Religion unterrichten in Vielfalt: konfessionell – religiös – weltanschaulich. Ein Handbuch [1 ed.] 9783666770258, 9783525770252


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German Pages [337] Year 2018

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Religion unterrichten in Vielfalt: konfessionell – religiös – weltanschaulich. Ein Handbuch [1 ed.]
 9783666770258, 9783525770252

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Religion unterrichten in Vielfalt konfessionell – religiös – weltanschaulich

Herausgegeben von Saskia Eisenhardt, Kathrin S. Kürzinger, Elisabeth Naurath, Uta Pohl-Patalong

Saskia Eisenhardt / Kathrin S. Kürzinger /  Elisabeth Naurath / Uta Pohl-Patalong (Hg.)

Religion unterrichten in Vielfalt konfessionell – religiös – weltanschaulich Ein Handbuch

Mit 15 Abbildungen und 2 Tabellen

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: © blue_bubble/shutterstock Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-77025-8

Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Teil I

Rahmenbedingungen religiöser Bildung in konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt Die Situation des Religionsunterrichts heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Uta Pohl-Patalong Zur Bedeutung (inter-)religiöser Bildung in pluralen Kontexten . . . . . . . . 28 Georg Langenhorst/Elisabeth Naurath Religionsunterricht oder Religionskunde? Zum Charakter religiöser Bildung angesichts konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  37 Kathrin S. Kürzinger Rechtliche Möglichkeiten der Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Bernd Schröder Kontextsensibles Unterrichten in konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Henrik Simojoki Religionssoziologische Einsichten über konfessionelle, religiöse und weltanschauliche Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Claudia Schulz Schulische Voraussetzungen für den Umgang mit konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Thomas Schlag Entwicklungspsychologische Grundlagen des Verständnisses von religiöser und weltanschaulicher Heterogenität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Gerhard Büttner 5

Teil II

Didaktischer Umgang mit konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Konfessionen 87 Jan Woppowa Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Religionen . . . . 102 Karlo Meyer Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Weltanschauungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Michael Domsgen

Teil III

Religionsdidaktische Ansätze für den Umgang mit konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt Theologisieren mit Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Katharina Kammeyer Theologisieren mit Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Saskia Eisenhardt Performative Religionsdidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Bärbel Husmann Sakralraumpädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Clauß Peter Sajak Didaktik Heiliger Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Martina Steinkühler Bibliodrama . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Heiner Aldebert Bibliolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Uta Pohl-Patalong Gendersensibler Religionsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Sebastian Hasler/Uta Pohl-Patalong Diakonisches Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Ulrike Witten/Walid Abd El Gawad

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Inhalt

Gewaltpräventives Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Elisabeth Naurath Ethisches Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Michael Winklmann Lernen am außerschulischen Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 Claudia Gärtner Einladung externer Expert*innen in den Religionsunterricht . . . . . . . . . . . 240 Anke Kaloudis Schüler*innen als Expert*innen im Religionsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . 249 Dennis Graham Die interreligiöse Lernwerkstatt – auch in der Schule! . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Jens Beiner/Lisa Unger

Teil IV

Gelungene Projekte für den Umgang mit konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt »Partnerschaft, Ehe und Familie« – ein Projekt in konfessioneller Kooperation an der Evangelischen Friedrich Oberlin Fachoberschule des Augustinum München . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Barbara Pühl Judentum begreifen – ein dialogisches interreligiöses Konzept für alle Schulformen in Osnabrück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Heide Rosenow Interreligiöse Begegnung – ein christlich-muslimisches Projekt in der vierten Klasse der Keilberthschule in München . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Selcen Güzel Schüler*innen begegnen den abrahamischen Religionen – ein inter­religiöses Unterrichtsprojekt der Martin-Buber-Schule in Groß-Gerau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Ursula Alflen/Lisa Schätzlein »Wir! Unsere Klasse als Unternehmen« – ein interreligiöses Projekt an der Höheren Berufsfachschule in Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Nicole Kuropka

Inhalt

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Pongal, Schawuot und Erntedank – Gestaltung eines interreligiösen Kalenders am Peutinger-Gymnasium in Augsburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Micha Seyboth Orientierung durch Verständigung – der interreligiöse Gesprächskreis junger Menschen in Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Julia Freund/Andreas Gloy Sakralraumpädagogik – ein Projekt an der Evangelischen Schule Berlin-Mitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Clauß Peter Sajak Interreligiöses Begegnungslernen in Kooperation mit dem Ethikunterricht – ein Projekt an vier Schulen in Mannheim und Heidelberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Ines Sperling Diakonisch-dialogisch – Einblicke in das »religionspädagogische Laboratorium« am katholischen Elisabeth-Gymnasium Halle . . . . . . . . . . 309 Hans-Michael Mingenbach Schüler*innen erleben Theologie – das reli:labor an der Kieler Forschungswerkstatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Saskia Eisenhardt/Stefanie Hertel-Holst Sensibilisierung für den Umgang mit Vielfalt in der Religionslehrer*innen­bildung – konfessionelle Kooperation an der Universität Bamberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Konstantin Lindner »Gesichter der Religionen« – ein interreligiöses Ausstellungsprojekt an der Universität Passau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Hans Mendl »kompetent kooperieren« – Förderung religionssensibler Dialog- und Kooperationskompetenz an der Universität Augsburg . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Kathrin S. Kürzinger Zusatzqualifikation Interreligiöse Mediation – ein Angebot für alle Lehramtsstudierenden an der Universität Augsburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 Elisabeth Naurath Autor*innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334

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Inhalt

Einleitung

»Wie unterrichtet man Religion im Kontext religiöser und weltanschaulicher Vielfalt? Wie kann ich meinen Schüler*innen als Lehrkraft gerecht werden? Wie kann ich mich als Religionslehrkraft in meinem Unterricht gut und am richtigen Ort fühlen?« – solche und ähnliche Fragen stellen sich zunehmend viele Lehrkräfte, die Religion unterrichten. Denn die Heterogenität der Schüler*innen wird gerade im Bereich religiöser Bildung in besonderer Weise zur Herausforderung: Dort, wo einst eine recht homogene Gruppe evangelischer und katholischer Schüler*innen saß, ist heute alles möglich. Längst schon haben wir als Religionslehrkräfte auch im konfessionell ausgerichteten Religionsunterricht »bunte« Lerngruppen, und dies auf ganz unterschiedliche Weise: Da sind getaufte Kirchenmitglieder, gläubig oder auch nicht, religiös sozialisiert oder auch nicht. Da sind Kinder und Jugendliche anderer christlicher Konfessionen, da sind Schüler*innen anderer Religionen, da ist die sogenannte Gruppe der Bekenntnislosen – ein Pool für viele Variationen religiöser und weltanschaulicher Einstellungen. Die Religionspädagogik beschäftigt sich als Wissenschaft seit einigen Jahren sehr intensiv mit der Frage wachsender Vielfalt in konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Hinsicht und versucht, Religionsdidaktik für diese Situation neu zu denken. Eine Fülle an aktueller Literatur thematisiert die Pluralität von Religionen und Religiositäten im Kontext heutiger Schulwirklichkeit und fragt nach Orientierungsmöglichkeiten für Religionslehrkräfte, die sich in diesem anspruchsvollen Fach, das auch existenziale Fragen und Deutungshorizonte beinhaltet, zurechtfinden müssen. Dabei wird neuerdings statt »Pluralität« zunehmend auch der Begriff »Heterogenität« verwendet, der noch stärker die unterschiedlichen nicht-religiösen Weltanschauungen in den Blick nimmt und deutlicher macht, dass sich die Thematik mit anderen Formen von Unterscheidungskriterien wie Geschlecht, soziale Voraussetzungen, individuelle Einschränkungen der Schüler*innen etc. verbindet. Hinzu kommt die Herausforderung, den Religionsunterricht dezidiert an den Schüler*innen auszurichten – entsprechend dem bildungstheoretischen Anspruch der Subjektorientierung – und die Religionsdidaktik auf kompetenzorientierte Lehrpläne umzustellen. 9

Vor diesem Hintergrund ist ein auffallendes Defizit zu bemerken: Es gibt bislang nur wenige Entwürfe zur Gestaltung von Religionsunterricht angesichts der herausfordernden religiösen Vielfalt der Lerngruppen. Wenn diese Unterrichtsrealitäten, die kontextuell sehr verschieden sein können, ausgeblendet werden, führt dies jedoch zu einem wachsenden Relevanzverlust des Faches. Die gegenwärtig schwelende Rede von der Legitimationskrise des Religionsunterrichts ist nicht zuletzt dadurch bedingt, dass die Pluralität der Adressat*innen die Frage aufwirft, ob ein Fach wie Religionskunde oder Ethik für alle angemessener sei. Hier setzt dieses Buch an: Es möchte die Situation der konfessionellen, religiösen und weltanschaulichen Vielfalt, in der sich der Religionsunterricht heute faktisch häufig befindet, erläutern und in verschiedener Hinsicht ausloten. Vor allem aber möchte es Lehrkräften Wege aufzeigen, wie sie didaktisch mit diesen Konstellationen umgehen können und dabei sowohl den Schüler*innen als auch den Inhalten des Faches gerecht werden können. Sein Interesse ist es hingegen nicht, die gegenwärtigen Modelle des Religionsunterrichts kritisch zu reflektieren, über neue Organisationsformen des Religionsunterrichts nachzudenken oder neue rechtliche Konstellationen zu initiieren (vgl. dazu Lindner/Schambeck/Simojoki/ Naurath, 2017). Wir gehen daher vom konfessionellen Religionsunterricht nach Art. 7,3 GG als Regelfall aus, der unter Beteiligung der Religionsgemeinschaften in den meisten Bundesländern rechtlich festgeschrieben ist, sowie von den jeweiligen Ersatzfächern Ethik, Philosophie, Werte und Normen, die Schüler*innen besuchen, die sich vom Religionsunterricht abmelden. Unterhalb dieser Ebene haben sich jedoch in den Ländern und Regionen sehr verschiedene Weisen des Umgangs mit der faktischen Vielfalt der Schüler*innen entwickelt, die alle versuchen, in den jeweiligen Herausforderungen gute religiöse Bildung für alle Schüler*innen zu gestalten. Diese Bemühungen möchten wir mit diesem Buch unterstützen, gleich in welchem Rahmen und in welcher Gestalt sie stattfinden. Dieses breite Spektrum von Konstellationen bringt es mit sich, dass die drei Adjektive »konfessionell«, »religiös« und »weltanschaulich«, die sich durch das Buch ziehen, vor Ort vermutlich in unterschiedlicher Weise relevant sind. Wir denken dabei an folgende Konstellationen: (1) »Konfessionell heterogen«: Hier steht die Herausforderung im Vordergrund, den Religionsunterricht auch mit Schüler*innen anderer Konfessionen als der eigenen zu gestalten. Dies gilt beispielsweise dann, wenn im Rahmen einer konfessionellen Kooperation evangelische und katholische Schüler*innen gemeinsam unterrichtet werden, sei es von einer Lehrkraft im Wechsel mit der anderen Konfession, sei es im Team-Teaching oder als Delegation der gesamten Lerngruppe an die Lehrkraft einer Konfession. Zunehmend trifft man jedoch 10

Saskia Eisenhardt, Kathrin S. Kürzinger, Elisabeth Naurath und Uta Pohl-Patalong

gerade in Minderheitssituationen einen Religionsunterricht an, der über einen längeren oder sogar den gesamten schulischen Zeitraum von der Lehrkraft einer Konfession für alle, die nicht am Ersatzfach teilnehmen (sofern dies überhaupt angeboten wird), gestaltet wird. Ebenso gilt dies, wenn Angehörige orthodoxer Konfessionen und/oder afrikanischer Kirchen am evangelischen oder katholischen Unterricht teilnehmen, aber auch beispielsweise russlandstämmige Mennoniten, Zeugen Jehovas und neuapostolische Christen. (2) »Religiös heterogen«: Hier geht es um die Teilnahme von Schüler*innen, die einer nicht-christlichen Religionsgemeinschaft angehören, weil kein Unterricht dieser Religionsgemeinschaft angeboten wird und sie sich nicht zum Ersatzfach angemeldet haben. Am häufigsten sind dies im Moment muslimische Schüler*innen. Aber auch alevitische, jüdische, jesidische, hinduistische, buddhistische Kinder und Jugendliche oder Sikhs sind im evangelischen, mittlerweile auch im katholischen Religionsunterricht anzutreffen. In manchen Bundesländern wird bereits seit Jahrzehnten in Beruflichen Schulen sowie teilweise auch in Grundschulen Religion im Klassenverband erteilt. Doch auch in der Sekundarstufe bei prinzipieller konfessioneller Trennung können Schüler*innen unterschiedlicher Religionen an dem evangelischen, seit kurzem auch an dem katholischen Unterricht offiziell teilnehmen. Der »Hamburger Weg« eines »Religionsunterrichts für alle in evangelischer Verantwortung« beteiligt in einer interreligiösen Ausrichtung andere Religionsgemeinschaften am Religionsunterricht, und in Bremen ist die rechtliche Ausnahmesituation von Art 7,3 GG in einem kulturell und historisch ausgerichteten »Biblischen Geschichtsunterricht«, in dem nicht nach Konfessionen und Religionen getrennt wird, umgesetzt. Neben diesen lokalen Lösungen kommen Schüler*innen unterschiedlicher Religionen auch andernorts in Projekten zusammen, um gemeinsam zu und mit verschiedenen religiösen Traditionen zu lernen. Dies wird ebenfalls ein Thema in diesem Band sein. Dabei gibt es wiederum ein großes Spektrum zwischen kaum religiös geprägten Schüler*innen, die teilweise auch nur rudimentäre Kenntnisse über ihre Religion besitzen und solchen, für die ihre Religion lebensprägend ist. In manchen Gegenden ist auch mit einer größeren Zahl von bi-religiös aufwachsenden Schüler*innen zu rechnen. Entsprechend unterschiedlich ist die Haltung zur christlichen Tradition und der Kenntnisstand der eigenen Religion, wobei man zumindest dann, wenn sich die Schüler*innen für das Fach Religion aktiv entscheiden (also ein Ersatzfach angeboten wird), von einer grundsätzlichen Offenheit für den Kontakt mit christlichen Gehalten ausgehen kann. (3) »Weltanschaulich heterogen«: Hier denken wir an einen Unterricht mit Schüler*innen ohne Religionszugehörigkeit, religiöse Sozialisation und/oder religiöse Überzeugung. Um eine treffende Bezeichnung für diese Gruppe, die alle drei Einleitung

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Komponenten einschließt und gleichzeitig keinen abwertenden Charakter besitzt, wird derzeit in der wissenschaftlichen Theologie und der Religionswissenschaft gerungen. Uns scheint der Begriff »religionsfern« recht gut das große Spektrum von Menschen, die sich bewusst und reflektiert als nicht-religiös oder »atheistisch« verstehen, über solche, die bislang kaum Kontakt zu christlichen Gehalten und Traditionen hatten, bis zu jenen, die eine diffuse religiöse Haltung mitbringen und/oder religiös auf der Suche sind, abzudecken. Bei dieser Gruppe ist weniger die lebensgeschichtliche Phase der Jugend im Blick, für die eine Distanz zu religiösen Positionen entwicklungspsychologisch oft beschrieben wurde. Vielmehr geht es um veränderte sozialisatorische Voraussetzungen, die nicht-religiöse Positionen im Religionsunterricht in jedem Fall in den ostdeutschen Bundesländern, zunehmend aber auch in vielen Gegenden Westdeutschlands nicht mehr als Abweichung einer Minderheit von der Mehrheit, sondern als breites Phänomen auch im Religionsunterricht antreffen lassen. Der Begriff der »weltanschaulichen Heterogenität« lässt die Frage offen, ob jede Weltanschauung in einem weiten Sinne als religiös zu bezeichnen ist, bzw. inwiefern jede Religion eine Weltanschauung darstellt – er rekurriert auf das Phänomen nicht-religiöser Weltanschauungen im Religionsunterricht. Selbstverständlich können alle diese Formen von Heterogenität auch gleichzeitig in einer Lerngruppe auftreten, sodass gerade die Vielfalt auf allen Ebenen prägend ist. Aber auch in dieser Situation sind es manchmal besondere Herausforderungen gegenüber bestimmten Gruppen und Konstellationen von Schüler*innen, die stärker die eine oder die andere Dimension von Heterogenität in den Vordergrund treten lassen und entsprechende didaktische Fragen aufwerfen. Insofern hoffen wir, dass alle Lehrkräfte, gleich wo und in welchen Konstellationen von Heterogenität sie unterrichten, ihre Fragen und Themen in den Artikeln dieses Bandes wiederfinden und Impulse für ihre Didaktik mitnehmen können.

Zum Aufbau des Bandes Im ersten Teil werden die Rahmenbedingungen religiöser Bildung in konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt erläutert. Gefragt wird, wie die gegenwärtige Situation, dass einerseits Religionsunterricht überwiegend »nach den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften« (Art. 7,3 GG) unterrichtet wird, und andererseits bei Weitem nicht nur Schüler*innen der jeweiligen Religionsgemeinschaft an ihm teilnehmen, historisch entstanden ist und was dies für den Religionsunterricht gegenwärtig bedeutet (Uta Pohl-Patalong). Gerade in dieser Situation verliert religiöse Bildung aber nicht an Bedeutung, sondern gewinnt sie eher, zumal 12

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wenn sie am Dialog interessiert und ausgerichtet ist (Georg Langenhorst/Elisabeth Naurath). Entgegen einer vor allem medial oft vertretenen Meinung legt dies jedoch gerade nicht eine weltanschaulich neutrale »Religionskunde« nahe, sondern ist in einem am Subjekt und seinen Erfahrungen ausgerichteten bekenntnisorientiertem Religionsunterricht sinnvoller zu bewältigen (Kathrin S. Kürzinger). Dabei gehen die Bundesländer teilweise unterschiedliche Wege in den rechtlichen Regelungen und bevorzugten Möglichkeiten zu Kooperationen und anderen Alternativen, mit den verschiedenen Formen von Heterogenitäten umzugehen (Bernd Schröder). Was vor Ort konkret gilt, ist aber nicht nur eine Frage des jeweiligen Bundeslandes und seiner Spielräume, sondern auch des regionalen und schulischen Kontextes, der die Herausforderungen des Religionsunterrichts hier ganz anders erscheinen lässt als dort (Henrik Simojoki). Zudem wird der Religionsunterricht in seiner Vielfalt von gesellschaftlichen, schulischen und auch entwicklungspsychologischen Rahmenbedingungen geprägt, die ein Religionsunterricht, der sensibel ist für die Heterogenität seiner Schüler*innen, in den Blick nehmen muss. So ist die religiöse und weltanschauliche Vielfalt Folge gesellschaftlicher Entwicklungen und prägt diese gleichzeitig (Claudia Schulz). Zugleich ist der Kontext der Schule zwischen seinem Ideal und seinen Realitäten Rahmen und Bedingung für den Religionsunterricht (Thomas Schlag). Und auch entwicklungspsychologische Voraussetzungen für Schüler*innen in den unterschiedlichen Altersstufen sind zu bedenken, gerade im Blick darauf, wie Kinder und Jugendliche auf religiöse Vielfalt zugehen und mit ihr umgehen (Gerhard Büttner). Im zweiten Teil werden dann die drei »Heterogenitäten« spezifisch in den Blick genommen: Was bedeutet es, in konfessionell gemischten Lerngruppen zu unterrichten (Jan Woppowa), was sind die besonderen Herausforderungen und Möglichkeiten mit Schüler*innen unterschiedlicher Religionen (Karlo Meyer) und was ist didaktisch in besonderer Weise zu berücksichtigen, wenn religiöse und nicht-religiöse Weltanschauungen aufeinandertreffen (Michael Domsgen)? Noch konkreter wird es schließlich im dritten Teil, wenn gefragt wird, wie religiöse Bildung in diesen »bunten« Lerngruppen didaktisch gestaltet werden kann. Hier haben wir uns an den religionsdidaktischen Ansätzen orientiert, die im heutigen Religionsunterricht leitend sein können. Diese werden jeweils kurz vorgestellt und daraufhin bedacht, was es bedeutet, Religionsunterricht nach diesem Ansatz zu gestalten, wenn die konfessionelle, religiöse und/oder weltanschauliche Heterogenität didaktisch berücksichtigt wird und das Fach allen, die an ihm teilnehmen, gerecht werden soll, ohne sein Profil aufzugeben. Vertreten sind die Ansätze des Theologisierens mit Kindern (Katharina Kammeyer) und mit Jugendlichen (Saskia Eisenhardt), die performative Religionsdidaktik (Bärbel Husmann) sowie die Pädagogik sakraler Räume (Clauß Peter Sajak), die Einleitung

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nicht nur Erkundungen von Kirchen, sondern auch von Moscheen und Synagogen didaktisch fruchtbar macht. Die Frage nach der Bibel im Religionsunterricht in religiöser Vielfalt wird aufgenommen durch Überlegungen zur Didaktik Heiliger Schriften (Martina Steinkühler), die auch den Umgang mit Koran und Tenach bedenkt, sowie das Bibliodrama (Heiner Aldebert) und den Bibliolog (Uta Pohl-Patalong) in konfessionell, religiös und weltanschaulich gemischten Lerngruppen. Ebenso wird der genderorientierte Religionsunterricht auf diese Konstellationen bezogen (Sebastian Hasler/Uta Pohl-Patalong) wie auch das diakonisch-soziale (Ulrike Witten/Walid Abd El Gawad), das gewaltpräventive (Elisabeth Naurath) und das ethische Lernen (Michael Winklmann) sowie das religionsdidaktische Lernen am außerschulischen Ort, beispielsweise auf dem Friedhof oder im Museum (Claudia Gärtner). Die Einladung externer Expert*innen (Anke Kaloudis) und der Einsatz von Schüler*innen als Expert*innen für ihre Religion (Dennis Graham) werden hingegen schon besonders in religiös heterogenen Lerngruppen praktiziert, sollen hier aber eingehender didaktisch reflektiert und angeregt werden. Schließlich bieten sich interreligiöse Lernwerkstätten als besondere Lernorte und Möglichkeit zur Durchführung interreligiöser Dialogveranstaltungen an (Jens Beiner/Lisa Unger). Im vierten und letzten Teil werden schließlich Best-Practice-Projekte vorgestellt, die den gewohnten Rahmen des (konfessionell getrennten) Religionsunterrichts bewusst verlassen, um gemeinsame Formen des Lernens und des Dialogs zu initiieren. Die vielfältigen Beispiele stammen aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands und umfassen vor allem Unterrichtsprojekte verschiedener Schularten und Jahrgänge, aber auch solche, die an der Schnittstelle zwischen Universität und Schule oder im Bereich der universitären Lehramtsausbildung angesiedelt sind. Neben Projekten mit einem spezifischen Fokus wie zur konfessionellen Kooperation (Barbara Pühl), zum Kennenlernen und Erleben des Judentums (Heide Rosenow) oder zum christlich-muslimischen Begegnungslernen (Selcen Güzel) werden auch Beispiele vorgestellt, die auf mehrere Religionen gleichzeitig abzielen. Hierzu zählen die Projekte zur Begegnung der abrahamischen Religionen (Ursula Alflen/Lisa Schätzlein), zur Verknüpfung von interreligiösem Lernen mit kaufmännischen Handlungsfeldern in der beruflichen Bildung (Nicole Kuropka), zur Erstellung eines interreligiösen Kalenders (Micha Seyboth), zum interreligiösen Gesprächskreis (Julia Freund/Andreas Gloy) sowie zur Sakralraumpädagogik mit Grundschüler*innen (Clauß-Peter Sajak). Darüber hinaus werden in den Projekten zum interreligiösen Begegnungslernen in Kooperation mit dem Ethikunterricht (Ines Sperling), dem »religionspädagogischen Laboratorium« im säkularen Umfeld (Michael Mingenbach) sowie der weltanschaulich offenen Forschungswerkstatt »reli:labor« (Saskia Eisenhardt/ 14

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Stefanie Hertel-Holst) auch andere weltanschauliche Perspektiven in den Blick genommen. Schließlich wird noch auf hochschuldidaktische Projekte verwiesen, in denen Studierende für konfessionelle Vielfalt sensibilisiert (Konstantin Lindner), durch »Gesichter der Religionen« im Umgang mit Heterogenität geschult (Hans Mendl) und in der Zusammenarbeit mit dem Fach Ethik in ihrer Dialog- und Kooperationskompetenz gefördert werden (Kathrin S. Kürzinger). An der Universität Augsburg ist für die Entwicklung und Förderung interreligiöser Kompetenzen mit der Zusatzqualifikation Interreligiöse Mediation (ZIM) ein eigener Studiengang für Studierende wie Lehrkräfte geschaffen worden (Elisabeth Naurath). Wir danken den Autorinnen und Autoren für ihre gehaltvollen Beiträge gerade dort, wo sie Neuland betreten. Insbesondere sei ihnen für ihre Bereitschaft gedankt, sich auf das Genre eines Handbuchs auf der Grenze zwischen wissenschaftlicher Theoriebildung und schulischer Praxis einzulassen und unseren Bitten um einen einheitlichen Aufbau der Beiträge innerhalb der Rubriken zu folgen. Für gründliche Durchsichten und Korrekturen danken wir zudem Eske Gröhn, Silja Leinung und Hannah Looks. Schließlich sei Elisabeth Schreiber-Quanz für die freundliche verlegerische Betreuung herzlich gedankt. Wir hoffen, dass das Buch Lehrkräfte bei ihrer ebenso anspruchsvollen wie spannenden Aufgabe unterstützt, in zunehmend heterogenen Lerngruppen Religion zu unterrichten. Wenn es die eine oder andere Frage klärt, manche Ideen liefert und vor allem wenn es dazu beiträgt, das Fach in den jeweiligen Verhältnissen mit Freude und Selbstbewusstsein zu unterrichten, hat es seinen Zweck voll erfüllt. Augsburg/Kiel, im Mai 2018 Saskia Eisenhardt, Kathrin S. Kürzinger, Elisabeth Naurath und Uta Pohl-Patalong

Einleitung

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Teil I Rahmenbedingungen religiöser Bildung in konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt

Die Situation des Religionsunterrichts heute Uta Pohl-Patalong

1  (Überwiegend) konfessionell und vielfältig zugleich Das Fach Religion ist als »ordentliches Lehrfach« an den Schulen in Deutschland einerseits ein Fach wie jedes andere und andererseits ist es in mehrfacher Hinsicht ein besonderes Fach. Vor allem unterscheidet es sich von anderen Fächern dadurch, dass es – mit wenigen Ausnahmen einiger Bundesländer – überwiegend konfessionell erteilt wird. Wer von wem in welchen Inhalten unterrichtet wird, hängt mit den Konfessionen bzw. Kirchen zusammen. Gleichzeitig bewegt sich das Fach heute nicht nur im Kontext religiöser Vielfalt in der Gesellschaft, sondern auch Lerngruppen sind häufig religiös plural. Dies gilt gleich in mehrfacher Hinsicht, wobei es regional sehr verschieden ist, welche Varianten von Heterogenität oder auch Homogenität sich zeigen: Ȥ Die evangelischen oder katholischen Schüler*innen sind auf sehr unterschiedliche Weise (und teilweise auch kaum religiös) geprägt und ihre religiösen Überzeugungen sind außerordentlich verschieden. Ȥ Vielerorts nehmen Schüler*innen ohne Religionszugehörigkeit teil, die ein noch breiteres Spektrum zu Religion und christlichem Glauben mitbringen. Ȥ Teilweise nehmen auch evangelische Schüler*innen am katholischen Religionsunterricht und katholische Schüler*innen am evangelischen Religionsunterricht teil. Ȥ Schließlich nehmen nicht selten Schüler*innen anderer Religionsgemeinschaften, vor allem muslimische, am (evangelischen oder katholischen) Religionsunterricht teil. Eine absolute Trennung nach Religionszugehörigkeiten, sodass evangelischer, katholischer, islamischer, vielleicht auch noch jüdischer und orthodoxer Religionsunterricht neben Philosophie bzw. Ethik angeboten werden und genau die Schüler*innen entsprechend ihrer Zugehörigkeiten an diesem teilnehmen, ist die Ausnahme. Dieses Modell scheitert schon aus organisatorischen Gründen, insofern islamischer Religionsunterricht häufig nicht angeboten wird (s. u.). In 19

Bundesländern, in denen eine Konfession vorherrschend ist, kommt der Religionsunterricht der minderheitlichen Konfession nicht immer zustande und wird dann nur in manchen Klassenstufen oder auch gar nicht erteilt – oder der Lehrkraft der kleineren Konfession wird eventuell einfach eine ganze Klasse unabhängig von der Konfession der Schüler*innen zugewiesen. Häufig wird zudem die in einigen Bundesländern vorhandene rechtliche Möglichkeit, konfessionell zu kooperieren, so gelöst, dass die Lehrkraft einer Konfession die ganze Klasse (bzw. alle, die sich nicht abgemeldet haben) unterrichtet. Hinzu kommt, dass nicht immer das rechtlich eigentlich vorgesehene Ersatzfach eingerichtet wird. Aber auch wenn Philosophie oder Ethik angeboten werden, wird diese Alternative häufig als individuelle Entscheidung zwischen zwei Wahlfächern wahrgenommen. Die Pluralität innerhalb der gleichen Konfession schließlich ist ohnehin organisatorisch nicht zu fassen. Dadurch entsteht eine Lage vielfältiger Pluralität im nominell konfessionellen Religionsunterricht. Dies wird jedoch bislang nur teilweise didaktisch reflektiert und in der Ausbildung der Lehrkräfte vorbereitet – wie beispielsweise in Hamburg oder in Baden-Württemberg, wo eine partielle Kooperation zwischen den sonst getrennt unterrichteten Fächern evangelische, katholische, islamische und teilweise auch jüdische und orthodoxe Religion bereits im Studium thema­ tisiert wird. Überwiegend ist das Studium des Faches Religion allerdings nach wie vor konfessionell ausgerichtet, wobei jedoch in der Fachdidaktik zunehmend das Unterrichten in religiöser und weltanschaulicher Heterogenität zum Thema wird. Wer in früheren Jahrzehnten studiert hat, ist aber überwiegend auf ein »learning by doing« sowie auf Fortbildungen angewiesen. Auch Literatur für die Praxis des Unterrichtens in religiöser Vielfalt ist noch dürftig vorhanden. Hier soll das Handbuch eine Lücke schließen und einen Beitrag dazu leisten, Lehrkräfte beim Unterrichten in der Spannung zwischen konzeptioneller Konfessionalität und faktischer Vielfalt zu unterstützen.

2  Konfessioneller Religionsunterricht damals und heute Dass der Religionsunterricht in den meisten deutschen Bundesländern konfessionell organisiert ist, gründet in der Formulierung in Art. 7,3 GG, die besagt, dass der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen »in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften« erteilt wird. Diese Formulierung stammt schon aus der Weimarer Reichsverfassung von 1919 und wurde 1949 wörtlich ins Grundgesetz übernommen. Mit dieser Konstruktion wurde einerseits der deutschen Besonderheit, dass traditionell zwei große Kirchen für die Religionslandschaft bestimmend waren, Rechnung getragen. Andererseits 20

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konnte der Staat damit – an der Schwelle zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik und damit am Ende des Staatskirchensystems – selbst religiös neutral bleiben, jedoch den Religionsgemeinschaften weitgehende Rechte einräumen. 1949 war eine Konstruktion, in welcher der Staat einen Rahmen für die religiöse Bildung organisiert und dieser von den beiden großen Kirchen inhaltlich gefüllt wird, durch die Erfahrungen des Nationalsozialismus zusätzlich plausibel. Damals erschien es logisch, dass die katholische und die evangelische Kirche einen jeweils eigenen Religionsunterricht für die ihr angehörenden Schüler*innen verantworten, die in den Grundsätzen ihrer jeweiligen Konfession unterrichtet und damit in ihr beheimatet werden. Der negativen Religionsfreiheit, die ebenfalls im Grundgesetz festgehalten ist, wurde durch die Möglichkeit der Abmeldung vom Religionsunterricht Rechnung getragen. Bis Ende der 1960er Jahre wurde diese Möglichkeit jedoch nur in Einzelfällen in Anspruch genommen. Mit der emporschnellenden Zahl der Kirchenaustritte und der massiven Kirchenkritik in den 1960er und 1970er Jahren verlor die Teilnahme am Religionsunterricht allerdings ihre Selbstverständlichkeit. Die »Ersatzfächer« Philosophie und Ethik als dritte Alternative neben evangelischer und katholischer Religion wurden eingerichtet. Das Fach Religion wurde jedoch durch die Alternativsetzung inhaltlich nicht »konfessioneller« im Sinne einer strikteren religiös-kirchlichen Profilierung, sondern im Gegenteil gegenwartsorientierter: Seine didaktischen Ziele wandelten sich in diesem Zeitraum von einer »Evange­ lischen Unterweisung« zu einer lösungsorientierten Thematisierung ethischer Fragen im Horizont der christlichen Tradition im »Thematisch-problemorientierten Religionsunterricht«. Ging man dabei zunächst nach wie vor von evangelischen bzw. katholischen Schüler*innen im evangelischen bzw. katholischen Religionsunterricht aus, veränderte sich dessen Zusammensetzung in den 1980er und 1990er Jahren schrittweise. Darin spiegelte sich die gesellschaftliche Pluralisierung von Religion – einerseits dadurch, dass nichtchristliche Religionen in Deutschland präsenter wurden und andererseits dadurch, dass zunehmend mehr Schüler*innen keiner Religion angehörten. Damit entstand für den Religionsunterricht eine neue Situation und auch eine rechtliche Grauzone: Dürfen nicht-evangelische bzw. nicht-katholische Schüler*innen eigentlich am konfessionellen Religionsunterricht teilnehmen? Wie sehr muss oder darf dies den Unterricht verändern? Wird dessen konfessionelle Ausrichtung gefährdet? Bezüglich des ersten Punktes erfolgte seitens der evangelischen Kirche eine offizielle Klärung mit der 1994 verfassten Denkschrift »Identität und Verständigung«, die eine Öffnung des evangelischen Religionsunterrichts für alle Schüler*innen unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit betonte (Kirchenamt der EKD, 1994, Die Situation des Religionsunterrichts heute

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S. 43). Man spricht daher auch von der evangelischen »Zweierhomogenität«, nach welcher der konfessionelle Charakter des Religionsunterrichts durch die Lehrkraft und die Inhalte, nicht aber durch die Schüler*innen bestimmt wird. Katholischerseits wird traditionell von der »Dreierhomogenität« oder »Trias« gesprochen, die Lehrkraft, Schüler*innen und Inhalte in Einklang bringt. Spätestens seit 2016 die katholischen Bischöfe in einer Erklärung die Möglichkeit zu flexiblen regionalen Lösungen bei der Organisation des Religionsunterrichts eröffnet haben, die Kooperationen zwischen katholischem und evangelischem Religionsunterricht und auch »Bildung von gemischt-konfessionellen Lerngruppen über einen längeren Zeitraum« (Die deutschen Bischöfe, 2016, S. 31) empfiehlt, hat sich das Bild auch in offizieller kirchlicher Lesart gewandelt. Dennoch dürfte gegenwärtig der Grad religiöser und weltanschaulicher Heterogenität im evangelischen Religionsunterricht durchschnittlich höher sein als im katholischen. Denkbar wäre für das Verständnis von Konfessionalität in dieser Situation theoretisch ein Modell der »Gastfreundschaft« (Schmid/Verburg, 2010). Mit diesem würde sich der Charakter des Religionsunterrichts nur wenig verändern: Er wäre nach wie vor grundsätzlich auf die Schüler*innen der eigenen Konfession ausgerichtet und würde deren Inhalte auch für Schüler*innen anderer religiöser oder weltanschaulicher Ausrichtung verständlich machen. Dies stößt jedoch schon deshalb auf Schwierigkeiten, weil sich in dem großen Spektrum religiöser Sozialisation, Kenntnisse und Überzeugungen nicht sinnvoll zwischen »evangelischen« bzw. »katholischen« und »nicht-religiösen« Schüler*innen trennen lässt – faktisch stellt auch für nicht wenige getaufte Schüler*innen der Religionsunterricht nahezu eine Erstbegegnung mit christlichen Inhalten dar. Aber auch aus inhaltlichen Gründen wird diese (Erst-)Begegnung zunehmend als offenes Angebot verstanden, mit dem sich die Schüler*innen konstruktiv und kritisch auseinandersetzen sollen. Es wird weder als Voraussetzung der Teilnahme ein klares christliches Bekenntnis gefordert, noch als deren Ergebnis erwartet. Dies entspricht der gegenwärtig weithin konsensfähigen religionspäda­go­ gischen Überzeugung, sich an den Subjekten und ihren Anliegen auszurichten und deren eigenständige Urteilsbildung zu fördern. Das rechtlich bindende »Überwältigungsverbot«, das 1976 zunächst für die Sozialwissenschaften im »Beutelsbacher Konsens« formuliert wurde, wird daher häufig nicht nur theologisch-religionspädagogisch untermauert, sondern in der strikten Orientierung am Subjekt tendenziell noch übertroffen (Zimmermann/Lenhard, 2015, S. 100 f.). Prägen diese Entwicklungen bereits die gegenwärtigen Zugänge zum Verständnis von »Konfessionalität« des Religionsunterrichts, werden diese zusätzlich gespeist durch die Auseinandersetzung mit dem Modell der »Religionskunde«. Seit der Diskussion um die Einführung des Faches »Lebensgestaltung – Ethik – 22

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Religionskunde« (LER) in Brandenburg als religionswissenschaftlich orientierte Information über verschiedene Religionen und Weltanschauungen mit dem Anspruch auf eine religiöse Neutralität der Lehrkraft und der Inhalte (Kramer, 2015), ist die religiöse Positionalität des Religionsunterrichts zu einem zentralen Aspekt der Diskussion um den konfessionellen Religionsunterricht geworden. Statt der Beschränkung des Blickwinkels auf eine bestimmte Religionsgemeinschaft wird mit diesem Begriff zunehmend ein perspektivisch erteilter Religionsunterricht mit dem Angebot zur Auseinandersetzung und der Förderung religiöser Identitätsbildung bezeichnet, das die Förderung von religiöser Dialogfähigkeit und Pluralitätskompetenz einschließt (Kirchenamt der EKD, 2014).

3  Religionsunterricht in der Diskussion Gleichzeitig führt gerade die zunehmende religiöse und weltanschauliche Heterogenität der Gesellschaft und der Schüler*innen dazu, dass der Religionsunterricht in der Kritik steht und häufig angefragt wird, ob er unter heutigen Bedingungen noch angemessen ist. Dabei sind unterschiedliche Richtungen der Kritik zu identifizieren: Ȥ So kann die Thematisierung von Religion an der öffentlichen Schule als solche kritisiert werden, weil Religion Privatsache sei. Diese Überzeugung hat angesichts der zunehmenden auch politischen Bedeutung von Religion an Plausibilität verloren, wird aber immer noch vertreten. Ȥ Ebenso kann die weitgehende Konzentration auf einen evangelischen und einen katholischen Religionsunterricht kritisiert werden und der zügige Ausbau des islamischen Religionsunterrichts gefordert werden, um eine Gleichberechtigung für die wachsende Zahl von muslimischen Schüler*innen zu erreichen (und zudem einem islamischen Fundamentalismus durch religiöse Bildung in der eigenen Tradition entgegenzuwirken). Bislang gibt es islamischen Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen (seit 2012 zunächst an Grundschulen, später auch an weiterführenden Schulen), in Niedersachsen (seit 2013 als Regelfach nach fast zehnjährigem Modellversuch überwiegend in den unteren Klassenstufen). In Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen und dem Saarland gibt es Modellprojekte überwiegend an Grundschulen, in Schleswig-Holstein gibt es ebenfalls an einigen Grundschulen islamkundlichen Unterricht. Mit islamischem Religionsunterricht wird das klassische konfessionelle Modell auf eine weitere Religion ausgeweitet und der Logik einer Trennung nach Religionsgemeinschaften gefolgt. In dieser Linie müssten dann konsequent Schüler*innen ohne Zugehörigkeit zu einer ReligionsgemeinDie Situation des Religionsunterrichts heute

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schaft das Fach Philosophie bzw. Ethik besuchen. Jüdische, alevitische, orthodoxe, buddhistische, hinduistische oder anderen religiösen Gemeinschaften und Traditionen angehörende Schüler*innen haben in dieser Logik in der Regel häufig keinen Ort. In Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen gibt es jedoch an einigen, in Berlin und Hamburg an jeweils einer Schule auch jüdischen und alevitischen Religionsunterricht und in Nordrhein-Westfalen zudem christlich-orthodoxen Religionsunterricht. Dass bei zunehmender religiöser Vielfalt dieses Modell paralleler Organisation schulisch an Grenzen stößt und es zudem bi-religiös aufwachsenden Kindern nicht gerecht wird, war eine wesentliche Motivation, in Hamburg den interreligiös geprägten »Hamburger Weg« zu beschreiten, bei dem etliche Religionsgemeinschaften an der Gestaltung eines »Religionsunterrichts für alle« beteiligt sind. In dieser Linie kann weiter auch insgesamt die Trennung von Schüler*innen nach Religionsgemeinschaften (manchmal, aber nicht zwingend in Verbindung mit einer Kritik an dem positionellen Charakter des Faches) kritisiert werden. Ein wichtiges Argument dafür ist, dass gerade in der heutigen gesellschaftlichen und politischen Situation die Auseinandersetzung mit religiöser Heterogenität und die Entwicklung einer religiösen Dialogfähigkeit dringend benötigt werden, für welche es keine Alternative zum Religionsunterricht gäbe. Um diesen Aspekt zu berücksichtigen und dennoch die Logik religiös-konfessioneller Differenzierung zu bewahren, werden in einigen Bundesländern auch Kooperationsprojekte zwischen den getrennten Fächern angeboten, vor allem in Baden-Württemberg ist dies der Fall. Insgesamt aber scheint das Modell einer klaren Trennung der Schüler*innen nach Religionsgemeinschaften, das im 20. Jh. im Umgang mit konfessioneller Heterogenität nahe liegend erschien, in der religiösen und weltanschaulichen Heterogenität an seine Grenzen zu kommen. Möglicherweise ist der Umgang mit der konfessionellen Heterogenität – also dem Gegenüber von »evangelisch« und »katholisch« – auch nicht ohne weiteres auf die Vielfalt von Religionen und Weltanschauungen übertragbar, obwohl der islamische Religionsunterricht diesen Weg durchaus beschreitet. Gleichzeitig werden im konfessionellen Prinzip auch große Chancen gerade in der zunehmenden Heterogenität gesehen. So wird die Subjektorientierung dieses Modells, die eine Bewusstmachung der eigenen religiösen Grundlagen und eine Auseinandersetzung mit diesen mit dem Ziel einer persönlichen Urteilsbildung fördert, als Grundlage eines gelingenden Umgangs mit religiöser Plura­ lität betont. Ein wirklicher Dialog zwischen Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen erfordert Reflexionen und Positionsbildungen, die dann immer wieder hinterfragt und neu konturiert werden können, während eine gleich24

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mäßige Distanz zu allen Positionen keinen Beitrag zum Dialog leistet (Kirchenamt der EKD, 2014). In jedem Fall fordert die Situation dazu heraus, über den Religionsunterricht besonders in Hinblick auf seinen Umgang mit Heterogenität nachzudenken – sowohl auf politischer Ebene als auch in der konkreten Ausgestaltung in der Schule. In der schulischen Praxis wird die religiöse, konfessionelle und weltanschauliche Vielfalt der Schüler*innen jedoch auch als Chance für das Fach betrachtet, ohne dass dabei sein konfessioneller Charakter aufgegeben werden müsste.

4  Chancen von Heterogenität aus der Sicht von Lehrkräften Eine aktuelle empirische Studie in Schleswig-Holstein hat Lehrkräfte zu ihrem Umgang mit religiöser und weltanschaulicher Heterogenität befragt (Pohl-Patalong/Woyke/Boll/Dittrich/Lüdtke, 2016). Sie nennen dabei einige Probleme, unterstreichen aber besonders die Chancen: 87,1 % der befragten Lehrerinnen und Lehrer geben an, dass sie eine Trennung der Religionslerngruppe nach Religions- bzw. Konfessionszugehörigkeit der Schüler*innen ablehnen. Einen Einblick in die Gründe dafür gibt die qualitative Untersuchung. So beinhaltet Religionsunterricht in einer religiös heterogenen Lerngruppe i. E. die Chance, die Wissensbestände und Kenntnisse über die anderen Religionen deutlich zu erweitern und dabei voneinander zu lernen. Kenntnisse könnten natürlich theoretisch auch in getrennten Lerngruppen vermittelt werden, das Lernen wird aber als lebendiger und nachhaltiger erlebt, wenn es ein gegenseitiges Lernen ist. Entsprechend sind die Lehrkräfte mit einer Zustimmung von 84 % überwiegend der Ansicht, dass das Fach mit heterogenen Lerngruppen interessanter und spannender wird. Es verändere das Lernklima in der Klasse und mache das Lernen lebendiger, wenn religiöse Differenz nicht nur als Unterrichtsgegenstand, sondern in der konkreten Begegnung präsent ist. Weiter wird auffallend häufig die Förderung von Toleranz und Respekt als Chance heterogener Lerngruppen genannt; 97 % der befragten Lehrkräfte sind der Meinung, dass der Religionsunterricht tendenziell oder stark zum Erwerb von Toleranz und Respekt beiträgt. Dies gilt sowohl für die konkrete Klassengemeinschaft als auch für das gesamte Leben. Die Lerngruppe fungiert insofern als Abbild der Gesellschaft, in der solche Werte maßgeblich zu einem friedlichen Miteinander beitragen. Das Fach Religion gewinnt so für den Umgang mit religiöser Heterogenität eine zentrale Stellung im Fächerkanon. Schließlich sehen die Lehrkräfte, dass die Schüler*innen in gemischten Lerngruppen stärker Religion als Phänomen mit vielfältigen Differenzen erleben Die Situation des Religionsunterrichts heute

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und exemplarisch den Umgang mit diesen Unterschieden einüben. Denn ein gemeinsames religiöses Lernen Verschiedener, das nicht nur einem sachkundlichen »learning about religion« entspricht, sondern das Subjekt und seine Positionierung fördert, macht Differenzen sichtbar. Schüler*innen spüren, dass religiöse Überzeugungen Wertehaltungen bedingen, die sich mit der Identität und Persönlichkeit verbinden und für die man auch im Konflikt einstehen kann und/oder dass aus religiösen Überzeugungen lebensrelevante Konsequenzen erwachsen, die ein eigenes Anliegen darstellen. Häufig wird erst durch die Auseinandersetzung die eigene Positionierung gefördert. Damit wird nach Überzeugung vieler Lehrkräfte die religiöse Identitätsbildung, die in anderen Argumentationen als Argument für eine Trennung nach Religionsgemeinschaften angeführt wird, eher gestärkt als geschwächt: 60,7 % der befragten Lehrkräfte sind der Ansicht, dass religiöse Vielfalt einen positiven Einfluss auf die religiöse Identitätsbildung hat. Ein Drittel sieht keinen Einfluss und nur eine verschwindende Minderheit wertet den Einfluss negativ.

5  Heterogenität als Potenzial und Herausforderung Vielerorts unterrichten Lehrkräfte längst faktisch in religiöser, konfessioneller und weltanschaulicher Heterogenität und müssen didaktisch mit dieser Situation umgehen. Hierfür kann sicherlich die Chance der starken Subjektorientierung des Faches genutzt werden, die die Lerngegenstände ohnehin im Licht der Perspektiven und Interessen der Schüler*innen betrachtet: Ist die Lerngruppe vielfältig, ergeben sich andere Zugänge, Fragestellungen und Schwerpunktsetzungen als in homogeneren Lerngruppen. Darüber hinaus helfen einerseits grundlegende Einsichten und Reflexionen über den Umgang mit religiöser, konfessioneller und weltanschaulicher Heterogenität sowie aktuelle religionspädagogische Ansätze in ihrem Zuschnitt auf entsprechende Lerngruppen. Lehrkräfte können sich dabei durch die religionspädagogischen Diskurse und Ideen der letzten Jahre, aber auch durch die inspirierende Praxis von Kolleg*innen anregen lassen, ihren eigenen Unterricht gewinnbringend für die Schüler*innen und auch sich selbst zu gestalten. Literatur zum Weiterlesen Kirchenamt der EKD (Hg.) (2014): Religiöse Orientierung gewinnen. Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Pohl-Patalong, U./Boll, S./Dittrich, T./Lüdtke, A./Woyke, J. (2016): Konfessioneller Religionsunterricht in religiöser Vielfalt. Eine empirische Studie zum evangelischen Religionsunterricht in Schleswig-Holstein. Stuttgart: Kohlhammer.

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Sonstige Literatur Kirchenamt der EKD (Hg.) (2004): Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität. Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.) (2016): Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts. Empfehlungen für die Kooperation des katholischen mit dem evange­ lischen Religionsunterricht. Die deutschen Bischöfe, 103. Bonn. Schmid, H./Verburg, W. (Hg.) (2010): Gastfreundschaft. Ein Modell für den konfessionellen Religionsunterricht der Zukunft. München: Deutscher Katecheten-Verein. Zimmermann, M./Lenhard, H. (2015): Praxissemester Religion. Handwerkszeug für Berufs­ anfängerinnen und Berufsanfänger. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht/UTB. Kramer, J. (2015): Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde. In: WiReLex. Verfügbar unter: www. bibelwissenschaft.de/stichwort/100095/ [03.04.2018].

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Zur Bedeutung (inter-)religiöser Bildung in pluralen Kontexten Georg Langenhorst/Elisabeth Naurath

Religiös sein bedeutet heute unausweichlich interreligiös sein. Das selbstverständlich gewordene Zusammenleben von Menschen verschiedener Religionen macht eine Verhältnisbestimmung zum Glauben der Anderen unumgänglich. Pädagogisch betrachtet heißt dies: Religiöse Identität wird in pluralistischen Gesellschaften im Dialog und in Auseinandersetzung mit Anderen ausgebildet. Im Licht fremder Standpunkte lässt sich der eigene überhaupt erst bedeutungsvoll erklären: »Ich bin ich, weil du du bist, und du bist du, weil ich ich bin« (Karahasan, 1999, S. 45 f.), formuliert der im Schnittfeld von jüdischer, islamischer, christlich-orthodoxer und römisch-katholischer Kultur aufgewachsene bosnische Schriftsteller Dževad Karahasan. Auch eine jegliche »Kindheit heute« ist in weltanschaulicher und religiöser Hinsicht pluralen Einflüssen ausgesetzt, ob direkt im täglichen Kontakt oder indirekt durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Diese Vielfalt als Fülle und Bereicherung des Lebens zu sehen, setzt zwei grundlegende Fähigkeiten und Bereitschaften voraus: einerseits nicht mit Orientierungslosigkeit, Irritationen oder gar Abgrenzungen (Fundamentalismen) reagieren zu müssen, andererseits ordnende Strukturmuster zu sichten, mit Wegbegleiter*innen kompetent Diskurse zu führen, eigene Deutungen zu finden und zugleich pluralitätsfähig werden zu können.

1  Recht auf (inter-)religiöse Bildung? Religiöse Bildung ist demnach ein Prozess, der den Heranwachsenden die Möglichkeit bietet, sich in ihrem geistigen bzw. spirituellen Entwicklungsprozess unter Achtung ihrer Würde als Personen entfalten zu können. Es liegt daher auf der Hand, ein Recht auf religiöse Bildung für selbstverständlich zu halten. Und doch scheint gerade dieses umstrittener und angefochtener denn je.

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1.1  Vom Recht des Kindes auf Religionsfreiheit Allgemein zählt das Recht auf Bildung zu den subjektiven Rechten, die ohne Ausnahme jedem Menschen gewährt werden müssen. So wurde von der General­ versammlung der Vereinten Nationen 1948 in Artikel 26 das menschliche Grundrecht auf Bildung deklariert. Es heißt dort in Absatz 2: »Die Bildung muss auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein. Sie muss zu Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Nationen und allen rassischen oder religiösen Gruppen beitragen und der Tätigkeit der Vereinten Nationen für die Wahrung des Friedens förderlich sein.« Dieses Grundrecht schließt ein, dass die Klärung und Reflexion auch der religiösen Dimension des eigenen Selbst grundlegend für die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit ist. Damit zählt auch das Recht auf religiöse Bildung zu den Grundrechten des Menschseins. Unabhängig davon, ob man sich selbst positiv, negativ, gleichgültig oder unentschieden zu einer möglichen religiösen Dimension verhält, bedarf man doch der Möglichkeit zur Information, Reflexion und freien Entscheidungsmöglichkeit in einem freiheitlichen Sinne – wie dies im Grundgesetz zur positiven und negativen Religionsfreiheit (Art. 4 GG) garantiert ist. So wird auch in der Kinderrechtskonvention von 1989 in Artikel 14 deklariert, dass »das Recht des Kindes auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit« zu achten sei. Dieses Recht schließt die Möglichkeiten zur freien Religionsentfaltung und zur religiösen Bildung mit ein. Im Folgenden soll daher das Recht auf religiöse und damit notwendigerweise auch interreligiöse Bildung in seiner individuellen und gesellschaftlichen Bedeutung näher betrachtet und mit Blick auf den Religionsunterricht in Deutschland konkretisiert werden. Bei all dem ist zunächst nach dem Zusammenhang von Bildung und Religion zu fragen. Die damit aufgeworfene Frage nach dem Recht auf (inter-)religiöse Bildung schließt ein, den äußerst komplexen Diskurs um die weiten Begriffe von Religion, Theologie, aber auch Spiritualität und Bildung in den Blick zu nehmen. Dies kann an dieser Stelle jedoch nur sehr verkürzt geschehen. Dabei wird ein theologisch fundiertes Bildungsverständnis vorausgesetzt, welches das zentrale Kriterium christlicher Freiheit und damit die Subjektorientierung grundlegend betont. Letztlich impliziert Bildung immer die lebenslang wirkende Selbst-Bildung des Subjekts.

Zur Bedeutung (inter-)religiöser Bildung in pluralen Kontexten

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1.2  Das Recht auf religiöse Bildung als Ermöglichung eigener Weltbildkonstruktion Schon von klein auf stellen Kinder Fragen, die zu klären versuchen, was wirklich und was möglich ist. Die Klärung eines realitätsnahen Wirklichkeits- und Möglichkeitsverständnisses begleiten den Menschen ein Leben lang. Unabhängig von der weltanschaulichen Positionierung bleibt Religion ein Lebensthema, wenn sie mit Paul Tillich so verstanden wird, dass es hier um Fragen geht, die den Menschen und das Menschsein unbedingt angehen. Die Suche nach Antworten ist dabei zunächst eingebettet in lebensgeschichtliche Erfahrungskontexte von theologischen oder weltanschaulichen Antworten jener Tradition, in die man hineingeboren oder hineinerzogen wird. Mehr und mehr werden dann aber auch andere Lebensentwürfe und Traditionen bedeutsam, denen Menschen in ihrem Umfeld begegnen.

1.3  Implizite und explizite religiöse Bildung im frühen Kindheitsalter Mit Friedrich Schweitzer lassen sich fünf große Fragen im Aufwachsen der Kinder festhalten (Schweitzer, 2000, S. 27 ff.): Ȥ Wer bin ich und wer darf ich sein? Die Frage nach mir selbst; Ȥ Warum musst du sterben? Die Frage nach dem Lebenssinn; Ȥ Wo finde ich Schutz und Geborgenheit? Die Frage nach Gott; Ȥ Warum soll ich andere gerecht behandeln? Die Frage nach dem Grund ethischen Handelns; Ȥ Warum glauben manche Kinder an Allah? Die Frage nach der Religion der anderen. Damit sind sicherlich zentrale, wenn auch nicht alle Grundbereiche kindlicher religiöser Fragen benannt. Für religiös aufwachsende Kinder lassen sich exemplarisch drei – hier aus Sicht des Christentums formulierte – Fragen ergänzen: Ȥ Was feiern Menschen an Weihnachten und Ostern? Die Frage nach der feierlichen Gestaltung des Glaubens; Ȥ Warum werden Kinder getauft? Die Frage nach der sakramentalen Praxis; Ȥ Hört mich Gott, wenn ich zu ihm bete? Die Frage nach der Tragfähigkeit von Spiritualität. Demgemäß lässt sich das Religiöse als Grunddimension des Menschen betrachten: In ihr geht es um Wahrnehmung, Empfindung, Ausdruck und Gestaltung von 30

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Wirklichkeit in all ihren Facetten, ja mehr noch: um das Erahnen von Möglichkeiten, die unsere Erfahrungswelt übersteigen und so Raum geben für Sehnsucht, Hoffnung und Trost. Dieser Religionsbegriff bezieht sich noch nicht substanziell auf eine bestimmte Religion oder Konfession. Er meint eher, dass Religion eine menschliche Grundhaltung des Fragens nach sich selbst ist. Der nur schwer überschaubare Zusammenhang von religiösen Überzeugungen und religiöser Praxis zeigt sich daran, dass Einflüsse der Sozialisation (Religion, Kultur, Bildungshintergrund, Sprachfähigkeit, Geschlecht etc.) religiöse Gefühle, Gedanken, Einstellungen und Haltungen entscheidend prägen. Aber auch die lebensgeschichtliche Entwicklung macht deutlich, dass religiöse Bildung nicht vorrangig mit theologischen Inhalten oder kirchlichen Bildungsangeboten gleichzusetzen ist. Im Sinne einer Unterscheidung von expliziter religiöser Bildung und impliziter religiöser Bildung (Domsgen, 2004) kann die implizite religiöse Bildung das Umgehen von Eltern oder Erziehungspersonen mit ihren Kindern auf der Basis eines religiös geprägten Menschenbildes meinen. Hierbei geht es also um eine Haltung und Einstellung, die dem Glauben entspricht – ohne ihn bekenntnismäßig auszuformulieren. Demgegenüber zielt eine explizite religiöse Bildung als die konkrete Vermittlung bekenntnisgeprägter Inhalte sowohl auf einen identitäts- als auch auf einen gemeinschaftsstiftenden Sinn. »Wenn dein Kind dich morgen fragt« – diese recht freie Übersetzung aus Dtn 6,20 erinnert im Rahmen der jüdischen Pessach-Tradition an den familiären Ritus der nachfragenden Nachwuchsgeneration, warum die älteren Familienangehörigen sich an bestimmte religiöse Gebote halten. Hintergrund dieser Frage religiöser Identitätsbildung ist ein Kontext, der von familiärer religiöser Sozialisation ausgeht und die nachwachsende Generation in eine Glaubensgemeinschaft zu integrieren sucht. Dies geschieht zum einen über Narration (den erzählenden Weg), indem gerade in einem entwicklungspsychologisch mythischen Stadium heilige Texte auch Kindern altersgerecht vermittelt werden. So konnte jüngst gezeigt werden, dass – trotz deutlich unterschiedlicher hermeneutischer Zugänge – in den abrahamischen Religionen speziell für Kinder konzipierte Ausgaben von Tora, Bibel und Koran im Sinne (früh-)kindlicher religiöser Bildung vorzufinden sind (Langenhorst/­Naurath, 2017). Zum anderen geschieht dies auch über rituelle Formen wie Taufe oder Beschneidung (im Judentum wie auch im Islam), die im Sinne von »rites de passage« (Übergangsriten) gewissermaßen einen geistlich-geistigen Herrschaftswechsel mit Aufnahme in die Glaubensgemeinschaft darstellen.

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1.4  Herausforderungen (inter)religiöser Bildung im Kontext geringer religiöser Bildung Die Bedingungsfaktoren religiöser Sozialisation haben sich gesamtgesellschaftlich betrachtet so stark verändert, dass gerade den offiziell noch als »christlich« gezählten Heranwachsenden in zunehmendem Maße eine konfessionelle Identität, eine kirchliche Beheimatung sowie religiöse Sprachfähigkeit abhandenkommen. Angesichts dieser (religions-)soziologischen Entwicklung wird die mittlerweile sehr offen gestellte Frage verständlich, ob die Verfassungsvorgabe zum Religionsunterricht nach Art. 7 GG noch den gesellschaftlichen Einstellungen und Bedürfnissen entspricht. Doch ist das Recht auf religiöse Bildung über den zwar notwendigen, aber im Blick auf das Thema Religion/Religiosität zu kurz greifenden religionswissenschaftlichen Unterricht – z. B. in einem Fach Religionskunde – wirklich eingelöst? Religiöse Bildung beinhaltet grundsätzlich eine Beschäftigung mit authentischen, vor allem durch die Religionslehrkraft verkörperten Positionen und Einblicken in auch emotional bestimmte, auf religiösen Erfahrungen und deren Reflexionen gründende religiöse Selbst-Verortungen. So gesehen lässt sich ein unbedingtes Recht der Kinder und Jugendlichen fordern, dem institutionell der Religionsunterricht verpflichtet ist. Diese Forderung gilt insbesondere dem Recht von Schüler*innen, die nicht dem bislang institutionell etablierten konfessionell ausgerichteten Religionsunterricht angehören.

2  Das Recht auf religiöse Bildung am Lernort Schule – für alle Der grundgesetzlich formulierte allgemeine Bildungsauftrag beabsichtigt, dass alle Kinder und Jugendlichen die Unterstützung finden, die sie zu einer aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen Leben befähigt. Diese Forderung muss auch im Blick auf deren religiöse Prägungen zur Geltung gebracht werden – nicht zuletzt deshalb, weil positive wie negative Religionsfreiheit als Grundrechte in unserer Verfassung garantiert sind und insofern ein Recht auf religiöse Bildung nicht vergessen werden darf. Das aber heißt, dass Heranwachsende Räume, Zeiten und Ansprechpartner*innen für ihre religiösen Fragen brauchen. Demgegenüber entwickelt sich jedoch mehr und mehr eine gegenteilige Einschätzung zum gesellschaftspolitischen Dauerbrenner, die das »Recht des Kindes auf Religion« (Schweitzer, 2000) unterläuft. Seit einigen Jahren findet sich vorwiegend in den Printmedien immer wieder die augenscheinlich populäre Frage »Brauchen wir ›Reli‹ noch?«, so etwa 32

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öffentlichkeitswirksam in der ZEIT vom 12. Januar 2017. Die darin zum Ausdruck kommende Legitimationskrise des konfessionellen Religionsunterrichts in Deutschland scheint nur die argumentative Spitze eines Eisbergs zu sein, der ein kulturelles Unbehagen gegenüber einer Öffentlichkeit der Religion und vor allem der Religionsausübung im gesellschaftlichen Diskurs verdeutlicht.

2.1  »Brauchen wir ›Reli‹ noch?« Angekündigt hat sich die Problematisierung des Religiösen allerdings schon längst: Eine forschungswissenschaftliche Sichtung des Themas zeigt eine auffallende Häufung von Literatur, die eher verteidigend betont, dass Kinder in der Tat Religion bräuchten. Begründet wird dies üblicherweise mit drei grundlegenden Dimensionen des Religiösen: Ȥ Kulturhermeneutisch wird betont, dass ein Sich-Verstehen der Schüler*innen in der immer noch – zumindest in den bildungsrelevanten Traditionen – von den abrahamischen Geschwisterreligionen geprägten Welt des Abendlandes durch religiöse Bildung gefördert werde; Ȥ anthropologisch seien genuin existenzielle Fragen des Menschen nicht religionskundlich, sondern bekenntnisorientiert zu beantworten und Ȥ die ethischen Herausforderungen machten deutlich, dass eine wertorientierte Herzensbildung quasi auch religiöse Anker benötige. Allerdings wird neben dem apologetischen Charakter dieses vorwiegend religionspädagogisch geführten Diskurses augenfällig, dass nicht einleuchten muss, was nicht einleuchten mag; genauer: Bei eher »religiös unmusikalischen« Kritiker*innen bzw. solchen, die geradezu eine Abneigung gegenüber religiösen Musikgeschmäckern mitbringen, überzeugen traditions- oder bekenntnisorientierte Kriterien in der Tat wenig. Der Verdacht der religiös ideologisierenden Manipulation wiegt schwer, nicht nur im Kontext eines ostdeutschen Atheismus, den man inzwischen als »dritte Konfession« bezeichnen könnte. Demgegenüber ist zu betonen: Gerade der als ordentliches Lehrfach institutionell verankerte Religionsunterricht als Bildungsangebot aller Schularten steht als Garant gegen Ideologisierung und Manipulierung, indem die Wissenschaftsorientierung des unter staatliche Aufsicht gestellten Faches – einschließlich der universitären Ausbildung der Religionslehrkräfte – bildungstheoretisch begründet ist. Neben den bereits dargestellten Kriterien sollten daher insbesondere die kritische Urteilskraft, die Fähigkeit zur Selbstreflexion und die dem religiösen Toleranzgedanken verpflichtete Pluralitätsfähigkeit als bildungstheoretisch begründete Zur Bedeutung (inter-)religiöser Bildung in pluralen Kontexten

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Ziele der in der Schule angebotenen religiösen Bildung noch stärker hervorgehoben werden. Die – wenn man so will – »Pflichten« religiöser Bildung, die üblicherweise den Forderungen nach Rechten gegenüberstehen, dienen hierbei dem Gemeinwohl, indem die auf der Basis von Grundwissen entwickelte Reflexions- und Diskursfähigkeit dem Aufkommen von Vorurteilen entgegenstehen und damit dem sozialen Frieden dienen.

2.2  Bildung religiöser Reflexionsfähigkeit Dies kann an einem Beispiel deutlich werden: In Bayern haben bislang nur 13 % der muslimischen Schüler*innen (ca. 14.500) die Möglichkeit, einen Religionsunterricht ihres Glaubens zu besuchen, wobei es sich selbst da – nach mehr als 10 Jahren – immer noch um einen Modellversuch(!) handelt. Die Zahlen in den anderen Bundesländern differieren zwar, bestätigen aber die grundlegende Tendenz. Die Chancen, welche religiöse und interreligiöse Bildungsangebote in der Schulpraxis bieten könnten, werden noch völlig unzureichend genutzt. Die Notwendigkeit und Dringlichkeit eines flächendeckenden Angebots für Islamischen Religionsunterricht liegen auf der Hand, auch wenn sowohl dessen Bedarf als auch dessen Effekt bislang noch zu wenig empirisch erforscht ist. Wo den Schüler*innen kein Raum geschaffen wird, um ihre alltags- und lebensbezogenen Fragen auf der Basis ihres Glaubens zu formulieren, zu diskutieren und damit zu einer eigenen Position zu finden, droht die Gefahr, von fundamentalistischen Einflüssen jeglicher Art vereinnahmt zu werden. Nicht selten können sich so Vorurteile gegenüber fremden Kulturen und Religionen verfestigen und in Gewaltbereitschaft umschlagen. Demgegenüber kann das schulische Angebot eines wissenschaftsorientierten und im Rahmen des Grundgesetzes verankerten Angebots von Religionsunterricht, der sich im allgemeinen Bildungsauftrag der Schule verantworten muss, als Gewaltprävention gelten. Die religiöse Reflexionsfähigkeit wird aber nicht nur innerhalb der religiös homogenen Lerngruppen gefördert. Religiöse Bildung vollzieht sich mehr und mehr in Prozessen des Austausches zwischen Menschen unterschiedlicher Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen. Am Lernort Schule zeichnen sich neue Begegnungsformen ab: zwischen Lerngruppen, durch Lehrkrafttausch, durch didaktisch strukturiertes Lernen an der eigenen Identität in Verbindung mit dem Blick auf andere.

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Georg Langenhorst/Elisabeth Naurath

2.3  Interreligiöse Bildungsperspektiven Welche Bildungsperspektiven lassen sich von diesen Vorgaben aus formulieren für den konfessionellen Religionsunterricht, für ökumenisch-christliche Perspektiven (Lindner/Schambeck/Simojoki/Naurath, 2017), für trialogische Verständigungen von Jüd*innen, Christ*innen und Muslim*innen (Langenhorst, 2016), zum Teil – in Variation – für interreligiöse Öffnungen mit weiteren Religionen oder auch mit Bekenntnislosen? Ȥ Religionspädagogisch von Konfession reden heißt künftig, den Weg der eigenen Religion als Heilsweg zu bekennen und zu praktizieren, ohne den anderen Konfessionen oder den abrahamischen Geschwisterreligionen die Möglichkeit eines eigenen, von meinem Weg abweichenden Zugangs zum Heil prinzipiell und kategorisch abzusprechen. Ein gegenseitiges inklusivistisches Verständnis ermöglicht es, andere Religionen als von Gottes Wahrheit und Heilswillen erfüllte Dimensionen wertschätzen und respektieren zu können. Ȥ Religionspädagogisch verantwortbar von Gott reden heißt künftig, stets zu bedenken, dass ein und derselbe Gott nicht nur in meiner Konfession, nicht nur in meiner Religion, sondern in den drei, in sich noch vielfach ausdifferenzierten Religionen von Judentum, Christentum und Islam verehrt wird. Auch andere Religionen richten sich auf eigene Weise nach Gott aus. Dieser grundlegende Gedanke schließt die Einsicht ein, dass die in den Religionen ausgebildeten Gottesvorstellungen – trotz vieler im Einzelfall genau zu betrachtender Gemeinsamkeiten – sehr wohl in vielen Facetten voneinander abweichen. Ȥ Religionspädagogisch von interreligiösem Lernen reden heißt schließlich, sich im Rahmen einer Hermeneutik der wechselseitigen Anerkennung so intensiv wie möglich mit den anderen Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen zu befassen, sei es in persönlichen Begegnungen oder in medialer Auseinandersetzung. Ein immer besseres gegenseitiges Kennenlernen, ein vertiefendes Studium und praktisches Erfahren von Gemeinsamkeiten, eine immer klarere Sicht auf bleibend trennende – in Respekt und Ehrfurcht wahrgenommene – Eigenheiten markieren die Wege des religionspädagogischen Bildungswegs in die Zukunft. Gerade im Gespräch mit Bekenntnislosen geht es darum, die Frage nach Gott ebenso wie die Nichtfrage nach Gott als mögliche Optionen einer Weltsicht anzuerkennen und zuzulassen. Eine Kommunikation gegenseitiger Wertschätzung, die am Lern- und Lebensort Schule eingeübt wird, ist letztlich auch für andere gesellschaftliche Kontexte friedensfördernd und zukunftsweisend.

Zur Bedeutung (inter-)religiöser Bildung in pluralen Kontexten

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Literatur zum Weiterlesen Langenhorst, G. (2016): Trialogische Religionspädagogik. Interreligiöses Lernen zwischen Judentum, Christentum und Islam. Freiburg i. Br.: Herder. Langenhorst, G./Naurath, E. (Hg.) (2017): Kindertora, Kinderbibel, Kinderkoran. Neue Chancen für (inter-)religiöses Lernen. Freiburg i. Br.: Herder. Schweitzer, F. (2014): Interreligiöse Bildung. Religiöse Vielfalt als religionspädagogische Herausforderung und Chance. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

Sonstige Literatur Domsgen M. (2004): Familie und Religion. Grundlagen einer religionspädagogischen Theorie der Familie. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt. Karahasan, D. (1999): Die Fragen an den Kalender. Texte, Essays, Reden. Wien: edition selene. Langenhorst, G. (2014): Kinder brauchen Religion. Orientierung für Erziehung und Bildung. Freiburg i. Br.: Herder. Leimgruber, St. (2007): Interreligiöses Lernen. Stuttgart: Kösel Lindner K./Schambeck, M./Simojoki, H./Naurath, E. (Hg.): Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Konfessionell – kooperativ – kontextuell. Freiburg i. Br. u. a.: Herder. Naurath, E. (2016): Gewalt ist Gotteslästerung und religiöse Bildung ist Gewaltprävention. Plädoyer für eine dezidiert friedensorientierte Religionspädagogik. Pastoraltheologische Informationen 36 (1), S. 23–34. Naurath, E. (2017): »… so wie ein Kind im Weitergehen von jedem Wehen sich viele Blüten schenken lässt …« (Rainer Maria Rilke). Zum Recht des Kindes auf religiöse Bildung. In: S. Altmeyer/ R. Englert/H. Kohler-Spiegel/E. Naurath/B. Schröder/F. Schweitzer (Hg.): Menschenrechte und Religionsunterricht. Jahrbuch der Religionspädagogik 33, S. 84–96. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie. Schweitzer, F. (2000): Das Recht des Kindes auf Religion. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

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Georg Langenhorst/Elisabeth Naurath

Religionsunterricht oder Religionskunde? Zum Charakter religiöser Bildung angesichts konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt Kathrin S. Kürzinger

1 Bestandsaufnahme Ausgangslage für diesen Artikel ist der derzeitig oftmals als Krise betitelte Legitimationsdruck für konfessionellen Religionsunterricht in Anbetracht der zunehmenden religiösen und weltanschaulichen Pluralität in Deutschland. Es stellt sich ganz konkret die Frage, wie religiöse Bildung angesichts der heu­tigen Herausforderung konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt gestaltet werden soll, ob die Erteilung von Religionsunterricht in nach Religio­nen bzw. Konfessionen getrennten Lerngruppen samt einem Alternativfach (noch) angemessen ist, oder ob nicht eine allgemeine Religionskunde, die für alle Schüler*innen verbindlich im Klassenverband erteilt wird, die bessere Alternative wäre. Dafür ist zunächst eine kurze Klärung, was unter Religionskunde zu verstehen sei, nötig. In Deutschland kann man sich aktuell vom konfessionellen Religionsunterricht abmelden und stattdessen als Ersatz eines der folgenden Alternativfächer besuchen: Ethik, Philosophie oder Werte und Normen. Brandenburg hat als einziges Bundesland in Deutschland mit LER (Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde) ein für alle Schüler*innen verbindliches religionskundlich ausgerichtetes Schulfach eingeführt, von dem man sich abmelden kann, wenn man stattdessen Religionsunterricht des eigenen Bekenntnisses besucht. Doch sind die Alternativ­ fächer Ethik, Philosophie oder Werte und Normen nicht gleichzusetzen mit einem Unterrichtsfach Religionskunde (zum unterschiedlichen Charakter von Religions- und Ethikunterricht siehe Willems, 2015, S. 33 f.), auch wenn dies noch am ehesten auf LER zutrifft. Wobei auch in Brandenburg Religionskunde nur eine Dimension neben zwei anderen, nämlich Lebensgestaltung und Ethik ist – ganz ähnlich übrigens zum neuen Schweizer Modell ERG: Ethik – Religionen – Gemeinschaft (Bietenhard/Helbling/Schmid, 2015). Das bedeutet, dass es streng genommen zumindest in Deutschland aktuell kein reines Unterrichtsfach Religionskunde gibt, das man den unterschiedlichen Modellen von konfessionellem oder interreligiös ausgerichtetem Religionsunter37

richt (Hamburg) gegenüberstellen könnte. Insofern ist die folgende Diskussion über den Charakter religiöser Bildung mit der direkten Gegenüberstellung von Religionsunterricht vs. Religionskunde zunächst einmal hypothetischer Natur. Zur Klärung der konkreten Frage, welche Möglichkeit Religion zu unterrichten – ein bekenntnisorientierter Religionsunterricht oder eine neutrale Religionskunde – die angemessenere Form für religiöse Bildung in konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt ist, werden nachfolgend die geläufigen Argumente für konfessionellen Religionsunterricht bzw. Religionskunde systematisiert und jeweils vor der Hintergrundfolie des Umgangs mit konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt analysiert.

2 Vergleichskriterien 2.1  Schulorganisatorische Perspektive Zunächst einmal wäre ein allgemein für alle Schüler*innen verbindliches Fach Religionskunde allein schulorganisatorisch sehr viel unkomplizierter statt – wie gegenwärtig – die diversen Religionsunterrichte und das jeweilige Ersatzfach zeitlich und räumlich parallel stattfinden zu lassen.

2.2  Juristische Perspektive Juristisch betrachtet spricht neben der grundgesetzlichen Verankerung des konfessionellen Religionsunterrichts nach Art. 7,3 GG auch die Religionsfreiheit nach Art. 4 GG für einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht als Recht der positiven Religionsausübung. Auf der anderen Seite gilt das Überwältigungsverbot, das – aus religionskundlicher Perspektive – insbesondere bei konfessionslosen Schüler*innen eher in einer neutral und objektiv bleibenden Religionskunde eingelöst wird. Aus religionspädagogischer Perspektive lässt sich hier wiederum entgegnen, dass Religionsunterricht keine Katechese darstellt, sondern die religiöse und weltanschauliche Mündigkeit der Schüler*innen grundlegendes Bildungsziel ist und somit auch die Glaubens- und Religionsfreiheit selbstverständlich im bekenntnisorientierten Religionsunterricht Beachtung finden.

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Kathrin S. Kürzinger

2.3  Religion als Gegenstand im Religionsunterricht bzw. in Religionskunde Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Religionsunterricht bzw. -kunde zeigen sich dezidiert am Unterrichtsgegenstand: »Für eine Religionskunde ist Glaube eine Sache, über die es etwas zu wissen gibt und die es kritisch zu reflektieren und zu erörtern gilt. Für den Religionsunterricht ist Glaube nicht nur eine Sache, sondern vor allem eine bezeugte Lebensweise, die zur Teilnahme einlädt« (Schmid, 2017, S. 56). Religion gibt es nicht losgelöst vom Glauben oder von religiöser Praxis, beide Dimensionen gehören essenziell zum Charakter von Religion und müssen demnach auch Bestandteil des entsprechenden Unterrichtsfachs sein. Daher wird häufig argumentiert, dass eine objektive Religionskunde ähnlich wie ein Musik- oder Kunstunterricht nur theoretisch an der Oberfläche verharren würde, wenn darin nicht auch musiziert oder gemalt und gezeichnet wird, einem religionskundlichen Unterricht also die Handlungsperspektive von Religion fehlt. Vergleicht man hierzu die Lehrpläne etwa von evangelischem Religionsunterricht in Bayern mit dem Lehrplan für LER in Brandenburg oder auch mit dem Ethiklehrplan für Bayern, so stellt man tatsächlich fest, dass die Handlungsebene bzw. Ausdrucksfähigkeit – zu finden im Kompetenzbereich »sich ausdrücken und kommunizieren« (»Sie artikulieren eigene religiöse bzw. weltanschauliche Vorstellungen, erproben Ausdrucksformen des christlichen Glaubens und reflektieren ihren Gebrauch.« Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus, 2018) – bei den religionskundlich ausgerichteten Fächern fehlt. In der Konsequenz bedeutet dies, dass bei einer allgemein verbindlichen Religionskunde für alle Schüler*innen, den religiösen Schüler*innen nicht nur eine bedeutende Komponente von Religion, sondern auch ein entscheidender Kompetenzbereich fehlen würde. Im Umkehrschluss vertreten jedoch die Befürworter*innen der religionskundlich ausgerichteten Alternativfächer die Ansicht, dass letztere gemäß dem Überwältigungsverbot die negative Religionsfreiheit der bekenntnislosen Schüler*innen wahren. An dieser Argumentationsfigur zeigt sich daher die Crux einer strikten Gegenüberstellung von bekenntnisorientiertem Religionsunterricht und einer neutralen Religionskunde, die insbesondere aufgrund der zunehmenden religiösen und weltanschaulichen Heterogenität nicht nur neue Dringlichkeit erfährt, sondern gerade dadurch noch verkompliziert wird und nach neuen Lösungsmöglichkeiten verlangt. Wenden wir uns einem weiteren – insbesondere aus theologischer Perspektive – entscheidenden Argumentationsmotiv bezüglich des Umgangs mit Religion in Religionsunterricht bzw. Religionskunde zu, der Wahrheitsfrage: »Religionskundlicher Unterricht steht […] möglicherweise im Besonderen in der Gefahr, eine Religionsunterricht oder Religionskunde?

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Objektivität für sich in Anspruch zu nehmen, die sich bei näherer Betrachtung als keinesfalls ›objektiv‹ herausstellt« (Willems, 2009, S. 290). So besteht beispielsweise das Risiko, durch eine implizite agnostische Sichtweise religiöse Phänomene per se abzuwerten (zur Veranschaulichung vgl. das Beispiel bei Willems, 2009). Gleichsam ist auch die religionskundliche Strategie, die Wahrheitsfrage im Sinne einer Konfliktvermeidung vollständig auszublenden, keine befriedigende Lösung, da die Wahrheitsfrage essenzieller Bestandteil von Religion(en) ist und diese dann unterschwellig trotzdem schwelen würde. Besonders im Kontext einer religiös und weltanschaulich heterogenen Schüler*innenschaft ist die Wahrheitsfrage eine relevante Komponente, die in religiösen Dialogen nicht einfach ausgeblendet werden kann, sondern im Gegenteil einer Bearbeitung bedarf. Insbesondere religiöse und weltanschauliche Vielfalt fordert aktuell zu Positionierungen und begründeten Stellungnahmen bezüglich religiöser und weltanschaulicher Fragestellungen heraus, weshalb diese Gegenstand und Ziel eines Religionsunterrichts sein müssen. Gerade dadurch trägt ein bekenntnisorientierter Religionsunterricht jedoch auch ein indoktrinationskritisches Potenzial in sich, das insbesondere angesichts neuerer fundamentalistischer Tendenzen (und zwar nicht nur innerhalb des Islam!) prophylaktisch wirken kann. Darüber hinaus wird das Argument hervorgebracht, dass die gelebte Religion der Schüler*innen in einem Schulfach Religionskunde außen vor bleiben müsste, da diese in der Regel religiöse Gefühle und persönliche Erfahrungen tangiert, die nicht Gegenstand religionswissenschaftlich ausgerichteter Religionskunde sein können. Doch ist es gerade die gelebte Religion, die bei einer religiös heterogenen Schülerschaft wertvolle Anknüpfungspunkte für ein voneinander Lernen bietet. Diese Argumentationsfiguren zeigen, dass die Gesamtheit der Dimensionen von Religionen eher in einem bekenntnisorientierten Religionsunterricht angemessen zur Geltung kommt als in einer objektiven Religionskunde.

2.4  Position der Lehrkraft Nicht nur Eltern, sondern auch Lehrkräfte und bemerkenswerterweise auch viele Religionslehrkräfte stellen die Auflösung des regulären Klassenverbands und die Aufteilung der Schüler*innen nach konfessionellen Lerngruppen zunehmend infrage (Pohl-Patalong/Boll/Dittrich/Lüdtke/Woyke, 2016). Argumentiert wird dabei nicht zu Unrecht damit, dass diese Trennung dem Ziel der Förderung von Respekt und Toleranz für das gegenseitige Zusammenleben diametral entgegenstehe. Zugleich betonen die befragten Religionslehrkräfte in der ReVikoR-­ Studie (Pohl-Patalong et al., 2016), dass gerade religiös heterogene Lerngruppen 40

Kathrin S. Kürzinger

die Chance böten, voneinander zu lernen und dass dieses gegenseitige Lernen als lebendiger und nachhaltiger erlebt wird. In einem streng religionskundlich ausgerichteten Unterricht, der sich der Objektivität und Neutralität verpflichtet sieht, gilt dieses Argument jedoch nur bedingt: Zum einen muss sich die Lehrkraft gewissermaßen als neutrale Moderatorin hier bewusst zurückhalten und darf nicht mit einer eigenen Wertung oder Positionierung aufwarten, also auch die eigene Glaubensüberzeugung nicht kommunizieren, da dies dem Neutralitätsgebot widersprechen würde. Zum anderen kann eine Religionskunde dies auch auf Schüler*innenseite nur bedingt zulassen, da alle Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen aus rein religionswissenschaftlicher Perspektive also primär aus kognitiver Warte, betrachtet werden dürfen. Aufgabe der Lehrkraft in einem solchen religionskundlichen Unterricht wäre es demnach, beständig darauf zu achten, dass keine Konfession, Religion oder Weltanschauung positiver oder negativer als andere dargestellt wird bzw. generell nicht gewertet werden darf. In einem konfessionellen Religionsunterricht hingegen ist die Bekenntnisorientierung auch nach außen hin transparent, sodass der Bezug zum eigenen Glauben und zur eigenen Religiosität auch für die Lehrkraft möglich und sogar gewollt ist. Die Religionslehrkraft kann dadurch nicht nur authentisch eine Konfession bzw. Religion verkörpern, sondern zugleich auch als Reibefläche für die Schüler*innen dienen, indem sie für ihre eigenen Werthaltungen und Positionen, die sie dezidiert als eigene Meinung kenntlich gemacht hat, eintreten kann. Damit löst sie nicht nur die von vielen Seiten geforderte Vorbildfunktion für die Schüler*innen ein, sondern bietet diesen auch die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit konkreten Werthaltungen und Einstellungen. Aus Studien zur Wertebildung ist belegt, dass sich Jugendliche Personen wünschen, »die für ihre Meinungen sowie Werte und Einstellungen einstehen, diese auch vertreten und im Alltag erkennbar vorleben« (Kürzinger, 2014, S. 246). Damit fehlt in einer objektiven Religionskunde, in der die Lehrkraft zur Neutralität verpflichtet ist und die eigene Meinung bewusst zurückhalten muss, eine entscheidende Lernmöglichkeit für die Schüler*innen.

2.5  Situation der Schüler*innen Ein weiteres gewichtiges Argument für eine für alle Schüler*innen verbindliche Religionskunde ergibt sich aus der heutzutage üblichen religiös-weltanschaulichen Heterogenität der Schüler*innen selbst: »Religionskundlicher Unterricht ist unverzichtbar, soll auch solchen Schülern religiös-weltanschauliche Bildung ermöglicht werden, die keiner Religionsgemeinschaft angehören oder keiner, nach Religionsunterricht oder Religionskunde?

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deren Grundsätzen Religionsunterricht entsprechend Art. 7,3 GG erteilt wird, und sollen alle Schüler in der Bildung interreligiöser Kompetenzen gefördert werden« (Willems, 2009, S. 287). An diesem bildungstheoretischen Argument zeigt sich wiederum die Verwobenheit des Charakters religiöser Bildung mit den Religionsunterrichtmodellen bzw. insbesondere mit seinen qua Abmeldung verbindlichen Alternativen: Solange die sogenannten Ersatzfächer Ethik, Philosophie oder Werte und Normen keine reine Religionskunde darstellen, sondern Unterrichtsfächer mit jeweils ganz eigenen anderen Perspektiven sind und die (Welt-)Religionen nur einen Teilbereich neben anderen bilden, fehlt religionslosen Schüler*innen, die diese Fächer besuchen, quasi eine Dimension von Bildung, nämlich einer von vier Modi der Welterschließung nach Baumert (2002). Dieser weist der Religion den Modus der »Probleme konstitutiver Rationalität« zu und damit »einen Bereich der sich auf rationale Weise mit den Fragen der Letztbegründung von Wirklichkeit auseinandersetzt. Wichtig bleibt, dass Bildung nur dann angemessen zur Geltung kommt, wenn alle Dimensionen angespielt werden, dass keine Dimension eine andere ersetzen kann und alle aufeinander verwiesen sind« (Schambeck, 2010, S. 254). Aufgrund der Bedeutung, die der Dialog- und Pluralitätsfähigkeit angesichts der zunehmenden religiösen und weltanschaulichen Pluralität in der Gesellschaft derzeit zugesprochen werden, erscheint es zumindest fraglich, ob ein Teilbereich eines Faches wie Ethik, Philosophie, Werte und Normen oder auch LER in Brandenburg oder ERG in der Schweiz ausreicht, um die Schüler*innen angemessen zu bilden. Nicht zuletzt ist die Subjektorientierung als zentrales Prinzip gegenwärtiger Religionspädagogik als Argument für einen konfessionellen Religionsunterricht gerade angesichts einer religiös und weltanschaulich heterogenen Schüler*innenschaft anzuführen. Mit dem Bezug zur Lebenswelt der Schüler*innen und dem Ernstnehmen des einzelnen Subjekts mit seinen je eigenen (religiösen wie weltanschaulichen) Einstellungen und Fähigkeiten sowie mit Freiheit und Mündigkeit als Bildungszielen in religiösen und weltanschaulichen Belangen leistet konfessioneller Religionsunterricht einen bedeutsamen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung der Schüler*innen. Dass nicht nur die Lebenswelt der Schüler*innen, sondern vor allem ihre eigenen religiösen Erfahrungen und ihre Religiosität als wichtige Dimension von Religion nicht außen vor gelassen werden müssen, spricht für einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht und gegen eine neutrale Religionskunde. Studien in Norwegen, wo eine allgemein verbindliche Religionskunde unterrichtet wird, haben gezeigt, dass Religionslehrkräfte dort die Auffassung vertreten, die Objektivität des Faches erlaube keine Berücksichtigung von religiösen Erfahrungen und der Religiosität der Schüler*innen (Toft, 2017). Darüber hinaus wird die Relevanz von Religion in norwegischer Religionskunde 42

Kathrin S. Kürzinger

hauptsächlich über die Fokussierung auf aktuelle Ereignisse und Debatten aufgezeigt, sodass konfliktzentrierte, kontroverse Themen, in denen durch den in Norwegen üblichen Medieneinsatz viele Stereotype und Polarisierungen vorkommen, überwiegen (Toft, 2018). Diese einseitig (negative) Thematisierung von Religion in einer der Neutralität verpflichteten Religionskunde spricht daher gegen letztere.

3  Bewertung und Ausblick Wägt man die Argumentationen gegeneinander ab, wird deutlich, dass sich ein bekenntnisorientierter Religionsunterricht besser für religiöse Bildung angesichts konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt eignet als eine zur Objektivität verpflichtete Religionskunde. So ist das Konfessorische des Religionsunterrichts geradezu der Kernpunkt von Religionsunterricht, da erst damit alle Dimensionen von Glaube und Religion angemessen berücksichtigt werden können und zugleich auch die jeweilige Ausrichtung des Religionsunterrichts bzw. der Religionslehrkraft transparent sind. Gleichzeitig zeigen die Ausführungen, dass sich der Charakter des konfessionellen Religionsunterrichts an die Herausforderungen durch religiöse und weltanschauliche Heterogenität anpassen bzw. diese Vielfalt im Unterricht in diversen Dimensionen fruchtbar machen muss. Wie genau dies geschehen kann, dazu möchte dieses Handbuch einige Ideen und Impulse geben. Allerdings wird sich die konfessionelle, religiöse und weltanschauliche Vielfalt auch künftig noch mehr in der Konzeption von Modellen zum Religionsunterricht widerspiegeln (müssen), wie etwa auch das aktuelle EKD-Papier zum konfessionell-kooperativen Religionsunterricht zeigt. Darin wird eine weitere institutionalisierte Verbreitung dieses Modells ausdrücklich befürwortet und gleichzeitig zwar einem religions-kooperativen Religionsunterricht eine Absage erteilt, aber immerhin die »projekthafte und themenbezogene Begegnung und Zusammenarbeit« (Kirchenamt der EKD, 2018, S. 18) mit anderen Religionsunterrichten befürwortet und endlich auch die Zusammenarbeit mit den Ersatzfächern ausdrücklich erwähnt – allerdings vorerst auf den Dialog und die Zusammenarbeit auf Lehrer*innenebene beschränkt (vgl., S. 18). Wahrscheinlich liegt die Zukunftsfähigkeit des konfessionellen Religionsunterrichts tatsächlich darin, jeweils kontextuell phasenweise und/oder projektbezogene Kooperationen mit anderen Religionsunterrichten und(!) den Alternativfächern durchzuführen, um der Herausforderung Religion in konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt angemessen zu begegnen und allen Schüler*innen religiöse Bildung zu ermöglichen. Religionsunterricht oder Religionskunde?

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Literatur zum Weiterlesen Lindner K./Schambeck, M./Simojoki, H./Naurath, E. (Hg.) (2017): Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Konfessionell – kooperativ – kontextuell. Freiburg i. Br. u. a..: Herder.

Sonstige Literatur Baumert, J. (2002): Deutschland im internationalen Bildungsvergleich. In: N. Kilius/J. Kluge/­L. Reisch (Hg.): Die Zukunft der Bildung, S. 100–150. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2018): LehrplanPLUS für Gymnasien. Verfügbar unter: http://www.lehrplanplus.bayern.de/fachprofil/gymnasium/evangelische-religionslehre [24.04.2018]. Bietenhard, S./Helbling, D./Schmid, K. (Hg.) (2015): Ethik, Religion, Gemeinschaft. Ein Studienbuch. Bern: hep-Verlag. Kirchenamt der EKD (Hg.) (2018): Konfessionell-kooperativ erteilter Religionsunterricht. Grundlagen, Standards und Zielsetzungen. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Kürzinger, K. S. (2014): »Das Wissen bringt einem nichts, wenn man keine Werte hat.« Wertebildung und Werteentwicklung aus Sicht von Jugendlichen (Bd. 3). Göttingen: V&R unipress. Pohl-Patalong, U./Boll, S./Dittrich, T./Lüdtke, A./Woyke, J. (Hg.) (2016): Konfessioneller Religionsunterricht in religiöser Vielfalt. Eine empirische Studie zum evangelischen Religionsunterricht in Schleswig-Holstein. Stuttgart: Kohlhammer. Schmid, H. (2017): Die Bedeutung des Konfessorischen in einem zukunftsfähigen Religionsunterricht aus katholischer Sicht. In: K. Lindner/M. Schambeck/H. Simojoki/E. Naurath (Hg.): Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Konfessionell – kooperativ – kontextuell, S. 55–66. Freiburg i. Br. u. a.: Herder. Schambeck, M. (2010): Warum Bildung Religion braucht … Religionspädagogische Einmischungen in bildungspolitisch sensiblen Zeiten. Theo-Web, 9 (1), S. 249–263. Toft, A. (2017): Empirical Research on Mediatized Religious Education (in Norway). Vortrag auf der WGTh-Tagung Mediatisierung von Religion und Religiosität in Würzburg. Unveröffentlichtes Manuskript. Toft, A. (2018): Inescapable News Coverage: Media Influence on Lessons About Islam. In: K. Lundby (Hg.): Contesting Religion. The Media Dynamics of Cultural Conflicts in Scandinavia. Boston: DeGruyter. Willems, J. (2009): Die Verschränkung von Binnen- und Außenperspektiven in Theologie und Religionswissenschaft sowie in Religionsunterricht und Religionskunde. Zeitschrift für Pädagogik und Theologie, 3, S. 276–290. Willems, J. (2015): Interreligiöse Kompetenz an der öffentlichen Schule. In: H. Schluß/S. Tschida/T. Krobath/M. Domsgen (Hg.): Wir sind alle »andere«. Schule und Religion in der Plura­lität, S. 19–36. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

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Kathrin S. Kürzinger

Rechtliche Möglichkeiten der Kooperation Bernd Schröder

Im Umgang mit konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt unter Schüler*innen ist das pluralitätssensible, adaptive Unterrichten innerhalb der Lerngruppe des Religionsunterrichts eine wichtige Säule. Religionsunterricht ist nach dem Willen der Evangelischen Kirche in Deutschland für interessierte Schüler*innen aller Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen offen – allerdings können und sollen diese nicht zur Teilnahme verpflichtet werden (dazu Schröder, 2012). Eine weitere Säule sind daneben Kooperationen mit benachbarten Fächern: mit dem Religionsunterricht anderer christlicher Konfessionen (sog. konfessionelle Kooperation), mit z. B. islamischem, alevitischem oder jüdischem Religionsunterricht (interreligiöse Zusammenarbeit) oder auch mit dem Ethikunterricht. Solche Kooperationen sind bildungstheoretisch und religionspädagogisch fraglos wünschenswert und chancenreich, sie unterliegen allerdings auch rechtlichen Bestimmungen – jedenfalls dann, wenn sie auf Dauer angelegt sind bzw. über Vereinbarungen zwischen einzelnen Lehrer*innen hinaus strukturell bedeutsam sind (oder gar als Schulversuch firmieren). Eigens regelungsbedürftig sind Kooperationen somit insbesondere dann, wenn die de jure getrennt zu erteilenden Fächer für längere Zeiträume de facto gemeinsam unterrichtet werden sollen. Wenn Religionsunterricht nach Art. 7,3 GG an solchen Kooperationen beteiligt ist, bedarf dies stets der Zustimmung der mitverantwortlichen Kirche bzw. Religionsgemeinschaft. Denn Religionsunterricht unterliegt zwar der staatlichen Schulaufsicht und ist folglich schulrechtskonform zu erteilen, doch immer dann, wenn die »Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften« (Art. 7,3 GG) tangiert ist, unterliegt er zugleich dem religionsgemeinschaftlichen Mitwirkungsrecht. Anders als im Falle dauerhafter bzw. struktureller Kooperationen sind bei der Realisierung kleinerer Kooperationsformen – Unterrichtsbesuche von Lehrenden benachbarter Fächer, gemeinsame einzelne Unterrichtsstunden oder auch fächerverbindend erteilte Unterrichtseinheiten (dazu etwa Peterßen, 2000; Eyer, 45

2017), gemeinsame Projekttage oder -wochen u. a. m. – i. d. R. nur allgemeine schulrechtliche Regelungen (Avenarius/Heckel, 2000) zu beachten. Was rechtlich möglich bzw. zulässig ist, hängt somit zum einen ab von dem Format bzw. der Dauerhaftigkeit der Kooperation, die realisiert werden sollen, zum anderen davon, mit wem – d. h. mit welchem der drei eingangs genannten Fächer –, und nicht zuletzt, drittens, davon, wo – in welchem Bundesland bzw. im Bereich welcher Landeskirche oder Diözese – kooperiert werden soll. In diesem Artikel wird das Spektrum der Kooperationsmöglichkeiten entlang der möglichen Kooperationspartner*innen anhand exemplarischer Regionen vorgestellt.

1  Konfessionelle Kooperation Grundlage konfessioneller Kooperation sind entsprechende kirchliche Verlautbarungen. Unter denjenigen mit bundesweiter Geltung haben sich drei als wegweisend erwiesen: die erste Denkschrift der EKD zum Religionsunterricht aus dem Jahr 1994 (deren Tenor in dieser Hinsicht 2014 unterstrichen wurde), eine gemeinsame Stellungnahme von Deutscher Bischofskonferenz und Evangelischer Kirche in Deutschland im Jahr 1998 (DBK/EKD, 1998), und ein Papier der Deutschen Bischofskonferenz, das Ende 2016 publiziert wurde (DBK, 2016). Die Denkschrift »Identität und Verständigung« (1994) plädiert dabei für die Beibehaltung konfessionell gegliederten Religionsunterrichts (»Prinzip konfessioneller Bestimmtheit«; S. 59), sieht aber zugleich »für die Zukunft die Form eines ›konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts‹« (S. 65) als angemessen an (»Prinzip dialogischer Kooperation«, S. 59). Die jüngste Denkschrift »Religiöse Orientierung gewinnen« (2014) nimmt dies entschieden auf. Sehr viel zurückhaltender formulierte in den 1990er Jahren die Deutsche Bischofskonferenz (1996): Durch das Festhalten an der konfessionell homogenen Trias »ist es […] dem Religionsunterricht nicht verwehrt […], daß er kooperiert« (S. 58). Zwei Bundesländer bzw. genauer: die dort zuständigen Kirchen sind es, die die bislang maßgeblichen Lesarten konfessioneller Kooperation entwickelt haben: In Baden-Württemberg legte die dortige Interkonfessionelle Schulreferententagung bereits 1993 Empfehlungen für »Konfessionelle Kooperation an den Schulen, insbesondere im Religionsunterricht« vor. Ab 1997 kam es zu evaluierten Projektversuchen, 2005 dann zu einer – in ihren Grundzügen bis heute maßgeblichen (siehe den neuesten Stand in Ev. Landeskirche in Baden/Ev. Landeskirche in Württemberg/Erzdiözese Freiburg/Diözese Rottenburg-Stuttgart, 46

Bernd Schröder

2015) – Verein­barung über »Konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht an allgemein bildenden Schulen«, die von den Bischöfen der vier beteiligten Kirchen (Württem­berg, Baden) bzw. Diözesen (Rottenburg-Stuttgart, Freiburg) unterzeichnet wurde. Sie sieht eine Antrags- und Genehmigungspflicht (letzteres durch beide Konfessionskirchen), die Erarbeitung und Vorlage eines zweijährigen Unterrichtsplans durch die jeweilige Fachkonferenz, die Teilnahme der Lehrkräfte an einer Einführungstagung, eine generelle zeitliche Befristung der Kooperation und den Wechsel zwischen evangelischen und katholischen Lehrkräften (oder wo möglich sogar Team-Teaching) vor. Man kann hier in dem Sinn von einer »harten« Lesart konfessioneller Kooperation sprechen, dass hier etliche Voraussetzungen definiert werden. Im Zeugnis der Schüler*innen sollte die Note für den Religionsunterricht eingetragen werden, dessen Konfession sie angehören. Vermerkt wird zudem: »Der Religionsunterricht wurde konfessionell-kooperativ erteilt.« 2009 wurde die Vereinbarung der Landeskirchen überarbeitet: Der Wechsel der Lehrkraft wird nunmehr in halbjährlichem Turnus festgeschrieben; die Eltern müssen ihr Einverständnis mit der konfessionellen Kooperation ausdrücklich erklären; die Religionsunterrichtsnote wird so eingetragen, dass sie der Konfession der erteilenden Lehrkraft entspricht. In Niedersachsen erließ das zuständige Kultusministerium auf der Basis vorgängiger Übereinkunft der beteiligten Kirchen 1998 »Organisatorische Regelungen für den Religionsunterricht und den Unterricht Werte und Normen«, die u. a. die Möglichkeit eröffneten, auf Antrag für maximal die Hälfte der an einer Schulform angebotenen Schuljahre Religion konfessionell-­kooperativ zu unterrichten. Die Genehmigung war von der Schulbehörde »im Einvernehmen mit den zuständigen kirchlichen Stellen« zu erteilen, sofern die Klassenelternschaft und die Fachkonferenz zuvor zugestimmt hatten. Ein »inhaltlich, pädagogisch und organisatorisch abgesichertes Schulcurriculum für den konfessionell-­kooperativen Religionsunterricht« war vorzulegen. »Der konfessionell-kooperative Religionsunterricht […; gilt] schulrechtlich [als] Religionsunterricht der Religionsgemeinschaft, der die unterrichtende Lehrkraft angehört und nach deren Grundsätzen der Religionsunterricht erteilt wird.« Der Erlass wurde 2005 und v. a. 2011 durchaus wesentlich modifiziert: Der heute gültigen Fassung zufolge sind einerseits »Lehrkräfte beider Konfessionen« »regelmäßig« einzusetzen. Ein Antrag ist nur noch zu stellen, wenn die konfessionelle Kooperation über die Hälfte der Schuljahre (die eine Schulform anbietet) hinaus fortgeführt werden soll. Seit dieser Vereinfachung des Verfahrens, die einhergeht mit dem Verzicht auf eine obligatorische Schulung der Lehrkräfte, eine planmäßige didaktische Konzeptentwicklung und eine Evaluierung, kann man im Falle Niedersachsens Rechtliche Möglichkeiten der Kooperation

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mit einigem Recht von einer »weichen« Lesart konfessioneller Kooperation sprechen, die gut umsetzbar und weitgehend akzeptiert ist. Inzwischen haben auch die Landeskirchen und Diözesen etlicher anderer Bundesländer entsprechende Vereinbarungen getroffen (siehe zum Sachstand Schröder/Biesinger, 2016; Lindner/Naurath/Schambeck/Simojoki, 2017). Hinsichtlich ihrer theologischen und religionspädagogischen Begründbarkeit ist eine solche konfessionelle Kooperation auch denkbar bzw. offen zur Kooperation mit orthodoxem Religionsunterricht, doch rechtsförmig vereinbart ist dies bislang nirgends.

2  Interreligiöses Lernen Anders als evangelischer und römisch-katholischer Religionsunterricht, die auf eine lange Tradition zurückblicken, flächendeckend etabliert sind und somit fast überall potenziell kooperationsfähig sind, befinden sich islamischer und alevitischer Religionsunterricht noch im Aufbau; jüdischer und buddhistischer Religionsunterricht wiederum sind nur an wenigen Standorten etabliert. Regelungen für eine förmliche Kooperation von – bspw. – evangelischem und islamischem Religionsunterricht haben vor diesem Hintergrund bislang kein Bundesland und keine Kirche (bzw. keine muslimische Organisation) getroffen. Allerdings gibt es – auch wenn diese weder nach Quantität noch nach Qualität empirisch erhoben sind – de facto vielerorts, z. B. in Niedersachsen, durchaus Kooperationen gerade zwischen evangelischem und islamischem Religionsunterricht: Mitwirkung christlicher Religionspädagog*innen an Lehrplanentwicklung und Lehrkräftebildung, gemeinsame Fachkonferenzen oder zumindest einzelne gemeinsame Sitzungen vor Ort, gemeinsame Unterrichtsstunden, Projekttage oder längere Projektphasen seien genannt. Zudem ist auf zwei darüber hinausweisende Kooperationsmodelle hinzuweisen: In Ballungsräumen wie dem Rhein-Main- oder Rhein-Ruhr-Gebiet oder an Auslandschulen wie der »Deutschen Evangelischen Oberschule« in Kairo (Ägypten) haben einzelne Schulen im Modus des Schulversuchs oder per Sondergenehmigung kooperative Unterrichtsmodelle etabliert (dazu Beiträge in van der Velden, 2011; Boehme, 2017). Zudem gibt es mit dem Stadtstaat Hamburg ein Land, in dem die Evangelische Kirche den ihr gemäß Art. 7,3 GG möglichen Religionsunterricht als interreligiösen Unterricht auslegt (programmatisch seit 1995). Seit 2014 übernehmen andere Religionsgemeinschaften wie Sunniten, Aleviten und Juden auf der Basis 48

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zuvor geschlossener Staatsverträge offiziell Mitverantwortung für diesen Unterricht. Die Religionen sollen inhaltlich gleichgewichtig im Unterricht vorkommen: Lehrpläne und Unterrichtsmaterialien werden in diesem Sinne entwickelt (dazu etwa Kessler, 2014; Kuhlmann, 2017). An der Universität werden neben evangelischen Religionslehrenden auch solche der genannten Religionen ausgebildet, an einzelnen Schulen wird der Religionsunterricht bspw. von islamischen Lehrkräften erteilt. Aus dem Evangelischen Religionsunterricht für alle wird de jure und zunehmend auch de facto ein Religionsunterricht für alle von allen. In der Primarstufe und den unteren Klassen der Sekundarstufe I wird faktisch überwiegend im Klassenverband unterrichtet, da kein Ersatzfach angeboten wird und die rechtlich vorhandene Abmeldemöglichkeit kaum in Anspruch genommen wird. Die römisch-katholische Kirche beteiligt sich an diesem Unterrichtsmodell nicht. Sie bietet an Schulen in eigener Trägerschaft und auch an den wenigen staatlichen Schulen, wo hinreichend viele katholische Schüler*innen vorhanden sind, katholischen Religionsunterricht an.

3  Kooperation zwischen Religions- und Ethikunterricht Ähnlich wie mit der interreligiösen Kooperation verhält es sich mit der Kooperation zwischen Religions- und Ethikunterricht: Auch hier fehlen weithin rechtliche Bestimmungen seitens der Kirchen bzw. der staatlichen Kultusbehörden. Ausnahmen bestätigen die Regel: So hat das Land Berlin – unter der bundesweit einzigartigen, seit 2007 geltenden Voraussetzung, dass Ethik Pflichtfach für alle ist, Religionsunterricht für interessierte Schüler*innen als Wahlfach hinzutreten kann – schulgesetzlich festgelegt, dass im Ethikunterricht »einzelne Themenbereiche in Kooperation mit Trägern des Religions- und Weltanschauungsunterrichts gestaltet werden« sollen: »Die Entscheidung, in welcher Form Kooperationen durchgeführt werden, obliegt der einzelnen Schule« (Schulgesetz Berlin § 12, Abs. 6, eingetragen durch Änderung vom 30. März 2006). Schon 1997 hat das Bildungsministerium des Landes Schleswig-Holstein in »Durchführungsbestimmungen« zum Runderlass »Religionsunterricht an den Schulen in Schleswig-Holstein« (RErl vom 7. Mai 1997) den Begriff der »Fächergruppe« für die Fächer Evangelischer Religions-, Katholischer Reli­gionsund Philosophieunterricht in Anspruch genommen und so den Weg zu verstärkter Kooperation gewiesen, etwa in Gestalt von gemeinsamen Projekten, Team-­Teaching und »Durchführung gemeinsamer Unterrichtsreihen« (siehe auch Minis­terium für Bildung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein, 2011). Rechtliche Möglichkeiten der Kooperation

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Entsprechend heißt es in § 7 des Schulgesetzes von Mecklenburg-Vorpommern, erstmals in Geltung getreten am 15. Mai 1996, hier in der Fassung vom 10. September 2010: »(3) Die Unterrichtsfächer Evangelische Religion, Katholische Religion und Philosophieren mit Kindern oder Philosophie können zeitweilig auch als Fächergruppe angeboten werden. Innerhalb dieser Fächergruppe sollen die einzelnen Fächer unter Wahrung ihrer Eigenständigkeit und ihrer Besonderheiten und der Rechte der Schülerinnen, Schüler und Erziehungsberechtigten in kooperativer Form unterrichtet werden.« Gleichwohl gibt es auch in anderen Bundesländern einzelne Schulen, die Religions- und Ethikunterricht projektförmig oder auf der Basis schulinterner Verabredungen dauerhaft kooperieren lassen (siehe z. B. die Berichte von Merkel/ Lieberknecht/Haase sowie Simon-Winter/Rosskothen in Schröder/Emmelmann, 2018). Diese Kooperation ist rechtlich insofern besonders heikel, als Schüler*innen die sog. negative Religionsfreiheit im Sinne von Art. 4 GG und auch Art. 7,3 GG für sich in Anspruch nehmen können: Sie sind vor religiöser Indoktrination zu schützen und sie sind nicht verpflichtet, an einem Religionsunterricht konfessioneller Prägung teilzunehmen. Ein dauerhaft kooperativer Religions- und Ethikunterricht kann von Schüler*innen bzw. deren Eltern als Verletzung dieser Rechte interpretiert werden. Die prinzipielle Zusammenlegung von Religions- und Ethikunterricht auf Schulebene, die v. a. im Bereich der Berufsbildenden Schulen wie der Gesamtschulen nicht selten anzutreffen ist, kann deswegen rechtlich keinen Bestand haben; es handelt sich dabei auch nicht um eine Kooperation, sondern um die – schulund verfassungsrechtlich eigentlich unzulässige – Auflösung eigenständiger Fächer.

4 Ausblick Das Panorama der Kooperationen des Religionsunterrichts lässt sich cum grano salis so zusammenfassen: Vor Ort, in den einzelnen Schulen aller Schulstufen, gibt es de facto eine Fülle an Formaten und eine große Zahl an Kooperationen vor allem mit anders-konfessionellem, aber auch mit anders-religiösem Religionsunterricht sowie, seltener, mit anders-weltanschaulichem Unterricht bzw. Ethikunterricht. Rechtlich gesehen ist davon nur ein kleiner Teil eigens genehmigungsbedürftig, nämlich nur die Kooperationen, die auf dauerhaftes Zusammenwirken abzielen. 50

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Für diesen Fall gibt es vor allem im Blick auf konfessionelle Kooperation, vereinzelt auch für interreligiöse Kooperation modellhafte und praxistaugliche rechtliche Regelungen, denen die jeweiligen Kirchen (bzw. Religionsgemeinschaften) zugestimmt haben. Allerdings ist die Ausbildung von Religionslehrenden bislang kaum auf die Kooperationen aller drei Reichweiten ausgerichtet. Wer in der Schule Religionsunterricht kooperativ erteilen soll oder will, sollte jedoch fraglos auf diese Kooperation vorbereitet werden: durch gesteigerten Wissensaufbau zum potenziellen Partnerfach und dessen Inhalten, durch Information über und Auseinandersetzung mit Zielen, religionspädagogischen Modalitäten und rechtlichen Voraussetzungen solcher Kooperation, und – nicht zuletzt – durch Besuch kooperativer Lehrveranstaltungen, in denen auf der Ebene hochschulischer Lehre praktiziert wird, was im schulischen Unterricht elementarisiert werden soll. Zu konfessionell-kooperativer und interreligiös-kooperativer Lehre, auch zur wechselseitigen Anerkennung von Lehrveranstaltungen, gibt es an einzelnen Standorten schriftliche oder mündliche Vereinbarungen, es fehlen indes Einträge in die Rahmenregelungen der Religionslehrkräftebildung (zuletzt EKD, 2009), die einerseits Grenzen ziehen, andererseits aber Mindeststandards für das Maß und die kooperative Qualität des Studiums und des Referendariates festlegen. Solche Regelungen sind hochschuldidaktisch vorzubereiten und bedürfen einer theologischen Übereinkunft zwischen Lehrenden aller theologischen Disziplinen, dass eine ökumenisch, interreligiös usw. akzentuierte Lehrerbildung sinnvoll und möglich ist. Sie sind rechtlich relevant, insofern sie die Gestalt zukünftigen Religionsunterrichts prägen werden (und insofern sie die sich aus Art. 7,3 GG resultierenden Mitwirkungsrechte der Religionsgemeinschaften betreffen) und die mono-­konfessionelle Verfasstheit theologischer Fakultäten und Institute herausfordern. Literatur zum Weiterlesen Lindner, K./Naurath, E./Schambeck, M./Simojoki, H. (Hg.) (2017): Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Konfessionell – kooperativ – kontextuell. Freiburg i. Br. u. a.: Herder. Schröder, B. (2014): Religionsunterricht wohin? Modelle seiner Organisation und didaktischen Struktur. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie. Schröder, B./Emmelmann, M. (Hg.) (2018): Religions- und Ethikunterricht zwischen Konkurrenz und Kooperation. Göttingen: Neukirchener Theologie bei Vandenhoeck & Ruprecht.

Sonstige Literatur Avenarius, H./Heckel, H. (2000): Schulrechtskunde. ein Handbuch für Praxis, Rechtsprechung und Wissenschaft (7., neubearb. Aufl.). Neuwied: Luchterhand. Boehme, K. (2017): Warum es zum Interreligiösen Begegnungslernen keine Alternative gibt. Eine kooperierende Fächergruppe bietet die Basis für den interreligiösen Dialog in der Schule. Katechetische Blätter, 142 (3), S. 178–182. Rechtliche Möglichkeiten der Kooperation

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Deutsche Bischofskonferenz (1996): Die bildende Kraft des Religionsunterrichts (Die deutschen Bischöfe 56). Bonn. Deutsche Bischofskonferenz/Evangelische Kirche in Deutschland (1998): Zur Kooperation von Evangelischem und Katholischem Religionsunterricht, Bonn/Hannover. Verfügbar unter: https:// www.ekd.de/download/konfessionelle_kooperation_1998.pdf [03.04.2018]. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.) (2016): Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts. Empfehlungen für die Kooperation des katholischen mit dem evange­ lischen Religionsunterricht. Die deutschen Bischöfe, 103. Bonn. Evangelische Landeskirche in Baden/Evangelische Landeskirche in Württemberg/Erzdiözese Freiburg/Diözese Rottenburg-Stuttgart (Hg.) (2015): Konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht an allgemein bildenden Schulen. Stuttgart (darin: »Vereinbarung […] zur konfessionellen Kooperation an allgemeinbildenden Schulen« vom 1. März 2005, S. 8–11, und »Verbindlicher Rahmen […]« vom 1. Dezember 2015, S. 12–14). Eyer, M. (2017): Interdisziplinarität auf der Sekundarstufe II. Bern: hep-Verlag. Katholisches Büro Niedersachsen/Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen (Hg.) (2012): Religionsunterricht in Niedersachsen. Dokumente – Erklärungen – Handreichungen. Hannover. Kessler, H.-U. (2014): Religionsunterricht für alle in evangelischer Verantwortung – der Hambur�ger Weg. In: B. Schröder (Hg.): Religionsunterricht wohin?, S. 45–56. Neukirchen-Vluyn: Neu�kirchener Theologie. Kirchenamt der EKD (Hg.) (1994): Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität. Eine Denkschrift. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Kirchenamt der EKD (Hg.) (2009): Theologisch-Religionspädagogische Kompetenz. Professionelle Kompetenzen und Standards für die Religionslehrerausbildung. Empfehlungen der Gemischten Kommission zur Reform des Theologiestudiums. EKD-Texte, 96. Hannover. Kirchenamt der EKD (Hg.) (2014): Religiöse Orientierung gewinnen. Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Kuhlmann, B. (2017): »Religionsunterricht für alle« in Hamburg 2.0. BRU Magazin, 68, S. 36–43. Lindner, K./Naurath, E./Schambeck, M./Simojoki, H. (Hg.) (2017): Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Konfessionell – kooperativ – kontextuell. Freiburg i. Br. u. a.: Herder. Merkel, R./Lieberknecht, L./Haase, S. (2018): Verschiedene Perspektiven zur Sterbehilfe. In: B. Schröder/M. Emmelmann (Hg.): Religions- und Ethikunterricht zwischen Konkurrenz und Kooperation, S. 269–280. Göttingen: Neukirchener Theologie bei Vandenhoeck & Ruprecht. Peterßen, W. H. (2000): Fächerverbindender Unterricht. Begriff, Konzept, Planung, Beispiele. Ein Lehrbuch. München: Oldenbourg. Schröder, B. (2012): Religionspädagogik. Tübingen: Mohr Siebeck. Schröder, B. (2018): Religions- und Ethikunterricht – eine Fächergruppe? Ein Plädoyer. In: B. Schröder/M. Emmelmann (Hg.): Religions- und Ethikunterricht zwischen Konkurrenz und Kooperation, S. 355–376. Göttingen: Neukirchener Theologie bei Vandenhoeck & Ruprecht. Schröder, B./Biesinger, A. (2016): Konfessionelle Kooperation und der Stand ihrer religionspädagogischen Erforschung. In: S. Altmeyer/R. Englert/H. Kohler-Spiegel/E. Naurath/­B. Schröder/ F. Schweitzer (Hg.): Ökumene im Religionsunterricht. Jahrbuch der Religionspädagogik 32, S. 73–86. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie. Schweitzer, F. (2016): Kooperation zwischen Ethik/Philosophie und Religion. In: B. Brüning (Hg.): Ethik/Philosophie Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II, S. 49–59. Berlin: Cornelsen. Schweitzer, F. (2018): Religionsunterricht und Ethikunterricht. Gegen-, Neben- oder Miteinander? In: B. Schröder/M. Emmelmann (Hg.): Religions- und Ethikunterricht zwischen Konkurrenz und Kooperation, S. 301–316. Göttingen: Neukirchener Theologie bei Vandenhoeck & Ruprecht.

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Simon-Winter, C./Rosskothen, B. (2018): »Verschiedenheit achten – Gemeinschaft stärken«. In: B. Schröder/M. Emmelmann (Hg.): Religions- und Ethikunterricht zwischen Konkurrenz und Kooperation, S. 253–268. Göttingen: Neukirchener Theologie bei Vandenhoeck & Ruprecht. van der Velden, F. (Hg.) (2011): Die Heiligen Schriften des anderen im Unterricht. Bibel und Koran im christlichen und islamischen Religionsunterricht einsetzen. Göttingen: V&R unipress.

Rechtliche Möglichkeiten der Kooperation

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Kontextsensibles Unterrichten in konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt Henrik Simojoki

1  Vielfalt wird am Ort konkret »Pluralität« und »Heterogenität« stehen aktuell religionsdidaktisch hoch im Kurs – und das völlig zu Recht: Die Zukunft des Religionsunterrichts wird sich letztlich daran entscheiden, ob und inwiefern er zu einer pluralitäts- und heterogenitätsfähigen Bildung an öffentlichen Schulen beiträgt (Kirchenamt der EKD, 2014; Grümme, 2017). Während der Begriff »Pluralität« auf die konfessionelle, religiöse und weltanschauliche Vielfalt abhebt, macht der Heterogenitätsbegriff darauf aufmerksam, dass diese Vielfalt im Zusammenhang mit anderen Heterogenitätsdimensionen (Geschlecht, soziales Milieu, Migration, Behinderung, sexuelle Orientierung etc.) bedacht werden muss. Und doch ist die eingebürgerte Rede von der »Pluralitäts- und Heterogenitätsfähigkeit des Religionsunterrichts« nicht unproblematisch, weil es sich in beiden Fällen bereits dem Wortlaut nach um statische und ortlose Begriffe handelt. Sie fangen nicht ein, was Religionslehrkräften in der Regel aus eigener Anschauung und Erfahrung bestens vertraut ist: Konfessionelle, religiöse, weltanschauliche und soziale Vielfalt ist grundsätzlich kontextgebunden. Sie zeigt sich von Land zu Land, von Region zu Region, von Ort zu Ort, von Stadtteil zu Stadtteil, ja manchmal sogar von Schule zu Schule und von Klassenraum zu Klassenraum anders, teilweise sogar grundverschieden. Heterogenität und Pluralität gibt es also nicht an sich, sondern nur im Kontext. Das wiederum bedeutet: Je besser es Religionslehrkräften gelingt, in ihrem Planen und Gestalten auf die je spezifischen Kontextbedingungen einzugehen, desto höher stehen die Chancen, dass die Idee einer pluralitäts- bzw. heterogenitätsfähigen Bildung in der Praxis gelingt.

2  Dimensionen religionsdidaktischer Kontextualität Während es in der Didaktik klassischerweise um das Was, Warum, Wozu, Wem und Wie pädagogischer Aneignung und Vermittlung geht, soll hier die Frage nach dem Wo religiöser Bildung thematisiert werden. 54

Allerdings ist der Kontext differenzbezogener Bildung gar nicht so leicht zu bestimmen. Denn er beschränkt sich keineswegs auf den in didaktischer Hinsicht besonders wichtigen lokalen Nahbereich, sondern schließt darüber hinaus regionale, nationale und globale Bezüge mit ein. Schließlich gehört auch die zunehmend digitalisierte Medienwelt heutiger Schüler*innen zum Kontext differenzsensiblen Lernens dazu. Entlang dieser Dimensionen soll im Folgenden umrissen und beispielhaft veranschaulicht werden, wie Kontextsensibilität unter den Bedingungen religiös-weltanschaulicher Pluralität und gesellschaftlicher Heterogenität im Religionsunterricht entfaltet werden kann.

3  Schulartspezifische Religionsdidaktik Davor sei aber noch zumindest kurz auf einen weiteren, genuin pädagogischen Aspekt verwiesen, der quer zu diesen fünf Dimensionen läuft: Religionsdidaktische Kontextualität wird maßgeblich durch die Schulart bestimmt. Interreligiöses, ökumenisches und interweltanschauliches Kooperationslernen verbindet sich im Kontext der Grundschule mit Formen, Strukturen und Zielsetzungen, die sich nicht nur altersbedingt beträchtlich von denen beispielsweise der beruflichen Bildung unterscheiden (siehe Büttner in diesem Band). Nachdem sich die Konzeptentwicklung in der deutschsprachigen Religionsdidaktik lange Zeit implizit am Religionsunterricht an Gymnasien orientierte, hat sie sich nach und nach stärker auf die Spezifik anderer Schularten eingestellt. Eigens zu nennen sind hier die Grundschule (Hilger/Ritter/Lindner/Simojoki/Stögbauer 2014, bes. S. 247–326), die Hauptschule (Lütze, 2013) und ganz besonders die berufliche Bildung, die kraft mittlerweile dreier Institute für berufsorientierte Religionspädagogik zu einem der zentralen Forschungs- und Erprobungskontexte einer diversitätsorientierten Religionsdidaktik geworden ist (bspw. Schweitzer/Bräuer/Boschki, 2017).

4 Kontextsensibles Unterrichten im lokalen Nahraum »Istanbul mag weit weg sein – der Islam ist es nicht.« Unter diesem Motto hat Karlo Meyer – inspiriert von Innovationen im englischsprachigen Raum – ein Konzept interreligiösen Lernens entwickelt, das konsequent von den konkreten Personen und Gegebenheiten des Ortes ausgeht (Meyer, 2006). Im Fokus steht das religiöse Leben vor Ort, so wie es sich Schüler*innen in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld täglich darstellt. Der religionsdidaktische Mehrwert einer solchen Nahweltorientierung leuchtet unmittelbar ein: Die Leitfrage, wie Menschen unterKontextsensibles Unterrichten in konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt

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schiedlicher religiöser Herkunft und Zugehörigkeit in gegenseitiger Achtung und Toleranz zusammenleben können, wird nicht abstrakt verhandelt, sondern dorthin verlagert, wo sie sich letztlich entscheidet – in den Alltag der Schüler*innen und in die lokale Lebenswelt, in der ihr Alltag sich abspielt. Auch im Bereich konfessionell-kooperativen Lernens bildet das Lokale einen Fixpunkt pluralitätsfähiger Bildung. So eröffnet beispielsweise der Besuch von Kirchen vor Ort einen Zugang mit allen Sinnen zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den Konfessionen – besonders dann, wenn sich der Besuch nicht auf das Inventar der Kirchenräume konzentriert, sondern die Praxisebene von Religion einschließt. Die bislang genannten Orte außerschulischen Lernens weisen einen direkten Bezug zu Religion auf und sind daher fester Bestandteil gängiger Konzepte und Unterrichtsmaterialien für interkonfessionelles und interreligiöses Lernen. Andrea Schulte (2013) hat dafür plädiert, auch solche Kontexte der lokalen Nahwelt in den Blick zu nehmen, die einen indirekten oder impliziten Bezug zur Religion haben. Gerade Räume, die sowohl säkular als auch religiös gedeutet werden können (beispielsweise Krankenhäuser oder auch Bankfilialen), bergen viel Potenzial für multiperspektivisches Lernen, das der Möglichkeit und Notwendigkeit nicht-religiöser Weltzugänge Rechnung trägt (siehe auch Gärtner in diesem Band). Die religiöse Spurensuche vor Ort wird didaktisch umso besser gelingen, je eingehender die Lehrkraft sich selbst mit der didaktisch einschlägigen Lebenswelt vertraut gemacht hat. Kontextsensibles Lernen ist also auf kontextbezogene Expertise und Professionalität angewiesen, die auf verschiedenen Ebenen manifest wird: Ȥ Auf personaler Ebene geht es darum, sich mit religionsdidaktisch relevanten Akteur*innen im sozialen Umfeld der Schule zu vernetzen. Wer beispielsweise mit einer Religionsklasse die örtliche Moscheegemeinde besucht, sollte sich davor mit einer Repräsentantin oder einem Repräsentanten dieser Gemeinde ausgetauscht haben. Und das wird wiederum viel unverkrampfter vonstattengehen, wenn man bereits – etwa am Tag der offenen Moschee – eigene Erfahrungen mit dem Gemeindeleben gemacht hat. Ȥ Auch auf phänomenaler Ebene ist es wichtig, auf kontextbezogene Kenntnisse und Fertigkeiten zurückgreifen zu können. Eine konfessionell-kooperative Kirchenerkundung wird für die Schüler*innen ertragreicher ausfallen, wenn die Lehrkräfte die zu besuchenden Kirchen im Vorfeld gemeinsam erkundet und sich darüber ausgetauscht haben, was ihnen am jeweiligen Raum bedeutsam, reizvoll oder auch fremd ist. Ȥ Auf thematisch-diskursiver Ebene geht es wiederum darum, ein Gespür dafür zu entwickeln, was Menschen vor Ort gerade bewegt, interessiert oder auch bekümmert. Neben der Alltagskommunikation mit Schüler*innen kann der 56

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Regionalteil der Lokalzeitung eine wichtige Ressource für die Kultivierung solchen Lokalgespürs sein. Ȥ Schließlich besitzt heterogenitätsbezogene Kontextsensibilität auch eine strukturelle Ebene. In der pädagogischen Arbeit mit Geflüchteten hat sich besonders deutlich gezeigt, dass Bildung in kultureller Vielfalt vernetztes Handeln von schulischen und außerschulischen Akteur*innen voraussetzt. Solche Kompetenzen gewinnen durch die Pluralisierung von Lebenswelten zusätzlich an Bedeutung. Die herkömmliche Unterscheidung von urbanen bzw. ländlichen Kontexten greift religionspädagogisch viel zu kurz, weil Großstädte in religiöser, konfessioneller und sozialer Hinsicht höchst heterogene Gebilde sind und – um nur ein Beispiel zu nennen – die religionsdidaktischen Herausforderungen »des« ländlichen Raumes sich im Bayerischen Wald doch erheblich anders zeigen als in der Mecklenburgischen Seenplatte. So spricht Joachim Willems (2012) mit Blick auf Berlin von der Notwendigkeit einer »innerstädtischen Regionalisierung«. Eine »regional sensible Religionspädagogik« soll seiner Ansicht nach »dazu helfen, den spezifischen Anforderungen im jeweiligen Kiez gerecht zu werden, die Chancen und Lerngelegenheiten vor Ort sinnvoll zu nutzen und zugleich im Blick zu behalten, dass Schülerinnen und Schüler nicht nur für ihren momentanen Kontext lernen« (S. 76). Im Blick auf den Umgang mit religiöser, kultureller und weltanschaulicher Vielfalt ist der abschließende Nebensatz besonders wichtig, weil er präzise zum Ausdruck bringt, warum kontextsensibles Unterrichten sich nicht auf den sozialen Nahraum begrenzen darf.

5  Kontextsensibles Unterrichten in regionaler und nationaler Perspektive Dass der Religionsunterricht in Deutschland in den Bundesländern und damit regional unterschiedlich organisiert ist (siehe Schröder in diesem Band sowie Simojoki, 2017), hat auch didaktisch viel für sich, weil dies spezifische Gestaltungsformen für spezifische Konstellationen ermöglicht. So findet interreligiöses Kooperationslernen im multireligiösen Kontext Hamburgs andere Bedingungen vor als in Sachsen-Anhalt, wo sich die Notwendigkeit fachbezogener Zusammenarbeit in erster Linie im Verhältnis zum Ethikunterricht manifestiert. Allerdings wäre es didaktisch aus mehreren Gründen verkehrt, den Kontext interkonfessionellen, -religiösen und -weltanschaulichen Lernens zu eng an den Gegebenheiten vor Ort auszurichten. Angesichts der innerdeutschen Migration, Kontextsensibles Unterrichten in konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt

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der Internationalisierung von Berufslaufbahnen und der künftig wohl weiter steigenden Berufsmobilität spricht vieles dafür, religiöse Bildung in differenzbezogener Hinsicht kompensatorisch, d. h. ausgleichend anzulegen. Wenn junge Menschen in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld kaum muslimischen Menschen begegnen, kommt es besonders darauf an, dass sie in der Schule auf das Leben in einer multireligiösen Gesellschaft vorbereitet werden. Und umgekehrt wäre der Religionsunterricht in Kontexten mit vergleichsweise geringem Säkularisierungsgrad bewusst so anzulegen, dass Schüler*innen nachwirkende Erfahrungen und Kompetenzen im Umgang mit nichtreligiösen Weltsichten erwerben können.

6  Kontextsensibles Unterrichten in der Spannung von Globalem und Lokalem Unter den Bedingungen fortschreitender Globalisierung ist auch religiöse Bildung in der Schule im Bezugshorizont der Weltgesellschaft zu verantworten (Simojoki, 2012). Das gilt im besonderen Maße im Blick auf konfessionelle, religiöse und weltanschauliche Vielfalt. Noch immer überwiegt in aktuellen Lehrplänen und Unterrichtswerken für den Religionsunterricht die Tendenz, das Christentum stillschweigend mit seinen lokalen Ausprägungen in Deutschland und bestenfalls Europa zu identifizieren. Diese Blickwinkelverengung ist nicht nur grundsätzlich zu hinterfragen, sondern wird auch durch die Wirklichkeit überholt. Mittels Migration, medialer Kommunikation und missionarischer Aktivität machen sich die globalen Verschiebungen im weltweiten Christentum verstärkt auch in deutschen Klassenzimmern bemerkbar. Umso befremdlicher ist es, wenn Ökumene in Ansätzen konfessioneller Kooperation nur auf das Verhältnis der beiden Großkirchen in Deutschland bezogen wird, ohne beispielsweise auf die globale Pfingstbewegung einzugehen, der mittlerweile bis zu ein Viertel aller Christ*innen weltweit zugerechnet wird. Auch lehrt ein Blick in die aktuelle Statistik der Asyl- und EU-Freizügigkeitsmigration, dass es endlich an der Zeit ist, die Perspektiven orthodoxen Christentums gebührend in konfessionell-kooperative Lernprozesse einzubeziehen. Noch stärker macht sich die ambivalente Nähe des Entfernten in interreligiösen Lernprozessen bemerkbar. Ob es sich um einen unbegleiteten Geflüchteten aus Syrien handelt oder eine deutsche Muslimin mit türkischem Migrationshintergrund, die biografischen Horizonte junger Muslim*innen weisen oft über die lokalen Lebensbezüge hinaus. Sie wachsen zwar in Deutschland auf, haben aber oft – familiär, kulturell und auch religiös – weiterhin starke Bindungen zu ihrem Herkunftsland. Sie beten vor Ort, aber in Richtung Mekka. Wenn sie die lokale 58

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Moschee besuchen, lesen und lernen sie dort die Weltsprache ihrer Religion. Offenbar sind Globales und Lokales in der religiösen Welt heutiger Heranwachsender eng miteinander verflochten (Simojoki, 2014). Das gilt – wieder auf den Islam bezogen – keineswegs nur für muslimische Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, sondern auch für deren nicht-muslimische Mitschüler*innen.

7  Kontextsensibles Unterrichten an und in medialen Räumen Wenn Schüler*innen sich im Unterricht mit dem Islam befassen, wird ihr Umgang mit dieser Religion nicht allein davon bestimmt sein, was ihnen vorliegt oder wen sie vor sich haben. Durch die mediale Berichterstattung und das Internet kommen sie unausweichlich auch mit fernen Eindrücken der islamischen Weltreligion in Berührung. Dabei sind die Bilder, Eindrücke und Wertungen, die sich ihnen vermitteln, zumeist von Konflikten bestimmt. Oft zeigen sie zornige Männer und verhüllte Frauen in fernen Ländern – oder polarisierte Talkshow-Debatten um ein mit dem Islam verbundenes Streitthema. An dieser Stelle wird deutlich, was kontextsensibles Unterrichten auch bedeutet: mediale Spiegelungen von Religion kritisch und vor allem auch selbstreflexiv wahrzunehmen. Damit ist aber nur eine Seite der Medaille erfasst: In kontextueller Perspektive nehmen digitale Medien auch wichtige Brückenfunktionen wahr. Sie öffnen Kommunikations- und Bildungsräume, in denen – wie sich am ökumenischen Schulvernetzungsprojekt »schools500reformation« beispielhaft zeigt – Verständigung über Kultur- und Ländergrenzen hinaus möglich ist (Simojoki/Scheunpflug/ Kohlmann, 2016). Darüber hinaus unterstreicht Manfred Pirner (2007) das integrative Potenzial der populären Medienkultur, die als »eine gemeinsame Verständigungssprache, eine lingua franca« (S. 154) für interreligiöse Bildung fruchtbar gemacht werden kann.

8  Fazit: Multiperspektivität und Multikontextualität In den letzten Jahren hat sich das Prinzip der Multiperspektivität als didaktische Leitfigur für kooperatives Lernen im Religionsunterricht etabliert. Multiperspektivisches Lernen zielt darauf, »eigene und andere Standpunkte als singuläre und kontextuell bedingte points of view wahrzunehmen und zu reflektieren« (Woppowa, 2017, S. 189). Der vorliegende Beitrag trägt zu diesem Ziel dadurch bei, dass er das religionspädagogische Augenmerk auf die räumliche Dimension des religiös-weltanschaulichen Orientierungspluralismus legt. In den Erfahrungs- und Kontextsensibles Unterrichten in konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt

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Lebenswelten heutiger Kindern und Jugendlichen ist konfessionelle, religiöse und weltanschauliche Vielfalt auf mehreren Kontextebenen präsent, die sich überlappen und durchaus spannungsvoll zueinander verhalten. Angesichts der fortschreitenden Globalisierung und Mediatisierung ist davon auszugehen, dass diese kontextuelle Mehrbezüglichkeit künftig weiter an Komplexität gewinnen wird. Ist dem so, dann werden in einem pluralitätsfähigen Religionsunterricht multiperspektivisches und multikontextuelles Lernen und Unterrichten Hand in Hand gehen müssen. Literatur zum Weiterlesen Meyer, K. (2006): Lea fragt Kazim nach Gott. Christlich-muslimische Begegnungen in den Klassen 2 bis 6. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schulte, A. (2013): Jeder Ort – überall! Didaktik außerschulischer Lernorte. Stuttgart: Calwer. Simojoki, H. (2014): Beirut in Berlin? Interreligiöse Bildung in der Spannung zwischen Globalem und Lokalem. Evangelische Theologie 74 (3), S. 167–179.

Sonstige Literatur Grümme, B. (2017): Heterogenität in der Religionspädagogik. Grundlagen und konkrete Bausteine. Freiburg i. Br. u. a.: Herder. Hilger, G./Ritter, W. H./Lindner, K./Simojoki, H./Stögbauer, E. (2014): Religionsdidaktik Grundschule. Handbuch für die Praxis des evangelischen und katholischen Religionsunterrichts. Überarbeitete Neuausgabe, München: Kösel/Stuttgart: Calwer. Kirchenamt der EKD (Hg.) (2014): Religiöse Orientierung gewinnen. Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Lütze, F. (2013): Religiöse Bildung im Hauptschulbildungsgang. In: B. Schröder/M. Wermke (Hg.): Religionsdidaktik zwischen Schulformspezifik und Inklusion. Bestandsaufnahmen und Herausforderungen, S. 69–88. Leipzig: EVA. Pirner, M. L. (2007): Populäre Medienkultur – lingua franca für interreligiöse Bildung? In: J. Lähne­ mann (Hg.): Visionen wahr machen. Interreligiöse Bildung auf dem Prüfstand. Referate und Ergebnisse des Nürnberger Forums 2006, S. 150–156. Hamburg: EB-Verlag. Schweitzer, F./Bräuer, M./Boschki, R. (Hg.) (2017): Interreligiöses Lernen durch Perspektivenübernahme. Eine empirische Untersuchung religionsdidaktischer Ansätze. Münster/New York: Waxmann. Simojoki, H. (2012): Globalisierte Religion. Ausgangspunkte, Maßstäbe und Perspektiven religiöser Bildung in der Weltgesellschaft. Tübingen: Mohr Siebeck. Simojoki, H. (2017): Königsweg oder Sargnagel? Chancen und Grenzen regionaler Kontextualisie­ rung. In: K. Lindner/M. Schambeck/H. Simojoki/E. Naurath (Hg.): Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Konfessionell – kooperativ – kontextuell, S. 101–119. Freiburg i. Br. u. a.: Herder. Simojoki, H./Scheunpflug, A./Kohlmann, S. (2016): Schulentwicklung und religiöses Lernen im transnationalen Horizont. Gestaltungsperspektiven am Beispiel des Projekts »schools500refor­ mation«. Zeitschrift für Pädagogik und Theologie, 68 (3), S. 327–339. Willems, J. (2012): Interreligiöses Lernen im Berliner Religions-, Weltanschauungs- und Ethikunterricht. Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik, 11 (2), S. 51–80. Woppowa, J. (2017): Perspektivenverschränkung als zentrale Figur konfessioneller Kooperation. In: K. Lindner/M. Schambeck/H. Simojoki/E. Naurath (Hg.): Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Konfessionell – kooperativ – kontextuell, S. 174–192. Freiburg i. Br. u. a.: Herder.

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Henrik Simojoki

Religionssoziologische Einsichten über konfessionelle, religiöse und weltanschauliche Vielfalt Claudia Schulz

1  Religiöse Vielfalt: vom Normalfall zur Differenzkategorie Dass Menschen sich in ihren religiösen oder weltanschaulichen Haltungen unterscheiden, darf als Normalfall angesehen werden und sollte zu allen Zeiten vorgekommen sein. Neu ist allerdings – als Phänomen der Moderne – dass diese Vielfalt deutlich sichtbar wird. Neu ist vor allem, dass religiöse Vielfalt als Phänomen des gesellschaftlichen Wandels, auch im Zuge von Migrationsbewegungen, immer stärker wahrgenommen, diskutiert und problematisiert wird und darin zu einem Thema wird für Menschen, die pädagogische Arbeit mit anderen und für andere gestalten möchten. In dieser Entwicklung überlagern sich religionswissenschaftliche und soziologische Befunde: Einerseits sind die religiösen Differenzen zu beachten, und zwar im gesamten Spektrum von der Glaubensüberzeugung und ihrer Reflexion bis zur öffentlichen oder privaten religiösen Praxis. Andererseits zeigt sich eine beachtliche Breite darin, wie Religionen sich sozial ausgestalten und als Phänomene wahrgenommen und bewertet werden. Vielfalt ist – nicht nur im Bereich der Religion – eine Frage der Wahrnehmung, die in der öffentlichen oder privaten Kommunikation stattfindet: Unterscheidungen, zum Beispiel zwischen dem Eigenen und dem Fremden, werden vorgenommen, und Entscheidungen über mögliche Zugehörigkeiten werden getroffen, etwa in der Frage, ob der Islam Teil einer westeuropäischen Gesellschaft sein kann oder ob eine Abgrenzung erforderlich ist. Es fällt sofort auf, dass die diesen Diskursen zugrunde liegende öffentliche Wahrnehmung von Religion vor allem durch optische Zeichen der Vielfalt geprägt ist, durch das Kopftuch oder andere, als religiöse Zeichen gedeutete Kleidung oder Verhaltensweisen mit symbolischer Bedeutung. Hier bedarf es einer sorgfältigen Analyse der Phänomene und der Unterscheidung von Phänomen und Bewertung. Im Folgenden wird das Feld in zwei Richtungen durchschritten: Zuerst stehen die faktischen Dimensionen der Pluralität im Mittelpunkt, um einen Überblick über Differenzen und ihre Zuordnung zu gewinnen. Anschließend sind – fokus61

siert auf beispielhafte weltanschauliche Gruppen – die Ausprägungen dieser Differenzen innerhalb der Religionsgemeinschaften dargestellt.

2  Grundlegende Dimensionen der religiösen Pluralität Wo religiöse Phänomene zur Diskussion stehen, ist zugleich die Einbettung von Religion in den großen Kontext der Weltanschauung zu beachten: Sinnfragen und die Deutung von Welt und Gesellschaft, die persönliche Bindung an Werte und Normen, kulturelle Orientierung oder einzelne Erklärungsmuster. Religion ist zu verstehen als eine spezifische Form der Weltanschauung – umgekehrt sind Weltanschauungen häufig durch religiöse Haltungen bestimmt und geprägt. Die spezifisch religiöse Vielfalt wird zunächst erkannt als Unterschied zwischen Religionsgemeinschaften und dann genauer: in der Differenz zwischen unterschiedlichen Formen der Zugehörigkeit zu Religionsgemeinschaften. Dabei liegt ein weiterer Unterschied in der Entwicklung dieser Zugehörigkeit: Sie kann durch (meist familiäre) Sozialisationsprozesse geprägt werden und ebenso durch individuelle Entscheidungen (z. B. Konversionen) zustande kommen. Dies ist häufig verbunden mit Differenzen in der Bewertung dieser Zugehörigkeit, nämlich darin, ob diese als selbstverständlich hingenommen oder als Frage der persönlichen Entscheidung betrachtet und entsprechend zum Gegenstand der Überlegungen wird. Die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft kann eine formale sein, indem Menschen ihre Zugehörigkeit erklärt, Aufnahmeriten absolviert haben und von der Religionsgemeinschaft selbst als Mitglieder anerkannt oder administrativ erfasst werden. Sie kann aber auch informell geschehen, etwa wo Menschen keine formale Mitgliedschaft erworben oder diese wieder aufgehoben haben, sich aber dennoch zur Religionsgemeinschaft zählen. Dieses Phänomen ist beispielsweise in der Diskussion über das »christliche Abendland« sichtbar, wo eine Zugehörigkeit der deutschen Bevölkerung zum Christentum vorausgesetzt wird, die faktische Heterogenität der formalen oder nur empfundenen Zugehörigkeit – auch der Christ*innen – aber unberücksichtigt bleibt. Religionswissenschaftlich betrachtet stehen hinter der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft komplexe Bündel von Glaubensüberzeugungen und Praktiken, die dann im Vergleich der Religionen erhebliche Unterschiede bedeuten. An dieser Stelle sollen, nicht mit einem religionskundlichen, sondern mit einem soziologisch ausgerichteten Blick, die darin verborgenen Differenzen in der Verwendung von wahrnehmbaren Zeichen der Religionszugehörigkeit und der praktizierten Religiosität betrachtet werden, etwa Kleidung, Symbole oder religiöse Verhaltensweisen. Es sind erhebliche Unterschiede darin auszumachen, wie solche Zeichen 62

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verwendet werden und welche Bedeutung diesen Zeichen beigemessen wird. So fallen Differenzen zwischen Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit zuweilen vor allem deswegen auf und werden als bedeutsam bewertet, weil die Kopplung, die andere Menschen zwischen Religiosität und sichtbarem Zeichen vornehmen, als fremd, unangemessen oder nicht sinnvoll bewertet wird, etwa dort, wo christliche Jugendliche sich kaum vorstellen können, dass ihre Religionszugehörigkeit sich wesentlich auf den Kleidungsstil auswirken könnte. Hier sind nicht Unterschiede in der Glaubensüberzeugung selbst Gegenstand der Diskussion, sondern Gewohnheiten in der Kopplung von religiöser Überzeugung und Zeichen. Oft weniger leicht wahrnehmbar als sichtbare Zeichen ist das Verhalten jenseits der explizit religiösen Praktiken, das Menschen mit ihrer Religiosität koppeln, etwa indem sie Verhaltensregeln befolgen oder auf Nahrungs- oder Genussmittel verzichten. Damit verbunden ist eine weitere wesentliche Differenz, die wenig öffentlich sichtbar wird, jedoch die Haltung gegenüber Religion, praktizierter Religiosität und religiöser Vielfalt stark prägt und die vielleicht wichtigste Differenz im Feld religiöser Vielfalt darstellt: Menschen halten Religion und gelebte Religiosität auf sehr unterschiedliche Weise für relevant in Bezug auf ihre Lebensführung. Während die einen die Gestaltung ihrer Lebensbereiche unmittelbar mit ihrer religiösen Überzeugung verknüpfen, Arbeit, Freizeit, Freundschaften und Partnerschaften, Sexualität und Familie daran ausrichten und Religion insgesamt als äußerst wichtigen Bestandteil des Lebens verstehen, sind anderen solche Kopplungen unbegreiflich und Religion bleibt auf wenige Lebensbereiche beschränkt, in denen sie Bedeutung entwickeln soll. Ebenso halten die einen die Reflexion oder Kommunikation über religiöse Fragen für wesentlich, andere können dies nicht nachvollziehen oder verzichten darauf, sich in religiösen Fragen eine persönliche Meinung zu bilden und sich mit anderen darüber auszutauschen. Die Art und Intensität der Zuschreibung von Bedeutsamkeit an Religion, religiöse Praxis und Reflexion über religiöse Fragen unterscheidet Menschen innerhalb wie außerhalb von Religionsgemeinschaften. Am Beispiel einer Schulklasse und einiger Merkmale lässt sich diese Vielfalt in der Überlagerung der Dimensionen schematisch aufzeigen: Alle Schüler*innen der Klasse Mitglieder in einer Religionsgemeinschaft In einer Religions­ gemeinschaft aktiv Hohe Bedeutsamkeit religiöser Fragen im Alltagsleben Religionssoziologische Einsichten

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3  Religiöse Vielfalt innerhalb der Religionsgemeinschaften Die beschriebenen Dimensionen unterscheiden nicht nur unterschiedliche Religiositätsprofile, sie verweisen auf die Vielfalt innerhalb der Religionsgemeinschaften. Zumindest die großen Religionsgemeinschaften in Westeuropa bilden diese Vielfalt auch in ihrem Inneren ab. Anhand der drei aktuell größten Gruppen, dem Christentum, dem Islam und der Gruppe der Konfessionslosen, lässt sich zeigen, wie sich religiöse Vielfalt ausbildet und welche Folgen diese hat (für Mitgliederzahlen der Religionsgemeinschaften siehe REMID, 2018): Der Islam ist aktuell die am stärksten in Bewegung befindliche Religionsgemeinschaft – mit der Schwierigkeit, dass diese organisational kaum zu beschreiben ist. Nicht nur die Unterteilung in verschiedene Konfessionen wie etwa die Schiiten oder die Sunniten sowie die Wahrnehmung von Bewegungen und Schulen innerhalb des Islam (z. B. Sufismus oder Ahmadiyya) erschweren eine Beschreibung der religiösen und organisationalen Binnenstruktur, sondern vor allem die Strukturierung des Islam in Westeuropa durch sprach- oder länderspezifische Moscheegemeinden. Muslim*innen finden sich zumeist gemäß ihrer kulturellen Identität in der einen oder anderen kleineren Gemeinschaft zusammen. Versuche, dies über Dachverbände wie den Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland, den Verband der Islamischen Kulturzentren oder den Zentralrat der Muslime in Deutschland zu einer großen Religionsgemeinschaft zusammenzuführen, haben bislang nicht dazu geführt, dass der Islam als Religionsgemeinschaft in einer den christlichen Großkirchen entsprechenden Organisationsstruktur, beispielsweise als Körperschaft öffentlichen Rechts, erfassbar wäre. Der Vergleich des Christentums in organisierter Kirchenstruktur mit islamischen Organisationen ist nicht ohne Weiteres möglich und erschwert die Wahrnehmung des Islam. Weil nur wenige Muslim*innen in Deutschland formal einer islamischen Organisation als Mitglieder angehören, lässt sich entsprechend die Anzahl der Muslim*innen in Deutschland nur schätzen, indem Zahlen von Migrant*innen aus muslimisch geprägten Ländern entsprechend den Anteilen der Muslim*innen in diesen Ländern hochgerechnet werden. Während in Deutschland aufgewachsene Menschen, deren Ursprungsfamilie christlich geprägt ist und die sich gegen eine Mitgliedschaft in einer Kirche entscheiden, als Religions- oder Konfessionslose in die Statistik eingehen, ist eine solche Unterscheidung unter Muslim*innen nicht möglich. Dabei ist davon auszugehen, dass zahlreiche Menschen, die innerhalb des Islam sozialisiert wurden, heute säkular leben und sich für ihre Religion nicht oder nur wenig interessieren, wie das auch im Christentum der Fall ist (neueste Daten über Muslim*innen in Bertelsmann Stiftung, 2017). Wie zahlreich sich 64

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solche Menschen dann als religionslos oder, gemäß ihrer kulturellen Identität, als Muslim*innen verstehen, ist statistisch nicht erfasst. Weil aktuell in der Wahrnehmung des Islam in seinen in Entwicklung befindlichen Organisationsstrukturen vor allem die politischen Bindungen islamischer Gruppen, etwa des Verbandes DITIB an die türkische Regierung, wahrgenommen werden, finden das Phänomen der Säkularisierung innerhalb des Islam und die Vergrößerung des nur mäßig religiös interessierten »Randes« des Islam als Religionsgemeinschaft kaum Beachtung und sind ebenfalls nicht umfassend erforscht. Im Christentum dagegen ist die erhebliche Vielfalt innerhalb der Religionsgemeinschaft deutlich besser erschlossen: Zunächst finden sich erhebliche Binnendifferenzen im Spektrum der spezifischen Glaubensüberzeugungen und der religiösen Praxis. Dies ist zum einen durch die organisationale Untergliederung des westeuropäischen Christentums in die zwei großen Kirchen und etliche kleine Organisationen bedingt, zum anderen durch das vorherrschende, durch die beiden großen Konfessionen geprägte Strukturmodell der Volkskirche, in dem die Evangelische Kirche in Deutschland und die römisch-katholische Kirche organisiert sind: Sie umfassen als Institutionen prinzipiell die Gesamtzahl der Glaubenden und bieten zugleich nach innen zahlreiche Spielräume für die Entfaltung sehr differenter Stile, Beteiligungs- und Kommunikationsmuster. Dies bietet den Mitgliedern die Möglichkeit, mit einer hohen Selbstverständlichkeit dazuzugehören, was zumeist durch die Sozialisation im familiären Kontext geschieht. Die formale Zugehörigkeit ist in der Regel auf der Ebene des Wohnorts gedacht und innerhalb der Ortsgemeinde organisiert. Es gibt innerhalb der Großkirchen eine relative Einigkeit darüber, dass zentrale religiöse Praktiken wie Besuche von Gottesdiensten und die sogenannten Amtshandlungen (z. B. Taufe, Trauung, Beerdigung) zum Standard der Religionsausübung gehören (Bedford-Strohm/Jung, 2015, S. 463 und 469), während die Mitglieder selbst die Möglichkeit haben, die Intensität und Form ihrer Beteiligung ganz nach eigenen Vorstellungen auszugestalten. In der Folge nimmt nur eine Minderheit der Mitglieder aktiv am kirchlichen Leben teil, besucht regelmäßig die Gottesdienste oder engagiert sich in der Ortsgemeinde (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 2017; Evangelische Kirche in Deutschland, 2017). Der Großteil der Mitglieder nutzt kirchliche Angebote nur gelegentlich oder anlässlich der Amtshandlungen und hält dies für eine unproblematische Situation (Schulz, 2016). Innerhalb der Großkirchen lassen sich anhand der beiden Merkmale Kirchenverbundenheit und Religiosität ganz unterschiedliche Interessensprofile der Mitglieder erheben: Stark (oder schwach) kirchenverbundene Mitglieder können mehr oder weniger Interesse an den religiösen Anteilen der kirchlichen Arbeit haben sowie umgekehrt stark (oder schwach) religiöse MitReligionssoziologische Einsichten

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glieder die Kirche als mehr oder weniger sinnvolle oder relevante Organisationsform verstehen. Für Verantwortliche und Engagierte stellt diese Heterogenität eine Herausforderung dar, weil die von der Leitung als zentral bezeichneten Elemente des Christentums, die religiöse Kommunikation und die religiöse Gemeinschaft, von der Mehrheit der Mitglieder nicht häufig abgerufen werden. Dass sich diese Deutungen und wechselseitigen Zuschreibungen innerhalb der Kirchen in einem ständigen Spannungsverhältnis befinden, macht die Institutionslogik der großen christlichen Kirchen aus. Sowohl innerhalb der Großkirchen als auch außerhalb finden sich daneben einzelne Gruppierungen, in denen stärker die Logik einer Organisation vorherrscht, wo entsprechend klare Ziele und standardisierte Abläufe fokussiert und für alle Beteiligten verbindlich formuliert werden. Insgesamt repräsentieren die großen Kirchen eine immense Zahl von Mitgliedern und können die Perspektiven des Christentums in der Öffentlichkeit breit vertreten, während ihre innere Heterogenität beachtlich ist und die Unvereinbarkeit der gegenläufigen Deutungen dieser Situation kaum stärker sein kann. Mehrere Millionen Menschen in Deutschland haben in den vergangenen Jahrzehnten die großen christlichen Kirchen verlassen und gehören, auf der Basis der Statistik über die Religionszugehörigkeit, gemeinsam mit Menschen, die bereits ohne Religionszugehörigkeit aufgewachsen sind, zur dritten, großen weltanschaulichen Gruppe der Konfessionslosen (im Sinn einer Nichtzugehörigkeit zu einer religiösen Gemeinschaft). Diese Gruppe ist, schon allein durch ihre Zusammensetzung aus christlich, nichtchristlich religiös und nicht religiös sozialisierten Menschen, eine Gruppe mit stark ausgeprägter religiöser Vielfalt. Erforscht sind vor allem die Schnittstellen zu den großen Religionen und Kirchen, etwa indem das Verhältnis von religiösen und religionslosen Konfessionslosen erhoben wird oder die Akzeptanz christlicher Kirchen unter ihren ehemaligen Mitgliedern. Ein Beispiel ist die Selbsteinschätzung Konfessionsloser im Vergleich zu evangelischen Kirchenmitgliedern in Bezug auf die Aussage »Meine Weltanschauung folgt keiner religiösen Lehre« (GESIS, 2013, V139):

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Darin zeigt sich, dass sich etliche Konfessionslose ideologisch betrachtet einer Religionsgemeinschaft zurechnen, deren Überzeugungen teilen oder eine hohe Wertschätzung für sie zeigen, während andere den Religionsgemeinschaften oder der Religion insgesamt kritisch oder ablehnend gegenüber stehen. Einige Verbände mühen sich um eine Vertretung von Konfessionslosen, vor allem mit einem religions- oder kirchenkritischen Interesse. Konfessionslose sind in Westeuropa jedoch ganz überwiegend nicht organisiert.

4  Zusammenschau – Ausblick In dieser Übersicht ist deutlich geworden, wie stark die Ebenen religiöser Vielfalt, etwa die weltanschauliche Orientierung, die Bedeutung von Religion für das Alltagsleben, die organisationale Einbindung und die kulturelle Identität, sich wechselseitig durchdringen und überlagern. Darum lässt sich über religiöse Vielfalt im soziologischen Sinn nur sprechen, indem die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft als eine unter vielen Dimensionen wahrgenommen wird und zugleich die Breite der Glaubens-, Bedeutungs- und Beteiligungsmuster in den Blick kommt. Literatur zum Weiterlesen Becker, P./Diewald, U. (Hg.) (2014): Die Zukunft von Religion und Kirche in Deutschland. Perspektiven und Prognosen. Freiburg i.B.: Herder. Pickel, G. (2011): Religionssoziologie. Eine Einführung in zentrale Themenbereiche. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Sonstige Literatur Bedford-Strohm, H./Jung, V. (Hg.) (2015): Vernetze Vielfalt. Kirche angesichts von Individualisierung und Säkularisierung. Die fünfte EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Bertelsmann Stiftung (Hg.) (2017): Religionsmonitor 2017. Muslime in Europa – Integriert, aber nicht akzeptiert? Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. Verfügbar unter: https://www.bertelsmann-stiftung. de/de/publikationen/publikation/did/muslime-in-europa/ [24.02.2018]. Evangelische Kirche in Deutschland (Hg.) (2017): Zahlen und Fakten zum kirchlichen Leben 2017. Verfügbar unter: http://archiv.ekd.de/download/broschuere_2017_internet.pdf [24.02.2018]. GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften (2013): Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften ALLBUS 2012. GESIS Datenarchiv. Köln. ZA4614. REMID (2018). Verfügbar unter: http://remid.de/info_zahlen/ [08.03.2018]. Schulz, C. (2016): Der Ort der Kirche in der Gesellschaft. Optionen und Aporien aus sozialwissenschaftlicher und praktisch-theologischer Sicht. In: C. Landmesser/E. E. Popkes (Hg.): Kirche und Gesellschaft. Kommunikation – Institution – Organisation. Beiträge der 16. Tagung der RudolfBultmann-­Gesellschaft für Hermeneutische Theologie, S. 89–106. Leipzig: Evangelische Gesellschaft. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.) (2017): Katholische Kirche in Deutschland. Statistische Daten. Verfügbar unter: http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/ presse_2017/2017–121a-Flyer-Eckdaten-Kirchenstatistik-2016.pdf [24.02.2018]. Religionssoziologische Einsichten

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Schulische Voraussetzungen für den Umgang mit konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt Thomas Schlag

1 Rahmenbedingungen Über die schulischen Voraussetzungen für den Umgang mit konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt nachzudenken, setzt in einem ersten Schritt voraus, die Zielvorstellungen von Schule näher zu bestimmen. Im Folgenden soll dafür ausdrücklich die gesellschaftliche Dimension der Schule in den Blick genommen werden. Der Religionsunterricht steht in seiner Perspektive auf religiöse Vielfalt in politisch höchst relevanten Gesellschaftsbezügen. Alle didaktischen Überlegungen zur religiösen Vielfalt und die damit verbundene theologische und pädagogische Deutungspraxis müssen diese weitreichende Verortung von Beginn an und durchgängig mitberücksichtigen. Die Schule ist ein Spiegelbild der Gesellschaft, in der sie sich befindet (Largo, 2014; Rendtorff/Burckhart, 2008). Dies gilt sowohl in deskriptiver wie in normativer Hinsicht: Die Schule gehört zum öffentlichen Leben und bildet einen festen Bestandteil des Rechtssystems. Zugleich entwickelt sie sich immer wieder neu in Orientierung an den normativen Vorgaben sowie aufgrund der gesellschaftlichen Herausforderungen (Altrichter/Maag-Merki, 2016; Huber/Hader-Popp/Schneider, 2014; Grunder/Schubert, 2002). Der rechtliche Rahmen gewährleistet insofern nie nur das Bestehende, sondern ermöglicht zukunftsoffene Gestaltungsspielräume im Umgang mit bestehender kultureller und religiöser Vielfalt (KMK 2013) und stellt so selbst gesellschaftliche Öffentlichkeit her. Die Schule als Bildungsinstitution lebt einerseits von gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren kann. Andererseits hat sie zum Ziel, diese gesellschaftlichen Verhältnisse produktiv mitzugestalten und gegebenenfalls auch zu kritisieren. Jede einzelne Schule stellt in sich einen vielfältigen Mikrokosmos dar, der zugleich mit den übergeordneten Rahmenbedingungen und weit reichenden Einflüssen verbunden ist. An ihr werden intensive Interessenkonflikte zwischen Bildungs- und Schulpolitik, Lehrkräften und Aufsichtsbehörden, Eltern sowie Schüler*innen ausgetragen. Die hier vor68

handenen Beziehungsgeflechte spiegeln brennpunktartig die gesamtgesellschaftliche Situation wider. Die Rede von der autonomen Schule ist insofern bestenfalls eine Dimension des gesamten schu­lischen Bildungszusammenhangs. Schule steht folglich vor der Grundaufgabe, in emanzipatorischem (Greco/ Lange, 2017) und visionärem Sinn an besseren Formen des Zusammenlebens zu arbeiten. Denn Schule ist einer der besten Seismographen der gesellschaftlichen Verhältnisse und der pluralen Bedingungen gelingenden Aufwachsens. Zugleich hat sie selbst stilbildende Kraft für die gesellschaftlichen Verhältnisse: Denn »Weltbilder zu Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, zu Ungleichheit und unabweisbarer Gleichheit werden im Kontext des schulischen Selektionssystems geprägt« (Fend, 2008, S. 108). Die Frage ist, ob das System Schule die bestehenden Ungleichheiten nochmals verstärkt oder gerade zum Abbau dieser Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten beitragen kann. Dies bedeutet für die Grundaufgaben von Schule: Sie ist zwar fraglos Qualifikationsort und trägt im Sinn des Leistungsprinzips eine unverzichtbare Allokationsfunktion. Darüber hinaus verweist die Integrationsfunktion von Schule aber insbesondere auf die generelle Aufgabe humaner Bildung, Verständigung zwischen den unterschiedlichen kulturellen Traditionen eines Gemeinwesens zu befördern (Nida-Rümelin/Zierer, 2017) und dadurch soziale Verantwortung zu ermöglichen. Insofern ist Schule ein Experimentierort von Pluralität, der immer wieder neu aktiv gefördert und gepflegt werden muss, weil seine Ausgestaltung dauerhaft auf dem Prüfstand steht. Schule ist bildungsorientierter Lebensort, der Freiraum für die persönliche und individuelle Entfaltung von Kindern und Jugendlichen bieten soll: »Solange die Schule ein Ort ist, an dem man wichtige Erkenntnisse und Fertigkeiten erwirbt und nicht auch erfährt wozu, fehlt unserer Gesellschaft das, wonach hier gefragt ist: eine Erziehungsinstanz für das schwere Geschäft, ein mitwirkender, mitverantwortlicher, sich selbst versorgen könnender Bürger zu sein« (von Hentig, 1996, S. 134). Schule ist damit zugleich Experimentierort demokratischen Zusammenlebens bzw. ein Ort, an dem gegensätzliche Interessen ausgetragen werden. Sie ist ihrem Anspruch nach nie ein neutraler Ort, an dem lediglich bestimmte Kenntnisse und Kompetenzen vermittelt werden: In einem emanzipatorischen Sinn kann Bildung hier nur wirksam werden, wenn die Gesellschaft selbst als beeinflussbare und veränderbare Größe in den Blick kommt und sich Jugendliche wirklich als »potentiell denkfähige, mitbestimmungs- und handlungsfähige« (Klafki, 1996, S. 50) Personen erfahren können, indem sie gerade als solche angesprochen und ernstgenommen werden. So kann Bildung auch nur dann Befreiungscharakter annehmen, wenn Schüler*innen »wissen, was sie tun und warum sie es tun«, weil sie von den Lehrer*innen Schulische Voraussetzungen

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»erfahren haben, daß Lernen Glück ist, wenn man für den Menschen lernt, ihn gemeinsam entdeckt« (Heydorn, 1970, S. 323). Schule ist insofern öffentlicher Ort, an dem sich die Rahmenbedingungen des demokratischen Lebens widerspiegeln sollen. Sie lebt selbst von verfassungsmäßigen Wertbezügen und normativen Orientierungen. Schule ist von daher ein Raum für die Einübung in Vielfalt, Heterogenität und Bildungsgerechtigkeit, kurz gesagt: in Mehrdeutigkeit (Bauer, 2018). Dies ist nicht nur eine ferne Aufgabe, sondern mit dieser sind die Schulen tagtäglich bis in die einzelnen Klassenzimmer, Stunden und Projektangebote hinein konfrontiert. Erst unter diesen Voraussetzungen kommt Schule in ihrem allgemeinbildenden Charakter zum Vorschein. Nur dann kann sie für die Lebensführung der Kinder und Jugendlichen in ihrem lebensrelevanten Bezugssinn deutlich werden.

2  Zur aktuellen Aufgabenstellung von Schule im Blick auf religiöse Pluralität Die Notwendigkeit des interreligiösen Zusammenlebens ist in gesellschaftlicher und politischer Hinsicht unübersehbar und damit auch für den schulischen Kontext eine zentrale Gestaltungsaufgabe: Der Migrationsanteil gerade unter der jüngeren Schülerschaft ist in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen. Gemäß Statis­tischem Bundesamt lag er im Jahr 2015 für die allgemeinbildenden Schulen bei 33 %, wobei der Anteil im Westen mit 36 % deutlich höher lag als im Osten mit 10 % und dies bei einem Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund von 21 % in der Gesamtbevölkerung. Zwischen den Schularten und den Klassenstufen weichen dabei die Anteile stark voneinander ab. Während der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund im Grundschulalter bei 36 % lag, betrug er in der Mittelstufe 33 % und in der Oberstufe 26 %. Zudem war die Quote an Hauptschulen mit 51 % deutlich größer als an Gymnasien mit 27 % (Statistisches Bundesamt, 2017). Diese Tendenzen dürften sich aus demografischen Gründen und in der Folge der Einwanderungsdynamiken in den letzten Jahren nochmals verstärkt haben. Dies führt zu einer Vielfalt von kulturellen, sprachlichen und weltanschaulichen Hintergründen und Potenzialen, die den demokratischen Gestaltungraum Schule erheblich mitbestimmen. Zugleich nehmen allerdings die Differenzen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Gruppen offenbar zu – so zuletzt etwa im Blick auf wachsenden Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen (Schrupp, 2017). So spiegelt sich in der Schule eben auch wider, was in der Gesellschaft, den Medien und auch in den Elternhäusern an politischen Einstellungen vorhanden ist und thematisiert wird. 70

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Noch von einer anderen Seite her entstehen Spannungen und Herausforderun­ gen für den schulischen Umgang mit religiöser Vielfalt. Angesichts der gegenwärtigen Betonung von Leistung scheinen »weiche« Bildungsfaktoren und -themen wie die religiöse Bildung tendenziell unter die Räder zu geraten (Negt, 2014; Biesta 2014). Da diese Schere eben oftmals auch entlang religiöser Unterschiede verläuft, stellt sich für die religiöse und theologische Bildung die Frage der Bildungsgerechtigkeit als besondere Herausforderung (Grümme/Schlag, 2016). Die Schule kann insofern gerade in Fragen des Umgangs mit Vielfalt zu einem Erprobungsraum pluraler Weltsichten und damit zu einer wenigstens punktuell erfahrbaren positiven Gegenwelt werden. Ganz zu Recht gilt, dass »eine bildungsrelevante Pluralität […] die zahlreichen gesellschaftlichen Problemfelder benennen und die neuen Ausdifferenzierungsprozesse als Chance verstehen« muss (Meyer, 2015, S. 123). Zugleich setzt sie dort Grenzen, wo die demokratischen und verfassungsmäßigen Prinzipien des Zusammenlebens infrage gestellt werden. Schulische Bildung ist insofern nicht ohne ihre menschenrechtliche Dimension zu denken (Bahr/Reichmann/Schowalter, 2018). Wenn Pluralität infrage gestellt oder unterminiert wird, muss immer wieder kritisch die Stimme erhoben werden. In diesem Zusammenhang kommt religiöser Bildung eine besondere Verantwortung und Gestaltungskraft zu.

3  Der Religionsunterricht und sein Potenzial für den Umgang mit religiöser Vielfalt Die Schule liefert eine wesentliche institutionelle Voraussetzung für den konstruktiven Umgang mit Vielfalt, indem sie den verfassungsrechtlich garantierten Religionsunterricht als gleichberechtigtes Fach zur Geltung kommen lässt. Sie garantiert damit subsidiäre, lokale Verantwortungsstrukturen, denen zufolge bestimmte thematische Fragen am besten dort behandelt werden, wo die entsprechende Expertise vorhanden ist. Dabei ist der schulische Religionsunterricht kein Relikt aus vergangenen konfessionsstarken Zeiten, sondern bringt in bewusst theologischer Perspektive die Transzendenzoffenheit und Sinnsuche als wesentliche Dimensionen des Menschseins sowie die kulturell-gesellschaftliche Prägekraft von Religion zur Geltung, sowohl informierend, reflektierend wie emanzipatorisch (Grümme/Schlag, 2018). Religion ist keine Privatsache, sondern beansprucht zu Recht selbst in vermeintlich säkularen Verhältnissen ihren festen Platz. Durch den Religionsunterricht kommt zum Ausdruck, dass die Schule nicht nur ein Ort allgemeiner ethischer Wertevermittlung ist, sondern immer auch ein Ort, an dem in theologischer Weise nach den Wurzeln, Traditionsbezügen Schulische Voraussetzungen

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und Begründungsfiguren dieser Werte gefragt wird (Naurath/Blasberg-Kuhnke/ Gläser/Mokrosch/Müller-Using, 2013). Angesichts der zunehmenden religiösen Pluralisierung wird allerdings von öffentlich lauter werdenden Stimmen etwa aus Bildungspolitik, aber auch aus der Elternschaft infrage gestellt, ob eine konfessionelle Ausrichtung des Unterrichts gerade im Blick auf den konstruktiven Umgang mit religiöser und weltanschaulicher Vielfalt die entscheidenden Zukunftsfragen in angemessener Weise aufzunehmen vermag. Der konfessionelle Religionsunterricht könne demzufolge nicht angemessen zur religionsbezogenen Allgemeinbildung beitragen, da er bestimmte Abgrenzungen zwischen den einzelnen Religionen allzu fest etabliert habe. Angesichts zunehmender Konfessionslosigkeit stellt sich tatsächlich die Frage, ob und wie es dem Religionsunterricht gelingen kann, hier auch andere Weltanschauungen mit zum Thema zu machen. Nun gehört aber der produktive, interreligiös ausgerichtete Religionsdialog gerade zum Selbstverständnis des Religionsunterrichts und knüpft so an das oben skizzierte Selbstverständnis und die gesellschaftliche Aufgabenbestimmung von Schule an (Schweitzer, 2014, v. a. S. 165–171; Schweitzer/Bräuer/Boschki, 2017). Daher muss nicht der Religionsunterricht seine Position an der Schule legitimieren, sondern der Staat müsste begründen, weshalb er ggf. den Religionsunterricht in seiner bisherigen Form und mit seiner Leistungskraft für die Schule für verzichtbar hält. Der konfessionelle Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach für öffentliche Schulen (Art. 7,3 GG) hat somit nach wie vor erhebliches Zukunftspotenzial. Dies schließt im Übrigen unterschiedliche Formen des Religionsunterrichts, sei es in ökumenisch-kooperativem oder in interreligiösem Sinn gerade nicht aus, sondern gibt solchen Formen nochmals besonderes Gewicht (Lindner/ Schambeck/Simojoki/Naurath, 2017; Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz, 2016; Kirchenamt der EKD, 2018). Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass nicht nur die Schule den Religionsunterricht garantiert, sondern auch der Religionsunterricht in seiner spezifisch theologisch-ethischen Reflexionsform zu einer Schulkultur beiträgt, in der der Umgang mit spannungsvoller Pluralität und Heterogenität thematisiert und eingeübt werden kann (Rat der EKD, 2014). Es gilt von dorther »die unterschiedlichen Wertvorstellungen, Wahrheitsansprüche und religiösen Praxen angemessen in ihrer Unterschiedlichkeit von einer bekenntnis- und weltanschaulich transparenten Position her den Schüler*innen zu vermitteln« (Kirchenamt der EKD, 2018, S. 11). Die Interessen der Religionsgemeinschaften am Religionsunterricht müssen folglich sowohl das Interesse der Identitätsstiftung wie auch das Interesse an der Fähigkeit zum religiösen Dialog umfassen. Dies stellt den Religionsunterricht vor 72

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die zentrale Aufgabe, seine eigenen theologischen Bezüge immer wieder herauszuarbeiten (Schlag/Suhner, 2017). Das bedeutet eine erhebliche Herausforderung für die Lehrkräfte. Hier stellt sich die Frage, ob die notwendige pädagogische und theologische Professionalität und auch die Integration der Religions­lehrkräfte in die Schule immer schon so ausreichend gewährleistet sind, wie man dies erhoffen mag und zurecht erwarten darf. Möglicherweise sind sich die Lehrkräfte auch nicht immer ihrer Aufgaben bewusst. Religionsunterricht ist nicht der Ort der Beheimatung in eine spezifische Bekenntnistradition, womöglich mit der expliziten oder impliziten abwertenden Abgrenzung des vermeintlich Eigenen vom Fremden. Der Religionsunterricht ist auch nicht als Refugium gegenüber anderen Fächern zu verstehen, sondern bewusst als elementarer Bestandteil des Fächerkanons und des Schullebens als Ganzes. Insofern ist hier von einer Dialektik zwischen der Schule als weltanschaulich neutralem Ort und der Weltanschauung der Unterrichtenden auszugehen, die sich didaktisch ausbalancieren sollte. Dies erfordert eine erhebliche diagnos­ tische Wahrnehmungskompetenz der Lehrkräfte im Blick auf die zu dieser Thematik bei ihnen selbst und den Schüler*innen vorhandenen Person­merkmale, Werthaltungen und Einstellungen (Klose, 2014). Die Lehrkräfte des Religionsunterrichts sind insofern gefragt, wie sie sich selbst und ihr Fach sowie die dort bearbeiteten Themenkomplexe in die Schule zu integrieren bereit sind und welche Ziele im Sinn der Einübung in eine gesellschaftsöffentliche Lernkultur (Ilien, 2008, S. 257) sie gemeinsam mit den Schüler*innen zu entwickeln vermögen. Die Religionslehrkräfte müssen sich insofern selbst als ein wesentlicher Bestandteil von Schule als Voraussetzungs- und Ermöglichungsraum verstehen. Sie dürfen weder in ihrem sprachlichen Gestus noch in ihrer inhaltlichen Ausrichtung einen Fremdkörper darstellen, da dies dem allgemeinbildenden Auftrag von Schule und der Positionierung des Religionsunterrichts fundamental widersprechen würde. Um an die Ausführungen des Anfangs anzuknüpfen: Eine solche programmatisch pluralitätsfähige Grundhaltung ist auch insofern politisch höchst relevant, als die Lehrpersonen dadurch zum Vorschein bringen, über welches Verständnis des demokratischen Zusammenlebens in der religionspluralen Gesellschaft sie selbst verfügen. Hier müssen Schule im Allgemeinen und der Religionsunterricht im Besonderen bewusst auch Grenzen setzen, indem bestimmte religiöse Indoktrinationen oder Exklusionen, nicht zuletzt in einer rassistischen Ausrichtung (Schlag, 2017), deutlich benannt werden. Grenzen sind auch dort zu setzen, wo bestimmte Ansprüche von Religionsgemeinschaften der Tendenz nach übergriffig werden, indem sie Schule vor allem in interessen- und machtpolitischer Hinsicht wahrnehmen und damit für eigene Absichten funktionalisieren. Für die Kirchen und Religionsgemeinschaften bedeutet dies, in Hinsicht auf die akade­ Schulische Voraussetzungen

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mische Ausbildung sowie die Weiterbildung elementar darauf zu achten, dass diese emanzipatorische Pluralitätsfähigkeit des Religionsunterrichts nicht nur eine leere Worthülse bleibt, sondern im Sinn einer »aufgeklärten Heterogenität« (Grümme, 2017) als einer Grundtugend aufmerksamer Offenheit für bestehende Vielfalt und deren bewusster Anerkennung immer wieder neu mit Leben gefüllt wird. Zu zeigen ist, dass und in welcher Hinsicht der Religionsunterricht zur Schule als konfliktbearbeitendem, diskurspflegendem und bildungsgerechtem Lebensort beitragen kann. Er steht selbst in der Spannung zwischen der Bearbeitung der gegebenen Realitäten und der Vision eines besseren Zusammenlebens am Ort der Schule und darüber hinaus. Wie anfangs gesagt mag dies idealistisch und fast utopisch klingen – und im Blick auf den Umgang mit faktischer Religions­ pluralität und Heterogenität sowie den damit verbundenen Konfliktdynamiken umso mehr. Gerade deshalb wäre es aber für die Schule, die Religionsgemeinschaften, den Religionsunterricht und das Lehrpersonal ein Armutszeichen, wenn diese sich »unterhalb« solcher Visionen einfach pragmatisch oder gar fatalistisch mit den gegebenen Verhältnissen arrangieren würden. Dies würde angesichts der hier verhandelten Thematik bestehender Religionspluralität weder dem Grundauftrag der Schule, den didaktischen und den gesellschaftlichen Herausforderungen, noch den einzelnen Schüler*innen selbst gerecht. Literatur zum Weiterlesen Grümme, B./Schlag, T. (Hg.) (2016): Gerechter Religionsunterricht. Religionspädagogische, pädagogische und sozialethische Orientierungen. Stuttgart: Kohlhammer. Lindner, K./Schambeck.M./Simojoki, H./Naurath, E. (Hg.) (2017): Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Konfessionell – kooperativ – kontextuell. Freiburg i.Br.: Herder. Schlag, T./Suhner, J. (2017): Theologie als Herausforderung religiöser Bildung. Bildungstheoretische Orientierungen zur Theologizität der Religionspädagogik. Stuttgart: Kohlhammer.

Sonstige Literatur Altrichter, H./Maag Merki, K. (Hg.) (2016): Handbuch Neue Steuerung im Schulsystem (2. überarb. Aufl.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Bahr, M./Reichmann, B./Schowalter, C. (Hg.) (2018). Menschenrechtsbildung. Handreichung für Schule und Unterricht. Ostfildern: Matthias Grünewald Verlag. Bauer, T. (2018): Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt. Stuttgart: reclam. Biesta. G. J. J. (2014): The beautiful risk of education. Boulder, Colorado: Paradigm Publishers. Fend, H. (2008): Neue Theorie der Schule. Einführung in das Verstehen von Bildungssystemen (2. durchges. Aufl.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Greco, S. A./Lange, D. (Hg.) (2017): Emanzipation. Zum Konzept der Mündigkeit in der Politischen Bildung. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag. Grümme, B. (2017): Heterogenität in der Religionspädagogik. Grundlagen und konkrete Bausteine. Freiburg i. Br.: Herder.

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Thomas Schlag

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Schulische Voraussetzungen

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Entwicklungspsychologische Grundlagen des Verständnisses von religiöser und weltanschaulicher Heterogenität Gerhard Büttner

1  Grundfrage: Natur oder Gesellschaft? Wenn kleine Kinder aus verschiedenen Kulturkreisen selbstverständlich miteinander spielen, provoziert dies die Frage, warum hier keine Scheu vor dem Fremden existiert. Gibt es – wie es Rousseau vermutete – einen friedlichen »Naturzustand«, der dann durch den Einfluss gesellschaftlicher Werte- und Identitäts­ bildung zerstört wird und uns dann nachträglich zwingt, Verständigungen über das Trennende hinweg zu suchen? Der Slogan »Es ist normal, verschieden zu sein!«, der den heutigen Heterogenitätsdiskurs bestimmt, ist charakterisiert durch normative Annahmen darüber, was »natürlich« und was »gesellschaftlich« ist. Für unsere Fragestellung geht es darum, ob man eine Religion gewissermaßen erbt oder ob man sie wählen kann bzw. muss. Gerade zu diesem Thema haben die einzelnen Religionen in der Regel sehr ausgeprägte Vorstellungen, die ihrerseits untereinander nicht kompatibel sind.

2  Prämissen der Entwicklungspsychologie Folgt man den Grundannahmen von Piagets Theorie der kognitiven Entwicklung, dann könnte man annehmen, dass jüngere Kinder auf der Stufe des sog. »Egozentrismus« davon ausgehen, dass sich Religion im Allgemeinen so darstellt, wie sie es kennen. Erst im Rahmen der dann folgenden »Dezentrierung« könnten sie sukzessive andere Sichtweisen verstehen. Das Erreichen der Stufe der »formalen Operation« mit dem beginnenden Jugendalter wäre dann die Voraussetzung dafür, die Pluralität von Religion wahrzunehmen und sich in ihr bewegen zu können. Nun zeigt die Realität, dass die zuletzt beschriebene Haltung nicht universell bei Erwachsenen verbreitet ist und es auch bei Kindern keinesfalls eine lineare Entwicklung in dieser Richtung gibt. Die Entwicklungspsychologie nach Piaget hat hier einige maßgebliche Korrekturen vorgenommen, die auch für das Verstehen religiöser Heterogenität von Bedeutung sind. 76

Heute wird überwiegend davon ausgegangen, dass die kognitive Entwicklung gegenstandbezogen erfolgt. Damit wird anerkannt, dass der Fortschritt des Verstehens davon abhängt, ob ich von der entsprechenden Sache eine Ahnung habe. Expertise im Bereich der Mathematik fördert nicht automatisch ein besseres Verstehen von Religion. Mit dieser Erkenntnis stellt sich dann nochmals die Frage nach biologischen Voraussetzungen und gesellschaftlichem Einfluss. Dies hat nun wieder direkte Bedeutung für die in diesem Zusammenhang wichtige Unterscheidung zwischen »Noviz*innen« und »Expert*innen«. Die entwicklungspsychologische Forschung geht von wenigen »Kerndomänen« (core domains) aus, die als angeboren gelten (Büttner/Dieterich, 2016): Kinder haben offensichtlich schon kurz nach der Geburt ein Bewusstsein von Schwerkraft (Domäne Physik), können andere Gesichter wahrnehmen (Psychologie) und elementare Mengen unterscheiden (Welt der Zahlen). Diese intuitiven Theorien der Kinder werden im Laufe des Aufwachsens differenzierter und faktengesättigter. Auf diese Weise kommt es zu weiteren Differenzierungen und der Entstehung neuer Domänen, wie z. B. Religion. Hierbei werden häufig Elemente anderer Domänen übernommen. Für das Verständnis der Domäne Religion lohnt es sich, einige Beobachtungen aufzunehmen, die Lawrence Hirschfeld für den Bereich des Sozialen gemacht hat (Hirschfeld, 1994). So haben jüngere Kinder relativ strikte Vorstellungen, was »richtig« ist. Das zeigen etwa die Ablehnungen von Berufsbildern, in denen Männer bzw. Frauen eher geschlechtsuntypische Rollen übernehmen. Nun leben wir in einer Gesellschaft, die in ihrem Selbstverständnis nur wenige soziale Phänomene durch ihre »Natur« bestimmt sieht. Für Kinder ergibt sich dann bereits bei einem Mann in Frauenkleidern ein Zuordnungsproblem. Im Hinblick auf die Geschlechterrollen zeigt die Entwicklung eine Art U-Kurve. Die Erwartungen im Hinblick auf das typische Frau- oder Mannsein sind anfangs eher strikt und werden dann toleranter, um mit der beginnenden Pubertät wieder konventioneller zu werden. Ich habe diese Ergebnisse aus dem Übergangsbereich zwischen Biologie und dem Feld des Sozialen deshalb so ausführlich geschildert, weil ich hier auch die Frage der religiösen Heterogenität verorte: Bei der Wahrnehmung unterschiedlicher Religionen geht es bei den jüngeren Kindern offensichtlich eher um einen Aspekt der Domäne des Sozialen als der Religion.

3  Das Kindergartenalter Was passiert, wenn Kindergartenkinder unterschiedlicher Religionen (i. d. F. christlich, hinduistisch und muslimisch) miteinander über das Ergehen eines Verstorbenen verhandeln? Eine Studie von Eva Hoffmann ergab, dass die KinEntwicklungspsychologische Grundlagen

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der in einer Dreiergruppe jeweils gemeinsame Vorstellungen kokonstruierten, in der eine Vorstellung vom postmortalen »Leben« des Verstorbenen zum Ausdruck kam, in der aber kaum Spuren einer bestimmten Religion sichtbar wurden (Hoffmann, 2009). Wenn alle Kinder »religiöse Noviz*innen« sind, wird Differenz also kaum erfahren. Hingegen wurde in einer Tübinger Studie deutlich, dass bei durchschnittlich knapp 5-jährigen Kindern bereits ein wissensgestütztes Bewusstsein der Unterschiede vorhanden sein kann. Dabei ist das Wissen erwartungsgemäß unterschiedlich ausgeprägt. Auf die Vermutung des konfessionslosen Kindes, der Iman auf einem Bild sei Gott, wissen Hatice (musl.) und Sophie (chr.) differenziert zu antworten (Dubiski, 2010): »S: Nein! H: Da ist kein Gott. Gott lebt im Himmel. S: Nein, der hängt da in der Kirche immer so. [Breitet die Arme aus und legt den Kopf schief.] I: Am Kreuz? S: Ja, […] H: Der Gott ist oben, den kann man nicht sehen. […] Der Gott kann immer nur uns sehen.« Die Differenzerfahrung wird dann praktisch, wo es um konkrete Vollzüge geht wie beim Beten. So bekommt die muslimische Charda im christlichen Kindergarten von ihrer Mutter vermittelt, dass sie eigentlich nicht mitbeten soll. Und Jannik äußert seine Distanz zu christlichen Gotteshäusern (S. 32): »Da beten sie auch, aber sie beten nicht zum Gott da oben. Sondern beten zu dem Gott, den sie gemacht haben.« Aus solchen Differenzwahrnehmungen muss aber keine Distanzierung entspringen (S. 33): »F: Wir sind alle Kindergarten-Freunde. Von da ist es egal, [ob jemand Schweinefleisch isst oder nicht].« Gerade diese Aussage macht deutlich, dass – ähnlich wie bei Freundschaftskonzepten – die Religion des konkreten Kindes bestimmend ist. Zu diesem wird sich dann in Beziehung gesetzt.

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Gerhard Büttner

4  Das Grundschulalter Mit dem zusätzlichen Wissen und dem gesteigerten Reflexionsniveau wächst bei den Kindern der Wunsch, zu verstehen, warum Kinder eine andere Religion als die eigene haben. Eine weitere Tübinger Studie hat dies für das Verhältnis von Evangelisch- und Katholisch-Sein untersucht (Schweitzer, 2002). Ein Erstklässler erklärt darin die Zugehörigkeit mit dem jeweiligen Geburtsjahr (»gerade« die einen/«ungerade« die anderen). Einschätzungen wie diese zeigen die Wirksamkeit des oben angesprochenen essenzialistischen Denkens: Die Konfessions- und wohl auch die Religionszugehörigkeit liegen demnach »in der Natur«. In der dritten Klasse sind die Kinder dann zunehmend in der Lage zu erkennen, dass Religion etwas mit der Person zu tun hat (S. 13 f.): »Zweite Schülerin: Aber vor der Geburt weiß man ja auch nicht, was man ist. Und man ist eigentlich gleich … Und dann ist ja nur so, dass wenn …, dann kann der ja eigentlich nichts anderes denken. Vielleicht ein bisschen mehr an Gott oder so, die Katholischen irgendwie. […] Erste Schülerin: Man ist anders. Man ist außen anders, man ist innen anders. Zweite Schülerin: Das ist jeder Mensch … außen anders … Man hat was anderes im Sinn, man denkt anders.« Es wird demnach »immer deutlicher, dass die Konfessionszugehörigkeit auch etwas mit dem Inneren des Menschen zu tun hat« (S. 14). Mit dem Denken wird Religion angeschlossen an ein bestimmtes Sinnsystem einer konkreten Religion oder Konfession. Andererseits bildet dies dann auch den Kern einer zu gewinnenden je eigenen Religiosität in Pubertät und Adoleszenz. Nach der Studie definieren Grundschulkinder ihre religiöse Zugehörigkeit vorrangig über die Gruppe, in der sie Religionsunterricht erhalten, bzw. über die Person der Religionslehrkraft (nach dem Motto »Ich bin evangelisch und gehöre zu Frau X.«) und begründen den Sinn der Existenz unterschiedlicher Konfessionen häufig mit zweckhaften, teleologischen Argumenten (im Stile von: »damit es zwei verschiedene Religionslehrerinnen gibt«). Wo es zu inhaltlichen Differenzierungen kommt (eher selten), machen diese sich an tradierten Mustern (Vorurteilen) fest (Häufigkeit des Gebets, Rolle der Maria etc.). Dies ist nicht überraschend, weil die konfessionelle Differenzierung sich ja an Aspekten entscheidet, die Grundschulkinder kaum nachvollziehen können. Andererseits haben sie u. U. Einfluss auf bestimmte religiöse Praxen bzw. Stile, die als Differenzmarker dienen können, aber von der Selbstbeschreibung der Kirchen her keine wirkliche Differenz begründen. Entwicklungspsychologische Grundlagen

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Wir können in dieser Altersstufe beobachten, wie sich die Religionsrolle allmählich von ihrer naturhaften Bestimmung löst und im Sinne einer inneren Bestimmung modifiziert wird. Diese geschieht aber erst einmal gerade nicht im Sinne einer Individuation, sondern – dies wird dann im Jugendalter zu zeigen sein – erst einmal im Sinne einer Identifikation mit einem bestimmten Kollektiv. Man weiß jetzt, dass es verschiedene Gruppen gibt und dass sich die eigene Identität durch Zugehörigkeit definiert. Genau dies führt aber auch zu Problemen gegenüber Religionslosen.

5  Die Frage von Symmetrie und Asymmetrie Häufig wird berichtet, dass viele Ostdeutsche bei der Frage nach ihrer Religion mit »normal« antworten, d. h. religiöse Menschen als »unnormal« definieren. Damit begegnen wir einem Phänomen, das im Grundschulalter auftaucht, sich aber im Erwachsenenalter noch als Schwierigkeit zeigt. Eine nichtreligiöse Weltsicht ist offenbar schlechter mit einer religiösen Position kompatibel als unterschiedliche Religionszugehörigkeiten untereinander. So führte in der zitierten Tübinger Studie der Hinweis darauf, dass Anna »nichts« ist (d. h. keiner Religion angehört) zu dem Kommentar »Du bist Müll«. In einer englischen Studie, in der sich religionsverschiedene Grundschüler*in­ nen E-Mails zum Thema Religion schrieben, führt die Begegnung zu interessanten Dialogen (McKenna/Ipgrave/Jackson, 2008). Die Schilderung religiöser Praxis in Kirche bzw. Moschee erfolgt so, wie man auch seine Präferenz für einen Fußballverein als Differenz wahrnimmt und wertschätzt. Ein weiteres Beispiel zeigt dann auch, dass zwei Jungen auf ihr muslimisches Gegenüber, welches von seiner religiösen Praxis berichtet, mit dem Hinweis auf ihre erfolgreiche Beschäftigung mit einem Computerspiel reagieren. Die Wahrnehmung bzw. Herbeiführung symmetrischer Kommunikationsbedingungen scheint demnach bei der Bearbeitung religiöser Heterogenität von großer Bedeutung zu sein.

6  Religion und Heterogenität im Jugendalter Die religiöse Einstellung wird erst dann zum eigenständigen Faktor, der die Haltung zu Heterogenität beeinflusst, wenn sich diese, wie die Kinder formulieren, »im Inneren« als eigenständige Größe etabliert hat. Dies geschieht gegen Ende der Grundschulzeit (siehe auch Meyer in diesem Band). Wahrscheinlich lässt sich der Prozess am besten mit der Theorie der Glaubensentwicklung von James 80

Gerhard Büttner

Fowler beschreiben (Fowler, 2000). Dieser sieht für das frühe Jugendalter eine »synthetisch-konventionelle« Entwicklungsstufe vor. Fowler meint damit, dass dann, wenn von der kognitiven Entwicklung die Fähigkeit zur »formalen Operation« erreicht ist, die Figurierung des Glaubens durch soziale Größen bestimmt wird. Diese stellen sich aber plural dar. Da sind einmal verschiedene Religionen und Konfessionen, aber auch unterschiedliche Stile des Glaubens – etwa in der Unterscheidung orthodox vs. liberal. Mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe wird sowohl deren religiöser Inhalt als auch deren Stil übernommen. Dies geschieht dann unter Anerkennung der Tatsache, dass es auch andere Versionen von Religion gibt. Damit wird bedeutsam, wie die jeweilige religiöse Gruppe ihr Verhältnis zu den anderen definiert. Hier gewinnt dann Religion selbst eine Funktion als Faktor des Differenzbewusstseins. Dabei ergab eine belgische Studie, dass die in der Gesamtpopulation anzutreffende Tendenz, einen strikten, eher literalistischen Glauben mit Enthnozentrismus zu verbinden, bei der Gruppe der 13- und 14-Jährigen gerade nicht gefunden wurde (Dillen, 2009). Hier weisen eher die religionsfernen Jugendlichen solche Tendenzen auf. Das bedeutet, dass im Pubertätsalter im Rahmen der Identitätsbildung ein Bedürfnis nach Vergewisserung in der eigenen Religion besteht, dies aber nicht mit grundsätzlicher Ablehnung des Fremden verbunden sein muss. Generell zeigen die Studien für das Jugendalter häufig eine positive Haltung zu religiöser Pluralität und betonen die prinzipielle Wahlmöglichkeit. Im Blick auf die Existenz verschiedener Kirchen hebt etwa eine evangelische Schülerin der Klassenstufe 9 die Wahlmöglichkeit und den eigenen inneren Bezug zu Konfession und Religion hervor (Schweitzer/Biesinger, 2006, S. 54): »Ich denke, das ist schon gut, weil da kann man sich aussuchen … da kann man sich halt überlegen, wo man hingeh t… ich denke, dass es in jeder Religion dann was gibt, was einen anspricht … jetzt – früher die Menschen konnten sich nicht entscheiden, weil da gab’s nur katholisch.« Eine solche offene Einstellung auch im Blick auf einen möglichen eigenen Konfessions- oder Religionswechsel findet sich besonders ausgeprägt unter eng­ lischen Jugendlichen, wohl mitbedingt durch das dortige Modell der Religious Education. Eine typische Antwort auf die Frage nach einem Religionswechsel bzw. der Vorstellbarkeit einer anderen Religionszugehörigkeit lautet (Knoblauch, 2011, S. 96): »So könnte ich mir vorstellen, einer anderen Religion anzugehören; es würde nur bedeuten, in einer etwas anderen Weise Religion auszuüben.« Entwicklungspsychologische Grundlagen

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Eine kleine Pilotstudie unter Berliner Jugendlichen zeigte, dass eine Dekonstruktion von Grenzziehungen zwischen Religionen sowie eine Neukonstruktion im Sinne eines verbindenden »wahren« Christentums und ›wahren‹ Islams unter heranwachsenden Muslim*innen möglich ist (Willems, 2016, S. 157): »… ich bringe sie dann sozusagen zu ihre[r] Religion … Na weil … das Christentum hat sehr viele gute Werte, die auch im Islam sind, sozusagen. Und ich versuch einfach diese Werte … rüber zu bringen, sozusagen. Und das versuch ich dann, denn wenn ich einen Christ sehe, dann, dann, ah, dann sprech ich mit ihm über die Bibel, dann zeig ich ihm auch wie die Bibel da das so steht, genau.« Für die Positionierung der eigenen Religion zu anderen spielt also spätestens ab dem Jugendalter die Sichtweise dieser Religion zum Thema Heterogenität eine Rolle. Dies bestimmt dann die Sichtweise im Hinblick auf exkludierende (ausschließende) oder inkludierende (einschließende) Perspektiven. Das bedeutet aber auch, dass keine allgemein menschliche Entwicklungslinie unabhängig von der religiösen Prägung behauptet werden kann. Eine Stufenentwicklung in Richtung eines differenzierteren Heterogenitätsbewusstseins lässt sich damit nur als Variante eines interkulturellen Modells verstehen. Milton Bennett hat hierzu ein überzeugendes Entwicklungsmodell vorgelegt (Bennett, 2013): Denial

Defense

Minimization

Acceptance

Adaption

Integration

Verneinung von Differenz

Verteidigung einer Position

Minimierung von Differenz

Akzeptanz von Differenz

Anerkennung von Pluralität

Integration von Pluralität

Bennett weist darauf hin, dass die zentrale Voraussetzung für die Ausbildung der avancierteren Gruppe von Denkstilen in der Fähigkeit besteht, Kulturen sowie deren Differenzen nicht als fixe »Tatbestände«, vielmehr als »Prozesse«, also menschliche Konstrukte begreifen zu können und damit den Menschen als geschichtlich-gesellschaftliche*n Mitschöpfer*in von Wirklichkeit. Eine solche Sichtweise ist nun aber selber ein Produkt einer bestimmten gesellschaftlichen Normativität. Sie folgt dem von Piaget bestimmten Fortschrittsnarrativ, einer zunehmenden »Dezentrierung«. Das heißt, es ist Ausdruck einer »höheren Entwicklung«, wenn wir unsere eigene Religion im Kontext anderer einordnen können und so zu einer Balance zwischen Identität und Anerkennung kommen. Deshalb sind unsere Bildungspläne vom Gedanken bestimmt, eine solche Entwicklung des Differenzbewusstseins zu fördern – als Ausdruck des Selbstverständnisses einer pluralistisch verfassten demokratischen Gesellschaft. 82

Gerhard Büttner

Religiöse Entwicklung muss also den Faktor religiöser und weltanschaulicher Heterogenität immer mitbedenken und stellt sich daher in vielfältigen Lerngruppen als ein außerordentlich komplexes Phänomen dar. Wichtig erscheint mir, dass die Lehrpersonen den Modellstatus ihrer eigenen Einstellung wahrnehmen und reflektieren. Nur dann sind sie in der Lage, den Charakter aller religiösen Stile als Konstruktion adäquat wahrzunehmen und die implizite Normativität des eigenen Anspruchs zu durchschauen. Literatur zum Weiterlesen Bennett, M. (2013): Concepts of Intercultural Communication. Paradigms, Principles & Practices (2. Aufl.). Boston/London: Intercultural Press Pub. Büttner, G./Dieterich, V.-J. (2016): Entwicklungspsychologie in der Religionspädagogik (2. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht/UTB. Dillen, A. (2009): Glaubensvorstellungen von Kindern und ihre Wahrnehmung von Multikulturalität. In: A. Bucher/G. Büttner: In den Himmel kommen nur, die sich auch verstehen. Wie Kinder über religiöse Differenz denken und sprechen. Jahrbuch für Kindertheologie 8, S. 50–59, Stuttgart: Calwer.

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Entwicklungspsychologische Grundlagen

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Teil II Didaktischer Umgang mit konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt

Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Konfessionen Jan Woppowa

Die bestehende Praxis zeigt einen konfessionellen Religionsunterricht, der mehr oder weniger offenkundig gerade nicht mehr in konfessionell homogenen Lerngruppen stattfindet. Insofern ist die Frage nach dem didaktischen Umgang mit konfessionell heterogenen Lerngruppen zugleich eine Frage nach der Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts schlechthin.

1  Konfessionelle Heterogenität als didaktisch-methodische Herausforderung Verschiedene Formen der konfessionellen Kooperation zwischen dem evange­ lischen und dem katholischen Religionsunterricht sind mittlerweile als zukunftstaugliche Wege für den schulischen Religionsunterricht anerkannt (vgl. Die deutschen Bischöfe, 2016; Kirchenamt der EKD, 2018). Konfessionelle Kooperation stellt dabei einen terminus technicus dar, der deutlich machen soll, dass auf der Grundlage von offiziellen Kooperationsvereinbarungen zwischen den beiden großen Kirchen konfessionell gemischte Lerngruppen gebildet werden dürfen, die von Lehrkräften einer oder beider Konfessionen unterrichtet werden. In vielen Regionen Deutschlands scheitert aber eine formal geregelte echte personelle Kooperation schon jetzt am Fehlen einer entsprechenden Lehrkraft der anderen Konfession oder an zu geringen Schüler*innenzahlen einer Konfession. Deshalb ist es angemessener, von einem Religionsunterricht in konfessionell heterogenen Lerngruppen zu sprechen. Denn es schließt beide Formen ein: sowohl Phasenmodelle und personelle Kooperationen von Lehrkräften unterschiedlicher Konfessionen als auch Unterricht in konfessionell gemischten Lerngruppen ohne kooperierende Lehrkräfte. Diese innere Gestalt eines Religionsunterrichts in konfessionell heterogenen Lerngruppen gilt es didaktisch-methodisch einzuholen. Für deren Erarbeitung braucht es bestimmte professionelle Kompetenzen, um einerseits theologisch und bildungstheoretisch argumentationsfähig und andererseits religionsdidaktisch 87

gestaltungsfähig werden zu können. Dahinter steht die umfassende religionspädagogische Arbeit an konzeptionellen Entwürfen rund um den Gedanken der Kooperation (Lindner/Schambeck/Simojoki/Naurath, 2017; Woppowa/ Isik/Kammeyer/Peters, 2017) und an der Entwicklung geeigneter Unterrichtsmaterialien (Woppowa, 2015a) bzw. ökumenischer Unterrichtswerke (Verburg, 2017). Nicht zuletzt braucht es gegenwärtig mehr denn je eine kritisch-­ konstruktive Reflexion auf den Begriff der Konfessionalität (Pohl-Patalong/ Woyke/Boll/Dittrich/Lüdtke, 2016; Schröder, 2017), um sowohl einem die gegenwärtige Gesellschaft prägenden nachkonfessionellen Bewusstsein begegnen als auch einen Religionsunterricht gestalten zu können, der trotz einer abnehmenden Relevanz konfessioneller Zugehörigkeiten bei Jugendlichen (Theis, 2014) subjektund erfahrungsorientiert bleibt.

2  Professionelle Kompetenzen 2.1  Theologische Argumentationskompetenz: Ökumenische Pluralität würdigen Der ökumenisch-theologische Dialog ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass eine gemeinsame religiöse Bildungsverantwortung der beiden Kirchen in Bezug auf den schulischen Religionsunterricht weiter intensiviert und wirksamer werden kann. An einschlägigen Stationen auf dem Weg der Ökumene – bspw. am Ökumenismusdekret des Zweiten Vatikanischen Konzils, an der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (1999) oder an der gegenseitigen Taufanerkennung von Magdeburg (2007) – wird deutlich, dass konfessionalistische Vorurteile abgebaut werden konnten und konfessionelle Kulturen ihre sozial trennende Wirkung weitgehend verloren haben. Erst kürzlich haben sich die beiden großen Kirchen in Deutschland mit dem Prozess des Healing of Memories erneut selbst dazu verpflichtet, ökumenisches Lernen zu fördern und gemeinsames Handeln in verschiedenen Feldern kirchlicher Vollzüge und Verkündigung zu intensivieren (Evangelische Kirche in Deutschland/Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 2017). In dieser Linie qualifizieren auch die katholischen Bischöfe in ihrer jüngsten Erklärung den Religionsunterricht ausdrücklich als einen »ökumenisch bedeutsamen theologischen Lernort« (Die deutschen Bischöfe, 2016, S. 30). Weil es Christentum nicht abstrakt, sondern nur in seinen konkreten konfessionellen Ausprägungen gibt, sollte sich der Religionsunterricht von einer Theologie her verstehen, »die ökumenische Pluralität würdigt und als Zeichen der Fülle und Vielfalt des Geistes Gottes interpretiert« (Schambeck/Schröder, 2017, S. 344). 88

Jan Woppowa

Dabei sind konfessionell differente Ausprägungen komplementär zueinander zu verstehen, d. h. konfessionsspezifische Perspektiven werden nicht ausgeblendet, sondern vielmehr in ihrer Unterschiedlichkeit auf das gemeinsame christliche Zentrum hin gedacht (Thönissen, 2007).

Im evangelischen Christentum und damit möglicherweise auch im Erleben von Schüler*innen gilt der Karfreitag vielfach als höchster Feiertag und wichtigster Abendmahlstag, weil in der reformatorischen Tradition der Kreuzestod Jesu als das grundlegende Heilsereignis verstanden wird. Demgegenüber begehen katholische Christen diesen Tag, der offiziell erst vom Zweiten Vatikanischen Konzil zum Feiertag erklärt worden ist, eher verhalten und liturgisch reduziert sowie meist ohne Eucharistiefeier. Im katholischen Christentum stellt die Feier der Auferstehung, insbesondere nach Erneuerungen Mitte des 20. Jh. wieder die Lichtfeier der Osternacht, den Höhepunkt des Kirchenjahres dar. Eine mit (älteren) Schüler*innen durchgeführte differenzbewusste Erschließung dieser liturgischen und frömmigkeitsgeschichtlichen Unterschiede kann bewusst machen, dass das Christusereignis erst aus der komplementären Zusammenschau beider Akzentuierungen vollständig und verstehbar wird. Denn alle Christ*innen gedenken der Einheit von Leiden, Tod und Auferstehung Jesu (Pascha-Mysterium). Weder die isolierte Rede vom Kreuzestod noch der christliche Auferstehungsglaube allein können für die Gläubigen ihren vollen Sinn entfalten, sondern nur komplementär zueinander den christlichen Glauben an einen zugleich mitleidenden und erlösungsmächtigen Schöpfergott grundlegen. Ökumenische Pluralität, hier in der Form unterschiedlicher Frömmigkeitskulturen und liturgischer Praxis, zu würdigen, hieße diese zuallererst im Religionsunterricht zur Sprache zu bringen, um sie anschließend gewinnbringend deuten zu können.

2.2  Bildungstheoretische Reflexionskompetenz: Konfessionelle Heterogenität als lern- und bildungsrelevante Differenz begreifen Wenn religiöse Bildung als »Bewusstsein von Differenz« (Peukert, 2015, S. 328) verstanden werden kann, dann können auch Differenzen bildend wirken, insofern eigene Wissensbestände, Haltungen und Einstellungen erst durch die Konfron­ tation mit dem Anderen und Fremden bewusst gemacht und zu neuen Haltungen und Einstellungen transformiert werden. (Schambeck/Schröder, 2017). Weil sich konfessionelle und religiöse Pluralität nicht allein in der traditionellen Gestalt Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Konfessionen

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der Konfessionen und Religionen zeigt, sondern immer schon in den individuellen sowie Konfessions- und Religionsgrenzen überschreitenden Positionierungen der Schüler*innen präsent ist, ist der Religionsunterricht in heterogenen Lerngruppen ein geeigneter Ort, um vorhandene Positionierungen bewusst zu machen und das »bildende Potential differenzsensibler Lehr-Lernprozesse im Bereich religiöser Bildung zur Entfaltung [zu] bringen« (S. 346). Darüber hinaus kann ein solcher Religionsunterricht die Dialog- und Konvivenzfähigkeit (lat. convivere, zusammenleben) von Kindern und Jugendlichen fördern und damit eine wichtige gesamtgesellschaftliche Funktion übernehmen. Differenz ist nicht um ihrer selbst willen zu thematisieren. Vielmehr sind immer auch Brücken zwischen Verschiedenheiten zu schlagen, damit das wechselseitig Bereichernde von Differenzen entdeckt werden kann (Schambeck/Schröder, 2017, S. 347). Auch angesichts einer schulpädagogisch zu bearbeitenden Heterogenität gewinnt die Verständigung zwischen verschiedenen sozialen und religiösen Milieus und Stilen zunehmend an Bedeutung (Theis, 2014) und kann wohl gezielter und wirkungsvoller in einem Religionsunterricht ermöglicht werden, der das Lernen in konfessionell bzw. sogar religiös heterogenen Lerngruppen demjenigen in entsprechend homogenen Lerngruppen vorzieht.

Wenn gerade im schulischen Religionsunterricht Schüler*innen mehrerer Konfessionen bzw. zunehmend auch verschiedener Religionen und Weltanschauungen zusammen lernen, dann gehört diese Heterogenität konstitutiv zu einem subjektorientierten Unterricht dazu und darf nicht ausgeblendet werden. In didaktischer Hinsicht sind Lerngegenstände deshalb derart zu modifizieren, dass bereits in ihnen eine herausfordernde, konfrontative und deshalb bildende Differenz abgebildet wird. Wird beispielsweise als Lerngegenstand »Fremde und eigene Kirchenbilder reflektieren« gewählt, dann sollten hier katholische wie evangelische, aber auch fremdreligiöse oder konfessionslose Positionen eine Rolle spielen. Denn in der kontroversen Auseinandersetzung mit ihnen können differenzbewusste Bildungsprozesse stattfinden. Demgegenüber sind die individuellen Vorstellungen und Meinungen zu Kirche bzw. kirchlicher Praxis seitens der Schüler*innen gerade nicht hinter den Inhalten auszublenden, sondern auch methodisch gezielt einzuholen (insbesondere durch Formen biografischen und kooperativen Lernens, heterogen angelegte Gruppenarbeiten etc.) und zueinander in eine bildende und sinnstiftende Kommunikation zu bringen.

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2.3  Religionspädagogische Reflexionskompetenz: Positionalität als Ziel religiöser Lernprozesse realisieren Dem schulischen Religionsunterricht geht es in erster Linie nicht um konfessionelle Identitätsbildung, sondern viel grundlegender um eine selbst verantwortete und reflektierte religiöse Sprach- und Pluralitätsfähigkeit der Lernenden. Diese Zielperspektive steuert maßgeblich das unterrichtliche Handeln und mündet in die Ausbildung einer »transparente[n] Positionalität« (Schröder, 2012, S. 534). Sie soll dazu befähigen, eigene (konfessionelle) Überzeugungen auf andere zu beziehen und kritisch-konstruktiv zueinander in Beziehung zu setzen. Der in diesem Zusammenhang bemühte Begriff des konfessorischen Lernens im Sinne eines bekenntnisbildenden Lernens hebt darauf ab, dass es weit vor einem institutionell-­ konfessionellen Bekenntnis um die grundlegende Fähigkeit des Subjekts gehen muss, sich in Fragen von Religion und Glauben überhaupt verhalten zu können und einen eigenen Standpunkt in religiöser Pluralität zu gewinnen – kurzum: sich konfessorisch zu zeigen (Woppowa, 2015b). Religionsunterricht in heterogenen Lerngruppen bietet für solche Lernprozesse einen wichtigen und notwendigen Nährboden, insofern er nicht auf die Darbietung und Bearbeitung von Plura­lität und Differenz verzichtet.

Wenn Lerngegenstände differenzbetont angelegt und erarbeitet werden, können sie fast von selbst inhaltliche Kontroversen provozieren und zu einer persönlichen Meinung motivieren. Damit Schüler*innen immer wieder dazu herausgefordert werden, ihren individuellen Standpunkt einzunehmen, sollten affine Lernformen und entsprechende Methoden eine Rolle spielen. Beispielsweise bietet das Stellen einer Positionslinie zwischen »Zustimmung« und »Ablehnung« quer durch den Klassenraum oder auf dem Flur einen unaufwändigen Zugang zu konfes­sorischen Lernprozessen (bspw. zu einem ethischen Konfliktthema, das wie im Falle der Präimplantationsdiagnostik durchaus konfessionelle Differenzen aufweisen kann, Woppowa, 2015a). Die Lernenden machen dabei ihren eigenen Standpunkt sichtbar, müssen bei Nachfrage (meist durch die Lehrkraft) Rede und Antwort stehen und tragen so zu einer markanten Meinungsvielfalt im Klassenraum bei. Umso heterogener die Lerngruppe ist, desto spannender und fruchtbarer sind solche Übungen.

Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Konfessionen

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2.4  Didaktische Wahrnehmungs- und Unterscheidungskompetenz Es gibt mindestens drei Zugänge zum Religionsunterricht in konfessionell heterogenen Lerngruppen, die den Unterricht in didaktische und bildungstheoretische Aporien führen: der konfessionskundliche, der homogenisierende und der konfessionalistische Zugang. Daher braucht es Wissen und Fähigkeiten, solche Zugänge unterscheidend wahrzunehmen, um einerseits vorliegende Unterrichtsmodelle kritisch beurteilen zu können und andererseits den eigenen Religionsunterricht nicht in entsprechende Sackgassen zu führen. Zur Konkretisierung und Anwendung der folgenden Ausführungen dient der wiederholt durchgeführte exemplarische Rückgriff auf das folgende Praxisbeispiel.

Im Kontext einer Kirchenraumerkundung wird als Lernziel formuliert, dass Schüler*innen den katholischen vom evangelischen Kirchenraum unterscheiden und jeweils konfessionelle Spezifika identifizieren können. Dazu dienen Beobachtungsaufträge, ergänzende Texte und eine tabellarische Synopse aus katholisch und evangelisch geprägten Merkmalen. Eine mögliche Überprüfung des Lernziels erfolgt weitgehend auf der kognitiven Ebene der sachbezogenen Reproduktion und des verstehenden Vergleichs.

Mithilfe dieses Beispiels, das wohl nicht wenige Unterrichtsentwürfe zu dieser Thematik zu repräsentieren vermag, kann zunächst auf einige Gefahren aufmerksam gemacht werden, bevor im Anschluss produktive Wege aufgezeigt werden. 2.4.1  Konfessionskundlicher Zugang

Eine erste Gefahr besteht darin, dass es durch eine einseitige Orientierung am Bearbeiten konfessioneller Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu einer Reduktion auf der Inhaltsebene kommen kann. Das passiert dann, wenn der Lerngegenstand so weit differenzbetont zugeschnitten wird, dass ein primär konfessionskundliches Verstehen das eigentlich übergeordnete religiöse Verstehen verhindert. Auf bildungstheoretischer Ebene entstehen dabei Probleme, weil der im Zentrum stehende religiöse Lernprozess der Schüler*innen hin zum Erwerb eines religiösen Weltzugangs und einer religiösen Sprachfähigkeit zu kurz kommen oder gar nicht realisiert werden kann. Denn wozu sollen Kinder und Jugendliche ein konfessionskundliches Wissen erwerben, wenn sie selbst nicht einmal religiös, geschweige denn christlich-kirchlich sozialisiert sind? 92

Jan Woppowa

Der als typisches Ausstattungsmerkmal wahrgenommene Tabernakel fungiert lediglich als Differenzmoment, sofern keine erfahrungsbezogene theologische Kontextualisierung und Klärung stattfindet. Denn kann eine Schülerin den Tabernakel als ein spezifisches Merkmal katholischer Kirchenräume begreifen, wenn sie selbst noch gar keine Vorstellung davon entwickelt hat, dass die in diesem Raum feiernde Gemeinde das gemeinsame Mahl mit der geglaubten und andauernden Gegenwart Gottes in Verbindung bringt? Welche religiöse Kompetenz müssten Schüler*innen eigentlich grundlegend erwerben, wenn sie einen Kirchenraum erkunden? Hier liegt wohl das Lernen von basalen Haltungen, Einstellungen und Fähigkeiten wie Raumwahrnehmung, Selbstverortung, ästhetische und spirituelle Erfahrungen etc. zunächst einmal näher als der Umgang mit konfessionskundlichen Spezifika (vgl. kontrastierend 2.5.2).

2.4.2  Homogenisierender Zugang

Weil ein Religionsunterricht in konfessioneller Heterogenität auf das Bearbeiten von Differenz abhebt, hat er in besonderer Weise darauf zu achten, dass auf der Ebene der Lerngegenstände eine innerkonfessionelle Pluralität nicht eingeebnet und homogenisiert wird, um möglichst einfach umrissene konfessionelle Konzepte gegenüberzustellen. Das passiert etwa allzu schnell in der bis in Lehrwerke hinein gern verwendeten Gegenüberstellung von »typisch katholisch und typisch evangelisch«. Auch auf der Ebene der Lernenden und Lehrenden gilt es der Gefahr zu entgehen, die evangelische Kollegin oder den katholischen Schüler als typische Repräsentant*innen einer Konfession und damit in schematischer Weise als personales Medium von Konfessionalität zu vereinnahmen (Kammeyer/Reis, 2017).

Wenn bestimmte Merkmale an einem exemplarischen Kirchenraum erarbeitet werden, sollte man auch im Lernprozess deutlich machen, dass es sich dabei um einen speziellen Eindruck handelt, der nicht automatisch auf alle anderen Kirchenräume und deren Ausstattung übertragen werden kann. So kann sich beispielsweise ein sachlich modern gestalteter katholischer Kirchenraum von der ebenfalls katholischen Barockkirche stärker unterscheiden als von einer bildreduzierten lutherischen oder gar reformierten Kirche. Hier bliebe also im Lernprozess die Frage zu klären, was an einem solchen Kirchenraum überhaupt »typisch katholisch« zu nennen wäre oder ob »das Katholische« nicht auch in sich vielfältig gedacht werden müsse. Ähnliches gilt für beteiligte Personen wie LehrReligionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Konfessionen

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kräfte oder bspw. Vertreter*innen von Kirchengemeinden, die immer auch selbst lediglich eine subjektive und selten repräsentative Stimme aus ihrer Glaubens­ gemeinschaft verkörpern (vgl. kontrastierend 2.5.4).

2.4.3  Konfessionalistischer Zugang Dieser driftet gegenüber dem vorherigen Zugang gewissermaßen in das andere Extrem ab, wenn bestimmte Inhalte um ihrer konfessionellen Spezifika ausgewählt werden, dabei aber nicht mehr beachtet wird, ob diese Spezifika überhaupt relevant im Sinne des religiösen Bildungsauftrags des Religionsunterrichts sind. Denn auch hier ist noch einmal festzuhalten: Schulischer Religionsunterricht dient nicht der konfessionellen Identitätsbildung und schon gar nicht irgendwelchen Konfessionalisierungsinteressen, wenn er nicht seine Legitimität als Fach öffentlicher Bildung verlieren will. Ein konfessionalistischer Zugang versucht darüber hinaus, eine konfessionelle Identität zu markieren, in der Christsein resp. Katholisch- oder Evangelisch-Sein durch Abgrenzung definiert wird.

Vielleicht würden im oben gewählten Beispiel Schüler*innen zu konfessionellen Expert*innen gemacht, um »ihre Kirche« zu erklären, sodass konfessionsspezifische Merkmale nicht mehr auf ein übergeordnetes Drittes (Raumwahrnehmung, christliche Grundvollzüge etc.) hin erschlossen werden. Wenn Lehrkräfte etwa – als durchaus beliebte Methode – um eines tiefergehenden Verständnisses des Tabernakels willen die katholischen Schüler*innen der Lerngruppe darum bitten, das katholische Eucharistieverständnis zu erklären, machen sie diese einerseits in problematischer Weise zu Expert*innen, die sie nicht sind. Andererseits werden innerhalb der Lerngruppe künstliche Grenzen (zwischen katholisch und evangelisch) markiert, die faktisch mitunter ganz anders verlaufen können (zwischen religiös und areligiös, zwischen kirchenaffin und kirchendistanziert etc.). Konfessionelle Differenzen werden hier nicht als gleichermaßen für alle bestehende Lernchance genutzt, sondern stellen primär Merkmale der Abgrenzung dar (vgl. kontrastierend 2.5.3).

Um den mit diesen Zugängen verbundenen Gefahren bildungstheoretischer und didaktischer Reduktionen zu entgehen, scheint ein Zugang angemessener, der gleichermaßen subjektorientiert und pluralitätsfähig mit den Lerngegen94

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ständen eines Religionsunterrichts in konfessioneller Heterogenität umzugehen vermag. Er zeigt gleichsam didaktisch-methodische Auswege aus den bis hierher angeführten Sackgassen auf.

2.5  Didaktische Gestaltungskompetenz: Differenzbewusstes Lernen durch standpunktbefähigende Perspektivenverschränkung Eine praxistaugliche Perspektive können die religionsdidaktischen Prinzipien der Multiperspektivität bzw. Perspektivenverschränkung bieten. In deren Spur werden bei der Auswahl von Lerngegenständen inhaltliche, insbesondere konfessionelle Differenzen gerade nicht ausgeblendet, sondern bewusst in den Blick genommen, um den elementaren Kern eines theologischen Gegenstands tiefergehender verstehen zu können. Weil Religionen und auch Konfessionen als perspektivische Brechungen der Wirklichkeit verstanden werden können, müssen Lerngegenstände entsprechend multiperspektivisch erschlossen werden, um dieser Wirklichkeit auch gerecht werden zu können. 2.5.1 Grundlagen

In Anlehnung an die zentrale Grundlegung des Prinzips der Multiperspektivität innerhalb der neueren Geschichtsdidaktik wird Perspektivität in dreifacher Hinsicht verstanden (Bergmann, 2008, 2011): Über die Perspektiven historisch unmittelbar beteiligter Menschen, ihrer Zeugnisse und der so entstehenden Quellen (1. Multiperspektivität im engeren Sinne) hinaus zeige sich Perspek­tivität sowohl in den auf unterschiedlichen Perspektiven beruhenden späteren Deutungen (2. Kontroversität) als auch im Unterrichtsgeschehen selbst (3. Pluralität), wenn die Schüler*innen »zu eigenen, begründeten und begründbaren Ansichten historischer Sachverhalte kommen, die zu einer Pluralität von unterschiedlichen Erzählungen über den gleichen historischen Sachverhalt führen« und dadurch »ihre eigene Perspektivität bei der Betrachtung historischer Sachverhalte« (Bergmann, 2008, S. 25) erkennen können. Geschichte tritt dabei als ein aus der Gegenwart gedeutetes und mehrdeutiges Konstrukt in Erscheinung, sodass auch historische Deutungen auf Perspektiven aufbauen und selbst perspektivisch zu verstehen sind. Beispielsweise macht es einen Unterschied, ob man das Phänomen von Flucht und Migration aus der Perspektive eines geflüchteten Menschen, eines Grenzsoldaten, einer Politikerin, eines ehrenamtlichen Helfers oder eines Verfechters von Kirchenasyl wahrnimmt. Entsprechendes gilt für spätere Deutungen und politisch-historische Einordnungen der Migrationsbewegungen dieses Jahrhunderts. Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Konfessionen

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Angesichts einer religiösen, christlichen und insbesondere intrakonfessionellen Pluralität ist auch Religion als ein Phänomen der Vielfalt zu betrachten. Auch religiöses Lernen muss sich daher insofern als pluralitätsfähig erweisen, als es zentrale Inhalte mehrperspektivisch zu erschließen versucht, um dieser Pluralität gerecht werden zu können (Woppowa, 2016). Zugleich lässt sich auf diese Weise den oben geschilderten Gefahren entgehen, denn umso mehr gilt dies dort, wo Lerngruppen konfessionell heterogen zusammengesetzt sind. Pluralitätsfähiges religiöses Lernen heißt hier, die Pluralität in einer Mehrperspektivität der Inhalte wie der Personen zur Sprache zu bringen und damit ein Bewusstsein von der inneren Vielfalt religiöser Traditionen und spezifischer Konfessionen zu schaffen und nicht den Eindruck zu erwecken, eine bestimmte (historische, religiöse, konfessionelle) Perspektive sei die objektive Spiegelung der Wirklichkeit. Das Prinzip der (Multi-)Perspektivität wird schließlich zur Voraussetzung dafür, dass Schüler*innen über eine monoperspektivische Darstellung hinaus die Möglichkeit bekommen, zu unterschiedlichen Ansichten und Urteilen zu gelangen, die ihrerseits kontrovers und diskursiv bearbeitet werden können. Ein solches Lernen impliziert eine »Perspektivenerweiterung durch Standpunktreflexion« (Bergmann, 2008, S. 38), in der die eigene Perspektive auf die Wirklichkeit in die Vielfalt perspektivischer Wahrnehmungen, Deutungen und Urteile eingeordnet werden muss. Damit ist dem Gestaltungs- und Planungsprinzip der Multiperspektivität innerhalb der Religionsdidaktik bereits ein notwendiger Prozess an die Seite gestellt, der hier als Verschränkung von Perspektiven bezeichnet werden soll (Woppowa, 2017). 2.5.2  Konfessorisches Lernen (gegen einen konfessionskundlichen Zugang)

Perspektivenverschränkendes Lernen zielt in besonderer Weise auf konfessorische, das heißt zu einem religiösen (nicht zwingend konfessionellen!) Standpunkt befähigende Lernprozesse (vgl. 2.3). Standpunktfähigkeit impliziert idealerweise auch die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel bzw. zur Perspektivenübernahme, um unterschiedliche Standpunkte in ihrer Perspektivität miteinander ins Gespräch bringen zu können und wird so zur notwendigen Kehrseite von Pluralitätsfähigkeit. Ein multiperspektivisch und damit differenzbewusst angelegter Religionsunterricht ist insofern nicht lediglich konfessions- bzw. religionskundlich ausgerichtet. Er wird vielmehr subjektbildend wirksam, indem er die Lernenden dazu befähigt, einen eigenen transparenten Standpunkt auszubilden und zu kommunizieren, und zwar insbesondere durch die Bearbeitung konfessioneller und religiöser Vielfalt. 96

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Eine Lernsequenz zur Erschließung von konfessionell unterschiedlichen Kirchenräumen darf deshalb nicht lediglich darin aufgehen, konfessionskundliches Wissen abzufragen. Vielmehr sind Schüler*innen dazu anzuleiten, sich selbst mit dem Raum und seinen Ausstattungsmerkmalen in Beziehung zu setzen. Das kann durch spontan geäußerte (und möglicherweise auch konfessionell geprägte) Eindrücke zur Raumwahrnehmung geschehen oder durch ein bewusstes und begründetes Sich-selbst-Positionieren innerhalb des Kirchenraumes (bspw. in einer Seitenkapelle, in der letzten Bank, im Altarraum oder unter der Predigtkanzel). In einer Begründung ihrer sichtbar gewählten Standpunkte können dann möglicherweise theologische oder konfessionsspezifische Prägungen in Erscheinung treten: wenn etwa ein katholischer Schüler den Altarraum wählt, weil er als Messdiener hier die Mitte des Sonntagsgottesdienstes erlebt oder wenn sich eine konfessionslose Schülerin auf die Predigtkanzel stellt, weil sie an den Geschichten der Bibel interessiert ist.

2.5.3  Komplementäres Lernen (gegen einen konfessionalistischen Zugang)

Im Sinne eines konfessorischen Lernens ist die verstehende Befähigung zum Bekenntnis anzuzielen, keinesfalls aber das Bekenntnis selbst. Das gilt insbesondere auch angesichts einer zu wahrenden religiös-weltanschaulichen Positionierungsfreiheit der Schüler*innen. Daraus folgt, dass konfessionelle Spezifika nicht nur um ihrer Differenz willen zu thematisieren sind, sondern vielmehr als besondere Lernchancen in Erscheinung treten müssen, um den Kern christlicher Gottesrede besser und tiefgehender zu erfassen. Sie sind daher im Verhältnis einer verschiedene Positionen nicht ausschließenden, sondern einschließenden und sich wechselseitig ergänzenden Komplementarität eben auch und besonders didaktisch einzubinden (vgl. 2.1). Denn für das Lernen in einem bewusst mit konfessionellen Differenzen operierenden Religionsunterricht ist zu fordern, dass es im Kern um eine bildende Annäherung an die Gottesfrage überhaupt gehen muss, auf die konfessionelle Standpunkte und Perspektiven in komplementärer Weise zu beziehen wären und nicht umgekehrt.

Um einen konfessionalistischen Zugang zu vermeiden, dürften beispielsweise der »katholische Tabernakel« und die »evangelische Predigtkanzel« nicht lediglich als zwei konfessionsspezifische Merkmale verstanden werden. Vielmehr können sie als Ausdruck konfessionell und damit auch historisch bedingter perspektivischer Gewichtsverlagerungen gelesen werden, die bis in die gegenwärtige konfessionell Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Konfessionen

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geprägte Praxis hinein wirksam bleiben. In komplementärer Hinsicht wären sie jeweils als Zeichen für sich ergänzende Orte bzw. Vollzüge christlich-liturgischer Gottesdienstpraxis (Wortgottesfeier und Schriftauslegung einerseits und Feier des Erinnerungsmahls und der Gegenwart Christi andererseits) zu verstehen und nicht gegeneinander auszuspielen. Mit den Schüler*innen wäre zu überlegen, welche jeweilige inhaltliche Kernaussage mit diesen beiden Orten bzw. Merkmalen verbunden ist und warum beide für die Identität des Christlichen untrennbar zusammen gehören. Die im Beispiel weiter oben erwähnte Standpunktübung könnte die sich hier anschließenden kognitiven Verstehensprozesse bereits vorbereiten.

2.5.4  Kontroverses Lernen (gegen einen homogenisierenden Zugang)

Wenn auf der Basis differenter Perspektiven auf einen Inhalt multiperspektivische religiöse Lernprozesse gestaltet werden und dabei auf eine didaktisch inszenierte Verschränkung von Perspektiven zurückgegriffen wird, kann Kontroversität auf mehreren Ebenen entstehen. Während auf der Ebene von Lerngegenständen religiöse resp. konfessionelle Spezifika zutage treten, werden auch auf personaler Ebene unterschiedliche Perspektiven relevant. So müssen die subjektiven, individuell-biografischen Deutungsmuster von Schüler*innen und auch der Lehrkraft untereinander verschränkt werden, stehen aber auch gleichberechtigt neben den objektiven Perspektiven religiöser Traditionen und Konfessionen sowie nichtreligiöser Deutungen der Wirklichkeit. Das folgende Schaubild zeigt diese Verschränkung möglicher Perspektiven:

Religionsdidaktische Perspektivenverschränkung (Woppowa, 2017, S. 189).

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Der Lerngegenstand »Kirchenräume erkunden« wäre auf Basis des hier entwickelten Ansatzes multiperspektivisch zu erarbeiten. Das heißt insbesondere mit Blick auf konfessionell heterogene Lerngruppen sollten konfessionell verschiedene (katholisch, evangelisch-lutherisch, evangelisch-reformiert, orthodox etc.) und möglichst auch intrakonfessionell unterschiedliche Beispiele eine Rolle spielen. Weiterführend im Sinne der Multiperspektivität ist auch die Ausweitung auf sakrale Räume (Moscheen, Synagogen u. a.). So ließe sich beispielsweise feststellen, dass ein reformierter Kirchenraum seiner Erscheinung nach möglicher­ weise dem Innenraum einer Synagoge, der das Bilderverbot radikal befolgt, ähnlicher ist als vielen anderen christlichen Kirchenräumen. Ein verschränkender und komparativer Umgang erfolgt darüber hinaus in Auseinandersetzung mit Perspektiven der Kunst, Musik, Literatur etc. Im obigen Beispiel könnte dieser etwa dann realisiert werden, wenn ein Kirchenraum mit einer Lichtzeremonie wahrgenommen, mit einem Text konfrontiert oder mit einem gehörten Choralgesang gefüllt wird und dadurch anders und neu verstanden werden kann. Die oben aufgezeigten konfessorischen Positionierungen der Schüler*innen werden hier ebenfalls im Sinne ihrer subjektiven Deutungsmuster berücksichtigt. Solche multi­perspektivischen Zugänge sind keine Sache einer einzelnen Unterrichtsstunde, sondern sollten in der Gesamtschau auf eine Unterrichtsreihe oder längere Lernsequenz zum Ausdruck kommen. Die obige Abbildung kann dazu eine grundlegende Orientierung bieten.

3 Fazit Wenn Perspektivenverschränkung in einem Religionsunterricht in konfessionell gemischten Lerngruppen zu einem durchgängigen Unterrichtsprinzip wird, dann kann bei jedem Unterrichtsthema und an allen Inhalten eines religiösen Kompetenzerwerbs deutlich werden: Ȥ erstens, dass eine umfassende Bearbeitung religiöser Fragestellungen und ausgewählter Unterrichtsinhalte der zugrunde liegenden Wirklichkeit nur gerecht werden kann, wenn sie selbst multiperspektivisch erfolgt. Ȥ zweitens, dass sich konfessionsspezifische Perspektiven auf einen allgemeinen Inhalt unterscheiden können und dass diese Differenz als Bereicherung eines umfassenden religiösen Lernprozesses angesehen werden muss. Ȥ drittens, dass alle Schüler*innen der Lerngruppe im Sinne eines subjektorientierten und an den Lernausgangslagen der Lernenden ausgerichteten Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Konfessionen

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Unterrichts durch eine multiperspektivische Anlage sowohl angesprochen als auch herausgefordert sind, ihre individuelle Perspektive und Deutung einzubringen. Ȥ viertens, dass sich viele ursprünglich innerchristlich oder interkonfessionell ausgerichtete Fragestellungen auch interreligiös ausweiten lassen und dabei eine auf konfessionelle Heterogenität bezogene Lernsequenz analog auch auf die Herausforderung religiös-weltanschaulicher Heterogenität übertragen werden kann. In der praktischen Konsequenz bedeutet dieser Anspruch an einen Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Konfessionen, dass für alle Themen und Kompetenzerwartungen des (schuleigenen) Curriculums: Ȥ erstens geprüft wird, ob diese bereits multiperspektivisch angelegt sind oder welche inhaltlichen und didaktisch-methodischen Möglichkeiten zu einer entsprechenden Modifizierung bestehen. Ȥ zweitens konfessionsspezifische Inhalte identifiziert und zu Lerngegenständen transformiert werden, um konfessionelle Pluralität im Unterrichtsgeschehen abbilden zu können. Das gelingt bei interkonfessionellen »Klassikern« wie bspw. Sakramente, Kirche und Amt, Heilige, Abendmahl/Eucharistie etc. leichter als bei anderen wie bspw. Gottesbilder, Bibel oder Bioethik, wo ein gründlicheres Hinsehen erforderlich und notwendig wird (Woppowa, 2015a). Ȥ drittens konkrete Lernwege entwickelt werden, in denen in besonderer Weise die persönliche Standpunktfähigkeit von Schüler*innen gefördert und dadurch eine bildungsrelevante Kontroversität in Lernprozessen erhöht werden kann. Literatur zum Weiterlesen Lindner, K./Naurath, E./Schambeck, M./Simojoki, H. (Hg.) (2017): Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Konfessionell – kooperativ – kontextuell. Freiburg i. Br.: Herder. Woppowa, J. (Hg.) (2015): Perspektiven wechseln. Lernsequenzen für den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht. Paderborn: Ferdinand Schöningh. Woppowa, J./Isik, T./Kammeyer, K./Peters, B. (Hg.) (2017): Kooperativer Religionsunterricht. Fragen – Optionen – Wege. Stuttgart: Kohlhammer.

Sonstige Literatur Bergmann, K. (2011): Multiperspektivität. In: U. Mayer/H.-J. Pandel/G. Schneider (Hg.): Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht (3. Aufl.), S. 65–77. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag. Bergmann, K. (2008): Multiperspektivität. Geschichte selber denken (2. Aufl.). Schwalbach/Ts: Wochenschau Verlag. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.) (2016): Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts. Empfehlungen für die Kooperation des katholischen mit dem evange­ lischen Religionsunterricht. Die deutschen Bischöfe, 103. Bonn.

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Evangelische Kirche in Deutschland/Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.) (2017): Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen. Ein gemeinsames Wort zum Jahr 2017. Hannover/ Bonn: Linden-Druck Verlagsgesellschaft. Kammeyer, K./Reis, O. (2017): Kooperative Öffnung – Analyse der Differenzen aus Sicht der Inklusion. In: J. Woppowa/T. Isik/K. Kammeyer/B. Peters (Hg.): Kooperativer Religionsunterricht. Fragen – Optionen – Wege, S. 140–153. Stuttgart: Kohlhammer. Kirchenamt der EKD (Hg.) (2018): Konfessionell-kooperativ erteilter Religionsunterricht. Grundlagen, Standards und Zielsetzungen. Hannover: EKD-Verlag. Peukert, H. (2015): Über die Zukunft von Bildung. In: O. John/N. Mette (Hg.): Helmut Peukert. Bildung in gesellschaftlicher Transformation, S. 320–334. Paderborn: Ferdinand Schöningh. Pohl-Patalong, U./Woyke, J./Boll, S./Dittrich, T./Lüdtke, A. (Hg.) (2016): Konfessioneller Religionsunterricht in religiöser Vielfalt. Eine empirische Studie zum evangelischen Religionsunterricht in Schleswig-Holstein. Stuttgart: Kohlhammer. Schambeck, M./Schröder, B. (2017): Auf dem Weg zu einer Didaktik konfessionell-kooperativer Lernprozesse. In: K. Lindner/M. Schambeck/H. Simojoki/E. Naurath (Hg.): Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Konfessionell – kooperativ – kontextuell, S. 343–363. Freiburg i. Br.: Herder. Schmid, H./Verburg, W. (2010): Gastfreundschaft. Ein Modell für den konfessionellen Religionsunterricht der Zukunft. München: dkv. Schröder, B. (2012): Religionspädagogik. Tübingen: Mohr Siebeck. Schröder, B. (2017): Konfessionalität und kooperativer Religionsunterricht aus evangelischer Perspektive. In: J. Woppowa/T. Isik/K. Kammeyer/B. Peters (Hg.): Kooperativer Religionsunterricht. Fragen – Optionen – Wege, S. 26–44. Stuttgart: Kohlhammer. Theis, J. (2014): Jugendliche und ihre Lebenswelten. Empirische Einblicke in die Jugendforschung und ihre Folgen für den schulischen Religionsunterricht. Trierer Theologische Zeitschrift, 123, S. 205–221. Thönissen, W. (2007): Anwalt des Dialogs aus Überzeugung. Plädoyer für eine ökumenische Denkform der Komplementarität. In: H. Baer/M. Sellmann (Hg.): Katholizismus in moderner Kultur, S. 185–198. Freiburg i. Br.: Herder. Verburg, W. (2017): Zwei Fächer – zwei Curricula – ein Lehrbuch? Praxisorientierte Voraussetzungen für konfessionell-kooperativen Religionsunterricht. In: K. Lindner/M. Schambeck/H. Simojoki/E. Naurath (Hg.): Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Konfessionell – kooperativ – kontextuell, S. 383–395. Freiburg i. Br.: Herder. Woppowa, J. (2015): Das Konfessorische als Stein des Anstoßes. Aspekte eines kritisch-­konstruktiven Gesprächs zwischen Komparativer Theologie und Religionsdidaktik. In: R. Burrichter/G. Langen­ horst/K. v. Stosch (Hg.): Komparative Theologie: Herausforderung für die Religionspädagogik. Perspektiven zukunftsfähigen interreligiösen Lernens, S. 15–30. Paderborn: Ferdinand Schöningh. Woppowa, J. (2016): Differenzsensibel und konfessionsbewusst lernen. Multiperspektivität und Perspektivenverschränkung als religionsdidaktische Prinzipien. Österreichisches Religionspädagogisches Forum, 24 (2), S. 41–49. Woppowa, J. (2017): Perspektivenverschränkung als zentrale Figur konfessioneller Kooperation. In: K. Lindner/M. Schambeck/H. Simojoki/E. Naurath (Hg.): Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Konfessionell – kooperativ – kontextuell, S. 174–192. Freiburg i. Br.: Herder.

Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Konfessionen

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Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Religionen Karlo Meyer

Wie kann Unterricht mit Schüler*innen aus ganz verschiedenen Traditionen ausgerichtet werden? Zum Teil mag dieser Unterricht (nicht selten in rechtlicher Grauzone) im Klassenverband erteilt werden, zum Teil mögen Schüler*innen unterschiedlicher Glaubensüberzeugungen am evangelischen oder jetzt auch am katholischen Religionsunterricht teilnehmen oder in Projektwochen gemeinsam unterrichtet werden. Unabhängig von dem Geflecht an Realitäten und Etiketten für den jeweiligen Unterricht schlage ich in diesem Artikel einige Grundsatzentscheidungen zur pädagogischen Klärung vor, die übergreifend über die institutionelle Verankerung zu verstehen sind. Vier Vorschläge werden in diesem Artikel entfaltet.

1  Vier Ausrichtungen interreligiösen Lernens Angesichts der Vielfalt religiöser Traditionen und einer Religionsgruppe mit sehr unterschiedlichen weltanschaulichen Hintergründen besteht Klärungsbedarf, welche von zahlreichen möglichen Zielen in einer Einheit fokussiert werden sollen: Geht es um eine Art Religionsdialog oder eher um religionswissenschaftliches Herangehen? Geht es darum, Wege guten, gemeinschaftlichen Auskommens zu finden oder weit mehr um gemeinsames Engagement in Sachen Religion? Auch wenn dies alles sich verbinden kann, gehört es zur didaktischen Klärung, diese Stellschrauben genauer unter die Lupe zu nehmen.

1.1  Didaktische Grundsatzentscheidungen Bei allen Varianten gehe ich von der grundlegenden didaktischen Entscheidung aus, dass die Schüler*innen möglichst aus einer rezipierenden Haltung heraus zu locken sind. Das bedeutet, dass sich die Lehrkraft nicht nur auf die mediale Darbietung von Wissen beschränken sollte, sondern Schüler*innen in interreligiösen Lernprozessen selbst aktiv werden lässt. 102

Grundsätzlich sollte dabei eine enge Verschränkung dieser Aktivierung mit lebensweltlichen Erfahrungen und gegebenenfalls auch mit Problemen erfolgen. Schüler*innen sollten nicht auf Sichtweisen »ihrer« Tradition festgelegt werden, sondern individuelle Sichtweisen einbringen und ihre eigenen Lernwege einschlagen. Gleichzeitig soll Minderheitenmeinungen genug Raum gegeben und die Integrität der Kinder und Jugendlichen gewahrt werden. Dabei sollten Differenzen und Fremdheitserfahrungen bewusst aufgenommen werden, um einerseits den Umgang mit Fremdbleibendem zu lernen, aber andererseits auch Impulse über den eigenen religiösen Bezugsrahmen hinaus zu ermöglichen.

1.2  Vier Zielrichtungen Unterhalb dieser allgemeinen Grundsätze können sich Zielakzentuierungen im Charakter erheblich unterscheiden. Zur Pointierung greife ich vier markante Ebenen heraus, auf denen Schüler*innen aktiviert werden können. Die Formulierungen sind dabei bewusst »professionell« gewählt und haben in der Schule eher utopischen Charakter, können aber gewissermaßen als »Idealprofile« die jeweilige Pointe fassen: Der Charakter des Unterrichts lässt sich deutlich unterscheiden je nachdem, ob es um Aktivierung der Schüler*innen (a) als Religionsforscher*innen, (b) als religionssensible Brückenmanager*innen, (c) als dialo­ gische Theolog*innen bzw. Philosoph*innen oder als (d) glokale [global-lokale] Akteur*innen in Sachen Religion geht: (a) Gemeinsames, forschendes Erkunden – das Profil der Religionsforscher*innen

Schüler*innen können nicht nur Wissen zur Vielfalt der Traditionen rezipierend aufnehmen oder als Insider*in darstellen, sondern auch selbst kleine Forschungen in Sachen Religion durchführen. In der Unterrichtsvorbereitung ist entsprechend gemeinsam mit der Klasse, mit Freund*innen und Verwandten der Schüler*innen auszuloten, was durch diese selbst, aber auch in der Nachbarschaft, durch Eltern, Geistliche und weitere Expert*innen eruierbar ist. Dies kann beim Mitbringen von Artefakten in der Grundschule beginnen, sollte aber später gerade im Sinne eines Forschungscharakters darüber hinausgehen und Interviews, eventuell kurze Filme von Ritualen etc. umfassen. Mit einem klaren Auftrag werden die Schüler*innen so selbst zu Akteur*innen erster Wissensaufbereitung. Dabei ist es sinnvoll, das Vorgehen gemeinsam zu besprechen und abzustimmen und so erste Grundlagen angemessener, forschender Herangehensweisen zu lernen. Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Religionen

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Da es als Religionsforscher*in jedoch nicht nur darum geht, Vorgehen abzustimmen und Wissen zu sammeln, besteht ein weiterer, eigener Akzent dieses Profils darin, das Interpretieren religiöser Phänomene anzubahnen (vgl. Jackson, 1993). So können Schüler*innen zwei, drei einschlägige Fragen selbst entwickeln und zum Beispiel muslimische Mitschüler*innen nach dem Kopftuch befragen. Aus den voraussichtlich sehr unterschiedlichen Stellungnahmen wählen sie besondere Positionen aus. Das Arbeitsbuch von Jochen Bauer (2003) kann Hintergründe klären. Ergebnis wäre die Einsicht in die Vielfalt religiöser Traditionen, in diesem Fall einer aus dem Islam, die von den Medien oft einlinig dargestellt werden. (b) Gemeinsames Managen von Begegnungen mit ihren Brücken und Gräben – als religionssensible Brückenmanager*innen

Begegnungen unter Schüler*innen verlaufen (z. B. auf dem Pausenhof) nicht immer harmonisch; dies betrifft auch religiöse Themen. Die Frage, wie unterschiedliche Menschen unterschiedlicher religiöser Traditionen miteinander auskommen, kann als Teilbereich des allgemeinen Sozialverhaltens gesehen werden, ist jedoch durch Sensibilitäten und die jeweiligen Verstehensgrenzen gegenüber religiösen Phänomenen ganz eigen geprägt und sollte daher auch (vor allem natürlich bei akuten Konflikten) im Religionsunterricht thematisiert werden. Dabei ist nicht nur das Repetieren von Regeln angemessener Umgangsweisen gefragt. Weiterführend ist die Frage, wie sich unterschiedliche Interessen auch von den Schüler*innen selbst »managen« lassen und wieweit es möglich ist, Fremdes, Widersprüchliches und Unverständliches in Sachen Religion stehen zu lassen. Jenseits akuter Konflikte haben konstruktive Projekte wie die Einrichtung eines Raumes der Stille auf dieser Ebene das Potenzial, Lernprozesse im Umgang mit Religiosität und Religiösem zu stimulieren, in denen Brücken und Gräben je vor Ort erst noch zu sondieren sind. Und auch die schlichte Frage, wie ich angemessen mit einem Gegenstand, einem Musik- oder Textstück aus einer anderen Religionsgemeinschaft angesichts deren Anhänger*innen umgehe, gehört in diesen Bereich, der schon in der Primarstufe diskutiert werden kann. Ziel ist es, in all diesen unterschiedlichen Varianten sowohl sensibel wie konstruktiv für die Gemeinschaft der Lerngruppe und der Schule wie gegenüber den Religionsgruppen zu agieren und dabei auch Anderssein und Unterschiedenheit bestehen lassen zu können.

Dies bedeutet zum Beispiel als Vorbesprechung des Besuches eines Hindutempels: Schüler*innen können diskutieren, wie sie sich als Gäste verhalten, wenn ihnen angeboten wird, am Ende ein Zeichen (»Punkt«) auf die Stirn zu erhalten; das Zeichen lässt sich mit Segen, aber auch mit einer Verbindung zur Gottheit 104

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deuten. Die meisten Schüler*innen fühlen sich der Gottheit jedoch vermutlich nicht verbunden. Was spricht dafür, das Angebot anzunehmen, was dagegen? Wie könnte man eine abschlägige Entscheidung angemessen dem Pudschari (Priester) vermitteln? Auch für Synagoge und Moschee lässt sich diskutieren, welche Verhaltensweisen unabdingbar sind (Kippa, Schuhe ausziehen), welche Interaktionen angemessen sein können und wie ich meiner Rolle als Gast angemessen Ausdruck verleihe?

(c) Gemeinsame philosophische und theologische Diskussionen – als dialogische Theolog*innen/Philosoph*innen

Charakteristisch für einen Religionsunterricht gegenüber bloßer Religionskunde ist es, sich nicht nur mit den ersten beiden Idealprofilen zufrieden zu geben, sondern auch Schüler*innen in theologische und philosophische Gespräche zu verwickeln, die sich aus Impulsen der unterschiedlichen Traditionen ergeben. Entsprechende Diskussionen können durchaus kontrovers sein und müssen nicht nur verbal geführt werden, sondern können auch andere gestalterische Formen umfassen. Im Sinne der Kinder- und Jugendtheologie (siehe Kammeyer/ Eisenhardt in diesem Band) werden nicht nur Sachverhalte und Vergleichsmöglichkeiten wahrgenommen, sondern in der Religionsgruppe selbst unterschiedliche Sichtweisen ausgetauscht und diskutiert – aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln und Traditionen heraus. Die Frage nach Tod, Sterben und dem, was danach kommt, spielt in allen drei abrahamischen Religionen eine große Rolle, die in Ritualen, Symbolen, Gegenständen wie einem Kruzifix und Heiligen Schriften Ausdruck findet. Schüler*innen können nach einer Erarbeitung damit in ein kreatives Gespräch treten, indem sie eine Skulptur oder Stele für einen Friedhof entwerfen, Elemente der verschiedenen Traditionen aufnehmen, aber sie vor allem auch in ein Gesamtkonzept integrieren, das ihrer eigenen Sichtweise entspricht und diese zum Ausdruck bringt. (d) Gemeinsames Engagement entdecken – glokale Akteur*innen in Sachen Religion

Schließlich steht die Schule nicht für sich, sondern in einem Kontext, der die unmittelbare Nachbarschaft, aber durchaus auch weitere Kontexte betreffen kann. Beispiele von Begegnungen aus dem Umfeld können dargestellt werden und deutlich machen, wie ein aktives Engagement aussehen kann; eventuell können die Schüler*innen im Rahmen von Schulandachten oder bei ähnlichen Veranstaltungen auch selbst aktiv die Nachbarschaft einbeziehen. In lokalen Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Religionen

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Aktivitäten wie denen zu Stolpersteinen (siehe zum Beispiel ein Schülerprojekt in Aachen unter www.aachen.de), in Dialogrunden oder bei der Initiierung von Schulandachten können Schüler*innen über den Dunstkreis schulischen Lernens hinaus in Beziehung mit außerschulischen Kontexten gebracht werden. Umgekehrt kann durch die Einladung von dialogischen Expert*innen nicht nur lokales, sondern auch globales Engagement von Initiativgruppen ersichtlich und als Möglichkeit eigenen Engagements einsichtig werden.

Bei der Einrichtung eines neuen Religionsraums in der Schule können Schü­ ler*innen in Kontakt mit verschiedenen Vertreter*innen der Religionsgemeinschaften in der Nachbarschaft und örtlichen Dialoginitiativen treten, um sich nach Möglichkeiten der Ausstattung zu erkundigen. Sie binden dabei auch Partnerschaftsprojekte nach Übersee ein, sodass am Ende lokale wie globale Elemente im Raum präsent sind.

Es dürfte deutlich sein, dass mit diesen vier Profilen jeweils deutlich andere Ansätze vorliegen, die eine je eigene Lernstruktur, Zielausrichtung und auch eigene Methoden mit sich bringen – je nachdem, ob das gemeinsame Forschen im Vordergrund steht, das Philosophieren, das religionssensible Lernen an Begegnungen oder das eigene Engagement in der Nachbarschaft. Erst innerhalb dieser Profile ist es dann sinnvoll, prozess- und inhaltsorientierte Kompetenzen zu unterscheiden. Die Differenz lässt sich allein schon an der Wahrnehmungskompetenz deutlich machen: als Wahrnehmung im Modus wissenschaftlichen Herangehens, als Sensibilität für existenzielle Fragen in einem fremden Kontext, als Gespür für Brücken und Gräben und damit verbundenen Ängsten oder stärker als Aufmerksamkeit und Ansprechbarkeit für ein mögliches glokales Engagement.

1.3  Verbundene Bezugswissenschaften Entsprechend diesen Ausrichtungen sind auch die Bezugswissenschaften als Grundlage der jeweiligen Unterrichtsplanung zu unterscheiden. Im Sinne eines gemeinsamen Forschens sind Herangehensweisen des Beobachtens und Deutens aufzunehmen, wie sie in der Religionswissenschaft üblich sind. Dabei geht es sinnvollerweise, wie beschrieben, nicht nur um deren Ergebnisse, sondern darum, dass die Schüler*innen einführende Methoden (Interviews führen, Sichtweisen innerhalb einer Tradition vergleichen etc.), aber auch das Interpretieren 106

Karlo Meyer

von Material erlernen. Beim Managen von Brücken und Gräben unterschiedlicher Traditionen sind einerseits auch aus der Religionswissenschaft Ergebnisse über Sensibilitäten, andererseits auch konkrete psychologische und soziale Hintergründe heranzuziehen (z. B. sind Ängste zu berücksichtigen, aber auch das Selbstverständnis als Minderheit), um gegenseitiges Verständnis anzubahnen und zum Beispiel Verhaltensmuster sachgerecht begleiten zu können. Theologie und Philosophie helfen in dem dritten Profil, auch hier nicht zuerst mit Satzwahrheiten, sondern strukturell mit einem Sinn dafür, existenzielle Fragen anzuvisieren und sensibel zu werden, etwa für den Umgang mit den großen Fragen nach dem Tod, dem Sinn und so weiter. In Belangen lokaler wie auch globaler (»glokaler«) Kontexte können schließlich gesellschaftliche und auch politische Erkenntnisse herangezogen werden, wozu auch ein sozialpolitischer Blick in die Nachbarschaft der Schule gehört. In allen Fällen wird deutlich, dass es auf der pädagogischen Ebene jeweils nicht nur um Materiales, sondern auch um das Wie des Zugangs gehen sollte.

2  Entwicklungen der Schüler*innen am Beispiel des sozialen Perspektivenwechsels Aufseiten der Schüler*innen und ihrer Entwicklung im Zuge interreligiösen Lernens (siehe zu allgemeinen Entwicklungsschritten Büttner in diesem Band) sei exemplarisch die Fähigkeit zum sozialen Perspektivenwechsel aufgenommen, also das Nachvollziehen und mit höherem Alter zunehmende Koordinieren verschiedener Sichtweisen. Sie spielt sicher in besonderer Weise beim »Managen von Brücken und Gräben« eine Rolle, doch auch für eine methodisch-­religionswissenschaftliche Annährung, sachgerechtes Theologisieren und ein tieferes Verständnis weiterer Zusammenhänge bedarf es des Hineindenkens und ins Verhältnissetzens unterschiedlicher religiöser Blickwinkel. In den 1980er Jahren hatte Robert L. Selman (1984) erhoben, wieweit in welchem Alter soziale Perspektivenwechsel möglich sind. Er unterschied vier Niveaustufen, die sich ungefähr über die ersten sieben Schuljahre entwickeln und jeweils eine höhere Komplexität mit sich bringen. Während auf der 1. Niveaustufe (ab fünf Jahren) der Blickwinkel einer anderen Person eingenommen werden kann und die Einsicht reift, dass andere Menschen Erfahrungen anders verarbeiten, als man selbst es tun würde, wird es frühestens ab einem Alter von sieben Jahren (Niveaustufe 2) möglich, auch rückbezügliche Schlussfolgerungen zu ziehen, also sich selbst im Blick des anderen zu sehen und daraus Konsequenzen auch für die Gefühlswelt beider Seiten zu ziehen. Während dieses Niveau noch von einem Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Religionen

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zweiseitigen Verhältnis ausgeht, wird es ab Niveaustufe 3 (frühestens zehn Jahre) auch möglich, aus der Sicht eines dritten das eigene Verhältnis zu einem anderen gewissermaßen von außen und mit seinen Außenwirkungen wahrzunehmen. Auf Niveaustufe 4 (ab zwölf Jahren) wird darüber hinaus das weitere Umfeld mitberücksichtigt und dieses als Netzwerk von Perspektiven entschlüsselt (Stettberger/ Bernlochner, 2013; Meyer, 2019). Dies lässt sich auf interreligiöse Fragen übertragen: Grundsätzlich kann schon im Elementarbereich ein Gespräch mit Menschen anderer religiöser Traditionen stattfinden (Hoffmann, 2009) und so auch ein erster Umgang mit Fremdem und Fremdsein zum Beispiel in Bezug auf religiöse Praktiken geübt werden. Ab Niveau 2 ist das Führen eines interreligiösen Dialogs insofern möglich, als »die daran Beteiligten sich über konfessionelle und religiöse Grenzen hinweg dergestalt ineinander hineinversetzen, dass sie ihre eigene Religion gleichsam mit den Augen des/der anderen betrachten können« (Bucher, 2006, S. 207) oder vorsichtiger formuliert zunächst: dass sie diese mit der Zeit zunehmend konturierter versuchen zu betrachten. Ab Niveau 3 kann das Gespräch miteinander selbst thematisch werden. Ab Niveau 4 können sich die Jugendlichen bei einem interreligiösen Dialog über die Einflüsse des Umfeldes auf Selbst- und Fremdbild bewusst werden und darüber, »dass mögliche Schwierigkeiten oder Missverständnisse durch die bisherige Geschichte der Intoleranz und Ausschließlichkeit bedingt sind« (S. 207). Letzteres ist für alle oben genannten vier Idealprofile von Belang. Über diese Stufenfolge hinaus gilt aber auch, dass es beim Perspektivenwechsel im interreligiösen Dialog nicht nötig ist, zu jeder Zeit das Niveau möglichst hoch zu halten. Es kann auch in höheren Klassen zunächst durchaus angemessen sein, sich auf der Ebene des ersten Niveaus zu bewegen und sich »in einen evange­ lischen Mitchristen, eine Buddhistin hineinzuversetzen, ohne dass dabei notwendig ist, sich selbst gleichsam mit den Augen des/der anderen wahrzunehmen« (S. 207). Im Sinne der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen sind gleichwohl auch Impulse sinnvoll, die auf ein jeweils höheres Niveau zielen, d. h. auf Niveau 1 schon auf Gegenseitigkeit hinzuweisen und auf Niveau 2 durch eine Außenperspektive Anstöße zu geben usw.

Jochen Bauer (2003) schlägt zum Thema Kopftuch ein Rollenspiel vor. In einer fiktiven Schulkonferenz sollen unterschiedliche Interessenvertreter*innen einer Schule diskutieren, ob eine hochqualifizierte muslimische Lehrkraft eingestellt werden soll, die auf das Tragen eines Kopftuches besteht. In den zugeteilten Rollen bekommen Ängste, Sorgen und Hoffnungen eine Stimme. Je nach den Niveaus kann das Nachgespräch vom einfachen Wechsel der Blickrichtung bis zur 108

Karlo Meyer

Frage nach Nachbarschaft, Gesellschaft, Selbst- und Fremdbildern sowie ihrer Vernetzung gehen (Niveau 4). Sinnvoll ist es über Bauer hinaus auch die Rolle der Lehrkraft (eventuell in einem zweiten Akt des Rollenspiels) zu besetzen, um nicht nur über sie, sondern auch mit ihr zu sprechen.

3  Lebendige Religion als Lernstoff – eine besondere Aufgabe Von Fragen der didaktischen Ausrichtung über die sich entwickelnden Fähigkeiten der Schüler*innen ist nun als drittes eine Konstellation zu fokussieren, die in einer besonderen Weise religiöse Themen betrifft: Entsprechende Themen sind gerade in einer interreligiösen Lerngruppe mit Sensibilitäten verbunden, die eng mit ihrer »Heiligkeit« oder – neutraler formuliert – ihrem jeweiligen religiösen »Verweisungs­charakter« verknüpft sind.

3.1  Der didaktische Begriff »Zeug-nis« Wenn Schüler*innen in interreligiöse Lernprozesse verwickelt werden, bildet sinnvollerweise ein konkretes Thema oder Phänomen einen ersten Fokus. Dies kann ein religiöser Text sein, ein religiöses Statement, ein Musikstück, ein Bild, Dogma, Gedicht, Ritual oder Gebäude oder eine Verbindung von all dem. Im originären Zusammenhang sind diese in einen spezifischen Kontext eingebettet, der sich wiederum mit einem Transzendenten, Heiligen oder Ähnlichem verbindet. Das konkrete Phänomen kann dabei dem Verständnis dieses Transzendenten oder der Verehrung, der Alltagsbewältigung mit Transzendenzbezug etc. dienen. Ohne dies im Einzelnen auszuführen, wird dieses Phänomen nun aus seinem religiösen Kontext in den der Schule transferiert: Es wird zum »Thema« einer Diskussion, zum schulischen »Lernstoff« und dient nunmehr einem pädagogischen (sekundären) Ziel als Lernmittel (als Beispiel: Suren des Korans werden zu einem stummen Impuls an der Tafel). Dies ist insofern didaktisch relevant, als Aspekte, um die es im religiösen Kontext bei dem Phänomen geht (z. B. Gottes Größe bewundern), und Varianten der originalen Rezeption (den Klang von Gottes Wort in sich aufnehmen), schulisch aus dem Blickfeld zu geraten drohen. Um dies bewusst zu halten, habe ich den Begriff des »Zeug-nisses« eingeführt (Meyer, 1999). Dieser stellt klar, dass das Phänomen in der Schule einem anderen Gebrauch unterliegt und dennoch auf den religiösen Kontext und dessen Gebrauch verweisen sollte, in dem es z. B. Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Religionen

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»Werkzeug« im Erleben eines Transzendenten oder Ähnlichem sein kann, während es in der Schule lediglich Zeuge davon ist. Es ist daher ratsam, mit dem jeweiligen Phänomen so umzugehen, dass auch den Schüler*innen bewusst bleibt, dass es neben dem schulischen Gebrauch einen originären, religiösen Kontext gibt, in dem zum Beispiel die Verehrung einer Gottheit auch ausgeübt wird; in diesem anderen Kontext werden Worte einer Heiligen Schrift nicht nur als Analyseobjekt auf einem Arbeitsblatt dargeboten, sondern rituell in Gebrauch genommen. Damit wird der Lernprozess auch den Kindern und Jugendlichen gerecht, für die diese zweite Seite auch in besonderer Weise präsent ist. Der religiöse Gebrauchszusammenhang mit einem den Schüler*innen mehrheitlich fremden Bezugspunkt kann z. B. medial inszeniert werden (als kontextklärende Geschichte, als Bilderfolge, die einen Verehrungszusammenhang darstellt usw., oder auch als eine musikalische Präsentation, die rituelle Zusammenhänge implizieren lässt). Gleichzeitig kann durch methodische Hinweise die Sensibilität gegenüber diesem fremden Bezug aufrechterhalten werden. Der Charakter als Zeug-nis eines anderen Kontextes bleibt so ersichtlich. Zwei methodische Hilfen sollen hier exemplarisch aufgenommen werden, die sich teilweise auch überschneiden und einige der vorangehend genannten Punkte vertiefen können; mit ihnen verbinden sich zwei verschiedene Ebenen: auf der methodischen Ebene sind »Fremdheitsmarker« eine Hilfe (3.2) und auf der Ebene der Erstellung von Material kann eine Herangehensweise stützend sein, die ich als Individuen- und Kontext-Orientierung bezeichne (3.3).

3.2 Fremdheitsmarker Fremdheitsmarker halten auf methodischer Ebene präsent, dass wir es im obigen Sinne mit einem Zeug-nis als einem religiösen Fremden zu tun haben und können schlicht darin bestehen, den Lese-, Seh- oder Hörfluss für einen Moment zu unterbrechen. Ein prägnantes Beispiel für Texte besteht darin, das Wort »Gott« nicht voll aus- oder anders zu schreiben. In jüdischer Literatur findet sich die Schreibweise »G’tt«, in islamischer zum Beispiel »GOTT«, »ER« usw. Darüber hinaus wird zum Teil in muslimischer Literatur der Prophet Muhammad mit den arabischen Buchstaben für »Friede sei auf ihm« versehen. Indem diese Verfremdungen auch in Unterrichtsmaterialien mit übernommen oder bewusst eingefügt werden, wird einerseits eine gewisse Schwelle für das jeweilige Wort geschaffen, die mindestens die Erstleser*innen kurz stocken lässt. Damit verbunden wird aber auch kenntlich gemacht, dass der Begriff »Gott« einen Verweisungszusammenhang mit sich bringt, der Menschen verschiedener Traditio110

Karlo Meyer

nen innehalten lässt. Die Erstbegegnung mit diesem Marker lässt Schüler*innen nachfragen und ermöglicht Klärungen, aber auch anschließende Diskussionen zu den entsprechenden religiösen Implikationen. Deutlich kann durch diese Unterbrechung auch die in den meisten großen Traditionen charakteristische Zurückhaltung, ja Fremdheitserfahrung gegenüber einem wie auch immer ausgedrückten Transzendenten werden. In derselben Linie kann es durchaus sinnvoll sein, mit den Schüler*innen über eigene Fremdheitsmarker ins Gespräch zu kommen, die sich an Ritualen des originalen Zusammenhangs orientieren (z. B. Händewaschen vor der Berührung des Koran), um nicht genau wie, aber ähnlich wie hier Muslim*innen ein Bewusstsein für die rituelle Würde einer Heiligen Schrift zu schaffen, aber auch den Verweisungszusammenhang als Zeug-nis eines Transzendenten bewusst zu halten. Auf diese Weise erfahren die Schüler*innen dieser Tradition, dass der originäre Gebrauchs- und Transzendenzzusammenhang und damit auch sie selbst als dessen Bezugspersonen gewürdigt werden. All dies kann in der Klasse gemeinsam mit Schüler*innen der entsprechenden Tradition entwickelt werden und schafft so ein Bewusstsein für die Bedeutung, die über den Gebrauch als Unterrichtsmaterial hinausweist (Meyer, 2013, S. 164–167).

3.3  Individuen- und Kontext-Orientierung Über die Marker hinaus ist es sinnvoll, die Kontexte inhaltlich transparent zu machen. Dies ist leider durchaus nicht immer der Fall: Objekte aus unterschiedlichen Religionen werden zum Teil in Koffern zusammengewürfelt, Bilder von religiösen Stätten zeigen menschenleere Räume, Worte Heiliger Schriften beschränken sich auf Arbeitsblatttexte. Die jeweiligen Kontexte und ihr Gebrauchs- und Verweisungszusammenhang geraten oft ins Hintertreffen – es entsteht der Eindruck musealer Kuriositätenkabinette, architektonischer Broschüren oder einer altertümlichen Gedichtsammlung. Die Chance von Lerngruppen mit unterschiedlichen Traditionen besteht darin, diesen Zusammenhang immer wieder personal herstellen zu können. Das heißt, dass Rifka in der Klasse jüdische Artefakte vorstellt, Aischa ihre Moschee, während eine Sure auch als Gebetstext von Ali deutlich wird. Doch auch in diesen Gruppen spricht einiges dafür, Rifka, Aischa und Ali von einem allzu großen Repräsentationsdruck zu entlasten. Dazu kann auf individualisiertes Unterrichtsmaterial zurückgegriffen werden, das diesen Gebrauchszusammenhang narrativ (Zimmermann, 2015) oder fotobasiert im Gebrauch eines anderen Kindes darbietet (Meyer, 2006, 2008). Der originäre Kontext wird dann nicht abstrakt konReligionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Religionen

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statiert, sondern in einer individuellen Variante transparent; zugleich bleibt für die anwesenden Schüler*innen dieser Tradition aufgrund der Individualität der dargestellten Kinder (statt lexikalischer Pauschalen) noch der Freiraum, eigene, andere Varianten eines Gebrauchs vorzustellen. Die Individuen- und Kontext-Orientierung schafft so den Zusammenhang zu einer präsenten Lebenswirklichkeit und lässt dem anwesenden Kind oder Jugendlichen die Freiheit, sich abgrenzend, übereinstimmend oder auch gar nicht unmittelbar zu verhalten.

Schüler*innen können Lea und Kazim durch Fotomaterial (Meyer, 2006) auf ihrem Weg in eine Moschee und eine Kirche Hildesheims begleiten. Sie lernen Kazims Moschee und seine Variante des Pflichtgebets sowie Leas Variante eines Abendgebets kennen. Kazims Gebet ist nicht identisch mit Alis Gebet: bei Kazim tritt noch ein Handschlag am Ende hinzu; Ali kann erzählen, wie er es anders macht. Lea gibt mit ihrer individuellen Variante Schüler*innen Raum, über eigene Einschlafrituale zu berichten, die auch bei christlichen Kindern nicht immer religiös ausgerichtet sein müssen. Lea und Kazim stellen sich gegenseitig ihre Praxis vor und ermutigen so auch Schüler*innen, sich über religiöse, wie auch säkulare Traditionen in ihrer Vielfalt auszutauschen.

3.4  Materialerstellung im Dialog Damit dies gelingt, ist es sinnvoll, bei der Materialerstellung mit lokalen Gruppen vor Ort zusammenzuarbeiten. Auf diese Weise fließt nicht nur eine einzige Perspektive ein, sondern es werden im Idealfall mehrere Perspektiven in Materialien einbezogen. Die spezifische Verstehenskultur der Lehrkraft wird so nicht allzu schnell verabsolutiert. Gleichzeitig wird im Sinne des Idealprofils des »Glokalen Akteurs« oder der »Glokalen Akteurin« auch den Schüler*innen bewusst, dass vor Ort Menschen verschiedener Traditionen schon zusammen Projekte angehen. Im Idealfall einer Projektwoche kann auch mit Schüler*innen unterschiedlicher Traditionen Material durch Fotos, Interviews, eventuell Video- und Musikaufnahmen, aber auch Erfahrungsberichte erstellt werden, das für spätere Lerngruppen die lokale Anbindung, individuelle Varianten und eben auch den Bezug zum Gebrauch im Blick auf ein Transzendentes deutlich macht.

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Karlo Meyer

Literatur zum Weiterlesen Bauer, J. (2001): Konfliktstoff Kopftuch. Eine thematische Einführung in den Islam. Ein Arbeitsbuch für die Sekundarstufe. Mühlheim: Verlag an der Ruhr. Meyer, K. (2006): Lea fragt Kazim nach Gott. Christlich-muslimische Begegnungen in den Klassen 2 bis 6. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Meyer, K. (2008): Fünf Freunde fragen Ben nach Gott. Begegnungen mit jüdischer Religion in den Klassen 5–7. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Sonstige Literatur Bucher, A. (2006): »Die beten auch«. Zur Entwicklung der Perspektivenübernahme. Religionsunterricht an höheren Schulen, 49 (4), S. 203–210. Hoffmann, E. (2009): Interreligiöses Lernen im Kindergarten? Eine empirische Studie zum Umgang mit religiöser Vielfalt in Diskussionen mit Kindern zum Thema Tod. Münster: LIT Verlag. Jackson, R. (1993): Religious Education and the Arts of Interpretation. In: D. Starkings (Hg.): Religion and the Arts in Education. Dimensions of Spirituality, S. 148–158. London: Hodder & Stoughton. Kirchenamt der EKD (Hg.) (1994): Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität. Eine Denkschrift. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Kirchenamt der EKD (Hg.) (2014): Religiöse Orientierung gewinnen. Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Meyer, K. (1999): Zeugnisse fremder Religionen im Unterricht. »Weltreligionen« im deutschen und englischen Religionsunterricht. Neukirchen: Neukirchener Theologie. Meyer, K. (2013): Methodische Überlegungen zur Einfühlung in fremde religiöse Traditionen – Chancen, Probleme und angemessene Wege. In: H. Stettberger/M. Bernlochner (Hg.): Interreligiöse Empathie lernen. Impulse für den trialogisch orientierten Religionsunterricht. Religionspädagogik und Empathie, Bd. 1, S. 155–173. Münster: LIT Verlag. Meyer, K. (2019, in Vorbereitung): Grundlagen interreligiösen Lernens. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Sajak, C. P. (2017): Ist der »Religionsunterricht für alle« die Lösung? Kritische Anfragen an einen neuen alten religionspädagogischen Hoffnungsträger. Religionspädagogische Beiträge, 77, S. 25–34. Stettberger, H./Bernlochner, M. (Hg.) (2013): Interreligiöse Empathie lernen. Impulse für den tria­ logisch orientierten Religionsunterricht. Religionspädagogik und Empathie, Bd. 1. Münster: LIT Verlag. Zimmermann, M. (2015): Interreligiöses Lernen narrativ. Feste in den Weltreligionen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Internetquelle http://www.aachen.de/de/kultur_freizeit/kultur/geschichte/nationalsozialismus/stolpersteine.html [12.01.2018].

Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Religionen

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Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Weltanschauungen Michael Domsgen

Dass im Religionsunterricht Schüler*innen mit unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Positionen sitzen, ist eine Binsenweisheit. Gleichwohl gewinnt diese Einsicht in religionsdidaktischer Perspektive erst in jüngerer Zeit verstärkte Aufmerksamkeit. Nachdem bereits seit den 1970er und 1980er Jahren unter den Stichworten der Didaktik der Religionen und des interreligiösen Lernens die Aufmerksamkeit für diejenigen Schüler*innen verstärkt wurde, die einer anderen Religion angehören, und in den 1980er und 1990er Jahren mit dem Begriff des ökumenischen Lernens die Bedeutung gewachsener Konfessionalität auch aufseiten der Schüler*innen intensiver bedacht wurde, scheint die Sensibilität für nicht religiöse Positionierungen erst in jüngster Zeit verstärkt in das Blickfeld des Interesses zu rücken.

1  Wahrnehmen: Was gilt es zu beachten? Dass Schüler*innen ohne Kirchenmitgliedschaft – und damit tendenziell außerhalb des Spektrums christlicher Positionierungen – am konfessionellen Religionsunterricht teilnehmen, ist an sich nichts Neues. In aller Regel jedoch handelt es sich hier um Minderheiten, die zwar anwesend, aber letztlich nicht prägend sind. Insofern geht man religionsdidaktisch gesehen bis heute stillschweigend von einer Mehrheit aus, die zwar oft keine Ahnung mehr von christlichen Glaubensinhalten hat, für die allerdings eine religiöse Verortung auch nichts Abstruses bedeutet. Anders ausgedrückt: Die christliche Religion mag für sie zwar zu einer »Fremdreligion« (Dressler, 2002, S. 13) geworden sein, die religiöse Weltsicht an sich ist davon jedoch nicht gleichermaßen betroffen. Dies aber kann heute nicht mehr selbstverständlich vorausgesetzt werden.

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1.1  Vorsicht vor zu schnellen Zuschreibungen Wie evangelische Schüler*innen sind Schüler*innen mit nicht-religiösen Weltanschauungen keine homogene Gruppe. Sie stehen zwar beispielhaft für eine Klientel, die die Prämisse einer wie auch immer im Einzelnen sich gestaltenden eigenen Religiosität nicht mehr teilt, dürfen aber hinsichtlich ihrer Positionierungen nicht über einen Kamm geschoren werden. Auch unter ihnen lassen sich Ansätze religiöser Offenheit oder vielleicht sogar einer religiösen Praxis finden, allerdings kann davon nicht selbstverständlich ausgegangen werden. Ein Großteil der Schüler*innenschaft – vor allem in Ostdeutschland – hat eine Sozialisation erfahren, bei der die Auseinandersetzung mit Religion keine Rolle spielte, weil sie aus einer nicht-religiösen Position heraus erfolgte. Man könnte sie als mehrheitlich areligiös beschreiben, wobei sie sich gar nicht als atheistisch, sondern vielmehr als untheistisch verstehen, weil sich die Frage nach Gott für sie schlichtweg nicht stellt (Stengel, 2004). Die Wahl der Begriffe hängt ganz stark davon ab, wie die Schwerpunkte gesetzt werden. Genau hier liegt ein wesentlicher Aspekt, den es – gerade im Religionsunterricht – zu beachten gilt. Die Spezifik des Faches ergibt sich aus einer bestimmten Perspektive der Lebensgestaltung und -deutung. Wenn man aber aus dieser Perspektive heraus die Position nicht-­religiöser Schüler*innen beschreiben will, kann das schnell zu kurz greifen. Denn der Versuch, nicht-religiöse Positionen aus der christlichen (oder auch allgemeiner: aus der religiösen) Perspektive heraus beschreiben zu wollen, steht einerseits in der Gefahr einer Defizitzuschreibung (»Wir glauben an Gott – sie glauben an nichts.«) und unterliegt andererseits der Versuchung einer heimlichen religiösen Aufladung (»Eigentlich sind sie ja auch religiös, sie wissen es nur nicht.«). Mit beidem jedoch wird man den Schüler*innen nicht gerecht. Neben die Wahrnehmung von Leerstellen (z. B. »Sie beten nicht.«) muss die Suche nach dem treten, was sie als Antworten auf die Grundfragen des Lebens verinnerlicht haben (z. B. »Was feiern sie, wenn wir Konfirmation feiern?«).

1.2  Positionierungen im Feld multipler Säkularitäten wahrnehmen Sehr hilfreich für den Versuch einer sensiblen Wahrnehmung vorhandener Einstellungen und lebensgestaltender Praktiken im Feld nicht-religiöser Weltanschauungen kann die Untersuchung religiöser Wandlungsprozesse sein, wie sie Monika Wohlrab-Sahr mit ihren Mitarbeiter*innen in Interviews mit ostdeutschen Mehrgenerationenfamilien vorgenommen hat. Mit dem Begriff der »agnostischen Spiritualität« (Wohlrab-Sahr/Karstein/Schmidt-Lux, 2009, S. 223) Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Weltanschauungen

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bezeichnen sie eine Haltung, die einen Transzendenzbezug mehr oder weniger abstrakt aufrechterhält, ohne ihn verbindlich inhaltlich-religiös zu füllen. Christliche Semantik ist nicht mehr anschlussfähig, aber auch der reine Atheismus wird als unbefriedigend wahrgenommen. Die agnostische Spiritualität ist synkretistisch angelegt und wird individuell durchaus als rational verstanden. Allerdings kann Wohlrab-Sahr eine solche Ausrichtung längst nicht bei allen Proband*innen beobachten. Insofern verdeutlicht diese Untersuchung neben den Chancen eines solchen Zugriffs auch deren Grenzen. Diese sind dann erreicht, wenn die zu beobachtenden spirituellen Dimensionen nicht mehr an das Selbstverständnis angeschlossen werden können. Ein zu weiter Religionsbegriff steht in der Gefahr der Überdehnung und vermag dann auch kaum Erhellendes beizutragen. Mit Blick auf einen großen Teil der Schüler*innen mit nicht-religiöser Weltanschauung scheint ein Mittelweg angezeigt zu sein, also einerseits ihren »säkularen Habitus« (S. 17) ernst zu nehmen und andererseits nicht vorschnell Vereindeutigungen einzuziehen. Letztlich handelt es sich hier um eine spezifische Art und Weise der Lebensgestaltung und -deutung, die von einer bewussten oder auch unbewussten Distanz der expliziten Religiosität gegenüber geprägt ist, die jedoch ganz ausgestaltet sein kann.

1.3  Überschneidungen im Blick haben Nicht-religiöse Positionen gehen oft mit einer Abnahme der kulturellen Prägekraft der christlichen Religion einher. Dabei spielt die Entkirchlichung eine wesentliche Rolle. Daneben ist jedoch auch die lebensgeschichtliche Dimension von Bedeutung. Denn im Vergleich von Jugendlichen und Erwachsenen zeigen sich Differenzen bei nicht-religiösen Positionierungen. Etwas holzschnittartig ließe sich sagen: Im Jugendalter kommen ganz unterschiedliche Perspektiven in der Auseinandersetzung mit und Distanzierung von eigener familialer Sozialisation zusammen. Die nicht religiös Sozialisierten, die sich tendenziell eher als areligiös verstehen, zeigen sich zumindest teilweise offen für religiöse Fragen und Themen. Diejenigen, die eine religiöse Sozialisation erfahren haben und der Religion gegenüber nicht abgeneigt sind, suchen eine Klärung, die auch oft mit Distanz einhergeht. Gemeinsam ist beiden Gruppen, dass sie in der Phase des Testens sind. Dabei spielt eine wesentliche Rolle, aus welchen Zugangspfaden heraus sich die nicht-religiösen Positionen ergeben. Sie bestimmen maßgeblich darüber, welche Tendenz im Testen unterstützt wird. Überhaupt muss man aufpassen, nicht zu schnell in Abgrenzungen zu agieren. So zeigt eine empirische Untersuchung unter 8000 Proband*innen von Feige 116

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und Gennerich, dass sich die alltagsethischen Wertvorstellungen (z. B. Kindererziehung, Partnerbeziehung, Umgang mit Konflikten) konfessionsloser und konfessionsgebundener Jugendlicher kaum unterscheiden. Dabei sind auch die Unterschiede zwischen Ost und West nicht signifikant. Differenzen lassen sich allerdings dann aufzeigen, wenn auf eine religiöse Semantik Bezug genommen wird. Bei explizit religiösen Fragen können konfessionslose Jugendliche dem jeweiligen Aussagegehalt kaum zustimmen (Feige/Gennerich, 2008; Streib/Gennerich, 2011). Die Bezeichnung »konfessionslos« bzw. »nicht-religiös« steht hier nicht für eine ganz andere Einstellung, sondern vielmehr für eine spezifische Annäherungsweise oder anders ausgedrückt für einen bestimmten Zugangspfad, der nicht von christlichen Impulsen geprägt wurde.

2  Urteilen: Was heißt das religionsdidaktisch? 2.1  Die prägenden Sozialbeziehungen und Kontexte beachten Schulische Bildung und familiale Sozialisation sind aufs Engste miteinander verbunden. Diese Erkenntnis ist nicht neu, bekommt aber hier eine besondere Bedeutung, insofern damit auf Vermittlungsleistungen verwiesen wird, die den Schüler*innen abverlangt werden. Religionsdidaktisch ist sensibel danach zu fragen, »welchen inhaltlichen Steuerungseinflüssen die Lernenden (und Lehrenden) in der Vielfalt der Lernbotschaften, die letztlich von Menschen veranlasst werden, unterliegen« (Koerrenz, 2012, S. 76). Hier ist von grundlegender Bedeutung, ob die Religionsunterrichtsinhalte bestätigt, konterkariert oder einfach nur als belanglos wahrgenommen werden. Im Religionsunterricht ist immer auch die gesellschaftliche Wirklichkeit mit im Raum und bestimmt maßgeblich mit über den Erfolg des didaktisch Intendierten. Denn jede Kommunikation bezieht sich auf »ein Wissen von Wirklichkeit, das jeweils kulturell und gesellschaftlich relativ ist« (Grethlein, 2016, S. 196), also nicht überall gleich ausfällt. Religionsunterricht ist deshalb immer auch kontextuell zu profilieren (siehe auch Simojoki in diesem Band). Mit Blick auf die hier interessierende Perspektive kommt – vor allem, aber nicht nur in Ostdeutschland – dazu, dass Schüler*innen mit nicht-religiösen Weltanschauungen oftmals dem Christentum im Unterricht (bestenfalls) im Status einer möglichen Option, im familialen Nahumfeld jedoch einer areligiösen bzw. untheistischen Lebensdeutung und -gestaltung im Status gelebter Praxis begegnen. Dabei haben mögliche Lebensdeutungen gegenüber bereits praktizierten einen schweren Stand. Sie können zwar reizvoll sein, müssen sich aber entReligionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Weltanschauungen

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gegen der Macht des Faktischen erst einmal bewähren. Dass es dazu kommt, ist alles andere als selbstverständlich. Wie empirische Untersuchungsergebnisse im Religionsunterricht Sachsen-Anhalts zeigen, hängt die Einschätzung der Inhalte stark von der Sozialisation ab (Domsgen/Lütze, 2010). Bei der Gruppe der christlich-religiös Sozialisierten lässt sich eine größere Offenheit explizit christlich-religiös bestimmten Themen gegenüber erkennen. Sich über Gott und Jesus Christus zu verständigen, steht für sie an oberster Stelle im Religionsunterricht. Das hat auch damit zu tun, dass ihnen diese Themen zumindest vom Grundansatz her vertraut und sie – wenngleich in individuell abgestufter Weise – lebensweltlich relevant sind. Bei denen, die sich selbst als nicht gläubig verstehen, fehlt dieser lebensweltliche Bezug. Das führt dazu, dass diejenigen, die sich nicht als gottesgläubig bezeichnen, wenig Wert auf das religiöse Profil des Religionsunterrichts legen. Sie erwarten von ihm am ehesten die Auseinandersetzung mit lebensweltlichen Problemen, sind aber insgesamt gesehen deutlich zurückhaltender in der Benennung von für sie relevanten Themen. Unterrichtspraktisch resultiert daraus ein verstärktes Bemühen um eine Sprache, die explizit religiöse Themen auch für Nicht-Religiöse nachvollziehbar macht. Was das konkret bedeutet, lässt sich bei Hans-Martin Barth sehen, der den Versuch unternommen hat, zentrale christliche Texte in nicht-traditionell-­ religiöser Sprache zu formulieren. Für das Vaterunser macht er folgenden Vorschlag: »In dem Vertrauen, das sich uns durch Jesus von Nazareth und seinen guten Geist vermittelt, sind wir gewiss, dass unsere Sehnsucht in Erfüllung geht: Geehrt, gewürdigt und geschützt werde das Geheimnis des Daseins, die Quelle aller Energie und Orientierung für ein frohes, heiteres, sinnhaftes Leben. Tatkraft und Engagement für eine bessere Welt werden wachsen und sich durchsetzen. Was dazu geschehen muss, soll geschehen, so weit möglich auch mit unserer Hilfe. Wir hungern nach Leben. Dankbar für alles, was uns täglich zuteil wird, sind wir bereit, davon weiterzugeben. Wir leben davon, angenommen zu sein und an unserem Versagen nicht scheitern zu müssen. Unsere Schuld wird uns vergeben sein, wie auch wir uns verpflichtet sehen, denen zu vergeben, die an uns schuldig geworden sind. Wir vertrauen darauf, in den Herausforderungen des Lebens nicht unterzugehen. Von dem Bösen in uns und um uns werden wir frei werden; daher können wir ihm Widerstand leisten. Vertrauen, Lieben und Hoffen, wie es an Jesus sich zeigt, ist eine Kraft, die wir spüren können. Sie macht uns gewiss, dass am Ende alles gut sein wird. Ja!« (Barth, 2013, S. 172 f.)

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2.2  Die Spezifik der christlichen Lebensdeutung und -gestaltung im Blick behalten Wer einmal versucht, sich in die Perspektive von Schüler*innen hineinzuversetzen, die nicht von Kindesbeinen an mit christlichen Deutemustern und Riten in Berührung gekommen sind, wird schnell feststellen, wie voraussetzungsreich strukturierte religiöse Bildungsprozesse in Schule und Gemeinde sind. Geradezu durchgängig werden religiös geprägte Sprachspiele und mehr oder weniger zustimmende Positionierungen dazu vorausgesetzt. Was sich an Herausforderungen ergibt, wenn davon nicht ausgegangen werden kann, zeigt eine kleine Studie unter Religionsschüler*innen in Sachsen-Anhalt, die zu ihrem Verständnis des Satzes »Jesus ist für uns gestorben« befragt wurden (Schubert, 2012). Dabei ist schon die Fragestellung für die Befragten nur schwer nachvollziehbar. »›Das ist alles schon sehr kompliziert‹, schreibt eine Schülerin. ›Er starb für seinen Glauben. Der Glaube ist das Christentum. Das Christentum sind die Menschen. Doch der Gedanke, dass er für uns, mich, euch gestorben ist, klingt so weit hergeholt, dass es unglaubwürdig wirkt.‹ Und eine andere stellt fest: ›Lebten wir denn schon zu Jesus Zeit, dass er für uns sterben konnte? Nein, wir leben jetzt, also ist dieser Ausdruck/Aussage einfach falsch und völlig unbegründet.‹ Was für einen Christen, wenn nicht restlos verstanden – wer hat schon verstanden, was es heißt: Jesus ist für uns gestorben? –, dann aber doch jedenfalls sehr vertraut ist, scheint den ostdeutschen Jugendlichen geradezu absurd: Dass ein antiker Todesfall eines bekannten Religionsgründers irgendetwas mit ihnen, Kindern des 21. Jahrhunderts, zu tun haben sollte. Es fragt ja auch niemand, warum ein Mose oder ein Sokrates gestorben ist; und welche Verschwörer Caesar ermordet haben, lernt man in der Schule bestenfalls für eine Klausur auswendig.« (Lütze, 2017, S. 4) Wenn unter Verweis auf Anselm von Canterbury, der in Lehrplänen durchgängig zu finden ist, von der »fides quaerens intellectum« gesprochen wird, also vom Glauben, der nach Einsicht sucht, dann ist häufig zu wenig im Blick, dass diese denkerische Durchdringung letztlich eine ist, die vom Glauben ausgeht. Demzufolge wird das »credo ut intelligam« (»ich glaube, damit ich verstehe«) als rationale Begründung des Glaubens oft zu nahtlos als Programm zur Möglichkeit einer rationalen Durchdringung gesehen. Religionen allerdings – und die christliche Religion ist hier ausdrücklich einzuschließen – sind »nicht durchgehend logisch« (Lütze, 2017, S. 5). Zwar lässt sich innerhalb des Systems logisch argumentieren. Aber dass es dabei um mehr geht, dass »darin etwas für unser gegenwärtiges Leben Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Weltanschauungen

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Bedeutsames ausgesagt wird: Das ist mit denkender Logik nicht nachzuvollziehen; das ist ein Mysterium, das erst im glaubenden Vollzug plausibel wird« (S. 5). Im Religionsunterricht tritt dieses spezifische Verhältnis von Glaube und Denken besonders deutlich hervor, wenn Schüler*innen mit nicht-religiösen Weltanschauungen in der Logik schulischen Lernens – und das heißt im Modus des Faktenlernens – an religiöse Fragen heranzugehen. »Der Tod Jesu als Sühne für die Sünde, als Freikauf oder als Tod des zweiten Adam: Das ist, solange ich niemanden kenne, für den das persönliche Bedeutung hat, im Grunde doch ziemlich absurd« (S. 5). Religionsunterricht kann auf diese Weise sehr schnell zur Bestätigung dessen werden, was man immer schon geahnt hat, dass nämlich eine religiöse Weltdeutung und Lebensgestaltung letztlich nicht plausibel ist. In hilfreicher Weise irritiert werden können solche Vorannahmen beispielsweise in der authentischen Begegnung, weil hier die Verbindung von Lebens- und Glaubensperspektive erlebbar vor Augen tritt und von den Schüler*innen auch nachgefragt werden kann.

In der Thematisierung christologischer Entscheidungen der frühen Christenheit ist beispielsweise darauf zu achten, dass die dabei gewonnenen Erkenntnisse (z. B. »wahrer Gott und wahrer Mensch«) konsequent auf ihre Bedeutung für Leben und Glauben der Christen damals und heute durchbuchstabiert werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die entsprechenden christologischen Festlegungen auf der Ebene des Faktenwissens verbleiben und nicht in den Bereich des Orientierungswissens vorzudringen vermögen.

2.3  Einen gemeinsamen Verständigungsgrund suchen Die Teilnahmemotive am Religionsunterricht sind ganz unterschiedlicher Natur. Herausfordernd sind hier nicht zuletzt diejenigen Schüler*innen, die der christlichen Religion nicht im Modus des interessierten Fragens, sondern eher im Modus der Gleichgültigkeit oder der selbstverständlichen Distanz begegnen. Der Religionsunterricht hat hier im Rahmen einer »Hermeneutik […] des erst zu suchenden Einverständnisses« (Nipkow, 1992, S. 383) zu agieren. Lerntheoretisch stellt sich damit die Frage der Motivation zur Auseinandersetzung mit christlicher Religion mit besonderer Dringlichkeit. Sie steigt, wenn Schüler*innen die Unterrichtsinhalte als relevant erleben. Vor diesem Hintergrund erhält eine Zielperspektive neues Gewicht, die man als Suche nach lebensweltlichen bzw. biografiebezogenen Quellen religiösen Fragens beschreiben könnte. Letztlich geht 120

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es darum, den oft als gravierend wahrgenommenen Graben zwischen religiösen und nicht-religiösen Deutungsmustern zu überbrücken. Sollen christliche Deutemuster als relevant für die eigene Lebensführung erscheinen, müssen sie neu dynamisiert werden. Mit Heinrich Roth gesprochen geht es darum, »tote Sachverhalte in lebendige Handlungen rückzuverwandeln, aus denen sie entsprungen sind: Gegenstände in Erfindungen und Entdeckungen, Werke in Schöpfungen, Pläne in Sorgen, Verträge in Beschlüsse, Lösungen in Aufgaben, Phänomene in Urphänomene« (Roth, 1949, S. 108). Ein Großteil der biblischen Texte, theologischen Denkfiguren oder bildlichen Darstellungen lässt sich als Resultat von Deutungsprozessen, mit Roth gesprochen als geronnene Lösungen bezeichnen. Für viele bleibt dabei nicht selten unklar, auf welche Frage, auf welches Lebensproblem oder Dilemma, auf welche Erfahrung von Glück oder Schicksal diese Lösungen eine Antwort suchen. Darauf ist verstärkt zu achten. Was das konkret bedeuten kann, lässt sich beispielsweise bei Gundula Rosenow nachvollziehen. Sie arbeitet in der Kursstufe mit existenziell bedeutsamen Erlebnissen der Schüler*innen.

Der Arbeitsauftrag lautet dabei: »Schildern Sie ein tiefgreifendes Erlebnis, das Sie positiv oder negativ nachhaltig beeinflusst hat. Was haben Sie dabei gefühlt? Dieses Ergebnis muss nicht als religiös empfunden worden sein« (Rosenow, 2016, S. 159). Dadurch kann sich jeder »als kompetenter Gesprächspartner ohne defizitäre Zuschreibungen« (S. 282) einbringen. Zudem führen die notierten Erlebnisse zu einer Intensivierung der unterrichtlichen Kommunikation, weil damit die Schüler*innen selbst im Mittelpunkt stehen. Der Religionsunterricht gewinnt auf diese Weise an Bedeutsamkeit. Das gilt auch dann, wenn sich die Jugendlichen nicht zu einer religiösen Selbstpositionierung entscheiden können. Unerlässlich dafür ist ein offenes Gesprächsklima sowie die Bereitschaft, Schüler*innen­äußerungen zum »Unbedingten« und »Unverfügbaren« auch sprachlich offen zu lassen.

2.4  Die Relevanzfrage in den Mittelpunkt stellen Eine kulturelle Übereinkunft hinsichtlich der Relevanz des Religiösen im Allgemeinen und des Christlichen im Besonderen ist für den überwiegenden Teil heutiger Menschen nicht mehr gegeben. Relevanz wird hier letztlich zur Schlüsselkategorie. Relevant ist, »was beim Individuum Aufmerksamkeit erhält« (Hauschild/ Pohl-Patalong, 2013, S. 110). Nach diesen Aufmerksamkeiten ist verstärkt zu Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Weltanschauungen

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suchen. Dabei zeigt sich einmal mehr, dass Menschen immer schon von eigenen, im Laufe ihrer Lebensgeschichte erarbeiteten Antworten und Lebensentwürfen her leben. Diese sind zu thematisieren und mit den Antwortversuchen der christlichen Tradition in Beziehung zu setzen. Gundula Rosenow spricht hier von einer »Didaktik der Potenzialität«, bei der es letztlich darum geht, diese »Potenzialität für einen zukünftigen lebensbegleitenden Interpretationsprozess offen zu halten« (Rosenow, 2016, S. 284). Konkret bedeutet das, Deutungen der Schüler*innen als solche stehen zu lassen und damit zu rechnen, dass diese veränderbar sind. Theologisch lässt sich das als ein Unterrichten im Horizont der Unabschließbarkeit der Gottesrede auf dem Hintergrund des Bilderverbotes verorten.

Unterrichtspraktisch gewinnt das Gestalt, wenn die Schüler*innen beispielsweise in der Auseinandersetzung mit Psalmen oder von ihnen selbst eingebrachten Texten »eine fehlende Anrede als authentischer« (S. 283) empfinden, also auf der Ebene der Unbestimmtheit verbleiben und die von ihnen angedeutete Trans­ zendenz »sprachlich leer« (S. 283) bleibt. Aber genau das ermöglicht eine Annäherung in Distanz und unterstützt letztlich die Bereitschaft, die »Potenzialität für einen zukünftigen lebensbegleitenden Interpretationsprozess offen zu halten« (S. 284).

Religionsunterricht mit Schüler*innen nicht-religiöser Weltanschauungen kann keine Einbahnstraße sein. Es geht nicht nur darum, Nichtreligiösen einen Zugang zur Religion zu vermitteln. Auch die Gegenrichtung ist im Blick zu haben. Diejenigen, die sich als religiös verstehen, sollen verstehen, was Menschen umtreibt, die diese Dimension nicht für sich annehmen. Eigenes und Fremdes sind miteinander in Beziehung zu setzen, wobei beides ineinander übergeht. Im Eigenen gibt es immer auch Fremdes. Und das Fremde kann mir manchmal sehr nahe sein. Das gilt für den Austausch zwischen den Religionen, aber auch für die Begegnung zwischen Menschen, die sich als gläubig und denen, die sich als nicht-gläubig verstehen, wie auch immer dabei die Verortungen im Einzelnen aussehen. Die Versuche Hans-Martin Barths, traditionell-religiöse Begriffe und Texte in nicht-religiöser Sprache zu formulieren, machen das deutlich. Einerseits kann das zu einer gewissen Ernüchterung führen (»Mehr ist es also nicht?«). Andererseits tritt damit die Herausforderung zur ganzheitlichen Betrachtung umso deutlicher vor Augen. Sowohl die religiöse als auch die nicht-religiöse Sprache haben ihre Chancen, aber auch ihre Begrenzungen und können den Bezugsgegenstand nur ansatzweise beschreiben. Deshalb kommt es darauf an, beide Sprachen zu beherrschen und »zugleich über die jeweiligen Einseitigkeiten von beiden« (Barth, 2013, S. 174) hinauszuweisen. 122

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3  Handeln: Was haben Lehrkräfte zu beachten? Religionsunterricht mit Schüler*innen nicht-religiöser Weltanschauungen stellt in religionsdidaktischer Hinsicht keinen absoluten Sonderfall dar. Viel lässt sich hier aus dem interreligiösen Dialog lernen. Allerdings treten dort Menschen miteinander in einen Dialog, die sich zumindest in einem weiten Sinne als religiös verstehen. Davon kann beim Religionsunterricht mit Schüler*innen nicht-religiöser Weltanschauungen jedoch nicht ausgegangen werden. Welche Herausforderungen das mit sich bringt, zeigen nicht nur die Schüler*innenäußerungen zum Kreuzestod Jesu. Wenn muslimische Frauen ein Kopftuch tragen oder jüdische Jungen beschnitten werden, kann das von Menschen, die sich als nicht religiös verstehen, oft nur einlinig decodiert werden, also beispielsweise als Ausdruck der Unterdrückung von Frauen oder als Körperverletzung. Mit einseitiger Logik ist Religion aber nur bedingt beizukommen. Und ein Wechsel in die jeweils andere Perspektive scheint eben nicht so leicht vonstatten zu gehen. Das gilt vor allem dann, wenn man sich der emotionalen Verankerung bewusst ist, die unsere jeweiligen Positionen begleiten. Notwendig dafür aufseiten der Lehrkräfte ist eine Wahrnehmungskompetenz, die einerseits neu nach den sozialisatorischen Prägungen der Schüler*innen fragt und andererseits in der Lage ist, sie mit dem im jeweiligen Kontext allgemein Plausiblen in Beziehung zu setzen. Eng verbunden ist das mit einer Plausibilisierungskompetenz, die theologisch wie humanwissenschaftlich ausgerichtet ist und damit einhergeht, die eigene Position kommunizierbar zu machen und zwar so, dass einerseits grundlegende Perspektiven verständlich und nachvollziehbar werden und andererseits dies nicht auf Kosten fundamentaler Profilierungen geschieht. Da im Unterricht mit nicht-religiösen Schüler*innen nicht von einem selbstverständlichen Rückgriff auf ein wie auch immer im Einzelnen sich gestaltendes Gottes- bzw. Transzendenzverständnis ausgegangen werden kann, schwingt hier – bisweilen auch im apologetischen Sinne – die Herausforderung mit, dessen Sinnhaftigkeit zuallererst einmal plausibel zu machen. Religionsdidaktisch und -methodisch korrespondiert dies mit einer Offenheit für authentische Begegnungen (samt ihrem verstörenden Potenzial) und Lernortwechseln, durch die Schüler*innen die Gelegenheit geboten wird, religiöse Praxis aus erster Hand kennenzulernen. Zu initiieren ist also ein wechselseitiges Lernen. Das Ziel besteht dabei darin, die eigene Perspektive zu erweitern. Es geht um Annäherungen, die neue Perspek­ tiven eröffnen. Wir können nie die eigene Perspektive verlassen, um selbst ein Anderer zu werden. Deswegen sollte mit dem Begriff des Perspektivenwechsels sehr sorgsam umgegangen werden. Er eignet sich nur sehr bedingt für das, was Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Weltanschauungen

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realistischerweise möglich ist. Denn wenn wir in der Begegnung mit dem Fremden, die eigene Sichtweise erweitern, korrigieren oder mit neuen Impulsen bereichern, dann ist viel erreicht, wahrscheinlich sogar alles, was pädagogisch möglich ist. Das gilt für Lehrer*innen wie Schüler*innen gleichermaßen. Literatur zum Weiterlesen Domsgen, M. (2014): Sensibilisieren, vor Augen führen und plausibilisieren. Lerntheoretische und schulpädagogische Perspektiven. Zeitschrift für Pädagogik und Theologie, 66, S. 243–252. Lütze, F. M. (2014): Begegnungsmöglichkeiten schaffen – Der Konfessionsbezug des evangelischen Religionsunterrichts in einem mehrheitlich konfessionslosen Kontext. Ostdeutsche Perspektiven am Beispiel Sachsens. Zeitschrift für Pädagogik und Theologie, 66 (3), S. 283–293.

Sonstige Literatur Domsgen, M./Lütze, F. M. (2010): Schülerperspektiven zum Religionsunterricht. Eine empirische Untersuchung in Sachsen-Anhalt. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt. Dressler, B. (2002): Darstellung und Mitteilung. Religionsdidaktik nach dem Traditionsabbruch. Religionsunterricht an Höheren Schulen, 45 (1), S. 11–19. Feige, A./Gennerich, C. (2008): Lebensorientierungen Jugendlicher. Alltagsethik, Moral und Religion in der Wahrnehmung von Berufsschülerinnen und -schülern in Deutschland. Eine Umfrage unter 8000 Christen, Nicht-Christen und Muslimen. München: Waxmann. Grethlein, C. (2016): Praktische Theologie (2. Aufl.). Berlin/Boston: De Gruyter. Hauschild, E./Pohl-Patalong, U. (2013): Kirche. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Koerrenz, R. (2012): Religionspädagogik und Didaktik des Arrangements. In: T. Klie/D. Korsch/ U. Wagner-Rau (Hg.): Differenzkompetenz. Religiöse Bildung in der Zeit, S. 71–81. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt. Lütze, F. M. (2017): Christlicher Religionsunterricht – nichtreligiöse Schüler: Wahrnehmungen im konfessionslosen Kontext Ostdeutschlands. Masch. Nipkow, K. E. (1992): Bildung als Lebensbegleitung und Erneuerung. Kirchliche Bildungs­verantwortung in Gemeinde, Schule und Gesellschaft (2. Aufl.). Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Rosenow, G. (2016): Individuelles Symbolisieren. Zugänge zu Religion im Kontext von Konfessionslosigkeit. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt. Roth, H. (1949): Zum pädagogischen Problem der Methode. Die Sammlung. Zeitschrift für Kultur und Erziehung, 4, S. 102–109. Schubert, A. (2012): Für uns gestorben und nicht mehr von Belang? Eine qualitative Vergleichsstudie zu Deutungen Jugendlicher aus Sachsen-Anhalt und Bayern in Bezug auf den Kreuzestod Jesu Christi. Halle/Saale (Examensarbeit). Verfügbar unter: http://www.theo-web.de/onlinereihe/008_schubert.pdf [20.02.2018]. Stengel, F. (2004): Zwischen Abbruch, Umbruch und Aufbruch. Eindrücke zur kirchlichen Lage in der ostdeutschen Provinz. Deutsches Pfarrerblatt, 104 (9), S. 451–456. Streib, H./Gennerich, C. (2011): Jugend und Religion. Bestandsaufnahmen, Analysen und Fallstudien zur Religiosität Jugendlicher. Weinheim/München: Juventa-Verlag. Wohlrab-Sahr, M./Karstein, U./Schmidt-Lux, T. (2009): Forcierte Säkularität. Religiöser Wandel und Generationendynamik im Osten Deutschlands. Frankfurt a. M.: campus.

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Teil III Religionsdidaktische Ansätze für den Umgang mit konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt

Theologisieren mit Kindern Katharina Kammeyer

1  Theologisieren mit Kindern als religionspädagogischer Ansatz Der Ansatz »Theologisieren mit Kindern« nimmt die Fähigkeit von Mädchen und Jungen auf, Fragen und Deutungen, die eine transzendente Ebene betreffen, zu formulieren, zu gewichten und zu vertiefen. Hierbei gehen sie mit den Lehrpersonen sowohl von Alltagshorizonten aus als auch von Glaubensinhalten oder -praxis (mindestens) einer Religionsgemeinschaft, d. h. wie in allen Lernsituationen interagieren sie mit ihrer Umwelt. Das Bilderbuch »Mama, wie groß ist der Himmel?« kann solche Interaktionen aufzeigen und auch im Unterricht Impulse geben: »Als Pip noch sehr klein war, fragte er seine Mutter: ›Mama, wo ist eigentlich Gott?‹ ›Wo denkst denn du, dass er ist, Pip?‹ ›Im Himmel‹, sagte Pip. ›Aber, Mama, wo ist denn der Himmel?‹ Bevor sie antworten konnte, sagte Pip: ›Ich glaube, er ist dort‹, und zeigte mit dem Finger nach oben. ›Warum da oben?‹, fragte seine Mutter. ›Nämlich, weil unten die Erde ist. Aber oben ist der Himmel und im Himmel ist doch Gott. Und vom Himmel kann er herunterschauen und sehen, ob bei uns alles in Ordnung ist. […] Pip wurde ein bisschen größer und lernte dabei ein bisschen dazu. […] Und er staunte darüber, dass hinter dem Blau des Himmels der Mond ist und die Sonne und die Planeten … und das Weltall. […] ›Mama‹, sagte er, ›wie weit ist es bis zum Himmel? Ich hoffe, es ist nicht so weit, weil, wenn ich sterbe, dann möchte ich nicht so weit ins Weltall hinaus. Ich möchte ganz nah bei dir sein! […] Ich glaube, der Himmel fängt hier auf dem Boden an und geht ganz, ganz tief ins Weltall rein. Aber er reicht bis auf die Erde runter« (Sönnichsen/Liddle, 2003). Deutlich wird hier, wie sich die erste Antwort von Pip erweitert: Pip ist möglicherweise die Glaubenshoffnung begegnet, dass es ein Leben nach dem Tod »im Himmel« gibt, und er möchte sich selbst an diesem Ort mit seiner Mutter zusammen wissen. Theologisch formuliert spricht Gott hier in den Kontext der Kindheit hin127

ein und Kinder antworten aus diesem, a) im handelnden Umgang miteinander und mit der Umwelt, b) im Nachdenken und Vergleichen im Gespräch und c) in der Reflexion über dieses Handeln und Nachdenken. In einem weiten Verständnis von Kindertheologie stellen alle drei Formen ein Theologisieren dar; in einem engen Verständnis ist es vor allem die letzte Form, die eine Ebene der Metareflexion umfasst. Der Theologiebegriff wird nicht im akademischen Sinne gebraucht. Gleichwohl stellt er die Fähigkeit von Kindern heraus, sich zu ihrem Erleben und Denken zu verhalten und beides mit der Frage nach Gott deutend zu verbinden. Kindertheologie betrifft neben der Frage nach Gott die eigene Identität, das Zusammenleben, die Gerechtigkeitsthematik und das Verschiedensein der Menschen, die Zukunft, Leid, Trauer und Krankheit, den Anfang der Welt, den Tod und das Danach, auch die Entstehung von Sprache und das Unendliche und Unvorstellbare (Oberthür, 1995). Folgende Motivationsebenen gehen hierbei nicht selten ineinander über: Es kann sich um eine Sachfrage handeln, zu deren Weiterführung ein Sachbuch oder -film geeignet sind. Eine Frage auf der Beziehungsebene hingegen verlangt nach seelsorgerlichem Zuhören und Ermutigung. Vor allem, wenn es jedoch um ein exploratives und analytisches Entwickeln eines Spektrums an Fragen und Antworten geht, dann ist Gelegenheit zum Theologisieren, d. h. zunächst dazu, dem Kind die Frage zurückzugeben (Zoller-Morf, 2010). In dem Bewusstsein, dass es auf »große Fragen« nicht eine einfache und keine entscheidbare Antwort geben kann, gilt es jeweils eigene, selbst zu vertretende Antworten zu finden. Hierzu ist ein motivierender und schützender Vertrauensraum nötig sowie eine Gesprächsführung, die in einem grundsätzlich zieloffenen Gespräch keine Antworten suggeriert, sondern tatsächlich Denk- und Handlungsräume öffnet (hierzu etwa Freudenberger-Lötz, 2007). Zur Vorbereitung geplanter Gespräche gehört eine Klärung darüber, welche Aspekte einer Thematik in der Lebenswelt von Kindern und in der theologischen Tradition vorkommen. Die Jahrbücher für Kindertheologie und das Handbuch Theologisieren mit Kindern (Büttner/Freudenberger-Lötz/Kalloch/Schreiner, 2014) sind hierfür sehr hilfreich. Für unser Beispielthema zeigt sich (Reis, 2014): Biblisch kann der Himmel als ein »Bahnhof« zur Begegnung von Gott und Mensch verstanden werden; Engel, der Heilige Geist, Jesus Christus selbst kommen vom Himmel herab, Propheten steigen in Visionen zum Himmel hinauf und auch Jesus Christus fährt wieder auf zum Vater. Weiterhin gilt der Himmel als der Ort Gottes, von dem aus er das Leben auf der Erde ordnet (z. B. Ps 2,4). Eine dritte biblische Linie bezieht sich auf die im Missionsauftrag formulierte Macht, die dem auferstandenen Jesus »im Himmel und auf Erden« gegeben ist. Gemeint ist hier, dass Himmelsmächten, die sich bedrohlich gegen die Menschen richten, nun die Macht genommen ist. So wird das Weltbild nicht nur in »oben und unten« geordnet, sondern in eine 128

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Hoffnungsqualität gestellt, nach der das lebensfreundliche Reich Gottes, das im Himmel schon errichtet ist, seine Wirklichkeit auch auf die Erde erstrecken wird. Junge Kinder haben oft eine archaische Himmelsvorstellung, nach der Gott in einem konkret gestalteten Raum wohnt. Später nehmen sie an, dass sich Gott als unsichtbarer Weltraumgott im »sky« bewegt und können auch eine metapho­ rische Vorstellung bilden, die Gottes »heaven« vom »sky« unterscheidet. Von den genannten biblischen Bildern greifen Kinder, und auch das zitierte Buchbeispiel, vor allem das vom Himmel als Ort Gottes auf bzw. sie verstehen den Himmel als »Gegenort zur Nomalrealität und als Hoffnung für ein zukünftiges Leben« (Reis, 2014, S. 286). Darüber hinaus die Dynamik zwischen Himmel und Erde zu eröffnen und »sky« und »heaven« als Wirklichkeitsebenen für das Diesseits bedeutsam zu unterscheiden, sind also Unterrichtsaufgaben. Die Rollen der Lehrperson im Theologisieren wechseln zwischen der »Beobachter*in«, »Moderator*in« und »Expert*in« (Freudenberger-Lötz, 2007). Als Beobachter*in nimmt sie die Zugänge der konkreten Lerngruppe wahr, d. h., ob und wie sie Gott und Gottes Aufgaben im Blick auf »Himmel und Erde« verortet (Theologie von Kindern). Nachfragen wie »Was meinst du damit? Kannst du mir … genauer erklären? Hast du … schon einmal erlebt oder hast du davon durch jemanden gehört?« sind hierfür hilfreich. Als Moderator*in geht es darum, in einem durch Gesprächsregeln geschaffenen Vertrauensraum die Beiträge der Kinder aufeinander zu beziehen (Theologie mit Kindern). Die Lehrperson lässt die Kinder nach Beispielen und Gegenbeispielen suchen und Annahmen und Folgerungen überprüfen, entscheidet, was aufgegriffen bzw. zurückgestellt wird und bündelt Antworten. Als Expert*in kann sie Beiträge von Kindern vor dem Hintergrund der eigenen theologischen Vorbereitung wiedererkennen und inhaltlich weiterführen, indem sie je nach Interesse und Hintergrund der Schüler*innen mithilfe verschiedener Methoden und Medien eine thematische Vertiefung anleitet (Theologie für Kinder; siehe Schweitzer, 2003). Die Lehrperson selbst in der Rolle einer / eines Suchenden zu erleben, motiviert viele Schüler*innen zu eigenständiger Urteilsbildung: »Die Erfahrung, das unterrichtliche Geschehen mit den eigenen Überzeugungen sowie Fragen und Zweifeln beeinflussen zu können, stärkt das Selbstvertrauen und Verantwortungsbewusstsein der Kinder« (Reiß/Freudenberger-Lötz, 2012, S. 137).

2  Theologisieren in heterogenen Lerngruppen In den letzten Jahren wurden Vielfaltsaspekte explizit im kindertheologischen Diskurs aufgegriffen (Bucher/Büttner/Freudenberger-Lötz/Schreiner, 2009; Büttner/ Kraft, 2014). Erste Forschungen zu gemischten Gruppen bzw. ein reflektierter Theologisieren mit Kindern

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Beobachtungsfokus auf Vielfalt liegen mit dem Band »Inklusion und Kindertheologie« von 2014 vor. Die Heterogenitätsperspektive umfasst den Anspruch, dass jedes Kind erwarten darf, dass diese Verschiedenheit nicht reglementiert oder abgewertet wird, sondern es ihr ohne Angst Ausdruck geben darf (Prengel, 2005). Selbstbeschreibungen und Zuschreibungen von außen sind sorgfältig zu unterscheiden. Die Grundeinsichten des Theologisierens vertiefen sich also durch den Fokus auf Vielfalt: Kinder können vor allen Dingen mit ihren eigenen Schwerpunkten in existenzielles Fragen und Deuten kommen und können religiöse Weltsichten entdecken und gebrauchen, wenn sich diese Subjektivität mit vielfältig ausgewählten theologischen Inhalten verbinden kann. Der Ansatz bietet sowohl Räume für individualisierende Binnendifferenzierungen als auch für die Kommunikation unter Verschiedenen.

2.1  Interkonfessionelles Lernen mittels Theologisieren Wenn Identität grundsätzlich unabgeschlossen gedacht wird, sind es vor allem die Lehrkräfte, die in einer konfessionell-kooperativen Lerngruppe als Anwälte »transparenter Positionalität« (Schröder, 2017, S. 38) handeln und über die Auswahl der Inhalte evangelische, katholische u. a. Konfessionalität einspielen. Im Gespräch wird sichtbar, ob sich ein Kind hiermit identifiziert oder nicht bzw. inwiefern Vorwissen oder Erfahrungen bestehen. Die »kindliche Kompetenz von Fragehaltung und Antwortversuch als Selbsttätigkeit, ihrem Glauben nachzufühlen und nachzudenken, wertzuschätzen« (Naurath, 2009, S. 62) und als Selbstbildungsprozess zu verstehen, zielt dabei weniger auf die Sozialisierung in eine Konfession, sondern auf das Kennenlernen einer bzw. mehrerer Konfession(en) und ein kritisches Ausloten und auch Hinterfragen verschiedener Ausprägungen von christlichen Weltsichten. Allen christlichen Konfessionen gemeinsam ist der Bezug auf das Evangelium, also die gute Botschaft der bedingungslosen Liebe Gottes. Im weiteren Sinne wird dies durch alle Zeichen der unbedingten Annahme repräsentiert, die die Kinder erfahren. Im engeren Sinne umfasst das Evangelium die Erzählungen der Begegnungen Jesu mit den verschiedenen Menschen, d. h. für unser Thema sind seine Reden vom Himmel, die Gleichnisse vom Reich Gottes als Himmelreich zentral. Mithilfe der dabei vorkommenden Bilder vom Senfkorn, dem Gastmahl oder den Arbeitern im Weinberg kann einerseits der Himmel als Ort und Verheißung von Liebe und Vertrauen, von der Sättigung der Bedürfnisse und dem Erleben von Gemeinschaft zwischen Menschen und Gott erfahren werden und andererseits kann die Spannung zwischen Verheißung und Wirklichkeit hinterfragt werden. 130

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Kindertheologisch kann dies mit der Vater-Unser-Bitte »Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden« entfaltet werden: »Wie sieht es denn im Himmel aus, wenn Gott dort gerne ist? Und wie ist es dann hier unten, wenn das Versprechen gilt?« (Reis, 2014, S. 287). Oder: »Als Maria in den Himmel auffährt, trifft sie dort ihren Sohn Jesus wieder. Was könnte sie ihm erzählen, wie es mit den Jüngern weitergegangen ist?« (S. 286)

Im Gespräch können und sollen dabei konfessionelle Unterschiede benannt werden, es muss dabei jedoch nicht unbedingt um katholisches oder evangelisches »Eigenes« gehen. Mariä Himmelfahrt ist in der evangelischen Tradition kein Thema. Wichtiger als das Dogma ist hier jedoch ihre Aufgabe, die sie erfüllt, um Perspektiven vom Himmel und von der Erde her in beide Richtungen zu eröffnen. Auch Kinder ohne katholische Herkunftsfamilie können sich am Gespräch beteiligen. Wer es kann und möchte, kann andererseits explizit katholische Bezüge vornehmen. Hierbei wird deutlich, dass Maria für katholische Gläubige durchaus einen sehr unterschiedlichen Stellenwert besitzt. Die Zuordnung »katholisches Fest« allein würde die Diskussion also verkürzen anstatt eine innerkonfessionelle und interkonfessionelle Pluralität zu eröffnen. Insofern ist es sinnvoll, mehrfach konfessionsbezogene Angebote zu machen und inhaltliche Mehrperspektivität zu schaffen (Kammeyer/Reis, 2017).

Einen Bezug zu orthodoxer Frömmigkeit kann die Frage nach »himmlischen Orten« zu (Gottesdienst-)Feiern herstellen. Inwiefern kann eine Messe etwas vom Himmel zeigen? Dieser Impuls greift auf, dass orthodoxe Christ*innen in ihrer Gestaltung ein Stück Himmel erleben, kann darüber hinaus aber auch für Kinder, die andere (Schul-)Gottesdienste kennen, inspirierend und weiterführend sein. Eine orthodoxe Feier in ihrer Symbolfülle mitzuerleben oder zumindest als Filmbeitrag zu sehen, bereichert das Theologisieren.

2.2  Interreligiöses Lernen mittels Theologisieren Wie Inhalte verschiedener Religionen in ein kindertheologisches Gespräch eingespielt und diese aus Kindersicht interreligiös unterschieden, hinterfragt und gedeutet werden können, ist theoretisch noch wenig entwickelt. Grundprinzipien Theologisieren mit Kindern

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muslimischer, jüdischer u. a. Didaktiken auf den Ansatz des Theologisierens zu beziehen, ist derzeit ein Forschungsdesiderat. Sicherlich ist für gemeinsames Theologisieren auch eine gemeinsame Vorbereitung der erwachsenen Gesprächspartner*innen der verschiedenen Religionen notwendig zur inhaltlichen Klärung und Auswahl von Beobachtungsaufgaben, Zielen und Gesprächsimpulsen. Ein Thema wie die Himmelfahrt des Propheten Muhammad so zu verstehen, dass eine nicht-muslimische Lehrkraft es moderieren und als Expert*in vertiefen kann, ist komplex. Es ist also wünschenswert, mit zwei Repräsentant*innen zu theologisieren, wenn explizit Perspektiven von zwei Religionen im Theologisieren aufgenommen werden sollen.

Für Kinder mit Vorkenntnissen zu Muhammad bietet sich, hier in aller Kürze skizziert, die Erzählung seiner Himmelfahrt zum Theologisieren an: Muhammad erlebt in einer Zeit, in der er sich einsam und schutzlos fühlt, eine Reise in den Himmel; zuerst mit einem Tier, das einem Pferd ähnelt, bis Jerusalem, dann über eine Treppe in die Höhe. Er trifft andere Propheten und schließlich Gott. Gott trägt ihm auf, dass die muslimischen Gläubigen fünfmal täglich beten sollen. So getröstet kehrt er zurück auf die Erde. Mögliche Gesprächsimpulse können darauf zielen, der Wirkung dieser Reise auf Muhammad nachzugehen. Was hat sich für Muhammad hiernach verändert? Nicht jeder Mensch erlebt eine solche Reise, wenn er sich Gottes Nähe wünscht. Die Kinder können nach einem Hinweis in der Geschichte für eine andere Art Gottesnähe suchen: dort ist es das Gebet. Das rituelle muslimische Gebet wird sogar »Himmelfahrt« genannt. Was denkst du über diesen Trost? Wer oder was kann Menschen sonst trösten? Die Polarität von Gottes Nähe und Ferne kann mittels des Bildes von Gott im Himmel (im rituellen muslimischen Gebet blicken die Betenden z. B. auch nach oben) und des Bildes aus dem Koranvers, in dem es heißt, dass Gott dem Menschen näher ist als seine eigene Halsschlagader (Sure 50, Vers 16), entfaltet werden. Welches Bild passt zu deiner Vorstellung davon, wo Gott ist? Interreligiös können die verschiedenen Bilder vom Himmel, die aus den verschiedenen Quellen gewonnen werden, einander gegenübergestellt werden.

Ebenso wie der Ansatz der Kindertheologie nicht ein »Anderssein« der Kinder konstruieren will, ist es notwendig, auch im Gegenüber von Gesprächs­ teilnehmer*innen mit verschiedenen religiösen Hintergründen nicht in den wenig weiterführenden Dualismus »Wir und die Anderen« zu verfallen. Wünschenswert ist zumindest ein Bewusstsein dafür, dass das Ziel, Eigenes schärfer wahr132

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zunehmen, um den Preis erkauft wird, dabei zu idealisieren und Andere mit Zuschreibungen zu versehen, die zu Exklusion führen können (Möller, 2015). Es ist also notwendig, sich Machtverhältnisse, die die Gesprächsführung zwischen Erwachsenen und Kindern grundsätzlich und im Besonderen die Mehrheitsund Minderheitsverhältnisse ihrer religiösen Hintergründe betreffen, bewusst zu machen, sich vor Augen zu halten, wie schwer es ist, diese auszugleichen und deshalb diesen Zusammenhang mit den Kindern im Theologisieren selbst zu thematisieren.

2.3  Raum für weltanschauliche Unterscheidungen mittels Theologisieren Die Frage nach dem Himmel dient oftmals als Beispiel für die Unterscheidung verschiedener Wirklichkeitsverständnisse: Der naturwissenschaftlich beschreibbare Himmel, »sky«, ist das Firmament, den religiös formulierten »heaven« erhoffen Menschen als Ort Gottes bzw. erfahren ihn als Hoffnungshorizont auf der Erde. In diesem Sinne unter Gottes Himmel zu leben, ist dann ein Lebensgefühl, das in Anlehnung an Ps 36 in ein kindertheologisches Gespräch eingetragen werden sollte. Kann dies auch unter Teilnahme von Kindern ohne religiöse Sozialisation und Zugehörigkeit geschehen, ohne dass, z. B. auch aus Sicht der Philosophiedidaktik, eine Überwältigung und eine subtile Beeinflussung befürchtet werden muss, nach der unter dem Deckmantel der Subjektorientierung Kinder nur selbst formulieren sollen, was als Glaubenssatz schon feststeht (siehe Heinrich, 2017)? Gespräche mit Grundschul- und sogar Vorschulkindern zeigen, dass sie im Theologisieren nicht überwältigt werden, sondern Raum für eigene Positionen haben (Kammeyer, 2009). Eine Identifikation mit eingebrachten religiösen, ebenso wie wechselseitig mit skeptischen Perspektiven ist freilich möglich. Von daher sind immer auch Räume zur Distanzierung wichtig, was dann gut gelingt, wenn diese Zusammenhänge im Gespräch thematisiert werden:

Kinder lernen, dass Menschen zeitweise eine religiöse Perspektive einnehmen und zeitweise nicht bzw. beide Perspektiven kombinieren und dass wiederum einige Menschen auf eine Perspektive ganz verzichten. Praktisch geht dies eventuell über ein Gespräch zweier Astronaut*innen. Eine*r sagt: »Also, im Himmel zu sein, war ein grandioses Erlebnis, aber Gott habe ich da nicht gefunden.« Der/ die andere sagt: »Als ich von dort auf die wunderschöne Erde geblickt habe, habe ich mich gefreut, wie schön Gott diese Welt gemacht hat.« – Was denkst du dazu? Theologisieren mit Kindern

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Ähnlich kann auch mit der Frage danach, wann Menschen Hoffnung brauchen oder worauf sie hoffen bzw. was ihnen Kraft gibt, immanent und transzendent umgegangen werden: In einem alten Gebet, in Psalm 36 gibt es den Satz: »Gott, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Treue, so weit die Wolken gehen.« In welcher Situation könnten Menschen diesen Satz gesprochen haben? Kannst du ein Beispiel davon erzählen, als jemand einmal gütig oder treu dir gegenüber war? Das Wort »treu« bedeutet in der Sprache des Psalms das gleiche wie »wahr«. Wir reden auch von jemandem als einem »wahren Freund«, wenn wir einen »treuen Freund« meinen.

Für eine Lerngruppe mit Kindern, denen religiöse Weltanschauungen vertraut sind, und solchen, die selten oder nie Berührungen damit haben, sind theologische Gespräche daher eine hilfreiche Form des gegenseitigen Kennenlernens beider Perspektiven. Mit der Stärkung des informierten Selberdenkens des Kindes wirbt das Theologisieren quasi dafür, zugleich die Fähigkeit des kindlichen Gottvertrauens nicht abzuwerten, sondern zu schützen und zu fördern. Ziel des Theologisierens ist dabei wie im Religionsunterricht in evangelischer Perspektive grundsätzlich nicht Glaube oder Vollzug eines Bekenntnisses, sondern die Befähigung dazu, dieses für sich sprechen zu können (Schröder, 2017). Für alle Kinder mit oder ohne religiöse Glaubenshaltung ist es ein Lernzuwachs, Glauben und Wissen zu unterscheiden bzw. aufeinander zu beziehen. Niemand weiß, ob es Gott gibt, aber jede*r kann den eigenen Verstand (und nicht den anderer) gebrauchen, wenn er oder sie eine Glaubensperspektive einnehmen möchte. Grundsätzlich gilt es in jeder Vorbereitung eines theologischen Gesprächs zu prüfen, ob sich Kinder mit und ohne eingenommene Glaubenshaltung gleichermaßen beteiligen können und inwiefern Räume für hinterfragende und vertrauensvolle Perspektiven entstehen.

3  Potenziale und Grenzen In theologischen Gesprächen, in denen bewusst mit Verschiedenheit auf Ebene der Inhalte bzw. der anwesenden Kinder und Erwachsenen gearbeitet wird, wird positive Religionsfreiheit sichtbar: Die Kinder nehmen vielfältige Sichtweisen wahr, die sie zu ihren eigenen machen können, aber nicht müssen. Hierzu sind Gesprächsregeln, die Respekt gegenüber verschiedenen Perspektiven sichern, notwendig. Mit ihrer Hilfe kann das Theologisieren Beziehungen in einer heterogenen Gesprächsgruppe vertiefen, sei die Differenz konfessionsbezogen, religions134

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bezogen oder grundsätzlich die Weltanschauung betreffend. Andersherum kommt das Theologisieren dort an eine Grenze, wo der Gruppenzusammenhalt nicht stark genug für die Einhaltung dieser Regeln ist. Seine Stärke kann darin gesehen werden, dass der Ansatz subjektorientiert Fragen und Vorstellungen von Kindern aufnehmen kann und zugleich die Möglichkeit bietet, Inhalte konfessionell, religiös und weltanschaulich zu unterscheiden. In der Kombination von beidem lassen sich Lerngegenstände vielfältig konstruieren. Literatur zum Weiterlesen Reiß, A./Freudenberger-Lötz, P. (2012): Didaktik des Theologisierens mit Kindern und Jugendlichen. In: B. Grümme/H. Lenhard/M. L. Pirner (Hg.): Religionsunterricht neu denken. Innovative Ansätze und Perspektiven der Religionsdidaktik. Ein Arbeitsbuch, S. 103–145. Stuttgart: Kohlhammer. Woppowa, J./Isik, T./Kammeyer, K./Peters, B. (Hg.) (2017): Kooperativer Religionsunterricht. Fragen – Optionen – Wege. Stuttgart: Kohlhammer. Zoller-Morf, E. (2010): Selber denken macht schlau. Philosophieren mit Kindern und Jugendlichen. Oberhofen: Zytglogge.

Sonstige Literatur Bucher, A. A./Büttner, G./Freudenberger-Lötz, P./Schreiner, M. (Hg.) (2009): »In den Himmel kommen nur, die sich auch verstehen«. Wie Kinder über religiöse Differenz denken und sprechen. Stuttgart: Calwer. Büttner, G./Kraft, F. (Hg.) (2014): »He! Ich habe viel Stress! Ich hasse alles«. Theologisieren mit Kindern aus bildungs- und religionsfernen Milieus. Stuttgart: Calwer. Freudenberger-Lötz, P. (2007): Theologische Gespräche mit Kindern. Untersuchungen zur Professionalisierung Studierender und Anstöße zu forschendem Lernen im Religionsunterricht. Stuttgart: Calwer. Heinrich, C. (2017): »Philosophieren mit Kindern«. Eine Kritik in kooperativer Absicht. In: J. Woppowa/T. Isik/K. Kammeyer/B. Peters (Hg.): Kooperativer Religionsunterricht. Fragen – Optionen – Wege, S. 154–178. Stuttgart: Kohlhammer. Kammeyer, K. (2009): »Lieber Gott, Amen!« Theologische und empirische Studien zum Gebet im Horizont theologischer Gespräche mit Vorschulkindern. Stuttgart: Calwer. Kammeyer, K./Zonne, E./Pithan, A. (2014): Inklusion und Kindertheologie. Münster: Comenius Institut. Kammeyer, K./Reis, O. (2017): Kooperative Öffnung. Analyse aus Sicht der Inklusion. In: J. Woppowa/ T. Isik/K. Kammeyer/B. Peters (Hg.): Kooperativer Religionsunterricht. Fragen – Optionen – Wege, S. 140–153. Stuttgart: Kohlhammer. Möller, R. (2015): Die deutsche Religionspädagogik vor den aktuellen Herausforderungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Verfügbar unter: https://comenius.de/themen/Religionsunterricht_Religionspaedagogik/Deutsche_Religionspaedagogik_aktuelle_Herausforderung_ gruppenbezogene_Menschenfeindlichkeit_2015.php?bl=828 [01.01.2018]. Naurath, E. (2009): »Wer früher stirbt, ist länger tot?« Was sich christliche und muslimische Kinder nach dem Tod erwarten. In: A. A. Bucher/G. Büttner/P. Freudenberger-Lötz/M. Schreiner (Hg.): »In den Himmel kommen nur, die sich auch verstehen«. Wie Kinder über religiöse Differenz denken und sprechen, S. 60–70. Stuttgart: Calwer.

Theologisieren mit Kindern

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Oberthür, R. (1995): Kinder und die großen Fragen. München: Kösel. Prengel, A. (2005): Heterogenität in der Bildung. Rückblick und Ausblick. In: K. Bräu/U. Schwerdt (Hg.): Heterogenität als Chance. Vom produktiven Umgang mit Gleichheit und Differenz in der Schule, S. 19–35. Münster: LIT Verlag. Reis, O. (2014): Himmel. In: G. Büttner/P. Freudenberger-Lötz/C. Kalloch/M. Schreiner (Hg.): Handbuch Theologisieren mit Kindern. Einführung – Schlüsselthemen – Methoden, S. 284– 287. Stuttgart/München: Calwer/Kösel. Schröder, B. (2017): Konfessionalität und kooperativer Religionsunterricht aus evangelischer Perspektive. In: J. Woppowa/T. Isik/K. Kammeyer/B. Peters (Hg.): Kooperativer Religionsunterricht. Fragen – Optionen – Wege, S. 26–44. Stuttgart: Kohlhammer. Schweitzer, F. (2003): Was ist und wozu Kindertheologie? In: A. A. Bucher/G. Büttner/P. Freudenberger-­ Lötz/M. Schreiner (Hg.): »Im Himmelreich ist keiner sauer«. Kinder als Exegeten, S. 9–18. Stuttgart: Calwer. Sönnichsen, I./Liddle, E. (2003): Mama, wie groß ist der Himmel? Stuttgart/Wien: Thienemann-­ Esslinger.

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Katharina Kammeyer

Theologisieren mit Jugendlichen Saskia Eisenhardt

Das Theologisieren mit Jugendlichen ist ein relativ junges religionspädagogisches Konzept. Erste Veröffentlichungen erschienen Mitte der 2000er Jahre (etwa Schweitzer, 2005). Seitdem hat das Theologisieren mit Jugendlichen eine rasante Entwicklung erfahren und konnte sich als eigenständiger Ansatz fest im fachlichen Diskurs etablieren. Gerade im schulischen Religionsunterricht, in dem der Ansatz die aktuell stärkste Rezeption erfährt, muss dabei gefragt werden, wie sich jugendtheologisches Arbeiten in religiös, konfessionell und weltanschaulich pluralen Lerngruppen darstellt.

1  Theologisieren mit Jugendlichen als religionspädagogischer Ansatz Zunächst einmal gilt festzuhalten, dass das Theologisieren mit Jugendlichen auf das Theologisieren mit Kindern bezogen ist und beide Ansätze daher viele Gemeinsamkeiten aufweisen. So verbindet sie das zentrale Motiv der Subjektorientierung, das die Kinder und Jugendlichen mit ihren eigenen Themen in den Mittelpunkt des religionspädagogischen Interesses stellt. Den Kindern und Jugendlichen wird jeweils eine »selbstreflexive Form des Nachdenkens über religiöse Vorstellungen zugetraut« (Freudenberger-Lötz/Kraft/Schlag, 2013, S. 7). Dabei unterscheidet auch das Theologisieren mit Jugendlichen die bereits aus dem Theologisieren mit Kindern bekannten Dimensionen des Theologisierens von, mit und für Jugendliche. Trotz der zahlreichen Gemeinsamkeiten ist es nicht zutreffend, das Theologisieren mit Jugendlichen lediglich als Fortschreibung des Theologisierens mit Kindern zu verstehen. So wie sich Jugendliche durch ihr Alter, ihr Wissen, ihre Erfahrungen und Fähigkeiten von Kindern unterscheiden, muss auch das Theologisieren mit Jugendlichen als eigenständiger Ansatz vom Theologisieren mit Kindern unterschieden werden. So interessieren sich Jugendliche für andere Themen und haben bereits ein höheres Reflexionsniveau, da sie zunehmend zu logischem Denken und abstrak137

ten Überlegungen fähig sind. Während etwa Kinder im Grundschulalter häufig auf konkrete Anschauungen und unmittelbar wahrnehmbare oder vorgestellte Gegenstände angewiesen sind, haben Jugendliche bereits ein formal-operationales Denken entwickelt und sind in der Lage, sich von der realen Wirklichkeit zu lösen und Probleme vollständig auf einer hypothetischen Ebene zu klären und deduktive Schlüsse zu ziehen (Piaget, 1979). Das Jugendalter zeichnet sich also gegenüber der Kindheit durch veränderte kognitive Fähigkeiten aus. Schlag und Schweitzer (2011) weisen darauf hin, dass gerade diese kognitiven Entwicklungen es zumeist erschweren, auch die Unterschiede zur anderen Seite hin, nämlich zur Theologie Erwachsener deutlich zu machen, denn mit dem formal-operationalen Denken ist eine Reflexionsform erreicht, die für Erwachsene ebenso kennzeichnend ist wie für Jugendliche. Eine entscheidende Besonderheit, welche die Phase der Jugend sowohl von der Kindheit als auch vom Erwachsenenalter abgrenzt, ist jedoch die hohe Bedeutung der Peergroup – der Gruppe der Gleichaltrigen. In einer Phase, die von der Abgrenzung von traditionellen Sozialisationsinstanzen und der Suche nach einer eigenen Identität geprägt ist, bietet die Peergroup den Heranwachsenden einen Orientierungsmaßstab sowie neue Identifikationsmöglichkeiten. Dies kann jedoch bezogen auf das Theologisieren dazu führen, dass sich die Jugendlichen aus Angst vor Bloßstellung sehr viel zurückhaltender und weniger spontan zu religiösen Fragestellungen, die häufig die Privatsphäre berühren, äußern als z. B. Kinder – und das, obwohl nicht selten ein dezidiertes Interesse an eben jenen Fragen vorliegt. Diese Zurückhaltung führt dazu, dass eine jugendtheologische Einheit nicht selten didaktisch und methodisch vielseitiger geplant werden muss. Während Kinder häufig sehr offen und direkt im Unterrichtsgespräch ihre Gedanken und Ideen mitteilen, kann es für Jugendliche sinnvoll sein, die Fragestellungen erst einmal aus größerer Distanz anhand von Fallbeispielen oder Dilemmageschichten zu bearbeiten (ein ausführliches Beispiel hierzu findet sich z. B. bei Conrad/Kalter, 2012). Bei sehr persönlichen Themen bietet es sich zudem an, nicht direkt in ein Gespräch im Plenum überzuleiten, sondern erst einmal einen geschützteren Rahmen zu schaffen. Hierbei bietet sich bspw. die Methode Think-Pair-Share an, die einen Wechsel von individuellen und kooperativen Lernphasen vorsieht. Dabei denken die Jugendlichen zunächst in Einzelarbeit über die Fragestellung nach und bearbeiten ggf. Aufgaben dazu, bevor sie sich in einem zweiten Schritt in Partner*innenarbeit oder in einer Kleingruppe austauschen. Die Ergebnisse werden schließlich gemeinsam im Plenum besprochen. Ein solches Vorgehen ist häufig ertragreicher, weil die Jugendlichen bereits die Gelegenheit hatten, sich in der Peergroup abzusichern. Zudem kann auf diese Weise eine Aktivierung aller Schüler*innen gewährleistet werden. 138

Saskia Eisenhardt

Nicht zuletzt sollte darauf hingewiesen werden, dass ein regelmäßiges Theologisieren im Religionsunterricht, das auf symmetrische Kommunikation abzielt und das die theologischen Ansichten der Jugendlichen in einen gleichberechtigten und ergebnisoffenen Dialog mit biblischen, theologischen oder philosophischen Traditionen treten lässt, dazu führen kann, dass langfristig Hemmungen seitens der Jugendlichen abgebaut werden. Ein Interesse an theologischen Fragestellungen und das Bedürfnis diesem Interesse auch persönlich nachzuspüren, ist bei vielen Jugendlichen durchaus gegeben, wie das folgende Zitat eines Schülers der 9. Klasse verdeutlicht, der nach einem an der Uni Kiel durchgeführten Projekt zum Theologisieren erklärt: »Ich fand es richtig gut, dass der Unterricht so frei und abwechslungsreich gestaltet war und jeder seine eigene Meinung sagen durfte. Das war mal was ganz anderes als anderer Unterricht!«

2  Theologisieren mit Jugendlichen in heterogenen Lerngruppen Das Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen war ursprünglich als innerchristlicher Ansatz entwickelt worden und hatte als solcher zunächst vornehmlich Heranwachsende im Blick, die entsprechend religiös sozialisiert waren. Mittlerweile wird jedoch das Phänomen religiöser, konfessioneller und weltanschaulicher Diversität verstärkt im jugendtheologischen Diskurs wahrgenommen. Jugendtheologisches Arbeiten, das eng mit der Ausbildung religiöser Urteilsfähigkeit verbunden ist, »findet heutzutage in einem komplexen Kontext von Traditionsabbruch und Religionsplural statt, zwei gleichzeitig auftretende Phänomene, die sich in der Schule wechselseitig prägen« (Roebben/Rothgangel, 2017, S. 7). Eine solche Konstellation muss auch beim Theologisieren besonders berücksichtigt werden. Hierbei kann zunächst einmal festgehalten werden, dass das Theologisieren als Dialog auf Augenhöhe stattfindet, in dem niemand – auch nicht die Lehrkraft – die alleinige Deutungshoheit besitzt und die Andersartigkeit des Gegenübers respektiert und als Chance wahrgenommen wird. Die Unterschiede zwischen den Schüler*innen werden dabei nicht aufgehoben, sondern dürfen bestehen bleiben. Dabei ist insbesondere bei heterogenen Gruppen darauf zu achten, nicht allein nach Religionszugehörigkeit zu unterscheiden, sondern die jewei­ ligen Schüler*innen in ihrer Individualität wahrzunehmen. Während des Theologisierens werden diese immer auch dazu angeregt und herausgefordert, ihre eigenen Positionen im Austausch mit der Gruppe zu reflektieren und nochmals zu überdenken. In sehr homogenen Gruppen ist es häufig die Aufgabe der LehrTheologisieren mit Jugendlichen

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kraft, neue Impulse aus anderen Kontexten einzubringen, um die Jugendlichen für unterschiedliche Blickwinkel zu sensibilisieren und sie anzuregen, ihren eigenen Standpunkt zu hinterfragen. Authentischer und nachhaltiger wirkt das Theologisieren allerdings, wenn solche Impulse durch die Lernenden selbst eingebracht werden, da dies den Lebensweltbezug und die gesellschaftliche Relevanz der diskutierten Themen im Dialog unmittelbar erfahrbar werden lässt. Aus der Heterogenität der Lerngruppen erwächst für die Lehrkraft allerdings auch die Aufgabe, eine gemeinsame Grundlage für alle zu schaffen, um möglichen Vorurteilen, die aus Unwissenheit heraus entstehen, vorzubeugen und eine tiefere, differenziertere Diskussion zu ermöglichen. Im Theologisieren sollen die Jugendlichen ihre Reflexionsfähigkeit schulen. Diese kann jedoch nicht unabhängig von der Wissensdimension betrachtet werden. Reflexionskompetenz stellt keine abstrakte Größe dar, die einmal ausgebildet auf beliebige Inhalte angewendet werden kann, sondern steht immer auch mit bestimmten Themen und den entsprechenden Wissensbeständen in Beziehung (Pohl-Patalong, 2013). Damit die Schüler*innen also zu einer vertieften Diskussion angeregt werden und überhaupt zu eigenen Urteilen gelangen können, ist es Aufgabe der Lehrkraft im Sinne einer Theologie für Jugendliche die entsprechenden Inhalte bereitzustellen und didaktisch aufzubereiten. Gerade in heterogenen Gruppen kann dabei das Vorwissen der einzelnen Schüler*innen je nach Thema sehr stark divergieren. Um angemessen darauf zu reagieren, kann es notwendig sein, die Jugendlichen zunächst unterschiedliche Themen, Aufgabenstellungen und Materialien bearbeiten zu lassen, um sicherzustellen, dass alle Beteiligten am gemeinsamen Dialog teilnehmen können. Die unterschiedlichen Voraussetzungen müssen jedoch nicht nur auf der Wissensebene bedacht werden. Insbesondere für religionsferne oder konfessionslose Schüler*innen gilt, dass gerade dort, wo die Wissensdimension überschritten wird, häufig Unsicherheiten auftreten. Die Schüler*innen sind es zwar gewohnt, die unterrichtlichen Themen auf intellektueller Ebene zu bearbeiten, existenziell sind diese für sie jedoch nur sehr bedingt anschlussfähig (Domsgen, 2014). Im Theologisieren, das ja gerade nicht auf die Beantwortung von Wissensfragen, sondern auf persönliche Stellungnahmen, eigenes Urteilen und die Thematisierung existenzieller Gehalte abzielt, kann dies bei den Jugendlichen zu Unsicherheiten führen. So merkte eine Schülerin der 10. Klasse aus dem o. g. Projekt zum Theologisieren vor Gesprächsbeginn vorsichtig an: »Ich weiß gar nicht, ob ich da was zu beitragen kann, weil ich ja gar nicht religiös bin.« In solchen Fällen ist es hilfreich, beim Theologisieren darauf zu achten, dass das jeweilige Thema auch lebensweltliche Bezüge aufweist, zu denen sich die Jugendlichen unabhängig von ihrer religiösen Prägung verhalten können. So gilt es bspw., Texte aus den jewei­ 140

Saskia Eisenhardt

ligen Heiligen Schriften mit den dahinterliegenden menschlichen Erfahrungen in Verbindung zu bringen oder in Dogmen jene existenziellen Fragen zu entdecken, auf die sie eine Antwort suchten (Lütze, 2014).

Um also der Schwierigkeit zu begegnen, dass religionsferne Schüler*innen mit explizit religiös geprägten Themen und Geschichten aus den jeweiligen Heiligen Schriften zunächst einmal wenig anfangen können, da ihnen der Lebenswelt­ bezug nicht deutlich wird (siehe Domsgen in diesem Band), können solche Texte als Grundlage für das Theologisieren gewählt werden, die an jugendspezifische Themen, wie z. B. Freundschaft oder Probleme in der Familie, anschlussfähig sind. Denkbar wären hier u. a. – die Josefs- bzw. Yūsuferzählung (Gen 37–50, Sure 12) mit einem Fokus auf den Konflikt unter den Brüdern, – das Buch Rut mit einem Fokus auf das Gegenüber von Solidarität und Zweifel und die Freundschaft zwischen Rut und Noomi, – die Berufung der ersten Jünger (z. B. Mk 1,16–20) mit einem Fokus auf Aufbruch und das Verhältnis von Selbstständigkeit und Familie. Natürlich stellen Texte aus den jeweiligen Heiligen Schriften nur eine Möglichkeit zum Einstieg in das Theologisieren dar. Aufgrund der existenziellen Themen, die in ihnen angesprochen werden, eignen sie sich sehr gut auch für den Einsatz in heterogenen Lerngruppen. Dabei ist es dann auch erst einmal zweitrangig, welcher Heiligen Schrift der gewählte Text entstammt.

Weiteren Unsicherheiten seitens der Schüler*innen kann darüber hinaus begegnet werden, indem das Theologisieren als experimenteller Raum etabliert wird, in dem es vornehmlich nicht darum geht, dauerhafte Haltungen zu generieren, sondern in dem die Jugendlichen zu einem »Probedenken« (Büttner, 2012, S. 59) eingeladen werden. Dies ist insofern für die gesamte Lerngruppe relevant, als das Jugendalter generell als eine Zeit des Suchens und der Exploration – auch in religiöser Hinsicht – charakterisiert werden kann und auch bei religiös sozialisierten Jugendlichen mit einem kritischen Infragestellen kindlicher Vorstellungen und Einbruchstellen im Glauben gerechnet werden muss. Das Theologisieren stellt einen gemeinsamen Schutzraum dar, in dem solche Zweifel offen geäußert werden dürfen und kritische Anfragen reflektiert werden können. Dazu gehört auch, dass das Geschehen während des Theologisierens selbst nicht benotet wird. Theologisieren mit Jugendlichen

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Um diesen Schutzraum über den gesamten Prozess aufrechtzuerhalten, ist es gerade bei heterogenen Gruppen, in denen unterschiedliche Positionen aufeinandertreffen, ratsam, vor dem eigentlichen Theologisieren sogenannte »Gesprächsregeln« aufzustellen, welche die gemeinsame Begegnung unterstützen. Dazu gehört z. B. sich gegenseitig ausreden zu lassen und die Meinungen der anderen zu respektieren. Es dürfen natürlich kritische Rückfragen gestellt werden und es darf auch um Deutungen gerungen werden, solang eine respektvolle Gesprächsatmosphäre gewahrt bleibt.

3  Potenziale und Grenzen Die Tatsache, dass Angehörige verschiedenster Religionen, Konfessionen und Weltanschauungen am Religionsunterricht teilnehmen, wird von einer sehr deutlichen Mehrheit der Schüler*innen als positiv empfunden (Pohl-Patalong/Boll/ Dittrich/Lüdtke/Richter, 2017). Dabei ist es vor allem das Interesse für das Fremde, das bei Jugendlichen unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Glaubensgemeinschaft stark ausgeprägt ist und für das Theologisieren fruchtbar gemacht werden kann. Insbesondere Jugendliche ohne Religionszugehörigkeit zeichnen sich häufig durch ein Interesse für andere Religionen und religiöse Fragen aus, da für sie die Zugehörigkeit zu einer Religion nicht selbstverständlich ist und sie Religionen daher als interessant und exotisch-reizvoll wahrnehmen (Calmbach/ Borgstedt/Borchard/Thomas/Flaig, 2016). Dieses grundsätzliche Interesse kann beim Theologisieren kanalisiert und auf spezifische Fragen übertragen werden.

Ein großes Potenzial liegt in der Bearbeitung von grundlegenden Sinnfragen, denn dafür interessieren sich muslimische, christliche oder religionsferne Jugendliche gleichermaßen, wenn auch in thematisch unterschiedlicher Ausprägung. »Während christliche und nicht-religiöse Jugendliche vor allem die Frage bewegt, woher wir kommen und was nach dem Tod kommt, ist für muslimische Jugendliche häufig relevant, was gerecht oder moralisch richtig ist« (Calmbach et al., 2016, S. 342). Beide Interessensgebiete können im Theologisieren gut umgesetzt und spezifiziert werden. So sind bspw. jugendtheologische Einheiten denkbar, die nach Evolution und Schöpfung im Verhältnis von Glaube und Naturwissenschaft (siehe etwa Freudenberger-Lötz, 2012) oder nach ethischen Grundsätzen und Handlungsmaximen in den verschiedenen Religionen und Weltanschauungen fragen (siehe etwa Englert/Kohler-Spiegel/Naurath/Schröder/Schweitzer, 2015; Tautz, 2007).

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Dabei liegt der Reiz gerade in einer heterogenen Zusammensetzung der Lerngruppe. Das Theologisieren lebt von spannenden und mitunter auch kontroversen Diskussionen und profitiert davon, dass viele verschiedene Meinungen und Perspektiven aufeinandertreffen. Die Verschiedenheit der Schüler*innen wird für das Theologisieren produktiv genutzt und die unterschiedlichen Positionen werden gleichermaßen wertgeschätzt ohne der Beliebigkeit zu verfallen. Von einem solchen Vorgehen profitieren alle Beteiligten, da sie lernen, das Anderssein der anderen als Teil ihrer gemeinsamen Lebenswelt zu respektieren. Damit können beim Theologisieren im Religionsunterricht mögliche Vorurteile abgebaut und wichtige Kompetenzen wie Urteilsfähigkeit und Ambiguitätstoleranz eingeübt werden, die grundlegend sind, damit die Jugendlichen lernen, sich als mündige Subjekte in einer pluralen Gesellschaft zu bewegen. Bei allen Vorteilen bringt das Theologisieren in religiös, konfessionell und weltanschaulich heterogenen Lerngruppen aber auch Schwierigkeiten mit sich, die es im Vorfeld zu beachten gilt. So ist es zwar für das Theologisieren sehr spannend, wenn Themen religions- und konfessionsübergreifend aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden, doch dabei werden häufig auch Inhalte berührt, die in der eigenen Ausbildung nicht vorgekommen sind und daher einer sehr genauen Vorbereitung bedürfen. Bei einigen Themen, die dazu führen können, dass einzelne Schüler*innen in eine Rechtfertigungsposition gedrängt werden – bspw. religiöser Fundamentalismus – ist sogar davon abzuraten, diese im theologischen Gespräch zu diskutieren, damit die Zusage des Theologisierens als geschützter Raum gewahrt bleibt. Solche Themen dürfen und sollen natürlich Platz im Religionsunterricht haben, aber das Theologisieren stellt in der Regel nicht den geeigneten Ort dar, diese explizit zu thematisieren, da die Lehrkraft dabei Planungssicherheit abgibt und den Prozess weniger lenken kann als im »herkömmlichen« Unterricht. Aus diesem Grund spielt auch die Gruppendynamik innerhalb der Lerngruppe eine wichtige Rolle. Die Jugendlichen sind maßgeblich mitverantwortlich für die Einhaltung der Gesprächsregeln und damit für das Gelingen des Theologisierens. In Lerngruppen, in denen eine entsprechende Arbeitsatmosphäre nicht gegeben ist, muss womöglich erst daran gearbeitet werden, bevor gemeinsam theologisiert werden kann. Schließlich sei noch erwähnt, dass das Theologisieren ein Ansatz ist, der klassischerweise eher kognitiv orientiert ist. Gerade für Schüler*innen, denen das Versprachlichen ihrer Gedanken schwerfällt, stellt dies eine Herausforderung dar. Lehrkräfte können dem entgegenwirken, indem sie den Ansatz methodisch variieren.

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So kann es hilfreich sein, Positionen innerhalb der Lerngruppe anhand von Standbildern oder einem Meinungsbarometer zu visualisieren. Bei letzterem wird eine These oder Frage in den Raum gestellt und die Schüler*innen haben die Aufgabe, sich im Klassenraum an einer gedachten Linie zwischen zwei Polen (pro/kontra; ja/nein) zu positionieren. Alle Beteiligten sehen sofort, wie die Meinungen innerhalb der Lerngruppe verteilt sind und die Lehrkraft kann exemplarisch Schüler*innen anhand ihrer Positionierung ansprechen und nach ihren Beweggründen befragen. Außerdem kann das Theologisieren auch mit anderen, stärker erfahrungsbezogenen Ansätzen kombiniert werden, indem z. B. erst probeweise verschiedene Gebetshaltungen eingenommen werden, die in den unterschiedlichen Religionen üblich sind und die Reflexion dieser Erfahrung in ein theologisches Gespräch zur Frage, warum Menschen (nicht) beten, mündet.

Für die Lehrkraft besteht die Herausforderung häufig darin, die individuellen Voraussetzungen der Lerngruppe sowie die Chancen und Grenzen des Ansatzes wahrzunehmen und diese produktiv aufeinander zu beziehen. Gelingt dies, können beide – Lerngruppe und Ansatz – wechselseitig voneinander profitieren. Literatur zum Weiterlesen Büttner, G. (2012): Theologisieren als Grundfigur der Praktischen Theologie. Grundüberlegungen für das Theologisieren mit Jugendlichen. In: V.-J. Dieterich (Hg.): Theologisieren mit Jugendlichen. Ein Programm für Schule und Kirche, S. 51–78. Stuttgart: Calwer. Freudenberger-Lötz, P. (2012): Theologische Gespräche mit Jugendlichen. Erfahrungen – Beispiele – Anleitungen. München/Stuttgart: Kösel/Calwer. Roebben, B./Rothgangel, M. (2017): Vorwort. In: Dies. (Hg.): »Die anderen braucht man im Unterricht, damit es ein bisschen voran geht«. Jugendtheologie und religiöse Diversität, S. 7–9. Stuttgart: Calwer.

Sonstige Literatur Calmbach, M./Borgstedt, S./Borchard, I./Thomas, P. M./Flaig, B. B. (2016): Wie ticken Jugendliche 2016? Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland. Wiesbaden: Springer. Conrad, J./Kalter, R. (2012): Was soll Franz tun? Bericht über einen jugendtheologischen Versuch in einer sechsten Hauptschulklasse anlässlich einer Dilemmageschichte. In: T. Schlag/ F. Schweitzer (Hg.): Jugendtheologie. Grundlagen – Beispiele – kritische Diskussion, S. 81–89. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie. Domsgen, M. (2014): Konfessionslosigkeit als religionspädagogische Herausforderung. Überlegungen am Beispiel des schulischen Religionsunterrichts in Ostdeutschland. In: M. Rose/M. Wermke (Hg.): Konfessionslosigkeit heute. Zwischen Religiosität und Säkularität, S. 275–287. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.

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Englert, R./Kohler-Spiegel, H./Naurath, E./Schröder, B./Schweitzer, F. (2015): Ethisches Lernen. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie. Freudenberger-Lötz, P./Kraft, F./Schlag, T. (2013): Vorwort. In: Dies. (Hg.): »Wenn man daran noch so glauben kann, ist das gut«. Grundlagen und Impulse für eine Jugendtheologie, S. 7–8. Stuttgart: Calwer. Lütze, F. M. (2014): »Jesus hat sich ans Kreuz nageln lassen, weil er voll hinter seiner Weltanschauung stand.« Christentum reflektieren mit nicht religiös sozialisierten Kindern und Jugendlichen. In: G. Büttner/F. Kraft (Hg.): »He! Ich habe viel Stress! Ich hasse alles«. Theologisieren mit Kindern aus bildungs- und religionsfernen Milieus, S. 76–82. Stuttgart: Calwer. Piaget, J. (1979): Probleme der Entwicklungspsychologie. Kleine Schriften (2. Aufl.). Frankfurt a. M.: Syndikat. Pohl-Patalong, U./Boll, S./Dittrich, T./Lüdtke, A./Richter, C. (2017): Konfessioneller Religionsunterricht in religiöser Vielfalt II. Perspektiven von Schülerinnen und Schülern. Stuttgart: Kohlhammer. Pohl-Patalong, U. (2013): Religionspädagogik. Ansätze für die Praxis. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schlag, T./Schweitzer, F. (2011): Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologische Herausforderung und didaktische Perspektive. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie. Schweitzer, F. (2005): Auch Jugendliche als Theologen? Zur Notwendigkeit, die Kindertheologie zu erweitern. Zeitschrift für Pädagogik und Theologie, 57 (1), S. 46–53. Tautz, M. (2007): Interreligiöses Lernen im Religionsunterricht. Menschen und Ethos im Islam und Christentum. Stuttgart: Kohlhammer.

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Performative Religionsdidaktik Bärbel Husmann

1  Performanzorientierte Didaktik als religionspädagogischer Ansatz Im Prozess von Theoriebildungen und Konzeptualisierungen entwickelt sich immer auch die entsprechende Systematik mit. Dies trifft in besonderem Maße auf die performative Didaktik zu und hängt einerseits mit dem relativ weiten Begriff »Performanz« zusammen, andererseits aber auch mit der unterschiedlichen Verwendung und Rezeption des Begriffes. Die ersten Veröffentlichungen 2002/2003 sprechen von performativer Textdidaktik (Dressler, 2002), performativem Religionsunterricht (Englert, 2002) und Performativer Religionspädagogik (Klie/Leonhard, 2003), dann auch von liturgischem Lernen (Husmann/Klie, 2005; Husmann, 2008a). Schnell entspann sich eine heftig geführte Debatte, in deren Verlauf »performativ« im Sinne von performance oder gar als Zurückfallen in Verkirchlichung und religiöse Missionierung missverstanden wurde. Der Begriff der performativen Didaktik macht im Gegensatz zu Religionsunterricht oder Religionspädagogik deutlich, dass es sich nicht um eine religionspädagogische Großkonzeption handelt, sondern um einen didaktisch angemessenen Umgang mit religiösen Performanzphänomenen. Im Jahre 2014 schließlich hat David Käbisch die Begrifflichkeit noch einmal präzisiert: performanzorientierte Didaktik (Käbisch, 2014; Dressler, 2016). Performanzorientiert bedeutet: Nicht die Didaktik selbst ist performativ, sondern es geht um didaktische Fragestellungen in Bezug auf religiöse Performanz. Diese Präzisierung wehrt auch einem weiteren Missverständnis, nämlich dem, dass wir es »nur« mit methodischen Fragen zu tun hätten, wie es der 2007 in den »Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung« verwendete Begriff der Gestaltungsfähigkeit als einer grundlegenden Kompetenz, die es im Religionsunterricht zu erwerben gilt, suggerieren könnte. Käbisch (2014) hat neben der begrifflichen Präzisierung die performanzorientierte Didaktik stärker in die Sprachregelungen anderer Fachdidaktiken und der allgemeinen Didaktik eingebunden, indem er dafür plädiert, die performanzorientierte Didaktik als Form der Handlungsorientierung zu verstehen. 146

Der Unterricht zielt damit darauf ab, dass Schüler*innen einerseits in Sachen Religion handlungsfähig werden und andererseits kognitiv ein Verständnis von Religion gewinnen, das die religiöse Praxis einbezieht. Die christliche Religion wird also zu einem Unterrichtsgegenstand nicht nur durch theologisch-reflexive Texte oder durch biblische Geschichten, sondern auch durch die religiöse Praxis, die mit der Ausübung von Religion verbunden ist – konkret: Gottesdienste, Segnungen, Sakramente, Feiern, menschlich-göttliche Kommunikation, Übergangsrituale, Gesten, performative Sprechakte. Die Begründung, weshalb solche religiösen Praxen unterrichtlich thematisiert werden müssen, ist nicht so sehr der Traditionsabbruch und die Klage, dass niemand mehr die religiöse Praxis kenne und man deshalb Abhilfe schaffen müsse. Zwar hat der Traditionsabbruch viele didaktische Formate der Vergangenheit, die darauf gebaut haben, dass die Kinder und Jugendlichen aus ihren Familien eine vorgängige religiöse Praxis mitbringen, die es dann nur noch sekundär zu reflektieren oder über die es aufzuklären galt, ad absurdum geführt, aber das Argument hat einen stark rückwärtsgewandten Charakter und nimmt die vorfindliche Schüler*innenschaft nicht wirklich ernst. Entscheidend ist vielmehr die Tatsache, dass – nicht nur die christliche – Religion ein kulturelles Zeichensystem ist, zu welchem religiöses Handeln (nicht: religiös motiviertes Handeln!) konstitutiv dazugehört. Wer auf die Thematisierung der Praxis verzichtet (siehe unten Typ (4)), verzichtet auf einen wesentlichen Aspekt von Religion und Religiosität und bleibt hinter den Didaktiken vergleichbarer Fächer der geisteswissenschaftlichen, ästhetischen und naturwissenschaftlichen Bildung zurück. Auf welche Art und Weise diese Praxen im Religionsunterricht thematisiert werden, darüber gehen in der Religionsdidaktik wie auch bei den Vertreter*innen performativer Didaktik selbst die Meinungen auseinander. Käbisch (2014, S. 380) unterscheidet fünf typologische Zugänge zu dieser Frage: 1. Religiöse Praxis wird thematisierbar durch den methodischen Einsatz von Filmen, Werbung, Musikclips etc. 2. Religiöse Praxis wird thematisierbar durch die Etablierung von Religion im Schulleben oder/und von Exkursionen zu authentischen religiösen Lernorten. 3. Religiöse Praxis wird thematisierbar durch Einladungen zu religiöser Praxis im Unterricht selbst. 4. Religiöse Praxis wird als Unterrichtsgegenstand theoretisch wie praktisch ausgeklammert. 5. Religiöse Praxis wird thematisierbar durch unterrichtliche Inszenierungen, die Schü­ler*innen im Rahmen einer Rolle oder eines Experiments Erfahrungen ermöglichen. Der Unterricht selbst wird dabei nicht zu einem Ort religiöser Praxis. Performative Religionsdidaktik

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Es liegt auf der Hand, dass Typ (5) die höchsten didaktischen Ansprüche stellt. Im Gegensatz zu anderen Fächern wie Sport (laufen), Kunst (malen), Musik (musizieren), Chemie (experimentieren) oder Englisch (Englisch sprechen) berührt das Handeln im Fach Religion eine sehr persönliche Seite, die an Frömmigkeit und Glauben gebunden ist. Deshalb bedarf es hier einer besonderen Sensibilität, insbesondere dann, wenn die Lerngruppe religiös heterogen ist. Typ (3) verbietet sich m. E. aus diesem Grund, und zwar auch dann, wenn die Teilnahme (zum Beispiel am Gebet) freigestellt wird oder wenn, wie in der Grundschule, Kinder durch eine emotionale Nähe zu ihrer Lehrkraft eine besondere Bereitschaft haben, ihren Einladungen zu folgen (vgl. Dressler, 2016). Den Vertreter*innen von Typ (5) ist wichtig, dass der religiöse Vollzug an sich nicht in den Unterricht geholt werden soll; der Begriff des Probehandelns soll den Unterschied zum ungebrochenen religiösen Handeln deutlich machen, hat aber nach seiner Einführung doch zu vielen Missverständnissen geführt, denn natürlich kann man nicht »probeweise« beten oder segnen. Es geht vielmehr um Formen handlungsorientierten Unterrichts, bei denen mithilfe von Lernaufgaben, Unterrichtsarrangements oder Inszenierungen, die zum Einnehmen einer Rolle anregen, Erfahrungen mit religiöser Praxis ermöglicht und Urteilskompetenz angebahnt werden kann (Husmann, 2008b).

So kann für eine Gruppe von vier bis sechs Lernenden der Klassenstufe 9 (die leistungsmäßig differenziert von der Lehrkraft zusammengestellt werden sollte, damit nicht nur erprobt wird, sondern damit darüber hinaus auch der Austausch von Argumenten gelingt), folgende Aufgabe gestellt werden: »Stellt euch vor, ihr gehört zum Vorbereitungsteam des Einschulungsgottesdienstes für die neuen ersten Klassen an der Grundschule nebenan. Folgende drei Formen, den Gottesdienst mit einem Segen abzuschließen, werden diskutiert: […] Erprobt diese drei Formen, wägt Vor- und Nachteile der jeweiligen Variante ab und führt abschließend die Variante mit der gesamten Lerngruppe durch, die ihr für die beste haltet.« – Im nachgehenden Unterrichtsgespräch sollte die Gruppe zum einen ihre Entscheidung für die gewählte Variante begründen (damit legt sie zugleich die Kriterien ihrer Auswahl offen) und zum anderen ein Feedback der Gesamt­ lerngruppe bekommen, um danach gegebenenfalls ihre Entscheidung zu variieren oder zu verändern.

Erfahrungen im Bereich religiöser Praxis sind auch durch das Setting des Experiments (Husmann, 2008a) möglich: Ein »Experiment« macht durch die Rahmung 148

Bärbel Husmann

deutlich: Es geht – wie in einem chemischen Experiment – um den Dreischritt Durchführung – Beobachtung – Auswertung. Die Durchführung beschreibt das (angeleitete) Handeln, die Beobachtung die Wahrnehmung und Darstellung dessen, was während der Durchführung beobachtbar war und wozu Außen- wie Innenperspektiven gehören. Die Auswertung ist ein Austausch über die Frage: Was habe ich an (kognitiver!) Erkenntnis dazu gewonnen? Das auf diese Weise gerahmte gemeinsame Sprechen des Glaubensbekenntnisses oder eines Psalms fördert zum Beispiel in aller Regel die Erkenntnis zutage, dass es beim gemeinsamen Gebet oder Bekenntnis gar nicht auf die hundertprozentige »Passung« zwischen individuellem Glauben und gesprochenem Text ankommt, und dass es entlastend und tröstend wirkt, Teil einer größeren Gemeinschaft sein zu können. Diese Erkenntnis lässt sich anschließend unterschiedlich bewerten (von Gruppenzwang bis hin zur Befreiung vom Authentizitätszwang) – sie wäre aber ohne dieses Experiment sehr viel schwerer einer reflektierenden Diskussion zugänglich. Ein Experiment hat, ebenso wie ein Rollenspiel, einen Anfang und ein Ende. Entscheidend für das Gelingen sind also die Rahmung der Handlung sowie die anschließende Reflexion. Lassen sich nun also alle performativen Sprechakte, alle religiösen Handlungen in solche Arten experimenteller Erfahrung oder probeweisen Handelns überführen? Taufe, Abendmahl und Beichte sind aus meiner Sicht religiöse Handlungen, die nur schwer in den Erfahrungs- und Handlungsraum der Schüler*innen hineingeholt werden können. Sie müssen über erzählte Erfahrungen, über litur­ gische Texte, über Exkursionen, über Standbildarbeit oder die Arbeit mit »tableaux vivants« (Husmann/Heidemann, 2017) zugänglich gemacht werden. Oft gibt es auch im populärkulturellen Bereich Anknüpfungspunkte, die eine Ahnung davon vermitteln, worum es bei der jeweiligen religiösen Praxis geht (Husmann/ Klie, 2005).

2  Performanzorientierte Didaktik in heterogenen Lerngruppen Im Folgenden wird nicht zwischen konfessioneller Vielfalt, religiöser Vielfalt und religiös-weltanschaulicher Vielfalt unterschieden, weil ich während meiner gesamten Berufslaufbahn – von 1987 bis 2017 – keine »rein evangelische« Lerngruppe im Evangelischen Religionsunterricht erlebt habe, auch nicht, wenn man darunter nur die formale Konfessions- oder Religionszugehörigkeit versteht. Die konkreten Überlegungen zur Unterrichtsplanung und Unterrichtsgestaltung orientieren sich daher an drei nicht-fiktiven dichten Beschreibungen einzelner Schüler*innen. Performative Religionsdidaktik

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»Mein Sohn wird in Deutschland sterben.« – Ümit ist der zehnjährige Sohn einer muslimischen Familie, die in zweiter Generation in Deutschland leben. Ümits Vater hat entschieden, dass sein Sohn am Evangelischen Religionsunterricht teilnimmt; der Sohn wollte lieber mit seinen Freunden am Alternativfach teilnehmen. Die Religionslehrerin möchte den anderen Charakter des Religionsunterrichts betonen und spricht zu Beginn der Religionsstunde ein Gebet, das von den Schüler*innen mitgebetet werden kann, wenn sie dies möchten. Ümit stört diese Unterrichtsphase und er beschwert sich bei seinem Vater; dieser beschwert sich bei der Schulleitung: »Alter Schwede, so habe ich mir das nicht vorgestellt. Mein Sohn wird in Deutschland sterben und beerdigt werden. Ich wollte, dass er auch etwas über die christliche Religion lernt. Aber beten soll er nicht müssen!« Nach einem Vierteljahr hat sich Ümit in die Gruppe eingefunden. Die Religionslehrerin spricht kein Gebet mehr, weil die Gruppe aus Schüler*innen verschiedener Klassen besteht und immer einige zu spät kommen und der Unterrichtsbeginn dadurch gestört wird. Ümit trägt in mehrfacher Weise zur Heterogenität der Lerngruppe bei. Er ist formal Muslim, aber nicht praktizierend. Aus der Grundschule bringt er die Erwartungshaltung mit, dass es in Religion »nicht schwer« sein wird und seine schlechten Noten in Deutsch, Sachkunde und Rechnen keine Rolle spielen werden – sofern er das überhaupt reflektiert. Sein Protest beruht also nicht darauf, dass er kein christliches Gebet sprechen will oder er mit der Aufgabe zu beten oder nicht überfordert wäre. Es ist vielmehr sein noch nicht gefestigter Status ohne seine Freunde in einer aus zwei Klassen zusammengesetzten Lerngruppe, der ihn rebellieren lässt. Das Setting der Religionslehrerin könnte man dem performanzorientierten Ansatz zuordnen: Sie initiiert eine religiöse Praxis als Rahmung ihres Unterrichts, ermöglicht aber allen Kindern, daran teilzuhaben oder auch nicht. Was sie verlangt, sind Respekt und Toleranz vor der Religionsausübung Anderer. Für Ümit, der bisher mit praktizierter Religion nicht in Berührung gekommen ist und sich in vielerlei Hinsicht sowieso fremd fühlt, ist das eine große Herausforderung, der eher pädagogisch als religionsdidaktisch begegnet werden muss – und begegnet wurde. Zwei Merksätze lassen sich formulieren: Im Religionsunterricht der ersten Klasse einer weiterführenden Schule wirken sich zusammengesetzte Lerngruppen als hinderlich aus. Die Lehrkraft und die Kinder wie auch die Kinder untereinander sollten sich zunächst, besonders im Hinblick auf ihre religiös-weltanschaulichen Orientierungen, gut kennenlernen und Regeln für ein respektvolles Miteinander entwickeln, bevor religiöse Praxis ins Spiel kommt. »Nicht, dass Sie glauben, es hätte mich interessiert.« – Merlin kommt aus einem nicht religiösen Elternhaus, er ist bekennender Agnostiker. Am Religionsunter150

Bärbel Husmann

richt nimmt er aus freien Stücken teil und bereichert das Unterrichtsgespräch durch seine Klugheit und seinen trockenen Humor. Am Ende der Schulzeit sagt er in einer Feedback-Runde: »Nicht, dass Sie glauben, es hätte mich interessiert. Ich bin hier, weil meine Freunde hier sind.« Merlins Teilnahme am Unterricht verdankt sich seinem Interesse an den Mitschüler*innen, nicht am Gegenstand des Unterrichts. Weil er so offen mit seinem Nicht-Glauben umgeht, ist er für die anderen wie für die Lehrkraft kenntlich. Seine starke Positionierung allerdings legt ihn selbst auch fest, und zwar sowohl in seinem Agnostizismus als auch in seiner Rolle innerhalb der Lerngruppe. Jedes nicht sorgsam inszenierte Rollenspiel, jedes nicht genau vorbereitete Experiment hätte Merlin als Teilnehmenden am Religionsunterricht unzulässig überwältigt. Als Merksatz lässt sich formulieren: Performanzorientierung kann didaktisch auch bedeuten, sich auf einer theoretischen Ebene mit den Praxen von Religion zu befassen: mit dem Ablauf eines Gottesdienstes, einer Beerdigung, mit Singen als Form gottesdienstlicher Beteiligung und religiösen Ausdrucks, mit den verschiedenen konfessionellen Abendmahlsverständnissen, mit Lebenszeugnissen christlicher Menschen. Das soll natürlich nicht heißen, dass mit Schüler*innen wie Merlin nur ein theoretischer Unterricht möglich ist, es heißt aber doch – wie oben gesagt –, dass Rollenspiele besonders sorgsam inszeniert werden müssen oder dass man sich für Fremdbegegnungen oder Fremdtexte (Pastorin im Unterricht oder schriftliche oder visuelle Berichte religiöser Menschen) entscheiden muss statt für Inszenierungen und performative Experimente. »Keine Ahnung!« – Hoang ist der Sohn vietnamesischer, katholischer Einwanderer. In der Unter- und Mittelstufe ist er ein fleißiger Schüler, auch in Religion. Er ist Messdiener, später Obermessdiener, und spielt hervorragend Klavier. In der Pubertät entwickelt er die Attitüde des Coolen: Er lässt seine Haare wachsen, hält seine Messdienertätigkeit geheim und tritt in die Bigband ein statt weiter klassische Klaviermusik zu spielen. Am Unterricht beteiligt sich Hoang so wenig wie möglich. Auf die Frage seines Klassenlehrers, wie er es nur schaffe, mit so wenig Einsatz so gute Leistungen zu erzielen, antwortet an Hoangs Stelle ein Mitschüler: »Vergessen Sie nicht: Hoang ist Asiate! Der hat Disziplin.« Fragen im Religionsunterricht, insbesondere zum Katholizismus, beantwortet er stets mit: »Keine Ahnung!« Beim Abi-Gottesdienst beteiligt er sich auf seine Weise: Er spielt in einem Anspiel eine Rolle ohne Text: die eines Engels. Hoang ist ein Beispiel für einen Schüler, dem seine soziale Rolle wichtig ist, der aber sein religiöses Leben als Privatsache schützt und verteidigt. Bei ihm gilt: Ihren eigenen Glauben, ihre eigene religiöse Praxis – das möchten Schüler*innen nicht im Unterricht thematisieren. Man kann Hoangs Verhalten sicher auch als Performative Religionsdidaktik

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spätpubertär klassifizieren; seine sprachlich und inhaltlich exzellenten Klausuren zeugen jedoch vom Gegenteil. Als Merksatz lässt sich formulieren: Das Lernen über die eigene Konfession, über andere Konfessionen und Religionen vollzieht sich nicht bei allen Schüler*innen im offenen Diskurs. Religiöse Praxis als Lerngegenstand muss von der Lehrkraft eingetragen und verantwortet werden. Es ist deutlich geworden, dass das Unterrichten von Kindern und Jugendlichen (statt von Fächern) nur gelingen kann, wenn die Lehrkraft die Vielfalt in allen Dimensionen im Blick hat. Positionalität und eine feste Verankerung in einer religiösen Praxis muss von der Lehrkraft ins Spiel gebracht werden und kann nicht von den Schüler*innen verlangt werden, die damit in aller Regel überfordert werden. Die Lehrkraft sollte möglichst selbst in dem Sinne pluralitätsfähig sein, dass sie über religiöse Mehrsprachigkeit und Dialogfähigkeit verfügt. Differenz muss als Bereicherung verstanden werden können, wenn sich das Lernen from religion (Schambeck, 2013) nicht nur im Herausdestillieren von Gemeinsamkeiten erschöpfen soll. Die Mehrsprachigkeit ist dabei eine Zielvorstellung: Fortbildung und Ausbildung von Religionslehrkräften im Hinblick auf konfessionelle oder gar religiöse Mehrsprachigkeit stecken noch in den Kinderschuhen. Theologisch ist dies nur möglich, wenn auf die Proklamation objektiver Wahrheitsansprüche verzichtet werden kann. Damit geht einher, dass man auch sprachlich ohne ein vereinnahmendes »Wir« auskommen können muss. Der Prozess einer Lerngruppe im Miteinander des Lernens spielt eine besondere Rolle und gelingt in stabilen Lerngruppen natürlich besser. Denn Toleranz und Dialogfähigkeit müssen eingeübt werden und Glaubensüberzeugungen müssen von bloßen Meinungsäußerungen unterschieden werden können. Religiöse Praxis als wesentlichen Teil von Religion in den Religionsunterricht performanzorientiert zu integrieren, stellt darüber hinaus eine besondere Herausforderung dar und ist bei religiös-weltanschaulicher Vielfalt aufseiten der Lerngruppe aus meiner Sicht nur möglich, wenn man sich als Lehrkraft zum einen auf die Praxis der Religion und der Konfession(en) beschränkt, in denen man »zu Hause« ist, und zum anderen den Unterricht nicht selbst zu einem Ort religiöser Praxis werden lässt (Typ (5)).

3  Potenziale und Grenzen »Fremdheit ist kennzeichnend für alle relevanten Bildungsvorgänge« (Liebau, 2017, S. 11) – wer diese Grundannahme teilt, wird vornehmlich die Chancen (religiöser) Heterogenität für (religiöse) Bildungsvorgänge betonen. Sie liegen vor allem darin, 152

Bärbel Husmann

dass der Wechsel von Innenperspektive und Außenperspektive auf die eigene Religion und die eigene Religiosität erleichtert wird, weil Inhalte und Methoden des Unterrichts, vor allem aber die Haltung des Respekts vor anderen Traditionen und anderen religiösen Überzeugungen einen »Rückzug ins Eigene« verhindern. Für die performanzorientierte Didaktik liegt die Chance darin, Verabsolutierungen und vermeintliche Richtigkeiten zu verflüssigen. Stärker als in religiös homogenen Lerngruppen kann Differenz in besonderer Weise als Bildungsimpuls wirken und – nicht minder wichtig – selbsttätige, subjektorientierte Bildungsprozesse auslösen (Schambeck, 2013). Grenzen liegen in der Kompetenz der jeweiligen Lehrkraft. Wie bereits oben angemerkt, ist die Ausbildung von Lehrkräften nicht auf den Erwerb einer »religiösen Zweitsprache« ausgerichtet. Und es ist sicher eine nicht zu realisierende Utopie, zwei Bezugswissenschaften für die Fakultas im Fach Religion zu etablieren: Evangelische oder Katholische Theologie und Religionswissenschaften. Ein partielles gemeinsames Lernen, das den Erwerb von Differenzkompetenz fördert, wäre allerdings ein notwendiger Schritt in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften. Literatur zum Weiterlesen Husmann, B. (2008a): Experiment und Erfahrung. Zur Begründung liturgischen Lernens im Religionsunterricht. Zeitschrift für Pädagogik und Theologie, 60 (1), S. 48–58. Husmann, B./Klie, T. (2005): Gestalteter Glaube. Liturgisches Lernen in Schule und Gemeinde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Sonstige Literatur Dressler, B. (2002): Darstellung und Mitteilung. Religionsdidaktik nach dem Traditionsabbruch. Religion an höheren Schulen, 45 (1), S. 11–19. Dressler, B. (2016): Art. Performativer Religionsunterricht. In: WiReLex. Verfügbar unter:, https:// www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100017/ [03.04.2018]. Englert, R. (2002): Performativer Religionsunterricht!? Anmerkungen zu den Ansätzen von Schmid, Dressler und Schoberth. Religion an höheren Schulen, 45 (1), S. 32–36. Husmann, B. (2008b): Inszenierung und Unterricht. Oder: Man kann nicht nicht inszenieren. In: T. Klie/ S. Leonhard (Hg.): Performative Religionsdidaktik. Religionsästhetik – Lernorte – Unterrichtspraxis, S. 26–37. Stuttgart: Kohlhammer. Husmann, B./Heidemann, I. (Hg.) (2017): Religion 5–10. Heft 25. Hat Essen mit Religion zu tun? Seelze: Friedrich-Verlag. Käbisch, D. (2014): Performanzorientierte Religionsdidaktik. Oder: Wie können Schülerinnen und Schüler über religiöse Handlungen ins Gespräch kommen? Zeitschrift für Pädagogik und Theologie, 66 (4), S. 376–385. Klie, T./Leonhard, S. (Hg.) (2003): Schauplatz Religion. Grundzüge einer Performativen Religionspädagogik. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt. Liebau, E. (2017): Fremdheit in Bildung, Schule, Lernen. In: W. Beutel/A. Kittlitz/E. Liebau/L. H. Seukwa/ K.-J. Tillmann (Hg.): Schüler 2017. Fremdheit, S. 10–12. Seelze: Friedrich-Verlag. Schambeck, M. (2013): Interreligiöse Kompetenz. Basiswissen für Studium, Ausbildung und Beruf. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht/UTB.

Performative Religionsdidaktik

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Sakralraumpädagogik Clauß Peter Sajak

1  Sakralraumpädagogik als religionspädagogischer Ansatz Unter Sakralraumpädagogik wird im Folgenden das geplante, initiierte und reflektierte Bemühen verstanden, durch das Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit sog. Sakralräumen, also Orten religiös-kultischer Praxis vertraut gemacht werden sollen. Dabei zielen Lernprozesse in diesem Kontext sowohl auf die Entwicklung von Wahrnehmungs- und Deutungskompetenz wie auch auf die Fähigkeit, sich in Synagogen, Kirchen und Moscheen angemessen zu verhalten und ggf. an religiösen Vollzügen teilnehmen zu können, also auf Partizipationskompetenz (Sajak, 2018).

1.1  Begriff und Idee Die Erschließung von jüdischen, christlichen und muslimischen Gotteshäusern im Kontext des interreligiösen bzw. des trialogischen Lernens verdankt sich fachdidaktischen Entwicklungen, die vor allem in der evangelischen Religionspädagogik der vergangenen 25 Jahre stattfanden und die seit einigen Jahren auf die katholische Religionsdidaktik, das religiöse Lernen im Judentum und auf die islamische Religionspädagogik übertragen worden sind (Sajak, 2012). Diese Beschränkung auf die monotheistischen Religionen der abrahamischen Tradition hat keine theologischen oder pädagogischen Gründe und ist auf keinen Fall exklusiv zu verstehen: Aus den asiatisch-weisheitlichen Religionen wie dem Hinduismus, dem Buddhismus oder dem Sikhismus liegen im deutschen Sprachraum schlicht keine religionspädagogischen Konzeptionen vor, auch wenn z. B. in Hamburg und Hamm bereits Hindu-Tempel als Lernorte genutzt werden.

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1.2  Sakrale und profane Räume Im sog. trialogischen Lernen, durch das Menschen aus Judentum, Christentum und Islam in ein konstruktives Gespräch gebracht werden sollen, das zu gegenseitigem Verstehen, Respekt und Wertschätzung führen will (Sajak, 2016), stellt dagegen die Sakralraumpädagogik einen wichtigen Baustein dar: Zum einen vertreten alle drei Religionen den Anspruch, dass in einem Gotteshaus, sei es die Synagoge, die Kirche oder die Moschee, Gott selbst gegenwärtig ist und deshalb hier von den Menschen in einer besonderen, intensiven Weise verehrt und angebetet werden kann. Zum anderen markieren Gotteshäuser nach außen, also in die Gesellschaft hinein, durch ihre Architektur und Gestalt einen besonderen Ort, der von der sonstigen Wirklichkeit zu trennen ist: Ein Gotteshaus will ein sakraler, also ein heiliger Ort sein, der vom profanen Ort der Welt, also der Stadt, der Gemeinde, der Straße usw. bewusst abgegrenzt wird. Somit ist jedes Gotteshaus eine Art Einfallstor Gottes in eine ansonsten zweckrationalisierte, technisierte und funktionalisierte Welt. Dies betrifft nicht nur die Dimension des Raums, sondern auch die Dimension der Zeit. An einem heiligen Ort steht die Zeit in gewisser Weise still. Dies ist auch für Schüler*innen bereits deutlich wahrzunehmen, wenn sie aus der Hektik des Alltags in die eindrucksvolle Stille und Bewegungslosigkeit einer Kirche, einer Synagoge oder einer Moschee eintreten. Die Begegnung mit Gott wird somit zu einer heilsamen Unterbrechung des hektischen Alltagsgeschehens. Alle drei abrahamischen Religionen kennen das Grundphänomen des heiligen Raums in ihrer religiösen Tradition (Sajak, 2012). Für Jüd*innen ist es die Synagoge, in der Gott gegenwärtig ist und in der er von ihnen angerufen und im Lesen der Tora erinnert werden kann. Christ*innen finden Gott in besonderer Weise in der Kirche: Sie ist der Ort, an dem Gott durch Schrift und Sakrament gegenwärtig ist. Im Islam ist es die Moschee, in der sich Muslim*innen, wie einst Mose, die Schuhe abstreifen und sich gemeinsam vor Gott niederwerfen, um ihn zu loben und zu preisen.

1.3  Pädagogische Anliegen Will man Kinder und Jugendliche befähigen, sich in angemessener Weise mit Judentum, Islam und Christentum auseinanderzusetzen, so ist es unabdingbar, dass sie lernen, die heiligen Räume der drei abrahamischen Religionen zu entdecken, zu deuten und sich in ihnen zu verhalten. Dabei darf es nicht nur darum gehen, die einzelnen Bestandteile und Elemente des jeweiligen Gotteshauses identifizieren und darstellen bzw. erklären zu können, sondern auch Sakralraumpädagogik

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darum, die vielfältige Zeichen- und Symbolsprache der heiligen Räume deuten und verstehen zu lernen. Um einen auf Fähigkeiten und Fertigkeiten abzielenden Bildungsprozess bei Schüler*innen anzustoßen, der zu angemessenem Verhalten in sakralen Räumen und ggf. auch zum religiösen Vollzug befähigt, sind in den drei abrahamischen Religionen unterschiedliche Gestaltungselemente und Kultregeln zu beachten, wenn mit Kindern und Jugendlichen in Gotteshäusern diese Kompetenzen erschlossen und entwickelt werden sollen.

2  Sakralraumpädagogik in heterogenen Lerngruppen Sakralraumpädagogik eignet sich in besonderer Weise für die religionspädagogische Arbeit in heterogenen Gruppen, weil der Bereich der sakralen Räume und Gebäude kaum einem Kind oder einem Jugendlichen heute vertraut ist. Entsprechend steht die Entdeckung und Erschließung von Gotteshäusern mit Schüler*innen aller Konfessionen und Religionen unabhängig vom Lernort – Synagoge, Kirche oder Moschee – vor der Herausforderung, dass solche sakralen Räume im Kontext einer zunehmend säkularen Gesellschaft, von allen Kindern, Jugendlichen, wie auch von Erwachsenen unterschiedlichster Weltanschauungen ganz grundsätzlich entdeckt und erklärt werden müssen. Dafür haben Christentum, Islam und Judentum in den vergangenen Jahrzehnten verwandte religionspädagogische Ansätze entwickelt.

2.1  Zugänge der Religionen zu sakralen Räumen Kirchenpädagogik

Beginnend mit den 1990er Jahren hat sich, aufgrund unterschiedlicher Schwerpunktsetzungen auf katholischer (Kirchraumpädagogik) und evangelischer Seite (Kirchenpädagogik) terminologisch leicht divergierend, eine ausgeprägte Didaktik der Kirchenraumerschließung entwickelt (einschlägig: Rupp, 2006). Es soll zum einen um die kulturhermeneutische Alphabetisierung gehen, die Kinder und Jugendliche befähigt, den Kirchenraum und damit eine elementare wie fundamentale Manifestation des christlichen Glaubens zu verstehen und »lesen zu lernen« (Rupp, 2012, S. 18). Zum anderen können spirituelle Übungen und rituelle Vollzüge an den bedeutenden Orten des tradierten Glaubens ermöglicht, reflektiert und beurteilt werden. Die Erschließung des Kirchenraums ermöglicht somit Zugänge zu religiösen Erfahrungen, die heutige Kinder und Jugendliche ohne religiöse Praxis in der Regel sonst nicht machen. Als dritte Zieldimension macht 156

Clauß Peter Sajak

der evangelische Religionspädagoge Hartmut Rupp (2006) in seinem Handbuch zur Kirchenpädagogik schließlich die »Beheimatung« (S. 18) aus, und zwar sowohl die im Gottesdienstraum wie die in der Pfarrgemeinde. In beiden Konfessionen hat sich inzwischen ein festes Repertoire von Methoden der Kirchenpädagogik etabliert – die stadtgeschichtliche Auslegung von Kirchen im Kontext des historischen wie kommunalen Umfeldes, die kunstgeschichtliche, die semiotische, die liturgische, die kerygmatische, die biografische, die frömmigkeitsgeschichtliche, die phänomenologische und schließlich die mystagogische. Moscheepädagogik

Im deutschsprachigen Kontext kann der Hamburger Religionspädagoge Ali-­ Özgür Özdil als Begründer einer religionsdidaktisch konzeptionierten Moscheepädagogoik gelten (Özdil, 2002, 2003). Im Kontext der multikulturellen und religiös pluralen Metropole Hamburg entwickelte Özdil Anfang des Jahrtausends ein Konzept der Moscheepädagogik, das auf der klassischen Moscheeführung aufbaut. Er rät allerdings allen, sich bereits vor dem Besuch mit dem Thema der Moschee auseinanderzusetzen. Als ersten Methodenschritt der konkreten Moscheeerschließung empfiehlt Özdil auf der Ebene menschlicher Begegnung zu beginnen: »D. h. der Dialog wird erst einmal auf eine breite Basis gelegt, bevor er auf religiöse und kulturelle Fragen ›verengt‹ wird. Daher wird empfohlen sich erst einmal – wenn möglich – bei einem Tee gegenseitig vorzustellen. Dann erst, wenn alle ›angekommen‹ sind, kann eine Führung durch die Räumlichkeiten stattfinden, damit erste Eindrücke gewonnen und die Basis für weitere Fragen gelegt werden kann. Bevor das Fragen beginnt – es können auch schon vorher welche vorbereitet werden – empfiehlt es sich, den Besuchern die Gelegenheit zu geben, für ca. fünf Minuten durch den Gebetsraum zu gehen und sich alles anzusehen« (Özdil, 2012, S. 24). Im zweiten Schritt sollen sich die Schüler*innen in einem Halbkreis vor der Gebetsnische versammeln, sodass der/die Moscheeführer*in nun für alle die Einrichtungsgegenstände erklären kann. Dabei empfiehlt Özdil den Führenden, statt einen langen Vortrag zu halten, die Besucher*innen zu fragen, was sie bereits kennen und zuordnen können. Eine solche interaktive Gestaltung verhindere, dass es zu einem langweiligen Monolog der muslimischen Expert*innen kommen könne. Für Grundschulklassen hält Özdil eine sogenannte »Islam-Kiste« mit Gegenständen (Gebetsteppich, Gebetskette, Kompass, Bildern, Büchern und Begriffskarten) bereit: »Denn wenn Begriffe wie ›Minbar‹ oder ›Kanzel‹ fallen, Sakralraumpädagogik

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kann der Moscheeführer diese Begriffe hochhalten oder sogar zu den jeweiligen Gegenständen legen lassen, damit die Schüler nicht nur hören, sondern auch sehen können (z. B. wie ›Imam‹ geschrieben wird)« (S. 25). Im Anschluss können sonstige Aktivitäten unter dem Dach der Moschee erklärt und die Tätigkeiten eines Imams vorgestellt werden – z. B. auch im Vergleich mit den Aufgaben von Rabbiner*innen oder Pastor*innen. Mit Blick auf die abschließende Fragerunde ist Özdil wichtig, dass weitere Fragen »auf neugierige und weniger auf provokante Weise gestellt werden. So kann sich bereits sehr früh ein respektvoller Dialog entwickeln und über Gemeinsamkeiten wie Unterschiede gesprochen werden. Der Dialog führt schließlich zur Selbstreflexion und die Schüler fangen an ein ›Wir-Gefühl‹ zu entwickeln. Z. B. sagen dann Schüler aus christlichen Familien: ›In unserer Kirche …‹, ›bei uns Christen …‹« (S. 25). Synagogenpädagogik

Obwohl der Begriff der Synagogenpädagogik in der jüdischen Religionspädagogik so nicht existiert, finden sich erste religionsdidaktische Ansätze, welche auf der stattfindenden pädagogischen Arbeit in und an Synagogen aufbauen. Esther Kontarsky definiert die Synagogenpädagogik »als Variante, Adaption oder Erweiterung der recht jungen Kirchenpädagogik« (Kontarsky, 2012, S. 30) und deutet neben den Adaptionen und Variationen in ihrem Entwurf ein Spezifikum der pädagogischen Arbeit in Synagogen an, das in der etymologischen Bedeutung des Begriffes Synagoge selbst begründet liegt (dazu Herborn/Sajak, 2016). Der aus dem Griechischen stammende Begriff Synagoge bedeutet übersetzt »Versammlung« und bezeichnet somit analog zum Begriff Moschee (arabisch madschid, »Ort der Niederwerfung«) und im Gegensatz zum Begriff Kirche (griechisch kyriaké, »Haus des Herrn«) weniger das Gebäude oder den Raum selbst als vielmehr die kultische Praxis, nämlich das Zusammenkommen der Gemeinde zum Zweck des Gebets sowie der Toralesung und -auslegung – und damit verbunden auch zum religiösen Lernen. Die Einrichtung von Schulen und Studieneinrichtungen, wie der Talmud Tora oder Jeschiwa, waren folglich als Orte der Bildung und der Tradierung des eigenen Glaubens in schriftlicher und mündlicher Tradition immer schon selbstverständlich mit der multifunktionalen Synagoge verbunden genauso wie die Vermittlung der hebräischen Sprache (Herborn/Sajak, 2016). Diese Funktion der Synagoge als »Lehrhaus« des jüdischen Glaubens wird dabei im jiddischen Begriff Schul, einer der ältesten Bezeichnungen für die Syna­ goge, besonders deutlich. Es zeigt sich, dass eine jüdische Synagogenpädagogik, im Gegensatz zur Kirchenraumpädagogik, nicht zwangsweise an den Synagogenraum gebunden ist, sondern sämtliche religiöse Bildungsprozesse innerhalb der 158

Clauß Peter Sajak

Gemeindeeinrichtungen umfasst. Auch in der Moscheepädagogik werden Korankurse als wichtiges Element der pädagogischen Arbeit herausgestellt, die eben auch auf der Multifunktionalität der Moschee und den anliegenden Gemeindeeinrichtungen basiert (Herborn/Sajak, 2016). Die von Esther Kontarsky skizzierte jüdische Synagogenpädagogik wird darüber hinaus durch die Adaption von Elementen aus der Kirchenraumpädagogik ergänzt. Synagogenführungen stellen analog zur Kirchenführung eine, wenn nicht die zentrale Methode zur Erschließung des Synagogenraums selbst dar. Esther Kontarsky unterscheidet dabei zwischen zwei Formen der Synagogenführung: »Solche, die in aktiven Synagogenräumen stattfinden und zumeist durch den örtlichen Rabbiner oder geschultes Personal einer jüdischen Gemeinde durchgeführt werden und solche, die in ehemaligen Synagogen angeboten werden. Sie sind eigentliche Museumsführungen und verfolgen einen eher kulturhistorischen Ansatz […]« (Kontarsky, 2012, S. 31). Diese Museumsführungen, die deutlich machen, dass auch die Synagogenpädagogik in der Museumspädagogik wurzelt, haben dabei in den vergangenen Jahren viele neue erfahrungsorientierte Vermittlungsformen erprobt. Kindern und Jugendlichen ebenso wie Erwachsenen wird beispielsweise durch eine interaktive Reise in das Leben von Jüd*innen im Mittelalter ein Blick in die fremde Vergangenheit eröffnet, oder Köfferchen mit authentischen Zeugnissen des rituellen Alltags von Jüd*innen geben Einblicke in die Lebensgestaltung und eröffnen einen Zugang zu Festen und Ritualen der Religion. Das Lernen an Zeugnissen, im Synagogenraum selbst oder die Begegnung mit den personalen Zeugen in den Synagogenführungen ersterer Führungsart ermöglichen dabei einen personalisierten und biografischen Ansatz der Erschließung, die vom Judentum und seinen individuellen Deutungen im Leben von Menschen erzählen. Denn ein Ziel jüdischer Synagogenpädagogik ist, »dass Juden und Judentum nicht allein im Kontext von Verfolgung, Ermordung gesehen werden – [sondern] vielmehr als lebenszugewandte Existenzform und als religiöse Identität […]« (S. 31).

2.2  Didaktische Perspektiven der Sakralraumpädagogik Verbindet man die von Rupp, Özdil und Kontarsky entwickelten Konzepte zur Erschließung von Kirche, Moschee und Synagoge, so lassen sich methodische Elemente und prozessprägende Phasen erkennen, die sich zu einer religionsübergreifenden Struktur trialogischer Sakralraumpädagogik akzentuieren lassen: Sakralraumpädagogik

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Die Phase der Annäherung und Wahrnehmung

Schüler*innen nähern sich einem Gotteshaus und nehmen das Gebäude bewusst und gründlich von außen wahr: Wo liegt das Gotteshaus, wie fügt es sich in seine Umgebung, woran ist es von außen zu erkennen? Wie wirkt sein Äußeres auf mich? Was assoziiere ich mit dem Gebäude? Die gemeinsame Besichtigung und Erschließung des Innenraums setzt voraus, dass den Erziehungsberechtigten aller Schüler*innen das Vorhaben erklärt und dieses mit ihnen diskutiert worden ist. Vor allem für orthodox-jüdische Familien kann das Betreten einer christlichen Kirche und die Begegnung mit dem Kreuz ein religiöses Tabu berühren. Wichtig ist es, darauf hinzuweisen, dass es beim Besuch einer Kirche nicht um Gebet oder Gottesdienst geht, sondern um ein gegenseitiges Kennenlernen von Jüd*innen, Christ*innen und Muslim*innen.

Für den Eintritt in den Innenraum des Gotteshauses empfiehlt sich ein Schwellenritual, z. B. durch das Stillwerden beim Eintreten und das Hinsetzen als Einzelne*r verteilt im Raum. Zum Ritual kann auch das Aushändigen eines Erkundungsbogens gehören, der von den Kindern und Jugendlich im Folgenden genutzt werden soll, um den Innenraum des Gotteshauses bewusst und gründlich wahrzunehmen. Dabei haben sich die folgenden Fragen als hilfreich erwiesen (Sajak, 2012): – Du betrittst nun das Gotteshaus … – Gibt es besondere Handlungen oder Vorschriften, die du vor oder beim Betreten des Gotteshauses beachten musst? – Du befindest dich nun im Innenraum des Gotteshauses … – Lass den Raum zunächst auf dich wirken und schau dich dann einmal genauer um. Welche Einrichtungsgegenstände siehst du? Beschreibe Sie. Kommen dir einige bekannt vor? Gibt es welche, die dir völlig fremd sind? Gibt es Fragen, die dir zur Einrichtung einfallen? – Welche Symbole, Zeichen oder Zeichnungen kannst du entdecken? Benenne sie oder male sie nach. Was fällt dir dazu ein? – Gibt es einen Ort oder einen Gegenstand in diesem Gotteshaus, an dem du dich besonders wohl fühlst? Wo ist dieser und was macht diesen Ort zu deinem Lieblingsort?

Die Phase der Deutung und des Verstehens

Die von den Schüler*innen in der ersten Phase zusammengetragenen Erfahrungen und Beobachtungen werden nun im Zuge einer geleiteten Gotteshausführung aufgenommen, eingeordnet und erklärt. 160

Clauß Peter Sajak

In einer solchen Phase der Vertiefung können die wichtigsten Elemente des Sakralraums benannt, in ihrer Funktion erklärt und in ihren kultischen Kontext gestellt werden. Dazu können verschiedene Sozialformen und Methoden verwendet werden (Sajak, 2012): – der Expert*innenvortrag vor der Gruppe; – die Einzel-, Partner*innen- und Gruppenarbeit mit vorbereiteten Lernmaterialien); – kooperative Lernverfahren wie die Think-Pair-Share-Methode, mit der Einzelund Gruppenarbeiten zusammengetragen und abgeglichen werden können; – die Hilfe von Expert*innen aus den eigenen Reihen, also jüdischen, christlichen und muslimischen Kindern, die sich vorher mit dem Gotteshaus ihrer eigenen Religion vertraut gemacht haben.

Die Phase der Teilnahme und des Erlebens

In dieser dritten Phase richtet sich der Blick schließlich auf die rituelle Praxis, die in einem Sakralraum regelmäßig durchgeführt wird. Da sich diese in den drei abrahamischen Religionen unterscheidet und auch das Empfinden, was für Kinder an religiösen Vollzügen einer (anderen) Religion angemessen ist, in den Religionen sehr unterschiedlich ausgeprägt ist, empfiehlt es sich, an dieser Stelle nur Elemente der Erprobung und Einübung aufzugreifen, die von allen Kindern der Lerngruppe, unabhängig von ihrer eigenen Konfession bzw. Religion, problemlos angewandt werden können. Dadurch werden nichtreligiöse Kinder oder Schüler*innen, die einer anderen Religion angehören, weder ausgeschlossen noch überwältigt.

Solche bekenntnisunabhängigen Elemente der Erprobung können z. B. sein: – den Raum in einer Prozession langsam und bewusst durchschreiten; – sich einen Lieblingsplatz im Raum suchen und dort still verweilen; – Stilleübungen oder Meditationen durchführen; – Gebetshaltungen an den entsprechenden Orten im Raum einnehmen; – Gebetsgebärden ausprobieren und diskutieren; – ein Gebet aus der religiösen Tradition, zu welcher der Sakralraum gehört, vortragen.

Sakralraumpädagogik

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3  Potenziale und Grenzen Eine solche übergreifende Struktur, die zur Erschließung von Synagoge, Kirche wie Moschee dienen kann, bietet das Potenzial, Lerngruppen, die vornehmlich aus christlich und muslimischen und ggf. auch jüdischen Schüler*innen bestehen, mit den heiligen Räumen der abrahamischen Religionen vertraut zu machen und über diese wichtigen Glaubensvorstellungen und -praktiken in Judentum, Christentum und Islam zu erschließen. Schüler*innen ohne religiöses Bekenntnis, die am Religionsunterricht teilnehmen, werden mit den ersten beiden Phasen sicher keine Probleme haben, zumal sich diese Phasen auch rein museumspädagogisch als Denkmalerschließung verstehen lassen (Boehme, 2007). Mit Blick auf die dritte Phase, also die Teilnahme und den Vollzug, gilt für religionslose Kinder und Jugendliche genau die gleiche Schutzregel wie für konfessionell gebundene Kinder: das Überwältigungsverbot. Kein*e Schüler*in darf gegen seinen/ihren Willen zur Teilnahme an religiösen Vollzügen und rituellen Handlungen gezwungen werden. Dies schützt nämlich nicht nur den jungen Menschen vor Vereinnahmung und religiösem Zwang, sondern auch die Sakralität des religiösen Raumes, denn es bewahrt die in diesem Raum vollzogenen Rituale vor Verzweckung und Veralberung, wie sie in jeder Schulklasse rasch entstehen können. Damit ist die entscheidende Grenze des Ansatzes genannt. Literatur zum Weiterlesen Brüll, C./Ittman, N./Maschwitz, R./Stopping, C. (2005): Synagoge – Kirche – Moschee. Kulträume erfahren und Religionen entdecken. München: Kösel. Sajak, C. P. (Hg.) (2010): Trialogisch lernen. Bausteine für interkulturelle und interreligiöse Projektarbeit. Seelze: Kallmeyer. Sajak, C. P. (Hg.) (2012): Gotteshäuser. Entdecken – Deuten – Gestalten. Paderborn: Schöningh.

Sonstige Literatur Boehme, K. (2007): Kirchenräume erschließen. In: L. Rendle (Hg.): Ganzheitliche Methoden im Religionsunterricht, S. 230–244. München: Kösel. Herborn, D./Sajak, C. P (2016): Sakralraumpädagogik. Perspektiven für eine religionspädagogische Erschließung von Synagogen. In: C. Gärtner/N. Bettin (Hg.): Interreligiöses Lernen an außerschulischen Lernorten. Empirische Erkundungen zu didaktisch inszenierten Begegnungen mit dem Judentum, S. 45–56. Münster: LIT Verlag. Kontarsky, E. (2012): Synagogenpädagogik im Judentum. In: C. P. Sajak (Hg.): Gotteshäuser. Entdecken – Deuten – Gestalten, S. 26–36. Paderborn: Schöningh. Neumann, B./Rösner, A. (2003): Kirchenpädagogik. Kirchen öffnen, entdecken und verstehen. Ein Arbeitsbuch. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Özdil, A.-Ö. (2002): Wenn sich die Moscheen öffnen. Münster: Waxmann. Özdil, A.-Ö. (2003): Heilige Räume im Islam. Grundschule Religion, 2 (1), S. 29–30. Özdil, A.-Ö. (2012): Moscheepädagogik im Islam. In: C. P. Sajak (Hg.): Gotteshäuser. Entdecken – Deuten – Gestalten, S. 20–25. Paderborn: Schöningh.

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Clauß Peter Sajak

Rupp, H. (2006): Handbuch der Kirchenpädagogik. Stuttgart: Calwer. Rupp, H. (2012): Kirchenpädagogik im Christentum. In: C. P. Sajak (Hg.): Gotteshäuser. Entdecken – Deuten – Gestalten, S. 13–20. Paderborn: Schöningh. Sajak, C. P. (2016): Art. Trialogisches Lernen. In: WiReLex. Verfügbar unter: https://www.­ bibelwissenschaft.­de/stichwort/100126/ [06.01.2018]. Sajak, C. P. (2018): Interreligiöses Lernen. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Sakralraumpädagogik

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Didaktik Heiliger Schriften Martina Steinkühler

1  Religionsdidaktisches Arbeiten mit Heiligen Schriften Religionswissenschaftlich werden Heilige Schriften durch folgende Kriterien definiert (Sajak, 2005; Tworuschka, 2008): Sie sind fixiert und kanonisiert sowie verbindlich und zentral für eine bestimmte Religion, deren Tradition und Praxis. Im engeren Sinn gilt das besonders für Tenach, Bibel und Koran; im weiteren Sinn auch für Mythen, Legenden und religiös bedeutsame Sagen. Wie zen­ tral ein solcher Kanon für die jeweilige Religion tatsächlich ist und wie seine Verbindlichkeit jeweils verstanden und umgesetzt wird, darin gibt es freilich Unterschiede. So führt die Formel von »Gottes Wort im Menschenwort« (Berg, 2017, S. 17; Schambeck, 2017, S. 34) zu einer größeren Offenheit im Umgang als etwa die Lehre von der Verbalinspiration und es macht einen großen Unterschied, ob eine Heilige Schrift als präexistent und ewig betrachtet wird oder als Dokument einer historisch bestimmbaren Zeitlichkeit. Das Prädikat »heilig« kann insofern zwar grundsätzlich verstanden werden (von »außen«), im konkreten Fall jedoch muss es immer wieder differenziert betrachtet werden (von »innen«). Die Heiligkeit einer Schrift hat ihre besondere Bedeutung in privater Frömmigkeit, in Liturgie, Verkündigung und Katechese. In Bezug auf Bildungszusammenhänge, insbesondere auf die konfessionell geprägte religiöse Bildungsarbeit im Religionsunterricht, ist das weniger selbstverständlich. Die Rolle der Bibel im evangelischen Religionsunterricht kann als Beispiel dienen.

1.1  Die Bibel im Religionsunterricht Die Bibel als Urkunde des Glaubens hat im christlichen Religionsunterricht eine wechselvolle Geschichte. Einst ganz selbstverständlich für dessen Mittelpunkt gehalten, gerät sie nach der Wendung zur Subjekt- und Lebensweltorientierung in den 1970er Jahren in die Kritik. Man kann sich einen Religionsunterricht 164

auch unabhängig von der Bibel vorstellen (Kaufmann, 1973) bzw. beginnt, an Bibeltexte dieselben didaktischen Maßstäbe anzulegen wie an andere Materialien auch: Was an ihnen ist unverzichtbar für den geplanten Lernprozess? Was haben Schüler*innen für ihre Gegenwart und Zukunft davon, sich mit diesem oder jenem Bibeltext auseinanderzusetzen? Heute haben alle Fächer Anteil am allgemeinen Bildungsauftrag der Schulen und weisen nach, dass sie sowohl Beiträge zu übergeordneten Aufgaben als auch einen domänenspezifischen Beitrag zur umfassenden Bildung leisten (Büttner/Dieterich/Roose, 2015). Für den Religionsunterricht sind zu nennen: Wahrnehmung und Deutung religiöser Phänomene, religiöse Sprach- und Diskurskompetenz, Partizipations- und Urteilskompetenz in Bezug auf religiöse Praxis. Die Bibel spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle als Quelle religiös bedeutsamer Texte, religiöser Sprache und Symbolik. Sie ist eine Bildungsagentin, weil sie der christlichen Kirche und Gemeinschaft als ihr Heiliges Buch gilt und man an ihr lernen kann, was ein Heiliges Buch ist. Daneben hat die Bibel eine zweite Rolle im Religionsunterricht. Als res mixta ist der Religionsunterricht in Deutschland nach Art. 7,3 GG organisatorisch Sache des Staates, inhaltlich aber von den zuständigen Glaubensgemeinschaften verantwortet. Wenn nun aber für die Kirchen die Bibel »Wort Gottes« ist, ist das nicht nur äußerlich zur Kenntnis zu nehmen, sondern soll in ihren Inhalten – Texten, Worten und Bildern – erlebbar werden. Damit ist die Bibel im Religionsunterricht nicht nur Bildungsagentin, sondern auch das Heilige Buch der Christ*innen, das seine Heiligkeit in der Begegnung mit den Schüler*innen erweisen soll. In diesem Zusammenhang sind seit den 1980er Jahren in der Bibeldidaktik erfahrungsbezogene Zugänge wichtig geworden. Es gilt, Bibeltexte so zu öffnen, dass Schüler*innen in ihnen Lebensmotive entdecken, die in der eigenen Lebenswelt so oder anders ebenfalls vorkommen (Theißen, 2003). Bibelgeschichten werden in der Begegnung zu »Lebensgeschichten« (Steinkühler, 2017b). Im Idealfall erweist sich durch sie der Glaube an Gott als heilsam. Letzteres bleibt aber – in Bildungszusammenhängen(!) – notwendig offen.

1.2  Andere Religionen und ihre Schriften im christlichen Religionsunterricht In den letzten Jahrzehnten hat sich nicht nur ein Wandel in der Bibeldidaktik vollzogen, sondern auch in der Art und Weise, wie Weltreligionen im christlichen Religionsunterricht wahrgenommen und thematisiert werden. In älteren Didaktik Heiliger Schriften

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Modellen wird jahrgangsweise je eine Unterrichtseinheit »Islam«, »Judentum« usw. zwischen ausschließlich christlich orientierte Einheiten eingefügt. Die »Heiligen Schriften« der so präsentierten Religionen werden zu Sachinformationen in der Liste religionswissenschaftlicher Merkmale. Daneben gibt es zunehmend Materialien, die über einen religionskundlichen Ansatz hinausgehen. Virtuell (Texte, Bilder) und real werden Begegnungen und Begehungen angeregt sowie, was die Heiligen Schriften angeht, gegenseitiges Erzählen: vom Exodus, der Geburt Jesu, von Muhammad (Meyer, 2006, 2008, 2015). Dabei ist es nicht nötig, Differenzen aus- und anzugleichen (Naurath, 2017). Vergleiche und der Streit um die Wahrheit haben hier nicht ihren Platz. Es gilt vielmehr, offen und wertschätzend auf das Andere zu hören, staunend und fragend, und den eigenen Horizont zu erweitern. Eine weitere Neuerung ist es, wenn die anderen Religionen und ihre Schriften im christlichen Religionsunterricht statt epochal nun dimensional in den Blick kommen: Angesichts der Frage nach Gott werden neben christlichen auch jüdische und muslimische Perspektiven berücksichtigt, ebenso wenn es um Feste geht oder um den Umgang mit der eigenen, als heilig geglaubten Schrift. Ein solcher Ansatz findet sich aktuell zum Beispiel im Rahmenplan der evangelischen Kirche in Berlin und Brandenburg; aber auch in einem Unterrichtswerk für die Sekundarstufe (Bürig-Heinze/Goltz/Rösener/Wenzel, 2018).

2  Arbeiten mit Heiligen Schriften in heterogenen Gruppen Heilige Schriften in heterogenen Lerngruppen – das ist dreifach zu konkretisieren: Die einen betrachten die jeweilige Heilige Schrift aus der Innenperspektive (»meine Heilige Schrift«), die anderen von außen (»nicht meine«). »Nicht meine« kann bedeuten: »Ich habe eine andere.« Oder: »Ich habe keine.« Oder: »Ich weiß noch nicht.« Um mit diesen allen fruchtbar arbeiten zu können, bedarf es passender Settings.

2.1  Heilige Schriften und die Förderung religiöser Kompetenz Was ist: »heilig«, »Religion«, »Glaube«? Was sind religiöse Erzählungen und wie deute ich sie? Was meinen Menschen, wenn sie »Gott« sagen, »Segen«, »Gott geht mit«? Solche Fragen, die im ersten der beiden oben entwickelten Begründungszusammenhänge zum Kern des Religionsunterrichts gehören, sind anschaulich 166

Martina Steinkühler

und eindrücklich nur an der Sache selbst zu klären, also an Heiligen Schriften, religiösen Texten, Glaubensaussagen. Dafür steht im christlichen Religionsunterricht die Bibel zur Verfügung, im Zeichen interreligiöser Pluralität daneben und ergänzend Tenach, Koran und andere. Antworten werden gemeinsam gesucht, am Beispiel konkreter Religion, ihrer Riten, Orte und Texte. Da in heterogenen Lerngruppen die einen von außen, andere von innen auf das jeweilige Beispiel schauen, ist ein Arbeitsbündnis nötig, etwa: »Wir kommen von verschiedenen Standpunkten her. Sie prägen uns und sind uns wichtig. Das wird respektiert. Für die Dauer der gemeinsamen Erforschung nehmen wir aber einen gewissen Abstand zu unseren Haltungen ein. Wir forschen neugierig und ergebnisoffen.«

2.2  Heilige Schriften und Lebensweltbezug »Gott spricht«, »Gott handelt«, »Gottes Wille« – die Sprache der Bibel (und anderer Heiliger Schriften) ist Bekenntnissprache, Ansprache an eine Gemeinde, die glaubt oder zum Glauben eingeladen wird (Berg, 2017; Schambeck, 2017). Diese Sprache kennen und verstehen zu lernen, ist eines der Ziele kompetenzorientierten Religionsunterrichts. Das ist, wie in 2.1 gezeigt, grundsätzlich allen Schüler*innen möglich, unabhängig davon, ob sie »innen« oder »außen« stehen. Es ist ein »Reden über«. Die Dinge liegen anders, wenn religiöse Texte nach dem Konzept erfahrungsbezogener Zugänge als Lebens-Texte erlebt und erfahren werden sollen. Erfahrungsbezogene Zugänge überbrücken ja gerade den Abstand zum Text, erzeugen Nähe, ermöglichen Identifikation, sprechen das Gefühl an, direkt und unvermittelt. Angesichts heterogener Lerngruppen ist hier Vorsicht geboten; zwischen probeweisem »Eintauchen« in die Geschichte und der Gefahr, überwältigt zu werden, ist ein schmaler Grat. Sowohl für Schüler*innen, die in ihrer Religion auf der Suche sind, als auch für solche, die sich einer anderen Religion – oder keiner – zugehörig fühlen, ist es hilfreich, vor der Begegnung mit dem Text ein Schwellenritual einzubauen. Zwar begeben wir uns in eine direkte Identifikation, aber wir klären vorher, dass das ein Versuch, eine Erprobung ist, von der wir anschließend ein Stück zurücktreten, um zu reflektieren. Mit älteren Schüler*innen wird das so verbalisiert, für jüngere inszeniert, zum Beispiel durch ein Ritual, das erlebbar macht: »Wir beschäftigen uns jetzt mit etwas Besonderem, einer Heiligen Schrift. Wir suchen gemeinsam ihr Geheimnis – und dürfen es ausprobieren.« Didaktik Heiliger Schriften

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Biblisches Erzählen mit ritualisiertem Rahmen Jedes Kind hat ein Sitzkissen. In der Mitte des Kreises befindet sich ein »Lagerfeuer« (Holzscheite und Teelichter), dazu ein Teller mit Brot, ein Krug und je ein besonderes Erzählsymbol, passend zur Erzählung. Zur Einleitung legt die Lehrkraft die Schatzbibel dazu (eine klappbare Pappschachtel, wertig ausgestattet, in der sich Schriftrollen mit wichtigen Bibelgeschichten befinden.) Ein Lied wird gesungen, z. B. die »Bibelkarawane« (Reinhard Horn). Die Lehrkraft öffnet die Schatzbibel und entnimmt eine Schriftrolle. Dann beginnt sie die freie Erzählung. Im Anschluss an die Erzählung geht die Schriftrolle wie ein Sprechstein von Hand zu Hand – jedes Kind ist eingeladen, einen Gedanken zu der Geschichte zu formulieren, eine Frage zu stellen, sich zu wünschen, wie es weitergehen soll. Die Kinder erhalten vorbereitete Bibelblätter mit einer elementaren Fassung des Textes zur eigenverantwortlichen Gestaltung und Sammlung in einem eigenen Bibelordner (nach Steinkühler 2013).

Der Text selbst kann, zum Beispiel durch mündliches oder schriftliches Neuerzählen, in doppelter Weise geöffnet werden: Im Sinn der Erfahrungsorientierung werden Identifikationsmöglichkeiten angeboten. Im Sinn der Performativität wird zugleich ein Sicherheitsabstand gewährleistet. Dieser entsteht, wenn durch die Erzählperspektive nachvollziehbar wird, was in der Geschichte zu erleben und wahrzunehmen ist und was in ihr Deutung oder Bekenntnis ist. Dazu kann der in biblischen Erzählungen gewohnte »allwissende« Erzähler für die Zeit der Begegnung durch Erzählpersonen ersetzt werden, die auf Augenhöhe mit den Akteur*innen sind. In ihrer Erzählung ist die Rede von Gott als Deutung erkennbar – was für die Rezipierenden heißt: Man kann darüber nachdenken – und auch zu einem anderen Schluss kommen (Steinkühler, 2013). Die Begegnung mit dem Text mündet in kreative gemeinschaftliche und individuelle Auseinandersetzungen: ins theologische Gespräch, in Gestaltungen, produktives Weiterdenken.

Neuerzählung von Gen 12: subjektiv, deutlich und offen Einführung (»Öffner«): Sei mutig und stark und fürchte dich nicht … – in der Bibel gibt es viele Geschichten, in denen Gott so zu uns spricht: Sei mutig und stark. Ich bin bei dir. Ich lasse dich nicht im Stich. Sei mutig und stark – dann können Wunder geschehen! Ich helfe dir, ich gehe mit. Ich bringe dich auch zurück. Das 168

Martina Steinkühler

sind schöne Worte, nicht wahr? Aber sind sie auch wahr? In der Bibel steht: Ja! Immer wieder haben Menschen erlebt: Ja, wirklich. Gott hilft. Gott geht mit. Mit Gott geschehen Wunder! – Von einem solchen Menschen will ich euch erzählen. Sein Name: ABRAHAM. Abraham war schon alt. Und Sara, Abrahams Frau, auch. Die beiden hatten ein Haus und eine Herde. Essen und Trinken für sich selbst, Kleider und warme Betten. Weiden für die Schafe und einen schönen Garten (ggf. zeigen). Sie hatten Freunde und Verwandte. Und sie waren gesund. Es ging ihnen gut. Nur eines, eines fehlte ihnen: Sie hatten kein Kind. Und manchmal, nachts, lagen sie wach, jeder für sich. Und waren traurig deswegen. Dann, eines Tages, als Sara wach lag und traurig war, merkte sie, dass Abraham gar nicht neben ihr lag. Abraham war nicht da! Sara setzte sich und schaute. »Abraham?« Da kam Abraham auch schon von draußen herein. Und er brachte den Glanz der Sterne von draußen mit herein. »Hier bin ich, Sara«, sagte er. »Fürchte dich nicht!« Sara hörte es an Abrahams Stimme: Er war fröhlich. Sara rieb sich den Schlaf aus den Augen. »Was ist los, Abraham?«, fragte sie. Und Abraham erzählte Sara eine wunderbare Geschichte. »Gott hat mit mir gesprochen, Sara«, erzählte Abraham. »Gott hat zu mir gesagt: Nimm Sara und deine Schafe – und geh los, Abraham! Geh los! Geh weg von hier! Geh in ein neues Land! Ich zeige es dir. Ich gehe mit. Und du wirst sehen!« Abraham erzählte weiter: »›Was werde ich sehen, Gott?‹, habe ich gefragt. Und Gott hat gesagt: ›Du wirst ein Vater werden. Und Sara eine Mutter.‹« Ich glaube, Sara und Abraham haben in dieser Nacht kein Auge mehr zugetan. Was hat Abraham da gehört! War das wirklich Gott? Und was hat Gott da gesagt! Hat Gott das wirklich gemeint? Und was sollen Abraham und Sara tun? Sollen sie wirklich weggehen von ihrem Zuhause? Am Morgen haben sie sich entschieden: Sieh! Ja, du siehst richtig! Sie machen’s. Abraham und Sara gehen weg. Sie verlassen sich auf Gott und auf Gottes Versprechen. Sie gehen weg, mit ihren Schafen. Sie ziehen in ein neues Land. Und – was soll ich sagen? In der Bibel steht: Sie kommen an! Sie kommen an und es ist gut. Und Gott geht mit. Und Abraham wird Vater. Und Sara wird Mutter. Und Abraham wird Großvater und Sara Großmutter. Und das ist der Anfang einer großen neuen Familie, ja, eines ganzen Volkes. Und das alles, weil … Abraham sich getraut hat/Gott getraut hat …

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3  Potenziale und Grenzen So viele Möglichkeiten sich zeigen, gerade in heterogenen Gruppen das Phänomen »Heilige Schriften« zu thematisieren, so viel Sensibilität ist nötig, um genügend Freiheit für Lernprozesse zur Verfügung zu stellen, ohne den Eindruck von Beliebigkeit zu erzeugen.

3.1  Vision: Narrationskompetenz und friedliche Kommunikation »Wer Heterogenität zu Ende denkt«, sagte neulich ein Student, »der landet bei der Erkenntnis, dass eigentlich kein einziger Mensch genauso glaubt wie der andere.« Wenn Heterogenität heißt, innerhalb der eigenen Religion je eigene Glaubensstile zu entwickeln, hat er Recht. Und dennoch fühlen sich Menschen der je eigenen religiösen Gemeinschaft nahe, finden Antworten auf Sinn- und Orientierungsfragen in den jeweils eigenen Heiligen Schriften und entwickeln daraus religiöse Identität. Es ist davon auszugehen, dass die Suche nach dem eigenen religiösen Stil in der Gegenwart am besten dann gelingt, wenn religiöse Bildung Angebote macht, ohne sie aufzudrängen, wenn Transparenz und Sicherheitsabstand gewährleistet sind, wenn gefragt und geprüft werden darf. Eine offene, suchende Arbeit mit Heiligen Schriften bietet dazu Möglichkeiten. Zwei entscheidende Kompetenzen, die gerade anhand der Bibel und anderer Heiliger Schriften zu erwerben und zu üben sind, sind der adäquate Umgang mit religiösen Texten und religiöser Sprache sowie der angemessene Umgang mit Anders- oder Nicht-Gläubigen. Wenn nachwachsende Generationen es lernen, Abstand zu eigenen Überzeugungen und Haltungen einnehmen zu können (gerade wenn es um die eigenen Vorstellungen von »heilig« geht) und wenn sie es lernen, religiöse Erzählungen als das zu hören, was sie sind – Deutungs- und Sinnsuche-Versuche mit »Gott« –, gewinnen sie die Freiheit und Neugier, dem und der anderen offen und vorurteilsfrei zuzuhören, ohne zu bewerten oder zu beurteilen: Das Eigene formt sich am Anderen; es muss sich nicht fürchten. Eben dies – »Narrationskompetenz« (Büttner/Dieterich/Roose, 2015, S. 108) und die Kompetenz gewaltfreier Verständigung über Religion (und Weltanschauungen) – wäre durch die intensive Arbeit mit Heiligen Schriften im Religionsunterricht zu fördern. Diese bedient dabei zugleich das religiös bildende und das erfahrungsbezogene Motiv und verbindet beide mit den Qualitätskriterien eines offenen Diskurses: Transparenz und reflexiver Abstand zu sich selbst.

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Martina Steinkühler

3.2  Grenzen: Ungleichzeitigkeiten Es kann nicht übersehen werden, dass auf dem Weg zur Vision noch Hindernisse liegen. Unter anderem sind sie begründet aus der Konstruktion »christliche Lehrkraft – heterogene Gruppe – Blick über den Tellerrand«, aus der Ungleichzeitigkeit christlicher, jüdischer und muslimischer Religionspädagogik sowie aus dem nicht analogen (bedeutungsgleichen), sondern nur homologen (gleichklingenden) Verständnis des Terminus »Heilige Schrift« (Mensching, zit. nach Tworuschka, 2008). Die christliche Lehrkraft wird andere heilige Schriften nicht in gleicher Weise persönlich kennen (und glauben) wie die christliche Bibel. Während sie sich zur Bibel in einer Innenperspektive befindet, ist sie gegenüber den anderen Heiligen Schriften eine Außenstehende. Das macht die Beschäftigung mit verschiedenen Heiligen Schriften notwendig ungleichgewichtig. Angesichts dessen, dass man sich im christlichen Religionsunterricht befindet, ist das legitim. Es folgt daraus, dass Texte anderer Religionen umso behutsamer präsentiert und befragt werden. Wer kann und möchte, zieht Expert*innen hinzu. Eventuell anwesende Schüler*innen mit Innenperspektive sind eingeladen, ihren Beitrag zu leisten. Sie sprechen dann freilich nicht für »den« Islam oder »das« Judentum, sondern für ihren eigenen, individuellen Glauben, nicht anders als Schüler*innen, die sich als christlich bezeichnen (siehe Graham in diesem Band). Wie anfangs betont kann es verschiedene Verständnisse der eigenen Heiligen Schrift quer durch die Religionen geben. Dennoch lassen sich – mit aller Vorsicht – mainstreams erkennen. Das wäre im Christentum etwa die Formel von »Gottes Wort im Menschenwort«; im Judentum das Miteinander von »heiligem Text« und dem, was darum herum an Deutung und Weitererzählung gewachsen ist und wachsen darf; im Islam die Vorstellung, der Koran repräsentiere das unverfälschte Wort Gottes, wie es von Anfang an gilt (Langenhorst, 2016). Eine Überzeugung wie die Letztere kann dazu führen, dass offene »Probier-­Arrangements« im Unterricht undenkbar werden. Und schließlich sind die Pädagogiken der Religionen unterschiedlich ausgerichtet. Im Islam und im Koran liegt – in unterschiedlicher Ausgestaltung – großes Gewicht auf liturgischem und katechetischem Lernen; demgegenüber sind erfahrungsbezogene Zugänge zu heiligen Texten erst in der Erprobung (vgl. Ourghi, 2017; Behr, 2017). Aufgrund der hermeneutischen wie der religionspädagogischen Unterschiede wird man feststellen müssen: Nicht für alle Beteiligten an religiös-bildenden Lernprozessen mit Heiligen Schriften wird es möglich sein, den empfohlenen Sicherheitsabstand zu sich selbst und dem eigenen Bekenntnis einzunehmen, Texte zu öffnen und zur Erprobung freizugeben Didaktik Heiliger Schriften

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(auch wenn es dabei gar nicht darum gehen würde, dieses Bekenntnis zu leugnen oder aufzugeben.) Hier tritt jedoch ein neuer Modus religiösen Lernens neben den des Katechismus. Und der ist noch längst nicht selbstverständlich. Literatur zum Weiterlesen Langenhorst, G./Naurath, E. (Hg.) (2017): Kindertora. Kinderbibel. Kinderkoran. Neue Chancen für (inter-)religiöses Lernen. Freiburg i. Br.: Herder. Sajak, C. P. (Hg.) (2015): Heilige Schriften. Texte – Themen – Traditionen. Lernen im Trialog, Heft 3. Braunschweig u. a.: Schöningh. Steinkühler, M. (2017a): Bibelgeschichten sind Lebensgeschichten. Erzählen in Familie, Gemeinde und Schule. Kassel: Oncken.

Sonstige Literatur Baldermann, I. (2007): Einführung in die Biblische Didaktik (3. Aufl.). Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Behr, H. (2017): Streitfall Koran – Die Heilige Schrift als Gegenstand des pädagogischen Diskurses. In: B. Schröder/H. H. Behr/K. Boehme/D. Krochmalnik (Hg.): Buchstabe und Geist. Vom Umgang mit Tora, Bibel und Koran im Religionsunterricht. Religionspädagogische Gespräche zwischen Juden, Christen und Muslimen, Band 6, S. 187–223. Berlin: Frank & Timme. Berg, H. K. (2017): Gottes Wort braucht keinen Vormund. Wege zur selbstständigen Auslegung der Bibel. Stuttgart/Ostfildern: Calwer/Matthias Grünewald. Bürig-Heinze, B./Goltz, R./Rösener, C./Wenzel, B. (2018): Religion im Dialog. Klasse 5/6. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Büttner. G./Dieterich, V.-J./Roose, H. (Hg.) (2015): Einführung in den Religionsunterricht. Eine kompetenzorientierte Didaktik. Stuttgart: Calwer. Kaddor, L./Müller, R. (2014): Der Koran für Kinder und Erwachsene (4. Aufl.). München: C. H. Beck. Kaufmann, H.-B. (1973): Muss die Bibel im Mittelpunkt des Religionsunterrichts stehen? Thesen zur Diskussion um eine zeitgemäße Didaktik des Religionsunterrichts. In: Ders. (Hg.): Streit um den problemorientierten Unterricht in Schule und Kirche, S. 23–27. Frankfurt a. M.: Diesterweg. Khorchide, M. (2015): Gott ist Barmherzigkeit. Grundzüge einer modernen Religion. Freiburg i. Br.: Herder. Langenhorst, G. (2016): Trialogische Religionspädagogik. Interreligiöses Lernen zwischen Judentum, Christentum und Islam. Freiburg i. Br.: Herder. Lapide, P. (2012): Ist die Bibel richtig übersetzt? (4. Aufl.). Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Liss, H./Landthaler, B. (2013 ff.): Erzähl es deinen Kindern. Die Torah in fünf Bänden. Berlin: Ariella. Meyer, K. (2006): Lea fragt Kazim nach Gott. Christlich-muslimische Begegnungen in den Klassen 2 bis 6. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Meyer, K. (2008): Fünf Freunde fragen Ben nach Gott. Begegnungen mit jüdischer Religion in den Klassen 5 bis 7. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Meyer, K. (2015): Weltreligionen. Kopiervorlagen für die Sekundarstufe I. Göttingen: Vanden­hoeck & Ruprecht. Mohagheghi, H./Steinwede, D. (2011): Sein sind die schönsten Namen. Ostfildern: Patmos. Naurath, E. (2017): Noli me tangere? Interreligiöse Differenzerfahrungen in der kindlichen Begegnung mit den Heiligen Schriften. In: G. Langenhorst/E. Naurath (Hg.): Kindertora. Kinderbibel. Kinderkoran. Neue Chancen für (inter-)religiöses Lernen, S. 180–199. Freiburg i. Br.: Herder. Ourghi, A.-H. (2017): Einführung in die islamische Religionspädagogik. Ostfildern: Matthias Grünewald.

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Martina Steinkühler

Pohl-Patalong, U. (2013): Bibliolog: Impulse für Gottesdienst, Gemeinde und Schule. Band 1: Grundformen. Stuttgart: Kohlhammer. Sajak, C. P. (2010): Kippa, Kelch, Koran. Interreligiöses Lernen mit Zeugnissen der Weltreligionen. Ein Praxisbuch. München: Kösel. Schambeck, M. (2017): Biblische Facetten. 20 Schlüsseltexte für Schule und Gemeinde. Ostfildern: Matthias Grünewald. Schröder, B./Behr, H. H./Boehme, K./Krochmalnik, D. (Hg.) (2017): Buchstabe und Geist. Vom Umgang mit Tora, Bibel und Koran im Religionsunterricht. Religionspädagogische Gespräche zwischen Juden, Christen und Muslimen, Band 6. Berlin: Frank & Timme. Steinkühler, M. (2013): Religion mit Kindern. Materialien für die Grundschule (Band 1). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Steinkühler, M. (2017b): Bibelgeschichten für die Grundschule. Praxisfertige Unterrichtsentwürfe (Band 1: AT; Band 2: NT). München: Claudius. Steinkühler, M. (Hg.) (2017c): Herausforderungen. Evangelisches Religionsbuch für Realschulen. Klasse 5. München: Claudius. Theißen, G. (2003): Zur Bibel motivieren. Aufgaben, Inhalte und Methoden einer offenen Bibeldidaktik. Gütersloh: Chr. Kaiser/Gütersloher Verlagshaus. Tworuschka, U. (Hg.) (2008): Heilige Schriften. Eine Einführung. Frankfurt a. M./Leipzig: Insel. van der Velden, F. (Hg.) (2011): Die Heiligen Schriften des anderen im Unterricht. Bibel und Koran im christlichen und islamischen Religionsunterricht einsetzen. Göttingen: V&R unipress. Zimmermann, M./Zimmermann, R. (Hg.) (2013): Handbuch Bibeldidaktik. Tübingen: Mohr Siebeck.

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Bibliodrama Heiner Aldebert

1  Bibliodrama als religionspädagogischer Ansatz Ziel einer bibliodramatischen Zugangsweise im Religionsunterricht ist es grundsätzlich, über vielfältige, ganzheitliche Angebote in die Dynamik und Dramatik der Texte einzusteigen, mit den Erfahrungen der biblischen Protagonist*innen in Berührung zu kommen und im Licht der erlebten Prozesse die eigene Biografie zu deuten bzw. sie neu zu konstruieren. Das Prozessgeschehen verläuft dabei über die drei Begegnungsebenen: Ich-Text, Ich-Gruppe, Gruppe-Text. Im gemeinsamen auswertenden Gespräch können die Teilnehmenden dann im Anschluss über ihre Erfahrungen nachdenken, sich darüber austauschen, sich dazu positionieren, zustimmen, aber sich auch distanzieren. Um eine diesem bibliodramatischen Grundverständnis entsprechende Haltung gegenüber den Texten und gegenüber dem Prozess geht es, wenn Religionslehrkräfte bibliodramatisch im Religionsunterricht arbeiten. Doch scheint der Weg von der üblichen Religionsstunde zum Bibliodrama zunächst weit. Denn ein Bibliodrama in Vollform ist ein mehrstündiges, manchmal auch ein mehrtägiges, methodenplurales, prozessorientiert offenes, durch einen oder mehrere qualifizierte Leiter*innen begleitetes, ganzheitliches Interpretationsgeschehen mit einer wechselseitigen Erschließung des Textes und der Lebenssituation bzw. Biografie der Teilnehmenden. Die Stichworte »offen« und »Prozess« und »begleitetes ganzheitliches Interpretationsgeschehen« passen aber nicht zu dem noch immer unter vielen Religionslehrer*innen verbreiteten »Ideal« einer exakt durchgeplanten, durchstrukturierten Unterrichtsstunde. Dafür scheint mir vor allem die Sorge verantwortlich zu sein, dass bei größerer Offenheit im Religionsunterricht etwas herauskommen, gar aufbrechen könnte, auf das man nicht vorbereitet ist, dem man sich nicht gewachsen fühlt. Das müssen gar nicht nur Probleme aufseiten der Schüler*innen sein. Nicht wenige Lehrer*innen berichten von Schwierigkeiten, für sich selbst neben dem Inhalt einer biblischen Geschichte auch einen tiefer reichenden Gehalt zu finden und bezogen auf ihre Schüler*innen zu formulieren. Das Bibliodrama kann entsprechend als »ein existentieller Erfahrungs- und 174

Verstehensweg für die Unterrichtsvorbereitung im Fach Evangelische Religion« (Paulus, 2016, S. 1) bezeichnet werden. Der kompetenzorientierte Religionsunterricht bietet dafür insofern Chancen, als die Lernenden selbst mit ihren individuellen Lernstrategien, ihren Lerninteressen im Vordergrund stehen. Dass Unterrichtsplanung nun mit der Kompetenzorientierung längerfristig angelegt ist (Religionspädagogisches Zentrum Heilsbronn, 2014, S. 17), korrespondiert mit dem bibliodramatischen Arbeiten in größeren Blöcken. Dass Lernen nun fortlaufend auch von den Lernenden und Lehrenden gemeinsam reflektiert werden soll, korrespondiert mit der Feedback-, Sharing- und Processingkultur im Bibliodrama. Für einen bibliodramatisch fortzuentwickelnden Religionsunterricht wäre es deutlich günstiger, Religionsunterricht grundsätzlich nur noch in Doppelstunden anzusetzen. Auch ist es ohne Weiteres vorstellbar, einmal den Nachmittagsunterricht von vier Wochen auf einen Bibliodramatag zusammenzufassen, der dann ggf. auch in Räumen der örtlichen Kirchengemeinde stattfinden könnte (Aldebert, 2001, S. 259–378). Die üblichen fünf Phasen eines Bibliodramaprozesses (Einlassung und Sensibilisierung – Begegnung und Verortung – Identifikation und Hinterfragung – Vertiefung und Aktualisierung – Bilanz und Abschied) (Aldebert, 2002, S. 169–174) lassen sich durchaus mit den üblichen fünf Lernschritten eines kompetenzorientierten Lernweges im Religionsunterricht (Anfangen – Begegnen – Erschließen – Anwenden und Orientierung finden – Zurückblicken) vergleichen. Der im Bibliodrama mögliche Methodenpool ist vielfältig und reicht von Formen der Körperarbeit über Skulptur, Vignette, Stuhltheater, Aufstellungen, Skalen, Logbuch, 4-Eckenspiel, Anspiel, Rollenspiel bis hin zur Arbeit mit Farben, Musik, Bildern, Masken, Papier und Naturmaterialien (Paulus, 2016).

2  Bibliodrama in heterogenen Lerngruppen 2.1  Bibliodrama als Wertschätzung von Heterogenität Der Zugang des Bibliodramas scheint mir besonders geeignet, um Religionsunterricht unter den Bedingungen der Heterogenität zu verstehen, zu planen und weiterzuentwickeln. Denn in der Sichtweise des Bibliodramas wird Hetero­genität in einer Gruppe nicht als Problem verstanden, sondern als völlig normale, ja als gewünschte Realität. Diversität, Heterogenität, Subjektivität, unterschiedliche Herkunft, Kultur, Alter, Entwicklungsstand, Geschlecht, familiäre Prägung, auch unterschiedliche Geschwindigkeiten im Zugang und in der Wahrnehmung von Texten und Lebenswirklichkeiten bilden in bibliodramatischer Sicht geradezu den Bibliodrama

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Nährboden, auf dem es zu kreativen Prozessen und zu fruchtbarem Austausch kommt. Es ist nicht das Ziel, dass alle Teilnehmenden zu der gleichen Sichtweise eines religiösen Textes oder eines zwischenmenschlichen Sachverhaltes kommen, wohl aber, dass sich die je eigenen Sichtweisen im Licht der gemeinsamen Textbegegnung klären und kommuniziert werden. So gesehen entzieht sich ein bibliodramatischer Zugang in der Religionspädagogik auch konkret vorgegebenen inhaltlichen Lernzielen, vielmehr ist der Prozess selbst – im Spannungsfeld von Individuum, Text und Gruppe – das Ziel. Diese dezidierte Zurückhaltung gegenüber Vermittlungsansprüchen öffnet den Raum dafür, dass auch Menschen mit unterschiedlichen Weltanschauungen und Religionen miteinander bibliodramatisch ins Spiel kommen können und dabei gleichzeitig bei sich selbst bleiben. Konkret ist damit in der Perspektive der Heterogenität die Frage nach der Möglichkeit eines Bibliodramas der Buchreligionen Judentum, Christentum und Islam gestellt (Aldebert, 2001).

2.2  Bibliodrama in religiöser Vielfalt Sinnvoll und möglich ist ein trialogisches Bibliodrama mit Juden, Christen und Muslimen nur dann, wenn es gemeinsame Textgrundlagen gibt, die für die Teilnehmenden aus den unterschiedlichen Religionen von Bedeutung sind und auf die sie sich in einem gemeinsamen bibliodramatischen Prozess einlassen können. Tatsächlich besteht zunächst die oft zitierte »Gemeinschaft des Buches« zwischen Menschen jüdischen, christlichen und muslimischen Glaubens. Konkret teilen Bibel und Koran an Themen etwa die Schöpfungs- und Paradiesgeschichte, den Noahkreis, die Abrahamsgeschichte, die Josefsgeschichte, die Erzählungen um Mose, die Jona-Geschichte, sowie viele Erwähnungen biblischer Figuren wie Elia oder David. Den Gemeinsamkeiten im Textbestand entspricht auch eine Übereinstimmung in wesentlichen Glaubensinhalten. Muhammad kannte die Texte der Christ*innen und Jüd*innen zwar nur aus mündlicher Überlieferung, nichtsdestoweniger fanden sie – mit teilweise erstaunlicher Nähe zum biblischen Text, aber auch mit spezifischen Veränderungen – Eingang in die an den Propheten ergangenen Offenbarungen. Bibliodramatisches Arbeiten bietet eine der (bislang seltenen) Chancen, die immer wieder in Anspruch genommene Gemeinschaft der Buchreligionen am primären Ort ihrer Gemeinschaft, also im »Kraftfeld« der Texte aus den Büchern der Buchreligionen konkret werden zu lassen. Dass die drei Buch-Religionen recht unterschiedliche Zugänge zu den Texten haben, ist kein prinzipieller Hinderungsgrund für ein gemeinsames Bibliodrama, sondern bringt im Gegenteil einen trialogischen hermeneutischen Diskurs in 176

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Gang (Aldebert, 2001; Naurath, 2017). Was dies bibliodramatisch bedeuten kann, zeigt ein Praxisbericht eines Bibliodramas der Buchreligionen, das ich mit einer Erwachsenengruppe in einem eintägigen Workshop durchgeführt habe. Zweck der folgenden Prozessdarstellung ist es, exemplarisch für Chancen und Grenzen eines Bibliodramas der Buchreligionen zu sensibilisieren und Mut zu machen, in unterschiedlichen religionspädagogischen Kontexten eigene Schritte zu wagen.

Dem im Folgenden beschriebenen Prozess liegt ein Textstück aus der Josefs­ geschichte zugrunde, in dem sich das Zerwürfnis zwischen Josef und seinen Brüdern anzubahnen beginnt. Der Gruppe liegt ein viersprachiges Textblatt vor. Neben den hebräischen und arabischen Originaltexten und ihren deutschen Übersetzungen steht eine türkische Übersetzung, die von der türkischen Mehrheit der muslimischen Teilnehmenden selbstverständlich rezitiert wird. In Genesis 37,9–11 bzw. in Sure 12,3–4 wird berichtet, dass Josef träumt, wie sich elf Sterne, die Sonne und der Mond vor ihm verneigen.  enesis 37, 9–11: Danach träumte er noch einen zweiten Traum. Den erzählte G er seinen Brüdern und sprach: »Siehe, ich träumte noch einen Traum. Die Sonne und der Mond und elf Sterne verneigten sich vor mir.« Das erzählte er seinem Vater und seinen Brüdern. Da schalt ihn sein Vater und sprach: »Was ist das für ein Traum, den du da geträumt hast? Sollen ich und deine Mutter und deine Brüder etwa tatsächlich kommen und vor dir niederfallen?« Seine Brüder aber wurden neidisch auf ihn, sein Vater aber bewahrte die Sache im Sinn. Sure 12, 3–4. Sura Yusuf (Joseph): Damals sprach Yusuf zu seinem Vater: »O mein Vater, ich sah elf Sterne und die Sonne und den Mond, (und) ich sah sie vor mir niederfallen.«  r sprach: »Du mein Söhnchen, erzähle deinen Traum nicht deinen Brüdern, E sie werden sonst eine List gegen dich ersinnen; denn der Satan ist dem Menschen ein offenkundiger Feind.« Vorbereitungen: Im Vergleich fällt im koranischen Text das Fehlen der im biblischen Text vorherrschenden, eigenartig ambivalenten Spannung zwischen dem Vater Jakob und seinem besonderen Sohn Josef auf. Zwischen den beiden herrscht ein zumindest heimliches Einvernehmen. Außerdem wird ein Grund für die Herkunft von Neid und Hass angedeutet. Dahinter steckt im Koran der Satan, der offenkundige Bibliodrama

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Feind des Menschen. Die koranische Lesart bringt die Besonderheit göttlicher Erwählung zum Ausdruck, der Muslim*innen große Ehrfurcht entgegenbringen. In der biblischen Textversion fällt auf, dass hier ein Deutewort aus dem Mund Gottes fehlt, wodurch die Ambivalenz der Traumerfahrung Josefs verstärkt wird. Sie schlägt sich in der Ambivalenz Jakobs nieder, der einerseits seinen Sohn anfährt (V. 10), andererseits aber selbst letztlich keine Klarheit über seine Bedeutung gewinnt (V. 11). In der Perspektive eines Bibliodramas der Buchreligionen gibt es zu dieser Ambivalenz im Text eine Strukturparallele zur Situation einer verheißungsvollen Begegnung der Religionen. Es kommt zu einer neuen, gegenseitigen Wahrnehmung, bei der aber die Geschichte gegenseitiger Abwertung und konfrontativer Formulierung religiöser Absolutheitsansprüche gleichwohl noch mitschwingt. Der Konflikt Josefs mit seinen Brüdern reichte bereits weiter zurück; wenige Verse vor unserer Geschichte heißt es im hebräischen Text: »Sie konnten ihm kein Wort zum Frieden (Schalom) gewähren.« Insofern ergab sich von der vorausgehenden Erschließung der Texte her die Vorgabe, eine realistische, gegenseitige Wahrnehmung ohne Beschönigungen zu ermöglichen. Andererseits durfte die in unserem Textstück zumindest negativ angesprochene Vision vom Schalom nicht übergangen werden. Dem entspricht die zumindest ambivalente Haltung des Vaters im biblischen Text ebenso wie der Ausgang der Josefsgeschichte insgesamt. Ich beschreibe einige zentrale Schritte des bibliodramatischen Prozesses: Herrschaftsträume aufstellen – Josefs Traum und moderne Machtstrukturen: Im Zentrum von Josefs Traum steht eine Neudefinition seiner Familienverhältnisse (Gen 37, 9c.10c). Sowohl in Josefs Traum, als auch in der Antwort Jakobs in der Bibel werden Herrschaftsstrukturen beschrieben. Welche inneren Bilder entstehen dazu in der Gruppe? Es soll eine Gruppenskulptur aufgestellt werden. Simon, ein junger Israeli, stellt sein inneres Bild auf und benutzt dazu Mitglieder aus der Gruppe als Statist*innen. Es entsteht eine höfische Szene wie aus einem Märchen. Als alle aufgestellt sind, sollen sie ihrer Körperhaltung, ihrer Position in dem Bild nachspüren. Von außen gesehen wirkt das Bild stabil und pompös. Ein König auf der einen Seite, umgeben von Wachen und einem Ratgeber. Ein Spalier von Knieenden auf der anderen Seite. Die klassische Hofhaltung. Und dann verbeugen sich noch alle, wie die Sterne, Sonne und Mond im Text. Im Bibliodrama können wir einen Blick in die Innenwelt dieser Szene ausprobieren. Die Spieler*innen werden gebeten, Selbstgespräche in ihrer Rolle laut zu führen. Einige Bittsteller*innen hoffen, erhört zu werden. Aber zunehmend wird auch Aggression laut, die vorgegebenen Körperhaltungen schmerzen, eine Wache denkt daran, den König umzubringen. Wir sind auf der Bildebene des Traumes. Diese Herrschaftsbeziehung, in der es nur ein oben und ein unten gibt, lässt kaum Spielräume. Im 178

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Feedback und im Sharing wird deutlich, dass solche Situationen zwar im Ansatz bekannt sind. Aber unsere persönliche und gesellschaftliche Realität stellen sie nicht dar. Wir haben viele Möglichkeiten, uns zu beteiligen, unsere Positionen selbst zu bestimmen, unabhängig von unserer Religion. Wir beginnen zu verstehen, wie sehr unser Lebensgefühl – was Macht und Herrschaft betrifft – durch die relativ gesicherten, rechtsstaatlichen Bedingungen geprägt ist. Doch da beginnt Abdul zu erzählen, von Afghanistan, als die Russen einmarschierten. Alles, was bis dahin für ihn heil und gut war, wurde zerschlagen. Sein Vater, einer der bekanntesten muslimischen Theologen Afghanistans, verschwand, wurde umgebracht. Dann kam die Flucht, ohne Papiere, ohne Familie. Irgendwann kam er in Deutschland an. Als Opfer des ideologischen Erzfeindes erhielt er damals noch Asyl, schließlich einen deutschen Pass. Plötzlich werden Lebensgeschichten erzählt, die unseren gesellschaftlichen Kontext weit übersteigen. Ein jüdischer Teilnehmer flog bis vor kurzem einen israelischen Kampfjet in dem Einsatzgebiet Irak. Mirjams Vater war in den 1930er Jahren ein angesehener Notar in Nürnberg. Dann kam das Berufsverbot. Alle Kollegen empfahlen, die kurze Zeit bis zum Ende des Spukes einfach abzuwarten. Aber sie emigrierten nach Palästina, gerade noch rechtzeitig. Sie selbst hat in Deutschland nie Antisemitismus erlebt. Am Ende der Erzählungen schweigt die Gruppe. Was war passiert? Aus einem relativ statischen Machtbild heraus hatten uns erzählte Lebensgeschichten eingeholt, Macht- und Ohnmachtsgeschichten. Das Bibliodrama der Buchreligionen unter den gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen der Bundesrepublik Deutschland bot uns den Raum, sie in einem Kreis aus Jüd*innen, Christ*innen und Muslim*innen zu hören, sie miteinander zu teilen. Ansprüche an Josef – Konflikte aushalten lernen: In einem großen Spiel soll der ganze Text auf die Bühne kommen. Im Herumgehen finden wir unsere Rollen. Juden spielen den Vater Jakob und Josef. Christ*innen stellen sich als die Sonne, die Nacht, als der älteste Bruder Ruben vor. Muslim*innen besetzen die Rollen Jakobs Gottvertrauen, die Wahrheit der Geschichte. Eine deutsche Muslima will der Brunnen sein, in den Josef später geworfen wird. Sie will nur dabei sein als Wartende, Bergende. Die Bühne entsteht, indem alle ihren Platz suchen. Jakob steht auf der einen Seite, neben ihm sein Gottvertrauen. Gegenüber Ruben. Mitten im Raum liegt Josef am Boden. Am Rand der Bühne sitzt die Wahrheit der Geschichte. Ihr gegenüber die Sonne. Weit draußen der Brunnen. Die Nacht kniet hinter Josef. Sie beginnt, ihn zu umsorgen, bringt eine Decke, streichelt ihn. Da fordert Johannes in der Rolle des Ruben von Jakob Gerechtigkeit, endlich Gerechtigkeit: »Nach all den Zurücksetzungen der Brüder jetzt auch noch dieser Traum. Eine Unverschämtheit. Der tut sich doch unentwegt nur hervor.« Jakob wirkt unentschlossen, verunsichert. Sein Gottvertrauen steht Bibliodrama

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zwar neben ihm, aber es schweigt. Da bricht Scholem als jüdischer Josef das Schweigen: »Meint ihr, ich habe mir diese Träume gewünscht? Mein Gott, fünf davon wünsche ich jedem von Euch! Was soll ich denn damit anfangen? Woher soll ich überhaupt wissen, was dieser Traum bedeutet, wo er her ist? Sonne, Mond und Sterne, das sind doch die Götter der Heiden, ich bin total verwirrt. Außerdem, wieso kommt dieser Traum ausgerechnet zu mir? Ich will ihn nicht!« Ruben fährt dazwischen: »Was soll das Gerede, ich will endlich Gerechtigkeit.« Vom Rand der Bühne meldet sich die Wahrheit der Geschichte zu Wort. Kemal ist ein junger, engagierter Muslim: »Josef, Du weißt genau, dass Du erwählt bist, um ein Prophet Gottes zu werden, ich bin die Wahrheit der Geschichte.« Josef antwortet: »Was soll das heißen, ich habe nur einen komischen Traum gehabt, den ich besser nicht gehabt hätte.« Der Ton der muslimischen Wahrheit wird zunehmend ärgerlicher: »Nein, so war das nicht, das stimmt überhaupt nicht.« Die anderen Spieler*innen werden zu Statist*innen eines Konfliktes zwischen einem »jüdischen« Josef, der – anscheinend unempfindlich gegen jede Art von Absolutheitsansprüchen – auf seinen Selbstzweifeln und Ungewissheiten besteht und einer »muslimischen« Wahrheit der Geschichte, die der unerwartete Widerstand zu verwirren und aggressiv zu machen scheint. Am äußersten Rand der Bühne hält der Brunnen ein Selbstgespräch: »Ich bin warm und trocken, ich werde Josef aufnehmen und beschützen.« Die »christliche« Sonne interveniert: »Ich vertreibe die Schatten der Nacht und des Traumes durch mein Licht … Du Wahrheit der Geschichte, ich biete dir Licht von meinem Licht an, damit Du mehr siehst als nur dich selbst.« Was hat das zu bedeuten? Bietet Wilfried, ein evangelischer Theologe, in seiner Rolle als Sonne dem Islam etwa das Licht der Aufklärung an? Die Spannung im Raum ist mit Händen zu greifen. Mir kommen Zweifel, ob Kemal überhaupt noch in seiner »Rolle« als »Wahrheit der Geschichte« spielt oder ob er sich als Kemal, ein entschiedener Muslim im Bewusstsein des Besitzes der Wahrheit gegen eine »unerlaubte« Interpretation wehrt. Trägt ihn der Boden dieses Bibliodramas noch? Ist das die Grenze eines Bibliodramas der Buchreligionen? Aus der Sicht der Leitung eine kritische Situation. Hilft mir der Text weiter? Welches Drama liegt unserem Prozess zugrunde? Oft inszeniert sich die innere Dramatik eines Textes – in diesem Fall der Familienkonflikt – im Bibliodrama an völlig unerwarteter Stelle. Dann ergreift eine uralte Geschichte Besitz von uns. Unsere Lebens- und Glaubensgeschichten, Grundfragen und Muster entfalten sich im Spielraum des Textes. Der Bruderkonflikt brach in unserem Fall auf, als der muslimische Spieler per definitionem die Wahrheit der Geschichte, also ihre »eigentliche« Sicht, ihr »wahres« Verständnis repräsentieren wollte und seine normativen Ansprüche an die anderen Rollen zurückgewiesen wurden. Eine Verständigung im Sinne von Meinungsgleichheit gelang in diesem Spiel nicht. 180

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Aber auch der Text verwehrt uns die vielleicht ersehnte Harmonie. Die Einigung zwischen den Brüdern und Josef bleibt aus, er musste den Weg in die Tiefe des Brunnens antreten und rettete so am Ende die Familie. Diese Perspektive hatte sich mit dem bloßen Dabeisein der Rolle des Brunnens bereits mitinszeniert, ohne dass es uns zunächst bewusst geworden war. Es ging vorläufig darum, die Konfliktsituation auszuhalten, sie wirklich zu erleben. Der »Boden« der Gruppe hielt diesem Konflikt stand. Das Spiel wurde beendet mit der Einladung an die Spieler*innen, in ihrer Rolle einen letzten Satz zu sagen, der mit den Worten beginnt: »Wenn ich könnte, wie ich wollte …«. Aktualisierung: Fishpool der Religionen: Der überraschend aufgebrochene Bruderkonflikt aus dem Spiel zu Josefs Traum wurde aus dem Prozess heraus in einem weiteren Schritt textbezogen aktualisiert. Historisch trug das Missglücken von Kommunikation zwischen den Buchreligionen zu einer unnötigen Verschärfung der Gegensätze bei. Dafür spricht die Tatsache, dass es erst nach der Ablehnung Muhammads durch Jüd*innen und Christ*innen zu einer Veränderung der koranischen Sichtweise der anderen »Leute der Schrift« gekommen ist. In unserem Text wird zwar ziemlich viel gesprochen, aber meist über andere, die gerade nicht dabei sind. So entsteht mehr und mehr Unverständnis, schließlich Hass. Das ist das Drama des Textes. Worin besteht unser Drama? Reden wir anders, wenn Vertreter*innen der anderen Religionen dabei sind, als wenn wir unter uns sind? Wir eröffnen mitten auf der Bühne einen inneren Stuhlkreis, den sog. Fishpool, um den herum ein größerer äußerer Stuhlkreis aufgestellt wird. Jeweils eine Religionsgruppe nimmt in der Mitte Platz und redet »unter sich« über die anderen beiden Religionen und ihre Vertreter*innen. Endlich werden auch Vorurteile, Verletzungen und Ängste, auch Überlegenheitsgefühle artikuliert. Jede Gruppe setzt sich der Übung aus, jede spricht und jede muss/kann zuhören, ohne Möglichkeiten zu Kommentaren. Im Feedback dominieren Rückmeldungen der Dankbarkeit über so viel Ehrlichkeit. Vertrauen, nicht Ablehnung ist entstanden. Aber wir sind uns auch unserer Unterschiede bewusst. Das bibliodramatische Grundprinzip, die Wahrnehmung und das Aushalten dessen, was ist, an die Stelle vorschneller Urteile zu setzten, hat in dem beschriebenen Prozess dazu beigetragen, dass die Gruppe als Gruppe zusammenbleiben konnte, ohne dass Unterschiede nivelliert werden mussten. Die Offenheit, mit der auch Vorurteile im geschützten Rahmen des Fishpools benannt wurden, half den Teilnehmenden, als Mitglieder einer religiösen Gemeinschaft realistisch zwischen der eigenen Selbst- und Fremdwahrnehmung zu unterscheiden.

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3  Potenziale und Grenzen Durchgehend berichteten die Teilnehmenden an Bibliodramen der Buchreligionen, dass sie durch diese Prozesse viel über die anderen, aber noch mehr über sich selbst erfahren hätten. Insofern fördert ein Bibliodrama der Buchreligionen eher die eigene Identität als dass es Identitäten vermischen würde. Gescheitert wäre ein solches Projekt nur dann, wenn sich zum Beispiel die muslimischen Teilnehmenden aufgrund des Darstellungsverbotes generell geweigert hätten, Rollen zu übernehmen. Das habe ich aber bisher in keinem der von mir moderierten tria­ logischen Bibliodramaprozesse erlebt. Dazu trug sicher die Vertrauensbildung im Vorfeld bei. Die Teilnehmenden kannten sich teilweise aus anderen Dialog-Kontexten und waren grundsätzlich vertrauensvoll und offen. Es waren sprachfähige und theologisch informierte Vertreter*innen der drei Buchreligionen beteiligt, sodass sich auch weniger theologisch versierte Teilnehmende sicher fühlen konnten, sie konnten ihre je eigenen Expert*innen zwischendurch immer befragen. Insofern bestanden ideale Verhältnisse, die vor Ort sicher gar nicht immer einfach herzustellen sind. Ein Bibliodrama der Buchreligionen eignet sich insofern eher für ein bereits bestehendes, visionär offenes, positives interreligiöses Dialogumfeld. Gleichzeitig ist erstaunlich, was dabei an Begegnungsdichte erreicht werden kann. Im schulischen Umfeld könnte sich ein Bibliodrama der Buchreligionen mit etwas Mut zur Vision unter günstigen Voraussetzungen für ein gemeinsames konfessionell-kooperatives Projekt eignen, unter Beteiligung von Vertreter*innen der örtlichen Kirchengemeinden, der Moschee und der Synagoge. Literatur zum Weiterlesen Aldebert, H. (2001): Spielend Gott kennenlernen. Bibliodrama in religionspädagogischer Perspektive. Hamburg: EB-Verlag. Aldebert, H. (2002): Bibliodrama. In: G. Adam/R. Lachmann (Hg.): Methodisches Kompendium für den Religionsunterricht, S. 157–174. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Paulus, B. (Hg.) (2016): »Wie das Leben so spielt …!« Bibliodrama – ein existentieller Erfahrungsund Verstehensweg für die Unterrichtsvorbereitung im Fach Evangelische Religion. Religionspädagogisches Zentrum Heilsbronn. Heilsbronn.

Sonstige Literatur Brandhorst, A./Brandhorst, H./Fallner, H./Warns E. N. (Hg.) (2012): Bibliodrama als Prozess. Leitung und Beratung (3. Aufl.). Berlin: EB-Verlag. Naurath, E. (2017): Noli me tangere? Interreligiöse Differenzerfahrungen in der kindlichen Begegnung mit den Heiligen Schriften. In: G. Langenhorst/E. Naurath (Hg.): Kindertora, Kinderbibel, Kinderkoran. Neue Chancen für (inter)religiöses Lernen, S. 180–199. Freiburg i. Br.: Herder. Religionspädagogisches Zentrum Heilsbronn (Hg.) (2014): Handreichung zum LehrplanPlus für den evangelischen Religionsunterricht der Grundschule. Heilsbronn.

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Bibliolog Uta Pohl-Patalong

Bibliolog ist ein interaktiver Zugang zu biblischen Texten, der sich mittlerweile im Religionsunterricht etabliert hat. Er ist unter bestimmten Voraussetzungen auch mit religiös heterogenen Gruppen gut zu praktizieren. Aufgrund seines offenen und mit Rollenidentifikationen arbeitenden Charakters kann er möglicherweise sogar leichter als andere bibeldidaktische Ansätze auch mit nicht-christlichen Schüler*innen Verwendung finden.

1  Bibliolog als religionspädagogischer Ansatz Der Bibliolog wurde Mitte der 1980er Jahre von dem jüdischen Nordamerikaner Peter Pitzele unter Mitwirkung seiner christlich-anglikanischen Frau Susan Pitzele entwickelt. Er begreift sich als moderne Form des »Midrasch«, der traditionellen jüdischen Auslegungsweise der Tora, die die Texte durch eine kreative Füllung ihrer offen bleibenden Fragen auslegt. Das schwarze Feuer, der Wortlaut des Textes, wird dadurch zugänglich, dass das weiße Feuer, der Raum zwischen den Worten, geschürt wird (Pohl-Patalong, 2013a, als Überblick 2016). Ende der 1990er Jahre kam der Bibliolog nach Deutschland; seit 2004 werden – autorisiert von dem Urheberpaar – deutschsprachige Bibliologkurse angeboten. Aufgrund der sehr raschen Verbreitung wurde bereits 2006 das Bibliolog-Netzwerk gegründet, das sich der Qualitätssicherung und der Verbreitung des Bibliologs einschließlich der Ausbildung von Trainer*innen widmet. Auch in die europäischen Nachbarländer (zunächst Österreich und die Schweiz, dann auch Dänemark, Belgien, die Niederlande, Schweden, Frankreich) hat der Bibliolog Einzug gefunden, ebenso im südlichen Afrika und in Tansania, demnächst auch in Brasilien. Der Bibliolog ist ökumenisch orientiert und wird in evangelischen und katholischen Kontexten praktiziert, zudem gibt es intensive Bemühungen um eine interreligiöse Orientierung und einen Kontakt zu jüdischen Kontexten in Deutschland. Seine Grundlagen werden in einem einwöchigen Grundkurs vermittelt; an diesen können sich verschiedene Aufbauformen anschließen, die das 183

Spektrum der Handlungsformen erweitern und die Möglichkeiten des Bibliologs vermehren (Aigner/Pohl-Patalong, 2013b). Methodisch gestaltet sich ein Bibliolog folgendermaßen: Nach einer Einführung in den Zugang des Bibliologs (Prolog) führt die Lehrkraft in die Situation einer biblischen Geschichte hinein (Hinführung). Sie vermittelt erzählerisch den Hintergrund und den Kontext der biblischen Szenerie, wobei sie historische und sozialgeschichtliche Informationen einfließen lässt, die die Schüler*innen zu einem sachgerechten Verständnis des Textes benötigen. Gleichzeitig weckt sie die Fantasie der Kinder oder Jugendlichen zu dieser Situation und bahnt damit die Identifikation an. Der eigentliche Bibliolog beginnt dort, wo die Lehrkraft die Bibel aufschlägt, einen Satz oder einen kurzen Abschnitt liest und aus diesem den Schüler*innen die Rolle einer biblischen Gestalt zuweist. Als diese spricht sie sie an und stellt ihnen eine an dieser Textstelle nahe liegende, jedoch offen bleibende Frage (enroling). Die Teilnehmenden haben die Möglichkeit, sich in dieser Rolle zu äußern. Dabei füllen sie die Rolle mit ihren eigenen Lebenserfahrungen. Die Lehrkraft nimmt jede Äußerung sprachlich auf (echoing). Sie äußert die Gehalte hörbar für alle und würdigt sie gleichzeitig als wertvolle Aussagen. Sie hebt dabei vielleicht nur angedeutete emotionale Gehalte besonders hervor und spitzt Andeutungen zu. Es besteht auch die Möglichkeit, im »interviewing« noch einmal nachzufragen. Echoing und interviewing bleiben dabei grundsätzlich auf der Linie der Beiträge der Teilnehmenden und enthalten sich jeder Korrektur, Ergänzung oder Wertung. Keine Aussage wird absolut gesetzt oder als die »richtige« dargestellt. Widersprüche werden nicht aufgelöst, sondern als Ambivalenzen der biblischen Rolle verstanden. Wer sich nicht laut äußern möchte, kann die Identifikation still für sich vollziehen, was auch ausdrücklich als legitim benannt wird. Nach einigen Äußerungen führt die Lehrkraft die Geschichte weiter. Die Teilnehmenden bekommen eine neue Rolle zugewiesen. Zu jeder Frage äußern sich Einzelne, und es erfolgen echoing und interviewing. Nach der letzten Rolle schließt die Leitung das Geschehen ab, entlässt die Teilnehmenden aus den Rollen und führt in die Gegenwart zurück (deroling). Möglicherweise folgen einige in die Gegenwart überleitenden Worte (Epilog). Der Bibliolog geht davon aus, dass biblische Texte eine aktuelle Bedeutung für Menschen von heute haben können, ohne zu leugnen, dass sie historische Dokumente ihrer Zeit sind. Sie können aufgrund der Analogien von Erfahrungen in der biblischen Textwelt und der heutigen Lebenswelt verstanden und gedeutet werden. Dabei enthält sich der Bibliolog einer unzulässigen »Psychologisierung«: Er möchte nicht herausfinden, wie eine biblische Gestalt sich gefühlt haben mag, 184

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sondern verschiedene mögliche Deutungen hervorholen, die sich gegenseitig bereichern. Der Bibliolog geht daher davon aus, dass biblische Texte nicht den einen Sinn und die eine Aussage haben, die man nur finden muss. Er nimmt – ebenso wie auch die heutige Bibelwissenschaft – eine Mehrdeutigkeit biblischer Texte an. Dabei spielen die Lebenserfahrungen bei den vielfältigen Deutungen immer eine Rolle, ohne dass sie vorgeben würden, wie genau man einen Text interpretiert. Dieses subjektive Element bekommt im Bibliolog eine Korrektur durch die ebenfalls subjektiven Deutungen der anderen Teilnehmenden. Da jede Äußerung im Bibliolog durch das echoing gleichermaßen wertschätzend wiedergegeben und hervorgehoben wird, werden alle als Möglichkeiten ohne den Anspruch auf absolute Geltung deutlich. Damit auch alle Äußerungen als wertvolle und »richtige« Beiträge zum gemeinsamen Verstehen des Textes gewürdigt werden können, ist bei der Auswahl der Szenen, Rollen und Fragen sehr sorgfältig darauf zu achten, dass wirklich nur Fragen gestellt werden, die im Text offen bleiben. Es wird also z. B. nicht danach gefragt, ob Josef seine Träume erzählt – denn das steht ja im Text –, sondern mit welchen Gefühlen oder aus welchen Motiven er dies tut. Damit zieht der Bibliolog selbst die »Grenzen der Interpretation« (Eco, 1992), da er sich eng am Text und seinem Handlungsverlauf orientiert und nur sein weißes Feuer nutzt, nicht aber das schwarze Feuer beeinträchtigt. Gerade im Kontext Schule ist dabei die besondere Rolle der Lehrkraft als Leiterin eines Bibliologs zu beachten (Pohl-Patalong, 2006, 2011). Im Bibliolog vermittelt sie keine Inhalte und möchte auch nicht ein bestimmtes Lernziel erreichen oder eine bestimmte Deutung plausibel machen. Subjekt der Auslegung sind die Schüler*innen in ihrer Begegnung mit dem Text. Für diese Begegnung hat die Lehrkraft dann wiederum eine sehr wichtige Funktion. Ihre sorgfältige, theologisch, hermeneutisch und methodisch reflektierte Vorbereitung bahnt den Weg für diese Art von Auseinandersetzung mit dem biblischen Text. Ihre Aufgabe ist es, durch die Auswahl der Szenen, Rollen und Fragen die Wahrnehmung auf Aspekte zu lenken, die der Linie des Textes gerecht werden und wertvolle Einsichten in ihn ermöglichen, ohne jedoch die Perspektive der Teilnehmer*innen so stark zu lenken, dass diese auf eine Sicht festgelegt werden. Diese Balance zwischen der Orientierung am Text und der Sicherung der Auslegungsfreiheit der Schüler*innen ist ständig im Blick zu behalten und sensibel zu reflektieren. Wesentlich ist zudem die Etablierung von Vertrauen der Teilnehmer*innen untereinander, zur Leitung und zur Bibel. All dies macht den Ansatz allerdings so komplex, dass man ihn nicht nach Lektüre ausprobieren, sondern in einem einwöchigen Kurs erlernen sollte. Bibliolog

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2  Bibliolog mit heterogenen Lerngruppen Praktiziert man Bibliolog in heterogenen Lerngruppen, sollten bestimmte Aspekte berücksichtigt werden. Vor allem bei Überlegungen im Blick auf die Schüler*innen sollte sich die Lehrkraft selbst fragen, ob sie Deutungen biblischer Texte aus dem Munde aller Schüler*innen unabhängig von deren religiöser Zugehörigkeit und Überzeugung gleichermaßen wertschätzend als »richtig« wiedergeben kann, auch wenn diese religiöse oder theologische Überzeugungen erkennen lassen, die man selbst nicht teilt (wie beispielsweise ein strafender Gott, Ausschluss anderer Menschen vom Heil, Ablehnung der Göttlichkeit Jesu etc.). Solche Äußerungen finden sich potenziell auch bei christlich sozialisierten Schüler*innen, ihre Wahrscheinlichkeit erhöht sich jedoch in heterogenen Lerngruppen und es kann schwieriger sein, Schüler*innen anderer Religionen und Weltanschauungen die gleiche Auslegungskompetenz zuzubilligen wie christlichen Schüler*innen (der eigenen Konfession). Da der Bibliolog keine Möglichkeit bietet, Äußerungen zu korrigieren, sollte man dies zunächst mit sich selbst abklären (und ggf. in Lerngruppen beginnen, wo solche Äußerungen weniger zu erwarten sind). Hat man sich grundsätzlich für den Bibliolog in heterogenen Lerngruppen entschieden, muss je Unterschiedliches hinsichtlich konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Heterogenität berücksichtigt werden.

2.1  Bibliolog in konfessioneller Vielfalt In einer aus evangelischen und katholischen Schüler*innen bestehenden Lerngruppe ist der Bibliolog in der Regel unkompliziert anzuwenden, da die Bibel (zu einem überwiegenden Teil) die gemeinsame Grundlage der Konfessionen darstellt. Werden Texte aus biblischen Büchern verwendet, die in katholischer Tradition zur Bibel gehören und in evangelischer Tradition zu den Apokryphen gerechnet werden, sollte dies in der Hinführung kenntlich gemacht werden. Sollten sich unterschiedliche Akzente der Konfessionen in der Deutung biblischer Gestalten spiegeln (beispielsweise bei Maria oder bei Petrus), werden diese im echoing wie alle anderen Antworten auch als subjektive Äußerungen dieser Rolle wiedergegeben (»ich, Petrus, fühle mich von Jesus in eine besondere Rolle gesetzt«). Für eine Annäherung an und ein gegenseitiges Verstehen unterschiedlicher konfessionell geprägter Zugänge zu biblischen Traditionen kann es jedoch gerade lohnenswert sein, Schlüsseltexte für diese bibliologisch zu erschließen. 186

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Dafür würde sich beispielsweise ein Bibliolog zu der Ankündigung der Geburt Jesu an Maria anbieten, bei dem die Gestalt der Maria in verschiedenen Facetten erschlossen wird. So könnte (nach einer Frage an Gabriel auf seinem Weg zu Maria) eine erste Frage an sie lauten: »Maria, du hörst den Gruß des Engels: ›Sei gegrüßt, du Begnadete. Der Herr ist mir dir!‹ – und erschrickst in diesem Moment. Maria, was lässt dich erschrecken, als die Gestalt zu dir kommt und dich so grüßt?« Und etwas später könnte sie gefragt werden: »Maria, du hast ein wenig Zeit gehabt, deine Gedanken zu ordnen, während der Engel geredet hat. Jetzt sagst du zu dem Engel: ›Siehe, ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe, wie du gesagt hast?‹ Was ist in dir vorgegangen, dass du das jetzt so sagst?« Anschließend könnte Gabriel noch einmal gefragt werden, was er der jungen Frau jetzt wünscht. Nach dem Bibliolog könnten verschiedene Dimensionen von Maria gesammelt werden, die im Bibliolog vorgekommen oder auch nachträglich im Text zu entdecken sind. Diese könnten in Beziehung gesetzt werden zu den konfessionellen Traditionen, die Gestalt der Maria zu deuten.

Eine eingehendere Reflexion erfordert der Bibliolog, wenn sich in der Lerngruppe Schüler*innen mit fundamentalen oder biblizistischen Zugängen zur Bibel befinden (dies kann bei manchen Freikirchen und bei manchen orthodoxen Kirchen der Fall sein, jedoch bei Weitem nicht bei allen). Diesen Schüler*innen kann es schwerfallen, unterschiedliche Deutungen nebeneinander als gleichermaßen »richtig« stehen zu lassen. In solchen Fällen empfiehlt es sich, den Bibliolog erst einzuführen, wenn zum einen das Vertrauen zur Lehrkraft etabliert ist, dass sie mit den biblischen Texten sorgsam und respektvoll umgeht, und zum anderen grundlegende Fragen des Umgangs mit der Bibel bereits behandelt worden sind. Kommen dennoch Äußerungen, die eine Deutungshoheit beanspruchen, werden diese im echoing als Anliegen der biblischen Gestalt wiedergegeben (»ich, Josef, bin der festen Überzeugung, dass Gott mich auserwählt hat …«).

2.2  Bibliolog in religiöser Vielfalt Nehmen Schüler*innen anderer Religionen am Religionsunterricht teil, ist die erste Frage, wie gut diese sich überhaupt auf eine erfahrungsbezogene Arbeit mit der Bibel (bzw. im Falle jüdischer Schüler*innen auf die Arbeit mit neu­testamentlichen Texten) einlassen können. Vor der Einführung des Bibliologs sollte daher mit andeBibliolog

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ren Zugängen zur Bibel gearbeitet werden, die mehr Raum für eine grundsätzliche Positionierung zur Bibel und zur Formulierung abgrenzender Stimmen bieten. Voraussetzung ist selbstverständlich auch hier, dass das Vertrauen zur Lehrkraft gewachsen ist, dass diese nicht-christliche und auch kritische Überzeugungen respektiert und nicht übergriffig agiert. Sind alle Schüler*innen prinzipiell bereit, mit biblischen Texten zu arbeiten (wobei Anteile von Skepsis und Kritik durchaus bleiben können), wird der Bibliolog in der Regel als niedrigschwellig empfunden, weil die Äußerungen innerhalb von zugewiesenen Rollen erfolgen, man sich also nicht als die eigene Person äußert. Erfahrungsgemäß können sich Schüler*innen anderer Religionen mit dieser Distanzierung gut auf die Beschäftigung mit einem biblischen Text einlassen. Das echoing unterstreicht die gleichmäßige Wertschätzung jeder Äußerung, sodass rasch deutlich wird, dass alle Schüler*innen unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit und religiösen Einstellung gleich viel zu sagen haben. In der Textauswahl liegen zunächst Texte nahe, bei denen menschliche Bezie­hungen im Vordergrund stehen – Freundschaft, Vertrauen, Eifersucht, Abgrenzung, Versöhnung etc. Christologisch geprägte Texte sollten nur mit entsprechender Erfahrung der Lerngruppen mit dem Bibliolog und auch nur dann, wenn dies aufgrund der Vorerfahrungen keinesfalls als unterschwellige »Missio­nierung« empfunden wird, eingesetzt werden – insbesondere bei Kindern jüdischer Zugehörigkeit. Die im Bibliolog immer geltende Regel, keine Texte zu wählen, die antijudaistische Äußerungen nahelegen (Texte mit Pharisäern, Schriftgelehrten oder »den Juden« im Johannesevangelium), sollte sowohl im Blick auf jüdische als auch im Blick auf muslimische Schüler*innen besonders konsequent berücksichtigt werden. Auch Texte, die im Zusammenhang mit dem Verhältnis der Religionen verstanden wurden oder werden (z. B. das Verhältnis von Isaak und Ismael), sollten mit einem anderen Zugang bearbeitet werden als mit dem Bibliolog, da die Gefahr naheliegt, dass man z. B. in der Rolle des Ismael sich weniger mit der biblischen Gestalt als mit der muslimischen Identität und Geschichte heute identifiziert und dann bestimmte Äußerungen als verletzend empfunden oder in einem solchen Charakter getätigt werden. Texte mit Figuren, die in der muslimischen Tradition ebenfalls eine Rolle spielen, können sich gut eignen, sofern die Darstellung deren Verhaltens nicht als problematisch empfun­ den werden kann. So würde sich der Auszug Abra(ha)ms (Gen 12,1–5) eher anbieten als die Geschichte, in der Abraham seine Frau Sarah als seine Schwester ausgibt (Gen 12,10–20). Als besonders produktiv können sich auch Bibliologe mit Texten erweisen, die das Verhältnis zu Menschen anderer Religionen und Weltanschauungen thematisieren. 188

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Dies ist beispielsweise in Mk 9,38–40 der Fall, wo von einer entspannten Haltung Jesu gegenüber Menschen, die sich nicht zu ihm bekennen, erzählt wird, während seine Jünger eine andere Position einnehmen: »Johannes sprach zu ihm: Meister, wir sahen einen, der trieb Dämonen in deinem Namen aus, und wir verboten’s ihm, weil er uns nicht nachfolgt. Jesus aber sprach: Ihr sollt’s ihm nicht verbieten. Denn niemand, der ein Wunder tut in meinem Namen, kann so bald übel von mir reden. Denn wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.« (Lutherübersetzung, 2017) Hier könnte Johannes gefragt werden: »Was hat dich dazu bewogen, dem Menschen das zu verbieten?« Eine Frage an Jesus könnte lauten: »Mit welchen Gefühlen sagst du diese Worte?« Und eine andere Jüngerin könnte zum Schluss gefragt werden: »Was denkst du dazu, nachdem du diese beiden Seiten gehört hast?« Mit der Information, dass Matthäus und Lukas den letzten Satz genau umgekehrt überliefern (»wer nicht für uns ist, der ist gegen uns«) könnte dann nach einer Phase des Austausches weitergearbeitet werden: Anliegen und Beweggründe der beiden Grundhaltungen könnten identifiziert, alltagsweltliche Situationen solcher Haltungen überlegt und die jeweiligen Konsequenzen für das Zusammenleben von Menschen und auch das Gottesbild erarbeitet werden.

2.3 Bibliolog in weltanschaulicher Vielfalt Im Blick auf religionsferne Schüler*innen gilt zunächst das Gleiche wie hinsichtlich Schüler*innen anderer Religionsgemeinschaften: Voraussetzung für die Arbeit mit dem Bibliolog bilden das Vertrauen, dass die Lehrkraft nicht-religiöse Positionen respektiert, und die Einführung der Bibel als Unterrichtsgegenstand, der kein christliches Bekenntnis erfordert. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, können religionsferne Schüler*innen sich in der Regel aufgrund der Möglichkeit zur Distanznahme durch die Rollenidentifikation ebenfalls gut auf den Bibliolog einlassen. Nicht selten wird von Schüler*innen, die bislang wenig oder keinen Kontakt zur Bibel hatten, Erstaunen über die Aktualität und Lebensnähe dieses Buches geäußert. Der Grad an Nähe und Distanz zur christlichen Tradition ist für die Teilnahme an einem Bibliolog tatsächlich nicht relevant – manchmal erbringen nicht durch Vorerfahrungen geprägte Zugänge zu den biblischen Rollen besonders spannende Entdeckungen für die Gruppe. Dass alle gleichermaßen teilnehmen können und es weder ein Vorteil noch ein Nachteil ist, die Bibel und auch den jeweiligen Text zu kennen, kann auch im Prolog erwähnt werden. Bibliolog

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Besondere Chancen bietet der Bibliolog auch für den Dialog zwischen naturwissenschaftlich orientierten und religiösen Haltungen, die sich u. a. an den Erzählungen von der Durchbrechung alltagsweltlicher Evidenzen festmachen kann. Bibliologe zu Wundererzählungen können einen Zugang subjektiver Erfahrung und Bedeutsamkeit für Menschen eröffnen jenseits der Frage, ob ein Ereignis »wirklich passiert« ist. Auch die Auferstehungsthematik kann mit einem Bibliolog noch einmal auf neue Weise erschlossen werden, zumal die biblischen Texte selbst dazu unterschiedliche Haltungen zwischen Glaube, Zweifel und Ablehnung thematisieren.

So kann in einem Bibliolog zum »ungläubigen Thomas« (Joh 20,24–29) zunächst vielleicht Thomas gefragt werden, wo er eigentlich war, als Jesus das erste Mal kam, um die Identifikation mit ihm zu stärken. Philipp könnte gefragt werden, wie und mit welchem Unterton er die Worte »Wir haben den Herrn gesehen« zu Thomas sagt. Thomas könnte dann gebeten werden, sich zu folgendem Impuls zu äußern: »Thomas, du hast gerade diese Worte gesagt: ›Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich nicht glauben.‹ Thomas, was bewegt dich jetzt, nachdem du das gesagt hast?« Ein wenig später könnte Thomas, als er nach der Aufforderung Jesu, seine Hände in dessen Seite zu legen, sagt »Mein Herr und mein Gott«, gefragt werden, was in diesem Satz alles mitschwingt. Abschließend könnte eine andere Jüngerin gebeten werden zu sagen, was die Worte Jesu »Weil du mich gesehen hast, darum glaubst du? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben« bei ihr auslösen. Die verschiedenen Haltungen der Auferstehung gegenüber, die im Text und im Bibliolog deutlich geworden sind, könnten anschließend gesammelt und sortiert werden. Sie könnten mit Positionen aus Geschichte und Gegenwart zum Thema »Auferstehung« verbunden werden und deren Hintergründe und Konsequenzen erarbeitet werden. Die Schüler*innen würden dann zu eigenen Positionierungen ermutigt – möglicherweise so, dass sie sich nicht »im Ganzen« positionieren, sondern mögliche unterschiedliche Anteile in sich selbst zwischen Glauben, Zweifel und Ablehnung identifizieren.

3  Potenziale und Grenzen Unter den beschriebenen Voraussetzungen birgt der Bibliolog gerade für heterogene Lerngruppen große Chancen. Er stellt eine Möglichkeit dar, mit der Bibel erfahrungsbezogen zu arbeiten, die unabhängig von einer Vertrautheit mit und 190

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einer Kenntnis von biblischen Texten erfolgt und daher eine integrierende Funktion haben kann. Christlich sozialisierte Schüler*innen haben gegenüber anderen keinen Vorteil, weil sich alle in der gleichen Identifikation befinden und jede Äußerung gleichermaßen zum Verständnis des Textes für die gesamte Gruppe beiträgt. Die Erfahrung zeigt, dass manchmal gerade Schüler*innen ohne bisherigen Kontakt zur Bibel und/oder in anderen religiösen Traditionen stehend tiefgründige und erhellende Erkenntnisse in den biblischen Rollen zum Ausdruck bringen, weil sie ohne geprägte Bahnen an die Texte herangehen. Für diejenigen, die mit der Bibel vertraut sind, ergeben sich hingegen oft neue und überraschende Perspektiven. Im Blick auf eine mögliche Skepsis gegenüber der Bibel lässt der Bibliolog erleben, dass die Bibel für heutige Jugendliche interessant und lebendig sein kann, auch außerhalb christlicher Weltanschauungen. Dies erleichtert die religionsdidaktische Arbeit – und macht ganz einfach auch Spaß, den Schüler*innen und nicht zuletzt der Lehrkraft. Im Kontext heterogener Gruppen liegt die Frage nahe, ob Bibliologe auch mit nicht-biblischen Texten durchgeführt werden können, entweder mit Texten aus einer anderen religiösen Tradition wie dem Koran oder mit nicht religiös konnotierten Texten wie Gedichten. Methodisch wäre dies selbstverständlich möglich. Hermeneutisch ergibt sich allerdings zum einen die Schwierigkeit, dass das Vertrauen in eine prinzipiell heilsame Kraft der Texte in diesen Fällen seitens einer christlichen Lehrkraft nicht in diesem Maße gegeben sein dürfte. Im Falle der Texte anderer Religionen dürfte dies auch als übergriffig empfunden werden können, zumal gerade im Fall des Korans die hermeneutische Herangehensweise an dieses Buch sehr umstritten ist. Insofern ist davon jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt abzuraten. Im Fall lyrischer Texte spricht selbstverständlich nichts gegen eine bibliologisch inspirierte Herangehensweise – allerdings dann sinnvollerweise mit einer anderen Begrifflichkeit. Entsprechende Versuche mit kirchengeschichtlichen Texten werden daher auch treffend als »Historiolog« bezeichnet (Braun, 2015). Die Grenzen der Arbeit mit dem Bibliolog sind dann erreicht, wenn wie oben beschrieben keine Bereitschaft zur Arbeit mit der Bibel oder noch nicht genügend Vertrauen zur christlichen Lehrkraft bestehen. Eine weitere Hürde bildet die Anforderung, dass die Lehrkraft Bibliolog in einem Kurs erlernt haben sollte, da der Zugang nicht nur, aber in heterogenen Lerngruppen noch einmal ganz besonders im Detail etliche Schwierigkeiten beinhaltet, denen man nicht nur durch Erfahrungen und Reflexion begegnen kann.

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Literatur zum Weiterlesen Pohl-Patalong, U. (2016): Art. Bibliolog. In: WiReLex. Verfügbar unter: https://www.bibelwissen�schaft.de/stichwort/100139/ [03.04.2018]. Pohl-Patalong, U. (2013a): Bibliolog. Impulse für Gottesdienst, Gemeinde und Schule. Band 1: Grundformen (3. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer. Pohl-Patalong, U. (2011): »… Dass man nicht so weitermachen muss, wie man es bisher gemacht hat«. Glück und Heil mit Jugendlichen bibliologisch entdecken. In: A. A. Bucher/G. Büttner/P. Freudenberger-Lötz/M. Schreiner (Hg.): »Gott gehört so ein bisschen zur Familie«. Mit Kindern über Glück und Heil nachdenken, S. 184–197. Stuttgart: Calwer.

Sonstige Literatur Aigner, M. E./Pohl-Patalong, U. (2013b): Bibliolog. Impulse für Gottesdienst, Gemeinde und Schule. Band 2: Aufbauformen (3. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer. Braun, R. (2015): Historiolog. Kirchengeschichtliche Quellen erlebbar machen. Theologische Beiträge, 46, S. 334–345. Pohl-Patalong, U. (2018): Bibliolog. In: M. Zimmermann/R. Zimmermann (Hg.): Handbuch Bibeldidaktik, 2. Aufl., S. 567–573. Tübingen: A. Francke Verlag. Pohl-Patalong, U. (2006): »Gott hat uns ja auch aus Ägypten geführt, da kann er uns jetzt auch nicht einfach im Stich lassen!« Bibliolog als Weg zu kindertheologischen Entdeckungen. In: A. A. Bucher/G. Büttner/P. Freudenberger-Lötz/M. Schreiner (Hg.): »Vielleicht hat Gott uns Kindern den Verstand gegeben«. Ergebnisse und Perspektiven der Kindertheologie, S. 124– 136. Stuttgart: Calwer.

Internetquelle http://www.bibliolog.de/ [08.02.2018].

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Gendersensibler Religionsunterricht Sebastian Hasler/Uta Pohl-Patalong

1  »Gendersensibler Religionsunterricht« als religionspädagogischer Ansatz Eine Aufmerksamkeit und Sensibilität für die Kategorie »Geschlecht« sollte selbstverständlich jeden Unterricht prägen. Gleichwohl lässt sich »gendersensibler« (oder auch »genderorientierter«) Religionsunterricht auch als eigenständiger religionspädagogischer Ansatz verstehen. Dieser begreift sich als Teil einer »Religionspädagogik der Vielfalt«, die einen wertschätzenden und gewinnbringenden Umgang mit Heterogenität zum Ziel hat. Er ist eine Konsequenz der Einsicht, dass es religionspädagogische Bildungsprozesse immer mit Situationen zu tun haben, »in denen sich unterschiedliche religiöse und kulturelle Hintergründe, biographische Muster, körper- und geschlechtsbezogene Identitäts­ entwürfe etc. zu einem Ensemble von Faktoren formieren, die die Ausgangsvoraussetzungen von religionspädagogischem Handeln bestimmen und auch Richtung wie Gestalt religiöser Lernprozesse mit beeinflussen« (Pithan/Arzt/ Jakobs/Knauth, 2009, S. 10). Die Religionspädagogik der Vielfalt versucht, die wechselseitigen Zusammenhänge und Hintergründe von Religion bzw. Kultur, Geschlecht, Generation und sozialer Schicht bzw. Klasse zu verstehen und dazu religionspädagogische Perspek­tiven zu entwickeln (Pithan et al., 2009). Sie möchte eine Hermeneutik einüben, die geschlechtsbezogene, religiöse und soziale Differenzen wahrnimmt und Stereotype aufzubrechen versucht. Dabei sind, wenn ein gegenseitiger wertschätzender Umgang mit Verschiedenheit gelingen soll, besondere Anstrengungen notwendig, die sich beispielsweise in einer Förderung und Einübung von aktiver Toleranz hinsichtlich der Beziehung und Kommunikation unter Verschiedenen widerspiegeln (Pithan et al., 2009). Die gendersensible Religionspädagogik als Teil dieser Bewegung setzt sich dabei insbesondere mit Fragen und Aufgaben auseinander, die die Kategorie »Geschlecht« betreffen. Der Ansatz ist in einer Entwicklungslinie zu betrachten, die ihren Ausgangspunkt in den Neuen Frauenbewegungen nimmt. Sie ist daher 193

maßgeblich von Einflüssen der feministischen Theorien und Diskurse geprägt und mit dem Anspruch nach Gleichheit und Gleichberechtigung verknüpft (Pithan et al., 2009). Allerdings bewegt sich die gendersensible Religionspädagogik mit ihrem analytischen Genderblick weniger als die feministische Religionspädagogik entlang der Linien männlich-weiblich, sondern setzt sich intensiver mit innergeschlechtlicher Heterogenität auseinander. Genderaspekte können sehr unterschiedlich mit religionspädagogischen Inhalten verknüpft sein. Selbst wenn davon auszugehen ist, dass die Kategorie »Geschlecht« nicht omnirelevant ist, so ist sie doch omnipräsent. Dies betrifft sowohl die Bildungsobjekte, also die Inhalte des Faches, als auch die Bildungssubjekte, d. h. die Schüler*innen. Gerade sie bestimmen die Gestaltung des Religionsunterrichts in Bezug auf Geschlechteraspekte in besonderer Weise mit, da sie ihre Lebenswelt in ihn hineintragen. Diese Alltagserfahrungen implizieren unterschiedliche Vorstellungen und Haltungen darüber, was Geschlecht für sie bedeutet. Die Schüler*innen schöpfen dabei aus einer pluralen Lebenswelt, die ihnen z. B. in Form traditioneller Familienvorstellungen oder anderer Lebensentwürfe wie alleinstehender Menschen, gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, kinderloser Ehepaare oder Familien unterschiedlichster Art begegnet (Edelbrock, 2013). Diese individuelle Vielfalt gegenwärtiger Lebensentwürfe steht oft in einer Spannung zu (häufig traditionell geprägten) gesellschaftlichen und auch christlichen Werten, Normen und Strukturen, die ein eher bipolares Differenzparadigma zwischen Frauen und Männern aufrechtzuerhalten versuchen und die dadurch nötigen Zwischenräume für Vielfalt verschließen. Für Kinder und Jugendliche stellt diese Auseinandersetzung mit der Genderperspektive zudem eine besondere Notwendigkeit hinsichtlich ihrer eigenen Geschlechtsund Identitätsbildung dar. Eine gendersensible Religionspädagogik reagiert zum einen auf diese wahrgenommene Spannung und zum anderen auf das Anliegen der Schüler*innen. Sie ist bestrebt, einseitige Vorstellungen darüber, was Männlichkeit und Weiblichkeit bedeutet, zugunsten einer Vielfalt an weiblichen und männlichen Lebensformen zu öffnen (Büchel-Thalmaier, 2009). Sie möchte dazu beitragen, dass sich die Schüler*innen individuell und freiheitlich entwickeln, ohne dass sie in gesellschaftlich vorgegebene starre Geschlechterrollen gedrängt werden (Edelbrock, 2013). Darüber hinaus soll ein gendersensibler Religionsunterricht die Schüler*innen selbst in ihrer Wahrnehmungs- und Handlungskompetenz hinsichtlich der Genderkategorie fördern und sie in ihrer Entwicklung zu verantwortungsbewussten, selbstbestimmten und kritisch reflektierten Individuen stärken. Dieses Postulat von Freiheit steht in einem unmittelbaren biblischen Zusammenhang mit der in Gal 3,28 formulierten christlichen Freiheit. 194

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Für die Umsetzung des gendersensiblen Religionsunterrichts nimmt die Lehrkraft eine tragende Rolle ein, da sie inhaltliche und didaktische Entscheidungen trifft und unterrichtliche Rahmenbedingungen festlegt. Sie benötigt die sog. »Genderkompetenz« (Horstkemper, 2013) als eine Schlüsselqualifikation und zentrale Voraussetzung für die Gelingensbedingungen des gendersensiblen Religionsunterrichts. Sie bildet eine Voraussetzung dafür, in alltäglichen unterrichtlichen Situationen Verhaltensweisen und Einstellungen zu erkennen und zu benennen, die Schüler*innen möglicherweise sozio-kulturell festlegen. Genderkompetent zu handeln kann dann bedeuten, mit diesen Festlegungen konstruktiv umzugehen und neue und vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten anzubahnen. Genderkompetenz äußert sich zudem in einer hohen Aufmerksamkeit gegenüber stereotypen Geschlechtervorstellungen (Horstkemper, 2013).

2  Gendersensibler Religionsunterricht in heterogenen Lerngruppen 2.1  Gender und Religion – eine herausfordernde Gemengelage Die Aufmerksamkeit für die Kategorie »Geschlecht« in einer als religiös, konfessionell oder weltanschaulich heterogen wahrgenommenen Lerngruppe bildet zunächst einmal ein gutes Beispiel für eine intersektionale Orientierung jenseits einliniger Zuordnungen (Knauth, 2017). Gerade diese kann jedoch neue Stereotypisierungen produzieren. Gehört ein Mädchen dem Islam an, trägt ein Kopftuch und hat einen Migrationshintergrund, könnte sie mehrfache Stereotype erfahren. Da gesamtgesellschaftlich in der zunehmenden Pluralität die Gefahr von stereotypen Zuschreibungen steigt, erscheint es umso wichtiger, sich als Lehrkraft mit einer Vorbild- und Multiplikator*innenfunktion über diese Fallstricke mehrdimensionaler Stereotypisierungen bewusst zu sein, um alternative Wahrnehmungsmuster zu entwickeln. Zentral dabei ist, das Mädchen nicht als »typische« Vertreterin ihres Geschlechts, ihrer Religion oder ihrer Herkunft wahrzunehmen, sondern vielmehr individuelle Aspekte des Mädchens, z. B. ihre persönlichen Stärken oder Positionierungen, wahrzunehmen. Eine zweite Herausforderung bildet die Konstellation, dass »Geschlecht« und »Religion« nicht zwei unabhängige Variablen bilden, sondern in mehrfacher Hinsicht miteinander verquickt sind: Die Geschlechterthematik kann in religiösen Kategorien wahrgenommen werden und umgekehrt kann das Geschlecht als relevant für den Zugang zu Religion gesehen werden. Im Extrem führt dies zu Vorurteilen wie die Frauenfeindlichkeit einer Religion (früher des Christentums Gendersensibler Religionsunterricht

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oder des Katholizismus, heute besonders des Islam) oder der Überzeugung, dass Frauen religiöser seien als Männer. In Bezug auf die konfessionelle Heterogenität sieht sich gendersensibler Religionsunterricht möglicherweise der Problematik des unterschiedlichen Umgangs der Konfessionen mit der Zulassung zu kirchlichen Ämtern gegenüber: Dass in der katholischen Kirche Frauen nicht zu Priesterinnen geweiht werden dürfen, erzeugt häufig Unverständnis und Kritik und könnte eine gleichermaßen wertschätzende Haltung gegenüber den Konfessionen erschweren. Ähnliches gilt für Überzeugungen zu Ehe, Scheidung, Sexualität und Vielfalt der Geschlechter, wobei die Positionen nicht einlinig auf die Konfessionen verteilt werden dürfen, sondern deren Spektrum innerhalb der Kirchen zu berücksichtigen ist (inklusive evangelikaler Tendenzen). Bezüglich weltanschaulicher Heterogenität könnte das Vorurteil, das Christentum sei pauschal frauenfeindlich (»Hat Paulus nicht gesagt, dass das Weib in der Gemeinde schweigen soll?«) insofern eine Herausforderung bilden, als zunächst ein hermeneutisches Verständnis des Umgangs mit biblischen Texten erarbeitet werden muss, um den Weg zu einer differenzierten Wahrnehmung des Umgangs mit »Geschlecht« im Christentum zu ebnen. Noch herausfordernder und gleichzeitig interessanter (und auch relevanter!) gestaltet sich jedoch ein gendersensibler Religionsunterricht in religiös heterogenen Gruppen.

2.2  »Gender« im interreligiösen Dialog – didaktische Herausforderungen Ein gendersensibler Religionsunterricht in Lerngruppen mit Angehörigen unterschiedlicher Religionsgemeinschaften kann zunächst einmal Abgrenzungen und Vorurteile hervorrufen wie beispielsweise einen frauenverachtenden Charakter des Islam oder einen verantwortungslosen Umgang mit Sexualität im (liberalen) Christentum. Während sonst interreligiöses Lernen häufig zu der Entdeckung von – manchmal überraschenden – Gemeinsamkeiten führt (und nicht selten auch entsprechend angelegt ist), kann das Thema »Geschlecht« durchaus das Bewusstsein von Differenz erzeugen und birgt auch die Möglichkeit von Konflikten. Dies spricht nicht gegen, sondern für die Behandlung der Thematik im Rahmen eines gendersensiblen Religionsunterrichts, denn die entsprechenden Vorurteile und Stereotype sind ohnehin latent vorhanden und erfordern einen didaktischen Umgang damit, der nur über den Weg ihrer Bewusstmachung führen kann. Wichtig sind hier fundierte Fachkenntnisse der Lehrkraft ebenso wie Sensibilität für die didaktischen Prozesse und methodische Kreativität. Infor196

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mationen und Arbeit an der inneren Haltung der Schüler*innen müssen sich geschickt verbinden. Neben Vorurteilen über die jeweils andere Religion besteht eine zweite Herausforderung darin, dass auch in dem Selbstverständnis von Angehörigen einer Religion kulturelle Einflüsse auf den Umgang mit Geschlecht häufig religiös begründet werden. Dies gilt potenziell für alle Religionen. Gleichzeitig wird der kritische Umgang mit einer solchen Begründung selbst wiederum mit der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft verbunden – sodass beispielsweise »das Christentum« gut und »der Islam« schlecht mit Frauen oder homosexuellen Menschen umgehe und dass »das Christentum« sich selbst kritisch hinterfrage, während »der Islam« »fundamentalistisch« sei. Fundamentalistische Richtungen im Christentum mit klaren (und nicht gleichberechtigten) Geschlechterrollen werden dabei ebenso übersehen wie historisch-kritisch basierte feministische Tendenzen im Islam (Amirpur, 2017). Diese Gemengelage erfordert seitens der Lehrkraft neben den o. g. Kompetenzen zusätzliche eine vertiefte hermeneutische Kompetenz, um entsprechende Aussagen auf einer Meta-Ebene verstehen und einordnen zu können. In ihrem Umgang mit solchen Einstellungen ist darüber hinaus zu bedenken, dass sie als Angehörige einer bestimmten Religionsgemeinschaft diese immer auch repräsentiert. Sie ist daher nicht nur Moderatorin eines didaktischen Prozesses, in dem unterschiedliche Hermeneutiken deutlich werden, sondern auch Vertreterin einer bestimmten Hermeneutik – und soll dies im konfessionellen Religionsunterricht auch sein. Ihr Anliegen und ihre Aufgabe ist es, alle Schüler*innen unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit und ihren kulturellen Hintergründen in einem reflektierten, wertschätzenden und selbstkritischen Umgang mit der Genderkategorie zu fördern – und dabei je unterschiedliche Ausgangspositionen wahrzunehmen. Diese sollten einerseits als je individuelle wahrgenommen werden, um nicht selbst an Stereotypen orientierte Erwartungshaltungen zu produzieren (sodass »christliche« Schüler*innen so und »muslimische« so reagieren müssten), ohne jedoch deren kulturelle Kontexte zu ignorieren.

2.3  Gendersensibilität in religiöser Vielfalt – didaktische Ideen »Gendersensibler Religionsunterricht« als Ansatz ist didaktisch-methodisch kein klar umrissener Ansatz, sondern findet in der Praxis vielgestaltige Formen. Was Lehrkräfte darunter genau verstehen, dürfte im Einzelnen sehr unterschiedlich sein (vgl. dazu die im Entstehen begriffene Dissertation von Sebastian Hasler). Insofern können hier auch nur einige Ideen vermittelt werden, welche Themen in welcher Weise bearbeitet werden können. Gendersensibler Religionsunterricht

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Gottesvorstellungen gendersensibel betrachten

In religiös heterogenen Gruppen liegt das Thema, welche Vorstellungen von Gott die einzelnen Schüler*innen haben, woher diese stammen und was sie ihnen bedeuten, nahe. Dies bietet u. a. die Chance, die Vielfalt von Vorstellungen auch innerhalb der gleichen Religion und Überschneidungen zwischen den Religionen deutlich werden zu lassen. Ein gendersensibler Religionsunterricht wird die Vorstellungen von Gott auch hinsichtlich des Geschlechts bzw. besonders auch geschlechtsneutraler Bilder wahrnehmen und Impulse dazu setzen, festgefügte Bilder zu ergänzen und zu verflüssigen (Lehner-Hartmann/Lehner, 2009; Arzt, 2011).

So könnte einführend erhoben werden, welche Gottesbilder den Schüler*innen in welchen Kontexten eigentlich schon begegnet sind und welche ihnen neu sind. Für die christliche Tradition könnten Postkarten oder andere Abbildungen als Impuls dafür dienen, wobei für die muslimische Tradition das Verbot, Gott bildlich darzustellen, berücksichtigt werden muss. Überlegungen zum muslimischen und zum christlichen Anliegen und Verständnis des Bilderverbots könnten sich anschließen, die gerade in Hinblick auf die Frage nach dem Geschlecht wichtig sind: Metaphern und Bilder wie »Vater« sollen nicht mit der Wirklichkeit Gottes verwechselt werden, sondern Zugänge eröffnen. Ggf. bieten sich durch die Schüler*innenaussagen bereits Anknüpfungspunkte für die Weiterarbeit. Danach könnten die unterschiedlichen biblischen Bezeichnungen und Namen für Gott und die Namen für Allah in den muslimischen Traditionen mit den Schüler*innen herausgearbeitet werden. Anschließend könnte zusammengetragen werden, welche vielfältigen geschlechtlichen Vorstellungen sich in diesen Bildern mit Gott verbinden lassen. Auch der Ebenbildlichkeitsgedanke in Gen 1,27 kann ein ertragreiches Nachdenken über die Geschlechtlichkeit Gottes oder des Geschlechterverhältnis insgesamt initiieren: Ist Gott weiblich, männlich und/oder beides? Was könnte das für den Menschen bedeuten?

Überraschende Sichtweisen auf »Geschlecht« in den religiösen Traditionen entdecken

Die feministische Exegese hat seit den 1970er Jahren für die biblische Tradition herausgearbeitet, dass der ohne Zweifel »patriarchale« Charakter biblischer Texte häufig in noch starreren Gendervorstellungen rezipiert wird, als dies in der Bibel angelegt ist. Auch im Judentum gibt es mindestens seit den 1980er Jahren ähnliche Arbeiten für die Tora, und ebenso sind für den Koran in den letzten Jahren vergleichbare hermeneutische Ansätze entwickelt worden. Ein gender198

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sensibler Religionsunterricht kann sich mit solchen Ansätzen im Gegenüber zu »gendertraditionellen« Auslegungen beschäftigen und daran nicht zuletzt die Bedeutung der jeweiligen Vorverständnisse für die Auslegung religiöser Texte deutlich machen (Wacker, 2011).

Erkenntnisse der feministischen Bibel- und Koranexegese können wahrgenommen und mit klassischen Auslegungen in Beziehung gesetzt werden. Dabei empfiehlt es sich, mit dem kritischen Blick auf die biblische Tradition zu beginnen und nur dann zu der koranischen überzugehen, wenn die Offenheit und Bereitschaft der muslimischen Schüler*innen dafür gegeben ist – ansonsten kann auch in der biblischen Tradition mit der Perspektive verblieben werden, dass dies auf andere Traditionen übertragbar ist. Für die christliche Tradition lassen sich auch unterschiedliche Bibelübersetzungen (z. B. die Bibel in gerechter Sprache mit älteren und jüngeren Versionen der Lutherübersetzung) vergleichen und mit der Fragestellung verknüpfen, welche Annahmen und Perspektiven der Übersetzer*innen sich darin erkennen lassen. Gesellschaftliche Strukturen (z. B. Herrschaftsverhältnisse), die mit religiösen Traditionen begründet werden, könnten dann herausarbeitet und kritisch reflektiert werden. Dabei könnte z. B. ein durch die beiden Schöpfungsberichte androzentrisch gedeutetes Geschlechterverhältnis analysiert werden und in eine Beziehung zu den Intentionen und Funktionen von Schöpfungsmythen gesetzt werden: Auf welcher Ebene können wir den Texten Aussagen entnehmen – und auf welcher nicht?

Genderkonstruktionen in religiösen Texten und in der Lebenswelt der Schüler*innen aufspüren

In der Bibel sowie in anderen religiösen Texten werden bestimmte Vorstellungen von »Geschlecht« entworfen und reale Menschen diesen Vorstellungen als Frauen und Männer zugeordnet. Mit einem dekonstruktiven Ansatz können diese aufgespürt und in ihrer Vielfalt und teilweise auch Widersprüchlichkeit deutlich werden (Wischer, 2009). Auch in religiös heterogenen Lerngruppen empfiehlt es sich dabei, mit biblischen Texten zu beginnen, weil eine kritisch-dekonstruktive Perspektive als respektlos gegenüber anderen religiösen Traditionen empfunden werden kann.

In der biblischen Tradition bieten sich dafür besonders die Briefe des Paulus an, der wegen des Satzes »die Frau schweige in der Gemeinde« (1 Kor 14,34 f.) Gendersensibler Religionsunterricht

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häufig pauschal als »Frauenfeind« verstanden wird. Abgesehen davon, dass dieser Satz mit einiger Wahrscheinlichkeit eine spätere Ergänzung im Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth darstellt, zeigen sich in einer dekonstruktiven Herangehensweise sehr vielfältige Konstruktionen von »Geschlecht«, die teilweise festschreibend und einengend wirken (z. B. 1 Kor 11,2–16), teilweise in wichtigen Tätigkeiten das Geschlecht ignorieren (z. B. 1 Kor 7,1–16 oder Röm 16,1–16) und es teilweise im Glauben explizit irrelevant werden lassen (Gal 3,28). Ein gendersensibler Religionsunterricht wird diese Konstruktionen nicht nur herausarbeiten, sondern sie auch als didaktische Anknüpfungspunkte für die heute gegenwärtigen Vorstellungen und Konstruktionen von »Geschlecht« verstehen (von Deylen, 2018). Die paulinischen Briefe werden auf diese Weise – unabhängig von dem religiösen Hintergrund der Schüler*innen – überraschend aktuell.

»Klassische« theologische Themen in Genderperspektive betrachten

Schließlich und endlich ist ein gendersensibler Religionsunterricht aufmerksam für die Genderdimension aller unterrichtlichen Inhalte. Wichtig ist dabei eine durchgängige subjektorientierte Perspektive, die die individuellen Prägungen der einzelnen Schüler*innen in Kombination dieser Kategorien und gleichzeitig jenseits von ihnen wahr- und ernstnimmt.

Beispiele dafür sind: – Was bedeutet das für alle Religionen grundlegende Thema »Schöpfung« für die Vorstellungen von zwei Geschlechtern und für reale Menschen heute? Dabei könnte z. B. im Sinne der gesellschaftskritischen Dimension des Religionsunterrichts erarbeitet werden, unter welchen Bedingungen und mit welcher Intention sich unsere gegenwärtigen Vorstellungen und Normen hinsichtlich »Geschlecht« ausgebildet haben. Als mögliche Weiterführung bietet es sich an zu fragen, welche Möglichkeiten und Chancen eigentlich ein Geschlechtermodell jenseits bipolarer Wahrnehmungen bietet. – Was meint der Glaube an eine bedingungslose Liebe Gottes in den unterschiedlichen religiösen Traditionen im Blick auf das Geschlecht? – Wie wirken sich ethische Fragen auf die Geschlechter aus? Hier kann der intersektionale Ansatz besonders fruchtbar werden, indem die Themen auf verschiedene Kategorien hin abgeklopft werden können – auf religiöse Traditionen ebenso wie auf kulturelle/ethische Kategorien, wie auf das Geschlecht.

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2.4  »Gender« im konkreten Unterrichtsgeschehen – Schwierigkeiten begegnen Selbstverständlich ist jede unterrichtliche Situation individuell verschieden. Einige »Strategien« haben sich jedoch als besonders hilfreich angesichts von Äußerungen gezeigt, die meist das weibliche Geschlecht, oft aber auch homosexuell oder sonst jenseits heteronormativer Erwartungen lebende Menschen abwerten, möglicherweise mit einer religiösen Begründung einer solchen Abwertung. Sinnvoll ist zunächst ein sachlicher Umgang mit der Äußerung, der jenseits eines emotionalen Engagements auf einer Metaebene deutlich macht, was in einer solchen Äußerung geschieht, ohne jedoch die verletzende Dimension auszublenden. Die Rückfrage, was das Anliegen hinter dieser Äußerung ist, kann dabei ebenso hilfreich sein wie die Möglichkeit, dass sich die Betroffenen dazu so äußern, wie es für sie hilfreich ist. Die Subjektivität der diskriminierenden Aussage sollte dabei deutlich werden: Der/die Schüler*in spricht nicht stellvertretend für eine ganze Gruppe, also z. B. nicht für »die« männlichen Muslime oder »die« weiblichen Christinnen. Die Mitschüler*innen können einbezogen und gemeinsam Lösungen gesucht werden, was ihre Genderkompetenz fördert (Stadler-Altmann/Schein, 2013). Sollte die geschlechtlich diskriminierende Äußerung mit religiösen bzw. fundamental-religiösen Vorstellungen begründet werden, kann dies Anlass sein, sich im Religionsunterricht mit hermeneutischen Aspekten heiliger bzw. religiöser Schriften auseinanderzusetzen. Die Äußerung wird dann von einer Schwierigkeit zu einem Lernanreiz. In dieser Hinsicht kann Unterricht auch präventiv wirken: Eine genderkompetente Lehrkraft kann in ihrem Unterricht (u. a. durch und in ihre(r) Vorbildfunktion) die Ziele von geschlechtergerechten Anliegen vielen Schüler*innen plausibel machen und damit auch eine Grundlage schaffen, um mit zukünftigen Krisensituationen konstruktiv umgehen zu können. Bleibt die Problematik bestehen, kann schließlich (institutionelle) Unterstützung in Anspruch genommen werden: Neben einem Verweis auf die Rahmenbedingungen des Unterrichts und des gesellschaftlichen Zusammenlebens insgesamt (z. B. durch das Grundgesetz) verfügen viele Schulen mittlerweile über sog. Leitideen oder Leitfäden und bieten ggf. auch personelle Unterstützung durch Schulsozialarbeiter*innen oder -psycholog*innen an.

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3  Potenziale und Grenzen Die Ausführungen zeigen, dass gendersensibles Arbeiten große Chancen in religiös heterogenen (und selbstverständlich auch in konfessionell und weltanschaulich vielfältigen) Lerngruppen besitzt. Gerade die als »schwierig« wahrgenommenen Konstellationen einer Verquickung von Religion und Geschlecht zeigen, wie wichtig die Bearbeitung dieser Schnittstelle ist – sind die Vorstellungen von »Geschlecht« und den damit verbundenen Rollenzuweisungen doch eine der großen Herausforderungen für eine multikulturelle und -religiöse Gesellschaft. Wo, wenn nicht im Religionsunterricht, können die Kompetenzen erworben werden, reflektierend und kritisch mit diesen Kategorien umzugehen und damit eine Offenheit für neue Konstruktionen zu fördern? Zudem kann das Nachdenken und Reflektieren von Geschlechterkategorien auch die notwendige Reflexion der Kategorie »Religion« unterstützen. Ein solches differenziertes Nachdenken über Kategorien kann zum einen dazu beitragen, Pauschalisierungen oder Vorurteile zu korrigieren bzw. zu vermeiden. Schließlich kann die kritische Reflexion von Kategorien zu einem tieferen Verständnis führen, das die Anerkennung und Wertschätzung unterschiedlicher geschlechtlicher und/oder religiöser Identitäts- und Lebensentwürfe fördert. Eine besondere Herausforderung dieses Ansatzes bildet die Anforderung an die Lehrkräfte, kompetent mit Genderfragen umgehen zu können. So kann sich die Lehrkraft ohne ein grundlegendes Wissen über Herstellungs- und Wirkweisen von Geschlecht nur schwer alltagsweltlichen biologistischen Vorstellungen oder evolutionspsychologischen Vereinfachungen entgegenstellen. Schließlich sollte innerhalb der gendersensiblen Arbeit immer auch der Lebensweltbezug der Schüler*innen mitgedacht werden, auch und gerade dann, wenn diese Lebenswelt der Schüler*innen den Vorstellungen und Zielen einer gendersensiblen Arbeit diametral entgegenzustehen scheint. Hier ist es ebenso wichtig wie herausfordernd, die Schüler*innen in ihrer Lebenswelt wahr- und ernstzunehmen, sie dort abzuholen und dann zu weiterführenden Diskursen anzuregen. Literatur zum Weiterlesen Pithan, A./Arzt, S./Jakobs, M./Knauth, T. (Hg.) (2009): Gender, Religion, Bildung. Beiträge zu einer Religionspädagogik der Vielfalt. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Qualbrink, A./Pithan, A./Wischer, M. (Hg.) (2011): Geschlechter bilden. Perspektiven für einen genderbewussten Religionsunterricht. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

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Sonstige Literatur Arzt, S. (2011): Geschlechtergerechte Rede von Gott im Religionsunterricht – einige Anregungen. In: A. Qualbrink/A. Pithan,/M. Wischer (Hg.): Geschlechter bilden. Perspektiven für einen genderbewussten Religionsunterricht, S. 188–196. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Amirpur, K. (2017): Frauen = Männer. Der Koran als anti-patriarchalischer und inkludierender Text. In: T. Knauth/M. A. Jochimsen (Hg.): Einschließungen und Ausgrenzungen. Zur Intersektionalität von Religion, Geschlecht und sozialem Status für religiöse Bildung, S. 113–126. Münster: Waxmann. Büchel-Thalmaier, S. (2009): Genderperspektiven zu Identität. In: A. Pithan/S. Arzt/M. Jakobs/ T. Knauth (Hg.): Gender, Religion, Bildung. Beiträge zu einer Religionspädagogik der Vielfalt, S. 95–105. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Deylen, S.: Genderorientierte Bibeldidaktik auf der Basis paulinischer Geschlechterkonstruktionen, noch unveröffentlichte Diss. Edelbrock, A. (2013): Was kann die Kategorie Gender für die Religionspädagogik leisten? In: S. Pemsel-­ Maier (Hg.): Blickpunkt Gender. Anstöß(ig)e(s) aus Theologie und Religionspädagogik (S. 145– 165). Frankfurt a. M.: Peter Lang. Horstkemper, M. (2013): Genderkompetenz und Professionalisierung. Wie lässt sich Genderkompetenz im Lehrberuf erwerben und ausbauen? In: U. Stadler-Altmann (Hg.): Genderkompetenz in pädagogischer Interaktion, S. 29–42. Opladen u. a.: Barbara Budrich. Knauth, T. (2017): Einschließungen und Ausgrenzungen. Überlegungen zu Bedeutung und Zusammenhang von Geschlecht, Religion und sozialem Status für Religionspädagogik und Theologie. In: T. Knauth/M. A. Jochimsen (Hg.): Einschließungen und Ausgrenzungen. Zur Intersektionalität von Religion, Geschlecht und sozialem Status für religiöse Bildung, S. 13–31. Münster: Waxmann. Lehner-Hartmann, A./Lehner, E. (2009): Geschlechterbewusste Arbeit zu Gottesbildern im Religionsunterricht. In: A. Pithan/S. Arzt/M. Jakobs/T. Knauth (Hg.): Gender, Religion, Bildung. Beiträge zu einer Religionspädagogik der Vielfalt, S. 194–207. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Pithan, A./Arzt, S./Jakobs, M./Knauth, T. (2009): Gender und Religionspädagogik der Vielfalt. Einleitung. In: Dies. (Hg.): Gender, Religion, Bildung. Beiträge zu einer Religionspädagogik der Vielfalt, S. 9–28. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Stadler-Altmann, U./Schein, S. (2013): Genderkompetenz als Thema in der Lehreraus- und -weiterbildung. In: U. Stadler-Altmann (Hg.): Genderkompetenz in pädagogischer Interaktion, S. 43–81. Opladen u. a.: Barbara Budrich. Wacker, M.-T. (2011): Gott Vater, Gott Mutter – und weiter? Exegese und Genderforschung im Disput über biblische Gottes-Bilder am Beispiel von Hosea 11. In: A. Qualbrink/A. Pithan/ M. Wischer (Hg.): Geschlechter bilden. Perspektiven für einen genderbewussten Religionsunterricht, S. 136–157. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Wischer, M. (2009): Lebens-Texte – gendereflektiert. Befreiende Bibeldidaktik für Kinder und Jugendliche. In: A. Pithan/S. Arzt/M. Jakobs/T. Knauth (Hg.): Gender, Religion, Bildung. Beiträge zu einer Religionspädagogik der Vielfalt, S. 273–286. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

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Diakonisches Lernen Ulrike Witten/Walid Abd El Gawad

Im folgendem Beitrag ist zu reflektieren, was eine konsequente Wahrnehmung interkonfessioneller und -religiöser sowie weltanschaulicher Vielfalt für das diakonische Lernen bedeutet. Dabei ist die intrareligiöse und -weltanschauliche Heterogenität sowie das intersektionale Zusammenspiel verschiedener Heterogenitätsfaktoren konsequent mitzubedenken, denn »Religion« kann nicht allein betrachtet werden, sondern ist in verschiedene Lebensbereiche eingebunden.

1  Diakonisches Lernen als religionspädagogischer Ansatz Diakonisches Lernen will Heranwachsende zum Handeln für ihre Mitmenschen befähigen. Dies geschieht durch eine enge Verzahnung von Lernen in der Praxis und Reflexion in den theoretischen Phasen. Die Schüler*innen absolvieren in einem sozialen Handlungsfeld ein diakonisches Praktikum, was theoretisch vor- und nachbereitet wird. Auf diese Weise sollen langfristig prosoziale Einstellungen, Empathie sowie Handlungskompetenzen erworben werden, indem die praktischen Erfahrungen reflexiv durchdrungen werden. Lerntheoretisch kann diakonisches Lernen als partizipatives Lernen in einer community of practice verstanden werden, d. h., es wird von einer Gemeinschaft diakonisch Handelnder ausgegangen. Gelernt wird, an einer diakonischen Kultur teilzuhaben. Dazu gehört unmittelbar das Lernen von und mit anderen durch Beobachtung und eigenes Tun (Witten, 2014). Diakonisches Handeln lässt sich biblisch vielfältig begründen (z. B. Lev 19,18; Ps 146; Mt 25,31–46; Lk 10,25–37). Diakonie wird als Wesens- und Lebensäußerung von Kirche oder als Kommunikation des Evangeliums im Modus des Helfens zum Leben (Grethlein, 2012) verstanden und verfügt über eine mit den ersten Christ*innen beginnende lange Tradition.

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2  Diakonisches Lernen in heterogenen Lerngruppen 2.1  Diakonisches Lernen in konfessioneller Vielfalt Im Bereich der Schulen in katholischer Trägerschaft hat sich in etwa zeitgleich zum diakonischen Lernen das Compassion-Projekt entwickelt, das konzeptionell ähnlich gelagert ist. Es ist an den teilnehmenden Schulen verpflichtend und wird als wichtiger Bestandteil des Schulprofils wahrgenommen. Das Projekt ist aber nicht auf den Religionsunterricht oder katholische Schulen beschränkt (Kuld/ Niehl, 2016). Aufgrund der inhaltlichen Nähe zwischen diakonischem Lernen und dem Compassion-Projekt bieten sich gute Gelegenheiten, konfessionell-kooperativen Anliegen gerecht zu werden. Diakonisches Lernen kann also zum Gegenstand werden, an dem konfessionell kooperiert wird, wobei unterschiedliche Traditionen und Ausprägungen ebenso wie die vielen Gemeinsamkeiten zwischen Diakonie und Caritas zur Sprache kommen können. Sinnvoll ist es, dass die Lernenden in Einrichtungen verschiedener Träger mitarbeiten, sodass sie sich darüber austauschen können, ob und ggf. welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sie wahrgenommen haben.

2.2  Diakonisches Lernen in religiöser Vielfalt Die soziale Dimension und ethische Reflexionen zum Helfen spielen in allen Religionen eine große Rolle, sind allerdings auch mit anderen Faktoren verbunden und lassen sich nur schwer als ein einziger Aspekt herausarbeiten. Die folgenden Ausführungen bleiben also notwendig begrenzt in ihrer Aussagekraft und konzentrieren sich auf Judentum und Islam, wobei für den Buddhismus die Tzu Chi Foundation (tzuchideutschland.com) als organisierte Form von Hilfeangeboten zu nennen ist. Das Judentum kennt u. a. das Gebot der Wohltätigkeit/Gerechtigkeit (tsedaqa) als Leitbild. Organisatorisch hat dies Gestalt gefunden in der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (zwst.org), gegründet 1917, zerschlagen in der NS-Diktatur, 1951 neugegründet. Heute hat die ZWST ein breites Spek­ trum an Tätigkeiten, u. a. Bildungsarbeit gegen Antisemitismus und Rassismus, Migrationsberatung, Angebote für Holocaust-Überlebende und Seniorenarbeit (von Bassewitz, 2017). Christlich-jüdischer Dialog ist auch im Blick auf die Diakonik essenziell, sowohl über die gemeinsamen Traditionen aber auch über das christliche Versagen in der NS-Diktatur. Klaus Müller konturiert eine Diakonie, die »von jüdischen SozialDiakonisches Lernen

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traditionen zu lernen bereit ist«, sodass Erbarmen zum Recht kommt (Müller, 2004, S. 268). Problematische Erscheinungsformen christlich-diakonischer Selbstvergewisserung, wenn z. B. das Nächstenliebegebot allein bei Jesus und nicht konsequent im Judentum verortet wird, sind hoffentlich nicht mehr zu finden. Die kanonischen Texte der islamischen Tradition bieten großes Potenzial, das diakonisches Lernen mit Menschen aus unterschiedlichen Glaubensrichtungen begründet. So wird im Koran die Diversität der Weltanschauungen als von Gott gewollt bezeichnet und direkt mit der Forderung an alle Menschen verbunden, Gutes zu tun. Der Sinn hinter den unterschiedlichen von Gott geschaffenen Glaubensrichtungen besteht darin, dass Gott jede Menschengruppe in ihrer eigenen von ihm gegebenen Weltanschauung prüfen will. Dementsprechend sollen nach dem Koran alle Menschen darum wetteifern, Gutes zu tun. In diesem Zusammenhang wird eine klare Trennung zwischen der Bewertung menschlichen Handelns im Dies- und Jenseits vorgenommen: Gott allein entscheidet im Jenseits über den Wahrheitsanspruch der unterschiedlichen Glaubensrichtungen und Weltanschauungen, während die Menschen im Diesseits ihren Glauben in Form von guten Taten zu ihren Mitmenschen zur Geltung bringen sollen (Sure 5, übertragen von Bobzin, 2010). Zu den guten Taten gehört vor allem das Hilfehandeln. So werden alle Menschen in der Prophetentradition als »Kinder Gottes« bezeichnet. Demzufolge gilt die Liebe Gottes am meisten denjenigen, die »seinen Kindern gegenüber am hilfsbereitesten sind« (Marokkanisches Ministerium für Islamisches Stiftungswesen, 1985, S. 14). In diesem Sinne zeichnen sich die Menschen im diesseitigen Leben dadurch aus, dass sie ihren Mitmenschen helfen: »Die besten Menschen sind diejenigen, die (anderen) Menschen am meisten behilflich sind« (S. 14). Von diesen und ähnlichen Grundsätzen wie Verantwortung und Barmherzigkeit lassen sich islamische Hilfsorganisationen leiten wie beispielsweise Islamic Relief Deutschland (www.islamicrelief.de), die in mehr als 40 Ländern tätig ist und unter anderem mit christlichen Einrichtungen wie Caritas und Diakonie zusammenarbeitet. Für Hilfehandeln wichtige Prinzipien wie Liebe und Barmherzigkeit dürfen allerdings nicht auf ihren religiösen Gehalt eingeschränkt oder vom dogma­ tischen Verständnis abhängig gemacht werden. Khorchide (2012) betrachtet in seiner modernen, humanistischen Lesart des Islam Liebe und Barmherzigkeit als die Grundessenz des Glaubens im Allgemeinen und des Islam im Besonderen. Sie stellen seiner Ansicht nach das Kernelement der Beziehung zwischen Gott und Mensch ebenso wie zwischen den Menschen untereinander dar. Dabei muss man »zwischen dem Islam im Allgemeinen (als Bezeichnung für die Annahme der Liebe und Barmherzigkeit Gottes) und dem Islam als dem spezifischen Weg zur Gottes Gemeinschaft unterscheiden, neben dem es noch viele andere gibt« (S. 88). 206

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Alle Menschen, die zum Beispiel durch Hilfehandeln für die Verwirklichung und Verbreitung von Liebe und Barmherzigkeit auf Erden wirken, seien nach diesem Ansatz gleichzustellen und gar als Muslim*innen im allgemeinen Sinne anzusehen. Dies gelte, so Khorchide, nicht nur für Juden, Christen und Muslime, sondern auch für Menschen, die nicht an Gott glauben und trotzdem durch ihr Handeln dazu beitragen, »Liebe und Barmherzigkeit als gelebte Wirklichkeit zu gestalten« (S. 88). Diese theologischen Aspekte stellen eine gute Grundlage für das gemeinsame Lernen in religiöser und weltanschaulicher Pluralität dar. Schüler*innen können sich damit kritisch auseinandersetzen, zugleich bietet diese Sichtweise die Möglichkeit, dass Schüler*innen wechselseitig in Hilfsprojekten unterschiedlicher Trägerschaft mitarbeiten und sie können sich mit den verschiedenen Religionen zugehörenden Mitarbeiter*innen und ihren Überzeugungen und Motivationen auseinandersetzen. In der gemeinsamen Nachbereitung der Praktika ist dies zu reflektieren.

2.3  Diakonisches Lernen in weltanschaulicher Vielfalt Hilfehandeln ist säkularisiert. Das ist sowohl auf der Ebene der Individuen zu sehen, wenn man deren vielfältige Motivationen betrachtet, als auch wenn man auf der strukturellen Ebene die gesetzlichen Rahmenbedingungen, Organisationen, Adressat*innen usw. wahrnimmt. Rein äußerlich unterscheiden sich verschiedene Formen des Hilfehandelns nicht. Hilfehandeln sollte auch nicht von religiösen Überzeugungen und Gefühlen, wie z. B. Barmherzigkeit, abhängig sein, sondern stellt im modernen Wohlfahrtsstaat einen Rechtanspruch dar (Braune-Krickau, 2015). Daher verwundert es nicht, dass es den Schüler*innen, die das Schulfach Diakonie besuchen, besonders schwerfällt, Hilfehandeln als religiös motiviert wahrzunehmen (Gramzow, 2010). Braune-Krickau (2015) sieht einen zu engen Fokus auf die religiöse Motivation als problematisch an und profiliert stattdessen das Hilfehandeln selbst als einen Ort religiöser Erfahrung. Heranwachsende begegnen in ihrem Handeln menschlichen Grunderfahrungen und erfahren Selbsttranszendenz, denn die »Begegnung mit dem Anderen [setzt] ein selbsttranszendierendes Potential« frei (Braune-­Krickau, 2016, S. 400). Diakonisches Lernen ermöglicht also religiöse Erfahrungen und Braune-Krickau (2015) plädiert dafür, in der Reflexion der Praxisphasen danach zu fragen, »welche Auswirkungen die diakonischen Erfahrungen auf den eigenen Glauben haben« (S. 219). Auch wenn hier vorausgesetzt ist, dass die am diako­ nischen Lernen Teilnehmenden einen eigenen Glauben haben, ist dennoch diese Bestimmung für diakonisches Lernen im Kontext mehrheitlicher KonfessionsDiakonisches Lernen

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losigkeit lohnenswert. Der Austausch von Schüler*innen über ihre Erfahrungen kann zum Lernen von und in Religion werden, allerdings können die Praxiserfahrungen ebenso auch als soziales Lernen interpretiert werden – was eine sensible Wahrnehmung der Lerngruppe sowie eine behutsame Gestaltung des didaktischen Settings voraussetzt. Mitentscheidend ist der Rahmen, in dem das diakonische Lernen stattfindet, nämlich ob innerhalb einer Schule in konfessioneller Trägerschaft oder an einer staatlichen Schule diakonisch gelernt wird und wie die Lernenden dies für sich wahrnehmen und deuten. Konfessionslose verstehen sich überwiegend selbst als nicht-religiös, weshalb sie nicht religiös vereinnahmt werden sollten, indem man von außen ihre Erfahrungen als religiös qualifiziert. Konfessionslose Schüler*innen werden ebenso wie konfessionslose Mitarbeiter*innen das soziale bzw. diakonische Handeln eher nicht als religiöse Erfahrung deuten, auch wenn es potenziell so gedeutet werden kann. In der theoretischen Nachbereitung können Lernende sich mit religiösen Deutungsmustern auseinandersetzen, ohne sie für sich als handlungsleitend zu übernehmen. Religiöse Gehalte können allerdings angesichts von Kontingenzerfahrungen bedeutsam sein.

2.4  Didaktische Überlegungen Deutlich wird, dass die Wahrnehmung religiöser und weltanschaulicher Heterogenität das diakonische Lernen neu akzentuiert und Impulse dafür bereithält. Diakonisches Lernen hat sich zudem als gut anschlussfähig an die vorgestellten Dimensionen von Pluralität erwiesen. Ein Grund dafür kann sein, dass Hilfehandeln und Auf-Hilfe-Angewiesen-Sein menschliche Grunderfahrungen darstellen, die sich vielgestaltig zeigen und bei denen es sinnvoll ist, sie in pädagogischen Kontexten zu thematisieren. Wie kann nun diese Pluralität lernwirksam werden? Die gesellschaftlich vorfindliche religiöse und weltanschauliche Pluralität kann im diakonischen Lernen gut durch Praktika in Einrichtungen, die sich in unterschiedlicher Trägerschaft befinden, abgebildet werden. In der Reflexion ihrer Erfahrungen können sich die Lernenden darüber austauschen, mit welchen Traditionen, Überzeugungen und Leitbildern die jeweiligen Einrichtungen verbunden sind. Neben diesen »offiziellen« Leitbildern begegnen die Schüler*innen den pluralen Überzeugungen, Motivationen sowie kritischen Stimmen der Mitarbeiter*innen. Somit sind die intrareligiösen und -weltanschaulichen Pluralitäten präsent, sodass einerseits die Trägerschaft der Einrichtungen sowie anderseits die Auseinandersetzung der Mitarbeiter*innen vor Ort und deren Motivationen sichtbar und lernrelevant werden. 208

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Einrichtungen der Diakonie, Caritas – mit jüngeren und mit zum Teil sehr langen Traditionen, ggf. getragen von Schwesternschaften – oder Einrichtungen in kommunaler Trägerschaft oder Vereine, die sich Hilfebedürftigen zuwenden, ebenso wie NGOs und Initiativen mit jüdischem, islamischem oder buddhistischem Selbstverständnis kommen als Praktikumsorte in Betracht. Zu analysieren wären die Leitbilder der Initiativen, sodass man über ihr Selbstverständnis und ihre Ziele ins Gespräch kommen kann. Die Träger und ihr Selbstverständnis stellen eine Seite der Medaille dar, noch interessanter ist es jedoch, mit den Mitarbeiter*innen vor Ort ins Gespräch zu kommen: Warum engagieren sie sich? Welche Ideale haben sie? Hat das etwas mit ihrer Religion zu tun? Wie sehen sie den Träger und dessen Forderungen? Wird z. B. ein diakonisches Selbstverständnis eher als Stütze empfunden oder als Belastung, weil damit bestimmte arbeitsrechtliche Konsequenzen verbunden sind (z. B. Kirchenmitgliedschaft, fehlendes Streikrecht)? Wie nehmen die Mitarbeitenden das Verhältnis von Anspruch und Wirklichkeit wahr – stehen strukturell genug Ressourcen zur Verfügung, um den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden?

Sollen langfristig prosoziale Einstellungen erworben werden, gilt es, diese zu reflektieren, indem die Lernenden Deutungen von Hilfehandeln kennenlernen, darüber ins Gespräch kommen und verschiedene Deutungen für die eigene Motivation prüfen. Dies geschieht in der Auseinandersetzung mit den Mitarbeiter*innen in den Praktikumseinrichtungen. Wichtig ist, dass im Vorfeld des Praktikums die Schüler*innen darauf vorbereitet werden, über solche Themen ins Gespräch zu kommen und in der Nachbereitung die Gespräche auszuwerten. Aufgrund der religionssoziologisch heterogenen Lage ist es sinnvoll, sich im Nachgang inhaltlich mit weiteren Motivationen und Begründungen auseinanderzusetzen. Dabei kann Vielfalt, auch über religiöse und weltanschauliche Pluralität hinausgehend, repräsentiert sein, indem verschiedene Motivationen, Kontexte, Zielstellungen sowie Art und Weisen des sozialen Handelns thematisiert werden. Stereotype zur »Dritten Welt« oder zu geschlechtsbezogenen Formen des Hilfehandelns – gerade im sozialen Sektor arbeiten viele Frauen – sollten nicht reproduziert, sondern kritisch analysiert werden. Soll diakonisches Lernen mehr als ein Praktikum sein, das Jugendlichen in der Regel an sich sympathisch ist, weil es eben gerade nicht schulförmig ist, müssen die Erfahrungen und Gespräche der Reflexion zugängig gemacht werden. Darauf sind die Schüler*innen vorzubereiten, entsprechende Wahrnehmungen sind durch Fragen in der begleitenden Dokumentation des Praktikums anzuregen und gemeinsam sind diese Wahrnehmungen in der Nachbereitung auszuwerten. Diakonisches Lernen

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Eine reflektierende Auseinandersetzung kann auch Gestalt nehmen in einem Lernen an Biografien, wobei fremde Biografien im Blick auf die eigene Biografie befragt werden (Witten, 2014). Wenn eine Auseinandersetzung mit sehr verschiedenen Biografien stattfindet, lassen sich auch zahlreiche Anknüpfungspunkte für das eigene Leben finden. Dabei ist eine Reflexion vor dem Hintergrund verschiedener religiöser Grundhaltungen, wie sie in den Heiligen Schriften enthalten sind, zwar wünschenswert, aber weder verpflichtend noch im Sinne einer Überlegenheit zwischen religiösen Motivationen oder gegenüber weltlichen zu kommunizieren – zumal Hilfehandeln häufig situativ geschieht und weniger z. B. das Gebot der Nächstenliebe, sondern vielmehr die Not des anderen zum aktuellen Anlass der Hilfeleistung wird.

Durch in der Erinnerungskultur präsente Biografien, wie z. B. die Biografie Elisabeths von Thüringen, die geprägt ist durch einen hohen Grad an religiöser Motivation und dem Wunsch zur direkten Nachfolge Jesu, aber auch Menschen, die ehrenamtlich z. B. als »Grüne Damen und Herren« in der Gesundheits- und Krankenpflege arbeiten, können Perspektiven, die vor Ort nicht präsent sind, eingespielt werden.

Dass Hilfehandeln religiös motiviert sein kann, aber nicht muss, kann zum positiven Anknüpfungspunkt für religiös Indifferente sowie zum Anlass für den Dialog zwischen Gläubigen werden. Dabei kann diakonisches Lernen eine Möglichkeit sein, Religion zu erleben und Religion zu erschließen. Dafür ist es sinnvoll, die Schüler*innen zu fragen, was ihre Erfahrungen im Praktikum mit ihren Fragen, Lebensdeutungen, Überzeugungen und evtl. auch mit ihrem Glauben zu tun haben und zum Betrachten aus verschiedenen Perspektiven einzuladen. Die vorfindliche intrareligiöse und -weltanschauliche Heterogenität kann hier gut aufgenommen werden. In diesen Auseinandersetzungen sollten die Schüler*innen nicht zu Expert*innen oder Repräsentant*innen »ihrer« Religion oder Weltanschauung gemacht werden, sondern sich auf subjektive Auseinandersetzungen und eine gemeinsame Antwortsuche einlassen. Deutungsangebote aus religiösen Traditionen können u. a. durch Unterrichtsmaterialien eingespielt werden. Da die religiös-weltanschauliche Heterogenität in der Material- und Konzeptentwicklung diakonischen Lernens noch nicht durchgehend im Blick ist, wäre eine Weiterentwicklung wünschenswert. Soll ein diakonisch-soziales Lernen in religiöser und weltanschaulicher Vielfalt erfolgen, so sollte sich das auch auf der Ebene der Kooperationspartner abbilden. 210

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Das betrifft die Unterrichtsfächer, die sich für diesen Lernbereich verantwortlich sehen. Ansprechpartner wären die Religionsunterrichte sowie der Ethikunterricht innerhalb der Fächergruppe ebenso wie historisch-gesellschaftskundlich-­ politische Unterrichtsfächer, die z. B. Ansätze des service learning für ein gesell­ schaftliches Engagement einbringen. Es würde eine fächerverbindende Vor- und Nachbereitung der Praktika erfolgen, wobei jedes Fach seine Prämissen einbringen kann.

Das heißt konkret, dass das Praktikum nicht nur von den Religionslehrer*innen ausgewertet wird, sondern in verschiedenen Fächern zum Gesprächsanlass genutzt wird. Der Geschichtsunterricht kann historische Längsschnitte zur Geschichte der Armut einbauen, in denen zeitspezifische Ursachen, Erscheinungsformen und Lösungsversuche von Armut thematisiert werden. Der Gesellschaftskunde-Unterricht verschafft einen Überblick über z. B. die Menschenrechte und problematisiert sozialpolitische Umsetzungsformen. Im Fremdsprachen-Unterricht werden – gegenüber der in Deutschland geläufigen »verfassten« Form von Hilfeleistungen – andere Traditionen des eher privaten gesellschaftlichen Engagements, z. B. in Form von großen Stiftungen, Spenden usw. thematisiert. Ansätze des service learning können zum Element des Schulprofils werden und kommen dem Wunsch nach projektartigem, »echtem« Lernen entgegen.

3  Potenziale und Grenzen Verschiedene Zugänge zum Hilfehandeln sind als gleichberechtigt anzusehen, müssen aber aus der Perspektive und in ihren Auswirkungen für die Person, der geholfen werden soll, kritisch betrachtet werden. Dazu gehören auch Konzepte, die – durch Zuwendung versteckt – versuchen, zu missionieren, ohne dies offenzulegen. Diakonisches Lernen sollte nicht nur schulbezogen, sondern ebenso als lebenslanges Lernen im gemeindlichen, ehrenamtlichen sowie im berufsbildenden Kontext betrachtet werden. Diakonie und Caritas haben sich als große Arbeitgeberinnen im Feld des Sozialen den Herausforderungen, die mit religiöser und weltanschaulicher Vielfalt einhergehen, zu stellen, sowohl im Blick auf die mitarbeitenden Personen als auch im Blick auf die, denen das Handeln gilt. Drängend sind einerseits die Fragen nach einem diakonischen Profil, inwiefern die Mitarbeitenden dies mit ihren religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen Diakonisches Lernen

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sowie ihrer Professionalität in Einklang bringen und welche Anforderungen an die Mitarbeiter*innen gestellt werden, z. B. ob Muslima mit Kopftuch in diakonischen Einrichtungen (ehrenamtlich) arbeiten dürfen. Andererseits stellen sich ebenso Fragen nach religiöser und weltanschaulicher Kompetenz in der Arbeit mit einer heterogenen Klientel (vgl. dazu Merkt, Schweitzer/Biesinger, 2014; Arnold/ Bonchino-Demmler/Evers/Hußmann/Liedke, 2017). Diese Aspekte stellen wichtige Themenfelder für diakonisch-soziale Lernprozesse angesichts religiöser und weltanschaulicher Pluralität dar. Grenzen diakonischen Lernens angesichts religiöser und weltanschaulicher Pluralität liegen in der Präsenz entsprechender Angebote vor Ort. Nicht überall kommen Lernende tatsächlich mit der Pluralität von Angeboten in Kontakt, hier können alternativ die medial präsenten Angebote der jeweiligen Organisationen genutzt werden. Literatur zum Weiterlesen Comenius-Institut (Hg.) (2013): Diakonisch-soziales Lernen. Ein religionspädagogischer Reader. Münster: Comenius-Institut. Biewald, R./Husmann, B. (Hg.) (2010): Diakonie. Praktische und theoretische Impulse für sozial-diakonisches Lernen im Religionsunterricht. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt. Dorner, M./Fricke, M. (2015): Werkbuch diakonisches Lernen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. von Hauff, A. (Hg.) (2006/2008): Frauen in der Diakonie. Unterrichtsvorschläge für das 1. bis 6. Schuljahr. Bd. 1/Unterrichtsvorschläge für die Sekundarstufe I. Bd. 2. Stuttgart: Calwer.

Sonstige Literatur Arnold, M./Bonchino-Demmler, D./Evers, R./Hußmann, M./Liedke, U. (2017): Perspektiven diakonischer Profilbildung. Ein Arbeitsbuch am Beispiel von Einrichtungen der Diakonie in Sachsen. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt. Braune-Krickau, T. (2015): Eine Diakonietheologie von unten. Zur Theologie diakonischer Bildungsprozesse. Praktische Theologie, 50 (4), S. 213–220. Braune-Krickau, T. (2016): Die gelebte Religion der Diakonie. Praktisch-theologische Perspektiven auf diakonisches Handeln. Zeitschrift für Theologie und Kirche, 113 (4), S. 384–406. Gramzow, C. (2010): Diakonie in der Schule. Theoretische Einordnung und praktische Konsequenzen auf der Grundlage einer Evaluationsstudie. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt. Grethlein, C. (2012): Praktische Theologie. Berlin: De Gruyter. Der Koran (2010): Sure 5 – Der Tisch – al-Mā’ida, Vers 48. Neu übertragen von Hartmut Bobzin. München: C. H. Beck. Khorchide, M. (2012): Islam ist Barmherzigkeit. Grundzüge einer modernen Religion. Freiburg i. Br.: Herder. Kuld, L./Niehl, F.W. (2016): Art. Compassion. In: WiReLex. Verfügbar unter: https://www.bibelwissenschaft.­de/stichwort/100124/ [19.04.2018]. Marokkanisches Ministerium für Islamisches Stiftungswesen (1985): Arba῾ūn hadīt-an fi-istinā῾ al-ma῾rūf/Vierzig Traditionen über das Hervorbringen guter Taten. Zusammengestellt durch Zakīaddīn Abī Mu῾ammad ῾Abdal῾azīm Ibn ῾Abdalqawī al-Mund–irī. Mohammedia: Fedala.

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Merkt, H./Schweitzer, F./Biesinger, A. (Hg.) (2014): Interreligiöse Kompetenz in der Pflege. Päda­ gogische Ansätze, theoretische Perspektiven und empirische Befunde. Münster: Waxmann. Müller, K. (2004): Diakonik im christlich-jüdischen Horizont. Impulse aus dem Judentum für die christliche Diakonie. Praktische Theologie, 38 (4), S. 265–272. von Bassewitz, H. (2017): Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) – ein Blick in die vergangenen 100 Jahre. Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e. V., 97 (9), S. 411–417. Witten, U. (2014): Diakonisches Lernen an Biographien. Elisabeth von Thüringen, Florence Night� ingale, Mutter Teresa. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.

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Gewaltpräventives Lernen Elisabeth Naurath

Gewaltbereitschaft und Gewalttätigkeit von Kindern und Jugendlichen sind seit einigen Jahren Themen, die immer stärker in den medialen und damit auch öffentlichen Blickpunkt geraten. Der Diskurs ist vor allem dadurch bestimmt, dass ein grundsätzlicher Werteverfall und damit eine Verrohung der nachwachsenden Generation beklagt werden. Zudem werden die Aufwachsbedingungen in kultureller, religiöser, sprachlicher und auch werteorientierter Vielfalt als Boden für Orientierungslosigkeit, Radikalisierung und zunehmende Gewaltbereitschaft gesehen. Eine mögliche und zugleich plausible Erklärung: Viele (auch junge) Menschen haben den Eindruck, mit den rasanten gesellschaftlichen Veränderungen nicht mehr Schritt zu halten, nicht mehr mitzukommen, sich nicht mehr auszukennen und Verlässliches nicht aufbauen zu können bzw. zunehmend zu verlieren. Nicht selten gibt es radikalisierende Reaktionen auf diese Gefühle der Verunsicherung, die sich in Gewalt niederschlagen. Doch kann man wirklich von einer wachsenden Kriminalität von Heranwachsenden sprechen? Auch wenn die Medien einen anderen Eindruck vermitteln, zeigen polizeiliche Statistiken, dass es keinen signifikanten Anstieg der Jugendgewalt in Deutschland gibt. Nichtsdestotrotz sind die Untersuchungen alarmierend, da sich die Qualität der Gewalt in den letzten Jahren augenscheinlich so verändert hat, dass von einer wachsenden »Verrohung« und Empathielosigkeit und damit von einer in gewisser Weise qualitativen Gewaltsteigerung auszugehen ist. Hierbei ist zu sehen, dass der Gewaltbegriff, der seit den klassischen Forschungen Johann Galtungs (1975) in einem komplexen Verständnis von struktureller und nichtstruktureller Gewalt gefasst wird, ein weites Feld umfasst: Neben physischen Gewaltanwendungen geht es insbesondere im schulischen Kontext auch um verbale, emotionale und insbesondere mediale Formen von Gewalt. Die bekannten Phänomene von Mobbing und Bullying werden neuerdings durch Begriffe wie »happy slapping« ergänzt. Gemeint ist das Phänomen, dass Jugendliche ihre – meist sehr brutalen – Gewalttaten an Mitschüler*innen mit dem Smartphone filmen und anschließend ins Netz stellen. Insbesondere Formen der Gewalt über die Neuen Medien (Cyber-Mobbing) sind daher im 214

schu­lischen Kontext stark angestiegen. Blickt man auf den gegenwärtigen Gewaltdiskurs, so scheint die Schule zu einem Brennglas gesellschaftlich ungeklärter Problemlagen zu werden, die in Schlagworten wie wachsender Kinder- und Jugendarmut, familiärem Zerfall mit einhergehendem Bindungsverlust, Medienverwahrlosung, Erziehungsnotstand u. Ä. beschrieben werden.

1  Gewaltpräventives Lernen als religionspädagogischer Ansatz Um den schulischen Gewaltproblemen konstruktiv zu begegnen, werden insbesondere »soft skills« als Impulse zur positiven Beeinflussung des Verhaltens wie Motivationssteigerung, Selbstbewusstsein sowie Team- und Konfliktfähigkeit gefördert. Schulsozialarbeiter*innen, Beratungslehrkräfte, Schulseelsorger*innen sowie das Angebot einer Mediator*innenausbildung für Schüler*innen zählen mittlerweile zu den grundständigen Angeboten an Schulen – vor allem in Kontexten, die als soziale Brennpunkte gelten. In besonderer Weise werden im schulischen Kontext die sogenannten wertebildenden Fächer wie Religionsunterricht und Ethik als Fachdidaktiken mit hohem persönlichkeitsbildendem Anteil in der Verantwortung zur Bildung prosozialer Kompetenzen gesehen. Theologisch betrachtet »muss Friede mehr sein als nur ein Thema unter anderen. Religionsunterricht ist dann stets und alternativlos prinzipiell Friedenserziehung als Friedensbildung« (Lämmermann, 2004, S. 362). Insofern kann gewaltpräventives Lernen im Religionsunterricht als stets mitlaufendes Prinzip einer auf ethische Bildung ausgerichteten Didaktik gesehen werden. Einfühlungsvermögen und Mitgefühl (Naurath, 2010) sind Schlüssel zur Gewaltminderung bzw. -verhinderung. Gerade diese Fähigkeiten können in einem subjektorientierten Religionsunterricht, der auch die emotionale Bildung (Emotionsverständnis, Emotionswissen, Emotionsregulation etc.) berücksichtigt, besonders gut gefördert werden. Eigene Gefühle wahrnehmen, verbal artiku­ lieren oder nonverbal ausdrücken zu können, ist nicht zuletzt die Voraussetzung dafür, Ärger, Wut und Aggression bewusst zu machen und zu reflektieren. Der Religionsunterricht kann – vielleicht mehr als andere Fächer – Möglichkeiten zur Sensibilisierung eigener Gefühle eröffnen, denn neben der zwischenmenschlichen Perspektive spielt ja auch die Gott-Mensch-Beziehung als Transzendierung der Wirklichkeit eine Rolle. Dies wirft insbesondere die Frage an eine adäquate Bibeldidaktik auf, mit deren Hilfe es gelingen kann, eigene Emotionen in der Fülle der Gefühlswelten biblischer Figuren zu verlebendigen (siehe Aldebert und Pohl-­Patalong in diesem Band). So sind biblische Geschichten geeignet, sowohl Basisemotionen (wie Freude, Wut, Angst, Traurigkeit) als auch komplexe EmoGewaltpräventives Lernen

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tionen (wie Mitgefühl, Neid, Schuld etc.) in der Verfremdung biblischer Personen auszudrücken und damit für sich selbst und den zwischenmenschlichen Umgang zu reflektieren. Auch die aktuell erschienenen Publikationen zu Kindertora und Kinderkoran bieten hierzu neue Möglichkeiten, im Kontext interreligiösen Lernens Verbindungslinien zwischen den »heiligen Texten« der Religionen zu ziehen. Ein wesentlicher Baustein zur Werte-Bildung und damit zum allgemeinen Bildungsauftrag der Förderung von Toleranz und Friedensfähigkeit ist zudem, neben der kognitiven (und pragmatischen) Lerndimension auch die emotionale Bildung stärker zur Geltung zu bringen. Denn gerade der Zusammenhang emotionalen Lernens fördert auch die sozialen Fähigkeiten. Insofern steht der schulische Zusammenhalt – und damit die Gewaltprävention – heute vor ganz neuen Herausforderungen: »Kindheit und Jugend heute« heißt eben in weltanschaulicher und religiöser Hinsicht pluralen Einflüssen ausgesetzt zu sein und diese Bedingungsfaktoren gelingend, d. h. friedlich zu regeln. Die Vielfalt der Einstellungen, Lebensformen und Wertvorstellungen als Fülle und Bereicherung des Lebens wahrzunehmen, setzt voraus, nicht mit Orientierungslosigkeit, Irritationen oder gar Abgrenzungen (Fundamentalismen) reagieren zu müssen. Im Folgenden soll dieser Zusammenhang mit Blick auf die heterogenen Bedingungen des heutigen Schulalltags näher betrachtet und nach Möglichkeiten gewaltpräventiven Lernens gefragt werden. Konkret: Tragen differierende konfessionelle, religiöse oder weltanschauliche Glaubens- und Lebensformen ein Konfliktpotenzial in sich, das von Lehrkräften stärker wahrgenommen werden sollte? Inwiefern bedingen der Anspruch zu gewaltpräventivem Lernen und das Konzept einer religionssensiblen Schule einander? Kann gar religiöse Bildung eine Chance bzw. ein Garant für gewaltpräventives Lernen am Lern- und Lebensort Schule sein?

2  Gewaltpräventives Lernen in heterogenen Lerngruppen »Du hast das irgendwie so in dir drin. Auch wenn du das gar nicht willst, dann denkst du trotzdem so. Mit der Ehre und dass du die Ehre deiner Schwester verteidigst, absolut. Jetzt im Nachhinein merk ich: Für mich war das so wichtig, dass ich darüber sprechen konnte und gemerkt habe, der sieht das ja ganz anders als ich. Auch irgendwie überzeugend, wie der redet.« Mustafa erzählt, wie er an einem schulischen Projekttag (in der Kooperation von Religions- und Ethikunterricht) die Initiative »HEROES« kennengelernt hat und sich dann entschlossen hat, die einjährige Ausbildung zu machen, um jetzt selbst mit Jungen 216

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(mit Migrationshintergrund) deren Rollenverständnis zu klären und zu reflektieren. Er betont, wie schwer es ist, Ambivalenzen traditioneller Ehrkulturen und moderner Ansprüche von Gleichberechtigung der Geschlechter für die eigene Identitätsbildung zu klären.

Das HEROES-Projekt startete 2012 in Berlin und ist mittlerweile in einigen deutschen Städten als Erfolgsprojekt gefeiert: Es geht darum, mit jungen Männern, die ihre kulturellen Wurzeln in sogenannten Ehrentraditionen haben, Wege zu erarbeiten, diese oft rollenstereotypen Vorstellungen kritisch zu reflektieren und gewaltfreie Wege zu finden. Dieses Praxisbeispiel zeigt das komplexe Zusammenspiel von Heteroge­ nitäts­faktoren, indem neben konfessionellen, religiösen bzw. weltanschaulichen Unterschieden nicht selten auch kulturell bedingte Einstellungen zu Fragen des Menschenbildes, des Geschlechterverhältnisses und damit geschlechtsspezifisch gewünschter bzw. nicht-konformer Haltungen zum Problem einer gelingenden Identitätsbildung werden (siehe Hasler und Pohl-Patalong in diesem Band). Der schulische Alltag in konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Heterogenität birgt offensichtliches Konfliktpotenzial: Spannungsfelder reichen vom Kreuz an der Wand des Klassenzimmers versus dem Tragen des Kopftuchs, Fragen sexueller Aufklärung, Befreiung vom Sport- bzw. Schwimmunterricht, Klassenfahrten und Schulausflügen, geschlechtergetrennten Räumen, dem Einhalten von Speisevorschriften, Rücksichtnahme und Unterrichtsfreiheit an religiösen Feier- und Festtagen, gemeinsam gestalteten multireligiösen Veranstaltungen etc. Diese Spannungsfelder können ungelöst zu Kategorisierungen und Stereotypisierungen führen, woraus wiederum Vorurteile und Feindbilder erwachsen. Gegenwärtig lassen sich hierzu vor allem eine deutliche Islamfeindlichkeit, aber auch Wellen von wachsendem Antisemitismus beobachten, die sich selbstverständlich auch auf das schulische Miteinander auswirken. Nicht selten können sich so Vorurteile gegenüber fremden Kulturen und Religionen verfestigen und in Gewaltbereitschaft umschlagen. Hierbei kann man mit der gegenwärtigen Vorurteilsforschung davon ausgehen, dass die sichtbaren Gewalttaten Ausdruck der ihnen zugrundeliegenden Vorurteile und rassistischen Feindbilder sind: »Die Taten realisieren das Vorurteil« (Zick, 2017, S. 28). Wichtig ist, dass die Genese von Vorurteilen ihren nährenden Boden in sozialen Prozessen findet, die gegenwärtig mit dem Erstarken des Nationalismus und Populismus besonders gegen Flüchtlinge und damit auch gegen den Islam gerichtet sind. Gewaltpräventives Lernen hat demnach eine dezidiert religiöse Dimension oder anders gesagt: Da wo in interreligiösen Lernprozessen Vorurteile gegen den Islam abgebaut werGewaltpräventives Lernen

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den können bzw. Dispositionen gegen die Entstehung von Vorurteilen gemindert werden, ist Friedenspädagogik geglückt. Doch auch umgekehrt gilt: Wo den Schüler*innen keine Zeiten und Räume geschaffen werden, um ihre alltags- und lebensbezogenen Fragen auf der Basis ihrer Weltanschauung oder ihres Glaubens zu formulieren, zu gestalten und zu diskutieren, droht die Gefahr, von fundamentalistischen Einflüssen jeglicher Art vereinnahmt zu werden. Insofern kann das schulische Angebot eines wissenschaftsorientierten und im Rahmen des Grundgesetzes verankerten Angebots von Religionsunterricht, der sich im allgemeinen Bildungsauftrag der Schule verantworten muss, als Gewaltprävention gelten. Voraussetzung ist wiederum eine Bildungsorientierung, die in der Klasse als einem prinzipiell »herrschaftsfreien Raum« ermöglicht, Vorurteile und Ängste zu äußern und mithilfe einer kompetenten Lehrkraft zu diskutieren. Bedingungsgrund hierfür ist eine sowohl theologisch als auch pädagogisch kompetente Lehrkraft, die zum einen hinsichtlich ihrer eigenen religiösen Überzeugung als authentisch erlebt werden kann, zum anderen aber die Äußerungen der Schüler*innen ernstnimmt und damit deren Reflexionsvermögen als Dialogfähigkeit fördert. Im Erlernen von Dialogfähigkeit liegt demnach der Königsweg gewaltpräventiven Lernens: Ein gelingender Dialog braucht zwei Seiten – ein Ich und ein Du – und einen konstruktiven Raum dazwischen, der das Hören so wichtig wie das Sprechen sein lässt. Unabdingbar ist hierbei die Wertschätzung, die die Sichtweise des Gegenübers nicht abwertet oder verurteilt, sondern als Denk- und Gefühlsmöglichkeit an sich heranlässt. Im Respektieren dieser anderen Sichtweise als einer möglichen Perspektive konstruiert sich eine neue Wirklichkeit, die der Selbstreflexion – in der Form des Auseinander-setzens – zur eigenen Klärung der Position verhilft. Zugleich schafft dies ein Klima der friedlichen Akzeptanz von Verschiedenheit mit Entdeckungsspielräumen für mögliches Gemeinsames. Um Dialogfähigkeit hinsichtlich unterschiedlicher konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Einstellungen zu fördern, bedarf es folgender Voraussetzungen: Ȥ Grundkenntnisse religiöser Sprachfähigkeit, das bedeutet, nachvollziehen zu können, warum sich Menschen Sinnfragen stellen und zu einer Weltdeutung kommen, die mit Gott rechnet (oder eben auch nicht) Ȥ religionswissenschaftliche Kenntnisse Ȥ Offenheit zur Begegnung/zum Dialog und zur konstruktiven Auseinandersetzung Ȥ die Fähigkeit, sich selbst durch andere Lebens- und Glaubenseinstellungen infrage stellen zu lassen (Fähigkeit zur Selbstkritik) Ȥ die Fähigkeit zur Transformation eigener Wahrheitsansprüche 218

Elisabeth Naurath

So zeigt die Erfahrung von Projekttagen, die im Kontext der Lernwerkstatt für interreligiöse Bildung (siehe Beitrag von Beiner und Unger in diesem Band) durchgeführt wurden, eine wachsende Sensibilität für religiöse Unterschiede: Wenn beispielsweise zum Thema »Umgang mit Tod in den Weltreligionen« deutlich wird, dass nach muslimischem Verständnis Trauerkultur weniger Grabpflege als Fürsorge für die Hinterbliebenen bedeutet, können Vorurteile abgebaut werden. Erhitzte Gemüter, die augenscheinlich vernachlässigte Gräber auf dem katholischen Friedhof beklagten, konnten sich dadurch beruhigen, dass sie theologische Hintergründe eines anderen Verständnisses von Trauer kennenlernten. In diesem Zusammenhang wurde plötzlich von einem Schüler spontan geäußert, dass Muslime doch alle Terroristen seien. Es entstand plötzlich im Kassenzimmer eine massive Auseinandersetzung mit gegenseitigen Vorwürfen und Feindseligkeiten. Hier war eine Intervention der Lehrkraft nötig, die den Konflikt so auflösen konnte, indem beide Seiten ihre Meinungen ohne Einwürfe der anderen Seite äußern durften und dann geklärt werden konnte, dass der »IS« nicht mit dem Islam gleichzusetzen sei.

3  Potenziale und Grenzen Gewaltpräventives Lernen in konfessionell, religiös oder weltanschaulich heterogenen Lerngruppen stellt sich vorrangig als Lernen im Umgang mit bestehenden oder potenziellen Vorurteilen dar. Der Königsweg hierbei ist der Kontakt zwischen den jeweiligen Gruppen. Insofern liegt die Chance in einem deutlichen Ausbau der konfessionellen und religiösen Kooperation bzw. auch der Kooperation mit dem Fach Ethik (bzw. Philosophie o. A.). Angesichts eines deutlich wachsenden Anteils an bekenntnislosen Schüler*innen ist es besonders wichtig, das Recht jedes Kindes bzw. Jugendlichen auf eine religiöse Grundbildung ernst zu nehmen, um religiöse Sprachfähigkeit als Fundament von Verständnis und Toleranz zu generieren. Wenn im Vorurteil »sich religiöse, vermeintlich biologische und kulturelle Merkmale, aufgrund derer Menschen […] kategorisiert und abgewertet werden« (Zick/ Küpper/Hövermann, 2011, S. 46) vereinen, so ist Zielpunkt gewaltpräventiven Lernens die Begegnung, das Kennen- und Verstehenlernen derer, die mit Fremdheitsgefühlen und Ängsten belegt sind. Besonders wichtig ist dies für den interkonfessionellen und interreligiösen Dialog, der aufgrund impliziter oder expliziter Wahrheitsansprüche religiöser Einstellungen, die nicht selten mit Fundamentalismen einhergehen, wie ein Schutzschild gegen das Entstehen von Vorurteilen oder Feindbildern wirken kann. Gewaltpräventives Lernen

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Das aber macht deutlich, warum religiöse Bildung für die Friedensförderung und insofern auch als gewaltpräventives Lernen so wichtig ist: Um ihre eigene religiöse oder weltanschauliche Identität zu finden, bedürfen die Heranwachsenden einer Ermöglichungsdidaktik, um Kompetenzen zur Selbstfindung, aber auch Selbstrelativierung zu entwickeln, d. h. der eigene Glaube/Nichtglaube wird nicht absolut gesetzt, sondern in einen konstruktiven Diskurs mit anderen Glaubensvorstellungen gebracht. Die Diskursfähigkeit garantiert einen wesentlichen Schutz vor Radikalisierung und religiösem Fundamentalismus. Für christliche Kinder bedeutet dies in gegenwärtiger Zeit abnehmender religiöser Sozialisation meist eine Einführung in christliche Glaubensfragen, die ihnen helfen kann, ihre eigene Orientierung zu gewinnen und zugleich Plura­ litätsfähigkeit zu entwickeln. Für muslimische Kinder bedeutet dies, nicht einzig auf Koranschulen in der Moschee bezogen zu sein oder gar über das Internet extremistischen Informationen bzw. Manipulationen zur eigenen Religion ausgesetzt zu sein. Insofern ist die Forderung, einen islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache nach universitärer Ausbildung flächendeckend einzuführen, eine politische Maßnahme von hohem friedenspädagogischem Potenzial. Für bekenntnislose Schüler*innen bedeutet dies, zu akzeptieren, dass Religiosität Ausdruck einer sich auf ein höheres Wesen rückbeziehenden Identität ist, die unter dem Schutz der Religionsfreiheit steht. Gerade der als ordentliches Lehrfach institutionell verankerte Religionsunterricht als Bildungsangebot aller Schularten steht als Garant gegen Ideologisierung und Manipulierung, indem die Wissenschaftsorientierung des unter staatliche Aufsicht gestellten Faches – einschließlich der universitären Ausbildung der Religionslehrkräfte – allgemeinen Bildungsvorstellungen genügen muss. Hier ist die Weitung der friedenspädagogischen Perspektive dringend geboten, um die Zusammenhänge von Gewalt und Krieg weltweit aufzudecken, die Religionen für ihre Zwecke missbrauchen. So ist es sinnvoll, für jede Religion Friedenspotenziale in der jeweiligen Schrift, in der Tradition und im Glaubensleben in theologischer und ethischer Hinsicht auszumachen. Stärker als bisher ist dies zu verdeutlichen und im Kontext religiöser Bildungsprozesse zu lehren. Wichtig ist dabei, interreligiös verbindende Elemente auf dem Weg zum Frieden unter den Religionen stark zu machen – wie beispielsweise gemeinsame Feste und Feiern, aber auch den Wert des »Mitgefühls«, der im Judentum, Christentum, Islam und Buddhismus als ethischer Weg religiöser Gewaltprävention zentral ist. Literatur zum Weiterlesen Naurath, E. (2010): Mit Gefühl gegen Gewalt. Mitgefühl als Schlüssel ethischer Bildung in der Religionspädagogik (2. Aufl.). Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie.

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Elisabeth Naurath

Naurath, E. (2016): Gewalt ist Gotteslästerung und religiöse Bildung ist Gewaltprävention. Plädoyer für eine dezidiert friedensorientierte Religionspädagogik. Pastoraltheologische Informationen, 1, S. 23–34. Haussmann, W./Biener, H./Hock, K./Morkosch, R. (Hg.) (2006): Handbuch Friedenserziehung: interreligiös – interkulturell – interkonfessionell. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

Sonstige Literatur Ammermann, N./Ego, B./Merkel, H. (Hg.) (2005): Friede als Gabe und Aufgabe. Beiträge zur theologischen Friedensforschung. Göttingen: V&R unipress. Bärsch, T. (2016): Klischees, Vorurteile und Diskriminierungen. Erkennen, verstehen, daran arbeiten, dagegen argumentieren und etwas ändern. Norderstedt: Kindle Edition. Döge, P. (2013): Männer – die ewigen Gewalttäter? Gewalt von und gegen Männer in Deutschland. Berlin: Springer Verlag. Galtung, J. (1988): Strukturelle Gewalt. Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung. Reinbek: Rowohlt. Kirchenamt der EKD (Hg.) (2014): Religiöse Orientierung gewinnen. Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Lämmermann, G. (2004): »… und wenn dort ein Kind des Friedens ist«! Religionsdidaktische Perspektiven und Thesen zur Friedensfrage. In: F. Sedlmeier/T. Hausmanninger (Hg.): Inquire pacem. Beiträge zu einer Theologie des Friedens, S. 350–370. Augsburg: St. Ulrich. Langenhorst, G./Naurath, E. (Hg.) (2017): Kindertora, Kinderbibel, Kinderkoran. Neue Chancen für (inter-)religiöses Lernen. Freiburg i. Br.: Herder. Lin, S. (1999): Vorurteile überwinden – eine friedenspädagogische Aufgabe. Weinheim: Beltz. Mayer, A. (2009): Kreuz und Kopftuch im Klassenzimmer. Spannungsfelder religiöser Symbole in der Schule. Innsbruck: Grin Publishing. Mokrosch, R./Held, T./Czada, R. (Hg) (2013): Religionen und Weltfrieden. Friedens- und Konfliktlösungspotenziale von Religionsgemeinschaften. Stuttgart: Kohlhammer. Naurath, E. (2008): Religion, Gewalt, Geschlecht. Gender als vernachlässigte Frage im Diskurs religiöser Gewaltforschung. Zeitschrift für Wissenschaft und Frieden, 26, S. 40–43. Naurath, E. (2010): Gewaltprävention als Genderthema? Die Bedeutung von Emotionen für ethische Bildungsprozesse im Religionsunterricht. Loccumer Pelikan, 2, S. 58–61. Naurath, E. (2016): Art. Bildung, Werte. In: WiReLex. Verfügbar unter: https://www.bibelwissen�schaft.de/stichwort/100191/ [03.04.2018]. Naurath, E. (2017): Art. Emotionale Bildung. In: WiReLex. Verfügbar unter: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100187/ [03.04.2018]. Naurath, E. (2017): Zum Recht des Kindes auf religiöse Bildung. In: S. Altmeyer/R. Englert/H. Kohler-­ Spiegel/E. Naurath/B. Schröder/F. Schweitzer (Hg.): Menschenrechte und Religionsunterricht. Jahrbuch der Religionspädagogik 33, S. 84–98. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Nipkow, K. E. (2017): Wie Gewalt eindämmen und zum Frieden erziehen? In: R. Englert/N. Mette/ A. Schule/M. Zimmermann (Hg.): Ethische Bildung. Ein religionspädagogischer Reader, S. 275– 279. Münster: Comenius-Institut. Nipkow. K. E. (2007): Der schwere Weg zum Frieden. Geschichte und Theorien der Friedenspädagogik von Erasmus bis zur Gegenwart. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Zick, A./Küpper, B./Hövermann, A. (2011) (Hg.): Die Abwertung der Anderen: Eine europäische Zustandsbeschreibung zu Intoleranz, Vorurteilen und Diskriminierung. Berlin: FriedrichEbert-Stiftung Forum Berlin. Zick, A. (2017): Raues Klima. Wenn Vorurteile übermächtig werden. Zeitzeichen, 18, S. 28–30.

Gewaltpräventives Lernen

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Ethisches Lernen Michael Winklmann

1  Ethisches Lernen als religionsdidaktischer Ansatz »Die Schulen sollen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden. Oberste Bildungsziele sind […] Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen […] Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne […]« (BayVerf Art. 131, Abs. 1 f.). Schulen sind nicht nur reine »Wissensvermittlungsanstalten«. Stellvertretend für viele andere Bundesländer macht die bayerische Verfassung das in ihrem Schulartikel deutlich. Schüler*innen sollen auch »eine ethische Urteilskompetenz für die Fragen und Problemstellungen entwickeln können, die sich aus den Möglichkeiten menschlicher Praxis immer schon und immer neu ergeben« (Sajak, 2015, S. 275). Auch wenn das grundsätzlich ein Auftrag von Schule ist, sind es häufig Fächer wie Ethik-, Philosophie- und Religionsunterricht, an die diese Aufgabe herangetragen wird. In der Religionsdidaktik hat sich dafür das Prinzip »ethisches Lernen« herausgebildet, das aber als »ein Element religiöser Bildung« (Sajak, 2015, S. 275) verstanden werden muss. Es lässt sich folgendermaßen charakterisieren: »Ethisches Lernen im Kontext religiöser Bildungsprozesse will Menschen befähigen, Situationen, Konstellationen und Sachverhalte menschlicher Praxis aus christlicher Perspektive und damit in Rückgriff auf religiöse Werte und Normen beurteilen und sich selber in diesen bzw. zu diesen in Freiheit verhalten zu können« (Sajak, 2015, S. 277). Auch wenn »ethisches Lernen« im konfessionellen Religionsunterricht vor dem Hintergrund eines christlichen Blicks auf den Menschen zu denken ist, so ist dieses religionsdidaktische Prinzip durchaus dafür geeignet, schulische Lernprozesse unter Berücksichtigung von religiöser und weltanschaulicher Vielfalt 222

zu gestalten. Selbstverständlich kann es auch dahingehend angepasst werden, dass der Resonanzraum ethischer Bildungsprozesse nicht nur durch die Theologie des Christentums, sondern beispielsweise auch durch die des Islam oder Judentums gebildet wird. Davon unbenommen bleibt aber der Eigenwert, den ein bekenntnisorientierter Blick auf Moral und Ethik mit sich bringt – Begriffe, die im Folgenden geklärt werden. Ethisches Lernen setzt sich mit der konfessions- und religionsübergreifend immer wieder diskutierten Verbindung von Religion und Moral auseinander. Dabei ergibt sich die Schwierigkeit, dass Begriffe wie Ethik, Moral, Werte, Normen, Tugenden usw. auch alltagssprachlich verwendet werden. Das führt zu vielen unterschiedlichen Definitionen dieser Begriffe und macht eine Diskussion nicht einfach. Deshalb braucht es zu Beginn der Auseinandersetzung mit ethischem Lernen eine Vergewisserung darüber, wie das religionsdidaktische Vokabular dieses Ansatzes verstanden werden kann. Der katholische Moraltheologe Eberhard Schockenhoff beschreibt den Zusammenhang von Ethik, Ethos und Moral so: »Ethik meint […] die theoretische Beschäftigung mit moralischen Fragen, während Moral das gelebte Ethos von Individuen oder gesellschaftlichen Gruppen bezeichnet. […] Der Begriff Ethos […] bezeichnet die persönliche Lebenseinstellung oder die bewusst gelebte Grundhaltung von einzelnen oder Gruppen« (Schockenhoff, 2014, S. 23). Mit diesem Wissen im Hintergrund kann man ethisches Lernen also als »die Ausbildung ethischer Urteilsfähigkeit […], die Entwicklung der Fähigkeit zu situationsbezogener ethischer Reflexion […] [und die] Begründung von Werten und Normen« (Englert, 2008, S. 817) verstehen. Ergänzend lässt sich aus bekenntnisorientierter Perspektive noch hinzufügen, dass es beim ethischen Lernen darum geht, das ganz konkrete, persönliche Ethos von Kindern und Jugendlichen sinnvoll in Berührung mit den Reflexionen einer theologisch begründeten Ethik zu bringen. Die Ausgestaltung dieser Berührung kann vielfältig sein, immer kommen dabei aber Werte und Normen ins Spiel. Auch hier ist es wichtig, das eigene Alltagsverständnis dieser Worte kritisch zu hinterfragen. In den letzten Jahren hat sich in der Religionspädagogik immer mehr die Ansicht durchgesetzt, dass die Wertorientierungen eines Menschen einen fundamentalen Beitrag zu seiner Persönlichkeit leisten, ja sogar identitätskonstituierend sind (siehe Joas, 2009). Das heißt für Lehrkräfte, dass sie die Verinnerlichung von bestimmten Werthaltungen nicht von ihren Schüler*innen fordern können, die Einhaltung bestimmter Normen allerdings schon. Ethisches Lernen

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Im ethischen Bereich können Normen als Handlungsregeln verstanden werden, die einen Anspruch der Verbindlichkeit an die handelnde Person formulieren. Dieser gilt unabhängig davon, ob eine Norm sozial akzeptiert ist, oder nicht. Eine positive Funktion von Normen ist ihre Entlastungsfunktion. Normen sind häufig sehr klar formuliert. Menschen, die sich an sie halten, verlassen sich darauf, dass sie das Richtige tun. Ein Beispiel für eine Norm ist das Verbot, Menschen zu foltern. Im schulischen Bereich kann z. B. der Wunsch, einander im Schulhaus gegenseitig zu grüßen, mit normativem Anspruch formuliert werden. Dahinter kann dann das Anliegen stehen, Schüler*innen und Lehrer*innen auf diese Weise Wertschätzung entgegenzubringen (Merkl/Schlögl-Flierl, 2017, S. 10 f.). Werte weisen Überschneidungen zum Begriff der Norm auf, gehen aber noch tiefer. Man kann sie sich als Vorstellungen des Wünschenswerten (Kluckhohn, 1976, S. 395) erklären, die tief in unserer Persönlichkeit verankert sind und damit unsere Identität konstituieren. So kann der Wunsch nach gelingender Freundschaft, Partnerschaft, Familie einen so großen Stellenwert für eine Person bekommen, dass man von einem Wert sprechen kann. Wenn sich nun bei einer Schülerin bzw. einem Schüler die Einsicht manifestiert, dass die Art und Weise wie man sich im Schulhaus begegnet, auch etwas mit freundschaftlichem Umgang miteinander zu tun haben kann, dann wird die oben erwähnte Norm – wir grüßen uns gegenseitig im Schulhaus – verinnerlicht und mit einer Wertorientierung in Verbindung gebracht. Eine Differenzierung zwischen den Begriffen Norm und Wert ist im Bereich ethischen Lernens wichtig. Es geht hier darum, Normen und Werte nachvollziehbar zu machen und sie als ethische Orientierungsmöglichkeiten zu präsentieren. Eine Lehrkraft greift aber zu stark in die Privatsphäre von Kindern und Jugendlichen ein, wenn sie die Übernahme von bestimmten Werten zum Ziel ihres Unterrichts macht. Das gilt für sinnvoll begründete Normen im Sinne eines gemeinschaftlich vereinbarten Regelverhaltens nicht.

2  Ethisches Lernen in heterogenen Lerngruppen Kinder und Jugendliche kommen nicht als unbeschriebene Blätter in die Schule. Das gilt gerade auch für den Bereich von Normen und Werten. Schließlich bilden Heranwachsende Wertorientierungen zu einem großen Teil nicht mithilfe von intentionalen, gesteuerten schulischen Bildungsprozessen aus. Vielmehr »spielen hier die Familie, die Peers und die Gesamtheit dessen, was man als ›funktionale Bildung‹ bezeichnen könnte, eine deutlich größere Rolle« (Englert, 2017, S. 91). Dennoch geht es in religiösen Bildungsprozessen auch darum, theo224

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logische Ethik sinnvoll in ein Verhältnis zum ganz konkreten Ethos – also den in Auseinandersetzung mit der Gesellschaft entstandenen, bewusst vertretenen Lebenseinstellungen – von Kindern und Jugendlichen zu bringen und sie dabei zu unterstützen, auf moralischem Gebiet zu kompetenten jungen Erwachsenen zu werden. Das gilt insbesondere dann, wenn religiöse Bildung sich dem Umgang mit konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt verpflichtet weiß. Seit einiger Zeit beschäftigen sich soziologisch und religionspädagogisch ausgerichtete Studien mit den Wertorientierungen von Kindern und Jugendlichen. Diese Veröffentlichungen können Lehrkräften dazu dienen, ihre im schulischen Alltag gesammelten Erfahrungen und Überzeugungen mit den Ergebnissen empirischer Sozialforschung in Beziehung zu bringen. Gerade im Bereich der religiösen Begründung von Wertorientierungen gibt es hier viel zu entdecken. Ulrich Riegel verweist darauf, dass »Religion […] bei Jugendlichen heute kein Unterscheidungsmerkmal mehr [ist], wenn es darum geht, was anzustreben ist« (Riegel, 2015, S. 99), macht aber eine Ausnahme: muslimisch sozialisierte Kinder und Jugendliche. Calmbach, Borgstedt, Borchard, Thomas und Flaig (2016) haben in der aktuellen SINUS-Jugendstudie zeigen können, dass muslimische Jugendliche Fragen von Gerechtigkeit und Moral auch unter Rückgriff auf ihre Religion beantworten möchten. Folgendes Beispiel eines männlichen 16 Jahre alten Jugendlichen kann das illustrieren: »Im Koran steht ja, der Verkäufer und der Nehmer vom Alkohol ist sozusagen eine Sünde oder so. Da habe ich halt den Imam gefragt, wenn man jetzt im Supermarkt arbeitet, ob das jetzt auch so ist. Weil man nimmt ja sozusagen Alkohol, also in dem Geschäft, und verkauft das. Das ist mir einfach so im Kopf steckengeblieben […]« (S. 342 f.). Andere Studien untermauern diesen Befund. So hat die aktuelle Shell-Studie »Jugend 2015« unter anderem die Frage gestellt, wie wichtig der Glauben an Gott für die Lebensführung von Jugendlichen ist. Während christliche Jugendliche zu 45 % (katholisch), 37 % (evangelisch) sowie 64 % (andere Christen) Gottesglauben als wichtig einschätzten, liegt der Wert für muslimische Jugendliche bei 76 % (Shell, 2015, S. 251). Einen Eigenwert entwickelt der bekenntnisorientierte und religionssensible Blick auf diese »moralischen Versatzstücke«, wenn transparent gemacht wird, warum Christ*innen, Jüd*innen, Muslim*innen sowie Nicht-Glaubende zu bestimmten ethischen Urteilen kommen, die inhaltlich sogar übereinstimmen können. Wenn das der Fall ist, wird ethisches Lernen nämlich nicht nur religionssensibel, sondern interreligiös sensibel ausgestaltet. Ein praktischer Ansatz, der es Ethisches Lernen

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ermöglicht, Kindern und Jugendlichen ein Gespür für den Eigenwert der Ethiktraditionen bestimmter Religionen zu erhalten, ist das Projekt Weltethos. 1990 vom Tübinger Theologen Hans Küng initiiert, fragt das Projekt nach dem »in den Religionen vorhandenen Ethos« (Langenhorst, 2014, S. 206). Sein Anliegen kann folgendermaßen zusammengefasst werden: »Ein Weltethos will das, was den Religionen der Welt trotz aller Verschiedenheit jetzt schon gemeinsam ist, herausarbeiten, und zwar in Bezug auf menschliches Verhalten, sittliche Werte und moralische Grundüberzeugungen. Anders gesagt: Das Weltethos reduziert die Religion nicht auf einen ethischen Minimalkonsens, wohl aber stellt es das Minimum dessen heraus, was den Religionen der Welt schon jetzt im Ethos gemeinsam ist« (Erklärung zum Weltethos, zit. nach Langenhorst, 2016, S. 207). Mit der von der Stiftung Weltethos entwickelten Ausstellung »Weltreligionen, Weltfrieden, Weltethos«, die von Schulen gegen einen kleinen Unkostenbeitrag ausgeliehen werden kann, ist es beispielsweise möglich, die ethischen Grundsätze Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit und Partnerschaftlichkeit als religionsübergreifend darzustellen. Dabei geht es nicht darum, Unterschiede zu nivellieren. Vielmehr kann Schüler*innen klar werden, dass ein bekenntnisorientierter Blick auf Moral auch verstanden werden kann, wenn das Gegenüber nicht der eigenen Religion oder Weltanschauung angehört. Für sämtliche Formen aus religiöser Überzeugung schöpfender ethischer Argumentation gilt, dass »die Überzeugung selbst sowie die Sach-Aussage plausibel dargestellt und begründet werden« (Eid, 2004, S. 178) müssen. Das gilt auch, wenn Elemente einer theologischen Ethik im schulischen Bereich eingeführt werden. Aus christlicher Perspektive erschließt sich der Eigenwert theologisch-ethischer Begründungsfiguren durch einen Blick auf das Offenbarungsverständnis, das sich als »Kommunikations- und Beziehungsgeschichte: als Geschichte eines offenbarenden Sich-Beziehens Gottes auf die Menschen, die in der darin eröffneten Beziehung ihr Heil finden können« (Werbick, 2010, S. 297), verstehen lässt. Anders formuliert kann die theologische Ethik aufzeigen, dass aus dem Bewusstsein, von Gott angenommen zu sein, ein bestimmter Blick auf die Welt und die Menschen, die auf ihr leben, entstehen kann. Diskurspartner*innen müssen diesen Blick nicht übernehmen, allerdings sollten sie dazu in der Lage sein, ihn nachzuvollziehen. Bedingt durch die Rezeption entwicklungspsychologischer Erkenntnisse zu den kognitiven Voraussetzungen moralischen Urteilens (z. B. Lawrence Kohlberg) rückte in der Religionspädagogik in den Hintergrund, dass Emotionen im Bereich ethischer Bildung auch eine Rolle spielen. Elisabeth Naurath begründet das auch 226

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theologisch, indem sie darauf verweist, dass ethisches Handeln, das christlich motiviert ist, »auch […] eine tragende emotionale Wurzel, die auf der Gottesbeziehung als Geschenk der Freiheit des Subjekts basiert« (Naurath, 2007, S. 167), hat. Daraus leitet sich die Forderung ab, emotionspsychologische Erkenntnisse auch im Bereich des ethischen Lernens wahrzunehmen. Lehrer*innen können dazu einen Beitrag leisten, wenn sie ihren Unterricht so gestalten, dass Schüler*innen die Fähigkeit erwerben können, eigene Gefühle zu erkennen, die Gefühle von anderen zu erkennen, eigene Gefühle zu regulieren, eigene Gefühle auszudrücken (Rindermann, 2013). Der Ansatz der Wertkommunikation versucht die Waage zwischen emotionalen und rationalen Aspekten ethischer Bildung zu halten. Seine einzige Voraussetzung ist die Anerkennung der Regeln des argumentierenden Gesprächs (Marschütz, 2014, S. 217). Wenn um das, was gelten soll, im argumentativen Diskurs miteinander gerungen wird, ist eine autoritäre Durchsetzung von Normen und Werten überwunden. Der Ansatz der Wertkommunikation bezieht sich auf die Diskursethik, ist aber nicht mit ihr gleichzusetzen. Zentral ist dabei das »Konzept der Dezentrierung, in dem […] der bewusste Wechsel zwischen Ich-, Du- und Sie-Perspektive verstanden wird« (Sajak, 2015, S. 286). Schüler*innen werden dazu angeleitet, eine ethisch herausfordernde Situation oder Problemstellung nicht nur aus der eigenen Perspektive zu betrachten, sondern sich auch in das Gegenüber hineinzuversetzen und die Situation aus der Perspektive der dritten Person wahrzunehmen. Hier wird deutlich, dass Wertkommunikation von der Fähigkeit der Kinder und Jugendlichen lebt, fremde Perspektiven übernehmen zu können. Aus bekenntnisorientierter Perspektive muss außerdem deutlich werden, dass es dem Ansatz der Wertkommunikation um mehr geht als die Beherrschung argumentativer Spielregeln. Ethik lebt »nicht nur von Regeln des Gesprächs, sondern von konkreten Überzeugungen und Inhalten« (Römelt, 2008, S. 151). Als Christ*innen, Muslim*innen, Nicht-Glaubende haben Menschen bestimmte ethische Überzeugungen. Durch den Ansatz der Wertkommunikation soll ihnen auch bewusst werden, bis zu welchem Punkt sie kompromissbereit sind und wo die Grenze verläuft, ab der aus der eigenen glaubenden oder weltanschaulichen Perspektive ein Dissens stehen bleiben muss.

Beispielhaft deutlich werden kann das an einem Thema, das sowohl aus religiöser wie auch aus nicht religiöser Perspektive relevant ist und über das es noch keinen allgemein anerkannten gesellschaftlichen Konsens gibt, z. B. dem in allen Altersstufen zu beobachtenden Streben nach Perfektion. Es äußert sich in der Ethisches Lernen

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Modellierung des eigenen Körpers durch Sport, durch den Konsum von Getränken mit konzentrationssteigernder oder aufputschender Wirkung. Möglich sind aber auch Schönheitsoperationen sowie der Missbrauch von Medikamenten oder Drogen zur kognitiven Leistungssteigerung. Schüler*innen kommen täglich mit der ein oder anderen Ausprägung des Strebens nach Perfektion in Berührung und haben sich – bewusst oder nicht – eine Meinung dazu gebildet. Im Unterricht können sie nun dazu angeregt werden, sich diese Meinung bewusst zu machen, sie mit Standpunkten aus Philosophie und Theologie zu kontextualisieren und sich in die Standpunkte ihrer Mitschüler*innen zu versetzen. Das Ergebnis dieser Phase ist die Entwicklung eines eigenen Standpunktes, der dann auch argumentativ begründet werden kann und offen für Kompromisse ist. Durch die Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Argumentationsfiguren lernen die Schüler*innen, andere ethische Bewertungen des Themas zu verstehen, ohne diese für sich persönlich übernehmen zu müssen (vgl. Winklmann, 2018).

3  Potenziale und Grenzen Ethisches Lernen ist wichtig, egal ob es aus konfessioneller oder bekenntnisfreier Perspektive akzentuiert wird. Hier werden Schüler*innen dazu angeregt, sich mit den eigenen mehr oder weniger bewusst erarbeiteten Lebenseinstellungen auseinanderzusetzen. Darüber hinaus werden sie dazu aufgefordert, ihr persönliches Ethos in Beziehung zu religiösen oder bewusst bekenntnisfreien ethischen Ansätzen zu setzen. Gerade heterogene Lerngruppen können von dieser »Irritation« durch unterschiedliche Ethikbegründungsstrategien profitieren. Die vernünftige, argumentativ schlüssige Auskunft über eigene Werthaltungen muss notwendigerweise auf die Werthaltungen der Anderen sowie deren Begründungsstrategien eingehen. Dabei können christliche, muslimische, bekenntnisfreie, … Kinder und Jugendliche feststellen, dass – trotz eventuell unterschiedlicher Vorstellungen von dem, was als sozial erwünscht gelten soll – ihre Werte sich gar nicht so stark voneinander unterscheiden. Das kann auch das bereits erwähnte Projekt Weltethos deutlich machen. Eine Grenze erreicht ethisches Lernen allerdings, wenn Kindern und Jugendlichen eine religiös begründete Ethik als notwendig präsentiert wird. Gerade vor dem Hintergrund einer wachsenden Anzahl von konfessionsfreien Kindern und Jugendlichen muss deutlich formuliert werden, dass eine Ausrichtung des eigenen Lebens an menschenfreundlichen ethischen Prinzipien nicht auf Religion angewiesen ist. Das schließt selbstverständlich die Hoffnung nicht aus, dass Kinder und Jugendliche sich von religiös akzentuierter Ethik inspiriert fühlen. 228

Michael Winklmann

Literatur zum Weiterlesen Englert, R. (2017): Religion, Werte, Bildung …, bla, bla, bla. Die Integrationsdebatte als Tauglichkeitstest für »Schwatzbegriffe«. In: M. Schambeck/S. Pemsel-Maier (Hg.): Welche Werte braucht die Welt? Wertebildung in christlicher und muslimischer Perspektive, S. 79–99. Freiburg i. Br.: Herder. Kropač, U. (2012): Ethik im Religionsunterricht? Der Beitrag der christlichen Religion zu ethischer Bildung. Religionspädagogische Beiträge, 68, S. 19–33. Ziebertz, H.-G. (2010): Ethisches Lernen. In: G. Hilger/S. Leimgruber/H.-G. Ziebertz (Hg.): Religionsdidaktik. Ein Leitfaden für Studium, Ausbildung und Beruf. Neuausgabe (6. Aufl.), S. 434–452. München: Kösel.

Sonstige Literatur Calmbach, M./Borgstedt, S./Borchard, I./Thomas, P. M./Flaig, B. B. (Hg.) (2016): Wie ticken Jugendliche 2016? Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland. Wiesbaden: Springer. Eid, V. (2004): Christlich gelebte Moral. Theologische und anthropologische Beiträge zur theologischen Ethik. Studien zur theologischen Ethik, 104. Freiburg i. Br.: Herder. Englert, R. (2008): Die ethische Dimension religiöser Bildung. In: G. Mertens/W. Böhm/U. Frost/ V. Ladenthin (Hg.): Handbuch der Erziehungswissenschaft, S. 815–819. Paderborn u. a.: Schöningh. Joas, H. (2009): Die Entstehung der Werte (5. Aufl.). Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Römelt, J. (2008): Christliche Ethik in moderner Gesellschaft. Band 1. Grundlagen. Freiburg i. Br.: Herder. Kluckhohn, C. (1976): Values and Value-Orientations in the Theory of Action. An Exploration in Definition and Classification. In: T. Parsons/E. Shils (Hg.): Toward a General Theory of Action (7. Aufl.), S. 388–433. Cambridge: Harvard University Press. Langenhorst, G. (2016): Trialogische Religionspädagogik. Interreligiöses Lernen zwischen Judentum, Christentum und Islam. Freiburg i. Br.: Herder. Merkl, A./Schlögl-Flierl, K. (2017): Moraltheologie kompakt. Ein theologisch-ethisches Lehrbuch. Münster: Aschendorff. Naurath, E. (2007): Mit Gefühl gegen Gewalt. Mitgefühl als Schlüssel ethischer Bildung in der Religionspädagogik. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie. Oermann, N. (2008): Vom Wert des Wertbegriffs. In: C. Gramzow/H. Liebold/M. Sander-Gaiser (Hg.): Lernen wäre eine schöne Alternative. Religionsunterricht in theologischer und erziehungswissenschaftlicher Verantwortung. Festschrift für Helmut Hanisch zum 65. Geburtstag, S. 49–57. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt. Riegel, U. (2015): Ethik in den Köpfen Jugendlicher und im Religionsunterricht. In: R. Englert/ H. Kohler-Spiegel/E. Naurath./B. Schröder/F. Schweitzer (Hg.): Ethisches Lernen. Jahrbuch der Religionspädagogik 31, S. 98–107. Neunkirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie. Rindermann, H. (2013): Emotionale-Kompetenz-Fragebogen (EKF). In: M. Wirtz (Hg.): Dorsch. Lexikon der Psychologie (16. Aufl.), S. 438–439. Bern: Huber. Sajak, C. P. (2015): Ethisches Lernen. In: Ders. (Hg.): Christliches Handeln in Verantwortung für die Welt. Theologie studieren im modularisierten Studiengang, Bd. 12, S. 275–296. Paderborn: Ferdinand Schöningh. Schockenhoff, E. (2014): Grundlegung der Ethik. Ein theologischer Entwurf (2. Aufl.). Freiburg i. Br.: Herder. Shell Deutschland Holding (Hg.) (2015): Jugend 2015. Eine pragmatische Generation im Aufbruch. Stuttgart: S. Fischer. Werbick, J. (2010): Den Glauben verantworten. Eine Fundamentaltheologie. Freiburg i. Br.: Herder. Winklmann, M. (2018): Moralische Kompetenz. Wertebildung im Horizont christlich gelebter Moral. Göttingen: V&R unipress (Werte-Bildung interdisziplinär 6).

Ethisches Lernen

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Lernen am außerschulischen Ort Claudia Gärtner

Lernen an außerschulischen Orten ist beliebt. Allein in Nordrhein-Westfalen werden mehr als 2000 solcher Lernangebote aufgelistet (Pädagogische Landkarte, 2017): Vom Klärwerk über Sparkasse und Barfußpark bis hin zum Museum wird ein breites Themen- und Fächerspektrum abgesteckt. So überrascht es nicht, dass auch der Religionsunterricht oft den Weg aus dem Klassenzimmer sucht (Gärtner/Könemann, 2013), wenngleich hierbei nicht immer das breite Spektrum möglicher Orte wahrgenommen wird.

1  Außerschulische Lernorte in der Religionsdidaktik Neben allgemeinpädagogischen Erwägungen (Sauerborn/Brühne, 2010, allerdings mit starkem Bezug auf den Geografieunterricht) müssen für den Religionsunterricht spezifisch religionspädagogische und theologische Überlegungen in Anschlag gebracht werden. Dabei können diese an zahlreiche etablierte religionsdidaktische Prinzipien anknüpfen. Mit der Performativen Religionsdidaktik (siehe Husmann in diesem Band) verbindet das Lernen an außerschulischen Orten die Suche nach originaler, authentischer Begegnung und das Erschließen von (religiösen, diakonischen, …) Primärerfahrungen, die unterrichtlich anschließend reflektiert werden müssen. Diese Orte sollen somit Erfahrungspotenziale besitzen, die sich ansonsten Schüler*innen nicht in der Schule und oftmals auch nicht in Familie oder Freizeit eröffnen. Die Erkundung außerschulischer Orte weist darüber hinaus starke Bezüge zu einer handlungs- und ästhetisch orientierten Didaktik auf. Sie ermöglicht eigenständiges und ggf. auch projekthaftes Entdecken unbekannter Orte. Hier sind nicht ausschließlich kognitive Leistungen gefordert, sondern auch organisatorische, praktische, affektive oder gruppendynamische Fähigkeiten relevant. Ein Lernen mit Kopf, Herz und Hand kann an außerschulischen Orten in besonderem Maße initiiert werden. Es sind diese sinnenhaften Zugänge, die die Erschließung unbekannter Orte auch mithilfe von Prinzipien ästhetischen Lernens nahelegen, 230

insbesondere bei Lernorten wie Museen, Denkmälern oder Gotteshäusern (siehe Sajak in diesem Band). Zudem kann die Erschließung von außerschulischen Lernorten als eine authentische Lernumgebung oder Anforderungssituation im Rahmen eines kompetenzorientierten Religionsunterrichts gestaltet werden (Schulte, 2013), zu deren Bewältigung vielfältige und anspruchsvolle (religiöse) Kompetenzen benötigt werden. So setzt z. B. eine Stadterkundung, bei der (inter-)religiöse Spuren auf einem »(inter-)religiösen Stadtplan« kartografiert werden, voraus, dass diese Spuren erkannt, gedeutet und anschließend gestalterisch transformiert dargestellt werden können. Religiöses Lernen an außerschulischen Orten ist somit nicht das »Sahnehäubchen« vom Religionsunterricht, sondern gehört zur religionspädagogischen »Grundnahrung«. Angesichts der Beliebtheit außerschulischer Lernorte überrascht allerdings die bislang geringe empirische Erforschung des dortigen Lernerfolgs. Die bisherigen Ergebnisse sind oft ernüchternd (Gärtner/Bettin, 2015) und weisen auf die besondere Bedeutung der Einbettung von Unterrichtsgängen in unterrichtliche Vor- und Nachbereitung hin. Gerade wenn die Lernorte ein hohes Erfahrungspotenzial besitzen, dann erweist sich die vorbereitende Sensibilisierung auf sowie die nachgängige Reflexion dieser Erfahrungen als essenziell. Über den Dreischritt Vorbereiten, Unterrichtsgang und Auswerten hinaus lässt sich auch der Besuch außerschulischer Orte selbst durch einen (praktisch-theologischen) Dreischritt gliedern: Wahrnehmen, Deuten/Urteilen, Handeln (Schulte, 2013). Dabei können diese dreischrittigen Lernprozesse zwei unterschiedliche Zielrichtungen anvisieren. Zum einen erweitern Ortserkundungen religiöse Lernprozesse, initiieren neue Erfahrungen, zeigen Fragen und Horizonte auf, die anschließend im Unterricht reflexiv weiterbearbeitet werden. Zum anderen werden an außerschulischen Lernorten durch gezielte Vorbereitung und Fokussierung vorgegebene Fragen und Aufgaben bearbeitet und gelöst. Hierdurch werden Lernprozesse tendenziell eher geschlossen. Die unterrichtliche Nachbereitung besteht dabei stärker in einer Ergebnissicherung und -kontrolle.

2  Besuch außerschulischer Lernorte mit heterogenen Lerngruppen Der an außerschulischen Orten erhoffte Erfahrungsgewinn ist in heterogenen Lerngruppen sowohl Chance als auch Herausforderung, da hier von qualitativ unterschiedlich großen Fremdheitserfahrungen auszugehen ist. Während ein Friedwald einem konfessionsfreien Kind vielleicht vertraut ist, kann dessen Lernen am außerschulischen Ort

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Anonymität ein evangelisches Kind befremden (2.1); ein muslimischer Schüler ist von der bildnerischen Darstellung der Nacktheit Jesu am Kreuz im Museum irritiert (2.2), eine katholische Schülerin regt sich über eine freizügige zeitgenössische Mariendarstellung auf. Zwar sind unterschiedliche Vorerfahrungen in jeglichem Unterricht zu veranschlagen, aber durch die Intensität der didaktisch gerade erhofften authentischen und originalen Begegnungen vor Ort können diese umso größer ausfallen. Besondere Brisanz erhält diese Spannung, wenn es sich um konfessionell bzw. konfessorisch geprägte Orte oder Objekte handelt, wenn also hier durch Personen, Worte, Bilder, Architektur u. v. m. eine religiöse »Stimme«, ein (individuelles) religiöses Zeugnis vernehmbar wird. Was für interreligiöse Lernsettings in Gotteshäusern bereits umfassender reflektiert wurde (siehe Sajak in diesem Band), ist auch für andere außerschulische Lernorte anzuführen. Auch auf Friedhöfen (2.1), im Museum (2.2) oder in der Stadt (2.3) treffen Schüler*innen auf religiöse Objekte, die für einige als Zeugnisse ihrer Religion konfessionell erschlossen werden können, andere hingegen stehen diesen Objekten fremd ggf. auch ablehnend gegenüber. Die »Zeugnisdidaktik« (siehe Meyer in diesem Band) bietet hier didaktische Ansätze auch für außerschulische Orte. Im Folgenden werden exemplarisch Möglichkeiten außerschulischen Lernens entfaltet und dabei sowohl etablierte als auch religiös weitgehend unentdeckte Orte vorgestellt.

2.1 Friedhof Friedhöfe eröffnen vielfältige religiöse und anthropologische Themenfelder, die auch für heterogene Lerngruppen relevant sind: Tod und Leben, Erinnern und Vergessen, Zeit und Ewigkeit, Sinnfrage u. v. m. Hier können Lernprozesse entdeckend eröffnet oder Themen zielgerichtet bearbeitet werden (z. B. Bestattungsrituale). Als entscheidend erweist sich die Auswahl des Friedhofs, wobei die Unterscheidung zwischen religiös bzw. weltanschaulich einheitlich geprägten und kollektiven Friedhöfen zentral ist. Bei ersteren steht die spezifische Erkundung dieser Perspektive auf Tod und Bestattung im Zentrum, bei zweiten kann insbesondere die Pluralität von Umgangsformen mit Tod entdeckt werden, entsprechend weite Zielsetzungen werden sich ergeben. Dabei seien im Folgenden mögliche didaktische Fallstricke hervorgehoben. Jüdische Friedhöfe sind oftmals historische Orte, die sowohl von jüdischen Umgangsformen mit dem Tod als auch von dem vielfältigen jüdischen Leben vor der Schoah zeugen. Damit wird aber zugleich das Judentum als eine primär historische Größe in Deutschland präsentiert und nicht als eine lebendige, kon232

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Abb. 1: Geschändeter jüdischer Friedhof in Aachen. Neben Hakenkreuzen wurde auch die Parole »Freiheit für Palästina« gesprüht.

krete zeitgenössische Lebens- und Glaubenspraxis. Auch werden jüdische Friedhöfe immer wieder aus antisemitischer Motivation geschändet (Abb. 1), was in heterogenen Lerngruppen mit durchaus auch antisemitisch gestimmten Lernenden kontroverse Reaktionen provozieren kann. Eigenständige muslimische Friedhöfe sind in Deutschland bislang eher selten, oftmals werden auf städtischen Friedhöfen eigene Gräberfelder ausgewiesen, da die muslimische Bestattungskultur von anderen Religionen separierte Gräberfelder vorsieht. In weiten Teilen des Islam ist eine besondere Grabpflege jedoch nicht vorgesehen, sodass zum einen nur wenige religiös konnotierte Spuren wahrnehmbar sind, zum anderen wirken die Gräber dadurch oftmals ungepflegt, was Irritationen hervorrufen kann. Umgekehrt kann sich die muslimische Praxis, Tote dauerhaft zu bestatten und die Gräber nicht nach einigen Jahren aufzuheben, in stärker säkular und individualistisch ausgerichteten Lerngruppen als anschlussfähig erweisen. In den letzten Jahren entstehen immer mehr weltanschaulich neutrale Friedwälder, ein Indiz, dass sie eine hoch anschlussfähige Form des Umgangs mit Tod und Trauer darstellen. Dennoch erweist sich die weitgehende Anonymität dieser Orte oftmals gerade für Jugendliche, die ihrer Identitätsentwicklung besondere Aufmerksamkeit schenken, als irritierend. Lernen am außerschulischen Ort

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Insgesamt ist ein Trend zum »Clanfriedhof« (Sörries, 2011, S. 248) auszumachen: Es entstehen neben religiös und konfessionell ausgerichteten Friedhöfen auch Begräbnisstätten säkularer Gemeinschaften, wie z. B. für Fußballfans oder auch Aids-Erkrankte, deren Besuch didaktisch bislang weniger erprobt ist.

Bei aller Vielfalt von Friedhöfen und den hiermit verbundenen unterschiedlichen didaktischen Zugängen erweisen sich kontemplative, verlangsamende Arbeitsweisen als angemessen. Dies sollte, gerade auch bei kontroversen Orten, berücksichtigt werden, was einer intensiven Vor- und Nachbereitung bedarf, bei der auch diskutiert und gestritten werden kann. Dabei können Methoden hilfreich sein, die die Wahrnehmung sensibilisieren und fokussieren, wie z. B. Beobachtungsbögen mit folgenden Frageimpulsen: Welche Begräbnis- oder Trauerformen, Symbole oder Rituale lassen sich erkennen? Was für eine Atmosphäre besitzt der Friedhof? Wie gehen die Lebenden mit diesem Ort um? Welches Verständnis von Mensch, Tod und ggf. Leben nach dem Tod lässt sich hieraus ableiten?

2.2 Museum Insbesondere kunst- und kulturhistorische Museen beherbergen unzählige religiöse Bilder und Objekte, oftmals jedoch überwiegend christliche. Diese Werke in religiös und weltanschaulich pluraler Gesellschaft museal zu erschließen, stellt eine Herausforderung dar. Die Hamburger Kunsthalle hat daher Personen mit unterschiedlichen Migrationsbiografien gebeten, (christliche) Kunstwerke indi­ viduell zu erschließen. In diesem Kontext schreibt ein muslimischer Beteiligter zum »Jüngsten Gericht« (Abb. 2): »Jeder, der dieses Werk anschaut, denkt sofort an Religion. Religionen haben ihre Gesetze. Nach meiner Religion sollte Jesus niemals nackt herumlaufen. Hier liegt eine Bibel, auf die er mit dem Fuß tritt – auch das ist in meiner Religion undenkbar, denn die Bibel ist ein heiliges Buch. Dennoch sollte man respektieren, dass jeder die Religion so lebt, wie er es richtig findet.« Diese Äußerung verdichtet Chancen und Herausforderungen von religiösen Erkundungen im Museum. Die intensive Begegnung mit originalen Artefakten ruft individuelle Vorerfahrungen, Kenntnisse und Meinungen hervor. Daher beginnt ästhetisches Lernen oftmals mit einer Phase freien, ungefilterten Assoziierens, des Schilderns subjektiver und durchaus heterogener Eindrücke. Eindrucksvoll unterstreicht das Hamburger Beispiel, dass und wie hier an einem spezifisch christlichen Motiv eine interreligiöse Wahrnehmung ausgedrückt wird. Zugleich wird 234

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Abb. 2: Jan Provoost, Das Jüngste Gericht, nach 1506

deutlich, wie durch mangelnde Kenntnis der christlichen Bildsprache (Bedeutung von Nacktheit, Körpersprache) eine verzerrte Wahrnehmung des Christentums hervorgerufen wird. Dies unterstreicht zum einen, wie wichtig Kenntnisse der religiösen, hier christlichen Traditionen für eine kulturelle Teilhabe sind.

Phasen der subjektiven Bilddeutung sind daher didaktisch-methodisch durch Phasen einer sachorientierten Analyse (z. B. Hintergrund über Motiv, sozio-­kultureller Kontext, Künstler*innen) zu ergänzen. Erst danach ist eine Bewertung bzw. eigene Deutung möglich.

Lernen am außerschulischen Ort

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Zum anderen wird deutlich, inwiefern Museen zu »Verhandlungsorten« werden können, die zu interreligiöser und -kultureller Verständigung beitragen und durch mehrperspektivische Betrachtung bereichert werden (vgl. Kap. 3).

2.3 Stadt Der Stadtraum zeichnet sich zum einen durch seinen öffentlichen Charakter aus, der allerdings zunehmend ökonomisiert wird und hierdurch schwindet. Zum anderen ist er in der Regel ein geschichtlich gewachsener Ort, dessen historische, religiös und kulturell plurale Spuren im Stadtbild sichtbar sind. Heranwachsende nehmen jedoch ihre eigene Stadt oftmals nur selektiv wahr, ihre »mentalen Stadtpläne« (Schulte, 2013) sind stereotyp geprägt von wenigen Orientierungsmarken wie Kaufhäusern, Cafés, Plätzen – und manchmal auch markanten Kirchen. Mit der Erschließung neuer, religiös und kulturell pluraler Orte im Stadtraum trägt Unterricht damit auch zu einer vertieften Verortung in der eigenen Lebenswelt und damit auch zur Identitätsfindung der Heranwachsenden bei. Allerdings kann eine solche Stadterkundung auch religiös-kulturelle Konflikte aufzeigen, bspw. bei Denkmälern für die »Helden« der Kolonialkriege oder judenfeindlichen mittelalterlichen Abbildungen (z. B. Judensau, vgl. 3). Inwiefern diese behutsam thematisiert oder ggf. in der Erkundung ausgespart werden müssen, kann nur situativ angesichts der konkreten Lerngruppe entschieden werden. Neben der religiös-kulturellen Erkundung und Verortung der Schüler*innen kann der Stadtraum auch Fragen nach eigenen Lebensentwürfen und Gemeinschaftsvorstellungen aufwerfen. Welche Orte sind mir wichtig? Wie soll meine Stadt aussehen, damit ich dort gut in Gemeinschaft leben kann? Gerade in kulturell und sozial heterogenen Lerngruppen sind Vorstellungen einer idealen Stadt unterschiedlich. Wie viel öffentliches Leben, wie viel ggf. konflikthaltige Vielfalt soll im Stadtraum möglich sein? Sensible Beobachtungen in der Stadt können darauf aufmerksam machen, dass der vermeintlich öffentliche Raum zahlreiche Exklusionsmechanismen aufweist, dass Kulturen, Religionen und Milieus die Städte in unterschiedlichen Stadtteilen prägen – und dass dies teils immense Konsequenzen für individuelle und gemeinschaftliche Lebensentwürfe besitzt (z. B. Ghettoisierung, Gentrifizierung). Kirchen waren über Jahrhunderte hinweg Mittelpunkt von Stadt und Dorf. Architektonisch sind sie es teils noch heute, ihre Bedeutung für das alltägliche Leben haben sie jedoch eingebüßt. Auch hierzu können in der Stadt Erkundungen angestellt werden. Aus der Perspektive pluraler Weltanschauungen können Orte gesucht werden, die diese Leerstelle ausfüllen. 236

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Welche Funktion erfüllt eine Shopping Mall, ein Park, ein Parkhaus im Stadtzentrum? Was ist in profanisierte, umgewidmete Kirchengebäude eingezogen? Wer besucht diese Orte und wozu? Wer wird hier angesprochen oder ausgeschlossen? Eine genaue Beschreibung, ggf. sogar Feldbeobachtungen oder Interviews vor Ort, wie diese neuen Räume (nicht) genutzt werden, können ein guter Ausgangspunkt sein, um über Kirche bzw. Gotteshäuser im Vergleich neu nachzudenken.

Vielleicht wird eine Stadt erst durch den Gegensatz von profan und sakral lebenswert und spannend.

2.4 Bahnhof Auf den ersten Blick erscheint ein Bahnhof kein besonderer Ort religiösen Lernens zu sein. Im 19. Jahrhundert jedoch liefen die Bahnhöfe den Kirchen den Rang ab. Sie wurden als Kathedrale der Moderne, als Basilika der Mobilität bezeichnet (Herzog/Leis, 2010). Von dieser Aura zeugen noch einige histo­rische Bahnhofsbauten mit nahezu sakraler Architektur. Neuere Bahnhöfe ähneln funktional wie ästhetisch eher Shopping Malls – Konsumtempel statt Basilika der Mobi­lität. Während für Joseph Beuys die Mysterien noch im Hauptbahnhof stattfanden, werden Bahnhöfe heute zunehmend zu einem Ort von Exklusion, in dem alles, was den Einkaufsflair stört, entfernt wird: Bänke zum Verweilen ebenso wie Obdachlose. Der Bahnhof wird vom öffentlichen zum privaten (Konsum-)Raum. Zugleich ist Bahnhof trotzdem ein äußerst heterogener Ort; an kaum einem anderen kommen so unterschiedliche Menschengruppen zusammen. Bahnhöfe sind Orte des Ankommens und Abschieds, des Aufbruchs, des Pendelns aber auch der Flucht. Damit kann der Bahnhof auch als Symbol für anthropologische Themen wie Sehnsucht, Aufbruch, Freiheit oder Flucht betrachtet werden (Schulte, 2013).

Verweilen Schüler*innen aufmerksam an einem Bahnhof, dann können viele dieser Dimensionen beobachtet werden. Alltagsszenen und Orte können aufgebrochen und Grundfragen des Menschen (Abschied, Sehnsucht, Freiheit, Flucht) aber auch der Gesellschaft (Ökonomisierung des öffentlichen Raums, Exklusionsprozesse, vgl. 2.3) wahrgenommen werden. Anhand offener Beobachtungsaufgaben Lernen am außerschulischen Ort

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können Schüler*innen diesen Fragen vor Ort nachgehen. Alternativ kommen sie mithilfe von vorbereiteten Fragebögen mit Reisenden auf Bahnhöfen über diese Themen ins Gespräch.

Insbesondere Schüler*innen mit Migrationsbiografien erinnern Bahnhöfe oft an ihre eigenen Flucht- oder Aufbruchsgeschichten. Andere Schüler*innen denken vielleicht an ihre erste Klassenfahrt und Trennung von ihrer Familie, wiederum andere verbinden mit Bahnhof das monatliche Pendeln zu einem getrennt lebenden Elternteil. Bahnhöfe sind immer auch Lebensgeschichten, umso vielfältiger je heterogener die Lerngruppe. Diese durch den Besuch eines Bahnhofs ins Bewusstsein und in den Unterricht einzubringen, kann für alle Beteiligten Herausforderung und Chance sein. Methodisch eignen sich hierzu (persönliche) Exkursionstagebücher und Gespräche in geschützten (Klein-)Gruppen.

3  Potenziale und Grenzen Besondere Sensibilität benötigen Lernorte, die von religiös-kulturellen Konflikten oder gar Verbrechen zeugen. Wenn Schüler*innen bei Stadterkundungen auf Abbildungen der sog. »Judensau« stoßen, dann ist dies in heterogenen Lerngruppen besonders brisant, insbesondere wenn sich hierdurch antisemitische Stimmen bestärkt fühlen. Wenn Lernende NS-Gedenkstätten besuchen, dann können hieran gegenwärtige politische oder religiöse Konflikte aufbrechen. Wenn Kriegsdenkmäler entdeckt werden, dann sind die erinnerten (Kolonial-)Kriege angesichts gegenwärtiger Flucht- und Kriegserfahrungen neu zu reflektieren. Die heterogenen Vorerfahrungen bergen jedoch auch großes Lernpotenzial in einer multireligiösen und -kulturellen Gesellschaft. In der Kunst- und Kulturpädagogik werden solche Orte als »Verhandlungsorte« betrachtet. »Unterschiedliche Perspektiven werden an sie herangetragen; die Akteure können ihre verschiedenen Zugangswege an einem gemeinsamen Objekt der Aushandlung thematisieren und erleben. Hier liegen große Potentiale für Menschenrechtsbildung und Friedenserziehung sowie für die produktive Bewältigung von Komplexität in den modernen und demokratischen Gesellschaften noch weitgehend ungehoben« (Welzel, 2016, S. 74). Lernen an außerschulischen Orten zielt in diesem Sinne darauf, »1. Teilhabe am kulturellen Erbe zu eröffnen, die konkreten Erinnerungsorte aufzuschließen und vorzustellen; […] 2. Multiperspektivische Zugangsweisen aufzuzeigen und den Dialog einzuüben [… sowie auf] das Erschließen gewandelter 238

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historischer Deutungen und die sachkundige Verhandlung heterogener Perspektiven der eigenen Gegenwart« (Welzel, 2013, S. 319). Auch der Religionsunterricht kann zu einem solchen wertvollen religiös-kulturellen Verhandlungsort werden. Literatur zum Weiterlesen Schulte, A. (2013): Jeder Ort – überall! Didaktik außerschulischer religiöser Lernorte. Stuttgart: Calwer. Henn, K. P. (2007): Lernen am anderen Ort. In U. Baumann (Hg.): Religions-Methodik. Handbuch für die Sekundarstufe I und II, S. 180–192. Berlin: Cornelsen.

Sonstige Literatur Gärtner, C./Könemann, J. (2013): Religion and All-Day Schools. Impact of All-Day Schools on the Systems of School and Religion. Journal of Empirical Theology, 26, S. 63–86. Gärtner, C./Bettin, N. (Hg.) (2015): Interreligiöses Lernen an außerschulischen Lernorten. Empirische Erkundungen zu didaktisch inszenierten Begegnungen mit dem Judentum. Berlin: LIT Verlag. Herzog, M./Leis, M. (Hg.) (2010): Der Bahnhof: Basilika der Mobilität – Erlebniswelt der Moderne. Stuttgart: Kohlhammer. Sauerborn, P./Brühne, T. (2010): Didaktik des außerschulischen Lernens (3., vollst. überarb. Aufl.). Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren. Sörries, R. (2011): Ruhe sanft. Kulturgeschichte des Friedhofs (2. Aufl.). Kevelar: Butzon & Bercker. Welzel, B. (2016): Ortsvermessung im Dialog mit der Kunstgeschichte: Kirchen als Überlieferungsträger Europas. In: S. Bork/C. Gärtner (Hg.): Kirchengeschichtsdidaktik. Verortungen zwischen Religionspädagogik, Kirchengeschichte und Geschichtsdidaktik, S. 62–78. Stuttgart: Kohlhammer. Welzel, B. (2013): Kulturelles Erbe in einem Einwanderungsland. Einige Perspektiven kunsthistorisch-kultureller Bildung. In: B. Lutz-Sterzenbach/A. Schnurr/E. Wagner (Hg.): Bildwelten remixed. Transkultur, Globalität, Diversität in kunstpädagogischen Feldern, S. 313–324. Bielefeld: transcript.

Internetquelle www.paedagogische-landkarte-nrw.de [10.10.2017].

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Einladung externer Expert*innen in den Religionsunterricht Anke Kaloudis

1  Einladung von Expert*innen: Begegnungen von Mensch zu Mensch Es ist Dienstag, fünfte Stunde evangelischer Religionsunterricht in einer neunten Klasse. Das Thema der Unterrichtseinheit: Tod und ewiges Leben in den Weltreligionen. An diesem Tag liegt der Fokus auf der muslimischen Perspektive. Was sagt der Islam zum Thema Tod und Ewigkeit? Es gongt. Die Lehrkraft tritt mit einer für die Lerngruppe fremden Frau in den Klassenraum ein. Es ist eine muslimische Frau, die sich in der Moscheegemeinde vor Ort in der Jugendarbeit engagiert. Sie diskutiert mit den Jugendlichen über die Jenseitsvorstellungen im Islam und welche Bedeutung der Glaube für sie hat. Die Jugendlichen fragen nach: nach der Bedeutung der Todesengel, der Hölle, des Paradieses. Es entsteht ein Gespräch …

Religiöse Expert*innen oder aber auch Vertreter*innen des Humanismus in den Unterricht einzuladen, eröffnet die Möglichkeit einer konkreten Begegnung mit all den Chancen und Grenzen, die damit verbunden sind. Für eine Generation, die viel Zeit in virtuellen Begegnungen auf Social-Media-Plattformen investiert, kann eine Face-to-Face-Kommunikation noch einmal anders zum Nachdenken anregen. Fragen nach der fremden und der eigenen religiösen Tradition können direkt gestellt und diskutiert werden. Externe Expert*innen in den Unterricht einzuladen, bedeutet, Schüler*innen eine Begegnung von Mensch zu Mensch zu ermöglichen. Als Königsweg bezeichnen Stephan Leimgruber und Hans-Georg Ziebertz (2013) diese im Unterricht initiierte Begegnung: »Begegnungen betreffen junge Menschen mehr als Filmausschnitte oder die Darbietung anderer indirekter Erfahrungen« (S. 470). Die Direktheit der Erfahrung von Mensch zu Mensch ist also der Kern der Sache, wenn es um die Frage geht, externe Expert*innen in den Unterricht einzuladen. 240

2  Varianten von Gesprächen mit Expert*innen So unterschiedlich die Organisation von Religionsunterricht ist, so unterschiedlich sind auch die Zusammensetzung und Lernvoraussetzungen der Kinder und Jugendlichen. Deshalb sollen im Folgenden unterschiedliche Szenarien durchgespielt werden, anhand derer deutlich wird, auf was zu achten ist, wenn externe Expert*innen in den Unterricht eingeladen werden. Dabei hängt es maßgeblich von der Lerngruppe ab, wen man einlädt. Für evangelische, katholische oder gemischt-konfessionelle Gruppen könnte in einem ersten Durchgang das Gespräch mit Vertreter*innen unterschiedlicher christlicher Konfessionen und Denominationen eine Rolle spielen. Für Lerngruppen mit multireligiöser und säkularer Schüler*innenschaft kann es Sinn machen, Expert*innen der Religionen und des Humanismus einzuladen. Die Ausgangsfrage, nach der sich jede Begegnung im Unterricht richten sollte, ist: Wo steht die Lerngruppe? Welche Begegnungen bringen sie voran? Mit welchen Begegnungen ist sie unterfordert? Mit welchen Begegnungen ist sie überfordert? Die im Folgenden kurz umrissenen Szenarien sind nur exemplarisch zu verstehen. Sie regen an, darüber nachzudenken, was unter bestimmten Konstellationen der Schüler*innenschaft zu bedenken wäre.

Szenario 1

Vertreter*innen des Christentums kommen in den evangelischen, katholischen oder in den durch eine gemischt-konfessionelle Lerngruppe geprägten Unterricht. Auf evangelischer und katholischer Seite wird nicht selten eine fehlende religiöse Sozialisation beklagt: Wo kommen christliche Schüler*innen noch mit gelebter Religion in Kontakt? Welche religiösen Rituale und Sprachformen sind ihnen noch vertraut? Das, was die fünfte kirchliche Mitgliedschaftsuntersuchung der EKD (2014) zutage befördert hat, zeigt und verdichtet sich im Religionsunterricht der Schule: Evangelische und katholische Lerngruppen sind heterogen, auch dann, wenn der Unterricht konfessionell erteilt wird. Die formale Konfessionszugehörigkeit im Religionsunterricht sagt noch nichts aus über die Konfessionalität der Lernenden und ihr Vorverständnis von Religion und Glauben. Hier können Gespräche mit evangelischen oder katholischen Expert*innen, wie z. B. Mitgliedern aus den kirchlichen Gemeinden vor Ort, zuerst einmal die Sensibilität für die eigene Konfessionszugehörigkeit schärfen und profilieren. Die christliche Tradition kann dadurch in ihren unterschiedlichen Facetten ansatzweise kennengelernt und diskutiert werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, die Einladung externer Expert*innen in den Religionsunterricht

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Möglichkeit zu bedenken, weitere christliche Konfessionen zu Wort kommen zu lassen. Durch die Fluchtbewegungen der letzten Jahre ist die Frage danach, was orientalische und orthodoxe Christ*innen glauben, laut geworden. Ziel muss sein, vor dem Hintergrund von Flucht, Migration und einer zusammenwachsenden Welt, die Vielstimmigkeit des Christentums zu verdeutlichen und sich darüber zu vergewissern. In einem weiteren Schritt kann dann der Kontakt zu Expert*innen anderer Religionen und Weltanschauungen hergestellt werden.

Das Thema »Jahresfeste im Christentum« eignet sich in besonderer Weise, um mit evangelischen, katholischen oder orthodoxen Vertreter*innen ins Gespräch zu kommen (Wagemann, 2014). Denn hier werden auf der einen Seite Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Konfessionen deutlich, auf der anderen Seite enthält das Thema Feste einen starken lebensweltlichen Bezug. Die Schüler*innen können sich mit ihren eigenen Erfahrungen gut in ein Gespräch einbringen. In methodischer Hinsicht kann dabei mit den Festkalendern der Religionen bzw. Konfessionen gearbeitet werden. Die Schüler*innen berichten in einer ersten Runde über ihr Vorwissen zu den Festen. In einer sich anschließenden Unterrichtsphase wird durch die externe Expertise die jeweilige konfessionelle Sichtweise auf das Thema in den Unterricht eingebracht. Denkbar ist auch, dass ein Team von evangelischen, katholischen und orthodoxen Expert*innen in den Unterricht eingeladen wird.

Szenario 2

Vertreter*innen der Religionen kommen in einen Unterricht mit einer multireligiösen und säkularen Besetzung, wie dies im Klassenverband der Fall ist. In einer multireligiös und säkular geprägten Lerngruppe befinden sich Schüler*innen unterschiedlicher religiöser, konfessioneller und weltanschaulicher Herkunft. Gewissermaßen ist das Unterrichtssetting das des Dialoges, der den Schüler*innen dadurch vertraut ist. Für dialogische Lernprozesse, in denen die Entdeckung von Unterschieden und Gemeinsamkeiten für eine eigene Positionierung eine große Rolle spielen, sind Perspektivenwechsel zwischen den jeweiligen Glaubensvorstellungen und weltanschaulichen Sichtweisen wichtig und bedeutsam. Diese können hier – anders als in einem konfessionell gemischten Unterricht – markanter erfolgen, weil die Religionen sich in ihren Aussagen deutlicher voneinander unterscheiden als dies bei den christlichen Konfessionen der Fall ist. Die Vorstellung vom Jenseits, die Bedeutung von Gott und den jeweiligen Heiligen Schrif242

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ten oder die Frage nach den unterschiedlichen religiösen Festen und Ritualen werden katholische oder evangelische Expert*innen anders beantworten als muslimische, jüdische und buddhistische Gesprächspartner*innen. Vertreter*innen anderer Religionen in den Unterricht einzuladen, bedeutet deshalb, mit einem größeren Maß an Fremdheit im Unterricht zu rechnen und diese in die Unterrichtsplanung einzubeziehen. Dies gilt ganz besonders für die Schüler*innen, die keiner Religion angehören. Die Fremdheit kann Neugierde und Aufmerksamkeit wecken und hervorrufen. Auf der anderen Seite können aber auch Unsicherheit und Befremden ausgelöst werden. Die Lehrkraft hat hier die Aufgabe, ihre Schüler*innen im Vorfeld sensibel auf den Unterrichtsbesuch vorzubereiten.

Als Thema für ein Unterrichtsgespräch mit externen Expert*innen eignet sich die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Artefakten und Zeugnissen der Weltreligionen und Konfessionen (Sajak, 2010). Exemplarisch sei hier die Frage nach der Bedeutung der Heiligen Schriften im Alltag der Gläubigen und der Schüler*innen genannt. Als erster methodischer Schritt bietet sich im Unterricht ein haptischer Zugang an. Die Schüler*innen haben z. B. die Gelegenheit sich unterschiedliche Bibel- und Koranausgaben anzuschauen, erste Unterschiede oder Gemeinsamkeiten zu beschreiben und eventuell ihnen vertraute Geschichten oder Worte aus Bibel und Koran zu benennen. In einem sich anschließenden Gespräch mit den externen Expert*innen sollte auf den jeweiligen Sitz im Leben der Heiligen Schriften eingegangen werden: Wo spielen diese Schriften im Alltag der Gläubigen welche Rolle? Worauf muss im Umgang mit ihnen – auch im Kontext der Schule – geachtet werden?

Szenario 3

Vertreter*innen des Humanismus kommen in einen Unterricht mit einer religiös sowie weltanschaulich heterogenen Schüler*innenschaft, wie dies z. B. im Berufsschulunterricht der Fall ist. Schüler*innen sind in ihrer Lebenswelt auf mannigfache Weise mit religionskritischen Haltungen konfrontiert. Religion ist in unserer Gesellschaft einer scharfen Kritik ausgesetzt. Sie gilt nicht selten vor dem Hintergrund eines rationalistischen und religionskritischen Paradigmas als naiv und uncool oder als lebensfeindlich und zerstörerisch. In Untersuchungen zur Jugendtheologie wurden unterschiedliche Einbruchstellen des Glaubens bei Heranwachsenden identifiziert: so z. B. die scheinbare Unvereinbarkeit von naturwissenschaftlichen und Einladung externer Expert*innen in den Religionsunterricht

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religiösen Erklärungsmodellen zur Weltentstehung oder die Infragestellung von Religion als Projektion und Wunschglaube des Menschen (Freudenberger-Lötz, 2012). Vertreter*innen des Humanismus in den Religionsunterricht einzuladen, kann auf der einen Seite bedeuten, den Schüler*innen eine Möglichkeit zu bieten, sich kritisch mit ihren eigenen Fragen auseinanderzusetzen. Der Unterricht bietet hier einen Ort, wo das fundiert und durchdacht geschehen kann. Wo sonst haben Jugendliche dazu die Gelegenheit? Deutlich werden muss dabei aber auch, was ein religiöser Weltzugang im Gegenüber zu einem säkular geprägten Verständnis leisten kann. Religion bezeichnet die »Kultur des Verhaltens zum Unverfügbaren« (Lübbe, zit. nach Dressler, 2012, S. 72). Religionen bewahren in ihren Überlieferungen, Traditionen und Ritualen Möglichkeiten, dieses Verhalten zum Unverfügbaren zu leben, ihm eine Gestalt zu geben und es zu deuten. Die Religionslehrkraft hat hier in besonderer Weise die Aufgabe, mit ihrer Lerngruppe diese Potenziale der Religionen herauszuarbeiten, um im Gespräch mit dem Humanismus argumentationsfähig zu sein und die Bedeutung von Religionen gegenüber einem säkularen Weltzugang zu reflektieren.

Als Thema für ein Gespräch mit Vertreter*innen des Humanismus bieten sich Fragen rund um das Thema »Ethik und Moral« an. Beispielhaft kann dafür die Auseinandersetzung mit der Debatte um den assistierten Suizid stehen (Schwendemann/Hagen/Theobald, 2017). Die Position des Humanistischen Verbandes ist hier sehr deutlich. Sie zielt auf die Autonomie und Selbstbestimmung des Menschen bis zum Lebensende und befürwortet die Beihilfe zur Selbsttötung. Methodisch könnten im Vorfeld christliche Positionen zur Fragestellung in Kleingruppen erarbeitet werden, sodass sich kleine Expert*innenteams in der Klasse bilden, die für eine spezifische christliche Argumentation stehen. In Form des Fishbowls diskutieren dann Vertreter*innen aus diesen Teams mit einem/einer Gesprächspartner*in des Humanistischen Verbandes und bringen so ihre unterschiedlichen Positionen miteinander ins Gespräch.

Szenario 4

Abrahamische Teams zu Gast in der Schule Das Abrahamische Forum in Deutschland e. V. mit Sitz in Darmstadt bietet deutschlandweit für Schulen sogenannte abrahamische Teams an (http://abrahamisches-forum.de). Diese bestehen aus Expert*innen des Judentums, des Christentums und des Islams. In Dialogforen kommen sie mit Schüler*innen 244

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über Fragen des Glaubens ins Gespräch. Unterschiede und Gemeinsamkeiten können diskutiert und reflektiert werden. Das Gespräch mit einem abrahamischen Team bietet sich besonders nach der Beschäftigung mit den drei Weltreligionen im Unterricht an, eventuell als Vertiefungsschritt in einem Lernprozess.

Thematisch könnte es dabei um die Frage gehen, welche Bedeutung die Religionen für ein friedliches Miteinander in der Gesellschaft haben können oder welche Relevanz religiöse Bildung für das Leben überhaupt hat. Die Schüler*innen können dabei die im Unterricht erworbenen Kenntnisse und noch offenen Fragen an das Gremium der Expert*innen zurückkoppeln und vertiefen. Als Beispiel sei an dieser Stelle auch auf den Beitrag der Martin-Buber-Schule in diesem Buch hingewiesen.

3  Potenziale und Grenzen Externe Gesprächspartner*innen in den Unterricht einzuladen, eröffnet viele Möglichkeiten, weist aber auch auf Grenzen hin. Im Folgenden sollen beide Sichtweisen erläutert werden. Ȥ Begegnungen können gut vorbereitet sein. Die Lehrkraft hat alles bedacht. Sie hat ihre Lerngruppe inhaltlich auf den Weg gebracht. Fragen sind erarbeitet worden, die im Gespräch zu Wort kommen sollen. Der Aspekt der Fremdheit wurde thematisiert und für das Fremde in der Begegnung sensibilisiert. Und doch verläuft die Begegnung möglicherweise nicht wie erhofft und erwünscht. Die Expert*innen können sich nicht auf die Lerngruppe einlassen. Die Gespräche verlaufen schleppend. Es werden neuralgische und problematische Aspekte im Gespräch benannt, die vorher nicht abzusehen waren und im Gespräch nicht mehr geklärt werden können. Die Intention, durch eine konkrete Begegnung die Schüler*innen in einen produktiven Lernprozess zu führen, kann sich in dieser Hinsicht in sein Gegenteil verkehren. Das liegt in der Natur der Sache. Jede wirkliche Begegnung unterliegt dieser Gefahr. Das sollte jedoch kein Grund sein, von der Einladung externer Gesprächspartner*innen abzusehen. Die Erfahrung zeigt, dass diese Begegnungen in den allermeisten Fällen eine Bereicherung sind. Ȥ Gespräche mit Vertreter*innen anderer Religionen, Konfessionen oder Weltanschauungen stehen immer für authentische Begegnungen. Es macht einen Unterschied, ob Lernende etwas über Tod und Jenseits, Feste und Feiern, Einladung externer Expert*innen in den Religionsunterricht

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religiöse Orte und Rituale durch Erzählungen von Menschen oder durch aus sachlicher Perspektive geschriebene Texte aus Lexika erfahren. Das Kriterium der Echtheit oder Authentizität ist maßgeblich. Sich mit Religion zu beschäftigen, kann nicht heißen, über Religion zu reden. Es geht vielmehr um das Reden mit Vertreter*innen der Religionen. Im Schulunterricht sind derartige Begegnungen immer initiiert. Sie sind gewissermaßen künstlich hergestellt und beeinflussen mitunter die Authentizität des Geschehens. Das sollte in der Planungsphase mit bedacht werden, darf aber kein Hinderungsgrund sein, externe Gesprächspartner*innen in die Schule einzuladen. Ȥ Die Begegnung mit Expert*innen unterliegt immer der Gefahr der Verallgemeinerung. Sehr schnell werden Vertreter*innen der Religionen, Konfessionen und anderer Weltanschauungen mit dem übergeordneten Ganzen identifiziert. Eine Begegnung mit einer Muslima wird so zur Begegnung mit dem Islam. Ein Gespräch mit einem Vertreter des Humanismus wird so zu einem Gespräch mit dem Humanistischen Verband. Ein Austausch mit Expert*innen des Judentums wird so zu einem Austausch mit dem Judentum. Eine große Herausforderung besteht deshalb darin, notwendige Differenzierungen vorzunehmen. Religion gibt es nie als solche, sondern immer nur individuell gebrochen und sich zeigend. Weltreligionen differenzieren sich nach Konfessionen und Denominationen. Christ*innen sind nicht gleich Christ*innen. Das Bild ist bunt: evangelisch, katholisch, orthodox, freikirchlich. Muslim*innen sind nicht gleich Muslim*innen: sunnitisch, schiitisch, alevitisch. Vertreter*innen des Judentums sind nicht identisch mit dem Judentum an sich: Es gibt u. a. orthodox ausgerichtete und liberal-reformierte Strömungen. Die individuelle Brechung der Religion erfolgt durch die Gläubigen selbst. Sie verorten sich zwar im Kontext ihrer Religionsgemeinschaften, ihr Glaube aber ist immer ein Glaube, der individuell angeeignet und rückgekoppelt ist. Und das ist auch der Fall, wenn Gesprächspartner*innen von außerhalb in die Schule eingeladen werden. Dieser Gedanke muss mit der Lerngruppe unbedingt reflektiert werden, damit keine unzulässigen und unzutreffenden Rückschlüsse aus einer Begegnung gezogen werden. Ȥ Ein weiterer Stolperstein bei der Durchführung von Gesprächen mit externen Expert*innen liegt in der Kontaktaufnahme: An wen kann ich mich wenden? Wer ist vertrauenswürdig? Wo finde ich Kontakte? In der Regel bieten hier die ortsansässigen kirchlichen Gemeinden hilfreiche Unterstützung. Die jeweiligen Ortspfarrer*innen sind vernetzt mit Partner*innen aus dem Bereich der Ökumene und der christlichen Konfessionen. Nicht selten kommt es vor, dass Kontakte zu muslimischen und jüdischen Gemeinden in der Nähe bestehen. Schwieriger gestaltet sich mitunter, buddhistische oder hinduisti246

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sche Gesprächspartner*innen zu finden. Hilfe können die Ökumeneinstitute der einzelnen Landeskirchen bieten. Sie verfügen über ein gewachsenes Netzwerk. Erfahrungen mit Vertreter*innen des Humanistischen Verbandes liegen vergleichsweise weniger vor. Der Verband selbst stellt ein freiwilliges Unterrichtsangebot (Humanistische Lebenskunde) an Schulen in Berlin und Brandenburg zur Verfügung (www.humanistisch.de). Er tritt für einen allgemein verbindlichen Ethikunterricht an öffentlichen Schulen ein. Neben dem Bundesverband gibt es zahlreiche Landesverbände, sodass Kontakte vor Ort geknüpft werden können. Hier liefert die Website des Humanistischen Verbandes die entsprechenden Informationen. Weitere Einschätzungen zum Verband, seinen Vertreter*innen und seinen Inhalten können bei der Evangelischen Zentrale für Weltanschauungsfragen in Berlin bezogen werden (www.ezw-berlin.de). Neben diesen eher kritischen Betrachtungen lassen sich doch einige Gründe ins Feld führen, warum die Einbindung von externen Expert*innen gewinnbringend ist und sich lohnt. Ȥ Schon mehrfach angeklungen ist, dass die Auseinandersetzung mit Menschen und ihrem Glauben in didaktischer Hinsicht mehr austrägt als die Beschäftigung mit totem Sachwissen. Konkrete Begegnungen fordern einen in einer ganz anderen Art und Heftigkeit heraus als das Lesen von Artikeln oder das Anschauen von Filmsequenzen. Einer Begegnung kann ich mich nie richtig entziehen. Ich kann mich nicht wegducken. Diese Dynamik kann in einer Unterrichtssituation fruchtbar sein und bei Lernenden Wachheit, Neugier und Spannung hervorrufen. In der Begegnung selbst liegt eine Anforderungssituation, die nicht im Vorfeld theoretisch zu entwerfen ist, sondern im Vollzug erlebt wird. Ȥ Darüber hinaus wird deutlich: Religionsunterricht ist ein komplexes Unterfangen. Lerngruppen sind heterogen und bunt: unterschiedliche Religionen, Konfessionen und Weltzugänge. Es gibt keine Monokultur, die in didaktischer Hinsicht einfach zu bewältigen wäre: ein Lernweg für alle Schüler*innen. Aber wie geht eine Lehrkraft mit dieser Herausforderung um? Verfügt sie über die Differenziertheit weltanschaulicher und religiöser Zugänge? Oder kann sie darüber gar nicht verfügen, weil dies angesichts der Komplexität von Globalisierung, kultureller Vielfalt und interreligiöser Verständigung nicht zu leisten ist? Die Einbindung von externer Expertise in den Unterricht bedeutet zwar auch Vorbereitung und Planung, entlastet aber auch. Als Lehrkraft muss ich nicht alles wissen und können. Es gibt Expert*innen, die in den Unterricht kommen und für die Lerngruppe fremde Sichtweisen einspielen. Einladung externer Expert*innen in den Religionsunterricht

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Ȥ Durch die Begegnung mit einzelnen Menschen entwickeln die Schüler*innen ein Gespür dafür, dass Religion immer nur als gelebte und individuell zum Ausdruck gebrachte Religion in Erscheinung tritt. Das hilft Vorurteile abzubauen. Glaube ist nicht nur naiv oder uncool, lebensfeindlich oder zerstörerisch. Die Begegnung und der Austausch mit konkreten Personen entlarvt die brüchigen Argumentationsfiguren, die hinter Vorurteilen stecken und trägt perspektivisch zu einem auf Toleranz gegründeten Frieden in unserer Gesellschaft bei. Literatur zum Weiterlesen Sajak, C.P. (2010): Kippa, Kelch, Koran. Interreligiöses Lernen mit Zeugnissen der Weltreligionen. Ein Praxisbuch. München: Kösel. Wagemann, G. (2014): Feste der Religionen-Begegnung der Kulturen. München: Kösel. Schwendemann, W./Hagen, K./Theobald, D. G. (2017): Sterbehilfe und medizinisch-assistierter Suizid. Materialien und Unterrichtsentwürfe. Stuttgart: Calwer.

Sonstige Literatur Dressler, B. (2012): »Religiös reden« und »über Religion reden«. Religionsdidaktik als Didaktik des Perspektivenwechsels. In: B. Grümme/H. Lenhard/M. L. Pirner (Hg.): Religionsunterricht neu denken. Innovative Ansätze und Perspektiven der Religionsdidaktik. Ein Arbeitsbuch, S. 68–78. Stuttgart: Kohlhammer. EKD (2014): Engagement und Indifferenz. Kirchenmitgliedschaft als soziale Praxis. V. EKD-­Erhebung über Kirchenmitgliedschaft. Hannover. Freudenberger-Lötz, P. (2012): Theologische Gespräche mit Jugendlichen. Erfahrungen – Beispiele – Anleitungen. Stuttgart/München: Calwer/Kösel. Leimgruber, S./Ziebertz, H.-G. (2013): Interkulturelles und Interreligiöses Lernen. In: G. Hilger/ S. Leimgruber/H.-G. Ziebertz (Hg.): Religionsdidaktik. Ein Leitfaden für Studium, Ausbildung und Beruf (3. Aufl.), S. 462–471. München: Kösel.

Internetquellen http://www.ezw-berlin.de/html/12.php [16.12.2017]. https://humanistisch.de/x/hvd-bundesverband/ [16.12 2017]. http://li.hamburg.de/religionsunterricht/ [15.12.2017]. http://abrahamisches-forum.de/ [17.03.2018].

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Schüler*innen als Expert*innen im Religionsunterricht Dennis Graham

1  Schüler*innen als Expert*innen: Was ist authentisch? Der Religionsunterricht lebt davon, dass er authentisch ist. Dies gelingt vor allem dort, wo seine Akteur*innen authentisch sind. Aber was bedeutet das für die Praxis? Geht es zuerst um religiöses Fachwissen oder geht es zuerst um Erfahrungen und religiöse Fragen von Schüler*innen? Wie Lehrkräfte diese Grundsatzfragen für ihren Unterricht klären und in welchem Verhältnis Sache und Schüler*in darin stehen, ist entscheidend für ihre Auffassung von Schüler*innen als Expert*innen im Religionsunterricht. Wofür können Schüler*innen Expert*innen sein und wofür nicht? In welchen Situationen ist Expert*innentum sinnvoll und in welchen ist es unangemessen? Ob Schüler*innen als Expert*innen einer Religion oder als Expert*innen ihrer selbst gesehen werden, hängt u. a. davon ab, wie interreligiöser Dialog verstanden wird. Es gibt in der Religionspädagogik zwei sehr unterschiedliche Modelle von interreligiösem Dialog: Das erste Modell beschreibt Tuba Isik (2015) so, dass Schüler*innen zur Begegnung mit dem religiös Anderen zunächst eine eigene, feste Grundlage und Sprachfähigkeit entwickelt haben müssen, bevor ein Dialog stattfinden kann. Dieses Modell richtet den Blick der Lehrkraft auf Schüler*innen als Expert*innen einer Religion. In dem zweiten Modell ist der Dialog die Methode zur Auseinandersetzung mit den religiösen Fragen der Schüler*innen. Susanne von Braunmühl und Britta Kuß (2014) kommen zu folgender Einsicht: »Doch die erste Person, die ein Baby erkennt, ist nicht das Ich, sondern das Du in der Person der Mutter (S. 4).« Mit Bezug auf Martin Buber begründen sie, dass jedes Ich am Du entsteht. Ohne das Du erscheint das Ich unmöglich. Jedes Ich muss in Beziehung zu einem Du treten. Sie beschreiben den Religionsunterricht als eine gemeinsame Entdeckungsreise der Lerngruppe. Religiöse Bildung kann vor diesem Hintergrund nicht als Dogmatik verstanden werden, sondern immer nur als Dialog. Dieses Modell richtet den Blick der Lehrkraft auf Schüler*innen als Expert*innen ihrer selbst. 249

2  Varianten von Schüler*innen als Expert*innen 2.1  Schüler*innen als Expert*innen einer Religion Das Forschungsprojekt ReVikoR (Religiöse Vielfalt im konfessionellen Religionsunterricht) hat in einer empirischen Studie in Schleswig-Holstein ermittelt, dass 86,4 % der Lehrkräfte ihre Schüler*innen im Religionsunterricht häufig als Expert*innen der eigenen Religion und von eigenen Erfahrungen berichten lassen. 12,2 % tun dies selten und 1,4 % nie. Vertreter*innen anderer Religionen als Expert*innen laden hingegen nur 10,9 % häufig ein, 53,5 % selten und 35,7 % nie (Pohl-Patalong/Woyke/Boll/Dittrich/Lüdke, 2016, S. 330). Die Frage der Studie vermischt leider die beiden oben genannten Perspektiven und damit zwei verschiedene pädagogische Ansätze zum Umgang mit Expert*innen im Religionsunterricht. Werden Schüler*innen als Expert*innen für ihre Religion eingesetzt, wirkt sich dies häufig aus mehreren Gründen problematisch aus: Besonders muslimische Kinder befinden sich in der Rolle, ihre Religionspraxis erklären und gegebenenfalls rechtfertigen zu müssen (Isik, 2015). Sie erleben dies nicht selten als ein Vorgeführtwerden. Wenn sie als Angehörige von Minderheiten in eine Expert*innenrolle gedrängt und dadurch besonders gekennzeichnet werden, kann dies zudem zu einer Fremdheitserfahrung der Mehrheit führen, die Ablehnung oder Diskriminierung hervorrufen und Schüler*innen stigmatisieren kann. Hans Mendl (2009, S. 29) hat hervorgehoben, dass die Wahrnehmung des Fremden vornehmlich von emotionalen Reaktionen gesteuert wird. Besonders eloquente und in der Lerngruppe stark positionierte Schüler*innen, die Angehörige der Mehrheitsreligion in der Gruppe sind, stellen als Expert*innen einer Religion ihre Religion in ein anderes Licht, als das sprachlich weniger eloquente, weniger stark positionierte Schüler*innen können, die zudem eine religiöse Minderheit in der Gruppe repräsentieren sollen. Dadurch findet eine Bewertung der Religionen innerhalb der Lerngruppe statt, was nicht wünschenswert ist für einen dialogischen Religionsunterricht. Es gilt vielmehr die Unterschiedlichkeit von Schüler*innen zu berücksichtigen und bei der Planung von Unterricht inklusiv zu denken. Weiter sind fachliche Fehler wahrscheinlich, wenn Schüler*innen in der Rolle als Expert*innen einer Religion auftreten. Sie zu benennen, ist notwendig, könnte aber auch zu Kränkungen führen und den Dialog erschweren. Möglich sind dabei auch fundamentalistische Äußerungen von Schüler*innen, die die Lehrkraft dann hinterfragen muss, womit das Expert*innentum konterkariert wird. 250

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Dialogischer Religionsunterricht findet zwischen Menschen statt, nicht zwischen Religionen. Schüler*innen sind keine Stellvertreter*innen einer Religion, sie sind individuelle Kinder und Jugendliche, deren Eltern in Deutschland zu 65 % einer Religion angehören. Sie wachsen auch in bireligiösen Elternhäusern auf. Sie sind auch deshalb nicht als Sprecher*innen einer systematischen Lehre geeignet, weil sie häufig synkretistische Ansichten haben. Die am schnellsten wachsende Gruppe im Religionsunterricht sind zudem die Säkularen. Expert*innenrollen für religiöse Schüler*innen können in dieser Zusammensetzung schnell zu Ungerechtigkeitsempfinden führen. Wie kann also ein Religionsunterricht aussehen, der alle Schüler*innen dazu einlädt, von ihren Überzeugungen zu erzählen?

2.2  Schüler*innen als Expert*innen ihrer selbst Jede*r Schüler*in ist Expert*in für sich und seine/ihre Religiosität. Diese muss sorgfältig von Religion und Religionen unterschieden werden, um für die Frage nach Expert*innen im Religionsunterricht eine entscheidende Kurssetzung vorzunehmen. Die Definitionen von Hans-Ulrich Keßler (2016) sind dabei hilfreich: Religion ist ein Gefühl, eine innere Haltung. Die Menschen fragen nach dem Sinn des Ganzen. Sie möchten wissen, in welchem Verhältnis sie dazu stehen. Sie fragen nach ihrem jeweiligen Ort darin. Religionen sind über verschieden lange Zeiträume entstandene (und entstehende) Systeme. Religionen bieten den Menschen Texte, Bilder und Symbolhandlungen an, um das Ganze, seinen Sinn und den je eigenen Ort darin kommunizierbar zu machen. Religiosität ist schließlich die individuell, durch Kultur, Sprache, Erziehung, Geschlecht, Erfahrung etc. geprägte Aneignungsform der Texte, Bildwelten und Symbolhandlungen der Religionen. Sie ist zugleich die Form des Ausdrucks und der Gestaltung von Religion. Jede*r Schüler*in ist Expert*in für sich und seine/ihre Religiosität, aber nicht für eine Religion. Wie werden Schüler*innen zu Expert*innen ihrer selbst? Sie sind es bereits. Die Aufgabe des Religionsunterrichts ist es, den Schüler*innen dieses bewusst zu machen, sie darin herauszufordern und ihnen Bildung zu ermöglichen. Religiöse Bildung gestalten heißt daher, ausgehend von den Schüler*innen Lernangebote zu machen: Zur Persönlichkeitsbildung, zum Fragenstellen, zum Theologisieren, zum Zuhören, zum Zulassen von Zweifeln, zum Wertschätzen lernen, zum Mut bekommen und zum Haltung entwickeln. Religiöse Bildung erfolgt im interreligiösen Lernen über den Dialog der Beteiligten über ihre religiösen Fragen und Anliegen. Schüler*innen als Expert*innen im Religionsunterricht

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So können beispielsweise im Jahrgang 9/10 Frage- und Antwortbücher zu Glauben und Zweifeln gestaltet werden: Fragen und Diskussionen zu Glauben und Zweifeln prägen religiöse Bildung von Jugendlichen stark. Eine Methode aus dem Arbeitsheft »glauben, vertrauen, zweifeln« (Gloy/Knauth 2015) greift das sehr kreativ auf: Die Schüler*innen falten aus zwei Blättern ein achtseitiges Buch. Im Laufe der Unterrichtseinheit notieren sie darin für sich ihre wichtigsten Fragen zu Glauben und Zweifeln. In einem Schreibgespräch werden die Bücher an Mitschüler*innen und Lehrer*in gegeben und jede*r schreibt seine/ihre Antworten dazu. Dabei entsteht eine beeindruckende Mehrperspektivität und Vertrautheit der Schüler*innen. Sie sind als Expert*innen ihrer selbst gefragt und herausgefordert.

Elisabeth Naurath (2017, S. 197 f.) spricht dabei von einer subjektorientierten Didaktik, bei der Schüler*innen in aller Freiheit und Offenheit das zeigen und sagen können, was ihnen wichtig ist. In einem Dialog, in dem alle Schüler*innen Expert*innen für sich selbst sind, können die Schüler*innen lernen, von sich und dem, was ihnen wichtig ist, zu sprechen anstatt von dem Christentum oder dem Islam. Grundlage dafür ist es, Respekt vor ihren Mitschüler*innen auszudrücken, indem sie das wertschätzen, was diesen am Herzen liegt. Sie üben die gesellschaftliche Schlüsselkompetenz des Perspektivwechsels ein.

So sind in einer neuen Lerngruppe des Jahrgangs 5/6 alle Schüler*innen in den ersten Wochen des Schuljahres dazu eingeladen, einen Gegenstand mit in den Unterricht zu bringen, der ausdrückt, was ihnen heilig ist. Zum Stundenbeginn findet sich die Klasse im Sitzkreis zusammen. Die Lehrperson sollte mit ihrem Gegenstand beginnen, um in einer ersten Vorstellung Gesprächsregeln für respektvolle, tolerante und gewaltfreie Kommunikation einzuführen. Anschließend erzählt ein*e Schüler*in anhand eines (religiösen) Gegenstandes, was ihm/ihr heilig ist. Bei den Gegenständen handelt es sich z. B. um einen Gebetsteppich, ein Schmuckstück, eine Bibel, eine Ganeshastatue oder einen Schal des FC St. Pauli. Die anderen dürfen nachfragen und so entwickelt sich ein Dialog über das, was uns heilig ist. Es entsteht Vertrauen. Indem die Schüler*innen wahrnehmen, was ihren Mitschüler*innen heilig ist, reflektieren sie, woran ihr eigenes Herz hängt. In dieser Situation sind die Schüler*innen Expert*innen ihrer Erfahrungen und Überzeugungen. Das Fremde erfahren die Mitschüler*innen emotional anhand eines Gegenstandes und erzählter Erlebnisse.

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In einem Semester zum Themenbereich »Gott und Göttliches« im Jahrgang 11/12 reflektieren die Schüler*innen ihr eigenes Gottesverständnis. Dazu sammeln sie Begriffe, die ihre Auffassung von Gott skizzieren und gestalten damit individuelle Plakate. Diese Begriffssammlung ordnen sie in einer Wortwolke so an, dass die jeweilige Relevanz der Begriffe deutlich wird. Bei dieser Übung ist es wichtig, die Schüler*innen zu ermutigen, eine ästhetische Gestaltung vorzunehmen. Ihr Plakat wird für sie ein ständiger Bezugspunkt im Unterricht sein. Anschließend erzählen die Schüler*innen ihr Gottesverständnis einem/einer Mitschüler*in ihrer Wahl. Im Verlauf der Unterrichtseinheit setzen sich die Schüler*innen mit verschiedenen traditionellen Gottesvorstellungen in den Religionen sowie mit gegenwärtigen theologischen Positionen und Fragen auseinander. Dabei reflektieren sie stets ihr eigenes Gottesverständnis und befragen sich zum Schluss dahingehend, inwieweit sich ihr Gottesverständnis verändert hat bzw. wo es reicher geworden ist.

3  Potenziale und Chancen Der Religionsunterricht ist der Ort, an dem es um die lebenswichtigen Themen und Fragen der Schüler*innen geht. Hier erfahren sie Wertschätzung und gegenseitige Anerkennung ihrer Persönlichkeit. Im Dialog können sie ihre je eigene Religiosität entfalten und mitteilen. Sie können Religion für sich als Ressource entdecken, Haltungen entwickeln und Haltepunkte finden, orientiert an ihrer Lebenswirklichkeit und den Erzählungen, Werten und Traditionen der Religionen. Hans-Ulrich Keßler (2014, S. 56) spricht von einem kategorischen Imperativ für religiöse Bildung: »Lebe deine Religiosität stets so, dass du deren Verbindlichkeit für dich selbst auch allen anderen für die ihre zumindest konzedierst.« Der Religionsunterricht ist seinem Plädoyer nach der Ort, an dem Schule für die Bildung einer dialogfähigen, sozialverträglichen Religiosität sorgt, indem sie einen souveränen Umgang mit kultureller und religiöser Diversität einübt. Konfessioneller Religionsunterricht braucht Geburtshelfer*innen für eine gebildete Religiosität. Und damit braucht es authentische Lehrer*innen, die sich auf Augenhöhe mit den Schüler*innen zu ihrem je eigenen Glauben bekennen, erkennbar und ansprechbar sind. Lehrer*innen brauchen eine klare Haltung und sie müssen dafür Sprache finden können. Dazu können sich die Schüler*innen in Beziehung setzen. So wie die Lehrperson mit den Schüler*innen spricht, so werden sie auch miteinander sprechen. Ein ganz wesentlicher Entscheidungsfaktor der Schüler*innen Schüler*innen als Expert*innen im Religionsunterricht

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dafür, ob sie sich in einer Klasse oder einem Kurs als Expert*innen ihrer selbst zu erkennen geben und mitteilen, ist die Sprachsensibilität, die die Lehrer*innen vorleben. Wenn es ihnen gelingt, die Schüler*innen mit ihrer Sprache als Personen wertzuschätzen, sie nicht zu verletzen und sie bedingungslos anzuerkennen, dann ermutigt sie das. Sie fühlen sich dazu befreit, von sich zu sagen, woran ihr Herz hängt, was ihnen heilig ist, was sie unbedingt angeht. Im sichtbaren Wechsel der Rollen als Moderator*in, darauf zu achten, dass die Schüler*innen gewaltfrei miteinander sprechen und als Zuhörer*in, Sprachsensibilität vorzuleben, liegt die Kunst, ein solches Bewusstsein mit einer Lerngruppe zu entwickeln. Zusammengefasst ist das der Rollenwechsel von Religionslehrer*in und Lehrer*in. Wo Schüler*innen ermutigt werden, Expert*innen ihrer selbst zu sein, da beginnt Dialog, da lernen sie about, from und in Religion. Literatur zum Weiterlesen Buber, M. (1984): Das dialogische Prinzip (5. Aufl.). Heidelberg: Verlag Lambert Schneider. Keßler, H.-U. (2016): Es ist nicht egal, woran du glaubst. Vortrag auf dem BRU-Tag des PTI und HIBB, Februar 2016. Verfügbar unter: https://pti.nordkirche.de/aktuelles/vortrag-kessler.html [05.12.2017]. von Braunmühl, S./Kuß, B. (2014): Wer bin ich? Wer bist du? Interreligiös-dialogisches Lernen, Bd. 1. München: Kösel.

Sonstige Literatur Gloy, A./Knauth, T. (2015): glauben, vertrauen, zweifeln. Interreligiös-dialogisches Lernen, Bd. 6. Berlin: Kösel. Isik, T. (2015): Bibel- und Korandidaktik in komparativer Absicht in einem kooperativ-konfessionellen Religionsunterricht. In: R. Burrichter/G. Langenhorst/K. von Stosch (Hg.): Komparative Theologie. Herausforderung für die Religionspädagogik, Perspektiven zukunftsfähigen interreligiösen Lernens, S. 263–275. Paderborn: Schöningh. Keßler, H.-U. (2014): Religionsunterricht für alle in evangelischer Verantwortung – der Hamburger Weg. In: B. Schröder (Hg.): Religionsunterricht – wohin? Modelle seiner Organisation und didaktischen Struktur, S. 45–56. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie. Mendl, H. (2009): Wie Kinder mit Differenz umgehen – Theologisieren mit Kindern im Kontext religiöser Pluralität. Jahrbuch für Kindertheologie 8, S. 23–38. Stuttgart: Calwer. Naurath, E. (2017): Noli me tangere? Interreligiöse Differenzerfahrungen in der kindlichen Begegnung mit den Heiligen Schriften. In: G. Langenhorst/E. Naurath (Hg.): Kindertora – Kinderbibel – Kinderkoran. Neue Chancen für (inter-)religiöses Lernen, S. 180–199. Freiburg i. Br.: Herder. Pohl-Patalong, U./Woyke, J./Boll, S./Dittrich, T./Lüdke, A. (2016): Konfessioneller Religionsunterricht in religiöser Vielfalt. Eine empirische Studie zum evangelischen Religionsunterricht in Schleswig-Holstein. Stuttgart: Kohlhammer.

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Dennis Graham

Die interreligiöse Lernwerkstatt – auch in der Schule! Jens Beiner/Lisa Unger

Neugier und das Interesse an anderen Religionen und Weltanschauungen sind in unserer heutigen pluralen Gesellschaft von unschätzbarem Wert für ein friedliches Miteinander. Vor allem der Religions- und Ethikunterricht bietet hierbei verstärkt die Gelegenheit, auf diese Thematiken einzugehen, Ängste und Vorurteile abzubauen und das Interesse am Anderen, am Neuen und Fremden zu fördern. Doch oftmals ergibt der Blick auf eine fremde Religion durch die Brille der Daten und Fakten ein relativ graues Bild, das im Religionsunterricht schwer mit Farbe, Tiefe und Kontrast versehen werden kann. Selbstgesteuertes und interessengeleitetes Lernen kann dabei helfen, die Vielfältigkeit und den Sitz im Leben einer anderen Religion sichtbar zu machen, sowie Gemeinsamkeiten und Anknüpfungspunkte zur eigenen Lebens- und Glaubenswelt zu entdecken.

1  Lernwerkstätten als religionsdidaktischer Ansatz Die Lernwerkstatt ist als Ort zu verstehen, der in das normale Unterrichtsgeschehen eingebunden werden kann. Die Möglichkeit, sich frei zu bewegen und sich die unterrichtlichen Themen auf individuelle Art und Weise durch die Nutzung vielfältiger Medien alleine oder in Kooperation mit anderen zu erschließen, bedeutet für die Kinder und Jugendlichen, durch Entdecken und Neugier zu lernen. Zudem können sie auf diesem Wege Lernen als individuelle und gewinnbringende Leistung erfahren, die nicht nur an die Anleitung einer Lehrkraft gebunden ist. Dies wiederum begünstigt die Entwicklung von Eigenverantwortlichkeit und macht ihre Selbstwirksamkeit bei der Konstruktion von Wissen greifbar. Die Lernwerkstatt ist zudem ein konkreter Ort der interreligiösen Begegnung und des Gesprächs. Sie bietet somit Raum, das eigenständig Erlernte durch Interaktion mit persönlichen Erfahrungen zu verbinden.

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1.1  Entdeckendes Lernen als Ansatz der Vielfalt Bei der Nutzung schulischer Lernwerkstätten steht vor allem das Konzept des »Entdeckenden Lernens« im Vordergrund, in welchem die intrinsische Motivation der Kinder und Jugendlichen, Neues zu entdecken, zu lernen und zu erfahren, durch die Bereitstellung geeigneter Lernorte, -strukturen und -materialien nutzbar gemacht wird. Ein besonderer Bezug wird dabei auf die die Unterrichtsinhalte betreffenden Fragen der Lernenden und ihre aktive Auseinandersetzung mit ebendiesen genommen (Zocher, 2000). Die Frage als zentrale Triebfeder der Neugier resultiert in einem schulunterrichtlichen Kontext meist aus der Beschäftigung mit einem neuen Lerngegenstand oder Sachverhalt. Fällt etwas besonders auf, erzeugt etwas Irritation oder erscheint etwas als kurios oder aus bestimmten Gründen als bemerkenswert, drängt sich eine Leerstelle auf, die gefüllt werden möchte. Warum ist Sachverhalt A so wie er ist? Kann Sachverhalt A auch anders sein? Ist Sachverhalt A so ähnlich wie Sachverhalt B? Die Fähigkeit zu fragen mag zwar prinzipiell bei Kindern und Jugendlichen vorhanden sein, jedoch muss sie auch gefördert und gefordert werden, um das aus ihr entstehende Motivationspotenzial für eigenes Forschen, Entdecken und Erkunden nutzbar machen zu können. Dieses Potenzial wird im unterrichtlichen Kontext jedoch oftmals kaum entfaltet. So ist die gestellte Frage vielleicht zu trivial, nicht auf die laut Lehrplan zu vermittelnden Inhalte bezogen oder durch kurze Nennung der entsprechenden Fakten lösbar. Zudem ist die Überforderung der Lehrkraft durch zu schwierige, abwegige oder spezielle Fragen ebenfalls möglich (Ernst, 1996; Zocher, 2000). Auch die Seite der Kinder und Jugendlichen gilt es dabei zu bedenken: Das Stellen einer Frage im Schulunterricht bedeutet, aus der Anonymität der Klasse in öffentliche Erscheinung zu treten. Zudem impliziert es, sowohl die Klasse als auch die Lehrperson auf eine persönliche, während des Unterrichts entstandene Leerstelle des Wissens aufmerksam zu machen, die zwar subjektiv als berechtigt erscheint, von der Klasse oder der Lehrkraft jedoch als unsinnig oder einfältig beurteilt werden kann. Während des entdeckenden Lernens innerhalb der Lernwerkstatt gehen die Kinder und Jugendlichen ihren individuellen Fragen nach, forschen nach Antworten, entdecken Neues und stellen weitere Fragen. Entdeckendes Lernen auf der Basis von Fragen zu gründen, bedeutet zum einen, zur Neugier zu ermutigen und zum anderen, diese Neugierde auch anzunehmen und pädagogisch nutzbar zu machen. So sind beispielsweise auch Fragen, die augenscheinlich kaum direkt in einen längeren produktiven Lernprozess überführt werden können, durchaus 256

Jens Beiner/Lisa Unger

wertvoll, weil sie den ersten Schritt des Weges zum Neuen, Unbekannten und Spannenden markieren, der durch die Formulierung weiterer und konkreterer Fragen stets fortgesetzt werden kann (Ernst, 1990; Zocher, 2000).

1.2  Fragen als Instrumentarium entdeckenden Lernens Das eigenständige Arbeiten in einer Lernwerkstatt folgt in großem Maße den individuellen Interessen und Präferenzen. Es ist demnach völlig nachvollziehbar, dass viele Kinder und Jugendliche alleine oder in kleineren Lernteams unterschiedliche Themen mit meist unterschiedlicher Herangehensweise bearbeiten. Regelmäßige Phasen des gemeinsamen Austausches ermöglichen es ihnen außerdem, zu erfahren, welchen Fragen gerade von anderen auf welche Art und Weise nachgegangen wird. So können wiederum neue Lösungsansätze für das eigene Arbeiten, neue Fragen und andere Sichtweisen auf diese oder jene vielleicht zuvor völlig unbeachtete Thematik entstehen. Die Arbeit Einzelner wird so in den Kontext der Gemeinschaft gestellt und wertgeschätzt. Zudem bedeutet diese Art des Austausches auch die Chance, dass Kinder und Jugendliche über die Arbeit an ähnlichen Themen oder die Nutzung ähnlicher Strategien zueinanderfinden, zusammen sprechen, lernen und arbeiten, obwohl sie vielleicht im üblichen Unterrichtsalltag sonst wenig oder auch gar keinen Kontakt zueinander haben. Wie und in welchen zeitlichen Abständen Phasen des Austausches angeboten werden, ist sowohl klassen-, zeit-, als auch themenabhängig. In vielen Fällen werden Austauschphasen von den Kindern und Jugendlichen individuell initiiert. Mal hat man eine Frage, mal ist man sich nicht sicher, ob die Art und Weise, wie man etwas bearbeitet, die richtige ist und mal ist man vielleicht einfach nur neugierig, was die anderen tun. Somit obliegt die Organisation gemeinsamer Phasen des Austausches der Lehrkraft, am Ende jedoch sollte ein Austausch und eine Dokumentation der Ergebnisse stehen. Auf diesem Wege können alle Teilnehmer*innen erfahren, wer sich welcher Thematik gewidmet hat, und zudem erhalten somit alle die Möglichkeit, ihre eigenen individuell erworbenen Kenntnisse zu präsentieren und Wertschätzung für diese zu erhalten (Zocher, 2000). Die Rolle der Lehrkraft ist während des Arbeitens in einer Lernwerkstatt eine andere als die während des gewohnten Schulalltags. Die Lehrkraft steht hier begleitend mit Hilfe und Rat zur Seite, ohne dabei jedoch gezielte Handlungsvorgaben zu treffen. Die Wahl- und Entfaltungsmöglichkeiten der Kinder und Jugendlichen sollten nicht eingeschränkt werden und selbst gut gemeinte Anweisungen oder Hinweise können suggerieren, dass es einen richtigen und einen falschen Weg gibt, sich einer Sache zu widmen. Die interreligiöse Lernwerkstatt

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Entscheidend ist gerade die Möglichkeit, sich ohne einen vorgezeichneten Weg in eine neue Sache stürzen zu können und dabei völlig eigenmächtig vorzugehen, ohne dabei irgendwelchen Erwartungen seitens der Klasse oder der Lehrkraft entsprechen zu müssen, die das Erfahren von Freiheit und Selbstwirksamkeit ermöglicht. Trotz des Bemühens, so wenig wie möglich einzuschränken, bleibt die Lehrkraft nicht passiv oder teilnahmslos: Es ist Sache der Lehrkraft, das Vorgehen der jungen Forscher*innen nachzuvollziehen und ihnen Interesse und Neugier an ihren Aktivitäten zu signalisieren. Wenn sich beim Arbeiten Schwierigkeiten ergeben, das richtige Material oder Werkzeug nicht zu finden ist oder auch hin und wieder einmal der Mut verloren geht, liegt es an der Lehrperson, für die Kinder und Jugendlichen da zu sein und sie zu unterstützen (Zocher, 2000). Die aktive Beantwortung der so entstandenen Fragen folgt in der Regel individuellen Wegen und ist eng an die strukturellen Gegebenheiten geknüpft. So bedarf es beispielsweise einer anregenden und vielfältigen Lernumgebung, um sich der Beantwortung der entsprechenden Fragen bestmöglich widmen zu können und dabei zudem die Möglichkeit zu erhalten, weitere Fragen und Ideen zu entwickeln. Der Prozess dieser Form des explorativen Lernens folgt dabei individuellen Strategien, die nicht selten verschiedene Phasen unterschiedlicher Tätigkeit zur Folge haben. Eine Phase des Beobachtens kann von einer Phase des Herumprobierens, des Lesens, der gemeinsamen Beratung, des Malens oder des Schreibens abgelöst werden. Dieser vielfältige Prozess, der sowohl planvolles Handeln, wildes Ausprobieren, ruhiges Reflektieren und Informieren oder wiederkehrendes Versuchen beinhalten kann, ermöglicht es den Kindern und Jugendlichen, das Gefühl von Eigenständigkeit und Selbstwirksamkeit auf eine individuelle und authentische Art und Weise zu erfahren. Auch das Scheitern beim Gehen eines neuen Weges oder ein Neubeginn bei der Klärung eines Sachverhaltes sind Teil dieser Art des Lernens und auch Irrtümer oder das Wechseln der Fragestellung sind Ausdruck von Autonomie und Selbstbestimmung (Zocher, 2000). Ein sehr großer Wert des Forschens und Entdeckens in einer Lernwerkstatt liegt in der Anerkennung des Zusammenhangs zwischen Lernen und Motivation: Laut der Theorie der Selbstbestimmung von Deci und Ryan ist sowohl intrinsische als auch extrinsische Motivation eng mit drei angeborenen psychologischen Bedürfnissen des Menschen verbunden: Je mehr Rücksicht auf die Bedürfnisse Selbstbestimmung, Kompetenz und soziale Teilhabe genommen werden kann, desto mehr Handlungsmotivation entsteht (Deci/Ryan, 1993). Die Möglichkeit, im Rahmen einer Lernwerkstatt Selbstbestimmung zu erfahren, ist durch ihre Offenheit und ihre vielfältigen Lerngelegenheiten und 258

Jens Beiner/Lisa Unger

der Freiheit, diese nach eigenem Ermessen auszuwählen, ein zentraler Aspekt des Konzepts des explorativen Lernens. Das Bedürfnis der Kompetenz findet darin Beachtung, dass die Art und Weise, wie sich einer Fragestellung oder einem Phänomen gewidmet werden soll, nicht vorgegeben ist und somit der Weg gegangen werden kann, der bezüglich des eigenen Vorwissens, des Interesses und der eigenen Fähigkeiten am »schönsten« zu begehen ist. Die große Freiheit und die Wertschätzung des entdeckenden Lernens im Kontext der Lernwerkstatt ermöglicht es den Kindern und Jugendlichen zudem, ihre individuell erworbenen Kenntnisse als echte und wertvolle Lernleistung und nicht als das Resultat des pädagogischen Handelns der Lehrkraft zu erfahren (Ernst, 1988). Soziale Teilhabe spielt bereits während des explorativen Lernens eine gewisse Rolle. So ist es durchaus möglich, sich zu zweit oder in einer Kleingruppe ein und derselben Fragestellung anzunehmen oder sich mit anderen Kindern und Jugendlichen mit ähnlicher thematischer Schwerpunktsetzung auszutauschen. Vor allem aber wird soziale Teilhabe in den regelmäßigen Phasen des gemeinsamen Austausches sichtbar, wie im Folgenden erläutert werden soll.

2  Lernwerkstätten in heterogenen Lerngruppen Betrachtet man das eigenständige Arbeiten innerhalb der Lernwerkstatt, so wird deutlich, dass in diesem Konzept die Heterogenität der Lerngruppen besondere Beachtung findet. Die Lehrkraft begleitet dabei die Kinder und Jugendlichen auf ihrem persönlichen Lernweg, ohne ihn jedoch vorzuzeichnen oder zu begrenzen.

2.1  Lernwerkstätten im Horizont der Vielfalt Lernwerkstätten sind als Orte des Neuen und Unbekannten auf zweifache Art und Weise auch Orte der Vielfalt. Zum einen bieten sie durch die gemeinsame Arbeit an individuellen Projekten die ideale Gelegenheit, die eigenen Stärken und Interessen sowie auch kulturelle oder religiöse Kenntnisse einzubringen. Zum anderen erlauben sie den Kindern und Jugendlichen, sich spielerisch Themen zu widmen, die über den eigenen konfessionellen, religiösen und weltanschaulichen Kontext hinwegreichen. Auf diesem Wege leistet die individuelle Vielfalt einen wertvollen Beitrag beim Entdecken und Erschließen der Vielfalt des Anderen. Da vor allem in unserer heutigen pluralen Gesellschaft die Fähigkeit und Bereitschaft zum interreligiösen Dialog im Sinne eines friedvollen Miteinanders anstelle eines Die interreligiöse Lernwerkstatt

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isolierten Nebeneinanders von unschätzbarem Wert ist, bietet die interreligiöse Dimension der Lernwerkstatt Kindern und Jugendlichen zudem eine sehr gute Hilfestellung, gemeinsam den Weg zu diesen Zielen zu gehen.

2.2  Lernwerkstätten in religiöser Vielfalt Das Einrichten einer interreligiösen Lernwerkstatt bietet dabei eine gute Möglichkeit, genau diese Art des Lernens anzuregen und so das in der Regel lehrkraftgesteuerte Lernen im Religionsunterricht positiv zu ergänzen. Die in einem interreligiösen Kontext möglicherweise auftretende Frage »Glaubt man im Islam auch an Gott?« wäre beispielsweise nach geringer eigenständiger Recherche recht unkompliziert beantwortbar und somit lediglich Initiator eines relativ kurzen Lernprozesses. Jedoch erhellt auch diese Frage das neue und individuell noch unerschlossene Feld ein kleines Stückchen mehr und wirft dabei neue Fragen auf, deren Beantwortung wiederum weitere Richtungen aufzeigen, in welchen geforscht und entdeckt werden kann. In welche Richtung dabei schließlich gegangen wird, ist abhängig von Interesse, Vorwissen und Präferenz der Fragenden. Somit können durch das Recherchieren über die erste Frage unterschiedliche Folgefragen wie beispielsweise »Feiert man im Islam auch Weihnachten?« und »Ist Allah derselbe Gott wie der, den ich auch kenne?« oder »Warum ist im Islam eigentlich Mekka so wichtig?« entstehen. Die Pädagogin Karin Ernst spricht hierbei von verschiedenen Phasen des Fragens: So wären die ersten spielerischen Grundfragen einer ersten Phase und die aus ihnen erwachsenden konkreteren Fragestellungen der zweiten Phase zuzuordnen. Während des Forschens über die Frage der zweiten Ordnung treten oft kleinere Fragen und Entdeckungen auf, die zu grundlegenden Erkenntnissen bezüglich des großen Forschungsobjekts führen. Die Feststellung »Aha! Muhammad ist ja im Islam voll wichtig!« wäre beispielsweise der dritten Phase zuzuordnen. Die vierte Phase bezeichnet dabei mögliche Erkenntnisse, die über den Lerngegenstand hinaus über das eigene Selbst gewonnen werden können. Die getroffenen Entscheidungen, während des Prozesses des Forschens und Entdeckens bestimmte Fragen weiter zu verfolgen und andere wiederum zu vernachlässigen, können Aufschluss über das individuelle Interesse geben, eine Verbindung zur eigenen Lebensgeschichte bewusst werden lassen oder auch nicht explizit gestellte Fragen aus einem anderen Kontext beantworten (Ernst, 1990; Zocher, 2000). Interreligiöse Lernwerkstätten bieten ein besonderes Potenzial, sich der Thematik der religiösen Vielfalt zu widmen. Fremde und in vielen Fällen auch schwer 260

Jens Beiner/Lisa Unger

greifbare Religionen können frei und individuell erkundet werden und werden auf diesem Wege vielleicht sogar auf eine gewisse persönliche Art und Weise verständlicher als es durch ihre Vermittlung im üblichen Religions- oder Ethikunterricht möglich gewesen wäre. Zudem bedeutet ein Austausch über das Entdeckte und Erforschte sowie dessen Präsentation am Ende des Besuchs in der Lernwerkstatt das Bewusstwerden weiterer bunter Facetten einer Religion, die man durch die eigene Ziel- und Schwerpunktsetzung nicht entdecken konnte. Die Lernwerkstatt ist darüber hinaus ein Ort des gegenseitigen Austauschs und bietet somit einen idealen Raum für interreligiöse Begegnung und Dialog. Forschen und Entdecken im gemischt-religiösen Klassenverband ist möglich. Hierbei wäre es beispielsweise denkbar, etwas über eine Religionsgemeinschaft zu lernen und dabei für Fragen und Anregungen direkt Angehörige ebendieser vor Ort zu haben. Auch ein gemeinsames gemischt-religiöses Arbeiten über vor Ort nicht vertretene Religionsgemeinschaften, die die jungen Lernenden sonst nur aus dem gewöhnlichen Schulunterricht kennen, wäre möglich, um ihnen durch interessengeleitete Vertiefung individuell ein vorstellbares Gesicht zu verleihen. Des Weiteren muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass es trotz der Vermittlung von Kenntnissen und Kompetenzen im Schulunterricht nicht immer gelingt, Werte wie Offenheit und Toleranz zu schaffen. Ein freier und ungezwungener Kontakt zu anderen Religionen vermag es vielleicht, eine Abwehrhaltung gegenüber Menschen anderen Glaubens zu umgehen und die gelebte Religion hinter den familiär oder medial transportierten Stereotypen sichtbar werden zu lassen.

Auch aus den oben genannten Gründen wurde an der Universität Augsburg 2013 durch den Lehrstuhl für Evangelische Theologie mit Schwerpunkt Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts eine interreligiöse Lernwerkstatt eingerichtet: Sie bietet Raum für Begegnung, interreligiösen Austausch und kreatives Lernen. Hier werden regelmäßig Seminare für Lehramtsstudierende angeboten, um auf diesem Weg eine konstruktive Schnittstelle zwischen der theoriegeleiteten Didaktik des Religionsunterrichts und deren praktischer Anwendbarkeit im Klassenzimmer zu bilden. So wurde beispielsweise das interreligiöses Lernspiel »Lebensspuren« für Jugendliche konzipiert und von den Studierenden im gymnasialen Religionsunterricht zum Themenbereich der religiösen Sozialisation in den abrahamischen Religionen erprobt. Auch Schulklassen besuchen die Lernwerkstatt und erarbeiten mit Studierenden zum Beispiel im Rahmen eines Seminars zum Themenbereich »Tod und Ewiges Leben in den Weltreligionen« eigene Vorstellungen in Bezug zu didaktisch und methodisch innovativen Lernimpulsen. Die interreligiöse Lernwerkstatt

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Besonders spannend ist die Öffnung der Lernwerkstatt für Interreligiöse Bildung durch Gruppen und Initiativen der Stadtöffentlichkeit (wie dem Runden Tisch der Religionen oder Religions-for-Peace-Ortsgruppen), um friedenspädagogische Verbindungslinien von Schule, Hochschule und Stadt aufeinander zu beziehen. Die große positive Resonanz, die dieses Projekt zur Folge hatte, und auch die Erfolge, die die Studierenden bereits durch den eigenen, explorativen und kreativen Umgang mit den zu betrachtenden Themengebieten erzielen konnten, legt den Schluss nahe, dass das Etablieren einer interreligiösen Lernwerkstatt auch an Schulen eine besondere Chance für die Kinder und Jugendlichen bietet.

3  Potenziale und Grenzen Die praktische Umsetzbarkeit der Etablierung eines solchen Raumes an einer Schule ist an mehrere Faktoren geknüpft. Eine Lernwerkstatt muss beschlossen, verwaltet und gepflegt werden und benötigt somit zuallererst die Menschen, die ein solches Projekt schätzen und in Angriff nehmen wollen. Die geeignete Räumlichkeit ist der zweite wichtige Faktor und schlussendlich braucht es noch ansprechendes und vielfältiges Material, das den neuen Raum mit Leben füllt und Lust weckt, in ihm zu forschen, zu entdecken und zu lernen. Oftmals geht die Einrichtung einer Lernwerkstatt auf den Beschluss in einer Lehrkräftekonferenz oder die Eigeninitiative einer Interessensgruppe von Lehrkräften zurück, jedoch erfordern Einrichtung, Aufbau und Erhalt schulinterne 262

Jens Beiner/Lisa Unger

organisatorische Flexibilität und gegebenenfalls auch das Akquirieren finanzieller Mittel durch Stiftungen oder sponsernde Organisationen und Privatpersonen (Hiebl, 2014; Rupprecht, 2008). Die Leitung der Lernwerkstatt wird in der Regel von den Lehrkräften übernommen, wobei hier die Einrichtung eines festen Leitungsteams oder Arbeitskreises sinnvoll erscheint (Rupprecht, 2008). Natürlich ist sie als unterrichtliches Konzept nicht in der Lage, den gewöhnlichen Unterricht zu ersetzen, sie kann und sollte jedoch ein fester Teil davon sein und ihn ergänzen. Für Lernwerkstätten im Allgemeinen ist die Verfügbarkeit eines eigenen Raumes mit geordnetem Nutzungsplan empfehlenswert. Zwar sind beim Fehlen einer passenden Lokalität eine Mitnutzung anderer Räume oder auch die Einrichtung einer mobilen Lernwerkstatt je nach thematischer Zielsetzung ebenfalls denkbar, jedoch erleichtert ein fester und in den Unterrichtsalltag eingebetteter Raum die Möglichkeit der Projektdurchführung und der gemeinsamen Begegnung (Rupprecht, 2008). Die Lernwerkstatt selbst sollte offen und einladend gestaltet werden, um auf diesem Wege eine motivierende Lernumgebung zu schaffen, die die Kinder und Jugendlichen zu Neugier und Selbstständigkeit anregt. Denn es ist gerade die Lernumgebung und die in ihr mögliche Selbstbestimmung, die diesen Ort zu etwas Besonderem machen (Hiebl, 2014). Indem die jungen Forschenden selbst aus einer Vielfalt unterschiedlicher Lerngelegenheiten wählen können, kann der Lernprozess auf persönliche und individuelle Weise erfolgen. Neues Material kann dabei zusammen mit den Kindern und Jugendlichen gesichtet, ausprobiert und beurteilt werden. Auch ist es möglich, gemeinsam neues Material zu erstellen, um den Pool der Lerngelegenheiten zu erweitern. Die Lernwerkstatt bietet dabei auch die Möglichkeit Materialien einzusetzen, die im normalen Unterrichtsgeschehen aus zeitlichen oder organisatorischen Gründen meist nicht genutzt werden können. Dies kann gerade in einem interreligiösen Kontext von großem Nutzen sein, denn im Rahmen der Lernwerkstatt kann man sich ohne Berührungsängste aus eigener Neugier heraus dem Neuen widmen. So könnten christliche Kinder und Jugendliche in diesem Kontext beispielsweise die Möglichkeit erhalten, einen Blick in eine Kindertora oder einen Kinderkoran zu werfen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu entdecken. Eine Ecke mit Materialien zu Godly Play oder Lernspiele, Bücher und Bilder zu Geschichte, Riten oder Festen der Religionen wären ebenso denkbar wie religionsspezifische Gegenstände, zum Beispiel ein jüdischer Dreidel, ein katholischer Rosenkranz oder ein nach Mekka zeigender Kompass. Es ist dabei durchaus beabsichtigt, dass im Laufe der Zeit neues Material eingebunden, älteres verworfen, ergänzt oder ersetzt wird oder auch mit ganz neuen Zugangsmethoden experimentiert wird. Die interreligiöse Lernwerkstatt

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Ein weiterer Vorteil ist, dass dieses Konzept an die jeweilige Altersphase derer, die sie nutzen, angepasst werden kann. Somit ist eine Lernwerkstatt nicht nur eine abwechslungsreiche Lernumgebung für Kinder und Jugendliche, sondern auch eine spannende Gelegenheit für Erwachsene, gewohnte Lern- und Denkmuster zu verlassen, Neues aus spielerischer Neugier heraus zu erschließen und sogar durch größere Projekte nach außen zu tragen. Denn schlussendlich ist eine Lernwerkstatt weniger ein statisches Konstrukt als vielmehr ein flexibler, veränderbarer Raum des Lernens, der so vielfältig sein kann wie die Menschen, die ihn nutzen. Literatur zum Weiterlesen Hiebl, P. (2014): Lernwerkstätten an Schulen aus der Perspektive von Schulleitern und Schülern. Berlin: LIT Verlag. Mendl, H. (2018): Lernwerkstätten an Universitäten. Ein pädagogischer Zwischenraum. Religionspädagogische Beiträge, 78, S. 102–113. Schmude, C./Wedekind, H. (Hg.) (2013): Lernwerkstätten an Hochschulen. Orte einer inklusiven Pädagogik. Bad Heilbrunn: klinkhardt.

Sonstige Literatur Bönsch, M. (1999): Lernwerkstätten – Anregungsstrukturen und Lernmöglichkeiten. Lernwelten, 3, S. 102–109. Deci, E. L./Ryan, R. M (1993): Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik, 39 (2), S. 223–238. Ernst, K. (1988): Wie lernt man Offenen Unterricht. Erfahrungen aus der Lernwerkstatt an der TU Berlin. Pädagogik, 6, S. 14–18. Ernst, K. (1996): Den Fragen der Kinder nachgehen. Die Grundschulzeitschrift, 98, S. 6–11. Ernst, K. (1990): Das Einfache, das schwer zu machen ist. Erwachsene lernen wie Kinder. Die Grundschulzeitschrift, 35, S. 29–32. Rupprecht, R. (2008): Handreichung für den Aufbau einer Lernwerkstatt. In: Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (Hg.): Über die Hand zum Verstand, S. 12–26, München. Wedekind, H. (2011): Eine Geschichte mit Zukunft. 30 Jahre Lernwerkstatt. Grundschule, 43, S. 6–10. Zocher, U. (2000): Entdeckendes Lernen lernen. Zur praktischen Umsetzung eines pädagogischen Konzepts in Unterricht und Lehrerfortbildung. Donauwörth: Auer.

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Jens Beiner/Lisa Unger

Teil IV Gelungene Projekte für den Umgang mit konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt

»Partnerschaft, Ehe und Familie« – ein Projekt in konfessioneller Kooperation an der Evangelischen Friedrich Oberlin Fachoberschule des Augustinum München Barbara Pühl

Das vorgestellte Projekt ist Teil eines Großprojekts, das von 2015 bis 2017 an zwei Schulen des Augustinum in München durchgeführt wurde. Das Augustinum versteht sich als gemeinnütziges soziales Dienstleistungsunternehmen, das sich ausdrücklich an christlichen Werten orientiert. Dem Religionsunterricht wird daher an den Schulen, die das Unternehmen unterhält, besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

1  Der Kontext: Bedarf an konfessioneller Zusammenarbeit Das Projekt wurde durch die Geschäftsführung des Augustinum initiiert. Ursprünglich war eine grundlegende Änderung nach dem Vorbild des Hamburger Modells angestrebt worden. Aufgrund der rechtlichen Regelungen zum Religionsunterricht in Bayern war dies jedoch nicht möglich. Realisierbar erschien nur eine Kooperation der beiden christlichen Konfessionen. Im Rahmen eines Projekts sollte daraufhin für eine Fachoberschule und eine Realschule ein Konzept erarbeitet, durchgeführt und evaluiert werden. Danach sollte entschieden werden, ob es als fester Bestandteil des Religionsunterrichts zu etablieren sei. Zunächst wurde eine Gesamtkonzeption für konfessionelle Kooperation an den beiden Schulen erstellt. Diese wurde dann jeweils hinsichtlich Schulart, Jahrgangsstufe, Lehrplan und spezifischer Situation vor Ort ausdifferenziert. Die Themenauswahl und die konkrete Planung der Unterrichtseinheit erfolgten durch die beteiligten Lehrkräfte. Die Gesamtkonzeption für das Projekt an den Schulen des Augustinum ist hier als Wirkungsmodell dargestellt.

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Abb.: Wirkungsmodell KoKoRu

2  Das Konzept: Das Thema »Partnerschaft, Ehe und Familie« an der Fachoberschule Für die Themenwahl »Partnerschaft, Ehe und Familie« sprachen mehrere Gründe. In konfessioneller Hinsicht finden sich sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede, die auf theologische Grundentscheidungen zurückverweisen. Zudem haben sich die Kirchen in den vergangenen Jahren mehrfach zu Fragen von Partnerschaft, Ehe und Familie geäußert. Nicht zuletzt überzeugte das Thema durch seinen lebensweltlichen Bezug. Wegen seiner persönlichen Bedeutung wurde der Ansatz des biografischen Lernens als didaktisches Prinzip gewählt, methodisch unterstützt durch Portfolioarbeit. Damit wurde der Schwerpunkt auf die persönliche Reflexion gelegt. Untermauert wurde dies durch theoretische Inhalte ebenso wie durch die Begegnung mit biblischen Biografien und gegenwärtigen realen Lebensentwürfen. Folgende Subthemen waren Bestandteil der Einheit: 268

Barbara Pühl

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Konfessioneller Stammbaum Traumhochzeit Ehe und Familie in der Bibel Eheverständnisse der beiden Kirchen und Lebenskonsequenzen Fremde Biografien (ein Jesuit und eine evangelische Pfarrerin) Kirchliche Trauagenden

Das Projekt an der Fachoberschule kann als sehr ehrgeizig bezeichnet werden. Es sollte bereits im ersten Durchlauf parallel in allen 12. Klassen (fünf Klassen) durchgeführt werden. Um dies zu verwirklichen, war es unabdingbar, dass nicht nur der Träger, sondern auch die Schulleitung das Projekt unterstützten. Dies erfolgte beispielsweise dadurch, dass die beteiligten Lehrkräfte gemeinsame unterrichtsfreie Zeitfenster hatten, in welchen sie planen, vorbereiten und Absprachen treffen konnten. Für zentrale Einheiten wurden Stundenpläne verschoben und die notwendigen Räumlichkeiten organisiert. Die Unterrichtsstunden (Doppelstunden) fanden überwiegend konfessionell gemischt und in Anwesenheit der beiden Religionslehrkräfte statt. Nach Konfessionen getrennt wurden die Schüler*innen lediglich, als es um die Einführung in das evangelische bzw. katholische Eheverständnis ging. Der anschließende Austausch brachte sodann die konfessionellen Unterschiede auf mehreren Ebenen zutage. Die Schüler*innen erkannten, dass die Ehe nach katholischem Verständnis ein Sakrament und nach evangelischem ein »weltlich Ding« ist. Sie bemerkten, dass die katholische Argumentation von der kirchlichen Lehrmeinung abgeleitet wurde, während die evangelische bei den biblischen Befunden ansetzte. Auf diese Weise begannen sich die Schüler*innen mit theologischen Grundfragen zu befassen. Etliche Schüler*innen erwähnten in ihren Portfolios, dass sie bis dato der Ansicht gewesen seien, dass es keinen Unterschied mache, ob man evangelisch oder katholisch heiraten würde.

3  Erfahrungen: Ermöglichung bewusster Positionierungen Die größte Schwierigkeit bei der Durchführung des Projekts bestand darin, die Parallelität in den unterschiedlichen Klassen zu gewährleisten. Aufgrund anderer schulischer Termine stand den Klassen eine ungleiche Zahl an Unterrichtsstunden zur Verfügung. Zudem zeigte sich, dass jegliche Abweichung von den Absprachen zur Aufgabenstellung und zum Erwartungshorizont zu Verwirrung und Aufregung unter den Schüler*innen führte. Meist ließ sich das schnell klären, doch es wurde deutlich, wie wichtig detailgetreue Planung »Partnerschaft, Ehe und Familie«

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und Verlässlichkeit unter Kolleg*innen sind, damit ein solches Großprojekt gelingen kann. Trotz mancher Unstimmigkeiten und vorausgegangener Anfragen an das Projekt wurde es von der Mehrheit der Schüler*innen als positiv und horizonterweiternd bewertet. Eindrücklich war zudem, dass ein Großteil erklärte, sich in der bisherigen Konfessionszugehörigkeit bestätigt und bestärkt zu sehen. Die Evaluation konnte zeigen, dass durch das Projekt eine bisher nicht erfolgte Auseinandersetzung mit theologischen bzw. konfessionellen Fragen stattgefunden hatte, die eine neue und bewusste persönliche Positionierung ermöglichte. Bereits nach dem ersten Projektjahr wurden kleinere Änderungen vorgenommen – beispielsweise wurde der biblische Bezug stärker hervorgehoben, aber das Lerntagebuch, das die Schüler*innen beim ersten Durchlauf zusätzlich geführt hatten, erlassen. Inzwischen ist das gesamte Projekt evaluiert und offiziell abgeschlossen. An der Fachoberschule ist es nun fester Bestandteil des Religionsunterrichts der 12. Klassen.

4  Reflexion: großes Potenzial bei vorhandenen Ressourcen Aus meiner Sicht hat sich die konfessionelle Kooperation und speziell für die Altersgruppe das Thema sehr bewährt. Die große Stärke liegt in der Tat in seinem Bezug zur Lebenswelt und zu persönlichen und gesellschaftlichen Fragen, die auch für Jugendliche im Alter zwischen 17 und 19 Jahren relevant sind. Ohne Schwierigkeiten ließe es sich um weitere Aspekte wie gleichgeschlechtliche Partnerschaften oder Transgender erweitern. Wenn solche Fragen zur Auseinandersetzung mit dem Sakramentsverständnis der Konfessionen führen, ist die Förderung von ökumenischer Differenzkompetenz und kommunikativer Kompetenz fast automatisch gegeben. Praktisch haben die Erfahrungen gezeigt, dass solche Projekte aber auch entsprechende Ressourcen brauchen. Im Kleinen – in der Teamarbeit zweier Lehrkräfte – lässt sich eine Kooperation mit wenig Mehraufwand im Vergleich zur sonstigen Unterrichtsvorbereitung verwirklichen. Für alle größeren Projekte bedarf es jedoch sowohl ideeller und inhaltlicher als auch struktureller Unterstützung. Ist dies gegeben, birgt die konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht viel Potenzial – für die Lehrkräfte ebenso wie für die Schüler*innen.

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Barbara Pühl

Judentum begreifen – ein dialogisches interreligiöses Konzept für alle Schulformen in Osnabrück Heide Rosenow

1  Der Kontext: Fehlender Erfahrungshorizont »Haben Sie denn schon einmal einen Juden oder eine Jüdin kennengelernt?« – fast alle Studierenden des Seminars »Judentum begreifen« an der Universität Osnabrück verneinen bedauernd meine Frage (Naurath/Rosenow, 2011, S. 118). Seit mehr als 10 Jahren gibt es das mit großem Erfolg praktizierte religionspädagogische Konzept, das zum Teil in Zusammenarbeit mit Studierenden der Evangelischen Theologie der Universität Augsburg als Kooperationsprojekt der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e. V. Osnabrück mit jüdischen Glaubenden (Inessa Goldman und Alexander Ginsburg) durchgeführt wird. Schüler*innen aller Altersgruppen soll im Dialog und damit durch die Begegnung mit jüdischen Gläubigen ein Kennenlernen der jüdischen Religion an einem Projekttag in der Schule ermöglicht werden.

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2  Das Konzept: Authentische Begegnung Der Projekttag »Judentum begreifen« befasst sich in seinem Kern mit der jüdischen Festsymbolik. Im Zentrum des Schultages steht die Begegnung mit jüdischen Gläubigen, die mit den Schüler*innen über die Themen Jüdische Festtage, -rituale und -gegenstände sprechen, diese zeigen und vorstellen, indem sie sie in Ansätzen performativ anwenden und die Bedeutung der Symbolik verständlich machen. In dieser Unterrichtssequenz treten die Schüler*innen mit den Menschen jüdischen Glaubens authentisch in einen Dialog, in dem sie auch Fragen oder Wünsche an sie richten können. Es gibt für die Kinder bzw. für die Jugendlichen viel zu bestaunen, zu riechen, zu fühlen, zu schmecken, auszuprobieren: so dürfen sie das Widderhorn (Schofar) blasen, den Tallit umhängen, den Gebetsriemen anlegen, die Schabbatkerzen anzünden, Matzen schmecken, aus dem Kiddusch-Becher trinken, mit dem Yad (Hand aus Metall) die Torarolle berühren, die theologisch-traditionellen Hintergründe der Menora oder des Pessachtellers entdecken.

3  Erfahrungen: Vielfältige Zugänge Wichtig ist es, zunächst das Interesse der Schüler*innen für diesen Themenbereich zu wecken: Anhand des Dokumentarfilmes »Was glaubt man, wenn man jüdisch ist?« aus der bekannten Fernsehreihe »Willi will’s wissen« von Ralph Wege lernen die Schüler*innen beispielhaft jüdische Feste kennen. Hier geht es um »Willis« Teilnahme an der Vorbereitung und Durchführung einer »Bar-Mizwa-Feier« in einer jüdischen Familie. Im Ablauf werden nach einer Vertiefungsphase im Unterrichtsgespräch zu den Fragen der Kinder – wie oben beschrieben – die Festgegenstände gezeigt und mit Erklärungen zu den jeweiligen theologischen Hintergründen des Festkalenders illustriert. Ergänzt wird der Projekttag durch verschiedene Workshop-Angebote, die zur jeweiligen Alterszielgruppe passend ausgewählt werden: Der Anspruch, mit allen Sinnen das »Judentum begreifen« zu dürfen, soll – nach entsprechenden kurzen Informationen – insbesondere in Workshops durch praktische Aktivitäten für die Schüler*innen erfüllt werden, z. B. in einem Workshop mit jüdischer Musik und Tanz wie »Nigun atik« (Israelischer Folk Tanz). Für die Grundschule eignet sich weiterhin das »Dreidl drehen«, eine Art Würfelspiel mit Einsatz von kleinen Süßigkeiten. Der Dreidl zeigt hebräische Buchstaben, die erklärt werden und mit der Spiel-Bedeutung z. B. »Alles nehmen« zum Einsatz kommen. Die Kinder spielen das Spiel am Chanukkafest (Lichterfest) zur Erinnerung an die Wiederein272

Heide Rosenow

weihung des Zweiten Tempels im Jahr 164 v. Chr. Gern fertigen die Schulkinder in einem weiteren Workshop ein eigenes Lesezeichen mit ausgewählter jüdischer Symbolik wie einer Synagoge oder einem Davidstern an. Eventuell können auch Symbole der eigenen Religion ergänzt werden. Der Workshop ist bewusst offen für die Kinder angelegt, um ihnen den Raum zu geben, Gelerntes kreativ zu verarbeiten und Dialogisches anzubahnen. Der Siebenarmige Leuchter (Menora) und eine kurze Einführung in das Schreiben von hebräischen Buchstaben anhand des eigenen Vornamens stehen im Mittelpunkt eines weiteren Workshops. Dazu hören die Schüler*innen zunächst über die Bedeutung des Chanukkafestes, in dessen Zentrum die Menora steht. Sie gestalten anschließend auf einem Malblatt ihre eigene Menora, unter Anleitung sowie mithilfe einer Schablone schreiben die Schüler*innen dann ergänzend auf das Malblatt in hebräischen Buchstaben ihren Vornamen. Ein Highlight für eine ausgewählte kleine Gruppe bedeutet es, ein Gebäck, das anlässlich des Purimfestes, dem jüdischen Maskenfest, gegessen wird, in der Schulküche vorzubereiten. Schmackhaft und somit beliebt sind die Hamantaschen, die Marmelade, Rosinen, Nüsse und andere Leckereien enthalten. Auch, für 9- bis 12-jährige Schüler*innen geeignet, werden in einem Workshop Masken gemalt und gebastelt, die an Purim, das Fest der Freude über die Rettung der persischen Jüdinnen und Juden durch die Königin Esther im Persischen Reich im 5. Jh. v. Chr., erinnern sollen. Für ältere Schüler*innen der Mittelstufe wurde ein Quiz entwickelt, das in Anlehnung an das Prinzip des Spiels »Wer wird Millionär?« verläuft. Es bietet die Möglichkeit, angeeignetes Wissen und erweiternde Informationen über das Judentum spielerisch zu fes­ tigen und zu überprüfen. Ergänzend zu den Workshops, die das Judentum insbesondere anhand der ausgewählten Feste lebendig werden lassen, ermöglicht ein weiterer Workshop durch die Begegnung mit einem Zeitzeugen bzw. einer Zeitzeugin über deren Biografie ins Gespräch zu kommen. In der Praxis des Projekttages war zunehmend deutlich geworden, dass die Ausklammerung des Themas Holocaust als wesentlicher Bestandteil der deutschen Geschichte nicht überzeugend ist. Wichtig ist hierbei, dass die Schüler*innen mit Blick auf dieses Gespräch vorbereitet werden. Diese Reflexionsebene ist durchaus auch schon in der 4. Klasse der Grundschule möglich und sinnvoll. Die Erfahrung mit den Kindern zeigt, dass deren Fragen über die Zeitzeugin Erna de Vries in einen weiteren Rahmen gestellt werden konnten: Hinweise zu Anne Frank, dem Projekt Stolpersteine, das Felix-Nußbaum-­ Museum in Osnabrück, die regionale und darüber hinausgehende Verfolgung der Juden. Hierbei ist es sehr wichtig, darauf zu achten, dass die Begegnung mit der Zeitzeugin Erna de Vries im 4. Schuljahr im Kreisgespräch sehr mitfühlend Judentum begreifen

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und behutsam stattfindet. Die Kinder waren stets neugierig, über das Leben der Zeitzeugin mehr zu erfahren und stellten ihr direkte Fragen z. B. über die eintätowierte Zahl in ihrem Arm. Da die Zeitzeugin inzwischen ein sehr hohes Alter erreicht hat, sollen zukünftig »Zweitzeugen« zu Wort kommen. Der Verein Heimatsucher e. V. zeigt dazu Möglichkeiten auf, die sehr gewinnbringend eingesetzt werden können. Den Abschluss des Projekttages bildet ein Puppenspiel über die jüdische Geschichte nach dem Buch Esther. Die Handlung wurde von den Lehramtsstudierenden des Faches Ev. Religion der Universität Osnabrück kindgerecht aufbereitet und mit den Rollen der Königin Esther, der Königin Waschti, dem persischen König Ahasveros, dem Vertrauten des Königs Haman und Esthers Vetter Mordechai besetzt und gespielt. Das Puppenspiel bereitet den Schüler*innen großes Vergnügen, da sie mit Rasseln in der Hand bei dem Namen des bösen Haman »Krach machen« dürfen. Der Schultag wird abgerundet mit Fragen der Schüler*innen an die vertraut gewordenen Gäste, mit dem gemeinsamen Lied und Tanz und mit einem kleinen, in Öl gebackenem Gebäck (z. B. Berliner) für alle teilnehmenden Kinder bzw. Jugendlichen – gemäß dem Brauch an Chanukka.

4  Reflexion: Abbau von Fremdheitsgefühlen Seit mehr als 10 Jahren gibt es das mit großem Erfolg praktizierte religionspädagogische Konzept, das im Dialog und damit durch die Begegnung mit jüdischen Gläubigen Schüler*innen aller Altersgruppen ein Kennenlernen der jüdischen Religion an einem Vormittag in der Schule ermöglicht. Der Projekttag »Judentum begreifen« wird von dem Verein »Judentum begreifen e. V.« auf Anfrage an allen Schulformen durchgeführt. Inzwischen gibt es zahlreiche Kooperationsverträge zwischen den Durchführenden und einigen Schulen in und um Osnabrück, die auch die Religionslehrkräfte kon­ struktiv einbeziehen. Erfreulich ist es, zu beobachten, wie nachhaltig dieses Beispiel interreligiösen Lernens bei Schüler*innen und auch bei den begleitenden Lehrkräften wirkt. Nicht selten weckt es den Wunsch nach einem stärker interreligiös ausgerichteten Unterricht. Neben dem Kennenlernen und Verstehen der jüdischen Religion geht es hierbei um die Begegnung mit gläubigen Jüdinnen und Juden und um den Abbau von Fremdheitsgefühlen anhand des Gesprächs und des Lernens mit allen Sinnen. Infolge beinhaltet das Konzept auch einen wichtigen Baustein der Friedenserziehung. 274

Heide Rosenow

Literatur zum Weiterlesen Naurath, E./Rosenow, H. (2011): ›Judentum begreifen‹ – Ein dialogisches Konzept zum interreligiösen Lernen in der Grundschule. Loccumer Pelikan, 3, S. 118–121. Naurath, E. (2015): Judentum heute – Mit Grundschulkindern ins Gespräch kommen. Katechetische Blätter, 140 (2), S. 108–112.

Judentum begreifen

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Interreligiöse Begegnung – ein christlich-muslimisches Projekt in der vierten Klasse der Keilberthschule in München Selcen Güzel

Mittwoch, 3. Stunde

Die Türen des Religionszimmers stehen weit offen. Schüler*innen der vierten Jahrgangsstufe haben Handzettel und Mappen in der Hand. »Wo bist du?«, »Sind wir zusammen?« ertönt es in den Fluren. Ein Vorbereiten und Zusammenpacken ist in Gang. Viele Schüler*innen verlassen ihr Klassenzimmer oder sind auf der Suche nach einem anderen. Nach etwa fünf Minuten haben alle ihren Zielort gefunden. Die Türen der Klassenzimmer schließen sich, es kehrt endlich Ruhe ein. »Assalamu Aleykum« begrüßt die Islamlehrerin ihre Klasse. Es sind heute zur Hälfte Schüler*innen des Islamunterrichts und zur anderen Hälfte Gastschüler*innen aus den anderen Konfessionen sowie der Ethikklasse anwesend. Zeitgleich wird die andere Hälfte der jeweiligen Gruppen von den christlichen Religionslehrkräften unterrichtet. In der Keilberthschule in München wird seit vielen Jahren eine interreligiöse Tradition gepflegt: das christlich-muslimische Begegnungsprojekt »Ich glaube – Was glaubst du?«. Alle Schüler*innen der vierten Jahrgangsstufe nehmen an diesem religionsübergreifenden Projekt teil.

1  Der Kontext: Begegnungen initiieren Religionslehrkräfte der Keilberthschule haben ein christlich-muslimisches Begegnungsprojekt ins Leben gerufen, um die interreligiöse Kompetenz der Viertklässler*innen ihrer Schule bewusst zu fördern (Projektkonzeption: Frau Hanna Bogdahn, Barbara Hofmann, Kati Windeck, Selcen Güzel und weitere Kolleg*innen aus der Keilberthschule). Das Projekt hat das Ziel, gegenseitigen Respekt und Verständnis füreinander nicht nur zu fordern, sondern auch aktiv zu fördern. Dabei stehen der direkte Erfahrungsaustausch und der begegnungsorientierte Dialog im Zentrum, indem es ein »Empfangen und Geben, ein Hören und Antworten, ein tieferes Verstehen des Glaubens und der Religion des anderen« (Leimgruber, 2007, S. 21) gibt. 276

Die authentische interreligiöse Begegnung sowie die bewusste Auseinandersetzung mit Mitschüler*innen aus anderen Religionsgemeinschaften auf Augenhöhe sollen die Kinder ermutigen und darin unterstützen, bestehende oder entstehende Vorurteile abzubauen, miteinander ins Gespräch zu kommen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennen und mehr Verständnis füreinander entwickeln zu können.

2  Das Konzept: Projektskizze Einheit

Zeit: Wst

Form/Lernort

Methode/Inhalt

Durchführung/Gestaltung

1. Einführung

1

–– konfessionell getrennt –– Schule

–– Menschen suchen Gott

–– Einführung in das Thema: Gott – Menschen suchen Antworten in verschiedenen Religionen

2. Einführung in das Projekt

2

–– konfessionell getrennt –– Schule

–– Umfragebogen –– Grundwissen

–– Erfassen des Vorwissens/ Erwartungen/Wünsche der SuS; Mögliche Fragen: a) W  as weißt du über Islam/ Christentum? b) Nenne drei wichtige Inhalte zum Islam/Christentum, die du kennst. c) Was ist dir das Wichtigste an deiner Religion für dich und dein Leben? –– Erstellen von Informationsplakaten –– Hefteintrag zum Projekt

3. Miteinander und voneinander lernen

4

–– gemeinsam –– Schule

Mögliche Themeninhalte –– Islam: Beten/ Muhammad/ Säulen des Islam –– Christentum: Beten/Jesus als Mittelpunkt des Glaubens/ Grundlagen

–– Teilung der Religionsklassen –– Jede Lehrkraft hat für eine Doppel­stunde zur Hälfte ihre eigenen SuS und zur anderen Hälfte SuS der anderen Konfession/Religion. In der Folgestunde werden die Gruppen wieder getauscht. –– Einheiten: a) Lehrkraft führt die Gruppen jeweils in die eigene Religion ein. b) SuS sollen Grundlagen und Informationen von Mitschüler*innen erfahren und Fragen, die sie persönlich interessieren, stellen können. Hierbei sollte die Lehrkraft die Rolle eines Moderators übernehmen.

Interreligiöse Begegnung

277

Einheit

Zeit: Wst

Form/Lernort

Methode/Inhalt

Durchführung/Gestaltung

4. Weiterarbeit/ Vertiefung

1

–– konfessionell getrennt –– Schule

Vertiefung des Gelernten

–– Weiterarbeit/Vertiefung des bisher Gelernten –– Vorbereitung der Moschee-/ Kirchenführung –– Möglichkeit der Reflexion –– Vorbereitung von Fragen für die Besuche

5. Besuch einer Kirche

2

–– gemeinsam –– Kirche

Kennenlernen christlicher Gebräuche/Symbole/ Formen

–– Begrüßung (Kirchenvertreter) –– christliche SuS stellen die Kirche an Stationen vor

6. Besuch einer Moschee

2

–– gemeinsam –– Moschee

Kennenlernen mus­limischer Gebräuche/Symbole/ Ausdrucksformen

–– Begrüßung (Moscheevertreter) –– muslimische SuS stellen die Moschee an Stationen vor

7. Abschluss- und Auswertung

2

–– beides möglich –– Schule

–– Zusammenfassung von Zielen/ Eindrücken

–– Reflexion: Was hat dir gut gefallen? Was fandest du nicht so gut? Was hast du neu gelernt? Hast du noch weitere Fragen? –– gemeinsame Gedanken/Hoffnungen/Wünsche/Gebete/ Lieder –– Möglichkeiten der Gestaltung: a) Klassenfest b) Plakatausstellung c) Gemeinsames Gebet

Die Projekteinheiten werden in den Religions- bzw. Ethikstunden erarbeitet. Zwischen Ostern und Sommerferien hat das Projekt an der Schule seine Tradition gefunden. Nach einer mehrjährigen Erprobung wurde aus zeitlichen und organisatorischen Gründen beim kooperativen Lernen von einer konfessionellen Trennung sowohl im christlichen als auch im muslimischen Bereich abgesehen. Allerdings wird das Thema »Konfessionen und Vielfalt innerhalb der Religionen« insbesondere während der Vertiefungseinheiten erarbeitet. Der Zusammenhalt und das Einhalten getroffener Absprachen im Organisa­ tionsteam des Projekts ist sehr wichtig, da davon die Qualität des Projekts abhängig ist. In der Regel besteht das Team aus den Religionslehrkräften und der Ethiklehrkraft der vierten Jahrgangsstufe. Die Vorbereitungen der jeweiligen Projektblöcke sind wie Unterrichtseinheiten von jeder Lehrkraft selbstständig zu planen. Arbeitsblätter zu den jeweiligen Einheiten sowie Unterrichtsmaterial sind frei wählbar (Kopiervorlagen etwa bei Brüll/Ittmann/Maschwitz/Stopping, 2005). Elternbriefe sollten nur informieren und nicht die Option aufweisen, dass einzelne Kinder nicht teilnehmen müssen. Falls eine Familie mit der Teilnahme 278

Selcen Güzel

des eigenen Kindes nicht einverstanden wäre, sollten sie vorher die Schule darüber informieren. In der Vorbereitungseinheit vor dem Moschee- und Kirchenbesuch werden die Schüler*innen auf die Verhaltensregeln und Kleidervorschriften der jeweiligen Einrichtung aufmerksam gemacht, damit es keine religionssensiblen Konflikte während der Besuche gibt.

3  Erfahrungen: Bedeutung von Begegnung und Dialog Eine Herausforderung während der Projektphase war, dass es einige Eltern gab, die Kritik an dem Projekt äußerten. Deren Sorgen, dass die Religionen eventuell nur einseitig dargestellt werden oder ihre Kinder durch die direkte Begegnung mit den Religionen »überfremdet« werden könnten, wurde insofern begegnet als diese Eltern aktiv zur Teilnahme eingeladen bzw. zur inhaltlichen Vorgehensweise informiert wurden. Das Projekt ist so konzipiert, dass es darauf abzielt, stufenweise zu einem interreligiösen Basiswissen zu führen. Nachdem Schüler*innen in den ersten drei Schuljahren ein Grundwissen in ihrer eigenen Religion (oder im Ethikunterricht ein allgemeines Basiswissen) erlangt haben, sollen sie sich dieser soweit bewusst geworden sein, dass sie einige Grundlagen Mitschüler*innen einer fremden Religion bzw. Weltanschauung darstellen und erklären können. Hierbei soll nicht nur das Wissen über die andere Religion gestärkt werden, sondern die Steigerung der interreligiösen Kompetenz steht im Mittelpunkt. Durch das aktive Mitgestalten bekommen die Kinder die Möglichkeit, Themen, die sie persönlich interessieren, zu vertiefen, indem sie Mitschüler*innen selbständig befragen können – sowohl in der Rolle einer Akteurin oder eines Akteurs als auch in der eines Beobachters oder einer Beobachterin. Das stärkere Verständnis füreinander drückt sich in differenzierten Aussagen der Schüler*innen nach einem Moschee- und Kirchenbesuch wie folgt aus: »Ich fand es lustig, dass man sich vor dem Beten die Füße am Waschbecken waschen muss.« (kath.) »Ich habe gelernt, dass die Muslime auch an Moses und Jesus und Maria glauben. Das wusste ich nicht.« (ev.) »Ich wusste nicht, dass die so eine große und laute Orgel haben und Statuen von Maria haben. Die haben auch so Ketten wie wir.« (musl.) Interreligiöse Begegnung

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»Ich wusste nicht, dass Ahmet (Name geändert) aus meiner Klasse so gut Koran lesen kann. Der kann alles auswendig lesen!« (Ethik) Durch ein gemeinsames »Erleben« der religiösen Rituale (wie beten, singen) können sich Schüler*innen gegenseitig nicht nur auf mentaler Ebene besser verstehen, sondern auch emotional. Ein Ahmet, der vielleicht nicht so gut in Deutsch oder anderen Fächern ist, kann endlich mal zeigen, wie gut er darin ist, den Koran zu rezitieren. Seine Mitschüler*innen und Lehrkräfte bekommen einen Einblick in die religiöse Lebenswirklichkeit anderer Religionen/Konfessionen. Dies hat nicht selten eine erhöhte Wertschätzung zur Folge. Auch die Begegnung mit Ängsten vor dem Fremden und Sorge um eine Störung des Vertrauten spielen eine zentrale Rolle (Fuchs, 2001).

4  Reflexion: Bereicherung durch dialogisches Lernen Im Projekt »Ich glaube – Was glaubst du?« steht ein begegnungsorientiertes interreligiöses Lernen im Vordergrund. Diese große Bereicherung, die sich durch die gemeinsame dialogische Lernerfahrung dem Kind eröffnen kann, ist ein unersetzbares großes Geschenk auf dem Weg zur weiterführenden Schule. Denn wer Gemeinsamkeiten und Unterschiede konkret erfahren lernt, kann auch die eigene Religion/Konfession besser verstehen und wertschätzen lernen. Dies wiederum ist in einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft die Basis für mehr Respekt und ein besseres Verständnis füreinander. Literatur zum Weiterlesen Brüll, C./Ittmann, N./Maschwitz, R./Stopping, C. (Hg) (2005): Synagoge – Kirche – Moschee. Kulturräume erfahren und Religionen entdecken. München: Kösel. Leimgruber, S. (2007): Interreligiöses Lernen. München: Kösel. Fuchs, B. (2001): Eigener Glaube – Fremder Glaube. Reflexionen zu einer Theologie der Begegnung in einer Pluralistischen Gesellschaft. Münster: LIT Verlag.

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Selcen Güzel

Schüler*innen begegnen den abrahamischen Religionen – ein interreligiöses Unterrichtsprojekt der Martin-Buber-Schule in Groß-Gerau Ursula Alflen/Lisa Schätzlein

1  Der Kontext: Konflikte durch Vorurteile Die durch den jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber angeregte und durch die gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen bedingte Begegnung der Religionen ist der Ausgangspunkt für das Projekt »Schüler und Schülerinnen begegnen den abrahamischen Religionen – ein interreligiöses Unterrichtsprojekt der Martin-Buber-Schule in Groß-Gerau«. Die Idee, zu diesem Thema mit den Schüler*innen zu arbeiten, entstand im Schuljahr 2004/2005 im Religionsunterricht des 10. Jahrgangs der Integrierten Gesamtschule. Die Ausgangssituation für das Projekt kann wie folgt skizziert werden: Die Jugendlichen bringen ihre unterschiedliche ethnische, kulturelle und religiöse Herkunft ins Schulleben ein. Dabei wird die gegenseitige Akzeptanz allerdings oft durch Vorurteile erschwert. Es kommt zu Konflikten, die nicht selten religiös motiviert sind und deutlich machen, dass die Schüler*innen wenig über die gemeinsamen Wurzeln ihrer Religionen wissen. Der faire und tolerante Austausch im Gespräch als Voraussetzung für einen echten Dialog ist oftmals schwierig oder unmöglich.

2  Das Konzept: Sechs Schritte auf dem Weg zu Achtung und Toleranz Ziel des Projektes ist die Förderung von Achtung und Toleranz sowie die Dialogkompetenz der Schüler*innen. Dies soll durch die Vermittlung von Grundwissen über die abrahamischen Religionen in der ersten Projektphase, durch authentische Begegnungen mit Religionsvertreter*innen (Besuch der Gotteshäuser), die Reflexion von Problem- oder Fragestellungen im Hinblick auf das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher religiöser Herkunft und das Erarbeiten von Regeln für einen guten Dialog geschehen. Den Abschluss bildet ein Projekttag, an dem die Ergebnisse der Projektarbeit mit einem abrahamischen Team des »Abrahamischen Forums in Deutschland e. V.« mit Sitz in Darmstadt erörtert werden. 281

Zeitlich umfasst das Projekt zwölf bis vierzehn Doppelstunden im ersten Halbjahr der 10. Jahrgangsstufe. Es bezieht sich auf den evangelischen und katholischen Religionsunterricht sowie auf das Fach Ethik. Ungefähr die Hälfte der Stundenzahl findet im nach Kursen getrennten Fachunterricht statt. In den anderen Stunden wird kursübergreifend gearbeitet. Ein Portfolio, welches die Lernenden während der gesamten Zeit führen, dient der Dokumentation des individuellen Lernprozesses. Der Einstieg in das Projekt beginnt für die Schüler*innen mit einer gemeinsamen Auftaktveranstaltung in der Aula. Der Schulleiter nutzt diese Möglichkeit, um die Bedeutung dieses Projektes hervorzuheben. Zudem erhalten die Schüler*innen von der Projektleitung einen Überblick über den Ablauf. Dieser besteht aus folgenden Bausteinen: Baustein 1: Abraham – Wurzel der drei monotheistischen Weltreligionen

In diesem Baustein geht es darum, die Bedeutung von Abraham als gemeinsame Wurzel der Religionen Judentum, Christentum und Islam für den interreligiösen Dialog zu verdeutlichen. Dabei wird auf ausgewählte Textstellen der Heiligen Schriften zurückgegriffen. Baustein 2: Basiswissen zu den Religionen

Die Lernenden erschließen sich in diesem Arbeitsschritt die grundlegenden Glaubensinhalte der einzelnen Religionen – die Frage nach Jesus und Muhammad, nach Bibel und Koran, nach Gebetspraxen und religiösen Festen – in Form von Internetrecherchen, Textarbeit und arbeitsteiliger Gruppenarbeit. Hierbei wird Bezug auf bereits vorhandenes Wissen und spezifische Fragen der Lerngruppen genommen. Ergänzend zur Thematisierung der Religionen wird auch der Frage nachgegangen, wie ein Leben ohne Gott aussieht. Hierdurch soll erreicht werden, dass religiöse Schüler*innen und die Lernenden ohne Bekenntnis in einen respektvollen und toleranten Dialog miteinander treten können. Dieses Basiswissen zu den Religionen ist die Grundlage für die Lernkontrolle im ersten Halbjahr. Baustein 3: Exkursion zu den Gotteshäusern

Ein Besuch aller drei Gotteshäuser ist ein zentrales Element des Projekts. Hierbei sollen die Lernenden die religiösen Räume kennenlernen und mit Expert*innen ins Gespräch kommen. Baustein 4: Regeln für einen guten Dialog

Bevor die Lernenden in der kommenden Projektphase verstärkt in den Dialog miteinander treten, werden gemeinsam Regeln für einen fairen Dialog erarbeitet. 282

Ursula Alflen/Lisa Schätzlein

Baustein 5: Vertiefende Frage-/Problemstellung mit Alltagsbezug

Das Wissen über die Religionen und die Erfahrungen, welche die Schüler*innen während der bisherigen Projektphase sammeln konnten, werden nun in die Alltagswelt der Lernenden übertragen. Wann begegnen sich Menschen unterschiedlicher Religionen und welche Chancen können sich daraus ergeben? Welche Schwierigkeiten können auftreten und wie kann man diese beheben? Für diese Projektarbeitsphase bilden die Schüler*innen kursübergreifende Gruppen. Dabei sollten möglichst Lernende mit verschiedenen Religionen und Weltanschauungen zusammenkommen. Dadurch haben die Schüler*innen die Möglichkeit, während ihrer Arbeitsphase in den Dialog zu treten und von dem Expert*innenwissen ihrer Mitschüler*innen zu profitieren. In dieser Phase sind die neu zusammengesetzten kursübergreifenden Arbeitsgruppen jeweils einer Lehrkraft zugeordnet. Die Lernenden formulieren und wählen eine für sie relevante Frage- oder Problemstellung, der sie sich intensiv widmen und erstellen dazu eine Präsentation in Form eines Kurzfilms, eines Rollenspiels o. Ä. Baustein 6: Podiumsgespräch mit dem abrahamischen Team

Ausgewählte Ergebnisse der Gruppenarbeit werden an einem Projekttag einem abrahamischen Team des »Abrahamischen Forums in Deutschland e. V.« (www. abrahamisches-forum.de) vorgestellt und die dort aufgegriffenen Themen werden in einem Podiumsgespräch von den externen Vertreter*innen der Religionen erörtert. Ein wichtiger und beliebter Bestandteil des Projekttages ist das gemeinsame Essen mit Speisen aus den Kulturkreisen der abrahamischen Religionen. Hierfür bereitet ein Kochkurs des neunten Schuljahres ein Buffet vor.

3  Erfahrungen: Allmähliche Akzeptanz Das Projekt wurde im Kollegium anfangs durchaus skeptisch betrachtet – vor allem auch von den Fachlehrer*innen für Ethik. Sie beklagten ein Übergewicht religiöser Themen. Die Beschäftigung auch mit säkularen bzw. atheistischen Sichtweisen in Ergänzung zum Erwerb des Basiswissens über die Religionen wirkte hier überzeugend. Inzwischen ist das Projekt als wichtiger Teil des Schulprogramms akzeptiert. Es wird als wertvoll wahrgenommen, dass die Auseinandersetzung mit verschiedenen Religionen und Weltanschauungen fundiert stattfindet.

Schüler*innen begegnen den abrahamischen Religionen

283

4  Reflexion: Beitrag zum Weltfrieden Das Projekt wurde von Anfang an immer wieder auf der Grundlage der Rückmeldungen der Schüler*innen und Lehrkräfte überarbeitet und evaluiert. Auch zukünftig wird darauf nicht verzichtet werden. Insgesamt ist das Feedback sehr positiv. So schreibt etwa ein Schüler als persönliches Fazit: »Ich bin zum Entschluss gekommen, dass der interreligiöse Dialog uns alle – sowohl Schüler als auch Lehrer – weitergebildet hat. Wir haben sehr viel Neues erfahren und kennengelernt. Meiner Meinung nach sollte jeder Mensch dieser Erde am interreligiösen Dialog teilnehmen, denn dann wäre ich mir zu 100 % sicher, dass es den Weltfrieden gäbe, und ich nicht morgen früh aufstehe und lese, welchen weiteren Terrorangriff es auf der Welt gegeben hat.«

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Ursula Alflen/Lisa Schätzlein

»Wir! Unsere Klasse als Unternehmen« – ein interreligiöses Projekt an der Höheren Berufsfachschule in Düsseldorf Nicole Kuropka

1  Der Kontext: Religiös bedingte Spannungen im Klassenzimmer Im evangelischen Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen im großstädtischen Kontext (hier in NRW) bildet sich die multireligiöse und multikulturelle Entwicklung der Gesellschaft besonders eindrücklich in der Zusammensetzung der Klassengemeinschaft ab: Vor allem in den Klassen der Höheren Berufsfachschule (Höhere Handelsschule) findet sich bei den Schüler*innen nicht nur ein hoher Migrationshintergrund, sondern auch eine religiöse und weltanschauliche Diversität. Diese Vielfalt stellt eine enorme Herausforderung für die Herausbildung einer konstruktiven Klassengemeinschaft in einem vollzeitschulischen Bildungsgang dar, denn in den letzten Jahren zeigt sich, dass die Religionszugehörigkeit bzw. die Bekenntnislosigkeit zu einem bedeutenden Faktor der Gruppenbildung innerhalb des Klassenverbandes geworden ist: Die Beantwortung der Frage »Woran glaubst Du?« entscheidet maßgeblich über die Frage der Gruppenzugehörigkeit. Dadurch werden auch alltägliche Rollenbzw. Gruppenkonflikte über die Ebene der Religionszugehörigkeit ausgetragen: Klassenkonflikte werden mit Religionskonflikten vermischt. Deshalb steht gerade der Religionsunterricht vor der Herausforderung, religiöse Toleranz und respektvollen Umgang einzuüben. Die gruppendynamischen Konflikte im Klassenverband der Höheren Handelsschule (hier: Fachbereich Wirtschaft und Verwaltung), die über die Ebene der Religionszugehörigkeit ausgetragen werden, sind nicht nur im Religionsunterricht spürbar, sondern auch im fachkundlichen und allgemeinbildenden Unterricht. Wird dieses Problem nicht im Unterricht aufgegriffen, verlagert sich die Konfliktlösung auf den Pausenhof, was zu einer Verhärtung der (religiösen) Positionen führen kann. Aus doppeltem Grund sollte der Evangelische Religionsunterricht solche Prozesse aufgreifen: 1. Er ist offen für Schüler*innen aller Glaubenseinstellungen, weshalb an berufsbildenden Schulen oftmals Religionsunterricht im Klassenverband stattfindet. 2. Mit der Einführung des kompetenzorientierten 285

Bildungsplans sollen die allgemeinbildenden Fächer dazu beitragen, die interkulturellen Kompetenzen der Schüler*innen zu fördern und diese für die ethischen und religiösen Aspekte verantwortlichen Handelns in der Gesellschaft zu sensibilisieren (Bildungsplan zur Erprobung für die Bildungsgänge der Höheren Berufsfachschule. Bereich Wirtschaft und Verwaltung, 2013). Daher fokussieren die ersten beiden Anforderungssituationen des Unterrichts auf der Selbstreflexion und der Verständigung des eigenen Glaubens und der eigenen Biografie vor dem Hintergrund anderer und fremder Glaubenseinstellungen und Lebenswege, wobei dies im Kontext der Unternehmensführung (Handlungsfeld 1) bzw. der Personalentwicklung (Handlungsfeld 5) geschehen soll. (S. 24). Diese Grundkoordinaten führten zu der Idee, ein Projekt in der Unterstufe der Höheren Handelsschule zu Beginn der gemeinsamen zweijährigen Schulzeit zu starten, das sowohl den kaufmännischen Handlungsfeldern des Bildungsplans Rechnung trägt, als auch Selbstreflexion und Verständigung zur konstruktiven Bewältigung der Gruppenfindung ermöglicht.

2  Das Konzept: Wir! – Unsere Klasse als Unternehmen Die Grundidee des Projekts ist es, die kulturelle und religiöse Vielfalt der Schüler*innen als Chance zu begreifen, um deren Identitätsbildung zu fördern, dabei den Klassenverband zu stärken und ein positives Lernklima zu ermöglichen. Die Schüler*innen erhalten zu Beginn ihrer zweijährigen Schulzeit in den ersten acht Wochen des evangelischen Religionsunterrichts (mit wöchentlichen Doppelstunden) die Zeit, um sich über ihre kulturelle bzw. religiöse Identität auszutauschen und in ihrer Diversität zu einem kompetenten Klassenteam heranzuwachsen. Dabei wird die wirtschaftliche Grundstruktur eines Unternehmens als berufsspezifischer Anknüpfungspunkt genutzt, sodass die Klasse für ihre eigene »Geschäftsidee« (also z. B. erfolgreicher Schulabschluss) eine entsprechende »Unternehmenskultur« entwickelt, sich mit einem Leitbild versieht, sich strukturell organisiert und marketinggerecht präsentiert. Dafür benötigt die Lerngruppe im ersten Schritt Einsicht in die Notwendigkeit der zielorientierten Teamarbeit, im zweiten Schritt muss sie die Vielfältigkeit, die Kompetenzen und individuellen Besonderheiten ihrer Klassengemeinschaft als Chance wahrnehmen, um drittens ein konstruktives Miteinander im Klassenverband und der Schulgemeinschaft umsetzen zu können.

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Nicole Kuropka

2.1  Das »warming up« Für die Einstiegsübung erhalten die Schüler*innen in Zufallsgruppen eine begrenzte Anzahl an Materialien und müssen in kurzer Zeit einen möglichst hohen, stabilen und formschönen Turm bauen (»kooperativer Turmbau«, Klippert, 2012, S. 151). Die Auswertung der »Turmbauübung« reflektiert, wie die Schüler*innen die Zusammenarbeit erlebt haben und warum bestimmte Strategien erfolgsversprechend gewesen sind. Dieses »warming-up« schließt mit der Überlegung ab, was dieser Turmbau mit der bevorstehenden Schulzeit zu tun haben könnte. Hierbei werden oft Teamfähigkeit, Zielorientiertheit, Spaß, Kreativität, Zeitmanagement genannt. Nun wird das eigentliche Projekt vorgestellt und die Lerngruppe mit dem Szenario »Klasse als Unternehmen« bekannt gemacht. Dabei erfolgt zunächst eine Anbindung an die Betriebswirtschaftslehre (Unternehmenstypen, Geschäftsideen). Davon ausgehend setzen sich die Schüler*innen in Partnerarbeit mit der Frage auseinander: »Wenn Sie Ihre Klasse für die kommenden zwei Jahre als ein Unternehmen verstehen, welche Geschäftsidee würden Sie verfolgen? Welche Leistungen würde Ihre Klasse als Unternehmen erbringen?« Die Sammlung der Ergebnisse erfolgt im Plenum.

2.2  Die Arbeit in den Kleingruppen

»Wir! Unsere Klasse als Unternehmen«

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Nun beginnt die Hauptphase des Projekts. Die Lerngruppe teilt sich analog zu einem Unternehmen in Geschäftsführung, Betriebsrat, Personal- und Marketingabteilung ein. Jede Kleingruppe erhält eigene Ziele (siehe Schaubild), die jedoch jeweils mit dem »Gesamtunternehmen« abgestimmt werden müssen: Ȥ Die »Geschäftsführung« soll ein Leitbild für die Klasse erarbeiten, in dem sowohl die Schulregeln konstruktiv aufgenommen werden, als auch eine von der Lerngruppe getragene Netiquette (Regeln für eine angenehme Art der Kommunikation) erarbeitet wird. Außerdem sollen sie Methoden des Controllings (Einhaltung der Regeln, Umgang mit Konflikten) erarbeiten und die Zukunftskonferenz (siehe unten) vorbereiten. Ȥ Die »Personalabteilung« ist dafür zuständig, dass alle Posten (Klassensprecher*in, Klassenbuchführer*in, Kassenwart*in etc.) in der Klasse sinnvoll vergeben werden und eine Klassenliste, eine Personalkartei sowie ein Organigramm erstellt werden. Ȥ Der »Betriebsrat« ist für die Planung gemeinsamer Aktionen (Klassenfahrt, Wandertag), den Sitzplan, die Raumplanung und den Umgang mit sozialen Ereignissen (Geburtstage, religiöse Feiertage) zuständig. Ȥ Die »Marketingabteilung« repräsentiert die Klasse nach außen und muss entweder ein aussagekräftiges Werbeplakat oder einen Werbefilm mit einem Logo und Klassenmotto erstellen. Inhaltlich greifen diese Kleingruppen auf den betriebswirtschaftlichen Unterricht zurück, wobei das dort erworbene Wissen für das Szenario der »Klasse als Unternehmen« praktisch umgesetzt werden muss. Gruppendynamisch liegt die Herausforderung dieser Kleingruppenarbeit in der Koordination der Kleingruppenideen mit denen der Gesamtgruppe. Hier erhält die Lerngruppe den Raum zum gegenseitigen Kennenlernen, zum Austragen und der Klärung von Gruppenkonflikten und zur möglichst konstruktiven Auseinandersetzung miteinander. Das »Gesamtunternehmen« bringt die Schüler*innen dazu, ihre Auseinandersetzungen zielorientiert zu führen, weil andernfalls die gestellten Aufgaben nicht erfüllt werden können. Am Ende dieser Phase kennen sich die Schüler*innen besser, haben die für ihre Klasse grundlegenden Fragen der Kooperation und Interaktion geklärt und können sich als »Unternehmen« nach außen durch eine mediale Präsentation vorstellen. In dem nun folgenden Schritt sollen sich die Unterstufenklassen als Teil der gesamten Schulkultur verstehen, die Ergebnisse ihrer Projektarbeit in einer Konferenz den anderen Unterstufen präsentieren sowie mit der Bildungsgangleitung und der Schulleitung in einen Diskurs über die Schulkultur eintreten. 288

Nicole Kuropka

2.3  Die Unterstufenkonferenz Die Vorbereitung und Durchführung der Konferenz liegt in den Händen der Geschäftsführungen aller Unterstufen und zweier Moderator*innen (i. d. R. Lehrkräfte aus dem Bereich Evangelische Religion und Wirtschaft). In einem ersten Schritt präsentieren die Klassen ihre Ergebnisse (Logo, Motto, Leitbild, Werbevideo oder -plakat), vergleichen sich innerhalb ihrer Jahrgangsstufe und erhalten ein Feedback von der Bildungsgang- und Schulleitung. In einem zweiten Schritt werden die in den Klassen erarbeiteten Kritiken, Verbesserungsvorschläge und ‑wünsche zur Schulkultur vorgetragen und gemeinsam diskutiert. Nach einem Jahr sollte ein Treffen des Bildungsganges zur Evaluation der Teambildung in der Klasse und zu den angestoßenen Änderungsvorschlägen stattfinden.

3  Erfahrungen: Stärkung des Klassenverbandes Der Klassenverband wird in dieser Projektphase stark gefordert, da gruppendynamische Prozesse nun inhaltlich an zentralen Themen des Schulalltags ablesbar werden: Die Frage zur Entwicklung eines Sitzplanes und die Vereinbarung einer verbindlichen Netiquette bieten in der Regel großes Konfliktpotenzial, da sich darin ungelöste Konflikte deutlich widerspiegeln. Zudem sind ausnahmslos alle Schüler*innen gefordert, weil sie sich nicht aus diesem Projekt zurückziehen können. Die Aufgaben fordern immer eine Gemeinschaftslösung und betreffen jede*n. Besonders das Logo und das Werbevideo bergen dabei ein enormes Potenzial zur Identifikation der Schüler*innen mit ihrer Klasse. Für die erfolgreiche Durchführung dieses Projektes ist die Unterstützung durch die Bildungsgang- und Schulleitungen sowie durch die Klassen- bzw. Fachlehrer*innen notwendig. Nur in dieser Kooperation lässt sich das Projekt mit all seinen Aspekten sinnvoll durchführen.

4  Reflexion: Förderung von Toleranz Mit diesem Projekt zu Beginn der Unterstufe werden die Weichen für die zukünftige Zusammenarbeit im Hinblick auf Inhalte und Atmosphäre im Evangelischen Religionsunterricht gestellt. Zahlreiche Fragen über die im Klassenverband vertretenen Religionen werden im Verlauf des Projektes thematisiert und auch beantwortet; Vorurteile werden benannt und erkannt. Nach Abschluss des Projektes unterbleiben undifferenzierte und abwertende Bemerkungen über »Wir! Unsere Klasse als Unternehmen«

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Andersglaubende oder Nichtglaubende. Der respektvolle Dialog der Schüler*innen untereinander gelingt deutlich besser als zu Beginn des Projektes. Literatur zum Weiterlesen Bildungsplan zur Erprobung für die Bildungsgänge der Höheren Berufsfachschule. Bereich Wirtschaft und Verwaltung. Evangelische Religionslehre (2013): Amtsblatt des Ministeriums für Schule- und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, 8. Verfügbar unter: https://www.­berufsbildung. nrw.de/cms/bildungsgaenge-bildungsplaene/berufsfachschule-anlage-c/bildungsplne/­k ffwirtschaft-und-verwaltung.html [19.04.2018]. Klippert H. (2012): Teamentwicklung im Klassenraum. Übungsbausteine für den Unterricht (10. Aufl.). Weinheim/Basel: Beltz.

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Nicole Kuropka

Pongal, Schawuot und Erntedank – Gestaltung eines interreligiösen Kalenders am Peutinger-Gymnasium in Augsburg Micha Seyboth

1  Der Kontext: Lernen durch Gestalten An einem 24. Dezember wünschte mir einmal eine Muslimin ein »frohes Weihnachtsfest«. Meine Freude hat sich mit Unbehagen gemischt. Ich hatte wenig Ahnung, wann die muslimischen Feste gefeiert werden. Wie könnte ich ihr also meine guten Wünsche zum Ramadan erwidern? Heute weiß ich, wie sinnvoll es ist, einen interreligiösen Kalender zur Hand bzw. vor Augen zu haben. Natürlich gibt es solche Kalender zu kaufen. Ich möchte aber dazu ermutigen, mit Schüler*innen eigene interreligiöse Kalender zu entwickeln. Inzwischen haben wir am Peutinger-Gymnasium in Augsburg in verschiedenen Jahren vier Kalender »herausgebracht«. Sie wurden zu »Hinguckern« in Klassenzimmern, Wohnungen und Büros.

2  Das Konzept: Die Entstehung des Kalenders Die folgende Skizze des Projekts basiert vorrangig auf Erfahrungen in der Oberstufe eines Gymnasiums. Sie lässt sich anderen Jahrgangsstufen bzw. Schularten entsprechend anpassen. Meine ersten Kalender habe ich im evangelischen Religionsunterricht der 11. Klasse (G9) entwickeln lassen. Ziel war dabei, bereits Gelerntes aus verschiedenen Weltreligionen noch einmal zu vertiefen. Im G8 bietet sich dafür die 10. Jahrgangsstufe an (siehe z. B. Lehrplan des bayerischen Gymnasiums, Themenbereich »Religion und Religionen«). Naheliegend ist die Kooperation innerhalb der Fächergruppe (Religionslehre, Ethik o. Ä.). Das macht zwar die Organisation schwieriger, ist aber gewinnbringender, weil Schüler*innen verschiedener Konfessionen und Religionen in »gemischten« Gruppen zusammenarbeiten. Einmal hat sich auch die Kooperation mit dem Fach Wirtschaft/Recht ergeben, indem im Rahmen des Projektes JUNIOR unser Kalender sogar als »Firmenprodukt« vermarktet wurde. 291

Einen interreligiösen Kalender im Rahmen eines Projektseminars der neuen Oberstufe (G8) zu entwickeln, ist ideal. Ein Projektseminar mit Leitfach »Evangelische Religionslehre« darf von allen Schüler*innen der Oberstufe besucht werden, egal ob und welcher Konfession oder Religion sie angehören. Durch die Produktion eines gemeinsamen Kalenders können interreligiöse Kompetenzen konkrete praktische Anwendung finden. Erfahrungsgemäß werden sich Jugendliche in der Auseinandersetzung mit anderen Glaubensformen auch der eigenen Tradition (neu) bewusst. Weitere Ziele waren für mich, den regionalen Bezug hinsichtlich der gelebten Beispiele bzw. Möglichkeiten interreligiösen Dialogs vor Ort anschaulich zu machen. Auch sollte den Jugendlichen der Kontakt zu Vertreter*innen verschiedener Religionen und Konfessionen ermöglicht werden. Gleichsam nebenbei erwarben sie auch Kompetenzen in den Bereichen Layout und Marketing. Die Zeitplanung hängt von mehreren Fragen ab. Wird der Kalender in einer »normalen« Schulklasse oder in einem speziellen Oberstufenseminar erstellt? Wird er – je nach Auflagenhöhe – von einer Druckerei oder in »Eigenproduktion« vervielfältigt? Soll er die Form eines Jahres- oder Schuljahreskalenders haben? Die Herstellung eines Jahreskalenders erfordert es, möglichst Anfang November die Produktion abzuschließen. Nur so ist noch genügend Zeit, ihn rechtzeitig zum neuen Jahr verkaufen zu können. Ein Schuljahreskalender muss logischerweise in den letzten Wochen des »alten« Schuljahres fertig werden. Um andere Lerninhalte nicht zu vernachlässigen, kann man meist erst im Mai mit dem Projekt beginnen. Eine gute Zeitplanung ist umso wichtiger, wenn eine Druckerei involviert ist, mit der langfristige Absprachen getroffen werden müssen. Bewährt hat sich, 13 DIN-A4-Bögen waagrecht hintereinander zu legen und mit Spiralbindung oben zu fixieren. Eine Lochung unten ermöglicht es, den Kalender aufgeklappt aufzuhängen. Somit ergibt sich nach dem Umschlagen des Titelbildes eine Doppelseite: oben ein Thema bzw. Interview, unten das Kalendarium des Monats mit den Erklärungen zu den jeweiligen Festen. Auf die letzte Seite kommt ein Editorial mit Dank, Foto der Gruppe und Impressum. Die einfachere Variante ist, sieben DIN-A3-Bögen hintereinander zu legen und in der Mitte zu falten und zu klammern. Somit entsteht das gleiche Format wie oben beschrieben. Eine Möglichkeit wäre auch, ein Plakat z. B. im Format DIN A2 zu entwerfen. Der Vorteil ist, dass alle Monate und Feste auf einen Blick zu sehen sind. Allerdings bleibt wenig Platz für andere Informationen bzw. es muss alles in sehr kleiner Schrift dargestellt werden. Bestellbare Beispiele in Plakatform finden sich im Internet. In erster Linie geht es darum, über die Feste der Weltreligionen zu informieren. Dabei beschränkten wir uns der Übersichtlichkeit halber auf die fünf Welt292

Micha Seyboth

religionen Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus – und bei deren Festen auch nur auf die wichtigsten. Auf Internetseiten der Religionsgemeinschaften sowie in Büchern wurden Termine und Bedeutungen der Feste recherchiert. Erfahrungsgemäß genügt es, wenn jedes Fest im Kalender mit nur wenigen Sätzen erläutert wird – also was der Name des Festes bedeutet, woran man sich dabei erinnert und welchen merkenswerten Brauch es dazu gibt. Im Kalendarium verweist dann das Symbol der entsprechenden Religion auf darunter stehende Erläuterungen. Unsere interreligiösen Kalender sollten aber nicht nur ein Festkalendarium enthalten. Wir haben uns z. B. gefragt: Welche interreligiösen Themen sind darüber hinaus von Interesse? Wie kann das Produkt einen Beitrag zum Dialog der Religionen leisten? Wenn der Kalender vorwiegend an Erwachsene verkauft werden soll, dann legt es sich nahe, »offizielle« Religionsvertreter*innen zu interviewen. Sind eher Kinder und Jugendliche die Zielgruppe, ist es sinnvoller, wenn z. B. Schüler*innen der eigenen Schule davon erzählen, wie und warum sie »ihre« Feste feiern.

3  Erfahrungen: Im Team verantwortlich und miteinander geschäftstüchtig Die Schüler*innen erarbeiteten in kleinen Teams interessante Fragen zur jeweiligen Religion oder Konfession. Sie nahmen dann Kontakt zu den entsprechenden Vertreter*innen (Bischöf*in, Dekan*in, Imam, Rabbiner*in, Buddhist*in) auf und führten selbstständig außerhalb des Unterrichts Interviews durch. Darüber hinaus entwickelten sie Ideen, welche zusätzlichen Themen noch von Interesse sind. Sie entwarfen Seiten z. B. über besondere Symbole, wichtige Gebäude, berühmte Persönlichkeiten oder die Zeitrechnung der Religionen. Das »Kalenderteam« wurde in verschiedene Verantwortungsbereiche aufgeteilt. Die »Layout-Gruppe« entwickelte ein ansprechendes Äußeres und traf dann erste Absprachen mit der Druckerei. Die »Finanz-Gruppe« überlegte sich Möglichkeiten der Vorfinanzierung, z. B. durch »Sponsoring« (Elternbeirat, Vereine usw.). Die »Qualitäts-Gruppe« prüfte auf Schreibfehler und trieb die anderen zum Einhalten des Zeitplans an. Die »Marketing-Gruppe« suchte geeignete Werbe- und Verkaufsstrategien. Mit versierten Schüler*innen kann man Layoutkosten sparen. Die Druckereikosten hängen von der jeweiligen Auflage ab. Nach Verkauf des Kalenders und Deckung der Unkosten haben wir den Erlös einem gemeinnützigen Projekt zugutekommen lassen. Pongal, Schawuot und Erntedank

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Micha Seyboth

Werbung erfolgte u. a. über die Presse. Verkaufsorte waren schulische Veranstaltungen wie Schulkonzerte, Elternsprechtage, Pausen usw. Darüber hinaus wurde der Kalender in anderen Schulen der Stadt, in den Gemeinden der Religionsgemeinschaften sowie im privaten Freundes- und Verwandtenkreis »angepriesen«. Die Kalender konnten sogar unter einer eigens eingerichteten E-Mail-Adresse bestellt werden. Ein Versand erfordert allerdings einen hohen Zeitaufwand.

4  Reflexion: Letztlich wirkungsvoll Es hat die Schüler*innen mit Stolz erfüllt, wenn sie am Schluss ihr fertiges »Produkt« in den Händen hielten. Beim Verkauf haben sie meist einen besonderen Ehrgeiz entwickelt. Schön war auch zu erleben, wenn Rückmeldungen im Laufe des Jahres offenbarten, wie der Kalender bei Leser*innen das Interesse an anderen Religionen geweckt hat. Was bedeutet es also, wenn an unserer Schule Schüler*innen mit türkischen Vorfahren leuchtende Augen bekommen, weil wir ihnen bayramınız mübarek olsun (»möge euer Fest gesegnet sein«) wünschen? Der Kalender hat »funktioniert«.

Pongal, Schawuot und Erntedank

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Orientierung durch Verständigung – der interreligiöse Gesprächskreis junger Menschen in Hamburg Julia Freund, Andreas Gloy und der interreligiöse Gesprächskreis junger Menschen aus Hamburg

1  Der Kontext: Wer wir sind Wir sind im engeren Kreis um die 20 Menschen zwischen 17 und 30 Jahren mit unterschiedlichen religiösen, kulturellen und weltanschaulichen Hintergründen. Wir sind in Hamburg zur Schule gegangen. Die Jüngeren noch immer, die Älteren studieren oder arbeiten. Gemeinsam ist uns jedoch wichtig, miteinander im Austausch zu sein, über das, »was uns unbedingt angeht«, auch nach dem Religionsunterricht.

Hintere Reihe: Emine, Julia, Ezgi, Imen, Leandra, Mohammed Vordere Reihe: Andreas, Özlem, Wondibel, Simge

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2  Das Konzept: Was wir tun Das Pädagogisch-Theologische Institut der Nordkirche, Standort Hamburg, bietet jungen Menschen eine Plattform für Dialog und Begegnung und lässt sie zu unterschiedlichen Anlässen zu Wort kommen: Seit ca. acht Jahren treffen wir uns drei bis vier Mal im Jahr. Ausgangspunkt unserer Treffen sind oft aktuelle Themen oder eigene Anliegen/Projekte, die wir diskutieren. Manchmal erproben wir auch Lehrmaterialen: Welche Texte/Filme sprechen in uns etwas an, ermöglichen uns Positionierungen, führen uns in eine Diskussion? Was fordert uns in unserer Religiosität/Weltanschauung heraus? Wir (hinter)fragen uns und die anderen in dem, was uns etwas bedeutet, was uns trägt, was uns bewegt, empört und in der Tiefe ergreift. Wir bekennen uns dazu. Und wir lachen viel. Wir stellen uns aber auch Gesprächen, treten auf und machen dabei plausibel, inwiefern ein dialogischer »Religionsunterricht für alle« dieses Suchen nach Tiefe befördert und uns motiviert hat, weiterzumachen. In Kürze veröffentlichen wir unsere »10 Gebote für einen zukunftsfähigen Religionsunterricht« als Gedankenanstoß für Lehrkräfte und Material für den dialogischen Religionsunterricht.

3  Erfahrungen: Warum wir gemeinsam lernen wollen Wer seinen Unterricht dialogisch und nach der folgenden Präambel ausrichtet: »Der Religionsunterricht nimmt im Verstehens- und Erfahrungshorizont der Schüler*innen die Frage nach Gott und Glaube, Sinn des Lebens, Liebe und Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden […] auf«, und das in einer gemeinsamen Gruppe, legt eine gute Grundlage für die Möglichkeit, dass es viele gibt, die nach der Schulzeit daran anknüpfen wollen (Hamburger Rahmenplan Religion seit 1971). Auf eine E-Mail haben sich einige der Teilnehmer*innen zu religiöser Bildung folgendermaßen geäußert: Görkem, 29, Atheist: »Trennung nach Religionen im Schulunterricht führt zur Trennung nach Religionen auf den Straßen und zur Trennung nach Religionen am Arbeitsplatz. Dialog und Zusammenhalt darf keine abgetrennten Themengebiete kennen, sondern muss überall und allgegenwärtig ein Grundbaustein der Bildung sein.« Imen, 26, Muslima: »Meine Religiosität hat sich im ›RU für alle‹ erst wirklich entwickelt und gebildet. Trennen nach Religionen im Schulunterricht ist eine EinOrientierung durch Verständigung

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schränkung der möglichen religiösen Entfaltung und Findung der Schülerinnen und somit eine Einschränkung der Identitätsbildung im Rahmen der Schule.« Sofia, 19, Atheistin: »Getrennter Religionsunterricht hätte mich stark verunsichert, da ich zwar als Muslima geboren worden bin und es den Druck dazuzugehören zu wollen, noch größer gemacht hätte, weil ich es versucht hätte, auch wenn ich es nicht wirklich tue.« Nalan, 26, Muslima: »Meine Religiosität hat sich durch den dialogisch interreligiösen Religionsunterricht verändert. Diese Veränderung zieht sich noch heute durch mein Leben, indem ich mich in alltäglichen Situationen frage, wie ich mich wohl entwickelt hätte, wenn ich keine Gelegenheit gehabt hätte, mich mit ›Andersdenkenden‹ auszutauschen. Als Jugendliche braucht man Menschen, die einem die Tür öffnen und zeigen, dass Gespräche mit Mitschülern, die ›anders‹ sind als man selbst, nur einen Mehrwert haben können!« Wondibel, 19, evangelisch-lutherisch: »Mein Rat an Lehrkräfte des RU: Seid dialogisch ausgebildet! Schafft Begegnungen und versucht den Schülerinnen und Schülern nicht ›die‹ Religionen zu vermitteln, sondern eine Plattform zu schaffen, miteinander in den Dialog zu treten. Der Reli-Unterricht ist ein Fach der Fragen, nicht der Antworten.«

4  Reflexion: Weshalb dies wichtig ist Interreligiöses Lernen und (religiöse) Identitätsbildung Ein persönliches Votum für gemeinsames, dialogisches Lernen (Julia Freund) Es ist immer wieder spannend, vor Vertreter*innen anderer Landeskirchen und Lehrkräften anderer Bundesländer mit unserem Gesprächskreis aufzutreten. Erst in diesem Austausch wird bewusst, dass das, was für uns selbstverständlich ist, anderen exotisch und experimentell erscheint und oft mit Ängsten verbunden ist – wie soll das gehen, interreligiöser Religionsunterricht? Als ehemalige Schülerin im Hamburger »Religionsunterricht für alle« und heutige Theologin, kann ich gar nicht anders, als die aktuelle religionspädagogische Diskussion um die Zukunft des Religionsunterrichts auf meine Erfahrungen zu beziehen. In aller Kürze möchte ich einen Aspekt, der mir besonders wichtig ist, betonen: Im »Religionsunterricht für alle« begegnen sich nicht verschiedene Traditionen/Religionen/Weltanschauungen, es begegnen sich in erster Linie Personen, junge Menschen, die ihre je eigenen Fragen, Kontexte und Geschichten mitbringen. Die Bedeutung des interreligiösen Lernens wird in der Debatte häu298

Julia Freund, Andreas Gloy

fig unter dem Stichwort Pluralitätsfähigkeit verhandelt. Was jedoch im dialo­ gischen Lernen in heterogenen Klassen geschieht, ist vor allem die gegenseitige Herausforderung zur Positionierung und zur Reflexion in der intersubjektiven Begegnung, es fördert (religiöse) Identitätsbildung. Identitätsbildung geschieht stets dialogisch, aber das »Du« der Mitschülerin bzw. des Mitschülers lässt dies existenziell hervortreten. Mit einer pluralen Schüler*innenschaft gemeinsam über Fragen/Traditionen/Texte zu reflektieren, eröffnet in besonderer Weise einen Raum, in dem die Schüler*innen sich voneinander ansprechen lassen, in dem der Anspruch des konkreten Anderen an das eigene Selbst einen Prozess anstößt und Themen relevant werden lässt. Ich erinnere mich an meinen Leistungskurs Religion, 2006–2008, am Helmut-Schmidt-Gymnasium in Wilhelmsburg. Vor allem die viel größere Selbstverständlichkeit vieler meiner Mitschüler*innen mit muslimischem Hintergrund über ihre Religiosität zu sprechen, sowie die Anfragen meiner atheistischen Mitschüler*innen forderten mich heraus, zu reflektieren, was ich eigentlich glaube und wie dieser Glaube zum Anspruch der Anderen steht. Wir brauchten Zeit, uns als Gruppe zu finden, aber es entwickelte sich eine Atmosphäre, in der wir uns im Dialog, miteinander, mit Texten und Traditionen, begleitet durch die Lehrkraft, auf die Suche machen konnten nach dem, was uns trägt, was uns Hoffnung gibt, was für uns eine gerechte Gesellschaft bedeutet. Im »Religionsunterricht für alle« lernte ich nicht den Islam oder das Christentum kennen, sondern erlebte meine Mitschüler*innen im Ausdruck ihres unmittelbaren Selbstbewusstseins und wurde dadurch selbst sprachfähiger. So lernten wir in diesen Jahren nicht, andere Religionen/Weltanschauungen zu tolerieren, sondern Menschen in und auch aufgrund ihrer Religiosität/Positionen anzuerkennen, traten selber ein in einen Prozess der (religiösen) Identitätsbildung. Gerade die intersubjektive Begegnung beim gemeinsamen Lernen eröffnet einen Prozess des Suchens und Fragens und des Positionierens. In diesem wird »das Andere« nicht bloß zum Objekt, sondern die Schüler*innen werden einander zum wechselseitigen Anstoß, zu Weggefährt*innen. Es eröffnet sich die Möglichkeit einer Orientierung durch Verständigung. Dieser Prozess ist nicht abschließbar. Wir treffen uns im interreligiösen Gesprächskreis junger Menschen, weil wir die Kraft und Inspiration dieser Begegnung für unsere eigene Identitätsbildung erfahren haben und wir diese nicht missen wollen. Gerne geben wir unsere Erfahrungen an andere weiter, weil wir glauben, dass das dialogisch orientierte Modell des Religionsunterrichts für alle zukunftsweisend ist.

Orientierung durch Verständigung

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Sakralraumpädagogik – ein Projekt an der Evangelischen Schule Berlin-Mitte Clauß Peter Sajak

1  Der Kontext: Der Schulenwettbewerb der Herbert Quandt-Stiftung Im Jahr 2005 initiierte die Herbert Quandt-Stiftung in Bad Homburg a. d. Höhe den Wettbewerb »Schulen im Trialog. Europäische Identität und kultureller Pluralismus«, durch den Lehrkräfte, aber auch Schüler*innen aller Schultypen motiviert werden sollten, sich mit dem Trialog der abrahamischen Kulturen auseinanderzusetzen, um kreative und innovative Beiträge zur Wissensvermittlung über die drei monotheistischen Religionen zu entwickeln. Vom Beginn des Schuljahrs 2005/2006 an bis zum Finale des Wettbewerbs im September 2015 widmeten sich in diesem Förderwettbewerb insgesamt 156 Schulen mit knapp 200 Projekten und ca. 35.000 Schüler*innen dem interreligiösen und interkulturellen Lernen von Jüd*innen, Christ*innen, Muslim*innen und Nichtgläubigen. Die Beiträge der Schulen wurden von Anfang an am Lehrstuhl für Religionspädagogik der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Westfälischen Wilhelms-­Universität Münster ausgewertet. So sind in den vergangenen Jahren unter anderem ein Methodenhandbuch für das interreligiöse und interkulturelle Lernen (Sajak, 2010), ein Qualitätsrahmen mit Standards für das Trialogische Lernen (Sajak/Muth, 2011) und eine Reihe mit Unterrichtsmaterialien zu den Themen Gotteshäuser, Feste und Feiern, Heilige Schriften und Schöpfung entstanden. Aus dem Band »Gotteshäuser. Entdecken – Deuten – Gestalten« (Sajak, 2012) ist das folgende Best-Practice-Beispiel entnommen: Es handelt sich um eine Grundschule im Bundesland Berlin, die im Schuljahr 2009/10 mit dem 1. Preis ausgezeichnet wurde.

2  Das Konzept: Heilige Räume entdecken in Berlin In diesem Projekt der Evangelischen Schule Berlin-Mitte erschlossen Schüler*innen der Jahrgänge 4–6 als Schauspieler*innen und Kirchen-, Synagogen- und Moscheeführer*innen die Traditionen und Rituale von Judentum, Christentum 300

und Islam. Dabei wurden die Kinder nicht nur zu Kinderkirchenführer*innen ausgebildet, sondern leiteten in abrahamisch geweiteter Perspektive auch durch die Sehitlik Moschee und das Centrum Judaicum in Berlin. Ziel des Projekts war es, die Wahrnehmung der Schüler*innen für Gotteshäuser zu fördern und sie im Hinblick auf Synagoge, Kirche und Moschee zu »alphabetisieren«. Dieses Projekt ging insofern über den Aspekt der bewussten Wahrnehmung, des Entdeckens und des Verstehens hinaus und lehrte die Schüler*innen, ihr erworbenes Wissen für Kinder und Erwachsene einladend und lebendig darzustellen. Dies geschah in folgenden Schritten: Vorbereitung: Führungen erleben

Ausgangspunkt einer ganzheitlichen Erschließung von Synagoge, Kirche und Moschee bildet die individuelle bewusste Wahrnehmung der Gotteshäuser durch die Schüler*innen selbst. Dazu sollten sich diese in dialogisch ausgerichteten Führungen durch Zeug*innen der abrahamischen Religionen die verschiedenen Gotteshäuser erschließen. Die Grundidee dialogisch ausgerichteter Führungen ist, dass Zeug*innen der jeweiligen Religion die Schüler*innen zur Wahrnehmung anleiten und sie in Grundelemente sowie die Geschichte des Sakralraums, der Religionen und Traditionen einführen. Dies sollte jedoch nicht monologisch geschehen. Vielmehr sollten Schüler*innen im Rahmen der Führungen angeregt werden, den Sakralraum eigenständig zu entdecken, ihre individuellen Eindrücke, Deutungen und Ideen zum Sakralraum zu äußern und ihre Fragen an authen­ tische Zeug*innen des Glaubens zu richten. Durchführung: Stationenlernen gestalten

Die für das Projekt zentrale inhaltliche Erschließung der Gotteshäuser, wich­ tiger Aspekte der drei abrahamischen Religionen sowie wichtiger Epochen und Zeug*innen des Glaubens erfolgt in Form eines Stationenlernens. Um Kinder zu Kirchen-, Synagogen- und Moscheeführer*innen auszubilden, müssen sie sich die Inhalte umfassend erschließen. Es bietet sich an, dies nicht nur in Form eines Projektes innerhalb einer Schulklasse anzubieten, sondern auch in Form einer Schuljahres-AG zu begleiten. Nachdem sich die Schüler*innen paarweise zwei Stationen zugeordnet haben, vertiefen sie ihr Wissen, indem sie neben ihren Beobachtungen und ihren Kenntnissen aus den Führungen durch Synagoge, Kirche und Moschee (Mind-Maps) auch Textmaterial zur Verfügung gestellt bekommen. Darüber hinaus sollten Schüler*innen im Rahmen dieser handlungsorientierten und auf Selbstorganisation ausgerichteten Methode angeregt werden, selbstständig Informationen zu den jeweiligen Stationen zu recherchieren. Insgesamt sollte das Stationenlernen einen Umfang von acht Stationen nicht überschreiten. Sakralraumpädagogik

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Reflexion: In Planspielen üben

Im Anschluss an die inhaltliche Erschließung der abrahamischen Gotteshäuser und ihren diversen Realisationen vor Ort entfalten die Schüler*innen ihr Wissen, indem sie eigenständig Texte zu den einzelnen Stationen formulieren und erste dialogische Führungen durch Kirche, Synagoge und Moschee konzipieren. Im Rahmen von Planspielen können die Schüler*innen diese an ihren Mitschüler*innen erproben und in einer kritischen Reflexion überarbeiten und verändern. Auch Faktoren einer angemessenen visuellen Präsentation der Führungen sollten in dieser Projektphase bedacht werden. Dabei ist eine Möglichkeit, im Rahmen des Kunstunterrichts Aspekte der religiösen, kulturellen, traditionellen und historischen Bekleidung zu erarbeiten und historische oder traditionelle Kostüme zu den Stationen und Texten zu entwerfen. Das Tragen von Kostümen ermöglicht es Schüler*innen, sich noch besser und umfassender in die neuen Rollen und in die neue Perspektive einzufühlen. Vertiefung: Führungen selbst gestalten

Am Ende des Projektes führen die Heranwachsenden in historischen und traditionellen Kostümen an zentralen Stationen durch die Gotteshäuser der drei abrahamischen Religionen. Die dialogischen Führungen im Rahmen des Rollenspiels in den Gotteshäusern eröffnen den Schüler*innen durch Rückfragen und Eindrücke der Besucher*innen die Möglichkeit, ihr Wissen weiterhin zu vertiefen und situativ anzuwenden. In enger Kooperation mit den Gemeinden vor Ort, im Hinblick auf den Umfang und das Bewerben des Angebotes, bietet sich oft zunächst eine erste Führung der gesamten Schulgemeinschaft, der Eltern, sowie interessierter Freund*innen und Verwandten an. Im Hinblick auf die Nachhaltigkeit ist es naheliegend, diese Führungen in das Angebot der Kirchen-, Synagogen- und Moscheegemeinden aufzunehmen und die Führungen der Schüler*innen somit auf Abruf immer wieder für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dies kann auch die Aufnahme des Projektes in das Schulcurriculum bedeuten, um die Ausbildung von Synagogen-, Kirchen- und Moscheeführern auch in Zukunft zu sichern.

3  Erfahrungen: Sorgfältige Planung zahlt sich aus Das Stationenlernen

Im Hinblick auf die thematische Ausrichtung der Führung empfiehlt es sich, den Wissensstand und die Lernvoraussetzungen in der Schüler*innengruppe genau zu beachten. Sakralraumführungen können ein breites thematisches Spektrum bedienen – von Grundelementen des Sakralraums, über Baustil und Geschichte, 302

Clauß Peter Sajak

bis hin zur Konzentration auf bestimmte Epochen, Kunststile oder Figuren und ihre Realisation im jeweiligen Gotteshaus vor Ort. Außerdem sollte man bei den Führungen darauf achten, dass diese auch an den Stationen ausgerichtet werden, mit denen sich die Schüler*innen im Rahmen der Durchführungsphase beschäftigen. Es bietet sich also an, in der Planung des Projektes früh Stationen festzulegen, durch die die Schüler*innen zunächst selbst geführt werden, um später selbstständig Besucher durch diese Stationen zu führen. Dies erfordert eine enge Kooperation mit den lokalen Ansprechpartner*innen in Kirche, Moschee und Synagoge. Optional: Der Erkundungsbogen

Bei der Erkundung und Erschließung von Gotteshäusern kann es sinnvoll sein, den Schüler*innen vor einer Führung durch das Gotteshaus durch Vertreter*innen der Religion in einem ersten Schritt Zeit zu geben, die verschiedenen Gotteshäuser eigenständig und subjektiv wahrzunehmen und erste Erkundungen vorzunehmen. Dabei sollte ihnen vor der dialogischen Sakralraumführung einige Minuten Zeit gegeben werden, sich dem Sakralraum individuell mithilfe eines Erkundungsbogens anzunähern. Dieser fördert die innere Beteiligung der Schüler*innen, lässt erste ungesteuerte Beobachtungen zu und wirft Fragen auf, die im Laufe einer dialogischen Sakralraumführung aufgenommen werden können. Er dient somit auch der Vorbereitung der Schüler*innen auf die dialogische Sakralraumführung. Der Erkundungsbogen hilft, die verschiedenen Raumdimensionen der Sakralräume wahrzunehmen: die Annäherung von außen, das Eintreten und die Wahrnehmung des Innenraums.

4  Reflexion: Gelingendes interreligiöses Lernen Interreligiöses Lernen vollzieht sich in der Begegnung mit Zeug*innen und Zeugnissen anderer Religionen. Die Evangelische Grundschule Berlin-Mitte hat mit ihrem Projekt zur Sakralraumpädagogik, in dem Kinder von insgesamt drei Grundschulen zu Kirchen-, Synagogen- und Moscheeführer*innen ausgebildet und befähigt wurden, diese beiden Dimensionen interreligiösen Lernens in geschickter und überzeugender Weise verbunden: Zum einen setzten sich jüdische, christliche und muslimische Schüler*innen mit den Gotteshäusern der jeweils anderen, oft fremden Religionen als zentralen Orten religiöser Praxis auseinander, zum anderen stiftete das Projekt ein bereicherndes und befruchtendes Miteinander von Kindern unterschiedlichster Herkunft, Sozialisation und Religion. In der gemeinsamen Erarbeitung von religiösem Basiswissen und der Sakralraumpädagogik

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gegenseitigen praktischen Erschließung von Synagoge, Kirche und Moschee vollzog sich vielfach das, was in der Regel als interreligiöses Lernen im engeren Sinn bezeichnet wird, nämlich die Begegnung von Menschen unterschiedlicher Bekenntnisse und damit verbunden ein bereicherndes Gespräch über Glaubensvorstellungen und Glaubenspraktiken. Literatur zum Weiterlesen Sajak, C. P. (Hg.) (2010): Trialogisch lernen. Bausteine für interkulturelle und interreligiöse Projektarbeit. Seelze: Klett-Kallmeyer. Sajak, C. P./Muth, A.-K. (2011): Standards für das trialogische Lernen. Interkulturelle und interreligiöse Kompetenz in der Schule fördern. Bad Homburg a.d.H.: ohne Verlag. Sajak, C. P. (Hg.) (2012): Gotteshäuser. Entdecken – Deuten – Gestalten. Paderborn: Schöningh.

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Clauß Peter Sajak

Interreligiöses Begegnungslernen in Kooperation mit dem Ethikunterricht – ein Projekt an vier Schulen in Mannheim und Heidelberg Ines Sperling

Für den Ethikunterricht bedeutet die weltanschauliche Heterogenität innerhalb der Lerngruppe eine einzigartige Möglichkeit, Fragestellungen aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Grundlagen von Religion und die Betrachtung von lebensweltlichen Aspekten des Themas Religion sind dabei ein fester Bestandteil des ethikunterrichtlichen Curriculums. In welcher Weise kann das Thema Religion jedoch im Ethikunterricht umgesetzt werden? Dieser Beitrag stellt das Konzept Interreligiöses Begegnungslernen an vier Schulen Baden-Württembergs vor, das Grundlage für ein Projekt der Fächergruppe Religionsunterricht in Kooperation mit dem Ethikunterricht war. Dabei wird deutlich, welche Potenziale eine derartige Kooperation für alle beteiligten Fachgruppen in sich birgt, und wie interreligiöse Kompetenzen erworben werden können – aufseiten der Lernenden und der Lehrenden.

1  Der Kontext: Die kooperierende Fächergruppe Voraussetzung für das Lernen in interreligiösen Begegnungen ist die Mitarbeit der Fächergruppen verschiedener Religionen. Dass eine Fachgruppe Ethikunterricht an einem solchen Projekt teilnehmen kann – und soll –, erklärt sich nicht allein dadurch, dass Ethikunterricht aus historischer Perspektive als Alternativfach für den Religionsunterricht eingerichtet wurde. Mit Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt als einem zentralen Ziel, konkret anzustreben durch »Formen interkulturellen und interreligiösen Dialogs« (Bildungsplan des Landes Baden-­Württemberg, 2016, S. 5), hat der Ethikunterricht vielmehr wichtige Paralle­len zu den genannten Zielen und Inhalten des Religionsunterrichts. Für den Ethikunterricht stellt sich dabei konzeptionell die Frage: »Was ist interreligiöses Begegnungslernen aus ethikunterrichtlicher Perspektive?« Hier kann es nicht darum gehen, Faktenwissen zu einzelnen Religionen zu vermitteln oder Moralunterweisung zu betreiben. Es ist vielmehr die Aufgabe dieses Faches, Religion aus wissenschaftlicher Perspektive zu betrachten: Ethik ist die »kritische 305

Untersuchung von Inhalten und Problembereichen der Moral« (Petermann, 2004, S. 265). Mit diesem Verständnis ist es die Aufgabe des Ethikunterrichts, Raum zur Auseinandersetzung zu bieten und dadurch die Aneignung von zentralen Kompetenzen wie der »Fähigkeit des Deutens, Argumentierens, Sich-Orientierens und des verantwortlichen Entscheidens« zu ermöglichen (S. 266). Grundlage ist die lebensweltliche Orientierung von Ethik mit den konkreten lebensweltlichen Erfahrungen der Lernenden als Ausgangspunkt (Petermann, 2004). Die Lernenden sollen zum eigenständigen Denken und zur Reflexion angeleitet werden und im Dialog miteinander ins Gespräch kommen. Ziel eines interreligiösen Projekts ist es für den Ethikunterricht, das Wesen der individuellen Religion zu ergründen – zu beleuchten, was diese Religion für die Gläubigen bedeutet, und wie sie sich auf das Leben der Menschen auswirkt. Es gilt herauszuarbeiten, was religiöse Texte von philosophischen Texten unterscheidet, was sie zu »heiligen Texten« macht. Und schließlich soll ergründet werden, was denn das Besondere an der jeweiligen Religion ist, was sie anders macht. So kann über Verstehensprozesse ein Verständnis für die Religion erlangt werden.

2  Das Konzept: Erwachsen werden in Verantwortung Das Konzept des Interreligiösen Begegnungslernens lag dem Projekt zum Thema »Erwachsen werden in Verantwortung« zugrunde, an dem im Schuljahr 2014/15 82 Lernende aus dem jüdischen, katholischen, evangelischen und islamischen Religionsunterricht sowie aus dem Ethikunterricht aus vier Schulen in Mannheim und Heidelberg teilnahmen. Dieses anthropologische Thema fordert die Lernenden der 7. Jahrgangsstufe heraus, sich intensiv mit der eigenen Person und den an sie gestellten Entwicklungsaufgaben auseinanderzusetzen. Die Themen der einzelnen Module setzen Impulse, sich Grenzfragen des eigenen Seins anzunähern: Wer bin ich? – Woher komme ich? – Wohin gehe ich? Die Themenbereiche der weiterführenden Module beleuchteten auch soziale und gesellschaftliche Aspekte des Erwachsenwerdens wie Freundschaft und Liebe, (religiöse) Mündigkeit und Kommunikation. Die Themengebiete wurden zunächst in der Phase des eigenen Fachunterrichts (Phase 1) an den einzelnen Schulen von den Lerngruppen individuell erarbeitet und Ergebnisse auf einem Poster dargestellt. Die Planung der einzelnen Themenbereiche wurde von den einzelnen Fachgruppen individuell gestaltet. Der Ethikunterricht arbeitete dabei beispielsweise überwiegend mit philosophischen Texten. Für die Begegnungsphasen wurde ein Projekttag ins Leben gerufen, zu dem die Lerngruppen in den Räumen der Jüdischen Gemeinde Mannheim zusammen306

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kamen. In der Phase der gegenseitigen Präsentation (Phase 2) stellten zunächst die einzelnen Traditionen den anderen Lerngruppen ihre Poster vor und erläuterten die Inhalte mit dem Ziel, den anderen Teilnehmer*innen die Fragestellung aus Perspektive ihrer Tradition näherzubringen. In der anschließenden Phase Austausch in kleinen gemischten Gruppen (Phase 3) nutzten die Lernenden die Gelegenheit, anhand einschlägiger Texte ihrer jeweiligen Tradition, die in der Phase des Fachunterrichts erarbeitet wurden, ins Gespräch zu kommen. Die Phase der Reflexion (Phase 4) fand wiederum in den Fächergruppen statt und hatte zum Ziel, Erfahrungen und Begegnungen zu reflektieren. Im Zentrum stand dabei die Auseinandersetzung mit dem Anderen und dem Eigenen, dem Selbst, und die Frage, inwiefern die Begegnung mit den anderen die eigene Perspektive auf die anderen Traditionen verändert und auch die Sicht auf die eigene Tradition.

3  Erfahrungen: Chancen aufgrund der Herausforderung Ein Projekt, an dem Lernende aus dem jüdischen, katholischen, evangelischen und islamischen Religionsunterricht sowie aus dem Ethikunterricht verschiedener Schulen teilnehmen, ist eher eine Ausnahme im alltäglichen Unterrichtsgeschehen, birgt jedoch große Chancen. Ein wesentlicher Vorteil eines schulinternen Projekts liegt in dem unmittelbaren Kontakt der einzelnen Traditionen. Somit sind Planung und Durchführung in enger Kooperation der Lehrkräfte möglich und ein stetiger Austausch, der Änderungen und Verbesserungen erlaubt, ist unproblematisch zu realisieren. Aus Perspektive der Lernenden ist ein Projekt auf schulinterner Jahrgangsebene eine große Bereicherung, da die Lernenden sich bereits kennen, was die Offenheit für das Miteinander ins Gespräch kommen auf interreligiöser Ebene in großem Maße unterstützen kann. Das Konzept des Interreligiösen Begegnungslernens ist in Phasen der Differen­ zierung (Phasen 1 und 4) sowie Phasen der Integration (Phasen 2 und 3) gegliedert. Ein Vorschlag für die schulinterne Umsetzung eines solchen Projekts ist an dieser Stelle die Integration der verschiedenen Traditionen von Beginn an. Dies ist zum Beispiel durch ein Projekt zu gestalten, in dem verschiedene Religionen auf Grundlage phänomenologischer Methoden erfahrbar und erlebbar gemacht werden: Ein gemeinsamer Besuch religiöser Stätten zu Beginn eines Kooperationsprojekts ermöglicht den Lernenden, Religion unmittelbar zu erfahren. Die Erkundung architektonischer Besonderheiten und spezifischer Gegenstände Interreligiöses Begegnungslernen in Kooperation mit dem Ethikunterricht

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führt zu einer gemeinsamen Auseinandersetzung mit dem Wesen der einzelnen Religion. Damit überwindet die persönliche Begegnung die Distanz, aus der die Lernenden in einem getrennten Fachunterricht Religion und andere Weltanschauungen kennenlernen. Interreligiöses Begegnungslernen ist somit ein wichtiger und notwendiger Bestandteil des Religions- und Ethikunterrichts, um wesentliche Ziele der Fächer zu erreichen.

4 Reflexion Mit dem Konzept des Interreligiösen Begegnungslernens werden zwei zentrale Ziele des Religionsunterrichts verbunden – zum einen die vertiefte und differenzierte Auseinandersetzung der Lernenden mit der eigenen Religion und zum anderen die Aneignung von »Kompetenzen interreligiöser Kommunikationsfähigkeit durch die konkrete Begegnung mit anderen religiösen Bekenntnissen bzw. Standpunkten« (Boehme, 2014, S. 32). Dabei ermöglichen Differenzierung und Integration, zwei auf den ersten Blick einander konträr gegenüberstehende Begriffe, Lernprozesse über das Aneignen von generellen Kenntnissen der eigenen Tradition hinaus – das Erfahren der eigenen Religion und die vertiefte Auseinandersetzung mit ihr. Die daraus resultierenden Erkenntnisse befördern das Erkennen und die bewusste Wahrnehmung wesentlicher Merkmale anderer Traditionen. Literatur zum Weiterlesen Boehme, K. (2014): Fächergruppe Religionsunterricht in religiöser Kooperation. In: B. Schröder (Hg.): Religionsunterricht – wohin? Modelle seiner Organisation und didaktischen Struktur, S. 31–44. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (2016): Gemeinsamer Bildungsplan der Sekundarstufe I. Bildungsplanheft 2. Verfügbar unter: Lehramt/Lehramt/Ethik/Bildungsplan/BP2016BW _ALLG_SEK1_ETH [19.04.2018]. Petermann, H.-B. (2004): ETHIK – Anliegen und Konzeption eines neuen Studienfachs. In: Pädagogische Hochschule Heidelberg (Hg.): Ein langer Weg zu einer forschungsbasierten Bildungswissenschaftlichen Hochschule. Einblicke in 100 Jahre Lehrerausbildung in Heidelberg, S. 262– 273. Heidelberg: Pädagogische Hochschule.

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Diakonisch-dialogisch – Einblicke in das »religionspädagogische Laboratorium« am katholischen Elisabeth-Gymnasium Halle Hans-Michael Mingenbach

1  Der Kontext: Ein Gymnasium im säkularen Umfeld Nach der Wende 1991 gegründet, erhält das Elisabeth-Gymnasium (ELG) als vierzügige Schule der Edith-Stein-Schulstiftung des Bistums Magdeburg einen ambitionierten Auftrag: »Es geht um nicht weniger als um Wege zu einem erneuerten Schulwesen: Vom Evangelium her inspiriert, […] miteinander eigenverantwortliches kogni­ tives, emotionales und soziales Lernen ermöglichen, das Freude macht, offen für alle ist und Vielfalt fördert« (Buchenau, 2017, S. 9). Für die Menschen in Halle und Umgebung in dieser Weise »gute Schule« zu machen, bedeutet, aus einer Minderheitensituation zu handeln. Von den nahezu 240.000 Einwohnern Halles sind weniger als drei Prozent Katholik*innen und nur etwa neun Prozent evangelische Christ*innen. Zugleich ist der stark säkula­risierte gesellschaftliche Kontext eine wesentliche Voraussetzung für die Gestaltung der Schule, insbesondere aller Prozesse wertorientierten und religiösen Lernens. Von Anfang an ist diese stark säkularisierte und religiös indifferente Wirklichkeit ins Schulhaus geholt worden. So lautet die Formel aus der Gründungszeit der Schule: Im ELG lernen katholische und evangelische Christ*innen gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen, die konfessionell ungebunden sind. In der Altersgruppe der heutigen Schüler*innen sind über 25 Jahre nach der Wende alle Varianten gesellschaftlicher Individualisierungs- und Pluralisierungsprozesse angekommen. Darüber hinaus haben die zurückliegenden Jahre eine neue interreligiöse Vielfalt gebracht. Inzwischen zählen orthodoxe und armenisch-apostolische Christ*innen wie muslimische und mosaische junge Menschen zur Schüler*innenschaft.

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2  Das Konzept: Lebenswelt trifft christliche Identität »Um der Menschen willen« (Sekretariat, 2016, S. 12) Schule zu machen, stellt die Erziehungs- und Bildungsarbeit am konfessionellen Elisabeth-Gymnasium somit vor die Herausforderung, konzeptionelle Antworten auf den Umgang mit Vielfalt unter den speziellen Bedingungen des Standortes zu geben. Daraus haben sich die Konturen eines diakonisch-dialogischen Schulkonzepts entwickelt, für dessen Genese im Blick auf die weltanschaulich-religiöse und die pädagogische Heterogenität mit ihren inklusiven Anforderungen gilt: »Der konkrete Weg entsteht beim Gehen.« So gleicht das ELG als »Lernort religiöser Bildung« (Grethlein, 2016) einem »Laboratorium«, in dem die Spannung zwischen »respektvoll, nicht vereinnahmend« und »die eigene christliche Identität lebend« ausgelotet und in tragfähige unterrichtliche Prozesse integriert wird. Zwei sich ergänzende Festlegungen des Schulträgers geben dieser Werkstatt Struktur: Ȥ Als Katholische Schule bietet das ELG in allen Jahrgängen neben katholischem und evangelischem Religionsunterricht auch Ethik als ordentliches Lehrfach an. Damit wird die in Sachsen-Anhalt gewollte Gleichrangigkeit der Fächer im »Fachbereich Religion-Ethik« abgebildet und für eine echte Wahlfreiheit in der konfessionell heterogenen Schüler*innenschaft gesorgt. Ȥ Innerhalb des Fachbereichs werden sogenannte Dialog-Sequenzen entwickelt, die ein konfessionell-weltanschaulich-kooperatives Arbeiten der Schüler*innen eröffnen und unterschiedliche Orientierungen und Bekenntnisse miteinander ins Gespräch bringen. Insbesondere dieser Auftrag zu dialogischen Angeboten entfaltet (religionspädagogische) Kreativität. Inzwischen sind in nahezu allen Jahrgängen im Schulprogramm unterrichtliche Angebote bzw. Projekte platziert, für die Lehrer*innen des Fachbereichs Religion-Ethik und/ oder Klassenleitungen verantwortlich sind. Exemplarisch sollen zwei jeweils im Jahrgang durchgeführte Projekte dargestellt werden:

2.1  »Begegnung mit dem Christentum« in Jahrgang 5 und 6 In dem Projekt »Begegnung mit dem Christentum« verschränken sich religionspädagogische und erlebnispädagogische Anliegen. In beiden Jahrgängen wird an bis zu vier Projekttagen zumeist im Klassenverband auf Entdeckungsreise zu Orten des Christentums in Halle gegangen. Diese »Begegnungen« lassen über das Erlebte – bei Kirchenerkundungen, im Cannstatt-Bibelzentrum, beim Besuch der 310

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Elisabeth-Schwestern oder der Christusbruderschaft auf dem Petersberg, beim Sternsingen etc. – ins Gespräch kommen. Bei allen auch kritischen Stimmen zum Aufwand dieses Projektes notieren die Projektleiter*innen, »dass sich […] Horizonte eröffnen und Dialoge entspinnen, die sonst nicht möglich gewesen wären« (Stumpe/Zierz, 2017, S. 61). Darüber hinaus erarbeiten sich die Ethikschüler*innen in Jg. 5 in einer gemeinsam von Ethik- und Religionslehrer*innen entwickelten Halbjahressequenz narrativ zentrale Erzählungen und Figuren der jüdisch-christlichen Tradition mit ihren jeweiligen theologisch-anthropologischen Botschaften.

2.2  Projekt »Liebe-Nächstenliebe« in Jahrgang 9 Dieses Projekt rückt die lebensweltliche Thematik des Jugendalters in den Mittelpunkt. Zugleich geht es in der über fünf Doppelstunden und einen Projekttag angelegten Sequenz um die Förderung von Sprach- und Reflexionsfähigkeit. Die Religions- und Ethiklehrer*innen des Jahrgangs gestalten zunächst texterschließende Zugänge zu ausgewählten Essayauszügen. Am Projekttag selbst werden – im Rahmen des schulisch Möglichen – in einem gruppenpädagogischen Verfahren die Lebenswirklichkeiten der Schüler*innen mit einer thematischen Reflexion zum Zueinander von Liebe und Nächstenliebe verknüpft. Den Abschluss des Projektes bildet ein Selbstversuch der Schüler*innen als Essayautor*innen.

3  Erfahrungen: Ermutigungen und Hemmnisse Immer wieder begründen gerade konfessionell ungebundene Eltern ihre Schulwahlentscheidung für das ELG mit diesen Dialog-Projekten und dem Wunsch, ihrem Kind in dieser Weise einen Zugang zu Religiosität zu ermöglichen, der ihnen selbst verwehrt war. Schüler*innen nehmen die angebotenen Erlebnis- und Erfahrungsräume an, ob bei neugierigen Erkundungen im christlichen Halle, beim Podiumsgespräch über »Werte, die die Gesellschaft zusammenhalten«, oder bei sozialen Aktionen am Elisabeth-Tag. Oft reicht ihre Identifikation so weit, dass sie eigene Initiativen in den Rahmen der Schule integrieren. Und nicht zuletzt ermutigen fachliche Anfragen zu einem »Blick über den Zaun« in die differenzsensible dialogische Praxis des ELG. Gleichwohl gehörten zur Entwicklung der Dialog-Projekte kollegiumsinterne Debatten um das Ob und Wie (Koch, 2000), aber auch externe Widerstände und Hemmnisse: Die Gemeinden reagierten zunächst kritisch auf den konfessionelDiakonisch-dialogisch

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len Religionsunterricht an der kirchlichen Schule, nahmen sie den schulischen Religionsunterricht doch als Konkurrenz zum gemeindlichen Religionsunterricht wahr (siehe auch Domsgen, 2006). Bis heute findet die Idee der Dialogsequenzen in den Lehrplänen des Fachbereichs Religion-Ethik nur geringe Unterstützung; selbst für die Erprobungsphase der jüngsten Lehrplangeneration ist es den Lehrplankommissionen nicht gelungen, kompatible Fachlehrpläne zu entwickeln (Bildungsserver, 2016).

4  Reflexion: Vielfalt braucht Haltung Am ELG machen wir mit jungen Menschen in einer individualisierten, globalen, vernetzten, mobilen und weltanschaulich-religiös indifferenten Welt Katholische Schule. Weltanschaulich-konfessionelle Vielfalt ist dann Alltag und Herausforderung zugleich. Gegenüber funktionalistischen Bildungsentwürfen sind uns Fragen nach Gott und den Menschen, nach einem erfüllten Leben und tragenden Werten wichtig. Gemeinsam mit unseren Schüler*innen betrachten, bedenken und erproben wir Fragen und mögliche Antworten. Das lenkt den Blick nicht zuletzt über Inhalte hinaus: auf personale Begegnungen, auf erfahrbare Haltungen und pädagogische Beziehungen. Literatur zum Weiterlesen Buchenau, G. (2017): Einander die Bälle zuspielen … In: Elisabeth-Gymnasium (Hg.): Perspektiven. 25 Jahre Elisabeth-Gymnasium Halle (Saale). Halle (Saale). Domsgen, M. (2006): Religion unterrichten in Sachsen-Anhalt. Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik, 5 (2), S. 129–146. Verfügbar unter: www.theo-web.de/zeitschrift/ausgabe-2006– 02/15-Domsgen-END.pdf [19.04.2018]. Koch, S. (2000) Religionskundliches Lernen im Philosophieunterricht. In: M. Hahn/C. Hartmann/D. Kahl/U. J. Plaga (Hg.): Religiöse Bildung und religionskundliches Lernen in ostdeutschen Schulen – Dokumente konfessioneller Kooperation, S. 71–78. Münster: LIT Verlag. Stumpe, U./Zierz, I. (2017): Konsequent dialogisch: Begegnung mit dem Christentum in Klasse 5 und 6. In: Elisabeth-Gymnasium (Hg.): Perspektiven. 25 Jahre Elisabeth-Gymnasium Halle (Saale). Halle (Saale). Grethlein, C. (2016): Art. Lernorte religiöser Bildung. In: WiReLex. Verfügbar unter: www.bibel�wissenschaft.de/stichwort/100108/ [19.04.2018]. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (2016) (Hg.): Erziehung und Bildung im Geist der Frohen Botschaft. Sieben Thesen zum Selbstverständnis und Auftrag Katholischer Schulen. Die deutschen Bischöfe Nr. 102. Bonn.

Internetquelle Bildungsserver Sachsen-Anhalt, Lehrpläne/Rahmenrichtlinien Gymnasien. Verfügbar unter: www.bildung-lsa.de/lehrplaene___rahmenrichtlinien/gymnasium.html [19.04.2018].

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Schüler*innen erleben Theologie – das reli:labor an der Kieler Forschungswerkstatt Saskia Eisenhardt/Stefanie Hertel-Holst

1  Der Kontext: Universitäre Forschung lerngruppengerecht umgesetzt Das reli:labor wurde als Teil der Forschungswerkstatt an der Uni Kiel (www. forschungs-werkstatt.de) ins Leben gerufen. Dort wird Schüler*innen verschie­ dener Jahrgangsstufen die Möglichkeit geboten, wissenschaftliche Forschung­ sergebnisse und den Prozess des wissenschaftlichen Arbeitens kennenzulernen. Das Programm der Forschungswerkstatt richtet sich sowohl an ganze Klassen wie auch an einzelne interessierte Schüler*innen, die an natur- und geisteswissenschaftlichen Themen forschen wollen. Seit Beginn lernen jährlich rund 2000 Schüler*innen so den Prozess des wissenschaftlichen Arbeitens kennen. Die Kieler Forschungswerkstatt ist ein Zusammenschluss von Schule und Hochschule, von Lehrer*innenbildung und Wirtschaft sowie von der Stadt Kiel und dem Land Schleswig-Holstein. Ziel der Kieler Forschungswerkstatt ist es, bestehende und neue Bildungsangebote zu vernetzen und an einer zentralen Institution mit Laboren und kreativen Lernorten zu bündeln. Die Angebote der Forschungswerkstatt wiesen zunächst einen naturwissenschaftlich-technischen Fokus auf. Zum Schuljahr 2017/18 etablierten die Fächer Deutsch und Geschichte erstmals geisteswissenschaftliche Angebote. Zeitgleich begann die Entwicklung und Erprobung des reli:labors, welches die Relevanz und Attraktivität des Faches ev. Religion zeigt, indem aktuelle und innovative Ansätze aus der Religionspädagogik und Systematischen Theologie forschungsbasiert, praxisorientiert und lerngruppenbezogen aufbereitet und anhand von existenziellen Themen gemeinsam mit den Schüler*innen diskutiert werden. Auf diese Weise erhalten die Schüler*innen die Möglichkeit, das Fach Religion aus einer wissenschaftlichen Perspektive kennenzulernen und die Universität als außerschulischen Lernort zu erleben.

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2  Das Konzept: Aktuelle theologische Ansätze im Dialog mit Schüler*innen Das reli:labor hat es sich zum Ziel gemacht, den Schüler*innen aktuelle Theorien und Ansätze theologischer Forschung zu vermitteln und gemeinsam mit ihnen Fragestellungen zu entwickeln, um dadurch ein vertieftes Interesse für das Fach zu wecken und ihnen Einblicke in ein mögliches Studienfeld zu gewähren. Die bisherige Zielgruppe sind Lerngruppen der Mittel- und Oberstufe. Das reli:labor bringt die Jugendlichen in Kontakt mit religiösen Traditionen, ist jedoch weltanschaulich offen gestaltet, sodass sich auch Klassen, in denen nicht alle Schüler*innen Religion gewählt haben, anmelden können. Bisher wurden für das reli:labor drei thematische Angebote entwickelt, aus denen die Lerngruppen frei wählen können: 1.) Freiheit, 2.) Gerechtigkeit, 3.) Vertrauen. Das gewählte Thema wird dann in jeweils drei Stationen bearbeitet. Hierfür werden die Schüler*innen in drei Gruppen aufgeteilt, die nacheinander alle drei Stationen durchlaufen. Jede Station dauert 60 min und folgt einem aktuellen theologisch-religionspädagogischen Ansatz, der die Schüler*innen gegenwärtige theologische Forschung und Lehre erleben lässt. Die drei Stationen sind: 1. Theologisieren mit Jugendlichen Die Schüler*innen werden didaktisch angeregt, sich mit existenziellen Themen und Fragen (z. B. »Bin ich frei?«, »Gibt es einen gerechten Gott?«, »Auf wen vertraue ich?«) auseinanderzusetzen und eigenständig Antwortversuche im Diskurs zu entfalten (siehe auch Eisenhardt in diesem Band). 2. Bibliolog Die Schüler*innen erleben und deuten interaktiv einen biblischen Text, indem sie sich mit Rollen aus dem Text identifizieren und das Erlebte anschließend gemeinsam reflektieren (siehe auch Pohl-Patalong in diesem Band). 3. Ethische Grundfragen Die Schüler*innen lernen einen ethischen Begriff sowie verschiedene dazugehörige Theorien kennen. Sie werden angeleitet, unterschiedliche Positionen einzunehmen und diese zu diskutieren (siehe auch Winklmann in diesem Band). Vor der Stationenarbeit gibt es einen gemeinsamen Beginn, bei dem erklärt wird, wie Forschung in der Theologie betrieben werden kann und der in das jeweilige Thema einführt. Nach den Stationen erfolgt ein gemeinsamer Abschluss, der die Erkenntnisse bündelt und die Schüler*innen zu einer abschließenden Reflexion des Themas anregt. Eine Besonderheit des reli:labors besteht in der Zusammensetzung des Leitungsteams. So wird das reli:labor nicht nur interdisziplinär von den Insti314

Saskia Eisenhardt/Stefanie Hertel-Holst

tuten für Praktische und Systematische Theologie verantwortet, sondern auch gemeinsam von Lehrenden und Studierenden konzipiert und durchgeführt. Hierfür konnten insgesamt drei studentische Hilfskräfte eingestellt werden, die in jeweils einem Ansatz überdurchschnittliche Kompetenzen erworben haben und die entsprechende Station gemeinsam mit den Lehrenden gestalten. Nach dem erfolgreich abgeschlossenen Probedurchlauf des reli:labors, welches nun verstetigt wird, sollen die Stationen langfristig von Studierenden allein durchgeführt werden. Die Hilfskräfte fungieren dabei als Tutor*innen, indem sie andere Studierende in der Betreuung der Stationen anleiten und ihnen als Ansprechpersonen zur Verfügung stehen. Sie nehmen Anfragen der Schulen entgegen und teilen die Studierenden für die Labore ein.

3  Erfahrungen: Raum für Verschiedenheit Die Evaluation der Probedurchgänge war überwiegend positiv. Die Schüler*innen empfinden die in den drei Stationen gebotene Methodenvielfalt wie auch die Arbeit in Kleingruppen als anregend. Das reli:labor wird zudem als angenehmes Gesprächsumfeld mit lockerer Atmosphäre und Raum für persönliche Statements, die Erarbeitung und Vertretung einer eigenen Position sowie aktiven Meinungsaustausch unterschiedlicher Standpunkte wahrgenommen. So schreibt bspw. ein 16-jähriger Schüler in seiner Evaluation: »Mir hat gefallen wie hoch die Toleranz gegenüber Meinungen war, die sich nicht besonders mit Religion beschäftigen oder gar gegen Religion gewendet haben.« Die verschiedenen Aufgabenstellungen und Herangehensweisen an den einzelnen Stationen dienen der Fruchtbarmachung der Themen auch für Schüler*innen, die anderen Religionen angehören oder an Religion(sunterricht) weniger Interesse zeigen. Zukünftig soll das Angebot um die Themen »Verantwortung« sowie »Glaube und Zweifel« erweitert werden. Insbesondere Letzteres würde Diskussionen über Probleme und Konflikte der Verschiedenheit Raum geben und das reli:labor gezielt für heterogene Klassen interessanter machen.

4  Reflexion: Dialog auf Augenhöhe Obwohl das reli:labor nicht explizit als Angebot im Umgang mit Heterogenität konzipiert wurde, zeigen dessen Umsetzung und Evaluation, dass die Stationenarbeit sehr gut geeignet ist, um produktiv mit heterogenen Lerngruppen zu arbeiten. So zeichnet sich jede Station durch das religionspädagogische Prinzip Schüler*innen erleben Theologie

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der Subjektorientierung aus, das die Jugendlichen als Subjekte des Lernens in den Mittelpunkt des gemeinsamen Arbeitens und Reflektierens stellt. Dabei gelten keine strengen Hierarchien. Lehrende und Studierende lassen sich gemeinsam mit den Jugendlichen auf einen Entdeckungsprozess ein, in dem individuelle Meinungen wertgeschätzt und alle Beteiligten als Dialogpartner*innen auf Augenhöhe angesehen werden. Durch die verschiedenen konzeptuellen und methodischen Zugänge zum jeweiligen Thema können sich die Schüler*innen je nach ihren individuellen Voraussetzungen und Kompetenzen unterschiedlich einbringen. Das reli:labor möchte vor allem die Diskursfähigkeit und Urteilskompetenz der Jugendlichen fördern. Hierfür ist ein Dialog, in dem möglichst verschiedene Positionen und Meinungen aufeinandertreffen, gewinnbringend. Die religiöse, konfessionelle und weltanschauliche Heterogenität innerhalb der Lerngruppen wird damit nicht nur als gegeben hingenommen, sondern hermeneutisch und didaktisch fruchtbar gemacht.

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Saskia Eisenhardt/Stefanie Hertel-Holst

Sensibilisierung für den Umgang mit Vielfalt in der Religionslehrer*innenbildung – konfessionelle Kooperation an der Universität Bamberg Konstantin Lindner

1  Der Kontext: Begegnung mit dem konfessionell Anderen Von einer reflektierten religionsdidaktischen Herangehensweise an die konfessionelle Vielfalt des Christentums hängt Vieles ab: Auch wenn eine Herabwürdigung der »anderen« Konfessionen längst der religionsunterrichtlichen Vergangenheit angehören sollte, scheinen stereotypisierende Zuschreibungen nach wie vor zu prägen (Marker/Ritz, 2018, S. 121). Sie entstehen meist aus der Unkenntnis anderer Konfessionen sowohl in theologisch-fachwissenschaftlicher als auch in erfahrungsbezogener Hinsicht. Nicht zuletzt aus diesem Grund sieht sich die Religionslehrer*innenbildung im Studium, Referendariat und Fortbildung herausgefordert, entsprechende Professionalisierungsangebote zu machen. Insbesondere konfessionsübergreifende Formate erscheinen bedeutsam, da sie die Anwesenheit unterschiedlicher Konfessionsangehöriger nutzen und so verhindern, dass konfessionell Anderes fremder gemacht wird als es ist.

2  Das Konzept: Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Professionalisierung In Orientierung am Kompetenzmodell der COACTIV-Studien (Baumert/Kunter, 2006) sollten u. a. folgende Dimensionen in den Blick genommen werden, um (zukünftige) Religionslehrer*innen für den Umgang mit konfessioneller Vielfalt zu sensibili­sieren: fachwissenschaftliche und fachdidaktische Profes­sionalisie­ rung sowie Arbeit an den persönlichen Werthaltungen sowie die Erkenntnis betreffende, epistemische Überzeugungen (Lindner, 2017, S. 371–377). Um konfessionelle Vielfalt im Religionsunterricht professionell zu bearbeiten, benötigen Religionslehrkräfte eine fachwissenschaftlich grundierte Sensibilität für ökumenisch bedeutsame Fragestellungen. Bereits exemplarische Vertiefungen in theologische Deutungswelten, die auf konfessionell Gemeinsames aber auch konfessionell Spezifisches verweisen, tragen dazu bei, sich in ökumenischer Hin317

sicht so auszukennen, dass das Besondere und die Unterschiedlichkeiten christlicher Weltdeutungsweisen an Bedeutung gewinnen (dies meint der Begriff der Differenzkompetenz bei Simojoki, 2015). Im Fokus sollten dabei nicht zuletzt alltagsweltliche Anknüpfungspunkte stehen, indem auch die glaubenspraktischen Bestätigungen auf dem Fundament eines theologischen Reflexionsvermögens produktiv (neu) erschlossenen werden. In fachdidaktischer Hinsicht benötigen Religionslehrkräfte Strategien im Sinne eines Erklärungswissens, damit es im Unterricht nicht bei einem schematischen Abarbeiten von konfessionellen Gemeinsamkeiten und Unterschieden bleibt, sondern die Sensibilisierung für das Besondere christlicher Weltdeutung Kontur gewinnen kann (Lindner/Simojoki, 2018). Religionslehrer*innen müssen Schüler*innen durch entsprechende Lernarrangements zum Perspektivenwechsel auffordern (Woppowa, 2015), indem sie »konfessionelle Heterogenität als bildsame Differenz« (Schambeck/Schröder, 2017, S. 346) zur Geltung bringen und auf dieser Basis zur eigenen Stellungnahme herausfordern. Unter diesen Vorzeichen gilt es zu entscheiden, ob konfessionelle Sichtweisen komplementär-anreichernd, kontrastiv-gegenüberstellend oder überlagernd-deckungsgleich ins Lerngeschehen eingebracht werden. Eine maßgebliche religionsdidaktische Größe stellt bei alledem das Ernstnehmen und die Integration konfessionsbezogener (Nicht-)Erfahrungen und Einstellungen der Lernenden dar. Auch die eigenen Werthaltungen und Überzeugungen der Religionslehrkräfte bedürfen in der Aus- und Fortbildung einer Möglichkeit zur Reflexion und zum Ausdruck. Insofern nicht selten konfessionsbedingte, subjektive »Vor-Urteile« darüber entscheiden, ob und wie konfessionell gelebtes Christsein im Religionsunterricht zur Geltung gebracht wird, liegt in deren reflexiver Bewusstmachung ein Dreh- und Angelpunkt eines professionellen Umgangs mit konfessioneller Vielfalt.

3  Erfahrungen: Konfessionelle Kooperation im Studium einüben Konkret bedeutet das an der Universität Bamberg: Alle Studierenden, die in einem Semester das studienbegleitende Praktikum in evangelischer oder katholischer Religionslehre absolvieren, planen in einer gemeinsamen Sitzung eine konfessionell-kooperative Unterrichtssequenz. Profilbildend ist zudem das von den beiden Religionsdidaktik-Lehrstühlen regelmäßig gemeinsam angebotene Intensivseminar zu konfessioneller Kooperation im Religionsunterricht, das folgende Schritte berücksichtigt (Lindner/Simojoki, 2014): 318

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1. Den Seminarauftakt bildet eine persönliche und intersubjektive Auseinandersetzung der Studierenden mit ihrer Idee von Konfessionalität und den sich daraus ergebenden Überzeugungen ausgehend vom Impuls »An meinem Evangelisch-/Katholisch-Sein ist mir wichtig …« 2. Im Horizont von Leitlinien konfessioneller Kooperation wird sodann eine unterrichtsrelevante Thematik fachwissenschaftlich, religionsdidaktisch und erfahrungsbezogen erschlossen. Dabei stehen entweder konfessionsgleiche oder konfessionskontroverse Blickwinkel im Zentrum des jeweiligen Seminars, z. B. »Christliche Auferstehungshoffnung« oder »Kirchliches Amtsverständnis«. 3. Auf Basis dieser Klärungen führen die Studierenden Interviews mit Schüler*innen an Kooperationsschulen in Bamberg, um für den (nicht-)konfessionellen Zugriff Lernender auf die Thematik sensibel zu werden. 4. Die Erkenntnisse aus den Interviews werden im Seminar ausgewertet und bilden den Horizont für 5. die Erarbeitung von Unterrichtssequenzen und einzelnen Unterrichtsstunden, die 6. sodann an den Kooperationsschulen realisiert werden. Dabei spielt das Tandem-/Tridem-Prinzip eine zentrale Rolle: Zwei oder drei Studierende erarbeiten ihre Unterrichtsstunde im gemischtkonfessionellen Team und entscheiden, ob sie diese im Teamteaching in einer gemischtkonfessionellen Klasse oder alleine in einer (nicht) gemischtkonfessionellen Lerngruppe unterrichten. 7. Die Unterrichtsversuche werden mit den Kooperationslehrkräften evaluiert. 8. Das Seminar endet mit einer Einheit, in der die Studierenden ihre Erfahrungen mit konfessionell-kooperativem Unterrichten und im Umgang mit konfessioneller Vielfalt reflektieren.

4  Reflexion: Personale Repräsentanz beider Konfessionen Am Beispiel der Religionslehrer*innenbildung der Universität Bamberg lässt sich verdeutlichen, wie die als beachtenswert herausgestellten Lehrerbildungskontexte konkret auf konfessionelle Kooperation hin gestaltet werden können. Elementare Grundlage ist die personale Repräsentanz beider Konfessionen, insofern Kooperationsmodule mindestens ein Seminar integrieren, das von evangelischen und katholischen Dozent*innen gemeinsam veranstaltet sowie von evangelischen und katholischen Studierenden besucht wird. Dadurch dass von beiden Konfessionen auf personaler Ebene Vertreter*innen anwesend sind und agieren, werSensibilisierung für den Umgang mit Vielfalt in der Religionslehrer*innenbildung

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den sowohl die theologische als auch die lebensweltliche Vielfalt konfessioneller Glaubensgestaltung in den Professionalisierungsprozess integriert. Themen der systematisch-theologischen Kooperationsseminare sind bspw. Ekklesiologie oder kirchliche Morallehre. Literatur zum Weiterlesen Baumert, J./Kunter, M. (2006): Stichwort: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 9 (4), S. 469–520. Lindner, K. (2017): Professionalisierung für konfessionelle Kooperation – Impulse für die Religionslehrerinnen- und Religionslehrerbildung. In: K. Lindner/M. Schambeck/H. Simojoki/E. Naurath (Hg.): Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Konfessionell – kooperativ – kontextuell, S. 364– 382. Freiburg i. Br.: Herder. Lindner, K./Simojoki, H. (2014): Forschungswerkstatt »Kompetenzen konfessioneller Kooperation im Religionsunterricht«. Ein hochschuldidaktisches Projekt an der Universität Bamberg. TheoWeb. Zeitschrift für Religionspädagogik, 13 (2), S. 178–185. Lindner, K./Simojoki, H. (2018): Konfessionelle Kooperation didaktisch. Katechetische Blätter, 143 (2), S. 91–95. Marker, C./Ritz, W. (2018): Für RU in konfessioneller Kooperation qualifizieren. Ein Modellprojekt in Hessen. Katechetische Blätter, 143 (2), S. 117–121. Schambeck, M./Schröder, B. (2017): Auf dem Weg zu einer Didaktik konfessionell-kooperativer Lernprozesse. In: K. Lindner/M. Schambeck/H. Simojoki/E. Naurath (Hg.): Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Konfessionell – kooperativ – kontextuell, S. 343–363. Freiburg i. Br.: Herder. Simojoki, H. (2015): Ökumenische Differenzkompetenz. Plädoyer für eine didaktische Kultur konfessioneller Kooperation im Religionsunterricht. Zeitschrift für Pädagogik und Theologie, 67 (1), S. 68–78. Woppowa, J. (2015): Grundlegung einer Didaktik der konfessionellen Kooperation im schulischen Religionsunterricht. In: Ders. (Hg.): Perspektiven wechseln – Lernsequenzen für den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht, S. 5–17. Paderborn: Schöningh.

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»Gesichter der Religionen« – ein interreligiöses Ausstellungsprojekt an der Universität Passau Hans Mendl

1  Der Kontext: Den Umgang mit Heterogenität schulen Studierende befinden sich in der Logik eines Studiums in formal weitgehend homogenen Lerngruppen, z. B. in einem Seminar, das für Studierende mit dem Fach Katholische Religionslehre angeboten wird. Um auf den Umgang mit religiöser Heterogenität vorzubereiten, sind zwei Schritte nötig: Zum einen muss der Blick über die Religion der eigenen Lerngruppe hinaus geweitet werden, um so mit Menschen anderer Religionen in Kontakt zu kommen. Zum anderen sollte die Arbeit in der eigenen Lerngruppe so angelegt sein, dass sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede deutlich werden und somit die formale Homogenität aufgebrochen wird und Differenzen bearbeitbar werden.

2  Das Konzept: Religion(en) ein Gesicht geben 2.1  Ein multiperspektivisches Ausstellungsprojekt Das erste Ziel des Seminars »Gesichter der Religionen« (das in Anlehnung an die Ausstellung »Religramme« entwickelt wurde) bestand darin, Menschen, die einer anderen Religion oder Konfession als der eigenen angehören, zu interviewen und auf einer Schautafel zu präsentieren: Die Spurensuche war selbst in einem vermeintlich religiös homogenen Landstrich wie Niederbayern erfolgreich und führte zum Einbezug von Personen, die der evangelischen Kirche, evangelischen Freikirchen, der Neuapostolischen Kirche, dem Islam, dem Shintoismus und der Religion der Bahai angehören. In einem ersten Arbeitsschritt wurden aus religionswissenschaftlichen Theorien (Porzelt, 2009) zentrale Dimensionen von Religion eruiert wie Lehre, Orte, Symbole, Gebete und Riten, Alltag, Emotionen u. Ä., die dann in entsprechende Interviewfragen hinein konkretisiert wurden (genauer: Mendl, 2017).

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2.2  Zwischen Fremd- und Eigenwahrnehmung Der folgende Perspektivenwechsel wurde zum grundlegenden Dreh- und Angelpunkt des Projekts: Die Studierenden erprobten das Interviewinstrumentarium zunächst an sich selber: Wie würde ich die Fragen persönlich beantworten? Die Teilnehmer*innen erstellten einen ersten Entwurf einer Schautafel zur eigenen Person, präsentierten diese und erhielten ein Feedback von den Kommiliton*innen. Dieser Bearbeitungsschritt führte auch zu einer Veränderung des Interviewmanuals. Erst im nächsten Schritt erfolgte dann die Vorbereitung auf die Befragung des/der Gesprächspartner*in einer anderen Religion. Die Studierenden holten vorab Sachinformationen zur Religion der zu Interviewenden ein und stellten sie in der Lerngruppe vor.

2.3  Work in progress Schrittweise wurde dann an beiden Teilprojekten – der Vorbereitung einer Schautafel zur interviewten Person und der Erstellung der Schautafel zur eigenen Person – weitergearbeitet. Die Vereinbarung von konkreten zeitlich fixierten Meilensteinen und die Festlegung auf ein gemeinsames Layout der Schautafeln sorgten für einen verlässlichen äußeren Rahmen des Seminarablaufs, der deutlich prozessorientiert angelegt war. Da das Projekt in eine öffentliche Präsentation münden sollte, mussten mehrere Korrekturschleifen eingefügt werden, an denen der Seminarleiter und die Mitstudierenden beteiligt waren. Die Studierenden sollten so zu einem konstruktiv-kritischen Umgang mit den Lernprodukten der anderen befähigt werden – und nahmen natürlich auch Gemeinsamkeiten und Unterschiede wahr, was die lebensgeschichtliche und lebensweltliche Bedeutung von Religion betrifft.

3  Erfahrungen und Erkenntnisse 3.1  Von der schwachen zur starken Toleranz Auffällig war, dass bei der Eingangsfrage nach der Einstellung anderen Religionen gegenüber unisono die Antwort kam: »Ich bin anderen Religionen gegenüber tolerant!« – sicher eine Folge fehlender Kontaktzonen mit Menschen anderer Religionen, aber auch Ausdruck eines noch kaum ausgeprägten individuierend-­ reflexiven Glaubens bei den Studierenden. Von einem differenzhermeneutischen 322

Hans Mendl

Ansatz aus (siehe dazu Büttner/Mendl/Reis/Roose, 2017; Mendl, 2009) bestand mein auch explizit formuliertes Ziel als Seminarleiter darin: Ȥ die Studierenden in der Wahrnehmung von Differenzen zu schulen, Ȥ sie auch zu einer genauen Betrachtung der Wahrheitsfrage anzuhalten Ȥ und auf dieser Basis einer starken Toleranz einen respektvollen und wohlwollenden Umgang mit den Menschen anderer Religionen zu ermöglichen. Die Auswertung ergab, dass dieses Ziel erreicht wurde. Die meisten Studierenden äußerten sich ähnlich wie diese: »Vor dem Seminar dachte ich mir immer, dass ich allen Religionen gegenüber offen bin. Nun ist mir bewusst, dass dies nicht immer so ist, da ich nicht alle Aspekte mancher Religionen gutheiße.«

3.2  Konfessorisch zum Eigenen stehen »Ich habe gelernt, über meinen Glauben offen nachzudenken.« – »Ich habe gelernt, offen über Religion zu sprechen.« Gerade die Erstellung einer Schautafel zur eigenen Person war ein mutiges Unterfangen, weil sich die Studierenden bewusst waren, dass diese Selbstpräsentation auch von anderen Menschen betrachtet werden konnte. Während bei den Schautafeln der Fremdreligionen in einem Kasten Grundinformationen über die Religionen gegeben wurden, lautete die Formulierung für diesen Kasten bei den eigenen Tafeln: »Warum ich katholisch bin!« Gerade auf dem Weg zu einem reflexiven Religionslehrer*in-Habitus erscheinen solche Prozesse eines Nachdenkens und Sprechens über den gelebten Glauben als unverzichtbar!

3.3  Einblicke in die Lebensrelevanz gelebter Religion Die Studierenden erhielten sowohl über die interviewten Angehörigen einer anderen Religion als auch über die Darstellungen der Mitstudierenden Einblicke in die Lebensbedeutung gelebter Religion vor allem auch bei jungen Menschen: »Es bekräftigt mich zu hören, dass sich auch andere junge Menschen an der Gemeindearbeit beteiligen«, lautet die Rückmeldung einer Studierenden.

»Gesichter der Religionen«

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4  Reflexion: Auch in der Schule Religion vor Ort ein Gesicht geben Wenn Religion ein Gesicht bekommt, dann wird sie anschaulich: Ähnliche Projekte (siehe Mendl, 1998) können auch an Schulen durchgeführt werden, weil dadurch die Begegnung von Menschen, vor allem mit Kindern und Jugendlichen, vor Ort gefördert werden kann! Für die Betrachter der Ausstellung wird auf diese Weise die Vielfalt der Religionen am Lern- und Lebensort Schule präsent. Die Akteure des Projekts lernen durch die skizzierte Herangehensweise verschiedene Optiken kennen, mit denen man einer lebensrelevanten Religion auf die Spur kommen kann, sie erfahren, dass man diese im Detail durchaus auch kritisch hinterfragen kann und werden so im Sinne einer starken Toleranz dialogfähig. Literatur zum Weiterlesen Büttner, G./Mendl, H./Reis, O./Roose, H. (Hg.) (2017): Jahrbuch für konstruktivistische Religionsdidaktik 8. Religiöse Pluralität. Babenhausen: LUSA. Mendl, H. (1998): Wie hältst Du’s mit Deiner Religion? Religion in der Lebensgeschichte von Schülerinnen und Schülern aus verschiedenen Kulturen und Religionen am Paul-Klee-Gymnasium. Informationen zum Religionsunterricht im Bistum Augsburg. Kontakt, 1, S. 35–40. Mendl, H. (2009): Wie Kinder mit Differenz umgehen – Theologisieren mit Kindern im Kontext religiöser Pluralität. In: A. A. Bucher/G. Büttner/P. Freudenberger-Lötz/M. Schreiner (Hg.): »In den Himmel kommen nur, die sich auch verstehen«. Wie Kinder über religiöse Differenz denken und sprechen, S. 23–38. Stuttgart: Calwer. Mendl, H. (2017): Gesichter der Religionen. Katechetische Blätter, 142 (3), S. 195–199. Porzelt, B. (2009): Grundlegung religiösen Lernens. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Religramme. Gesichter der Religionen: Interaktive Wanderausstellung der evangelisch-­lutherischen Landeskirche Hannover. Verfügbar unter: www.gesichter-der-religonen.de [19.04.2018].

Titelblatt der Ausstellung

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Hans Mendl

»kompetent kooperieren« – Förderung religionssensibler Dialog- und Kooperationskompetenz an der Universität Augsburg Kathrin S. Kürzinger

1  Der Kontext: Kooperationen in der Ausbildung Angesichts konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt im Klassenzimmer werden interreligiöse und weltanschauliche Sensibilität sowie Plura­ litätsfähigkeit zu Schlüsselkompetenzen aller Lehrkräfte. Für die adäquate Qualifizierung künftiger Lehrkräfte hinsichtlich phasen- und/oder projektweiser Kooperationen im Fächerverbund Religions- und Ethikunterricht wurde das hochschuldidaktische Seminarkonzept »kompetent kooperieren« entwickelt.

2  Das Konzept: Kooperationskompetenz in der Praxis

Seminarkonzept »kompetent kooperieren« (als Anregung für die Grafik diente Weber, 2013, S. 55)

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Im Hinblick auf die Förderung religionssensibler Dialog- und Kooperationskom­ petenz bietet es sich an, dass Studierende in gemischten Tandems eine Lernsequenz für eine interkonfessionelle, -religiöse oder weltanschauliche Seminargruppe entwerfen und gemeinsam im Team-Teaching erproben. So bildeten beispielsweise im Wintersemester 2017/18 eine evangelische Studentin und ein katholischer Student ein gemischt-konfessionelles Tandem zum Thema Fasten. Nachdem sie zunächst ihr eigenes Fastenverhalten in einem Gespräch biografisch reflektiert und sich Fastenbräuche und -motive im Judentum und Islam anhand von Literatur erarbeitet hatten, entwarfen sie ein Gruppenpuzzle zu Fastenmotiven und -bräuchen in den Weltreligionen für die Seminarsitzung. In der Sitzung wurden schließlich in einem Rollenspiel diverse Religionsvertreter*innen zu ihren Fastenmotiven und -bräuchen interviewt. Auf humorvolle Art und Weise durchbrach eine Studentin dieses Rollenspiel und äußerte auf der Metaebene ihre Schwierigkeiten, als selbst zwar nicht bekenntnislose, aber dennoch kaum religiös sozialisierte Person, der Fasten als religiöser Brauch eher fremd ist, nun als Religionsvertreterin zu sprechen. So kam die heute nicht selten verbreitete religiöse Sprachunfähigkeit direkt im Seminar zum Tragen. Durch die gemeinsame Reflexion dieses Vorfalls stellte sich eine bis zuletzt anhaltende offene Gesprächsatmosphäre im Seminar her. Durch die fächerübergreifende Seminarstruktur kommen die Studierenden mit der jeweils anderen Fachkultur in Kontakt, erlernen, eine Außenperspektive zu ihrem eigenen Fach einzunehmen und sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede bewusst wahrzunehmen. Die dabei gesammelten praktischen Erfahrungen, ggf. auftauchenden Schwierigkeiten und deren Lösungen werden anschließend gemeinsam reflektiert. Dabei schulen die Studierenden ihren Blick auf ihren eigenen Lernprozess, indem sie überlegen, welche Kompetenzen sie dadurch weiterentwickelt haben. Zudem können sie diese Erkenntnisse auf die Planung entsprechender Lernarrangements für ihre künftigen Schüler*innen übertragen.

3  Erfahrungen: Herausforderungen durch Begegnung »Eine weitere Herausforderung war, dass von Seiten der Ethik-Teilnehmer/ innen sehr viel kritisch hinterfragt wurde und teilweise für uns nur schwierig zu beantworten war. Es gab auch viel Diskussionsbedarf und Fragen bezüglich christlicher Themen und bezüglich unseres christlichen Glaubens« (01H42, 8). »Erstaunlich fand ich auch, dass einige Teilnehmer/innen aus dem anderen Seminar der Meinung waren, wir als Studenten/innen der Evangelischen Theologie würden alles wörtlich glauben, was in der Bibel steht« (01H42, 13). 326

Kathrin S. Kürzinger

Die Ausschnitte aus Reflexionsarbeiten der Studierenden (Kürzinger, 2017) zeigen die Herausforderungen, denen sich die Theologiestudierenden durch die Perspektiven und insbesondere (kritischen) Anfragen der Ethikstudierenden ausgesetzt sahen. Doch scheinen gerade die dadurch ausgelösten Irritationen den entscheidenden Impuls zu einer Reflexion der eigenen Religiosität und Haltung gegeben zu haben. So fühlten sich die angehenden Religionslehrkräfte durch die Konfrontation mit Vorurteilen gegenüber ihrem Glauben bzw. ihrer Religion oder auch durch Fragen aus der Außenperspektive zu ihrer Religion nicht nur besonders gefordert, sondern teilweise sogar überfordert. Allerdings erscheint mir genau darin eine essentielle Erfahrung zu liegen, aus der Außenperspektive von anderen gefragt zu werden und auf diese Weise Leerstellen bzw. eigene Ungewissheiten aufgezeigt zu bekommen, diese selbst als solche zu erkennen und schließlich gezielt zur eigenen Weiterentwicklung zu nutzen. So haben die Ethikstudierenden einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, die Reflexion der Theologiestudierenden hinsichtlich deren Religiosität anzustoßen und umgekehrt. Diese Funktion ist meiner Ansicht nach aus der reinen Binnenperspektive kaum realisierbar, weshalb eine bewusste Auseinandersetzung mit Angehörigen anderer Konfessionen, Religionen und/oder Weltanschauungen für angehende Religions- wie auch Ethiklehrkräfte unabdingbar ist. So wird beispielsweise auch im Rahmen der Komparativen Theologie – einem wissenschaftlichen Ansatz, der zwar von einem konfessionellen Standpunkt ausgeht, aber gleichzeitig die heutige religiöse Diversität zum Anlass nimmt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in einem Dialog der Religionen zu klären – die intensive Beschäftigung mit einer fremden Theologie als förderlich für das Verständnis und die Durchdringung der eigenen angesehen (von Stosch, 2012, S. 151 u. 154). In diesem Sinne lassen sich auch die folgenden Antworten auf offene Fragen eines Fragebogens zur begleitenden Evaluation des Seminarkonzepts verstehen (Kürzinger/Schneider, 2018): »Ich habe viel über mich und meinen eigenen Glauben, aber auch über andere Sichtweisen gelernt« (CNA08, 29). »Nicht direkt, mir ist eher bewusst geworden, dass ich doch stärkere religiöse Ansichten habe als gedacht« (CGG04, 35). »Es ist eine absolut positive Zusammenarbeit gewesen. Den Standpunkt des Gegenübers zu erfahren und auch einmal in eine andere Sichtweise zu schlüpfen, hat mir geholfen über den Tellerrand zu blicken« (AGF07, 28).

»kompetent kooperieren«

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4  Reflexion: Transfer auf die Schule Übertragen auf die Schule lassen sich folgende Konsequenzen ziehen: Zum Ersten erscheint es angesichts der aktuellen wie künftig noch zunehmenden konfessionellen, religiösen und weltanschaulichen Heterogenität notwendig, dass die Ausbildung religionssensibler Dialog- und Kooperationskompetenz bereits im Studium angebahnt wird, damit Lehrkräfte für die phasen- und/oder projektweise Zusammenarbeit im Fachbereich Religions- und Ethikunterricht qualifiziert sind. Zum anderen zeigen die Erfahrungen aus der Hochschuldidaktik, dass sowohl die Sprachfähigkeit über Religion(en) und Weltanschauungen wie auch die religionssensible Dialog- und Pluralitätsfähigkeit durch gemeinsamen Unterricht erkennbar gefördert werden können, als auch Vorurteile durch den interkonfessionellen, -religiösen bzw. weltanschaulichen Dialog bearbeitet und sogar abgebaut werden können. Allerdings ist hierzu natürlich eine Offenheit seitens der Teilnehmenden unabdingbar, sich auf einen gemeinsamen Dialog, auf ggf. zunächst ungewohnte Sichtweisen und Argumentationsfiguren einzulassen und durch einen Perspektivenwechsel in einen reflektierten Abstand zur eigenen Position zu treten. Aufgrund dessen empfiehlt es sich, gemeinsame Reflexionsrunden fest zu etablieren, um den Teilnehmenden diese Prozesse bewusst zu machen. Zum Zweiten können in Analogie zum vorgestellten Seminarkonzept auch Schüler*innen in gemischten konfessionellen, religiösen bzw. weltanschaulichen Tandems gemeinsam ein Thema bearbeiten (siehe hierzu auch das Best-PracticeBeispiel von Sajak in diesem Band), um insbesondere im direkten personalen Austausch ihre Sprach- und Dialogfähigkeit zu üben. Dabei liegt die Chance solcher Tan- oder Tridems gerade darin, dass durch den intensiven Austausch in Partner- bzw. Kleingruppenarbeit auch biografisch gelernt werden kann, ohne Schüler*innen einen Expertenstatus für ihre jeweilige Religion bzw. Weltanschauung zuzuweisen. Stattdessen kann an die gelebte Religion bzw. Weltanschauung angeknüpft werden und auch die emotionale Komponente in Form der eigenen (A-)Religiosität und des eigenen (Nicht-)Glaubens kann auf einer persönlichen Beziehungsebene verhandelt werden. So haben etwa auch die Tübinger Studien zum konfessionell-kooperativen Religionsunterricht die Bedeutung der Beziehungsebene für die Entwicklung des eigenen Konfessionsbewusstseins nachgewiesen (Schweitzer/Biesinger, 2002, S. 29). Insgesamt betrachtet verdeutlicht das Projekt die Bedeutung eines persönlichen Austauschs und Dialogs für die Entwicklung eines gegenseitigen Verständnisses in Bezug auf konfessionelle, religiöse und weltanschauliche Gemeinsamkeiten und Differenzen.

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Kathrin S. Kürzinger

Literatur zum Weiterlesen Kürzinger, K. S./Schneider, S. (2018): Förderung interreligiöser Dialog- und Kooperationskompetenz in der Hochschuldidaktik. Evaluation eines kooperativen Seminarkonzepts. Zeitschrift für Päda­ gogik und Theologie, 70 (1), S. 36–47. Kürzinger, K. S. (2017): Religionssensible Dialog- und Kooperationskompetenz. Ein hochschuldidaktisches Seminarkonzept. In: G. Büttner/H. Mendl/O. Reis/H. Roose (Hg.): Religiöse Pluralität. Jahrbuch für konstruktivistische Religionsdidaktik 8, S. 174–186. Babenhausen: LUSA. Kürzinger, K. S. (2016): »kompetent kooperieren«. Projektantrag zur Bewerbung um ein Junior-Fellowship für Innovationen in der Hochschullehre. Verfügbar unter: https://www.stifterverband.org/ lehrfellows/2016/kuerzinger [19.04.2018]. Schweitzer, F./Biesinger, A. (2002): Gemeinsamkeiten stärken – Unterschieden gerecht werden. Freiburg i. Br.: Herder. von Stosch, K. (2012): Komparative Theologie als Wegweiser in der Welt der Religionen. Paderborn: Schöningh. Weber, I. (2013): Personenorientierte Geschichte. Theologische Bildung und Mittlere und Neuere Kirchengeschichte. In: C. Bauer/M. Kirschner/I. Weber (Hg.): An Differenzen lernen. Tübinger Grundkurse als theologischer Ort, S. 51–59. Berlin: LIT Verlag.

»kompetent kooperieren«

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Zusatzqualifikation Interreligiöse Mediation – ein Angebot für alle Lehramtsstudierenden an der Universität Augsburg Elisabeth Naurath

1  Der Kontext: Schulalltag in religiöser Vielfalt Wie nie zuvor ist religiöse Vielfalt im gegenwärtigen Schulalltag zur alltäglichen Herausforderung geworden: Eine wachsende Zahl von Bekenntnislosen steht in ihrer christlichen Konfessionalität wenig beheimateten Katholik*innen und Protestant*innen sowie durch Migration einer wachsenden Zahl muslimischen (aber auch jüdischen, alevitschen, jesidischen u. a.) Schüler*innen gegenüber. Mögliche Spannungsfelder und damit die Herausforderungen für Lehrkräfte und Schulleitungen sind groß: Wie gestalten wir die Schuleingangsfeier – mit christlichem Gottesdienst oder einer multireligiösen Feier? Wie gehe ich als Lehrkraft damit um, dass manche muslimische Schüler*innen ein Kopftuch tragen und sich beim Sportunterricht immer wieder krank melden? Brauchen wir für die Mensa ein Essensangebot, das den religiösen Ansprüchen von koscher und halal entspricht? Gewähre ich als notengebende Lehrkraft muslimischen Schüler*innen in der Zeit des Ramadan Sonderrechte? Über diese alltäglichen Fragen hinausgehend stellen sich jedoch auch weitergehende Aufgaben für den Anspruch einer religionssensiblen Schulkultur, die sich etwa nicht nur dem Programm verpflichtet weiß, Schule gegen den Rassismus zu sein, sondern auch religionsbedingte Vorurteile und Feindbilder mit dem Ziel gewaltpräventiven Lernens (siehe Naurath in diesem Band) abzubauen. Wie kann das Schulleben religionsverbindend gestaltet werden, um mögliche Konflikte religiöser Natur konstruktiv zu bearbeiten? Wie können antisemitische und islamfeindliche Einstellungen hinterfragt und vor dem Hintergrund zugrundeliegender Ängste bearbeitet werden? Diese für den Schulalltag doch recht neuen Themen sind in der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften aller Fächer relevant, sodass nun an der Universität Augsburg mit dem Instrument einer Zusatzqualifikation Interreligiöse Mediation eine zeitgemäße Professionalisierung im Bereich interreligiöser Kompetenz­ entwicklung angeboten wird.

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2  Das Konzept: Zertifikat Interreligiöse Mediation Die Zusatzqualifikation Interreligiöse Mediation (ZIM) richtet sich als Ergänzungsstudium an Studierende, Lehramtsanwärter*innen und Lehrkräfte aller Fächerkombinationen und Schularten mit dem Ziel studien- bzw. berufsbegleitende Grundlagen für interreligiöse Bildungsprozesse zu erwerben. Nach erfolgreichem Abschluss des modularisierten Studiengangs wird ein Zertifikat erteilt, das religionswissenschaftliche, theologische, rechtliche und didaktische Kompetenzen im Umgang mit religiöser Vielfalt am Lern- und Lebensort Schule bestätigt. Hierbei verortet sich die Zusatzqualifikation Interreligiöse Mediation, die mit dem Wintersemester 2017/18 (unter Federführung von Prof. Dr. Elisabeth Naurath und Prof. Dr. Georg Langenhorst) begonnen hat, in den fächerübergreifenden Kontext der Forschungs- und Koordinationsstelle interreligiöse Bildung (FIB) der Universität Augsburg. Intention dieser institutionellen Verankerung, die auch eng mit dem Zentrum für Lehrer*innenbildung und interdisziplinäre Bildungsforschung (ZLbiB) verknüpft ist, ist neben der Förderung von Forschungsprojekten auch die interreligiöse Sensibilisierung für die Lehrpraxis aller Fächer. Langfristig ist hierbei intendiert, dass mit der Universität Augsburg ein zweiter bayerischer Standort für Islamische Religionspädagogik aufgebaut werden kann, um auf der Basis einer grundständigen, wissenschaftlichen Ausbildung von Lehrkräften flächendeckend Islamischen Religionsunterricht in Bayern anbieten zu können. Das Studium im Rahmen der Zusatzqualifikation Interreligiöse Mediation kann in zwei bis sechs Semestern absolviert werden und umfasst Veranstaltungen im Umfang von 16 Semesterwochenstunden und 30 Leistungspunkten (ECTS). Hierbei ist der Aufbau des Studiums in ein Basis-, Aufbau und Vertiefungsmodul gegliedert: Im Basismodul geht es um einführende Grundlagen interreligiöser Friedenspädagogik sowie um Möglichkeiten interreligiösen Lernens – auch anhand themenspezifischer Zugänge. So werden beispielsweise in der Lernwerkstatt für Interreligiöse Bildung der Universität Augsburg (siehe Beiner/ Unger in diesem Band) Lehrveranstaltungen angeboten, die einen Projekttag in der Schule vorbereiten. Themen wie sakrale Räume, Feste und Feiern, Umgang mit Sterben, Tod und ewigem Leben in den Weltreligionen werden gemeinsam mit den Studierenden erarbeitet und anschließend mit Schüler*innen durchgeführt. Hierbei wechseln die schulischen Lernorte, sodass Kooperationen und erfahrungsbezogenes Lernen mit unterschiedlichen Schularten und Jahrgangsstufen möglich sind. Im Aufbaumodul werden vertiefend religionswissenschaftliche Kenntnisse zu den abrahamischen Religionen erworben, indem sowohl eine Einführung in den Islam, in das Judentum und in das Christentum von Dozierenden der jeweiligen Religion mit dem Schwerpunkt dialogischen Lernens Zusatzqualifikation Interreligiöse Mediation

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durchgeführt werden. Schließlich können im Vertiefungsmodul mit einer Auswahl von sieben Modulteilen zwei Schwerpunkte gesetzt werden: Zur Auswahl stehen hier Seminarangebote zu interreligiöser Bildung im frühkindlichen oder im jugendlichen Alter, ein Seminar zum Schriftverständnis und Umgang mit Tora, Bibel und Koran, ein Seminarangebot zur interreligiösen Mediation und Sprache sowie Seminare zu theologischen, ethischen oder juristischen Aspekten interreligiöser Bildung.

3  Erfahrungen: Angebot und steigende Nachfrage Der immense Zulauf von interessierten Studierenden zu diesem neu geschaffenen Studiengang ist so erfreulich, dass der aktuelle Bedarf an interreligiöser Qualifizierung deutlich wird: Nach einem halben Jahr gibt es schon über 20 Imma­tri­ ku­lationen aus einem breiten Spektrum von Studierenden wie auch Lehrkräften unterschiedlicher Konfessionen und Religionen. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich die religionswissenschaftlichen und dialogisch konzipierten Veranstaltungen, die zur jüdischen Theologie/Religionspädagogik von einer Rabbinerin und im islamischen Bereich von einer muslimischen Dozentin, die über langjährige Erfahrung als Lehrerin für Islamischen Unterricht verfügt, durchgeführt werden. Zudem hat sowohl die Eröffnung der Forschungs- und Kooperationsstelle für interreligiöse Bildung (FIB) als auch die Ermöglichung der Zusatzqualifikation (ZIM) zu einem höheren studentischen und universitären Interesse an interreligiösen Bildungsfragen geführt: In jedem Semester werden Gastvorträge in jüdischer und islamischer Theologie angeboten, die zum einen ein breiteres Spektrum der konfessionellen Strömungen dieser Religionen verdeutlichen sollen und zum anderen als offenes Angebot der Vernetzung mit der Stadtgesellschaft dienen. Auch die schulische Wirklichkeit profitiert deutlich von der Durchführung der interreligiösen Projekttage. So wurde im Wintersemester 2017/2018 ein Projekttag zum Thema »Sterben, Tod und ewiges Leben in den Weltreligionen« an der Mittelschule Fischach in den Jahrgangsstufen 9 und 10 durchgeführt, wobei der evangelische Religionsunterricht mit dem Ethikunterricht kooperierte. Die Gruppe bestand mehrheitlich aus bekenntnislosen Schüler*innen. Trotz der vorausgehenden »Warnung«, dass die zusammengelegten Klassen kaum für die Thematik zu begeistern wären und keinesfalls einen ganzen Vormittag konzentriert arbeiten könnten, verlief der Projekttag mit überaus großem Erfolg. Das Interesse sowohl an den Bestattungsriten anderer Religionen als auch die subjektorientierte Erarbeitung und Gestaltung eigener Vorstellungen zum ewigen Leben wurden von den Schüler*innen sehr motiviert angenommen. Besonders die Aus332

Elisabeth Naurath

stellung der selbst gestalteten Exponate regte zu intensiven Diskussionen an und verdeutlichte letztlich den Wunsch bzw. das Bedürfnis nach einer dialogischen Auseinandersetzung mit (letzten) Sinnfragen angesichts von Sterben und Tod.

4  Reflexion: Das Schulleben religionsverbindend gestalten Letztlich sind alle Lehrkräfte und Schulleiter*innen gefordert, den gegenwärtigen Bedingungen von religiöser Heterogenität an den Schulen in deren jeweiligem Kontext so gerecht zu werden, dass Schule ein friedlicher und gemeinschaftsstiftender Ort bleibt bzw. werden kann. Gerade weil Schule heute nicht nur Lern-, sondern auch Lebensort ist, können die religiösen (und damit auch konfessionellen) und weltanschaulichen Hintergründe der Schüler*innen nicht ignoriert oder tabuisiert werden. Vielmehr geht es darum, die religionswissenschaftlichen Kenntnisse wie auch die interreligiös-dialogischen Kompetenzen der Lehrkräfte so auszubilden, dass die Schüler*innen ermutigt werden, ihre eigenen wie auch die Lebenseinstellungen und Wertorientierungen anderer wahrzunehmen, wertzuschätzen und im Gespräch zu reflektieren. Die Vorbildfunktion und der Beitrag der Lehrkräfte als Multiplikator*innen für interreligiösen Dialog sind für den sozialen Frieden an der Schule wie auch in der Gesellschaft nicht hoch genug zu bewerten. Um diese friedenspädagogischen Impulse zu gewährleisten, bedürfen Lehramtsstudium wie auch Fort-und Weiterbildungen für Lehrkräfte einer neuen Aufmerksamkeit im Bereich der interreligiösen Bildung, um das Schulleben religionsverbindend gestalten zu können. Weitere Hinweise www.uni-augsburg.de/fib [19.04.2018]. Zusatzqualifikation Interreligiöse Mediation

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Autor*innen

Abd El Gawad, Walid, MA Islamwissenschaft/Arabistik, Postdoc-Fellow an der W. M. Blumenthal Akademie des Jüdischen Museums Berlin Aldebert, Heiner, Dr. theol., Pfarrer, apl. Professor für Praktische Theologie an der Universität Erlangen, Inhaber der Regionalstelle Oberbayern des Religionspädagogischen Zentrums Heilsbronn Alflen, Ursula, Lehrerin mit dem Fach katholische Religion an der Martin-Buber-Schule in Groß-Gerau Beiner, Jens, Doktorand am Lehrstuhl für Evangelische Theologie mit Schwerpunkt Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Universität Augsburg Büttner, Gerhard, Dr. paed., Professor i. R. für Evangelische Theologie mit dem Schwerpunkt Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Technischen Universität Dortmund Domsgen, Michael, Dr. theol., Professor für Evangelische Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Eisenhardt, Saskia, M.Ed., Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für die Didaktik des Religionsunterrichts und Praktische Theologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Freund, Julia, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsstelle Theologie der Friedenskirchen, Fachbereich Ev. Theologie der Universität Hamburg Gärtner, Claudia, Dr. theol., Professorin für Praktische Theologie an der Technischen Universität Dortmund Gloy, Andreas, Studienleiter für Sekundarstufe I, Pädagogisch-Theologisches Institut der Nordkirche, Arbeitsstätte Hamburg, Oberstudienrat am Gymnasium Graham, Dennis, Religionslehrer und Studienleiter für den Religionsunterricht in der Sekundarstufe II am PTI der Nordkirche in Hamburg Güzel, Selcen, M.A., Doktorandin am Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik der Universität Augsburg, Lehrkraft für Islam-Unterricht in Bayern sowie Lehrbeauftragte an der Forschungs- und Koordinationsstelle für Interreligiöse Bildung der Universität Augsburg Hasler, Sebastian, M.Ed., LiV/Referendar* am Gymnasium Kaltenkirchen

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Hertel-Holst, Stefanie Christine, M.Ed., Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Systematische Theologie mit Schwerpunkt Ethik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Husmann, Bärbel, Dr. phil., Religionspädagogin und Schulbuchautorin, Lehrerin für Evangelische Religion und Chemie, zuletzt als Stellvertretende Schulleiterin am Gymnasium Meckelfeld/ Niedersachsen Kaloudis, Anke, Dr. phil., Studienleiterin am religionspädagogischen Institut in Frankfurt mit dem Schwerpunkt Interreligiöses Lernen Kammeyer, Katharina, Dr. phil., Professorin für Didaktik der evangelischen Religionslehre mit Schwerpunkt Inklusion an der Universität Paderborn Kuropka, Nicole, Dr. theol., Privatdozentin an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel und Berufsschulpfarrerin am Berufskolleg Elberfeld Kürzinger, Kathrin S., Dr. phil., Habilitationsstipendiatin am Lehrstuhl Evange­lische Theologie mit Schwerpunkt Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Universität Augsburg Langenhorst Georg, Dr. theol., Professor für Didaktik des Katholischen Religionsunterrichts und Religionspädagogik an der Universität Augsburg Lindner, Konstantin, Dr. theol., Professor für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts am Institut für Katholische Theologie der Otto-Friedrich-­Universität Bamberg Mendl, Hans, Dr. theol., Professor für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Universität Passau Meyer, Karlo, Dr. theol., MPhil, Professor für Religionspädagogik an der Universität des Saarlandes Mingenbach, Hans-Michael, Schulleiter des Elisabeth-Gymnasiums Halle (Saale), unterrichtet in den Fächern Katholische Religionslehre und Geografie Naurath, Elisabeth, Dr. phil., Professorin für Evangelische Theologie mit Schwerpunkt Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Universität Augsburg Pohl-Patalong, Uta, Dr. theol., Professorin für die Didaktik des Religionsunterrichts und Praktische Theologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Pühl, Barbara, Dr. theol., Beauftragte für Chancengerechtigkeit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern Rosenow, Heide, Seminarleiterin des Faches Evangelische Religion der Schulformen Grund-, Hauptund Realschule an den Studienseminaren Hannover (1985–1989) und Osnabrück (1994–2016) Schätzlein, Lisa, Lehrerin mit den Fächern evangelische Religion und Deutsch an der MartinBuber-Schule in Groß-Gerau

Autor*innen

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Schröder, Bernd, Dr. phil., Professor für Praktische Theologie mit den Schwerpunkten Religionspädagogik und Bildungsforschung an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen Sajak, Clauß Peter, Dr. theol., Professor für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Schlag, Thomas, Dr. theol., Professor für Praktische Theologie mit den Schwerpunkten Religionspädagogik, Kirchentheorie und Pastoraltheologie an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich Schulz, Claudia, Dr. phil., Professorin für Diakoniewissenschaft und Soziale Arbeit an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg Seyboth, Micha, Pfarrer und Studiendirektor für Evangelische Religionslehre am Peutinger-Gymnasium Augsburg Simojoki, Henrik, Dr. theol., Professor für Evangelische Theologie mit Schwerpunkt Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Otto-­Friedrich-Universität Bamberg Sperling, Ines, Lehramtsanwärterin am Staatlichen Seminar für Didaktik und Lehrerbildung Mannheim, Studium an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg für das Lehramt Sekundarstufe I in den Fächern Englisch, Ethik und Deutsch. Steinkühler, Martina, Dr. phil., Religionspädagogin, freie Autorin und Fortbildnerin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für ev. Theologie und Religionspädagogik an der Universität Regensburg Unger, Lisa, Grundschullehrerin, zur Zeit abgeordnet an den Lehrstuhl für Evangelische Theologie mit Schwerpunkt Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Universität Augsburg Winklmann, Michael, Dr. phil., Projektkoordinator Studium.Pro an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt Witten, Ulrike, Dr. phil., Gymnasiallehrerin für Ev. Religion und Geschichte, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Religionspädagogik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Woppowa, Jan, Dr. theol., Professor für Katholische Religionsdidaktik an der Uni­versität Paderborn

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Autor*innen