Religion unterrichten [1 ed.] 9783666634147, 9783525634141


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Religion unterrichten [1 ed.]
 9783666634147, 9783525634141

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Bernd Schröder

Religion Praktische unterrichten Theologie konkret

Herausgegeben von Hans-Martin Lübking / Bernd Schröder

Praktische Theologie konkret Band 6

Herausgegeben von Hans-Martin Lübking und Bernd Schröder

Bernd Schröder

Religion unterrichten

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit einer Abbildung und 2 Tabellen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress. Umschlagabbildung: © AdobeStock/Jacob Lund Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-63414-7

Inhalt

Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Vorwort des Autors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1 Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7

Schule als Teil des staatlichen Bildungssystems . . . . . . . . . . 14 Einzelne Schulen als Handlungseinheiten . . . . . . . . . . . . . . 17 Schüler:innen als Individuen in heterogenen Lerngruppen 18 Schüler:innen in ihren Lebensphasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Religionsunterricht als Fach der staatlichen Schule . . . . . . 24 Rolle und Aufgaben der Religionslehrer:innen . . . . . . . . . . 28 Dynamiken und Herausforderungen des Religionsunterrichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

2 Update – aktuelle Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.1 Kompetenzorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.2 Inklusion und Heterogenitätsmoderation . . . . . . . . . . . . . . 37 2.3 Intra- und interreligiöses Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2.4 Kinder- und Jugendtheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.5 Performative Didaktik und Religion im Schulleben . . . . . . 47 2.6 Konkurrenz und Kooperation zwischen Religions- und Ethikunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2.7 Digitalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2.8 Globales ökumenisches Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2.9 Religionsunterricht als Element einer regionalen religions­ bezogenen Bildungslandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2.10 Professionalität, Positionalität und Theologie der Religionslehrer:innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

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Inhalt

3 Essentials . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3.1 Aufgaben: religiös belangvolle Lernprozesse anbahnen, begleiten und auswerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3.2 Bildung als regulative Idee, Förderung von Subjektwerdung als Maxime: »Hilf mir, es selbst zu tun!«­ . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3.3 Grundlagen: fachdidaktisches Wissen, Fachwissen und die Unverzichtbarkeit von Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3.4 Horizonte: Zeitgenoss:innenschaft – Religions­expertise – Anwaltschaft für Erinnerungskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.5 Wertschätzung des Plurals: didaktische Konzeptionen – methodischer Werkzeugkasten – Stile von Schüler:innen und Kolleg:innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.6 Haltung: Beziehung – Kreativität – Neugierde – Spiritualität 75 3.7 Ziel: »Reflective Practitioner« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

4 Anregungen für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 4.1 Pädagogische Beziehung zu den Schüler:innen aufbauen 77 4.2 Schuleigenes Curriculum und Jahresunterricht planen . . . 79 4.3 Kompetenzorientierten Unterricht vorbereiten . . . . . . . . . . 81 4.4 Unterricht strukturieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 4.5 Einen didaktisch-methodischen Werkzeugkasten aufbauen 87 4.6 Kompetenzaufbau von Schüler:innen fördern . . . . . . . . . . . 90 4.7 Binnendifferenziert unterrichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 4.8 Unterrichtsgespräche führen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 4.9 Texte weiterführend einsetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 4.10 Bilder und visuelle Medien einbeziehen . . . . . . . . . . . . . . . . 100 4.11 Bibel thematisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 4.12 Fragen der Lebensführung und -deutung theologisch bearbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4.13 Zeichen und deren religiösen Gebrauch verstehen lehren 109 4.14 Rituale gestalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 4.15 Schulgottesdienst vorbereiten und feiern . . . . . . . . . . . . . . . 114 4.16 Gespräche mit Schüler:innen zwischen Tür und Angel führen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

Inhalt

5 »Goldene Regeln« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 6 Besondere Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 6.1 Religionsunterricht im allgemeinund im berufsbildenden Schulwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 6.2 Schüler:innen mit Hochbegabung und Förderbedarf im Religionsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 6.3 Konfessionslose Schüler:innen im Religionsunterricht . . . 128 6.4 Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 6.5 Religionslehrer:innen im Kreis der Kolleg:innen und gemeindepädagogischen Akteur:innen . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 6.6 Religionslehrer:innen als Krisenmanager:innen . . . . . . . . . 135 6.7 Religionslehrer:in sein an einer Schule in kirchlicher Trägerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

7 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 8 Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 8.1 Anleitung zur Vorbereitung von Religionsunterricht . . . . . 149 8.2 Vorschläge für eine religionspädagogische Bibliothek . . . . 152 8.3 »Grundsätze der Religionsgemeinschaften« nach evange­ lischem Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 8.4 Impulse zur transparenten Positionalität von Religions­ lehrer:innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 8.5 Anregungen zur Reflexion des eigenen Unterrichts und Arbeitsumfelds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

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Vorwort der Herausgeber

Die Reihe »Praktische Theologie konkret« will Pfarrer:innen sowie Mitarbeitende in Kirche und Gemeinde mit interessanten und innovativen Ansätzen in kirchlich-gemeindlichen Handlungsfeldern bekannt machen und konkrete Anregungen zu guter Alltagspraxis geben. Der vorliegende Band adressiert insbesondere diejenigen unter ihnen, die Religionsunterricht in der Schule erteilen wollen oder beginnen dies zu tun – und darüber hinaus Religionslehrer:innen, die ein »Update« suchen. Die Bedingungen kirchlicher wie schulischer Arbeit haben sich in den letzten Jahren zum Teil erheblich verändert. Auf viele heutige Herausforderungen ist man in Studium und Vikariat bzw. Referendariat nicht vorbereitet worden und in einer oft belastenden Arbeitssituation fehlt meist die Zeit zum Studium aktueller Veröffentlichungen. So sind interessante neuere Ansätze und Diskussionen in Praktischer Theologie und Religionspädagogik in der Praxis oft kaum bekannt. Der Schwerpunkt der Reihe liegt nicht auf der Reflexion und Diskussion von Grundlagen und Konzepten, sondern auf konkreten Impulsen zur Gestaltungpastoraler und schulischer Praxis: Ȥ praktisch-theologisch auf dem neuesten Stand, Ȥ mit Informationen zu wichtigen neueren Fragestellungen, Ȥ als Vergewisserung über bewährte »Basics« Ȥ und mit einem deutlichen Akzent auf der Praxisorientierung. Die einzelnen Bände sind von Fachleuten geschrieben, die praktisch-theologische Expertise mit gegenwärtiger Erfahrung von konkreter kirchlicher Praxis verbinden. Wir erhoffen uns von der Reihe einen hilfreichen Beitrag zu einem wirksamen Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis kirchlicher Arbeit. Dortmund/Göttingen

Hans-Martin Lübking und Bernd Schröder

Vorwort des Autors

Dieser Band der Reihe »Praktische Theologie konkret« wendet sich in erster Linie an Student:innen der Theologie bzw. (evangelischen) Religion, an Vikar:innen und Referendar:innen, an Pfarrer:innen oder andere kirchliche Mitarbeiter:innen, die im Begriff sind, Religionsunterricht in der Schule zu erteilen. Das Buch möchte dazu ermutigen, sich dieser Aufgabe zu stellen und die darin liegenden Gestaltungsspielräume wahrzunehmen und zu nutzen. Schulischen Religionsunterricht zu erteilen, ist allerorten vor allem die Aufgabe grundständig ausgebildeter Lehrer:innen, die neben Religion ein weiteres Fach unterrichten. Der vorliegende Band soll ihnen Eigenarten des Faches »(Evangelische) Religion« in Erinnerung rufen und Anregungen für den Unterricht geben. Doch schulischer Religionsunterricht ist in einigen Bundesländern bzw. Landeskirchen auch Teil des regulären Dienstauftrages von Pfarrer:innen einer Kirchengemeinde, von Katechet:innen oder Religionspädagog:innen, die sonst im kirchlichen Binnenraum tätig sind. Sie beginnen aufgrund individueller Schwerpunktsetzungen oder auch aufgrund finanzieller Notwendigkeiten bzw. struktureller Entscheidungen von Gemeinden in der Schule zu arbeiten. Gelegentlich nehmen Pfarrer:innen ein Schulpfarramt wahr, das nicht nur darauf zielt, Religionsunterricht zu erteilen, sondern auch darauf, Religion im Schulleben bzw. Schulseelsorge zu betreiben. Sie soll dieses Buch auf die Eigenarten von Schule und schulischem Unterricht einstimmen.

Hetero­ genität als Grund­ signatur

Angesichts dieser Adressat:innen werden im Buch folgende Akzente gesetzt: Ȥ Religionsunterricht hat es, ganz gleich im Rahmen welcher Schulform er durch wen erteilt wird, mit Schüler:innen zu tun, die in religiös-weltanschaulicher Hinsicht heterogen sind – etwa was ihre Interessen und (impliziten) Fragen, ihre Erfahrungen mit gelebter Religion oder ihre Überzeugungen angeht. Gewiss kann diese Buntheit auch in der gemeindlichen Praxis, etwa bei Kasualien und anderen öffentlichen Aktivitäten, begegnen, doch im Religionsunterricht stellt sie die Grund-

Vorwort des Autors

signatur dar, auf die sich Lehrende einstellen müssen. Denn in dieser Heterogenität liegt eine der Chancen des schulischen Religionsunterrichts, der (bezogen auf den jeweiligen Jahrgang) eine um ein Vielfaches höhere Reichweite hat als die meisten kirchengemeindlichen Bildungsangebote. Religionsunterricht, gegebenenfalls Religionsunterricht unterschiedlicher Konfessionen, gilt allen Schüler:innen eines Jahrgangs, sofern sie sich nicht abmelden. Ȥ Religion begegnet in der Schule in verschiedener Weise. Sie ist präsent, insofern Schüler:innen oder Lehrer:innen Religionen angehören und insofern Religion Themen setzt (sei es durch die Feste des Jahreskreises, durch gesellschaftliche oder politische Ereignisse u. a. m.). Deshalb kann und soll sie bei verschiedenen Gelegenheiten in fachlich kundiger Weise in der Schule aufgegriffen werden: zum einen im Religionsunterricht (sowie, unter anderen Vorzeichen, im Ethikunterricht), zum anderen in Gestalt von Religion im Schulleben, also von Seelsorge, Gottesdiensten, Freizeitangeboten kirchlicher Träger sowie diakonischen und sozialen Unterstützungsangeboten vor allem für Schüler:innen, gegebenenfalls auch für Lehrer:innen. Hier kommt Religionsunterricht als Standbein, Religion im Schulleben als Spielbein von religiöser Bildung in der Schule in den Blick – unbeschadet dessen liegt der Fokus auf der unterrichtlichen Behandlung von Religion. Ȥ Ohne jeden Zweifel ist für die Erteilung von Religionsunterricht eine gute Kenntnis seiner theologischen und religionsbezogenen Inhalte unerlässlich. Und nicht nur das: Je vielfältiger die Ausgangslagen und Haltungen der Schüler:innen sind, desto wichtiger wird ein gewandter, hermeneutisch reflektierter und schüler:innenorientierter Umgang mit diesen Inhalten. Doch einerseits gibt es eine Fülle an Literatur und Erschließungshilfen (etwa die Buchreihe »Theologie für Lehrerinnen und Lehrer«) und andererseits verfügen gerade gymnasiale Religionslehrende und (angehende) Pfarrer:innen bereits über bemerkenswerte theologische Kenntnisse. Vor diesem Hintergrund geht es hier vor allem um das (religions-)pädagogische Profil der Tätigkeit in der Schule, die dafür erforderliche kritisch-konstruktive Initiativkraft und das wünschenswerte Ethos und nicht zuletzt, um das didaktisch-methodisches Know-how für den Religionsunterricht. Wer dieses Buch liest, wird hoffentlich sensibel für die vielen Möglichkeiten, die der Modus des Lernens (und Lehrens) für den Umgang mit Religion eröffnet, für die Bereicherung, die fragende und neugierige

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Fokus: Religions­ unterricht, aber auch Religion im Schulleben

Religions­ päda­go­ gisches Profil und didaktischmetho­ disches Know-how

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Vorwort des Autors

Schüler:innen einbringen, und für die besondere – von derjenigen der Pfarrerin:des Pfarrers im innerkirchlichen Dienst unterscheidbare – Rolle, die ein:e Lehrer:in spielt: Sie erschließt jungen Menschen (christliche) Religion und so die Möglichkeiten, die eine religiöse Perspektive auf die Deutung und Führung des eigenen Lebens eröffnet. Mehr zu wissen, zu verstehen oder ins Handlungsrepertoire aufzunehmen, gibt es selbstredend immer. Um dahin Wege zu weisen, findet sich am Ende des Buches nicht nur ein Literaturverzeichnis, sondern der Vorschlag einer religionspädagogischen Bibliothek (Kap. 8.2). Wer besonders an Begründungs- und Theoriezusammenhängen interessiert ist, sei zudem an mein Lehrbuch zur »Religionspädagogik« (Tübingen 2 2021) verwiesen. Gern schließe ich dieses Vorwort mit einem Wort des Dankes – zunächst an drei Menschen, die das Manuskript im Vorfeld gelesen und kritisch kommentiert haben: Dr. Florian Dinger, didaktischer Leiter der »Neuen IGS« in Göttingen, Dr. Moritz Emmelmann, nach kürzlich erfolgreich absolviertem Referendariat wissenschaftlicher Assistent an meinem Lehrstuhl für Religionspädagogik, und Dr. Anna-Maria Klassen, Berufsschulpastorin an der BBS I: Arnoldi-Schule in Göttingen. Mein nicht minder herzlicher Dank gebührt Jana Harle vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für ihre sorgfältige Lektorierung des Bandes und Hans-Martin Lübking sowohl für seine Ermutigung zu diesem Buch als auch für die schöne Zusammenarbeit im Blick auf »Praktische Theologie konkret«. Göttingen/Hildesheim, im März 2022

Bernd Schröder

Situation

Wer derzeit studiert oder das Studium der Theologie bzw. der Religionslehre soeben abgeschlossen hat, hat sich weitaus länger und intensiver als die meisten Menschen, Kirchenmitglieder eingeschlossen, mit theologischen Fragen beschäftigt. Sie:er hat dies zusammen mit anderen jungen Erwachsenen getan, die sich freiwillig für dieses Studienfach entschieden haben und damit ein selbstgesetztes Ziel verfolgen: das spätere Tätigwerden in einem theologischen Beruf, zumeist als Pfarrer:in oder Religionslehrer:in. Am schulischen Religionsunterricht nehmen demgegenüber Kinder und Jugendliche teil, die keineswegs immer Erfahrungen mit der Praxis einer Religion, etwa des evangelischen Christentums, mitbringen – und oft genug kaum Kenntnisse. Für sie ist Religionsunterricht ein Fach wie jedes andere, das ihr Interesse erst einmal wecken muss – durch eine:n gewinnende:n Religionslehrer:in, durch ungewohnte Herangehensweisen oder durch Themen und Fragestellungen. Schüler:innen nehmen am Religionsunterricht nicht durchweg intrinsisch motiviert teil, sie können zudem auf den Ethikunterricht als Alternative oder Ersatz ausweichen. Allerdings: Immer wieder begegnen im Religionsunterricht auch Schüler:innen, die mit »ihrer« Religion gut vertraut sind, zudem aufgeschlossen und klug – sie erwarten und erhoffen weiterführende Antworten auf Fragen, die sie existenziell beschäftigen: Wie kann man überhaupt etwas von »Gott« sagen? »Gibt« es ihn:sie? Widersprechen Religionen einander? Was heißt es eigentlich, »religiös« oder »gläubig« zu sein? Was hat das alles mit mir zu tun? Wer derzeit als Pfarrer:in in einer Kirchengemeinde oder einer anderen kirchlichen Einrichtung tätig ist, wechselt, wenn er:sie schulischen Religionsunterricht erteilt, das Bezugssystem: Nicht die Institution Kirche und ihr Ethos, ihre Regeln und ihre »impliziten Axiome« (Dietrich Ritschl) geben den Ton an, sondern die staatliche Schule als Institution mit ihrem Rechtsrahmen, ihrer Hierarchie und ihren Zielsetzungen. In beiden Fällen lohnt es, sich vor der Befassung mit didaktisch-­metho­ dischen Fragen des Religionsunterrichts mit den Besonderheiten der

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Situation

Schule und der dort gegebenen Situation vertraut zu machen. Die beiden exemplarisch genannten Szenarien erfassen nur Fragmente dessen. Mit der Schule betreten Menschen »eine eigene Welt«.

1.1 Schule als Teil des staatlichen Bildungssystems Schule als staatliche Einrichtung

Föderalismus

Schulrecht

Bildungs­ politische Dynamik

Seit dem 18. Jahrhundert ist die Schule in Deutschland in der Regel eine staatliche Einrichtung. Unbeschadet dessen gibt es in Deutschland auch Schulen in nicht staatlicher bzw. privater Trägerschaft (Art. 7.4 GG), darunter nicht zuletzt solche in kirchlicher oder religionsgemeinschaftlicher Trägerschaft – auch sie stehen jedoch »unter Aufsicht des Staates« (Art. 7.1 GG). Dieser sogenannte Trägerpluralismus ist politisch-­gesellschaftlich erwünscht. Er soll eine Art Wettbewerb um die bestmögliche Realisierung der Aufgaben von Schulen bzw. von Bildung ermöglichen. Der Staat, der die »Aufsicht« und auch die Richtlinienkompetenz für Schule und Unterricht wahrnimmt, wird nicht durch die Bundesregierung vertreten, sondern durch die Regierung des jeweiligen Bundeslandes und ihre Schuladministration. Denn im Schulwesen greift das föderale Prinzip der Bundesrepublik (Art. 30 und 70 GG), salopp formuliert: Bildung ist Ländersache. Bekanntlich ergeben sich daraus erhebliche Unterschiede zwischen den Schulwesen der Bundesländer: etwa unterschiedliche Schularten, unterschiedliche Lehrpläne bzw. Kerncurricula, unterschiedliche Ferientermine u. v. m. Auch wenn diese Unterschiede häufig im Fokus stehen, sind die meisten rechtlichen Regelungen der Schule über die Bundeslandgrenzen hinweg dieselben oder zumindest sehr ähnlich – etwa solche, die die Aufsichtspflicht über Schüler:innen, Regeln der Notenvergabe oder die Aufgaben von Lehrer:innen betreffen. Schulrecht ist für Lehrende nicht das wichtigste Wissensfeld, darf aber auch nicht außer Acht gelassen werden (vgl. Avenarius/Heckel 2000 und Schröder 2021, § 3), denn in der Schule gilt, was die Landesparlamente oder die Schuladministrationen beschließen oder anordnen. In jedem Fall ist das System Schule hierarchisch geordnet: Das Schulministerium entscheidet, die Regierungspräsidien ordnen an, die Schulleitung setzt um – Lehrer:innen finden somit Weisungsberechtigte und einen rechtlich normierten Rahmen ihrer Tätigkeiten vor, innerhalb dessen sie ihre pädagogische Aufgabe eigenverantwortlich wahrnehmen. Während rechtlichen Regelungen eine gewisse Verlässlichkeit und zeitliche Stabilität eigen ist, lässt die Bildungs- und Schulpolitik seit vielen

Schule als Teil des staatlichen Bildungssystems

Jahren eine hohe Dynamik erkennen – nicht zuletzt dadurch bedingt, dass »Schule« im Fokus von Schüler:innen, Eltern (und Großeltern) und Lehrer:innenverbänden steht. Sie ist von öffentlichem Interesse und muss sich so nahezu durchweg einem hohen Optimierungs- oder Reformdruck stellen. Die politischen Maßgaben suchen gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung zu tragen und das – in der Vergangenheit bisweilen starr wirkende – System Schule zu flexibilisieren. Zu den wichtigsten Akzentsetzungen der jüngeren Vergangenheit, die durchaus auch den Religionsunterricht betreffen, gehören die folgenden: Ȥ (seit den 1990er-Jahren) Verselbstständigung der einzelnen Schule hin zur »eigenverantwortlichen Schule«, vor allem durch Gewährung einer erhöhten Autonomie beim Umgang mit finanziellen Ressourcen, bei der Einstellung von Lehrkräften und bei der Entwicklung des jeweiligen Schulprofils und -programms, Ȥ (seit den 2000er-Jahren) Output-Orientierung schulischen Handelns in dem Sinne, dass die Schul- und Unterrichtsqualität am Lernfortschritt bzw. am Kompetenzgewinn der Schüler:innen erkennbar bzw. messbar sein soll und außerdem, keineswegs unwichtig, die Zahl der Schulabgänger:innen ohne Schulabschluss, die 2020 bei knapp 7 % lag, verringert werden soll, Ȥ (seit den 2000er-Jahren) Ausbau von Schulen zur Ganztagsschule mit einem entsprechenden Betreuungsangebot, mit einer Spreizung des Unterrichts sowie mit Verpflegungsmöglichkeiten, Ȥ (seit den 2010er-Jahren) Förderung von Inklusion im Sinne des 2008 in Kraft getretenen, 2009 von der Bundesrepublik Deutschland ratifizierten »Übereinkommens« der Vereinten Nationen »für die Rechte von Menschen mit Behinderungen«, Ȥ (seit der Wiedervereinigung Deutschlands sukzessive) Umbau des allgemeinbildenden Schulwesens in Richtung eines Zwei-SäulenModells, also hin zu einem gymnasialen und einem nicht gymnasialen Schulbereich. Daneben besteht mit den berufsbildenden Schulen ein weiteres, in sich hoch differenziertes Schulwesen, das Hauptschulabschluss und Abitur ebenso ermöglicht wie Teil- oder Vollzeit-Berufsbildung. Ȥ (seit den 2010er-Jahren) Digitalisierung der schulischen Infrastruktur, der schulinternen Kommunikationswege und – nicht zuletzt forciert durch die Erfordernisse der Corona-Pandemie, die Deutschland seit März 2020 erfasst hat – auch des Unterrichts.

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Schulauto­ nomie und Schulprofil

Output- und Kompetenz­ orientierung

Ganztags­ schule Inklusion

Abkehr vom drei­ gliedrigen Schulsystem

Digitali­ sierung

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Schule – Lebensraum für Kinder und Jugend­ liche

Kriterien guter Schule

Situation

Jede einzelne dieser Reformen hat weitreichende Wirkungen, die z. B. über die seit 2006 erarbeiteten nationalen Bildungsberichte erkennbar werden (vgl. www.bildungsbericht.de bzw. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020), und fordert von den Lehrer:innen eigene Expertise sowie Engagement bei der Realisierung »vor Ort«. Ihr Zusammentreffen – und der Umstand, dass keiner dieser Veränderungsprozesse als abgeschlossen gelten kann – hat das Schulsystem und jede einzelne Schule verändert und versetzt sie in einen dauerhaften Schulentwicklungsprozess. Neben den eigenen Unterricht tritt so für Lehrer:innen als stetige Aufgabe die Mitwirkung an solchen Reformen – nicht selten verbunden mit neuen Formen der Evaluation und der Infragestellung ihrer bisherigen Arbeitsweisen. Derlei Reformen nehmen Lehrer:innen in der Regel als Vorgaben eines Upside-down-Prozesses wahr; weitgehend unabhängig davon, wie sie persönlich etwa zur Inklusion stehen, sind sie aufgefordert, dem in ihrem pädagogischen Handeln so gut wie möglich Rechnung zu tragen, oder schlicht verpflichtet, die Vorgaben – schuladministrativ betrachtet – »umzusetzen«. Nicht zu vergessen ist darüber hinaus, dass sich die Schule und ihre Bedeutung auch für Kinder und Jugendliche verändert: Sie halten sich heute pro Tag (und häufig auch: bezogen auf ihre Lebensspanne) länger in der Schule auf als vor 25 Jahren. Schule ist für sie ein Lebensraum, der nicht nur ein ausdifferenziertes Angebot an Lern- und Entfaltungsmöglichkeiten bzw. Pflichten bereithält, sondern ihre Tagesstruktur bestimmt, soziale Bezüge unter Peers schafft, Selbstbewusstsein und Resilienz fördert (oder durch Mobbing u. Ä. gefährdet) – und durch die im Unterricht erschlossenen Weltzugänge, zumeist aber durch ihr »hidden curriculum« (etwa ihre Ordnung und ihre Leistungsorientierung), Weltanschauung, Plausibilitätsmuster und Verhalten prägt. Zur Frage, was angesichts all dessen eine »gute Schule« ausmacht, gibt es klare und hilfreiche Auskünfte (siehe EKD 2016, und die Kriterien, die dem »Deutschen Schulpreis« zugrunde liegen [https://www.deutscher-schulpreis.de/was-macht-eine-gute-schule-aus sowie Beutel u. a. 2016], vgl. auch z. B. Hentig 2003). Die Juror:innen des Schulpreises etwa achten auf »Leistung«, »Umgang mit Vielfalt«, »Unterrichtsqualität«, »Verantwortung«, »Schulklima, Schulleben und außerschulische Partner« sowie »Schule als lernende Institution«. Die Impulse der EKD nehmen dergleichen auf, betonen zudem: »Die Schule ist für Kinder und Jugendliche da« (EKD 2016, 12).

Einzelne Schulen als Handlungseinheiten

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1.2 Einzelne Schulen als Handlungseinheiten Bereits seit den 1980er-Jahren kann als allgemein anerkannte Einsicht gelten, dass Schulen nicht allein »von oben« gesteuert werden (können). Ganz gleich, welche Säule der Schulentwicklung in den Blick kommt – sei es die Organisations-, die Personal- und die Programmentwicklung oder die Qualitätssicherung –, ist der Prozess in jedem Fall auf Unterstützung, Initiative und Engagement »von unten« angewiesen, also auf die einzelne Schule und vor allem ihre professionellen Angehörigen, die Lehrer:innen und die Schulleitung. Der Erziehungswissenschaftler Helmut Fend (1986) hat dies mit der Rede von der »Schule als pädagogischer Handlungseinheit« auf den Punkt gebracht. Diese Einsicht der Schultheorie hat nicht nur schulpolitische Konsequenzen, sondern auch unmittelbar Auswirkungen auf die Lehrer:innen und ihr Aufgabenportfolio. Denn ihnen fällt nun nicht mehr nur die Gestaltung des Unterrichts als Aufgabe – und darin die zentrale Rolle (!) – zu (vgl. Hattie 2013 und 2016 sowie Zierer 2017), sondern die Mitgestaltung ihrer Schule. Im Jahr 2000 ist dies in das Spektrum der »Aufgaben von Lehrerinnen und Lehrern heute« eingegangen, das seinerzeit Kultusministerkonferenz und Lehrer:innengewerkschaften identifiziert haben – allerdings kommt die Mitwirkung an der Schulentwicklung in den kurz darauf (2004) vorgelegten bildungswissenschaftlichen »Standards« für die Lehrer:innenbildung schon wieder zu kurz. In der Berufsbildbeschreibung aus dem Jahr 2000 werden fünf »Aufgaben« hervorgehoben (KMK 2000, hier mit Zitaten aus KMK 2004): Ȥ Kompetenzbereich: Unterrichten »Lehrkräfte sind Fachleute für das Lehren und Lernen«, Ȥ Kompetenzbereich: Erziehen Lehrkräfte üben ihre Erziehungsaufgabe aus. »Lehrerinnen und Lehrer sind sich bewusst, dass die Erziehungsaufgabe in der Schule eng mit dem Unterricht und dem Schulleben verknüpft ist«, Ȥ Kompetenzbereich: Beurteilen Lehrkräfte beraten sach- und adressatenorientiert und üben ihre Beurteilungsaufgabe gerecht und verantwortungsbewusst aus. Ȥ Kompetenzbereich: Innovieren »Lehrerinnen und Lehrer entwickeln ihre Kompetenzen ständig weiter«, Ȥ Kompetenzbereich: Schule entwickeln »Lehrerinnen und Lehrer beteiligen sich an der Schulentwicklung, an

Vier Kompo­ nenten der Schulent­ wicklung

Lehrer:innen als Mitgestal­ tende von Schule

Aufgaben von Leh­ rer:innen

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Situation

der Gestaltung einer lernförderlichen Schulkultur und eines motivierenden Schulklimas«. Fachwissen und fach­ didaktisches Wissen … und mehr

Im Diskurs der Bildungswissenschaften werden üblicherweise zwei Komponenten der Kompetenz von Lehrer:innen betont und als für den Unterricht zentral ausgewiesen, nämlich »Fachwissen« und »fachdidaktisches Wissen« (dazu vor allem die sogenannte COACTIV-Studie von Kunter u. a. 2011 sowie Riegel/Leven 2018). Doch insbesondere die Mitwirkung an der Erziehung von Schüler:innen und die Entwicklung der je eigenen Schule als pädagogischer Handlungseinheit verlangen von Lehrer:innen einiges, das darin nicht impliziert ist: etwa Einblick in staatliche und kommunale Bildungspolitik, eine gewisse Vertrautheit mit Schulen, Arbeitgebern und zivilgesellschaftlichen Akteuren in der Nachbarschaft ihrer eigenen Schule bzw. in der regionalen »Bildungslandschaft«, das Interesse an der und die Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit Kolleg:innen sowie mit einschlägigen Personen außerhalb der Schule, ein pädagogisches Ethos und eine pädagogische Beziehung zu den konkreten Schüler:innen am Ort.

1.3 Schüler:innen als Individuen in heterogenen Lerngruppen Pädago­ gische Beziehung

Kindeswohl und Subjekt­ orientierung

Dass eine pädagogische Beziehung zu den Schüler:innen für die Tätigkeit von Lehrer:innen unerlässlich ist, gehört zu den Grundideen pädagogischen Nachdenkens (vgl. Krautz/Schieren 2013 und Boschki 2003). (Religions-)Lehrer:in zu sein, heißt in erster Linie: in Beziehung treten – und erst dann: fachbezogen unterrichten. Um diese Beziehung aufzubauen und zu pflegen, bedarf es eines Sensoriums für soziale Prozesse, eines gewissen Maßes an pädagogisch angeleiteter sozialer Interaktion innerhalb der Lerngruppe und eines Interesses an den je einzelnen Schüler:innen. Dieses Interesse ist allerdings von »pädagogischem Takt« (Johann Friedrich Herbart; vgl. Burghard/Zirfas 2019) zu begrenzen und darf nichts mit Grenzverletzungen den Schüler:innen gegenüber oder mit Diskriminierungen gemein haben. Das Interesse an den Schüler:innen hat ohnehin weniger mit Sympathien oder Antipathien zu tun als vielmehr mit dem pädagogischen Leitinteresse am Kindeswohl und dem (religions-)pädagogischen Grundsatz der Subjektorientierung. Anders gewendet: Unterrichtliche Lehr-Lern-

Schüler:innen als Individuen in heterogenen Lerngruppen

Prozesse, die zugleich der Förderung von Kindern und Jugendlichen als Personen dienen, erfordern eine Kenntnis der pädagogischen Entwicklungsstände und Leistungsmöglichkeiten der Schüler:innen im Klassenzimmer – hierfür stellt die pädagogische Diagnostik mittlerweile eine Menge an Hilfestellungen bereit (vgl. etwa Hesse/Latzko 2017). Sie erfordern zudem die Wahrnehmung der Schüler:innen als Individuen – erst recht in einer Gesellschaft, deren Dynamik insgesamt von Individualisierung und Pluralisierung geprägt und vorangetrieben wird sowie beispielsweise als »Gesellschaft der Singularitäten« (Andreas Reckwitz) beschreibbar ist, können und müssen die Schüler:innen in dieser Weise in den Blick rücken. Dies geschieht notwendigerweise einerseits durch Beobachtung der Kinder und Jugendlichen sowie durch die Interaktion mit ihnen im pädagogisch bestimmten Setting der konkreten Lerngruppe und andererseits durch Interpretation solcher Beobachtungen im Licht von Theorien oder gesellschaftlichen Diskursen. Als Pluralisierungsmarker, die auch empirisch und theoretisch vielfach analysiert werden, verdienen – neben schulbezogenen Einstellungen und kognitiven Fähigkeiten der Schüler:innen – etwa Beachtung: Ȥ familiäre Konstellationen, Ȥ individuelle Bildungsbiografien, Ȥ Migrationserfahrungen, Ȥ soziale Distinktionen etwa durch Kleidung, Ausstattung und Stile, Ȥ Gender-(Selbst-)Zuschreibungen, Ȥ körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen, Ȥ Selbstinszenierungen in leibhaftiger Gestalt oder in sozialen Medien, Ȥ und – für den Religionsunterricht in besonderem Maße relevant – religiös-weltanschauliche Zugehörigkeiten und Einstellungen. Im Blick auf Religion und Weltanschauung lässt sich das Feld mithilfe von Religionssoziologie und Kinder- bzw. Jugendstudien facettenreich beschreiben. Dabei sind (mindestens) drei Ebenen unterscheidbar, die im Folgenden kurz beschrieben werden: Erstens gehören Kinder und Jugendliche in Deutschland (aber auch in Österreich, der Schweiz und vielen anderen Ländern) einer wachsenden Zahl unterschiedlicher Religionsgemeinschaften an. Der Proporz unter diesen Religionen verschiebt sich unter Kindern und Jugendlichen, die ihnen angehören, in etwa so wie in der Gesamtbevölkerung: Während am Vorabend der Wiedervereinigung Deutschlands noch ca. 85 % der

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Pädagogische Diagnostik und individu­ elle Wahr­ nehmung

Pluralisie­ rungsmarker

Mehrung der Religionen

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Plurali­ tät inner­ halb der Religions­ gemein­ schaften

Situation

Bevölkerung der alten Bundesrepublik Mitglieder einer evangelischen oder der römisch-katholischen Kirche waren, sind es im Jahr 2021 in Gesamtdeutschland erstmals weniger als 50 %: Der katholischen Kirche gehören etwa 22 Millionen, den evangelischen Kirchen ca. 20 Millionen Menschen an. Die drittgrößte Religionsgemeinschaft ist der Islam mit geschätzt 5 Millionen Angehörigen (6–7 % der Bevölkerung, die nur zum Teil in Moscheegemeinden organisiert sind). Die viertgrößte Gruppe bildet das orthodoxe Christentum in all seinen Affiliationen (einschließlich der sogenannten non-chalcedonensischen Kirchen) mit ca. 1,5 Millionen Kirchenmitgliedern (ca. 2 % der Bevölkerung). Alevitismus, Buddhismus, Judentum, christliche Freikirchen u. a. machen jeweils einen deutlich geringeren Anteil an der Bevölkerung aus; sie liegen jeweils deutlich unterhalb der 0,5 %-Marke. Doch die größte »weltanschauliche« Gruppe stellen die sogenannten Konfessionslosen dar – geschätzt ca. ein Drittel der Bevölkerung und im Detail von unterschiedlichen Lebenseinstellungen und Haltungen gegenüber Religion geprägt (EKD 2020, 24–26). Zweitens zeichnet sich innerhalb der einzelnen Religionsgemeinschaften eine Pluralität der Praktiken, Kenntnisse und Einstellungen ab. Evangelische:r Christ:in zu sein, bedeutet also keineswegs einheitlich, dies oder das zu glauben, in diesem oder jenem Maße über die Bibel Bescheid zu wissen und in einer bestimmten Frequenz am Gottesdienst teilzunehmen. Vielmehr kommen empirische Untersuchungen vielgestaltigen individuellen Handlungslogiken und Einstellungen auf die Spur, etwa derjenigen eines »okkasionell-sozialen Modus der Aneignung von Sinn« (Dietlind Fischer/Albrecht Schöll). Demnach übernehmen (junge) Menschen die Grundsätze und Verhaltensvorstellungen ihrer Herkunftsreligion nicht linear und vollständig, sondern sie prüfen bei Gelegenheit, z. B. anlässlich eines Todesfalls (»okkasionell«), und im Gespräch mit den alltäglich für sie relevanten Peers (»sozial«), ob die – von ihnen wahrgenommenen (!) – Antworten der Religion sinnhaft und tragfähig sind. Das Ergebnis ist eher ein Patchwork von Einsichten unterschiedlicher Provenienz als die Adaption einer schlüssigen Laiendogmatik – aber eben ein Patchwork, das als das Eigene und als derzeit schlüssig empfunden wird. Am besten untersucht ist dieses Phänomen intrareligiöser Vielfalt anhand der Mitglieder der evangelischen Kirchen. Alle zehn Jahre werfen beispielsweise die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen der EKD ein Licht darauf. Grob zeichnet sich darin ab, dass etwa zwei Fünftel der jugendlichen evangelischen Kirchenmitglieder als »nicht religiös« zu ver-

Schüler:innen in ihren Lebensphasen

stehen sind, ein Drittel als »indifferent« und etwa ein Viertel als »religiös musikalisch« oder sogar »hochverbunden« (vgl. etwa Schröder u. a. 2017, 90, vgl. 69 u. ö.). Mit anderen Ausprägungen ist eine ähnliche Vielfalt der Selbstverständnisse und Praktiken auch unter Katholik:innen, Juden und Jüdinnen, Muslim:innen und unter Konfessionslosen anzunehmen. Drittens verschieben sich die religiös-weltanschaulichen Orientierungspunkte der Individuen: Sie folgen »in der Praxis ihrer Religiosität und in der religiösen Deutung ihres Lebens nicht länger selbstverständlich der Tradition, der theologischen Norm, der Autorität der Gemeinschaftsleitung […], sondern [suchen] eine ihnen plausibel, praktikabel und hilfreich erscheinende, von ihnen selbst zu verantwortende Gestalt von Religiosität« (Schröder 2021a, 28). Auch wenn sich in der faktisch gelebten Religiosität und in den artikulierten Überzeugungen durchaus überindividuelle Muster und nicht selten auch Prägungen im Sinne der Tradition erkennen lassen, so schreiben sich viele Einzelne – und unter ihnen auch die Mehrzahl der Jugendlichen – Selbstbestimmung in Sachen Religion zu: »Der Wunsch, den eigenen Glauben selbst zu gestalten und in Glaubensfragen frei und individuell entscheiden zu können, ist […] sehr ausgeprägt« (Schweitzer u. a. 2018, 20). Für die Gestaltung religiöser Lehr-Lern-Prozesse ist beides wichtig: solche Entwicklungen im Licht entsprechender Literatur wahrzunehmen und solche – notwendigerweise – allgemeinen Theorien an den Individuen der je eigenen Lerngruppe zu prüfen. Schließlich gilt es sich immer wieder vor Augen zu führen, dass es im Blick auf Unterricht nicht um Eingruppierung oder gar Beurteilung von Kindern und Jugendlichen geht, sondern um angemessenes Verstehen derer, an denen jeder Lernprozess anknüpfen muss und auf deren Entwicklung bzw. Förderung er zielt. Es geht um die Identifikation von Anknüpfungspunkten und Lernchancen, kurz: um die Gewinnung der Voraussetzungen dafür, »religiöse Bildungsbiografien [zu] ermöglichen« (EKD 2022b).

1.4 Schüler:innen in ihren Lebensphasen Unbeschadet individueller Eigenarten und Entwicklungen von Kindern und Jugendlichen lassen sich Strukturen und Gemeinsamkeiten von Altersoder Personengruppen identifizieren, deren Kenntnis helfen kann, die je

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Selbst­ bestimmung und -ermäch­ tigung in religiösen Angelegen­ heiten

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Entwick­ lungs­ psychologie

Generatio­ nenlagen

Situation

eigene Lerngruppe besser zu verstehen. Sie betreffen insbesondere die Entwicklungsphase, die Generationenlage und sozialisatorische Einflüsse. Eines der bedeutsamsten Hilfsmittel, um strukturelle Merkmale einer Personengruppe zu erkennen, stellen entwicklungspsychologische Theorien bereit. Unter diesen stechen seit Längerem die sogenannten kognitionspsychologischen Theorien hervor, denen zufolge Entwicklung vom Streben nach Passung (Jean Piaget: »Äquilibration«) zwischen innerer Disposition, äußeren Umständen bzw. Anforderungen und kognitiven Ordnungsmustern initiiert und gesteuert wird. Im Laufe der Entwicklung setzen sich diejenigen Muster durch, die geeignet sind, mit dem je eigenen Innenleben und der Umwelt möglichst gut zurechtzukommen. Deutet man Selbstauskünfte von Proband:innen im Licht dieser konzeptionellen Vorstellung von Entwicklung, lässt sich eine gute Hand voller Stufen erkennen, die sich in der Regel im Kindes- und Jugendalter in besonderer Dichte ablösen – ganz gleich, ob man sich auf die Entwicklung logischen Denkens (Jean Piaget), moralischer Vorstellungen (Lawrence Kohlberg) oder religiöser Urteile (Fritz Oser) konzentriert (Darstellungen bei Schröder 2021a, 49–68, sowie ausführlicher etwa Büttner/Dieterich 2016). Eine der für religiöse Bildung bedeutsamsten kognitionspsychologischen Entwicklungstheorien gilt der Fähigkeit zu komplementärem Denken, genauer: der Fähigkeit, Konzepte und Theorien aus verschiedenen Wissensbereichen konstruktiv aufeinander zu beziehen (K. Helmut Reich). Während in der Kindheit noch nicht mit dieser Fähigkeit zu rechnen ist, entwickelt sie sich – entsprechende Stimulation vorausgesetzt (!) – in der Regel im jungen Erwachsenenalter. Menschen lernen so beispielsweise, die biblischen Schöpfungsberichte (und deren Erzählintentionen) und naturwissenschaftliche Weltentstehungstheorien (und deren Erklärungsanspruch) sowohl voneinander zu unterscheiden als auch aufeinander zu beziehen bzw. ihnen einen Geltungsbereich zuzugestehen. Neben diese klassisch zu nennenden Theorien ist in den letzten Jahren unter anderem ein Konzept getreten, das auf der Grundlage biografischer »Faith Development Interviews« bestimmte, dauerhaft vorhandene und strukturell wirksame »religiöse Stile« und »Typen« unterscheidet, namentlich den »substantially ethnocentric«, den »predominantly conventional«, den »predominantly individuative-reflective« und den »emerging dialogical-xenosophic type« (vgl. Streib 2020). Generationen – hebräisch: toledot – kennen schon die Erzählungen der Genesis (Gen 5 u. ö.) und die Geburtsgeschichten Jesu (Mt 1) als Strukturierung von Zeitläufen – seinerzeit allerdings allein im Sinne einer

Schüler:innen in ihren Lebensphasen

genealogischen Abfolge. Als soziologisches Instrument nutzt man sie seit dem frühen 20. Jahrhundert (Karl Mannheim). Seitdem ist die Unterscheidung und Charakterisierung von Generationen, das heißt von Altersgruppen, bei denen man ein gemeinsames Zeiterleben und analoge Verhaltensmuster zu erkennen meint, ein häufig genutztes Instrument – nicht zuletzt im Marketing und in anderen Lebensbereichen, in denen die Kenntnis sogenannter Zielgruppen eine Rolle spielt. Mithilfe der Unterscheidung von Generationen lassen sich einerseits Veränderungen der gesellschaftlichen Konstellationen und andererseits Charakteristika der jeweils nachwachsenden Kinder und Jugendlichen kenntlich machen: »Baby Boomer« (Geburtsjahrgänge zwischen 1950 und 1964), »Generation X« (1965–1980), »Generation Y« (1981–1996), »Generation Z« (1997– 2012) und – aktuell – »Generation Corona« oder »Generation Alpha« (2012 ff.). Generation Z ist insbesondere durch ihr Verhältnis zu digitalen Medien gekennzeichnet. Die Angehörigen dieser Generation sind mit deren Gebrauch aufgewachsen und kennen sie als kabellos bzw. ubiquitär verfügbare technische Umgebung; zudem pflegen sie ein – im Vergleich zu ihrer Elterngeneration, die zumeist den »Baby Boomern« und der »Generation X« zuzurechnen sind – verändertes Verhältnis zum Berufsleben: Trennung von Beruf und Privatleben, Work-Life-Balance oder Flexibilität der Berufs- und Arbeitsplatzwünsche bedeuten ihnen viel (vgl. Quenzel/Hurrelmann 2022). Eine dritte Beschreibungsmöglichkeit von Lebensphasen ergibt sich aus (religions-)soziologischen Perspektiven. Im Laufe ihres Lebens erschließen Menschen immer weitere Lebensradien – in der Sprache der Sozialökologie: immer mehr »Systeme«: über das Mikrosystem unmittelbarer Bezugspersonen hinaus das Mesosystem, zu dem etwa Kindertagesstätte, Schule und Arbeitsplatz zählen, und das Exo- und Makrosystem. Insofern gewinnen Bezüge der Einzelnen sukzessive an Komplexität und – in sozialisatorischer Hinsicht – an Vielfältigkeit und Widersprüchlichkeit. Diese Vielfalt und etwaige Widersprüche zwischen den Einflussfaktoren hat das Individuum auszumitteln – deshalb lebt es in einer (post-)modernen Gesellschaft unter vergleichsweise hohem akkulturativem Stress (John W. Berry). Diese Art von Stress spielt auch im Umgang mit Religion eine große Rolle, insofern alle, die sich als religiös verstehen (wollen), stets andere Lesarten von Religion (individuelle Stile, verschiedene Konfessionen und Religionen) und deren Bestreitung (in Gestalt von Indifferenz, Konfessionslosigkeit oder explizitem Atheismus) als kognitive Konkurrenz vor Augen haben. Sie müssen also Gründe vorhalten (und

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Soziali­ satorische Einflüsse

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Situation

gegebenenfalls zum Ausdruck bringen können), warum sie religiös sind und warum sie so und nicht anders religiös sind. Das gesellschaftliche Makrosystem hat zudem durch den Einzug digitaler Infrastruktur und Kultur eine weitere Dimension hinzugewonnen. Digitalität verändert die menschliche Informationsverarbeitung (Konnektivität, Netzwerkstrukturen, Datenspeicherung) und Kommunikation (Beschleunigung, Abkopplung von örtlicher und leiblicher Präsenz, Visualisierung); sie verändert wahrscheinlich sogar die Art und Weise, in der Menschen die Welt wahrnehmen und dechiffrieren (!). Das Digitale ist in verschiedenen Hinsichten mit der analogen Welt verwoben (»augmented reality«, Künstliche Intelligenz u. a.) und es grundiert nolens volens die Wirklichkeitserfahrung aller Menschen, die Zugang zur digitalen Welt haben, insbesondere diejenige der Heranwachsenden (vgl. Schröder 2021a, § 7, sowie Beck u. a. 2021). Nochmals: Diese in diversen, weithin akzeptierten Theorien angelegten Wahrnehmungs- und Deutungsfährten gilt es mit den Beobachtungen an der jeweiligen Lerngruppe ins Gespräch zu bringen – und eben dies gehört zu den unverzichtbaren Aufgaben von Religionslehrenden.

1.5 Religionsunterricht als Fach der staatlichen Schule

Sachliche Obligatorik, persönliche Freiheit

Wer Religion unterrichtet, bekommt es mit Schüler:innen zu tun, mit Kindern, Jugendlichen und – vor allem im berufsbildenden Schulwesen – mit jungen Erwachsenen. Er:sie begegnet diesen nicht unter dem Vorzeichen der Freiwilligkeit, sondern in einem institutionellen Rahmen, demjenigen der (staatlichen) Schule, die von den Schüler:innen obligatorisch zu besuchen ist. Die Schulpflicht ist in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert ein Topos gesellschaftlicher Modernisierung (während in vielen anderen, europäischen wie außereuropäischen Ländern nur eine Unterrichtspflicht besteht, der man beispielsweise durch Privatunterricht genügen kann). Sie erstreckt sich cum grano salis auf die zehn Schuljahre der Primar- und der Sekundarstufe I und darüber hinaus auf bestimmte berufsbildende Schulen. Der Religionsunterricht ist Teil dieser Institution Schule und er hat – jedenfalls im Grundsatz – auch Teil an ihrem Pflichtcharakter: Er ist ausweislich des Grundgesetzes »ordentliches Lehrfach« (Art. 7.3 GG). Allerdings haben im Sinne der Religionsfreiheit (Art. 4 GG) sowohl die

Religionsunterricht als Fach der staatlichen Schule

einzelnen Religionslehrer:innen als auch die Schüler:innen das Recht, sich zu diesem Fach zu verhalten – Lehrer:innen dürfen nicht gegen ihren Willen verpflichtet werden, ihn zu erteilen (Art. 7.3 GG), Schüler:innen müssen nicht gegen ihren Willen daran teilnehmen. Für diejenigen, die nicht teilnehmen, bieten die Bundesländer bzw. ihre Schulen seit den späten 1960er-Jahren ein Ersatz- oder Alternativfach »Ethik« (o. ä.) an. Der Religionsunterricht wird in Deutschland somit zwar als fach- und sachlicher Teil schulischer bzw. allgemeiner Bildung für notwendig erachtet, sein Besuch ist jedoch für die einzelnen Schulangehörigen nicht verpflichtend. Diese spezifische rechtliche Konstellation, die sowohl der positiven als auch der negativen Religionsfreiheit (Art. 4 GG) Rechnung trägt, also sowohl dem Recht auf freie Religionsausübung als auch dem Schutz vor religiöser Indoktrination, bringt es mit sich, dass der faktisch erteilte Religionsunterricht inhaltlich, didaktisch-methodisch und personell gut sein sollte – allein schon um Abmeldungen oder Nicht-Teilnahmen aus anderen als Gewissensgründen entgegenzuwirken. De facto steht Religionsunterricht nolens volens in Konkurrenz zum Ethikunterricht (vgl. dazu 2.6).

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Negative und positive Religionsfrei­ heit

Dabei schneidet er im landesweiten Schnitt nicht schlecht ab: Zwar ist die Zahl der am Religionsunterricht teilnehmenden Schüler:innen – der demografischen Entwicklung und der kleiner werdenden Zahl an Mitgliedern der katholischen und evangelischen Kirche entsprechend – vielerorts rückläufig, doch nehmen bis zu 10 % mehr Schüler:innen am Religionsunterricht teil, als von ihrer Konfessionszugehörigkeit her teilnehmen müssten (Comenius-Institut 2019b, 144 f.).

Religionsunterricht ist – eine weitere Besonderheit der Verhältnisse in Deutschland, Österreich und Teilen der Schweiz – »in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften« zu erteilen (Art. 7.3 GG), also in transparenter Positionalität und in gemeinsamer Verantwortung von Staat und Religionsgemeinschaften. Eine solche Zusammenarbeit der staatlichen Schule mit einer außerschulischen Institution gibt es bei keinem weiteren Fach. Der Staat trägt dabei Sorge für den Rahmen (ordentliche Erteilung, Ausbildung, Einstellung und Bezahlung von Religionslehrenden), die Religionsgemeinschaften achten auf die Übereinstimmung mit ihren Grundsätzen (etwa, indem sie an der Erarbeitung der Kerncurricula mitwirken und ein Recht auf Einsichtnahme wahrnehmen). Auf diese Weise wahrt der Staat seine weltanschauliche Neutralität und greift nicht auf die

Transparente Positionalität

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Keine Staatskirche und keine Pflicht zum Zusammen­ wirken von Religionen und Staat

Situation

religiös-weltanschauliche Bildung seiner Bürger:innen über, vielmehr gibt er ihrer Religionsfreiheit Raum, sich auch in der Schule zu entfalten. Die Religionsgemeinschaften sind nicht gezwungen hier mitzuwirken, sie bekommen jedoch die Möglichkeit, im Raum der Schule bildend wirksam zu werden. Diese Möglichkeit, Religionsunterricht zu erteilen, ist nicht das Privileg der evangelischen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche, vielmehr steht sie im Prinzip allen Religionsgemeinschaften offen (sofern bestimmte formale Bedingungen erfüllt sind – dazu Schröder 2021a, 42, Anm. 30). In den meisten Bundesländern gibt es unter diesen Bedingungen katholischen und evangelischen, zudem nicht selten jüdischen und christlich-orthodoxen Religionsunterricht. Islamischer Religionsunterricht befindet sich verschiedentlich im Aufbau (dazu jeweils Kropač/Riegel 2021, 71–105). Vereinzelt wird alevitischer, buddhistischer und mennonitischer Religionsunterricht erteilt.

Konfes­ sioneller Religions­ unterricht

Dieser rechtliche Rahmen besteht seit gut 100 Jahren. In der Weimarer Reichsverfassung wurde er 1919 festgelegt und von dort in das Grundgesetz von 1949 übernommen (vgl. Kubik 2018). Der Rahmen selbst wird bis heute kaum je in Frage gestellt, doch die Deutung der besagten »Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften« ist in Bewegung geraten. Traditionell (und vielerorts bis heute) wird darunter die Konfessionalität des Religionsunterrichts verstanden: Lehrkräfte, die einer Konfession angehören, unterrichten Schüler:innen, die das auch tun, und rücken Inhalte dieser konfessionellen Prägung in den Mittelpunkt des Unterrichts. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Sinne 1987 geurteilt, der Religionsunterricht habe die Glaubensgehalte der beteiligten Konfessionskirche als geltende Wahrheiten zur Sprache zu bringen und sei genau dadurch vom Ethikunterricht einerseits und der Religionskunde andererseits deutlich unterschieden. Seit den 1960er-Jahren haben jedoch im Religionsunterricht nicht konfessionell bestimmte Inhalte wie etwa die sogenannten Weltreligionen, aber auch ethische und existenziell-religiöse Themen erheblich an Gewicht gewonnen. Zudem hat zumindest die Evangelische Kirche (in den 1970er-Jahren, vollends 1994) erklärt, dass an ihrem Religionsunterricht alle interessierten Schüler:innen – ungeachtet ihrer konfessionellen Bindung oder auch Nicht-Bindung – teilnehmen können (Schröder 2021a, 40 f.). In Geltung geblieben ist das Erfordernis, dass die Religionslehrer:innen der Religionsgemeinschaft angehören sollen, die den Religionsunter-

Religionsunterricht als Fach der staatlichen Schule

richt mitverantwortet, und dass sie von ihr mit der Erteilung des jeweiligen Religionsunterrichts beauftragt werden müssen. Ihre Konfessionalität ermöglicht es, die Themen des Religionsunterrichts aus einer bestimmten theologischen Perspektive zu betrachten und die Schüler:innen zur Auseinandersetzung mit einer für sie erkennbaren religiösen Position zu veranlassen. Denn in religiös-weltanschaulichen Fragen geht es nicht nur um möglichst objektive Information, sondern um eine existenzielle und insofern bildende Befassung (vgl. dazu Abschnitt 8.4 in diesem Band sowie etwa Schambeck 2017). Religionsunterricht zielt darauf, »Lernende zu befähigen, religiös relevante Fragen und Themen zu identifizieren und ihnen selbsttätig, methodisch und sachgemäß […] nachzugehen. Der Unterricht soll sie in die Lage versetzen, ihre persönliche Haltung zu (christlicher) Religion wahrzunehmen, […] auszudrücken, im Gespräch mit anderen Religiositäten und Religionen kritisch zu kommunizieren und in eine existentiell als tragfähig erachtete Form zu überführen« (Schröder 2021a, 383). Wenn es für einen Religionsunterricht gemäß Art. 7.3 GG entscheidend darauf ankommt, dass die Religionslehrer:innen in transparenter Weise positionell sind, die Schüler:innen aber verschiedenen Religionen oder Weltanschauungen angehören können, dann werden organisatorische Varianten des herkömmlichen konfessionellen Religionsunterrichts möglich. Derzeit sind vor allem konfessionell-kooperativer Religionsunterricht (zuerst, seit 1998, in Baden-Württemberg und Niedersachsen), christlicher Religionsunterricht (in Vorbereitung in Niedersachsen ab Schuljahr 2024/25) oder ein Religionsunterricht für alle in Trägerschaft mehrerer Religionsgemeinschaften (seit 2012 in Hamburg und, deutlich modifiziert, seit 2014 in Bremen) zu nennen (zur Lage in den einzelnen Bundesländern s. Rothgangel/Schröder 2020, zur aktuellen Entwicklung Schröder 2021b). Diese verschiedenen Organisationsformen betonen jeweils durchaus unterschiedliche Anliegen, sie bringen eigene thematische Akzente mit sich und erfordern jeweils unterschiedliche Lehr-Lern-Arrangements. Gleichwohl lassen sie sich allesamt als Lesarten eines Religionsunterrichts im Sinne von Art 7.3 GG verstehen. Zu den gemeinsamen Merkmalen gehört: Ein solcher Religionsunterricht will erstens nicht nur über Religionen informieren (»learning about religion«), sondern mit und von ihnen lernen (»learning from religion«) – so weist er eine religiös grundierte Lebensführung und

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Ziel des Religions­ unterrichts

Varianten von Religions­ unterricht

Gemein­ same Merk­ male von »Religions­ unterricht« im Sinne des Grund­ gesetzes

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Situation

-deutung als gestaltbar, tragfähig und sinnhaft aus. Er ist zweitens darauf angewiesen, dass (ein guter Teil der) Schüler:innen und der:die Religionslehrer:in einer Religionsgemeinschaft angehören, dass diese Zugehörigkeit – zumindest im Falle der Lehrenden – erkennbar ist und insofern allen Teilnehmenden bewusst sein kann, dass hier im lernenden Ringen um Tragfähigkeit und Wahrheit religiöser Einsichten die Perspektive einer bestimmten gelebten und gelehrten Religion eingebracht wird: Diese sogenannte transparente Positionalität gilt als fruchtbarer Stimulus für den Lernprozess. Drittens will und soll ein so bestimmter Religionsunterricht das Verständnis für die jeweilige Herkunftsreligion vertiefen, eine kritische (das heißt Leistungskraft und Grenzen absteckende) Position aller Einzelnen gegenüber der jeweiligen Herkunftsreligion wie gegenüber allen anderen thematisierten Religionen anbahnen und seiner Intention nach (aber nicht als operationalisiertes Lernziel) die Ligatur der Lernenden an eine bestimmte Religion fördern. Zugleich will und soll er viertens sowohl intra- als auch interreligiöse Verständigung (»ecumenical learning« und »interreligious learning«) und die Fähigkeit zum kritisch-konstruktiven Umgang mit religiös-weltanschaulicher Pluralität anbahnen: Er sucht deshalb Dialog und Kooperation mit anderen Religionsunterrichten sowie mit dem Ethikunterricht. Schließlich steht ein solcher Religionsunterricht im Dienst der Bildung der einzelnen Lernenden. Deren Förderung schließt ein, das kritische Potenzial von Religion gegenüber Phänomenen wie Egozentrik und Hybris, Entfremdung und Schuld, Götzendienst und Sinnlosigkeit befreiend zur Geltung zu bringen.

Ein Religionsunterricht, in dem alle Beteiligten einer Konfession angehören, nur an dieser interessiert sind und nur mit ihr vertraut gemacht werden, ist angesichts der religiös-weltanschaulich pluralen Lebenswelt weder wahrscheinlich noch wünschenswert.

1.6 Rolle und Aufgaben der Religionslehrer:innen Vor diesem Hintergrund haben Religionslehrer:innen zunächst all jene Aufgaben und Rollen zu erfüllen, die Lehrer:innen aller schulischen Fächer wahrnehmen (vgl. Kap. 1.2). Es ist unerlässlich und wichtig, dass sie sich in diesem Sinne als kompetent erweisen und sich (und somit auch die Perspektive ihres Faches) in die Entwicklung ihrer Schule einbringen: Dies kommt der Schule und ihrem Profil zugute und nicht minder dem »Standing« des Faches »Religionsunterricht« sowie etwaigen Entfaltungen von Religion im Schulleben. Darüber hinaus haben Beruf und Aufgabe der Religionslehrenden Eigenarten, die es sich zu vergegenwärtigen lohnt:

Rolle und Aufgaben der Religionslehrer:innen

Dem Charakter des Religionsunterrichts als gemeinsame Angelegenheit (res mixta) von Staat und Religionsgemeinschaft entsprechend verfügen Religionslehrer:innen einerseits über eine wissenschaftlich-fachliche Qualifikation (Studium und Referendariat, abgeschlossen durch zwei Examina bzw. Staatsexamen), andererseits über eine Mitgliedschaft in der Kirche (bzw. einer anderen Religionsgemeinschaft) sowie deren Beauftragung (evangelisch: vocatio, katholisch: missio canonica, jüdisch: ischur, islamisch: idjaza). Sie werden dadurch nicht zu Statthalter:innen der Kirche (bzw. der Religionsgemeinschaft) in der Schule, doch ihr Unterricht und ihre persönliche Haltung sollen einen »Zusammenhang mit Zeugnis und Dienst der Kirche« erkennen lassen (EKD, Verfassungsrechtliche Fragen, 1971 – siehe Materialien 8.3 in diesem Band). Religionslehrer:innen sind somit nicht nur Staatsbeamt:innen oder -angestellte, sondern stehen auch in einer besonderen Loyalität zu der sie entsendenden Religionsgemeinschaft. Anders als in anderen Schulfächern darf und soll im Religionsunterricht eine bestimmte Position in religiösen Fragen zur Sprache kommen – wenn auch nicht ausschließlich und keineswegs als Erstes bei der Erschließung eines Themas oder eines Problemhorizontes. Aber doch so, dass die Schüler:innen – zumal dann, wenn sie nachfragen – erkennen können: Diese Religionslehrerin gestaltet und deutet ihr Leben im Licht bestimmter religiöser Überzeugungen; dieser Religionslehrer stellt diese in theologisch und didaktisch-methodisch reflektierter Weise zur Diskussion und lässt sich mit den Schüler:innen auf den Streit um die Auslegung der gemeinsamen Wirklichkeit ein (vgl. dazu als erziehungswissenschaftliches, klar operationalisierbares Plädoyer: Zierer 2017). Die dergestalt transparente Positionalität können und müssen Religionslehrende selbst »dosieren«: Ein guter Teil ist ihrer Rolle geschuldet (das heißt, sie vertreten nicht primär ihre individuelle Auffassung, sondern eine theologische Position bzw. diejenige ihrer Konfession oder ihrer Kirche), doch zumindest in manchen unterrichtlichen oder außerunterrichtlichen Situationen ist die Person gefragt (vgl. Kap. 8.4). Religionslehrer:innen sind somit nicht nur theologisch und didaktisch kompetente Fachlehrer:innen, sondern sollen auch »glaubwürdig unterrichten« (vgl. Biesinger u. a. 2008). Anders als etliche andere Schulfächer zielt Religionsunterricht absichtsvoll auf existenzielle Auseinandersetzung der Schüler:innen mit religiösweltanschaulichen Fragen oder, anders gesagt, mit dem Sinn des Lebens. Religionsunterricht erschließt somit einen von mehreren Weltzugängen

29 Loyalität zur Religions­ gemeinschaft

Glaubwürdig unterrichten

Transparente Positionaliät

Sensible Er­ schließung eines beson­ deren Welt­ zugangs

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Existenziale Auseinander­ setzung und Überwälti­ gungsverbot

Lebens­ langes Lernen

Achtsam­ keit für den eigenen reli­ giösen Lern­ prozess

Situation

(»Modi der Weltbegegnung«, vgl. Baumert 2002) neben dem sprachlichen, dem mathematisch-naturwissenschaftlichen und dem ästhetischen. In diesem sensiblen Bereich gilt es einerseits, unbedingt die Freiheitsrechte der Schüler:innen (Art. 4 GG) zu wahren und dem Überwältigungsverbot (»Beutelsbacher Konsens«) Rechnung zu tragen: Schüler:innen dürfen und sollen nicht mit religiösen Geltungsansprüchen bedrängt oder gar überwältigt werden. Andererseits aber soll die Herausforderung der existenziellen Auseinandersetzung und des Einbringens transparenter Positionalität nicht umgangen oder ausgeblendet werden – eine etwaige »Versachkundlichung« (Englert u. a. 2014) oder die Ermäßigung des Religionsunterrichts zu Ethikunterricht bzw. Religionskunde würden weder dem grundgesetzlichen Auftrag des Faches gerecht noch seinem Gegenstand Religion. Daseins- und Wertorientierung durch religiöse Bildung kann durch Auseinandersetzung mit Rolle und Person der – in transparenter und diskutabler Weise – positionellen Religionslehrenden an Lebens- und Praxisnähe, existenzieller Relevanz und intellektueller Ernsthaftigkeit gewinnen. Anders gesagt: Religionslehrer:innen haben in besonderem Maße die Chance, mit Schüler:innen solche Themen zu behandeln, die für deren Lebensdeutung und -führung relevant sind. Zur Professionalität von Lehrer:innen aller Fächer gehört die berufslebenslange Fortbildung – im Blick auf fachliche Innovationen, auf fachdidaktische Diskussionen und auf Schulentwicklung. Das gilt unvermindert auch für Religionslehrer:innen, und sie können dafür sogar auf ein doppeltes Angebot zurückgreifen – auf das vonseiten der staatlichen Schuladministration bereitgestellte Fortbildungsprogramm und auf die Infrastruktur bzw. die Offerten ihrer Landeskirche (bzw. Religionsgemeinschaft): Bibliotheken, Schuldekan:innen bzw. Beauftragte für Kirche und Schule, Religionspädagogische Institute. Diese komfortable Situation kann und soll genutzt werden. Möglicherweise geht das lebenslange Lernen von Religionslehrer:innen noch darüber hinaus: Insofern die im Unterricht oder im Blick auf den Unterricht durchdachten Themen nicht selten auch für die Religionslehrenden existenzielle Relevanz haben, lädt dieses Fach seine Lehrer:innen dazu ein, selbst immer wieder die theologische Auseinandersetzung zu suchen, religiöse Praktiken und spirituelle Räume für sich selbst zu erschließen, von anderen Religionen und Weltanschauungen geprägte Kontexte zu erkunden (etwa durch Reisen in islamische Länder oder einen Studienaufenthalt in Israel) und ökumenische bzw. interreligiöse Erfahrungen zu machen.

Rolle und Aufgaben der Religionslehrer:innen

Für die eigene Motivation und für die Lebendigkeit des Religionsunterrichts ist eine eigene Spiritualität hilfreich, wenn nicht unverzichtbar. Diese kann in der Teilhabe am Leben einer Parochialgemeinde ebenso Gestalt gewinnen wie im Pilgern oder in

31 Spiritualität und Lebens­ kunst

der Teilnahme an Tagen der Stille in Klöstern oder Kommunitäten, in einer alltäglichen Gebets- oder Meditationspraxis ebenso wie in der Beteiligung an einem theologischen Gesprächskreis oder an der Ökumene vor Ort (unterschiedliche Anregungen dazu finden sich etwa bei Bubmann/Sill 2008, Plattig 2010 oder Steffensky 2005). Spiritualität kann aus spezifisch religiösen Quellen zur Lehrer:innengesundheit, zur Work-Life-­Balance, zur Förderung von Berufszufriedenheit und Resilienz beitragen.

Die Komplexität dessen, was von Religionslehrenden bei der Vorbereitung, Durchführung und Reflexion von Unterricht sowie bei ihrem Engagement für Religion im Schulleben und Schulentwicklung erwartet wird, tritt wohl am deutlichsten anhand der geltenden Maßgaben für die Bildung von Religionslehrer:innen hervor. Das derzeit geltende »Strukturmodell« sieht – verteilt auf Studium, Referendariat und Fortbildung – den Erwerb von fünf theologisch-religionspädagogischen Kompetenzen vor: »Reflexionskompetenz«, »Gestaltungskompetenz«, »Förderkompetenz«, »Entwicklungskompetenz« sowie »Dialog- und Diskurskompetenz« (EKD 2008, auch abgedruckt in Lenhard u. a. 2019, 243–279). Angesichts der Umbrüche des Religionsunterrichts sind seit Abfassung jenes Modells im Jahr 2008 durch gemeinsamen Beschluss von Evangelisch-Theologischem Fakultätentag, Konferenz der Institute für Evangelische Theologie und Kirchenkonferenz weitere Anforderungen hinzugekommen, die in folgenden Texten beschrieben werden: »Der konfessionell-kooperative Religionsunterricht als Herausforderung für die Religionslehrerinnen- und Religionslehrerbildung« (2019), »Interreligiöse Kompetenz. Perspektiven und Empfehlungen der Gemischten Kommission […]« (2020) und »TheologischReligionspädagogische Kompetenzen für das gemeinsame Lernen mit Konfessionslosen in schulischen Kontexten« (2020) sowie »Religionsunterricht in der digitalen Welt. Ein Orientierungsrahmen« (EKD 2022a).

Religions­ lehrer:innen­ bildung

32

Situation

1.7 Dynamiken und Herausforderungen des Religionsunterrichts

Heraus­ forderung: Pluralisierung

Heraus­ forderung: Religions­ unterricht in Europa

Der im Vorangehenden beschriebene Religionsunterricht ist im Grundsatz mit der Weimarer Reichsverfassung von 1919 eingeführt worden. Er verdankt sich zudem einer weitaus länger zurückreichenden Kirchen-, Theologie- und Schulgeschichte (vgl. Lachmann/Schröder 2007). Insofern kann er auf der einen Seite als kontextualisiert, etabliert und bewährt gelten, auf der anderen Seite war und ist er nicht unumstritten (vgl. Schröder 2021b). In dreierlei Hinsicht soll dies angezeigt werden. Eine Infragestellung geht von der in der Gesellschaft insgesamt zu beobachtenden Pluralisierung und Individualisierung von Religionen und Weltanschauungen aus: Schüler:innen sehen sich immer häufiger in einem gebrochenen Verhältnis zu ihrer Herkunftsreligion und so vor die Wahl gestellt, welchen Religionsunterricht (oder Ethikunterricht) sie besuchen sollen. Das Switchen zwischen den unterrichtlichen Angeboten erschwert den Lehrer:innen ein konzeptionell geleitetes, über mehrere Schuljahre hinweg erfolgendes Unterrichten; die Zahl der verschiedenen Religionsunterrichte zuzüglich eines Ethikunterrichts wirft schulorganisatorische Probleme auf. Nicht zuletzt verlangt ein Religionsunterricht, der zum Umgang mit Pluralität befähigen will, einen ökumenischen Geist, die Thematisierung einer wachsenden Zahl von Religionen sowie globaler Phänomene und ein Lernen voneinander (nicht: übereinander). Eine Reformtendenz geht deshalb hin zur Kooperation zwischen Religionsunterrichten, etwa in Gestalt eines konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts, oder sogar ihrer inklusiven Umgestaltung, etwa in Gestalt eines christlichen Religionsunterrichts (Niedersachsen) oder des Hamburger Weges eines interreligiösen Religionsunterrichts. Eine weitere Anfrage entspringt der europäischen Einigung. In einer Schrift des 1949 gegründeten »Council of Europe« mit dem Titel »Signposts« (Europarat 2014) wird einerseits unterstrichen, dass religiöse Bildung in einer (religions-)pluralen Gesellschaft an Bedeutung gewinnt. Andererseits wird behauptet, diese Bildung müsse in möglichst neutraler Weise angebahnt werden, um allen Schüler:innen einer Klasse in einem Unterricht zuteilzuwerden. Pate stehen dabei Konzepte von Religionsunterricht, die derzeit bereits in England, in Norwegen und anderswo verwirklicht werden. Es gibt somit in Europa derzeit so etwas wie einen Paradigmenkonflikt, wie ein zukunftsfähiger Religionsunterricht aussehen sollte – das Schibboleth (vgl. Ri 12,5 f.) ist dabei die Frage, ob die-

Dynamiken und Herausforderungen des Religionsunterrichts

ser Unterricht Äquidistanz zu allen thematisierten Religionen, über die und von denen etwas gelernt werden soll, wahren (so in »Signposts« vorgeschlagen) oder das Einspielen einer für die Lernenden transparenten, religiös bestimmten Perspektive beinhalten soll (so die Grundidee des Religionsunterrichts nach Art. 7.3 GG). Eine dritte Herausforderung hat mit den Religionslehrenden zu tun. Die Komplexität ihrer Aufgabe ist oben angedeutet worden. Zugleich betreffen die Veränderungen der religiösen Landschaft nicht nur die Schüler:innen, sondern auch die Lehrenden selbst – in besonderem Maß die nachwachsenden Lehrer:innen-Generationen. Die Frage ist, ob sie auch zukünftig bereit sind, die anspruchsvolle Gratwanderung eines existenziell bildenden, religionsgemeinschaftlich mitverantworteten Religionsunterrichts zu gehen oder einen informativen, eher religionskundlich angelegten Unterricht bevorzugen. Ohne die Religionslehrer:innen – ihre Kompetenz, ihre Rollenwahrnehmung und ihre religiös mitgeprägte Persönlichkeit – kann es keinen Religionsunterricht im Sinne von Art. 7.3 GG geben.

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Heraus­ forderung: Gewin­ nung von Religions­ lehrenden

2

Update – aktuelle Ansätze

Die Schilderungen in Kapitel 1 haben versucht zu zeigen, dass sich die Schule, die Schüler:innen und ihre Lebenswirklichkeit und auch der organisatorische Rahmen sowie das Selbstverständnis des Faches »Religionsunterricht« in einem Veränderungsprozess befinden – das entspricht der Dynamik einer (post-)modernen Gesellschaft. Diese Dynamik erfordert angesichts der Deutlichkeit und Dauerhaftigkeit mancher Entwicklungen religionspädagogisches Nachdenken – aufseiten der religionspädagogischen Multiplikator:innen, aber auch der Religionslehrer:innen selbst in ihren verschiedenen regionalen Kontexten und Schulformen. Einige konzeptionelle Weichenstellungen, die – wenn auch in unterschiedlichem Maße – jeweils auch in der Praxis angekommen sind, werden im Folgenden beschrieben.

2.1 Kompetenzorientierung Paradigmen­ wechsel

Seit Anfang der 2000er-Jahre werden die sogenannten PISA-Studien durchgeführt. Gemeint sind internationale empirische Untersuchungen der Leistungen von Schüler:innen im Rahmen des »Programme for International Student Assessment« (PISA), das von der »Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung« (OECD) verantwortet wird. Insbesondere die ersten PISA-Studien stellten dem deutschen Unterrichtswesen ein mittelmäßiges Zeugnis aus. Aufgrund dessen und angesichts der daran anschließenden breiten öffentlichen Diskussion um Ursachen und Missstände führten die Kultusminister:innen der Bundesländer Anfang der 2000er-Jahre einen Paradigmenwechsel in der Steuerung von Unterricht aller Fächer herbei: Er sollte nicht länger wie bisher über Lernziele und Inhaltskataloge definiert und aus der Logik des jeweiligen Faches heraus konzipiert werden, also über das, was Schuladministration oder Lehrer:innen vorgeben (»Input«), sondern über die Festlegung von Kompetenzen, die Schüler:innen über längere Zeiträume hinweg erwerben können und sol-

Kompetenzorientierung

len (»Output«). Kompetenzen sind dem sogenannten Klieme-Gutachten zufolge »erlernbare[ ] kognitive[ ] Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können« (BMBF 2003, 21). Die Ausrichtung von Unterricht auf den Erwerb solcher Kompetenzen sollte Lösungen bieten für verschiedene strukturelle Probleme schulischen Unterrichts – zum Ersten sollte sie die Überprüfbarkeit der Lernleistungen von Schüler:innen (und die dabei erzielten Ergebnisse) verbessern, zum Zweiten die Schüler:innen und ihre Lernaktivitäten in den Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens und seiner Planung rücken, zum Dritten den Unterricht auf die Bearbeitung lebensweltlich relevanter Problemstellungen ausrichten und so den Aufbau trägen Wissens vermeiden helfen, zum Vierten die Steuerung des Unterrichts entschlacken, indem schlanke Kompetenzkataloge (bzw. Bildungsstandards) beschrieben werden anstelle einer komplexen Matrix aus Zielen, Inhalten, Medien und Methoden. Nicht zuletzt sollte auf diese Weise die Expertise von Lehrer:innen als eigenverantwortliche, an ihren jeweiligen Schüler:innen orientierte »Fachleute für Lehren und Lernen« (s. o. Kap. 1.2) heller zum Leuchten kommen. In der Tat wurden seitdem in allen Fächern, auch im Religionsunterricht, kompetenzorientierte Kerncurricula bzw. Bildungspläne in Kraft gesetzt (vgl. als steuernde Texte KMK 2006 und Kirchenamt 2010). Darin begegnen vor allem folgende Merkmale: Ȥ Die Pläne benennen sowohl sogenannte prozessbezogene Kompetenzen (näherhin: Wahrnehmungs-, Deutungs-, Urteils-, Dialog- und Gestaltungskompetenz) als auch sogenannte inhaltsbezogene Kompetenzen, die sich auf die schon zuvor üblichen Themen und die Ziele ihrer Erarbeitung beziehen. Schüler:innen sollen im Unterricht in beiden Hinsichten gefördert werden: im Blick auf ihre prozeduralen, methodischen Fähigkeiten und ihre Kundigkeit »domänenspezifischer« Inhalte des Religionsunterrichts. Ȥ Unterricht soll auf sogenannte Anforderungssituationen Bezug nehmen, zu deren sachgemäßer Bearbeitung bzw. hilfreicher Lösung eine Unterrichtseinheit beitragen soll.

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Kompe­ tenzen

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Update – aktuelle Ansätze

Ȥ Handlungs- und Sozialformen (Methoden) finden erhöhte Beachtung: Die Schüler:innen sollen sich durch den am Aufbau ihrer Kompetenzen orientierten Unterricht ein Repertoire angemessener Vorgehensweisen bei der Lösung religioider Probleme aneignen und die gewünschten Kompetenzen anwendungs- bzw. handlungsorientiert in Gebrauch nehmen bzw. üben.

Beispiel: »Moment mal!«

Ein gelungenes Beispiel für die Implementierung der Kompetenzorientierung in die Planung und mediale Vorbereitung von Religionsunterricht bietet das Schulbuch »Moment mal! Evangelische Religion« (Husmann/Merkel 2020 ff.). Wie Unterricht im Rahmen dieses Paradigmas, ausgehend von der Konstruktion der Anforderungssituationen vorbereitet werden kann, zeigen verschiedene Handreichungen (etwa Obst 2015 sowie Bürig-Heinze u. a. 2014).

In der religionspädagogischen Diskussion wurden seinerzeit die Stärken der Kompetenzorientierung anerkannt, etwa die Orientierung am Lernertrag der Schüler:innen, das Aufgreifen lebensweltlicher Themen sowie der Anstoß zu Konkretion und Handlungsorientierung. Allerdings wurden auch etliche Schwierigkeiten einer Anwendung auf den schulischen Religionsunterricht erkannt. So kam etwa die Frage auf, ob die Inhalte des Religionsunterrichts tatsächlich im funktionalen Muster von Problem und Lösung erschlossen werden können oder nicht vielmehr auf einen offenen »religiösen Gedankenerzeugungsproceß« (Friedrich Schleiermacher) zielen sollten. Angefragt wurde auch die Betonung der Überprüfbarkeit der Unterrichtsergebnisse – verdunkelt sie nicht gerade die Stärke des Religionsunterrichts, Themen der Schüler:innen aufzugreifen und unverzweckt zu reflektieren? Die schulpolitischen Setzungen sind über derartige Anfragen hinweggegangen – gegenwärtig ist die Kompetenzorientierung unhinterfragt das grundlegende Paradigma der Lehrplankonstruktion und der Unterrichtssteuerung. Anders gesagt: Vorbereitung, Durchführung und Reflexion kompetenzorientierten Religionsunterrichts gehören zum grundlegenden Handwerkszeug aller Religionslehrer:innen – die Nutzung anderer religionsdidaktischer Konzeptionen und der Aufbau eines didaktisch-methodischen Werkzeugkastens geschehen vor diesem Hintergrund.

Inklusion und Heterogenitätsmoderation

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2.2 Inklusion und Heterogenitätsmoderation 2009 hat die Bundesrepublik Deutschland das »Übereinkommen [der Vereinten Nationen] für die Rechte von Menschen mit Behinderungen« (kurz: UN-Behindertenrechtskonvention) ratifiziert. Als völkerrechtlicher Vertrag verlangt diese Geltung und somit die entsprechende Anpassung von Bundes- und Landesrecht. Im Blick auf die Bildungswesen der Bundesländer haben insbesondere zwei Facetten der Konvention Bedeutung erlangt: zum einen die neue, interaktionale Definition von »Behinderung« als Resultat »aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungsund umweltbedingten Barrieren«, die an die Stelle einer medizinisch geprägten Definition von Behinderung als eine Art chronischer Krankheit des Individuums tritt (Präambel und Art.1), und zum anderen die Forderung, ein »integratives Bildungssystem« (engl.: inclusive education; Art. 24) zu etablieren. Diese führte in Deutschland zur weitgehenden Auflösung des Förderschulwesens und – quer durch die Schularten – zur jeweils gemeinsamen Beschulung von Schüler:innen mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf. Aufs Ganze gesehen hat sich im Zuge der Inklusionsdebatte das Vorzeichen schulbezogener Diskussionen verändert – statt äußerer Differenzierung wird mittlerweile Binnendifferenzierung bevorzugt. Statt eines Denkens in Regel- vs. Abweichung-Kategorien hat sich eine Normalität der Verschiedenheit etabliert (vgl. etwa die Wertschätzung von »Vielfalt als Chance« in EKD 2016, 33 f.). Von dieser allgemein-schulischen Umstellung ist der Religionsunterricht mitbetroffen. Zugleich aber finden Theologie, Religionspädagogik und Kirche aus ihrer christlichen anthropologischen Tradition heraus auch eigene Argumente für inklusives Denken und Handeln (vgl. exemplarisch EKD 2015a und Liedke u. a. 2016). Insofern kann man zuspitzen: Religionsunterricht kann und soll aktiver Fürsprecher von Inklusion in der Schule sein. Diese Fürsprache betrifft allerdings nicht nur Inklusion im engeren Sinne (also bezogen auf das Miteinander von Menschen mit Beeinträchtigungen), sondern einen konstruktiven Umgang mit Heterogenität bzw. »diversity« insgesamt – insbesondere diejenige im religiös-weltanschaulichen Bereich. Und die Fürsprache umfasst näherhin zweierlei: die unbedingte Wertschätzung aller Personen als Menschen, denen ohne ihr Zutun die Würde der Gottebenbildlichkeit (und der Auftrag ihr zu entsprechen) zukommt, und die Selbstverpflichtung auf bestmögliche För-

»Behinder­ tenrechts­ konvention«

Neues Ver­ ständnis von Behinderung

Ruf nach einem inklu­ siven Schul­ wesen Von der äußeren zur inneren Differen­ zierung

Vielzahl der DiversityMarker Wertschät­ zung und Förderung

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Hetero­ genität als Bereiche­ rung von Lernpro­ zessen

Unterricht als Angebot verschie­ dener Lern­ arrangements

Kooperative Lernwege

Unterschei­ dung von Lernformen

Update – aktuelle Ansätze

derung aller Personen in Richtung ihrer Subjektwerdung (vgl. dazu Schröder 2021a, § 12). Nicht in dieser Fürsprache enthalten ist demgegenüber eine bestimmte Einsicht in die besten Mittel und Wege, wie Wertschätzung und Förderung zur Geltung zu bringen sind – also etwa durch inklusive Schulen, innerhalb derer einzelne Menschen mit diagnostiziertem Förderbedarf in heterogenen Lerngruppen unterrichtet werden, oder durch Förderschulen, die auf die Unterrichtung von Menschen mit bestimmten Beeinträchtigungen spezialisiert sind. Um die besten Mittel und Wege wird in Schulpolitik, Pädagogik und Religionspädagogik gerungen. Die wichtigste Einsicht aus den Inklusionsdebatten ist eine veränderte Einschätzung von Heterogenität: Ausgehend von der Beobachtung »Es ist normal verschieden zu sein« (EKD 2015a) gilt Vielfalt nicht mehr in erster Linie als Quelle von Störungen, sondern als Lernanlass und Bereicherung für einen schüler:innenorientierten Unterricht: »Im inklusiven Religionsunterricht wird ein positives Verständnis von Unterschieden gefördert und Vielfalt als Bereicherung erfahrbar gemacht« (»Zehn Grundsätze für inklusiven Religionsunterricht«, in: Comenius-Institut 2014, M1 B2). Diese neue Wahrnehmung von Vielfalt geht mit einem veränderten Leitbild von Unterricht einher. Anita Müller-Friese, eine der Wegbereiter:innen einer inklusiven Religionspädagogik, fordert pointiert, Abschied zu nehmen vom Ideal der »7 G« (»Alle gleichartigen Kinder haben beim gleichen Lehrer mit dem gleichen Lehrmittel im gleichen Tempo das gleiche Ziel zur gleichen Zeit gleichgut zu erreichen«) – Unterricht darf und muss vielmehr differenzieren. Er kann und soll das im Blick auf Lernziele, Lernarrangements, Lerngegenstände, Lerngruppen und gegebenenfalls auch im Blick auf die Lehrenden tun (Müller-Friese 2012, 67). Als Lehrende kommen die Fachlehrer:innen und – womöglich nur zeitweise anwesende – förderpädagogisch qualifizierte Lehrer:innen in Betracht, zudem aber auch die Schüler:innen untereinander. Ihren Eigenarten und Stärken entsprechend können und sollen sie sich gegenseitig unterstützen und voneinander lernen – kooperatives Lernen und wechselseitige Teilhabe an Lernergebnissen sind ein grundlegendes Moment inklusiven Unterrichtens. Im Blick auf den Religionsunterricht findet darüber hinaus eine Relativierung der primär intellektuellen Schulung der Lernenden statt. Nicht nur der Kopf, sondern auch Herz und Hand sollen angesprochen werden (vgl. Berg 1999). Unterrichtsplanung und -durchführung sollen verschie-

Intra- und interreligiöses Lernen

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dene Lernformen berücksichtigen: Neben der »abstrakt-begrifflichen« sind die »basal-perzeptive« (die der sinnlichen Wahrnehmung einen besonderen Stellenwert einräumt), die »konkret-handelnde« (die auf die Selbsttätigkeit der Schüler:innen abhebt) und die »anschaulich-modellhafte« Weise der Erschließung und Aneignung zu nennen. Die vielen Möglichkeiten, diese Lernformen bei der Planung und Durchführung von Religionsunterricht zur Geltung zu bringen, stellt eindrücklich die »Arbeitshilfe Religion inklusiv« vor Augen (Schweiker 2012).

Sowohl die Debatten um Inklusion als auch die Erprobungen in der Praxis zeigen, dass die Umstellung der Lernkultur einerseits Einsicht und Engagement der Lehrenden, andererseits jedoch nicht zuletzt auch eine andere Infrastruktur erfordert: Menschen mit Beeinträchtigungen benötigen technische Hilfsmittel. Vielfältige Lernarrangements brauchen Raum und Material. Das kooperative Lernen der Schüler:innen verlangt Teamarbeit und gegenseitige Beratung auch aufseiten der Lehrenden – kurz: Eine inklusive Schule ist anders als eine primär auf individuelle Leistung und Bestenauswahl abhebende Schule. Mit diesen pädagogischen Aufgaben der Inklusion und der Heterogenitätsmoderation stehen Religionslehrer:innen keineswegs allein – es sind Aufgaben aller Lehrenden. Exemplarisch verdeutlicht dies die niedersächsische »Verordnung über die Ausbildung und Prüfung von Lehrkräften im Vorbereitungsdienst« (APVO-Lehr) vom 13. Juli 2010, die als dessen Ziel bestimmt, »die im Studium erworbenen […] Basiskompetenzen in den Bereichen a) Heterogenität von Lerngruppen, b) Inklusion, c) Grundlagen der Förderdiagnostik […] im Hinblick auf die Schulpraxis [zu] erweiter[n] und [zu] vertief[en]« (NI-VORIS 2010; vgl. § 2 und den dortigen »Anhang«).

2.3 Intra- und interreligiöses Lernen Schüler:innen einer Schule gehören zusehends häufiger verschiedenen Religionen (und Weltanschauungen) an und legen ihre jeweilige Religion in der Regel durchaus unterschiedlich aus: Sie praktizieren, verstehen und vertreten sie in verschiedener, nicht selten eigenwilliger Weise (vgl. Kap. 1.3). Angesichts dieser Konstellation stehen Konzepte inter- und intrareligiösen Lernens seit Jahren weit oben auf der religionspädagogischen Agenda.

Best Practice: Arbeitshilfe Religion inklusiv Auf dem Weg zu einer neuen Lern­ kultur

40 Zwei Ebenen: Didaktik und Organisation

Konfessionell-­ kooperativer Religions­ unterricht

Didaktische Prinzipien und Lern­ formen

Update – aktuelle Ansätze

Deren Entwicklung und Diskussion betrifft – und das ist eine Besonderheit dieses Diskurses im Unterschied etwa zur Diskussion um Bibeldidaktik oder Kinder- und Jugendtheologie – einerseits die Ebene der Didaktik, andererseits aber auch die Ebene der Organisationsform des Religionsunterrichts. Beide Ebenen spielen ineinander, sind jedoch zu unterscheiden. Im Falle des intrareligiösen Lernens ist die Diskussion durch die Generierung einer neuen Organisationsform erst in Gang gekommen. Seit 1998 gibt es – jeweils vertraglich und schulrechtlich abgestützt – in Baden-Württemberg und Niedersachsen (und inzwischen in weiteren Bundesländern) sogenannten konfessionell-kooperativen Religionsunterricht. An diesem Unterricht nehmen katholische und evangelische (und gegebenenfalls auch anders konfessionelle) Schüler:innen teil, Lehrkräfte beider Bekenntnisse wechseln sich in einem bestimmten Rhythmus ab, stehen aber nur in seltenen Fällen gemeinsam vor der Lerngruppe. Der Unterricht soll den geltenden Lehrplänen des evangelischen wie des katholischen Religionsunterrichts gerecht werden; im Zeugnis erscheint der Unterricht als Religionsunterricht der Konfession, der der:die Religionslehrer:in angehört. Über diese Gemeinsamkeiten hinaus unterscheiden sich der baden-württembergische und der niedersächsische Weg des »kokoRU«: In Südwestdeutschland wird die Zustimmung der Eltern verlangt, zudem eine einschlägige Fortbildung der beteiligten Lehrenden und ein zu genehmigender Antrag an die Schulbehörde und die Kirchen; in Norddeutschland hat man teils von Anfang an, teils im Laufe der Zeit von all dem abgesehen, um einen möglichst niedrigschwelligen Zugang zu diesem Unterricht zu ermöglichen. Zwar durften und dürfen (einzelne) Schüler:innen anderer Bekenntnisse schon seit vielen Jahren am evangelischen Religionsunterricht teilnehmen, doch der Umgang mit einer – willentlich herbeigeführt und konzeptionell geradezu erforderlich – konfessionsgemischten Schüler:innenschaft wurde erst mit der Einführung des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts zur religionsdidaktisch reflektierten Herausforderung. In einem »Handbuch« zum Thema wurden einige mögliche Regeln zusammengestellt, die auch Einsichten der Inklusionsdebatte widerspiegeln. So gilt es demnach etwa, die (konfessionelle) Heterogenität der Lerngruppe als bildsame Differenz zu bejahen und für das Unterrichtsgeschehen bzw. die Interaktion unter den Schüler:innen fruchtbar werden zu lassen. Erforderlich dafür ist, die Wahrnehmung und Explikation vorhandener religiöser Überzeugungen und Bindungen (sog. Ligaturen)

Intra- und interreligiöses Lernen

41

durch die Schüler:innen selbst als einen ersten Lernschritt im Unterricht ernst zu nehmen und auf die dabei entdeckten konfessionellen – häufig: untergründig konfessionell mitgeprägten – Differenzen (und Gemeinsamkeiten) zuallererst aufmerksam zu machen. Konfessionelle Bestimmtheiten oder Unbestimmtheiten sollen im Religionsunterricht keineswegs nur etwas sein, über das geredet wird – sei es in einem konfessionskundlichen Sinne oder im Blick auf »die anderen«. Vielmehr soll immer wieder Raum gegeben werden für einen Dialog zwischen verschiedenen »authentischen« Sprecher:innen: den Schüler:innen, Gästen im Unterricht und nicht zuletzt auch Texten oder anderen Medien, die Konfessionalität zum Ausdruck bringen. Auch die Erkundung von Gemeinden oder anderen konfessionell bestimmten Orten und die Begegnung mit »Expert:innen«, etwa Diakon:innen, Pfarrer:innen oder ehrenamtlich engagierten Jugendlichen (z. B. Teamer:innen in der Konfirmand:innenarbeit), kurzum: die Wahrnehmung gelebter Konfessionalität gehört zu den Aufgaben eines intrareligiös sensibilisierten Religionsunterrichts (vgl. neben den genannten weitere didaktische Grundsätze bei Schröder/Woppowa 2021, 36–44). Über solche selbst gesetzten, handlungsleitenden Regeln hinaus können auch bestimmte Lernformen besonders geeignet sein, konfessionell (mit-)geprägte Differenzen und Gemeinsamkeiten fruchtbar zu machen: kirchraumbezogenes Lernen etwa oder Lernen an religiösen Artefakten, narratives Lernen oder biografisches Lernen (s. auch dazu Schröder/ Woppowa 2021, 44–46 und passim). Mit »Religion im Dialog« liegt ein Schulbuch für den konfessionell-­kooperativen bzw. ökumenischen Religionsunterricht vor, das – anfangs evangelisch initiiert – inzwischen annähernd gleichgewichtig aus evangelischer und katholischer Perspektive entwickelt wird; in verschiedenen Besetzungen herausgegeben von Susanne Bürig-Heinze, Josef Fath, Rainer Goltz, Christiane Rösener und Beate Wenzel (Göttingen 2018–2022).

Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht versucht so, die unterschiedlichen, häufig gebrochenen konfessionellen Hintergründe der Schüler:innen aufzunehmen und ihre religiöse Position weiterzuentwickeln. »KokoRU« ist nicht so misszuverstehen, dass er ausschließlich Konfessionen und kirchliches Leben zum Thema macht – im Gegenteil: Alle Themen des Religionsunterrichts können und sollen zur Sprache kommen, und die Tür zu einem interreligiös-dialogischen Religionsunterricht wird durch einen solchen intrareligiös sensiblen Unterricht geöffnet,

Anschau­ licher Anstoß: »Religion im Dialog«

KokoRU –

keine Eng­ führung, sondern Öff­ nung von RU

42 Ökume­ nisches Lernen

Von den Weltreli­ gionen als Thema zum Dialog

Hamburger Weg des RU

Update – aktuelle Ansätze

nicht zugeschlagen! Letzteres verdeutlicht schon der Rückgriff des »kokoRU« auf Konzepte des »Ökumenischen Lernens«, die im Kontext des Ökumenischen Rates der Kirchen entstanden und Problemstellungen der einen weltweiten Menschheit aufgreifen (EKD 1985). Im Falle des interreligiösen Lernens ist demgegenüber das Ringen um didaktisch-methodische Zugänge primär gewesen – erst ab einer gewissen Verdichtung kamen in den späten 1980er-Jahren der Wunsch nach bzw. die Notwendigkeit neuer Organisationsformen des Religionsunterrichts hinzu. Weltreligionen sind bereits etliche Jahrzehnte Thema des Religionsunterrichts – vor allem in der gymnasialen Oberstufe. Im Zuge der thematischen Problemorientierung wurden Religionen und – wie es damals hieß – »Sekten« seit Ende der 1960er-Jahre auch in der Sekundarstufe I thematisiert, ehe sie in den 1990er-Jahren auch in der Grundschule und in der Elementarbildung Beachtung fanden. Mit dieser Erweiterung der Altersspanne – heute sagt man: Interreligiöses Lernen kann kaum früh genug beginnen und setzt keine »abgeschlossene« religiöse Identitätsbildung der Beteiligten voraus – ging eine Verschiebung der didaktischen Akzente einher: Aus der informativ-religionswissenschaftlichen Erschließung der Lehrgebäude anderer Religionen wurde ein Lernen von anderen Religionen, wie sie in ihren Verbreitungsgebieten tatsächlich praktiziert und theologisch »gedacht« werden, und schließlich ein dialogischer Lernprozess auf Augenhöhe unter Angehörigen verschiedener Religionen, in Deutschland zumeist unter Christ:innen, Jüdinnen und Juden sowie Muslimen und Muslimas. Dieser dialogische Lernprozess war zunächst ideeller Natur, das heißt, im evangelischen Religionsunterricht wurde die jeweils andere Religion anhand authentischer Quellen (Texte, Bilder, Medien, Artefakte) thematisiert und gegebenenfalls ermöglichte die Begehung einer Moschee sowie das exemplarische Gespräch mit einem Imam eine gewisse Anschauung. Seit Längerem fordern Befürworter:innen interreligiösen Lernens den Dialog zwischen religionsverschiedenen Schüler:innen als Schlüssel zu interreligiöser Bildung – sei es im Modus der (phasenweisen) Kooperation, etwa zwischen evangelischem und islamischem Religionsunterricht, sei es in einem Religionsunterricht für alle. In Hamburg wurde dieser Forderung schon seit den späten 1980erJahren organisatorisch, konzeptionell und faktisch Rechnung getragen: Der evangelische Religionsunterricht öffnete sich für die Teilnahme von Schüler:innen aus allen Konfessionen und Religionen, die in der Hafen-

Intra- und interreligiöses Lernen

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und Weltstadt Hamburg in vergleichsweise großer Zahl vorhanden waren. Er wurde zu einem dialogischen Religionsunterricht für alle (RUfa), der von der evangelischen Kirche, seit 1995 in Verbindung mit einem multireligiös besetzten »Gesprächskreis Interreligiöser Religionsunterricht«, verantwortet wurde. In den 2010er-Jahren wurde diese Konzeption auf eine neue Grundlage gestellt: Der Hamburger Stadtstaat schloss Verträge mit den größten Religionsgemeinschaften (Alevitentum, Judentum, Islam) ab und ebnete so den Weg zu einer gemeinsamen Trägerschaft der verschiedenen Religionsgemeinschaften für den einen Religionsunterricht – gewissermaßen Religionsunterricht für alle von allen (RUfava; RUfa 2.0). 2022 hat erstmals auch die Katholische Kirche ihre Mitwirkung daran beschlossen. Dieser RUfava wird – je nach Verfügbarkeit – von Religionslehrenden aus allen beteiligten Religionsgemeinschaften (die ihre Lehrer:innen eigens beauftragen) erteilt. Innerhalb des für alle gemeinsamen Unterrichts sind Phasen konfessions- bzw. religionsspezifischer Vertiefung vorgesehen. Der Unterricht soll durchweg sechs didaktischen Prinzipien entsprechen: Schüler:innen- und Quellenorientierung, Authentizitäts- und Wissenschaftsorientierung, Dialogorientierung und religionsspezifische Orientierung. Zwar stehen diese Prinzipien anerkanntermaßen in Spannung zueinander, doch soll und kann der Unterricht in dem so eröffneten Raum mannigfaltige Lernchancen eröffnen. Eine Buchreihe »Interreligiös-dialogisches Lernen. Unterrichtsmaterialien […]«, die seit 2014 herausgegeben wird von der Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg, dem Pädagogisch-Theologischen Institut der Nordkirche und dem Landes-

Unterrichts­ materialien: Interreligiösdialogisches Lernen

institut für Lehrerbildung und Schulentwicklung, zeigt eindrücklich, wie dies gelingen kann.

Konzeptionelle Ideen zur Ausgestaltung interreligiösen Lernens stammen jedoch keineswegs nur aus Hamburg. Zuletzt hat beispielsweise Karlo Meyer vorgeschlagen, bei interreligiösem Lernen nicht nur den geschichtlichen, theologischen und kulturellen Eigenarten der Religionen sowie der Religion der Schüler:innen Rechnung zu tragen, sondern auch den verschiedenen möglichen Interessen und Herangehensweisen im interreligiösen Lernen. Er unterscheidet typisierend vier »Religionen­ erschließungsmodi«: erstens den Erschließungsmodus der »Forscherin« – angetrieben von dem unvoreingenommenen, um Verstehen bemühten Interesse an anderen religiösen Traditionen; zweitens den Modus des »existenziellen Denkers« – geleitet von der Bereitschaft, sich selbst durch

Religionen­ erschlie­ ßungs­modi

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Update – aktuelle Ansätze

religiös (und weltanschaulich) Andersdenkende existenziell infrage stellen zu lassen; drittens den Erschließungsmodus des »Brückenmanagers« – motiviert von der Absicht, in konfliktträchtigen religiös konnotierten Situationen Fallstricke auszuloten und gangbare Lösungswege zu finden; und viertens den Modus der »glokalen Akteurin« – interessiert am und bereit zum interreligiösen Dialog in Wort und Tat (Meyer 2019, 172–208). Intra- und interreligiöse Lehr-Lern-Prozesse lassen sich unterscheiden, verweisen aber in der religiösen Landschaft der Gegenwart aufeinander und können didaktisch-methodisch voneinander profitieren. Solche Lernprozesse anleiten zu können, gehört schon gegenwärtig und zukünftig erst recht zum Kern religionsdidaktischer Kompetenz!

Interkultu­ relle Bildung als Auftrag der Schule

Auch diese Aufgabe ist schulisch eingebettet: Denn die in der Schule ermöglichte Bildung dient insgesamt unter anderem dazu, »die Grundrechte für sich und jeden anderen wirksam werden zu lassen«, »religiöse und kulturelle Werte zu erkennen und zu achten«, »mit Menschen anderer Nationen und Kulturkreise zusammenzuleben« (Niedersächsisches Schulgesetz i. d. F. vom 16. Dezember 2021, § 2), und leistet insofern einen Beitrag zu interkultureller Bildung. Mit dem Diensteid verpflichten sich jede:r Lehrer:in (wie jede:r Beamt:in) auf die Wahrung des Grundgesetzes und damit unter anderem auf Religionsfreiheit (Art. 4 GG) und Diskriminierungsverbot (Art. 6 GG).

2.4 Kinder- und Jugendtheologie Seit zwanzig Jahren hat kaum eine weitere didaktische Konzeption eine solche Erfolgsgeschichte vorzuweisen wie die sogenannte Kindertheologie, inzwischen ergänzt und fortgeschrieben zu einer Jugendtheologie. Nicht minder bedürfte es freilich einer Erwachsenen- und Seniorentheologie (dazu Kling-Witzenhausen 2020). Dieser Erfolg hat zum einen damit zu tun, dass das »Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen« viele andere Leitideen aufnimmt und ihnen konkrete Gestalt gibt: die Idee der Subjektorientierung von Lehr-Lern-Prozessen, den Ruf nach einem »Perspektivenwechsel« der (evangelischen) Kirche hin zur Perspektive der nachwachsenden Generation(en) (EKD-Synode in Halle/S. 1994), das Paradigma des Konstruktivismus, welches Lernen nicht als Aneignung bzw. Re-Konstruktion von etwas Vorgegebenem, sondern als originelle Ordnungsleistung der Lernenden versteht, die Debatte um Kinderrechte – darunter das Recht des Kindes auf Religion und reli-

Kinder- und Jugendtheologie

giöse Bildung (Schweitzer 2019) – und um die Kindvergessenheit in einer weithin ökonomiezentrierten, leistungsorientierten Gesellschaft. Der Erfolg hat zum anderen damit zu tun, dass Schüler:innen aller schulischen Altersgruppen im Sinne dieses Konzeptes »theologisieren« können und das dafür erforderliche didaktisch-methodische Repertoire in gut zugänglicher Weise, etwa im »Jahrbuch für Kinder- und Jugendtheologie« (Bucher u. a. 2018 ff.), zur Verfügung gestellt wird. Im Kern liegt der Kinder- und Jugendtheologie daran, »Theologie der Kinder« (Bucher 2002) wahrzunehmen, zu interpretieren und in LehrLern-Prozessen als deren unumgänglichen Ausgangspunkt wie Gegenstand aufzunehmen und zu bearbeiten. Dieses Anliegen hat etliche empirische Studien angeregt, die religiöses Nachdenken von Kindern und dessen Ausdruck vor allem in gemalten Bildern, in kreativen Wortschöpfungen sowie in Fragen und Erzählungen bewusst machen. In didaktischer Hinsicht setzt die Wertschätzung von Kindertheologie Akzente, die von denjenigen etwa eines lernzielorientierten oder wissenschaftspropädeutischen Religionsunterrichts deutlich abweichen. Es gilt demnach in erster Linie, in Lehr-Lern-Prozessen die »Theologie« der beteiligten Kinder zum Ausdruck kommen zu lassen und – für das jeweilige Kind selbst, die Mitschüler:innen und die Lehrer:innen – verständlich zu machen. Nicht belächeln, nicht vorschnell korrigieren, vielmehr Entdeckungen zulassen und die in den Äußerungen der Kinder (bzw. Jugendlichen) zum Ausdruck kommenden Erfahrungen, Problemwahrnehmungen oder Denkfiguren identifizieren! So könnten Imperative des entsprechenden unterrichtlichen Handelns lauten. Allerdings sollen Kinder damit nicht auf den Ist-Stand ihrer religiösen Vorstellungen fixiert werden. Es gilt vielmehr, entwicklungsfördernde Angebot zu machen. Solche Angebote bestehen weniger in der Mitteilung theologischer Wissensbestände (so sinnvoll und hilfreich dies im Einzelfall sein mag) als vielmehr in der Begegnung mit kognitiven theologischen Konflikten oder Dilemmata, auf die dann »bessere« Lösungen gefunden werden. Im Zuge solcher Lernprozesse bedarf es also auch einer »Theologie mit Kindern«, also des gemeinsamen Fragens und Antwortens von Kindern und Erwachsenen, und einer »Theologie für Kinder«, also einer subjektorientierten, aufklärenden Einspeisung theologischer Einsichten. Kindertheologische Didaktik zielt somit durchaus auf ein Fortschrei­ ten – allerdings im Wissen darum, dass dieses nur als Entwicklung des Kindes (als Genitivus subjectivus und objectivus) gelingen kann, nicht

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Theologie der Kinder

… nicht ohne Theo­ logie mit Kindern und Theo­logie für Kinder

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Update – aktuelle Ansätze

als unterrichtliche Entfaltung theologischer Themen um ihrer selbst oder des Lehrplans willen. Die Konzeption des »Theologisierens« fordert und fördert somit »die Kompetenz [sc. von Religionslehrenden], Äußerungen von Schülerinnen und Schülern auf dem Hintergrund ihrer religiösen Entwicklung und lebensgeschichtlichen Bezüge genauso kundig lesen und interpretieren zu können wie theologische Texte« (EKD 1994, 28). Sie verlangt zugleich eine hohe theologische Kompetenz und die Fähigkeit, theologische Wissensbestände und Denkfiguren in einer verflüssigten, an Unterrichtsverlauf und Verstehenshorizonte der Lernenden angeschmiegten Weise einzubringen. Es verlangt allerdings nicht zuletzt auch eine kritische Wachsamkeit für problematische (etwa angsteinflößende oder keine Relativierung ihrer selbst zulassende) oder idealisierende Gestalten von Kindertheologie! Jahrbuch für Kinderund Jugend­ theologie

Anschauung für die vielfältigen Wege des Wahrnehmens, Deutens und Entwickelns religiöser Vorstellungen von Kindern und Jugendlichen bietet das »Jahrbuch für Kinderund Jugendtheologie« (Bucher u. a. 2018 ff.), dessen Wurzeln im – seit 2002 erschienenen – »Jahrbuch der Kindertheologie« liegen. Methoden- und themenorientierte Anregungen vor allem für den Religionsunterricht an Grundschulen bietet das »Handbuch Theologisieren mit Kindern« (Gerhard Büttner u. a. 2019; vgl. ansonsten Büttner/Reis 2020).

Auch für den Fall, dass Religionslehrer:innen sich mit den Lernarrangements und der Rollenerwartung der Kindertheologie nicht anfreunden können, ist die Auseinandersetzung mit dieser didaktischen Konzeption von grundlegender Bedeutung. Schärft sie doch ein, dass es im schulischen Religionsunterricht im Kern um die Initiierung eines Lernprozesses geht, der der Entwicklung und Förderung der Kinder bzw. Jugendlichen dient und dafür Religion in hilfreicher, erschließender Weise in deren Horizont rückt. Dieses generelle Anliegen gilt es, im Religionsunterricht mit keinen anderen Kindern oder Jugendlichen als denjenigen zur Geltung zu bringen, die – so wie sie sind – in dieser Lerngruppe zusammensitzen und über die so oder so bestimmten Einstellungen, Kenntnisse, Praktiken verfügen. Ohne sie, ohne pädagogische Beziehung zu ihnen und über ihre Köpfe hinweg ist dies nicht zu erreichen.

Performative Didaktik und Religion im Schulleben

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2.5 Performative Didaktik und Religion im Schulleben Wenn von Religionsunterricht die Rede ist, geht es häufig und zuallererst um »bewusst machen«, »verstehen« und »interpretieren« – denn als Fach der Schule arbeitet auch der Religionsunterricht in der Tat an der intellektuellen Entwicklung seiner Schüler:innen. Das hat auch in theologischer und religionspädagogischer Sicht sein Recht, insofern »Glauben und Verstehen« (so die einschlägige Programmformel von Rudolf Bultmann) zusammengehören und jedenfalls nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten – seit der Aufklärung, also seit inzwischen 250 Jahren, ist dies, geistesgeschichtlich betrachtet, eine Schlüsselherausforderung theologischen Nachdenkens und religiöser Bildung. Bemerkenswerterweise stimmen evangelische und katholische Theologie darin überein, auch wenn sie unterschiedliche Argumente bzw. Denkfiguren anführen (vgl. Schröder/Woppowa 2021, 196–204 und 172–176; vgl. Hailer 2006). Allerdings, auch das ist Konsens, geht Religion keineswegs im »Nachdenken über« auf. Im Falle christlicher Religion jedenfalls gilt – ganz gleich, ob evangelischer, katholischer oder orthodoxer Spielart: Ihr ist keineswegs allein an einer Deutungsperspektive auf das je eigene Leben und die Wirklichkeit gelegen und sie kann sich auch nicht damit bescheiden. Vielmehr ist »die Pointe christlicher Theologie […] praktisch […:] Es geht nicht um die Kohärenz eines Gedankengebildes, sondern darum zu erkunden, was es heißt, heißen könnte und heißen sollte, in der Orientierung an Gottes Zuwendung und Zusage zusammen mit anderen in dieser Welt zu leben« (Dalferth 2010, 5). Das Anliegen einer Religion wie des Christentums wird somit nicht nur durch das bloße »Reden über« verfehlt, sondern auch durch das bloße »Räsonieren über«. Christliche Religion ist vielmehr eine Ressource für Muster der Lebensführung, sie verhilft dazu, dem eigenen Leben Gestalt zu geben (vgl. Grethlein 2018 und Schröder 2022b) – gerade auch im Rahmen von Lernprozessen in konfessionsspezifischer Bildungs(mit)verantwortung und gerade auch angesichts einer wachsenden Zahl von Lernenden, die keine religiöse Praxis haben oder kennen. Solche Angebote der Lebensführung können ethischer Natur (als Zusprüche, Gebote, Tugenden, Werte wie das Gebot der Nächsten- und Selbstliebe), aszetischer Natur (als bewährte Formen privater Religio­ sität wie etwa Gebet, Pilgern oder Bibellese) oder kommunikativ-gemeinschaftsförmiger Natur (etwa als Gottesdienst, Musik oder kommunitäre Lebensform) sein. Sie können teils elaboriert und erprobt sein, teils erst

Glauben und Verstehen

Christen­ tum – Res­ source für Muster der Lebens­ führung

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Performative Didaktik

Erproben und Reflek­ tieren

Religion im Schulleben

Update – aktuelle Ansätze

in Entstehung begriffen oder in vorläufiger Gestalt als »fresh expression of church« oder digitale Meditationsinspiration wie die App »evermore«. Wenn solche Muster nicht (mehr) vertraut sind, gehört es in den Radius religiöser Bildung sowohl auf sie hinzuweisen als auch sie zur Erprobung anzubieten – dies allerdings in nach Lernorten differenzierter Intensität und Verbindlichkeit, in der Gemeinde also mit einem anderen Repertoire als in der Schule. Ausgehend von einer Diagnose des sogenannten Traditionsabbruchs hat sich schon in den 1990er-Jahre die »performative Didaktik« formiert. Sie stellt sich – unbeschadet aller Spielarten, die sich unter dem Dach dieser Bezeichnung gebildet haben (dazu Dinger 2018, 23–131 und Hilpert 2020, 101–173) – der Aufgabe, Schüler:innen an Formen gelebter Religion heranzuführen: Sie sollen sie einerseits erproben und andererseits die dabei gewonnenen Wahrnehmungen und Erlebnisse reflektieren können. Es geht also – anders als in der Evangelischen Unterweisung – nicht darum, im Unterricht quasi-gottesdienstlich Bibel zu lesen, Lieder zu singen und vor Gott zu feiern, sondern darum, hinter dem Vorzeichen der Freiwilligkeit im außerkirchlichen Raum der Schule alte und neue Formen der Glaubenspraxis (etwa das Psalmlesen oder das gemeinsame Pilgern) zu erproben und darüber hinaus leiblich-ästhetische Lernformen (etwa das Rollenspiel oder das Experimentieren mit Stimme und Instrument) in Gebrauch zu nehmen  – beides, das Erproben wie das In-­Gebrauch-­ Nehmen, allerdings nicht ohne dazu wieder reflexiv auf Abstand zu gehen (vgl. als exemplarischen Initialtext Dressler 2007). Schulischer Religionsunterricht soll und darf nicht überwältigen, sondern er will das, was im Namen christlicher Religion getan wird, kritisch prüfen und so an der Bildung aufgeklärter Religion mitwirken. Doch eben dies ist nach Auffassung derer, die sich einer performativen Didaktik verpflichtet sehen, nicht möglich, wenn Schüler:innen schlechterdings unbekannt oder unvertraut ist, »was es heißt, als Christ in unserer Welt zu leben« (Weert Flemmig). Weil eben dies immer häufiger der Fall ist und im Religionsunterricht nicht wie selbstverständlich davon ausgegangen werden kann, dass Kinder und Jugendliche in ihren Familien, in einer Kirchengemeinde oder in den Medien Gebet und Gottesdienst, Diakonie und Seelsorge, Kasualien und zivilgesellschaftliches Engagement aus einer Glaubensmotivation heraus als Praktiken kennenlernen, muss der Religionsunterricht im Rahmen seiner Möglichkeiten Erfahrungsräume eröffnen. Dieses Eröffnen von Erfahrungsräumen ist auch ein Anliegen von »Religion im Schulleben«. Anders als in der performativen Didaktik kommt

Performative Didaktik und Religion im Schulleben

hier ein zweites Anliegen hinzu. Wenn Religion im Schulleben praktiziert bzw. angeboten wird, dann will sie Schüler:innen in deren tatsächlicher Lebensführung und -deutung helfen: Liturgische Angebote  – Gottesdienste im Kirchenjahreszyklus (etwa zu Weihnachten), aus Anlass biografischer Übergänge (Einschulung, Schulabschluss) oder aus Anlass von Jubiläen oder Todesfällen im Schulkontext – zeigen, wie sich solche Anlässe im Licht des christlichen Glaubens darstellen und vor Gott gebracht werden können. Poimenische Angebote, also etwa die Schulseelsorge unter vier Augen oder der Kummerkasten, möchten einzelnen Schüler:innen in Krisensituationen zur Seite stehen. Sozial-diakonische Angebote wenden sich unterstützend an Gruppen von Schüler:innen, etwa an Nachhilfebedürftige, an Schüler:innen, deren Familien zerbrechen, o. Ä. Angebote der Jugendarbeit im Rahmen der Schule, etwa das Schulkino, das Schüler:innencafé oder die Freizeit in den Sommerferien, tragen dazu bei, Freiräume der Ganztagsschule mit attraktiven Gestaltungsoptionen zu nutzen und darin Gehalte christlicher Religion fruchtbar werden zu lassen (zur Systematik der Arbeitsfelder vgl. Schröder 2006). Diese Formen von religiöser Praxis sind im Zeichen der positiven Religionsfreiheit (Art. 4 GG) rechtlich zulässig – jedenfalls solange die Teilnahme und Mitwirkung daran freiwillig (und jedenfalls unbenotet!) bleibt. Dafür, Religion im Schulleben anzubieten, sprechen einige Gründe: Gottesdienste, Seelsorge, Freizeitangebote u. a. m. sind Ausdruck religionspädagogisch motivierter Zuwendung zu den einzelnen Schüler:innen (schüler:innenorientierte Begründung). Sie lassen erfahrbar werden, dass schulische Bildung auf mehr als nur Wissensaufbau, Kompetenzerwerb und Reflexivität zielt (bildungstheoretische Begründung). Die in diesen Formaten zur Geltung kommenden Themen und Pointen unterstützen den Religionsunterricht (sozialisationstheoretische Begründung), sie bearbeiten die Grenzen dessen, was »Schule« unterrichtlich anrühren, aber nicht beantworten kann: die Frage nach dem Sinn des eigenen Lebens, den Umgang mit Krankheit und Tod, die Unterstützung derer, die Schwierigkeiten mit schulischem Lernen haben (schultheoretisches Argument), und bieten den Schulangehörigen Raum, als Schulgemeinschaft zusammenzukommen und zu feiern (integrationistisches Argument). Nicht zuletzt: Religion im Schulleben macht für jede:n sichtbar, dass »christliche Religion mehr [ist] als Wissen, sie will gestaltet werden: fides quaerens expressionem« (Schröder 2006, 18, vgl. 16–20). Angebote im Rahmen von »Religion im Schulleben« können aus nachbarlichen Gemeinden kommen: Die Pfarrerin gestaltet den Schul-

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RU als Standbein, Religion im Schulleben als Spielbein

Quali­fika­ tions­kurse Schul­ seelsorge

Update – aktuelle Ansätze

gottesdienst, der Diakon begleitet das Schüler:innencafé oder die Beratungsstellen des Kirchenkreises bieten Sprechstunden innerhalb des Ganztagsschulrahmens an. Sie können jedoch auch von den Schüler:innen selbst (klassischerweise etwa im Schüler:innengebetskreis oder im »Projekt Advent«) oder von Lehrer:innen angeregt und durchgeführt werden (etwa wenn der evangelische Mathematiklehrer eine Schulseelsorge-Qualifikation besucht und dann Gespräche anbietet). Hilfreich und in der Regel unverzichtbar dürfte das Engagement der Fachkonferenz Religion oder zumindest einer einzelnen Religionslehrkraft sein, denn sowohl die externen Anbietenden als auch Interessierte aus der Mitte der Schule brauchen Ansprechpartner:innen, die sie ermutigen, vernetzen, unterstützen und entlasten. In Anbetracht dessen ist es wünschenswert, dass alle Religionslehrer:innen sich vor Augen führen, wie sehr der Religionsunterricht als Standbein religiöser Bildung in der Schule von »Religion im Schulleben« als Spielbein gefördert wird. Weiterhin ist dann unerlässlich, dass sie sich elementare Kenntnisse der genannten Handlungsfelder aneignen (vgl. dazu Schröder 2021a, § 39) und sich so als Ansprechpartner:innen oder sogar Akteur:innen anbieten bzw. in Betracht kommen. Schulpfarrer:innen sind für diese Aufgabe prädestiniert, insofern sie aus ihrer pastoralen Bildung Kenntnisse und Fähigkeiten in fast allen Bereichen der sogenannten Schulseelsorge mitbringen, die sich grundständig qualifizierte Religionslehrer:innen erst eigens erschließen müssen. Die Landeskirchen unterstützen das einschlägige Engagement von Religionslehrer:innen: Sie bieten nahezu ausnahmslos Qualifikationskurse »Schulseelsorge« an, sie ermöglichen zum Teil Freistellungen als Ausgleich für den Zeitaufwand und das Engagement, sie haben in den letzten Jahren unterstützende Medien und Materialien (etwa den Seelsorgekoffer) sowie Rahmenregelungen für die Schulseelsorge (EKD 2015b) entwickelt.

Eigene reli­ giöse Praxis

Religion im Schulleben hat ohne Frage eine funktionale Komponente: Sie dient der Schule bzw. den Schüler:innen. Sie hat allerdings auch eine rückbezügliche Komponente für diejenigen, die sie betreiben: Sie weist darauf hin, dass diese ihrerseits einen geistlichen Rückhalt, eine sie ermutigende Gottesdienstpraxis, eine positive Seelsorgeerfahrung o. Ä. gefunden haben sollten – und Neugierde bzw. Freude daran, Formen der Spiritualität, die es in der ökumenischen Welt des Christentums gibt, kennenzulernen (vgl. Kap. 1.6).

Konkurrenz und Kooperation zwischen Religions- und Ethikunterricht

Ein drittes Feld neben performativer Didaktik und Religion im Schulleben, in dem christliche Religion als gelebte Religion zur Geltung kommen kann, ist die Nachbarschaft von Schule und Gemeinde. Wenn der Pfarrer vor Ort Gottesdienst in der Schule gestaltet oder die Diakonin einen Gesprächskreis für Schülerinnen zum Thema »Schönheit« initiiert, dann ist dies Ausdruck einer solchen Nachbarschaft. Dazu kann jedoch noch mehr gehören: etwa die Verständigung zwischen Religionslehrenden und Presbyterium, die Öffnung des Gemeindehauses für bestimmte schulische Initiativen oder die interreligiöse Begegnung im Stadtviertel. Zudem haben manche Zugänge zu religiöser Bildung, die Eingang in den schulischen Religionsunterricht fanden, ihren Sitz im Leben und günstigere Gestaltungsmöglichkeiten in Kirchengemeinden, etwa die Kirchraumpädagogik (dazu Rupp 2006 und 2017), der Bibliolog (dazu Pohl-Patalong 2013 und 2019) oder das »Ökumenische Lernen« (EKD 1985).

2.6 Konkurrenz und Kooperation zwischen Religionsund Ethikunterricht Bei der Darstellung der Rechtslage des Religionsunterrichts (Kap. 1.5) klang es bereits an: Neben dem grundgesetzlich gesicherten Religionsunterricht haben alle Bundesländer, die diesen nach Art 7.3 GG gestalten (also alle mit Ausnahme von Berlin, Brandenburg und Bremen), ein Ersatz- oder Alternativfach eingerichtet, das vielerorts »Ethik«, bisweilen aber auch »Werte und Normen«, »Philosophieren mit Kindern« oder »Praktische Philosophie« heißt. Näheres dazu regeln die Schulgesetze der Länder. Ursprünglich vorgesehen als Unterrichtsangebot für diejenigen Schüler:innen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören oder jedenfalls keiner, die Religionsunterricht mitverantwortet, hat sich der Ethikunterricht zu einer Option entwickelt, die durchaus auch von evangelischen Schüler:innen wahrgenommen wird (so wie umgekehrt auch sogenannte konfessionslose Schüler:innen am Religionsunterricht teilnehmen). Pointiert kann man in Schulrechtsterminologie formulieren: Ungeachtet der Rechtslage hat sich durch das Verhalten der Schüler:innen – wie in anderen Fächergruppen auch – eine Wahlpflichtkonstellation ergeben. Schüler:innen sehen sich somit vor der Wahl, ob sie »Reli« oder Ethik besuchen, Lehrer:innen sehen ihr Fach (und sich selbst) in eine Konkurrenz gerückt (vgl. Schröder/Emmelmann 2018).

51 Nachbar­ schaft von Schule und Gemeinde

52 Differenzen zwischen beiden Fächern

Update – aktuelle Ansätze

In rechtlicher, thematischer, didaktischer und referenzwissenschaftlicher Hinsicht stechen zunächst die Differenzen zwischen beiden Fächern ins Auge. Rechtlich: Religionsunterricht ist »in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften«, also in konfessioneller Bestimmtheit (und zudem in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz!) zu erteilen, hingegen ist Ethikunterricht de jure allein den in Grund- und/ oder Schulgesetz genannten Werten des Gemeinwesens verpflichtet. Thematisch: Religionsunterricht widmet sich ganz überwiegend der Erschließung von Religionen, zuvörderst derjenigen, in deren Namen der Religionsunterricht stattfindet, und greift in diesem Rahmen auch ethische Fragen auf. Bei deren Bearbeitung kommen vor allem, aber nicht ausschließlich ethische Positionen aus den Religionen zur Sprache. Ethikunterricht widmet sich demgegenüber primär entweder philosophischen Traditionen oder der Frage nach Lebensdeutung und -führung. Er gewichtet dabei moralisch-ethische Fragen in der Regel recht hoch und lässt primär philosophische Positionen zur Sprache kommen. In der Regel kommen – wenigstens am Rande – auch religiös grundierte Ethiken in den Blick, nicht aber die dahinterstehenden Religionen als Gefüge theologischer Lehren, als Kulturen oder geschichtliche Größen. Didaktisch: Religionsunterricht hat in seiner langen Geschichte eine Fülle didaktischer Konzeptionen evoziert, die ganz überwiegend davon ausgehen, dass didaktisch reflektiert eingebrachte, transparente Positionalität (etwa diejenige der Unterrichtsmaterialien oder der Lehrperson) stimulierend ist für daseins- und wertorientierte Lehr-Lern-Prozesse – auch wenn diese zunächst Wissensbestände aufbauen und Argumentationslinien identifizieren sollen. Im Blick auf die didaktische Konzeption von Ethikunterricht bestehen wie im Falle des Religionsunterrichts gravierend unterschiedliche Leitbilder. Sie stimmen indes weitgehend darin überein, dass die Lehrer:innen keine Position einzubringen haben, sondern stattdessen »die Stimme der Vernunft«, die die Schüler:innen zum Abwägen von Argumenten, zur Prüfung von Fakten und zur Bildung einer eigenen Meinung mahnt (und allzu umstandslos als scheinbar objektiv und unbestechlich konzipiert wird). Die Gewichtung von Positionalität ist ein für die Verhältnisbestimmung der beiden Fächer sehr wichtiger Punkt, weil er die Reichweite beider Fächer betrifft. Im Verständnis vieler Ethiklehrer:innen ist Ethik das umfassendere, das allgemeine Fach, weil es Fragen thematisiert, die sich jedermann und jedefrau stellen, und »die Stimme der Ver-

Konkurrenz und Kooperation zwischen Religions- und Ethikunterricht

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nunft« für alle Menschen gleichermaßen verbindlich ist (vgl. als exemplarische Ortsbestimmung Schilling 2018). Aus Sicht von Theolog:innen ist Religion als das »was uns unbedingt angeht« (Paul Tillich) und Gott als »die alles bestimmende Wirklichkeit« (Wolfhart Pannenberg) nicht minder universal, zumal die konkreten Religionen für viele Menschen tatsächlich Orientierung bieten.

Referenzwissenschaftlich: Religionsunterricht sieht durchweg die jeweilige (evangelische, katholische, islamische, jüdische) Theologie als maßgebliche Referenzwissenschaft an, bezieht sich jedoch seit den 1960er-Jahren zudem auch auf Humanwissenschaften, Religionswissenschaft und Erziehungswissenschaft. Ethikunterricht sieht sich primär der Philosophie verpflichtet, beleiht daneben – je nach Thema – auch Humanwissenschaften und Religionswissenschaft. In den Differenzen schimmern zugleich die Gemeinsamkeiten durch: Das Grundgesetz orientiert beide Fächer. Ethisch-lebensweltliche Fragen wollen beide aufgreifen. Der (pädagogischen) Vernunft sind beide verpflichtet und verschiedene Referenzwissenschaften ziehen sie je nach Gegenstand beide heran. Und beide erschließen nach Jürgen Baumert (2002) einen Modus der Weltbegegnung, denjenigen der Kritik konstitutiver Rationalität. Gewiss lässt sich diese Zusammenschau von Gemeinsamkeiten und Unterschieden weiter verfeinern (vgl. neben Schröder/ Emmelmann 2018 etwa Schröder 2019 und Kropač/Schambeck 2022). Eine entscheidende Einsicht setzt allerdings bereits diese Skizze frei: Für die Bildung der Schüler:innen ist es – ganz unabhängig von deren religiös-weltanschaulicher Herkunft oder Position – jedenfalls von Nutzen, die unterschiedlichen Perspektiven auf dieselben oder ähnliche Sachverhalte und deren Komplementarität (oder auch Unvereinbarkeit) bewusst wahrzunehmen. Von daher ist – unbeschadet der im Grundsatz gegebenen Konkurrenz – eine Kooperation beider Fächer zu begrüßen. Sie kann die Gestalt einer gemeinsamen Projektwoche, einer gemein­ samen Veranstaltung im Schulleben oder einer koordinierten Unterrichtssequenz (Muster und Beispiele in Schröder/Emmelmann 2018, 251–376) oder auch einer gemeinsamen Fachgruppe gewinnen. Bejaht man dies, resultieren daraus für Religionslehrer:innen einige Wünsche: Für solche Kooperationen, in denen – wie gesagt – Gemeinsamkeiten, aber auch Differenzen zur Sprache kommen sollen, ist es nützlich, Kenntnisse im Blick auf den Ethikunterricht und aktuelle Debatten seiner Didaktik aufzubauen, Kontakt zu den Ethiklehrenden der eigenen Schule aufzunehmen und gegebenenfalls gemeinsame Fachkonferenzen

Gemeinsam­ keiten

Kooperation trotz Kon­ kurrenz

Hand­ lungsorien­ tierende Desiderate

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Update – aktuelle Ansätze

anzuberaumen, im schuleigenen Curriculum Themen und mögliche Kooperationsformen auszuweisen und gegenüber Eltern und Kollegium (etwa bei Schulinformationstagen, bei Projektwochen und Schulveranstaltungen, in der Schulprogrammarbeit) einem Geist streitbarer Zusammenarbeit Rechnung zu tragen. In schulpolitischer Hinsicht gilt es, beide Fächer und damit das Anliegen der Daseins- und Wertorientierung als Bildungsauftrag der Schule zu stärken.

Lesehinweis

Die besagte Anschauung des Ethikunterrichts gelingt gut über Zeitschriften, allen voran »Ethik & Unterricht« (Chucholowski u. a. 2001 ff.), die zugleich ein hohes Anregungspotenzial auch für den Religionsunterricht bzw. für die auch dort verhandelten Themen haben.

Gewinne für den RU

Fächer­ verbindendes Lernen

Einmal mehr also führt die Wahrnehmung einer komplexen Konstellation zu neuen Aufgaben und Kompetenzanforderungen für Religionslehrer:innen. Allerdings kann der Religionsunterricht von der Annäherung an den Ethikunterricht durchaus profitieren. Er kann sich ermutigt sehen, elementare Fragen dazu zuzulassen, was Religion ist und was sie für die individuelle Lebensführung und -deutung austragen kann. Er kann sich bestärkt sehen, methodisch angeleitete Verfahren des Vernunftgebrauchs (argumentieren, logische Schlüsse ziehen, Kriterien prüfen; vgl. Raters 2020) explizit aufzunehmen und zu pflegen. Er kann sich anregen lassen, Problemstellungen aus der Lebenswelt der Schüler:innen aufzugreifen (und so die Orientierung an einem deduktiv theologischen Kerncurriculum zurückzuführen; vgl. Schröder 2022a). »Kooperation« oder fächerverbindendes Lernen ist aus Sicht des Religionsunterrichts keineswegs auf den Ethikunterricht beschränkt. Im Gegenteil: Von seinen Themen und Lernarrangements her bieten sich Brückenschläge zu einem weiten Spektrum von Schulfächern an, etwa Deutsch (um religiöse Motive und Deutungsmuster in der Gegenwartsliteratur aufzugreifen), Englisch (um in fortgeschrittenen Lerngruppen Phänomenen des weltweiten Christentums in englischer Sprache nachzugehen), Geschichte (um kirchengeschichtlichen Themen, wie etwa »local heroes« [Hans Mendl] aus der Zeit des Nationalsozialismus zu thematisieren), islamischer Religionsunterricht (um das Verhältnis von Christentum und Islam in Deutschland oder Europa zu verstehen), Kunst (um den Umgang mit bildender Kunst und bildhaft-visuellen Verarbeitungen christlicher Religion zu schulen), Politik (um das Verhältnis von Kirche und Staat in Deutschland zu beleuchten) und Sport (um dem Ver-

Digitalität

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hältnis von Körper und Geist oder von Religion und Leistung auf die Spur zu kommen). Nichts davon ist obligatorisch, doch – entsprechende Konstellationen an der jeweiligen Schule, eigene Interessen und aufgeschlossene Lerngruppen vorausgesetzt – stehen solche Wege zu einem temporär kooperativen Religionsunterricht offen.

2.7 Digitalität Digitalisierung ist nicht erst ein Phänomen der Gegenwart. Das Bestreben, analoge in digitale Informationen umzuwandeln, also die Fülle sinnenhaft wahrnehmbarer Phänomene in numerische und maschinell verarbeitbare Codes zu übersetzen, liegt schon vielen Techniken, Wirtschaftsabläufen und gesellschaftlichen Prozessen des Industriezeitalters zugrunde (vgl. Nassehi 2019). Doch mit der massenhaften Verfügbarkeit von Computern und deren Vernetzung – nicht ohne Grund gilt die Erfindung des World Wide Web (www) im Jahr 1989 als Auftakt der sogenannten digitalen Revolution  – hat die Digitalisierung eine neue Quantität und Qualität gewonnen: Digitale Techniken, digital basierte Erfindungen und aus der digitalen Welt entlehnte Ordnungsmuster (z. B. Vernetzung) kommen in nahezu sämtlichen Lebensbereichen zur Geltung und prägen individuelles wie soziales Leben. Digitalität als Faktum betrifft selbstredend auch Schule und Religionsunterricht – und zwar auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Hinsichten: Ȥ Schüler:innen wie Lehrer:innen tragen als Zeitgenoss:innen Erfahrungen, Interessen und Kenntnisse im Blick auf Digitalität aus ihren außerschulischen Bezügen in die Schule (und damit auch in den Religionsunterricht) ein: Wer es gewohnt ist, Information und Kommunikation über ein Smartphone zu betreiben, wird eine Schule, die das ablehnt oder nicht adaptiert, als weltfremd empfinden. Ȥ Digitalitätsbasierte Veränderungen der Gesellschaft und des Menschenbildes wirken als Einflussfaktoren und als (potenzielle) Themen schulischer Bildung auf Schule und Unterricht ein. Das gilt für neue Spielräume wie etwa weltweite Vernetzung, künstliche Intelligenz, Datenschutz, Austausch kritischer Informationen ebenso wie für problematische Effekte, z. B. übersteigerte mimetische Rivalität, Gefährdungen psychischer Gesundheit oder Realitätsverlust (vgl. nur den Wikipedia-Artikel »Digitale Revolution« [Zugriff am 31.01.2022]).

Digitalisie­ rung

Digitalität und Schule

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Vierte Kulturtechnik

Pädago­ gische Auf­ gaben

Update – aktuelle Ansätze

Ȥ Organisatorische und kommunikative Prozesse in Schuladministration, Schulleitung und kollegialer Zusammenarbeit (innerhalb einer Schule, aber auch innerhalb eines Bundeslandes oder gar weltweit) finden auf digitaler Basis statt – forciert durch die Umstände der Corona-Pandemie (seit März 2020), die Ersatz für leibhaftige Präsenz und Begegnung verlangten. Insofern ist Schule ungeachtet aller technischen und administrativen Schwierigkeiten bereits digitalisiert. Ȥ Unterricht kann und soll digitale Techniken, Informationsquellen und Interaktionsformen nutzen: Tablet-Klassen, Internetrecherche und Aufgaben- und Materialerteilung via Social Media mögen als Beispiele genügen. Die Kultusministerkonferenz avisiert zudem digitale Möglichkeiten der Feedbackkultur, der pädagogischen Diagnostik, der Modellierung von Lernumgebungen und Lerngegenständen, der Prüfungskultur, u. v. m. (KMK 2016 und 2021, 12 f.). Religionsunterricht kann daran teilhaben und tut es faktisch auch (wenn auch nicht überall). Ȥ Schulische Bildung soll – hier schlägt die nolens volens vorfindliche Praxis der Digitalisierung in bildungstheoretisch-normative Maßgaben um – jedoch jedenfalls einen reflexiven, einen kritisch-­kon­ struktiven Gebrauch von Digitalität ermöglichen: Neben Lesen, Schreiben und Rechnen handelt es sich um eine weitere Kulturtechnik, deren Erlernen, deren Nutzung und deren »Kritik« (im Kant’schen Sinne also: Auslotung von Chancen und Grenzen, Voraussetzungen und Reichweite) in der Schule zu erfolgen hat. 2016 hat die Kultusministerkonferenz dies als epochaltypische Schlüsselaufgabe markiert. Im KMK-Konzept »Bildung in der digitalen Welt« (hier: ergänzende Empfehlungen aus dem Jahr 2021, 8) heißt es: »Für das Lernen, Leben und Arbeiten in einer zunehmend digitalisierten Welt werden u. a. folgende übergreifende Kompetenzen als besonders bedeutsam erachtet: Ȥ gelingend kommunizieren können, Ȥ kreative Lösungen finden können, Ȥ kompetent handeln können, Ȥ kritisch denken können sowie Ȥ zusammenarbeiten können.

Digitalität

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Selbststeuerung, Eigenständigkeit und der verantwortungsvolle Umgang mit digitalen Medien und Werkzeugen sind dabei eine wichtige Voraussetzung, die es in Lehr-Lern-Prozessen bei allen Schülerinnen und Schüler zu entwickeln gilt.« Bereits 2016 war der geforderte verantwortungsvolle Umgang mit digitalen Medien in sechs übergreifende Kompetenzbereiche operationalisiert worden: »1. Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren, 2. Kommunizieren und Kooperieren, 3. Produzieren und Präsentieren, 4. Schützen und sicher Agieren, 5. Problemlösen und Handeln, 6. Analysieren und Reflektieren« (KMK 2016, 16–19). Wie selbstverständlich betonen die Kultusminister:innen: »In jedem Fach findet ein Einbezug bzw. eine Auseinandersetzung mit der sich stetig verändernden Kultur der Digitalität und ein darauf ausgerichteter Kompetenzerwerb statt« (KMK 2016, 9; Kursivierung BS). Im Blick auf den Religionsunterricht nimmt ein »Orientierungsrahmen«, der im Namen der Evangelischen Kirche in Deutschland erarbeitet wurde, diese Aufgabenzuschreibung auf. Kompetenzorientierter Religionsunterricht kann demnach zum einen mit den »prozessbezogenen Kompetenzen«, auf deren Erwerb er hinarbeitet (Wahrnehmen, Deuten, Urteilen, dialogisch Kommunizieren, Gestalten, s. Kap. 2.1), den Aufbau jener sechs Digitalkompetenzen konstruktiv unterstützen und bereichern. Zum anderen hat der Religionsunterricht ein besonderes Potenzial im Bereich der sechsten Digitalkompetenz »Analysieren und Reflektieren«. Er kann also Digitalität und ihre kulturellen Wirkungen selbst zum Thema machen und dabei etwa anthropologische, ethische, religiöse und theologische Perspektiven fruchtbar einbringen (die anderen Fächern nicht oder nur bedingt zur Verfügung stehen), etwa indem er die Ubiquität und »Allwissenheit« digitaler Information in Beziehung setzt zu den sogenannten Attributen Gottes oder die digitale Verrechnung von Menschen zu einem Menschenbild, das ihnen Freiheit schenkt und Verantwortung zumutet. Zum dritten kann und soll Religionsunterricht ein kritisches Korrektiv gegenüber einer drohenden Idealisierung digitaler Lehr-Lern-Prozesse sein: Er ruft »die personale Bildung der Schülerinnen und Schüler« als entscheidenden Fokus in Erinnerung, »hilft, ›die Frage nach dem Ganzen und nach dem tragenden Sinn von allem zu stellen‹ […; EKD 2014, 8 f.]: Er will die Lebenszuversicht, das Selbstbewusstsein und die Resilienz von Kindern und Jugendlichen stärken« (vgl. EKD 2022a, 5 u. ö.).

Spezifische Möglichkei­ ten des RU

58 Keine billige Digitalitäts­ kritik

rpi-virtuell und mekomat

Update – aktuelle Ansätze

Allerdings: Die Kritik an Digitalität und digitalbasierten Lernprozessen, die im Religionsunterricht durchaus zur Sprache kommen kann und soll, sollte nicht »billig« sein. Sie muss zuvor die Mühe auf sich genommen haben, digitale Kompetenzen zu erwerben, digitale Phänomene en détail (wie z. B. digitalbasierte Games) ins Auge zu fassen, die Chancen und Möglichkeitsgewinne durch Digitalität zu würdigen, theologische Herausforderungen zu identifizieren (dazu Beck u. a. 2021) und, nicht zuletzt, »digitalen Religionsunterricht« zu erproben (dazu Dietzsch/Pfister 2022). Die Möglichkeiten (und damit verbunden auch die »Standards«) lassen sich derzeit am aktuellsten auf Homepages erkennen – neben denjenigen der landeskirchlichen bzw. diözesanen Religionspädagogischen Institute (die allerdings in der Regel vom Analogen aufs Digitale übertragen werden) ist es vor allem www.rpi-virtuell.de (wo aktuelle Informationen zu RU und Digitalität, zudem Vernetzungsmöglichkeiten, Räume und Materialien geboten werden) und www.mekomat.de (die Seite der Clearingstelle Medienkompetenz der Deutschen Bischofskonferenz, die »Medienkompetenz-Material« anbietet). Unkonventioneller sind daneben kommerzielle, nicht frei verfügbare digitale Games, digitale Angebote gelebter Religion (Chatseelsorge, virtuelle Friedhöfe u. a. m.) und bisweilen »konventionelle« Medien, etwa Filme, die Digitalität thematisieren – neben Klassikern wie dem Matrix-Quartett (»Matrix«, 1999, »Matrix reloaded«, 2003, »Matrix revolution«, 2004, sowie »Matrix resurrections«, 2021, Regie: Andy und Larry Wachowski, inzwischen: Lana und Lilly Wachowski) und »Avatar« (Regie: James Cameron, 2009) seien etwa »The Circle« (Regie: James Ponsoldt, 2017) und »Du bist mein Mensch« (Regie: Maria Schrader, 2021) genannt.

2.8 Globales ökumenisches Lernen

Global­ isierung

Das Stichwort »globales Lernen« steht – anders als die vorangegangenen sieben Updates – nicht für einen bereits etablierten religionsdidaktischen Ansatz, sondern für einen wünschenswerten Aufbruch  – einen Aufbruch, der freilich an Pioniere, Vorläufer und Initiativen (außerhalb der Religionspädagogik) anknüpfen kann. »Globales Lernen« tut not – auch im Religionsunterricht. Es tut not, weil gesellschaftliche (existenziell und ethisch herausfordernde!), religionsdemografische, christentumsgeschichtliche Entwicklungen darauf drängen. Ein erster Anlass und Phänomenbereich besteht in dem Umstand, dass »Globalisierung« (seit den späten 1980er-Jahren) eines der Programm-

Globales ökumenisches Lernen

worte ist, mit denen Merkmale unserer Gegenwart pointiert werden. Im wirtschaftlichen Leben, in den politischen Konstellationen, in der Dynamik kultureller Innovation (Mode, Musik, Literatur u. v. m.) und nicht zuletzt in den »epochaltypischen Schlüsselproblemen« (Klafki 1994, 56 passim), also etwa Klimawandel, Migration und »nachhaltige Entwicklung« (im umfassenden Sinne der UN-Agenda 2030), sind weltweite Verflechtungen unübersehbar. Die Einzelnen haben daran immer häufiger (und in einer für sie selbst wahrnehmbaren Weise) Anteil – durch ihr Konsumverhalten, durch mediale Berichterstattung, durch eigene Reisen oder durch das Erleben von Folgen der Globalisierung im Beruf. Ein zweiter Anlass und Phänomenbereich entspringt der Entwicklung von Religionen weltweit. Während der einschlägige Diskurs hierzulande von Entkirchlichung (z. T. »Säkularisierung«) und Relevanzverlust des Religiösen bestimmt ist, gewinnen Religionen weltweit vielerorts an Bedeutung – das Christentum liegt, was die Zahl seiner »Anhänger:innen« angeht, nach Schätzungen des Pew Research Institute bei knapp 30 % der Weltbevölkerung, der Islam bei knapp 25 %, der Hinduismus bei knapp 15 % – ebenso hoch liegt jeweils die Summe der sogenannten Konfessionslosen und aller übrigen Religionen zusammengenommen (Buddhismus, traditionelle chinesische Religion, indigene Religionen, Judentum; Pew Research Center 2015). Nicht nur diese Zahlen, sondern auch die in diversen Befragungen dokumentierte hohe Glaubensintensität, Verbindlichkeit und Wertschätzung vieler Individuen für »ihre« Religion sind ein Indiz für die weiterhin große Bedeutung religiöser Weltsichten – aller­ dings »boomen« selten die theologisch elaborierten, aufgeklärten Reli­ gionsformen, eher sind es die intuitiv gelebten, sinnlich akzentuierten und traditionsgeleiteten. Einen dritten Anlass und Phänomenbereich globalen Lernens stellt die weltweite Situation des Christentums dar. Vergleicht man die heutige Situa­ tion mit derjenigen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, einer Blütezeit von Kolonialismus und Imperialismus, so wandert das Christentum südwärts (das heißt, es wächst in Lateinamerika, Afrika und Südostasien), die klassischen Konfessionskirchen verlieren an Prägekraft, sogenannnte junge Kirchen entstehen und mit ihnen blühen charismatische, pfingstlerische, oft auch Wohlstand verheißende Strömungen (»prosperity gospel«). Was in mancher Hinsicht abstrakt oder lebensfern klingen mag, rückt – und das eben ist ein Ausweis der voranschreitenden Globalisierung – schnell nah: Die Partnerschaft mit einer Schule in Tansania stellt ein

59

Weltweite Relevanz von Religionen

Südwande­ rung des Christentums

60

Globales Lernen als didaktische Heraus­ forderung Globali­ sierung als Thema

Ökumeni­ sches Lernen

Update – aktuelle Ansätze

anderes, leiborientiertes und emotionales Christentum vor Augen, Geflüchtete aus Syrien berichten als Mitschüler:innen von einem radikalisierten Islam und einem säkularen (offiziell: alawitischen) Diktator; die weltweite Resonanz auf K-Pop stellt ebenso ein transkulturelles Phänomen der Schüler:innenwelt dar wie »Fridays for Future« als Aufruf zum Engagement gegen den Klimawandel. In der Bildungswissenschaft wird das Bearbeiten von Globalisierungsfragen in den verschiedenen Fächern (Geschichte, Deutsch, Wirtschaft, Biologie usw.) unter dem Begriff »globales Lernen« gebündelt; dieses kann mit guten Gründen auch als religionsdidaktische Herausforderung begriffen werden (vgl. dazu etwa Simojoki 2012 und Benk 2019). Das Aufgreifen der angedeuteten gesellschaftlichen Entwicklungen kann an Traditionen des thematisch-problemorientierten Religionsunterrichts anknüpfen: Im Religionsunterricht kann Globalisierung bewusstgemacht werden. Zudem sollte ein Grundzug von (christlicher) Theologie deutlich werden: »Wer sich auf Gott ausrichtet, muss alles in den Blick nehmen, nicht nur den Sonderbereich religiöser Phänomene im menschlichen Leben« (Dalferth 2010, 15) oder traditioneller: »Die Erde ist des Herrn, der Erdkreis und die darauf wohnen« (Ps 24,1). Nicht zuletzt kann der Religionsunterricht exemplarische Konstellationen ethisch und lösungsorientiert reflektieren – etwa »nachhaltige Entwicklung« (anhand von Konsumverhalten) oder Eurozentrismus. Aus religionsdidaktischer Sicht ist dies ein Schritt hin zu mehr lebensweltlicher Relevanz und zu deutlicherer Theologizität des Religionsunterrichts, außerdem ein Beitrag dazu, den eng auf die deutschen Verhältnisse gerichteten Fokus der Fachkultur (und der Fachdidaktik) zu weiten. Weltweite Konstellationen der Religionen und speziell des Christentums werden nicht selten durch Erfahrungen von Schüler:innen aufgerufen (Urlaubsreisen, Schulpartnerschaften, Begegnungen im Fußballverein o. a.). Allerdings weist der Ansatz des ökumenischen Lernens (EKD 1985 und etwa Pemsel-Maier 2021) in verschiedene Richtungen, etwa hin auf die Thematisierung der verschiedenen Christentümer und der Religionentektonik weltweit, hin auf gemeinsames Lernen von Christ:innen verschiedener Konfessionen, Herkunftskulturen und soziokultureller Stile, hin auf die Suche nach Lösungen für Probleme des weltweiten Zusammenlebens der einen Menschheit (etwa des Klimawandels), hin auf ein Lernen mit Kopf, Herz und Hand, also ein ganzheitliches und auf Veränderungen der Gestalt der individuellen Lebensführung und -deutung zielendes Lernen.

RU als Element einer regionalen religionsbezogenen Bildungslandschaft

In bemerkenswerter Weise greift eine Publikation von »Brot für die Welt« (das seit 2012 zusammen mit der Diakonie Teil des »Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung« [EWDE] ist) als »Service für Lehrerinnen und Lehrer der Sekundarstufen« sol-

61 Arbeitshilfe: Global Lernen

che Fragen auf. An der Themenfolge der periodisch erscheinenden Hefte von »Global Lernen« wird ansatzweise die Zusammengehörigkeit von »Globalisierung« und »Ökumenischem Lernen« erkennbar – »Klimawandel« (2/2007), »Gender und Frieden« (2/2010), »Musik und Lebenswelt« (2/2012), »Konsum und Ernährung« (2/2014), »Digitalisierung« (2/2019).

Ein schulischer Religionsunterricht, der solche Themen mit einer gewissen Nachhaltigkeit aufgreifen will, wird sich um Ansprechpartner und »Verbündete« bemühen. Infrage kommen Kirchengemeinden, die Ökumene fördern und Partnerschaftsarbeit innerhalb der einen Welt betreiben, örtliche Initiativen wie der Eine-Welt-Laden oder der Runde Tisch der (abrahamischen) Religionen, zivilgesellschaftliche Einrichtungen wie »Südwind e. V. Institut für Ökonomie und Ökumene« (www.suedwindinstitut.de) oder kirchliche Initiativen wie »GPEN: Global Pedagogical Network – Joining in Reformation« (www.gpenreformation.net; hervorgegangen aus der Initiative »schools500reformation«).

Außer­ schu­lische Bündnis­ partner

2.9 Religionsunterricht als Element einer regionalen religionsbezogenen Bildungslandschaft Die rechtliche Konstruktion des Religionsunterrichts (Kap. 1.5) verdankt sich dem Grundgedanken, der elterlichen Erziehung im Blick auf Religion bzw. Weltanschauung auch in der Schule Resonanz zu ermöglichen. Angesichts des sogenannten Elternrechts (Art. 6.2 GG: »Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.«) tritt der staatliche Bildungsanspruch gerade in diesem sensiblen Bereich zurück; der Staat gibt so sowohl negativer als auch positiver Religionsfreiheit Raum. Von diesem Grundgedanken her versteht sich Religionsunterricht als »in Beziehung stehend« – er unterrichtet Schüler:innen, die in ihrer Herkunftsfamilie und in der Kindertagesstätte religiös erzogen wurden (oder auch nicht) und die zeitgleich an Kirche mit Kindern, Konfirmand:innenarbeit oder Jugendarbeit teilnehmen (oder auch nicht), und er »entlässt« die Schüler:innen in anschließende Möglichkeiten religiöser Bildung: z. B. in den Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen oder in die Evangelische Studierendengemeinde und Erwachsenenbildung. Anders ge-

Diachrone und syn­ chrone Ein­ bettung

62

Interperso­ nale Bezüge

Spezifische Chancen des Lernortes RU

… und Grenzen

Update – aktuelle Ansätze

sagt: Religionsunterricht ist diachron und synchron eingebettet – und er steht damit zugleich in interpersonalen Bezügen: Ein:e Schüler:in erlebt nicht nur unterschiedliche Kolleg:innen im Religionsunterricht, sondern auch Erzieher:innen, Pfarrer:innen, Jugendmitarbeiter:innen und ehrenamtliche Teamer:innen. Diese Umstände sind im Prinzip geläufig – allerdings hat die lernort­ orientierte Religionspädagogik der vergangenen Jahre das Netzwerk, in dem schulischer Religionsunterricht nolens volens steht, und die daraus resultierenden Chancen und Probleme aufs Neue bewusstgemacht. Zudem forcieren die Entwicklungen des Religionsunterrichts hin zu einem konfessionell-kooperativen, christlichen oder interreligiösen Fach die Frage, in welchem Verhältnis es zu Familie, Gemeinde und medialer Religionspädagogik steht. Auf der einen Seite ist deutlich, dass der Religionsunterricht spezifische Stärken hat: Kein anderer Lernort erlaubt es, Lernende über einen so langen Zeitraum (zehn Schuljahre und gegebenenfalls mehr!) hinweg sequenziell und planvoll-zielorientiert im Raum religiöser Bildung zu halten. Kein anderer Lernort kann und soll in derartiger Dichte thematisch und methodisch unterschiedliche Zugänge zu Fragen der (christlichen) Religion vorstellen, üben und, nicht zuletzt, auf ihren kognitiven Effekt hin überprüfen (Leistungsnachweise, Noten). Kein anderer religiöser Lernort kann in bewusster, lernförderlicher Distanz zu den bisherigen Lern- und Lebenserfahrungen mit Kirche, zu gelebter Religion und zu konkreten religiösen Personen (und deren Schwächen oder sogar Vergehen) kritisch-konstruktiv Religion erschließen. Und kein anderer Lernort erreicht eine derart hohe Quote an Teilnehmenden des jeweiligen Jahrgangs. Auf der anderen Seite ist der Religionsunterricht ein marginales Fach im Panoptikum der Schule, das nicht mehr als zwei Stunden pro Woche unterrichtet und durch die Gehalte anderer Fächer kaum unterstützt wird. Er kann zudem – selbst wenn er performative Didaktik nutzt, Religion im Schulleben als Spielbein einbezieht und die Nachbarschaft zur Gemeinde sucht (Kap. 2.5) – ob seines Formates (45–90 Minuten) und Kontextes (Schule) schwerlich dauerhaft tragfähige religiöse Erfahrungen ermöglichen, Gruppenerlebnisse bieten, religiös motiviertem Handeln Raum geben und Einstellungen bewähren, kurz: Religion Gestalt geben. Damit seine Stärken zur Geltung kommen und seine Grenzen wettgemacht werden können, bedarf der Religionsunterricht der Einbettung oder Vernetzung im Gefüge der religiös relevanten Lernorte. Diese Einsicht ist der Religionspädagogik seit ihren Anfängen Ende des 19. Jahr-

RU als Element einer regionalen religionsbezogenen Bildungslandschaft

hunderts geläufig. Lange hat sie diese Einbettung als »Gesamtkatechumenat« modelliert, das heißt, sie hat die Idealvorstellung gepflegt, dass Menschen im Lauf ihres Lebens nacheinander alle möglichen Lernorte durchlaufen: vom Kindergarten bis zur Seniorenbildung. Angesichts der Individualisierung von Lebensläufen (Mobilität, familiäre Brüche u. ä.) ist an die Stelle dessen die Vorstellung einer »diskontunierliche[n] Vermittlung« und eines »je neuen Anfangs« getreten: Lernorte dürfen aufeinander verweisen, sollen jedoch auch zugleich offen sein für Neueinsteiger:innen (dazu exemplarisch Nipkow 1990, 41) – jüngst ist dies auf die Programmformel gebracht worden, religiöse Bildung solle »religiöse Bildungsbiografien« wahrnehmen, fördern und »ermöglichen« (EKD 2022b, 10 u. ö.). Kommt »evangelische Bildungsarbeit [und der schulische Religionsunterricht als ein Baustein darin] demnach zum Ziel, wenn Menschen sich ermutigt sehen, ihre religiöse Bildungsbiografie als solche wahrzunehmen, sie zu gestalten und dank ihrer zu handeln bzw. Verantwortung zu übernehmen« (EKD 2022, 10), dann ergeben sich daraus Konsequenzen für das Handeln von Religionslehrer:innen. In diachroner Hinsicht dürfte es hilfreich sein, mit (älteren) Schüler:innen deren bisherigen Lebensweg und religiöse Einflussfaktoren zu rekon­ struieren  – als ein methodisch angeleiteter Versuch der Selbstwahrnehmung, der zugleich Brücken zu anderen religiösen Lernorten und zu den thematischen Erwartungen an den Religionsunterricht erkennen lässt. In Übergangsklassen kann es lohnend sein, zu den bisher und zukünftig Verantwortlichen Kontakt aufzunehmen  – in Jahrgang fünf zu einer Grundschullehrerin, in Jahrgang zehn zu einem Kollegen berufsbildender Schulen, in berufsbildenden Schulen zu Mitarbeitenden der Erwachsenenbildung. Dabei zählt nicht die Vollständigkeit, sondern der exemplarische Kontakt, um sich selbst die Gelenkstellen vor Augen zu führen. In synchroner Hinsicht gilt es, die zeitgleich wirksamen religiösen Lernorte (oder deren Fehlen) erst einmal zu erkennen – etwa mithilfe eines Soziogramms (z. B. im Rahmen einer Unterrichtseinheit zu Identität und Biografie). Womöglich lässt sich thematisch an den Kommunionsunterricht, die Konfirmand:innenarbeit oder auch an das, was junge Muslime/Muslimas in ihrer Gemeinde lernen, anknüpfen. Wiederum dürfte der personale Kontakt, etwa in Jahrgang 7/8 zu einer Pfarrerin oder einem Diakon, interessante Einblicke in personale Bezüge, didaktische Konzepte und thematische Positionen eröffnen und vielleicht sogar gemeinsame Projekte in den Blick nehmen (vgl. Kap. 6.5).

63 Vom Gesamt­ katechu­menat zur Ermög­ lichung religiöser Bildungs­ biografien

Konse­ quenzen für den RU

Arbeit ent­ lang des Lebens­laufes

Arbeit zur Verknüp­ fung von Lern­orten

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Multipro­ fessionelle Teams

RU als Sta­ tion in der regionalen Bildungs­ landschaft

Update – aktuelle Ansätze

Sowohl in diachroner als auch in synchroner Hinsicht erschließen sich Horizonte womöglich durch Lektüre von Arbeiten zum jeweils anderen Lernort, durch dessen Begehung, aber auch durch Begegnung mit den jeweils verantwortlichen Personen. Das ist jedenfalls ein wünschenswerter – und dem eigenen Unterricht zugutekommender – Schritt. Perspektivisch ergibt sich so (hoffentlich) ein Selbstverständnis von Religionslehrer:innen als Mitgliedern multiprofessioneller Teams (vgl. dazu Schendel 2020). Innerhalb der Schule arbeiten sie zusammen mit Schulseelsorger:innen, Schulpsycholog:innen, Sozialarbeiter:innen, (Sucht-) Bera­ter:innen und mit Lehrer:innen verschiedener Fächer der jeweiligen Klasse. Außerhalb der Schule arbeiten sie im (lockeren) Verbund mit Religionslehrenden benachbarter Schulformen, mit Gemeindepfarrer:innen, Diakon:innen u. a. m. Die jeweiligen Kompetenzen werden in gelegentlichen Fachgesprächen kommuniziert; im Fokus steht das Anliegen, die religiösen Bildungsbiografien der Schüler:innen förderlich zu beeinflussen. Auf diese Weise zeichnet sich der schulische Religionsunterricht als Institution in die regionale religionsbezogene (evangelische oder ökumenische) Bildungslandschaft ein (vgl. plastisch Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 2016): Er ist – und versteht sich als – eine Station in deren Gefüge; er wird dadurch von Aufgaben und Ansprüchen entlastet, er wird jedoch auch bei seinen Stärken behaftet. Die anderen Stationen bauen darauf, dass er methodisches Know-how vermittelt, Themen in einer gewissen Breite erschließt, Urteilsbildung anregt, Unterscheidungen, Grundbegriffe und einen offenen Sinn erschließt – und sie hoffen darauf, dass er religionsfreundlich gestimmte, motivierte und womöglich zum Engagement bereite Absolvent:innen freisetzt.

2.10 Professionalität, Positionalität und Theologie der Religionslehrer:innen In der Beschreibung der Situation von Schule und (Religions-)Lehrer:innen (Kap. 1.2) sowie im Update (Kap. 2.1) wurde das derzeit bestimmende Paradigma benannt, mit dem das Leitbild von Lehrenden und Religionslehrenden bestimmt wird: Es ist das Kompetenz-Paradigma, das sich – bundesweit einheitlich – in »Standards für die Lehrerbildung« für das Lehren und Lernen der KMK (2004) und in ein Tableau »Theologischreligionspädagogischer Kompetenz« der EKD (2008, in: Lenhard u. a. 2019, 243–279) ausfächert.

Professionalität, Positionalität und Theologie der Religionslehrer:innen

Beide Dokumente sind einerseits an der Identifikation elementarer Anforderungen an (Religions-)Lehrer:innen interessiert: Sie können in diesem Sinne von nur vier grundlegenden Aufgaben (KMK) – Unterrichten, Erziehen, Beurteilen, Innovieren (zudem: Schule entwickeln, Kap. 1.2) – und fünf grundlegenden Kompetenzen (EKD) – »Reflexions-«, »Gestaltungs-«, »Förder-«, Entwicklungs-« sowie »Dialog- und Diskurskompetenz« (Kap. 1.6) – sprechen. Andererseits fächern sie oder die darauf bezogenen Wissenschaften (vgl. etwa Kiel u. a. 2019) diese Elementaria so weit auf, dass ein beeindruckendes, komplexes Bild dessen entsteht, was (Religions-)Lehrer:innen tun, wissen und können sollen. Studierende reagieren darauf in der Regel mit dem doppelten Eindruck des Überfordert-Seins und Nicht-zureichend-ausgebildet-Werdens. Dies ist fraglos eine Kehrseite einer klaren Rechenschaftsablage über die Anforderungen eines Faches bzw. seiner Gegenstände. Zu den Stärken dieser Rechenschaftsablage gehört jedoch, dass die Komplexität des Unterrichtens gerade von Religion und das anspruchsvolle Aufgabenprofil der Religionslehrer:innen als Fachleute für Lehren und Lernen sowie Religion(en) bewusst wird – und zwar sowohl den (zukünftigen) Lehrenden als auch der Schulpolitik und der interessierten Öffentlichkeit. Bezogen auf das traditionelle Theologiestudium galt und gilt es, den hohen Stellenwert religionsdidaktischen Know-hows zu unterstreichen (vgl. dazu historisch Simojoki u. a. 2021); bezogen auf die Anforderungen des Lehramtsstudiums und der Schule gilt es jedoch zugleich, die Unerlässlichkeit theologischer (und religionswissenschaftlicher) Expertise, ja, die Unerlässlichkeit eines eigenen theologischen Gerüstes zu betonen. Wenn es oben (Kap. 1.5) heißt, Religionsunterricht im Sinne von Art. 7.3 GG zehre von der transparenten Positionalität der Religionslehrer:innen, dann ist damit dieses je eigene theologische Gerüst aufgerufen – und, elementarer noch, die Bereitschaft und Fähigkeit von Religionslehrenden, eine dezidiert theologische Perspektive im Diskurs mit Schüler:innen zur Geltung zu bringen. Diese theologische Perspektive macht sich auch (aber nicht nur!) am Aufgreifen explizit theologischer Themen von »Gott« über »Jesus Christus« bis hin zu »Eschatologie« fest, auch (aber nicht nur!) am Einbringen kirchlicher Positionen z. B. im Blick auf den Umgang mit Flüchtlingen oder das Verhältnis von Christ:innen und Jüdinnen und Juden, und auch (aber nicht nur!) am Zur-Sprache-Bringen der je eigenen Glaubensüberzeugungen von Schüler:innen und Lehrer:innen, z. B. im Rahmen des Theologisierens mit Kindern und Jugendlichen (Kap. 2.4). Eine theologische Perspektive weist

65

Komplexi­ tät der Auf­ gaben von Religions­ lehrer:innen

Fachleute für Lehren und Lernen sowie Religion(en)

Zentrale Auf­ gabe: Eine theologische Perspektive zur Geltung bringen

66

Update – aktuelle Ansätze

sich im Kern daran aus, dass sie das Augenmerk »auf Gott« richtet – »nicht indem sie Gott zu einem Sonderthema neben anderen macht, sondern indem sie alles im Licht der wirksamen Gegenwart Gottes wahrnimmt, zu verstehen sucht, erforscht und durchdenkt« (Dalferth 2010, 15). »Radikale Theologie thematisiert nicht nur alles im Licht der Gegenwart Gottes, sondern sie tut das […] von einem ganz bestimmten Standpunkt aus: dem des radikalen Orientierungswechsels vom Unglauben zum Glauben. […] Radikale Theologie zielt nicht darauf, den Orientierungswechsel vom Unglauben zum Glauben herbeizuführen […]. Sie geht vielmehr von diesem Orientierungswechsel aus und sucht ihn […] und die Folgen seiner Wirklichkeit von dieser selbst her zu erhellen und verständlich zu machen« (Dalferth 2010, 15 f.). Grundlagen

Okkasionell-­ sozialer Modus des Theologie­ treibens

Die Bereitschaft, eine dezidiert theologische Perspektive im Diskurs mit Schüler:innen zur Geltung zu bringen, erfordert entsprechende Fähigkeiten: Ȥ zum Ersten ein Sich-Rechenschaft-Ablegen darüber, was es überhaupt heißt, eine theologische Perspektive (etwa im Unterschied zu einer religionswissenschaftlichen) einzubringen (vgl. dazu etwa Dalferth 2001), Ȥ zum Zweiten das Entwickeln einer materialen Theologie bzw. eines eigenen theologischen Gerüsts (siehe Anregungen dazu im folgenden Petit-Abschnitt), Ȥ zum Dritten das Aneignen eines hermeneutischen Habitus, der es erlaubt, dieses eigene, immer noch entwicklungsbedürftige theologische Gerüst wieder zu »verflüssigen«. Denn anders als in der Systematischen Theologie bzw. Dogmatik, deren Bestreben sich darauf richtet, theologische Gedanken, die heute Geltung beanspruchen können, möglichst folgerichtig und schlüssig in ihrem Gefüge darzustellen, besteht die hohe Kunst des Religion-Unterrichtens darin, die theologischen Gehalte zur Aufklärung des artikulierten Denkens von Schüler:innen einzusetzen: ihre Äußerungen als Nachdenken über Religion oder Theologisieren (dazu Kap. 2.4) zu würdigen, darin Entwicklungsfähiges und -bedürftiges zu identifizieren und dann passend Weiterführendes an theologischen Denkfiguren, Traditionen oder Texten anzubieten. In gewisser Weise ist also – analog zum okkasionell-sozialen Modus der Aneignung von Sinn bei Schüler:innen (Kap. 1.3) – ein okkasionell-sozialer Modus des Theologietreibens gefragt. Okkasionell ist dieser Modus, insofern er auf das Aufbrechen entsprechender Schüler:innenfragen, auf das Anklingen eigener religiöser Gedanken,

Professionalität, Positionalität und Theologie der Religionslehrer:innen

auf die Gelegenheit des Aufkommens einer Sachthematik wartet, und sozial, insofern er, geschult durch pädagogisch-anthropologisches Know-how, auf die Plausibilisierungsmöglichkeiten unter den Kindern oder Jugendlichen der Lerngruppe achtet. Eine »religionspädagogische Kairologie« (Englert 1985) kann dafür hilfreich sein. Not tut zudem jedenfalls »didaktische Präsenz« (Schröder 2021a, 394), also die Aufmerksamkeit für den Fluss des Unterrichts, für die Entwicklung von Schüler:inneninteressen und gegebenenfalls auch Störungen, deren Aufnahme Vorrang hat vor dem vorab geplanten Unterricht.

67

Didaktische Präsenz

Glücklicherweise muss die Entwicklung eines theologischen Gerüsts bzw. einer materialen Theologie nicht bei einem Nullpunkt beginnen: Jede:r Theologiestudent:in bringt zumindest implizite Ansätze einer solchen Theologie mit, die es aufzuschlüsseln, zu entwickeln und zu korrigieren gilt. Empirische Religionslehrer:innenforschung bietet zudem Einblick in theologische Gerüste mehr oder weniger erfahrener Kolleg:innen (vgl. etwa Dressler u. a. 2006 sowie Englert 2013). Und schließlich entwickeln sowohl Religionspädagog:innen als auch Systematische Theolog:innen unter anderem Medien und Entwürfe einer Theologie für Religionslehrende, die sich zur kritisch-konstruktiven Aneignung in Richtung einer Theologie von Religionslehrenden anbieten.

Anregun­ gen auf dem Weg zur eigenen Theologie

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sei hier aus religionspädagogischer Feder verwiesen

Erschlie­ ßungshilfen: TLL und

auf Rainer Lachmann/Gottfried Adam (Hg.): Theologie für Lehrerinnen und Lehrer (TLL), 5 Bde., Göttingen 1999–2010, neu erarbeitet von Martin Rothgangel/Henrik Simojoki (Hg.): Theologie für Lehrerinnen und Lehrer, 5 Bde., Göttingen 2019 ff., und auf

ThkokoRU

Bernd Schröder/Jan Woppowa (Hg.): Theologie für den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht. Ein Handbuch, Tübingen 2021 (ThkokoRU). Während die Buchreihe TLL entlang gängiger Themen und Texte des Religionsunterrichts in Grund- und Sekundarstufe I theologische Grundinformationen, lebensweltliche Horizonte und didaktische Anknüpfungspunkte bietet, ist das Handbuch daran orientiert, Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen evangelischer und katholischer Theologie zu wichtigen Themenbereichen herauszuarbeiten und darüber hinaus Bezüge zu weiteren Konfessionen und Religionen auszuweisen. Unter den neueren systematisch-theologischen Entwürfen (vgl. zu deren »Ordnung« etwa Evers 2015 und Korsch 2016, 12–16) enthalten unter anderem die folgenden Publi­kationen interessante Anregungen für eine Theologie für und von Religionsleh­ rende(n).

Theologie für und von Religions­ lehrende(n)

68 Dogmatik im Kontext der Welt­ religionen

Update – aktuelle Ansätze

Hans-Martin Barth hat eine »Dogmatik« mit dem Untertitel »Evangelischer Glaube im Kontext der Weltreligionen« (2001, 32008) vorgelegt. Sie schreitet klassische dogmatische Topoi ab – von »Glaube« und »Begründung des Glaubens« über »Jesus Christus« bis hin zur »Hoffnung über den Tod hinaus« – und stellt jeweils sowohl Grundlinien des christlichen Verständnisses als auch »vergleichbare« Phänomene »in nichtchristlichen Religionen« (Judentum, Islam, Buddhismus) bzw. »Entsprechungen« dar. Ziel ist jedoch nicht der bloße religionsgeschichtliche Vergleich, sondern das theologische Gespräch, für das der Autor die Trinitätslehre als Brücken-Theologoumenon und Differenz-

Ökume­ nische Theologie

marker nutzt; zur Erläuterung vgl. die »Vorklärungen« (Barth 2008, 35–66). Ein konfessionell gemischtes Autor:innenteam, Ulrike Link-Wieczorek, Ralf Miggelbrink, Dorothea Sattler, Michael Haspel, Uwe Swarat und Heinrich Bedford-Strohm, hat unter dem Titel »Nach Gott im Leben fragen« eine »ökumenische Einführung in das Christentum« (2004) verfasst. Die Themen sind der gegenwärtigen Lebenswirklichkeit und ihren theologischen Herausforderungen abgelesen – der Bogen reicht von »Verzweiflung im Leiden« über »Gewalterfahrung« bis zu »Pluralismus« und »Vielfalt spiritueller Erfahrungen«. Sie werden mit Denkfiguren vor allem aus der evangelischen und katholischen Tradition aufgeschlüsselt. Ein Schlusskapitel »Die Wahrheit in zerbrechlichen Gefäßen: Theologie als ökumenische Theologie« (Link-Wieczorek et al. 2004, 313–336) bringt hermeneutische Leitlinien dieses induktiven, ökumenischen

Theologie als Deutung des Lebens

Theologietreibens zur Sprache. Dietrich Korsch hat eine »Dogmatik im Grundriß« (2000; 2. Auflage u.d.T.: »Einführung in die evangelische Dogmatik«, 2016) verfasst, die sich einerseits im Aufriss und in der Struktur der Argumentation an Martin Luthers Kleinem Katechismus orientiert, andererseits dessen Themen und Grundentscheide als Reflexion auf jedermann und jedefrau zugängliche Lebensvollzüge interpretiert: »Glauben« – »Leben« – »Deuten« – »Bitten« – »Empfangen« – »Verstehen«. Zugrunde liegt die Überzeugung, dass »Religion […] Lebensdeutung und Lebensform« (Korsch 2000, 4) ist und Dogmatik die Aufgabe hat, solche Lebensdeutungen und Lebensformen zu identifizieren und verständlich darzustellen, die eine gegenwärtige »Identitätsbestimmung des Christlichen« (Korsch 2000, 2) erlauben. In einem weiteren Buch hat der Autor auf dieser Linie »Antworten auf [sechzehn] Grundfragen des christlichen Glaubens« (Korsch 2016), etwa »Müssen

Relevante Theologie

evangelische und katholische Kirche noch immer getrennt sein?« (189–202), gegeben. Dorothee Sölle (1929–2003) hat in einer Fülle von Buchpublikationen – »Gesammelte Werke in 12 Bänden« (2011), darunter etwa »Gott denken. Einführung in die Theologie« (1990) – Grundlinien einer programmatisch zeitgenössischen Theologie entwickelt. Sie greift – gewissermaßen bei Gelegenheit – konkrete Erfahrungen ihrer Gegenwart auf (Situation nach Auschwitz, Lebensbedrohung durch Massenvernichtungsmittel, Benachteiligung von Frauen, Entkirchlichung, Zerrissenheitserfahrungen in einer ungerechten Welt, u. v. m.) und arbeitet daraufhin theologische Traditionen so durch und

Professionalität, Positionalität und Theologie der Religionslehrer:innen

69

um, dass sie sowohl existenziale (so im Einklang mit ihrem Lehrer Rudolf Bultmann) als auch politische Bedeutung gewinnen können. Als habilitierte Systematische Theologin und freie theologische Schriftstellerin entwickelt sie dafür eine (weithin) allgemeinverständliche und poetische Sprache. Der römisch-katholische Religionspädagoge Rudolf Englert hat in einem religionsdidaktischen Lehrbuch innovativen Zuschnitts unter dem Titel »Religion gibt zu den-

Fluide Theologie

ken« (2013) vorgeführt, wie Schüler:innen mit theologischen Denkfiguren gefördert (und die Denkfiguren dafür verflüssigt) werden können. Exemplarisch kommen die Themengebiete »Religion und Vernunft«, »Erfahrung und Sprache«, »Gott und Mensch«, »Glauben und verstehen« in gut lesbarer Weise zur Darstellung. Die ebenfalls römisch-katholische Theologin Mirjam Schambeck (2022) hat in Anlehnung an die COACTIV-Studie das ihres Erachtens erforderliche »Professionswissen« von Religionslehrer:innen zusammengestellt. Sie identifiziert Anforderungssituationen, einschlägige Schüler:innenkognitionen und das relevante »Darstellungs- und Erklärungswissen« (23; vgl. 58 f. und 66–70) – und zwar im Blick auf ausgewählten Themen wie die Gottesfrage, Inkarnation, Kreuz und Auferstehung und die »Wahrheitsfrage im Religionsdialog«.

Jedenfalls: Schulischen Religionsunterricht zu erteilen, erfordert gleichermaßen pädagogische und fachdidaktische Professionaliät und kundige, aber hermeneutisch bewegliche Theologie – kurz: »knowing that« und »knowing how«. Beides muss nicht am ersten Tag in der Schule zur Hand sein, sondern lässt sich während des gesamten Berufslebens auf- und ausbauen.

Theologie als Profes­ sionswissen

3

Essentials

Der Blick auf die Situation von Schule und Religionsunterricht und auch der Gang durch jüngere Entwicklungen in Religionsdidaktik und -pädagogik lässt eine Fülle an Veränderungen, an alten und neuen Herausforderungen und auch an Anforderungen an Religionslehrende erkennen. Das kann verunsichern und Besorgnis wecken, es zeigt jedoch auch die vielversprechenden Gestaltungsmöglichkeiten und Lernchancen, den Reichtum an Beziehungen und Bezügen, die der Beruf »Religionslehrer:in« bietet. Um in der Fülle nicht den roten Faden aus dem Blick zu verlieren, werden hier elementare Grundlagen des Berufs knapp zusammengefasst.

3.1 Aufgaben: religiös belangvolle Lernprozesse anbahnen, begleiten und auswerten

Religiösen Weltzugang erschließen

Lernprozesse anbahnen

Die Schule als Institution hat die Aufgabe, Kindern und Jugendlichen Bildung zu ermöglichen – eine Bildung, die ihnen als Grundlage dafür zugutekommt, selbstbewusste, selbstständige und verantwortungsvolle Bürger:innen der Gesellschaft zu werden. Zu dieser Bildung gehört es unter anderem, verschiedene Zugänge der Welterschließung, darunter den religiösen, bekannt zu machen. Schulischer Religionsunterricht hat die Aufgabe, diesen religiösen Zugang der Welterschließung, seine Chancen für die je eigene Lebensführung und -deutung, aber auch damit einhergehende Herausforderungen, Probleme und Grenzen auszuloten. Im Zuge dessen wird »domänenspezifisches« Wissen erworben, außerdem werden prozessbezogene Kompetenzen (und methodisches Know-how) erarbeitet, Positionen konkret gelebter und gelehrter Religion eingespielt und – in der Regel implizit – Einstellungen erworben. Die:der Religionslehrer:in ist es, die:der diese Prozesse orchestriert. Seine:ihre entscheidende Aufgabe ist es somit, Lernprozesse anzubahnen, zu

Bildung als regulative Idee, Förderung von Subjektwerdung als Maxime

begleiten und auszuwerten: Schüler:innen sollen in einer Unterrichtsstunde, erst recht in einer Unterrichtseinheit oder innerhalb eines Schuljahres etwas lernen, also Neues in Erfahrung bringen, ihr Repertoire der Fähigkeiten erweitern oder das Verstehen vertiefen. Verbindet diese Aufgabe den Religionsunterricht mit allen anderen Schulfächern, besteht seine differentia specifica darin, dass die hier anzubahnenden Lernprozesse religiös relevant sein sollen: Sie sollen eben einen besonderen Weltzugang erschließen, sie sollen an die in der Familie oder an vorgängigen Lernorten erworbene Religiosität anknüpfen und Anstöße zu ihrer Weiterentwicklung geben. Sie sollen zum Aufbau und zur Prüfung einer als tragfähig erachteten religiösen Lebensdeutung und -führung beitragen. Solche Lernprozesse können im Rahmen dessen, was Religionslehrer:innen tun können und sollen, auf zweierlei Weise angebahnt werden: auf jeden Fall im Unterricht, zudem bei Gelegenheit im Schulleben. Deshalb gilt der Religionsunterricht als Standbein, Religion im Schulleben als Spielbein religiöser Bildung in der Schule.

71

Unterricht und Schul­ leben

3.2 Bildung als regulative Idee, Förderung von Subjektwerdung als Maxime: »Hilf mir, es selbst zu tun!«­ Lernprozesse implizieren Veränderung und, mehr noch, sie zielen wesentlich genau darauf, Veränderung zu erwirken. Schule und schulischer Religionsunterricht wollen und sollen Kinder und Jugendliche also keineswegs so lassen, wie sie sind. Genau genommen bewegen sich Schule und schulischer Religionsunterricht in einem Spannungsfeld: Einerseits akzeptieren sie jede:n Schüler:in als Person, als Menschen mit einer unverlierbaren Würde, der Respekt verdient  – ganz unabhängig etwa von ihrer oder seiner schulischen Leistungsbereitschaft und -fähigkeit. Dies ist keine Banalität, sondern von unmittelbarer handlungsleitender Relevanz: Die Achtung vor der Person ist unbedingt durchzuhalten und auch jeder:jedem Schüler:in gegenüber zu kommunizieren, sie hat sich gerade in Krisen zu bewähren: bei Störungen, im Konfliktfall, angesichts schulischen Scheiterns. Andererseits gehen Schule und schulischer Religionsunterricht davon aus, dass sich jede Person verändern kann, will und soll – es geht um »Bildung«. Schule und Unterricht geben deshalb Anstöße für Transformationen »im Raum von Reflexionswissen« (Dressler 2018, 132) und zielen auf eine Veränderung,

Spannung zwischen Ak­ zeptanz und Veränderung

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Maxime

Sokratischer Eid

Essentials

die dahin geht, dass eine Person mehr und mehr Subjekt wird, also für sich selbst, für andere und ihre Mitwelt – im Religionsunterricht nicht zuletzt: vor Gott – Verantwortung übernehmen lernt. Deshalb kann die Maxime »Trage dazu bei, dass die Personen, mit denen Du in Lehr-LernProzessen zu tun hast, Subjekte werden!« (Schröder 2021a, 181) als Auftrag und Prüfkriterium für das Handeln (nicht nur) von Religionslehrenden dienen. Der »Sokratische Eid« für Pädagog:innen, den Hartmut von Hentig formuliert hat, erfüllt eine ähnliche Funktion (von Hentig 2003, 258 f., zit. bei Schröder 2021a, 133). Diesem Anliegen der sogenannten Subjektwerdung entspricht eine didaktisch-methodische Einsicht, die in prägnanter Weise von der italienischen Ärztin und Reformpädagogin Maria Montessori (1870–1952) formuliert wurde: »Hilf mir, es selbst zu tun!« (vgl. zu Kontexten: Berg 1999). Schulischer (Religions-)Unterricht ist gut beraten, wenn er den Lernenden möglichst viel Raum gibt, Fragen und Interessen zu entwickeln, Sachverhalte selbst zu erarbeiten, Regeln anzuwenden, Schlüsse zu ziehen usw. – im Zeichen des Kompetenz-Paradigmas jeweils im Umgang mit Anforderungssituationen.

3.3 Grundlagen: fachdidaktisches Wissen, Fachwissen und die Unverzichtbarkeit von Theologie

Fortbildung

Um Lernprozesse zu orchestrieren und guten Unterricht zu gestalten, benötigen Religionslehrer:innen wie alle anderen Lehrer:innen – ausweislich der COACTIV-Studie – vor allem Fachwissen und fachdidaktisches Wissen. Grundlagen dessen sollen im Studium erworben werden. Im Referendariat (oder Schulvikariat) rückt die Theorie-Praxis-Vermittlung ins Zentrum, doch um im Blick auf Fachwissen und fachdidaktisches Wissen à jour zu bleiben, ist Fortbildung ein integraler Teil von Lehrer:innenprofessionalität. Dazu gehören etwa Ȥ Kollegiale Beratung, Ȥ Wahrnehmung und Lektüre von Zeitschriften und einschlägigen neuen Publikationen (s. Materialien Kap. 8.2), Ȥ Teilnahme an schulinternen und -externen Fortbildungen und Ȥ die Erweiterung des eigenen Erfahrungsschatzes beispielsweise im Blick auf Spiritualität oder nicht-eigene Konfessionen und Religionen (etwa durch Reisen).

Horizonte

73

Zum Fachwissen gehört im Falle des Religionsunterrichts nicht nur instrumentelles, vor allem theologisches und religionswissenschaftliches Wissen über die Gegenstände des Unterrichts, sondern auch ein Gerüst an eigener Theologie, die ihrerseits auf einer eigenen religiösen Praxis beruht bzw. darauf Bezug nimmt (vgl. Kap. 2.10 und 1.6) und ebenso »adaptiv« wie herausfordernd in die unterrichtliche Kommunikation eingebracht werden kann.

3.4 Horizonte: Zeitgenoss:innenschaft – Religions­ expertise – Anwaltschaft für Erinnerungskultur Zum erforderlichen Fachwissen gehört nicht nur die Matrix eigener theologischer Überzeugungen, vielmehr sind drei weitere Horizonte wohl unerlässlich: Lehrer:innen haben es von Berufs wegen mit der nachwachsenden Generation zu tun. Im Laufe ihres eigenen Lebens wird die Distanz an Lebensjahren zwischen ihnen und ihren Schüler:innen größer, das Bild, das man sich von Schüler:innen macht, stabiler und  – womöglich  – schablonenhafter, das Interesse an den Herausforderungen des Jugendalters, die so gar nicht mehr denen des eigenen Alters entsprechen, – womöglich – geringer. Umso wichtiger ist eine wache Zeitgenoss:innenschaft, die gesellschaftliche Großwetterlage ebenso wahrzunehmen versucht wie Innovationen der populären Kultur und die analogen wie digitalen Kommunikationswege unter Kindern und Jugendlichen. Kinder- und Jugendstudien – darunter die Shell-Studien, die K.I.M.- und J.I.M.-Studien zum Medienverhalten (des Südwestdeutschen Medienverbundes) und die EKD-Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen – können eine Hilfe sein, können aber eigene Beobachtungen an den konkreten Schüler:innen der Lerngruppe nicht ersetzen. Im Gefolge der religiös-weltanschaulichen Pluralisierung wächst der Bedarf an religiöser Alphabetisierung und Orientierung – unter Schüler:innen und durchaus auch unter Eltern und Lehrer:innen des Kollegiums. Im Panoptikum des schulischen Fächerkanons und des Kollegiums sind es die Religionslehrer:innen, denen Schüler:innen am ehesten Auskunftsfähigkeit zu diesem Terrain ihrer Wirklichkeitswahrnehmung zutrauen – insofern wächst ihnen nolens volens die Rolle der Religionsexpert:innen zu. Gewiss kann man diese Zuschreibung ablehnen (und zwar insbesondere, wenn katholische, jüdische, muslimische Kolleg:innen zur

Zeit­genos­s:in­ nen­schaft

Religions­ expertise

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Anwaltschaft für Erinne­ rungskultur

Essentials

Verfügung stehen, zumindest im Blick auf deren Referenzreligionen aus guten Gründen), doch Orientierungswissen bleibt erforderlich und dienlich für die ganze Schule. Bei aller gebotenen Gegenwarts- und Zukunftsorientierung gehört es bleibend zu den Aufgaben des Religionsunterrichts, Schüler:innen Erträge der Tradition zu erschließen. Deshalb sind die christentumsgeschichtlichen Unterrichtseinheiten des Religionsunterrichts nicht nur um ihrer konkreten Gegenstände willen von Bedeutung, sondern als Signal: ohne Erinnerung an Vergangenes keine Zukunft (vgl. Boschki 2015). »Erinnern« ist eine Basiskategorie der biblischen Überlieferung, ein Grundzug religiöser Praxis in Juden- wie Christentum, und ein Gebot im Blick auf Schuldhaftes (Schoah, Kreuzigung) wie Befreiendes (Exodus, Auferweckung). Insofern steht es Religionslehrer:innen gut an, sich als Anwält:innen einer Erinnerungskultur zu verstehen, die zum Teil im Rahmen des Religionsunterrichts Gestalt gewinnt, darüber hinaus aber auch im Schulleben bzw. in der Schulkultur – etwa wenn Schüler:innen unter Anleitung ihrer Religionslehrer:in am 27. Januar eines Jahres eine öffentliche Gedenkfeier an die Befreiung der Häftlinge des Konzentrationslagers Auschwitz gestalten.

3.5 Wertschätzung des Plurals: didaktische Konzeptionen – methodischer Werkzeugkasten – Stile von Schüler:innen und Kolleg:innen Im Blick auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hat man die Entwicklung der Religionsdidaktik gerne als Konzeptionenkarussell beschrieben. Damit wurde suggeriert: Eine der Konzeptionen löste die andere ab (Evangelische Unterweisung, Hermeneutische Didaktik, Thematische Problemorientierung, Symboldidaktik usw.), und zugleich fuhr man im Großen und Ganzen im Kreis. Der pejorative Unterton mag geblieben sein, doch die Metapher, die vorzugsweise aufgerufen wird, hat sich verändert: An die Stelle des Karussells ist der Werkzeugkasten getreten. Religionslehrer:innen benötigen für die Planung und Gestaltung guten, abwechslungsreichen und kompetenzorientierten Religionsunterrichts ein Sortiment an didaktischen Konzeptionen, Methodensettings und Lernarrangements, aus dem sie im Blick auf Schüler:innen, Situationen und Themen möglichst passgenau wählen.

Haltung

Anders gesagt: Es geht nicht darum, dass Religionslehrer:innen sich jeweils für eine Konzeption, eine präferierte und deshalb besonders häufig eingesetzte Methode usw. entscheiden, sondern durch einen Plural an Möglichkeiten die erforderliche Kunst des adaptiven Lehrens pflegen und üben können. Adaptives Lehren trägt den heterogenen Lernvoraussetzungen in der Schule ebenso Rechnung wie der Heterogenität der Schüler:innen – und ebenso wie die Schule insgesamt betrachtet der Religionsunterricht »Vielfalt als Chance« (EKD 2016, 33 f.).

75 Adaptives Lehren

3.6 Haltung: Beziehung – Kreativität – Neugierde – Spiritualität Gelingendem Unterricht, für den – folgt man John Hattie (2013) – in hohem Maße der:die Lehrer:in verantwortlich ist, liegt die Bereitschaft von Schüler:innen wie Lehrer:innen zugrunde, sich auf den jeweils jetzt stattfindenden Unterricht und die erforderliche Interaktion »einzulassen« und die pädagogische Beziehung in der jeweils gegebenen Konstellation zu akzeptieren und zu gestalten. Schule entwickeln und unterrichten ist Beziehungsarbeit (vgl. Kap. 1.3 und 4.1). Die Bereitschaft, eine pädagogische Beziehung zu akzeptieren und zu pflegen, lässt sich durch eine Fülle an Stellschrauben positiv beeinflussen: durch ein gutes Raumklima, ein klares Auftreten, Aufmerksamkeit und Wertschätzung für die einzelnen Schüler:innen, eine interessante Themenstellung, einen motivierenden Einstieg oder eine herausfordernde Methode, einen vom eigenen Commitment zeugenden Impuls, einen auflockernden Witz … Bei allem Wissen und Können, das Religionslehrende dafür geltend machen können und sollen, bleibt Unterricht und seine Planung ein kreatives Unterfangen, dessen Vollzug didaktische Präsenz erfordert. Insofern weder die Schüler:innen noch die Fachwissenschaft oder die Fachdidaktik, geschweige denn die Person der Religionslehrerin:des Religionslehrers auf Dauer unverändert bleiben, erfordert guter Religionsunterricht nicht zuletzt Neugierde – auf die menschlichen Gegenüber, auf die Rolle von (christlicher) Religion in der Gesellschaft und in der Lebenswelt junger Menschen, auf Themen des Unterrichts und auf das Gelingen von Unterricht. Um den vielfältigen Anforderungen – und auch den eigenen Erwartungen an das eigene Tun und Gelingen – auf Dauer standhalten zu kön-

Pädago­ gische Be­ ziehung als Grundlage Unterricht als kreatives Geschehen

Neugierde

Spiritualität

76

Essentials

nen, ist nicht nur Gesundheit samt einer geübten Stimme vonnöten, sondern auch eine eigene Spiritualität, aus der sich die Freude am Lehrberuf speist, von der aus sich Misserfolge und Erfolge verarbeiten lassen und die das eigene Commitment in Sachen Religion und Religionsunterricht trägt.

3.7 Ziel: »Reflective Practitioner«

Praxistheorie

Der US-amerikanische Philosoph Donald A. Schön (1930–1997) hat den Begriff des »Reflective Practitioner« (Schön 1983/2016) geprägt: Gemeint ist jemand, der:die in seinem:ihrem beruflichen Handeln Praxis und Theorie konstruktiv verbindet. Schön hat dies nicht auf Lehrende, geschweige denn auf Religionslehrende bezogen – doch mithilfe seines Konzeptbegriffs lässt sich gut festhalten, inwiefern Religionslehrer:innen erprobungsfreudig und belesen, nachdenklich und theoriegeleitet sein können. Sie entwerfen im Vollzug ihres Unterrichtens, Schule-Entwickelns, Schulleben-Gestaltens – ob sie wollen oder nicht – eine Praxistheorie, die sie sich bewusst machen und so stetig verbessern können. Sie nutzen didaktische Gestaltungsspielräume, nehmen unverhoffte Ergebnisse von Unterricht ebenso wie unerwartetes Misslingen als Anlass zum Nachdenken, und integrieren Best Practice oder theoriegeleitete Impulse in das eigene professionelle Handlungsrepertoire. Sie verfügen über besonderes Praxiswissen (»Knowing in action«), wenden dies geistesgegenwärtig an (»Reflection in action«) und schreiben es fort (»Reflection on action«) – damit tragen sie nicht zuletzt in unersetzlicher Weise zur Fortentwicklung von Religionsdidaktik und -pädagogik bei.

Anregungen für die Praxis

4

4.1 Pädagogische Beziehung zu den Schüler:innen aufbauen Unterricht konstituiert eine Zwangsgemeinschaft: Weder Schüler:innen noch Lehrer:innen haben sich die jeweils gegebene personale Konstellation ausgesucht. Umso wichtiger – und schlechterdings unerlässlich – ist es,

Soziale Strukturen schaffen

»soziale Strukturen zu schaffen, die Schüler zur Zusammenarbeit befähigen. Dazu gehört beispielsweise der Wechsel von Arbeit in Großgruppen, Kleingruppen, Partnerarbeit, Einzelarbeit […]; dazu die Leitung und Animation der Kommunikation in der Lerngruppe (Gesprächsregeln, Regeln der Kooperation usw.). Ziel der sozialen Strukturbildung ist ein hohes Maß an Selbstorganisation in der Schülergruppe. Die Dimension der sozialen Strukturbildung hat Vorrang vor den anderen Dimensionen, weil sie die Voraussetzungen für die inhaltliche Arbeit […] schafft« (Bauer 1998, 348). Ansatzpunkte für die Erfüllung dieser Aufgabe gibt es etliche: Augenmerk verdient zunächst die Phase der Konstituierung einer Lerngruppe, in der Regel im Kontext der Einschulung oder eines Schuljahreswechsels (oder einer systematischen Umstellung des Religionsunterrichts etwa auf konfessionelle Kooperation). Auch das Hinzukommen einzelner Schüler:innen, ein außerplanmäßiger Lehrer:innenwechsel oder eine gravierende Störung der Interaktion können dazu Anlass geben. Ein Repertoire an Kennenlernspielen, Methoden der Biografiearbeit, Übungen zur Wahrnehmung und Verbesserung von Gruppenprozessen (vgl. mit einer Fülle an Vorschlägen Weidner 2008), das Erarbeiten von Interaktionsregeln in der Gruppe, die Festlegung der Sitzordnung im Allgemeinen (Tischgruppen, Hufeisen, Sitzreihen sind unterschiedlich interaktionsförderlich) und der Sitzplätze aller Einzelnen sind hilfreich.

Konstituie­ rungsphase einer Lern­ gruppe

78 Gesprächs­ bereitschaft

Einführung von Metho­ den

Biografie­ arbeit

Unterrichts­ stil

Anregungen für die Praxis

Nicht zu unterschätzen ist daneben das Signal der Lehrenden, gesprächsbereit zu sein – im Blick für unterrichtliche Belange ohnehin, aber auch darüber hinaus. Der:die Religionslehrer:in kann von sich aus das Gespräch mit einzelnen Schüler:innen oder Schülergruppen suchen – im Nachgang zum Unterricht, bei der Pausenaufsicht, im Rahmen der Klassen­fahrt, bei Gelegenheit einer Begegnung im Ganztagsbetrieb. Ein freundliches Wort, die Nachfrage, vielleicht auch das Teilen einer Wahrnehmung zum Ergehen sind in diesem Sinne wichtige Signale. Schüler:innen können daran anknüpfen – vorzugsweise im Tür-und-Angel-­Gespräch (dazu Kap. 4.16). Förderlich können zudem non-personale Zeichen sein: der Kummerkasten im Klassenzimmer, die Bestellung zur:zum Vertrauens­ lehrer:in, der Morgenkreis als Ritual zum Unterrichtsbeginn. Wie in jedem Schulfach gehört zur sozialen Strukturbildung die Einführung von Sozial- und Handlungsformen. Das gilt für alle Methoden. Im Religionsunterricht können und sollen insbesondere solche Methoden zum Einsatz kommen, die das wechselseitige Wahrnehmen, das Aufeinander-Eingehen, die kritische Auseinandersetzung (die eingebettet sein soll in eine Atmosphäre der Akzeptanz und Wertschätzung) fördern und fordern. Genannt seien etwa Projektarbeit, Diakonisches Praktikum, Bibliolog oder auch die Feedback-Kultur (dazu EKD 2021, 107–110). Eine besondere Chance des Religionsunterrichts, der neben aller Information und Auseinandersetzung auch existenziell berühren will, liegt in der wiederkehrenden Biografiearbeit: angeleitetes Nachdenken über den eigenen Lebensweg und wichtige Einflussfaktoren (vgl. Hölzl/Lattschar 2021), Theologisieren mit den Schüler:innen, unterrichtliches Aufgreifen lebensweltlicher Herausforderungen, die für viele Kinder bzw. Jugendliche in der Lerngruppe von Belang sind (etwa Schönheit bzw. Bodyshaping, »Wer bin ich?« im Spiegel von Social Media, »Was gibt mir Halt?«, Freundschaft, Familie, Gottesbeziehung), und Aufgreifen bibliodramatischer Elemente. Nicht zuletzt kommt es für den Aufbau eines pädagogischen Bezugs bzw. einer Beziehung entscheidend auf den Unterrichtsstil der Lehrenden an: Am chancenreichsten ist ein autoritativer Stil, der viel Zuwendung zu den Schüler:innen mit einem vergleichsweise hohen Maß an Kontrolle kombiniert. Auf diese Weise kann Interesse an den Schüler:innen deutlich werden, ohne dass dies unangemessen privat oder gar übergriffig wird (vgl. Hans-Georg Ziebertz, hier nach Schröder 2021a, 392). Von großer Wichtigkeit für die Glaubwürdigkeit eines solchen Stils ist, dass er möglichst im Umgang mit allen Schüler:innen Anwendung findet, also insbesondere auch mit denen, deren Verhalten bisweilen als störend empfunden wird.

Schuleigenes Curriculum und Jahresunterricht planen

79

4.2 Schuleigenes Curriculum und Jahresunterricht planen Anders als in gemeindepädagogischen Handlungsfeldern (mit gewissen Ausnahmen bei Kindertagesstätten- und Konfirmand:innenarbeit) ist schulischer Religionsunterricht jedenfalls bereits inhaltlich konfiguriert: Die Lehrpläne bzw. – seit der kompetenzorientierten Wende – Kerncurricula bzw. Bildungspläne werden, für das gesamte jeweilige Bundesland und die entsprechende Schulform verbindlich, von einer Kommission erarbeitet, der unter anderem erfahrene Religionslehrer:innen, zudem Vertreter:innen des Schulministeriums und der jeweiligen Landeskirche(n) angehören. Sie geben Ziele (»prozessbezogene Kompetenzen«) und Inhalte (»inhaltsbezogene Kompetenzen«) weitgehend vor – lassen jedoch sowohl zeitlich als auch sachlich Freiräume. In zeitlicher Hinsicht gehört es zu den Anliegen des Kompetenzparadigmas, den Lehrenden die Möglichkeit zum Wiederholen, zum Üben oder auch zum Setzen eigener Akzente zu geben. Sachlich sind in der Regel Themenbereiche vorgegeben, nicht aber die konkreten Lerngegenstände und die Medien, erst recht nicht die thematische Perspektivierung. Nicht ohne Grund heißt es in einer grundsätzlichen Erklärung der EKD zur Aufgabe der Lehrperson im Religionsunterricht: Er:sie nimmt »die Auslegung und Vermittlung der Glaubensinhalte auf wissenschaftlicher Grundlage und in Freiheit des Gewissens vor […]« (EKD 1971, s. Kap. 8.3). Aus solchen Spielräumen ergibt sich indes zwingend eine Gestaltungsaufgabe, die zunächst die einzelne (Doppel-)Stunde und die Unterrichtseinheit betrifft (dazu Kap. 4.3 und 4.4 sowie 8.1), darüber hinaus auch die Jahresplanung und die Sequenzierung des Religionsunterrichts über alle Jahrgänge hinweg und gemeinsam mit allen Religionslehrenden. Die Jahresplanung des eigenen Unterrichts hat verschiedene Funktionen. Sie dient etwa der Rechenschaftsablage über die im anstehenden Schuljahr tatsächlich zur Verfügung stehenden Unterrichtsstunden (unter Berücksichtigung von Ferien, Feiertagen, schulbedingten Sonderveranstaltungen wie Klassenfahrten oder Projektwochen). Sie dient dazu, einerseits den curricular vorgesehenen Themen Raum zu geben, andererseits eigene Akzente in den Blick zu nehmen. Dazu kann die Behandlung eines besonderen Themas gehören, das womöglich auf Gedenktage, auf in einem anderen Fach vorgängig zu Erarbeitendes oder auf Beiträge zum Schul­leben Bezug nimmt (also etwa einen Schulgottesdienst, eine Filmreihe im Schüler:innencafé oder den Besuch von – muslimischen – Schüler:innen aus der

Jahres­ planung

80

Schuleigenes Curriculum

Anregungen für die Praxis

Partner­schule in der Türkei). Insbesondere dann, wenn Themen die Zusammenarbeit mit Kolleg:innen, mit außerschulischen Einrichtungen oder eine besondere Zeitstruktur (etwa im Rahmen einer Projektwoche) erfordern und wenn im Durchgang durch verschiedene Themen eine bestimmte Kompetenz gefördert werden soll, ist die langfristige Planung inklusive Absprachen unerlässlich. Die Jahresplanung erleichtert zudem die gute Mischung neu einzuführender Methoden und unterrichtlicher Zugänge: Performativ didaktisierter Unterricht ist begrüßenswert, doch sollte sein methodisches Repertoire nicht in drei Unterrichtseinheiten nacheinander von zentraler Bedeutung sein – erst recht gilt dies für Unterrichtsgespräche und Textarbeit. Nicht zuletzt dient die Jahresplanung jedoch auch der eigenen Entlastung: Die Vorbereitung von Unterrichtseinheiten, die Sammlung von Materialien, der Besuch einschlägiger Fortbildungen u. v. m. können mit ihrer Hilfe entspannter angegangen und auf Synergieeffekte hin günstig gestaltet werden. Ein schuleigenes Curriculum gehört in einer auf ihr Schulprofil bedachten Schule und in einem an Erkennbarkeit interessierten Religionsunterricht zur Pflicht – erst recht dann, wenn der Religionsunterricht konfessionell-kooperativ, interreligiös-kooperativ oder sonst wie fächerverbindend erteilt wird oder erteilt werden soll. Ein solches schuleigenes Curriculum trägt auf der einen Seite den in Geltung stehenden ministeriellen Lehrplänen Rechnung (und gestaltet manche der darin gegebenen Spielräume in einer von allen Religionslehrenden der Schule, also der Fachkonferenz, gemeinsam entwickelten und verbindlichen Weise aus). Es liegt auf der anderen Seite den individuellen Jahresplanungen der einzelnen Religionslehrer:innen zugrunde – anders gesagt: Es ist eine Art gemeinsamer Zwischenschritt zwischen landesweiten Vorgaben und individuellen Unterrichtsvorhaben. Wer neu an eine Schule kommt, wird ein solches schulinternes Curriculum für (Evangelische) Religionslehre aller Wahrscheinlichkeit nach vorfinden. Es bedarf jedoch von Zeit zu Zeit der Revision, um Änderungen der Kerncurricula Rechnung zu tragen, um die Orientierung an den Schüler:innen und ihren Lernbedarfen zu aktualisieren, um die Stärken des sich verändernden Lehrer:innenteams abzubilden oder um didaktisch-methodische Innovationen einzutragen. Im Sinne der Schulentwicklung ist dies jeweils eine Chance, in der Fachkonferenz die Frage nach Anliegen, bedeutsamen Inhalten und Lernwegen des Religionsunterrichts aufs Neue zur Diskussion zu stellen. Der Abgleich mit schuleigenen Curricula anderer Schulen, die Überprüfung im Licht eines pro-

Kompetenzorientierten Unterricht vorbereiten

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grammatischen religionsdidaktischen Aufsatzes (etwa Grethlein 2003, Wissner/Schweitzer 2019 oder Schröder 2020) oder die Sichtung im Licht eines Kriteriums guten Religionsunterrichts (Schröder 2021a, 386) kann dabei eine Hilfe sein.

4.3 Kompetenzorientierten Unterricht vorbereiten Für die Vorbereitung von Religionsunterricht gibt es gut verständliche, Schritt für Schritt vorgehende Anleitungen (etwa Riegel 2014 oder Schmid 2012; vgl. auch hier Materialien Kap. 8.1); einige dieser Werke legen besonderen Wert auf Kompetenzorientierung (siehe etwa Obst 2015 oder Michalke-Leicht 2013). Anders als bei der zuvor üblichen Unterrichtsvorbereitung, die der Bestimmung des Unterrichtsziels (und damit der Rechenschaftsablage über den angestrebten Lernfortschritt) und der doppelseitigen Erschließung (also der Auswahl sowohl fachlich als auch für die Schüler:innen relevanter Inhalte) besondere Bedeutung zubilligte, steht im Falle des kompetenzorientierten Unterrichts die sogenannte Anforderungssituation im Mittelpunkt: »Kompetenzen zielen auf den Umgang mit alltäglichen oder herausgehobenen Situationen, in denen der Einzelne sich zu konkreten Herausforderungen reflektierend und urteilend verhalten oder in denen er selbst handeln muss, und benennen daher Aspekte einer spezifischen Reflexions- und Handlungsfähigkeit. In solchen Situationen können sich z. B. Fragen stellen, die geklärt oder beantwortet werden sollen, Konflikte zeigen, die zu untersuchen sind, Dilemmata, die ein Urteil provozieren, Fälle, die entwirrt werden sollen, Aufgaben, die zu bearbeiten sind, oder auch Probleme, die gelöst werden müssen. Kompetenzorientierter Religionsunterricht macht solche Handlungssituationen zum didaktischen Ausgangspunkt des Lernens« (Obst 2015, 186). Für die Lehrenden kommt es somit darauf an, ihre gedankliche Energie auf die Frage zu lenken, in welchen Situationen, in die ihre Schüler:innen jetzt oder in absehbarer Zukunft kommen (können), eine bestimmte Kompetenz, etwa diejenige der theologischen oder ethischen Urteilsbildung, tatsächlich von Nutzen sein kann. Solche Situationen gilt es so zu beschreiben, dass sie die Schüler:innen motivieren, in den Lernprozess

Anfor­ derungs­ situation

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Auswahl einer zu fördernden Kompetenz

Theolo­ gische Kenntnisse

Anregungen für die Praxis

einzutreten. Anders gesagt: Sie sollen der Anforderungssituation den Impuls entnehmen können, Wissen oder methodisches Zugangs-Know-how zu erwerben, eine Argumentation zu entwickeln oder ein Handlungsrepertoire in Gebrauch zu nehmen. Gewiss kann man solche Anforderungssituationen von den Inhalten oder einzusetzenden Methoden her konstruieren, intendiert ist jedoch im Sinne der Konzeption, sie im Alltag von Schüler:innen zu beobachten, ihnen in Medien (Fernsehserien, Social Media, Zeitung o. ä.) auf die Spur zu kommen oder sie Praxissituationen gelebter Religion abzulauschen. Schulbücher wie beispielsweise »Moment mal!« bieten zu jeder Einheit eine exemplarische Anforderungssituation an (vgl. für Beispiele und deren didaktische Reflexion auch Bürig-Heinze u. a. 2014). Die eingangs genannten Anleitungen stellen die Unterrichtsvorbereitung als einen Kreislauf von Reflexionen vor, in denen eine bestimmte Anforderungssituation exemplarisch durchgespielt wird (Obst 2015, 168 [Schaubild] und 178–264). Im Zuge dieser Vorbereitung ist ein zweites entscheidend wichtiges Element die Auswahl der Kompetenzen, zu deren Aufbau oder Differenzierung eine Lernsequenz beitragen soll. Dabei geht es nicht um eine Beschreibung oder Analyse, welche Kompetenzen – das Wahrnehmen, das Deuten, das Urteilen, das In-Dialog-Treten oder das Gestalten bzw. Handeln – in der Lernsequenz de facto in Anspruch genommen oder benötigt werden (in der Regel sind dies fast alle!), sondern um die didaktische Entscheidung, an welcher Kompetenz im Zuge des Unterrichts gearbeitet werden soll, um einen Zugewinn an Kompetenz zu erzielen. Denn Unterricht soll und will ja nicht (nur) bestätigen oder in Gebrauch nehmen, was an Kompetenzen bereits mitgebracht wird, sondern er soll und will gezielt Kompetenz fördern. In aller Regel gilt es deshalb eine prozessbezogene Kompetenz in den Fokus zu rücken und insbesondere die Unterrichtsmethoden so zu wählen, dass sie dieser Kompetenz zuträglich sind. So kommt etwa die Einführung eines Bildbetrachtungsverfahrens der (visuell-ästhetischen) Wahrnehmungskompetenz zugute, die Einführung der ethischen Theorie sittlicher Urteilsfindung nach Heinz Eduard Tödt der Förderung (ethischer) Urteilskompetenz (vgl. Schröder 2021a, 466 f.). (Prozessbezogene) Kompetenzen können im Umgang mit verschie­ denen Themen bzw. Inhalten erworben werden – im religionsdidaktischen Diskurs wurde und wird angesichts dessen großer Wert darauf gelegt, zu betonen, dass religionsbezogene Kompetenzen aber eben nicht ohne Bezug auf theologische Inhalte erworben werden können. Vielmehr lässt sich beobachten, dass Anforderungssituationen nicht selten komplexe theo-

Kompetenzorientierten Unterricht vorbereiten

logische Kenntnisse voraussetzen, die verschiedenen Themengebieten oder sogar wissenschaftlichen Disziplinen entstammen. Um ein Beispiel zu geben: Ein Gespräch mit einem:einer (fiktiven oder real existierenden) jüdischen oder islamischen Mitschüler:in über das zu führen, »woran du dein Herz hängst« (Martin Luther in Auslegung des ersten Gebotes), verlangt Kenntnisse etwa über die Gottesvorstellung, die Christologie, die eschatologischen Hoffnungen, die im Raum des christlichen Glaubens zum Tragen kommen, aber eben auch Kenntnisse über die Religion des Gegenübers (die in diesem Dialog dann korrigiert, verfeinert, befragt oder angeeignet werden). Dialogkompetenz aktiviert also eine Zusammenschau von Wissensbeständen unterschiedlicher Provenienz (die traditionell gedacht in unterschiedlichen Unterrichtseinheiten erworben wurden) und darüber hinaus deren schmiegsame, das heißt, an den Gesprächsverlauf und die Wahrnehmung des Gegenübers angepasste, gewissermaßen geistesgegenwärtige Artikulation. In diesem Sinne stellt die Kompetenzorientierung höhere Anforderungen an das theologische und religionswissenschaftliche Wissen als mancher herkömmlich entworfene Unterricht. Religionsunterricht soll mithilfe dieser Steuerungsideen davor geschützt werden, »träges Wissen« (Alexander Renkl) zu vermitteln, das die Schüler:innen nicht brauchen und von ihnen als lebensfern wahrgenommen wird. Diese Intention ist begrüßenswert, denn der schulische Unterricht kann und soll keine »eiserne Ration« zusammenstellen, die möglicherweise irgendwann im Leben eines Menschen abgerufen wird, sondern er soll in der Situation des Heranwachsens vor Augen stellen, was christlicher Glaube für die Lebensdeutung und -führung austragen kann. Gleichwohl braucht auch der kompetenzorientierte Religionsunterricht Gelegenheiten und Phasen, in denen erworbene Kenntnisse und inhaltsbezogene Kompetenzen eines Themenbereichs rekapituliert und auf ihre fachliche Systematik hin durchsichtig gemacht werden. Wenn die Förderung der Dialogkompetenz mit Muslim:innen auf verschiedene thematische Facetten des Islams Bezug nimmt – die Gebetspraxis etwa, die Paradiesvorstellung und das Bilderverbot –, dann ist es für das Verstehen dieser Bausteine hilfreich, ihren sachlichen Zusammenhang in der Botschaft des Propheten Muhammad oder einer:eines zeitgenössischen muslimischen Theolog:in aufzuspüren und verständlich zu machen. Kompetenzorientierung muss insofern nicht in einen Gegensatz zur Fachlogik oder dem wissenschaftspropädeutischen Auftrag des gymnasialen Religionsunterrichts gerückt werden, auch wenn ihr didaktisch-methodisches Profil vorrangig andere Akzente setzt.

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Meidung trägen Wissens

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Anregungen für die Praxis

4.4 Unterricht strukturieren Dass kompetenzorientierter Religionsunterricht von Anforderungssituationen ausgehen soll (ganz gleich, ob sie tatsächlich zu Beginn einer Lernsequenz eingeführt oder »nur« im didaktischen »spine« [Thomas Kabel] prioritär sind), löst noch nicht die Frage, wie die einzelne Unterrichts-(Doppel-) Stunde strukturiert sein soll – allein schon, weil nicht jede einzelne Stunde eine eigene Anforderungssituation bearbeitet, sondern in der Regel eine Situation pro Unterrichtseinheit Verwendung findet. Mit der Frage nach der Struktur des Unterrichts wird üblicherweise auf die Rhythmisierung und den Spannungsbogen von Unterricht abgehoben. Fraglos ist dies wichtig. Vorab lohnt es sich hingegen vor Augen zu halten: »Gestaltung beginnt bei der eigenen Person, bei Stimme, Mimik, Gestik, Kleidung und Körperbewegungen im Raum. Gestaltung bezieht sich weiter auf den Raum, das Mobiliar, die Geräte, die Nutzung der Wandflächen. Zum [professionellen] Handlungsrepertoire [der Lehrperson] in dieser Dimension gehört auch das Markieren von Anfängen und Abschlüssen durch Rituale oder andere nonverbale Signale und Handlungen« (Bauer 1998, 350 f.). Rituelle Eröffnung des RU Fachraum Religion

Unterricht­ liches Auftreten

In der Tat: Gerade im Blick auf den Religionsunterricht gilt es, sich zu überlegen, ob es in der jeweiligen Lerngruppe möglich und sinnvoll ist, diesen stets durch eine kurze ritualisierte Unterbrechung einzuleiten (die nicht notwendigerweise mit dem Thema der jeweiligen Stunde zu tun haben muss; dazu Kap. 4.14). Religionsunterricht profitiert in mancher Hinsicht von einem eigenen Fachraum, in dem etwa je ein Zeitstrahl zur Judentum-/Christentums- und Islamgeschichte an der Wand befestigt ist, Bibelausgaben und Religionsschulbücher, Buddhismus-Koffer und Trauerkoffer, gegebenenfalls Egli-Figuren zur Verfügung stehen, und ohne große Umstände ein Stuhlkreis gestellt werden kann – von einem »Raum der Stille« in der Schule ganz zu schweigen. Wie in jedem Unterricht macht es auch im Religionsunterricht einen Unterschied, ob der:die Lehrer:in den Raum mit Körperspannung betritt und so schon physisch signalisiert, dass sie in den kommenden 45 bis 90 Minuten auf etwas hinauswill, oder ob sie »auf Zeit spielt«. Über all das hinaus steht für die Strukturierung von Unterricht ein Repertoire an Möglichkeiten bereit, die unterrichtsgeschichtlich in der Regel Tradition und jeweils spezifische Stärken und Schwächen haben.

Unterricht strukturieren

Die schlichteste Struktur besteht in einem Vierschritt aus Eröffnung (Motivation, Einführung eines thematischen Impulses), Erarbeitung, Aneignung bzw. Vertiefung sowie Bündelung bzw. Ergebnissicherung (vgl. etwa die gewinnende, erfahrungsgesättigte Vorstellung bei Schmid 2012, 30–61). Die Klarheit und Schlankheit dieses Prozedere ist ein Pluspunkt, die Vorhersehbarkeit des Unterrichtsprozesses ein Nachteil – dieser kann allerdings dadurch aufgewogen werden, dass dieses Modell je nach Thema, Leitmedium und Intention leicht variiert werden kann, ohne sein Orientierungspotenzial für die Lehrer:innen und die Schüler:innen einzubüßen. Eine Gefahr liegt darin, Unterricht – und problematischer noch: Lernen – als lehrer:innengesteuertes Instruktionsgeschehen misszuverstehen. Aus dem Projektunterricht – ideell ambitioniert entworfen von John Dewey (1859–1952), einem US-amerikanischen Philosophen des Pragmatismus und Reformpädagogen – stammt eine elaboriertere, fünfschrittige Grundform, die den Schüler:innen ein sehr viel höheres Maß an Mitbestimmung und Eigenverantwortung einräumt: Ȥ Initiierung – Wahl des (Unterrichts-)Projektes oder Einführung in das gewählte Thema, Ȥ Planung – gemeinsame (!) Verteilung der individuellen Aufgaben, Ȥ Durchführung – arbeitsteilige Verwirklichung der verabredeten Schritte, Ȥ Präsentation – Zusammenführung der Teilergebnisse, Ȥ Auswertung – Reflexion auf das Projekt, Kritik der Durchführung und der Ergebnisse, Definition von Anschlussprojekten (vgl. Reents 2010). Diese Form ist eigentlich für eine Unterrichtseinheit gedacht, lässt sich jedoch – zumindest in Kurzform – auch in einer Doppelstunde nachzeichnen. Ihr Vorteil ist das hohe Potenzial an Motivation und Eigentätigkeit der Schüler:innen, Nachteil die recht große Zahl von prozessbedingten Unwägbarkeiten und die Vorbereitungsintensität. Scheinbar altmodisch sind demgegenüber die sogenannten Formalstufen, die auf Johann Friedrich Herbart, den Gründervater der Pädagogik (1776–1841), und seine Schüler:innen zurückgehen. Demnach soll ein Unterricht vier Schritte gehen – und zwar mit der Begründung, dass diese den Verlauf des Denkprozesses, den die Schüler:innen vollziehen bzw. zu vollziehen haben, abbilden (!): »Klarheit« schaffen über das Vorwissen (aus der vorangegangenen Stunde, aus dem Allgemeinwissen, aus aktuellen Vorkommnissen), »Assoziation« dieses Vorwissens mit einem neuen Gegenstand ermöglichen, Einordnung des neuen Elements in das »System« des vorhandenen Wissens oder die Fachlogik, schließlich: Üben,

85 Grund­ struktur

Projekt­ struktur

Formalstufen

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Trial and error

Plädoyer für Vielfalt

Anregungen für die Praxis

Anwenden, Gestalten des Gelernten (»Methode«), um es so nicht als bloß träges Wissen zu speichern, sondern als relevant auszuweisen. Zieht man die Zeitbedingtheit von Begrifflichkeit und kognitionspsychologischem Modell ab, lässt sich diese Struktur durchaus etwa im Theologisieren mit Kindern wiederkennen. Vorteilhaft ist das Bestreben, den Unterricht so zu strukturieren, dass er der Denkbewegung von Kindern oder Jugendlichen entgegenkommt. Nachteilig ist, dass Wissensaufbau und Unterricht hier allein additiv modelliert werden – es kommt demnach stets Schritt für Schritt Neues hinzu, ohne dass Problemstellungen, die das bisher Erlernte hinterfragen, kognitive Dissonanzen oder gar Dilemmata in den Blick genommen werden. Dergleichen wird in einem vierten Modell von Unterricht als das eigentlich Bildsame begriffen: Schüler:innen sollen demnach anhand der Inhalte von Unterricht, aber auch mithilfe von dessen Struktur lernen, wie mit offenen Problemstellungen (von denen es gerade im Religionsunterricht viele gibt) und strittigen Fragen umzugehen ist. Somit ergibt sich als idealtypische Modellierung des Unterrichtsverlaufs: Ȥ Identifikation eines Problems, das bearbeitet werden kann und soll, Ȥ Entwicklung verschiedener Lösungsmöglichkeiten, Ȥ arbeitsteiliges oder sequenziertes Sondieren und Erproben der Lösungswege (auch dann, wenn die Lehrperson schon vorab Auskunft geben könnte über irrige und erfolgversprechende Optionen), Ȥ Auswertung im Blick auf den »erfolgreichsten« Ansatz, Ȥ Folgerungen im Blick auf analoge Fragestellungen oder anschließende Klärungsbedarfe. Nachteil dieses Verfahrens ist der hohe Aufwand, der für die Prüfung auch wenig erfolgversprechender Gedankenschritte oder Lösungsvorschläge getrieben wird, vorteilhaft ist die Aktivierung der Problemlösefähigkeiten von Schüler:innen und die Einprägsamkeit der Ergebnisse. Wie bei der Gestaltung von Sozialformen (Einzel-, Partner-, Gruppenarbeit oder Plenum), Handlungsformen (also Methoden im engeren Sinne) und religionsdidaktischen Konzeptionen (z. B. Performative Didaktik oder Theologisieren mit Kindern) insgesamt gibt es bei der Strukturierung von Unterricht nicht den einen Königsweg, sondern Optionen, unter denen gewählt werden muss und die in einer für gut befundenen Mischung alle zum Einsatz kommen dürfen und sollen. Monostrukturen sind einem Unterricht, der unterschiedlichen Schüler:innen, Herausforderungen und Rahmenbedingungen gerecht werden will, nicht dienlich.

Einen didaktisch-methodischen Werkzeugkasten aufbauen

In praktischer Hinsicht ist schließlich an die »unterrichtliche[ ] Zeitund Energiestruktur« der Schüler:innen zu erinnern: Demnach ist »die erste Hälfte« der Stunde, dramaturgisch gesehen, deren »goldene Zeit« (Schmid 2012, 70), in der zweiten Hälfte ist damit zu rechnen, dass – gerade bei jüngeren Schüler:innen – Bewegungsdrang und Unruhe zunehmen. Insofern gilt es, in der didaktischen Planung die erwartbar offenen Fenster der Aufmerksamkeit zu nutzen.

4.5 Einen didaktisch-methodischen Werkzeugkasten aufbauen Ist die Zahl der Möglichkeiten, Unterricht zu strukturieren, überschaubar und ihre Zahl umso kleiner, je kürzer die Lernsequenzen sind (in 45 Minuten Unterricht lassen sich komplexe Strukturen kaum realisieren), ist die Auswahl möglicher Methoden kaum mehr zu überschauen. Das methodische Spektrum weitet sich zudem stets, derzeit vor allem durch die neuen Möglichkeiten eines digitalen Religionsunterrichts (dazu Dietzsch/Pfister 2022) bzw. durch Einbeziehung digitalbasierter Medien vom Whiteboard bis zur Internetrecherche, vom Youtube-Video bis zur Simulation ethischer Problemstellungen in digitalen Lernarrangements. Hilfestellungen für die Orientierung bieten einschlägige Buchpublikationen, die sich entweder im Blick auf die konkreten Planungsentscheidungen von Religionslehrer:innen auf knappe, operationalisierbare Hinweise beschränken (etwa Niehl/Thömmes 2020 sowie Moers u. a. 2019) oder aber für die eingehendere Reflexion Hintergründe, konzeptionelle Einbettungen und Chancen wie Grenzen ausleuchten (etwa Adam/Lachmann 2010, 2002). Im Rahmen dieses Buches, das der Einführung dienen soll, kann diese Vielfalt nicht abgebildet werden. Vielmehr gilt es hier in den Fokus zu rücken, dass es lohnt, sich über die Wahl von Methoden Gedanken zu machen (auch wenn es faktisch sicherlich nicht unüblich und jedenfalls möglich ist, lediglich den Anregungen in Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien oder den eigenen Gewohnheiten zu folgen). In der didaktischen Methodendiskussion haben sich vier grundlegende Kriterien zur Beurteilung von Methodenqualität und -einsatz herauskristallisiert (vgl. Schröder 2021a, 396–398).

87

88 Schüler:in­ nen- und Situations­ gemäßheit

Ziel- und Inhalts­ gemäßheit

Anregungen für die Praxis

Methoden dienen dazu, Lernenden ein möglichst hohes Maß an vielfältiger Eigenaktivität im Lernprozess zu ermöglichen – insofern ist dieses ein Schlüsselkriterium. Näherhin können folgende Beobachtungen Berücksichtigung finden. Erstens sprechen Methoden jeweils nur bestimmte Lernende an: eine Alters- oder Interessensgruppe, Schüler:innen mit dieser oder jener Fähigkeit oder Ausdruckspräferenz usw. Sie wirken in diesem Sinne selektiv. Zweitens erfüllen Methoden verschiedene Funktionen, die alle gleichermaßen bedeutsam sind, aber je nach Unterrichtssituation, Schüler:innen und Themen zu gewichten sind: So sind etwa konzentrierende und kreativ-öffnende Methoden zu unterscheiden (z. B. Arbeitsblatt versus Rollenspiel), dazu motivierende und disziplinierende (z. B. Filmbetrachtung versus Hefteintrag), problemerschließende und ergebnissichernde (z. B. Brainstorming versus Memorieren). Insofern korrelieren Methoden mit Unterrichtszielen und -phasen sowie mit Klassensituationen (und sollen auch darauf abgestimmt werden!). Drittens sind Methoden unterschiedlich komplex, sprich vorbereitungs- und einübungsintensiv. Abgesehen von eventuellen technisch-räumlichen Voraussetzungen bedürfen komplexe Methoden (etwa die Gruppen- oder Projektarbeit, die Diskussion oder das Portfolio) der Hinführung – nicht ohne Grund legt ein kompetenzorientierter Unterricht deshalb Wert auf die methodische Schulung der Schüler:innen. Viertens verschleißen sich Methoden und drängen deshalb auf Abwechslung: Auch wenn sich Rollenspiele bewährt haben oder beliebt sind – in der dritten Stunde nacheinander eingesetzt, ermüden sie ebenso wie das Unterrichtsgespräch. Methoden sind nicht inhaltsneutral, sondern transportieren ihrerseits ein »hidden curriculum«, das es beim Einsatz zu beachten gilt. (Religions-) Didaktik geht deshalb von der Interdependenz von Ziel-, Inhalts-, Methoden- und Medienentscheidungen (bei gleichzeitigem Primat der Zielentscheidungen) aus. Ein Beispiel kann die inhaltlichen Implikationen von Methoden deutlich machen: Eine Unterrichtseinheit zum Thema »Judentum begegnen«, mit deren Hilfe die Dialogkompetenz der Schüler:innen gefördert werden soll, kann ihr Ziel schwerlich durch Textarbeit allein erreichen. Allgemeiner gewendet: Im Zuge der Unterrichtsvorbereitung gilt es, die Eignung von Methoden für das Erreichen bestimmter Ziele und die Vermittlung bestimmter Inhalte zu prüfen. Zu den Regeln des Methodeneinsatzes, die sich daraus ergeben, gehört: Erstens sollten die gewählten Methoden die zentralen Ziele einer Stunde oder Einheit (nicht die thematischen Nebenschauplätze oder

Einen didaktisch-methodischen Werkzeugkasten aufbauen

gar das, was als Problem empfunden wird) unterstreichen. Beispiel: Eine Einheit zum Thema »Bewahrung der Schöpfung« sollte nicht deren faktische Zerstörung durch attraktive Methoden (wie z. B. eine Internetrecherche) unterstreichen, sondern positive Ansätze schöpfungsbewahrenden Handelns (z. B. durch das Anlegen eines Teiches im Schulgarten). Zweitens sollten Methoden möglichst viele Sinne ansprechen: Je mehr Sinne sie ansprechen, desto nachhaltiger wirken sie. Grob gesagt: Werden Inhalte lediglich gehört, werden etwa 80 % kurzzeitig wieder vergessen; werden Inhalte über Hören, Lesen, Sprechen und Schreiben erarbeitet, werden nur 10 % vergessen. Drittens sollte der Einsatz und die Einführung von Methoden – nicht jede einzelne von ihnen, aber ihre Gesamtheit – dazu führen, eines der Ziele des Religionsunterrichts insgesamt zu erarbeiten: Sie sollen dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche am Ende ihrer RU-Laufbahn selbsttätig und methodenbewusst religiös relevante Fragen bearbeiten können. Schon um dieses Zieles willen sind Methodenfragen keine Nebensächlichkeiten – wenn es eines Beweises noch bedurft hätte, dann hat die kompetenzorientierte Didaktik ihn erbracht. Unumstößlich zutreffend ist: Es können nur diejenigen Methoden zur Anwendung kommen, die eine Lehrperson kennt. Für Religionslehrer:innen ist es deshalb wichtig, die eigenen Grenzen zu erkennen und anzuerkennen. Ebenso wichtig ist jedoch die Ausweitung der eigenen Grenzen, also der Aufbau und die Erweiterung eines methodischen Repertoires. Dies gehört zu den professionellen Aufgaben von Religionslehrenden. Allerdings bringen Lehrende gleichwohl nur solche Methoden zum Einsatz, zu deren Anwendung sie sich in der Lage sehen: Singen etwa wird nur von solchen Religionslehrenden praktiziert, die selbst gern und in akzeptabler Qualität singen; ein meditativer Tanz wird nur von Religionslehrenden erprobt, die diese Ausdrucksform für theologisch legitim halten. Authentizität der Lehrenden ist insofern auch im Bereich der Methodik ein sinnvolles Kriterium – allerdings lässt sich als Regel formulieren: Die Grenze authentisch vertretbarer Methoden sollte erkannt und nicht überschritten werden; sie kann und soll jedoch stetig erweitert werden! Schließlich: Jede Methode hat bestimmte Merkmale, die ihre Einsatzmöglichkeit definieren. Sie sind äußerer (etwa der Materialaufwand oder Zeitbedarf) oder innerer (etwa ihre Gliederung in Phasen) Art; zum Teil sind sie den Methoden immanent (etwa die Komplexität des Stationenler-

89

Lehrer:innen­ gemäßheit

Immanente Methoden­ qualität

90

Anregungen für die Praxis

nens), zum Teil werden sie ihnen aufgrund von Erfahrung zugeschrieben (z. B. die Störanfälligkeit). Wenn ein:e Religionslehrer:in ein Methodenrepertoire aufbaut, ist es hilfreich, solche Merkmale zu notieren, die er:sie für entscheidungsrelevant hält. Ansonsten lohnt etwa der Besuch religionsdidaktischer Fortbildungen in der Regel schon allein deshalb, weil dort »neue« Methoden erprobt, Medien vorgestellt und Erfahrungen ausgetauscht werden können.

4.6 Kompetenzaufbau von Schüler:innen fördern

Transparenz

Übung

Ein Gedanke, der soeben bereits anklang, bedarf noch einmal der Entfaltung: Die Wahl der Methoden (also Handlungsformen) sowie der Sozialformen und didaktischen Konzeptionen ist nicht lediglich Teil des Aufgabenrepertoires von Lehrer:innen und um der Steuerung von Unterricht willen unerlässlich. Die Wahl der Methoden steht – wie der gesamte Unterricht – im Dienst des Kompetenzaufbaus der Schüler:innen. Mit diesem banal klingenden Satz sind einige Implikationen verbunden: Zunächst bedeutet dies, den Schüler:innen die Bedeutung von Methoden für den Lernprozess und den sachgemäßen Umgang mit den »domänenspezifischen« Gegenständen bewusst zu machen. Zwar gibt es keine religiösen Methoden, also solche, die allein für den Umgang mit Religion(en) geeignet sind, aber doch gegenstandsangemessene Methoden. Und: Damit die Schüler:innen selbst die Aneignung von Methoden nicht als Adiaphora empfinden, sollten sie Einblick in die Kriterien ihrer Auswahl und in die Gründe bekommen, sie zu erlernen. Auch wenn es methodische Settings gibt, die nur gelegentlich vorkommen oder vielleicht sogar nur einmal ausprobiert werden, gilt doch für die Mehrheit der religionsunterrichtlich gebrauchten Methoden, dass sie in das Repertoire der Schüler:innen eingehen sollen. Dementsprechend wichtig ist es, ihren Gebrauch zu üben, auf früher eingeführte Methoden gelegentlich zurückzukommen und das erworbene Methodenrepertoire zu rekapitulieren, z. B. indem zusammengestellt wird, inwiefern dieses den fünf prozessbezogenen Kompetenzen zuzuordnen ist: Welche Zugangsweisen und Lernwege fördern die Fähigkeit, religiöse Phänomene oder Phänomene als religiös relevant wahrzunehmen, sie zu deuten, zu beurteilen, kommunikativ bzw. dialogisch zu erschließen oder aus religiöser Motivation bzw. im Feld der Religionen zu handeln?

Kompetenzaufbau von Schüler:innen fördern

So gehandhabt dürfte ein Methodenrepertoire erheblich dazu beitragen, dass die Schüler:innen sagen können: Dies und das habe ich gelernt, ich weiß, wie ich mit strittigen oder zunächst einmal unverständlichen religiösen Phänomenen umgehen kann und wie ich ein Problem mit religiösen Implikationen konstruktiv bearbeiten kann. Sie dürften sich dann in derlei Zusammenhängen selbstbewusster bewegen und als selbstwirksam erfahren. Dies wiederum hat Rückwirkungen auf den Eindruck, den schulischer Religionsunterricht hinterlässt. Zwar geben in Umfragen schon jetzt erfreulich viele Schüler:innen (hier: an baden-württembergischen Gymnasien und berufsbildenden Schulen) – nämlich etwa 80 % – an, dass in dem von ihnen besuchten Religions- bzw. Ethikunterricht »spannende Themen« vorkamen und ihnen »Denkanstöße« gegeben wurden, es deshalb »gut« sei, »dass es den RU/EU gibt«. Doch ein Nutzen für den Umgang mit »schwierigen Lebensfragen«, für den »(späteren) Beruf« und »mi[ch] persönlich« wird nur von einem Drittel gesehen (Wissner u. a. 2020, 80). Eine gewisse Akzentuierung des Methodenerwerbs könnte zu dem Eindruck beitragen, im Religionsunterricht etwas Konkretes, Anwendbares und Lebensrelevantes gelernt zu haben. Das gilt insbesondere dann, wenn im Religionsunterricht nicht nur Methoden erlernt werden, die den Unterricht kurzweiliger, partizipativer und lernintensiver gestalten – so erstrebenswert und erfreulich all das ist –, sondern solche, die helfen mit Anforderungssituationen zurechtzukommen, die im Leben begegnen: Dialog mit Andersgläubigen, handlungsorientiertes Nachdenken über ethische Probleme mit religiösen Implikationen (vom Schwangerschaftsabbruch bis zur Sterbehilfe), religiöse Erziehung etwaiger eigener Kinder, Verstehen religiös imprägnierter Formen des gesellschaftlich-kulturellen Lebens (von der Sonntagsruhe bis zur Deutung eines Gemäldes im Museum). Methodenschulung im unterrichtlichen Rahmen wird so zu einem sub­ stanziellen Beitrag, im alltäglich erlebbaren Wirklichkeitsbereich »Religion und Religionen« reflektiert bzw. kompetent handlungsfähig zu werden – oder, mit einer klassischen Formulierung aus der Konfirmand:innenarbeit gesagt – zu »lernen, was es heißt als Christ:in in unserer Zeit zu leben« (Weert Flemmig; vgl. zum Anliegen Grethlein 2003).

91 Selbst­ wirksamkeit

Konkretisie­ rung des Out­ puts von RU

Methoden – nicht nur Unterrichts­ methoden

Handlungs­ fähigkeit

92

Anregungen für die Praxis

4.7 Binnendifferenziert unterrichten

Binnendiffe­ renzierung vs. äußere Differenzie­ rung

Motive und Gründe

Spielarten von Binnen­ differen­ zierung

Methoden müssen ebenso wenig wie Inhalte, Ziele, Sozialformen stets und überall für alle Schüler:innen einer Lerngruppe identisch sein. Im Gegenteil: In einer heterogenen Lerngruppe, in der Schüler:innen mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen (etwa mit bestimmten Beeinträchtigungen) und Lernbedarfen, Interessen (durchaus auch innerhalb ein und desselben Themengebietes), Kenntnissen und religiös-weltanschaulichen Hintergründen zusammenkommen, ist die Fähigkeit zur Binnendifferenzierung die »Königsdisziplin« professioneller (Religions-) Lehrer:innen. Noch vor ca. zwanzig Jahren wäre dieser Satz mit großer Wahrscheinlichkeit als Gesamtschulrhetorik kritisiert worden; stattdessen hätte man die Selektionsfunktion von (Religions-)Unterricht betont, die Unerlässlichkeit eines äußerlich differenzierten Schulwesens hervorgehoben und gesagt, dass Homogenität der Schüler:innen eine wesentliche Gelingensbedingung für guten und lernintensiven Unterricht ist. Einige Schulreformen und erziehungswissenschaftliche Paradigmen später haben sich die Vorzeichen verschoben: Das Zusammentreffen verschiedener Leistungsstände, Interessen, kultureller Hintergründe usw. gilt grundsätzlich als stimulierend für Lehr-Lernprozesse – was jedoch nicht aus-, sondern einschließt, dass Schüler:innen phasenweise getrennt werden. Für diese Binnendifferenzierung sprechen Argumente aus unterschiedlichen gedanklichen Bezugsräumen: So soll sie zum einen die möglichst optimale Förderung jedes einzelnen Kindes bzw. Jugendlichen ermöglichen (Anliegen: Individualisierung von Lernprozessen, adaptives Lernen), zum anderen sowohl der Selbstorganisation als auch der Kooperation unter den Schüler:innen Raum geben (Anliegen: Soziales Lernen), zum Dritten die Zentrierung von Unterricht auf die Lehrperson abbauen, die Selbsttätigkeit der Schüler:innen freisetzen und die Lehrperson entlasten (Anliegen: Unterricht als partizipativer Raum) und schließlich auch den inhaltlichen und methodischen Facettenreichtum von Unterricht erhöhen (Anliegen: Steigerung der Komplexität der Gegenstandsbehandlung, Mehrperspektivität). Mit dem Stichwort »Binnendifferenzierung« eröffnet sich ein weites Feld an Variationen für den einzuschlagenden Lernweg. So kann – um drei häufig genutzte Kriterien zu veranschlagen – differenziert werden nach:

Binnendifferenziert unterrichten

Leistungsfähigkeit der Schüler:innen (Kognitives Niveau, Lerntempo, Vertrautheit mit dem Sachverhalt)

Zugangsweise zum Lerngegenstand (Methodisches Repertoire, Förderbedarf)

Interessen

Variierbar sind in diesem Fall:

Als Stellschrauben dienen:

Lerngruppenbildung erfolgt in diesem Fall nach:

– Umfang des Lernstoffes – Komplexität des Stoffes –  Lernziele

– Bedarf an Unterstützung durch Lehrende – Kooperationsfähigkeit/Bereitschaft, zu helfen oder sich helfen zu lassen – Verschiedenheit der Lernwege (Aktionsformen)

– Thema oder thema­ tischer Facette – Fragestellung – Medium oder Methode

Die Einteilung der Schüler:innen zu diesen Gruppen kann durch die Lehrperson erfolgen – sie kann indes auch den Schüler:innen selbst überlassen werden (gebundene vs. freie Gruppenbildung). Die Gruppen können homogen oder heterogen komponiert werden – im Religionsunterricht mit verschieden-konfessionellen Schüler:innen kann es etwa sinnvoll sein, ein Thema wie »Maria – können wir zu ihr beten?« zunächst in getrennten Gruppen von evangelischen und katholischen Schüler:innen bearbeiten zu lassen, um konfessionelle Eigenarten zu profilieren; ebenso kann dieselbe Thematik jedoch in konfessionell gemischten Kleingruppen diskutiert werden, um die Sprachfähigkeit der Schüler:innen im Dialog zu fördern. Binnendifferenzierung kann zudem unterschiedliche Reichweiten haben. Besonders häufig dürfte sie innerhalb einer (Doppel-)Stunde zum Einsatz kommen – ebenso gut ist jedoch eine stundenübergreifende Differenzierung oder auch eine differenzierende Hausaufgabe vorstellbar. Alle bislang genannten Differenzierungen sind arbeitsteilig und zieldifferent; Unterricht kann jedoch auch in arbeits- und zielgleiche Gruppen gegliedert werden – in diesem Fall vor allem, um die Teilhabeintensität der Schüler:innen zu erhöhen, Störungen im Plenumsunterricht zu meiden oder eine gewisse Abwechslung im Unterrichtsmodus zu realisieren.

93

Modus der Differen­ zierung

Zeitliche Reichweite

94 Binnen­ differen­ zierung im Dienst des inter­ religiösen Lernens

Anregungen für die Praxis

Im Blick auf den Religionsunterricht ist bedenkenswert, dass der Hamburger Weg des Religionsunterrichts in seiner 2014 eröffneten Konstellation ganz bewusst binnendifferenzierte Unterrichtsphasen vorsieht, um in einer multireligiösen Schüler:innengruppe religionsspezifische Lernetappen zu ermöglichen. Schon dabei lassen sich verschiedene Szenarien unterscheiden (vgl. Bauer u. a. 2022).

4.8 Unterrichtsgespräche führen

Schwierig­ keit und Unverzicht­ barkeit des Gesprächs

Gelenktes Unterrichts­ gespräch oder fragend-­ entwickeln­des Verfahren

Funktionen

Unterrichtsgespräche sind wahrscheinlich in den allermeisten Religionsunterrichtsstunden der Sekundarstufe die am häufigsten angewendete und zeitlich umfänglichste Methode. Vielleicht lässt sich sogar angemessener formulieren: Sie stellen das grundlegende Medium des Unterrichts dar, in das andere methodische Settings eingelassen werden – um den Preis, das Gespräch nicht als Methode zu konzipieren und zu realisieren. Das Unterrichtsgespräch ist kein Monolith. Vielmehr sind vor allem zwei Grundformen  – das gelenkte Unterrichtsgespräch und die Diskussion – zu unterscheiden, die nicht zu verwechseln sind mit verbaler Instruktion, Plauderei und funktionaler Zweisprache mit einzelnen Schüler:innen, etwa im Zuge der Aufgabenbearbeitung oder der Störung. Obwohl das Unterrichtsgespräch als Methode sehr hohe Ansprüche an Lehrer:innen wie Schüler:innen stellt und im Schwierigkeitsgrad in der Regel unterschätzt wird, ist es eine wesentliche, gerade im Religionsunterricht unverzichtbare Methode – denn sie korrespondiert der anthropologisch wie theologisch begründbaren Dialogizität des Menschen. Das sogenannte gelenkte Unterrichtsgespräch birgt charakteristische Risiken: In der Regel bekommen die Lehrenden bedeutend größere Sprechanteile als die Gesamtheit der Schüler:innen (»Gesetz der zwei Drittel« nach N. A. Flanders). Die Impulse, Fragen und angestrebten Ergebnisse bilden primär Anliegen der Lehrenden, nicht der Schüler:innen ab. Das Gesagte vermag zwar gegebenenfalls Sachverhalte recht präzise darzulegen, hat aber nur geringen Behaltwert und ist in der Regel emotional nicht positiv besetzt. Das Gespräch ist sehr störanfällig, und es setzt ein hohes Maß an sprachlicher Ausdrucksfähigkeit und Gewandtheit voraus. Unbeschadet dessen kann es verschiedene Funktionen erfüllen: Die Schüler:innen können sich durch Beteiligung unkompliziert in den Unterricht »einklinken« (Motivations-/Integrationsfunktion); das Gespräch soll die Artikulations- und Argumentationsfähigkeit der Schüler:innen schulen (Übungsfunktion; vgl. dazu Raters 2020). Lehrende können die Ge-

Unterrichtsgespräche führen

danken der Schüler:innen auf die von ihnen gewünschte Spur lenken (Steuerungs- und Disziplinierungsfunktion). Die Art und Weise, wie die Lehrenden im Gespräch ein Problem angehen, legt den Schüler:innen ein späteres eigenes Vorgehen nahe (Orientierungsfunktion). Nicht zuletzt bekommen die Lehrenden Signale im Blick auf Vorkenntnisse bzw. Verständnis der Schüler:innen (Rückmeldefunktion). Im Idealfall orientieren sich gelenkte Unterrichtsgespräche an den sokratischen Dialogen: Der Darstellung Platos zufolge ging Sokrates davon aus, dass seine Gegenüber Dinge erkennen können, wenn er durch Fragen ihre Gedanken freisetzt, ihre Logik aktiviert und Fährten zu einer Lösung legt. Hilfreiche Regeln für ein solches mäeutisches Gespräch (das dem Ethos und der Praxis von Geburtshelferinnen folgt) lauten: Die Gesprächsdauer sollte 15 bis 20 Minuten nicht überschreiten. Die Schüler:innen sollten in der Lage sein, zum Thema Vorkenntnisse oder streitbare Positionen einzubringen und zu artikulieren. Ihre Beiträge sind weiterzuführen (oder, wenn sie schon weiterführend sind, wertzuschätzen). Das Gespräch sollte ein Ziel haben. Lehrende sollten sich mögliche Impulse und Gelenkstellen im Vorfeld (wörtlich) zurechtlegen. Jedenfalls gilt: Als spontaner Lückenbüßer ist ein solches Gespräch schwerlich geeignet! Lehrende sind hier in vielfältiger Weise gefordert, etwa um die Schü­ ler:innen und ihre (mangelnde) Gesprächsbeteiligung wahrzunehmen, um Antworten der Schüler:innen differenziert aufzunehmen, um flexibel zu bleiben, also z. B. im Bedarfsfall eine Information (Lehrer:innenvortrag) einzufügen, aber auch um den roten Faden des angestrebten Gespräches nach Umwegen festzuhalten. Dies erfordert gleichermaßen Sachkenntnis, Geschick in der Gesprächsführung und Geistesgegenwart. Kennzeichen und Voraussetzungen dieses Gesprächstyps sind: Die Lehrenden sind Moderator:innen oder tendenziell gleichberechtigte Gespächspartner:innen. Entsprechend liegt der Akzent auf der Kommunikation der Schüler:innen untereinander. Alle Beteiligten müssen sich an bestimmte Regeln halten: Der:die Diskussionsleiter:in eröffnet und schließt die Diskussion, führt eine Redner:innenliste, erteilt (und entzieht) das Wort, unterbindet illegitime (z. B. beleidigende oder rassistische) Äußerungen, fasst das Gesprächsergebnis zusammen. Die Gesprächsteilnehmer:innen sprechen nur nach Wortmeldung und Aufforderung, nehmen auf vorangegangene Gesprächsbeiträge Bezug, fassen sich kurz und sind bestrebt, die Diskussion konstruktiv voranzutreiben (statt zu »labern«). Vorausgesetzt ist, dass alle Beteiligten im Blick auf das Gesprächsthema über Informationen verfügen; zudem sollten kontroverse Auffassungen vorliegen.

95

Mäeutik als Ideal

Anfor­ derungen

Offenes Unterrichts­ gespräch oder Diskus­ sion Regeln

96

Grundmuster Fragen und Impulse

Geschlos­ sene, halb­ offene und offene Fragen

Fragetypen

Anregungen für die Praxis

Als Struktur dieser Gesprächsform kristallisiert sich oft heraus: 1. Verständigung über das Thema und präzise Benennung, 2. Vorstellen der verschiedenen Meinungen, 3. Argumentative Auseinandersetzung, 4. Herausstellen ungelöster Probleme oder wichtiger Einsichten bzw. Lösungen. Zu den häufigen Schwierigkeiten bei der Durchführung zählen die Dominanz einiger weniger (statt Beteiligung aller), die Ergebnislosigkeit (statt einer Ertragssicherung), mangelnde Selbstdisziplin (statt Einhaltung der Regeln), unzureichende(s) Wissen oder Differenziertheit der Positionen, nicht zuletzt das Gelten-Lassen sachlich falscher oder problematischer (z. B. antisemitischer) Gesprächsbeiträge. Solchen Herausforderungen kann zumTeil durch methodische Arrangements (z. B. FishBowl, Kugellager u. a.) vorgebeugt oder abgeholfen werden. Förderlich für das Gelingen der Diskussion ist nicht zuletzt ein angemessener äußerer Rahmen: Als Sitzordnung empfiehlt sich die Hufeisenform, weil sie die Zuwendung der Gesprächspartner:innen zueinander ermöglicht. Der zeitliche Rahmen sollte vor Beginn der Diskussion festgesetzt werden, er muss ausreichen, um Phasen des Aufwärmens, der Kontroverse, der Einigung oder Gegenüberstellung zuzulassen. Unabhängig von der Form sind im Gespräch verschiedene Elemente bzw. Kommunikationsarten zu unterscheiden: Fragen sind Lehrer:innenäußerungen in expliziter Frageform, Impulse sind Äußerungen in Gestalt eines Aussagesatzes, Imperativs, Ausrufs oder eines nonverbalen Signals (Kopfschütteln, Augenbrauen-Hochziehen usw.) oder eines stummen Impulses (Anschreiben eines Begriffs o. Ä.). Geschlossen nennt man Fragen, die Schüler:innenäußerungen nur einen engen Spielraum lassen bzw. die Antworten der Schüler:innen in hohem Maße vorstrukturieren. Beispiele sind Definitionsfragen, Fragen nach Fakten und Namen u. ä. Halboffen werden Fragen genannt, die komplexe Sachverhalte (»Aus welchen Gründen kam es zu den Kreuzzügen?«) oder sachliche Einschätzungen (»Wie ist der Römerbrief zu gliedern?«) erfragen. Offen sind Fragen, die ein breites Spektrum von Schüler:innen­ äußerungen ermöglichen und die Antworten kaum vorstrukturieren. Beispiele sind Fragen nach Einschätzungen oder Gefühlen (»Was hältst du vom Beten?«, »Welchen Eindruck macht dieser Text auf euch?«) Unterscheidbar sind Fragen nach ihrer logischen Beschaffenheit. So gibt es Bestimmungs- (Definitions-) oder sogenannte W-Fragen (Wer? Wie? Wo? Was? …), Entscheidungs- und Alternativfragen (»Verhält es sich so?«, »Ist das so oder so?«), daneben auch – unterrichtlich nicht empfehlenswerte  – Suggestivfragen (»Du wirst doch wohl nicht be-

Texte weiterführend einsetzen

zweifeln, dass …?«), Bekenntnisfragen (»Glaubst du an Gott?«) oder Ergänzungsfragen (»Immanuel Kant lebte stets in …?«). Hilfreich für die Vorbereitung und Durchführung von Gesprächen ist die Unterscheidung der Funktion von Beiträgen, etwa Öffnung, Steuerung, Bündelung, Polarisierung, Motivierung oder Überprüfung. Das Gespräch ist anspruchsvoll – insofern sollte es insbesondere mit jüngeren Kindern selten zum Einsatz kommen und als Methode eingeführt werden. Ungeachtet der Herausforderungen, die das Gespräch birgt, ist ein Religionsunterricht ohne Gespräch kaum denkbar und auch nicht wünschenswert – Gesprächsführung kann geübt werden, und es lohnt sich, sie zu üben (vgl. Lachmann 2010, 113–136, sowie Zimmermann 2003).

97

Funktionen

4.9 Texte weiterführend einsetzen Die Arbeit mit Texten ist im schulischen Religionsunterricht ähnlich häufig, schwierig und unverzichtbar wie das Gespräch – unverzichtbar, weil das Christentum wie Judentum und Islam konstitutiv auf eine Heilige Schrift bzw. deren »Texte« bezogen ist und deren deutende, theologisch reflektierte Fortschreibung zwar in vielerlei Zeichen (Architektur, bildende Kunst, Liturgie, Frömmigkeitsstilen usw.), aber eben immer auch im Medium von theologischen und literarischen Texten erfolgte und erfolgt. Die Arbeit mit Texten – sowohl mit Sachtexten als auch mit literarischen oder biblischen Texten – ist ihrerseits voraussetzungsreich: Sie erfordert sicheres und zügiges Lesen, sinnentnehmendes Verstehen sowie Gespür für sprachliche Feinheiten in Ausdruck und Inhalt von Texten (bzw. Sprache insgesamt), ganz zu schweigen von einer hermeneutischen Kompetenz und einer – unter anderem durch diese Fähigkeiten geförderten – Motivation, sich überhaupt in der Erwartung von Lernoder Erkenntnisgewinn mit Texten zu befassen. Für nicht wenige Menschen, etwa für solche, für die Deutsch eine Fremdsprache ist oder die in ihrer Freizeit primär visuell (Fernsehen, Internet u. a.) kommunizieren, sind dies hohe Hürden. Ungeachtet dessen ist Textarbeit für schulisches Lernen unumgänglich – und zwar in verschiedener Hinsicht. Es liegt auf der Hand, dass es im Unterricht mit Texten umzugehen und sie zielführend zu bearbeiten gilt. Zur unterrichtlichen Textarbeit gehören für die Schüler:innen Lektüre, Textanalyse und gegebenenfalls Textvariation sowie Produktion eigener Texte (Essays und Facharbeiten, aber auch Psalm-Variationen,

Dignität und Voraus­ setzungen

Textarbeit im Unterricht

98

Textbasierte Hintergrund­ arbeit

Antezipation zukünftiger Textarbeit

Typen der Textarbeit im Unterricht – Grund­ aufgaben

Ganz­ schriften im Religions­ unterricht Arbeit mit biblischen Texten

Anregungen für die Praxis

Lerntagebuch u. ä.) und seitens der Lehrenden zuallererst die »didaktische Aufbereitung« des Textes (dazu mit Erschließungsfragen Schmid 2012, 99–111) und seine Präsentation (etwa als Textauszug, als Lückentext oder Textpuzzle, als grafisch aufbereiteter Text usw.). Zudem aber sind Texte ein grundlegendes Element der Hintergrundarbeit von Schüler:innen. Je weiter sie in der Schullaufbahn voranschreiten, desto mehr wird erwartet, dass sie ein gewisses Allgemeinwissen aufbauen und somit Nachrichten lesen (und schreiben), an textbasierter Kultur (Literatur, Theater, Brief- oder Mailverkehr) teilhaben und auch längere Texte ergebnisorientiert auswerten und für andere aufbereiten können (etwa mithilfe von querlesen, exzerpieren, Texte visualisieren oder bündeln, präsentieren). Nicht zuletzt ist die Arbeit mit Texten in außerunterrichtlichen, etwa zivilgesellschaftlichen oder beruflichen Zusammenhängen, auf die die Schule vorbereiten soll, erforderlich: Protokoll schreiben (z. B. für die Schüler:innenvertretung), Sachtexte lesen (etwa Erläuterungen, Gebrauchsanweisungen u. ä.), Bewerbungen, Einladungen, Homepages mit Schrift und Bild gestalten, kulturelles Leben (Social Media, Belletristik, Museen) wahrnehmen. Der Umgang mit Texten im Religionsunterricht lässt sich seinerseits in verschiedene Hinsichten aufgliedern (vgl. dazu Arnold u. a. 2017 sowie Röckel 2006) – hier soll das Erschließen kurzer unterrichtlicher Gebrauchstexte, wie sie sich in Schulbüchern, auf Arbeitsblättern oder in Textsammlungen finden, exemplarisch in den Mittelpunkt rücken. Im Kern geht es dabei um zwei Aufgaben: Verlangsamung bzw. Fokussierung der Textwahrnehmung und Entschlüsselung bzw. Interpretation des Textes über das hinaus, was Schüler:innen im Zuge des eigenen Lesens von selbst verstehen. Beachtung verdient daneben die Arbeit mit Langtexten, etwa mit Ganzschriften wie einem der Evangelien, einem belletristischen Werk oder einem theologischen Sachbuch (dazu z. B. Baumann 2000). Von vorzüglichem Gewicht ist gerade im Religionsunterricht der interpretierende Umgang mit biblischen Texten, die in ihrer konkreten verbalen Gestalt (als Übersetzung!), in ihrem textlichen Zusammenhang und in ihrem historischen Kontext zu würdigen sind. Zudem kommt wohl an keiner anderen Textgruppe eine solche methodische, intentionale und inhaltliche Vielfalt des Auslegens zum Tragen (vgl. dazu facettenreich Zimmermann/Zimmermann 2018) – und nicht zuletzt erlaubt die Thematisierung methodisch-mediale Crossovers: die Einbeziehung von Bibelfilmen, den Besuch eines Bibeldorfes, die Nutzung des Bibliologs oder des Szenischen Interpretierens.

Texte weiterführend einsetzen

Ein eigenes Feld eröffnet die Arbeit mit literarischen Texten, die einerseits als eine Art religiöser oder religionsbezogener Texte (darunter Gedichte, Erzählungen, Romane, Liedtexte u. v. m.) und andererseits als eigenes Thema (Religion im Spiegel von Literatur) in den Blick kommen. Literatur steht in der Moderne nicht im Dienst der Kirche, der Religionen oder der Theologie, sondern sie steht ihnen selbstständig gegenüber – gleichwohl verarbeitet sie nicht selten religiöse Gestalten, Themen und Überlieferungen und wirft

99 Literarische Texte mit reli­giösen Bezügen als Medium und Thema

auf ihre Weise religiös relevante Fragen auf (vgl. Langenhorst 2011 und Langenhorst/Willebrand 2017). Die Befassung mit einschlägigen Texten kann etwa zur Zeitdiagnose und zur Beschreibung des Lebensgefühls von Menschen beitragen, biblische Texte und christliche Überlieferung verfremden und neu sehen lehren, ungewohnte Ausdrucksformen für »Religion« zur Geltung bringen, die Schüler:innen ansprechen oder provozieren. Hat man als Religionslehrer:in einen einschlägigen Roman, eine Erzählung, ein Gedicht gefunden, stellt sich die Frage ihrer Erschließung. Methodisch steht eine Fülle von Lernwegen offen von der klassischen Textarbeit bis zur Handlungs- und Produktorientierung (knapp Zimmermann 2006, 8–12; ausführlicher Röckel 2006). In inhaltlicher Hinsicht ist darauf zu achten, die Deutungsoffenheit von Literatur wahrzunehmen und gelten zu lassen, also keine Lesart zu »pressen«. Gleichwohl können, ausgehend von Impulsen der Literatur, theologische Themen, Werke, Denkfiguren erarbeitet werden. Ähnlich wie die Arbeit mit literarischen Texten steht auch diejenige mit theologischen Sachtexten vor einer doppelten Herausforderung – vor derjenigen ihrer methodisch angeleiteten, hinreichend komplexen Interpretation und vor derjenigen ihrer Findung

Theo­ logische Sachtexte

bzw. Auswahl. Das Meer der Werke ist weit und tief – eine Hilfe kann neben einer möglichst früh einsetzenden eigenen Lektüre und Sammlung von Texten bzw. Auszügen der Rückgriff auf einschlägige Textkollektionen sein (exemplarisch genannt seien Schorlemmer 2015 und Härle 2012).

Unterrichtliche Kurztexte lassen sich gewiss in funktionaler Zuspitzung auf eine bestimmte Information oder ein Argument hin lesen und auswerten. Als Anregung zur eigenverantwortlichen und entschlüsselnden Lektüre und Bearbeitung eines Textes durch Schüler:innen sollen hier indes folgende Schritte vorgeschlagen werden (die je nach unterrichtlicher Situation und Bedarf gekürzt werden können): 1. Bewusstmachen bzw. Klären des eigenen Interesses an der Lektüre: Welche Frage will ich beantworten? Woraufhin soll der Text im Rahmen des Unterrichts gelesen werden? 2. Kursorische Erstlektüre: Worin erkenne ich Pointen des Textes und eine argumentative, rhetorische oder sprachbildliche Linie? 3. Einholen von Informationen zur:zum Autor:in, zu deren ideellem bzw. religiösem Hintergrund und zu öffentlichen Positionen,

Erschließung kurzer Unter­ richtstexte

100

Anregungen für die Praxis

4. Einordnen eines Aufsatzes oder Textauszuges in seinen Kontext (sofern verfügbar: Lesen ergänzender Abschnitte des Buches wie Vorwort, Inhaltsverzeichnis oder Zusammenfassung; Charakterisierung der Zeitschrift oder der Homepage, in bzw. auf der ein Text publiziert wird; Einordnung in die Debattenlage der Entstehungszeit). 5. Systematisches Durcharbeiten des Buches bzw. Aufsatzes: farbig differenzierte Unterstreichungen bzw. Markierungen (etwa grau für zentrale Passagen, blau für wichtige Begriffe, grün für Eigennamen, gelb für grundlegende Sachinformationen), Randbemerkungen oder Notizen zu Verständnisschwierigkeiten und eigenen Urteilen (z. B. mithilfe der Västeras-Methode: ! = wichtige Passage, ? = nicht verstanden bzw. klärungsbedürftig, ← = für mich persönlich wichtig). 6. Versuchen, das Gelesene in wenigen Sätzen zusammenzufassen. Wenn das nicht gelingt, unklare Passagen gezielt nachlesen! 7. Aktives Weiterverarbeiten des Textes: Exzerpieren, Visualisieren, Variieren des Textes oder Verfassen einer Antwort bzw. eines Gesprächsbeitrags. Hinführung zu Methoden und Texten

Religionslehrende sind – ganz gleich ob grundständig ausgebildete Lehrer:innen oder Pfarrer:innen im Schuldienst – ihrerseits formal hoch gebildet und durch ihre Schullaufbahn bis zum Abitur sowie das Studium wie selbstverständlich vertraut mit verschiedensten Formen der Textarbeit und zudem mit Texthermeneutik. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, sich mögliche Hürden von Schüler:innen auf ihrem Weg zum Lesen, Verstehen, Be- und Verarbeiten von Texten vor Augen zu führen und die Hinführung zu einschlägigen Methoden, aber vor allem auch zu den Texten selbst – zu biblischen Texten, literarischen Werken oder auch zu (theologischen) Sachtexten  – als einen Teil ihrer Aufgabe anzuerkennen: »Christlicher Religionsunterricht ist grundlegend ein textbasiertes Lehr-Lern-Geschehen. Über alle medialen Veränderungen hinweg erweist sich religiöses Lernen als komplexes Zusammenspiel von Hören, Lesen, Schreiben und Deuten« (Langenhorst 2021, 391).

4.10 Bilder und visuelle Medien einbeziehen Bild als Medium und Thema

Literarische Texte (mit religiösen Bezügen), so hieß es eben, kommen einerseits als ein Medium religiöser oder religionsbezogener Kommunikation in den Blick des Religionsunterrichts und der Religionsdidaktik,

Bilder und visuelle Medien einbeziehen

andererseits als eigenes Thema (Religion im Spiegel von Literatur). Ähnlich verhält es sich mit Bildern bzw. Werken der bildenden Kunst. Doch während für biblische und theologische Texte (s. 4.9) sowie für die sprachliche Kommunikation bzw. das Gespräch (s. 4.8) gilt, dass sie aus einer christlich-theologischen Perspektive prinzipiell hoch geschätzt wurden und werden, gilt dies für Bilder nicht. Im Gegenteil: Bilder – konkret also: Ikonen und Heiligenfiguren, z. T. Reliquien – standen wiederkehrend (etwa in der Alten Kirche und in der Reformation) unter dem Verdacht, theologisch illegitim zu sein (sog. Bilderverbot), zur Häresie zu verleiten oder schlicht vom Wesentlichen – dem Wort Gottes, dem Wort der Schrift und dem Wort der Verkündigung – abzulenken. Allerdings fanden sich den Bilderstürmern (»Ikonoklasten«) gegenüber immer wieder auch Stimmen, die Bild und Kunst als Veranschaulichung des Wortes Gottes, als Übersetzung der Schrift in einen anderen Sinneskanal und als eigenständiges Medium der Verkündigung verteidigten – und zwar insbesondere in der Orthodoxie und im Katholizismus, aber auch in den Protestantismen (sowie ganz ähnlich auch in Judentum und Islam; dazu Schröder u. a. 2013). Diese Strittigkeit des Bildes kann und soll ihrerseits durchaus Thema des Religionsunterrichts werden, denn hier geht es in anschaulicher Weise um religiöse Grundfragen: Bedeutung und Gestalt des Wortes, Kommunikation von Theologie im Alltag und in bildungsferne Kontexte, Verhältnis von Kirche bzw. Religionsgemeinschaft zu Leib und Sinnlichkeit, Verhältnis von Medium und »message«. Ein neues Kapitel der theologischen wie der didaktischen Auseinandersetzung mit Bildern wird durch Medialisierung bzw. Digitalisierung eröffnet. Waren die ältesten kulturellen Bruchlinien der Menschheitsgeschichte auf Wort, Schrift und Text bezogen – Erfindung der Schrift und Erfindung des Buchdrucks –, so sind die beiden jüngsten (auch) auf Bilder und mehrsinnige Ästhetik bezogen – Etablierung des Fernsehens und der digitalen Medien. Insbesondere digitale Medien (und ihre noch erst am Anfang stehende technische, infrastrukturelle und kommunikative Entwicklung) revolutionieren Kommunikation. Sie tun das u. a. durch deren Beschleunigung und ihre Abkopplung von physischer Präsenz, durch ihre Verschiebung vom akustischen Sinneskanal hin zur visuellen Präsentation und durch die Neuformatierung von Darstellungs- und Denkstrukturen: An die Stelle einer linearen Systematik tritt das Netzwerk. Mit anderen Worten: »Medialisierung und Digitalität verändern das Koordinatensystem menschlicher Existenz: Zeitlichkeit, Räum- und Leiblichkeit, Sinnlichkeit, Kog-

101

Umstrittenes Bild

Medialisie­ rung und Digitalität

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Bilddidaktik

Maximen

Fünf-PhasenModell der Bildrezeption

Anregungen für die Praxis

nition, das Verhältnis von Realität und Virtualität« (Schröder 2021a, 9; vgl. §§ 7 und 41); sie evozieren damit auch alte theologische Fragen neu und werfen neue auf (vgl. Beck u. a. 2021). Dass die Schule und mit ihr der Religionsunterricht auf diese kulturelle Wende reagieren bzw. auf den Umgang mit ihr vorbereiten müssen, ist unstrittig (vgl. oben 3.8): Bilddidaktik und eine Religionsdidaktik primär visueller, digitaler Medien gewinnen beide ein deutlich erhöhtes Gewicht – sie bleiben allerdings unterscheidbar. Bilddidaktik ist traditionell auf den unterrichtlichen Umgang mit einem einzelnen Werk der bildenden Kunst – vom Bild als Kunstwerk über das Foto und die Karikatur bis hin zur dreidimensionalen Plastik – bezogen. Ihr Interesse richtet sich darauf, dem Bild in seiner ästhetischen Qualität und als spezifischem Medium von Gehalten Geltung zu verschaffen – gegen vier immer wieder auftretende ›Gegner:innen‹: gegen die Indienstnahme des Bildes für theologische oder religionsgemeinschaftliche Vorgaben (die dessen Mehrdeutigkeit verkennt oder ausblendet), gegen sein Verständnis als bloßer Informationsträger (dessen Gestalt demnach keiner Beachtung bedarf), gegen seine lediglich flüchtige und oberflächliche Zurkenntnisnahme (die der ›Ausstrahlung‹ eines Bildes und deren Zeit- und Raumbedarf keine Chance gibt), gegen eine passivisch gedachte Rezeption des Bildes (die dem eigenen ästhetischexpressivem Vermögen der Bildbetrachter:innen nicht Rechnung trägt). Positiv gewendet ergeben sich vier grundlegende Maximen der Bilddidaktik: Die Mehrdeutigkeit von Bildern (be-)achten! Seiner ästhetischen Gestalt (mindestens) ebenso viel Aufmerksamkeit schenken wie seinem Gehalt! Die Wahrnehmung des Bildes verlangsamen! Dem kreativen Potential von Lernenden Raum geben! Als mittlerweile klassische Anleitung zur Bilderschließung kann das Fünf-Phasen-Modell von Günter Lange dienen (vgl. Lange und Burrichter/Gärtner, 2014 19–21): In einer ersten Phase (Spontane Wahrnehmung) geht es darum, das Bild ohne steuernde Vorgaben wahrzunehmen und die Beobachtungen zu versprachlichen: Was sticht ins Auge? Welche Details nehme ich wahr? In Phase zwei geht es um die Fokussierung der Bildgestalt (Kriteriengeleitete Analyse der Form). Welche Farben, Formen und Strukturen sind erkennbar? Wohin und mit welchen Mitteln lenkt die Künstlerin oder der Künstler die Aufmerksamkeit der Betrachter:innen? In Phase drei kommen Wirkungen des Bildes zur Geltung (Selbstwahrnehmung der Bildbetrachter:innen): Welche Stimmung erzeugt es, welche Fragen generiert es, welchen Impuls

Bilder und visuelle Medien einbeziehen

103

löst es aus – bei mir? Phase vier konzentriert sich auf die Bedeutungen des Bildes (Interpretation des Bildgehaltes). Welche Themen ruft es auf? Bezieht das Bild Stellung zu etwas? Wie steht das Bild zum Kontext seiner Entstehung (künstlerische und gesellschaftliche Strömungen, religiöse oder theologische Debatten, Zeitläufte)? Und in der letzten, fünften Phase zieht die Betrachterin oder der Betrachter Bilanz (Bedeutung des Bildes für mich): Spricht das Bild mich an? Kann es mich längere Zeit begleiten? Diese Herangehensweise braucht Zeit und rückt insofern das Bild ins Zentrum einer Unterrichtssequenz. Gleichwohl können Bilder im Religionsunterricht verschiedene didaktische Funktion erfüllen – vorzugsweise können sie (in der Eröffnungsphase) motivieren, irritieren und Probleme vor Augen stellen oder (in der Erarbeitungsphase) Gegenstand bzw. Thema werden und zur Erweiterung von Wahrnehmungs- und Deutungskompetenz beitragen; nicht zuletzt kann dasselbe Bild zu Beginn und am Ende einer Lernsequenz unter unterschiedlichen Gesichtspunkten oder im Blick auf die inzwischen erweiterten Seh-Fähigkeiten betrachtet werden. Didaktisch-methodische Möglichkeiten gibt es viele (Burrichter/Gärtner 2014)! Und auch bildaffine didaktisch-methodische Herausforderungen gibt es etliche – sie einzubeziehen, kann den Religionsunterricht enorm bereichern. Einem dreidimensionalen Bild, einer Plastik, wird man schwerlich im Religions-

Artefakte

unterricht ansichtig – bei Exkursionen aber sehr wohl: Das »Kolumba« in Köln (www. kolumba.de) kann ebenso besucht werden wie das »Denkmal für die ermordeten Juden Europas« in Berlin oder die Plastiken im öffentlichen Raum von Stephan Balkenhol in Kassel. Unter das Stichwort »Artefakte« fällt aber noch viel mehr: der Talar, die Buddha-Statue, das Buch (etwa die Altarausgabe der Heiligen Schrift) oder die Tora-Rolle, das Oster-Ei ebenso wie der Pessach-Teller, nicht zuletzt ›eigene religiöse Gegenstände‹ (Beckmayer 2022). Das einzelne Bild ist in etlichen Kunstgattungen eingewoben – etwa im Film oder im Comic. Letztere finden unterrichtlich nur selten Beachtung, obwohl es eine Fülle an

Sequential Art – Comics

Comics mit religiösen Bezügen gibt (die z. B. interreligiöses Lernen stimulieren können) und Comics gute Chancen bergen, Schüler:innen anzusprechen, die ästhetische, lernstilistische und religiös-weltanschauliche Präferenzen haben, die sonst kaum zum Zuge kommen (dazu Pohl-Otto 2022). Filme sind hingegen seit Langem Medium im Unterricht – zwar hat der für Unterrichtszwecke produzierte Film an Bedeutung verloren (allerdings feiert er in der sog. TED-Konferenz und im Youtube-Video seine heimliche Rückkehr), ansonsten jedoch

Filme und digitale Medien­ landschaften

104

Anregungen für die Praxis

sind (Fernseh-, Kino- und Digitalkanal-)Filme allgegenwärtig, nicht selten bestimmend für die Agenda Jugendlicher und thematisch relevant für den Religionsunterricht (zur medienwissenschaftlichen Erschließung vgl. etwa Grampp; Medienangebote sind über das Medienportal der evangelischen und katholischen Medienzentralen  – https:// medienzentralen.de – zu finden).

Religions­ didaktik digitaler Medien

Im Vergleich zur Bilddidaktik steckt die Religionsdidaktik digitaler Medien noch in ihren Kinderschuhen (vgl. Schröder 2021a, § 41). Für den Religionsunterricht wäre schon etwas gewonnen, wenn digitale Medien in Gebrauch genommen würden (siehe Diersch/Pfister 2022), wenn Phänomene aus der digitalen Welt, die insbesondere in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen ubiquitär und permanent verfügbar sind, analysiert würden (siehe Grampp), wenn gelegentlich ein Serious Game zum Einsatz käme (Pirker 2021) und wenn Jugendliche im Rahmen des Religionsunterrichts oder eines Projekttages zu religionsbezogenen Themen selbst medienproduzierend und -gestaltend aktiv werden könnten: Eine TED-Konferenz zu einer Fragestellung des interreligiösen Lernens, das Drehen eines Erklärvideos, eine Onlineandacht im Stil der Basiskirche (www.youtube.com/basiskirche), die Dokumentation einer Unterrichtsreihe im Padlet sind kein Ding der Unmöglichkeit und würden (vorbehaltlich einer tiefergehenden Evaluation) für etliche Schüler:innen motivierend wirken.

4.11 Bibel thematisieren

Themen­ kanon des Religions­ unterrichts

Bibel als grund­legender Bezugspunkt

In Unterrichtsgesprächen, Texten und Bildern wird eine Fülle an religionsunterrichtlichen Themen aufgerufen. Sie werden in Lehrplänen bzw. Kerncurricula und auch in religionsdidaktischen Abhandlungen vorzugsweise in der Sprache Systematischer Theologie zusammengefasst. Die Themen »Gott« (Theologie), »Jesus von Nazareth, der Gesalbte/Christus« (Christologie), »Mensch« (Anthropologie), »verantwortliches Handeln« (Theologische Ethik), »Zukunft und Hoffnung« (Eschatologie), »Kirche und Kirchen« (Ekklesiologie) sowie »nicht christliche Religionen« (Theologie im Dialog und Vergleich) stecken den größten Teil des Religionsunterrichts evangelischer oder katholischer Prägung ab (vgl. EKD 2010 und EKD 2011; anders EKD 2018a). Evangelischer Religionsunterricht greift – und das entspricht dem Selbstverständnis bzw. den »Grundsätzen« der evangelischen Kirche –

Bibel thematisieren

im Durchgang durch alle diese Themen auf biblische Texte oder Verse, auf Personen, Begriffe und Denkfiguren zurück. Die Bibel fungiert als geschichtlich und sachlich ursprüngliche Impulsgeberin sowie als Bezugspunkt, an dem sich die Herleitung, Begründung und Geltung theologischer Sätze ausweisen muss – evangelische Theologie ist »biblisch veranlasste Theologie« (Ritschl 1984, 13 u. ö.). Nichtsdestotrotz ist die Bibel wiederum »in ihrem geschichtlichen Zusammenhang zu verstehen und in jeder Gegenwart einer erneuten Auslegung bedürftig« (EKD 1971; s. Kap. 8.3). Gerade im Rahmen von Unterricht markiert die Bezugnahme auf die Bibel in einer für Schüler:innen nachvollziehbaren Weise sowohl den normativen Bezugspunkt des Christentums als auch die Notwendigkeit historischer Tiefenschärfe (angesichts einer zweitausendjährigen Christentumsgeschichte) und die Unerlässlichkeit hermeneutischer Reflexion. Der angemessene Umgang mit der Bibel und ihren Texten muss deshalb wiederkehrend Thema des Unterrichts werden. Religionsunterricht lässt sich somit schwerlich erteilen, wenn der:die Religionslehrer:in im Blick auf Bibelkunde, (historisch-kritische) Verfahren der Bibelauslegung, Auslegung exemplarischer biblischer Bücher oder Texte, Bibelhermeneutik und Bibeldidaktik ohne gründliche Kenntnis ist und einer gewissen Sicherheit im Umgang mit einschlägigen Fragen ermangelt. Vielmehr gehört dies alles zu ihrem unerlässlichen »Hintergrundwissen«. Mehr noch: Er:sie muss in einem existenziellen Sinn »etwas mit der Bibel anfangen können« (vgl. Schröder 2017). Das heißt nun allerdings nicht, dass all diese Wissensbestände auch unmittelbar an die Schüler:innen herangetragen werden müssen – die Bibel als Buch und die Fülle der Auslegungsfragen als solche in den Mittelpunkt des Religionsunterrichts zu stellen, wäre, im Gegenteil, ein »Selbstmissverständnis« (Hans Bernhard Kaufmann). Schüler:innen wollen und sollen ja nicht ihrerseits Expert:innen für die Bibel werden. Sie benötigen vor allem diejenigen Kenntnisse und Erfahrungen, die ihnen helfen, christliche Religion entwicklungsgerecht zu verstehen und auf ihre Tragfähigkeit hin zu prüfen. Konkret umfasst auch dies bereits eine Fülle biblischer und bibelbasierter Phänomene, vorzugsweise: biblische Rede von Gott (etwa in den Väter- und Müttergeschichten und Psalmen), Leben und Wirken, Kreuz und Auferweckung Jesu (Evangelien), Ethos und Ethik im antik-biblischen Israel und unter den ersten Christ:innen (Deuteronomium, Propheten, jesuanische Ethik, Paulus), Entstehung von Juden- und Christentum im Horizont Israels.

105

Religions­ lehrer:in und Bibel

Bibel für Schüler:innen

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Anregungen für die Praxis

Biblisches Wirklich­ keits­ verständnis

Diese Themen sind als solche wissens- und verstehenswert. Ihre unterrichtliche Erarbeitung dient zugleich dazu, einen

Bibel­ didaktik im Plural der Kon­ zeptionen, Methoden und Medien

Die Geschichte der Bibeldidaktik zeigt, dass nicht eine Konzeption allein diesen Anliegen Rechnung tragen kann: Zwar ist die »Hermeneutische Religionsdidaktik« in ihren Grundzügen unverzichtbar, doch auch die »thematisch-problemorientierte« und die Zeichendidaktik tragen Wesentliches bei (vgl. Zimmermann/Zimmermann 2018, 397–488). Derzeit stehen so viele didaktische-methodische Zugänge und auch Medien, die helfen können, die Bibel zu erschließen, wie noch nie zur Verfügung.

»Zugang [zu gewinnen] zu dem theonomen Wirklichkeitsverständnis, das biblische Texte facettenreich entfalten und das, mehr oder weniger transformiert, in Christen- und Judentum fortlebt: ›Grundentscheide‹ (Horst K. Berg), ›Schlüssel‹ (Peter Müller) oder ›Grundmotive‹ (Gerd Theißen) fassen es zusammen« (Schröder 2021a, 440).

Exemplarisch genannt seien etwa die Zeitschrift »Welt und Umwelt der Bibel« (Katho­ lisches Bibelwerk, Stuttgart), das »Bibeldorf Rietberg« (www.bibeldorf.de) oder das Frankfurter »Bibelhaus Erlebnis Museum« (www.bibelhaus-frankfurt.de), der Jesus-­ Roman des Neutestamentlers Gerd Theißen (»Der Schatten des Galiläers«, 1986–262019), »Bibel digital« (»bibelreport« der Deutschen Bibelgesellschaft 3/2019) oder das digitale Spiel (»game«) »One of the 500« (in Entwicklung, www.oneof500-game.com/de/).

Bibel­ erschlie­ßung im Zusam­ menspiel der Lernorte

Nicht minder wichtig ist die Einsicht, dass nicht der schulische Religionsunterricht allein »Bibel und biblisches Wirklichkeitsverständnis« erschließen kann: »Andere Lernorte – Familie, Gemeinde, vor allem Kinder- und Kon­fir­ mandenarbeit und Gottesdienste, [spezialisierte Orte wie Bibelgärten, Bibeldörfer und Bibelmuseen,] Medien – tragen dazu bei, wenngleich oft nicht gleichsinnig, möglicherweise nicht zufriedenstellend, nicht aufeinander bezogen. Doch für die einzelnen Lernenden ist das Ganze mehr als die Summe der Teile – positive Bezugnahmen auf andere BibelLernorte, rückblickend-biografisches Reflektieren und Analysen von Medien und deren Bibelgebrauch, sind Bausteine einer Bibeldidaktik, die sich nicht in erster Linie der Schule, sondern den Lernenden gegenüber verantwortet!« (Schröder 2021a, 442)

Fragen der Lebensführung und -deutung theologisch bearbeiten

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4.12 Fragen der Lebensführung und -deutung theologisch bearbeiten So grundlegend es ist, die Bibel und das biblische Wirklichkeitsverständnis zu thematisieren, so unverzichtbar ist es für den schulischen Religionsunterricht, ausdrücklich und programmatisch aktuelle Fragen der eigenen Lebensführung und -deutung von Schüler:innen aufzugreifen. So wie Religionsunterricht theologisch sachgemäß sein muss, hat er auch auszuweisen, was er zum gegenwärtigen und womöglich zum zukünftigen Selbst-, Welt- oder Gottesverständnis der Lernenden beiträgt (oder jedenfalls beitragen will). Solche Beiträge sind aus bibeldidaktischen Sequenzen ebenso zu gewinnen wie aus ökumenischem und interreligiösem Lernen, sie sollten jedoch auch in eigens ihnen gewidmeten Unterrichtsreihen adressiert werden. Folglich gibt es einen Reigen unterrichtlicher Verfahren, die helfen, diesen Fragen der Lebensführung und -deutung auf die Spur zu kommen. Gewiss liegen manche von ihnen gesellschaftlich auf der Hand – die Frage nach gutem und zugleich nachhaltigem Leben angesichts des Klimawandels, die Frage nach dem, was trägt und lohnt, wenn Entfaltungsmöglichkeiten unter pandemischen Bedingungen eingeschränkt werden, die Frage, ob Glaube überhaupt vernünftig sein kann, wenn das Leben vieler Erwachsener (insbesondere jener, die als wirtschaftliche, politische oder kulturelle »Eliten« der Gesellschaft gehandelt werden) allein von naturwissenschaftlich-technischer Vernunft und ökonomischer Zweckrationalität geleitet wird. Doch bleibt herauszufinden, was in der jeweiligen Lerngruppe obenauf oder hintergründig als relevant betrachtet wird. Beispielsweise kann man als Religionslehrende:r für jedes Schulhalbjahr die Behandlung eines Wunschthemas vorsehen, das die Schüler:innen wählen dürfen. Auch Lerntagebücher, Halbjahresessays zur »Bilanz des Religionsunterrichts«, eine Art »Soziogramm«, in dem Schüler:innen je für sich illustrieren, wie nahe ihnen Personen, Probleme, Herausforderungen sind, Graffiti-Fotojagd im Stadtviertel und Ähnliches mehr können ebenso wichtige Fingerzeige geben wie Tür-und-Angel-­Gespräche oder ritualisierte »Worte zum Tag« (dazu Kap. 4.14). Nicht zu vernachlässigen ist jedoch auch die Achtsamkeit auf Fragen und Kommentare von Schüler:innen im Rahmen »ganz normaler Unterrichtsreihen« – aus einem »Was soll das denn?«, »unnötig« oder »cringe« lässt sich nicht selten rekonstruieren, welche Herausforderung eine Schülerin oder einen Schüler eigentlich umtreibt.

Methoden der Themen­ findung

108 Soziali­sations­ begleitender Unterricht

Individuel­ les Symbo­ lisieren

Ein provo­ kanter Ansatz: Religions­ bildende Religions­ didaktik

Anregungen für die Praxis

Die klassische religionsdidaktische Konzeption für einen Unterricht, der die eigene Lebensführung und -deutung thematisiert, ist die »thematische Problemorientierung« bzw. deren Zuspitzung zum »sozialisationsbegleitenden Unterricht«. Letzterer will »den Schüler selbst zum Gegenstand des Unterrichts« (Dieter Stoodt) machen und versucht dem durch Biografiearbeit, durch Aufgreifen politisch-gesellschaftlicher Tagesthemen und durch interaktionale Unterrichtsmethodik (Diskussion, Collage, Gruppenarbeit im Projekt-Stil u. a.) gerecht zu werden (vgl. Schröder 2021a, 425 f.) In Anlehnung an das Theologisieren und Philosophieren mit Kindern lassen sich Statements der Schüler:innen zu ihrer Lebenslage bzw. ihrer Lebenseinstellung einholen und zum Initial für Unterrichtsreihen machen. »Was macht mich glücklich?« oder »Was mir heilig ist …« beantworten Schüler:innen  – gute pädagogische Beziehung (Kap. 4.1) vorausgesetzt – durchaus freimütig. Ob ihre Statements der Lerngruppe oder allein dem:der Lehrenden zugänglich werden, entscheiden die Autor:innen selbst; anonymisiert können thematische Facetten dessen, was die Schüler:innen zu erkennen geben, aufgegriffen, mit theologischen Fragestellungen und Denkfiguren assoziiert und so zum Gegenstand gemeinsamen Nachdenkens und Beratens sowie »individuellen Symbolisieren[s]« werden (vgl. Rosenow 2016 und 2021). Joachim Kunstmann (2021, 406 und 400) hat die »Anleitung zur eigenen Symbolisierung« zur Schlüsselaufgabe einer Religionsdidaktik erklärt, die »religionsbildend« sein, also in einen religiösen Bildungsprozess einladen und zur Förderung von Religiosität beitragen will. Die herkömmlichen didaktischen Arrangements haben demgegenüber weitgehend ausgedient, wenn »gestaltete und institutionsgebundene Religion […] immer mehr [verblasst]«, »Religion […] zur Privatsache« oder zur »Museums-­Religion« wird (338, 356 und 358). In Religion (und folglich auch im Religionsunterricht) sollte es vielmehr um »ein tiefes Erleben [gehen], das religiös gedeutet wird« (369). »Die Fragen freilich, die diese Erlebnisse auslösen, haben sich erheblich verschoben. Es sind heute vor allem die Frage nach dem Sinn von allem (›Wozu mache ich das alles überhaupt?‹), nach dem Wert des eigenen Lebens (›Wer bin ich als Mensch – unabhängig von meiner Leistung, meinem Erfolg und meiner sozialen Attraktivität?‹) und die Frage nach der Lebensenergie (Motivationslosigkeit, innere Leere, mangelnde Lebensfreude […]), die sich als ein umfassender Resonanzverlust beschreiben lassen, den frühere Zeiten so nicht kannten. Es sind genau diese Erfahrungen, die auch religionsdidaktisch zentral sind.« (370)

Zeichen und deren religiösen Gebrauch verstehen lehren

109

Auch wenn dies nicht so radikal schüler:innenorientiert klingt wie die drei soeben skizzierten Konzeptionen, ist doch daran zu erinnern: Zeitgenössische Religionsdidaktik gleich welchen Zuschnitts versteht die jeweils vorfindlichen Schüler:innen als Ausgangspunkte des Unterrichts. Andere als diese hat ein:e Religionslehrer:in nicht zu Verfügung, und es ist eben genau die Aufgabe, diese Schüler:innen zu fördern und zu fordern. Sie möglichst unverstellt wahrzunehmen und zu verstehen versuchen – nicht zuletzt im Blick auf ihre Haltung zu einem Unterrichtsthema (dazu Anregungen von Rupp 2009) –, ist also unerlässlich. Manchmal allerdings können die Baustellen der eigenen Lebensführung und -deutung im Durchgang durch eine »fremde« Thematik oder im Spiegel einer anderen Problematik klarer erkannt, der eigene begrenzte Horizont hilfreich geweitet und eine Perspektive erkennbar werden, die bis dahin verschlossen war.

4.13 Zeichen und deren religiösen Gebrauch verstehen lehren Religionsunterricht zielt darauf, Lernende zum prozessbezogenen kompetenten Umgang mit religiös relevanten Fragen und Themen zu befähigen und materiale Gehalte der christlichen Religion mit anderen Religiositäten und Religionen kritisch zu kommunizieren (vgl. Kap. 1.5). Deshalb liegt ihm am Aufbau eines Vorrates an Herangehensweisen an religiöse Themen und Methoden (vgl. etwa Kap. 4.9 und 4.10) ebenso wie an der doppelseitigen Erschließung bestimmter Inhalte (vgl. etwa Kap. 4.11 und 4.12). Quer zu diesen Anliegen und durch sie hindurch stellt sich dem Religionsunterricht eine Aufgabe, die in einem religiös pluralen und weithin konfessionslosen Kontext weiter an Gewicht gewinnt: die Aufschlüsselung und das Verstehen von Eigenarten religiöser Sprache oder – um einem ersten Missverständnis vorzubeugen, es ginge nur um verbale Kommunikation – religiöser Ausdrucksformen bzw. Zeichen. In den Debatten um dieses Aufgabenfeld (und in angrenzenden Diskursen etwa um Semiotik, um den Religionsbegriff und um die Analyse von Kommunikation und Medien) ist – entgegen einem weit verbreiteten zweiten Missverständnis – deutlich geworden, dass es keine religiöse Sprache, keine religiösen Ausdrucksformen und keine religiösen Zeichen an sich gibt. Was es gibt, sind Sprache, Ausdrucksformen und Zeichen, die auch im Umgang mit Religion und Religionen zum Einsatz kommen (z. B. die Sprachform Metapher, die Ausdrucksform Wandern bzw. Pilgern, das Zeichen Wasser),

Religiöse Sprache

110

Vorläufig­ keit und Uneigentlich­ keit aller Zeichen

Bestimmte Zeichen­ vorräte einer Religion

Religions­ unterricht als Sprach­ schule oder Zeichen­ werkstatt

Anregungen für die Praxis

sowie einen bestimmten Gebrauch bzw. eine bestimmte Deutung dieser Sprache, dieser Ausdrucksformen und Zeichen aus einer bestimmt-religiösen, also evangelischen, orthodox-jüdischen, schiitischen Perspektive. Diese scheinbar abstrakte Einsicht ist für religiöse Bildung von schlechterdings grundlegender Bedeutung – denn das Verstehen von Zeichen und deren rechter Gebrauch im Feld der Religion und aus religiöser Perspektive ist entscheidend für eigentlich alle materialen Einsichten in Religionen und den Umgang mit ihnen (vgl. Dressler 2018, 137–152, hier 143 f., sowie Englert 2013, 171–242 oder Meyer-Blanck 2018, 61–82). Zwei Implikationen dieses Grundgedankens seien benannt. Erstens: Zeichen – seien es Worte, Gesten oder Artefakte – bilden die Sache, auf die sie verweisen, nicht ab. Sie sind vielmehr Anstoß und Haftpunkt für die Generierung von Bedeutung durch diejenigen, die sie gebrauchen. In der Sprache der Semiotik formuliert: Das Zeichen (der Signifikant) ruft Bedeutungen (die Signifikate) auf, nicht aber »die Sache selbst« (den Referenten). Und ein Beispiel von zentraler Bedeutung: Das Wort »Gott« wird in Form von Gottesbildern, Attributen Gottes, Anreden Gottes im Gebet, etwa durch das »Unser Vater«, mit Deutungen versehen. Doch das, was man als Wesen Gottes aufruft, wird davon nicht erfasst und kann davon nicht erfasst werden. Der menschliche Zeichengebrauch bleibt notwendigerweise vorläufig oder uneigentlich. Zweitens: Zugleich kann (fast) alles als Zeichen für das Feld der Religion und aus religiöser Perspektive aufgegriffen werden – das zeigt sowohl die Fülle der Zeichen im weltweiten Kosmos der Religionen als auch die Ingebrauchnahme neuer Zeichen für Religion etwa in der Jugendsprache. Unbeschadet dessen gibt es einen geschichtlich gewachsenen, in der jeweiligen verfassten Religion, also etwa in der evangelischen Kirche in Deutschland, üblichen und aus deren Quellen gespeisten bzw. herleitbaren Vorrat an Zeichen, den es zu verstehen gilt, wenn man eine bestimmte Religion gedanklich (und vielleicht auch glaubend und praktizierend) nachvollziehen will. Ohne dies bleibt Religion leer und unreflektierbar. Schulischer Religionsunterricht ist – angesichts seiner großen Reichweite und seiner heterogenen Schüler:innenschaft – besonders dazu herausgefordert, als »Sprachschule« in Sachen Religion zu fungieren und die Schüler:innen in eine religionsbezogene Zeichenwerkstatt einzuladen. Das kann er nur dann, wenn er fortlaufend Sprache bzw. Zeichen als solche thematisiert und Eigenarten ihrer Deutung und Ingebrauchnahme in einer bestimmten Religion (oder in mehreren bestimmten Religionen) herausarbeitet (vgl. dazu Altmeyer u. a. 2021).

Zeichen und deren religiösen Gebrauch verstehen lehren

Der katholische Religionspädagoge Hubertus Halbfas (1932–2022) hat dies wie nur wenige andere gesehen und in diesem Sinne Sprachschulung als ein Element des Curriculums operationalisiert. In dem von ihm – erstmals in den 1980er-Jahren – konzipierten und geschriebenen »Religionsbuch« (für die Klassen 1–10) sind durchgängig Sequenzen zum »Sprachund Symbolverständnis« vorgesehen, die Schüler:innen mit der Metapher (Gleichnis) und dem Symbol, der Legende und dem Mythos, dem Dogma und dem Gebet vertraut machen. Darüber hinaus wird diese Einübung in den Gebrauch und Deutungsbedarf verbaler Sprache von einer systematischen Schulung des Bibelverständnisses und der Einführung in Epochen des Kirchbaus und in die Auslegung anspruchsvoller bildender Kunstwerke begleitet – so gelingt es dem Autor, deutlich zu machen, wie sehr Religion auf Hermeneutik angewiesen ist und wie Kinder und Jugendliche eben diese Hermeneutik erlernen können (vgl. Halbfas 2012). Es ist ohne Frage grundlegend wichtig, Schüler:innen durchsichtig werden zu lassen, dass beispielsweise ein biblisches Gleichnis – anders als ein Nachrichtentext, der einen Sachverhalt zur Kenntnis bringen will – nicht eins zu eins als »Sachverhaltsbehauptung« (Dressler 2018, 144), sondern in einem übertragenen Sinn zu verstehen ist. Dafür wird je aufs Neue eine Verstehensbemühung bzw. eine hermeneutische Reflexion erforderlich. Doch Religionsunterricht gemäß Art. 7.3 GG kann und soll sich nicht in der Vermittlung dieser formalen, zeichen- und erkenntnistheoretischen Einsicht erschöpfen. Evangelischer Religionsunterricht etwa kann und soll darüber hinaus als »Sprachschule für die Freiheit« (Ernst Lange) dienen. Das heißt: Die in der Tradition des Protestantismus als normativ erachteten Texte (Zeichen) haben einen Richtungssinn; sie zielen darauf, dass Menschen, die sich Gott anvertrauen, als frei verstehen können – frei von Sachzwängen, Kleinmut und Mangel an Hoffnung auf eine Verbesserung aller Dinge (Jan Amos Comenius), frei zu Vertrauen, liebender Hingabe und Verantwortung. Und so wichtig es ist, dergleichen zu verstehen, so bedeutsam ist es, im Religionsunterricht auch Gelegenheit zu geben, die erlernte Sprache in Gebrauch zu nehmen. Es geht also darum, Sprachmuster wie Gleichnis, Erzählung, Gebet in eigenen Worten zu formulieren und zu sprechen, Zeichen wie Gesten bzw. Körperhaltungen oder Kirchgebäude und ihre Einrichtung zu erkunden und sich darin zu erfahren, Bilder und Artefakte zu erschließen – Kinder- und Jugendtheologie, performative Didaktik und Religion im Schulleben, Kirchraumpädagogik und Bilddidaktik geben dafür Anregungen.

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Materiale Pointe: Sprachschule der Freiheit

Prozedurale Pointe: Sprache selbst in Gebrauch nehmen

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Anregungen für die Praxis

Ein weiteres Feld der Ingebrauchnahme ist der intra- und interreligiöse Dialog: Sowohl christliche Konfessionen (vgl. Dirscherl/Hailer 2021) als auch die in Deutschland vor allem relevanten Religionen Judentum, Islam und Buddhismus (Akademie der Weltreligionen u. a. 2014 ff.) pflegen signifikant unterschiedliche Zeichenvorräte, über die im Religionsunterricht gesprochen wird – nach Möglichkeit im Dialog mit Schüler:innen, die diesen Konfessionen bzw. Religionen angehören.

4.14 Rituale gestalten

Morgenkreis

Wort zum Tag

Religionsunterricht dient dem Lernen über und von Religion. Er ist nicht mit Verkündigung gleichzusetzen (wie es noch die Evangelische Unterweisung der Nachkriegszeit meinte) und ist auch nicht als »Kirche in der Schule« zu verstehen. Gleichwohl kann Religionsunterricht Bezüge zu gelebter Religion herstellen – von performativer Didaktik, Religion im Schulleben sowie Nachbarschaft von Schule und Gemeinde war in diesem Sinne schon die Rede (Kap. 2.5). Ein weiterer möglicher Brückenschlag zwischen gelehrter und gelebter Religion im Religionsunterricht soll hier in den Blick kommen: die ritualisierte Eröffnung oder Schließung des Unterrichts. Sie ist weder im Lehrplan vorgesehen noch sonst wie verbindlich. Aber sie kann – in bestimmten Schulformen, gegebenenfalls auf Zeit und in unterschiedlicher Gestalt – sinnvoll sein (Anregungen primär für die Grundschule bei Kurt 2013). Insbesondere in der Grundschule und in den ersten Klassen der Sekundarstufe etwa ist ein Morgenkreis nicht unüblich. Eine Stunde – insbesondere wenn es sich um eine Wochen- oder Tagesrandstunde handelt – beginnt in einer besonderen Sitzordnung, dem Stuhlkreis um eine gestaltete Mitte, und gibt den Schüler:innen die Möglichkeit zu sagen (oder nonverbal, etwa mithilfe von »Mimürfeln« [Mimikwürfeln] oder Foto-Karten anzuzeigen), wie es ihnen geht, wie sie das Wochenende oder die Woche erlebt haben, was von ihrer Seite aus zu besprechen ist. Mit älteren Schüler:innen kann ein Wort zum Tag erprobt werden. Jede Stunde beginnt mit einen konzentrierenden Signal, etwa einem kurzen Glockenton, und für jede Stunde bereiten ein oder zwei Schüler:innen, die dazu bereit sind, einen Gedankenanstoß vor: ein Zitat des Tages, einen biblischen Vers, eine Nachricht, die sie bewegt, eine Meditation. Zur Einführung kann eine Mappe mit Beispielen an die Hand gegeben

Rituale gestalten

werden, aus der die Schüler:innen schöpfen können oder aus der sie sich anregen lassen. Diese 1 bis 2 Minuten lange Phase wird durch das Signal des Anfangs, also etwa auch wieder den Glockenton, beendet; der Unterricht beginnt. Zeitaufwändiger ist demgegenüber die Stilleübung. Gerade wenn der Religionsunterricht am Ende eines Schultages liegt, kann die so gefüllte Zeit jedoch sinnvoll sein. Die Übung unterbricht die Unruhe, den Stress, das Nacheinander der Stunden, lässt durchatmen und neue Kraft für konzentriertes Nachdenken schöpfen. Stilleübungen bedürfen indes der Gewöhnung, sie können unterschiedlich komplex gestaltet werden. Am Anfang sollte nicht die elaborierte Fantasiereise stehen, die mehrere Minuten dauert, sondern eine schlichte, einfach zu realisierende, aber fokussierte Stille, etwa so, dass – wiederum gerahmt von einem Tonsignal oder einem stummen Impuls (Kerze anzünden, einen betrachtenswerten Gegenstand auf das Pult stellen o. Ä.) – eine halbe Minute lang bei offenem Fenster und geschlossenen Augen gelauscht wird, welche Geräusche aus dem umliegenden Park oder aus der Geschäftigkeit der Schule in den Klassenraum dringen (vgl. z. B. Maschwitz/Maschwitz 1993). Je nach Gegebenheiten und Interesse können auch liturgische Elemente ritualisiert werden: ein Lied, ein Gebet oder eine kurze Auslegung (als Fortschreibung des »Wortes zum Tag«; dazu Grethlein 2012). Dass Schüler:innen aus verschiedenen Konfessionen oder Religionen beisammen sind, spricht nicht dagegen, sondern kann bereichern: Jede:r Schüler:in kann – über ein Halbjahr oder eine bestimmte religiöse Periode wie die Fastenzeit (Passion, Ramadan) oder den Advent hinweg – etwas aus der eigenen Tradition beisteuern. Freiwilligkeit sollte hier in jedem Fall großgeschrieben werden – denn solche Rituale sind Grenzwanderungen zwischen Unterricht und einer religioiden Praxis (und sind rechtlich nur zulässig, wenn Schüler:innen nicht teilnehmen müssen). Sie können primär pädagogisch motiviert sein (Zur-Ruhe-Kommen, Einstimmen auf einen Unterrichtsgegenstand), sie können jedoch auch Teil einer Religionspropädeutik sein: Annäherung an eine bisher unvertraute (regelmäßige) religiöse Praxis, Einübung von Elementen, die im Schulgottesdienst eine Rolle spielen, Freiraum für die Suche nach einer Form von Besinnung, die Schüler:innen guttut.

113

Stilleübung

Liturgische Elemente

Freiwilligkeit und Gewinn

114

Anregungen für die Praxis

4.15 Schulgottesdienst vorbereiten und feiern

Anlässe

Grundformen Liturgische Gastfreund­ schaft

Multi­ religiöser Gottesdienst

Schulgottesdienste finden seit einigen Jahren an Grund- und Sekundarstufenschulen vermehrt statt – und finden großes Interesse in der Theoriebildung (zuletzt etwa Gojny 2021): Wer sie veranstaltet (und wer darüber theoretisch nachdenkt), braucht Verständnis für Rituale, Sinn für Gottesdienst, Einsicht in das pädagogische und schulbezogene Moment einer solchen Veranstaltung und, nicht zuletzt, Respekt vor der Freiwilligkeit, mit der Schüler:innen wie Lehrer:innen daran teilnehmen oder mitwirken. Für primär didaktisch denkende Menschen gilt es, sich eine grundlegende Weichenstellung vor Augen zu führen: Im Schulgottesdienst geht es – anders als im Religionsunterricht – nicht »nur« um das Reden über Gott oder von ihm:ihr, sondern um Reden mit Gott. Es geht um eine Feier in Gottes Angesicht. Schulgottesdienste finden aus unterschiedlichen Gründen statt: als regelmäßige Veranstaltung, z. B. einmal im Monat, oder – häufiger – als Gelegenheitsveranstaltung zu schüler:innenbiografischen (Einschulung/ Schulentlassung), kirchenjahreszeitlichen (Weihnachten) oder aktuellen (Todesfall) Anlässen. Bisweilen finden sie als evangelische, katholische oder anderskonfessionelle Veranstaltung statt, zumeist aber als ökumenische Feier oder als Veranstaltung »für alle«. Soll die ganze Schulgemeinschaft angesprochen werden, hat sich die Unterscheidung folgender Grundformen bewährt: Haben Lehrer:innen, Diakon:innen oder Pfarrer:innen einer Konfession die Gesamtverantwortung, können andere Konfessionen oder Religionen im Zeichen »liturgischer Gastfreundschaft« und im Modus eines Fenstergottesdienstes einbezogen werden. Sie nehmen als Gäste teil und tragen lediglich zu einem Teil des Gottesdienstes bei – etwa indem ergänzend zur Lesung durch einen Imam ein Koranabschnitt zitiert wird oder indem Angehörige verschiedener Religionsgemeinschaften zu den Fürbitten beitragen. In einem multireligiösen Gottesdienst ist die Mitwirkung der verschiedenen Konfessionen und Religionsgemeinschaften gleichgewichtiger verteilt. Aber: Jede:r verantwortet nur den eigenen Beitrag. Für die Teilnehmenden wird so einerseits das Signal erkennbar »Wir feiern gemeinsam – es gibt vieles, das uns verbindet«, zugleich aber werden die verschiedenen religiösen Traditionen in ihrer Unterschiedlichkeit bzw. in ihren Spannungen wahrnehmbar – etwa wenn Christ:innen im Gebet eine trinitarische Gottesanrede gebrauchen, Muslime und Muslimas die Einheit Gottes be-

Schulgottesdienst vorbereiten und feiern

tonen. Am multireligiösen Gottesdienst nehmen verschieden religiöse Menschen teil, sie hören einander respektvoll zu – ohne allem, was die jeweils anderen beisteuern, im Einzelnen zuzustimmen. In der interreligiösen gottesdienstlichen Feier hingegen kommt nichts zur Sprache, was nicht alle mittragen können. Entsprechend detailliert sind Elemente und einzelne Texte im Vorfeld nicht nur abzusprechen, sondern gegenzulesen. Alle Beitragenden bemühen sich, Stücke aus der eigenen Tradition auszuwählen und einzubringen, die für die Anderen nicht anstößig und provokant sind. Ob etwa das »Vater unser« für Jüdinnen und Muslime akzeptabel ist (und von ihnen mitgesprochen werden kann), bleibt vorab im Gespräch zu klären. Interreligiöse Feiern setzen eine sorgfältige gemeinsame Vorbereitung und – in der Regel – auch bereits gewachsenes Vertrauen voraus. Sind die Diskrepanzen zwischen den Teilnehmenden zu groß, kann eine Schulfeier geboten sein: eine Veranstaltung mit rituellen Elementen, die keinen konfessionellen Akzent tragen oder eher informierenden Charakters sind (z. B. Lieder wie »Freunde, dass der Mandelzweig« oder auch eine biblische oder koranische Lesung ohne liturgische Rahmung), aber auf explizit religiöse Elemente wie Anrufung Gottes, Gebet und Segen bewusst verzichten. Unbeschadet dieser großen Spannbreite von Schulgottesdiensten im Blick auf Anlässe, Teilnehmende und Anliegen bewährt sich eine einfache Grundstruktur, innerhalb derer Schwerpunkte gesetzt werden können: Eröffnung (mit Anrufung Gottes, Lied und einführenden Worten) – Verkündigung (mit Lesung und Ansprache/Anspiel o. Ä.) – Sendung (mit Fürbittgebet und Segen). Eine solche Feier kann von Schüler:innen und (Religions-)Lehrer:innen vorbereitet und durchgeführt werden – es bedarf keiner Pfarrerin:keines Pfarrers. Unbeschadet dessen gewinnen Schulgottesdienste in der Regel durch die Mitwirkung von Menschen unterschiedlicher Lebensalter, Gaben und Professionen; die Zusammenarbeit kann inspirieren und entlasten, sollte aber nicht zur Überlänge der Veranstaltung Anlass geben. (Länger als 45 Minuten soll ein Schulgottesdienst nicht dauern.) Ist Kooperation nicht möglich, kann die Orientierung an den vielfältigen Vorlagen und Beispielen, die online Open Access oder im Buchhandel verfügbar sind (vgl. etwa Hülsmann 2018 oder Arnold u. a. 2015), ermutigen und unterstützen. Sowohl die Schulgottesdienste selbst als auch deren Vorbereitung können Schulgemeinschaft fördern und so einen unübersehbaren Beitrag zum Schulleben leisten (vgl. Kap. 2.5).

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Interreligiöse Feier

Schulfeier

Grundgestalt

Möglich­ keiten der Zusammen­ arbeit

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Anregungen für die Praxis

4.16 Gespräche mit Schüler:innen zwischen Tür und Angel führen

Wertschät­ zung des außerunter­ richtlichen Gesprächs

Orte schaf­ fen und Zeit geben

Vertraulich­ keit und sexuelle Missbrauchs­ gefahr

Schüler:innen sprechen Lehrer:innen, die von ihnen als »fair«, »cool« oder eben »gute Lehrer:innen« empfunden werden, im Kontext der Schule durchaus an: in den ersten Schuljahren auch, um sich in Glücksmomenten oder in einer Klemme vertrauensvoll mitzuteilen, später in der Regel um ein Problem anzuzeigen oder Rat zu suchen. Das gilt für »Vertrauenslehrer:innen«, Klassenlehrer:innen und vielleicht auch Religionslehrer:innen wohl in besonderem Maße. Es ist gut, sich auf solche Gespräche einzustellen, in der jeweiligen Situation – wenn die Konstellation (Zeit, Ort, eigene Verpflichtungen) es zulässt – offen darauf zuzugehen und solche Gesprächskontakte mit Schüler:innen als Teil der pädagogischen Aufgabe und des menschlichen Miteinanders in der Schule wertzuschätzen. Will man in diesem Segment »mehr tun« – und das ist um der Atmosphäre der Schule, um der Begleitung der Schüler:innen und um der Eigenart von Religion willen gut begründbar –, bieten sich verschiedene Möglichkeiten an, drei seien benannt. Eine Herausforderung für eine Gesprächskultur zwischen Schüler:innen und Lehrer:innen sind Ort und Zeit. Wo kann man ein vertrauliches Gespräch führen? Wird man nach dem Unterricht angesprochen und wartet dann, bis sich das Klassenzimmer geleert hat, ist manchmal der Kairos unverschuldet verpasst – oft treffen dann schon die ersten Schüler:innen der nächsten Lerngruppe ein. Zwischen zwei Stunden ist die Zeit ohnehin zu knapp. Da ist es gut, in der Schule Orte zu schaffen, wo Gespräche geführt werden können und wo man sich – in Fortsetzung des zwischen Tür und Angel entstandenen Erstkontaktes – für eine Zeit nach dem Unterricht verabreden kann: ein kleiner Raum mit Milchglastür, die Sichtschutz mit Transparenz verbindet, eine offene Nische im Gebäude, die genug Abstand zum nächsten Gang ermöglicht, aber mit einer kleinen Sitzgruppe zum Gespräch einlädt; Orte, an denen sich ein:e Vertrauenslehrer:in zu festen Zeiten für ein Gespräch bereithalten kann, oder für die man sich über eine Nachricht im – realen oder elektronischen – Kummerkasten verabreden kann. Es entlastet ein Gesprächsanliegen, sich in der jeweiligen Situation nicht von Grund auf um ein passendes Setting kümmern zu müssen. Im Interesse aller Beteiligten ist es, diese Orte nicht hermetisch zu schließen. Es gilt eine Balance zu wahren zwischen der Möglichkeit zum vertraulichen Gespräch einerseits

Gespräche mit Schüler:innen zwischen Tür und Angel führen

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und dem Schutz vor etwaigen Übergriffen (oder vor der möglichen Unterstellung eines solchen Übergriffs) andererseits. Geeignete Orte sind ein Baustein in dem für jede Schule zu empfehlenden, ja, gebotenen Konzept für Prävention und Intervention gegen sexuellen Missbrauch (vgl. dazu www.schule-gegen-sexuelle-gewalt.de als Einstiegsportal).

Ein Vier-Augen-Gespräch ist etwas anderes als ein Unterrichtsgespräch: Es verfolgt kein Lernziel und hat keinen (vonseiten der Lehrperson) geplanten Gegenstand. Es sollte nicht die Lehrer:in-Schüler:in-Asymmetrie spiegeln, sondern auf Augenhöhe geführt werden. Es bedarf anderer verbaler und nonverbaler Signale – mehr des Hörens als des Sprechens, vor allem des Vertrauens, nicht vor allem der Sachkompetenz. Die Intuition und das Taktgefühl als »Mensch« kann ausreichen, um Lehrer:innen-Schüler:innen-Gespräche in guter Weise zu führen. Darüber hinaus gibt es Modelle für die Führung solcher Gespräche, anhand derer Lehrer:innen die eigenen Möglichkeiten besser einschätzen und die eigenen Fähigkeiten verfeinern lernen können. Ein solches Modell ist das sogenannte seelsorgliche Kurzgespräch nach Timm H. Lohse. Es verlangt genaues Zuhören, aber ebenso recht frühes, zielgerichtetes Intervenieren – geleitet von dem Ziel, diejenigen, die das Gespräch suchen, zu einer weiterführenden Einsicht zu lenken über das, was sie eigentlich (also versteckt hinter womöglich unklaren oder gar irreleitenden Worten) wünschen, was ihnen helfen kann und wie sie die von ihnen für nötig erachtete Hilfe erhalten können. Der:die Gesprächspartner:in, hier: die:der Religionslehrer:in, muss diese Hilfe nicht selbst geben können – er:sie fungiert eher als Mäeut:in, als jemand, der:die dazu beiträgt, die eigene Lage klarer zu sehen (s. Lohse 2020, Gutmann u. a. 2014, 59–74 und Möhring/Schlüter 2019). Eine weitere Möglichkeit besteht darin, einen Qualifikationskurs Schulseelsorge am Religionspädagogischen Institut einer Landeskirche zu absolvieren. In einem überschaubaren Zeitraum werden darin seelsorgliche relevante Kompetenzen gefördert und viele Settings thematisiert, wie Lehrer:innen Schüler:innen individuell bzw. seelsorglich begleiten können (vgl. hier EKD 2015b, 16 f.). Darüber hinaus ist der erfolgreiche Abschluss einer solchen Qualifikation die Voraussetzung dafür, eine kirchliche Beauftragung zur Schulseelsorge zu erlangen und sich für die eigene Beratungsoder Seelsorgetätigkeit auf das Seelsorgegeheimnis berufen zu dürfen.

Gesprächs­ technik verbessern

Viele Lehrer:innen empfinden den Umgang mit einem Trauerfall in der Schule – ein:e

Umgang mit einem Trauerfall

Schüler:in, ein:e Kollegin stirbt oder im Schulbetrieb ereignet sich ein Unglücksfall – als große Herausforderung. In diesem Fall ist, wenn nicht mit allen, so doch zumindest mit

Schul­seel­ sorge-­ Qualifi­kation erwerben

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Anregungen für die Praxis

den Schüler:innen einer betroffenen Klasse das Gespräch zu suchen, womöglich entsteht für Einzelne Bedarf an psychologischer oder seelsorglicher Begleitung und für die Schule insgesamt der Wunsch nach einer Trauerfeier oder einem Gottesdienst. Die Kommunikation angesichts des Trauerfalls umfasst verschiedene Etappen – von der Information aller über den Todesfall über die Schaffung einer Atmosphäre, in der Empfindungen und Fragen zum Ausdruck kommen können, und das Anleiten eines Gesprächs bis hin zur Überleitung zu einem Tun: ein Kondolenzbuch gestalten, eine Klagemauer errichten, sich an der Trauerfeier beteiligen (vgl. etwa Gutmann u. a. 2014, 107–133; zum sogenannten Trauerkoffer als Medium siehe Petermann 2010). Man kann und soll Trauer nicht abfedern oder sie fortmoderieren – es geht in der Schule vielmehr darum, dem Kontingenten in dieser planvoll gestalteten Institution Raum und Zeit zu geben und so den Schüler:innen zu helfen, etwa mit einem Todesfall umzugehen. In gewissem Maße lässt sich dies systematisch vorbereiten: durch einen Notfallplan (der antizipiert, wer was tun sollte), durch die Zusammenstellung oder Anschaffung eines Trauerkoffers, durch die Zusammenstellung außerschulischer Ansprechpartner:innen, durch die unterrichtliche Thematisierung von Tod und Trauer. Es ist schön, wenn Religionslehrer:innen dazu federführend oder jedenfalls aktiv beitragen können.

Sowohl die Einrichtung eines Gesprächsraums als auch die Schulung der Gesprächsführung und erst recht die schulseelsorgliche Qualifikation erhöhen die Handlungssicherheit von Religionslehrer:innen und das Vertrauen auf die eigene Selbstwirksamkeit. Dergleichen kommt auch den Schüler:innen zugute, die Hilfe benötigen und Hilfe suchen. Und es ist ein Baustein im Gefüge dessen, was Religionsunterricht und Religion im Schulleben, was Religionslehrende zur Entwicklung einer guten Schule (vgl. Kap. 1.2) beitragen können.

»Goldene Regeln«

Ob die folgenden dreizehn Regeln »golden« sind, muss sich zeigen. Gemeint sind sie als handlungsorientierende Grundsätze, die insbesondere Anfänger:innen einige grundlegende religionsdidaktisch-methodische Aufgaben vor Augen halten (vgl. Schröder 2021a, 385–388). 1.  Didaktische Entscheidungsspielräume wahrnehmen und nutzen

Die Erteilung von Religionsunterricht beschränkt sich weder auf die Umsetzung fachwissenschaftlicher oder ministerieller Vorgaben in Unterricht »vor Ort«, noch ist guter Religionsunterricht als möglichst pragmatische Entscheidung des unbedingt Notwendigen zu beschreiben. Die Erteilung von Religionsunterricht geschieht vielmehr in didaktischer Freiheit und theologischer Verantwortung der Religionslehrer:innen. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, ist es nötig, sich stets aufs Neue die didaktischen Entscheidungsspielräume bewusst zu machen und didaktische Entscheidungen unter Abwägung der Alternativen bewusst zu fällen. Der Gebrauch von Lehrplänen, Unterrichtsmedien u. ä. ist kein Ersatz für eigene didaktische Entscheidungen. 2.  Resonanzen erzeugen

Im Religionsunterricht geht es um die Förderung der Schüler:innen in Richtung ihrer Subjektwerdung: Sie sollen befähigt werden, für sich selbst, für andere und für die Mit-Welt (Schöpfung) Verantwortung zu übernehmen. Von daher besteht die didaktische Schlüsselaufgabe in der Suche nach Entsprechungen zwischen bereits vorhandenen Schüler:innenerfahrungen und der Sache christlicher Religion. Ziel des Religionsunterrichts ist die »doppelseitige Erschließung« beider Größen (Klafki 1963, 43 f.). Im Unterricht soll sich einerseits den Schüler:innen das verhandelte Thema erschließen, das heißt, es soll für sie zugänglich, verständlich, aber auch kritisierbar und gegebenenfalls veränderbar werden. Umgekehrt sollen die Schüler:innen sich dem Thema öffnen, also um Verständnis ringen, sich und ihre Daseins- und Wert-

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»Goldene Regeln«

orientierung kritisch hinterfragen und ihre Handlungs- und Verantwortungsmöglichkeiten prüfen. 3.  Elementarisieren im Blick auf Lebensführung und -deutung

Im Blick auf die fachwissenschaftlichen Zusammenhänge, die im Hintergrund religionsunterrichtlicher Lehre stehen, ist Elementarisierung die zentrale Herausforderung. Elementarisieren heißt, nach dem Wesentlichen fragen, aber auch nach dem entwicklungsmäßig Passenden, nach dem Erfahrungsoffenen und dem Wahren. Denn angesichts der religionssoziologischen Entwicklungen ist die Aufgabe des Religionsunterrichts kaum mehr, eine signifikante Zahl junger Menschen (wissenspropädeutisch) auf ein Theologiestudium vorzubereiten, sondern seine Aufgabe ist es, zu zeigen, inwiefern (christliche) Religion hilfreich für die Lebensführung und -deutung von Kindern und Jugendlichen sein kann. 4.  Subjektwerdung fördern

Schüler:innen begegnen auch im Religionsunterricht nicht als bloße Objekte der Belehrung. Vielmehr sind sie bereits als respektable Personen und als aktiv aneignende, eigenverantwortliche, freilich noch auf einem Weg befindliche Subjekte ihres religiösen Nachdenkens, Handelns und Empfindens ernst zu nehmen und zugleich auf dem Weg zur Subjektwerdung unterstützend zu begleiten. Diese wertschätzende Art der Schüler:innenorientierung ist der Kern des (religions-)pädagogischen Ethos; das darin mitschwingende pädagogische Paradox (schon jetzt – noch nicht) bildet die Grundspannung im Umgang zwischen Religionslehrer:innen und Schüler:innen. Getragen sein muss Subjektorientierung von verlässlichen und respektvollen Beziehungen zwischen Lehrenden und »ihren« Schüler:innen. 5.  Die Wirklichkeit aus religiöser Perspektive wahrnehmen helfen

In einer zunehmend multireligiös verfassten Gesellschaft und in einer Atmosphäre der Kirchendistanz oder Säkularität kann eine bewusste religiöse Orientierung oder gar eine gelebte persönliche Spiritualität seitens der Schüler:innen nicht vorausgesetzt werden. Der evangelische Religionsunterricht lädt bewusst Schüler:innen aller Orientierungen zur Teilnahme ein; er muss deshalb – je nach Kontext, Schüler:innenschaft und Alter – sowohl Momente der »Einweisung« in christliche Religion als auch Momente des »Hinweisens« auf die religiöse Dimension von Wirklichkeit überhaupt umfassen (dazu Schmidt 1993).

»Goldene Regeln«

In diesem Sinne gilt es, das »dritte Auge« (Hubertus Halbfas) zu schulen. Also: religiöse Facetten von Wirklichkeit wahrnehmen, religiös relevante Fragen, Aussagen, Probleme als solche markieren, religiöse Sprachfähigkeit stärken, Erfahrungen mit Religion anbahnen usw. 6. Religionsunterricht als theologischen Lernort gestalten und geltend machen

Die Zeit des Religionsunterrichts ist kurz; seine besondere Stärke als schulischer Variante religiöser Bildung liegt gleichwohl im sequenziellen Lernen. Der Religionsunterricht konkurriert mit einer Vielzahl diffuser religiöser Einflüsse. Von daher liegt es nahe, den Religionsunterricht – durchaus im Sinne des sogenannten Kerncurriculums der EKD (EKD 1994, 18 f.) – über theologisch zu beleuchtende Themen zu profilieren und, noch wichtiger, über das Eruieren der Chancen und Grenzen einer theologischen Per­ spektive auf die Lebenswirklichkeit der Schüler:innen. Wenn Religionsunterricht in dieser Weise als theologisch relevanter Lernort (locus theologicus) gestaltet wird, dann verdient er als solcher auch Beachtung in kirchlichen Beratungen über gebotene Wege und Prioritäten des Handelns und als Indikator für Zeitläufe und Gegenwartsfragen innerhalb der Theologie. 7.  Unterscheiden lehren

In einem multireligiösen Kontext und Wissenshorizont kann nicht länger vorausgesetzt werden, dass Wissensvorräte christlich-religiöser Provenienz als überzeugend und hilfreich für je eigene Lebensdeutung, Sinnsuche und ethische Orientierung einleuchten. Es ist die Grundaufgabe des Religionsunterrichts, um das Einverständnis der Schüler:innen mit Denk- und Argumentationsfiguren sowie Praxisformen christlicher Religion zu ringen. Dieses Plädoyer muss freilich einerseits dialogisch, das heißt, im Gespräch mit anderen Religionen und Weltanschauungen, andererseits kritisch, das heißt, in Abgrenzung von nicht lebensförderlichen Formen von Religiosität, gehalten werden. Die Unterscheidung zwischen lebensförderlicher und nicht lebensförderlicher/schädlicher Religion wird in einer religiös unübersichtlicher werdenden Landschaft eine Schlüsselqualifikation religiöser Bildung. 8.  In transparenter, didaktisch förderlicher Weise positionell sein

Von Religionslehrer:innen werden gegenwärtig und zukünftig nicht nur erhebliche kommunikative (Dialog initiierende), hermeneutische und fach-

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»Goldene Regeln«

wissenschaftliche Fähigkeiten erwartet, sondern auch theologisch-religiöse Standpunkte. Sie sollten von den Schüler:innen als authentisch wahrzunehmen sein und durchaus streitbar – zugunsten des Religionsunterrichts (innerhalb des Lehrer:innenkollegiums), zugunsten christlicher Religion (im Gespräch mit den Schüler:innen) – eingebracht werden! 9.  Schulleben und Nachbarschaft gestalten

Religiöse Bildung ist besonders effektiv, wenn sie an mehreren Orten im Alltag der Lernenden gleichsinnig unterstützt wird. Von daher kann und darf sich der Religionsunterricht als zunehmend marginales Fach der Schule nicht länger auf sich selbst beschränken, sondern er muss über seine eigenen Grenzen hinausschauen auf Schulleben und Nachbarschaft von Schule und Gemeinde; er muss Kooperationen suchen mit anderen Fächern der Schule. 10. Mit religionsbezogenen Fragen und Themen vernünftig umgehen lernen

Religiöse Bildung in der Schule zielt darauf, dass Schüler:innen nach Ende ihrer Schulzeit selbstständig und methodenbewusst mit religiösen Fragen und Problemen umgehen können, sprich: orientierungsfähig sind. Methodische Arbeit ist deshalb eine wichtiger werdende Säule des Unterrichts, ein wesentliches Ziel. Es gilt, Arbeitsweisen, Erkenntnis- und Handlungsstrategien für die Schüler:innen transparent zu machen! Dies entspricht nicht zuletzt dem allgemeindidaktischen Gebot, aktives, selbstbestimmtes Lernen zu ermöglichen und Lernfortschritte den Schüler:innen selbst einsichtig zu machen. 11.  Heterogenitätsfreundlich und binnendifferenzierend agieren

Schüler:innen sind zunehmend unterschiedlich und nehmen sich auch selbst so wahr. Sie unterscheiden sich nach Herkunft, Kontext, Bildungshorizont, auch nach Lerntakt, -interessen und -möglichkeiten. Von daher muss der Religionsunterricht in sehr viel höherem Maße, als dies bisher geschieht, heterogenitätsfreundlich sein und binnendifferenziert arbeiten. 12.  Methodisches Know-how entwickeln und vermitteln

Methodisch ist es zudem geboten, den Religionsunterricht vielgestaltiger und vielsinniger zu prägen. Zu den nicht gering zu schätzenden Aufgaben der Religionslehrer:innen gehört es, sich einen reichen Methoden- und Medienschatz zu erarbeiten, mit dem sie sicher umgehen können! Ins-

»Goldene Regeln«

besondere projekt- und handlungsorientierte und ästhetische Verfahren verdienen verstärkte Beachtung. 13. Religionsunterricht vorausschauend planen

Um seiner inhaltlichen Profilierung, seiner methodischen Abwechslung und seiner Kooperationsfähigkeit willen ist es unentbehrlich, Religionsunterricht langfristig zu planen. Der Entwurf einzelner Unterrichtseinheiten ist zu ergänzen um Jahresplanungen und schulinterne Curricula der Fachkonferenzen – das gilt erst recht dort, wo Religionsunterricht konfessionell-kooperativ oder sonst wie fächerverbindend erteilt wird.

123

6

Besondere Fälle

Religionslehrer:innen eröffnet sich eine Fülle an Aufgaben und Gestaltungsspielräumen – und zwar an allen Schulformen und Schulen. In diesem Kapitel sollen einige spezifische Herausforderungen zum Thema ergänzt werden.

6.1 Religionsunterricht im allgemeinund im berufsbildenden Schulwesen

Schulform­ spezifik

Im bisherigen Duktus dieses Buches wurde nur gelegentlich auf Schulstufen und -formen Bezug genommen. Das geschah in der Überzeugung, dass grundlegende Kompetenzen der Lehrenden und Herausforderungen für den Religionsunterricht aller Schulfomen in ähnlicher Weise zu beschreiben sind. Allerdings gilt das mutatis mutandis – also unter Änderung des zu Ändernden, unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Gegebenheiten. Zwischen dem Religionsunterricht der Grundschule, der verschiedenen Schulen der Sekundarstufe I sowie der Sekundarstufe II ergeben sich im Einzelnen doch erhebliche Diskrepanzen (vgl. im Detail Schröder/ Wermke 2013), die sich nicht zuletzt darin widerspiegeln und zugleich dadurch verstärkt werden, dass Lehrer:innen in vielen Bundesländern schulstufen- oder schulformbezogen ausgebildet werden. Exemplarisch soll hier auf die Differenz zwischen dem Religionsunterricht an allgemein- und berufsbildenden Schulen hingewiesen werden – eine Differenz, die freilich nicht zu schablonenhaft markiert werden darf. Denn einerseits ist der Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen – abgekürzt: Berufsschul-Religionsunterricht (BRU) – wie der Religionsunterricht in der gymnasialen Oberstufe an Gymnasien oder Gesamtschulen der Sekundarstufe II zugeordnet, andererseits gibt es innerhalb des berufsbildenden Schulwesens gewaltige Unterschiede: Während namentlich der Religionsunterricht am beruflichen Gymnasium dem-

Religionsunterricht im allgemein- und im berufsbildenden Schulwesen

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jenigen in der Oberstufe allgemeinbildender Schulen tatsächlich ähnelt, hat Religionsunterricht im Berufsvorbereitungsjahr oder – in wieder anderer Weise – auch derjenige in der Berufsschule (also an einem der beiden Bildungsorte des sogenannten dualen Systems neben dem Betrieb) und in der Fachschule (wo die Bildung für einen bestimmten Beruf, etwa denjenigen der Erzieherin:Erziehers, im Vollzeitunterricht stattfindet) damit wenig gemein. Um in Aufgaben und Herausforderungen des Religionsunterricht an berufsbildenden

Lesehinweise

Schulen hineinzufinden, eignet sich ein einschlägiges »Handbuch« (Biewald u. a. 2018), zudem die praxisorientierte Zeitschrift »BRU: Magazin für den Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen«, die seit 1984 von der »Gesellschaft für Religionspädagogik« in Villigst herausgegeben wird, und die Buchreihe »Glaube – Wertbildung – Interreligiosität: Berufsorientierte Religionspädagogik«, die von den drei Direktoren der »Institute für berufsorientierte Religionspädagogik« an den Universitäten Bonn und Tübingen (BIBOR, EIBOR und KIBOR) herausgegeben wird (Münster u. a., seit 2012).

Grob lassen sich folgende Differenzen benennen: An allgemeinbildenden Schulen dient der Religionsunterricht wie alle anderen Fächer auch durchweg der Bildung der Schüler:innen, also ihrer bestmöglichen Förderung und Forderung durch fachlich gegliederten Unterricht. Die ihnen zuteilwerdende allgemeine Bildung, die je nach Schulform unterschiedlich breit angelegt, unterschiedlich tiefgehend und unterschiedlich komplex ist, soll sie als Personen voranbringen und auf die Teilhabe am ökonomischen, politischen und kulturellen Leben vorbereiten. Innerhalb des berufsbildenden Schulwesens zählt der Religionsunterricht (zusammen mit Deutsch, Sport u. a.) zwar ebenfalls zu den allgemeinbildenden Fächern bzw. zu den berufsübergreifenden Lernbereichen, ist aber gleichwohl deutlich auf die berufliche Bildung bezogen; er dient dem Aufbau einer »umfassenden Handlungskompetenz«, die sich nicht auf berufliche Kompetenzen beschränkt, diese aber einschließt (vgl. EKD 2018a, 8–15 und 18–21). Die Differenz zeigt sich recht eindeutig an den unterschiedlichen Kompetenzparadigmen im allgemein- und berufsbildenden Schulwesen. Beiden liegt an »Handlungskompetenz«, doch im Religionsunterricht an allgemeinbildenden Schulen werden fünf prozessbezogene Kompetenzen unterschieden, im BRU sind es Fachkompetenz und Personale Kompetenz (denen Methodenkompetenz und Sozialkompetenz zugeordnet sind; vgl. EKD 2018a, 22–33).

Ausschließ­ liche Allge­ meinbildung vs. beruf­ liche inkl. all­gemeiner Bildung

126 Kinder und Jugendliche vs. junge Er­ wachsene

Konfes­ sionell ge­ gliederter RU vs. RU im Klassen­ verband

Besondere Fälle

Die allgemeine Schulpflicht gilt in den meisten Bundesländern für die Schuljahre 1 bis 10 an allgemeinbildenden Schulen; diese Schulen werden somit von Kindern und Jugendlichen besucht – erst in den Abschlussklassen der Oberstufe finden sich darunter volljährige junge Erwachsene. An berufsbildenden Schulen hat es der Religionsunterricht demgegenüber im Regelfall mit (jungen) Erwachsenen zu tun; am ehesten finden sich im Berufsvorbereitungsjahr oder in der Berufsschule jüngere Schüler:innen. Mit ihrem höheren Lebensalter geht einher, dass die Schüler:innen im BRU weiter fortgeschritten dabei sind, im Blick auf die grundlegenden Entwicklungsaufgaben des »Qualifzierens«, »(Sich) Bindens«, »Konsumierens« und »Partizipierens« zumindest vorläufige Entscheidungen zu fällen – nicht ohne Grund fällt in das junge Erwachsenenalter der Zenit der Kirchenaustritte. Die Landschaft des Religionsunterrichts ist kaum mehr zu überschauen, doch im Prinzip wird er an allgemeinbildenden Schulen im Sinne von Art. 7.3 GG nach Konfessionen gegliedert angeboten – üblich sind neben evangelischem und katholischem (gegebenenfalls konfessionell-kooperativem) Religionsunterricht sowie Ethikunterricht als Alternative bzw. Ersatz je nach örtlichen Gegebenheiten zumeist jüdischer, islamischer und christlich-orthodoxer Religionsunterricht. An berufsbildenden Schulen werden de facto nur evangelischer und katholischer Religionsunterricht, gelegentlich Ethikunterricht erteilt – an den wenigsten Schulen werden die Schü­ ler:innen eines Bildungsgangs dabei nach Konfessionen getrennt, üblich ist vielmehr, dass sie von einer oder einem Religionslehrer:in, also: im Klassenverband unterrichtet werden. (Noch häufiger fällt der Religionsunterricht aus – sei es, weil keine Lehrkraft zur Verfügung steht, sei es, weil der RU organisatorisch nicht an den Schultagen der Berufsschule unterzubringen ist bzw. für nicht-so-wichtig erachtet wird.) Mit dieser faktischen organisatorischen Weichenstellung verändert sich der Charakter des Faches: Die Schüler:innenschaft ist in der Regel konfessions- und religionsverschieden (dazu Obermann 2018b); häufig gehört die Mehrheit der Schüler:innen einer anderen Religion an als die Lehrperson, die Themen des BRU ergeben sich nur selten aus der Binnenlogik einer Konfessionskirche oder Religionsgemeinschaft, sondern meist aus den Anliegen der Schüler:innen, herausfordernden Facetten des Berufs oder aus Fragen des gesellschaftlichen und interreligiösen Miteinanders (vgl. die Gegenstandsbereiche I, III, IV und V in EKD 2018a, 28–33, sowie Obermann 2018a). Religionsunterricht im allgemein- wie im berufsbildenden Schulwesen hat unterschiedliche Merkmale, Chancen und Schwierigkeiten – allein von der Zahl der Schüler:innen her lässt sich jedoch weder der eine noch der

Schüler:innen mit Hochbegabung und Förderbedarf im Religionsunterricht

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andere als der besondere Fall kennzeichnen. Eher kann und muss man sagen: Religionsunterricht ist in jeder Lerngruppe (aller Schulformen) ein besonderer Fall.

6.2 Schüler:innen mit Hochbegabung und Förderbedarf im Religionsunterricht Schüler:innen im Religionsunterricht sind heterogen. Dabei ist ihre Heterogenität im Blick auf religiös-weltanschauliche Hintergründe, Erfahrungen und Positionen für dieses Fach unmittelbar thematisch und didaktisch-methodisch relevant (vgl. Kap. 2.3). Alle anderen Heterogenitätsmerkmale hingegen sind für den Religionsunterricht genauso wichtig oder unwichtig wie für den Unterricht anderer Fächer. Manche Merkmale von Schüler:innen verlangen allerdings zwingend Berücksichtigung – im Religionsunterricht wie in anderen Fächern. Das sind diejenigen, die offiziell diagnostiziert werden, unter anderem die Hochbegabung (die nach Beobachtung des für charakteristisch gehaltenen Verhaltens und auf Grundlage herausstechender Leistungen durch Eltern, Lehrer:innen etc. schließlich mithilfe eines Intelligenztests festgestellt wird) und der sonderpädagogische Förderbedarf. Die möglichst passgenaue Beschulung von hochbegabten wie besonders förderbedürftigen Schüler:innen ist Aufgabe der Schule bzw. aller Fächer – der Religionsunterricht sollte nicht hinter dem zurückbleiben, was in anderen Fächern möglich gemacht wird. Im Blick auf Hochbegabung, die bei etwa 2 % der Schüler:innenschaft erkannt wird, können Schulen die Lernwege der betreffenden Schüler:innen beschleunigen (»acceleration«, z. B. indem sie eine Klassenstufe überspringen) oder besonders anspruchsvoll ausgestalten (»enrichment«, z. B. durch besonders komplexe Aufgaben, durch Ermöglichen eines vorgezogenen Teilstudiums noch während der Schulzeit u. Ä.). Möglicherweise müssen sie allerdings auch auf die mit einer Hochbegabung bisweilen einhergehende schulische Minderleistung oder psychosoziale Störungen reagieren. Entsprechende Unterrichtsstrategien und Maßnahmen können auch im Religionsunterricht ergriffen werden (vgl. Guttenberger/Husmann 2007). Im Blick auf »sonderpädagogische Förderbedarfe«, die in all ihrer Verschiedenheit bei ca. 6 % der Schüler:innen diagnostiziert werden (wobei die Quoten sich von Bundesland zu Bundesland erheblich unterscheiden), wird im Zeichen der inklusiven Schule nur noch selten der Besuch einer spezialisierten Förderschule angeraten, insbesondere kaum mehr bei den

Hoch­ begabung

Sonder­ pädago­ gische Förder­ bedarfe

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Inklusiver RU

Besondere Fälle

Förderschwerpunkten »Emotionale und soziale Entwicklung«, »Hören«, »Sehen« und »Sprache« sowie »Lernen«. In einem Fach wie dem Religionsunterricht können Lehrer:innen nicht darauf bauen, dass Schüler:innen mit entsprechendem Bedarf verlässlich durch eine sonderpädagogisch qualifizierte Fachkraft unterstützt werden – sie müssen sich vielmehr ihrerseits Lernarrangement der Inklusionspädagogik aneignen und ihren Unterricht dementsprechend umgestalten, um sowohl den förderbedürftigen als auch den übrigen Schüler:innen mit ihrem Unterricht gerecht zu werden (vgl. Schweiker 2012 und etwa Anderssohn 2016). Aus religionsdidaktischer Sicht muss sich im Umgang mit diesen beiden Schüler:innengruppen die Idee des inklusiven Religionsunterrichts (und der inklusiven Schule) bewähren. Nach Lage der Dinge sind es die Religionslehrer:innen, die dieser – ihnen in der Regel ohne ihr Zutun zugeschriebenen – Herausforderung in ihrer didaktischen Reflexion und ihrer unterrichtlichen Handlung Rechnung tragen müssen.

6.3 Konfessionslose Schüler:innen im Religionsunterricht Kinder und Jugendliche, die keiner Religionsgemeinschaft angehören (und in diesem Sinne konfessionslos, aber womöglich durchaus an religiösen Fragen interessiert sind), sind ohne Zweifel eingeladen, am (evangelischen) Religionsunterricht in der Schule teilzunehmen. Die Chance, dass sie es tun, ist hier sogar deutlich größer als etwa bei gemeindlichen Bildungs­ angeboten – schulischer Religionsunterricht ist niedrigschwellig, manchmal ist bereits die Teilnahme anderer aus der eigenen Peergroup Grund genug sich anzuschließen. Neben sogenannten konfessionslosen Schüler:innen nehmen zudem häufig Kinder und Jugendliche teil, die »kaum mehr religiös sozialisiert, informiert oder schon einverstanden [sind] mit religiösen, geschweige denn christlichen Überzeugungen« (EKD 2020, 16). Im Sinne der bislang erläuterten religionsdidaktischen Grundsätze gilt es, die Präsenz dieser Schüler:innen als Teil der Unterrichtsnormalität zu akzeptieren bzw. wertzuschätzen, ihre existenziellen Fragen und ihre bislang gefundenen Antworten aufzugreifen und den Unterricht auch auf sie auszurichten. Dafür braucht es »keine Spezialdidaktik für den Umgang mit Konfessionslosen« (Käbisch 2014, 295) – auch wenn sie womöglich erst einmal »nur« lernen wollen, »über Religion zu kommunizieren«, nicht aber »selbst religiös zu kommunizieren« (300). Vielmehr können – wiederum in Anlehnung an David Käbisch formuliert – drei

Konfessionslose Schüler:innen im Religionsunterricht

programmatische Richtungshinweise hilfreich sein, die für den Umgang mit allen Schüler:innen orientierend sind: Partizipation (bzw. Einblick oder gar Erfahrung mit gelebter Religion) – Reflexion (das heißt, Raum für ein offenes, gerade nicht allein »privates« Nachdenken und Sprechen über Religion) – Relevanz (also Aufzeigen tatsächlicher religiöser Deutungs- und Handlungsbedarfe). »Mit [d]er [steigenden] Zahl [konfessionsloser Schüler:innen] und dem Gewicht konfessionsloser Positionen im gesellschaftlichen Diskurs steigt erstens die Dringlichkeit, die Schülerinnen und Schüler des Religionsunterrichts für die und in der Auseinandersetzung mit konfessionslosen Positionen zu fördern: Themen wie Religionskritik und (neuer) Atheismus […] rücken mit Nachdruck auf die Agenda. […] Nicht genug damit: Der Religionsunterricht muss die seit den 1960er Jahren angemahnte Orientierung seiner Themen und Lernarrangements an Relevanz einmal mehr durchbuchstabieren: Es gilt nach wie vor so deutlich wie möglich werden zu lassen, was Interpretamente, Praktiken und Traditionen für die Lebensführung und -deutung von Menschen bedeuten (können). […] Zweitens […]: Die Konfessionalität des Religionsunterrichts ist nicht mehr an der Konfessionsbindung […] der Lernenden und auch nicht an der Konfessionalität der Themen festzumachen, sondern daran, ob eine konfessionelle Position als solche erkennbar in den Unterrichtsprozess eingespeist und zur Diskussion gestellt wird – sei es über die Person der Lehrenden, über ein Medium [oder] über eine Begegnung […]. Dies meint u. a.: Ȥ im Religionsunterricht oder im Anschluss an ihn Raum für Erfah­ rungen mit christlicher Religion zu geben – etwa durch Begehungen benachbarter Gemeinden oder Jugendkirchen, in Form von Religion im Schulleben, durch rituelle und spirituelle Elemente als Rahmung des Unterrichts, durch performativ-didaktische Lernsequenzen; Ȥ mit und an potentiell allen zugänglichen existenziellen Grunderfah­ rungen zu arbeiten, […] auf die religiöse Interpretamente bezogen werden können […] (wie es jüngst Gundula Rosenow vor Augen geführt hat); Ȥ religionskritischen und -distanzierten Positionen in neuer Qualität Raum zu geben und im Rahmen des Unterrichts eine Dialog- und Streitkultur zu entwickeln, die sich auch auf in der Lerngruppe bezogene Positionen bezieht;

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Besondere Fälle

Ȥ alle Schülerinnen und Schüler zum Perspektivwechsel einzuladen – zwischen Innen- und Außenperspektive […]; Ȥ durch die Zusammenarbeit zwischen Religions- und Ethik[unterricht] die exemplarische Auseinandersetzung um religiöse versus säkulare Deutungen zu führen […]« (EKD 2020, 124–128 i. A.). Schließlich, drittens, können mit den Schüler:innen selbst die derzeit stattfindenden Verschiebungen in der religiösen Landschaft thematisiert werden. Immerhin findet Religionsunterricht vielerorts in einem konfessionslosen Kontext statt: Schüler:innen, die erklärtermaßen einer Religionsgemeinschaft angehören, sind in der Minderheit; Repräsentant:innen von Religionsgemeinschaften oder Phänomene religiöser Herkunft stehen öffentlich in scharfer Kritik – nicht nur in Ostdeutschland handelt es sich häufig um »Religionsunterricht im konfessionslosen Kontext« (Käbisch 2014, 210–216). Es ist somit zu erwarten, dass ein Religionsunterricht, der den Fragehorizont konfessionsloser oder distanzierter Schüler:innen aufnimmt, den Interessen der meisten entgegenkommt.

6.4 Störungen

Phänomen und Definition

Störungen sind kein spezifisches Thema der Religionsdidaktik – es gibt auch kaum spezifisch religionsunterrichtliche Strategien des Umgangs mit ihnen (vgl. dazu und zum Folgenden – großenteils wörtlich zitiert – Schröder 2021a, 419–421). Was gemeinhin mit dem Begriff »Störung« bezeichnet wird, umfasst alle Verhaltensweisen und Unterrichtskonstellationen, die – zumeist aus der Sicht der Lehrenden – den geplanten oder tatsächlichen Lehr-LernProzess hemmen oder sogar zum Erliegen bringen. Dazu gehören verbale Einlassungen (Dazwischenreden, Quatschen) ebenso wie nonverbale Aktivitäten (am Handy daddeln, Briefe schreiben, Flugzeuge basteln), atmosphärische Störungen (Feindseligkeit, Anspannung) ebenso wie vorunterrichtliche Ereignisse, die nachwirken (Zu-spät-Kommen, nicht erledigte Hausaufgaben, Streitigkeiten vor Unterrichtsbeginn), nicht zuletzt auch absichtsvolle Interventionen (aggressive Einwände, Schwindeln) und unzureichende äußere Bedingungen (Sitzordnung, Temperatur, Raumgestalt). Störungen werden von Unterrichtenden wie von Lernenden subjektiv verschieden empfunden; gleichwohl erfordert »Störfaktizität« – so

Störungen

der terminus technicus dieses Unterrichtsfaktors in der kommunikativen Didaktik – umgehende Intervention, umsichtige Reflexion und zuweilen auch grundlegende Verhaltensänderungen der Religionslehrer:innen. In didaktischer Reflexion erweisen sich Störungen als nicht nur störend. Sie haben – darauf macht die Kommunikationspsychologie aufmerksam (hier nach Winkel 2021, 152–173)  – zugleich Mitteilungscharakter. Sie enthalten auch Botschaften an Mitschüler:innen und Lehrende – eine Botschaft der Selbstoffenbarung (etwa »Mir ist langweilig«), einen Appell (»Beachte mich«) und ein Signal auf der Beziehungsebene (»Der [heimliche] Chef bin ich, nicht Sie«). Um mit Störungen konstruktiv umgehen zu können, ist es hilfreich bzw. unerlässlich, diese Botschaften zu entschlüsseln. Was die Intervention gegen Störungen im Unterrichtsprozess angeht, so sollten diese umsichtig und konsequent, aber möglichst gestaffelt erfolgen. Eine Klimax von Entstörungsmaßnahmen kann wie folgt aussehen: a. Bewusstes Ignorieren, b. Blick in Richtung der:des Störenden/Blickkontakt herstellen, c. Geste gegenüber dem:der Störenden/Zugehen auf die:den Störenden, d. Einbeziehen des:der Störenden in den Unterricht, e. Mündliche Ermahnung, f. Wiederholen der Ermahnung mit nachdrücklicher Mimik, g. Androhen und dann erst Vollziehen einer Sanktion, z. B. Wegnehmen eines störenden Gegenstandes, Aufgeben einer Übungsarbeit, Eintrag ins Klassenbuch, h. Umstellen auf eine weniger störanfällige »Notmethodik« (Kürzen des Unterrichtsgesprächs, Diktieren von Einträgen etc.), i. Unterbrechen des Unterrichts und Thematisieren der Störung, j. Umsetzen der Schülerin:des Schülers, k. Androhen und Vollziehen von Sanktionen, die über den Unterricht hinausgehen, z. B. – bei minderjährigen Schüler:innen – die Benach­ richtigung der Eltern. Längerfristig erfordern Störungen eine gründliche Analyse, vor allem die Suche nach Gründen. Näherhin umfasst die Analyse die Beschreibung und Klassifizierung der Störung, die Frage nach Gründen, nach Störungsrichtung (zielt sie auf bestimmte Personen, Sachen oder auf bestimmte Verhältnisse?) und Störungsfolgen. Ein »Diagnosebogen« kann hilfreich sein, um die Analyse systematisch durchzuführen (Winkel 2021, 96–98). Störungen können verschiedene Gründe haben, neben den bereits ge-

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Mitteilungs­ charakter von Störungen

Handlungs­ möglich­ keiten im Unterrichts­ prozess

Unverzicht­ bar:Ursachen­ forschung

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Handlungs­ möglich­ keiten nach der Analyse

Grundsätze

Besondere Fälle

nannten äußeren und sogenannten vorsituativen Gründen kommen schüler:innenbedingte (»Wer Schwierigkeiten hat, macht Schwierigkeiten«), lehrer:innenbedingte (unklare oder unangemessene Arbeitsaufträge, Haltung des Laisser-faire), interaktionsbedingte (gespanntes Verhältnis Schüler:in – Lehrer:in, Kommunikation ohne Zuwendung) in Betracht – entsprechend wichtig ist es, einfache Zuweisungen zu vermeiden (Winkel 2021, 293). Der Verschiedenheit der Gründe entsprechend kommen einige, darunter didaktisch zu reflektierende Verfahren zur Entstörung infrage: Veränderungen des Raumes und der äußeren Bedingungen, Einführen/Sanktionieren von Regeln des Umgangs und Überprüfung der Sitzordnung, Zwiesprache mit den betreffenden Schüler:innen (gegebenenfalls im Beisein einer moderierenden dritten Person), Überprüfung des eigenen methodischen Repertoires, Modifikation der Inhalte des Unterrichts und seiner didaktischen Qualität (doppelseitige Erschließung) sowie Beratung mit und durch eine:n »Supervisor:in«. In jedem Fall sollten folgende – nicht zuletzt religionsdidaktisch begründbare – Grundsätze beachtet werden. Erstens: Unterricht kann und soll nicht gegen die Lernenden »funktionieren«, auch nicht gegen störende Schüler:innen; seine Grundidee ist und bleibt deren Förderung. Zweitens: Die Grundhaltung der Lehrenden sollte ein autoritativer Stil, eine Haltung der wohlwollenden Entschiedenheit, nicht etwa eine der Gleichgültigkeit, der zuwendungslosen Strenge, des Spottes sein. Drittens: Das Verhalten der Lehrenden soll konsequent sein und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Viertens: Zwischen dem Verhalten der Lernenden und ihrer Person ist zu unterscheiden. Schließlich: Unterricht ist ein Interaktionsgeschehen: Schüler:innen wie Lehrende sollten zu Verhaltensänderungen bereit sein und dazu in die Lage versetzt werden.

6.5 Religionslehrer:innen im Kreis der Kolleg:innen und gemeindepädagogischen Akteur:innen Verantwor­ tung und Freiheit von (Religions-) Lehrer:innen

Auch wenn es Kerncurricula, Fachkonferenzen und schuleigene Lehrpläne bzw. Themenlisten gibt, für den eigenen Unterricht ist der oder die einzelne (Religions-)Lehrer:in allein verantwortlich. Dieser Umstand nimmt die Lehrenden zu Recht als Fachleute für Lehren und Lernen (KMK 2000), als ihrem Gewissen und wissenschaftlicher Erkenntnis verpflichtete Individuen (EKD 1971 – s. Kap. Materialien 8.3), als Akteur:innen in der

Religionslehrer:innen im Kreis der Kolleg:innen

Schule und, im Falle von Religionslehrenden, auch als Personen, die ihre Arbeit in Freiheit, aber doch auch »im Zusammenhang mit Zeugnis und Dienst der Kirche« (EKD 1971) ernst – und eröffnet eine Fülle an Spielräumen für ihr unterrichtliches und außerunterrichtliches Handeln. Allerdings laufen diese individuell zugespitzte Rollenzuschreibung und ein entsprechendes Selbstverständnis auch Gefahr, überindividuelle Facetten des Berufs »Religionslehrer:in« abzublenden und ein Verhalten bzw. Selbstbild als »Einzelkämpfer:in« hervorzubringen – was für die einzelnen Lehrer:innen, aber auch für die Wahrnehmung ihre Aufgabe Nachteile bergen kann. Zu diesen möglichen Nachteilen gehört, dass Phänomene, die keineswegs nur den eigenen Unterricht betreffen (z. B. Schwierigkeiten von Schüler:innen mit partizipativen Lernarrangements, Störungen eines Schülers:einer Schülerin, unzureichende Integration digitalbasierter Unterrichtsverfahren), fälschlich individualisiert und damit nicht realitätsgerecht wahrgenommen werden, dass Gelingendes und Misslingendes möglichst verborgen und so kollegiale Beratung unterlaufen wird, dass das eigene Fach nicht als Beitrag zum Schulprogramm vertreten werden kann – und, nicht zuletzt, religiöse Bildung nicht als das vernetzte Gesamtunternehmen im Blick bleibt, das es faktisch ist: gefördert (oder auch nicht) von Eltern bzw. Familien, vom Unterricht anderer Lehrer:innen, die auf Religion positiv oder negativ Bezug nehmen, von Pfarrer:innen, Diakon:innen und Ehrenamtlichen in einer Gemeinde, von Medien (und ihren implizit oder explizit religionsbezogenen Inhalten) oder von Religion(en) im öffentlichen Raum. Demgegenüber bieten sich verschiedene Personen und Berufsgruppen als »natürliche« Gesprächspartner:innen von Religionslehrer:innen an – nicht jede:r wird mit ihnen allen in Kontakt treten oder gar zusammenarbeiten können, doch einzelne dieser Optionen lohnen sich erprobt und geprüft zu werden. Ein erster möglicher Bezugspunkt sind Kolleg:innen: diejenigen des eigenen Faches, der Fachkonferenz »Religion«, zu der vielleicht auch katholische, jüdische oder muslimische Lehrkräfte gehören, oder die Lehrer:innen anderer Fächer der Schule, die sich womöglich vor ganz ähnlichen Herausforderungen stehen sehen wie Religionslehrer:innen. Hier sind nicht nur Tür-und-Angel-Gespräche im Lehrer:innenzimmer geeignet, die Atmosphäre zu verbessern, Vertrauen aufzubauen und Zusammenarbeitsmöglichkeiten zu sondieren. Auch ohne ausgeprägte persönliche Sympathie lassen sich fachliche Fragen besprechen, gegenseitige Unterrichtshospitationen in den Blick nehmen und Projekte pla-

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Risiken eines indivi­ dua­lisier­ ten Berufs­ konzepts

Beratung, Entlastung, Anregung

Gemeinsam autonom sein

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Begegnung mit Mitarbei­ tenden einer Gemeinde

Ökumeni­ scher und Inter­reli­giö­ ser Dialog vor Ort

Besondere Fälle

nen. Vielleicht braucht es zudem außerschulische Begegnungen, die regelmäßig verabredet werden, gemeinsames Essen und Trinken einschließen und Raum geben für ein freies Gespräch über Persönliches, Fachliches, Schulisches. Im Blick auf entsprechende Konstellationen von Pfarrer:innen hat Ricarda Schnelle (2019) dafür die ebenso beschreibende wie einladende Formulierung »Gemeinsam autonom sein« gefunden. Die Schüler:innen im Religionsunterricht gehören, sofern sie evangelisch, katholisch o. Ä. sind, in weiterführenden Schulen häufig verschiedenen Gemeinden an – das sollte indes nicht daran hindern, zumindest mit einer von ihnen exemplarisch in Kontakt zu treten. Es ist gut zu wissen, welche Formen der Arbeit mit Kindern (Kindergottesdienst, Christenlehre, Kinderchor o. Ä.) eine Gemeinde ermöglicht oder welchem Konzept die Konfirmand:innenarbeit folgt. Umgekehrt ist es für ein Presbyterium bzw. einen Kirchengemeinderat, eine:n Pfarrer:in oder den:die Jugenddiakon:in aufschlussreich, Informationen über den schulischen Religionsunterricht zu erhalten und über offene Fragen, vielleicht auch wechselseitige Kritik ins Gespräch zu kommen. Besuche und informativer Austausch können dazu führen, dass fortan auf interessante Veranstaltungen hingewiesen wird (auf die Kinderbibelwoche oder die Jugendfreizeit hier, auf die Filmreihe im Ganztag oder die Religiöse Schulwoche dort), dass ein gemeinsam geplanter Schulgottesdienst zustande kommt oder ein Praktikumsplatz in Diakonie oder Parochie und ein neuer Beitrag zur Ganztagsbetreuung ermöglicht wird. Im günstigen Fall rückt beiden Seiten so vor Augen, dass Schule und Gemeinde Unersetzliches zur religiösen Bildung der Schüler:innen anbieten und beitragen – und dieser Umstand gleichermaßen motivieren und entlasten kann. Religionslehrer:innen müssen sich immer wieder auf neue Themen oder Gegebenheiten einstellen – etwa auf eine unüberschaubar wirkende Fülle an Herausforderungen, die aus dem Eingehen auf nicht christliche Religionen oder andere christliche Konfessionen entspringen (und sich beispielsweise aus dem Eintreffen von Flüchtlingen ergeben, die der syrisch-orthodoxen Kirche angehören oder Alevit:innen sind, oder aus der Einführung konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts). Fraglos können und müssen Religionslehrer:innen einschlägige Kenntnisse durch Lektüre oder durch Fortbildungen aufbauen und vertiefen. Darüber hinaus kann es für die eigene Motivation, für die Erweiterung des Erfahrungsschatzes und für den Aufbau von Verhaltenssicherheit in intra- und interreligiösen Dialogen hilfreich sein, sich in

Religionslehrer:innen als Krisenmanager:innen

einem ökumenischen Gesprächskreis oder im örtlichen Runden Tisch der abrahamischen Religionen zu engagieren oder an kirchlich organisierten Studien- und Begegnungsreise nach Rom, Andalusien oder Israel teilzunehmen.

6.6 Religionslehrer:innen als Krisenmanager:innen Alle Lehrer:innen haben den Auftrag nicht nur zu unterrichten, sondern auch die Schule zu entwickeln und ihre Schüler:innen zu fördern. Das soll in der Schule primär mit pädagogischen Mitteln erfolgen. Auch die Schule und die Schüler:innen bleiben jedoch von Krisen nicht verschont, in denen pädagogisch reflektiertes Handeln an Grenzen stößt: Mobbing innerhalb oder außerhalb der Schule, eine schwerwiegende Erkrankung oder ein Todesfall, Konflikt- oder Diskriminierungserfahrungen Einzelner mögen als Beispiele genügen. Auch wenn hier im Prinzip alle in der jeweils betroffenen Lerngruppe aktiven Lehrkräfte oder die Schulleitung gefordert sind, werden an Religionslehrer:innen nicht selten besondere Erwartungen herangetragen. Das mag an dem Ruf der Vertrauenswürdigkeit liegen, den sie sich als Person erarbeitet haben, das mag dran liegen, dass man ihrer Rolle eine besondere Vertrautheit mit existenziellen Fragen zuschreibt, das mag daran liegen, dass »Religion« und Seelsorge assoziiert werden. Jedenfalls müssen Religionslehrende eine Entscheidung fällen, ob sie diesen Erwartungen entsprechen wollen und können. Dabei spielt die selbstkritische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten, Bereitschaften und Möglichkeiten (Zeit, Verfügbarkeit, Vernetzung, Resilienz) eine entscheidende Rolle. Für das eigene »Standing« in der Schule und für das Ansehen des Faches ist es wünschenswert, wenn Religionslehrer:innen den in sie gesetzten Vertrauensvorschuss wahrnehmen – sofern sie sich die damit verbundenen Aufgaben zutrauen, über kommunikative Fähigkeiten und womöglich außerschulische Vorerfahrungen verfügen, entsprechende Zusatzqualifikationen (»Schulseelsorge« – s. Kap. 4.16) erworben haben und/oder weil sie mit den im Lehrenden-Kollegium entwickelten Vorüberlegungen (etwa zu einem »Notfallplan« oder zum Vorgehen im Trauerfall) oder Konzepten (etwa zum Aufbau einer kon­ struktiven Konfliktkultur oder zur Aufnahme in das Netzwerk »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage«: www.schule-ohne-rassismus. org) vertraut sind.

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Besondere Fälle

Je nach Konstellation an der jeweiligen Schule können Aufgaben in diesem Feld aufgeteilt oder koordiniert werden – auch Vertrauenslehrer:innen, Schulpsycholog:innen oder Schulsozialarbeiter:innen stehen gegebenenfalls zur Verfügung.

Umgang mit Konflikten

Oben wurde im Zusammenhang mit Gesprächsführung und Schulseelsorge bereits das Vorgehen im Trauerfall thematisiert (Kap. 4.16). Als weiteres Beispiel sei der Umgang mit Konflikten angesprochen: Soll dieser in die Schulkultur eingebettet sein, ist neben der Intervention im akuten Streitfall einerseits die Prävention und andererseits die Nacharbeit zu unterscheiden. Zur Prävention gehören etwa die Förderung sozialen Lernens oder die Qualifikation einzelner Schüler:innen zu Mediator:innen, zur Nacharbeit die gesprächsförmige Aufarbeitung des akuten Konfliktes, die unterrichtliche Thematisierung von Vorurteilen oder anderen Faktoren, die zu dem Konflikt beigetragen haben, die Schulung in gewaltfreier Kommunikation, die Implementierung des Trainingsraumkonzeptes usw. (vgl. zu einem Konzept und einzelnen Maßnahmen etwa Werner 2017).

Die Wahrnehmung von Aufgaben der Krisenmanager:innen ist neben einschlägigen Kompetenzen und gutem Willen auch auf Resilienz angewiesen: Die eigene Religiosität kann Religionslehrenden zugutekommen.

6.7 Religionslehrer:in sein an einer Schule in kirchlicher Trägerschaft

Träger­ schaften

Des Öfteren war im Blick auf allgemeinbildende wie berufsbildende Schulen die Rede davon, dass der Religionsunterricht in der Regel als ein Nebenfach angesehen und nicht selten auch so behandelt wird: Unterrichtsausfall, Verlegung in Randstunden, Nichtbeachtung in der Schulprogrammarbeit oder sogar schulinterne Infragestellung seiner Sinnhaftigkeit können Problemanzeigen sein. Doch selbstredend ist dies nicht immer kennzeichnend für den Religionsunterricht – an vielen Schulen ist er gut etabliert und wird in anspruchsvoller Weise unterrichtet; die Religionslehrenden sind geschätzt als Kolleg:innen mit einem Sensorium für Soziales und Sinnhaftes – und als Menschen, auf die man auch in heiklen Situationen bauen kann. Wer als Schüler:in oder als Religionslehrer:in eine Schule sucht, in der religiöse Bildung einen hohen Stellenwert hat, der:die kann gleichwohl in Betracht ziehen, eine Schule in kirchlicher Trägerschaft zu besuchen bzw. an ihr zu arbeiten. »In kirchlicher Trägerschaft« heißt auf evangelischer Seite, dass eine evangelische Landeskirche, deren Schulstiftung oder z. B. das Christliche

Religionslehrer:in sein an einer Schule in kirchlicher Trägerschaft

Jugenddorfwerk (CJD) für eine Schule verantwortlich ist, auf katholischer Seite, dass ein Bistum oder ein Orden diese Funktion wahrnimmt. Darüber hinaus gibt es jedoch auch Schulen, die von Elterninitiativen oder z. B. dem Verband Evangelischer Bekenntnisschulen (VEBS) getragen werden, der sich auf die Grundsätze der Evangelischen Allianz bezieht. Gemeinsam ist all diesen Schulen, dass es sich im Unterschied zu den staatlichen Schulen, die de facto von den jeweiligen Kommunen, also Dörfern, Städten oder Landkreisen verantwortet werden, um private Schulen handelt. Wie eingangs erwähnt (Kap. 1.1) ist diese Verschiedenheit der Schulträger gesellschaftlich-politisch erwünscht und seit 1919 in der Verfassung vorgesehen (vgl. Art. 7.4 GG); private Schulen haben dieselben staatlichen Bildungsvorgaben zu erfüllen wie staatliche Schulen – ihr Besuch kann deshalb denjenigen einer staatlichen Schule ersetzen (weswegen sie auch mit dem juristischen Terminus »Ersatzschule« belegt werden). Allerdings können und sollen sie darüber hinaus (im Rahmen des Grundgesetzes) eigene Ziele verfolgen und pädagogisch-sachliche Akzente setzen. Quantitativ gewährleisten Schulen in kirchlicher bzw. religiös gebundener Trägerschaft in Deutschland die Beschulung von etwa 6 % der Schüler:innen an allgemein- oder berufsbildenden Schulen. In katholischer Trägerschaft befanden sich im Schuljahr 2015/16 904 allgemeinbildende und berufsbildende Schulen mit insgesamt knapp 360.000 Schüler:innen und ca. 33.000 Lehrer:innen (Angaben nach https://schulen.katholisch.de), in evangelischer Trägerschaft im Jahr 2017 1.135 allgemein- sowie berufsbildende Schulen mit etwa 260.000 Schüler:innen und knapp 25.000 Lehrer:innen (Statistik Evangelische Schulen [SES] 2017–2019, 5 f.,9 und 11). Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes besuchten im Schuljahr 2015/16 von den gut 8,3 Millionen Schüler:innen in Deutschland rund 9 % eine Privatschule (davon etwa zwei Drittel eine kirchliche).

Auch an einer Schule in kirchlicher Trägerschaft – im Folgenden exemplarisch solche in evangelisch-kirchlicher Trägerschaft – dreht sich keineswegs alles um Religion. Unterrichtet werden alle Fächer und das Bestreben geht erst einmal dahin, eine gute Schule zu werden oder zu sein. In diesem Rahmen allerdings kommen die evangelischen Grundlagen in der Regel an verschiedenen Stellen zum Tragen (vgl. resümierend Schröder 2021a, § 40), etwa Ȥ durch Bezugnahme auf den christlichen Glauben, sein Menschenbild und seine Vorstellungen vom guten Leben als Motiv und Leitbild der Schule,

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Privat- oder Ersatzschule

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Besondere Fälle

Ȥ durch Interesse an guten Lehrer:innen, die religiöse Bildung zu fördern bereit sind und das Programm der Schule mittragen bzw. weiterentwickeln, Ȥ durch hohe Aufmerksamkeit für das Schulklima, die Wertschätzung der Schüler:innen und die Rolle von Religion im Schulleben (Schulgottesdienste, Schulseelsorge, schulbezogene Jugendarbeit, diakonische Unterstützung Einzelner), Ȥ durch einen regelmäßig erteilten, qualitativ hochwertigen Religionsunterricht, der durchaus ökumenische oder interreligiöse Akzente setzen kann. Kurzum: Für Lehrer:innen, die Religion unterrichten, stellen Schulen in evangelischer Trägerschaft (vgl. ein Verzeichnis der Schulen unter www.ekd.de/evangelische-schulen-in-deutschland-44154.htm) in der Regel ein attraktives Arbeitsumfeld dar, weil sie mit ihrem Fach hier in besonderer Weise gefordert sind, aber auch Unterstützung und positive Resonanz erfahren. »Evangelische Schulen« sind Orte, in denen sich das Bildungsethos evangelischer Kirche und Theologie gut entfalten kann.

Literatur

Hinweise auf Homepages, die im Text erfolgen, sind hier nicht nochmals zusammengestellt. Die Korrektheit aller Links wurden am 15. März 2022 letztmalig geprüft. Adam, Gottfried/Lachmann, Rainer (Hg.): Methodisches Kompendium für den Religionsunterricht, 2 Bde., Göttingen 1. Basisband: (1993) 52010; 2. Aufbaukurs: (2002) 3 2009. Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg/Pädagogisch-Theologisches Institut der Nordkirche/Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (Hg.): Interreligiös-dialogisches Lernen. Unterrichtsmaterialien […], München 2014 ff. Altmeyer, Stefan/Grümme, Bernhard/Kohler-Spiegel, Helga/Naurath, Elisabeth/Schröder, Bernd/Schweitzer, Friedrich (Hg.): Sprachsensibler Religionsunterricht (Jahrbuch der Religionspädagogik 37), Göttingen 2021. Anderssohn, Stefan: Handbuch inklusiver Religionsunterricht. Ein didaktisches Konzept. Grundlagen – Theorie – Praxis, Neukirchen-Vluyn 2016. Arnold, Jochen/Kraft, Friedhelm/Leonhard/Silke/Noß-Kolbe, Peter (Hg.): Gottesdienste und religiöse Feiern in der Schule (Gemeinsam Gottesdienst gestalten 27), Hannover 2015. Arnold, Ute u. a.: Texte im Religionsunterricht (Themen im Religionsunterricht 14), Freiburg 2017. Autorengruppe Bildungsberichterstattung: Bildung in Deutschland 2020. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung in einer digitalisierten Welt, Bielefeld 2020. Avenarius, Hermann/Heckel, Hans: Schulrechtskunde. Ein Handbuch für Praxis, Rechtsprechung und Wissenschaft, Neuwied 72000. Barth, Hans-Martin: Dogmatik. Evangelischer Glaube im Kontext der Weltreligionen, Gütersloh (2001) 32008. Bauer, Jochen/Kessler, Ulrich u. a. (Hg.): Religionsunterricht für alle 2.0. Konzept – Umsetzung – Herausforderungen, München 2022. Bauer, Karl-Oswald: Pädagogisches Handlungsrepertoire und professionelles Selbst von Lehrerinnen und Lehrern, in: Zeitschrift für Pädagogik 44 (1998), 343–359. Baumann, Ulrike u. a.: Ein literarisches Quartett: Ganzschriften im Religionsunterricht der Sekundarstufe I/II, Düsseldorf 2000. Baumert, Jürgen: Deutschland im internationalen Bildungsvergleich, in: Killius, Nelson u. a. (Hg.): Die Zukunft der Bildung, Frankfurt/M. 2002, 100–150. Beck, Wolfgang/Nord, Ilona/Valentin, Joachim (Hg.): Theologie und Digitalität. Ein Kompendium, Freiburg u. a. 2021.

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Literatur

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Literatur

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Literatur

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Literatur

Weidner, Margit: Kooperatives Lernen im Unterricht. Das Arbeitsbuch, Seelze (2003) 4 2008. Werner, Stefan: Trainingshandbuch Konfliktmanagement: Konflikte in Schule und sozialer Arbeit angemessen lösen, Weinheim (2013) 22017. Winkel, Rainer: Der gestörte Unterricht. Diagnostische und therapeutische Möglichkeiten, Baltmannsweiler (1976) 122021. Wissner, Golde/Schweitzer, Friedrich: Wen der Religionsunterricht nicht erreicht und wie er sich darum ändern müsste […], in: Stefan Altmeyer/Bernhard Grümme/ Helga Kohler-Spiegel/Elisabeth Naurath/Bernd Schröder/Friedrich Schweitzer (Hg.): Reli – keine Lust und keine Ahnung? (Jahrbuch der Religionspädagogik 35), Göttingen 2019, 46–61. Wissner, Golde/Nowack, Rebecca/Schweitzer, Friedrich/Boschki, Reinhold/Gronover, Matthias (Hg.): Jugend – Glaube – Religion II. Neue Befunde – vertiefende Analysen – didaktische Konsequenzen, Münster 2020. Zierer, Klaus: Welche Bedeutungen haben Positionierungen der Lehrpersonen für Bildungsprozesse?, in: Winfried Verburg (Hg.): Welche Positionierung braucht religiöse Bildung? München 2017, 14–25. Zimmermann, Mirjam (Hg.): Religionsunterricht mit Jugendliteratur, Göttingen 2006. Zimmermann, Mirjam/Zimmermann, Ruben (Hg.): Handbuch Bibeldidaktik, Tübingen (2013) 22018. Zimmermann, Wolf-Dietrich: Gespräche führen – moderieren – beraten (Lehrerbildung kompakt 1), Hohengehren (1997) 22003.

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8.1 Anleitung zur Vorbereitung von Religionsunterricht Für die Vorbereitung des schulischen Religionsunterrichts liegt eine Fülle an Anleitungen und Reflexionshilfen vor (siehe etwa aus der Literaturliste in Kapitel 7 die Titel von Michalke-Leicht 2013, Obst 2015, Riegel 2014 oder Schmid 2012). Angesichts von deren Klarheit und Anschaulichkeit werden hier lediglich Grundschritte erläutert – und zwar in Anlehnung an einen Vorschlag der »Lernenden Religionslehrer:innenbildung« (LRLB), einer Arbeitsgruppe, die am Standort Göttingen die Phasen der Religionslehrer:innenbildung zusammendenkt und zu verbessern sucht. Sie wird vom dortigen Lehrstuhl für Religionspädagogik koordiniert; ihr gehören Delegierte aus Studium (Lehrende + Studierende), Referendariat (Fachleiter:innen + Referendar:innen) und Fortbildung sowie der:die regionale Beauftragte für Kirche und Schule an. Als diese Anleitung entstand (2012) bzw. überarbeitet wurde (2018), gehörten ihr an: Dr. Florian Dinger, Moritz Emmelmann, Natascha Frickenhelm-Herreira, Prof. Dr. Monika Fuchs, Simon Kluge, Dr. Johannes Kubik, Christhard Löber, Rainer Merkel, Prof. Dr. Bernd Schröder und Thorsten-Wilhelm Wiegmann. Ich danke der LRLB für die Abdruckerlaubnis.

Ausgangspunkt der Unterrichtsvorbereitung ist eine elementare Frage: Was soll, kann oder will die Lerngruppe auf welche Weise lernen? Die vorbereitende Reflexion der Faktoren des Unterrichts und das Abschreiten bestimmter Vorbereitungsschritte dienen somit dazu, auf eine Änderung der Verhaltensdisposition der Lernenden und die Erweiterung ihres Erfahrungsschatzes hinzuwirken. Die Fachdidaktik Religion stellt Begriffe und Konzepte bereit, um die geplanten Lehr-Lern-Prozesse präzise zu beschreiben – dabei ist bewusst zu halten, dass sich der Unterricht trotz umsichtiger Planung anders entwickeln kann als vorgesehen (was keineswegs per se ein Makel ist, sondern lediglich Anlass gibt zu rückblickender Reflexion auf Ursachen und Verhaltensalternativen). Es kommt deshalb jedenfalls auf die didaktische Präsenz der Lehrperson und die Selbsttätigkeit der Lernenden an – Unterricht ist ein personales Geschehen.

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Aufgabe der schriftlichen Unterrichts­ planung

Erforderliche Reflexions­ schritte

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Unterrichtsvorbereitung ist ansonsten bei aller Planung und Reflexion zunächst ein kreatives Unterfangen: Es braucht dafür Ideen, den Willen und die Fähigkeit, andernorts Entdecktes auf den eigenen Unterricht zu übertragen, einen Schatz an Gelungenem (und Misslungenem) und auch Experimentierfreude. In der schriftlichen Planung von Religionsunterricht soll die:der Autor:in zeigen, dass er:sie sich mit dem gegebenen Lernsetting vertraut gemacht hat und in den einschlägigen Wissensbeständen zum Lernort und zu den Lernenden sowie zur Religionsdidaktik einschließlich Methodik und zur theologischen Sache so auskennt, dass sie:er daraus einen (für die Lernenden) attraktiven, sachkundigen und plausibel begründeten Vorschlag für dessen Gestaltung entwickeln kann. Die Berücksichtigung der diversen Faktoren eines Lehr-Lern-Arrangements und das Abschreiten der Reflexionsschritte der Vorbereitung sind deshalb unverzichtbar, weil sich damit der:die Vorbereitende die vorhandenen Gestaltungsspielräume bewusstmacht und daraufhin begründete didaktische Entscheidungen fällen kann – eben das zeichnet den »Reflective Practitioner«, die:der ihre:seine eigene Praxis bedacht entwerfenden und kritisch prüfenden Lehrenden aus. Die Reflexionsschritte der Vorbereitung werden hier in einer üblichen Reihenfolge beschrieben, können und sollen aber durchaus mehrfach oder auch in einer anderen Reihung bedacht werden. Verzichtbar ist keiner der Schritte. Nicht alles Bedenkenswerte kann ausführlich thematisiert werden, deshalb ist der Verweis auf passgenau ausgewählte Literatur entlastend und in der Regel unerlässlich. Klärung des persönlichen Zugangs: Auch die Religionslehrer:innen haben nicht als unbeschriebene Blätter am Lehr-Lern-Prozess teil; es ist deshalb sinnvoll, sich Rechenschaft abzulegen über die persönliche Betroffenheit, die eigenen Erwartungen, die Gründe für die Wahl des Themas und des Lernsettings – und auch die Position, die eine Lehrperson gegebenenfalls in den konkreten Prozess einzubringen gedenkt. Reflexion auf die Lerngruppe: Ausgangs- und Zielpunkt eines Lernprozesses sind die Lernenden; die Wahrnehmung ihrer – mutmaßlichen – Interessen, Ressourcen, Lernhemmnisse, in vorgängigem Unterricht oder im Alltag erworbenen Vorkenntnisse (auch ihrer entwicklungspsychologisch, religionsoziologisch und kontextbedingt erwartbaren Möglichkeiten) ist somit ein essenzieller Schritt der Vorbereitung. Fachwissenschaftliche Analyse: In diesem Reflexionsschritt wird a) der thematische Rahmen abgesteckt und b) die Auswahl bestimmter thema-

Anleitung zur Vorbereitung von Religionsunterricht

tischer Facetten bzw. Sachaspekte, die im Unterricht im Zentrum stehen sollen, begründet, zudem c) der Sachgehalt des gewählten Themas skizziert, inklusive wichtiger Problemstellungen und wissenschaftlicher Streitpunkte. Je nach Thema kann die Reflexion einen exegetischen und hermeneutischen, einen systematisch-theologischen und/oder religionsbzw. humanwissenschaftlichen Schwerpunkt bekommen – es sollte allerdings stets beleuchtet werden, was theologische Reflexion zur Aufklärung des Sachverhaltes und zur Aufklärung der Lernenden beitragen kann. Der Bezug auf das Kerncurriculum bzw. den Bildungsplan schlägt Schneisen, entbindet aber nicht von der fachlichen Reflexionsanstrengung. Fachdidaktische Analyse: Ein religiöser Lernprozess soll in der Regel Kenntnisse und Kompetenzen auf- oder ausbauen, er soll darüber hinaus nach Möglichkeit die einzelnen Lernenden existenziell ansprechen, in der Übung, Wahrnehmung und Reflexion ihrer Religiösität fördern. Die Frage, was in einem Lernprozess wie thematisiert wird und welche Lernchancen ein Thema bietet, soll im Zuge der didaktischen Reflexion geklärt werden. In der Didaktik ist unstrittig, dass diese Klärung gleichermaßen an den Lernenden wie an der Sache orientiert sein soll, anders gesagt: Der Lernprozess soll (für die Lernenden) Bedeutsames und (von der Sache her) Wesentliches behandeln. Um Schnittflächen dieser doppelten Ausrichtung zu identifizieren, gibt es etablierte Verfahren – etwa die didaktische Analyse, die Elementarisierung oder die Relevanzprüfung. Didaktische Entscheidungen: Am Ende der vorbereitenden Reflexion stehen didaktische Entscheidungen. Sie betreffen zum einen die Lernziele der Lehrenden und die Kompetenzen der Lernenden, die gefördert werden sollen, zum anderen die Lernschritte, die im Lehr-Lern-Arrangement gegangen werden sollen, samt Methoden und Medien. Hilfreich kann die Anlehnung an eine der didaktischen Konzeptionen und Konzepte sein. Die Entscheidungen sollen begründet werden, in der Regel im Rückgriff auf Literatur und in Abwägung von Alternativen, die in Schulbüchern und Unterrichtsmaterial geschildert werden. Verdichtet wird dies in einem tabellarischen Verlaufsplan, der die Lernschritte, ihren Zeitbedarf, Methoden und Medien, Schlüsselimpulse des Lehrenden und erwartete Aktivitäten der Lernenden so zusammenstellt, dass man sich daran im Vollzug des Lehr-Lern-Prozesses orientieren kann.

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8.2 Vorschläge für eine religionspädagogische Bibliothek Nachschlagewerke und Grundtexte Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität. Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1994. Religiöse Orientierung gewinnen. Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule. Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 2014. Wissenschaftlich-Religionspädagogisches Lexikon im Internet (WiReLex), hg. v. Heike Lindner und Mirjam Zimmermann: https://www.bibelwissenschaft.de/wirelex/wirelex/

Grundlagen der Religionspädagogik in systematischer Übersicht Domsgen, Michael: Religionspädagogik, Leipzig 2019. Kunstmann, Joachim: Religionspädagogik, Tübingen (2010) 32021. Schröder, Bernd: Religionspädagogik, Tübingen (2012) 22021.

Religionsdidaktik Biewald, Roland/Obermann, Andreas/Schröder, Bernd/Schwendemann, Wilhelm (Hg.): Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen. Ein Handbuch, Göttingen 2018. Englert, Rudolf: Religion gibt zu denken, München 2013. Grethlein, Christian: Fachdidaktik Religion, Göttingen 2005. Hilger, Georg/Ritter, Werner H./Lindner, Konstantin/Simojoki, Henrik/Stögbauer, Eva: Religionsdidaktik Grundschule. Handbuch für die Praxis des evangelischen und katholischen Religionsunterrichts, München/Stuttgart (2014) 22018. Kropač, Ulrich/Riegel, Ulrich (Hg.): Handbuch Religionsdidaktik, Stuttgart 2021. Riegel, Ulrich: Religionsunterricht planen, Stuttgart (2010) 22014. Woppowa, Jan: Religionsdidaktik, Paderborn 2018.

Methoden Brenner, Gerd: Fundgrube Methoden; Bd. I: Für alle Fächer, Berlin, 32010. Methodisches Kompendium für den Religionsunterricht, hg. von Gottfried Adam/ Rainer Lachmann, 2 Bände, Göttingen 1. Basisband: (1993) 52010; 2. Aufbaukurs: (2002) 32009. Niehl, Franz W./Thömmes, Arthur: 212 Methoden für den RU, München (1998; 122012) Neuausgabe (2014) 32020.

»Grundsätze der Religionsgemeinschaften« nach evangelischem Verständnis

Unterrichtsideen und aktuelle Informationen zum Religionsunterricht www.rpi-virtuell.de (am Comenius-Institut, Münster, angesiedeltes digitales RPI) www.religionsunterricht-in-niedersachsen.de (= exemplarische, von den Kirchen in Niedersachsen bzw. deren Bildungsabteilungen unterhaltene Homepage) www.ekd.de/Bildung (Homepage der Bildungsabteilung der EKD)

Zeitschriften (die sich um der eigenen Fortbildung willen zu abonnieren lohnen) BRU: Magazin für den Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen, Villigst entwurf. Konzepte, Ideen und Materialien für den Religionsunterricht, Seelze Jahrbuch der Religionspädagogik, Göttingen Katechetische Blätter, München Loccumer Pelikan sowie www.rpi-loccum.de/material bzw. die Entsprechung anderer Landeskirchen, z. B. rpi-Impulse (www.rpi-ekkw-ekhn.de/home/bereiche/rpi-impulse) Religion 5–10, Seelze Religion unterrichten, Göttingen (eine ökumenische Open-Access-Zeitschrift: www. vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/zeitschrift-religion-unterrichten) Zeitschrift für Pädagogik und Theologie (früher: Der Evangelische Erzieher), Berlin u. a.

Curriculare Vorgaben (neben den Kerncurricula der Bundesländer) Kirchenamt der EKD (Hg.): Kerncurriculum für das Fach Evangelische Religionslehre in der gymnasialen Oberstufe. Hannover 2010 (EKD-Texte 109). Kirchenamt der EKD (Hg.): Kompetenzen und Standards für den evangelischen Religionsunterricht in der Sekundarstufe I, Hannover 2010 (EKD-Texte 111). Kirchenamt der EKD (Hg.): Konfessionell-kooperativ erteilter Religionsunterricht. Grundlagen, Standards und Zielsetzungen, Hannover 2018 (EKD-Texte 128). Kirchenamt der EKD (Hg.): Kompetenzen und Standards für den evangelischen Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen, Hannover 2018 (EKD-Texte 129). Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland: Einheitliche Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung Evangelische Religionslehre. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16.11.2006.

8.3 »Grundsätze der Religionsgemeinschaften« nach evangelischem Verständnis aus: Zu verfassungsrechtlichen Fragen des Religionsunterrichts. Stellungnahme der Kommission I der EKD (vom Rat der EKD in seiner Sitzung vom 7./8. Juli 1971 zustimmend entgegengenommen), in: Die Denkschriften der EKD, hg. vom Kirchenamt der EKD, Bd. 4/1: Bildung und Erziehung, Gütersloh 1987, 56–63, hier 60 f. = Abschnitt IV.

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»(1) Unter den ›Grundsätzen der Religionsgemeinschaften‹ [Art. 7.3 GG] wurden im Sinne der Weimarer Reichsverfassung ursprünglich ›positive Lehrsätze und Dogmen‹ verstanden […]. Der Begriff […] bedarf jedoch angesichts der gegenwärtigen theologischen und pädagogischen Erkenntnis und Praxis der Interpretation. (2) In der heutigen theologischen und kirchlichen Sicht ist das Verständnis des christlichen Glaubens durch folgende Grundsätze gekennzeichnet:    a) Die Vermittlung des christlichen Glaubens ist grundlegend bestimmt durch das biblische Zeugnis von Jesus Christus unter Beachtung seiner Wirkungsgeschichte.     b) Glaubensaussagen und Bekenntnisse sind in ihrem geschichtlichen Zusammenhang zu verstehen und in jeder Gegenwart einer erneuten Auslegung bedürftig.     c) Die Vermittlung des christlichen Glaubens muß den Zusammenhang mit dem Zeugnis und Dienst der Kirche wahren. (3) Die Bindung an das biblische Zeugnis von Jesus Christus schließt nach evangelischem Verständnis ein, daß der Lehrer die Auslegung und Vermittlung der Glaubensinhalte auf wissenschaftlicher Grundlage und in Freiheit des Gewissens vornimmt. (4) Die ›Grundsätze der Religionsgemeinschaften‹ schließen in der gegenwärtigen Situation die Forderung ein, sich mit den verschiedenen geschichtlichen Formen des christlichen Glaubens (Kirchen, Denominationen, Bekenntnisse) zu befassen, um den eigenen Standpunkt und die eigene Auffassung zu überprüfen, um Andersdenkende zu verstehen und um zu größerer Gemeinsamkeit zu gelangen. Entsprechendes gilt für die Auseinandersetzung mit nichtchristlichen Religionen und nichtreligiösen Überzeugungen. (5) Das theologische Verständnis der ›Grundsätze der Religionsgemeinschaften‹ korrespondiert mit einer pädagogischen Gestaltung des Unterrichts, der zugleich die Fähigkeit zur Interpretation vermittelt und den Dialog und die Zusammenarbeit einübt.«

Impulse zur transparenten Positionalität von Religionslehrer:innen

8.4 Impulse zur transparenten Positionalität von Religionslehrer:innen Diese Impulse sind das Beratungsergebnis der sogenannten Lernenden Religionslehrer:innenbildung (LRLB, s. Kap. 8.1) in Göttingen. An ihrer Erarbeitung waren 2018/19 beteiligt: Dr. Florian Dinger, Moritz Emmelmann, Natascha Frickenhelm-Herreira, Simon Kluge, Dr. Johannes Kubik, Christhard Löber, Rainer Merkel, Prof. Dr. Bernd Schröder und Thorsten-Wilhelm Wiegmann. Ich danke der LRLB für die Abdruckerlaubnis.

Positionalität kann durch die Inhalte (Traditionen, Positionen, Phänomene), die Schüler:innen und die Lehrer:innen in den Religionsunterricht Eingang finden. Nach Lage der Dinge kommt evangelische Positionalität im heutigen Religionsunterricht nach Art. 7.3 GG vor allem über die Lehrkraft zum Tragen. Die Schüler:innen sind in religiöser Hinsicht in der Regel ein corpus permixtum, die Inhalte, etwa bei problemorientierten oder religionskundlichen Einheiten, ebenso. Zu den Schüler:innen

Schüler:innen sind positionell – nur womöglich ist ihnen ihre Position in religiösen Fragen nicht bewusst oder sie ist »in der Schwebe«, jedenfalls nicht in erster Linie ausgerichtet an »Konfessionen« und »Konfessionskirchen«. Ihre Positionalität ist zudem – entwicklungsbedingt – in stärkerem Maße veränderlich. Die Zusammensetzung der Lerngruppe bestimmt mit, wie und wieviel Positionalität die Religionslehrenden einbringen sollen und können. Religionsunterricht dient dazu, Schüler:innen ihre individuelle Positionalität bewusst zu machen sowie dazu, sie an tradierte Positionen und deren Begründung im Blick auf religiöse Fragen/Themen/Thesen heranzuführen; dieser Annäherungsprozess ist zu fördern und zu respektieren. Zu den Inhalten

In Unterrichtseinheiten des Religionsunterrichts nach Art. 7.3 GG sollten in der Regel ein evangelischer Gegenstand, eine evangelische Vorgehensweise, z. B. Rekurs auf biblische Texte, und/oder (!) eine evangelische Sichtweise in das Unterrichtsgeschehen eingebracht werden. Und eben dies sollte auch als solches durchsichtig gemacht werden. Das schließt nicht aus, dass etwa religionskundliche Einheiten ggf. ohne solche Positionierungen auskommen.

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Idealerweise kommen solche »konfessionellen« Inhalte zur Sprache, die von den Lehrenden als tragfähig erachtet werden, damit sich an ihnen der Streit um die Auslegung der Wirklichkeit entzünden kann. Zu den Religionslehrer:innen

Der Sache nach ist die Positionalität von Lehrkräften ein komplexes Phänomen: Sie umschließt a) das Einbringen positionell-konfessioneller Inhalte, Medien, Zielsetzungen und/oder Methoden, b) das sachbezogene, kriteriengeleitete, als solches transparente Urteilen, c) das Einbringen (und Geltendmachen) der Lehrmeinungen bzw. theologisch begründeten Praktiken einer Konfessionskirche als »geltende Wahrheiten«, d) das Zum-Ausdruck-Bringen einer d.a) rollenkonformen bzw. d.b) persönlichen Einschätzung der Lehrkraft. Letzteres ist nicht der Regelfall, sondern eine seltene, didaktisch kaum vorsehbare, aber sachlich unaufgebbare Ausdrucksform von Positionalität. Positionalität in den Unterricht einbringen zu können setzt voraus, Ȥ die eigene Position wahrzunehmen (ggf. im Unterschied zu derjenigen von Kolleg:innen oder Schüler:innen) und eine »positive Grundeinstellung« gegenüber Religion, christlichem Glauben und Kirche aufzubauen bzw. zu pflegen, Ȥ bei der Unterrichtsvorbereitung auf etwaige spezifisch evangelische Gegenstände (z. B. eine Person evangelischer Konfession), Vorgehensweisen (z. B. einen »kritisch symbolkundlichen« Zugriff auf das Symbol »Weg«) und eine bzw. mehrere evangelische Sichtweisen auf den Gegenstand (z. B. Positionen evangelischer Ethiker im Umgang mit einer Sachfrage) aufmerksam zu werden und sie als solche zu erkennen, Ȥ die eigene Position zu »relativieren«, d. h. den eigenen Wahrheitsanspruch nicht zu verleugnen, ihn aber »einzuklammern« in die Einsicht, dass »deus semper maior« (als unser endliches Verstehen) ist. Zum unterrichtlichen Umgang mit Positionalität

Die Positionalität der Religionslehrer:innen soll nicht so (früh, autoritativ oder monolithisch) eingebracht werden, dass sie die Richtung des Lernprozesses präjudiziert.

Impulse zur transparenten Positionalität von Religionslehrer:innen

Positionen – auch diejenigen, die von Lehrenden für tragfähig gehalten werden – sind im Unterricht immer als diskutabel und strittig zu behandeln. Schüler:innen müssen sie hinterfragen und kritisch verwerfen oder aneignen können. Die Position der Schüler:innen darf nicht Gegenstand der Bewertung werden; sehr wohl aber kann und soll Unterricht die Urteilskompetenz der Schüler:innen herausfordern, fördern und bewerten. Zu den Aufgaben der Lehrer:innenbildung im Blick auf Positionalität

Die Fähigkeit, im Sinne dieser Erwägungen Position zu beziehen, ist eine Schlüsselkompetenz von Religionslehrer:innen – eine Kompetenz, die im Religionsunterricht wohl so bedeutsam ist wie in keinem anderen Fach, und dennoch eine Kompetenz, die andere Kompetenzen, etwa didaktisch-methodische oder fachliche, nicht ersetzt, sondern voraussetzt. Im Rahmen der Lehrer:innenbildung ist diese Fähigkeit durch vier Szenarien anzuregen und zu fördern: Studium Arbeit am »Ethos« der Positionalität von Religionslehrer:innen Klärung, was »Positionalität« meint; Auseinandersetzung mit der Berufsrolle und den Erwartungen von Kirche bzw. Theologie speziell an Religions­ lehrer:innen; Ermutigung, an der eigenen Fähigkeit zur Positio­nalität während des Studiums und des Referen­dariats zu feilen Arbeit an der sachlichen Präzision, der metho­dischen Herleitung und der Qualität von Begründungen der eigenen Position angesichts theolo­gischer Themen Exemplarische Erarbeitung einer eigenen Position zu ausgewählten theologischen und religionspädagogischen Themen; Aneignung eines Instruments zur Erarbeitung von Urteilen, etwa der »ethischen Theorie sittlicher Urteilsfindung« nach H. E. Tödt (adaptiert bei Schröder 2021a, 467; Verfahrensschritte: 1. Identifikation des Positionierungsbedarfs, 2. Situationsanalyse, 3. Entwicklung von Positionierungsoptionen, 4. Kritische Prüfung anhand religionspädagogischer Grundsätze, 5. Klärung der Verallgemeinerbarkeit; 6. Entscheid); Habitualisierung systematischer Urteilsbildung

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Studium

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Förderung der eigenen Kommunikationsfähigkeit im Streit der Positionen in schulaffinen Lernarrangements Raum geben für methodische Arrangements, in denen Positionierung gefragt und gefördert wird: Diskussion, Rezension, Rollenspiel u. ä. m.; Inszenierung typischer Anforderungssituationen, die in der schulischen Arbeit Positionierung verlangen, etwa der Abschluss einer UE zum Thema »Gibt es Gott?« oder die Schüler:innenfrage »Was ist Ihre Meinung?« Förderung und Bewährung der eigenen Positionierungsfähigkeit in »realen« Begegnungen mit theologisch, konfessionell oder religiös Andersdenkenden Begehung von Moscheegemeinden u. Ä., Exkursion in religiös geprägte Kulturräume, Einladung anders­ konfessioneller oder -religiöser Expert:innen; methodischer Anstoß zur rückblickenden Reflexion auf die Begegnung und die eigene Positionierung; Übernahme von Gesprächsleitung oder Dialog durch Studierende

8.5 Anregungen zur Reflexion des eigenen Unterrichtsund Arbeitsumfelds Religionsunterricht ist gut vorzubereiten und auch möglichst gut durchzuführen. Zu einer guten Unterrichtspraxis gehört darüber hinaus auch die rückblickende Reflexion auf Vorbereitung und Unterricht, auf Gelungenes wie auch auf weniger oder gar nicht Gelungenes. Zur Professionalität von Religionslehrer:innen gehört zudem auch, wiederkehrend das eigene Arbeitsumfeld und die eigene Tätigkeit insgesamt in den Blick zu nehmen – nicht zuletzt unter der Leitfrage, wo etwas verbessert werden sollte und könnte. Diese Art von Rechenschaftsablage soll weder die kollegiale Beratung noch die Evaluation durch Dritte ersetzen. Im Blick auf das Arbeitsumfeld Schule scheinen mir die »Impulse für das Leben, Lehren und Lernen in der Schule« (EKD 2016) hilfreich zu sein. Vorschlag: Nehmen Sie sich die zehn Impulse (Inhaltsverzeichnis) vor und überlegen Sie allein oder in einem kleinen Kolleg:innenkreis, ob und inwiefern sie Ihre Schule kennzeichnen – und wo Sie Änderungs-

Anregungen zur Reflexion des eigenen Unterrichts- und Arbeitsumfelds

bedarf sehen (an den »Impulsen« oder an Ihrer Schule). Wenn Sie weitere Anregungen brauchen, können Sie die kurzen Textabschnitte zu den Impulsen lesen und daraus Ideen für Ihr Arbeitsumfeld entwickeln. Im Blick auf Ihre eigene Tätigkeit können Sie sich an »Kriterien« für guten Unterricht orientieren (vgl. etwa Schröder 2021a, 386) und so die Baustellen identifizieren, an denen Sie weiterarbeiten wollen.

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Abb. 1: Qualitätsdimensionen und Kriterien guten Religionsunterrichts (vgl. Schröder 2009, 51 f.)