t i g e s i n d e r S e v e r u s v i t a .
202
Römische Kinderkaiser
In d e r V i t a selbst heißt es n u r a n einer w e n i g a u f f a l l e n d e n Stelle v . C o n i m o d . i , 1 0 appellatus
est an fem Caesar puer cum fratre
[ S c ] Vero1).
M a n m ü ß t e im ü b r i g e n s c h o n
mit H i l f e d e r a n z w e i o d e r d r e i v e r s c h i e d e n e n Stellen g e g e b e n e n
Konsulatsjahre
d e r G e b u r t i , 2 u n d s o n s t i g e r E r e i g n i s s e seines L e b e n s (2, 4 u n d 1 1 , 1 3 — 1 2 , 9) u n d d e n K o n s u l a t s f a s t e n selber m ü h s e l i g e i n e B e r e c h n u n g a n s t e l l e n , w e n n m a n sich aus d e r V i t a e i n B i l d ü b e r die A l t e r s v e r h ä l t n i s s e bei d e r T h r o n b e s t e i g u n g m a c h e n w i l l 2 ) . E r s t a n z w e i e n t f e r n t e n S t e l l e n , in d e n V i t e n des A v i d i u s C a s s i u s u n d d e s T a c i t u s , k ö n n t e n w i r e t w a s d a r ü b e r finden3). I m G e g e n s a t z z u d e n in d i e s e m P u n k t e k l a r e n B e r i c h t e n u n d A n g a b e n in d e n s o n s t i g e n V i t e n t a p p e n w i r f ü r C o m m o d u s w i e in e i n e m N e b e l 4 ) . W i r p o s t u l i e r t e n a b e r e b e n , d a ß d a s j u g e n d l i c h e A l t e r d e s C o m m o d u s d e n V e r f a s s e r d e r H i s t o r i a A u g u s t a in p e i n l i c h e V e r l e g e n h e i t b r i n g e n m u ß t e . E i n e r s e i t s sieht er d a r i n g r u n d s ä t z l i c h e i n e n K r e b s s c h a d e n , andererseits soll seine M a r c u s v i t a m i t ihrer Z e i c h n u n g des v o r b i l d l i c h e n K a i s e r s w e r b e n d w i r k e n . I c h d e n k e , w i r d ü r f e n hier die e b e n g e f u n d e n e n T a t s a c h e n d e r K o m p o s i t i o n m i t d e n v e r m u t e t e n I n t e n t i o n e n in u r s ä c h l i c h e n Z u s a m m e n h a n g b r i n g e n . A u s seinem ü b l e n D i l e m m a zieht sich d e r V e r f a s s e r d u r c h s o r g s a m e V e r n e b e l u n g des A l t e r s . D a b e i w a r i h m z. B . d i e a n d e r s a r t i g e D a r s t e l l u n g des H e r o d i a n w o h l b e k a n n t . Dieser
läßt d e n K a i s e r M a r c u s
als er v o n
der tödlichen
Krankheit
w i r d , in S o r g e u m seinen j u g e n d l i c h e n S o h n ( r r j ; /.lEiQaxt'ojv {¡hy.tui
ergriffen anyo/isvov
') Die Überlieferung ist Serero in P und ino Scvcro in Z. Der historisch richtige Name ist M . Annius Verus. Es ist mir fraglich, ob solche sachlich-historischen Korrekturen am Text der Historia Augusta in allen Fällen richtig sind. M i r scheinen vielfach Autorenirrtümer vorzuliegen. Vgl. P e t e r , Die S . H . A . 146, 4, auch O . T h . S c h u l z , Antonine 139. A. K l o t z , R h . Mus. 78 (1929), 280 will lesen a fratre suo Vero. 2 ) Auch in damaliger Zeit war das nicht einfach. W i r beobachten die unangenehmen Nachw irkungen dieser Schwierigkeiten noch heute an den Fehlern, die so bei der Redaktion des C o d e x Theodosianus entstanden. Bei dieser Arbeit kam es wesentlich darauf an, das zeitliche Verhältnis der verschiedenen Erlasse, die in ihm vereinigt wurden, zueinander zu klären, und die Redaktoren mußten daher die Konsuldaten mittels eines Fastenbüchleins auflösen. Dabei passierten ihnen viele Irrtümer. O. S e e c k , Regesten der Kaiser und Päpste, Stuttgart 1 9 1 9 , 1 8 . 3 ) Siehe u. S.205 und 233. Farblos ist v. Commod. 1 0 , 1 ¡am puer etgulosus et impudicus fuit. adulescens omne genus homiitum infamavit, quod erat secum, et ab omnibus est infamatus. Eine jugendliche Altersangabe, jedoch nicht mit Bezug auf den Antritt der tatsächlichen Alleinherrschaft wird gemacht v. Commod. 1 , 1 0 quarto deeimo •letalis anno in collegium sacerdotum adscitus est (im Jahre 1 7 5 nach v. Commod. 1 2 , 1), vgl. H e e r , a. O. 7ff., 159. 4 ) Die Analyse der Vorgeschichte des Commodus 1 , 1 0 - 2 , 5 durch H e e r , a. O. 16 f., zeigt das klar. Aus D i o 7 1 , 22, 2 ist uns nämlich bekannt, daß Marcus wegen der Empörung des A v i dius Cassius den Commodus vor dem normalen Alter die toga virilis gab. Das sieht in der vita so aus: indutus autem toga est ttonaruin Iuliarum die, quo in terris Romulus noit apparuit, et eo tempore quo Cassius a Marco deseivit. V o n dem „Pragmatismus der Ereignisse" ist also nur ein Synchronismus übriggeblieben - mit Bedacht, w i e w i r gesehen haben. Noch stärker ist die Vertuschung des Zusammenhangs an der Parallelstelle v. Marc. Antonin. 22, 1 2 und 24, jft". getrieben, wie H e e r , a. O. 17, 32, nachweist. Es handelt sich jedoch nicht, wie er a. O. 149t". annimmt, um Einlagen aus sekundären Quellen, sondern um Einschübe des Verfassers der Historia Augusta selbst. Allerdings schreiben A . v. D o m a s z e w s k i , Neue Heidelb. Jb. 5 (1895), 1 1 8 ; K o r n e m a n n , H a d r i a n ' 1 1 3 ; O . T h . S c h u l z , Antonine 109. 1 1 8 ; S c h w e n d e m a n n , a. O. i 8 o f . beide Paragraphen der annalistischen Quelle zu, freilich höchstens aus inhaltlichen Gründen. Selbstverständlich liegt eine richtige Nachricht zugrunde, aber in tiefgreifender Umarbeitung.
K i n d e r auf d e m K a i s e r t l i r o n in d e r H i s t o r i a A u g u s t a
i, 3, i) an geschichtliche Beispiele denken, i , 3, 2 ola dt) avÖQu Tio/.ülmona fiáhaxa fivij/o) rwr er vec>xr¡xi ßaothiav rrana/.aßovTOJV. Herodian erwähnt Dionys, die Diadochen und die jüngsten Fälle eines N e r o und Domitian, und des Kaisers besondere Besorgnis gilt den Germanen: VXIOTIXEVEV OVV /tu) xf¡~ i)hxíaq rov ¡.leiQaxiov y.axa.(pQovi¡oarxEZ tm&covxai auxw. Er empfiehlt daher unter besonderem Hinweis auf die Jugend den Sohn der väterlichen Aufsicht der (pt'Áoi und avyyeveig. Man sieht hieraus, was der Verfasser der Historia Augusta hätte bringen können und was er nicht bringt. Es spricht daraus die gleiche Tendenz, die anderwärts zur Heraushebung gewisser Fakten führte, hier dagegen nicht Brauchbares in seiner Wirkung zu dämpfen empfahl 1 ). Marcus w i r d im übrigen eine generelle Absolution erteilt v. Marc. Antonin. 19, ioff., bes. 1 1 : „Endlich schadete dem Antoninus nicht der Sohn, der ein Gladiator war, und die übel beleumdete Gattin; denn er blieb immer bei seiner Lebensart und änderte sich durch niemandes Einflüsterungen. S o wird er auch jetzt noch wie ein Gott gehalten, wie von Euch selbst, heiligster Kaiser Diocletian", . . . usw. ¿xánaxxe
Fragen der Komposition und des Stils lassen sich am ehesten durch den V e r gleich entscheiden. Dieser lehrte eben die Sonderstellung der Commodusvita hinsichtlich der in Frage stehenden Jahreszahlangaben. Meiner Deutung könnte man entgegen halten, die Gesamtkomposition der Historia Augusta erscheine sehr verwildert und regellos. Aber die Annahme, hier habe ein Spiel des Zufalles gewaltet, läßt sich ausschließen. Es fehlt aus jener ersten bis Alexander Severus reichenden Gruppe nämlich noch ein Kaiser; das ist Heliogabal. Für diesen vermissen w i r überhaupt jede Andeutung über sein Alter. N u r in dem Satz hic tantum Symiamirae matri deditus fuit, ut sine Hütts volúntate nihil in re p. faceret (2, 1) schimmert, aber auch nur einem Sachverständigen kenntlich, die Tatsache durch: Der Kaiser war vierzehn Jahre alt und stand deswegen unter der Kuratel der Mutter 2 ). Die Parallelität der Erscheinung in der Commodusvita und der Heliogabalvita verbietet mit ausreichender Sicherheit eine Einwirkung des Zufalls. Hier liegt bewußte Absicht v o r , das Alter des Commodus und Heliogabal zu kaschieren. J ) Ich möchte noch einmal auf Macrinus und Diadumenus z u r ü c k k o m m e n . Diadumenus w u r d e m i t 9 J a h r e n v o n seinem V a t e r zum Caesar gemacht (v. P e t r i k o v i t s , R E 1 8 [ 1 9 3 9 ] , 540). Ich hatte einen G r u n d o. S . 1 9 5 bereits e r w ä h n t , w a r u m der A u t o r der Historia A u g u s t a hier sich w e n i g e r zu einer ausdrücklichen Stellungnahme verpflichtet fühlen konnte. Ich stellte ferner o. S. 2 0 1 M a c r i n u s und Diadumenus zu der G r u p p e derjenigen Kaiser, f ü r die A l t e r und R e g i e rungszeit aus der Historia A u g u s t a zu entnehmen sind. Indessen notierte ich bei diesen beiden als auffällig, daß die Altersangabe f ü r beide zusammen nur an einer Stelle, u n d z w a r nebenher in einer Redeneinlage (v. D i a d u m e n . 1 , 4) erfolgt, über deren besondere B e d e u t u n g o. S. 1 5 0 gesprochen w u r d e . Das ist aber das gleiche Mittel der Komposition, mit dem auch in der C o m modusvita einer E r ö r t e r u n g der Altersfrage ausgewichen w i r d . 2 ) W e n n überhaupt, dann nur ganz verklausuliert könnte m a n das Alter in der V i t a e r w ä h n t finden 26, 2 dalmaticatus in publico post cenam saepc visus est, Gurgitem Fabiunt et Scipiottem se appcllatis, quod cum ca veste esset, cum qua Fabius et Cornelius a parentibus ad corrigendos mores adulescentes in publicum essent produeti, s o w i e 26, 5 et cum ad meretrices muliebri omatu processisset papilla electa, ad exoletos liabitu puerorum, qui prostituuntur... A u c h die Regierungszeit erscheint nur ganz uncharakteristisch in dem E p i l o g an den Adressaten der V i t a Constantin 34, 1 mirum Jortnsse cuipiam videatur, Constantine venerabilis, quod hacc cladts quam rettuli loco prineipum fuerit, et quidem prope triennio, s o w i e v . M a x i m i n . 5, 1 .
204
Römische Kinderkaiser
Es ist eine alte Beobachtung, daß die Heliogabalvita der Historia Augusta als Gegenbild zur Vita des Alexander Severus komponiert ist 1 ). M a n wird daher nur dann zu befriedigenden Ergebnissen gelangen können, wenn man beide zusammen betrachtet. Zugleich kommen wir damit der o. S. 200 ausgesprochenen methodischen Forderung nach. Denn Alexander Severus ist als letzter übriggeblieben von denen, die in den Kreis der Untersuchung hineinzuziehen waren. Er wurde im Alter von 13 Jahren, nach der irrtümlichen Angabe der Historia Augusta 60, 1 v o n 16 Jahren, Caesar und Augustus. Gerade auf seine Jugend w i r d immer wieder hingewiesen: v . Alexandr. Sever. 50, 3 milites iuvenem imperatorem ... amabant und schon in der Heliogabalvita 3 5 , 2 Alexander optimus et cum cura dicendus est annorum tredecim princeps. Beide Stellen sind also mit lebhaften Lobeserhebungen verbunden. Auch von ihm heißt es 26, 9 in matrein Mammaeam ttnice pius2), ita ut Romae in Palatio faceret diaetas nominis Mammaeae . . . ; 60, 2 unmittelbar an die Altersangabe anschließend 3 ): egit omnia ex cottsilio matris4) und ganz im Gegensatz zu den ähnlichen Passus bei Heliogabal (s. o. S. 203), w i r d deutlich der Grund angegeben: 14, 7 et cum puer ad imperium pervcnisset, fecit cunda cum matre, ut et illa videretur pariter imperare, mulier sancta sed avara ... 8 ). Auch Alexander Severus war, wie oben bemerkt, legitimiert worden, indem sein Vetter Heliogabal ihn adoptierte (v. Heliogabal. 1 3 , 1). Aber dieser Schritt reut den Heliogabal — er möchte ihn ungeschehe nmachen. Ein solcher undynastischer A k t zwingt die Vorstellungen des antiken Lesers unmittelbar in die Richtung der o. S. 1 1 2 ff. zusammengestellten Belege. Aber während damit die Schatten jener uneigennützigen, um das W o h l des Reiches allein besorgten Herrscher auftauchen, endet bei Heliogabal alles in krassem Gegensatz dazu, v . Heliogabal. 1 3 , 2 siquidem erat optimus invenís Alexander, ut postea conprobatum genere imperii eius, cum ideo displiceret patri, qtiod impudicus non esset, erat autem éidem consobrinus, ut quidam dicunfi). Eine A u f l ö s u n g des durch ') H ö n n , a. O. i 0 7 f . ; J a r d c , a. O. 2 1 . 106, 2. Die Gegensätzlichkeit der Charaktere herauszustellen ist ein romanhaftes Motiv, S ö d e r , a. O . 204, darüber hinaus überhaupt volkstüml i c h ^ . O l r i k , Z . f. deutsches Altertum 51 (1909), 6, spricht vom Gesetz des Gegensatzes; man würde-besser mit A . H e u s l e r , Kl. Sehr. 634, statt von Gesetz von .Neigungen' volkstümlicher Dichtung sprechen. 2 ) Das ist wörtlich gleichlautend mit Eutrop 8, 23, A . E n m a n n , Philologus Suppl. 4 (1884), 3 7 4 ; H. D e s s a u , Hermes 24 (1889), 3 7 1 , 2, vgl. H ö n n , a. O . 56, mit ähnlich lautenden anderen Quellen. 3 ) Die Anzahl der Jahre 29 ist fehlerhaft statt 26, H ö n n , a. O . 83. «) Sachlich bestätigt dies Einschiebsel Herodian 6, 8, 3, H ö n n , a. O . 81. v. Alexandr. Sever. 66, 1 druckt H o h l ff ut ad rem redeam, Alexander quidem et ipse optimus fuit ... - nam hoc nemo vult nisi bonus - et optimae matris cottsiliis usus est in der Wortstellung der Handschriften, jedoch unter Annahme einer Lücke nach fuit. Ich schlage vor, umzustellen: Alexander quidem et optimae matris consiliis usus est et ipse optimus fuit - nam hoc nemo vult nisi bonus, wodurch ipse den rechten Gegensatz erhält. A m Anfang hält 111. E . mit Recht E . T i d n e r , a. O . (o. S. 159, 3) 69. et. b ) Es ist zwar richtig, daß diese letzte Stelle „rein äußerlich" beigefügt ist, H ö n n , a. O . 85, aber davon, daß Mammaea nur „gelegentlich zusammen mit Severus Alexander genannt" sei, kann man doch nicht sprechen. Natürlich lag es nicht im Interesse der Historia Augusta, so wie in den griechischen Quellen, hervorzuheben, daß Mammaea „so gut wie allein" regierte (Herodian 6, 1, 1. 4f. und besonders wichtig: auch wohl Julian Caes. 3 1 3 A am Ende, dazu u. S. 228 f.). «) Die sachlichen Tatsachen der Reue über die Adoption und über die Ernennung zum Caesar
Kinder auf dem Kaiserthron in der Historia Augusta
205
die Adoption geschaffenen Rechtszustandes —wir sahen das schon o. S. 1 1 3 — gibt es nach römischem Recht nicht 1 ). Heliogabal versucht zunächst seinen Vetter als Caesar vom Senat absetzen zu lassen2) und greift dann zu dem Mittel, zu dessen praktischer Ausführung der Autor der Historia Augusta es bei keinem seiner guten Kaiser in analogen Lagen gelangen läßt, zum direkten Mordversuch. Damit ist bereits genug gesagt, und w i r können ein abschließendes Urteil geben. In den Viten des Heliogabal und des Alexander hat die Gegensätzlichkeit der Schwarz-Weiß-Zeichnung, die schon früher beobachtet wurde, auch auf unser dynastisches Problem übergegriffen. W i r finden gewissermaßen die Geschichte des Marcus und Commodus mit umgekehrten Vorzeichen wieder; hier ist der „ V a t e r " der schamlose Popanz und der jugendliche „ S o h n " gutgeartet und weise regierend 3 ). Es war w o h l im Interesse dieser Komposition, solche Gegensätze nicht durch eine Erwähnung der Jugendlichkeit des Heliogabal z u gefährden, die allzu leicht entschuldigend wirken konnte. W i e nahe das lag, sieht man da, w o der V e r fasser später an einer ganz abliegenden Stelle das jugendliche Alter, bezeichnenderweise des Commodus und Hcliogabalus zusammen, klar herausstellt. Dort wird dieses denn auch in ebensolchem Maße wie die schlechte Veranlagung für das V e r sagen dieser beiden Kaiser verantwortlich gemacht 4 ). Es steht das wieder in der Nicomachusrede der Tacitusvita 6, 4 enimvero si recolere velitis vetusta illa prodigia Neroties dico et Heliogabalos et Commodos seu potius Ittcommodos, certe non hominum magis vitia illa quam aetatum fuerunts). Bedenken gegen den jungen Alexander, die
werden zwar durch Herodian 5, 7, 5 und Gass. Dio 79, 17, 2. 19, 1 bestätigt, und J a r d c , a. O. l o f f . 107 vermutet hier eine gute Quelle, die auch die Epitonie de Caesaribus benutzte, nicht Herodian oder Dio, sondern Dexippos, aber einige Einzelheiren, vor allem an der Stelle der Heliogabalvita 1 3 , 2 , die dem ganzen Bericht des Kapitels 13 den besonderen Akzent verleihen, wurden als „unnütze und faselige Bemerkungen" des Kompilators abgetan, H ö n n , a. O. 30 f. 28: der Vorverweis auf die Alexandervita; die Formulierung als Ausspruch dicens sc paenitere adoptionis 1 3 , 1 , dazu a. O. 202 ff.; auch K o r n e m a n n , Hadrian 86f., sah hier in einem guten Grundstock Einarbeitungen von späterer Hand, so o. im Text den Schlußsatz über den coiisobrinus. postca dagegen führe auf den Bericht der guten Quelle, a. O. 94, auch, was ich f ü r noch weniger wahrscheinlich halte, a. O. n o f . der rum-Satz. A n der Beurteilung H ö n n s ist nur die Wertung verkehrt. L e o n h a r d , s. v. abdicatio R E 1 (1894), 24. *) Solche Dispensierung war staatsrechtlich möglich, vgl. T h . M o m i n s e n , Staatsrecht 2, 7 5 1 , wenn auch gewiß in dynastischem Sinne äußerst bedenklich. 3 ) Beiläufig hat schon einmal H e e r , a. O. 178, Anm. 402f., aus sprachlichen Beobachtungen an zwei Stellenpaaren auf Verwandtschaft von Commodusvita und Heliogabalvita und eine „ f a s t " bewußt formulierte Antithese von Commodus und Alexander Severus hingewiesen. Eine Reihe von parallelen Phrasen stellt dann H ö n n , a. O. i68f., zusammen. 4 ) Interpretatio in melius gehört zum Beruf des Rhetors, vgl. die ähnlich gehaltenen Auslassungen des Pacatus über die Jugendsünden großer Männer paneg. 2, 7, 4 (vgl. o. S. 149). 5 ) Diese Beurteilung ist die übliche, wie der Erfahrungsschluß des Aurelius Victor 5, 3 über Verus beweist: quare satis compertum est neque aevum impedimento virtuti esse; eam facile mutari (orrupto per licentiam ingenio omissamque adolescentiae quasi legem perniciosius repeti. Zugrunde liegt der Topos vom lubricum adulcscentiae, s. vor. Anm. und Julian Caes. 334 C Marcus' Verteidigung gegen den Vorwurf,, er habe seinem jungen Sohn das Reich hinterlassen. Dagegen Sueton Nero 26, 1 : N e r o habe zuerst quasi iuvenili errorc sich jenen Lastern hingegeben, aber man habe schon erkennen können, naturae illa vitia, nott aetatis esse.
206
R ö m i s c h e Kinderkaiser
nun gegeben sein mochten, beschwichtigt der Verfasser stets durch gleichzeitigen H i n w e i s a u f seine Qualitäten und seine Beliebtheit 1 ), a u f die A n h ä n g l i c h k e i t an seine M u t t e r , unter deren gutem E i n f l u ß er stand, schließlich auch durch einen B e r i c h t w i e v . A l e x a n d r . S e v e r . 5 1 , 4 Ulpianum matte
deinde
cipue consiüis
gratias
agente•
rem p. rexit2).
...
citque
ideo
pro
summus
tutore imperator
habuit fuit,
primum qtwd
repugnante eins
A u c h diese A r t d e r K o m p e n s i e r u n g j u g e n d l i c h e r
prae-
Un-
vollkommenheit ist uns aber schon b e g e g n e t : D e m Gordian III. stand der S c h w i e gervater Timisitheus mit seinen cottsilia zur Seite. W i r k o m m e n also zu folgendem Ergebnis: D e r Verfasser der Historia Augusta, loyal gegenüber seinen kaiserlichen Herren, vertritt an sich die konventionellen, mehr oder minder rhetorisch aufgeputzten und daher vielfach widersprüchlichen Anschauungen über das Kaisertum. U n t e r den gleichtönenden und ermüdenden Phrasen dieser A r t tauchen an einigen Stellen individuelle W e n d u n g e n auf, n ä m lich da, w o der A u t o r z w a r das Erbrecht nicht bestreitet, seine w a h r e Berechtigung aber v o n der Qualifikation zu dem hohen A m t e des Prinzeps abhängig macht und nun jugendliches Alter als im besonderen M a ß e a u f Z e i t disqualifizierend hinstellt. Jugendliches Alter ist für ihn ein Stichwort. Bei ihm bringt er entweder mehr oder minder ausführlich die erwähnte A n s c h a u u n g zum Ausdruck 3 ), oder er trägt da, w o der D e f e k t durch eine A r t V o r m u n d s c h a f t zu kompensieren ist, zusätzlich noch besonders auffällig wirkende panegyrische Farben auf, so bei Severus A l e x ander und Gordian III., oder schließlich er schiebt Altersangaben kompositorisch stark in den Hintergrund, so bei C o m m o d u s , Diadumenus, Heliogabalus 4 ). M i t diesen Schemata w i r d im gesamten C o r p u s ohne Ausnahme gearbeitet.
') Aurelius V i c t o r wendet dagegen 24, 2 bei Severus Alexander ein anderes M i t t e l an: qui quamquam adclesceits ingenio supra acrum tarnen. Das ist eine moralische Majorennisierung, ein t y p i sches Rhetorenmittel, s. u. S. 220 ff. D e r Hinweis m ö g e hier nur dazu dienen, die Absichtlichkeit der besonderen K o m p o s i t i o n in der Historia Augusta zu unterstreichen. 2 ) D i e ganze Stelle ist der rhetorische A u f p u t z eines sehr spärlichen zuverlässigen G r u n d bestandes; die Vormundschaft scheint der E r w e i t e r u n g zuzugehören, H ö n n , a. O . 59. 1 5 5 ; J a r d c , a. O . 37, 3. 38, 2 (aus griechischer Quelle?). 3 ) Ein B e l e g sei hier nachgetragen, v. Pertinac. 6, 9 filium eius (Pertinacis) senalus Caesarem appcllavit. sed Pertinax nec uxoris Augustac appcUationem reeepit et de filie dixit: cum meruerit (vgl. 13, 4). M e h r erfahren w i r über diesen Sohn des Pertinax aus der Historia Augusta nicht. D i e Stelle gehört aber in unseren Zusammenhang, denn w i r wissen, daß der Pertinaxsohn u m 180 geboren und bei der Thronbesteigung des Vaters fietgdxiov war (Herodian 2, 4, 9). D a s w u ß t e auch der A u t o r der Historia Augusta z. B . aus dem i h m bekannten W e r k des Herodian. Entsprechend den oben gekennzeichneten Anschauungen (vgl. dazu noch K o r n e m a n n , D o p p e l prinzipat 19, 6. 42 f.) bezieht er seine Stellung durch geeignete Formulierung des ihm ü b e r lieferten Tatbestandes nach dem Muster v o n Sueton A u g . 56, 2: Hist. A u g . cum meruerit; bei D i o 73, 7, 2 ovx ij&eAtjoe (Pertinax) nglv Ttaiöevßrjvai, XÜJ TE oyxo> xai rrj ix ¿?Jti5i T f j TOV ovoßarog Statp&aQfjvat. Herodian 2, 4, 9 ohne entsprechende Ä u ß e r u n g , aber i m T e n o r D i o nahestehend; Hier. 2 i o d Helm contradixit (Pertinax) sufficere testatus, quod ipse regnaret inuitus; C h r o n . Pasch. 264b (492, 19). Z u den geschichtlichen V o r g ä n g e n M . F l u ß , R E Suppl. 3 (1918), 904 und R . W e r n e r , K l i o 26 (1933), 298f. Übrigens bezeugt die nichtliterarische Überlieferung, d a ß der S o h n des Pertinax doch Caesar war, K o r n e m a n n , a. O . 82; allerdings sind das Belege aus den östlichen Provinzen, und die Erklärung J . V o g t s , man habe dort das V e r b o t des Kaisers nicht erfahren, w i r d richtig sein, v g l . W e r n e r , a. O . 299f. 4)
Ü b e r den Grenzfall des M a x i m i n u s iunior s. o. S. 195; zu Saloninus s. o. S. 192.
Die Einstellung der Antike zu den Kinderkaisern
207
B . D i e E i n s t e l l u n g d e r A n t i k e z u den K i n d e r k a i s e r n D i e Entwicklungstendenz im Prinzipat, die historisch zu der S y m b o l f o r m der Kinderkaiser führt, ist früh erkennbar und bringt sogleich die ähnlichen Problemstellungen hervor. Tacitus ann. 1 3 , 6 berichtet v o m Jahre 54 eine solche Diskussion: Damals stellte man angesichts des drohenden Partherkrieges den 17jährigen N e r o dem Claudius gegenüber, der „kraftlos infolge hohen Alters und Feigheit" sei. D o r t schiebt man in den V o r d e r g r u n d , es regierten Frauen oder die magistri; diese aber, geschweige der J ü n g l i n g , genügten nicht den A n f o r d e r u n g e n der Front. Hier antwortet man, es ständen weise und erfahrene Freunde stützend zur Seite; Sache der Fürsten sei nicht die vorderste Frontlinie (tela et manus), sondern auspicia et consilia. D a f ü r stehen auch römische exempla zur V e r f ü g u n g ; B e w e i s ausreichender, j a überragender B e f ä h i g u n g eines J ü n g l i n g s sind der 17jährige P o m p e ius — dies allerdings mit unrichtiger Altersangabe — und der 18jährige Octavian in den Bürgerkriegen, denen der Prinzipat entwuchs. W i e Kinderkaiser notwendige Folge einer uranfänglichen Struktur des Prinzipats w a r e n , so auch die Empfindlichkeit der Kaiser gegen jede Feststellung ihrer Kindlichkeit. Schon Octavian reagierte sehr übel, w e n n man ihn puer, adulescens u . a . nannte 1 ), berichtet uns Sueton, A u g . 1 2 . D a s hat sogar in der Vergilkritik seinen Niederschlag gefunden. M a n kann ihn in den Scholien zu buc. 1 , 4 2 (zu iuvenem) beobachten, die v o n alter H e r k u n f t sind 2 ). Philargyrius (nach den Berner Scholien und den explanationes Servius B d . 3, 2, S. 22 Hagen) redet sogar v o n e i n e m S e n a t s b e s c h l u ß ne quis eunt puerum
diceret,
tie maiestas
tanti imperii
minueretur.
G e o r g i i bringt diese Nachricht w o h l mit R e c h t in eine w i e auch immer geartete Verbindung mit den Senatsbeschlüssen, die Octavian Dispens v o n den Altersgesetzen erteilten. M a n erkennt schon die beiden Prinzipien, entweder ein Ü b e r maß an Fähigkeiten als Ausgleich des geringen Alters v o n adulescentes einzusetzen oder aber das niedrige Alter des puer einfach zu „verbieten". N o c h w a r das un') Cicero ep. ad fam. 10, 28, 3 (ca. 2. 2. 43) egregius puer; Anfang Mäiz 43 Philipp. 13, 9, 19 satictissimus adulescens; am 20.Dezember 44 Philipp. 4, i, 3 nomen clarissimi adulescentis velpueri potius, vgl. 3, 2, 3 ; ad fam. 1 1 , 14, 1 (Ende Mai 43) adulescens; 1 1 , 20, 1 „man solle den adulescens loben, auszeichnen und .befördern'"; Octavian soll es hier erbittert-humorvoll aufgenommen haben: er werde das Um-die-Ecke-Bringen nicht erlauben. Übrigens war adulescens nicht gleich puer. In den ganz persönlichen Briefen an den Vertrauten Atticus ist der T o n Ciceros früh eindeutig: ad Att. 16, 8, 1 puerile hoc quidem; 16, 9. 16, 1 1 , 6 alle Anfang N o v . 44, ad Brut, i, 18, 3 f . (27. Juli 43). Jene elativen Ausdrücke hören wir natürlich nur, weil Cicero damals um die Jahreswende 44/43 in dem puer noch den Wiederhersteller der Republik sieht. W i e sehr das später trivialisierte Problem beachtet worden war, zeigt das rhetorische Machwerk des pseudociceronischen Briefes an Octavian 6, aber auch die Verzerrung der Überlieferung durch Erfindungen wie bei Appian b. c. 3, 82, 3 3 7 f r , vgl. E . S c h w a r t z , Hermes 33 (1898), 2 1 8 ; F. B l u m e n t h a l , Wien. Stud. 35 (1913), 2 7 4 ; H. W i l l r i c h , Cicero und Caesar, Göttingen 1944, 3 i 2 f . Auch das Culexproblem spielt herein, vgl. v. 2 6 ; es wird aber nicht entscheidend berührt. — Die zitierten und andere Zeugnisse bespricht J . H. M c C a r t h y , Octavianus puer, Class. Philol. 26 (1931), 362ff. 2 ) H. G e o r g i i , Die antike Vergilkritik in den Bukolika und Georgika, Philologus Suppl. 9 (1904), 2 2 1 .
208
R ö m i s c h e Kinderkaiser
g e w o h n t e N e u i g k e i t , und die Labilität der politischen Lage forderte Legitimationen f ü r die Ungewöhnlichkeiten. Appian b. c. 3, 88, 361 hat aus den Memoiren des A u g u s t u s 1 ) folgende Einzelheit v o n der vorzeitigen B e w e r b u n g des jugendlichen Octavian um das Konsulat im J a h r e 43 erhalten. Es w a r nach dem T o d e der beiden Jahreskonsuln v o n 43 H i r tius und Pansa, die Ende A p r i l gefallen waren, eine N a c h w a h l erforderlich g e w o r d e n . O c t a v i a n , der bei dieser Gelegenheit an die M a c h t gelangen wollte, w a r damals noch nicht 20 J a h r e alt. Eine A b o r d n u n g aus Centurionen seines Heeres sei, schreibt A p p i a n , v o r dem Senat aufgetreten, um den A n t r a g ihres Kommandeurs a u f B e f r e i u n g v o n den gesetzlichen Altcrsvoraussetzungen zu unterstützen. D i e Soldaten hätten ein sehr anmaßendes Benehmen gezeigt. A l s der erwartete E i n w u r f k a m , das Alter des Petenten sei allzu jugendlich, brachte die Deputation B e i spiele aus der Geschichte v o r , darunter einige aus der jüngsten G e g e n w a r t , P o m peius, Dolabella und eine im selben J a h r e erfolgte Herabsetzung des B e w e r b u n g s alters f ü r Octavian um 1 0 Jahre 2 ). M a n versuchte also gerade v o n Seiten Octavians dem heiklen Problem mit historischen Präzedenzfällen beizukommen. A u f die dabei befolgte M e t h o d e führt uns die Tacitusstelle. W i r sahen dort, daß der 18jährige Octavian und der 17jährige Pompeius als Exempel f ü r die militärische Leistungsfähigkeit auch jugendlicher M ä n n e r dienten. Dabei w u r d e Pompeius um 5 J a h r e j ü n g e r gemacht als sein wahres Alter gewesen w a r . Das Geburtsjahr des Pompeius schwankt in der antiken Überlieferung stark, und bezüglich des historischen Punktes seines Eintritts in die Geschichte, der v o n Tacitus an der zitierten Stelle angezogen w i r d , erfahren w i r außer dem richtigen Alter, das uns Velleius 2, 29, 1 gibt, auch das v o n 21 Jahren bei E u t r o p 5, 8, 2 3 ). Dieses Schwanken in der Ü b e r lieferung des Geburtsjahres v o n Pompeius diente M o m m s e n 4 ) dazu, die gleiche Erscheinung bei Julius Caesar zu erklären. M o m m s e n berechnete bekanntlich a u f G r u n d v o n Caesars cursus honorum und der lex annaria als sein Geburtsjahr 102. Dieses J a h r , das keine antike Überlieferung nennt, fand einige bedeutende V e r teidiger 5 ). Im ganzen und v o r allem neuerdings hat man dagegen der antiken T r a dition, die meist das J a h r 1 0 0 angibt, mehr G e w i c h t beigelegt 6 ). N u n nimmt T a citus dial. 34, w o er über die ersten Beweise rhetorischer Leistungsfähigkeit später hervorragender R e d n e r handelt, f ü r Caesar das Geburtsjahr 98/7 v . C h r . an. C a e sars erster B e w e i s der militärischen B e f ä h i g u n g fällt nach Sueton, Caes. 2, in die r
) W. S o l t a u , Appians Bürgerkriege, Philologus Suppl. 7 (1899), 604; allerdings wahrscheinlich nicht direkt (E. S c h w a r t z , R E 2 [1895], 228f. 234f.), aber alle Benennungen der Z w i schenquelle (wie Livius, F. B l u m e n t h a l , Wien. Stud. 3s [1913], 116. 274) sind zweifelhaft. 2 ) Vgl. M o m m s e n , Staatsrecht 1* $64, 1. 565, 2. 567, 1. 568, 1 ; V. G a r d t h a u s e n , Augustus und seine Zeit 1 , 1 , Leipzig 1891, 124. 3 ) Vgl. W. D r u m a n n - P. G r o e b e , Geschichte Roms 4*, Leipzig 1908, 332f. 4 ) Römische Geschichte 3, 16, Anm. (in 1. Aufl. 1854). s ) Vgl. T . R i c e H o l m e s , The Roman Republic and the Founder of the Empire 1, Oxford 1923, 436fr. •) Vgl. die Ausgabe der Caesarvita Suetons von H. E. B utler - M. C a r y , Oxford 1927, X V ; G. de S a f i c t i s R i v . di filol. class. 62 (1934), 5$o. Einen Überblick über die wichtigste Literatur zu diesem Streit gibt J. C a r c o p i n o , Melanges Bidez (Annuaire de l'Institut de philol. et d'histoire orientales 2) 1934, 36f.
Die Einstellung der Antike zu den Kinderkaisern
209
Zeit der stipendia prima bei der Belagerung von Mytilene 80/79 v - Chr. Nach taciteischer Chronologie war Caesar damals 17—19 Jahre alt, d. h. unter der Voraussetzung des Geburtsjahres 102 4—5 Jahre jünger als in Wirklichkeit: eine merkwürdige Übereinstimmung mit der Differenz bei Pompeius. Die Frage, ob ein jugendlicher Mann die Qualitäten besitzen könne, die für die Leitung des römischen Staates erforderlich waren, bildete den großen staatsrechtlichen Streitpunkt in den Monaten nach Julius Caesars Ermordung. W i l h e l m W e b e r hat die bedeutende Rolle, die er gespielt hat, ausgehend von den lapidaren Worten Octavians im Leistungsbericht 1, 1 annos undeviginti natus..., an zahlreichen Stellen gezeigt 1 ). Es ging dabei erstens um die Legalisierung der privaten Aufstellung eines Heeres durch Octavian, zweitens um die Berechtigung seines vorzeitigen Konsulats. Wie man aus diesem Material ersieht, parallelisierte man dabei Octavian, Pompeius und Caesar 8 ). So dürfte die Festlegung des Alters im Augenblick der ersten politisch-militärischen Leistung entsprechend dem 18jährigen Octavian bei Pompeius auf 17 Jahre, bei Caesar auf ein ähnliches Maß — man könnte auf 16 Jahre verfallen, eine rhetorische Klimax, wie sie auchTacitus an der Dialogusstelle nicht ohne weitere Gewaltsamkeit zustande gebracht hat 3 ) — Ergebnis solcher Synchronisation sein. Rechnen wir auf der Basis des Jahres 100 für Caesar nochmals, so gelangen wir für das gleiche Ereignis auf ein Alter von 19—21 Jahren. Auch hier kommt wieder eine Übereinstimmung mit dem anderen falschen Zweig der Überlieferung für Pompeius heraus. 19/20 Jahre war aber Octavian, als er gegen alle Altersgesetze und unter großem Aufsehen das Konsulat im Jahre 43 bekleidete. Wir haben also als Ergebnis jener Versuche, wie sie das Auftreten der Militärs in der Senatssitzung bei Appian zeigte, eine zweimalige Legitimierung des Caesarsohnes durch Synchronisierung mit seinem Adoptivvater und mit Pompeius4). Es besteht also die größte Wahrscheinlichkeit, daß auch für Julius Caesar 98/7 und 100 v. Chr. künstliche Daten sind. Aus diesen Umständen erklärt sich, daß man bei keinem antiken Zeugen für sich genommen einen Widerspruch zwischen direkten und indirekten Daten für Caesars Geburtsjahr feststellen konnte. Denn natürlich war seine gesamte Biographie chronologisch auf das, jeweilig angenommene Geburtsdatum umgerechnet. Sueton, der für ihn von dem Geburtsjahr 100 ausgeht (Vita 88), sagt 1 , 1 , Caesar habe im 16. Jahre den Vater verloren: sequetttibus consulibusflamen Dialis destinatus dimissa Cossutia... Corneliam Citmae quater consutisfiliam duxit uxorem... D e Sanctis Princeps 1, Stuttgart 1 9 3 6 , 1 3 8 f F . ; D e r Prophet und sein Gott, Leipzig 1 9 2 5 , 38. 2
) Eine einzelne Episode, die nach anderen Quellen bei dem erwähnten E m p f a n g der Soldatendeputation Octavians v o r dem Senat passierte, w i r d sogar auf Julius Caesar übertragen g e funden, E . M e y e r , Caesars Monarchie 1 , Stuttgart 1 9 1 8 , 267, j . 3
) Siehe die Kommentare und O . S e e l , K l i o .34 ( 1 9 4 1 ) , 2 0 7 ; zur Datierung J . C a r c o p i n o , Mélanges Bidez 5 3 , 1. 4
) Synchronismen über die Debüts berühmter und junger Männer stellte um diese Z e i t auch N e p o s an: E r vergleicht die beiden ersten R e d e n des Demosthenes mit denen Ciceros, und Gellius 1 5 , 28, 5 bemerkt dazu, N e p o s habe den C i c e r o vier Jahre jünger gemacht: amplificandae admirationis gratia quadriennium suppressisse. Das ist der andere untraditionalistisch-revolutionäre W e g der .jungen Männer'. 14
H a r t k e , Römische Kinderkaiser
210
R ö m i s c h e Kinderkaiser
stellt f e s t , d i e s e r g a n z e S a t z b e z i e h e s i c h a u f d a s 4 . K o n s u l a t s j a h r d e s C i n n a , d . h . d a s J a h r 8 4 . D a s ist s e l b s t v e r s t ä n d l i c h , d e n n s o n s t s t i m m t e S u e t o n s A n n a h m e ü b e r Caesars Geburtsjahr eben nicht. D e r A n s t o ß liegt w o a n d e r s . W a r u m datiert Sueton in d i e s e m e i n e n S a t z z w e i m a l d u r c h a u s h ö l z e r n m i t K o n s u l a t s j a h r e n 1 ) , a u ß e r d e m Cinna
quater consul n o c h a m A n f a n g m i t sequentibus
consulibus
ohne N e n n u n g der
e p o n y m e n Beamten, ein bei Sueton singulärer W e g ? D i e L ö s u n g gibt die B e o b a c h t u n g d e r Gelehrten«), d a ß n a c h V e l l e i u s 2, 43, 1, d e r e b e n f a l l s d a s G e b u r t s j a h r 1 0 0 v o r a u s s e t z t , C a e s a r v o n M a r i u s u n d C i n n a z u m flamen D i a l i s b e s t i m m t w u r d e , d . h. A n f a n g 86, als diese b e i d e n e i n e k u r z e S p a n n e v o n T a g e n g e m e i n s a m K o n s u l n w a r e n (paene
puer
a Mario
Cinnaque
flamen
Dialis
creatus).
B e i S u e t o n handelt es
sich also u r s p r ü n g l i c h u m z w e i v e r s c h i e d e n e K o n s u l d a t e n , f ü r 86 u n d 84. D a v o n m u ß t e d a s e i n e (86) a n o n y m a b g e ä n d e r t u n d d a d u r c h v e r t u s c h t w e r d e n , w e n n n i c h t durch die vorangehende Altersangabe „ 1 6 J a h r e " der Synchronismus a u f das Jahr 100 gestört w e r d e n sollte. M i t derselben sich aus d e m S y n c h r o n i s i e r e n e r g e b e n d e n S c h w i e r i g k e i t hat hier o f f e n b a r a u c h V e l l e i u s o d e r seine Q u e l l e z u r i n g e n . D e n n e r v e r m e i d e t es, n e b e n d e r u n b e s t i m m t g e h a l t e n e n L e b e n s a l t e r b e z e i c h n u n g puer
ein eigentliches
Konsulatsdatum
z u g e b e n , er sagt nur
a Mario
paeue
Cinnaque
creatus3). G e r a d e b e i V e l l e i u s ist d a s S y n c h r o n i s i e r e n e i n i g e r w i c h t i g e r M o m e n t e Jugendgeschichte
des Caesar und O c t a v i a n
noch
handgreiflich
an
in d e r
bestimmten
Stichworten z u fassen:
Das beanstandete auch J. C a r c o p i n o , Hist. R o m a i n e 2 2 , Paris 1937, 592. 2. 2)
V g l . die Literatur bei B u t l e r - C a r y , a. O . (o. S. 208.6). N a c h J. M a r o u z e a u - J u l i e t t e E r n s t , L ' A n n é e philologique 16 (1946), 322. versteht H . L a s t , Class. R e v . 1944, 1 5 f f . Cinna quater consul nicht als Datierung, sondern als Identifizierung: „ C i n n a , der viermal Consul war".
3 ) In diesem synchronisierenden M o m e n t sind also Velleius und Sueton gleich. A u c h datieren beide gleich, d. h. sie datieren eben nicht präzise, w e i l hier einige Jahre herausgespart w e r d e n müssen, aber sie beschreiben den V o r g a n g v o n verschiedenem B l i c k p u n k t her: Sueton geht aus v o n der Ehe mit einer Patrizierin als der Voraussetzung des Flaminats, Velleius anscheinend v o n der Unzuständigkeit der Männer, die Caesar die W ü r d e gaben. S o hat diesen letzteren Punkt w o h l richtig formuliert H . S t r a s b u r g e r , Caesars Eintritt in die Geschichte, M ü n c h e n 1938, 80f. Er wendet sich mit R e c h t g e g e n M . G e i z e r , Caesar 2 , M ü n c h e n 1940, 22, der meint, Marius habe Caesar 86 als flamen Dialis in Aussicht g e n o m m e n , bekleidet habe derselbe das A m t aber erst 84. Für die äußerst v e r w i c k e l t e Quellenfrage der Frühgeschichte Caesars g e w i n n e n w i r daraus etwas. N a c h S t r a s b u r g e r s Ansicht hat die A n t i k e v o n Caesars Geschichte v o r dem Jahre 50 keine N o t i z g e n o m m e n und keine unmittelbare Überlieferung besessen. N u r eine einzige Biographie aus später Z e i t (A) habe darüber A u s k u n f t gegeben. D a n n w a i die Synchronisierung auf das Jahr 100 schon in der ältesten Ü b e r l i e f e r u n g A erfolgt. D a die Basis der Synchronisierung die Jugendgeschichte Octavians bildete, w u r d e diese älteste Ü b e r lieferung über Caesar erst 44/43 v. C h r . geschaffen. Das stimmt m i t S t r a s b u r g e r s aus ganz anderen E r w ä g u n g e n g e w o n n e n e n Ergebnis überein (a. O . 88). A u s methodologischen Gründen v o r allem hatte z w a r O . S e e l , K l i o 34 (1941). 196ff-, g e g e n S t r a s b u r g e r B e d e n k e n geäußert. A b e r es scheint m i r unerlaubt z u fordern, das „schreibselige ciceronische Zeitalter" habe unbedingt etwas mehr über Caesar produzieren müssen. E b e n s o w e n i g kann ein H i n w e i s auf die außerliterarische V e r m i t t l u n g v o n Nachrichten helfen - w o h e r wäre denn, w e n n diese ernstlich in Frage käme, das S c h w a n k e n über das Geburtsjahr v o n Pompeius und Caesar überhaupt zu erklären (a. O . 204f. 225) ?
Die Einstellung der A n t i k e zu J e n Kinderkaisern
Octavian
211
C . Caesar
2 , 4 1 , i genitus familia1) 2, 59, 2 genitus familia 59, 3 untimi amos XVII Hispaniensis mi- 4 1 , 2 . . . habuissetque fere XVIII annos eo litiae adsecutum se postea comitem habuit tempore quo Sulla rerum potitus est (J. 82) (C. C a e s a r ) . . . 43, i . . . mox ad sacerdotium itieundum pontificatusque sacerdotio (qtfippe absetis pontifex factus erat in Cottae consularis locum [J. 74], cum paene puer puerum honoravit a Mario Cinnaque flamen Dialis creatus » [J. 86] victoria Stillae ... amisisset id sacerdotium) festinans in Italiam... 59, 5 festinans pervenire in urbem (nach Caesars Tode) 4 1 , 3 postea2) admodum itiveuis (See2 , 6 l , i XVIIII annum ingressus räuberepisode) 6 i , 2 privato Consilio... veteranos excivit 42, 2 contracta classe et privata et tumulpaternos... iuvenis tuaria 6 i , 4 ab eo annum agente vicesimum (Schlacht bei Mutina) 65, 2 consulatumque iniit Caesar pridie quam ( „ b e v o r . . . " ) viginti annos impleret Es wird zuerst die Familienabstammung besprochen. Ferner werden altersmäßig synchronisiert das Zusammentreffen mit den entscheidenden Männern ihrer Zeit und der Zeitpunkt, w o beide eine private Streitmacht aufstellen. Die chronologisch verschwommene Datierung, die Velleius dabei für Caesar gibt (postea admodum iuvenis), zeigt wieder, wie sehr es ihm nicht auf Chronologie, sondern auf Synchronie ankommt 3 ). Dasselbe ist offenbar beabsichtigt für die Bekleidung hoher sakraler Ämter, indem gegenüber dem jugendlichen Pontifex Octavian für Caesar stilistisch das in jugendlichen Jahren übertragene Flaminat mit dem späteren Pontifikat verbunden wird. Gleich ist bei beiden dann auch die Eile der Rückkehr nach R o m in einem markanten Augenblick auf dem Wege zur geschichtlichen Größe. Velleius erwähnt nicht die prima stipendia und Auszeichnung Caesars in Asien, mit denen man, von einem Geburtsjahr 98/7 ausgehend, Octavians Konsulat und vom Jahre 100 aus die private Aufstellung eines Heeres hatte legalisieren können. U m das Konsulat Octavians kümmert sich Velleius im Sinne einer SynÜber diese typische Einleitung der Biographien vgl. S t r a s b u r g e r , a. O. 79. ) Es ist sehr wichtig, daß wir für diese Episode in der Überlieferung keine einheitliche D a tierung vorfinden, vgl. S t r a s b u r g e r , a. O . 9. 32. 64; E . G. S i h l e r , C . Julius Caesar, Leipzig 1 9 1 2 , 3 6 ; W . D r u m a n n - P . G r o e b e , Geschichte R o m s 3 a , Leipzig 1906, 1 3 1 . Bei Velleius ist sie durch den vorangehenden Abschnitt 4 1 , 2 gegen das 18. Lebensjahr zu verschoben, vgl. H . S a u p p e , Ausgew. Schriften, Berlin 1896, 53. 3 ) Dieselbe chronologische Unsicherheit müssen wir auch für den Dolabellaprozeß konstatieren ( S t r a s b u r g e r , a. O . 9 i f . ; W . D r u m a n n - P . G r o e b e , a. O. 130, 3), der auch wieder in der Synchronisierung bei Tacitus dial. 34 eine Rolle spielt (s. o. S. 208 f.). Das sind überall Symptome der gleichen Methode. 2
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Römische Killderkaiser
c h r o n i s i e r u n g mit C a e s a r n i c h t , a b e r d i e s p o n t a n e H e e r e s a u f s t e l l u n g 2, 6 1 , 2 p a r a l l c lisiert e r d a f ü r m i t d e r S e e r ä u b e r e p i s o d e 1 ) . M a n hat a u f e i n e e n g e B e z i e h u n g d i e s e r Stelle a u s d e r G e s c h i c h t e O c t a v i a n s ( 2 , 6 1 , i f . ) z u seiner A u t o b i o g r a p h i e h i n g e w i e s e n 2 ) . D i e s e s W e r k in 1 3 B ü c h e r n reichte bis z u m J a h r e 26/5 v . C h r . u n d w a r b a l d n a c h d i e s e m T e r m i n , w a h r s c h e i n lich 2 3 v . C h r . o d e r k u r z d a n a c h a b g e f a ß t 3 ) . W i r e r k e n n e n n o c h , d a ß d e r K a i s e r selbst i n i h m p e i n l i c h d i e A l t e r s f r a g e n b e a c h t e t e 4 ) . W i e A u g u s t u s d o r t seine J u g e n d lichkeit bei der B e w e r b u n g u m s K o n s u l a t rechtfertigte, erfuhren w i r oben d u r c h A p p i a n : E r tat es n i c h t d u r c h B e r u f u n g a u f C a e s a r . A u c h d a d u r c h b e s t ä t i g t sich d i e H e r k u n f t des B e r i c h t s b e i V e l l e i u s aus d e r A u t o b i o g r a p h i e . B e i i h r e r A b f a s s u n g e t w a 2 0 J a h r e n a c h d e n E r e i g n i s s e n k a m es d e m K a i s e r n a t ü r l i c h n i c h t s o sehr d a r a u f a n , d a ß er seine e r s t m a l i g e Ü b e r n a h m e des K o n s u l a t i m J a h r e 43 d u r c h d a s B e i s p i e l seines A d o p t i v v a t e r s l e g i t i m i e r t e . J e t z t w i l l e r sich als r e c h t m ä ß i g e n E r b e n C a e s a r s d a r s t e l l e n , d e m d i e a l l g e m e i n e Z u s t i m m u n g d e r alten S o l d a t e n des D i k tators e n t g e g e n f l o g , als e i n e n z w e i t e n C a e s a r 6 ) . D i e F o r m , in d e r b e i V e l l e i u s A u g u s t u s m i t C a e s a r s y n c h r o n i s i e r t w i r d , e n t spricht also der T e n d e n z v o n O c t a v i a n s Selbstbiographie. In dieser w a r auch die ') S t r a s b u r g e r , a. O . 82, stellt fest, daß die prima stipcndig schon in der ursprünglichen Materialmasse (A) vorhanden waren, nicht nur in der durch Sueton und de vir. m 11. repräsentierten Rezension B . Die sog. Rezension C (Velleius, Plutarch) läßt sie fallen. Eine allgemeine Tendenz, Caesars Frühgeschichte rückzudatieren, ihn selbst für entscheidende historische Akte jugendlicher zu machen, fiel schon S t r a s b u r g e r auf, a. O . 95f., ohne daß er eine Begründung gab. Meine Darlegung würde es erforderlich machen, eine dritte Rezension D einzuführen, die in letzten Spuren bei Tacitus vorliegt. - Mit einer bloßen Addition der Berichte, wie sie S e e l , a. O . 219, vorschlägt, kommt man hier nicht aus, weil wir mit besonders tiefen tendenziösen Eingriffen zu rechnen haben. 2 ) Die Benutzung dieses Werkes durch Velleius behauptete schon J . K r a u s e in seiner Ausgabe von 1800. S a u p p e sah 1837 (a. O . [o. S. 2 1 1 , 2 ] ) in ihm die Hauptquelle der Kap. 5 9 - 9 1 , während F. B u r m e i s t e r , De fontibus Vellei Paterculi, Diss. Halle 1893, 3off., es nur als Nebenquelle anerkennt. F. A l t h e i m , Römische Geschichte 2, Berlin 1948, I03f. 110, kommt in leider nur skizzenhaften Darlegungen zu der schon von S a u p p e vertretenen Ansicht. Es ist sein Verdienst, diese Frage erneut aufgegriffen zu haben; nachdem jahrzehntelang an einem Octavianbild gearbeitet wurde, ohne sich um die Memoiren ernstlich zu kümmern. Vgl. noch E. S c h w a r t z , Hermes 33 (1898), 213. ®) A l t h e i m , a. O . 121. T h . V a u b e l , Untersuchungen zu Augustus' Politik und Staatsauffassung usw., Diss. Gießen 1934, 2 5 f . : im J . 24. Überzeugender E. H o h l , Mus. Helv. 4 (1947), i n : zwischen 26 u. 23. ') Vgl. in dein von Plutarch, Brut. 27, 3, überlieferten Fragment ( P e t e r , H R R Frg. 8) von der Übernahme des Konsulats ovnco 7tdvv /neigaxiov &v, dAA' elxooxöv äyatv erog. Nach Sueton, Aug. 8, 1, erhielt Octavian, der eben die toga virilis erhalten hatte, militärische Auszeichnung quamquam expers belli propter aetatcm. Die Begründung ist falsch, vgl. W . D r u m a n n P. G r o e b e , Geschichte R o m s 4 2 , 263. Nikolaos von Damaskos, der die Autobiographie Octavians benutzte, gibt FGrHist. 90 frg. 127, § i 4 f . , bezeichnenderweise keine Gründe an dieser Stelle an. F. J a c o b y , ebd. I I C 268, stellt die Frage, ob hier Einfluß von Polemiken bemerkbar wird, vgl. A. v. G u t s c h m i d , Kl. Sehr. 5, 541. Der Kaiser strich sich allerdings in seiner Selbstdarstellung auch als Wunderknaben heraus, F. B l u m e n t h a l , Wien. Stud. 35 (1913), 123, V a u b e l , a. O . 8, B i e h l e r , a. O. I , 34. 39. 55. 7 1 . Wichtig R . L a q u e u r , R E 1 7 (1936), 401 ff., bes. 408ff. Bei dem ins .mythische' Mannesalter getretenen Augustus hat sich damit die ursprüngliche Empfindlichkeit in das Gegenteil verkehrt. ») Vell. 2, 60, i f . ; A l t h e i m , a. O. 108.
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Ermordung Caesars ziemlich breit geschildert, ohne daß w i r wissen, wie das im ganzen eingeordnet w a r , und auch hier weisen in dem entsprechenden Abschnitt bei Vellerns Übereinstimmungen auf eine Beziehung 1 ). Die Frühgeschichte Caesars bei Velleius 2, 4 1 - 4 3 ist aber auch deutlich ein geschlossenes Einschiebsel 2 ). Sie bricht chronologisch mit der Statthalterschaft in Spanien ab, d. h. mit dem Jahre 6 1 . Der Überblick umfaßt also etwás mehr als 39 Lebensjahre Caesars velleianischer Rechnung. Das ist merkwürdigerweise ziemlich genau das Lebensalter, in dem Octavian seinen commentarius schrieb 3 ). Caesar, so heißt es am Schluß des A b risses 2, 43, 3, zeigte sich in Bewerbung um das A m t des pontifex maximus dem Q . Lutatius Catulus weit überlegen, obwohl der omnium confessione senatus princeps war. Caesars Bedeutung bemißt sich hier nach dem Prinzipat, j a in dem Bericht über die Mordtat 2, 56, 3 hören w i r v o n der principalis cjuies von f ü n f M o naten, die Caesar selbst nach der vollständigen Befriedung des Reiches zu genießen vergönnt war. Das Kapitel 89, das etwa das Ende der Partie bildet, die Octavians Selbstbiographie entspricht und mit ihr Verwandtschaft zeigt, erwähnt wiederum den favor omni um ordinum*), und im selben Kapitel begegnen w i r zum ersten Male dem Augustustitel (§ 2) und der auf den consensus universorum gegründeten B e zeichnung princeps (§ 4) für Augustus. Es besteht also deutlich eine Parallelität z w i schen Caesar und Octavian 5 ). W i r kommen darum zum Schluß: Augustus selbst hatte in seiner Selbstbiographie die Frühgeschichte und den T o d Caesars geschildert und dabei seine und seines Adoptivvaters Entwicklung parallelisiert und, ebenfalls auf der Basis des Geburtsjahres 100 für diesen, synchronisiert. I m 2. Buch des V e l leius entsprechen die K a p . 4 1 - 4 3 und 5 6 - 9 0 im großen ganzen etwa dem c o m mentarius des Augustus 8 ). ') A l t h e i m , a. O . 107. ) K a p . 41, 1 secutus deindc est consulatus C. Caesaris, qui scribenti mtmum imicit et quamlibct festinantem in se morari cogit - K a p . 44, I hoc igitur consule ... 3 ) Die Memoiren reichen bis zum Cantabrerkriege (Suet. A u g . 85, i), einem wenig markanten Punkt; man hat gemeint, der Kaiser habe ursprünglich zu einem anderen Zeitpunkt enden wollen und aus Anlaß der zweiten Orientreise im Herbst 22 vorher abgebrochen. B o r m a n n bei F. B l u m e n t h a l , Wien. Stud. 35 (1913), 114. vermutete z. B. die Schließung des Janustempels im Jahre 25 als beabsichtigtes Ende. 4 ) Das erläutert A l t h e i m , a. O . H9ff-, vortrefflich. ' ) Vgl. noch 2, 56, 1 Caesar omnium victor regressus in urbem ~ 89, 1 Caesar autem reuersus in Italiam atque urbem ... § 3 finita ... bella civilia, sepulta externa . . . Ferner: Der inertia des Prokonsuls Juncus in der Seeräuberaffäre Vell. 2, 42 steht die Energie Caesars gegenüber ebenso wie Vell. 2, 61, 1 die Entschlußkraft Octavians, der zum N u t z e n des Staates privat ein Heer aufstellt, größer ist als die des Senats: Beide Male wird amtliche Untätigkeit mit persönlicher Tatkraft konfrontiert, und zwar etwa im gleichen Lebensalter der betreffenden Personen (Octavian 19 Jahre ~ Caesar nach 18 Jahren). Diese Parallelität ist eine viel stärkere, als sie die rhetorische Sterilität des Velleius auch sonst bewirkt hat. Sie beschränkte sich da auf einzelne Wendungen, vgl. die Belege bei F. M ü n z e r , Zur Komposition des Velleius, i n : Festschr. z. 49. Versammlung Deutscher Philologen und Schulmänner, Basel 1907, 276, 2, aus B u c h 2 : 89, 3 ~ 126, 2; 89, i ~ 9 9 , 3 und 1 0 3 , 4 ; J2, 6 ~ 8 5 , 5 ; 88, 2 ~ 98, 3 ~ 127, 4. Ebenso sind die zurückgreifenden Überblicke über die ganze Geschichte, W ü r d e n und Ehren eines Hauses, die m a n auch sonst findet ( S a u p p e , a . O . [ o . S . 2 1 1 , 2 ] 57; M ü n z e r , a. O . 2 5 3 . 2 7 3 f.), in ihrer Struktur anders als die zu Caesar und Augustus; vgl. im 2. Buche 17, 2; 69; 75, 1. 3 vgl. 7 1 , 3 ; 94, i, _ . •) Gegenüber den Gelehrten, die für eine Benutzung der Autobiographie Octavians alsHauptS
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D i e s e b e s o n d e r e p o l i t i s c h e B e d e u t u n g , d i e d a s G e b u r t s j a h r C a e s a r s nicht n u r s o g l e i c h n a c h s e i n e m T o d e , s o n d e r n a u c h J a h r z e h n t e später h a t t e , d a s G e w i c h t d e r P e r s ö n l i c h k e i t , die sich f ü r d a s J a h r 1 0 0 einsetzte, alles d a s m u ß t e w i e ein S i e b w i r k e n . W i r d ü r f e n a l s o n i c h t d a m i t a r g u m e n t i e r e n , d a ß e i n e S p u r des r i c h t i g e n D a t u m s sich g e g e n die o f f i z i e l l e n V e r s i o n e n hätte halten m ü s s e n , z u m a l d i e U n s i c h e r heit ü b e r s o l c h e A n g a b e n a l l g e m e i n w a r . S o w i r d also die A n s i c h t v o n M o r a m s e n . E d u a r d M e y e r , H o l m e s u s w . bestätigt. Caesar w a r w i r k l i c h a m 12. oder 1 3 . J u l i 102 geboren1). M i t t e n in diesen D i s k u s s i o n e n u m das „ K i n d " O c t a v i a n , die m i t S c h ä r f e u n d E r n s t von
b e i d e n Seiten g e f ü h r t w u r d e n , erschien V e r g i l s 4. E k l o g e .
e i n e m ttascens puer
(v. 8), e i n e m parvus
puer
Sie handelt v o n
(v. 6 0 / 2 ) , m i t d e m d a s g o l d e n e Z e i t -
alter b e g i n n t , j a d a ist. M e r k w ü r d i g a k a u s a l u n d e n t w i c k l u n g s l o s w i r d d a s H e r a u f quelle bei Velleius eintraten (s. o. S. 2 1 2 , 2 und A. v. G u t s c h m i d , Kl. Sehr. 5, 542) sah B u r m e i s t e r in dem in Berliner Studien 15 (1894) gedruckten, mir zur Zeit unzugänglichen Teil seiner O . S . 2 1 2 , 2 zitierten Dissertation in Livius die Vorlage des Velleius. F. B l u m e n t h a l , Wien. Stud. 35 (1913), 1 1 5 . 1 1 7 . 1 1 9 , betonte, daß eine Entscheidung, ob die Memoiren direkt oder über Livius benutzt seien, nicht möglich sei. F. A l t h e i m , a. O., erörtert die Liviusfrage nicht. Das ist nun entschieden. Denn über Livius konnte Velleius seine caesarische Frühgeschichte nicht bekommen. Nichts weist darauf hin, und das Caesarbild des Livius war auch viel ungünstiger. Nicht stichhaltig der Widerspruch von H. D e s s a u , Geschichte d. röm. Kaiserzeit i , Berlin 1924, 585, 1 gegen Benutzung der Autobiographie. Das Jahr 1 0 1 versuchte C a r c o p i n o in Mélanges Bidez 3 j f f . nachzuweisen. E r meint einen direkten Beleg dafür bei Plutarch, Caes. 69, 1 , gefunden zu haben. Caesar sei ermordet worden t a (lèv navra yeyorcog irti rrevtrjxorra xaì éì. Aber hier ist zà ¡lèv nâvxa falsch verstanden worden. Es bedeutet die volle Einrechnung des angebrochenen Zeitabschnitts, hier also des 56. Lebensjahres. D . h., w i r sollen rechnen 44 + j 6 = 100 ohne Rücksicht darauf, daß Caesar erst Juli 44 sein 56. Lebensjahr vollendet hätte, vgl. Herodot 2, 159. 3, 66. 7, 4, mit dem Kommentar von S t e i n zu diesen Stellen. Damit fällt die einzige einigermaßen feste Stütze der Konstruktion C a r c o p i n o s hin. Erwähnt sei, daß er zweimal gezwungen ist, eine Abweichung von dem ihm richtig erscheinenden Lebensalter um ein Jahr aus rhetorischen oder psychologischen Gründen zu konzedieren (S. 45. 56). Schlecht steht es auch um den Versuch, M o m m s e n s Feststellungen über die lex annalis zu erschüttern. Wenn nach Cicero Phil. 5, 17, 48 das 43. Lebensjahr das konsularische ist, so folgert Carcopino, a. O. 63, daraus, es genüge auch den Bestimmungen, wenn der Konsul erst im Laufe seines Konsulats das 42. Lebensjahr vollende. Trotzdem könne Cicero, wenn er in der am 2. 1 . 63 gehaltenen R e d e de leg. agr. 2, 2, 3 am Tage, bevor er 43 Jahre alt wurde, als neubackener Konsul voll Stolz von sich, dem homo novus, rühme qui consulatum peticritn, cum primum licitum sit, das mit Recht sagen. Denn er habe noch eben gerade 24 Stunden Zeit gehabt, bevor er die Grenze des 43. Lebensjahres als des f ü r den Konsul frühest möglichen wieder überschritt (a. O. 65). Cicero schwadroniert zwar gelegentlich, hier würde sein „so früh wie möglich" aber doch tragikomisch wirken, denn nach C a r c o p i n o s Theorie hätte er das Konsulat in der Tat schon ein Jahr früher bekleiden können. Viel einfacher ist die Annahme, daß der Konsul spätestens am letzten Tage vor Antritt seines Konsulats 42 Jahre alt geworden sei, also der Amtsantritt ins 43. Jahr fallen mußte. — Dieselbe überspitzte Interpretation muß ich bei der oben im T e x t behandelten suetonischen Datumsangabe sequentibus cottsulibus beanstanden. C a r c o p i n o vertritt die Ansicht, das Jahr 86 könne mit dem Plural nicht gemeint sein, da Cinna damals die Alleinherrschaft führte. Der eine Konsul war nun Cinna, der z»veite von 1. 1 . bis 17. 1. Marius; an seine Stelle holte Cinna nach wenigen Monaten Alleinherrschaft den L. Valerius Flaccus. W a r u m man in einer reinen Datumsangabe f ü r dieses Jahr, die mit den Machtverhältnissen gar nichts zu tun hat, nach dem absolut festen Brauch nicht den Plural habe anwenden können, ist also nicht einzusehen.
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kommen der vollen Seligkeit dann auch noch einmal an ein höheres Lebensalter des K i n d e s g e k n ü p f t v . 37 ubi iamfirmata
virtim te jecerit
aetas. V i e l e , a u c h in d e r
Antike haben vermutet, Vergil habe mit dem „ K i n d e " den Augustus gemeint. Aber das geht nicht: G e w i ß würde die puerile Pille für Octavian gesüßt gewesen sein, jedoch das Stichwort puer w a r nun einmal belastet; Vergil hätte einen gar untauglichen W e g der Verherrlichung beschritten. Augustus sollte also nicht der puer sein 1 ), aber doch weist die 4. Ekloge in die Z u k u n f t des Prinzipats. Denn 400 Jaljre später w a r das, was hier noch kaum auf konkrete Gestalten deutbares Symbol und Bild war, was bei Octavian propagandistisch outriert als Schimpfwort geflüstert wurde, lebendige Wirklichkeit im Kaiserpalast — lebendig zwar, für die politische Existenz des Kaisertums aber doch nicht mehr als Symbol und Bild. Im Jahre 375 n. Chr. w a r der Kaiser Valentinian I. zu einem Feldzug gegen die Quaden an der Donau aufgebrochen. Er hatte den magister utriusque militiae M e r o baudes, dem er Sebastianus beiordnete, mit gallischen Fußtruppen über die Donau vorausgeschickt und folgte selbst über eine bei Aquincum schnell errichtete Schiffsbrücke zu einem Vorstoß in das Feindesland. Danach, im B e g r i f f sich in die Winterquartiere nach Savaria (Steinamanger) zu begeben, starb er am 17. N o v e m b e r in Brigetio an einem Schlaganfall. Z u dieser Zeit befand sich der 16jährige Augustus Gratian in Trier, der Augustus Valens im östlichen Reichsteil. M a n machte im Feldlager 6 T a g e nach dem T o d e Valentinians seinen 4jährigen gleichnamigen Sohn, der sich mit seiner Mutter Justina in einer 100 Meilen von Brigetio entfernten Villa befunden hatte, zum Kaiser. Der Beschluß w a r in einem Kriegsrat der hohen O f f i ziere gefaßt und durch einhellige Zustimmung gebilligt worden ( A m m . Marc. 30, 10, 5). W i r hören, die Proklamation sei „in üblicher W e i s e " vor sich gegangen, die Ernennung zum Kaiser „ l e g i t i m " erfolgt ( A m m . Marc. 30, 10, 6). Indessen habe man befürchtet, Gratian werde ungehalten sein, weil man „ohne seine Einwillig u n g " einen anderen Kaiser eingesetzt habe, eine Sorge, die sich als unbegründet erwies; Gratian bezeigte vielmehr seinem Stiefbruder herzliche Liebe und übernahm seine Erziehung 2 ). Vier Jahre später, im Jahre 379, sah das Ausonius in seiner Dankrede an Gratian so an, als habe Gratian „den Bruder w i e einen Sohn zum Kaisertum herangezogen (adscitus)", sei also sein auctor imperii. In der Praxis und bei Themistios scheint die Legitimität Valentinians II. aber nicht unbestritten gewesen zu sein 3 ). A . A l f ö l d i , Heimes 65 (1930), 369ff., behandelt die Wiedergeburtsanschauungen der Zeit und versteht unter dem puer nascctis den Pollio. In den astrologischen Belegen, die er anführt, ist bezeichnenderweise zwar von tiasci, excriri die Rede, aber nie vom puer. Gegen die von H. W a g e n v o o r t , Mededeelingen der Kon. Akad. van Wetenschappen Deel 67, Ser. A , Amsterdam 1929, nach dem Vorgang anderer (a. O. 2 1 , 1. 23, 3) scharfsinnig erneut vertretene Identität des puer mit Octavian wendet sich auch schon E . P f e i f f e r , Virgils Bukolika, Stuttgart 1 9 3 3 , 92, i n . W a g e n v o o r t , a. O . 24fr., mit dem B . S t u m p o , Atti del IV congr. Naz. di Studi Romani 4, R o m 1938, 169fr., in diesem Punkte übereinstimmt, hat diese Problematik der puer-Epiklese gegenüber Octavian übersehen. 2 ) V g l . S t r a u b , Herrscherideal 19. 3 ) Es sind keine Gesetze überliefert, die Valentinian zu Lebzeiten Gratians erlassen hätte, O . S e e c k , Untergang 5, 506. U n d Themistios im Osten des Reiches, der sonst den Kreis der kaiserlichen Familie weit zieht und den halbjährigen Joviansohn Varronianus oder den dreijährigen Valerssohn Valentinian Galates durchaus ernst nimmt, ignoriert im Jahre 3 7 7 or. 13, 2 1 7 , 25
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Ü b e r die die Kaiserproklamation auslösenden Faktoren unterrichten A m m i a n 30, io, 1 ff. und Z o s i m o s 4, 19, 1. Sie weisen übereinstimmend a u f die militärische G e fahr hin, die ein feindlicher A n g r i f f in diesem Augenblick der „ A n a r c h i e " (Zosimos) bedeutet hätte. D e r T o d Valentinians I. hatte eine ganz aktuelle Lücke im G e f ü g e des R e i c h e s und des Kaisertums h e r v o r g e r u f e n : D e r Kaiser w a r an einem bestimmten Orte in einem ernsten Augenblick nicht mehr anwesend. A m m i a n und Z o s i m o s bemerken ausdrücklich, Gratian befinde sich ohne Kenntnisse der D i n g e in T r i e r , b z w . Z o s i m o s allein außerdem, Valens sei noch i m O s t e n gewesen. W i r wissen aus dem K u l t der Kaiserbilder im Heere, w i e zentrale Bedeutung dieses M o m e n t der unmittelbaren Anwesenheit des Kaisers oder ersatzweise des v o n ihm gesandten Bildes beim Heere hatte 1 ). Diese fatale Lücke mußte im Interesse des R e i c h e s sofort gefüllt werden. So ergab sich ein natürlicher A n r e i z dazu, es a u f dem einzig m ö g lichen W e g e zu tun und an O r t und Stelle einen Kaiser zu machen. Illegale A b sichten der gallischen Truppenteile als der historischen Insurgenten gegen die „ l e g i timen K a i s e r " a r g w ö h n t e man ( A m m . M a r c . 30, 10, 1. 3): Sie könnten die V e r pflichtung zur Eintracht (concordiae iura) verletzen. Sebastianus, der als Soldatenliebling bekannt w a r , w u r d e v o n der T r u p p e getrennt, damit seine Person nicht die schwelende G l u t zum A u f l o d e r n brächte. M e r k m a l der Usurpation ist also B r u c h der Eintracht durch Sonderaktionen. D a r a u f trifft man alle M a ß n a h m e n f ü r eine legale Kaisererhebung 2 ). Merobaudes Dind. u. ö. und im Jahre 381 or. 15, 239, 1 Valentinian als Glied des Kaisertunis völlig. Anfang 383 or. 16, 249, 25 meint er, das ngooi/uov xfjq /ieAAovoti; dgxrfs s e i die Übertragung des Konsulats; als Beispiel erwähnt er das Konsulat Valentinians II. vom Jahre 376, rechnet ihn da also trotz der 375 erfolgten Proklamation bloß als Anwärter und spricht noch 384 or. 18, 269, 8 von Valentinian II. nur als AeCyavov exeivtjg rrji yeveä;, des ermordeten Gratian. ') O. S e e c k , Untergang $, 36, meint, der Thron sei durch den Tod Valentinians I. nicht erledigt worden; a. O. 38: die Zweiteilung des Reiches (auf Gratian und Valens) hätte weiterbestehen können, „wenn nicht die Stimmung des Heeres dies verhindert hätte". Auch S t r a u b , Herrscherideal 18, urteilt ähnlich. Das ist alles modern gedacht. 2 ) Die sozusagen verfassungsmäßigen Voraussetzungen lassen sich aus den Berichten über Jovians Erhebung zum Kaiser entnehmen. Sie ist von Ammian mit dem versteckten Vorwurf der Illegitimität belastet, wie S t r a u b , Herrscherideal 22, ausgesprochen hat. Die Gründe dafür kann man aus Ammian 25, 5 vollzählig erfahren, wenn man Themistios dazunimmt. Dieser Redner äußert sich zweimal zu den Vorgängen bei Kaiserproklamationen: or. 9,149,1 ff. Dind. betont er die Legitimität der Wahl Valenrinians I.: Sie beruht auf d&6@vßog xai xadagä yijtpo;, kein Druck der Perser oder Panikstimmung im Heer, die Wähler wußten ol yrji iaxrjxaai, nicht Tii;{iJ, yvdjfitj waren maßgebend, sondern in' döeiag ¿¡¡ovota) der Wahlkörper war eine ixxXt}ata xotvrj xai avvoöoj; schließlich stimmten die Gegner als erste dafür. Offensichtlich bezieht sich Themistios dabei auf die turbulenten Vorgänge bei der noch nicht ein Jahr zurückliegenden Wahl Jovians. Vor diesem selbst muß der Hofredner natürlich dieselben Dinge positiv wenden (or. 5, 78, 7ff.): Die Soldaten entschieden sich damals statt für äy%loxela rot? ow/jaxog für die der yv%rj, und zwar nicht ¿v a%oXf), ev elgr/vfi, sondern ¿v xolg dögaai (peQovxeg xai y>tfoovs, eine ÖJtagdxhjxos yvco/it]; noch verwunderlicher sei: ev ¿xxAtjaia vneQogltp ¿£ NQO&V/UOS IMÖEI^rja&E, zovziov xeiqs
7zqoq tov
ovoavov.
Auf
dem Bilde sei dargestellt gewesen „der Kaiser, wie er anbetete, die Soldaten, wie sie die Helme dem R e g e n unterhielten und mit dem von Gott gegebenen N a ß füllten". Der erste, der das Problem aufgegriffen hatte, E. P e t e r s e n , R o m . Mitt. 9 (1894), 82, urteilte, Themistios habe eine yQa(prj gesehen, und zwar — die sprachliche Möglichkeit w i r d belegt — sei es die allerdings v o n Themistios mißverstandene Darstellung auf dem R e l i e f der Marcussäule in R o m ; das betreffende R e l i e f gebe nämlich nicht das R e g e n w u n d e r , sondern einen Gewittersturm wieder 2 ). A d . v . H a r n a c k , Sber. Berlin 1894, 872, vertrat in einer umfassenden Behandlung der Zeugnisse den Standpunkt, die literarischen Berichte gingen auf eine historische Quelle zurück und nicht auf die Säulenbilder; auch Themistios könne die Säule nicht meinen, denn er nenne sie nicht, und es sei kein betender Kaiser darauf dargestellt®). Diese Kritiken veranlaßten P e t e r s e n später, R h . M u s . 50 (1895), 474, >) J . G e f f c k e n, N J b . 3 (1899)» 268, 5. G e f f c k e n dachte wohl auch an die ihm von seinen Arbeiten an den Apologeten bekannten Fälle, auf die ich o. S. 4 1 , 5 eingegangen bin. A . K a l k m a n n , R h . Mus. 42 (1887), 520, erinnert an die Werke bildender Kunst, auf die der R o m a n so oft exemplifiziert. Alle diese .Kunstwerke tragen den Stempel rhetorischer Fiktion schon durch ihren Inhalt auf der Stirn: W i e Homer sich erbricht und andere Dichter von den E x k r e menten essen. Sie sind nur eine andere Form der rhetorischen Schuldeklamationen über die bekannten immer wiederholten Themen. Dadurch unterscheiden sie sich von den o. im T e x t behandelten Fällen. Bei vielen anderen Bildbeschreibungen sind die Kontroversen, die seit Lessing und Gcethe im Gange waren, aber keineswegs abgeschlossen. Bei dem Vertreter der modernen Sophistik Himerios findet man öfter als bei dem Archaisten Themistios den allgemeinen Vergleich von Rede mit Gemälde ecl. 4, 24fr. 1 3 , 2. 32, 1 1 . 36, 2. 4 ; or. 1 0 , 4 . 14, 14fr. 25, 1. Himerios nennt Zeuxis, Parrhasios (ecl. 1 3 , 5), Apelles (ecl. 3 1 , 2) und die Gemälde der Poikile (ecl. 2 , 1 7 ; or. 1 0 , 2 ) ; darüber E . N o r d e n , Kunstprosa 347. 408, 2. 2
) Prinzipiell den Thesen P e t e r s e n s zustimmend A . v . D o m a s z e w s k i , R h . Mus. 49 (1894), 6 1 2 f f . Dagegen sah M o m m s e n , Hermes 30 (1895), 9 9 f . ( = Ges. Sehr. 4, 506f.), in dem Bilde der Marcussäule die Wiedergabe des Regenwunders. 3
) Nicht zugänglich war mir leider K . W e i z s ä c k e r , Einleitung zur akademischen Preisverteilung 6. N o v . 1894. - Auch A . v. D o m a s z e w s k i , Neue Heidelb. Jahrb. 5 (1895), 1 2 3 , 2, sah niemand beten.
248
Die querschnitrliche Methode
zu einer Modifikation: Z w a r habe Themistios eine bildliche Darstellung gesehen, aber es sei fraglich, ob es die Säule selbst gewesen war. Der letzte Bearbeiter Z w i k k e r , a. O . 2 1 4 , ließ entschieden den Bcricht des Themistios nur durch Fabulieren entstanden sein. W i r treten nun einmal vor die Säule von der Seite, auf der das R e g e n w u n d e r abgebildet ist. Deutlich hebt sich am oberen Ende des dritten Streifens von unten der K o p f des geflügelten Regengottes heraus, von dessen weit ausgebreiteten Armen der R e g e n herabströmt. Auch weiter von der unmittelbar neben der rechtenHand des Regengottes durchgebrochenen Lichtöffnung an nach links hin, vom Beschauer aus gesehen, regnet es von der wulstigen oberen Begrenzung dieses Streifens herab. N u r wenig weiter noch nach links von dem Punkte aus, w o hier die Regenzeichnung endet, ist die Szene X V I zu Ende. Eben dort sehen w i r am oberen R a n d e des Streifens einen einzelnen Soldaten mit R ü s t u n g , Helm, Schild und Pilum, der seine rechte Hand im Gcbetsgestus erhoben hat. Unter ihm ist eine Schlachtreihe von Soldaten im agmen quadratum, Front nach rechts, abgebildet, in ihrer Mitte, nur unterschieden durch eine etwas abweichende Rüstung und eine Schärpe der Befehlshaber; es w a r Pertinax 1 ). Die linke Flanke des auf dem R e l i e f nach rechts orientierten Karrees, also im Bildhintergrund, ist hier in einem oberen Streifen gezeigt, die Personen der rechten Flanke stehen auf der unteren Grenze des Reliefbandes. W i r sehen also von schräg oben in das Karree hinein. Ganz am linken R a n d e des inneren R a u m e s des Karrees erblicken w i r verdurstendes Vieh, aber gerade da, w o links der R e g e n beginnt, tränkt ein Soldat ein Tier. Unter dem R e g e n g u ß halten die Soldaten der linken Flanke des agmen quadratum ihre Schilde zum Schutze über ihre Köpfe. A m rechten R a n d e der Szene v o r der Front des römischen Heeres und unter der Gestalt des Regengottes liegen ertrunkene G e r manen und Tiere. Weitere Einzelheiten dieser Szene brauchen w i r für unsere Z w e c k e nicht. Die nächste Szene dieses Streifens nach rechts X V I I , welche gleich an der linken Hand des Regengottes, deutlich markiert, beginnt, zeigt die Unterw e r f u n g von Germanen. Männer und Frauen und Kinder stehen vor dem auf einer Erhöhung befindlichen Kaiser. Ein germanischer Fürst steigt zu dem R ö m e r hinan und küßt seine Rechte. Schweift unser Blick vom Gesicht des Kaisers, das dicht unterhalb des den Streifen begrenzenden oberen Wulstes steht, über diesen hinaus nach oben, so kommen w i r in die Szene X X I . Sie erzählt die Einbringung eines gefangenen Fiirstenpaares ins Lager vor den Kaiser. Lassen w i r die Augen nun von diesem Bilde herabsinken, kommen w i r wieder zur Unterwerfungsszene, der nach links das R e g e n w u n d e r angeschlossen ist, und werden dicht unter den Füßen der sich unterwerfenden Germanen im nächsttieferen Reliefstreifen wieder auf eine Regendarstellung geführt in Szene X / X I . In diesem Streifen in einer Senkrechten unter der linken Hand des Regengottes befindet sich da die, vom Beschauer gesehen, linke Mauerkante eines Kastells, gefüllt mit Soldaten, von denen drei am linken Kastellrande nach rechts, alle anderen nach links ihre Aufmerksamkeit richten. Unmittelbar an der rechten Mauerkante des Kastells steht ein Belagerungsturm. Er bricht unter einem im R e g e n g u ß niederzuckenden Blitz zusammen. Z u Füßen J
) A . v. D o m a s z e w s k i , Neue Heidelb. Jahrb. 5 (1895), 123.
Das Verfasserproblem der Historia Augusta und die querschnittlich-akausale Denkform
249
des Turmes liegen niedergestreckt tote Barbaren; noch weiter rechts steht der Kaiser und weist mit der Hand auf diesen Vorgang. Auch links von dem Kastell steht übrigens der Kaiser, ist aber mit einem weiter links ablaufenden anderen Ereignis beschäftigt 1 ). Von diesem Blick auf die Säule wenden wir uns wieder zu den Texten und vergleichen sie mit dem Gesehenen. Während bei Themistios der Kaiser bei dem wunderbaren Vorkommnis anwesend ist, ist er auf der Säule sicher nicht zugegen 2 ). Z u Themistios tritt hier auch ein Bericht der Historia Augusta v. Marc. Antonin. 24, 4 fulmen de caelo preeibus suis contra hostium machinamentum extorsit suis pluvia impetrata cum siti laboraretit. Das unterscheidet sich von Themistios aber dadurch, daß ein Blitzschlag mit dem Regenwunder verbunden ist und genau genommen sogar jener durch die Bitten des Kaisers hervorgerufen wurde, nachdem (oder besser: indem) das Regenwunder „auf Bitten erlangt" worden war (impetrata)3). Bei Dio (Xiphilinos) 7 1 , 10, 2 heißt es nach dem Regenwunder, daß die prekäre Lage des von den Barbaren eingeschlossenen römischen Heeres allein durch dieses noch nicht gebessert worden sei. Blitze seien herniedergefahren und hätten die Feinde erschlagen. Diese Verbindung von R e g e n und Blitz hat auch die Historia Augusta, aber als einziger von allen Berichten, die es gibt, bringt sie ein machinamentum, d. h. einen Belagerungsturm 4 ). Ein solches Kriegsgerät fanden wir aber auf der Marcussäule, und ihre Darstellung stimmt genau zu dem betreffenden Teil des Satzes der Historia Augusta. Allerdings auf der Säule steht der Blitzschlag in den Turm nicht in Verbindung mit dem Regenwunder, sondern ist um etwas mehr als eine volle Säulenwindung des Relief bandes davon getrennt. Hier müssen w i r einen Gedanken aufgreifen und weiterführen, den schon P e t e r s e n , R o m Mitt. 9 (1894), 89, ohne die grundsätzliche Bedeutung damals zu erkennen, erwogen hat. W i r lesen bei Johannes Chrysostomos in der 395 gehaltenen R e d e in inscr. altar. 1, 3 (Migne P G 5 1 , 7 1 ) ovx oQäte xat im TCUV eixovwv XOVTO xmv ßaaiXixwv on ÄVCO xefrai fiev f j eixwv xai rov ßaoitea eyei eyyeyoafifievov xäiw de sv zfj yoivixi emyiyqaTizai TOV ßaaMax; xä XQoitaia RJ vixt) rä xaroQ'&w/xara5). Also auf Bildern ist oben der Kaiser abgebildet, unten die histori' ) V g l . die Abbildung dieses Teiles der N O - S e i t e der Säule bei M . W e g n e r , Jahrb. Arch. Inst. 46 (1931), 93. Im übrigen muß man sich die Tafeln der Publikation von E . P e t e r s e n A . v. D o m a s z e w s k i - G . C a l d e r i n i , Die Marcus-Säule auf Piazza Colonna in R o m , M ü n chen 1896, entsprechend legen. 2
) E . P e t e r s e n , R h . Mus. j o (1895), 4 5 8 ; Z w i k k e r , a. O . 2 i o f f .
3
) Das Gebet des Kaisers holt den R e g e n ohne Erwähnung von Blitzen auch Orac. Sibyll. 1 2 , 1 8 7 fr. Bekanntlich stehen diesen drei Zeugnissen wenige andere gegenüber, nach .denen es Magier oder Chaldäer gewesen seien, Cass. D i o 7 1 , 8,4, Su(i)da(s) s. v. 'Agrovipcg und 'lovXiarög;
Claudian. VI. cons. Honor. 348f., der in v. 349f. ... seu quod reor omne Tonantis obsequium Marci mores potuere mereri eine zweite Möglichkeit erwähnt, jedenfalls kein Gebet des Kaisers, und v . 342 R e g e n mit Blitzen kombiniert. E . H o h l wies mir gütigst zu Arnuphis das Zitat R . E g g e r , Gnomon 10 (1934), 583 fr. nach. Der Mann ist jetzt inschriftlich gesichert. S. auch o. S. 1 4 0 , 3 . 4 s
) A . v. D o m a s z e w s k i bei E . P e t e r s e n , R h . Mus. j o (1895), 464fr.
) Ich lernte diese Stelle aus J . K o l l w i t z kennen.
250
Die querschnittliche Methode
sehen Vorgänge. Ferner w e i ß jeder, daß spätantike Reliefs eine streifenförmige Komposition zeigen. Die Vorgänge verlaufen nicht von der einen Seite zur anderen, man sieht sie vielmehr zugleich von oben und von vorne, etwa wie heute Picasso das Abbild einer Flasche zugleich frontal und in Draufsicht gibt 1 ). Sieht man sich die Darstellung der Marcussäule mit solchen Augen an, so perzipieren wir folgendes: Z w e i Streifen (nämlich des Reliefbandes) übereinander: Ganz oben ein Soldat im Gebetsgestus, zu oberst, d. h. der Kaiser. Man vergleiche etwa den Kaiser in Gebetshaltung am Oberrande des Reliefs auf dem Ludovisischen Schlachtsarkophag aus dem 3. Jh. 2 ). Unten, d. h. vor dem Kaiser, die Schlachtreihe. Wahrscheinlich erkannte der spätantike Mensch die Rangabzeichen des eigentlichen Feldherrn mitten unter den anderen Soldaten gar nicht mehr als solche. Die Soldaten erhalten etwas weiter rechts den Regen. Im nächsten Streifen nach unten, d. h. also nach spätantiker Anschauung dem eben Erwähnten etwas auf den gegenwärtigen Beobachter hin vorgeordnet, der Regen mit Blitz, der auf das machinamentum fällt. Schon P e t e r s e n wies daraufhin, daß, w i e diese Szenen gestellt sind, beide „mit einem Blick gesehen und, freilich wiederum gegen die Intention des Darstellers, zur N o t h verbunden werden" können. Es ist vielmehr, sage ich, ein in späterer Zeit ganz naheliegendes Mißverständnis. Der spätantike Mensch sieht eben die Bilder der Säule jeweils querschnittlich von oben nach unten und nicht dem chronologischen Z u g e des Reliefbandes um die Säule herum folgend. Etwas entsprach das auch den künstlerischen Absichten des Meisters der Marcussäule. Außer der von der Traiansäule übernommenen Bandkomposition achtet er nämlich schon auf eine bestimmte Ordnung in der vertikalen Gliederung. Er hat gerade auf der Hauptschauseite, der Ostseite, eine Reihe signifikanter Ereignisse, wie das Regenwunder, auf einer vertikalen Linie angeordnet*). Das leitet auf eine solche querschnittliche Betrachtung unmittelbar hin. Die im Jahre 401 ¡2 begonnene Arcadiussäule in Constantinopel ist dann von vornherein durch Verminderung der l)
Z u dieser „Oberaufsichtigkeit" des antiken historischen Reliefs ( L e h m a n n - H a r t l e b e n ) , bei der schließlich Flüsse und Lagerumwallung in kartenmäßiger Draufsicht gegeben werden, während die füllenden Personen im Profil erscheinen, vgl. M. W e g n e r , Jahrb. Arch. Inst. 46 (1931), 124. 128; G. R o d e n w a l d t , Der Belgrader Cameo, ebd. 37 (1922), 22f. 30 u. ö. Moderne Kinderbilder zeigen ähnliches. Etwa bei der Wiedergabe eines Picknicks wird das auf dem Boden ausgebreitete Tischtuch in Draufsicht gemalt, die Gegenstände darauf, wie Teller, Messer, auch, aber die stehende Flasche, das stehende Glas in Seitansicht, auch der Hund, der daneben steht; in Draufsicht wieder die liegenden Menschen (nach einer Wiedergabe in: Die Schulpost, Volk und Wissen Verlag 1947, Nr. 8, 9). Natürlich bestehen die Schwierigkeiten der Perspektive, aber sie sind nicht entscheidend. Denn der liegende Mensch von oben und von der Seite bietet gleiche Schwierigkeiten. Es wird jeweils die am einzelnen Gegenstand für das Thema Picknick „wichtige" Ansicht gegeben. Eine solche Kinderzeichnung basiert nicht auf dem unmittelbaren Erlebnis, sie ist ein wiederholender Erinnerungsakt, der mehr oder minder stark beschränkt und schematisiert (W. W u n d t , Völkerpsychologie 3 3 , Leipzig 1919, 92 ff.). *) Abbildung z. B. Antike Denkmäler, hsrg. v o m Deutschen Archäol. Institut 4, Berlin 1929, Taf. 41; bei A l f ö l d i in: 25 Jahre Römisch-Germanische Kommission, Berlin 1930, 42f.; G. R o d e n w a l d t , K d A 3 , Berlin 1938, 644; H . K o c h , Römische Kunst 2 , Weimar 1949, Taf. a i . 3)
M . W e g n e r , a. O . (Anm. 1) 103.
Das Verfasserproblem der Historia Augusta und die querschnittlich-akausale Denkform
251
Episoden a u f dreizehn g e g e n ü b e r d e n hundertsechzehn der Marcussäule u n d die d a d u r c h erreichte A u s e i n a n d e r z i e h u n g der D a r s t e l l u n g a u f eine grundsätzlich v e r t i kale B e t r a c h t u n g hin a u f g e b a u t ; m a n erhält, g l e i c h g ü l t i g v o n w e l c h e r Seite m a n herantritt, i m m e r das überschaubare G a n z e 1 ) . A u s der Marcussäule k o m m t d a n n aber g e n a u das heraus, w a s die Historia A u gusta enthält 2 ), v o r allem gerade g e g e n ü b e r der Säule die U m k e h r u n g der Z e i t f o l g e : n a c h d e m der R e g e n erlangt w a r , zerschlägt der B l i t z den
Belagerungs-
t u r m 3 ) . Dasselbe ergibt sich aber a u c h f ü r T h e m i s t i o s , mir hat er die B i l d e r nicht g a n z s o w e i t nach unten gelesen, w i e der A u t o r der Historia A u g u s t a . Ferner e n t spricht der u n b e s t i m m t e n A n g a b e iv yoayfj die leichte A b w e i c h u n g in E i n z e l h e i t e n : D e r Kaiser hebt nicht beide H ä n d e , nur e i n e ; die Soldaten f a n g e n den R e g e n nicht m i t H e l m e n , sondern m i t Schilden 4 ), offenbar nicht u m z u trinken, sondern u m sich z u schützen. Ich m ö c h t e also sagen, T h e m i s t i o s erinnerte sich v a g e an die K u s t o d e n e r k l ä r u n g v o m B e s u c h der Marcussäule 5 ), u n d diese w i r d m e h r als h e u t z u t a g e ein w u n d e r l i c h e s G e m i s c h aus literarischer Ü b e r l i e f e r u n g u n d Interpretat i o n der B i l d e r g e w e s e n sein 6 ). D e r Satz der Historia A u g u s t a ü b e r das R e g e n w u n d e r steht v e r s p r e n g t unter Einzelnotizen. H e e r , a . O .
17, 32. 1 4 1 , u n d S c h w e n d e m a n n , a . O . 80, rech-
nen ihn nicht z u m Bestände des g u t e n Annalisten 7 ).
Sein Z u s a m m e n h a n g ist
folgender: 24, 1 ff. „ A n t o n i n u s hatte diese Sitte, d a ß er alle V e r b r e c h e n m i t g e r i n g e r e r Strafe als sie die G e s e t z e z u b e l e g e n p f l e g e n (legibus plecti solent),
bestrafte, o b w o h l er
bisweilen g e g e n ü b e r f ü h r t e u n d s c h w e r e r V e r b r e c h e n (gravia crimina) unerbittlich (iitexorabilis)
Angeklagte
blieb. In Kapitalsachen (capitales causae) hochstehender
L e u t e hielt er selbst G e r i e h t , u n d z w a r m i t g r o ß e r G e r e c h t i g k e i t (aequitas)9)."
(Es
*) J. K o l l w i t z , Oströmische Plastik der theodosianischen Zeit, Berlin 1941, 29; dort auch ein Hinweis auf die ähnliche Komposition des Galeriusbogens. 2 ) Selbstverständlich darf man solche moderne Interpretation voraussetzen. Sehr fein hat M e h m e l , a. O . (o. S. 11) 66,7, beobachtet, daß Servius denVergil - es handelt sich natürlich um eine Aeneisstelle - modern impressionistisch empfunden hat. 3) Nicht richtig interpretiert E. P e t e r s e n , R h . Mus. 50 (1895), 466, das umgekehrt. Sehr scharfsinnig Z w i k k e r , a. O . 214: Das unpersönliche pluvia impetrata deute an, daß der Kaiser beim Regenwunder nicht persönlich zugegen war. Das ist zwar möglich, aber bei der Verwendungsart des Ablativus absolutus passivi im Lateinischen keineswegs sicher, vgl. dazu gleich u. S. 253,1. 4)
Nach Dio 71, io, 1 mit Schilden und Helmen.
®) Er war 357 zusammen mit Constantius II. und 377 m Rom, W . S t e g m a n n , R E 5A (1934), 1644 fr •) Ich teile jetzt die Ansicht von E. P e t e r s e n , Rh. Mus. 50 (1895), 473 f., daß die Legendenbildung über das Regenwunder, auch soweit sie bei anderen Zeugen hervortritt, immer wieder durch die Ausdeutungen des verhältnismäßig gut sichtbaren Säulenbildes beeinflußt war. Die querschnittliche Betrachtungsweise, die senkrechte Staffelung zwecks Illusion des Raumes (und der Zeit) beginnt eben im 2. Jh., vgl. M. W e g n e r , Jahrb. Archäol. Inst. 46 (1931), 6 i f f . ; K. A . N e u g e b a u e r , Antike 12 (1936), 167. ') Wertlos der Versuch von O. T h . S c h u l z , Antonine 118, 273, das Gegenteil wahrscheinlich zu machen. 8) Bestätigt wird das durch Dio (Xiph.) 71, 6, 1; Philostr. v. sophist. 2, 1, 11 f.
252
Die querschnittliche Methode
folgt ein Beispiel.) „Gerechtigkeit bewahrte er (aecjuitatem ... custodivit) aber auch bei gefangenen Feinden (capti hostes). Unzählige von Barbaren (gentes) siedelte er auf römischem Boden an. Er entrang durch seine Gebete einen Blitz vom Himmel gegen einen Belagerungsturm der F e i n d e , indem e r d e n Seinen einen R e g e n g u ß durch Bitten erlangt hatte, als sie schwer unter Durst litten. E r hatte vor, Markomannien zur Provinz zu machen, er hatte dieselbe Absicht bei Sarmatien und hätte es getan, wenn nicht Avidius Cassius einen Aufstand gemacht hätte..." Sprachlich ist die ganze Partie unrhythmisch, also nicht voll durchkomponiert. W i r müßten daher im Wortschatz Singularitäten erwarten (s. o. S. 1 1 9 , 2 ) . O b sie auf eine Vorlage weisen oder auf den Autor selbst zurückgehen, wäre im einzelnen dann zu prüfen. W i r haben in der Tat die Singularitäten plecti, itiexorabilis 24, 1 ; aequitas kommt außer hier nur noch v. M a x i m . Baibin. 1 7 , 4 in einem vom Autor gefälschten Brief vor 1 ), machinamentum finden w i r v . M a x i m i n . 22, 5 in einer Ü b e r setzung der griechischen Vorlage Herodian 8, 4, 10 für firj^avi]2). custodire in der übertragenen Bedeutung haben w i r nur noch v . X X X tyr. 1 1 , 6 in einer persönlichen Bemerkung des Autors (fidelitatem historicam) custodiendam putavi. W a h r scheinlich gehört auch extorquere 24, 4 zum persönlichen Stil des Autors; es begegnet wieder v . A v i d . Cass. 1 , 5 und v . Pescenn. N i g r . 3, 6. Beide Stellen gehören w o h l zu den Erdichtungen des Verfassers 3 ). Der Stil zeigt also, daß die ganze Stelle formal das Eigentum des Verfassers der Historia Augusta ist. Der Zusammenhang dieses Stückes w i r d nur durch assoziative Verbindungen hergestellt. V o n den gravid crimina kommt er zu capitales causae; von der acquitas gegenüber angeklagten R ö m e r n zur aequitas gegenüber Feinden; von diesen zur Ansiedlung von Barbaren im R e i c h — hier reißt aber die Assoziation ab, der nächste Satz hat noch einmal hostes, und v o n dort zu Markomannien und Sarmatien ist ein weiterer Sprung. Tatsächlich wissen w i r aber, daß das ohne Völkernamen erzählte R e g e n w u n d e r mit markomannischen Feinden zusammenhängt. U n d auch bei den weiter vorangehenden Sätzen von der Ansiedlung der Barbaren und der Anständigkeit gegenüber Gefangenen erweist sich dasselbe durch die Parallele v . Marc. A n tonin. 22, 2 „ . . . er nahm die Unterwerfung der Markomannen an und überführte sehr viele nach Italien" (aeeepitque in deditionem Marcomannos plurimis in Italiam traduetis)4). Für den Autor w a r die assoziative Verbindung „ M a r k o m a n n e n " da, ohne daß er es ausdrücklich sagte. Aber wie kommt er dazu, gerade diese Einzelheiten aus dem Markomannenkrieg zusammenzustellen ? N u n las der spätantike Mensch, w i e w i r sahen, die Bilder des R e l i e f bandes der Marcussäule querschnittlich von oben nach unten. Ich stelle nebeneinander, w a s w i r uns vorhin dort angesehen hatten, und die Darstellung der Historia A u g u s t a : ' ) L. H o m o , R e v . histor. 1 5 1 (1926), 1 8 1 . 185, 1. 186. ) Z u r Benutzung Herodians, s. o. S 27. 6. ») Z u r ersten Stelle schon E . K l e b s , R h . Mus. 43 (1888), 3 3 i f . ; 0 . T h . S c h u l z , Antonine 1 3 2 . Z u r zweiten Stelle vgl. H ö n n , a. O . 106. 2 3 5 ; sein Hinweis auf cod. Theodos. 7, 4, 1 2 zeigt die allgemeine Aktualität der Stelle; ferner vgl. O . T h . S c h u l z , Beiträge 70; H a s e b r o e k , Fälschung 52. *) Sachlich durch D i o (Exc. Ursiniana) 7 1 , n , 3 ff. bestätigt.
2
D a s Verfasserproblem der Historia Augusta und die querschnittlich-akausale D e n k f o r m
Säule X X I Gefangene Feinde vor dem Kaiser XVII Ergebung von gerXVI Betender manischem Volksteil .Kaiser' und Regenwunder X / X I Regen und Blitzschlag auf Belagerungsturm
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Hist. Aug. Kaiser und gefangene Feinde Umsiedlung von Germanen ins Reich (nach ihrer Kapitulation) Durch Bitten des Kaisers unter 1 ) Regenwunder Blitzschlag auf Belagerungsturm
Die Identität ist eine vollkommene. Der Bericht der Historia Augusta interpretiert querschnittlich die Marcussäule teils unter Ablesen des Gesehenen, teils unter Herantragen von kongruierenden Überlieferungsfetzen 2 ). Gewiß darf man fragen, warum derjenige, der diese literarische Darstellung geschaffen hat, nur gerade diese Szenen herausgriff. Er wählte das für ihn selbst „Bedeutende", und was das ist, richtet sich natürlich nach einem von ihm selbst von außen herangetragenen Maßstab. In diesem Falle ist das die aequitas des Kaisers. Indem dies aber sozusagen sein Einstieg in die Bilddarstellung war, läuft weiterhin der Automatismus der assoziativen Querschnitte entsprechend den Verhältnissen auf der Säule und dem spätantiken vertikalen Schauverlauf beim Berichterstatter ab 3 ). Die Übereinstimmung ist so vollständig und im Vergleich mit der gesamten anderen Überlieferung darin so einzigartig, daß ein Zusammenhang des literarischen Berichts mit der Säule unzweifelhaft ist. Die Historia Augusta hat ihre Erzählung entweder aus einer Quelle übernommen, dann müßte sie bei ihrer genauen Deckung mit der Säule höchst sorgfältig sich an diese Vorlage gehalten haben. Das macht aber der Stil, der die Eigenarten der Historia Augusta zeigt, unwahrscheinlich. Oder es bleibt eine zweite Folgerung übrig: Der Autor der Historia Augusta kennt R o m und hat die Säule selbst gesehen. *) Dieses „unter" gibt ziemlich genau die B e d e u t u n g wieder, die der Ablativus absolutus pluvia impetrata hier hat. Es liegt kein Zeitlicher oder kausaler N e x u s vor, sondern - plotinisch g e sprochen — zeitlos-akausale rangmäßige U n t e r o r d n u n g . Ahnlich steht es v. Alexandr. Sever. 25, 3 opera vererum principum instauravit, ipse nova multa constituit; für beides folgt ein Beispiel: in his thermas nomittis sui iuxta eas quae Neronianae fuerunt — aqua inducta quae Alexandriana nunc dicitur. Zur Bedeutung v o n iuxta = innerhalb s. u. Beilage II, S. 454. Ich habe D e saeculi IV exeuntis historiarum scriptoribus, Berlin. Diss., Leipzig 1932, 3 3 , 4 gezeigt, daß sachlich die R e stitution der N e r o t h e r m e n mit d e m B a u der aqua Alexandrina nicht das geringste zu tun hat. 2 ) Übrigens bezieht auch A . v . D o m a s z e w s k i , Marcus-Säule ( s . o . S . 2 4 9 , 1) 1 1 3 , die Szene X v I I auf die o. S. 2 5 2 , 4 a n g e z o g e n e n Diostelle u n d sieht darin die Q u a d e n u n t e r w e r f u n g , vgl. Z v v i k k e r , a. O . 189. 192fr. 263. In der sehr v e r w i c k e l t e n Frage der C h r o n o l o g i e dieser Feldzüge hat sich, s o w e i t ich sehe, bisher kein M o m e n t ergeben, welches dafür sprechen könnte, daß die R e i h e n f o l g e der Ereignisse in der Historia Augusta e t w a der C h r o n o l o g i e entspricht. 3 ) Eine b e w u ß t e Polemik g e g e n die christliche D e u t u n g des W u n d e r s , die es auf das Gebet christlicher Soldaten zurückführt, ist nicht erkennbar, J. G e f f c k e n , Hermes 55 (1920), 281, dagegen vorher anders N J b . 3 (1899), 262. Einer Persönlichkeit w i e d e m Kaiser solche W u n dermacht zuzutrauen, war durchaus nichts Neues, w i e O . W e i n r e i c h , N J b . 2 (1926), 649, betont.
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D i e querschnittliche Methode
Dieser M a n n hat sich also nicht nur literarisch sein Material geholt, er ist auch an die historischen D e n k m ä l e r herangetreten und hat sich da belehren lassen. D a n n kann es sich bei den N o t i z e n über Malereien und Mosaikbilder in der Historia Augusta nicht u m rhetorische T o p o i handeln. Es sind w a h r e Interessen und reale Substrate vorauszusetzen. W i r können aber weiter noch g a n z scharf hinsehen: D e r Verfasser der Historia Augusta zitiert das R e l i e f band der Marcussäule nicht namentlich. D a interessierte ihn also nicht das K u n s t w e r k , sondern nur der Inhalt. W e n n w i r den Verfasser in der N ä h e der N i c o m a c h i suchen, dann m u ß deren Kunstinteresse sich a u f M a l e r e i und M o s a i k b i l d erstreckt haben. Diesen B e w e i s kann ich liefern: W i r kennen die Gesellschaft des ausgehenden 4. Jh.s dank der Briefe des S y m machus bezüglich ihrer personellen Zusammensetzung verhältnismäßig gut, aber die Flachheit dieser Korrespondenz läßt Triebkräfte und N e i g u n g e n kaum erkennen. Immerhin kann man trotz dieser ungünstigen Umstände folgendes sagen: Z u den besonders gern gesehenen Gästen des S y m m a c h u s gehörte der Maler Lucillus 1 ). Diesen empfiehlt er mit größten Lobeserhebungen dem älteren N i c o m a c h u s Flavianus, bei d e m er Verständnis für die Leistung dieses Mannes voraussetzt 2 ). W i r erfahren dann durch einen anderen B r i e f des S y m m a c h u s , der gleichnamige S o h n dieses N i c o m a c h u s , also der hypothetische Verfasser der Historia Augusta, sei beim Bau v o n T h e r m e n begriffen, und S y m m a c h u s g i b t dazu sein U r t e i l : situs und amplitudo des B a u w e r k s gefallen ihm sehr. „ I c h habe nicht gebilligt, d a ß man in den kleineren Bädern das S c h w i m m b a d mit Malereien statt mit Mosaiken auszuschmücken v o r z i e h t 3 ) . " D a r ü b e r hat man sich also w o h l unterhalten, und man hat hier diese Sache sehr w i c h t i g g e n o m m e n , w e n n S y m m a c h u s außer situs und amplitudo nur dies erwähnt. M i t einem anderen gelehrten Freunde bespricht er sich dagegen z. B . über den Brennstoff bedarf seines neuen Bades (s. o. S. 52,1). D e r j ü n g e r e N i c o m a c h u s trat bei dieser Diskussion nun für pictura, S y m m a c h u s f ü r musivum ein. S y m m a c h u s hatte überhaupt eine V o r l i e b e für das Mosaik, ep. 8, 42 freut er sich, daß j e m a n d eine g a n z neue Mosaiktechnik erfunden hat, und w i l l sie sofort in seinem Hause anwenden lassen, w e n n er die ersten Kartons mit den E n t w ü r f e n gesehen hat 4 ). Eine Anspielung a u f diese gemeinsamen Interessen für Bilder enthält auch der B r i e f 9, 17, w o h l v o m Jahre 399, an den Bruder Venustus des jüngeren N i c o m a c h u s . Dieser hatte d e m S y m m a c h u s einen Bericht über B a u arbeiten an einem Landschloß des R e d n e r s gesandt: integrum mihi situm praetorii mei et picturam quandam fabrilis operis ante oculos conlocasti: ita adaperta distributio vel adhuc adsurgentia vel iam absoluta signavit6). Ich entsinne m i c h nicht, in den Briefen ep. 9, j o quantum domui meae cultum Lucillus quondam pictor adiecerit... ep. 2, 2 sit igitur de hoc tua existimatio, qui bonarum artium spectator semper fuisti. 3 ) ep. 6, 49 . . . ut... de opere, quod dorni construis, iudicium meae inspectionis aperirem. thermarum mihi et situs et amplitudo admodum placuit. in minoribus balneis piscinalem picturis potius quam musivo excoli non probavi. *) novum quippe musivi gettus et intemptatum superioribus repperisti, quod etiam nostra rusticitas ornandis cameris temptabit adfigere, si vel in tabulis vel in tegulis exemplum de te praemeditati operis sumpsimus. Es ist mir nicht bekannt, o b die A r c h ä o l o g e n auf diese N o t i z schon geachtet haben. F. v. L o r e n t z , R E 16 (1933), 330, bemerkt nichts dazu. ' ) V g l . O . S e e c k , Symmachus LI. M i r scheint durch diese Zusammenstellung erneut sichergestellt, daß es sich bei dem Adressaten Venustus u m den Bruder des Nicomachus handelt.
2)
Interpretation von Querschnitten
255
des Symmachus an anderen Stellen und gegenüber anderen fremden Adressaten solche Hinweise auf Bilder gefunden zu haben 1 ). N u r in einer R e d e spricht S y m machus noch einmal von einer pictura: or. 3, 5 stellt er sich den Vorgang bei der Kaiserproklam^tion des Gratian durch Valentinian I. als pictura vor. Die R e d e hielt er Anfang 369 dem kindlichen Gratian, zweifellos in Anwesenheit des Vaters Valentinian I. Diese Stelle ist sehr lehrreich für die Bewertung der anderen in der Korrespondenz mit den Nicomachi. Die Wendung der R e d e ist nämlich offenbar durch die Liebhaberei des kaiserlichen Vaters beeinflußt. Denn wir wissen von Valentinian I., daß er „sehr lieblich malte" (Epit. de Caes. 45, 6; A m m . Marc. 30, 9, 4). Die Hinweise auf Malerei und Mosaik in den Schreiben an di€ Nicomachi sind dann auch nicht etwa nur rhetorische Blumen und Ornamente, sondern ebenso R e f l e x e tatsächlicher Kunstliebhaberei 2 ). Der W e g dieser Untersuchung hat uns also wieder in die unmittelbare Nähe des jüngeren Nicomachus geführt. Allerdings in die Nähe nicht nur seiner Person, sondern auch in die seines Bruders und die des Symmachus.
B . Interpretation von Querschnitten Das Wesen der querschnittlichen Methode bedeutet das Betrachten der Ereignisse gewissermaßen in der Draufsicht. Wie und wann diese Draufsichten oder Querschnitte vollzogen werden, ist durchaus relativ, zeit- und subjektbedingt. O b das objektiv gegebene Material den bestimmten Querschnitt erlaubt, ist keineswegs immer seine Voraussetzung; nie wird sie überhaupt voll erfüllbar sein. Fehler, Brüche, Lücken werden dann ergänzt werden müssen. So war der Querschnitt „ R e g e n w u n d e r " auf der Marcussäule, den ich o. S. 250 ff. analysierte, zufällig fast glatt möglich. Natürlich ergab sich die Richtung d eses Querschnitts nicht aus dem kausal bestimmten Ablauf der historischen Vorgänge, sondern akausal-assoziativ z . B . aus dem Stichbild „ R e g e n " 3 ) . Wir sahen aucho. S. 123 ff., wie der Autor in der ' ) In Brief 1, 1, 2 sendet der Redner seinem Vater eine cantilena, mit der er an eine pictura in einem seiner Schlösser anknüpft., Darauf geht der Vater in seiner Antwort ep. 1, 2, 1 lobend ein. Das bleibt also im Familienrahmen der Symmachi. 2 ) Eine nicht ganz durchsichtige Stelle sei noch nachgetragen: v. Alexandr. Sever. 2s, 4 im
Zusammenhang der Thermen des Severus Alexander: Ocearti solium primus imperator (intcr P 1, s. Apparat bei Hohl) appellavit, cum Traianus id nott fecisset sed diebus solia deputasset. E. Maaß,
Tagesgötter (o. S. 3 6 , 1 ) I 5 7 f f , bezog das auf Umänderung v o n Mosaikdarstellungen. Natürlich hat H ö n n , a. O . 138, recht, daß dies nur eine wahrscheinliche Vermutung ist, aber bei den uns nun bekannt gewordenen Interessen des Nicomachus gewinnt diese Vermutung sehr. Weniger einleuchtend A . v. D o m a s z e w s k i , Sber. Heidelberg 1 9 1 6 , Nr. 7, 9, ocearti solium sei ein ständig auch bei beschränktem Wasserzufluß mit Wasser gefülltes Badebecken gegenüber den nur tageweise zugänglichen. Übrigens gab schon 1793 O s t e r t a g die von M a a ß vorgeschlagene Erklärung. — Dem im J . 383 nach Asien reisenden jüngeren Nicomachus hielt Himerios in Athen eine Geleitrede (ecl. 1 3 , vgl. O . S e e c k , R E 6 [1909], 2 5 1 2 , unberechtigter Widerspruch von H . S c h e n k t , R E 8 [ 1 9 1 3 ] , 162.O. Schon in den wenigen erhaltenen Resten kommt der Redner zweimal auf Gemälde und Maler zu sprechen. ' ) Plotin nennt diese Tätigkeit, die er dem höheren Seelenteil zuschreibt, olov evanegetaii „dem Seinigen einen Stützpunkt geben"; H ä r d e r übersetzt „Abtasten".
¡läXXov
256
Die querschnittliche Methode
Problematik des Antoninusnamens sich querschnittlich assoziativ v o n einem G e danken zum anderen treiben ließ. Dabei w a r noch erkennbar, daß er die zunächst nicht ganz ebene Fläche seines Schnitts nachträglich etwas zu modifizieren und planieren gezwungen war. Assoziatives Arbeiten ist daher ganz besonders charakteristisch für die Historia Augusta 1 ). Ein hübsches Beispiel haben w i r v . Tacit. 9, 2 in den Stichworten Aureliano statuam auream ... argenteám si quis auro argentum miscuisset capital esse ut servi in dominorum capita non intcrrogarentur; Abschluß w i e A n f a n g : Aurelianum ... pictum. Alle diese Einzelnotizen sind nach Mustern, die Tacitus, Sueton sowie andere Viten der Historia Augusta liefern, erfunden 2 ). Sehr schön ist dasselbe v . Alexandr. Sever. 32, 1—33, 2 zu sehen; ich gebe nur die überleitenden Stichworte: (32, 1) iniuriam; (2) praefectis; iniuriam; (3) praesentium ( = eorum qui praeerant); muneratus; muneribus; (4) aurum divisit; (5) aurum; Romae; (33, 1) Romae; audire negotia; (2) iudices3). Ein größeres Stück solcher Art finden w i r in derselben Vita Kap. 45 ff. Es beginnt mit expeditiones bcllicas habuit, de quibus ordine suo disseram. Dann springt der Autor auf das Thema „Prinzipien der militärischen Befehlsgebung und Geheimhaltung" ab. Kap. 45,6 und 46 sind ein typisch assoziatives Einsprengsel 4 ). Das sagt schon der erste Satz: et quia de publicandis dispositionibus mentio contigit... Dann läßt er sich spielerisch-gemütlich v o n einer Erfindung betreffend eine demokratische probatio der zur Beförderung heranstehenden Beamten zu den B e amtengehältern und anderen beneficia an Beamte weitertreiben 5 ). N a c h Kap. 47, *) Ein anderes Beispiel assoziativer Erdichtung notierte kürzlich H . U . I n s t i n s k y , Klio 34 (1942), 1 1 8 ff.; der Autor erfand v. Maximin. 5, 5 einen tribunus der IV. Legion, v. Claud. 14, 2 einen der V. und v. Aurelian 7, 1 einen der VI. Legion. Durch den Nachweis dieser progressiven Fiktion konnte I n s t i n s k y über das zurückhaltendere Urteil O. S e e c k s , R h . Mus. 49 (1894), 2 1 9 , hinausgelangen. *) E . H o h l , Klio 1 1 ( 1 9 1 1 ) , 297. ' ) Ein mir nicht bekannter Leser hatte im Exemplar des Göttinger Instituts, das ich nach dem vollständigen Verlust meiner Bibliothek eine Zeitlang als einziges zur Verfügung hatte, diesen A u f b a u vollkommen treffend gesehen und angestrichen. Eine derartige Komposition bedeutet noch nicht von vornherein, daß die Nachrichten alle falsch sind. So scheint 33, 1 (Wahl eines Kollegiums von 14 curatores urbis aus den consulares) irgendwie gutes Material vorzuliegen, H ö n n , a. O . 84, 184, auch M o m m s e n und H i r s c h f e l d , vgl. E. K o r n e m a n n , R E 4 (1901), i 7 9 7 f . Die Verwendung zutreffender amtlicher Bezeichnungen findet sich auch 32, 1 (princeps officiorum), eine weitere, allerdings sehr lockere Berührung mit einem Kaisererlaß 33, 2, H ö n n , a. O. 87, 190. 1 0 1 . Aber das beweist hier nur die volkstümliche Aktualität. J a r d é , a. O. 5 2 , 2 , liest aus den curatores eine Art juristischen Beirats des Stadtpräfekten heraus, dessen bisherige Zusammensetzung geändert worden sei; mit Interpolationen rechnet dagegen A . v. D o m a s z e w s k i , Sber. Heidelberg 1918, Nr. 13, 146. — Vgl. v. Caracall. 10, J . 6: diasyrticum ... quod Getam occiderat; 1 1 , 1 . 2 occidcndi Gctae multa prodigia. Diese Stellen sind Fälschungen O. T h . S c h u l z , Beiträge 1 1 8 ; Antonine 10, 2 7 ; H a s e b r o e k , Fälschung 7 6 f f . ; dabei wandte der Kompilator wieder einleitend suetonische Farben an (non ab re est), vgl. E . K l e b s , R h . Mus. 47 (1892), 27. *) So auch H ö n n , a. O. 1 5 2 ; J a r d é , a. O. 99. & ) Übrigens kann man zu der Bemerkung über die öffentliche probatio der Beamtenanwärter 45, 7 dicebatque graue esse cum id Christiani et Iudaei facerent in praedicandis sacerdotibus, qui ordinandi sunt, non fieri in provinciarum rectoribus vergleichen den Canon 20 des Conzils von Hippo
Inrerpretation von Querschnitten
257
dessen Thema lautet „Der fürsorgliche Oberbefehlshaber", kommt er wieder auf tausend kleine Dinge; erst Kap. 50 berührt er das erstemal die Parthica expeditio, gleitet erneut in die Rhetorik ab, findet sich 51, 5 wieder zum Stichwort irt procinctu atque in expeditionibus zurück, landet aber schließlich erst Kap. 55 beim historischen Bericht über den Partherkrieg. Damit sind die krausen Wege keineswegs zu Ende — aber ich will aufhören. Interessant und für die historische Kritik dieser Partien wichtig ist nur, daß mitten in den Einschüben zwischen 47 und 50 mit 49, 3. 4 ein Zitat aus Dexippos, zwischen 5 1 , 5 und 55 mit 52,2 ein Zitat aus Herodian auftaucht, der auch 57, 2—3 unter gleichen Umständen eingeschoben ist. Das beweist wieder, daß unter den assoziativen Teilen einzelne gute Splitter sein können. Es zeigt sich ferner, daß diese Griechen hier noch nicht einmal Sekundärquelle 1 ), sondern mit den Erfindungen und einem Juliaabild zusammen eingeschoben sind. Die Vita des Alexander Severus ist besonders ergiebig für Derartiges. Denn sie ist ja in besonderem Maße verändert und erweitert, um aus dem geschichtlichen Material den gewünschten panegyrischen Querschnitt herauszubekommen. Dieser Querschnitt lautete „Tüchtiger Kinderkaiser", nicht etwa „Julian". Aber für die Tüchtigkeit brauchte man julianische Farben. Charakteristisch für die Methodik der Vita ist die Analyse der Viten der Historia Augusta durch L e o . Er beobachtet richtig (Biographie, 280 f£) in der Vita des Alexander Severus „Parallelabschnitte", drei an der Zahl: Im ersten Kap. 15—28 sieht er das Öffentliche, im zweiten (29—46) das Private „vorwalten" (so — denn in beiden gibt es gegenseitige „Wiederholungen und Parallelen"), der dritte (45—49) „ging so mit". Und das sind nicht die einzigen Parallelfassungen in der Vita. Soweit sind die Querschnitte von L e o gut erkannt, aber die Auswertung ist falsch. Es spricht von mangelhaftem Ausgleich gegeneinander, schließlich verkennt er die Querschnitte als Ergebnis zweimaliger Eingriffe von Kompilatoren (a. O . 296). Die relative Einseitigkeit jeden Querschnitts treibt den um volle Erfassung eines Tatbestandes bemühten Betrachter, mehrere Schnitte durch dasselbe Problem zu legen. So legte der Verfasser der Historia Augusta zwei Schnitte „Jugendliche Söhne des Severus" an und verteilte sie auf zwei Viten (s. S. I92f.). Wir mit unserem vorwiegend eingleisigen Denken müssen beide Stellen zusammennehmen und -ordnen. Dann erst erhalten wir einen für uns klaren Kontext. Dieselbe Beobachtung ergibt sich aus der S. 231 ff. behandelten Stelle v.Marc. Antonin. 24,6 und v. Avid. Cass. 9, 9, w o nach dem objektiven historischen Maßstab man sagen würde, die spätere Stelle in der Cassiusvita gibt den volleren Text und die Marcusvita eine absichtliche Verkürzung. Es handelt sich auch hier um zwei verschiedene Querschnitte. Ein lehrreiches Beispiel für Aufteilung eines dem Autor vorliegenden chrono(8. Oktober 393): tti nullus ordinetur tiisi probatus vel episcoporum examine vel populi testimonio
(J. D. M a n s i , Sacrorum Conc ... collectio 3, Florenz 1759, 922), während B a y n e s , a. O. 143, an Julians Übernahme christlicher Muster bei seinen religiösen Reformen erinnert; der Zuschnitt auf Julians Zeit (nicht nur die Person) ist aber nicht so eindeutig, wie B a y n e s es darstellt. Vgl. auch J. G e f f c k e n , Hermes 55 (1920), 285 u. u. S. 349, 3; zur in Wirklichkeit ganz anderen Politik des Alexander vgl. J a r d c , a. O. 28f. ') So richtig H ö n n , a. O. 2, und ähnlich P e t e r , Die S. H. A. 79. 17
H a r t k e , Römische Kinderkaiser
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Die querschnittliche Methode
logischen Berichts in Querschnitte und ihre Verquickung mit Fälschungen bietet v. Aurelian. 18,2—21, 4 1 ). Es ergibt sich da folgende Komposition: Der Autor setzt in der Schilderung des Markomannenfeldzuges Aurelians an, verkürzt seine Darstellung 18, 3 plötzlich und springt mit postea Marcomantti superati sunt ('8, 3 Schi.) zum Ende des Krieges vor. Aber nun greift er — die assoziative Gedankenbrücke bildet der Begriff vastare — zurück, schildert wieder eine Episode des Krieges, den Aufstand in R o m , die Heranziehung der sibyllinischen Bücher und Durchführung ihrer Anordnungen (18, 4 - 6 Anf.), und kommt erneut 1 8 , 6 Ende mit denique schnell auf den Abschluß des Krieges. Doch führt ihn 18, 5 libri Sibyllini inspecti auf einen neuen Gedanken, er greift wieder zurück und verbreitet sich exkursartig über die inspectio librorum. Der abschließend eingefügte gefälschte Brief Aurelians (20, 4 epistula Aureliani) leitet ihn 2 1 , 1 auf andere Maßnahmen des Kaisers über cum ... Aurelianus vellet omnibus coticurrere. Er greift ein drittes Mal zurück, trägt die Niederlage von Placentia nach (21, 1—3) und gelangt, indem er das 18, 5. 6 Anf. bzw. 18, 7—20, 8 in extenso Berichtete kürzend zusammenzieht, mit wiederholtem denique ein drittes Mal zum siegreichen Ende 2 ). Zum chronologischen Verhältnis des Aufstandes in R o m und der Schlacht bei Placentia kann man aus der Arbeitsweise der Historia AuguSta vielleicht folgendes entnehmen: Der Autor zeigt nach jedem Neuansatz immer wieder eine überstürzte Hast, zum Ende des Krieges zu kommen. Er gerät daher, nachdem er im Bericht eingesetzt hat, sehr bald ins Kürzen und bringt das Weggelassene erst bei der Wiederaufnahme des Fadens nach. Somit würde die Schlacht bei Placentia (21, 1—3) zwischen den Aufständen in R o m (18,4) und der Befragung der sibyllinischen Bücher (18, 5) liegen. Nachstehende Tabelle möge das veranschaulichen, wobei ich die Assoziationsvorstellungen zusätzlich anführe: 18, 2 - 3 Anf. 18, 4 kürzend
21, 1-3
kürzend 18, 5
18, 7 - 2 0 , 8
kürzend
18, 6 Anf.
2 1 , 4 Anf.
18, 3 Schi.
18, 6 Schi.
2 1 , 4 Schi.
18, 3 Anf. graviter evastata
18, 4 cuncta vastabant 18, 5 libri inspecti 18, 6 denique
18, 3 postea
18, 7 libros inspici 20, 4 - 8 epistula Aureliani
2 1 , 1 cum . . . relianus vellet omnibus concurrere 2 1 , 4 denique
Au-
' ) Ich habe mich von H . F u c h s nicht überzeugen lassen, daß 18, 3 dum a fronte non curat occurrere subito erumpentibus zu lesen ist (erste Hand von P hat occurre). Vgl. meine Darlegungen Geschichte und Politik 26f. Stilistisch fasse ich die Stelle jetzt so auf: dum a fronte non curat (sallustisch), occurre(rey (sallustische Form und Inkonzinnität) subito erumpentibus. cand. phil. Z e r n i a l hat mir nachgewiesen, daß damit auch die Forderung des rhythmischen Stiles erfüllt ist. *) denique ist im Stil des Kompilators häufig und kann Kennzeichen von Fugen und Sprüngen der Darstellung sein, vgl. S c h w e n d e m a n n , a. O. 97, 4 ; zu v. Marc. Antonin. 22, 4, s. auch O . T h . S c h u l z , Antonine 108, S c h w e n d e m a n n , a. O . 199 zu ebd. 7, 2.
Interpretation von Querschnitten
259
Alle vier Querschnitte oder Gedankenzüge, die hier assoziativ verknüpft sind, stehen nebeneinander so, daß man keinen von ihnen entbehren kann. Es gibt keine eigentlichen Wiederholungen 1 ). Darum handelt es sich auch nicht um Dubletten im Sinne der vulgären Auffassung. Denn nur alle vier zusammengenommen, erhalten w i r für unser Denken einen wirklichen „ T e x t " . A u f andere ähnlich sich ergänzende Doppelberichte hat die Forschung mehrfach verwiesen 2 ). A u c h ein Teil der Doppelfassungen, die E . K o r n e m a n n , Hadrian 7 1 ff., vergleicht, gehört hierher, so besonders v . Sever. 6, 10. 8 , 6 / 7 . 8, 12—9, 3. v . Pescenn. N i g r . 5, 2—6, 2 S ). Einige Stellen wurden im Laufe unserer Untersuchung bereits besprochen (s.o. S . 9 6 , 4 . 1 0 0 f . 1 7 1 , 3 . 2 4 1 , 4 1 1 . 3 1 7 , 2 ) . K o r n e m a n n sucht den Grund ihrer Eigenart bald in dieser, bald in jener R i c h t u n g ; Er macht die Verschiedenheit der exzerpierenden Autoren verantwortlich, indem er die inzwischen überholte Ansicht einer Mehrzahl von Verfassern in der Historia Augusta beibehält, oder Zwischenquellen (a. O . 75) oder den rhetorischen Grundsatz der Variatio — der aber nicht zu dem merkwürdigen Phänomen einer Komplementarität (nicht einmal eines Zusammensetzspiels) Veranlassung geben würde — oder schließlich sucht er seine Gründe, im technischen Vorgang dem Wahren nicht ferne, in dem selbständigen Konzipieren der Nebenviten neben der bereits im wesentlichen fertig vorliegenden Hauptvita (a. O . 78). Das sind aber alles A u s künfte, die immer nur teilweise die Befunde erklären können. M i t Recht hat sich dagegen K o r n e m a n n , a. O . 22, 3. 24, der Erklärung von v . Hadrian 5, 10—7, 3 angeschlossen, die O . T h . S c h u l z in der Hauptsache zutreffend gegeben hat 4 ). Das Ergebnis braucht nur noch als Phänomen richtig beschrieben zu werden. Der Autor der Historia Augusta gibt wieder drei Schnitte aus der Geschichte der Reisen des Kaisers Hadrian: s. S. 260. Äußerlich ist im dritten Schnitt der Ablativus absolutus dem Romam venit 7, 3 angehängt. Das ist nur von formaler Bedeutung; der Schnitt ist sozusagen rückwärtslaufend angelegt. Gelehrte, die diese allerdings un-,akademische' Denkform nicht erkannten, wurden mit den — w i e sie meinten — Unklarheiten nicht fertig 6 ). R i c h t i g hat W i l h e l m W e b e r mit D o m a s z e w s k i gesehen, daß das ganze E x zerpt aus dem Reisebericht des Jahres 1 1 7 / 8 genommen ist8). Eine fortlaufende R e i s e wollte aber die Historia Augusta so wenig schildern w i e Homer oder C l a u *) Das Vermeiden von Wiederholungen beobachtete schon H. P e t e r , Die S. H. A . 200f., an einem Vergleich der Aktenstücke v. Maximin. 16 und v. Gordian. 1 1 . Seine weitere Behandlung bedürfte aber der Korrektur, vgl. L. H o m o , R e v . histor. i j i (1926), 1 7 7 . 1 9 1 , 1 , und P e t e r , a. O., über das Verhältnis v o n v. Maximin. 18 zu v. Gordian. 14. A . P a s o l i , Sulla composizione (o. S. 28, 5) 22 ñ. kommt zu dem Ergebnis, ein und derselbe Verfasser habe diese Stücke gearbeitet. E r untersuchtim übrigen die Quellenfrage, teilweise nicht glücklich, vgl. E . H o h l , B p h W . j i (1931), 1 2 f . *) H e e r , a. O . 138fr. W . W e b e r , G G A . 1908, 958f. 968, vgl. 9 7 1 . — Einige richtig beurteilte Einzelfälle jetzt bei W . E n ß l i n , Sbcr. München 1948 (ersch. 1949), N r . 3, 7. 3 ) Dazu O . T h . S c h u l z , Beiträge 7 1 ; H a s e b r o e k , Fälschung j 6 f f . *) Hadrian 29ff. 3 1 , A n m . 7 1 . ' ) S o W . W e b e r , Hadrian 54fr. B . W . H e n d e r s o n , The Life and Principate of the Emperor Hadrianus, London 1923, 279 fr. nimmt allerdings mit einem hohen Maß von Selbstsicherheit alle Schwierigkeiten spielend. ' ) V g l . aber A . v. D o m a s z e w s k i , Sber. Heidelberg 1 9 1 8 , N r . 6, 14, 8. 17*
260
Die querschnittliche Methode
dian oderRutilius Namatianus. Bei Homer haben wir z. B. in der Odyssee t 106, 116, 142 genau die gleiche dreifache Zerlegung eines kontinuierlichen Fahrtvorganges mit IxöfiE&a Kvxkamwv ig yälav am Anfang, dem erneuten Vorführen der yala Kvxlumwv in der Mitte und dem wiederholten iv&a xaxenMofisv am Ende 1 ). Heranziehen können wir ferner die Methode des Lucrez, bei dem K. B ü c h n e r , Beobachtungen über Vers und Gedankengang bei Lukrez (Hermes Einzelschriften H. 1), Berlin 1936, in den Kapiteln I und II über Sachnähe lucrezischen Denkens, Beweisgänge mit doppeltem Anlauf die gleiche Erscheinung feststellt. Ihre Kategorisierung durch B ü c h n e r als archaisch (a. O. 39) ist nur deskriptiv, und die psychologische Erklärung, Lucrez habe sich zunächst von den lastenden Gedanken befreien müssen und dann erneut zurückgegriffen, isoliert das Phänomen in ziemlich willkürlicher Weise2). 5, 10. Antiochiam regresáis kürzend praepositoque Syriae Catilio Severo
6, 1—6 praemissis exercitibus kürzend 6, 6 Moesiam
kürzend
petit
6, 7 Turboncm . . . Daciae . . . praefecit kürzend
7, 3 Dada Turbotti credita titulo . . .praefecturac
ornato
6, 8 - 7 , 1
per
Illyricum
Romam
venit
7, 2 spielt auf dem W e g e nach R o m , S c h u l z 48f., anders W . W e b e r , Hadrian 7 8 f .
kürzend
7, 3 Romam
venit
Diese eigenartig retraktierende Arbeitsmethode der Historia Augusta können wir an einer weiteren Stelle durch einen Vergleich mit der hier erhaltenen Quelle gut übersehen. Es handelt sich um das aus Herodian 4 Ende und 5 Anfang entnommene Stück v. Opil. Macrin. 8, 1—10, 4 3 ). Ich stelle die Texte auf einer be*) Das hat M e h m e l , a. O . (o. S. 1 1 ) 35f., schön gezeigt. Für Vergils Aeneis ein besonders drastisches Beispiel a. O . 73. 2 ) Verwandt sind auch einige Beobachtungen von J . G e f f c k e n , Antike Erzählungs- und Darstellungskunst, Hermes 62 (1927), 1 ff. Ich halte es für notwendig, im Hinblick auf eine treffliche Untersuchung von W o l f g a n g S c h m i d über Lucrez Philologus 93 (1938), 338fr auszusprechen, daß natürlich nicht jede Dublette als Querschnitt erklärt werden darf und kann. *) T h . M o m m s e n , Ges. Sehr. 7, 342, 2 ; H. P e t e r , Die S. H. A . 7öf., lassen das Herodianexzerpt erst 8, 3 beginnen. In 8, 1 - 2 sieht K o r n e m a n n , Hadrian 83, ein Exzerpt aus seinem wertvollen Anonymus des 3. Jh.s, weil die geringschätzige Axt, mit der von Macrinus gesprochen werde, zu diesem passe. Dieser selbe T o n findet sich aber auch gleich am Anfang des Herodianexzerpts. Siehe auch nächste A n m .
261
Interpretation v o n Querschnitten Herodian
Historia Augusta
4 , 1 3 , 1 avrei) t e räi MagriaXia) ivvßQiaev (Caracalla) ävavdgov avxòv xaì àycvvfj xak&v xaì Maxgtvov (plXov.. ftrj (ptQovzd te xàg ¿( avxòv vßgeig... net&ei (Macrinus) ¿mßovAevoat xü> 'Avxutvlvq>... xiftwgrjoai ÓÉXmv • • narra vnlaxveixai (Martialis)...
studens sordes generis et prioris vitae infamiam victoriae magnitudine abolere.
Artabane graviter n4). Das sollte den Ton des ersten Querschnitts etwas herabstimmen, der für das endgültige Macrinusbild zu hoch war. Imperium,
Wieder also hat der Verfasser die Ereignisse des Perserkrieges des Opilius Macrinus zweimal „angeschnitten", einmal mit dem Querschnitt „Antoninus", den wir o. S. 1 0 4 . 1 2 3 ff. behandelten5), ein zweites Mal ergänzend im historischen Sinne Herodians. Unsere Untersuchung zeigte aber, daß der Querschnitt „Antoninus" generell gewissen Korrekturen unterzogen wurde. Wenn die behauptete querschnittliche Methode stimmt, war also zu erwarten, daß der nach modellierende Spachtel auch diesen Querschnitt der v. Opil. Macrin. in gleicher Weise berührte. Und wirklich fanden wir auch die entsprechende Arbeitsspur am Textrande des Handexemplars des Verfassers, wie o. S. 125; sie war wieder vom Rande in den 1
) Vgl. H. S c h m i d t , Handbuch der lateinischen und griechischen Synonymik, Leipzig 1889, 62 f. 2 ) „Reflexion des Fälschers", H a s e b r o e k , Severus 20. ') suscipere Imperium ist also wohl kein „neutraler Ausdruck" (O. T h . S c h u l z , Prinzipat 149); vgl. Sueton, Otho 7, 1 suscipere Imperium vi coactus; v. Atexandr. Sever. 10, j, w o der Gegensatz susceptum - adfectatum lautet. *) satte als Fugen- und Kompilationskennzeichen seit langem erkannt: vgl. H. P e t e r , Philologus 43 (1884), 178, m. älterer Literatur; Die S. H. A . 249, 1 ; O. T h . S c h u l z , Beiträge 13. 1 2 9 ; Hadrian 10 u. ö.; Antonine 1 5 ; K o r n e m a n n , Hidrian 46,4. — Zur Entstehung der Korruptel vgl. v. Maximin. 17, 6 alias die P 1 ; alla die, Pcorr.; Z alia satte die, dazu A . R o n c o n i , Studi ital. di filol. class. N S 9 (1931), 34. ' ) Dafür spricht auch die Tatsache, daß die günstige Version über den Partherkrieg in der Vita 2, 2 vorweggenommen wurde, und zwar dort im Zusammenhang, wie H ö n n , a. O. 5, sah, mit der Antoninenepiklese, die im selben Satz vorangeht, und den nachfolgenden Erörterungen dazu, die o. S 123 ff besprochen wurden. Über andere Widersprüche in der Bewertung des Macrinus innerhalb der Vita vgl. H ö n n , a. O. 8. Ähnlich hat der Autor bei Erzählung der Unruhen zur Zeit der Erhebung Gordians III. die Vorlage Herodian 7, 10, 5 - 1 2 , 7 viermal, immer wieder mit anderen Z u - und Umdichtungen, herangezogen; diese vier Querschnitte verteilen sich hier auf drei Viten, v. Maximin. 20, 5. v. Gordian. 22, 7 - 2 3 , 1. v. Mixim. Baibin. 8, 4 - i o , 8; vgl. H. P e t e r , Die S. H. A . joff. 65ff.
264
Die querschnittliche Methode
T e x t hineingerutscht. Der Querschnitt „Antoninus" war also in der Macrinusbiographie zunächst bestimmt gewesen, den historischen Vorgängen, die der Verfasser nach Herodian durchaus getreu schildert, einige andere Lichter aufzusetzen. Das w a r allerdings bewußte Fälschung. Die Verkennung dieser querschnittlichen Methoden und Denkformen hat vielfach zu unberechtigten textkritischen Eingriffen geführt, v . Did. Julian. 4, 1—4 werden die Ereignisse nach der Kaiserproklamation des Jahres 193 berichtet. Der neue Kaiser Julian läßt Senat und Ritter zur Huldigung auf den Palatin zu und unterhält sich dort gnädigst mit ihnen: „ A b e r das V o l k auf den Rostra und vor der Curie fiel ihn mit ungeheuerlichen Schmähungen an, in der Hoffnung, es könne von ihm die Kaiserwürde niedergelegt werden, die die Soldaten gegeben hatten. Sie sandten auch einen Steinregen (lapidationem quoque fecere). — Als er mit den Soldaten und dem Senat zur.Curie hinabkam, wünschten sie ihm die Rachegöttinnen an den Hals; als er das Opfer veranstaltete, baten sie, er möge kein gutes Vorzeichen erhalten. Auch Steine warfen sie nach ihm, während Julian sie immer mit der Hand zu besänftigen suchte." Er betritt dann die Curie zur Thronrede. M o m m s e n klammerte lapidationem quoque fecere aus. Aber das ist hier ein Palliativmittel, denn die Schmähungen des Volkes auf den Rostra und vor der Curie gehören chronologisch und kausal betrachtet immer hinter das Herabkommen des Kaisers v o m Palatin aufs Forum. Es handelt sich vielmehr um zwei Querschnitte: Der eine gibt von dem Ereignis das Bild der Volksstimmung im Gegensatz zur Atmosphäre der Palastcour, der zweite das Bild des feierlichen Zuges Julians zur Curie durch das tobende Volk. Die Wiederholung des Steinbombardements — natürlich rhetorisch variiert — war so aus Gründen der inneren Form notwendig. Der Stil der Erzählung bekommt dadurch etwas Romanhaftes 1 ). Es gibt in der Historia Augusta noch viele Stellen ähnlicher Art. So hat man einmal geglaubt 8 ), v . Veri 8, i o f . habuit et Agrippum histrionem ... quem ... e Syria adduxerat... hinter § 7 . . . histriones eduxit e Syria, darunter einen Paris, umstellen zu müssen. Dazwischen steht in § 8 / 9 ein Bericht über Orgien, an denen u. a. Freunde dieses Paris (nach richtiger Konjektur von H o h l ) teilnahmen. Dieser V o r schlag ist längst vergessen. Aber bei Vergil ecl. 4 debattiert man immer noch gegen die einhellige, bis ins frühe 4. J h . zurückreichende Überlieferung die Umstellung von v . 23 ipsa tibi blandos fundent cunabula flores vor v . 21 ipsae lade domum referent distenta capellae3), weil zwischen diesen beiden Versen etwas über das Aussterben der wilden Tiere oder den Tierfrieden steht und dieser Gedanke nach dem inkriminierten Verse 23 weiter verfolgt wird, um dann zum Schluß ein drittes Mal zu den Pflanzen hinüberzugleiten. Die Stelle, die auf das später zu behandelnde Proömium des Gedichts folgt, lautet: 18 At tibi prima, puer, nullo munuscula cultu errantis hederas passim cum baccare tellus 1
) Vgl. R o s a Söder, a. O. 188ff •) G. R i c h t e r , Rh. Mus. 24 (1869), 638. *) Nach anderen zuletzt Bruno Snell, Hermes 73 (1938), 239. Dagegen K. Barwick, Philologus 96 (1944), 28 ff
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Interpretation von Querschnitten 20 mixtaque ridenti colocasia fundet
acantho;
ipsae 1acte domum referent distenta capellae ubera nec magnos metuent armenta leones. ipsa tibi blandos fundetit cunabula flores; occidet et serpens et fallax 2$ occidet: Assyrium
herba veneni
volgo nascetur amomum.
Aber dir wird, Knabe, als erste liebe Geschenke ohne Pflege Efeuranken allenthalben mit Baldrian die Erde und 20 (indische) Wasserrosen gemischt mit lachendem Bärenklau hinstreuen Von allein werden milchgeschwellte Euter heimtragen die Ziegen, und nicht wird das Herdenvieh die gewaltigen Löwen fürchten. Leibhaftig wird die Wiege dir reizende Blüten hinstreuen; aussterben wird die Schlange, und es wird die trügerische Giftpflanze 2$ aussterben: Aufwachsen wird in aller Welt assyrischer Balsam. H i e r d u r c h U m s t e l l u n g eine c o m p o s i t i o n simpliste ( C a r t a u l t ) erreichen z u w o l l e n , w ü r d e ich d e m V e r s u c h gleichachten, aus d e n späten R e l i e f s des C o n s t a n t i n b o g e n s d u r c h U m s t e l l u n g ein frühkaiserzeitliches
„continuierendes" R e l i e f zu
z a u b e r n . J e d o c h i m R ä u m e stoßen sich die D i n g e härter. D i e V e r s e schildern das Kindheitsalter des K n a b e n d e r 4. E k l o g e , m i t d e m das neue Friedenszeitalter sich ausbreitet. O h n e Z w e i f e l sind S c h w i e r i g k e i t e n d e r g e d a n k l i c h e n G l i e d e r u n g v o r h a n d e n , an denen z. B . H . D r e x l e r kritisch A n s t o ß n a h m 1 ) . Sie b e d ü r f e n der E r k l ä r u n g , u n d d e n W e g z u ihr e r ö f f n e t der treffende bildliche A u s d r u c k , m i t d e m D r e x l e r d e n S c h l u ß v e r s charakterisierte: M i t
Assy-
rium volgo nascetur amomum w e r d e n z w e i r w i e er m e i n t , getrennt g e b l i e b e n e g e d a n k l i c h e Fäden z u einem z u s a m m e n g e s c h l u n g e n . A b e r diese Fäden sind g e n a u parallel gelagert, also innerlich u n d d a m i t höchst k u n s t v o l l v e r b u n d e n : F o r m a l z e i g t das zunächst die D u b l e t t e tibi fundet tellus v . 18 f. — tibifundent
cunabula v / 2 3 .
Ferner ist der Ü b e r g a n g z u m Paradieszustand hier d u r c h die A p o s t r o p h e tibi beide M a l e a u f das K i n d b e z o g e n , j e w e i l s d a n a c h g e h t die V o r s t e l l u n g in eine nicht m e h r b e z o g e n e , abstrakte T o p i k ü b e r : D i e Z i e g e n b r i n g e n , w i e D r e x l e r
hervorhob,
die M i l c h nicht m e h r d e m K n a b e n automatisch, es ist e i n f a c h v o n einer seligen Z e i t die R e d e , w o k e i n treibender H i r t e m e h r n ö t i g ist, w o keine G e f a h r m e h r d r o h t . W e r t v o l l ist auch die B e o b a c h t u n g R i c h a r d H e i n z e s 4 ) , d a ß in v . 23—25 ( w i e a u c h n o c h später in v . 28—30) kein deutlicher Fortschritt in d e m H e r a u f k o m m e n der neuen Z e i t erkennbar ist. D e r D i c h t e r beabsichtigt insofern nicht, eine c h r o n o logische E n t w i c k l u n g z u z e i c h n e n ; beide V e r s g r u p p e n , das heißt die beiden g e d a n k l i c h e n Fäden, schildern, w e n n schon nicht inhaltlich, so d o c h z u m i n d e s t f o r mal, k o m p o s i t o r i s c h , zeitlich dasselbe S u j e t . S. S u d h a u s 3 ) interpretierte d a r u m d e n v . 22 nec magnos metuent armenta leones der ersten V e r s g r u p p e g e r a d e z u „ r e t r o s p e k t i v " aus v . 24. der z w e i t e n : occidet et serpens. Dieser enthalte das M o t i v des A u s sterbens der w i l d e n T i e r e , das sich in d e n B i l d e r n der G o l d e n e n Z e i t findet. D a r u m müsse a u c h nec magnos metuent armenta leones i m gleichen Sinne verstanden w e r d e n . et in occidet et habe w e g e n der F i g u r des u m s c h l i e ß e n d e n occidet in v . 24 u n d 25 die l) s)
Stud. ital. di filol. class. N S 12 (1935), 135ff. Rh. Mus. $6 (1901), 45 ff.
*) Bei D a h l m a n n , Gnomoa 8 (1932), 500.
266
Die querschnittliche Methode
Bedeutung „auch". Diese Erklärung hatte N o r d e n angenommen 1 ). Ihm gegenüber erklärte W a g e n v o o r t 2 ) , es liege nach v . 22 ein zu scharfer Einschnitt, als daß eine solche Methode der Interpretation hier zwingend sei. In der Tat kommen, wie P. C o r s s e n betonte 3 ), überhaupt und so auch bei Vergil an anderen Stellen beide Gedanken, Tierfrieden und Aussterben der wilden Tiere zusammen vor 4 ) W a g e n v o o r t , . O . i o f . , ma hte vor allem den sehr feinen Einwand, magnos als Attribut neben leones sei eigentlich nur dann sinnvoll, wenn die Löwen existieren, überflüssig, wenn es sie nicht mehr gibt, magnos stehe in Antithese zu non metuere: Das R i n d v i e h fürchtet die Löwen nicht, wenn sie auch noch so groß sind. Es sei hier demnach nicht an ein Aussterben der wilden Tiere, sondern an einen allgemeinen Tierfrieden gedacht. Identisch sind beide Versgruppen also mit Bezug auf den Inhalt nicht, aber sie sind verbunden durch ein hinter ihnen stehendes Zentralproblem. Oberthema ist offensichtlich die Goldene Zeit. Darauf weisen typische Formeln: v. 18 millo cultu, v . 21 ipsae ( = iniussae) 5 ), v . 19 passim6), das v . 25 durch volgo in gewisser Weise wieUcr aufgenommen wird, v . 23 ipsa. Dieses Thema ist hier in die bukolische Sphäre transponiert 7 ). Merkwürdigerweise kommen die aufgezählten Formeln, soweit sie begleitende Umstände bezeichnen, nur in der ersten Versgruppe vor, ohne daß man sagen könnte, in der zweiten v . 23—25 (bis occidet) sei nicht die Goldene Zeit gemeint. Solche Unterschiede beider Versgruppen müssen w i r mit der G o l d waage messen, um weiterzukommen, tibi fundet tcllus hebt die erste Gruppe an, tibi fundent cunabula die zweite. Soll hier wirklich die Variation der Subjekte die Tautologie abschwächen, wie D r e x l e r meint? Einem Vergil gegenüber muß das als peinlich billige Verlcgenheitslösung erscheinen. Die Wiege bringt mit einem Male Blumen hervor, in wunderbarer Weise ist ihr Wesen verwandelt. Weiter verschwinden gar Schlangen und Giftpflanzen, und damit verändert sich der dingliche Bestand der Welt. Die Gewürzstaude Assyriens schließlich in der Gedankenschleife des letzten Versteiles ist nicht mehr eine assyrische Pflanze, sondern eine ökumenische; auch da wandelt sich nicht etwa die differentia specifica, sondern das Wesen durch ein geographisches Paradoxon, volgo enthält also mehr als nur die mühelose Ausbreitung einer wertvollen und seltenen Pflanze 8 ), denn es ändert zugleich antithetisch das Assyrium ab 8 ). Die zweite Vers') Geburt des Kindes 51 ff.; zustimmend K . B ü c h n e r , Burs. Jber. Suppl. 267 (1939), 160. 2
) Mededeelingen der Kon. Akad. A f d . Letterkunde Deel 67, Serie A Nr. 1, Amsterdam 1929, 9.
3
) Philologus 81 (1926), 66f.
4
) Ähnlich argumentiert auch R . H e i n z e , a. O. 499; vgl. K . B a r w i c k , Philologus 96 (1944),
49 ff *) Das avTÖfiaxov; vgl. z. B . die Parallelen bei F. M a r x , N J b . 1 (1898), 1 1 4 ; J . B . M a y o r , Sources of the Fourth E d . , in: Virgils Messianic Ecl., London 1907, 126. L i n k o m i e s , Arctos 1 (1930), 174. •) In ähnlichem Zusammenhang georg. 1 , 1 3 2 , vgl. M a y o r , a. O. 129. ') Vgl. G. R o h d e , De Vergili eclogarum forma et indole, Berlin 1925, 60; S u d h a u s , a. O. 46. •) S u d h a u s , a. O. 46; amomum wächst „ w i e Feldkraut". Vgl. F. A l t h e i m , Weltgeschichte Asiens im griechischen Zeitalter 1 , Halle 1947, 106, der den Inhalt von Assyrium Ubermäßig belastet.
•) A l t h e i m , a. O., sieht in fallax herba venetti und amomum den Gegensatz von ahurischen
Interpretation von Querschnitten
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gruppe erzählt eine R e i h e v o n Wundern, die die Substanz der Welt grundlegend verändern. Auch in v. 18—22 werden allerhand Dinge genannt: tellns, hederae, baccar, colocasta, acanthus, lac, capcllae, ubera, armenta, magtii leones. Nichts ändert sich an der Substanz dieser Dinge, indem im Geleit des Kindes die Goldene Zeit herannaht. Es ändern sich nur die funktionalen Akzidenzien: Die Erde bringt ein herrliches Pflanzenbukett überall, ohne Arbeit hervor 1 ); ungehütet bringen die Ziegen prallgefüllte Euter nach Hause. Mithin darf auch nec magnos metuent armenta leones nicht eine wunderbare Substanzänderung der Welt bedeuten, etwa durch einen vollständigen Wegfall der Löwen. Hier kann nur von einer Änderung der funktionalen Akzidenzien gesprochen sein: Die Tiere bleiben, aber ihre gegenseitigen Beziehungen bleiben nicht die alten, es herrscht Frieden. A u f der anderen Seite kann das Pronomen in ipsa fundent cunabula flores nicht dasselbe bedeuten wie in ipsae referent capellae ubera. Es wäre verfehlt, in einem Vergleich zu sagen, w i e die Ziegen von sich aus zum Melken kommen, so läßt die Wiege von sich aus, spontan Blumen sprießen, gewissermaßen nullo cultu2). Denn die Ziegen kommen auch normalerweise zu diesem Geschäft, jcdoch gehütet vom Hirten, die Erde spendet Blumen auch normalerweise, aber überall doch nur unter der pflegenden Hand eines Menschen — bei der Wiege ist es in jedem Falle und nur paradoxes Wunder, ipsa cunabula hat qualifizierende Funktion: Es bedeutet die Beseelung der toten Materie, die im Wunder so oft zu finden ist*). Daran schließt sich einerseits parallel zu den armenta und leones, andererseits antithetisch zur Belebung der Wiege das Absterben schädlicher Tiere an, dann das schädlicher Pflanzen, was wieder antithetisch zur Ausbreitung guter Pflanzen weiterleitet; et in occidet et ist daher rein kopulierend 4 ). und ahrimanischen Pflanzen. Aber w o steht denn in der Ekloge etwas davon, daß amomum nicht nur selten war, „sondern auch geeignet, das Gegenteil dessen, das diese herba brachte, zu bewirken"? Dann fällt aber auch alles übrige hin, was A l t h e i m hier anknüpft, oder hat jedenfalls keine philologisch tragfähige Grundlage im Gedicht selbst mehr. ') Gewiß bedürften errantes hederae auch sonst keiner Pflege ( F . M a r x , N J b . 1 [1898], 114), aber es steht hier das passim dabei, und es handelt sich um ein Gesamtbild von Pflanzen, die überall sein sollen. Da hat nullo cultu selbst beim E f e u seinen Sinn. - Es ist W . W e b e r , Prophet und sein Gott, 87. 93. 1 1 9 , zuzugeben, daß colocasia (wie baccar, A l t h e i m , a. O. 106, 76) exotischen Anstrich hat, aber das ist nur Tönung; sie ist hier nicht das primär Wichtige, kein Name konkretisiert das Exotische. - Die Ausdrücke Substanz — Akzidens gab der Teilnehmer meines Kolloquiums, stud. phil. S t a l l m a c h . a ) So interpretiert P. L e j a y , R.ev. de philol. 36 (1912), n f . ; anscheinend auch B . S n e l l , a. O. Dagegen richtig K . B a r w i c k , Philologus 96 (1944), 30. 3 ) Zur Beseelung der (beweglichen) Materie vgl. O. W e i n r e i c h , Gebet und Wunder, in: Genethliakon Wilhelm Schmid (Tüb. Beitr. 5), Stuttgart 1929, 223fr. 331 f. (Türe), E. N o r d e n , Vergil Aeneis V I 2 , 169 (Schilfe, siehe besonders Homer # 559 dW avzai [vrjes] iaaai...). Antithetische Gestaltung des zweiten Querschnitts durch Vergil auch o. S. 78 f. Überhaupt ist dem mythischen Denken der Widerspruch in sich eigentümlich und offenbar gleichzeitig ungefährlich. Das sollte man sich für die Beurteilung Hemers und Vergils klarmachen, vgl. o. S. 2 2 1 , 1 . 262. - Wesentliche Förderung verdankte ich hiereinem Hinweis H. K l e i n k n e c h t s auf das Türwunder. 4 ) B a r w i c k bringt a. O. 35 einige ausgezeichnete Interpretationen und zeigt auch die Steigerung in den Wundern, aber er unterläßt es, die Qualität dierer Steigerung zu untersuchen. E r ist auf dem richtigen Wege, wenn er die Bedeutung ipsa „ohne Pflege, d. h. von selbst"
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Die querschnictliche Methode
Der Dichter steigert die zweite Versgruppe gegenüber der ersten zum substantiellen Wunder 1 ). Mit feinstem Takte ist dann in den wenigen Worten, welche beide „Fäden" am Schlüsse des Abschnitts verschleifen, Assyrium volgo nascetur amomurn, beides vereinigt: Die Änderung der Weltsubstanz und zugleich des funktionalen Akzidens. Das Oberthema Goldene Zeit ist in zwei Querschnitten erfaßt, vom Blickpunkt der Akzidenzien und der Substanz her. Keine der aufgezeigten „Dubletten" verdient also mit Recht diese Bezeichnung. Wenn wir in diesem Gedankengang solche oder andere Anstöße finden oder wenn wir umstellen, werden wir der ureigensten Kunst Vergils nicht gerecht2). Bezeichnend für unser eingleisiges Denken sind die Paraphrasen der Verse bei N o r d e n , a. O. 9f., und W . W e b e r , a. O . 23; denn beide Gelehrte greifen zwar nicht philologisch ein, aber glauben doch einen geschlossenen Gedankengang für uns nur durch Umordnung erzielen zu können. Schließlich noch ein letztes Beispiel für solche Querschnitte. H. F u c h s vertrat bei Gelegenheit die Meinung, auf Grund der bekannten Erkenntnisse J a c h m a n n s über die allgemeine Grundlage der textkritischen Methode eine schwierige Stelle in Claudians Gotenkrieg endgültig erklären zu können 3 ). Der Text lautet (bell. Goth. 124 fr.): Subümi certe Curium canit ore vetustas, 125 Aeaciden Italo pepulit qui litore Pyrrhum. ttec magis insignis Pauli Mariique triumphis*), qui captos niveis reges egere quadrigis, plus fuga laudatur Pyrrhi quam vittcla Iugurthae. et quamvis gemina fessum iam clade fugavit 130 post Decii lituos et nulli pervia culpae pectora Fabricii, donis invicta vel armis, plena datur Curio pulsi victoria Pyrrhi.
2 Verse
3 Verse
4 Verse
quanto maius opus solo Stilichone peractum cernimus. hic validam gentem, quam dura nivosis ablehne, aber dann vorschlägt „von selbst, d. h. sie braucht nicht von Menschen geschmückt zu werden" (a. O. 30. 31 f.). Die steigernde Bedeutung von et „auch" weist er a. O. 36, 1 2 (vgl. 32) ab und interpungiert mit V o ß und F o r b i g e r hinter veneni, was durch die von ihm kürzend-zitierte Parallele Hör. c. 2, 3, 17 ff. nicht gestützt werden kann, da hinter occidet v. 25 bei Vergil der Satz zu Ende ist, bei Horaz aber hinter der Epanalepse der Satz mit et... weitergeht. W . W e b e r , a. O. 88, 1, brachte mit Recht das Stichwort „Aretalogie", vgl. N o r d e n , a. O. 136, 3 : *) Ich verweise auf eine sehr gute Interpretation des Anfangs von Buch 3 der Aeneis, die soeben W . J e n s , Philologus 97 (1948), 194fr., gegeben hat. Vgl. auch H. K l e i n k n e c h t , Hermes 79 (1944), 92ff. — Für den Zusammengehöriges trennenden und zum Anfang zurückkehrenden Aufbau gibt es gewisse formale Vorstufen in hellenistischer Dichtung, J. V a h l e n , Ges. Philol Sehr. 2, 425. 726. 4 ) Gnomon 19 (1943), 51, 1. 4 ) So Fuchs unter Verwendimg des in A in v. 127 statt quadrigis erhaltenen triumphis für triumphus der übrigen Hss. Der Vers 126 fehlt in B.
Interpretation von Querschnitten
135 educat Ursa plagis, non Chaonas atque Molossos, quos Epirus alit, nec Dodonaea subegit agmina fatidicam frustra iactantia quercum.
269 j Verse
Gewiß besingt in hoher Sprache das Altertum den Curius, 125 der von der italischen Küste vertrieb den Aeaciden Pyrrhus. Und die Verjagung des Pyrrhus, obgleich nicht so hervorragend wie die Triumphe des Paulus und Marius, die gefangen die Könige vor ihren weißen Viergespannen führten, lobt man mehr als die Fesselung Jugurthas. Und wenn er auch den durch doppelte Niederlage schon Erschöpften vertrieb, 1 3 0 nachdem schon Decius hatte zur Schlacht blasen lassen und Fabricius, dessen Sinn keiner Schuld zugänglich, unbesiegt von Geschenken und Waffen geblieben war, so wird doch Curius die volle Siegesehre für die Vertreibung des Pyrrhus zuteil. Eine wieviel größere Leistung sehen wir Stilicho allein vollbringen. Dieser unterwarf ein starkes Volk, welches unter dem harten Bärengestirn 135 in schneereichen Landen aufwuchs, nicht Chaoner und Molosser, die Epirus nährt, und nicht dodonäische Heerzüge, die vergeblich sich der schicksalkündenden Eiche rühmten.
In v. 126/8 sieht F u c h s einen „unzweideutigen" Fall der späteren Erweiterung eines geschichtlichen Beispiels. Die Sache steht aber anders: Das Thema lautet „Hoher R u h m des Curius Dentatus für die Vertreibung des Pyrrhus" (v. 124 f.). Dieses Thema wird zweimal in abwertendem Sinne angeschnitten: I. Nur Verjagen, keine Gefangennahme; II. Nur Gnadenstoß für den zweimal Angeschlagenen. Der Schluß stellt steigernd StilichosTat gegenüber: Allein hat er ein vollkräftiges Volk unterworfen. Von diesem Schluß ist jeder Teil in den zwei voraufgehenden Querschnitten gewissermaßen vor einen wertmäßig dunkleren historischen Hintergrund gestellt, um ihn selbst um so heller leuchten zu lassen: „allein" und „vollkräftig" in Schnitt II; „unterworfen" in Schnitt I. Entfernen wir mit F u c h s nach J a c h manns Methode den Querschnitt I, so bleibt der Widerspruch pepulit — pulsi — subegit offen. Die Anstöße, die die Erklärer nahmen 1 ), waren nicht nur durch die *) Vgl. B i r t in seiner Ausgabe zu v. 128. H. S c h r o f f in seiner kommentierten Ausgabe (Klass. Philol. Studien, hrsg. von F. J a c o b y , 8 [1927]) hält eher v. 126/7 für überflüssig, weil man neben Jugurtha eine Erwähnung des Perseus vermißt. Aber das ist viel zu kausal gedacht. vittcla Iugurthac und die übrigen historischen Beispiele in ähnlichen Zusammenhängen cons. .Stilich. 1, 37off. 3, 30fr. A n letzterer Stelle ist neben den Siegen des Paullus über Perseus, des Marius über Jugurtha mit der Flucht des Pyrrhus aus Italien der Name des Fabricius und nicht des Curius verbunden. Warum Perseus an der Stelle im Gotenkrieg namentlich nicht erwähnt
ist, zeigt bell. Gildon. 9off. fractumque Metello traximus inmanem Marii sub vincla Iugurtham:
Claudian wollte den Gedanken ausfuhren, daß Curius' Sieg auf der entscheidenden Leistung des Kollegen beruhe. Da paßt als Überleitung nur Jugurtha her, denn der Mariussieg ergab sich aus den Verdiensten des Vorgängers. A u f die offensichtlich beabsichtigte Klimax, die die Versgruppen ihrem Umfang nach bilden, möchte ich zuletzt auch noch hinweisen. — Ein ganz ähnlicher Fall liegt Cicero Cat. 3, 10, 23 ff. vor. Den formalen, dublettenartigen Zustand hat E. N o r d e n , Aus Cicero's Werkstatt, Sber. Berlin 1 9 1 3 , 10 richtig analysiert, aber falsch als ,,bloß provisorisches"perpolireeiner ursprünglichen einzigen Fassung erklärt; schlagende Einwände gegen N o r d e n bei H. N o h l , WclPh. 30 (1913) 288, vgl. 1 1 9 8 f . , P. E : S o n n e n b u r g , R h . Mus. 68 (1913) 4J9. Es handelt sich um typische, voll ausgeführte Querschnitte, die die These effektvoll auf die Antithese hin verdichten sollen.
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D i e querschnittliche M e t h o d e
v o n F u c h s beseitigte Corruptel bedingt, sondern v o r allem durch die V e r k e n n u n g der querschnittlich-akausalen D e n k f o r m . Unserem akademischen D e n k e n ist das fremdartig; es erscheint uns fahrig. A b e r ein solches Werturteil w ä r e grundverkehrt. D e n n die W i r k l i c h k e i t kann durch dieses querschnittliche D e n k e n auch durchaus und in vollem U m f a n g erfaßt w e r den, nämlich mittels einer größeren A n z a h l Schnitte sozusagen a u f statistischem W e g e . D a s macht es u n s — w i r dürfen an die naturwissenschaftlichen D e n k m e t h o d e n der modernsten Physik erinnern 1 ) — so schwer, den frühen V e r g i l zu verstehen, der die Landverteilung v o n 41 v . C h r . anschneidet, — oder das B u c h H i o b . Ich hörte im Sommersemester 1947 in einem K o l l o q u i u m der v o n Frau Schramm in G ö t t i n g e n veranstalteten A b e n d e eine feinsinnige Analyse des Hiobbuches v o n dem T h e o l o g e n v o n R a d . Er entwickelte an diesem B u c h des A l t e n Testaments das hermeneutische Problem sehr klar 2 ). Seine A u s f ü h r u n g e n begegneten, w i e man an der Diskussion w o h l merkte, gewissen Schwierigkeiten des Verständnisses, soweit nicht diese orientalische D e n k f o r m geläufig war 3 ). A b e r es ist offenbar nicht nur orientalisches D e n k e n : Ein weiblicher Teilnehmer meinte treffend, zum Erfassen eines solchen D e n k e n s gehöre eines, D e m u t — m a n könnte auch säkularisiert sagen, Anschauung. Eine Totalität des D e n k e n s also, die riesige Kräfte entwickeln oder *) M i t i h n e n sich auseinnnderzusetzen ist v o r d r i n g l i c h e A u f g a b e d e r P h i l o l o g i e g e w o r d e n . Ich v e r w e i s e a u f Sir J a m e s J e a n s , P h y s i c s a n d P h i l o s o p h y , i n d e u t s c h e r Ü b e r s e t z u n g v o n L u d w i g P a n e t h 3 , Z ü r i c h 1944; P a s c u a l J o r d a n , V e r d r ä n g u n g u n d Komplementarität. Eine p h i l o s o p h i s c h e U n t e r s u c h u n g , H a m b u r g - B e r g e d o r f 1947. 2)
A n g e r e g t d u r c h e i n e n V o r t r a g v o n W a l t e r B r ö c k e r i m S o m m e r s e m e s t e r 1948 i n d e r R o s t o c k e r U n i v e r s i t ä t s a u l a ü b e r d e n M y t h o s v o m B a u m der E r k e n n t n i s , bei d e m er die v o n theologischer Seite v o r g e n o m m e n e n A u s k l a m m e r u n g e n v o n D u b l e t t e n voraussetzte, habe ich Genesis 2 f. nach q u e r s c h n i t t l i c h e n P r i n z i p i e n u n t e r s u c h t u n d d a b e i g e f u n d e n , d a ß v o n D u b l e t t e n k e i n e R e d e sein k a n n . A l l e s m u ß so stehen, w i e es steht. D e r g a n z n a t u r - u n d t i e r h a f t e n „ A r b e i t " i m G a r t e n E d e n 2, 15 g e h t , n a c h d e m die E r k e n n t n i s d a z u k a m , die 3, 17 c h a r a k t e r i sierte M e n s c h e n a r b e i t i n der W e l t 3, 23 parallel. D r e i f a c h w i r d das P r o b l e m der S c h a m a n g e s c h n i t t e n : 2, 25 n a t u r - , t i e r h a f t ; 3, j f f . die „ e r s t e " S c h a m des e r k e n n e n d e n , d. h. w i e G o t t g e w o r d e n e n (3, 22) M e n s c h e n ; 3, 21 v o n G o t t h e r . Parallel steht d i e n a t u r h a f t e B e n e n n u n g des W e i b e s 2, 23, die N a m e n g e b u n g an d i e e r k e n n e n d e M e n s c h e n m u t t e r 3, 20 u s w . u s w . B ' o c k e r s V o r t r a g erscheint in w e s e n t l i c h u m g e a r b e i t e t e r F o r m i n der Festschrift f. H e i d e g g e r 30 ff. 3 ) V o n R a d h ä t t e , w e n n es u m die M e t h o d i k g e g a n g e n w ä r e , d a r a u f h i n g e w i e s e n , d a ß g e r a d e v o n t h e o l o g i s c h e r S e i t e die E r s c h e i n u n g s c h o n z u s a m m e n f a s s e n d b e o b a c h t e t w o r d e n w a r . M . B l u m e n t h a l prägte in seinem B u c h F o r m e n u n d M o t i v e in den a p o k r y p h e n A p o s t e l g e s c h i c h t e n ( T e x t e u n d U n t e r s , z. G e s c h i c h t e d. altchristl. L i t e r a t u r 48), L e i p z i g 1933, d a f ü r d e n A u s d r u c k „ Z w e i h e i t s g e s e t z " (a. O . 17). Ich m ö c h t e z u allererst v o r diesem A u s d r u c k w a r n e n : W e d e r h a n d e l t es sich n u r u m Z w e i h e i t e n , w i e ü b r i g e n s B l u m e n t h a l selber i m A n s c h l u ß a n U n t e r s u c h u n g e n R o h r s z u m M a r c u s e v a n g e l i u m b e m e r k t (a. O . 64, w o a u c h w e i t e r e Literatur), n o c h u m e i n G e s e t z . E s h a n d e l t sich h i e r w i r k l i c h e i n m a l u m die i n n e r e F o r m . A u c h s t i m m t n i c h t , d a ß i n g r i e c h i s c h e r L i t e r a t u r n i c h t s D e r a r t i g e s z u f i n d e n sei (a. O . 7 1 ) ; m a n k a n n n i c h t sagen, d a ß n u r semitisches K u n s t e m p f i n d e n diese d u b l e t t e n a r t i g e n a u f e i n a n d e r bezogenen „Parallelerzählungen" i m K a n o n und den A p o k r y p h e n hervorgebracht hat. R i c h t i g b e t o n t er die E r b a u l i c h k e i t .dieser F o r m e n (a. O . 75). V g l . E . N o r d e n , A g n o s t o s T h e o s , L e i p z i g 1 9 1 3 , 8; S ö d e r , a. O . 39. 74. i 8 8 f f . , s p r i c h t a u s f ü h r l i c h e r ü b e r die Parallelität d e r v i e l f a c h o h n e Z u s a m m e n h a n g a n e i n a n d e r g e r e i h t e n ngdgeig der A p o k r y p h e n , die M i t t e l s t e l l u n g der P e r s ö n l i c h k e i t u n d i h r e r T a t e n - i m G e g e n s a t z z u r k a n o n i s c h e n A p o s t e l g e s c h i c h t e , die j a m e h r aus e i n e m a n d e r e n Geist g e s c h a f f e n ist (s. o . S. 20 f.).
Interpretation von Querschnitten
271
in ungeheure Abgründe führen kann, denn pietas und impietas unterscheiden sich, wie Augustin an einer berühmten Stelle sagt, nur durch ihren höchsten Bezugswert. Eine Institution wie das römische R e c h t , die ihrem Wesen nach darauf angewiesen ist, das gesamte Dasein ausreichend zu umfassen, und dies historisch auch in imponierender Weise erreicht hat, beruht auf diesem querschnittlichen Denken und ist darin ganz autochthon römisch. D a f ü r ist manches kennzeichnend 1 ). Das römische Recht liebt nicht die Abstraktion und ist daher auch selten zu Begriffsbestimmungen gelangt. Statt allgemeiner Ausdrücke werden die Tatbestände lieber „angeschnitten", z. B . sagt der römische Jurist für „Beschädigungen von Wasserleitungen" im selben Atemzuge forare rumpere foranäa rumpendave curare peioremve facere. Die Disposition römischer Rechtsschriften erfolgt nicht systematisch vorwärtsschreitend, sondern vorwiegend kasuistisch, d. h. in f o r maler Hinsicht parataktisch und assoziierend. Ü b e r die Form, die so zustande kam, ist v o n berufener Seite manchmal sehr absprechend geurteilt worden. Das römische Rechtsbewußtsein kennt nicht das Moment der Zeit und der Entwicklung und das zu ihrer Erfassung notwendige Distanzgefühl. Das Recht ist immer gegenwärtige geistige Einheit, „geschichtliche Schichten" sieht man nicht, geschichtlich Überholtes wird einfach vergessen. Es ist eine der glänzendsten Stellen in dem bedeutenden Buche von F r i t z S c h u l z , w o er auseinandersetzt, daß bei den R ö m e r n aus diesem Grunde keine Rechtsgeschichte entstehen konnte: „ O h n e das Gefühl, grundsätzlich anders zu sein als die Vergangenheit und doch wieder mit ihr entwicklungsgeschichtlich verbunden zu sein, ist Sinn und Interesse für Rechtsgeschichte schwer denkbar." Denn das Streben nach patriotischer Erbauung, die Freude an wunderwürdigen Begebenheiten, die eine allgemeine Geschichte auch ohne solches Distanzgefühl ermöglichen, fallen als Z w e c k für eine Rechtsgeschichte im wesentlichen w e g . Ein Teil der scharfen Kritik moderner Forscher an der Historia Augusta betrifft also Erscheinungen, die das Resultat einer Denkform sind, welche auf eine wahrhaft ehrwürdige Tradition zurückblicken darf, eine ehrwürdigere Tradition, als sie das aristotelische Denken besitzt. Allerdings zeigt die Historia Augusta in fürchterlichem Gegensatz die große Gefahr, die dieser geistigen Form eigentümlich zugeordnet ist2). l
) Ich beziehe mich auf das Buch von F r i t z S c h u l z , Prinzipien des römischen Rechts, M ü n chen 1934, 28 ff. 69 ff.
*) Das Problem der Wiederholung, auf das uns die Untersuchung des querschnittlichen Denkens hier in der Antike geführt hat, besitzt außerordentliche allgemeine geisteswissenschaftliche Bedeutung. Ich will nur auf den modernen R o m a n hinweisen. Tolstois Anna Karenina ist z. B . u. a. ausgespannt zwischen Wronskis Besichtigung der Leiche des Bahnarbeiters, der betrunken, oder weil er infolge des vermummenden Kälteschutzes nicht hören konnte, unter den heranrollenden Eisenbahnwaggon geraten war, und Wronskis Blick auf Annas Leichnam, die sich selbstmörderisch unter die Räder des Zuges geworfen hatte. Thomas Manns Buddenbrooks bauen sich aus einer Unzahl „Dubletten" auf, und in Lotte in Weimar wird die Wiederholung zum Problem selbst. T h o m a s M a n n ist sich über das Phänomen selbst immer klarer geworden, wie man K . K e r e n y i , Romandichtung und Mythologie, Ein Briefwechsel tnit Thomas Mann (Albae Vigiliae N F 11), Zürich 1945, 72f., entnehmen darf. Klarer als der
272
Die querschnittliche Methode
wissenschaftliche Mythologe K e r e n y i sieht er auch das moralische Problem, das für dieses „mythische" Denken besteht, wenn er fordert, der Mythos müsse in der Gegenwart „ins Humane .umfunktioniert' werden" (a. O. 82). Vgl. über die Bedeutung des Leitmotivs im Roman jetzt auch F. A l t h e i m , Literatur und Gesellschaft 1 , 2 6 . S ö r e n K i e r k e g a a r d in seiner Schrift: Wiederholung. Ein Versuch in der experimentierenden Psychologie von Constantin Constantius (Ges. Werke 3 ! , Jena 1909, i i 7 f f . ) erachtet Wiederholung vom Standpunkt des Ästhetikers für fade, findet aber ihre Rechtfertigung in der Tiefe der Religion. Da ist ihm Vorbild - Hiob. K i e r k e g a a r d zeigt seine Gedanken an einer Liebesgeschichte. Auf Wiederholung als typisches Motiv archaischer griechischer Liebespoesie weist B. S n e l l , Antike 17 (1941), 20f. ( = Die Entdeckung des Geistes, Hamburg 1946, 72f.). Aber das ist natürlich nicht auf archaische griechische Literatur beschränkt, vgl. Lucr. 4, 1 1 1 7 indc redit rabies eadem et Juror ille revisit. Damit gelangen wir zur negativen Seite des Phänomens: Wiederholung ist auch charakteristisch für die Schizophrenie, die ja das Zeit-, Raum- und Kausalgefüge lockert; über die Rückwirkung bei einem Künstler vgl. den Bericht von H. K e l l e n b e n z , D L Z . 69 (1948), 39öf., über A. L. R o m d a h l , Notes on Monsu Desiderio, Göteborg 1944. Ich denke auch in diesem Zusammenhang wieder an Lucrez, die vielbehandelte Rolle der formalen und gedanklichen Wiederholung in seinem Werk und die antike biographische Notiz, er habe es in den Zwischenräumen seines Liebeswahnsinns verfaßt. Das wird also stimmen (E. B i c k e l , Lehrbuch der Geschichte der römischen Literatur, Heidelberg 1937, 450), trotz K. Z i e g l e r , Hermes 71 (1936), 421 ff.
VI. Z U R DES
STRUKTUR
VON
AUSGEHENDEN
GESELLSCHAFT
UND
4. J A H R H U N D E R T S
N.
UMWELT CHR.
Die Tonfarbe und Melodie wird entscheidend durch die Obertöne bestimmt, die mitklingen, und Musik, der etwa durch technische Unvollkommenheiten die Obertöne abgeschnitten werden, klingt blechern und mechanisch. So will ich im folgenden einige Themen anschließen, die in dieser und jener Variation ein Datum der Historia Augusta betreffen und auf den W e g e n der bisherigen Untersuchung sich am Rande ergeben haben. Sie sollen die T ö n e und Farben satter und voller machen, sie sollen durchaus nicht mehr beweisen, als sie im einzelnen können, aber sie wollen mit der Gesamtlösung des Problems als Ganzes angeschaut sein, bis wir im nächsten Abschnitt uns wieder strengeren Formen der Untersuchung zuwenden.
A . W i t z i g e Lügcnprophetie aus der Historia A u g u s t a nach dem Jahre 376 n. C h r . W i l a m o w i t z hat einmal gesagt 1 ), das 4. Jh. n . C h r . habe keinen wirklichen W i t z gehabt. Das Urteil des Meisters unserer Wissenschaft muß jeder ernst nehmen. Aber mit dem W i t z ist es eine eigene Sache. G o e t h e läßt in seiner Novelle „ D i e guten W e i b e r " eine der Personen aussprechen: „Jeder W i t z ist nur für den Unterrichteten, jedes witzige W e r k wird deshalb nicht von allen verstanden; was von dieser A r t aus fernen Zeiten und Ländern zu uns gelangt, können wir kaum entziffern." W i r brauchen also zum W i t z in irgendeiner Form eine Erklärung. Die fortschreitende Wissenschaft hat uns aber immer neue Tatsachen des 4. Jh.s gelehrt und damit immer neue Mittel solcher Erklärung in die Hand gegeben, die W i l a m o w i t z (1905) noch nicht kennen konnte. Ich stehe heute auf dem Standpunkt, das 4. Jh. ist jedenfalls in seiner zweiten Hälfte ganz besonders skurril und karikaturistisch veranlagt gewesen und ohne das nicht richtig zu verstehen. Jene spätrömischen Herren, mit denen wir uns zu befassen hatten, einen Augustin und S y m machus, Ammian und Ausonius, kitzelte es geradezu, die kynische Pose einzunehmen und sich selbst oder ihre Mitmenschen zum besten zu haben 2 ). Für die relative ') Die griechische Literatur des Altertums (Kultur der Gegenwart i , 8), Leipzig 1905, 208. Keinen Humor besaß Kaiser Julian — er sagt es selbst im Anfang seiner Caesares (306 B). Davon war wohl W i l a m o w i t z , a. O., ausgegangen. So skurril die spätantike Welt war, so humorlos war das spätantike Regierungssystem und seine Spitzenperson. — Viele Belege zu „Scherz und Ernst" in Spätantike und Mittelalter gibt E. R . C u r t i u s , a. O . 42off., vorbereitende Bemerkungen über die soziologische Bedingtheit von Komik und Humor R . M ü l l e r F r e i e n f e l s in: Gegenwartsprobleme der Soziologie, Potsdam 1949, 169. 2)
18
H » r t k e , Römische Kinderkaiser
274
Z u r Struktur von Gesellschaft und U m w e l t des ausgehenden 4. Jahrhunderts n. Chr.
geistige H ö h e n l a g e , in d e r w i r die Person des V e r f a s s e r s der Historia A u g u s t a a n t r e f f e n k ö n n e n , ist r e c h t b e z e i c h n e n d , d a ß w i r a u c h i h n z u d e n V e r t r e t e r n d i e s e s späten W i t z e s — u n d anscheinend nicht den schlechtesten — rechnen d ü r f e n . D e u t l i c h ist d a s z. B . a n d e r b e k a n n t e n S t e l l e , w o d e r A u t o r d i e s e r S a m m l u n g E n d e seiner schamlosen
K o m p i l a t i o n v o n etwas Geschichte und vielen
gegen Lügen,
e r n s t h a f t t u e n d , d a s T h e m a „ D a r f u n d soll d e r G e s c h i c h t s s c h r e i b e r l ü g e n " v e n t i liert. S e i n e n A u s b u n d v o n S c h a m l o s i g k e i t , a l s d e n e r H e l i o g a b a l d a r s t e l l t , läßt e r , w i e bemerkt, einigen Z u n f t g e n o s s e n die A n w e i s u n g geben, aus politisch-dynastischer Z w e c k m ä ß i g k e i t die V i t a eines u n b e d e u t e n d e n , aber teilweise e h r e n w e r t e n V o r g ä n g e r s u m z u b i e g e n . D i e n e u e r e W i s s e n s c h a f t h a t i h m selbst
nachgewiesen,
d a ß er in d e r V i t a e b e n desselben H e l i o g a b a l z u g u n s t e n des S e v e r u s A l e x a n d e r nicht a n d e r s v e r f u h r . L i e b e n s w ü r d i g g e s t e h t e r u n s d a s m i t t e n in e i n e r k a p i t e l l a n g e n A n einanderreihung v o n S c h m u t i und Entartung, einem Sittengemälde, könnte man v e r m u t e n , d e r e i g e n e n Z e i t , v . H e l i o g a b a l . 3 0 , 8 credo esseßcta Alexandri
Heüogabalum
deformare
voluerunt1).
ab his, qui in
gratiam
Bei sö viel Ehrlichkeit d a r f m a n im
G r u n d e seine A r b e i t nicht s c h a m l o s n e n n e n , w i e v i e l e es taten, s o n d e r n m a n heißt sie t r e f f e n d e r u n v e r s c h ä m t f r e c h 2 ) . ' ) Andere Fälle solcher Selbstironie E . H o h l , N J b . 33 (1914), 706ff., Hermes 52 ( 1 9 1 7 ) , 472fr., R h . Mus. 91 (1942), 178, Burs. Jber. 200 (1924), 208. 2 ) Anscheinend deckt sich auch sonst der Inhalt angeblich oder tatsächlich historischer Berichte mit den dem Verfasser selbst eigenen oder doch zeitgenössischen Methoden. Die A u f t e i l u n g des Corpus auf mehrere Verfasser hat ihren Ursprung letzten Endes in panegyrischen Praktiken: Der W e r t einer Sache w i r d hier danach entschieden, ob sie v o n einer Mehrzahl oder nur v o n einem einzelnen vertreten w i r d (Geschichte und Politik 1 6 6 ; den dort genannten Belegen kann noch Plin. ep. 7 , 1 7 , 10, Julian or. 3 [2], 24 8 0 A hinzugefügt werden). D e n V o r gang selbst kann man sich an folgender Nachricht klarmachen: v . Hadrian. 16, 1 famae cclebris Hadrianus tarn cupidus Juit, ut libros vitae suae scriptos a se libertis suis Htteratis dederit iubens, ut ecs suis nomittibuspublicarcnt. nam et (etwa: „ebenso, so - auch", v g l . E . T i d n e r , a. O . [o. S. 1 5 9 , 3 ] , 96fF.) Phlegontis libri Hadriani esse dicuntur. Diese Stelle hat immer schon Anstoß erregt, libros vitae suae faßte man, wie es nahelag, als die Autobiographie Hadrians (vgL v. Hadrian. 1 , 1). D a n n war schlecht verständlich, wie eine Mehrzahl v o n liberti -an der Edition zu beteiligen w a r ; man half sich durch Annahme eines generellen Plurals. Als letzte blieb aber die Frage offen, welcher A r t die Phlegontis libri gewesen waren. Hiernach schien es wieder so, daß es sich doch tun mehrere biographische W e r k e handelte (H. P e t e r , D i e geschichtl. Litteratur über d. röm. Kaiserzeit'bis Theodosiusl u. ihre Quellen 1 , Leipzig 1897, 375). - D e r Inhalt dieser Stelle sei unsinnig, meint weiter O . T h . S c h u l z , Hadrian 8 6 , 2 5 4 , man müßte nach dem Vordersatz, der in biographischer Weise das bekannte M o t i v v o n der „kaiserlichen R u h m b e g i e r " hervorhebt, die umgekehrte Schlußfolgerung erwarten. M i t dieser Beurteilung ist die E i g e n tümlichkeit der Stelle nicht erfaßt. U m Zelebrität, d. h. W i r k u n g zu erreichen, ist es in solcher psychologischen Zeitlage g e w i ß erfolgversprechender, sein Stück durch ein Orchester v o n Posaunchen v o r das Publikum zu bringen, als es — und sei man noch so bedeutend — selbst, aber eben als Solist zu blasen. S c h u l z betrachtet den Passus als E i n f ü g u n g des Schlußredaktors (so auch K o r n e i n a n n , Hadrian $9 f f ; E . H o h l , K l i o 1 1 [ 1 9 1 1 ] , 322, 2), w i e er meint, aus Marius Maximus entnommen. W . W e b e r , Hadrian 95, 3 1 9 , wendet dafür die Bezeichnung „ M ä r c h e n " an, das die bekannte „wechselseitige A n r e g u n g des dilettierenden Kaisers und der literarischen K r e i s e " zur Grundlage habe; die w a r aber auch dem A u t o r der Historia Augusta bekannt, wie v. Hadrian. 1 5 , 1 0 — 1 6 , 6 insgesamt zeigen. D a stehen vielfach N a c h richten, die anderwärts belegt sind (für eine irgendwie mit Marius M a x i m u s zusammenhängende Quellenmasse, vgl. meine Diss. de saeculi IV e x . bist. Script., Leipzig 1 9 3 2 , l ö f F . ; . h i e r ü b e r bleibt noch einiges zu sagen, s. u. S. 3 5 1 , 1 ) , oder -wenigstens einen ausgezeichneten Eindruck.
Witzige Lügenprophetie aus der Historia Augusta nach dem Jahre 376 n. Chr.
275
M i t dieser Manier kann man anscheinend auch an einer im R a h m e n der bisherigen Untersuchung bereits in anderem Zusammenhang berührten Stelle weiterkommen. W i r wollen sie etwas genauer betrachten, denn unter dem Deckmantel des ironischsarkastischen Darstellung beinahe elegant verborgen, gibt uns der Verfasser, glaube ich, so etwas w i e eine Jahreszahlangabe f ü r die Bestimmung seiner eigenen Zeit, v . Tacit. 15 w i r d uns eine angebliche Weissagung der haruspices berichtet. Sie knüpft sich an einen Blitzschlag, der zwei Statuen am Kenotaph der Kaiser Tacitus und Florianus traf, und verspricht, im ganzen betrachtet, das Erscheinen eines imperator R o m a n u s aus dem Geschlecht des Tatitus in vollendeter Gestalt. Dieser w i r d sein Leben mit unerhörten politischen Erfolgen krönen, in N o r d und Ost, ja im ganzen Weltkreis w i r d R o m s Herrschaft von ihm errichtet. Dann w i r d er nach einer so lange währenden Lebenszeit, w i e sie der menschlichen Natur überhaupt gestattet ist, im Alter von 120 Jahren (vgl. v . Claud. 2,4), ohne Erben sterben. Dieses sine herede interessierte uns früher. Danach geht der T e x t weiter: futurum autem eum äixerunt a die fulmitiis praecipitati statuisque confractis (des Tacitus und Florianus) post annos mille. Merkwürdigerweise und im Gegensatz zur sonstigen Einstellung des Verfassers w i r d diese Weissagung im folgenden in sehr satirischer Weise abgetan 1 ): 1 5 , 4 nort magna haec urbanitas haruspicum fuit, qui principem talem post mille annos futurum esse dixerunt, quia si post centum annos praedicerent, forte possent eorum deprehendi mendacia pollicentes, cum vix remanere talis possit historia1); und danach 16, 4 „ U n d es hat viele Kinder des Florianus und Tacitus gegeben, deren Nachkommen, glaube ich, a u f das Jahr Tausend warten". M i r scheint, auch hier können w i r wieder die in ihrer Handhabung manchmal virtuose A r t der Fälschung feststellen, in der der Verfasser, sich in eine fast hundert Jahre zurückliegende Zeit versetzend, trotzdem den Kontakt mit seinen Zeitgenossen wahrt. Hier — so möchte ich glauben — erreicht er es in der Weise, daß er diesen seinen Zeitgenossen, mit deren Skepsis in religiösen Dingen er rechnen muß, selbst das Richteramt über die mangelnde urbanitas der haruspices zuspielt. Die haruspices spannen die Welt tausend Jahre a u f die Folter; ein nicht ganz so billiger W i t z wäre es gewesen, sie hätten sich mit einem Zehntel der Frist begnügt; machen. Auch sind die in Frage stehenden panegyrischen Vorschriften alt. Aber gerade die Unklarheit der Stelle widerrät es, ihr Wert und Zuverlässigkeit zuzutrauen. Für den Verfasser der Historia Augusta war es von Interesse, ja es mußte ihm hinsichtlich seines eigenen Verfahrens erwünscht sein, sich vom Glanz der Sonne Hadrians ein wenig vergolden zu lassen. Die Unklarheit der Stelle beruht eben darauf, daß der Autor sein eigenes Verfahren, mehrere Biographien verschiedener Kaiser unter dem Namen mehrerer litterati hinausgehen zu lassen, hier dem Hadrian mit seinen libri vitae suae unterlegte. „Das Geschäft, Kaiserbiographien zu schreiben", setzt im Rahmen dieser Erdichtungen der o. S. 97 erwähnte Helius Maurus Phlegontis Hadriani libertus mit einer Severusvita fort, vgl. A . v. D o m a s z e w s k i , Sber. Heidelberg 1918, Nr. 13, 150, H . D e s s a u , Hermes 24 (1889), 348f. — Siehe auch F. J a c o b y , F G r Hist. zu Nr. 257 T . x
) Vgl. J. G e f f c k e n , Hermes 55 (1920), 294: Der ganze Bericht ist erfunden. E. H o h l , Klio 1 1 (1911), 313, 4, sieht einen Ausdruck des Ärgers des Verfassers dieser Viten über die haruspices allerdings auch v. Aurelian. 7, 8; in einem gefälschten Brief, L . H o m o , R e v . histor. I J I 2
(1926),
1 8 J , 1.
) Die Überlieferung hält mit Recht H a l l i n , a. O. IJ, indem er ein Anakoluth eorum centes annimmt. 18*
polli-
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Z u r Struktur v o n Gesellschaft und U m w e l t des ausgehenden 4. Jahrhunderts n. C h r .
aber dann wären „vielleicht" ihre mettdacia entlarvt worden. Das W o r t urbanitas verrät uns deutlich, daß der Autor an einen listigen Witz denkt, urbanitatcs sind die Witze, die Macrobius im 2. Buch der Saturnalien gesammelt hat, und man nahm eine Zeitlang als seine Quelle das Werk des Domitius Marsus de urbanitate „ Ü b e r den schlagfertigen Ausdruck" an, bis E. B i c k e l eine Epitome des C . Melissus an die Stelle setzte 1 ). Leider verzichtet die Historia Augusta auf eine Angabe des genauen Datums, wann sie sich die Statuen des Tacitus und Florian, auf deren Zerschmetterung durch einen Blitz die haruspices ihre Weissagung gründeten, errichtet denkt. Aber später als das Datum des Todes der beiden Kaiser war es gewiß. Diese starben 276 n. Chr. „Hundert Jahre danach" ist ebenso wie die sibyllinischen tausend Jahre 2 ) ein runder Zeitraum, den als Grundlage einer auf das Jahr genauen Chronologie zu nehmen durchaus abwegig wäre. Aber w i r müssen uns nun v o r stellen, daß diese Auslassungen etwa ein Jahrhundert später von Persönlichkeiten der römischen Gesellschaft gelesen werden. Sagen wir zunächst einmal, in der Zeit Julians. Der Kaiser hat mit jugendlichem Schwung die Probleme des Reiches angepackt. Seine Erfolge am R h e i n sind in frischer Erinnerung, seine persischen Pläne berechtigen zu allen Hoffnungen, sein Entwicklungsgang verspricht ein maßvolles und weises Weltregiment. V o n jener Stelle der Historia Augusta zu solchen Zeitgenossen können höchstens matte Funken überspringen. G e w i ß , die ironische Formulierung über dieses Thema „haruspices" möchte bei ihnen harmonisch gestimmte Saiten zum Klingen bringen. Aber dazu kommt es kaum. Denn im Grunde läuft alles gut; zwar sitzt kein N a c h k o m m e des Tacitus auf dem Thron, aber noch sind keine Fristen überschritten. Das ist anders, wenn w i r in unserer Vorstellung die hundertjährige Grenze einmal hinter uns lassen. Jetzt schießen die Fäden, die Beziehungen herstellen, lebhaft hin- und herüber. Die religiöse Indifferenz ist die gleiche geblieben. Eine Fülle von zum Widerspruch herausfordernden Eindrücken bei der Lektüre des Orakels kommt ihr entgegen. Verlief doch gerade in dieser Epoche, nach dem T o d e Julians und der beschämenden Katastrophe in Persien, nach der vernichtenden Gotenschlacht von 378 und zur Zeit sehr bewußter dynastischer Bestrebungen des Kaisertums, die Entwicklung genau entgegengesetzt dem Bilde des idealen Kaisers der Weissagung. Leser der Jahre nach 376 wären in der Tat, wenn die haruspices ihre Frist nicht so listig angesetzt hätten, imstande zu urteilen: mendacia der haruspices 3 ). N u r nach 376 sind die unbedingt erforderlichen *) Diatribe in Senecae philosophi fragmenta 1, Leipzig 1 9 1 5 , 302ff. urbanitas und Urbane bezeichnen in der Historia Augusta das Listige, auch in bezug auf die .Angabe' des Autors, vgl. v. Gordian, i , 5 ; er will die Vorrede rasch beenden, um nicht selber in den Fehler langer Bücher und vieler W o r t e zu fallen, v o n denen er meint me Urbane declinare conßngo. V g l . E . K l e b s , R h . Mus. 4 7 (1892), 42 f. (mit einer philologisch gänzlich unmöglichen Auswertung). 2
) Die Rundzahl 120, die Tausend Jahre brachte F. K a m p e r s , Histor. Jahrb. 29 (1908), 1 0 . 2 1 ff., schon mit den sibyllinischen Prophetien älterer Zeit und der Ideologie Alexanders d.Gr. zusammen. Im einzelnen fordern seine Positionen und Interpretationen aber Widerspruch heraus. Über Probusorakel und Alexanderideologie s. u. S. 378 ff. 3
) Ich möchte vermuten, daß mit der bissigen Ablehnung des Orakels gleichzeitig irgendeine Familie getroffen werden sollte, die ihren Stammbaum auf Tacitus, den Kaiser und den Historiker zurückführte. V o m Kaiser heißt es v. Tacit. 10, 3 CorneUum Tacitum scriptorem historiae Augustae, quod parentem suum eundem diceret . . . W i r wissen v o n einem praefectus praetorio
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psychologischen Voraussetzungen für diesen Witz gegeben. Erst der Leser nach 376 befindet sich in der R o l l e des Zuschauers einer Komödie, dem durch den proIogus die Bühnensituation v o r w e g erklärt wurde. Für ihn besteht der R e i z darin, zu wissen, wie der Zusammenhang des Spieles der Akteure in Wirklichkeit ist. Unmittelbar darf der Verfasser, um sich nicht zu verraten, seine Zeitgenossen natürlich nicht ansprechen; er braucht aber ihr Interesse für seine Zwecke. Hier legt er beinahe auf Jahr und T a g genau fest, an wen seine Sätze sich richten — und er verwischt sein Bild, das eben feste, für ihn gefährlich feste Konturen anzunehmen beginnt, mit einem leichten stilistischen Pinselstrich: forte ... possent deprehendi.
B . S o r g e n u m die E i n ä h r u n g der Stadt R o m Nach der Niederlage der Partei des Kaisers Eugenius im September 394 entstand in R o m vorübergehend eine kritische Ernährungslage infolge Ausbleibens der Kornsendungen aus Africa. Sündenbock w a r der gewesene praefectus urbi des Galliarum namens Polemius durch Sidonius ep. 4, 1 4 , daß er den Historiker als V o r f a h r e n beanspruchte. Das ist um 470 gewesen, v g l . J . S u n d w a l l , W e s t r ö m . Studien, Berlin 1 9 1 5 , 1 1 9 . Anscheinend machte m a n sich um 395 nicht nur E l o g e n durch entsprechende historische B e richte, w i e in der Historia Augusta gegenüber Probus und Symmachus, sondern zapfte sich auch gegenseitig an, vgl. Ilist. A u g . v . G a l l i e n . 1 9 , 8 - 2 0 , 1 huc accedit, quod quaedam ctiarn studiosc praetermisi, ne eius (Gallieni) posteri multis rebus editis laederentur. scis enim ipse, qualcs homines cum Iiis, qui aliquade maioribus corum scripserint, quantum gerant bellum. - D o e r . a . O . 1 8 5 , vermutete bei A m m i a n bestimmte A n g r i f f e g e g e n den Stadtpräfekten Tarracius Bassus (s. o. S. 1 3 1 ) . J a , solche Fehden der Potentaten mit den Historikern haben auch in unserer Ü b e r lieferung Spuren hinterlassen. H i e r o n y m u s berichtet in seiner C h r o n i k zum Jahre 3 7 2 ( 2 4 6 f Helm) v o n der eigennützigen A m t s f ü h r u n g des Präfekten v o n Illyricum, des Christen Probus. Es erboste offenbar diesen mächtigsten M a n n R o m s , sich so in dem christlichen Standardw e r k angegriffen zu sehen, und er ließ daher, w i e M o m m s e n , Ges. Sehr. 7, 604, bemerkte, den T e x t der C h r o n i k zensieren: In den Handschriften A P B N ist statt des N a m e n s des Probus interpoliert illyrici equitius comes; die Interpolation ist durch die unnatürliche W o r t s t e l l u n g , wie H e l m zur Stelle anmerkt, evident. A u c h A m m i a n zieht es i m Jahre 392/3 v o r , um das heiße Eisen vorsichtig herumzugehen, damit er nur j a jede I n k o m m o d i e r u n g des einflußreichen Geschlechts v e r m e i d e ; 27, 1 1 , 1 ,per (orbem R o m a n u m ) Universum paene patrimonia sparsa possedil iuste an sccus non iudicioii est nostri. M a n könnte also annehmen, auch H i e r o n y m u s habe selbst in seiner C h r o n i k mit R ü c k s i c h t auf die Probi die Ä n d e r u n g v o r g e n o m m e n . W i r sehen ihn im 54. B r i e f in Korrespondenz mit der Enkelin des Probus, der Furia, stehen. A b e r die sprachliche A u f f ä l l i g k e i t der Wortstellung hätte H i e r o n y m u s , der auch in der C h r o n i k eine gewisse H ö h e des Stiles zu halten versteht (vgl. R . H e l m , Hier. 2, Leipzig 1926, X X I f . ; K . M r a s , W i e n . Stud. 46 [1928], 2 0 0 f ) , selbst kaum zugelassen. A u s dieser Stelle jedenfalls darf man nachträgliche E i n g r i f f e des H i e r o n y m u s nicht erschließen, w i e es A . S c h ö n e , Die W e l t chionik des Eusebius, Berlin 1 9 1 0 , 104, versuchte. Das betonte schon mit R e c h t E . S c h w a r t z , B p h W . 26 (1906), 749f., w e n n auch zu sehr verallgemeinernd. A n d e r w ä r t s finden sich nämlich doch ausreichend gesicherte Spuren einer späteren R e d i g i e r u n g durch H i e r o n y m u s , v g l . H . E m o n d s , Z w e i t e A u f l a g e im A l t e r t u m (Klass. Philol. Studien 14), Leipzig 1 9 4 1 , 45fF. C h n e nähere B e g r ü n d u n g spricht O . S e e l , G n o m o n 20 (1944), 46, v o n „kaschierter B e a r b e i t u n g " . M a n braucht d e s w e g e n noch nicht v o n einer z w e i t e n A u f l a g e zu sprechen, v g l . C . H ö e g, Notules sur l'histoire du livre grec, Miscellanea G . M e r c a t i I V , S. 5 ff. des S A . - Ü b e r die historischen Hintergründe, die den Ersatz des N a m e n s Probus durch Equitius sachlich e r m ö g lichten, R . E g g e r , B y z a n t i o n $ (1929/30), I 9 f .
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Zur Struktur von Gesellschaft und U m w e l t des ausgehenden 4. Jahrhunderts n. Chr.
Eugenius, der jüngere Nicomachus Flavianus, anscheinend, wenn man S y m m . ep. 6, 1 trauen darf, nicht zu R e c h t ; denn die Animosität von Volk und Adel w a n delte sich ziemlich schnell wieder in Anerkennung seiner früheren providentia und beneficia für die Versorgung der Stadt. Unmittelbar verantwortlich für die Z u fuhren w a r der dem Nicomachus unterstellte praefectus annonae. In dessen Amtsgeschäfte läßt uns eine Äußerung der Aureliansvita Kap. 47 der Historia Augusta hineinblicken 1 ). Aus dem Einschub eines gefälschten Briefes an dieser Stelle können w i r schließen, daß der Verfasser der Historia Augusta hier mehr als gewöhnlich Anteil nimmt. Dieses kaiserliche Schreiben an den Präfekten berichtet von einer Erhöhung der Verpflegungsration und den zu ihrer Sicherstellung in R o m und Ä g y p t e n getroffenen organisatorischen und baulichen Maßnahmen 2 ) und schließt: nunc ttimn est officium, Arabiane3) iucutidissime, elaborare, ne meae dispositioties in irritum veniant. neque etiim p(opulo) R(omano) snturo quiequam potest esse laetius. Einzelheiten können w i r nicht identifizieren, aber sicher wird in einer Zeit akuter Knappheit dieser Abschnitt in irgendeiner Weise das Interesse der Leser erweckt haben. Aus dem Gegensatz zur trüben Verpflcgungslage der Gegenwart, zu der infolgedessen alles andere als „freundlichen" Stimmung des populus R o m a n u s gegen den gewesenen Stadtpräfekten erhalten die zitierten Schlußworte wieder jenen sarkastischen Unterton, den w i r auch im vorangehenden Abschnitt als so bezeichnend für die Haltung der Spätrömer fanden. Verrät er nicht auch wieder eine sehr persönliche Teilnahme des selbstironischen Schreibers dieser Zeilen ? Die große, für die innere Politik der Kaiser wichtige Neuregelung der Spenden an R o m s Bevölkerung durch Aurelian 4 ) beansprucht bei der Historia Augusta einen größeren R a u m . Die unmittelbare Anteilnahme an dieser Frage w i r d durch die gegenwartsbezogene Form der Darstellung besonders augenscheinlich: v . Aurelian. 35, 1 non praetereundum videtur, quod H populus memoria tenet et . . . V o n einer bestimmten Brotspendenart w i r d der moderne N a m e angeführt: qui nunc siliginei vocantur. V o n der Fortdauer der Schweinefleischverteilung bis in die Gegenwart w i r d bald danach gesprochen v . Aurelian. 35, 2 . . . porcinam carnem p. R. distribuit, quae hodieque dividitur. Im Zusammenhang mit einem breit erörterten Plan des Aurelian, kostenlos Wein zu verteilen, wird im Präsens auf die Lagerung der fiskalischen Weinvorräte in den Portiken des Soltempels verwiesen (48, 4 «« portieibus templi Solis fiscalia vina ponuntur). C h r . H ü l s e n , Z u r Topographie des Quirinal, 1) Historische V o r g ä n g e dürften zugrunde liegen, v g l . E. G r o a g , R E 5 (1903). i397f". E. K o r n e m a n n , R o m . Gesch., in: Einl. in die Altertumswissensch. 3 3 , Leipzig 1933, 9 6 Übrigens macht E. G r o a g , Vierteljahrsschr. f. Social- u. Wirtsch.gesch. 2 (1904), 493 ff. wohl mit R e c h t darauf aufmerksam, daß der Brief zwar gefälscht, aber sein Inhalt bezüglich der berichteten organisatorischen Einzelmaßnahmen, wie gewisse sonstige Nachrichten bezeugen, einen glaubhaften Eindruck macht. Das bestätigen H o m o , Aurelien 1 3 , R e v . histor. 1 5 2 (1926), 20f., W . H . F i s h e r , JRSt. 1 9 (1929), i32f, durch Hinweis auf C o d . Iust. 11, 59, 1; C I L V I 1 7 8 5 / 3 1 9 3 1 . Z u den in dieser Inschrift genannten falangarii, den W e i n f a ß trägern, die die Fässer zum Soltempel transportierten, s. F. M a r x , R h . Mus. 78 (1929). 3 2 9 f f ; E. K o r n e m a n n , R E 4 (1900), 4 5 7 .
2)
» ) Z u diesem apokryphen Namen vgl. H . P e t e r , D i e S. H . A . 1 8 3 ; J a r d e , a. O . 1 0 3 , A . v . D o m a s z e w s k i , Sber. Heidelberg 1 9 1 8 , N r . 1 3 , 1 2 9 . 4)
V g l . E. S t e i n , Geschichte i , 64.
5;
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R h . Mus. 49 (1894), 393, I, der diese Nachricht topographisch untersuchte, bemerkt, hier würden vitia ßscalia zum ersten Male erwähnt. Es sei mit Rücksicht auf die Hypothese D e s s a u s von der Fälschung der Historia Augusta im letzten Jahrzehnt des 4. Jh.s in der Tat wenig wahrscheinlich, daß diese Portiken vor dem A u f h ö r e n des Sonnenkultes in der Mitte des 4. Jh.s zu solch profanen Zwecken benutzt wurden. Die angeführten Phrasen führen den Hörer also auf die Verhältnisse seiner eigenen Zeit 1 ), der zweiten Hälfte des 4. Jh.s, regen infolgedessen auch besonders durch ihre relative Häufigkeit zu Vergleichen an 2 ). Die Aureliansvita behandelt verschiedene S.pendenarten, und bemerkenswert daran ist die jeweils größere oder geringere Ausführlichkeit. Der Getreidespendenorganisation wird ein ganzes Kapitel (47) gewidmet. In nur einem Paragraphen w i r d die besondere Form der Brotspende, der sog. siliginei, ätiologisch durchgegangen (35, 1), in gleichem U m f a n g gelangt die Schweinefleischverteilung zur Erwähnung (35,2). In einem Paragraphen zusammen werden ägyptische Lieferungen an vitrum, charta, linum, stuppa und anabolicae species aeternae3) zusammengefaßt (45, 1), ferner verschiedene Schenkungen einmaliger Art, die im strengen Sinne hier nicht zu erwähnen sind. Dagegen nehmen ebenso wie jene Organisation zur Sicherstellung des Brotnachschubs auch der Plan einer kostenlosen Weinlieferung und die Maßnahmen, die die kostenlose Lieferung ermöglichen sollten, fast ein ganzes Kapitel ein (48, 1—4): „ E r hatte auch beschlossen, kostenlos Wein dem römischen Volke zu geben; es sollte also, wie ö l , Brot und Schweinefleisch kostenlos ausgegeben werden, so auch eine Weinlieferung erfolgen. Diese hatte er sich durch folgende Maßnahme auf immer gedacht. Etrurien hat längs der Aurelischen Straße bis zu den Seealpen riesige Landflächen, und diese sind fruchtbar und voll W a l d (ingentes agri sunt hique fertiles ac silvosi)4). Er hatte nun beschlossen, den Grundherren 6 ) unbebaute Ländereien, d. h. denjenigen, die es wollten, gegen Erlaß ihrer Verpflichtung abzunehmen und dort Barbarenfamilien (familiae captivae) anzusiedeln, die Berge mit Weinreben bepflanzen und aus dieser Anlage den Wein geben zu lassen. Dabei sollte der Fiskus nichts von den Erträgnissen erhalten, sondern alles dem Volke R o m s abtreten. Eine Berechnung des Gefäßraumes, der Tonnen, Schiffe und Anlagen w a r bereits angestellt. Aber viele sagen, Aurelian sei v o r der Durchführung durch den T o d überrascht, andere meinen, er sei durch seinen Prätorianerpräfekten gehindert worden. Dieser soll gesagt haben: ,Wenn S o auch A . v. D o m a s z e w s k i , Sber. Heidelberg 1 9 1 6 , N r . 7, 9. 2
) Im selben Sinne muß wirken, w e n n dreimal einschlägige kaiserliche Maßnahmen in perpetuum (47, 3 ; 48, 1) als für „ e w i g " getroffen (45, 1) bezeichnet werden. - D i e Ausgabe des S c h w e i n e fleisches erfolgt von alters her auf dem dicht bei dem Soltempel gelegenen forum suarium, vgl. C h r . H ü l s e n , Bull, commun. 23 (1895), 4 8 f . ; R . M u t h , Mus. Helv. 2 (1945). 2 3 4 t .
3 ) E r handelt sich um eine Sondersachsteuer. E . H o h l verweist im Apparat seiner Ausgabe auf U . W i l c k e n , Grundzüge und Chrestomathie d. Papyruskunde 1, 1, Leipzig 1 9 1 2 , 2 4 9 und M . R o s t o v t z e ff, Ges. und Wirtschaft 2, 3 5 0 f . 3 5 8 f. Äoyw öei£at gifdiov or. i , 15 20 C ; hier w o h l beeinflußt durch Libanios or. 59 245, 20 Fö., C . G l a d i s , D e Themistii Libanii Iuliani in Constantium orationibus, Diss. Breslau 1907, 31. A b e r w i e der Satan und falsche Propheten auch Scheinwunder tun wollen, so heißt es v o n den militärischen B e w e g u n g e n des Usurpators Magnentius ebd. 2 8 3 5 D spottend delv avroj Ta/ovq ä?J.' ov% on?xov ovöe ävÖQeiag olofievog. Gegenüber dem aretalogischen loyov ftäxtov der ersten Stelle v g l . die nicht-aretalogische Formulierung in der z w e i ten R e d e auf Constantius II. or. 3 (2), 3 53 C : D i e ÖQO/IOV xovipoxr)q des Kaisers w i r d mit der epischer Helden verglichen, taftei de OOTIS Sirjveyxe rovrcj ngog zr/s X a Q a y'li Parastaseis 52, 20 Preger), von Theodos I eingeschmolzen!; für das Augusteon (Parast. 65, 14); für den Embolos Constantinianu (Parast. 54, 4); für das Philadelphion (Julian und Frau; Parast. 66, 19) sowie denTaurus (Patria 2, 28; 165, 9 Preger). Aber nichts verlautet von einer Reiterstatue Julians und dabei geben die Patria immer genau an, ob eine Stele ifiev£Qixoi, den W . E n ß l i n , Das G y m n a s i u m 54/5 (1943), 7 1 , konstatierte. 3 ) Taprobane und Hibcrnia werden neben anderen geographischen Bezeichnungen v o n Inseln auch A p u l . de m u n d o 7 A n f . b z w . TICQI XÖO/IOV 393 b, 1 1 ff. B e k k e r im Osten b z w . W e s t e n als S c h m u c k - und Edelsteine der W e l t genannt, w i e P u r s e r a. O . bemerkt.
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Der K a m p f zwischen christlicher Eschatologie und römischem Imperialismus
als typische Vertreter des Nordens verwendet, gehören älteren ethnischen Zuständen an, als sarmatische Völker noch die Landmassen nördlich des Balkans entlang der Ost- und Südostgrenze der Germanen besetzt hielten, ähnlich also, wie w i r sie in der Heldenschau des Vergil an der Maeotis gefunden haben 1 ). Später siedeln die Sarmaten als ernsthafte Gegner des Reiches im Donau-Theiß-Winkel, im Banat, an einem eng begrenzten Abschnitt der Nordfront des Reiches und standen oft genug im Blickpunkt. Dieser Zeitabschnitt dauerte vom A n f a n g des 3. Jh.s bis zur A u s breitung der Goten an der unteren und mittleren Donau. Die Veränderung begann gegen die Mitte des 4. Jh.s, und nach Ablösung der Goten durch die Hunnen, die um 376/7 erstmalig an der Donau erscheinen 2 ), gehen die Sarmaten allmählich jeder Bedeutung verlustig und in den neuen Völkerschaften unter 3 ). Aber die E r innerung an die harten Kämpfe mit ihnen w a r doch so lebhaft, daß noch um die Wende zum 5. J h . der N a m e der Sarmaten nicht nur das Einzelvolk bezeichnete, sondern zugleich den T y p u s eines gefährlichen Nordvolkes in sich enthielt. Diese typische Bedeutung, das Ergebnis einer R e i h e unangenehmer geschichtlicher E r fahrungen, w a r also wieder so umfassend, wie die aus der geographischen Tradition stammende 4 ). Iuverna Irland ist an die Stelle der Garamanten Vergils für den W e sten getreten.Es läßt sich ungefähr feststellen, wann das geschah. Denn Irland trat erst in den Gesichtskreis der R ö m e r , als der Schwiegervater des Tacitus, Agricola, im Jahre 82 dort die geographischen Anschauungen durch seine Feldzüge geklärt hatte 8 ). In der nachfolgenden Zeit des traianischen Imperialismus muß dann die Umformulierung der Ideologie des Weltkreis-Aspektes vor sich gegangen sein. Sehr merkwürdig paßt zu dieser Überlegung, daß der Zusammenhang, in dem *) V g l . über die geographische Vorstellung K . K r e t s c h m e r , s. v . Sarmatia R E 2 A ( 1 9 2 1 ) , 3. N a c h A m m i a n 3 1 , 2, 1 3 , der auch älterer Tradition folgt ( T h . M o m m s e n , Ges. Sehr. 7, 4 1 8 ) , w o h n e n „ S a u r o m a t e n " v o n der D o n a u bis zum D o n . s ) E . S t e i n , Geschichte i , 2 9 0 f . 3 ) K . K r e t s c h m e r , R E 1 A (1920), 2 5 4 7 f . Sarmaticus als Beinamen der Kaiser trägt als letzter Julian und nach einer nur literarischen Nachricht Gratian aus A n l a ß der Siege v o n 374 und 378, v g l . E . S t e i n , R E 2 A ( 1 9 2 1 ) , 2 3 ; A . A l f ö l d i , D e r U n t e r g a n g der R ö m e r h e r r s c h a f t in Pannonien 2, Berlin 1926, 5 f . 59. 6 1 . 63, 2. 4 ) Claudian zeigt deutlich das Nebeneinander der B e d e u t u n g e n : Epithalam. Palladii 88 b e zeichnet Sarmaticis custodia ripis den bestimmten mittleren Donauabschnitt. A n mehreren Stellen werden Sarmaten als ein E i n z e l v o l k , neben H u n n e n , G o t e n (Getac), neben Alani, Celoni genannt (in E u t r . 2, 3 3 8 ; III. cons. H o n o r . 1 4 7 f f . ; IV. cons. H o n o r . 4 8 5 ; cons. Stilich. 1 , 109fr.). In R u f i n . 1 , 3 1 0 enthält die A u f z ä h l u n g außer Sarmaten, Alani, Gcloni auch die bereits veralteten N a m e n Daci und Massagctac (nach A m m . 2 3 , 5, 16. 3 1 , 2, 1 2 und älterer Ü b e r l i e f e rung früherer N a m e der A l a n e n , v g l . zum Historischen H e r r m a n n , R E 1 4 [ 1 9 3 0 ] , 2 1 2 9 ; zu Daci B r a n d i s , R E 4 [ 1 9 0 1 ] , 1 9 7 5 : seit Aurelian antiquiert; zur antiken Tradition G a r d t h a u s e n , a. O . [o. S. 4 6 , 1 ], 46f., H F i n k e , A m m i a n u s Marcellinus und seine Quellen zur G e schichte der R ö m i s c h e n R e p u b l i k , Heidelberg 1904, 3 3 f . ) . Das ist der Ü b e r g a n g zu einem abstrakten, typischen Inhalt: paneg. in P r o b , et G l y b r . 1 3 1 erhält der dem südlichen L i b y e n gegenübergestellte N o r d w i n d (Caurus) den Beinamen Sarmaticus, und in den Fescenn. de nupt. H o n o r . 4, 1 5 meint der Liebhaber, die E r o b e r u n g der Braut sei ihm lieber als flai'os deciens vincere Sarmatas; A l f ö l d i , a. Q . 84, sieht darin allerdings noch die konkrete „ H o f f n u n g , die alte Landplage zu z ü c h t i g e n " s
) V g l . H a v e r f i e l d , R E 8 ( 1 9 1 3 ) , I 3 8 9 f . Ü b e r den G a n g der Erschließung Irlands zuerst durch K a u f l e u t e seit A n f a n g 1. J h . n. C h r . v g l . E . N o r d e n , Urgeschichte 4 3 9 ; J a n u s 1 ( 1 9 2 1 ) , i 8 2 f f .
Vergil und die P r ä g u n g des römischen Imperialismus
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w i r uns in der Tacitusvita befinden, wie w i r oben S. 1 1 5 ff. gesehen haben, auch sonst recht nahe an die traianische Gedankenwelt heranführt. Beide hier untersuchten Vorstellungen, die römische und die hellenistische, unterscheiden sich in sehr charakteristischer Weise grundsätzlich. Der römische N o r d Ost-Aspekt drückt sich weit überwiegend in Völkernamen, mindestens in Personifizierungen (Germania, Euphrates, bellum movet, bibit) aus. In der römischen Institution des Triumphes wird er historische Realität durch das Auftreten entsprechender Personentypen, und er bleibt es auch, als der historische Triumph zu einem überzeitlichen Zeremoniell erhoben war 1 ). W i e die Idee zur Wirklichkeit verhält sich dazu der hellenistische Weltkreis-Aspekt. Bei ihm steht vielfach der Völkername, die personale Bezeichnung neben einer regionalen oder Landbezeichnung; an die Stelle des ethnischen Terminus tritt gerne der chorographische. In die römische Begehung desTriumphes hat dieser ursprünglich unrömische Aspekt zunächst nur als „inoffizielle" Titulatur auf Votainschriftcn und in Akklamationen Z u g a n g gefunden 2 ). In der Kunst finden diese Vorstellungen, soweit ich gesehen habe, erstmalig ihren Niederschlag auf zwei Denkmälern, über deren zeitliches Verhältnis zueinander aus der verschiedenartigen Behandlung des Nord-Ost-Aspektes nun vielleicht etwas Neues ausgesagt werden kann. Das eine ist der Panzer der bekannten Augustusstatue v o n Primaporta, die in der Villa der Livia gestanden hatte. Der N o r d - O s t Aspekt tritt uns auf dem mittleren Streifen seines Bildschmuckes entgegen. Dort überreicht in der Mittelgruppe ein Parther dem Mars U l t o r die bei Carrhae verlorengegangenen Feldzeichen, und zu beiden Seiten sitzen trauernde weibliche Gestalten. Ihre Deutung w a r lange umstritten. M a n glaubte früher in ihnen die Personifizierung v o n Provinzen, etwa von Gallia und Hispania zu erkennen. A . A l f ö l d i 3 ) erklärte sie dann schlagend für Germania und Dacia. E r hatte aus seiner Kenntnis des Triumphzeremoniells und der Ideen, denen es entstammt, dengrundsätzlichen richtigen W e g eingeschlagen. Die Richtigkeit seiner Interpretation hat sich bestätigt. In wenigen Einzelheiten w i r d man zu einem anderen Urteil kommen müssen, aber im wesentlichen treffen w i r uns beim gleichen Ziele. Eingebettet ist der Nord-Ost-Aspekt auch auf dem Panzer des Standbildes von Primaporta in den Weltkreis-Aspekt. Die Personifizierung kann hier seinem Wesen nach nicht eintreten, wie sich ergab. Der Künstler wählte daher eine vollkommen allegorische U n g e n a u ist die Formulierung v o n H . K a h l e r , Z w e i Sockel eines T r i u m p h b o g e n s im B o b o l i g a r t e n zu Florenz, 96. W i n c k e l m a n n s p r o g r a m m , Berlin 1 9 3 6 , 2 1 : „ B e i den feierlichen A u f z ü g e n des Kaisers im dritten Jahrhundert werden Gefangene aus allen Grenzgebieten m i t g e f ü h r t . " E s handelt sich, soweit ich sehe, vielmehr in der R e g e l nur um östliche oder n ö r d liche T y p e n . 2 ) Ich behalte den v o n B e r l i n g e r geschaffenen A u s d r u c k „inoffizielle T i t u l a t u r " trotz H . U . I n s t i n s k y , Hermes 7 7 ( 1 9 4 2 ) , 3 4 6 , bei. E s handelt sich um Erscheinungen, die w i r k lich einer „religiös-emotionalen G r u n d f l ä c h e " entstammen. Gerade auch die V e r b i n d u n g beider Aspekte ist immer Zeichen höchster Pathetik des Stils und charakteristisch f ü r die Ideen v o n Soter und Weltherrscher. Die negative Bezeichnung scheint mir deswegen berechtigt, w e i l im W e l t k r e i s - A s p e k t immer Fremdes, Nichtrömisches w u c h e r t . *) R o m . Mitt. 5 2 Berlin 1 9 4 3 , 1 7 f.
(1937),
57ff.,
anerkannt
von
G. R o d e n w a l d t ,
Kunst um A u g u s t u s ® ,
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Der K a m p f zwischen christlicher Eschatologie u n d römischem Imperialismus
Form der Darstellung 1 ). Symbolhaft w i r d die Gruppe von Erd- und Himmelsgottheiten, die sich auf den oberen und unteren Abschnitt des Panzers verteilt, durch den Weltenmantel des Caelus zum orbis geschlossen. So enthält der Panzer in der Tat schon das imperiale Programm des römischen Kaisertums, dessen V e r w i r k lichung durch einen alter Augustus der spätantike Autor in der Tacitusvita der H i storia Augusta voraussagen läßt. Historisierend, personal, römisch bringt es der Mittelstreifen 2 ), rein allegorisierend, hellenistisch der umfassende R a h m e n . D e r lange geschaffene, schon frühvergilische Nord-Ost-Aspekt kommt klar zum A u s druck, die Repräsentation des Weltkreis-Aspekts steht, wie es der T y p u s verlangt, der 4. Ekloge näher als der romanisierten, das heißt aber historisierten Form des 6. Buches der Aeneis, die der Dichter bei seinem T o d e 19 v . C h r . unvollendet hinterließ. Der Parther, Germania und Dacia entsprechen genau den Sarmatae et Germani ac Persae, gegen die Alexander Severus (Hist. A u g . v . Alexandr. Sever. 53,9) seine Soldaten führen will, modernisiert entsprechend den ethnographischen Verhältnissen der Spätzeit durch den Austausch der Daker gegen die Sarmaten 3 ). ' ) A l l e g o r i e n des Weltkreisaspektes kehren auf monumentalen Darstellungen immer w i e d e r , v g l . die A u f z ä h l u n g bei J . K o l l w i t z , Oströmische Plastik der theodosianischen Z e i t , B e r l i n 1 9 4 1 , I I . Einmal kann ich den Erdteilaspekt feststellen (s. u. S. 384, 2), auch er durch historische V o l k s t y p e n zum A u s d r u c k gebracht. D a s ist das R e l i e f des Theodosiusobelisken in Istambul auf der N W - S e i t e ( B 1) A b b . B r u n s 37. 42/3. Die Gestalten knien mit Geschenken in den Händen v o n rechts und links in R i c h t u n g auf die Kaiserloge in z w e i R e i h e n hintereinander. In der rechten G r u p p e sind A n g e h ö r i g e v o n N o r d - und Siidvölkern (Nubier) sicher erkennbar. Links nehmen die vordere R e i h e klar deutbare O s t t y p e n ein. V o n z w e i Gestalten in der zweiten R e i h e fehlt einer der K o p f ; das G e w a n d ist dem der Osttypen gleich. Die andere Gestalt trägt im Haar, das bis in den Nacken f ä l l t , einen R e i f . G e r d a B r u n s , a. O . (o. S. 224, 3) 41 f., gelangt zu keiner sicheren B e n e n n u n g . Den Versuch, ihn als W e s t t y p u s , also als Kelten entsprechend dem bei P. B i e ñ k o w s k i , Les Celtes dans les arts mineurs gréco-romains, K r a k a u 1928, 84, Fig. 1 3 5 , auch 1 8 3 , Fig. 249, abgebildeten T y p u s anzusprechen, habe ich w i e d e r aufgegeben. W i e mir G e r d a B r u n s liebenswürdigerweise brieflich mitteilte, erlaubt der Erhaltungszustand des M o n u m e n t s kein klares Urteil m e h r ; man muß also v o n den T h e o r i e n her entscheiden, deren E r g e b n i s das R e l i e f gewesen ist. 2
) D a s ist also nicht eine hellenistische Darstellung, w i e A l f ö l d i , a. O . 58, will, es sei denn bloß in formaler Hinsicht. Das Ungriechische in der ganzen K o n z e p t i o n des Bilderschmuckes dieses Panzers betont auch R o d e n w a l d t , a. O . 18. N a c h E . N o r d e n , N J b . 7 ( 1 9 0 1 ) , 274, gibt der B i l d s c h m u c k des Panzers eine Interpretation v o n V e r g i l A e n . 1 , 2 8 9 f f . s ) Dieselbe Ä n d e r u n g bei Jordanes Get. 18, 1 0 1 devictis Sarinatis. Das stammt aus den verlorenen Teilen A m m i a n s , dessen Gestalt aus einer später eingeschalteten Rekapitulation erkennbar ist; dort heißt es 3 1 , j , 1 6 vktoriac contra Dacos. Es handelt sich um Traians Dakerkriege. Beispiele f ü r Ä n d e r u n g e n dieser A r t gibt es v o r allem in historischer Literatur (Belege bei E . N o r d e n , Urgeschichte 426), w i e auch solche f ü r anachronistisches Stehenlassen alter N a m e n in g e o g r a phischer Literatur oder E x k u r s e n . Herodian 7, 2, 9 berichtet als Abschluß der Germanenkriege des M a x i m i n u s T h r a x , er habe viele G e f a n g e n e und Beute gemacht und sei, als der W i n t e r bevorstand, nach Pannonien und der Stadt Sirmium g e k o m m e n . D o r t habe er alles f ü r den Feldzug im Frühjahr vorbereitet. Sein Plan sei gewesen, alle G e r m a n e n v ö l k e r bis zum Ozean zu u n t e r w e r f e n . Das übersetzt die Historia A u g u s t a v . M a x i m i n . 1 2 und 1 3 . K a p . 1 2 , 1 spricht sie in engem Anschluß an H e r o d i a n v o n dem Plan, ganz Germanien zu besetzen. U n t e r dem Einfluß, w i e es scheint, der Enmannschen Kaisergeschichte (Eutr. 9, 1 . A u r . V i c t . 26, 1) e r wähnt sie dann 1 2 , 5 und 1 3 , 3 einen Sieg über Germanien, v o n dem H e r o d i a n nichts deutlich sagt, und f ä h r t f o r t : Sirmium m i l Sarmatis injerre bellum parans atque animo concipiens usque ad Oceattum septentrionales partes in Romanam dicionem redigere. D e n N a m e n der Sarmaten
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Auch insoweit ist der späte T y p u s bereits auf der Augustusstatue angelegt, als die Vertreter des Nordens in der Mehrzahl gegenüber den Orientalen erscheinen 1 ). Die außerordentlich starke Kraft, die der einmal geprägte T y p u s in der R i c h tung einer ideellen Zusammenfassung der historischen Vielfalt entwickelte, zeigt zweitens eine Gruppe arretinischcr Gefäße, die durch den sog. Kelch von O r b e tello repräsentiert wird. Darauf ist Germania und Armenia unter Siegestrophäen dargestellt. Wie die Untersuchungen von H . D r a g e n d o r f f 2 ) und W . K o l b e 3 ) ergaben, handelt es sich um die Wiedergabe einer Bildgruppe, welche die X V . und X V I . imperatorische Akklamation des Augustus aus Anlaß germanischer E r folge des M . Vinicius und des Sieges von Caius bei Artageira in Armenien zusammenfaßt. Dadurch ist die Entstehung dieser Gruppe auf bald nach 3 n. C h r . datiert. Die Zusammenstellung der beiden Gestalten auf einem Monument, die Z u sammenfassung der beiden Akklamationen sind ebenso bezeichnend w i e die T a t sache, daß immer noch historisch spezialisiert w i r d ; Armenia ist deutlich individualisiert und durch Sondermerkmale als solche erkennbar. Der W e g der Entwicklung vom Einzelfall zum Typus, den w i r hier rückwärts gegangen sind, ist sehr sinnfällig. Die sichere Datierung des dem Kelch von Orbetello zugrundeliegenden M o n u ments und das erste Auftreten des Nord-Ost-Aspektes in der frühvergilischen Dichtung gestatten nun eine vorsichtige Erwägung des zeitlichen Zusammenhangs aller Zeugnisse. Das arretinische Muster ist keineswegs T y p u s , sondern Symbol historischer Einzelvorkommnisse, allerdings bereits unter dem nordöstlichen Z w e i frontenaspekt gefaßt. A u f dem Panzer von Primaporta ist die Übergabe der Feldzeichen Symbol des Vorganges von 20. v . Chr. Z u der Darstellung von Germania und Dacia konnte A l f ö l d i , a. O . (o. S. 381, 3) 60, aber nur auf die allgemeinen, historisch nicht spezifizierten Kataloge der von Augustus besiegten Völkerschaften konnte sie an der genau entsprechenden Stelle dem Herodian nicht entnehmen; er k o m m t dort erst 7, 8, 4 v o r in einer R e d e M a x i m i n s , die die Historia A u g u s t a v. M a x i m i n . 18 und v . G o r d i a n . 1 4 , 1 - 4 nachmacht. D e r Kaiser beginnt bei Herodian mit "dem stolzen W o r t , er habe Germanen, Sauromaten und Perser zur R u h e gebracht. U n d dann w a g t e n es die K a r thager (d. i. die beiden Gordiane), sich gegen ihn zu erheben! O f f e n b a r ist es f ü r den modernen Historiker recht schwierig, das h i e r v o n den Persern Behauptete mit den nichtliterarischen anderen Zeugnissen in Übereinstimmung zu bringen, v g l . G . M . B e r s a n e t t i , Studi V (o. S. 1 9 0 , 2 ) 94, 2. A b e r das ist auch gar nicht nötig, denn es liegt der historisch unverbindliche N o r d - O s t A s p e k t v o r ; man kann also auf der Herodianstelle keine Datierung a u f b a u e n , w i e es v o r B e r s a n e t t i schon S t e i n , R E 4 ( 1 9 0 1 ) , 96, W . E n ß l i n , C a m b r . A n c . Hist. 1 2 , 1 3 0 , taten. N a c h diesem imperialistischen Gesichtspunkt dürfte auch v o n der Historia A u g u s t a Vita 1 3 , 3 der N a m e der Germanen durch den der Sarmaten ersetzt und die Herodiannachricht sozusagen in z w e i Querschnitte „ G e r m a n e n " — „ S a r m a t e n " geteilt w o r d e n sein. Die V e r m u t u n g v o n B e r s a n e t t i , Studi V I I , 5, 4. 6, 6 ( = Epigraphica 3 [ 1 9 4 1 ] , 7, 4. 8, 6), Herodian und Historia A u g u s t a schienen Kenntnis zu haben v o n der sonst nur durch Inschriften überlieferten E x p e dition gegen Sarmaten und D a k e r , ist also - mindestens f ü r die Historia A u g u s t a - sehr u n wahrscheinlich. Andere a b w e g i g e historische Erklärungen f ü r die Perser an der Herodianstelle referiert E . H o h l , R E i o ( 1 9 1 7 ) , 857. ' ) S. o. S. 357. W . H a t t o G r o s s weist mich d a r a u f h i n , daß diese nordische Mehrzahl w o h l durch die beiden Grenzströme R h e i n und D o n a u begründet w a r . *) Germania 1 9 (1935), 305 ff. s ) Germania 23 (1939), I 0 4 f f .
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verweisen, unter denen auch oft Daker erscheinen. Übrigens enthält die Wiedergabe der Dacia auch donaukeltische M o t i v e ; die Personifizierung ist also nicht mit einer punktuellen, sondern flächigen Vorstellung verbunden ( A l f ö l d i , a. O . 5 1 . 61 f.). Der Inhalt des Mittelstreifens des Panzers deckt sich, wie ich bemerkt habe, vollkommen mit rein idealen Darstellungstypen der Spätzeit, und man darf daher w o h l darauf Wert legen, daß auch der historische A k t von 20 v. Chr. als solcher in besonders hohem Maße Symbolcharakter hatte. Im ganzen steht daher der A u gustus von Primaporta dem abstrakten Idealtypus des Nord-Ost-Aspektes am nächsten, während der Kelch von Orbetello noch eine Entwicklungsstufe dahin bezeichnet. A l f ö l d i , a. O . 55, setzte das Augustusstandbild auf 20—15 v - Chr. Ich bin — und zwar zunächst nur von meinem Blickpunkt her — der Ansicht, daß es erheblich später als Orbetello, also nicht unbeträchtlich nach 4 n. C h r . entstanden ist 1 ). Das bestätigt folgende literargeschichtliche Überlegung. Bei Vergil ist der Nord-Ost-Aspekt in der Frühdichtung bereits fester idealisierter Ausdruck. In der sonstigen augusteischen Literatur bis zum Ausgang des Jahrhunderts fand ich ihn nur an zwei Stellen 2 ). Eine erste unmittelbare Spur enthält die letzte Ode des Horaz vom Jahre 13 v . Chr. c. 4, 15, 21 ff., w o er paarweise aufgegliedert ist 3 ): ') U n t e r h a l t u n g e n mit W . H . G r o s s v e r a n l a ß t e n m i c h , das P r o b l e m w i e d e r h o l t d u r c h z u d e n k e n . G r o s s ä u ß e r t e m i r , d a ß e r als A r c h ä o l o g e d i e S t a t u e v o n P r i m a p o r t a als s o l c h e s e h r v i e l s p ä t e r als 2 0 - 1 5 v . C h r . a n z u s e t z e n g e n e i g t ist, v g l . R o d e n w a l d t , a. O . (o. S. 3 8 1 , 3 ) 1 4 . A u c h E . H o h l , K l i o 3 1 ( 1 9 3 8 ) , 2 8 3 , d e n k t an S p ä t d a t i e r u n g (nicht v o r 1 2 n. C h r . ) . F r . C h r i s t s M a t e r i a l s a m m l u n g (a. C). 2 9 - 5 1 . 5 5 ) d e r V ö l k e r - u n d F l u ß k a t a l o g e b i e t e t d a n n B e l e g e f ü r d e n N o r d - O s t - A s p e k t bei O v i d , d a n a c h b e i d e n D i c h t e m d e r n e r o n i s c h e n , flavischen Zeit u n d den S p ä t l i n g e n . Bei C l a u d i a n k o m m t d a z u ein N o r d - S ü d - A s p e k t , der der Z o n e n e i n t e i l u n g d e r E r d e e n t n o m m e n ist. C h r i s t , a. O . 4 0 , m e i n t , s i n g u l ä r sei d i e b e i S e n e c a e p i g r . 1 0 . 1 3 ( a u f P o m p e i u s ) in d i e s e m Z u s a m m e n h a n g v o r k o m m e n d e E r w ä h n u n g d e r d r e i E r d t e i l e E u r o p a , A s i e n , A f r i k a . A b e r d a s ist h ä u f i g e r u n d l i e g t v e r b o r g e n u n t e r d e n F ä l l e n , w o d e r W e l t k r e i s - A s p e k t o h n e d e n W e s t e n e r s c h e i n t (s. o . S . 3 5 8 ) , v g l . d i e S c h i l d b e s c h r e i b u n g V e r g . A e n . 8 , 7 2 4 f r . , P r o p e r z 4 , 6 , 7 7 f r , Velleius 2 , 4 0 , 4 — Plut. P o m p . 4 5 , 7 (von P o m p e i u s ) . F l o r u s 1 , 1 8 , 2 ; w e i t e r e B e l e g e b e i W . G e r n e n t z , L a u d e s R o m a e , Diss. R o s t o c k 1 9 1 8 , 1 0 8 ff. 1 1 8 . 3
) H o r a z h a t o f f e n b a r n i c h t in d e m M a ß e w i e V e r g i l d i e F ä l l i g k e i t , d a s e i n z e l n e d e r a k t u e l l e n G e g e n w a r t zur Idee zu e r h e b e n , die Vielfalt politischer Kraftlinien auf die w a h r h a f t t r e i b e n d e n G e g e n s ä t z e z u r ü c k z u f ü h r e n (F. K l i n g n e r , A n t i k e 5 [ 1 9 2 9 ] , 3 9 == R ö m i s c h e G e i s t e s w e l t 2 3 7 ; K. B ü c h n e r , Burs. Jber. Suppl. 2 6 7 [ 1 9 3 9 ] , 1 3 6 , g e g e n ü b e r K. L a t t e , Philologus 9 0 [ 1 9 3 5 ] , 3 0 3 ) . H o r a z b l e i b t d a h e r m i t s e i n e n g e o g r a p h i s c h e n A n g a b e n in s o l c h e n M o t i v e n i m a l l g e m e i n e n bei der Vielzahl historischer V ö l k e r stehen. Ich v e r m a g W . T h e i l e r , M u s e n g e d i c h t 9 , n i c h t z u f o l g e n , w e n n e r c. 2 , 2 0 , 1 3 ff. 3 , 4 , 2 9 f f . 3 , 8 , 1 8 ff. 4 , 1 4 , 4 1 ff. n a c h g r i e c h i s c h e n V o r b i l d e r n ( S o p h o k l e s , A l k m a n ) e i n e O r d n u n g d e r N a m e n in d e r F o r m f e s t s t e l l t , d i e ich als W e l t k r e i s - A s p e k t b e z e i c h n e . O h n e e i n e ( t r o t z a. O . 9 , 4 ) r e c h t w i l l k ü r l i c h e Z u t e i l u n g e i n z e l n e r N a m e n b a l d z u d i e s e r , b a l d z u j e n e r H i m m e l s r i c h t u n g ist dieses E r g e b n i s n i c h t z u e r r e i c h e n ; w e r sollte d a n n aber ü b e r h a u p t die A n o r d n u n g h a b e n b e m e r k e n k ö n n e n ? Im A u g u s t u s h y m n u s d e s J a h r e s 1 5 c. 4 , 1 4 , 4 5 f f . b r i n g e n i h r e V e r e h r u n g d e m K a i s e r d a r N i l , D o n a u , T i g r i s u n d beluosus qui remotis obstrepit Oceanus Britannis. D a s e r g i b t w i e d e r d i e v o l l e W i n d r o s e . In d i e s e O d e fließt a b e r o r i e n t a l i s c h e s G u t h i n e i n . D e n n d e r S i e g e s t a g , d e n H o r a z h i e r b e s i n g t , d e r 1. A u g u s t 15 v . C h r . , s t i m m t i m T a g d a t u m m i t d e m s c h i c k s a l h a f t e n S i e g ü b e r A n t o n i u s u n d C l e o p a t r a a m 1. S e x t i i i s 3 0 v. C h r . ü b e r e i n ( v g l . J . S t r o u x , A n t i k e 1 3 [ i 9 3 7 l . 2 0 9 f r . ) . A l f ö l d i , R o m . M i t t . 5 2 ( 1 9 3 7 ) , 6 1 , h a t r e c h t , d a ß e r H o r a z e n s 14. O d e a u s d e r g l e i c h e n
Vergil und die Prägung des römischen Imperialismus
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bibunt non qui profundum Danuvium edicta rumpent Iulia, non Getae, non Seres infidique Persae non Tanain prope flumen orti. In dieser Periode des Dichters ist sicher Einfluß des Vergil anzunehmen 1 ). Aber Horaz ist nur unter d e n Dichtern der erste. In Prosa g i n g ihm ein guter Freund Vergils voran. Gedankenwelt stammen läßt, wie den Schmuck des Panzers von Primaporta. Wenn er ebd. 62, 2 meint, Hör. c. 4, 14, 45 ff. sei auf zwei sich ergänzenden Medaillons am Constantinsbogen (H. P. L ' O r a n g e u. A. v. G e r k a n , a. O. [o. S. 109,2], Taf. 38, dazu Text iö2ff., bes. I74ff.) „in die Sprache der Plastik umgesetzt", so ist das annehmbar nach der von L ' O r a n g e - G e r k a n gegebenen solaren und kosmokratischen Deutung der beiden Medaillons; falsch dagegen der von A l f ö l d i zitierte S. R e i n a c h , Rcpert. de reliefs Grecs et Rom. r, Paris 1909, 251 zu Nr. 9 und 10. Auch E. N o r d e n im Kommentar zum VI. Buch (S. 324 zu v. 794if.) vergleicht die Ode 4, 14 (v. 5) in der Pathetik einiger Stileigenarten mit dem enkomiastischen Element, das in Aen. 6, 791 aus den Alexänderenkomien geflossen ist. Der Weltkreisaspekt offensichtlich auch C- 3. 3 (v. 47f. Straße von Gibraltar — Nil = W O ; v. 55f. SN ohne Länderangabe) wieder in orientalischem Zusammenhang der Ilionrede der Juno. Aus dem,von Fr. C h r i s t , a. O. 33fF., gesammelten Material kann man entnehmen, daß Horaz dann einige Male den Ost-WestAspekt (s. o. S. 372,1) verwendet, z. B. c. 3, 5,2ff. adiectis Britannis imperiogravibusque Pers'ts. So richtig T h e i l e r , a. O. 10. Es ist nicht, wie C h r i s t meint, eine Nord-Ost-Polarität, während er fälschlich a. O. 49 bei Claudian VI. cons. Honor. 413 ff. Hister, Rhenus auf der %inen, Tigris, Euphrates auf der anderen Seite als Ost- und Westgrenze ansieht. l ) Kenntnis und Nachahmung des Schlusses von Georgica 1, wo v. 509 der Nord-Ost-Aspekt steht, beweist K. B a r w i c k , Philologus 90 (1935), bes. 2ö7ff. (vgl. 272, 18, wo ich nicht ganz folge); zustimmend K . B ü c h n e r , a. O. (vor. Anm.) 124. Es ist interessant, daß Horaz im Gegensatz zu Vergil das Germanenproblem überhaupt kaum erkannt hat; aktuell ist für ihn nur die Partherfrage, vgl. C, K o c h , NJb. 4 (1941), 68. 74. 77. Nicht einmal die Lolliusniederlage von 17/16 v. Chr. scheint ihm stärkeren Eindruck gemacht zu haben. Vgl. auch H. K e m p t e r , Die römische Geschichte bei Horaz, Diss. München 1938, 75ff. Neben Horaz ist in derselben Zeit (nämlich nach dem Jahre i j v. Chr., C. C i c h o r i u s , Römische Studien, Leipzig 1922, 313 f.) in R o m Krinagoras mit seinem Epigramm Anth. Pal. 16, 61 zu erwähnen. Das Gedicht faßt zwei Ereignisse aus den Jahren 20 und 15 v. Chr. in Armenien und Germanien zusammen, die metaphorisch außer durch die Ländernamen durch Araxes und Rhein angedeutet werden; historisch handelt es sich um den Oberrhein. Das armenische Ereignis ist dasselbe, auf das Vergil in der interpretierten Stelle aus dem 3. Buch der Georgica sich bezieht. Man erinnert sich an die Komposition des Orbetellokelches. An Vergil klingt die Formulierung an: xai ra NEQU>VOQ egya dl' ä/upoTeQcov ixtxo yijs Tcegdtatv ~ bisque triumphatas utroque ab litore gentis; diaaov aeideo&ai 710H/100 xoäxot; ~ dua rqpta manu diverso ex hoste tropaea. Aber, wie die einleitenden Worte ävtoXlai düoieg xöofiov fietga und die Erwähnung der Sonne zeigen, welche in ihrem Laufe von Ost nach West das besiegte Armenien und Germanien sieht, befaßt der Grieche hier die historische Nord-Ost-Polarität im Ost-West-Aspekt. So früh Einfluß des Vergil auf einen Griechen anzunehmen, der im Kreise des Augustus verkehrte, ist durchaus erlaubt. Die allgemeine Regel, wonach literarisch keine römische Einwirkung auf Griechen erfolgt ist (W. K r o l l , Studien zum Verständnis der römischen Literatur, Stuttgart 1924, 9f.), erleidet für Vergil jedenfalls Ausnahmen, vgl. K. M e i s t e r , Lateinisch-griechische Eigennamen, Leipzig 1916, 53 ff., über die Einbürgerung der Namensform Thybris durch Vergil, di^ seitdem, nämlich zwischen 12 v. Chr. und Kaiser Nero (a. O. 61 f.), auch bei griechischen Dichtern auftaucht. M e i s t e r entscheidet die Frage der Abhängigkeit allerdings nicht klar (a. O. 64). Die Vergilreminiszenzen in der Romode der Melinno hat O l d f a t h e r , R E 1 j (1931), 523, freilich mit Recht abgelehnt. Die Zeit der Ode ist umstritten.
25 H a r t k e , Römische Kinderkaiser
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Der K a m p f zwischen christlicher Eschatologie und römischem Imperialismus
Plutarch berichtet in dem Leben des Pompeius 70 mit dem dramatischen Pathos der hellenistischen Historiographie eine Episode aus der Schlacht von Pharsalos. Als die Bürgerkriegshecre des Pompeius und Caesar den Befehl zum A n g r i f f erhielten und alle nur auf ihre Interessen achteten (TO xai}' UVTÖV), hätten „ w e n i g e " R ö m e r und „ e i n i g e " Hellenen abseits der erregenden Situation des Augenblicks ihre Gedanken auf die Lage des Reiches gerichtet und überlegt, wie traurig und sinnlos dieses Aufreiben der eigenen Kräfte sei. Plutarch fügt dann eine E r w ä g u n g an, die alle Parallelberichte bis auf einen nicht enthalten. Man hätte doch, wenn man schon nicht in R u h e zu herrschen und das Errungene zu genießen wünschte, sondern kriegerischen R u h m erstrebte, die Anstrengungen vereinigen und — in Einigkeit und unter Führung von Persönlichkeiten wie Pompeius und Caesar unüberwindlich — sich gegen Parther und Germanen, gegen Skythen und Inder wenden sollen. Sei doch der N a m e dieser beiden Feldherren durch ihre Siege dort noch eher bekanntgeworden, als der der R ö m e r 1 ) . Bei Plutarch ist also eine imperialistische Vorstellung zweimal im Nord-Ost-Aspekt ausgeprägt. Es ist natürlich durchaus wahrscheinlich, daß Überlegungen dieser Art damals im Jahre 48 v . Chr. angestellt wurden, aber damit ist nicht gesagt, daß auch die Form, in der sie Plutarch berichtet, historische Gewähr besitzt 8 ). Allerdings hat Plutarch den Nord-Ost-Aspekt sonst nirgends wieder verwendet, und die Art seiner Quellenbenutzung macht eine selbständige plutarchische Gestaltung nicht sehr wahrscheinlich. Verwandt mit den bedauernden Gedanken dieser R ö m e r und Hellenen bei Plutarch ist die 8. Strophe (v. 29ff.) d e r O d e 2, 1 des H o r a z : Quis ttoti Latino
sanguine
campus
itipia
sepulcris
testatur
auditumque
Hcsperiae
sonitum
pinguior proelia
Medis ruinae?
Gemeint ist auch hier das blutgetränkte Schlachtfeld von Pharsalos. Die Verurteilung des Bürgerkrieges und vor allem der außenpolitische Gesichtspunkt finden sich wieder. In dieser Ode besingt Horaz aber das Geschichtswerk des Asinius Pollio, welches nach dem Jahre 35 V. Chr. begonnen und vor 23 v . Chr. dem A b schluß nahe war. Es bildete auch die Quelle Plutarchs, der es im Kap. 72 der PomIhre Entstehung im letzten J h v . C h r . (zuletzt z. B . noch T h e i l e r , a. O . [vor. A n m . ] 1 7 : einige Jahre nach 2 7 . v . C h r . ) ist nicht möglich. Z u den Gründen O l d f a t h e r s k o m m t noch folgender hinzu: In der letzten Strophe w i r d nur der R e i c h t u m R o m s an kriegstüchtigen Männern gepriesen. Seit Polybios bei D i o d o r 3 2 , 2 ( M . G e i z e r , Philologu? 86 [ 1 9 3 1 ] , 2 strenuitatis suae pretium tulit. *) V g l . A . A l f ö l d i , U n t e r g a n g d e r R ö m e r h e r r s c h a f t 2 (o. S. 3 8 0 , 3 ) 94. 9 7 f f . h ) N a c h F. W e r n e r , a. O . 38, ist strenuitas bei J o r d a n e s singulär. In d e n u n m i t t e l b a r aus S y m m a c h u s g e s c h ö p f t e n R o m . 281 (o. S. 434 f.) fehlt eine d e m cuncta bona e n t s p r e c h e n d e W e n d u n g . •) a. O . 3 6 1 f r . ' ) F l o r u s 1 , 2 , 3 Ianumque geminum; A e n . Ianique bifrontis. J o r d a n . Janumque bifrontem; ä h n l i c h n a c h B e r g m ü l l e r , a. O . 31 R o m . 130 n a c h Florus 1, 13, j A e n . 4, 3 o o f . 1 0 , 4 1 . E n ß l i n , S y m m . 9 o f . I 9 f . , übersah das P r o b l e m der V e r g i l b e n u t z u n g . ' ) S o u r t e i l t a u c h A . v . G u t s c h m i d , K l . S e h r . 5, 300. A u c h C a s s i o d o r zitiert n u r aus A e n e i s u n d G e o r g i c a , v g l . die Stellen nach M o m m s e n s I n d e x s. v . V e r g i l i u s . •) 26, 138 lacrimabile bello A e n . 7 , 604 — A m m . M a r c . 3 1 , 12, 10, allerdings w o h l n i c h t aus C a s s i o d o r , s o n d e r n aus E p i t . s. o . S. 4 3 1 ; dieselbe W e n d u n g G e t . 5, 44 in O r o s i u s z i t a t (s. u n t e n ) . A b e r 13, 78 arma capessunt A e n . 3, 234 f o l g t H e l d e n k a t a l o g aus C a s s i o d o r . 2, 12 remis impellentibus A e n . 4, 594 ~ T a c . A g r . 10. 30, 1 5 5 ruit in bello A e n . 7, 782 — C a s s i o d o r . c h r o n . m i n . 2, 1 5 4 z . J. 402. E . W ö l f f l i n , a. O . (s. A n m . 2) 3 6 3 f . B e r g m ü l l e r , a. O . 29. A l l e V e r giliana s t a m m e n hier nicht e t w a aus den zitierten Q u e l l e n . A l l e r d i n g s ist nach S c h i r r e n , a. O . (o. S. 4 3 2 , 2 ) 18 K a p . 30 am A n f a n g j o r d a n i s c h stilisiert. V g l . M . M a n i t i u s , N e u e s A r c h i v 13 (1888), 214.
438
Beilage I
Zitate i, 4; 9, 58; 24, 1 2 1 . Sie sind alle rhythmisch, was nur bei dem ersten nahezu wörtlichen Zufall sein kann. Das letzte zeigt auch Isokolie: post autem non longi temporis inte tv all 0 ut refert Orosius ( 7 , 3 3 , 10) Hunnorum gens omni feroci täte atröcior exdrsit in Gothos. 13 + 7 + 15 + 6 Stilistisch ruht dieser A u f b a u auf der breiten Umschreibung der Zeitangabe im ersten Kolon. Solche Umschreibungen gerade von Zeitbestimmungen sind aber typisch für Jordanes' Stil in den Getica 1 ). Wie hier jordanische Abundanz zutage tritt, so kann in dem anderen Falle die Vergilfloskel von ihm stammen, zumal die Orosiusexzerpte höchstwahrscheinlich von Jordanes selbst gemacht wurden 2 ). Die abundante Umschreibung von Zeitausdrücken mittels tempus und intervallum findet sich auch in dem Satz, der dem Symmachusexzerpt vorangeht (aliquantum temporis Z . 2). Ferner kommen die Substantiva tempus und intervallum wenigstens vor Z . 27 per intercapedinem temporis3) und Z . 46 per intervalla. Beide Stellen fallen aus der Schematik der Isokola heraus, die zweite Stelle läßt auch den Cursus vermissen. Beide Phrasen kommen in einem Zusammenhang vor, der in derselben charakteristischen Weise von der Historia Augusta abweicht: Historia Augusta 2, 7 sedecim lixas uno sudore devicit
3, j tum ille more solito Septem fortissimos uno sudore vicit
Jordanes tum Maximinus sedecim lixas tanta felicitate prostravit, ut vincendo singulos nullam sibi requiem per intercapedinem temporis daret. at ille Septem valentissimos iuvenes ad terram elisit, ita ut antea nihil per intervalla respiraret.
Jedesmal handelt es sich also um eine wortreiche Paraphrase von uno sudore. Die Formulierung in einem Konsekutivsatz paßt zur sonstigen Gewohnheit des Jordanes 4 ). Besonders selten ist bei Jordanes allerdings der sonst im Spätlatein verbreitete Gebrauch des Gerundium mit Akkusativ, wie vincendo singulos1). Man findet also im ganzen wieder die Kriterien bestätigt, die uns stilistische Eingriffe des Jordanes anzuzeigen schienen. W i r können unsere Schlüsse ziehen. Der Kern des Symmachusexzerptes ist einheitlich. Auch der zu Orosius stimmende Schluß 15, 88 ist nicht nur stilistisch selbständiger als der von J o r danes selbst am Anfang des Exzerptes gemachte Auszug, sondern paßt analog dem Exzerpt in den R o m . fugenlos in diese einheitliche Masse. Damit wird E n ß l i n s Beurteilung (a. O. 4 f.) dieses Orosiuszitates am Ende des Symmachusauszuges philologisch bestätigt. Formal paßt das Symmachusexzerpt zu dem stilistischen Bilde, das wir uns von Cassiodor machen konnten. Etwas stärker vorgetrieben ist die Isokolie, als wir sie bei Cassiodor erwarten dürften*). W i r können also annehmen, daß wir im wesentlichen 7 ) die sprachliche und inhalt1 ) Vgl. die Sammlung bei B e r g m ü l l e r , a. O. 34, F. W e r n e r , a. O. 73. 124. Die ebd. hervorgehobene Verwendung des Abstraktums (omni ferocitate atrocior = ferocissima omnium) f ü r das Konkretum ist im Spätlatein allgemein häufig. 2 ) M o m m s e n p. X X V I I . X L I V . Dagegen E n ß l i n , Symm. 56: so gut wie sicher aus Cassiodor. s ) Vgl. paneg. 12, 2 1 , 5 magna scilicet intercapedine temporis. 4 ) F. W e r n e r , a. O. 102. s ) M o m m s e n , Jord, 189. F . W e r n e r , a. O. 92. •) S c h i r r e n , a . O . (o. S. 432,2) 15, sieht in demGet. 36, i 8 7 f . mitgeteilten Brief des Valentinian an Theoderich Stil Cassiodors. Der Brief hat bis auf die Parenthese ut de nobis taceamus (S. 107, i o f . ) Cursus. Die Isokolie ist besonders am Anfang streng: 7 + 7 + 1 2 + 1 6 + 1 0 + 7 + 9 ! 1 1 + j i | 7 + 1 0 | 13 + 16 | 7 + 1 0 + 1 7 + 15. " ' ' 7 ) Absolute Wörtlichkeit nahm F. A l t h e i m , R h . Mus. 90 (1941), 194, mit Unrecht als selbstverständlichlich an.
Das Symmachusfragment in Jordanes' Gotengeschichte
439
liehe Gestalt besitzen, die schon Symmachus dem Exzerpt gab. Jedoch hat Cassiodor wahrscheinlich einige tendenziöse und stilistische Farben hineingemischt 1 ). Jordanes fand dieses ihn als Alanen wegen der alanischen Mutter Maximins lebhaft interessierende Exzerpt 2 ) in Cassiodors Gotengeschichte 3 ). Er übernahm es darum nahezu wörtlich, depravierte es aber in seiner Art hier durch Einschübe aus anderen Quellen und stilistische Variationen 4 ). Damit ist A l t h e i m s Lösungsversuch des Problems erneut widerlegt. Über die Herkunft des Maximinus gibt es zuverlässig nur die Nachrichten bei Herodian. Daraus stammen die aretalogischen Fälschungen der I listoria Augusta, und aus diesen versuchte Symmachus wieder eine Entwicklungsgeschichte zu machen. Cassiodor hat daran ein wenig stilistisch gefeilt, Jordanes preßte lokalpatriotisch alle sonst noch ihm erreichbare Überlieferung brutal dazwischen und zerlegte die kontinuierliche Geschichte wieder in dublettenartige Querschnitte. ') Ich vermag nicht sicher zu entscheiden, wie weit die gotische Tendenz und die Vergilreminiszenzen schon bei Symmachus vorlagen. E t w a in dieser Richtung möchte ich von E . H o h l , Klio 34 (1942), 275, 5. 281, 4 abweichen. Die Beseitigung der Vulgarismen, die H o h l , R h . Mus. 91 (1942), 175, und ich selber, Geschichte und Politik 167,4, notierten, geht ebenso wie die des Aretalogischen auf Symmachus zurück, denn das ist ein einheitlicher Griff, während Cassiodor nur in Einzelheiten faßbar wurde. Nach dem Befunde in den R o m . (o. S. 437) kann man auf Grund von E n ß l i n s Untersuchung jetzt sagen, daß Vergilnachahmung vor allem auf Cassiodor weist. Zur — sehr zurückhaltenden — gotischen Tendenz bei Symmachus vgl. E n ß l i n , Symm. 42. 59. 67. 76. 94. 2 ) M o m m s e n , Jord. p. X . 3 ) Der Widerspruch von L. E r h a r d t , G G A . 1886, 676, scheint mir nicht stark genug begründet. 4 ) Get. praef. 3. Man kann darum nicht daraufbauen, daß Symmachus am Anfang und Ende des Exzerpts zitiert wird, tatsächlich aber nicht ein reines Zitat am Symmachus vorliegt. Vgl. F. A l t h e i m , R h . Mus. 90 (1941), 194.
Beilage II
DAS F O R U M T A U R I IN R O M Das in modernen Topographien R o m s aufgeführte Forum Tauri in der Nähe von pta. S. Lorenzo ist nur durch mittelalterliche Märtyrerakten bekannt geworden. Es handelt sich um die hagiographisch zusammengehörenden Gesta der Bibiana, des Pigmenius, Flavianus, Faustus und Johannes. Sie erlitten nach der Legende das Martyrium unter Julian Apostata. Gegenüber den anderen Heiligenlegenden, die fast alle anonym überliefert sind, zeichnet diese sich dadurch aus, daß an einer Stelle ein Autorname angegeben wird. In den Acta Sanctorum der Bollandisten ed. nova Bd. 9 (März), Paris 1865, 480 wird bemerkt, es seien — wie nicht anders zu erwarten — verschiedene Akten vorhanden, sed plane depravata. Ich habe mir daher einen Überblick über das gedruckte Material zu verschaffen gesucht und lege diese Sammlung hier vor 1 ) : 1 . In einem C o d e x v o m Monte Cassino s. X I , in langobardischer Schrift, als Bibianaakten; die Vita laut der Subskription von dem subdiaconus regionarius des Apostolischen Stuhles Donatus, einem, wie der Herausgeber anmerkt, gebildeten Manne, geschrieben (quam scripsit...)2). Abdruck in Bibliotheca Casinensis 3 (1887), Florilegium Casinense S. 1 9 1 f. ( = C)®). 2. In einem Brüsseler C o d e x 2 0 7 - 8 s. X I I I als Pygmeniusakten. Abdruck in Catalogus cod. hagiograph. bibl. regiae Bruxellensis 1 , 1 ( = Analecta Bollandiana II—V), Brüssel 1886, 1 6 1 . ( = B). 3. In einem Pariser C o d e x J289 s. X I V als Passio SS. Fausti et Pigmenii. Abdruck in Catalogus cod. hagiograph. latinorum... in bibliotheca nationali Paris., ed. hagiogr. Bollandiani 1 , Brüssel 1889, 522 ff. Der Text beginnt in dieser Handschrift erst mit § 3 von B . Der fehlende Anfang steht in der Fassung des Pariser C o d e x 5315 (olim Colbertinus 1746, deinde Regius C . 3863. 8.) s. X I I , abgedruckt ebd. B d . 2, Brüssel 1890, 95 als Passio SS. Flaviani, Pigmenii et sociorum. Diese Rezension stimmt nach Angabe der Bollandisten im übrigen mit der des cod. J289, soweit diese vorhanden ist, überein bis auf wenige Differenzen mit den ersten *) Einiges stellten bereits die Bollandisten Bibliotheca Hagiograph. Latina, Brüssel 1898/99, unterNr. 1322/23 zusammen. Nicht zugänglich war mir die dort genannte Epitome desLegendarium des Hilarion Mediolanensis. Der erste wissenschaftliche Bearbeiter des ganzen P r o blems A . D u f o u r c q (Étude sur les Gesta martyrum Romains, Paris 1900, 42ff.) bemerkt mit Recht, man müsse eigentlich eine Sammlung des gesamten Materials haben, um zuverlässig arbeiten zu können; dieser Wunsch werde vermutlich unerfüllt bleiben, weil die Menge einfach unübersehbar ist. Eine textkritische Ausgabe der Passio war von E. D o n c k e l nach einer Anmerkung in der R o m . Quartalschrift f. christl. Altertumskunde und f. Kirchengeschichte 43 (193$), 26, 31 in Vorbereitung. Ich habe nicht feststellen können, ob sie inzwischen erschienen ist. 2 ) In der Verallgemeinerung geht das für die Frühzeit vielleicht etwas weit. Man kann an den Zeitgenossen Cassiodors, den Dichter und Subdiakon Arator erinnern, aber das scheint ein seltener Fall gewesen zu sein. ' ) Verwandt damit soll nach D u f o u r c q , a. Ö. 81 ff. bes. 89ff. die Passio Vibianae im Liber martyrum des Cod. Palatinus Vindobonensis latinus 357 (olim Hist. Eccles., 1 4 ; X I V , A , 14) s. X f. H 4 r - n 7 r sein. Ohne den Text des Vindobonensis zu kennen, wage ich kein Urteil; die wenigen Sätze, die bei D u f o u r c q 82 mitgeteilt werden, lassen gegenüber C einige Erweiterungen erkennen (s. u. S. 441, 2). Dagegen besteht engste Verwandtschaft zwischen C und der Handschrift Bibl. Naz. Vitt. E m . Cod. lat. Farf. 29 (al. 314), wie man aus einigen Zeilen mit Ortsangaben (dazu s. u. S. 4 4 3 , 1 ) und dem Schlußsatz erschließen kann, die E . D o n c k e l , a. O . (Anm. 1) 24 und R i v . di archeol. cristiana 14 (1937), 127, mitteilt.
Das Forum Tauri in R o m
441
Zeilen von cod. 5289. Ich kann daher beide Überlieferungen als einheitliche Rezension behandeln. ( = P). Dies waren die mir zugänglichen vollständigen Aktenabdrucke. Es folgen einige Auszüge, die im wesentlichen alle dieselben aus toponomascischen Gründen interessanten Partien betreffen: 4. Von J . V i g n o l i , Liber pontificalis i , R o m 1724, 20 (Alexander cap. 1 nota 1) werden acta Bibianae aus dem codex Vaticanus 5696 qui fuerat Canonicorum S. Mariae ad Martyres zitiert. ( = V). 5. Die Bollandisten erwähnen in den A A . SS. a. O. Akten des Pigmenius aus cod. Vaticanus 1 1 9 3 ( = v) sowie 6. eine Handschrift des coenobium Bodecense in Westphalia, d. i. das nach fast iooojährigem Bestehen 1803 aufgehobene Kloster Böddeken im Paderbornschen, das eine berühmte, reiche Bibliothek besaß. ( = W ) 1 ) . 7. Eine besondere Stellung nehmen die Auszüge ein, die im 17. Jh. B o s i o und, abhängig von diesem und ungenauer, A r i n g h i in ihren Werken über die R o m a sotteranea mitteilen. Ich zitiere sie nach A . B o s i o , R o m a sotteranea, R o m 1632. Die Fragmente finden sich bei B o s i o 4. 1 2 1 . 487. 576. 584. Als Quellen werden angegeben: Cod. Vat. 7; Cod. S. Mar. ad Mart. j . 6. 7. Vall. 3 ; S. Petr. E. S. Caecil. S. Mar. ad Mart. Gegenüber den bisher erwähnten Redaktionen 2 ) handelt es sich bei den Zitaten, die aus diesen Handschriften gegeben werden, um eine bedeutend erweiterte Fassung®), die ich generell mit R bezeichne. 8. Von späteren Martyrologien und Legendarien habe ich das des A d o von Vienne (gest. 875) herangezogen, welches zwischen 8 j o und 860 veröffentlicht wurde 4 ) und daher der früheste direkte Zeuge für die Existenz dieser Legendengruppe ist. Abdrucke bei M i g n e P L 123, 241. 289 f. und 409. ( = A) 6 ). ') Mit der liebenswüdigenHilfe von P. L e o R u d i o f f , O . S . B . , konnte ich mich über die G e schichte dieses C o d e x Bodecensis orientieren. Es handelt sich um einen Teil des Magnum legendarium Bodecense, das in der Mitte des 15. Jh.s geschrieben wurde. Quellen scheinen kleinere Hs. des Klosters und ein dem 13. Jh. angehörendes Passionale Treverense gewesen zu sein. Das Legendarium gibt seine Vorlagen teilweise stark verkürzt und verändert wieder, ist also von zweifelhaftem Wert. Von den wenigstens sieben Bänden waren fünf erhalten und in der Paulina Monasteriensis aufbewahrt (vgl. I. S t a e n d e r , Chirographorum in reg. bibl. Paulin. Monast. catal., Breslau 1889, S. 53 Nr. 214). Es ist mir nicht bekannt, ob sie die starken Zerstörungen des 2. Weltkrieges überstanden haben. Der die Passio S. Pigmenii presb., Faust i, Dafroxae, Demetriae, Vivianae enthaltene C o d e x gehört zu den schon vorher verschollenen. Es existiert aber ein Apographon im Cod. Bruxellensis Bibl. R e g . 3196 fol. 398, das den A n fangs- und Schlußworten nach zu urteilen der verkürzten Fassung von P nahesteht. Das wird sich bestätigen. Vgl. H . M o r e t u s , Anal. BoIIand. 27 (1908), 262f. 340. *) Auszunehmen wären, jedenfalls nach den wenigen Auszügen, die mir vorliegen, V und der Vindobonensis (o. S. 440, 3). *) A u f erweiterte Rezensionen läßt auch die Bemerkung bei M . M a n i t i u s , Gesch. d. latein. Literatur des Mittelalters 2, München 1923, l 8 o f . , bes. 1 8 1 , 2, schließen. 4 ) A . Z i m m e r m a n n , Lexikon f ü r Theologie und Kirche, hrsg. v . B u c h b e r g e r ( L T K ) 1* (1930), 104. 5 ) Die Bibiananotizen des A d o besitzen keinen selbständigen Wert. Die Untersuchungen von H . Q u e n t i n , Les martyrologes historiques du moyen âge, Paris 1908,484.495 haben ergeben, daß sie in der Hauptsache von der Bibianalegende abhängig sind. A u f einzelnes gehe ich unten gelegentlich ein. Ich mußte A d o aber beiziehen, denn es wäre möglich, daß sein Martyrologium auf spätere Redaktionen der Legende einwirkte, wie das z. B . bei den Passionen der Balbina und des Bonifatius von Tarsus der Fall war, Q u e n t i n , a. O. 490. 496. A u f Abweichungen von der Legende, auch auf Widersprüche in den Angaben Ados selbst, kann man nichts geben. Vgl. z. B . den Widerspruch zwischen seinem Martyrologium und seiner Chronik in einer Einzelheit der Passion der Caecilia, Q u e n t i n , a. O. 502. Bloße Namensanalogien bilden ihm den Anlaß zu neuen Kombinationen, vgl. die Bemerkungen über Anastasius von Salona, über Getulius und Symphorosa, Q u e n t i n , a. O. 489. $42. Es kommt ihm besonders nicht darauf
442
Beilage II
9. Ferner das Sanctuarium seu vicae sanctorum des Humanisten Boninus Mombritius, nov a m . . . editionem cur. duo monachi Solesmenses 1 , Paris 1910, 489 1 ). ( = M). Ein philologischer Vergleich dieser Texte untereinander ist bisher überhaupt noch nicht vorgenommen worden. Führt man ihn durch, wobei die Beschränkung auf das nach anderen Gesichtspunkten von den modernen Exzerptoren ausgehobene Material an vergleichbaren Fragmenten kein entscheidendes Hindernis ist, so ergeben sich mehrere Folgerungen: 1 . Einige Redaktionen sind enger miteinander verwandt: B P W - C V v ; R steht C V v verhältnismäßig am nächsten, in zwei Einzelheiten jedoch A . Andererseits nähern sich in anderen Punkten B P und C V einander gegenüber R . Es hat also eine nicht mehr ganz entwirrbare Filiation stattgefunden. 2. Die Erweiterungen von R sind zum Teil offensichtlich sekundärer Natur. Pigmenius kam nach der Legende blind aus Persien zurück und begegnet in R o m an der Hand eines Knaben, der ihn führte, dem Kaiser Julian. Dieser läßt ihn im Tiber ertränken. Nach R wird der Knabe mit in den Tiber hinabgestürzt, und beide Leichen werden auch geborgen (Z. 4 5 - 7 2 ) ; aber bei dem Begräbnis sieht man an sepelivit eum (Z. 73 f.), daß R den Knaben bei dem A k t der Hinrichtung von sich aus dazutat, während seine Vorlage, wie alle anderen Rezensionen, die ganzen Ereignisse nur von Pigmenius berichtete. Auch scheinen bei R , der so etwas wie literarische und historische Aspirationen hatte, die Ergänzungen gelegentlich topischer Art zu sein. E r macht bei der Bezeichnung des Grabes des Pigmenius, den eine gewisse Candida beisetzte, neben der Ponziankatakombe den Zusatz in praedio suo, und das wird dann durch ad Ursum Pileatum topographisch bestimmt. Der Zusatz, den R allein aufweist, ist jedenfalls unsinnig, denn Ponzian war eine alte schon im Chronographen von 354 (Chron. min. 1 , 7 1 , 23 f.) verbunden mit ad Ursum Pileatum erwähnte Katakombe, und ein Pontianus w a r eben wohl der Stifter und Grundeigentümer 2 ). Aber R wußte, daß viele Katakomben auf Privatboden lagen und überhaupt der Ort christlicher Gräber das private Grundeigentum war 3 ). an, Notizen über den Märtyrertod, w o sie fehlten, zu erfinden; denn seine Absicht war, die einer Gedenkfeier noch entbehrenden Tage, die der Festkalender der älteren Martyrologien, besonders des von ihm benutzten Florus von Lyon (ca. 800-860) aufwies, zu füllen, vgl. die Martyrien des Anastasius von Salona, Alexander von Baccano, des Longinus usw., Q u e n t i n , a. O. 489f. 555. All diesen Erfindungen hoffte er durch die Behauptung Autorität verleihen zu können, er habe ein venerdbile et perantiquum martyrologium aus R o m in Ravenna einsehen können, Migne P L 123, 144. Dieses sog. vetus oder parvum Romanum ist von ihm dem Text seines Martyrologium vorangesetzt, aber nur in wenigen Hs. erhalten. Darüber hat eine lange Diskussion stattgefunden, vgl. Q u e n t i n , a. O. 409fr V. E r m o n i im Dict. d'arch. ehret, et de liturg. 1 (1907), 5 3 7 f . : Es ist eine Fälschung. 1 ) In Übereinstimmung mit dieser Publikation S. 665 wählte ich die Siglen C B P . Über die Datierung des Sanctuarium des Mombritius (gedruckt wohl nicht vor 1480) und seine V o r lagen s. G. E i s , Die Quellen f ü r das Sanctuarium des Mailänder Humanisten Boninus M o m britius (German. Studien 140), Berlin 1933, bes. 20. A u f die Bibianalegende bezog sich die Untersuchung von E i s nicht, doch können wir aus der sonstigen Art der Quellenbenutzung schließen, daß Mombritius wohl auch hier älteres Material heranzog. — Es gab mehreres dieser A r t , worauf in den Anal. Bolland. gelegentlich hingewiesen wird, vgl. 57 (1939), 1 1 8 ; 30 ( 1 9 1 1 ) , I 5 7 f f . ; die Bibianalegende im Legendär des Petrus Calo de Clugia (Mitte 14. Jh.) scheint M A ähnlich zu sein, Anal. Bolland. 29 (1910), 48. 2 ) P. S t y g e r , Die römischen Katakomben, Berlin 1933, 278. ' ) Vgl. z. B . A . P r o f u m o , La memoria di S. Pietro nella regione Salario-Nomentana, in: R o m . Quartalschr. Suppl. H . 2 1 (1916), 19, 2, aber die anderen Stellen dieser Art reflektieren immer auf geläufige Namen einer wirklichen Begräbnisstätte, während das bei R , soweit wir wissen, nicht der Fall sein könnte, also reine Rhetorik vorliegt. Candida gehört an sich in die Legende des Marcellinus und Petrus Exorcista und an die via Aurelia (M B d . 2, 1 8 1 ) , aber es gab im 7. Jh. in einem oberirdischen Coemeterium bei der Ponziankatakombe auch eine Kirche und Grab der Candida. Das hat R den Anknüpfungspunkt geboten. Vgl. S t y g e r , a. O. 2 8 1 ; G. B . de R o s s i , La R o m a sotteranea 1 , R o m 1864, 140. 182.
443
Das Forum Tauri in R o m R
S
10
15
20
V
C
cuius corpus iacuit in foro Tauri duobus diebus iubente Iuliano
cuius corpus iacuit duobus diebus in forum tauri iubente iuliano
tyranno, ut terrorem iucuteret Christianis
imperatore
veniens autem Ioannes presbyter noctu
veniens autem Johannes presbyter nocturna tempore cum ceteris Christianis collegit corpus beatae Bibianae
Veniens autem iohannes presbiter noctu
et sepelivit cum matre et sorore
et sepelivit eam in domum suam
et sepelivit eam in domo sua1)
in domu propria
juxta matrem et sororem suam
iuxta matrem et sororem eius
fehlt
in cubiculum civitatis Romae
in cubiculo romae
in loco qui vocatur Caput
ad capud tauri
ad caput tauri
juxta palatium Liciniani
iuxta palatium licinianum
collegit corpus
collegit corpus eius
25
30
35
MA (M) cuius corpus iacuit duos dies in foro tauri Iubente Iuliano
(BP)
(MA) tandem raptum a Ioanne presbytero (nur M) nocte
Tunc Johannes presbyter (B) noctu (P) nocte
imperatore (A) cuius corpus biduo iussu imperatoris in foro iacuit
(BP) collegit corpus ejus (BP) et sepelivit in domo (P) ad caput matris sororisque ejus
(MA) sepultum est in domo ubi mater et soror (A.)ejus Demetria iam sepultae eram (B) juxta matrem (M) sepulte fuet sororem erant suam
(BP) in cubiculo Romani (P-o)
fehlt
(B) ad caput (P s. Z . 25)
fehlt
(BP) juxta palatium vicinum (sic B ; em. Liciniani = P)
(MA) juxta palatium Licinianum (litumanum M mendose) Romae2)
Tauri
iuxta for mam Claudii et palatium Licinii 40
BP (BP) cuius corpus iacuit (P-ebat) biduo in foro Tauri • (B) praecepto (P) jubente (P)Juliano (B-i)
Z . 2 3 - 4 2 (einschl.) des Textes v o n C entsprechen genau dem T e x t der Handschrift Bibl. Naz. Vitt. Em. C o d . lat. Farf. 29 (al. 341), o. S. 440,3; nur ist in Z . 28 hinter matrem noch suam zugefügt. 2 ) In A S. 289 steht ziemlich das gleiche beim Feiertag der Demetria: sepulta a beato Johanne presbytero iuxta matrem suam Dafrosam et sororem suam Jovianam iuxta palatium Lueianum. Jovianam u n d Lueianum sind offenbar Schreibfehler f ü r Vivianam u n d Licinianum. Der sachliche Inhalt widerspricht dem Bericht der Legende über Demetria, s. u. S. 449.
444
Beilage II ad formam CIaudii
ad formam Claudiam
cognati piissimi Constantini R iussit... duci ad cum pontem lapideum, quem omnes Pontem maiorem appellant et
C
V
iussus per pontem
iussit eum per pontem
in Tiberim praecipitari
precipitari
huius corpus collectum est
Cuius corpus collectum est
a quadam matrona nomine Candida
a quadam ma-
iuxta littus fiuvii Porta Portuense
fehlt
fehlt
et sepelivit eum in Crypta in Coemeterio Pontiani
et sepultum est in crypte in coemeterio Pontiani
et sepultum est in cripta in cymiterio pontiani
fehlt
fehlt
in praedio1) suo ad Ursum Pileatum
ad Ursum Pileatunf
per medium pontem iussit eum in jiuvium praecipitari
cum ipso puerulo ... quorum corpora collecta sunt de fluuio a quadam matrona nomine Candida
(B) ad formam Claudii (P fehlt)
BPW
A
(PB) jussit eum iussit eum (PW) per pontem per pontem maiorem (B) per pontem in Tiberim (P) praecipitari praecipitari (W)praecipitatus (B) dari praecipitem
(BPW) cujus corpus collectum est fehlt
trona nomine Candida
fehlt (BPW) et sepultum
sepultum est
in eimiterio Pontiani
in coemeterio Pontiani
fehlt
(PW) contra Palatium
fehlt
ad ursum pilleatum
(B) ad Ursum Pileaium
fehlt
1 ) B o s i o bemerkt zu in praedio suo R Z. 80f., es fehle in altri codici; er würde ändern: in praedio sito. Vgl. dazu o. S. 442 445.
445
Das Forum Tauri in Rom
85
iuxta corpora Sanctorum Abdon et Sennen
fehlt
R fecit eum ...
100
105
duciforis muros portae Salariae in Via vetere ligatis retro manibus in clivo Cucumeris ante Templum Solis ibique nulla mora, sed eum sine interrogatione celerius decollari fecit
110 et sepultum est
"5
120
125
fehlt
C Quern nec auditum
90
95
fehlt
in ipso sarcophago in crypta quae est in eodem loco cum hymnis et canticis spiritualibus iuxta concilia martyrum
in via salaria
ante simulacrum Solis
decollari precepit in clivum cucumeris et sepultum
in sarcophago in cripta in eodem loco
BP (P) et in aditum (em.inauditum) (B) quem non auditum (BP) in via Salaria
(BP) ante simulacrum solis (P) ad clivum cucumeris
non longe a sanctis Abdon et Sennes A ... inauditum
via Salaria vetere
ante simulacrum Solis
(P) decollari (B -e) praecepit (B) in clivum Cucumeris (P) in eodem loco ... (B) in eodem autem loco ... (B) in sarcophago
decollari cepit
prae-
(P) sepultum est (B) sepultus
... sepultum est
cum ymnis et laudibus iuxta concilium martyrum
(BP) juxta concilium (B -a) martyrum
juxta concilia martyrum
Nach dem Liber pontificalis z. B . begrub eine Lucina den Apostel Paulus, nachdem der Leichnam aus den Katakomben geholt war, in predio suo via Ostiense iuxta locum ubi decollatus est (i, 66 Duch.) und den Märtyrerpapst Cornelius in cripta iuxta cimitirio Calesti via Appia in predio suo (i, 66 Duch.). Diese Stellen hat das Papstbuch aus den betreffenden Märtyrerakten übernommen 1 ); ähnlich dürfte die Sache bei R stehen. 3. Umgekehrt könnte in Z. 4 5 - 6 3 die erweiterte Fassung von R das Ursprüngliche sein. Denn dieser Bericht ist voll verständlich mit präzisen Ortsangaben für jede einzelne Phase. l)
D u f o u r c q , a. O. 17J. 296.
446
Beilage I I
Pons maior ist im Mittelalter (s. V I I I / I X ) auch anderwärts f ü r Pons Aemilianus belegt 1 ). Pens ¡apideus ist ein anderer in Antike und Mittelalter gebrauchter Name dieser berühmtesten Brücke R o m s , der ersten Steinbrücke 2 ). Dagegen vor allem in C B , aber auch in P W ist die Kürze kaum verständlich, könnte sich aber gut daraus erklären, daß diese Rezensionen nur den zweiten Satz von R ab Z . 52, den Brückensturz, verwendet hätten. Durch Umwandlung von influvium R Z . $7 in in Tiberim durch v A bzw. von per medium pontem Z . 53 f. in per pontem maiorem durch P W wurde dieser Mangel einigermaßen behoben. A b e r dann wären v A , C B und P W jede Gruppe f ü r sich hier unabhängig, und es ist ganz unwahrscheinlich, daß alle drei auf den Gedanken kamen, an dieser Stelle gerade nur den zweiten Teil des Berichtes v o n R zu benutzen. Man muß auch zugeben, daß ein Mann mit nicht einmal besonders guten Ortskenntnissen aus der Fassung von P W den T e x t von R hätte herausdichten können, v e r anlaßt durch die Knappheit der Darstellung. U n d die lateinischen wie griechischen Legenden zeigen ja meist den knappsten Erzählstil. E r ist das Charakteristikum der Gattung. Man muß R also, glaube ich, als eine später erfolgte Erweiterung beurteilen 3 ). 4. Sicher mit Erweiterungen der Grundlage unserer Rezensionen muß man bei den Ortsangaben rechnen. Jedoch sind sie von anderer Art als die Aufblähung der gesamten Erzählung in R . Denn betrachtet man sich die Ortsangaben mit philologischem Auge, so fällt auf, daß einige sehr locker sitzen, ad caput (seil. Tauri) ist in P völlig nach Z . 25 verrutscht, ad formam Claudii trat in R Z . 3 6 f f . mit dem palatium Licinii zu einem Ausdruck zusammen, während es in M A fehlt. Auch ist der clivus Cucumeris in P vor dem Verb, in B danach eingefugt, in R noch mehr verschoben (Z. 98ff.). Z u r Ponziankatakombe Z . 76ff. werden gar drei verschiedene Zusätze gemacht'). Das erlaubt den Schluß auf Erweiterung durch Randnotizen. Gerade R läßt den Vorgang noch deutlich erkennen, denn Z . 7oif. iuxta littus fluvii Porta Portuense erscheint neben de fluvio Z . 66 überflüssig und unorganisch. Die ausführliche aktenmäßige Akkuratesse in Ortsangaben kennen wir schon (s. o. S. 33. 45, 5), und man kann hier b e obachten, wie das volkstümliche Bedürfnis zu verstärkter Genauigkeit führt. 3. Keiner der mir zugänglichen Zeugen ist unmittelbar von einem anderen abhängig. A geht auf ein Exemplar der Rezension C B P zurück, das sich vielleicht geringfügig von den mir zugänglich gewesenen Fassungen unterschied'). R stimmt in zwei Angaben, nämlich in dem Zusatz vetus zur via Salaria (Z. 95) und in dem Zusatz über die Gräber des Abdon und Sennes in der Ponz'iankatakombe (Z. 84 ff.) mit A zusammen. Nun hat A an der letzteren Stelle höchstwahrscheinlich dasMartyrologium des Florus als Grundlage benutzt, das zum 17. März lautet: Pymeni episcopi (Variante presbyteri) positi ad sanetos Abdon et Sennen*). Es ist anzunehmen, wenn auch aus den wenigen zur Verfügung stehenden Exzerpten nicht sicher zu beweisen, daß R ') P l a t n e r - A s h b y , a. O. 398. *) R . D e l b r u e c k , Hellenistische Bauten in Latium 1 , Straßburg Topographie der Stadt R o m 2, Berlin 1871, 193. 201. 331.
1907, I 2 f f . ,
vgl. H . J o r d a n ,
s ) Wenn R nicht ursprüngliche Textgestalt ist, dann spricht der Vergleich der Rezensionen allerdings dafür, daß C B am Anfang standen und an diesem T e x t nun die verschiedenen V e r suche einer topographischen Verdeutlichung ansetzten, die P W und v A zeigen. A n P W schloß sich dann wieder R an.
*) Dazu dürfte schon die Angabe in cubiculo Romae Z . 31 ff. „in einem Grab in R o m " gehören. Denn der Archetypus der Akten scheint ganz selbstverständlich römische Verhältnisse vorausgesetzt zu haben, so daß per pontem maiorem und sogar per pontem allein ohne den Zusatz in Tiberim deutlich genug war. Stadtrömische Verfasser nimmt aus anderen Gründen auch an D u f o u r c q , a. O. 360. Der Nichtrömer A d o , der an weitere Kreise dachte, fügte dann eine Angabe wie „in R o m " hinzu. Die gleiche Ursache haben wohl die entsprechenden Randzasätze der Akten gehabt, und Spuren so gearteter Erweiterungen oder topographische Irrtümer von nichtrömischen Redaktoren sind auch sonst in solchen Erzeugnissen festgestellt, vgl. A . P r o f u m o , a. O. 38. ®) Q u e n t i n , a. O. 494f. •) Q u e n t i n , a. O. 329. 694. Florus kannte nur Pigmenius, nicht die Bibianalegende.
Das Forum Tauri in R o m
447
diese Zusätze aus A entnahm 1 ). Dann ist die Rezension R frühestens am Ende des 9. Jh.s entstanden 2 ). Die Legende selbst, die in den besprochenen Rezensionen in verschiedener Brechung vorliegt, ist aus mindestens zwei Hauptstücken kompiliert: Den eigentlichen Bibianaakten und den Pigmeniusakten. Letztere lassen sich gut ablösen: Z u Zeiten Julians des Verfolgers starben viele tausend Märtyrer. Der Kaiser war (nach B zusammen mit dem heiligen Donat) von dem Presbyter der Titelkirche Pastoris in R o m , Pigmenius, erzogen und in den Fächern der Normalschule und Universität unterrichtet worden®); der machte Julian auch zum Subdiakon. Julian erzählte den Adligen von dem Unterricht und daß er von kaiserlicher Herkunft sei. E r wurde von allen geliebt, weil er elegant und klug war (und nach B zum Kaiser gewählt). — Dann folgt die Bibianalegende; w o am Ende ihr Begräbnisort berichtet ist, geht es weiter: „ D o r t kamen oft die Presbyter Johannes (der sie bestattet hatte) und Pigmenius zusammen (ubi ... conveniebant). Damit ist der Übergang wieder erreicht. Als Julian das hörte (hoc audito), sagte er, Pigmenius müsse weggehen, wenn ihm sein Leben lieb sei, er wolle ihm die Verdienste zugute halten 4 ). Der Presbyter Johannes wird ergriffen, hingerichtet und begraben. Pigmenius verläßt die Titelkirche, geht nach Persien und erblindet dort. A u f eine Mahnung des Herrn, die ihm im Traume wird, kommt er nach R o m zurück und erleidet dort das Martyrium. Daß Pigmenius und Johannes als Paar ursprünglich mit der Bibianalegende gar nichts zu tun haben, zeigt der Umstand, daß Pigmenius hier nur sehr äußerlich in dem mit ubi beginnenden Relativsatz an die gesta Bibianae angeklebt wird. Johannes ist der einzige Pflock, mit dem beide Passionen verbunden werden 6 ). Die eigentliche Bibianalegende sieht so aus: Z u Zeiten Julians - (ergo) huius lemporibus heißt es an der Fuge - lebte ein expraefcctus urbis namens Flavian. E r hatte eine Frau Dafrosi und zwei Töchter Demetria und Bibiana. Hierauf lautet der Text dann nach C : Hie") flavianus cum frequenter Corpora sanclorum noctu cum christianis^) colligeret et sepeliret. Temporibus iuliani imperatorisc) divulgatum est hoety imperatori; quod flavianus corpora sanetorum prisci presbiteri et priscillinianidi) clerici et religiosae feminae benedictae perquireret. quia per beatos iohannem et paulum divulgaverunte) quod in domo sua noctu fuissent cruciati. et caepitS) voce publica dicere; eoO) quod res publica deum offenderit ex persecutione iuliani1*). qui prius fuerat christianus et postmodum') apostata et persecutorty. °) Hie autem B b) cum christianis noctu B c ) temporibus - imperatoris desunt B P d) hoc deest B M) Prisciliani B (-//P) ') perquireret et qui etiam beatum Johannem et Paulum divulgaverit P f) coepit P perquireret; divulgaveruntque etiam quod in domo sua noctu fuissent cruciati beatus Johannes et Paulus et coeperunt B ») eo deest P A) res publica offendisset Deum ob persecutionem Jiominis B offenderet et persecutionem Iuliani mendose P •) postea B *) persecutorque P (om. e(). Es ist offenbar, daß der Zusammenhang hic Flavianus cum frequenter corpora sanetorum noctu cum christianis colligeret et sepeliret, coepit•) voce publica dicere, eo quod res publica Deum offenderit *) Ahnliche Beeinflussungen von Legenden durch A s. o. S. 441, 5. 2 ) Z . ioof. templum Solis in R statt des sonstigen simulacrum Solis ist nur frühmittelalterliche Variatio, ähnlich den sieben fana et templa in Verona in dem Gedicht eines Mönches aus der Zeit Pipins, die, wie E . M a a ß , Die Tagesgötter, Berlin 1902, 140, zeigte, sieben Götterbilder waren. - Z . 123 iuxta concilia martyrum ist gangbare Bezeichnung für Märtyrerheiligtümer, vgl. E . L u c i u s , Die Anfänge des Heiligenkultes, Tübingen 1904, 272, 2. 3 ) Über diese Fächer s. u. S. 464. *) Es wird in B mit sicut superius memoratum est auf die einleitend erwähnte Erziehung Julians durch Pigmenius über den Einschub hinweg zurückgewiesen. P sagt sicut apluribus didici, aber P zeigt hier überhaupt eine Redigierung des Texts, die offenbar darauf abgestimmt ist, daß der Anfang der Legende in cod. 5889 fehlt oder anders lautete. •) In der ursprünglichen Pigmeniuslegende wird die Sache wohl so gewesen sein, daß dieser mit dem bekannten Beerdigungspriester Johannes zusammen Bestattungen vornahm und so ein Eingreifen des Kaisers herbeigeführt wurde. •) Dieses coepisse ist bekanntlich typisches Kennzeichen des genus attenuatum der Novellen, vgl. E. N o r d e n in: Einl. in die Altertumswissenschaft i 1 , Leipzig 1 9 1 0 , 579. Im R o m a n des
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ex persecutione Iuliani usw. durch einen Einschub grob zerrissen wurde. Dieser hebt mitten im Satz mit einer Einleitungsfloskel an: Temporibus Iuliani imperatoris. Flavian soll nach den Reliquien dreier Zeugen gesucht haben, die von 1 ) den Märtyrern Johannes und Paulus mitgeteilt haben, daß sie in ihrem Haus gerichtet worden seien. An den Flickstellen, vor allen am Ende des Einschubs haben B und P jeder f ü r sich Glättungsversuche unternommen, ohne richtigen Erfolg 2 ). Inhaltlich entspricht der Einschub genau der dritten Rezension der gesta Iohannis et Pauli, die vielleicht im 7. Jh. entstand 9 ). Diese Legende betraf eine der sogenannten 25 Titelkirchen Roms, SS. Giovanni e Paolo auf dem Coelius. Sie erklärte in ihrer ersten Form den Namen der Kirche Iohannis et Pauli durch ein angebliches Martyrium und Begräbnis dieser beiden in ihrem „Hause", noch ohne Erwähnung der Kirche, und bezog in diese Erklärung in einer zweiten Fassung auch die anderen älteren Namen, die das Heiligtum getragen hatte, titulus Byzanti und Pammachii, und dessen Errichtung selbst ein. In der dritten Rezension der gesta wurde das Martyrium zweier Männer und einer Frau, hier in der Schreibweise Crispus, Crispinianus und Benedicta hinzugefügt 4 ). Diese wußten von dem geheimgehaltenen Grab der beiden Märtyrer Johannes und Paulus in deren Hause, der späteren Kirche, welches auch der O r t der Hinrichtung gewesen war, und besuchten es o f t ; dabei überrascht, wurden auch sie verurteilt, und darauf kümmern sich die drei Typen von Totengräbern der Bibianalegende, Flavianus, Johannes und Pigmenius um ihre Bestattung. Es ergibt sich eine Berührung der gesta Bibianae und Iohannis et Pauli zu einem späteren Zeitpunkt, als ihre Grundform bereits feststand. Die unorganische Art der Einschübe in die Bibianalegende erklärt sich überlieferungsmäßig. Aus dem Text der in die beiden Legenden eingeschobenen Stücke selbst läßt sich nichts entnehmen, was eine Abhängigkeit des einen vom anderen beweisen könnte. Es muß also eine gemeinsame Redaktion beider Legenden durchgeführt worden sein 5 ). In der Bibianalegende schickt Julian den Flavianus in die Verbannung, der dort stirbt. Dafrosa soll durch Hunger getötet werden, wenn sie nicht abfällt, opfert und heiratet. Sie bleibt aber standhaft, und es gelingt ihr, einen heidnischen Verwandten namens Faustus, dem Apollonius von Tyrus kommt es z. B. andauernd vor, vgl. Kap. 31 (59, 12 Riese); 33 (66, 9); 35 (72. 4); 39 (80, 14) usw. *) Per = xatd gehört zu den spät zeitlichen Graeca-Latina, die E. L ö f s t e d t , Verm. Studien zur lat. Sprachkunde und Syntax, Lund 1936, 198, behandelt hat (Beispiele aus den Felicianischen und Cononianischen Auszügen des Lib. pont.). *) Auch die Bollandisten haben im Abdruck B an dieser Stelle bereits Anstoß genommen (S. 161 Anm. 3 „videtur hic esse lacuna"). *) P. F r a n c h i d e ' C a v a l i e r i , Note Agiografiche, in: Studi e Testi 27 (191 j), J4f. 4 ) U n d zwar sind nach Ansicht F r a n c h i s diese Veränderungen des ersten Bestandes Versuche, alte Inschriften und Ausgrabungsbefunde mit der Legende in Einklang zu bringen. W i r werden dazu noch Stellung nehmen. •) D u f o u r c q , a. O . 125, vgl. 311, erwägt dagegen, ob der Verfasser der Bibianalegende die Passio der Heiligen Johannes und Paulus gekannt habe. Dasselbe nimmt als sicher an F r a n c h i , a. O . 56. Entstanden sind nach D u f o u r c q , a. O . 309f., die älteren Teile der Legende des J o hannes und Paulus in der Zeit des PapstesSymmachus (498-514) - F r a n c h i , a. O . 51, äußert sich zur Zeitfrage dieser Partien ganz unscharf—, die Bibianalegende entsprechend später, aber noch in ostgotischer Zeit. D u f o u r c q hatte auch schon die Ähnlichkeit der Episode von Crispus und Genossen in beiden Legenden gesehen, aber er verzichtete überhaupt auf eine philologische Bearbeitung der verschiedenen Legendentexte und seine durch eine äußerliche Synopse gewonnene Erklärung dieses Textzustandes (S. 146, 1) ist daher nicht genügend gesichert: Er meinte nämlich, der Redaktor der Bibianalegende habe gewissermaßen in das Exemplar der gesta Iohannis et Pauli, aus denen er f ü r seine Legende der Bibiana geschöpft habe, gleichzeitig aus dieser interpoliert. F r a n c h i d e ' C a v a l i e r i , der zunächst diese Erklärung D u f o u r c q s akzeptiert hatte (Nuove Note Agiografiche, in: Studi e Testi 9 [1902] 64), analysierte später, tiefer philologisch eindringend, schon die drei Rezensionen der gesta Iohannis et Pauli, aber auf einen Vergleich der Bibianalegende mit jenen verzichtete auch er und dekretiert den Einfluß der gesta Iohannis et Pauli auf diese.
Das Forum Tauri in R o m
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sie übergeben worden war, zu bekehren. E r wird von dem Presbyter Johannes getauft. Faustus wird darauf von Julian verhört und gibt vor dem Kaiser seinen Geist auf. Der Kaiser läßt ihn den Hunden vorwerfen; dann lautet wieder der Text von C : Eadcm veroa) nocte veniens dafroscP) collegit corpus'), et sepelivitd) in domo suae). iuxtadomuml) sanctorum») iohannis et pauli. «) vero deest B b) Defroxa P uenit Da/rosa et B c) corpus ejus B P d) atque sepeliit P «) intra domum suam B f ) juxta corpora B P ") beatorum P martyrum add. B P . Darauf kehrt Dafrosa ad domum viri suiflaviani zurück, stirbt und wird von ihren Töchtern begraben. Diese werden vor den Kaiser zitiert; Demetria stirbt dabei vor Schrecken, und Bibiana, die ihre Schwester begraben hatte, wird, als alle Versuche, ihren Glauben zu erschüttern, vergeblich waren, zu Tode gebracht. A n dieser Stelle schaltet sich das Ende der Pigmeniuspassion ein, auf das als Abschluß des Ganzen einige W o r t e über die Kirche S. Bibiana folgen. Nach dem Tode Julians, so heißt es in C kurz, während B P das noch romanhaft ausmalen, werden die Reliquien gesucht, gefunden und eine Kirche „gebaut". Die Lesart von B P , Faustus sei in seinem Hause neben den Leichen von Johannes und Paulus bestattet 1 ), ist hagiographisch unhaltbar oder jedenfalls ein N o v n m . Johannes und Paulus waren nach der Legende in ihrem eigenen Hause, der späteren Titelkirche bestattet. A n diese legendäre Grabstätte muß allerdings derjenige gedacht haben, der hier statt domum einsetzte: corpora. Der Versuch, die Bibianalegende mit der des Johannes und Paulus in dieser Weise auszugleichen, ist nicht minder ungeschickt als die vorhin beobachtete Interpolation. Dort ist eine dem Sinne nach abgeschlossene Perikope in den zusammenhängenden Text gestellt worden, hier taucht corpora in den zwei verwandten, aber nicht voneinander abhängigen Rezensionen B P auf. Es paßt inhaltlich zu dem Zusammenhang jenes ersten Einschubes, den uns die dritte Fassung der Johann-Paul-Legende ausführlich gibt. Aber innerhalb der zusammenhängenden Geschichte der Bibianalegende führt corpora geradezu zu einem Widerspruch mit jenem ersten Satz, der ja ausdrücklich von dem Martyrium „ i m Hause" spricht und dabei an das Grab in domo ss. Iohannis et Pauli ( F r a n c h i , Note 44), nicht an ein Grab im Hause des Faustus denkt. Es handelt sich also um Randnotizen, die in sich einheitlich sind, jedoch so, wie sie sind, noch nicht in den Text der Bibianalegende paßten. Ich glaube, wir können jetzt eine Vermutung von F r a n c h i d e ' C a v a l i e r i über die Herkunft der drei Märtyrer Priscus, Priscillinianus - oder wie die Schreibart in der Johann-PaulLegende ist, Crispus, Crispinianus — und Benedicta zur Sicherheit erheben. Unter der heutigen Kirche SS. Giovanni e Paolo wurde das Erdgeschoß eines wohl dem 3. Jh. entstammenden römischen Privathauses gefunden. In den Räumen dieses Hauses, die durch die allgemeine Niveauerhöhung der späteren Jahrhunderte unter die Oberfläche kamen, ist ein Gelaß als Märtyrerheiligtum eingerichtet. Die Wände sind mit Malereien von Marterszenen und M ä r tyrerverehrung geschmückt 2 ). Die Marterszene zeigt zwei Männer und eine Frau, und F r a n c h i , Note (o. S. 448,3) 55, vermutete, man habe Nachgrabungen veranstaltet, um sich der Gräber von Johannes und Paulus zu vergewissern — gewisse Spuren deuten auf diesen Ablauf der V o r gänge hin. Dabei entdeckte man die Bilder, und sie gaben den Anlaß zu einer Weiterdichtung der Legende. Denn die frommen Archäologen dieses frühesten Mittelalters wußten nur etwas von den sancti Iohannes et Paulus und mußten auf ihre Art nach einer Erklär ng des Grabungsergebnisses suchen. Sie schlugen in Martyrologien nach und fanden dort nach Johannes und Paulus gleich verzeichnet einen Crispus und Crispinianus. Benedicta verschafften sie sich 1
) M hat nur cuius (Fausti) corpus Dafrosa in domo sua sepeliuit. Mombritius scheint das von dem Hause der Dafrosa zu verstehen. Denn es heißt nachher: ibique sepulta est (Dafrosa). Das stimmt nicht mit C überein, der deutlich einen Unterschied macht zwischen dem Hause des Faustus und dem des Mannes der Dafrosa, d. h. des Flavianus, w o Dafrosa und die anderen Frauen bestattet sind. Aber M ist hier, wie die inhaltliche Übereinstimmung mit C o. S. 443 Z . 23 fF. zeigt, nur unklar durch übermäßige Kürzung eines Textes, der ebenso das Grab des Faustus nicht ins Haus der Dafrosa verlegte. *) Sehr gute Abbildung bei J . W i l p e r t , Die römischen Mosaiken und Malereien der kirchlichen Bauten usw., Freiburg 1 9 1 6 , B d . 4 Tafel 1 3 1 . 29
H a r t k e , Römische Kinderkaiscr
450
Beilage II
anderswoher, oder sie wurde erdacht. Soweit F r a n c h i . A u f den Wanddarstellungen ist auch noch ein Hund abgebildet, der an den Resten eines Märtyrers frißt. Faustus war aber von Julian den Hunden vorgeworfen worden, bevor er iuxta domum lohannis et Pauli bestattet wurde. Daran erinnerten sich natürlich die Ausgräber und redigierten nun nicht nur die Johann-Paul-Legende um, die ja zu den Bildern nicht passen wollte, sondern machten auch einen Zusatz am Rande der Bibianalegende. Es sind also alle Marterdarstellungen des Heiligtums unter SS. Giovanni e Paolo durch entsprechende Legendeninterpolation gedeckt. Der Zusammenhang ist damit evident erwiesen 1 ). Bewiesen ist damit auch, daß C den ursprünglichen Text gibt und nicht etwa iuxta domum ss. lohannis et Pauli als solches Interpolation ist. Denn durch diese Notiz allein konnten die archäologischen Deuter auf die Bibianalegende gebracht worden sein; Den-Hunden-Vorwerfen ist ein sehr häufiger Topos und uncharakteristisch. Faustus wurde nach C also neben dem „Hause der Heiligen" beigesetzt, wobei auch der ursprüngliche Verfasser der Bibianalegende an die Kirche gedacht hat. C scheint von einem Grab der Märtyrer in der Titelkirche noch nichts zu wissen und nennt sie einfach ihre Behausung. Das heißt aber, der Legendenschreiber kannte die gesta lohannis et Pauli gar nicht. E r wußte nur den Namen der Kirche Titulus (Pammachi) sanctorum lohannis et Pauli 8 ), und daß sie einmal ein Privathaus gewesen war. Seine A u f fassung ist also noch keine andere als die, die wir auch in den Legenden von den Titelkirchen Pudentianae, Praxedis, Eusebii, Gai (Susannae) 3 ), Marcelli, Cyriaci, Caeciliae finden: Sie seien Häuser der Personen gewesen, die der Name der Kirche angibt. V o n Begrabung im Hause ist da nirgends die Rede. W o h e r dieses M o t i v in die Legende von SS. Giovanni e Paolo kam, werden w i r noch sehen. Es ist seit T i l l e m o n t anerkannt, daß sämtliche in den Legenden enthaltenen historischen Nachrichten im wesentlichen erdacht sind'). Diese historischen Fälschungen des Hagiographen werden aber gestützt durch eine Reihe Lokalangaben: a) Der Verbannungs- und Todesort des Flavianus heißt in C ad aquas tauranas ( R B P Taurinas) miliario sexagesimo ab utbe roma (P ab urbe) via claudia. Der Stil der Angaben ist typisch aktenmäßig. So heißt es auch im Chronographen von 354 in der Liste der Begräbnisplätze der Päpste Chron. min. 1 , 7 0 , 1 3 in via Aurelia miliario III in Callisti, vgl. 76, 17, oder in dem K a u f ') Hier sei noch kurz auf einige Unterschiede des Matyrologiums von A d o eingegangen. E r benutzte bereits eine interpolierte Fassung der Bibianalegende. Die Interpolation auf Grund der Ausgrabungen unter SS. Giovanni e Paolo erfolgte also vor der Mitte des 9. Jh.s. Bei A d o ist der Gemahl der Dafrosa einmal Flavian, zweimal Faustus; letzteres hat er aus dem parens der Legende einfach weitergedichtet. Auch die Angaben über die Hinrichtung des Priscus und Genossen, für die die Interpolation der Legende gar nichts bot, ebenso wenig auch die erste Fassung der Johannes-Paul-Legende, die A d o allein bekannt war, ferner die entsprechenden Angaben über Dafrosas Martyrium, erst Exil, dann Hinrichtung, beides abweichend von der Legende, sind ausgedacht oder, wie das Exil, von Flavian auf Dafrosa übertragen. Ebenso übertrug er die Erzählung von der Bestattung Bibianas Z . 1 3 f., ohne sich um die Legende zu kümmern, aufDemetria (s. o. S. 443, Anm. 2), indem er nur die Namen Demetrias und Bibianas vertauschte. s ) Die von K i r s c h , Titelkirchen 8. 14. 27t, mitgeteilten Belege ergeben über den Namen von SS. Giovanni e Paolo folgendes: Im 5. Jh. titulus Byzanti oder Pammachii; im 6. Jh. titulus ss. lohannis et Pauli; im 8. Jh. titulus Pammachi und Pammachii ss. lohannis et Pauli. Die Belege des 5. und 6. Jh.s stehen zeitlich so dicht nebeneinander, daß eine Überlappung unvermeidlich anzunehmen ist. 8 ) Vgl. aus dieser Legende ut ibi intra domum suam iuxta domum Gaii episcopi gladio puniretur, K i r s c h , Titelkirchen 153. Hier braucht der Verfasser allerdings zwei Häuser nebeneinander, um den Nebennamen der Kirche ad duas domos zu erklären. Z u domus vgl. F r a n c h i , N o t e 52, 2. 4 ) So auch de R o s s i , a. O. (o. S. 339, 2) 281. J . P. K i r s c h in: Festschr. Georg v . Hertling, Kempten 1 9 1 3 , 56, vgl. auch seine Behandlung der auf die Titelkirchen bezüglichen Legenden in Titelkirchen 148 ff.
451
Das Forum Tauri in R o m
vertrag Bruns fontes 7 N r . 1 3 7 (3. Jh.) quod est via triumphale inter miliarium secundum et tertium euntibus ab urbe parte laeva in clivo Cinnae... Aquae Tauri heißt ein Badeort drei Meilen landeinwärts von Centumcellae, der auch im frühen Mittelalter unter diesem Namen bekannt war 1 ). Die Entfernung von R o m nach Centumcellae beträgt 47 Meilen 2 ). Die Gesamtentfernung betrüge also genau fünfzig Meilen, nicht sechzig. Auch heißt die nach Centumcellae führende Straße via Aurelia. Die via Clodia 3 ) ist der nächste der via Aurelia weiter im Binnenland parallel verlaufende Straßenzug nach dem Norden. Sicher bestanden von ihr aus Querverbindungen in Richtung zur Küste, aber Näheres scheinen wir über diese W e g e noch nicht zu wissen. Die Entfernung von R o m über diese R o u t e und eventuelle Seitenwege nach Aquae Tauri dürfte aber jedenfalls nicht wesentlich verschieden gewesen sein. Die Trasse der via Clodia selbst verläuft von R o m nach der Abzweigung von der via Flaminia hart nördlich Ponte Molle zunächst gemeinsam mit der via Cassia. Beim 1 1 . Meilenstein trennen sie sich um den Lago di Bracciano herum, und die via Cassia nimmt die Ostseite. N ö r d lich des Sees vereinigen sich beide Straßen erneut und gehen dann über eine lange Strecke auf derselben Linie, wie es scheint, nach Florenz 4 ). A u f diesem Stück der via Clodia-Cassia liegt, so bemerkt B o s i o , a. O. (o. S. 441) 576, bei Montefiascone, dem antiken 010ns Faliscus, eine Kirche des Flavianus, in der nach der Lokaltradition der Heilige begraben gewesen sein soll. Die Entfernung dieses Punktes von R o m über die via Cassia beträgt ziemlich genau 60 mp 6 ). Über die Clodia westlich des Sees würde der W e g allerdings etwa 5 mp weiter sein'). Aber beide R o u t e n waren immer eng miteinander verbunden, und die Linie hieß in der Antike an ihrem Anfang nahe R o m v o m Ponte Molle ab bis zur Gabelung via Clodia. Die Bezeichnungsweise der Bibianalegende ist im Mittelalter nicht ohne Beispiel. Man muß damit rechnen, daß der Z w e i g der via Clodia westlich des Lago di Bracciano in der Spätzeit nicht mehr durchgehend passierbar gewesen war. S o fiel dann der Unterschied überhaupt hin 7 ). Eine baugeschichtliche Untersuchung, die weitere Aufschlüsse versprechen könnte, hat die Kirche S. Flaviano bei Montefiascone noch nicht erfahren®). Die Gegend ist bäderreich. Zwischen Montefiascone und
') C h . H u e l s e n , R E 2 (1896), 307. Bei Plinius n. h. 3, 8, 52 Aquenses
Tauritii.
%
) H . N i s s e n , Italische Landeskunde 2, 1 , Berlin 1902, 3 3 3 f .
3 ) Dies ist die allgemein übliche Schreibung. Via Claudia kommt nach Ausweis des Thes. 1. L. II 478, 48 ff. außer j e einmal bei Verrius Flaccus, Praenestinischen Fasten und Frontin nur in der Spätzeit im Liber pontificalis vor. 4
) H u e l s e n , R E 4 (1900), 63; 3 (1899), 1670.
5
) Die Entfernungsangaben zwischen Forum Cassii und Volsinii differieren bei N i s s e n , a. O. (Anm. 2) 341. 344f., H u e l s e n , R E 2 (1896), 303; 3 (1899), 1670 sehr stark. Nach Umrechnung der modernen Autostraßenentfernungen ergeben sich folgende runde W e r t e : Forum Cassii (Vetralla) - V I I I — Sorrinum (Viterbo) - I X — mons Faliscus (Montefiascone) - V I I I - Volsinii (Bolsena). Von R o m nach Forum Cassii sind es 44 mp, vgl. außer der zitierten Literatur noch N i s s e n , 3 5 3 f . 356. C I L X I S. 1 0 1 1 . •) Der Ort Acquapendente, mit dem A . B u t l e r , The Lives of the Primitive Fathers, Martyrs and other Principal Saints 1 2 3 , Edinburgh 1800, 14 Aquae Taurinae identifiziert, liegt über 1 0 km nordnordwestlich vom Lago di Bolsena im Pagliatal, also viel zu nördlich. 7
) Vgl. H u e l s e n , R E 4 (1901), 63f. Im J . 774 war Karl d. Gr. jedenfalls gezwungen, am N o r d rand des Lago di Bracciano die eigentliche Via Clodia zu verlassen und auf die Via Cassia überzugehen, vgl. D u c h e s n e im Liber pontificalis 1 S. 516. Von verkehrshemmenden Brückenzerstörungen in Etrurien infolge des Einfalls von Alarichs Goten spricht schon im J . 4 1 7 Rutilius Namatianus 1 , 4 1 . 8
) S o sagt jedenfalls E . D o n c k e l , R o m . Quartalschrift 43 (1935), 30; die dort Anm. 69 genannte Literatur (D. F e d i n i , La vita di S . B i b i a n a vergine e martire romana, R o m 1627. E d . M a r t i n o r i , Via Cassia, R o m 1930) war mir nicht zugänglich. Aber im Baedeker, Mittelitalien 6 1927, 1 1 7 finde ich angegeben, die Kirche stehe über einem romanischen B a u des 5. oder 6. Jh.s. 29*
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Viterbq lag an derselben Straße z. B . A q u a e Passeris (Passerianae) 1 ). S o werden w i r gegen die Ortsbezeichnung A q u a e Tauranae (Taurinae) bei Montefiascone nichts einwenden dürfen 1 ). b) D e r Leichnam der Bibiana lag auf Befehl des Kaisers z w e i T a g e in foro Tauri (s. o. S. 443 Z . 3/4). Näheres über dieses Forum ist sonst nicht bekannt, s. o. S. 339. c) D e r aus Persien zurückkehrende Pigmenius trifft mit Kaiser Julian zusammen, als er den clivus Sacrae viae heraufsteigt. Es handelt sich um die bekannte alte Straßenbezeichnung 8 ). d) Detaillierte toponomastische A n g a b e n Uber Begräbnisplätze der Bibiana (o. S. 443 Z . 22 ff.) des Pigmenius (Z. 73 ff.) und des Johannes (Z. 93 ff.)1). ') D i e N a m e n klingen, w i e so oft auf italischem B o d e n , an Tierbezeichnungen an, und die Antike hat damit aitiologisch zu etymologisieren geliebt. W i r können da nicht folgen. D i e Bädernamen, die H u e l s e n , R E 2 (1896), 294 ff., verzeichnet, enthalten V o l k s - oder Personen(Götter-)Namen. W i r müssen unsere Gedanken also in diese R i c h t u n g lenken. Es gibt einen Personennamen Passerius, vielleicht etruskischer H e r k u n f t , W . S c h u l z e , Z u r Geschichte lateinischer Eigennamen (Abh. G ö t t i n g e n 5), Berlin 1904/33, 213, 7. D e n Namen der A q u a e Tauri(nae) leitet V . U s s a n i , R i v . di filol. class. 38 (1910), 361 f. v o n dem C o g n o m e n der Statilii Tauri (s. o. S. 338 f.) ab. Ihr Gentilname findet sich auf einer Inschrift in Civitavecchia ( C I L X I 3560). A u c h bei Taurus hält S c h u l z e , a. O . 418, 3, etruskische H e r k u n f t für wahrscheinlich. *) U m nichts auszulassen, bin ich auch dem Straßenzug gefolgt, der v o n der Via Clodia aus westlich des L a g o di Bolsena in nordwestlicher R i c h t u n g streicht. 60 Meilen v o n R o m entfernt gelangen w i r da e t w a in den R a u m Tuscana, N i s s e n , a. O . (o. S. 4 5 1 , 2 ) 345. 354; W e i ß , R E 7 (1910), 6 j ; C I L X I S. 1011. Lokal ist dort nichts zu finden v o n dem, was w i r suchen. A b e r m e r k würdigerweise bestehen v o n hier aus hagiographische Beziehungen zum R a u m v o n C e n t u m cellae, w o w i r das andere A q u a e Tauri getroffen hatten. D e n n die Legende lokalisiert drei Märtyrer namens Verianus, Marcellianus, Secundianus einmal in Tuscana, einmal in C e n t u m cellae, H . D e l e h a y e , Les origines d u culte des martyrs (Subsidia hagiographica 20)2, Brüssel 1933, 319. Übrigens f o l g t die B e k e h r u n g der drei aus einer Disputation über die Frage, w e r das K i n d in Vergils 4. E k l o g e gewesen ist ( M B d . 2, 479 f.). ' ) In C B P A ; zu letzterem machen die Bollandisten in den A A . SS. die R a n d n o t i z „al. Salariae", die sachlich nicht zu begründen ist. Anscheinend z u dieser Stelle gehört eine Interpolation in der Pigmeniuspassion, die die A n g a b e templum Romuli enthält. Ü b e r sie handelt L. D u c h e s n e , Mélanges d'archéologie et d'histoire 6 (1886), 32. Ich habe diese Interpolation in keinem der mir bekannten Legendentexte gesehen. D u c h e s n e hält dies templum Romuli für die Basilica C o n stantins am F o r u m ; diese Bezeichnung f ü r die Basilica k o m m e erstmalig Ende des 9. Jh.s. v o r . V g l . P . B . W h i t e h e a d , Americ. Journ. o f Archeol. 31 (1927), 2f. - Über pons maior b z w . lapideus s. o. S. 446f. *) U m die Untersuchung nicht zu sehr z u belasten, sehe ich davon ab, daß Pigmenius als presbyter de titulo Pastoris bezeichnet wird, titulus Pastoris k o m m t sonst nur in Heiligenlegenden v o r als ältere Bezeichnung der Titelkirche S. Pudenziana. Pudentiana steht als N a m e dieser Kirche schon 384 auf der Inschrift de Rossi Inscr. Christ. 1, 347, Gatti 3200 (H. G r i s a r , Geschichte R o m s und der Päpste 1, Freiburg 1901, 149, 2). K i r s c h , Festschrift 61 und T i t e l kirchen 6 7 , 1 , betrachtet titulus Pastoris als „wahrscheinliche" Fälschung des Verfassers der Pudenslegende. D u f o u r c q , a; O . 284f., sieht darin sogar einen Versuch, diese neue Bezeichn u n g propagandistisch zu lancieren. Diese Erklärungen sind schwach begründet und e r scheinen mir aus allgemeinen E r w ä g u n g e n ganz unwahrscheinlich. Ich kann hier aber nicht die Problematik der Titelkirchen behandeln. Mehrere N a m e n für diese Kirchen nebeneinander k o m m e n durchaus vor, z. B . titulus Gai, adduas domus, Susannae (vgl. C h r . H u e l s e n , Le Chiese di R o m a nel M e d i o E v o , Florenz 1927, L X I X ) ; v o n diesen Namen ist Gai außer in der Legende nur noch in den Unterschriften des Konzils v o n 499 überliefert, die nun eben zufällig da sind und die Legende bestätigen. — H . D e l e h a y e , M a r t y r o l . Hier. A A . SS. N o v . 2, 2 S. 631 v e r mutet etymologisierende ätiologische Erdichtung nach der N a m e n s f o r m Pimettius (auch Pe-, Py-, Pu-, Po-) aus griech. Poimen „ H i r t " . D o c h wäre auch der umgekehrte V o r g a n g denkbar, Fixierung einer Personennamenvariante aus dem lateinischen Kirchennamen durch gräcisie-
Das Forum Tauri in R o m
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Die Überprüfung der römischen Ortsangaben hatte folgendes Ergebnis: caput Tauri, palatiurn Licinianum (-i), forma Claudia (-i)1), Ponziankatakombe, ad Ursum Pileatum, Porta Portuensis, via Salaria (vetus), Sacra via, clivus Cucumeris sind auch sonst belegbare und teilweise sehr bekannte Örtlichkeiten, einige alt wie via Salaria oder doch schon aus dem 4. Jh. nachzuweisen, wie coemeterium Pontiani und ad Ursum Pileatum. Der Platz der Gräber des Abdon und Sennes ist in der Ponziankatakombe noch heute bestimmbar 1 ). Auch das palatium gegenüber dieser Katakombe in der Rezension P W ist zu rechtfertigen, da die Funde der U m gebung auf Bebauung mit Villen schließen lassen 3 ). Ja, sogar die Nachricht von dem Hause des Faustus neben dem des Johannes und Paulus erscheint zuverlässig D u f o u r c q , a. O. 3 1 1 , hatte den Faustus der Bibianalegende f ü r eine Fälschung nach dem Namen der bekannten Familie der Fausti erklärt, die zwischen 483 und 541 zahlreiche Konsuln und Staatsmänner stellte. Der Konsul von 483 trug die Namen Anicius Acilius Acinatius Faustus Albus. Der von 490 nannte sich Flavius Anicius Probus Faustus iunior Niger. Die Namen zeigen die Verwandtschaft mit dem verzweigten Geschlecht der Anicier, und weitere verwandtschaftliche Beziehungen bestehen u. a. mit den Corvini und Valerii Messalae 4 ). Die Anicii und Valerii (Proculi, Severi) hatten aber gerade auch auf dem Coelius einige Palazzi, letztere bei S. Stefano rotondo, der allerdings Anfang des 5. Jh.s nach Devastierung durch gotische Plünderer abgestoßen und wohl in ein Xenodochium (Hotel) verwandelt wurde. D . n Aniciern gehörte ein Haus gleich gegenüber von SS. Giovanni e Paolo; im 6. J h . besaß es der diesem Geschlechte angehörende spätere Papst Gregor I. und richtete dort die heute nach ihm benannte Kirche und ein Kloster ein. Sollte nicht der Legendenschreiber diesen B a u mit der domus Fausti gemeint haben 5 ) ? Wenn die Identität des Anicierpalastes mit der domus Fausti iuxta domum Iohannis et Pauli stimmt, würde die Interpolation corpora statt domum im 7. J h . leicht erklärt sein. Denn dieser Redaktor w i r f t die domus Fausti mit der domus Iohannis et Pauli zusammen. Tatsächlich hatte Gregor den Anicierpalast Ende des 6. Jh.s einer ganz anderen Zweckbestimmung zugeführt. Damit war die topographische Angabe der Legende gegenstandslos geworden, und sie mußte die Kleriker, die unter SS. Giovanni e Paolo so aufregende Entdeckungen gemacht hatten, gerade wegen jener psychologischen Relation zwirende Ausdeutung; vgl. zum Namen der Monica R E Suppl. 6 (1935), 523. Die Entscheidung gibt die Sprachwissenschaft. Sie stellt fest, daß ursprüngliches -gm- vulgärlateinisch sich zu -umentwickelt; ampigmcntuin wird piumentum (pugumentum). Demnach ist Pigmenius die ursprüngliche Form. Dann erscheint D e l e h a y e s W e g als der schwierigere. Vgl. W . M e y e r - L ü b k e , Einführung in das Studium der romanischen Sprachwissenschaft', Heidelberg 1920, 170, auch D u f o u r c q , a. O. 24of. ') Gemeint ist eine etwa bei pta. S. Lorenzo zu den sog. Trofei di Mario abzweigende Leitung des Anio novus, die etwa 100 m N W von S. Bibiana vorbeiführte. H. J o r d a n , Topographie 2, 3 5 1 . T h . A s h b y . T h e Aqueducts of Ancient R o m e , O x f o r d 1935, 1 5 3 . 297f. l ) S t y g e r , a. O. 280; dort kommt inschriftlich auch der Name Pigmenius in der Orthographie Pumenius vor. ®) S t y g e r , a. O. 278. Die Funde sind orientalisierend. Das hängt sicher mit dem orientalischen Motiven zusammen, die die Legende des Abdon und Sennes ebenso wie die des Pigmenius aufweist, s. D u f o u r c q , a. O. 237fr. *) Vgl. M o m m s e n , Cassiodor 492f.; B e n j a m i n , R E 6 (1909), 2094f.; O. S e e c k , R E 1 (1894), 2202. Ihre Personalien bespricht ausführlich J . S u n d w a l l , Abh. zur Geschichte des ausgehenden Römertums, Helsingfors 1 9 1 9 , 87. 97. 99. H ö f . ; ein Stammbaum S. 130. s ) Z u den einzelnen Bauten vgl. O. R i c h t e r , Topographie der Stadt R o m 2 , München 1 9 0 1 , 339; H . J o r d a n - C h . H u e l s e n , Topographie der Stadt R o m im Alterthum 1 , 3, Berlin 1907, 2 4 1 . 2 3 i f . ; P l a t n e r - A s h b y , a. O. 1 8 1 . 196; H u e l s e n , Chiese 256. Erwähnt sei noch, daß in der Familie der Anicier auch die Namen Flavianus und Demetrias (so) eine Tradition besaßen, s. das Stfimma bei O. S e e c k , vor. Anm., G r i s a r , a. O. 50. Auch bestehen familiäre Beziehungen Zum Katakombenbezirk an der via Salaria: In der Priscillakatakombe an der via Salaria nova hatte die Dienerschaft der Anicii Glabriones Fausti eine Begräbnisstätte, s. S t y g e r , a. O. m .
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sehen realem R a u m und W a h r h e i t reizen, die unverständlich g e w o r d e n e Lokalbezeichnung den neuen Verhältnissen anzupassen 1 ). Sprachlich kann diese veränderte Auffassung durch die in der Spätzeit oszillierende B e d e u tung v o n iuxta unterstützt w o r d e n sein. Es heißt zunächst und so auch in der Legende (s. o. S. 443 ff. Z . 36. 84. 123) „dicht neben". Schon bei Livius bezeichnet iuxta aber auch die Identität (— pariter)2). In der Spätzeit w i r d es dann bei geographischen N a m e n zu apud, in3). Das hat sich w o h l entwickelt aus Gebrauchsweisen an solchen Stellen, w o z w e i lokale Bestimmungen durch iuxta verbunden werden. Es heißt dann „ w a s gleich i s t . . . " und schließlich „ i n n e r h a l b " : Hist. A u g . v . Alexandr. Sever. 2$, 3 unter den v o m Kaiser restaurierten Bauten thermal Hominis sui iuxta eas quae Neronianae fuerunt. Es ist sicher v o r allem durch E u t r o p 7, 15, 2, daß es sich u m eine Restitution der ehemaligen - w o r a u f das Perfekt fuerunt geht — Nerothermen handelt, v . Heliogabal 3, 4 Heliogabalum in Palatino monte iuxta aedes imperatorias con ecravit eique templum fecit. D i e angegebene B e d e u t u n g f ü r iuxta ergibt sich hier aus der Parallelüberlieferung, besonders A u r . V i c t o r 23, 1 in palatii penetralibus altaria constitnit'). Ä h n l i c h konnten die späten Leser der Bibianalegende in domo sua iuxta domum ss. Iohannis et Pauli im Sinne der Identität mißverstehen. D i e Passionen dienten nicht nur als eine A r t erbaulicher Unterhaltungsliteratur in F o r t setzung der Schriften de exitu clarorum virorum 5 ) und als Ersatz der alten Heldenkataloge'), sie erfüllten später auch die R o l l e v o n Reisehandbüchern, und die Lokalangaben fanden eine Stütze in der Märtyrerverehrung, die außer an bestimmte Tagdaten an die O r t e des M a r t y r i u m s und der Gräber gebunden w a r . Schon aus diesem Grunde ist nicht z u erwarten, daß die O r t s angaben als solche fingiert sind 7 ). Ihre bei der W a l l f a h r t an O r t und Stelle erprobte R i c h t i g keit mußte den naiven Gläubigen den Eindruck vermitteln, daß die ganze Geschichte ihres Heiligen sich wirklich so abgespielt habe, w i e die Passio sie berichtete. Es bestätigt sich also das für die Historia A u g u s t a festgestellte Prinzip der Fälschung') : D i e Zuverlässigkeit der O r t s angaben trägt teilweise fingierte Personennamen und eine total erdachte Geschichte mit.
1 ) U m 600 n. C h r . erlebte das Interesse an den M ä r t y r e r n im A b e n d l a n d überhaupt einen u n erhörten A u f s c h w u n g . M a n kann z. B . an aie fürchterliche Geschichte denken, die unter Pelagius II., dem V o r g ä n g e r Gregors I., der sie uns in einem Briefe erzählt, solchen Ausgräbern passierte; sie suchten im A u f t r a g e des Papstes nach den Gebeinen des Märtyrers Laurentius. F. S k u t s c h hat das, K l . Sehr. 368, 1, in einen religionsgeschichtlichen Zusammenhang eingeordnet. A n r e g e n d w i r k t e besonders w i e d e r der Osten, zu dem sich die Beziehungen in dieser Periode enger gestaltet hatten, v g l . H . G ü n t e r , D i e christliche Legende des Abendlandes, Heidelberg 1910, 137ÎF. 2 ) V g l . K r e b s - S c h m a l z , Antibarbarus i 7 , Basel 1905, 810; A m m . Marc. 2 2 , 1 2 , 7. 30, j , 6. ' ) Eugippius v i t . Severin. 1 3 , 1 ; L a n d o l f M G H . A A . II, S. 372, i 8 f . G . F u n a i o l i , A L L . 13 (1904), 3654 ) Es liegen also an beiden Stellen keine Irrtümer v o r , w i e A . v . D o m a s z e w s k i , Sber. H e i d e l berg 1916, N r . 7, 8, annahm; v g l . Sber. Heidelberg 1918, N r . 13, 1 5 1 . 6)
V g l . F. D o r n s e i f f , A R W . 22 (1923/4), 147, auch R . R e i t z e n s t e i n , W u n d e r e r z ä h l u n g e n 36f. •) V g l . L u c i u s , a. O . (o. S. 447,2) 83fr. 7 ) Für clivus Cucumeris, via sacra, pons maior und basilica Olympiana (so!) neben forum Tauri beansprucht schon d e R o s s i , a. O . (o. S. 339, 2) 281, 6, Zuverlässigkeit. *) Die M e t h o d e ist auch anderwärts in der ganzen Gattung die gleiche: Erdachte Briefe, a n g e b liche alte Quellenbücher, minu iöse Genauigkeit in Einzelangaben. V g l . dazu D u f o u r c q , a. O . 61 ff. M o t i v ü b e r t r a g u n g e n v o n einer Vita a u f die andere, z. B . 241 f., j a hierbei sogar, w i e D u f o u r c q es treffend nennt, „julianisation" der Tradition im Falle der Legende des Pigmenius. Es w ä r e gefährlich, wollte man daraus eine Datierung entnehmen. Ähnlich w i e D e s s a u in der Historia A u g u s t a anachronistische V e r w e n d u n g v o n Personennamen aus der Z e i t ihrer Abfassung erkannte, konnten w i r o . S. 453 z. B . dem N a m e n Faustus in den gesta Bibianae eine aktuelle B e z i e h u n g zwischen 483 und 541 geben. D a z u treten andere M o t i v e aus der Z e i t der Abfassung in den Fälschungen (vgl. a. O . 336, überhaupt die Kapitel über d é f o r m a -
Das Forum Tauri in R o m
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Es besteht daher auch kein Zweifel daran, daß forum Tauri eine wirkliche römische Lokalität w a r zu der Zeit, als der Archetypus der Legende geschrieben wurde. Das geschah, wenn wir es vorsichtig zunächst formulieren, „um das 6. J h . " 1 ) . W i r können diese Zeitangabe unter Ausnutzung der Erkenntnisse über das Wesen solcher Fälschungen näher bestimmen. Die Legende erzählt von dem Bau einer Grabkirche für den Leichnam der Bibiana. A u f diese Kirche bezieht sich die erste historische Nachricht über Bibiana, die wir besitzen. Es ist die Mitteilung des in diesem Teil in der ersten Hälfte des 6. Jh.s redigierten 2 ) Liber pontificalis, Bd. i , S. 249 (Duchesne), über die Weihung der Kirche tions des traditions). In derselben Zeit wie die Masse der Heiligenlegenden entstand, worauf auch D u f o u r c q 291 verweist, die vita Severini des Eugipp, dessen geistige Haltung turmhoch über jenen Legenden rangiert - wie einst Ammian neben dem Verfasser der Historia Augusta schrieb. !) J . P. K i r s c h , L T K 2 2 (1931), 325. 2
) A u f die hiermit verbundene Streitfrage will ich nicht eingehen. W i r haben vom Papstbuch zwei kurze F a s s u n g e n , die nach den beiden Päpsten, mit denen sie abschließen, Felix IV. (bis 530) und Conon (bis 687), Feliciana und Cononiana heißen, sowie eine erweiterte Fassung, die die Viten fortlaufend aneinanderreiht. Allgemein anerkannt ist, daß es eine erste mit Felix IV. abgeschlossene R e z e n s i o n gab, ferner daß die Viten gegen Conon zu zeitgenössische Farben an sich haben und dort ein zweiter Hauptabschluß bestanden hat, der zeitlich auf den Ausgang des 7. Jh.s bestimmt ist. Die Frage nach der Zeit der ersten Rezension ist heate gegen M o m m s e n (in der Praef. seiner Ausgabe Mon. Germ. Gesta Pontif. I, 1898, X H I f f . ) entschieden : Sie ist in der ersten Hälfte des 6. Jh.s, wohl gleich nach Felix IV. geschaffen worden. Repräsentiert wird die erste Rezension durch die Feliciana und den entsprechenden Teil der Cononiana. Dazu kommt eine Klasse der Handschriften der erweiterten Fassung, die ein Exemplar der ersten Rezension herangezogen hat. Die erweiterte Fassung ist nach D u c h e s n e , Lib. Pontifie. 1 , Introd. C C X X X I , in der Zeit des Vigilius (537—555) ein erstes Mal abgeschlossen worden, vgl. L. D u c h e s n e , Mélanges d'archéol. et d'histoire 18 (1898), 400ff. Auch sie hängt letzten Endes mit der ersten Rezension zusammen. Beim ersten Lesen ist jedenfalls evident, daß in der erweiterten Fassung nach Felix IV., allerdings schon beginnend mit der Vita des Agapitus (535/6), ein merklicher Stilwechsel fühlbar wird. Stilistisch scheinen sich dann im folgenden mehrere Gruppen von Viten gegeneinander abzuheben, die jeweils einen R a u m von ungefähr 40 bis 60 Jahren umfassen. - In diesen verschiedenen Erscheinungsformen der uns besonders interessierenden ersten Rezension erblickte E . C a s p a r , Geschichte des Papsttums 2, Tübingen 1933, 314fr. (vgl. H . L i e t z m a n n , R E 13 [1926], 76ff.), einen literarischen R e f l e x der Streitigkeiten zwischen dem Papst Symmachus (498-514) und dem Gegenpapst Laurentius. Die erste Rezension des Liber pontificalis vertrat den Standpunkt der Partei des Symmachus, die eine unabhängige römische Politik gegenüber Byzanz verfolgte und mit den Ostgoten sympathisierte. Den gegnerischen Standpunkt verfocht ein ähnliches Werk, von dem wir noch einen Fetzen im sog. fragmentum Laurentianum besitzen. Unter dem Nachfolger von Felix IV., Papst Bonifatius, w o die erste Rezension des Liber Pontificalis entstand, war eine ähnliche Auseinandersetzung im Gange. Bonifatius war nicht R ö m e r , sondern Germane, wie Symmachus Sarde gewesen w a r ; er war Regierungsparteiler und stand anfangs einem Gegenpapst der byzantinischen Richtung gegenüber, dem Dioscurus. Unter Agapitus, w o eine erste erweiterte Fassung abgeschlossen zu sein scheint, wurde dieser Streit mit Dioscurus erneut aufgegriffen, nun allerdings im Sinne einer Korrektur der Maßnahmen des B o n i fatius. Den Agapitus, der Adliger und Verwandter von Felix III. war, kann man zwar noch als Regierungsparteiler bezeichnen, aber die politische Lage war im Umbruch begriffen. Von Süden näherten sich die Byzantiner der Stadt R o m . S o begleiten die Fassungen des Liber pontificalis jeweils die erforderlich gewordenen „Generalabrechnungen mit B y z a n z " , wie sie E . C a s p a r , Zeitschr. f. Kirchengesch. 54 (1935). 150, genannt hat. Z u den historischen Vorgängen vgl. H a l l e r , Papsttum 1 , 220. 240. 245. - Ich zitiere im allgemeinen immer die kürzeste Fassung ; die gleich zu zitierende Notiz über S. Bibiana steht dagegen nur in der erweiterten Fassung. Man hat kein Mittel, um zu entscheiden, woher die nur in der erweiterten
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S. Bibiana durch Papst Simplicius (468-483) 1 ). Sie besteht noch heute in der unter Urban V I I I . durch den U m b a u Berninis 1624/5 geschaffenen Form 2 ). J . P. K i r s c h hat nun die Entstehung einiger altchristlicher Kirchen R o m s und der an sie geknüpften Legenden untersucht und auch S. Bibiana behandelt 3 ). Verschiedene dieser ältesten Kultstätten wurden in ursprunglich p r o fanen Privatbauten 4 ) eingerichtet, so v o n den Titelkirchen, w i e erwähnt, SS. Giovanni e Paolo®), v o n den Kirchen ohne Pfarrtitel z. B . S. Croce in Gerusalemme (basilica Hierusalem) in dem Palatium Sessorianum oder die heute untergegangene Basilica S. Andreae cata Barbara Patricia in einem B a u , der der vornehmen Familie der Iunii Bassi und danach einem Goten gehört hatte'). B e i der Einrichtung solcher Kirchen liebte man es, sich Reliquien zu verschaffen, besonders aus dem Orient, w o das im Gegensatz zum Westen leicht anging, u n d in dem neuen Kultraum beizusetzen. Die weiter wuchernde Volkslegende schuf darauf die Vorstellung, das Heiligengrab selbst befinde sich dort an O r t und Stelle. S o wurde auch im Falle v o n S. Bibiana w o h l zunächst in einem dort befindlichen Hause ein R a u m durch D e p o sition v o n Reliquien einer wahrscheinlich gar nicht Stadt römischen 7 ) Heiligen Bibiana g e weiht 8 ). M a n glaubte dann, so ist die Ansicht v o n K i r s c h , im Laufe des 5. Jh.s, dort das G r a b der Märtyrerin selbst zu besitzen, und Papst Simplicius „ w e i h t e " ihr einen ansehnlicheren R a u m , etwa den Saal eines über diesem Reliquiengrab liegenden Gebäudes, eben eine Basilika. Ähnlich hat dieser Papst es z. B . , wie erwähnt, bei der W e i h u n g v o n S. Andreae gemacht. Bedenklich ist bei dieser sonst einleuchtenden Erklärung der Geschichte v o n S. Bibiana nur, daß sie ohne ein reales Grab oder wenigstens einen Gegenstand, der eine Beisetzung genügend wahrscheinlich machte, auszukommen versucht. Papst und Gläubige und nicht zuletzt der Schreiber selbst sollen also mit einer recht nebelhaften Vorstellung v o n der Beisetzung einer Märtyrerin zufrieden gewesen sein — zu einer Zeit, w o man überall nach solchen D i n g e n fahndete, um sich ihrer zu bemächtigen und Authentizität zu erreichen. Bei der Legende der Kirche SS. Giovanni e Paolo steht es etwas anders. Sie ist im ältesten Teil fast ganz der L e gende der antiochenischen Heiligen Joventinus und Maximianus nachgebildet. Hinzugesetzt ist nur eine W e n d u n g , die die Bestattung ins Haus der M ä r t y r e r Johannes und Paulus selbst verlegt'). A m Schluß dieser ersten Fassung heißt es dann noch, Terentianus, der die geheime Fassung erhaltenen Nachrichten herkommen. Die Berichte über Bauten der Päpste sind in der R e g e l ausgezeichnet. ' ) dedicavit ...et aliam basilicam intra urbc Roma iuxla palatium Liciniatium (Vicinianum verschreibt der Parisinus 5 5 1 6 = D s. I X ; zwei andere Hss. licianum) beatae martyris Bibianae, ubi corpus eius requiescit. V g l . C h r . H u e l s e n , Chiese 2 1 3 ; über eine Erneuerung der Kirche unter Leo II., die er notiert, konnte ich nichts feststellen. 2 ) V g l . L. v . P a s t o r , Geschichte der Päpste 1 3 , 2, 2, Freiburg 1929, 936. s ) Festschrift 49ff., bes. 55fF. Umfassender behandelt er die sicheren Beispiele, v o n denen aus z. B . S. Bibiana analog beurteilt werden kann, in: I santuari domestici di martiri usw., Atti della Pontif. Accad. R o m . di archeol. ser. III Rendiconti 2 (1924), 2 7 f f . , und schließlich T i t e l kirchen 1 7 ff. 1 1 8 flf. (für acht Titelkirchen ist der Zusammenhang mit älteren Privatbauten heute erwiesen). 4 ) Nicht in öffentlichen Bauten oder gar in Tempeln, w i e H . G r i s a r , a . O . 1 5 2 , betont. 6 ) H u e l s e n , Chiese 277. •) V g l . G r i s a r , a. O . 1 5 3 ; H u e l s e n , Chiese I 7 9 f . 7 ) D a g e g e n H u e l s e n , Chiese L X X X V I I „martire r o m a n a " . A b e r unter den Namen in der anonymen Katakombe Viale R e g i n a v o r pta. S. Lorenzo nicht weit v o n der Kirche S. Bibiana fand sich auch eine Bibiana, s. S t y g e r , a. O . 1 9 3 . D i e N a m e n dort, durchweg Sklavennamen, zeigen viel orientalischen Einschlag. A u s der gleichen Gegend stammt Diehl I C L 4460 A Kappados Bibianus. M a n darf in diesem Zusammenhang an die ganz besondere Bedeutung Kappadoziens in der christlichen B e w e g u n g der Zeit um 500 erinnern. Die Fülle v o n M ä r tyrerstätten w i r d hervorgehoben, v g l . A . v . H a r n a c k , Die Mission und Ausbreitung des Christentums 2 4 , Leipzig 1924, 747. •) S o auch schon D u f o u r c q , a. O . 124. •) P. F r a n c h i d e ' C a v a l i e r i , N u o v e N o t e Agiografiche, in: Studi e Testi 9 (1902), 55fF.
Das Forum Tauri in R o m
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Hinrichtung der Heiligen durchgeführt hatte, und sein Sohn seien durch Zeichen, die der Himmel gab, bekehrt worden, und von Terentianus selbst, oder jedenfalls nach dem Bericht des Terentianus, wurde die Passio geschrieben 1 ). In der ersten Fassung wird auch, wie wir sahen, die basilica, die spätere Titelkirche, noch gar nicht erwähnt. Ihre Erbauung kommt erst in der zweiten Fassung dazu. Dieser Umstand und die erwähnte Schlußwendung der ersten Rezension zeigen wohl, daß diese noch nicht an reale Gegenstände wie Grabfunde anknüpfte, die die Erzählung durch ihr Dasein hätten bestätigen können, sondern daß sie literarisch entstanden ist als Erklärung des Doppelnamens der Kirche. Die notwendige Bezeugung konnte hier auch nur literarisch erzielt werden, und der Autor erreichte sie mittels des in solchen Fälschungen, wie z. B . in der Historia Augusta, beliebten Topos der Autopsie 2 ). Nachdem die Volksauffassung sich soweit und in der zweiten Rezension noch weiter konkretisiert hatte, kam es schließlich, wie wir o. S. 449 in effectu gesehen hatten, zur Suche nach den Realien. Reale Zuständlichkeit, historische Fälschung, propagandistische Wi*kung und resultierender A k t gehören in einer solchen Anschauungsweise immer zusammen. Die Legende von S. Bibiana enthält zwar auch einzelne romanhafte Motive 3 ), aber als Ganzes zeigt sie nicht diesen literarischen Charakter wie jene. Ich will darum durch Abwägen der verschiedenen Nachrichten versuchen, die Wurzeln dieser Legende aufzudecken. V o r allem dürfen wir nicht nur mit unserem historisch geschulten Denken an diese Aufgabe herantreten, sondern müssen die Denkform des frühmittelalterlichen Römers berücksichtigen. Das Papstbuch in der ersten Hälfte des 6. Jh.s spricht von der „ W e i h u n g " der basilica beatae martyris Bibianae. Die Legende gibt einen ,,Bau"-Bericht 4 ) und einen anderen Namen: Eine gewisse Olympina (in P eine Olympias) habe nach dem Untergang des Kaisers Julian die R e l i quien der Märtyrerin, ihrer Schwester und ihrer Mutter gesucht und gefunden; ibi et basilicam conslruxit, quae usque hodie Olympiana vocatur sagt P ; B und C lassen die nunc-Formel w e g und haben nur noch das Präsens: quae dicitur Olympinae B ; Olympina C . Die Zeit dieses V o r gangs wird in der Legende auf den R a u m zwischen T o d des Julian Apostata (363) und Papst Siricius (384-398) festgelegt; denn es heißt weiter, Olympina habe dort gelebt bis zur Zeit des Bischofs von R o m Siricius. Der Unterschied zwischen dem dedicare des Papstbuches 6 ) und dem zeitlich voranliegenden construcrc der Legende dürfte nach den von K i r s c h beigebrachten Analogien in gewisser Weise historisch begründet sein. N u r wird die basilica eben nicht ad hoc gebaut worden sein und nicht zu der Zeit, die die Legende meint. Der erste Redaktor des erweiterten Textes des Liber pontificalis ,weiß', daß zu seiner Zeit dort der Leichnam der Märtyrerin „ r u h t " (requiescit, Präsens). Dasselbe ,weiß' der Redaktor der Legende. Der Liber pontificalis macht seine Bemerkung über das Grab gelegentlich ihrer Weihung durch Papst Simplicius. Da er nicht historisch-kausal, sondern querschnittlichakausal denkt'), dürfen wir als Historiker das linear umsetzen und einen Zusammenhang zwischen dem Vorgang der Weihung und der Zuständlichkeit des Grabortes herstellen : Die Feststellung des Grabes der Bibiana (nach dem Papstbuch) oder der drei Frauen (nach der Legende) 1
) F r a n c h i , N o t e 44. ) Parallelen aus anderen Legenden bei H . D e l e h a y e , Les passions des martyrs et les genres littéraires, Brüssel 1 9 2 1 , 2 5 1 f. 3 ) Das meiste davon ist ganz rudimentär: Reisen in ferne Länder des östlichen Mittelmeers, Träume und göttlicher Befehl, Keuschheit hochgestellter Frauen, vgl. S ö d e r , a. O. 2 1 ff. 38. 147. 1 7 1 f r . ') Mir zugänglich gewesen nur in C B P . In M ist er mit der ganzen Pigmeniuslegende herausgeschnitten worden. ') dedicare von einem bereits vorher bestehenden Kultgebäude z. B . Lib. Pontif. 1 , 230 Duch. von S. Maria in Trastevere, dem alten titulus Iulii, betr. die Wiederherstellung nach dem Gotenbrand von 410. 2
•) Einige Stellen aus dem L . P., B d . I Duch.: 1 4 1 , 7 qui appellatur usque in hodiernum diem cymiterium Calisti; ähnlich 72, 24 = 162, 9 cubiculum qui patet usque in hodiernum diem in der Priscillakatakombe ; 1 7 0 , 6 (Titelkirche). 1 7 9 , 1 1 (Kirche). 2 3 0 , 4 . 9 0 , 9 = 2 3 8 , 1 4 . 1 0 2 , 2 8 (Aktenbestände). Entsprechende präsentische Formeln wie 279, 3 in loco qui appellatur via Sacra:
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B e i l a g e II
b z w . eines o d e r dreier G e g e n s t ä n d e , die ein G r a b ausreichend v e r t r e t e n , f ü h r t e zur W e i h u n g d u r c h d e n P a p s t 1 ) . A u f dieser realen G r u n d l a g e ruht nicht n u r die historische N o t i z des P a p s t b u c h e s , s o n d e r n a u c h die L e g e n d e . K i r s c h s A n s i c h t v o n d e r E n t w i c k l u n g d e r k u l t i s c h e n A n s c h a u u n g ist w o h l r i c h t i g , aber diese E n t w i c k l u n g f ü h r t e d a h i n w e i t e r , w o g e w i s s e r m a ß e n „ d i e B o m b e e i n m a l p l a t z e n m u ß t e " . P a p s t b u c h u n d L e g e n d e z e i g e n , d a ß alles a u c h n a c h W u n s c h v e r l i e f . E s ist a n sich i r r e l e v a n t , o b m a n z u f ä l l i g in diesem G e b i e t , das a u ß e r h a l b d e r Servianischen M a u e r g e l e g e n u n d v o n alten Grabanlagen bedeckt gewesen war2), auf solche R e s t e stieß, o b m a n i n d e m u r a l t e n K u l t u r b o d e n R o m s i r g e n d e t w a s anderes f a n d , o d e r o b m a n s c h l i e ß l i c h v o r s o r g r e — w e i l m a n die D i n g e z u ernst n a h m , setzt das letztere w o h l eine e i n z e l n e i n t e r e s s i e r t e P e r s ö n l i c h k e i t , h ö c h s t e n s e i n e n e n g e r e n K r e i s v o n interessierten P e r s o n e n v o r a u s , u n d w i r k ö n n e n diese V o r a u s s e t z u n g n i c h t f ü r u n m ö g l i c h e r k l ä r e n . M a n d e n k e an d i e M ä r t y r e r l i e b e des A m b r o s i u s , an A u g u s t i n 3 ) . In R o m g i n g e n sie z u allen Z e i t e n in diesen D i n g e n r e c h t w e i t , o h n e a l l e r d i n g s das G e f ü h l eines V e r s t o ß e s g e g e n absolute N o r m e n z u h a b e n , w e i l diese f ü r R ö m e r n i c h t p r i m ä r e W e r t e w a r e n . F i k t i o n e n , w o es n o t tat, u m g e g e b e n e U m s t ä n d e z u b e w ä l t i g e n , w a r e n seit alters ü b l i c h , s o g a r in e i n e m s o n o r m a t i v e n B e r e i c h , w i e d e m R e c h t . I m m e r b e s t a n d d a n n i n R o m a b e r a u c h das B e d ü r f n i s nach L e g a l i s i e r u n g . B e i d e r B e n e n n u n g der alten K i r c h e n R o m s läßt sich die R e g e l b e o b a c h t e n , d a ß eine g r o ß e Z a h l , w e n i g s t e n s z u A n f a n g , n i c h t die B e z e i c h n u n g eines H e i l i g e n f ü h r t , s o n d e r n e i n f a c h n a c h d e m G r ü n d e r b e n a n n t i s t : Titulus Vestinae, später S. V i t a l e ; Equitii, später Silvcstri; Byzanti später a u c h T i t e l S S . Iohannis et Pauli (in C a e l i o ) 1 ) . D a s s e l b e gilt v o n den K i r c h e n , die n i c h t
1 8 7 , 2. 2 2 1 , 21 ff. 102, 8 = 270, 1 1 . 1 0 2 , 14 = 270, 1 5 ; in d e m S c h e n k u n g s v e r z e i c h n i s 2 4 2 , 1 5 ff., w i e ubi sunt columnae u s w . *) D u f o u r c q , a. O . I 2 5 f . , spricht d e m g e g e n ü b e r v o n le silence d u L i b e r Pontificalis, q u i est assez s u r p r e n a n t , b z g l . d e r A u f f i n d u n g d e r L e i c h e n . D e l e h a y e , a. O . (o. S. 452, 2) 299, sieht h i e r S c h w i e r i g k e i t e n in a n d e r e r H i n s i c h t ; ein G r a b i n n e r h a l b der Stadt sei eine s c h w e r e r k l ä r bare A n o m a l i e .
Sein W e r k
É t u d e sur le L é g e n d i e r R o m a i n
(Subsidia H a g i o g r a p h i c a
23),
B r ü s s e l 1936, w o diese F r a g e a n s c h e i n e n d n e u b e h a n d e l t w u r d e , w a r m i r nicht z u g ä n g l i c h . a)
V g l . z u l e t z t d a z u E . D o n c k e l , R o m . Q u a r t a l s c h r i f t 43 (1935), 30.
3)
V g l . L u c i u s , a. O . (o. S. 447, 2) 144fr.
4 ) V g l . G r i s a r , a. O . 1 5 1 ; K i r s c h , I santuari (o. S. 4 5 6 , 3 ) 3 7 f . , T i t e l k i r c h e n 1 4 8 ; H u e l s e n , C h i e s e L X X X V I I , v g l . e b d . z . B . die G e g e n ü b e r s t e l l u n g d e r K i r c h e n n a m e n i n d e n U n t e r s c h r i f t e n d e r S y n o d e n v o n 4 9 9 u n d $95, S . 124/5. - A m E s q u i l i n n a h e d e r T i t e l k i r c h e S. M a r t i n o ai M o n t i (Equitii) f a n d sich e i n w o h l i m Z u s a m m e n h a n g m i t d e r P l ü n d e r u n g R o m s d u r c h die G o t e n i m Jahre 4 1 0 v e r s t e c k t e r silberner H o c h z e i t s s c h a t z . N a c h d e m M o n o g r a m m g e h ö r t e e r der P r o i e c t a , die 383 in j u n g e n J a h r e n starb. D e r S c h m u c k w a r eine G a b e z u ihrer z w i s c h e n 3 7 9 u n d 383 v o l l z o g e n e n V e r m ä h l u n g m i t e i n e m an J a h r e n sehr v i e l älteren T u r c i e r . D e r S c h w a g e r , w i e es scheint, w a r m i t e i n e r N i c h t e d e r älteren M e l a n i a v e r h e i r a t e t . G e m a h l dieser b e r ü h m t e n M e l a n i a , die z u m K r e i s e des H i e r o n y m u s bis z u dessen Streit m i t R u f i n g e h ö r t e , w a r ein V a l e r i e r g e w e s e n u n d a u c h ihre g l e i c h n a m i g e , i m J a h r e 383 g e b o r e n e E n k e l i n , T o c h t e r d e r C e i o n i e r i n A l b i n a , heiratete e i n e n V a l e r i u s P i n i a n u s . D i e s e r j ü n g e r e n M e l a n i a hatte d e r o . S . 453 e r w ä h n t e V a l e r i e r p a l a s t b e i S. S t e f a n o r o t o n d o g e h ö r t . W i r sahen, d a ß in d e r N ä h e d e r Palast d e r v e r s i p p t e n A n i c i i Fausti g e l e g e n h a t t e , g e g e n ü b e r d e r späteren T i t e l kirche S S . G i o v a n n i e Paolo. E i g e n t ü m e r v o n deren G e b ä u d e w a r e n damals Byzantius u n d d e r F r e u n d des H i e r o n y m u s , P a m m a c h i u s . N u n t r ä g t ein S c h m u c k s t ü c k des S c h a t z e s v o m E s q u i l i n die Inschrift BYZAN. S t . P o g l a y e n - N e u w a l l , R o m . M i t t . 45 (1930), 1 3 3 , sah darin e i n e H e r k u n f t s a n g a b e ; die G e g e n s t ä n d e seien in C o n s t a n t i n o p e l g e a r b e i t e t w o r d e n . I c h m ö c h t e i m H i n b l i c k a u f die d a r g e l e g t e n w e c h s e l s e i t i g e n p e r s ö n l i c h e n B e z i e h u n g e n e h e r darin d e n N a m e n des christlichen S e n a t o r s , v i e l l e i c h t als des Stifters, e r k e n n e n , d e r die T i t e l k i r c h e in seinem H a u s e g r ü n d e t e . P r o j e c t a w a r selbst eine b e k a n n t e C h r i s t i n . Ihr V a t e r F l o r u s stiftete eine K i r c h e des L i b e r a l i s ; Papst D a m a s u s w ü r d i g t e die T o c h t e r s o g a r eines E p i g r a m m s e p . 53 I h m , v g l . P o g l a y e n - N e u w a l l , a. O . 1 3 7 ; W . E n ß l i n , R E 15 ( 1 9 3 1 ) , 4 1 5 f r . ; P . v . R o h d e n , R E 2 (1896), 273.
Das Forum Tauri in R o m
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Titel sind; so heißt z. B. die basilica Hierusalcm, die im Palatium Sessorianum errichtet worden war, zunächst auch basilica Sessoriani palatii1) oder - nach der Mutter Helena des Stifters C o n stantin I. - auch Heleniana2). Diese Verhältnisse erlauben eine Beurteilung der f ü r S. Bibiana überlieferten Prädikate. Basilica Olympi(a)na ist, insofern hat die Legende wiederum eine richtige toponomastische Vorstellung, die ältere Bezeichnung der Kirche nach dem Gründer bzw. Eigentümer des Hauses; er wird den Namen Olympius oder Olympi(n)a getragen haben 3 ). Die Legende sagt ausdrücklich, zu ihrer Zeit habe die Kirche so geheißen, während die erste Rezension des Papstbuches in der ersten Hälfte des 6. Jh.s bereits die damals allgemein bei den Kirchen geläufig werdende Benennungsart nach der Märtyrerin zeigt. Sie war bei S. Bibiana dann zunächst fester Usus, denn die zweite Rezension aus der zweiten Hälfte des 7. Jh.s sagt ebenfalls hic (Leo II. 682/3) fecit ecclcsiam in urbe Roma iuxta sancta Viviana... (Lib. pontif. 1, 360 Duch.). Diese Veränderung ist sehr verständlich: Nachdem das Märtyrergrab einmal gefunden war, ergab sich die Konsequenz des Namenwechsels sehr leicht, und die alte Bezeichnung kann nur noch kurze Zeit so ausschließlich in Gebrauch gewesen sein, wie es der Wortlaut der Gesta verlangt 4 ). Die Legende zeigt also gute baugeschichtliche, toponomastische und hagiographische Kenntnisse der Periode des Simplicius, wie sie das Papstbuch in so weitem Umfang nicht mehr hat. Sie ,paßt', obwohl sie fingiert ist, so glänzend zu der Wfcihung von S. Bibiana, daß wir zu denselben Folgerungen wie bei der Historia Augusta gezwungen sind. Die gesta Bibianae stellen sich als die nachträgliche historische Sanktionierung der Weihung von S. Bibiana durch Simplicius heraus. Sie faßten dabei offenbar auch einige in den verschiedenen Stadtteilen Roms umlaufende Heiligengeschichten zusammen„die dort sich an lokale Stätten des kirchlichen Kultes geknüpft hatten und bisweilen deutliche Spuren der Zusammensetzung der Bevölkerung in dem betreffenden Quartier zeigen (z. B. vgl. o. S. 453, 3). Der Redaktor sicherte damit der literarischen Form, in die er die Volksauffassungen goß, eine breite Resonanz zunächst in Rom®). Natürlich war das nicht das einzige Material, durch das er sich anregen ließ. M ü n d 1) Das heißt Anfang des 6. Jh.s, im 8-/9. Jh. nur noch in sehr depravierter Form wie quae in Suxurio est (Belege bei H u e l s e n , Chiese 243). 2 ) G r i s a r , a. O . 153. H u e l s e n , Chiese 243, erwähnt letzteren Namen allerdings nicht. *) Von einem Freund namens Olympius spricht der Brief 9, 64 des Symmachus. An der kaum 500m von S.Bibiana entfernten Titelkirche S. Eusebio gab es im 4. Jh. ( K i r s c h , Titelkirchen