Regionalluftverkehr und Eisenbahn als Wettbewerber im deutschen und grenzüberschreitenden Personenverkehr [1 ed.] 9783428475261, 9783428075263


124 65 26MB

German Pages 203 Year 1993

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Regionalluftverkehr und Eisenbahn als Wettbewerber im deutschen und grenzüberschreitenden Personenverkehr [1 ed.]
 9783428475261, 9783428075263

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

DIETER GIESE

Regionalluftverkehr und Eisenbahn als Wettbewerber im deutschen und grenzüberschreitenden Personenverkehr

Schriften zu Regional- und Verkehrsproblemen in Industrie- und Entwicklungsländern Herausgegeben von J. Heinz Müller t und Theodor Dams

Band 55

Regionalluftverkehr und Eisenbahn als Wettbewerber im deutschen und grenzüberschreitenden Personenverkehr

Von

Dieter Giese

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme

Giese, Dieter: Regionalluftverkehr und Eisenbahn als Wettbewerber im deutschen und grenzüberschreitenden Personenverkehr I von Dieter Giese. - Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Schriften zu Regional- und Verkehrsproblemen in Industrieund Entwicklungsländern ; Bd. 55) Zug!.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-07526-9 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0582-0170 ISBN 3-428-07526-9

Meinen Eltern und Ulrike

Vorwort der Herausgeber Die vorliegende Ausarbeitung stellt den relevanten Wettbewerbsbereich zwischen Regionalluftverkehr und Eisenbahn im Personenverkehr umfassend und eingehend dar. Dabei wird dieser Bereich klar abgegrenzt, seine entscheidenden Komponenten werden deutlich herausgearbeitet. Ausgangspunkt der Arbeit ist die Feststellung, daß der Regionalluftverkehr seit Jahren in Deutschland und Europa die größten Zuwachsraten im Verkehr verzeichnet. Im innerdeutschen und grenzüberschreitenden Regionalluftverkehr erhöhte sich die Zahl der beförderten Personen von 688 Tsd. (1984) auf 3,2 Mio. ( 1990). Die Zahl der bedienten Strecken stieg in der gleichen Zeit von 48 auf über 150. Im Gegensatz dazu verzeichnen die meisten europäischen Eisenbahnen seit Jahrzehnten sinkende Marktanteile. Die Ursachen sind vielschichtig: in erster Linie ist die rasante Entwicklung des PKW-Verkehrs dafür maßgebend. Ein zweiter wichtiger Grund liegt darin, daß die Entscheidungsträger der Eisenbahnen oft versäumt haben, sich rechtzeitig auf die geänderten Anforderungsprofile ihrer Kunden einzustellen. Auch die Übertragung bestimmter gemeinwirtschaftlicher Aufgaben begrenzt die Konkurrenzfähigkeit der Eisenbahn, insbesondere die der Deutschen Bundesbahn. Innerhalb des deutschen Luftverkehrsnetzes sind die Verbindungen des Regionalluftverkehrs ein eigenständiges System. Es bildet durch die zielorientierte Verknüpfung mit dem Inlandnetz der Lufthansa ein flächendeckendes, komplementäres Angebot. Im grenzüberschreitenden Verkehr, auf den etwa zwei Drittel der Nachfrage entfallen, dominieren (bisher) Verbindungen in westliche und südliche Länder. Nahezu alle im Netz des grenzüberschreitenden Regionalluftverkehrs befindlichen Flughäfen liegen zugleich im Jetnetz der großen staatlichen Fluggesellschaften, werden allerdings ausnahmslos von anderen Quellflughäfen aus angeflogen. So gliedert sich das Netz der grenzüberschreitenden Regionaiflugverbindungen gut in das Jetnetz der großen Carrier ein, indem es Direktverbindungen zwischen oder zu solchen Destinationen bereitstellt, deren Bedienung durch größeres Jetgerät unwirtschaftlich wäre. Im Schienenpersonenfernverkehr der Deutschen Bundesbahn- und ähnlich bei benachbarten Eisenbahnen - dominieren heute drei Zugsysteme: die ICbzw. EC- (oder ICE-) Verbindungen, die InterRegioverbindungen und die nationalen und internationalen Schnellzüge. Das IC I EC-Stammnetz weist in Deutschland (bisher) einen Infrastrukturverlauf in Nord-Süd-Richtung auf, wobei

8

Vorwort der Herausgeber

eine Komponente das Verkehrsaufkommen durch das Ruhrgebiet und das Rheinland erlaßt, während eine andere Verkehrsachse von Harnburg über Hannover und Würzburg in Richtung München verläuft. Während der heutige Linienflugverkehr in Europa im wesentlichen international ausgerichtet ist, gilt für die Eisenbahnen weit stärker ein Nationalcharakter: sie sind Verkehrsträger, deren Dienstleistung weitgehend an der eigenen Staatsgrenze endet. Im Gegensatz zum Luftverkehr bedingt grenzüberschreitender Eisenbahnverkehr in hohem Maße technologische Kompatibilität der Transportmittel. In der Vernachlässigung dieses Aspektes lag über Jahrzehnte hinweg der wohl gravierendste Mangel im europäischen Schienenpersonenfernverkehr. Erst in den letzten Jahren sind hier wesentliche Fortschritte zu verzeichnen. Im Rahmen der Preisbildung sind die Aufwands- und Ertragsstrukturen der Verkehrsträger von besonderer Bedeutung. Während im Regionalluftverkehr keine einzelne Aufwandsart ihrer relativen Gewichtung nach als besonders stark bezeichnet werden kann, stehen auf Seiten der Eisenbahn die Wegekosten und der große Anteil der Personalaufwendungen im Vordergrund. Der hohe Anteil des Personalaufwands ist nach wie vor das schwerste Strukturproblem der Eisenbahn. Die Nachfrageseite des Regionalluft- und des Eisenbahnpersonenfernverkehrs gliedert sich in die Hauptsegmente Geschäfts- und Privatreiseverkehr. Im Geschäftsreiseverkehr dominieren im Hinblick auf die Verkehrsmittelwahl reisezeitbezogene Qualitätsaspekte, während das Segment der Privatreisenden vorrangig die Preiskomponente betont. Da die Geschäftsreisenden im Regionalluftverkehr ca. 80% des Aufkommens bilden, besitzen diese für die Nachfrage ganz entscheidende Bedeutung. Entsprechend ist die Angebotspalette schwerpunktmäßig auf die Präferenzen dieser zahlungsbereiten und zahlungsfähigen Klientel ausgerichtet. Die Bahn versucht seit Jahren, die Geschäftsreisenden durch Bereitstellung zahlreicher qualitativ hochwertiger Produktinnovationen als Kunden (zurück) zu gewinnen. Wegen ihres weitaus höheren Anteils an Privatreisenden kann sie aber ihre Angebotspalette nicht einseitig auf die Bedürfnisse der Gruppe der Geschäftsreisenden ausrichten. Die gut fundierte Darstellung des Wettbewerbsbereichs zwischen Regionalluftverkehr und Eisenbahn bietet in der vorliegenden Arbeit eine gute Basis für die aktuelle Diskussion um die künftige Gestaltung des Personenfernverkehrs im Zentrum Europas. Freiburg, im November 1991

Theodor Dams

J. Heinz Müller

Vorwort des Verfassers Regionalluftverkehr und Eisenbahn als Wettbewerber im deutschen und grenzüberschreitenden Personenverkehr- seit Jahren ein Wettbewerb zweier Verkehrsträger mit entgegengesetzter Marktanteilsentwicklung. Daß der Linienflugverkehr mit kleinerem, üblicherweise propellerbetriebenem Fluggerät in Deutschland, Europa und in den USA schon lange überproportionale Zuwachsraten verzeichnet, drängt sich jedem Beobachter der aktuellen luftverkehrspolitischen Szene auf. Fast jeder zehnte Liniendienst innerhalb Europas wird mittlerweile mit Turbopropgerät durchgeführt, das über weniger als 70 Sitzplätze verfügt. Dabei hatten die meisten großen Fluggesellschaften vor gut 25 Jahren - stolz -die erfolgte Abschaffung ihrer bis dahin benutzten Propellermaschinen verkündet; "All Jet Fleet" lautete zu jener Zeit das Motto der Flottenpolitik auf Seiten der führenden westeuropäischen Liniencarrier. Im Gegensatz hierzu verzeichnen die europäischen Eisenbahnen im Personenverkehr, von wenigen Ausnahmen abgesehen, seit Jahrzehnten sinkende Marktanteile; offensichtlich ist es ihnen nicht gelungen, am Wachstum des europäischen Verkehrsmarktes teilhaben zu können. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Ohne den Ergebnissen dieser Untersuchung vorgreifen zu wollen kann dieser Trend zum Teil mit der rasanten Entwicklung des Automobilverkehrs erklärt werden; insbesondere die Eisenbahngesellschaften stellen diesen Aspekt in den Vordergrund der Debatte. Daß jedoch zwischen hoher Automobildichte eines Landes und wachsenden Marktanteilen der Eisenbahn im Fernverkehr kein Widerspruch bestehen muß, zeigen eindrucksvoll die Beispiele Frankreichs und Japans. Trotz hoher Automobildichte in jenen Ländern konnten dort die Hochgeschwindigkeitszüge sowohl dem Luft- als auch dem Automobilverkehr Marktanteile abnehmen. Auf welche Ursachen ist also die entgegengesetzte Entwicklung der Marktanteile von Regionalluftverkehr und Eisenbahn tatsächlich zurückzuführen? Die vorliegende Arbeit unternimmt den Versuch, dieser Frage vor dem Hintergrund ausgewählter verkehrspolitischer und verkehrswirtschaftlicher Aspekte nachzugehen. Neben einer eingehenderen Betrachtung der ordnungspolitischen Rahmenbedingungen bildet eine Diskussion der wichtigsten Aufwands- und Ertragsstrukturen den Schwerpunkt dieser Untersuchung. Im Anschluß daran erfolgt ein Überblick über wettbewerbliehe Innovationspotentiale, deren Verwirklichung in absehbarer Zeit konkret erfolgen wird oder zumindest wahrscheinlich ist. Wenngleich der Verfasser bemüht war, die auszuweisenden Daten so aktuell wie möglich zu halten, konnten diejenigen Entwicklungen, die sich nach der

10

Vorwort des Verfassers

überraschenden Öffnung der innerdeutschen Grenze vollzogen haben, nicht mehr berücksichtigt werden. Für die Überlassung des Themas sowie für die zahlreichen kritischen Ratschläge und Anregungen bin ich Herrn Professor Dr. J. Heinz Müller zu großem Dank verpflichtet. Zudem danke ich Herrn Prof. Dr. Dres. h. c. Theodor Dams für die Erstellung des Zweitgutachtens. Großer Dank gebührt auch meiner Frau für ihre Geduld und Arbeitskraft während all der Zeit. Freiburg, im Juni 1991

Dieter Giese

Inhaltsübersicht 1. Die bisherige Entwicklung von Regionalluftverkehr und Eisenbahn als Anbieter im Personenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

1.1 Begriffliche Abgrenzung des Regionalluftverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

1.2 Gründe des Wachstums im Regionalluftverkehr .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

24

1.3 Verkehrsmarktwachstum und Marktanteilsentwicklung der Deutschen Bundesbahn .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

1.4 Die Rolle des Personenfernverkehrs aus Sicht verschiedener europäischer Eisenbahnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

2. Die Unternehmensverfassungen der Deutschen Bundesbahn und größerer deutscher Regional-Fluggesellschaften im Vergleich . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

2.1 Wettbewerbspolitische Ausgangslage der Deutschen Bundesbahn .. .. .. ..

40

2.1.1 Rechtsform und das Prinzip der Gemeinwirtschaftlichkeit . . . . . . . . . .

40

2.1.2 Kritik und Reformvorschläge zur bisherigen Auffassung und Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

2.1.3 Ausgleichszahlungen des Bundes, J?.B-Defizit und die Verschuldungsproblematik: ein quantitativer Uberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

2.2 Anbieter im Regionalluftverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

2.2.1 Deutsche Luftverkehrsgesellschaft mbH (DLT) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

2.2.2 Nürnberger Flugdienst Luftverkehrs AG (NFD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

2.2.3 Regionalflug GmbH (RFG) und kleinere Anbieter . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

2.3 Die Unternehmensverfassung als Rahmenbedingung flexibler Unternehmensführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

3. Streckennetz von Regionalluftverkehr und Eisenbahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

3.1 Verkehrsgebiete des Regionalluftverkehrs ...................................

60

3.1.1 Liniendienste innerhalb der Bundesrepublik .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

60

3.1.2 Grenzüberschreitende Direktdienste .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .

64

3.2 Verkehrsnetz der Eisenbahnen . .. .. . .. . . . .. . . . . . . . . . .. .. . . .. . . . . . . . . . . . . ... .. .

66

3.2.1 EuroCity- I InterCitynetz der Deutschen Bundesbahn . . . . . . . . . . . . . . . .

66

3.2.2 InterRegioverkehr der Deutschen Bundesbahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

3.2.3 Das System der nationalen und internationalen Schnellzüge . . . . . . .

70

3.3 Neuere Entwicklungen im Personenverkehr nach Berlin und in die neuen deutschen Bundesländer . . . . . . .. . .. . . .. . . . . . . .. . . . . . .. .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .

71

12

Inhaltsübersicht

4. Entwicklung des verkehrspolitischen Ordnungsrahmens für den grenzüberschreitenden Regionalluftverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

4.1 Konferenz von Chicago, Bermuda-1-Abkommen und das System bilateraler Vereinbarungen in Europa . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .

78

4.2 Luftverkehrspolitik auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaften bis 1985: erste Initiativen zur Deregulierung des innereuropäischen Linienflugverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

4.3 Fortschritte auf dem Weg zum gemeinsamen Verkehrsmarkt seit 1985 und die zu erwartende Situation bis 1993 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

5. Multilaterale Vereinbarungen als Gestaltungsrahmen für den internationalen Schienenpersonenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

100

5.1 Das Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) vom 9.5.1980 unter besonderer Berücksichtigung der Tarifvorschriften .

100

5.1.1 Ursprung des COTIF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

100

5.1.2 Tarifvorschriften und Sonderabmachungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

I 02

5.1.3 Nationales Eisenbahnrecht versus COTIF und EG-Recht .. . . . ... .. .

104

5.2 Das Europäische Übereinkommen über die großen internationalen Linien des Eisenbahnverkehrs (AGC) vom 31. Mai 1985 ... ....... ...... ... . ... . ..

106

6. Determinanten der Tarifgestaltung im Regionalluftverkehr aus Anbieterund Nachfragerperspektive . . . . . . . .. . .. .. . .. .. . .. . . .. . . . . .. . . ... .. . .. . . . . . .. . . . . . .

112

6.1 Die Aufwandsstruktur der größten deutschen Regionalfluggesellschaften im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

112

6.2 Wegekosten im Luftverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

117

6.3 Die Erlöskomponente: Detailanalyse der Nachfragegruppierungen und deren Präferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

120

6.4 Schlußfolgerungen für die Angebotskonzeptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

123

6.5 Preisdifferenzierung als Grundlage unterschiedlicher Tarifkonzeptionen

128

7. Aufwands- und Ertragsstrukturen des Eisenbahnverkehrs am Beispiel der Deutschen Bundesbahn . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

132

7.1 Die Kostenkonfiguration der DB . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. . .. .. . . . . . . . . . .. . . . . .

132

7 .1.1 Die Aufwandsarten im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

132

7 .1.2 Problemfeld Personalkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

134

7.2 Die Wegekosten und deren Anlastung: Darstellung des Standes mit kritischen Anmerkungen . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .

137

7.3 Anforderungen an den Schienenpersonenfernverkehr aus der Perspektive unterschiedlicher Marktsegmente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

143

7.4 Konsequenzen für die Angebotskonzeption der Deutschen Bundesbahn im Fernverkehr . . . .. . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . ... .. . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . .

147

7.4.1 Die Qualitätsmerkmale EuroCity, InterCity /lnterCity-Expreß und InterRegio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

147

7.4.2 Sonstige Qualitätsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

152

7.4.3 Preisdifferenzierung als Grundlage der Tarifkonzeption der Deutschen Bundesbahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . .. . . .. . . . .

154

Inhaltsübersicht

13

8. Haben Flugzeug und Eisenbahn ihre technischen und kapazitiven Grenzen bald erreicht? Ausblick aufinnovationspotentiale im Wettbewerb zwischen Flugzeug und Eisenbahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .

157

8.1 Systembedingte Innovationspotentiale im Schi.~nenverkehr: Neu- und Ausbaustrecken der Deutschen Bundesbahn im Uberblick . . . . . . . . . . . . . . . . .

157

8.2 Nationaler und grenzüberschreitender Hochgeschwindigkeitsverkehr in Europa ................... .. . . . . . ........... ...... .. .................... .. . . . .. . . .

162

8.3 Kapazitätsgrenzen des Regionalluftverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

167

8.4 Innovationspotentiale vor dem Hintergrund wettbewerbsrelevanter Entfernungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

170

8.5 Mögliche Auswirkungen innovativer Kommunikationstechnologien auf den Personenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 9. Fazit

181

Anhang

185

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

191

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Passagiere im grenzüberschreitenden Regionalluftverkehr der Bundesrepublik Deutschland nach Quell- I Zielländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

Tabelle 2: PKW-Bestand der EG-Länder 1964- 1988 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

Tabelle 3: PKW-Bestand der Nicht-EG-Ujnder in Europa 1964-1988 . . . .. . .. ..

35

Tabelle 4: Entwicklung der Reisendenzahl im Verkehr der DR mit und ohne Berlin (West) 1971-1989, ohne Sonderverkehr ................. . .... .

75

Tabelle 5: Ausgewählte Infrastrukturparameter für die großen internationalen Linien des Eisenbahnverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Tabelle 6: Aufwandsstruktur der DLT 1987- 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

113

Tabelle 7: Aufwandsstruktur der NFD 1989 ..... . .... . ...... . ............. .. ... . . 114 Tabelle 8: Aufwendungen und Erträge der DB 1987- 1989 . ... .. . . . . . . . . .. . .. . . 132 Tabelle 9: Personal der DB (ohne Nachwuchskräfte) und seine Bezüge 19571989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Tabelle 10: Trennungsrechnung der DB 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

139

Tabelle II: Ergebnisse der Trennungsrechnung der DB 1981-1989 ...... . . . . .. . . 140

Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Passagiere im Regionalluftverkehr der Bundesrepublik Deutschland, ohne Doppelzählungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

Abb. 2: Streckenentwicklung im Regionalluftverkehr der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

Abb. 3: Aufkommensentwicklung im Schienenpersonenverkehr der DB 1968 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

Abb. 4: Inlandnetz der Lufthansa 1990 . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

Abb. 5: Inlandnetz von DLT, NFD und RGF 1990, ohne Ergänzungsluftverkehr und Saisonflüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

Abb. 6: Inlandnetz sonstiger deutscher Anbieter 1990, ohne Ergänzungsluftverkehr .......... ......... ... . .................. . .. .. ...... ... . .. . . . . . . . .....

63

Abb. 7: Grenzüberschreitende Direktdienste im Regionalluftverkehr deutscher und ausländischer Anbieter 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

Abb. 8: Stammnetz des EuroCity- und InterCityverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

Abb. 9: Grundmuster des InterRegionetzes 1991 . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . .

69

Abb. 10: Die klassischen Freiheiten der Luft ............ . .. . .... :. . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

Abb. 11: Nachfragepräferenzen der Geschäfts- und Privatreisenden zur Wahl des Verkehrsmittels Flugzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Abb. 12: Entscheidungskriterien der Geschäftsreisenden für die Wahl einer Fluggesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Abb. 13: Struktur der Aufwendungen der DB 1987- 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Abb. 14: Entscheidungsprozeß der Verkehrsmittelwahl im Schienenpersonenfernverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

144

Abb. 15: Segmentspezifische Motive zur Wahl/ Abwahl des Verkehrsmittels Eisenbahn ............. . .. . .·. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Abb. 16: Strategische Entscheidung zum Produktmix der DB 1983 bis 2000 . . . . 151 Abb. 17: Bedingungsrahmen der Reisegeschwindigkeit im Schienenverkehr . . . . .

152

Abb. 18: Systemeigenschaften des Schienenverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

158

Abb. 19: Abnehmender Fahrzeitgewinn bei konstant steigender Durchschnittsgeschwindigkeit und gegebener Streckenlänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

159

16

Abbildungsverzeichnis

Abbo 20: Vision eines europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes der Eisenbahnen

163

Abbo 21: Reisezeit in Abhängigkeit von der Streckenentfernung (Luftlinie) im Regionalluft- und Schienenverkehr

171

Abbo 22: Wettbewerbs-, Kooperations- und Innovationspotentiale des Regionalluft- und Eisenbahnverkehrs unter Berücksichtigung wettbewerbsrelevanter Entfernungsbereiche

173

00000000

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

00

0

0

00

0

0

00

0

0

0000000000

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

000000

0

0

0

0

0

0

00

0

0

00

0

0

00

0

0

00

0

0

0

0

Abkürzungsverzeichnis ADV AEG AGC

= Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen

AGIV AktG BBG BVG CIM

= Aktiengesellschaft für Industrie und Verkehrswesen

= Convention internationale concemant Je transport des marchandises par

CIV

= Convention internationale concernant Je transport de voyageurs et des

COTIF

= Convention relative aux transports internationaux ferroviaires (Überein-

DB DIHT DLT DR ECAC ECE

= Allgemeines Eisenbahngesetz = Accord Europeen sur !es Grandes Lignes Internationales de Chemin de

Fer

= Aktiengesetz = Bundesbahngesetz

Betriebsverfassungsgesetz

ehernins de fer

bagages par ehernins de fer

=

ER I CIM = ER I CIV = EVO DFVLR = DVWG = EurGerH = IATA KLM LH LVG NFD OTIF o. V. ÖPNV PBefG RFG 2 Giese

=

= =

kommen über den internationalen Eisenbahnverkehr) Deutsche Bundesbahn Deutscher Industrie- und Handelstag Deutsche Luftverkehrsgesellschaft mbH Deutsche Reichsbahn European Civil A viation Conference Economic Commission for Europe, Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen Einheitliche Rechtsvorschriften bezügl. CIM, Anhang B des COTIF Einheitliche Rechtsvorschriften bezügl. CIV, Anhang A des COTIF Eisenbahn-Verkehrsordnung Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt Deutsche Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften International Air Transport Association Königlich Niederländische Luftverkehrsgesellschaft Deutsche Lufthansa AG Luftverkehrsgesetz Nürnberger Flugdienst Luftverkehrs AG Organisation intergouvernementale pour !es transports internationaux ferroviaires (zwischenstaatliche Organisation für den internationalen Eisenbahnverkehr) ohne Angabe des Verfassers Öffentlicher Personennahverkehr Personen-Beförderungsgesetz Regionalflug GmbH

18 RLV SAS SNV SPNV TGV TMST VDA

Abkürzungsverzeichnis = Regionalluftverkehr = Scandinavian Airlines System = Studiengesellschaft für den Nahverkehr mbH = Schienenpersonenfernverkehr = Train a' grande vitesse = Trans Manche Super Train = Verband der Automobilindustrie e. V.

1. Die bisherige Entwicklung von Regionalluftverkehr und Eisenbahn als Anbieter im Personenverkehr 1.1 Begriffliche Abgrenzung des Regionalluftverkehrs "Was ist eigentlich Regionalluftverkehr? Bereits die Definition macht Schwierigkeiten - es ist wie mit den Elefanten, sie sind schwer zu beschreiben, aber leicht zu erkennen, wenn man sie sieht" 1• Mit diesen Worten umschreibt Wolf treffend den Tatbestand, daß die Frage nach der konkreten inhaltlichen Bedeutung des Begriffes "Regionalluftverkehr" sowie dessen Abgrenzung zu anderen Ausprägungsformen des Luftverkehrs selbst in berufenen Kreisen unterschiedlich beantwortet wird 2 • Dies hat seinen Grund vorrangig darin, daß heute verschiedene Bezeichnungen auf den Luftverkehr mit kleinerem Fluggerät angewendet werden, die zwar ähnlich lauten oder ähnliches implizieren, inhaltlich jedoch nicht dekkungsgleich sind 3 • Die Vertreter einer engeren Begriffsauslegung betrachten den Regionalluftverkehr als eine eher spezielle Form des Luftverkehrs mit kleinerem Fluggerät 4 • Danach ist Regionalluftverkehr durch nationale oder internationale, regelmäßige Direktverbindungen zwischen Verkehrslandeplätzen untereinander oder zwischen Verkehrslandeplätzen und Verkehrsflughäfen 5 mit Fluggerät bis etwa 70 Sitzen charakterisiert 6• Solche Direktdienste hingegen, die- ebenfalls mit kleinerem Gerät auf nationalen oder grenzüberschreitenden Strecken - ausschließlich zwei Verkehrsflughäfen miteinander verbinden, zählen dieser Auffassung zufolge nicht zum Regional-, sondern zum "Ergänzungsluftverkehr" 7 • -Wolf, 1985, S. 3. Vgl. auch Niester, 1985, S. 23; Nüßer 1985, S. 48; Weinert, 1985, S. 8. 3 Biermann, 1987, S. 168. Diese Begriffsvielfalt spiegelt sich zwangsläufig auch im statistischen Bereich wieder; eine unreflektierte Datenanalyse kann hier leicht zu Mißverständnissen führen (so auch ADV, 1989 (c), S. 1) 4 Vgl. Biermann, 1987, S. 168. s Niester, 1985, S. 23. In Anlehnung an die von der ADV vorgenommene Systematisierung zählen zu den bundesdeutschen Verkehrsflughäfen Frankfurt, Berlin, München, Düsseldorf, Stuttgart, Bremen, Hamburg, Hannover, Nürnberg, Münster I Osnabrück, Köln I Bonn und Saarbrücken. Hinzu kommmen seit der deutschen Wiedervereinigung die Flughäfen Berlins, Dresden, Erfurt und Leipzig. 6 Man wird diese Definition als herrschende Meinung betrachten müssen. Vgl. etwa Wolf, 1989, S. 10; ähnl. Niester, 1985, S. 2. 1 Nüßer u. a., 1989, S. 28, ähnl. Sorgenfrei, 1989, S. 8; jedoch differenziert er unter Berufung auf eine ADV -interne Abgrenzung zusätzlich in ,,regionale" bzw. .,internationale" Verkehrsflughäfen. 1

2

2*

20

1. Regionalluftverkehr und Eisenbahn als Anbieter im Personenverkehr

Ein weitergehender, allgemeinerer Ansatz charakterisiert den Regionalluftverkehr mehr anhand äußerlicher Kriterien, nämlich vorwiegend als Luftverkehr, der mit kleinerem Fluggerät betrieben wird 8 , und zwar entweder im Zubringerdienst oder auf Strecken mit geringerer Nachfrage. Diese Konzeption beinhaltet somit auch den zuvor als separate Erscheinungsform ausgewiesenen Ergänzungsluftverkehr, verwendet den Begriff des Regionalluftverkehrs also in einem übergeordneten, umfassenderen Sinne 9 • Auf den ersten Blick erscheint - analog zur engeren Betrachtungsweise die explizite Herausnahme der Dienste nur zwischen den Verkehrsflughäfen durchaus gerechtfertigt. Daß etwa eine Verbindung zwischen zwei Millionenstädten wie Harnburg und Kopenhagen -auch wenn sie durch kleineres Propellergerät bedient wird 10 - "regionalen" Charakter haben sollte, ist nicht ohne weiteres nachzuvollziehen; immerhin zählen diese beiden Städte zu den größten in ganz Europa. Subsumiert man unter dem Begriff der Region ländliche, periphere Räume mit geringer Bevölkerungsdichte 11 , wird man eine in der geschilderten Weise vorgenommene Trennung in Regional- und Ergänzungsluftverkehr im Prinzip zu bejahen haben. Bei genauerem Hinsehen indes zeigt sich, daß eine pauschale Abstraktion von Verbindungen zwischen Verkehrsflughäfen ebenfalls zu unbefriedigenden Ergebnissen führt. Diese Problematik wird deutlich, wenn man kritisch hinterfragt, was im Falle des Ergänzungsluftverkehrs eigentlich "ergänzt" wird. Gewiß wird man Verbindungen zwischen Verkehrsflughäfen mit kleinerem Propellergerät dann als Ergänzungsluftverkehr bezeichnen müssen, wenn sie- etwa zu nachfrageschwächeren Tageszeiten - solche Strecken ergänzend bedienen, die ansonsten von den Jets der größeren Fluggesellschaften beflogen werden, aber zu Tageszeiten geringerer Nachfrage mit kleinerem Gerät wirtschaftlicher betrieben werden können. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Strecke Hamburg-Nürnberg. Diese Verbindung wird montags bis freitags täglich dreimal frequentiert; morgens und abends- also zu Tageszeiten stärkererNachfrage-wird dort ein hundertsitziger Jet eingesetzt, mittags dagegen ein Propellerflugzeug mit 46 Sitzplätzen 12• Abgesehen von den Fällen, in denen aufgrund infrastruktureller Sachzwänge (z. B. Länge der Startbahn oder Qualität der Navigationstechnologie) der Einsatz kleineren Fluggeräts unumgänglich ist, kann man in den übrigen Fällen des Linienflug8 Vgl. Weinen, 1985, S. 89; "klein" ist seiner Ansicht nach Fluggerät mit einer Sitzplatzkapazität, die "wesentlich unter der des kleinsten bei Lufthansa eingesetzten Flugzeugs" liegt. 9 Vgl. Biermann, 1987, S. 168. 10 Diese Strecke wird gegenwärtig ausschließlich mit Propellergerät der SAS und DLT beflogen (Quelle: Lufthansa-Winterflugplan v. 29. 10. 89- 24. 3. 90, S. 72). 11 In Anlehnung an Aberle, 1986, S. 10. 12 Daten gemäß Lufthansa-Flugplan v. 25.3.90 bis 30.6. 1990.

1.1 Begriffliche Abgrenzung des Regionalluftverkehrs

21

verkehrs davon ausgehen, daß die Verwendung solchen Geräts als Indiz einer geringeren Nachfrage zu werten ist 13 • Fraglich ist dann, ob der Begriff Ergänzungsluftverkehr sinnvoll auch auf solche Verbindungen zwischen Verkehrsflughäfen angewandt werden sollte, die ausschließlich durch kleineres Fluggerät-also nicht im Mischbetrieb mit größeren Jets - bedient werden. Der Tatbestand der Ergänzung des Angebots zu nachfrageschwächeren Tageszeiten ist in solchen Fällen nicht gegeben; vielmehr deutet der ausschließliche Einsatz kleineren Fluggerätes hier auf eine generell schwächere Nachfrage hin, die eine Verwendung größeren Geräts aus Rationalitätserwägungen offensichtlich verbietet. Eine grundsätzliche Unterscheidung derartiger Direktdienste zum hiervon angeblich strikt zu trennenden Regionalluftverkehr ist aber in zahlreichen Fällen weder aufgrund sachlogischer Erwägungen noch aufgrund quantitativer Tatbestände gerechtfertigt. Folgte man der engen begrifflichen Konzeption, müßte man die 12 Wochenflüge von Münster I Osnabrück nach München als Ergänzungs-, die 17 Wochenflüge von Dortmund nach München (Stand Juni 1990) 14 hingegen als Regionalluftverkehr bezeichnen, obwohl auf beiden Strecken ausschließlich kleineres Propellergerät eingesetzt wird. Eine solche Abgrenzung muß deshalb unbefriedigend erscheinen, weil sie sich weniger an pragmatischen Gesichtspunkten orientiert, sondern vielmehr vor dem Hintergrund einer juristischen Systematisierung entwickelt wird: der Flugplatz Dortmund ist rechtlich gesehen ein Verkehrslandeplatz, der von Münster I Osnabrück hingegen ein Verkehrsflughafen 15 • Aus welchem Grunde die konkret angesprochene Verbindung nach Dortmund im Gegensatz zu der nach Münster I Osnabrück "regional" sein sollte (obwohl Dortmund weit mehr Einwohner hat als Münster und Osnabrück zusammen), bleibt im Falle der engeren begrifflichen Konzeption unbeantwortet. Diese hier nur in groben Zügen angedeutete Abgrenzungsproblematik hat ihre Ursache letztlich darin, daß ein Großteil der Definitionen des Regionalluftverkehrs zu sehr auf formale Aspekte abstellt. Die Orientierung an solch formalen Aspekten kommt auf Seiten der umfassenderen Begriffskonzeption darin zum Ausdruck, daß pauschal jeglicher Linienluftverkehr als regional bezeichnet wird, sofern kleineres Fluggerät zum Einsatz kommt, ohne daß solche Verbindungen isoliert betrachtet werden, die lediglich ergänzende Funktion in einem bestehenden Jetnetz haben. Dieser Aspekt wird von den Vertretern einer engeren Sichtweise zwar aufgegriffen, was in der Begriffsprägung "Ergänzungsluftverkehr" zum Ausdruck kommt; jedoch ergibt sich 13 Natürlich wäre es auch denkbar, daß kleinersitziges Fluggerät deshalb eingesetzt wird, weil der betreffenden Gesellschaft die Mittel zur Beschaffung größeren Geräts (etwa durch Kauf oder Leasing) fehlen; wir wollen auf diesen Aspekt jedoch nicht weiter eingehen. 14 Daten gern. LH-Flugplan 25. 3.1990- 30.6.1990. 15 ADV, 1989, S. 3.

22

I. Regionalluftverkehr und Eisenbahn als Anbieter im Personenverkehr

hier der formale Charakter der Systematisierung insofern, als der begrifflichen Trennung in Regional- und Ergänzungsluftverkehr rein juristische, nämlich baurechtliche 16 Sachverhalte zugrunde liegen. Es verbleibt somit, wie es Weinert zutreffend ausdrückt 17, ein definitorisches Vakuum, weil jede dieser Definitionen nur einen Teil des Sachverhalts trifft 18 • Eine eher pragmatisch orientierte Definition dessen, was unter dem Begriff des Regionalluftverkehrs zu verstehen ist, bietet Biermann 19 ; überzeugend erscheint seine Einlassung, wonach der Regionalluftverkehr "nicht zwei Metropolen des Luftverkehrs verbindet, sondern entweder einen Provinzort mit einer Metropole oder auch zwei Provinzorte untereinander" 20 • Die ausdrückliche Bezeichnung "Metropole des Luftverkehrs" indiziert in diesem Zusammenhang den Nachfrageaspekt; im Vordergrund seiner Klassifikation stehen demnach nicht die Siedlungskomponente, die Art des eingesetzten Fluggeräts oder die juristische Systematisierung, sondern die Frage, ob der Luftverkehr auf den Hauptachsen des Luftverkehrs bzw. abseits davon stattfindet 2 1• Damit wird klar zum Ausdruck gebracht, daß eine "Metropole" bzw. "Region" des Luftverkehrs nicht zwangsläufig mit den Attributen "dicht" bzw. "schwach besiedelt" gleichzusetzen ist. Biermann selbst bezeichnet einen Flughafen dann als Metropole des Luftverkehrs, wenn er "mindestens einmal täglich eine direkte interkontinentale Passage-Linienverbindung mit Großraumgerät aufweist, was in der Bundesrepublik außer auf Frankfurt ( ... ) nur auf Düsseldorf und München ohne Einschränkungen" 22 zuträfe. Vor dem Hintergrund der skizzierten Abgrenzungsprobleme soll der Regionalluftverkehr für die nachstehenden Überlegungen wie folgt definiert werden:

Regionalluftverkehr ist nationaler oder internationaler Luftverkehr, -

der mit Fluggerät abgewickelt wird, das über nicht mehr als 70 Sitzplätze verfügt 23 , wobei

Wolffram, I985, S. I31. Weinert, I985, S. 89. IS Leider trifft dies auch auf seine eigene Definition zu. Für ihn ist Regionalluftverkehr durch den Einsatz kleineren (vgl. Fußnote 8) Geräts bestimmt. 19 Biermann, I987, S. I68 f. 20 Ebenda. 21 Ebenda; dabei ist die Anzahl der Passagiere besonders an solchen Flughäfen groß, die über gute Anschlußverbindungen in das In- und Ausland verfügen. Vgl. hierzu weiterführend Kap. 6.3 dieser Untersuchung. 22 Biermann, I987, S. I69. Seine Aussage hat auch heute noch (Stand Sommerflugplan I990) Gültigkeit. Biermann folgt hier einer Einteilung, die sich an der seitens der EGKommission entwickelten Kategorisierung der europäischen Verkehrsflughäfen orientiert; näheres hierzu in Kap. 4 und Anhang I. 23 Dabei handelt es sich in den meisten Fällen um Propellergerät, was jedoch nicht zwingend ist; der größte deutsche Anbieter im Regionalluftverkehr, die DLT, hat bereits 1988 eine Kaufabsicht für sechs 52sitzige "Regionaljets" unterzeichnet (vgl. DLT, 1988, 16 11

1.1 Begriffliche Abgrenzung des Regionalluftverkehrs

23

nicht zwei Metropolen des Luftverkehrs direkt miteinander verknüpft werden, sondern Provinzorte des Luftverkehrs untereinander oder ein Provinzort mit einer Metropole 24 , und -

die betreffende Strecke ausschließlich durch kleinersitziges Gerät bedient wird 25 •

Jeglicher übrige Linienluftverkehr mit kleinerem Gerät zählt zum Ergänzungsluftverkehr26 und wird im Rahmen der nachfolgenden Überlegungen 27 nicht weiter behandelt werden. Als eine Sonderform des Regionalluftverkehrs ist der "Interregionalluftverkehr" zu sehen. Diese Ausprägungsform des Regionalluftverkehrs ist insbesondere vor dem Hintergrund der auf Liberalisierung des Luftverkehrs abzielenden europäischen Verkehrspolitik von zentraler Bedeutung 28. In Anlehnung an den Inhalt der EG-Richtlinie vom 25. Juli 1983 29 sowie deren seit 1. 1. 1988 gültigen "Erweiterung" 30 zählen zum Interregionalluftverkehr internationale Direktdienste zwischen Flughäfen der Kategorien II und III untereinander oder mit einem Flughafen der Kategorie P 1 mit Gerät bis 70 Sitze und einem Gewicht von höchstens 30t32. Auch hier soll die Einschränkung gelten, daß Strecken im Mischbetrieb mit größerem Fluggerät nicht näher betrachtet werden, da sie zum Ergänzungsluftverkehr zählen. Auf den Interregionalluftverkehr als spezielle Ausprägung des Regionalluftverkehrs wird im Zuge der folgenden Ausführungen nur insoweit eingegangen, als eine solche Differenzierung erforderlich ist; dies wird insbesondere bei der Betrachtung der auf europäischer Ebene betriebenen Verkehrspolitik der Fall sein.

S. 11); schon seit längerem setzt die KLM kleinersitziges Jetgerät aufStrecken niedrigerer Nachfrageein (z. B. Hamburg-Eindhoven40- 52sitziges Gerät, vgl. ADV, 1989 (c), S. 4). 24 In Anlehnung an Biermann, 1987, S. 168 f. 25 Vgl. auch ADV, 1989, (c), S. 1. 26 Damit fassen wir den Begriff des Ergänzungsluftverkehrs erheblich enger als einleitend vorgestellt. 21 Einmal abgesehen von Kapitel 3.3 (Berlinverkehr); dort wird aus gegebenem Grund eine Modifizierung vorgenommen. 2s Vgl. Wedekind, 1988, S. 216 ff.; Wolf, 1989, S. 16 f.; Bierman, 1987, S. 168. 29 Wolf, 1989, S. 16. 30 Vgl. etwa Kuhne, 1988, S. 77 ff.; historischer Hintergrund und materielle Bedeutung der einzelnen Deregulationsschritte werden in Kapitel 4 vertieft behandelt. 31 Definitionen der Kategorien I bis III sowie Systematisierung der europäischen Aughäfen siehe Anhang 1. 32 Ursprünglich betraf der Interregionalluftverkehr gern. EG-Richtlinie Strecken über 400 km.

24

1. Regionalluftverkehr und Eisenbahn als Anbieter im Personenverkehr

1.2 Gründe des Wachstums im Regionalluftverkehr Seit einigen Jahren verzeichnet der Regionalluftverkehr im Vergleich zum übrigen Luftverkehr überdurchschnittlich hohe Wachstumsraten. In der Bundesrepublik erhöhte sich 1989 die Anzahl der im Regionalluftverkehr beförderten Passagiere (innerdeutsche und grenzüberschreitende Dienste) gegenüber dem Vorjahr um 25,3% auf über 2,7 Millionen 33 . Im Einzelnen zeigt die Streckenund Aufkommensentwicklung der vergangeneu Jahre folgenden Verlauf: Passagiere x 1000, ohne Doppelzählung

3000 .-~~------~----~----~------------------.

2500 2000 1500 1000 500 0

1984

1985

1986

1987

1988

1989

Jahr -

Inland

1'111 Ausland

D

Gesamt

Abb. 1: Passagiere im Regionalluftverkehr der Bundesrepublik Deutschland, ohne Doppelzählungen (Daten ADV 1989 (a) S. 3 u. ADV 1990, S. 16)

Ab 1988 konnte die Ausweitung der gesamten Streckenzahl nur noch durch eine anteilige Kürzung der Inlandsstrecken bewirkt werden; dieser Tatbestand war vor allem auf kapazitive Engpässe (Mangel an Piloten und Flugzeugen 34) zurückzuführen. Die Ausweitung des Flugangebots erfolgte vorrangig durch die Verwendung größeren Fluggeräts bzw. Frequenzerhöhungen bereits bestehender Verbindungen 35 . Innerhalb des Jahres 1988 wuchs die Zahl der Wochenflüge um 162 auf 2.866, wobei das durchschnittliche Sitzplatzangebot je Flugzeug von 29 auf 34 stieg36. 33 ADV, 1989 (a), S. 3; die von der ADV veröffentlichten Daten zum Regionalluftverkehr sind kongruent zur begrifflichen Abgrenzung, die der Verf. vorgenommen hat. Daten, die sich auf Strecken im Mischbetrieb (also den Ergänzungsluftverkehr) beziehen, sind hier nicht enthalten und werden, sofern sie im folgenden aufgegriffen werden, ausdrücklich als solche kenntlich gemacht. 34 Vgl. ADV, 1989 (a), S. 1. 35 Ebenda; siehe auch ADV, 1989 (c), S. 1. 36 Ebenda; Im Juli 1989 durchschnittlich 37 Sitze.

1.2 Gründe des Wachstums im Regionalluftverkehr

25

Anzahl

140 .---------------------------------------------..." 120

achwarz: Inland StrlchmYatar ~ Aueland Punktmuatar: Geaamtzahl

117

100

80 60

40 20 0

1984

1985

1986

1987

1988

1989

Jahr

Abb. 2: Streckenentwicklung im Regionalluftverkehr der Bundesrepublik Deutschland (Daten gern. ADV 1990, S. 16, sowie ADV 1989)

Tab. 1: Passagiere im grenzüberschreitenden Regionalluftverkehr der Bundesrepublik Deutschland nach Quell- I Zielländern 1989

1988

1987

Osterreich Luxemburg Schweden Jugoslawien Norwegen Spanien Ungarn CSR

280.722 274.400 226.751 226.481 181.209 127.009 125.841 119.771 79.954 31.832 22.925 21.751 5.219 2.195 600

180.006 299.702 219.871 156.370 155.220 76.965 90.361 154.281 76.996 18.440 15.645 22.977 1.030 0 0

140.507 247.612 58.601 146.107 126.236 56.289 93.996 67.351 73.393 13.149 14.919 8.208 0 0 0

Gesamt

1.726.660

1.467.834

1.046.368

Frankreich Niederlande Italien Schweiz Dänemark Großbritannien ~elgien

Quelle: ADV 1990, S. 17; ADV 1989 (c) S. 2.

1989 wurden im gesamten internationalen Linienflugverkehr mit den in Tab. I ausgewiesenen Ländern 11,6% der Linienpassagiere mit Regionalluftverkehrsgerät befördert; bezogen auf den gesamten europäischen grenzüberschreitenden

26

1. Regionalluftverkehr und Eisenbahn als Anbieter im Personenverkehr

Linienflugverkehr lag der Anteil bei 9,0% 37 . Berechnungen der ADV gehen für das Jahr 1990 - die genauen Ergebnissse sind noch nicht "amtlich" - von einem weiteren Anstieg des Passagieraufkommens im Regionalluftverkehr auf 3,2 Mio. Passagieren aus38. Die Gründe des Wachstums im Regionalluftverkehr ergaben sich insbesondere aufgrund dreier Effekte, die nachstehend als "Konzentrationseffekt", als "Standorteffekt" und als "Technologieeffekt" bezeichnen werden sollen. Der Konzentrationseffekt vollzog sich, nachdem die großen europäischen Fluggesellschaften gegen Ende der sechziger Jahre ihre Flotten von Propeller- auf Jetgerät umgestellt hatten. Auch die Lufthansa als größter deutscher Anbieter ersetzte seinerzeit ihr 48- bzw. 64-sitziges Propellergerät 39, das bis dahin das "Rückgrat des Deutschland- und Europa-Angebots" 40 darstellte, komplett durch Jetgerät Die Umstellung auf Gerät mit annähernd doppelt so hoher Sitzplatzkapazität und Reisegeschwindigkeit zwang die großen Fluggesellschaften, wirtschaftlich weniger rentable Strecken mit zu geringer Nachfrage einzustellen oder das Frequenzangebot zu kürzen, um eine effiziente Kapazitätsauslastung durch Bündelung der Nachfrage an weiterführende Hauptflughäfen zu ermöglichen 41• Die auf diese Weise bewirkte Strecken- und Frequenzkonzentration auf nachfragestarke Verbindungen und Tageszeiten ermöglichte es den etablierten Anbietern, sowohl im Zubringerdienst als auch auf den übrigen inländischen oder grenzüberschreitenden Verbindungen größeres Jetgerät einzusetzen 42 • Die mit dem Konzentrationseffekt verbundenen Streckenstreichungen bzw. Frequenzkürzungen hatten zur Folge, daß der technisch bestehende Geschwindigkeitsvorteil der Jets durch größere Zeitabstände zwischen den Flügen und den Zwang, vermehrt Umsteigeverbindungen in Kauf zu nehmen, oft überkompensiert wurde 43. Die daraus resultierende Verlängerung der Gesamt-Reiserlauer steht in einem Widerspruch zur Präferenzstruktur der Geschäftsreisenden, die als bedeutsamstes Marktsegment im Linien-Flugverkehr bei der Verkehrsmittelwahl den reisezeitbezogenen Angebotskriterien zentrale Bedeutung beimessen 44 • Wenngleich dieser Mangel relativ schnell erkannt wurde, unterließen es die großen Anbieter, zur Befriedigung der Nachfrage nach regionalen, aufkommensschwachen Direktverbindungen das dem Erfordernis einer effizienten Kapazitätsauslastung Rechnung tragende kleinere Fluggerät hierfür bereitzustellen. 37 ADV, 1990; derselbe, 1989 (c), S. 2. 38 Münd!. Auskunft des Leiters der Abtlg. Verkehr bei der ADV, Herrn M. Kuhne. 39 Vgl. Lütticke, 1985, S. 92.

Weinert, 1985, S. 89. Biermann, 1987, S. 169 f.; ähnl. Lütticke, 1985, S. 92. 42 Biermann, 1987, S. 169. 43 Vgl. Weinen, 1985, S. 90. 44 Vgl. Michler, 1987, S. 105; eine detaillierte Betrachtung der Nachfragepräferenzen erfolgt in Kapitel 6.3. 40

41

1.2 Gründe des Wachstums im Regionalluftverkehr

27

Denn: der Einsatz kleineren Fluggeräts ist im Vergleich zu größerem Gerät relativ teuer 45 ; so belaufen sich etwa die Kosten zum Vorhalten eines Sitzplatzes bei der 19-sitzigen D 228 bei einem jährlichen Fixkostenblock von DM 1.575.000,- auf knapp DM 83.000,- gegenüber DM 69.000,- bei der 46sitzigen ATR 42 (Fixkosten jährlich DM 3.140.000,-) 46 • Auch bei den Betriebskosten ist eine Kostendegression zugunsten des größeren Flugzeuges zu verzeichnen, was sich bei Großflugzeugen besonders vorteilhaft auswirkt 47 • Auch kann das zögernde Verhalten der großen Anbieter damit erklärt werden, daß regionale Direktverbindungen mit kleinerem Gerät Nachfrage von den Hauptstrecken absorbieren und damit das Konzept der Verkehrsbündelung schwächen könnten 4 s. Die durch den Konzentrationseffekt entstandene Angebotslücke war "die Geburtsstunde des deutschen Regionalluftverkehrs" 49 • Wöhrl formuliert diesen Prozeß ebenso präzise wie einfach: "Der regionale Luftverkehr hat sich immer dort stark entwickelt, wo er ein gewisses Vakuum vorgefunden hat. Das war die Nachfrage nach Strecken, die ( . . .) von niemanden bedient wurden" 50• In der Bundesrepublik drangen infolge dieser Entwicklung zu Beginn der siebziger Jahre mehrere kleine Regionalfluggesellschaften auf den Markt, die -

in der Bedienung solcher Strecken, die von den etablierten Gesellschaften aufgegeben wurden,

-

in der Aufnahme neuer Strecken zwischen Nebenzentren, und

-

in der Einrichtung von Verbindungen zwischen Nebenzentren und Knotenpunkten des europäischen Luftverkehrs (z. 8. Kiel-Frankfurt, Münster I Osnabrück-Frankfurt)

ein strategisches Geschäftsfeld erblickten 51 und bald den Luftverkehr mit kleinerem Propeller- und Jetgerät aufnahmen. Allerdings war diesen Neuanbietern kein langwährender Erfolg beschieden. Nach wenigen Jahren hatten bis 1973 nahezu sämtliche deutschen Regionalfluggesellschaften ihren Dienst wieder eingestellt - mit Ausnahme der "Ostfriesischen Lufttransport", aus der später eine der größten europäischen Regionalfluggesellschaften - die DLT - hervorgehen sollte 5 2 • Wöhrl, 1989, S. 76 f. Ebenda. 47 Ebenda; vgl. auch Santner, 1986, S. 117. 48 Biermann, 1987, S. 169. Vgl. hierzu kritische Anmerkungen von Lütticke, 1985, s. 92-96. 49 Lütticke, 1985, S. 93. 5o Wöhrl, 1989, S. 83. 51 Santner, 1987, S. 115 f., Lütticke, 1985, S. 92 ff.; Weinert, 1985, S. 90. sz Vgl. Lütticke, 1985, S. 92 f. Weinert nennt als denkbare Ursachen ,,neben möglichen wirtschaftlichen Schwächen des einen oder anderen Allbieters - verstärkt durch den Fluglotsenstreik 1973" (Weinert 1985, a. a. 0. S. 90) auch den Umstand, daß das Propellergerät gegenüber dem größeren Jetgerät seinerzeit womöglich den Charakter eines inferioren Gutes aufgewiesen habe. Auch sieht er eine Schwäche darin, "daß sich 45

46

28

1. Regionalluftverkehr und Eisenbahn als Anbieter im Personenverkehr

Neben dem Konzentrationseffekt erfuhr die Nachfrage nach regionalen Flugverbindungen seit den frühen siebziger Jahren vor dem Hintergrund der sich im In- und Ausland abzeichnenden Standortverlagerungen und strukturellen Veränderungen der Industrie zusätzliche Wachstumsimpulse. Dieser für das Wachstum im Regionalluftverkehr ebenfalls kausale Tatbestand soll als ,,Standorteffekt" bezeichnet werden. Er dokumentiert sich in Gestaltzweier zumindest in Teilbereichen interdependenter Teileffekte: Dezentralisation und Strukturwandel im Bereich der Industrie auf der einen, Standortwettbewerb der Regionen auf der anderen Seite 52 •. Lagen die traditionellen Standorte der herkömmlichen Industrie, insbesondere der Schwerindustrie, idealerweise an Wasserstraßen, um dem Erfordernis eines preisgünstigen Transports industrieller Rohstoffe und Massengüter Rechnung zu tragen 53 , hat der industrielle Strukturwandel vor dem Hintergrund der Akzentverlagerungen von der Schwer- zur Leichtindustrie und zum tertiären Sektor 54 zu einer modifizierten Präferenzstruktur bei der Standortwahl geführt. Etwa im Rahmen der Neuansiedlung innovativer Branchen wie Elektrotechnik, Datenverarbeitung, Präzisionsmechanik, Optik, aber auch aus dem Dienstleistungssektor, stehen anstelle der Möglichkeit des billigen Massentransports andere Interessen im Vordergrund der Standortwahl, wie etwa "die Verfügbarkeil qualifizierter Arbeitskräfte oder die Marktnähe, ( ... ) günstige Preise für Grund und Boden, (oder, Verf.) ... Förderung durch die öffentliche Hand" 55• Derartige Wirtschaftszweige haben sich in der Vergangenheit zunehmend auch in solchen Regionen angesiedelt, die bislang nicht als typische Industriestandorte in Erscheinung traten 56• Durch die Exportaffinität der betreffenden Branchen ergab sich mit deren Wachstum zugleich der Bedarf einer guten Verkehrsanbindung, "der sich, sofern es den Luftverkehr betraf, in der Forderung nach Einrichtung regionaler Luftverkehrsverbindungen seitens der Unternehmen und ihrer Interessenvertretungen artikulierte" 57 • hier kein organisches Luftverkehrsnetz entwickelte, das sich durch Angebotssubstanz auszeichnete" (ebd.). Kritisch hierzu siehe Lütticke, 1985, S. 92-96. Sorgenfrei (1989, S. 45, Fußnote 4) nennt zusätzlich die Verwendung ungeeigneten Geräts, eine "auf Zuschüsse bauende, nicht kostendeckende Kalkulation" (ebd.), Angebotsverbesserungen konkonkurrierender Verkehrssysteme (z. B. InterCity-Züge), und zu geringe Anstrengungen im Bereich des Marketing. 52 a Vgl. Biermann, 1987, S. 172. 53 Ebenda. 54 Ebenda. 55 Ebenda. 56 Ebenda. 57 Ebenda. Sorgenfrei (1989, S. 116 ff.) weist auf deutliche Zusammenhänge zwischen Branchenausstattung ausgewählter Regionen und der regionalen Luftverkehrsaffinität "und damit der Basis potentieller Aufkommen" (ebd.) hin. Zu den verkehrswirtschaftlichen Interessen der in den Regionen ansässigen Unternehmen bzw. Branchen vgl. etwa Nitsch, 1985, "Regionalluftverkehr aus der Sicht einer regionalpolitischen Interessenge-

1.2 Gründe des Wachstums im Regionalluftverkehr

29

Mit dem Aspekt der Industrieansiedlung und -erhaltung stehen die Maßnahmen der betreffenden Gebietskörperschaften 58 zur gezielten Förderung des Regionalluftverkehrs in engem Zusammenhang 59• Da im Falle der Anbindung der betreffenden Regionen an das Luftverkehrsnetz langfristig mit positiven Einkommens-, Beschäftigungs-, Wachstums- und Struktureffekten zu rechnen ist, was u. a. in einer erhöhten Infrastrukturkapazität bzw. "Standortgunst" zum Ausdruck kommt 60, findet der Standortwettbewerb der ~egionen seinen Niederschlag auch in Maßnahmen zur Förderung regionaler Flugverbindungen als Instrumenten "einer aktiven, auf die Region zielenden Wirtschaftspolitik" 61 • Als konkrete Beispiele der Unterstützung des Regionalluftverkehrs durch die öffentliche Hand lassen sich Gebührenerrnäßigungen durch die Flughäfen (generell, zu verkehrsschwachen Tageszeiten oder zumindest in der "Anlaufphase" als Starthilfe) sowie die direkte Subventionierung der Fluggesellschaften nennen 62 • Schließlich ist ein weiterer, maßgeblicher Bestimmgrund des Wachstums im Regionalluftverkehr im "Technologieeffekt" zu sehen. Dieser Effekt zeigt sich -vereinfacht formuliert- darin, daß seit einigen Jahren das verfügbare kleinersitzige Propellergerät, das im Regionalluftverkehr zum Einsatz kommt, in technischer und qualitativer Hinsicht einen dem größeren Jetgerät der etablierten Gesellschaften praktisch ebenbürtigen Standard erreicht hat. Während etwa in den sechzigerund siebziger Jahren der Trend der Entwicklung neuer Verkehrsflugzeuge in aller Regel größeres Gerät als das bislang eingesetzte hervorbrachte 63 , beruhte das seinerzeit verfügbare, kleinere Propellergerät auf technischen Grundkonzeptionen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit 64 • Jene Modelle verbrauchten relativ viel Treibstoff, sie waren nicht zuletzt wegen des Motorlärms für den Reisenden weniger komfortabel, vor allem aber verfügten sie größtenteils über eine veraltete elektronische Technologie. Der Mangel an verfügbaren, kleinerem Fluggerät modernster Technologieausstattung auf der einen Seite und wachsende Nachfrage nach regionalen Flugverbindungen (vor allem in Europa und Amerika) auf der anderen Seite veranlaßten meinschaft", oder: Niewiarra, 1985, "Der Wirtschaftsraum BielefeldiGütersloh und seine Flugverkehrsverbindungen", beide in: Schriftenreihe der DVWG, B 83, Problemkreis Regional- I Ergänzungsluftverkehr, Bergisch Gladbach, 1985. 58 In der Bundesrepublik sind die Träger der Flughäfen ausnahmslos Gebietskörperschaften, nämlich Länder, Kreise und Gemeinden, im Falle der Flughäfen Frankfurt, Köln I Bonn München, Harnburg und Berlin auch der Bund (Wolf, 1989, S. 20). 59 Vgl. Biermann, 1987, S. 175. 60 Sorgenfrei, 1989, S. 99 ff.; er hat sich mit diesem Aspekt ausführlicher beschäftigt und differenziert in direkte und indirekte langfristige, regionalwirtschaftliche Wirkungen von Flugplätzen bzw. Flugplatzinvestitionen, die er anhand empirischer Beobachtungen herausarbeitet. 61 Wolf, 1989, S. 20. 62 Wöhrl, 1989, S. 80; Biermann, 1987, S. 175; Santner, 1986, S. 118. 63 Biermann, 1987, S. 174. 64 Ebenda.

30

1. Regionalluftverkehr und Eisenbahn als Anbieter im Personenverkehr

die Flugzeugindustrie Ende der siebziger Jahre, entsprechendes Gerät beschleunigt bis zur Serienreife zu entwickeln. So konnten zu Beginn der achtziger Jahre verschiedene Hersteller Flugzeuge modernster Technologie (z. B. Triebwerkstechnik, Leichtbau, elektronische Ausstattung, Aerodynamik, Fluggastkomfort etc.) 65 anbieten, die in Qualität und Leistung dem Niveau der Jets entsprachen, aber auf die speziellen Bedürfnisse der Regionalfluggesellschaften zugeschnitten waren 66 •

1.3 Verkehrsmarktwachstum und Marktanteilsentwicklung der Deutschen Bundesbahn Der historische Ursprung des Eisenbahnverkehrs liegt in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Ein Großteil des Streckennetzes, auf dem die Deutsche Bundesbahn heute verkehrt, entstand in seiner Grundstruktur bereits vor über 100 Jahren. Lange Zeit konnten die Eisenbahnen insbesondere im Fernverkehr von ihrer technischen Überlegenheit gegenüber anderen Verkehrsmitteln, nämlich der Möglichkeit des Massentransports bei relativ hoher Geschwindigkeit, profitieren, was ihnen auf dem Verkehrsmarkt eine dominante Position zuwies 67 • Bis zum Ende der fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts galten die Eisenbahnen in Europa als "Hauptverkehrsträger der Fernmobilität" 68 • Diese Situation hat sich dramatisch verändert. Zwar ist die Deutsche Bundesbahn auch heute noch das größte Verkehrsunternehmen der Bundesrepublik: 1989 beförderte sie im Schienenverkehr 1,027 Mrd. Personen. Subtrahiert man hiervon dieS-Bahn-Verkehre, beläuft sich die Anzahl immer noch auf ca. 350 Mio 69 • Dennoch verzeichnet sie seit Anfang der sechziger Jahre in nahezu allen Geschäftsbereichen sinkende Marktanteile. Lag ihr Anteil an den Verkehrsleistungen im Personenfernverkehr (Entfernungen über 50 Kilometer, grundsätzlich als Intercity- I EuroCity-, InterRegio- oder sonstiger D-Zugverkehr70) in den fünfziger Jahren und Anfang der sechziger Jahre noch bei etwa einem Drittel 71 , hat Ebenda. Die Entwicklung neuen Propellergeräts ist nach wie vor in vollem Gange. Dabei kommt die moderne Propellertechnologie inzwischen auch im Hinblick auf die Reisegeschwindigkeit immer mehr an die Leistungsfahigkeit der Jets heran. Vgl. etwa Gaubatz, B., 1990, "Saab 2000: Superleise und ultraschnell", in: Flugrevue Nr. 2/1990 S. 26 f. 67 Vgl. Schnell, 1988 (a), S. 769; Ders. (1988 (b), S. 195) stellt an anderer Stelle fest, die Bahn sei "in dieser Zeit in vielen Märkten faktisch Monopolist" gewesen. So auch Pällmann, 1988, S. 9. 68 Wackermann, 1988, S. 3. 69 OB-Geschäftsbericht, 1989, S. 87. 70 Ähnlich Heinisch, 1986, S. 341. Natürlich zählt auch der von Freiburg nach München fahrende Eilzug zum Fernverkehr, obwohl diese Verbindung per IC schneller bedient wird. Der Eilzug fahrt demnach zwar mitunter weite Strecken, ist aber im Prinzip nicht nur für Fernstrecken konzipiert, sondern ebenso für Kurzstrecken, jeweils mit Einu. Aussteigemöglichkeit auch in peripheren Gebieten. 65

66

1.3 Verkehrsmarktwachstum und Marktanteilsentwicklung der DB

31

sie seitdem kontinuierlich Verluste ihrer Marktstellung hinnehmen müssen 72 • Obwohl sich das Personenverkehrsaufkommen im Binnenverkehr der Bundesrepublik seit 1960 um 50%, im grenzüberschreitenden Verkehr sogar um 300% erhöhte 73 und die Deutsche Bundesbahn heute - in absoluten Zahlen - mehr Personen befördert als in denfünfzigerund sechziger Jahren, lag ihr Marktanteil im Personenfernverkehr 1987 nur noch bei 9% 74 • Sie hat damit am Wachstum des Verkehrsmarktes nur unterproportional teilhaben können 75 • Bei näherer Betrachtung der Aufkommensentwicklung im Schienenverkehr zeigt sich- bezogen auf den Zeitraum der letzten zwanzig Jahre- folgender Trendverlauf (wobei der Trend durch die Linie veranschaulicht ist, die absoluten Werte hingegen durch die Punktmuster): Beförderte Personen in Mio. 1200 . - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - ,

_ _L_J__L~--L-~-L~--L-~

o L_~_L~-L-~~~~~_L~

68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88

Jahr 19..

-

Gesamt

-+- Gesamt ohne S-Bahn

.....__ S-Bahn

Abb. 3: Aufkommensentwicklung im Schienenpersonenverkehr der DB 1968- 1989 (Daten aus Geschäftsberichten der DB div. Jahrgänge)

Aus Abb. 3 geht hervor, daß die im Trend leicht anwachsende Gesamtzahl der im Schienenverkehr beförderten Personen von 1971 bis 1987 ausschließlich auf erhöhte Beförderungsleistungen im S-Bahnverkehr zurückzuführen ist 76 • HinVgl. Garre, 1988 (a), S. 61. n Heinisch, 1986, S. 341. 73 Vgl. Eberlein u. a., 1988, S. 59. 74 Vgl. Garre, 1988, S. 61; ein noch niedrigerer Wert ergibt sich, wenn man auf den Gesamt-Personenverkehr abstellt: unter Einbeziehung des "Schienen-Personennahverkehrs" betrug der Marktanteil der Deutschen Bundesbahn im selben Jahr nur ca. 6%. 75 So auch Gohlke bereits 1986 in "Jahrbuch des Eisenbahnwesens 1986", S. 9. 76 Zu einer im Prinzip gleichen Einschätzung kommt Heinisch (1986, S. 341); er stellt hierzu fest, daß neben PKW und LKW "nur die S- und UBahnen in den Ballungsräumen ( .. .) im öffentlichen Verkehr zum Mobilitätszuwachs" beigetragen hätten. 11

32

1. Regionalluftverkehr und Eisenbahn als Anbieter im Personenverkehr

gegen verzeichnet der übrige Verkehr im gleichen ZeitraumJahr für Jahr Aufkommensrückgänge, die zwischen 1974 und 1977 sowie zwischen 1981 und 1987 die Aufkommenszuwächse im S-Bahnverkehr sogar überkompensierten. Erstmals im Jahr 1988 gelang es der Bahn im vorliegenden Beobachtungszeitraum, sowohl im S-Bahn- als auch im übrigen Schienenpersonenverkehr Zuwächse zu erzielen (1989 blieb ihr dieser Erfolg jedoch wieder versagt). Zum "übrigen" Schienenpersonenverkehr der Deutschen Bundesbahn zählen die EuroCity-, InterCity-, InterRegio-, und Schnellzugverbindungen sowie sonstige Verbindungen im Regional- und Nahverkehr 77 • Den angesprochenen Zuwachs- er betrug gegenüber dem Vorjahr 4,8% - konnte die Bahn 1988 lediglich für den hochwertigen InterCityverkehr verzeichnen 78 ; hingegen ergaben sich ihre schwersten Anteilsverluste in den vegangenen Jahren insbesondere im öffentlichen Personennahverkehr und in der Verkehrsbedienung der Fläche sowie im grenzüberschreitenden Verkehr (in letzterem werden heute mehr Personen mit dem Bus als mit der Eisenbahn befördert 79) Es lassen sich mehrere Gründe nennen, weshalb die Deutsche Bundesbahn im Wettbewerb mit den konkurrierenden Verkehrsmitteln ihren ehemals starken Marktanteil im Personenverkehr nicht halten konnte 80• Als gravierendste Ursache wird übereinstimmend die grundlegende Veränderung der Konkurrenzsituation auf dem Verkehrsmarkt - konkret: die rasante Fortentwicklung des Automobilverkehrs seit den fünfziger Jahren- angeführt 81 • Lag der PKW-Bestand 1958 noch bei 2,8 Mio. Fahrzeugen 82, waren 1989 in der Bundesrepublik 30,2 Mio. PKW zugelassen 83 • Innerhalb der EG verzeichnete die Bundesrepublik 1989 sowie in Prognosen für die Jahre 1993 und 2000 den größten Anteil der pro 1000 Einwohner zugelassenen Autos, nämlich 490 im Jahr 1989 84 gegenüber 509 im Jahr 1993 und 543 im Jahr 2000 85 •

77 Eine vertiefende Analyse soll jedoch erst in den Kapiteln 3.2 und 7.4.1 vorgenommen werden. 78 OB-Geschäftsbericht 1988 S. 4. Bei dem EuroCity- und InterRegioverkehr handelt es sich um Produktinnovationen, die modifizierte Ausprägungen des bisherigen InterCity-, internationalen sowie nationalen 0-Zugverkehrs darstellen. 79 Vgl. Eberlein u. a., 1988, S. 59. 8o Wir werden im nächsten Kapitel sehen, daß sich ein Teil dieser Entwicklungen in ähnlicher Weise auch im benachbarten Ausland vollzog und auch dort Auswirkungen auf die Marktstellung der Eisenbahnen zur Folge hatte. 81 Vgl. etwa Pällmann, 1988, S. 9; ders. 1986, S. 82; Eberlein u. a. 1988, S. 58 ff.; Schnell, 1988 (b), S. 195 f.; Heinisch, 1986, S. 341. 82 Statistisches Jahrbuch 1960, S. 353. 83 OB-Geschäftsbericht 1989 S. 7. 84 Ebenda. 85 Quelle: GSI-Marketing Systems, zitiert nach Wirtschaftswoche Nr. 37 vom

8.9. 1989,

s.

102.

1.3 Verkehrsmarktwachstum und Marktanteilsentwicklung der DB

33

Mit diesem Prozeß gingen weitreichende Konsequenzen sowohl für den Verkehrswegebau als auch für die Siedlungsstruktur einher 86. Der ganz überwiegende Teil der staatlichen Verkehrswegeinvestitionen floß dabei in die Straßeninfrastruktur87. So wurden seit 1950 ca. 145.000 Kilometer Straßen neugebaut; allein das Autobahnnetz wurde zwischen 1970 und 1985 von ca. 4.000 auf 8.000 Kilometer ausgedehnt 88 . Hingegen wurden im gleichen Zeitraum lediglich 390 Kilometer Eisenbahnstrecke neugebaut, davon 240 Kilometer für die S-Bahn 89 . Einen entscheidenden Wendepunkt zu einer umfassenden Netzmodemisierung im Eisenbahnverkehr stellen die im Bundesverkehrswegeplan '85 bis zur Jahrtausendwende vorgesehenen Neu- und Ausbaumaßnahmen dar. Dieser Plan, von der Bundesbahn als "Meilenstein" bzw. "Jahrhundertchance" 90 tituliert, sah u. a. erstmals seit über 100 Jahren den Neubau längerer Fernstrecken für die Eisenbahn vor, nämlich die jetzt fertigen Strecken Hannover-Würzburg (327 Kilometer) und Mannheim-Stuttgart (100 Kilometer) sowie eine (noch in Planung befindliche) Achse Köln-Rhein/Main91. Die enormen Zuwachsraten des Automobilverkehrs hatten mit den umfangreichen Straßenverkehrsinvestitionen zugleich Auswirkungen auf die Siedlungsentwicklung. So bewirkten 145.000 Kilometer Straßenbau gleichzeitig eine zunehmende Erschließung der Fläche 92. Heinisch spricht in diesem Zusammenhang von einer "in symbiotischer Abhängigkeit zur Straßenmobilität" 93 gewachsenen ,,Zersiedelung"; so hätten sich die Flächen für Wohnen und Wirtschaften seit 1939 verdreifacht 94. Im Gegensatz zu dieser Entwicklung erzwingt - folgt man einer Formulierung von Pällmann - "die Eisenbahn ( . . . ) Ballung. Für die Bedienung der Fläche war und ist sie technisch-ökonomisch zu teuer. Das Auto ermöglichte, diese Ballung wieder aufzulösen und in die Fläche zu gehen" 95 . Damit kÖnnte der Äutömobilverkehr einerseits Teile der Personenverkehrsnachfrage solcher Regionen auf sich ziehen, die bislang garnicht an das Eisenbahnnetz angebunden waren, zum anderen der Bahn in den Fällen als Wettbewerber gegenübertreten, in denen ihr Verkehrsangebot den Nachfragepräferenzen in qualitativer Hinsicht (z. B. Bedienungshäufigkeit, Flexibilität der Fahrtgestal-

86 Pällmann, 1986, S. 82; ders. 1988, a. a. 0 . S. 9 f. 87 Vgl. Lütge, 1989, S. 33. 88 Pällmann, 1988, S. IO. 89 Lütge, 1989, S. 33.

90 DB (Hrsg.), "Moderne Strecken und schnelle Züge- ein Konzept für die Zukunft", S. 8, Frankfurt (ohne Angabe d. Erscheinungsdatums). 91 Ebenda. 92 Pällmann, 1988, S. 10. 93 Heinisch, 1986, S. 341. 94 Ebenda. 95 Pällmann, 1988, S. 10.

3 Giese

34

1. Regionalluftverkehr und Eisenbahn als Anbieter im Personenverkehr

tung, Fahrtdauer usw.) nicht mehr entsprach 96 • Beide Effekte hatten zur Folge, daß der Marktanteil der Eisenbahn im Personenverkehr ständig abnahm. Als problematisch erwiesen sich darüberhinaus Versäumnisse der Bahn, rechtzeitig auf die modifizierten Anforderungsprofile im Personenverkehr zu reagieren. So wurden Marktsignale zumindest teilweise zu spät wahrgenommen, sodaß in bestimmten Bereichen zu wenig Innovationskraft entfaltet und nicht in ausreichendem Umfang in die Modernisierung der Infrastruktur und in Produktverbesserungen investiert wurde 97 • Auch vor dem Hintergrund dieser Aspekte ergab sich, daß - wie es die Deutsche Bundesbahn selbst eingesteht- "infolge nicht ausreichend kundenbezogener Politik und zu geringer Beförderungsgeschwindigkeiten aktuelle und potentielle Kunden zu anderen Verkehrsträgem abwanderten"98. Vergleicht man die bislang herausgearbeiteten Verkehrsdaten von Regionalluftverkehr und Eisenbahn, wird man feststellen, daß die Bundesbahn trotz z. T. drastisch gesunkener Marktanteile dennoch erheblich höhere Verkehrsmengen und -Ieistungen verzeichnet als der Regionalluftverkehr: 1989 konnte die Deutsche Bundesbahn etwa dreihundertsiebzigmal so viele Personen befördern wie alle auf dem deutschen Regionalluftverkehrsmarkt operierenden Anbieter zusammen. Nimmt man dieS-Bahn-Verkehre aus dieser Betrachtung heraus, verbleibt ein knapp einhundertdreißigfacheT Wert zugunsten der Eisenbahn. Bei isolierter Betrachtung der Beförderungsleistungen muß die Frage gestellt werden, ob der Regionalluftverkehr überhaupt in einen entscheidenden Wettbewerb zur Eisenbahn und anderen Verkehrsträgem treten kann 99 • Wir werden, ohne bereits an dieser Stelle die Ergebnisse vertiefender Untersuchungen zu dieser "Leitfrage" vorwegnehmen zu wollen, diese Frage unter bestimmten Voraussetzungen zu bejahen haben.

1.4 Die Rolle des Personenfernverkehrs aus Sicht verschiedener europäischer Eisenbahnen Deutliche Anteilsverschiebungen an den Verkehrsleistungen im Personenfernverkehr haben sich in den Nachkriegsjahrzehnten auch für die Eisenbahnen des europäischen Auslands ergeben. Es ist davon auszugehen, daß die erhebliche Zunahme des Automobilverkehrs auch dort von maßgeblicher Bedeutung für die

96 Ähnl. Pällmann, 1986, S. 82, der von einer "anteiligen Umschichtung von den zeitlich und örtlich eher stabilen zu ( ...) eher flexiblen Fahrtzwecken" spricht. 97 Ders., 1988, S. 9. 98 Schnell, 1988, (a), S. 769. 99 Wedekind, 1988, S. 216.

1.4 Die Rolle des Personenfernverkehrs aus Sicht ausländischer Eisenbahnen 35 gesunkenen Marktanteile der Eisenbahn - wenn auch "mit national unterschiedlichen Spannbreiten" 100 - gewesen ist 101 • Nachstehende Übersicht dokumentiert den Bestand der registrierten Personenkraftwagen der heutigen EG-Mitgliedstaaten (ohne Bundesrepublik) für den Zeitraum der vergangeneo 25 Jahre im Vierjahresabstand (Angaben in Mio.): Tab. 2: PKW-Bestand der EG-Länder 1964-1988 Land

1964

1968

1972

1976

1980

1984

1988

Frankreich GB, Irland Italien Spanien Niederlande Belgien Dänemark Griechen!. Portugal Luxemburg

8,1 7,6 3,8 0,5 0,9

10,4 10,9 7,3 1,3 1,8 1,7 0,9 0,1 0,3 0,1

13,9 13,4 12,5 3,3 3,1 2,3 1,2 0,3 0,5 0,1

15,5 14,6 15,0 4,3 3,4 2,6 1,3 0,4 0,9 0,1

18,4 15,6 17,4 6,5 4,2 3,1 1,4 0,7 0,9 0,2

20,8 18,2 21,0 8,7 4,8 3,3 1,4 1,1 1,1 0,2

22,5 22,2 23,5 10,8 5,3 3,6 1,6 1,4 1,4 0,2

0,6 0,1 0,2

Quelle: VDA, versch. Jahrgänge. Daten vom Verf. auf 100.000 gerundet.

Im gleichen Zeitraum verzeichneten die übrigen Länder in Europa folgende PKW-Bestände (Angaben in Mio): Tab. 3: PKW-Bestand der Nicht-EG-Länder in Europa 1964 bis 1988 Land

1964

1968

1972

1976

1980

1984

1988

Sowjetun. Polen DDR Schweden

0,9 0,2 0,2 1,6 0,1 0,6 0,8 0,2 0,3 0,3 0,1

1,0 0,3 0,7 2,0 0,4 1,0 1,1 0,4 0,6 0,1 0,6 0,1

0,1

0,1

1,3 0,6 1,4 2,4 1,0 1,5 1,5 0,8 0,8 0,3 0,9 0,2 0,2 0,1

3,8 0,9 1,9 2,8 1,3 1,7 1,8 1,3 1,0 0,4 1,0 0,3 0,2 0,3

7,5 1,8 2,4 2,9 2,3 2,0 2,2 1,8 1,2 0,8 1,2 0,6 0,5 0,4

11,0 3,2 3,2 3,1 2,9 2,5 2,6 2,6 1,4 1,3 1,4 0,8 0,6 0,4

15,9 4,2 3,6 3,5 3,0 2,8 2,8 2,7 1,8 1,7 1,6 1,2 1,1 0,5

~~goslaw.

Osterreich Schweiz CSSR Finnland Ungarn Norwegen Türkei Bulgarien Sonstige

Que/le:VDA, versch. Jahrgänge. Daten vom Verf. auf 100.000 gerundet. 100 101

3•

Heimerl, 1988, S. 221. Vgl. (o. V.) Wirtschaftswoche Nr. 51 1989 S. 34.

36

1. Regionalluftverkehr und Eisenbahn als Anbieter im Personenverkehr

Es würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen, wollte man die spezifischen Verkehrsmarktverhältnisse aller ausgewiesenen Länder einer differenzierten Analyse unterziehen. Vielmehr soll hier kurz die Entwicklung des Personenfernverkehrs ausgewählter Länder über die letzten Jahre vorgestellt werden, wobei die Situation in Skandinavien und Finnland, den Benelux-Staaten, Frankreich, Spanien, Italien, Österreich, der Schweiz, der Tschechoslowakei und Polen im Vordergrund des Interesses stehen soll 102 • Der Entwicklung des Schienenverkehrs im Bereich der ehemaligen DDR und nach Berlin wird weiter unten (Kap. 3.3) eine gesonderte und ausführlichere Betrachtung gewidmet. Während die Schwedischen Staatsbahnen (SJ) 1989 gegenüber dem Vorjahr im Personenverkehr bei annähernd konstant gebliebener Personenkilometerleistung ca. 3% mehr Personen beförderten 103 , verzeichnen die Norwegischen Staatsbahnen (NSB) im gleichen Wirtschaftsjahr bei 3,6% mehr Reisen einen leichten Anstieg der geleisteten Personenkilometer um 1,6% 104 • Im Jahr 1988 hatten die NSB gegenüber dem Vorjahr noch rückläufige Fahrgastzahlen sowie weniger geleistete Personenkilometer hinzunehmen; die NSB führten seinerzeit den Rückgang der Verkehrsleistung u. a. auf "die Dumpingpreispolitik der Fluggesellschaften, ( ... ) die hohe Zahl der PKW-Neuzulassungen und ( ... ) die Einrichtung privater Expreßbuslinien" 105 zurück. In Schweden kamen 1988 statistisch gesehen genau 400 PKW auf 1000 Einwohner; in Norwegen waren es 388 106• Auch die Finnischen Staaatsbahnen (VR) konnten 1989 im Fernverkehr bei insgesamt 44 Mio. Reisen einen Anstieg im Personenverkehr verzeichnen, was auch für die geleisteten Personenkilometer gilt 107 • Ein Zuwachs von 12 Prozent konnte dabei im Reiseverkehr mit der Sowjetunion erzielt werden; insbesondere die Strecke Helsinki-Moskau, die seit 1987 durch den internationalen Schnellzug "Leo Tolstoi" bedient wird (dieser führt einen Autotransportwagen mit), verzeichnet deutliche Aufkommenszuwächse 108. In den Benelux-Ländern konnten die Niederländischen Eisenbahnen (NS) 1989 trotz Tarifanhebung im Vorjahr (infolge des um einen Prozentpunkt erhöhten Mehrwertsteuersatzes) ihre Fahrgastzahl gegenüber 1988 deutlich erhöhen; vorläufigen Schätzungen zufolge 109 stieg die Anzahl der geleisteten Personenkilometer 1989 um gut 5% von 9,964 Mrd. auf über 10,2 Mrd 110• Demgegenüber 102 Wir werden an späterer Stelle noch sehen, daß die Eisenbahn nur innerhalb bestimmter Entfernungen gegenüber dem Regionalluftverkehr konkurrenzfähig ist. 103 Die Bundesbahn Nr. 2 I 1990, S. 140. 104 Ebenda, S. 142. 105 Die Bundesbahn Nr. 2/ 1988, S. 115. 106 Statistisches Jahrbuch 1989, S. 679. 101 Die Bundesbahn Nr. 2/ 1989, S. 136. 108 Die Bundesbahn Nr. 2/ 1990, S. 136. 109 Diese Schätzungen beruhen auf Verkehrsdaten der ersten Jahreshälfte 1989, vgl.: Die Bundesbahn Nr. 2/ 1990, S. 148. 110 Die Bundesbahn Nr. 2/ 1990, S. 148.

1.4 Die Rolle des Personenfernverkehrs aus Sicht ausländischer Eisenbahnen 37 stagnieren Verkehrsmenge und -Ieistung der Belgisehen Eisenbahnen (SNCB I NMBS) im Personenverkehr; 1989 entsprachen sie annähernd dem Stand von 1988 111 • Bei den Luxemburgischen Bahnen (CFL) erbringt der Personenverkehr ca. 20% der gesamten Verkehrseinnahrnen. Der Anteil des Iuxemburgischen Binnenverkehrs an den Personenverkehrseinnahmen beträgt dabei 52,8% 112 • Die Französischen Eisenbahnen (SNCF) verzeichnen seit über 15 Jahren jährlich anwachsende Fahrgastzahlen. Der französische Hochgeschwindigkeitszug "Train a' grande vitesse (TGV)" ist an dieser Entwicklung seit Jahren maßgeblich beteiligt; bei einer durchschnittlichen Auslastung von 76 Prozent 113 erbringt der TGV etwa ein Fünftel des Passagieraufkommens im Fernverkehr der Französischen Staatsbahn 114 • Bei Reiseentfernungen über 100 Kilometer beträgt der Marktanteil der SNCF knapp 22% 11 5, liegt also deutlich höher als etwa der Anteil der DB im Fernverkehr der Bundesrepublik, obwohl Frankreich die zweithöchste Automobildichte in Europa aufweist (394 PKW je 1000 Einwohner 116). Im September 1989 haben die SNCF den ersten Abschnitt der neuen Strecke für den TGV-Atlantique in Betrieb genommen. Dieser Hochgeschwindigkeitszug verkehrt seitdem auf dem Neubauabschnitt zwischen Paris und Le Mans mit 300 km/h 117• Die Verlängerung dieses Abschnitts Richtung Süden erfolgte 1990; zwischen Paris und Bordeaux konnte damit die Fahrzeit auf drei Stunden verkürzt werden 118 • Bei den Spanischen Staatsbahnen (RENFE) ergab sich 1989 im Personenfernverkehr ein deutlicher Rückgang, der einerseits auf die Streikwelle bei RENFE, andererseits aber auch auf verschiedene Drohungen der baskischen Terrororganisation E.T.A. zurückzuführen ist 119• Sinkende Anteile im Schienenpersonenfernverkehr mußten 1989 auch die Italienischen Staatsbahnen (FS) hinnehmen. Dies dürfte zum einen in der im April 1989 in Kraft getretenen Tarifanhebung im Personenverkehr um 18 Prozent begründet sein; darüberhinaus wirkte sich zweifellos die alljährliche (monatelange) Streikwelle der Bahnbediensteten, insbesondere der Lokführer, verschärfend auf den Rückgang der Fahrgastzahlen aus 119• . Auf Seiten der Schweizer Bundesbahnen (SBB) blieb 1989 die Verkehrsleistung im Personenverkehr (1989: 13.850 Mio PKm, 1988 13.773 PKm) gegenüber dem Vorjahr annähernd konstant 12o. In den Vorjahren konnten die SBB deutliche Ebenda, S. 154. Ebenda, S. 156. Prozentangaben vom Verf. errechnet. 113 Die Bundesbahn Nr. 2/ 1990, S. 157. 114 Vgl. Die Bundesbahn, Nr. 2/ 1988, S. 128. 115 Ebenda, S. 129. 116 Wirtschaftswoche Nr. 37/1989, S. 37. 117 Die Bundesbahn Nr. 2/ 1990, S. 157 f. 118 Ebenda, S. 158. 119 Die Bundesbahn Nr. 2/ 1990, S. 1621. 119a Ebenda. 111

11 2

38

1. Regionalluftverkehr und Eisenbahn als Anbieter im Personenverkehr

Zuwachsraten im Personenverkehr verzeichnen 121 • Auffallend an der Verkehrsmarktsituation in der Schweiz ist der hohe Marktanteil der Eisenbahn: bezogen auf die Bevölkerungszahl fährt jeder Schweizer pro Jahr ca. 1600 Kilometer mit der Bahn (der Bundesbürger dagegen- zum Vergleich- knapp 400 Kilometer); bei Ansatz dieser Relation nimmt die Schweizer Eisenbahn in Europa den Spitzenplatz ein 122• Dagegen stagnierte der Personenverkehr der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) wie bereits in den Vorjahren. 1988 entfielen von den insgesamt 158,9 Mio. beförderten Personen 123 21 Mio. auf den Fernverkehr 124, der gut die Hälfte der Verkehrsleistung im Schienenpersonenverkehr, nämlich 53,5% (3,9 von 7,29 Mrd Personenkilometer) 125 , erbrachte. Im Gebiet der ehemaligen DDR, in Polen sowie in der Tschechoslowakei ist der Marktanteil der Eisenbahnen sowohl im Personen-, als auch im Güterverkehr höher als in den bislang betrachteten Ländern, was nicht zuletzt auf die relativ niedrige Automobildichte der Ostblockstaaten zurückzuführen ist. Da die Leistungen der Deutschen Reichsbahn (DR) zwar 1987 nach Angaben des ehemaligen Ministeriums für Verkehrswesen der DDR "102,5 Prozent derjenigen von 1980" 126 ausmachten (sie also praktisch konstant blieben), andererseits aber die Anzahl der PKW im gleichen Zeitraum um 20,7% zunahm 127 , ist es offensichtlich, daß auch die DR am Wachstum der Personenverkehrsnachfrage kaum teilnehmen konnte. Ein ganz ähnliches Bild zeigt sich für die Tschechoslowakischen und Polnischen Staatsbahnen (CSD bzw. PKP). Es liegt die Annahme nahe 128, daß auch in diesen Ländern, deren PKW-Bestände 1988 um 233% (Polen) bzw. 150 % (CSSR) über denen des Jahres 1980 lagen 129, der Automobilverkehr in zunehmenden Maße Anteilsverluste der Eisenbahn im Personenverkehr zur Folge hatte. 120 Daten gern. ,,Litra", einer von den SBB, dem Verband öffentlicher Verkehr und anderen größeren schweizerFirmen getragenen Verkehrsgesellschaft 12 1 Vgl. auch Die Bundesbahn Nr. 2/ 1988, S. 136. Dieser Effekt ist in erster Linie darauf zurückzuführen, daß die Schweizer Regierung die verkehrspolitische Instrumentalfunktion der Schweizer Eisenbahnen klar definiert hat; ihnen soll eine "ökopolitische" Funktion zuK.ommen (vgl. etwa Kellerhals, 1986, S. 132 f. ; Meiner, 1986, S. 147 ff.), wobei der beabsichtigte Effekt darin liegt, "im Sinne eines aktiven Schutzes der Umwelt den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel zu fördern" (Die Bundesbahn Nr. 2/ 1988, S. 136). Die zu diesem Zweck durch Fahrpreisermäßigungen verursachten Einnahmeausfälle einerseits, die durch Angebotsausweitungen bewirkten Aufwandssteigerungen andererseits werden dabei vom Staat übernommen. Vgl. Die Bundesbahn Nr. 2/ 1988, S. 136). Vgl. auch Lütge, 1989, S. 34. 122 Die Bundesbahn Nr. 2/1990, S. 167. 123 Vgl. ÖBB-Handbuch 1989, S. 160. 124 Die Bundesbahn Nr. 2/ 1988, S. 142. 125 Ebenda. 126 Zitiert nach: Die Bundesbahn Nr. 2/ 1988, S. 155. 121 Vgl. Angaben aus Tabelle 2. 12s Leider sind konkrete Daten zum Anteil dieser Bahnen am Personenverkehr nicht vorfindlich. 129 Vgl. Angaben aus Tabelle 2.

1.4 Die Rolle des Personenfernverkehrs aus Sicht ausländischer Eisenbahnen 39 Es stehen sich damit vor dem Hintergrund der interessierenden Thematik zwei gegenläufige Effekte gegenüber: z. T. drastisch gesunkene Marktanteile im Schienenpersonenverkehr zugunsten von Automobil und Flugzeug auf der einen Seite, erhebliche Zuwachsraten im Regionalluftverkehr zu Lasten von Eisenbahn- und Automobilverkehr auf der anderen Seite. Damit zeigt sich, daß der Wettbewerb von Regionalluftverkehr und Eisenbahn sowohl untereinander als auch gegenüber dem gemeinsamen Konkurrenten Auto in den vergangeneu Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Darüberhinaus ist angesichts prognostizierter Zuwachsraten im europäischen Personenverkehr und den sich damit ergebenden Entwicklungspotentialen der konkurrierenden Verkehrsträger mit einem sich in Zukunft eher verschärfenden Wettbewerb von Regionalluftverkehr und Eisenbahn zu rechnen 13o.

130 Mitunter wird darauf hingewiesen, daß angesichts absehbarer kapazitiver Engpässe im Luftverkehr der Entwicklung des Regionalluftverkehrs schon heute Grenzen gesetzt sind. Wir werden sehen, daß diese These nur unter relativ restriktiven Prämissen zutrifft.

2. Die Unternehmensverfassungen der Deutschen Bundesbahn und größerer deutscher RegionalFluggesellschaften im Vergleich 2.1 Wettbewerbspolitische Ausgangslage der Deutschen Bundesbahn 2.1.1 Rechtsform und das Prinzip der Gemeinwirtschaftlichkeit Die Rechtsfonn der Deutschen Bundesbahn (DB) ergibt sich aus Art. 87 des Grundgesetzes (GG) und aus§ 1 des Bundesbahngesetzes (BBG) vom 13. Dezember 1951. Artikel 87 GG bestimmt, daß die DB als bundeseigene Verwaltung zu führen ist; sie ist damit eine Behörde im Ressort des Bundesministers für Verkehr 1• Nach außen tritt die DB als Privatrechtsträger auf; maßgeblich für eine juristische Beurteilung der Beförderungsvorgänge ist demnach das bürgerliche Recht 2 • Nach§ 1 BBG hat die DB die Rechtsfonn eines Sondervennögens des Bundes mit eigener Wirtschafts- und Rechnungsführung. Insgesamt ist sie damit als bundesdeutsche Staatsbahn und Bestandteil der staatlichen Infrastruktur anzusehen 3• Die Wirtschaftsführung der DB ist - wenn auch im Wortlaut allgemein gehalten- in § 28 BBG geregelt. Darin heißt es u. a., die Bundesbahn sei "unter der Verantwortung ihrer Organe wie ein Wirtschaftsunternehmen mit dem Ziel bester Verkehrsbedienung nach kaufmännischen Grundsätzen so zu führen, daß die Erträge die Aufwendungen einschließlich der erforderlichen Rückstellungen decken; eine angemessene Verzinsung des Eigenkapitals ist anzustreben" 4 • Die DB hat seit ihrem Bestehen weder das Ziel der angemessenen Verzinsung des Eigenkapitals noch das der eigenen Aufwandsdeckung verwirklichen können 5• Stattdessen verzeichnet sie jährlich Defizite in Milliardenhöhe; 1989 lag der Jahresfehlbetrag der DB bei 3,9 Mrd DM 6 • Unter Zugrundelegung ihrer umstrittenen "Trennungsrechnung" 7 weist die DB seit vielen Jahren darauf hin, Vgl. Bürge!, 1983, S. 81 ff. Ebenda. 3 Ähnl. Pällmann, 1984, S. 32. 4 § 28 Abs. 1 Satz 1 BBG. 5 Vgl. Gewinn- und Verlustrechnung div. OB-Geschäftsberichte; lrsfeld 1982 a. a. 0. S.266 f. 6 OB-Geschäftsbericht 1988. 1

2

2.1 Wettbewerbspolitische Ausgangslage der DB

41

daß die Gewinne, die sie jeweils im "eigenwirtschaftlichen" Bereich erwirtschaftet habe, durch Verluste in den ihr auferlegten "gemeinwirtschaftlichen" und "staatlichen" Bereichen überkompensiert worden seien 8• Eine kritische Betrachtung dieser methodischen Konzeption wird am Beispiel des Fahrwegsektors weiter unten (Kap. 7.2) erfolgen. An dieser Stelle soll zunächst der gemeinwirtschaftliche Status der DB im Vordergrund des Interesses stehen. Er dokumentiert sich vorrangig in verschiedenen einseitig renatbilitätsmindemden staatlichen Auflagen 9, denen die DB im Wettbewerb ausgesetzt ist, für die sie jedoch Ausgleichszahlungen des Bundes erhält 10• Gerneinwirtschaftliche Verpflichtungen stellen, wie es der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesminister für Verkehr formuliert, "soweit es sich nicht um wettbewerbspolitisch zweckmäßige Auflagen ( ... ) handelt, nichts anderes als Subventionen, die letztlich den Bundeshaushalt belasten" 11 , dar. Eine definitorisch eindeutige Inhaltsbestimmung der als gemeinwirtschaftlich anzusehenden Aufgaben kann dem Gesetzestext nicht entnommen werden; lediglich in § 28 Abs. 1 S. 2 BBG findet sich ein (materiell jedoch nicht näher bestimmter) Hinweis darauf, daß die DB im Rahmen der unter § 28 Abs. 1 S. 1 BGB (s. o.) genannten Pflichten "ihre gemeinwirtschaftliche Aufgabe zu erfüllen" habe 12• Vor diesem Hintergrund blieb es zunächst Literatur und Praxis überlasssen, plausible Bedeutungsinhalte für einen derartigen Sonderstatus zu formulieren. Dabei wurde eine Reihe von Tatbeständen herausgearbeitet, die heute mehr oder weniger übereinstimmend als Wesensmerkmale der Gemeinwirtschaftlichkeit angesehen werden 13 • Nach herrschender Meinung kommen die charakteristischen Kennzeichen der Gemeinwirtschaftichkeit vor allem in folgenden Prinzipien zum Ausdruck:

7 Es handelt sich dabei um eine DB-inteme, spartenartige Aufteilung der Aufwendungen und Erträge auf einen eigenwirtschaftlichen, einen gemeinwirtschaftliehen und einen staatlichen Bereich; diese Konzeption ist aus wissenschaftlicher Sicht in der gegenwärtig praktizierten Weise nicht haltbar, vgl. weiterführend insbes. Kap. 7.2 dieser Untersuchung. 8 So heißt es im OB-Geschäftsbericht 1988 S. 9: "Der seit Jahren im Jahresabschluß ( ... ) ausgewiesene Fehlbetrag steht in anderem Licht, wenn die verschiedenen Aufgabenbereiche aufgegliedert werden. Die Ergebnisse der verschiedenen Aufgaben werden deutlich, die Verantwortlichkeiten von Staat und Bahn werden klarer sichtbar und leichter zu erfüllen". 9 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesminister für Verkehr, 1988, S. 82. 10 Wesen und Umfang dieser auch als "Bundesleistungen" bezeichneten Ausgleichszahlungen werden in Kapitel 2.1.3 kurz näher betrachtet. 11 Wiss. Beirat, 1988, S. 82. 12 Ebenda. 13 Wenngleich es nach wie vor keine "allgemein anerkannte Definition noch auch nur eine allseits akzeptierte Grundauffassung" (Wiss. Beirat, 1988, S. 83) hierzu gibt.

42

2. Die Unternehmensverfassungen im Vergleich

( 1) Die Betriebspflicht; danach ist "auf dem gesamten Bahnnetz ein regelmäßiger Fahrbetrieb im Güter- und Personenverkehr" 14 zu unterhalten. Hierzu gehört auch die Pflicht, ggfs. unrentable Linien zu bedienen 15 • (2) Die Beförderungspflicht; hierzu zählt die Pflicht, "Verkehrsnachfrage zu befriedigen, sofern der Nachfrager den Beförderungsbedingungen entspricht und nicht unabwendbare Umstände eine Beförderung verhindern" 16• (3) Die Tarifpflicht, wonach die aufgestellten Tarife allgemeinverbindlich sein müssen 17 • Die ausgewiesenen Tarife müssen nach der Tarifpflicht auch angewendet werden; individuelle Sondervereinbarungen sowie Rabatte und Treueprämien sind danach verboten 18 • (4) Zu der Tarifpflicht steht das Prinzip von der Tarifgleichheit im Raum in engerer Beziehung (Ritschl faßt diese Grundsätze zusammen als Prinzip von der "Gleichheit der Verkehrsbedingungen" 19). Die Tarifgleichheit im Raum soll einer volkswirtschaftlich erwünschten Raumordnung dienen, indem "abgelegene Gebiete mit geringer Verkehrsdichte ( ... ) zu den gleichen Frachtsätzen und Fahrpreisen im Personenverkehr bedient werden wie die Orte, die an den Hauptsträngen des Verkehrsnetzes liegen" 20• Dieses Prinzip wird in der Praxis jedoch weniger streng gehandhabt; insbesondere im Güterverkehr wird es an zahlreichen Stellen durchbrochen 21 • (5) Die Pflicht zur gemeinwirtschaftliehen Tarifdifferenzierung 22 , die faktisch verschiedene Arten einer sozialorientierten Preisdifferenzierung (z. B. Senioren oder Schülerkarten) umfaßt. (6) Die Pflicht zur Betriebsführung in Einklang mit den Grundsätzen der bundesdeutschen Politik. Diese Verpflichtung ist aus § 14 Abs. 3 Satz 2 BBG ableitbar, wonach dem Bundesminister für Verkehr für die in § 14 Abs. 3 Satz 1 Ziff. a-h aufgeführten Maßnahmen ein Genehmigungsvorbehalt eingeräumt wird für den Fall, daß "den Grundsätzen der Politik der Bundesrepublik Deutschland, vor allem der Verkehrs-, Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, nicht Rechnung" getragen wird 23 •

Vgl. Ritschl, 1968, S. 38 ff. Ebenda. 16 Wiss. Beirat 1988, S. 83 in Anlehnung an den Wortlaut von§ 4 AEG, § 21 PBefG, § 21 LVG. 11 Wiss. Beirat, 1988, S. 83. 1s Vgl. Ritschl, 1968, S. 38 ff. Dieses Prinzip spielt in der Praxis kaum noch eine Rolle; die Anzahl der Ausnahmetarife im Personen- und Güterverkehr ist kaum noch zu überschauen. 19 Ebenda. 20 Ebenda. 21 Wiss. Beirat, 1984, S. 11. 22 Ritschl, 1968, S. 38 ff. 14

15

2.1 Wettbewerbspolitische Ausgangslage der DB

43

(7) Das "Erfordernis von Genehmigungen, die nur in langwierigen Verfahren oder unter Umständen gar nicht zu erhalten sind, etwa für Tarifänderungen oder Streckenstillegungen"24. Die DB erhältjährlich Ausgleichszahlungen des Bundes, die u. a. solche Nachteile kompensieren sollen, die der DB durch die Erfüllung der als gemeinwirtschaftlich bezeichneten Aufgaben entstehen 25 . Die im Haushaltsjahr 1989 vom Bund empfangenen Ausgleichszahlungen zur Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen lagen bei 3,8 Mrd. DM; im einzelnen wiesen sie folgende Struktur auf26: (1) Schieneu-Personennahverkehr (2) Schieneu-Personenfernverkehr (3) Fahrgeldausfälle im DB I DR-Verkehr (4) Ausbildungsverkehr (Bus) (5) Aufrechterhaltung von Strecken (6) Saldenausgleich DB I DR-Verkehr

3.500,0 Mio. DM 50,0Mio. DM 51,7 Mio. DM 121,1 Mio. DM 39,5 Mio. DM 32,5 Mio. DM

Es soll im folgenden der Frage nachgegangen werden, ob die Bereitstellung derartiger Leistungen prinzipiell mit einem Wettbewerbsnachteil- etwa durch den Zwang zur Inkaufname betriebswirtschaftlicher Verluste- verbunden sein muß.

2 .1.2 Kritik und Reformvorschläge zur bisherigen Auffassung und Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat in einem 1987 veröffentlichten Aufsatz "Industrie und Deutsche Bundesbahn- Partner in einem europäischen Verkehrsmarkt" im Abschnitt "Empfehlungen des BDI zur Neuordnung der Bundesbahnpolitik" die Aufhebung der Betriebs-, Beförderungs- und Tarifpflicht gefordert und dies wie folgt begründet: ,,Auf der Basis einer stärkeren Selbständigkeit und Wirtschaftlichkeit der Bundesbahn läßt sich das Problem der Aufhebung der Beförderungs-, Betriebs- und Tarifpflicht und ihr Ersatz durch Unternehmerische Betriebsentscheidungen auf ökonomische Weise lösen" 27. In eine ähnliche Richtung zielt in diesem Zusammenhang auch eine Stellungnahme 23 § 14 Abs. 3 Satz 2 BBG. Ursprünglich hatte der Bundesminister für Verkehr auch das Recht, zu diesem Zwecke allgerneine Anordnungen zu erlassen; dieses Recht wurde jedoch mit dem Gesetz zur Änderung des BBG vorn 6. März 1969 beseitigt (vgl. hierzu mit weiterführenden Hinweisen Fromm, 1986, S. 68 ff). · 24 Wiss. Beirat, 1988, S. 83. 25 Irsfeld, 1982, S. 268. 26 Daten gern. OB-Geschäftsbericht 1989 S. 8; weiterführende Hinweise zu den einzelnen Leistungen im gerneinwirtschaftlichen Bereich siehe Irsfeld, 1982, S. 268 ff. 27 BDI, Industrie und Deutsche Bundesbahn, Partner in einem europäischen Verkehrsmarkt, S. 33, Köln 1987.

44

2. Die Unternehmensverfassungen im Vergleich

von Bürge!; er bezeichnet den Inhalt des § 28 BBG als "widersprüchlich, denn man kann nicht gleichzeitig Rentabilität und beste Verkehrsbedienung fordern" 28 • Derartigen Sichtweisen dürfte die (im übrigen weitverbreitete) Annahme zugrundeliegen, daß zwischen der Erbringung gemein wirtschaftlicher, d. h. politisch gewollter, Leistungen und dem Ergebnis kaufmännischen Handeins prinzipiell ein Spannungsverhältnis bestünde 29 , indem die "gemeinwirtschaftlich angesehenen Aufgaben oder Leistungen ( ... ) von kaufmännisch handelnden Unternehmen nicht zu den gesetzten Preisen und Bedingungen angeboten würden" 30• Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesminister für Verkehr (im folgenden "Beirat") hat sich in seinem Gutachten "Gemeinwirtschaftlichkeit und Deutsche Bundesbahn" ausführlicher mit diesem Thema beschäftigt. Seiner Auffassung nach ist die Bezeichnung "gemeinwirtschaftlich" für bestimmte Aufgaben nur dann gerechtfertigt, wenn "ein Unterschied des politisch Gewollten zum kaufmännischen Verhalten besteht, denn der Staat braucht keine Aufgaben als gemeinwirtschaftlich zu postulieren, die ohnehin erledigt würden" 31 • Ausgehend von der Annahme, daß nicht nur kaufmännisches Handeln, sondern auch die Verwirklichung politischer Ziele dem ökonomischen Prinzip 32 unterliegen solle, wird anhand einiger typischer, d. h. üblicherweise als gemeinwirtschaftlich bezeichneter, Aufgabenstellungen verdeutlicht, daß diese höchstwahrscheinlich auch von privaten Anbietern- und zwar womöglich rationeller- bereitgestellt würden 33 • So sei durchaus zu erwarten, daß auch die privaten Anbieter die Betriebs- und Beförderungspflicht einhielten; diese Annahme ist deshalb plausibel, weil die betreffenden Unternehmen schon aus eigenem Interesse heraus "im Rahmen der verfügbaren Kapazität und Betriebsbereitschaft den Verkehr ( ... ) dann regelmäßig bedienen, sofern die nachgefragten Leistungen und die Nachfrager den vom Unternehmen festgesetzten Bedingungen entsprechen und bereit sind, das geforderte oder übliche Entgelt zu zahlen" 34• Nach Ansicht des Beirates sind Betriebs2s Bürge!, 1983, S. 82. Er übersieht jedoch, daß § 28 BBG die Bedingungen zur Zielerreichung selbst nennt, nämlich die Einhaltung kaufmännischer Grundsätze. Insofern liegt hier kein Widerspruch, wie befürchtet wird, sondern der Befehl, ein Sachziel (Verkehrsbedienung) unter bestimmten Bedingungen (Einhaltung kaufmännischer Grundsätze) zu maximieren ("beste" Verkehrsbedienung). 29 Wiss. Beirat, 1988, S. 86. Ein solches Spannungsverhältnis unterstellt z. B. Ellwanger, 1989, S. 125, der in der Formulierung des § 28 BBG einen "gravierenden Widerspruch" sieht. 30 Ebenda. 31 Ebenda. 32 Das ökonomische Prinzip dokumentiert sich in zweierlei Ausprägung: als "Maximal-" bzw. als "Minimalprinzip" (es sind hierfür jedoch auch andere Bezeichnungen in Umlauf, z. B. ,,Ergiebigkeits-" bzw. "Sparsamkeitsprinzip"). Nach dem Maximalprinzip soll mit den gegebenen Mitteln ein möglichst hohes Ausmaß der Zielerreichung bewirkt werden, beim Minimalprinzip soll ein gegebenes Ziel mit einem Minimum an Einsatz verwirklicht werden. (Ahn!. Schierenbeck, 1989, S. 3 f). 33 Wiss. Beirat, 1988, S. 86 f. 34 Ebenda, S. 90.

2.1 Wettbewerbspolitische Ausgangslage der DB

45

und Beförderungspflicht erst dann als gemeinwirtschaftlich anzusehen, wenn sie "betriebswirtschaftlich gebotene Desinvestitionen, Einschränkungen der Verkehrsbedienung oder Preisforderungen unmöglich machen, ohne daß dafür ein entsprechender Ausgleich gewährt wird" 35 • Dies heißt jedoch nicht, daß deshalb ein privates Angebot derartiger Leistungen nicht zustande käme; denkbar wäre nämlich, daß das betreffende Unternehmen etwaige Verluste, die durch die Aufrechterhaltung der Verkehrsbedienung (etwa zu nachfrageschwachen Tageszeiten) entstehen, hinzunehmen bereit ist, wenn diese durch Gewinne in anderen Bereichen, auf anderen Strecken oder zu anderen Tageszeiten überkompensiert werden können. Ein solches Anbieterverhalten ist in der Praxis häufig zu beobachten. Z. B. unterhält die Lufthansa in der Bundesrepublik ein spezielles Netz der sog. "Frankfurt-Anschlußdienste", das insbesondere aufkurzen Distanzen (etwa Frankfurt-Stuttgart oder Frankfurt-Köln I Bann) Verluste verursacht 36 • Jedoch werden diese Dienste aufrechterhalten, weil der Wert ihrer Zubringerfunktion zum gewinnträchtigen internationalen Netz diese Verluste überkompensiert 37 • Der Beirat nimmt weiterhin an, daß bei hinreichend großer Verkehrsnachfrage auch ein kaufmännisch geführtes Unternehmen Fahrpläne aufstellen und seine Tarife veröffentlichen würde, "allein schon wegen ihres aquisitorischen Effekts" 38 • Auch sei davon auszugehen, daß das absatzpolitische Instrument der Preisdifferenzierung angewandt würde 39 , um bestimmten Nachfragergruppierungen sozialpolitisch gewollte Preisnachlässe zu ermöglichen 40 • Damit kann vorerst festgehalten werden: Weder die Betriebs-, noch die Beförderungs-, die Tarifpflicht oder die Pflicht zur gemeinwirtschaftliehen Tarifdifferenzierung müssen- auch wenn sie anderen Verkehrsunternehmen nicht auferlegt sind- prinzipiell als Belastung oder als Wettbewerbsverzerrung angesehen werden 41 : neben der statischen Betriebspflicht, die eine starke Ausdünnung der Verkehrsbedienung erlaubt 42 , bedingt auch die dynamische Betriebspflicht (d. h. die laut§ 4 BBG vorgeschriebene Verpflichtung, den Betrieb "nach dem jeweiligen Stand der Technik zu erneuern, zu ersetzen und weiterzuentwickeln" 43 ) Ebenda. Vgl. Koerver-Stümper 1985, S. 79 ff.; näheres zur Systematik des deutschen Luftverkehrsnetzes in Kap. 3.1 dieser Untersuchung. 37 Ebenda. Oftmals werden Verluste in bestimmten Geschäftsbereichen sogar hingenommen, obwohl sie monetär allenfalls mittelbar kompensierbar sind. Man könnte ein solches Verhalten mit der spezifischen "Geschäftsraison" erklären. 38 Wiss. Beirat, 1988, S. 90. 39 EbendaS. 89. 40 Wir werden auf einige praktische Aspekte der Preisdifferenzierung weiter unten ausführlich eingehen. Zur Preisdifferenzierung aus theoretischer Sicht vgl. etwa Witkowski, H., Preisdifferenzierung, in: WISU 5/76 S. 49 ff. 4 1 Wiss. Beirat 1984, S. 11. 42 Ebenda. 43 § 4 BBG. 35

36

46

2. Die Unternehmensverfassungen im Vergleich

keinen ,,Zwang zu unrentablen Investitionen" 44 • Die Beförderungspflicht und das Instrument der Preisdifferenzierung entsprechen- freie Gestaltbarkeit des Tarifniveaus vorausgesetzt - ebenfalls dem Absatzinteresse der DB. "Nur dann, wenn wenn die Tarifgenehmigungsbehörde die Zustimmung zu einer den Strekkenkosten angepaßten Tarifgestaltung versagt, kann die Tarifpflicht im Zusammenhang mit der Betriebs- und Beförderungspflicht zu einer Belastung werden" 45 • Akzeptiert man die bisherigen Annahmen, bleibt zu klären, auf welche Weise mit den gemeinwirtschaftliehen Aufgaben, konkret: solchen, für die ein privates Angebot unter dem bestehenden Bedingungsrahmen nicht zustandekommt, zu verfahren ist. Denkbar sind hier nur drei Alternativen: (1) Verzicht auf das politische Ziel, (2) Modifizierung des Bedingungsrahmens oder (3) die Erteilung speziell zu entgeltender öffentlicher Aufträge 46 • Die erste Alternative soll hier nicht weiter behandelt werden. Die zweite Alternative könnte etwa so aussehen, daß "ein Teil der gesetzten Bedingungen ohne Schaden für die angestrebten politischen Ziele so geändert werden könnte, daß es für private Unternehmen lohnend wird, auch diese Leistungen anzubieten" 47 • Beispielsweise könnte überlegt werden, ob anstelle eines ursprünglich vorgesehenen Höchstpreises von DM 50,- für eine Schüler-Monatskarte auch DM 60,- zurnutbar wären, wenn sich ein Anbieter fände, der zu diesem Preis die gewollte Leistung zu erbringen bereit ist. Die dritte Alternative beruht auf der Annahme, daß sich "das Gewinnstreben privater Unternehmen nutzen (ließe, Verf.), um gemeinwirtschaftliche Aufgaben wirtschaftlicher zu erfüllen als durch öffentliche Betriebe" 48 • Dieser Konzeption zufolge müßten öffentlich Aufträge ausgeschrieben werden; das Unternehmen, das bereit ist, die nachgefragten Leistungen mit dem geringsten Zuschuß zu erbringen, könnte dann den Auftrag erhalten 49 • Der Beirat kommt zu der Einschätzung, daß darüber hinaus im Falle eines zweistufigen Ausschreibungsverfahrens, in dem die betreffenden Unternehmen die Möglichkeit erhalten, "günstiger zu realisierende Bedienungsbedingungen vorzuschlagen" 5°, die mit dem Ausschreibungsverfahren erzielbare Effizienzsteigerung noch erhöht werden könne 51 • Als positiven Begleiteffekt vermutet der Beirat einen zusätzlichen Leistungsanreiz und Rationalisierungsdruck auf die öffentlichen Unternehmungen 52 •

44 45 46

47 48 49

50 51

52

Wiss. Beirat, 1988, S. 11. Ebenda. Ähnl. Wiss. Beirat, 1988, S. 90. Ebenda. Wiss. Beirat, 1988, S. 90. Ebenda. Ebenda, S. 91. Ebenda. Ebenda.

2.1 Wettbewerbspolitische Ausgangslage der DB

47

Sofern die gewünschte Leistung nur durch ein öffentliches Unternehmen wie die DB erbracht werden kann (bzw. wenn das Ausschreibungsverfahren zu keinem wettbewerbsgerechten Ergebnis führt), sollten nach Auffassung des Beirats "öffentliche Unternehmungen zur Leistung verpflichtet werden können unter Anwendung ( ... der, Verf.) speziellen Entgeltlichkeit" 53 . Diese Konzeption ist (neben der Forderung, die Finanzverantwortung für das Schienennetz dem Bund zu übertragen und dafür nutzungsabhängige Wegeentgelte zu entrichten)54 von zentraler Bedeutung in der gegenwärtigen Diskussion über Möglichkeiten zur Sanierung der Bundesbahn. Anstelle einerpauschalen Verlustübernahme des OBDefizits durch den Bund lasse das Prinzip der speziellen Entgeltlichkeit für spezifizierte Leistungsaufträge erwarten, daß die DB trotzihres Status als öffentliches Unternehmen in die Lage versetzt wird, unternehmerisch zu handeln und dabei "gleichzeitig Art oder Niveau von Leistungen zu erhalten, die aus politischen Gründen gewünscht sind" 55. Die Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen ergab sich ursprünglich in Folge der Einräumung des Bedienungsmonopols für die Eisenbahn. Eine Aufhebung der gerneinwirtschaftlichen Verpflichtungen der DB und die Zulassung auch privater Unternehmen für die Erbringung politisch erwünschter Aufgaben wäre unter den skizzierten Annahmen also prinzipiell vorteilhaft. Zwar ist davon auszugehen, daß auch im Falle einer Einführung spezieller Leistungsaufträge "die Deutsche Bundesbahn nur unter extremen Annahmen in der Lage sein dürfte, ein ausgeglichenes Jahresergebnis zu erzielen" 56 (z. B. haben Untersuchungen ergeben, daß vom insgesamt etwa 30.000 Kilometer langen Streckennetz der DB lediglich 3.000 Kilometer betriebswirtschaftlich als optimal angesehen werden können 57). Jedoch wäre ein derartiges, letztlich auf Verlustminimierung abzielendes, Leistungs- und Entgeltsystem gegenüber dem heutigen Stand gewiß als eine Verbesserung anzusehen, zumal die verbleibenden Verluste "geringer sein (werden, Verf.) als die beim Eigentümer verbleibenden Lasten bei einer Aufgabe der Bundesbahn"58.

53 Ebenda.

54 Aberle, einer der profiliertesten Forscher auf diesem Gebiet, und Weber haben sich mit diesem Thema ausführlicher beschäftigt (vgl. Aberle u. a., 1987); nähere Ausführungen hierzu in Kap. 7.2 dieser Arbeit. 55 Ebenda, S. 92. 56 Wiss. Beirat, 1988, S. 92. 57 Lütge, 1989, S. 34. 58 Wiss. Beirat, 1988, S. 92.

48

2. Die Unternehmensverfassungen im Vergleich

2.1.3 Ausgleichszahlungen des Bundes, DB-Defizit und die Verschuldungsproblematik: ein quantitativer Überblick In Teilen der Öffentlichkeit wird einhellig der Standpunkt vertreten, die DB sei der größte "Verlustbringer" 59 und "Schuldenmacher der Nation" 60 • Als weitaus heterogener erweisen sich jedoch die unterschiedlichen Auffassungen über Höhe des Bundesbahndefizits; die diesbezüglich diskutierten Angaben schwanken zwischen drei und über fünfzig Milliarden DM. Zur Vermeidung von Mißverständnissen sind drei finanzwirtschaftliche Tatbestände voneinander zu unterscheiden: (1) das betriebswirtschaftliche Defizit, (2) die Ausgleichszahlungen des Bundes und (3) die Verschuldung der Bundesbahn 61 • Als Defizit der DB ist nur derjenige Betrag anzusehen, der in der Gewinnund Verlustrechnung als "Fehlbetrag" ausgewiesen ist 62 • 1989 verzeichnete die DB hier einen Betrag in Höhe von 3,858 Mrd. DM 63 . Dagegen lag die Höhe der Abschreibungen im gleichen Jahr bei 2,32 Mrd. DM64, also um gut 1,5 Mrd. DM unter dem Jahresfehlbetrag. Somit konnten die Abschreibungen nicht vollständig verdient werden. In einer derartigen Situation, also im Falle unzureichender Gewinnfinanzierung, kann ein Unternehmen 65 den zusätzlich erforderlichen Kapitalbedarf nur auf zweierlei Weise decken: durch "Zuschußfinanzierung" als spezifizierte Form der Eigenfinanzierung oder durch Fremdfinanzierung. Bezogen auf die DB bedeutet dies: die erforderlichen Mittel können nur durch Kapitalzuführung ihres Eigentümers Bund oder - sofern dies unterbleibt - durch Kreditfinanzierung über den Kapitalmarkt beschafft werden 66 • Die Nettokreditaufnahme der DB lag 1989 bei knapp 1,3 Mrd. DM67 • Bei den Bundesleistungen handelt es sich um Zuwendungen, die die DB (1) zur Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen (1989 3,8 Mrd. DM), (2) als Ausgleich für Wettbewerbsverzerrungen (1989 4,9 Mrd. DM), (3) als Eigentümerleistungen des Bundes (1989 4,8 Mrd. DM) und (4) als Nicht OB-spezifische Leistungen (1989 0,3 Mrd. DM)

Lütge, 1989, S. 33. Wirtschaftswoche Nr. 19, 1988, S. 97 ff. 61 Ähnl. Irsfeld, 1982, S. 268. 62 Irsfeld, 1982, S. 264. 63 DB-Geschäftsbericht 1989 S. 43. 64 Ebenda, S. 42. 65 Inwieweit es sich bei der DB um ein Unternehmen oder einen Betrieb (etwa im Sinne der Gutenbergsehen Abgrenzung) handelt, soll hier nicht problematisiert werden. 66 Vgl. Irsfeld, 1982, S. 274. 67 OB-Geschäftsbericht 1989, S. 4. 59

60

2.1 Wettbewerbspolitische Ausgangslage der DB

49

vom Bund erhält 68 • Diese Ausgleichszahlungen erfolgen entweder als Zuschuß zu den Aufwendungen oder als Ergänzung der Erträge. Subtrahiert man von diesen insgesamt 13,8 Mrd. DM die erfolgsneutralen Leistungen 69 , nämlich die Positionen "Investitionszuschüsse" (3,9 Mrd. DM) und "Nicht OB-spezifische Leistungen" 70 (0,3 Mrd. DM), ergibt sich für die Höhe der erfolgswirksamen Bundesleistungen ein Betrag von 9,6 Mrd. DM. Die Verschuldung der DB betrug Ende 1989 44,02 Mrd DM 71 • Davon entfiel ein Großteil, nämlich insgesamt 36,6 Mrd. DM, auf OB-Anleihen (23,2 Mrd. DM) sowie auf Schuldscheindarlehen und andere Kredite (13,4 Mrd. DM) 72 • Ansonsten bestehen Verbindlichkeiten der DB gegenüber verbundenen Unternehmen bzw. solchen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht, Verbindlichkeiten aus Verkehrsleistungen, Lieferungen und sonstigen Leistungen sowie "sonstige" Verbindlichkeiten 73. Ein Teil der OB-Verschuldung, nämlich 12,6 Mrd. DM, reflektiert den als "Altschuld" 74 bzw. "Nachkriegslast" 75 bezeichneten Betrag, der von der DB getilgt wird, dessen Zinsen jedoch seit 1973 vom Bund durch erfolgswirksame Ausgleichszahlungen (Gruppe "Eigentümerleistungen", s. o.) erstattet werden 76 • Hier hat sich eine Veränderung ergeben: seit 1991 werden die DB-Altschulden in die Bundesschuld übernommen 77 • Bereits im Haushalt 1989 sind in den Bundesleistungen die Zinsaufwendungen für die OB-Altschulden nicht mehr enthalten 78; die Überführung des Zinsausgleichs aus dem Verkehrshaushalt in die Bundesschuld ist für den Bund ausgaben-, für die DB indes erfolgsneutraF9 • Die sich aus der Verschuldung der DB im Rechnungsjahr 1989 ergebende Zinslast belief sich auf brutto 3,07 Mrd. DM; nach Abzug der Ausgleichszahlungen in Höhe von 898 Mio. DM reduziert sich dieser Betrag auf 2,17 Mrd. DM 80• Wird künftig, wie vorgesehen, der bislang gewährte Zinsausgleich gestrichen, da der Bund die diesen Ausgleichszahlungen zugrundeliegende Schuld selbst über68 OB-Geschäftsbericht 1989, S. 8. Weiterführende Erläuterungen zu den unter (2) - (4) ausgewiesenen Positionen siehe Irsfeld, 1982, S. 270 ff. 69 Diese werden nicht in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesen, sondern sind in der Position "Eigenkapital" enthalten (vgl. lrsfeld, 1982, S. 268). 1o Hierzu zählen die Zuwendungen nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. 11 Vgl. OB-Geschäftsbericht 1989, S. 4. n Ebenda, S. 41 ; Daten vom Verf. auf 100 Mio. DM gerundet. 73 Ebenda, Pos. "Erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen" vom Verf. mit in "Sonstige" übernommen. 74 Irsfeld, 1982, S. 272. 75 Thimm, 1988 (a), S. 661. 76 Irsfeld, 1982, S. 272. 11 o. V., Deutsche Bundesbahn: In der Klemme, in: Wirtschaftswoche Nr. 5/ 1989, S.44. 1s Thimm, 1988 (a), S. 662. 79 Ebenda, S. 661. so OB-Geschäftsbericht 1989 S. 42.

4 Giese

50

2. Die Unternehmensverfassungen im Vergleich

nimmt, bedeutet dies aus pragmatischer Sicht, daß die DB ihrem Eigentümer diese Zinsaufwendungen nicht mehr vorzulegen braucht. Wir werden sehen 81 , daß die DB die bisherige Defizitentwicklung wenigstens in Teilbereichen selbst zu vertreten hat. Insbesondere die überproportionale Entwicklung der Personalaufwendungen und deren Relation zur Ertragsentwicklung bzw. die durchschnittliche Arbeitsproduktivität der DB (Wertschöpfung je Beschäftigten) ist- nach wie vor 82 - kritisch. Die umfangreichen Konsolidierungsbemühungen, die man dem jetzigen OB-Vorstand bescheinigen muß, orientieren sich im wesentlichen an der Managementstrategie "DB 90". Danach sollten bis 1990 (gegenüber dem Stand 1983) -

die Arbeitsproduktivität um 40% gesteigert,

-

die Personalkosten um 30% und

-

die Gesamtkosten um 25% reduziert

werden 83 • Die sich aus diesem Postulat ergebenden Erfordernisse sowie die konkret ergriffenen Maßnahmen auf Seiten der DB werden im weiteren Verlauf dieser Untersuchung näher zu betrachten sein.

2.2 Anbieter im Regionalluftverkehr 2.2.1 Deutsche Luftverkehrsgesellschaft mbH (DLT) Die größte deutsche Regionalfluggesellschaft ist die "Deutsche Luftverkehrsgesellschaft mbH (DLT). Durch die Rechtsform einer GmbH hat sie den Status einer Kapitalgesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit 84• Gesellschafter der DLT sind die Deutsche Lufthansa AG (LH), die am 2. 8. 1989 mit 52% die Kapitalmehrheit bei DLT übernommen hat, und die mit 48% beteiligte Aktiengesellschaft für Industrie und Verkehrswesen (AGIV) 85 • Insofern kann die DLT als "Regionaltochter" der LH angesehen werden 86• Die enge Kooperation mit LH kommt u. a. darin zum Ausdruck, daß sämtliche DLT-Flüge im Auftrag der LH und damit ausschließlich unter LH-Flugnummer durchgeführt werden 87• 81 Vgl. Kapitel 7.1, wo eine detailliertere Diskussion der wichtigsten Aufwandsarten erfolgt. 82 So Aberle bereits 1984, in: Jahrbuch des Eisenbahnwesens 1984, S. 20, Darmstadt 1984. 83 Die Strategie "DB 90" ist Gegenstand zahlreicher Veröffentlichungen der DB. Vgl. etwa Dernbach, 1985, S. 12 ff. 84 Klunzinger, 1984, S. 188. ss DLT, 1989 (b), S. 3. 86 Die Tatsache, daß sich die größeren Fluggesellschaften eigene Regionaltöchter zugelegt haben oder unter eigenem Firmennamen mit kleinerem Gerät im Regionalflugverkehr operieren, ist in nahezu allen europäischen Ländern zu beobachten. 87 DLT, 1989 (b), S. 3.

2.2 Anbieter im Regionalluftverkehr

51

Maßgeblich für Fragen etwa der Leitungsbefugnis (sowohl in taktisch-operativer wie auch in strategischer Hinsicht), der Haftungsregelung, Rechenschaftspflicht und Kapitalzuführung sind für die DLT aufgrund ihrer Rechtsfonn insbesondere das GmbH-Gesetz, das Handelsrecht, und- im Hinblick auf die Befugnisse und Pflichten des Aufsichtsrates - auch das Aktienrecht. Das gemäß § 6 GmbH-Gesetz zwingend vorgeschriebene Gremium der Geschäftsführung besteht bei der DLT aus drei Geschäftsführern. Darüberhinaus hat die DLT einen Aufsichtsrat. Nach §52 GmbH-Gesetz ist der Aufsichtsrat im allgemeinen fakultatives Organ einer GmbH; verfügt das betreffende Unternehmen jedoch über mehr als 500 Arbeitnehmer, ist die Bestellung eines Aufsichtsrates nach § 77 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BVG) rechtsverbindlich vorgeschrieben 88 • Der aus sechs Personen bestehende Aufsichtsrat der DLT setzt sich gegenwärtig aus drei führenden Angestellten der LH (davon zwei Vorstandsmitglieder), zwei Vorstandsmitgliedern der AGIV sowie einem weiteren Mitglied zusammen 89 • Die LH als Gesellschafter mit der größten Stammeinlage bei der DLT stellt den Aufsichtsratsvorsitzenden. Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats ergeben sich füreine GmbH aus dem Aktienrecht in Verbindung mit§ 76 BVG 90: Danach wird dem Aufsichtsratsvorsitzenden der "Stichentscheid" bei Stimmengleichheit zugesprochen 91 , wonach seine Stimme bei Pattsituationen doppelt zählt. Damit kann LH faktisch die Richtlinien der DLT-Geschäftspolitik bestimmen. Die DLT verzeichnet in ihrer Bilanz des Geschäftsjahres 1988 einen Jahresüberschuß von 2,165 Mio. DM gegenüber 1,668 Mio. DM im Jahr 1987 92 • Mit eigenem Gerät konnte die DLT 1988 550.923 Passagiere befördern 93 ; 1989 erhöhte sich ihre Anzahl auf 592.159 94 • Damit lag ihr Marktanteil am bundesdeutschen und grenzüberschreitenden Regionalluftverkehr 1988 bei 25 Prozent 95 ; bezogen auf die Passagierzahl nimmt die DLT im europäischen Vergleich eine führende Stellung ein. Vgl. Kraft u. a., 1985, S. 264. Vgl. DLT, 1989 (b), S. 4. 90 Klunzinger, 1984, S. 215 f. 91 Ebenda, S. 149. 92 DLT, 1989 (a), S. 18. 93 Ebenda, S. 2. 94 DLT, 1990 (a), S. 1. 95 Die von der DLT veröffentlichten Passagierzahlen beinhalten mitunter auch die von anderen Regionalcarriern unter LH-Flugnummer beförderten Personen. So heißt es in einem DLT-Presselnfo Juli 1989, ,,rund 850.000 aller Passagiere im Regionalluftverkehr flogen 1988 mit der DLT und ihren Partnergesellschaften ( ... ), das entspricht einem Marktanteil von mehr als 40 Prozent". Einmal abgesehen davon, daß diese Schlußfolgerung falsch ist (wenn man 850.000 Passagiere zugrundelegt, kann sich die Angabe "40% Marktanteil" nur auf den deutschen und grenzüberschreitenden, nicht aber wie implizit unterstellt auf den gesamten europäischen Regionalluftverkehr beziehen), soll zur Vermeidung von Doppelzählungen im folgenden nur die Anzahl der mit eigenem Gerät beförderten Passagierzahlen betrachtet werden. 88

89

4*

52

2. Die Unternehmensverfassungen im Vergleich

2.2.2 Nürnberger Flugdienst Luftverkehrs AG (NFD) Die im Jahre 1975 als "Nürnberger Flugdienst" gegründete NFD ist nach der DLT die zweitgrößte deutsche Regionalfluggesellschaft Auch sie verzeichnete in den vergangeneo Jahren deutliche Wachstumsraten. So erhöhte sich die Anzahl der mit NFD-Gerät beförderten Passagiere im Jahr 1989 auf 361.289 ( 1988 waren es 282.320, 1987 184.300 Personen) 96. Die Mitarbeiterzahl der NFD hat sich 1989 mit 450 Personen gegenüber dem Stand von 1987 (196) mehr als verdoppelt97. Ihr Marktanteil am bundesdeutschen und grenzüberschreitenden Regionalluftverkehr lag 1988 bei 12,8%. Die NFD wurde am 2. 12. 1988 rückwirkend zum 1. 7. 1988 in die Rechtsform einer Aktiengesellschaft (AG) umgewandelt 98 und heißt seitdem "Nürnberger Flugdienst Luftverkehrs AG". 51 % der NFD-Aktien werden vom Gründer der NFD 99 (der zugleich deren Aufsichtsratsvorsitzender ist) und der Karstadt AG gehalten, während die britische "International Leisure Group (Airlines of Europe)" mit 49% beteiligt ist 100• Der am 29.6.1989 erste ordentlich bestellte Aufsichtsrat besteht aus sechs Mitgliedern, von denen vier Mitglieder Vertreter der Aktionäre sind 101 • Der vom Aufsichtsrat nach § 111 Abs. 1 AktG zu bestimmende Vorstand 102 besteht bei der NFD aus zwei Personen 103 • Maßgeblich für eine Beurteilung der wettbewerbliehen Gestaltungsmöglichkeiten der NFD - insbesondere im Hinblick auf die bereits oben angesprochenen Aspekte der (operativen und strategischen) Leitungsbefugnis, Haftungsregelung, Rechenschaftspflicht und Kapitalzuführung sind die einschlägigen aktien- und handelsrechtliehen Vorschriften 104 •

2.2 .3 Regionalflug GmbH (RFG) und kleinere Anbieter An dritter Stelle der deutschen Anbieter im Regionalflugverkehr - gemessen in der Anzahl der beförderten Passagiere - ist die in Dortmund beheimatete "Regionalflug GmbH" (RFG) zu nennen. Die RFG, die mittlerweile vom Bundesminister für Verkehr als Liniencarrier anerkannt wurde, wird von zwei privaten Gesellschaftern gehalten. 15% der Anteile entfallen auf den Gründer der RFG, der zugleich deren geschäftsführender Gesellschafter ist, während 85% der Antei96 NFD, 1990, S. 1. 97 Ebenda. 98 NFD, 1989 (b), S. l. 99 Es handelt sich hierbei um H.-R. Wöhrl, der darüberhinaus Präsident der ERA (European Regional Airlines Organizations) ist. 100 Vgl. NFD, 1989 (c), S. 28 in Verbindung mit Hi1scher, 1989, S. 2. 101 NFD, 1989 (a), S. l. 102 Vgl. Kraft u. a., 1985, S. 236. 103 NFD, 1989 (a), S. l. 104 Deren Inhalt im nächsten Kapitel ausführlich zu betrachten sein wird.

2.3 Die Unternehmensverfassung und flexible Unternehmensführung

53

le vom anderen Gesellschafter gehalten werden 105 • Die RFG führt ihr Unternehmen ohne Aufsichtsrat. Im Jahr 1988 konnten 100.000 Passagiere mit RFGGerät befördert werden 106, 1989 waren es ca. 140.000 107 • Neben den bisher genannten Anbietern existiert noch eine erhebliche Anzahl anderer Fluggesellschaften, die innerhalb der Bundesrepublik und auf grenzüberschreitenden Strecken Regionalluftverkehr betreiben. Auf eine Darlegung ihrer spezifischen Unternehmensverfassungen soll hier verzichtet werden, da sich dabei keine nennenswerten Unterschiede zu den betrachteten Unternehmen DLT, NFD und RFG ergeben. Als weitere deutsche Anbieter im Regionalluftverkehr sind zu nennen: Arcus Air, Delta Air (GmbH), Contactair (GmbH), Harnburg Airlines (KG), Roland Air (GmbH), Air Bremen, Südavia, Interrot und Cimber Air Deutschland 108 • Im grenzüberschreitenden Regionalluftverkehr betreiben gegenwärtig (Stand Ende 1989) folgende ausländische Fluggesellschaften Verbindungen in die Bundesrepublik 109 : Adria Airways, Air France, Alitalia, Birmingham European, British Airways, Business Flight, Crossair, Flandre Air, Maersk Air, NLM, PanAm, Sabena, SAS, Scottish European, Skyrover, Tempelhof Airways und Tyrolean. Sämtliche anderen Fluggesellschaften (dies gilt ohne jegliche Ausnahme), die kleineres Fluggerät (i. d. R. Propellergerät) im bundesdeutschen oder grenzüberschreitenden Linienflugverkehr einsetzen, betreiben keinen Regional- sondern Ergänzungsluftverkehr, da auf den betreffenden Strecken gleichzeitig größeres Jetgerät zum Einsatz kommt 110. Inwieweit sich aufgrund der jeweiligen Rechtsform und gesetzlichen Rahmenstruktur der betrachteten Regionalfluggesellschaften Unterschiede zur wettbewerbliehen Ausgangslage der DB- insbesondere im Hinblick auf die Flexibilität des Führungssystems und die Einwirkungsmöglichkeiten Dritter - ergeben, ist nachstehend genauer zu untersuchen. 2.3 Die Unternehmensverfassung als Rahmenbedingung flexibler Unternehmensführung Aussagen zur Flexibilität der Unternehmensführung lassen sich bei isolierter Betrachtung der zugrundeliegenden Rechtsform nur relativ abstrakt formulieren. 105 Vgl. A. Schuster, "Expansion mit Augenmaß- Dortmunder RFG will maßvoll wachsen", in: Startbahn Ruhrgebiet Dortmund-Wickede 1989, Aerokurier Special1989. 106 Ebenda. 101 Mitteilung der RFG (Herr Hiller) an Verf. 108 Vgl. ADV, 1989 (b), S. 2-4. 109 Ebenda. 110 Ebenda.

54

2. Die Unternehmensverfassungen im Vergleich

Maßgeblich für eine hinreichende Beurteilung ist die Frage, inwieweit die Unternehmensführung über die Rechtsform hinaus an Gesetze und institutionelle Regelungen gebunden ist, die sie in ihrer Unternehmerischen Handlungsfreiheit einschränken oder behindern '''· Die sich insgesamt ergebende rechtliche Rahmenstruktur eines Unternehmens, die regelt, "welche Interessen bei der Gestaltung der Unternehmensaktivitäten wie berücksichtigt werden, und insbesondere die Verteilung von Entscheidungsund Kontrollbefugnissen sowie Rechte und Pflichten aller Mitglieder im Grundsatz festlegt" 112, wird auch als "Untemehmensverfassung" bezeichnet. Erst ihre Kenntnis erlaubt spezifische, konkrete und nachvollziehbare Rückschlüsse auf das tatsächlich mögliche Ausmaß flexibler Führung eines betrachteten Untemehmens113. Obwohl die DB nach § 28 BBG wie ein Wirtschaftsunternehmen zu führen ist, unterliegt sie aufgrund ihrer Unternehmensverfassung im Wettbewerb zu anderen Verkehrsträgem einigen staatlich gesetzten Rahmenbedingungen 114, die eine Unternehmerische und auf Flexibilität bedachte Führung z. T. erheblich erschweren 115. Die nachstehende Betrachtung konzentriert sich auf solche Tatbestände, die für die internen Führungsvorgänge und die innerbetrieblichen Entscheidungsprozesse von besonderer Bedeutung sind 116. Die den Unternehmerischen Handlungsspielraum des DB-Vorstands maßgeblich bestimmenden Vorschriften ergeben sich aus dem Grundgesetz und dem Bundesbahngesetz 117. Insbesondere die §§ 8- 15 BBG regeln die Rechte und Pflichten von Vorstand und Verwaltungsrat sowie Dienstaufsicht und Einspruchsrecht des Bundesministers für Verkehr (BMV). Als problematisch im Hinblick auf das Erfordernis flexibler Führung hat sich in der Vergangenheit die Tatsache erwiesen, daß bei wichtigen Entscheidungen zwischen den genannten Gremien, 111 Vgl. Fromm, 1986, S. 80.

Kieser u. a., 1983, S. 372. Der Begriff Unternehmensverfassung geht damit über den der Rechtsform deutlich hinaus. Z. B. hatten wir im letzten Kapitel gesehen, daß die Frage, ob ein Aufsichtsrat zwingend erforderlich bzw. fakultativ einzusetzen ist, von der Anzahl der Arbeitnehmer abhängt. Rechtliche Grundlage hierfür ist das Betriebsverfassungsgesetz, das rechtsformübergreifende Regelungen enthält. Bei fakultsativem Einsatz eines Aufsichtsrates richten sich dessen Bestellung, Abberufung und Aufgaben nach dem Gesellschaftsvertrag, wobei aktienrechtliche Vorschriften ergänzend eingreifen; ist die Bildung jedoch gesetzlich vorgeschrieben, gelten weitgehend aktienrechtliche Bestimmungen, sofern die einzelnen Gesetze nichts anderes vorschreiben (Kraft u. a., 1985, S. 267). ll4 Wiss. Beirat, 1984, S. 9. 115 Vgl. Bürgel, 1983, S. 82. 116 Natürlich hat jede auch noch so geringe Wettbewerbsverzerrung mittelbar auch eine gegenüber dem Zustand ausgeglichener Bedingungen niedrigere Führunggsflexibilität zur Folge. Hier sollen aber nur solche Tatbestände näher untersucht werden, die sich aus der Unternehmensverfassung ergeben und einen unmittelbaren Einfluß auf Entscheidungsprozesse der Führungsgremien ausüben. ll7 Gröben, 1983, S. 151; Wiss. Beirat 1984, S. 10. ll2

113

2.3 Die Unternehmensverfassung und flexible Unternehmensführung

55

in denen jeweils unterschiedliche Interessen institutionell verankert sind 118, laut Gesetz Einigkeit bestehen muß. Die Bezeichnungen "Vorstand" und "Verwaltungsrat" für die obersten Führungsgremien der DB könnte den Eindruck erwecken, als bestünde eine Analogie zu Vorstand (bzw. Geschäftsführung) und Aufsichtsrat etwa einer Aktiengesellschaft (bzw. GmbH) bei ähnlich gelagerter Kompetenzgewichtung. Tatsächlich aber bestehen hier deutliche Unterschiede 119 • Die Rechtsstellung der Geschäftsführung einer GmbH entspricht der des Vorstands einer AG 120• Beide leiten das betreffende Unternehmen unter eigener Verantwortung; dazu gehören die Geschäftsführung und die Vertretung der Gesellschaft nach außen 121 • Sowohl bei einer AG als auch der GmbH gilt, daß eine Lösung vom Grundsatz der eigenverantwortlichen Geschäftsführung nur in Ausnahmefällen vorgesehen ist 122 • Z. B. kann die Hauptversammlung der AG nach § 119 Abs. 2 AktG über Fragen der Geschäftsführung nur dann entscheiden, wenn der Vorstand dies selbst, d. h. in eigener Initiative, verlangt 123. Ansonsten obliegen dem Aufsichtsrat die wichtigsten Kontrollbefugnisse. Hierzu zählen insbesondere 124 -

Bestellung I Abberufung des Vorstands,

-

Überwachung der Geschäftsführung,

-

Vertretung der Gesellschaft gegenüber dem Vorstand,

-

Prüfung von Jahresabschluss und Geschäftsbericht,

-

Vorschlagsrecht für die Gewinnverteilung,

-

Feststellung des Jahresabschlusses,

-

ggfs. Einberufung von Hauptversammlungen,

-

ggfs. Zustimmung zu bestimmten Akten der Geschäftsführung, wenn die Satzung hierzu ermächtigt (hierzu zählt vor allem die Investitionsplanung 125).

Die Hauptversammlung entscheidet u. a. über die Bestellung der Aktionärsvertreter in den Aufsichtsrat, die Gewinnverwendung und über Maßnahmen zur Kapitalbeschaffung und -herabsetzung 126•

118 119

120 121 122 123 124 125 126

Wiss. Beirat, 1984, S. 10. Ebenda. Vgl. Klunzinger, 1984, S. 209 i. V. m. S. 146 ff. Ebenda; Kraft u. a., 1985, S. 264 ff. Wiss. Beirat, 1984, S. 10. Ebenda; vgl. auch Kraft u. a., 1985, S. 233. Klunzinger, 1984, S. 151. Wiss. Beirat, 1984, S. 10. Klunzinger, 1984, S. 151.

56

2. Die Unternehmensverfassungen im Vergleich

Die Rechte des DB-Verwaltungsrates gehen erheblich über die eines Aufsichtsrates hinaus; insbesondere ist hier die Tatsache zu nennen, daß der Vorstand der DB nach§ 9 Abs. 1 BBG an Weisungen des Verwaltungsrates gebunden ist 127 • Auch weist der Verwaltungsrat der DB eine weitaus heterogernere Struktur auf, als es auf Seiten eines laut Aktienrechts bestellten Aufsichtsrates der Fall ist. § 10 Abs. 2 BBG bestimmt, daß sich der Verwaltungsrat aus folgenden vier Gruppen mitjeweils fünf Mitgliedern zusammensetzt, die durch die Bundesregierung zu ernennen sind: (1) Gruppe A: Bundesrat (auf eigenen Vorschlag), (2) Gruppe B: Gesamtwirtschaft (auf Vorschlag derSpitzenverbände der gewerblichen Wirtschaft, des Handwerks und des Verkehrs), (3) Gruppe C: Gewerkschaften (auf eigenen Vorschlag), (4) Gruppe D: Sonstige Mitglieder (auf Vorschlag des Bundesministers für Verkehr. Damit sind unterschiedliche Interessengruppen im Verwaltungsrat der DB institutionell festgeschrieben 128 • So haben in der Vergangenheit die Länder und Gemeinden öfters dann von ihrem Einspruchsrecht Gebrauch gemacht, wenn über die Stilllegung von Strecken, aber auch über die Verlegung oder Schließung etwa von Werkstätten oder anderen Dienststellen 12 9 zu entscheiden war. Probleme, die sich etwa durch Streckenstillegungen oder Betriebsschließungen ergeben - z. B. Arbeitslosigkeit - , können in einer solchen Situation auch die Gewerkschaftsvertreter zu einem den Gebietskörperschaften gegenüber solidarischen Abstimmungsverhalten veranlassen. Weil die Spitzenverbände der Wirtschaft, um ein weiteres Beispiel zu nennen, einerseits ein Vorschlagsrecht zur Besetzung des Verwaltungsrates innehaben, sie aber darüberhinaus zugleich auch als Kunden der DB (Güterverkehr) auftreten und organisiert sind, ergibt sich auch von daher das Erfordernis eines auf breiterer Basis angelegten Konsenses zwischen Vorstand und Verwaltungsrat im Rahmen der Führung. Mangelnde Kompromißbereitschaft im Falle widerstrebender Interessen innerhalb des Verwaltungsrates bzw. zwischen Verwaltungsrat und OB-Vorstand kann zur Folge haben, daß der Unternehmerische Handlungsspielraum des Vorstands durch Dritte erheblich eingegrenzt wird 130, ohne daß Letztere sich die Konsequenzen ihrer Einflußnahme zurechnen lassen müßten 13 1•

121 128 129 130 13 1

Vgl. Wiss. Beirat, 1984, S. 10; Gröben, 1982, S. 29 f. Wiss. Beirat, 1984, S. 10. Ebenda. Ebenda. Ebenda.

2.3 Die Unternehmensverfassung und flexible Unternehmensführung

57

In der Diskussion über den Unternehmerischen Handlungsspielraum des DBVorstands ist auch auf die personalwirtschaftliche Situation einzugehen. Die Grundsätze der Personalpolitik der DB haben sich nach dem öffentlichen Dienstrecht zu richten 132• Vor diesem Hintergrund hat sich die Tatsache als problematisch erwiesen, daß der Stellenplan für die Mitarbeiter der DB als Bestandteil des Bundeshaushaltes mit seinen eher starren Laufbahn- und Organisationsstrukturen eine Anpassung des Personalbestands an den tatsächlichen Bedarf 133 oft in mehrfacher Hinsicht erschwerte: Zum einen ist zu sehen, daß sich der Vorstand der DB die Besetzung von Führungspositionen - teilweise bis A 16 herab - durch den Verwaltungsrat, den Bundesminister für Verkehr und den Finanzminister genehmigen lassen muß 134• Angesichts der großen Anzahl derartiger Positionen "ist zu fragen, ob das nicht zu unnötigen Verzögerungen, andererseits zu sachfremden Einlüssen bei der Personalauswahl führen kann" 135 • So wird u. a. gefordert, Führungskräfte für derartige Positionen nach anderen Maßstäben auszuwählen und zu behandeln - etwa wie in der "freien Wirtschaft" 136• So sollten Zeitverträge - bislang nur für Vorstand und die unmittelbar darunter liegende Ebene obligatorisch - auch auf niedrigere Führungsebenen ausgeweitet werden; dabei wären die Dienstverhältnisse der Vertragsgestaltung privater Unternehmen anzugleichen, Auswahl und Einstellung der oberen Führungskräfte hätten (allein) durch den Vorstand zu erfolgen 137 • Zweitens drängt die beamtenrechtliche Laufbahn- und Besoldungsordnung allzu oft das Leistungsfähigkeitsprinzip in den Hintergrund. Eine rasche Beförderung überdurchschnittlich befähigter Mitarbeiter auch über mehrere Besoldungsstufen ist praktisch nicht möglich; vielmehr sind Aufstiegswillige "zu einem innerbetrieblichen Tourismus gezwungen, der erheblich über das notwendige Maß hinausgehen dürfte, um höheren Führungskräften eine breite Erfahrung zu vermitteln" 138 • Drittens schließlich behindert der Beamtenstatus auch in niedrigeren Führungsebenen eine flexible Personalpolitik; neben Ansprüchen aus dem Beamtenverhältnis- z. B. auf gleichwertige Beschäftigung bei Stellenumsetzung I Versetzung 139

132

Gröben, 1983, S. 151; Bürge!, 1983, S. 83.

m Vgl. BOI, 1987, S. 31.

Wiss. Beirat, 1984, S. 10. Ebenda. 136 Vgl. BOI, 1987, S. 32. 137 Ebenda. Gröben (1983, S. 153) fordert u. a., die Schwelle für die Mitwirkung des Vorstands an beamtenrechtlichen Entscheidungen zu erhöhen (Verzicht des BMV auf Zustimmung bei der Besetzung der Dienstposten von Referenten). 138 Ebenda. 139 Ebenda. 134

135

58

2. Die Unternehmensverfassungen im Vergleich

- wird ein flexibler Einsatz auch durch Vorschriften über die fachliche und örtliche Verwendung erschwert 140. Personalfreistellungen größeren Ausmaßes kommen für die DB - obwohl dies seit vielen Jahren betriebswirtschaftlich dringend erforderlich wäre- praktisch nicht in Betracht; die Bestandsanpassung an den Bedarf muß demnach durch natürliche Fluktuation erfolgen. Demgegenüber können Vorstand bzw. Geschäftsführung der betrachteten Regionalfluggesellschaften ihre Personalpolitik weitaus flexibler gestalten. Insbesondere die Beschaffung geeigneter Führungskräfte kann hier durch Vorstand und Geschäftsführung relativ kurzfristig erfolgen, da die Besetzung derartiger Stellen nicht an Iaufbahn- und besoldungsrechtliche Vorschriften gebunden ist. Aber auch im Falle betriebswirtschaftlich gebotener Personalbestandskürzungen ergeben sich Vorteile gegenüber der DB: Personalfreistellungen auch größeren Ausmaßes können bei den Regionalfluggesellschaften unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfristen ohne entscheidende Einflußrechte Dritter vorgenommen werden. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, daß die Führungsflexibilität der DB nicht zuletzt durch den unpräzisen Wortlaut des § 28 BBG und ihre Eingliederung in die Verwaltung des Bundes eingeschränkt ist ist. Da zum einen dem Bundesminister für Verkehr ein Genehmigungsvorbehalt insbesondere für die Fälle eingeräumt wird, in denen die DB den Grundsätzen der bundesdeutschen Politik nicht Rechnung trägt, darüberhinaus die Bundesregierung, die Bundesminister der Finanzen, des Innern, für Wirtschaft sowie für Arbeits- und Sozialordnung zusätzlich besondere Kompetenzen haben 141 , ergibt sich ein relativ starker politischer Einfluß auf die Unternehmensführung der DB 142• Dies ist um so mehr der Fall, je "schlechter die finanzielle Lage der DB und je mehr die DB deshalb auf laufende finanzielle Hilfen angewiesen ist" 143. Die bisherigen Überlegungen haben verdeutlicht, daß die Führungsflexibilität auf Seiten der DB im Hinblick auf innerbetriebliche Entscheidungsprozesse ein deutlich geringeres Maß aufweist, als es bei den Anbietern im Regionalluftverkehr der Fall ist. Diese von der DB zu Recht als Benachteiligung empfundene Ungleichheit artikuliert sich in verschiedenen Vorschlägen des Vorstands der DB zur Erweiterung seines Unternehmerischen Handlungsspielraums. Bereits 1983 wurde u. a. gefordert 144:

140 141 142 143 144

Ebenda. Gröben, 1983, S. 152. Wiss. Beirat, 1984, S. 9. Ebenda. Gröben, 1983, S. 153 f ., dort auch ergänzende Hinweise; ähnl. BDI, 1987, S. 31 f.

2.3 Die Unternehmensverfassung und flexible Unternehmensführung

59

1. Eine engere Auslegung gesetzlich vorgeschriebener Genehmigungsvorbehalte des BMV;

2. Eine Beschränkung des Aufsichtsrechts des BMV (Nichteinmischung im als eigenwirtschaftlich bezeichneten Bereich, Vorgaberecht lediglich im als gemeinwirtschaftlich bezeichneten Bereich); 3. Die Einführung bzw. Erhöhung von Wertgrenzen für Genehmigungserfordernisse (etwa bei Kreditaufnahme oder Gründung I Erwerb I Veräußerung von Unternehmen bzw. Beteiligung an Unternehmen); 4. Einführung von Fristen zur Herbeiführung von Entscheidungen des Bundes (im Sinne der Selbstbindung, nach deren Ablauf "die Entscheidung als im Sinne der DB gefallen gilt" 145 (z. B. bei Streckenstilllegungen); 5. Die Mitwirkung an beamtenrechtlichen Entscheidungen; 6. Der BMV sollte vermehrt von seinem Einspruchsrecht gern. § 15 BBG gegenüber Beschlüssen des Verwaltungsrates Gebrauch machen; 7. Befristung der Mitwirkungsrechte der Länder (bislang haben die Länder bei bestimmten Stellungnahmen keine Frist einzuhalten, was Entscheidungsprozesse u. U. unnötig verlängert). Wie die DB trotz der skizzierten Benachteiligungen dem Wettbewerb im deutschen und internationalen Personenverkehr gemeinsam mit den betreffenden europäischen Eisenbahngesellschaften gegenwärtig und mit Blick auf die Zukunft begegnet, ist nachstehend genauer zu überprüfen.

145

Gröben, 1983, S. 153.

3. Streckennetz von Regionalluftverkehr und Eisenbahn 3.1 Verkehrsgebiete des Regionalluftverkehrs 3 .1.1 Liniendienste innerhalb der Bundesrepublik Das heutige Luftverkehrsnetz innerhalb der Bundesrepublik ist im wesentlichen durch die enge Kooperation zwischen LH und ihrer Regionaltochter DLT mit den Gesellschaften NFD und RFG geprägt. Die Erfahrungen der vergangeneo Jahre haben gezeigt, daß Möglichkeiten der Kooperation 1 mit den großen, internationalen Fluggesellschaften für die Anbieter im Regionalluftverkehr von erheblichem Wert sind. Durch Veröffentlichung ihrer Flüge in den Flugplänen der großen Carrier, durch Nutzung ihrer Infrastruktur wie etwa im Bereich Passagier- und Gepäckabfertigung, aber auch durch die Aufnahme in deren Buchungssysteme und die damit verbundene Möglichkeit der Durchtarifierung verfügen die betreffenden Regionalfluggesellschaften über einen erheblich besseren Zugang zum weiterführenden internationalen bzw. interkontinentalen Luftverkehrsnetz, als es bei selbständig operierenden Anbietern der Fall ist2. Die Kooperation zwischen den genannten Gesellschaften zeigt sich jedoch nicht nur in Äußerlichhkeiten wie etwa einer LH-Flugnummer oder der Veröffentlichung im LH-Flugplan, sondern findet ihren Niederschlag insbesondere in der Koordination der jeweiligen Verkehrsgebiete. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, auch das Verkehrsnetz der LH kurz in die Betrachtung einzubeziehen. Bezogen auf das Luftverkehrsnetz innerhalb der Bundesrepublik läßt sich folgende Struktur erkennen 3: 1 Die Möglichkeit zur Kooperation ist abhängig von der Kooperationsbereitschaft der verhandelnden Partner. Daß es - bezogen auf den deutschen Markt - weniger den kleineren Anbietern als vielmehr der LH an Kooperationsbereitschaft gemangelt habe, beschreibt eindrucksvoll Lütticke, 1985 a. a. 0 ., S. 91 ff. In eine ähnliche Richtung zielt Wöhrl, der zur Frage der Kooperationsbereitschaft feststellt: "Dort, wo die nationalen Carrier zugreifen können, tun sie es. Und dort, wo sie nicht zugreifen können, denken sie darüber nach, wie man miteinander gut auskommt" (Wöhrl, 1989, S. 75). 2 Vgl. Biermann, 1987, S. 184. 3 In Anlehnung an Koerver-Stümper, 1985, S. 79 ff., hier jedoch in abgewandelter Form; auf die von ihm als "innerdeutsche Teilstrecken internationaler Dienste" bezeichneten Verbindungen wird nicht weiter eingegangen, da sie (wenn auch schwächer frequentierte) Teilmenge des LH-Inlandnetzes sind.

3.1 Verkehrsgebiete des Regionalluftverkehrs HAM



61

KEL

FMO

CGN .HOQ • SCN

BYU





FDH

AUG



MUC

OBF

Abb. 4: Inlandnetz der Lufthansa 1990 (Quelle: LH-Flugplan v. 25.3.90-30.6.90) Das Inlandnetz der LH besteht- funktional gesehen- aus zwei Komponenten: den "Frankfurt-Anschlußdiensten" und den "lokalen Diensten mit Jetgerät" 4 • Die Aufgabe der Frankfurt-Anschlußdienste liegt vor allem darin, Passagiere über den Knotenpunkt Frankfurt an weiterführende internationale Dienste heranzubringen (gleiches gilt in umgekehrter Richtung); bei größeren Reiseentfernungen wie etwa nach Harnburg oder nach München sind diese Dienste auch im Inlandsverkehr von Bedeutung 5 • Dagegen umfaßt das System der lokalen Dienste mit Jetgerät alle übrigen Direktverbindungen, die LH innerhalb der Bundesrepublik mit eigenem Gerät bedient 6 • Sie verknüpfen auch weiter voneinander entfernte Städte miteinander und sollen durch ihre Konzentration auf Tagesrandzeiten vor allem den Geschäftsreisenden Ein-Tages-Reisen innerhalb der Bundesrepublik ermöglichen 7 • Aufbestimmten Strecken beider Systeme wird zugleich Ergänzungsluftverkehr betrieben 8 ; sein Anteil an der angebotenen Sitzkapazität der betreffenden RelatioEbenda. s Ebenda. 6 Ebenda. Die von Koerver-Stümper einbezogenen Berlin-Dienste wurden vom Verf. weggelassen, da dem Berlinverkehr ein gesondertes Kapitel (3.3) gewidmet wird. 7 Ebenda. 8 Bei den Frankfurt-Anschlußdiensten ist es lediglich die Verbindung nach MünsterOsnabrück, die neuerdings einmal je Tag und Richtung mit LH-Jetgerät bedient wird. Ansonsten auf den Strecken Hamburg-Nümberg u. Köln I Bonn, Stuttgart-Bremen und Köln I Bonn und Düsseldorf-Nümberg. 4

62

3. Streckennetz von Regionalluftverkehr und Eisenbahn

nen liegt im Durchschnitt bei 25,3% (am niedrigsten, nämlich mit 4,2 %, auf der Strecke Hamburg-Köln/Bonn, am höchsten mit 53,6% auf der Verbindung Münster I Osnabrück- Frankfurt 9 • Die nachstehenden Abbildungen geben einen Überblick über das von DLT, NFD und RFG (Abb. 5) sowie den übrigen deutschen Anbietern (Abb. 6) bediente Inlandnetz im Regionalluftverkehr. HAM

BRE





FDH



KEL

AUO



OBF

Abb. 5: Inlandnetz von DLT, NFD und RFG, ohne Ergänzungsluftverkehr und Saisonflüge10 (Quelle : Einschlägige Flugpläne der Flugplanperiode 25.3.90-30.6.90) Eine Partialbetrachtung der skizzierten Verkehrsgebiete läßt einige Tatbestände erkennen, die für die weiteren Überlegungen von besonderer Bedeutung sind: 1. Innerhalb des deutschen Luftverkehrsnetzes ist das Netz der Regionalflugverbindungen als ein eigenständiges und differenziertes System anzusehen, das nicht durch Überschneidungen mit dem Netz des staatlichen Carriers gekennzeichnet ist, sondern durch die zielorientierte Verknüpfung mit dem Inlandnetz der LH ein flächendeckendes, komplementär ausgestaltetes Angebot darstellt. 2. Innerhalb der Bundesrepublik werden die nachfragestärksten Verbindungen im Regionalluftverkehr ausschließlich durch DLT, NFD und RFG bedient. Ein Vergleich der in den Abbildungen 5 und 6 veranschaulichten VerkehrsgeAngaben vom Verf. anband der einschlägigen Flugpläne errechnet. 10 Hierbei handelt es sich um Flüge, die nur innerhalb kurzer Flugplanperioden durchgeführt werden, z. B. Düsseldorf-Guemsey. 9

3.1 Verkehrsgebiete des Regionalluftverkehrs

63

.HOQ •

BYU

fOH

Abb. 6: Inlandnetz sonstiger deutscher Anbieter, ohne Ergänzungsluftverkehr (Quelle: Flugpläne der betreff. Gesellschaften und der LH für Flugplanperiode 25. 3. 90-30.6. 90; ADV 1989 (b) S. 2-4) biete zeigt, daß die kleineren Anbieter über ein deutlich geringer verdichtetes Streckensystem verfügen. Dieses verläuft jenseits der Hauptrouten des Luftverkehrs und weist in hohem Maße Verbindungen in periphere Gebiete auf. 3. DLT, NFD und RFG verfügen über jeweils "eigene" Verkehrsgebiete, d. h. Strecken, auf denen sie als einzige Anbieter operieren und sich gegenseitig nicht konkurrieren. Lediglich die Strecke Köln-Nümberg wird sowohl von DLT als auch NFD bedient 11 • Dabei weisen diese Gesellschaften unterschiedliche Knotenpunkte ihres innerdeutschen Einsatzes auf (was in Abb. 5 deutlich zu erkennen ist): bei DLT ist es Köln (Einzugsbereich Rheinland), bei NFD Nümberg (Einzugsbereich nördliches Bayern), bei RFG schließlich sind es Dortmund (Einzugsbereich Ruhrgebiet) und Paderbom (Einzugsbereich Ostwestfalen). Als Ergebnis kann festgehalten werden, daß die nachfragestärksten und damit lukrativsten Strecken des innerdeutschen Regionalluftverkehrs auf wenige Anbieter verteilt sind. Durch die in Kooperation mit LH aufeinander abgestimmten Verkehrsgebiete verfügen dieseGesellschaftende facto über eigene Teilmärkte, in denen nennenswerte Konkurrenz potentieller Anbieter bei realistischer Betrachtung gegenwärtig kaum zu erwarten ist. 11 Vgl. LH-Fiugplan v. 25.3.90-30.6.90; dort sind sämtliche NFD-Flüge (außer einigen Flügen an Spitzentagen) ausgewiesen.

64

3. Streckennetz von Regionalluftverkehr und Eisenbahn

3 .1.2 Grenzüberschreitende Direktdienste Bereits in Kapitel 1 wurde darauf hingewiesen, daß zwei Drittel der Personenverkehrsnachfrage im Regionalluftverkehr auf die grenzüberschreitenden Dienste entfallen. Nachstehende Abbildung vermittelt einen Überblick über die Struktur der gegenwärtig bestehenden internationalen Direktverbindungen, die von der Bundesrepublik aus in das europäische Ausland angeboten werden 12 •

Abb. 7: Grenzüberschreitende Direktdienste im Regionalluftverkehr deutscher und ausländischer Anbieter 1990 (Daten den einschlägigen Augplänen entnommen sowie gern. Mitteilung der betreffenden Gesellschaften und der ADV)

Auffallend ist eine Konzentration der Strecken auf westliche und südliche Richtungen. Ein näherer Blick ·auf die Passagierzahlen der betreffenden Routen bestätigt die Vermutung, daß hier zugleich die wichtigsten Verkehrsgebiete des Regionalluftverkehrs überhaupt liegen. 12 Die Strecke Hannover-Kopenhagen wird an einigen Saisontagen ausnahmsweise auch durch größeres Jetgerät bedient. Da hier ansonsten während der Flugplanperiode nur Propellergerät zum Einsatz kommt, wurde diese Verbindung in die Betrachtung einbezogen.

3.1 Verkehrsgebiete des Regionalluftverkehrs

65

So geht aus der linken Bildseite von Abb. 7 eine Streckenausrichtung hervor, die sich im wesentlichen an fünf Hauptsträngen orientiert und dabei die BeneluxLänder, Frankreich und die Schweiz schwerpunktmäßig über nord- und westdeutsche Flughäfen systematisch in das Verkehrsnetz einbindet. In diese Länder wurden 1989 57,2% der Passagiere des gesamten grenzüberschreitenden Regionalluftverkehrs befördert. Eine führende Rolle nimmt dabei Frankreich ein, auf das allein 16,3% der Nachfrage entfielen (Niederlande 15,9%, Schweiz 13,1 %, Belgien und Luxemburg zusammen 11,9%) 13. Überwiegend vom südlichen Teil der Bundesrepublik aus verlaufen Regionalflugverbindungen nach Italien und Österreich. Auf diese Länder entfielen 1989 13,1% (Italien) bzw. 6,9% (Österreich) der Nachfrage 14• Das verbleibende Fünftel der Passagiere verteilt sich auf die skandinavischen Länder sowie Großbritannien, Jugoslawien, Spanien, Ungarn und die CSR; innerhalb dieser Gruppe dominiert mit Abstand Dänemark, dessen Anteil am Passagieraufkommen im Regionalluftverkehr 1989 bei 10,5 % lag 15 • Es würde vielleicht zu Unübersichtlichkeilen führen, wollte man dem Netz der Regionalflugverbindungen die Systematik des mit größerem Gerät bedienten Liniennetzes der staatlichen Carrier vergleichend gegenüberstellen. Vielmehr mögen hier folgende Hinweise genügen: 1. Nahezu alle in Abb. 7 aufgeführten Flughäfen liegen zugleich im Jetnetz der größeren Fluggesellschaften, allerdings werden sie ausnahmslos von anderen Quellflughäfen aus angeflogen. Hierzu zählen u. a. sämtliche grenzüberschreitenden Direktverbindungen zwischen Flughäfen der Kategorie 1 sowie solche Routen, auf denen wegen der vergleichsweise höheren Nachfrage der Einsatz größeren Fluggeräts wirtschaftlich vorteilhafter ist. 2. Viele der in Abb. 7 ersichtlichen Auslandsverbindungen konnten noch vor wenigen Jahren per Direktflug entweder überhaupt nicht oder nur bei schwacher Frequentierung der betreffenden Relation in Anspruch genommen werden. Heute jedoch zeigt sich, daß im grenzüberschreitenden Regionalluftverkehr ein eigenständiges und differenziertes Verkehrsnetz entstanden ist, das über zahlreiche Direktverbindungen verfügt und damit den Zwang zur Inkaufnahme zeitintensiver Umsteigeverbindungen über Verkehrsknotenpunkte erheblich vermindern konnte. In der Gesamtbetrachtung muß man feststellen, daß der Regionalluftverkehr sowohl innerhalb der Bundesrepublik als auch im grenzüberschreitenden Verkehr mittlerweile ein Netzsystem aufweist, welches die wichtigsten "Provinzorte" des Luftverkehrs 16 untereinander verknüpft bzw. sie an die Knotenpunkte des Luftver13 14 15

16

Vgl. auch Tab. 1 dieser Untersuchung. Ebenda. Ebenda. Konkret: Flughäfen unterhalb der Kategorie 1, vgl. Anhang 1.

5 Giese

66

3. Streckennetz von Regionalluftverkehr und Eisenbahn

kehrs anbindet und damit das Netzsystem der großen, staatlichen Fluggesellschaften in funktionaler Hinsicht ergänzt 17• Dabei liegt der Schwerpunkt der Marktagitation im grenzüberschreitenden Verkehr, dem jeweils etwa zwei Drittel der Strecken sowie der Personenverkehrsnachfrage im Regionalluftverkehr zuzurechnen sind 18•

3.2 Verkehrsnetz der Eisenbahnen 3.2.1 EuroCity- I InterCitynetz der Deutschen Bundesbahn Im Schienenpersonenfernverkehr der Deutschen Bundesbahn dominieren heute im wesentlichen drei Zugsysteme: (1) Das System der InterCity- und EuroCityverbindungen, (2) das System der InterRegioverbindungen und (3) das System der nationalen und internationalen D-Züge. Auf nationaler Ebene stellt das qualitativ hochwertige Produkt InterCity den wirtschaftlich bedeutsamsten Leistungsträger im Personenfernverkehr der DB dar. Als wichtigste Systemeigenschaften des IC-Verkehrs wird man neben bestimmten komfortorientierten Ausstattungskriterien die Schnelligkeit der Verkehrsdurchführung (200 km I h, seit 1991 auf bestimmten Strecken 250 km/h) sowie die taktmäßige Verknüpfung über Systemhalte ansehen müssen 19 • Um die Attraktivität im internationalen Schienenpersonenfernverkehr zu verbessern wurde von den europäischen Eisenbahnen 1987 die Produktinnovation "EuroCity" eingeführt. Diese Bezeichnung findet Anwendung auf grenzüberschreitende Schnellzüge, die bestimmte qualitative Mindeststandards erfüllen 20 • Hierzu zählen im wesentlichen die Qualitätskriterien, die bisher schon für den IC-Verkehr kennzeichnend waren (darüberhinaus z. B. auch die Dauer des jeweiligen Grenzaufenthalts), sodaß der EC-Verkehr faktisch als internationale Erweiterung des IC-Verkehrs angesehen werden kann 21 • Aufgrund der Tatsache, daß innerhalb der Bundesrepublik der EC-Verkehr weitgehend in das IC-Netz integriert ist 22 und mit dem Produkt EuroCity zugleich ein Teil der Inlandsnachfrage abgedeckt wird 23, sollen die Verkehrsgebiete dieser Zugsysteme in Abb. 8 gemeinsam betrachtet werden. 17 DieserTatbestand ist nicht mit dem Begriff des Ergänzungsluftverkehrs zu verwechseln; natürlich stellt auch dieser eine funktionale Ergänzung des Jetnetzes dar, jedoch nicht in oder zwischen Regionen des Luftverkehrs (und dies ist der in dieser Untersuchung interessierende Luftverkehr), sondern zu nachfrageschwachen Tageszeiten auf den Hauptachsen des Luftverkehrs. 1s Vgl. ADV, 1989 (a), S. 3 (Daten vom Verf. gerundet). 19 Vgl. Schnell, 1988 (a), S. 770. zo Göbertshahn u. a., 1989, S. 419 f. 21 Schnell, 1988 (a), S. 770. 22 Ebenda. 23 Vor Einführung dieses Produktes wurden die betreffenden Strecken überwiegend durch internationale InterCitys befahren.

3.2 Verkehrsnetz der Eisenbahnen

67 Oslo, Stockholm, Kopenhagen

BREMEAHAYEN

t

HAMBUAß

erossei Paris

f

KOLN SONN

MAINZ

Paris

Mallend, Brlg, Genf

Sestrl, Levante

ZOrlch Ohlasso Zürich , Ohur

Mallend

2 !MÜNCHEN Zürich-Seefeld

Salzburg

Wien, Graz Klagenfurt, lnnabruck

Abb. 8: Stammnetz des EuroCity- und InterCityverkehrs (Quelle: Göbertshahn u. a. 1988 a. a. 0. S. 442 i. V. m. Göbertshahn u. a. 1989 a. a. 0. S. 419) Das in Abb. 8 ausgewiesene Stammliniennetz wird durch das InterCity- und EuroCitysystem tagsüber im Ein-Stunden-Takt bedient (die Strecke HamburgHannover-Göttingen-Fulda alle 30 Minuten 24) . Mit einer Streckenlänge im Bundesgebiet von insgesamt ca. 3.100 Kilometern und einer durchschnittlichen Halteentfernung von knapp 100 Kilometern werden fast ausnahmslos Großstädte miteinander verbunden 25 • Auffallend ist der Infrastrukturverlauf in Nord-Süd-Richtung, wobei eine Komponente das Verkehrsaufkommen durch Ruhrgebiet und Rheinland erfaßt, während eine zweite Verkehrsachse von Harnburg über Hannover und Würzburg Richtung München verläuft. Zwischen diesen Hauptsträngen bestehen Querverbindungen über Hannover-Dortmund, Frankfurt-Fulda/ Würzburg sowie Mannheim-Augsburg, sodaß insgesamt gesehen durch den Systemverbund InterCity I EuroCity die wichtigsten bundesdeutschen Großstädte netzmäßig miteinander verknüpft sind und darüberhinaus grenzüberschreitende Systemanschlüsse zu den wichtigsten benachbarten europäischen Großstädten bestehen. 24

25

5*

Göbertshahn u. a., 1988, S. 440. Jänsch, 1989, S. 377.

68

3. Streckennetz von Regionalluftverkehr und Eisenbahn

3.2.2 InterRegioverkehr der Deutschen Bundesbahn Vor dem Hintergrund der eher uneinheitlichen Produkteigenschaften des etablierten D-Zugsystems bzw. seiner als unzureichend empfundenen Markenartikelqualität, nicht zuletzt auch aufgrund steigender Verluste in diesem Verkehr, haben die Innovationsbestrebungen der DB auf diesem Sektor in den vergangeneo Jahren neue Impulse erhalten 26 • Maßgeblich für die Entwicklung neuer Angebotskonzeptionen im Schienenpersonenfernverkehr waren dabei die positiven Erfahrungen, die die DB mit dem seit 1979 doppelklassig betriebenen und als Qualitätsprodukt erfolgreich vermarkteten InterCitysystem aufweisen konnte 27 • Seit 1988 werden viele der traditionellen D-Zugverbindungen in zunehmenden Maße durch das neugeschaffene Produktsystem "InterRegio" substituiert, das analog zum InterCity- und EuroCitysystem - durch eigenständige Markenartikeleigenschaften gekennzeichnet ist 28 und von Seiten der DB "als wichtigste Produktinnovation seit der Einführung des InterCity" 29 bezeichnet wird. Mit der Einrichtung des InterRegiosystems beabsichtigt die DB, "regelmäßige, schnelle und komfortable Verbindungen zwischen den größeren Mittelzentren und den Oberzentren herzustellen, um damit die Nicht-Bahnfahrer ( ... ) il) mittleren Entfernungsbereichen zu gewinnen" 30• Zu den Produkteigenschaften des InterRegio zählen ähnlich wie beim InterCity I EuroCity außer komfortprägenden Ausstattungskriterien und eigenem Produktdesignvor allem die Reisegeschwindigkeit (bis 200 km I h), die kurzen Halte (max. 2 Minuten bei einem durchschnittlichen Halteabstand von 30 Kilometern), die Netzvertaktung (hier jedoch bislang im Zwei-Stunden-Turnus), die Einrichtung von Systemhalten und schließlich die Systemverknüpfung mit dem InterCity I EuroCitynetz 31 • Einschränkend ist anzumerken, daß der InterRegio aus Gründen der Wirtschaftlichkeit nur auf solchen Strecken zum Einsatz kommt, die eine ausreichend hohe Nachfrage aufweisen; Strecken, auf denen ein wirtschaftlicher Einsatz des InterRegio nicht zu erwarten ist, werden auch künftig durch DZüge bedienP~. Gegenwärtig befindet sich das InterRegionetz noch in der Aufbauphase. Bis Ende 1991 sollen die InterRegio-Züge der DB auf folgenden Linien verkehren:

Vgl. Garre, 1988 (a), S. 61 f. Ebenda. 2s Vgl. Schnell, 1988 (a), S. 770; Göbertshahn u. a., 1988, S. 443. Die wichtigsten Komponenten der Angebotskonzeption der DB sollen hier nicht vorweggenommen werden; vertiefende Erläuterungen siehe in Kap. 7.4 dieser Untersuchung. 29 Wewezow, 1988, S. 781. 30 Garre, 1988 (a), S. 62. 31 Vgl. Garre, 1988 (a), S. 62 f; Walker 1988, S. 785. 32 Schnell, 1988 (a), S. 770. 26

21

3.2 Verkehrsnetz der Eisenbahnen

69

HAllBURG IIRI!IIERHNEN

HILDE8HEIII

NURNilERG --(LEIPZIG)

8ALZIIURG

Abb. 9: Grundmuster des InterRegionetzes 1991 (Quelle: Walker, 1988, S. 787) Es soll hier nicht der Versuch unternommen werden, die gesamte Systematik der ausgewiesenen InterRegioverbindungen näher zu erläutern 33 • Aus funktionaler Sicht gliedert sich die Aufgabe des InterRegiosystems in drei Teilbereiche: 1. Bereitstellung zusätzlicher Querverbindungen zwischen den beiden Hauptachsen des IC-/ EC-Verkehrs. Als Beispiel ließe sich die InterRegioverbindung Duisburg-Bebra nennen; hierdurch haben Reisende aus dem Bereich Ruhrgebiet I Ostwestfalen Anschluß an die IC-Linie 4 von Harnburg nach München 34 (vgl. auch Abb. 8). Aus dem Zusammenspiel der Fahrtzeitgewinne (1) auf der Neubaustrecke Fulda-Würzburg und (2) der InterRegiolinie DuisburgBebra ergibt sich insgesamt gesehen eine erhebliche Reisezeitverkürzung auf den entsprechenden Routen in Richtung München 35 • 2. Funktion der Anhindung von Mittelzentren an das InterCity- und EuroCitynetz über Knotenpunkte, in denen dies aufgrundder Verzweigung der Verkehrsströme sinnvoll ist 36• Hier könnte als Beispiel die InterRegiolinie Saarbrücken33

Detaillierte Erläuterungen zur Netzsystematik des InterRegioverkehrs siehe Walker,

1988, 34 35 36

s. 787-789.

Vgl. Göbertshahn u. a., 1988, S. 443. Walker, 1988, S. 787 f. Garre, 1988 (a), S. 62.

70

3. Streckennetz von Regionalluftverkehr und Eisenbahn

Lindau herangezogen werden, die über die Knotenpunkte Stuttgart und Mannheim verläuft (Vgl. Abb. 8 und 9) und damit Anschlußmöglichkeiten an fünf der insgesamt sechs IC-Hauptlinien aufweist. 3. Die Funktion der Verbindung von Mittelzentren bzw. Regionen untereinander (z. B. Oldenburg Hildesheim); hier entspräche der InterRegioverkehr am ehesten seiner semantischen Implikation. Als Ergebnis sollte festgehalten werden, daß das System der InterRegioverbindungen die skizzierten Aufgabenbereiche durchweg in Relationen wahrnimmt, deren Nachfrage zwar für die Einrichtung zusätzlicher IC- I EC-Verbindungen zu gering ist (bzw. auf die das Produktprofil IC I EC nicht zugeschnitten ist), andererseits jedoch als groß genug für einen wirtschaftlichen Betrieb des InterRegioverkehrs mit seinen systemeigenen Produktmerkmalen (geringere Streckenfrequentierung, kürzere Halteabstände etc.) angesehen werden kann.

3.2.3 Das System der nationalen und internationalen Schnellzüge Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß in der Bundesrepublik eine Substitution des D-Zugverkehrs durch das InterRegiosystem nur in Relationen mit ausreichend hoher Nachfrage vorgesehen ist. Damit wird der traditionelle D-Zug allerdings in modifiztiertem Erscheinungsbild- auch künftig auf solchen Strekken weiter verkehren, auf denen ein wirtschaftlicher Betrieb des InterRegiosystems nicht möglich ist. Auch im grenzüberschreitenden Schienenpersonenverkehr werden internationale Schnellzugverbindungen weiter bestehen. 1989 standen im grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr der Bundesrepublik den 76 per EuroCity bedienten Relationen insgesamt 328 weitere Verbindungen gegenüber, auf denen internationale Schnellzüge eingesetzt waren 37 • Darin zeigt sich, daß der EuroCityverkehr (aufgrund seines in qualitativer wie quantitativer Sicht höheren Anforderungsprofils) lediglich einen Teil der internationalen Schnellzugverbindungen substituiert hat 38 • Dieser Sachverhalt lag jedoch durchaus im Interesse der Eisenbahnen, denn eine "Ausdehnung des Angebots durch Aufnahme neuer Verkehrsrelationen und zusätzlicher Halte ( ... ) ist nur in begrenztem Umfang möglich, weil sonst Gefahren in bezug auf Qualitätseinbußen entstehen, die zum Abbröckeln der Markenartikeleigenschaften der Top-Produkte führen" 39• Insofern muß das System der grenzüberschreitenden Schnellzüge- gemessen am Verkehrsumfang -nach wie vor als tragende Säule des internationalen Schienenpersonenverkehrs angesehen werden 40 • 37

38 39 40

Vgl. Göbertshahn u. a., 1989, S. 419. Ebenda. Garre, 1987, S. 32. Ebenda.

3.3 Personenverkehr nach Berlin und in die neuen Bundesländer

71

Es würde zu weit führen, wollte man die Gesamtheit der grenzüberschreitenden Schnellzugverbindungen im einzelnen aufführen. Vielmehr sei hier nur auf folgendes hingewiesen: (1) Die Hauptaufgabe der grenzüberschreitenden Schnellzüge liegt nicht in der

Verbindung deutscher Großstädte mit ausländischen Metropolen 41 , wie es für das EuroCitysystem kennzeichnend ist, sondern primär in der Verknüpfung in- und ausländischer Mittel- und Oberzentren über Verbindungen unterhalb des EuroCityverkehrs.

2) Grenzüberschreitende Schnellzugverbindungen bestehen in sämtliche Nach-

barländer der Bundesrepublik, darüberhinaus in zahlreiche weiterentfernte Länder, die durch das deutsche EuroCitysystem nicht berührt werden.

3) Anders als die Systeme InterCity, EuroCity und InterRegio weisen die internationalen Schnellzugverbindungen ein relativ differenziertes Verkehrsnetz auch in östlich der Bundesrepublik gelegene Länder auf, sodaß von verschiedenen deutschen Städten aus Schnellzugverbindungen in die neuen Bundesländer, aber auch Richtung Polen, in die Tschechoslowakei, Ungarn und in die Sowjetunion bestehen.

3.3 Neuere Entwicklungen im Personenverkehr nach Berlin und in die neuen deutschen Bundesländer Die jüngste europäische Geschichte ist durch dramatische politische Veränderungen in einem Großteil der Ostblockländer gekennzeichnet. Die mit dieser Entwicklung einhergehenden wirtschaftlichen Reformbestrebungen fanden in zunehmendem Maße ihren Ausdruck in der Abkehr von den sozialistischen Planwirtschaften und deren Ersatz durch die Einführung marktwirtschaftlich orientierter Wirtschaftsordnungen. Die am 3. Oktober 1990 erfolgte Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten und deren ökonomische Entfaltung in einem einheitlichen europäischen Binnenmarkt könnte für die deutsche Volkswirtschaft Wachstumseffekte in Ausmaßen hervorbringen, wie sie in der Bundesrepublik nur in den fünfziger und sechziger Jahren- also in den Zeiten des "Wirtschaftswunders"- zu beobachten waren. Daß die deutsche Wiedervereinigung zu einer erheblichen Intensivierung der privaten und geschäftlichen innerdeutschen und grenzüberschreitenden Personenverkehrsnachfrage führen wird, kann nicht ernsthaft bezweifelt werden42. Dies zeigt bereits ein Blick auf die Anzahl der im DR-Verkehr beförderten 41 Vgl. Schnell, 1988 (a), S. 770. 42 Dies ergibt sich zum einen aufgrundder seit Dezember 1989 bestehenden Freizügig-

keit auch für Bürger der ehemaligen DDR, zum anderen aufgrund der Tatsache, daß der mit der deutschen Wiedervereinigung zweifellos rasch eintretende wirtschaftliche Produktivitätsfortschritt zusätzliche Geschäftsreisen induzieren wird: ein Zusammenhang

72

3. Streckennetz von Regionalluftverkehr und Eisenbahn

Personen (siehe Tab. 4 in diesem Kapitel): lag dieser Wert (ohne Berlin-West) in den Jahren 1971- 1988 noch zwischen 3 und 4 Millionen, stieg die Anzahl 1989 um 81,7% auf knapp 8,4 Millionen, obwohl die Grenzöffnung sich erst ab November 1989 vollzogen hatte. Wenngleich ein Großteil dieses Zuwachses wahrscheinlich mit dem über 40 Jahre aufgestauten Nachholbedarf an innerdeutschen Kommunikationsbeziehungen erklärt werden kann, wird der Bedeutung des gesamtdeutschen Personenverkehrs künftig dennoch ein wesentlich höherer Stellenwert beizumessen sein, als es gegenwärtig noch der Fall ist. Bislang unterlagen die Verkehrsverbindungen von der Bundesrepublik in die neuen Bundesländer und nach Berlin verschiedenen spezifischen Besonderheiten, die hier zunächst am Beispiel des Luftverkehrs behandelt werden sollen. Bundesdeutschen Fluggesellschaften war in den Nachkriegsjahrzehnten eine aktive Teilnahme 43 am Luftverkehr nach Berlin angesichtsbestehender Vorbehalte der Siegermächte verwehrt 44 ; den Alliierten allein oblag die Lufthoheit über Gesamt-Berlin einschließlich der dazu gehörenden Luftkorridore. Gleiches galt für das Recht zum Überfliegen der ehemaligen innerdeutschen Grenze 45 • Die Einrichtung neuer Flugverbindungen, die auf direktem Wege die deutsch-deutsche Grenze überquerten, setzte in jedem Falle die Genehmigung der Alliierten - vertreten durch ihre Luftfahrtattaches - voraus. In Ermangelung der hierfür erforderlichen Zustimmung hatten die von Lufthansa und der DDR-Fluggesellschaft Interflug eingerichteten deutsch-deutschen Liniendienste (die ursprünglich aus den Messeflügen nach Leipzig hervorgegangenen waren) bislang Routen zu benutzen, die über das Gebiet der Tschechoslowakei führten, was stets den Zwang zur Inkaufoahme von Umwegen und damit Verlängerungen der Flugdauer zur Folge hatte 46 • Diese Sachzwänge gehören seit Wiedererlangung der vollen deutschen Souveränitat der Vergangenheit an. Bereits im Jahr 1989, also unmittelbar nachdem die deutsche Wiedervereinigung absehbar geworden war, hatte der Bundesverkehrsminister den Alliierten eine Konzeption zur Beratung vorgelegt, die sich im wesentlichen auf folgende Zielsetzungen stützte 47 : zwischen gesamtwirtschaftlicher Produktion und Geschäftsreiseintensität konnte - was kaum überrascht- durch Untersuchungen bestätigt werden (Wilken u. a. 1985 a. a. 0. s. 38). 43 Allerdings bestand durchaus die Möglichkeit der indirekten Teilnahme. So haben Lufthansa und Air France gemeinsam die Fluggesellschaft Euro Berlin-France gegründet (Anteil der LH 49 %, der Air France 51 %), die 1989 im Berlinverkehr insgesamt 605.000 Fluggäste beförderte (o. Verf., Nachrichten aus der Luftfahrt: PanAm, in: Welt am Sonntag v. 14.1.1990). 44 Vgl. auch Rehm, 1985, S. 211 ff. 45 Hillebrand 1990, S. 23. 46 Ebenda, vgl. auch Wange 1990, S. 3. 47 Vgl. o. Verf. "Mehr deutsch-deutscher Flugverkehr", in: Welt am Sonntag v. 18.2.1990.

3.3 Personenverkehr nach Berlin und in die neuen Bundesländer

73

1. Einrichtung neuer direkter Luftstraßen in die damalige DDR und nach Berlin für den innerdeutschen Flugverkehr,

2. Einräumung des Rechtes zum Überfliegen des DDRLuftraumes durch bundesdeutsche Fluggesellschaften, die Ziele in Drittländern anfliegen, 3. Gewährung (unbeschränkter) Anflugsmöglichkeiten zu den Berliner Flughäfen, 4. Gemeinsame Planung eines neuen Flughafens für Gesamt-Berlin durch "integrierte Standortplanung unter Einbeziehung von Fernbahn- und Nahverkehrsanschlüssen"48, engere Kooperation der Flughäfen Tegel und Schönefeld, sowie 5. Maßnahmen zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich der Flugsicherungseinrichtungen in Berlin. Dieser Maßnahmenkatalog konnte - schneller als seinerzeit voraussehbar innerhalb kürzester Zeit verwirklicht werden. Gegenwärtig bestehen von der Bundesrepublik aus regelmäßige Direktverbindungen im gesamtdeutschen Regionalluftverkehr nicht nur nach Berlin, sondern darüberhinaus auch nach Dresden, Erfurt und Leipzig. Andere Städte im Gebiet der DDR werden durch das Netz des Regionalluftverkehrs bislang nicht berührt. Es kann aber nur eine Frage der Zeit sein, daß auch in diesem- nach wie vor besonderen- Verkehr bald neue Verbindungen auch zu anderen Städten in den neuen Bundesländern entstehen werden. Die definitive Netzgenerierung bleibt vorerst abzuwarten; das in absehbarer Zeit zur Verfügung stehende Netz im (gesamt-)deutschen Regionalluftverkehr befindet sich noch in der Aufbauphase. Vor der Luftraumfreigabe über Berlin und dem Gebiet der ehemaligen DDR befand sich lediglich Berlin im Netz einiger von der Bundesrepublik aus betriebenen Regionalflugverbindungen; diese Dienste wurden im Sommer 1990 ausnahmslos von alliierten Carriern betrieben 49 : (1) Bremen (PanAm, British Airways), 38 Wochenflüge,

(2) Saarbrücken (Danair), 15 Wochenflüge, (3) Münster I Osnabrück (British Airways), 17 Wochenflüge, (4) Dortmund (Tempelhof Airways), 11 Wochenflüge,

(5) Kiel (PanAm), 12 Wochenflüge, und

(6) Paderborn-Lippstadt (Tempelhof Airways), 18 Wochenflüge. 1988 wurden im Regionalluftverkehr Berlins insgesamt 200.588 Passagiere befördert 50• Hiervon entfielen 132.578 (66,1 %) der Passagiere auf den deutsch48 Ebenda. 49 ADV, 1989 (c), S. 3. 50 Gemäß ADV 1989 (c) S. 3 vom Verf. errechnet. In den ADV-Angaben wird hier ein Wert von 333.165 angegeben, was allerdings auf die von der ADV vorgenommene

74

3. Streckennetz von Regionalluftverkehr und Eisenbahn

deutschen Reiseverkehr, während der verbleibende Teil (68.010 Passagiere) auf Strecken zwischen Berlin und dem Ausland befördert wurde 51 • Im Vergleich zu den übrigen deutschen Verkehrsflughäfen lag Berlin damit - gemessen am Passagieraufkommen des Regionalluftverkehrs - insgesamt an fünfter Stelle, nämlich hinter Frankfurt (359.615), München (268.279), Düsseldorf (243.547) und Harnburg (202.600) 52• Bezogen auf das Aufkommen im innerdeutschen Regionalluftverkehr lag der Anteil der Berlin-Passagiere bei knapp 18 %, im grenzüberschreitenden Regionalluftverkehr bei 4,6 % 53 • Anders als im Falle des Luftverkehrs unterlag die Ausgestaltung des direkten deutsch-deutschen Eisenbahnverkehrs nicht dem Genehmigungsvorbehalt der Alliierten, sondern konnte zwischen Deutscher Bundesbahn und Deutscher Reichsbahn in eigener Zuständigkeit durch bilaterale Vereinbarungen geregelt werden. So wurden in den vergangenen Jahren vor dem Hintergrund der vorangeschrittenen politischen Annäherung verschiedene Schnellzugverbindungen im DB I DR-Verkehr bereitgestellt, welche neben Berlin die wichtigsten Städte der ehemaligen DDR mit dem Bundesgebiet verbanden. Während innerhalb der Bundesrepublik die Metropolen durch das InterCitynetz verknüpft sind, bestehen im DB I DR-Verkehr bislang fast ausschließlich DZugverbindungen; sowohl der Gleiszustand im Schienennetz der Deutschen Reichsbahn als auch die technische LeistungsHihigkeit ihrer Lokomotiven erlauben lediglich Höchstgeschwindigkeiten bis 140 km I h 54• Im einzelnen bestehen für den innerdeutschen Schnellzugverkehr in die neuen deutschen Bundesländer folgende Direktverbindungen 55: (1) Hamburg-Lübeck-Büchen nach Schwerin und Stralsund;

(2) Hamburg-Büchen-Schwerin-Wittenberge-Potsdam nach Dresden und über Magdeburg nach Leipzig; (3) Köln und Aachen-Ruhr I Wupper-Hannover-Magdeburg-Leipzig nach Zwik-

kau und Dresden;

(4) Köln und Aachen-Ruhr I Wupper-Hannover-Magdeburg-Potsdam nach Gör-

litz;

(5) Köln und Aachen-Ruhr I Wupper-Bebra über Gera bzw. Leipzig nach Dresden; Erfassungsform (Ein- und Aussteiger auf deutschen Flughäfen) zurückzuführen ist. Da bei einem solchen Verfahren die Angaben zum Inlandsverkehr durch Doppelzählungen verzerrt sind, ist zur Ermittlung der tatsächlichen Passagierzahl der für den Inlandsverkehr ausgewiesene Wert zu halbieren. 51 Ebenda, die Anmerkungen von Fußnote 50 dieses Kapitels gelten entsprechend. 52 Ebenda, die Anmerkungen von Fußnote 50 dieses Kapitels gelten entsprechend. 53 Vom Verf. anhand ADV 1989 (c) S. 3 i. V. m. ADV 1989 (a) S. 3 errechnet. 54 Vgl. Göbertshahn u. a. 1989, S. 421. 55 Angaben gern. Kursbuch der DB (bis. 26.5. 1990).

3.3 Personenverkehr nach Berlin und in die neuen Bundesländer

75

(6) Frankfurt (Main)-Bebra-Leipzig-Dresden über Görlitz und Berlin nach Stralsund; (7) Leipzig und Erfurt-Ludwigsstadt-NümbergStuttgart nach München, und (8) Rostock-Potsdam-Leipzig I Dresden-Chemnitz-Hof über Nümberg nach Stuttgart bzw. über Regensburg nach München. Die von der DB und DR betriebenen Schnellzugverbindungen verlaufen über fünf Hauptlinien 56: (1) Harnburg und Kiel über Büchen nach Berlin; (2) Köln und Aachen-Ruhr I Wupper über Hannover nach Berlin; (3) Frankfurt (Main)- und Kassel über Bebra I Hannover nach Berlin; (4) Berlin-Ludwigsstadt über Nümberg nach Stuttgart und über Augsburg nach München, sowie (5) Berlin-Hof über Regensburg nach München. Nachstehende Tabelle vermittelt einen Überblick über die Anzahl der im DB I DR-Verkehr beförderten Personen für den Zeitraum der letzten 20 Jahre: Tab. 4: Entwicklung der Reisendenzahl im Verkehr der DR mit und ohne Berlin (West) 1971-1989, ohne Sonderverkehr DR-Verkehr ohne Berlin (West) Reisende Index

Jahr

1971 1973 1975 1977 1979 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989

3.816.792 4.033.234 3.358.780 3.117.038 3.279.658 3.041.603 3.029.572 2.850.970 2.915.825 2.923.392 3.473.540 4.217.184 4.616.913 8.388.497

100 106 88 82 86 80 79 75 76 77 91 110 121 218

DR-Verkehr mit Berlin (West) Reisende Index 1.265.648 1.971.561 2.071.647 2.338.569 2.793.394 3.015.759 2.712.800 2.503.805 2.472.350 2.628.042 2.465.037 2.708.562 2.615.857 2.744.048

100 156 164 189 221 238 214 198 195 208 195 214 207 217

Quelle:DB, 1990.

Sicherlich werden Ausbaumaßnahmen im Streckennetz derDRin den nächsten Jahren eine Ausdehnung bestimmter InterCity- und InterRegioverbindungen auch auf Strecken des heutigen Reichsbahnnetzes erlauben, wodurch ein Teil der 56

Ebenda.

76

3. Streckennetz von Regionalluftverkehr und Eisenbahn

bisherigen innerdeutschen Schnellzugverbindungen sukzessiv substituiert und der Marktanteil der Eisenbahn in diesem Verkehr ggfs. gesteigert werden könnte. An prinzipiell ausbaufähigen Strecken mangelt es dabei nicht; es wurde schon darauf hingewiesen, daß ein großer Teil des deutschen Eisenbahnnetzes bereits vor über einhundert Jahren, also lange vor der deutschen Teilung, auf den WestOst-Verkehr ausgerichtet wurde 57 • Insbesondere die schon seit der Zeit des Deutschen Reiches bestehenden Direktverbindungen zwischen (1) Berlin und Harnburg über Büchen, (2) Berlin und dem Ruhrgebiet über Hannover sowie (3) Berlin und Frankfurt I Main über Leipzig und Erfurt - kurzum: diejenigen Abschnitte, auf denen heute die wichtigsten Schnellzugverbindungen in das Gebiet der ehemaligen DDR bestehen, bieten in diesem Zusammenhang bedeutsame Innovationspotentiale. Am 28. Juli 1990 haben sich die (seinerzeit noch zwei) Verkehrsminister nach über dreijährigen Verhandlungen auf den Neubau einer Hochgeschwindigkeitstrasse von Hannover über Oebisfelde und Stendal nach Berlin geeinigt 58 . Auf dieser Strecke soll u. a. der ICE verkehren und die gegenwärtige Fahrtdauer Hannover-Berlin von 4 Stunden auf 105 Minuten verkürzen. Die geplanten Kosten von 7 Mrd. DM sind im Bundeshaushalt 1991 angesetzt; mit dem Neubau wird 1992 begonnen, die Fertigstellung ist für 1997 geplant. Möglicherweise soll diese Trasse von Berlin nach Warschau verlängert werden. Die Erarbeitung und Umsetzung weiterer Neu- und Ausbauprojekte innerhalb des DR-Netzes bleibt abzuwarten; weil endgültige Aussagen hierzu heute noch mit vielen Spekulationen behaftet sein müssen, soll hier von einer weiteren Behandlung dieses Aspektes abgesehen werden 59•

Fassen wir die wichtigsten Tatbestände, die sich aus der Betrachtung der Verkehrsgebiete von Regionalluftverkehr und Eisenbahn ergeben haben, zusammen: 1. In der Bundesrepublik liegt ein Großteil derjenigen Städte, die durch das Netz des Regionalluftverkehrs berührt werden, zugleich innerhalb des IC I ECStammliniennetzes. Eine Ausnahme bilden lediglich Kiel und Saarbrücken (dorthin bestehen zwar IC-Anschlußlinien, die jedoch nicht im Ein-StundenTakt bedient werden), Bayreuth, Hof, Paderborn und Friedrichshafen, also durchweg kleinere Städte. Ähnliches gilt im Vergleich zum InterRegio-Kernnetz in seiner ab 1991 vorgesehenen Struktur; es tangiert außer Kiel, Bayreuth und Hof sämtliche durch den Regionalluftverkehr bedienten Orte innerhalb der Bundesrepublik.

57 DB, "Modeme Strecken und schnelle Züge ein Konzept für die Zukunft, ohne Jahrg., Frankfurt, S. 6. 58 So teilte es die Deutsche Presseagentur am selben Tage mit. 59 Diese Thematik wird allerdings in Kapitel 8.1 ergänzend aufgegriffen.

3.3 Personenverkehr nach Berlin und in die neuen Bundesländer

77

2. Da auch das im Regionalluftverkehr eingesetzte kleinere Fluggerät erst ab einer bestimmten Mindestentfernung gegenüber der Eisenbahn konkurrenzfähig ist (etwa 300 Kilometer; auf diesen Aspekt wird noch ausführlich einzugehen sein 60), ist erst in Relationen größerer Streckenlänge von einem spürbaren Wettbewerb zwischen Regionalluftverkehr und Eisenbahn auszugehen. Da hierbei u. a. der Fahrtdauer und der Bedienungshäufigkeit eine zentrale Bedeutung für die Akzeptanz der konkurrierenden Verkehrsmittel zukommt 6 1, kann davon ausgegangen werden, daß der hier interessierende Wettbewerb in erster Linie in der Gestalt "Flugzeug versus InterCity I EuroCity" in Erscheinung tritt. Dem InterRegiosystem kommt dabei eine eher mittelbare Funktion zu, indem es eine vertaktete, qualitativ hochwertige Verkehrsanbindung der Fläche ermöglicht, woraus sich nachhaltige Effekte für die Verkehrsmittelwahl ergeben 62 • 3. Der Schwerpunkt der Marktagitation des Regionalluftverkehrs liegt im internationalen Verkehr. Zu sämtlichen Orten, die durch das Netz des grenzüberschreitenden Regionalluftverkehrs berührt werden, bestehen zugleich EuroCity- bzw. internationale Schnellzugverbindungen. Bemerkenswert erscheint die Tatsache, daß auf dem Großteil der internationalen Regionalflugverbindungen die Streckenlänge unter 600 Kilometer liegt. Sofern hier keine natürlichen Hindernisse bestehen (wie etwa Richtung Skandinavien oder- bis zur Fertigstellung des Ärmelkanaltunnels- nach Großbritannien), könnten diese Strekken theoretisch gesehen durch die Eisenbahnen konkurriert werden 63 • Da sich verschiedene Projekte der europäischen Eisenbahnen zur Schaffung eines grenzüberschreitenden Hochgeschwindigkeitsnetzes für den Schienenverkehr mittlerweile in der Phase der Verwirklichung befinden, ist davon auszugehen, daß sich der Wettbewerb im grenzüberschreitenden Personenverkehr in absehbarer Zeit weiter verschärfen wird. 4. Das Netz der Verbindungen im Linienflugverkehr zu Städten in den neuen deutschen Bundesländern und nach Berlin befindet sich noch in der Aufbauphase. Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis auch hier neue FrankfurtAnschlußdienste, lokale Dienste mit Jetgerät und Verbindungen im Regionalluftverkehr aufgenommen werden. Flughäfen in den wichtigsten Orten der ehemaligen DDR existieren; der Schwerpunkt der Luftverkehrsanbindung ist für Berlin, Dresden, Erfurt und Leipzig zu erwarten.

Näheres hierzu insbes. in 8.4 dieser Untersuchung. Ähnl. Jänsch, 1989, S. 378, der diesen Aspekt als "harte Angebotskomponente" bezeichnet. 62 Näheres hierzu in Kap. 7.3. 63 Ähnl. de Waele, 1988, S. 24. 60 61

4. Entwicklung des verkehrspolitischen Ordnungsrahmens für den grenzüberschreitenden Regionalluftverkehr 4.1 Konferenz von Chicago, Bermuda-1-Abkommen und das System bilateraler Vereinbarungen in Europa Der etablierte Ordnungsrahmen für den internationalen Linienluftverkehr 1 beruht in erster Linie auf Vereinbarungen, die in Folge der "Konferenz von Chicago" im Jahre 1944 ratifiziert wurden. Dem als Ergebnis dieser Konferenz verabschiedeten "Chicago-Abkommen" 2 sind inzwischen fast alle Länder der Welt beigetreten3. Dieses Treffen der USA mit ihren Verbündeten und zahlreichen anderen Staaten4 war insbesondere durch das Vorhaben des Gastgeberlandes gekennzeichnet, den internationalen Zivilluftverkehr auf eine einheitliche und multilateral verbindliche Wettbewerbsgrundlage zu stellen 5 • Es ging darum, (1) international verbindliche Verkehrsrechte festzulegen,

(2) eine internationale Luftfahrtorganisation zu schaffen, und (3) die internationalen Luftverkehrsregeln an die Entwicklung der Luftfahrt anzu-

passen6.

Daß auch seinerzeit die internationale Luftverkehrspolitik primär darauf abzielte, die nationalen Interessen der Vertragspartner sicherzustellen, blieb dabei nicht ohne Auswirkungen: die USA, die über eine relativ große Luftflotte verfügten, drangen auf die Schaffung eines liberalen Gestaltungsrahmens, innerhalb dessen Fragen der Linienführung, der Angebotskapazität sowie der Tariffestlegung weit1 Sondervereinbarungen für den zum Linienverkehr zählenden Regionalluftverkehr waren seinerzeit nicht vorgesehen (Vgl. Biermann, 1987, S. 176). 2 Im Original: "Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt vom 7. Dezember 1944". Eine deutsche Übersetzung des Vertragstextes, in der bestimmte Änderungen, die von der ICAO-Konferenz 1954 sowie 1984 in Montreal beschlossen wurden, berücksichtigt sind, findet sich in Zantke 1985, S. 7- 26., die wichtigsten Artikel darüberhinaus in Anhang 3 dieser Untersuchung. 3 Sichelschmidt, 1984, S. 10. 4 Insgesamt nahmen Vertreter von 54 Staaten an dieser Konferenz teil. s Vgl. Wolf, 1989, S. 11. 6 Ackermann, 1986, S. 12.

4.1 Konferenz von Chicago, Bermuda-1- und andere Abkommen

79

gehend dem freien Wettbewerb überlassen bleiben sollten 7• Eine deutlich restriktivere Behandlung des internationalen Linienflugverkehrs vertrat hingegen Großbritannien, dessen Luftfahrtentwicklung zwar durch den Krieg beeinträchtigt war 8 , das andererseits jedoch über eine Vielzahl von Kolonien verfügte und infolgedessen eher an einem die Wahrung der eigenen Verkehrsanteile sicherstellenden Ordnungsrahmen interessiert war 9 • Neben Großbritannien befürchteten auch die meisten anderen europäischen Länder eine marktbeherrschende Stellung der USA in einem liberalisierten internationalen Luftverkehrsmarkt 10• Diese Interessenkonflikte hatten zur Folge, daß die Verhandlungen über eine Liberalisierung der Verkehrsrechte gescheitert wären, hätten sich die Teilnehmer nicht zu einem Kompromiß bereitgefunden 11 • Das Chicago-Abkommen, in dessen Art. 1 festgelegt war, daß jeder Staat über seinem Hoheitsgebiet volle und ausschließliche Lufthoheit besitzt 12, differenzierte hinsichtlich der Gewährung von Verkehrsrechten zwischen "nicht planmäßige Flüge" (Art. 5) und "planmäßigen Fluglinienverkehr" (Art. 6). Während sich nach Art. 5 dieses Abkommens jeder Vertragsstaat einverstanden erklärt, "daß alle nicht im planmäßigen internationalen Fluglinienverkehr eingesetzten Luftfahrzeuge der anderen Vertragsstaaten ( ... ) berechtigt sind, ohne Einholung einer vorherigen Erlaubnis in sein Hoheitsgebiet einzufliegen, oder es ohne Aufenthalt zu durchfliegen und dort nicht gewerbliche Landung zu verlangen", darf nach Art. 6 des Abkommens planmäßiger internationaler Fluglinienverkehr "über oder in das Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates ( ... ) nur mit der besonderen Erlaubnis oder einer sonstigen Ermächtigung dieses Staates" betrieben werden. Gerade weil eine multilateral verbindliche Vereinbarung zur generellen Liberalisierung des planmäßigen Linienflugverkehrs nicht zustande kam, einigten sich die Teilnehmer, einander zumindest bestimmte Teilfreiheiten einzuräumen, die später als ,,Freiheiten der Luft" in den Sprachgebrauch eingingen. So wurden im Verlauf der Konferenz zusätzlich als Anhang 1 des Basisabkommens eine "Transitvereinbarung" 13 sowie als Anhang 2 eine "Transportvereinbarung" 14 getroffen. Mit der Transitvereinbarung billigten sich die Vertragspartner die als "technische Freiheiten" bezeichneten Verkehrsrechte zu 15, die sich auf das Recht zum Überfliegen des Hoheitsgebietes der Vertragsstaaten ohne ZwiWolf, 1989, S. 11. s Kloster-Harz, 1976, S. 12. 9 Ähnl. Wolf, 1989, S. 11. 10 Schatz, 1986, S. 78. 11 Kloster-Harz, 1976, S. 12. 12 Vgl. Anhang 3. 13 "International Air Services Transport Agreement"; deutsche Fassung in: Zantke, 1985, s. 390-392. 14 "International Air Transport Agreement", deutsche Fassung in: Zantke, 1985, s. 392 f. 1s Sie sind zugleich integraler Bestandteil der Transportvereinbarung. 7

80

4. Ordnungsrahmen für den grenzüberschreitenden Regionalluftverkehr

Sehenlandung (1. Freiheit) und das Recht auf nichtgewerbliche Zwischenlandungen, z. B. zum Tanken oder Personalwechsel (2. Freiheit), beschränkten 16• Ein auf breiter Basis getragener Konsens über die gegenseitige Einräumung der für den Wettbewerb weitaus bedeutsameren ,,kommerziellen Freiheiten" 17 , wie sie in der Transportvereinbarung vorgesehen waren, konnte hingegen nicht herbeigeführt werden. Zu den kommerziellen Freiheiten zählt 18 -

das Recht, Passagiere oder Fracht im Vertragsland abzusetzen (3. Freiheit),

-

das Recht, Passagiere oder Fracht im Vertragsland aufzunehmen und im Heimatland abzusetzen (4. Freiheit), sowie

-

das Recht, Passagiere und Fracht zwischen zwei Vertragsstaaten zu befördern, sofern der Flug im Heimatland beginnt und endet (5. Freiheit).

technische Freihei ten

7. Freiheit

2. Freiheit kommerzielle Frei heiten

3 . Freiheit 4. Freiheit 5. Freiheit

Abb. 10: Die klassischen Freiheiten der Luft (Quelle: graphische Darstellung in Anlehnung an Wolf, 1989, S. 12)

Umstritten war, was kaum überrascht, vor allem die Freigabe der fünften Freiheit 19; dies nämlich hätte aus Sicht der Vertragspartner die Preisgabe der 16 Rechtsgrundlage: Art 1 Abschn. 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 der Transitvereinbarung. Vgl. O'Connor, 1971, S. 42; vgl. auch Meier, 1984, S. 94. 11 Wolf, 1989, S. 13; Ackermann, 1986, S. 13 f. 18 Art. 1 Abschn. 1 Abs. 1 Nr. 3- 5 der Transportvereinbarung. 19 Vgl. O'Connor, 1971, S. 42; Ackermann, 1986, S. 14.

4.1 Konferenz von Chicago, Berrnuda-1- und andere Abkommen

81

traditionell für ihre eigenen Luftverkehrsunternehmen reservierten Verkehrsrechte bedeutet. Damit einhergehende Befürchtungen, bestehende Verkehrsanteile nicht halten bzw. potentielle nicht gewinnen zu können 20, hatten zur Folge, daß die ursprüngliche Zielsetzung der USA - nämlich die Einrichtung eines auf globaler Ebene liberalisierten Luftverkehrsmarktes - nicht verwirklicht werden konnte. So wurde das Transportabkommen außer von den USA lediglich von 12 anderen Staaten unterzeichnet 21, deren Stellenwert im internationalen Luftverkehrsmarkt (sieht man einmal von den Niederlanden ab) praktisch bedeutungslos war. Tatsächlich ist die Transportvereinbarung daher nie in Kraft getreten; auch die USA zogen ihre Unterschrift bereits 1946 wieder zurück 22 . Die Konferenz von Chicago war damit in ihrem wichtigsten Anliegen gescheitert. Die Konsequenz war, daß anstelle eines mulilateral verbindlichen Gestaltungsrahmens für den internationalen Luftverkehr ein System bilateraler Luftverkehrsabkommen treten mußte 23 ; dies ergibt sich "als notwendige Rechtsfolge der Anerkennung des Grundsatzes der Lufthoheit"24. Als Vorbild für eine gelockerte Ausprägung bilateraler Luftverkehrsabkommen wird heute übereinstimmend 25 das "Bermuda-1-Abkommen" bezeichnet, das im Februar 1946 zwischen den USA und Großbritannien auf den Bermudas abgeschlossen wurde. Für die gegenseitige Einräumung der kommerziellen Freiheiten wurde ein Bedingungsrahmen ausgehandelt, der faktisch einen Kompromiß darstellte: die USA verzichteten auf die Freiheit der Tariffestsetzung, der Linienführung und der unbeschränkten Kapazität, während Großbritannien von seinem ursprünglichem Begehren Abstand nahm, Kapazitäten und Linienführung ex ante festzulegen und die Tarife im gegenseitigen Einvernehmen zu fixieren 26. Stattdessen wurde die wechselseitige Erteilung der kommerziellen Verkehrsrechte an folgende Bedingungen geknüpft27: ' 2o Dieser Aspekt ist im Lichte der damaligen Zeit zu sehen. Während heute die großen Jets Entfernungen von über 12.000 Kilometern nonstop bewältigen können, stellte in den vierziger Jahren die Gewährung von Verkehrsrechten, etwa zum Auftanken auf Langstrecken, für viele Länder mit jenseits der Hauptstrecken gelegenen Flughäfen (z. B. die Azoren, Neufundland oder Hawaii) einen bedeutsamen Handelsposten dar (vgl. O'Connor, 1971, S. 42). 21 Äthiopien, Bolivien, Chile, Costa Rica, El Sa1vador, Griechenland, Honduras, Liberia, Niederlande, Paraguay, Schweden und Türkei (Quelle: Zantke, 1985, S. 392). 22 Vgl. Kloster-Harz, 1976, S. 19. 23 Vgl. Hammes, 1982, S. 34; ähnl. Schatz, 1986, S. 78 f.; Zantke, 1985, S. 77; Haupt u. a., 1985, S. 14. 24 Kloster-Harz, 1976, S. 19. zs Vgl. etwa Kuhne, 1988, S. 77; Hammes, 1982, S. 34; Sichelschmidt, 1981, S. 8; Zantke, 1985, S. 77; Kloster-Harz, 1976, S. 21; O'Connor, 1971, S. 45. 26 Vgl. Ackerrnann, 1986, S. 15; Sichelschmidt, 1981, S. 8; Harnmes, 1982, S. 35; Wolf, 1989, S. 14; Kloster-Harz, 1976, S. 22. 21 Hier sollen nur die wichtigsten inhaltlichen Ergebnisse dargelegt werden. Weiterführende Hinweise vgl. Kloster-Harz, 1976, S. 21-27. 6 Giese

82

4. Ordnungsrahmen für den grenzüberschreitenden Regionalluftverkehr

-

Anpassung des verfügbaren Beförderungsangebotes an die tatsächliche Nachfrage der betreffenden Strecke, wobei beiden Unternehmen die gleichen Betriebsmöglichkeiten zu gewährleisten sind 28.

-

Festlegung der einschlägigen Strecken in einem Fluglinienplan und Designierung der jeweiligen Luftverkehrsunternehmen 29 •

-

Abkehr vom Prinzip der ex-ante-Festlegung der angebotenen Kapazitäten. Eine Kapazitätsanpassung durfte nur ex-post und unter der Voraussetzung vorgenommen werden, daß ein Vertragsland eine Verletzung grundlegender Vertragsprinzipien wie etwa Unverhältnismäßigkeit der angebotenen Kapazität zum Verkehrsaufkommen 30 - geltend machte. Diese Regelung wird auch als "Kapazitätsklausel" bezeichnet.

-

Festlegung der Tarife im Rahmen der IATA 31 Konferenzen, indem die jeweiligen Liniengesellschaften des betreffenden Verkehrsgebietes Tarife aushandeln, die dann den beteiligten Regierungen zur Genehmigung vorgelegt werden 32•

In der Folgezeit bildeten diese auch als "Bermuda-Prinzipien" 33 bezeichneten Regelungen die Grundlage für den Abschluß zahlreicher bilateraler Luftverkehrsabkommen der USA mit anderen Ländern 34 • Obwohl auch verschiedene Luftverkehrsabkommen zwischen europäischen Staaten auf diesen Prinzipen basieren 35 , konnten sich Mustervereinbarungen vom Bermuda-Typ in Europa in der Gesamtbetrachtung nicht durchsetzen; nach wie vor dominieren hier Vereinbarungen mit kapazitiven Kontingentierungen 36 • Da in Europa- anders als es etwa in den USA der Fall ist- in verschiedenen Staaten aufgrund ihrer geringen Größe Inlandsflüge kaum eine Rolle spielen oder überhaupt nicht betrieben werden, hat der Luftverkehr hier primär internationalen Charakter 37 • Weil die Lufthoheit über einem Territorium nach dem ChicagoAbkommen in den Händen des betreffenden Staates liegt, setzt die Einrichtung Kloster-Harz, 1976, S. 22. Ebenda, S. 25 f.; siehe auch Ackermann, 1986, S. 15. 30 Wolf, 1989, S. 13; O'Connor, 1971, S. 45. 31 International Air Transport Association; 1945 in Havanna gegründet. Internationale Dachorganisation für den kommerziellen Luftverkehr (weiterführend Zantke, 1985, S. 221 ff.). Die IATA war lange Zeit das entscheidende Gremium für die Preisbildung im internationalen Luftverkehr mit kartellähnlichem Charakter (zur Preisbildung im Rahmen der IATA Vgl. etwa Witte u. a., 1982, insbes. S. 117- 131) hat aber diesbezüglich seit 1978 an Bedeutung verloren (weiterführende Hinweise siehe Meier, U., 1986, S. 435 ff.; Hammes, 1982, S. 43- 50). 32 Meier, U., 1986, S. 436; Kloster-Harz, 1976, S. 25. 33 O'Connor, 1971, S. 45. 34 Vgl. Sichelschmidt, 1981, S. 8. 35 Ebenda. 36 Vgl. Wolf, 1989, S. 14. 37 Vgl. Haupt u. a., 1985, S. 15; Sichelschmidt, 1984, S. 10 f. 28

29

4.1 Konferenz von Chicago, Bermuda-1- und andere Abkommen

83

grenzüberschreitender Fluglinien grundsätzlich die Mitwirkung der Luftverkehrsbehörden mehrerer- mindestens zweier- Staaten voraus 38, was eine relativ starke administrative Einflußnahme der beteiligten Länder ermöglicht 39• Die Schwierigkeit lag bisher vor allem darin, daß Vereinbarungen über die Kapazitätsklausel vielerorts dann nicht zustande kamen, wenn zu befürchten war, daß die nationale Fluggesellschaft eines Landes hierdurch Wettbewerbsnachteile gegenüber der stärkeren Gesellschaft eines Vertragslandes hinzunehmen hätte 40• Die Folge war, daß zum Zwecke des Schutzes der nationalen Fluggesellschaft stattdessen die Kapazitätsanteile im Vorwege im Verhältnis 50:50 aufgeteilt wurden und die Verkehrsrechte nach dem Grundsatz der Reziprozität von designierten, üblicherweise staatlichen Luftverkehrsgesellschaften wahrgenommen wurden 41 • Das damalige Tarifkartell im Rahmen der IATA bewirkte Tarifgleichheit für sämtliche auf einer bestimmten Strecke operierenden Linienanbieter 42 und "garantierte der Luftfahrtindustrie lange Zeit gute Gewinnchancen" 43 • Diese Vereinbarungen wiesen also- anders als die in Chicago proklamierte Fassung- in stärkerem Maße protektionistische Züge auf44 • Derart wettbewerbsfeindliche Grundhaltungen bewirkten zum einen, daß -wie es Kuhne formuliert - "die im Markt erfolgreichere Fluggesellschaft, die durchaus z. B. 65 Prozent aller zwischen zwei Ländern verkauften Sitzplätze auf sich vereinigen konnte, nicht in der Lage (war, Verf.), auf einer Route ein zu klein gewordenes 1OOsitziges Flugzeug durch einen 150-Sitzer zu ersetzen, da ansonsten die 50-Prozentschwelle überschritten worden wäre" 45 . Weil darüberhinaus bei den Tarifabstimmungen innerhalb der IATA Einstimmigkeit vorgeschrieben war, wurden durch diesen insgesamt recht starren Ordnungsrahmen faktisch auch uneffiziente Gesellschaften geschützt 46, was in den vergangenen Jahren zunehmend auf Kritik stieß und den auf Liberalisierung abzielenden luftverkehrspolitischen Initiativen in Europa zusätzliche Impulse verlieh.

Sichelschmidt, 1984, S. 10 f. Ebenda, S. 11. 40 Wolf, 1989, S. 14. 41 Kuhne, 1988, S. 77. 42 Biermann, 1987, S. 177. 43 Wolf, 1989, S. 15. 44 Vgl. Zantke, 1985, S. 77. 45 Kuhne, 1988, S. 77. 46 Ebenda; ähnl. äußert sich Siche1schmidt, 1984, S. 18. vgl. auch Erdmenger, 1983, s. 87. 38 39

6*

84

4. Ordnungsrahmen für den grenzüberschreitenden Regionalluftverkehr

4.2 Luftverkehrspolitik auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaften bis 1985: erste Initiativen zur Deregulierung des innereuropäischen Linienflugverkehrs Die in den siebzigerund frühen achtziger Jahren auf EG-Ebene vorangetriebenen luftverkehrspolitischen Aktivitäten ergaben sich- neben der Verpflichtung aus dem EWG-Vertrag zur Errichtung eines gemeinsamen Marktes - zum einen aufgrund erkannter Unzulänglichkeiten des traditionellen Ordnungsrahmens für den Luftverkehr in Europa, zum anderen in Folge des "Airline Dereguation Act" der USA im Jahre 1978, der zugleich zu einer Schwächung der IATA als Tarifbildungskartell führte und in Luftfahrtkreisen überaus kontroverse Debatten induzierte. Mit dem Airline Deregulation Act wurde die administrative Regulierung des US-amerikanischen Linienluftverkehrs in der Absicht aufgehoben, Qualität, Struktur und Preisbildung des Luftverkehrssystems den freien Marktkräften zu überlassen 47 • Durch einen liberaleren Unternehmerischen Gestaltungsspielraum sollte es den Fluggesellschaften erleichtert werden, ihre Dienste kostengünstiger zu produzieren und ihr Luftverkehrsangebot besser als zuvor an die Bedürfnisse der Konsumenten anzupassen; der wachsende Wettbewerb sollte die dafür erforderlichen ökonomischen Anreize liefern 48 • Die US-Deregulierung entfachte bekanntlich lebhafte Diskussionen darüber, ob und inwieweit ein solches Vorgehen auch als Modell für einen europäischen Ordnungsrahmen herangezogen werden könne. Es besteht heute weitestgehend Einigkeit darüber, daß eine "Open-skyPolitik" schon aufgrund der andersartigen strukturellen Gegebenheiten in Europa nicht ohne weiteres auf die hiesigen Verkehrsmarktverhältnisse übertragen werden kann 49 • Die als positiv erachteten Begleiterscheinungen eines liberalisierten Luftverkehrsmarktes (z. B. das Auftreten von Neuanbietern mit innovativen Angebots47 Vgl. Sichelschmidt, 1981, S. 9; dort auch weiterführende Hinweise. Siehe auch Schatz, 1986, S. 79 ff. 48 Sichelschmidt, 1981, S. 9; ähnl. Biermann, 1987, S. 177. 49 Vgl. Kuhne, 1988, S. 78; Erdmenger, 1981, S. 126; ; Nüßer u. a., 1989, S. 29 f.; besonders nachdrücklich wird dies von Seiten der großen, etablierten Gesellschaften herausgestellt, vgl. etwa Wemet, 1987, S. 260 f., Thayer, 1984, S. 81 ff.; Meier, U., 1984, S. 99. Dennoch strahlten die Veränderungen des amerikanischen Ordnungsrahmens insofern auch auf Europa aus, als sie in die bilateralen Verhandlungen der USA mit einigen europäischen Ländern eingingen (Vgl. Schatz, 1986, S. 96; Kuhne, 1988, S. 77). So wurden ab 1978 zwischen d. USA und versch. europäischen Ländern Vereinbarungen getroffen, die als relativ liberal bezeichnet werden müssen, da es beispielsweise den Heimatstaaten überlassen blieb, (a) wieviele Carrier sie designierten, was den Marktzugang auflockerte (Schatz, 1986, S. 97), (b) Kapazitätsbegrenzungen z. T. weder ex-ante noch ex-post festgelegt werden durften, so in einem Abkommen mit den Niederlanden (Schatz, 1986, S. 97), und schließlich (c) die Preise entwedernur durch beide Regierungen gemeinsam abgelehnt werden konnten ("mutual-disagreement-rule, z. B. mit Israel, vgl. Schatz, 1986, S. 97) oder durch diejenige Regierung, von deren Territorium aus der Transport beginnt ("Country-of-Origin-Rule", vgl. Zantke, 1985, S. 149).

4.2 Luftverkehrspolitik auf der Ebene der EG bis 1985

85

spektren und niedrigerem Tarifniveau) 50 fanden ihren Niederschlag dennoch in Reformbestrebungen auf EG-Ebene, nicht zuletzt wegen der schon genannten Verpflichtung aus dem EWG-Vertrag zur Verwirklichung der darin verankerten wirtschaftlichen und sozialen Ziele auf Basis eines gemeinsamen Marktes. Die EG-Kommission hat sich in ihrem 1. Luftverkehrsmemorandum 51 im Jahre 1979 mit der Frage nach Möglichkeiten zur Verbesserung des innereuropäischen Luftverkehrssystems eingehend befaßt. Darin kommt die Kommission u. a. zu folgender Einschätzung des damaligen Ordnungsrahmens: "Durch ein weitverzweigtes System bilateraler Abkommen üben die Regierungen sehr starken Einfluß auf das Streckennetz, die Tarife sowie auf die Beförderungskapazität und damit auf die Struktur des Luftverkehrswesens aus. Im Linienverkehr gibt es nur einen beschränkten direkten Preiswettbewerb, doch stellen andere Luftverkehrsarten sowie sonstige Verkehrsmittel eine beachtliche Preiskonkurrenz dar" 52. Insbesondere im Hinblick auf die Interessenlage der Verbraucher hat die Kommission auf die Tendenz zu hohen Flugpreisen für Linienflüge, die nur auf bestimmte Strecken begrenzte Anwendbarkeit von Billigtarifen und den letztlich durch das Chicago-Abkommen geschaffenen starren Ordnungsrahmen hingewiesen, der in allzu starkem Maße von uni- oder bilateralen staatlichen Interventionen abhängig sei 53 • Vor allem letzterer Aspekt hatte nach Auffassung der Kommission zur Folge, daß die "wünschenswerte Schaffung einiger Querverbindungen" 54 erschwert oder verhindert wurde und stattdessen eine Konzentration des Verkehrs auf Großflughäfen erfolgt sei; auch wären die Möglichkeiten des Marktzugangs für Anbieter mit innovativen Dienstleistungs- und Tarifkonzeptionen zu sehr eingeschränkt 55 • Darüberhinaus hätten nach Auffassung der Kommissionaufgrund des Bilaterismus für die Fluggesellschaften in zu geringem Maße Anreize bestanden, ihre Produktivität zu steigern; es wurde bereits darauf hingewiesen, daß hiervon auch uneffiziente Gesellschaften profitieren konnten 56• So auch Biermann, 1987, S. 177. EG-Kommission, 1979. 52 EG-Kommission, 1979, S. 3, Nr. 2. 53 EG-Kommission, 1979, S. 14 Nr. 18; vgl. auch Erdmenger, 1981, S. 124 f.; ähnl. Haupt u. a., 1985, S. 17. 54 EG-Kommission, 1979, S. 14, Nr. 18. 55 Ebenda. 56 Diese These wird durch eine Untersuchung von Stoetzer (1987) eindrucksvoll bestätigt. Er kommt zu dem Ergebnis, daß sich "signifikante Produktivitätsunterschiede zwischen den Anbietern in den USA und Europa ermitteln (lassen, Verf.), deren Ausmaß erheblich ist. Die korrigierte mittlere Arbeitsproduktivität pro Angestellten ist in Europa um fast ein Drittel niedriger als in den USA. Dieser Unterschied kann kaum durch die erwähnten methodischen Vorbehalte erklärt werden. Um zu prüfen, inwieweit dieses Ergebnis kausal auf Unterschiede im Wettbewerb zurückzuführen ist, wurde der in den Vereinigten Staaten und Europa weitgehend unregulierte Chartermarkt analysiert. Hier 5o 51

86

4. Ordnungsrahmen für den grenzüberschreitenden Regionalluftverkehr

In der Zusammenfassung stellt die Kommission fest, daß u. a. die Luftverkehrspolitik Instrumentalfunktion zur Verwirklichung der in Art. 2 des EWG-Vertrages aufgeführten wirtschaftlichen und sozialen Ziele für die Mitgliedstaaten habe 57 • Hieraus werden folgende Zielsetzungen abgeleitet, die im Rahmen der europäischen Luftverkehrspolitik zu berücksichtigen sind: -

"ein von nationalen Schranken freies Gesamtstreckennetz mit für die verschiedenen Benutzergruppen nützlichen, leistungsstarken Diensten zu möglichst niedrigen, allen zugänglichen Preisen;

-

finanzielle Ausgewogenheit der Fluggesellschaften, Senkung ihrer Betriebskosten und Steigerung ihrer Produktivität;

-

Wahrung der Interessen der Luftfahrtbediensteten in bezug auf den sozialen Fortschritt ( ... );

-

bessere Lebensbedingungen für die breite Öffentlichkeit und Berücksichtigung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Allgemeininteressen" 58•

Zur Verwirklichung dieser Ziele behandelt die Kommission im 2. Teil des Memorandums 59 verschiedene Maßnahmen. Im Hinblick auf die Interessenlage sowohl der Verbraucher als auch der Fluggesellschaften sollten nach Willen der Kommission (1) Billigtarife in der Gemeinschaft breiter angewendet, (2) die Möglichkeiten zur Einrichtung neuer Linienflüge verbessert und (3) darüberhinaus ein breiterer Handlungsspielraum für Bedarfsflüge geschaffen werden 60 • Diese Maßnahmen sollten durch -

"gesetzliche Bestimmungen zur Verankerung der Wettbewerbsregeln im Luftverkehr,

-

Kriterien für staatliche Unterstützungen, (ein freizügigeres, Verf.) Niederlassungsrecht, Stabilisierung der Wechselkurse für die Tarifgestaltung,

-

(und, Verf.) Entschädigungszahlungen für Fluggäste bei Überbuchungen" 61

in ihrer praktischen Durchsetzung unterstützt werden. Zur Verwirklichung dieser Ziele erarbeitete die EG-Kommission in der Folgezeit mehrere konkrete Vorschläge, die dem Rat zur Entscheidung vorgelegt sind keine signifikanten Differenzen in der Arbeitsproduktivität vorhanden. Auch dies ist als Indiz zu werten, daß die ermittelte Ineffizienz der europäischen Firmen nicht dem gewählten methodischen Vorgehen zuzuschreiben ist, sondern sich aus der staatlichen Reglementierung und privaten Karteliierung des Linienluftverkehrs in Europa ergibt" (Stoetzer, 1987, S. 18). 57 EG-Kommission, 1979, S. 3, Nr. 3. 58 EG-Kommission, 1979, S. 3, Nr. 5. 59 Ebenda, S. 20-26. 60 Ebenda, S. 4 Nr. 8 i. V. m. S. 20- 23. 61 Ebenda, S. 4 Nr. 8 i. V. m. S. 23- 26.

4.2 Luftverkehrspolitik auf der Ebene der EG bis 1985

87

wurden. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere (1) der Vorschlag, die Artikel 85 (Kartellverbot) und 86 (Verbot des Mißbrauches einer marktbeherrschenden Stellung) des EWG-Vertrages auch auf den Luftverkehr anzuwenden 62, ergänzend hierzu (2) der Vorschlag über die Anwendungsmodalitäten der einschlägigen Wettbewerbsregeln auf die Luftverkehrsunternehmen 63 , (3) der Vorschlag für eine Tarifrichtlinie für den Linienflugverkehr 64 , und schließlich (4) der Vorschlag einer Verordnung über die Genehmigung des interregionalen Linienflugverkehrs 65. Letzterem Vorschlag folgte am 14. Dezember 1983 die (gegenüber dem Kommissionsvorschlag jedoch deutlich abgeschwächte 66) Richtlinie des Rates 83/ 416 I EWG über die Zulassung des InterRegionalen Linienflugverkehrs zur Beförderung von Personen, Post und Fracht zwischen den Mitgliedstaaten 67 . Die darin enthaltenen Regelungen, die laut Vorwort der Richtlinie Versuchscharakter haben68, dienten dem Zweck, eine Liberalisierung des grenzüberschreitenden Linienflugverkehrs in Europa durch Gewährung der kommerziellen Freiheiten zumindest für einen Teilbereich des Luftverkehrs, nämlich für den Interregionalluftverkehr, probeweise zu errnöglichen 69. Nach Artikel 1 dieser Richtlinie sollte für grenzüberschreitende Regionalflugverbindungen zwischen den Mitgliedstaaten der EG ein Rechtsanspruch auf Genehmigung eingeräumt werden, dessen Wirksamkeit zunächst an folgende Bedingungen geknüpft war: 1. Flugabschnitte "von jeweils mehr als 400 km oder von weniger als 400 km, wenn der Luftverkehr wegen natürlicher Hindernisse wie Meere oder Gebirge eine erhebliche Zeitersparnis im Vergleich zum Land- oder Schiffsverkehr bedeutet" 70, 2. Fluggerät mit max. 70 Sitzplätzen oder einem Starthöchstgewicht von 30 t, 3. Flüge dürfen nur zwischen dem internationalen Linienflugverkehr offenstehenden Flughäfen der Klassen 2 untereinander, der Klassen 3 untereinander oder zwischen diesen Klassen durchgeführt werden 71 . Allerdings unterlag die Verkehrsrechtsfreigabe einigen gravierenden Einschränkungen. Erstens entfiel der Genehmigungsautomatismus für Verbindungen 62 EG-Kommission, 1981 (a). 63 EG-Kommission, 1982. 64 EG-Kommission, 1981 (b); siehe hierzu auch EGParlament, 1983. 65 EG-Kommission, 1980. 66 Vgl. auch Haupt u. a., 1985, S. 38. 67 EG-Rat, 1983. 68 EG-Rat, 1983, S. 19. 69 Vgl. Wolf, 1989, S. 16; Biermann, 1987, S. 178. 10 Art. 1 Buchst. a) der Richtlinie. 71 Art. 1 Buchst. b), c) der Richtlinie.

88

4. Ordnungsrahmen für den grenzüberschreitenden Regionalluftverkehr

mit Flughäfen der Kategorie I gänzlich, obwohl gerade solche Dienste wegen ihres vergleichsweise hohen Verkehrsaufkommens aus Sicht der RegionalfluganbieteT wirtschaftlich attraktiv gewesen wären 72 • Zum zweiten kam der Anspruch auf Genehmigung nach Art. 3 der Richtlinie dann nicht zum Tragen, wenn bereits ein indirekter Linienflugverkehr zwischen den betreffenden Flughäfen oder zwischen anderen Flughäfen bestand, die von ersteren nicht mehr als 50 Kilometer entfernt sind, sofern der schon bestehende Verkehr -

eine gesamte Transitzeit von weniger als 90 Minuten zwischen den Flugstrekken umfaßte, und

-

eine Gesamtflugzeit benötigte, die weniger als 50 % über der des vorgesehenen interregionalen Dienstes lag 73 •

Darüberhinaus entfiel der Genehmigungsautomatismus, wenn bereits Linienflugverkehr bestand zwischen einem der betreffenden Flughäfen und einem anderen, der nicht weiter als 50 Kilometer von ersterem Flughafen entfernt ist, oder zwischen zwei anderen Flughäfen, von denen einer nicht weiter als 50 Kilometer von einem der betreffenden erstgenannten Flughäfen entfernt ist 74 • Drittens schließlich verlangte Artikel 5 Abs. 2 dieser Richtlinie eine zeitliche Zulassungsbegrenzung von "mindestens drei Jahren oder für einen von den betreffenden Luftverkehrsunternehmen gewünschten kürzeren Zeitraum", was gerade die kleineren Luftverkehrsunternehmen vor erhebliche Probleme stellte, weil etwa die Abschreibungen für Fluggerät über einen längeren Zeitraum liefen und die Garantien für Kredite oder Investoren ebenfalls langlebiger Natur sein mußten 75 • Ihrem Wortlaut nach ermöglichte diese Richtlinie zwar gegenüber dem vorherigen Stand eine größere Marktentfaltung für den Regionalluftverkehr; ihr praktischer Nutzen blieb jedochangesichtsder skizzierten Einschränkungen äußerst gering 76 • In ihrem 2. Memorandum aus dem Jahre 1984 77 behandelte die EG-Kommission neben ( 1) den Reaktionen auf das 1. Memorandum und (2) der Entwicklung n Vgl. etwa Biermann, 1987, S. 179. Wöhrl (1989, S. 75) stellt hierzu fest, daß für RegionalfluganbieteT "der Zugang zu den Großflughäfen eine existenzielle Frage ist und es fast keine Strecken gibt, geschweige denn ein gesamtes Streckenprogramm, welches sich wirtschaftlich unter Auslassung der Großflughäfen verwirklichen läßt" . 73 Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) der Richtlinie. 74 Ebenda, Buchst. b). 75 Vgl. Haupt u. a., 1985, S. 23. 76 Ähnl. Kuhne, 1988, S. 77. Nach Haupt u. a., 1985, S. 23, muß daher fraglich bleiben, ob eine Richtlinie mit den o. a. Einschränkungen überhaupt erfolgreich angewandt werden kann oder nicht "die Opponenten derartiger Bestrebungen durch bewußtes Einbringen dieser Einschränkungen diese Richtlinien von vom herein zum Scheitern" verurteilt hätten. 77 EG-Kommission, 1984.

4.3 EG-Luftverkehrspolitik seit 1985

89

des Luftverkehrs seit dem 1. Memorandum (3) weitere Initiativen zur Ausarbeitung und Durchführung der luftverkehrspolitischen Ziele 78 • Allerdings war der in diesem Memorandum ausgewiesene Maßnahmenkatalog gegenüber demjenigen des 1. Memorandums bzw. den in der Zwischenzeit unterbreiteten Kommmissionsvorschlägen inhaltlich abgeschwächt, gewiß nicht zuletzt aus pragmatischen Motiven, da der Kommission ein solches Vorgehen als leichter durchsetzbar erscheinen mußte 79. Die Kommission vertrat erstens den Standpunkt, daß von der üblichen Praxis der Kapazitätsaufteilungen im Verhältnis 50:50 endlich abzuweichen sei, wobei jedoch den nationalen Gesellschaften ein Bestandsschutz eingeräumt werden sollte, der einen Aufkommensanteil auf der betreffenden Strecke von mindestens 25% sicherstellte so. Zweitens schlug die Kommission im Hinblick auf die Tarifbildung die Festlegung von Referenztarifen und Tarifmargen vor, innerhalb derer die Preisbildung frei sein solles•. Drittens sah sich die Kommission zu der Vorgabe veranlaßt, den Marktzugang für Anbieter mit kleinerem Gerät dergestalt zu regeln, daß ihnen die Verkehrsrechte einer betreffenden Route dann eingeräumt werden sollten, wenn die nationalen Carrier auf die Bedienung der entsprechenden Relation ausdrücklich verzichtetens2 • Viertens schließlich forderte die Kommission eine Verordnung des Rates, die Bestimmungen enthalten sollte, wonach sie selbst per Verordnung Freistellungen von Art. 85 Abs. I des EWG-Vertrages vornehmen könne, da ansonsten z. B. Poolabsprachen gegen geltendes Wettbewerbsrecht verstießen S3 • Darüberhinaus enthielt das 2. Luftverkehrsmemorandum noch verschiedene Vorschläge, die u. a. auf Subventionsabbau, Besteuerung und Angleichung der Wettbewerbsbedingungen im Luftverkehr abzielten; auf diese Punkte soll hier nicht weiter eingegangen werden.

4.3 Fortschritte auf dem Weg zum gemeinsamen Verkehrsmarkt seit 1985 und die zu erwartende Situation bis 1993 In den folgenden Jahren sollten die Bestrebungen zur Herbeiführung eines vereinheitlichten Verkehrsmarktes erheblich an Dynamik gewinnen. Zum einen stellte der Europäische Gerichtshof im Urteil seiner am 22. Mai 1985 beschiedenen Klage des EG-Parlaments gegen den Europäischen Rat heraus, letzterer habe 1s Haupt u. a., 1985, S. 45 ff. 79

Haupt u. a., 1985, S. 51; so auch Rommel, 1985, S. 19.

so Anhang 1 des 2. Memorandums. Kritisch hierzu Ackermann,l986, S. 69.

st Haupt u. a., 1985, S. 48. s2 Ebenda, S. 50. Es muß allerdings gefragt werden, weshalb eine solche Bevorzugung der nationalen Fluggesellschaften gerechtfertigt sein sollte. s3 Ebenda, S. 48.

90

4. Ordnungsrahmen für den grenzüberschreitenden Regionalluftverkehr

es entgegen seiner Verpflichtung aus dem EWG-Vertrag "unterlassen, die Dieostleistungsfreiheit auf dem Gebiet des internationalen Verkehrs sicherzustellen und die Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmen zum Verkehr innerhalb eines Mitgliedstaates, in dem sie nicht ansässig sind, festzulegen" 84• Darüberhinaus stellte der Europäische Gerichtshof ein Jahr später im Fall "Nouvelles Frontieres" 85 fest, daß alle Wettbewerbsbestimmungen des EWGVertrages grundsätzlich auch auf den Luftverkehr Anwendung fanden. Diesem Urteil ging ein mehrjähriger Rechtsstreit zwischen dem französischen Reiseunternehmen "Nouvelles Frontieres" und der Republik Frankreich voraus. Nouvelles Frontieres hatte in Kooperation mit der Fluggesellschaft Air Lanka aus Ceylon im Jahre 1981 Billigtickets für weltweite Langstreckenflüge vertrieben, ohne für diese Tarife die Genehmigung des Ministers für Zivilluftfahrt eingeholt zu haben; die Genehmigungspflicht für Flugtarife war nach dem französischen Luftverkehrsgesetz vorgeschrieben 86• Vor dem Europäischen Gerichtshof konnte sich Frankreich mit seiner Auffassung, diese Vorschrift befände sich im Einklang mit den Wettbewerbsregeln des EWG-Vertrages, nicht durchsetzen und unterlag schließlich in diesem letztinstanzliehen Verfahren. Der Ministerrat geriet daraufhin in zunehmenden Maße unter Entscheidungsdruck. Dieses zum einen, weil die EG-Kommission drohte, ihren Entwurf für eine Wettbewerbsordnung zurückzuziehen, in dem die Möglichkeit von Freistellungen von den Wettbewerbsregeln für den Fall vorgesehen war, daß eine ausreichende Flexibilität der Kapazitäten, der Tarife und des Marktzuganges gewährleistet sei 87 • Eine Zurücknahme dieses Entwurfes hätte die unbeschränkte Anwendung der Wettbewerbsregeln der EG zur Folge gehabt 88 und damit die Marktsteilung manches staatlichen Carriers gefährden können 89• Zweitens konnte die Kommission unter Berufung auf dieses Urteil zehn der größten Fluggesellschaften der Gemeinschaft nunmehr förmlich auffordern, bestimmte wettbewerbswidrige Praktiken (z. B. Poolabsprachen und Tarifvereinbarungen) 90 abzustellen 91• Für 84 EurGerH, 1985, S. 1603. Weiterführende Hinweise zu den Konsequenzen dieses Urteils siehe Rogge, S. 310 . 85 EurGerH, 1986, S. 1457-1473. 86 Vgl. zu dieser Verhandlung die Schlußanträge des Generalstaatsanwalts Carl Otto Lenz vom 24. 9. 1985 (Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes, 1986, Band 2, S. 1427 ff.). 87 Vgl. Ziefer, 1987, S. 158. 88 Ebenda. 89 Tatsächlich blieb die Kommission bei ihrem Entwurf, der am 14.12.1987 im Rahmen des gleich zu betrachtenden Liberalisierungspakets vom Rat verabschiedet wurde; vgl. EG-Rat, (c). 90 Vgl. auch Biermann, 1987, S. 182. Poolabsprachen sind Vereinbarungen über den gemeinsamen Betrieb auf einer Strecke, in einem bestimmten Gebiet sowie über die Aufteilung von Einnahmen und I oder Ausgaben sowie die Aufteilung des Verkehrs nach Schlüsselwerten (Zantke, 1985, S. 335). 91 EG-Kommission, 1989, S. 6.

4.3 EG-Luftverkehrspolitik seit 1985

91

den Fall, daß die Carrier dieser Forderung nicht nachkämen, drohte die Kommission mit Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof92 • Drittens schließlich dürfte das Inkrafttreten der Einheitlichen Akte zur Änderung und Ergänzung des Römischen Vertrages zur Schaffung eines gemeinsamen Marktes bis 1993 einen entscheidenden Anstoß für die beschleunigte Fortentwicklung der europäischen Luftverkehrspolitik gegeben haben: sie sieht die Verwirklichung des Binnenmarktes ausdrücklich auch für den Luftverkehr vor 93 • Im Dezember 1987 einigten sich die EG-Verkehrsminister nach langwierigen, hartnäckig geführten Diskussionen 94 auf das am l. l. 1988 in Kraft getretene Gesamtpaket zur Liberalisierung des Linienluftverkehrs 95 , das bis zum 31.12.1992, also dem Zeitpunkt der Vollendung des EG-Binnenmarktes, Gültigkeit hat. Diese Beschlüsse gehen inhaltlich erheblich weiter als etwa die bereits am 19.12.1986 verabschiedeten Memoranden der ECAC 96 zur Tarifbildung und Kapazitätsaufteilung 97 und dürften als deutlichster Fortschritt auf dem Weg zum gemeinsamen Verkehrsmarkt angesehen werden 98 • Konkret ermöglicht dieses Paket eine liberalere Gestaltung 1. der angebotenen Kapazitäten, 2. der Verkehrsnetze, 3. des Marktzugangs (auf nachfragestarken Routen), 4. des Verkehrs der fünften Freiheit, und 5. der Preisbildung. Die wichtigsten Neuerungen sollen im Folgenden kurz dargestellt werden; eine ausführlichere Wertung wird sich anschließen.

Kuhne, 1988, S. 78. Vgl. EG-Kommission, 1989, S. 6. 94 Bis zuletzt vor allem zwischen Großbritannien und Spanien über den verkehrsrechtlichen Status von Gibraltar (Biermann, 1987, S. 183; Kuhne, 1988, S. 78), was den Beschluß beinahe zum Scheitern gebracht hätte. 95 EG-Rat, 1987 (a), 1987 (b), 1987 (c). Das Verfahren zur Anwendung der Wettbewerbsregeln besteht aus zwei Verordnungen. Die erste Verordnung (Nr. 3975/87 des Rates vom 14.12. 87) regelt u. a. Untersuchungs- und Sankttionsbefugnisse der Kommission, die zweite (EG-Rat, 1987 (c)) sieht verschiedene Möglichkeiten der Freistellung von Art. 85 EWG-Vertrag vor). 96 European Civil Aviation Conference =Europäische Zivilluftfahrt-Konferenz (weiterführend Zantke, 1985, S. 170 f. 97 Vgl. Wedekind, 1988, S. 210 f.; Kuhne, 1988, S. 78; zum Inhalt der ECAC-Memoranden ausführlicher etwa Ziefer, 1987, S. 150 ff. siehe auch Nüßer u. a, 1989, S. 30. 98 Seidenfus, 1988, S. 38; Hirn (1989, S. 122) spricht von einem "Meilenstein" auf dem Weg zum EG-Binnenmarkt. 92 93

92

4. Ordnungsrahmen für den grenzüberschreitenden Regionalluftverkehr

ad 1 (Kapazitäten): Die angebotene Sitzkapazität eines Carriers der dritten und vierten Freiheit durfte ab 1.1.1988, also dem lokrafttreten der Richtlinie, bis zum 30.9.1988 mit Anspruch auf Genehmigung von den bislang üblichen 50% zunächst einseitig auf die Relation 55% zu 45% der Gesamtkapazität angehoben werden, danach -also seit dem 1.10.1988 -um weitere 5 Prozentpunkte auf das Verhältnis 60% zu40% 99 • Nach Art. 6 Abs. 3 dieser Ratsentscheidung gilt die quotenmäßige Anrechnung "nicht für den Flugverkehr zwischen einem Flughafen der Kategorie 1 und einem Regionalflugplatz (nach der wenig hilfreichen Nomenklatur des Rates also Flughäfen der Kategorie 2 oder 3, Verf.), wenn Luftfahrzeuge mit höchstens 70 Passagiersitzen eingesetzt werden" 100• Damit ist der Expansionsspielraum für den grenzüberschreitenden Regionalluftverkehr in den aufkommensstarken Relationen (sofern also nicht zwei "Provinzen" 101 des Luftverkehrs miteinander verbunden werden) praktisch unbegrenzt. ad 2 (Luftverkehrsnetze): Nach Art. 6Abs. 1 dürfendie Fluggesellschaften seit 1.1.1988 "Flugliniendienste der dritten oder vierten Freiheit zwischen Flughäfen oder Flughafensystemen der Kategorie 1 im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats und Regionalflugplätzen im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats" mit Anspruch auf Genehmigung einrichten 102 • Gemäß Art. 6 Abs. 4 gilt dabei der Grundsatz der Reziprozität. Der von den Regionalcarriern seit langem erhobenen Forderung nach Freigabe der Dienste zu den Metropolen des Luftverkehrs wurde damit Rechnung getragen. ad 3 (Marktzugang): Waren bislang in aller Regel die staatlichen Fluggesellschaften einziger designierter Luftverkehrsanbieter ihres jeweiligen Heimatlandes, können nunmehr auf bestimmten Routen zwei oder mehr Carrier eines Landes operieren. Die Voraussetzungen hierfür ergeben sich aus Art. 5 der Ratsentscheidung; danach ist eine Mehrfachbenennung auf der Basis von Städtepaaren möglich -

im Jahr 1988 für Strecken, auf denen 1987 mehr als 250.000 Passagiere befördert wurden,

EG-Rat, 1987 (b), Art. 3 Abs. 2, 3. Mit dem Begriff "Regionalflughafen" meint der Rat die Flughäfen der Kategorie 2 und 3 (Vgl. Art. 2 Buchstabe k der Ratsentsch.). 101 Der Verf. setzt den Begriff "Provinz" des Luftverkehrs der Bezeichnung "Regionalflughafen" (im Sinne der vorigen Fußnote) gleich. 102 Ausnahmen bestehen für einige Regionalflugplätze (Vgl. Art. 6, Abs 2). Flughafensystem sind nach Art. 2 Buchst. k der Ratsentscheidung zwei oder mehr Flughäfen, die "gemeinsam derselben Stadt, die sie bedienen, zugeordnet sind", z. B. London (Heathrow, Gatwick, Stansted), Paris (C. D. G., Orly). 99

100

4.3 EG-Luftverkehrspolitik seit 1985

93

-

im Jahr 1989 für Strecken, in denen 1988 mindestens 200.000 Passsagieee befördert wurden oder mehr als 1.200 Hin- und Rückflüge stattfanden, und

-

ab 1990 für Strecken, auf denen 1989 mindestens 180.000 Passagiere befördert wurden oder mehr als 1.000 Hin- und Rückflüge stattfanden.

ad 4 (Verkehr der fünften Freiheit): Die Gewährung von Verkehrsrechten der fünften Freiheit, die bislang fast ausnahmslos für Langstreckencarrier aus Übersee 103 existierte, ist nunmehr auch zwischen den EG-Staaten möglich. Die wichtigsten Zulassungsvoraussetzungen sind in Art. 8 Abs. 1 Buchst. b) - d) der Ratsentscheidung geregelt. Danach muß der betreffende Flugdienst ( 1) die Erweiterung oder Vorstufe eines Flugdienstes aus dem Mitgliedsland kommend bzw. dorthin führend sein, (2) wobei nur einer der beiden Auslandsflughäfen der Kategorie 1 angehören und (3) der Carrier auf der Auslandsteilstrecke nicht mehr als 30% seiner Jahreskapazität für die Beförderung von Fluggästen einsetzen darf. Nicht einbezogen sind gern. Art. 8 Abs. 3 Dienste von oder nach Spanien. Für alle bisher genannten Punkte (1-4) gilt nach Art. 10 dieser Ratsentscheidung, daß es den Mitgliedstaaten unbenommen bleibt, bilateral noch weitergehende Vereinbarungen zu treffen oder aufrechtzuerhalten. ad 5 (Preisbildung): Auch die im Dezember 1987 verabschiedete Tarifrichtlinie des Rates brachte verschiedene Neuerungen. Inhaltlich umfaßt die Richtlinie Regelungen zur Flexibilisierung der Tarifgenehmigungsverfahren (bzw. über Schlichtungsverfahren bei Nichtgenehmigung), um- wie es im Vorwort heißt- "Märkte zu erschließen und den Bedürfnissen der Benutzer besser zu entsprechen" 104• Auch sollen die Fluggesellschaften"veranlaßt werden, ihre Kosten zu überwachen, ihre Produktivität zu steigern und in bezug auf Entgelte und Leistung günstige Flüge anzubieten" 105 • Zum einen können nach Art. 3 der Richtlinie Normaltarife "in einem angemessenem Verhältnis zu den langfristig voll zugewiesenen Kosten des antragstellenden Luftfahrtunternehmens" gestaltet werden. Ausdrücklich stellt nunmehr die Tatsache, daß ein zweiter Carrier auf der betreffenden Strecke einen höheren Normaltarif verlangt, keinen hinreichenden Grund mehr für ein Versagen der Genehmigung dar 106• Mit anderen Worten: Verbilligte Normaltarife, die der antragstellende Carrier aufgrund seiner günstigeren Kostensituation anbieten 103 104 105

106

Kuhne, 1988, S. 81. EG-Rat, 1987 (a), Vorwort der Richtlinie. Ebenda. Art. 3 Satz 3 der Richtlinie.

94

4. Ordnungsrahmen für den grenzüberschreitenden Regionalluftverkehr

kann, sind von der Gegenseite zu genehmigen. Wird die Genehmigung versagt, wird nach Art. 7 der Tarifrichtlinie ein Schiedsgerichtsverfahren angewandt. Zum zweiten sind zwei Arten von Sondertarifen automatisch genehmigt: die "Discount-Tarife", die innerhalb der in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie vorgesehenen "Rabatt-Zone" liegen (90%-65% des Normaltarifs), und die "deep-discountTarife", die innerhalb der Super-Rabattzone im Bereich zwischen 65% und 45% des Normaltarifs angewandt werden können. Beide Tarifklassen unterliegen bestimmten Einschränkungen, die im Anhang II der Tarifrichtlinie konkretisiert sind 107 • Neu ist dabei, daß diese Ermäßigungen auch als "off-peak-Tarife" Anwendung finden können; diese sind zwar ebenfalls restriktiven Bedingungen ausgesetzt 108 , der früheste Rückflug unterliegt jedoch nicht der ansonsten obligatorischen Wochenendbindung 109• Es bleibt den Mitgliedstaaten darüberhinaus nach Art. 6 der Richtlinie freigestellt, auf bilateraler Ebene noch flexiblere Regelungen zu vereinbaren oder aufrechtzuerhalten. Zwar betreffen die soeben betrachteten Ratsentscheidungen den Linienflugverkehr zwischen den EG-Staaten und damit zugleich Teile des grenzüberschreitenden Regionalluftverkehrs; es wurde aber gezeigt, daß sich die Freigabe der Verkehrsrechte und Kapazitäten ausdrücklich nur auf den Interregionalluftverkehr zwischen einem Flughafen der Kategorie 1 und einem der Klasse 2 oder 3 bezieht. Nicht berücksichtigt wurden internationale Regionalflugverbindungen, die keinen Knotenflughafen der Kategorie 1 berühren; ihre wettbewerbliehe Gestaltung richtet sich zunächst weiter nach der eher restriktiven Richtlinie des Rates für den interregionalen Linienflugverkehr von 1983, in der erweiterten Fassung 110 der Richtlinie 86/416/EWG aus dem Frühjahr 1986 111 • Bereits 1986 unterbreitete die EG-Kommission dem Rat einen Vorschlag zur Änderung dieser Richtlinie 112 , der Anfang 1988 nach einigen Änderungsanträgen des Europäischen Parlaments erneut überarbeitet wurde 113 , um die vom Rat zu verabschiedende Richtlinie an die gelockerten Bestimmungen des Liberalisierungspakets vom Dezember 1987 anzupassen: jenes Paket machte einige Forde101 Auf die damit zusammenhängenden Aspekte der Preisdifferenzierung wird noch ausführlich eingegangen. 108 Der Begriffoff-peak ("außerhalb der Reisezeit") wird in der Anlage zur Tarifrichtlinie definiert. Bedingung ist, daß auf der betreffenden Strecke täglich insgesamt mindestens drei Hin- und Rückflüge (bzw. 18 im Wochenschnitt) durchgeführt werden. Offpeak-Tarife dürfen nur auf max. 50% der täglichen Flüge eines Carriers angewandt werden, sofern der Beginn dieser Flüge zwischen 10 und 16 Uhr bzw. 21 und 6 Uhr liegen muß. 109 Vgl. Kuhne, 1988, S. 80. 110 Darin geht es lediglich um eine Ergänzung, die den in der Zwischenzeit erfolgten Beitritt Spaniens und Portugals in die EG berücksichtigt. 111 EG-Rat, 1986. 112 EG-Kommission, 1986. m EG-Kommission, 1988.

4.3 EG-Luftverkehrspolitik seit 1985

95

rungen des Kommissionsvorschlages von 1986 entbehrlich. Nach Auffassung der Kommission sollten die zu erlassenden Bestimmungen 114 -

"mehr Gewicht auf die Einrichtung direkter Flugdienste ( . . . ) als auf indirekte Flugdienste legen";

-

dabei sollten Direktverbindungen "nicht mit der Begründung abgelehnt werden, daß bereits ein Flugdienst zwischen benachbarten Flughäfen besteht";

-

auch sei es "angebracht, die Gültigkeitsdauer der Zulassungen auf fünf Jahre zu verlängern, damit die Unternehmen die Kosten für die Einrichtung neuer Flugdienste decken können".

Die wichtigsten Änderungsvorschläge der Kommission umfaßten im wesentlichen folgendes: (1) ersatzlose Streichung der 400-Kilometer-Regel, (2) ersatzlose Streichung von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie, wonach der Genehmigungsautomatismus für Verbindungen b zwischen Flughäfen der Kategorie 2 und 3 entfiel, wenn im Umkreis von 50 km vom Quell- oder Zielflughafen der begehrten Direktverbindung ein anderer Flughafen lag, von dem aus bereits Linienverbindungen zu einem der beiden Flughäfen bestanden. (3) Angleichung der Tarifbildungs-, Genehmigungs- und Schlichtungsverfahren an die Bestimmungen der Tarifrichtlinie vom 14.12.1987, und (4) Ausdehnung der Gültigkeitsdauer für die Zulassungen zum Linienverkehr auf mindestens 5 Jahre. Mittlerweile deutet einiges darauf hin, daß sich der Rat diesen Varschlägen

!m wesentlichen anschließen wird und damit die Verkehrsrechtsfreigabe für den

grenzüberschreitenden Regionalluftverkehr nicht mehr auf Verbindungen zu Flughäfen der Kategorie 1 beschränkt ist, sondern sich nahezu gleichermaßen auch auf Direktdienste im Regionalluftverkehr zwischen zwei Flughäfen, die der Kategorie 2 oder 3 angehören, erstreckt. Ob für letztere Dienste eine Freistellung von der kapazitiven Anrechnung- analog zum Liberalisierungspaket von 1987 - erfolgen wird, bleibt abzuwarten.

Welche konkreten wettbewerbliehen Auswirkungen ergeben sich nunmehr für den grenzüberschreitenden Regionalluftverkehr bzw. sind in naher Zukunft zu erwarten? Die entscheidende Neuerung liegt in der Kapazitätenfreigabe für Gerät bis 70 Sitze auf den wirtschaftlich besonders attraktiven Verbindungen zu den Knotenflughäfen der Kategorie 1; hiervon werden sowohl Regional- als auch Ergänzungsluftverkehr profitieren. 114

EG-Kommission, 1988, S. 2.

96

4. Ordnungsrahmen für den grenzüberschreitenden Regionalluftverkehr

Zunächst ist davon auszugehen, daß die großen Carrier ihr ohnehin schon breitgefächertes Betätigungsfeld im Regionalluftverkehr weiter ausbauen werden 115 • Durch eigene Regionaltöchter bzw. mit eigenem oder gechartertem Gerät bis 70 Sitzen, falls erforderlich auch per Kooperation mit eigenständigen Regionalcarriem, werden sie bestrebt sein, die bestehenden Zubringerdienste zu den Knotenflughäfen auszubauen bzw. neue Zubringerdienste einzurichten. Besonders interessant ist die nunmehr gegebene Möglichkeit, auf in Frage kommenden Strecken das bisher eingesetzte größere Jetgerät durch 70-sitziges Kleingerät zu substituieren. Hierdurch ist nicht nur eine effizientere Auslastung zu erwarten; auch das Flugangebot kann wegen Nichtanrechnung fast beliebig ausgebaut werden. Dies läßt sich in der Praxis bereits beobachten: z. B. wurde auf der Strecke Hamburg-Kopenhagen noch bis vor wenigen Jahren ausschließlich Jetgerät von SAS und LH verwendet, während heute ausschließlich Propellergerät unter 70 Sitzplätzen zum Einsatz kommt. Damit wurde diese Verbindung zwar - unserer Definition zufolge - zum Regionalluftverkehr "degradiert", was dem Kunden aber insofern zugute kommt, als anstelle von Tagesrandverbindungen mit Jetgerät nunmehr die Anzahl der täglichen Flüge erhöht wurde und damit die Auswahlmöglichkeiten der Passagiere verbessert wurden 116• Ein weiteres Betätigungsfeld für den Regionalluftverkehr hat sich durch die nunmehr ermöglichte Mehrfachdesignierung ergeben. Die Zulassungsvoraussetzungen für Mehrfachdesignation sind relativ locker: unterstellt man auf einer bestimmten Strecke lediglich einen werktäglichen Morgen- und einen Abendflug, wäre der seit 1990 geltende Schwellenwert von 1000 Hin- und Rückflügen bereits erreicht 117, sodaß hier ein weiterer Carrier tätig werden könnte. Je nachdem, ob der zuerst designierte Anbieter Gerät über oder unter 70 Sitze einsetzt, ergibt sich ein potentielles Geschäftsfeld für den neudesignierten Carrier, der bei Verwendung von Gerät bis 70 Sitze im ersten Fall Ergänzungs-, im zweiten Fall Regionalluftverkehr betreiben würde. In jedem der angenommenen Fälle würde die Anzahl der Anbieter einer Strecke und damit die Konkurrenz erhöht werden, was aus Nachfragersicht zweifellos vorteilhaft ist. So auch Kuhne, 1988, S. 79. In je stärkerem Ausmaß sich dieser Substitutionsprozeß fortsetzt, desto mehr muß gefragt werden, ob eine isolierte Betrachtung des Regionalluftverkehrs als eigenständiger Teilbereich des Linienflugverkehrs überhaupt noch gerechtfertigt ist, da nämlich mit fortschreitender Entwicklung dieses Prozesses die Indikatorfunktion des eingesetzten Geräts für das Ausmaß der Nachfrage einer Strecke sukzessiv in den Hintergrund tritt. Bislang hat die in Kapitell vorgestellte Definition dennoch Gültigkeit; das entscheidende Argument für ihre Richtigkeit liegt darin, daß bei ausreichend hoher Nachfrage anstelle der 8 werktäglichen Hin- und Rückflüge auf der Strecke Hamburg-Kopenhagen nicht achtmal eine 50-sitzige F 50, sondern achtmal täglich ein hundertsitziger (oder größerer) Jet zum Einsatz käme. Ein Beschaffungsengpaß für größeres Jetgerät besteht derzeit nicht, z. B. kann entsprechendes Gerät kurzfristig geleast werden; bereits in Kapitel 1 wurde darauf hingewiesen, daß das Leasinggeschäft für jegliches Linienfluggerät derzeit blüht. Vgl. etwa D. Claassen, ,.Das Super-Luftgeschäft", in: Wirtschaftswoche Nr. 18, 28.4.1989, s. 62-65. 117 Vgl. Kuhne, 1988, S. 79. 115

116

4.3 EG-Luftverkehrspolitik seit 1985

97

Drittens muß die mittlerweile auch zwischen den EG-Staaten bestehende Möglichkeit des Verkehrs der fünften Freiheit als eine Verbesserung für den Regionalluftverkehr bezeichnet werden. Hervorzuheben ist die damit verbundene Möglichkeit, zwei aufkommensschwache Strecken so miteinander zu verknüpfen, daß sie zu einem Dienst mit Zwischenstop zusammengeführt werden und die freigebliebene Sitzkpapzität des ersten Flugabschnitts (max. 30%, s. o.) durch Zusteiger auf dem zweiten Flugabschnitt aufgefüllt wird 118 • Beispielsweise könnte die British Airways die Regionalflüge Glasgow (Kat. 2) - Düsseldorf (Kat. 1) und Glasgow-Neapel (Kat. 2) zu einem Dienst Glasgow-Neapel über Düsseldorf zusammenfassen, d. h. in Düsseldorf neue Passagiere an Bord nehmen und damit die Kapazitätsauslastung erhöhen 11 9. Einschränkend ist anzumerken, daß - wie weiter oben gezeigt wurde - nur einer der Auslandsflughäfen zur Kategorie I gehören darf; solange es den Regionaldiensten zwischen Flughäfen der Kategorien 2 und 3 an einer ebenso freizügigen Regelung wie im Liberalisierungspaket von 1987 mangelt, muß der Knotenflughafen der "Zwischenflughafen" sein (wie im vorigen Beispiel), wollen die Regionalfluganbieter nicht den restriktiven Genehmigungsvoraussetzungen nach der Richtlinie von 1983 unterliegen. Abschließend ist auf die erhöhte Flexibilität der Tariffestlegung kurz einzugehen. Die Sondertarife innerhalb der vorgestellten Tarifmargen werden von verschiedenen Carriern schon seit längerer Zeit und unter verschiedenen Namen angewandt. Durch die neue Tarifrichtlinie können Spezialtarife jetzt im gesamten Streckennetz innerhalb des Geltungsbereichs der EG angewendet und auch kurzfristig variiert werden, ohne daß hierfür die Genehmigung des Partnerlandes erforderlich ist; vor Inkrafttreten dieser Richtlinie galt das double-approvalPrinzip, wonach ein Land das Recht hatte, der Fluggesellschaft des Partnerlandes die Genehmigung eines Spezialtarifs zu versagen. Etwas anderes gilt für die Normaltarife, die erstmals ausdrücklich den Kosten des Carriers anzupassen sind 120 • Allerdings haben die Fluggesellschaften dabei bestimmte Faktoren zu berücksichtigen, wie etwa die Notwendigkeit einer angemessenen Kapitalverzinsung, die Tarife anderer dieselbe Strecke bedienender Unternehmen, aber auch die Notwendigkeit zur Vermeidung von Dumpingpreisen 121 • Bis zu welchem Ausmaß und in welcher Höhe die Carrier von kostenorientierten Tarifkürzungen Gebrauch machen werden bleibt abzuwarten. Zurecht weist Kuhne darauf hin, daß diese Frage "auch von Funktion und EntscheidungsEbenda, S. 81. In Anlehnung an ein Beispiel von Kuhne, 1988, S. 81. 120 Die Schwierigkeiten der Kostenzurechnung auf eine bestimmte Strecke soll hier nicht vertieft behandelt werden. Diese Problematik erstreckt sich weniger auf die Zurechnung der variablen Kosten (wie etwa Lande- oder Abstellgebühren, Treibstoffverbrauch etc) als vielmehr auf die Zuordnung der Fixkosten. 121 Gern. Art. 3 der Tarifrichtlinie vom 14.12.1987. 11s

119

7 Giese

98

4. Ordnungsrahmen für den grenzüberschreitenden Regionalluftverkehr

befugnis des bei Meinungsverschiedenheiten eingeschalteten Schiedsgerichts" 122 abhänge; seiner Meinung nach dürften genehmigungsfähige Reduzierungen der Normaltarife bis 10% als realistisch angesehen werden 123 • Der gezielte Einsatz verbilligter Normaltarife wird insbesondere auf denjenigen Strecken zum Tragen kommen, deren Verkehrsaufkommen und Bedienungshäufigkeit die Designierung mehrerer Carrier rechtfertigt, sodaß in erster Linie hier ein wachsendender Preiswettbewerb in Betracht käme. Dieser würde die Fluggesellschaften in zunehmenden Maße zu Kosteneinsparungen und Bemühungen zur Steigerung der Produktivität veranlassen, um diese Kostenvorteile über verbilligte Normaltarife an den Verbraucher weitergeben zu können. Weil jedoch Normaltarife auch künftig von dem aus Anbietersieht bedeutsamsten Marktsegment der vollzahlenden Geschäftsreisenden-die die wichtigste Einnahmequelle der Liniencarrier darstellen - in Anspruch genommen werden, wäre es unrealistisch, nunmehr auf breiterem Feld des EG-Streckennetzes von einem sinkenden Tarifniveau auszugehen. Verbilligte Normaltarife bzw. signifikante Unterschiede im Tarifniveau werden voraussichtlich auf wenige Hauptstrecken beschränkt bleiben, deren Aufkommen den Markteintritt neuer, innovativer Anbieter überhaupt erst erlauben. Insgesamt gesehen ermöglicht das Liberalisierungspaket vom Dezember 1987 primär einen Ausbau der Luftverkehrsnetze, indem vorrangig Verbindungen zwischen den Knotenflughäfen und den kleineren Flughäfen der Kategorie 2 und 3 auf- und ausgebaut werden; die Aufnahme solcher Dienste ist unabhängig von Flugzeuggröße und Mindestentfernung frei. Weil derartige Verbindungen, sofern sie mit Gerät unter 70 Sitzen betrieben werden, nicht in die Gesamtkapazität eingehen, ist mit einer nachhaltigen Belebung des internationalen Regional- und Ergänzungsluftverkehrs zu rechnen. Hingegen werden von den neuen Tarifbestimmungen weniger die Geschäftsreisenden als vielmehr die Privatreisenden profitieren, die Hauptadressat der Sondertarife sind; Sondertarife können nunmehr flächendeckend angeboten werden und sind damit breiteren Teilen der Öffentlichkeit zugänglich. Die Vollendung des Binnenmarktes wird auch für den Luftverkehr nach 1992 dazu führen, daß sich die Verkehrsnetze der einzelnen Carrier sukzessive überschneiden 124• Deutsche Regionalfluggesellschaften erhalten dann das Recht, direkte Regionalflugverbindungen auch zwischen zwei ausländischen EG-Ländern sowie darüberhinaus als Kabotageverkehr innerhalb eines anderen Mitgliedslandes durchzuführen. Gleiches gilt für EG-Carrier, die Regionaldienste innerhalb der Bundesrepublik betreiben wollen. Letztlich werden der zunehmende Wettbewerb und die damit einhergehende Gefahr von Überkapazitäten 125 auf den betref122 123 124 12s

Kuhne, 1988, S. 80. Ebenda. Ebenda, S. 81. Vgl. Biermann, 1987, S. 185.

4.3 EG-Luftverkehrspolitik seit 1985

99

fenden Strecken dazu führen, daß manche Anbieter aus dem Markt gedrängt werden und im gemeinsamen Markt nur die leistungsfähigen Fluggesellschaften verbleiben. Sicherlich haben nach 1992 nur diejenigen Regionalcarrier gute Marktchancen, die über Möglichkeiten zur Kooperation mit den großen, internationalen Fluggesellschaften verfügen (die ohnehin den Hauptanteil der Verkehrsrechte innehaben), insbesondere was die Nutzung computergesteuerter Reservierungs- und Vertriebssysteme angeht 126• Regionalcarrier, denen diese Kooperationsmöglichkeiten verwehrt bleiben, werden auf längere Sicht nur unter der Voraussetzung auf dem Markt bestehen können, daß sie zur Bedienung nachfrageschwacher und damit wirtschaftlich unattraktiverer Routen bereit sind, deren Aufkommen den größeren Regionalcarrier nicht lohnenswert erscheint 127 •

Kuhne, 1988, S. 81; Biermann, 1987, S. 184. Das eingesetzte Gerät auf solchen Strecken wird dementsprechend kleiner, wahrscheinlich deutlich unter 30 Sitzen, ausfallen. Die Frage nach der wirtschaftlichen Unabhängigkeit der kleineren Carrier sollte indes nicht über die Maßen strapaziert werden. Völlig zu Recht resümmiert Biermann (1987, S. 184) deshalb: ,,Es wird in Zukunft ( . . . ) mehr transversale regionale Strecken abseits der Verkehrshauptachsen geben, was für den einzelnen Passagier sicherlich begrüßenswert ist. Ob der Anbieter auf der einzelnen Strecke ein unabhängiger Regionalcarrier ist oder die Tochtergesellschaft einer nationalen Airline, kann dem Verbraucher letztlich gleichgültig sein". 126 121

7*

5. Multilaterale Vereinbarungen als Gestaltungsrahmen für den internationalen Schienenpersonenverkehr 5.1 Das Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) vom 9.5.1980 unter besonderer Berücksichtigung der Tarifvorschriften 5.1.1 Ursprung des COTIF Während der heutige Linienflugverkehr in Europa primär internationalen Charakter hat, gilt für die Eisenbahnen eher das Gegenteil: sie sind Verkehrsträger, deren Dienstleistung normalerweise an der eigenen Staatsgrenze endet 1• Dies hat zur Folge, daß bei grenzüberschreitenden Verbindungen das durchführende Eisenbahnunternehmen i. d. R. wechselt 2 , wobei auf dem Grenzbahnhof die Anhänger der Abgangsbahn 3 von Lokomotive und Zugführungspersonal der Bestimmungsbahn übernommen werden. Eisenbahnverbindungen, die mehrere Länder durchqueren, bedingen von daher ein koordiniertes Dienstleistungs- und Abrechnungssystem 4 der betreffenden Eisenbahngesellschaften im Innenverhältnis zueinander sowie im gemeinsamen Auftreten gegenüber dem Kunden 5 • Vor diesem Hintergrund ergab sich auch für den internationalen Eisenbahnverkehr das Erfordernis einer vertraglich fundierten Rechtsgrundlage. Bereits im Jahre 1893 trat das erste "Internationale Übereinkommen über den Bisenbahn-Frachtverkehr (CIM 6)" in Kraft, dem 1928 das erste "Internationale 1

Vgl. etwa Schmuck, 1988, S. 92.

Vgl. Preise, 1984, S. 825. 3 Die Bezeichnung Abgangs- und Bestimmungsbahn bezieht sich auf den Personenverkehr; im Güterverkehr spricht man von Versand- bzw Empfangsbahn. Dazwischen können eine oder mehrere Transitbahnen geschaltet sein (vgl. Preise, 1984, S. 825). Entsprechend wäre auf der Verbindung Harnburg-Meran die DB Abgangsbahn, die ÖBB Transitund die Italienische Staatsbahn die Bestimmungsbahn. 4 Auf das Verrechnungssystem soll hier nicht weiter eingegangen werden. Nur soviel sei angemerkt: nach Art. 56 der Einheitlichen Rechtsvorschriften zum internationalen Personen- und Gepäckverkehr (Anhang A des COTIF-Abkommens) hat jede Eisenbahn den Beteiligten anderen Bahnen den ihnen zukommenden Anteil an dem Beförderungspreis zu zahlen. Als Rechnungseinheit wird das Sonderziehungsrecht nach Definition des Internationalen Währungsfonds herangezogen. s Preise, 1984, S. 825. 6 CIM: Convention internationale concernant le transport des marchandises par ehernins de fer. 2

5.1 Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIP)

101

Übereinkommen über den Eisenbahn-Personen- und Gepäckverkehr (CIV 7)" und 1973 ein ,,Zusatzübereinkommen zur CIV über die Haftung der Eisenbahn für Tötung und Verletzung von Reisenden" folgten 8• CIV und CIM wurden in periodischen Abständen revidiert und auf den neuesten Stand gebracht, also an die sich verändernden Bedürfnisse des internationalen Eisenbahnverkehrs angepaßt 9 • Die wohl bedeutsamste Revisionskonferenz fand im Mai 1980 statt. Im Verlauf dieser Konferenz wurden die genannten Basisabkommen inhaltlich von Grund auf überarbeitet und neu strukturiert 10• Dabei wurden die grundlegenden Tatbestände in vereinheitlichter Form in das neugeschaffene "Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF 11)" übernommen 12 • Die beförderungsrechtlichen Bestimmungen hingegen finden sich als "Einheitliche Rechtsvorschriften CIV" und "Einheitliche Rechtsvorschriften CIM" in den Anhängen A und B des COTIF-Abkommens. Im Verlauf dieser Revisionskonferenz gaben sich die Vertragsländer darüberhinaus durch die Schaffung der "OTIF" 13 eine mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattete, dauerhafte und von daher gegenüber dem früheren Zustand auch effizientere 14 Verwaltungsorganisation, die nach Art. 1 § 2 des COTIF "insbesondere Verträge schließen, bewegliches und unbewegliches Vermögen erwerben und veräußern sowie klagen und verklagt werden kann". Das COTIF-Abkommen trat zum 1. Mai 1985 in Kraft; ihm sind bislang 34 Staaten beigetreten, zu denen neben den europäischen Ländern (außer dem europäischen Teil der Sowjetunion) auch einige nordafrikanische und vorderasiatische Staaten gehören 15 •

7 CIV: Convention internationale concemantale transportdes voyageursetdes bagages par ehernins de fer. s Vgl. OTIF, 1987, S. 1. 9 Ebenda. 10 Vgl. Preise, 1984, S. 828. 11 Convention relative aux transports intemationaux ferroviaires. Inhalt siehe OCTI, 1980, im folgenden- wenngleich sprachlich nicht ganz korrekt- zitiert und bezeichnet als "COTIP-Abkommen". 12 Preise, 1984, S. 828; OTIF, 1987, S. 1. 13 Organisation intergouvernementale pour les transport intemationaux ferroviaires (zwischenstaatliche Organisation für den internationalen Eisenbahnverkehr, vgl. Art. 1 § 1 COTIF). 14 Zwar soll auf institutionelle Einzelheiten nicht näher eingegangen werden; der Vollständigkeit halber sei jedoch erwähnt, daß die Vertragsstaaten zuvor völkerrechtlich eine Verwaltungsunion mit nur eingeschränkter Rechtspersönlichkeit darstellte, die "trotz ihrer ständigen Aufgabe rechtlich jeweils nur für einige Jahre konstituiert (Preise, 1984, S. 828) und "bei jeder Gesamtrevision der Übereinkommen formell neu geschaffen werden (mußte, Verf.)" (ebenda). 15 Zu den nicht-europäischen Signarstaaten gehören Irak, Iran, Libanon, Syrien, Tunesien und Algerien. Quelle: OTIP, 1987, S. 3.

102

5. Multilaterale Vereinbarungen im Schienenpersonenverkehr

5.1.2 Tarifvorschriften und Sonderabmachungen Die wichtigsten Vorschriften zur Tarifbildung im internationalen Schienenpersonenverkehr ergeben sich aus Art. 5 der Einheitlichen Rechtsvorschriften CIV 16, ergänzt durch Art. 6 § 1 der Einheitlichen Rechtsvorschriften CIM 17, wonach "Fracht und Nebengebühren ( ... ) gemäß den in jedem Staat zu Recht bestehenden ( ... ) Tarifen zu berechnen" sind. Letztere Regelung, die in gleicher Weise auch für internationale Personentarife gilt 18 >