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German Pages 959 [960] Year 2009
de Gruyter Lehrbuch
Rechtsschutz im Öffentlichen Recht Herausgegeben von
Dirk Ehlers Friedrich Schoch Bearbeitet von Dirk Ehlers Friedrich Schoch Stefan Kadelbach Christian Tietje Stefan Mückl Christian Walter Hermann Pünder Arno Scherzberg Rainer Wernsmann
De Gruyter Recht · Berlin
Zitiervorschlag: z. B. Kadelbach in: Ehlers/Schoch, Rechtsschutz im ÖR, § 2 Rn 32
∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 978-3-89949-497-6 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Copyright 2009 by De Gruyter Rechtswissenschaften Verlags-GmbH, D -10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Datenkonvertierung/Satz: WERKSATZ Schmidt & Schulz, Gräfenhainichen Druck und Bindearbeiten: AZ Druck und Datentechnik, Kempten Umschlaggestaltung: deblik, Berlin
Vorwort Recht vermag in der Regel nur dann reale Kraft zu entfalten, wenn es im Streitfall gerichtlich durchgesetzt werden kann. Deshalb kommt der Frage des Rechtsschutzes in jedem Gemeinwesen eine herausragende Bedeutung zu. Zum Rechtsschutz im Öffentlichen Recht sind bisher nur Darstellungen erschienen, die sich mit einer bestimmten Rechtsebene befassen: dem Völkerrecht, dem Europarecht, dem nationalen Verfassungsrecht, dem nationalen Verwaltungsrecht oder Teilen dieser Rechtsgebiete. Demgegenüber unternimmt es das vorliegende Lehrbuch, die wesentlichen Rechtsschutzfragen des internationalen, europäischen und nationalen Rechts in einem Werk abzuhandeln. Damit soll der Verschränkung der verschiedenen Ebenen Rechnung getragen und dem Leser erstmalig ein umfassender Überblick in einer Gesamtdarstellung verschafft werden. Das Lehrbuch gliedert sich in fünf Teile, die sich mit dem Rechtsschutz im allgemeinen Völkerrecht (durch den Internationalen Gerichtshof sowie die Streitbeilegungsgremien der Internationalen Pakte, der Welthandelsorganisation und der Investitionsschutzverträge), im europäischen Völkerrecht (durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte), dem Europäischen Unions- und Gemeinschaftsrecht (durch den Europäischen Gerichtshof), im Verfassungsrecht (durch das Bundesverfassungsgericht und die Landesverfassungsgerichte) sowie dem Allgemeinen Verwaltungsrecht (durch die Verwaltungsgerichte) befassen. Eingegangen wird in den einzelnen Beiträgen jeweils auf die Zulässigkeit und die Begründetheit des behandelten Rechtsbehelfs. Mitberücksichtigt werden auch der vorläufige Rechtsschutz und das Widerspruchsverfahren nach der Verwaltungsgerichtsordnung. Den Beiträgen sind jeweils Ausführungen zur Funktion und Bedeutung der Rechtsbehelfe vorangestellt worden. Das Lehrbuch wendet sich in erster Linie an Studierende und Referendare, möchte aber zugleich der Wissenschaft und der Praxis Orientierung und Impulse vermitteln. Ihm liegt ein einheitliches didaktisches Konzept zugrunde. Die systematischen Ausführungen werden in allen Beiträgen durch eingearbeitete Fälle und Lösungen ergänzt. Die zumeist der Rechtsprechung entnommenen Fälle und Lösungen sollen nicht nur zur Veranschaulichung beitragen, sondern auch den Leser in die Lage versetzen, sich den Stoff selbstständig zu erarbeiten und auf einen Lebenssachverhalt anzuwenden. Sie dienen damit zugleich der Selbstkontrolle. Berücksichtigt wurden Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur bis zum Anfang des Jahres 2009. Teilweise konnten auch spätere Veröffentlichungen noch eingearbeitet werden. Zum Zeitpunkt der Abgabe der Manuskripte stand noch nicht fest, ob der Vertrag von Lissabon in Kraft treten wird. Die Darstellung des Lehrbuchs orientiert sich am geltenden Recht, bezieht aber den Vertrag von Lissabon durchgehend ein. Viele der zitierten Gerichtsentscheidungen sind in der Jura-Kartei (JK) der Ausbildungszeitschrift „JURA“ wiedergegeben und kommentiert worden. Die gesamte Kartei kann als CD-ROM beim Verlag bezogen werden. Das Werk ist eine Gemeinschaftsarbeit von neun Autoren. Die Herausgeber danken den Verfassern, dass sie bereit waren, sich in die Gesamtkonzeption einzufügen und auch terminlich einzubringen. Die umfangreichen redaktionellen Arbeiten sind von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts für öffentliches Wirtschaftsrecht der Westfälischen Wilhelms-Uni-
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Vorwort
versität Münster durchgeführt worden. Ihnen sei auch an dieser Stelle vielmals gedankt. Besonders zu nennen ist Frau Alexa Surholt, die alle Arbeiten koordiniert hat. Für Stellungnahmen und kritische Hinweise sind Herausgeber und Autoren dankbar. Sie können auch auf elektronischem Wege übermittelt werden ([email protected]; [email protected]).
Münster und Freiburg, im Juni 2009 Dirk Ehlers
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Friedrich Schoch
Autorenverzeichnis Dr. Dirk Ehlers (Professor an der Universität Münster) §6 §7 §8 §9 § 10 § 17 § 21 § 22 § 23 § 24 § 25 § 26 § 27
Anforderungen an den Rechtsschutz nach dem Europäischen Unions- und Gemeinschaftsrecht Vertragsverletzungsklage Nichtigkeitsklage Untätigkeitsklage Schadensersatzklage Organstreitverfahren Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutzanträge Verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage Verwaltungsgerichtliche Verpflichtungsklage Allgemeine verwaltungsgerichtliche Leistungsklage Verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage Verwaltungsgerichtliche Fortsetzungsfeststellungsklage Verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle
Dr. Stefan Kadelbach (Professor an der Universität Frankfurt a.M.) §2 §5
Rechtsschutz durch die Vereinten Nationen, insbesondere nach dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
Dr. Stefan Mückl (apl Professor an der Universität Freiburg) § 14 § 15
Kommunale Verfassungsbeschwerde Abstrakte Normenkontrolle
Dr. Hermann Pünder (Professor an der Bucerius Law School, Hamburg) § 18
Föderative Streitigkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht
Dr. Arno Scherzberg (Professor an der Universität Erfurt) § 13
Individualverfassungsbeschwerde
Dr. Friedrich Schoch (Professor an der Universität Freiburg) § 12 § 19
Vorläufiger Rechtsschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht Vorläufiger Rechtsschutz durch das Bundesverfassungsgericht
VII
Autorenverzeichnis
§ 20 § 28 § 29 § 30
Widerspruchsverfahren Verwaltungsgerichtlicher Organstreit Aufschiebende Wirkung und verwaltungsgerichtliches Aussetzungsverfahren Verwaltungsgerichtliche einstweilige Anordnung
Dr. Christian Tietje (Professor an der Universität Halle-Wittenberg) §3 §4
Rechtsschutz und Streitbeilegung in der Welthandelsorganisation Internationaler Investitionsrechtsschutz
Dr. Christian Walter (Professor an der Universität Münster) §1
Rechtsschutz durch den Internationalen Gerichtshof
Dr. Rainer Wernsmann (Professor an der Universität Passau) § 11 § 16
VIII
Vorabentscheidungsverfahren Konkrete Normenkontrolle
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
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. V . VII . XI . XXXV . XLV
1. Teil: Rechtsschutz im allgemeinen Völkerrecht §1 §2 §3 §4
Rechtsschutz durch den Internationalen Gerichtshof (Walter) . . . . . . Rechtsschutz durch die Vereinten Nationen, insbesondere nach dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Kadelbach) Rechtsschutz und Streitbeilegung in der Welthandelsorganisation (Tietje) Internationaler Investitionsrechtsschutz (Tietje) . . . . . . . . . . . . .
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Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Kadelbach) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Teil: Rechtsschutz im europäischen Völkerrecht §5
3. Teil: Rechtsschutz im Europäischen Unions- und Gemeinschaftsrecht §6
Anforderungen an den Rechtsschutz nach dem Europäischen Unions- und Gemeinschaftsrecht (Ehlers) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 7 Vertragsverletzungsklage (Ehlers) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 8 Nichtigkeitsklage (Ehlers) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 9 Untätigkeitsklage (Ehlers) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 10 Schadensersatzklage (Ehlers) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 11 Vorabentscheidungsverfahren (Wernsmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . § 12 Vorläufiger Rechtsschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht (Schoch) .
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273 343 363 383 407 423 455
4. Teil: Rechtsschutz im Verfassungsrecht § 13 § 14 § 15 § 16 § 17 § 18 § 19
Individualverfassungsbeschwerde (Scherzberg) . . . . . . . . . . . . . Kommunale Verfassungsbeschwerde (Mückl) . . . . . . . . . . . . . . Abstrakte Normenkontrolle (Mückl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konkrete Normenkontrolle (Wernsmann) . . . . . . . . . . . . . . . . Organstreitverfahren (Ehlers) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Föderative Streitigkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht (Pünder) . Vorläufiger Rechtsschutz durch das Bundesverfassungsgericht (Schoch)
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IX
Inhaltsübersicht
5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht § 20 Widerspruchsverfahren (Schoch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 21 Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutzanträge (Ehlers) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 22 Verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage (Ehlers) . . . . . . . . . . . . . § 23 Verwaltungsgerichtliche Verpflichtungsklage (Ehlers) . . . . . . . . . . . . § 24 Allgemeine verwaltungsgerichtliche Leistungsklage (Ehlers) . . . . . . . . . § 25 Verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage (Ehlers) . . . . . . . . . . . . . § 26 Verwaltungsgerichtliche Fortsetzungsfeststellungsklage (Ehlers) . . . . . . . § 27 Verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle (Ehlers) . . . . . . . . . . . . . . § 28 Verwaltungsgerichtlicher Organstreit (Schoch) . . . . . . . . . . . . . . . . § 29 Aufschiebende Wirkung und verwaltungsgerichtliches Aussetzungsverfahren (Schoch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 30 Verwaltungsgerichtliche einstweilige Anordnung (Schoch) . . . . . . . . . .
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Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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485 521 603 641 659 673 699 725 745
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
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. V . VII . IX . XXXV . XLV
1. Teil Rechtsschutz im allgemeinen Völkerrecht § 1 Rechtsschutz durch den Internationalen Gerichtshof I. Begriff und Entwicklung der internationalen Gerichtsbarkeit . . . . . 1. Internationale Gerichtsbarkeit, internationale Schiedsgerichtsbarkeit und andere quasi-gerichtliche Streitbeilegungsverfahren . . . . . . . 2. Der Ständige Internationale Gerichtshof (1921–1946) . . . . . . . 3. Die Entwicklung der Internationalen Gerichtsbarkeit nach 1945 . . II. Rechtsstellung des Internationalen Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . 1. Der Internationale Gerichtshof als „Hauptrechtsprechungsorgan“ der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. IGH-Statut als eigener völkerrechtlicher Vertrag . . . . . . . . . . . 3. Statut, Verfahrensordnung und „Practice Directions“ . . . . . . . . 4. Verhältnis zum Sitzstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verhältnis zu anderen Organen der Vereinten Nationen (insb Sicherheitsrat) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Organisation des Internationalen Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . 1. Zahl, Qualifikation und Rechtsstellung der Richter . . . . . . . . . 2. Wahl der Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Plenum und Kammern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rolle der Präsidenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kanzlei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Streitige Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Parteifähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundsätzliche Bedeutung des Konsensprinzips . . . . . . . . . . . 3. Die einzelnen Formen der Zuständigkeitsbegründung . . . . . . . . a) Vertragliche Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zustimmung nach Klageerhebung und forum prorogatum . . . . c) Fakultativklausel (Art 36 II IGH-Statut) . . . . . . . . . . . . . d) Das Sonderproblem der Vorbehalte zur Fakultativklausel . . . . 4. Einzelfragen des Verfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ad-hoc-Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Widerklage (counter-claim) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Intervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Nichterscheinen einer Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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XI
Inhaltsverzeichnis
5. Urteile, Urteilswirkungen und Durchsetzung . . . . . . . . a) Rechtskraft und Rechtskraftdurchbrechung . . . . . . . b) Internationale Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . c) Nationale Durchsetzung im deutschen Verfassungsrecht V. Gutachtenverfahren (Art 96 UN-Charta) . . . . . . . . . . . VI. Ausblick: Der IGH und die wachsende Bedeutung spezieller Streitbeilegungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 2 Rechtsschutz durch die Vereinten Nationen, insbesondere nach dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte I. Funktion und Bedeutung des Rechtsschutzes durch die Vereinten Nationen 1. System des Menschenrechtsschutzes durch die Vereinten Nationen . . . a) Zuständigkeiten der Vereinten Nationen nach der UN-Charta . . . . b) Vertraglicher Menschenrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Mit Individualbeschwerden befasste Ausschüsse . . . . . . . . . . 2. Das Individualbeschwerdeverfahren vor dem Menschenrechtsausschuss II. Zulässigkeit einer Beschwerde zum Menschenrechtsausschuss . . . . . . . III. Begründetheit der Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 3 Rechtsschutz und Streitbeilegung in der Welthandelsorganisation I. Funktion und Bedeutung der Rechtsschutzmechanismen im Welthandelsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entwicklung und Grundstrukturen der Welthandelsordnung . . . . . . b) Entwicklung des Rechtsschutzsystems im GATT 1947 . . . . . . . . . c) Grundstrukturen und tatsächliche Bedeutung des WTO-Rechtsschutzsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das WTO-Rechtsschutzverfahren im Überblick . . . . . . . . . . . . . . a) Konsultationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Panelverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfahren vor dem Appellate Body . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zulässigkeit eines Panelverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorverfahren (Konsultationen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weitere Sachentscheidungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Terms of References . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuständigkeit ratione personae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) WTO-Mitglieder als Beschwerdeführer und Beschwerdegegner . . . (2) Dritte Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Unterstützung durch Rechtsanwälte und Aufgaben des Advisory Centre on WTO Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zuständigkeit ratione materiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Res iudicata und konkurrierende Zuständigkeitsklauseln . . . . . . . . e) Multiple Complaints und Counterclaims . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begründetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
§ 4 Internationaler Investitionsrechtsschutz I. Funktion und Bedeutung des internationalen Investitionsrechtsschutzes 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Funktion und Bedeutung des internationalen Investitionsrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundstrukturen der unterschiedlichen Rechtsschutzmöglichkeiten ausländischer Investoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Entwicklung und Grundlagen der gemischten Investitionsschiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Strukturmerkmale der Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzelne schiedsgerichtliche Institutionen und Verfahren . . . . . . (1) ICSID . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Internationale Handelskammer (ICC) . . . . . . . . . . . . . . (3) Schiedsgerichtsinstitut der Stockholmer Handelskammer (SCC-Institute) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) UNCITRAL Arbitration Rules . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einleitung und Zulässigkeit eines ICSID Schiedsgerichtsverfahrens . . . 1. Einleitung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einreichung der Schiedsklage und Registrierung . . . . . . . . . . b) Bestellung der Schiedsrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahrensgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zulässigkeit (Jurisdiction) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuständigkeit ratione personae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zuständigkeit ratione materiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Investition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Investition im Einklang mit der innerstaatlichen Rechtsordnung (3) Rechtsstreit bzw Meinungsverschiedenheit . . . . . . . . . . . . (4) Treaty v. Contract Claim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zuständigkeit ratione temporis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Weitere mögliche Zulässigkeitsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gerichtsstandklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Obligatorische Verhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Prozessuale Wirkung einer Meistbegünstigungsklausel . . . . . f) Schlüssigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begründetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Funktion und Bedeutung des europäischen Menschenrechtsschutzes . . . . 1. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte . . . . . . . . . . . . .
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2. Teil Rechtsschutz im europäischen Völkerrecht § 5 Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
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Inhaltsverzeichnis
2. Die Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Innerstaatlicher Status . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und die Wirkung seiner Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Innere Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ablauf des Individualbeschwerdeverfahrens . . . . . . . . . . . . . . d) Wirkungen der Urteile des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zulässigkeit einer Individualbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Partei- und Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers . . . . . . . . . . . 2. Beschwerdebefugnis (Opfereigenschaft) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtswegerschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beschwerdefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Keine Anonymität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Keine rechtskräftige oder anderweitige Anhängigkeit in derselben Sache 8. Kein Missbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Keine Unvereinbarkeit mit der Konvention . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Keine offensichtliche Unbegründetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begründetheit einer Individualbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prüfungsabfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Freiheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Justizgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Handlungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gleichheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Teil Rechtschutz im Europäischen Unions- und Gemeinschaftsrecht § 6 Anforderungen an den Rechtsschutz nach dem Europäischen Unionsund Gemeinschaftsrecht I. II. III. IV.
Der gemeinschaftliche Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Rechtsschutz in der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . Der nationale Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Rechtsschutz im Falle des Zusammenwirkens der Europäischen Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verklammerung des gemeinschaftlichen und nationalen Gerichtsschutzes . . VI. Die Gerichtsbarkeit der Europäischen Gemeinschaften und der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Die Rechtsschutzformen, Verfahrensarten und gerichtlichen Kontrollbefugnisse der Gemeinschafts- bzw Unionsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Das Verfahren vor dem EuGH und dem Gericht erster Instanz . . . . . . .
XIV
134 134 135 136 140 147 149 150
Inhaltsverzeichnis
§ 7 Vertragsverletzungsklage I. Funktion und Bedeutung der Vertragsverletzungsklage . . . . . . . . . II. Zulässigkeit der Vertragsverletzungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit und des Europäischen Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Parteifähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Klagegegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Durchführung eines Vorverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorverfahren im Rahmen einer Klage nach Art 226 EGV (258 AEUV-E) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Mahnschreiben der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Begründete Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorverfahren im Rahmen einer Klage nach Art 227 EGV (259 AEUV-E) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Klagebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Klagegegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Ordnungsgemäße Klageerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Rechtsschutzinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begründetheit der Vertragsverletzungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Wirkungen des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Funktion und Bedeutung der Nichtigkeitsklage . . . . . . . . . . . . . . . II. Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit, des Europäischen Gerichtshofs und des Gerichts erster Instanz . . . . . . . . . . . . . . . 2. Parteifähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aktive Parteifähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Passive Parteifähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Klagegegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtlich existente Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zurechenbarkeit zur Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsbindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Außenwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ausklammerung vertragsbezogener Handlungen . . . . . . . . . . . f) Ausklammerung der Entscheidungen nach Art 62 Nr 1 EGV . . . . g) Klagegegenstand im Falle der Erhebung von Klagen natürlicher oder juristischer Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Klagebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Privilegierte Träger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Klagebefugnis des Rechnungshofs und der Europäischen Zentralbank c) Klagebefugnis der natürlichen oder juristischen Personen . . . . . . (1) Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Unmittelbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 8 Nichtigkeitsklage
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XV
Inhaltsverzeichnis
(3) Individualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Kasuistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Rechtsprechungstendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Vertrag von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Klagegegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fristbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fristablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Ordnungsgemäße Klageerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Rechtsschutzinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begründetheit der Nichtigkeitsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verletzung wesentlicher Formvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ermessensmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verletzung des Vertrages oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Wirkungen des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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203 203 203 204
§ 9 Untätigkeitsklage I. Funktion und Bedeutung der Untätigkeitsklage . . . . . . . . . . . II. Zulässigkeit der Untätigkeitsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit, des Europäischen Gerichtshofs und des Gerichts erster Instanz . . . . . . . . . . . . 2. Parteifähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aktive Parteifähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Passive Parteifähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Klagegegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ordnungsgemäße Durchführung des Vorverfahrens . . . . . . . . 5. Klagebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Klagegegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Ordnungsgemäße Klageerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Rechtsschutzinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begründetheit der Untätigkeitsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Wirkungen des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 10 Schadensersatzklage I. Funktion und Bedeutung der Schadensersatzklage . . . . . . . . . . II. Zulässigkeit der Schadensersatzklage . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs und des Gerichts erster Instanz . . . . . . . . . . . . 2. Parteifähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aktive Parteifähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Passive Parteifähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XVI
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Inhaltsverzeichnis
3. 4. 5. 6. 7. 8.
Klagegegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klagebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klagegegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ordnungsgemäße Klageerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsschutzinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verhältnis zur Nichtigkeits- und Untätigkeitsklage . . . . . . . . . . b) Verhältnis zu den nationalen Rechtsbehelfen . . . . . . . . . . . . . III. Begründetheit der Schadensersatzklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Handeln der Gemeinschaftsorgane oder ihrer Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Art und Umfang des Ersatzanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Wirkungen des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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206 207 207 207 209 209 210 211 213
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213 214 216 216 217 217
I. Funktion und Bedeutung im Rechtsschutzsystem der Gemeinschaft . . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtstatsächliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zulässigkeit einer Vorlage an den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorlageberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorlagegrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entscheidung über die Auslegung des Vertrages (Art 234 I a EGV; 267 I a AEUV-E) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entscheidung über die Gültigkeit und Auslegung der Handlungen der Gemeinschaftsorgane (Art 234 I b EGV; 267 I b AEUV-E) . . . . . . . 3. Entscheidungserheblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz: Maßgeblichkeit der Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kein Vorrang der Sachverhaltsaufklärung vor dem Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bindungswirkung von Entscheidungen eines Obergerichts? . . . . . . . d) Keine Präklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Begründungserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sachentscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prüfungsinhalt und Tenor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entscheidungswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vorlageberechtigung oder Vorlagepflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorlagepflicht für letztinstanzliche Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorlagepflicht bei Verwerfung von sekundärem Gemeinschaftsrecht . . . 3. Ausnahmsweise übergangsweise Anwendung gemeinschaftsrechtswidrigen nationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
219 219 220 222 222 223 224
§ 11 Vorabentscheidungsverfahren
224 225 226 226 227 228 231 233 233 234 234 236 236 237 238
XVII
Inhaltsverzeichnis
4. Vorlage im vorläufigen Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kein Verwerfungsmonopol des EuGH für gemeinschaftsrechtswidriges nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Vorlagepflicht . . . . . . . . . . . 1. Rechtsschutz vor nationalen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragsverletzungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Durchbrechung der Bestandskraft gemeinschaftsrechtswidriger Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Staatshaftung der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Hinweise zur Falllösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 12 Vorläufiger Rechtsschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht I. Funktion und Bedeutung des vorläufigen Rechtsschutzes im EG-Recht 1. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. System des vorläufigen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Funktionen des vorläufigen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . II. Zulässigkeit des Eilantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . 2. Sachliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anhängigkeit des Hauptsacheverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . a) Akzessorietät zwischen Eilverfahren und Hauptsacheverfahren . b) Zulässigkeit der Hauptsacheklage . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Klagen nach dem EU-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Antragsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Antragsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Form des Eilantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Antragsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begründetheit des Eilantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Maßstabsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entscheidungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Notwendigkeit des vorläufigen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . b) Dringlichkeit des vorläufigen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . (1) Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Schwere des Schadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Irreversibilität des Schadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Zeitliche Schadensnähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Glaubhaftmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Entscheidung und Entscheidungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entscheidungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abänderungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XVIII
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4. Teil Rechtsschutz im Verfassungsrecht § 13 Individualverfassungsbeschwerde I. Funktion und Bedeutung der Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . II. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ordnungsgemäßer Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schriftform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Substantiierungserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . 3. Beteiligtenfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Natürliche Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Juristische Personen des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . e) Ausländische juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Verfahrensgewährleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Prozessfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beschwerdegegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Deutsche öffentliche Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tun oder Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Legislative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Judikative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Beschwerdebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Möglichkeit der Grundrechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . b) Art der Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Selbst betroffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gegenwärtig betroffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Unmittelbar betroffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Rechtswegerschöpfung und Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtswegerschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorabentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Einwand der Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begründetheit der Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prüfungsgegenstand und Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . 2. Prüfungsumfang und Prüfungsdichte . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kontrolle gerichtlicher Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . b) Kontrolle von Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kontrolle legislativer Prognosen und Wertungen . . . . . . . . . . 3. Grundrechtsverletzung – Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . 4. Prüfung der Grundrechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abwehr imperativer und mittelbar-faktischer Freiheitsbeeinträchtigungen („klassische“ Eingriffsabwehr) . . . . . . . . . . . . . . .
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XIX
Inhaltsverzeichnis
(1) Bestimmung des Schutzbereiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Grundrechtserheblichkeit der Beeinträchtigung (sog Eingriff) . . . (3) Verfassungsmäßigkeit der Beeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . (a) Rechtsgrundlage der Grundrechtsbeeinträchtigung . . . . . . . (b) Schranken-Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Verbot des grundrechtseinschränkenden Einzelfallgesetzes, Art 19 I 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Zitiergebot, Art 19 I 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Übermaßverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (g) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (dd) Wesensgehalts- und Institutsgarantie, Art 19 II GG . . . . (ee) Sonstiges Verfassungsrecht, insbesondere Bestimmtheitsgrundsatz und Rückwirkungsverbot . . . . . . . . . . . . b) Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bestehen der Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Schutzpflichtauslösende Gefährdungslage . . . . . . . . . . . . . . (3) Maß und Umfang der Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gleichheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) (Un-)Gleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verfassungsmäßigkeit der (Un-)Gleichbehandlung . . . . . . . . . IV. Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Annahme der Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sachentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Urteil oder Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mehrheit, Sondervotum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolgenausspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Nichtigkeitsausspruch bzw Aufhebung . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Unvereinbarkeitserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Appellentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Entscheidungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
316 319 321 322 324 324 325 326 326 326 326 327 328 329 331 332 332 333 334 335 335 339 339 339 339 340 340 340 340 341 342
§ 14 Kommunale Verfassungsbeschwerde I. Funktion und Bedeutung der kommunalen Verfassungsbeschwerde II. Zulässigkeit der kommunalen Verfassungsbeschwerde . . . . . . . 1. Parteifähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prozessfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beschwerdegegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beschwerdebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zulässiges Rügepotential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Betroffenheit des Beschwerdeführers . . . . . . . . . . . . . . c) Möglichkeit der Rechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . 5. Subsidiarität der (bundesrechtlichen) kommunalen Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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343 344 344 348 348 351 352 353 354
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Inhaltsverzeichnis
6. Rechtswegerschöpfung und (allgemeine) Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Beschwerdefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begründetheit der kommunalen Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . IV. Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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358 359 360 360
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I. Funktion und Bedeutung der konkreten Normenkontrolle . . . . . . . . . . 1. Arten der Normenkontrollverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorlagekonkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtstatsächliche Bedeutung und Aktenzeichen . . . . . . . . . . . . . II. Zulässigkeit der konkreten Normenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorlageberechtigung: Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorlagegegenstand: Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nur formelle nachkonstitutionelle Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . b) Normen des Gemeinschaftsrechts und Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Grundrechte als Prüfungsmaßstab für sekundäres Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Sekundäres Gemeinschaftsrecht als Gesetz iSd Art 100 I GG? . . . (3) Innerstaatliche Umsetzungsakte von Gemeinschaftsrecht (Richtlinien) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unterlassen und gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss . . . . . 3. Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes . . . . . . . . . 4. Entscheidungserheblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verhältnis zu anderen Vorlageverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorlage in gerichtlichen Eilverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
383 384 385 385 386 387 387 388 388
§ 15 Abstrakte Normenkontrolle I. Funktion und Bedeutung der abstrakten Normenkontrolle II. Zulässigkeit des Antrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ordnungsgemäßer Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antragsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Antragsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Antragsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Divergenz in der Normenhierarchie . . . . . . . . . b) Grad der Überzeugung vom Bestehen der Divergenz 5. Objektives Klarstellungsinteresse . . . . . . . . . . . . 6. Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begründetheit des Antrags . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 16 Konkrete Normenkontrolle
392 392 394 395 397 398 398 398 399 400
XXI
Inhaltsverzeichnis
d) Prognose der Fortgeltung einer verfassungswidrigen Norm e) Gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss . . . . . . . 5. Begründungserfordernisse (§ 80 II BVerfGG) . . . . . . . . 6. Kein Verfahrenshindernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begründetheit der konkreten Normenkontrolle . . . . . . . . . IV. Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Aufbauschema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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400 400 403 403 403 404 406
I. Funktion und Bedeutung des bundesverfassungsgerichtlichen Organstreitverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zulässigkeit des Antrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ordnungsgemäßer Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beteiligungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Oberste Bundesorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Andere Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verlust der Beteiligungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Antragsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Antragsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eigene Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prozessstandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Geltendmachung einer Verletzung oder unmittelbaren Gefährdung 5. Passive Prozessführungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Antragsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Begründetheit des Antrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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407 408 408 408 409 409 412 412 414 415 416 417 417 417 419 420 420
I. Überblick und historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundgesetzbezogener Bund-Länder-Streit (Art 93 I Nr 3 GG) . . . . . . . 1. Funktion und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Partei- und Prozessfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Statthaftigkeit der Verfahrensart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Beschränkung auf grundgesetzbezogene föderative Verfassungsstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Abgrenzung zwischen verfassungsrechtlichen und nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Vorlagepflichten des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundessozialgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antragsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Mögliche Verletzung oder Gefährdung von subjektiven Verfassungsrechten, die im Bundesstaatsprinzip wurzeln . . . . . . . . . . . . . (2) In Betracht kommende Verfahrensgegenstände . . . . . . . . . . .
423 424 424 426 427 429
§ 17 Organstreitverfahren
§ 18 Föderative Streitigkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht
XXII
429 430 431 431 432 433
Inhaltsverzeichnis
III.
IV.
V.
VI.
d) Mängelrügeverfahren als Vorverfahren bei Streitigkeiten um die Ausführung von Bundesgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ordnungsgemäße Antragstellung, Antragsrücknahme . . . . . f) Antragsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Begründetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonstiger Bund-Länder-Streit (Art 93 I Nr 4 Alt 1 GG) . . . . . . . 1. Funktion und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Statthaftigkeit der Verfahrensart und Subsidiarität des bundesverfassungsgerichtlichen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . 3. Begründetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Streit zwischen Bundesländern (Art 93 I Nr 4 Alt 2 GG) . . . . . . . 1. Funktion und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Parteifähigkeit und Vertretungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . b) Statthaftigkeit der Verfahrensart und Subsidiarität des bundesverfassungsgerichtlichen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . c) Sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . 3. Begründetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Landesinterne Streitigkeiten (Art 93 I Nr 4 Alt 3 GG) . . . . . . . . 1. Funktion und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Parteifähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Statthaftigkeit der Verfahrensart und Subsidiarität des bundesverfassungsgerichtlichen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . c) Sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . 3. Begründetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prüfungsschema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 19 Vorläufiger Rechtsschutz durch das Bundesverfassungsgericht I. Funktion und Bedeutung des verfassungsgerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die einstweilige Anordnung im System des verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Funktionen der einstweiligen Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bedeutung der einstweiligen Anordnung in der Praxis . . . . . . . . . . II. Zulässigkeit des Eilantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zuständigkeit des BVerfG („Rechtsweg“) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antragserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Statthaftigkeit des Eilantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beteiligtenfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Antragsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zeitpunkt der Antragstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
7. Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Vorwegnahmeverbot der Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . III. Begründetheit des Eilantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entscheidungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abwägungsmodell des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Maßstabsverschärfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausnahmen vom Abwägungsmodell – summarisches Verfahren 5. Kritik am Abwägungsmodell des BVerfG . . . . . . . . . . . IV. Entscheidung und Entscheidungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . 1. Erlass der Eilentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorläufige Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Entscheidungswirkungen und Entscheidungsfolgen . . . . . . . .
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I. Funktion und Bedeutung des Widerspruchsverfahrens . . . . . . . . . . . 1. Das Widerspruchsverfahren als Verwaltungsverfahren und gerichtliches Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zielsetzungen des Widerspruchsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zulässigkeit des Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ordnungsgemäße Erhebung des Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . a) Widerspruchserhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Form der Widerspruchserhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Statthaftigkeit des Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Widerspruchsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Widerspruchsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bekanntgabe des VA und Rechtsbehelfsbelehrung . . . . . . . . . . b) VA mit Drittwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Berechnung der Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verfristeter Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Widerspruchsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ablauf des Verfahrens und Entscheidung über den Widerspruch . . . . . 1. Aufschiebende Wirkung und Devolutiveffekt . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufschiebende Wirkung des Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . b) Devolutiveffekt des Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abhilfeverfahren und Abhilfeentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Entscheidung der Widerspruchsbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erlass des Widerspruchsbescheids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Insbesondere: reformatio in peius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zulässigkeit der reformatio in peius . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Voraussetzungen der reformatio in peius . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtliche Folgen des Widerspruchsbescheids und Rechtsschutz . . . . . 1. Bindungswirkung des Widerspruchbescheids . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Teil Rechtsschutz im Verwaltungsrecht § 20 Widerspruchsverfahren
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Inhaltsverzeichnis
V. Das Widerspruchsverfahren als gerichtliche Sachentscheidungsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Widerspruchsverfahren als gerichtliches Vorverfahren . . . . . . . . . 2. Entbehrlichkeit eines (ordnungsgemäßen) Vorverfahrens . . . . . . . a) Gesetzlicher Ausschluss des Vorverfahrens . . . . . . . . . . . . . b) Richterrechtliche Ausnahmen vom Erfordernis eines Vorverfahrens
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514 514 517 517 519
§ 21 Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutzanträge I. Unterscheidung von Zulässigkeit und Begründetheit . . . . . . . . . . . . . 1. Erforderlichkeit der Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arten der Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einteilung der Sachentscheidungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . 4. Behandlung der Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . II. Ordnungsgemäße Klageerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erhebung einer Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Form der Klageerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bezeichnung des Klägers und des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens . . . . . . . . . . . . 5. Sollensanforderungen der §§ 81, 82 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Deutsche Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Räumlicher Bereich der deutschen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . 2. Personeller Bereich der deutschen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . IV. Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufdrängende Rechtswegzuweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Generalklausel des § 40 I 1 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erfordernis einer Streitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erfordernis einer Rechtsstreitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erfordernis einer nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeit . . . . . . . . d) Erfordernis einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit . . . . . . . . . . . (1) Bezugspunkt des Charakters der Streitigkeit . . . . . . . . . . . . . (a) Maßgeblichkeit einer eindeutigen Rechtswahl der verklagten Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Maßgeblichkeit der Rechtsnatur des Rechtsverhältnisses . . . . (c) Maßgeblichkeit des Rechtsschutzbegehrens bzw der Rechtsnatur der streitentscheidenden Norm (Regelung) . . . . . . . . . . . . (d) Unmaßgebliche Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Unterscheidung des öffentlichen und privaten Rechts . . . . . . . . (3) Geltung des öffentlichen und privaten Rechts . . . . . . . . . . . . (4) Anforderungen an das Rechtsschutzvorbringen . . . . . . . . . . . (5) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Klagen aus Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Klagen gegen Realakte der Verwaltung oder auf Erlass von Realakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Klagen gegen behördliche Hausrechtsmaßnahmen . . . . . . .
521 521 523 524 526 527 528 528 529 530 530 531 531 532 535 536 537 538 540 540 543 546 546 547 547 550 552 553 554 555 556 556 559 560
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561 561 563 563 563 566 567 570 570 571
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571 573 573 574 574 576 577 578 580 581 583 584 587 591 591 592 592 593 593 594 596 598 599 600
I. Funktion und Bedeutung der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage II. Zulässigkeit der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage . . . . . . . 1. Statthaftigkeit der Anfechtungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorliegen eines Verwaltungsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gesetzliche Tatbestandsmerkmale des § 35 VwVfG . . . . . . . . (2) Rechtliche Existenz (äußere Wirksamkeit) eines Verwaltungsaktes b) Teilaufhebung eines Verwaltungsakts . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Isolierte Anfechtungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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603 603 604 604 604 606 608 610
VI. VII.
VIII. IX. X. XI. XII. XIII. XIV.
3. Keine abdrängenden Sonderzuweisungsnormen . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonderzuweisungen an die ordentlichen Gerichte . . . . . . . . (1) Verfassungsrechtliche Zuweisung . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zuweisungen des § 40 II VWGO . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zuweisung der §§ 23 EGGVG, 109 StVollzG . . . . . . . . . (4) Zuweisungen in Bezug auf polizeiliche Maßnahmen . . . . . c) Zuweisung an die Arbeitsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zuweisungen an die Sozial- und Finanzgerichte . . . . . . . . . e) Zuweisungen an Sondergerichtsbarkeiten . . . . . . . . . . . . . 4. Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit für rechtswegfremde Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtswegentscheidung und Rechtswegverweisung . . . . . . . . . Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . Beteiligungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beteiligte des Rechtsstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anforderungen an die Beteiligtenstellung . . . . . . . . . . . . . . a) Natürliche und juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozessfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Keine Rechtshängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Keine rechtskräftige Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kein Ausschluss des Rechtsschutzes durch § 44a VwGO . . . . . . . . Keine schiedsvertragliche Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . Kein Rechtsschutzverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Inhalt und Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten . . . . . . . . . . . . . . 3. Fallgestaltungen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses . . . . . . . . a) Ineffektivität des Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nutzlosigkeit des Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verbot missbilligenswerter Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verfrühter Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Prozessuale Verwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 22 Verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage
XXVI
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d) Anfechtung des Ablehnungs- oder Widerspruchsbescheides . . . . e) Verbindung des Anfechtungsantrags mit weiteren Anträgen . . . . 2. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen der Anfechtungsklage a) Erfolglose, form- und fristgerechte Widerspruchserhebung . . . . . b) Klagebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Erfordernis der Geltendmachung einer eigenen Rechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Vorbehalt anderweitiger gesetzlicher Bestimmungen . . . . . . (3) Einwirkung des Europäischen Gemeinschaftsrechts . . . . . . . c) Richtiger Klagegegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begründetheit der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufbaufragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Klassischer Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Subjektiv-rechtlich orientierter Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . c) Objektiv-rechtlich orientierter Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gerichtliche Kontrolldichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des angefochtenen Verwaltungsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zulässigkeit eines Nachholens oder Nachschiebens von Begründungen 6. Besondere Entscheidungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . . . .
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611 612 613 613 615
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615 620 621 623 625 627 627 628 628 630 631 631
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I. Funktion und Bedeutung der verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsklage II. Zulässigkeit der verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsklage . . . . . . . . 1. Statthaftigkeit der Verpflichtungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verwaltungsaktqualität des begehrten Behördenhandelns . . . . . . . b) Unterscheidung von Versagungsgegenklage und Untätigkeitsklage . . c) Unterscheidung von Vornahmeklage und Bescheidungsklage . . . . . d) Abgrenzung zu anderen Klagearten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen der Verpflichtungsklage . a) Erfolglose, form- und fristgerechte Widerspruchserhebung . . . . . . . b) Klagebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Richtiger Klagegegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begründetheit der verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsklage . . . . . . 1. Aufbaufragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Verpflichtungsbegehrens 3. Urteilsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtskraft des Verpflichtungsurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
641 641 641 642 644 645 646 649 649 650 651 652 652 652 655 656 657
§ 23 Verwaltungsgerichtliche Verpflichtungsklage
§ 24 Allgemeine verwaltungsgerichtliche Leistungsklage I. Funktion und Bedeutung der allgemeinen verwaltungsgerichtlichen Leistungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Zulässigkeit der allgemeinen verwaltungsgerichtlichen Leistungsklage . . . 1. Statthaftigkeit der allgemeinen Leistungsklage . . . . . . . . . . . . . . . a) Vornahmeklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Erklärungen mit Regelungscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Erklärungen ohne Regelungscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Verrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterlassungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen der allgemeinen Leistungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erfolglose, form- und fristgerechte Widerspruchserhebung . . . . . . . b) Klagebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Richtiger Klagegegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begründetheit der allgemeinen verwaltungsgerichtlichen Leistungsklage . .
660 660 661 661 663 664 665 666 666 667 668 669 669 670
§ 25 Verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage I. Funktion und Bedeutung der verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage . II. Zulässigkeit der verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage . . . . . . . . . 1. Statthaftigkeit der Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses . . . . . . . . . (1) Begriff des Rechtsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Vorliegen einer rechtlichen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . (b) Vorliegen rechtlicher Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Entbehrlichkeit weiterer Begriffsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . (a) Vorliegen öffentlich-rechtlicher Beziehungen . . . . . . . . . . . (b) Vorliegen eines Meinungsstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Vorliegen eines konkreten Sachverhalts . . . . . . . . . . . . . . (d) Vorliegen subjektiver Berechtigungen . . . . . . . . . . . . . . . (e) Vorliegen rechtlicher Beziehungen zwischen Kläger und Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (f) Zeitlicher Bezug des Rechtsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . (3) Unterscheidung zwischen Bestehen und Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Subsidiarität der Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen der Feststellungsklage . . a) Erfolglose, form- und fristgerechte Widerspruchserhebung . . . . . . . b) Berechtigtes Feststellungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Allgemeine Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zeitliche Komponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Vorbeugende Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Negative Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Nichtigkeitsfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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673 674 674 674 674 675 676 679 679 679 679 680 680 681 682 682 684 684 688 688 668 689 689 690 692 693 693
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(6) Feststellungsklagen von Verwaltungsträgern und Verwaltungsorganen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Klagebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Richtiger Klagegegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begründetheit der verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage . . . .
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693 693 695 695 695 696
§ 26 Verwaltungsgerichtliche Fortsetzungsfeststellungsklage I. Funktion und Bedeutung der verwaltungsgerichtlichen Fortsetzungsfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zulässigkeit der verwaltungsgerichtlichen Fortsetzungsfeststellungsklage . . 1. Statthaftigkeit der Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erledigung des Verwaltungsakts nach Erhebung einer Anfechtungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erledigung des Verwaltungsakts vor Erhebung einer Anfechtungsklage (1) Bestehen einer Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Planwidrigkeit der Lücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Vergleichbare Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erledigung vor oder nach Erhebung einer Verpflichtungsklage in Form einer Versagungsgegenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Erledigung vor oder nach Erhebung einer Verpflichtungsklage in Form einer Unterlassungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Erledigung eines Realaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Erledigung eines Feststellungsbegehrens . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Erledigung einer Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Erledigung eines Innenrechtsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Erledigung eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes j) Analoge Anwendung des § 113 I 4 VwGO in sonstigen Fällen . . . . . 2. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen der Fortsetzungsfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erfolglose Erhebung eines Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Erledigung nach Klageerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Erledigung vor Klageerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Klagebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fortsetzungsfeststellungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Präjudizinteresse für einen zivilgerichtlichen Schadensersatz- oder Entschädigungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Wiederholungsvorbeugungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Rehabilitationsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Richtiger Klagegegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begründetheit der verwaltungsgerichtlichen Fortsetzungsfeststellungsklage .
699 700 700 700 700 704 705 705 707 707 708 709 710 710 710 710 711 711 712 712 712 712 714 715 715 716 717 718 719 720 721
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§ 27 Verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle I. Funktion und Bedeutung der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle II. Zulässigkeit der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle . . . . . . . 1. Statthaftigkeit der Normenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Überprüfung der Gültigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorschriften aufgrund des BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Analoge Anwendung des § 47 I Nr 1 VwGO . . . . . . . . . . . . . e) Andere untergesetzliche Landesvorschriften . . . . . . . . . . . . . 2. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen der Normenkontrolle . a) Antragsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Natürliche oder juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . (2) Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Anderweitige Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antragsgegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antragsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begründetheit der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle . . . . . . IV. Gerichtliches Verfahren und vorläufiger Rechtsschutz . . . . . . . . . .
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§ 28 Verwaltungsgerichtlicher Organstreit I. Funktion und Bedeutung innerorganisatorischer Rechtsstreitigkeiten 1. Erscheinungsformen des Organstreits . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechte und Pflichten im Verwaltungsorganisationsrecht . . . . b) Beispiele aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterscheidung vom Insichprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kompetenzen als versubjektivierte Rechtspositionen . . . . . . . II. Begriffliche Präzisierung und Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff des Kommunalverfassungsstreits . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung von Außenrechtsstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . a) Klagen außenstehender Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Aufsichtsbehörde . . . . . c) Streit um Zulassung von Bürgerbegehren . . . . . . . . . . . . III. Zulässigkeitsvoraussetzungen beim Kommunalverfassungsstreit . . . 1. Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . a) Verwaltungsrechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Öffentlichrechtliche Streitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Keine verfassungsrechtliche Streitigkeit . . . . . . . . . . . b) Beteiligungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Wehrfähige Innenrechtsposition . . . . . . . . . . . . . . . (3) Beispiele aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Mitglieder der kommunalen Vertretungskörperschaft . . . . (b) Fraktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Ausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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(d) Vertretungskörperschaft . . . . . . . . . . . . (e) Hauptverwaltungsbeamter . . . . . . . . . . c) Prozessfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsschutzform . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anfechtungs- und Verpflichtungsklage . . . . . . b) Allgemeine Leistungsklage . . . . . . . . . . . . c) Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Allgemeine Gestaltungsklage . . . . . . . . . . . e) Normenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Vorläufiger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . 3. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen . . . a) Klagebefugnis und Antragsbefugnis . . . . . . . (1) Anwendungsbereich des § 42 II VwGO . . . . (2) Funktion „eigener“ organschaftlicher Rechte (3) Möglichkeit der Rechtsverletzung . . . . . . (4) Rechtsschutz gegen Verfahrenshandlungen . b) Feststellungsinteresse bei der Feststellungsklage . c) Passive Verfahrensbefugnis . . . . . . . . . . . . 4. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . IV. Begründetheit der Klage . . . . . . . . . . . . . . . .
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764 765 767 767 768 769 770 772 773 775 776 776 776 778 779 780 780 782 782 783
§ 29 Aufschiebende Wirkung und verwaltungsgerichtliches Aussetzungsverfahren I. System und Funktionen des vorläufigen Rechtsschutzes nach der VwGO 1. Verfassungs- und europarechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . a) Verfassungsrechtliche Rechtsschutzgarantie . . . . . . . . . . . . . b) Determinanten des EG-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konzept des vorläufigen Rechtsschutzes nach der VwGO . . . . . . . 3. Funktionen des vorläufigen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . II. Eintritt der aufschiebenden Wirkung kraft Gesetzes . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliche „Suspensionsautomatik“ im System des § 80 VwGO . . . 2. Voraussetzungen für den Eintritt der aufschiebenden Wirkung . . . . a) Angriffsgegenstand: Verwaltungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsbehelf: Anfechtungswiderspruch oder Anfechtungsklage . . 3. Folgen der aufschiebenden Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Dauer der aufschiebenden Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausschluss der aufschiebenden Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzlicher Ausschluss der aufschiebenden Wirkung . . . . . . . . . a) Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten . . . . . . . . . . . (1) Anforderung öffentlicher Abgaben . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Anforderung öffentlicher Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unaufschiebbare Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten . . . . c) Spezialgesetzlicher Ausschluss der aufschiebenden Wirkung . . . . 2. Behördlicher Ausschluss der aufschiebenden Wirkung . . . . . . . . . a) Formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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785 785 786 787 789 790 791 791 792 792 794 796 798 800 800 801 802 804 805 805 807
. .
808
XXXI
Inhaltsverzeichnis
IV.
V.
VI.
VII. VIII.
b) Materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erlass, Inhalt und Folgen der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktion und Bedeutung verwaltungsgerichtlicher Eilverfahren . . . . . . . 1. Verfassungs- und europarechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Praktische Bedeutung verwaltungsgerichtlicher Eilverfahren . . . . . . . 3. Formen des vorläufigen Rechtsschutzes und gerichtliche Entscheidungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zulässigkeit des Eilantrags im Aussetzungsverfahren . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsschutzformvoraussetzungen für den statthaften Eilantrag . . . . . a) Grundkonstellation: Anfechtung eines Verwaltungsakts . . . . . . . . b) Feststellungsantrag bei der „faktischen Vollziehung“ . . . . . . . . . . c) Anträge beim Verwaltungsakt mit Drittwirkung . . . . . . . . . . . . d) Auslegung und Umdeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . a) Einlegung eines Rechtsbehelfs in der Hauptsache . . . . . . . . . . . . b) Antragsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Passive Verfahrensbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gerichtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Antragsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begründetheit des Eilantrags im Aussetzungsverfahren . . . . . . . . . . . . 1. Problem der Maßstabsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Interessenabwägung mit (summarischer) Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik an Beliebigkeit und Dezisionismus . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung im zweiseitigen Rechtsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung . . . . . . . . . . . . . b) Anordnung der aufschiebenden Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfassungsrechtliche und europarechtliche Besonderheiten . . . . . . 3. Eilentscheidung beim Verwaltungsakt mit Drittwirkung . . . . . . . . . . 4. Sonstige Fallgestaltungen im Aussetzungsverfahren . . . . . . . . . . . . Entscheidungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtswirkungen und Folgen der Eilentscheidung . . . . . . . . . . . . . . 1. Bindungswirkung der Eilentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gerichtliches Abänderungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
811 813 814 815 816 817 820 821 822 822 823 824 825 826 826 827 828 828 829 830 833 833 834 836 837 838 839 839 841 844 845 847 847 848
§ 30 Verwaltungsgerichtliche einstweilige Anordnung I. Funktion und Bedeutung der einstweiligen Anordnung . . . . . . . . 1. Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung der einstweiligen Anordnung in der Praxis . . . . . . . . 3. Abgrenzung zwischen einstweiliger Anordnung und aufschiebender Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXXII
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II. Zulässigkeit des Eilantrags nach § 123 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsschutzformvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . 4. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begründetheit des Eilantrags nach § 123 VwGO . . . . . . . . . . . . . . 1. Entscheidungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anordnungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anordnungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Entscheidungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Richterliche Gestaltungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorwegnahmeverbot (hM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik: Zulässigkeit der vorläufigen Maßnahmevorwegnahme . . . . c) Ausnahme: Irreversible Maßnahmevorwegnahme . . . . . . . . . . . V. Rechtswirkungen und Folgen der einstweiligen Anordnung . . . . . . . . 1. Rechtskraft und Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vollstreckbarkeit der einstweiligen Anordnung . . . . . . . . . . . . . . 3. Gerichtliches Abänderungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schadenersatz bei ungerechtfertigter einstweiliger Anordnung . . . . . VI. Einstweilige Anordnung bei der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle 1. Zulässigkeit des Eilantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begründetheit des Eilantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Folgenabwägung nach der Doppelhypothese (hM) . . . . . . . . . . b) Kritik: Notwendigkeit von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einscheidung und Entscheidungswirkungen . . . . . . . . . . . . . . .
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858 859 860 863 864 865 866 868 873 876 876 878 878 879 880 882 882 882 883 883 884 884 886 886
. .
886 887
XXXIII
Abkürzungsverzeichnis a aA aaO AB abgedr abl ABl Abs Abschn abw aE AEMR AEUV aF Ag allgem allgM Alt aM amtl Begr and Änd ÄndG Anh Anl Anm Ans ao AöR ARB ArbR ArbuR ArchVR arg Art AS Ast AsylVfG AT Aufl ausf Ausf AVR Az
auch anderer Ansicht am angegebenen Ort Appellate Body abgedruckt ablehnend Amtsblatt Absatz Abschnitt abweichend am Ende Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Antragsgegner allgemein allgemeine Meinung Alternative andere(r) Meinung amtliche Begründung anders Änderung Gesetz zur Änderung (von) Anhang Anlage Anmerkung Ansicht außerordentlich Archiv des öffentlichen Rechts Assoziationsratsbeschluss Arbeitsrecht Arbeit und Recht Archiv des Völkerrechts Argument Artikel Amtliche Sammlung Antragsteller Asylverfahrensgesetz Allgemeiner Teil Auflage ausführlich Ausführungen Archiv des Völkerrechts Aktenzeichen
XXXV
Abkürzungsverzeichnis
b B bad-württ BAG BAGE BAnz BauGB BauR BayVBl BayVerfGH BayVGH Bd Bde Begr begr Beil Bek Bekl Bem ber bes Bespr betr Bf BFHE BGB BGBl BGH BGHZ BImSchG
bish BNatSchG BR-Drs BRRG BRS Bsp bspw BT-Drucks Buchst BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerfG-K BVerfSchG
XXXVI
bei Bund(es) baden-württembergisch Bundesarbeitsgericht Sammlung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundesanzeiger Baugesetzbuch Baurecht (Zeitschrift) Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verfassungsgerichtshof Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Band Bände Begründung begründet Beilage Bekanntmachung Beklagter Bemerkung berichtigt besonders, besondere Besprechung betreffend Beschwerdeführer Sammlung der Entscheidungen des BFH Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz) bisher(ige) Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege Bundesrats-Drucksache Beamtenrechtsrahmengesetz Baurechtssammlung Beispiel beispielsweise Bundestags-Drucksache Buchstabe Bundesverfassungsgericht amtliche Sammlung der Entscheidungen des BVerfG Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundesverfassungsgericht, Kammerentscheidung Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das
Abkürzungsverzeichnis
BVerwG BVerwGE bzgl bzw
Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz) Bundesverwaltungsgericht amtliche Sammlung der Entscheidungen des BVerwG bezüglich beziehungsweise
ca CD
circa Collections of Decisions, Sammlung der Entscheidungen der EKMR
dens ders dgl dh dies Dok DÖV Drs DSP DSU dt DVBl
denselben derselbe dergleichen das heißt dieselben Dokument Die Öffentliche Verwaltung Drucksache Dispute Settlement Body Dispute Settlement Understanding (Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten) deutsch Deutsches Verwaltungsblatt
E eAO ebd EC ECHR ed(s) EG EGBGB EGMR EGV EG-VO Einf Einl EJIL EKMR EMRK endg engl entspr Entw EP ER ErgBd
Entscheidung einstweilige Anordnung ebenda European Community European Court Of Human Rights editor(s)/edition Europäische Gemeinschaft(en) Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuches Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft EG-Verordnung Einführung Einleitung European Journal of International Law Europäische Kommission für Menschenrechte Europäische Menschenrechtskonvention endgültig englisch entsprechend Entwurf Europäisches Parlament Europarecht Ergänzungsband
XXXVII
Abkürzungsverzeichnis
Erl ES ESZB etc ETS EU EuG EuGH EuGH-Satzung EuGH-VerfO EuG-VerfO EuGR EuGRZ EuR europ EUV EuZW EWG EZB
Erläuterung(en) Entscheidungssammlung Europäisches System der Zentralbanken et cetera European Treaty Series Europäische Union Gericht 1. Instanz der Europäischen Gemeinschaften Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Satzung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaft Verfahrensordnung Verfahrensordnung des Gerichts 1. Instanz der Europäischen Gemeinschaften Europäisches Gemeinschaftsrecht Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europarecht (Zeitschrift) europäisch Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäische Zentralbank
f ff FG FGO Fn FP franz FS
folgende fortfolgende Finanzgericht Finanzgerichtsordnung Fußnote Fakultativprotokoll französisch Festschrift
GA GAP GASP GATS GATT 1947 GATT 1994 GBl GBO geänd gem Ges GewArch GewO GG ggf glA GmbH GmbHR
Generalanwalt Gemeinsame Agrarpolitik Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik General Agreement on Trade in Services General Agreement on Tariffs and Trade 1947 General Agreement on Tariffs and Trade 1994 Gesetzblatt Grundbuchordnung geändert gemäß Gesetz Gewerbearchiv Gewerbeordnung Grundgesetz gegebenenfalls gleicher Ansicht Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH Rundschau
XXXVIII
Abkürzungsverzeichnis
GmS-OBG GO GRCh grundl GRUR GS GV GVBl GVG GWB
Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Geschäftsordnung Grundrechts-Charta grundlegend Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gedächtnisschrift Gemeinsame Verfügung (mehrerer Ministerien) Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
hA Halbs HandwO Hdb HdBEUWirtschR Hervorh hess HessVGH HGB Hinw hL hM Hrsg Hs
herrschende Ansicht Halbsatz Handwerksordnung Handbuch Handbuch für Europäisches Wirtschaftsrecht Hervorhebung hessisch Hessischer Verwaltungsgerichtshof Handelsgesetzbuch Hinweis herrschende Lehre herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz
idF idR idS iE ieS IFG InfAuslR im allg insb insg IPbpR iS(v) iSd iSe iVm iVz iwS iZw
in der Fassung in der Regel in diesem Sinne im Ergebnis im engeren Sinne Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes Informationsbrief Ausländerrecht (Zeitschrift) im Allgemeinen insbesondere insgesamt Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte im Sinne (von) im Sinne des/der im Sinne einer/eines in Verbindung mit im Verhältnis zu in weiterem Sinne im Zweifel
jew JIEL
jeweils Journal of International Economic Law
XXXIX
Abkürzungsverzeichnis
JIL JK JURA JuS JZ
Journal of International Law JURA-Karteikarte Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung
Kap KOM Komm krit
Kapitel Europäische Kommission Kommentar kritisch
lfd LGBl. lit Lit LKRZ LS lt LV LVerf
laufend Landesgesetzblatt Buchstabe Literatur Zeitschrift für Landes- und Kommunalrecht Hessen/ Rheinland-Pfalz/Saarland Leitsatz laut Literaturverzeichnis Landesverfassung
m Hinw m krit Anm m zust Anm maW mE mwN
mit Hinweis(en) mit kritischer Anmerkung (von) mit zustimmender Anmerkung mit anderen Worten meines Erachtens mit weiteren Nachweisen
Nachw NBG NdsOVG nF NJW Nr NWVBl NVwZ NVwZ-RR NRW NZBau
Nachweis(e) Niedersächsisches Beamtengesetz Oberverwaltungsgericht Niedersachsen (Lüneburg) neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Nummer Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Rechtsprechungsreport Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht
o O oa oä ör og OHG oJ
oben Ordnung oben angegeben oder ähnlich öffentlich-rechtlich oben genannt Offene Handelsgesellschaft ohne Jahr
XL
Abkürzungsverzeichnis
oV OVG Hamburg OVG LSA OVGMV OVG NRW OVG Rh-Pf OVG SH
ohne Verfasser Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein
PJZS POR Prot
polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen Polizei- und Ordnungsrecht Protokoll
RA RAussch RdErl Rdschr ReAO Reg rh-pf RL Rn Rs Rspr Rspr-Nachw
Rechtsanwalt Rechtsausschuss Runderlass Rundschreiben Regelungsanordnung Regierung rheinland-pfälzisch Richtlinie Randnummer Rechtssache Rechtsprechung Rechtsprechungsnachweise
s S sa so su sächs sachs-anh SächsGO SächsOVG SächsVBl Sart SGG SiAO Slg sog Sp st str stRspr
siehe Seite, Satz siehe auch siehe oben siehe unten sächsisch sachsen-anhaltisch Sächsische Gemeindeordnung Sächsisches Oberverwaltungsgericht Sächsische Verwaltungsblätter Sartorius Sozialgerichtsgesetz Sicherungsanordnung amtliche Sammlung der Entscheidungen des EuGH sogenannt(e) Spalte ständige strittig, streitig ständige Rechtsprechung
ThürOVG ThürVBl
Thüringer Oberverwaltungsgericht Thüringer Verwaltungsblätter
XLI
Abkürzungsverzeichnis
TRIPS Tz
Agreement on Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights Textziffer
u uä ua Übk UIG üM umstr UN-Charta unstr unv Urt usw uU uvm
unten und ähnliche unter anderem, und andere Übereinkommen Umweltinformationsgesetz überwiegende Meinung umstritten Charta der Vereinten Nationen unstreitig/unstrittig unveröffentlicht Urteil und so weiter unter Umständen und verschiedenes mehr
v VA VblBW verb Rs Verf VerfGH VerfO EMRK Vers VerwArch VfO VG VGH BW VGH vgl vH VN VO Vol Voraufl Vorbem VwGO VwVfG
vom/von Verwaltungsakt Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg verbundene Rechtssache Verfassung Verfassungsgerichtshof Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Versicherung Verwaltungsarchiv Verfahrensordnung Verwaltungsgericht Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg Verfassungsgerichtshof vergleiche vom Hundert Vereinte Nationen Verordnung Volume Vorauflage Vorbemerkung Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz
WHaW w Nachw b WTO WTO-Ü WuV
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung weitere Nachweise bei Welthandelsorganisation Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation Wirtschaft und Verwaltung (Zeitschrift)
XLII
Abkürzungsverzeichnis
z ZaöRV zB Ziff zit ZP ZPO zT zust zutr zZ
zum Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Ziffer zitiert Zusatzprotokoll Zivilprozessordnung zum Teil zustimmend zutreffend zur Zeit
XLIII
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Bader, Johann
Verwaltungsgerichtsordnung: Kommentar anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung, 4. Aufl 2007 (zit als Bearbeiter in: Bader, VwGO)
Badura, Peter/Dreier, Horst
Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Band 1 und 2, 2001 (zit als Bearbeiter in: FS 50 Jahre BVerfG)
Badura, Peter
Wege und Verfahren des Verfassungslebens Festschrift für Peter Lerche zum 65. Geburtstag, 1993 (zit als Bearbeiter in: FS Lerche)
Benda, Ernst/Klein, Eckart
Verfassungsprozessrecht, 2. Aufl 2001 (zit als Bearbeiter in: Benda/Klein, VerfPrR)
Benda, Ernst/ Maihofer, Werner/ Vogel, Hans-Jochen
Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band 1, 2. Aufl 1995 (zit als Bearbeiter in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR)
Bhala, Raj
International Trade Law, 2. Aufl 2001 (zit als Bhala WTO)
Bishop, R. Doak/ Crawford, James/ Reisman, Michael W.
Foreign Investment Disputes, 2005 (zit als Bishop/Crawford/Reisman FID)
Borchardt, Klaus-Dieter
Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, 3. Aufl 2006 (zit als Borchardt EU)
Bosch, Edgar/ Schmidt, Jörg
Praktische Einführung in das verwaltungsgerichtliche Verfahren, 8. Aufl 2005 (zit als Bosch/Schmidt Verfahren)
Bossche, Peter van den
The Law and Policy of the World Trade Organization, 6. Aufl 2007 (zit als v.d. Bossche WTO)
Brownlie, Ian
Principles of Public International Law, 6. Aufl 2003 (zit als Brownlie PIL)
Calliess, Christian/ Ruffert, Matthias
Kommentar des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 3. Aufl 2007 (zit als Bearbeiter in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV)
Comeaux, Paul E./ Kinsella, N. Stephan
Protecting Foreign Investment Under International Law, 1997 (zit als Comeaux/Kinsella Foreign Investment)
XLV
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
Cottier, Thomas/ Oesch, Matthias
International Trade Regulation, 2005 (zit als Cottier/Oesch ITR)
Craig, Paul P. De Búrca, Gráinne
EU Law, 4. Aufl 2008 (zit als Craig/De Búrca EU Law)
Doehring, Karl
Völkerrecht, 2. Aufl 2004 (zit als Doehring VölkerR)
Dörr, Oliver/ Lenz, Christofer
Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 2006 (zit als Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz)
Dolzer, Rudolf/ Herdegen, Matthias/ Vogel, Bernhard
Auslandsinvestitionen, 2006 (zit als Bearbeiter in: Dolzer/Herdegen/Vogel, Auslandsinvestitionen)
Dolzer, Rudolf/ Vogel, Klaus/ Graßhof, Karin
Bonner Kommentar zum Grundgesetz 15 Bde, Loseblattsammlung Stand April 2008, (zit als Bearbeiter in: BK GG, Bd X)
Dreier, Horst
Grundgesetz, Band 3 (Art. 83–146), 2000 (zit als Bearbeiter in: Dreier, Bd 3, GG)
Ehlers, Dirk
Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl 2005 (zit als Bearbeiter in: Ehlers, EuGR)
Ehlers, Dirk
Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts, 1999 (zit als Ehlers Europäisierung)
Elias, Taslim Olawale
The International Court of Justice and some contemporary problems, 1983 (zit als Elias ICJ)
Erbguth, Wilfried/ Oebbecke, Janbernd/ Rengeling, Hans-Werner/ Schulte, Martin/
Festschrift für Werner Hoppe zum 70. Geburtstag, 2000 (zit als Bearbeiter in: FS Hoppe)
Erichsen, Hans-Uwe/ Hoppe, Werner/ von Mutius, Albert
System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes Festschrift für Christian-Friedrich Menger, 1985 (zit als Bearbeiter in: FS Menger)
Erichsen, Hans-Uwe/ Ehlers, Dirk
Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl 2006 (zit als Bearbeiter in: Erichsen/Ehlers, Allg VerwR)
Eyermann, Erich
Verwaltungsgerichtsordnung, 12. Aufl 2006 (zit als Bearbeiter in: Eyermann, VwGO)
Fehling, Michael/ Kastner, Berthold/ Wahrendorf, Volker
Verwaltungsrecht, 2006 (zit als Bearbeiter in: Fehling/Kastner/Wahrendorf, VerwR)
XLVI
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
Finkelnburg, Klaus/ Dombert, Matthias/ Külpmann, Christoph
Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl 2008 (zit als Bearbeiter in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz)
Fleury, Roland
Verfassungsprozessrecht, 7. Aufl 2008 (zit als Fleury VerfPrR)
Frowein, Jochen/ Peukert, Wolfgang
Europäische Menschenrechtskonvention – EMRKKommentar, 2. Aufl 1996 (zit als Bearbeiter in: Frowein/Peukert, EMRK)
Geiger, Rudolf
EUV/ EGV, 4. Aufl 2004 (zit als Bearbeiter in: Geiger, EUV/EGV)
Gerschorf, Hubertus
Verwaltungsprozessrecht, 2. Aufl 2003 (zit als Gerschorf VerwPrR)
Golsong, Heribert/ Karl, Wolfram/ Miehsler, Herbert/ Petzold, Herbert/ Rogge, Kersten/ Vogler, Theo/ Wildhaber, Luzius
Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Loseblattsammlung Stand Juni 2004 (zit als Bearbeiter in: Golsong/Karl, IK-EMRK)
Görs, Benjamin
Internationales Investitionsrecht, 2005 (zit als Görs Int InvR)
Grabenwarter, Christoph
Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl 2008 (zit als Grabenwarter EMRK)
Grabitz, Eberhard/ Hilf, Meinhard
Das Recht der Europäischen Union, Band 2 (EUV/EGV) Loseblattsammlung Stand Januar 2008 (zit als Bearbeiter in: Grabitz/Hilf, Bd 2, EUV/EGV) Band 3 (EUV/EGV); Loseblattsammlung Stand Januar 2008 (zit als Bearbeiter in: Grabitz/Hilf, Bd 3, EUV/EGV) Band 4 (Sekundärrecht); Loseblattsammlung Stand Januar 2008 (zit als Bearbeiter in: Grabitz/Hilf, Bd 4, Sekundärrecht)
von der Groeben, Hans/ Schwarze, Jürgen
Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Kommentar, 4 Bde, 6. Aufl 2003/2004 (zit als Bearbeiter in: v.d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Bd. X)
Grote, Rainer
Die Ordnung der Freiheit Festschrift für Christian Starck zum 70. Geburtstag, 2007 (zit als Bearbeiter in: FS Starck)
XLVII
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
Grote, Rainer Marauhn, Thilo
EMRK, GG: Konkordanzkommentar zum europäischen Grundrechtsschutz, 2006 (zit als Bearbeiter in: Grote/Marauhn, EMRK)
Hailbronner, Kay/ Klein, Eckart/ Magiera, Siegrfried/ Müller-Graff, Peter-Christian
Handkommentar zum Vertrag über die Europäische Union (EUV/EGV), Loseblattsammlung Stand November 1998 (zit als Bearbeiter in: Hailbronner, EUV/EGV)
Herdegen, Matthias
Europarecht, 10. Aufl 2008 (zit als Herdegen EuropaR)
Herdegen, Matthias
Internationales Wirtschaftsrecht, 7. Aufl 2008 (zit als Herdegen Int WirtschR)
Herdegen, Matthias
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LIII
1. Teil: Rechtsschutz im allgemeinen Völkerrecht
§1 Rechtsschutz durch den Internationalen Gerichtshof Christian Walter I. Begriff und Entwicklung der internationalen Gerichtsbarkeit 1. Internationale Gerichtsbarkeit, internationale Schiedsgerichtsbarkeit und andere quasi-gerichtliche Streitbeilegungsverfahren Die internationale Gerichtsbarkeit unterscheidet sich von der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit in mehrfacher Hinsicht: Zum einen handelt es sich bei internationalen Gerichten um Spruchkörper mit einer festen, vom einzelnen Verfahren unabhängigen Besetzung, während bei Schiedsgerichten die Parteien die Schiedsrichter (mit)bestimmen. Zum zweiten werden Schiedsgerichte aus Anlass eines konkreten Streites gebildet, während internationale Gerichte stehende Spruchkörper sind, die abstrakt zur Verfügung stehen. Des Weiteren steht bei internationalen Gerichten das anwendbare Recht ebenfalls weitgehend im Vorhinein fest 1. Die wichtigste Institution im Bereich der internationalen Gerichtsbarkeit ist der Internationale Gerichtshof mit Sitz in Den Haag. Daneben gibt es weitere internationale Gerichte mit begrenzter sachlicher Zuständigkeit: den Seegerichtshof mit Sitz in Hamburg, die internationalen Strafgerichtshöfe für Jugoslawien und Ruanda und den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Wichtige Einrichtungen der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit sind der sog „Ständige Schiedshof“, der – beruhend auf dem I. Haager Abkommen von 1907 – eine Liste von potentiellen Schiedsrichtern zur Verfügung stellt (→ Rn 4) und das im Rahmen der Weltbank errichtete International Centre for the Settlement of Investment Disputes (ICSID). Der Vorteil der Schiedsgerichtsbarkeit liegt in ihrer größeren Flexibilität. Wichtige Nachteile sind die Kosten, die bei der Schiedsgerichtsbarkeit allein von den Streitparteien getragen werden müssen und – aufgrund der fehlenden Einbindung in einen institutionellen Rahmen und feste Rechtsprechungstradition – gewisse Mängel in der Kohärenz der Rechtssprechung 2. Gemeinsam ist der Schiedsgerichtsbarkeit und der Gerichtsbarkeit die Verbindlichkeit der Entscheidungen; darin unterscheiden sich beide von vielen anderen Verfahren der friedlichen Streitbeilegung, wie etwa Vermittlung, Vergleich, gute Dienste. Neben die internationale Schiedsgerichtsbarkeit und die internationale Gerichtsbarkeit treten in neuerer Zeit Streitbeilegungsverfahren wie das der WTO, in denen Elemente der Schiedsgerichtsbarkeit und der Gerichtsbarkeit miteinander kombiniert werden (ausführlich dazu → § 3). Um die verschiedenen Mechanismen richtig einordnen zu können, ist es notwendig, sich zunächst einen Überblick über die Entwicklung der internationalen Gerichtsbarkeit und damit insbesondere auch über die Vorläuferinstitution des Internationalen Gerichtshofs, den während der Zeit des Völkerbundes bestehenden Ständigen Internationalen Gerichtshof, zu verschaffen.
1 Fischer in Ipsen, VölkerR, § 62 Rn 35. 2 Tomuschat in: Simma (Hrsg), The Charter of the United Nations. A Commentary, 2002, Art 33 Rn 31.
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§1
1. Teil: Rechtsschutz im allgemeinen Völkerrecht
2. Der Ständige Internationale Gerichtshof (1921–1946) 4
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Eine Einigung auf eine ständige internationale Gerichtsbarkeit scheiterte auf der Zweiten Haager Friedenskonferenz an Fragen der Besetzung des Gerichts und an der Auswahl der Richter. Stattdessen kam es zur Errichtung des sog „Ständigen Schiedsgerichtshofs“, der bis heute besteht, allerdings – anders als es die Bezeichnung erwarten lässt – in der Praxis nur eine Liste von potentiellen Schiedsrichtern bereitstellt, von denen jede Vertragspartei maximal vier benennen kann (Art 44 Haager Konvention von 1907). Diese vier Schiedsrichter sind als sog „Landesgruppen“ bis heute von Bedeutung bei den Wahlen für die Richter des IGH, weil ihnen nach Art 4 I IGH-Statut ein Vorschlagsrecht zusteht (→ Rn 24). Die Schwierigkeiten bei der Errichtung einer ständigen internationalen Gerichtsbarkeit konnten erst nach dem Ersten Weltkrieg überwunden werden. Das Statut des Ständigen Internationalen Gerichtshofs trat im September 1921 in Kraft 3. Der Gerichtshof nahm seine Arbeit unmittelbar danach im Jahr 1922 auf. Man kann die Einrichtung eines ständigen Rechtsprechungsorgans als einen wichtigen Schritt der Weiterentwicklung gegenüber der bislang praktizierten Schiedsgerichtsbarkeit verstehen, weil mit ihr ein dauerhafter Mechanismus der gerichtlichen Rechtsdurchsetzung geschaffen und damit das Völkerrecht institutionell deutlich gestärkt wird. Es darf allerdings nicht übersehen werden, dass der StIGH – wie im Übrigen der IGH bis heute – keine obligatorische Gerichtsbarkeit begründet, sondern die Zuständigkeit des Gerichtshofs von der Zustimmung der Streitparteien abhängig macht (→ näher Rn 31 ff) 4. Der Ständige Internationale Gerichtshof war kein Organ des Völkerbundes. Allerdings bestand über Art 14 Völkerbundsatzung eine enge faktische und rechtliche Verbindung: Die Richter wurden von der Versammlung des Völkerbunds gewählt (Art 4, 8 und 10 Statut des StIGH) und der Völkerbund trug die Kosten (Art 32 und Art 33 Statut des StIGH). Außerdem konnten Rat und Versammlung beim Gerichtshof Gutachten in Auftrag geben (Art 14 S 3 Völkerbundsatzung). Die Verbindung zum Völkerbund kam nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dass die Völkerbundsversammlung den Gerichtshof 1946 auflöste 5. Faktisch hatte er seine Tätigkeit ohnehin während des Zweiten Weltkriegs ab 1940 eingestellt. In der Zeit zwischen 1922 und 1939 ergingen 22 Urteile und 26 Rechtsgutachten6. Der Gerichtshof nahm während dieser Zeit zu einer Reihe wichtiger Rechtsfragen prozessualer und inhaltlicher Art Stellung. Dazu gehören die Rechtsstellung von Drittstaaten (Eastern Carelia Advisory Opinion 7, Wimbledon Case 8), die Zuständigkeit der Internationalen Arbeitsorganisation 9, der Minder-
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4
Spiermann in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm, ICJ, Historical Introduction, Rn 23. Mosler/Oellers-Frahm in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm, ICJ, Art 92, Rn 7. ICJ Yearbook 1946/47, 30 f. Schlochauer in: Bernhardt (Hrsg), Encyclopedia of public international law Bd III, 1992, 1001. Status of Eastern Carelia, Advisory Opinion of 23 July 1923, PCIJ Series B, No 5, 7. S. S. „Wimbledon“, Judgment of 17 August 1923, PCIJ Series A, No 1, 15. Competence of the ILO in regard to International Regulation of the Conditions of the Labour of Persons Employed in Agriculture, Advisory Opinion of 12 August 1922, PCIJ Series B, No 2, 10; Competence of the ILO to Examine Proposal for the Organisation and Development of the Methods of Agricultural Production, PCIJ Series B No 3, 49; Competence of the ILO to Regulate Incidentally the Personal Work of the Employer, Advisory Opinion of 23 July 1926, PCIJ Series B, No 13, 5.
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Rechtsschutz durch den Internationalen Gerichtshof
§1
heitenschutz 10 und die berühmte Lotus-Entscheidung zum Grundsatz der staatlichen Souveränität 11. 3. Die Entwicklung der Internationalen Gerichtsbarkeit nach 1945 Nach 1945 entschied man sich für die Errichtung eines neuen Gerichtshofs, der allerdings in enger Kontinuität zum StIGH stehen sollte. Der Kontinuitätsgedanke findet normative Verankerung in Art 92 S 2 UN-Charta, wo ausdrücklich die Verbindung zum Statut des StIGH hergestellt wird. In der Tat ist das Statut des IGH eine annähernd wörtliche Übernahme des Vorgängerdokuments für den StIGH. Der Kontinuitätsgedanke kommt weiter in speziellen Überleitungsregeln zum Ausdruck. So bestimmt zum Beispiel Art 36 V IGHStatut, dass Erklärungen nach der Fakultativklausel des Art 36 II StIGH-Statut (zu dieser näher unten → Rn 38 ff) unter dem neuen Statut wirksam bleiben. Auch für die Begründung der Zuständigkeit des Gerichtshofs durch Klauseln in bereits bestehenden Verträgen wird die Fortgeltung angeordnet (Art 37 IGH-Statut) 12. Allerdings ist der IGH als Rechtssubjekt weder mit dem StIGH identisch, noch setzt er dessen Rechtspersönlichkeit fort 13. Im Hintergrund dieser die Kontinuität durchbrechenden Lösung steht, dass wichtige Staaten, die 1945 an der Gründung des neuen Gerichtshofs mitwirkten, weder Vertragspartei des alten Statuts noch der Satzung des Völkerbunds waren (insbes die Sowjetunion und die USA).
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II. Rechtsstellung des Internationalen Gerichtshofs 1. Der Internationale Gerichtshof als „Hauptrechtsprechungsorgan“ der Vereinten Nationen Die Satzung der Vereinten Nationen bezeichnet den Internationalen Gerichtshof als „Hauptrechtsprechungsorgan“ (Art 92 UN-Charta). Dieser Titel bringt zutreffend zum Ausdruck, dass es sich beim IGH um ein Organ der Vereinten Nationen handelt (vgl Art 7 UN-Charta). Daraus folgt etwa, dass der Gerichtshof berechtigt und verpflichtet ist, die UN-Charta zu interpretieren. In praktischer Hinsicht bedeutet die Organstellung, dass die Kosten des Gerichtshofs vom Budget der Vereinten Nationen getragen werden. Der Begriff „Hauptrechtsprechungsorgan“ sorgt aber zugleich für Verwirrung, weil er Erwartungen weckt, die nicht vom übrigen Normbestand gedeckt werden. Insbesondere sind vor dem IGH keine echten Organstreitigkeiten zwischen den übrigen Organen der Vereinten Nationen möglich, weil nach Art 34 IGH-Statut nur Staaten parteifähig sind. Darüber hinaus wird mit dem Begriff „Hauptrechtsprechungsorgan“ auch nicht hinreichend deutlich, dass der IGH insofern vom System der Vereinten Nationen unabhängig ist, als auch Staaten Vertragspartei des Statuts werden können, die nicht Mitglieder der 10 Minority Schools in Albania, Advisory Opinion of 6 April 1935, PCIJ Series A/B, No 64, 3; Rights of Minorities in Upper Silesia (Minority Schools), Judgment of 26 April 1928, PCIJ Series A, No 15, 3. 11 Lotus, Judgment of 7 September 1927, PCIJ Series A No 10, 4. 12 Die Bestimmung kam in der Geschichte des IGH bislang 16 mal zur Anwendung, siehe näher Simma/Richemond in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm, ICJ, Art 37 Rn 7 ff. 13 Gowlland-Debbas in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm, ICJ, Art 1 Rn 25.
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1. Teil: Rechtsschutz im allgemeinen Völkerrecht
Vereinten Nationen sind (Art 93 II UN-Charta). Nach Art 35 II IGH-Statut in Verbindung mit der dort vorgesehenen Sicherheitsratsresolution 14 können sogar Nichtvertragsparteien des Statuts an Verfahren vor dem IGH beteiligt sein. Diese Regelung hatte lange Jahre Bedeutung, etwa für die Schweiz, die seit 1948 Vertragspartei des Statuts war, den Vereinten Nationen aber erst 2002 beitrat. Inzwischen hat sie mit der quasi-universellen Mitgliedschaft der Staaten in den Vereinten Nationen ihre Bedeutung weitgehend eingebüßt. In normativer Hinsicht bleibt die Möglichkeit einer isolierten Bindung an das IGH-Statut aber bedeutsam, weil sie zum Ausdruck bringt, dass der IGH mehr ist als nur ein Organ der Vereinten Nationen. Die Sonderstellung des IGH im Organsystem der Vereinten Nationen kommt weiter darin zum Ausdruck, dass der Gerichtshof – anders als die anderen in Art 7 UN-Charta genannten Organe – nicht mit weisungsgebundenen Staatenvertretern besetzt ist. Auch ergehen seine Urteile nicht im Namen der Vereinten Nationen, sondern der Gerichtshof erlässt sie im eigenen Namen 15. 2. IGH-Statut als eigener völkerrechtlicher Vertrag
13
Wie bereits erwähnt, handelt es sich beim IGH-Statut dem Modell des StIGH entsprechend um einen eigenständigen völkerrechtlichen Vertrag, der gesondert unterschrieben und ratifiziert werden kann. Allerdings sind alle Mitglieder der Vereinten Nationen automatisch Vertragsparteien des Statuts und es bedarf für sie insofern keiner eigenen Ratifikation mehr (Art 93 I UN-Charta). Ungeachtet seiner so umschriebenen juristischen Eigenständigkeit ist das Statut ein „integraler Bestandteil“ der Charta (Art 92 S 2 UNCharta). Für den Rechtsanwender bedeutet dies, dass konkrete prozessuale Fragen immer in einer Zusammenschau der normativen Grundlagen in Charta und Statut beantwortet werden müssen. 3. Statut, Verfahrensordnung und „Practice Directions“
14
15
Nach Art 30 IGH-Statut gibt sich der Gerichtshof eine Verfahrensordnung. Es folgt aus der Natur der Verfahrensordnung, dass sie sich auf die Regelung prozessualer Fragen beschränken und mit den vorgängigen Normen des Statuts und der Charta vereinbar sein muss. Aus diesem Grund wurde im Jahr 1922 beim StIGH unter Hinweis auf die damalige gleichlautende Norm ein Vorschlag für eine Regelung in der Verfahrensordnung nicht zur Abstimmung gebracht, weil der Präsident den Entwurf für mit dem Statut unvereinbar hielt 16. Das Recht zum Erlass einer Verfahrensordnung schließt selbstverständlich die Möglichkeit ein, die bestehende Verfahrensordnung zu ändern oder durch eine neue zu ersetzen. Die gegenwärtige Verfahrensordnung stammt aus dem Jahr 1978, wurde aber seither mehrfach geändert 17. Neben der Verfahrensordnung gibt es seit Oktober 2001 sog „Practice Directions“, in denen der Gerichtshof den Verfahrensbeteiligten Hinweise zu bestimmten prozessualen 14 15 16 17
6
SC Res 9 (1946) vom 15. Oktober 1946. Oellers-Frahm in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm, ICJ, Art 92 Rn 27. Preparation of the Rules of Court of January 30th, 1922, PCIJ Series D No 2, 96. Die Verfahrensordnung ist in der jeweils aktuellen Version verfügbar unter http://www.icj-cij. org/documents/index.php?p1=4&p2=3&p3=0 (geprüft am 27. Februar 2008).
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Rechtsschutz durch den Internationalen Gerichtshof
§1
Fragen gibt 18. Diese „Practice Directions“, die zuletzt Ende 2006 geändert wurden, ergänzen Statut und Verfahrensordnung. Sie werden regelmäßig fortgeschrieben und sollen die effektive Verfahrensbehandlung erleichtern. Auch die „Practice Directions“ müssen mit Verfahrensordnung und Statut kompatibel sein. Der Gerichtshof nutzt sie, um entweder eine bestimmte Praxis bei der Anwendung der Verfahrensordnung zu kodifizieren, Interpretationshinweise zu geben, wie er eine Regelung des Statuts oder der Verfahrensordnung versteht, oder den Prozessbeteiligten bestimmte Verhaltensweisen nahe zu legen. 4. Verhältnis zum Sitzstaat Die besondere Rechtsstellung des IGH kommt auch in seinem Verhältnis zum Sitzstaat Niederlande zum Ausdruck. Anders als der Internationale Strafgerichtshof 19 verfügt der IGH zwar nicht über ein eigenständiges Sitzstaatsabkommen mit den Niederlanden, das er im eigenen Namen geschlossen hätte. Andererseits hat der Gerichtshof im Hinblick auf das Verhältnis zum Sitzstaat gleichwohl eine nicht unerhebliche Autonomie bewiesen. Die Regelungen beruhen auf einer eigenständigen Absprache, die in einem Briefwechsel zwischen dem Präsidenten des Gerichtshofs und dem Außenminister der Niederlande festgehalten und von der Generalversammlung der Vereinten bestätigt wurde 20. In diesem Briefwechsel finden sich die notwendigen Regelungen über Privilegien und Immunitäten der Richter, des Personals in der Kanzlei des Gerichtshofs und für die Prozessvertreter, die zu mündlichen Verhandlungen anreisen.
16
5. Verhältnis zu anderen Organen der Vereinten Nationen (insb Sicherheitsrat) Die UN-Charta enthält keine Bestimmungen über das Verhältnis des Gerichtshofs zu den anderen Organen. Der Gerichtshof selbst hat immer wieder entschieden, dass der Sicherheitsrat – anders als gegenüber der Generalversammlung (vgl Art 12 I UN-Charta) – gegenüber dem Gerichtshof keinen Vorrang genießt. So heißt es etwa im NicaraguaUrteil:
17
“The Council has functions of a political nature assigned to it, whereas the Court exercises purely judicial functions. Both organs can therefore perform their separate but complementary functions with respect to the same events.” 21 Dessen ungeachtet sind Resolutionen des Sicherheitsrats allerdings für alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen verbindlich und beanspruchen aufgrund von Art 103 UNCharta Vorrang vor anderen Verpflichtungen der Staaten. Aus diesem Grund muss der IGH bei der Entscheidung von Streitfällen zwischen Staaten die rechtlichen Wirkungen einer Sicherheitsratsresolution berücksichtigen. Im Lockerbie-Verfahren gab es Streit über
18 Auch diese sind auf der Homepage des Gerichtshofs verfügbar unter http://www.icj-cij.org/ documents/index.php?p1=4&p2=4&p3=0 (geprüft am 27. Februar 2008). 19 Pressemitteilung vom 7 Juni 2007 verfügbar unter: http://www.icc-cpi.int/press/pressreleases/250. html. 20 Der Briefwechsel ist auf der Website des IGH verfügbar: http://www.icj-cij.org/documentsindex. php?p1=4&p2=5&p3=3. 21 Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v United States of America), Jurisdiction and Admissability, Judgment, ICJ Reports 1984, 392, Rn 95.
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§1
1. Teil: Rechtsschutz im allgemeinen Völkerrecht
die Frage, ob dies auch dann gilt, wenn eine Sicherheitsratsresolution spezifisch in der Absicht erlassen wird, die Rechtslage mit Blick auf ein bereits anhängiges Verfahren vor dem IGH zu verändern. Der IGH hat hierzu nicht Stellung bezogen, zahlreiche Richter hielten aber in Sondervoten ein solches Vorgehen des Sicherheitsrates für problematisch 22.
III. Organisation des Internationalen Gerichtshofs 1. Zahl, Qualifikation und Rechtsstellung der Richter 19
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Dem IGH gehören 15 Richterinnen und Richter an, die in ihrer Gesamtheit die „großen Kulturkreise und die hauptsächlichen Rechtssysteme der Welt“ repräsentieren sollen (Art 9 IGH-Statut). Die Richter müssen hohes sittliches Ansehen genießen und zu höchsten Richterämtern in ihren Heimatstaaten qualifiziert oder Völkerrechtsgelehrte von anerkanntem Ruf sein (Art 2 IGH-Statut). Die Richter sind hauptamtlich tätig und beziehen entsprechend ein festes Jahresgehalt (Art 32 IGH-Statut). Sie genießen Unabhängigkeit und bei der Wahrnehmung ihres Amtes diplomatische Vorrechte und Immunitäten (Art 19 IGH-Statut). Sie dürfen neben ihrer richterlichen Tätigkeit kein anderes Amt und keine andere berufliche Beschäftigung ausüben, insbesondere dürfen sie nicht als Prozessbevollmächtigte oder Anwalt in irgendeiner Sache tätig werden. Allerdings wird die Wahrnehmung akademischer Aufgaben und die begrenzte Mitwirkung an anderen Streitbeilegungsaufgaben als mit Art 16 IGH-Statut vereinbar angesehen. Soweit sie in einer Sache vor ihrer Wahl in einer solchen Funktion tätig geworden sind, dürfen sie nicht an ihrer Erledigung mitwirken. Eine Amtsenthebung setzt den einstimmigen Beschluss aller übrigen Richterinnen und Richter voraus, dass ein Richter nicht mehr die Voraussetzungen für das Amt erfüllt (Art 18 I IGH-Statut). 2. Wahl der Richter
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Die Wahl der Richter findet auf der Basis von zwei zentralen Prinzipien statt. Zum einen gibt es schon seit den Zeiten des StIGH die regelmäßige Praxis, dass die fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder 23 immer mit einer Richterin oder einem Richter vertreten sind. Hierauf besteht zwar kein Rechtsanspruch, die Praxis wurde aber bislang durchgängig respektiert 24. Zum anderen findet eine Verteilung nach geographisch-kulturellen Gesichtspunkten über die auch sonst in den Vereinten Nationen maßgeblichen fünf Regionalgruppen statt (Group of African States, GAFS; Group of Asian States, GASS; Group of Latin American and Carribean States, GRULAC; Group of Eastern European States,
22 Questions of Application and Interpretation of the 1971 Montreal Convention arising from the Aerial Incident at Lockerbie (Libyan Arab Jamahiriya v United Kingdom), Preliminary Objections, Judgment, ICJ Reports 1998, 9. 23 Im Jahre 1926 wurde das Deutsche Reich fünftes ständiges Mitglied im Völkerbundrat, vgl Walters A History of the League of Nations, 1960, 323, 335. 24 Eine Ausnahme hiervon besteht lediglich für China, das wegen des Streits zwischen der Volksrepublik China und Taiwan um den Vertretungsanspruch in den Vereinten Nationen zwischen 1967 und 1984/1985 keinen Richter stellte, McWhinney The International Court of Justice and the Western Tradition of International Law, 1987, 74.
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EES; Group of Western European and Other States, WEOG) 25. Die Verteilung der Sitze sieht danach wie folgt aus: Für Westeuropa gibt es neben den drei ständigen Sitzen der USA, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs zwei weitere Sitze (normalerweise einen für Nordeuropa und einen für Südeuropa). Osteuropa verfügt neben dem ständigen russischen Sitz über einen weiteren Richterplatz. Außerdem gibt es zwei lateinamerikanische, drei afrikanische und drei asiatische Sitze, darunter den ständigen Chinas 26. Die Verteilung der Sitze im IGH wird von vielen Staaten in Afrika, aber auch in Südamerika und Asien als ungerecht und die westlichen Industriestaaten zu Unrecht begünstigend empfunden. Dies hat bei der UN-Seerechtskonvention dazu geführt, dass ein eigenes Gericht für die Zwecke der Konvention eingerichtet und so ausgestaltet wurde, dass eine größere Repräsentativität erreicht werden konnte 27. Diese Entwicklung macht darauf aufmerksam, dass die wenig greifbar klingende Formulierung von der „Repräsentation der großen Kulturkreise und der hauptsächlichen Rechtssysteme der Welt“ in Art 9 IGH-Statut eine wichtige Aussage beinhaltet: Autorität und Legitimität des Gerichtshofs leben nicht nur von der persönlichen Qualifikation der Richterinnen und Richter, sondern in einer kulturell und politisch sehr inhomogenen Welt gerade auch davon, dass sich alle Teile angemessen vertreten fühlen. Die Richterinnen und Richter werden für die Dauer von neun Jahren gewählt. Es besteht die Möglichkeit einer Wiederwahl (Art 13 IGH-Statut). Die Wahl erfolgt in getrennten Wahlgängen in der Generalversammlung und im Sicherheitsrat, wobei jeweils die absolute Mehrheit der Stimmen erforderlich ist (Art 8 und Art 10 I IGH-Statut). Für den inzwischen nicht mehr praktisch bedeutsamen Fall, dass ein Staat Vertragspartei des Statuts ist, der nicht zugleich Mitglied der Vereinten Nationen ist, hat der Sicherheitsrat aufgrund der Situation der Schweiz 1948 beschlossen, dass dieser Staat für die Zwecke der Richterwahl wie ein Mitglied an der entsprechenden Sitzung der Generalversammlung mitwirkt 28. Zur Vorbereitung der Wahl erstellt der Generalsekretär eine alphabetische Liste bestehend aus Vorschlägen, die durch die Landesgruppen im Internationalen Schiedshof unterbreitet wurden (→ Rn 4). Für diejenigen Staaten, die nicht Mitglieder im Internationalen Schiedshof sind, werden sog Ad-hoc Landesgruppen gebildet (Art 4 II IGH-Statut), was angesichts der Tatsache, dass zurzeit nur 107 Staaten Mitglieder im Schiedshof sind, in nicht unerheblichem Umfang geschieht. Für das Wahlverfahren wurden immer wieder Reformvorschläge diskutiert, die sowohl die Vorauswahl von Kandidaten durch die Landesgruppen im Ständigen Schiedshof betreffen (welche nach manchen Vorstellungen abgeschafft und durch eine direkte Nominierung durch die jeweiligen Regierungen ersetzt werden soll), als auch das doppelte Wahlverfahren in Sicherheitsrat und Generalversammlung betreffen, an dessen Stelle eine ausschließliche Wahl durch die Generalversammlung treten soll 29. Durchsetzen konnten sich solche Vorstellungen bislang allerdings nicht. 25 Siehe allgemein zur Aufteilung: http://www.pops.int/documents/meetings/cop_1/meetingdocs/en/ inf_16/COP_1_INF_16.doc; Zur Bedeutung dieser Regionalgruppen allgemein in den Vereinten Nationen Winkelmann in: Volger (Hrsg), Concise Encyclopedia of the United Nations, 2002, 158–161, 455–458. 26 Einzelheiten der Entwicklung seit 1945 bei Fassbender in: Zimmermann/Tomuschat/OellersFrahm, ICJ, Art 9 Rn 20 ff. 27 Wolfrum in: Vitzthum (Hrsg), Handbuch des Seerechts, 2006, 6. Kapitel Rn 3 f. 28 SC Res 58 (1948) vom 28. September 1948; näher Rosenne ICJ, Bd I, 367. 29 Georget/Golitsyn/Zacklin in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm, ICJ, Art 4 Rn 32 ff.
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3. Plenum und Kammern 26
Im Normalfall tagt und entscheidet der Gerichtshof im Plenum aller 15 Richterinnen und Richter (Art 25 I IGH-Statut). Er ist bei einem Quorum von neun Richtern beschlussfähig (Art 25 III IGH-Statut). Daneben sieht Art 26 IGH-Statut die Bildung von Kammern vor. Solche Kammern können entweder abstrakt für die Entscheidung bestimmter Arten von Fällen gebildet werden (Art 26 I IGH-Statut) oder – als sog Ad-hoc-Kammern – aus Anlass eines konkreten Falles (Art 26 II IGH-Statut). In beiden Varianten ist die Zustimmung der Parteien erforderlich, damit eine Rechtssache vor einer Kammer verhandelt und von ihr entschieden werden kann. Die praktische Bedeutung der Entscheidung durch Kammern ist bislang eher gering geblieben 30, was hauptsächlich am mangelnden Interesse der Staaten an einer Entscheidung durch eine Kammer liegen dürfte. Von der Möglichkeit, abstrakt zuständige Kammern einzurichten, hat der Gerichtshof erst 1993 für umweltrechtliche Fälle Gebrauch gemacht. Allerdings hatte die Kammer für Umweltsachen bislang noch keinen Fall zu entscheiden. 4. Rolle der Präsidenten
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Nach Art 21 IGH-Statut wählt der Gerichtshof einen Präsidenten und einen Vizepräsidenten. Dem Präsidenten kommt eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der mündlichen Verhandlung zu (Art 45 IGH-Statut). Besonderen Einfluss hat er auch in Eilsachen beim Erlass von einstweiligen Maßnahmen, da nur der Präsident und der Gerichtskanzler einer Residenzpflicht in Den Haag unterliegen (vgl Art 22 II IGH-Statut). Nach der ursprünglichen Verfahrensordnung des StIGH aus dem Jahr 1922 konnte er einstweilige Maßnahmen sogar selbständig anordnen, ohne dass es einer späteren Bestätigung durch den Gerichtshof bedurfte. Diese Regelung wurde aber später als nicht vom Statut gedeckt aufgegeben. Heute beschränkt sich die Handlungsmöglichkeit des Präsidenten nach Art 74 Verfahrensordnung darauf, die Mitglieder des Gerichtshofs zusammenzurufen und die Parteien aufzufordern, sich so zu verhalten, dass jede Entscheidung des Gerichtshofs angemessene Wirkung entfalten kann 31. 5. Kanzlei
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Die Kanzlei besteht aus dem Gerichtskanzler und den Mitarbeitern. Der Kanzler wird vom Gerichtshof auf Vorschlag seiner Mitglieder gewählt (Art 21 II IGH-Statut; Art 22 ff VfO). Für die Auswahl der übrigen Mitarbeiter sieht die Verfahrensordnung teilweise ein vereinfachtes Verfahren vor, welches nur eine Abstimmung zwischen dem Kanzler und dem Präsidenten verlangt (Art 25 I VfO). Dem Kanzler kommt die Aufgabe zu, den ordnungsgemäßen Ablauf der Verfahren sicherzustellen und insbesondere die Kommunikation zwischen dem Gerichtshof und den Parteien zu betreiben. Er führt außerdem die Liste der laufenden Verfahren und der nach Art 35 II IGH-Statut von Nichtvertragsparteien abgegebenen Erklärungen 32.
30 Merrills International Dispute Settlement, 4. Aufl 2005, 152 ff. 31 Siehe im einzelnen Oellers-Frahm in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm, ICJ, Art 41 Rn 59 ff. 32 Zu den weiteren Aufgaben siehe im Einzelnen Art 26 Verfahrensordnung.
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IV. Streitige Gerichtsbarkeit 1. Parteifähigkeit Die streitige Gerichtsbarkeit des IGH ist nach Art 34 I IGH-Statut auf Rechtsstreitigkeiten zwischen Staaten beschränkt. Auch heute hat die Ausschlusswirkung dieser Vorschrift vor allem Bedeutung mit Blick auf internationale Organisationen. Besonders deutlich wird dies daran, dass selbst die Vereinten Nationen, deren „Hauptrechtsprechungsorgan“ der Gerichtshof ist (→ Rn 9 f), nicht parteifähig sind. Auch Individuen haben keinen direkten Zugang zum IGH, sondern sind auf eine Rechtsdurchsetzung durch ihre Heimatstaaten angewiesen. Diese kann erfolgen, wenn neben dem Individuum zugleich der Heimatstaat in eigenen Rechten verletzt ist oder wenn der Heimatstaat die Rechte des Individuums im Wege des diplomatischen Schutzes geltend macht 33.
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2. Grundsätzliche Bedeutung des Konsensprinzips Bis heute entfaltet die staatliche Souveränität in der internationalen Gerichtsbarkeit zentrale Wirkung in Form des Konsensprinzips. Danach ist die Zustimmung der Streitparteien zentral für eine gerichtliche Streiterledigung 34. Art 36 IGH-Statut ist Ausdruck dieses Grundsatzes, der in der Rechtsprechung des IGH immer wieder betont wurde 35. Die Bedeutung des Konsensprinzips wird gerade auch im Verhältnis zu Drittstaaten sichtbar. Seit dem Monetary Gold-Fall aus dem Jahr 1954 36 hat der Gerichtshof immer wieder in Fällen seine Zuständigkeit verneint, in denen der Streit nicht entschieden werden konnte, ohne zugleich notwendig über Rechtspositionen eines dritten Staates zu befinden, der dem Verfahren nicht zugestimmt hatte 37. Auch wenn das Konsensprinzip aus der Sicht von gerichtlichen Mechanismen in stärker integrierten internationalen Regimen wie dem europäischen Gemeinschaftsrecht oder der EMRK antiquiert erscheinen mag, so darf man doch nicht übersehen, dass die Gerichtsbarkeit des IGH weltweit und für das gesamte Völkerecht gilt. Auch heute noch dürfte es richtig sein, dass hierfür eine obligatorische Gerichtsbarkeit ohne Konsens an den Realitäten der internationalen Politik scheitern würde. Man mag dies beklagen, aber der internationalen Gerichtsbarkeit und dem Völkerrecht insgesamt wäre wenig gedient, wenn die Zuständigkeit des Gerichtshofs in erheblichem Umfang gegen den Willen der Staaten begründet werden könnte. Immerhin kann man in der Fakultativklausel des Art 36 II IGH-Statut eine gewisse Aufweichung des strikten Konsensprinzips erkennen, weil diese eine abstrakte vorherige Zustimmung ermöglicht (→ Rn 38 ff).
33 In diesem Fall sind allerdings die Voraussetzungen für die Gewährung diplomatischen Schutzes zu beachten, zu denen insbesondere die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs gehört; siehe näher Epping/Gloria in: Ipsen, VölkerR, § 24, Rn 32, 39. 34 Thirlway BYIL 1998 (1999), 1, 4. 35 Nachweise bei Tomuschat in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm, ICJ, Art 36 Rn 19 Fn 58. 36 Case of the monetary gold removed from Rome in 1943 (Preliminary Question), Judgment of June 15th, 1954, ICJ Reports 1954, 19. 37 Zuletzt in dem Ost-Timor-Fall aus dem Jahr 1995, East Timor (Portugal v Australia), Judgment, ICJ Reports 1995, 90 Rn 28.
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3. Die einzelnen Formen der Zuständigkeitsbegründung 34
Auf der Basis des Konsensprinzips lassen sich verschiedene Formen unterscheiden, mit denen eine Zuständigkeit des IGH begründet werden kann. Neben der vertraglichen Vereinbarung (a) kann auch eine Zustimmung des beklagten Staates nach Klageerhebung die Zuständigkeit des IGH begründen (b). Außerdem ist die Anerkennung der Zuständigkeit auch abstrakt und im Vorhinein nach der Fakultativklausel des Art 36 II IGH-Statut möglich (c). Hier gibt es besondere Probleme, wenn Staaten Vorbehalte zu ihrer Erklärung machen (d).
a) Vertragliche Vereinbarung 35
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Art 36 I IGH-Statut behandelt die vertragliche Begründung der Zuständigkeit des Gerichtshofs. Diese kann durch eine besondere Vereinbarung aus Anlass eines konkreten Streitfalls erfolgen (compromis). Diese Vereinbarung legt dann im Einzelnen fest, welche Rechtsfragen dem IGH zur Entscheidung unterbreitet werden. Die Zuständigkeit des Gerichtshofs ist entsprechend durch den compromis beschränkt. Eigentlich entspricht es der Logik einer solchen Vereinbarung, dass die Parteien anschließend den Gerichtshof gemeinsam anrufen. Der IGH hat aber in Art 39 I Verfahrensordnung ausdrücklich auch die Möglichkeit ins Auge gefasst, dass im Falle einer ad-hoc-Vereinbarung nur eine Streitpartei den Gerichtshof anruft. Auch in der Praxis hat es ein solches Vorgehen immer wieder gegeben 38. Abstrakte vertragliche Vereinbarungen gibt es in zwei Versionen. Zum einen gibt es einige völkerrechtliche Verträge, deren erklärtes Ziel die Stärkung der friedlichen Streitbeilegung ist. Diese Verträge sehen teilweise eine obligatorische gerichtliche Streitbeilegung vor 39, wurden aber aus diesem Grund nur in sehr begrenztem Umfang ratifiziert. In der bi- und multilateralen völkerrechtlichen Praxis existiert daneben eine Vielzahl von völkerrechtlichen Verträgen, in denen die Parteien für die Beilegung von Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung des betreffenden Vertrages die Zuständigkeit des IGH begründen. Der IGH stellt eine Liste der entsprechenden Verträge auf seiner Internetseite zur Verfügung 40. Auch wenn diese Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, gibt sie doch einen guten Überblick. Obwohl die Begründung der Zuständigkeit durch eine solche vertragliche Klausel auf den ersten Blick klar zu sein scheint, kommt es vielfach zu Streitigkeiten über die Reichweite der Klausel. Der Gerichtshof ist dann nach Art 36 VI IGH-Statut dazu aufgerufen, darüber zu entscheiden, ob die vom Kläger behauptete Streitigkeit in den Anwendungsbereich des betreffenden Vertrages und der Zuständigkeitsklausel fällt. In manchen Fällen fällt es nicht leicht, hier Zuständigkeit und Begründetheit strikt voneinander zu trennen. So setzt die Berufung auf die Zuständigkeitsklausel in der Völkermordkonvention deren Anwendbarkeit und damit das Vorliegen
38 ICJ Reports 1954 (Fn 36) 19, 21 f; Case concerning the Arbitral Award made by the King of Spain on December 23rd 1906, Judgment of November 18th 1960, ICJ Reports 1960, 192, 194; Maritime Delimitation and Territorial Questions between Qatar and Bahrain, Jurisdiction and Admissibility, Judgment, ICJ Reports 1995, 6, 18 f. 39 Etwa Art 19 der Generalakte vom 26. September 1928 zur friedlichen Beilegung völkerrechtlicher Streitigkeiten (93 LNTS 342); Art 1 Europäisches Übereinkommen zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten (CETS No 23). 40 http://www.icj-cij.org/jurisdiction/index.php?p1=5&p2=1&p3=4 (geprüft am 27. Februar 2008).
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eines Völkermords voraus, worüber die Parteien möglicherweise gerade unterschiedlicher Meinung sind. Der Gerichtshof versucht hier auf der Ebene seiner Zuständigkeitsentscheidung nur festzustellen, ob – den klägerischen Vortrag als zutreffend unterstellt – ein Sachverhalt vorliegt, der in den Anwendungsbereich des geltend gemachten Vertrages und der Zuständigkeitsklausel fällt 41.
b) Zustimmung nach Klageerhebung und forum prorogatum Eine besondere Form einer ad-hoc-Vereinbarung über die Zuständigkeit des Gerichtshofs liegt vor, wenn die Klage zunächst ohne eine Zuständigkeitsgrundlage erhoben wird und der beklagte Staat sich dann aber auf eine gerichtliche Beilegung des Streits einlässt (sog forum prorogatum). Diese Form der Zuständigkeitsbegründung ist selten 42, aber rechtlich bestehen gegen sie keinerlei Einwände. In abgewandelter Form liegt auch ein Fall von forum prorogatum vor, wenn der materielle Umfang einer Streitigkeit über einen bestehenden Jurisdiktionstitel hinausgeht, der verklagte Staat sich aber auch insoweit auf eine gerichtliche Beilegung einlässt 43. Im Ergebnis kommt es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs allein darauf an, dass die Parteien sich einig sind, den Gerichtshof mit der Streitigkeit zu befassen. Wie diese Einigkeit zustande kommt, ist unerheblich 44. Auch darin kann man einen Ausdruck des Konsensprinzips sehen.
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c) Fakultativklausel (Art 36 II IGH-Statut) Die Fakultativklausel in Art 36 II IGH-Statut stellt einen kleinen Schritt auf dem Weg zu einer obligatorischen internationalen Gerichtsbarkeit dar. Nach dieser Vorschrift können die Staaten abstrakt und im Vorhinein die Zuständigkeit des Gerichtshofs zur Entscheidung von Streitigkeiten anerkennen. Sie können die Art der betreffenden Streitigkeiten näher spezifizieren, zeitliche oder inhaltliche Beschränkungen vornehmen oder eine allgemeine Erklärung abgeben. Die Zuständigkeit des Gerichtshofs besteht dann gegenüber allen Staaten, die in Bezug auf die betreffende Streitigkeit gleichfalls die Zuständigkeit des Gerichtshofs anerkannt haben. Dieses sog Reziprozitätserfordernis erstreckt sich aber nur auf den Umfang und den Inhalt der Erklärung, nicht auf formale Aspekte, wie etwa die Dauer, für die eine Erklärung abgegeben ist 45. Die Bedingung der Reziprozität muss im Zeitpunkt des Verfahrensbeginns erfüllt sein. Angesichts der Erwähnung des Gegenseitigkeitsprinzips in Art 36 II IGH-Statut ist es unnötig, in der Erklärung einen entsprechenden Vorbehalt zu formulieren, auch wenn dies in der Praxis häufig geschieht 46.
41 Tomuschat in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm, ICJ, Art 36 Rn 57 ff mit Nachweisen aus der Rechtsprechung und weiterführenden Überlegungen. 42 Sie kam tatsächlich erst dreimal in der Geschichte des IGH vor: Corfu Channel case, Judgment on Preliminary Objection, ICJ Reports 1948, 15; in einem noch nicht entschiedenen Verfahren zwischen Kongo und Frankreich ließ sich Frankreich auf das Verfahren ein, obwohl keine zuständigkeitsbegründende Klausel vorhanden war (vgl Certain Criminal Proceedings in France (Republic of the Congo v France), Order of July 11th 2003, ICJ Reports 2003, 143); s zuletzt Certain Questions of Mutual Assistance in Criminal Matters (Djibouti v. France), Judgement of 4 June 2008, 38. 43 Merrills (Fn 30) 130. 44 Tomuschat in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm, ICJ, Art 36 Rn 38. 45 ICJ Reports 1984 (Fn 21) 392 Rn 62. 46 Tomuschat in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm, ICJ, Art 36 Rn 77 f.
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Von der Praxis wird die Fakultativklausel passabel, aber keineswegs in großem Umfang angenommen. Gegenwärtig hat etwa ein Drittel der Staaten (65 von 191) eine Erklärung nach Art 36 II IGH-Statut abgegeben. Davon enthalten allerdings nur wenige Erklärungen eine uneingeschränkte Anerkennung der Gerichtsbarkeit des IGH. Die meisten Erklärungen nehmen Beschränkungen vor und formulieren Vorbehalte. Weiterhin ist es möglich, dass einmal abgegebene Erklärungen wieder zurück genommen werden. Dies haben etwa die USA 1985 getan, nachdem der IGH ihrer Meinung nach zu Unrecht seine Zuständigkeit im Nicaragua-Fall auf die von ihnen abgegebene Erklärung gestützt hatte 47. Die Voraussetzungen für eine solche Rücknahme sind allerdings umstritten. Zunächst kommt es auf den Wortlaut der Erklärung selbst an. Enthält diese – wie in neuerer Zeit sehr häufig – den ausdrücklichen Hinweis auf die jederzeitige Rücknehmbarkeit mit unmittelbarer Wirkung, dann dürfte dies zu respektieren sein, auch wenn der IGH anlässlich der amerikanischen Rücknahme in Analogie zum Vertragsrecht aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes einen „angemessenen Zeitraum“ für das Wirksamwerden der Rücknahme verlangt hat 48. Die Bundesrepublik Deutschland hat am 1. Mai 2008 eine entsprechende Erklärung abgegeben, nachdem dies seit dem Beitritt zur UNO im Jahr 1973 immer wieder erwogen worden war 49. Auch wenn man Art 36 II IGH-Statut als eine Zielbestimmung verstehen kann, derzufolge möglichst viele solche Erklärungen abgegeben werden sollen 50, bleibt es doch bei der grundsätzlichen Einordnung des Systems wie sie vom IGH in der Nicaragua-Entscheidung vorgenommen wurde. Danach handelt es sich bei den Erklärungen um „facultative, unilateral engagements, that states are absolutely free to make or not to make.“ 51
d) Das Sonderproblem der Vorbehalte zur Fakultativklausel 41
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Art 36 III IGH-Statut lässt ausdrücklich Vorbehalte zu den Erklärungen nach der Fakultativklausel zu. Der Gerichtshof versteht diese Regelung in einem umfassenden Sinn als Ausdruck der staatlichen Souveränität, frei darüber zu entscheiden, in welchen Fällen er sich auf eine gerichtliche Streitbeilegung einlassen möchte und in welchen nicht. Grundsätzlich sind daher Vorbehalte jeder Art möglich, auch solche, die sich nicht auf die ausdrücklich in Art 36 III IGH-Statut genannten Aspekte beziehen oder die gar ein rechtswidriges Verhalten des Staates von der Gerichtsbarkeit ausnehmen sollen. Im spanisch-kanadischen Fischereistreit hat der Gerichtshof ausdrücklich die spanische Behauptung zurückgewiesen, dass Vorbehalte unzulässig seien, deren Ziel es ist ein völkerrechtswidriges Verhalten von der Gerichtsbarkeit des IGH auszuschließen 52. Bislang ist kein einziger Vorbehalt vom Gerichtshof als unzulässig angesehen worden. Eine wichtige Beschränkung erfolgt vielfach in zeitlicher Hinsicht. Die einfachste Form einer solchen Beschränkung erfolgt durch den Hinweis, dass die Erklärung nur für Strei-
47 ILM 24 (1985), 1742. 48 ICJ Reports 1984 (Fn 21) 392 para 63; bestätigt in Land and Maritime Boundary between Cameroon and Nigeria, Preliminary Objections, Judgment, ICJ Reports 1998, 275 Rn 33. 49 BGBl 2008 II 713; siehe dazu auch BT-Drs. 16/9218 vom 5.5.2008, sowie den Bericht einer Arbeitsgruppe der DGVR, abgedruckt in ZaöRV 67 (2007), 825. 50 Tomuschat in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm, ICJ, Art 36 Rn 64. 51 ICJ Reports 1984 (Fn 21) 392 Rn 59. 52 Fisheries Jurisdiction (Spain v Canada), Jurisdiction of the Court, Judgment, ICJ Reports 1998, 432 Rn 54.
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tigkeiten gilt, die nach ihrer Abgabe entstehen. Das Problem einer solchen Formulierung besteht darin, dass neue Streitigkeiten vielfach auf sehr weit zurück liegenden Tatsachen beruhen können und deswegen die Ausschlusswirkung eines Vorbehalts, der sich nur auf das Entstehen der Streitigkeit bezieht, eher begrenzt ist. Deswegen beziehen sich moderne Vorbehalte nicht auf das Entstehen der Streitigkeit, sondern verlangen zusätzlich, dass die der Streitigkeit zugrundeliegenden Fakten zeitlich nach der Abgabe der Erklärung liegen müssen 53. Nicht selten beruhen konkrete Rechtsstreitigkeiten allerdings auf einer sehr undurchsichtigen Gemengelage unterschiedlicher historischer Fakten, von denen fast immer auch einige weit in die Geschichte zurückreichen. Um hier die Wirkung der Vorbehalte nicht ungebührlich weit zu erstrecken, hat schon der StIGH die Formel von den „wahren Gründen“ eines Rechtsstreits geprägt und zwischen der historischen Basis der behaupteten Rechtspositionen (auf die es für die zeitliche Beschränkung nicht ankomme) und der historischen Ursache des Streits (die in zeitlicher Hinsicht allein maßgeblich sei) unterschieden 54. Eine weitere Gruppe von Vorbehalten bezieht sich auf rein innerstaatliche Sachverhalte. Im Kern zielen derartige Vorbehalte darauf, dem IGH die Entscheidung über Sachverhalte unmöglich zu machen, die nach Auffassung der Staaten nicht dem Völkerrecht unterliegen. Allerdings ist die Wirkung dieses Vorbehalts sehr begrenzt 55. Schon aus Art. 38 IGH-Statut ergibt sich, dass der IGH nur über Fälle entscheiden darf, die dem Völkerrecht unterliegen. Das ist bei rein innerstaatlichen Sachverhalten nicht der Fall. Insofern drücken entsprechende Vorbehalte nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit aus. Soweit es um die Frage geht, wer darüber entscheidet, ob ein Sachverhalt rein innerstaatlich ist oder nicht, gibt Art 36 VI IGH-Statut eine eindeutige Antwort: Es entscheidet der IGH. Diese Konsequenz versuchte der aus dem Jahr 1946 stammende und nach dem für seine Einführung verantwortlichen texanischen Senator sog „Connally Vorbehalt“ zu vermeiden. Danach sollten rein innerstaatliche Sachverhalte ausgeschlossen sein, „as determined by the United States of America“. Die Formulierung findet sich auch heute noch in einigen Vorbehalten. In der Praxis hat sie allerdings kaum Bedeutung. Dies liegt zum einen daran, dass sich der Umgang des IGH mit dem Vorbehalt in seiner Interhandel-Entscheidung so deuten lässt, dass er ungeachtet des Vorbehalts auf der Basis von Art 36 VI IGHStatut selbst über den internationalen Charakter des Streits entscheiden wird 56. Und zum anderen haben die Staaten inzwischen realisiert, dass die Anbringung eines so weit reichenden Vorbehalts wegen des Gegenseitigkeitsprinzips nicht selten ihren eigenen Interessen schadet, weil sich auch die Gegenseite darauf berufen kann 57.
53 Insoweit hat die belgische Erklärung des Jahres 1958 Modellcharakter, die von „legal disputes arising after July 13th 1948 concerning situations or facts subsequent to that date“ spricht. Die Erklärung ist verfügbar unter http://www.icj-cij.org/jurisdiction/index.php?p1=5&p2=1&p3= 3&code=BE (geprüft am 27. Februar 2008). 54 Electricity Company of Sofia and Bulgaria, Judgment of April 4th 1939, PCIJ Series A/B, No 77, 63, 77; bestätigt in Case concerning Right of Passage over Indian Territory (Merits), Judgment of April 12th 1960, ICJ Reports 1960, 6, 35; s zuletzt Certain Property (Liechtenstein v. Germany), Judgement of 10 February 2005, 22 ff. 55 Tomuschat in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm, ICJ, Art 36 Rn 87. 56 Interhandel Case, Judgment of March 21st 1959, ICJ Reports 1959, 6, 25; und die dazu von Tomuschat in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm, ICJ, Art 36 Rn 88 gegebene Interpretation. 57 Tomuschat in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm, ICJ, Art 36 Rn 92.
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Der sog „Vandenberg-Vorbehalt“, der ebenfalls von den USA eingeführt wurde, bezieht sich auf multilaterale Vertragssysteme. Danach soll die Anwendung eines multilateralen Vertrages ausgeschlossen sein, wenn nicht „all parties to the treaty affected by the decision are also parties to the case before the Court“. Indien hat noch deutlicher formuliert und schließt die Zuständigkeit aus „unless all parties to the treaty are also parties to the case before the Court.“ Der IGH hat auf der Linie seiner großzügigen Berücksichtigung aller Vorbehalte auch diese Art von Vorbehalt akzeptiert und deshalb in der Nicaragua-Entscheidung die UN-Charta nicht angewendet. Berücksichtigt man den Umstand, dass es in der Praxis keine Fälle unter einer Beteiligung einer großen Zahl von Staaten gibt, dann entfaltet der Vandenberg-Vorbehalt eine so weitreichende Wirkung, dass er im Ergebnis die Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des IGH konterkariert. In der Literatur wird betont, dass das Vorbehalts-Regime des Art 36 III IGH-Statut sich grundsätzlich von den allgemeinen Regeln für Vorbehalte nach der Wiener Vertragsrechts-Konvention unterscheide. Es gebe nun einmal keine Verpflichtung, sich der Gerichtsbarkeit des IGH zu unterwerfen. Bei einem multilateralen Vertrag bestehe dagegen ein in den Verhandlungen hergestelltes labiles Gleichgewicht. Deshalb sei dort ein zurückhaltender Umgang mit Vorbehalten geboten 58. Auch wenn dieser Unterschied gut einleuchtet, stellt sich doch die Frage, ob der IGH nicht gleichwohl etwas strenger mit entsprechenden Versuchen verfahren könnte, die Gerichtsbarkeit anzunehmen und gleichzeitig sie doch zu unterlaufen. Natürlich gibt es keine Verpflichtung, sich der Gerichtsbarkeit des IGH zu unterwerfen. Es gibt aber auch keine Verpflichtung, einem multilateralen Vertrag beizutreten. Entsprechend lässt sich durchaus für die Vorbehalte nach Art 36 III IGH-Statut parallel zum allgemeinen Vertragsrecht argumentieren. Man muss sich der Gerichtsbarkeit nicht unterwerfen, aber wenn man es tut, dann darf man keine Vorbehalte anbringen, die den Zweck der Unterwerfung ins Gegenteil verkehren. Neben dem allgemeinen Rechtsgedanken des Verbots eines „venire contra factum proprium“ bieten sich Anleihen zur Haltung des UN-Menschenrechts-Ausschusses an, der entsprechenden Versuchen, seine Zuständigkeit einerseits grundsätzlich zu begründen, sie andererseits aber umfassend durch Vorbehalte zu beschränken, sehr kritisch begegnet 59. 4. Einzelfragen des Verfahrensrechts
a) Ad-hoc-Richter 46
Nach Art 31 I IGH-Statut sind Richter, welche die Nationalität einer der Streitparteien besitzen, nicht von der Mitwirkung an der Entscheidung ausgeschlossen. Im Gegenzug besteht für jede andere Streitpartei die Möglichkeit, einen zusätzlichen Richter eigener Wahl zu benennen (Art 31 II IGH-Statut). Obwohl unter Gleichheitsgesichtspunkten nicht unbedingt erforderlich, ermöglicht Art 31 III IGH-Statut die Benennung von adhoc-Richtern durch jede Partei, wenn keine von ihnen auf der Richterbank repräsentiert ist. Sie haben normalerweise die Nationalität der Streitpartei, von der sie benannt werden, notwendig ist dies aber nicht 60. Die ad-hoc-Richter wirken gleichberechtigt an allen Ent58 Tomuschat in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm, ICJ, Art 36 Rn 91. 59 Vgl etwa Nowak CCPR, Art 41 Rn 14; Schilling Menschenrechtsschutz, Rn 428. 60 Beispiele sind etwa Sir Elihu Lauterpacht für Bosnien und Herzegowina, Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, Preliminary Objections,
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scheidungen des Gerichtshofs in der betreffenden Sache mit. Mit der gleichen Berechtigung geht auch die gleiche Verpflichtung zur Neutralität und Unparteilichkeit aus Art 20 IGH-Statut einher, wie sie die übrigen Mitglieder des Gerichtshofs trifft. Faktisch gibt es freilich kaum Fälle, in denen ad-hoc-Richter gegen die sie benennende Partei entschieden hätten 61. Auch wenn man sich in einigen Fällen des Eindrucks nicht erwehren kann, dass die ad-hoc-Richter eine unangemessen hohe Loyalität gegenüber der sie benennenden Partei an den Tag legen, bleibt insgesamt aber doch die Einschätzung von Sir Elihu Lauterpacht über die Rolle des ad-hoc-Richters maßgeblich, wenn er dessen Rolle vornehmlich darin sieht, darauf zu achten, dass alle für eine bestimmte Partei sprechenden Argumente angemessen gewürdigt werden und in die Entscheidungsgründe einfließen 62. Besondere Probleme können sich stellen, wenn das Anliegen einer Partei möglicherweise durch Richter anderer Staaten in gleicher Weise berücksichtigt werden kann. Art 31 V IGH-Statut bestimmt hierzu, dass für die Zwecke der Bestimmung von ad-hoc-Richtern Staaten, die das „gleiche Interesse“ haben, als eine Streitpartei angesehen werden. Entscheidend wird damit die Frage, wann ein „gleiches Interesse“ vorliegt. Nachdem im Lockerbie-Verfahren die neue britische Richterin Rosalyn Higgins wegen einer früheren Befassung mit der Angelegenheit nicht mitwirken konnte, stellte sich die Frage, ob das britische Interesse nicht durch den amerikanischen Richter Schwebel hinreichend berücksichtigt sei. Dies lag nicht zuletzt deshalb nahe, weil Libyen parallele Verfahren sowohl gegen die USA als auch gegen das Vereinigte Königreich angestrengt hatte 63. Der Gerichtshof war allerdings der Meinung, dass jedenfalls mit Blick auf die Frage der Zulässigkeit das Vereinigte Königreich und die USA in einer unterschiedlichen Situation seien und deshalb nicht das gleiche Interesse verfolgten. Der Gerichtshof billigte deshalb mit 10 zu 3 Stimmen dem Vereinigten Königreich das Recht zu, einen ad-hoc-Richter zu benennen 64. Nicht durchsetzen konnte sich dagegen die vom serbischen ad-hoc-Richter Kreca vertretene Auffassung, aus Art 31 V IGH-Statut müsse abgeleitet werden, dass eine Partei Anspruch auf so viele ad-hoc-Richter habe, wie Richter auf der Bank säßen, deren Staaten ein gleiches Interesse hätten. Kreca wollte mit dieser Argumentation in den Verfahren Serbiens gegen die NATO-Mitgliedstaaten einen Anspruch Serbiens auf fünf ad-hoc-Richter begründen, da fünf NATO-Mitgliedstaaten (Frankreich, Deutschland, die Niederlande, das Vereinigte Königreich und die USA) durch eigene Richter im Gerichtshof vertreten seien 6 5. Aus dieser Praxis des Gerichtshofs lässt sich ableiten, dass ad-hoc-
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Judgment, ICJ Reports 1996, 595 Rn 6; Sir Franklin Berman für Liechtenstein, Certain Property (Lichtenstein v Germany), Preliminary Objections, Judgment, ICJ Reports 2005, 6 Rn 4; Thomas Franck für Indonesien, Sovereignty over Pulau Ligitan and Pulau Sipidan (Indonesia/Malaysia), Judgment, ICJ Reports 2002, 625 Rn 7. Siehe allerdings Application for Revision and Interpretation of the Judgment of February 24th 1982 in the Case concerning the Continental Shelf (Tunisia/Libyan Arab Jamahiriya) (Tunisia v Libyan Arab Jamahiriya), ICJ Reports 1985, 192, 247 ff, wo die von Tunesien benannte ad-hoc Richterin Bastid sich in allen Punkten gegen die tunesische Position aussprach. Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, Provisional Measures, Order of September 13th 1993, ICJ Reports 1993, 325. ICJ Reports 1998 (Fn 22) 9, 11 (Prozessgeschichte). ICJ Reports 1998 (Fn 22) 9 Rn 9. Legality of Use of Force (Yugoslavia v Belgium), Request for the Indication of Provisional Measures Order of June 2nd 1999, Dissenting Opinion of Judge Kreca, ICJ Reports 1999, 216 ff Rn 2 f.
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Richter kein Kräftegleichgewicht herstellen, sondern im Gerichtshof eine bestimmte Sicht auf den Streit einbringen sollen.
b) Einstweiliger Rechtsschutz 48
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Schon das Statut des StIGH kannte die Möglichkeit eines einstweiligen Rechtsschutzes. Die heutige Formulierung von Art 41 IGH-Statut stimmt mit der Vorläuferregelung bis auf redaktionelle Änderungen überein. Danach kann der Gerichtshof einstweilige Maßnahmen zum Schutz der Rechte einer der Streitparteien erlassen. Formal ergehen die Entscheidungen hierüber in Form einer „order“ des Gerichtshofs. Ein Antrag ist nicht erforderlich, denn der Gerichtshof kann nach der Formulierung in der Verfahrensordnung (Art 75 I) die Maßnahmen ausdrücklich auch von Amts wegen (proprio motu) erlassen. In diesem Fall kann die nach Art 74 III Verfahrensordnung grundsätzlich erforderliche mündliche Verhandlung entfallen. Der IGH wählte diesen Weg im Fall LaGrand wegen der besonderen Eilbedürftigkeit, obwohl Deutschland einen Antrag auf Erlass einstweiliger Maßnahmen gestellt hatte 66. Eine wichtige Streitfrage betrifft den Erlass von einstweiligen Maßnahmen bei ungeklärter Zuständigkeit des Gerichtshofs. Immer wieder kommt es vor, dass einstweilige Maßnahmen beantragt werden, obwohl die Zuständigkeit des Gerichtshofs, den Fall in der Sache zu entscheiden, von der anderen Partei bestritten wird. Hier tritt die Eilbedürftigkeit der einstweiligen Maßnahmen mit der Notwendigkeit in Konflikt, zunächst einmal die Zuständigkeit zu klären. Der Gerichtshof löst dieses Problem, indem er eine reduzierte Zuständigkeitsprüfung vornimmt und nur verlangt, dass die Zuständigkeit prima facie besteht 67. Fehlt es schon prima facie an der Zuständigkeit kann der Gerichtshof dies zum Anlass nehmen, sich insgesamt für unzuständig zu erklären 68 oder sogar den betreffenden Fall von der Liste zu streichen. Letzteres erfolgt allerdings sehr selten und nur im Falle einer ganz offensichtlich fehlenden Zuständigkeit 69. Wie auch im nationalen Kontext ist ein wesentliches Kriterium für den Erlass einstweiliger Maßnahmen, dass diese nicht die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen dürfen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass für die Dauer des Verfahrens vor dem IGH vorläufig ein Aufschub von umstrittenen Maßnahmen unmöglich wäre. So hat der IGH im Verfahren LaGrand gegen den entsprechenden Vortrag der USA entschieden, dass die mit dem Aufschub der Vollstreckung notwendig einhergehende Verzögerung keine Vorwegnahme der Hauptsache darstellt 70.
66 LaGrand (Germany v United States of America), Provisional Measures, Order of March 3rd 1999, ICJ Reports 1999, 9 Rn 21. 67 Siehe etwa Nuclear Tests (Australia v France), Interim Protection, Order of June 22nd 1973, ICJ Reports 1973, 99 Rn 13; Nuclear Tests (New Zealand v France), Interim Protection, Order of June 22nd 1973, ICJ Reports 1973, 135 Rn 14. 68 Request for an Examination of the situation in Accordance with Paragraph 63 of the Court’s Judgment of December 20th 1974 in the Nuclear Tests (New Zealand v France) Case, ICJ Reports 1995, 288 Rn 65. 69 Legality of Use of Force (Yugoslavia v Spain), Provisional Measures, Order of June 2nd 1999, ICJ Reports 1999, 761 Rn 35; Legality of Use of Force (Yugoslavia v United States of America), Provisional Measures, Order of June 2nd 1999, ICJ Reports 1999, 916 Rn 29. 70 ICJ Reports 1999 (Fn 66) 9 Rn 27; näher Oellers-Frahm in: Zimmermann/Tomuschat/OellersFrahm, ICJ, Art 41 Rn 24.
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Die wohl wichtigste Streitfrage um den Erlass einstweiliger Maßnahmen betraf über viele Jahre deren Verbindlichkeit. Der Gerichtshof selbst war in dieser Frage über lange Jahre sehr zurückhaltend und hat im Nicaragua-Verfahren 1984 vorsichtig formuliert, dass es Aufgabe jeder Partei sei, die vom Gerichtshof angeordneten Maßnahmen „ernsthaft zu berücksichtigen“ 71. Dies änderte sich im Jahr 2001. Im LaGrand-Verfahren beantragte Deutschland in der Hauptsache ausdrücklich die Feststellung, dass die USA völkerrechtswidrig gehandelt hätten, weil sie entgegen den vom IGH angeordneten einstweiligen Maßnahmen die Todesstrafe gegen Walter LaGrand vollstreckt hatten. Dem folgte der IGH und entschied damit die Frage im Sinne der Verbindlichkeit seiner einstweiligen Anordnungen 72. Wenig später folgte der EGMR dieser Linie für das gleiche Problem unter der EMRK 73.
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c) Widerklage (counter-claim) Während das Statut zur Möglichkeit einer Widerklage schweigt, ist diese in der Verfahrensordnung seit längerem anerkannt. Voraussetzung ist nach Art 80 Verfahrensordnung ein „direkter Zusammenhang“ zwischen der erhobenen Klage und der Widerklage. Der Gerichtshof hat die Widerklage als einen Antrag definiert, der ein eigenständiges, vom eigentlichen Antrag unabhängiges Ziel verfolge und insofern über die bloße Zurückweisung des ursprünglichen Antrags des Gegners hinausweisen müsse 74. Der „direkte Zusammenhang“ muss sowohl in rechtlicher wie in faktischer Hinsicht bestehen („both in fact and in law“) 75.
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d) Intervention Die Intervention ist in Art 62 IGH-Statut geregelt. In ihr spiegelt sich das Konsensprinzip wider. Das Rechtsinstitut ermöglicht es einem Staat, der ein rechtliches Interesse am Ausgang eines bestimmten Verfahrens hat, diesem Verfahren beizutreten und eigene Prozesshandlungen vorzunehmen. Die Intervention setzt ein bereits anhängiges Verfahren und ein rechtliches Interesse voraus 76. Nicht verlangt wird dagegen, dass die Zuständigkeit des IGH zwischen dem Intervenienten und den Streitparteien begründet ist. Der Intervenient wird gerade nicht Partei, sondern nur am Verfahren beteiligt 77. Das Institut spielt in der Praxis allerdings nur eine geringe Rolle 78.
71 Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v United States of America), Merits, Judgment, ICJ Reports 1986, 14 Rn 289. 72 LaGrand (Germany v United States of America), Judgement, ICJ Reports 2001, 466 Rn 109; vgl dazu Oellers-Frahm, EuGRZ 2001 265. 73 EGMR EuGRZ 2001, 704 – Mamatkulov gegen Türkei; näher Kadelbach → § 5 Rn 26. 74 Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, Counter-Claims, Order of December 17th 1997, ICJ Reports 1997, 243 Rn 27 f. 75 Oil Platforms (Islamic Republic of Iran v United States of America), Counter-Claim, Order of March 10th 1998, ICJ Reports 1998, 190 Rn 37. 76 Chinkin in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm, ICJ, Art 62 Rn 10. 77 Land, Island and Maritime Frontier Dispute (El Salvador/Honduras) Application to Intervene, Judgment, ICJ Reports 1990, 92 Rn 94. 78 Vgl die Nachweise bei Chinkin in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm, ICJ, Art 62 Rn 19.
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e) Nichterscheinen einer Partei 54
Immer wieder kommt es vor, dass in Verfahren vor dem IGH die verklagte Partei nicht erscheint. Den Umgang mit diesem Problem regelt Art 53 IGH-Statut, der in solchen Fällen der klagenden Partei grundsätzlich das Recht einräumt, eine Entscheidung in ihrem Sinne zu beantragen. Allerdings verlangt Art 53 II IGH-Statut, dass der Antrag „well founded in law and in fact“ ist. Anders als im deutschen Zivilprozess reicht es also nicht aus, dass der Antrag schlüssig ist, sondern der Gerichtshof muss sich – soweit möglich – von den zugrunde liegenden Tatsachen überzeugen. Er stützt sich dabei auf alle frei zugänglichen Quellen und berücksichtigt auch die von der nicht erscheinenden Partei informell übermittelten Informationen. Er sieht sich allerdings nicht verpflichtet an, die vorgetragenen Tatsachen „in all their details“ zu untersuchen 79. Deshalb geht es ein Stück weit zu Lasten der abwesenden Partei, wenn der Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt werden kann. 5. Urteile, Urteilswirkungen und Durchsetzung
a) Rechtskraft und Rechtskraftdurchbrechung 55
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Die Urteile des Internationalen Gerichtshofs sind für die Parteien verbindlich und endgültig. Es besteht kein Rechtsmittel gegen sie. Von dieser Grundregel bestehen allerdings zwei Ausnahmen: Zum einen kann nach Art 60 S 2 IGH-Statut eine Interpretation eines Urteils durch den Gerichtshof verlangt werden, wenn Meinungsverschiedenheiten über seinen Sinn oder seine Tragweite bestehen, soweit sich diese auf den Tenor und dessen tragende Gründe beziehen 80. Und zum anderen ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach Art 61 IGH-Statut möglich, wenn eine Tatsache bekannt wird, die von entscheidender Bedeutung für das Urteil war und zum Zeitpunkt seines Erlasses unbekannt war. Die Unterscheidung zwischen den beiden Rechtsinstituten fällt nicht leicht. Man kann sie zunächst dahin vornehmen, dass eine Interpretation die Rechtskraft des alten Urteils respektieren und sich deshalb innerhalb des von diesem Urteil gesetzten Rahmens bewegen muss. Während also das Interpretationsverfahren nach Art 60 IGH-Statut formal die Rechtskraft unberührt lässt, wird mit dem Wiederaufnahmeverfahren des Art 61 IGH-Statut eine echte Möglichkeit der Rechtskraftdurchbrechung eingeräumt. Deshalb kann in einem Verfahren der Interpretation nicht geltend gemacht werden, der IGH habe falsch entschieden 81. Für das Interpretationsverfahren genügt der Antrag einer Partei. Ein Konsens der Parteien über die Notwendigkeit einer Interpretation ist nicht erforderlich. Die Zuständigkeit des IGH ergibt sich aus der Zuständigkeit für das zu interpretierende Urteil 82. Voraussetzung ist allerdings eine „Meinungsverschiedenheit“ (dispute, contestation). Der Gerichtshof verlangt hierfür eine „difference of opinion between the Parties as to those points in the judgment in question which have been decided with binding force, including a difference of opinion as to whether a particular point has or has not been decided with binding force.“ 83
79 ICJ Reports 1986 (Fn 71) 14 Rn 30. 80 Request for Interpretation of the Judgment of June 11th 1998 in the Case concerning the Land and Maritime Boundary between Cameroon and Nigeria (Cameroon v Nigeria), Preliminary Objections (Nigeria v Cameroon), ICJ Reports 1999, 31 Rn 10 f. 81 Zimmermann/Thienel in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm, ICJ, Art 60 Rn 27 mwN. 82 ICJ Reports 1985 (Fn 61) 192 Rn 43. 83 ICJ Reports 1985 (Fn 61) 192 Rn 46.
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Für das Wiederaufnahmeverfahren genügt ebenfalls ein Antrag nur einer Partei. Allerdings muss diese das spätere Bekanntwerden einer „Tatsache“ behaupten. Hierbei fällt die Unterscheidung zwischen Tatsachen und Rechtsfragen nicht leicht. Das gilt umso mehr, als der IGH das Wiederaufnahmeverfahren auch gegenüber seinen Zulässigkeitsentscheidungen für möglich hält. In diesen Entscheidungen sind echte Tatsachen selten, stattdessen verschwimmen Tatsachen und Rechtsfragen 84. Abgesehen von dieser Problematik muss die Tatsache bereits im Zeitpunkt des Ergehens der angegriffenen Entscheidung vorgelegen haben, aber zu diesem Zeitpunkt unbekannt gewesen sein. Handelt es sich dagegen um eine neue Tatsache, die erst nach dem ursprünglichen Urteil entstanden ist, scheidet ein Wiederaufnahmeverfahren aus 85.
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b) Internationale Durchsetzung Aus Art 94 I UN-Charta folgt die Pflicht, die Entscheidungen des IGH zu befolgen. Diese erstreckt sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs auf den Tenor und die tragenden Gründe 86. Die Verpflichtung zur Beachtung der Urteile des IGH kann nach Art 94 II UN-Charta vom Sicherheitsrat durchgesetzt werden. Der Sicherheitsrat kann dazu auf seine Zuständigkeiten nach Kapitel VI und Kapitel VII UN-Charta zurückgreifen, deren materielle Voraussetzungen freilich vorliegen müssen. Entgegen einer gelegentlich vertretenen Auffassung lässt sich kaum annehmen, dass Art 94 II UN-Charta eine Eingriffskompetenz begründe, von der ohne das Vorliegen einer Friedensbedrohung Gebrauch gemacht werden könne 87.
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c) Nationale Durchsetzung im deutschen Verfassungsrecht Das Bundesverfassungsgericht hat für die EMRK entschieden, dass die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für die Gerichte der Bundesrepublik Deutschland im Sinne einer Berücksichtigungspflicht verbindlich sind. Diese Rechtsprechung beinhaltet, dass Verstöße gegen die Pflicht unter Berufung auf das der EMRK entsprechende nationale Grundrecht und das Rechtsstaatsprinzip nach Art 20 III GG mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden können 88. Diese Grundsätze wurden im September 2006 in einer Kammerentscheidung auf die Rechtsprechung des IGH ausgedehnt,
84 Bei dem Antrag Jugoslawiens auf Wiederaufnahme der Zulässigkeitsentscheidung im Streit über eine Verletzung der Völkermordkonvention (Application for Revision of the Judgment of July 11th 1996 in the Case concerning Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v Yugoslavia), Preliminary Objections (Yugoslavia v Bosnia and Herzegovina), Judgement, ICJ Reports 2003, 7) ging es um die Frage, inwiefern es sich bei der Mitgliedschaft Jugoslawiens in den Vereinten Nationen um eine Tatsache handelt. Aufgrund der Sukzessionsprobleme waren hier Rechtsfragen und tatsächliche Fragen eng miteinander vermischt. 85 Siehe im Einzelnen Zimmermann/Geiss in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm, ICJ, Art 61 Rn 46 ff. 86 Polish Postal Service in Danzig, Advisory Opinion of May 16th 1925, PCIJ Series B, No 11, 6, 29 f; diese Aussage wurde vom IGH bestätigt, wenn er das Interpretationsverfahren auf die tragenden Gründe beschränkt (vgl Fn 80). 87 Überzeugend Oellers-Frahm FS Tono Eitel, 2003, 169, 182. 88 BVerfGE 111, 307, 329; siehe dazu aus der Literatur Pernice EuZW 2004, 705; Meyer-Ladewig/ Petzold NJW 2005, 15 ff; Breuer NVwZ 2005, 412 ff; E. Klein JZ 2004, 1176 ff.
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soweit diese individuelle Rechtspositionen konkretisiert. Danach sind die deutschen Gerichte gehalten, sämtliche Entscheidungen zur Auslegung eines anwendbaren völkerrechtlichen Vertrages ergangene Rechtsprechung des IGH im Sinne einer „normativen Leitfunktion“ zu berücksichtigen 89. Dies stärkt die internationale Gerichtsbarkeit und verzahnt die deutsche mit der Völkerrechtsordnung.
V. Gutachtenverfahren (Art 96 UN-Charta) 60
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Im Gutachtenverfahren kommt die Rolle des IGH als Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen am besten zum Ausdruck, denn Gutachten können nur von den Hauptorganen Generalversammlung und Sicherheitsrat oder von speziell ermächtigten anderen Organen oder von Sonderorganisationen der Vereinten Nationen in Auftrag gegeben werden. Generell sind Gutachtenverfahren in der internationalen Gerichtsbarkeit eine verbreitete Einrichtung. Nach Art 47 EMRK kann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Gutachten erstatten 90, in der Europäischen Gemeinschaft gibt es eine entsprechende Zuständigkeit für völkerrechtliche Verträge der Gemeinschaft mit Drittstaaten (Art 300 VI EGV (Art 218 IV AEUV-E)) und auch der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte verfügt in Art 64 AMRK über eine entsprechende Zuständigkeit. Ein Gutachtenersuchen kann sich sowohl auf abstrakte Rechtsfragen als auch auf die rechtliche Beurteilung einer konkreten Situation beziehen. In die erste Fallgruppe gehört das vom IGH 1996 erstattete Gutachten zur Vereinbarkeit von Nuklearwaffen mit dem geltenden Völkerrecht 91. Für die zweite Fallgruppe kann man aus jüngerer Zeit auf das Gutachten des Gerichtshofs zur von Israel an der Grenze zu den palästinensischen Gebieten errichteten Mauer verweisen, das der Gerichtshof auf Antrag der Generalversammlung erstattet hat und das sogar konkrete Schlussfolgerungen für die Staatengemeinschaft aus der vom IGH festgestellten Völkerrechtswidrigkeit des Mauerbaus zieht 92. Nach Art 65 I IGH-Statut „kann“ der Gerichtshof ein Gutachten erstatten. Er hat bislang in allen Gutachten betont, dass daraus ein Ermessen folge, ein Gutachten gegebenenfalls auch einmal nicht zu erstatten. Bislang hat er hiervon aber trotz wiederholter Aufforderungen niemals Gebrauch gemacht und verlangt für diesen Fall „zwingende Gründe“, welche gegen das Gutachten sprechen müssten 93. In gleicher Weise hat er es stets abgelehnt, aus dem (hoch)politischen Charakter einiger der ihm unterbreiteten Rechtsfragen eine Art political question-Doktrin zu entwickeln. Er betont vielmehr, dass die Tatsache, dass eine Rechtsfrage auch politische Aspekte habe, ihr nicht den Charakter einer Rechtsfrage nehme 94.
89 BVerfG JZ 2007, 887, 888 mit Anmerkung Burchard, 891 ff; Payandeh AVR 45 (2007), 244 ff; Kreß GA 2007, 296 ff. 90 Das erste Gutachten zu einer Sachfrage stammt vom 12. Februar 2008 (Advisory Opinion on Certain legal questions concerning the lists of candidates submitted with a view to the election of judges to the European Court of Human Rights, ILM 2008, 521; s auch Jacobs/White The European Convention on Human Rights, 4. Aufl 2006, 12. 91 Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion, ICJ Reports 1996, 226. 92 Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, ICJ Reports 2004, 136 Rn 154 ff. 93 Siehe zuletzt ICJ Reports 2004 (Fn 92) 136 Rn 44. 94 ICJ Reports 2004 (Fn 92) 136 Rn 41.
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Die Gutachten des IGH sind für das anfragende Organ und die Staaten nicht als solche verbindlich. Ein verbindlicher Charakter kann sich aber aus den zugrundeliegenden Normen des Völkerrechts oder durch eine ausdrückliche Anordnung in völkerrechtlichen Verträgen ergeben. So sieht etwa das Abkommen über Privilegien und Immunitäten der Vereinten Nationen vor, dass im Streitfall ein Gutachten des IGH angefordert werden soll, das von den Parteien als „decisive“ anzusehen sei 95.
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VI. Ausblick: Der IGH und die wachsende Bedeutung spezieller Streitbeilegungsverfahren Insgesamt erfreut sich die internationale Gerichtsbarkeit wachsender Beliebtheit. Die Zahl der beim IGH anhängigen Verfahren ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Bemerkenswert ist dabei ein Anstieg der Verfahren aus Afrika und Lateinamerika, sowie – in Bezug auf die Rechtsfragen – die zunehmende Entscheidung von Grenz- und Gebietsstreitigkeiten durch den IGH 96. Auch hochpolitische Fragen der Anwendung militärischer Gewalt werden zunehmend zum Gegenstand gerichtlicher Streitbeilegung. Andere internationale Streitbeilegungsgremien und internationale Gerichte werden ähnlich intensiv in Anspruch genommen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sogar in einem Umfang, dass hierdurch das Rechtsschutzsystem gefährdet erscheint (→ § 5 Rn 25). Für die internationale Gerichtsbarkeit insgesamt erweist sich die Aufspaltung in verschiedene Spezialgerichtsbarkeiten als zentrale Herausforderung. Anders als früher ist der IGH bei weitem nicht mehr allein für die Beilegung zwischenstaatlicher Streitigkeiten zuständig. Mit ihm konkurrieren etwa der Internationale Seegerichtshof für den Bereich des Seerechts, das WTO-Streitbeilegungsverfahren für das Welthandelsrecht, der EuGH für das Recht der Europäischen Union und die verschiedenen Menschenrechtsschutzorgane für die in dem jeweils zugrundeliegenden Vertrag geschützten Menschenrechte. Jurisdiktionskonflikte hat es bislang zwischen der WTO und dem Seerecht 97, aber auch zwischen dem Seerecht und dem Recht der Europäischen Gemeinschaft gegeben 98. Das Jugoslawien-Tribunal und der IGH sind bei Zurechnungsfragen zu (vermeintlich) widersprüchlichen Entscheidungen gelangt 99. Von den Präsidenten des IGH und anderen internationalen Richtern ist diese Entwicklung mit einer gewissen Sorge beobachtet worden 100. Sie sehen hierdurch die Einheit der 95 Art VIII Abs 30 Abkommen über Privilegien und Immunitäten (GA Res 22 (I) vom 13. Februar 1946)); siehe auch Difference Relating to Immunity from Legal Process of a Special Rapporteur of the Commission on Human Rights, Advisory Opinion, ICJ Reports 1999, 62 Rn 65. 96 Siehe dazu Merrills (Fn 30) 162 ff. 97 Neumann ZaöRV 61 (2001), 529. 98 EuGH EuZW 2006, 464, Rn 121 – Kommission/Irland; vgl dazu Wegener Zeitschrift für Umweltrecht 2006, 582. 99 Für einen sog effective control test: ICJ Reports 1986 (Fn 71) 14 Rn 195; Für einen sog overall control test: International Tribunal for the Former Yugoslavia, Appeals Chamber vom 15.07.1999, Rn 112 ff insb 145 – Prosecutor v Dusko Tadic, verfügbar unter: http://www.un.org/icty/tadic/ appeal/judgement/index.htm; vgl dazu Cassese EJIL 18 (2007), 649. 100 Guillaume Speech by His Excellency Judge Gilbert Guillaume, President of the International Court of Justice, to the Sixth Committee of the General Assembly of the United Nations (October 31st 2001) (verfügbar unter http://www.icj-cij.org/court/index.php?pr=81&pt=3&p1= 1&p2=3&p3=1); Buergenthal LJIL (2001), 267, 272 f.
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Völkerrechtsordnung gefährdet. Die International Law Commission hat sogar eine besondere Arbeitsgruppe zur Fragmentierung des Völkerrechts eingerichtet 101. Diese Gefahren, die Folge der „Sektoralisierung“ des Völkerrechts in verschiedene Teilregime mit eigenen Streitbeilegungsverfahren sind, dürfen sicherlich nicht unterschätzt werden 102. Aber es bedarf zugleich einer differenzierten Betrachtung, weil nicht in allen Fällen echte Kollisionen bestehen oder solche Kollisionen zumindest vermieden werden können 103. So war etwa das Jugoslawien-Tribunal mit einer ganz anderen Zurechnungsfrage beschäftigt als der IGH im Nicaragua-Fall. Im einen Fall ging es um die Zurechnung im Bereich individueller Schuld und im anderen um die Zurechnung im Rahmen der Staatenverantwortlichkeit. Es ist völlig plausibel, dass hier unterschiedliche Zurechnungsmaßstäbe gelten und das Jugoslawien-Tribunal hat insofern ohne Not einen Konflikt mit der Rechtsprechung des IGH behauptet 104. Des Weiteren entstehen keine besonderen Probleme, wenn derselbe Sachverhalt den Regeln verschiedener Regime unterfällt: Was nach der Seerechtskonvention erlaubt ist, kann nach dem Welthandelsrecht verboten sein (oder umgekehrt), ohne dass dies zu einer echten Pflichtenkollision für die Mitgliedstaaten führt. Eine ernsthafte Problemlage entsteht nur, wenn ein Regime ein Verhalten gebietet, was ein anderes gerade verbietet. Ein solcher Fall ist bislang aber nicht praktisch geworden. Im Übrigen gilt es zu berücksichtigen, dass das Völkerrecht seit je her eine dezentrale Rechtsordnung war, die mit einer gewissen Uneinheitlichkeit in der Rechtsdurchsetzung zurechtkommen musste. In den jüngsten Entwicklungen deutet sich an, dass sich die Gründe für den dezentralen Charakter wandeln und nunmehr weniger im Fehlen zentraler Durchsetzungsmechanismen liegen als vielmehr in deren wachsender Zahl. Die überall steigenden Verfahrenszahlen belegen aber, dass dies dem Ansehen der internationalen Gerichtsbarkeit nicht schadet.
101 „Study Group on Fragmentation of International Law“, GAOR, 55th Session, Supplement No 10 (A/55/10), Rn 729. 102 Charney RdC 271 (1998), 101; Oellers-Frahm Max Planck Yearbook on United Nations Law 5 (2001), 67; Finke, Die Parallelität internationaler Streitbeilegungsmechanismen, 2004, 152 ff; Walter in: Nijman/Nollkaemper (Hrsg), New Perspectives on the Divide Between National and International Law, 2007, 191, 197; zuletzt umfassend Sauer Jurisdiktionskonflikte in Mehrebenensystemen, 2007; zahlreiche weitere Nachweise bei Hestermeyer in: König/Stoll/Röben/Matz-Lück (Hrsg), International Law Today: New Challenges and the Need for Reform?, 2008, 123. 103 Siehe dazu ausführlich Sauer (Fn 102) 371 ff. 104 Zutreffend Hestermeyer (Fn 102) 132 f.
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§2 Rechtsschutz durch die Vereinten Nationen, insbesondere nach dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte Stefan Kadelbach
Fall: B war stellvertretender Verteidigungsminister und Chef der Grenztruppen der DDR. Wegen der Praxis der DDR, Flüchtlinge an der innerdeutschen Grenze mit Waffengebrauch am Verlassen des Landes zu hindern, verurteilte ihn das Landgericht Berlin 1996 – aufgrund einer Regelung im Einigungsvertrag nach dem StGB-DDR – wegen Totschlags und versuchten Totschlags in verschiedenen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren. Die Revision zum Bundesgerichtshof und eine Verfassungsbeschwerde blieben erfolglos. Mit seiner Beschwerde beim Ausschuss für Menschenrechte der Vereinten Nationen rügt B Verletzungen der Art 15 (nulla poena sine lege) und 26 (Gleichheit vor dem Gesetz) des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte. Die ihm zur Last gelegten Taten seien nach dem Recht der DDR nicht strafbar gewesen, sondern hätten seinen Dienstpflichten entsprochen. Obwohl für Beamte des Bundesgrenzschutzes eine ähnliche Reglung über den Schusswaffengebrauch bestehe, seien sie, anders als das Personal der DDR, strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen worden. Hat seine Beschwerde Erfolg?
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I. Funktion und Bedeutung des Rechtsschutzes durch die Vereinten Nationen 1. System des Menschenrechtsschutzes durch die Vereinten Nationen
a) Zuständigkeiten der Vereinten Nationen nach der UN-Charta In der Charta der Vereinten Nationen (UNC) nimmt der Menschenrechtsschutz einen herausragenden Platz ein. Er ist eines ihrer wichtigsten Motive (Präambel Abs II), Ziele (Art 1 Ziff 3 UNC) und Arbeitsfelder (Art 55 c UNC). Alle Organe der Vereinten Nationen (VN) besitzen Zuständigkeiten auf diesem Gebiet. Die Generalversammlung der VN hat von ihrer Befugnis (Art 13 Ib UNC) am prominentesten mit Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 Gebrauch gemacht, einer Resolution, die einen Katalog von bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten proklamierte.1 An ihrem Vorbild orientieren sich vier multilaterale Verträge, nämlich die beiden Menschenrechtspakte der VN (→ Rn 7), die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (→ § 5) und die Amerikanische Menschenrechtskonvention 2. Nach der Weltkonferenz für Menschenrechte 1993 in Wien hat die Generalversammlung 1 Res 217 (III) der UN-Generalversammlung, UN General Assembly Official Records, part I, Resolutions (Doc A/810), 71; dazu Cassin RdC 79 (1951-II) 237 ff; Eide/Anfredsson/Melander/Rehof/ Rosas The Universal Declaration of Human Righs: A Commentary, 2. Aufl 1993; zu René Cassin Charvon RBDI 31 (1998), 321 ff; zur Geschichte der Menschenrechte Oestreich in: Bettermann/ Neumann/Nipperdey (Hrsg), Die Grundrechte, Bd I/1, 1966, 1 ff. 2 American Convention on Human Rights v 22.11.1978, in Kraft getreten am 18.7.1978, OAS Treaty Series No 36, 1.
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das Amt eines Hochkommissars für Menschenrechte eingerichtet, der die verschiedenen Aktivitäten der VN auf dem Gebiet des Menschenrechtsschutzes koordinieren, die internationale Zusammenarbeit fördern und den Dialog mit den Mitgliedstaaten führen soll.3 Zugleich steht er dem Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) mit Sitz in Genf vor, eine Abteilung des Generalsekretariats der VN, die den Verwaltungsunterbau stellt und mit der Unterstützung der Überwachungsorgane der UN-Menschenrechtsverträge beauftragt ist (→ Rn 20).4 In begrenztem Umfang besitzt auch der Sicherheitsrat Kompetenzen zum Schutz der Menschenrechte. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn Menschenrechtsverletzungen zugleich eine Bedrohung oder einen Bruch des Friedens und der internationalen Sicherheit darstellen (Art 39 UNC). Der Sicherheitsrat kann dann präventive Maßnahmen anordnen oder Sanktionen beschließen.5 Auch die Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda, die durch Resolutionen des Sicherheitsrates eingerichtet worden sind und deren Aufgabe in der strafrechtlichen Ahndung schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen besteht, gehören in diesen Zusammenhang.6 Zudem kann der Sicherheitsrat eine Situation an die Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofs überweisen, wie dies 2007 erstmals – im Falle Darfurs – geschehen ist.7 Der Wirtschafts- und Sozialrat der VN (Economic and Social Council – ECOSOC) bedient sich zur Wahrnehmung seiner Befugnisse (Art 62 II UNC) gem Art 68 UNC verschiedener Arbeitsgruppen und Berichterstatter, die in seinem Auftrag bestimmte Situationen untersuchen oder Berichte über einen bestimmten Typ von Menschenrechtsverletzungen erstatten. Darüber hinaus überprüfte von 1959 bis 2006 eine von ihm eingesetzte Menschenrechtskommission (Commission on Human Rights), in der nach einem geographischen Schlüssel im Turnus wechselnd 53 Mitgliedstaaten vertreten waren, Mitteilungen über Menschenrechtsverletzungen.8 Vorgesehen waren ein öffentliches und ein vertrauliches Verfahren.9 Im öffentlichen Verfahren konnte die Menschenrechtskommission vor allem Verletzungen schwerer und systematischer Art zur Sprache bringen und über sie beraten; auch zu diesem Zweck sind wiederholt Sonderberichterstatter beauftragt worden, die Situation im Hinblick auf einzelne Länder oder bestimmte Arten von Verletzungen zu untersuchen. Im vertraulichen Verfahren werden verlässlich bezeugte, systematische und schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen verhandelt. Zu diesem Zweck wurden Indi-
3 UN GA Res 48/141 v 20.12.1993, YUN 1993, 906; dazu Ramcharan The United Nations High Commissioner for Human Rights, 2002. 4 Soweit diese Verträge den Generalsekretär der UNO benennen, wie etwa bei der Entgegennahme der Staatenberichte, handelt also das OHCHR; dies gilt nicht für CEDAW (Fn 16 und 41). 5 Ramcharan The Security Council and the Protection of Human Rights, 2002. 6 UN SC Res 827 v 25.5.1993, YUN 1993, 440 (Jugoslawien); Res 955 v 8.11.1994, YUN 1994, 299 (Ruanda). 7 Art 13 b Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs v 17.7.1998, in Kraft seit 1.7.2002; UNTS 2187, 3; BGBl 2000 II, 1394; zu Darfur UN SC Res 1593 v 31.3.2005, s Happelt ICLQ 55 (2006), 226 ff. 8 Marie La Commission des droits de l’homme de l’O.N.U., 1974; Pastor Ridruejo RdC 338 (1991-III), 183 ff; Irmscher Die Behandlung privater Beschwerden über systematische und grobe Menschenrechtsverletzungen in der UN-Menschenrechtskommission, 2002. 9 Grundlage für das öffentliche Verfahren war Res 1235 (XLII) des WSR v 6.6.1967, YUN 1967, 512, für das vertrauliche Verfahren Res 1503 (XLVIII) des WSR v 27.5.1970, YUN 1970, 530, modifiziert durch Res 2000/3 v 19.6.2000, YUN 2000, 595.
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vidualbeschwerden zusammengefasst, in anonymisierter Form dem betroffenen Staat zugeleitet und in nicht öffentlicher Sitzung beraten. Am Ende des Verfahrens stand ein vertraulicher Bericht, der auf Wunsch des betroffenen Staates veröffentlicht werden konnte.10 Die Menschenrechtskommission wurde 2006 aufgelöst und durch den Menschenrechtsrat (Human Rights Council) ersetzt, in dem nur mehr 47 Mitgliedstaaten nach einem festgelegten Schlüssel vertreten sind.11 Nicht mehr dem Wirtschafts- und Sozialrat, sondern der Generalversammlung als deren Hilfsorgan (Art 22 UNC) zugeordnet, erhielt er den Auftrag, die vor der Menschenrechtskommission eingerichteten, als politisiert und ineffektiv kritisierten Verfahren zu überarbeiten. Er führt das vertrauliche Beschwerdeverfahren fort und bedient sich dazu der Infrastruktur des OHCHR.12 Die schon von der Kommission bewährte Zusammenarbeit mit Einrichtungen der Zivilgesellschaft, insbesondere auf den Menschenrechtsschutz spezialisierter Nichtregierungsorganisationen wie amnesty international und Human Rights Watch, wird fortgesetzt.
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b) Vertraglicher Menschenrechtsschutz (1) Verfahren Da die bisher geschilderten Zuständigkeiten unmittelbar aus der UN-Charta und der Praxis der Organe der VN abgeleitet sind, aber keine spezielle vertragliche Grundlage haben, werden sie als Mechanismen des chartagestützten (charter-based) oder außervertraglichen Menschenrechtsschutzes bezeichnet. Damit ist der Unterschied zum vertraglichen (treaty-based) Menschenrechtsschutz auf der Basis der acht Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen (core human rights treaties) angesprochen. Schutzmechanismen bieten zum einen der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR, auch Zivilpakt) 13 und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR, auch Sozialpakt); 14 beide wurden am 19. Dezember 1966 unterzeichnet und sind am 9. März 1976 in Kraft getreten. Einige Monate älter ist das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung von 1966.15 Später traten das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau,16 das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behand-
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Einzelheiten bei Irmscher Fn 8. UN GA Res 60/251 v 3.4.2006; zur Vorgeschichte Bossuyt Neth Q Hum Rts 24 (2006), 551 ff. UN Human Rights Council Res 5/1 v 18.6.2007. Amtliche Bezeichnung: International Covenant on Civil and Political Rights (CCPR), UNTS 999, 171; BGBl 1973 II, 1534; die Entstehung ist dokumentiert bei Bossuyt Guide to the „Travaux Préparatoires“ of the International Covenant on Civil and Political Rights, 1987. Der Zivilpakt hat zurzeit (31.1.2008) 160 Mitgliedstaaten; sämtliche hier angegebenen Zahlen sind einsehbar unter www2.ohchr.org. 14 International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (CESCR), UNTS 992, 3; BGBl II 1973 , 1570, 157 Mitgliedstaaten. 15 Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination (CERD) v 7.3.1966, UNTS 660, 195; BGBl 1969 II, 962; in Kraft seit 4.1.1969, für Deutschland bindend seit 15.6.1969, heute 173 Mitgliedstaaten. 16 Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women (CEDAW) v 18.12.1979, UNTS 1249, 1; BGBl 1985 II, 648, in Kraft seit 3.9.1981, für Deutschland bindend seit 9.8.1985; 185 Mitgliedstaaten.
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lung oder Strafe 17 sowie das Übereinkommen über die Rechte des Kindes 18 hinzu. Ein siebtes Schutzübereinkommen befasst sich mit den Rechten der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen, hat aber noch keinen vergleichbar weiten Teilnehmerkreis gefunden. Auch die Bundesrepublik Deutschland ist ihm im Gegensatz zu den anderen Übereinkommen nicht beigetreten; es wird im Folgenden nicht berücksichtigt; gleichfalls außer Betracht bleibt erst vor Kurzem geschlossene Konvention über die Rechte behinderter Personen, zu der noch keine Praxis existiert.19 Jedes dieser Konventionswerke hat einen eigenen Schutzmechanismus eingerichtet, für dessen Verwaltung jeweils ein spezieller Ausschuss gebildet worden ist.20 Die Verfahren, in denen die Verwirklichung der Vertragsziele überwacht wird, sind verschieden. Zu unterscheiden sind Berichts-, Staatenbeschwerde-, Individualbeschwerde- und Untersuchungsverfahren.21 Alle sechs hier besprochenen Konventionen kennen das Berichtsverfahren, in dem die Mitgliedstaaten in regelmäßigen Abständen den Stand der Umsetzung dokumentieren und sich einer Beratung über ihre Berichte stellen müssen; am Ende steht ein Landesbericht durch das zuständige Organ.22 Nach dem Sozialpakt und nach der Kinderschutzkonvention sind dies die einzigen zur Verfügung stehenden Schutzmechanismen. Im Bereich des Sozialpaktes war zunächst der Wirtschafts- und Sozialrat zuständig, hat diese Aufgabe 1985 aber auf einen 18-köpfigen speziellen Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Committe on Economic, Social and Cultural Rights – CESCR) übertragen.23 Verstöße, den Sozialpakt durch ein Individualbeschwerdeverfahren zu stärken, haben zu einer Resolution des Menschenrechtsrates geführt, der Generalversammlung einen Aufruf zur Unterzeichnung eines entsprechenden Fakultativprotokolls zu empfehlen.24 Dies
17 Convention against Torture and other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CAT) v 10.12.1984, UNTS 1465, 85; BGBl 1990 II, 246, in Kraft seit 31.10.1990, 145 Mitgliedstaaten. 18 Convention on the Rights of the Child (CRC) v 20.11.1989, UNTS 1577, 3; BGBl 1992 II, 122, in Kraft seit 2.9.1990, für Deutschland bindend seit 5.4.1992, 140 Mitgliedstaaten; s zudem Optional Protocol on Children in Armed Conflict, in Kraft seit 12.2.2002, 119 Mitgliedstaaten, und Optional Protocol on the Sale of Children, Child Prostitution and Child Pornography, in Kraft seit 18.1.2002, 125 Mitgliedstaaten, beide v 25.5.2000, A/RES/54/263; die Bundesrepublik Deutschland hat bisher nur das erste Protokoll ratifiziert, BGBl 2004 II, 1355. 19 International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of their Families v 18.12.1990, A/RES/54/4, in Kraft seit 1.7.2003; es hat bisher 37 Mitgliedstaaten; die Convention on the Rights of Persons with Disabilities v 13.12.2006, UN Doc A/61/611 trat am 3.5.2008 in Kraft; das Fakultativprotokoll vom selben Tag sieht einen Prüfungsausschuss vor, der Berichte der Staaten und Individualbeschwerden untersucht. 20 Überblick bei Bilder in: Hannum (Hrsg), Guide to International Human Rights Practice, 4. Aufl 2004, 3 ff; Schorkopf in: Grote/Marauhn, EMRK, Kap 30 Rn 182 ff. 21 Überblick zu den Verfahrensarten bei Riedel in: Baum/Riedel/Schäfer (Hrsg), Menschenrechtsschutz in der Praxis der Vereinten Nationen, 1998, 25 ff; O’Flaherty Human Rights and the UN – Practice before the Treaty Bodies, 2. Aufl 2002; Kälin/Künzli Universeller Menschenrechtsschutz, 2005, 211 ff. 22 Oberleitner Menschenrechtsschutz durch Staatenberichte, 1998; Boerefijn The Reporting Procedure under the Covenant on Civil and Political Rights, 1999. 23 Zu ihm Riedel FS Rauschning, 2001, 441 ff. 24 Human Right Council, Resolution 8/2-Optional Protocol to the International Covenant on Economic Social and Cultural Rights v 18.6.2008; General Assembly Resolution A/RES/63/117 v 10.12.2008
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ist am 10. Dezember 2008 geschehen. Mit einem entsprechenden Zusatzprotokoll zum IPwskR ist im Jahre 2009 zu rechnen. Auch der Ausschuss für die Rechte des Kindes (Committee on the Rights of the Child – CRC) prüft und verhandelt Staatenberichte. Er kann dabei andere Stellen wie insbesondere das Kinderhilfswerk der VN (UNICEF) hinzuziehen (Art 45 Kinderschutzkonvention). Die Staatenbeschwerde ermöglicht es den Mitgliedstaaten, vor der zuständigen Einrichtung ein Verfahren über Verletzungen in einem Konventionsstaat zu eröffnen. Sie ist obligatorisch im Übereinkommen gegen Rassendiskriminierung sowie fakultativ, also auf freiwilliger Basis im Zivilpakt und in der Konvention gegen Folter vorgesehen. Ihre praktische Bedeutung ist denkbar gering.25 Ein Individualbeschwerdeverfahren ist für den Zivilpakt, die Konvention gegen Rassendiskriminierung, das Übereinkommen gegen Diskriminierungen der Frau und die Anti-Folterkonvention eingerichtet worden, aber stets nur fakultativ, kann also nur durchgeführt werden, wenn der jeweilige Mitgliedstaat die Zuständigkeit des Überwachungsorgans für ein solches Verfahren anerkannt hat. Hier kann, wie im Individualbeschwerdeverfahren vor dem EGMR (→ § 5), jeder Einzelne mit der Behauptung Beschwerde erheben, in seinen jeweiligen Konventionsrechten verletzt worden zu sein. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich diesem Verfahren sowohl im Hinblick auf die Konventionen gegen die Folter 26 und gegen die Diskriminierung der Frau 27 als auch auf die Konvention gegen Rassendiskriminierung 28 und den Zivilpakt 29 unterworfen, bezüglich der beiden letztgenannten Vertragswerke allerdings unter dem Vorbehalt, dass nicht in der selben Sache vor einer anderen internationalen Instanz ein Beschwerdeverfahren anhängig war oder ist.30 Das Untersuchungsverfahren schließlich ergänzt die drei anderen Verfahrenswege um einen Verifikationsmechanismus, durch den die Tatsachenermittlung formalisiert wird. Es ist lediglich in der Anti-Folterkonvention vorgesehen, die als einziges der Menschenrechtsübereinkommen der VN alle vier Mechanismen enthält. In einem zunächst vertraulichen Verfahren kann der Ausschuss gegen Folter Informationen in einem Mitgliedstaat nachgehen, sofern dieser nicht bezüglich des Untersuchungsverfahrens einen Vorbehalt erklärt hat (Art 20, 28 UN-Folterkonvention); dabei soll die Mitwirkung des verantwortlichen Staates erreicht werden. Die Untersuchung kann einen Besuch in diesem Staat einschließen. Am Ende kann der Ausschuss beschließen, das Ergebnis in seinen Jahresbericht aufzunehmen. Ein 2006 in Kraft getretenes Zusatzprotokoll sieht darüber hinaus vor, dass ein Unterausschuss über die Verhütung der Folter ein System regelmäßiger
25 Karl in: Kälin ua (Hrsg), Aktuelle Probleme des Menschenrechtsschutzes, BDGVR 33 (1994), 83 (106 ff). 26 Mit Wirkung v 19.10.2001, BGBl 2002 II, 1014; diese Erklärung haben 62 Staaten abgegeben. 27 Fakultativprotokoll zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau v 6.10.1999, BGBl 2001 II, 1238, in Kraft seit 15.4.2002, ratifiziert von 90 Staaten; ein zweites Fakultativprotokoll v 15.12.1989 zielt auf die Abschaffung der Todesstrafe, UNTS 1642, 414; BGBl 1992 II, 391; es hat 65 Mitgliedstaaten. 28 Erklärung v 30.8.2001, BGBl II, 1278, insgesamt 51 Staaten haben sich diesem Verfahren unterworfen. 29 Fakultativprotokoll zu dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte v 19.12.1966, UNTS 999, 302; BGBl 1992 II, 1247, in Kraft für 110 Staaten, für Deutschland mit Wirkung zum 25.11.1993, BGBl 1994 II, 311. 30 S die entsprechenden Erklärungen bei Ratifikation, Fn 28 und 29.
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Besuche aufstellt und Zugang zu den Gefängnissen der Vertragsstaaten erhält.31 Auch das Zusatzprotokoll zum Übereinkommen gegen die Diskriminierung der Frau sieht ein Untersuchungsverfahren vor.
(2) Mit Individualbeschwerden befasste Ausschüsse 13
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Die vier Ausschüsse, die Individualbeschwerden entgegennehmen können, sind sich in Zusammensetzung, Sitzungsturnus und Verfahrensweise recht ähnlich. Am wichtigsten ist der Menschenrechtsausschuss (Human Rights Committee), der durch Art 28 IPbpR eingesetzt worden ist.32 Er setzt sich aus 18 Staatsangehörigen der Vertragsstaaten zusammen, die juristischen Sachverstand besitzen sollen und von einer zu diesem Zweck durch den UN-Generalsekretär einberufenen Versammlung für vier Jahre gewählt werden (Art 29 ff IPbpR). Seine Zusammensetzung soll für die geographische Verteilung, die umfassten Zivilisationen und die wichtigsten Rechtssysteme der Vertragsstaaten repräsentativ sein (Art 31 IPbpR). Die Sitzungen finden, wenn nichts anderes beschlossen wird, dreimal jährlich in Sitzungsperioden zu je drei Wochen statt, eine in New York und zwei in Genf. Aufgabe des Menschenrechtsausschusses ist es, die nach dem Pakt regelmäßig zu erstattenden Staatenberichte zu prüfen (Art 40 IPbpR).33 Darüber hinaus besitzt er eine Kompetenz zur Prüfung von Staatenbeschwerden (Art 41 IPbpR), doch ist es hierzu bisher noch nicht gekommen. Zum dritten regelt das Erste Fakultativprotokoll zum Zivilpakt Voraussetzungen und Verfahren der Individualbeschwerde, die Einzelpersonen mit der Behauptung erheben können, in ihren Rechten aus dem Zivilpakt verletzt worden zu sein (Art 1 FP).34 Dieses Verfahren ist im Hinblick auf das Spektrum der rügefähigen Rechte und auf die bisherige Praxis das bedeutendste Beschwerdeverfahren im Schutzsystem der VN. Es bindet 110 Staaten, darunter außer Großbritannien alle Mitgliedstaaten der EU. Seit seiner Einrichtung 1977 sind 1 613 Beschwerden gegen 82 Vertragsstaaten registriert und an den Ausschuss überwiesen worden. Davon wurden 483 Beschwerden für unzulässig erklärt, in 605 Fällen hat der Ausschuss Entscheidungen in der Sache, Rechtsauffassungen (views) genannt, mitgeteilt. Darin wurden 125 Beschwerden für unbegründet erklärt, in 480 Fällen hat der Ausschuss eine Verletzung des Paktes festgestellt.35 Hinzuzurechnen sind jährlich „einige tausend“ Beschwerden, die wegen formaler Mängel nicht angenommen werden.36 Von den gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichteten Beschwerden wurden bisher 17 geprüft, eine hat die Zulässigkeitshürde genommen,37 keine war erfolgreich. Der Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung (Committee on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination – CERD), die älteste der vertraglichen Schutzinstitutionen der VN, überprüft die nach Art 9 der Konvention gegen Rassendiskriminie-
31 Fakultativprotokoll v 4.2.2003, A/RES/57/199, in Kraft seit 22.6.2006, von Deutschland noch nicht ratifiziert. 32 S Joseph/Schultz/Castan The ICCPR, 2. Aufl. 2004, 16 ff, 46 ff. 33 Näher von der Wense Der UN-Menschenrechtsausschuß und sein Beitrag zum universellen Schutz der Menschenrechte, 1999, 28 ff, 132 ff. 34 Fn 29. 35 Daten zum 31.1.2008, Quelle www2.ohchr.org; die übrigen Verfahren wurden eingestellt oder sind noch anhängig. 36 Vgl Jahresbericht v 1.11.2007, UN Doc A/62/40 (Vol I), § 93. 37 Baumgarten v Germany, Com No 960/2000, views v 31.7.2003, A/58/40 (Vol II), Annex V, 261.
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rung abzugebenden Staatenberichte und verhandelt über Individualbeschwerden, die Einzelne und Gruppen einreichen können. Eine Besonderheit besteht darin, dass die Vertragsstaaten nach Art 14 II der Konvention eine Beschwerdestelle einrichten können, deren Anrufung dann zu dem vor Erhebung der Beschwerde zu durchlaufenden innerstaatlichen Rechtsweg gehört.38 Die Verfahrensregeln entsprechen denen des Menschenrechtsausschusses.39 Sofern die Beschwerde erfolgreich ist, ergeht eine Miteilung an den betreffenden Staat. Das Verfahren wird selten genutzt. Bisher ist nur über 40 Beschwerden gegen die 51 Staaten verhandelt worden, die sich dem Verfahren unterworfen haben. In zehn Verfahren wurde eine Verletzung festgestellt. Auch die Tätigkeit des Ausschusses gegen Folter (Committee against Torture and other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment – CAT) besteht vor allem in der Prüfung von Berichten.40 Er ist zudem bisher gegenüber den 62 an das Individualbeschwerdeverfahren gebundenen Staaten in 332 Verfahren tätig geworden, in 45 Fällen hat er einen Verstoß festgestellt. Der Ausschuss gegen Diskriminierung der Frau (Committee on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women – CEDAW) ist vergleichsweise neu. Abgesehen von den Berichtsverfahren nach Art 20 der Konvention gegen die Diskriminierung der Frau hat er bisher zehn Individualbeschwerdeverfahren nach Art 7 des Zusatzprotokolls zu dieser Konvention durchgeführt, von denen eines gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet war.41 In einem Fall kam es zu einem Bericht wegen des Vorwurfs schwerwiegender und systematischer Rechtsverletzungen (Art 8 Zusatzprotokoll).42 Der Grund dafür, dass in Individualbeschwerden vor einem der vier VN-Ausschüsse vergleichsweise selten eine Verletzung festgestellt wird, dürfte darin zu sehen sein, dass sich meist nur Staaten dem Beschwerdeverfahren unterwerfen, deren Menschenrechtsstandard ohnehin weitgehend den Anforderungen entspricht. So wurde mehr als ein Drittel der bei dem Menschenrechtsausschuss registrierten Beschwerden (568) gegen Staaten geführt, die auch der EMRK und ihrem Individualbeschwerdeverfahren (→ § 5) unterworfen sind. Staaten, die am ehesten als Verletzer in Frage kommen, sind diesen Schutzmechanismen meist schon gar nicht beigetreten. Dennoch ist die Bedeutung hoch einzuschätzen, da sie für Staaten ohne entsprechendes regionales Schutzsystem ein allgemein wahrgenommenes Mittel bieten, um die justizförmliche Durchsetzung der Menschenrechte zu ermöglichen und die menschenrechtliche Bilanz und prinzipielle Kooperationsbereitschaft publik zu machen. Dies wird desto wichtiger, je mehr Staaten wie die der Europäischen Union die Verwirklichung der Menschenrechte in ihrer Außenpolitik zur Leitlinie machen. Zudem wirken sich diese Systeme auf im Einzelnen oft nur schwer
38 In Deutschland ist dies nicht der Fall. 39 Zum Ausschuss Wolfrum Max Planck Yb UN Law 3 (1999), 489 ff; Bryde in: Klein (Hrsg), Rassische Diskriminierung – Erscheinungsformen und Bekämpfungsmöglichkeiten, 2002, 61 ff; zum Verfahren Wolfrum in: Baum/Riedel/Schäfer (Hrsg), Menschenrechtsschutz in der Praxis der Vereinten Nationen, 1998, 129 ff; Britz EuGRZ 2002, 381 ff. 40 S Boulesbaa The U.N. Convention on Torture and the Prospects of Enforcement, 1999; Ingelse The UN Committee against Torture, 2001. 41 B-J v Germany (Beschwerde gegen Scheidungsfolgenregelung), Entsch v 14.7.2004, auszugsweise in Doc A/59/38, Annex VIII (Erklärung der Beschwerde für unzulässig); zum Ausschuss Tomuschat FS Rauschning, 2001, 313 ff; zum Beschwerdeverfahren Golze in: Hasse/Müller/Schneider (Hrsg), Menschenrechte – Bilanz und Perspektiven, 2002, 511 ff. 42 S CEDAW/C/2005/OP.8/MEXICO v 27.1.2005.
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messbare Weise auf das innerstaatliche Recht aus und schwächen mit der Zeit das Argument, bei Menschenrechten handele es sich um innere Angelegenheiten.43 Von den erwähnten Verfahren soll als das wichtigste im Folgenden nur das Beschwerdeverfahren vor dem Menschenrechtsausschuss nach dem UN-Zivilpakt näher betrachtet werden. Es verläuft ähnlich wie die anderen drei Individualbeschwerdeverfahren des vertraglichen Menschenrechtsschutzes. 2. Das Individualbeschwerdeverfahren vor dem Menschenrechtsausschuss
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Ablauf und Voraussetzungen des Verfahrens sind in Art 1 bis 6 des (ersten) Fakultativprotokolls zum Zivilpakt und in der Verfahrensordnung (VfO) des Menschenrechtsausschusses geregelt.44 Es lässt sich in drei Abschnitte gliedern: Zulässigkeitsprüfung, Begründetheitsprüfung und ggf. Überwachung der Umsetzung der Entscheidung.45 Dabei ist aber zu beachten, dass der Menschenrechtsausschuss über Zulässigkeit und Begründetheit einheitlich entscheidet, wenn er nichts anderes beschließt. Das Verfahren ist kostenfrei, doch wird keinerlei Hilfe für die Vorstreckung von Auslagen und eventuellen Anwaltskosten gewährt. Erster Schritt ist eine Mitteilung (communication) an den Generalsekretär der VN; zuständige Stelle ist das OHCHR (→ Rn 3). Dieses entscheidet nach einer ersten formalen Prüfung über die Registrierung der Beschwerde. In diesem Fall wird sie sodann einem Mitglied des Menschenrechtsausschusses zur Berichterstattung zugewiesen, der den betroffenen Mitgliedstaat zu einer Stellungnahme innerhalb von sechs Monaten auffordert. Wird nichts anderes angeordnet, soll sich die Stellungnahme auf Zulässigkeit und Begründetheit der Beschwerde beziehen. Nach dieser Vorbereitungsphase befasst sich eine fünfköpfige Arbeitsgruppe (working group) mit der Zulässigkeit der Beschwerde und gibt ein Votum ab, das als Entscheidung des Menschenrechtsausschusses ergeht. Der Beschwerdeführer kann seine Beschwerde jederzeit auch wieder zurückziehen, wenn dieser abgeholfen wurde oder er sie sonst für erledigt hält, doch behält sich der Menschenrechtsausschuss eine weitere Prüfung vor, wenn Zweifel an der Freiwilligkeit der Rücknahme bestehen.46 Auch wenn dies nicht ausdrücklich vorgesehen ist, kann er auf eine gütliche Einigung hinwirken. Der Menschenrechtsausschuss kann zudem vom Zeitpunkt seiner Befassung an jederzeit vorläufigen Rechtsschutz bieten, indem er die staatliche Partei zu bestimmten Maßnahmen auffordert. Wird die Beschwerde für zulässig erklärt, berät der Menschenrechtsausschuss in nichtöffentlicher Plenarsitzung über die Begründetheit. Die staatliche Partei hat erneut die Möglichkeit, innerhalb von sechs Monaten Stellung zu nehmen, sofern sie zuvor nur aufgefordert war, sich zur Zulässigkeit einzulassen. Das gesamte Verfahren ist rein schriftlich, Beweisaufnahmen oder das Erscheinen der Parteien sind nicht vorgesehen. Ist der Vortrag des Beschwerdeführers hinreichend substantiiert, gelten nicht bestrittene Angaben als zugestanden. Unklarheiten, die in der Sphäre der staatlichen Seite liegen, gehen zu deren Lasten. Die abschließende Entscheidung wird wie ein Urteil abgefasst, dem
43 Vgl auch Ipsen Völkerrecht, 5. Aufl 2004, § 48 Rn 54; von der Wense (Fn 33), 118 ff. 44 Art 84 bis 104 Rules of Procedure v 22.9.2005, CCPR/C3/Rev.8. 45 Zum Verfahrensverlauf mit Hinweisen für die Praxis Schäfer Die Individualbeschwerde nach dem Fakultativprotokoll zum Zivilpakt, 2. Aufl. 2007, 40 ff, zugänglich unter www.institut-fuermenschenrechte.de. 46 Nowak CCPR Commentary, 2. Aufl 2005, Art 3 First OP Rn 8.
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Beschwerdegegner übermittelt und im Jahresbericht des Menschenrechtsausschusses veröffentlicht.47 Sie kann über die Feststellung der Rechtsverletzung hinaus die zu ergreifenden Maßnahmen wie die Einleitung von Untersuchungen, eine finanzielle Entschädigung, die Bestrafung Verantwortlicher oder die Freilassung von Häftlingen benennen.48 Die Überwachung der Umsetzung wird nur in der Verfahrensordnung angesprochen. Danach ernennt der Ausschuss einen Sonderberichterstatter, der Berichte der betroffenen Staaten über die ergriffenen Abhilfemaßnahmen zur Kenntnis nimmt und seinerseits an den Ausschuss berichtet. Auch diese so genannten follow-up activities werden in den Jahresbericht des Ausschusses aufgenommen. Der Erfolg dieses Vorgehens ist wechselhaft.49 Umstritten ist die Wirkung der Entscheidungen, die der Menschenrechtsausschuss erlässt. Da sie der Vertragstext als „Auffassungen“ (Art 5 IV FP) bezeichnet und eine vertragliche Regelung über eine Durchführungsüberwachung nicht existiert, spricht ihnen die hM in der Literatur lediglich empfehlenden Charakter zu.50 Die Äußerungen des Ausschusses hierzu sind widersprüchlich.51 Jedenfalls ergeben sich aus dem Zivilpakt selbst Pflichten mit klar intendierter völkerrechtlicher Bindungswirkung, zu deren Auslegung der Ausschuss berufen ist. So spricht ein erster Anschein dafür, dass diese Auslegung nicht lediglich moralische, sondern auch rechtliche Autorität besitzt; von Vertragsstaaten kann erwartet werden, dass sie ihr folgen und die „Auffassungen“ auch umsetzen. Man mag dies als mittelbare völkerrechtliche Wirkung bezeichnen.52 Andere Qualifizierungen können jedenfalls keine Rechtfertigung für einen festgestellten menschenrechtswidrigen Zustand sein. Was die innerstaatlichen Konsequenzen betrifft, so wirkt sich die strittige Bindungskraft in vielen Staaten nachteilig aus.53 Auch nach deutschem Recht bieten die „Auffassungen“ des Ausschusses, anders als die Entscheidungen des EGMR (→ § 5 Rn 36), keinen ausdrücklichen Revisions- oder Wiederaufnahmegrund im gerichtlichen oder im Verwaltungsverfahren.
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II. Zulässigkeit einer Beschwerde zum Menschenrechtsausschuss Die Beschwerde ist schriftlich einzulegen (Art 2 FP),54 darf nicht anonym sein (Art 3 FP) und sollte an den Menschenrechtsausschuss gerichtet werden, um Verwechslungen mit anderen Ausschüssen auszuschließen. Eine bestimmte Sprache ist nicht vorgeschrieben,
47 Abrufbar unter www2.ohchr.org. 48 Übersicht mit Nachw bei Shelton Remedies in International Human Rights Law, 2. Aufl 2005, 184 f. 49 S auch Kälin/Künzli Universeller Menschenrechtsschutz, 2005, 223. 50 IdS etwa Schilling Internationaler Menschenrechtsschutz, Rn 500; Nowak CCPR Commentary, 2. Aufl 2005, Art 5 First OP Rn 39 mwN. 51 Hierauf verweist zu Recht Schäfer (Fn 45), 20; s einerseits Human Righs Committee – Selected Decisions under the Optional Protocol (33rd to 39th sessions), CCPR/C/OP/3 (2002), 1, § 7 („nonbinding recommendations“), andererseits Roberts v Barbados, Dec v 19.7.1994, A/49/40 (Vol II), Annex X.P, 322, § 6.3 („obligation“). 52 Pappa Das Individualbeschwerdeverfahren des Fakultativprotokolls zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, 1996, 316 ff. 53 Buergenthal Max Planck Yb UN Law 5 (2001), 341, 397 f. 54 Formular nach mit Auflistung der nach Art 86 VfO nötigen Angaben (OHCHR Fact Sheet No 7, Annex 1) abgedr bei Schäfer (Fn 45), 116 ff.
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doch empfiehlt es sich, eine der Arbeitssprachen der VN (Art 28 VfO) zu nutzen, da sonst eine evtl zeitraubende Übersetzung angefertigt werden muss. Es besteht kein Anwaltszwang. Die Zulässigkeit ist im Übrigen von der Erfüllung von Voraussetzungen abhängig, die denen der Individualbeschwerde vor dem EGMR entsprechen und für deren Untersuchung es keine zwingende Reihenfolge gibt. Dies sind (1) die Parteifähigkeit und (2) Beschwerdebefugnis des Beschwerdeführers, (3) die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs, (4) der Ausschluss anderweitiger Rechtshängigkeit sowie (5) die Vereinbarkeit mit dem Zivilpakt. Ferner darf die Beschwerde (6) nicht missbräuchlich sein. Was die in der Person des Beschwerdeführers liegenden Voraussetzungen betrifft, so sind nach Art 1 FP nur natürliche Personen und Personengruppen parteifähig. Dagegen sind Beschwerden juristischer Personen unzulässig, was nach der Entstehungsgeschichte insbesondere auch für Menschenrechtsorganisationen gelten soll.55 Der Beschwerdeführer kann sich vertreten lassen (Art 96 VfO). Er muss ferner behaupten, Opfer einer Verletzung der Rechte aus dem Pakt zu sein (Art 1 FP), was nach deutscher Terminologie der Beschwerdebefugnis entspricht. In dieser Hinsicht bestehen durchaus streng gehandhabte Anforderungen an die Substantiierung des Verletzungsvorwurfs (Art 96 VfO), an denen viele Beschwerden scheitern. Bezüglich des Beschwerdegegenstandes müssen die nach innerstaatlichem Recht konkret zur Verfügung stehenden effektiven Rechtsbehelfe erschöpft werden (Art 2 und 5 II b FP), was nach deutschem Recht die Verfassungsbeschwerde einschließen dürfte. Die Voraussetzung wird in der Praxis nicht so streng gehandhabt wie vor dem EGMR.56 Zudem wird der Ausschuss einer Beschwerde nicht stattgeben, die von den Instanzen der nationalen Gerichte gewissenhaft geprüft worden ist, da er sich nicht als „vierte Instanz“ ansieht; diese sog „fourth instance doctrine“ ist unabhängig von den im Fakultativprotokoll aufgeführten Zulässigkeitsvoraussetzungen aufgestellt worden und wird nach Ermessen gehandhabt.57 Darüber hinaus darf die Sache keiner anderen internationalen Untersuchungs- oder Streitschlichtungsinstanz zur Prüfung vorliegen (Art 5 II a FP). Viele Staaten des Europarates haben wie die Bundesrepublik Deutschland Vorbehalte erklärt, denen zufolge sie die Zuständigkeit des Menschenrechtsausschusses auch dann nicht anerkennen, wenn bereits eine rechtskräftige Entscheidung erlassen worden ist, was insbesondere auf den EGMR abzielt.58 Die Beschwerde muss ferner mit der Konvention vereinbar sein, dh in den Zuständigkeitsbereich des Ausschusses fallen. Unzulässig sind Beschwerden, wenn der Pakt ratione personae nicht anwendbar ist, weil der Beschwerdegegner ihn oder das Fakultativprotokoll nicht ratifiziert hat (Art 1 FP). Gleiches gilt ratione temporis, wenn die geltend gemachte Verletzung vor Beitritt des gegnerischen Staates stattgefunden hat und nicht mehr fortwirkt. Ratione loci erstreckt sich der Schutz des Zivilpaktes seinem Wortlaut zufolge nur auf Personen, die sich auf dem Gebiet seiner Mitgliedstaaten befinden und unter seiner Herrschaftsgewalt stehen (Art 2 IPbpR). Demgegenüber scheint der verfahrensrechtliche Schutz weiter zu gehen und lediglich zu verlangen, dass der Staat Herrschaftsgewalt ausübt, was auch außerhalb des eigenen Territoriums der Fall sein kann (Art 1 FP). Der scheinbare Widerspruch wird indessen unter Rückgriff auf die Ent-
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Nowak CCPR Commentary, 2. Aufl 2005, Art 2 First OP Rn 1. Nowak ebd, Art 5 First OP Rn 23. Joseph/Schultz/Castan The ICCPR, 2. Aufl 2004, 22 f. Schorkopf in: Grote/Marauhn, EMRK, Kap 30 Rn 198 mwN.
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Rechtsschutz durch die Vereinten Nationen
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stehungsgeschichte dahingehend aufzulösen sein, dass nicht schon das bloße Bestehen von Personalhoheit genügt, um eine Verantwortlichkeit, etwa in Gestalt von Schutzpflichten, auszulösen; diese besteht auch im Ausland fort, wo die eigenen Staatsangehörigen nicht dem aktuellen Zugriff des Herkunftsstaates unterliegen. Wo jedoch exterritorial effektive Herrschaftsgewalt ausgeübt wird, müssen auch die Garantien des Paktes zur Anwendung kommen und die Zuständigkeit des Menschenrechtsausschusses begründet sein.59 Im Übrigen ist der Menschenrechtsausschuss nicht zuständig für Beschwerden, die mit den Bestimmungen des Paktes unvereinbar sind (Art 3 FP), weil sie sich etwa nicht auf eines der im Zivilpakt gewährleisteten Rechte beziehen (Unvereinbarkeit ratione materiae). Klassische Beispiele sind Beschwerden wegen rechtswidriger Beeinträchtigung des Eigentums oder einer Verletzung des Rechts auf Asyl, weil diese Rechte nicht im Zivilpakt garantiert werden.60 Schließlich darf das Recht zur Erhebung der Beschwerde auch nicht missbraucht werden (Art 3 FP). Als missbräuchlich wurden bisher erheblich verspätete und wiederholt eingelegte Beschwerden behandelt. Insofern tritt die Missbrauchshürde an die Stelle eines Fristerfordernisses und des Hindernisses einer rechtskräftigen Entscheidung in derselben Sache, die sich im Fakultativprotokoll und in der Verfahrensordnung nicht finden.61
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III. Begründetheit der Beschwerde Begründet ist die Beschwerde, wenn eine Verletzung der im Zivilpakt gewährten Rechte zur Überzeugung des Ausschusses stattgefunden hat. Die von ihm mitgeteilten Ansichten sind zuweilen in methodischer Hinsicht unergiebig, gehen aber oft über die bloße Feststellung von Tatsachen hinaus und haben über die Zeit an Substanz gewonnen. Ähnlich wie der EGMR stützt sich der Menschenrechtsausschuss auf eigene Entscheidungen. Es gibt aber auch Abweichungen, durch die er, auch hier dem EGMR ähnlich, deutlich macht, dass er den Zivilpakt als living instrument betrachtet, das dynamischer Auslegung zugänglich ist. Kategorien deutscher Grundrechtsdogmatik lassen sich, wie nicht eigens betont werden muss, nicht heranziehen, doch gibt es einige Gemeinsamkeiten mit der Methodik des EGMR und des nationalen Grundrechtsschutzes.62 Im Hinblick auf eine Schrankensystematik ist wie bei der EMRK auch im Rahmen des Zivilpakts zwischen absolut gewährleisteten Rechten und solchen mit Schrankenvorbehalt zu unterscheiden. Zu den vorbehaltlos gewährten Garantien gehören die Verbote der Folter (Art 7 IPbpR) und der Sklaverei (Art 8 IPbpR). Beide können auch im Notstandsfall nicht eingeschränkt werden (Art 4 IPbpR). Soweit bei den anderen Rechten Einschränkungen zulässig sind, müssen sie gesetzlich vorgeschrieben (prescribed by law) sein, was die einzelnen Gewährleistungen in unterschiedlicher Weise zum Ausdruck bringen.63 Eine Reihe von Einschränkungen steht unter Richtervorbehalt.64 Manche Garantien qualifi59 Zur Praxis Meron AJIL 89 (1995), 78, 79 ff. 60 KJL v Finland, Dec v 3.11.1993, A/49/40 (Vol II), Annex XX, 351, § 4.2 (Eigentum); VMRB v Canada, Dec v 18.7.1988, A/43/40 (1988), Annex VII.F, 258, § 6.3 (Asyl). 61 S weitere Beispiele und Nachw bei Schäfer (Fn 45) 70 f. 62 Darstellung der Ansätze für eine allgemeine Dogmatik, die sich aus dem IPbpR ergeben, bei Joseph/Schultz/Castan The ICCPR, 2. Aufl 2004, 31 ff. 63 Vgl 6 II 2, 9 I 2, 12 III, 14 I 2, 15 I, 17 II, 18 III, 19 III, 21, 22 II IPbpR. 64 Art 6 II 2, 8 III, 9 III, 14 I 2 IPbpR.
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zieren die Gründe, die zu ihrer Beschränkung führen dürfen, indem sie die nationale Sicherheit, öffentliche Ordnung, Sittlichkeit oder Gesundheit sowie Rechte und Freiheiten anderer als Schranken benennen.65 Soweit Rechte ein Willkürverbot enthalten, wie dies im Hinblick auf Beschränkungen der persönlichen Freiheit der Fall ist (Art 9 I 1 IPbPR), oder von „unangemessenen“ Einschränkungen die Rede ist (Art 25 IPbpR), lässt sich schon dem Wortlaut des Paktes die Schrankenbegrenzung der Verhältnismäßigkeit entnehmen.66 Über die bloßen Abwehrrechte hinaus lassen sich ebenso wie einigen Garantien der EMRK (→ § 5 Rn 81) auch Rechten des Zivilpaktes positive Handlungspflichten entnehmen. Dazu gehören insbesondere die Justizgewährleistungen des Art 10 IPbpR, der Anforderungen an den Schutz der Würde Inhaftierter stellt, und des Art 14 IPbPR, dessen fair trial-Garantien eine Infrastruktur von Gerichten voraussetzen. Art 6 GG vergleichbar verlangt Art 23 IPbPR den Schutz der Familie, und Art 24 IPbpR verschafft Kindern einen Schutzanspruch gegen den Staat. Ebenso wie im Verfassungsrecht empfiehlt sich aus arbeitsökonomischen Gründen, Freiheitsrechte vor Gleichheitsrechten zu untersuchen, doch zwingend ist dies nicht. Dass der Zivilpakt in mancherlei Hinsicht über die EMRK hinausgeht, zeigt ua das nichtakzessorische, allgemeine Diskriminierungsverbot des Art 26 IPbpR.67 Lösung: 68 (1) Zulässigkeit: (a) B ist als natürliche Person parteifähig. (b) Da er nachvollziehbar geltend macht, Opfer einer Verletzung des Zivilpaktes (Art 15, 26) gewesen zu sein, ist er auch beschwerdebefugt. (c) Die ihm zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe einschließlich der Verfassungsbeschwerde sind erfolglos geblieben. (d) Eine Beschwerde vor anderen internationalen Streitschlichtungsinstanzen, insbesondere vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, hat er nicht erhoben. (e) Anhaltspunkte für eine Unvereinbarkeit der Beschwerde mit dem Zivilpakt ergeben sich nicht. Insbesondere ist seine Verurteilung erst erfolgt, nachdem die Bundesrepublik Deutschland dem Zivilpakt und dem FP beigetreten ist. (f) Die Beschwerde ist auch nicht missbräuchlich; insbesondere ist sie, soweit erkennbar, weder verspätet, noch hat der Menschenrechtsausschuss bereits über sie entschieden. (2) Begründetheit: (a) Die Garantie des Art 15 IPbpR ist verletzt, wenn B entweder ohne zureichende gesetzliche Grundlage oder rückwirkend bestraft wurde. Als gesetzliche Grundlage kam bereits das Strafrecht der DDR in Frage. Der sog Schießbefehl, auf den sich B berufen hat, stellt keinen Rechtfertigungsgrund dar, weil auch die DDR den Zivilpakt ratifiziert hatte, gegen dessen Art 6 er verstieß. Danach darf niemandem willkürlich das Leben genommen werden, es sei denn, um einer diesem Eingriff entsprechenden Bedrohung zu begegnen. Wenn die deutschen Gerichte darüber hinaus das Grenzrecht der DDR so ausgelegt haben, dass dieses eine Strafbarkeit nach dem StGB-DDR nicht ausschloss, so ergeben sich aus Art 15 IPbpR hiergegen keine Bedenken. (b) Im Hinblick auf Art 26 IPbpR hat B nicht dargelegt, dass Beamte des Bundesgrenzschutzes in konkreten Fällen unter denselben Bedingungen straflos blieben. (c) Die Beschwerde war daher unbegründet.
65 Art 12 III, 14 I 2, 18 III, 19 III, 22 II IPbPR. 66 Ebenso Joseph/Schultz/Castan The ICCPR, 2. Aufl 2004, 32. 67 Manche der Zusatzprotokolle EMRK zielen darauf ab, den Schutzstandard des Zivilpaktes zu erreichen. Zum Diskriminierungsverbot des Art 14 EMRK → § 5 Fn 17. 68 Originalfall, Nachw in Fn 37, die Lösungsskizze beschränkt sich darauf, die Begründung des Menschenrechtsausschusses nachzuvollziehen; im Vergleich dazu EGMR Rep 2001-II, 351 – Streletz ua; s auch BVerfGE 95, 96.
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§3 Rechtsschutz und Streitbeilegung in der Welthandelsorganisation (WTO) Christian Tietje Leitentscheidungen: United States – Import Prohibitions of Certain Shrimp and Shrimp Products, AB Report v 22.10.2001, WT/DS58/AB/R; Japan – Taxes on Alcoholic Beverages, AB Report v 4.10.1996, WT/DS8/AB/R, WT/DS10/AB/R, WT/DS11/AB/R; European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, Complaint by the United States, Panel Report v 22.5.1997, WT/DS27/R/USA; Brazil – Measures Affecting Desiccated Coconut, AB Report v 21.2.1997, WT/DS22/AB/R; United States – Anti-Dumping Act of 1916, AB Report v 28.8.2000, WT/DS136/AB/R, WT/DS162/AB/R; United States – Section 301–310 of the Trade Act of 1974, Panel Report v 22.12.1999, WT/DS152/R. Schrifttum: Benedek Die Europäische Union im Streitbeilegungsverfahren der WTO, 2005; Davey Enforcing World Trade Rules – Essays on WTO Dispute Settlement and GATT Obligations, 2007; Georgiev (Hrsg) Reform and Development of the WTO Dispute Settlement System, 2006; Guohua/Mercurio/Yongjie WTO Dispute Settlement Understanding: a Detailed Interpretation, 2005; Herrmann/Weiß/Ohler Welthandelsrecht, 2. Aufl, 2007; Hilf/Oeter WTO-Recht – Rechtsordnung des Welthandels, 2005; Knahr Participation of Non-State Actors in the Dispute Settlement System of the WTO – Benefit or Burden?, 2007; Krajewski Wirtschaftsvölkerrecht, 2006; Mavroidis/Sykes (Hrsg) The WTO and International Trade Law/Dispute Settlement, 2005; Oesch Standards of Review in WTO Dispute Resolution, 2003; Ortino/Petersmann (Hrsg) The WTO Dispute Settlement System 1995–2003, 2004; Palmeter/Mavroidis Dispute Settlement in the World Trade Organization, 2. Aufl, 2004; Panizzon Good Faith in the Jurisprudence of the WTO – the Protection of Legitimate Expectations, Good Faith Interpretation and Fair Dispute Settlement, 2006; Pitschas/Neumann/Herrmann WTO-Recht in Fällen, 2005; Prieß/Berrisch (Hrsg) WTO-Handbuch – World Trade Organization, 2003; Sacerdoti/Yanovich/Bohanes (Hrsg) The WTO at Ten – The Contribution of the Dispute Settlement System, 2006; Tietje Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung, 1998; van den Bossche The Law and Policy of the World Trade Organization – Text, Cases and Materials, 2. Aufl, 2008; Wolfrum/Stoll/Kaiser (Hrsg) WTO – Institutions and Dispute Settlement, 2006; WTO (Hrsg) A Handbook on the WTO Dispute Settlement System – A WTO Secretariat Publication, 2004; Yerxa/Wilson (Hrsg) Key Issues in WTO Dispute Settlement – the First Ten Years, 2006; Zimmermann Negotiating the Review of the WTO Dispute Settlement Understanding, 2006.
I. Funktion und Bedeutung der Rechtsschutzmechanismen im Welthandelsrecht 1. Einleitung
a) Entwicklung und Grundstrukturen der Welthandelsordnung Die rechtliche Ausgestaltung der Welthandelsordnung reicht historisch gesehen weit in die Geschichte zurück. Erst im 19. Jahrhundert zeigten sich indes Strukturen im internationalen Recht, die der heutigen Welthandelsordnung ähnlich sind. Das betrifft namentlich zahlreiche bilaterale Handelsabkommen zwischen Staaten, die in dieser Zeit geschlossen wurden und die bereits Regelungsmechanismen vorsahen, die Teilbereichen des heutigen Christian Tietje
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Rechts der Welthandelsorganisation (WTO) ähnlich sind.1 Diese bis heute bedeutende Entwicklung bezog sich dabei nicht nur auf das materielle Welthandelsrecht. Vielmehr sind seit spätestens Anfang des 20. Jahrhunderts auch Streitbeilegungsregeln in der Form von Schiedsklauseln fester Bestandteil der zahlreichen bilateralen Handelsverträge zwischen Staaten.2 Ein multilaterales Rechtssystem des Welthandels entwickelt sich allerdings erst nach dem zweiten Weltkrieg. Bereits auf der Konferenz von Bretton-Woods (1.–22.7.1944), die zur Gründung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der heutigen Weltbank führte,3 war klar, dass es zusätzlich zu multilateralen Regelungen zum Finanz- und Währungsrecht einer rechtlichen Ausgestaltung des Welthandels bedurfte. Nach entsprechenden Vorarbeiten im Anschluss an die Bretton-Woods-Konferenz fand dementsprechend vom 21.11.1947 bis zum 24.3.1948 die United Nations Conference on Trade and Employment („Havanna Conference“) statt. Auf ihr wurde die „Charter of International Trade Organization“ verabschiedet. Die hierin vorgesehene Errichtung einer International Trade Organization (ITO) konnte jedoch nie rechtswirksam verwirklicht werden, da der Präsident der USA den Vertrag aus innenpolitischen Gründen nie dem Kongress zur Zustimmung zur Ratifikation vorlegte und daher von unbedeutenden Ausnahmen abgesehen weltweit kein Staat die ITO-Charta ratifizierte.4 Da das Schicksal der ITO-Charta absehbar war, wurde parallel zu den Vorbereitungen der Havanna-Konferenz ein gesondertes, inhaltlich nur auf die Zollreduzierung und den Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse ausgerichtetes Abkommen verhandelt. Es wurde unter dem Namen „General Agreement on Tariffs and Trade“ (GATT) auf der Grundlage eines Protokolls über seine vorläufige Anwendbarkeit 5 zum 1.1.1948 in Kraft gesetzt. In seiner Regelungsstruktur sah das GATT 1947 im Kern eine rechtliche Ordnung des Welthandels vor, die sich an den Prinzipien der Offenheit der Märkte (Zollreduzierung und Verbot nichttarifärer Handelshemmnisse), der Nichtdiskriminierung (Meistbegünstigung und Inländergleichbehandlung), der verbleibenden Regelungsfreiheit der Vertragsparteien in einzelnen Sachbereichen (Schutzmaßnahmen, allgemeine Ausnahmeregelungen) sowie der Solidarität mit den schwächer entwickelten Staaten orientierte.6 Weiterhin enthielt das GATT 1947 Regelungen zum Rechtsschutz bzw zur friedlichen Streitbeilegung (Art XXII und XXIII), auf die noch zurückzukommen ist (→ Rn 9 ff). Das GATT 1947 war nicht als internationale Organisation konzipiert. Allerdings führten die weitgehend erfolgreichen Handelsrunden bis Ende der 1970er Jahre (Genf 1947; Annecy 1949; Torquay 1950/51; Genf 1955/56; Genf 1961/62 [Dillon-Runde]; Genf 1964–67 [Kennedy Runde]; Genf 1973–76 [Tokio-Runde]), die allmähliche Herausbildung eines eigenständigen, gerichtsähnlichen Streitbeilegungssystems sowie die institutionelle Verfestigung durch Einrichtung ständiger Organe dazu, dass sich das GATT 1947 im Laufe der Zeit zu einer gewohnheitsrechtlich anerkannten de facto internationalen Organi1 Ausführlich hierzu Bayer Das System der deutschen Handelsverträge von 1853 bis 1914 – Völkerrechtliche Prinzipien und ihre Gemeinsamkeiten mit dem heutigen Weltwirtschaftsrecht, 2004. 2 Bayer (Fn 1) 195 ff mwN; zur Funktion und Bedeutung von Schiedsklauseln s → § 4 10 ff. 3 Zur Geschichte siehe zB Lowenfeld International Economic Law, 2. Aufl 2008, 600 ff. 4 Zur historischen Entwicklung zB Herrmann in: Herrmann/Weiß/Ohler, WHR, § 6. 5 Protocol of Provision Application of the General Agreement of Tariffs and Trade, signed at Geneva on October 30, 1947, 55 UNTS 308. 6 Ausführlich zur Regelungssystematik des GATT Tietje in: ders (Hrsg), Internationales Wirtschaftsrecht, 2008, § 3 Rn 42 ff.
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sation entwickelte. Zugleich erweiterten sich die inhaltlichen Aufgaben des GATT 1947: Zunächst in der Kennedy-Runde noch wenig erfolgreich, wurde dann in der Tokio-Runde intensiv versucht, nicht nur die Zollsenkung voranzutreiben, sondern darüber hinaus auch die Behandlung sog nichttarifärer Handelshemmnisse rechtlich zu fassen. Die Bekämpfung des Protektionismus in all seinen Facetten erlangte damit eine immer größere Bedeutung im Welthandelsrecht, zumal die Zölle weltweit durch die Verhandlungen im Rahmen des GATT stetig gesenkt werden konnten. Der sich spätestens ab Anfang der 1970er Jahre außerhalb der Zollerhebung vollziehende „neue“ Protektionismus stellte das GATT aber auch vor eine große Belastungsprobe, die es letztlich nicht bestehen konnte. Da eine alle GATT-Mitglieder völkerrechtlich verpflichtende, einheitliche Rechtsordnung für nichttarifäre Handelshemmnisse wie Subventionen, Antidumping und technische Handelsschranken politisch nicht durchsetzbar war, stellte sich das GATT-Recht nach Abschluss der Tokio-Runde (1976) als „Wildwuchs“ unzähliger, rechtlich autonom nebeneinander stehender Rechtsregime dar. Zusammen mit weltwirtschaftlichen Krisenerscheinungen Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre kam es, auch bedingt durch die nun fehlende Kohärenz im Welthandelsrecht, zu einer zunehmenden Erosion des Ordnungsanspruches des GATT 1947. Es war das zentrale Ziel der am 20.9.1986 formell eingeleiteten sog Uruguay-Runde, dieser Entwicklung zu begegnen. Die Uruguay-Runde war inhaltlich ua auf eine Stärkung des GATT-Regelwerkes sowie Verhandlungen zu den bislang nicht vom GATT erfassten Themen des Dienstleistungshandels und des Schutzes der Rechte des geistigen Eigentums gerichtet. Damit wurde unmittelbar auf die spätestens seit Anfang der 1980er Jahre klar zu erkennende Bedeutung dieser beiden Bereiche für den Welthandel insgesamt reagiert. Zugleich war allerdings auch klar, dass die Verhandlungen hierzu ebenso wie zur Landwirtschaft als weiterhin einbezogenem Beratungsgegenstand insbesondere im Verhältnis der industrialisierten Staaten und der Entwicklungsländer schwierig und langwierig werden. Im Laufe der wechselvollen und von zahlreichen Rückschlägen gekennzeichneten Verhandlungen kamen dann zusätzlich Streitpunkte im Verhältnis der EG und der USA hinzu (insbesondere der Bereich audiovisuelle Medien 7). Erst am 15.12.1993 gelang es schließlich, die UruguayRunde erfolgreich in Genf zu beenden.8 Neben den materiellrechtlichen Ergebnissen konnte dabei auch eine Einigung über die Gründung der Welthandelsorganisation als neuer internationaler Organisation für den Welthandel erzielt werden, obgleich Verhandlungen hierzu im ursprünglichen Mandat der Erklärung von Punta del Este gar nicht vorgesehen waren.9 Die WTO-Übereinkommen traten zum 1.1.1995 in Kraft.10 Für das GATT 1947 war ein Weiterbestehen bis zum 31.12.1995 vorgesehen, um den Übergang von der alten in die neue Rechtsordnung des internationalen Handels ohne Komplikationen zu ermöglichen.11 Die WTO-Rechtsordnung fußt materiellrechtlich auf drei Säulen: dem multilateralen Übereinkommen zum Warenhandel (Anhang 1A zum WTO-Übereinkommen), dem multilateralen Übereinkommen zum Dienstleistungshandel (Anhang 1B zum WTO-Überein7 Zu den diesbezüglichen Problemen siehe Tietje in: Grabitz/Hilf, Bd 5, Sekundärrecht, E 27 Rn 60 ff. 8 Ausführlich zu Geschichte der Uruguay-Runde Croome Reshaping the World Trading System – A History of the Uruguay Round, 2. Aufl 1999. 9 Zu den Hintergründen über die Verhandlungen zur Gründung der WTO siehe Tietje Normative Grundstrukturen, S 87 f mwN. 10 Die wesentlichen Rechtstexte sind abgedruckt in Tietje WTO. 11 Details bei Marceau Journal of World Trade 29 (No. 4, 1995), 147 ff.
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kommen) und dem multilateralen Übereinkommen zu den Rechten des geistigen Eigentums (Anhang 1C zum WTO-Übereinkommen). Der Dienstleistungshandel ist dabei im General Agreement on Trade in Services (GATS), der Schutz des geistigen Eigentums im Übereinkommen zu Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (TRIPS) niedergelegt. Im Bereich des Warenhandels steht weiterhin das GATT im Zentrum, allerdings nunmehr als GATT 1994 bezeichnet, auch wenn es im Kern dem Text des alten GATT 1947 entspricht.12 Ergänzt werden die Regeln des GATT zum Warenhandel durch zahlreiche Sonderübereinkommen zu einzelnen Bereichen des Warenhandels, zB Landwirtschaft, Antidumping, Subventionen und technische Handelshemmnisse.13 Das Dach der drei materiellrechtlichen Säulen der WTO-Rechtsordnung bildet die WTO als internationale Organisation. An ihrer Spitze steht die Ministerkonferenz als höchstes Entscheidungsorgan. Während der alle zwei Jahre stattfindenden Ministerkonferenzen nimmt der Allgemeine Rat der WTO ihre Aufgaben sowie insgesamt das operative Tagesgeschäft wahr. Der Allgemeine Rat tagt zugleich auch als Streitbeilegungsgremium (Dispute Settlement Body – DSB) (→ Rn 12 ff). und als Trade Policy Review Body (TPRB). Die Streitbeilegung und der Trade Policy Review Mechanismus ergänzen das materielle WTO-Recht im Hinblick auf notwendige Regelungen zur Rechtsverwirklichung.14 Neben zahlreichen Unterorganen, Komitees und Arbeitsgruppen, die das Organigramm der WTO ergänzen, ist schließlich noch das WTO-Sekretariat zu nennen. Es ist nach dem WTO-Übereinkommen bewusst kein Organ der WTO, da es nach dem Willen der WTO-Mitglieder keine eigenständigen Aufgaben im Welthandelssystem wahrnehmen soll, sondern auf Hilfstätigkeiten zu Gunsten der WTO-Mitglieder beschränkt ist; ob das überzeugend ist und ob es der Realität entspricht, ist freilich eine andere Frage.15
b) Entwicklung des Rechtsschutzsystems im GATT 1947 9
Das GATT 1947 sah in Art XXII und XXIII bereits Regeln zum Rechtsschutz bzw zur Streitbeilegung vor, die sich auch heute noch im GATT 1994 finden und weiterhin die Grundlage des Rechtsschutzsystems im Welthandelsrecht sind. Art XXII:1 GATT eröffnet die Möglichkeit für Konsultationen zwischen den Vertragsparteien bzw heute den WTOMitgliedern bei Meinungsverschiedenheiten in welthandelsrechtlichen Fragen. Ergänzend hierzu sieht Art XXIII in sehr allgemeiner Formulierung einen Streitbeilegungsmechanismus vor, wenn nach Ansicht eines WTO-Mitglieds (früher: Vertragspartei) eine sog Zunichtemachung oder Schmälerung von Vorteilen aufgrund einer Vertragsverletzung (violation complaint), einer vertragskonformen aber trotzdem rechtserheblichen Maßnahme (non-violation complaint) oder einer sonstigen Situation (situation complaint) vorliegt.16 Diese zunächst ungewöhnliche Begrifflichkeit in Art XXIII GATT stammt aus bilateralen Handelsverträgen der USA und ist dementsprechend nur historisch zu erklären. Im Kern geht es bei dem Konzept der Zunichtemachung oder Schmälerung (nullification or impairment) von Vorteilen darum, dass das GATT-Recht ursprünglich im Kern auf eine weltweite Liberalisierung
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S hierzu Art II:4 WTO-Übereinkommen. Ausführlich hierzu Tietje in: ders (Hrsg), Internationales Wirtschaftsrecht, 2008, § 3. Zum Begriff der Rechtsverwirklichung s Tietje Normative Grundstrukturen, 132 ff. Tietje in: Prieß/Berrisch, WTO, A.III. Rn 33 ff; zur Funktion des Sekretariats in der Streitbeilegung s auch noch → Rn 30. 16 Zur weiterhin gegebenen Relevanz dieser Regelungen siehe Art 3.8 und Art 26 DSU; sowie → Rn 60 ff.
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des Warenhandels durch einen schrittweisen Abbau von Zöllen ausgerichtet war. Sobald eine entsprechende Zollsenkung durch eine völkerrechtlich verpflichtende Festsetzung eines Zollsatzes realisiert ist, stellt sich das Problem, dass Staaten dazu neigen, Maßnahmen zu ergreifen, die außerhalb des Zollbereichs welthandelsrechtlich nicht verboten sind, im Ergebnis aber dazu führen, dass der Liberalisierungserfolg durch die Zollsenkung aufgehoben wird. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Gewährung einer heimischen Subvention, die den inländischen Produzenten im Verhältnis zu ausländischen Importeuren einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Dies kann zu einer Zunichtemachung oder Schmälerung des erleichterten Marktzugangs, der sich aus der Zollsenkung ergibt, führen.17 Die eher rudimentären Regeln zur Streitbeilegung im GATT 1947 wurden in der Praxis ab ungefähr Anfang der 1950 zunehmend konkretisiert. Es kam im GATT 1947 vermehrt zur Einsetzung von zunächst Arbeitsgruppen und später dann Expertengruppen (panel of experts), die sich mit einzelnen Handelsstreitigkeiten zwischen den GATT-Vertragsparteien beschäftigten. Hieraus entwickelte sich ein zunehmend institutionalisiertes Rechtsschutzsystem, dem bis zum Außerkrafttreten des GATT 1947 zum 1.1.1996 mehr als 200 Streitverfahren unterbreitet wurden.18 Allerdings erfolgte nach eher rudimentären Festlegungen im Jahre 1966 eine erste eigentliche Kodifikation des Verfahrensrechts erst Ende der 1970er Jahre.19 Trotz des quantitativ gesehen durchaus gegebenen Erfolgs des Rechtsschutzsystems im GATT 1947 war es mit verschiedenen Problemen behaftet. Zunächst war materiellrechtlich problematisch, dass die unter dem GATT 1947 eingesetzten Panel in erster Linie eine diplomatische Streitbeilegung vor Augen hatten und dementsprechend eine strenge Orientierung am Recht oftmals vernachlässigt wurde. Konkret zeigte sich dies an der Dominanz der historischen Auslegung der Bestimmungen des GATT 1947, die nach Art 32 WVK eigentlich nur subsidiär ist. Im Sinne einer bekannten Aussage von John H. Jackson stand insofern ein power-oriented und nicht ein rule-oriented Ansatz im Vordergrund der Arbeit der Panel.20 Weiterhin bestand ein Problem darin, dass die Einsetzung eines Panel in einem Streitfall sowie die Annahme der Empfehlungen des Panel, die erst zu ihrer Rechtsverbindlichkeit führten, dem Konsensus-Prinzip unterlagen. Als Konsensus wird dabei die im GATT 1947 etablierte Praxis bezeichnet, dass eine Entscheidung dann angenommen ist, wenn keine bei der Abstimmung anwesende Vertragspartei hiergegen Widerspruch erhebt. Es bedarf also nicht der positiven Zustimmung aller Vertragsparteien, sondern es darf nur kein Widerspruch gegeben sein.21 Durch diesen Entscheidungsmechanismus, der auch heute in der WTO von zentraler Bedeutung ist (vgl Art IX:1 WTO-Übereinkommen), war es der beklagten Partei möglich, durch einfachen Widerspruch die Einsetzung eines Panel und ggf die Annahme eines Panel-Report zu verhindern. In der Praxis kam es zwar nur vereinzelt zu einem Widerspruch im Hinblick auf die Annahme eines PanelReport. Im Hinblick auf die Nichteinsetzung eines Panel hatte die Konsensus-Regel aller17 Ausführlich zu diesem Konzept Tietje Normative Grundstrukturen, 157 ff mwN. 18 Ausführlich hierzu Hudec Enforcing International Trade Law – the Evolution of the Modern GATT Legal System, 1993. 19 Zu Einzelheiten und Nachweisen siehe Stoll in: Wolfrum, WTO 270 f. 20 Jackson Law & Policy in Int’l Business 12 (1980), 21, 27 f; ders Michigan Law Review 82 (1984), 1570, 1571 f; ausführlich hierzu auch Tietje Normative Grundstrukturen, 113 ff mwN. 21 Ausführlich zu dieser Entscheidungspraxis und Parallelen bzw Abweichungen in anderen internationalen Wirtschaftsorganisationen Tietje in: Dicke/Fröhlich (Hrsg), Wege multilateraler Diplomatie – Politik, Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungsstrukturen im UN-System, 2005, 12 ff.
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dings durchaus ihre Wirkung. Es war ein wichtiges Anliegen der Uruguay-Runde, diese Schwachpunkte des Rechtsschutzsystems des alten GATT 1947 zu beseitigen.
c) Grundstrukturen und tatsächliche Bedeutung des WTO-Rechtsschutzsystems 12
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Rechtsgrundlagen des heutigen Rechtsschutzsystems sind zunächst weiterhin Art XXII und XXIII GATT, jetzt allerdings in Verbindung mit dem Dispute Settlement Understanding (DSU), das als Anhang 2 zum WTO-Übereinkommen integraler Bestandteil der WTO-Rechtsordnung ist. Institutionell liegt die WTO-Streitbeilegung in der Verantwortung des Allgemeinen Rates der WTO in seiner Zusammensetzung als Dispute Settlement Body (Art IV:4 WTO-Übereinkommen; Art 2 DSU). Dem DSB gehören alle 153 (Stand: Juli 2008) WTO-Mitglieder an. Der DSB ist das einzige Organ im Rahmen der WTO-Streitbeilegung, dem die Befugnis zu rechtsverbindlichen Handlungen zukommt. Die Streitbeilegungspanel und der AB unterstützen den DSB nur in seiner Aufgabenwahrnehmung, indem sie auf einen konkreten Streitfall bezogen Empfehlungen abgeben (vgl Art 11, 17 und 19 DSU). Im Einzelnen hat der DSB insofern insbesondere die Aufgabe, ein Panel in einem konkreten Streitfall einzusetzen, die Empfehlungen des Panel bzw des AB rechtsverbindlich anzunehmen sowie Entscheidungen mit Blick auf die Umsetzung des Panel- bzw AB-Berichts zu treffen. Wie bereits hervorgehoben, erfolgt die Entscheidungsfindung in der WTO in der Regel nach dem Konsensus-Prinzip, das in einer Fußnote zu Art IX:1 WTO-Übereinkommen wie folgt definiert ist: „The body concerned shall be deemed to have decided by consensus on a matter submitted for its consideration, if no Member, present at the meeting when the decision is taken, formally objects to the proposed decision“.22 Für die zentralen Kompetenzbereiche des DSB – ua Einsetzung eines Panel und Annahme von Panel-/ABBerichten – gilt das Konsensusprinzip in dieser Form jedoch nicht. Vielmehr gilt diesbezüglich, dass der DSB die entsprechende Entscheidung trifft, es sei denn, dass durch Konsensus entscheiden wird, die Entscheidung gerade nicht zu treffen (vgl zB Art 16.4 und 17.14 DSU). Damit kommt im Streitbeilegungsrecht der WTO in zentralen Bereichen ein sog negativer Konsensus zur Anwendung. Das führt dazu, dass in der Praxis eine ablehnende Entscheidung des DSB zur Einsetzung eines Panel, Annahme eines Panel-/ABBerichts etc nahezu ausgeschlossen ist. Durch die vielmehr quasi-automatische positive Entscheidungsfindung hat der DSB letztlich keine eigentliche Entscheidungsgewalt. Das bedeutet zugleich, dass die erwähnte, rein unterstützende Funktion der Panel und des AB sich de facto als eigentliche Entscheidungsfindung und damit als gerichtsähnliches System darstellt. Die Funktion des DSB beschränkt sich dementsprechend in erster Linie auf die politische Diskussion und den Meinungsaustausch über das Streitbeilegungssystem.23 Das DSU enthält das eigentliche Verfahrensrecht für die WTO-Streitbeilegung und die Umsetzung der Streitbeilegungsentscheidungen des DSB.24 Das Übereinkommen besteht aus 27 Artikeln mit insgesamt 143 Absätzen sowie verschiedenen Anhängen. Ein Grundgedanke des WTO-Streitbeilegungssystems, der insbesondere in Art 23.1 DSU zum Ausdruck kommt, besteht darin, dass Streitigkeiten der WTO-Mitglieder, die sich auf ihre Rechte und Pflichten nach den einzelnen WTO-Übereinkommen beziehen, ausschließlich
22 S entsprechend auch Fn 1 zu Art 2.4 DSU. 23 Palmeter/Mavroidis WTO 15. 24 Zu beachten sind allerdings zT vorrangige Streitbeilegungsregeln in den einzelnen WTO-Übereinkommen, siehe Anhang 2 DSU.
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nach den Regeln des DSU beigelegt werden sollen. Das schließt die unilaterale Durchsetzung des WTO-Rechts durch einzelne WTO-Mitglieder im Wege der völkerrechtlichen Retorsion oder Repressalie ebenso aus, wie – jedenfalls aus der Sicht des WTO-Rechts – die Austragung von welthandelsrechtlichen Streitigkeiten vor internationalen Gerichten oder Schiedsgerichten außerhalb der WTO.25 Das Streitbeilegungsverfahren selbst ist nach den Regeln des DSU zweistufig ausgestaltet. Auf der ersten Stufe findet das Panelverfahren bzw ggf das Verfahren vor dem AB statt. Sobald hiernach eine endgültige und rechtsverbindliche Entscheidung des DSB vorliegt, sind auf einer zweiten Stufe die Besonderheiten und Probleme geregelt, die sich im Hinblick auf die Umsetzung der Verpflichtungen, die sich aus der DSB-Entscheidung ergeben, stellen können. Das Panelverfahren und das Verfahren vor dem AB sind von engen Zeitvorgaben geprägt. Das Panel hat seine Empfehlungen in der Regel innerhalb von sechs, spätestens jedoch nach neun Monaten vorzulegen; der AB hat, wenn er angerufen wird, innerhalb von maximal 90 Tagen zu entscheiden. Überdies muss die sich hieran anschließende Entscheidung des DSB über die Rechtsverbindlichkeit der Empfehlungen des Panel/des AB grundsätzlich umgehend umgesetzt werden (Art 21.1 DSU). Insbesondere der negative Konsensus, der bei der Einsetzung eines Panel zur Anwendung kommt und im Ergebnis zu einem Recht eines WTO-Mitglieds auf ein Panel – also ein echtes Beschwerderecht – führt, sowie die engen zeitlichen Vorgaben für das Verfahren selbst, sind der Grund für den bislang herausragenden Erfolg des WTO-Streitbeilegungssystems insgesamt. Mit Stand vom Januar 2008 wurden 369 Konsultationsgesuche nach Art XXII GATT iVm dem DSU der WTO notifiziert. In 107 Verfahren kam es zu vom DSB rechtsverbindlich angenommenen Panel- bzw AB-Berichten; 28 Verfahren waren im Januar 2008 noch anhängig. Insgesamt ist das WTO-Streitbeilegungssystem damit in der Geschichte des internationalen Rechts der zwischenstaatlichen Streitbeilegung das erfolgreichste Rechtsschutzsystem überhaupt.
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2. Rechtsquellen Die WTO-Streitbeilegung bezieht sich naturgemäß auf das WTO-Recht. Dementsprechend ist es Aufgabe der Panel und des AB, einen konkreten Streitfall im Lichte der einschlägigen WTO-Übereinkommen und deren Vorschriften zu beurteilen (vgl Art 7.2 DSU). Zusätzlich zu den jeweils einschlägigen WTO-Übereinkommen haben bereits vorliegende Panel- und AB-Berichte eine wichtige Funktion. Es gibt zwar im WTO-Recht keine stare decisis-Regel, allerdings heißt das nicht, dass Panel- und AB-Berichten gar keine Bedeutung zukommt, im Gegenteil: nach ständiger Entscheidungspraxis begründen vorliegende Berichte legitime Erwartungen der WTO-Mitglieder im Hinblick auf das WTO-Recht insgesamt. Der AB fasste diese Rechtslage wie folgt zusammen: “In this respect, we note that in our Report in Japan – Taxes on Alcoholic Beverages, we stated that: Adopted panel reports are an important part of the GATT acquis. They are often considered by subsequent panels. They create legitimate expectations among WTO Members, and, therefore, should be taken into account where they are
25 Vgl United States – Section 301–310 of the Trade Act of 1974, Panel Report v 22.12.1999, WT/DS152/R, Ziff 7.43; Weiß in: Herrmann/Weiß/Ohler, WHR, § 10 Rn 260.
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relevant to any dispute. This reasoning applies to adopted Appellate Body Reports as well. Thus, in taking into account the reasoning in an adopted Appellate Body Report – a Report, moreover, that was directly relevant to the Panel’s disposition of the issues before it – the Panel did not err. The Panel was correct in using our findings as a tool for its own reasoning. Further, we see no indication that, in doing so, the Panel limited itself merely to examining the new measure from the perspective of the recommendations and rulings of the DSB”.26 20
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Durch den Verweis auf die WTO-Übereinkommen und sie konkretisierende Panel- bzw AB-Berichte sind die Rechtsquellen des WTO-Streitbeilegungsystems allerdings noch nicht abschließend erfasst. Vielmehr ist zu beachten, dass nach Art 3.2 DSU das Streitbeilegungssystem mit Blick auf die WTO-Übereinkommen dazu dient, „to clarify the existing provisions of those agreements in accordance with customary rules of interpretation of public international law“. Durch den Verweis auf die „customary rules of interpretation of public international law“ wird nach ständiger Entscheidungspraxis auf Art 31ff WVK als Ausdruck von Völkergewohnheitsrecht Bezug genommen.27 Diese Bezugnahme auf die WVK bzw das entsprechende Völkergewohnheitsrecht betrifft indes nicht nur die anwendbaren Methoden zur Auslegung der WTO-Übereinkommen, sondern stellt auch materiellrechtlich eine Öffnung des WTO-Rechts gegenüber dem allgemeinen Völkerrecht dar. In den Worten des AB bringt Art 3.2 DSU insofern zum Ausdruck, „that the General Agreement is not to be read in clinical isolation from public international law“.28 In welchem Umfang allgemeines Völkerrecht, also in erster Linie die in Art 38 IGH-Statut im Einzelnen genannten Völkerrechtsquellen, in das WTO-Recht einwirken und damit im Streitbeilegungssystem zu beachten sind, ist strittig und noch nicht abschließend geklärt.29 Klar ist insoweit jedoch, dass als Ausgangspunkt in der Streitbeilegung immer die WTO-Übereinkommen heranzuziehen sind. Die in ihnen statuierten Rechte und Pflichten der WTO-Mitglieder können als solche nicht durch weiteres Völkerrecht erweitert oder verkürzt werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass bei Regelungslücken und zur Konkretisierung einzelner Bestimmungen aus WTO-Übereinkommen nicht auf sonstiges Völkerrecht zurückgegriffen werden kann. Das so deutlich werdende Spannungsverhältnis wurde auf das Völkergewohnheitsrecht bezogen von einem Panel wie folgt zum Ausdruck gebracht: “However, the relationship of the WTO Agreements to customary international law is broader than this. Customary international law applies generally to the economic
26 United States – Import Prohibitions of Certain Shrimp and Shrimp Products, AB Report v 22.10.2001, WT/DS58/AB/R, Ziff 108 f; zur Rechtslage im Hinblick auf Panel Reports nach dem alten GATT 1947 s Palmeter/Mavroidis WTO 51 ff. 27 S zB United States – Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, AB Report v 20.5.1996, WT/DS2/AB/R, S 17; European Communities – Export Subsidies on Sugar, AB Report v 28.4.2005, WT/DS265/AB/R, WT/DS266/AB/R, WT/DS283/AB/R, Ziff 167; United States – Anti-Dumping Measures on Certain Hot-Rolled Steel Products from Japan, AB Report v 24.7.2001, WT/DS184/AB/R, Ziff 57; zu den völkerrechtlichen Auslegungsmethoden im Einzelnen zB Dahm/Delbrück/Wolfrum Völkerrecht, Bd 1/3, 2. Aufl 2002, 633 ff mwN. 28 United States – Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, AB Report v 20.5.1996, WT/DS2/AB/R, S 17. 29 Zur Diskussion s zB Lennard JIEL 5 (2002), 17 ff; Marceau Journal of World Trade 33 (No. 5, 1999), 87 ff; Pauwelyn American Journal of International Law 95 (2001), 535 ff; ders Conflict of Norms in Public International Law – How WTO Law Relates to Other Rules of International Law, 2006.
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relations between the WTO Members. Such international law applies to the extent that the WTO treaty agreements do not ‘contract out’ from it. To put it another way, to the extent there is no conflict or inconsistency, or an expression in a covered WTO agreement that implies differently, we are of the view that the customary rules of international law apply to the WTO treaties and to the process of treaty formation under the WTO”.30 Über das Völkergewohnheitsrecht hinausgehend werden in der WTO-Streitbeilegungspraxis auch völkerrechtliche Verträge außerhalb des WTO-Rechts mit beachtet. Die Intensität des Einflusses völkerrechtlicher Verträge außerhalb des WTO-Rechts auf dieses variiert dabei. Relativ klar ist die Rechtslage, wenn in WTO-Übereinkommen direkt auf andere völkerrechtliche Verträge Bezug genommen wird. Das ist sehr weitreichend im TRIPS-Übereinkommen der Fall, aber zB auch im Übereinkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen. In diesen Fällen ziehen Panel und der AB die maßgeblichen völkerrechtlichen Verträge direkt als anwendbares Recht heran.31 Im Hinblick auf sonstige multilaterale völkerrechtliche Verträge entspricht es der WTO-Entscheidungspraxis, diese, soweit einschlägig, jedenfalls als Hilfe bei der Interpretation relevanter Vorschriften des WTO-Rechts heranzuziehen. Ob entsprechende Verträge darüber hinaus nicht nur als Interpretationshilfe, sondern mit eigenständigem Regelungsgehalt in einem Streitbeilegungsverfahren zu berücksichtigen sind – worauf die Entscheidungspraxis des AB hindeutet – ist nicht ganz klar.32 Für bilaterale Verträge zwischen den Streitparteien gilt ähnliches; auch sie sind jedenfalls als Interpretationshilfe bei der Auslegung des einschlägigen WTO-Rechts zu beachten.33 Auch allgemeine Rechtsgrundsätze im Sinne von Art 38 Ic IGH-Statut werden immer wieder in der Streitbeilegungspraxis zur Konkretisierung von Rechten und Pflichten nach den WTO-Übereinkommen herangezogen, so zB das Prinzip von Treu und Glauben und daraus folgend das Rechtsmissbrauchsverbot.34 Damit im Zusammenhang steht auch, dass in der WTO-Streitbeilegung immer wieder auf Entscheidungen des IGH und internationaler Schiedsgerichte Bezug genommen wird.35 Abschließend ist mit Blick auf die Rechtsquellen der WTO-Streitbeilegung noch kurz auf die Rolle hinzuweisen, die innerstaatlichem Recht der WTO-Mitglieder diesbezüglich zukommt. Es entspricht zunächst einer gefestigten Auffassung in der internationalen Gerichtsbarkeit und Schiedsgerichtsbarkeit, dass innerstaatliches Recht der Streitparteien nicht zum anwendbaren Recht gehört. Von internationalen Gerichten und Schiedsgerichten wird es vielmehr nur als Tatsache – nicht also als Recht – bei der Entscheidungs-
30 Korea – Measures Affecting Government Procurement, Panel Report v 1.5.2000, WT/DS163/R, Ziff 7.96; s im Überblick auch Palmeter/Mavroidis WTO 65 f. 31 Ausführlich Palmeter/Mavroidis WTO 69 ff. 32 S insb United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, AB Report v 6.11.1998, WT/DS58/AB/R, Ziff 127 ff; Palmeter/Mavroidis WTO 73 ff. 33 S zB European Communities – Measures Affecting the Importation of Certain Poultry Products, AB Report v 13.7.1998, Ziff 83. 34 United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, AB Report v 6.11.1998, WT/DS58/AB/R, Ziff 158; Korea – Measures Affecting Government Procurement, Panel Report v 1.5.2000, WT/DS163/R, Ziff 7.101; United States – Section 211 Omnibus Appropriations Act of 1988, Panel Report v 6.8.2001, WT/DS176/R, Ziff 8.57. 35 Palmeter/Mavroidis WTO 79.
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findung beachtet.36 Daraus folgt zugleich, dass eine ggf durchaus ausführliche Analyse des innerstaatlichen Rechts der Streitparteien möglich ist, um seine Vereinbarkeit mit dem WTO-Recht zu prüfen. Das hat auch der AB so festgehalten: „Although it is not the role of panels or the Appellate Body to interpret a Member’s domestic legislation as such, it is permissible, indeed essential, to conduct a detailed examination of the legislation in assessing its consistency with WTO law“.37 Allerdings ist mit dieser Aussage noch nicht gesagt, wie weit die Überprüfungskompetenz eines Panel bzw des AB im Hinblick auf innerstaatliches Recht geht bzw ob es insofern einen nicht nachprüfbaren Beurteilungsspielraum der WTO-Mitglieder gibt.38 3. Das WTO-Rechtsschutzverfahren im Überblick 25
Ein Rechtsschutzverfahren nach dem DSU hat zwei und im Falle der Anrufung des AB drei Verfahrensschritte: (1) Konsultationen, (2) Einrichtung des Panel und das Panelverfahren und (3) ggf das Verfahren vor dem AB. Nach Abschluss des Verfahrens durch die rechtsverbindliche Annahme des Panel- bzw AB-Berichts durch den DSB schließt sich die Umsetzungsphase – im innerstaatlichen Rechtssinne gleichsam das Vollstreckungsverfahren – an, das hier nicht weiter behandelt werden soll.39
a) Konsultationen 26
Konsultationen auf der Grundlage von Art XXII GATT stellen, von Ausnahmen abgesehen, ein zwingendes Vorverfahren dar (Art 4.7 DSU). Sie dienen beiden Parteien dazu, Informationen über den Sachverhalt der streitigen Maßnahme zu erlangen und auszutauschen, um so eine einvernehmliche Lösung der Streitigkeit herbeizuführen oder, wenn dies scheitert, im späteren Panelverfahren einen tatsächlich zutreffenden Fall zu präsentieren.40 Die Konsultationen sind vertraulich und finden ohne Beteiligung des WTOSekretariats oder dritter Parteien statt (vgl Art 4.6 DSU), es sei denn, dass auf Antrag einer dritten Partei das WTO-Mitglied, gegen das der Antrag auf Konsultationen gerichtet ist, der Teilnahme der dritten Partei zustimmt (Art 4.11 DSU). Im Übrigen ist es in der Praxis so, dass oftmals schon lange vor Einleitung förmlicher Konsultationen informelle Gespräche zwischen den betreffenden WTO-Mitgliedern stattgefunden haben werden. Förmliche Konsultationen sind insofern regelmäßig nur Ausdruck ohnehin schon gescheiterter handelsdiplomatischer Bemühungen um eine Streitbeilegung.41
36 Certain German Interests in Polish Upper Silesia (Germany v. Poland), (Merits) (1926) PCIJ, Ser. A No.7, 19: „From the standpoint of International Law and of the Court which is its organ, municipal laws are merely facts which express the will and constitute the activities of States, in the same manner as do legal decisions or administrative measures“. 37 United States – Anti-Dumping Measures on Certain Hot-Rolled Steel Products from Japan, AB Report v 24.7.2001, WT/DS184/AB/R, Ziff 200. 38 Ausführlich hierzu Oesch Standards of Review in WTO Dispute Resolution, 2003; sowie → Rn 64 f. 39 S hierzu ausführlich zB Stoll Max Planck Yearbook of United Nations Law 3 (1999), 407 ff; Grané JIEL 4 (2001), 755 ff; Palmeter/Mavroidis WTO 234 ff. 40 Korea – Taxes on Alcoholic Beverages, Panel Report v 17.9.1998, WT/DS75/R, WT/DS84/R, Ziff 10.23. 41 Palmeter/Mavoridis WTO 86 f.
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b) Panelverfahren Wenn die Konsultationen nicht innerhalb von 60 Tagen zu einem Erfolg führen, kann die Einsetzung eines Panels beantragt werden (Art 4.7 DSU). Der Antrag muss schriftlich an den DSB erfolgen und die in Art 6.2 DSU genannten Angaben enthalten (→ Rn 45 f). Nach Art 6.1 DSU wird das Panel spätestens während der zweiten Sitzung nach Eingang des Antrages vom DSB eingesetzt, es sei denn der DSB entscheidet sich im Wege des negativen Konsensus gegen die Einsetzung, was praktisch nicht vorkommen wird. Allerdings hat diese Regelung zur Folge, dass während der ersten regulären Sitzung des DSB nach Eingang des Einsetzungsantrages hierüber durch positiven Konsensus zu entscheiden ist. In der Praxis führt diese etwas ungewöhnliche Regelung oftmals dazu, dass auf der ersten DSB-Sitzung das WTO-Mitglied, gegen das sich die Beschwerde richtet, gegen die Einsetzung eines Panel stimmt, so dass der Einsetzungsantrag abgelehnt ist, obgleich klar ist, dass die Einsetzung auf der nächsten DSB-Sitzung nicht mehr verhindert werden kann.42 Panel setzen sich in der Regel aus drei Personen zusammen; von der theoretisch ebenfalls bestehenden Möglichkeit, dass die Parteien ein Panel aus fünf Personen vereinbaren (Art 8.5 DSU), wurde bislang nicht Gebrauch gemacht. Ein gewisses Problem besteht darin, dass die Panelisten nicht Staatsangehörige einer der Streitparteien oder eines drittbeteiligten WTO-Mitglieds sein dürfen, es sei denn, die Streitparteien vereinbaren etwas anderes (Art 8.3 DSU). Das führt in der Praxis dazu, dass namentlich Staatsangehörige der EU-Mitgliedstaaten und der USA kaum jemals Panelisten sind.43 Auch vor diesem Hintergrund sind Vorschläge zur Reform des DSU zu sehen, die ua eine abschließende Liste von potentiellen Panelisten unter Wegfall der Staatsangehörigkeitsregel vorsehen.44 Panelisten erfüllen ihre Aufgaben unabhängig von ihrer dienstlichen Stellung in einem WTO-Mitglied; es ist den WTO-Mitgliedern insofern verboten, Panelisten Weisungen zu erteilen oder zu versuchen, sonst wie auf sie Einfluss zu nehmen (Art 8.9 DSU). Es besteht zwar die theoretische Möglichkeit, dass die Parteien die Panelisten selbst im Einvernehmen bestimmen. In der Praxis ist dies allerdings ein höchst seltener Fall.45 Vielmehr erfolgt die Auswahl der Panelisten de facto durch das WTO-Sekretariat.46 Dem WTO-Sekretariat kommt über die Auswahl der Panelisten hinausgehend auch im Panelverfahren selbst eine nicht unbedeutende Aufgabe zu. Jedem Panelverfahren wird in der Regel ein Mitarbeiter der Rechtsabteilung der WTO (Legal Affairs Devision) und ein Mitarbeiter der Fachabteilung, deren Aufgabengebiet das Streitverfahren betrifft, zugewiesen.47 Inhaltlich hat das Sekretariat nach Art 27.1 DSU zwar zunächst nur die Aufgabe, das Panel in der Entscheidungsfindung zu unterstützen sowie Sekretariatsarbeiten und technische Unterstützung zu gewähren. In der Praxis ist die in Art 27.1 DSU vorgesehene, rein untergeordnete Rolle des WTO-Sekretariats jedoch „comforting nonsense“ 48 und geht in einem Panelverfahren deutlich hierüber hinaus. Nur das WTO-Sekretariat
42 Palmeter/Mavroidis WTO 105. 43 S den statistischen Überblick bei Leitner/Lester JIEL 11 (2008), 179, 190 f. 44 S hierzu die verschiedenen Beiträge in JIEL 6 (2003), 175 ff; im Überblick insg zur Reform des DSU s zB McRae JIEL 7 (2004), 3 ff. 45 Palmeter/Mavroidis WTO 106. 46 Zu Einzelheiten s Palmeter/Mavroidis WTO 106 f. 47 Palmeter/Mavroidis WTO 114. 48 Weiler Journal of World Trade (No. 2, 2001), 191, 205.
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verfügt in einem Panelverfahren letztlich über das notwendige institutionelle Wissen, um einen Streitfall umfassend in die Entwicklung und aktuelle ökonomische und rechtliche Praxis der WTO einordnen zu können. Da Panelisten immer ad hoc bestimmt werden und es dementsprechend trotz entsprechender Reformbemühungen bislang keine feste und begrenzte Liste von Panelisten gibt, hat das Sekretariat insofern den Panelisten gegenüber immer einen klaren Wissensvorsprung. Das führt – abhängig vom Selbstbewusstsein und Kenntnisstand der Panelisten im Einzelfall – zu einer beachtlichen Einflussnahmemöglichkeit des Sekretariats im Panelverfahren.49 Aufgabe des Panel ist es offiziell, den DSB bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben zu unterstützen (Art 11 DSU). Wie bereits dargestellt, hat ein Panel indes aufgrund des negativen Konsensus bei der Annahme seines Berichts durch den DSB de facto die Entscheidungskompetenz. Inhaltlich hat das Panel dabei die Pflicht, diejenigen tatsächlichen und rechtlichen Aspekte eines Streitfalles, die ihm durch die Parteien unterbreitet wurden, zu analysieren sowie ex officio alle evtl gegebenen Zulässigkeits- bzw Zuständigkeitsgesichtspunkte zu prüfen.50 Das Panelverfahren selbst ist in Ergänzung der Regelungen des DSU in Anhang 3 zum DSU (Working Procedures) geregelt. Allerdings handelt es sich auch hierbei nur um eher rudimentäre Regelungen, die nicht abschließend sind. Dementsprechend legen Panels in einem konkreten Verfahren regelmäßig ihre eigenen Verfahrensregelungen zu ua Form- und Fristfragen fest.51 Das Panelverfahren ist in einen schriftlichen Teil und eine mündliche Anhörung unterteilt. Es beginnt mit der Einreichung der Beschwerdeschrift, auf die innerhalb eines vom Panel festgelegten Zeitrahmens die andere Partei antworten muss. In der Regel findet im Anschluss hieran eine mündliche Anhörung statt, in der die Parteien (beginnend mit der beschwerdeführenden Partei) ihre Standpunkte vortragen und vom Panel Fragen gestellt werden. Ob und ggf in welcher Intensität vom Panel Fragen gestellt werden, ist dabei von Panel zu Panel unterschiedlich. Im Anschluss an die erste mündliche Anhörung haben die Parteien ihre zweiten Schriftsätze einzureichen, wobei diese zeitgleich eingereicht werden und zu Gesichtspunkten aus dem jeweils vorhergehenden Schriftsatz der anderen Partei sowie zu weiteren Aspekten, die sich aus der ersten mündlichen Anhörung ergeben haben, Stellung nehmen sollen. Hieran schließt sich eine weitere, zweite mündliche Anhörung an. Sollte es während der zweiten mündlichen Anhörung dazu kommen, dass von einer Partei neue tatsächliche Umstände vorgebracht werden, kann es zu einer dritten schriftlichen Runde kommen.52 Das Panelverfahren endet nicht sofort mit einer abschließenden Entscheidung. Vielmehr gibt das Panel nach Abschluss der schriftlichen und mündlichen Anhörungen den Parteien zunächst Gelegenheit, den Entwurf der Sachverhaltsdarstellung, die sich im abschließenden Panelreport finden soll, zu lesen und zu kommentieren (Art 15.1 DSU). Dieses Verfahren hatte sich bereits im alten GATT 1947 in der Praxis etabliert. Es soll gewährleisten, dass die Sachverhaltsdarstellung – einschließlich der Darstellung der tat-
49 Ausführlich Weiler Journal of World Trade (No. 2, 2001), 191, 205 f; Palmeter/Mavroidis WTO 114 f. 50 Mexico – Anti-Dumping Investigation of High Fructose Corn Syrup (HFCS) from the United States – Recourse to Article 21.5 of the DSU by the United States, AB Report v 22.10.2001, WT/DS132/AB/RW, Ziff 36. 51 S hierzu als Beispiel Palmeter/Mavroidis WTO 306 ff. 52 Zu diesem Verfahrensablauf und weiteren Einzelheiten hierzu s Palmeter/Mavroidis WTO 156 ff.
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sächlichen Auffassungen und rechtlichen Ansichten der Parteien – im endgültigen Panelreport zutreffend ist und es hierzu keinen späteren Streit der Parteien gibt. Nachdem das Panel die Kommentare der Parteien zu dem Entwurf des deskriptiven Teils des Panelreports bearbeitet hat, übermittelt es den Parteien den Entwurf des gesamten Panelberichts, jetzt also einschließlich des Entwurfs des Zulässigkeits- und Begründetheitsteils (interim report) (Art 15.2 DSU). Dieser interim report ist vertraulich und nur den Parteien zugänglich. Allerdings kommt es in der Praxis immer wieder zu Verletzungen des Vertraulichkeitsgrundsatzes, was vereinzelt sogar dazu führt, dass interim reports in der Öffentlichkeit (zumeist im Internet) auftauchen.53 Die Parteien haben das Recht, schriftlich zu beantragen, dass das Panel einzelne Teile des Entscheidungsentwurfs überprüft und ggf eine weitere mündliche Anhörung stattfindet (Art 15.2 DSU). In jedem Fall muss das Panel die Stellungnahmen der Parteien zum interim report beachten und sich mit ihnen im Abschlussbericht auseinander setzen (Art 15.3 DSU). Allerdings können von einer Partei im Rahmen einer Stellungnahme zum interim report keine neuen Beweise vorgetragen werden; sollte es hierzu kommen, kann ein Panel dies missachten und muss hierauf in der endgültigen Entscheidung nicht eingehen.54 Der endgültige Bericht des Panels soll nach Absatz 11 Anhang 3 DSU zwei Wochen nach Abschluss der Anhörungen zum interim report fertig gestellt und an die Parteien übermittelt werden. Inhaltlich muss der Panel Report dabei nach Art 12.7 DSU „die Sachverhaltsfeststellungen, die Anwendbarkeit der einschlägigen Bestimmungen und die wesentliche Begründung ihrer Feststellungen und Empfehlungen“ enthalten. Der AB hat diese Vorschrift wie folgt konkretisiert:
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“[T]he duty of panels under Article 12.7 of the DSU to provide a ‘basic rationale’ reflects and conforms with the principles of fundamental fairness and due process that underlie and inform the provisions of the DSU. In particular, in cases where a Member has been found to have acted inconsistently with its obligations under the covered agreements, that Member is entitled to know the reasons for such finding as a matter of due process. In addition, the requirement to set out a ‘basic rationale’ in the panel report assists such Member to understand the nature of its obligations and to make informed decisions about: (i) what must be done in order to implement the eventual rulings and recommendations made by the DSB; and (ii) whether and what to appeal. Article 12.7 also furthers the objectives, expressed in Article 3.2 of the DSU, of promoting security and predictability in the multilateral trading system and of clarifying the existing provisions of the covered agreements, because the requirement to provide ‘basic’ reasons contributes to other WTO Members’ understanding of the nature and scope of the rights and obligations in the covered agreements”.55 Zugleich hat der AB jedoch auch hervorgehoben, dass nur sachverhaltsbezogen im Einzelfall bestimmt werden kann, ob eine hinreichend substantiierte Begründung des Panel für 53 Zu einem solchen Fall s European Communities – Measures Affecting the Approval and Marketing of Biotech Products, Panel Report v 29.9.2006, WT/DS291/R, WT/DS292/R, WT/DS293/R, Ziff 6.183 ff. 54 European Communities – Trade Description of Sardines, AB Report v 26.9.2002, WT/ DS231/AB/R, Ziff 301. 55 Mexico – Anti-Dumping Investigation of High Fructose Corn Syrup (HFCS) from the United States – Recurse to Article 21.5 of the DSU by the United States, AB Report v 22.10.2001, WT/DS132/AB/RW, Ziff 107.
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seine Entscheidungsfindung vorliegt. In jedem Fall ist jedoch klar, dass das Panel nicht jede rechtliche Einzelheit ausführlich begründen muss, sondern vielmehr ua auf bereits vorliegende Rechtsprechung verweisen kann.56
c) Verfahren vor dem Appellate Body 37
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Im Anschluss an die Übermittlung des endgültigen Panelberichts an alle WTO-Mitglieder haben das beschwerdeführende WTO-Mitglied und das Mitglied, gegen das sich die Beschwerde richtete, das Recht, innerhalb von 60 Tagen den AB anzurufen (Art 16.4 DSU).57 Der AB hat sieben Mitglieder, von denen jeweils drei einen Fall entscheiden (Art 17.1 DSU). Die Mitglieder des AB werden für vier Jahre vom DSB ernannt; eine zweite Amtsperiode ist möglich (Art 17.2 DSU). Da das Verfahren vor dem AB auf Rechtsfragen beschränkt ist (Art 17.6 DSU),58 handelt es sich in deutscher Rechtsterminologie um ein Revisions- und nicht – wie es unzutreffend in der amtlichen deutschen Übersetzung der WTO-Texte heißt – um ein Berufungsverfahren. Als Revisionsverfahren ist es in der internationalen friedlichen Streitbeilegung einzigartig. Allerdings erwachsen aus der begrenzten Revisionskompetenz des AB auch spezifische rechtliche Probleme, insbes die kaum abschließend zu klärende Frage, was eine Rechts- und was eine Tatsachenfrage ist.59 Das Verfahren vor dem AB ist in Ergänzung zu den nur sehr allgemeinen Vorgaben des DSU ausführlich in den Working Procedures for Appellate Review geregelt, die vom AB in Absprache mit dem Vorsitzenden des DSB und dem WTO-Generaldirektor erlassen werden.60 Dort sind ausführlich die Organisation und Entscheidungsfindung des AB (Teil 1) und das Verfahren selbst (Teil 2) geregelt. Da der AB innerhalb von 60, im Ausnahmefall innerhalb von 90 Tagen über die Revision zu entscheiden hat (Art 17.5 DSU), ist das Verfahren stark formalisiert. Überdies ist es dadurch gekennzeichnet, dass der AB nicht der Rechtsabteilung der WTO zugeordnet ist. Um seine umfassende Unabhängigkeit klar zum Ausdruck zu bringen, ist das AB-Sekretariat von den anderen Arbeitseinheiten der WTO inhaltlich und räumlich getrennt und direkt dem WTO-Generaldirektor unterstellt. Die einzelnen Voraussetzungen und Verfahrensabschnitte des Revisionsverfahrens sollen hier nicht dargestellt werden. Hierzu kann auf die ausführlichen Working Procedures verwiesen werden.61 Kurz hingewiesen sei jedoch auf ein typisches Problem des Revisionsrechts, das im Verfahren vor dem AB besondere Probleme bereitet. Da eine Revisionsinstanz immer nur auf die Prüfung von Rechtsfragen beschränkt ist, muss der Fall, sofern Rechtsfehler festgestellt werden und ihre Korrektur nur in Abhängigkeit von einer er-
56 Mexico – Anti-Dumping Investigation of High Fructose Corn Syrup (HFCS) from the United States – Recurse to Article 21.5 of the DSU by the United States, AB Report v 22.10.2001, WT/DS132/AB/RW, Ziff 108 f. 57 Zur Fristenberechnung und damit zusammenhängenden taktischen Fragen im Hinblick auf den optimalen Zeitpunkt der Anrufung des AB s ausführlich Palmeter/Mavroidis WTO 224 ff. 58 S auch European Communities – Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), AB Report v 16.1.1998, WT/DS26/AB/R; WT/DS48/AB/R, Ziff 132: „Under Article 17.6 of the DSU, appellate review is limited to appeals on questions of law covered in a panel report and legal interpretations developed by the panel. Findings of fact, as distinguished from legal interpretations or legal conclusions, by a panel are, in principle, not subject to review by the AB“. 59 Palmeter/Mavroidis WTO 211. 60 Aktuelle Fassung v 1.1.2005, WTO Doc. WT/AB/WP/5 v 4.1.2005; verfügbar unter: http://www. wto.org/english/tratop_e/dispu_e/working_procedures_5_e.doc. 61 Ergänzend hierzu auch ausführlich Palmeter/Mavroidis WTO 210 ff mwN.
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neuten Tatsachenwürdigung vorgenommen werden kann, an die Tatsacheninstanz zurück verwiesen werden. Für das Verhältnis von AB und Panel ist dies jedoch im DSU nicht vorgesehen. Eine typische Fallkonstellation, in der dies zu Problemen führen kann, könnte wie folgt aussehen: WTO-Mitglied A strengt ein Panelverfahren gegen WTO-Mitglied B an und trägt vor, dass A durch eine handelspolitische Maßnahme gegen Art XI:1 GATT (Verbot von Importrestriktionen) verstoßen habe. B beruft sich hingegen auf eine Rechtfertigung seiner Maßnahme nach Art XX GATT (allgemeine Ausnahmeregelungen). Das Panel kommt zu dem Schluss, dass B nicht gegen Art XI:1 GATT verstoßen habe. Daher entfällt für das Panel auch die Notwendigkeit, sich mit den Rechtfertigungs- bzw Ausnahmegründen des Art XX GATT auseinander zu setzen.62 Der AB folgt dem Panel nicht und kommt aus Rechtsgründen zu dem Ergebnis, dass B gegen Art XI:1 GATT verstoßen hat. Das führt zwangsläufig dazu, dass sich der AB nunmehr mit einer Rechtsfertigung nach Art XX GATT befassen müsste, was hingegen auch eine Sachverhaltsanalyse erfordert, die eigentlich nicht vom Mandat des AB umfasst ist. Da der AB die Sache nicht an das Panel zurückverweisen kann, bestehen für ihn nur zwei Möglichkeiten: Entweder er zieht sich auf seine reine Revisionskompetenz zurück und lehnt es damit ab, den Fall abschließend zu entscheiden, oder aber er dehnt die Revisionskompetenz aus und prüft Art XX GATT auch unter tatsächlichen Gesichtspunkten. Der AB hat sich für eine Kombination dieser beiden Möglichkeiten entschieden: Sofern die für die Entscheidung relevanten Sachverhaltsgesichtspunkte vom Panel aufgearbeitet wurden, wird der AB auch die Rechtsfragen entscheiden, die aus Gesichtspunkten der Prozessökonomie vom Panel nicht behandelt wurden („completing the analysis“). Sollte das Panel den für die Vervollständigung der Analyse relevanten Sachverhalt jedoch nicht festgestellt haben, ist der AB auf seine Revisionskompetenz beschränkt und kann keine abschließende Entscheidung treffen. Da die zweite Alternative in hohem Maße unbefriedigend und mit dem Konzept eines rechtsförmlichen Streitbeilegungsverfahrens kaum zu vereinbaren ist, bedarf es dringend der Einführung der Möglichkeit der Zurückverweisung an das Panel.63
II. Zulässigkeit eines Panelverfahrens Ein Panelverfahren ist zulässig, wenn (1) soweit erforderlich erfolglose Konsultationen als Vorverfahren stattgefunden haben und (2) die im DSU enthalten weiteren Sachentscheidungsvoraussetzungen gegeben sind.
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1. Vorverfahren (Konsultationen) Bevor die Einsetzung eines Panels beantragt werden kann, müssen auf Antrag der beschwerdeführenden Partei Konsultationen zwischen den Streitparteien stattgefunden haben (Art 4.5 DSU). Der Antrag auf Konsultationen muss schriftlich gestellt werden und eine Begründung enthalten, „einschließlich Angaben über die strittigen Maßnahmen und eines Hinweises auf die Rechtsgrundlage der Beschwerde“ (Art 4.4 DSU). Die im Konsul-
62 S United States – Measures Affecting Imports of Woven Wool Shirts and Blouses from India, AB Report v 25.4.1997, WT/DS33/AB/R, S 19: „A panel need only address those claims which must be addressed in order to resolve the matter in issue in the dispute“. 63 Ausführlich zum gesamten Problem Yanovich/Voon JIEL 9 (2006), 933 ff mwN.
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tationsersuchen gemachten tatsächlichen und rechtlichen Angaben entfalten jedoch keine präkludierende Wirkung im Hinblick auf den späteren Antrag auf Einsetzung eines Panel; das würde Sinn und Zweck des Konsultationsverfahrens widersprechen: „One purpose of consultations … is to ‚clarify the facts of the situation‘, and it can be expected that information obtained during the course of consultations may enable the complainant to focus the scope of the matter with respect to which it seeks establishment of a panel. Thus, to limit the scope of the panel proceedings to the identical matter with respect to which consultations were held could undermine the effectiveness of the panel process“.64 Was im Konsultationsverfahren, das streng vertraulich ist, zwischen den Parteien im Einzelnen besprochen wird, kann grundsätzlich vom Panel nicht überprüft und/oder bewertet werden. Das gilt ebenso für die damit zusammenhängende Frage, ob die Konsultationen inhaltlich adäquat waren.65 Als Zulässigkeitsvoraussetzung ist damit nur zu prüfen, ob Konsultationen überhaupt stattgefunden haben. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Parteien explizit oder implizit auf Konsultationen verzichten können (vgl Art 6.2 DSU). Selbst wenn dementsprechend keine Konsultationen stattgefunden haben, kann das Panelverfahren noch zulässig sein. Überdies ist der Umstand, ob Konsultationen stattgefunden haben, nicht ex officio von einem Panel zu prüfen, sondern nur dann, wenn eine entsprechende Zulässigkeitseinrede von einer Streitpartei erhoben wurde: „[T]he lack of prior consultations is not a defect that, by its very nature, deprives a panel of its authority to deal with and dispose of a matter, and that, accordingly, such a defect is not one which a panel must examine even if both parties to the dispute remain silent thereon“.66 Obwohl Konsultationen streng vertraulich sind, haben die Streitparteien das Recht, Informationen, die sie im Rahmen der Konsultationen erlangt haben, im späteren Panelverfahren zu verwerten. Wollte man dies ausschließen, wäre ein effektives Streitbeilegungsverfahren insgesamt nicht mehr möglich: „[T]he very essence of consultations is to enable the parties gather correct and relevant information, for purposes of assisting them in arriving at a mutually agreed solution, or failing which, to assist them in presenting accurate information to the panel. It would seriously hamper the dispute settlement process if the information acquired during consultations could not subsequently be used by any party in the ensuing proceedings“.67 2. Weitere Sachentscheidungsvoraussetzungen
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Ebenso wie in anderen Bereichen der internationalen Gerichts- und Schiedsgerichtsbarkeit, hat auch ein WTO-Panel die sog Kompetenz-Kompetenz (→ § 4 Rn 51), dh kann und muss über seine Kompetenz (Zuständigkeit) im Hinblick auf einen unterbreiteten Streit-
64 Brazil – Export Financing Programme for Aircraft, Panel Report v 14.4.1999, WT/DS46/R, Ziff 7.9. 65 Korea – Taxes on Alcoholic Beverages, Panel Report v 17.9.1998, WT/DS75/R, WT/DS84/R, Ziff 10.19; European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, Complaint by the United States, Panel Report v 22.5.1997, WT/DS27/R/USA, Ziff 7.20. 66 Mexico – Anti-Dumping Investigation of High Fructose Corn Syrup (HFCS) from the United States – Recourse to Article 21.5 of the DSU by the United States, AB Report v 22.10.2001, WT/DS132/AB/RW, Ziff 64. 67 Korea – Taxes on Alcoholic Beverages, Panel Report v 17.9.1998, WT/DS75/R, WT/DS84/R, Ziff 10.23.
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fall selbst entscheiden: „We note that it is a widely accepted rule that an international tribunal is entitled to consider the issue of its own jurisdiction on its own initiative, and to satisfy itself that it has jurisdiction in any case that comes before it“.68 Allerdings ist die Kompetenz-Kompetenz eines Panel nie losgelöst von der konkreten Zuständigkeitszuweisung in einem Streitfall zu sehen, die ihre Grundlage in den sog terms of references findet. Im Übrigen ist die Zuständigkeit (jurisdiction) eines Panel im Einklang mit der gebräuchlichen Terminologie im internationalen Recht der friedlichen Streitbeilegung zu unterteilen in die personelle Zuständigkeit (jurisdiction ratione personae) und die sachliche Zuständigkeit (jurisdiction ratione materiae). Probleme im Hinblick auf die zeitliche Zuständigkeit eines Panels (jurisdiction ratione temporis) treten in der WTO-Streitbeilegung kaum auf und sollen daher hier auch nicht weiter behandelt werden.
a) Terms of References Jedem Panelverfahren liegen sog terms of references als konkretes Mandat des Panel zugrunde (vgl Art 7 DSU). Die terms of references haben dabei eine Doppelfunktion. Sie dienen unter Gesichtspunkten der Transparenz und der Verfahrensgerechtigkeit (due process) dazu, dass das WTO-Mitglied, gegen das sich die Beschwerde richtet, sowie andere WTO-Mitglieder über den Streitgegenstand informiert sind und hierauf reagieren können. Weiterhin sind die terms of references die eigentliche Grundlage für das Mandat des Panel, sich mit dem Streitfall im bezeichneten Umfang zu befassen.69 Die terms of references werden entweder von den Parteien einvernehmlich festgelegt oder richten sich sonst nach dem Standardmandat, das in Art 7.1 DSU niedergelegt ist. Dabei ist in beiden Fällen sehr genau auf die Bezeichnung des Streitgegenstandes in den terms of references zu achten, da nur dieser von einem Panel untersucht werden darf und insofern das Prinzip „non ultra petita“ zur Anwendung kommt.70 Im Übrigen ist ein Panel aber verpflichtet, alle in den terms of references genannten Aspekte des Streitgegenstandes zu prüfen, sofern nicht ausnahmsweise kein tatsächlicher oder rechtlicher Vortrag hierzu von den Streitparteien vorliegt.71
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b) Zuständigkeit ratione personae (1) WTO-Mitglieder als Beschwerdeführer und Beschwerdegegner Die Zuständigkeit eines Panel ist ratione personae auf Streitigkeiten zwischen WTO-Mitgliedern, dh Staaten und die EG begrenzt. Natürliche und juristische Personen oder
68 United States – Anti-Dumping Act of 1916, AB Report v 28.8.2000, WT/DS136/AB/R, WT/DS162/AB/R, Ziff 54/Fn 30. 69 Brazil – Measures Affecting Desiccated Coconut, AB Report v 21.2.1997, WT/DS22/AB/R, 22: „A panel’s terms of reference are important for two reasons. First, terms of reference fulfil an important due process objective – they give the parties and third parties sufficient information concerning the claims at issue in the dispute in order to allow them an opportunity to respond to the complainant’s case. Second, they establish the jurisdiction of the panel by defining the precise claims at issue in the dispute“. 70 Chile – Price Band System and Safeguard Measures Relating to Certain Agricultural Products, AB Report v 23.9.2002, WT/DS207/AB/R, Ziff 173. 71 Zu Einzelheiten s Palmeter/Mavroidis WTO 20 f.
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andere Personenvereinigungen des Privatrechts haben kein locus standi.72 Es gibt für sie nur eine indirekte, mittelbare Möglichkeit der Verfahrensbeteiligung, und zwar konkret im Rahmen vorgeschalteter innerstaatlicher Verfahren zur Durchsetzung des WTO-Rechts, in der EU namentlich durch die Handelshemmnis-Verordnung,73 sonstige Einflussnahme auf die Regierung des Heimatstaates oder im Panel-Verfahren selbst durch amicus curiaeSchriftsätze. Tatsächlich ist es allerdings so, dass die genannten indirekten Einflussmöglichkeiten in der Praxis eine so große Rolle spielen, dass von einer „public-private partnerships in WTO litigation“ 74 gesprochen werden kann.75 Die Möglichkeit, sich als nicht an einem Panelverfahren beteiligte natürliche oder juristische Person bzw. Personenvereinigung mit einem amicus curiae-Schriftsatz an ein Panel (bzw den AB) zu wenden, ist zwischenzeitlich in der WTO-Rechtsprechung anerkannt.76 Amicus curiae-Schriftsätze können – ohne dass es eine Rechtsverpflichtung hierzu gibt – im Rahmen der freien Beweiswürdigung durch ein Panel bzw den AB berücksichtigt werden (vgl Art 13 DSU). In der Praxis kommt es gerade in Verfahren, die besonders öffentlichkeitswirksam sind, zT dazu, dass ein Panel oder der AB besondere Verfahrensbeschlüsse für amicus curiae-Eingaben trifft (ua Fristen, Umfang). Allerdings ist bislang ein Einfluss von amicus curiae-Eingaben auf Panelverfahren kaum, und beim AB überhaupt nicht feststellbar.77 Das eigentliche Problem heute sind dementsprechend nicht amicus curiae-Schriftsätze als solche, sondern vielmehr zunehmend Verfahren, in denen der Vertraulichkeitsgrundsatz des WTO-Streitbeilegungsverfahrens von Parteien oder deren Rechtsvertretern verletzt wird und in amicus curiae-Schriftsätzen Informationen verwertet werden, die den Verfassern der Eingabe nicht bekannt sein dürfen.78 Im Übrigen bestehen im Hinblick auf WTO-Mitglieder keine Restriktionen einer über die Parteifähigkeit hinausgehenden Beschwerdebefugnis (locus standi). Es existiert insbesondere keine Notwendigkeit, als Beschwerdeführer ein spezifisches wirtschaftliches oder rechtliches Interesse nachzuweisen: „[W]e consider that under the DSU there is no requirement that parties must have an economic interest. In EC – Bananas, the Appellate 72 United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, AB Report v 12.10.1998, WT/DS58/AB/R, Ziff 101: „It may be well to stress at the outset that access to the dispute settlement process of the WTO is limited to Members of the WTO. This access is not available, under the WTO Agreement and the covered agreements as they currently exist, to individuals or international organizations, whether governmental or non-governmental“. 73 VO 3286/94, ABl EG L 349/71 v 31.12.1994, mit Änderungen. 74 Shaffer Defending Interests – Public-Private Partnerships in WTO Litigation, 2003; s auch ders in: Pollack/Shaffer (Hrsg), Transatlantic Governance in the Global Economy, 2001, 97 ff; Arup Journal of World Trade 37 (2003), 897, 905. 75 Hierzu auch Tietje/Nowrot European Business Organization Review 2004, 321 ff. 76 S zB United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, AB Report v 12.10.1998, WT/DS58/AB/R, Ziff 99ff; United States – Imposition of Countervailing Duties on Certain Hot-Rolled Lead and Bismuth Carbon Steel Products Originating in the United Kingdom, AB Report v 10.5.2000, WT/DS138/AB/R, Ziff 39 ff; zur Diskussion siehe zB Marceau/ Stilwell JIEL 4 (2001), 155 ff; Trachtman/Moremen Harvard International Law Review 44 (2003), 221 ff. 77 S auch Palmeter/Mavroidis WTO 113 f und 223 f mwN. 78 Im Überblick hierzu Nowrot Watching „Friends of the Court“ Digging Their Own Grave? The Impact of EC-Sugar on the Future of Amicus Curiae Briefs at the WTO, Policy Papers on Transnational Economic Law No 7 (2004), verfügbar unter: http://www.jura.uni-halle.de/ telc/policy_papers.html.
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Body stated that the need for a ,legal interest‘ could not be implied in the DSU or in any other provisions of the WTO Agreement and that Members were expected to be largely self-regulating in deciding whether any DSU procedure would be ,fruitful‘ “.79 Damit unterscheidet sich die WTO-Streitbeilegung deutlich von der Rechtsdurchsetzung in anderen multilateralen völkerrechtlichen Vertragsregimen, die immer ein spezifisches rechtliches Interesse, das über den Anspruch auf Vertragserfüllung hinausgeht, für die Rechtsdurchsetzung verlangen.80 Ein Sonderproblem im Hinblick auf die Beteiligtenfähigkeit stellt sich mit Blick auf die EG und ihre Mitgliedstaaten. Da das WTO-Übereinkommen als gemischtes Abkommen 81 von der EG und ihren Mitgliedstaaten gemeinsam ratifiziert wurde und die EG sowie alle ihre Mitgliedstaaten WTO-Mitglieder ohne Einschränkungen sind, sind aus WTO-rechtlicher Perspektive alle EG-Mitgliedstaaten im WTO-Streitbeilegungsverfahren aktiv- und passivlegitimiert. Überdies gibt es Sachbereiche des WTO-Rechts, in denen die EG aus der Perspektive des Gemeinschaftsrechts nicht über eine vollumfängliche Kompetenz verfügt. Allerdings sind die weitaus meisten WTO-Sachbereiche umgekehrt dadurch gekennzeichnet, dass die EG-Mitgliedstaaten gemeinschaftsrechtlich über gar keine Kompetenzen verfügen, sondern diese nach Art 133 EGV (Art 207 AEUV-E) der Union zustehen. Völkerrechtlich ändert all das indes nichts daran, dass die EG und ihre Mitgliedstaaten jeweils individuell für Verletzungen des WTO-Rechts haften, und zwar selbst dann, wenn die fragliche Rechtsmaterie gemeinschaftsrechtlich gar nicht in den Kompetenzbereich der EG oder ihrer Mitgliedstaaten fällt. Vor diesem Hintergrund kommt es in der Praxis immer wieder zu WTO-Streitbeilegungsverfahren, in denen sich Beschwerden gegen die EG und einzelne Mitgliedstaaten richten.82 Das führt allerdings nicht dazu, dass tatsächlich die EG und die jeweiligen Mitgliedstaaten die entsprechenden WTO-Verfahren eigenständig als Partei bestreiten. Vielmehr kommt es regelmäßig dazu, dass die EG, vertreten durch die EU-Kommission, eine vollumfängliche Haftungsübernahme für ihre Mitgliedstaaten erklärt und das entsprechende Verfahren ausschließlich selbst durchführt.83
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(2) Dritte Parteien Neben Beschwerdeführer und -gegner besteht die in der Praxis sehr relevante Möglichkeit, dass sich dritte, nicht unmittelbar am Streit beteiligte WTO-Mitglieder an einem Panelverfahren beteiligen (Art 10 DSU). Konkret kann jedes WTO-Mitglied, „das ein wesentliches Interesse an einer Angelegenheit hat“, dieses dem DSB anzeigen und hat dann das Recht, „vom Panel gehört zu werden und dem Panel schriftliche Vorlagen zu unterbreiten“ (Art 10.2 DSU). Überdies erhalten dritte Parteien die Eingangsschriftsätze
79 Korea – Definitive Safeguard Measures on Imports of Certain Dairy Products, Panel Report v 21.6.1999, WT/DS98/R, Ziff 7.13. 80 Zur Rechtslage im allgemeinen Völkerrecht s Feist Kündigung, Rücktritt und Suspendierung von multilateralen Verträgen, 2001. 81 Hierzu allgem statt vieler Streinz EuropaR, Rn 486 ff. 82 Im Überblick hierzu Tietje in: Herrmann/Krenzler/Streinz (Hrsg), Die Außenwirtschaftspolitik der Europäischen Union nach dem Verfassungsvertrag, 2006, 161 ff. 83 Auch hierzu im Überblick hierzu Tietje (Fn 82); zu den praktischen Konsequenzen in Verfahren, in denen die EG und einzelne ihrer Mitgliedstaaten Parteien in Streitbeilegungsverfahren sind, siehe Benedek Die Europäische Union im Streitbeilegungsverfahren der WTO, 2005, 56 ff.
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der Streitparteien sowie das Protokoll der ersten mündlichen Anhörung des Panel (vgl Art 10.3 DSU).84 Weitere Rechte stehen einer dritten Partei grundsätzlich nicht zu. Insbesondere besteht kein Recht einer dritten Partei, den AB anzurufen; diesbezüglich besteht nur die Möglichkeit, sich wiederum als dritte Partei am Revisionsverfahren zu beteiligen (Art 17.4 DSU). Auch wenn ein WTO-Mitglied sich nicht als dritte Partei formell an einem Panelverfahren beteiligt, hat es trotzdem noch das Recht, amicus curiae-Schriftsätze einzureichen; eine Pflicht zur Berücksichtigung eines amicus curiae-Schriftsatzes von einem WTO-Mitglied besteht für ein Panel freilich nicht.85
(3) Unterstützung durch Rechtsanwälte und Aufgaben des Advisory Centre on WTO Law 52
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Die Komplexität der tatsächlichen und rechtlichen Fragen, die einem WTO-Streitbeilegungsverfahren zugrunde liegen, hat frühzeitig zu der Frage geführt, ob und ggf inwieweit es zulässig ist, dass sich WTO-Mitglieder als Streitparteien der Unterstützung von Rechtsanwälten bedienen können. Zwischenzeitlich ist in der WTO-Streitbeilegungspraxis geklärt, dass es „no provision in the WTO Agreement or the DSU, including the standard rules of procedure included therein, [gibt] which prevents a WTO Member from determining the composition of its delegation to WTO panel meetings“.86 Damit steht es WTO-Mitgliedern frei, Rechtsanwälte mit in die Regierungsdelegation, die das WTOMitglied im Streitverfahren vertritt, aufzunehmen; das entspricht heute auch der Praxis in den weitaus meisten Panel- und AB-Verfahren. Zu beachten ist indes, dass die Rechtsanwälte insofern rechtlich nicht als Prozessvertreter im eigentlichen Sinne handeln, sondern als Mitglieder der Regierungsdelegation; ihre Rechte und Pflichten richten sich damit ausschließlich nach der Rechtsstellung des jeweiligen WTO-Mitglieds als Streitpartei.87 Die zunehmende Tätigkeit von Rechtsanwälten in WTO-Streitbeilegungsverfahren hat zu einer stetigen juristischen Professionalisierung der Verfahren geführt. Das führt namentlich für Entwicklungsländer und die am schwächsten entwickelten Länder dazu, dass vor dem Hintergrund unzureichender finanzieller Ressourcen de facto eine effektive Nutzung des WTO-Streitbeilegungsmechanismus nur schwer möglich ist. Um diesem Problem zu begegnen, wurde im Jahr 2001 das Advisory Centre on WTO Law (ACWL) als internationale Organisation gegründet.88 Das ACWL bietet auf der Grundlage eines Stiftungsvermögens, das verschiedene industrialisierte Staaten zur Verfügung gestellt haben, für Entwicklungsländer und die am wenigsten entwickelten Länder Rechtsberatung und Prozessvertretung in WTO-Streitbeilegungsverfahren zu Stundensätzen, die erheblich unter denen liegen, die sonst von Rechtsanwaltskanzleien verlangt werden.
84 Zur entsprechenden Praxis nach der nicht ganz klaren Vorschrift Palmeter/Mavroidis WTO 109 ff; siehe ebd auch zum Sonderproblem der sog „enhanced third party rights“. 85 European Communities – Trade Description of Sardines, AB Report v 26.9.2002, WT/DS231/ AB/R, Ziff 164 ff. 86 Indonesia – Certain Measures Affecting the Automobile Industry, Panel Report v 2.7.1998, WT/ DS54/R, Ziff 14.1. 87 Hierzu auch Palmeter/Mavroidis WTO 165 f. 88 Zu Einzelheiten s http://www.acwl.ch.
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c) Zuständigkeit ratione materiae In sachlicher Hinsicht ist ein Panel zur Bewertung eines Streitverfahrens im Lichte der anwendbaren Rechtsquellen in der WTO-Streitbeilegung zuständig.89 Prüfungsgegenstand können dabei nur Maßnahmen eines WTO-Mitglieds sein. Das entspricht den allgemeinen Grundsätzen der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit, die sich immer nur auf hoheitliches Handeln (act of a state) bezieht.90 Auf welcher staatlichen Handlungsebene dabei ein fragliches hoheitliches Handeln erfolgt ist, spielt dabei im WTO-Recht ebenso wenig wie im allgemeinen Völkerrecht eine Rolle.91 Dem Grunde nach ebenso wenig relevant ist, ob judikatives, exekutives oder legislatives Handeln eines WTO-Mitglieds angegriffen wird. Auf der Begründetheitsebene scheint die WTO-Rechtsprechung allerdings bei Legislativakten zu differenzieren und davon auszugehen, dass nur solche Legislativakte unmittelbar WTO-Recht verletzten können, die keinen Umsetzungsspielraum der Exekutive eröffnen. Wenn Umsetzungsspielraum gegeben ist, kann nur der konkrete Umsetzungsakt angegriffen werden.92 Ungeachtet dieser nicht unproblematischen Rechtsprechung bleibt es aber auf der Zulässigkeitsebene dabei, dass von Sonderregelungen in einzelnen WTO-Übereinkommen abgesehen Gegenstand eines WTO-Streitbeilegungsverfahrens alle „measures affecting the operation of any covered agreement taken within the territory“ eines WTO-Mitglieds sind (Art 4.2 DSU). Allerdings bezieht sich die Kompetenz eines Panels nicht abstrakt auf Maßnahmen eines WTO-Mitglieds, sondern nur soweit diese in den terms of references genannt sind. Der Streitgegenstand im eigentlichen Sinne, der in die Zuständigkeit eines Panel fällt, bestimmt sich insofern aus den angegriffenen Maßnahmen eines WTO-Mitglieds, so wie diese in den terms of references bezeichnet sind: „Taken together, the ,measure‘ and the ,claims‘ made concerning that measure constitute the ,matter referred to the DSB‘ “.93 Der so festgelegte Streitgegenstand kann im Laufe des Verfahrens von einer Partei nicht geändert werden. Allerdings ist es unschädlich, wenn die angegriffene Maßnahme eines WTO-Mitglieds im Laufe des Verfahrens aufgehoben wird oder sonst wie entfällt; die Zuständigkeit eines Panels zur Bewertung eines Streitgegenstandes, so wie er sich im maßgeblichen Zeitpunkt des Antrags auf Einsetzung eines Panels dargestellt hat, bleibt hiervon unberührt.94 Insgesamt wird damit deutlich, dass der genauen Abfassung der terms of references beim Antrag auf Einsetzung eines Panel große Bedeutung zukommt. Die terms of references bestimmen mit Blick auf die dort genannten angegriffenen Maßnahmen des WTO-Mitglieds, gegen das sich die Beschwerde richtet, sowie im Hinblick auf die aufge-
89 Zu den anwendbaren Rechtsquellen → Rn 19 ff. 90 Zu Einzelheiten s Art 4 ff der International Law Commission’s Articles on State Responsibility, mit Kommentierungen abgedruckt bei: Crawford The International Law Commission’s Articles on State Responsibility – Introduction, Text and Commentaries, 2002, 91 ff. 91 Zu Einzelheiten s Palmeter/Mavroidis WTO 30 f. 92 Zu dieser „mandatory/discretionary distinction“ s Bhuiyan JIEL 5 (2002), 571 ff; kritisch bereits frühzeitig Tietje Normative Grundstrukturen, 396 ff; ausführlich und dem Grunde nach anders als die sonstige WTO-Entscheidungspraxis auch United States – Section 301–310 of the Trade Act of 1974, Panel Report v 22.12.1999, WT/DS152/R, Ziff 7.47 ff. 93 Guatemala – Anti-Dumping Portland Cement from Mexico, AB Report v 25.11.1998, WT/DS60/ AB/R, Ziff 73. 94 Hierzu und zu weiteren Einzelheiten s Palmeter/Mavroidis WTO 24 ff mwN.
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zählten behaupteten Rechtsverletzungen die Zuständigkeit des Panels ratione materiae; Abweichungen hiervon sind nur zulässig, wenn die terms of references selbst dies zulassen.95
d) Res iudicata und konkurrierende Zuständigkeitsklauseln 56
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Die Zuständigkeit eines Panels ist trotz Vorliegens der og Voraussetzungen nicht gegeben, wenn es bereits eine DSB-Entscheidung über den Streitgegenstand gibt (res iudicata): „[A] panel finding which is not appealed and which is included in a panel report adopted by the DSB, must be accepted by the parties as a final resolution to the dispute between them“.96 Res iudicata kann es allerdings nach bisheriger WTO-Entscheidungspraxis nur auf Verfahren bezogen geben, die innerhalb des WTO-Streitbeilegungssystems zur Entscheidung anstanden. Auch wenn ein konkreter Streitgegenstand in tatsächlicher Hinsicht in einem anderen Streitbeilegungsforum bereits entschieden wurde, begründet dies für das WTO-Recht damit kein Verfahrenshindernis. Das betrifft zunächst konkret Verfahren, die in Streitbeilegungssystemen regionaler Handelsabkommen behandelt wurden (zB NAFTA). Da es sich hier um ein anderes Rechtsregime handelt, sind aus der Perspektive des WTORechts die Voraussetzungen für res iudicata nicht gegeben.97 Ebenso wird man wohl im Hinblick auf vom Sachverhalt identische oder ähnliche Verfahren entscheiden müssen, die vor sonstigen internationalen Gerichten oder Schiedsgerichten anhängig sind bzw waren (zB Internationaler Seegerichtshof).98
e) Multiple Complaints und Counterclaims 58
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Nach Art 9.1 DSU können mehrere Beschwerden verschiedener WTO-Mitglieder in derselben Angelegenheit zu einem Panelverfahren zusammengefasst werden. Das Panel legt dann in der Regel einen gemeinsamen Bericht vor, solange nicht eine Partei getrennte Berichte beantragt (Art 9.2 DSU). Der Antrag auf getrennte Berichte muss dabei frühzeitig gestellt werden; andernfalls kann das Panel im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens den Antrag ablehnen.99 Da das WTO-Streitbeilegungsverfahren jedenfalls nicht primär von einem kontradiktorischen Charakter gekennzeichnet ist, sondern vielmehr in erster Linie der objek95 Zu Einzelheiten und zur entspr kasuistischen Rechtsprechung s Palmeter/Mavroidis WTO 97 ff mwN. 96 EC – Anti-Dumping Duties on Imports of Cotton-Type Bed Linen from India – Recourse to Art. 21.5 DSU by India, AB Report v 8.4.2003, WT/DS141/AB/RW, Ziff 93. 97 Zum Problem s Hamelmann Internationale Jurisdiktionskonflikte und Vernetzungen transnationaler Rechtsregime – Die Entscheidungen des Panels und des AB der WTO in Sachen „Mexico – Tax Measures on Soft Drinks and Other Beverages“, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht Heft 58 (2006), verfügbar unter: http://www.jura.uni-halle.de/telc/publikationen.html; Pauwelyn JIEL 9 (2006), 197 ff. 98 Zum Problem umfassend Finke Die Parallelität internationaler Streitbeilegungsmechanismen – Untersuchung der aus der Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit resultierenden Konflikte, 2004; Neumann Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen – Konflikte des materiellen Rechts und Konkurrenzen der Streitbeilegung, 2002; Sauer Jurisdiktionskonflikte in Mehrebenensystemen, 2008. 99 United States – Continued Dumping and Subsidy Offset Act of 2000, AB Report v 16.1.2003, WT/DS217/AB/R, WT/DS234/AB/R, Ziff 305 ff.
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tiven Achtung und Durchsetzung des WTO-Rechts dient, sind counterclaims (Widerklage) – im Gegensatz zB zum Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) – nicht zulässig (Art 3.10 DSU).100 In der Praxis kam es jedoch bereits zu Verfahren, die zeitgleich gleichsam im Sinne von Klage und Widerklage anhängig gemacht und verhandelt wurden.101 Prüfungsschema zur Zulässigkeit eines WTO-Panelverfahrens I. Vorverfahren (Konsultationen) 1. Grundsätzlich verpflichtend (Art 4.5 DSU) 2. Ausnahmsweise Verzicht? (Art 6.2 DSU) 3. Prüfung nur wenn durch Prozesseinrede geltend gemacht II. Weitere Sachentscheidungsvoraussetzungen 1. Terms of References (Art 7 DSU) 2. Zuständigkeit ratione personae a) WTO-Mitglieder als Beschwerdeführer und Beschwerdegegner b) Amicus curiae ohne formelle Verfahrensbeteiligung c) Keine weiteren Anforderungen an locus standi d) Sonderproblem Vertretung EG und ihre Mitgliedstaaten e) WTO-Mitglieder als dritte Parteien (Art 10 DSU) f) Vertretung durch Rechtsanwälte und das Advisory Centre on WTO Law 3. Zuständigkeit ratione materiae a) Anwendbares Recht (WTO-Übereinkommen, ggf allgemeines Völkerrecht) b) Maßnahmen eines WTO-Mitglieds iSd terms of references 4. Res iudicata als Prozesshindernisse 5. Multiple Complaints
III. Begründetheit Die Beschwerde im Rahmen der WTO-Streitbeilegung ist begründet, wenn eine Zunichtemachung oder Schmälerung (nullification or impairment) von Vorteilen aus den WTOÜbereinkommen vorliegt (Art XXIII:1 GATT iVm Art 3.3 DSU). Der Prüfungsmaßstab hierfür ist abhängig davon, ob es sich um einen violation complaint, non-violation complaint oder – in der Praxis ohne Bedeutung – um einen situation complaint iSv Art XXIII:1 GATT handelt.102 Bei den weitaus meisten WTO-Streitbeilegungsverfahren handelt es sich um violation complaints iSv Art XXIII:1 a GATT. Nach Art 3.8 DSU folgt bei einem violation complaint aus der Feststellung einer Rechtsverletzung eine widerlegbare Vermutung der Zunichtemachung oder Schmälerung von Vorteilen. In der Praxis ist es bislang nie dazu gekommen, dass diese Vermutung widerlegt wurde; das ist letztlich wohl auch prinzipiell ausgeschlossen.103 Im Ergebnis ist daher ein violation complaint begründet, wenn das 100 Palmeter/Mavroidis WTO 112 f. 101 Brazil – Export Financing Programme for Aircraft, Panel Report v 14.4.1999, WT/DS46/R; Canada – Measures Measures Affecting the Export of Civilian Aircraft, Panel Report v 14.4.1999, WT/DS70/R. 102 Zu den drei Beschwerdemöglichkeiten → Rn 9. 103 Palmeter/Mavroidis WTO 163.
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WTO-Mitglied, gegen das sich die Beschwerde richtet, durch eine handelspolitische Maßnahme gegen WTO-Recht verstoßen hat. Bei einem non-violation complaint und einem situation complaint stützt sich die Begründetheit nicht auf die prima facie-Wirkung einer Rechtsverletzung, sondern auf sonstige Umstände, die zu einer Zunichtemachung oder Schmälerung von Vorteilen führen. Für diese Fälle statuiert Art 26 DSU detaillierte Voraussetzungen für entsprechende Beschwerden, namentlich mit Blick auf den erforderlichen Begründungsaufwand der beschwerdeführenden Partei.104 Bei einem situation complaint ist zusätzlich zu beachten, dass hier ein Panelbzw AB-Bericht nur durch normalen Konsensus angenommen werden kann (Art 26.2 DSU), was diese Verfahrensart letztlich vollständig in die Bedeutungslosigkeit drängt. Im Hinblick auf die Beweislastverteilung, die für die Begründetheit einer Beschwerde eine große Rolle spielt, gilt, von Sonderregelungen in einzelnen WTO-Übereinkommen abgesehen, der folgende Grundsatz: “In addressing this issue, we find it difficult, indeed, to see how any system of judicial settlement could work if it incorporated the proposition that the mere assertion of a claim might amount to proof. It is, thus, hardly surprising that various international tribunals, including the International Court of Justice, have generally and consistently accepted and applied the rule that the party who asserts a fact, whether the claimant or the respondent, is responsible for providing proof thereof. Also, it is a generally accepted canon of evidence in civil law, common law and, in fact, most jurisdictions, that the burden of proof rests upon the party, whether complaining or defending, who asserts the affirmative of a particular claim or defence. If that party adduces evidence sufficient to raise a presumption that what is claimed is true, the burden then shifts to the other party, who will fail unless it adduces sufficient evidence to rebut the presumption”.105
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Schließlich wird die Begründetheitsprüfung von dem Prüfungsumfang (standard of review), den ein Panel anzulegen verpflichtet ist, bestimmt. Hierzu ist in Art 11 DSU festgelegt, dass „a panel should make an objective assessment of the matter before it, including an objective assessment of the facts of the case and the applicability of and conformity with the relevant covered agreements“. Die allgemeine Bedeutung dieser Vorschrift wurde vom AB wie folgt umschrieben: “The duty to make an objective assessment of the facts is, among other things, an obligation to consider the evidence presented to a panel and to make factual findings on the basis of that evidence. The deliberate disregard of, or refusal to consider, the evidence submitted to a panel is incompatible with a panel’s duty to make an objective assessment of the facts. The wilful distortion or misrepresentation of the evidence put before a panel is similarly inconsistent with an objective assessment of the facts. ‘Disregard’ and ‘distortion’ and ‘misrepresentation’ of the evidence, in their ordinary signification in judicial and quasi-judicial processes, imply not simply an error of judgment in the appreciation of evidence but rather an egregious error that calls into question the good faith of a panel”.106 104 Ausführlich hierzu Larouer Netherlands International Law Review 53 (2006), 97 ff. 105 United States – Measures Affecting Imports of Woven Wool Shirts and Blouses from India, AB Report v 25.4.1997, WT/DS33/AB/R, S 14. 106 EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), AB Report v 16.1.1998, WT/DS26/AB/R, WT/DS48/AB/R, Ziff 133.
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Rechtsschutz und Streitbeilegung in der Welthandelsorganisation (WTO)
§3
Probleme wirft der so umschriebene Regelungsgehalt des Art 11 DSU regelmäßig dann auf, wenn innerstaatliche Behördenentscheidungen eines WTO-Mitglieds Streitgegenstand sind. Hier steht fest, dass ein Panel nicht das Mandat hat, die innerstaatliche Verwaltungsentscheidung vollständig zu überprüfen, sich also gleichsam an die Stelle der innerstaatlichen Behörde zu setzen. Auf der anderen Seite ist aber auch klar, dass ein Panel die innerstaatliche Entscheidung nicht einfach so akzeptieren muss. Das damit offensichtliche Spannungsverhältnis wurde vom AB wie folgt umschrieben: “We wish to emphasize that, although panels are not entitled to conduct a de novo review of the evidence, nor to substitute their own conclusions for those of the competent authorities, this does not mean that panels must simply accept the conclusions of the competent authorities. To the contrary, in our view, […], a panel can assess whether the competent authorities’ explanation for its determination is reasoned and adequate only if the panel critically examines that explanation, in depth, and in the light of the facts before the panel. Panels must, therefore, review whether the competent authorities’ explanation fully addresses the nature, and, especially, the complexities, of the data, and responds to other plausible interpretations of that data. A panel must find, in particular, that an explanation is not reasoned, or is not adequate, if some alternative explanation of the facts is plausible, and if the competent authorities’ explanation does not seem adequate in the light of that alternative explanation. Thus, in making an ‘objective assessment’ of a claim […], panels must be open to the possibility that the explanation given by the competent authorities is not reasoned or adequate”.107
107 United States – Safeguard Measures on Imports of Fresh, Chilled or Frozen Lamb Meat from New Zealand and Australia, AB Report v 1.5.2001, WT/DS177/AB/R, WT/DS178/AB/R, Ziff 106; zu beachten sind diesbezüglich auch die Sonderregelungen in Art 17.6 WTO AntiDumping Übereinkommen.
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§4 Internationaler Investitionsrechtsschutz Christian Tietje Leitentscheidungen: Texaco Overseas Petroleum Company (Topco)/California Asiatic (Calasiatic) Oil Company v Libya, Award v 19.1.1977, ILM 17 (1978), 1; Ceskoslovenska Obchodni Banka, A.S. v The Slovak Republic, ICSID Case No ARB/97/4, Decision on Jurisdiction v 24.5.1999; Emilio Agustín Maffezini v The Kingdom of Spain, ICSID Case No ARB/97/7, Decision on Jurisdiction v 25.1.2000; Salini Costruttori S.p.A. and Italstrade S.p.A. v Kingdom of Morocco, ICSID Case No ARB/00/4, Decision on Jurisdiction v 23.7.2001; Compania de Aguas del Aconquija S.A. and Vivendi Universal (formerly Compagnie Générale des Eaux) v Argentine Republic, ICSID Case No ARB/97/3, Decision on Annulment v 3.7.2002; Société Générale de Surveillance S.A. v Republic of the Philippines, ICSID Case No ARB/02/6, Decision on Jurisdiction v 29.1.2004; Plama Consortium Limited v Republic of Bulgaria, ICSID Case No ARB/03/24, Decision on Jurisdiction v 8.2.2005; Impregilo S.A v Islamic Republic of Pakistan, ICSID Case No ARB/03/3, Decision on Jurisdiction v 22.4.2005; Bayindir Insaat Turizm Ticaret Ve Sanayi A.S. v Islamic Republic of Pakistan, IDSID Case No ARB/03/29, Decision on Jurisdiction v 14.11.2005; Malaysian Historical Salvors SDN, BHD v The Government of Malaysia, ICSID Case No ARB/05/10, Award on Jurisdiction v 17.5.2007; Fraport AG Frankfurt Airport Services Worldwide v Philippines, ICSID Case No ARB/03/25 v 16.8.2007. Schrifttum: Belling Die Jurisdiktion rationae materiae der ICSID-Schiedsgerichte – unter besonderer Berücksichtigung des Investitionsbegriffes des Weltbankübereinkommens vom 18.3.1965, 2008; Bishop/Crawford/Reisman Foreign Investment Disputes, 2005; Collier/Lowe The Settlement of Disputes in International Law: Institutions and Procedures, 2000; Dolzer/Schreuer Principles of International Investment Law, 2008; Hofmann/Tams (Hrsg), The International Convention on the Settlement of Investment Disputes (ICSID) – Taking Stock after 40 Years, 2007; Horn/Kroll (Hrsg), Arbitrating Foreign Investment Disputes, 2004; McLachlan/Shore/Weiniger International Investment Arbitration – Substantive Principles, 2007; Reed/Paulsson/Blackaby Guide to ICSID arbitration, 2004; Reinisch/ Knahr (Hrsg), International Investment Law in Context, 2008; Schreuer ICSID Convention: A Commentary, 2001; Sornarajah The International Law on Foreign Investment, 2. Aufl 2004; ders The Settlement of Foreign Investment Disputes, 2000; Weiler (Hrsg), International Investment Law and Arbitration: Leading Cases from the ICSID, NAFTA, Bilateral Treaties and Customary International Law, 2005.
I. Funktion und Bedeutung des internationalen Investitionsrechtsschutzes 1. Einleitung
a) Funktion und Bedeutung des internationalen Investitionsrechtsschutzes Rechtsschutz im Völkerrecht beschränkt sich heute nicht auf den klassischen Bereich zwischenstaatlicher Beziehungen. Vielmehr ist ein herausragendes Merkmal der sog Proliferation internationaler Streitbeilegungsmechanismen 1 die zunehmende Möglichkeit von Individuen (natürlichen und juristischen Personen des Privatrechts), unmittelbar oder mittelbar an Rechtsschutzverfahren gegen Staaten bzw internationale Organisationen
1 Hierzu zB Buergenthal Leiden JIL 14 (2001), 267 ff.
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teilzunehmen. Neben gerichtlichen und gerichtsähnlichen Verfahren zum Menschenrechtsschutz, bietet insbesondere das internationale Investitionsschutzrecht Individuen die Möglichkeit, Rechtsschutzverfahren direkt gegen Staaten (bzw die EU) anzustrengen. Insofern handelt es sich hierbei um einen Bereich des internationalen Rechtsschutzes, der deutlich auf die partielle Völkerrechtssubjektivität von Individuen und damit die Erweiterung des Kreises der rechtlichen Akteure im internationalen System hinweist.2 Internationaler Investitionsrechtsschutz zielt im Kern darauf ab, in einem rechtsförmlichen Verfahren die materiellrechtlichen Schutzstandards, die ausländischen Investoren im jeweiligen Gaststaat zustehen (→ Rn. 22), durchzusetzen bzw – in der Praxis als Regelfall – Schadensersatz wegen Verletzung der Schutzstandards zu erlangen. Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Rechtsschutzmöglichkeit zeigt sich bereits daran, dass sich das weltweite Volumen von Auslandsinvestitionen im Jahr 2006 auf 1833 Milliarden US-$ belief.3 Auf den konkreten Rechtsschutz bezogen, waren Ende 2007 mindestens 288 schiedsgerichtliche Verfahren, die sich auf die Durchsetzung von Investitionsschutzgarantien bezogen, anhängig.4 Der Streitwert dieser schiedsgerichtlichen Verfahren bewegt sich dabei regelmäßig im zwei- bis dreistelligen Millionenbereich, wobei im sog Yukos-Streit sogar ein Streitwert von über 50 Milliarden US-$ erreicht wird. Materiell geht es in Rechtsschutzverfahren im Investitionsbereich regelmäßig darum, dass ein ausländischer Investor seine wirtschaftlichen Interessen sowie Erwartungen im Hinblick auf eine getätigte Investition im Gaststaat durch eine staatliche Maßnahme als negativ beeinträchtigt ansieht. Rechtlich liegt dem wirtschaftlichen Interessenschutz dabei eine der beiden folgenden Konstellationen, die auch kombiniert vorliegen können, zugrunde: 1) Der Investor hat mit dem Gaststaat einen Vertrag (sog Investitionsvertrag) über ein konkretes Investitionsprojekt geschlossen, zB mit der Regierung über den Bau eines (staatlichen) Flughafens, und die Rechte aus diesem Vertrag werden von der staatlichen Vertragspartei verletzt (sog contract claim). 2) Durch eine staatliche Maßnahme, die zeitlich nach der Planung bzw Durchführung eines Investitionsprojektes erfolgt, zB die Rücknahme einer Industrieanlagengenehmigung aus Gründen des Umweltschutzes, sieht sich der ausländische Investor in Investitionsschutzgarantien verletzt, die in einem bilateralen Investitionsschutzvertrag (Bilateral Investment Treaty – BIT) oder einem plurilateralen bzw multilateralen völkerrechtlichen Vertrag zwischen dem Gaststaat und dem Heimatstaat des Investors niedergelegt sind (sog treaty claim).
b) Grundstrukturen der unterschiedlichen Rechtsschutzmöglichkeiten ausländischer Investoren 4
In den beschriebenen Situationen einer Beeinträchtigung wirtschaftlicher und rechtlicher Interessen eines ausländischen Investors gibt es für diesen – abhängig vom Einzelfall – eine Reihe unterschiedlicher Rechtsschutzmöglichkeiten. Zunächst kommt natürlich
2 S zB Sornarajah The International Law on Foreign Investment, 2. Aufl 2004, 4 ff: „It is a fascinating fact that through the employment of private techniques of dispute resolution, they are able to create principles of law that are generally favourable to them. […] It is an area in which international law is clearly moving away from the old positivist notion that international law is shaped entirely by the activities of states“. 3 UNCTAD, World Investment Report 2008, 3, verfügbar unter: http://www.unctad.org/en/docs/ wir2008_en.pdf. 4 UNCTAD (Fn 3) 16 f.
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Rechtsschutz vor den innerstaatlichen Gerichten des Gaststaates in Betracht. Weiterhin besteht ggf die Möglichkeit, dass der Heimatstaat des Investors im Wege des sog diplomatischen Schutzes auf völkerrechtlicher Ebene diplomatisch und/oder durch Klage vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) die Interessen und Rechte des Investors gegenüber dem Gaststaat geltend macht (→ § 1 Rn 30). Schließlich besteht unter bestimmten Voraussetzungen ggf für den Investor die Möglichkeit, den Gaststaat unmittelbar vor einem internationalen Schiedsgericht im Hinblick auf die behauptete Verletzung des Investitionsvertrages und/oder des bilateralen bzw multilateralen Investitionsschutzvertrages zu verklagen. Während die Erfolgsaussichten eines Rechtsschutzverfahrens vor innerstaatlichen Gerichten prozessual und weitgehend auch materiellrechtlich von den spezifischen Vorgaben der jeweiligen innerstaatlichen Rechtsordnung abhängig sind, bemessen sich Zulässigkeit und Begründetheit eines Verfahrens im Wege des diplomatischen Schutzes und vor einem internationalen Schiedsgericht an den rechtlichen Regelungen im zugrunde liegenden Investitionsvertrag bzw an spezifischen Vorgaben des Völkerrechts und des internationalen Investitionsschutzrechts. Die jeweilige Effektivität und Effizienz der drei angedeuteten Rechtsschutzmöglichkeiten beurteilt sich für einen ausländischen Investor sehr unterschiedlich, wobei zu beachten ist, dass es bei Streitigkeiten im Bereich ausländischer Investitionen immer um das Spannungsverhältnis zwischen regelmäßig mittel- bzw langfristig angelegten wirtschaftlichen Interessen des Investors auf der einen Seite und der souveränen Regelungshoheit des Gaststaates im Rahmen seiner territorialen Jurisdiktion 5 auf der anderen Seite geht. Die jedenfalls theoretisch oftmals gegebene Möglichkeit des Rechtsschutzes vor den zuständigen innerstaatlichen Gerichten des Gaststaates ist für einen ausländischen Investor zunächst in der Regel mit dem Problem der „Fremdheit“ der entsprechenden Rechtsordnung verbunden. Neben den spezifischen Eigenarten des für den Investor insofern immer ausländischen Rechts, sind es dabei besondere rechtskulturelle, sprachliche und sonstige gesellschaftliche Besonderheiten, die den Umgang mit dem innerstaatlichen Rechtsschutzsystem erschweren. Das wirkt sich dann besonderes gravierend aus, wenn es um Investitionen in Staaten geht, die kein dem europäischen bzw anglo-amerikanischen Rechtsraum vergleichbares rechtsstaatliches Verständnis haben. Insbesondere in Rechtsschutzverfahren gegen staatliche Stellen ist insofern (leider) in zahlreichen Staaten fraglich, ob und ggf inwieweit die Judikative tatsächlich unabhängig ist. Das kann zu erheblicher Rechtsunsicherheit und – wirtschaftlich betrachtet – daraus zwangsläufig entstehenden hohen Transaktionskosten führen.6 Überdies stellt sich materiellrechtlich in innerstaatlichen Rechtsschutzverfahren das zentrale Problem des Investitionsschutzes überhaupt: Nach klassischer Auffassung ist die Ausgestaltung der innerstaatlichen Rechtsordnung Ausdruck staatlicher Souveränität. Damit hat der Staat jederzeit die Möglichkeit, seine innerstaatliche Rechtsordnung zu ändern; ggf bestehende vertragliche Verpflichtungen einem ausländischen Investor gegenüber können diese souveräne Regelungsfreiheit nicht beschränken. Ihre Grenzen findet die Rechtsetzungssouveränität nur – sofern vorhanden – im innerstaatlichen Verfassungsrecht oder im Völkerrecht. Allerdings steht es
5 Zum maßgeblichen völkerrechtlichen Jurisdiktionsbegriff siehe Dahm/Delbrück/Wolfrum Völkerrecht, Bd I/1, 2. Aufl 1988, § 47 ff. 6 Zu einer eindrucksvollen (und erschreckenden) Schilderung aus der Praxis siehe Kerling in: Tietje (Hrsg), International Investment Protection and Arbitration – Theoretical and Practical Perspectives, 2008, 153, 156 ff.
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einem Staat insoweit ebenfalls frei, darüber zu entscheiden, welche Rechtswirkungen das Völkerrecht im innerstaatlichen Raum entfaltet.7 Wenn ein Staat sich dazu entscheidet, dem Völkerrecht keine innerstaatliche Rechtswirkung zugunsten des Individuums zu geben, führt das zwar möglicherweise zu einer Völkerrechtsverletzung, hat jedoch zunächst keine Auswirkungen auf die innerstaatliche Rechtslage, die für ein innerstaatliches Gericht maßgeblich ist. Im Ergebnis kann das für einen ausländischen Investor dazu führen, dass seine Interessen innerstaatlich nicht geschützt sind. Es liegt auf der Hand, dass auch vor diesem Hintergrund für einen ausländischen Investor der Verweis auf innerstaatliche Rechtschutzmöglichkeiten oftmals keine überzeugende Handlungsoption ist.8 Auch der Verweis auf die Möglichkeit diplomatischen Schutzes durch den Heimatstaat ist für einen Investor, dessen wirtschaftliche Interessen im Gaststaat negativ betroffen sind, regelmäßig wenig befriedigend.9 So ist der Bruch eines Investitionsvertrages zwischen Investor und Gaststaat völkerrechtlich in der Regel nicht sanktioniert; aus klassischer völkerrechtlicher Perspektive bietet in erster Linie nur eine entschädigungslose Enteignung die Möglichkeit, diplomatischen Schutz zu aktivieren. Weiterhin verlangt der diplomatische Schutz die Staatszugehörigkeit der natürlichen oder juristischen Person, zu deren Gunsten der Heimatstaat tätig wird. Bei transnationalen Unternehmen als bedeutenden Akteuren im internationalen Investitionsbereich ist es indes zunehmend schwierig, ihre Staatszugehörigkeit zu bestimmen. Dies liegt in erster Linie an den zum Teil sehr komplexen gesellschaftsrechtlichen Konstruktionen dieser Unternehmen. Damit bleibt unklar, welcher Staat für die Ausübung diplomatischen Schutzes zuständig ist. Im Übrigen ist diplomatischer Schutz immer von dem zeit- und geldintensiven Verfahren der Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges abhängig. Ein Anspruch auf Ausübung diplomatischen Schutzes besteht – von Sonderregelungen des innerstaatlichen Verfassungsrechts abgesehen 10 – ohnehin nicht. Damit ist der diplomatische Schutz als Rechtsschutzmöglichkeit im eigentlichen Sinne regelmäßig keine Alternative für einen Investor. Das darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es namentlich vor dem IGH durchaus schon vereinzelte Verfahren gab, die den Investitionsschutz im Wege des diplomatischen Schutzes betrafen,11 und überdies jedenfalls in Deutschland die Ausübung diplomatischen Schutzes durch die Bundesregierung (konkret das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt) auf tatsächlich diplomatischem Wege – also nicht durch Klage vor dem IGH – durchaus Praxis ist. Da einem Investor zwischenstaatliche Streitbeilegungsverfahren – insbesondere vor dem IGH – nicht offen stehen, bleiben damit also einzige effektive Rechtsschutzmöglichkeiten nur Verfahren, in denen der Investor einen Staat direkt verklagen kann. Die Möglichkeit eines solchen direkten Rechtsschutzes eines Privatrechtssubjektes gegen einen
7 Hierzu statt vieler Dahm/Delbrück/Wolfrum (Fn 5) 101. 8 In Rechtsordnungen mit ausgeprägtem unmittelbarem oder mittelbarem Grundrechtsschutz im Verfassungsrang ist dies freilich anders. 9 Zu den nachfolgend genannten Problemen siehe zB Happ Schiedsverfahren zwischen Staaten und Investoren nach Artikel 26 Energiechartavertrag, 2000, 72 ff mwN. 10 Zum dem Grunde nach gegebenen Anspruch auf Ausübung diplomatischen Schutzes durch die Bundesregierung als Konsequenz der Schutzwirkung der Grundrechte des GG siehe BVerfGE 55, 349, 364; Klein DÖV 1977, 704, 705 ff. 11 Insb IGH Barcelona Traction, Light and Power Company Limited (New Application: 1962) (Belgium v Spain) Second Phase, ICJ Reports 1970, 3. IGH Elettronica Sicula S.p.A. (ELSI), (United States of America v Italy) ICJ Reports 1989, 15.
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Staat ist freilich aus klassischer völkerrechtlicher Perspektive ungewöhnlich, da Staaten und Individuen im internationalen Rechtsraum nicht auf einer Gleichordnungsebene stehen, sondern vielmehr das Individuum durch den Staat mediatisiert ist.12 Damit im Zusammenhang steht – worauf schon hingewiesen wurde –, dass eine Beeinträchtigung von Individualinteressen im innerstaatlichen Bereich völkerrechtlich durch die souveräne Regelungsfreiheit eines Staates gerechtfertigt ist. Da sich diese souveräne Regelungsfreiheit nur durch Völkerrecht einschränken lässt, bedarf es also für eine effektive Rechtsschutzmöglichkeit eines Privatrechtssubjekts unmittelbar gegen einen Staat der Zuweisung von völkerrechtlichen Rechten an das Individuum. Im modernen Völkerrecht gibt es zwei bedeutungsvolle Sachbereiche, in denen genau diese Konstellation gegeben ist: der Menschenrechtsschutz, insbesondere in seiner gerichtlichen Absicherung durch Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (→ § 5 Rn 6, 38 ff),13 sowie das hier interessierende internationale Investitionsschutzrecht.
c) Entwicklung und Grundlagen der gemischten Investitionsschiedsgerichtsbarkeit Die Geschichte der internationalen friedlichen Streitbeilegung reicht weit zurück.14 Die Schiedsgerichtsbarkeit als eine Möglichkeit der internationalen friedlichen Streitbeilegung findet ihren bis heute prägenden historischen Ausgangspunkt indes erst mit dem sog JayVertrag zwischen dem Vereinigten Königreich und den USA vom 19. November 1794.15 Dieser Vertrag sah ua die Einsetzung eines Schiedsgerichts mit drei Schiedsrichtern vor, um auf diesem Wege auch über private Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit der US-amerikanischen Unabhängigkeit zu verhandeln.16 Der Jay-Vertrag als Beginn der modernen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit hatte allerdings zunächst nur Auswirkungen auf die Entwicklung der zwischenstaatlichen Streitbeilegung. Diese erfuhr ausgehend vom Jay-Vertrag spätestens mit der Alabama-Entscheidung vom 14. September 1872 17 ihren auch heute noch prägenden Charakter. Internationale Schiedsgerichtsverfahren von Individuen gegen Staaten im Investitionsschutzbereich erlangten erst ab ca Ende der 1950er Jahre vermehrt Aufmerksamkeit und Bedeutung, insbesondere aufgrund zahlreicher Fälle, die staatliche Maßnahmen gegen ausländische Firmen, die im Erdölbereich tätig waren, betrafen.18 Seither hat sich die gemischte Schiedsgerichtsbarkeit zwischen 12 Dahm/Delbrück/Wolfrum Völkerrecht, Bd I/2, 2. Aufl 2002, 259 f. 13 Dahm/Delbrück/Wolfrum (Fn 12) 259 ff. 14 Schneider Internationale Gerichtsbarkeit als Instrument friedlicher Streitbeilegung, 2003, 37 f. S a Ipsen VölkerR, § 62 Rn 21 ff. 15 Treaty of Amity, Commerce and Navigation between Great Britain and the United States (JayVertrag) v 19.11.1794, CTS Bd 52, 243. 16 Ausführlich Schlochauer in: Bernhardt (Hrsg), EPIL Vol III, 1997, 4 ff. 17 Siehe hierzu Seidel in: Bernhardt (Hrsg), EPIL Vol I, 1992, 97 ff. 18 Vgl Saudi Arabia v Arabian American Oil Company (Aramco), Award v 23.8.1958, ILR 27 (1958), 117; Sapphire International Petroleums Ltd. v National Iranian Oil Company, Award v 25.3.1963, ILR 35 (1963), 136; Elf Aquitaine (Iran) v National Iranian Oil Company, Award v 14.1.1982, YCA XI (1986), 97; Kuwait v the American Independent Oil Company (Aminoil), Award v 24.3.1982, ILM 21 (1982), 976; Wintershall AG et al v Quatar, Award v 5.2.1988 und 31.5.1998, ILM 28 (1989), 798, 833 und die Schiedsverfahren in den libyschen Erdölfällen Texaco Overseas Petroleum Company (Topco)/California Asiatic (Calasiatic) Oil Company v Libya, Award v 19.1.1977, ILM 17 (1978), 1; Libyan American Oil Company (Liamco) v Libya, Award v 12.4.1977, ILM 20 (1981), 1; British Petroleum v Libya, Award v 10.10.1973 und 1.8.1974, ILR 53 (1979), 297.
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Investoren und Staaten indes weitreichend international etabliert und es kann konstatiert werden, dass „[n]owadays, arbitration is the generally accepted avenue for resolving disputes between investors and states.“ 19
d) Strukturmerkmale der Schiedsgerichtsbarkeit 10
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Die Schiedsgerichtsbarkeit im Investititionsschutzbereich zwischen Privaten und Staaten ist durch Strukturmerkmale gekennzeichnet, die in weiten Bereichen auch der rein privaten (Handels-)schiedsgerichtsbarkeit entsprechen. Heute kann eine zunehmende Konvergenz dieser beiden Arten der friedlichen Streitbeilegung konstatiert werden.20 Die Schiedsgerichtsbarkeit ist dabei immer zentral dadurch gekennzeichnet, dass ihr zwingend eine Schiedsvereinbarung der beteiligten Parteien zugrunde liegt und liegen muss. Nur beim Vorliegen einer wirksamen Schiedsvereinbarung ist ein Schiedsgericht zuständig, eine Streitsache rechtsverbindlich zu entscheiden.21 Schon hierin besteht ein wesentlicher Unterschied zur innerstaatlichen und internationalen Gerichtsbarkeit, deren Zuständigkeit aus einer feststehenden Prozessordnung, also gerade nicht aus einer auf den konkreten Streitfall bezogenen Vereinbarung der Parteien, folgt. Die notwendige Schiedsvereinbarung kann gerade im Investitionsschutzbereich unterschiedliche Grundlagen haben. Klassisch ist dabei die konkrete Vereinbarung in einem spezifischen Investitionsvertrag zwischen einem Staat und einem Investor. Weiterhin gibt es zahlreiche Staaten, die in nationalen Investitionsgesetzen vorsehen, dass Investitionsstreitigkeiten im Wege eines internationalen Schiedsgerichtsverfahrens beigelegt werden. Dogmatisch handelt es sich hierbei um das Angebot zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung, das vom Investor durch die Einleitung eines entsprechenden Verfahrens angenommen wird. Das gilt in der Konstruktion ebenso für Schiedsgerichtsklauseln in bilateralen Investitionsschutzverträgen, die ebenfalls als Angebot der beteiligten Staaten zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung mit einem Investor zu werten sind.22 Dem Grunde nach ist die Schiedsgerichtsbarkeit weiterhin davon geprägt, dass die Parteien – dem fundamentalen Grundsatz der Parteiautonomie folgend – das auf das Schiedsgerichtsverfahren anwendbare Recht selbst festlegen können. Gleichsam als Hilfestellung dienen dabei Musterverfahrensordnungen, wobei den UNCITRAL Arbitration Rules 23 in der Praxis die wohl größte Bedeutung zukommt. Im Übrigen verbleibt es aber weitreichend bei der Parteiautonomie mit Blick auf das anwendbare Verfahrensrecht sowie, wenn keine Parteivereinbarung vorliegt, der Befugnis des jeweiligen Schiedsgerichts, die Einzelheiten des Verfahrens festzulegen. Abhängig von dem rechtskulturellen
19 Plama Consortium Limited v Republic of Bulgaria, ICSID Case No ARB/03/24, Decision on Jurisdiction v 8.2. 2005, Rn 198. 20 Collier/Lowe The Settlement of Disputes in International Law: Institutions and Procedures, 2000, 59; dies war vor einigen Jahren noch anders, siehe zB Wetter International Arbitral Process, Vol I 1979, xxiv: „Commercial lawyers regard arbitrations between states as wholly irrelevant; and public international teachers, advocates und officials view commercial arbitration as an essentially alien process […]“; Caron ZaöRV 1986, 465, 472: „Although both public and private international arbitrations are concerned with legal resolution of disputes arising in an international context, these two processes have remained quite distinct“. 21 Collier/Lowe (Fn 20) 198 ff. 22 Schreuer The ICSID Convention: A Commentary, 2001, Art 25 Rn 245. 23 Verfügbar unter: http://www.uncitral.org/pdf/english/texts/arbitration/arb-rules/arb-rules.pdf.
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Hintergrund der Schiedsrichter kann dies zu sehr unterschiedlich ausgestalteten Verfahren führen, wobei sich allerdings in jüngerer Zeit das Bemühen zeigt, internationalen best practice Regeln zu folgen.24 Wichtig ist jedoch, dass die Parteiautonomie nur bei der ad hoc Schiedsgerichtsbarkeit gegeben ist. In der institutionellen Schiedsgerichtsbarkeit stehen die maßgeblichen Verfahrensregeln fest und können nur dann geändert werden, wenn dies ausdrücklich vorgesehen ist. Jedenfalls zum Teil der Privatautonomie entzogen ist die zwingende Anwendbarkeit der lex arbitri als staatliches Recht auf ein Schiedsverfahren. Es handelt sich hierbei um Vorschriften des jeweiligen staatlichen Prozessrechts, die ergänzend zum von den Parteien gewählten Verfahrensrecht vom Schiedsgericht zu beachten sind und ggf von den Parteien mit Hilfe staatlicher Gerichte durchgesetzt werden können. Die Funktion der Regeln der lex arbitri lässt sich zusammenfassend wie folgt umschreiben: „The law governing the arbitration comprises the rules governing interim measures (e.g., court orders for the preservation or storage of goods), the rules empowering the exercise by the court of supportive measures to assist an arbitration which has run into difficulties (e.g., filling a vacancy in the composition of the tribunal, if there is no other mechanism) and rules providing for the exercise by the court of its supervisory jurisdiction over arbitration (e.g., removing an arbitrator for misconduct).“ 25 Welches zusätzliche staatliche Recht auf ein Schiedsverfahren Anwendung findet, bestimmt sich in erster Linie nach dem Schiedsort, der von den Parteien gewählt wurde (lex loci arbitri) (vgl § 1025 I ZPO). Ob und ggf inwieweit es darüber hinaus die Möglichkeit gibt, durch Parteivereinbarung eine Delokalisierung des Schiedsverfahren herbeizuführen, dh die anwendbare lex arbitri frei und ohne Rücksicht auf den Schiedsort zu bestimmen, ist umstritten und im Ergebnis eine Entscheidung der jeweiligen nationalen Rechtsordnung (vgl § 1025 I iVm § 1043 ZPO).26 Die Autonomie der Parteien im Hinblick auf das Verfahrensrecht ist jedoch dann eingeschränkt, wenn ein Verfahren im Rahmen einer institutionalisierten Schiedsgerichtsbarkeit in der Schiedsvereinbarung bestimmt wurde. Auch für den Investitionsschutz wichtige Schiedsinstitutionen sind dabei ua die International Chamber of Commerce (ICC) in Paris und das Arbitration Institute der Stockholmer Chamber of Commerce. Besondere Bedeutung kommt weiterhin institutionalisierten Schiedsgerichtsverfahren nach dem Übereinkommen über das International Centre for the Settlement of Investment Disputes (ICSID) (→ Rn 23 ff) zu. Das Verfahrensrecht wird durch die einschlägigen ICSID-Regeln in weiten Bereichen abschließend vorgegeben (vgl Art 36 ff ICSID). Überdies ist ein ICSID-Verfahren – im Gegensatz zu allen anderen möglichen Verfahren zB nach den ICC- oder Stockholmer Regeln – dadurch gekennzeichnet, dass es vollständig einen völkerrechtlichen Charakter hat, so dass unabhängig vom Ort des jeweiligen Schiedsgerichts nie eine lex arbitri als staatliches Recht zur Anwendung kommt.27
24 Siehe zB die UNCITRAL Notes on Organizing Arbitral Proceedings, verfügbar unter: http:// www.uncitral.org/pdf/english/texts/arbitration/arb-notes/arb-notes-e.pdf; siehe im Überblick zum Schiedsverfahren zB Wolff JuS 2008, 108, 110 ff. 25 Paul Smith v H&S Holdings Inc., Lloyd’s Rep. 2 (1992), 127, 130. 26 Voit in: Musielak (Hrsg), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 6. Aufl 2008, § 1025 Rn 3 ff. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann Zivilprozessordnung, 65. Aufl 2007, § 1025 Rn 2 ff. 27 Happ (Fn 9) 182 ff.
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Das schiedsgerichtliche Verfahren ist weiterhin durch den Vertraulichkeitsgrundsatz geprägt.28 Das gilt dem Grunde nach auch im Investitionsschutzbereich, insbesondere wenn ein entsprechendes Verfahren nach den UNCITRAL Arbitration Rules, den Regeln der ICC oder einer der zahlreichen nationalen Handelskammern – zB dem Arbitration Institute der Stockholmer Chamber of Commerce – stattfindet. Deutlich relativiert wurde der Vertraulichkeitsgrundsatz hingegen in ICSID-Verfahren und Verfahren, die ihre Grundlage in Chapter 11 NAFTA finden. Namentlich ICSID sieht seit kurzer Zeit vor, dass die Schiedsgerichtsentscheidung insgesamt zwar nur mit Zustimmung der Parteien veröffentlicht werden darf, hiervon unabhängig aber Auszüge der zentralen Rechtsaussagen des Schiedsgerichts immer der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden (Rule 48 IV ICSID Arbitration Rules). Insgesamt ist schon vor diesem Hintergrund heute eine recht weitreichende rechtliche und faktische Transparenz jedenfalls der Entscheidungen von Schiedsgerichten im Investitionsschutzbereich gegeben.29 Entscheidungen eines internationalen Schiedsgerichts im Investitionsschutzbereich sind ebenso wie jede andere internationale Schiedsgerichtsentscheidung in der Regel nach den Vorgaben des Übereinkommens vom 10. Juni 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche 30 innerstaatlich anzuerkennen und ggf zu vollstrecken, wobei es hierzu einer entsprechenden Entscheidung des zuständigen nationalen Gerichts bedarf (vgl § 1061 ZPO).31 Anders ist dies nur bei ICSID-Schiedssprüchen. Nach Art 54 ICSID ist ein ICSID-Schiedspruch von den Vertragsstaaten der Konvention ohne weiteres anzuerkennen und ggf zu vollstrecken. Eine gerichtliche Überprüfung darf dementsprechend ausschließlich auf die Frage der Authentizität des Schiedsspruches bezogen erfolgen. Ansonsten sind die Wirkungen eines ICSID-Schiedsspruches einem innerstaatlichen Gerichtsurteil unmittelbar gleich gestellt. Die unmittelbare Vollstreckbarkeit eines ICSID-Schiedsspruches und der damit einhergehende Ausschluss der Überprüfung durch innerstaatliche Gerichte können für Investoren von beachtlicher Attraktivität sein. Gegen die Einleitung eines ICSID-Verfahren und für die alternative Wahl zB eines UNCITRALoder ICC-Verfahrens spricht indes neben den hohen Kosten zum Teil die erhöhte Transparenz von ICSID; die umfassende Vertraulichkeit eines Verfahrens lässt sich nur in anderen Schiedsverfahren gewährleisten. 2. Rechtsquellen
a) Überblick 17
Die Rechtsquellen des materiellen Investitionsschutzrechts und des entsprechenden Verfahrensrechts sind nicht ausschließlich in einer Rechtsordnung zu finden. Vielmehr ist das Investitionsschutzrecht regelmäßig von einer Verflechtung von Recht aus dem internationalen und dem innerstaatlichen Bereich gekennzeichnet. 28 Tietje Grundstrukturen und aktuelle Entwicklungen des Rechts der Beilegung internationaler Investitionsstreitigkeiten, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht, Heft 10, 2003, 15, verfügbar unter http://www.jura.uni-halle.de/telc/publikationen.html. 29 Ausführlich Zoellner in: Hofmann/Tams (Hrsg),The International Convention on the Settlement of Investment Disputes (ICSID) – Taking Stock After 40 Years, 2007, 179 ff. 30 BGBl 1961 II, 121. 31 Ausführlich zum Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren zB Voit (Fn 26) § 1061 Rn 1 ff; Münch in: Rauscher/Wax/Wenzel (Hrsg), Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, Bd 3, 3. Aufl 2008, § 1061 Rn 1 ff; Gaul FS Sandrock, 2000, 285, 287 ff.
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In historischer Perspektive hat sich das Investitionsschutzrecht in seiner heutigen Ausprägung in wesentlichen Bereichen aus dem klassischen völkerrechtlichen Fremdenrecht entwickelt. Das sog Fremdenrecht, dessen Ursprünge in die Zeit der Hanse zurückreichen, garantiert durch völkerrechtliche Verträge und Völkergewohnheitsrecht natürlichen und juristischen Person mit ausländischer Staatszugehörigkeit im jeweiligen Gaststaat einen Mindestbestand an materiellem und prozessualem Rechtsschutz, ua auf den Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit, den Eigentumsschutz und effektiven Rechtsschutz vor innerstaatlichen Gerichten bezogen.32 Ihre rechtliche Verfestigung haben diese Mindeststandards insbesondere in bis heute relevanten zahlreichen bilateralen Freundschafts-, Schifffahrts- und Handelsverträgen erfahren. Mit diesen Verträgen haben zugleich die Meistbegünstigungs- und die Inländergleichbehandlungsverpflichtung als zentrale Rechtsgarantien auch des modernen Investitionsschutzrechts Einzug in das internationale Recht gefunden. Das eigentliche moderne internationale Investitionsschutzrecht beginnt sich erst ab 1959 zu entwickeln. In diesem Jahr wurde zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Pakistan der weltweit erste bilaterale Investitionsschutzvertrag abgeschlossen.33 Heute gibt es über 2.500 BITs, und zwar nicht mehr nur zwischen den OECD-Staaten und Entwicklungsländern, sondern zunehmend auch zwischen Entwicklungsländern selbst.34 BITs sind weitgehend standardisiert und oftmals an sog Musterabkommen einzelner Staaten angelehnt, wobei dem deutschen 35 und dem US-amerikanischen Musterabkommen 36 besondere Bedeutung zukommt. Heutige BITs enthalten regelmäßig Vorschriften zur Zulassung von Investitionen, Behandlungsstandards (ua Meistbegünstigung, Inländergleichbehandlung, gerechte und billige Behandlung), Enteignungsschutz einschließlich Entschädigungsstandards sowie Streibeilegungsregelungen. Im Hinblick auf Streitbeilegungsklauseln waren BITs der ersten Generation dadurch gekennzeichnet, dass nur Streitigkeiten über die Höhe der Entschädigung bei einer Enteignung hierunter fielen.37 Heutige BITs enthalten demgegenüber oftmals Streitbeilegungsregeln, die sich auf alle Streitigkeiten in Bezug auf Investitionen, die von dem entsprechenden Vertrag erfasst sind, beziehen und für die Streitbeilegung neben UNCITRAL- und/oder ICC-Verfahren auf ICSID verweisen, sofern beide Vertragsparteien das ICSID-Übereinkommen ratifiziert haben.38 Neben bilateralen Investitionsschutzverträgen finden sich in präferenziellen Handelsund Integrationsabkommen ua der EU und der USA zunehmend Regelungen zum Investitionsschutz,39 die allerdings primär materiellrechtlich von Bedeutung sind, dh im
32 Zum völkerrechtlichen Fremdenrecht ausführlich Verdross/Simma Universelles Völkerrecht, 3. Aufl 1984, 798 ff. 33 Vertrag zur Förderung und zum Schutz von Kapitalanlagen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Pakistan v 25.11.1959, BGBl 1961 II, 793. 34 Hierzu im Überblick UNCTAD (Fn 3) 17 ff. 35 Deutscher Mustervertrag über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen 2005 (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie), abgedruckt in: AVR 45 (2007), 276 ff. 36 Verfügbar unter: http://www.ustr.gov/assets/Trade_Sectors/Investment/Model_BIT/asset_upload_ file847_6897.pdf. 37 Zur begrenzten Reichweite solcher Schiedsklauseln siehe zB Berschader and Berschader v Russian Federation, Award and Correction, SCC Case No 080/2004, IIC 314 (2006) verfügbar unter: http://www.investmentclaims.com/IIC_314_(2006).pdf. 38 Im Überblick hierzu Dolzer/Block in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, Teil J Rn 98 ff. 39 Hierzu Hoekman/Newfarmer JWT 39 (2005), 949 ff.
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Rahmen des hier interessierenden Themas des Rechtsschutzes keine weitere Beachtung finden sollen. Für den Rechtsschutz bedeutungsvoll sind demgegenüber regionale Investitionsschutzabkommen. Hier sind insbesondere Kapitel 11 NAFTA und der Energiechartavertrag zu nennen. Kapitel NAFTA 11 enthält weitreichende materiellrechtliche Investitionsschutzstandards und statuiert darüber hinaus ein Klagerecht von Investoren gegen einen der drei erfassten Gaststaaten Kanada, Mexiko, USA.40 Diese Verfahren finden entweder nach UNCITRAL-Regeln oder nach den Vorschriften der sog ICSID Additional Facility statt. Hierbei handelt es sich um ein Verfahren, dass an herkömmliche ICSIDVerfahren angelehnt ist, obwohl eine Zuständigkeit von ICSID ratione materiae oder ratione personae nicht gegeben ist.41 Das additional-facility-Verfahren unterscheidet sich vom herkömmlichen ICSID-Verfahren insbesondere dadurch, dass der bereits dargelegte Grundsatz der Ausschließlichkeit des Verfahrens keine Anwendung findet.42 Von großer Bedeutung ist weiterhin der Energiechartavertrag (ECT).43 Der im April 1998 in Kraft getretene Energiechartavertrag mit zwischenzeitlich 48 Vertragsparteien regelt inhaltlich insbesondere den Handel mit Energieprodukten (Teil II), den Schutz ausländischer Investoren im Energiebereich (Teil III), Einzelfragen ua zu Umweltschutz und Steuern (Teil IV) sowie die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (Teil V). Institutionell wurde durch den Vertrag die Energy Charter Conference (ECC) begründet, die als internationale Organisation einzustufen ist.44 Im Hinblick auf die investitionsschutzrechtliche Schiedsgerichtsbarkeit gewährt Art 26 ECT Investoren ein unmittelbares Klagerecht gegen Gaststaaten, und zwar nach Wahl des Investors nach den Regeln des ICSID bzw nach den additional-facility-Regeln des ICSID, wenn nur eine Vertragspartei Mitglied des ICSID ist; ein ad-hoc-Verfahren nach den UNCITRAL-Schiedsregeln 45; sowie ein Verfahren vor dem Schiedsgericht der Stockholmer Handelskammer.46 Der Energiechartavertrag nimmt damit nahezu umfassend Bezug auf die gegenwärtig wichtigsten Regelungen des internationalen Schiedsverfahrensrechts. Für den materiellrechtlichen Investitionsschutz und den entsprechenden Rechtsschutz sind schließlich konkrete Investitionsverträge zwischen Investor und Gaststaat von Bedeutung. Früher betrafen solche Verträge, die auch als state contracts bezeichnet werden, fast ausschließlich Konzessionen im Rohstoff- und Energiebereich (concession contracts). Heute hingegen handelt es sich regelmäßig um komplexe Vertragswerke ua in der Form von joint ventures, service contracts, turnkey contracts (Anlagenlieferungsverträge) und BOT-Verträge (build-operate-transfer).47 Im Kern enthalten diese und ähnliche Verträge detaillierte Regelungen zu wechselseitigen Rechten und Pflichten des Gaststaates (zB
40 Hierzu im Überblick Weiler International Investment Law and Arbitration: Leading Cases from the ICSID, NAFTA, Bilateral Treaties and Customary International Law, 2005, 129. 41 Aus Kapitel 11 NAFTA ergibt sich die Anwendung der ICSID Additional Facility Regelungen dadurch, dass Kanada und Mexiko die ICSID-Konvention bislang (Stand: Juni 2008) nicht ratifiziert haben; die ICSID-Ratifikation von Kanada wird allerdings noch im Jahr 2008 erwartet. 42 Schreuer (Fn 22) Art 53 Rn 5. 43 Ausführlich hierzu Happ (Fn 9) 115 ff. 44 Ausführlich Happ (Fn 9) 117 ff. 45 UNCITRAL Arbitration Rules 1976, GA-Res. 31/98 v 15.12.1976, verfügbar unter: http://www. uncitral.org/pdf/english/texts/arbitration/arb-rules/arb-rules.pdf. 46 Hierzu zB Lionnet Handbuch der internationalen und nationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl 2001, 363 ff. 47 Zu diesen Vertragsformen siehe ua Herdegen Int WirtschR, § 20 Rn 10 f.
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Erteilung notwendiger Konzessionen und Genehmigungen, Subventionen) und des Investors (ua Vornahme bestimmter Investitionen, garantierte Projektlaufzeiten). Aus der Sicht des internationalen Investitionsschutzrechts ist allerdings entscheidend, dass Investitionsverträge zwar durch Rechtswahl der Parteien dem Völkerrecht unterstellt und damit internationalisiert werden können, es sich jedoch nicht um echte völkerrechtliche Verträge handelt.48 Damit ist der Bruch eines Investitionsvertrages durch einen Gaststaat auch nie ein Verstoß gegen Völkerrecht im eigentlichen Sinne. Überdies wird aus diesem Grund der Gaststaat durch einen Investitionsvertrag nicht in seinem souveränen Recht zur Änderung der innerstaatlichen Rechtsordnung eingeschränkt, was für den Investor zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen kann. Um diesem Problem zu begegnen, haben sich sog Stabilisierungsklauseln als Bestandteil von Investitionsverträgen durchgesetzt. Eine Stabilisierungsklausel sieht dabei im Kern vor, dass der Gaststaat seine für die Investition relevante Rechtsordnung über einen bestimmten Zeitraum hinweg nicht zu Lasten des Investors ändern wird. Das hindert den Gaststaat zwar völkerrechtlich nicht daran, seine Rechtsordnung trotzdem zu ändern. Allerdings steht dem Investor in einem solchen Fall ein Anspruch auf Schadensersatz zu,49 der über eine entsprechende Schiedsklausel in dem Investitionsvertrag vor einem internationalen Schiedsgericht durchgesetzt werden kann.
b) Einzelne schiedsgerichtliche Institutionen und Verfahren (1) ICSID Das International Centre for the Settlement of Investment Disputes wurde Mitte der 1960er Jahre im Rahmen der Weltbankgruppe eingerichtet. Angesichts der zunehmenden Bedeutung von Auslandsinvestitionen und der Notwendigkeit eines diesbezüglich effektiven Rechtsschutzes beauftragte im Jahre 1964 das Weltbankdirektorium die 20 Exekutivdirektoren der Weltbank mit der Ausarbeitung einer Konvention zur Streitbeilegung im Investitionsschutzbereich. Ein entsprechender Entwurf einer Konvention von den Exekutivdirektoren wurde Ende 1964 in einem Rechtsausschuss, der aus Vertretern von 61 Mitgliedstaaten der Weltbank bestand, beraten und von den Exekutivdirektoren dann bereits am 18. März 1965 abschließend zur Unterzeichnung vorgelegt. Schon eineinhalb Jahre später, am 14. Oktober 1966, trat die ICSID-Konvention in Kraft.50 Institutionell ist das ICSID der Weltbankgruppe zugeordnet. Völkerrechtlich handelt es sich allerdings um eine eigenständige internationale Institution. Anfang 2008 hatten 155 Staaten die Konvention unterzeichnet; 143 Staaten waren völkerrechtlich durch Ratifikation an sie gebunden.51 Das ICSID hat zwei Organe, den Verwaltungsrat und das Sekretariat.52 Der Verwaltungsrat setzt sich aus den Vertretern der Vertragsstaaten zusammen. Den Vorsitz des Ver-
48 Zur problematischen rechtsdogmatischen Einordnung von state contracts siehe zB Nowrot Normative Ordnungsstruktur und private Wirkungsmacht, 2006, 344 ff. 49 Siehe zB Rawding Arbitration International 11 (1995) 341 ff; Markert Rohstoffkonzessionen in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 1989, 207. 50 Zur Geschichte siehe Amerasinghe Investment Disputes, Convention and International Centre for the Settlement of Investment Disputes in: Bernhardt (Hrsg), EPIL Vol II, 1995, 1447 ff; Lörcher Neue Verfahren der internationalen Streiterledigung in Wirtschaftssachen, 2001, 159 ff; Schreuer (Fn 22) 1 ff. 51 Aktuelle Zahlen verfügbar unter: http://icsid.worldbank.org/ICSID/Index.jsp. 52 Zur institutionellen Struktur des ICSID siehe zB Collier/Lowe (Fn 22) 60 ff.
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waltungsrates hat ex officio der Präsident der Weltbank inne. Die wesentliche Aufgabe des Verwaltungsrates besteht darin, das Sekretariat des ICSID zu überwachen und grundlegende Entscheidungen zu treffen. Das Sekretariat mit Sitz in Washington, D.C., wird von einem Generalsekretär geleitet, der mit der Möglichkeit der Wiederwahl auf sechs Jahre ernannt wird. Aufgabe des Sekretariats ist es, Dienstleistungen für Investitionsstreitverfahren zur Verfügung zu stellen. Das geschieht ua durch die Verwaltung eines Vermittler- und Schiedsrichterverzeichnisses. In diesem Verzeichnis sind die Personen aufgeführt, die als Vermittler und Schiedsrichter in Investitionsstreitverfahren in Betracht kommen. Die Liste ist jedoch nicht abschließend – vielmehr werden weitaus mehr Personen als Schiedsrichter benannt als auf der Liste enthalten sind. Das ICSID fand lange Zeit im internationalen System nur wenig Beachtung. Das hat sich heute grundlegend geändert. Während noch vor 10 Jahren nur ca 500 bilaterale Investitionsschutzverträge existierten, gibt es, wie bereits erwähnt, heute über 2500. Weit über 1 000 dieser bilateralen Investitionsschutzverträge enthalten eine Schiedsklausel, die eine Zuständigkeit eines Schiedsgerichtes nach den Regeln der ICSID-Konvention begründet. Von 1966 bis 1993 kam es zu insgesamt 27 Verfahren nach der ICSID-Konvention. Seit 1998 wird im Durchschnitt pro Monat ein neuer Fall bei ICSID registriert. Anfang 2008 waren insgesamt 125 Fälle – in unterschiedlichen Verfahrensstadien – anhängig. Die Mehrzahl dieser Verfahren erfolgt auf der Grundlage von Schiedsklauseln in bilateralen Investitionsschutzverträgen. Weitere Verfahren werden nach Schiedsklauseln in konkreten Staat-Investor-Verträgen sowie nach Kapitel 11 NAFTA und dem Energiechartavertrag unterbreitet. Schon vor diesem tatsächlichen Hintergrund zeigt sich die Bedeutung, die heute ICSID zukommt. Die ICSID-Konvention sieht drei unterschiedliche Verfahren zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten vor: das Vergleichsverfahren, das normale Schiedsverfahren und das sog Additional Facility Verfahren.53 Während das normale Schiedsverfahren und das Additional Facility Verfahren auf eine verbindliche Entscheidung ausgerichtet sind, kommt es bei dem Vergleichsverfahren nur zu einer unverbindlichen Empfehlung an die Streitparteien durch eine Vergleichskommission. Das Vergleichsverfahren wurde bislang nur selten eingesetzt und soll daher hier nicht Gegenstand weiterer Betrachtung sein. Ein ganz zentrales Prinzip eines ICSID-Verfahrens ist dessen sog Ausschließlichkeit (Art 53 ICSID-Konvention), die sich insbesondere darin ausdrückt, dass keine Möglichkeit der Überprüfung eines ICSID-Schiedspruches durch ein nationales Gericht besteht. Gewisse Einschränkungen erfährt dieses Prinzip im Hinblick auf die fehlende innerstaatliche Überprüfbarkeit eines ICSID-Schiedsspruches (→ Rn 16) nur durch das sog Aufhebungsverfahren. Nach Art 52 ICSID kann eine Streitpartei die Aufhebung eines Schiedsspruches aus einem der folgenden Gründe begehren: (a) nicht ordnungsgemäße Bildung des Gerichts; (b) offensichtliche Überschreitung der Befugnisse des Gerichts; (c) Bestechung eines Mitglieds des Gerichts; (d) schwerwiegende Abweichung von einer grundlegenden Verfahrensvorschrift; und (e) Fehlen der Begründung des Schiedsspruches. Die Auslegung dieser Vorschrift hat in der Vergangenheit zu einigen Schwierigkeiten geführt. Namentlich in einem Verfahren zwischen der Klöckner Industrie-Anlagen GmbH und Kamerun aus den Jahren 1981 und 1984 54 kam es zu einer recht weiten Auslegung der Aufhebungsgründe. Der mit dem Aufhebungsantrag befasste Ad-hoc-Ausschuss urteilte, dass letztlich jede
53 Zu den Verfahren im Überblick Lörcher (Fn 50) 162 ff; Collier/Lowe (Fn 20) 68 ff. 54 Einzelheiten hierzu bei Collier/Lowe (Fn 20) 71 ff.
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Verletzung von Vorschriften der ICSID-Konvention einen Aufhebungsgrund darstellt. Die durch diesen Spruch begründete Rechtsunsicherheit konnte erst im Jahre 1989 durch eine deutlich restriktivere und den Wortlaut des Art 52 ICSID berücksichtigende ablehnende Aufhebungsentscheidung ausgeräumt werden.55 Dessen ungeachtet kommt es allerdings in jüngerer Zeit zunehmend zu Aufhebungsverfahren nach Art 52 ICSID.56 Das mag man unter Verweis auf die grundlegende Wertentscheidung in der ICSID-Konvention dahingehend, dass nur in besonderen Ausnahmefällen ein Rechtsbehelf gegen schiedsgerichtliche Entscheidungen möglich sein soll, bedauern. Jedoch ist zu bedenken, dass es mit der stetigen Zunahme von ICSID-Verfahren zwangsläufig zu mehr Aufhebungsverfahren kommen muss. Überdies kann durch das Aufhebungsverfahren durchaus auch auf das rechtsstaatliche Gebot effektiven Rechtsschutzes reagiert werden. Insofern stellt sich das Aufhebungsverfahren als Bestandteil der Konstitutionalisierung des Staat-Investor-Schiedsgerichtswesens dar. Das eigentliche ICSID-Verfahrensrecht ist in Art 36 ff ICSID und ergänzend hierzu in den ICSID Rules of Procedure for the Institution of Conciliation and Arbitration Proceedings (Institution Rules), den Rules of Procedure for Arbitration Proceedings (Arbitration Rules) und den Administrative and Financial Regulations 57 geregelt. Es handelt sich hierbei – im Gegensatz zu Verfahrensregelungen außerhalb der institutionalisierten Schiedsgerichtsbarkeit (zB UNCITRAL Arbitration Rules) – um weitgehend zwingende Vorschriften, die von den Parteien eines Verfahrens dementsprechend nur modifiziert werden können, wenn dies ausdrücklich vorgesehen ist. Das gilt ebenso für die ICSID Additional Facility Rules, die im Wesentlichen den zuvor genannten Verfahrensregelungen inhaltlich entsprechen.58
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(2) Internationale Handelskammer (ICC) Zunehmende Bedeutung im Bereich der institutionalisierten Schiedsgerichtsbarkeit im Investitionsschutzrecht kommt der Internationalen Handelskammer (International Chamber of Commerce – ICC) in Paris zu, obgleich die primäre Bedeutung der ICC weiterhin in der (privaten) Handelsschiedsgerichtsbarkeit liegt. Unter dem Dach der ICC fanden bereits mehr als 15 000, überwiegend Handelsschiedsgerichtverfahren statt; allein im Jahr 2006 wurden 593 neue Verfahren mit insgesamt 1613 beteiligten Parteien aus 125 Staaten eingeleitet.59 Die ICC wurde 1919 gegründet. Ihre Aufgabe besteht zunächst darin, die Interessen der globalen Wirtschaft zu repräsentieren. Die hier interessierende Schiedsgerichtsbarkeit wurde in der ICC im Jahre 1923 mit der Errichtung des International Court of Arbitration der ICC etabliert. Der Court of Arbitration ist selbst kein Schiedsgericht; ICC Schiedsgerichtsverfahren finden vor ad hoc für den jeweiligen Streitfall eingerichteten Schiedsgerichten statt. Der Court of Arbitration, der aus einem Präsidenten, neun stell-
55 Maritime International Nominees Establishment v Government of the Republic of Guinea, ad hoc Committee Decision of 22 December 1989, ICSID Reports 4, 79, 86; ausführlich zum Gesamtkomplex die Beiträge in: Gaillard/Banifatemi (Hrsg) Annulment of ICSID Awards, 2004. 56 Siehe den jeweils aktuellen Überblick zum Stand der ICSID-Verfahren unter: http://www. worldbank.org/icsid/cases/pending.htm. 57 Verfügbar unter: http://icsid.worldbank.org/ICSID/StaticFiles/basicdoc/CRR_English-final.pdf. 58 Zu den einzelnen Verfahrensregelungen → Rn 39 ff. 59 Weitere Informationen sind verfügbar unter: http://www.iccwbo.org/court.
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vertretenden Präsidenten und weiteren 88 Mitgliedern und stellvertretenden Mitgliedern besteht, hat die Aufgabe, einzelne Verfahrensabschnitte eines Schiedsgerichtsverfahrens zu kontrollieren bzw, wie es in der ICC Schiedsordnung 60 heißt, für die Anwendung der ICC Schiedsordnung zu sorgen (Art 1 II ICC-Schiedsordnung). Insgesamt kommt dem Court of Arbitration damit die begrenzte, auf einzelne Sachbereiche bezogene Funktion einer Revisionsinstanz zu. Neben dem Court of Arbitration hat das ICC Sekretariat als zweites Organ der ICC eine wichtige Rolle in schiedsgerichtlichen Verfahren. Das Sekretariat übernimmt – wie auch bei anderen Organisationen der institutionalisierten Schiedsgerichtsbarkeit üblich – ua Aufgaben mit Blick auf die Zustellung der Schiedsklage (einschließlich Überprüfung der Logik und Verständlichkeit der Schiedsklage), die Konstituierung des Schiedsgerichts, die Verfahrensleitung bis zur Übernahme des Verfahrens durch das Schiedsgericht, die organisatorisch-administrative Unterstützung des Schiedsverfahrens, die Festlegung der Verwaltungskosten des Verfahrens, die Zustellung des Schiedsspruches und die Abrechnung der Kostenvorschüsse.61 Das eigentliche Verfahrensrecht, das für ein ICC-Schiedsgericht gilt, ist in der ICCSchiedsordnung niedergelegt. Es ähnelt in den wesentlichen Grundstrukturen sonstigen schiedsgerichtlichen Verfahrensregelungen, zeichnet sich jedoch zB im Verhältnis zu den UNCITRAL Arbitration Rules durch einen sehr hohen Grad an Detailgenauigkeit aus.
(3) Schiedsgerichtsinstitut der Stockholmer Handelskammer (SCC-Institute) 34
Das Schiedsgerichtsinstitut der Stockholmer Handelskammer wurde 1917 gegründet. Es ist ein selbstständiger Teil der Stockholmer Handelskammer und gehört zusammen mit der ICC zu den bedeutendsten Institutionen der institutionalisierten internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. In den letzten 10 Jahren wurden jedes Jahr zwischen 120 und 170 neue Verfahren nach den SCC-Regeln eingeleitet. Davon waren auch immer bis zu sechs Verfahren investitionsschutzrechtliche Schiedsgerichtsverfahren.62 Die Attraktivität eines SCC-Verfahren liegt wesentlich in der deutlich an Praxisbedürfnissen ausgerichteten Ausgestaltung des Verfahrensrechts 63 sowie einem sehr „schiedsgerichtsfreundlichen“ schwedischem Recht als lex loci arbitri begründet. Hinzu kommt die geostrategische Position Schwedens als neutralem Staat und damit attraktivem Schiedsort für Ost-West-Streitigkeiten. Nach dem Ende des sog kalten Krieges hat sich dieser Aspekt zwar jedenfalls politisch relativiert; Stockholm ist aber vor diesem Hintergrund weiterhin ein beliebter Schiedsort für Parteien, die aus Osteuropa bzw den GUS-Staaten kommen. Ausdruck dieser besondere Stellung des SCC-Instituts ist auch der Verweis auf ein SCC-Verfahren in Art 26 IV lit c) Energiechartavertrag als eine der nach diesem Vertrag möglichen Schiedsgerichtsverfahren.
60 Verfügbar unter: http://www.iccwbo.org/court/arbitration/id4199/index.html. 61 Reiner/Jahnel in: Schütze (Hrsg), Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit – Kommentar, 2006, II. Kapitel Rn 4 ff. 62 Zu Einzelheiten siehe: http://www.sccinstitute.com/uk/About/Statistics. 63 Ausführlich zu den SCC Arbitration Rules (verfügbar unter: http://www.sccinstitute.com/uk/ Rules) Franke in: Schütze (Hrsg), Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit – Kommentar, 2006, XIII. Kapitel Rn 1 ff.
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(4) UNCITRAL Arbitration Rules Im Gegensatz zur bislang dargestellten institutionellen Schiedsgerichtsbarkeit handelt es sich bei den UNCITRAL Arbitration Rules v 28. April 1976 64 um reine Verfahrensregelungen ohne institutionelle Einbindung.65 Damit verbunden ist insbesondere die Möglichkeit für die Parteien, im Sinne der Privatautonomie umfassend von den UNCITRAL Rules abweichende Regelungen für ein Schiedsverfahren zu treffen;66 wie dargestellt, ist diese Möglichkeit bei der institutionellen Schiedsgerichtsbarkeit in der Regel nicht gegeben. Die UNCITRAL Arbitration Rules haben zunächst große Bedeutung in der (privaten) Handelsschiedsgerichtsbarkeit; auch im Investitionsschutzbereich sind sie jedoch weit verbreitet. Auf sie wird in Ergänzung oder alternativ zu ICSID regelmäßig in BITs verwiesen; auch zB NAFTA Kapitel 11 und der Energiechartavertrag verweisen ua auf UNCITRAL-Verfahren zur Beilegung von Investitionsschutzstreitigkeiten. Da UNCITRAL-Verfahren regelmäßig strenger Vertraulichkeit unterliegen, ist nicht abschließend klar, wie viele schiedsgerichtliche Verfahren im Investitionsschutzbereich es nach diesen Regeln tatsächlich gibt. Einschlägigen Studien zufolge kann aber jedenfalls von 19 neuen Verfahren im Jahre 2006 ausgegangen werden, so dass UNCITRAL-Verfahren quantitativ gesehen jedenfalls gleichbedeutend mit solchen nach ICSID sind.67 Inhaltlich sind die UNCITRAL Arbitration Rules im Vergleich zu den Verfahrensregeln der institutionellen Schiedsgerichtsbarkeit relativ knapp gehalten. Das darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie immer wieder als Vorlage für andere Verfahrensregelungen benutzt wurden, was zeigt, dass sie in weiten Bereichen den unstrittigen und notwendigen Kernbestand der Regelungen eines schiedsgerichtlichen Verfahrens dokumentieren. Besonders hervorzuheben sind hierbei als heute sehr bewährte Besonderheit die Art 6 ff UNCITRAL Arbitration Rules, die für die Benennung von Schiedsrichtern zusätzlich zur vorrangigen Parteivereinbarung ua eine appointing authority vorsehen. Wenn sich die Parteien nicht auf Schiedsrichter einigen könnten, erfolgt nach diesen Regelungen die Ernennung durch die appointing authority. Die appointing authority kann von den Parteien selbst in Übereinstimmung bestimmt werden; liegt keine Parteivereinbarung vor, ist appointing authority der Generalsekretär des ständigen internationalen Schiedshofes in Den Haag (Permanent Court of Arbitration). Mit diesem Mechanismus wird dem Problem begegnet, dass im Gegensatz zur institutionellen bei der ad hoc Schiedsgerichtsbarkeit die Schiedsrichterernennung zu erheblichen Problemen und zeitlichen Verzögerungen im Verfahren führen kann.68
64 Durch Resolution 31/98 der UN-Generalversammlung v 15.12.1976 angenommen. Alle Texte verfügbar unter: http://www.uncitral.org/uncitral/en/uncitral_texts/arbitration/1976Arbitration_rules. html. 65 Hierzu sowie zur Entstehungsgeschichte Patocchi in: Schütze (Hrsg), Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit – Kommentar, 2006, XII. Kapitel Rn 1 ff. 66 Patocchi (Fn 65) Rn 13. Es handelt sich hierbei freilich um eine eher theoretische Möglichkeit, da in der Praxis kaum jemals eine Übereinstimmung der Parteien geben wird. 67 Siehe die umfassende Studie von Peterson Investment Treaty News: 2006 – A Year in Review, International Institute for Sustainable Development (IISD) 2007, verfügbar unter: http://www. iisd.org/pdf/2007/itn_year_review_2006.pdf. 68 Hierzu auch Patocchi (Fn 65) Rn 14 ff; Collier/Lowe (Fn 20) 50 f.
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II. Einleitung und Zulässigkeit eines ICSID Schiedsgerichtsverfahrens 38
Wie dargestellt, finden Schiedsgerichtsverfahren zum Investitionsschutz in verschiedenen institutionellen oder ad hoc Schiedsordnungen statt. Dementsprechend gibt es auch nicht ein einheitliches Prüfungsschema für die Zulässigkeit eines Investitionsschiedsverfahrens. Vielmehr hängen die einzelnen Prüfungspunkte immer vom anwendbaren Verfahrensrecht ab. Allerdings gibt es durchaus auch zahlreiche Verfahrensfragen, die zunehmend einheitlich geregelt sind. Vor diesem Hintergrund soll das ICSID-Verfahren als bedeutendes institutionelles Schiedsgerichtsverfahren exemplarisch für die Schiedsgerichtsbarkeit in diesem Bereich insgesamt dargestellt werden. 1. Einleitung des Verfahrens
a) Einreichung der Schiedsklage und Registrierung 39
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In der ad hoc Schiedsgerichtsbarkeit erfolgt die Einleitung eines Verfahrens dadurch, dass die eine Partei – der Schiedskläger (claimant) – die andere Partei – die Schiedsbeklagte (respondent) – hiervon unterrichtet. An die Benachrichtigung sind dabei regelmäßig inhaltlich Anforderungen zu stellen, ua dahingehend, dass das Verlangen eines schiedsgerichtlichen Verfahrens zum Ausdruck gebracht wird, Name und Anschrift der Partei genannt werden, die maßgebliche Schiedsklausel identifiziert wird, der Anspruch und das Klagebegehren genannt sind und ein Vorschlag für die Anzahl der Schiedsrichter (regelmäßig ein oder drei Schiedsrichter) gemacht wird (siehe zB Art 3 I UNCITRAL Arbitration Rules). Inhaltlich gelten diese Anforderungen im Wesentlichen auch im Hinblick auf die Einleitung eines ICSID-Verfahrens (vgl Rule 2 ICSID Institution Rule) sowie insgesamt in der institutionellen Schiedsgerichtsbarkeit. Die Besonderheit der institutionellen Schiedsgerichtsbarkeit besteht jedoch darin, dass keine direkte Unterrichtung des Beklagten durch den Kläger erfolgt, sondern vielmehr die entsprechende Institution (hier ICSID) zwischengeschaltet ist. In einem ICSID-Verfahren ist so das Klagebegehren an den Generalsekretär von ICSID zu richten (Art 36 I ICSID). Im Stadium zwischen Eingang des Klagebegehrens und Weiterleitung an die beklagte Partei kommt dem Generalsekretär dabei eine sog screening power zu. Er hat den Fall zu registrieren und die Klageschrift an den Beklagten weiterzuleiten, es sei denn, dass auf der Grundlage der zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Informationen der Streit „manifestly outside the jurisdiction of the Centre“ ist (Art 36 III ICSID). Die Prüfungskompetenz des Generalsekretärs ist diesbezüglich allerdings deutlich eingeschränkt; wie der Wortlaut des Art 36 III ICSID klar zum Ausdruck bringt, geht es nur um ganz offensichtlich unzulässige Verfahren, deren Registrierung abgelehnt werden kann.69 Überdies ist ein Schiedsgericht nie daran gehindert, seine Zuständigkeit abzulehnen, obgleich das Verfahren vom Generalsekretär registriert wurde.70 Eine weitere Besonderheit der institutionellen Schiedsgerichtsbarkeit besteht bei der Einleitung eines Verfahrens darin, dass der Kläger eine Verwaltungsgebühr zu entrichten hat, bevor die Registrierung vorgenommen werden kann (Rule 5 Ia ICSID Institution Rule; Regulation 16 ICSID Administrative and Financial Regulations). Mit Stand vom 69 Reed/Paulsson/Blackaby Guide to ICSID arbitration, 2004, 75 f. 70 Schreuer (Fn 22) Art 36 Rn 59; Reed/Paulsson/Blackaby (Fn 69) 76.
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1. Januar 2008 beträgt diese Gebühr für die Einleitung eines ICSID-Schiedsgerichtsverfahrens $ 25.000,00.71 Diese Gebühr ist nicht-rückzahlbar. Die sonstigen anfallenden Kosten für das Verfahren (Schiedsrichtergebühr, Reisekosten, ggf Übersetzungen etc) werden nach der Einrichtung des Schiedsgerichts vom ICSID Generalsekretariat vorläufig kalkuliert und sind auf dieser Basis von den Parteien auf Aufforderung zu zahlen. Die genaue Abrechnung erfolgt dann durch das Sekretariat nach Abschluss des Verfahrens und der entsprechenden Kostenentscheidung des Schiedsgerichts.72
b) Bestellung der Schiedsrichter Die Bestellung der Schiedsrichter in einem ICSID-Verfahren ist in Art 37 bis 40 ICSID und Rules 1 bis 6 ICSID Arbitration Rules geregelt. Auch und gerade für die Schiedsrichterbestellung gilt der Grundsatz der Parteiautonomie, dh die Parteien haben weitgehende Freiheit, die Einzelheiten der Schiedsrichterbestellung einvernehmlich zu regeln. Nach Art 37 II(a) ICSID besteht ein Schiedsgericht aus einem Einzelschiedsrichter oder einer ungleichen Anzahl mehrerer Schiedsrichter; von wenigen Verfahren mit Einzelschiedsrichtern abgesehen, bestehen ICSID Schiedsgerichte in der Praxis regelmäßig aus drei Schiedsrichtern. Art 37 II(b) ICSID sieht dementsprechend vor, dass es immer zu einem Dreierschiedsgericht kommt, wenn sich die Parteien nicht anders einigen können. Die Schiedsrichter werden dann so ernannt, dass jede Partei zunächst jeweils einen Schiedsrichter benennen kann und der dritte Schiedsrichter, der zugleich Präsident des Schiedsgerichts ist, von beiden Parteien einvernehmlich bestellt wird. Kommt es zu keiner entsprechenden Einigung der Parteien, ernennt der Vorsitzende des ICSID Verwaltungsrates die noch fehlenden Schiedsrichter; hierbei muss er, sofern die Parteien nicht mit einem anderen Vorgehen einverstanden sind, auf die offizielle ICSID-Schiedsrichterliste, auf der sich von den ICSID-Vertragsstaaten nominierte Personen befinden, zurückgreifen.73 Ein ähnliches Verfahren findet Anwendung, wenn sich die Parteien von vornherein nicht auf die Anzahl der Schiedsrichter und das Verfahren ihrer Ernennung einigen können.74 Nach Ernennung der Schiedsrichter und der Annahme der Ernennung durch sie übersendet der ICSID-Generalsekretär den Parteien eine offizielle Mitteilung hierüber; damit ist das Schiedsgericht konstituiert und das eigentliche Schiedsgerichtsverfahren beginnt.
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2. Verfahrensgrundsätze Die Verfahrensgrundsätze für ein ICSID-Schiedsgericht sind in Art 41 bis 47 ICSID und ICSID Arbitration Rules niedergelegt. Wenn Verfahrensfragen auftreten, die dort nicht geregelt sind, entscheidet das Schiedsgericht über sie in eigener Kompetenz (Art 44 ICSID). Sonderregelungen bestehen überdies noch für die Ersetzung, dauerhafte Verhinderung sowie Ablehnung eines Schiedsrichters im laufenden Verfahren (Art 56 f ICSID; Rules 7 ff ICSID Arbitration Rules).75
71 Siehe hierzu den jeweils aktuellen Schedule of Fees, verfügbar unter: http://icsid.worldbank.org/ ICSID/FrontServlet. 72 Zu Einzelheiten siehe Reed/Paulsson/Blackaby (Fn 69) 91 f. 73 Zu Einzelheiten siehe Rule 2 bis 4 ICSID Arbitration Rules; Reed/Paulsson/Blackaby (Fn 69) 78 f. 74 Rule 2 ICSID Arbitration Rules. 75 Einzelheiten hierzu bei Reed/Paulsson/Blackaby (Fn 69) 80 f.
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Die genannten Verfahrensvorschriften sehen im Einzelnen zunächst vor, dass die erste Sitzung des Schiedsgerichts innerhalb von 60 Tagen nach seiner Konstituierung stattfinden muss (Rule 13 ICSID Arbitration Rules). Das Schiedsgericht tagt dabei in Washington, D.C., wenn die Parteien nicht anderes vereinbart haben. Ein anderer Schiedsort hat dabei in einem ICSID-Verfahren keine rechtlichen Konsequenzen, da – wie bereits dargelegt (→ Rn 13 f) – keine lex loci arbitri zur Anwendung kommt. Die erste Sitzung des Schiedsgerichts dient regelmäßig dazu, erste konkrete Verfahrensfragen abzustimmen bzw festzulegen („preliminary procedural consultations“). Dazu gehört ua die Festlegung der Verfahrenssprache, Anzahl und Fristen für den Austausch von Schriftsätzen, Anzahl der „Runden“ im schriftlichen Verfahren, Aufteilung der Kostenvorschüsse und Protokollführung (vgl Rule 20 ICSID Arbitration Rules). Das anschließende schriftliche Verfahren besteht aus der Klageschrift (memorial by the requesting party) und dem Verteidigungsschriftsatz des Beklagten (counter-memorial by the other party). Wenn die Parteien es so vereinbaren oder es vom Schiedsgericht entschieden wird, kann es auch noch Duplik und Replik geben (reply by the requesting party und rejoinder by the other party) (vgl Rule 31 ICSID Arbitration Rules). Die Bedeutung klar strukturierter und argumentativ überzeugender Schriftsätze ist in diesem Zusammenhang hervorzuheben; die Schiedsrichter legen hierauf regelmäßig größten Wert.76 Auf das schriftliche Verfahren bezogen gibt es seit einer entsprechenden Änderung der Verfahrensregeln im Jahre 2006 nunmehr auch bei ICSID die Möglichkeit, sog amicus curiae zuzulassen.77 Nach Art 37(2) ICSID Arbitration Rules kann ein Schiedsgericht unter bestimmten Voraussetzungen nach Anhörung der Parteien solche schriftlichen Eingaben dritter Personen zulassen.78 Mündliche Verhandlungen vor dem Schiedsgericht, die sich an den Austausch der Schriftsätze anschließen und sich oftmals getrennt auf die Zulässigkeit (jurisdiction) und die Begründetheit (merits) beziehen, sind selbst in hochkomplexen Verfahren eher kurz (zwei bis maximal fünf Tage). Seit einer entsprechenden Änderung der Arbitration Rules im Jahre 2006 kann das Schiedsgericht zu einer mündlichen Verhandlung dritte Personen zulassen, wenn nicht eine der Parteien widerspricht.79 Ansonsten obliegt es jeder Partei, über die Zulassung von Vertretern, Anwälten, Zeugen und Gutachtern zur mündlichen Verhandlung selbst zu entscheiden (Rule 32 ICSID Arbitration Rules). Da Zeugen und Gutachter ihre Ausführungen regelmäßig bereits im Vorfeld der mündlichen Verhandlung einzureichen haben, dient ihre Anhörung zentral dazu, ein Kreuzverhör durchzuführen.
76 Reed/Paulsson/Blackaby (Fn 69) 83 f. 77 Auch vor der Änderung der Rules of Arbitration war dies wohl möglich, allerdings sehr umstritten, siehe: Aguas Argentinas S.A., Suez, Sociedad General de Aguas de Barcelona, S.A. and Vivendi Universal, S.A. v Argentine Republic, ICSID Case No ARB/03/19, Order in Response to a Petition for Transparency and Participation as Amicus Curiae v 19.5.2005, Rn 16 ff; Aguas Provinciales de Santa Fe S.A., Suez, Sociedad General de Aguas de Barcelona S.A. and InterAguas Servicios Integrales del Agua S.A. v Argentine Republic, ICSID Case No ARB/03/17, Order in Response to a Petition for Participation as Amicus Curiae v 17.3.2006, Rn 16 ff. 78 Zu Einzelheiten s Tams/Zoellner AVR 45 (2007), 217, 217 ff; s jetzt auch Biwater Gauf (Tanzania) Ltd. v Republic of Tanzania, ICISD Case No ARB/05/22, Procedural Order No 5 (Amicus Curiae), v 2.2.2007. 79 Ausführlich hierzu Zoellner Third-Party Participation (NGO’s and Private Persons) and Transparency in ICSID Proceedings in: Hofmann/Tams (Hrsg), The International Convention on the Settlement of Investment Disputes (ICSID) – Taking Stock after 40 Years, 2007, 179, 187 ff.
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Dabei steht wie insgesamt in der mündlichen Verhandlung vor dem Schiedsgericht im Vordergrund, eine tatsächliche bzw rechtliche Diskussion zu den Streitpunkten zu führen; die reine Wiederholung bereits schriftlich dargelegter Standpunkte gilt bei vielen Schiedsrichtern als „Todsünde“.80 Im Übrigen ist zu beachten, dass ein schiedsgerichtliches Verfahren in Ton und Stil sachlich orientiert ist; ein „aggressives“ Auftreten der Parteien insbesondere mit Blick auf das Kreuzverhör von Zeugen oder Gutachtern wird regelmäßig nicht nur zu Missstimmung des Schiedsgerichts, sondern auch zum Einschreiten des Präsidenten des Schiedsgerichts führen. Die entsprechende Kompetenz hierzu ist in Art 35(1) ICSID Arbitration Rules niedergelegt. Über die Zulassung von Beweisen im Rahmen des Verfahrens entscheidet das ICSIDSchiedsgericht weitgehend in eigener Kompetenz. Dabei hat das Schiedsgericht auch das Recht, konkrete Beweise von den Parteien einzufordern und ggf Vor-Ort-Besichtigungen durchzuführen (Rules 34 und 37(1) Arbitration Rules). Weiterhin besteht nach Art 47 ICSID und Rule 39 ICSID Arbitration Rules für ein Schiedsgericht die Möglichkeit, über einzelne Maßnahmen im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu entscheiden. In der englischsprachigen Fassung des Art 47 ICSID ist dabei die Rede davon, dass das „Tribunal may … recommend“ entsprechende Maßnahmen. Im Einklang mit der parallelen Rechtsprechung des IGH ist diese Formulierung wohl dahingehend auszulegen, dass das Schiedsgericht nicht nur reine „Empfehlungen“ abgeben kann, sondern Entscheidungen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren Rechtsverbindlichkeit entfalten.81
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3. Zulässigkeit (Jurisdiction) Grundlage der Zulässigkeitsprüfung in jedem schiedsgerichtlichen Verfahren ist das heute anerkannte Prinzip der sog Kompetenz-Kompetenz des Schiedsgerichts. Hierunter ist zu verstehen, dass ein Schiedsgericht die Kompetenz hat, über seine eigene Kompetenz – dh die Zulässigkeit des schiedsgerichtlichen Verfahrens – selbst zu entscheiden.82 Diese Aussage scheint im Vergleich zu innerstaatlichen gerichtlichen Verfahren zunächst wenig spektakulär. Allerdings ist zu beachten, dass die Schiedsgerichtsbarkeit immer und ausnahmslos auf einer wie auch immer gearteten Übereinkunft der Parteien beruht, ein Schiedsgericht mit einem Streitfall zu betrauen – der Schiedsvereinbarung. Vor diesem Hintergrund ist es im Gegensatz zur innerstaatlichen Gerichtsbarkeit keineswegs unproblematisch, dass ein Schiedsgericht, dessen Existenz einzig vom übereinstimmenden Parteiwillen abhängt, über die Kompetenz verfügt, seine eigene Kompetenz festzustellen bzw zu verneinen. Dieses Prinzip ist in Art 41(1) ICSID explizit niedergelegt.83 Die Zulässigkeit eines schiedsgerichtlichen Verfahrens betrifft zentral die Frage, ob ein Schiedsgericht für eine Entscheidung in der Sache zuständig ist. Dementsprechend wird
80 Siehe auch Reed/Paulsson/Blackaby (Fn 69) 84. 81 IGH LaGrand Case (Germany v United States of America) ICJ Reports 2001, 40 ILM 1069; hierzu Tams JuS 2002, 324; aus der ICSID-Schiedspraxis siehe Victor Pey Casado and Presidente Allende Foundation v Republic of Chile, ICSID Case No ARB/98/2, Decision on Provisional Measures v 25.9.2001, para 18 ff; Reed/Paulsson/Blackaby (Fn 72) 86. 82 Statt vieler Schreuer (Fn 22) Art 41 Rn 1 ff mwN. 83 Siehe zB auch Art 36(2) IGH-Statut; Art 21 UNCITRAL Arbitration Rules; Art 6(2) ICC Rules of Arbitration.
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auch in der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit regelmäßig nicht von Zulässigkeit (admissibility), sondern von „jurisdiction“ (of the tribunal) gesprochen.84 Dabei wird herkömmlich zwischen personeller Zuständigkeit (jurisdiction ratione personae), sachlicher Zuständigkeit (jurisdiction ratione materiae) und Zuständigkeit in zeitlicher Hinsicht (jurisdiction ratione temporis) 85 unterschieden. Zusätzlich zu diesen drei allgemeinen Zulässigkeitspunkten ist in der Schiedsgerichtsbarkeit immer zunächst zu prüfen, ob eine wirksame Schiedsvereinbarung vorliegt. Die Schiedsvereinbarung ist insofern zentrale Grundlage und Ausgangspunkt eines Schiedsverfahrens überhaupt. Im ICSID-Verfahren besteht dabei die Besonderheit, dass die Anforderungen an die maßgebliche Schiedsvereinbarung selbst sowie zusätzliche Zulässigkeitsgesichtspunkte in Art 25 ICSID näher konkretisiert werden. Ausgangspunkt der Zulässigkeit eines ICSID-Verfahrens ist damit immer Art 25 ICSID.86 Es gibt ebenso wie in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit insgesamt nahezu kein ICSID-Schiedsverfahren, in dem von der beklagten Partei nicht Zulässigkeitseinreden (objections to jurisdiction) geltend gemacht werden.87 Nach Art 41 II ICSID steht es dem Schiedsgericht dabei frei, ob es über die Zulässigkeitseinreden zunächst separat entscheidet oder ob diese zusammen mit der Entscheidung in der Sache im endgültigen Schiedsspruch behandelt werden. Separate decisions on jurisdiction 88 sind dabei in der Praxis durchaus üblich, insbesondere dann jedoch angezeigt, wenn komplexe Zulässigkeitsfragen zur Debatte stehen oder aber das Verfahren zur Begründetheit absehbar langwierig und damit kostspielig wird, obwohl unklar ist, ob das Schiedsgericht überhaupt zuständig ist.
a) Schiedsvereinbarung 54
Art 25 ICSID verlangt, dass die Parteien schriftlich eingewilligt haben, die maßgebliche Streitigkeit ICSID zu unterbreiten. Weitere Anforderungen daran, wie die Einwilligung – die Schiedsvereinbarung – im Einzelnen zustande kommen muss, enthält ICSID nicht. Wie bereits dargelegt, gibt es insofern im Investitionsschutzbereich drei Möglichkeiten der Herbeiführung einer Schiedsvereinbarung, wobei der Konstruktion über ein Angebot des Gaststaates auf Abschluss der Schiedsvereinbarung in einem bilateralen Investitionsschutzvertrag und einer Annahme dieses Angebotes durch den Investor mit Einleitung des schiedsgerichtlichen Verfahrens in der Praxis die größte Bedeutung zukommt (→ Rn 11, 22). Aus der damit relevanten Kombination von Art 25 ICSID und einem BITs folgt, dass sich die Zulässigkeitsprüfung gleichsam verdoppelt. Im Hinblick auf die notwendige Schiedsvereinbarung ist im einzelnen zu prüfen, ob (1) die Vorgaben des maßgeblichen BIT für ein ICSID-Verfahren gegeben sind und (2) die spezifischen Zulässigkeitsvoraussetzungen nach Art 25 ICSID vorliegen. Auf beide Punkte bezogen ist dabei jeweils die
84 Die Terminologie ist freilich nicht einheitlich. Als Oberbegriff für das Recht der friedlichen internationalen Streitbeilegung kann ebenso von Zulässigkeit (admissibility) gesprochen werden, siehe zB Collier/Lowe (Fn 20) 190 f. 85 Siehe zB Bayindir Insaat Turizm Ticaret Ve Sanayi A.S. v Islamic Republic of Pakistan, ICSID Case No ARB/03/29, Decision on Jurisdiction v 14.11.2005, para 78. 86 Ein Beispiel für einen schulmäßigen Aufbau der Zulässigkeitsprüfung im dargelegten Sinne bietet Impregilo S.A v Islamic Republic of Pakistan, ICSID Case No ARB/03/3, Decision on Jurisdiction v 22.4.2005. 87 Schreuer (Fn 22) Art 41 Rn 28. 88 Die Terminologie ist nicht einheitlich, siehe Schreuer (Fn 22) Art 41 Rn 63.
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schiedsgerichtliche Zuständigkeit ratione personae, ratione materiae und ratione temporis zu prüfen. Die Voraussetzungen für ein ICSID-Verfahren, die einzelne BITs aufstellen, variieren zwangsläufig. Es ist daher unmöglich, alle erdenklichen Besonderheiten, die sich in den über 1.000 BITs weltweit, die eine ICSID-Klausel enthalten, finden, darzustellen. Ausgangspunkt der folgenden Darstellung soll der deutsche Mustervertrag über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen aus dem Jahr 2005 sein.89 Der für die Schiedsvereinbarung maßgebliche Art 11 des deutschen Mustervertrages lautet in den hier relevanten Teilen wie folgt:
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(1) Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf Kapitalanlagen zwischen einem der Vertragsstaaten und einem Investor des anderen Vertragsstaats sollen, soweit möglich, zwischen den Streitparteien gütlich beigelegt werden. (2) Kann die Meinungsverschiedenheit innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt ihrer Geltendmachung durch eine der beiden Streitparteien nicht beigelegt werden, so wird sie auf Verlangen des Investors des anderen Vertragsstaats einem Schiedsverfahren unterworfen. Sofern die Streitparteien keine abweichende Vereinbarung treffen, wird die Meinungsverschiedenheit einem Schiedsverfahren im Rahmen des Übereinkommens vom 18. März 1965 zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten unterworfen.
b) Zuständigkeit ratione personae Ratione personae verlangen BIT-Streitbeilegungsklauseln immer einen Streit zwischen einem Vertragsstaat und einem „Investor des anderen Vertragsstaats“ (vgl auch Art 25 I ICSID). Es kann also nie ein Investitionsschutzverfahren zwischen einem Investor und seinem eigenen Heimatstaat geben, und zwar selbst dann nicht, wenn der Investor neben der Staatsangehörigkeit des Staates, in dem die Investition erfolgte, eine zweite Staatsangehörigkeit hat.90 Die Staatsangehörigkeit einer natürlichen Person ist dabei zunächst nach dem einschlägigen Recht des Staates zu beurteilen, auf dessen Staatsangehörigkeit sich die natürliche Person beruft;91 die Vorlage eines Passes oder einer Staatsangehörigkeitsurkunde hat hierbei die Wirkung eines Anscheinsbeweises, bindet das Schiedsgericht indes nicht umfassend.92 Insbesondere kann sich zusätzlich die aus dem allgemeinen Völkerrecht bekannte Frage stellen, ob es eine hinreichende enge Verbindung zwischen Staat und Staatsangehörigem gibt, um von effektiver und damit tatsächlicher Staatsangehörigkeit sprechen zu können.93 Die Bestimmung der Staatszugehörigkeit einer juristischen Person als Klägerin kann im Einzelnen problematisch sein. BITs enthalten regelmäßig eine Definition dazu, was unter juristischer Person auf die beiden Vertragsstaaten bezogen jeweils zu verstehen ist. 89 Abgedruckt in: AVR 45 (2007), 276 ff; eine vergleichende Analyse neuerer BITs findet sich in: UNCTAD, Bilateral Investment Treaties 1995–2006: Trends in Investment Rulemaking, 2007. 90 Waguih Elie George Siag and Clorinda Vecchi v Arab Republic of Egypt, ICSID Case No ARB/ 05/15, Decision on Jurisdiction v 11.4.2007; s auch Art 25 I (a) aE ICSID. 91 Schreuer (Fn 22) Art 25 Rn 429. 92 Hussein Nuaman Soufraki v United Arab Emirates, ICSID Case No ARB/02/7, Award v 7.7.2004; hierzu Sinclair, Nationality Requirements for Investors in ICSID Arbitration – The Award in Soufraki v The United Arab Emirates, Transnational Dispute Management v 1.5.2004. 93 Klassisch hierzu IGH Nottebohm Case, ICJ Reports 1955, 23; Schreuer (Fn 22) Art 25 Rn 429.
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Nach dem deutschen Mustervertrag fällt unter den Begriff des Investors aus Deutschland insofern „jede juristische Person sowie jede Handelsgesellschaft oder sonstige Gesellschaft oder Vereinigung mit oder ohne Rechtspersönlichkeit, die ihren Sitz im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland hat, gleichviel, ob ihre Tätigkeit auf Gewinn gerichtet ist oder nicht“ (Art 1 Nr. 3a). Wie ersichtlich, können damit nach dem deutschen Mustervertrag auch nichtrechtsfähige Vereinigungen als deutscher Investor erfasst sein. In dieser Regelung kommt zum Ausdruck, dass aus völkerrechtlicher Perspektive die Bestimmung der Staatszugehörigkeit von juristischen Personen sowie deren rechtliche Qualifikation als rechtsfähige oder nichtrechtsfähige Vereinigung Regelungshoheit des jeweiligen Staates ist. Die gilt insbesondere auch für die Frage, ob der entsprechende Staat zur Bestimmung der Staatszugehörigkeit der Personenvereinigung die sog Sitz- oder die Gründungstheorie anwendet. Zu beachten ist indes, dass abweichend von möglichen Regelungen in BITs nach Art 25 IIb ICSID nur juristische Personen mit Rechtsfähigkeit fähig sind, Partei eines ICSID-Verfahrens zu sein.94 Das kann dazu führen, dass eine nichtrechtsfähige Personenvereinigung zwar nach einem BIT geschützt ist, die Zuständigkeit ratione personae eines ICSID-Schiedsgerichts hingegen nicht gegeben ist. Probleme kann das Kriterium der Staatsangehörigkeit einer juristischen Person auch dann bereiten, wenn die fragliche Investition rechtlich von einer juristischen Person getätigt wurde, die für den Zweck der Investition im Gaststaat gegründet wurde. Dies ist oftmals wirtschaftlich sinnvoll oder zum Teil auch aufgrund entsprechender gesetzlicher Regelungen des Gaststaates notwendig. Um in einem solchen Fall, bei dem es sich wirtschaftlich betrachtet um eine Auslandsinvestition handelt, ein ICSID-Verfahren weiterhin zu ermöglichen, bestimmt Art 25 IIb ICSID, dass Gaststaat und Investor übereinkommen können, dass eine inländische Investitionsgesellschaft als ausländische Person angesehen wird. Nach der neueren Entscheidungspraxis von Schiedsgerichten wird diese Bestimmung extensiv dahingehend ausgelegt, dass auch eine implizite Zustimmung des Gaststaates die Voraussetzungen der „foreign control“-Klausel erfüllt.95 Überdies ist es für die Anwendung der foreign-control-Klausel ausreichend, wenn der Kläger Mehrheitsgesellschafter der innerstaatlichen Gesellschaft ist.96 Eine weitere typische Problematik mit Blick auf juristische Personen als Klägerinnen in einem ICSID-Verfahren stellen sog shell corporations dar, also Klägerinnen, die mit Blick auf ihre Staatszugehörigkeit nur unter einem Firmenmantel arbeiten (zT spricht man auch von Schein- oder Briefkastengesellschaften). Im Kern geht es hierbei um eine Situation, in der die Klägerin keine hinreichende Verbindung zu dem Staat, dessen Staatszugehörigkeit sie geltend macht und in dem sie inkorporiert ist, hat und damit eigentlich
94 Schreuer (Fn 22) Art 25 Rn 459; Impregilo S.p.A. v Islamic Republic of Pakistan, ICSID Case No ARB/03/3, Decision on Jurisdiction v 22.4.2005, para 132. 95 Ausführlich Collier/Lowe (Fn 20) 65 ff; Happ in: Hofmann/Tams (Hrsg), The International Convention on the Settlement of Investment Disputes (ICSID), 2007, 103, 108 ff; Schreuer (Fn 22) Art 25 Rn 80 und 507 ff; sowie aus jüngerer Zeit zB Autopista Concesionada de Venezuela, C.A. v Bolivarian Republic of Venezuela, ICSID Case No ARB/00/5; MTD Equity Sdn. Bhd. and MTD Chile S.A. v Republic of Chile, ICSID Case No ARB/01/7, Award v 25.5.2004, para 94; Société d’Exploitation des Mines d’Or de Sadiola S.A. v Republic of Mali, ICSID Case No ARB/01/5, Award v 25.2.2003, para 2. 96 Aguas del Tunari, S. A. v Republic of Bolivia, ICSID Case No ARB/ 02/3, Decision on Jurisdiction v 21.10.2005, para 264.
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eine Investition aus einem Drittstaat vorliegt.97 Auch wenn die Unzuständigkeit ratione personae mit Blick auf behauptete shell companies oftmals von beklagten Staaten in Investitionsschiedsverfahren geltend gemacht wird, hat diese Einrede regelmäßig keinen Erfolg. Die Schiedsgerichte verweisen insofern immer darauf, dass in dem maßgeblichen BIT oder im ICSID-Übereinkommen über die Inkorporation hinausgehend keine weiteren Erfordernisse zur Bestimmung der Staatszugehörigkeit juristischer Personen zu finden sind.98 Anders ist die Rechtslage natürlich, wenn der entsprechende BIT eine sog „denial of benefits“-Klausel mit Blick auf Briefkastenfirmen enthält.99 Ebenfalls oftmals diskutiert wird, ob Minderheitsgesellschafter- bzw -aktionäre in einem Investitionsschutzverfahren parteifähig sind. Die schiedsgerichtliche Praxis stellt bei dieser Frage primär darauf ab, ob die Minderheitsbeteiligung eine Investition iS des maßgeblichen BITs bzw des ICSID-Übereinkommens ist. Wenn das der Fall ist, liegt auch die Parteifähigkeit vor.100 Schließlich kommt es immer wieder zu schiedsgerichtlichen Verfahren, in denen die Zuständigkeit ratione personae mit dem Argument bestritten wird, dass die Klägerin kein privater Investor sei, sondern vielmehr rechtlich als Staat – also Vertragspartei – einzustufen sei und BIT- bzw ICSID-Verfahren nicht zwischen zwei Staaten stattfinden können. Hierfür typische Fallkonstellationen betreffen Klagen von Staatsunternehmen oder sonstigen juristischen Personen, denen öffentliche Aufgaben übertragen wurden. Die sich unter Zulässigkeitsgesichtspunkten stellende Problematik wird deutlich, wenn man beachtet, dass BITs regelmäßig gesonderte schiedsgerichtliche Verfahren für Streitigkeiten der Vertragsparteien über die Auslegung oder Anwendung des Vertrages vorsehen (vgl Art 10 deutscher Mustervertrag). Das zeigt in systematischer Interpretation klar, dass die Zuständigkeit ratione personae in einem Investitionsschutzverfahren immer einen privaten Investor voraussetzt. Das gilt ebenso nach den Regeln des ICSID-Übereinkommens. Das Schiedsgericht im Verfahren CSOB v Solvak Republic stellte dementsprechend deutlich heraus, dass „[t]he Centre does not have jurisdiction over disputes between two or more Contracting States.“ 101 97 Ausführlich Happ (Fn 95 ) 112 ff. 98 Siehe zB ADC Affiliate Limited and ADC & ADMC Management Limited v Hungary, ICSID Case No ARB/03/16, Award v 2.10.2006, para 352 ff; Aguas del Tunari, S.A. v Republic of Bolivia, ICSID Case No ARB/ 02/3, Decision on Jurisdiction v 21.10.2005, para 206 ff. 99 Hierzu Happ (Fn 95) 113 mwN. 100 Siehe zB CMS Gas Transition Company v Republic of Argentina, ICSID Case No ARB/01/8, Decision on Jurisdiction v 17.7.2003, para 48 ff; Azurix Corp. v Argentina, ICSID Case No ARB/01/12, Decision on Jurisdiction v 8.12.2003, para 73; Siemens AG v Argentine Republic, ICSID Case No ARB/02/08, Decision on Jurisdiction v 3.8.2004, para 142; GAMI Investments, Inc. v Mexico, NAFTA Chapter 11/UNCITRAL Award v 15.11.2004, para 37 ff; Sempra Energy International v The Argentine Republic, ICSID Case No ARB/02/16, Decision on Jurisdiction v 11.5.2005, para 93 f; Camuzzi International S. A. v The Argentine Republic, ICSID Case No ARB/03/2, Decision on Jurisdiction v 11.5.2005, para 81 f; Continental Casualty Company v The Argentine Republic, ICSID Case No ARB/03/9, Decision on Jurisdiction v 22.2.2006, para 83 ff; Pan American Energy LLC and BP Argentina Exploration Company v Argentine Republic, ICSID Case No ARB/03/13, verbunden mit BP America Production Company, Pan American Sur SRL, Pan American Fueguina, SRL and Pan American Continental SRL v The Argentine Republic, ICSID Case No AREB/04/8, Decision on Jurisdiction v 27.7.2006, para 218 f. 101 Ceskoslovenska Obchodni Banka, A.S. v The Slovak Republic, ICSID Case No ARB/97/4, Decision of the Tribunal on Objections to Jurisdiction of May 24, 1999, para 16.
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Die einzelnen Kriterien, die für die Abgrenzung zwischen privatem Investor und Staat zur Anwendung kommen, sind jedenfalls in Ansätzen in der schiedsgerichtlichen Praxis geklärt: Entscheidend ist in negativer Abgrenzung, dass der Kläger auf die fragliche Investition bezogen nicht typische hoheitliche Funktionen wahrgenommen hat. In den Worten des CSOB-Schiedsgerichts ist insofern von Bedeutung, dass „[a] mixed economy company or government-owned corporation should not be disqualified as a ,national of another Contracting State‘ unless it is acting as an agent for the government or is discharging an essentially governmental function.“ 102 Diesen sog CSOB-Test wird man etwas differenzierter dahingehend konkretisieren müssen, dass in einem ersten Schritt zu prüfen ist, ob der Investor formal in die Staatsorganisation eingebunden ist. In einem zweiten Prüfungsschritt ist dann zu untersuchen, ob der Investor funktional ihrer Natur nach private oder hoheitliche Aufgaben wahrgenommen hat bzw wahrnimmt.103
c) Zuständigkeit ratione materiae 63
Fall 1: (Vgl Malaysian Historical Salvors SDN, BHD v The Government of Malaysia, ICSID Case No ARB/05/10, Award on Jurisdiction v 17. Mai 2007) Die Schiedsklägerin (K) ist ein britisches Unternehmen, das auf das Auffinden und Bergen alter Wracks im Meer spezialisiert ist. Sie schloss am 3.8.1991 mit der Beklagten (B) einen Vertrag über das Auffinden und Bergen der Fracht der „DIANA“, ein britisches Schiff, das im Jahr 1817 vor der Küste von Malakka sank. Der Vertrag wurde auf der Grundlage des im Bergungsbereich üblichen „no finds no pay“-Prinzip geschlossen, dh dass die Klägerin alle Aufwendungen für die Suche und Bergung trägt und nur im Erfolgsfall am Erlös der gefundenen Schätze beteiligt wird. In dem Vertrag war hierzu ua vorgesehen, dass der Schatz durch „Christie’s“ versteigert werden sollte und die K einen prozentualen Anteil am Versteigerungserlös erhalten sollte, und zwar in der prozentualen Höhe abhängig vom Gesamterlös. Die K macht geltend, dass sie nach dieser Regelung im Anschluss an die 1995 in Amsterdam erfolgte Auktion bei „Christie’s“ einen Anspruch auf 70 % des Versteigerungserlöses habe, von der B aber nur 40 % erhalten habe. Nach erfolglosen Verhandlungen mit B leitet K ein ICSID-Verfahren ein. Mit Aussicht auf Erfolg? Zwischen dem Vereinigten Königreich und Malaysia existiert ein BIT, der eine ICSID-Klausel enthält. Weiterhin sieht der BIT vor, dass als vom Vertrag erfasste Investition ua anzusehen sind „claims to money or to any performance under contract, having a financial value“, wobei es sich indes umfassend um Investitionsprojekte handeln muss „classified by the appropriate Ministry of Malaysia in accordance with its legislation and administrative practice as an ‚approved project‘“.
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In sachlicher Hinsicht setzt die Zulässigkeit eines Investitionsschutzverfahrens eine Rechtsstreitigkeit (Art 25 I ICSID) bzw Meinungsverschiedenheit (Art 11(1) deutscher Mustervertrag) in Bezug auf eine Investition voraus. Damit ist zunächst zu prüfen, ob 102 Broches The Convention on the Settlement of Investment Disputes between States and Nationals of Other States, Recueil des cours (1972), Vol 136, Issue II, 331, 355: „It would seem, therefore, that for purpose of the Convention a mixed economy company or government-owned corporation should not be disqualified as a ,national of another Contracting State‘ unless it is acting as an agent for the government or is discharging an essentially governmental function.“; Ceskoslovenska Obchodni Banka, A. S. v The Slovak Republic, ICSID Case No ARB/97/4, Decision on Jurisdiction v 24.5.1999, para 17. 103 Emilio Agustín Maffezini v The Kingdom of Spain, ICSID Case No ARB/97/7, Decision on Jurisdiction v 25.1.2000, para 76 ff.
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eine Investition vorliegt. Im Anschluss hieran kann untersucht werden, ob auf die Investition bezogen ein Rechtsstreit oder eine Meinungsverschiedenheit vorliegt.
(1) Investition Im ICSID-Übereinkommen selbst ist keine Definition oder Umschreibung des Begriffs „Investition“ enthalten. Auch BITs verzichten auf eine Definition, bedienen sich jedoch zunehmend einer jedenfalls beispielhaften Umschreibung und Aufzählung typischer Investitionen. In Art 1 Nr 1 deutscher Mustervertrag ist dementsprechend festgelegt, dass der Begriff „Kapitalanlagen“, der dem ansonsten international üblichen Investitionsbegriff weitgehend entspricht,
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„Vermögenswerte jeder Art [umfasst], insbesondere a) Eigentum an beweglichen und unbeweglichen Sachen sowie sonstige dingliche Rechte wie Hypotheken und Pfandrechte; b) Anteilsrechte an Gesellschaften und andere Arten von Beteiligungen an Gesellschaften; c) Ansprüche auf Geld, das verwendet wurde, um einen wirtschaftlichen Wert zu schaffen, oder Ansprüche auf Leistungen, die einen wirtschaftlichen Wert haben; d) Rechte des geistigen Eigentums, wie insbesondere Urheberrechte, Patente, Gebrauchsmuster, gewerbliche Muster und Modelle, Marken, Handelsnamen, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, technische Verfahren, Know-how und Goodwill; e) öffentlich-rechtliche Konzessionen einschließlich Aufsuchungs- und Gewinnungskonzessionen“. Wie ersichtlich, wird damit ein sehr weiter Investitionsbegriff verwandt, was auch der Praxis der weitaus meisten BITs weltweit entspricht. Insbesondere eine Reduktion des Investitionsbegriffs auf klassische ausländische Direktinvestitionen 104 entspricht nicht mehr der internationalen Investitionsschutzpraxis. Vielmehr ist heute vor dem Hintergrund der weltweiten BIT-Praxis und der Ratio des Investitionsschutzrechts weitgehend anerkannt, dass vom Investitionsschutzrecht erfasste Investitionen unabhängig von ihrer Form durch vier zentrale Merkmale gekennzeichnet sind. Diese vier Merkmale sind im sog Salini-Test wie folgt niedergelegt: “[T]he notion of investment presupposes the following elements: (a) a contribution, (b) a certain duration over which the project is implemented, (c) sharing of the operational risks, and (d) a contribution to the host State’s development, being understood that these elements may be closely interrelated, should be examined in their totality, and will normally depend on the circumstances of each case.” 105 104 Zum Investitionsbegriff umfassend Sornarajah Foreign Investment 7 ff. 105 Bayindir Insaat Turizm Ticaret Ve Sanayi A.S. v Islamic Republic of Pakistan, IDSID Case No ARB/03/29, Decision on Jurisdiction v 14.11.2005, para 130; das Schiedsgericht nimmt Bezug auf: Salini Costruttori S.p.A. and Italstrade S.p.A. v Kingdom of Morocco, ICSID Case No ARB/00/4, Decision on Jurisdiction v 23.7.2001, para 52 ff; siehe auch Malaysian Historical Salvors SDN, BHD v The Government of Malaysia, ICSID Case No ARB/05/10, Award on Jurisdiction v 17.5.2007, para 44 ff; SAIPEM S.p.A. v The People’s Republic of Bangladesh, ICSID Case No ARB/05/07, Decision on Jurisdiction and Recommendation on Provisional Measures v 21.3.2007, para 99; Jan de Nul N.V. Dredging International N.V. v Arab Republic of Egypt, ICSID Case No ARB/04/13, Decision on Jurisdiction v 16.6.2006, para 91 ff; Consortium Groupement L.E.S.I. – DIPENTA v Algeria, Case No ARB/03/8, Award v 10.1.2005, para 11 ff; Patrick Mitchell v Democratic Republic of the Congo, Annulment Proceeding Regarding the
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Noch nicht abschließend geklärt ist bei dieser Definition, ob die vier Kriterien kumulativ vorliegen müssen oder ob jedem Kriterium das gleiche Gewicht zukommt, obgleich Schiedsgerichte zumeist dazu neigen, eine Gesamtschau und -bewertung vorzunehmen.106 Einigkeit besteht in der schiedsgerichtlichen Praxis jedoch darin, dass es für eine Investition im investitionsschutzrechtlichen Sinne unerheblich ist, ob die für sie verwendeten finanziellen Mittel aus dem Heimatstaat des Investors, dem Gaststaat oder einem Drittstaat stammen.107
(2) Investition im Einklang mit der innerstaatlichen Rechtsordnung 68
Zahlreiche BITs enthalten Formulierungen, nach denen von ihnen Investitionen erfasst sind, die in Übereinstimmung mit den Rechtsvorschriften des Gaststaates erfolgten (vgl zB Art 2 I deutscher Mustervertrag). Diese Vorschriften haben gerade in jüngerer Zeit zu der Frage geführt, ob eine Investition, die mit dem Recht des Gaststaates unvereinbar ist, nicht unter den jeweils einschlägigen BIT fällt und damit auf sie bezogen auch ratione materiae keine Zuständigkeit eines Schiedsgerichts gegeben ist. Das wurde von Schiedsgerichten mehrfach mit dem Argument bejaht, dass die Ratio entsprechender BIT-Klauseln darin liegt, die Legalität einer Investition zu sichern und damit gerade solche Investitionen vom Investitionsschutz auszuschließen, die gegen fundamentale Rechtsgrundsätze des Gaststaates verstoßen, was zB der Fall ist bei betrügerischem Verhalten im Rahmen einer öffentlichen Auftragsvergabe oder beim Abschluss eines geheimen Beherrschungsvertrages mit dem inländischen Vertragspartner, der gegen explizites Verfassungsrecht des Gaststaates verstößt.108 Allerdings ist damit nicht gemeint, dass die fragliche Investition in jedem Einzelfall möglicherweise sehr restriktive verwaltungstechnische Genehmigungsverfahren durchlaufen haben muss. Mit anderen Worten greift der Ausschluss des Investitionsschutzrechts noch nicht bei einer reinen Verletzung von Formvorschriften des Gaststaates, sondern erst, wenn zusätzliche materielle Gesichtspunkte die Investition als Verstoß gegen fundamentale Rechtsgrundsätze des Gaststaates qualifizieren.109
(3) Rechtsstreit bzw Meinungsverschiedenheit 69
Streitbeilegungsklauseln in BITs beziehen sich regelmäßig, wie zB Art 11 deutscher Mustervertrag zeigt, auf „Meinungsverschiedenheiten“ in Bezug auf Investitionen bzw Kapitalanlagen. Der Begriff der Meinungsverschiedenheit ist denkbar weit, so dass es
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Award Rendered on February 9, 2004, ICSID Case No ARB/99/7, Decision on the Application for Annulment of the Award v 1.11.2006, para 25 ff; Joy Mining Machinery Limited v Arab Republic of Egypt, ICSID Case No ARB/03/11, Award on Jurisdiction v 6.8.2004, para 53 ff; Ceskoslovenska Obchodni Banka, A.S. v The Slovak Republic, ICSID Case No ARB/97/4, Decision on Jurisdiction v 24.5.1999, para 44 et seq. Zu einer ausführlichen Diskussion des „typical characteristics approach“ im Gegensatz zum „jurisdictional approach“ siehe Malaysian Historical Salvors SDN, BHD v The Government of Malaysia, ICSID Case No ARB/05/10, Award on Jurisdiction v 17.5.2007, para 69 ff. Tokios Tokelès v Ukraine, Case No ARB/02/18, Decision on Jurisdiction v 29.4.2004, para 80 ff; ADC Affiliate Limited and ADC & ADMC Management Limited v Hungary, ICSID Case No ARB/03/16, Award v 2.10.2006, para 353 ff; Saipem S.p.A. v People’s Republic of Bangladesh, ICSID Case No ARB/05/07, Decision on Jurisdiction v 21.3.2007, para 105 ff. Siehe insb Inceysa v Republic of El Salador, ICSID Case No ARB/03/26 v 2.8.2006; Fraport AG Frankfurt Airport Services Worldwide v Philippines, ICSID Case No ARB/03/25 v 16.8.2007. Besonderes deutlich Desert Line Projects L.L.C. v The Republic of Yemen, ICSID Case No ARB/05/17, Award v 6.2.2008, para 97 ff.
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diesbezüglich auf die Zulässigkeit nach einem BIT keine Schwierigkeiten gibt. Problematisch kann sich in einem ICSID-Verfahren hingegen das nach Art 25 I ICSID zusätzliche Erfordernis gestalten, dass es sich um einen „legal dispute arising directly out of an investment“ handeln muss. Als „dispute“ gilt dabei zunächst „a disagreement on the point of law or fact, a conflict of legal views or interests between parties“.110 Eine solche Meinungsverschiedenheit setzt zunächst ein Mindestmaß an Kommunikation zwischen den Parteien über die strittigen Fragen voraus.111 Im Übrigen ist der Grund für die Meinungsverschiedenheit ohne Belang; namentlich der Umstand, dass politisch motivierte Maßnahmen des Gaststaates zur Debatte stehen, schließt nicht aus, dass ein „legal dispute“ vorliegt.112 Ähnliches gilt für das zusätzliche Erfordernis, dass es sich um eine rechtliche Meinungsverschiedenheit „arising directly out of an investment“ handeln muss. Dieses Tatbestandsmerkmal verlangt nur, dass ein Bezug zur fraglichen Investition vorliegt, nicht jedoch, dass eine spezifische staatliche Maßnahme des Gaststaates direkt auf eine ausländische Investition gerichtet ist. Damit liegt auch dann eine Rechtsstreitigkeit, die sich direkt auf eine Investition bezieht, vor, wenn allgemeine wirtschaftspolitische Maßnahmen des Gaststaates Auswirkungen auf eine Investition haben.113 Auf der Seite des Investors ist schließlich unerheblich, dass die fragliche Investition im Rahmen einer komplexen Projektstruktur auf der Grundlage zahlreicher verschiedener Verträgen unterschiedlicher Projektbeteiligter erfolgte. Damit eine Rechtsstreitigkeit „arising directly out of an investment“ vorliegt, ist nur entscheidend, dass das Gesamtprojekt in einer Gesamtschau auf den Kläger als Investor zurückgeht.114
(4) Treaty v. Contract Claim Die schiedsgerichtliche Zuständigkeit in einem Investitionsschutzverfahren kann sich, wie dargelegt (→ Rn 52), aus einem konkreten Investitionsvertrag zwischen Gaststaat und Investor, einem einschlägigen nationalen Investitionsgesetz oder einem bilateralen Investitionsschutzvertrag zwischen Gaststaat und Heimatstaat des Investors ergeben. Abhängig von der jeweiligen Grundlage der Schiedsvereinbarung bestimmt sich das für das Schiedsgericht anwendbare Recht, und zwar auch auf die Zuständigkeitbegründung insgesamt bezogen. Konkret folgt hieraus, dass in sachlicher Hinsicht ein Schiedsgericht nur für behauptete Verletzungen eines BIT zuständig ist, wenn dieser Grundlage der Schiedsvereinbarung ist (treaty claim). Umgekehrt kann sich das Schiedsgericht nur mit behaupteten
110 IGH Case Concerning East Timor, (Portugal v Australia) ICJ Reports 1995, 89, 99 mwN; Schreuer (Fn 22) Art 25 Rn 36; IGH Case Concerning Certain Properties (Liechtenstein v Germany) para 24; Suez ua v The Argentine Republic, ICSID Case No ARB/03/19, Decision on Jurisdiction v 3.8.2006, para 29. 111 Schreuer (Fn 22) Art 25 Rn 35; sowie ausführlich zum Gesamtkomplex ders What is a Legal Dispute? TDM 4 December 2007. 112 Suez ua v The Argentine Republic, ICSID Case No ARB/03/19, Decision on Jurisdiction v 3.8.2006, para 29. 113 Suez ua v The Argentine Republic, ICSID Case No ARB/03/19, Decision on Jurisdiction v 3.8.2006, para 30 f; CMS Gas Transmission Company v The Republic of Argentina, Case No ARB/01/8, Decision on Jurisdiction v 17.7.2003, para 23 ff. 114 ADC v Hungary, Affiliate Limited and ADC & ADMC Management Limited v Hungary, ICSID Case No ARB/03/16, Award v 2.10.2006, para 331.
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Verletzungen des konkreten Investitionsvertrages befassen, wenn dieser die maßgebliche Schiedsklausel enthält (contract claim).115 Die strenge dogmatische Trennung zwischen contract- und treaty-claim in der Schiedsgerichtspraxis,116 die man unter Verweis auf das überholte Konzept einer Trennung von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht,117 das ihr zugrunde liegt, kritisieren kann, erfährt allerdings gewisse Modifikationen. Zunächst könnte sich die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts für contract-claims aus einer weit gefassten Schiedsklausel in dem BIT, der die Zuständigkeit des Schiedsgerichts begründet, ergeben. Ein Beipiel hierfür wäre Art 11 deutscher Mustervertrag, der sich auf alle „Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf Kapitalanlagen“ bezieht. Ob damit allerdings wirklich umfassend auch contractclaims erfasst sind – wofür der Wortlaut des BIT und die Ratio der ICSID-Konvention sprechen –, ist in der schiedsgerichtlichen Praxis strittig und noch nicht abschließend geklärt.118 Klarer ist die Rechtslage, wenn dem schiedsgerichtlichen Verfahren eine eng gefasste Schiedsklausel, die sich ausdrücklich nur auf behauptete Investitionsschutzgarantien in dem fraglichen Investitionsschutzvertrag bezieht, zugrunde liegt.119 In einem solchen Fall ist ein contract-claim zunächst ausgeschlossen. Es besteht dann nur die Möglichkeit für den Kläger, substantiiert vorzutragen, dass eine fragliche Verletzung eines konkreten Investitionsvertrages (contract) aufgrund besonderer Umstände zugleich einen Behandlungsstandard eines einschlägigen BIT verletzt und daher im Kern ein treaty-claim vorliegt.120 Als Alternative oder in Ergänzung hierzu besteht weiterhin ggf noch die Möglichkeit, aufgrund einer sog „umbrella clause“ einen contract-claim im Wege eines
115 Grundlegend Compania de Aguas del Aconquija S.A. and Vivendi Universal (formerly Compagnie Générale des Eaux) v Argentine Republic, ICSID Case No ARB/97/3, Decision on Annulment v 3.7.2002, para 96: „[w]hether there has been a breach of the BIT and whether there has been a breach of contract are different questions. Each of these claims will be determined by reference to its own proper or applicable law – in the case of the BIT, by international law; in the case of the Concession Contract, by the proper law of the contract […]“; ebenfalls ausführlich aus jüngerer Zeit Bayindir Insaat Turizm Ticaret Ve Sanayi A.S. v Islamic Republic of Pakistan, IDSID Case No ARB/03/29, Decision on Jurisdiction v 14.11.2005, para 148 ff. 116 Siehe ausführlich auch Happ in: Tietje (Hrsg), International Investment Protection and Arbitration – Theoretical and Practical Perspectives, 2008, 51 ff mwN. 117 Hierzu zB Tietje Internationalisiertes Verwaltungshandeln, 2001, 565 ff. 118 Dafür wohl zB Compania de Aguas del Aconquija S. A. and Vivendi Universal (formerly Compagnie Générale des Eaux) v Argentine Republic, ICSID Case No ARB/97/3, Decision on Annulment v 3.7.2002, para 55; ablehnend wohl Parkerings-Compagniet AS v the Republic of Lithuania, ICSID Case No ARB/05/8, Award v 11.9.2007, para 256 ff; zur Diskussion siehe zB Happ in: Tietje (Hrsg), International Investment Protection and Arbitration – Theoretical and Practical Perspectives, 2008, 55 f. 119 Siehe zB Art 26(1) Energiecharta-Vertrag: „Disputes between a Contracting Party and an Investor of another Contracting Party relating to an Investment of the latter in the Area of the former, which concern an alleged breach of an obligation of the former under Part III shall, if possible, be settled amicably“. 120 Siehe zB Salini Costruttori S.p.A. and Italstrade S.p.A v The Hashemite Kingdom of Jordan, ICSID Case No ARB/02/13, Decision on Jurisdiction v 15.11.2004, para 155: „In fact, the State, or its emanation, may have behaved as ordinary cocontractants having a difference of approach, in fact or in law, with the investor. In order that the alleged breach of contract may constitute unfair or inequitable treatment within the meaning of the bilateral agreement, it must be the result of behaviour going beyond that which an ordinary contracting party could adopt“.
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treaty-claim geltend zu machen. Als „umbrella clause“ bezeichnet man dabei eine Bestimmung in einem BIT, nach der die Vertragsparteien „jede … Verpflichtung einhalten, die [sie] in Bezug auf Kapitalanlagen von Investoren des anderen Vertragsstaats in [ihrem] Hoheitsgebiet übernommen [haben]“ (vgl Art 8(2) deutscher Mustervertrag). Solche oder ähnliche Formulierungen finden sich in zahlreichen BITs, allerdings mit durchaus unterschiedlichem Wortlaut. Die schiedsgerichtliche Praxis ist bislang überaus uneinheitlich im Hinblick auf die Frage, ob eine „umbrella clause“ tatsächlich einen contract-claim zu einem treaty-claim machen und damit eine schiedsgerichtliche Zuständigkeit auf der Grundlage eines BIT (ggf iVm Art 25 ICSID) begründen kann.121 Lösung Fall 1: Die Zuständigkeit des ICSID-Schiedsgerichts setzt ratione materiae voraus, dass sich der Streit auf eine Investition im Sinne des BIT zwischen GB und Malaysia und im Sinne von Art 25 I ICSID bezieht. Obwohl es sich nach dem Wortlaut des BIT bei den vertraglichen Ansprüchen von K gegen B durchaus um eine Investition im Sinne des BIT handeln könnte, ist fraglich, ob dies auch mit Blick auf Art 25 I ICSID der Fall ist. Die ICSID-Konvention enthält keine Definition oder Umschreibung des Begriffes „Investition“. Ausgehend vom Wortsinn und im Lichte der Ratio von ICSID (vgl Art 31 I WVK) ist heute aber weitgehend anerkannt, dass zumindest die vier Kriterien, die sich im sog Salini-Test finden, erfüllt sein müssen. Ob das der Fall ist, hängt von einer Gesamtbetrachtung ab. K hat zunächst eine „contribution“ geleistet, indem sie für die Suche des Schiffswracks und Bergung der Ladung finanzielle Aufwendungen tätigte. Fraglich ist indes, ob das weitere Merkmal der Dauerhaftigkeit (duration) ebenfalls erfüllt ist, das im Zusammenhang damit zu sehen ist, dass eine Investition der wirtschaftlichen Entwicklung des Gaststaates dienen soll. Der Vertrag zwischen K und B bezog sich auf das einmalige Ereignis des Auffindens und der Bergung der Fracht der „DIANA“, wobei zunächst nur eine Vertragslaufzeit von 18 Monaten vorgesehen war, auch wenn das Projekt dann später doch vier Jahre dauerte. Allerdings ist zweifelhaft, ob damit wirklich das Merkmal „duration“ in qualitativer Hinsicht gegeben ist. Hiergegen spricht, dass es sich nicht um ein tatsächlich dauerhaftes Projekt mit dem Ziel eines Beitrages zur wirtschaftlichen Entwicklung des Gaststaates handelt, sondern um eine inhaltlich und zeitlich begrenzte Projektarbeit. Weiterhin ist problematisch, ob für K mit dem Projekt ein „operational risk“ im Sinne des Investitionsbegriffs verbunden war. K trug zwar ausschließlich das finanzielle Risiko der Bergung. Das entspricht jedoch der gängigen Praxis im Bergungsbereich („no-finds-nopay“). Insofern handelt es sich in diesem Wirtschaftsbereich um das ganz normale Geschäftsrisiko, welches aber im Investitionsschutzbereich prinzipiell gerade nicht gesondert geschützt sein soll. Ein besonderes, über den Vertragsinhalt hinausgehendes Investitionsrisiko lag damit nicht vor. Insgesamt spricht eine Gesamtschau damit dafür, dass keine Investition iSv Art 25 I ICSID vorliegt. Vielmehr handelt es sich bei der Klage der K im Kern um einen contract-claim, für den mangels entsprechender Schiedsklausel in dem Vertrag keine Zuständigkeit des ICSID-Schiedsgerichts gegeben ist. Das Schiedsgericht ist damit unzuständig.
121 Zum Problem und zahlreichen Nachweisen aus der schiedsgerichtlichen Praxis ausführlich Waelde The Journal of World Investment and Trade 2005, 183 ff; Schramke SchiedsVZ 2006, 249 ff.
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d) Zuständigkeit ratione temporis 72
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Ausgangspunkt für die Bestimmung der Zuständigkeit eines Schiedsgerichts ratione temporis ist Art 28 WVK. Hiernach entfalten völkerrechtliche Verträge keine Bindungswirkung im Hinblick auf „eine Handlung oder Tatsache, die vor dem Inkrafttreten des Vertrages hinsichtlich der betreffenden Vertragspartei vorgenommen wurde oder eingetreten ist“, es sei denn, die Vertragsparteien haben explizit oder implizit etwas anderes vereinbart.122 Abweichende Vereinbarungen hierzu finden sich in BITs insbesondere dahingehend, dass auch Investitionen, die vor dem Inkrafttreten des Vertrages getätigt wurden, geschützt sind.123 Ansonsten gilt aber auch im Investitionsschutzbereich die für die Zuständigkeit ratione temporis zentrale Aussage des IGH, dass „[t]he facts or situations to which regard must be had […] are those with regard to which the dispute has arisen or, in other words, as said by the Permanent Court in the case concerning the Electricity Company of Sofia and Bulgaria, only ,those which must be considered as being the source of the dispute’, those which are its ‘real cause‘“.124 Eine Besonderheit mit Blick auf die Zuständigkeit ratione temporis auf BITs bezogen stellt weiterhin der Umstand dar, dass diese regelmäßig sog „survival clauses“ enthalten. Hiernach gelten die Rechtsgarantien eines BIT, einschließlich der Streitbeilegungsklauseln, für eine bestimmte Zeit (oftmals 20 Jahre, vgl zB Art 14 III deutscher Mustervertrag) weiter, nachdem der BIT aus welchen Gründen auch immer außer Kraft getreten ist.125 Eine ähnliche, wenngleich auch rechtlich wesentlich schwieriger zu fassende Regelung findet sich in Art 72 ICSID. Hiernach berührt die Kündigung der ICSID-Konvention durch eine Vertragspartei nicht „the rights or obligations under this Convention of that State or of any of its constituent subdivisions or agencies or of any national of that State arising out of consent to the jurisdiction of the Centre given by one of them before such notice was received by the depositary“. Fraglich und bis heute nicht geklärt ist, ob mit dieser Formulierung tatsächlich gemeint ist – worauf der Wortlaut hindeutet –, dass eine ICSID-Vertragspartei gleichsam zeitlich unbegrenzt der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit unterworfen ist, auch wenn die Konvention selbst gekündigt wurde. Aktuell stellt sich diese Rechtsfrage mit Blick auf die Kündigung der ICSID-Konvention durch Bolivien im Jahre 2007.126 122 Société Générale de Surveillance S.A. v Republic of the Philippines, ICSID Case No ARB/02/6, Decision on Jurisdiction v 29.1.2004, para 165 f; Mondev International Ltd. v United States of America, ICSID Case No ARB(AF)/99/2, 6 ICSID Reports 192, 208f, para 68 ff; Impregilo S.p.A. v Islamic Republic of Pakistan, ICSID Case No ARB/03/3, Decision on Jurisdiction v 22.4.2005, para 310. 123 Vgl zB Art 9 deutscher Mustervertrag: „Dieser Vertrag gilt auch für Kapitalanlagen, die Investoren des einen Vertragsstaats in Übereinstimmung mit den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaats in dessen Hoheitsgebiet schon vor dem Inkrafttreten dieses Vertrags vorgenommen haben“. 124 IGH Right of Passage over Indian Territory (Portugal v India) Judgment, ICJ Reports 1960, 35; Case Concerning Certain Property (Liechtenstein v Germany) ICJ Reports 2005, 6, 25. 125 Vgl zB Art 14(3) deutscher Mustervertrag: „Für Kapitalanlagen, die bis zum Zeitpunkt des Außerkrafttretens dieses Vertrags vorgenommen worden sind, gelten die vorstehenden Artikel noch für weitere zwanzig Jahre vom Tag des Außerkrafttretens des Vertrags an“. 126 Ausführlich hierzu Tietje/Nowrot/Wackernagel Once and Forever? The Legal Effects of a Denunciation of ICSID, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht, Heft 74, 2008, 5 ff, verfügbar unter: http://www.jura.uni-halle.de/telc/publikationen.html.
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e) Weitere mögliche Zulässigkeitsprobleme (1) Gerichtsstandklauseln Es ist durchaus üblich, dass konkrete Investitionsverträge zwischen Gaststaaten und Investoren Gerichtsstandsklauseln im Hinblick auf eine obligatorische Zuständigkeit der nationalen Gerichte für Streitigkeiten in Bezug auf die Investition enthalten. Wenn vom Investor dann zu einem späteren Zeitpunkt ein schiedsgerichtliches Verfahren eingeleitet wird, ist regelmäßig fraglich, ob dieses aufgrund der betreffenden Gerichtsstandsklausel unzulässig ist. Hiergegen spricht indes die bereits dargestellt prinzipielle Differenzierung zwischen contract- und treaty-claim. Allerdings kann es in Fällen, in denen ein treatyclaim im Kern auf eine Verletzung eines Investitionsvertrages zurück geht, doch dazu kommen, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung in dem Investitionsvertrag auf die (Un-)Zulässigkeit des treaty-claims „durchschlägt“. Das Aufhebungskomittee in Agus de Aconquija v Argentina stellte die Rechtslage hierzu zusammenfassend wie folgt dar:
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“98. In a case where the essential basis of a claim brought before an international tribunal is a breach of contract, the tribunal will give effect to any valid choice of forum clause in the contract. 101. On the other hand, where “the fundamental basis of the claim” is a treaty laying down an independent standard by which the conduct of the parties is to be judged, the existence of an exclusive jurisdiction clause in a contract between the claimant and the respondent state or one of its subdivisions cannot operate as a bar to the application of the treaty standard”.127
(2) Obligatorische Verhandlungen BITs sehen oftmals vor, dass vor Einleitung eines schiedsgerichtlichen Verfahrens Gaststaat und Investor versuchen müssen, die Streitigkeit gütlich beizulegen. So bestimmt zB Art 11(2) deutscher Mustervertrag, dass ein schiedsgerichtliches Verfahren erst dann möglich ist, wenn „die Meinungsverschiedenheit innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt ihrer Geltendmachung durch eine der beiden Streitparteien nicht beigelegt werden [kann]“. Aus unterschiedlichen Gründen kommt es in der Praxis immer wieder dazu, dass die entsprechenden Fristen für die obligatorische Verhandlungsphase nicht eingehalten werden. Allerdings führt dies nach ständiger schiedsgerichtlicher Praxis nicht dazu, dass keine Zuständigkeit des Schiedsgerichts, das mit dem Verfahren betraut ist, gegeben ist: „[t]he Arbitral Tribunal considers that this requirement of a six-month waiting period of […] the Treaty is not a jurisdictional provision, ie a limit set to the authority of the Arbitral Tribunal to decide on the merits of the dispute, but a procedural rule that must be satisfied by the Claimant“.128 Diese Rechtsauffassung wird im Wesent-
127 Compania de Aguas del Aconquija S. A. and Vivendi Universal (formerly Compagnie Générale des Eaux) v Argentine Republic, ICSID Case No ARB/97/3, Decision on Annulment v 3.7.2002, para 98 und 101; siehe auch Bayindir Insaat Turizm Ticaret Ve Sanayi A.S. v Islamic Republic of Pakistan, IDSID Case No ARB/03/29, Decision on Jurisdiction v 14.11.2005, para 148 ff; ausführlich zum Problem auch Spiermann Arbitration International 20 (2004) 179 ff. 128 Ethyl Corp. v Canada, UNCITRAL Arbitration Award v 24.6.1998, ILM 38 (1999) 708 (1999), para 74–88; Ronald S. Lauder v The Czech Republic, UNCITRAL Arbitration Award v 3.9.2001, para 187.
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lichen darauf gestützt, dass der Verweis auf die rein formelle Einhaltung der Frist der Verhandlungsphase nur dazu führen würde, dass der Kläger das schiedsgerichtliche Verfahren nach Ablauf der Frist erneut anstrengt und dies „would be to no-one’s advantage“.129 Anders ist dies nur, wenn der Kläger dem beklagten Gaststaat überhaupt keine Mitteilung gemacht hat, die auf eine Streitigkeit und ein mögliches schiedsgerichtliches Verfahren hindeutet. In einem solchen Fall wird das Schiedsgericht das Verfahren aussetzen, damit Verhandlungen zwischen Investor und Gaststaat stattfinden können.130
(3) Prozessuale Wirkung einer Meistbegünstigungsklausel 76
Nach der zum Grundbestand bilateraler Investitionsschutzverträge gehörenden Meistbegünstigungsklausel sind Gaststaaten verpflichtet, Investoren aus dem Staat der anderen Vertragspartei nicht günstiger als Investoren dritter Staaten zu behandeln (vgl zB Art 3 I deutscher Mustervertrag). Die Verpflichtung zur Meistbegünstigung bezieht sich zunächst auf die materielle Behandlung von Investitionen bzw Investoren im Rahmen der Verwaltungs-, Gesetzgebungs- und Gerichtspraxis des Gaststaates. Gerade in jüngerer Zeit wird indes zunehmend diskutiert, ob die Meistbegünstigungsverpflichtung auch prozessuale Wirkung entfalten kann.
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Fall 2: (Vgl Gas Natural SDG v Argentinien, ICSID Case No ARB/03/10, Decision on Jurisdiction vom 17. Juni 2005) Die Staaten A und B haben einen BIT geschlossen, der ua folgende Klausel enthält: „In all matters governed by the present Agreement, such treatment shall not be less favorable than that accorded by each Party to investment made in its territory by investors of Third States“. Weiterhin ist in dem BIT eine ICSID-Zuständigkeitklausel enthalten, die vorsieht, dass vor Anrufung eines Schiedsgerichts innerstaatlicher Rechtsschutz gesucht werden muss. A hat auch mit dem Staat C einen BIT abgeschlossen. Dieser sieht ebenfalls eine ICSIDZuständigkeit vor, jedoch ohne die Einschränkung, dass vorab der innerstaatliche Rechtsweg zu erschöpfen ist. Kann sich der Investor I aus B gegen A auf den BIT zwischen A und C berufen und ohne weitere Einschränkungen ein ICISD-Schiedsverfahren einleiten?
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Die Frage der Erstreckung der Meistbegünstigungsverpflichtung auch auf prozessuale Gesichtspunkte wird in der schiedsgerichtlichen Praxis nicht einheitlich beurteilt. Sofern die Meistbegünstigungsklausel weit formuliert ist und sich auf alle Regelungen des entsprechenden BIT bezieht, haben zahlreiche Schiedsgerichte ihre auch prozessuale Wirkung anerkannt.131 Auf der Grundlage von Meistbegünstigungsklauseln, die enger formuliert sind, aber auch mit Blick auf prinzipielle Probleme des „treaty shopping“ haben andere Schiedsgerichte es Investoren hingegen verwehrt, sich mit Blick auf prozessuale
129 Bayindir Insaat Turizm Ticaret Ve Sanayi A.S. v Islamic Republic of Pakistan, IDSID Case No ARB/03/29, Decision on Jurisdiction v 14.11.2005, para 100. 130 Western NIS Enterprise Fund v Ukraine, ICSID Case No ARB/04/2, Order v 16.3.2006. 131 Leitentscheidung ist Emilio Agustín Maffezini v The Kingdom of Spain, ICSID Case No ARB/ 97/7, Decision on Jurisdiction v 25.1.2000, para 64; siehe weiterhin zB Gas Natural SDG, S.A. v Argentina, ICSID Case No ARB/ 03/10, Decision on Jurisdiction v 17.6.2005, para 49; Suez, Sociedad General de Aguas de Barcelona S.A. and InterAguas Servicios Integrales del Agua S. A. v Argentina, ICSID Case No ARB/03/17, Decision on Jurisdiction v 16.5.2006, para 62 ff.
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Fragen auf Meistbegünstigungsklauseln zu berufen.132 Eine einheitliche Schiedsgerichtspraxis ist damit (noch) nicht festzustellen, wobei allerdings immer zu beachten ist, dass Ausgangspunkt für die Klärung der Rechtslage immer der Wortlaut der jeweiligen Meistbegünstigungsklausel sein muss.133 Lösung Fall 2: Voraussetzung für die Zuständigkeit eines ICSID-Schiedsgerichts für die Schiedsklage von I ist zunächst eine wirksame Schiedsvereinbarung. Diese könnte auf der Grundlage der Schiedsklausel in dem BIT zwischen A und B gegeben sein. Durch die Schiedsklausel in dem BIT hat A ein Angebot auf Abschluss einer Schiedsvereinbarung gegenüber Investoren aus B abgegeben. Dieses Angebot müsste I wirksam angenommen haben. Grundsätzlich erfolgt die Annahme des Angebots zum Abschluss der Schiedsvereinbarung in diesen Fällen durch Einreichung der Schiedsklage. Allerdings stand das Angebot des Gaststaates A vorliegend unter dem Vorbehalt der vorherigen Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges, den I vor Einreichung der Schiedsklage nicht beschritten hatte. Damit waren die Voraussetzungen für eine wirksame Schiedsvereinbarung eigentlich nicht erfüllt. Anders wäre dies nur, wenn sich I auf das Angebot auf Abschluss einer Schiedsvereinbarung aus dem BIT A und C berufen könnte, das nicht die genannte Einschränkung enthält. Auf die Schiedsklausel aus dem BIT zwischen A und C könnte sich I möglicherweise unter Verweis auf die Meistbegünstigungsklausel aus dem BIT zwischen A und B berufen. Dann müsste die entsprechende Meistbegünstigungsklausel auch auf die hier fragliche prozessuale Regelung Anwendung finden. Ob das der Fall ist, muss durch Auslegung der Meistbegünstigungsklausel gem Art 31 WVK erfolgen. Die Meistbegünstigungsklausel bezieht sich ihrem Wortlaut nach auf „all matters governed by the present Agreement“. Damit handelt es sich um eine sog weite Klausel, die im Gegensatz zu engen Meistbegünstigungsregelungen in anderen BITs („each Contracting Party shall apply to the investments in its territory […] a treatment […]“) nicht nur auf die materiellen Behandlungsstandards beschränkt ist, sondern auf alle Regelungen des BIT, also auch die Schiedsklausel. Das entspricht auch Sinn und Zweck des BIT, der umfassende diskriminierungsfreie Rechtssicherheit für Investoren garantieren soll. Hierzu gehören auch die prozessualen Möglichkeiten der Durchsetzung von Investitionsschutzrechten eines Investors. Damit erfasst die Meistbegünstigungsklausel auch prozessuale Regelungen, so dass sich I auf die Schiedsklausel aus dem BIT zwischen A und C berufen kann. Das dort enthaltene, bedingungslose Angebot auf Abschluss einer Schiedsvereinbarung hat I mit Einreichung der Schiedsklage angenommen. Mithin liegt eine wirksame Schiedsvereinbarung vor.
f) Schlüssigkeit Um die Zuständigkeit eines investitionsschutzrechtlichen Schiedsgerichts zu begründen, reicht es nicht aus, dass der Kläger die vorgenannten einzelnen Zuständigkeitsvoraussetzungen im Einzelnen vorträgt. Vielmehr sind an das Vorliegen der Zuständigkeitsvoraussetzungen gewisse inhaltliche Anforderungen zu stellen, wobei freilich kein Amtsermittlungsgrundsatz, sondern der Beibringungsgrundsatz gilt. Dementsprechend obliegt es den
132 Siehe ua Plama Consortium Limited v Republic of Bulgaria, ICSID Case No ARB/03/24, Decision on Jurisdiction v 8.2.2005, para 183 ff; Salini Construttori S.p.A. and Italstrade S.p.A. v Hashemite Kingdom of Jordan, ICSID Case No ARB/02/13, Decision on Jurisdiction v 15.11.2004, para 102 ff; Telenor Mobile Communications A.S. v The Republic of Hungary, ICSID Case No ARB/04/15, Award v 13.9.2006, para 90 ff. 133 Zur Diskussion ausführlich Radi EJIL 18 (2007), 757 ff.
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Parteien, die für die Begründung der Zuständigkeit relevanten Tatsachen vorzutragen, und zwar in Abhängigkeit von der jeweiligen Beweislast. Als Grundsatz für die Begründung der Schlüssigkeit der Klage als Zuständigkeitsvoraussetzung gilt, dass das Schiedsgericht prüft, „whether the facts as alleged by the Claimant in this case, if established, are capable of coming within those provisions of the BIT which have been invoked“.134 Das Schiedsgericht in Bayindir hat diese allgemeine Formel wie folgt konkretisiert: “Accordingly, the Tribunal’s first task is to determine the meaning and scope of the provisions which Bayindir invokes as conferring jurisdiction and to assess whether the facts alleged by Bayindir fall within those provisions or are capable, if proved, of constituting breaches of the obligations they refer to. In performing this task, the Tribunal will apply a prima facie standard, both to the determination of the meaning and scope of the BIT provisions and to the assessment whether the facts alleged may constitute breaches. If the result is affirmative, jurisdiction will be established, but the existence of breaches will remain to be litigated on the merits”.135
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Als Begründung für diese, dem Grunde nach eher restriktiven Anforderungen an die Schlüssigkeit der Klage wird von Schiedsgerichten auch unter Verweis auf die einschlägige Rechtsprechung des IGH 136 darauf abgestellt, dass 1) ein Schutz vor offensichtlich aussichtslosen oder gar missbräuchlichen Schiedsklagen notwendig sei und 2) es zwingend sei, vor Eintritt in die Begründetheitsprüfung eine hinreichend intensive Zuständigkeitsprüfung durchzuführen.137 Fraglich ist allerdings, ob die restriktive Schlüssigkeitsprüfung in den Fällen, denen eine „weite“ Schiedsklausel („jede Meinungsverschiedenheit in Bezug auf Investitionen“) zugrunde liegt, wirklich sachgerecht ist.138 Prüfungsschema zur Zulässigkeit einer ICSID-Schiedsklage I. Ordnungsgemäße Einreichung der Schiedsklage 1. Formelle und inhaltliche Anforderungen an die Klageschrift 2. Einzahlung der Verwaltungsgebühr II. Zulässigkeit/Zuständigkeit (jurisdiction) 1. Schiedsvereinbarung a) Grundlage der Schiedsvereinbarung (Investitionsvertrag; Investitionsgesetz; BIT) b) Wirksames Angebot auf Abschluss der Schiedsvereinbarung
134 Impregilo S.A v Islamic Republic of Pakistan, ICSID Case No ARB/03/3, Decision on Jurisdiction v 22.4.2005, para 254. 135 Bayindir Insaat Turizm Ticaret Ve Sanayi A.S. v Islamic Republic of Pakistan, IDSID Case No ARB/03/29, Decision on Jurisdiction v 14.11.2005, para 197. 136 IGH Oil Platforms (Islamic Republic of Iran v United States of America) Preliminary Objection, Judgment, ICJ Reports 1996, 803, 809 f. 137 Impregilo S.p.A. v Pakistan, ICSID Case No ARB/03/3, Decision on Jurisdiction v 22.4.2005, para 254. 138 Gegen eine restriktive Schlüssigkeitsprüfung bei einer „weiten“ Schiedsklausel zB Compania de Aguas del Aconquija S.A. and Vivendi Universal (formerly Compagnie Générale des Eaux) v Argentine Republic, ICSID Case No ARB/97/3, Decision on Annulment v 3.7.2002, para 55; siehe auch Happ SchiedsVZ 2008, 19, 29.
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Internationaler Investitionsrechtsschutz
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c) Wirksame Annahme des Angebots auf Abschluss der Schiedsvereinbarung d) Zusätzliche Anforderungen nach Art 25 I ICSID Zuständigkeit ratione personae a) Ratifikation ICSID durch Heimtstaat Investor (Kläger) und beklagter Staat b) Staatszugehörigkeit Kläger c) Parteifähigkeit Kläger und Beklagter nach BIT und Art 25 ICSID Zuständigkeit ratione materiae a) Investition iSv BIT und Art 25 ICSID b) Investition im Einklang mit innerstaatlicher Rechtsordnung iSd BIT c) Rechtsstreit bzw Meinungsverscheidenheit iSv BIT und Art 25 I ICSID d) Treaty v. Contract Claim Zuständigkeit ratione temporis a) Art 28 WVK, ggf Sonderregelungen in BIT b) „survival clause“ BIT Weitere mögliche Zulässigkeitsprobleme a) Gerichtsstandsklausel in Investitionsvertrag b) Obligatorische Verhandlungen c) Meistbegünstigungsklausel mit prozessualer Wirkung Schlüssigkeit
III. Begründetheit Der Maßstab für die Begründetheit einer ICSID-Schiedsklage bestimmt sich zunächst nach dem materiell anwendbaren Recht. Dabei ist vorrangig auf eine Parteivereinbarung zum materiell anwendbaren Recht abzustellen. Nur wenn keine Parteivereinbarung vorliegt, kann das Schiedsgericht kraft eigener Kompetenz auf das innerstaatliche Recht der Staatenpartei in dem konkreten Schiedsverfahren und einschlägige Regeln des Völkerrechts zurückgreifen (Art 42 I ICSID). Die Rechtswahl der Parteien richtet sich zunächst oftmals nach entsprechenden Bestimmungen in der Schiedsvereinbarung. Wenn die Schiedsvereinbarung ihre Grundlage in einem innerstaatlichen Investitionsgesetz findet, wird sich hieraus regelmäßig ergeben, dass das innerstaatliche Recht des Gaststaates einschließlich seines internationalen Privatrechts sowie des in die innerstaatliche Rechtsordnung übernommenen Völkerrechts anwendbar ist. Ähnliches wird oftmals gelten, wenn ein konkreter Investitionsvertrag zwischen Staat und Investor die maßgebliche Schiedsklausel enthält. Auch hier wird die Rechtswahlklausel des Vertrages (contract) regelmäßig auf das Recht des Gaststaates verweisen. Anders ist die Situation im Regelfall nur, wenn sich die Schiedsvereinbarung aus einem BIT ergibt. In diesem Fall ist der BIT als Völkervertragsrecht anwendbares Recht.139 Damit sind nur wenn ein BIT anwendbares Recht ist die sog Behandlungsstandards, die sich in dem einschlägigen BIT finden (→ Rn 19, 79), rechtlicher Maßstab für die Begründetheit der Schiedsklage.
139 Ausführlich zum anwendbaren Recht Schreuer (Fn 22) Art 42 Rn 13 ff.
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§5 Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Stefan Kadelbach
Fall 1: Die Beschwerdeführer, 69 natürliche und zwei juristische Personen des Privatrechts, sind teils Rechtsnachfolger von Grundeigentümern, die zwischen 1945 und 1949 im Rahmen der Bodenreform der Sowjetischen Besatzungszone ihr Eigentum verloren. Einige von ihnen sind auch Erben von Grundeigentümern, die nach 1949 von den Behörden der DDR enteignet wurden. Mit ihren Beschwerden wenden sie sich gegen nach der Wiedervereinigung getroffene Entschädigungsregelungen und rügen Verletzungen ihres Eigentumsrechts (Art 1 Zusatzprotokoll 1 zur EMRK) und, soweit sie natürliche Personen sind, des Rechts auf Achtung des Privatlebens (Art 8 EMRK). Klagen vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit und anschließende Verfassungsbeschwerden waren erfolglos geblieben. Sind ihre Beschwerden gegen die Bundesrepublik Deutschland vor dem EGMR zulässig?
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Fall 2: Schüler B wurde 1982 auf dem Weg zur Schule in einen Unfall verwickelt, bei dem er mehrere Knochenbrüche erlitt und sich nicht unerheblich verletzte. Die Versicherung der Unfallgegnerin leistete daraufhin eine Zahlung von umgerechnet 12.500 €. Da B einen höheren Betrag forderte und die gegnerische Versicherung dies ablehnte, erhob er im September 1989 vor dem zuständigen LG Klage auf Schadensersatz und eine monatliche Rente. Im Juni 1991 erging ein Grund- und Teilurteil, das B einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 80 % des von ihm erlittenen Schadens zusprach, und die Klage im Übrigen abwies. Berufung und Revision blieben erfolglos. Unterdessen wurde der Rechtsstreit über die Höhe des zu zahlenden Schadensersatzes weitergeführt. Dieses Verfahren ist noch anhängig. Mit Beschwerdeschrift vom 24.11.1999 wandte sich B an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und rügte Verletzungen der Art 6 und 13 EMRK wegen überlanger Dauer des Verfahrens. Die Bundesregierung wendet ein, B habe es versäumt, die Rechtsbehelfe der Dienstaufsichtsbeschwerde, der Untätigkeitsbeschwerde, der Amtshaftungsklage und der Verfassungsbeschwerde auszuschöpfen. Zudem habe B durch verschiedene Anträge auf Fristverlängerung, Ablehnung von Richtern und Sachverständigen wegen Verdachts der Befangenheit sowie durch Einleitung von Disziplinarverfahren zur Verzögerung selbst erheblich beigetragen. Wie war zu entscheiden?
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I. Funktion und Bedeutung des europäischen Menschenrechtsschutzes 1. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist eine Einrichtung, die durch die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK) geschaffen wurde.1 1 Die Bundesrepublik Deutschland hat die EMRK am 5.12.1952 ratifiziert, BGBl 1952 II, 685; sie trat am 3.9.1953 in Kraft, in der aktuellen Fassung v 17.5.2002 neu bekannt gemacht in BGBl 2002 II, 1055.
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Die EMRK ist eine Konvention des Europarates,2 einer der im Zuge der internationalen Neuordnung nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten Organisationen, die dazu beitragen sollten, demokratische und rechtsstaatliche Verhältnisse wieder herzustellen, die durch den Krieg zerstörten Volkswirtschaften wiederaufzubauen und den Frieden in Europa nachhaltig zu sichern.3 Der 1949 errichtete Europarat versteht sich als eine Wertegemeinschaft, die verfassungsstaatliche Grundsätze fördert und verwirklicht.4 Mit dieser Zielsetzung wurden ihm die Erarbeitung internationaler Übereinkommen und die Fortentwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zur Aufgabe gemacht (Art 1 lit b der Satzung). Die EMRK steht im Zentrum dieser Tätigkeit. Zugleich ist sie der älteste völkerrechtliche Vertrag, der einen Grundrechtskatalog enthält. Die in sie aufgenommenen Freiheits- und Gleichheitsrechte gehen im Kern auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 zurück (→ § 2 Rn 3). Der enge Zusammenhang zwischen Europarat und EMRK wird daran sichtbar, dass sich die Mitgliedschaften gegenseitig bedingen. Zum einen setzt der Beitritt zur EMRK die Mitgliedschaft im Europarat voraus (Art 59 EMRK), zum anderen steht diese jedem europäischen Staat offen, der fähig und gewillt ist, den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit anzuerkennen und den Schutz der Menschenrechte zu garantieren (Art 4 der Satzung), was er durch Beitritt zur EMRK zu erkennen gibt. Der EGMR war ursprünglich eines von drei Organen, die über die Frage einer Verletzung der Konvention zu entscheiden hatten.5 Die 1954 eingesetzte Europäische Kommission für Menschenrechte (EKMR) prüfte als Eingangsinstanz Beschwerden auf ihre Zulässigkeit und Begründetheit; für Individualbeschwerden galt dies nur, sofern sich der betreffende Mitgliedstaat diesem Verfahren unterworfen hatte. Gegen ihre Entscheidungen konnte der 1959 errichtete EGMR angerufen werden, doch setzte dessen Zuständigkeit gleichfalls eine entsprechende Unterwerfungserklärung voraus. Geschah dies innerhalb von drei Monaten nicht, oblag die endgültige Feststellung einer Konventionsverletzung einem politischen Gremium, dem Ministerkomitee des Europarates. Anderenfalls beschränkte sich dessen Rolle darauf, die Durchführung der Urteile des EGMR zu überwachen, was heute innerhalb des Systems seine einzige Funktion ist (Art 46 II EMRK).6 Seit In-Kraft-Treten des 11. Zusatzprotokolls zur EMRK zum 1.11.1998 7 ist der EGMR eine ständige Einrichtung und ausschließlich mit dem Schutz der Konventionsrechte betraut (Art 19 EMRK). Entscheidungen der dadurch abgeschafften EKMR sind aber noch von Bedeutung, wenn es um die Auslegung fortbestehenden Konventionsrechts geht. Die Gerichtsbarkeit des EGMR für Individualbeschwerden ist obligatorisch, also nicht mehr von gesonderten Unterwerfungserklärungen abhängig (Art 34 EMRK). Sitz des EGMR ist Straßburg, der Sitz des Europarates (Art 19 der Verfahrensordnung –
2 Zur Entstehung Partsch ZaöRV 15 (1953/54) 631 ff; Klein AVR 39 (2001) 121 ff. 3 Näher Oppermann EuropaR, § 1 Rn 13 ff. 4 Art 1a der Satzung des Europarates v 5.5.1949, BGBl 1950 I, 263, aktuelle Fassung v 17.6.2003, BGBl II, 703. 5 Zur Entstehungsgeschichte der Individualbeschwerde Rogge in: Golsong/Karl, IK-EMRK, Art 25 Rn 71 ff; zum Verfahren nach der alten Rechtslage Jacobs/White The European Convention on Human Rights, 2. Aufl 1996, 340 ff; Schlette ZaöRV 56 (1996) 905, 906 ff. 6 Dazu eingehend Zwaak in: van Dijk/van Hoof/van Rijn/Zwaak (Hrsg), Theory and Practice of the European Convention on Human Rights, 4. Aufl 2006, 291 ff. 7 BGBl 1995 II, 578.
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VfO 8). Seine Funktion besteht darin, Rechtsschutz zu bieten, wenn eine Rechtsverletzung den in der EMRK aufgestellten Standard verletzt und innerhalb des Rechtsschutzsystems eines seiner Mitgliedstaaten nicht bereinigt wird. Der Gerichtshof fungiert daher nicht als eine letzte Instanz, die die Rechtsanwendung durch die nationalen Gerichte überprüfen könnte, sondern ist ein völkerrechtliches Streitschlichtungsorgan, das über die Einhaltung der sich aus der EMRK und den zugehörigen Zusatzprotokollen folgenden völkerrechtlichen Verpflichtungen wacht. Die Besonderheit besteht darin, dass diese Überprüfung auch durch Einzelne in Gang gesetzt werden kann. 2. Die Europäische Menschenrechtskonvention
a) Anwendungsbereich Auf die EMRK kann sich jeder berufen, der der Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaates unterliegt (Art 1 EMRK) und grundrechtsfähig ist (→ Rn 39). Die Staatsangehörigkeit der durch eine Konventionsverletzung Betroffenen ist nicht entscheidend, es sei denn, die EMRK lässt es zu, dass Rechte den Angehörigen der Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben (→ Rn 72). Was den räumlichen Anwendungsbereich angeht, so ist die EMRK zurzeit (31.12.2007) für 47 Staaten verbindlich.9 Das Schutzsystem steht damit rund 800 Millionen Menschen offen und erstreckt sich von Grönland bis Zypern und von Lissabon bis Wladiwostok, nicht eingerechnet die überseeischen Hoheitsgebiete, auf die die Mitgliedstaaten die Geltung erstrecken können (Art 56 EMRK). Das Territorium der Mitgliedstaaten des Europarates ist der wesentliche Bezugspunkt ihrer Verantwortlichkeit nach der EMRK,10 doch ist sie nicht völlig hierauf beschränkt. Hoheitsgewalt kann auch außerhalb des Staatsgebietes ausgeübt werden. Derartige exterritoriale Hoheitsakte fallen unter die Konvention, wenn sie Äußerungen anerkannter oder effektiver Hoheitsgewalt sind. Beispiele bieten die Tätigkeit diplomatischer und konsularischer Vertretungen oder Maßnahmen im Zuge von Auslandseinsätzen der Streitkräfte.11 Allerdings können sich wiederum aus anderweitigen völkerrechtlichen Pflichten der Mitgliedstaaten Beschränkungen ergeben, wie dies der EGMR aufgrund des Vorrangs der UN-Charta (Art 103 UNC) für Zwangsmaßnahmen angenommen hat, die durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrates autorisiert sind.12 Der zeitliche Geltungsbereich der EMRK bestimmt sich nach dem völkerrechtlichen Grundsatz, dass Vertragspflichten nicht zurückwirken. Hoheitsakte eines Mitgliedstaates unterliegen nur dann der Zuständigkeit des EGMR, wenn diese erlassen wurden, nachdem die EMRK oder das betr Zusatzprotokoll für ihn in Kraft getreten ist.13 Problema-
8 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte – Verfahrensordnung v 4.11.1998 idF BGBl 2006 II, 694. 9 Also für alle Staaten Europas, einzige Ausnahme ist Weißrussland, Quelle: http://conventions. coe.int. 10 Zum Umfang EGMR, NJW 2005, 2207 §§ 137 ff – Assanidze. 11 Erberich Auslandseinsätze der Bundeswehr und Europäische Menschenrechtskonvention, 2004; Gondek NIL Rev 52 (2005) 349 ff; aus der Rspr EKMR, Yb ECHR 8 (1965), 158, 168 – X/Deutschland (dt Konsulat in Marokko); EGMR Ser A 310 § 62 – Loizidou (Maßnahmen der Türkei auf Zypern); Rep 2001-XII, 333 § 54 ff – Bankovic (Einsatz von Streitkräften). 12 EGMR No 71412/01, Entsch v 2.5.2007, §§ 146 ff – Behrami ua. 13 EKMR, Yb ECHR 4 (1961), 116 – Pfunders.
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tisch sind konventionswidrige Maßnahmen, die vorher erlassen wurden und deren Folgen fortbestehen, wie dies bei Freiheitsentziehungen oder Enteignungen der Fall sein kann. Auszugehen ist aber auch hier von dem Grundsatz, dass Akte, die rechtlich abgeschlossen sind und nur mehr faktisch fortwirken, nicht mehr in den zeitlichen Geltungsbereich fallen.14 Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass ein Mitgliedstaat in der Vergangenheit begonnenem Unrecht neues hinzufügt, indem er es verlängert oder intensiviert.15 Der sachliche Anwendungsbereich der EMRK und damit für Beschwerden vor dem EGMR besteht aus den Rechten, die in den Art 2 bis 14 EMRK niedergelegt sind. Darüber hinaus wendet der EGMR die Rechte an, die in die Zusatzprotokolle zur EMRK aufgenommen wurden und diese ergänzen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Staat, gegen den sich die Beschwerde richtet, das entsprechende Protokoll auch ratifiziert hat. Für die Bundesrepublik Deutschland ist dies, soweit materiellrechtlich von Interesse, beim ersten, vierten, sechsten und dreizehnten Zusatzprotokoll geschehen.16 Eine Frage der sachlichen Anwendbarkeit ist auch die Überprüfung von Akten der EG und der EU am Maßstab der Konvention. Die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die alle zugleich Mitglieder der EMRK sind, bilden nach dem bisher Gesagten nur einen Teilausschnitt des Geltungsgebietes. EG und EU sind aber selbst nicht Partei der EMRK, so dass der EGMR über deren Akte nicht entscheidet. Sollte der Reformvertrag in Kraft treten, der die Gründungsverträge der EU und der EG entscheidend modifizieren soll, wird der Beitritt der dann ausdrücklich völkerrechtsfähigen Union ein rechtlich verbindliches Ziel. Nach geltendem Recht des Europarates ist dies nicht möglich,17 doch sieht das 14. Zusatzprotokoll zur EMRK eine entsprechende Modifizierung der Beitrittsbedingungen vor.18 Bis es dazu kommt, gilt die EMRK in Fällen, die das Gemeinschaftsrecht berühren, nur für Akte der Mitgliedstaaten. Dies können Durchführungsmaßnahmen, aber auch ein Handeln der Gesamtheit der Unionsstaaten sein, da sich diese nicht mit Gründung einer internationalen Organisation von ihren Konventionspflichten befreien können.19 Allerdings wird diesen Pflichten Genüge getan, wenn die gegründete
14 Vgl EGMR, EuGRZ 1997, 558 §§ 41 ff – Loizidou; NJW 2003 § 85 – Fürst von Liechtenstein; NJW 2005, 2530 §§ 74 ff – v. Maltzan ua. 15 EGMR Rep 2000-I, 135 § 43 – Almeida Garrett ua; NJW 2005, 2521 – Broniowsky (Entschädigungsgesetzgebung zu früherer Enteignung). 16 (Erstes) Zusatzprotokoll v 20.3.1952, BGBl 1956 II, 1880 (Eigentum, Bildung, Wahlrecht); Protokoll Nr 4 v 16.9.1963, BGBl 1968 II, 423 (pers Freiheit, Freizügigkeit, Ausweisungsverbot); Protokoll Nr 6 v 28.4.1983, BGBl 1988 II, 662; Protokoll Nr 13 v 3.5.2002, BGBl 2004 II, 983 (beide zur Abschaffung der Todesstrafe). Die Protokolle Nr 7 (v 22.11.1984, ÖBGBl 1988, 628) und Nr 12 (v 4.11.2000, European Treaty Series No 177) enthalten gleichfalls Individualrechte (Justizgrundrechte bzw ein allgemeines Diskriminierungsverbot), Deutschland hat sie aber nicht ratifiziert. Protokolle Nr 2, 3, 5, 8, 9 und 11 bezogen sich auf das Rechtsschutzverfahren und sind, nachdem sie von allen Mitgliedstaaten ratifiziert wurden, in die EMRK eingegangen. Das InKraft-Treten des Protokolls Nr 14 (v 13.5.2004, European Treaty Series No 194), das im Wesentlichen für eine Entlastung des EGMR sorgen soll, scheitert bislang an Russland, das als einziger Mitgliedstaat die Ratifizierung ablehnt, s EuGRZ 2006, 704; durch Protokoll Nr 14 soll versucht werden, dessen vorläufige Anwendung zu erreichen (v 27.5.2009, European Treaty Series No 204). 17 Nach ihrem Art 59 steht die EMRK allen Mitgliedern des Europarates offen, was nach dessen Satzung (Art 4) nur Staaten sein können; Art 6 II EUV-E sieht den Beitritt der EU zur EMRK vor. 18 Fn 16. 19 EGMR Rep 1999-I, 251 § 32 – Matthews → JK EMRK Art 3 1. ZP/2.
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Organisation ihrerseits einen der EMRK vergleichbaren Grundrechtsschutz bietet; diese Voraussetzung ist für die EU erfüllt, solange sie die EMRK achtet, wie Art 6 II EUV dies vorschreibt.20 Der EuGH zieht in ständiger Rechtsprechung neben den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten die Garantien der EMRK heran.21 Mit der Grundrechtecharta, die die Mitgliedstaaten der EU im Dezember 2000 angenommen haben, wurde versucht, die für die EU verbindlichen Grundrechte zu kodifizieren.22 Sie umfasst sämtliche Garantien der EMRK sowie über diese hinaus weitere Rechte. Zurzeit ist sie als solche noch nicht förmlich bindend, doch haben die politischen Organe der EG ihre Verbindlichkeit durch eine gemeinsame Proklamation für sich anerkannt.23 Im Reformvertrag ist ihre Übernahme in das Primärrecht der EU vorgesehen.24 Bereits jetzt verweist der EuGH auf sie als zusätzliche Rechtserkenntnisquelle.25
b) Innerstaatlicher Status Die EMRK macht selbst über die Art und Weise ihrer Inkorporierung in das Recht der Mitgliedstaaten keine Aussagen (vgl Art 59 EMRK). Allerdings bedeutet dies nicht, dass die Anwendung der EMRK nur Sache des EGMR wäre; auch die Gerichte der Mitgliedstaaten müssen sie nach Maßgabe ihres jeweiligen innerstaatlichen Status beachten und ggf anwenden, wollen sie es nicht zu einer Konventionsverletzung kommen lassen. Dem entsprechend sind die deutschen Gerichte kraft Verfassungsrechts hierzu grundsätzlich verpflichtet.26 Damit ist noch nichts darüber gesagt, auf welcher Ebene in der Normenhierarchie die EMRK ihren Platz findet, wie sie sich also zu den übrigen Rechtsnormen verhält. In den Konventionsstaaten besteht hierzu eine unterschiedliche Praxis. In Österreich hat die EMRK bekanntlich Verfassungsrang.27 Die meisten anderen Konventionsstaaten wie die Schweiz oder Frankreich räumen ihr einen Rang zwischen Verfassungs- und Gesetzesrecht ein.28 In einer dritten Gruppe von Staaten, zu der etwa Großbritannien gehört, kommt ihr formal der Status einfachen Gesetzesrechts zu.29 Formal betrachtet muss auch Deutschland zu dieser Gruppe gezählt werden. Die EMRK hat kraft des nach Art 59 II 1 GG erlassenen Zustimmungsgesetzes den Rang eines Bundesgesetzes erhalten.30 Unerwünschte Folge dieser Zuordnung ist, dass sie zu Kollisionen mit anderem Bundesrecht gleicher Stufe führen kann. Soweit die Gesetze einen höheren Schutz bieten als die EMRK, ist dies unproblematisch, da sie nur einen Mindeststandard garantiert, aber nicht die Rechte Einzelner beschränken soll (Art 53
20 EGMR, NJW 2006, 197 §§ 155 ff – Bosphorus. 21 Zu verbleibenden Rechtsprechungskonkurrenzen zwischen EGMR und EuGH Oeter/Merli VVDStRL 66 (2007) 361, 374 f bzw 392, 410. 22 Charta der Grundrechte der Europäischen Union v 7.12.2000, ABlEG C 364, 1. 23 Proklamation der Charta der Grundrechte der Europäischen Union v 12.12.2007, ABlEU C 303, 1. 24 Art 6 I EUV-E. 25 EuG Slg 2002, II-313 Rn 48, 57 – max.mobil; EuGH Slg 2007, I-2271 Rn 37 – Unibet; Slg 2007, I-3633 Rn 46 – Advocaten voor de Wereld. 26 BVerfG, NJW 2004, 3407, 3408 (Görgülü). 27 Schäffer ZÖR 2007, 1, 11 ff. 28 Allerdings lehnt sich die schweizerische Bundesverfassung eng an die EMRK an, s Häfelin/Haller Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 6. Aufl 2005, Rn 225, 242, 1926; zu Frankreich Fromont DÖV 2005, 1 ff. 29 Zu Großbritannien McGoldrick ICLQ 50 (2001) 901 ff. 30 Fn 1.
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EMRK). Sofern Gesetze aber Rechte aus der Konvention beschränken, stellt sich die Frage, welchem Gesetz dann der Vorrang zukommt. Die gängigen Kollisionslösungen begründen für diesen Fall entweder einen Vorrang des spezielleren (lex specialis derogat legi generali) 31 oder den des jüngeren Gesetzes (lex posterior derogat legi priori). Um die Folge eines Konventionsverstoßes zu vermeiden, werden verschiedene Lösungen angeboten. So könnte die EMRK wegen des in Art 1 II GG erteilten Auftrags zum Schutz der Menschenrechte Verfassungsrang besitzen.32 Dagegen spricht, dass ein Verfassungsauftrag die Akte, die zu dessen Erfüllung ergriffen werden, nicht automatisch selbst in den Verfassungsrang erhebt. Die EMRK als allgemeine Regeln des Völkerrechts gem Art 25 GG anzusehen, wie dies eine andere Ansicht vorschlägt, würde ihr zwar gleichfalls einen Rang über den Gesetzen verschaffen,33 doch ist der Nachweis, dass ihre Garantien universelles Gewohnheitsrecht bilden, nicht leicht zu führen. Eine dritte denkbare Vorrangkonstruktion, nach der der EGMR als zwischenstaatliche Einrichtung iSd Art 24 I GG qualifiziert wird, führt zwar dazu, dass das Übertragungsgesetz als implizite Verfassungsänderung Vorrang vor einfachem Recht erhielte,34 setzt aber voraus, dass der Gerichtshof Entscheidungen mit Durchgriffswirkung in den Mitgliedstaaten erlassen könnte; dies ist aber nicht der Fall, die Urteile binden lediglich die Mitgliedstaaten, entfalten also nur eine völkerrechtliche Wirkung.35 Zu Recht gehen das BVerfG und die hL daher einen anderen Weg. Sie entnehmen dem Grundgesetz in einer Gesamtbetrachtung der Art 1 II, 23 bis 26 GG eine normative Offenheit gegenüber dem Völkerrecht, die die Staatsorgane dazu verpflichtet, nicht nur das einfache Recht, sondern auch das Grundgesetz selbst völkerrechtsfreundlich auszulegen.36 Seine Bestimmungen sind im Zweifel so auszulegen, dass sie zu völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht in Widerspruch stehen. Für die EMRK folgt daraus, dass Strukturprinzipien wie das Rechtsstaatsprinzip und die Grundrechtsgarantien im Lichte der EMRK zu betrachten sind. So hat beispielsweise die Unschuldsvermutung des Art 6 II EMRK, die sich im Grundgesetz nicht ausdrücklich findet, am Verfassungsrang des Rechtsstaatsprinzips teil.37 Die Konventionsgarantien sind von den thematisch einschlägigen Schutzbereichen der Grundrechte umfasst, so dass deren Verletzung im Wege der Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG jedenfalls als Verletzung des Art 2 I GG gerügt werden kann.38 Im Ergebnis wird der EMRK so trotz ihres formalen Rangs als Gesetz eine quasiverfassungsrechtliche Stellung zugebilligt, die das Kollisionsproblem weitgehend (→ Rn 35) entschärft.39
31 Ob man die EMRK automatisch als vorrangige lex specialis ansehen kann, wie Bernhardt EuGRZ 1996, 339 vorschlägt, hängt von dem Blickwinkel ab, aus dem man den Normenkonflikt betrachtet; aus Sicht bspw des Strafprozessrechts wäre eine Norm der StPO die speziellere. 32 Hoffmeister Der Staat 40 (2001), 349, 368 ff. 33 Bleckmann EuGRZ 1994, 149, 153; Giegerich in: Grote/Marauhn, EMRK, Kap 2 Rn 50 ff. 34 Ress FS Zeidler, 1987, Bd II, 1775, 1790; Walter ZaöRV 59 (1999), 961, 974 ff. 35 Näher Uerpmann Die EMRK und die deutsche Rechtsordnung, 1993, 179 ff. 36 BVerfGE 31, 58, 75; 63, 343, 370; Vogel Die Entscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 1964; Bleckmann EuGRZ 1996, 137 ff; Tomuschat in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht VII, § 172 Rn 2 ff; Pernice in: Dreier, Bd 2, GG, Art 24 Rn 14. 37 BVerfGE 74, 358, 370; 82, 106, 120 → JK MRK Art 6 II/1. 38 BVerfG NJW 2004, 3407, 3408, 3410. 39 Aus der Lit Czerner EuR 42 (2007), 537 ff; Ruffert EuGRZ 2007, 245 ff.
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3. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und die Wirkung seiner Urteile
a) Innere Organisation Die Zahl der Richter des EGMR entspricht derjenigen der Konventionsstaaten (Art 20 EMRK), so dass ihm zurzeit 47 Richter angehören. Sie müssen entweder die Befähigung für die Ausübung hoher Richterämter besitzen oder Rechtsgelehrte von anerkanntem Ruf sein (Art 21 EMRK). Sie werden von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates aus einer Liste von drei Kandidaten gewählt, die die Vertragsstaaten jeweils vorschlagen (Art 22 EMRK). Die Richter üben ihr Amt jedoch nicht als Vertreter der Staaten, sondern in ihrer persönlichen Eigenschaft aus (Art 21 II EMRK). Die Amtszeit beträgt sechs Jahre, die Wiederwahl ist möglich (Art 23 EMRK). Mit dem 14. Zusatzprotokoll ist eine Verlängerung der Amtszeit auf neun Jahre geplant.40 Der Gerichtshof ist in Ausschüsse aus drei, Kammern aus sieben und eine Große Kammer aus 17 Richtern untergliedert (Art 27 EMRK).41 Die Zusammensetzung der Ausschüsse und Kammern beruht auf einer Einteilung in Sektionen, die mit den in der Konvention erwähnten „für einen bestimmten Zeitraum“ gebildeten Kammern identisch sind (Art 26 lit b EMRK, Art 25 VfO). Von ihnen gibt es derzeit fünf, denen jeweils ein Präsident vorsteht. Da es zurzeit fünf Kammern, aber 47 Richter gibt, bildet jede dieser Sektionen drei Formationen, die im Wechsel in den Kammern tätig sind (Art 26 VfO). Da es zu einer Begründung von Zuständigkeiten für Einzelrichter nicht kommt, solange das 14. Zusatzprotokoll nicht in Kraft tritt, stellen die Ausschüsse (Art 27 VfO spricht von Komitees) die kleinsten Einheiten dar. Sie setzen sich aus drei Richtern derselben Sektion zusammen. Ihre Aufgabe besteht in einer Vorprüfung der eingehenden Individualbeschwerden, die sie einstimmig für unzulässig erklären oder aus dem Register streichen können (Art 28 EMRK). Die Entscheidung ist endgültig (Art 28 S 2 EMRK), so dass eine große Zahl (derzeit etwa 90 %) der Beschwerden so ihren endgültigen Abschluss findet. Das 14. Zusatzprotokoll will die Befugnisse der Ausschüsse erweitern und ihnen die Befugnis zur Entscheidung über die Zulässigkeit und Begründetheit von Beschwerden verleihen, für die bereits eine gefestigte Rechtsprechung des EGMR besteht. Sofern es zu keiner einstimmigen Entscheidung nach Art 28 EMRK kommt, entscheidet eine Kammer (Art 29 EMRK). Sie kann auch ohne Zwischenschaltung eines Ausschusses befasst werden, wenn der Präsident der zuständigen Sektion die Beschwerde einem Richter zur Berichterstattung zuleitet und dieser sich in diesem Sinne ausspricht; auch der Kammer selbst kann diese Entscheidung übertragen werden (Art 49 VfO). Der Kammer gehört immer der Richter aus dem Staat an, gegen den sich die Beschwerde richtet (Art 27 II EMRK). Die Kammer entscheidet endgültig über Zulässigkeit und Begründetheit der Beschwerden, die sie erreichen, wenn sie sie nicht an die Große Kammer abgibt oder eine Partei erfolgreich die Überprüfung der Kammerentscheidung mittels einer Verweisung an die Große Kammer beantragt hat (Art 31 EMRK). Die Kammern geben Beschwerden an die Große Kammer mit 17 Richtern ab, wenn sie grundlegende Bedeutung haben oder zu einer Änderung der ständigen Rechtsprechung führen können (Art 30 EMRK). Über Anträge auf Verweisung entscheidet ein Ausschuss
40 Zu den prozessualen Änderungen des 14. Protokolls Schwaighofer in: Karl/Czech (Hrsg), Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vor neuen Herausforderungen, 2007, 17 ff. 41 Zur internen Organisation des EGMR s European Court of Human Rights, Annual Report 2008, 2009, 13 ff, 25 ff.
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von fünf Richtern der Großen Kammer (Art 43 ERMK). Auf die Große Kammer entfielen im Jahre 2008 nur 16 der insgesamt 1543 Urteile, die der EGMR erlassen hat.42 Die Zusammensetzung der Großen Kammer variiert von Fall zu Fall. Mitglieder sind stets der Präsident und die beiden Vizepräsidenten des Gerichtshofs sowie die Präsidenten der Sektionen. Ferner gehören ihr die Mitglieder der nach Art 30 EMRK abgebenden Kammer (nicht aber der Kammer, aus der die Verweisung gem Art 43 EMRK erfolgt ist) und der Richter an, gegen dessen Staat sich die Beschwerde richtet. Die übrigen Mitglieder werden ggf durch das Los bestimmt und turnusmäßig neu ernannt.
b) Verfahrensarten 23
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Vor dem EGMR sind drei Verfahrensarten möglich: Staatenbeschwerden, Individualbeschwerden und Gutachten. In den beiden Beschwerdeverfahren kann er in Gestalt vorläufiger Maßnahmen einstweiligen Rechtsschutz gewähren. Mit der Staatenbeschwerde kann jeder Mitgliedstaat den Gerichtshof wegen jeder behaupteten Verletzung der Konvention oder ihrer Zusatzprotokolle anrufen (Art 33 EMRK).43 Ebenso wie im Rechtsschutzsystem des europäischen Gemeinschaftsrechts müssen die Mitgliedstaaten kein besonderes Interesse geltend machen; sie sind privilegiert beschwerdebefugt. Zum einen erhalten sie so die Möglichkeit, Rechte ihrer Staatsangehörigen geltend zu machen, deren Rechte im europäischen Ausland verletzt werden; insofern erfüllt die Staatenbeschwerde dieselbe Funktion wie die Ausübung diplomatischen Schutzes.44 Zum anderen hat es aber auch Fälle gegeben, in denen Mitgliedstaaten ohne ein derartiges Eigeninteresse Staatenbeschwerden erhoben haben, um menschenrechtswidrige Zustände überprüfen zu lassen.45 Große praktische Bedeutung hat dieses Instrument nicht, doch lässt sich die Wirkung seiner Existenz jenseits der bisher 22 vor den EGMR gebrachten Fälle schlecht bewerten. Den Kern des Schutzsystems der Konvention bildet die Individualbeschwerde. Sie steht jeder natürlichen Person, nichtstaatlichen Organisation oder Personengruppe offen, die behauptet, in einem ihr in der EMRK oder den Zusatzprotokollen gewährten Recht verletzt zu sein (Art 34 EMRK). Aus dem an die Mitgliedstaaten gerichteten Verbot, die Ausübung des Beschwerderechts zu behindern (Art 34 S 2 EMRK), hat der EGMR gefolgert, dass dieses ein subjektives Recht vermittelt und seinerseits Gegenstand einer Beschwerde sein kann.46 Dieses Verfahren wird inzwischen in einem Maße genutzt, dass es die Arbeitsfähigkeit des EGMR auf eine harte Probe stellt.47 Im Jahre 2008 wurden 49 850 Beschwerden neu eingereicht, 97300 waren anhängig. Die meisten der anhängigen Beschwerden richteten sich gegen Russland (27,25 %), gefolgt von der Türkei (11,4 %) und Rumänien (9,1 %). Gegen die Bundesrepublik Deutschland wurden 2500 Beschwerden 42 Zahlen ebd 125 ff. 43 Zwaak in: van Dijk/van Hoof/van Rijn/Zwaak (Hrsg), Theory and Practice of the European Convention on Human Rights, 4. Aufl 2006, 1, 47 ff. 44 EGMR, EuGRZ 1979, 149 – Irland/Vereinigtes Königreich; Rep 2000-IV, 1 – Dänemark/Türkei. 45 EKMR, Yb ECHR 11 (1968) Bd II, 690 und 730; Yb ECHR 12 (1969) Bd II, 1 – Dänemark, Norwegen, Schweden und Niederlande/Griechenland. 46 EGMR Rep 1997-VI, 1866 §§ 116 ff – Aydin; No 46468/99, Entsch v 9.7.2002, § 2 – Manoussos. 47 S Gattini FS Wildhaber, 2007, 271 ff; Reformvorschläge gehen notwendig zu Lasten der Qualität des Rechtsschutzes, s die kritische Würdigung bei Leach HRLJ 27 (2006), 11 ff; zum 14. Zusatzprotokoll o Fn 16; zur neuen Praxis des Pilotverfahrens EGMR No 50003/99, Entsch v 4.12.2007 – Wolkenberg.
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erhoben (2,6 %). Nur in 1 543 Verfahren hat der EGMR ein Urteil erlassen.48 In zehn dieser Fälle war Deutschland der Beschwerdegegner, in sechs von ihnen wurde eine Verletzung der Konvention festgestellt.49 Das Individualbeschwerdeverfahren ist damit schon quantitativ gesehen ein wichtiges Instrument, auch wenn die Erfolgschancen angesichts der 46 845 im Jahre 2008 für unzulässig erklärten oder aus dem Register gestrichenen Beschwerden statistisch nicht sehr hoch sind. Davon abgesehen hat die Orientierungswirkung der Straßburger Rechtsprechung für die staatliche Gerichtsbarkeit in allen Mitgliedstaaten in letzter Zeit stetig zugenommen.50 Die zuständige Kammer oder ihr Präsident kann auf Antrag einer Partei oder einer anderen betroffenen Person, aber auch von Amts wegen vorläufige Maßnahmen bezeichnen, die im Interesse einer Partei oder eines ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs ergriffen werden sollen (Art 39 VfO).51 Adressat ist der Staat, gegen den sich die Beschwerde in der Hauptsache richtet. Der EGMR greift zu diesem Instrument nur selten, wenn das Risiko eines schweren, irreparablen Schadens besteht.52 In der Regel wird es sich dabei um Stillhalteverpflichtungen bis zum Abschluss des Verfahrens handeln, wenn Leib und Leben bedroht sind (Art 2 und 3 EMRK). Die meisten entschiedenen Fälle betreffen die Auslieferung oder Abschiebung in ein Land, in dem schwere Menschenrechtsverletzungen oder gravierende Schäden drohen.53 Die bezeichneten Maßnahmen sind keine bloßen Empfehlungen, sondern verpflichtend; die Missachtung einer derartigen Entscheidung begründet nach neuerer Rechtsprechung einen Verstoß gegen das Individualbeschwerderecht aus Art 34 EMRK.54 Der Gerichtshof kann auf Antrag des Ministerkomitees des Europarates Gutachten über Rechtsfragen erstatten, welche die Auslegung der Konvention oder der Zusatzprotokolle betreffen (Art 47 EMRK). Sie dürfen aber keine Fragen zum Gegenstand haben, die im Rahmen eines anderen Verfahrens eine Rolle spielen können. Zuständig ist die Große Kammer (Art 88 VfO). Diese Möglichkeit ist bisher kaum genutzt worden.55 Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf das Individualbeschwerdeverfahren.
48 In den meisten von ihnen (456) wurde die überlange Verfahrensdauer gerichtlicher Verfahren beanstandet, die gegen Art 6 I EMRK verstößt, Zahlen sämtlich nach Annual Report (Fn 41) 125 ff. 49 Fünf der sechs Verurteilungen aus dem Jahre 2008 betrafen (zumindest auch) eine überlange Verfahrensdauer nach Art 6 I, 13 EMRK, s EGMR No 1679/03, Urt v 10.1.2008 – Glüsen; No 10732/05, Urt v 9.10.2008 – Bähnk; No 58911/00 Urt v 6.11.2008 – Leela Förderkreis; No 26073/03, Urt v 13.11.2008 – Ohmer; No 44036/02, Urt v 4.12.2008 – Adam. Im Jahr 2007 waren es ebenfalls fünf von sechs, s EGMR No 20027/02, Urt v 11.1.2007, §§ 75 ff – Herbst; No 19124/02, Urt v 15.2.2007, §§ 40 ff – Kirsten; No 14635/03, Urt v 29.4.2007 – Laudon; No 76680/01, Urt v 10.5.2007, §§ 69 ff – Skugor; No 39741/02, Urt v 12.7.2007, §§ 43 ff – Nanning. 50 Zu den Einflüssen auf die französische und englische Rechtsordnung v. Ungern-Sternberg Religionsfreiheit in Europa, 2008, 89 ff, 151 ff. 51 Krüger EuGRZ 1996, 346 ff; Oellers-Frahm EuGRZ 2003, 689 ff; Tams ZaöRV 63 (2003), 681 ff. 52 EGMR NJW 1999, 1167 – Öcalan. 53 Wegen Ungewissheit über den Zeitpunkt einer drohenden Todesstrafe EGMR, EuGRZ 1989, 314 §§ 90 f – Soering → JK EMRK Art 3/1; wegen drohender Folter Rep 1996-V, 1831 – Chahal; wegen unzureichender medizinischer Versorgung eines HIV-Erkrankten Rep 1997-III – D./Vereinigtes Königreich; wegen drohender Gewalt durch organisiertes Verbrechen Rep 1997-III, 745 – H.L.R./Frankreich. 54 EGMR Rep 2005-I, 225 § 128 – Mamatkulov. 55 S die (die Erstattung eines Gutachtens ablehnende) Entsch des EGMR, NJW 2005, 123. Gutachten v 12.2.2008 (Gleichstellung von Mann und Frau als Kriterium der Richterauswahl).
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c) Ablauf des Individualbeschwerdeverfahrens 28
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Das Individualbeschwerdeverfahren 56 kann mit einem formlosen, unterzeichneten Schreiben eröffnet werden, das in einer der Amtssprachen der Konventionsstaaten (Art 34 II VfO) einige Mindestangaben enthalten muss (→ Rn 52). Gerichtskosten werden nicht erhoben. Mit Eingang des Schreibens registriert die Kanzlei die Beschwerde mit einer Nummer unter dem Namen des Beschwerdeführers. Sie kann ihn auffordern, weitere Angaben zu machen und Unterlagen nachzureichen. Im nächsten Schritt bestimmt der Präsident der zuständigen Sektion einen Bericht erstattenden Richter, der darüber entscheidet, ob die Beschwerde einem Ausschuss oder einer Kammer zugewiesen wird (Art 49 II VfO).57 Der Sektionspräsident kann dies auch aus eigener Verantwortung tun. Ergibt sich aus dem vorliegenden Material, dass die Beschwerde unzulässig ist oder aus dem Register gestrichen werden sollte, entscheidet in der Regel ein Ausschuss (Art 49 I VfO). Kommt er einstimmig zu diesem Ergebnis, endet das Verfahren an dieser Stelle (Art 28 EMRK). Anderenfalls entscheidet eine Kammer über die Zulässigkeit und über die Begründetheit, in der Regel durch getrennte Entscheidungen (Art 29 III EMRK).58 Zunächst überprüft sie die Zulässigkeit und fordert die Parteien nötigenfalls zu weiteren Angaben auf. Ergeben sich in diesem Stadium keine Einwände gegen die Zulässigkeit, stellt sie die Beschwerde dem Staat zu, gegen den sie sich richtet (Art 54 VfO). Wenn keine Ausnahme zugelassen wird, muss der Beschwerdeführer von diesem Zeitpunkt an anwaltlich vertreten sein (Art 36 II VfO). Verfügt er nicht über die nötigen Mittel, kann ihm der Kammerpräsident auf Antrag Prozesskostenhilfe gewähren (Art 91 ff VfO). Der Mitgliedstaat, der meist durch Verfahrensbevollmächtigte aus dem Regierungsapparat vertreten wird (Art 35 VfO), muss bereits in diesem Stadium darauf achten, mögliche Einwendungen gegen die Zulässigkeit vorzubringen, spätestens aber muss dies in einer eventuellen mündlichen Verhandlung geschehen. Versäumt er dies, ist er mit diesem Vorbringen ausgeschlossen (Art 55 VfO). Insbesondere betrifft dies die Beschwerdebefugnis und die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs.59 Auch nach Eintritt in das schriftliche Verfahren kann die Kammer die Beschwerde aber noch für unzulässig erklären (Art 34 IV 2 EMRK). Hat die Kammer die Beschwerde für zulässig erklärt, führt sie das Verfahren in einer der Amtssprachen des EGMR (Englisch oder Französisch, Art 34 I VfO) weiter, soweit sie nichts anderes anordnet (Art 34 III und IV VfO). Gleichzeitig versucht sie, zwischen den Parteien eine gütliche Einigung zu erreichen (Art 38 I EMRK).60 Zu diesem Zweck nimmt die Kanzlei des Gerichtshofs (s Art. 17 f VfO) nach den Weisungen der Kammer Kontakt mit den Parteien auf (Art 62 VfO). Das Verfahren ist vertraulich (Art 38 II EMRK). Lehnt eine Partei eine gütliche Einigung ab, ist sie gescheitert und das rechtsförmliche Verfahren wird fortgesetzt. Kommt es zu einer solchen Einigung, wird die Kammer hiervon in Kenntnis gesetzt. Sie streicht die Rechtssache im Register, nachdem sie sich 56 Graphische Darstellung des Ablaufs bei Peters EMRK, 236 f. 57 Dies ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Text der EMRK oder der VfO, sondern aus der Praxis des Gerichtshofs, s Grabenwarter EMRK, § 13 Rn 1. 58 Das 14. Protokoll (Fn 16) sieht als Regelfall nur mehr eine einheitliche Entscheidung vor. 59 EGMR Rep 1998-VI, 2411 § 65 – Yasa (Beschwerdebefugnis); Rep 1997-VI, 1866 § 58 – Aydin; Rep 1997-VII, 2533 § 44 – Zana (Rechtsweg). 60 Dazu Frowein in: ders/Peukert, EMRK, Art 28 Rn 5 ff; Zwaak in: van Dijk/van Hoof/ van Rijn/Zwaak (Hrsg), Theory and Practice of the European Convention on Human Rights, 4. Aufl 2006, 95, 222 ff; Schorkopf in: Grote/Marauhn, EMRK, Kap 30 Rn 14 f.
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vergewissert hat, ob die Einigung auf der Grundlage der Achtung der Konventionsrechte getroffen wurde (Art 38 I lit b, 39 EMRK, Art 62 III VfO). Skepsis ist hier insbesondere dann angebracht, wenn es sich um schwerste Menschenrechtsverletzungen handelt (Art 2 und 3 EMRK). Dann wird der EGMR darauf sehen, dass der beklagte Staat sich zu Maßnahmen verpflichtet hat, um derartige Verletzungen in der Zukunft zu vermeiden. Anderenfalls setzt er das Verfahren fort (Art 37 I 2 EMRK). Die Streichung von der Liste erfolgt in Form eines Urteils (Art 43 III VfO), dessen Einhaltung das Ministerkomitee des Europarates überwacht (Art 46 II EMRK). Eine Konventionsverletzung wird dadurch nicht festgestellt; in aller Regel wird sich der beklagte Vertragsstaat zu konkreten Abhilfemaßnahmen verpflichten, häufig wird dies nur die Zahlung einer Entschädigung sein. Die zugrunde liegende Vereinbarung ist völkerrechtlich verbindlich. Eine Streichung von der Liste ist auch im weiteren Verlauf des Verfahrens (Art 37 I EMRK) und insbesondere dann möglich, wenn die staatliche Partei ein vom EGMR gebilligtes, bindendes Einigungsangebot abgibt, der Beschwerdeführer dies aber nicht annehmen will, oder wenn der Beschwerdeführer seine Beschwerde freiwillig (!) zurückzieht. Kommt es nicht zu einer Streichung von der Liste, setzt der Präsident der Kammer das Verfahren fort und fordert die Parteien nötigenfalls auf, innerhalb festgesetzter Fristen weitere Stellungnahmen einzureichen oder Beweismittel zu benennen (Art 38 I lit a EMRK, Art 59 VfO). Ein eigenes Übereinkommen regelt den Zugang zum EGMR und verpflichtet die Mitgliedstaaten, Verfahrensbevollmächtigte nicht zu behindern und für deren Äußerungen vor diesem Gericht strafrechtliche Immunität zu gewähren.61 Der Gerichtshof kann alle Beweise erheben, die er für sachdienlich hält, insbesondere Zeugen (zu denen auch der Beschwerdeführer zählt) und Sachverständige hören oder Ortsbesichtigungen vornehmen. Hierzu besteht insbesondere dann Anlass, wenn der beklagte Staat die Vorwürfe pauschal bestreitet. Die Mitgliedstaaten haben an der Beweiserhebung mitzuwirken, indem sie etwa Zugang zu Gefängnissen gewähren. Dem Gerichtshof stehen zur Beweiserhebung zwar keine Zwangsmittel zur Verfügung. Kommt die staatliche Partei jedoch gestellten Anforderungen nicht nach, liegt hierin eine Verletzung von Art 38 I lit a EMRK.62 Eine mündliche Verhandlung kann auf Antrag oder von Amts wegen angeordnet werden, gleichgültig ob sich das Verfahren im Stadium der Zulässigkeits- oder der Begründetheitsprüfung befindet (Art 54 III, 59 III VfO). Mit der zunehmenden Arbeitslast des EGMR werden mündliche Verhandlungen aber immer seltener.63 Die Abgabe an die Große Kammer ist „jederzeit“ (Art 30 EMRK) möglich. Dies kann auch schon im Stadium der Zulässigkeitsprüfung geschehen. Der Sinn besteht darin, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung des EGMR zu erhalten, für die auch in Zulässigkeitsfragen ein Bedürfnis besteht. Die Verweisung an die Große Kammer (→ Rn 22) kann nur binnen drei Monaten nach dem Urteil der Kammer erfolgen (Art 43 EMRK). Die Große Kammer überprüft dann die Kammerentscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht und erlässt ein zweites Urteil. In den (als Ausnahme gedachten) Fällen, in denen sich eine „schwerwiegende Frage der Auslegung oder der Anwendung“ der Konvention stellt,besteht so die Möglichkeit eines gerichtshofsinternen Rechtsmittels, was erklärt, warum die Mitglieder der zuvor befassten Kammer an dieser zweiten Entscheidung nicht mitwirken.
61 Europäisches Übereinkommen v 5.3.1996 über Personen, welche an Verfahren vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte teilnehmen, in Kraft seit 1.1.1999, BGBl 2001 II, 358. 62 EGMR No 36378/02, Urt v 12.4.2005, § 504 – Shamayev. 63 Im Jahre 2008 ist dies in lediglich 28 Verfahren geschehen, s Annual Report (Fn 41), 55 ff.
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d) Wirkungen der Urteile des EGMR 33
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Ist die Beschwerde zulässig und begründet, stellt der EGMR die Konventionsverletzung(en) durch Urteil fest.64 Die Mitgliedstaaten haben sich mit Ratifizierung der EMRK verpflichtet, diese Urteile zu befolgen (Art 46 EMRK), indem sie einen der Konvention entsprechenden Zustand herstellen (restitutio ad integrum). Lange hat sich der EGMR darauf beschränkt, lediglich die Konventionsverstöße zu bezeichnen; dies entsprach den völkerrechtlichen Grundsätzen der Staatenverantwortlichkeit, denen zufolge die haftenen Staaten lediglich einen bestimmten Erfolg schulden.65 Welche Schritte zu dessen Erreichung zu unternehmen waren, blieb weitgehend dem innerstaatlichen Recht überlassen. In letzter Zeit ist der Gerichtshof dazu übergegangen, auch spezifische Ursachen zu benennen, auf die die Verletzungen zurückzuführen sind. Hieraus folgt konkret die Pflicht, bspw bestimmte Gesetze zu ändern.66 Zusätzlich kann der EGMR der verletzten Partei eine Entschädigung nach Art 41 EMRK zusprechen. Der hiernach zu zahlenden Summe werden Kosten und Auslagen hinzugerechnet, die der Gerichtshof auch pauschal festsetzen kann. Erforderlich ist ein Antrag, der bereits mit Einreichung der Beschwerde, aber auch zu einem späteren Zeitpunkt und ggf nach entsprechender Belehrung durch den Gerichtshof gestellt werden kann. Die Verpflichtung zur Zahlung der Entschädigung ist völkerrechtlicher Art, also nicht aus sich heraus vollstreckbar. Das Urteil entfaltet eine materielle Rechtskraft mit Wirkung zwischen den Parteien.67 Über den entschiedenen Fall hinaus entsteht eine indirekte Bindung insoweit, als die Entscheidungen des EGMR über die Auslegung der Konvention Auskunft geben. Das BVerfG bringt dies dadurch zum Ausdruck, dass sich die Pflicht zur konventionskonformen Auslegung an „Inhalt und Entwicklungsstand“ der EMRK zu orientieren habe.68 Fachgerichte, die sich mit der Rechtsprechung des EGMR nicht auseinander setzen, verkennen damit zugleich die Reichweite der konventionskonform zu handhabenden Grundrechte, was die Verfassungsbeschwerde eröffnen kann. So entsteht auf den ersten Blick eine der allgemeinen Orientierung der Fachgerichte an der höchstrichterlichen Rechtsprechung vergleichbare Wirkung. Allerdings hat das BVerfG in der Görgülü-Entscheidung hierzu einen Vorbehalt gemacht.69 Die EMRK genieße „nicht automatisch Vorrang vor anderem Bundesrecht“. Ihre Grundrechte sollen nur im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung Berücksichtigung finden. Eine „schematische Vollstreckung“ von Urteilen des EGMR könne im Einzelfall ebenso die Grundrechte verletzen wie in anderen Fällen die Nichtberücksichtigung der EMRK. Dies soll insbesondere bei „mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen“ möglich sein, in denen es auf „sensible Abwägungen“ ankomme. Die Rede ist von „ausbalancierten Teilsystemen“, die durch eine „differenzierte Kasuistik geformt“ worden seien, angeführt werden Rechtsverhältnisse des Ausländerrechts und des Familienrechts
64 Über unzulässige Beschwerden ergeht eine „Entscheidung“ (décision/decision), was im deutschen Recht dem Beschluss entspricht, s Art 42, 44 und 45 EMRK. 65 Dazu Polakiewicz Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, 1993, 37 ff. 66 S bspw EGMR, NJW 2005, 2207 § 202 – Assanidze; NJW 2005, 2521 – Broniowski; No 56581/00, Urt v 10.11.2004, §§ 121 ff – Sejdovic; No 27527/03, Urt v 11.9.2007 – L./Litauen. 67 Cremer in: Grote/Marauhn, EMRK, Kap 32 Rn 56 ff. 68 BVerfGE 74, 358, 370. 69 BVerfG, NJW 2004, 3407, 3410 f.
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sowie das Recht zum Schutz der Persönlichkeit.70 Wolle ein Gericht einem Urteil des EGMR die Gefolgschaft verweigern, müsse es aber die Gründe dafür darlegen. Die Entscheidung ist in der Literatur zu Recht kritisiert worden.71 Dass der EGMR zur Güterabwägung in mehrseitigen Rechtsverhältnissen weniger gut in der Lage wäre als das BVerfG, ist nicht ersichtlich. Dagegen setzt sich das BVerfG nun zum Prinzip der Völkerrechtsfreundlichkeit der Verfassung in gewissen Widerspruch, indem es ohne Anlass im zu entscheidenden Fall die Vorstellung entwickelt, die Nichtbefolgung eines EGMR-Urteils könne verfassungsrechtlich geboten sein. Allerdings sollte die Görgülü-Entscheidung auch nicht überbewertet werden. Bisher hat das BVerfG dem EGMR noch nicht die Gefolgschaft versagt, sondern sich vielmehr bemüht, Konflikte nicht entstehen zu lassen und nötigenfalls auch seine Rechtsprechung geändert.72 Es steht zu vermuten, dass dies auch weiterhin der Fall sein wird. Im Übrigen bestätigt das BVerfG seine frühere Rechtsprechung, der zufolge sich die Bindung der staatlichen Organe an die EMRK und die Rechtsprechung des EGMR auch aus dem Grundgesetz ergibt.73 Man wird generell von einer verfassungsrechtlichen Pflicht zu konventionstreuem Verhalten sprechen können. Sie bindet die drei Staatsgewalten in unterschiedlicher Weise. Für den Gesetzgeber folgt aus ihr die Verpflichtung, konventionswidrige Gesetze zu ändern. Beruht die Verletzung auf einer Gerichtsentscheidung, kommt den Urteilen des EGMR aus sich heraus keine kassatorische Wirkung zu.74 Eine Empfehlung des Ministerkomitees und ein Bericht an die parlamentarische Versammlung haben die Mitgliedstaaten aber dazu aufgefordert, Wiederaufnahmeverfahren einzuführen.75 Dieser Empfehlung ist der deutsche Gesetzgeber inzwischen nachgekommen. Im Strafverfahren ist ein Urteil des EGMR schon seit längerem ein Wiederaufnahmegrund (§ 359 Nr. 6 StPO). Seit dem 1.1.2007 ist dies auch im Zivilprozess der Fall (§ 580 Nr. 8 ZPO).76 Kraft Verweisung gilt dies auch für die anderen gerichtlichen Verfahrensordnungen (§§ 79 ArbGG, 153 VwGO, 179 SGG und 134 FGO). Schließlich ergeben sich auch für die Verwaltung Pflichten. Mit der Novelle der Zivilprozessordnung ist auch im Verwaltungsverfahrensrecht ein entsprechender Wiederaufnahmegrund eingeführt worden (§ 51 I Nr. 3 VwVfG iVm § 580 Nr. 8 ZPO). Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Konventions-
70 Vor allem die letztgenannte Fallgruppe wird das BVerfG zu dieser Rechtsprechung bewogen haben, nachdem der EGMR in einem Konfliktfall zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht einer Prominenten und der Pressefreiheit des Boulevardjournalismus den Rechten der Klägerin in der Abwägung den Vorzug gegeben und im vorangegangenen Urteil des BVerfG eine Konventionsverletzung gesehen hatte, vgl BVerfGE 101, 361 mit EGMR EuGRZ 2004, 404 – Caroline von Hannover → JK EMRK Art 8/4; der BGH folgt inzwischen dem EGMR, s NJW 2007, 1977. 71 Cremer EuGRZ 2004, 683 ff; Hofmann GYIL 47 (2004), 9 ff; Klein JZ 2004, 1176 ff; Kadelbach Jura 2005, 480 ff; Lenz FS Zuleeg, 2005, 221 ff; Meyer-Ladewig/Petzold NJW 2005, 15 ff; Wahl FS Wildhaber, 2007, 865, 882 f; zust Vogel IStR 2005, 29 f; Hummel IStR 2005, 35 f. 72 In der bad-württ Feuerwehrabgabe für Männer sah BVerfGE 13, 167 keinen Verstoß gegen Art 3 GG; der EGMR, EuGRZ 1995, 392 – Schmidt → JK EMRK Art 14/1 stellte später deren Konventionswidrigkeit fest; das BVerfG änderte daraufhin seine Rspr, s NJW 1995, 1733. 73 Vgl BVerfG, NJW 2004, 3407, 3408 und 3410. 74 Zum Streitstand Polakiewicz (Fn 65) 223 ff mwN; s auch Frowein FS Wildhaber, 2007, 261 ff; Giegerich in: Grote/Marauhn, EMRK, Kap 2 Rn 4 ff. 75 Recommendation No R (2000) 2 v 19.1.2000 (694th mtg) on the re-examination or reopening of certain cases at domestic level following judgments of the European Court of Human Rights. 76 Krit dazu Braun NJW 2007, 1620 ff.
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widrigkeit des VA durch ein Gesetz vorgegeben war oder nicht. Unabhängig davon kommt auch eine Rücknahme gem § 48 VwVfG in Betracht.77
II. Zulässigkeit einer Individualbeschwerde 37
Von dem Ausschuss oder der Kammer zu prüfende Zulässigkeitsvoraussetzungen sind (1) die Partei- und Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers, (2) seine Beschwerdebefugnis (Opfereigenschaft), (3) die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs und (4) die Einhaltung der Beschwerdefrist (Art 34 S 1, 35 I EMRK). Bei diesen Anforderungen ist zu beachten, dass sie der Gerichtshof nicht starr schematisch anwendet, sondern flexibel handhabt und bestrebt ist, übertriebenen Formalismus zu vermeiden, um den Konventionsgarantien zu praktischer Wirksamkeit zu verhelfen. Deshalb bestehen auch keine besonderen Anforderungen an die Form (5). Dagegen darf die Beschwerde (6) nicht anonym und (7) nicht anderweitig rechtshängig sein oder gewesen sein (Art 34 II EMRK). Schließlich wird die Beschwerde für unzulässig erklärt, wenn sie (8) missbräuchlich, (9) mit der Konvention unvereinbar oder (10) offensichtlich unbegründet ist (Art 35 III EMRK).78 Die letztgenannten Voraussetzungen zeigen, dass ein enger Zusammenhang zwischen Zulässigkeit und Begründetheit besteht. Deutlich wird dies auch in der Praxis des EGMR, Zulässigkeitsfragen offen zu lassen und mit der Prüfung der Begründetheit zu verbinden.79 1. Partei- und Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers
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Nach Art 34 S 1 EMRK kann die Beschwerde von natürlichen Personen, nichtstaatlichen Organisationen und Personengruppen erhoben werden. Wie im innerstaatlichen Recht setzt die Parteifähigkeit auch nach der EMRK voraus, dass der Beschwerdeführer Träger der in der Konvention oder ihren Zusatzprotokollen garantierten Rechte sein kann. Natürliche Personen sind die primär Berechtigten nach der EMRK. Sie sind als Träger der in ihr gewährten Rechte stets parteifähig, ungeachtet ihres Alters, ihrer Geschäftsfähigkeit und ihrer Staatsangehörigkeit. Ob dies auch für Ungeborene zutrifft hängt davon ab, ob man sie als Träger des Rechts auf Leben ansieht.80 Mit dem Tode des Beschwerdeführers endet an sich dessen Beschwerdeberechtigung, doch kann das Verfahren von den Erben oder nahen Verwandten fortgeführt werden, wenn sie daran ein
77 So jedenfalls BVerfG, NJW 2004, 3407, 3410; s auch Pache/Bielitz DVBl 2006, 325 ff. Problematisch ist die Jahresfrist nach § 48 IV VwVfG, für die fraglich ist, ob als Zeitpunkt für die Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Erlass des EGMR-Urteils genügen kann; zur – durch BVerwG, NJW 1998, 3728 überholten – anfänglichen Debatte um die Rückforderungsfrist für gemeinschaftsrechtswidrige Subventionsbescheide Kadelbach Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, 1999, 477 ff. 78 Zum Verfahren der Individualbeschwerde Wittinger NJW 2001, 1238 ff; Weiß AVR 42 (2004), 142 ff; Hinweise für die anwaltliche Praxis bei Leach Taking a Case to the ECHR, 2. Aufl 2005; Kleine-Cosack Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerde, 2. Aufl 2007, 265 ff. 79 Vgl statt vieler EGMR, NJW 2006, 2389 – Sürmeli. 80 Dafür Ehlers in ders, EuGR, § 2 Rn 24; offen gelassen in EGMR, NJW 2005, 727 § 85 – Vo; der Gerichtshof hat aber Zulässigkeit und Begründetheit als untrennbar angesehen und die Beschwerde zugelassen.
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berechtigtes Interesse haben oder die Beschwerde allgemeine Bedeutung hat. Ein berechtigtes Interesse besteht insbesondere bei einem Rehabilitationsinteresse, aber auch wenn den Erben oder Verwandten finanzielle Nachteile treffen;81 soweit es um wirtschaftliche Interessen geht, lässt sich der Gedanke auf die Rechtsnachfolge durch juristische Personen übertragen. Allgemeine Bedeutung ist anzunehmen, wenn sich die gerügte Rechtsverletzung als Zeichen eines allgemeinen Verhaltensmusters des beklagten Staates, etwa einer bestimmten Gesetzeslage oder konsistenten Praxis darstellt; der EGMR sieht diese Voraussetzung nur selten als erfüllt an.82 Melden sich keine Angehörigen, stellt der Gerichtshof das Verfahren ein. Zu den gleichfalls beschwerdefähigen nichtstaatlichen Organisationen gehören juristische Personen und nichtrechtsfähige Vereinigungen.83 Die Rechtsfähigkeit nach innerstaatlichem Recht kann nicht Voraussetzung sein, weil es sonst den Mitgliedstaaten möglich wäre, die Beschwerdeberechtigung zu beeinflussen. Daher können auch nichtrechtsfähige Vereine (wie in Deutschland traditionell die Gewerkschaften und einige politische Parteien) und Personengesellschaften Beschwerde erheben; gleiches gilt, wenn sie vom Staat aufgelöst worden sind.84 Maßgeblich ist die Fähigkeit, Träger des als verletzt gerügten Konventionsrechts zu sein. Dabei muss es sich um ein eigenes Recht der Organisation und nicht um ein Recht der Mitglieder handeln, worauf es etwa bei Umweltschutzverbänden ankommen kann.85 Der Staat selbst oder seine Untergliederungen sind im Allgemeinen nur Adressaten und nicht Träger der Konventionsgarantien. Ausnahmen werden anerkannt, wenn dem Staat organisatorisch zugeordnete Einheiten bestimmten grundrechtlich geschützten Bereichen Raum zur Entfaltung geben und dem Staat in dieser Eigenschaft wie Private gegenüberstehen. Religionsgesellschaften und Rundfunkanstalten sind daher in Bezug auf die jeweils anwendbaren Rechte ungeachtet ihrer Organisationsform beschwerdefähig.86 Gleiches dürfte für Universitäten gelten.87 Unter Personengruppen sind nichtrechtlich verfasste Vereinigungen ohne eigene Rechtsfähigkeit zu verstehen. Sie werden wie eine Zusammenfassung mehrerer Individualbeschwerden behandelt. Daher muss jedes Mitglied der Gruppe selbst beschwerdefähig sein. Für die Prozessfähigkeit, die nicht eigens geregelt ist, kommt es an sich darauf an, ob der Beschwerdeführer selbst wirksam Prozesshandlungen vornehmen kann. Sie wird in der Praxis großzügig gehandhabt, so dass sie sich bisher, soweit erkennbar, nicht als eigenständige Zulässigkeitshürde erwiesen hat.88 Jeder kann sich bei Erhebung der Beschwerde vertreten lassen. Für Minderjährige können die Erziehungsberechtigen, für sonst Geschäftsunfähige die Sorgeberechtigten, für nichtstaatliche Organisationen der gesetzliche Vertreter auftreten. Von der Prozessfähigkeit zu unterscheiden ist das Erfordernis einer
81 Vgl EGMR Rep 1996-V, 1638 § 26 – Sadik; No 25337/94, Entsch v 7.12.2000 – Craxi; Rep 2000IX, 235 § 41 – Jecius; No 74456/01, Urt v 17.5.2005 § 26 – Horváthova. 82 S bspw EGMR Rep 2003-IX, 1999 § 26 – Karner; No 49429/99, Urt v 24.11.2005, § 79 – Capital Bank AD. 83 Im Einzelnen De Schutter Mélanges Helmons, 2003, 83 ff. 84 EGMR Rep 1998-I, 1 § 33 – United Communist Party of Turkey ua. 85 Vgl EKMR, DR 87-A, 78 ff – Käkkömä ua; EGMR, NVwZ 2001, 307 – Noack ua. 86 EGMR Ser A 301 §§ 48 f – The Holy Monasteries; Rep 2003-X, 437 § 26 – Radio France. 87 Grabenwarter EMRK, § 13 Rn 10. 88 Vgl EGMR Rep 2000-XI, 479 – Sanles, wo die Beschwerde der Schwägerin eines unheilbar Kranken, der eine gerichtliche Ermächtigung seines Arztes zur Sterbehilfe hatte herbeiführen wollen, nach dessen Tod mangels Opfereigenschaft für unzulässig erklärt wurde.
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Prozessvertretung durch einen Anwalt, das im deutschen Prozessrecht als Postulationsfähigkeit bezeichnet wird. Auch sie ist im Anfangsstadium des Verfahrens keine Zulässigkeitsvoraussetzung. Sobald die Beschwerde aber der staatlichen Partei zugestellt wird, besteht regelmäßig Anwaltszwang, ebenso in der mündlichen Verhandlung (Art 36 VfO). Von diesem Zeitpunkt an ist der nicht anwaltlich vertretene Beschwerdeführer nicht mehr postulationsfähig. Der Kammerpräsident kann es ihm aber gestatten, sich selbst zu vertreten. 2. Beschwerdebefugnis (Opfereigenschaft) 42
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Die Beschwerde kann nur erheben, wer behauptet, in einem der Konventionsrechte verletzt zu sein. Wegen der in den authentischen Fassungen des Art 34 EMRK 89 verwendeten Formulierung „se prétend victime d’une violation“/„claiming to be the victim of a violation“ ist hier von Opfereigenschaft (wegen der deutschen Übersetzung des Art 25 aF EMRK auch von „Beschwer“) die Rede. Ihr entspricht im deutschen Prozessrecht die Beschwerdebefugnis. Fehlt sie, weist der EGMR die Beschwerde wegen Unvereinbarkeit mit der Konvention ratione personae zurück.90 Der Beschwerdeführer muss die Verletzung in eigenen Rechten geltend machen und seine Behauptungen schlüssig, dh in sich plausibel und substantiiert, also im Detail und nötigenfalls mit Beweisangebot vortragen. Seine Beschwerdebefugnis ist regelmäßig anzunehmen, wenn er danach von einer staatlichen Handlung oder Unterlassung unmittelbar betroffen ist, etwa als Adressat eines VA oder Verpflichteter aus einem Gerichtsurteil. Zur Vollstreckung der Maßnahme muss es noch nicht gekommen sein, die Rechtskraft der Entscheidung genügt. Auch vor Rechtskraft kann die Beschwer eintreten, wenn die Verletzung unmittelbar bevorsteht.91 Die Opfereigenschaft entfällt nicht automatisch, wenn die Beschwer nicht mehr andauert. So besteht sie fort, wenn der unrechtmäßig Inhaftierte entlassen, ihm aber keine Haftentschädigung gewährt wird.92 Beseitigt ist die Beschwer also erst, wenn die staatliche Partei die Verletzung zumindest implizit anerkennt und das Nötige getan hat, um die Folgen zu beseitigen. Bei Gesetzen wird dagegen, anders als bei Einzelakten, in der Regel ein Vollzugsakt verlangt. Ähnlich wie im deutschen Verfassungsprozessrecht wird aber eine Ausnahme von diesem Erfordernis anerkannt, wenn die Gesetzeslage selbst eine nachteilige Veränderung im Schutzbereich eines Konventionsrechts bewirkt. Dies ist regelmäßig bei Strafnormen anzunehmen, aber auch bei gesetzlichen Verboten oder anderen Hindernissen für die Wahrnehmung von Rechten denkbar.93
89 S den Schlussabsatz der EMRK; die Gesetz gewordene amtliche Übersetzung (Fn 1) ist für die deutschen Staatsorgane gleichfalls verbindlich. 90 Meyer-Ladewig EMRK, Art 34 Rn 10; Peters EMRK, 239. 91 Zur Auslieferung in einen Staat, in dem die Todesstrafe droht und der Verurteilte auf ihre Vollstreckung für einen nicht berechenbaren Zeitraum in einer sog Todeszelle warten muss (death row phenomenon) EGMR EuGRZ 1989, 314 § 90 – Soering → JK EMRK Art 3/1; zur Aufforderung zur Ausreise ohne Vorliegen einer Abschiebungsverfügung EGMR Ser A 241-B §§ 45 f – Vijayanathan. 92 EGMR Rep 1999-VI, 221 § 44 – Dalban. 93 Zum Strafrecht EGMR EuGRZ 1992, 477 – Norris; zu einem familienrechtlichen Fall EuGRZ 1979, 454 – Marckx; zu einem Übertragungsverbot für Rundfunksendungen per Kabel EuGRZ 1990, 255 – Groppera Radio.
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Auch eine gesetzliche Ermächtigung zu Abhörmaßnahmen, die dem Betroffenen nicht mitgeteilt werden müssen, kann überprüft werden, weil der Beschwerdeführer den Vollzug nicht nachweisen kann.94 An der Opfereigenschaft kann es auch fehlen, wenn die angegriffene Maßnahme sehr viele Personen betrifft. Dann ist darzulegen, dass sich die Maßnahme unmittelbar auf eigene Rechte auswirkt, indem sie etwa Vermögen schmälert oder entwertet; die Wahrscheinlichkeit dieser Folge kann genügen, ebenso eine konkrete Androhung, der bloße Verdacht oder eine vage Befürchtung dagegen nicht. Auch eine mittelbare Opfereigenschaft ist denkbar. Sie wird Personen zugesprochen, die durch die Verletzung von Konventionsrechten anderer betroffen sind.95 So kann auf den Tod oder schwere Misshandlungen des Ehepartners oder naher Angehöriger eine eigene Beschwerde gestützt werden.96 Hierzu ist darzulegen, dass die Hinterbliebenen oder Verwandten unter der Konventionsverletzung selbst über das Maß hinaus zu leiden hatten, das aufgrund ihrer Beziehung zum unmittelbaren Opfer ohnehin zu erwarten ist, indem sie etwa zu ihm in einer besonderen Nähebeziehung standen (die aber bei den Eltern gegenüber eigenen Kindern regelmäßig anzunehmen sein wird) oder von den zuständigen Behörden beim Versuch der Aufklärung unzureichend unterstützt oder gar behindert wurden.97 In Ausnahmefällen kann der Prozessvertreter das Verfahren auch dann weiterführen, wenn das Opfer nicht mehr lebt und sich kein Angehöriger findet, der die Beschwerde fortsetzen will. Voraussetzung dafür ist, dass der EGMR der Sache grundsätzliche Bedeutung für die Fortentwicklung des Konventionsrechts zuerkennt.98
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3. Rechtswegerschöpfung Die Beschwerde ist „erst nach Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe“ (Art 35 I EMRK) zulässig. Zum einen drückt sich in dieser Anforderung ein allgemeiner völkerrechtlicher Grundsatz aus, dem zufolge die Beilegung einer Streitigkeit erst dann auf zwischenstaatlicher Ebene stattfindet, wenn der verantwortliche Staat Gelegenheit hatte, die Rechtsverletzung selbst zu beheben,99 zum anderen ist sie der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (§ 90 II BVerfGG) vergleichbar. Dass ein innerstaatlicher Rechtsweg zur Verfügung steht, wird in Art 13 EMRK vorausgesetzt.100 Als Regel gilt, dass nach Art 35 I EMRK alle nach dem jeweiligen nationalen Recht prozessual zulässigen und hinreichend Erfolg versprechenden Mittel ergriffen werden müssen, um die Beschwer zu beseitigen (vertikale Rechtswegerschöpfung). Darüber hinaus müssen sich diese Rechtsmittel gerade auch auf die geltend gemachten Konventionsverletzungen beziehen (sog. horizontale Rechtswegerschöpfung).101 94 95 96 97 98 99 100 101
EGMR Ser A 28 § 33 – Klass. Vgl EGMR Ser A 123, 64 § 33 – Nölkenbockhoff. EGMR Rep 1998-VI, 2411 § 66 – Yasa. Beispiele: EGMR, NJW 2001, 1989 – Grams (Eltern); Rep 1999-IV, 583 § 80 – Cakici (Behördenverhalten). EGMR Rep 2003-IV, 199 § 26 – Karner. Allgemein Amerasinghe Local Remedies in International Law, 2. Aufl 2004. EGMR, NJW 2001, 2694 § 152 – Kudla. Vgl EGMR, NJW 2007, 2461, 2463 – Gäfgen (versäumtes Rechtsmittel bzgl der Rüge, dem Bf sei der Zugang zu einem Rechtsanwalt verweigert worden).
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Die vertikale Erschöpfung des Rechtswegs umfasst nicht nur gerichtliche, sondern auch verwaltungsbehördliche Rechtsbehelfe wie das Widerspruchsverfahren. Zum gerichtlichen Rechtsweg gehört in Deutschland auch die Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG.102 Der Nachweis darüber, ob alle Instanzen genutzt wurden, muss zunächst vom Beschwerdeführer geführt werden (Art 47 I 2 lit f VfO). Für die Praxis wird dies zumeist bedeuten, dass der Beschwerde eine Kopie des Nichtannahmebeschlusses des BVerfG beizufügen ist.103 Nach Zustellung kann die staatliche Partei einwenden, dass vorhandene Rechtsmittel versäumt wurden, muss dies aber darlegen.104 Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn der Beschwerdeführer zumutbare Rechtsbehelfe nicht eingelegt hat, sondern auch, wenn deren Misserfolg ihm anzulasten ist, indem er etwa Formerfordernisse, Fristen, Vorschüsse auf die Gerichtskosten oder vergleichbare Voraussetzungen nicht beachtet hat.105 Allerdings ist darauf zu achten, ob es nicht der beklagte Staat unterlassen hat, ihn über derartige Rechtsbehelfe angemessen zu belehren.106 Ineffektive, offensichtlich aussichtslose oder unzugängliche Rechtsbehelfe brauchen nicht eingelegt zu werden. Zur Effektivität gehört es, dass auch die Beseitigung der Folgen erreicht werden kann. Wird der Zugang zu einer objektiven Gerichtsbarkeit systematisch verweigert (denial of justice), entfällt das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung.107 Unzugänglich ist ein Rechtsmittel auch dann, wenn es zwar vorgesehen, dem Beschwerdeführer aber mangels finanzieller Mittel und ohne Prozessbzw Beratungskostenhilfe faktisch unerreichbar bleibt.108 Um die Aussichtslosigkeit eines Rechtsbehelfs darzutun, muss eine gefestigte Rechtsprechung nachgewiesen werden. Zur Erschöpfung des Rechtswegs kann auch der Sekundärrechtsschutz gehören, wenn Klagen auf Schadensersatz oder Entschädigung Abhilfe versprechen. Dies kann bei Eigentumsverletzungen der Fall sein, ist aber auch bei ihnen nicht zwingend, wenn es dem Beschwerdeführer in erster Linie um Restitution und nicht um eine Entschädigung geht. Bei Verletzungen höchstpersönlicher Rechte (Art 2 und 3 EMRK) sind Schadensersatzklagen regelmäßig verzichtbar.109 Gleiches gilt für Beschwerden wegen überlanger Verfahrensdauer (Art 6 I EMRK), da Schadensersatz nicht geeignet ist, das Verfahren zu verkürzen. Um den Anforderungen an die horizontale Rechtswegerschöpfung zu genügen, müssen alle vor dem EGMR gerügten Rechtsverletzungen auch vorher geltend gemacht worden sein. Hierzu ist es nicht erforderlich, dass die gerügten Rechte im Zuge des Verfahrens korrekt bezeichnet werden. Dies wird prozessual häufig auch so nicht möglich sein. Daher reicht es aus, wenn in der Verfassungsbeschwerde das der jeweiligen Konventionsgarantie thematisch entsprechende Grundrecht als verletzt gerügt wird.110 Ist dies der Sache nach nicht möglich, kann auf den Rechtsbehelf insoweit verzichtet werden.111
102 EGMR Ser A 104 § 44 f – Glasenapp; NJW 2004, 2209 – Herz; aus der Lit Rogge EuGRZ 1996, 341, 345; Wittinger NJW 2001, 1238, 1239. 103 EGMR, EuGRZ 2002, 144 – Allaoui. 104 EGMR Ser A 12 §§ 60 ff – de Wilde, Ooms und Versyp. 105 EGMR Rep 1998-I, 250 §§ 44 ff – Bahaddar; NJW 2004, 3401 – Haase. 106 EGMR No 40679/98, Entsch v 29.4.2003, § 110 – Dankevich. 107 EGMR Rep 1996-IV, 1192 §§ 70 ff – Akdivar (Kriegsrecht in der Türkei). 108 Vgl EGMR, EuGRZ 1979, 626 – Airey. 109 Im Einzelnen Grabenwarter EMRK, § 13 Rn 28. 110 Zu einem Fall, in dem Verletzungen der EMRK unmittelbar vor innerstaatlichen Gerichten gerügt werden können, EGMR No 56679/00, Urt v 28.4.2004, §§ 38 ff – Azinas (Eigentum). 111 EGMR Ser A 123, 40 § 32 – Englert (Rüge einer Verletzung der Unschuldsvermutung mit Verfassungsbeschwerde, s aber BVerfGE 74, 358, 370; 82, 106, 120 → JK MRK Art 6 II/1).
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Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung, ob der Rechtsweg erschöpft wurde, ist der Tag der Beschwerdeerhebung, doch können bis zur Entscheidung über die Zulässigkeit ergehende letztinstanzliche Entscheidungen noch berücksichtigt werden.112
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4. Beschwerdefrist Für die Beschwerdefrist gilt das über die flexible Handhabung der formalen Zulässigkeitsvoraussetzungen Gesagte in besonderem Maße (→ Rn 37). Die Beschwerde ist innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung einzureichen (Art 34 I EMRK). Zur Fristwahrung genügt ein erstes formloses Schreiben, sofern dieses gewisse Minimalerfordernisse erfüllt (§ 47 V VfO). Dazu gehören die Identität des Beschwerdeführers, die Bezeichnung des Beschwerdegegners und eine zusammenfassende Darstellung des Gegenstandes der Beschwerde. Evtl erforderliche weitere Angaben und Unterlagen müssen innerhalb angemessener Zeit nachgereicht werden.113 Die Beschwerdefrist steht in engem Zusammenhang mit dem Erfordernis der Rechtswegerschöpfung,114 schon weil für ihren Beginn die nach dem innerstaatlichen Rechtsschutzsystem letztinstanzliche Entscheidung maßgeblich ist. Soweit eine Zustellung der Entscheidungen vorgesehen ist, ist sie entscheidend.115 Anderenfalls kommt es darauf an, wann die Parteien vom Ausgang des Verfahrens Kenntnis erlangen können, was in der Regel mit der schriftlichen Ausfertigung der Entscheidungsgründe der Fall sein wird. Bietet das innerstaatliche System keinen effektiven Rechtsschutz, ist auf die Vollziehung der Entscheidung abzustellen, die die Beschwer begründet.116 Die Ergreifung offensichtlich ineffektiver Rechtsbehelfe wirkt sich nicht auf den Beginn der Frist aus, birgt also das Risiko der Fristversäumnis. Dagegen ist dies noch nicht der Fall, solange über die Erfolgsaussichten lediglich Zweifel bestehen. Dem Dilemma zwischen der Gefahr der Unzulässigkeit wegen Nichterschöpfung des Rechtswegs und Fristversäumnis kann der Beschwerdeführer entgehen, indem er sowohl das zweifelhafte Rechtsmittel als auch Beschwerde beim EGMR erhebt und die Problematik darlegt. Bei fortdauernden Verletzungen ist die Beendigung der belastenden Maßnahme entscheidend.117 Gleiches kann für einen konventionswidrigen Zustand gesagt werden, der sich nicht auf eine bestimmte Maßnahme gründet.118 Für das Ende der Frist wird in der Regel auf das Datum der Beschwerdeschrift abgestellt. Drängt sich der Verdacht einer unzutreffenden Datierung
112 EGMR Ser A 13 §§ 89 – Ringeisen; Rep 2001-VI, 243 § 33 – VGT Verein gegen Tierfabriken. 113 Es kommt, wie immer, auf die Umstände des Einzelfalles an; in EGMR, NJW 1999, 2957 § 23 – Bucarini wurde die Übersendung des vollständigen Beschwerdeformulars acht Monate nach Eingang des ersten Schreibens als ausreichend angesehen; in EGMR No 32457/04, Urt v 27.11.2007, §§ 67 ff – Brecknell ua waren zwischen der letzten innerstaatlichen Entscheidung (Ende 2001) und Beschwerdeerhebung (September 2004) über drei Jahre vergangen. 114 Näher Picard in: Pettiti/Decaux/Imbert (Hrsg), La Convention Européenne des Droits de l’Homme, 2. Aufl 1999, 591, 592 ff. 115 EGMR Rep 1997-V, 1534 § 33 – Worm; vgl für Entscheidungen des BVerfG § 30 III BVerfGG, dazu Klein in: Benda/Klein, VerfPrR Rn 328. 116 Villiger EMRK Rn 142; EGMR Rep 2001-VI, 445 – Papon (Maßnahmen der Gefängnisverwaltung); EGMR, NJW 2007, 895 § 155 – Gongadze (Unregelmäßigkeiten bei den Ermittlungen nach Ermordung eines Journalisten). 117 EKMR, Yb ECHR 2 (1958), 214, 244 – de Becker. 118 EGMR Rep 2001-IV, 1 § 103 f – Zypern/Türkei.
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auf, kann der Gerichtshof auch einen anderen Zeitpunkt zugrunde legen; dazu bietet sich das Datum des Poststempels oder des Eingangs an, doch wird auf die unterschiedlichen Entfernungen und Postlaufzeiten im Konventionsgebiet geachtet. Verzögerungen, die der Beschwerdeführer nicht zu vertreten hat, können auch nicht zu seinen Lasten gehen. So ist es unschädlich, wenn die Gefängnisbehörden den Schriftverkehr behindern.119 Daher kommt auch eine Hemmung der Frist in Betracht, solange der Beschwerdeführer etwa wegen Inhaftierung rein tatsächlich nicht in der Lage ist, von seinem Recht aus Art 34 EMRK Gebrauch zu machen.120 5. Form
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Die EMRK und die VfO stellen nur minimale Anforderungen an die Form. Beschwerden sind schriftlich und vom Beschwerdeführer unterzeichnet einzureichen (Art 45 VfO). Hierzu ist ein von der Kanzlei des EGMR zur Verfügung gestelltes Formular zu verwenden, das von der Webseite des Gerichtshofs abgerufen werden kann.121 Es unterrichtet zugleich über den erforderlichen Inhalt (→ Rn 52). Für die mit Urkunden zu belegenden Angaben genügen Kopien. Der Beschwerdeführer kann sich seiner Muttersprache bedienen, was in der Praxis jedenfalls dann keine Probleme aufwirft, sofern dies eine der Amtssprachen der Vertragsparteien ist. Die Nichtverwendung des Formulars macht die Beschwerde nicht unzulässig; es kann auch nach Ablauf der Beschwerdefrist nachgereicht werden. Ebenso wenig führt es zur Unzulässigkeit aus Formgründen, wenn die angeforderten Informationen nicht nachgereicht werden. Der Beschwerdeführer sollte dem aber im eigenen Interesse nachkommen, um zu vermeiden, dass seine Beschwerde unsubstantiiert ist und als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen wird. 6. Keine Anonymität
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Anonyme Beschwerden sind unzulässig (Art 35 II lit a EMRK), werden aber selten erhoben. Beschwerdeführer können durchaus ein legitimes Interesse daran haben, ihre Identität gegenüber der staatlichen Partei nicht offen legen zu müssen. So kann in Verfahren, an denen Kinder oder Jugendliche beteiligt sind oder andere Interessen des Persönlichkeitsschutzes auf dem Spiel stehen, beantragt werden, dass Angaben aus den Prozessakten – wie eben der Name des Beschwerdeführers – vertraulich bleiben (Art 40 EMRK, Art 33 II und III, 47 III VfO). Dem EGMR muss eine Identifizierung aber möglich sein. Nicht anerkannt wurde ein solches Interesse in Fällen, in denen eine juristische Person Beschwerdeführerin war, aber Rechte ihrer anonym bleibenden Mitglieder geltend machen wollte (→ Rn 40).122
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EGMR No 60776/00, Urt v 7.10.2004, §§ 28, 35 – Poleshchuk. Peukert in: Frowein/Peukert, EMRK, Art 26 Rn 55. http://www.echr.coe.int. Vgl EKMR, DR 47, 225 – Confédération des syndicats médicaux et Fédération nationale des infirmiers.
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7. Keine rechtskräftige oder anderweitige Anhängigkeit in derselben Sache Die Beschwerde ist weiterhin unzulässig, wenn sie mit einer schon vorher vom EGMR geprüften Beschwerde übereinstimmt (res iudicata) oder einer anderen internationalen Untersuchungs- oder Vergleichsinstanz unterbreitet worden ist (Litispendenz). Die Identität der Rechtssache bezieht sich auf die Parteien, den Beschwerdegegenstand und die vorgetragenen Tatsachen. Nur bei Bekanntwerden neuer Tatsachen kann die Rechtssache neu bewertet werden. Um beurteilen zu können, ob die Beschwerde eine res iudicata ist, müssen also die Sachverhalte verglichen werden, auf die sie sich stützt. Die Sachlage muss sich zwischen dem Zeitpunkt der Entscheidung des EGMR und dem des neuen Sachvortrags verändert haben. Regelmäßig genügt es nicht, wenn die vorgetragenen Tatsachen lediglich ergänzt werden, aber vorher schon hätten vorgetragen werden können. War es der Partei „nach menschlichem Ermessen“ nicht möglich, die betreffende Tatsache zu kennen, so handelt es sich zwar noch immer um denselben Sachverhalt, doch kann dann ein Antrag auf Wiederaufnahme gestellt werden (Art 80 VfO). Die Frage der Rechtskraft kann sich bei Zulässigkeit und Begründetheit gleichermaßen stellen. Wurde die Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen, das Hindernis aber behoben, so steht die frühere Zulässigkeitsentscheidung einer Entscheidung zur Sache nicht mehr im Wege. In materiellrechtlicher Hinsicht kann das In-Kraft-Treten eines Zusatzprotokolls für den beklagten Staat von Bedeutung sein, sofern die Verletzung noch andauert. Die Voraussetzungen der Litispendenz sind ähnlich, abgesehen davon, dass sie sich auf eine anderweitige Anhängigkeit beziehen. Eine andere Instanz im Sinne des Art 35 II lit b EMRK ist vor allem der UN-Menschenrechtsausschuss, der für Beschwerden nach dem Fakultativprotokoll zum UN-Zivilpakt zuständig ist (→ § 2 Rn 19 ff).123 Darüber hinaus kommen Verfahren vor den Kontrollinstanzen der Internationalen Arbeitsorganisation in Betracht.124 Dies ist bedenklich, weil die jeweiligen Schutzsysteme in der Stellung der zuständigen Organe, in der Rechtsschutzintensität und auch im Hinblick auf den Kontrollmaßstab mit dem EGMR nicht vergleichbar sind.125 Der Beschwerdeführer muss, will er die Zurückweisung wegen Unzulässigkeit vermeiden, den anderweitig eingelegten Rechtsbehelf zurücknehmen. Dagegen gilt der EuGH nicht als anderweitige Untersuchungsinstanz,126 schon weil er keine Grundrechtsbeschwerde kennt; allerdings übt der EGMR seine Zuständigkeit in Rechtssachen, die in die Kompetenz des EuGH fallen, ohnehin nicht aus (→ Rn 12).
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8. Kein Missbrauch Das Erheben einer Beschwerde darf schließlich nicht missbräuchlich sein (Art 35 III EMRK). Dies kommt selten vor und ist anzunehmen, wenn sie wissentlich auf falsche Tatsachen gestützt wird, wenn gefälschte Unterlagen vorgelegt werden oder das Verhalten 123 Vgl EKMR, DR 80 A, 24, 32 – Pauger; EGMR No 29590/96, Entsch v 13.2.2001 – Yagmurdereli. 124 EKMR, DR 50, 228, 237 – Council of Civil Service Unions ua; DR 73, 120 § 2 – Cereceda Martín; zur Menschenrechtskommission der GUS-Staaten das Gutachten des EGMR NJW 2005, 123. 125 Kritisch auch Grabenwarter EMRK, § 13 Rn 53. 126 Zwaak in: van Dijk/van Hoof/van Rijn/Zwaak (Hrsg), Theory and Practice of the European Convention on Human Rights, 4. Aufl 2006, 95, 183.
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des Beschwerdeführers als Missachtung des Gerichts zu werten ist.127 Auch wenn er sich entgegen Art 38 II EMRK auf Erklärungen beruft, die die staatliche Partei in den Vergleichsverhandlungen abgegeben hat, ist dies als Missbrauch anzusehen.128 9. Keine Unvereinbarkeit mit der Konvention 62
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Die Beschwerde wird für unzulässig erklärt, wenn sie mit der Konvention unvereinbar ist (Art 35 III EMRK). Zu unterscheiden sind die Unvereinbarkeiten ratione personae, ratione loci, ratione temporis und ratione materiae. Wegen Unvereinbarkeit mit der Konvention ratione personae wird eine Beschwerde zum einen zurückgewiesen, wenn sie von einer nicht partei- oder prozessfähigen Person erhoben wird oder wenn es an der Opfereigenschaft fehlt. Insofern ist auf die Punkte 1 und 2 zu verweisen, die beide zu einer Zurückweisung als unzulässig wegen Unvereinbarkeit mit der Konvention führen. Gegenüber den bereits erörterten Zulässigkeitsvoraussetzungen eigenständige Bedeutung gewinnt dieser Zurückweisungsgrund, wenn die als verletzt gerügte Garantie den beklagten Mitgliedstaat nicht oder nicht im geltend gemachten Umfang bindet, etwa weil er ein angeführtes Zusatzprotokoll nicht ratifiziert hat. Ferner scheitert die Beschwerde hier, wenn sie sich nicht gegen eine Konventionspartei richtet, sondern bspw gegen eine Privatperson,129 eine internationale Organisation130 oder die Europäische Union (→ Rn 12). Gleiches gilt, wenn es an der Zurechenbarkeit der gerügten Verletzung fehlt. Die Zurechnung ist besonders begründungsbedürftig, wenn der staatlichen Partei ein Unterlassen vorgeworfen wird, weil die Konventionsrechte in erster Linie Abwehrrechte sind. Einige von ihnen begründen aber auch Handlungspflichten, so insbesondere Art 2 (Leben), Art 3 (Schutz vor unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung), Art 5 (persönliche Freiheit) und Art 8 (Privatsphäre) EMRK.131 Ratione loci unzulässig sind Beschwerden, die sich auf Hoheitsakte außerhalb des Gebiets beziehen, für das die Konventionspartei gem Art 56 EMRK verantwortlich ist. Hier ist prozessual auch die Problematik der Exterritorialität einzuordnen (→ Rn 9). Ferner gehören in diesen Zusammenhang Fälle der Ausweisung oder Auslieferung, in denen
127 Bsp EGMR, NJW 2007, 2097 (bewusst unrichtiger Tatsachenvortrag) mwN; NJW 2009, 489 (gefälschte Vollmacht). 128 Näher Trechsel in: Pettiti/Decaux/Imbert (Hrsg), La Convention Européenne des Droits de l’Homme, 2. Aufl 1999, 621, 637 ff; Meyer-Ladewig EMRK, Art 35 Rn 30. 129 EGMR No 38330/07, Entsch v 26.1.1999 – Garner (Beschwerde gegen Strafverteidiger); allerdings kann der Staat Beschwerdegegner sein, wenn ihm vorzuwerfen ist, dass er von Privaten ausgehende Verletzungen nicht verhindert hat, s Abraham in: Pettiti/Decaux/Imbert (Hrsg), La Convention Européenne des Droits de l’Homme, 2. Aufl 1999, 579, 584. 130 Vgl aber EGMR No 28934/95, Entsch v 18.2.1999 – Beer u. Regan, wo eine Beschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland als unbegründet zurückgewiesen wurde, die sich gegen die Gewährung von Immunität für die European Space Agency vor deutschen Arbeitgerichten gerichtet hatte. 131 EGMR Rep 1998-III, 1152 § 124 – Kurt (Verschwinden eines Inhaftierten); Rep 1998-VI, 2692 § 22 – A./Vereinigtes Königreich (Prügelstrafe gegen Neunjährigen); EuGRZ 1995, 530 – Lopez Ostra → JK EMRK Art 8/2 (Duldung einer gefährlichen Anlage in der Nähe eines Wohnhauses); s die Systematik bei Grabenwarter EMRK, § 19 Rn 1 ff; systematische Aufarbeitung der Rspr bei Mowbray The Development of Positive Obligations under the European Convention of Human Rights by the European Court of Human Rights, 2004.
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der Beschwerdegegner für das sich anschließende oder drohende Verhalten des späteren Aufenthaltsstaates selbst nicht verantwortlich ist; allerdings ist zu prüfen, ob nicht mit schweren Menschenrechtsverletzungen im Drittstaat gerechnet werden muss.132 Mit der Konvention ratione temporis unvereinbar ist eine Beschwerde, wenn die Verletzung vor In-Kraft-Treten der Konvention für den beklagten Staat stattgefunden hat und nicht mehr fortdauert (→ Rn 10).133 Ob eine Beschwerde ratione materiae mit der Konvention vereinbar ist, richtet sich schließlich danach, ob das als verletzt gerügte Recht von der EMRK überhaupt gewährleistet wird. Insoweit findet ein an einem Evidenzmaßstab orientierter Vorgriff auf die Begründetheitsprüfung statt. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn sich die vorgetragene Einbuße an Freiheiten offensichtlich generell keiner Konventionsgarantie zuordnen lässt oder wenn das geltend gemachte Konventionsrecht konkret den beklagten Staat nicht bindet, weil er zu der einschlägigen Bestimmung einen gem Art 57 EMRK möglichen Vorbehalt erklärt hat. Kein Prüfungsmaßstab der Individualbeschwerde nach Art 34 EMRK sind andere Menschenrechtsübereinkommen des Europarates wie die Europäische Sozialcharta vom 18. Oktober 1961,134 das Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe vom 26. November 1987 135 und die verschiedenen Konventionen zum Schutz von Minderheiten,136 die sämtlich ihre jeweils eigenen Schutzmechanismen haben und nicht der Gerichtsbarkeit der EGMR unterliegen.137 Dagegen kommt es nicht darauf an, dass die Beschwerde den vorgetragenen Sachverhalt den Konventionsgarantien richtig zugeordnet hat; dies ist Sache des Gerichtshofs.
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10. Keine offensichtliche Unbegründetheit Auch die Zurückweisung wegen offensichtlicher Unbegründetheit (Art 35 III EMRK) verlangt eine Vorabbeurteilung. Dabei geht es nicht allein darum, querulatorische oder sonst auf den ersten Blick unplausible Beschwerden zurückweisen zu können, es kann sich auch erst nach eingehender Erörterung herausstellen, dass eine Beschwerde offensichtlich unbegründet ist.138 Dieser Auffangtatbestand erfüllt in der Praxis des Gerichtshofs die Funktion, die vor nationalen Verfassungsgerichten das Annahmeverfahren hat. An dieser Hürde scheitern sehr viele Beschwerden, sei es weil sie nicht hinreichend substantiiert sind, die nötigen Beweise fehlen oder weil, die Wahrheit des Vortrags unterstellt, keine Konventionsverletzung festzustellen ist.
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Fn 53. Zusammenfassend EGMR, NJW 2007, 347 – Blecic. BGBl 1964 II, 1262. BGBl 1989 II, 946, geänd durch zwei Zusatzprotokolle, konsolidierte Fassung BGBl 1996 II, 1115. 136 Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen v 5.11.1992, BGBl 1998 II, 1315; Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten v 1.2.1995, BGBl 1997 II, 1408. 137 Dazu Schorkopf in: Grote/Marauhn, EMRK, Kap 30 Rn 93 ff, 106 ff. 138 Bsp EGMR, NJW 2007, 1433 – Weber (Beschwerde gegen Neufassung des G 10-Gesetzes).
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11. Rechtsschutzbedürfnis 68
Für die gesonderte Prüfung eines Rechtsschutzbedürfnisses besteht in der Regel kein Anlass, da dieses meist mit der Opfereigenschaft festgestellt wird. Nur ausnahmsweise kann es daran fehlen, wenn die Beschwerde keinen praktischen Zweck verfolgt.139
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Lösung Fall 1: (1) Die Beschwerdeführer sind, soweit sie natürliche Personen sind, ohne Weiteres partei- und prozessfähig. Da auch juristische Personen des Privatrechts Eigentum haben können, bestehen auch in dieser Hinsicht keine Bedenken; ihre Prozessfähigkeit wird durch ihre gesetzlichen Vertreter hergestellt. (2) Die Beschwerdeführer machen ferner geltend, durch die deutsche Gesetzgebung zu Enteignungsmaßnahmen in der SBZ bzw DDR in eigenen Eigentumsrechten bzw Rechten auf die räumlich bestimmte Privatsphäre verletzt zu sein und sind daher beschwerdebefugt. (3) Bezüglich der Rechtswegerschöpfung, der Beschwerdefrist und der Form der Beschwerde erheben sich keine Bedenken; auch hat der EGMR über die Beschwerden noch nicht entschieden, anderweitig rechtshängig sind sie gleichfalls nicht. (4) Fraglich ist aber, ob sie im Sinne des Art 35 III EMRK mit der Konvention und ZP 1 vereinbar sind. Soweit Maßnahmen der sowjetischen Besatzungsmacht zwischen 1945 und 1949 oder der DDR nach 1949 in Rede stehen, wäre der Gerichtshof ratione personae bzw ratione temporis unzuständig, da sie der Bundesrepublik nicht zuzurechnen sind und vor deren Beitritt zur EMRK bzw vor deren Wirksamwerden für das ehemalige Gebiet der DDR abgeschlossen waren. Auslöser für eine Verantwortlichkeit nach Art 1 ZP 1 (Eigentum) kann also nur die Entschädigungsgesetzgebung sein, die später erlassen wurde. Bei einer derartigen Transitionsgesetzgebung besitzen die Mitgliedstaaten einen weiten Ermessensspielraum. Es kommt entscheidend darauf an, ob die Gesetze eigentumsähnliche Rechtspositionen oder berechtigte Erwartungen geschaffen hatten, die hätten verletzt werden können. Dies war nicht der Fall. Die vage Aussicht, ein Vermögensrecht, das nicht wirksam ausgeübt werden konnte, werde anerkannt, wird nicht als Eigentum angesehen. Die Hoffnung, der Gesetzgeber werde eine bestimmte Restitutions- oder Entschädigungsgesetzgebung erlassen, unterfällt gleichfalls nicht dem Schutz des Eigentumsrechts. Das zum Eigentumsrecht Gesagte gilt entsprechend für Haus und Wohnung als räumlich umgrenzter Privatsphäre. Die mit den Beschwerden bezüglich der nach der Wiedervereinigung entstandenen Rechtslage geltend gemachten Interessen werden somit von der EMRK und ihrem ersten Zusatzprotokoll nicht geschützt, so dass sie mit der Konvention ratione materiae unvereinbar sind. Die Beschwerden sind unzulässig.140
III. Begründetheit einer Individualbeschwerde 1. Prüfungsabfolge 70
Über die Prüfungsreihenfolge zwischen den einzelnen Konventionsgarantien gibt es kaum feste Regeln. Aus dem Verhältnis der einzelnen Rechte zueinander folgt zunächst, dass Art 14 EMRK logisch nachrangig ist, weil er voraussetzt, dass der Sachverhalt in den Regelungsbereich einer materiellen Garantie fällt. Im Übrigen orientiert sich der EGMR teils am Vortrag des Beschwerdeführers, teils wendet er sich dem Schwerpunkt des Vorwurfs zuerst zu. Innerhalb der jeweiligen Konventionsgrundrechte ist nach Schutzrichtung 139 Peukert in: Frowein/Peukert, EMRK, Art 25 Rn 38. 140 Nach EGMR, NJW 2005, 2530 – Maltzan ua.
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zu unterscheiden. Die Prüfungsschritte unterscheiden sich zum einen nach Art der Gewährleistung danach, ob es sich um Freiheitsrechte, Verfahrens- und Justizgrundrechte oder um Gleichheitsrechte handelt. Ferner stellen die Handlungspflichten eigene Anforderungen auf. Ein Auffanggrundrecht, wie im deutschen Grundgesetz die allgemeine Handlungsfreiheit (Art 2 I GG), gibt es in der EMRK so nicht. Es ist also denkbar, dass bestimmte Lebensbereiche durch keine Konventionsgarantie erfasst werden. 2. Freiheitsrechte Der aus der verfassungsrechtlichen Grundrechtsprüfung bekannte methodische Dreischritt von Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung 141 kann auch auf die Rechte aus der EMRK angewendet werden,142 allerdings mit gewissen Vorbehalten. Zunächst kennt die EMRK absolute Rechte, die nicht einschränkbar sind, wie die Verbote der Folter (Art 3 EMRK), der Sklaverei und der Zwangsarbeit (Art 4 EMRK) sowie der Ausweisung eigener Staatsangehöriger und der Kollektivausweisung (Art 3 und 4 ZP 4).143 Bei den verbleibenden Garantien (vor allem bei Art 8 bis 12 EMRK, Art 1 ZP 1, Art 2 ZP 4) lässt sich die verfassungsrechtliche Grundrechtsdogmatik als methodische Orientierungshilfe heranziehen, auch wenn der EGMR selten explizit so verfährt.
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a) Schutzbereich Die meisten Konventionsrechte stehen allen, die der Hoheitsgewalt eines Konventionsstaates unterliegen, ohne Ansehen der Staatsangehörigkeit zu. Einen beschränkten persönlichen Schutzbereich haben aber das Wahlrecht (Art 3 ZP 1) und der individuelle Ausweisungsschutz (Art 3 ZP 4); auf beide Rechte können sich Ausländer nicht berufen. Der sachliche Schutzbereich wird vom EGMR nicht immer präzise bestimmt. Sind die in Betracht kommenden Konventionsrechte vergleichbar, weil dieselben Schrankenregelungen gelten und es letztlich auf diese ankommt, verzichtet er auf eingehende Erörterungen.144 Bei Auslegung der Schutzbereiche folgt der EGMR einer dynamisch-teleologischen Methodik, die vom evolutiven Charakter der Konvention ausgeht und sie als living instrument ansieht, deren Verständnis sich wandelnden Umständen angepasst werden muss. So kann es dazu kommen, dass ältere Entscheidungen, die einen Schutzbereich eng gezogen haben, später zugunsten einer schutzintensiveren Auslegung revidiert werden.145
141 Vgl die bei Pieroth/Schlink Grundrechte – StaatsR II, 23. Aufl 2007, Rn 346 f empfohlene Methodik, die dort – abgesehen von der Menschenwürde (Rn 365) – auf alle Freiheitsrechte des Grundgesetzes angewandt wird. 142 So auch Ehlers EuGR, § 2 Rn 37; Schilling Menschenrechtsschutz, Rn 39. 143 Art 52 der EU-Grundrechtecharta, der auf die nach der EMRK geltenden Schranken verweist, trägt dem Rechnung. 144 So kommt es letztlich oft nicht darauf an, ob ein Handeln als Äußerung der Gedanken- (Art 9 EMRK) oder der Meinungsfreiheit (Art 10 EMRK) anzusehen ist, wenn maßgeblich ist, ob die Beschränkung „gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ ist (vgl Art 9 II mit Art 10 II EMRK). 145 Matscher FS Wildhaber, 2007, 437 ff; vgl bspw EGMR, EuGRZ 1979, 162 §§ 29 ff – Tyrer mit Rep 1999-V, 149 § 101 – Selmouni; s auch EGMR, NJW 2002, 2851 § 54 – Pretty; allgem zu den Auslegungsmethoden Jacobs/White The European Convention on Human Rights, 2. Aufl 1996, 26 ff; zur dynamischen Methode eingehend Cremer in: Grote/Marauhn, EMRK, Kap 4 Rn 35 ff.
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b) Eingriff 74
Zwischen Schutzbereich und Eingriff besteht ein enger Zusammenhang, weil die Konventionsgarantien an typischen Gefährdungslagen, also denkbaren Eingriffen, anknüpfen. Es überrascht daher nicht, dass die EMRK selbst verschiedene, an den jeweiligen Garantien orientierte Eingriffsbegriffe verwendet. So ist in Art 8 II EMRK in der deutschen Fassung ausdrücklich von einem „Eingriff“ die Rede, Art 9 II, 10 II und 11 II EMRK sprechen ua von „Einschränkungen“. Auch die Begriffe „Töten“ (Art 2) und „Entziehen“ (Art 5 EMRK, Art 1 ZP 1) bezeichnen Eingriffe. Die der deutschen Grundrechtsdogmatik bekannte Differenzierung zwischen einem „klassischen“ und einem „modernen“ Eingriffsbegriff gibt es in der eher kasuistischen Rechtsprechung des EGMR dagegen nicht, ebenso wenig wie sonst eine Eingriffsdogmatik. Die Einordnung einer Maßnahme als Eingriff dient in erster Linie dazu, ihre Zurechnung an den beklagten Mitgliedstaat herzustellen und unwesentliche Beeinträchtigungen aus der Prüfung auszuscheiden. Regelmäßig wird dieser Aspekt bereits im Rahmen der Zulässigkeit bei Beurteilung der Opfereigenschaft eine Rolle spielen. Ansonsten wird im Geiste teleologischer Handhabung der Konventionsgarantien ein weiter Eingriffsbegriff verwendet.146
c) Rechtfertigung 75
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Zunächst können die meisten Konventionsrechte im Notstandsfall suspendiert werden (Art 15 EMRK). Dies gilt indessen nicht für die in Art 15 II EMRK genannten Kerngarantien. Die politischen Grundrechte von Ausländern aus Art 10, 11 und 14 EMRK können beschränkt werden (Art 16 EMRK).147 Auch das Missbrauchsverbot (Art 17 EMRK) kann sich als Schranke erweisen. Abgesehen von diesen allgemeinen Schrankenregelungen folgt die Rechtfertigungsprüfung einem Maßstab, der grundrechtsspezifisch zu ermitteln ist. Allerdings sind die Schranken der Art 8 bis 11 EMRK, Art 2 ZP 4 ähnlich formuliert, so dass sich hier gemeinsame Grundsätze entwickelt haben. Danach bedarf es einer rechtlichen Grundlage. Damit sind zuerst einmal rechtsstaatliche Anforderungen angesprochen wie die Bindung der öffentlichen Gewalt an das Gesetz und die Vorhersehbarkeit des Eingriffs.148 Ob darüber hinaus auch das Demokratieprinzip von dieser Schrankenregelung in dem Sinne umfasst ist, dass es stets einer Rückbindung des Eingriffsaktes an einen Akt des Parlaments bedarf, muss zunächst zweifelhaft erscheinen. Die Originalsprachen verlangen, der Eingriff müsse prévue par la loi bzw perscribed by law sein, was sich auch als rechtlich vorgesehen übersetzen und nicht zwingend als Erfordernis eines Parlamentsgesetzes verstehen lässt. In Rechtsordnungen des common law kann auch Richterrecht genügen.149 Der Bezug auf eine „demokratische Gesellschaft“ und das Kriterium der Vorhersehbarkeit sprechen aber dafür, zumindest in den Ländern, in denen die Rückführbarkeit des Gesetzes auf den Willen des Souveräns und die Publizität des Gesetzes 146 Weber-Dürler VVDStRL 57 (1998), 57, 65 und 86; Villiger EMRK Rn 542; Ehlers EuGR, § 2 Rn 40. 147 Innerhalb der EU gilt dies nicht, s EGMR Ser A 314 § 64 – Piermont; Kadelbach in: v. Bogdandy (Hrsg), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 539, 569. 148 EGMR Ser A 30 § 47 ff – Sunday Times; A 130 § 61 – Olsson; A 316-B § 37 – Tolstoy Miloslavsky. 149 Vgl zu Art 7 EMRK (keine Strafe ohne Gesetz) EGMR Ser A 335-B §§ 34 ff – S.W./Vereinigtes Königreich und A 335-C §§ 32 ff – C.W./Vereinigtes Königreich.
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als Kernelemente der Rechtsstaatlichkeit gelten, auch ein Gesetz zu verlangen. Im Ergebnis führt dies dazu, die Ausformung des Gesetzeserfordernisses abhängig von den Gegebenheiten der jeweiligen Rechtskultur zu bestimmen, so dass für die deutsche Rechtsordnung eine zu einem Gesetz im formellen Sinne zurückführende Legitimationskette zu verlangen wäre.150 Doch sind der Anwendung dieses Kriteriums gewisse Grenzen gesetzt, da der EGMR nicht ohne weiteres Maßstäbe des innerstaatlichen Rechts anlegen kann. Die Notwendigkeit des in Rede stehenden Eingriffs in einer demokratischen Gesellschaft, die Art 8 bis 11 EMRK, Art 2 ZP 4 zur Voraussetzung seiner Rechtfertigung machen, muss sich auf eines der dort genannten Ziele beziehen. Art 1 ZP 1 nennt kein eigenes Ziel, sondern verweist auf die Gesetze, doch ist im Einklang mit den übrigen Konventionsbestimmungen auch hier ein legitimes Gemeinwohlinteresse zu fordern. Der Gerichtshof überprüft die Legitimität des Eingriffsziels gewöhnlich nicht eingehend. Darüber hinaus wird das Notwendigkeitskriterium als Verhältnismäßigkeitsmaßstab verstanden.151 Auch wenn alle drei Schritte der aus dem deutschen Recht bekannten Prüfung gelegentlich auftauchen,152 wird zumeist ein zweistufiger Verhältnismäßigkeitstest angewendet, der die Eignung und die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne unterscheidet. Auf der zweiten Stufe, auf der sich der Ausgang des Falles meist entscheidet, kann dann auch die Frage nach milderen Mitteln aufgeworfen werden.153 In diesem Rahmen ist auch zu berücksichtigen, dass die Mitgliedstaaten bei der Wahl ihrer Mittel einen Gestaltungsspielraum (margin of appreciation) besitzen.154 Auch bei den Grundrechten, für die die in den Art 8 bis 11 EMRK formulierte Schranke nicht errichtet worden ist, ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz heranzuziehen, sofern dabei der Wesensgehalt der Konventionsrechte beachtet wird.155 Darüber hinaus kommen bei ihnen immanente Schranken in Betracht.156
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3. Justizgrundrechte Die Justizgrundrechte der Art 5 (Freiheit), 6 (faires Verfahren) und 7 (nulla poena sine lege) EMRK haben strukturell manches mit den anderen Grundrechten gemeinsam, es gelten aber auch Besonderheiten.157 Zum einen ist (insbesondere bei Art 6 und 7 EMRK) die Bestimmung des Schutzbereichs in stärkerem Maße vom innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten abhängig, was bei der Zuordnung ggf komplexere Überlegungen erfor-
150 So auch Frowein in: Frowein/Peukert, EMRK, Vorbemerkung zu Art 8-11 Rn 2; Grabenwarter EMRK, § 18 Rn 8 f; s dagegen Wildhaber/Breitenmoser in: Golsong/Karl, IK-EMRK Art 8 Rn 539; Ibing Die Einschränkung der europäischen Grundrechte durch Gemeinschaftsrecht, 2006, 122 ff. 151 Grabenwarter/Marauhn in: Grote/Marauhn, EMRK, Kap 7 Rn 45 ff mwN. 152 Ehlers EuGR, § 2 Rn 47. 153 EGMR Ser A 24 § 58 – Handyside; eingehend Macdonald in: ders/Matscher/Petzold, The European System for the Protection of Human Rights, 1993, 83 ff; Brems ZaöRV 56 (1996), 240 ff; Hutchinson ICLQ 48 (1999) 638 ff. 154 EGMR Ser A 24 §§ 47 ff – Handyside. 155 Zum Recht auf Eheschließung (Art 12 EMRK) EGMR No 28957/95, Urt v 11.7.2002, § 99 ff – Goodwin. 156 Peters EMRK, 26; zu Anforderungen an Sprachkenntnisse als Beschränkung des Wahlrechts (Art 3 ZP 1) EGMR No 46729/99, Urt v 9.4.2002, §§ 33 f – Podkolzina. 157 Ebenso Grabenwarter/Marauhn in: Grote/Marauhn, EMRK, Kap 7 Rn 62 ff.
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dert. Zum anderen sind die Maßstäbe genauer beschrieben, so dass eine Verletzung bereits dann anzunehmen ist, wenn diesen Anforderungen nicht entsprochen wird, ohne dass es dann noch einer Verhältnismäßigkeitsprüfung bedarf.158 Teilausschnitte dieser Grundrechte sind hingegen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zugänglich, so die Frage der Angemessenheit der Verfahrensdauer nach Art 6 I EMRK. Gemeinsam ist allen diesen Garantien mit den Freiheitsrechten der Art 8 bis 12 EMRK, dass Eingriffe nur rechtmäßig sein können, wenn sie auf gesetzlicher Grundlage beruhen. 4. Handlungspflichten 81
Besonderheiten gelten ferner bei den Handlungspflichten der Mitgliedstaaten (→ Rn 63). Konventionswidrig ist hier ein Unterlassen, sei es dass der Staat zum Schutz der Konventionsrechte notwendige Informationen nicht zur Verfügung gestellt,159 dass er keinen Zugang zu Gericht gewährt (Art 13 EMRK) oder dass er sonst gebotene Maßnahmen nicht ergriffen hat. Die Besonderheit der Prüfung besteht darin, dass das unterlassene, aber pflichtgemäße Verhalten beschrieben werden muss, um den Eingriff zu bezeichnen.160 Auf Rechtfertigungsebene geht es im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung darum, welche Maßnahmen notwendig und dem beklagten Staat zumutbar waren. Auch insoweit ist dessen Beurteilungsspielraum zu beachten. 5. Gleichheitsrechte
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Das Diskriminierungsverbot des Art 14 EMRK ist den Freiheitsrechten akzessorisch, dh es setzt voraus, dass das Verhalten des Beschwerdeführers in den Bereich einer beschriebenen Konventionsgarantie fällt.161 Meist wendet der EGMR Art 14 EMRK nicht mehr an, wenn der Beschwerdeführer in diesem Freiheitsrecht auch verletzt ist. Das Gleichheitsrecht wird also bspw herangezogen, wenn zwar der Schutzbereich eines anderen Konventionsrechts betroffen, der Eingriff aber gerechtfertigt ist, und wenn sich dabei ungleiche Belastungen verschiedener Personengruppen ergeben.162 So kann eine Beschränkung des elterlichen Sorgerechts nach Art 8 EMRK gerechtfertigt sein, die zugrunde liegende Regelung aber Männer und Frauen oder eheliche und nicht eheliche Väter ungleich behandeln. Eine Ausnahme gilt aber, wenn die Ungleichbehandlung der Freiheitsverletzung in schwerwiegender Weise eine zusätzliche Dimension gibt; dann können ein Freiheitsrecht und das Diskriminierungsverbot kumulativ verletzt sein.163 In der Prüfung 164 ist zunächst festzustellen, ob Art 14 EMRK anwendbar ist. Dazu ist (1.) zu klären, ob der Anwendungsbereich eines Freiheitsrechts berührt und verletzt ist
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Bei den Art 101 und 103, mit Einschränkungen bei Art 2 II 2 iVm Art 104 GG ist dies ähnlich. Vgl EGMR, NJW 1999, 3185 – Guerra → JK EMRK Art 8, 10, 50/3. Vgl Grabenwarter EMRK, § 19 Rn 11. Dem am 1.4.2005 in Kraft getretenen 12. Protokoll (Fn 16), dessen Art 1 ein nichtakzessorisches Diskriminierungsverbot enthält, ist die Bundesrepublik Deutschland nicht beigetreten. 162 Vgl EGMR, EuGRZ 1995, 392 § 22 – Schmidt → JK EMRK Art 14/1; NJW 2001, 1558 – Olbertz; NJW 2006, 917 – Okpisz. 163 EGMR, NJW 1999, 3695 – Chassagnou. 164 Vgl den an der Rspr des EGMR orientierten Vorschlag zur Prüfungsfolge bei Peters EMRK, 215 f, 258.
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und ob ggf für eine zusätzliche Anwendung des Art 14 EMRK Raum ist. Anschließend ist (2.) nach einer Ungleichbehandlung zu fragen. Ähnlich wie nach Art 3 I GG sind hierzu (a.) Vergleichsgruppen zu bilden, (b.) die Differenzierung bzw Nicht-Differenzierung zu benennen und (c.) deren Rechtfertigung zu erörtern. Bei der Rechtfertigung kommt es wiederum auf den legitimen Zweck und auf die Verhältnismäßigkeit zwischen dem eingesetzten Mittel (dh der differenzierenden Maßnahme) und dem verfolgten Zweck an. Lösung Fall 2: I. Zulässigkeit: (1) B ist als natürliche Person partei- und als inzwischen Volljähriger auch prozessfähig. (2) Er macht ferner schlüssig geltend, durch ein zum Entscheidungszeitpunkt 165 mehr als 16 Jahre andauerndes Gerichtsverfahren in seinen Rechten aus Art 6 und 13 EMRK verletzt zu sein, so dass er auch die gem Art 34 S 1 EMRK vorausgesetzte Opfereigenschaft besitzt. (3) Fraglich ist indessen, ob B auch alle innerstaatlichen Rechtsbehelfe ausgeschöpft hat (Art 35 I EMRK). Dazu sind im Hinblick auf alle geltend gemachten Rechtsverletzungen die Rechtsbehelfe einzulegen, die nach nationalem Recht Abhilfe versprechen. Ineffektive Rechtmittel brauchen dagegen nicht eingelegt werden. In Betracht kamen nach dem Vortrag der Bundesregierung vier Rechtsbehelfe. (a) Die Dienstaufsichtsbeschwerde ist nicht hinreichend effektiv, da sie dem B keinen Anspruch verschafft, die Ausübung der Rechtsprechungstätigkeit zu beeinflussen. (b) Die Untätigkeitsbeschwerde ist ein nur von manchen Gerichten gewährter, gesetzlich derzeit nicht verankerter Rechtsbehelf, der keine hinreichend gesicherten Erfolgsaussichten bietet. (c) Ein Staatshaftungsanspruch (Art 34 GG iVm § 839 BGB) wegen zögerlicher Rechtsprechung verspricht wegen § 839 II BGB gleichfalls keinen Erfolg und würde auch einen evtl immateriellen Schaden nicht umfassen. (d) Die Verfassungsbeschwerde schließlich ist zwar Teil des nach Art 35 I EMRK auszuschöpfenden Instanzenwegs; durch sie kann aber lediglich die Feststellung erreicht werden, dass es zu einer Verletzung der Art 6 und 13 EMRK als Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung (Art 19 IV, 2 I GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) gekommen ist. Dem gegenüber kann das BVerfG dem zuständigen Gericht keine konkreten Maßnahmen aufgeben (etwa Fristen setzen) und auch keine Entschädigung zusprechen. (4) Die Erfordernisse an Frist und Form sind erfüllt, auch ist die Beschwerde weder anonym, noch anderweitig anhängig oder missbräuchlich. (5) Anhaltspunkte für eine Unvereinbarkeit mit der Konvention oder (6) eine offensichtliche Unbegründetheit ergeben sich gleichfalls nicht. Die Beschwerde ist zulässig. II. Begründetheit: (1) In Betracht kommt zunächst eine Verletzung des Art 6 EMRK. (a) Schutzbereich: Jede Person hat danach ua ein Recht darauf, dass über seine zivilrechtlichen Ansprüche innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer ist dabei im Lichte der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen, zu denen insbesondere die Komplexität des Falles, das Verhalten des Beschwerdeführers, die Vorgehensweise der Gerichte und die Bedeutung des Falles für den Beschwerdeführer gehören. Der Fall ist rechtlich und tatsächlich nicht sonderlich kompliziert. Auch der Umstand, dass im Zivilprozess die Parteien das Verfahren betreiben (Parteimaxime) bedeutet nicht, dass die Gerichte von ihrer Pflicht zur Sicherstellung eines zügigen Verfahrens entbunden wären. Allerdings hat der Beschwerdeführer unstreitig selbst durch zahlreiche Ablehnungs- und
165 Fall nach EGMR, NJW 2006, 2389 – Sürmeli, dort auch Nachw zu den in der Lösung getroffenen Aussagen zum deutschen Verfahrensrecht; im Originalfall hat der EGMR die Prüfung der Erschöpfung des Rechtswegs mit der Frage einer Verletzung des Art 13 EMRK zusammengezogen und gemeinsam in der Begründetheit entschieden; s zu einem solchen Fall nun auch BVerfG-K, NJW 2008, 503: offensichtlich begründete Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung von Art 2 I iVm Art 20 III (Rechtsstaatsprinzip) GG und Art 6 I EMRK.
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2. Teil: Rechtsschutz im europäischen Völkerrecht
Beweisanträge zur Verzögerung des Verfahrens beigetragen. Doch vermögen diese Anträge allein die ungewöhnliche Verfahrensdauer von über 16 Jahren nicht zu erklären. Angesichts dieser Dauer tritt auch der Umstand, dass Verfahren auf Schadensersatz nicht zu den besonders eilbedürftigen Fällen zählen, zurück. Die Verfahrensdauer war nicht mehr angemessen. (b) Mit dem Ergebnis, dass die Beschwerdegegnerin hinter den Anforderungen des Art 6 I EMRK zurückgeblieben ist, ist zugleich die Verletzung dieses Rechts festgestellt. (2) Ferner könnte Art 13 EMRK verletzt sein. (a) Art 13 EMRK gewährt jedem, der in einem seiner Konventionsrechte verletzt ist, ein Recht auf Zugang zu wirksamem Rechtsschutz. Wie zur Zulässigkeit ausgeführt, steht ein wirksamer Rechtsbehelf gegen unangemessen lange Verfahrensdauer nach deutschem Recht derzeit nicht zur Verfügung. (b) Damit ist zugleich Art 13 EMRK verletzt. Der EGMR hat der Beschwerde daher stattgegeben.
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3. Teil: Rechtsschutz im Europäischen Unions- und Gemeinschaftsrecht
§6 Anforderungen an den Rechtsschutz nach dem Europäischen Unions- und Gemeinschaftsrecht Dirk Ehlers Die Europäische (Wirtschafts-)Gemeinschaft ist, nach Walter Hallstein, in dreifacher Hinsicht Rechtsgemeinschaft: Sie ist „Schöpfung des Rechts“, „Quelle des Rechts“ und „Verwirklichung der Rechtsidee“.1 Als Rechtsgemeinschaft 2 ist die Europäische Gemeinschaft ebenso wie die Europäische Atomgemeinschaft verpflichtet, effektiven Rechtsschutz zu gewähren. Dementsprechend hat nach der Rspr des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) jede Person, deren durch das Gemeinschaftsrecht garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.3 Eine (auf die Europäische Union bezogene) Bestimmung gleichlautenden Inhalts enthält Art 47 I der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh). Die Charta wird gem Art 6 I EUV-E rechtsverbindlich werden, wenn der Vertrag von Lissabon 4 in Kraft tritt. Ob und wann dies geschehen wird, lässt sich nach der Ablehnung des Vertrages durch ein in Irland durchgeführtes Referendum gegenwärtig nicht absehen. Kommt es zu einem Inkrafttreten des Vertrages, wird die Europäische Union (die bisher nur das völkerrechtliche „Dach“ der Europäischen Gemeinschaft, Europäischen Atomgemeinschaft, Gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik sowie der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit bildet) als Rechtsnachfolgerin an die Stelle der Europäischen Gemeinschaft treten (Art 1 III 3 EUV-E). Dies würde auch zu Änderungen des Rechtsschutzes führen, weil die bisherigen (begrenzten) Zuständigkeiten des EuGH in Bezug auf das Europäische Unionsrecht (Art 46 EUV) nicht vollständig übernommen worden sind, sondern partiell ausgeweitet wurden (→ Rn 4). Zusätzlich sieht der (zusammen mit dem Vertrag über die Europäische Union – EUV – den Vertrag von Lissabon bildende) Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV – verschiedene weitere Modifikationen des Rechtsschutzes vor. Die folgenden Darstellungen orientieren sich an dem geltenden Recht, beziehen aber den Vertrag von Lissabon mit ein. Auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft wird nicht näher eingegangen, weil die Europäische Atomgemeinschaft bei Weitem nicht dieselbe Bedeutung wie die Europäische Gemeinschaft erlangt hat und zudem die Rechtsschutzbestimmungen (Art 136 ff EAG) nicht von denjenigen des Gemeinschaftsrechts abweichen. Der Rechtsschutz im Unions- bzw Gemeinschaftsraum ist zwischen der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit und der nationalen Gerichtsbarkeit auf- und damit zweigeteilt, enthält aber zugleich Elemente eines Rechtsschutzverbundes.
1 Hallstein Europäische Reden, hrsg v Oppermann, 1979, 341, 343. 2 Vgl zum Europäischen Gemeinschaftsrecht zB EuGH Slg 1986, 1339 Rn 23 – Les Verts; Slg 1991, I-6079 Rn 21 – Gutachten. 3 Vgl etwa EuGH Slg 1986, 1651 Rn 19 – Johnston; Slg 1987, 4097 Rn 14 – Heylens; Slg 2001, I-9517 Rn 57 – Kühne. 4 ABl EU 2007 C 306, 1.
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3. Teil: Rechtsschutz im Europäischen Unions- und Gemeinschaftsrecht
I. Der gemeinschaftliche Rechtsschutz 3
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Die Verbandskompetenz der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit (nach dem Vertrag von Lissabon: Unionsgerichtsbarkeit) bestimmt sich nach den ausdrücklichen Zuständigkeitsvorschriften des EG-Vertrages. Fehlt es an einer Kompetenzzuweisung, muss um Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten nachgesucht werden.5 Soweit es um das hoheitliche Tun, Dulden oder Unterlassen der Gemeinschaften respektive ihrer verselbstständigten Rechtssubjekte oder Organe auf der Grundlage des Gemeinschaftsrechts geht, obliegt die Gewährung des Rechtsschutzes allein der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit. So kann nur die Gemeinschaftsgerichtsbarkeit über die Gültigkeit gemeinschaftsrechtlicher Handlungen befinden.6 Da die Europäische Gemeinschaft nach Art 282 EGV (335 AEUV-E) in jedem Mitgliedstaat die weitestgehende Rechts- und Geschäftsfähigkeit besitzt, die juristischen Personen nach dessen Rechtsvorschriften zuerkannt ist, kann sie sich daneben aber auch des mitgliedstaatlichen Zivil- und uU auch des mitgliedstaatlichen Öffentlichen Rechts bedienen (sofern dies von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gestattet wird).7 Zum Beispiel kann die Europäische Gemeinschaft privatrechtliche Verträge auf der Grundlage des Rechts eines Mitgliedstaates abschließen. In solchen Fällen sind die nationalen Gerichte nach Maßgabe des nationalen Verfahrensrechts für den Rechtsschutz zuständig, wenn sich aus Art 238 EGV (272 AEUV-E) nichts anderes ergibt.
II. Der Rechtsschutz in der Europäischen Union 5
Auch im Hinblick auf die Europäische Union kann Rechtsschutz nur nach Maßgabe des Unionsrechts bzw (soweit die Europäischen Gemeinschaften betroffen sind) des Gemeinschaftsrechts gewährt werden. Zuständig ist der EuGH, der für die Union im Wege der Organleihe tätig wird. Die Zuständigkeiten des EuGH fasst Art 46 EUV zusammen. Die Vorschrift hat weitgehend deklaratorischen Charakter, weil sich die Jurisdiktionsbefugnisse des EuGH zumeist schon aus anderen Bestimmungen (wie dem EGV oder Art 35 EUV) ergeben.8 Besondere Bedeutung kommt Art 46 lit b iVm Art 35 EUV zu, durch die erstmalig eine der beiden intergouvernementalen Säulen der Union, nämlich die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, in begrenztem Umfang der Jurisdiktion des EuGH unterworfen wurde. Kommt es zu dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon, wird mit der Überwindung der Säulenstruktur der Union und der Verschmelzung von Union und Gemeinschaft (→ Rn 1) an sich die Gerichtsbarkeit des EuGH in vollem Umfange auch für die Union zuständig. Doch bleibt die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gem Art 275 AEUV-E weitgehend der Kontrolle durch den EuGH entzogen. Für den Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen und der polizeilichen Zusammenarbeit sieht Art 276 AEUV-E vor, dass der EuGH nicht zuständig für
5 Vgl Art 240 EGV (274 AEUV-E). 6 Vgl EuGH Slg 1987, 4199 Rn 15 ff – Foto-Frost. 7 Vgl Kokott in: Streinz, EUV/EGV, Art 282 EGV Rn 9. Vgl auch OVG NRW, NVwZ 2001, 691 → JK VwGO § 40 V/31. 8 Vgl Pechstein in: Streinz, EUV/EGV, Art 46 EUV Rn 2 ff; Cremer in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 46 EUV Rn 1 ff. Näher zum Ganzen Dörr/Mager AöR 125 (2000), 386 ff.
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Anforderungen an den Rechtsschutz
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die Überprüfung der Gültigkeit oder Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen der Polizei oder anderer Strafverfolgungsbehörden eines Mitgliedstaates oder der Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit ist.
III. Der nationale Rechtsschutz Grundsätzlich wird das Europäische Unions- und Gemeinschaftsrecht nicht von der Union oder der Gemeinschaft selbst, sondern von den Mitgliedstaaten in eigener Verantwortung vollzogen. Im Anwendungsbereich des Unions- und Gemeinschaftsrechts haben die Mitgliedstaaten aber dessen Vorgaben zu beachten. Die Justizgewährung gegen oder auf Erlass mitgliedstaatliche(r) Akte obliegt in der Regel allein den mitgliedstaatlichen Gerichten. Dies gilt selbst dann, wenn es um die Vollziehung direkt anwendbaren Gemeinschaftsrechts respektive die Vollziehung von nationalen Rechtsvorschriften geht, die der Umsetzung oder Ausführung des Unions- bzw Gemeinschaftsrechts dienen.9 Mangels einer unions- oder gemeinschaftsrechtlichen Regelung sind die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen EG-Mitgliedstaaten.10 Doch sind die Mitgliedstaaten in zweifacher Hinsicht eingeschränkt. Zum einen darf der Gerichtsschutz in Fallgestaltungen mit Gemeinschaftsrechtsbezug nicht weniger günstig ausgestaltet sein als bei entsprechenden innerstaatlichen Klagen (Äquivalenzgrundsatz). Zum anderen dürfen die Mitgliedstaaten die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz).11 Dies hat zur Folge, dass das nationale Prozessrecht durch das Gemeinschaftsrecht instrumentalisiert und unter Umständen auch modifiziert und verdrängt wird. Instrumentalisierung bedeutet, dass das nationale Prozessrecht in den Dienst der Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts gestellt wird. Die nationalen Gerichte handeln funktional gesehen zugleich als Gemeinschaftsgerichte,12 während umgekehrt der EuGH als gesetzlicher Richter iSd Art 101 I 2 GG anzusehen ist.13 Eine Modifizierung des nationalen Prozessrechts kommt in Betracht, wenn dieses in ein Spannungsverhältnis zum Gemeinschaftsrecht gerät. Da das gemeinschaftsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes unmittelbare Wirkungen entfaltet und am Vorrang des Gemeinschaftsrechts 14 teilnimmt, muss das nationale Recht gemeinschaftskonform, das heißt ggf anders als bei rein innerstaatlichen Sachverhalten ausgelegt und vollzogen werden. Hat etwa der Landesgesetzgeber von der Ermächtigung des § 47 I Nr 2 VwGO Gebrauch gemacht, entscheidet im Falle eines
9 Unberührt bleibt das Recht der Kommission und anderer Mitgliedstaaten, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Mitgliedstaaten nach Maßgabe der Art 226, 227 EGV (258, 259 AEUV-E) zu erheben. 10 Vgl EuGH Slg 1976, 1989 Rn 5 – REWE; Slg 1999, I-223 Rn 32 – Upjohn; EuGH EuZW 2007, 247 Rn 39 – Unibet ua. 11 Vgl EuGH Slg 1999, I-579 Rn 25 – Dilexport; ferner zB EuGH Slg 1976, 1989 Rn 5 –REWE; Slg 1998, I-4951 Rn 19 – EDIS;EuGH EuZW 2007, 247 Rn 43 – Unibet ua. 12 Vgl Hirsch NVwZ 1998, 907, 910. 13 Vgl BVerfGE 73, 339, 366 ff; 75, 223, 233 f; 82, 159, 192; BVerfG-K, NJW 2001, 1267, 1268. 14 Vgl EuGH Slg 1964, 1251, 1256 ff – Costa/ENEL; BVerfGE 75, 223, 244; 85, 191, 204; Ehlers in: Schulze/Zuleeg, EuropaR, § 11 Rn 10 ff.
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3. Teil: Rechtsschutz im Europäischen Unions- und Gemeinschaftsrecht
Streits über die Vereinbarkeit einer untergesetzlichen deutschen Rechtsnorm mit dem Gemeinschaftsrecht das OVG zwar nicht über die Gültigkeit (wie in der Vorschrift vorgesehen), wohl aber über die Anwendbarkeit der untergesetzlichen Normen auf die Sachverhalte mit Gemeinschaftsrechtsbezug (→ § 27 Rn 25 ff). Auch hat sich die Prüfung der Klagebefugnis iSd § 42 II VwGO bei der Berufung des Klägers auf Gemeinschaftsrecht nicht an der Herleitung subjektiver öffentlicher Rechte in Deutschland 15, sondern am Gemeinschaftsrecht zu orientieren.16 Soll durch vorläufigen Rechtsschutz die Anwendung des Gemeinschaftsrechts abgewehrt werden, ist das Gemeinschaftsinteresse an der Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts besonders zu berücksichtigen. Dies kann dazu führen, dass vorläufiger Rechtsschutz häufiger als bei der Entscheidung rein innerstaatlicher Sachverhalte verweigert werden muss.17 Ist eine gemeinschaftskonforme Auslegung nicht möglich, darf das nationale Recht im Kollisionsfall nicht angewendet werden,18 so dass dem Gemeinschaftsrecht verdrängende Wirkung zukommt.19 Zum Beispiel müssen sich die nationalen Gerichte über einen grundsätzlichen Ausschluss vorläufigen Rechtsschutzes im nationalen Recht hinwegsetzen, wenn sich der Rechtsschutzsuchende auf Gemeinschaftsrecht beruft.20
IV. Der Rechtsschutz im Falle des Zusammenwirkens der Europäischen Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten 7
Fall 1: Nach Weiterleitung des Antrags auf Genehmigung des Inverkehrbringens gentechnisch veränderter Organismen an die Kommission und positiver Beschlussfassung der Kommission hat die zuständige französische Behörde ihre Zustimmung zum Inverkehrbringen des Produkts erteilt. Greenpeace France macht Unregelmäßigkeiten im Ablauf der Prüfung durch die französischen Behörden geltend und fragt, welche Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen.
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Die Europäische Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten sowie die Mitgliedstaaten untereinander wirken heute in vielfältiger Weise zusammen. Das gilt besonders für die Verwaltungen.21 Die Zusammenarbeit kann vertikal oder horizontal organisiert sein und bi-, trioder multilateralen Charakter haben. Vertikale Kooperationsverhältnisse bestehen vornehmlich zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Verwaltungen der Mitgliedstaaten, horizontale zwischen den Verwaltungen der Mitgliedstaaten. Als Beispiele lassen 15 Vgl zur herrschenden Schutznormlehre BVerfGE 27, 297, 307; BVerwG, DÖV 1995, 909 → JK BJagdG § 21/1; BVerwGE 81, 329, 334 → JK GG Art 14 I/27; 92, 313, 317. Näher zum Ganzen Scherzberg in: Erichsen/Ehlers, Allg VerwR, § 11 Rn 9 ff. 16 Vgl statt vieler Ehlers Europäisierung, S 47 ff; Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 430; Scherzberg in: Erichsen/Ehlers, Allg VerwR, § 11 Rn 31 ff. 17 Vgl EuGH Slg 1990, I-2879 Rn 34 – Kommission/Bundesrepublik Deutschland; EuGH, EuZW 2007, 56 Rn 53 ff – Kommission/Frankreich → JK EGV Art 88/3. 18 Zum bloßen Anwendungs- statt Geltungsvorrang des Gemeinschaftsrechts vgl EuGH Slg 1991, I-297 Rn 17 – Nimz; BVerfGE 75, 223, 244; 85, 191, 204. 19 Zu einem Einzelbeispiel (anderweitige Bestimmung der Rechtsschutzfristen) vgl EuGH Slg 1991, I-4269 Rn 24 – Emmott. 20 Vgl EuGH Slg 1990, I-2433 Rn 21 f – Factortame. 21 Vgl Ehlers in: Erichsen/Ehlers, Allg VerwR, § 4 Rn 58 ff.
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sich einerseits das Beihilfeverfahren nach Art 88 EGV (wenn die Beihilfe bei der Kommission zuvor notifiziert worden ist und von der Kommission genehmigt wurde), andererseits die vielfältigen informalen Abstimmungsverfahren der mitgliedstaatlichen Verwaltungen nennen. Sowohl auf der Gemeinschaftsebene als auch auf der mitgliedstaatlichen Ebene gibt es zahlreiche, sehr unterschiedliche Kooperationsverfahren mit oder ohne Bindungswirkung für die Beteiligten. Auf Gemeinschaftsebene erfolgt die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten zumeist in Ausschüssen der Agenturen der Europäischen Gemeinschaft oder in den sonstigen Ausschüssen, die bei der EG-Kommission eingerichtet worden sind.22 Innerhalb des Ausschusswesens wird in der Regel nach Maßgabe des sog Kommitologiebeschlusses des Rates vom 28.6.1999 23 zwischen Beratungsverfahren, Verwaltungsverfahren, Regelungsverfahren und Verfahren bei Schutzmaßnahmen unterschieden. Auf mitgliedstaatlicher Ebene kann den nationalen Verwaltungen kraft des Gemeinschaftsrechts die Befugnis zukommen, transnationale Entscheidungen (zB transnationale Verwaltungsakte mit gemeinschaftsweit verbindlicher Wirkung) oder Entscheidungen zu treffen, die zwar noch der Überprüfung in den anderen Mitgliedstaaten bedürfen, grundsätzlich aber anerkannt werden müssen.24 Teilweise sieht das Sekundärrecht der Europäischen Gemeinschaft vor, dass die Behörden anderer Mitgliedstaaten Einspruch (mit Suspensivwirkung) erheben können. Legen die Mitgliedstaaten ihre Divergenzen nicht (in einem Divergenzbereinigungsverfahren) untereinander bei, geht die Verfahrensherrschaft dann normalerweise auf die Europäische Gemeinschaft über. Die Sachentscheidung trifft dann nach Beteiligung des zuständigen Kommitologieausschusses (und damit zugleich aller mitgliedstaatlichen Verwaltungen) gem Art 5 des Kommitologiebeschlusses die Kommission oder der Rat in Form einer staatengerichteten Entscheidung. Kooperieren die Europäische Gemeinschaft und die Verwaltungen der Mitgliedstaaten respektive die Verwaltungen der Mitgliedstaaten untereinander, führt dies nicht dazu, dass auch die Gerichtsbarkeiten zusammenarbeiten. Vielmehr gilt in der Regel das Trennungsprinzip. Dies bedeutet, dass gegen oder auf ein Handeln gerichteter Rechtsschutz im hoheitlichen Verwaltungsverbund grundsätzlich nur „pro rata“ des erfolgten oder begehrten Handlungsbeitrags vor den Gerichten des jeweiligen Hoheitsträgers zu erlangen ist.25 Richtet sich der Rechtsschutz etwa gegen ein Handeln der Europäischen Gemeinschaft, ist nur die Gemeinschaftsgerichtsbarkeit (nicht die nationale Gerichtsbarkeit) zuständig. Darf die Behörde eines anderen Mitgliedstaates einen transnationalen Verwaltungsakt erlassen (zB die Erlaubnis zum Betrieb von Bank-, Versicherungs- oder Wertpapiergeschäften 26), kann dieser nur vor den Gerichten dieses Mitgliedstaates (nicht der übrigen Mitgliedstaaten) angegriffen werden.27 Wendet sich der Kläger zB gegen das Verhalten
22 Vgl zu den (Gemeinschafts- und Exekutiv-)Agenturen sowie den Ausschüssen der Europäischen Gemeinschaft Fischer-Appelt Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, 1999; Uerpmann AöR 125 (2000), 551, 554 ff; Sydow Verwaltungskooperation in der Europäischen Union, 2004, S 63 ff; dens VerwArch 97 (2006), 1 ff; Ehlers in: Erichsen/Ehlers, Allg VerwR, § 4 Rn 35 ff. 23 ABlEG L 184, 23 (Sart II Nr 236). 24 Näher zum Ganzen Sydow (Fn 22) 138 ff, 181 ff. 25 Dies ergibt sich aus der völkerrechtlichen Immunität von supranationalen bzw internationalen Gemeinschaften und Staaten. 26 Vgl Royla Grenzüberschreitende Finanzmarktaufsicht in der EG, 2000, 48 ff. 27 Vgl aber auch Hofmann in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold, Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, 353, 365, wonach das Realhandeln eines anderen Mitgliedstaates auf seine Rechtsmäßigkeit geprüft und ggf ersetzt werden darf.
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einer deutschen Behörde, ist deutsche Gerichtsgewalt gegeben. Somit hängt die Abgrenzung der Gerichtsbarkeiten entscheidend davon ab, wem das beanstandete oder begehrte Handeln zuzurechnen ist. Im Falle einer Delegation – das heißt der Übertragung der sachlichen Zuständigkeit (Kompetenz, Befugnis) auf einen anderen Hoheitsträger 28 – und bei der Durchführung einer (im eigenen Namen wahrgenommenen) Amtshilfe im Sinne des Gemeinschaftsrechts 29, ist das Handeln dem tätig gewordenen Hoheitsträger zuzuordnen. Dementsprechend sind die Gerichte des handelnden Hoheitsträgers zuständig.30 Anders stellt sich die Rechtslage dar, wenn eine Organleihe oder eine Mandatierung vorliegt. Unter Organleihe versteht man die Zurverfügungstellung des Organs eines Staates (Hoheitsträgers) an einen anderen Staat (Hoheitsträger).31 Ein organisationsrechtliches Mandat zeichnet sich dadurch aus, dass der Inhaber einer Zuständigkeit in einem Einzelfall, in vielen Einzelfällen oder abstrakt als Mandant ein anderes Subjekt, den sog Mandatar, mit der Wahrnehmung einer (hoheitlichen) Kompetenz im Auftrag und Namen des Mandanten beauftragt.32 Bei einem derartigen Auftreten wird das Tun, Dulden oder Unterlassen dem Hoheitsträger zugerechnet, für den gehandelt worden ist oder hätte gehandelt werden müssen. Somit obliegt der Rechtsschutz den für diesen Hoheitsträger zuständigen Gerichten.33 Doch kann unter Umständen Abweichendes gelten. So hat der EuGH im Falle einer Mandatierung des Rates der Europäischen Gemeinschaft durch die Mitgliedstaaten eine eigene Jurisdiktionsgewalt angenommen, obwohl die Mitgliedstaaten Zurechnungssubjekte des Handelns des Rates bleiben.34 Trifft die Kommission die Entscheidung und sind ihr die Verfahrenshandlungen der vorbereitend tätig werdenden nationalen Behörden (zB die Durchführung von Ermittlungen, die Anhörung der Beteiligten oder die Übersendung der Akten) zuzurechnen, kann Rechtsschutz nur vor den Gemeinschaftsgerichten erlangt werden.35 Die isolierte Geltendmachung von Verfahrensfehlern der deutschen Behörden vor deutschen Verwaltungsgerichten ist aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts an sich zwar möglich, scheitert aber in Deutschland an § 44a VwGO. Wegen der fehlenden Gerichtsgewalt kommt auch ein Rechtsschutz gegen die Sachentscheidung in Deutschland nicht in Betracht. Handlungen anderer Hoheitsträger dürfen (von dem Fall der Nichtigkeit oder der offensichtlichen Unanwendbarkeit abgesehen) selbst dann nicht auf ihre Gültigkeit hin überprüft werden, wenn sie präjudiziell 28 Vgl Bonk/Schmitz in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 4 Rn 41. 29 Vgl zB Art 85 I EGV; Art 4 ff VO 515/1997/EG (Amtshilfe im Agrar- und Zollbereich); Art 6 RL 93/99/EWG (zusätzliche Maßnahmen/Lebensmittelüberwachung); vgl auch Wettner Die Amtshilfe im Europäischen Verwaltungsrecht, 2005, 45 ff. 30 Vgl zur grenzüberschreitenden Amtshilfe auch Harings Grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei- und Zollverwaltung und Rechtsschutz in Deutschland, 1998, 223; zum deutschen Recht Bonk/Schmitz in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 4 Rn 22. 31 Vgl die völkerrechtliche Definition in der Anlage der Resolution der UN-Generalversammlung Nr 56/83 vom 12.12.2001. 32 Vgl BVerwG, DÖV 1962, 340, 341; DVBl 1965, 163, 164; VGH BW, DÖV 1974, 604; Ule/Laubinger Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Aufl 1995, § 10 Rn 18. 33 Vgl zu einigen Fallgestaltungen Hofmann Rechtsschutz und Haftung im Europäischen Verwaltungsverbund, 2004, 217 ff. 34 Vgl EuGH Slg 1994, I-625 Rn 7 ff – Parlament/Rat. Von einer Organleihe statt eines Mandats geht in diesem Falle Pechstein EU/EG, Rn 352, aus. 35 Vgl EuG Slg 1995, II-2841 Rn 28 ff – France aviation; Slg 1999, II-2403 Rn 38 ff – New Europe Consulting; Slg 2000, II-15 Rn 45 ff – Mehibas Dordtselaan BV.
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sind.36 Falls die Verfahrenshandlungen der nationalen Behörden aufgrund ihrer inhaltlichen Bindungswirkungen die endgültige Entscheidung der Kommission präjudizieren, verlangt der EuGH zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes unter Verdrängung nationaler Verfahrensvorschriften nach Art des § 44a VwGO aber eine direkte Klagemöglichkeit vor den mitgliedstaatlichen Gerichten.37 Ist eine Genehmigung von einer inländischen Behörde zu erteilen, bedarf es vor der Erteilung aber der Zustimmung der Kommission 38 oder eines ausländischen Staates 39, ist es anders als nach deutschem Verwaltungsprozessrecht 40 nicht statthaft, die inländische Genehmigungsbehörde (oder den Rechtsträger dieser Behörde) vor dem zuständigen mitgliedstaatlichen Gericht zu verklagen und die erforderliche Zustimmung ggf durch das Gericht ersetzen zu lassen.41 Vielmehr hat eine Klage vor der inländischen Gerichtsbarkeit nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn zuvor die Gemeinschaftsgerichtsbarkeit respektive die Gerichtsbarkeit des anderen EG-Mitgliedstaates angerufen und auf diesem Wege die Erteilung der Zustimmung erreicht wurde. Lösung Fall 1: Soweit die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen (insbesondere die Klagebefugnis), können Private die eine Entscheidung darstellende Zustimmung der Kommission mit der Nichtigkeitsklage gem Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E) anfechten. Zudem haben sie in Fällen, in denen die verwaltungsmäßige Durchführung einer Gemeinschaftsentscheidung durch die nationalen Behörden erfolgt, das Recht, vor den nationalen Gerichten die Rechtmäßigkeit der Entscheidung inzident zu bestreiten. Ist das nationale Gericht der Auffassung, dass die Gemeinschaftsentscheidung ungültig ist, muss es den Gerichtshof nach Art 234 EGV (267 AEUV-E) anrufen und ggf den Vollzug der Maßnahmen zur Durchführung der Gemeinschaftsentscheidung aussetzen, bis der Gerichtshof über die Frage der Gültigkeit entschieden hat.42
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Insbesondere die Verweisung an ausländische Gerichte kann den Rechtsschutz erheblich erschweren (fehlende Beherrschung der Gerichtssprache, ungewohntes Verfahrensrecht, Unkenntnis der möglichen Rechtsbehelfe, räumliche Entfernung, Schwierigkeiten bei der Anwaltssuche).43 Ein gänzlich anderes Konzept verfolgt das Schengen-Durchführungsübereinkommen in Bezug auf die Datenspeicherung im Schengener Informationssystem, weil jeder das Recht hat, im Hoheitsgebiet „jeder“ Vertragspartei eine Klage wegen einer seine Person betreffenden Ausschreibung vor dem nach nationalem Recht zuständigen Gericht zu erheben.44 Dies hat den Vorteil, dass nicht mehrere Prozesse in verschiedenen Ländern geführt werden müssen und die inländischen Gerichte auch das Handeln ausländischer
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36 Vgl auch Hofmann (Fn 27) 353, 360. 37 Vgl EuGH Slg 1992, I-6313 Rn 10 ff – Borelli. 38 Vgl zB Art 13 III iVm 21 RL 90/220/EWG (Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in die Umwelt). 39 Vgl Art 7 VO 1334/2000/EG (Ausfuhrgenehmigungen nach der Dual-use-VO). 40 Vgl BVerwG, NVwZ 1986, 556 f; NVwZ-RR 2003, 719 f (jeweils zum Einvernehmenserfordernis des § 36 BauGB). 41 Vgl auch Kadelbach Allgemeines Verwaltungsrecht unter Europäischem Einfluss, 1999, 337; dens KritV 82 (1999), 378, 390. 42 Vgl EuGH Slg 2000, I-1651 Rn 54 f – Association Greenpeace France. 43 Vgl statt vieler Hofmann (Fn 27) 353, 362 f. 44 Art 111 des Schengen-Durchführungsübereinkommens (Sart II Nr 280); vgl dazu Harings in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Fn 27) 128, 143 ff.
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Staaten überprüfen dürfen. Geht es hingegen um die Speicherung, Verarbeitung und Weitergabe von Daten im Rahmen des Europol-Übereinkommens,45 besteht diese Möglichkeit nicht. Stattdessen sieht Art 24 des Europol-Übereinkommens vor, dass die Vertragsstaaten eine „Gemeinsame Kontrollinstanz“ bilden, welche die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorgaben des Übereinkommens durch Europol überprüft. Deren Entscheidung unterliegt keiner weiteren gerichtlichen Überprüfung mehr, sondern ist „gegenüber allen betroffenen Parteien rechtskräftig“ (Art 24 VII 6 Europol-Übereinkommen).46 Daneben ist die Einrichtung einer „Nationalen Kontrollinstanz“ vorgesehen, die die Übermittlung und den Abruf von Daten durch die nationalen Behörden überprüft und von „jeder Person“ angerufen werden kann (Art 23 Europol-Übereinkommen). Nach § 6 I 1 des Europolgesetzes wird diese Aufgabe in der Bundesrepublik vom Bundesbeauftragten für Datenschutz wahrgenommen. Außerdem haften die Mitgliedstaaten nach Maßgabe nationalen Rechts für Schäden, die durch eine unrechtmäßige bzw unrichtige Datenübermittlung an Europol entstehen. Die Klage muss vor dem jeweils zuständigen nationalen Gericht gegen denjenigen Mitgliedstaat gerichtet werden, in dem der Schaden eingetreten ist. Dieser kann sich im Verhältnis zum Geschädigten nicht darauf berufen, ein anderer Mitgliedstaat habe die Daten unrichtig übermittelt (Art 38 I Europol-Übereinkommen).
V. Verklammerung des gemeinschaftlichen und nationalen Gerichtsschutzes 13
Fall 2: Der italienische Staat bewilligte der Aktiengesellschaft A für die Modernisierung von Industrieanlagen eine Beihilfe iHv 200.000 € unter dem Vorbehalt, dass die beabsichtigte Beihilfe von der Kommission nicht als gemeinschaftsrechtswidrig angesehen wird. Als sich die Auszahlung der Beihilfe verzögerte, erhob A vor den italienischen Zivilgerichten Klage und erstritt ein rechtskräftiges Urteil, demzufolge die zuständigen Behörden verpflichtet wurden, die Beihilfe an A zu gewähren und auszuzahlen. Die vor Verkündung des Urteils erlassene, bestandskräftig gewordene Entscheidung Nr 90/555 der Kommission, welche die vorgesehene Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärte, wurde von den Zivilgerichten nicht berücksichtigt, weil sich die zuständigen italienischen Behörden nicht darauf berufen hatten. Nach Auszahlung der Beihilfe verlangte die Kommission von den zuständigen Behörden, die Entscheidung Nr 90/555 zu befolgen und die Beihilfe zurückzufordern. Gegen die Rücknahme der nationalen Beihilfenbewilligung und die Rückzahlungsanordnung setzte sich A vor dem zuständigen italienischen Verwaltungsgericht (VG) zur Wehr. Das VG ist der Meinung, dass die Rechtskraft des zivilgerichtlichen Urteils auch gegenüber der Entscheidung Nr 90/555 geltend gemacht werden könne. Es hat das Verfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art 234 EGV die Frage vorgelegt, ob es das vorrangig anwendbare Gemeinschaftsrecht gebiete, dass die innerstaatliche Verwaltung die Beihilfe, die ein Einzelner erhalten hat, von diesem zurückfordert, obwohl ein rechtskräftiges Zivilurteil vorliegt, das die unbedingte Verpflichtung zur Zahlung dieser Beihilfe ausspricht.
45 ABlEG 1995 C 316, 2 (Sart II Nr 300); Ratifikation durch das Europolgesetz v 16.12.1997 (BGBl II, 2150); zu den Grundlagen vgl Art 29 f EUV (87 f AEUV-E; näher dazu Kretschmer JURA 2007, 169, 170 ff; Ambos Internationales Strafrecht, 2006, § 13 Rn 55 ff; Hecker Europäisches Strafrecht, 2. Aufl 2007, § 5 Rn 61 ff; Satzger Internationales und Europäisches Strafrecht, 2. Aufl 2008, § 9 Rn 3 ff. 46 Krit Kretschmer JURA 2007, 169, 172; Gleß/Lüke JURA 2000, 400, 405; Satzger (Fn 45) § 9 Rn 8; Beaucamp DVBl 2007, 802, 804 f.
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Anforderungen an den Rechtsschutz
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Die grundsätzliche Geltung des Trennungsprinzips für den gerichtlichen Rechtsschutz bedeutet nicht, dass die verschiedenen Gerichtsbarkeiten vollständig unverbunden nebeneinander stehen. So kann eine Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens in Betracht kommen, bis die Gerichtsbarkeit des anderen Hoheitsträgers entschieden hat. Der EuGH kann nach seinem Ermessen ein Verfahren aussetzen 47, das Gericht erster Instanz nur in bestimmten Fallkonstellationen 48. Größere Bedeutung hat die Aussetzung nationaler Gerichtsverfahren. Nach § 94 VwGO können deutsche Verwaltungsgerichte, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde ausgesetzt wird. Eine Aussetzung kommt auch in Betracht, wenn eine Entscheidung ausländischer Verwaltungsbehörden oder ausländischer Gerichte vorgreiflich ist. Vor allem aber sind die nationalen Gerichte berechtigt oder verpflichtet, gerichtliche Verfahren zwecks Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH nach Art 234 EGV (267 AEUV-E) auszusetzen. Ob sich die Aussetzung unmittelbar nach den Sondervorschriften des Art 234 EGV (267 AEUV-E) iVm Art 23 des Protokolls über die Satzung des Gerichtshofs 49 oder – im Verwaltungsprozess – nach der analogen Heranziehung des § 94 VwGO 50 bestimmt, macht im Ergebnis keinen Unterschied aus. Direkt anwendbar ist § 94 VwGO im Regelfall nicht, weil die Norm einen bereits anhängigen anderen Rechtsstreit voraussetzt, das Vorabentscheidungsverfahren im Normalfall jedoch erst nach Aussetzung des Verfahrens und Einlegung des Vorlageersuchens beim EuGH anhängig wird. Ob der Aussetzungs- und Vorlagebeschluss noch mit Rechtsmitteln angegriffen werden kann, richtet sich nach mitgliedstaatlichem Recht.51 Vorlagebeschlüsse des BVerwG sind von vornherein nicht angreifbar, weil es an einer Beschwerdeinstanz fehlt. Für Vorlagebeschlüsse des OVG schließt § 152 I VwGO eine Beschwerde aus. Im Ergebnis nichts anderes gilt für Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse von Verwaltungsgerichten,52 da nach Sinn und Zweck des Vorabentscheidungsverfahrens ebenso wie im Falle des Vorlageverfahrens nach Art 100 I GG 53 das angerufene Gericht (hier der EuGH) sofort entscheiden soll. Das ein objektives (nicht kontradiktorisches) Zwischenverfahren darstellende Vorabentscheidungsverfahren nach Art 234 EGV (267 AEUV-E) verklammert den nationalen und gemeinschaftseigenen Rechtsschutz. Dies ist von größter Bedeutung, weil nur so die 47 Art 82a § 1b VerfO-EuGH (Sart II Nr 250). 48 Art 77 VerfO-EuG (Sart II Nr 252). 49 Vgl Rudisile in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 94 Rn 58 ff (der danach differenziert, ob bereits ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH anhängig ist); Schmid in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 94 Rn 43. 50 So VGH BW InfAuslR 1999, 59, 67; Kopp/Schenke VwGO, § 94 Rn 2; Kenntner VBlBW 2000, 297, 305 Fn 83. 51 Vgl EuGH Slg 1996, I-3547 Rn 24 – SPEI; Slg 1997, I-4517 Rn 54 – Krüger. 52 So auch die hM vgl BFHE 132, 217, 218; VGH BW, NJW 1986, 3042; Ehlers Europäisierung, 121; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 146 Rn 9. AA Hilf EuGRZ 1986, 573 f; Pfeiffer NJW 1994, 1996 ff; Guckelberger in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 146 Rn 38; Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 308. 53 Vgl OLG Düsseldorf, NJW 1993, 411; Ehlers in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Anh § 40, Art 100 I GG Rn 56; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 146 Rn 9; Kopp/Schenke VwGO, § 146 Rn 15; Redeker in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 146 Rn 6.
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Einheitlichkeit und Kohärenz der Gemeinschaftsrechtsordnung gesichert werden kann. Dementsprechend ergehen etwa die Hälfte aller Entscheidungen des EuGH – darunter fast alle wichtigen Entscheidungen – im Vorabentscheidungsverfahren. Zugleich dient dieses Verfahren auch dem Individualrechtsschutz (→ § 11 Rn 2). Wegen der (zu) eng gefassten Bestimmung der Klagebefugnis in Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E) kennt das Gemeinschaftsrecht nur sehr eingeschränkte Klagemöglichkeiten natürlicher und juristischer Personen. Doch lässt Art 241 EGV (277 AEUV-E) ausdrücklich eine inzidente Normenkontrolle vor den Gemeinschaftsgerichten gegen EG-Verordnungen zu. Für unmittelbar anwendbare Richtlinien dürfte nichts anderes gelten.54 Art 241 EGV (277 AEUV-E) gilt zwar nur für Verfahren vor dem „Gerichtshof“, gibt aber nur einen allgemeinen Rechtsgrundsatz 55 wieder und gelangt daher auch in nationalen Gerichtsverfahren zur Anwendung. Ebenso wie EG-Verordnungen und EG-Richtlinien dürfen und müssen gegebenenfalls auch Entscheidungen iSd Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E) von den nationalen Gerichten auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Gemeinschaftsrecht hin überprüft werden. Hält das nationale Gericht eine Verordnung, unmittelbar anwendbare Richtlinie oder Entscheidung für ungültig oder im nationalen Rechtskreis für nicht anwendbar, hat es gem Art 234 EGV (267 AEUV-E) den EuGH anzurufen.56 Allerdings darf nach der Rechtsprechung des EuGH durch die Inzidentprüfung mit anschließender Vorlage an den EuGH nicht die Rechtsschutzfrist des Art 230 V EGV (263 VI AEUV-E) umgangen werden. Ist eine Nichtigkeitsklage gem Art 230 V EGV (263 VI AEUV-E) „offensichtlich“ zulässig gewesen, aber nicht eingelegt worden, hält der EuGH auch ein Vorabentscheidungsersuchen mangels vernünftiger Zweifel am Sinngehalt des Gemeinschaftsrechts für unzulässig (→ § 11 Rn 35 ff).57 Geht es um die Auslegung des Gemeinschaftsrechts, können die nationalen Instanzgerichte eine Vorabentscheidung des EuGH einholen. Die Prüfung der Erforderlichkeit einer Vorlage an den EuGH obliegt allein den mitgliedstaatlichen Gerichten. Die Parteien haben kein Antragsrecht, können aber eine Vorlage anregen und vor dem EuGH Schriftsätze einreichen und schriftliche Erklärungen abgeben.58 Wenn der EuGH nichts anderes beschließt, können die Parteien (Beteiligten) in der mündlichen Verhandlung angehört werden.59 Das (im konkreten Streitfall 60) letztinstanzliche Gericht ist nach Art 234 III EGV (267 III AEUV-E) zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet (→ § 11 Rn 47 f) – es sei denn, der EuGH hat die Auslegungsfrage schon beantwortet, die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts ist derart offenkundig, dass vernünftige Zweifel an der Beantwortung der gestellten Fragen nicht bestehen können, oder das nationale Gericht setzt das Verfahren ohne Vorlage an den EuGH zunächst aus, um einen dort bereits
54 So Borchardt in: Lenz/Borchardt, EUV/EGV, Art 241 EGV Rn 8; Ericke in: Streinz, EUV/EGV, Art 241 EGV Rn 11. 55 Vgl dazu EuGH Slg 1979, 777 Rn 39 – Simmenthal; EuG Slg 1993, II-1047 Rn 56 – Reinarz; Pechstein EU/EG, Rn 918. 56 Vgl die folgenden Ausführungen. 57 Vgl EuGH Slg 1994, I-833 Rn 26 – Textilwerke Deggendorf; Slg 1996, I-669 Rn 15 f – Accrington Beef; Slg 2001, I-1197 Rn 29, 37, 40 – Nachi europe; Pechstein/Kubicki NJW 2005, 1825, 1828. 58 Vgl Art 23 II EuGH-Satzung (Sart II Nr 245). 59 Vgl Art 104 § 4 VerfO-EuGH (Sart II Nr 250). 60 Zur Notwendigkeit, auf die Letztinstanzlichkeit im konkreten Fall statt auf das abstrakt oberste Gericht abzustellen, vgl statt vieler EuGH Slg 1964, 1259, 1268 – Costa/ENEL (obiter dictum); Ehlers Europäisierung, 118 f; Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 234 EGV Rn 24.
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anhängigen, gleichgelagerten Rechtsstreit abzuwarten.61 Letztinstanzlichkeit ist nicht gegeben, wenn noch reguläre Rechtsmittel – im Gegensatz zu außerordentlichen Rechtsbehelfen wie der Wiederaufnahme (zB § 153 VwGO) oder der Verfassungsbeschwerde – in Betracht kommen. Hierzu gehören neben der Berufung auch die Revision 62 und die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (etwa durch das OVG 63), weil das Gemeinschaftsrecht als Bundesrecht iSd § 137 I Nr 1 VwGO und die Nichtzulassungsbeschwerde (nach § 133 I VwGO) als reguläres Rechtsmittel anzusehen ist.64 Somit fungiert im Verwaltungsprozess grundsätzlich das Bundesverwaltungsgericht als letztinstanzliches Gericht. Anders ist die Rechtslage, wenn das OVG eine Berufung nicht zugelassen hat, weil dadurch das Urteil des VG gem § 124a V 4 VwGO rechtskräftig wird (und demgemäß nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann). Stellt sich nur die Frage der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, sind im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die letztinstanzlichen Gerichte nicht zur Vorlage an den EuGH verpflichtet, wenn später noch das Hauptsacheverfahren eingeleitet werden kann (→ § 11 Rn 53).65 Anderes dürfte gelten, wenn das Hauptsacheverfahren vorweggenommen wird oder im Hauptsacheverfahren die Fragen des Gemeinschaftsrechts nicht mehr geprüft werden können 66 und eine Vorlage an den EuGH der Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht entgegensteht.67 Ist nicht nur die gemeinschaftsrechtliche, sondern auch die verfassungsrechtliche Rechtslage strittig, so dass sowohl eine Vorlage an den EuGH gem Art 234 EGV (267 AEUV-E) als auch eine Vorlage an das BVerfG gem Art 100 I GG in Betracht kommt, besteht keine feste Rangfolge zwischen den Verfahren. Das Gericht, das sowohl gemeinschaftsrechtliche als auch verfassungsrechtliche Zweifel hat, darf nach eigenen Zweckmäßigkeitserwägungen entscheiden, welches Zwischenverfahren es zunächst einleitet.68 Soll die Gültigkeit gemeinschaftsrechtlicher Handlungen, dh die Gültigkeit des Sekundärrechts der Europäischen Gemeinschaft, verneint oder das Sekundärrecht im Einzelfall unangewendet gelassen werden, ist nach der ständigen Rspr des EuGH jedes nationale Gericht verpflichtet, den Gerichtshof anzurufen (→ Rn 2).69 Würde man den unterstaatlichen nationalen Gerichten erlauben, Gemeinschaftsrecht, welches als ungültig angesehen wird, auch ohne Vorlage außer Anwendung zu lassen, bliebe wegen der nicht notwendigen Befassung der letztinstanzlichen Gerichte mit der Rechtssache und wegen des Zeitfaktors von der Einheit der Gemeinschaftsrechtsordnung wenig übrig. Daher muss in solchen Fällen im Interesse einer Ansiedlung des Verwerfungs- bzw Nichtanwendungsmonopols beim EuGH eine Ermessensreduzierung der nationalen Gerichte angenommen werden. Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren dürfen die Verwaltungsgerichte nach der
61 Vgl BVerwGE 112, 166, 169 f; BVerwG, NVwZ 2005, 1061, 1067; VGH BW, DÖV 2002, 35; EuGH Slg 2000 I-11369 Rn 55 – Masterfoods/HB. Krit Schmid in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 94 Rn 45. 62 Vgl BVerfGE 82, 159, 196; BVerfG, NVwZ 1993, 883; BVerwG, NJW 1996, 1423; NVwZ 2000, 62, 63; DVBl 2000, 913. 63 Vgl BVerwG, NJW 1996, 1423; NVwZ 2000, 62, 63; NVwZ 2000, 193, 194. 64 Vgl auch EuGH Slg 2002, I-4839 Rn 16 – Lyckeskog. 65 Vgl auch EuGH Slg 1977, 957 Rn 5 – Hoffmann-La Roche; Slg 1982, 3723 Rn 8 f – Morson ua; BVerfG, NVwZ 1992, 360; NVwZ 2005, 1303, 1304; BVerfG-K NJW 2007, 1521, 1522. 66 Vgl Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 276. 67 Allg zur Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auf den vorläufigen Rechtsschutz → § 29 Rn 8 ff. 68 BVerfG, NJW 2007, 51, 52. 69 Vgl grundlegend EuGH Slg 1987, 4199 Rn 15 ff – Foto Frost.
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EuGH-Rechtsprechung zwecks Gewährung effektiven Rechtsschutzes zwar die Vollziehung eines auf das Gemeinschaftsrecht gestützten nationalen Verwaltungsaktes aussetzen respektive eine einstweilige Anordnung entgegen einer bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Regelung erlassen, wenn erhebliche Zweifel an der Gültigkeit der Gemeinschaftshandlung bestehen, dem Antragsteller ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden droht, Gemeinschaftsinteressen angemessen berücksichtigt werden und alle einschlägigen Entscheidungen des Gerichtshofs und des Gerichts erster Instanz beachtet worden sind (→ § 11 Rn 54).70 Doch darf das nationale Gericht auch dann die Vorschrift des Gemeinschaftsrechts nur einstweilig unangewendet lassen bzw einen darauf gestützten nationalen Vollziehungsakt vorläufig aussetzen, wenn die Gültigkeitsfrage dem Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren vorgelegt wird. Im hohen Maße unbefriedigend ist die Regelung des Art 68 I EGV, wonach für die Politikbereiche Visa, Asyl und Einwanderung nur die nationalen Gerichte, deren Entscheidung selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, zur Vorlage nach Art 234 EGV (267 AEUV-E) berechtigt und ggf verpflichtet sind. Dies bedeutet, dass die unterinstanzlichen nationalen Gerichte von der Gültigkeit der Rechtsakte der Organe der Gemeinschaft ausgehen und die Parteien ggf auf den Instanzenzug verweisen müssen.71 Eine entsprechende Regelung kennt der Vertrag von Lissabon nicht mehr. Kommt ein nationales Gericht den sich aus Art 234 EGV (267 AEUV-E) ergebenden Verpflichtungen nicht nach, stellt dies nicht nur eine Vertragsverletzung – die im Vertragsverletzungsverfahren von der Kommission oder einem Mitgliedstaat gerügt werden könnte (Art 226 f EGV; 258 f AEUV-E) –, sondern in Deutschland auch einen Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters dar (Art 101 I 2 GG).72 Hätte das VG oder OVG den EuGH nach Art 234 EGV (267 AEUV-E) anrufen müssen, kann der Rechtsschutzsuchende noch Berufung oder Revision einlegen. Wurde der fachgerichtliche Rechtsschutz erschöpft, kommt eine Verfassungsbeschwerde gem Art 93 I Nr 4a GG in Betracht (→ § 11 Rn 58).73 Allerdings prüft das BVerfG nur, ob die in Art 234 III EGV (267 III AEUV-E) zum Ausdruck kommende Zuständigkeitsregel in offensichtlich unhaltbarer Weise gehandhabt wurde (Willkürprüfung). Eine unhaltbare Handhabung der Vorlagepflicht liegt vor allem vor, wenn das Gericht eine Vorlage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der Beantwortung der gemeinschaftsrechtlichen Frage hegt, bewusst von der Rechtsprechung des EuGH abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt oder das Gericht den ihm zukommenden Beurteilungsrahmen „in unvertretbarer Weise überschritten hat“.74 Ob diese eingeschränkte Kontrolle dem gemeinschaftsrechtlichen Effektivitätsgebot gerecht wird, ist sehr zweifelhaft.75
70 EuGH Slg 1991, I-415 Rn 33 – Zuckerfabrik Süderdithmarschen; Slg 1995, I-3761 Rn 51 – Atlanta. Vgl auch EuGH Slg 2005, I-10513 Rn 19 ff – Gaston Schul Douane-expediteur. 71 Krit statt vieler Pache/Knauff NVwZ 2004, 16 ff. 72 Vgl BVerfGE 73, 339, 366 ff; 82, 159, 192; BVerfG, NJW 2001, 1267, 1268; NVwZ 2003, 1111; NVwZ 2004, 1224, 1227; NVwZ 2005, 572, 574; BVerfG-K NJW 2007, 1521. 73 Ist das Rechtsmittelgericht vom Rechtsschutzsuchenden nicht darauf hingewiesen worden, dass evtl eine Pflicht zur Vorlage an den EuGH besteht, betrachtet das BVerfG die Verfassungsbeschwerde wegen Verstoßes gegen ihre Subsidiarität als unzulässig. BVerfG-K, EuR 2008, 558; krit Terhechte EuR 2008, 567 ff. 74 Vgl die Nachw in Fn 72. 75 Krit Ehlers Europäisierung, S 123 f, Roth NVwZ 2009, 345 ff; vgl aber auch Dörr Der europäisierte Rechtsschutzauftrag deutscher Gerichte, 2003, 164 ff.
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Das BVerfG selbst hat sich bisher noch nicht mit einer Vorlage an den EuGH gewandt. Vielmehr verweist das Gericht im Falle eines Verstoßes gegen Art 101 I 2 GG den Rechtsstreit an die Fachgerichte zurück (damit diese dem EuGH die Rechtsfrage vorlegen können). Ferner kann eine Verletzung der Vorlagepflicht gem Art 234 III EGV (267 III AEUV-E) eine Staatshaftung begründen, wenn die vom EuGH entwickelten Voraussetzungen einer solchen Haftung vorliegen.76 Ist ein Verwaltungsakt aufgrund des Urteils eines letztinstanzlich entscheidenden nationalen Gerichts, das auf einer unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und Nichtvorlage nach Art 234 EGV (267 AEUV-E) beruht, bestandskräftig geworden und hat sich der Betroffene unmittelbar, nachdem er Kenntnis von der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit erlangt hat, an die Verwaltungsbehörde gewandt, muss diese den Verwaltungsakt zurücknehmen, wenn sie nach nationalem Recht dazu befugt ist.77 In Deutschland besteht eine solche Befugnis der Verwaltungsbehörde gem § 51 V iVm § 48 VwVfG. Neben einem gemeinschaftsrechtlichen kennt das Europarecht auch ein unionsrechtliches Vorabentscheidungsverfahren (Art 46 lit b iVm Art 35 EUV).78 Der EuGH entscheidet dann im Wege der Organleihe über die Gültigkeit und die Auslegung der Rahmenbeschlüsse und Beschlüsse, über die Auslegung der Übereinkommen nach dem Titel VI EUV und über die Gültigkeit und die Auslegung der dazugehörigen Durchführungsmaßnahmen, wenn die Mitgliedstaaten eine entsprechende Unterwerfungserklärung 79 abgeben haben (was für Deutschland im Hinblick auf jedes seiner Gerichte zutrifft 80). Nicht in Art 35 I EUV erwähnt werden die „gemeinsame(n) Standpunkte“ des Rates gem Art 34 II lit a EUV auf dem Gebiet der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit (sog „dritte Säule“). Sie können daher grundsätzlich nicht Gegenstand eines Vorabentscheidungsverfahrens sein. Davon macht der EuGH eine Ausnahme, wenn sie der Umsetzung von Antiterror-Resolutionen des UN-Sicherheitsrats dienen und einzelne Personen oder Organisationen als Adressaten mitgliedstaatlicher Antiterrormaßnahmen (zB Einfrieren von Geldmitteln) benennen, weil der gemeinsame Standpunkt in diesem Fall Rechtswirkungen gegenüber Dritten erzeugt und Rechtsschutz gewährleistet sein muss.81 Mit der Integration der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in den AEUV (Art 87 ff bzw 82 ff AEUV-E) entfiele die Einschränkung aus Art 46 lit b iVm 35 I EUV (Rn 4). Art 275 I AEUV-E entzieht nur noch die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (Art 11 ff EUV, sog „zweite Säule“; Art 21 ff EUV-E) der Kontrolle des EuGH 82 (mit Rückausnahme in Art 275 II AEUV-E).
76 Vgl allgemein EuGH Slg 1996, I-1029 – Brasserie du Pêcheur. Zur Haftung wegen judikativen Unrechts vgl EuGH Slg 2003, I-10239 Rn 51 ff – Köbler. Näher zum Ganzen Grzeszick in: Erichsen/Ehlers, Allg VerwR, § 46 Rn 10 ff. 77 Vgl EuGH Slg 2004, I-837 Rn 23 ff – Kühne & Heitz → JK EGV Art 28/5. Vgl auch EuGH Slg 2006, I-8559 Rn 33 ff – i-21 Germany ua → JK EGV Art 10/1; EuGH EuZW 2008, 148-Kempter. Näher dazu Gärditz NWVBl 2006, 441 ff; Rennert DVBl 2007, 400 ff; Weiß DÖV 2008, 477 ff. 78 Mit der Vereinheitlichung zur EU (Art 1 EUV-E) entfiele die Unterscheidung von gemeinschaftsrechtlichem und unionsrechtlichem Vorabentscheidungsverfahren. 79 Vgl Art 35 II, III EUV. 80 Vgl BGBl 1998 I, 2035. 81 EuGH Slg 2007, I-1657 Rn 52 ff – Segi ua; Slg 2007, I-1579 Rn 52 ff – Gestoras Pro Amnistia ua; dazu Haltern JZ 2007, 772 ff. 82 Vgl aber auch Art 276 AEUV-E (Zuständigkeit in Sicherheitsfragen).
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Lösung Fall 2: I. Zulässigkeit: A hält das gem Art 234 I 1 EGV (267 AEUV-E) gestellte Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig, da es an einer auszulegenden Gemeinschaftsvorschrift fehle. Der EuGH sei nicht dafür zuständig, das Urteil eines innerstaatlichen Gerichts oder die eine Rechtskraftwirkung vorsehende Bestimmung des Art 2909 des Codice civile auszulegen. Demgegenüber weist der EuGH daraufhin, dass Art 234 EGV auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht. Nur das nationale Gericht, das mit dem Rechtstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassene Entscheidung fällt, hat im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Frage zu beurteilen. Der EuGH ist grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Gemeinschaftsrechts betreffen. Die Entscheidung über eine Vorlagefrage des nationalen Gerichts darf nur abgelehnt werden, wenn die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist, oder wenn er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind. Eine solche Fallkonstellation liegt hier nicht vor, da es um die Klärung der Frage geht, inwieweit innerstaatliche Gerichte nach dem Gemeinschaftsrecht verpflichtet sind, nationales Recht unangewendet zu lassen. Sonstige Bedenken gegen die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens bestehen nicht (→ § 11 Rn 14 ff). II. Vorabentscheidungsfrage: Der EuGH hat zu prüfen, ob das Gemeinschaftsrecht der Anwendung einer auf die Verankerung des Grundsatzes der Rechtskraft abzielenden Vorschrift des nationalen Rechts wie Art 2909 des Codice civile entgegensteht, soweit ihre Anwendung die Rückforderung einer unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht gewährten Beihilfe behindert, deren Unvereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt durch eine bestandskräftig gewordene Entscheidung der Kommission festgestellt worden ist. 1. Insbesondere um bestimmen zu können, ob das Durchführungsverbot des Art 88 III EGV (108 III EAUV-E) Anwendung findet, sind innerstaatliche Gerichte berufen, den in Art 87 I EGV (107 I AEUV-E) enthaltenen Begriff der Beihilfe auslegen und die Vorschrift anzuwenden. Dagegen ist es ihnen verwehrt, darüber zu befinden, ob eine staatliche Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist. Dies fällt ausschließlich in die Zuständigkeit der Kommission, die dabei der Kontrolle des Gemeinschaftsrichters unterliegt.83 Ebenso sind die zur Prüfung der Gültigkeit eines Gemeinschaftsrechtsakts berufenen innerstaatlichen Gerichte nicht befugt, selbst die Ungültigkeit von Rechtsakten der Gemeinschaftsorgane festzustellen; dies obliegt allein dem EuGH.84 Lässt der Empfänger einer staatlichen Beihilfe die in Art 230 V EGV (263 VI AEUV-E) vorgesehene Rechtsschutzfrist verstreichen obwohl er die Möglichkeit hatte, die unmittelbar nur an die Mitgliedstaaten gerichtete Entscheidung der Kommission anzufechten, kann er vor dem innerstaatlichen Gericht die Rechtmäßigkeit der Entscheidung nicht mehr mit Erfolg in Frage stellen.85 2. Nach Ansicht des VG steht Art 2909 des Codice civile zwar nicht nur der Möglichkeit entgegen, Angriffs- oder Verteidigungsmittel, über die bereits ausdrücklich und rechtskräftig entschieden worden ist, in einem zweiten Rechtsstreit erneut geltend zu machen, sondern verbietet es auch, Fragen zu prüfen, die im Rahmen eines früheren Rechtsstreits hätten auf-
83 EuGH Slg 1977, 595 Rn 9 – Steinike & Weinlig. 84 Vgl EuGH Slg 1987, 4199 Rn 20 – Foto Frost; Slg 1991, I-415 Rn 10 – Zuckerfabrik Süderdithmarschen; Slg 2006, I-1403 Rn 27 – IATA. 85 EuGH Slg 1994, 1833 Rn 13 – Textilwerke Deggendorf.
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geworfen werden können, dies aber nicht wurden. Eine solche Auslegung hätte aber zur Folge, dass einer Entscheidung eines innerstaatlichen Gerichts Wirkungen beigelegt werden können, die über die Grenzen der Zuständigkeit des fraglichen Gerichts, wie sie sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben, hinausgehen. Diese Auslegung des Art 2909 des Codice civile würde nämlich „offenkundig“ im vorliegenden Fall die Anwendung des Gemeinschaftsrechts vereiteln, weil sie die Rückforderung einer unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht gewährten Beihilfe unmöglich machen würde. Der EuGH erinnert daran, dass es Sache der innerstaatlichen Gerichte ist, die Vorschriften des nationalen Rechts so weit wie möglich derart auszulegen, dass sie in einer zur Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts beitragenden Art und Weise angewandt werden können. Im Übrigen sei das innerstaatliche Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts anzuwenden hat, gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen haben, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt.86
VI. Die Gerichtsbarkeit der Europäischen Gemeinschaften und der Europäischen Union Die gerichtliche Kontrolle wird in den Europäischen Gemeinschaften und in der Europäischen Union durch den aus einem Richter je Mitgliedstaat bestehenden (Art 221 I EGV; 19 II 1 EUV-E) und von einigen Generalanwälten unterstützten (Art 222 I EGV; 19 II 2 EUV-E) Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (Art 5 EUV) wahrgenommen (nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon: Gerichtshof der Europäischen Union). Der Gerichtshof ist Organ der Europäischen Gemeinschaft (Art 7 I EGV) und der Europäischen Atomgemeinschaft (Art 3 I EAG) und wird im Wege der Organleihe zugleich für die Europäische Union tätig (→ Rn 4). Der als Plenum mit sämtlichen Richtern, als Große Kammer mit dreizehn Richtern oder in Kammern mit fünf respektive drei Richtern tagende EuGH (Art 11a VerfO-EuGH) nimmt sowohl die Aufgaben eines Verfassungsgerichts als auch diejenigen von Fachgerichtsbarkeiten wahr.87 Anders als die deutschen Gerichte kennt der EuGH keinen vorherbestimmten Geschäftsverteilungsplan. Der Präsident weist die eingehenden Rechtssachen nach seinem Ermessen zunächst einem der Richter als Berichterstatter zu (Art 9 § 2 I VerfO-EuGH). Dabei spielt das jeweilige Sachgebiet keine ausschlaggebende Rolle, weil Spezialisierungen von vornherein vermieden werden sollen. Der endgültig zuständige Spruchkörper wird auf Vorschlag des Berichterstatters „vom Gerichtshof nach Anhörung des Generalanwalts“ bestimmt (Art 44 § 2 II VerfO-EuGH).88 Diese „freihändige“ Art und Weise der Geschäftsverteilung steht mit dem Recht auf den gesetzlichen Richter nicht in Einklang, das für die deutschen Gerichte gem Art 101 I 2 GG gilt. Zwar kennt das Gemeinschaftsrecht eine entsprechende Garantie
86 EuGH Slg 1978, 629 Rn 21 ff – Simmenthal. 87 In der Praxis entscheidet zumeist eine Kammer mit fünf Richtern, vgl Jahresbericht des EuGH 2007, S 100 (Plenum des Gerichtshofs: 0; Große Kammer: 59; Kammer mit 5 Richtern: 170; Kammer mit 3 Richtern: 24). Zu den Neuerungen durch den AEUV vgl Schröder DÖV 2009, 61 ff. 88 Zur Geschäftsverteilung beim EuGH s auch Hackspiel in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 23 Rn 12 f; Karpensteiner/Langner in: Grabitz/Hilf, Bd 2, EUV/EGV, Art 221 Rn 21 ff; Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 221 Rn 6.
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bislang nicht.89 Art 47 S 2 der erst nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon rechtsverbindlich werdenden Grundrechtecharta (→ Rn 1) gewährt aber ein Recht auf ein „zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht“. Daher sollte die bisherige Praxis geändert werden,90 zumal vorherbestimmte Geschäftsverteilungspläne für den EuG bereits üblich sind.91 Der Begriff des Gerichtshofs wird im Gemeinschaftsrecht sinnvariierend verwendet. Im weiteren Sinne ist der Gerichtshof das einzige Rechtsprechungsorgan der Europäischen Gemeinschaften und der Europäischen Union. Da die Gemeinschaftsgerichtsbarkeit dreigliedrig aufgebaut ist, lässt sich aber auch zwischen dem Gerichtshof im engeren Sinne (vgl Art 220 EGV) und dem diesen Gerichtshof beigeordneten Gericht erster Instanz (Art 224 EGV; 254 ff AEUV-E) sowie den gerichtlichen Kammern iSd Art 225a EGV (Fachgerichte; Art 257 AEUV-E) unterscheiden.92 Bisher ist erst eine gerichtliche Kammer iSd Art 225a EGV (257 AEUV-E), nämlich das Gericht für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union 93, errichtet worden. Doch ist die Schaffung weiterer Fachgerichte geplant.94 Gegen die Entscheidung der gerichtlichen Kammern kann vor dem Gericht erster Instanz ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel oder, wenn der Beschluss über die Bildung der Kammer dies vorsieht, ein auch Sachfragen betreffendes Rechtsmittel eingelegt werden (Art 225a III EGV; 257 III AEUV-E). Das regelmäßig in Kammern mit drei oder fünf Richtern tagende Gericht erster Instanz (Art 50 EuGH-Satzung) ist zuständig für – Nichtigkeitsklagen von Mitgliedstaaten (Art 230 II EGV; 263 II AEUV-E) gegen die Kommission 95 der EG, die EZB sowie bestimmte untergeordnete Durchführungsentscheidungen des Rates, – Nichtigkeitsklagen von Gemeinschaftsorganen und der EZB gegen selbständige Gemeinschaftseinrichtungen oder Klagen solcher Einrichtungen, – Untätigkeitsklagen von Organen oder Mitgliedstaaten, soweit nicht die für die Nichtigkeitsklage geltenden Vorbehalte einschlägig sind, – Nichtigkeits- und Untätigkeitsklagen Privater, – Schadensersatzklagen wegen außervertraglicher Haftung der Gemeinschaft, – Schiedsklagen aus einem Vertragsverhältnis gegen die Gemeinschaft 96 sowie – Entscheidungen zum einstweiligen Rechtsschutz (Art 242, 243 EGV; 278, 279 AEUV-E) in den vorgenannten Verfahren.97
89 Zur Frage, inwieweit sich ein Recht auf den gesetzlichen Richter aus den gemeinsamen Überlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt Karpensteiner/Langner in: Grabitz/Hilf, Bd 2, EUV/EGV, Art 221 Rn 24; Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 221 Rn 7. 90 So auch Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 221 Rn 7. 91 Zur Geschäftsverteilung beim EuG Hackspiel in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 23 Rn 15. 92 Vgl Art 19 I 1 EUV-E: „Der Gerichtshof der Europäischen Union umfasst den Gerichtshof, das Gericht und die Fachgerichte.“ 93 ABlEU 2004 L 333, 7. 94 Zum Vorschlag zur Einrichtung eines Gemeinschaftspatentgerichts vgl KOM 2003, 828 endg. 95 Vgl aber auch Art 51 Ib EuGH-Satzung, wonach Nichtigkeitsklagen von Mitgliedstaaten gegen Kommissionsakte nach Art 11a EGV (326 ff AEUV-E) dem Gerichtshof vorbehalten sind. 96 Anderes gilt für Klagen nach Art 239 EGV (273 AEUV-E). 97 Vgl Art 225 I iVm den Art 230, 232, 235, 238 EGV (Art 256 I iVm Art 263, 265, 268, 272 AEUV-E), Art 51 EuGH-Satzung.
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Im Wesentlichen bedeutet dies, dass der „Individualrechtsschutz“ (subjektiver Rechtsschutz) beim Gericht erster Instanz angesiedelt ist. Gegen die Entscheidung des Gerichts erster Instanz kann nach Maßgabe der Bedingungen und innerhalb der Grenzen, die in der EuGH-Satzung vorgesehen sind 98, beim EuGH ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel eingelegt werden (Art 225 I 2 EGV; 256 I 2 AEUV-E). Kein Gebrauch gemacht wurde bisher von der Möglichkeit, dem Gericht erster Instanz auch bestimmte Vorabentscheidungsverfahren zuzuweisen (Art 225 III EGV; 256 III AEUV-E). Cum grano salis kann das Gericht erster Instanz als Verwaltungs-, der Gerichtshof als Verfassungsgericht bezeichnet werden.99
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VII. Die Rechtsschutzformen, Verfahrensarten und gerichtlichen Kontrollbefugnisse der Gemeinschafts- bzw Unionsgerichte Die Gemeinschaftsgerichtsbarkeit entscheidet in einem kontradiktorischen Verfahren über die als Direktklagen erhobenen Vertragsverletzungsklagen (Art 226, 227 EGV; 258, 259 AEUV-E), Nichtigkeitsklagen (Art 230 EGV; 263 AEUV-E), Untätigkeitsklagen (Art 232 EGV; 265 AEUV-E), Schadensersatzklagen (Art 235 EGV; 268 AEUV-E), Streitigkeiten zwischen der Gemeinschaft und ihren Bediensteten (Art 236 EGV; 270 AEUV-E) sowie aufgrund vertraglich festgelegter Zuständigkeiten (Art 238, 239 EGV; 272, 273 AEUV-E). Ihrer Art nach stellen die Direktklagen im Wesentlichen Gestaltungsklagen (so die Nichtigkeitsklagen → § 8 Rn 1), Leistungsklagen (so die Schadensersatzklage nach Art 235 EGV, 268 AEUV-E → § 10 Rn 40) oder Feststellungsklagen (so die Vertragsverletzungs- und Untätigkeitsklagen → § 7 Rn 33; § 9 Rn 25) dar. Für bestimmte Streitigkeiten kommen verschiedene Klagearten in Betracht. So ist der Gerichtshof gem Art 236 EGV (270 AEUV-E) für „alle“ Streitigkeiten zwischen der Gemeinschaft und den Bediensteten zuständig. Hierbei kann es sich um Gestaltungs-, Leistungs- oder Feststellungklagen handeln. Neben den Direktklagen ist vor allem das besonders wichtige Vorabentscheidungsverfahren zu nennen (Art 234 EGV; 267 AEUV-E). In Bezug auf die unionsrechtlichen Zuständigkeiten des EuGH (→ Rn 4) sind namentlich das unionsrechtliche Vorabentscheidungsverfahren (Art 35 I-IV EUV; Rn 15), die unionsrechtliche Nichtigkeitsklage (Art 35 VI EUV) und das unionsrechtliche Streitbeilegungsverfahren (Art 35 VII EUV) von Bedeutung. Der gemeinschaftsrechtliche numerus clausus der Direktklagen ist zu eng geraten.100 Ebenso wie im deutschen Recht besteht ein Bedürfnis, nach Zulassung einer Verpflichtungsklage und wohl auch einer allgemeinen Leistungs- und allgemeinen Feststellungsklage. Da dies auf dem Wege einer richterrechtlichen Erweiterung des Systems der Direktklagen nicht erreichbar erscheint, empfiehlt sich eine diesbezügliche Vertragsänderung. Der Vertrag von Lissabon sieht eine Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union für eine Subsidiaritätsklage (als besondere Form der Nichtigkeitsklage) vor,101 mit
98 Vgl Art 56 EuGH-Satzung. 99 Vgl auch Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 32. 100 Vgl Ehlers in: Erichsen/Ehlers, Allg VerwR, 12. Aufl 2002, § 3 Rn 70; Wegener EuGRZ 2008, 354 ff. 101 Art 8 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit (ABlEU 2007 C 306, 150).
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der, je nach innerstaatlicher Ausgestaltung, die Mitgliedstaaten oder die mitgliedstaatlichen Parlamente 102 eine Verletzung des ihre Regelungshoheit schützenden Subsidiaritätsprinzips (Art 5 I, III EUV-E) geltend machen können. Des Weiteren kann der Gerichtshof zwecks Überprüfung des Verfahrens im Falle der Feststellung einer Verletzung von Fundamentalprinzipien durch einen Mitgliedstaat (Art 7 EUV-E) angerufen werden (Art 269 AEUV-E). Besondere Verfahrensarten stellen die Rechtsmittelverfahren des Gerichtshofs (Art 225 I 2 EGV; 256 I 2 AEUV-E) und des Gerichts erster Instanz (Art 225 II EGV; 256 II AEUV-E) sowie die Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (Art 242, 243 EGV; 278, 279 AEUV-E) dar. Ferner sind das abstrakte Auslegungsverfahren (Art 68 III EGV) und das völkerrechtliche Gutachterverfahren (Art 300 VI EGV; 218 XI AEUV-E) zu nennen. Wie die Gerichte im Allgemeinen sind grundsätzlich auch die Gemeinschaftsgerichte zur Kontrolle berufen. Ihnen ist es prinzipiell nicht gestattet, ihr Ermessen an die Stelle des Ermessens der Legislative oder Exekutive zu setzen. Doch sind dem Gemeinschaftsgericht gestaltende gerichtliche Ermessensermächtigungen nicht fremd. So kann dem Gerichtshof gem Art 229 EGV (261 AEUV-E) die Befugnis „zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung“ von Zwangsmaßnahmen und „zur Änderung oder Verhängung solcher Maßnahmen“ übertragen werden. Dies ist auf dem Gebiet des Kartellrechts und der Verkehrspolitik geschehen (→ § 8 Rn 61). Ferner sind der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit auf der Grundlage des Art 229a, 236 EGV (262, 270a AEUV-E) Zuständigkeiten einschließlich der Befugnis zur Aufhebung „oder Änderung der getroffenen Maßnahmen“ in Bezug auf den gewerblichen Rechtsschutz (→ § 8 Rn 61) und auf die Streitsachen zwischen der Gemeinschaft und ihren Bediensteten (→ § 10 Rn 3) übertragen worden. Die Befugnis zur Abänderung umfasst eine gerichtliche reformatio in peius, die Befugnis zur Verhängung von Maßnahmen sogar die gerichtliche Kompetenz zum Erlass erstmaliger Anordnungen.
VIII. Das Verfahren vor dem EuGH und dem Gericht erster Instanz 30
Das Verfahren vor dem EuGH (im engeren Sinne) und dem Gericht erster Instanz wird in der Satzung des Gerichtshofs (Sart II Nr 245) und den jeweiligen Verfahrensordnungen (Sart II Nr 250, 250a, 252) detailliert geregelt. Die Gerichte haben hierzu praktische Anweisungen für Klagen und Rechtsmittel veröffentlicht (Sart II Anhang Nr 250, 252). Die Direktklagen und das Rechtsmittelverfahren werden durch eine Klageschrift eingeleitet. Private Rechtsschutzsuchende müssen durch einen Anwalt vertreten sein.103 Das Vorabentscheidungsverfahren beginnt mit der Übersendung des Vorlageersuchens unmittelbar durch den vorlegenden Richter oder die Geschäftsstelle des vorlegenden Gerichts an den Kanzler des EuGH.104 Doch muss der Vorlagebeschluss in alle Amtssprachen übersetzt
102 Nach dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des GG (BT-Drucks 16/8488) soll die Antragsberechtigung gem Art 23 Ia GG nF bei Bundestag und Bundesrat liegen; weitere Verfahrensregelungen im Entwurf eines Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union (BT-Drucks 16/8489). 103 Art 19 EuGH-Satzung. 104 Art 23 EuGH-Satzung; Art 103 ff VerfO-EuGH.
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werden.105 Die Verfahrensdauer lag im Jahre 2007 bei 19,3 Monaten.106 Unter bestimmten Voraussetzungen kann ein beschleunigtes respektive Eil-Verfahren durchgeführt werden.107 Betrifft das Vorabentscheidungsverfahren eine inhaftierte Person, entscheidet der EuGH nach Art 267 IV AEUV-E innerhalb kürzester Zeit. Das Verfahren gliedert sich in der Regel in einen schriftlichen und mündlichen Teil.108 Doch ist eine mündliche Verhandlung nicht (mehr) obligatorisch. Unterstützt wird der EuGH bei der Rechtsfindung durch Generalanwälte 109, die öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen zu stellen haben, in denen nach der Satzung des Gerichtshofs ihre Mitwirkung erforderlich ist. Die Urteile sind anders als die Urteile deutscher Gerichte aufgebaut. Im Anschluss an das Rubrum folgen die Entscheidungsgründe und erst dann der Tenor.110 Der Tenor eines jeden Urteils wird in das Amtsblatt der EG (Teil C) veröffentlicht. Die vollständige Fassung des Urteils erscheint zusammen mit den Schlussanträgen des Generalanwalts in der Amtlichen Sammlung der Rechtsprechung. Die Urteile und Schlussanträge sind auch über das Internet abrufbar.111 Über die Prozesskosten (Art 38 EuGH-Satzung) ist im Falle der Anrufung des EuGH nach Maßgabe der Art 69 VerfO-EuGH zu entscheiden. Da das Verfahren vor dem EuGH grundsätzlich kostenfrei ist 112, betreffen die erstattungsfähigen Kosten im Wesentlichen nur die Auslagen der Parteien. Die Urteile sind gem Art 244, 256 EGV (280, 299 AEUV-E) vollstreckbar. Eine Vollstreckung gegenüber den Mitgliedsstaaten ist ausgeschlossen (→ § 7 Rn 34).
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Art 104 § 1 VerfO-EuGH. EuGH, Jahresbericht 2007, S 98. Art 104a, b VerfO-EuGH. Art 20 I EuGH-Satzung. Art 226 EGV; Art 252 AEUV-E. Art 63 VerfO-EuGH. http://europa.en.int/de/jurisp/index.htm. Vgl Art 72 VerfO-EuGH.
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§7 Vertragsverletzungsklage Dirk Ehlers I. Funktion und Bedeutung der Vertragsverletzungsklage Um die „Wahrung des Rechts“ 1 auf dem Gebiet des Europäischen Gemeinschaftsrechts zu sichern, hat der EG-Vertrag der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit in einem erheblichen Umfang ausschließliche Zuständigkeiten übertragen. Zur Gruppe der Direktklagen, die unmittelbar bei den Gemeinschaftsgerichten eingelegt werden können (vgl auch → § 6 Rn 26), gehört die Vertragsverletzungsklage (Art 226, 227 EGV, für die Europäische Atomgemeinschaft: Art 141, 142 EAG). Der Vertrag von Lissabon (→ § 6 Rn 1) enthält gleichlautende Vorschriften (Art 258, 259 AEUV-E), regelt aber in weitergehendem Umfange die Möglichkeit der Festsetzung von Pauschalbeträgen und Zwangsgeldern (Art 260 III AEUV-E). Das Verfahren bezweckt eine objektive Rechtskontrolle. Überprüft wird, ob ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus dem Vertrag verstoßen hat. Unerheblich ist, ob der Rechtsverstoß auch Rechte des Marktbürgers verletzt.2 Ein Privater hat nicht die Möglichkeit, Vertragsverletzungsklage zu erheben. Gleichwohl ist das Vertragsverletzungsverfahren für den Individualrechtsschutz nicht ohne Belang. Zum einen hat es der Einzelne in der Hand, bei der Kommission oder einem Mitgliedstaat Beschwerde einzulegen und damit ein Vertragsverletzungsverfahren anzuregen (→ Rn 12). Zum anderen kann die Verurteilung eines Mitgliedstaats im Vertragsverletzungsverfahren auch seinen Interessen dienen, weil die gerichtliche Feststellung einer Vertragsverletzung in Rechtskraft gegenüber allen Organen des Staates erwächst (→ Rn 33 ff) und damit auch präjudizielle Wirkung für Folgeprozesse des Einzelnen vor den nationalen Gerichten hat (etwa für Haftungsprozesse wegen Vertragsverletzung des verklagten Mitgliedstaats). Der EG-Vertrag kennt zwei verschiedene Formen des Vertragsverletzungsverfahrens, nämlich die Aufsichtsklage der Kommission gegen einen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft (Art 226 EGV; 258 AEUV-E) und die Klage zwischen Mitgliedstaaten (Art 227 EGV; 259 AEUV-E). Das von der Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren spielt in der Praxis eine wichtige Rolle und hat im Laufe der Jahre zunehmende Bedeutung erlangt. So hat die Kommission im Jahre 2004 gestützt auf Art 226 EGV (258 AEUV-E) 1.946 Mahnschreiben versandt, 454 mit Gründen versehene Stellungnahmen abgegeben und 202 Aufsichtsklagen erhoben.3 Die Zahlen zeigen, dass allein die Einleitung eines (informellen oder eines Vor-) Verfahrens (Rn 12 f) die Mitgliedstaaten häufig zu einem Einlenken veranlasst. Im Jahre 2007 erließ der Europäische Gerichtshof (EuGH) 143 Urteile im Vertragsverletzungsverfahren, von denen 127 (89 %) eine Verurteilung des Mitgliedstaats enthielten.4 Die Vertragsverletzungsrügen der Kommission
1 Art 220 EGV (19 I 2 EUV-E). 2 Vgl EuGH Slg 1995, I-2189 Rn 26 – Großkrotzenburg. 3 Gesamtbericht über die Tätigkeit der Europäischen Union 2004, Ziff 769; Bericht der Kommission über die Anwendung des Gemeinschaftsrechts 2004, KOM 2005, 570 mit statistischem Anhang SEK 2005, 1447 unter 2.1. 4 EuGH, Jahresbericht 2007, S 97.
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beziehen sich in den meisten Fällen auf die fehlende, unvollständige oder verspätete Umsetzung von EG-Richtlinien. Keine Relevanz erlangt hat dagegen bisher das Vertragsverletzungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten. Bisher dürfte es nur in zwei Fällen zu diesbezüglichen Entscheidungen des EuGH gekommen sein.5
II. Zulässigkeit der Vertragsverletzungsklage 4
Die Gemeinschaftsgerichtsbarkeit prüft von Amts wegen, ob die gem Art 226, 227 EGV (258, 259 AEUV-E) für die Erhebung einer Vertragsverletzungsklage geltenden Sachentscheidungsvoraussetzungen erfüllt sind.6 1. Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit und des Europäischen Gerichtshofs
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Wollen die Kommission oder ein Mitglied der Europäischen Gemeinschaft gerichtlich klären lassen, ob ein (anderer) Mitgliedstaat gegen den EG-Vertrag verstoßen hat, könnte eine internationale Zuständigkeit der nationalen Gerichte des verklagten Mitgliedstaats in Betracht kommen (→ § 21 Rn 29 ff). Doch ergibt sich aus den Art 226, 227 iVm 240 EGV (258, 259 iVm 274 AEUV-E) eine ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit. Nicht ausgeschlossen sind Vertragsverletzungsklagen Privater vor den nationalen Gerichten. Da weder Art 225 EGV (256 AEUV-E) noch die Satzung des EuGH eine Kompetenz des EuG begründen, liegt die Zuständigkeit beim EuGH. 2. Parteifähigkeit
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Aktiv parteifähig sind nach den Art 226 II, 227 I EGV (258 II, 259 I AEUV-E) nur die Kommission (Art 213 ff EGV; 244 ff AEUV-E) und Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, passiv parteifähig allein letztere. Unter Mitgliedstaaten sind die Gesamtstaaten (also zB die Bundesrepublik Deutschland) zu verstehen. Die Gliedsstaaten (zB die Länder) eines Gesamtstaates oder sonstigen Trägers von Staatsgewalt (wie die Kommunen) können beim Gesamtstaat allenfalls eine Klageerhebung anregen. Allerdings kann nach innerstaatlichen Grundsätzen (in Deutschland nach dem Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens) der Gesamtstaat verpflichtet sein, ein Verfahren einzuleiten.7 Umgekehrt muss der Gesamtstaat für Vertragsverletzungen auch dann die Verantwortung übernehmen, wenn er das Handeln der staatlichen Rechtsträger (zB der Kommunen) oder Organe (zB der Gerichte) nicht beeinflussen konnte. Besonderheiten gelten für den Finanz- und Währungsbereich, weil gem Art 237 lit a und d EGV (271 lit a und d AEUV-E) der Verwaltungsrat der Europäischen Investitionsbank und der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) in bestimmten diesbezüglichen Streitigkeiten die der Kommission nach
5 Vgl EuGH Slg 1979, 2923 – Frankreich/Vereinigtes Königreich; Slg 2000, I-3123 – Belgien/ Spanien. 6 Vgl EuGH Slg 1992, I-2353 Rn 8 – Kommission/Italien; Slg 2005, I-9405 Rn 8 – Kommission/ Italien. 7 Vgl auch Thiele EurPr, § 5 Rn 7. Wegen des weiten Gestaltungsspielraums des Gesamtstaates kommt eine Verpflichtung allenfalls in extremen Ausnahmesituationen in Betracht.
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Art 226 EGV (258 AEUV-E) übertragenen Befugnisse besitzen. Klagt der EZB-Rat, sind anstelle der Mitgliedstaaten die nationalen Zentralbanken (in Deutschland: Deutsche Bundesbank) passiv parteifähig. 3. Klagegegenstand Fall 1: Nach Absendung eines Mahnschreibens und erfolgloser Abgabe einer begründeten Stellungnahme erhebt die Kommission vor dem EuGH Klage gegen die Französische Republik auf Feststellung, dass Frankreich gegen Art 28 EGV (34 AEUV-E) verstoßen hat. Begründet wird dies damit, dass französische Landwirte seit vielen Jahren Anschläge auf Lastwagen verüben, mit denen Obst und Gemüse aus Spanien und Italien nach Frankreich importiert wird.
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Gegenstand des Vertragsverletzungsverfahrens sind Verstöße der Mitgliedstaaten gegen eine Verpflichtung aus „diesem“ (dh EG-)Vertrag (nicht dem EU-Vertrag). Ein Vertragsverstoß liegt vor, wenn geschriebenes oder ungeschriebenes Gemeinschaftsrecht missachtet wurde. Zum einen ergibt sich bereits aus dem EG-Vertrag (gegebenenfalls im Wege der Auslegung) selber, dass neben den Regelungen des Vertrages die – vom EuGH auf der Grundlage des Art 220 EGV (19 EUV-E) entwickelten – allgemeinen Rechtsgrundsätze 8, die Abkommen mit Drittstaaten 9 oder die verbindlichen Rechtshandlungen der EGOrgane 10 (also das sekundäre Gemeinschaftsrecht) beachtet werden müssen 11, so dass bei einem Zuwiderhandeln stets zugleich ein Verstoß gegen Vertragsrecht vorliegt. Zum anderen kann die Kommission ihre Aufgabe, für die Anwendung des EG-Vertrags „sowie der von den Organen aufgrund dieses Vertrags getroffenen Bestimmungen Sorge zu tragen“ (Art 211 erster Spiegelstrich EGV; vgl auch Art 17 I 2 EUV-E) nur bei einer weiten (insbesondere auch Sekundärrecht einbeziehenden) Auslegung des Art 226 EGV (258 AEUV-E) gerecht werden. Ein Verstoß gegen Vertragsrecht liegt vor, wenn ein Handeln oder Unterlassen mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar ist. Maßgebend ist das Verhalten der Mitgliedstaaten, also nur staatliches Handeln. Wie schon aus den vorstehenden Ausführungen folgt (→ Rn 6), kommen als Urheber der Vertragsverletzungen im Rahmen der Art 226, 227 EGV (258, 259 AEUV-E) sämtliche Träger von Staatsgewalt in Betracht. Dazu sind auch die allein vom Staat getragenen Privatrechtssubjekte (zB die Eigengesellschaften eines Landes oder einer Kommune) sowie diejenigen Privatrechtssubjekte zu rechnen, die von einem Träger von Staatsgewalt beherrscht werden.12 Unerheblich ist, ob der Vertragsverstoß von der Legislative 13, Exekutive oder Judikative begangen wurde. Ein Vertragsverletzungsverfahren wegen mitgliedstaatlicher Gerichtsentscheidungen ist bisher erst einmal von der Kom-
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Vgl statt vieler Streinz EuropaR, Rn 412 ff. Art 300 VII EGV, vgl zB EuGH Slg 1996, I-3989 Rn 15 – Kommission/Deutschland. Art 249 II-IV EGV (288 II-IV AEUV-E). Dies folgt ferner aus Art 10 EGV (4 III EUV-E). Vgl Art 2 II RL 80/723/EWG (Transparenzrichtlinie). Vgl zB EuGH Slg 2001, I-4527 Rn 12 – Kommission/Österreich; Slg 2002, I-593 Rn 16 – Kommission/Belgien.
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mission eingeleitet worden.14 Kein Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens ist das Verhalten Privater. Anderes gilt, wenn der Staat das Verhalten Privater maßgeblich bestimmt oder beeinflusst hat15 oder das Gemeinschaftsrecht den Staat verpflichtet, gegen das Handeln Privater einzuschreiten.16 Auch in diesen Fällen richtet sich die Klage unmittelbar lediglich gegen den Staat. 10
Lösung Fall 1: Bedenken gegen die Zulässigkeit der Vertragsverletzungsklage könnten nur deshalb bestehen, weil Gegenstand einer Vertragsverletzungsklage nach Art 226 EGV (258 AEUV-E) nur die Behauptung sein kann, dass „ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus diesem Vertrag verstoßen“ hat. Im vorliegenden Fall geht die Beeinträchtigung der Freiheit des Warenverkehrs von französischen Landwirten, also Privaten, aus. Indessen richtet sich die Klage nicht gegen die Landwirte, sondern gegen die Republik Frankreich, weil die Republik nichts gegen die Behinderung des Warenverkehrs unternommen hat. Die Klage ist daher zulässig (und auch begründet, weil sich aus Art 28 EGV (34 AEUV-E) eine Schutzpflicht ergibt und der freie Warenverkehr nicht nur durch Handlungen, sondern auch durch Unterlassung eines Mitgliedstaates beeinträchtigt werden kann, wenn Personen den Handelsverkehr stören).17
4. Durchführung eines Vorverfahrens 11
Von Sonderfällen abgesehen18 ist ein Vertragsverletzungsverfahren nur nach Durchführung eines Vorverfahrens zulässig. Das Vorverfahren dient drei Zielen: der außergerichtlichen Streitbeilegung, der Gewährung rechtlichen Gehörs und der Eingrenzung des späteren Streitgegenstandes. Tatsächlich wird in deutlich weniger als 20 % aller Streitigkeiten nach Einleitung eines Vorverfahrens später Klage erhoben. Hinsichtlich der Anforderungen ist danach zu entscheiden, ob der Gerichtshof von der Kommission oder einem Mitgliedstaat angerufen wird.
a) Vorverfahren im Rahmen einer Klage nach Art 226 EGV (258 AEUV-E) 12
Sachentscheidungsvoraussetzung einer Vertragsverletzungsklage nach Art 226 EGV (258 AEUV-E) ist allein das förmliche Vorverfahren. Es besteht aus einer Aufforderung der Kommission an die Mitgliedstaaten, sich zu äußern (Art 226 I Hs 2 EGV; 258 I Hs 2 AEUV-E) – gemeinhin Mahnschreiben genannt –, sowie der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission (Art 226 I Hs 1 EGV; 258 I Hs 1 AEUV-E). Ihre Kenntnis von einem (möglichen) Vertragsverstoß des Mitgliedstaates erlangt die Kommission entweder von Amts wegen (etwa im Zuge der Bearbeitung parlamentarischer Anfragen oder Petitionen respektive im Rahmen von Untersuchungen oder Notifizierungen sowie durch Medienberichte) oder aufgrund von Beschwerden natürlicher oder juristischer Personen.
14 Vgl Meier EuZW 1991, 11 ff; Sack EuZW 1991, 246 ff; siehe auch Breuer EuZW 2004, 199 f. Zu den Gründen der Zurückhaltung der Kommission vgl auch Karpenstein/Karpenstein in: Grabitz/ Hilf, Bd 3, EUV/EGV, Art 226 EGV Rn 23. 15 Vgl EuGH Slg 1982, 4005 Rn 15, 23 ff – Kommission/Irland. 16 Vgl → Fall 1. 17 EuGH Slg 1997, I-6959 – Kommission/Frankreich → JK EGV Art 30/2. 18 Vgl Art 88 II 2, 95 IX, 298 II EGV (108 II 2, 114 IX, 348 II 1 AEUV-E).
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Vertragsverletzungsklage
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Auch wenn Private keinen Anspruch auf Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens haben19, ist die Kommission zwecks effektiver Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts an einer Zusammenarbeit mit den Privaten interessiert. Sie hat deshalb zur Verfahrensvereinfachung ein Formblatt herausgegeben.20 Das Beschwerdeverfahren ist kostenlos und unterliegt dem Grundsatz der Vertraulichkeit. Der Beschwerdeführer wird über den Verlauf des weiteren Verfahrens unterrichtet.21 Dem formellen Verfahren wird in der Praxis regelmäßig ein informelles Verfahren vorgeschaltet.22 Es dient einerseits der Sachverhaltsaufklärung, andererseits soll informell versucht werden, eine Regelung des Streitfalls herbeizuführen.
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(1) Mahnschreiben der Kommission Nach Art 226 I Hs 2 EGV (258 I Hs 2 AEUV-E) wird das Vorverfahren dadurch eingeleitet, dass die Kommission dem Staat „Gelegenheit zur Äußerung“ gibt. Trotz des in eine andere Richtung deutenden Wortlauts geht die ständige Rspr davon aus, dass die Einleitung im Ermessen der Kommission liegt.23 Daher verspricht eine Untätigkeitsklage (Art 232 EGV; 265 AEUV-E) von vornherein keinen Erfolg.24 Die Kommission muss sich schriftlich an die Mitgliedstaaten wenden und die Tatsachen mitteilen, die nach ihrer Auffassung den Gemeinschaftsrechtsverstoß begründen. Zudem muss deutlich werden, auf welche rechtliche Überlegungen und Vorschriften sich die Kommission stützt. Das Mahnschreiben soll zum einen der Gewährung rechtlichen Gehörs dienen.25 Eine Verpflichtung oder Obliegenheit des Mitgliedstaats, sich zu äußern, besteht nicht.26 Zum anderen wird bereits durch das Mahnschreiben der spätere Streitgegenstand festgelegt.27 Eine Erweiterung des Streitgegenstandes in einem späteren Verfahren ist nicht zulässig. Sollen später andere Tatsachen oder zusätzliche Verletzungstatbestände einbezogen werden, bedarf es eines erneuten Mahnschreibens.28 Da es sich nur um die Einleitung des Verfahrens handelt, dürfen die Anforderungen an das Mahnschreiben allerdings nicht überspannt werden. Insbesondere ist eine spätere Konkretisierung der Beanstandung zulässig. Die Abgrenzung von zulässiger Konkretisierung und unzulässiger Erweiterung richtet sich nach der Reichweite des rechtlichen Gehörs.29 Die im Mahnschreiben anzugebende
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Vgl EuGH Slg 1997, I-947 Rn 11 – Bundesverband der Bilanzbuchhalter/Kommission. Wiedergegeben bei Borchardt in: Lenz/ders, EUV/EGV, Art 226 (Anlage). Vgl Borchardt in: Lenz/ders, EUV/EGV, Art 226 EGV Rn 12. Vgl Schwarze in: ders, EUV, Art 226 EGV Rn 13; Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 226 EGV Rn 16. Vgl EuGH Slg 1998, I-3851 Rn 27 – Kommission/Italien; Slg 2000, I-7367 Rn 44 – Kommission/Österreich; Slg 2001, I-1025 Rn 24 – Kommission/Frankreich. Krit Karpenstein/Karpenstein in: Grabitz/Hilf, Bd 3, EUV/EGV, Art 226 EGV Rn 39 ff; vgl auch Gaitanides in: v. d. Groeben/ Schwarze, EUV/EGV, Art 226 EGV Rn 73 f. Vgl auch EuGH Slg 1989, 291 Rn 11 – Star Fruit Company; Slg 1990, I-2181 Rn 10 – Asia Motor France. Vgl statt vieler Burgi in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 6 Rn 11. Cremer in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 226 EGV Rn 14. EuGH, Slg 1998, I-5449 Rn 55 – Kommission/Deutschland; Slg 1999, I-7773 Rn 23 – Kommission/Italien. Vgl Pechstein EU/EG, Rn 268. Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 66.
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Frist für die Äußerung muss angemessen sein.30 In der Regel setzt die Kommission eine Frist von zwei Monaten. Eine zu kurz bemessene Frist führt zur Unzulässigkeit.31 Verlängerungen der Frist sind statthaft. Da das Mahnschreiben kein verbindlicher Rechtsakt ist, kann es nicht mit der Nichtigkeitsklage (Art 230 EGV; 263 AEUV-E) durch die Mitgliedstaaten angegriffen werden.32
(2) Begründete Stellungnahme 16
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Nach Ablauf der im Mahnschreiben gesetzten Frist kann die Kommission das Verfahren einstellen (weil der Mitgliedstaat die Vertragsverletzung beseitigt oder die Kommission ihren Standpunkt aufgegeben hat), aussetzen (weil der Mitgliedstaat seine Bereitschaft erkennen lässt, unverzüglich einen gemeinschaftsrechtskonformen Zustand herzustellen 33) oder eine mit Gründen versehene Stellungnahme abgeben und damit das Vertragsverletzungsverfahren fortsetzen. Letzteres Vorgehen kommt dann in Betracht, wenn die Durchführung des Mahnverfahrens nach Ansicht der Kommission nichts an dem Vertragsverstoß geändert hat. Eine begründete Stellungnahme (statt eines erneuten Mahnschreibens) darf auch dann abgegeben werden, wenn der Mitgliedstaat zwar Änderungen vorgenommen hat, die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit aber bestehen geblieben ist.34 Ziel der Stellungnahme ist es, dem Mitgliedstaat nochmals Gelegenheit zur Beseitigung der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit zu geben 35 und den Streitgegenstand für das Klageverfahren verbindlich zu bestimmen. Zwischen dem Mahnschreiben und der Stellungnahme muss insofern Übereinstimmung bestehen, als der Streitgegenstand nicht erweitert werden darf. Dagegen ist eine Einschränkung der tatsächlichen oder rechtlichen Vorwürfe zulässig.36 Die Stellungnahme muss eine detaillierte und zusammenhängende Darlegung der Gründe enthalten, die nach Ansicht der Kommission einen Vertragsverstoß begründen (Angabe der Tatsachen, Rechtsgründe, Beweismittel sowie Bewertung des gerügten Rechtsverstoßes).37 Die Beschlussfassung obliegt der Kommission als Kollegium. Dies bedeutet, dass die Grundlagen des Beschlusses allen Kommissionsmitgliedern vorliegen müssen und das Kollegium gemeinschaftlich beraten muss. Nicht erforderlich ist eine kollegiale Beschlussfassung über die endgültige Ausgestaltung des Beschlusses.38 Ferner muss die Stellungnahme mit einer angemessenen Frist verbunden werden (Art 226 II EGV; 258 II AEUV-E). Insoweit gelten dieselben Grundsätze wie im Mahnverfahren (Rn 15), Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Abgabe oder Nichtabgabe der Stellungnahme bestehen nicht.
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Cremer in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 226 EGV Rn 12. EuGH Slg 1984, 317 Rn 12 f – Kommission/Irland. Burgi in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 6 Rn 16. Vgl Borchardt in: Lenz/ders, EUV/EGV, Art 226 Rn 17. Vgl auch EuGH Slg 1992, I-5871, 5895 Rn 13 – Kommission/Griechenland; Slg 2005, I-935 Rn 30 – Kommission/Österreich. Näher dazu Cremer in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art 226 EGV, Rn 19 ff. Vgl EuGH Slg 2001, I-3463 Rn 23 – Kommission/Niederlande; Slg 2003, I-14189 Rn 79 – Kommission/Finnland; EuGH Slg 2000, I-5992, Rn 22 – Kommission/Österreich. Bleiben die Meinungsverschiedenheiten bestehen, ermöglicht die Stellungnahme dem Staat, seine Verteidigung vor dem EuGH vorzubereiten. Vgl EuGH Slg 1998, I-5339 Rn 56 – Kommission/Deutschland; Slg 2005, I-935 Rn 29 – Kommission/Österreich; Slg 2006, I-2461, Rn 37 – Kommission/Frankreich. Vgl Pechstein EU/EG, Rn 271. Vgl EuGH Slg 1998, I-5449 Rn 34 ff – Kommission/Deutschland.
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b) Vorverfahren im Rahmen einer Klage nach Art 227 EGV (259 AEUV-E) Will ein Mitgliedstaat Vertragsverletzungsklage erheben, muss er gem Art 227 II EGV (259 II AEUV-E) 39 zuvor die Kommission damit befassen, dh einen (schriftlichen oder jedenfalls zu Protokoll gegebenen) Antrag auf Verfahrenseinleitung bei der Kommission stellen. Der Antrag legt bereits den Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens fest.40 Er bedarf daher der Begründung (Darlegung der Tatsachen, aus denen sich die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit ergeben soll, sowie Bezeichnung der Vorschriften, gegen die verstoßen worden sein soll). Erfüllt der Antrag die Mindestvoraussetzungen, beginnt die Drei-Monats-Frist des Art 227 IV EGV (259 IV AEUV-E) zu laufen. Anders als im Verfahren nach Art 226 EGV (258 AEUV-E) übernimmt die Kommission im Vorverfahren nicht die Rolle eines „Anklägers“, sondern die eines „Schiedsrichters“.41 Sie muss daher in einem kontradiktorischen – streng am Maßstab der Chancengleichheit orientierten – Verfahren den beteiligten Staaten Gelegenheit zur schriftlichen „und“ mündlichen Äußerung geben (Art 227 III EGV; 259 III AEUV-E). Nach Abschluss des Anhörungsverfahrens hat die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben. Die begründete Stellungnahme ist (im Gegensatz zum Verfahren nach Art 226 EGV; 258 AEUV-E) nicht Sachentscheidungsvoraussetzung, sondern lediglich eine gutachterliche Äußerung zum Streitgegenstand.42 Welche Rechtsauffassung die Kommission vertritt, ist für das Klagerecht nicht von Bedeutung. Die Stellungnahme muss sich auf alle Punkte beziehen, die der beschuldigende Staat vorgebracht hat.43 Will die Kommission weitere Verstöße aufgreifen, ist sie gehalten, ein eigenes Verfahren nach Art 226 EGV (258 AEUV-E) einzuleiten.44 Liegt binnen drei Monaten nach Antragstellung noch keine mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission vor, kann der Mitgliedstaat Klage erheben, selbst wenn es Gründe für eine Fristverlängerung gibt und/oder die Kommission eine Stellungnahme angekündigt hat.
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5. Klagebefugnis Da es sich beim Vertragsverletzungsverfahren um ein objektiv-rechtliches Verfahren handelt, dass im allgemeinen Interesse durchgeführt wird (→ Rn 2), bedarf es für die Klageerhebung keiner besonderen Klagebefugnis. Allerdings muss der Kläger von der Vertragsverletzung überzeugt sein.45 Vermutungen oder bloße Zweifel reichen nicht aus. Nicht ausgeübt werden darf das Klagerecht auf dem Gebiet der Haushaltsüberwachung (Art 104 X EGV; 126 X AEUV-E), weil die Defizitkontrolle dem Rat obliegt. Dies gilt auch nach Ablauf der Frist des Art 104 XI EGV (126 XI AEUV-E). Statthaft ist ein Ver-
39 Vgl auch Art 142 EAGV. 40 Vgl Karpenstein/Karpenstein in: Grabitz/Hilf, Bd 3, EUV/EGV, Art 227 EGV Rn 8; Schwarze in: ders, EUV, Art 227 EGV Rn 4. 41 Vgl Burgi in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 6 Rn 25; Pechstein EU/EG, Rn 311. 42 Karpenstein/Karpenstein in: Grabitz/Hilf, Bd 3, EUV/EGV, Art 227 EGV Rn 15; Pechstein EU/EG, Rn 314; Thiele EurPr, § 5 Rn 31. 43 Burgi in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 6 Rn 28. 44 Cremer in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 227 EGV Rn 4. 45 Vgl Burgi in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 6 Rn 8; Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 226 EGV Rn 27.
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tragsverletzungsverfahren aber, wenn sich ein Mitgliedstaat weigert, einem Sanktionsbeschluss nach Art 104 XI EGV (126 XI AEUV-E) nachzukommen, weil Abs 10 den Abs 11 nicht erwähnt.46 6. Klagegegner 20
Richtiger Klagegegner eines Vertragsverletzungsverfahrens ist der Mitgliedstaat, dem die Vertragsverletzung vorgeworfen wird bzw in dessen Verantwortungsbereich die Vertragsverletzung fällt. 7. Klagefrist
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Die Vertragsverletzungsklage darf erst nach Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist (Art 226 II EGV; 258 II AEUV-E) oder der Drei-MonatsFrist des Art 227 IV EGV (259 IV AEUV-E) erhoben werden. Eine Klagefrist kennt der EG-Vertrag nicht. Doch kann das Klagerecht nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen durch den Ablauf einer nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmenden Zeitspanne verwirkt werden.47 Eine Verwirkung ist erst anzunehmen, wenn der verklagte Mitgliedstaat nicht mehr mit einem Vertragsverletzungsverfahren rechnen brauchte oder seine Verteidigungsmöglichkeiten durch den Zeitablauf beeinträchtigt sind.48 Der EuGH hat in einem Einzelfall selbst ein sechsjähriges Zuwarten der Kommission bis zur Klageerhebung für zulässig erachtet.49 8. Ordnungsgemäße Klageerhebung
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Fall 2: Die Kommission beantragt in ihrer Klageschrift die Feststellung, dass das Vereinigte Königreich nicht alle erforderlichen Maßnahmen für die vollständige und genaue Umsetzung der UVP-RL (RL 85/337/EWG) erlassen hat. Die Kommission stützt ihre Klage einerseits auf die Rüge, dass das Vereinigte Königreich zu Unrecht bestimmte Projekte vom Anwendungsbereich der UVP-RL ausgenommen habe. Andererseits ist in der Klageschrift jedoch ausdrücklich anerkannt worden, dass das Vereinigte Königreich die notwendigen Rechtsvorschriften erlassen habe, um die RL in innerstaatliches Recht umzusetzen. Wurde die Klage ordnungsgemäß erhoben?
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Die Klageerhebung steht – ebenso wie die Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens (→ Rn 14) – im Ermessen der Kommission bzw des Mitgliedstaats.50 Tritt die Kommission als Klägerin auf, bedarf es (wiederum) eines Beschlusses des Kollegiums. Der Streitgegen-
46 Vgl Ongena in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art 104 EGV Rn 67; Häde in: Calliess/ Ruffert, EUV/EGV, Art 104 EGV Rn 79; aA Bandilla in: Grabitz/Hilf, Bd 3, EUV/EGV, Art 104 EGV Rn 44. 47 Vgl statt vieler Thiele EurPr, § 5 Rn 33. 48 Zur Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte vgl EuGH Slg 1999, I-275 Rn 25 – Kommission/ Belgien; Slg 2000, I-6355 Rn 28 – Kommission/Vereinigtes Königreich; Slg 2005, I-3761 Rn 14 – Kommission/Belgien. 49 Vgl EuGH Slg 1995, I-1097, 1130 Rn 17 f – Kommission/Deutschland. 50 Nach Art 226 II, 227 I EGV (258 II, 259 I AEUV-E) „kann“ der Gerichtshof angerufen werden.
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Vertragsverletzungsklage
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stand der Klage muss mit dem Streitgegenstand des Mahnschreibens (→ Rn 14 f) respektive des Antrags des Mitgliedstaats auf Verfahrenseinleitung (→ Rn 18) übereinstimmen. Die Klage ist schriftlich zu erheben und muss den Anforderungen der Art 21 I EuGHSatzung, 38 EuGH-VerfO genügen. Lösung Fall 2: Im Vertragsverletzungsverfahren müssen die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission und die Klage eine zusammenhängende und genaue Darstellung der Rügen enthalten, damit der Mitgliedstaat und der Gerichtshof die Tragweite des diesem Staat vorgeworfenen Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht richtig erfassen können, was notwendig ist, damit der betreffende Staat sich gebührend verteidigen und der Gerichtshof überprüfen kann, ob die behauptete Vertragsverletzung vorliegt. Die Kommission stützt ihre Klage einerseits auf die Rüge, dass das Vereinigte Königreich zu Unrecht bestimmte Projekte vom Anwendungsbereich der UVP-RL ausgenommen habe. Andererseits sei in der Klageschrift jedoch ausdrücklich anerkannt worden, dass das Vereinigte Königreich die notwendigen Rechtsvorschriften erlassen habe, um die RL in innerstaatliches Recht umzusetzen. Da somit die genannten Erfordernisse des Zusammenhangs und der Genauigkeit nicht erfüllt wurden, die Klage vielmehr auf einer widersprüchlichen Argumentation seitens der Kommission beruht, hat der EuGH die Klage als unzulässig abgewiesen.51
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9. Rechtsschutzinteresse Fall 3: Die Kommission hat gegen die Bundesrepublik Deutschland, nachdem sie Gelegenheit zur Äußerung gegeben und eine begründete Stellungnahme abgegeben hat, Klage nach Art 226 EGV (258 AEUV-E) erhoben, weil deutsche Gemeinden Müllversorgungsverträge ohne die in der RL 92/50/EWG vorgeschriebene Ausschreibung abgeschlossen haben und die Bundesrepublik der von der Kommission gesetzten Frist, die Verträge binnen zwei Monaten zu beenden, nicht nachgekommen war. Die Bundesregierung hat vorgetragen, dass bei Ablauf der in der Stellungnahme der Kommission gesetzten Frist keine Verletzung des Gemeinschaftsrechts fortbestanden habe. Einerseits habe die Bundesregierung eingeräumt, dass die Verträge unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht abgeschlossen worden seien. Andererseits habe sie die künftige Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Vergabevorschriften sichergestellt. Deswegen sei sie nicht verpflichtet gewesen, die Verträge zu beenden.
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Rechtsschutzgesuche sind auch, wenn das Verfahren lediglich objektiven Zwecken dient, nur zulässig, wenn der Rechtsschutzsuchende ein Rechtsschutzinteresse besitzt. Da der Gerichtshof nach Art 226 II EGV (258 II AEUV-E) erst angerufen werden darf, wenn der Staat der begründeten Stellungnahme der Kommission innerhalb der gesetzten Frist nicht nachgekommen ist, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Rechtsverstoß vollständig innerhalb der gesetzten Frist beseitigt worden ist. Wird dagegen die vorgeworfene Vertragsverletzung erst nach Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist abgestellt (sei es vor oder nach Klageerhebung), bleibt das Rechtsschutzinteresse bestehen 52, da allein auf die Rechtslage bei Ablauf der Frist abzustellen ist 53, die
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51 EuGH Slg 2007, I-1221 Rn 20 ff – Kommission/Vereinigtes Königreich. 52 Vgl EuGH Slg 2005, I-3067 Rn 19 – Kommission/Luxemburg. Zu der früher nicht eindeutigen Rechtsprechung vgl Cremer in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 226 EGV Rn 31. 53 EuGH Slg 1996, I-4006 Rn 42 – Kommission/Deutschland.
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Fristsetzung ansonsten ihre Wirkung verlieren würde und die Rechtsverletzung zB Grundlage eines Haftungsprozesses sein kann.54 Unerheblich für das Rechtsschutzbedürfnis ist, ob der umstrittene Verstoß bereits Gegenstand eines Vorabentscheidungsverfahrens war.55 Für mitgliedstaatliche Klagen (Art 227 EGV; 259 AEUV-E) ist ein Rechtsschutzinteresse zu bejahen, wenn die vorgeworfene Vertragsverletzung nach Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission oder Ablauf der Drei-Monats-Frist des Art 227 IV EGV (259 IV AEUV-E) noch nicht abgestellt wurde. 27
Lösung Fall 3: Die Zulässigkeit der Vertragsverletzungsklage gem Art 226 EGV (258 AEUV-E) setzt eine Vertragsverletzung noch nach dem Ablauf der von der Kommission gesetzten Frist voraus. Zwar hat der EuGH im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge entschieden, dass bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission gesetzten Frist ein Verstoß dann nicht mehr besteht, wenn alle Wirkungen der vertraglichen Ausschreibung zu diesem Zeitpunkt schon erschöpft waren (Slg 1992, I-2353 Rn 11, 13 – Kommission/Republik Italien). Das ist aber nicht der Fall, wenn die unter Verletzung der Gemeinschaftsrechtsbestimmungen über öffentliche Aufträge geschlossenen Verträge weiterwirken. Dies traf hier zu. Auch dem Umstand, dass nach Art 2 VI der RL 89/665/EWG die Mitgliedstaaten die Befugnisse der Nachprüfungsinstanz nach dem Vertragsabschluss im Anschluss an die Zuschlagserteilung darauf beschränken dürfen, einer durch einen Verstoß gegen das gemeinschaftliche Vergaberecht geschädigten Person Schadensersatz zuzuerkennen, misst der EuGH keine Bedeutung zu. Diese Bestimmung erlaube den Mitgliedstaaten zwar, die Wirkung der unter Verstoß gegen die RL über die Vergabe öffentlicher Aufträge geschlossenen Verträge aufrechtzuerhalten, dies führe aber nicht dazu, dass das Verhalten des Auftraggebers gegenüber Dritten nach Abschluss der Verträge als gemeinschaftsrechtskonform anzusehen sei. Ebenso wenig komme es darauf an, ob der Mitgliedstaat den Vertragsverstoß eingeräumt habe. Andernfalls können die Mitgliedstaaten allein dadurch, dass sie die Vertragsverletzungen einräumen und die sich daraus möglicherweise ergebende Haftung anerkennen, ein beim EuGH anhängiges Vertragsverletzungsverfahren jederzeit beenden, ohne dass das Vorliegen der Vertragsverletzung und der Grund für ihre Haftung jemals richtig festgestellt worden ist. Der EuGH hat daher die Klage als zulässig angesehen.56
III. Begründetheit der Vertragsverletzungsklage 28
Fall 4: Die Kommission hat Vertragsverletzungsklage erhoben, weil die Republik Italien eine Richtlinie nicht rechtzeitig umgesetzt hat. Italien hat sich damit verteidigt, dass die Nichtumsetzung „Folge eines außergewöhnlichen Ereignisses verfassungsrechtlicher Natur gewesen (sei), dass aufgrund fundamentaler Erfordernisse des demokratischen Systems eine zeitweilige Lähmung der Gesetzgebungsfunktion des Parlaments hervorgerufen habe“ (Auflösung des Parlaments).
54 Unberührt bleibt das Recht der Kommission, wegen Beseitigung des Vertragsverstoßes nach Ablauf der Frist auf Klageerhebung zu verzichten. 55 Vgl EuGH Slg 1998, I-6135 Rn 12 ff – Kommission/Deutschland. 56 EuGH, DVBl 2004, 1472 – Kommission/Deutschland → JK EGV Art 226/2. Zu einem ähnlichen Fall vgl EuGH Slg 2007, I-6153-Kommission/Bundesrepublik Deutschland.
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Fall 5: Die Kommission hat Vertragsverletzungsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland erhoben, weil diese gegen die (nicht rechtzeitig umgesetzte) UVP-RL (RL 85/337/ EWG), insbesondere deren Art 2, 3 und 8, verstoßen habe, indem sie mit Bescheid vom 31.8.1989 die Errichtung eines neuen Kraftwerksblocks des Wärmekraftwerks Großkrotzenburg ohne vorherige Umweltverträglichkeitsprüfung genehmigt hat.
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Die Vertragsverletzungsklage ist begründet, wenn die vom Kläger behaupteten Tatsachen zutreffen, das angegriffene Verhalten dem Mitgliedstaat zuzurechnen ist und sich daraus ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht ergibt. Die Beweislast für das Vorliegen der Tatsachen obliegt dem Kläger.57 Dem Mitgliedstaat zuzurechnen ist sämtliches Handeln der Träger oder Organe von Staatsgewalt, einschließlich der öffentlichen Unternehmen (→ Rn 9). Prüfungsmaßstab ist das gesamte Gemeinschaftsrecht. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit ist bei der Einschlägigkeit des Art 226 EGV (258 AEUV-E) der Ablauf der in der begründeten Stellungnahme von der Kommission gesetzten Frist, bei Einschlägigkeit des Art 227 EGV (259 AEUV-E) die Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission bzw der Ablauf der DreiMonats-Frist (→ Rn 21). Auf ein Verschulden des Mitgliedstaates für die Verursachung eines Schadens 58 kommt es nicht an. Ebenso wenig kann sich der verklagte Mitgliedstaat auf technische, institutionelle oder politische Schwierigkeiten bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts berufen.59
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Lösung Fall 4: Gegen die Zulässigkeit des Vertragsverletzungsverfahrens bestehen keine Bedenken. Die Vertragsverletzungsklage ist auch begründet. Ein Mitgliedstaat kann sich nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen, um damit die Nichtbeachtung von Verpflichtungen zu rechtfertigen, die in den Richtlinien der Gemeinschaft festgelegt sind. Auf Verschulden kommt es nicht an.60
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Lösung Fall 5: Der EuGH hat die Zulässigkeit der Klage bejaht. Dem Klageantrag fehle nicht deshalb die Bestimmtheit, weil die Kommission „insbesondere“ einen Verstoß gegen bestimmte Artikel der UVP-RL gerügt hat. Aus dem Zusammenhang ergebe sich, dass das Adverb „insbesondere“ iSv „nämlich“ verwendet worden sei. Unerheblich sei, dass der gerügte Verstoß gegen Art 2 der RL nicht im Tenor der mit Gründen versehenen Stellungnahme aufgeführt worden ist, da die Bestimmung im Text genannt wurde. Soweit die Bundesrepublik geltend macht, dass die Kommission nur die Nichtumsetzung einer RL, nicht aber die Nichtanwendung einer noch nicht umgesetzten RL rügen dürfe, wendet der EuGH ein, dass es Sache der Kommission sei, zu entscheiden, wegen welcher dem betroffenen Mitgliedstaat zuzurechnenden Handlung oder Unterlassung das Verfahren zu eröffnen ist. Unmaßgeblich sei, dass die Bundesrepublik die RL inzwischen umgesetzt habe, weil die Kommission kein spezifisches Rechtsschutzinteresse benötige. Das Rechtsschutzinteresse fehlt nach der hier vertretenen Auffassung deshalb nicht, weil die Klage nicht auf die
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57 Vgl EuGH Slg 1996, I-3989 Rn 61 – Kommission/Deutschland; Slg 2005, I-3761 Rn 27 – Kommission/Belgien. 58 Vgl EuGH Slg 1997, I-7453 Rn 30 – Kommission/Belgien. 59 Vgl Borchardt in: Lenz/ders, EUV/EGV, Art 226 EGV Rn 30. 60 EuGH Slg 1981, 457 – Kommission/Italienische Republik.
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mangelnde Umsetzung der RL gestützt wurde, sondern auf die Erteilung der Genehmigung. Somit war die Klage für zulässig zu erachten. Im Rahmen der Begründetheitsprüfung hat der EuGH ausgeführt, dass die UVP-RL unmittelbar anwendbar war. Die Kommission habe aber nicht in Abrede gestellt, dass die deutsche Behörde das streitige Projekt gewissen Umweltverträglichkeitsprüfungen unterzogen habe. In Anbetracht dessen wäre es Aufgabe der Kommission gewesen, im Einzelnen darzulegen, in welchen konkreten Punkten die Anforderungen der RL im Genehmigungsverfahren für das streitige Projekt nicht erfüllt wurden. Außerdem hätten entsprechende Beweise vorgelegt werden müssen. Da die Klage keine derartigen, auf exakte Beweise gestützten näheren Angaben enthält, ist sie als unbegründet abgewiesen worden.61
IV. Wirkungen des Urteils 33
Weist der EuGH die Klage durch Prozessurteil ab, kann nach Erfüllung der Sachentscheidungsvoraussetzung erneut Klage erhoben werden. Erweist sich die Klage als unbegründet, kommt eine erneute Anrufung des Gerichtshofs wegen desselben Streitgegenstandes nach Maßgabe des in Art 44 EuGH-Satzung geregelten Wiederaufnahmeverfahrens in Betracht.62 Wird der Klage stattgegeben, erlässt der EuGH ein Feststellungsurteil, wie sich ausdrücklich aus Art 228 I EGV (260 I AEUV-E) ergibt. Weder wird die Rechtslage gestaltet, noch eignet sich das Urteil als Vollstreckungstitel. Dem EuGH bleibt es unbenommen, Hinweise darauf zu geben, wie der Vertragsverstoß beseitigt werden kann. Der verurteilte Mitgliedstaat ist verpflichtet, „die Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofes ergeben“ (Art 228 I EGV; 260 I AEUV-E). Die Pflicht erstreckt sich auf sämtliche Organe oder Gliederungen des Mitgliedstaates.63 Eine Frist enthält Art 228 EGV (260 AEUV-E) nicht. Doch müssen die Maßnahmen unverzüglich eingeleitet und schnellstmöglich abgeschlossen werden.64 Umstritten ist, ob der Mitgliedstaat auch verpflichtet wird, die Folgen des Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht ex tunc zu beseitigen. Nach der hier vertretenen Ansicht bedürfe es für eine solche Inpflichtnahme einer eindeutigen normativen Regelung.65 Doch kann die Feststellung des EuGH gleichwohl auch für die Beurteilung vergangener Rechtsbeziehungen präjudizielle Bedeutung haben.66 Stellt etwa der EuGH fest, dass eine Richtlinie nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt worden ist, kann eine Haftung des Mitgliedstaates wegen Verletzung des Gemeinschaftsrechts nicht erst ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Feststellung, sondern bereits mit Ablauf der Umsetzungsfrist in Betracht kommen.
61 EuGH Slg 1995, I-2189 – Kommission/Deutschland. 62 Vgl auch Gaitanides in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art 228 EGV Rn 3; Cremer in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 228 EGV Rn 7. 63 EuGH Slg 1982, 4337 Rn 14 – Procureur de la République. 64 Vgl EuGH Slg 1992, I-425 Rn 6 – Kommission/Griechenland; Slg 2003, I-14141 Rn 27 – Kommission/Spanien. 65 AA Oppermann EuropaR, § 9 Rn 31; Schwarze in: ders, EUV, Art 228 EGV Rn 6; Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 76. Wie hier Gaitanides in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art 228 EGV Rn 9; Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 228 Rn 7; Cremer in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 228 EGV Rn 6. 66 Vgl bereits die Ausf zu I.
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§7
Hat ein Mitgliedstaat nach Auffassung der Kommission die erforderlichen Maßnahmen nicht ergriffen, kann die Kommission erneut ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten (Art 228 II EGV; 260 II AEUV-E) und der EuGH auf Antrag der Kommission auch einen Pauschalbetrag oder ein Zwangsgeld verhängen. Der Pauschalbetrag dient der Ahndung der Fortsetzung eines Verstoßes für den Zeitraum nach dem den Verstoß feststellenden ersten Urteil bis zum Urteil nach Art 228 EGV (260 AEUV-E). Die Verhängung des Zwangsgelds erfolgt für jeden weiteren Tag, an dem der Staat dem Urteil nach Art 228 EGV (260 AEUV-E) nicht nachkommt. Dem Pauschalbetrag kommt Strafcharakter, dem Zwangsgeld Beugecharakter zu. Die Beträge werden nach Tagessätzen bestimmt und auf der Grundlage mathematischer Formeln nach der Schwere und Dauer der Verstöße sowie der Abschreckungswirkung berechnet, wobei die Zahlungsfähigkeit und die Stimmenzahl jedes Mitgliedstaats im Rat berücksichtigt wird (so dass kleine Staaten weniger zahlen müssen als größere).67 Das erste Zwangsgeld wurde im Jahre 2000 (gegen Griechenland) verhängt.68 Mittlerweile sind die verhängten Zahlungsverpflichtungen nicht unerheblich.69 Ob die festgesetzten Sanktionen vollstreckbar sind, ist umstritten. Da Art 244 EGV (280 AEUV-E) auf Art 256 EGV (299 AEUV-E) verweist und Art 256 I EGV (299 I AEUV-E) eine Vollstreckung gegenüber Mitgliedstaaten ausschließt, dürfte eine Vollstreckung de lege lata nicht in Betracht kommen.70 Doch ist eine Aufrechnung mit Ansprüchen des Mitgliedstaats durch die EG zulässig, wenn die Nichtrealisierung des Anspruchs mit dem Gemeinschaftsinteresse vereinbar ist.71 Erhebt die Kommission beim EuGH Vertragsverletzungsklage, weil sie der Auffassung ist, dass der betreffende Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtung verstoßen hat, Maßnahmen zur Umsetzung einer gem einem Gesetzgebungsverfahren erlassenen Richtlinie mitzuteilen, kann sie nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon, wenn sie dies für zweckmäßig hält, die Höhe des von dem betreffenden Mitgliedstaat zu zahlenden Pauschalbetrages oder Zwangsgeldes benennen, die sie den Umständen nach für angemessen hält. Stellt der Gerichtshof einen Verstoß fest, kann er gegen den betreffenden Mitgliedstaat die Zahlung eines Pauschalbetrages oder eines Zwangsgeldes bis zur Höhe des von der Kommission genannten Betrags ab dem vom Gerichtshof in seinem Urteil festgelegten Zeitpunkt verhängen.
67 Vgl zu den Einzelheiten die Mitteilung der Kommission SEK (2005) 1658. Dazu Thiele EurPr, § 5 Rn 50 ff; Cremer in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 228 EGV Rn 10 ff. 68 Vgl EuGH Slg 2000, I-5047 – Kommission/Griechenland → JK EGV Art 228 II/1. 69 Vgl zB EuGH Slg 2005, I- 06263 Rn 114 – Kommission/Frankreich (wonach Frankreich einen Pauschalbetrag in Höhe von 20 Mill € und ein halbjährlich zu entrichtendes Zwangsgeld in Höhe von 57,7 Mill € zu entrichten hat). Siehe auch Huck/Klieve EuR 2006, 413 ff. 70 Demgegenüber wird auch häufig darauf verwiesen, dass Entscheidungen der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit, die bereits ihrer Natur nach vollstreckbare Titel sind, von der Weisung des Art 244 auf Art 256 EGV (280 auf 299 AEUV-E) nicht erfasst werden. Vgl Borchardt in: Lenz/ders, EUV/EGV, Art 228 Rn 19; Gaitanides in: v.d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art 244 Rn 2; Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 244 Rn 1. Wie hier Härtel EuR 2001, 617, 620; Schwarze in: ders, EUV, Art 244 EGV Rn 1; Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 78. 71 Dies ist zB anzunehmen, wenn der Mitgliedstaat einen Schadensersatzanspruch gegen die Gemeinschaft hat, nicht aber, wenn das von der EG zur Verfügung zu stellende Geld der Erfüllung wichtiger Gemeinschaftsbelange dient. Für eine generelle Unzulässigkeit einer Aufrechnung Härtel EuR 2001, 617, 622. Vgl aber auch EuGH Slg 2003, I-7617 Rn 55 ff – Kommission/Ausschuss der Regionen; Karpenstein EuZW 2000, 537, 538.
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Wird ein Pauschalbetrag oder ein Zwangsgeld gegen die Bundesrepublik Deutschland verhängt, stellt sich die Frage, wer im Innenverhältnis dafür aufkommen muss. Nach Art 104a VI 1 GG iVm § 1 I (des als Art 15 des Föderalismusreform-Begleitgesetzes erlassenen) Lastentragungsgesetz(es) 72 ist im Verhältnis von Bund und Ländern diejenige staatliche Ebene zur Zahlung verpflichtet, in deren innerstaatlichen Zuständigkeits- und Aufgabenbereich die lastenbegründende Pflichtverletzung erfolgt ist. Dies gilt auch für Verurteilungen wegen Verstößen gegen das europäische Gemeinschaftsrecht, die zeitlich vor dem Erlass des Lastentragungsgesetzes liegen. Nach der Rspr des BVerwG wirkt das Lastentragungsgesetz zeitlich unbegrenzt zurück.73 Bei festgestellten Pflichtverletzungen im innerstaatlichen Zuständigkeits- und Aufgabenbereich sowohl des Bundes als auch der Länder, tragen Bund und Länder die Lasten in dem Verhältnis, in dem ihre Pflichtverletzung zur Entstehung der Leistungspflicht beigetragen hat (§ 1 II Lastentragungsgesetz). Wird der Pauschalbetrag oder das Zwangsgeld wegen gleichartiger Verstöße im Zuständigkeits- und Aufgabenbereich mehrerer Länder verhängt, bemisst sich der Anteil der Lasten der betroffenen Länder nach deren Verhältnis zueinander (§ 3 Lastentragungsgesetz). Wollen Bund oder Länder die Lastentragung auf Träger mittelbarer Staatsverwaltung (zB die Kommunen) überwälzen, weil diese gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen haben, bedarf es dazu einer gesonderten gesetzlichen Grundlage.74 Die Weiterübertragung der Lasten auf den „Verursacher“ ist sachlich gerechtfertigt, kann aber dazu führen, dass der Mitgliedstaat (hier: Bundesrepublik Deutschland) den Prozess nicht so führt, wie er ihn bei eigener Lastentragungspflicht geführt hätte.
72 BGBl 2006 II, 2098. 73 BVerwG, NVwZ 2007, 1198, 1120 → JK GG Art 104a VI/7. 74 Ein direkter Durchgriff des Bundes ist nicht zulässig. Vielmehr kann sich der Bund nur an die Länder halten.
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§8 Nichtigkeitsklage Dirk Ehlers I. Funktion und Bedeutung der Nichtigkeitsklage Gem Art 230 I EGV 1 (263 I AEUV-E) obliegt es dem Gerichtshof, dh dem EuGH oder dem Gericht erster Instanz (→ § 6 Rn 23 f), die Rechtmäßigkeit der verbindlichen Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane und der Europäischen Zentralbank zu überprüfen.2 Zu diesem Zweck kann der Gerichtshof durch Erhebung einer Nichtigkeitsklage angerufen werden. Die Nichtigkeitsklage dient der objektiven Rechtmäßigkeitskontrolle und teilweise – insb soweit sie von Privaten erhoben wird – zugleich dem subjektiven Rechtsschutz. Sie ist auf Aufhebung von rechtmäßigen Gemeinschaftsrechtsakten gerichtet, stellt also eine Gestaltungsklage in Form einer Anfechtungsklage dar (→ Rn 61). Hieraus ergibt sich zugleich, dass fehlerhafte Gemeinschaftsrechtsakte idR nicht nichtig (ungültig) iSd deutschen Rechts, sondern nur rechtswidrig sind (→ Rn 10), so dass es an sich angemessener wäre, von einer Anfechtungs- oder Aufhebungs- statt von einer Nichtigkeitsklage zu sprechen. Über die Rechtmäßigkeit von Gemeinschaftsrecht können rechtsverbindlich ausschließlich der EuGH oder das Gericht erster Instanz (EuG) respektive die Kammern (Art 225a EGV; 257 AEUV-E) entscheiden (→ § 6 Rn 4). Eine parallele Zuständigkeit der nationalen Gerichte ist ausgeschlossen.3 Betrifft eine Klage vor dem nationalen Gericht das mitgliedstaatliche Handeln und zweifelt das Gericht an der Rechtmäßigkeit des streitentscheidenden Gemeinschaftsrechtsaktes, muss es den EuGH im Wege der Vorabentscheidung (Art 234 EGV, 267 AEUV-E) anrufen (→ § 11 Rn 6). Wurde Nichtigkeitsklage erhoben und ist diese erfolgreich, stellt sie den gemeinschaftsrechtskonformen Zustand durch Aufhebung der gemeinschaftsrechtswidrigen Handlung wieder her.4 Neben der Vertragsverletzungsklage (→ § 7) handelt es sich bei der Nichtigkeitsklage um die wichtigste Direktklage des Gemeinschaftsrechts.5 Art 230 EGV (263 AEUV-E) regelt drei verschiedenen Formen der Nichtigkeitsklage: nämlich die Staaten- und Organisationsnichtigkeitsklage (Art 230 II EGV; 263 II AEUV-E), die Klage des Rechnungshofes und der Europäischen Zentralbank (Art 230 III EGV; 263 III AEUV-E 6) sowie die Klage von natürlichen und juristischen Personen (Art 230 IV EGV; 263 IV AEUV-E). Für die verschiedenen Formen der Nichtigkeitsklage gelten zT unterschiedliche Sachentscheidungsvoraussetzungen. Wegen der erweiterten Klagerechte (→ Rn 21) handelt es sich bei
1 Eine gleichlautende Bestimmung enthält Art 146 EAGV. 2 Nach Art 263 I 2 AEUV-E überwacht der Gerichtshof ebenfalls die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union mit Rechtswirkung gegenüber Dritten. Für das geltende Recht gilt nichts anderes. Vgl → Rn 11. 3 Pechstein EU/EG, Rn 328. 4 Pechstein EU/EG, Rn 326. 5 Im Jahre 2007 waren fast die Hälfte (47 % bzw 249 Klagen) aller beim EuG neu eingegangen Rechtssachen Nichtigkeitsklagen. Vgl EuGH Tätigkeitsbericht 2007, 183. 6 Nach Art 263 III AEUV-E ist der Gerichtshof auch für Klagen des Ausschusses der Regionen (Art 300 AEUV-E) zuständig.
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den Staaten und Gemeinschaftsorganen um privilegierte, bei dem Rechnungshof und der Europäischen Zentralbank (→ Rn 24) um teilweise privilegierte Kläger. Die Rechtmäßigkeit (Nichtigkeit) einer Gemeinschaftsrechtshandlung kann zwar uU auch im Rahmen einer Schadensersatzklage (→ § 10 Rn 33 ff) oder eines Vorabentscheidungsverfahrens (→ § 11 Rn 19) festgestellt werden, doch ist eine Nichtigkeitsklage unabhängig von diesen Rechtsbehelfen zulässig.7 Wie sich aus Art 241 EGV (277 AEUV-E) ergibt, entfaltet die Nichtigkeitsklage keine Sperrwirkungen für eine – nur die Beteiligten eines Rechtsstreits bindende – inzidente Normenkontrolle (auch vor nationalen Gerichten 8). Eine solche Kontrolle ist grundsätzlich auch dann noch möglich, wenn die Frist des Art 230 V EGV (263 VI AEUV-E) abgelaufen ist. Doch darf die Fristbestimmung des Art 230 V EGV (263 VI AEUV-E) nicht vorwerfbar umgangen werden (→ Rn 52). Umgekehrt ist es für die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage ohne Belang, ob das Rechtsschutzbegehren bereits von einem nationalen Gericht zurückgewiesen 9 oder ob der bestehende nationale Rechtsschutz ausgeschöpft wurde.10 Ergänzt wird Art 230 EGV (263 AEUV-E) durch die Art 229, 229a, 236 EGV (261, 262, 270 AEUV-E) iVm sekundärrechtlichen Sonderbestimmungen (→ Rn 61). Eine Sonderform der Nichtigkeitsklage stellt die unionsrechtliche Nichtigkeitsklage dar (Art 46 lit b iVm Art 35 VI EUV 11).
II. Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage 1. Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit, des Europäischen Gerichtshofs und des Gerichts erster Instanz 4
Über die Rechtmäßigkeit respektive Gültigkeit (sekundären) Gemeinschaftsrechts (Unionsrechts) kann rechtsverbindlich allein die Gemeinschaftsgerichtsbarkeit (Unionsgerichtsbarkeit) entscheiden (→ § 6 Rn 4). Gem Art 225 I (256 I AEUV-E) liegt die Zuständigkeit an sich beim EuG. Doch kann die Satzung des EuGH anderes bestimmen. Hiervon hat Art 51 EuGH-Satzung in weitem Umfange Gebrauch gemacht (→ § 6 Rn 24). Der EuGH ist danach idR für Klagen von Mitgliedstaaten, den EG-Organen und der Europäischen Zentralbank zuständig. Dagegen hat das EuG über Klagen von natürlichen und juristischen Personen im Sinne von Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E) zu entscheiden. 2. Parteifähigkeit
a) Aktive Parteifähigkeit 5
Aktiv parteifähig sind zunächst die in Art 230 II EGV (263 II AEUV-E) aufgeführten sog privilegierten Kläger (→ Rn 3), nämlich die Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament, der Rat und die EG-Kommission (KOM). Unter Mitgliedstaaten sind nur die Gesamtstaaten (zB Bundesrepublik Deutschland), nicht jedoch die Untergliederungen (zB Bun7 Vgl für die Schadensersatzklage insbesondere → § 10 Rn 4. 8 EuGH Slg 1983, 2771 Rn 10 – Universität Hamburg/Hauptzollamt Hamburg-Kehrwieder; Cremer in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 241 EGV Rn 1. 9 EuG Slg 1997, II-2031 Rn 30 – Ducros/Kommission. 10 EuGH Slg 1979, 777 Rn 18 ff – Simmenthal. 11 Der Vertrag von Lissabon enthält keine entsprechende Vorschrift.
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desländer, Kommunen) zu verstehen, deren aktive Parteifähigkeit sich aber aus Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E) ergeben kann (→ Rn 36 f). Den privilegierten Klägern weitgehend gleichgestellt sind der Rechnungshof (Art 246 ff EGV; 285 ff AEUV-E) und die Europäischen Zentralbank (Art 230 III EGV; 263 III AEUV-E). Ferner ist der Verwaltungsrat der Europäischen Investitionsbank gem Art 237 lit b EGV (271 lit b AEUV-E) parteifähig. Da der EuGH dem Europäischen Parlament zur Wahrung des institutionellen Gleichgewichts bereits vor Verleihung eines ausdrücklichen Klagerechts in Art 230 II EGV (263 II AEUV-E) ein solches zugebilligt hat 12, wird zT eine Gleichstellung anderer Gemeinschaftsrechtseinrichtungen (juristischer Personen oder Organe) wie zB des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Regionen mit dem Parlament befürwortet.13 Doch ist die Rechtsstellung dieser Einrichtung mit derjenigen des Parlaments nicht vergleichbar. Außerdem spricht die Benennung des Rechnungshof in Art 230 III EGV für einen Gegenschluss.14 Kommt es zum Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon, wird der Kreis der aktiv parteifähigen Personen um den Ausschuss der Regionen erweitert (Art 263 III AEUV-E). Ferner anerkennt Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E) die natürlichen und juristischen Personen – dh die sog nichtprivilegierten Kläger – als parteifähig. Der Begriff der juristischen Personen bestimmt sich nach Gemeinschaftsrecht.15 Doch lehnt sich das Gemeinschaftsrecht an das nationale Recht an und behandelt Organisationseinheiten, die nach nationalem Recht als rechtsfähig (oder teilrechtsfähig) angesehen werden, grunds als juristische Personen iSd Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E). Unerheblich ist, ob es sich um Rechtssubjekte des öffentlichen oder privaten Rechts handelt. Zu den juristischen Personen iSd Vorschrift zählen auch die Gebietskörperschaften der Mitgliedstaaten 16 und die rechtsfähigen Stiftungen. Den juristischen Personen gleichgestellt sind insb Vereinigungen oder Einrichtungen, die als rechtsfähig behandelt werden (wie zB eine OGH, eine KG 17, eine Berufs-18 respektive Unternehmensvereinigung 19 oder eine Gewerkschaft 20). Nicht erforderlich ist, dass die natürlichen oder juristischen Personen ihren Wohnsitz in der Gemeinschaft haben.21 Dem Kreis der juristischen Personen unterfallen auch Drittstaaten.22. Dagegen dürften juristische Personen (zB Agenturen) oder andere Organisationseinheiten des Gemeinschaftsrechts nicht von Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E) erfasst werden.
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b) Passive Parteifähigkeit Mögliche Gegner einer Nichtigkeitsklage können nach Art 230 I EGV (263 I AEUV-E) das Europäische Parlament, der Rat, die KOM und die Europäische Zentralbank sein. Hinzu kommen nach Art 237 lit b, c EGV (271 lit b, c AEUV-E) die Organe der Europäischen 12 EuGH Slg 1990, I-2041 – EP/Rat; Slg 1994, I-625 Rn 11 f – EP/Rat. 13 Vgl zB Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 83. 14 Vgl auch Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 230 EGV Rn 7; Cremer in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 230 EGV Rn 5. 15 Cremer in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 230 EGV Rn 27. 16 EuGH Slg 1988, 1573 Rn 8 – Exécutif régional vallon; Slg 1997, I-5245 Rn 11 f – Regione Toscana. 17 Vgl Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 85. 18 EuGH Slg 1988, 3531 Rn 11 – CIDA. 19 EuGH Slg 1994, I-1853 Rn 14 ff – Codorniu SA/Rat. 20 EuGH Slg 1989, 1045 Rn 18 ff – Maurissen. 21 Pechstein EU/EG, Rn 337. 22 Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 85.
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Investitionsbank. Dem Anspruch, ein umfassendes Rechtsschutzsystem geschaffen zu haben 23, vermag das Gemeinschaftsrecht aber nur gerecht zu werden, wenn auch alle anderen Gemeinschaftsrechtssubjekte oder -einrichtungen als parteifähig anerkannt werden, sofern sie selbst (und nicht nur die ausdrücklich genannten Rechtssubjekte oder Organe) verbindlich Rechtsakte erlassen können.24 Dementsprechend normiert Art 263 V AEUV-E ausdrücklich, dass Nichtigkeitsklagen auch gegen „Einrichtungen und sonstige(n) Stellen der Union“ gerichtet werden können, wenn deren Handlungen Rechtswirkungen gegenüber den Klägern haben (wobei in den Rechtsakten zur Gründung der Einrichtungen oder sonstigen Stellen besondere Bedingungen und Einzelheiten geregelt werden dürfen). 3. Klagegegenstand 8
Da mit der Nichtigkeitsklage eine „angefochtene“ Handlung nur für nichtig erklärt werden kann (Art 231 I EGV; 264 I AEUV-E), ist sie nur statthaft, wenn die Aufhebung eines Gemeinschaftsrechtsaktes durch den „Gerichtshof“ begehrt wird (→ Rn 1). Die Nichtigkeitsklage ist somit von der (im Gemeinschaftsrecht nicht vorgesehenen) Leistungs- sowie (der dem Gemeinschaftsrecht ebenfalls nicht geläufigen) allgemeinen Feststellungsklage 25 abzugrenzen (→ § 6 Rn 26). Vorausgesetzt wird ein rechtlich existenter Akt (a), die Zurechenbarkeit des Aktes zur Gemeinschaft (b) sowie die Rechtsbindungs- (c) und Außenwirkung (d) des Aktes. Besonderheiten gelten für das vertragsbezogene Handeln (g), die von Art 62 Nr 1 EGV erfassten Entscheidungen (f) und die Klagen natürlicher oder juristischer Personen (g).
a) Rechtlich existente Akte 9
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Gem Art 230 I EGV (263 I AEUV-E) sind mit der Nichtigkeitsklage nur „Handlungen“ angreifbar. Keine Handlungen stellen bloße Unterlassungen dar, gegen die allein die Untätigkeitsklage nach Art 232 EGV (265 AEUV-E) erhoben werden kann (→ § 9). Von bloßen Unterlassungen zu unterscheiden sind negative Regelungen (zB die Ablehnung eines Tätigwerdens) oder vollständige Regelungen, die hinter dem zurückbleiben, was der Rechtsschutzsuchende für erforderlich hält. Solche Maßnahmen unterfallen Art 230 EGV (263 AEUV-E), wenn sie verbindliche Außenrechtswirkung erzeugen.26 Von Handlungen abzugrenzen sind ferner nichtige (nicht existente) Rechtsakte. Der Europäische Gerichtshof geht in st Rspr von der Vermutung der Rechtmäßigkeit aller Gemeinschaftsrechtsakte aus.27 Die Akte entfalten daher Rechtswirkungen, solange sie nicht zurückgenommen, im Rahmen einer Nichtigkeitsklage für nichtig erklärt oder infolge eines Vorabentscheidungsverfahrens oder einer Rechtswidrigkeitseinrede für ungültig erklärt worden sind.28 Als rechtlich inexistent, dh als Nichtakte zu betrachten sein sollen nur solche Rechtsakte, die mit einem Fehler behaftet sind, dessen Schwere so offensichtlich ist,
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Vgl zB EuGH Slg 1986, 1339 Rn 23 – Les Verts; Slg 2004 I-3425 Rn 30 – Jégo-Quéré. So auch Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 86 mwN. Vgl aber auch → Rn 10. Vgl zu einem Beispielsfall EuG Slg 1996, II-1475 Rn 32 ff – Salt Union. EuGH Slg 1994, I-2555 Rn 48 – Kommission/BASF; Slg 1999 I-4643 Rn 93 – Chemie Linz/Kommission; Slg 2004, I-8923 Rn 18 – Kommission/Hellenische Republik → JK EGV Art 90 I/1. 28 EuGH Slg 1994, I-2555 Rn 48 – Kommission/BASF; Slg 1999, I-4643 Rn 93 – Chemie Linz/Kommission.
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dass er von der Gemeinschaftsrechtsordnung nicht geduldet werden kann und deshalb davon auszugehen ist, dass die Rechtsakte keine – auch nur vorläufige – Rechtswirkung zu entfalten vermögen.29 Eine Inexistenz wird nur in „ganz außergewöhnlichen Fällen“ angenommen.30 In Betracht kommen soll ein Nichtakt vor allem, wenn ein Organ seine Kompetenzen in schwerer und offenkundiger Weise überschritten hat.31 Nichtigkeitsklagen gegen nichtige (nicht existente) Rechtsakte sind unzulässig.32 Doch schließt dies die Feststellung der Nichtigkeit durch die Gemeinschaftsgerichtsbarkeit nicht aus.33 Außerdem werden in solchen Fällen dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.34
b) Zurechenbarkeit zur Gemeinschaft Der Anfechtung nach Art 230 EGV (263 AEUV-E) unterliegen nur Akte der Gemeinschaftsorgane respektive -rechtssubjekte (wie der Europäischen Zentralbank). Keine Gemeinschaftsorgane respektive –rechtssubjekte stellen die Unionseinrichtungen dar, so dass Maßnahmen des Europäischen Rates (Art 4 EUV; 15 EUV-E 35) oder Eurojust 36 nicht mit der Nichtigkeitsklage angegriffen werden können. Anderes gilt, wenn die Europäische Gemeinschaft für die Union tätig wird, unabhängig davon, auf welcher Grundlage dies geschieht. Zur unionsrechtlichen Nichtigkeitsklage vgl → Rn 3. Kommt es zur Verschmelzung von Europäischer Gemeinschaft und Europäischer Union (→ § 6 Rn 1), wird die Unterscheidung von gemeinschaftsrechtlichen und unionsrechtlichen Nichtigkeitsklagen hinfällig. Ebenso wie die Unionsakte sind die völkerrechtlichen Verträge der Europäischen Gemeinschaft (oder der Europäischen Union) als solche keine Handlungen von Gemeinschaftsorganen oder -rechtssubjekten. Wohl aber trifft dies auf diejenigen Maßnahmen zu, durch welche die Gemeinschaft den Vertrag abgeschlossen hat 37, ferner auf die gemeinschaftsrechtlichen Durchführungsmaßnahmen völkerrechtlicher Verträge. Nicht der Europäischen Gemeinschaft zuzurechnen sind ferner die Handlungsweisen der Mitgliedstaaten, selbst wenn diese Gemeinschaftsrecht vollziehen 38 (es sei denn, dass die Mitgliedstaaten im Wege der Institutionen- oder Organleihe ausnahmsweise für die Europäischen Gemeinschaften tätig werden) oder das Handeln der Mitgliedstaaten die Gemeinschaft bindet (→ § 6 Rn 10). Von den Handlungen der Gemeinschaftsorgane respektive -rechtssubjekte zu trennen sind ferner die Maßnahmen Privater. Der Gemeinschaft zuzurechnen sind diese nur, wenn sie im Wege der Organleihe (Beleihung) in den Gemeinschaftsrechtsvollzug eingeschaltet werden 39 (→ § 6 Rn 10). 29 Vgl EuGH Slg 2004, I-8923 Rn 19 – Kommission/Hellenische Republik mwN → JK EGV Art 90 I/1. 30 Vgl EuGH Slg 1994, I-2555 Rn 50 – Kommission/BASF; Cremer in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 230 EGV Rn 9. 31 Vgl Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 230 EGV Rn 11. 32 EuGH Slg 1957, 213, 232 f – Société des Usines à Tubes de la Sarre. 33 Vgl EuGH Slg 1987, 1005 Rn 10 – Consorzio Cooperative d’Abrozzu. 34 Vgl Art 69 § 3 II EuGH-VerfO; Art 87 § 3 II EuG-VerfO; Pechstein EU/EG, Rn 350. 35 EuG Slg 1994, II-585 Rn 12 – Roujansky. 36 EuGH Slg 2005, I-2077 Rn 36 ff – Spanien/Eurojust. 37 Vgl EuGH Slg 1996, I-1195 – EP/Rat; Slg 2002, I-12049 – Kommission/Rat. 38 AA Schwarze in: ders, EUV, Art 230 EGV Rn 14; Burgi in: Rengeling, Rechtsschutz EU § 7 Rn 35; Cremer in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 230 EGV Rn 10. Demgegenüber Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 97. 39 Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 230 EGV Rn 17.
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c) Rechtsbindungswirkung 13
Fall 1: Air France hat Nichtigkeitsklage gegen die Erklärung des Pressesprechers des für Wettbewerbsfragen zuständigen EG-Kommissars erhoben, wonach ein Zusammenschluss zweier Fluggesellschaften keine gemeinschaftsweite Bedeutung hat und daher nicht von der einschlägigen VO zur Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen erfasst wird.
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Keine Gegenstände der Nichtigkeitsklage sind nach Art 230 I EGV (263 I AEUV-E) Empfehlungen oder Stellungnahmen, also Handlungsweisen, die keine Rechtswirkungen begründen.40 Hieraus ist allgemein gefolgert worden, dass die Gemeinschaftsrechtsakte stets solche Wirkungen entfalten müssen.41 Unklar bleibt, ob die Maßnahmen Regelungscharakter haben, dh auf Setzung einer Rechtsfolge gerichtet sein müssen (was zB auf rechtlich bedeutsame – bei Fehlerhaftigkeit zum Schadenersatz verpflichtenden – Auskünfte idR nicht zutrifft). Die Frage ist zu bejahen, weil nur dann eine Aufhebung (Anfechtung) sinnvoll ist. Ob eine Handlung dazu bestimmt ist, verbindliche Rechtswirkungen zu erzeugen, ist unabhängig von der Form und Bezeichnung oder der Möglichkeit der Zuordnung zu den in Art 249 II-IV EGV (288 II-IV AEUV-E) genannten Handlungsformen zu entscheiden.42 Nicht nach Art 230 EGV (263 AEUV-E) justiziabel sind zB vorbereitende Maßnahmen 43, bloße Mitteilungen 44, wiederholende Entscheidungen 45 oder Ankündigungen. Anderes gilt für Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen iSd Art 249 III, IV EGV (288 II-IV AEUV-E) sowie – wegen des Selbstbindungscharakters – auch für Leitlinien der KOM oder Mitteilungen des Gemeinschaftsrahmens durch die KOM auf der Grundlage des Art 88 I EGV (108 I AEUV-E).46 Entfallen die Rechtswirkungen nach Klageerhebung, erledigt sich die Hauptsache.47
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Lösung Fall 1: Die KOM ist der Auffassung, dass die Erklärung keinerlei Rechtswirkungen zeitige, insbesondere keine Entscheidung (sondern nur eine bloße Mitteilung) darstelle, und daher keine mit der Nichtigkeitsklage anfechtbare Handlung gegeben sei. Dieser Beurteilung ist das EuG 48 nicht gefolgt. Die Entscheidung erzeuge Rechtswirkungen gegenüber den Mitgliedstaaten, den am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen und den Mitbewerbern, weil sie die Durchführung des Zusammenschlusses gestatte. Somit handele es sich um
40 Anderes gilt, wenn die Akte Rechtswirkung entfalten, wie dies für Empfehlungen nach Art 104 VII EGV (126 VII AEUV-E) angenommen wird, vgl EuGH Slg 2004, I-6649 Rn 50 – Kommission/Rat. 41 Vgl statt vieler Schwarze in: ders, EUV, Art 230 EGV Rn 19 ff mwN. 42 EuGH Slg 1995, I-1651 Rn 20 – Spanien/Kommission; Slg 1996, I-1469 Rn 29 – Kommission/Rat; Borchardt EU, Rn 565. 43 EuGH Slg 1997, I-1503 Rn 34 – Guérin Automobiles/Kommission; Cremer in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art 230 EGV Rn 18. 44 EuGH Slg 1991, I-1143 Rn 28 – Emerald Meats Ltd/Kommission; Slg 1999, I-6513 Rn 27 ff – Niederlande/Kommissison. 45 EuGH Slg 1990, I-4625 Rn 10 – Infortec; Slg 1996, I-1 Rn 14 – Zunis. 46 Vgl Slg 1995, I-1651 Rn 29 – Spanien/Kommission; Cremer in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 230 EGV Rn 17. 47 Vgl EuG Slg 2003, II-2097 Rn 38 – European Councel of Transport Users. 48 Slg 1994, II-121 – Air France.
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eine Entscheidung iSd Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E). Die Wahl der Form (zB keine Nennung von Adressaten, keine Zustellung) ändere nichts am „Wesen“ einer Organhandlung. Die Kl. hätte der KOM zwar eine Frist dafür setzen können, die Unternehmen zur Anmeldung des Zusammenschlusses zu zwingen. Im Falle des Schweigens wäre eine Untätigkeitsklage statthaft gewesen (Art 232 EGV; 265 AEUV-E). Das schließt jedoch eine Nichtigkeitsklage gegen die Presseerklärung nicht aus. Diese betrifft die auf dem Markt tätigen Unternehmen zudem nicht nur unmittelbar, sondern auch individuell, weil diese ihre Marktstellung wegen der Stärkung der Mitbewerber erheblich verändert sehen. Somit ist die Nichtigkeitsklage zulässig.
d) Außenwirkung Gem Art 230 I EGV (263 I AEUV-E) richtet sich die Nichtigkeitsklage nur gegen Handlungen des Europäischen Parlaments mit Rechtswirkung „gegenüber Dritten“, also mit Außenwirkung. Dazu zählen etwa die förmliche Feststellung des Haushaltsplans 49 oder der Beschluss des Präsidiums des Parlaments über die Wahlkampfkostenhilfe und -erstattung 50, nicht dagegen Beschlüsse über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses 51, die Durchführung des Haushalsplans 52 oder die Benennung des Vorsitzenden einer parlamentarischen Delegation 53. Keinen Gegenstand der Nichtigkeitsklage stellen auch sonstige (verwaltungs-)interne Rechtsakte (zB reine Organisationsakte oder Dienstanweisungen 54) sowie noch nicht endgültig verabschiedete Erklärungen dar.
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e) Ausklammerung vertragsbezogener Handlungen Für Streitigkeiten aus vertraglichen Rechtsbeziehungen der Europäischen Gemeinschaft oder der für ihre Rechnung abgeschlossenen Verträge ist der Gerichtshof nur nach Maßgabe des Art 238 EGV (272 AEUV-E), nicht des Art 230 EGV (263 AEUV-E) zuständig, dh aufgrund einer Schiedsklausel. Das gilt auch dann, wenn ein vertragsbezogenes Handeln der Gemeinschaft angegriffen wird. Unerheblich ist, ob es sich um einen ör oder privatrechtlichen Vertrag handelt. Das anzuwendende materielle Recht bestimmt sich grunds nach dem Willen der Parteien.55 Entscheidet der Gerichtshof auf der Grundlage des Art 238 EGV (272 AEUV-E), wird er nicht als Schiedsgericht im völkerrechtlichen Sinne, sondern als Gemeinschaftsgericht (Unionsgericht) tätig.56
17
f) Ausklammerung der Entscheidungen nach Art 62 Nr 1 EGV Gem Art 68 II EGV ist der Gerichtshof in jedem Fall nicht für Entscheidungen über Maßnahmen oder Beschlüsse nach Art 62 Nr 1 EGV zuständig, welche die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit betreffen (Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Wegfall der Binnengrenzkontrollen, wenn diese
49 50 51 52 53 54 55 56
EuGH Slg 1986, 2155 Rn 6 – Rat/EP. EuGH Slg 1986, 1339 Rn 27 – Les Verts. EuGH Slg 1986, 1753 Rn 11 – Fraktion der Europäischen Rechten/EP. EuGH Slg 1988, 1017 Rn 7 f – Les Verts. EuGH Slg 1990, I-2101 Rn 9 ff – Blot/EP. Vgl EuGH Slg 1990, I-3571 Rn 9 – Frankreich/Kommission. Vgl Schwarze in: ders, EUV, Art 238 EGV Rn 14. Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 347.
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§8
Bezug zur öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit haben). Durch die Worte „in jedem Fall“ wird klargestellt, dass die Ausnahmeklausel nicht nur für Vorabentscheidungsverfahren, sondern für alle Verfahren vor dem Gerichtshof gilt.57 Der Vertrag von Lissabon kennt eine entsprechende Normierung nicht mehr.58
g) Klagegegenstand im Falle der Erhebung von Klagen natürlicher oder juristischer Personen 19
Über die zuvor genannten Erfordernisse hinausgehend schränkt Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E) bei Zugrundelegung seines Wortlauts den zulässigen Klagegegenstand im Falle der Erhebung von Klagen natürlicher oder juristischer Personen 59 weiter ein. Die Vorschrift benennt als mit der Nichtigkeitsklage anfechtbare Handlungen nur die Entscheidungen und Verordnungen. Zugleich wird die Klagebefugnis für die an andere Personen gerichteten Entscheidungen und Verordnungen durch das Kriterium der unmittelbaren individuellen Betroffenheit eingeschränkt (→ Rn 29 ff). Eine Entscheidung ist gem Art 249 IV EGV in allen ihren Teilen für diejenigen verbindlich, die sie bezeichnet 60, eine Verordnung ist nach Art 249 II EGV (288 II AEUV-E) dadurch gekennzeichnet, dass sie allgemeine Geltung hat (dh grundsätzlich abstrakt umschriebene Sachverhalte und einen generell umschriebenen Personenkreis betrifft). Doch werden die Begriffe im Rahmen des Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E) in Anlehnung an das System des französischen Rechtsschutzes erweiternd (rechtsschutz- nicht rechtsformorientiert) verstanden.61 Für die Entscheidung ergibt sich dies schon daraus, dass sie nach Art 230 IV EGV an andere Personen gerichtet sein kann. Eine Weigerung der KOM, im Rahmen ihrer Überwachungsfunktion nach Art 86 I und III EGV an einen Mitgliedsstaat eine Entscheidung zu richten, also einen nicht-klägergerichteten Hoheitsakt vorzunehmen, hat jedoch nach Ansicht des EuGH keinen Entscheidungscharakter.62 Zu den mit der Nichtigkeitsklage angreifbaren Verordnungen iSd Vorschrift rechnet die Gemeinschaftsgerichtsbarkeit auch sog Scheinverordnungen 63 (also Verordnungen, die ihrem Inhalt nach Entscheidungen – konkret individuelle Einzelfallregelungen – darstellen). Ferner soll es hybride Verordnungen geben (also Regelungen, die sowohl normativen Charakter für die Adressaten im Allgemeinen als auch individuellen Charakter für einen kleineren Kreis Betroffener, und damit eine Doppelnatur, haben).64 Das EuG 65– und wohl auch der
57 58 59 60 61 62
63 64
65
Rossi in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 68 EGV Rn 13. Vgl aber auch Art 267 AEUV-E. Zur gebotenen extensiven Auslegung der aktiv Parteifähigen vgl → Rn 6. Art 288 IV AEUV-E spricht demgegenüber von „Beschlüsse(n)“. Für die Entscheidung vgl Röhl in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf/Haubold, Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, 319 ff. Slg 2005, I-1283, Rn 66-74 – max.mobil. Anders noch EuG Slg 2002, II-313, Rn 67 – max.mobil; sowie auch EuGH Slg 1997, I-947, Rn 24 f – Bundesverband der Bilanzbuchhalter. Dazu Krämer EuR 2008, 104 ff. EuGH Slg 1962, 963, 979 – Confédération Nationale des Producteures de Fruits et Légumes. Vgl auch Burgi in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 7 Rn 46. Diese Rspr hat sich zum Antidumpingrecht entwickelt, vgl EuGH Slg 1984, 1005 Rn 11 – Alied Corporation/Kommission; Slg 1991, I-2501 Rn 13, 16 – Extramed Industrie/Rat, ist dann aber verallgemeinert worden. Vgl EuGH Slg 1994, I-1853 Rn 19 – Codorniu. EuG Slg 1994, II-871 Rn 17 – Asocarne; Slg 1998, II-2335 – UEAPME.
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Nichtigkeitsklage
§8
EuGH 66 – lässt eine Anfechtung von Scheinrichtlinien (dh von Richtlinien, die wie Entscheidungen wirken) sowie von hybriden Richtlinien (die nur für bestimmte Kläger Entscheidungscharakter haben) zu. Die unterschiedliche Auslegung der Begriffe in Art 230 IV EGV und Art 249 EGV ist zwar schwer mit der Einheit des EG-Vertrages vereinbar, beruht aber auf dem Grundgedanken, dass auch den natürlichen und juristischen Personen ein wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz garantiert werden muss. Folgt man dieser Tendenz, kommt Art 230 IV EGV keine begrenzende Wirkung für den Klagegegenstand zu. Vielmehr kommt es insoweit allein auf die Klagebefugnis an. Auch der Vertrag von Lissabon folgt diesem Ansatz, weil er (im Falle des Vorliegens einer Klagebefugnis) eine Nichtigkeitsklage von natürlichen oder juristischen Personen schlechthin gegen „Handlungen“ zulässt, ohne dass es auf die Rechtsform ankommt (Art 263 IV AEUV-E). 4. Klagebefugnis An die Klagebefugnis des Nichtigkeitsklägers stellt Art 230 EGV (263 AEUV-E) unterschiedliche Anforderungen, je nachdem, ob es sich um privilegierte Kläger, teilweise privilegierte Kläger (Rechnungshof und Europäische Zentralbank) oder natürliche bzw juristische Personen handelt (→ Rn 3).
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a) Privilegierte Kläger Fall 2: Die Wallonische Region hat Nichtigkeitsklage vor dem EuGH gegen eine Entscheidung der KOM erhoben.
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Nach Art 230 II EGV (263 II AEUV-E) sind die Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament, der Rechnungshof und die KOM stets klagebefugt. Die Nichtigkeitsklage stellt sich insoweit als objektive Normenkontrolle dar. Auf eine Betroffenheit oder gar die Geltendmachung einer eigenen Rechtsverletzung kommt es nicht an. Die Klage kann entweder auf die speziellen Klagegründe (Unzuständigkeit, Verletzung wesentlicher Formvorschriften, Ermessensmissbrauch) oder jedenfalls auf die „Verletzung dieses Vertrages oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm“ gestützt werden (→ Rn 59). Der Klageschrift muss sich mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen lassen, welchen Klagegrund der Kläger für gegeben erachtet.67
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Lösung Fall 2: Da der EuGH erstinstanzlich nur für Klagen zuständig ist, die ein Mitgliedstaat oder ein Gemeinschaftsorgan erhoben hat (→ Rn 4) die Wallonische Region diese Voraussetzung aber nicht erfüllt, hat der EuGH sich für unzuständig erklärt und die Klage an das EuG verwiesen, weil sich eine Klageberechtigung aus Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E) ergeben könnte.68
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66 Vgl EuGH Slg 1995, I-4149 Rn 32 ff – Asocarne; näher dazu Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 230 EGV Rn 49 ff; Pechstein EU/EG, Rn 378 ff; Cremer in: Calliess/Ruffert, EU/EGV, Art 230 EGV Rn 39 ff. 67 Vgl Art 21 EuGH-Satzung iVm Art 38 § 1 lit c EuGH-VerfO; Art 49 § 1 lit c EuG-VerfO. 68 EuGH Slg 1997, I-1787 – Wallonische Region.
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b) Klagebefugnis des Rechnungshofs und der Europäischen Zentralbank 24
Demgegenüber müssen sich der Rechnungshof und die Europäische Zentralbank 69 auf „die Wahrung ihrer Rechte“ berufen (Art 230 III EGV; 263 III AEUV-E), dh die Möglichkeit der Verletzung einer Rechtsnorm darlegen können, die jedenfalls auch ihren rechtlich geschützten Interessen zu dienen bestimmt ist. Dazu zählen etwa die Anhörungs-, Beteiligungs- und Informationsrechte der genannten Institutionen 70 sowie die Legislativbefugnisse der Europäischen Zentralbank (Art 110 EGV; 132 AEUV-E).
c) Klagebefugnis der natürlichen oder juristischen Personen (1) Betroffenheit 25
Fall 3: Die Nationale Bankenvereinigung der Niederlande (NBV) ging im Wege der Nichtigkeitsklage gegen eine Entscheidung der KOM vor. Im Tenor dieser Entscheidung hat die KOM festgestellt, dass kein Anlass bestehe, gegen die Vereinbarung der Banken über Überweisungen einzuschreiten, während in den Gründen von einer spürbaren Einschränkung des Wettbewerbs gesprochen wird. Die Klage richtet sich gegen die Annahme einer spürbaren Wettbewerbseinschränkung.
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Nichtigkeitsklagen natürlicher oder juristischer Personen 71 sind nur zulässig, wenn die Kläger durch die angefochtenen Maßnahmen betroffen werden.72 Anders als dies idR das deutsche Recht verlangt 73, ist die Behauptung oder Geltendmachung einer Rechtsverletzung nicht erforderlich. Betroffen wird ein Kläger durch eine angefochtene Handlung, wenn er von ihr materiell beschwert wird.74 Obwohl von einer Rechtsbeeinträchtigung in Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E) nicht die Rede ist, nimmt die Rspr eine Beschwer nur an, wenn der Kläger durch die angefochtene Handlung in seiner Rechtstellung beeinträchtigt wird oder beeinträchtigt werden kann.75 Daran fehlt es zB, wenn nur die Begründung einer antragsgemäß ergangenen Maßnahme angegriffen wird.76
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Lösung Fall 3: Eine auf der Grundlage des Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E) erhobene Klage kann sich nur gegen eine beschwerende Maßnahme richten. Unabhängig davon, auf welchen Gründen eine derartige Maßnahme beruht, kann nur ihr Tenor Rechtswirkungen erzeugen und damit eine Beschwer darstellen. Im vorliegenden Fall fehlt es an einer Beschwer, da die KOM im Tenor der Entscheidung ein Negativattest erteilt hat. Eine Klage nur gegen die Begründung der Entscheidung ist unzulässig.77
69 Nach Art 263 III AEUV-E ferner auch der Ausschuss der Regionen. 70 Vgl Art 105 IV, 111, 248 III EGV (127 IV, 219, 287 III AEUV-E). 71 Zum Kreis der Klageberechtigten gehören nicht nur Private, sondern auch mitgliedstaatliche Rechtssubjekte und Drittstaaten, vgl → Rn 6. 72 Für die erste Alternative des Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E) ergibt sich dies aus dem Umstand, dass sich die Klage „gegen“ die an den Kläger ergangene Entscheidung richtet. 73 Vgl Art 93 I Nr 4 AGG; § 42 II VwGO. 74 Vgl Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 115. 75 Vgl EuG Slg 1999, II-3427 Rn 158 – Boehringer; Slg 2000, II-3145 Rn 34 – BP Chemicals. 76 EuG Slg 1992, II-2181 Rn 31 – NBV. 77 EuG Slg 1992, II-2181 – NBV.
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Nichtigkeitsklage
§8
Als unproblematisch erweist sich die Klagebefugnis, wenn der Kläger Adressat der angegriffenen Maßnahme ist (1. Alt des Art 230 IV EGV; 263 IV AEUV-E). Richtet sich die Nichtigkeitsklage gegen eine Verordnung oder eine an eine andere Person gerichtete Entscheidung, muss der Kläger unmittelbar und individuell betroffen sein.
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(2) Unmittelbarkeit Fall 4: Nachdem die Republik Frankreich ein sehr restriktives Lizensierungsverfahren für den Import von Baumwollgarnen betrieben hat, erließ die KOM eine Entscheidung, wonach die Einfuhr von Baumwollgarnen einer Quotenregelung unterworfen werden durfte. Verschiedene Baumwollverbände haben Nichtigkeitsklage gegen diese Entscheidung erhoben. Können die Kl. eine unmittelbare Betroffenheit geltend machen?
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Das Unmittelbarkeitskriterium soll verhindern, dass lediglich potenziell Betroffene um Rechtsschutz nachsuchen.78 Ein unmittelbares Betroffensein ist an sich nur gegeben, wenn der angegriffene Akt selbst – ohne Dazwischentreten weiterer Hoheitsmaßnahmen – die Interessen des Klägers beeinträchtigt. Darüber hinausgehend bejaht die Rechtsprechung eine Unmittelbarkeit aber auch dann, wenn zwar noch eine weitere Maßnahme (Durchführung) erforderlich, diese aber zwingend ist 79, also „quasi automatisch“ erfolgen wird.80 So sollen die an einen Mitgliedstaat gerichteten auf den Einzelnen abzielenden Maßnahmen diesen unmittelbar betreffen, wenn der Mitgliedstaat zur Umsetzung verpflichtet ist und ihm kein Ermessensspielraum verbleibt 81 (wie beispielsweise bei der an einen Mitgliedstaat gerichteten Entscheidung, eine gemeinschaftsrechtswidrige Beihilfe zurückzufordern).82
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Lösung Fall 4: Zweifel an der Unmittelbarkeit der Entscheidung bestehen deshalb, weil die Quotenregelung erst bei Erlass eines nationalen Umsetzungsaktes zur Anwendung kommt. Jedoch hat Frankreich schon vor der Erteilung der Ermächtigung durch die KOM nur restriktiv Lizenzen für die Einfuhr von Baumwollgarnen erteilt. Unter diesen Umständen bestand nur rein theoretisch die Möglichkeit, dass Frankreich nicht von der ihr durch die Entscheidung der KOM eingeräumten Befugnis Gebrauch machen würde. Demgemäß ist davon auszugehen, dass bereits die Entscheidung die Kl. unmittelbar betraf.83
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78 79 80 81
Vgl Schwarze in: FS Schlochauer, 1981, 927, 936. Von Burchard EuR 1991, 140, 150 ff. EuGH Slg 1979, 1185 Rn 11 – NTN Toyo Bearing Company; Slg 1998 I-2309 Rn 43 – Dryfus. EuGH Slg 1979, 1185 Rn 11 – NTN Toyo Bearing Company; Slg 1985, 207 Rn 7 ff – PiraikiPatraiki. 82 Zur unmittelbaren Betroffensein durch Richtlinien und durch an andere Private gerichtete Entscheidungen vgl Cremer in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 230 Rn 47 f. 83 Vgl EuGH Slg 1985, 207 Rn 7 ff – Piraiki-Patraiki.
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(3) Individualität 32
Fall 5: Sony Europe wurde für den Import der Spielkonsole Playstation II in die EG eine verbindliche Zolltarifauskunft aufgrund einer EG-VO erteilt. Die VO wurde aufgrund dieses Vorkommnisses später geändert und die verbindliche Zolltarifauskunft auf der Grundlage der geänderten VO zurückgenommen. Daraufhin erhob Sonny Europe Nichtigkeitsklage gegen die geänderte VO.
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Mittels des Kriteriums der „individuellen“ Betroffenheit sollen Popularklagen ausgeschlossen werden. Wann eine solche Betroffenheit vorliegt, ist Gegenstand zahlreicher Kontroversen. Auch die Rspr ist alles andere als eindeutig. Nach der von ihr zugrunde gelegten sog „Plaumann-Formel“ kann eine natürliche oder juristische Person geltend machen, individuell betroffen zu sein, wenn die Maßnahme sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder aufgrund von Umständen betrifft, die sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebt und in ähnlicher Weise individualisiert wie einen Adressaten.84 Ua soll es darauf ankommen, ob – der Kreis der Betroffenen zum Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme (Entscheidung, Verordnung) feststand, wenn zusätzliche Umstände – zB die Regelung konkreter Sachverhalte – hinzukommen 85; – der Kläger an den vorgegebenen Verwaltungsverfahren aufgrund rechtlicher Vorgaben oder kraft Hinzuziehung durch die KOM beteiligt war 86; – konkrete Rechtspositionen des Klägers spürbar beeinträchtigt wurden 87 oder – spezifische Normen eine Rücksichtnahme auf die Lage bestimmter Positionen einschließlich des Klägers geboten haben 88.89
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Lösung Fall 5: Da die angefochtene VO den mit der Durchführung betrauten Adressaten keinen Ermessensspielraum lässt und ihre Durchführung „rein automatisch“ erfolgt, betrifft sie unmittelbar die Rechtstellung der Kl. Eine individuelle Betroffenheit ist zu bejahen, wenn die VO die Kl. wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder aufgrund von Umständen berührt, die sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebt und sie in ähnlicher Weise individualisieren, wie es der Adressat einer Entscheidung wäre. Dies trifft hier zu, weil die Änderung der VO durch die Erteilung der verbindlichen Zolltarifauskünfte ausgelöst wurde.90
84 EuGH Slg 1963, 213, 238 – Plaumann; Slg 2001, I-3425 Rn 45 – Jègo-Quèrè. Statt vieler krit Borowski EuR 2004, 879, 890 ff. 85 Vgl EuGH Slg 1977, 709, 726 – Société pour l’exportation des sucres. S aber auch EuGH Slg 1977, 797, 807 f – Koninklijke Scholten Honig; Slg 1978, 845, 852 – UNICME. 86 Vgl EuGH Slg 1986, 391 Rn 23 ff – Cofaz; Slg 1990, I-2477 Rn 11 f. 87 Vgl Cremer in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 230 EGV Rn 53 ff. 88 Vgl zB EuG Slg 1995, II-2310 Rn 67 – Antillean Rice Mills NV; Slg 1995, II-2941 Rn 61 – Vereniging van Exporteurs in Levende Varkens. 89 Näher zum Ganzen Booß in: Grabitz/Hilf, EUV/EGV, Art 230 Rn 55 ff; Gaitanides in: Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art 230 EGV Rn 72 ff, 87 ff. 90 Vgl EuG Slg 2003, II-4189 Rn 63 ff – Sony Computer.
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Nichtigkeitsklage
§8
(4) Kasuistik Fall 6: Drei stromerzeugende deutsche Stadtwerke haben bei der KOM beantragt, ein Beihilfeverfahren im Hinblick auf die Steuerbefreiungsregelung für Rückstellungen der in Deutschland niedergelassenen Kernkraftwerksbetreiber für die Entsorgung und Stilllegung ihrer Anlagen einzuleiten. Nachdem die KOM zum Abschluss der Vorprüfungsphase (Art 88 III EGV, 108 III AEUV-E) durch Entscheidung das Nichtvorliegen einer Beihilfe festgestellt hat, greifen die Stadtwerke diese Maßnahme mit der Nichtigkeitsklage vor dem EuG an.
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Im Einzelnen hat sich eine umfangreiche Kasuistik zur Klagebefugnis nach Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E) entwickelt. So bejaht die Rspr eine Klagebefugnis des Nichtadressaten (Konkurrenten) im Kartellrecht, wenn dieser das Verwaltungsverfahren vor der KOM durch Antragstellung oder sonstige Teilnahme am Verfahren beeinflusst hat oder ihm durch sekundäres Gemeinschaftsrecht ein Verfahrensrecht zusteht, dass er nicht ausgeübt hat.91 Im Beihilferecht kommt es im Falle der Erhebung von Konkurrentenklagen darauf an, ob der Kläger an der Hauptprüfungsphase iSd Art 88 II EGV (108 II AEUV-E) beteiligt war oder hätte beteiligt werden müssen 92, respektive, ob er von der betroffenen positiven Entscheidung spürbar beeinträchtigt worden ist (→ Fall 6).93 Im Vergaberecht ist jedes Unternehmen klagebefugt, welches ohne Erfolg an der Ausschreibung teilgenommen hat.94 Hersteller und Exporteure aus Drittländern, für die in einer Verordnung Antidumpingzölle eingeführt wurden, sind klagebefugt, wenn sie in der Verordnung bezeichnet wurden oder von den vorbereitenden Untersuchungen betroffen waren, Importeure, wenn sie mit den Exporteuren geschäftlich verbunden waren oder wenn ihre wirtschaftliche Tätigkeit ernsthaft beeinträchtigt worden ist.95 Eine Klageberechtigung von Unternehmensverbänden ist gegeben, wenn sich ein Klagerecht aus dem Sekundärrecht ergibt, die Verbände an dem vorausgehenden Verfahren beteiligt worden sind 96 oder sie zulässigerweise die Interessen ihrer Mitglieder vertreten haben und diese individuell betroffen sind.97 Gebietskörperschaften sind individuell betroffen, wenn sie in einem mit den Interessen des Mitgliedstaates nicht identischen Eigeninteresse berührt sind. Diese Voraussetzung ist zB gegeben, wenn die Gebietskörperschaft Beihilfen aus eigenen Hoheitsmitteln vergeben.98
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Lösung Fall 6: Die Nichtigkeitsklage ist nur zulässig, wenn die Stadtwerke (Kl) gem. Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E) klagebefugt sind. Da die Entscheidung der KOM nicht an sie adressiert ist, ist dies nur der Fall, wenn sie unmittelbar und individuell betroffen sind. Die individuelle Betroffenheit richtet sich nach der Plaumann-Formel (→ Rn 33). Verfahrens-
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91 So zusammenfassend Schmude, Die kartellrechtliche Konkurrentenklage im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2007, 187 mit umfangreichen Nachw. 92 Vgl Art 1 lit h Beihilfeverfahrens-VO (Sart II Nr. 173). 93 Ausführlich zum ganzen Pechstein EU/EG, Rn 448 ff. 94 EuG Slg 1999, II-3181 Rn 57 – Cas Succhi di Frutta. 95 Vgl Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 139. 96 Vgl EuGH Slg 1988, 219 Rn 20 ff – van der Kooy BV. 97 Vgl zB EuG Slg 1995, II-1971 Rn 54 ff – AITEC. 98 Vgl EuG Slg 1999, II-3613 Rn 91 – Freistaat Sachsen; Pechstein EU/EG, Rn 428 ff.
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§8
3. Teil: Rechtsschutz im Europäischen Unions- und Gemeinschaftsrecht
rechte der Beteiligten sind nur in der Hauptprüfungsphase (Art 88 II EGV; 108 II AEUV-E), nicht in der Vorprüfungsphase (Art 88 III EGV; 108 III AEUV-E) vorgesehen. Stellt die KOM, ohne das Verfahren nach Art 88 II EGV (108 II AEUV-E) einzuleiten, aufgrund von Art 88 III EGV (108 III AEUV-E) fest, dass eine Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist, können die Beteiligten (dh die konkurrierenden Unternehmen und ihre Berufsverbände) Nichtigkeitsklage erheben, um den Schutz der Verfahrensgarantien zu erwirken, die sich für sie aus Art 88 II EGV (108 II AEUV-E) ergeben. Hier haben die Kläger indessen nur die Begründetheit der Kommissionsentscheidung selbst angegriffen. Eine individuelle Betroffenheit wegen des Inhalts der Entscheidung nimmt die Rspr nur an, wenn die Marktstellung der Kläger durch die Beihilfe, die Gegenstand der betreffenden Entscheidung ist, spürbar beeinträchtigt wird.99 Hierzu haben die Kl. nichts vorgetragen. Dementsprechend hat der EuGH (als Rechtsmittelgericht) die Klage abgewiesen.
(5) Rechtsprechungstendenzen 38
Fall 7: Zur Rettung des Seehechtbestands erließ die KOM die VO 1162/2001/EG, mit der bestimmte Fangmethoden verboten wurden. Die Fischfang-Reederei J befürchtete einen Rückgang der Fangerträge und erhob Nichtigkeitsklage nach Art 230 EGV (263 AEUV-E).
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Unter Berufung auf die Verpflichtung der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes haben Generalanwalt Jacobs und das EuG im Jahre 2002 vorgeschlagen, Art 230 IV EGV in Abweichung von der Plaumann-Formel großzügiger auszulegen, insbesondere um einen weitergehenden Primärrechtsschutz gegen normatives Unrecht zu erreichen. So soll nach Generalanwalt Jacobs eine individuelle Betroffenheit des Klägers von einer Gemeinschaftshandlung bereits dann anzunehmen sein, „wenn die Handlung erhebliche Auswirkungen auf seine Interessen hat oder haben kann“.100 Das EuG hat in einer Entscheidung eine natürliche oder juristische Person dann als von einer allgemein geltenden Gemeinschaftsbestimmung als individuell betroffen angesehen, „wenn diese Bestimmung ihre Rechtsposition unzweifelhaft und gegenwärtig beeinträchtigt, indem sie ihre Rechte einschränkt oder ihr Pflichten auferlegt“.101 Der EuGH ist diesen Ansätzen aber nicht gefolgt.102 Er hält – wenig überzeugend 103 – den Wortlaut (individuell betroffen) für eindeutig und verweist darauf, dass die Gemeinschaftsgerichte die von ihnen durch den Vertrag verliehenen Befugnisse überschreiten würden, wenn das Kriterium der individuellen Betroffenheit zum Wegfall käme.104 Soweit ein Klagerecht auf 99 100 101 102
Vgl. EuGH EuZW 2008, 49 Rn 24, 30 – Stadtwerke Schwäbisch Hall mwN. EuGH Slg 2002, I-6681, 6715 – Uniòn de Pequeños Agricultures. EuG Slg 2002, II-2361 Rn 51 – Jégo-Quéré. EuGH Slg 2002, I-6719 Rn 36 ff – Unión de Pequeños Agricultores → JK EGV Art 230 IV/2; Slg 2004, I-3425 Rn 29 ff – Jégo-Quéré → JK EGV Art 230 IV/3. Zust Pechstein EU/EG, Rn 423 ff. 103 Üblicherweise scheut der EuGH gerade nicht davor zurück, Rechtsschutzbestimmungen erweiternd auszulegen. So wurde Art 230 IV, 231 II EGV auch auf andere als die in der Vorschrift genannten Handlungsweisen bzw -formen erstreckt (→ Rn 19, 64). 104 EuGH Slg 2002, I-6719 Rn 36 – Jégo-Quéré; zust zur Rspr Schwarze DVBl 2002, 1297 ff; Köngeter NJW 2002, 2716 ff; krit Nettesheim JZ 2002, 928 ff; Calliess NJW 2002, 3570 ff; Braun/Kettner DÖV 2003, 58 ff; Lindnder NVwZ 2003, 569 ff. Vgl zum Ganzen auch Röhl JURA 2003, 830 ff.
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Nichtigkeitsklage
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gemeinschaftsrechtlicher Ebene fehle, sei es Aufgabe der nationalen Gerichte, den gemeinschaftsrechtlich gebotenen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. In Deutschland kann gegen eine unmittelbar anwendbare, selbstvollziehende EG-Verordnung (oder Richtlinie) verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage mit dem Antrag erhoben werden, die Vorschrift auf den Kläger nicht anzuwenden. Teilt das Verwaltungsgericht die Ansicht, dass die Vorschrift des Gemeinschaftsrechts ungültig ist, hat es eine Vorabentscheidung des EuGH nach Art 234 EGV (267 AEUV-E) über die Gültigkeit einzuholen. Lösung Fall 7: Die Klage ist zulässig, wenn J klagebefugt ist. Dies bestimmt sich nach Art 230 IV EGV. Danach muss J durch die VO unmittelbar und individuell betroffen sein. Unmittelbarkeit liegt vor, wenn sich die VO zwangsläufig auf die Person auswirkt, dh keinen Ermessensspielraum lässt, ohne dass es weiterer Umsetzungsakte bedarf. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Problematisch ist die individuelle Betroffenheit von J. Nach der Plaumann-Formel (→ Rn 33) ist eine Person individuell betroffen, wenn eine Maßnahme sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder aufgrund besonderer Umstände betrifft, die sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebt und sie dadurch in ähnlicher Weise individualisiert wie einen Adressaten. Danach ist J nicht individuell betroffen, da sie von der angegriffenen VO nur in ihrer objektiven Eigenschaft als Wirtschaftsteilnehmerin betroffen ist, die mit derjenigen aller übrigen Fischfang-Reedereien vergleichbar ist. Unerheblich ist, dass J aktuell als einzige Reederei von einzelnen Verbotsmaßnahmen betroffen ist, da potentiell weitere Wirtschaftsteilnehmer von der VO betroffen sein können. Eine andere (dem Gebot effektiven Rechtsschutzes besser gerecht werdende) Auslegung des Kriteriums der individuellen Betroffenheit hat der EuGH ausdrücklich zurückgewiesen und es für ausreichend erachtet, wenn nicht auszuschließen ist, „dass ein nationales Rechtssystem einem von der VO Nr 1162/2001 unmittelbar betroffenen Wirtschaftsteilnehmer die Möglichkeit eröffnet, bei den nationalen Behörden eine sich auf diese VO beziehende Maßnahme zu beantragen, die vor dem nationalen Gericht angefochten werden kann, so dass ein solcher Wirtschaftsteilnehmer die fragliche VO mittelbar beanstanden kann“ 105. In Deutschland könnte verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage mit dem Antrag erhoben werden, dass die VO nicht auf den Kl. anwendbar ist. Sollte der Vertrag von Lissabon in Kraft treten, kommt es auf eine individuelle Betroffenheit nicht an, wenn es sich bei der VO um einen „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“ iSd Vorschrift handelt (Art 263 IV AEUV-E, vgl → Rn 41).
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(6) Vertrag von Lissabon Einen Schritt weiter als das geltende Recht geht Art 263 IV AEUV-E, weil die Vorschrift nicht nur Nichtigkeitsklagen natürlicher oder juristischer Personen gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen, sondern auch gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, zulässt. Nicht eindeutig ist, was unter Verordnung iSd Vorschrift zu verstehen ist. Einerseits wird der Begriff in Art 288 II AEUV-E in sachlicher Übereinstimmung mit Art 249 II EGV legal definiert, was darauf hindeuten könnte, dass alle Rechtsakte mit allgemeiner Geltung erfasst werden sollen. Andererseits
105 EuGH Slg 2004, I-3425 Rn 35 – Jégo-Quéré, unter Berufung auf EuG Slg 2002, I-6677 – Unión de Pequeños Agricultures.
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3. Teil: Rechtsschutz im Europäischen Unions- und Gemeinschaftsrecht
ist Art 263 IV AEUV-E wörtlich aus dem (nicht in Kraft getretenen) Vertrag über eine Verfassung für Europa übernommen worden (Art III-365 IV). Der Verfassungsvertrag hat aber zwischen Europäischen Gesetzen, Europäischen Rahmengesetzen, Europäischen Verordnungen und sonstigen Maßnahmen unterschieden (Art 1-33). Während die Europäischen Gesetze den Verordnungen iSd Art 294 II EGV und die Europäischen Rahmengesetze den Richtlinien iSd Art 249 III EGV entsprechen, sollen die Verordnungen nur „der Durchführung der Gesetzgebungsakte und einzelner Bestimmungen der Verfassung dienen“. Dies spricht dafür, dass nur reine Durchführungsbestimmungen der KOM (tertiäre Rechtssetzungsakte 106) als Rechtsakte mit Verordnungscharakter iSd Bestimmung angesehen werden sollen. Hinzu kommt, dass die Art 289, 290 AEUV-E zwischen Gesetzgebungsakten und delegierten Rechtsakten (übertragenen Gesetzegebungsbefugnissen der KOM) unterscheiden. Daher ist anzunehmen, dass unter „Rechtsakte(n) mit Verordnungscharakter“ iSd Art 263 IV AEUV-E nicht Gesetzgebungsakte zu subsumieren sind. Das Individualitätskriterium würde dann nur für delegierte Normen, nicht aber für „normale“ Verordnungen (Gesetzgebungsakte) entfallen. 5. Klagegegner 42
Fall 8: Verschiedene griechische Unternehmen erhoben Nichtigkeitsklage gegen einen auf Vorschlag der KOM getroffenen Beschluss des Rates zur Einstellung des Antidumping-Verfahrens betreffend die Einfuhren von Magnesit mit Ursprung in China und Nordkorea. Die Klage richtet sich sowohl gegen den Rat als auch gegen die KOM.
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Mögliche Gegner einer Nichtigkeitsklage sind diejenigen Gemeinschaftsorgane oder -rechtssubjekte, die den angefochtenen Rechtsakt erlassen haben. Neben den in Art 230 I EGV (263 I AEUV-E) genannten Organen (Europäisches Parlament, Rat, KOM) und der Europäische Zentralbank können dies auch sonstige Gemeinschaftsrechtssubjekte oder -einrichtungen sein (→ Rn 7). Wendet sich der Kläger gegen eine gemeinsame Handlung des Europäischen Parlamentes und des Rates, sind beide Organe zu verklagen.107 Kein Organ der Europäischen Gemeinschaft ist der Europäische Rat (Art 4 EUV). Seine Handlungen können daher nicht mit der gemeinschaftsrechtlichen Nichtigkeitsklage nach Art 230 EGV, wohl aber uU mit der unionsrechtlichen Nichtigkeitsklage (→ Rn 3) angegriffen werden. Die KOM ist richtiger Klagegegner, wenn sie selbst die Entscheidung getroffen hat (und nicht nur vorbereitend tätig geworden ist). Private Einrichtungen sind der KOM zuzurechnen, wenn eine Organleihe vorliegt (→ Rn 12).
44
Lösung Fall 8: Wird der Beschluss zur Einstellung eines Antidumping-Verfahrens gem der einschlägigen VO (Nr 2176/84) nicht von der KOM, sondern vom Rat (wenn auch auf Vorschlag der KOM) erlassen, kommt allein dem Rat die Entscheidungsbefugnis zu. Somit ist die Nichtigkeitsklage insoweit unzulässig, als sie sich gegen die KOM richtet.108
106 Vgl zum Sprachgebrauch Härtel Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 15 Rn 8 f; Möllers in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold, Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, 293 ff. 107 Pechstein EU/EG, Rn 383. 108 EuGH Slg 1987, 1183 – Anonimos Eteria Epichirisseon.
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Nichtigkeitsklage
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6. Klagefrist Gem Art 230 V EGV (263 VI AEUV-E) ist die Nichtigkeitsklage „binnen zwei Monaten“ zu erheben. Art 81 § 2 EuGH-VerfO und Art 102 § 2 EuG-VerfO verlängern die Frist um eine pauschale Entfernungsfrist von zehn Tagen.109 Es handelt sich bei der Frist um eine von Amts wegen zu prüfende Ausschlussfrist. Der Ablauf der Frist hat nur dann keinen Rechtsnachteil zur Folge, wenn der Betroffene nachweist, dass ein Zufall oder ein Fall höherer Gewalt vorliegt (Art 45 II EuGH-Satzung). Einen entschuldbaren Irrtum hat der EuGH angenommen, wenn das Verhalten des beklagten Gemeinschaftsorgans (oder -rechtssubjekts) geeignet war, bei dem gutgläubigen Kläger eine Verwirrung hervorzurufen.110 Für die Wahrung der Frist kommt es auf den Eingang bei der Kanzlei des EuGH oder des EuG an.111 Wurden technische Kommunikationsmittel benutzt, ist der Tag des Eingangs maßgebend, sofern die unterzeichnete Urschrift des Schriftsatzes (nebst Anlagen und Abschriften) spätestens zehn Tage danach bei der Kanzlei eingereicht werden.112 Zudem können der EuGH und das EuG durch einen im Amtsblatt zu veröffentlichenden Beschluss festlegen, dass ein elektronisch übermittelter Schriftsatz als Urschrift des Schriftsatzes gilt.113
45
a) Fristbeginn Fall 9: Die Bundesrepublik Deutschland hat Anfang April Nichtigkeitsklage gegen einen im Dezember des Vorjahres getroffenen, Mitte Februar im Amtsblatt veröffentlichten Beschluss des Rates zum Abschluss eines völkerrechtlichen Abkommens (WTO) erhoben.
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Der Tag, an dem die Klagefrist zu laufen beginnt, hängt davon ab, welche der in Art 230 V EGV (263 VI AEUV-E) geregelten Anfechtungskonstellationen einschlägig ist. Richtet sich die Nichtigkeitsklage gegen Verordnungen oder Richtlinien, kommt es auf die „Bekanntgabe“ an. Unter Bekanntgabe ist an sich die Veröffentlichung der Maßnahme im Amtsblatt zu verstehen. Doch normieren die Art 81 § 1 EuGH-VerfO, 102 § 1 EuG-VerfO, das die Frist erst vom Ablauf des vierzehnten Tages nach der Veröffentlichung der Maßnahme im Amtsblatt an zu berechnen ist. Maßgebend ist das Datum der Amtsblattnummer, die den Text des angefochtenen Rechtsaktes enthält. Wird jedoch der Nachweis erbracht, dass das Amtsblatt tatsächlich erst später verfügbar war, ist das tatsächliche Veröffentlichungsdatum maßgebend.114 Der Lauf der Klagefrist wird unabhängig von dem Inkrafttreten des Rechtsaktes in Gang gesetzt (obwohl der Kläger beim späteren Inkrafttreten genauso genommen durch die Bekanntgabe noch gar nicht beschwert worden ist).115 Die Veröffentlichung ist für den Fristbeginn nicht maßgeblich, wenn die Maßnahme den Betroffenen vorher „individuell“ mitgeteilt wurde. Es gilt dann die früher in Gang gesetzte Klagefrist.116
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109 110 111 112 113 114 115 116
Vgl auch Art 45 I EuGH-Satzung. EuGH Slg 1994, I-5615 Rn 26 – Bayer; Slg 2003, I-4837 Rn 24 – Pitsiorlas. Vgl Art 37 § 3 EuGH-VerfO; Art 43 § 3 EuG-VerfO. Art 37 § 6 EuGH-VerfO; Art 43 § 6 EuG-VerfO. Art 37 § 7 EuGH-VerfO; Art 43 § 7 EuG-VerfO. EuGH Slg 1979, 69 Rn 15 – Racke; Slg 1990, I-1 Rn 12 – SAFA. Vgl Burgi in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 7 Rn 82; Pechstein EU/EG, Rn 438. Vgl Cremer in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 230 EGV Rn 67.
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Eine die Klagefrist in Gang setzende „Mitteilung an den Kläger“ (iSd Art 230 V Alt 2 EGV; 263 VI Alt 2 AEUV-E) kommt vor allem im Falle des Erlasses von Entscheidungen oder bestimmter Richtlinien (Art 254 III EGV; 297 II UA 3 AEUV-E) in Betracht. Die Mitteilung erfolgt regelmäßig schriftlich, ausnahmsweise mündlich oder durch schlüssiges Verhalten.117 Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist nicht vorgesehen.118 Mängel können durch anderweitige Kenntnisnahme geheilt werden (zB durch Kenntniserlangung der Muttergesellschaft von der Zustellung an eine Tochtergesellschaft 119). Im Übrigen (dh in Fällen der drittgerichteten Entscheidungen) kommt es darauf an, wann der Kläger Kenntnis erlangt hat. Dies ist der Fall, wenn er die Möglichkeit hatte, umfassende und genaue Kenntnis vom Inhalt und von der Begründung des fraglichen Rechtsakts zu erlangen.120 Erfährt er von dem Erlass der Maßnahme, obliegt es ihm, binnen angemessener Frist den vollständigen Wortlaut des Rechtsaktes anzufordern. Unterlassungen muss er gegen sich gelten lassen. Die Beweislast für den Zugang und die Kenntniserlangung liegt beim beklagten Gemeinschaftsorgan.121 Lösung Fall 9: Die Klage könnte gem Art 230 V EGV (263 AEUV-E) verfristet sein, weil die Bundesrepublik schon im Dezember Kenntnis von dem Beschluss des Rates hatte. Doch kommt es gem Art 234 V EGV (263 VI AEUV-E) für den Beginn der Klagefrist primär auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe und nur subsidiär auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung an (zumal mit der Bekanntgabe des Beschlusses zu rechnen war). Da die Klagefrist erst mit dem Zeitpunkt der Bekanntgabe zu laufen begann und bei Klageerhebung noch nicht abgelaufen war, ist die Klage zulässig.122
b) Fristablauf 51
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Gem Art 80 § 1 lit b EuGH-VerfO, § 101 lit b EuG-VerfO endet die Frist mit Ablauf des Tages, der im übernächsten Monat dieselbe Zahl trägt wie der Tag, an dem das fristauslösende Ereignis eingetreten ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Tag, in den das Ereignis oder die Handlung fällt, nicht mitgerechnet wird (Art 80 § 1 lit a EuGH-VerfO; 101 § 1 lit a EuG-VerfO) und zu dem die Entfernungsfrist von zehn Tagen (→ Rn 45) hinzugerechnet werden muss. Wird die Frist zB am 3.4. in Gang gesetzt, endet sie somit am 14.6. (Fristbeginn 4.4 plus zehn Tage) um 24.00 Uhr. Fällt das Ende der Frist auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag endet die Frist mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktags (Art 80 § 2 EuGH-VerfO; Art 101 § 2 EuG-VerfO). Da es auf den Eingang der Klageschrift bei der Kanzlei ankommt (→ Rn 45), reicht die Aufgabe der Klageschrift bei der Post zur Wahrung der Frist nicht aus. Macht ein Kläger von seinem Recht, Nichtigkeitsklage zu erheben, nicht fristgerecht Gebrauch, wird der Rechtsakt unanfechtbar und damit grundsätzlich bestandskräftig. Dies schließt zwar nicht aus, dass sich der Kläger in anderen Gerichtsverfahren – sei es einer Klage vor dem nationalen Gericht oder einer gemeinschaftsrechtlichen Schadens-
117 118 119 120 121 122
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Vgl Pechstein EU/EG, Rn 440. Vgl auch EuGH Slg 1999, I-1451 Rn 13 – Guérin automobiles. Vgl EuGH Slg 1972, 619 Rn 93, 43 – ICI. EuGH Slg 1988, 3761 Rn 14 – Dillinger Hüttenwerke; Slg 1998, I-655 Rn 18 – Kommission/Rat. Vgl Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 146 mwN. Vgl. EuGH Slg 1998, I-973 – Deutschland/Rat.
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Nichtigkeitsklage
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ersatzklage (→ § 10 Rn 4) - auf die Rechtswidrigkeit des Gemeinschaftsrechtsaktes beruft. Doch kann die Rechtswidrigkeit nicht mehr in Frage gestellt werden, wenn „offensichtlich“ Nichtigkeitsklage hätte erhoben werden können und müssen. In einem solchen Fall ist auch ein Vorabentscheidungsersuchen nicht mehr zulässig (→ § 6 Rn 15). Ebenso scheidet eine Schadensersatzklage aus, wenn eine Nichtigkeitsklage zum selben Ziel geführt hätte (→ § 10 Rn 24). 7. Ordnungsgemäße Klageerhebung Die Klageerhebung muss den Anforderungen der Art 21 EuGH-Satzung, 38 EuGHVerfO, 44 EuG-VerfO genügen (insbesondere Einreichung einer Klageschrift, Mitteilung des Namen und Wohnsitzes des Klägers, Bezeichnung des Beklagten, Angabe des Streitgegenstandes, kurze Darstellung der Klagegründe 123, Antragstellung und ggf Bezeichnung der Beweismittel).
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8. Rechtsschutzinteresse Im Gegensatz zu den privilegierten Klägern iSd Art 230 II, III EGV (263 II, III AEUV-E) wird von den in Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E) genannten Klägern das Vorliegen eines Rechtsschutzinteresses verlangt. Dieses Interesse wird zwar grundsätzlich indiziert. Anderes gilt aber, wenn die Aufhebung des Rechtsaktes dem Kläger keinen rechtlich relevanten Vorteil bringt.124 Der Vollzug der angefochtenen Maßnahme schließt das Rechtsschutzbedürfnis nicht notwendigerweise aus.125 Selbst im Falle der Aufhebung der angefochtenen Maßnahme durch das Gemeinschaftsorgan soll ein Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen sein, wenn eine konkrete Wiederholungsgefahr besteht, Rechtsfragen von wesentlicher Bedeutung für das Funktionieren der Gemeinschaft aufgeworfen werden, die Verurteilung Grundlage für einen Schadensersatzanspruch des Klägers begründen kann oder eine für die Rechtstellung problematische Ungewissheit beseitigt wird.126 In Wahrheit dürfte es sich insoweit dann nicht um eine Gestaltungs-, sondern um eine (Fortsetzungs-) Feststellungsklage handeln.
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III. Begründetheit der Nichtigkeitsklage Die Nichtigkeitsklage ist begründet, wenn der Gemeinschaftsrechtsakt mit einem der vier in Art 230 II EGV (263 II AEUV-E) genannten Rechtsmängeln behaftet ist (Unzuständigkeit, Verletzung wesentlicher Formvorschriften, Verletzung des Vertrages oder der anzuwendenden Rechtsform, Ermessensmissbrauch). Da – von einigen Besonderheiten abge123 Die Klagegründe (Art 230 II EGV; 263 II AEUV-E) – vgl → Rn 55 – müssen zwar nicht ausdrücklich bezeichnet werden, das klägerische Vorbringen aber mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen und eine Zuordnung zu den in Art 230 II EGV (263 II AEUV-E) genannten Rechtsmängeln ermöglichen. Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens können nur nach Maßgabe der Art 42 § 2 EuGH-VerfO, 48 § 2 EuG VerfO eingeführt werden. 124 Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 148. 125 Vgl EuGH Slg 1986, 1965 Rn 21 – Akzo Chemie. 126 Vgl EuG Slg 1995, II-2305 Rn 60 – Antillian Rice Mills; Slg 2002, II-3781 Rn 48 f – Tideland Signal.
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sehen (insbesondere Ausklammerung der Verletzung unwesentlicher Formvorschriften) – alle Rechtsmängel erfasst werden (→ Rn 59), ist dem Gerichtshof grundsätzlich eine vollständige Rechtmäßigkeitsprüfung aufgegeben. Den Nichtigkeitsgründen des Art 230 II EGV (263 II AEUV-E) kommt aber zum einen eine strukturierende Bedeutung zu. Zum anderen tendiert der Gerichtshof dazu, die formellen Klagegründe „Unzuständigkeit“ und „wesentliche Formfehler“ von Amts wegen aufzugreifen, dagegen die materiellen Klagegründe „Verletzung des Vertrages oder der anzuwendenden Rechtsnorm“ sowie „Ermessensmissbrauch“ nur zu prüfen, wenn und soweit sich der Kläger darauf berufen hat.127 Anders als gemeinhin nach deutschem Recht 128 richtet sich die Begründetheitsprüfung in Anlehnung an das französische Recht nach objektiven Maßstäben.129 Unerheblich ist, ob subjektive Rechte verletzt worden sind. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Handlungen ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme.130 Die Kontrolldichte dürfte im Allgemeinen hinter derjenigen der deutschen Verfassungs- und Verwaltungsgerichte zurückbleiben, weil dem Gemeinschaftsgesetzgeber ein größerer Gestaltungsspielraum als im deutschen Recht zugebilligt wird.131 So ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht so stringent ausgeprägt wie im deutschen Recht.132 Für die einzelnen Rechtsmängel gilt Folgendes: 1. Unzuständigkeit 56
Eine Unzuständigkeit iSd Art 230 II EGV (263 II AEUV-E) ist gegeben, wenn die Verbandskompetenz der Europäischen Gemeinschaft, die Organkompetenz der handelnden Stelle, die räumliche Zuständigkeit oder die sachliche Zuständigkeit fehlt. Die Verbandskompetenz bestimmt sich nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art 5 I EGV; 5 I AEUV-E) sowie den Kompetenzausübungsschranken der Subsidiarität (Art 5 II EGV; 5 III AEUV-E) und Verhältnismäßigkeit (Art 5 III EGV; 5 IV AEUV-E).133 Wie im deutschen Recht 134 kann sich auch im Gemeinschaftsrecht eine Zuständigkeit aus dem Sachzusammenhang ergeben (implied powers).135 Die Organkompetenz fehlt, wenn das handelnde Organ außerhalb seiner Befugnisse (im ausschließlichen Zuständigkeitsbereich eines anderen Organs) tätig wird (Art 7 I 2 EGV; 13 II 1 AEUV-E).136 Entsprechende
127 128 129 130 131
132 133
134 135 136
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Vgl Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 178 mwN. Vgl zum Verwaltungsrechtsschutz → § 22 Rn 66, zur Verfassungsgerichtsbarkeit s → § 13 Rn 125 ff. Vgl Pechstein EU/EG, Rn 541. Vgl EuGH Slg 1996, I-4551 Rn 33 – Frankreich/Kommission; Slg 1997, I-4475 Rn 46 – SAM; Burgi in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 7 Rn 93. Näher dazu Adam, Die Kontrolldichte – Konzeption des EuGH und der deutschen Gerichte, 1993; Rubel, Die Gewährung von Entscheidungsfreiräumen in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs, 2005; F. Schmidt, Die Befugnis des Gemeinschaftsrichters zu unbestimmter Ermessensnachprüfung, 2004. Vgl Ehlers in: ders, EUGR, §§ 7 Rn 96, 14 Rn 50 f. Vgl dazu das Protokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit (Sart II Nr. 151); ferner das gleichlautende Protokoll auf der Grundlage des Art 5 IV 2 AEUV-E. Vgl Ehlers JURA 2000, 323 ff. Näher dazu Borchardt EU, Rn 424 ff. Vgl zB EuGH Slg 1991, I-1223 Rn 20 – Frankreich/Kommission; Slg 1994, I-3641 Rn 20 – Frankreich/Kommission.
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Nichtigkeitsklage
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Kompetenzgrenzen gelten für die verselbständigten Gemeinschaftsrechtssubjekte (die sich zB nicht die Kompetenzen der KOM oder anderer Gemeinschaftsrechtssubjekte anmaßen dürfen). Die räumlichen Zuständigkeitsgrenzen der Europäischen Gemeinschaft (Europäischen Union) sind in Art 299 EGV (52 AEUV-E; 355 AEUV-E) umschrieben worden. Die sachliche Zuständigkeit wird als nicht gewahrt angesehen, wenn sich das handelnde Organ unzulässiger Handlungsformen bedient.137 2. Verletzung wesentlicher Formvorschriften Unter Formvorschriften iSd Art 230 II EGV (263 II AEUV-E) werden nicht nur die Formvorschriften im engeren Sinne, sondern sämtliche an den Erlass eines Rechtsaktes zu stellende formelle Anforderungen verstanden.138 Dazu sind etwa die obligatorischen Beteiligungsrechte (zB des Europäischen Parlaments oder der KOM 139 oder auch der einzelnen betroffenen – anzuhörenden – Personen 140), die Anforderungen an das Beschlussverfahren des Rechtsaktes (zB Beachtung der vorgesehenen Quoren, Wahrung der Schriftform, Angabe der richtigen Rechtsgrundlage 141), die Begründung der Rechtsakte 142 (Art 253 EGV; 296 AEUV-E) sowie die ordnungsgemäße Veröffentlichung bzw Bekanntgabe 143 (Art 254 EGV; 297 AEUV-E) zu rechnen. Ob die Verletzung einer Formvorschrift „wesentlich“ ist, bestimmt sich nicht nach Art der Formvorschrift (je nach Umständen des Einzelfalls kann die Missachtung einer Formvorschrift wesentlich oder unwesentlich sein 144), sondern danach, ob sich die Verletzung möglicherweise auf den Inhalt des Rechtsaktes ausgewirkt hat.145
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3. Ermessensmissbrauch Anders als das deutsche Recht unterscheidet das Gemeinschaftsrecht nicht zwischen Beurteilungs- und Ermessensspielräumen. Vielmehr wird allgemein von Ermessen gesprochen, wenn dem handelnden Organ (Rechtssubjekt) ein Gestaltungsspielraum zusteht. In Anlehnung an das französische Recht 146 wird ein Ermessensmissbrauch nur angenommen,
137 138 139 140
141
142 143
144 145 146
Vgl EuGH Slg 1984, 1129 Rn 16 ff – Ford. Vgl statt vieler Schwarze, in: ders, EUV, Art 230 EGV Rn 60 ff. Vgl Art 250 ff EGV (293 ff AEUV-E). Die Beteiligungsrechte der Einzelnen sind vielfach sekundärrechtlich geregelt. Vgl zum Anhörungsrecht im Kartell- und Beihilferecht zB die Art 27 KartellVerfO (Sart II Nr 165), Art 12 VO (EG) Nr 773/2004 (Sart II Nr 166), 18 VO (EG) Nr 139/2004 (Sart II Nr 170). Die Wahl einer falschen Rechtsgrundlage führt nur dann zur Nichtigkeit, wenn bei der Anwendung der richtigen Rechtsgrundlage abweichende Verfahrensanforderungen gegolten hätten, vgl EuGH Slg 1991, I-2867 Rn 25 – Kommission/Rat. Die Rüge der Verletzung der Begründungsfrist stellt einen der häufigsten Eingriffe gegen Gemeinschaftsrechtsakte dar. Vgl Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 230 EGV Rn 77. Mängel bei der Veröffentlichung sollen nicht die Rechtmäßigkeit des Rechtsaktes berühren, sondern lediglich verhindern, dass die Klagefrist zu laufen beginnt (EuGH Slg 1972, 619 Rn 39, 43 – ICI). Das kann aber nur dann gelten, wenn eine amtliche Veröffentlichung/Bekanntgabe vorliegt. Vgl Cremer in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 230 EGV Rn 74. Vgl Schwarze in: ders, EUV, Art 230 EGV Rn 60; Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 180. Vgl Burgi in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 7 Rn 104.
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wenn der angefochtene Rechtsakt zu anderen als den angegebenen Zwecken erlassen wurde oder dazu diente, dass an sich vorgesehene Verfahren zu umgehen.147 4. Verletzung des Vertrages oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm 59
Der Nichtigkeitsgrund „Verletzung dieses Vertrages oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm“ hat Auffangtatbestandscharakter und umfasst alle Verstöße, die keinem der anderen drei spezielleren Aufhebungsgründe unterfallen. Da das ungeschriebene (Richter-) Recht aus Art 220 I EGV (19 I AEUV-E) hergeleitet wird, ist es ebenso wie der EG-Vertrag selbst Prüfungsmaßstab.148 Somit liegt stets ein Nichtigkeitsgrund vor, wenn der angefochtene Rechtsakt mit höherrangigem Recht unvereinbar ist. Dies ist auch dann der Fall, wenn die Anwendung der Rechtsnorm fehlerhaft ist, weil der angefochtene Rechtsakt auf eine unzutreffende Tatsachenfeststellung oder eine fehlerhafte Würdigung des Sachverhalts gestützt wurde.149
IV. Wirkungen des Urteils 60
Fall 10: Das EuG hat eine Entscheidung des Rates, Beamtinnen der EG (Kl) bei einer Beförderung nicht zu berücksichtigen, aufgehoben. Die Kl. wurden daraufhin drei Jahre später befördert. Gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Schadensersatz wegen der ihnen zugemuteten längeren Ungewissheit und wegen verspäteter Beförderung durch den Rat haben sie erneut Nichtigkeitsklage vor dem EuG erhoben.
61
Ist die Nichtigkeitsklage begründet, erklärt der Gerichtshof (→ Rn 1) die angefochtene Handlung gem Art 231 I EGV (264 I AEUV-E) für nichtig. Das Urteil hat rechtsgestaltende Wirkung (→ Rn 1). Es hebt die angefochtene Handlung auf. Für eine nichtkassatorische Urteilstenorierung ist grundsätzlich 150 kein Raum. Anderes gilt unter den Voraussetzungen des Art 229, 229a, 236 EGV (261, 262, 270 AEUV-E). Nach Art 229 EGV (261 AEUV-E) kann dem Gerichtshof durch Verordnung die Zuständigkeit übertragen werden, das einem Gemeinschaftsorgan in Bezug auf Zwangsmaßnahmen eingeräumte Ermessen „unbeschränkt“ nachzuprüfen, dh auch eigene Zweckmäßigkeitserwägungen anzustellen und eigene Maßnahmen (Änderungen) zu erlassen. Art 229 EGV (261 AEUV-E) begründet keine eigene Klageart, sondern modifiziert Art 230 EGV (263 AEUV-E).151 Unter Zwangsmaßnahmen sind Entscheidungen mit Zwangscharakter zu verstehen (insbesondere Geldbußen oder Zwangsgelder). Verordnungen iSd Art 229 EGV (261
147 Vgl EuGH Slg 1966, 153, 176 – Gutmann; Slg 1996, I-5755 Rn 69 – Vereinigtes Königreich/Rat; Slg 1998, I-2265 Rn 64 – Vereinigtes Königreich/Kommission. 148 Damit ist ein Gemeinschaftsrechtsakt auch dann als rechtswidrig anzusehen, wenn er gegen die allgemeinen Rechtsgrundsätze (vgl Streinz EuropaR, Rn 412 ff), etwa die Unionsgrundrechte (vgl Ehlers in: ders, EuGR, § 14), verstößt. 149 Vgl Pechstein EU/EG, Rn 555; Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 181. 150 Vgl aber auch → Rn 10. 151 Str. wie hier Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 229 EGV Rn 3 mwN.
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AEUV-E) wurden bisher im Bereich des Kartellrechts 152 und der Verkehrspolitik 153 erlassen. So kann der Gerichtshof nach Art 31 S 2 KartellVO 154 eine festgesetzte Geldbuße oder ein festgesetztes Zwangsgeld aufheben, herabsetzen (selbst wenn die Maßnahme nicht rechtswidrig ist) oder erhöhen (reformatio in peius). Wenn eine Verordnung dies vorsieht (was gegenwärtig nicht der Fall ist), dürfte der Gerichtshof nach Abweisung der Nichtigkeitsklage auch erstmalig eine Zwangsmaßnahme verhängen.155 Auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes ist dem Gerichtshof gestützt auf Art 229a EGV durch Verordnungen die Kompetenz zur Aufhebung oder „Abänderung“ angefochtener Entscheidungen der bei den Gemeinschaftseinrichtungen errichteten Beschwerdekammern übertragen worden.156 Zu Art 236 EGV (270 AEUV-E) vgl → § 10 Rn 3. Enthält eine Rechtshandlung voneinander abtrennbare Teile, kommt auch eine Teilaufhebung des für rechtswidrig erachteten Rechtsaktes in Betracht.157 Im Übrigen darf die Kassation nicht über den Antrag des Klägers hinausgehen (ne ultra petita).158 Wenn der Rechtsakt allgemeine Geltung hat (Verordnung) oder eine Richtlinie angegriffen worden ist, wirkt die Aufhebung erga omnes. Dagegen entfaltet die Nichtigerklärung einer (an einen Adressaten adressierten) Entscheidung nur inter-partes-Wirkungen. Dies gilt auch dann, wenn eine Sammelentscheidung, dh ein Bündel gleichlautender Entscheidungen, angegriffen worden ist Wird der Nichtigkeitsklage stattgegeben, wirkt das Urteil grundsätzlich ex tunc.159 Das bedeutet, dass die Parteien in den Zustand zurückversetzt werden, der vor Erlass der streitigen Maßnahme bestand. Nach Art 231 II EGV (264 II AEUV-E) ist der Gerichtshof aber ermächtigt, die Wirkung einer nichtigen Verordnung als fortgeltend zu betrachten, falls er dies für notwendig hält. Tatsächlich hat der EuGH die Nichtigerklärung einer EG-Verordnung aus Gründen des Vertrauensschutzes 160 und der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts 161 des Öfteren auf einen anderen Zeitpunkt als den der Kollisionsentstehung (ex tunc) bezogen. In der Regel wurde dann der Zeitpunkt der Verkündung der Gerichtsentscheidung gewählt (ex nunc). Vereinzelt hat der Gerichtshof nichtige Verordnungen wegen eines Zustands der Rechtsunsicherheit oder aufgrund schutzwürdigen Vertrauens aber auch für die Zeit nach Erlass des Urteils vorübergehend fortwirken lassen.162 Art 231 II EGV (264 II AEUV-E) ist zudem entsprechend auf die
152 153 154 155 156
157 158 159 160 161 162
Art 31 S. 2 KartellVerfO (Sart II Nr 165); Art 16 VO (EG) Nr 139/2004 (Sart II Nr 170). Vgl die Nachw bei Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 229 EGV Fn 6. Sart II Nr 165. Vgl auch Booß in: Grabitz/Hilf, EUV/EGV, Art 229 EGV Rn 7. Vgl Art. 63 III der VO (EG) Nr 40/94 über die Gemeinschaftsmarke (ABl 1994, L 11/1); Art 74 III der VO (EG) Nr 2100/94 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (ABl 1994, L 227/1); Art 61 III der VO (EG) Nr 6/2002 über Gemeinschaftsgeschmackmuster (ABl 2002, L 3/1). Von 397 erledigten Rechtssachen des (erstinstanzlich zuständigen) EuG im Jahre 2007 betrafen 128 das geistige Eigentum (EuGH Jahresbericht 2007, S 185). EuGH Slg 1974, 1063 Rn 21 – Transozean; Slg 1996, I-4733 Rn 143 – Deutschland/Kommission; Slg 1998, I-1375 Rn 256 – Frankreich/Kommission. EuGH Slg 2006, I-731 Rn 43 – Comunitá montana della on Valneria. Vgl etwa EuGH Slg 1988, 2181 Rn 30 – Asteris; EuG Slg 1995, II-2941 Rn 46 – Levende Varkens. EuGH Slg 1988, 5459 Rn 22 – Kommission/Rat. EuGH Slg 1985, 719 Rn 17 – Société des produites de mais. EuGH Slg 1985, 849 Rn 42 – Timex Corportation.
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Ungültigerklärung von Richtlinien 163, Entscheidungen 164 sowie Haushaltsplänen 165 angewandt worden. Ebenso hat der EuGH in Ausnahmefällen die zeitlichen Wirkungen seiner Vorabentscheidungen nach Art 234 EGV beschränkt, wenn es zwingende Gründe der Rechtssicherheit ausschließen, Rechtsverhältnisse, die ihre Wirkungen in der Vergangenheit erschöpft haben, in Frage zu stellen.166 Ferner begründet Art 233 EGV (266 AEUV-E) eine Handlungspflicht der Gemeinschaftsorgane(-rechtssubjekte), wenn eine Handlung für nichtig erklärt worden ist. Die Beklagten haben die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs (→ Rn 61 ff) ergebenden Maßnahmen zu ergreifen. Die fortdauernden Nachteile der für nichtig erklärten Handlungen sind zu beseitigen bzw auszugleichen.167 ZB müssen die auf einen für nichtig erklärten Rechtsakt zurückzuführenden Durchführungsmaßnahmen aufgehoben und die zu Unrecht erhobenen Geldbußen oder Zahlungen erstattet werden.168 Beruht die Nichtigkeit auf einem materiellen Fehler, dürfen keine identischen oder inhaltsgleichen Maßnahmen erlassen werden. Abzustellen ist auf den Urteilstenor und die Entscheidungsgründe. Unberührt bleibt gem Art 233 II EGV (266 II AEUV-E) die Verpflichtung, Schadensersatz zu leisten, wenn die Voraussetzungen des Art 288 II EGV (340 II AEUV-E) vorliegen.
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Lösung Fall 10: Die Nichtigkeitsklage ist begründet, wenn der Rat aus dem ersten Nichtigkeitsurteil nicht die nach Art 233 EGV (266 AEUV-E) gebotenen Konsequenzen gezogen hat. Nach Art 233 II EGV (266 II AEUV-E) ist das verurteile Gemeinschaftsorgan verpflichtet, den durch die für nichtig erklärte rechtswidrige Handlung verursachten Schaden zu ersetzen, sofern die Voraussetzungen des Art 288 II EGV (340 II AEUV-E) erfüllt sind. Hier hat der EuGH (als Rechtsmittelinstanz) zwar einen immateriellen Schadensersatz wegen zugemuteter längerer Ungewissheit abgelehnt, einen Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens wegen verspäteter Beförderung dem Grunde nach aber bejaht.169
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Wird die Nichtigkeitsklage durch Sachurteil abgewiesen, bindet dieses die Gemeinschaftsgerichte nicht. Sie sind somit nicht gehindert, den fraglichen Rechtsakt in anderen Verfahren für nichtig zu erklären.170
163 164 165 166 167 168 169 170
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EuGH Slg 1992, I-4193 Rn 26 f – EP/Rat. EuGH Slg 1998, I-2729 Rn 41 – Vereinigtes Königreich/Kommission. EuGH Slg 1986, 2155 Rn 48 – Rat/EP. Vgl Ehlers/Eggert JZ 2008, 585, 587 f. EuGH Slg 1998, I-2915 Rn 16 – DeNil und Impens. Vgl EuG Slg 1997, II-1185 Rn 42 – AssiDomän Kraft Products. EuGH Slg 1998, I-2915 – De Nil und Impens. Vgl Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 201.
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§9 Untätigkeitsklage Dirk Ehlers I. Funktion und Bedeutung der Untätigkeitsklage Die in Art 232 EGV 1 (265 AEUV-E) geregelte Untätigkeitsklage des Europäischen Gemeinschaftsrechts ergänzt die Nichtigkeitsklage (→ § 8). Wie bereits ihr Name zum Ausdruck bringt, richtet sie sich gegen ein rechtswidriges Unterlassen der Gemeinschaftsorgane oder -rechtssubjekte (→ Rn 5). Ebenso wie die Nichtigkeits- dient auch die Untätigkeitsklage sowohl der objektiven Rechtskontrolle als auch dem subjektiven Rechtsschutz (→ § 8 Rn 1). Letzteres ist der Fall, wenn die Klage von natürlichen oder juristischen Personen erhoben wird – da Art 232 III EGV (265 III AEUV-E) eine Adressatenstellung oder jedenfalls eine unmittelbare und individuelle Betroffenheit (→ Rn 16) verlangt. Anders als die Nichtigkeits- ist die Untätigkeitsklage keine Gestaltungsklage. Vielmehr richtet sie sich gem Art 232 I EGV (265 I AEUV-E) lediglich „auf Feststellung“ des Unterlassens als gemeinschaftsrechtswidrig. Somit handelt es sich auch nicht um eine Verpflichtungs- oder Leistungs-, sondern um eine Feststellungsklage.2 Der Gerichtshof (→ Rn 3) darf den Beklagten nicht dazu verurteilen, den vom Kläger begehrten Akt zu erlassen. Klagen, die auf ein Tun, Dulden oder Unterlassen oder auch nur auf eine Bescheidung nach Art des § 113 V 2 VwGO gerichtet sind, werden vom Gerichtshof regelmäßig als unzulässig abgewiesen.3 Eine festgestellte „Vertragswidrigkeit“ verpflichtet das beteiligte Gemeinschaftsorgan oder -rechtssubjekt nur dazu, „von sich aus“ die nach Maßgabe des Art 233 EGV (266 AEUV-E) gebotenen Maßnahmen zu ergreifen (→ Rn 25). Bleibt die Gemeinschaft weiter untätig oder entspricht das Resultat des Handelns nicht dem Klagebegehren, kann der Kläger zwar erneut den Gerichtshof anrufen, aber nicht (oder ggf nur nach mehreren Anläufen) sicher sein, sein Ziel zu erreichen.4 De lege ferenda empfiehlt es sich, eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtungsklage in den Vertragstext aufzunehmen (→ § 6 Rn 26). Im Verhältnis zur Nichtigkeitsklage ist die Untätigkeitsklage subsidiär.5 Sie darf nur im Falle des Vorliegens „völliger Untätigkeit“ 6 des gemeinschaftsrechtlich zum Handeln verpflichteten Organs oder Rechtssubjekts erhoben werden. Wird das beantragte Handeln ganz oder teilweise abgelehnt, ist die Ablehnungsentscheidung gem Art 230 EGV (263 AEUV-E) mit der Nichtigkeitsklage anzufechten (→ § 8 Rn 9). Wie bei der Nichtigkeits(→ § 8 Rn 3) lassen sich auch bei der Untätigkeitsklage nach Klagegegenstand und Klage-
1 Eine gleichlautende Bestimmung enthält Art 148 EAGV (Klage auf Feststellung einer Vertragsverletzung), der jedoch im Unterschied zu Art 232 IV EGV (265 IV AEUV-E) keine Klage der EZB oder gegen die EZB vorsieht. 2 Vgl statt vieler Pechstein EU/EG, Rn 573. 3 Vgl EuGH Slg 1993, I-1093 Rn 13 – Weber; Slg 1993, I-2667 Rn 17 – Sart-Tilman. 4 Vgl zu einem (allerdings die Nichtigkeitsklage betreffenden) Beispielsfall Wegener EuGRZ 2008, 354, 356 f. 5 Allg Auffassung. Vgl Ehricke in: Streinz EUV/EGV, Art 232 EGV Rn 1. 6 Pechstein EU/EG, Rn 574.
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berechtigung unterschiedliche Formen der Klage unterscheiden. So sind die in Art 232 I EGV (265 I AEUV-E) genannten Personen privilegiert, weil sie stets klagebefugt sind (Rn 16), während für die Europäische Zentralbank (Art 232 IV EGV; 265 I 1 AEUV-E) und erst Recht für die natürlichen oder juristischen Personen (Art 232 III EGV, 265 III AEUV-E) Einschränkungen gelten (→ Rn 10, 16). Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Art 265 AEUV-E) weicht inhaltlich nicht von Art 232 EGV ab, enthält aber die Klarstellung, dass die Vorschrift entsprechend für die Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union gilt (Art 265 I 2 AEUV-E). Die praktische Bedeutung der Untätigkeitsklage ist eher gering. Insbesondere werden von natürlichen oder juristischen Personen selten Untätigkeitsklagen erhoben.7 Auch werden nicht wenige Klagen bereits als unzulässig abgewiesen.8
II. Zulässigkeit der Untätigkeitsklage 1. Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit, des Europäischen Gerichtshofs und des Gerichts erster Instanz 3
Die Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit für Untätigkeitsklagen und die Kompetenzverteilung zwischen dem EuGH und dem EuG bestimmen sich nach denselben Regeln wie im Falle der Erhebung einer Nichtigkeitsklage (→ § 8 Rn 4). Danach ist nur die Gemeinschaftsgerichtsbarkeit dazu berufen, rechtsverbindliche Feststellungen über Unterlassungen der Gemeinschaftsorgane und -rechtssubjekte zu treffen. Für organschaftliche und mitgliedstaatliche Klagen ist gem Art 225 I 1 EGV (256 I 1 AEUV-E) iVm Art 51 EuGH-Satzung der EuGH, für Klagen von natürlichen oder juristischen Personen das EuG zuständig. 2. Parteifähigkeit
a) Aktive Parteifähigkeit 4
Aktiv parteifähig sind nach Art 232 I EGV (265 I 1 AEUV-E) die Mitgliedstaaten und „die anderen Organe der Gemeinschaft“, dh die in Art 7 I EGV (13 AEUV-E) genannten Organe (Europäisches Parlament, Rat, Kommission, Rechnungshof), mit Ausnahme des Gerichtshofs (EuGH, EuG, Gerichtliche Kammern), der nicht gegen sich selbst klagen kann. Zum Kreis der aktiv Parteifähigen rechnet Art 232 EGV ferner die Europäische Zentralbank (IV) sowie die natürlichen und juristischen Personen (III). Der Begriff der juristischen Person ist ebenso weit auszulegen wie im Rahmen des Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E; → § 8 Rn 6).
b) Passive Parteifähigkeit 5
Die Untätigkeitsklage kann nach Art 232 I, IV EGV (265 I AEUV-E) gegen das Europäische Parlament, den Rat, die Kommission und die Europäische Zentralbank gerichtet werden. Unter dem Rat ist der Ministerrat (Art 203 EGV), nicht der Europäische Rat (Art 4
7 Burgi in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 8 Rn 5. 8 Vgl Burgi in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 8 Rn 5.
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EUV) zu verstehen. Das Europäische Gemeinschaftsrecht kann seinen Anspruch, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten (→ § 6 Rn 1), aber nur gerecht werden, wenn auch die sonstigen Einrichtungen und Stellen der Gemeinschaft, die es unterlassen haben, tätig zu werden, Gegner einer Untätigkeitklage sein können. Deshalb müssen auch sie als passiv parteifähig angesehen werden.9 Eine dementsprechende Klarstellung enthält ausdrücklich Art 265 I 2 AEUV-E. Ferner nennt die Vorschrift als möglichen Beklagten auch den Europäischen Rat (Art 15 AEUV-E). 3. Klagegegenstand Fall 1: Das Europäische Parlament hat den Rat aufgefordert, gem Art 74, 75 EWGV (heute Art 70, 71 EGV; 90, 91 AEUV-E) eine gemeinsame Politik auf dem Gebiet des Verkehrs einzuführen und den Rahmen für die Politik verbindlich festzulegen sowie gem Art 75 lit a, b EWGV (heute Art 71 I lit a, b EGV; 91 I lit a, b AEUV-E) den freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs herzustellen. Der Rat hat in seiner Antwort die Maßnahmen aufgeführt, die er bereits getroffen hat. Daraufhin hat das Europäische Parlament Untätigkeitsklage beim EuGH erhoben.
6
Wie bereits ausgeführt wurde (→ Rn 2), kann mit der Untätigkeitsklage nur ein vollständiges Unterlassen angegriffen werden. Das Unterlassen kann in expliziter oder impliziter Form erfolgen.10 Die Klage muss auf die Feststellung gerichtet sein, dass das Unterlassen eine Vertragsverletzung darstellt (→ Rn 1). Im Übrigen werden je nach Klagegegenstand unterschiedliche Anforderungen an den Klagegegenstand gestellt. Die Staaten- oder Organklage ist nach Art 232 I EGV (265 I 1 AEUV-E) statthaft, wenn sie sich gegen das Unterlassen der Gemeinschaftsorgane wendet, „einen Beschluss zu fassen“. Aus der von der Beschreibung der Klagegegenstände in Art 230 I, 232 III, 234 EGV (263 I, 265 III, 267 AEUV-E) abweichenden Formulierung – insb der Nichtausklammerung von Empfehlungen und Stellungnahmen – folgert die hM, dass es sich nicht um rechtsverbindliche Rechtsakte oder Rechtsakte iSd Art 249 EGV (288 AEUV-E) handeln muss.11 Die Untätigkeitsklage kann somit auch (unterlassene) Handlungen zum Gegenstand haben, die im Falle der Vornahme nicht mit einer Nichtigkeitsklage angefochten werden könnten.12 So kann der unterlassene Rechtsakt auch vorbereitender Art sein (zB Nichtvorlage eines Rechtsetzungsvorschlags der Kommission 13). Der Klagegegenstand – dh die Maßnahme, deren Unterlassen gerügt wird – muss (in der Aufforderung – Rn 12 – und im Klageantrag) sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht so genau bezeichnet werden, dass ein stattgebendes Urteil nach Art 233 I EGV (266 I AEUV-E) vollziehbar ist.
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9 Dementsprechend kann zB auch die Untätigkeit des Rechnungshofes mit einer Klage nach Art 232 EGV (265 AEUV-E) geltend gemacht werden. Vgl Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 204. 10 Borchardt in: Lenz/ders, EUV/EGV, Art 232 EGV Rn 8. 11 Vgl Borchardt in: Lenz/ders, EUV/EGV, Art 232 EGV Rn 8; Schwarz in: ders, EUV, Art 232 EGV Rn 10; Cremer in: Calliess/Ruffert EUV/EGV, Art 232 Rn 5. AA zB Nicolaysen Europarecht I, 2. Aufl 2002, S 384. 12 Ebenso Burgi in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 8 Rn 21. 13 Vgl Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 205.
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Lösung Fall 1: Da das Europäische Parlament die Stellung eines Organs der Gemeinschaft hat, ist es aktiv parteifähig. Die passive Parteifähigkeit des Rats ergibt sich unmittelbar aus Art 232 I EGV (265 I 1 AEUV-E). Die Untätigkeitsklage ist nur statthaft, wenn gerügt wird, dass es der Beklagte unter Verletzung des Vertrags unterlassen hat, „einen Beschluss zu fassen“. Soweit sich das Europäische Parlament auf das Fehlen einer gemeinsamen Verkehrspolitik beruft, ist die Klage unzulässig, weil nicht das Fehlen eines bestimmten Rechtsaktes gerügt wurde, vielmehr unklar bleibt, welche Maßnahmen der Rat treffen und in welcher Reihenfolge dies geschehen soll. Hinsichtlich des Antrags, einen freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs herzustellen, hat der EuGH14 dagegen hinreichende Bestimmtheit angenommen, da das Gebot der Beseitigung sämtlicher Diskriminierungen zwecks Gewährleistung der Dienstleistungsfreiheit dem Rat nur noch in Bezug auf die näheren Einzelheiten „ein gewisses Ermessen“ lässt. Sonstige Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen nicht. Insbesondere stellt die Antwort des Rats keine Stellungnahme iSd Art 232 II EGV (265 II AEUV-E) dar, weil sie in keiner Weise erkennen lässt, welche Haltung der Rat zu den Maßnahmen einnimmt, die dem Parlament zufolge noch getroffen werden sollen.15
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Obwohl die Bezugnahme des Art 232 IV EGV auf die vorstehenden Absätze der Vorschrift nicht eindeutig ist („unter den gleichen Voraussetzungen“), ergibt sich aus Sinn und Zweck der Normierung, dass sich die Untätigkeitsklage der Europäischen Zentralbank ebenfalls gegen jede unterlassene Beschlussfassung richten kann. Das weitere Erfordernis einer Betroffenheit der Europäischen Zentralbank „in ihren Zuständigkeitsbereich“ soll sich nach herrschender (wenn nicht sogar allgemeiner) Meinung 16 ebenfalls auf den Kreis der Klagegegenstände und nicht die Klagebefugnis beziehen. Dieser Ansicht ist nicht zu folgen, da es sich um eine Regelung der aktiven Prozessführungsbefugnis handelt (→ Rn 16). Gegenstand einer von einer natürlichen oder juristischen Person erhobenen Untätigkeitsklage kann nach Art 232 III EGV (265 III AEUV-E) nur die Beschwerde sein, dass ein Gemeinschaftsorgan (oder Gemeinschaftsrechtssubjekt) es unterlassen hat, „einen anderen Akt als eine Empfehlung oder Stellungnahme an sie zu richten“. Hieraus ergibt sich zunächst, dass es ebenso wie im Falle der Erhebung einer Nichtigkeitsklage (→ § 8 Rn 13 ff), aber anders als nach Art 232 I, IV EGV (265 I AEUV-E), um rechtsverbindliche Außenrechtsakte gehen muss. Die Anforderungen des Art 232 III EGV (265 III AEUV-E) gehen bei Zugrundelegung des Wortlauts aber über Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E) hinaus, weil der Kläger nicht (alleiniger) Adressat einer Verordnung, Richtlinie oder drittgerichteten Entscheidung ist und daher diese (unterlassenen) Rechtsakte als Angriffsobjekte der Klage ausscheiden müssten. Doch lässt die Rspr mittlerweile spiegelbildlich zu Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E) auch Untätigkeitsklagen gegen die Versäumnis zu, eine Entscheidung gegen einen Dritten zu richten, wenn der Kläger eine unmittelbare und individuelle Betroffenheit geltend machen kann (→ Rn 16).17 Die vor allem auf Einbezie-
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14 EuGH Slg 1985, 1513 Rn 54 ff – Parlament/Rat. 15 EuGH Slg 1985, 1513 Rn 25 – Parlament/Rat. 16 Vgl zB Pechstein EU/EG, Rn 630; Ehricke in: Streinz EUV/EGV, Art 232 EGV Rn 21; Cremer in: Calliess/Ruffert EUV/EGV, Art 232 EGV Rn 12. 17 Vgl EuGH Slg 1996, I-6065 Rn 59 – T. Port; EuG Slg 1998, II-3407 Rn 58 – Gestevisión Telecinco; Slg 2003, II-2157 Rn 29 – Pérez Escolar. Vgl auch zu Art 148 III EAGV bereits EuGH Slg 1993, I-599 Rn 17 f – Empresa Nacional de Urânio. Anders noch EuG Slg 1996, II-1559 – SDDDA; wohl auch EuGH Slg 1982, 2277 Rn 16 – Bethell.
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hung eines positiven Konkurrentenschutzes 18 hinauslaufende Angleichung an die Erfordernisse des Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E) ist rechtspolitisch zu begrüßen, aber nur schwer mit dem Wortlaut des Art 232 III EGV (265 III AEUV-E) in Einklang zu bringen.19 Grundsätzlich unstatthaft ist die Untätigkeitsklage natürlicher oder juristischer Personen, wenn sie sich gegen die unterlassene Entscheidung der Kommission gegen einen Mitgliedstaat richtet20 (zB Nichteinleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens) respektive wenn der Nichterlass einer Verordnung oder Richtlinie gerügt wird. 4. Ordnungsgemäße Durchführung des Vorverfahrens Gem Art 232 II EGV (265 II AEUV-E) ist die Untätigkeitsklage nur zulässig, wenn das in Frage stehende Gemeinschaftsorgan (oder Gemeinschaftsrechtssubjekt) zuvor aufgefordert worden ist, tätig zu werden. Das durch die Aufforderung eingeleitete Vorverfahren soll der Bewusstwerdung, der Selbstkontrolle, der Entlastung der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit und dem Rechtsschutzinteresse des potentiellen Klägers dienen sowie – ebenso wie bei der Vertragsverletzungsklage (→ § 7 Rn 11, 15) – den späteren gerichtlichen Streitgegenstand bestimmen. Dieser darf zwar eingeschränkt, nicht aber erweitert werden.21 Die Aufforderung muss der Klageschrift vorausgehen 22, schriftlich erfolgen 23 und hinreichend präzise zum Ausdruck bringen, welche Maßnahme das betreffende Organ (Gemeinschaftsrechtssubjekt) ergreifen soll 24. Zugleich muss deutlich werden, dass der Kläger ggf gerichtliche Schritte ergreifen will.25 Erfolgt die Aufforderung unangemessen spät, führt dies zur Verwirkung des Klagerechts.26 Die Untätigkeitsklage ist nur zulässig, wenn das in Frage stehende Organ (Gemeinschaftsrechtssubjekt) binnen zwei Monaten nicht Stellung nimmt. Entspricht die Stellungnahme dem klägerischen Begehren, erledigt sich ein Rechtsstreit. Bleibt sie hinter dem Begehren zurück, muss Nichtigkeitsklage (→ § 8) erhoben werden. Eine Stellungnahme iSd Vorschrift setzt voraus, dass eine positive oder negative (ablehnende oder abweichende) Entscheidung in der Sache getroffen wird.27 Keine Stellungnahme liegt vor, wenn das Organ (Gemeinschaftsrechtssubjekt) untätig geblieben ist oder sich weigert, die Aufforderung inhaltlich zu prüfen oder von der beantragten Maßnahme in der Sache Kenntnis zu
18 Näher dazu Pechstein Eu/EG, Rn 645 ff. 19 Vgl demgegenüber Pechstein EU/EG, Rn 622, wonach die Tatbestandsmerkmale „an sie zu richten“ nicht iSv „an sie selbst zu richten“ verstanden werden muss. 20 Vgl EuGH Slg 1989, 291 Rn 13 – Star Fruit; Slg 1990, I-2181 Rn 11 – Asia Motor France; EuG Slg 1994, II-1115 Rn 31 – Bernardi; Slg 1996, II-351 Rn 59 – AITEC. 21 EuGH Slg 1960, 1027, 1052 – Hamborner Bergbau; Slg 1970, 535 Rn 4 ff – Hake; Schwarze in: ders, EUV, Art 232 Rn 19. 22 Vgl EuGH Slg 2005, I-4967 Rn 16 – Killinger. 23 Vgl Art 21 II EuGH-Satzung („Unterlage, aus der sich der Zeitpunkt der … vorgesehenen Aufforderung ergibt“). 24 EuG Slg 2005, II-1465, Rn 57 – Makhteshim-Agan Holding. 25 EuGH Slg 1986, 1777 Rn 15 – Usinor. 26 EuGH Slg 2003, I-9889 Rn 31 ff – Schlüsselverlag Moser; Cremer in: Calliess/Ruffert EUV/EGV, Art 232 EGV Rn 10. Ist die Aufforderung verfrüht (weil die Gemeinschaft ungeachtet der in Art 232 II EGV, 265 AEUV-E, mehr Zeit benötigt) kann dies dazu führen, dass die Klage unbegründet ist. 27 Näher dazu Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 211 ff; Pechstein EU/EG Rn 598 ff.
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nehmen.28 Nicht als Stellungnahme anzusehen ist auch eine hinhaltende Antwort 29 oder eine bloße Zwischenbenachrichtigung30. Grundsätzlich setzt eine Stellungnahme einen Rechtsakt voraus, der tauglicher Gegenstand einer Nichtigkeitsklage (→ § 8) sein kann. Doch gilt dies nicht ausnahmslos. So ist eine Stellungnahme trotz fehlender Statthaftigkeit der Nichtigkeitsklage auch gegeben, wenn die Äußerung Teil eines Verfahrens ist, das zu einer mit der Nichtigkeitsklage anfechtbaren Rechtshandlung führen soll.31 Nach Art 232 II EGV (265 II AEUV-E) hat das in Frage stehende Organ (Gemeinschaftsrechtssubjekt) zwei Monate Zeit, eine Stellungnahme abzugeben. Erfolgt die Stellungnahme nach Ablauf der Frist, aber vor Klageerhebung, fehlt einer dennoch erhobenen Untätigkeitsklage das Rechtsschutzinteresse.32 Wird die Stellungnahme nach Klageerhebung, aber vor Verkündung des Urteils abgegeben, erledigt sich die Hauptsache, so dass nur noch über die Kosten nach freiem Ermessen zu entscheiden ist (Art 69 § 6 EuGH-VerfO; Art 87 § 6 EuG-VerfO).33 Eine Umstellung des Klageantrags auf die Nichtigkeitsklage ist unzulässig. Vielmehr muss die Nichtigkeitsklage selbständig erhoben werden.34 5. Klagebefugnis
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Fall 1: Nach einer EG-VO kann die Kommission in Härtefällen andere Zollkontingente festsetzen. Ein deutsches Verwaltungsgericht hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gem Art 234 EGV (267 AEUV-E) gerichtet und angefragt, ob die nationalen Gerichte im Rahmen eines Verfahrens zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorläufige Maßnahmen erlassen dürfen, bis die Kommission einen Rechtsakt zur Regelung der bei dem Marktbeteiligten vorliegenden Härtefälle erlassen hat, oder ob der Marktbeteiligte Untätigkeitsklage erheben kann.
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Die von Art 232 I EGV (265 I 1 AEUV-E) erfassten „privilegierten“ Kläger (→ Rn 2) können Untätigkeitsklage erheben, ohne eine zusätzliche Klagebefugnis zu benötigen. Das gerichtliche Verfahren dient insoweit allein der objektiven Rechtmäßigkeitskontrolle (→ Rn 1). Klagen der Europäischen Zentralbank sind nur zulässig, wenn diese „in ihrem Zuständigkeitsbereich“ betroffen ist (→ Rn 10). Wendet sich eine natürliche oder juristische Person gegen das Unterlassen, einen Rechtsakt an sie zu richten, bedarf es nicht der Darlegung einer weiteren Subjektivierungslast. Anderes gilt aber, wenn die Untätigkeit gerügt wird, eine Entscheidung an einen Dritten zu richten. Insoweit muss die natürliche oder juristische Person unmittelbar und individuell betroffen sein (→ Rn 11). Es gelten dann die gleichen Grundsätze wie für die Nichtigkeitsklage (→ § 8 Rn 29).
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Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 212 mwN. EuGH Slg 1985, 1513 Rn 25 – Europäisches Parlament/Rat. EuGH Slg 1959, 401, 419 – SAFE; EuG Slg 2003, II-229 Rn 80 – CEVA. Vgl EuGH Slg 1988, 5615 Rn 16 – Europäisches Parlament/Rat; EuG Slg 1995, II-1753 Rn 25 – Guérin Automobiles; bestätigt durch EuGH Slg 1997, I-1503 Rn 31– Guérin Automobiles. 32 EuGH Slg 1972, 105 Rn 4 – Nordgetreide; EuG Slg 2003, II-3951 Rn 92 – Fiocchi Munizioni; Burgi in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 8 Rn 43. 33 Vgl EuG Slg 1997, II-1161 Rn 72 – Oficemen. 34 EuG Slg 1992, II-2285 Rn 43 – ASIA Motor France.
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Lösung Fall 2: Da der EG-Vertrag (AEUV-E) keine Möglichkeit für ein nationales Gericht vorsieht, den EuGH im Wege der Vorlage zu ersuchen, durch Vorabentscheidung die Untätigkeit eines Organs festzustellen, und die Kontrolle der Untätigkeit in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit fällt, sind die nationalen Gerichte nicht befugt, vorläufige Maßnahme zu erlassen, bis das Organ tätig geworden ist. Sollte die Kommission untätig bleiben, kommt aber eine Untätigkeitsklage nach Art 232 EGV (265 AEUV-E) in Betracht. Die Festsetzung eines anderen Zollkontingents ist zwar kein Rechtsakt, der an den betroffenen Marktbeteiligten gerichtet ist. Doch hat der EuGH entschieden, dass die Art 230, 232 EGV (263, 265 AEUV-E) „ein und denselben Rechtsbehelf regeln“. Daraus folge, dass – ebenso wie Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E) es dem Einzelnen erlaubt, Nichtigkeitsklage gegen einen Rechtsakt zu erheben, der zwar nicht an ihn gerichtet ist, ihn aber unmittelbar und individuell betrifft – auch Art 232 III EGV (265 III AEUV-E) dahin auszulegen ist, dass der Einzelne Untätigkeitsklage gegen ein Organ erheben kann, das es unterlassen hat, einen Rechtsakt zu erlassen, der ihn in gleicher Weise (dh unmittelbar und individuell) betroffen hätte. „Denn die Möglichkeit für den Einzelnen, seine Rechte geltend zu machen, darf nicht davon abhängen, ob das betreffende Gemeinschaftsorgan tätig geworden oder untätig geblieben ist.“ 35
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6. Klagegegner Die Untätigkeitsklage ist gegen das Gemeinschaftsorgan (Gemeinschaftsrechtssubjekt) zu richten, welches den Beschluss oder die Handlung hätte erlassen respektive vornehmen müssen. Bei einem gemeinsamen Zusammenwirken mehrerer Organe (Rechtssubjekte) sind diese gemeinsam zu verklagen.36 Begehrt der Kläger einen in einem mehrstufigen Verfahren unter Beteiligung mehrerer Organe (Rechtssubjekte) zu erlassene Maßnahme, ist die Klage gegen das Organ (Rechtssubjekt) zu richten, welches untätig geblieben ist.37
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7. Klagefrist Die Klagefrist beträgt zwei Monate (Art 232 II 2 EGV; 265 II 2 AEUV-E). Sie beginnt mit Ablauf der für die Abgabe einer Stellungnahme eingeräumten Zweimonatsfrist (→ Rn 14). Abzustellen ist auf den Zeitpunkt, an dem die Stellungnahme des Organs (Rechtssubjekts) dem Kläger spätestens hätte zugehen müssen.38 Für die Berechnung der Frist gelten dieselben Regeln wie für die Nichtigkeitsklage (→ § 8 Rn 45 ff). Insbesondere wird auch dem Untätigkeitskläger eine zusätzliche Entfernungsfrist von 10 Tagen zugebilligt.39
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8. Ordnungsgemäße Klageerhebung Die Klageerhebung richtet sich nach Art 21 EuGH-Satzung, 38 EuGH-VerfO, 44 EuGVerfO. Der Klageschrift ist insbesondere eine Unterlage beizulegen, aus der sich der Zeitpunkt der Aufforderung gem Art 232 II EGV (265 II AEUV-E) ergibt. 35 36 37 38 39
EuGH Slg 1996, I-6065 Rn 59 – T. Port. So im Falle des Art 251 EGV (294 AEUV-E). Vgl Burgi in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 8 Rn 15. Cremer in: Calliess/Ruffert EUV/EGV, Art 232 Rn 14. Art 81 § 2 EuGH-VerfO; Art 102 § 2 EuG-VerfO.
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9. Rechtsschutzinteresse 21
Eines besonderen Rechtsschutzinteresses für die Erhebung der Untätigkeitsklage bedarf es nicht. Das Rechtsschutzinteresse fehlt aber, wenn die Untätigkeit bei Klageerhebung bereits beseitigt war (→ Rn 14).
III. Begründetheit der Untätigkeitsklage 22
Fall 3: A, eine Gesellschaft englischen Rechts, hat vor dem EuG Untätigkeitsklage gegen die Kommission erhoben, weil diese es trotz Aufforderung unterlassen habe, Entscheidungen gem Art 81, 82 EGV (101, 102 AEUV-E) gegen konkurrierende Wettbewerber und gem Art 86 Abs 3 EGV (106 III AEUV-E) gegen die Französische Republik zu erlassen. Nach Klageerhebung hat die ansonsten untätig gebliebene Kommission ein Einschreiten auf der Grundlage der Art 81, 82 EGV abgelehnt.
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Die Untätigkeitsklage ist begründet, wenn das beklagte Gemeinschaftsorgan (Rechtssubjekt) verpflichtet war, einen Beschluss iSd Art 232 I EGV (265 I AEUV-E) zu fassen oder einen Rechtsakt iSd Art 232 III EGV (265 III AEUV-E) zu erlassen. Dies ist nur der Fall, wenn eine gemeinschaftsrechtliche Handlungspflicht bestand. Eine solche kann sich aus dem gesamten Gemeinschaftsrecht, dh sowohl dem Primärrecht einschließlich der allgemeinen Rechtsgrundsätze als auch dem Sekundärrecht, ergeben.40 Andere Klagegründe können (und brauchen) im Unterschied zu Art 230 II EGV (263 II AEUV-E) nicht geltend gemacht werden.41 Steht das Ob und/oder das Wie eines Tätigwerdens im Ermessen des verklagten Gemeinschaftsorgans (Rechtssubjekt), kommt es darauf an, ob dieses bei ordnungsgemäßer Ermessensbetätigung tätig werden und die begehrte Maßnahme treffen musste. Teilweise begründet ist die Klage, wenn das Organ (Rechtssubjekt) zwar nicht die begehrte, wohl aber einen anderen, weniger weitgehenden Akt hätte erlassen müssen. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt der Aufforderung zum Tätigwerden (Art 232 II EGV; 265 II AEUV-E).42 Enthält das Gemeinschaftsrecht keine zeitlichen Vorgaben für das Tätigwerden (wie dies häufig, wenn nicht idR der Fall ist), billigt die Rspr den Gemeinschaftsorganen (Rechtssubjekten) regelmäßig eine „angemessene“ Frist zu.43 Dies entspricht der Regelung des Art 41 GRCh, wonach jede Person ein Recht darauf hat, dass ihre Angelegenheiten von den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union „innerhalb einer angemessenen Frist“ behandelt werden. Die Angemessenheit beurteilt sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls, insbesondere nach dem Kontext des Verwaltungsverfahrens, den verschiedenen Verfahrensabschnitten die zu durchlaufen sind, dem Verhalten der Beteiligten im Laufe des Verfahrens, der Komplexität der Angelegenheit sowie ihrer Bedeutung für die verschiedenen Beteiligten.44 Auch objektive Schwierig40 Bestand eine Handlungspflicht, stellt das Unterlassen zugleich eine Vertragsverletzung iSd Art 230 II EGV (263 II AEUV-E) dar. 41 Vgl Borchardt in: Lenz/ders, EUV/EGV, Art 232 EGV Rn 20. 42 EuG Slg 1998, II-3407 Rn 71 – Gestevisiòn Telecinco; Slg 1999, II-2633 Rn 34 – UPS Europe. 43 Vgl EuGH Slg 1997, I-1503 Rn 37 – Guérin Automobiles; EuG Slg 1999, II-2633 Rn 37 UPS Europe; Pechstein EU/EG Rn 696. 44 EuG Slg 1999, II-2633 Rn 38 – UPS Europe.
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keiten, die mit der Verwirklichung der Rechtspflichten zum Handeln verbunden sind, kann sich das beklagte Gemeinschaftsorgan (Rechtssubjekt) nicht berufen, wohl aber auf Ermessensspielräume bei der Festlegung des Inhalts von zu ergreifenden Maßnahmen und der Festlegung von Prioritäten bei der Verwirklichung einer gemeinsamen Politik.45 Lösung Fall 3: Soweit die Klage auf Feststellung einer Untätigkeit nach den Art 81, 82 EGV (101, 102 AEUV-E) gerichtet ist, hat sie sich erledigt, weil die Kommission nach Klageerhebung, aber vor Verkündung des Urteils, Stellung genommen hat und damit der Streitgegenstand weggefallen ist. Das Unterlassen der Kommission, eine Entscheidung gem Art 86 III (106 III AEUV-E) an die Französische Republik zu richten, unterfällt Art 232 III EGV (265 III AEUV-E) nur dann, wenn A durch den Rechtsakt unmittelbar individuell betroffen wäre. Eine individuelle Betroffenheit lehnt das EuG im vorliegenden Fall ab.46 Die notwendige Individualisierung ergebe sich nicht schon daraus, dass A auf dem Markt tätig ist, auf dem ein Rechtsakt die Wettbewerbsverhältnisse beeinflussen kann. Ein Antragsrecht der A lasse sich aus Art 86 III EGV (106 III AEUV-E) nicht herleiten. Zudem überlasse es die Vorschrift der Kommission, ob sie erforderlichenfalls eine Richtlinie oder Entscheidung an die Mitgliedstaaten richten wolle. Daher ist die Klage als unzulässig abgewiesen worden. Zugleich hat das EuG aber Ausführungen gemacht, welche die Begründetheit der Klage betreffen. So weist es darauf hin, dass die Untätigkeitsklage voraussetze, dass eine Verpflichtung des betreffenden Organs zum Tätigwerden bestehe, so dass die behauptete Unterlassung gegen den Vertrag verstoße. Angesichts des weiten Ermessens, über das die Kommission in Bezug auf die Einhaltung der Wettbewerbsregeln durch öffentliche Unternehmen verfüge, sei dies aber nicht der Fall, wenn dieses Organ es unterlasse, eine einschlägige Entscheidung an einen Mitgliedstaat zu richten. Folglich sei die Ausübung des der Kommission durch Art 86 III EGV (106 III AEUV-E) eingeräumten Ermessens bei der Beurteilung der Vereinbarkeit der staatlichen Maßnahme den Vorschriften des Vertrages nicht mit einer Interventionspflicht der Kommission verbunden. Somit fehlt es der Klage auch an der Begründetheit.47
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IV. Wirkungen des Urteils Ist die Untätigkeitsklage zulässig und begründet, stellt der Gerichtshof (EuGH, EuG) eine Vertragsverletzung fest (→ Rn 1). Das Feststellungsurteil beseitigt weder rechtsgestaltend den vertragswidrigen Zustand noch enthält es eine Verurteilung zum Handeln. Wie alle Feststellungsurteile ist es zudem nicht vollstreckungsfähig. Doch haben die Gemeinschaftsorgane (Rechtssubjekte) ebenso wie im Falle einer erfolgreichen Nichtigkeitsklage (→ § 8 Rn 65) die sich aus dem Urteil ergebenden Maßnahmen zu ergreifen.
45 EuGH Slg 1985, 1513, 1600 – Europäisches Parlament/Rat. 46 EuG Slg 1994, II-1015 Rn 41 – Ladbroke Racing. 47 Vgl EuG Slg 1974-II, 1015 – Ladbroke Racing.
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§ 10 Schadensersatzklage Dirk Ehlers I. Funktion und Bedeutung der Schadensersatzklage Verursacht die Europäische Gemeinschaft einen Schaden und hat sie nach Ansicht des Geschädigten den Schaden nicht oder nicht vollständig ersetzt, muss dieser die Möglichkeit haben, einen Schadensersatzanspruch gerichtlich geltend zu machen. Eine diesbezügliche Bestimmung enthält Art 235 EGV. Die Vorschrift begnügt sich mit einer Zuständigkeitsregelung und verweist hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs auf die Normierung des Art 288 II EGV, die wiederum auf die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen allgemeinen Rechtsgrundsätze weiter verweist. Für die Europäische Atomgemeinschaft trifft Art 151 EAGV (iVm Art 188 II) eine entsprechende Regelung. Auch der Vertrag von Lissabon (→ § 6 Rn 1) weicht inhaltlich nicht vom geltenden Recht ab (Art 268 iVm 340 II, III AEUV-E). Die Schadensersatzklage des Art 235 iVm Art 288 II EGV (268 iVm 340 II, III AEUV-E) bezieht sich nur auf die außervertragliche Haftung der Europäischen Gemeinschaft. Für Klagen aus vertraglicher Haftung (Art 288 I EGV; 340 I AEUV-E) sind grundsätzlich Gerichte der Mitgliedstaaten zuständig (Art 240 EGV; 274 AEUV-E), weil sich die Haftung nach dem Recht bestimmt, das auf den Vertrag anzuwenden ist, und idR ausdrücklich auf das nationale Recht (besonders auf das belgische Recht) verwiesen wird.1 Hieran knüpft der gerichtliche Rechtsschutz an.2 Eine Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichte ist nur gegeben, wenn eine solche in einer Schiedsklausel vereinbart wurde (Art 238 EGV; 272 AEUV-E). Art 235 iVm 288 II EGV (268 iVm 340 II, III AEUV-E) bezieht sich nur auf Schadensersatzklagen gegen die Europäische Gemeinschaft, nicht auf Schadensersatzklagen der Europäischen Gemeinschaft 3, ferner nicht auf Schadensersatzklagen von Bediensteten gegen die Europäische Gemeinschaft. Für die zuletzt genannten Klagen richtet sich die Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit nach Art 236 EGV (270 AEUV-E) iVm Art 91 des Beamtenstatuts (BSt 4) bzw den Art 46, 73, 83 und 97 der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten (BSB). Die gerichtliche Kontrolle ist auf der Grundlage des Art 225a EGV (275 AEUV-E) dem Gericht für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union übertragen worden.5 Art 236 EGV begründet keine eigene Klageart, sondern nur eine Zuständigkeit des Gerichtshofs für „alle Streitsachen“ zwischen der Gemeinschaft und deren Bediensteten innerhalb der Grenzen und nach Maßgabe des
1 Vgl EuGH Slg 1995, I-1417 Rn 5 – Heidemij Andries. 2 Vgl Borchardt EU, Rn 597. 3 Zur persönlichen Haftung der Bediensteten gegenüber der Gemeinschaft vgl Art 288 IV EGV (340 IV AEUV-E) iVm zB Art 22 Beamtenstatut. Die zuletzt genannte Vorschrift erfasst sowohl Eigenschäden der Gemeinschaft als auch Fremdschäden. Voraussetzung für den Regress sind Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit. 4 VO Nr. 259/68/EWG/ERG/EGKS, ABl 1968 L 56, 1. 5 Vgl ABl 2004 L 333, 7.
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Beamtenstatuts oder der Beschäftigungsbedingungen für die Bediensteten. Neben Schadenersatz kann es sich auch um Nichtigkeits- oder Untätigkeitsklagen handeln. Klageberechtigt sind nach Art 91 Nr 1 S 1 BSt alle Personen, auf die das Beamtenstatut Anwendung findet. Dies sind neben den Beamten (Art 1 BSt) auch die Bediensteten auf Zeit (Art 46 BSB), die Hilfskräfte (Art 73 BSB), die Sonderberater (Art 83 BSB), die ehemaligen Bediensteten bei Rechtsstreitigkeit aus dem früheren Dienstverhältnis 6, die Hinterbliebenen ehemaliger Bediensteter 7 und die Einstellungsbewerber 8. In Streitsachen vermögensrechtlicher Art hat der Gerichtshof die Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung, einschließlich der Befugnis zur Aufhebung oder Änderung der getroffenen Maßnahmen. Bei der Schadensersatzklage handelt es sich um eine Leistungsklage, die als selbständiger Rechtsbehelf mit eigener Funktion im System der Klagemöglichkeiten geschaffen und von Voraussetzungen abhängig gemacht wurde, die ihrem besonderen Zweck angepasst sind.9 Somit steht die Schadensersatzklage grundsätzlich neben der Nichtigkeitsklage (→ § 8) und Untätigkeitsklage (→ § 9). Weder muss eine als rechtswidrig gerügte Maßnahme notwendigerweise zuvor erfolgreich mit der Nichtigkeitsklage angefochten noch ein Unterlassen auf eine Untätigkeitsklage hin als Vertragsverletzung eingestuft worden sein.10 Auch hat die Unzulässigkeit einer Nichtigkeits- oder Untätigkeitsklage nicht zwangsläufig die Unzulässigkeit der Schadensersatzklage zur Folge. Dies wirkt sich insbesondere dann aus, wenn eine natürliche oder juristische Person die Gemeinschaft auf Schadensersatz wegen eines unmittelbar anwendbaren normativen Unrechts verklagt hat, weil in solchen Fällen eine Nichtigkeitsklage grundsätzlich unzulässig ist (→ § 8 Rn 32 ff). Dagegen ist die Schadensersatzklage subsidiär und damit unzulässig, wenn sie in Wirklichkeit nur auf Aufhebung einer bestandskräftigen Entscheidung bzw darauf gerichtet ist, deren Folgen zu beseitigen (→ Rn 24). Entsprechendes gilt, wenn die Frist des Art 232 II EGV (265 II AEUV-E) versäumt wurde. Das Vorabentscheidungsverfahren des Art 234 EGV (267 AEUV-E) weist keine Berührungspunkte mit der Schadensersatzklage auf, weil in diesem Verfahren kein Schadensersatz verlangt werden kann und es sich zudem nicht um eine Direktklage, sondern um ein gerichtliches Zwischenverfahren auf Veranlassung eines mitgliedstaatlichen Gerichts (nicht des Klägers) handelt (→ § 11 Rn 14). Eine Schadensersatzklage, die auf die unterlassene Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gem Art 226 EGV (258 AEUV-E) gestützt wird, ist unzulässig (→ Rn 14). Soweit Schadensersatz von der Europäischen Gemeinschaft verlangt wird, ist die Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit gem Art 235 EGV iVm 288 II EGV (268 AEUV-E iVm 340 II, III) eine ausschließliche.11 Schadensersatzklagen gegen die Mitgliedstaaten werden von Art 235 EGV (268 AEUV-E) nicht erfasst (→ Rn 14). Vollziehen die mitgliedstaatlichen Behörden einen (möglicherweise rechtswidrigen) Gemeinschaftsrechtsakt, hat der Geschädigte nach der Rspr der Gemeinschaftsgerichte zunächst die inner6 7 8 9
EuGH Slg 1975, 1247 Rn 5, 7 – Marenco. EuGH Slg 1972, 269 Rn 2 ff – Meinhardt. EuGH Slg 1965, 217, 227 – Vandevyvere. EuGH Slg 1971, 325 Rn 6 – Lütticke; Slg 1971, 975 Rn 3 – Schöppenstedt; EuG Slg 1996, II-1181 Rn 65 – Richco. 10 Vgl EuGH Slg 1986, 753 Rn 32 – Krohn; EuG Slg 1997, II-595 Rn 115, 128 – Hartmann; Slg 2000, II-3331 Rn 49 – Fresh Marine; Slg 2005, II-4355 Rn 72 – San Pedro de Bermeo. 11 EuGH Slg 1979, 623 Rn 12 – Zuckerfabrik Bedburg; Cremer in: Calliess/Ruffert EUV/EGV, Art 235 EGV Rn 7.
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staatlichen Klagemöglichkeiten auszuschöpfen (→ Rn 26). Erst wenn effektiver (Sekundär-)Rechtsschutz nicht auf diesem Wege erlangt werden kann, ist der Weg nach Art 235 EGV (268 AEUV-E) eröffnet. Die praktische Bedeutung der Schadensersatzklage ist nicht gering. So haben Schadensersatzklagen insbesondere auf dem Gebiet der Landwirtschaft (Milchquote) früher eine große Rolle gespielt.12 In der Zeitspanne 2000–2007 betrafen 5,17 % der neu beim EuG eingegangenen Rechtssachen die Schadensersatzklage.13
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II. Zulässigkeit der Schadensersatzklage Sieht man den von den Zuständigkeitsregeln der 225 I, 235 EGV (256 I, 268 AEUV-E) ab, enthält der EG-Vertrag keine Normierung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Schadensersatzklage. Doch lassen sich teils aus Art 288 II EGV (340 II, III AEUV-E) Rückschlüsse ziehen. Im Übrigen muss die Klage mit den Bestimmungen der EuGH-Satzung und der Verfahrensordnungen vereinbar sein.
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1. Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs und des Gerichts erster Instanz Wie ausgeführt (→ Rn 6), ist die Gemeinschaftsgerichtsbarkeit ausschließlich für Schadensersatzklagen gegen die Gemeinschaft zuständig. Gem Art 225 I EGV (256 I AEUV-E) entscheidet das EuG. Eine abweichende Regelung enthält Art 51 EuGH-Satzung nicht 14, so dass der EuGH heute nur noch als Rechtsmittelinstanz für Schadensersatzklagen zuständig ist (Art 56 ff EuGH-Satzung).
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2. Parteifähigkeit
a) Aktive Parteifähigkeit Da der Schadensersatzanspruch des Art 288 II EGV (340 II AEUV-E) von allen natürlichen und juristischen Personen des öffentlichen oder privaten Rechts (einschließlich der Bundesländer und Kommunen) sowie von Personen erhoben werden kann, die in den Mitgliedstaaten und Drittstaaten als (teil-)rechtsfähig angesehen werden 15, gilt für die aktive Parteifähigkeit im Schadensersatzprozess nichts anderes. Umstritten ist, ob auch die Mitgliedstaaten klagen können.16 Dies wird teilweise verneint, weil das institutionelle 12 Vgl Middeke in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 9 Rn 5. 13 EuG Jahresbericht 2007, S 183. 14 Gleichwohl geht die Literatur davon aus, dass der EuGH für Schadensersatzklagen von Mitgliedstaaten in erster Instanz zuständig ist. Vgl Borchardt in: Lenz/ders, EUV/EGV, Art 235 Rn 1; Pechsstein EU/EG, Rn 722; Ehricke in: Streinz EUV/EGV, Art 235 EGV Rn 2; Cremer in: Calliess/Ruffert EUV/EGV, Art 235 Rn 1. Im Wortlaut des Art 51 EuGH-Satzung findet diese Ansicht keine Grundlage. 15 Zu den gewerkschaftlich organisierten Berufsverbänden vgl EuGH Slg 1974, 933 Rn 5/9 – Allgemeiner Gewerkschaftsbund. 16 Vgl zB Gilsdorf/Niejhar in: v d Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Bd 4, Art 288 EGV Rn 24; Middeke in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 9 Rn 9.
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Gemeinschaftsgefüge gestört werden könnte. Nach anderer Ansicht ist zwischen dem hoheitlichen und dem „privatwirtschaftlichen“ Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten zu unterscheiden. Nur der privatwirtschaftlich handelnde Mitgliedstaat könne Schadensersatz verlangen und dementsprechend als Kläger auftreten.17 Für diese Differenzierung bieten die Art 235, 288 II EGV (268, 340 II AEUV-E) keine Grundlage. Daher sind auch die Mitgliedstaaten als aktiv parteifähig anzusehen.18 Allerdings kann einer Klage das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, wenn der Mitgliedstaat von den Klagemöglichkeiten nach Art 230 I, 232 I EGV (263 I, 256 I AEUV-E) keinen Gebrauch gemacht hat. Klagen von Drittstaaten steht grundsätzlich der völkerrechtliche Grundsatz der Immunität 19 entgegen, wenn die Gemeinschaft nicht nur im Privatrechtsverkehr tätig geworden ist.20 Schadensersatzklagen von Beamten und Bediensteten können nur nach Maßgabe des Art 236 EGV (270 AEUV-E) erhoben werden (→ Rn 3).
b) Passive Parteifähigkeit 11
Fall 1: Die griechische Gesellschaft A hat Schadensersatzklage gegen die Kommission der EG erhoben, weil diese kein Vertragsverletzungsverfahren nach Art 226 EGV (258 AEUV-E) eingeleitet habe, B Schadensersatzklage gegen den Europäischen Bürgerbeauftragten (Art 195 EGV; 228 AEUV-E), weil dieser seine Beschwerde nicht richtig behandelt habe und dadurch ein Schaden entstanden sei.
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Nach Art 288 II EGV (340 II AEUV-E) richtet sich die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft gegen die Gemeinschaft selbst 21, wobei diese durch das jeweilige schadensverursachende Organ vertreten wird.22 Die nicht einheitliche Rspr lässt aber auch Klagen gegen das Organ selbst zu 23 oder deutet die Klagen entsprechend um.24 Teilweise wird aus dem Umstand, dass der die Prozessvertretung in dem Verfahren vor den Gemeinschaftsgerichten regelnde Art 19 I EuGH-Satzung die Vertretung der Gemeinschaftsorgane, nicht aber die Vertretung der Gemeinschaft erwähnt, hergeleitet, dass die Klage gegen das Organ (nicht die Gemeinschaft) zu richten sei.25 Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen, weil die Vertretung etwas anderes ist als die Parteifähigkeit, es in einem Außenrechtsstreit auf die Rechtsfähigkeit ankommt und die Vollstreckung von Schadensersatzurteilen gegen Organe (die im Gegensatz zur Gemeinschaft über keinen eigenen
17 Pechstein EU/EG, Rn 725 f; Ehricke in: Streinz EUV/EGV, Art 235 Rn 6. 18 Vgl auch v Bogdandy in: Grabitz/Hilf, EUV/EGV, Art 288 EGV Rn 36; Berg in: Schwarze, EUV, Art 288 EGV Rn 13. 19 Vgl Herdegen, VölkerR, 7. Aufl 2008, § 10 Rn 19 ff. 20 Vgl auch Gilsdorf/Niejhar in: v d Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Bd 4, Art 288 EGV Rn 25. 21 Nach Art 340 II AEUV-E ist die Union Haftungssubjekt. 22 Vgl EuGH Slg 1973, 1229 Rn 7 – Werhahn; Slg 1987, 49 Rn 14 f – Zuckerfabrik Bedburg. 23 EuGH Slg 2004, I-2803 Rn 67 – Lamberts; EuG Slg 1995, II-2025 Rn 22 – Odigitria; v Bogdandy in: Grabitz/Hilf, EUV/EGV, Art 288 EGV Rn 39 f. 24 EuG Slg 2000, II-4005 Rn 20 – Royal Olympic Cruises. Anders dagegen EuG Slg 1998, II-171 Rn 29 – Bühring; Slg 2006, II-79 Rn 47 – Medici Grimm (Umdeutung einer gegen ein Gemeinschaftsorgan gerichteten Schadensersatzklage in eine Klage gegen die Gemeinschaft). 25 Vgl EuG Slg 2000, II-4005 Rn 20 – Royal Olympic Cruises; vgl auch EuG Slg 1995, II-2025 Rn 22 – Odigitria; Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz Rn 226; v Bogdandy in: Grabitz/Hilf EUV/EGV, Art 288 EGV Rn 39 mwN.
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Haushalt verfügen) Probleme bereiten kann.26 Daher wäre es angezeigt, nur die (durch ihre Organe vertretene) Gemeinschaft, nicht die Organe selbst als parteifähig anzusehen. Bei Zugrundelegung der Rspr hängt die Zulässigkeit der Schadensersatzklage aber nicht davon ab, ob sie gegen die Gemeinschaft oder das schadensverursachende Gemeinschaftsorgan gerichtet worden ist. Gem Art 288 III EGV gilt Abs 2 der Vorschrift in gleicher Weise für den durch die Europäische Zentralbank oder ihrer Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden. Hieraus wird gefolgert, dass die Gemeinschaft auch für die von der Europäischen Zentralbank verursachten Schäden hafte.27 Gleichwohl besagt dies noch nicht, dass nur die Gemeinschaft und nicht die Europäische Zentralbank passiv parteifähig ist. Zum einen bezieht sich der in Art 288 II EGV verwendete Begriff des Organs nicht nur auf die in Art 7 EGV aufgezählten Organe, sondern in Anbetracht des durch den EGV geschaffenen Systems einer lückenlosen außervertraglichen Haftung auch auf andere Einrichtungen der Gemeinschaft.28 Behandelt man die Europäische Zentralbank deshalb ebenfalls als Organ der Gemeinschaft iSd Vorschrift 29 und sieht man darüber hinaus Organe als parteifähig an (→ Rn 12), kann die Europäische Zentralbank Beklagte eines Schadensersatzprozesses sein. Zum anderen spricht die rechtliche Selbständigkeit juristischer Personen des Gemeinschaftsrechts dafür, diese ebenso wie bei der Nichtigkeits- und Untätigkeitsklage (→ § 8 Rn 7; → § 9 Rn 5) als parteifähig anzusehen. Vergleichend kann darauf hingewiesen werden, dass die Gemeinschaftsgerichtsbarkeit auch Schadensersatzklagen gegen die Europäische Investitionsbank (Art 9 EGV) zugelassen hat.30 Ferner werden die juristischen Personen des Gemeinschaftsrechts – von den wenigen im Vertragsrecht normierten Fällen abgesehen – durch Sekundärrechtsakt errichtet. Regelmäßig wird in diesen Akten vorgesehen, dass die juristischen Personen selbst verklagt werden können und grundsätzlich auch selbst für Schäden haftbar sind.31 Da juristische Personen über einen eigenen Haushalt verfügen, bereitet auch die Vollstreckbarkeit der Schadensersatzklagen (→ Rn 40) in diesen Fällen kein Problem. Kommt es zu einem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon (→ § 6 Rn 1), muss auch die Europäische Zentralbank kraft ausdrücklicher Bestimmung (Art 340 III AEUV-E) den durch sie oder ihre Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden selbst tragen.32 Daraus würde sich zugleich ergeben, dass die Europäische Zentralbank Partei eines Schadensersatzprozesses sein kann. Für die sonstigen juristischen Personen des Gemeinschaftsrecht ist – auch bereits de lege lata – nichts anderes anzunehmen.
26 Vgl Borchardt in: Lenz/ders EUV/EGV, Art 235 Rn 5; Gellermann in: Streinz EUV/EGV, Art 288 EGV Rn 10; Ruffert in: Calliess/ders EUV/EGV, Art 288 EGV Rn 10. 27 Vgl statt vieler Ruffert in: Calliess/ders EUV/EGV, Art 288 Rn 34. 28 Vgl EuGH Slg 1992, I-6211 – SGEEM; Borchardt in: Lenz/ders, EuV/EGV, Art 235 EGV Rn 6. 29 Vgl Middeke in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 9 Rn 12. 30 Vgl EuGH Slg 1992, I-6211 – SGEEM; EuG Slg 2000, II-4019 – Hautem. 31 Vgl die Nachw bei Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz Rn 227 m Fn 558. 32 Diese Regelung erscheint angemessen, weil die Europäische Zentralbank nicht für die gesamte Union handelt.
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Lösung Fall 1: Die Klagen sind nicht gegen die Gemeinschaft, sondern gegen Organe der Gemeinschaft gerichtet. Doch führt dies nach st Rspr nicht zur Unzulässigkeit der Klage, weil diese entweder „als gegen die Gemeinschaft, vertreten durch dieses Organ, gerichtet“ anzusehen ist 33 oder Klagen gegen Organe als zulässig erachtet werden (→ Rn 12). Die Entscheidung der Kommission, kein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, ist nicht rechtswidrig, da die Kommission nicht zur Verfahrenseinleitung verpflichtet ist. Das einzige Verhalten, dass möglicherweise als Schadensursache betrachtet werden könnte, ist das Verschulden der Helenischen Republik (Griechenlands). Art 235 EGV (268 AEUV-E) eröffnet aber keinen Sekundärrechtsschutz des Gerichts gegen mitgliedstaatliche Schadenszufügungen. Daher hat das EuG die Schadensersatzklage der A als unzulässig abgewiesen.34 Dagegen verleiht Art 195 EGV (228 AEUV-E) jedem Bürger das subjektive Recht, Beschwerden über Missstände bei der Tätigkeit der Organe oder Institutionen der Gemeinschaft an den Bürgerbeauftragten zu richten. Zudem haben die Bürger einen Anspruch darauf, über das Ergebnis der vom Bürgerbeauftragten hierzu unternommenen Untersuchungen unterrichtet zu werden. Es lässt sich nicht ausschließen, dass dem Bürgerbeauftragten bei der Behandlung der eingereichter Beschwerde ein Fehlverhalten unterlaufen ist und dieses Verhalten geeignet sein kann, bei dem betroffenen Bürger einen Schaden zu verursachen. Daher hat das EuG die Klage des B für zulässig (allerdings nicht für begründet) erachtet.35
3. Klagegegenstand 15
Wie schon aus ihrer Bezeichnung folgt, muss sich die nach Art 235 EGV (268 AEUV-E) erhobene Klage auf Schadensersatz richten, also auf Ausgleich für eine materielle oder immaterielle 36 Einbuße, die der Betroffene an seinem Vermögen oder an seinen sonstigen Rechtsgütern erlitten hat.37 Streitig ist, ob nur Geldersatz oder auch Naturalrestitution (zB nachträgliche Gewährung von Einfuhrlizenzen) und Folgenbeseitigung (zB Widerruf ehrkränkender Äußerungen) verlangt werden kann.38 Im Gegensatz zu dem (außer Kraft getretenen) Art 40 I EGKSV, der nur eine Entschädigung in Geld vorsah, schließt Art 288 II EGV (340 II AEUV-E) eine Naturalrestitution oder Folgenbeseitigung nicht aus. Da die Gemeinschaft oder Gemeinschaftsrechtssubjekte unmittelbar haften, sind sie anders als die staatlichen Rechtsträger nach deutschem Amtshaftungsrecht 39 auch zur Naturalrestitution in der Lage.40 Problematischer sind Folgenbeseitigungsansprüche. Zwar dürfen trotz des selbständigen Charakters der Schadensersatzklage (→ Rn 4, 24) die Art 230, 232 iVm 233 EGV (263, 265 iVm 266 AEUV-E) nicht umgangen werden. Doch schließt dies Folgenbeseitigungsansprüche nicht schlechthin aus, zumal Art 233 II EGV (266 II
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EuG Slg 2002, II-2203 Rn 48 – Lamberts. EuG Slg 2004, II-181 Rn 43 f – Makedoniko Metro. EuG Slg 2002, II-2203 Rn 60 – Lamberts. Vgl EuGH 1965, 859, 880 – Willame; Slg 1988, 6141 Rn 10 ff – Hamill; EuG Slg 1992, II-367 Rn 115 – Plug; Slg 1993, II-1132 Rn 101 ff – Caronna. EuGH Slg 1973, 1229, 1245 – Wilhelm Werhahn Hansamühle. Zur Frage einer Haftung auch für rechtmäßiges Handeln vgl → Rn 35. Grundsätzlich befürwortend v.Bogdandy in: Grabitz/Hilf EUV/EGV, Art 288 EGV Rn 112; aA Gellermann in: Streinz EuV/EGV, Art. 228 EGV Rn 29. Vgl Grzeszick in: Erichsen/Ehlers, Allg VerwR, § 43 Rn 42. Borchardt EU, Rn 616. Zur Zulässigkeit eines Schadensausgleichs in Form einer Naturalrestitution vgl auch EuG Slg 2006, II-1291 Rn 70 f – Galileo International on Technology.
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AEUV-E) die sich aus Art 288 II EGV (340 II AEUV-E) ergebenden Verpflichtungen ausdrücklich unberührt lässt. In der Rspr sind die Fragen bisher nicht geklärt. 4. Klagebefugnis Eine besondere Klagebefugnis setzt das Gemeinschaftsrecht für die Erhebung einer Schadensersatzklage nach Art 235 EGV (268 AEUV-E) nicht voraus. Da aber nur der Geschädigte Schadensersatz verlangen kann, ist anzunehmen, dass nur eigene Ansprüche geltend gemacht werden dürfen.41 Dies schließt eine Abtretung nicht aus (→ Rn 22), wohl aber eine Prozessstandschaft.
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5. Klagegegner Richtiger Klagegegner einer Schadensersatzklage nach Art 235 EGV (268 AEUV-E) ist dasjenige passiv parteifähige Zurechnungssubjekt, das den Schaden verursacht oder zu tragen hat. Nach der hier vertretenen Ansicht (→ Rn 12 ff) fällt beides zusammen. Wird den rechtlich nicht selbständigen Organen der Europäischen Gemeinschaft oder den bei ihr Beschäftigten ein Schaden verursachendes Verhalten vorgeworfen, ist die Gemeinschaft zu verklagen. Haben juristische Personen des Gemeinschaftsrechts gehandelt, sind diese richtiger Klagegegner. Lässt man dagegen auch Haftungsklagen gegen die Gemeinschaftsorgane im engeren Sinne zu (→ Rn 12), sind die jeweils tätig gewordenen oder untätig gebliebenen Organe zu verklagen. Haben mehrere Organe zusammengewirkt oder hätten sie dies tun müssen, ist die Klage bei Zugrundelegung dieser Auffassung an alle beteiligten Organe zu richten.
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6. Klagefrist Fall 1: Die Kommission hat 1994 eine Geldbuße gegen die Gesellschaft C wegen Bildung eines Zementkartells verhängt, C aber angeboten, eine Bankbürgschaft zu stellen, um die Geldbuße nicht sofort zahlen zu müssen. Im Jahre 1995 wurde die Bankbürgschaft gestellt. Auf die Klage der C hin ist die Entscheidung der Kommission im Jahre 2000 vom EuG für nichtig erklärt worden. Nachdem C vergeblich die Erstattung der von ihr durch die Stellung der Bankbürgschaft entstandenen Kosten von der Kommission verlangt hat, erhob sie im Jahre 2003 Schadensersatzklage. Die Kommission macht geltend, dass der Schadensersatz teilweise verjährt und die Klage daher insoweit unzulässig ist. C meint, dass die Verjährung erst mit dem Nichtigkeitsurteil (2000) zu laufen beginnt.
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Obwohl die in Art 46 EuGH-Satzung 42 vorgesehene Verjährungsfrist an sich nur die materielle Durchsetzbarkeit des Anspruchs und damit die Begründetheit der Klage betrifft, hat ihr die – früher nicht einheitliche 43 – Gemeinschaftsrechtssprechung auch eine auf eine
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41 Vgl auch Pechstein EU/EG, Rn 723. 42 Sart II Nr 245. 43 Vgl Cremer in: Calliess/Ruffert EUV/EGV, Art 235 Rn 3 m Fn 9.
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prozesshindernde Einrede 44 hin zu prüfende prozessuale Bedeutung beigemessen.45 Schadensersatzklagen, die auf Geltendmachung verjährter Ansprüche gerichtet sind, werden daher regelmäßig als unzulässig abgewiesen.46 Danach ist die Klage grundsätzlich innerhalb von fünf Jahren nach Eintritt des schadenstiftenden Ereignisses zu erheben. Die Einreichung der Klageschrift beim Gerichtshof und die Geltendmachung des Anspruchs gegenüber dem zuständigen Gemeinschaftsorgan unterbrechen die Verjährung.47 Unter Klageschrift ist die Schrift zu verstehen, mit der die Schadensersatzklage erhoben wird – nicht die Erhebung der Nichtigkeits- oder Untätigkeitsklage (→ Rn 20). Hat der Geschädigte seinen Anspruch vorher gegenüber dem zuständigen Gemeinschaftsorgan geltend gemacht, bestimmt sich die Frist nach den Art 230 V, 232 II EGV (263 VI, 265 II AEUV-E). Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn alle Haftungsvoraussetzungen erfüllt sind (insbesondere sich der zu ersetzende Schaden konkretisiert hat).48 Der Ablauf der Verjährungsfrist kann dem Kläger nicht entgegengehalten werden, wenn dieser substantiiert darlegen kann, dass er von dem schadenstiftenden Ereignis erst zu einem späteren Zeitpunkt Kenntnis erlangen konnte und somit unter Zugrundelegung der Fünf-Jahres-Frist nicht über einen angemessenen Zeitraum verfügte, um vor Ablauf der Frist Klage zu erheben oder seinen Anspruch geltend zu machen.49 20
Lösung Fall 2: Die Frist für die Verjährung des Anspruchs aus der außervertraglichen Haftung der Gemeinschaft beginnt, wenn alle Voraussetzungen, von denen die Ersatzpflicht abhängt, erfüllt sind und sich insbesondere der geltend gemachte Schaden konkretisiert hat. Hier hatte C mit Zustellung der Bußgeldentscheidung der Kommission Kenntnis von dem eventuellen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht und den Schadensfolgen. Die Schadensursache stand ab Stellung der Bankbürgschaft fest. Ab diesem Zeitpunkt hätte der Gerichtshof (das EuG) angerufen werden können, da das Ausmaß des Schadens abschätzbar war. Tatsächlich eingetreten ist der Schaden erst von dem Zeitpunkt an, zu dem erstmals die Kosten der Bankbürgschaft anfielen (1995). Ab diesem Zeitpunkt hatte sich der Schaden konkretisiert mit der Folge eines Ingangsetzens der Verjährungsfrist. Nach Art 46 S 2 EuGH-Satzung wird die Verjährung durch Einreichen der Klageschrift beim Gerichtshof oder dadurch unterbrochen, dass der Geschädigte seinen Anspruch vorher gegenüber dem zuständigen Gemeinschaftsorgan geltend macht. Da Art 46 der EuGH-Satzung Klagen gegen die Gemeinschaften wegen außervertraglicher Haftung betrifft, ist die verjährungsunterbrechende Klageschrift iSd Bestimmung diejenige, mit der die Haftung nach Art 288 II EGV (340 II AEUV-E) geltend gemacht wird. Eine Nichtigkeitsklage kann deshalb nicht als Klageschrift angesehen werden, welche die Verjährung unterbrechen könnte. Da die Schadensersatzklage im Jahre 2003 erhoben wurde, sind somit die vor 1998 entstandenen
44 EuGH Slg 1989, 1553 Rn 12 f und LS 1 – Roquette Fréres; v Bogdandy in: Grabitz/Hilf, EUV/EGV, Art 288 Rn 41. AA (von Amts wegen zu prüfen) Borchardt in: Lenz/ders, EUV/EGV, Art. 235 Rn 11; Pechstein EU/EG Rn 732; Cremer in: Calliess/Ruffert EUV/EGV, Art 235 EGV Rn 3. Näher zu den prozesshindernden Einreden Art 91 EuGH-VerfO. 45 EuGH Slg 1982, 85 Rn 3 ff – Birra Wührer; Slg 1984, 3693 Rn 16 f – Birra Wührer. Krit Ehricke in: Streinz EUV/EGV, Art 235 EGV Rn 13; Cremer in: Calliess/Ruffert EUV/EGV, Art 235 Rn 3. 46 Vgl EuG Slg 1995, II-2379 Rn 26 – Lefebvre; Slg 2005, II-1357 Rn 74 – Holcim. 47 Art 46 S. 2 EuGH-Satzung. 48 Vgl EuGH Slg 2007, I-2941 Rn 92 – Holcim; EuG Slg 2001, II-243 Rn 76 – Jansma; Slg 2002, II-17 Rn 38 – British International. 49 EuGH Slg 1985, 3539 Rn 50 – Adams.
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Bankbürgschaftskosten verjährt. Dementsprechend haben die Gemeinschaftsgerichte die Klage insoweit als unzulässig abgewiesen.50 Im Übrigen wurde die Klage für unbegründet erachtet, da der Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht nicht hinreichend qualifiziert (vgl → Rn 34) gewesen ist.
7. Ordnungsgemäße Klageerhebung Die Klageschrift muss den Anforderungen der Art 21 EuGH-Satzung, 44 EuGH-VerfO genügen. Die Rspr stellt dezidierte Anforderungen. So wird die Klage als unzulässig abgewiesen, wenn sie nicht die Tatsachen anführt, anhand deren sich das dem Organ (Rechtssubjekt) vorgeworfene Verhalten bestimmen lässt, und die Gründe angibt, aus denen sich nach Auffassung des Klägers ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten und dem (angeblich) erlittenen Schaden ergibt, sowie Art und Umfang dieses Schadens bezeichnet.51 Ist der Schaden noch nicht eingetreten, steht er aber unmittelbar bzw mit hinreichender Sicherheit bevor 52, oder lässt sich die Schadenshöhe bei Klageerhebung noch nicht bestimmen 53, darf zunächst auf Feststellung des Haftungsgrundes geklagt werden, über den das EuG durch Zwischenurteil entscheidet.54 Ergeht ein für den Kläger positives Zwischenurteil, wird den Parteien regelmäßig aufgegeben, sich über die Summe zu einigen und diese dem Gerichtshof mitzuteilen, andernfalls bezifferbare Anträge zu stellen.55 Wird die tatsächliche Schadenshöhe noch vor Ersatz des Zwischenurteils bekannt, darf die Klage von einem Feststellungsantrag auf einen Leistungsantrag umgestellt werden.
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8. Rechtsschutzinteresse Die Schadensersatzklage kann unmittelbar beim EuG eingelegt werden. Es ist nicht erforderlich, dass der Kläger den Beklagten zuvor erfolglos aufgefordert hat, den Schaden zu ersetzen.56 Eine Aufforderung unterbricht allerdings gem Art 46 S 2 EuGH-Satzung die Verjährung (→ Rn 19). Kein Rechtsschutzinteresse besteht, wenn sich der Kläger rechtsmissbräuchlich verhält. Dies ist etwa der Fall, wenn eine abgetretene Forderung eingeklagt wird und die Abtretung zwischen Unternehmen erfolgt, die zu einer Unternehmensgruppe gehören.57 Vor allem aber ist Rechtsmissbrauch gegeben, wenn der Kläger das Klageziel auf sachgerechtere Weise, nämlich durch vorrangige Rechtsschutzmöglichkeiten, hätte verwirklichen können.
50 51 52 53 54
Vgl EuG Slg 2005, II-1357; EuGH Slg 2007, I-2941 – jeweils Holcim. EuG Slg 1996, II-961 Rn 107 – Asia Motor France; Slg 1997, II-1223 Rn 42 – Guéren automobile. EuGH Slg 1987, 49 Rn 14 – Zuckerfabrik Bedburg; Slg 1985, 257 Rn 19 – Binderer. EuGH Slg 1963, 211, 239 – Plaumann; Slg 1979, 1081 Rn 6 – Granaria. Vgl auch Middeke in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 9 Rn 18; Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 230. 55 Vgl EuGH Slg 1979, 2955 Rn 18 – Ireks Avkady; Slg 1990, I-2477, Ziffer 5 und 6 des Tenors – Sofriimport; EuG Slg 2001, II-243 – Jansma; Slg 2003, II-229 – CEVA. 56 Ehricke in: Streinz EUV/EGV, Art 235 EGV Rn 10. 57 EuGH Slg 1979, 2955 Rn 5 – Ireks-Arkady.
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a) Verhältnis zur Nichtigkeits- und Untätigkeitsklage 23
Fall 3: Nach einer EG-VO kann die Kommission einen Gemeinschaftszuschuss für Investitionsvorhaben gewähren. Der von D gestellte Antrag wurde im November 2001 abgelehnt. Im Juli 2002 hat D Nichtigkeits- und Schadensersatzklage beim EuG erhoben.
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Mit der Schadensersatzklage kann nur sekundärer Rechtsschutz (Ersatz) und im Gegensatz zum Primärrechtsschutz nicht die Beseitigung der Schadensquelle selbst erlangt werden. In Deutschland leitet das BVerfG aus den Grundrechten einen Vorrang des primären vor dem sekundären Rechtsschutz gegenüber dem Staat ab 58, weil die grundrechtliche Freiheit geschützt werden soll, Freiheit nicht kommerzialisierbar ist 59 und eine Wiedergutmachung (Schadensersatz) daher erst dann angebracht ist, wenn sich der Freiheitsschutz nicht verwirklichen lässt. Damit wird ein Wahlrecht des Klägers nach dem Motto „Wehre dich oder liquidiere“ abgelehnt. Im Gemeinschaftsrecht entspricht die Ausgangslage derjenigen im nationalen Recht.60 Doch ist die Zuordnung von Primär- und Sekundärrechtsschutz bisher nicht restlos geklärt. Einerseits gehen die Gemeinschaftsgerichte davon aus, dass die Schadensersatzklage als selbständiger Rechtsbehelf mit eigenen Funktionen geschaffen wurde und daher keine (generelle) Subsidiarität zur Nichtigkeits- und Untätigkeitsklage angenommen werden kann (→ Rn 4). Andererseits wird die Schadensersatzklage wegen Rechtsmissbrauch als unzulässig abgewiesen, wenn mit ihr „in Wirklichkeit die Aufhebung (einer) Einzelfallentscheidung begehrt wird“ 61. Gleichermaßen wird Unzulässigkeit angenommen, wenn die Schadensersatzklage auf Ersatz derjenigen finanziellen Folgen abzielt, die bei rechtzeitiger Erhebung der Nichtigkeits- oder Untätigkeitsklage hätten abgewendet werden können.62 In diesen Fällen ist auch materiellrechtlich kein Schadensersatz wegen des Mitverschuldens des Geschädigten zu gewähren. Nicht hinreichend geklärt ist, wie zu entscheiden ist, wenn die für die Erhebung einer Nichtigkeits- und Untätigkeitsklage erforderliche Klagebefugnis nicht zweifelsfrei feststeht (weil unsicher ist, ob eine natürliche oder juristische Person von einer Gemeinschaftsrechtsnorm oder von einer an eine andere Person gerichteten oder unterlassenen Entscheidung individuell betroffen wird). Der Vorrang des Primärrechtsschutzes spricht dann gegen die Zulässigkeit einer Schadensersatzklage, die Selbständigkeit des Rechtsbehelfs, der Ausnahmecharakter des Rechtsmissbrauchs und das Erfordernis der Gewährung effektiven Rechtsschutzes aber dafür. Deshalb wird man die Schadensersatzklage in solchen Fällen als zulässig ansehen müssen. Die Beweislast für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs liegt bei demjenigen, der einen Missbrauch geltend macht.63 Eine Verbindung von Schadensersatz- und Nichtigkeits- bzw Untätigkeitsklage ist zulässig und in der Praxis üblich.
58 59 60 61
Vgl grundlegend den Naßauskiesungsbeschluss BVerfGE 58, 300, 318 ff. Ehlers VVDStRL 51 (1992), 211, 213. Ehlers JZ 1996, 776, 777, 779. EuGH Slg 1986, 753, Rn 33 – Krohn; Slg 1995, I-3709 Rn 27 f – Pevasa und Inpesca; Slg 1999, I-5363 Rn 59 – AssiDomän; Slg 1996, II-1101 Rn 68 – Dreyfus; EuG Slg 1998, II-195 Rn 48 – Laga; Slg 2002, II-3985 Rn 139 – Astipesca. 62 Dies dürfte – abgesehen von den Verzögerungen – in aller Regel anzunehmen sein, wenn die Mitgliedstaaten auf Schadensersatz klagen, weil sie stets dazu befugt sind, Nichtigkeits- oder Untätigkeitsklage zu erheben. 63 Borchardt EU, Rn 602.
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Lösung Fall 3: Die Nichtigkeitsklage des D ist wegen Versäumung der Klagefrist des Art 230 V EGV (263 VI AEUV-E) unzulässig. Eine Schadensersatzklage kann eine Partei zwar erheben, ohne durch irgendeine Vorschrift gezwungen zu sein, die Nichtigerklärung der rechtswidrigen Maßnahme, die ihr einen Schaden verursacht hat, zu betreiben. Sie darf auf diesem Wege aber nicht die Unzulässigkeit einer Klage umgehen, die sich auf dieselbe Rechtswidrigkeit bezieht und dieselben finanziellen Ziele verfolgt. Im vorliegenden Fall wurde die Schadensersatzklage auf dieselben Rechtswidrigkeitsgründe gestützt wie der Antrag auf Nichtigerklärung. Unter diesen Umständen hält es das EuG für offensichtlich, dass die Schadensersatzklage darauf abzielt, die Klagefrist des Art 230 V EGV (263 VI AEUV-E) zu umgehen. Deshalb hat es Rechtsmissbrauch angenommen und die Schadensersatzklage als unzulässig abgewiesen.64
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b) Verhältnis zu den nationalen Rechtsbehelfen Fall 4: E hat im Jahre 2002, F im Jahre 2004 vor der zuständigen deutschen Behörde die Erteilung einer Einfuhrlizenz beantragt. Die Anträge sind unter Hinweis auf eine zwingende EG-VO abgelehnt worden. Dadurch haben E und F einen Schaden erlitten. Im Jahre 2003 hat der EuGH die VO für ungültig erklärt. E und F möchten im Jahre 2005 Schadensersatzklage erheben und deshalb wissen, welche Gerichtsbarkeit zuständig ist.
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Beruht der Schaden auf einer nationalen Verwaltungsmaßnahme, die in unmittelbarer oder mittelbarer Anwendung des Gemeinschaftsrechts ergangen ist – dh in Vollzug direkt anwendbaren oder in nationales Recht umgesetzten Gemeinschaftsrechts – nimmt die Rspr eine Subsidiarität der Schadensersatzklage an.65 Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit nationalen Verwaltungshandelns obliegt grundsätzlich nur den nationalen Gerichten. Zudem haftet die Gemeinschaft nicht für nationales Fehlverhalten. Die natürlichen und juristischen Personen sind daher gehalten, zunächst um Schadensersatz bei den nationalen Gerichten zu ersuchen. Stellt sich die Frage der Auslegung und der Gültigkeit des von nationalen Behörden angewandten respektive anzuwendenden Gemeinschaftsrechts, kann oder muss sich das nationale Gericht nach Art 234 EGV an den EuGH wenden. Demgemäß werden Schadensersatzklagen vor Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs als unzulässig angesehen. Die Subsidiarität der Schadensersatzklage gilt aber nur, wenn durch die mitgliedstaatlichen Gerichte hinreichender Rechtsschutz und die Möglichkeit der Erlangung von Schadensersatz gewährleistet werden kann.66 Dies wiederum hängt davon ab, ob die Gemeinschaft oder die Mitgliedstaaten für den Schaden verantwortlich sind. Eine Verantwortlichkeit der Gemeinschaft hat die Rspr angenommen, wenn die nationale Behörde auf Weisung der Gemeinschaft gehandelt hat.67 Entsprechendes dürfte gelten, wenn
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64 EuGH Slg 1995, I-3709 Rn 26 ff – Pevasa und Inpesca. 65 Vgl EuGH Slg 1991, 3211 Rn 9 – Ludwigshafener Walzmühle; Slg 1984, 1969 Rn 11 – Unifrex; Slg 1987, 367 Rn 9 – De Boer Buizen; Slg 1989, 1552 Rn 12 – Roquette Fréres; Slg 1992, I-3061 Rn 9 – Mulder & Heinemann; EuG Slg 1995, II-2589 Rn 41 – Nölle; Slg 1998, II-195 Rn 33 – Laga. 66 EuGH Slg 1979, 3091 Rn 6 – Dumortier frères; Slg 1981, 3211 Rn 4 f 3243 – Ludwigshafener Walzmühle; Slg 1984, 1969 Rn 11 f – Unifrex; Slg 1986, 753 Rn 27 ff – Krohn; Slg 1987, 3677 Rn 9 f – De Boer Buizen; Slg 1989, 1553 Rn 15 f – Roquette Frères; EuG Slg 1995, II-2941 Rn 70 – Levende Varkens; Slg 2001, II-913 Rn 26 ff – Cordis. 67 EuGH Slg 1986, 753 Rn 21 ff – Krohn. Anderes gilt für unverbindliche Stellungnahmen gegenüber den nationalen Behörden (EuGH Slg 1980, 1299 Rn 23 f – Sucrimex; Slg 1991, I-2917
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die nationale Behörde lediglich eine EG-VO, eine unmittelbar bindende EG-Richtlinie oder eine in das nationale Recht umgesetzte, dem Gesetzgeber strikt bindende Richtlinie angewendet hat, ohne über einen Gestaltungsspielraum zu verfügen. Besondere Schwierigkeiten bereitet die Abgrenzung der Verantwortlichkeiten, wenn sowohl eine Verantwortung der Gemeinschaft als auch des Mitgliedstaates besteht (zB wenn eine rechtswidrige Gemeinschaftsnorm fehlerhaft von den nationalen Behörden ausgeführt worden ist).68 Auch dann muss zunächst um Rechtsschutz bei den nationalen Behörden nachgesucht werden. Prozessual vermag die Rspr der Gemeinschaftsgerichte zur Subsidiarität der gemeinschaftsrechtlichen Schadensersatzklage gegenüber den nationalen Rechtsbehelfen nicht zu überzeugen. In Wahrheit besteht keine Parallelität. Für Schadensersatzklagen gegen die Gemeinschaft (oder ihre verselbständigten Rechtssubjekte) ist nur die Gemeinschaftsgerichtsbarkeit, für Schadensersatzklagen gegen die Mitgliedstaaten nur die nationale Gerichtsbarkeit zuständig. Die Bestimmung der Verantwortlichkeit ist eine Frage der Begründetheit.69 Lösung Fall 4: Hat eine nationale Behörde gehandelt, muss grundsätzlich zunächst versucht werden, vor der nationalen Gerichtsbarkeit Schadensersatz zu erlangen (→ Rn 27). Sowohl die deutschen Verwaltungsbehörden als auch die deutschen Gerichte sind nicht befugt, eine EG-Verordnung wegen Verstoßes gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht unangewendet zu lassen.70 Hätte E Verpflichtungsklage vor dem zuständigen deutschen Verwaltungsgericht erhoben und sich hierbei auf die Ungültigkeit der VO berufen, wäre das VG zwar nach Art 234 EGV (257 AEUV-E) verpflichtet gewesen, den EuGH anzurufen, wenn es ebenfalls die VO für unzulässig erachtet hätte. Jedoch wäre nicht mit einem Urteil des EuGH vor dem Jahre 2003 zu rechnen gewesen, also dem Jahr, in dem der Gerichtshof ohnehin die VO für ungültig erklärt hat. Für den bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Schaden ist somit allein die Gemeinschaft verantwortlich, so dass nach der hier vertretenen Auffassung insoweit Klage gem Art 235 EGV (268 AEUV-E) erhoben werden darf. Nach der Ungültigkeitserklärung des EuGH hätte die VO nicht weiter angewendet werden dürfen. Ab diesem Zeitpunkt war daher ein Schaden vermeidbar (abgesehen von dem Verzögerungsschaden bis zum erneuten Wideraufgreifen des Verfahrens), wenn E weiterhin an der Erteilung einer Einfuhrlizenz interessiert war. Ist dennoch ein Schaden eingetreten, sind hierfür die nationalen Instanzen verantwortlich, nicht aber die Europäische Gemeinschaft. Allerdings kann E nach nationalem Recht Schadensersatz nur erlangen, wenn er den Vorrang des Primärrechtsschutzes beachtet. Erhebt F Schadensersatzklage gegen die Europäische Gemeinschaft, ist diese nach der Rspr der Gemeinschaftsgerichte als unzulässig anzusehen, weil im Zeitpunkt der Antragstellung des F die EG-VO bereits für ungültig erklärt worden war, also nicht mehr angewendet werden durfte. Ist dennoch ein Schaden entstanden, weil die VO weiter zugrunde gelegt worden ist, liegt nationales Fehlverhalten vor, für das die Gemeinschaft nicht verantwortlich ist.
Rn 18 f – Sunzest). Vgl aber auch EuGH Slg 1994, I-4199 Rn 26 – KYDEP (Beeinflussung des mitgliedstaatlichen Handelns trotz fehlender Bindungswirkung einer Mitteilung des Gemeinschaftsorgans). 68 Vgl zu solchen Haftungskonkurrenzen v Bogdandy in: Grabitz/Hilf EUV/EGV, Art 288 EGV Rn 58 f. 69 So auch Ehricke in: Streinz EUV/EGV, Art 235 EGV Rn 15; Cremer in: Calliess/Ruffert EUV/EGV, Art 235 EGV Rn 7. 70 Vgl EuGH Slg 1979, Rn 5 – Granaria.
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III. Begründetheit der Schadensersatzklage Die Schadensersatzklage gem Art 235 EGV (268 AEUV-E) ist begründet, wenn der Kläger einen außervertraglichen Schadensersatzanspruch gegen die Europäische Gemeinschaft (oder ihre verselbständigten Rechtssubjekte) hat. Dies bestimmt sich nach Art 288 II, III EGV (340 II, III AEUV-E). Abs 2 der Vorschrift verweist auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind. Der EuGH hat diese Grundsätze im Wege des Richterrechts weitgehend selbst entwickelt, ohne auf die (sehr divergierenden) mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen oder deren Vergleich zurückzugreifen. Danach ist ein Schadensersatzanspruch gegeben, wenn die Organe der Gemeinschaft oder ihre Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit gehandelt haben (1), das Handeln das Recht verletzt (2), dadurch ein Schaden entstanden ist (3) und zwischen dem Schaden und dem Verhalten ein Kausalzusammenhang besteht (4). Die Haftungsvoraussetzungen sind vom Kläger zu beweisen.71 Für das Vorliegen kommt es grundsätzlich auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, für die Bestimmung der Schadenshöhe auf den Zeitpunkt des Urteils an.72 Im Einzelnen bedeutet dies Folgendes:
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1. Handeln der Gemeinschaftsorgane oder ihrer Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit Zunächst müssen die Gemeinschaftsorgane oder Bediensteten der Gemeinschaft gehandelt haben. Wie ausgeführt (→ Rn 12 f), ist der Begriff des Organs im weiteren Sinne zu verstehen. Erfasst werden alle Einrichtungen oder Stellen der Gemeinschaft einschließlich der verselbständigten Rechtssubjekte 73 wie der Europäischen Zentralbank.74 Zu den Bediensteten sind nicht nur die Beamten, sondern alle Bediensteten der Gemeinschaft (→ Rn 3) und darüber hinaus alle Personen zu verstehen, derer sich die Gemeinschaft zur Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben bedient.75 Auf die Art des Handelns kommt es nicht an. So können nicht nur Rechtshandlungen, sondern auch faktische Verhaltensweisen eine Schadensersatzpflicht auslösen. Ein Unterlassen vermag nur eine Haftung zu begründen, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln verletzt worden ist.76 Neben dem administrativen, wird auch das normative und judikative Handeln erfasst. In Ausübung der Amtstätigkeit wird gehandelt, wenn das Verhalten eine unmittelbare innere Beziehung zu den wahrzunehmenden Aufgaben aufweist.77 Daran fehlt es, wenn die Schädigung nur bei Gelegenheit der Amtsausübung erfolgt (wie dies regelmäßig bei verschuldeten Verkehrsunfällen anlässlich der Durchführung einer Dienstreise in einem privaten Pkw angenommen wird 78). Da
71 Vgl EuG Slg 1997, II-1239 Rn 20 – Oleifici Italiane; Slg 2003, II-6005 Rn 71 – DLD Trading. 72 Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 231. 73 Zu den vielfach bestehenden speziellen Haftungsregelungen in den Gründungsrechtsakten der juristischen Personen des Gemeinschaftsrechts vgl → Rn 13. 74 Zum Europäischen Bürgerbeauftragten vgl EuG Slg 2002, II-2203 – Lamberts. 75 Vgl EuGH Slg 1985, 2759 Rn 34 f – Murri Frères; Gellermann in: Streinz EUV/EGV, Art 288 EGV Rn 13. 76 Vgl EuGH Slg 1994, I-4199 Rn 58 – KYDEP; EuG Slg 1998, II-125 Rn 56 – Dubois. 77 EuGH Slg 1969, 329 Rn 5, 11 – Sayag. 78 Vgl v Bogdandy in: Grabitz/Hilf EUV/EGV, Art 288 EGV Rn 66 mwN.
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3. Teil: Rechtsschutz im Europäischen Unions- und Gemeinschaftsrecht
ein Schaden nur durch ein Verhalten entstehen kann, dass sich auf das Außenverhältnis zum Kläger ausgewirkt hat, sind lediglich interne Handlungsweisen im Rahmen des Art 288 II, III EGV (340 II, III AEUV-E) nicht von Bedeutung. 2. Rechtsverletzung 32
Fall 5: Durch VO hat die Gemeinschaft von den Milcherzeugern eine Abgabe für Milcherzeugnisse eingeführt, die eine bestimmte Referenzmenge überschreiten. Die Referenzmenge wurde nach einem Referenzjahr und der in diesem Jahr abgelieferten Milch berechnet. Nachdem G keine Referenzmenge zugeteilt wurde, weil er in Erfüllung einer gegenüber der Gemeinschaft eingegangenen Nichtvermarktungsverpflichtung im Referenzjahr keine Milch abgeliefert hat, erhob er in zulässiger Weise Schadensersatzklage nach Art 235 EGV (268 AEUV-E).
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Nach ständiger Rspr der Gemeinschaftsgerichte setzt eine Haftung der Gemeinschaft (Gemeinschaftsrechtssubjekte) weiter ein hinreichend qualifiziertes rechtswidriges Verhalten voraus.79 Rechtswidrigkeit ist gegeben, wenn gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen wird.80 Haftungsrelevant sind aber nur Verstöße gegen Normen (Regelungen 81), welche dem Schutz der Interessen des Klägers (und nicht nur der Allgemeinheit) zu dienen bestimmt sind.82 Der Schutzzweck der Norm (Regelung) wird methodisch ebenso wie im deutschen Recht 83 bestimmt. Doch wird tendenziell weitergehend als im deutschen Recht angenommen, dass eine Norm (Regelung) den Zweck verfolgt, dem „Einzelnen“ Rechte zu verleihen.84 So ist eine Norm auch dann Schutznormcharakter zuerkannt worden, wenn sie zwar in erster Linie Interessen allgemeiner Art, mittelbar aber auch individuelle Interessen schützen soll.85 Zu den Schutznormen gehören etwa die Unionsgrundrechte, die Grundfreiheiten, die Diskriminierungsverbote, die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, des Vertrauensschutzes und der ordnungsgemäßen Verwaltung (wenn das Handeln oder Unterlassen erkennbar auf die Interessen einzelner bezogen war 86).87 Dagegen vermag die unzulängliche Begründung eines Rechtsaktes 88 oder die Nichtbeachtung einer Zuständigkeitsverteilung 89 die Haftung nicht auszulösen. 79 Vgl EuGH Slg 2000, I-5291 Rn 43 f – Bergaderm; Slg 2007, I-2941 Rn 47 – Holcim. 80 Dies trifft auch auf unmittelbar wirksame völkerrechtliche Verträge zu, die von der Gemeinschaft abgeschlossen worden sind. 81 Auch der Verstoß gegen eine Entscheidung der Kommission kann zur Haftung der Gemeinschaft führen. 82 Vgl EuGH Slg 2000, I-5291 Rn 42 – Bergadem; Slg 2002, I-11355 Rn 53 – Camar; EuG Slg 2001, II-3519 Rn 59 f – Emesa Sugar; Slg 2001, II-3597 Rn 42 f – Area Cova. 83 Vgl dazu Scherzberg in: Erichsen/Ehlers Allg VerwR, § 11 Rn 9 ff. 84 Das Abstellen der Gemeinschaftsgerichte auf den Einzelnen ist in sofern zu eng, als auch die Mitgliedstaaten Schadensersatzklage erheben können (→ Rn 10). 85 Vgl EuGH Slg 1992, I-1937 Rn 19 ff – Vreugdenhil; v Bogdandy in: Grabitz/Hilf EUV/EGV, Art 288 EGV Rn 69. 86 Vgl EuG Slg 1999, II-2403 Rn 38 ff – New Europe Consulting; Slg 2002, II-313 Rn 48 – max.mobil. 87 Vgl Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 233. 88 EuGH Slg 1990, I-2189 Rn 20 – AERPO; EuG Slg 1997, II-501 Rn 66 – Schröder. 89 EuGH Slg 1992, I-1937 Rn 20 ff – Vreugdenhil.
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Um der Komplexität der zu regelnden Sachverhalte, den Schwierigkeiten bei der Anwendung und Auslegung der Vorschriften des Gemeinschaftsrechts und insbesondere dem Ermessensspielraum, über den der Urheber eines Rechtsaktes verfügt, Rechnung zu tragen, setzt die Entstehung der außervertraglichen Haftung der Gemeinschaft ferner einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen eine Rechtsnorm (Regelung) voraus. Anders als dies in der Literatur zum Teil angenommen wird 90 bezieht sich das Kriterium des hinreichend qualifizierten Verstoßes nicht nur auf das normative, sondern auch auf das einzelfallbezogene Handeln der Gemeinschaft.91 Ein Rechtsverstoß ist hinreichend qualifiziert, wenn das Gemeinschaftsorgan oder ihre Bedienstete die Grenzen ihrer Befugnisse offenkundig und erheblich überschritten haben.92 Wenn das Gemeinschaftsorgan (Gemeinschaftsrechtssubjekt → Rn 13) nur über einen erheblich verringerten oder gar auf null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügte, kann die bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts ausreichen, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen.93 Hierbei wird insbesondere auf die Bedeutung der verletzten Schutznorm, das Fehlen von Rechtfertigungsgründen 94, die Betroffenheit einer klar abgrenzbaren Gruppe von Personen oder Unternehmen sowie den Eintritt eines über die wirtschaftlichen Risiken hinausgehenden Schadens abgestellt.95 Anders als das deutsche Amtshaftungsrecht 96 setzt Art 288 II, III EGV (340 II, III AEUV-E) kein Verschulden voraus. Vielmehr sind die Aspekte, die in Deutschland das Verschulden betreffen, weitgehend bei der Prüfung zu berücksichtigen, ob eine hinreichend qualifizierte Verletzung des Gemeinschaftsrechts vorliegt. In den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft bezieht sich die Staatshaftung zT auch auf rechtmäßiges Handeln Vertreter von Staatsgewalt. So wird in Deutschland aus dem Rechtsinstitut der Aufopferung, Gewohnheitsrecht oder Art 14 I GG für Beeinträchtigungen des Eigentums, die als Nebenfolge rechtmäßigen Verwaltungshandelns eintreten und die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren überschreiten, eine Haftung aus enteignendem Eingriff angenommen.97 Gehaftet wird dann für Erfolgsunrecht statt für Handlungsunrecht. Die Gemeinschaftsgerichte haben auch eine Haftung der Gemeinschaft für rechtmäßiges Handeln für möglich gehalten, wenn einzelne oder eine kleine Gruppe einen außergewöhnlichen und besonderen Schaden erlitten 98, dh ein Sonderopfer erbracht haben. Art 288 II, III EGV (340 II, III AEUV-E) steht eine Haftung für recht90 Vgl etwa Ruffert in: Calliess/ders EUV/EGV, Art 288 EGV Rn 12 ff, 16 ff. 91 EuGH Slg 2000, I-5291 Rn 46 – Bergaderm; Slg 2003, I-7541 Rn 27 – Fresh Marine; Slg 2007, I-2941 Rn 48 – Holcim. 92 EuGH Slg 2000, I-5291 Rn 43 – Bergaderm; Slg 2002, I-11355 Rn 54 – Camar; Slg 2003, I-7541 Rn 26 – Fresh Marine. 93 EuGH Slg 2000, I-5291 Rn 43 f – Bergaderm; Slg 2007, I-2941 Rn 47 – Holcim. 94 An einer Rechtfertigung fehlt es, wenn der Fehler vernünftigerweise nicht unterlaufen durfte oder wenn keine zwingenden Gründe des öffentlichen Interesses die Rechtswidrigkeit des Handelns ausschließen, vgl EuGH Slg 1992, I-3061 Rn 16 – Mulder; EuG Slg 2001, II-913 Rn 45 – Cordis. 95 Vgl GA van Gerven Slg 1992, I-3061 Rn 16 – Mulder; Gellermann in: Streinz EUV/EGV, Art 288 EG Rn 22; Ruffert in Calliess/ders EUV/EGV, Art 288 EGV Rn 20 ff; v Bogdandy in: Grabitz/ Hilf EUV/EGV, Art 288 Rn 85 ff. 96 Vgl § 839 I BGB. 97 Vgl BGHZ 91, 20, 26 f; 102, 350, 361; Grzeszick in: Erichsen/Ehlers Allg VerwR, § 44 Rn 86 ff. 98 EuGH Slg 2000, I-4549 Rn 17 ff – Dorsch Consult; Slg 2007, I-44 Rn 76 – Galileo; EuG Slg 1998, II-667 Rn 59, 76 – Dorsch Consult; Slg 2005, II-5393 Rn 157 – Fiamm; Slg 2006, II-1291 Rn 147 – Galileo.
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mäßiges Verhalten nicht entgegen, weil die Vorschrift kein auf die Rechtmäßigkeit des Handelns abstellendes Tatbestandsmerkmal enthält. Auch wenn man eine Haftung dem Grunde nach bejaht, kann es sich – ebenso wie im deutschen Recht – nur um Ausnahmefälle handeln, weil Rechtsetzungsakte in Konstellationen, in denen unverhältnismäßige und besondere Schäden drohen, eine Härteregelung benötigen und andernfalls rechtswidrig sind.99 36
Lösung Fall 5: Die Schadensersatzklage des G ist begründet, wenn er nach Art 288 II EGV (340 II AEUV-E) einen Schadensersatzanspruch gegen die Gemeinschaft hat. Dies setzt eine hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen, dem Schutz des Einzelnen dienenden Rechtsnorm voraus. Das handelnde Organ müsste dann seine Befugnisse offenkundig und erheblich überschritten haben. Dieses Erfordernis ist hier gegeben, da die maßgebliche VO unter Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes erlassen wurde, bei dem es sich um einen höherrangigen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts handelt, der die Einzelnen schützen soll. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat deshalb die Grenzen seines Ermessens offenkundig und erheblich überschritten und damit eine höherrangige Rechtsnorm hinreichend qualifiziert verletzt, weil er, ohne sich auf ein höheres öffentliches Interesse berufen zu können, die besondere Lage einer klar abgegrenzten Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern völlig unberücksichtigt gelassen hat; nämlich die Lage der Erzeuger, die in Erfüllung einer gegenüber der Gemeinschaft eingegangenen Verpflichtung während des Referenzjahres keine Milch geliefert haben. Die genaue Höhe des Schadens stand im Zeitpunkt der Befassung der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit mit der Streitsache nicht fest. Der EuGH hat darauf hingewiesen, dass auch der entgangene Gewinn zu berücksichtigen ist und von dem geschuldeten Schadensersatzbetrag Verzugszinsen vom Tag der Verkündung des Urteils an zu zahlen sind. Im Übrigen hat er den Parteien aufgegeben, dem Gerichtshof binnen 12 Monaten ab Verkündung des Urteils mitzuteilen, auf welche zu zahlenden Beträge sie sich geeinigt haben. Werde eine Einigung nicht erzielt, so hätten die Parteien dem Gerichtshof binnen derselben Frist ihre bezifferten Anträge vorzulegen.100
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Der Schaden (zum Begriff → Rn 15) muss tatsächlich eingetreten sein oder unmittelbar bevorstehen (→ Rn 21). 4. Kausalität
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Zwischen dem Verhalten und dem Schaden muss ein unmittelbarer und ursächlicher Zusammenhang bestehen.101 Der Schadenseintritt muss bei gewöhnlichem Geschehensablauf objektiv vorhersehbar gewesen sein 102 und auf der (rechtswidrigen) Amtshandlung beruhen (Rechtswidrigkeitszusammenhang).103 An dem Kausalzusammenhang fehlt es,
99 Vgl EuGH Slg 1996, I-6065 Rn 38, 57 f – T Port; Grzeszick in: Erichsen/Ehlers Allg VerwR, § 46 Rn 9. 100 EuGH Slg 1992, I-3061 – Mulder. 101 Vgl EuGH Slg 1979, 3091 Rn 21 – Dumortier frères; EuG Slg 2006, II-2763 Rn 37 – CAS. 102 EuG Slg 1998, II-667 Rn 72 – Dorsch Consult. 103 EuG Slg 2000, II-4005 Rn 26 – Royal Olympic Cruises.
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wenn der gleiche Erfolg auch ohne die Amtstätigkeit eingetreten wäre 104 oder wenn der Ursachenzusammenhang infolge eines Verhaltens des Geschädigten 105 oder eines Mitgliedstaats unterbrochen wird. Völkerrechtlich verbindliche Vorgaben des UN-Sicherheitsrates verhindern eine Zurechnung zu Lasten der Gemeinschaft 106, nicht aber Strafzölle eines Drittstaates als Reaktion auf WTO-widrige Gemeinschaftsakte.107 5. Art und Umfang des Ersatzanspruchs Zu ersetzen ist neben materiellen und immateriellen Einbußen (→ Rn 15) auch der entgangene Gewinn.108 Die Berechnung erfolgt nach der Differenzhypothese.109 Dies bedeutet, dass der Betroffene die Differenz zwischen der sich ohne das schädigende Ereignis ergebenen hypothetischen Vermögenslage und dem tatsächlichen Zustand fordern kann. Zu der Art der Ersatzleistung (Zahlung von Geld, Naturalrestitution, Folgenbeseitigung) vgl → Rn 15. Ein Mitverschulden wird berücksichtigt (→ Rn 24). Der Geschädigte muss alle zumutbaren Maßnahmen zur Verhinderung des Schadens und zur Schadensbegrenzung ergriffen haben. Der Entschädigungsbetrag ist zu verzinsen, sofern die Verzinsung beantragt wird. Hierbei greifen die Gemeinschaftsgerichte auf den Zinssatz der Europäischen Zentralbank für die wesentlichen Refinanzierungsgeschäfte zuzüglich 2 % zurück.110 Die Verzinsung beginnt mit der Verkündung des Urteils.111 Zusätzlich kann der Geschädigte für die Zeit vom Tag des Schadenseintritts bis zum Beginn des Zinsanspruchs einen Inflationsausgleich beanspruchen.112 In der Praxis weisen die Gemeinschaftsgerichte die Parteien zumeist an, innerhalb einer vom Gericht festgesetzten Frist sich auf einen Betrag zu einigen. Nur wenn die Einigung nicht zustande kommt, entscheidet der Gerichtshof selbst über den konkreten Schadensersatzbetrag.113
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IV. Wirkungen des Urteils Entscheidet der Gerichtshof nur über den Haftungsgrund, ergeht ein (nicht vollstreckbares) Feststellungsurteil (→ Rn 21), bei Verurteilung zur Zahlung eines konkreten Betrages ein Leistungsurteil. Dieses ist gem Art 244 iVm 256 II-IV EGV (280, 299 II-IV AEUV-E) vollstreckbar. Gem Art 1 S 3 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften vom 8.4.1965 114 dürfen die Vermögensgegenstände
104 EuGH Slg 1975, 117 Rn 32 – Compagnie Continentale France; Slg 1982, 3057 Rn 22 ff – Oliefici Mediterranei. 105 EuGH Slg 1982, 3057 Rn 24 – Oliefici Mediterranei; Slg 2000, I-1527 Rn 56 f – Parlament Bieber. 106 EuG Slg 1998, II-667 Rn 73 f – Dorsch Consult. 107 Vgl Dörr/Lenz Verwaltungsrechtsschutz, Rn 237. 108 EuGH Slg 1979, 2955 Rn 13 – Ireks Arkady; Slg 1992, I-3061 Rn 26 – Mulder. 109 Vgl EuG Slg 2005, II-2741 Rn 97 ff – Camar. 110 EuG Slg 2002, II-3909 Rn 78 – Hans Fuchs; Slg 2004, II-587 Rn 145 – Calberson. 111 EuGH Slg 1979, 2955 Rn 14, 20 – Ireks Arkady. 112 EuGH Slg 1994, I-341 Rn 40 – Grifoni. 113 Borchardt EU, Rn 619. 114 Sart II Nr 212.
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und Guthaben der Gemeinschaften ohne Ermächtigung des Gerichtshofs nicht Gegenstand von Zwangsmaßnahmen sein. Die Ermächtigung kann in dem Schadensersatzurteil erteilt werden.115 Ein erfolgreiches Urteil beseitigt nicht den rechtswidrigen Gemeinschaftsrechtsakt und wirkt nur inter partes.
115 In der Praxis geschieht dies nur, wenn das verurteilte Gemeinschaftsorgan gegen die Vollstreckung Einwände erhoben hat. Vgl EuGH Slg 1987, 2807 Rn 5 – Universe Tankship.
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§ 11 Vorabentscheidungsverfahren Rainer Wernsmann I. Funktion und Bedeutung im Rechtsschutzsystem der Gemeinschaft Stellen sich in einem Verfahren vor einem nationalen Gericht Fragen an das europäische Gemeinschaftsrecht, so kann das Gericht berechtigt oder sogar verpflichtet sein, den EuGH in einem Zwischenverfahren mit dieser für die Entscheidung des Falles erheblichen Vorfrage zu befassen. Dieses Zwischenverfahren ist in Art 234 EGV (nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon künftig: Art 267 AEUV; früher: Art 177 EGV aF) geregelt und wird als Vorabentscheidungsverfahren bezeichnet.
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1. Grundlagen Im System des europäischen Rechtsschutzes erfüllt das Vorabentscheidungsverfahren eine Doppelfunktion.1 Dem Vorabentscheidungsverfahren kommt zunächst eine wesentliche Bedeutung für den Individualrechtsschutz in der Gemeinschaft zu.2 Es dient in dieser Funktion der Durchsetzung von Rechten, die das Gemeinschaftsrecht dem Einzelnen verleiht, zB der Grundfreiheiten. Diese Funktion der Durchsetzung von subjektiven Rechten, die das Gemeinschaftsrecht vermittelt, ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil es keinen der Urteilsverfassungsbeschwerde vergleichbaren Rechtsbehelf im Gemeinschaftsrecht gibt. Der Einzelne kann sich nicht an den EuGH wenden, wenn die nationalen Gerichte seiner Meinung nach gemeinschaftsrechtswidriges nationales Recht angewendet haben. Rechtsakte der Gemeinschaft selbst sind im Wege der Nichtigkeitsklage (Art 230 EGV; 263 AEUV-E) nicht uneingeschränkt anfechtbar. Diese Rechtsschutzlücken werden dadurch geschlossen, dass die nationalen Gerichte die Ungültigkeit oder den Inhalt von Gemeinschaftshandlungen in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit inzident – dh als Vorfrage – berücksichtigen müssen. Die Einschaltung des EuGH dient zudem der Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit innerhalb der Gemeinschaft und damit auch der effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten. Es sichert die gemeinschaftsweit einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts und wirkt einer divergierenden Anwendung in den Mitgliedstaaten entgegen.3 Indem der EG-Vertrag dem EuGH das Verwerfungsmonopol für das (sekundäre) Gemeinschaftsrecht zuweist, schützt er zudem die Autorität des Gemeinschaftsnormgebers gegen den Zugriff mitgliedstaatlicher Gerichte.4 In seiner Funk-
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Gaitanides in: v.d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art 234 EGV Rn 6. Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Anh § 40 Art 177 EGV Rn 5. EuGH v 4.6.2002 Rs C-99/00 Rn 14 – Lyckeskog mwN; Thiele EuPrR, § 9 Rn 2. Wernsmann/Behrmann Jura 2006, 181, 182. Vgl zum Zweck des Schutzes des parlamentarischen Gesetzgebers nach Art 100 I GG → § 16 Rn 2. Während dieser Zweck bei Art 100 I GG letztlich in der gesteigerten demokratischen Legitimation des Parlaments wurzelt, dient der Schutz des Gemeinschaftsnormgebers durch die Monopolisierung der Normverwerfungskompetenz beim EuGH dem Interesse an der effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts insgesamt.
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tion ist das Vorabentscheidungsverfahren somit den Richtervorlagen nach nationalem Recht (zB Art 100 I GG) vergleichbar. Art 234 EGV (267 AEUV-E) ist nicht als eigenständiges Klageverfahren, sondern als objektives Zwischenverfahren ohne eigene Antragsrechte der Parteien des Ausgangsverfahrens 5 ausgestaltet. Dies führt zu einer „Verzahnung“ der Gerichtsbarkeiten von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten.6 Es bleibt Sache der Mitgliedstaaten, das – auch gemeinschaftsrechtlich garantierte 7 – Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten.8 2. Fallkonstellationen
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Das Vorabentscheidungsverfahren kennt vier Fallgruppen, die sich nach dem Gegenstand der Vorlage und der Vorlagefrage unterscheiden.9 Der Gerichtshof entscheidet (1) über die Auslegung des Vertrages, Art 234 Ia EGV (267 Ia AEUV-E), (2) über die Gültigkeit der Handlungen der Organe und der EZB, Art 234 Ib Alt 1 EGV (267 Ib Alt 1 AEUV-E 10), (3) über die Auslegung dieser Handlungen, Art 234 Ib Alt 2 EGV (267 Ib Alt 2 AEUV-E), und (4) über die Auslegung der Satzungen der vom Rat geschaffenen Einrichtungen, Art 234 Ic EGV (diese Vorlagemöglichkeit entfällt in Art 267 I AEUV-E ersatzlos 11).
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Die Klärung von Auslegungsfragen durch den EuGH soll es den nationalen Gerichten ermöglichen, die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung mit der Gemeinschaftsregelung zu beurteilen, ohne dass der EuGH über die „Gültigkeit“ oder die „Anwendbarkeit“ des nationalen Rechtsakts 12 selbst befindet.13 Der EuGH entscheidet also nicht über die Vereinbarkeit von Normen des innerstaatlichen Rechts mit dem Gemeinschaftsrecht, sondern gibt dem nationalen Gericht lediglich Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die es dem Gericht des Ausgangsverfahrens ermöglichen, über die Frage der Vereinbarkeit nationaler Rechtsnormen mit dem Gemeinschaftsrecht zu entscheiden.14 Hat ein natio-
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BVerfGE 73, 339, 369; Gaitanides in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art 234 EGV Rn 2. Oppermann EuropaR, § 9 Rn 54. Gundel in: Ehlers, EuGR, § 18 Rn 44. Vgl auch Art 47 I EU-GRCh. Vgl dazu EuGH Slg 2002, I-6677 Rn 40 f – Unión de Pequeños Agricultores → JK EGV Art 230 IV/2. Daneben entscheidet der EuGH im Wege der Vorabentscheidung auch über die in Art 35 I EUV genannten Gegenstände. Die EZB wird nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon nicht mehr eigens aufgeführt. Dann ist von Handlungen der „Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union“ die Rede. Sie spielte auch bisher schon keine Rolle, dazu sogleich → Rn 7. Die hM geht von einem Anwendungs-, nicht Geltungsvorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht aus. Gemeinschaftsrechtswidriges nationales Recht bleibt also gültig, ist aber insoweit nicht anwendbar, als ihm im Einzelfall Gemeinschaftsrecht entgegensteht; s etwa Ehlers in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 2 Rn 104 f; Streinz EuropaR, Rn 222. EuGH Slg 1964, 1215, 1230 – van der Veen; Slg 1993, I-6787 Rn 8 – Hünermund; Slg 1979, 1163 Rn 10 ff – ICAP. Zuletzt etwa EuGH v 10.7.2008, Rs C-54/07 Rn 19 – Feryn. EuGH v 19.9.2006 Rs C-506/04 Rn 34 f – Wilson; v 19.4.2007 Rs C-295/05 Rn 29 – Asemfo; v 15.11.2007, Rs C-162/06 Rn 19 f – International Mail Spain; v 29.1.2008 Rs C-275/06 Rn 38 – Promusicae; v 31.1.2008 Rs C-380/05 Rn 49 ff – Centro Europa 7. Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass es praktisch keinen Unterschied macht, ob der EuGH eine Bestimmung des Gemein-
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nales Gericht dem EuGH die Frage vorgelegt, ob eine Norm des nationalen Rechts mit dem Gemeinschaftsrecht (zB den Grundfreiheiten) vereinbar sei, so ist die Vorlage nicht unzulässig, vielmehr formuliert der EuGH die Frage dann um.15 Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass dem EuGH nach Art 220 iVm Art 7 I 2 EGV (19 I EUV-E iVm 13 II 1 EUV-E) keine Rechtsprechungskompetenz über das nationale Recht der Mitgliedstaaten zukommt und Fragen des nationalen Rechts deshalb nicht Verfahrensgegenstand sein können. Der Gerichtshof kann aber im Wege der Auslegung abstrakt beantworten, ob das Gemeinschaftsrecht eine Maßnahme nach Art des im Ausgangsverfahren anzuwendenden nationalen Rechtsaktes verbietet.16 Art 234 EGV (267 AEUV-E) will sicherstellen, dass sämtliche Rechtssätze des Gemeinschaftsrechts Gegenstand von Auslegungsvorlagen sein können.17 Auch wenn sich dem nationalen Recht die Frage stellt, ob eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts 18 vorzunehmen ist (etwa weil eine Norm des nationalen Rechts möglicherweise nur in einer bestimmten Auslegungsvariante mit einer Richtlinie vereinbar ist), so kann es diese dem EuGH vorlegen.19 Die in Art 234 Ic EGV vorgesehene Entscheidung über die Auslegung der Satzungen der durch den Rat geschaffenen Einrichtungen hat gegenwärtig allerdings keine eigenständige Bedeutung, da dem EuGH bislang keine derartigen Kompetenzen übertragen wurden (nach dem Vertrag von Lissabon entfällt diese Vorlagemöglichkeit). Soweit die Satzungen dieser Einrichtungen als Verordnungen ergingen, werden sie bereits von Art 234 Ib EGV (267 Ib AEUV-E) erfasst.20 Fragen nach der Gültigkeit von Rechtsakten sind gem Art 234 Ib EGV (267 Ib AEUV-E) auf das sekundäre Gemeinschaftsrecht beschränkt. Insoweit kommt dem EuGH zur Wah-
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schaftsrechts in der Weise auslegt, dass sie einer nationalen Norm wie der im Ausgangsverfahren anzuwendenden entgegensteht, oder ob der EuGH entscheiden würde, dass die die im Ausgangsverfahren anzuwendende nationale Rechtsnorm wegen Verstoßes gegen Gemeinschaftsrechts unanwendbar sei; ähnlich Craig/de Búrca EU Law, 493 f. EuGH v 11.10.2007, Rs C-443/06 Rn 18, 20 f – Hollmann; Pechstein EU/EG, Rn 794, 845; Thiele EuPrR, § 9 Rn 25, 31. Streinz EuropaR, Rn 633; Herdegen EuropaR, § 10 Rn 30; Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO Anh § 40 Art 177 EGV Rn 8 („mittelbare“ Überprüfung). Ausnahme: Maßnahmen oder Beschlüsse im Sinne von Art 68 II EGV, dazu Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 234 EGV Rn 8. Vgl dazu etwa Ehlers in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 2 Rn 103. Die Frage, ob eine Rechtsnorm nach den allgemein anerkannten Auslegungsmethoden gemeinschaftsrechtskonform ausgelegt werden kann, stellt sich insbesondere bei Richtlinien, soweit diese nicht unmittelbar anwendbar sind. Dies ist vor allem im Verhältnis zwischen zwei Privaten der Fall. Näher dazu etwa Ehlers in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 4 Rn 14 mwN. Vgl EuGH v 17.4.2008 Rs C-404/06 Rn 18 ff – Quelle. (Merkwürdigerweise bejahte der EuGH in dieser Entscheidung allerdings die Entscheidungserheblichkeit, obwohl das vorlegende Gericht mitgeteilt hatte, dass eine gemeinschaftsrechtskonforme „Auslegung“ nicht möglich sei, und obwohl eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie insoweit nicht in Betracht kam; dazu Lösung Fall 4 → Rn 33. Daran zeigt sich erneut die tendenzielle Großzügigkeit des EuGH bei der Beurteilung der Zulässigkeit von Vorlagen.) – Dagegen kann (und muss) eine verfassungskonforme Auslegung jedes Fachgericht selbst vornehmen. Eine Vorlage nach Art 100 I GG wäre unzulässig, da das Ausgangsgericht bei der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung die Norm gerade nicht für verfassungswidrig hält; BVerfGE 85, 329, 333; 88, 187, 194. Zudem wäre nicht iSd § 80 II BVerfGG dargelegt, dass die Norm verfassungswidrig ist. Gaitanides in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art 234 EGV Rn 25.
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rung der Rechtseinheit in der Gemeinschaft ein Verwerfungsmonopol für sekundäres Gemeinschaftsrecht 21 zu. Das primäre Gemeinschaftsrecht kann nicht Prüfungsgegenstand des EuGH 22 sein, sondern ist – als das höherrangige Recht 23 – Prüfungsmaßstab für das sekundäre Gemeinschaftsrecht. Zum primären Gemeinschaftsrecht gehören vor allem die Verträge (insbesondere der EG-Vertrag) sowie die ungeschriebenen Rechtsgrundsätze, vor allem die Gemeinschaftsgrundrechte (vgl Art 6 II EUV sowie die EU-GRCh). Prüfungsmaßstab für das jeweilige nationale Zustimmungsgesetz zu einer Vertrags- (also Primärrechts-)Änderung ist hingegen die Verfassung des jeweiligen Mitgliedstaates, in Deutschland vor allem Art 23 I GG; über die Verfassungsmäßigkeit des Zustimmungsgesetzes hat in Deutschland das BVerfG zu entscheiden.24 3. Rechtstatsächliche Bedeutung 9
Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art 234 EGV (267 AEUV-E) ist praktisch von größter Bedeutung. Fast die Hälfte aller Entscheidungen des EuGH – häufig die wichtigsten (→ 6 Rn 12) – ergehen im Vorabentscheidungsverfahren.25 Der frühere Präsident des EuGH hat es daher als „Eckpfeiler des gemeinschaftsrechtlichen Gerichtssystems“ bezeichnet.26 Wegen seiner zunächst gar nicht erwarteten überragenden Bedeutung für die Auslegung und das Verständnis des Gemeinschaftsrechts und die Verzahnung mit dem Recht der Mitgliedstaaten wird das Vorabentscheidungsverfahren auch als „jewel in the Crown“ 27 der Rechtsprechung des EuGH bezeichnet. Die durchschnittliche Verfahrensdauer beträgt in aller Regel zwischen 21 und 27 Monaten, also etwa zwei Jahre.28
II. Zulässigkeit einer Vorlage an den EuGH 10
Fall 1: Das Tribunal de première instance bezweifelt die Vereinbarkeit einer belgischen Rechtsnorm mit der VO Nr 1251/70, soweit sie (die belgische Rechtsnorm) die Ausweisung von Familienangehörigen von EU-ausländischen Arbeitnehmern erlaubt. Die VO gewährt diesem Personenkreis unter bestimmten Umständen ein Bleiberecht. (a) Kann das Gericht die Frage der Vereinbarkeit der nationalen Norm mit der VO dem EuGH vorlegen? (b) Wie ist der Fall zu beurteilen, wenn Belgien die Regelungen der VO auf die Familienangehörigen von belgischen Arbeitnehmern erstreckt hat? (vgl EuGH Slg 1990, I-3763 Rn 36 f – Dzodi)
21 Gemeinschaftsrechtswidriges nationales Recht hat hingegen jedes Gericht und jede Behörde des Mitgliedstaates ohne weiteres außer Acht zu lassen; einer Vorlage nach Art 100 I GG oä bedarf es insoweit nicht. Dazu noch unten → Rn 19, 24 ff, 56. 22 AA von Arnauld EuR 2003, 191, 215 f, der von Normhierarchien innerhalb des primären Gemeinschaftsrechts und damit der Möglichkeit primärrechtswidrigen Primärrechts ausgeht. 23 Vgl Erichsen/Weiß Jura 1990, 586, 590. 24 Vgl dazu zB Streinz EuropaR, Rn 243 mwN. 25 Vgl Skouris EuGRZ 2008, 343, 344. – Rechtsprechungsstatistik des EuGH für 2007, abrufbar unter http://curia.europa.eu/de/instit/presentationfr/rapport/stat/07_cour_stat.pdf. 26 Rodriguez Iglesias NJW 2000, 1889, 1895. 27 Craig/de Búrca EU Law, 460 f. 28 Rechtsprechungsstatistik des EuGH → Fn 25. Nach Art 267 IV AEUV-E wird der EuGH „innerhalb kürzester Zeit“ entscheiden, wenn das Ausgangsverfahren eine inhaftierte Person betrifft. Gemeint ist, dass es um die Frage der Freiheitsentziehung im Ausgangsverfahren gehen muss.
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Fall 2: In einem Rechtsstreit um den Widerruf von Ausfuhrerstattungen hebt der BFH in der Revisionsinstanz das erstinstanzliche Urteil auf und verweist den Rechtsstreit an das Finanzgericht zurück. Im Gegensatz zum BFH geht das FG davon aus, dass die maßgebliche Verordnung unter den gegebenen Umständen einen Anspruch auf Ausfuhrerstattungen nicht vorsehe. (a) Kann das FG die Frage durch den EuGH klären lassen? (b) Muss das FG dem EuGH vorlegen? (vgl EuGH Slg 1974, 33 – Rheinmühlen Düsseldorf)
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Fall 3: Ein Verband der Hersteller von sog Nahrungsergänzungsmitteln wendet sich vor dem High Court of Justice (England und Wales) gegen eine nationale Regelung, die das in der Richtlinie 2002/46/EG enthaltene Verbot, bestimmte Nahrungsergänzungsmittel zu vermarkten, umsetzt. Das Gericht sieht ua die Warenverkehrsfreiheit verletzt und hält die Richtlinie für unverhältnismäßig. Auch bezweifelt es, dass die Richtlinie ausreichend begründet wurde. Wie wird das Gericht entscheiden? (vgl EuGH v 12.7.2005, Rs C-154/04 – Alliance for Natural Health)
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Fall 4: Im August 2002 lieferte die Fa. Quelle AG (Q) an Frau Brüning (B) ein „Herd-Set“ für ihren privaten Gebrauch. Anfang 2004 stellt B fest, dass das Gerät vertragswidrig war. Da eine Reparatur nicht möglich ist, gibt sie das Gerät an Q zurück. Q verlangt jedoch von B die Zahlung von 69 € als Ersatz für die Nutzungsvorteile. Der BGH meint, das BGB (§§ 439 IV, 346 I, II Nr 1) lasse nur die eine Auslegung zu, dass der Verkäufer im Fall der Ersatzlieferung für eine mangelhafte Sache Anspruch auf Wertersatz für die Vorteile habe, die der Käufer aus der Nutzung dieser Sache bis zu ihrem Austausch durch die neue Sache gezogen habe. Der BGH meint jedoch, dass Art 3 der RL 1999/44/EG solch einen Anspruch auf Wertersatz für Nutzungsvorteile verbiete. Ist die Vorlage zulässig? (vgl EuGH v 17.4.2008, Rs C-404/06 – Quelle)
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1. Vorlageberechtigung Nach Art 234 II, III EGV (267 II, III AEUV-E) muss die Vorlagefrage durch das „Gericht eines Mitgliedstaates“ gestellt sein. Der Begriff des Gerichts ist gemeinschaftsrechtlich zu interpretieren.29 Nach den (nicht abschließenden) Kriterien des EuGH setzt er jedenfalls voraus, dass es sich um ein unabhängiges (dh nicht weisungsgebundenes) Organ handelt, das auf Grundlage nationalen Rechts als streitentscheidende Institution vorgesehen und ordnungsgemäß gebildet ist, rechtsstaatlichen Verfahrensnormen unterliegt und Entscheidungen trifft, denen die Rechtsordnung des jeweiligen Mitgliedstaates bindende Kraft beimisst.30 Es muss auf gesetzlicher Grundlage eingerichtet sein, ständigen Charakter haben, unabhängig und obligatorisch sein, streitige Verfahren entscheiden und Rechtsnormen anwenden.31 Diesen Anforderungen genügen die staatlichen Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, soweit sie Aufgaben der Rechtspflege wahrnehmen.32 29 Gaitanides in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art 234 EGV Rn 42. 30 EuGH Slg 2000, I-5539 Rn 28 ff – Abrahamsson; Slg 1997, 4961 Rn 22 ff – Dorsch Consult (Gerichtsqualität des Vergabeüberwachungsausschusses des Bundes bejaht); Pechstein EU/EG, Rn 811 ff; Streinz EuropaR, Rn 631. 31 EuGH v 14.6.2007 Rs C-246/05 Rn 16 – Häupl; v 18.10.2007 Rs C-195/06 Rn 19 – KommAustria. 32 Erichsen/Weiß Jura 1990, 586, 589; Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Anh § 40 Art 177 EGV Rn 13 ff.
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Keine Gerichte sind jedenfalls die Verwaltungsbehörden. Hält ein Verwaltungsbeamter eine anzuwendende Gemeinschaftsrechtsnorm für rechtswidrig, trifft ihn (wegen Art 20 III GG) eine Remonstrationspflicht. Teilen seine Vorgesetzten die Auffassung, wird letztlich der Bundesminister einen Beschluss der Bundesregierung anregen, eine entsprechende Nichtigkeitsklage zu erheben, sofern diese noch nicht verfristet ist. Hält er hingegen eine nationale Norm für gemeinschaftsrechtswidrig, so soll er diese hingegen ohne Weiteres selbst außer Anwendung lassen müssen.33 Schiedsgerichte können Gerichte iSd Art 234 EGV (267 AEUV-E) sein, wenn sie hinreichend in das mitgliedstaatliche Rechtssystem eingebunden sind.34 Nicht zu den vorlageberechtigten Stellen gehören aber die Schiedsgerichte nach §§ 1025 ff ZPO, weil ihre Entscheidungen (auch wenn sie Bindungswirkungen entfalten) Ausfluss der Privatautonomie sind und es daher an einer hinreichend engen Beziehung zum allgemeinen Rechtsschutzsystem fehlt.35 2. Vorlagegrund
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Die nationalen Gerichte können dem EuGH Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts (Art 234 Ia, b Alt 2, c EGV bzw 267 Ia, b Alt 2 AEUV-E) oder zur Gültigkeit von sekundärem Gemeinschaftsrecht (Art 234 Ib Alt 1 EGV bzw 267 Ib Alt 1 AEUV-E) vorlegen.
a) Entscheidung über die Auslegung des Vertrages (Art 234 Ia EGV; 267 Ia AEUV-E) 18
Zum Vertrag iSd Art 234 Ia EGV (267 Ia AEUV-E) gehören alle Bestimmungen des primären Gemeinschaftsrechts. Dazu zählt der EG-Vertrag (nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon: der Vertrag über die Europäische Union sowie der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) mit seinen zugehörigen Bestandteilen wie Anhängen, Zusatzprotokollen (vgl Art 311 EGV; 51 EUV-E) und Beitrittsverträgen.36 Daneben werden auch ungeschriebene Regeln erfasst, die denselben Rang wie das Vertragsrecht haben. Dies sind die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts einschließlich der Gemeinschaftsgrundrechte sowie das Gemeinschaftsgewohnheitsrecht.37
33 Krit dazu mwN Ehlers in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 2 Rn 121 f; zu einer besonders sorgfältigen Prüfung mahnend, wenn Verwaltungsbehörden nationales Recht wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit außer Anwendung lassen wollen, Streinz/Herrmann, BayVBl 2008, 1, 7 f; Streinz EuropaR, Rn 256. 34 EuGH Slg 1994, I-1477 Rn 21 ff – Almelo; Erichsen/Weiß Jura 1990, 586, 589; Streinz EuropaR, Rn 631, 643. 35 EuGH Slg 1982, 1095 Rn 7 ff – Nordsee. 36 Nicht zum „Vertrag“ iSv Art 234 Ia EGV zählt der Unionsvertrag, Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 234 EGV Rn 16 mwN. 37 Vgl Ehlers in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 2 Rn 29 ff.
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b) Entscheidung über die Gültigkeit und Auslegung der Handlungen der Gemeinschaftsorgane (Art 234 Ib EGV; 267 Ib AEUV-E) Organe der Gemeinschaft sind nach der abschließenden Aufzählung in Art 7 I EGV (13 EUV-E) das Parlament, der Rat, die KOM, der Gerichtshof und der Rechnungshof 38. Gegenstand einer Vorlage nach Art 234 EGV (267 AEUV-E) können vor allem die in Art 249 EGV (288 AEUV-E) genannten Rechtsakte sein, also neben Verordnungen und Entscheidungen 39 auch die (grundsätzlich nicht unmittelbar geltenden) Richtlinien 40 sowie die (unverbindlichen) Empfehlungen und Stellungnahmen 41. Urteile des EuGH sind zwar Handlungen eines Gemeinschaftsorgans (Art 7 I 1 EGV; 13 I EUV-E), jedoch kein tauglicher Vorlagegegenstand, weil dem ihre Rechtskraft entgegensteht.42 Die in der Satzung des EuGH 43 aufgeführten Rechtsbehelfe gegen Urteile sind abschließend. Auch eine Auslegung von Urteilen kann nur über Art 43 EuGH-Satzung erreicht werden.44 Vorgelegt werden können darüber hinaus Handlungen der Europäischen Zentralbank. Völkerrechtliche Abkommen können Gegenstand der Auslegung sein, soweit diese auf der Grundlage des EG-Vertrages von der Gemeinschaft abgeschlossen worden sind oder für sie verbindlich sind (Beispiel: GATT).45 Ob die von der Gemeinschaft geschlossenen völkerrechtlichen Verträge Gegenstand einer Gültigkeitsvorlage sein können, ist zweifelhaft, weil dies die Wirksamkeit der eingegangenen Verpflichtungen in Frage stellt.46 Weil die Unwirksamkeit dem Vertragspartner aber nicht entgegengehalten werden kann, ist eine Vorlage nicht ausgeschlossen.47 Normen des nationalen Rechts können vom EuGH weder ausgelegt noch auf ihre „Gültigkeit“ oder „Anwendbarkeit“ überprüft werden.48 Soweit eine nationale Norm gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, muss sie wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts 49 unangewendet bleiben.50
38 Nach Art 13 EUV-E verliert die Europäische Zentralbank ihre Sonderstellung und wird ebenfalls zu einem Organ. 39 Letztere werden nach Art 288 IV AEUV-E als Beschlüsse bezeichnet. 40 EuGH Slg 1976, 657 Rn 7 ff – Mazzalai. 41 Zu letzteren EuGH Slg 1976, 983 ff – Frescassetti. 42 EuGH Slg 1986, 947 Rn 13 – Wünsche; Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 234 EGV Rn 12. 43 http://curia.eu.int/de/instit/txtdocfr/txtsenvigueur/statut.pdf. 44 Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Anh § 40 Art 177 EGV Rn 20; Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 234 EGV Rn 18; aA Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 234 EGV Rn 8. Gegenstand eines Vorabentscheidungsverfahrens kann aber die Verfahrensordnung des Gerichtshofs sein, EuGH Slg 1973, 269 – Bollmann. 45 EuGH Slg 1972, 1219 Rn 7 ff – Produktschap voor Groenten en Fruit. 46 Gaitanides in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art 234 EGV Rn 34 f. Eine ähnliche Problematik stellt sich bei der abstrakten Normenkontrolle nach nationalem Recht (vgl Art 93 I Nr 2 GG). 47 EuGH Slg 1974, 449 Rn 2 ff – Haegemann; Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 234 EGV Rn 21. 48 EuGH Slg 1993, I-6787 Rn 8 – Hünermund. 49 Näher Ehlers in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 2 Rn 104 f. 50 Gemeinschaftsrechtswidriges nationales Recht ist wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts ohne Weiteres unanwendbar, einer Änderung der Norm durch den nationalen Gesetzgeber zur Durchsetzung des Anwendungsvorrangs bedarf es also nicht; vgl nur zuletzt etwa EuGH Slg 1991, I-297 Rn 19 ff – Nimz; Slg 2007, I-181 Rn 68 f – ITC. Gleichwohl kann der Gesetzgeber zur Zerstörung eines von einem gültigen nationalen Gesetz ausgehenden Rechts-
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Folgt die Rechtswidrigkeit der nationalen Norm daraus, dass sie eine Richtlinie umsetzt, die ihrerseits mit primärem Gemeinschaftsrecht (zB wegen fehlender Kompetenz der Gemeinschaft oder wegen Verletzung von Gemeinschaftsgrundrechten) unvereinbar ist, muss die Gültigkeit der Richtlinie im Vorabentscheidungsverfahren geklärt werden. Stellt der EuGH die Ungültigkeit der Richtlinie fest, steht deren Europarechtswidrigkeit auch der Anwendung des Umsetzungsgesetzes entgegen, soweit dieses sich in der bloßen Umsetzung der zwingenden gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben erschöpft.51 Einer weiteren Vorlage des deutschen Umsetzungsgesetzes an das BVerfG wegen Verstoßes gegen nationale Grundrechte nach Art 100 I GG bedarf es insoweit nicht 52; mangels Entscheidungserheblichkeit wäre eine solche Vorlage an das BVerfG nach Art 100 I GG sogar unzulässig (näher → § 16 Rn 44 ff, 61).53 Denn es steht fest, dass das Umsetzungsgesetz wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit ebenfalls nicht angewendet werden darf, da dem Gemeinschaftsrecht insoweit Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht zukommt. Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts steht nach hM auch dann in Frage, wenn im konkreten Rechtsstreit vor den nationalen Gerichten zwar Gemeinschaftsrecht nicht zur Anwendung kommt, der Mitgliedstaat dessen Anwendung aber (etwa durch „überschießende“ Richtlinienumsetzung oder kraft Verweisung) auf rein innerstaatliche Sachverhalte erstreckt hat.54 Der EuGH bejaht in diesen Fällen ein Interesse der Gemeinschaft an einheitlicher Auslegung der aus dem Gemeinschaftsrecht übernommenen Begriffe und Bestimmungen und erachtet eine Vorlage daher für zulässig.55 3. Entscheidungserheblichkeit
a) Grundsatz: Maßgeblichkeit der Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts 24
Die dem Gerichtshof vorgelegte Frage der Auslegung oder Gültigkeit einer Gemeinschaftsrechtsnorm ist dann entscheidungserheblich („zum Erlass des Urteils erforderlich“, Art 234 II EGV bzw 267 II AEUV-E), wenn sie für die Beurteilung des Rechtsstreits von
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scheins und zur Vermeidung von Verwirrung der Einzelnen verpflichtet sein, gemeinschaftsrechtswidriges nationales Recht anzupassen; vgl etwa EuGH Slg 1979, 3247 Rn 22 f – Kommission/ Italien; Slg 1986, 2945 Rn 11 – Kommission/Italien; Slg 1988, 1799 Rn 12 – Kommission/Italien; Slg 1988, 2139 Rn 10 – Kommission/Deutschland; Ehlers JZ 1996, 776, 781; Schroeder in: Streinz, EUV/EGV, Art 234 EGV Rn 58, 62; Wernsmann Jura 2000, 657, 662 f mwN. Dies meint wohl auch EuGH v 3.6.2008 Rs C-308/06 Rn 34 – The Queen: Die Vorlagefrage der Gültigkeit einer Richtlinie sei im Ausgangsverfahren entscheidungserheblich, weil die Gültigkeit der Richtlinie Voraussetzung für den Erlass nationaler Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht sein könne. AA BVerfGE 118, 79, 97; Cremer DV 37 (2004), 165, 186 f; Thiele EuPrR, § 9 Rn 119. S ferner Wernsmann Jura 2005, 328, 333; Wernsmann/Behrmann Jura 2006, 181, 183. AA Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Anh § 40 Art 177 EGV Rn 23; Thiele EuPrR, § 9 Rn 26. EuGH Slg 1990, I-3763 Rn 36 f – Dzodi; Slg 1990, I-4003 Rn 25 f – Gmurzynska-Bscher. Sehr weitgehend EuGH v 31.1.2008 Rs C-380/05 Rn 64, 69 – Centro Europa 7: Dort wies das Ausgangsverfahren in einem Grundfreiheiten-Fall zwar keinerlei grenzüberschreitenden Bezug auf, es reichte dem EuGH für die Zulässigkeit der Vorlagefrage jedoch aus, dass dem vorlegenden Gericht die Beantwortung der Vorlagefrage dann „von Nutzen“ sein könne, „wenn sein nationales Recht vorschriebe, dass einem italienischen Staatsbürger“ (Inländer) „die Rechte zustehen, die einem Staatsbürger eines anderen Mitgliedstaats in der gleichen Lage kraft Gemeinschaftsrechts zustünden.“ Hypothetischer geht es kaum noch.
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Bedeutung ist. Maßgeblich ist dabei grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts, das in der Frage der Entscheidungserheblichkeit Ermessensspielraum besitzt.56 Dies legt bereits der Wortlaut des Art 234 II EGV (267 II AEUV-E) nahe, wonach das vorlegende Gericht die Klärung der Frage für erforderlich zum Erlass seiner Entscheidung halten muss.57 Außerdem hängt es grundsätzlich von der rechtlichen Einschätzung des vorlegenden Gerichts, das auch über die größere Sachnähe verfügt, ab, ob es den Rechtsstreit ohne die Klärung der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsfrage durch den EuGH entscheiden kann. Schließlich ist der EuGH weder legitimiert noch in der Lage, über mitgliedstaatliches Recht zu entscheiden.58 Der EuGH spricht daher aus diesen Gründen auch von einer „Vermutung der Entscheidungserheblichkeit“, die nur ausnahmsweise 59 widerlegt werden könne.60 Nicht entscheidungserheblich sind danach Fragen in einem abgeschlossenen, fiktiven, konstruierten oder aufgrund von Parteiabsprachen manipulierten Rechtsstreit sowie rein hypothetische Fragestellungen, die offensichtlich in keinem Zusammenhang mit dem Ausgangsverfahren stehen.61
b) Kein Vorrang der Sachverhaltsaufklärung vor dem Zwischenverfahren Die Vorlage an den EuGH kann in jedem Verfahren (also auch im einstweiligen Rechtsschutz 62 (→ Rn 53 ff) oder im Normenkontrollverfahren) und in jedem Verfahrensstadium erfolgen.63 Das Vorabentscheidungsverfahren ist nach Ansicht des EuGH bereits zulässig, bevor eine Beweisaufnahme stattgefunden hat und das mitgliedstaatliche Gericht den Sachverhalt vollständig ermittelt hat.64 Er begründet das mit dem Wortlaut des Art. 234 II EGV (267 II AEUV-E). Danach ist nur Voraussetzung der Zulässigkeit, dass das vorlegende Gericht eine Entscheidung des EuGH für erforderlich hält. Diese Rechtsprechung des EuGH erscheint nicht zweifelsfrei. Hat das vorlegende Gericht den Sachverhalt noch gar nicht aufgeklärt, also noch keine Beweisaufnahme durchgeführt, so erscheint es angesichts des auch gemeinschaftsrechtlich verbürgten Anspruchs auf ein zügiges Verfahren und einer Verfahrensdauer vor dem EuGH von idR zwei Jahren – jedenfalls wenn keine umfangreiche und außergewöhnlich aufwendige Beweisaufnahme durchzuführen ist – nur
56 EuGH Slg 1977, 163 ff – Benedetti, st Rspr. 57 Abweichend der Wortlaut des Art 100 I 1 GG, wonach es (objektiv) auf die Verfassungsmäßigkeit der Norm im Ausgangsverfahren ankommen muss → § 16 Rn 59 ff. 58 Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Anh § 40 Art 177 EGV Rn 29. 59 EuGH v 18.7.2007 Rs C-119/05 Rn 44 – Ministero dell’Industria spricht gar von „außergewöhnlichen Umständen“. 60 ZB EuGH v 28.6.2007 Rs C-467/05 Rn 40 – Dell’Orto; v 4.10.2007 Rs C-429/05 Rn 23 – Rampion; v 8.11.2007 Rs C-379/05 Rn 64 – Amurta. 61 EuGH Slg 1995, I-4921 Rn 61 – Bosman; Slg 1998, I-3101 Rn 12 – Nour; Slg 1992, I-4871 Rn 25 ff – Meilicke; Slg 1992, I-4673 Rn 18 – Lourenço Dias; Slg 2001, I-2099 Rn 39 – PreussenElektra. – Unzutreffend die Entscheidungserheblichkeit im konkreten Fall verneinend EuGH v 21.2.2006 Rs C-152/03 Rn 16 – Ritter-Coulais. 62 Zu Vorlagen nach Art 100 I GG im Eilverfahren → § 16 Rn 62. 63 EuGH v 17.4.2007 Rs C-470/03 Rn 45 – A.G.M.-COS.MET. 64 EuGH v 12.6.2003 Rs C-112/00 Rn 39 ff – Schmidberger; v 17.7.2008 Rs C-303/06 Rn 28 ff – Coleman; v 25.5.2005 Rs C-350/03 Rn 44 – Schulte. – Dagegen ist eine konkrete Normenkontrolle nach Art 100 I GG unzulässig, bevor nicht der entsprechende Sachverhalt feststeht. Dort sind also zunächst alle tatsächlichen Fragen zu klären, bevor das BVerfG eingeschaltet werden kann, um die Rechtsfrage der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zu prüfen → § 16 Rn 60.
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schwer vertretbar, die Rechtsschutzgewährung zum Nachteil der Parteien des Ausgangsverfahrens zu verzögern, wenn noch gar nicht feststeht, ob die Rechtsfrage wirklich beantwortet werden muss. Dies zu berücksichtigen fällt aber nach der Rechtsprechung des EuGH allein in den Verantwortungsbereich des nationalen Gerichts.
c) Bindungswirkung von Entscheidungen eines Obergerichts? 26
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Die Entscheidungserheblichkeit einer Rechtsfrage ist auch dann zu bejahen, wenn ein Untergericht entgegen der Auffassung eines übergeordneten Gerichts 65 eine gemeinschaftsrechtliche Norm für gültig hält oder eine mitgliedstaatliche Norm wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit außer Anwendung lassen will.66 Zwar binden innerstaatliche Rechtsnormen (zB § 563 II ZPO, § 358 I StPO, § 126 V FGO; § 144 VI VwGO) die Untergerichte an die rechtlichen Beurteilungen des übergeordneten Gerichts. Diese innerstaatlichen Rechtsnormen können aber nicht das Recht zur Vorlage nach Art 234 II EGV (267 II AEUV-E) einschränken oder ausschließen.67 Die Normenkollision ist nach allgemeinen Grundsätzen durch einen Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts zu lösen.68 Dass das Instanzgericht im Grundsatz nicht zur Vorlage verpflichtet ist, ändert daran nichts, weil Art 234 II EGV (267 II AEUV-E) den mitgliedstaatlichen Gerichten das Recht zur Anrufung des EuGH einräumen will, um die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf allen Ebenen der Rechtsprechung zu gewährleisten (sog effet utile).69 Das BVerfG sieht (hiervon abweichend) in nationalen Fällen die unteren Instanzen zwar gebunden mit der Folge, dass diese Gerichte nicht mehr nach Art 100 I GG vorlegen dürfen, wenn das Berufungs- oder Revisionsgericht die Norm für verfassungsgemäß erachtet hat.70 Indes ist zu beachten, dass der unterlegenen Partei in diesen Fällen immer noch die Möglichkeit verbleibt, selbst – im Wege der Verfassungsbeschwerde – das BVerfG anzurufen. Den EuGH kann die unterlegene Partei in den Fällen gemeinschaftsrechtswidriger nationaler Normen indes nicht selbst befassen, so dass die effektive Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts für die Möglichkeit der Vorlage an den EuGH auch bei die Gemeinschaftsrechtskonformität bejahenden obergerichtlichen Entscheidungen streitet.71 Vorlagebeschlüsse eines Untergerichts an den EuGH sind nicht mit der Beschwerde anfechtbar 72, auch soweit nach allgemeinen Regeln die Beschwerde statthaft wäre. Auch wenn zB § 146 VwGO die Beschwerde gegen Beschlüsse des VG an sich zulässt, ist diese ausgeschlossen. Gegen Beschlüsse des OVG ist die Beschwerde ohnehin nicht statthaft (§ 152 VwGO). Lösung Fall 1 (Frage a): (1) Vorlageberechtigung: Beim Tribunal de première instance handelt es sich um ein staatliches Gericht eines Mitgliedstaats und damit um eine vorlageberechtigte Stelle. (2) Vorlagegrund: Anders als die Auslegung einer Verordnung (vgl Fall 2)
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Zu den Folgen einer Verletzung der Vorlagepflicht durch das Obergericht → Rn 57 ff. EuGH Slg 1974, 33 – Rheinmühlen-Düsseldorf I. Wegener in: Calliess/Ruffert, EGV/EUV, Art 234 EGV Rn 22; Streinz EuropaR, Rn 636. Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Anh § 40 Art 177 EGV Rn 34; Wernsmann in: Schulze/Zuleeg, EuropaR, § 30 Rn 148. EuGH Slg 1974, 33 Rn 2 ff – Rheinmühlen-Düsseldorf I; Slg 1974, 139 Rn 2 f – RheinmühlenDüsseldorf II. Grdl BVerfGE 2, 406, 411 ff; st Rspr. Wernsmann/Behrmann Jura 2006, 181, 184. BFHE 132, 217, 218; → § 6 Rn 11. AA Guckelberger in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 146 Rn 38.
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und die Gültigkeit einer Richtlinie (vgl Fall 3) ist die Frage nach der Vereinbarkeit einer innerstaatlichen Rechtsnorm mit Gemeinschaftsrecht kein zulässiger Gegenstand eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art 234 EGV (267 AEUV-E).73 Das nationale Gericht kann aber im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art 234 Ib (bzw Art 234 Ia) EGV (267 Ib bzw a AEUV-E) dem EuGH entscheidungserhebliche Fragen nach der Auslegung der maßgeblichen Norm des Gemeinschaftsrechts vorlegen, aus der ggf die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der nationalen Norm folgt. Ergibt sich aus der Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den EuGH, dass die nationale Norm europarechtswidrig ist, muss das nationale Gericht diese (wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts) außer Anwendung lassen. In ständiger Rechtsprechung entwickelt der EuGH die Auslegungsfrage selbst und formuliert dabei unzulässige Vorlagefragen um. Dem Gerichtshof steht es frei, aus dem gesamten dem Gericht vorgelegten Material diejenigen Elemente des Gemeinschaftsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung oder ggf einer Beurteilung der Gültigkeit bedürfen.74 Fragt das Gericht nach der Vereinbarkeit der innerstaatlichen Rechtsnorm mit dem Gemeinschaftsrecht, so wird der EuGH die Vorlagefrage umformulieren; eine falsche Formulierung der Vorlagefrage hat nicht die Unzulässigkeit der Vorlage zur Folge. (3) Die Frage, ob die VO einer Regelung wie der belgischen Rechtsnorm entgegensteht, ist auch entscheidungserheblich. Denn wenn die VO einen anderen Inhalt hat als die nationale Rechtsnorm, geht sie ihr kraft des Anwendungsvorrangs vor und die Klage des Familienmitglieds, das ausgewiesen werden soll, hat dann Erfolg, während im anderen Fall die Klage abzuweisen ist. Lösung Fall 1 (Frage b): Es könnte an der Entscheidungserheblichkeit fehlen, wenn es um die Ausweisung der Familienangehörigen belgischer Staatsangehöriger geht, für die die VO nicht gilt. Wenn das belgische Recht die Geltung der Verordnung auch auf die Angehörigen von Inländern erstreckt und damit über den Regelungsgehalt der VO hinausgeht, handelt es sich insoweit um einen rein innerstaatlichen Sachverhalt. Da aber ein Interesse an der einheitlichen Auslegung der Begriffe des Gemeinschaftsrechts besteht, ist die Vorlage gleichwohl zulässig.
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Lösung Fall 2 (Frage a): Das FG ist ein Gericht iSd Art 234 EG (267 AEUV-E) und damit vorlageberechtigt. Es stellt die Frage nach der Auslegung einer VO iSd Art 249 II EGV (288 AEUV-E); es geht also um die Auslegung einer Rechtsnorm des sekundären Gemeinschaftsrechts (Art 234 Ib EGV bzw 267 Ib AEUV-E). Der Frage nach der Auslegung der VO könnte indes in dem Verfahren vor dem FG die Entscheidungserheblichkeit fehlen. Zwar kommt es grds nur darauf an, ob das Ausgangsgericht selbst die Entscheidung des EuGH für erforderlich „hält“ (Art 234 II EGV bzw 267 II AEUV-E). Es stellt sich indes die Frage, ob § 126 V FGO das FG an die rechtliche Beurteilung des zurückverweisenden Urteils bindet. Weil Art 234 II EGV (267 II AEUV-E) im Falle einer Normenkollision dem nationalen Recht vorgeht, ist das Gericht an der Vorlage jedoch nicht gehindert. Etwas anderes gilt nur, wenn der BFH die Rechtsfrage im konkreten Verfahren bereits vorgelegt hat und seinem Urteil die Entscheidung des EuGH zugrunde liegt. Dann steht auch die Bindungswirkung des EuGHUrteils einer erneuten Vorlage durch das FG entgegen, so dass die Normenkollision entfällt. Dies ist hier aber nicht der Fall. Die Vorlage ist also zulässig. Lösung Fall 2 (Frage b) → Rn 51.
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73 EuGH Slg 1982, 583 Rn 11 – Baccini; Erichsen/Weiß Jura 1990, 586, 590. 74 EuGH Slg 1978, 2347 Rn 25 f – Pigs Marketing Board.
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Lösung Fall 3: (1) Es handelt sich um ein Gericht, die Vorlageberechtigung (Art 234 II EGV bzw 267 II AEUV-E) ist also gegeben. (2) Vorlagegrund ist die Frage nach der Gültigkeit der Richtlinie (Art 234 Ib EGV bzw 267 Ib AEUV-E). Das vorlegende Gericht hat Zweifel daran, ob die Richtlinie (als eine Norm des Sekundärrechts) mit höherrangigem Recht vereinbar ist, und zwar mit der Warenverkehrsfreiheit nach Art 28, 30 EGV (34, 36 AEUV-E). (3) Entscheidungserheblichkeit: Es kommt auch auf die Gemeinschaftsrechtskonformität der Richtlinie an. Ist die Richtlinie primärrechtswidrig, gilt dies auch für die nationalen Umsetzungsakte, die dann ebenfalls wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit außer Anwendung gelassen werden müssten. Es kann also nicht argumentiert werden, dass selbst bei Primärrechtswidrigkeit immer noch der nationale Umsetzungsakt in der Welt sei und es deshalb nicht auf die Gültigkeit der Richtlinie ankomme (vgl zum deutschen Recht → Rn 22 f). Das nationale Gericht wird also dem EuGH die Frage nach der Gültigkeit der Richtlinie gem Art 234 Ib, II EGV (267 Ib, II AEUV-E) vorlegen. Da es sich um ein letztinstanzlich entscheidendes Gericht handelt, ist es sogar zur Vorlage verpflichtet (Art 234 III EGV bzw 267 III AEUV-E) und hat keinerlei Ermessensspielraum.
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Lösung Fall 4: (1) Der BGH ist ein mitgliedstaatliches Gericht und damit sowohl vorlageberechtigt als auch vorlageverpflichtet (Art 234 II, III EGV bzw 267 II, III AEUV-E). (2) Vorlagegrund ist die Auslegung der fraglichen Verbraucherschutz-Richtlinie gem Art 234 Ib Alt 2 EGV (267 I b Alt 2 AEUV-E). (3) Fraglich ist, ob es auf die Auslegung der Richtlinie ankommt (Art 234 II EGV bzw 267 II AEUV-E). Die Frage, ob die Richtlinie es dem nationalen Gesetzgeber verbietet, dem Verkäufer einen Anspruch auf Wertersatz für gezogene Nutzungen aus einer mangelhaften Ware gegen den Käufer einzuräumen, müsste entscheidungserheblich sein. Der BGH hatte in seiner Vorlageentscheidung ausgeführt, dass das deutsche Recht (BGB) nach allgemein anerkannten Auslegungsmethoden (dazu zählen insbes Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik, Sinn und Zweck) keine Auslegung zulasse, wonach der Anspruch ausgeschlossen sei. Eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des BGB war also nach dem Vorlagebeschluss ausgeschlossen. Sie setzt voraus, dass das nationale Recht mehrere Deutungsmöglichkeiten zulässt,75 was sich allein nach nationalen Regeln bestimmt.76 Gleichwohl bejahte der EuGH die Entscheidungserheblichkeit. Richtigerweise hätte der EuGH hier prüfen müssen, ob eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie in Betracht gekommen wäre, die sich kraft ihres Anwendungsvorrangs auch über nationales Recht hinwegsetzen kann, also ihre Grenze nicht in der Auslegbarkeit des nationalen Rechts findet. Bisher wird eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien im Verhältnis zweier Privater untereinander (sog Horizontalwirkung von Richtlinien) abgelehnt, da sich die Richtlinie gem Art 249 III EGV (288 III AEUV-E) nur an die Mitgliedstaaten richte 77; im Verhältnis
75 EuGH Slg 1984, 1891 Rn 26 ff – von Colson und Kamann; Slg 1987, 3969 Rn 11 ff – Kolpinghuis Nijmegen; Slg 1988, 673 Rn 10 ff – Murphy. 76 Ehlers in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 2 Rn 103, § 4 Rn 14. 77 HM: EuGH Slg 1986, 723 Rn 48 – Marshall; Slg 1994, I-3325 Rn 20, 24 ff – Faccini Dori; Slg 1996, I-1281 Rn 15 ff – El Corte Inglés; ebenso etwa Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, S 63, 86; Craig/de Búrca EU Law, 282 ff; Streinz EuropaR, Rn 447 ff. Auch aus EuGH Slg 2005, I-9981 Rn 67 f, 75 – Mangold folgt nichts anderes, da der EuGH dort einen ungeschriebenen Primärrechtsgrundsatz (Verbot der Diskriminierung nach dem Alter) angenommen hat, an den er auch Private binden will, das Verbot der Diskriminierung durch Private aber nicht aus einer Richtlinie folgert. Wie hier Ruffert in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 249 EGV Rn 83 mit Fn 260.
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zweier Privater untereinander kommt nur eine richtlinienkonforme Auslegung in Betracht.78 Kommt eine unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie zuungunsten von Q nicht in Betracht und ist eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nicht möglich, dann wäre die Frage danach, wie die Richtlinie auszulegen ist, vorliegend nicht entscheidungserheblich gewesen.79 Die Vorlage war richtiger Ansicht nach also entgegen der Auffassung des EuGH mangels Entscheidungserheblichkeit unzulässig.
d) Keine Präklusion Fall 5: In einer an die Bundesrepublik Deutschland gerichteten Entscheidung stellte die KOM die formelle und materielle Europarechtswidrigkeit einer gewährten Beihilfe fest. Der Bundesminister für Wirtschaft setzte die Beihilfeempfängerin B von der Entscheidung in Kenntnis und wies sie auf die Möglichkeit einer Nichtigkeitsklage gegen die Entscheidung nach Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E) hin. Gegen den 6 Monate später erlassenen Rückforderungsbescheid des Bundesministers für Wirtschaft erhebt die Empfängerin Klage vor dem VG. Das VG hält die Beihilfe für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt und die Entscheidung der KOM daher für (primär-)rechtswidrig (vgl Art 88 II EGV bzw 108 II AEUV-E). Kann es die Frage nach der Gültigkeit der Entscheidung dem EuGH vorlegen? Wie wird das VG entscheiden? (leicht abgewandelt nach EuGH Slg 1994, I-833 – Deggendorf)
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Ist die vorgelegte Gemeinschaftshandlung im Wege der Nichtigkeitsklage gem Art 230 EGV (263 AEUV-E) angreifbar, stellt sich die Frage, ob auch im Vorabentscheidungsverfahren die Präklusionswirkung des Art 230 V EGV (263 V AEUV-E) zu beachten ist. Überschneidungen zwischen beiden Verfahrensarten sind denkbar, wenn sich die Vorlagefrage auf die Gültigkeit einer Rechtshandlung bezieht und Art 230 EGV (263 AEUV-E) der Partei des Ausgangsverfahrens, die sich auf die Ungültigkeit beruft, in Bezug auf derartige Rechtshandlungen eine Klagebefugnis einräumt. Die Frist des Art 230 V EGV (263 V AEUV-E) soll verhindern, dass die Rechtswirkungen des Gemeinschaftshandelns immer wieder in Frage gestellt werden. Weil durch eine Überprüfungsmöglichkeit im Vorabentscheidungsverfahren die mit Ablauf der Klagefrist ihnen gegenüber eintretende Bestandskraft des Gemeinschaftsrechtsaktes 80 umgangen würde, schließt Art 230 V EGV (263 V AEUV-E) auch eine Gültigkeitsvorlage „zugunsten“ der zur Nichtigkeitsklage Befugten aus. Die Funktion des Vorabentscheidungsverfahrens steht dem nicht entgegen 81, da dieses zwar die einheitliche Rechtsanwendung in den Mitgliedstaaten, nicht aber gegenüber einzelnen Betroffenen gewährleisten soll. Rechtsakte, die der Bestandskraft nicht fähig sind, können auch nach Ablauf der Frist für eine Nichtigkeitsklage vorgelegt werden.82 Aus Rechtsschutzgründen hat der EuGH die Unzulässigkeit der Vorlage auf die Fälle beschränkt, in denen eine Nichtigkeitsklage offensichtlich zulässig war.83 Offensichtlich zulässig sind jedenfalls Nichtigkeitsklagen der privilegiert klagebefugten Mitgliedstaaten
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78 Statt aller Ehlers in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 4 Rn 14. 79 B wäre auf Staatshaftung des Mitgliedstaats wegen nicht ordnungsgemäßer Umsetzung einer Richtlinie zu verweisen gewesen. Grundl EuGH Slg 1991, I-5357 – Francovich. 80 Grundl EuGH Slg 1965, 1112 ff – Collotti. 81 So aber Ehricke in: Streinz, EUV/EGV Art 234 EGV Rn 24. 82 Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO Anh § 40 Art 177 EGV Rn 7. 83 Zuletzt EuGH v 8.3.2007, Rs C-441/05, Rn 40 f – Frères.
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(Art 230 II EGV bzw 263 II AEUV-E) sowie der Adressaten von Entscheidungen (Art 230 IV Alt 1 EGV bzw 263 IV Alt 1 AEUV-E).84 Unklarheiten bestehen hinsichtlich der Klagebefugnis natürlicher und juristischer Personen gegen Entscheidungen, die nur formell als Verordnung ergangen sind (sog Scheinverordnungen) oder an Dritte gerichtet sind (Art 230 IV Alt 2 EGV bzw 263 IV Alt 2 AEUV-E). Ihnen steht die Nichtigkeitsklage nur dann offen, wenn sie unmittelbar und individuell 85 betroffen sind, der Rechtakt also keiner weiteren Durchführungsmaßnahme mehr bedarf und die Person wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie dadurch in ähnlicher Weise individualisiert wie einen Adressaten (sog Plaumann-Formel).86 Jedenfalls die Klagebefugnis eines Beihilfeempfängers gegen eine an einen Mitgliedstaat gerichtete Kommissionsentscheidung über die Rückforderung der Subvention hält der EuGH für „zweifelsfrei“ gegeben.87 Durch Art 230 V EGV (263 V AEUV-E) wird die Klageerhebung vor dem innerstaatlichen Gericht nicht gehindert, weil der Ausschluss der Nichtigkeitsklage zwar den Gemeinschaftsrechtsakt, nicht aber den nationalen Vollzugsakt bestandskräftig werden lässt.88 Das nationale Gericht muss bei seiner Sachentscheidung jedoch von der Gültigkeit des Gemeinschaftsrechtsakts ausgehen. Lösung Fall 5: Das VG kann dem EuGH die Frage nach der Gültigkeit der Entscheidung vorlegen, wenn die Voraussetzungen des Art 234 I, II EGV (267 I, II AEUV-E) vorliegen. (1) Das VG ist als Gericht gem Art 234 II EGV (267 II EG) vorlageberechtigt. (2) Vorlagegrund ist gem Art 234 Ib EGV (267 Ib AEUV-E) die Frage nach der Gültigkeit der Entscheidung iSd Art 249 IV EGV (künftig: Beschluss iSd 288 IV AEUV-E). Sie könnte gegen Art 88 II EGV (108 II AEUV-E) verstoßen. (3) Die Vorlagefrage müsste auch gem Art 234 II EGV (267 AEUV-E) entscheidungserheblich sein. Grundsätzlich kommt es auf die Einschätzung des Ausgangsgerichts an. Indes könnte eine Entscheidung des EuGH über die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der KOM für die Entscheidung des Rechtsstreits vor dem VG offensichtlich bedeutungslos sein, wenn die Entscheidung der B gegenüber bestandskräftig geworden wäre. Eine Nichtigkeitsklage der B wäre offensichtlich zulässig gewesen, weil die Empfängerin einer Beihilfe durch die Kommissionsentscheidung unmittelbar und individuell iSd Art 230 I, IV letzte Alt EGV (263 I, IV letzte Alt AEUV-E) betroffen ist.89 Ist die Frist für die Erhebung der Nichtigkeitsklage (zwei Monate ab Kenntniserlangung, Art 230 V EGV bzw 263 V AEUV-E) verstrichen, ist die Kommissionsentscheidung der Klägerin des Ausgangsverfahrens gegenüber bestandskräftig geworden. Wegen der Präklusionswirkung des Art 230 V EGV (263 V AEUV-E) kommt eine Vorlage des VG mangels Entscheidungserheblichkeit nicht in Betracht, sie wäre unzulässig. Das VG wird die Anfechtungsklage als unbegründet abweisen.
84 Pechstein EU/EG, Rn 803; Pechstein/Kubicki NJW 2005, 1825, 1827; Vogt EuR 2004, 618, 620, 622. 85 Der EuGH hält am Merkmal der individuellen Betroffenheit fest, EuGH Slg 2002, I-6677 – Unión de Pequeños Agricultores. 86 EuGH Slg 1963, 211 ff – Plaumann. 87 Näher Pechstein/Kubicki NJW 2005, 1825, 1828; Herdegen EuropaR, § 10 Rn 17 ff. 88 EuGH Slg 1987, 2289 Rn 9 – Rau. 89 Vgl dazu EuGH Slg 1994, I-833 Rn 24 – Deggendorf.
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4. Begründungserfordernisse Die Angaben in den Vorlageentscheidungen müssen nicht nur dem Gerichtshof sachdienliche Antworten ermöglichen, sondern auch den äußerungsberechtigten Regierungen der Mitgliedstaaten und den anderen Beteiligten die Möglichkeit geben, gem Art 20 der Satzung des EuGH Erklärungen abzugeben.90 Da den Beteiligten danach nur die Vorlageentscheidungen zugestellt werden, muss das nationale Gericht ein Mindestmaß an Erläuterungen zu den Gründen für die Wahl der Gemeinschaftsbestimmungen, um deren Auslegung es ersucht, und zu dem Zusammenhang geben, den es zwischen diesen Bestimmungen und den auf den Rechtsstreit anzuwendenden nationalen Rechtsvorschriften herstellt.91 Das Ausgangsgericht muss nicht selbst einen bestimmten rechtlichen Standpunkt zur Auslegung oder Gültigkeit des Gemeinschaftsrechts vertreten,92 es muss aber darlegen, aus welchen Gründen die Auslegung oder Gültigkeit fraglich erscheint und warum es für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens auf die Entscheidung des EuGH ankommt.93 Außerdem muss auch der tatsächliche Rahmen erläutert werden, dh die Vorlage muss dem EuGH ausreichende Informationen über den Sachverhalt vermitteln.94 Im Übrigen bestehen keine Formerfordernisse, wie das nationale Gericht sein Ersuchen um Vorabentscheidung dem EuGH vorlegen muss.95 Es richtet sich nach dem nationalen Recht, ob das Vorabentscheidungsersuchen in Form eines Urteils oder Beschlusses ergeht;96 in Deutschland sieht das innerstaatliche Recht die Beschlussform vor.
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III. Sachentscheidung des EuGH 97 Ist die Vorlage zulässig, entscheidet der EuGH in der Sache; sonst verwirft er die Vorlage als unzulässig. Der EuGH entscheidet grundsätzlich durch Urteil (vgl Art 63 VerfO EuGH 98). 90 EuGH v 8.11.2007 Rs C-20/05 Rn 21 – Schwibbert. 91 EuGH Slg 2006, I-11421 – Cipolla; EuGH v 4.10.2007 Rs C-429/05 Rn 24 – Rampion. Der EuGH behandelt diese Begründungsanforderungen meist im Rahmen der Prüfung der Entscheidungserheblichkeit mit. Vorzugswürdig erscheint es demgegenüber, die Begründungserfordernisse in einem eigenen Prüfungsgesichtspunkt anzusprechen. In der universitären Prüfungspraxis wird die Frage der Begründungsanforderungen in der Regel keine Rolle spielen. 92 Auch hierin unterscheidet sich das Vorabentscheidungsverfahren wiederum von der konkreten Normenkontrolle nach Art 100 I GG. Dort reichen bloße Zweifel oder Bedenken des Fachgerichts hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Norm für die Zulässigkeit der Vorlage nicht aus; BVerfGE 1, 184, 188 f, st Rspr. → § 16 Rn 58. 93 EuGH v 31.1.2008 Rs C-380/05 Rn 54, 57 – Centro Europa 7. – Vgl ferner die Hinweise des EuGH zur Form von Vorabentscheidungsersuchen, ABl 2005 C 143/01. 94 EuGH v 19.4.2007 Rs C-295/05 Rn 32 – Asemfo; v 13.12.2007 Rs C-250/06 Rn 21 – United PanEurope Communications; Craig/de Búrca EU Law, 490 f. 95 EuGH Slg 1962, 99, 110 – De Geus; EuGH v 28.6.2007 Rs C-467/05 Rn 36 – Dell’Orto. 96 Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 234 EGV Rn 50. 97 Terminologischer Hinweis: Da das vorlegende Gericht – anders als etwa im Fall der konkreten Normenkontrolle nach Art 100 I GG – seine Vorlagefrage ergebnisoffen formulieren kann, empfiehlt es sich, den Begriff der „Begründetheit“ zu vermeiden; so iErg auch Thiele EuPrR, § 9 Rn 96. Das mitgliedstaatliche Gericht kann Fragen an den EuGH richten, ohne sich selbst zuvor eine bestimmte Meinung bilden zu müssen. 98 http://curia.eu.int/de/instit/txtdocfr/txtsenvigueur/txt5.pdf.
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1. Prüfungsinhalt und Tenor 41
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Hat das Ausgangsgericht eine Auslegungsfrage mit Blick auf die Anwendbarkeit eines nationalen Rechtsakts im Ausgangsverfahren gestellt, so erläutert der EuGH abstrakt, ob das Gemeinschaftsrecht einem nationalen Rechtsakt wie demjenigen, um dessen Anwendung es im Ausgangsverfahren geht, entgegensteht. Der Urteilstenor enthält die Antwort auf diese abstrakte Auslegungsfrage. – Ungültig ist eine Handlung des sekundären Gemeinschaftsrechts, wenn sie an einem der in Art 230 II EGV (263 II AEUV-E) aufgezählten Rechtsmängel leidet.99 Prüfungsmaßstab sind alle im Rahmen der Gemeinschaftsrechtsordnung zu beachtenden Normen, also insbesondere das Primärrecht (einschließlich allgemeiner Rechtsgrundsätze), aber auch Regeln des Völkerrechts.100 Es kommt grds nicht darauf an, ob das vorlegende Gericht den durchgreifenden Ungültigkeitsgrund in seinem Vorlagebeschluss genannt hat.101 Kann der Rechtsakt vertragskonform ausgelegt werden, darf er nicht für ungültig erklärt werden.102 Kommt der Gerichtshof zum Ergebnis, dass der vorgelegte Rechtsakt gegen primäres Gemeinschaftsrecht verstößt, so stellt er dies im Urteilstenor fest. Demgegenüber wird die Gültigkeit einer Rechtsnorm nicht positiv ausgesprochen, weil nicht ausgeschlossen ist, dass unter anderen Gesichtspunkten Zweifel an der Gültigkeit auftreten können, die eine erneute Vorlage notwendig machen. In Fall 3 waren die in Art 28 EGV (34 AEUV-E) normierte Warenverkehrsfreiheit sowie das zu den ungeschriebenen Rechtsgrundsätzen gehörende Verhältnismäßigkeitsprinzip Gegenstand der materiellen Rechtmäßigkeitsprüfung der RL 2002/46/EG. In formeller Hinsicht war die Begründungspflicht für Rechtsakte nach Art 253 EGV (296 AEUV-E) zu beachten. Weil der EuGH keinen Rechtsverstoß feststellen konnte, entschied er, dass die „Prüfung … nichts ergeben (habe), was die Gültigkeit der Richtlinie … in Frage stellen könnte“.103 2. Entscheidungswirkungen
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Das Urteil des EuGH 104 bindet unmittelbar das vorlegende Gericht sowie alle anderen im Ausgangsverfahren entscheidenden Gerichte.105 Es wirkt damit zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens („inter partes“). Nicht geklärt ist, inwiefern dem Urteil eine Bindungswirkung über das Ausgangsverfahren hinaus („erga omnes“) zukommt. Weil die 99 Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO Anh § 40 Art 177 EGV Rn 26. Art 230 II EGV gilt unmittelbar nur für die Nichtigkeitsklage, benennt aber die Fehlerquellen generell. 100 Pescatore BayVBl 1987, 33, 35. 101 Einschränkend Thiele EuPrR, § 9 Rn 35, der für eine Erweiterung der Prüfung über die als verletzt gerügten Maßstäbe hinaus nur dann plädiert, wenn sich weitere Ungültigkeitsgründe geradezu aufdrängen, da weder Mitgliedstaaten noch Gemeinschaftsorgane sonst die Möglichkeit hätten, zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Diesen Bedenken kann aber auch anders begegnet werden, etwa durch zusätzliche Hinweise seitens des EuGH. 102 EuGH Slg 1996, I-3989 Rn 52 – Deutschland/Kommission; Slg 1995, I-1651 Rn 37 – Spanien/ Kommission; Slg 1983, 4063 Rn 15 – Kommission/Rat. 103 Ähnlich EuGH Slg 1997, I-3629 Rn 39 – Kieffer (für eine Verordnung); vgl ferner Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art 234 EGV Rn 37. 104 Dh sein im Lichte der Entscheidungsgründe zu verstehender Tenor, vgl Ehlers in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO Anh § 40 Art 177 EGV Rn 53. 105 Herdegen EuropaR, § 10 Rn 38.
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Auslegungsentscheidung die Bedeutung der Norm klärt, die ihr von Anfang an zukam, müssen Gerichte und Behörden der Mitgliedstaaten sowie die Gemeinschaftsorgane diese in der vorgegebenen Weise anwenden.106 Für die Entscheidung über die Ungültigkeit sekundären Gemeinschaftsrechts fehlt ein ausdrücklicher Verweis auf Art 231 EGV (264 AEUV-E), der die Nichtigerklärung von Gemeinschaftshandlungen zum Gegenstand hat. Gleichwohl scheint der EuGH von einer allgemeinen Quasi-Bindungswirkung auszugehen 107, indem er eine erneute Vorlage für den Fall verlangt, dass ein mitgliedstaatliches Gericht den Rechtsakt für gültig halten will.108 Die ungültigen Rechtsakte sind von den nationalen Behörden und Gerichten sowie von Gemeinschaftsorganen nicht mehr anzuwenden 109; die nationalen Gerichte sind von ihrer Vorlagepflicht entbunden. Zulässig bleibt eine Vorlage, die die Reichweite der Entscheidung betrifft.110 Entscheidungen des EuGH im Verfahren nach Art 234 EGV (267 AEUV-E) wirken grundsätzlich ex tunc. In Analogie zu Art 231 II EGV bzw 264 II AEUV-E (der sich direkt nur auf die Nichtigkeitsklage und damit auf die Überprüfung von Rechtsakten des sekundären Gemeinschaftsrechts bezieht) ist aber eine zeitliche Begrenzung einer Ungültigkeitsentscheidung möglich, wenn anderenfalls ein Zustand der Unsicherheit hervorgerufen und eine rückwirkende Überprüfung der in gutem Glauben begründeten Rechtsverhältnisse unbillig erscheinen würde.111 Auch die zeitliche Wirkung von Auslegungsentscheidungen – diese setzen den Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht durch – kann der EuGH ausnahmsweise beschränken. Grundsätzlich ist nationales Recht jedoch auch für die Vergangenheit im Falle einer Kollision mit Gemeinschaftsrecht unanwendbar. Die nationalen Gerichte können und müssen also die gemeinschaftsrechtlichen Rechtsnormen in der vom EuGH vorgenommenen Auslegung auch auf Rechtsverhältnisse anwenden, die vor Erlass der EuGH-Entscheidung entstanden sind.112 Nur ganz ausnahmsweise kann der EuGH aus Gründen der Rechtssicherheit die Möglichkeit für alle Betroffenen einschränken, sich auf die vom EuGH vorgenommene Auslegung einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts zu berufen.113 Eine solche Einschränkung der zeitlichen Reichweite der Auslegungsentscheidung des EuGH kann aber aus Gründen der Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten und der Einzelnen nur in der Auslegungsentscheidung des EuGH selbst erfolgen.114
106 EuGH Slg 1988, 355 Rn 11 – Barra; Herdegen EuropaR, § 10 Rn 38; Gaitanides in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV Art 234 EGV Rn 92 f. 107 EuGH Slg 1981, 1191 Rn 13 – International Chemical; Gaitanides in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV Art 234 EGV Rn 90; Schwarze in: ders, EU-Kommentar Art 234 EGV Rn 64. 108 EuGH Slg 1982, 3415 Rn 15 – CILFIT. – Auch wenn der EuGH eine Handlung bereits für ungültig erklärt hat, soll er sie später noch als gültig ansehen können; vgl dazu etwa Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO Anh § 40 Art 177 EGV Rn 55; Wohlfahrt in: Grabitz/ Hilf, EU-Kommentar Art 177 EGV Rn 71 aE. 109 Herdegen EuropaR, § 10 Rn 38. 110 EuGH Slg 1986, 947 Rn 15 – Wünsche. 111 Vgl Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art 234 EGV Rn 39 f. 112 EuGH Slg 2007, I-1835 Rn 34 – Meilicke mwN. 113 EuGH Slg 1992, I-4625 Rn 30 f – Legros; vgl ferner Ehlers/Eggert JZ 2008, 585, 587 f. 114 EuGH Slg 2007, I-1835 Rn 35 f – Meilicke.
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IV. Vorlageberechtigung oder Vorlagepflicht? 46
Fall 6: Das Finanzgericht möchte eine auf eine EG-Verordnung gestützte Kommissionsentscheidung, die die Bundesrepublik zur Nacherhebung von Zöllen auf bestimmte Prismenferngläser verpflichtet, außer Anwendung lassen, weil es die Voraussetzungen eines Ausnahmefalls nach der einschlägigen Verordnung für gegeben hält. Wie wird das FG entscheiden? (vgl EuGH Slg 1987, 4199 – Foto Frost)
1. Vorlagepflicht für letztinstanzliche Gerichte 47
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Zur Vorlage verpflichtet sind nach Art 234 III EGV (267 III AEUV-E) zunächst Gerichte, deren Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können (sog letztinstanzliche Gerichte). Fraglich ist dabei, ob die Vorschrift nur solche Gerichte erfasst, die im jeweiligen Mitgliedsstaat allgemein als höchste Instanzen angesehen werden 115 (abstrakte Theorie), oder ob es darauf ankommt, dass die Entscheidung des Gerichts im konkreten Einzelfall nicht mehr anfechtbar ist (konkrete Theorie). Der Wortlaut der Norm lässt die Frage offen, wenn auch die Verwendung des Plurals „Entscheidungen“ (Art 234 III EGV bzw 267 III AEUV-E) auf eine abstrakte Beurteilung hindeutet. Für die abstrakte Betrachtung spricht weiter der Gesichtspunkt der Prozessökonomie, der der Unterscheidung von Vorlageberechtigung und Vorlagepflicht zugrunde liegt.116 Letztlich ist die Frage nach dem Sinn und Zweck des Vorabentscheidungsverfahrens zu beantworten: Im Hinblick auf die einheitliche Rechtsanwendung auf allen Stufen der Gerichtsbarkeit und einen effektiven Individualrechtsschutz sowie das Interesse an einer möglichst effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts (effet utile) ist der konkreten Betrachtungsweise der Vorzug zu geben.117 Letztinstanzliches Gericht ist damit auch das Amtsgericht, wenn die Berufungssumme (§ 511 II Nr 1 ZPO) nicht erreicht wird und die Berufung nicht zugelassen wird (§ 511 II Nr 2 ZPO). Ist eine Rechtsfrage – gleich in welchem Verfahren – bereits durch den Gerichtshof entschieden oder kann über die richtige Beantwortung der Frage kein vernünftiger Zweifel bestehen, ist Art 234 III EGV (267 III AEUV-E) teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass die Vorlagepflicht entfällt (acte-clair-Doktrin).118 Die Ausnahmen sind indes restriktiv zu handhaben:119 Vom Fehlen eines vernünftigen Zweifels ist nur dann auszugehen, wenn nach der Überzeugung des entscheidenden Gerichts vor jedem anderen Gericht in der Gemeinschaft und dem EuGH dieselbe Gewissheit darüber bestünde.120 Die Vorlageberechtigung des mitgliedstaatlichen Gerichts entfällt auch in den genannten Fällen nicht, um dem EuGH eine Überprüfung seiner Rechtsprechung ermöglichen zu können.
115 In der Bundesrepublik Deutschland sind dies die obersten Bundesgerichte, die VerfG der Länder sowie das BVerfG. 116 Ehricke in: Streinz, EUV/EGV Art 234 EGV Rn 39. 117 Ebenso EuGH v 4.6.2002 Rs C-99/00 Rn 14 f – Lyckeskog; Erichsen/Weiß Jura 1990, 586, 590; Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art 234 EGV Rn 24; Gaitanides in: v. d. Groeben/ Schwarze, EUV/EGV Art 234 EGV Rn 63; Wernsmann/Behrmann Jura 2006, 181, 186. 118 EuGH Slg 1982, 3415 Rn 13 ff – CILFIT. Vgl. dazu auch Herrmann, EuZW 2006, 231. 119 Oppermann EuropaR, § 9 Rn 61. 120 EuGH Slg 1982, 3415 Rn 13 ff – CILFIT; BVerwGE 66, 29, 38; Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art 234 EGV Rn 28.
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2. Vorlagepflicht bei Verwerfung von sekundärem Gemeinschaftsrecht Auch nichtletztinstanzliche Gerichte trifft eine Vorlagepflicht, wenn sie Gemeinschaftsrechtsakte wegen Bedenken gegen ihre Gültigkeit unangewendet lassen wollen.121 Zwar enthält Art 234 II EGV (267 II AEUV-E) seinem Wortlaut nach („kann vorlegen“) keine derartige Verpflichtung. Auch spricht die Normsystematik für eine abschließende Regelung der Vorlagepflichten in Art 234 III EGV (267 III AEUV-E). Jedoch zeigt die Zusammenschau mit Art 230 und Art 241 EGV (263 und 277 AEUV-E), dass das Rechtsschutzsystem der Gemeinschaft die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe dem EuGH vorbehalten wollte (sog Verwerfungsmonopol des EuGH für sekundäres Gemeinschaftsrecht). Dies entspricht dem Sinn des Vorabentscheidungsverfahrens: Könnten einzelstaatliche Gerichte Gemeinschaftsakte außer Anwendung lassen, so wären Meinungsverschiedenheiten dieser Gerichte geeignet, die Einheit der Gemeinschaftsrechtsordnung aufs Spiel zu setzen und die Rechtssicherheit zu beeinträchtigen.122 Einzelstaatliche Gerichte haben hinsichtlich der Gültigkeit von Gemeinschaftsrechtsakten zwar die Prüfungs-, nicht aber die Verwerfungskompetenz. Halten sie den Rechtsakt für ungültig, reduziert sich das ihnen durch Art 234 II EGV (267 II AEUV-E) eingeräumte Vorlageermessen 123 auf Null (→ § 6 Rn 14).
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Lösung Fall 6: (1) Das FG ist ein Gericht und damit vorlageberechtigt nach Art 234 II EGV (267 II AEUV-E). Beim FG handelt es sich zwar nicht um ein letztinstanzliches Gericht im Sinne des Art 234 III EGV (267 III AEUV-E), da im konkreten Rechtsstreit gem § 115 I FGO Revision (oder bei Nichtzulassung der Revision Beschwerde) zum BFH möglich ist. (2) Fraglich ist im Ausgangsverfahren die Gültigkeit einer Entscheidung der KOM (Art 249 IV EGV; künftig: eines „Beschlusses“ der KOM nach 288 IV AEUV-E); etwaiger Vorlagegrund ist damit die Gültigkeit eines Sekundärrechtsakts (Art 234 Ib Alt 1 EG bzw 267 Ib Alt 1 AEUV-E). (3) Die Frage nach der Gültigkeit der Entscheidung ist auch entscheidungserheblich nach Art 234 II EGV (267 II AEUV-E), da das Gericht im Falle der Ungültigkeit der Entscheidung der Klage stattgeben wird, im Falle der Gültigkeit der Entscheidung die Klage abweisen wird. (4) Fraglich ist aber, ob das FG verpflichtet ist, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen oder ob es selbstständig die Entscheidung als nichtig außer Anwendung lassen darf. Grundsätzlich sind nicht-letztinstanzlich entscheidende Gerichte nur zur Vorlage an den EuGH berechtigt, nicht aber verpflichtet (Art 234 II, III EGV bzw 267 II, III AEUV-E). Wenn das Gericht aber Sekundärrecht wegen Bedenken gegen seine Gültigkeit unangewendet lassen müsste, trifft es (entgegen dem Wortlaut des Art 234 Ib iVm II EGV bzw 267 Ib iVm II AEUV-E) eine Vorlagepflicht, weil das in Art 234 II EGV (267 II AEUV-E) eingeräumte Ermessen auf Null reduziert ist. Nur so kann dem Interesse der Gemeinschaft an einheitlicher Anwendung ihrer Rechtsakte Rechnung getragen werden. Das FG muss dem EuGH also die Frage vorlegen, wenn es die Entscheidung der KOM wegen Ungültigkeit außer Anwendung lassen will.
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121 Herdegen EuropaR, § 10 Rn 34. 122 EuGH Slg 1987, 4199 – Foto Frost. 123 Oppermann EuropaR, § 9 Rn 57.
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3. Teil: Rechtsschutz im Europäischen Unions- und Gemeinschaftsrecht
Lösung Fall 2 (Frage b): Es besteht keine Vorlagepflicht des FG, weil es nicht letztinstanzlich entscheidet (gegen das Urteil des FG ist auch nach Zurückverweisung nach den allgemeinen Regeln die Revision möglich) und es nicht gem Art 234 Ib Alt 1 EGV (267 Ib Alt 1 AEUV-E) um die Gültigkeit, sondern gem Art 234 Ib Alt 2 EGV (267 Ib Alt 2 AEUV-E) um die Auslegung einer Verordnung geht.
3. Ausnahmsweise übergangsweise Anwendung gemeinschaftsrechtswidrigen nationalen Rechts 52
Auch wenn nationales Recht gemeinschaftsrechtswidrig ist, so kann es unter strengsten Voraussetzungen ausnahmsweise aus Gründen der Rechtssicherheit geboten sein, die zeitliche Wirkung der EuGH-Entscheidung auf die Zukunft zu begrenzen. Dann wird der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht für die Vergangenheit nicht durchgesetzt. Eine solche zeitliche Begrenzung der Entscheidungswirkungen ist allein dem EuGH vorbehalten (→ Rn 43 ff). Die Geltung bzw Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts darf nur der EuGH in Frage stellen, nicht jedes mitgliedstaatliche Gericht, weil sonst der Charakter einer Rechtsgemeinschaft in Frage gestellt würde. Daher reduziert sich auch in solchen Fällen das Vorlageermessen nach Art 234 II EGV (267 II AEUV-E) auf Null mit der Folge, dass auch nicht-letztinstanzlich entscheidende Gerichte der Mitgliedstaaten den EuGH anrufen müssen, wenn sie den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts übergangsweise in Frage stellen wollen.124 4. Vorlage im vorläufigen Rechtsschutz
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Besonderheiten ergeben sich im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes. Stellt sich in einem solchen Verfahren eine Auslegungsfrage, so ist die Vorlage im Grundsatz zwar zulässig 125, aber auch dann nicht erforderlich, wenn das Gericht letztinstanzlich entscheidet.126 Denn den Parteien steht weiterhin die Möglichkeit offen, die Streitsache (mit entsprechender Vorlageverpflichtung des letztinstanzlichen Hauptsachegerichts) im Hauptsacheverfahren klären zu lassen.127 Will das Gericht des vorläufigen Rechtsschutzes seine Entscheidung (etwa Aussetzung der Vollziehung oder Erlass einer einstweiligen Anordnung) auf die Ungültigkeit von Normen des Sekundärrechts stützen, ist es – trotz der Foto-Frost-Rechtsprechung → Rn 49 – daran auch ohne Vorlage nicht gehindert. Es gelten aber strenge Voraussetzungen: Das nationale Gericht muss erhebliche Zweifel an der Gültigkeit der Handlung haben und muss dem EuGH die Gültigkeitsfrage unverzüglich vorlegen. Die Entscheidung im Eilverfahren muss außerdem in dem Sinne dringend sein, dass bei Nichtaussetzung dem
124 Ehlers/Eggert JZ 2008, 585, 587, 590 f. 125 EuGH Slg 1977, 957 Rn 4 – Hoffmann-La Roche; Slg 1982, 3723 Rn 10 – Morson; vgl bereits Rn 25. Zur konkreten Normenkontrolle nach Art 100 I GG in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes → § 16 Rn 62. 126 EuGH Slg 1977, 957 Rn 6 – Hoffmann-La Roche; Herdegen EuropaR, § 10 Rn 35; Gaitanides in: v.d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV Art 234 EGV Rn 66. 127 Erichsen/Weiß Jura 1990, 586, 590.
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Antragsteller ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden droht. Schließlich hat das Gericht das Interesse der Gemeinschaft an der praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen und insbesondere die vorhandene Rechtsprechung des EuGH und des EuG zu beachten.128 In Fall 5 haben Widerspruch und Anfechtungsklage der Subventionsempfängerin gegen den Rückforderungsbescheid gem § 80 I VwGO aufschiebende Wirkung. Jedoch verlangt der EuGH von den deutschen Behörden, die effektive Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts durch Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 II 1 Nr 4 VwGO zu sichern.129 Hat die Verwaltung die sofortige Vollziehung angeordnet, kann die Klägerin ihrerseits einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stellen. Will das Gericht die Aussetzung mit der Ungültigkeit der Kommissionsentscheidung begründen, ist dies nur unter den genannten Voraussetzungen möglich. Jedenfalls muss es nach einer Aussetzung die Frage unverzüglich dem EuGH vorlegen.
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5. Kein Verwerfungsmonopol des EuGH für gemeinschaftsrechtswidriges nationales Recht Kein „Verwerfungs-“Monopol hat der EuGH für gemeinschaftsrechtswidriges nationales Recht. Zum einen prüft er ohnehin nicht die Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit Gemeinschaftsrecht, sondern legt nur die gemeinschaftsrechtlichen Normen aus, mit denen das nationale Gericht eine Norm des nationalen Rechts in Konflikt sieht. Und zum anderen bleibt eine gemeinschaftsrechtswidrige nationale Norm wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts zwar im Einzelfall unangewendet, soweit sie gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, sie ist deshalb jedoch nicht nichtig. Die Autorität des nationalen parlamentarischen Gesetzgebers wird also zwar davor geschützt, dass jeder Richter seine Gesetze als verfassungswidrig außer Anwendung lassen kann (Art 100 I GG) (→ § 16 Rn 2 ff), nicht aber davor, dass er sie wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit nicht anwendet.
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V. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Vorlagepflicht Fall 7: Unter Berufung auf die (nicht fristgerecht umgesetzte) Sechste Umsatzsteuerrichtlinie begehrt die Klägerin des Ausgangsverfahrens Steuerfreiheit für Kreditvermittlungsumsätze. Die Vorlagefrage des Finanzgerichts, ob sich ein Kreditvermittler in der Position der Klägerin auf diese Richtlinie berufen könne, bejahte der EuGH. Das FG entsprach daraufhin dem Begehren der Klägerin. In der Revisionsinstanz hob der BFH die Entscheidung ohne erneute Vorlage auf und wies die Klage ab. Zur Begründung führte er an, der Europäischen Gemeinschaft sei nicht das Recht übertragen, Rechtsvorschriften mit unmittelbarer Geltung im Bereich des Umsatzsteuerrechts zu erlassen, und das deutsche Umsatzsteuergesetz sehe keine Steuerbefreiung für Kreditvermittlungen vor. Was ist der Klägerin zu raten? (vgl BVerfGE 75, 223)
128 EuGH Slg 1991, I-415, Rn 16 ff – Zuckerfabrik Süddithmarschen; Slg 1995, I-3761 Rn 51 – Atlanta I; Herdegen EuropaR, § 10 Rn 36; Ahlt/Deisenhofer EuropaR, S 130 f. Dies kann dazu führen, dass vorläufiger Rechtsschutz häufiger als in rein innerstaatlichen Fällen verweigert werden muss; s auch → § 6 Rn 6. 129 EuGH Slg 1990, I-2879 Rn 25 f – Kommission/Bundesrepublik Deutschland; Schoch in: ders/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 80 Rn 157.
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1. Rechtsschutz vor nationalen Gerichten 58
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Verletzt ein Gericht seine Vorlagepflicht (→ Rn 46 ff), indem es zB gemeinschaftsrechtswidriges nationales Recht anwendet oder sekundäres Gemeinschaftsrecht außer Anwendung lässt, ohne die Frage nach der Auslegung der gemeinschaftsrechtlichen Prüfungsmaßstäbe bzw der Gültigkeit des Sekundärrechts dem EuGH vorzulegen, so kann sich die unterlegene Partei nicht unmittelbar mit einem der Urteilsverfassungsbeschwerde vergleichbaren Individualrechtsbehelf an den EuGH wenden. Die Vorlagepflicht an den EuGH kann jedoch unter bestimmten Voraussetzungen auf einem anderen Weg durchgesetzt werden: Denn die Nichtvorlage an den EuGH kann das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art 101 I 2 GG verletzen. Der EuGH ist gesetzlicher Richter im Sinne von Art 101 I 2 GG, weil er zur Entscheidung der in Art 234 EGV (267 AEUV-E) genannten Rechtsfragen berufen und funktional in die mitgliedstaatliche Gerichtsbarkeit eingegliedert ist.130 Die Verletzung von Art 101 I 2 GG kann von den Parteien des Ausgangsverfahrens gem Art 93 I Nr 4a GG im Wege der Urteilsverfassungsbeschwerde zum BVerfG (nach Erschöpfung des Rechtswegs, § 90 II BVerfGG) geltend gemacht werden. Allerdings stellt nach der Rspr des BVerfG nicht jede Verletzung der Vorlagepflicht nach Art 234 III EGV (267 III AEUV-E) einen Verstoß gegen Art 101 I 2 GG dar.131 Der gesetzliche Richter werde dem Beschwerdeführer nur dann grundgesetzwidrig entzogen, wenn das Fachgericht seine Vorlagepflicht, die den Parteien den EuGH als zuständiges Gericht entzieht, in offensichtlich unhaltbarer Weise gehandhabt habe. Offensichtlich unhaltbar ist die Nichtvorlage nach den drei vom BVerfG entwickelten Fallgruppen, (1) wenn das Gericht seine Vorlagepflicht grundsätzlich verkennt, indem es trotz erkannter Entscheidungserheblichkeit der gemeinschaftsrechtlichen Frage eine Vorlage nicht in Erwägung zieht, (2) wenn es ohne erneute Vorlagebereitschaft bewusst von der Rechtsprechung des EuGH abweicht oder (3) wenn es trotz fehlender oder nicht abschließender Rechtsprechung des EuGH seine Entscheidung auf eine europarechtliche Auffassung stützt, obwohl mögliche Gegenauffassungen eindeutig vorzuziehen sind.132 Aus gemeinschaftsrechtlicher Perspektive genügt die nur eingeschränkte Kontrolle der Einhaltung der Vorlagepflichten durch die Fachgerichte, auf die sich das BVerfG beschränkt, dem Effektivitätsgebot des Art 10 EGV (4 III EUV-E) nicht.133 Richtiger Ansicht nach liegt – wenn man Art 101 I 2 GG im Lichte des Gemeinschaftsrechts betrachtet und gemeinschaftsrechtskonform auslegt – eine Verletzung des Art 101 I 2 GG durch die Fachgerichte bereits dann vor, wenn objektiv ernst zu nehmende Zweifel an der Auslegung des Gemeinschaftsrechts bestehen und das letztinstanzlich entscheidende Fachgericht gleichwohl nicht dem EuGH vorlegt.134 Denn anderenfalls besteht die Gefahr, dass
130 BVerfGE 75, 223, 233 ff; 73, 339, 366 ff – Solange II; Kunig in: v. Münch/Kunig, Bd 3 GG Art 101 Rn 14. 131 Es gibt dazu eine Fülle von Kammerentscheidungen des BVerfG; zuletzt etwa BVerfG (Kammer) v 20.9.2007, 2 BvR 855/06 Rn 28. 132 BVerfGE 82, 159, 195 f; Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO Anh § 40 Art 177 EGV Rn 61 mwN. 133 Zweifelnd mit Recht → Ehlers § 6 Rn 15. AA Streinz EuropaR Rn 660, wonach es gemeinschaftsrechtlich nicht geboten, aber nützlich sei, wenn nationales Verfassungsrecht eine Verletzung der Vorlagepflicht sanktioniere. 134 So auch Müller-Terpitz in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf GG, Art 101 Rn 21 f.
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gemeinschaftsrechtswidriges nationales Recht durch die Fachgerichte weiter angewendet wird. Art 234 Ia, III EGV (267 Ia, III AEUV-E) will dem EuGH die Möglichkeit geben, letztverbindlich und gemeinschaftsweit die Fragen nach der Auslegung von Gemeinschaftsrecht zu entscheiden. Damit verträgt es sich nicht, wenn einem letztinstanzlich entscheidenden nationalen Gericht ein „Beurteilungsspielraum“ zuerkannt wird.135 Die Vorlagepflicht nach Art 234 III EGV (267 III AEUV-E) greift entgegen der Rspr des BVerfG aus Gründen des effet utile, der von Art 10 EGV (4 III EUV-E) gebotenen wirksamen Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts, bei Unvollständigkeit der Rspr des EuGH nicht erst dann ein, wenn der vom Ausgangsgericht vertretenen Meinung eine andere Auffassung eindeutig vorzuziehen ist, sondern schon dann, wenn die gemeinschaftsrechtliche Frage objektiv unklar ist, weil es noch keine Rechtsprechung des EuGH zu dieser gemeinschaftsrechtlichen Frage gibt und die gemeinschaftsrechtliche Aussage auch nicht klar auf der Hand liegt. Dass die Rechtsprechung des BVerfG zu eng ist, wird auch daran deutlich, dass es das letztinstanzliche Fachgericht selbst dann nicht zur Vorlage zwingen will, wenn nachträglich ergangene Rspr des EuGH die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch das Fachgericht zweifelhaft erscheinen lässt.136 Es geht aber nicht um eine Verhaltensbewertung des Fachgerichts, sondern um die wirksame Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts, und die zwischenzeitlich ergangene Rspr des EuGH wird ein weiteres Indiz dafür sein, dass das Fachgericht zu Unrecht von einer Vorlage abgesehen hat. Dem EuGH, den Art 234 Ia, III EGV (267 Ia, III AEUV-E) in solchen Fragen für zuständig erklärt, soll die Gelegenheit gegeben werden, diese Frage letztverbindlich zu entscheiden. Das könnte ohne die Kooperationsbereitschaft der nationalen Gerichte vereitelt oder zumindest erschwert werden, weil dann einzig noch ein Vertragsverletzungsverfahren (Art 226 EGV bzw 258 AEUV-E) zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts in Betracht kommt, aber kein Individualrechtsschutz. Art 101 I 2 GG ist also gemeinschaftsrechtskonform so auszulegen, dass in Fällen, in denen noch keine eindeutige Rechtsprechung des EuGH vorliegt (Unvollständigkeit der Rechtsprechung), das mitgliedstaatliche letztinstanzliche Gericht schon dann zur Vorlage verpflichtet ist, wenn nicht eine bestimmte Auslegung des Gemeinschaftsrechts eindeutig geboten ist (zur acte-clairDoktrin → Rn 48), und dass in allen diesen Fällen eine Nichtvorlage Art 101 I 2 GG verletzt. Bei Verletzung der Vorlagepflicht an den EuGH sollten zudem keine milderen Maßstäbe gelten als bei einer Missachtung der Vorlagepflicht an das BVerfG nach Art 100 II GG.137 Trotz Verletzung der Vorlagepflicht hat die Verfassungsbeschwerde dann keinen Erfolg, wenn der EuGH die Rechtsfrage zwischenzeitlich in einem Parallelverfahren beantwortet hat und das Urteil des zur Vorlage verpflichteten Gerichts aufgrund dieser Entscheidung nicht anders hätte ausfallen können.138 Auch hieran wird deutlich, dass es nicht um eine Verhaltenskontrolle des Fachgerichts, sondern um die wirksame Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts geht.
135 So aber in st Rspr das BVerfG: BVerfGE 82, 159, 196; zuletzt etwa BVerfG (Kammer) v 20.9. 2007, 2 BvR 855/06 Rn 28, 33. 136 Vgl zuletzt BVerfG (Kammer) v 6.5.2008, 2 BvR 1830/06 Rn 11 mwN. 137 Vgl zu letzteren BVerfG 109, 13, 23 f. 138 BVerfG NJW 1997, 2512 – Nichtannahmebeschluss.
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3. Teil: Rechtsschutz im Europäischen Unions- und Gemeinschaftsrecht
Lösung Fall 7: Eine Verfassungsbeschwerde der Klägerin hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist. Durch die Nichtvorlage des BFH könnte die Klägerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf den gesetzlichen Richter gem Art 101 I 2 GG verletzt sein. Nach der Rspr des BVerfG setzt das voraus, dass das Fachgericht seine Vorlagepflicht in offensichtlich unhaltbarer Weise gehandhabt hat. Dies ist ua dann der Fall, wenn es eine im selben Verfahren ergangene Vorabentscheidung des EuGH (ohne erneute Vorlage) unberücksichtigt lässt. Der BFH hat sich hier bewusst über eine Vorabentscheidung des EuGH hinweggesetzt und seine Vorlagepflicht daher in offensichtlich unhaltbarer Weise gehandhabt. Damit liegt selbst nach der restriktiven Rspr des BVerfG eine Verletzung des Art 101 I 2 GG durch den BFH vor. Damit wird eine Urteilsverfassungsbeschwerde Erfolg haben. Der Klägerin ist zu einer solchen Verfassungsbeschwerde zu raten.
2. Vertragsverletzungsverfahren 64
Das Gemeinschaftsrecht kennt keinen Individualrechtsbehelf zu den europäischen Gerichten wegen Verletzung der Vorlagepflicht. Im Verstoß gegen Art 234 III EGV bzw 267 III AEUV-E (bzw der Überschreitung der Grenzen des in Art 234 II EGV bzw 267 II AEUV-E eingeräumten Vorlageermessens) liegt aber eine Vertragsverletzung, so dass die KOM gem Art 226 EGV (258 AEUV-E) oder ein Mitgliedstaat gem Art 227 EGV (259 AEUV-E) ein Vertragsverletzungsverfahren gegen den betreffenden Mitgliedstaat einleiten kann. Der Einzelne kann allerdings bei Untätigkeit der KOM keine Untätigkeitsklage gegen die KOM erheben, da die Vertragsverletzungsklage im Ermessen der KOM steht (Art 226 II EGV bzw 258 II AEUV-E) und das Unterlassen der KOM daher regelmäßig den Vertrag nicht verletzt (Art 232 I EGV bzw 265 I AEUV-E). 3. Durchbrechung der Bestandskraft gemeinschaftsrechtswidriger Verwaltungsakte
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Hat ein letztinstanzlich entscheidendes nationales Gericht seine Vorlagepflicht verletzt und ist deshalb eine gerichtliche Entscheidung ergangen, aufgrund dessen ein später als gemeinschaftsrechtswidrig erkannter Verwaltungsakt bestandskräftig geworden ist, so muss die Behörde den belastenden Verwaltungsakt zurücknehmen, wenn nach nationalem Recht eine Rücknahmemöglichkeit besteht und sich der Betroffene unmittelbar, nachdem er Kenntnis von der neuen Entscheidung des EuGH erlangt hat, an die Behörde gewendet hat.139 Die Pflicht der Behörde zur Aufhebung des Verwaltungsakts setzt nicht voraus, dass der Betroffene sich in dem ursprünglichen gerichtlichen Verfahren auf die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Verwaltungsakts berufen hat.140 In Deutschland ist die Rücknahme eines bestandskräftigen belastenden VA möglich nach § 48 I VwVfG. Die – sehr weitgehende – Pflicht zur Durchbrechung der Bestandskraft in solchen Fällen beruht darauf, dass die Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorlagepflichten nach Art 234 EGV (267 AEUV-E) sanktioniert werden soll. Da dem Einzelnen nach der letztinstanzlichen Entscheidung des nationalen Gerichts kein der Urteilsverfassungsbeschwerde vergleichbarer Rechtsbehelf zur Verfügung steht, mit dem er die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der gerichtlichen Entscheidung angreifen könnte, konnte er selbst die Gemein-
139 EuGH Slg 2004, I-837 Rn 23 ff – Kühne & Heitz. 140 EuGH v 12.2.2008, Rs C-2/06 – Kempter.
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schaftsrechtswidrigkeit nicht vor den EuGH bringen. Insoweit stellt die sehr weitgehende Durchbrechung der Bestandskraft belastender gemeinschaftsrechtswidriger Verwaltungsakte eine Sanktion für die Missachtung der Vorlagepflicht nach Art 234 III EGV (267 III AEUV-E) dar. Nur deshalb erscheint es gerechtfertigt, der Rechtsrichtigkeit in solch weitem Umfang den Vorrang vor der Rechtssicherheit einzuräumen. 4. Staatshaftung der Mitgliedstaaten Verletzt das Gericht eines Mitgliedstaates seine Vorlagepflicht, so können schließlich auch noch Staatshaftungsansprüche in Betracht kommen. Der Einzelne hat gegen den Mitgliedstaat einen gemeinschaftsrechtlich begründeten Haftungsanspruch, wenn der Mitgliedstaat eine den Individualrechtsschutz bezweckende Norm des Gemeinschaftsrechts verletzt, hierin ein hinreichend qualifizierter Verstoß liegt und dadurch dem Bürger unmittelbar ein Schaden entstanden ist, den dieser nicht anderweitig zumutbar abwenden konnte.141 Ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht ist nur dann hinreichend qualifiziert, wenn das handelnde Organ des Mitgliedstaats offenkundig und in schwerwiegender Weise gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen hat.142 Bei der Haftung für judikatives Unrecht liegt ein solch schwerwiegender Verstoß nur vor, wenn das Gericht offenkundig gegen geltendes Gemeinschaftsrecht verstoßen hat, zB wenn es die einschlägigen Entscheidungen der europäischen Gerichte offenkundig verkannt hat.143 Eine Haftung kommt also nicht in Betracht, wenn die Rechtsfrage nach den Normen des Gemeinschaftsrechts und der bisherigen Rechtsprechung zweifelsfrei und eindeutig zu beantworten war. Zudem entfällt die Haftung auch wegen Mitverschuldens, wenn der Betroffene mögliche und zumutbare Rechtsbehelfe, die den Eintritt des Schadens hätten verhindern können, nicht ergriffen hat.144
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VI. Hinweise zur Falllösung In der Fallbearbeitung sind Rechtsfragen des Vorabentscheidungsverfahrens in vielfältiger Form denkbar. Bearbeiter können aufgefordert sein, aus Sicht des EuGH die Zulässigkeit einer bereits gestellten Vorlage zu beurteilen und in der Sache zu entscheiden. Ist nach der Entscheidung eines mitgliedstaatlichen Gerichts gefragt, muss dessen Recht und ggf Pflicht zur Vorlage begutachtet werden. Die Probleme des Vorabentscheidungsverfahrens sind mit anderen (nationalen und gemeinschaftsrechtlichen) Verfahrensarten kombinierbar. Die Verletzung der Vorlagepflicht eines mitgliedstaatlichen Gerichts kann Gegenstand einer auf Art 101 I 2 GG gestützten Verfassungsbeschwerde oder eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art 226 f EGV (258 f AEUV-E) sein. Geht es um die Rechtmäßigkeit der Entscheidung eines Gemeinschaftsorgans oder einer sog Scheinverordnung, können im Hinblick auf Art 230 V EGV (263 V AEUV-E) Rechtsfragen des Vorabentscheidungsverfahrens mit solchen der Nichtigkeitsklage verbunden werden.
141 Zusammenfassend etwa Grzeszick in: Erichsen/Ehlers AllgVerwR, § 46 Rn 17 ff mwN. 142 EuGH Slg 1996, I-1029 Rn 55 ff – Brasserie du pêcheur; Slg 1996, I-4845 Rn 23, 25 – Dillenkofer. 143 EuGH Slg 2003, I-10239 Rn 51 ff – Köbler. 144 EuGH Slg 1996, I-1029 Rn 84 – Brasserie du pêcheur.
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Aufbauschema – Entscheidung aus Sicht des EuGH I. Zulässigkeit 1. Vorlageberechtigung: Gericht (Art 234 II EGV bzw 267 II AEUV-E, ggf Vorlagepflicht: Art 234 III EGV bzw 267 III AEUV-E) 2. Vorlagegrund: a) Auslegung von Gemeinschaftsrecht (Art 234 Ia, b Alt 2 EGV bzw 267 Ia, b Alt 2 AEUV-E) oder b) Gültigkeit von sekundärem Gemeinschaftsrecht (Art 234 Ib Alt 1 EGV bzw 267 Ib Alt 1 AEUV-E) 3. Entscheidungserheblichkeit (Art 234 II EGV bzw 267 II AEUV-E) 4. Begründungserfordernisse: Darlegung des Sachverhalts und Begründung der Entscheidungserheblichkeit II. Entscheidung in der Sache 145 1. bei Gültigkeitsvorlagen: Ist Sekundärrechtsakt gültig? 2. bei Auslegungsvorlagen: Sind die Verträge oder das Sekundärrecht so auszulegen, dass sie einer Rechtsnorm eines Mitgliedstaates entgegenstehen, die Inhalt x hat? Beachte: Die vom EuGH zu beantwortende Frage lautet nicht, ob mitgliedstaatliche Rechtsnorm mit Gemeinschaftsrecht „vereinbar“ ist. Diese Konsequenz hat das mitgliedstaatliche Gericht selbst zu ziehen (Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht).
145 Bei Vorabentscheidungsverfahren sollte man nicht von „Begründetheit“ sprechen, da das vorlegende Gericht sich keinerlei Rechtsstandspunkt zu eigen machen muss, sondern offene Fragen an den EuGH richten kann. → Fn 97.
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§ 12 Vorläufiger Rechtsschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht Friedrich Schoch
Fall 1: Die Bundesrepublik Deutschland hat eine Straßenbenutzungsgebühr für die in anderen EU-Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeuge (Pkw, Lkw, Motorräder) eingeführt. Die EU-Kommission hat Klage erhoben, weil sie der Auffassung ist, die Straßenbenutzungsgebühr sei mit dem EG-Vertrag nicht vereinbar. Zugleich beantragt die Kommission beim EuGH eine Eilentscheidung, mit der die Erhebung der Gebühr durch deutsche Behörden bis zur Entscheidung in der Hauptsache ausgesetzt werden soll 1.
1
Fall 2: Nachdem im Vereinigten Königreich (VK) BSE („Rinderwahnsinn“) aufgetreten ist, trifft die EU-Kommission eine Entscheidung zum Schutz gegen BSE; die vorgesehenen Maßnahmen umfassen ua ein Verbot der Ausfuhr von Rinderprodukten aus dem VK in andere EU-Mitgliedstaaten. Das VK hält das „Totalverbot“ für unangemessen, da BSE nur bei einzelnen Betrieben aufgetreten sei und britische Behörden längst die notwendigen Schutzmaßnahmen getroffen hätten. Das VK erhebt beim EuGH eine Nichtigkeitsklage gegen die Entscheidung der Kommission und beantragt, den Vollzug der Entscheidung vorläufig auszusetzen 2.
2
Fall 3: Durch eine neue Marktordnung (in Form einer Verordnung) für Bananen wird seitens der EG zur Stärkung des innergemeinschaftlichen Bananenhandels die Einfuhr von Bananen aus Drittländern ab einer bestimmten Menge mit einem hohen Zoll belastet. Die Bundesrepublik Deutschland lehnt diesen „EG-Protektionismus für Mitgliedstaaten mit Überseeprovinzen“ ab und befürchtet ein Ansteigen der Preise für Bananen sowie eine Verknappung des Angebots und den Verlust von Arbeitsplätzen. Deutschland beantragt beim EuGH, die VO für nichtig zu erklären und beantragt zudem mit besonderem Schriftsatz die vorläufige Gestattung, bis zur Entscheidung in der Hauptsache die Einfuhr von Bananen aus Drittländern jährlich in der gleichen Menge wie vor Inkrafttreten der VO vornehmen zu dürfen 3.
3
Fall 4: Landwirt B war von den zuständigen niederländischen Behörden die Zuteilung einer bestimmten Referenzmenge zur Milcherzeugung unter Hinweis auf eine entsprechende EGVerordnung verweigert worden. Später erklärte der EuGH die VO für ungültig. Daraufhin erhob B beim EuG Klage und beantragte die Verurteilung der EG zum Ersatz des Schadens, den er durch die rechtswidrige Verweigerung der begehrten Milch-Referenzmenge erlitten hat; gleichzeitig beantragte B zur Vermeidung einer – tatsächlich drohenden – Insolvenz die Verurteilung der EG zur vorläufigen Zahlung eines Betrags von 130.000 Euro. Der Präsident des EuG lehnte den Eilantrag unter Hinweis auf das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache ab. B fragt nach einem Rechtsmittel 4.
4
1 2 3 4
Fall nach EuGH Slg 1990, I-3351 = EuZW 1990, 349 (m Anm von Wilmowsky). Fall nach EuGH Slg 1996, I-3903 = EuZW 1996, 628. Fall nach EuGH Slg 1993, I-3667 = EuZW 1993, 483 = EuR 1993, 286. Fall nach EuGH Slg 1997, I-441 = DVBl 1997, 655.
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3. Teil: Rechtsschutz im Europäischen Unions- und Gemeinschaftsrecht
Fall 5: Zum Schutz der Umwelt und der Gesundheit von Menschen erließ die Republik Österreich ein sektorales Fahrverbot für Lkw auf der Inntalautobahn. Daraufhin leitete die EU-Kommission wegen Verstoßes gegen Art 28 EGV ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich ein. Mit gesondert eingereichtem Schriftsatz beantragt die Kommission die vorläufige Aussetzung des Fahrverbots bis zur Entscheidung in der Hauptsache 5.
I. Funktion und Bedeutung des vorläufigen Rechtsschutzes im EG-Recht 6
Der vorläufige Rechtsschutz im EG-Recht führte lange Zeit ein Schattendasein. In der jüngeren Vergangenheit gewannen die Eilverfahren bei EuGH und EuG verbreiteter Einschätzung nach jedoch zunehmend an Bedeutung 6. Eine der Ursachen hierfür wird in der Dauer des Hauptsacheverfahrens gesehen. Der Bedeutungszuwachs des Eilrechtsschutzes hält an, obwohl die Erfolgsquote der Eilanträge vergleichsweise gering ist 7. Die Voraussetzungen für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sind nach der Rechtsprechung des EuGH und des EuG wesentlich strenger als zB im deutschen Recht; außerdem neigt der EuGH – wie zu zeigen sein wird – dazu, durch mehr oder weniger willkürliche Veränderungen des Prüfungsmaßstabs (politische) Zweckmäßigkeitserwägungen einzustellen, wenn er partout keinen vorläufigen Rechtsschutz (insbesondere gegen die EG) gewähren will (→ Rn 45, 66). 1. Rechtsgrundlagen
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Wenig übersichtlich sind die Rechtsgrundlagen zum vorläufigen Rechtsschutz im EGRecht. Im primären Gemeinschaftsrecht schließt Art 242 S 1 EGV (Art 278 S 1 AEUV-E) die aufschiebende Wirkung von Klagen beim EuGH aus; nach Art 242 S 2 EGV (Art 278 S 2 AEUV-E) kann der EuGH jedoch, „wenn er es den Umständen nach für nötig hält“, die Aussetzung der Vollziehung (AdV) anordnen, indem er „die Durchführung der angefochtenen Handlung“ aussetzt. Nach Art 243 EGV (Art 279 AEUV-E) kann der EuGH „in den bei ihm anhängigen Sachen die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen“. Weitgehend gleichlautende Parallelbestimmungen enthält der Euratom-Vertrag in Art 157, 158; die Vorschriften haben in der Praxis kaum Bedeutung und bleiben nachfolgend außer Betracht. Eine spezielle Regelung zum vorläufigen Rechtsschutz enthält Art 256 IV 1 EGV (Art 299 IV 1 AEUV-E); danach kann der EuGH die Zwangsvollstreckung aussetzen. Detaillierte Regelungen zum vorläufigen Rechtsschutz finden sich in der Verfahrensordnung des EuGH (EuGH-VfO) 8; Art 83 ff enthalten Vorschriften über die „Aussetzung des Vollzugs oder der Zwangsvollstreckung und sonstige einstweilige Anordnungen“.
5 Fall nach EuGH Slg 2003, I-7929 = EuZW 2004, 177 (m Anm Schroeder). 6 Schwarze RIW 1996, 893, 897; Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 1; Lehr Einstweiliger Rechtsschutz und Europäische Union, 1997, S 43 ff. 7 Kaessner Der einstweilige Rechtsschutz im Europarecht, 1996, S 276, berichtet von einer Erfolgsquote von nur 10 %; Estler Zur Effektivität des einstweiligen Rechtsschutzes im Gemeinschaftsrecht, 2003, S 46 f, nennt für den Zeitraum von 1995 bis 2000 Quoten von 25 % (EuG) bzw. 17 % (EuGH); Kischel in: Hailbronner/Wilms Recht der Europäischen Union, 12. Lfg. 8/2006, Art 242, 243 EGV Rn 1, teilt mit, dass im Jahr 2005 kein einziges Eilverfahren beim EuGH erfolgreich gewesen sei. 8 Abgedruckt zB in Sartorius II Nr 250, sowie Schwarze EUV, S 2356 ff.
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Vorläufiger Rechtsschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht
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Ergänzende Bestimmungen trifft die Satzung des Gerichtshofs (EuGH-Satzung) 9; Art 39 regelt die funktionelle Zuständigkeit des Präsidenten des EuGH zur Entscheidung nach Art 242, 243 oder 256 IV EGV (278, 279, 299 IV AEUV-E), Art 56 EuGH-Satzung enthält Rechtsmittelbestimmungen. Art 242, 243, 256 IV EGV (278, 279, 299 IV AEUV-E) erwähnen das EuG nicht; jene Vorschriften sind auch in Art 225 EGV (256 AEUV-E, „Zuständigkeiten des Gerichts erster Instanz“) nicht in Bezug genommen. Dennoch finden die für den EuGH konzipierten Vorschriften zum vorläufigen Rechtsschutz im Eilverfahren beim EuG Anwendung 10. Art 57 II EuGH-Satzung setzt dies voraus. Detaillierte Regelungen zu den Eilverfahren enthält die Verfahrensordnung des EuG (EuG-VfO) 11; dort (Art 104 ff) findet sich überdies eine ausdrückliche Bezugnahme auf Art 242, 243 EGV (278, 279 AEUV-E, vgl Art 104 § 1 EuG-VfO), so dass auch positivrechtlich die Anwendbarkeit der Art 242, 243, 256 IV EGV (278, 279, 299 IV AEUV-E) durch das EuG gesichert ist.
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2. System des vorläufigen Rechtsschutzes Nimmt man auf der Grundlage der maßgeblichen Normen eine Systematisierung vor, kann zwischen drei Arten des vorläufigen Rechtsschutzes im EG-Recht unterschieden werden 12:
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• Aussetzung der Vollziehung eines Hoheitsakts (Art 242 S 2 EGV; 278 S 2 AEUV-E); • Aussetzung der Zwangsvollstreckung (Art 256 IV 1 EGV; 299 IV 1 AEUV-E); • Erlass einer einstweiligen Anordnung (Art 243 EGV; 279 AEUV-E). Art 256 IV 1 EGV (299 IV 1 AEUV-E) regelt einen Unterfall zur AdV und ist daher gegenüber Art 242 S 2 EGV (278 S 2 AEUV-E) die speziellere Vorschrift; die AdV in der Zwangsvollstreckung spielt keine große Rolle und kann daher im Folgenden unberücksichtigt bleiben. Art 242 S 2 EGV (278 S 2 AEUV-E) erfasst Fälle, in denen belastende, anfechtbare Maßnahmen eines Gemeinschaftsorgans ergehen, deren Rechtswirkungen einstweilen ausgesetzt werden sollen; dies wird als Sonderfall der einstweiligen Anordnung (eAO) angesehen 13. Die Kapitel-Überschrift zu Art 83 ff EuGH-VfO („sonstige einstweilige Anordnungen“) bestätigt diese Kategorisierung. Der Anwendungsbereich des Art 243 EGV (279 AEUV-E) erfasst demnach alle übrigen Fallkonstellationen, dh die von Art 256 IV 1 (299 IV 1 AEUV-E) und 242 S 2 EGV (278 S 2 AEUV-E) nicht geregelten Fälle des vorläufigen Rechtsschutzes 14. Mit Blick auf die Klagearten im Hauptsacheverfahren ergeben sich hieraus folgende Konsequenzen: Art 242 S 2 EGV (278 S 2 AEUV-E) ist die richtige Verfahrensart, wenn in der Hauptsache eine Nichtigkeitsklage (Art 230 EGV; 263 AEUV-E) anhängig ist
9 Abgedruckt zB in Sartorius II Nr 245, sowie Schwarze EUV, S 2337 ff. 10 Wegener in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 19 Rn 1 und § 20 Rn 1, unter Hinweis auf Art 4 des Ratsbeschlusses 88/591. 11 Abgedruckt zB in Sartorius II Nr 252, sowie Schwarze EUV, S 2411 ff. 12 Pechstein EU/EG, Rn 879; Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 2; Classen in: Schulze/Zuleeg, EuropaR, § 4 Rn 92. 13 Wegener in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 19 Rn 7; Classen in: Schulze/Zuleeg, EuropaR, § 4 Rn 92; Gaitanides in: vd Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Bd 4, Art 242, 243 EGV Rn 4. 14 Geiger EUV/EGV, Art 243 EGV Rn 2; Pechstein EU/EG, Rn 883 f.
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(Fall 2); weitere Beispiele sind die dienstrechtliche Klage (Art 236 EGV; 270 AEUV-E) und die Drittwiderspruchsklage (Art 42 EuGH-Satzung, Art 97 EuGH-VfO, Art 123 EuG-VfO) 15. In den anderen Klageverfahren ist der Antrag auf Erlass einer eAO statthaft, also insbesondere im Vertragsverletzungsverfahren gem Art 226 EGV (258 AEUV-E, Fall 1 und Fall 5) und gem Art 227 EGV (259 AEUV-E), bei der Untätigkeitsklage gem Art 232 EGV (265 AEUV-E) und bei der Amtshaftungsklage gem Art 235 iVm 288 II EGV 16 (Art 268 iVm 340 II AEUV-E, Fall 4). Zulässig ist – falls das Rechtsschutzbegehren entsprechend ausgerichtet ist – auch eine Kombination des Antrags nach Art 242 S 2 EGV (278 S 2 AEUV-E) mit dem Antrag nach Art 243 EGV (279 AEUV-E)17 (vgl Fall 3). Im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens (→ § 11) gem Art 234 EGV (Art 267 AEUV-E) kann der EuGH keinen vorläufigen Rechtsschutz gewähren 18. Seit dem 1.3.2008 gibt es jedoch die Möglichkeit des Eilverfahrens für bestimmte Vorabentscheidungsersuchen. Rechtliche Grundlage hierfür sind Art 23a EuGH-Satzung und Art 104b EuGH-VfO 19. Der Anwendungsbereich des neuen Rechtsinstituts ist beschränkt auf Titel VI EUV und Titel IV des Dritten Teils des EGV, also auf den „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen; Visa, Asyl, Einwanderung uä). Das Eilverfahren kann von dem vorlegenden nationalen Gericht oder ausnahmsweise von Amts wegen vom EuGH durchgeführt werden (Art 104b § 1 EuGH-VfO). Kennzeichnend für das Eilverfahren ist die durch etliche Maßnahmen angestrebte Verfahrensbeschleunigung (zB rasche mündliche Verhandlung, Verzicht auf Schriftlichkeit, Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel, Entscheidung einer Kammer mit nur drei Richtern) 20. In der Sache geht es indes nicht um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch den EuGH selbst; das „Eilvorlageverfahren“ vereinfacht und beschleunigt vielmehr das klassische Vorabentscheidungsverfahren. 3. Funktionen des vorläufigen Rechtsschutzes
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Das EG-Recht kennt – wie das deutsche Recht (Art 19 IV 1 GG) – das Gebot eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes 21. In diesem Sinne ist effektiver Rechtsschutz durch die EG-Gerichte (EuGH, EuG) zu verwirklichen (→ § 6). Der vorläufige gerichtliche Rechtsschutz ist Teil dieses auf tatsächliche Wirksamkeit angelegten Rechtsschutzsystems. Er gilt als „Grundelement“ eines wirksamen Rechtsschutzes, weil er Zwischenlösungen bis zum Ergehen der Hauptsacheentscheidung ermöglicht 22. Im Falle von Klagen, die sich gegen
15 Wägenbaur EuZW 1996, 327; Pechstein EU/EG Rn 880; Kischel in: Recht der EU (Fn 7) Art 242, 243 EGV Rn 4. 16 Pechstein EU/EG Rn 884; Geiger EU/EG Art 243 EGV Rn 2. 17 Wegener in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 20 Rn 3; Kischel in: Recht der EU (Fn 7) Art 242, 243 Rn 5. 18 EuGH Slg 2001, I-7823 Rn 6 – Dory. 19 Vgl ABl L 24 vom 29.1.2008, S 42 bzw S 39; erläuternd dazu Gardette EuZW 2008, 98. 20 Einzelheiten dazu bei Kühn EuZW 2008, 263 ff; O. Dörr EuGRZ 2008, 349 ff; ferner Rieck NJW 2008, 2958 ff. 21 EuGH Slg. 2003, I-8679 Rn 50 – Safalero; EuGH Slg 2007, I-2271 Rn 37 – Unibet → JK 2/08, EUV Art 6 II/2. Näher dazu Schwarze FS Starck, 2007, S 645 ff. 22 Classen in: Schulze/Zuleeg EuropaR, § 4 Rn 91; ähnlich Wegener in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 19 Rn 3.
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belastende und vollziehbare Maßnahmen eines EG-Organs richten, ist dies besonders bedeutsam, weil derartige Klagen – anders als grundsätzlich im deutschen Recht (vgl § 80 I VwGO; → § 29 Rn 17 ff) – keine aufschiebende Wirkung haben (Art 242 S 1 EGV; 278 S 1 AEUV-E) 23. Folglich müssen jene Maßnahmen trotz Klageerhebung (und auch nach der Einlegung eines Rechtsmittels) befolgt werden; Gemeinschaftsorgane sind nicht gehindert, ihre Maßnahmen sogleich durchzusetzen 24. Vor diesem Hintergrund erfüllt der vorläufige Rechtsschutz zunächst eine Sicherungsfunktion. Das gilt insbesondere für die AdV gem Art 242 S 2 EGV (278 S 2 AEUV-E); sie verhindert den Eintritt irreversibler Fakten, die auch durch ein stattgebendes Urteil in der Hauptsache nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten, wodurch die Hauptsacheentscheidung entwertet würde 25. Durch die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann das Hauptsacheverfahren offen gehalten werden. Die AdV dient demnach der Wahrung der praktischen Wirksamkeit der Hauptsacheentscheidung 26. Dasselbe gilt letztlich für die eAO gem Art 243 EGV (279 AEUV-E). In ihrem Anwendungsbereich (insbesondere Untätigkeits-, Feststellungs- und Amtshaftungsklage) ermöglicht sie nicht nur eine vorläufige Veränderung des status quo, sondern auch seine vorläufige Sicherung 27. Noch nicht allgemein zur Kenntnis genommen haben Rechtsprechung und Schrifttum, dass jedem vorläufigen Rechtsschutz – notwendigerweise – eine interimistische Befriedungsfunktion immanent ist (→ § 29 Rn 15). Allein auf Grund der unaufhaltsam fortschreitenden Zeit ist die im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes getroffene Regelung als Zwischenlösung bis zur Hauptsacheentscheidung eine abschließende 28. Die Gewährung oder Nichtgewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist für den Interimzeitraum endgültig. Die spätere Hauptsacheentscheidung kann die Eilentscheidung allenfalls im Nachhinein für Gegenwart und Zukunft revidieren, aber nicht für den abgelaufenen Zeitraum ungeschehen machen. Praktische Konsequenzen hat diese Einsicht für das – angebliche – Vorwegnahmeverbot der Hauptsache (→ § 30 Rn 58 ff). Fall 1 und Fall 2 sind typische Beispiele für die Sicherungsfunktion des vorläufigen Rechtsschutzes; jeweils geht es – unabhängig von der Klageart im Hauptsacheverfahren – um die Aufrechterhaltung des status quo bis zur Hauptsacheentscheidung. – Fall 3 verknüpft die „Anfechtungssituation“ mit der Regelungsanordnung, die auf die vorläufige Gewährung einer im (geänderten) EG-Recht nicht vorgesehenen „Leistung“ zielt. – Fall 4 repräsentiert die klassische Konstellation einer Regelungsanordnung. – Fall 5 ist wiederum ein Beispiel für die vorläufige Sicherung des status quo.
23 Nach Art 60 I EuGH-Satzung (vgl Nachw Fn 9) haben auch Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung. 24 Pechstein EU/EG Rn 878; Geiger EUV/EGV Art 242 EGV Rn 1; Wegener in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 19 Rn 2 f; ders in: Calliess/Ruffert EUV/EGV Art 242, 243 EGV Rn 2; Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 1; Gaitanides in: vd Groeben/Schwarze EUV/EGV, Bd 4, Art 242, 243 EGV Rn 9. 25 EuG Slg 2001, II-2349 = EuR 2001, 891 Rn 20; Pechstein EU/EG Rn 878, 880; Lehr Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 6) S. 12 f; kritisch Wiehe Effektiver vorläufiger Rechtsschutz beim Vollzug von Gemeinschaftsrecht, 2000, S 108 ff. 26 Kaessner Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 11. 27 Pechstein EU/EG Rn 883. 28 Vgl zum EG-Recht Lehr Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 6) S 13 f; ohne Problembewusstsein Sladicˇ Einstweiliger Rechtsschutz im Gemeinschaftsprozessrecht, 2008, S 17 f.
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Obwohl das EG-Recht mit der AdV und der eAO verschiedene Formen des vorläufigen Rechtsschutzes kennt, setzt sich der EuGH über diese Unterscheidung hinweg 29. Er trennt also nicht zwischen Art 242 S 2 EGV und Art 243 EGV (278 S 2 und 279 AEUV-E) 30. Das führt dazu, dass alle Anträge einer einheitlichen Prüfung unabhängig davon unterworfen werden, ob sie auf die AdV oder auf den Erlass einer eAO zielen 31. Angesichts der eingefahrenen Praxis wird diesem Muster hier gefolgt.
II. Zulässigkeit des Eilantrags 19
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes setzt, um Erfolg haben zu können, voraus, dass er zulässig und begründet ist. Zulässigkeit und Begründetheit sind getrennt zu prüfen. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen sind nach dem EG-Prozessrecht klar strukturiert; sie werfen kaum schwierige Rechtsfragen auf. 1. Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit
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Gemeinschaftsrechtsstreitigkeiten können sowohl vor dem EuGH bzw dem EuG als auch bei nationalen Gerichten ausgetragen werden. Wird Rechtsschutz bezüglich eines Vollzugsakts begehrt, bestimmt sich die zuständige Gerichtsbarkeit nach dem handelnden Vollzugsorgan; beim Vollzug des EG-Rechts durch innerstaatliche Stellen sind nationale Gerichte für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständig, bei Vollzugsakten eines EG-Organs entscheiden die EG-Gerichte 32. Unabhängig vom „Vollzug“ entscheidet der EuGH in Eilverfahren im Zusammenhang mit Vertragsverletzungsverfahren (Art 226, 227 EGV; 258, 259 AEUV-E); eine Zuständigkeit der nationalen Gerichtsbarkeit kommt insoweit von vornherein nicht in Betracht. Rechtsfragen zur zuständigen Gerichtsbarkeit tauchen in der Praxis selten auf; die Abgrenzungen zwischen nationaler und europäischer Gerichtsbarkeit sind klar. Ein „unechtes“ Beispiel zu einem Disput über die Zuständigkeitsfrage stellt die Entscheidung des EuGH zu einstweiligen Maßnahmen gem Art 50 TRIPS (Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des Geistigen Eigentums) dar; der Gerichtshof bejahte seine Zuständigkeit für die Auslegung des Art 50 TRIPS 33. Dabei ging es allerdings nicht um vorläufigen Rechtsschutz nach Art 242, 243 EGV (278, 279 AEUV-E). 2. Sachliche Zuständigkeit
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Die gerichtliche Zuständigkeit im Eilverfahren (EuGH oder EuG) folgt der Entscheidungszuständigkeit im Hauptsacheverfahren 34. Dies ergibt sich unmittelbar aus Art 242, 29 Ausführlich dazu Sladicˇ Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 28), S 67 ff. 30 Typisch insoweit zB EuGH Slg 1996, I-3903 = EuZW 1996, 628 Rn 41 ff. 31 Pechstein EU/EG Rn 883; Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 3; Gaitanides in: vd Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Bd. 4, Art 242, 243 EGV Rn 11. 32 Pechstein EU/EG, Rn 886. 33 EuGH Slg 1998, I-3603 = EuZW 1998, 572 = NJW 1999, 2103 (m Bespr von Bogdandy S 2088) = ZUM 1999, 63 Rn 22 ff. 34 Pechstein EU/EG, Rn 887; Kischel in: Recht der EU (Fn 7) Art 242, 243 EGV Rn 6; Stoll in: Grabitz/Hilf, Bd 3, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 9.
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243 EGV (278, 279 AEUV-E). Die AdV (Art 242 S 2 EGV; 278 S 2 AEUV-E) bezieht sich auf „Klagen bei dem Gerichtshof“ (Art 242 S 1 EGV; 278 S 1 AEUV-E); eine eAO kann der EuGH (nur) „in den bei ihm anhängigen Sachen“ treffen (Art 243 EGV; 279 AEUV-E). Die Abgrenzung der sachlichen Zuständigkeit 35 zwischen EuGH und EuG erfolgt nach Maßgabe des Art 225 EGV (257 AEUV-E; → § 6 Rn 22 f); allerdings ist zu beachten, dass Art 51 EuGH-Satzung davon abweichende Regelungen trifft. Wird der Eilantrag irrtümlich beim unzuständigen Gericht gestellt, erfolgt eine Verweisung an das zuständige Gericht (Art 54 EuGH-Satzung) 36.
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3. Anhängigkeit des Hauptsacheverfahrens
a) Akzessorietät zwischen Eilverfahren und Hauptsacheverfahren Zwischen dem vorläufigen Rechtsschutz und dem Hauptsacherechtsschutz besteht nach dem EG-Prozessrecht eine strenge Akzessorietät. Danach ist – anders als grundsätzlich im deutschen Recht (→ § 29 Rn 116 und § 30 Rn 30) – ein Eilantrag nur zulässig, wenn die Klage in der Hauptsache bereits anhängig ist und der Eilantrag sich hierauf bezieht 37. Das bedeutet, dass ein Antrag unzulässig ist, solange es an der Hauptsacheklage fehlt. Der Antrag kann – unabhängig von der Klage- bzw Antragsart – (erst) mit der Klageschrift (oder später) eingereicht werden 38. Der Eilantrag wird unzulässig, wenn das EuG bzw der EuGH die Klage zwischenzeitlich abgewiesen hat 39. Die Wahrung der prozessualen Akzessorietät zwischen vorläufigem Rechtsschutz und Hauptsacherechtsschutz ist bereits im Wortlaut der Art 242, 243 EGV (278, 279 AEUV-E) angedeutet; unmissverständlich ergibt sie sich aus Art 83 § 1 EuGH-VfO, Art 104 § 1 EuG-VfO 40. Die strenge Verknüpfung des Eilverfahrens mit der Hauptsache wird für diejenigen Fallgestaltungen kritisiert, in denen (wie zB bei der Untätigkeitsklage gem Art 232 II EGV; 265 II AEUV-E) vor Klageerhebung ein behördliches Vorverfahren durchzuführen ist41. Unter dem Gesichtspunkt eines wirksamen Rechtsschutzes ist diese Kritik in der Sache berechtigt 42. Für den Sonderfall dienstrechtlicher Klagen ist durch Art 91 IV EU-Beamtenstatut 43 im Wege einer Fiktion sichergestellt, dass ohne das Abwarten eines Vorverfahrens frühzeitig Klage erhoben und ein Eilantrag gestellt werden kann. Methodisch und dogmatisch nicht korrekt ist es, diese sehr spezielle Lösung für ver-
35 Zur funktionellen Zuständigkeit Rn 70. 36 Schwarze in: ders, EUV, Art 242 EGV Rn 6. 37 EuGH Slg 1993, I-3917 = EuZW 1993, 486 = EuR 1993, 285 Rn 4; EuGH Slg 2002, I-8977 = EuZW 2002, 721 (m. Anm. Arhold) = DVBl 2003, 255 Rn 32; Pechstein EU/EG, Rn 888; ausführlich Sladicˇ Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 28), S 119 ff. 38 Wägenbaur EuZW 1996, 327, 328; Kischel in: Recht der EU (Fn 7) Art 242, 243 EGV Rn 7; Stoll in: Grabitz/Hilf Bd 3, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 10; Schwarze in: ders, EUV, Art 242 EGV Rn 8. 39 Pechstein EU/EG, Rn 888; Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 11; Stoll in: Grabitz/Hilf, Bd 3, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 11. 40 Wägenbaur EuGH VerfO, 2008, Art 83 Rn 2. 41 Wegener in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 19 Rn 11; ders in: Calliess/Ruffert EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 8. 42 Kischel in: Recht der EU (Fn 7) Art 242, 243 EGV Rn 7. 43 VO Nr. 259/68/EWG/EAG/EGKS, ABl 1968 L 56, 1.
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allgemeinerungsfähig zu erklären 44. Das Beispiel der Untätigkeitsklage zeigt vielmehr, dass das EG-Prozessrecht nicht ausnahmslos einen wirksamen vorläufigen Rechtsschutz kennt. Für den Fall des Vollzugs von EG-Recht durch nationale Behörden hat der EuGH die Rechtsschutzlücke bei Untätigbleiben eines EG-Organs übrigens ausdrücklich hingenommen 45.
b) Zulässigkeit der Hauptsacheklage 26
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Das EG-Prozessrecht normiert für die Zulässigkeit des Eilantrags mit Blick auf das Hauptsacheverfahren außer dessen Anhängigkeit keine besonderen Anforderungen. Daraus kann geschlossen werden, dass die Zulässigkeit der Hauptsacheklage keine Zulässigkeitsvoraussetzung für den Eilantrag ist 46. Die insoweit nicht sehr konsistente Rechtsprechung des EuGH 47 hat zunächst hervorgehoben, dass die Frage der Zulässigkeit der Klage im Eilverfahren grundsätzlich nicht zu prüfen sei, um der Entscheidung in der Hauptsache nicht vorzugreifen; etwas anderes gälte nur, wenn die offensichtliche Unzulässigkeit der Hauptsacheklage vom Antragsgegner geltend gemacht werde 48. Die ausnahmsweise Prüfung der Zulässigkeit der Klage im Eilverfahren sei insbesondere geboten, wenn der Antragsteller die Nichtigerklärung einer Maßnahme mit allgemeiner Geltung begehre; denn nur so lasse sich verhindern, dass im Eilverfahren die AdV einer derartigen Maßnahme angeordnet werde, obgleich ihre Nichtigerklärung im späteren Hauptsacheverfahren wegen Unzulässigkeit der Klage abgelehnt werde 49. Richtiger Auffassung nach kann es auf die Rüge des Antragsgegners nicht ankommen. Bei einer offensichtlich unzulässigen Klage in der Hauptsache gibt es im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes nichts zu sichern. Die Sicherungsfunktion des Eilverfahrens verlangt keine Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, wenn die Entscheidung in der Hauptsache wegen klar erkennbarer Unzulässigkeit der Klage gar nicht offen gehalten werden muss. Diese Frage ist von Amts wegen zu klären 50. Dabei beschränkt sich die neuere Rechtsprechung auf die Feststellung, dass die Zulässigkeit der Klage schon dem ersten Anschein nach („auf den ersten Blick“) völlig ausgeschlossen ist; bedarf es einer eingehenden Prüfung, findet diese nicht im Eilverfahren sondern im späteren Hauptsacheverfahren statt 51. Die von Amts wegen erfolgende Prüfung stimmt mit der Rechtsprechung des EuGH überein, wonach ein Eilantrag unzulässig ist, wenn die Unzulässigkeit der Klage in der Hauptsache feststeht 52. 44 So Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 8; Ehricke in: Streinz, EUV/ EGV, Art 242, 243 EGV Rn 12; vgl ferner Wiehe Vorläufiger Rechtsschutz (Fn 25) S 148 ff. 45 EuGH Slg 1996, I-6065 = NJW 1997, 1225 Rn 53 ff, 62; zutreffende Kritik hierzu bei Koenig EuZW 1997, 206 ff, sowie Ohler/Weiß NJW 1997, 221 f; ausführlich zum Problem Estler Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 165 ff. 46 Stoll in: Grabitz/Hilf, Bd 3, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 12. 47 Überblick dazu bei Kischel in: Recht der EU (Fn 7) Art 242, 243 EGV Rn 10, sowie Gaitanides in: vd Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Bd 4, Art 242, 243 Rn 17 ff. 48 EuGH Slg 1986, 2969 Rn. 19; ebenso zB Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art 242, 243 EGV Rn 9; Schwarze in: ders, EUV, Art 242 EGV Rn 9; Wägenbaur EuGH VerfO, 2008, Art 83 Rn 3. 49 EuGH Slg 1988, 4121 Rn 23. 50 Wägenbaur EuZW 1996, 327, 329; Kaessner Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 90 f; Kischel in: Recht der EU (Fn 7) Art 242, 243 EGV Rn 11. 51 EuG Slg 1996, II-815 Rn 70 f. 52 EuGH Slg 1993, I-3917 = EuZW 1993, 486 = EuR 1993, 285 Rn 4.
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c) Klagen nach dem EU-Vertrag Keine klare Regelung hat die Frage erfahren, ob vorläufiger Rechtsschutz auch im Rahmen von Klagen nach dem EU-Vertrag gewährt werden kann. Eine Zuständigkeit des EuGH für das Klageverfahren besteht nach Art 35 EUV. In der Verweisungsvorschrift auf den EG-Vertrag (Art 41 EUV) sind Art 242, 243 EGV (278, 279 AEUV-E) nicht genannt. Dies könnte die Schlussfolgerung nahelegen, dass bei Klagen nach Art 35 EUV vorläufiger Rechtsschutz nicht zulässig ist. Andererseits enthalten Art 242, 243 EGV (278, 279 AEUV-E) keine Beschränkung auf Klagen nach dem EG-Vertrag, sondern sprechen generell von „Klagen“ bzw „anhängigen Sachen“. Außerdem streiten Sinn und Zweck der Art 242, 243 EGV (278, 279 AEUV-E; Gewährleistung eines tatsächlich wirksamen Rechtsschutzes) dafür, diese Vorschriften im Rahmen von Klagen nach Art 35 EUV für anwendbar zu erklären 53.
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4. Antragsgegenstand Die Zulässigkeit des Eilantrags verlangt mit Blick auf das Hauptsacheverfahren nicht nur die Beachtung der beschriebenen prozessualen Konnexität (→ Rn 24, 25), zusätzlich bestehen eine formelle und eine materielle Konnexität zwischen Eilantrag und Hauptsacheklage 54. Der Gegenstand des begehrten vorläufigen Rechtsschutzes muss im Eilantrag bezeichnet werden (Art 83 § 2 EuGH-VfO, Art 104 § 2 EuG-VfO); außerdem muss zwischen dem Antragsgegenstand im Eilverfahren und dem Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens ein unmittelbarer inhaltlicher Zusammenhang bestehen (Art 83 § 1 EuGHVfO, Art 104 § 1 EuG-VfO). Zulässig sind danach nur solche Eilanträge, die sich auf den Gegenstand der Hauptsache beziehen und nicht mehr sowie nichts anderes begehren, als mit der Klage im Hauptsacheverfahren erreicht werden kann 55. Im Aussetzungsverfahren können Gegenstand des Antrags nach Art 242 S 2 EGV (278 S 2 AEUV-E) alle belastenden, anfechtbaren Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane sein, die Rechtswirkungen erzeugen und vollziehbar sind 56. Typischerweise geht es insoweit um Rechtsakte, die der Nichtigkeitsklage (vgl Art 230 I EGV; 263 I AEUV-E) unterliegen (Fall 2). Ablehnende begünstigende Entscheidungen werden mangels Vollziehbarkeit von Art 242 S 2 EGV (278 S 2 AEUV-E) nicht erfasst 57.
53 Pechstein EU/EG, Rn 889; Classen in: Schulze/Zuleeg, EuropaR, § 4 Rn 92. 54 Schwarze in: ders, EUV, Art 242 EGV Rn 10. 55 Wägenbaur EuZW 1996, 327, 329; Wegener in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 19 Rn 13 und § 20 Rn 9; ders in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 12; Gaitanides in: vd Groeben/ Schwarze, EUV/EGV, Bd 4, Art 242, 243 EGV Rn 23. 56 Wägenbaur EuZW 1996, 327, 329; Pechstein EU/EG, Rn 892; Kischel in: Recht der EU (Fn 7) Art 242, 243 EGV Rn 12. – Dass es sich im Aussetzungsverfahren um eine „Anfechtungssituation“ handeln muss, sollte nach dem Wortlaut der Art 242 S 2 EGV, Art 83 § 1 I EuGH-VfO, Art 104 § 1 I EuG-VfO nicht streitig sein, Wiehe Vorläufiger Rechtsschutz (Fn 25) S 127 ff; zudem geht es nur um die Anfechtung von Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane, nicht auch der Mitgliedstaaten, Kaessner Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 28, 42. 57 Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 15; Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/ EGV, Art 242, 243 EGV Rn 10; Kaessner Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 34; Estler Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 59.
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Im einstweiligen Anordnungsverfahren sind Gegenstand des Eilantrags gem Art 243 EGV (279 AEUV-E) alle Maßnahmen, die nicht Art 242 S 2 EGV (278 S 2 AEUV-E) unterfallen. Dies sind bei der Sicherungsanordnung alle Gebote oder Verbote, die der vorläufigen Wahrung des status quo dienen 58. Beispiele insoweit bietet insbesondere das Vertragsverletzungsverfahren gem Art 226 EGV (258 AEUV-E). Es ist kaum noch strittig, dass eine eAO auch im Rahmen einer Feststellungsklage beantragt und erlassen werden kann 59; schon die Wirksamkeit des Rechtsschutzes verlangt dies. Ein wichtiges Anwendungsfeld hierfür bietet die eAO, mit der einem Mitgliedstaat aufgegeben wird, gemeinschaftsrechtswidrige Handlungen zu unterlassen 60 (Fall 1 und Fall 5). Gegenstand des Antrags auf Erlass einer Regelungsanordnung sind vorläufige Maßnahmen zur Gestaltung eines streitigen Rechtsverhältnisses; dabei geht es häufig um die vorläufige Änderung eines bestehenden Zustands 61 (Fall 3 und Fall 4). Eine strikte Bindung des Gerichts (EuGH, EuG) an die Formulierung des Eilantrags besteht nicht. Anerkannt ist ein richterliches Auslegungsermessen; deshalb kann ein Eilantrag – soweit die Akzessorietät mit der Klage in der Hauptsache gewahrt ist – gegebenenfalls im Sinne eines statthaften Antrags(gegenstands) (um)gedeutet werden 62. 5. Antragsberechtigung
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Antragsberechtigt im Eilverfahren sind nach überkommener Doktrin alle Rechtssubjekte, die die – akzessorische – Klage in der Hauptsache erhoben haben; demgemäß entspricht die Antragsberechtigung beim vorläufigen Rechtsschutz der Klageberechtigung in der Hauptsache 63. Eine ausdrückliche Regelung hierzu enthält das EG-Prozessrecht nicht. Die Verknüpfung der Antragsberechtigung im Eilverfahren mit der Klageberechtigung im Hauptsacheverfahren lässt sich jedoch aus den Regelungen zur Akzessorietät der Verfahren (Art 83 § 1 EuGH-VfO, Art 104 § 1 EuG-VfO) ableiten 64.
58 Wägenbaur EuZW 1996, 327, 329; Kischel in: Recht der EU (Fn 7) Art 242, 243 EGV Rn 12; Estler Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 60; ausführlich Kaessner Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 52 ff. – Ausdrücklich auf die Wahrung des status quo ausgerichtet (zu Fall 1) EuGH Slg 1990, I-2715 = EuZW 1990, 255 Rn 20. 59 Wegener in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 20 Rn 8; Stoll in: Grabitz/Hilf, Bd 3, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 20; Kaessner Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 73 ff; Wiehe Vorläufiger Rechtsschutz (Fn 25) S 130 ff; aA Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 16: Die eAO gewähre mehr als das im Vertragsverletzungsverfahren ergehende Feststellungsurteil; ferner Schwarze in: ders, EUV, Art 243 EGV Rn 9. 60 Wegener in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 20 Rn 8; Wiehe Vorläufiger Rechtsschutz (Fn 25) S 131 f. 61 Pechstein EU/EG, Rn 894; Classen in: Schulze/Zuleeg, EuropaR, § 4 Rn 93; Estler Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 60 f. 62 Wägenbaur EuZW 1996, 327, 329. 63 Wegener in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 19 Rn 15; ders in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 13; Stoll in: Grabitz/Hilf, Bd 3, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 13; Kischel in: Recht der EU (Fn 7) Art 242, 243 EGV Rn 15; Classen in: Schulze/Zuleeg, EuropaR, § 4 Rn 94. 64 Kaessner Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 81; Lehr Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 6) S 68; Wiehe Vorläufiger Rechtsschutz (Fn 25) S 143 f.
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Auf dieser Grundlage ist bei der Ermittlung der Antragsberechtigung – wie bei der Klageberechtigung im Hauptsacheverfahren – zwischen privilegierten und nicht privilegierten Antragstellern zu unterscheiden. Als privilegiert Antragsberechtigte können Gemeinschaftsorgane und Mitgliedstaaten einen Eilantrag unabhängig von der Verfolgung „eigener“ Interessen stellen; sie sind berechtigt, vorläufigen Rechtsschutz auch zum Schutz Dritter oder aus Gründen des Allgemeininteresses zu beantragen 65.
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In Fall 2 und Fall 3 hat der EuGH ausdrücklich betont, die Mitgliedstaaten hätten die – namentlich wirtschaftlichen und sozialen – Interessen zu vertreten, die auf nationaler Ebene als „Allgemeininteressen“ betrachtet würden; daher seien die Mitgliedstaaten zur Verteidigung dieser Interessen klagebefugt. Folglich könnten sie (im Eilverfahren) Schäden geltend machen, die einen gesamten Sektor ihrer Volkswirtschaft betreffen, insbesondere, wenn die angegriffene Maßnahme der EG nachteilige Auswirkungen auf das Beschäftigungsniveau und die Lebenshaltungskosten haben könne 66.
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Bei Eilanträgen der Kommission geht der EuGH auf die Frage der Antragsberechtigung in aller Regel gar nicht ein. Die Berechtigung zur Stellung eines Eilantrags im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens (vgl Fall 1 und Fall 5) liegt gleichsam in der Natur der Sache. Eilanträge nicht privilegierter Antragsteller (natürliche und juristische Personen) müssen besondere subjektive Voraussetzungen erfüllen. Vorläufiger Rechtsschutz ist diesen Personen nur zum Schutz eigener Interessen eröffnet. Im Aussetzungsverfahren (Art 242 S 2 EGV; 278 S 2 AEUV-E) muss der Antragsteller darlegen, dass er durch die angefochtene Maßnahme des Gemeinschaftsorgans unmittelbar und individuell betroffen ist 67; beim vorläufigen Rechtsschutz im Rahmen der Nichtigkeitsklage bedeutet dies, dass die Anforderungen des Art 230 IV EGV (263 IV AEUV-E) 68 erfüllt sein müssen. Beim Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (Art 243 EGV; 279 AEUV-E) besteht die Antragsbefugnis für den Eilantrag, wenn es um die vorläufige Sicherung oder Regelung eigener rechtlich geschützter Interessen des Antragstellers geht 69. Mit Rücksicht auf die Eilbedürftigkeit der beantragten Maßnahme ist die Darlegungslast des Antragstellers keinen strengen Anforderungen unterworfen. Es reicht, wenn die Antragsbefugnis nach dem Sachvortrag nicht offensichtlich („auf den ersten Blick“) auszuschließen ist 70.
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6. Form des Eilantrags Der Eilantrag ist gem Art 83 § 3 EuGH-VfO, Art 104 § 3 EuG-VfO mit besonderem Schriftsatz einzureichen. Unzulässig ist daher ein in der Klageschrift mit enthaltener Eil-
65 Pechstein EU/EG, Rn 897; Stoll in: Grabitz/Hilf, Bd 3, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 14; Classen in: Schulze/Zuleeg, EuropaR, § 4 Rn 94; Schwarze in: ders, EUV, Art 242 EGV Rn 12. 66 EuGH Slg 1993, I-3667 = EuZW 1993, 483 = EuR 1993, 286 Rn 27; EuGH Slg 1996, I-3903 = EuZW 1996, 628 Rn 85. – Aufbaumäßig sind diese Entscheidungen verfehlt, da die Antragsberechtigung im Rahmen der „Dringlichkeit“ des vorläufigen Rechtsschutzes geprüft wird. 67 Pechstein EU/EG, Rn 897; Wegener in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 19 Rn 16. 68 Vgl dazu Schwarze DVBl 2002, 1297 ff; Mayer DVBl 2004, 606 ff; Baumeister EuR 2005, 1 ff; zum Rechtsschutz gegen EG-Verordnungen Röhl JURA 2003, 830 ff. 69 Pechstein EU/EG, Rn 897; Wegener in: Rengeling, Handbuch EU, § 20 Rn 10. 70 EuGH Slg 1986, 2969 Rn 19 f; Stoll in: Grabitz/Hilf, Bd 3, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 13; Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 13.
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antrag 71. Außerdem muss der Schriftsatz nach den genannten Vorschriften den Anforderungen der Art 37, 38 EuGH-VfO bzw Art 43, 44 EuG-VfO entsprechen. Das bedeutet, dass der Eilantrag die formalen Erfordernisse der Klageschrift erfüllen muss. Der besondere Schriftsatz muss außerdem den Streitgegenstand bezeichnen und die Umstände anführen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt; ferner ist die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen (Art 83 § 2 EuGH-VfO, Art 104 § 2 EuG-VfO). „Glaubhaftmachung“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass sich der Antragsteller aller in Betracht kommender Beweismittel bedienen kann, um das Gericht (EuGH, EuG) von der Notwendigkeit des beantragten vorläufigen Rechtsschutzes zu überzeugen 72. Ob die Glaubhaftmachung gelungen ist, ist eine Frage der Begründetheit. 7. Antragsfrist
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Eine Antragsfrist ist für den Eilantrag im EG-Prozessrecht nicht vorgesehen. Auf Grund der Akzessorietät zwischen Eilverfahren und Hauptsacheverfahren kann der Eilantrag jedoch frühestens mit der Klageerhebung gestellt werden; auch während der Dauer des Hauptsacheverfahrens kann vorläufiger Rechtsschutz beantragt werden 73. Nach der Entscheidung in der Hauptsache ist ein Eilantrag nicht mehr zulässig. 8. Rechtsschutzbedürfnis
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Liegen die erörterten Zulässigkeitsvoraussetzungen vor, besteht regelmäßig auch das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers an der vorläufigen Wahrung seiner Rechte. Ausnahmsweise entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für den Eilantrag, wenn der erstrebte vorläufige Rechtsschutz zur Sicherung oder Regelung der geltend gemachten Rechtsposition nicht geeignet oder nicht erforderlich ist. Ist die angegriffene Maßnahme bereits vollzogen oder wieder aufgehoben worden, ist der Eilrechtsschutz zur Rechtswahrung nicht (mehr) geeignet; steht die Entscheidung in der Hauptsache unmittelbar bevor oder verzichtet zB das EG-Organ auf den Vollzug der Maßnahme, ist die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht (mehr) erforderlich 74.
III. Begründetheit des Eilantrags 43
Die Voraussetzungen für die Begründetheit eines Eilantrags gelten als unklar, reichlich abstrakt und positivrechtlich unvollständig normiert 75. Die Kritik ist berechtigt, soweit
71 Pechstein EU/EG, Rn 898; Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 21; Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 14; Kischel in: Recht der EU (Fn 7) Art 242, 243 EGV Rn 17; Wägenbaur EuGH VerfO, 2008, Art 83 Rn 12. 72 Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 14; Stoll in: Grabitz/Hilf, Bd 3, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 22. 73 Schwarze in: ders, EUV, Art 242 EGV Rn 13. 74 Wägenbaur EuZW 1996, 327, 330; Pechstein EU/EG, Rn 900; Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 23; Wegener in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 19 Rn 18 und § 20 Rn 12. 75 Wägenbaur EuZW 1996, 327, 330; Wegener in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 19 Rn 19 und § 20 Rn 13; Lehr Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 6) S 74.
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das primäre Gemeinschaftsrecht herangezogen und die von Willkür nicht ganz freie Rechtsprechung des EuGH und des EuG (→ Rn 45) berücksichtigt werden. Für das Aussetzungsverfahren gibt Art 242 S 2 EGV (278 S 2 AEUV-E) lediglich vor, dass der Richter die AdV „den Umständen nach für nötig hält“; zur eAO ist in Art 243 EGV (279 AEUV-E) nur gesagt, dass diese in einer anhängigen Sache „erforderlich“ sein muss. Leicht handhabbare Kriterien sind damit nicht normiert. Struktur und Inhalt der Begründetheitsprüfung lassen sich jedoch durch Rückgriff auf die Verfahrensordnungen ermitteln. Das dadurch zu gewinnende Grobraster wird durch richterliche Rechtsschöpfung allerdings immer wieder in Frage gestellt. 1. Maßstabsbildung Grundlage einer rechtsdogmatisch abgesicherten Maßstabsbildung sind Art 83 § 2 EuGHVfO und Art 104 § 2 EuG-VfO. Wenn danach Anforderungen an den Sachvortrag in dem „besonderen Schriftsatz“ (→ Rn 39) normiert sind, lässt sich daraus schließen, dass dies die Grundlage für die materielle Prüfung des Eilantrags bildet 76. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hängt danach davon ab, dass die begehrte gerichtliche Eilentscheidung „dringlich“ und in der Sache „notwendig“ ist. Die Rechtsprechung sowohl des EuGH 77 als auch des EuG 78 nimmt die positivrechtlichen Vorgaben ausdrücklich in Bezug und betont, dass die Notwendigkeit und die Dringlichkeit der beantragten gerichtlichen Anordnung Voraussetzungen für die Begründetheit eines Eilantrags sind 79. Folgerichtig stellt der EuGH fest, dass er nach stRspr im Eilverfahren die AdV einer Handlung anordnen oder eine sonstige eAO treffen könne, wenn ihre Notwendigkeit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht sei („fumus boni iuris“) und feststehe, dass sie zur Verhinderung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers bereits vor der Entscheidung zur Hauptsache erlassen werden und ihre Wirkungen entfalten müsse 80. Diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen; der Eilantrag ist also erfolglos, wenn eine der Voraussetzungen nicht erfüllt ist 81. Übersetzt in das deutsche System des vorläufigen Rechtsschutzes ist der Eilantrag danach begründet, wenn auf der Grundlage glaubhaft gemachter Tatsachen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund zu bejahen sind. Unsicherheiten hat dieses an sich klar strukturierte Prüfungsmodell in der Praxis dadurch erfahren, dass der EuGH behauptet, materiell erfolge die Eilentscheidung im Rahmen einer „Gesamtprüfung“, innerhalb derer der Richter über ein „weites Ermessen bei der Bestimmung der Art und Weise, in der diese verschiedenen Voraussetzungen zu prüfen sind“,
76 Kaessner Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 98; Wiehe Vorläufiger Rechtsschutz (Fn 25) S 151. 77 EuGH Slg 1990, I-3351 = EuZW 1990, 349 Rn 19; EuGH Slg 1993, I-3667 = EuZW 1993, 483 = EuR 1993, 286 Rn 18; EuGH Slg 1996, I-3903 = EuZW 1996, 628 Rn 42. 78 EuG Slg 1992, II-1839 = EuZW 1992, 485 Rn 13; EuG Slg 1998, II-2641 = WuW 1999, 289 Rn 34; EuG Slg 2001, II-3295 = DVBl 2002, 249 Rn 63. 79 Zur Prüfungsreihenfolge der Kriterien hat sich die Rspr mittlerweile dahingehend stabilisiert, dass die „Notwendigkeit“ vor der „Dringlichkeit“ der beantragten Eilentscheidung zu prüfen ist; Kaessner Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 101 f. 80 EuGH Slg 1996, I-3903 = EuZW 1996, 628 Rn 44; EuGH Slg 1997, I-441 = DVBl 1997, 655 Rn 27; EuGH Slg 2003, I-7929 = EuZW 2004, 177 Rn 30. 81 EuG Slg 2001, II-3295 = DVBl 2002, 249 Rn 63.
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verfüge 82. Eine folgenreiche Konsequenz dieses eigenmächtig zugebilligten richterlichen Ermessens ist die Kreation der „Interessenabwägung“ als weiteres Entscheidungskriterium 83, obwohl davon weder im EG-Vertrag noch in der VfO von EuGH und EuG bzw in der Satzung etwas steht. Die rechtsdogmatische Verankerung der „Interessenabwägung“ und ihr systematischer Standort innerhalb der Entscheidungskriterien sind zudem unklar 84. Teilweise wird die „Interessenabwägung“ als ein Faktor innerhalb des Merkmals „Dringlichkeit“ angesehen 85, teilweise wird die beantragte Eilentscheidung davon abhängig gemacht, dass sie notwendig und dringlich ist und – kumulativ – bei der Interessenabwägung mehr für als gegen die vorläufige Maßnahme spricht 86, teilweise wird die Eilentscheidung allein auf eine Interessenabwägung gestützt 87; die Rechtsprechung reklamiert für sich aber auch, nur „gegebenenfalls“ eine Abwägung der bestehenden Interessen (nach Prüfung der Notwendigkeit und der Dringlichkeit der Eilentscheidung) vornehmen zu wollen 88. Angesichts der wenig konsistenten Rechtsprechung sind Prüfungsaufbau und Entscheidungskriterien in der Praxis mitunter zweifelhaft. Die nachfolgende Darstellung orientiert sich am positiven Recht und bezieht die Rechtsprechung auf dessen Grundlage ein. 2. Entscheidungskriterien
a) Notwendigkeit des vorläufigen Rechtsschutzes 47
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Die „Notwendigkeit der beantragten Anordnung“ (Art 83 § 2 EuGH-VfO, Art 104 § 2 EuG-VfO) ist gegeben, wenn die Klage in der Hauptsache hinreichende Aussicht auf Erfolg hat 89. Das bedeutet, dass das Gericht eine am materiellen Recht ausgerichtete summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage vornimmt 90. Diese Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage – „fumus boni iuris“ (Anschein der Begründetheit) – kann idealtypisch zu drei Ergebnissen führen: (1) Die Klage in der Hauptsache ist offensichtlich zulässig und begründet oder (2) sie ist offensichtlich unzulässig oder unbegründet oder (3) die Erfolgsaussichten sind bei bloß summarischer Prüfung nicht absehbar. Die Rechtsprechung kennt durchaus Beispiele für eine relativ anspruchsvolle summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage 91. Die Judikatur geht jedoch bei 82 EuGH Slg 1996, I-3903 = EuZW 1996, 628 Rn 45; EuGH Slg 1997, I-441 = DVBl 1997, 655 Rn 28; EuGH Slg 2002, I-8977 = EuZW 2002, 721 = DVBl 2003, 255 Rn 59. 83 EuGH Slg 1996, I-3903 = EuZW 1996, 728 Rn 44: „ständige Rechtsprechung“. 84 Kischel in: Recht der EU (Fn 7) Art 242, 243 EGV Rn 25: Der EuGH prüfe die „Interessenabwägung“ teilweise in der „Dringlichkeit“, teilweise in der „Notwendigkeit“, teilweise als eigenständigen Prüfungspunkt. 85 EuGH Slg 2003, I-7929 = EuZW 2004, 177 Rn 90; abl Anm Schroeder EuZW 2004, 181: „methodisch nicht sachgerecht“, „Vermischung der Argumentationsebenen“. 86 EuGH Slg 1994, I-1395 = BayVBl 1995, 337 Rn 24. 87 EuG Slg 1992, II-1839 = EuZW 1992, 485 Rn 28. 88 EuGH 2003, I-7929 = EuZW 2004, 177 Rn 30. 89 EuGH Slg 1990, I-3351 = EuZW 1990, 349 Rn 20 ff; Classen in: Schulze/Zuleeg, EuropaR, § 4 Rn 97. 90 Wegener in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 19 Rn 33 und § 20 Rn 18; Schwarze in: ders, EUV, Art 242 EGV Rn 22 und Art 243 EGV Rn 17. 91 Vgl zB EuGH Slg 2001, I-2909 = EuZW 2001, 431 Rn 76 ff; EuGH Slg 2002, I-8977 = EuZW 2002, 721 (m Anm Arhold) = DVBl 2003, 255 Rn 62 ff; EuGH Slg 2003, I-7929 = EuZW 2004, 177 (m Anm Schroeder) Rn 48 ff; EuG Slg 1996, II-815 Rn 72 ff; EuG Slg 1998, II-2641 = WuW 1999, 289 Rn 54 ff; EuG Slg 2001, II-3295 = DVBl 2002, 249 Rn 166 ff.
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der Prüfungstiefe zunehmend 92 dazu über, die „Notwendigkeit“ der beantragten Anordnung schon dann zu bejahen, wenn die Klage bei summarischer Prüfung der Klagegründe nicht offensichtlich unbegründet ist 93. Sind komplexe und schwierige Rechtsfragen zu entscheiden, wird die Begründetheit der Hauptsacheklage nicht ausgeschlossen; die Prüfung wird in das Hauptsacheverfahren verwiesen, zum begehrten vorläufigen Rechtsschutz wird konstatiert, dass ihm nicht von vornherein jede Rechtfertigung fehle 94. Diese Erkenntnis führt dann zur Bejahung der „Notwendigkeit“ der begehrten Anordnung. In Fall 1 hatte der EuGH zur Notwendigkeit der AdV festgestellt, die Rüge der Kommission – Verletzung des Art 76 EWGV (= Art 72 EGV) durch die deutsche Straßenbenutzungsgebühr – bilde „auf den ersten Blick eine ausreichende Grundlage für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung“ 95. – In Fall 2 stellte der EuGH fest, das Vorbringen des VK sowie der Kommission und des Rates im Eilverfahren werfe „dem ersten Anschein nach schwierige Rechtsfragen auf, die einer vertieften Prüfung nach streitiger Verhandlung bedürfen“ 96. – Ähnlich argumentierte der EuGH in Fall 3; da die Klage komplexe Rechtsfragen aufwerfe, die eine eingehende Erörterung verdienten, fehle dem Antrag „nicht dem ersten Anschein nach jede Rechtfertigung“, so dass er „nicht aus diesem Grund zurückgewiesen werden“ könne 97. – Auch in Fall 5 hob der EuGH die im Hauptsacheverfahren anzustellende eingehende Prüfung der schwierigen Frage des Ausgleichs zwischen den Erfordernissen des Binnenmarktes einerseits und dem Schutz der Gesundheit sowie der Umwelt andererseits hervor, so dass „die Begründetheit der Klage nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann“ 98.
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Das zunehmende Absehen der Rechtsprechung von einer ordnungsgemäßen summarischen Prüfung hat die These provoziert, der Richter beschränke sich darauf, den „fumus non mali iuris“ der Klage zu untersuchen 99. EuGH und EuG sind danach nicht (mehr) daran interessiert, eine materiellrechtlich richtige Eilentscheidung zu treffen; offenbar soll nur noch eine offensichtlich falsche Eilentscheidung vermieden werden 100. Dogmatisch bedeutet dies, dass das Merkmal der „Notwendigkeit“ allenfalls die Funktion eines groben Filters einnimmt und als Entscheidungskriterium im Eilverfahren hinter der „Dringlichkeit“ der beantragten Eilentscheidung zurücktritt 101.
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92 Zur Entwicklung der Rspr vgl Kaessner Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 111 ff; Sladicˇ Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 28) S 174 ff. 93 Zusammenfassend dazu Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 17. 94 Vgl Nachw unten Fn 96, 97, 98. 95 EuGH Slg 1990, I-3351 = EuZW 1990, 349 Rn 30. 96 EuGH Slg 1996, I-3903 = EuZW 1996, 628 Rn 81. 97 EuGH Slg 1993, I-3667 = EuZW 1993, 483 = EuR 1993, 286 Rn 21. 98 EuGH Slg 2003, I-7929 = EuZW 2004, 177 Rn 64 f. 99 Wägenbaur EuZW 1996, 327, 333. 100 Kaessner Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 120. 101 Kischel in: Recht der EU (Fn 7) Art 242, 243 EGV Rn 26; Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 25.
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b) Dringlichkeit des vorläufigen Rechtsschutzes 51
Mit der Entwertung der summarischen Prüfung (Hauptsacheprognose) hat sich der Schwerpunkt der Prüfung im Eilverfahren auf die Dringlichkeit des vorläufigen Rechtsschutzes verlagert 102. Hierzu praktiziert die Rechtsprechung eine strenge Prüfung. Der Antragsteller ist darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass die Dringlichkeit der beantragten Anordnung gegeben ist (Art 83 § 2 EuGH-VfO, Art 104 § 2 EuG-VfO). In der Praxis scheitern die meisten Eilverfahren an diesem Kriterium 103.
(1) Begriffsbestimmung 52
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Nach stRspr ist die Dringlichkeit des vorläufigen Rechtsschutzes danach zu beurteilen, ob die einstweilige Entscheidung notwendig ist, um zu verhindern, dass durch den sofortigen Vollzug der mit der Klage angefochtenen Maßnahme bzw durch die sonstige sofortige Anwendung der Maßnahme (zB Vorenthaltung einer Begünstigung), die Gegenstand der Klage ist, ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht 104. In das Zentrum der Prüfung tritt damit das Geschehen in dem Zeitraum zwischen der Eilentscheidung und der ausstehenden Hauptsacheentscheidung. Elemente der Prüfung sind: drohender Schadenseintritt, Schwere des Schadens und Irreversibilität des Schadens. Präzisierend hat der EuGH ergänzt, „Dringlichkeit“ sei nur anzunehmen, wenn der vom Antragsteller geltend gemachte Schaden eintreten könne, bevor gerichtlich über die Rechtmäßigkeit (Gültigkeit) der gerügten Maßnahme entschieden werden könne. Im Einzelfall sei daher zu prüfen, ob durch die sofortige Umsetzung der mit der Klage angegriffenen Maßnahme dem Antragsteller irreversible Schäden zugefügt werden könnten, die selbst dann nicht mehr wiedergutzumachen sind, wenn die Hauptsacheklage erfolgreich wäre und die angegriffene Maßnahme zB für ungültig erklärt werden müsste 105.
(2) Schwere des Schadens 54
Der Schadensbegriff als solcher erfährt keine Eingrenzung; er ist weit zu verstehen. Taugliche Schadenspositionen sind sowohl materielle als auch immaterielle Güter, denen durch die angegriffene Maßnahme Nachteile drohen 106. Zumeist werden vom Antragsteller drohende wirtschaftliche bzw finanzielle Einbußen geltend gemacht; problematisch ist dann allerdings, ob der eventuelle Schaden irreversibel ist (→ Rn 57 ff). Entsprechend den Anforderungen an die Antragsberechtigung (→ Rn 34 ff) verlangt der subjektive Rechtswid-
102 Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 18; Kaessner Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 128 spricht vom „Herzstück“ des vorläufigen Rechtsschutzes. 103 Wägenbaur EuZW 1996, 327, 332; Kischel in: Recht der EU (Fn 7) Art 242, 243 EGV Rn 21. 104 EuGH Slg 1986, I-2969 Rn 29 f; EuGH Slg 1990, I-3351 = EuZW 1990, 349 Rn 31; EuGH Slg 1993, I-3667 = EuZW 1993, 483 = EuR 1993, 286 Rn 22; EuGH Slg 1994, I-1395 = BayVBl 1995, 337 Rn 26; EuGH Slg 1996, I-3903 = EuZW 1996, 628 Rn 82; EuGH Slg 2001, I-2909 = EuZW 2001, 431 Rn 99. 105 EuGH Slg 1991, I-533 = EuZW 1991, 313 = DVBl 1991, 480 = NVwZ 1991, 460 Rn 29; EuGH Slg 1995, I-3781 = EuZW 1995, 837 = DVBl 1996, 247 = NJW 1996, 1333 Rn 41; EuGH Slg 2005, I-10423 = EWS 2006, 73 Rn 105. 106 Pechstein EU/EG, Rn 903; Kischel in: Recht der EU (Fn 7) Art 242, 243 EGV Rn 22; Wiehe Vorläufiger Rechtsschutz (Fn 25) S 154 f; Schwarze in: ders, EUV, Art 242 EGV Rn 17 und Art 243 EGV Rn 15.
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rigkeitszusammenhang bei natürlichen und juristischen Personen als Antragstellern, dass der befürchtete Schaden ihren rechtlich geschützten Gütern bzw Vermögenswerten droht; dagegen können die Gemeinschaftsorgane und Mitgliedstaaten auch Schäden Dritter sowie Nachteile für das Allgemeininteresse geltend machen 107. Zur Schadensintensität fehlt es bislang an einer Präzisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „schwerer Schaden“; es dominiert die Wertung im Einzelfall. Zu beachten sind drei Leitlinien: (1) auf die absolute Schadenshöhe kommt es nicht an, maßgeblich sind vielmehr (2) die – nicht nur unwesentlichen – Nachteile für den Antragsteller (gemessen zB an seiner wirtschaftlichen Gesamtsituation) oder (3) die Schwere des Rechtsverstoßes 108. Der zuletzt genannte Gesichtspunkt ist vor allem beim vorläufigen Rechtsschutz im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren auf Antrag der Kommission von Bedeutung. Durchzusetzen sind in der Regel grundlegende Rechte und Prinzipien des EGRechts. Dabei achtet die Rechtsprechung sehr auf die tatsächliche Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts („effet utile“); einbezogen ist auch das sekundäre Gemeinschaftsrecht. So hat der EuGH zB in der Nichtbeachtung einer für einen öffentlichen Auftrag geltenden Richtlinie (Vergaberecht) „eine schwerwiegende Verletzung des Gemeinschaftsrechts“ erblickt109. Das Beispiel macht deutlich, wie sehr in diesem Punkt die Einzelfallwürdigung vorherrscht. In Fall 2 bejahte der EuGH zunächst das Vorliegen eines erheblichen Schadens im VK; die Marktteilnehmer insbesondere auf dem Sektor der Erzeugung und der Ausfuhr von Rindfleisch befänden sich in einer sehr schwierigen Lage, und es lasse sich nicht ausschließen, dass der Schaden teilweise nicht wiedergutzumachen sei. Allerdings habe das VK nicht nachgewiesen, dass die angegriffene Kommissionsentscheidung hauptursächlich für den Schadenseintritt gewesen sei; der Rückgang der Nachfrage nach Rindfleisch habe bereits eine Woche vor Erlass der Entscheidung eingesetzt, so dass – was nicht geschehen sei – vom VK hätte nachgewiesen werden müssen, dass sich der Schaden durch die angegriffene Maßnahme erheblich vergrößert habe 110.
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(3) Irreversibilität des Schadens Ein drohender Schaden ist dann nicht wiedergutzumachen, wenn trotz erfolgreicher Hauptsacheklage ein späterer Ausgleich weder durch Naturalrestitution noch durch Schadenersatz in Geld möglich ist 111. Auch dieses Kriterium wird streng gehandhabt. Keine Irreversibilität des Schadens wird angenommen zB bei Stillhalteverpflichtungen der Verfahrensbeteiligten, Abreden über einen späteren Ausgleich, Vorsorgemöglichkeiten des
107 Stoll in: Grabitz/Hilf, Bd 3, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 27; Kaessner Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 143 ff; Lehr Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 6) S 81 f. 108 Wegener in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 19 Rn 22 ff und § 20 Rn 17; ders in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 242, 243 Rn 19; Kischel in: Recht der EU (Fn 7) Art 242, 243 Rn 23; Kaessner Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 157 ff; Estler Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 74 ff; Sladicˇ Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 28) S 186 ff. 109 EuGH Slg 1994, I-1395 = BayVBl 1995, 337 Rn 31. 110 EuGH Slg 1996, I-3903 = EuZW 1996, 628 Rn 86, 87. 111 Pechstein EU/EG, Rn 905; Schwarze in: ders, EUV, Art 242 EGV Rn 19 und Art 243 EGV Rn 16; Wiehe Vorläufiger Rechtsschutz (Fn 25) S 155 f.
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Antragstellers; würde der Schaden auch bei Erlass der beantragten Eilentscheidung eintreten, soll es ebenfalls an der Irreversibilität des Schadens fehlen 112. Fundamental ist die Unterscheidung zwischen materiellen und immateriellen Schäden. Bei einem drohenden immateriellen Schaden ist die Irreversibilität in der Regel gegeben. Das gilt auch, soweit (mittelbar) finanzielle Interessen involviert sind. So hat der EuGH in dem bereits erwähnten Beispiel der Missachtung einer Vergaberichtlinie durch einen EGMitgliedstaat (→ Rn 55) erkannt, auch wenn die Vertragsverletzung im Hauptsacheverfahren festgestellt werde, könne der Schaden für die Gemeinschaftsrechtsordnung und für alle Bieter, die an der Beteiligung am Wettbewerb um die öffentliche Ausschreibung gehindert worden seien, nicht mehr beseitigt werden 113. Ist ein immaterieller Schaden bereits eingetreten, kommt nur eine spätere finanzielle Kompensation in Betracht; vorläufiger Rechtsschutz ist in der Regel nicht dringlich 114. Bei einem drohenden finanziellen Schaden wird die Irreversibilität grundsätzlich abgelehnt. Ein reiner Geldschaden gilt nicht als nicht wiedergutzumachen; allerdings müssen die Umstände des Einzelfalles daraufhin untersucht werden, ob eine außergewöhnliche Situation ausnahmsweise etwas anderes gebietet 115. Für den Fall der drohenden Existenzgefährdung (zB Insolvenz) wird die Irreversibilität gemeinhin bejaht 116. Der EuGH hingegen meint, die drohende Insolvenz eines Unternehmens führe nicht zwangsläufig dazu, dass die Voraussetzungen der Dringlichkeit erfüllt seien 117. Überzeugend ist das kaum. Es mutet fast schon zynisch an, im Falle einer bevorstehenden Existenzgefährdung bzw -vernichtung die Dringlichkeit des Rechtsschutzes zu verneinen; ohne das Vorliegen ganz außergewöhnlicher Umstände (zB Hilfe durch die „Konzernmutter“) ist im Falle einer drohenden Insolvenz per se von einem irreversiblen Schaden auszugehen (schon wegen negativer Konsequenzen für Reputation und Marktstellung des betroffenen Unternehmens) 118. In Fall 1 attestierte der EuGH der Kommission, nachgewiesen zu haben, dass die Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens bestehe. Zwar gehe es um einen bloßen finanziellen Schaden, es bestehe aber die Gefahr, dass die Wirkung der streitigen Gebühr auf die Rentabilitätsschwelle der Verkehrsunternehmen der anderen Mitgliedstaaten viele von ihnen zur Einstellung ihrer Tätigkeit zwingen könnte; zudem könne die Gebührenerhebung unumkehrbare Veränderungen im Bereich der Verteilung der Marktanteile zwischen deutschen Verkehrsunternehmen und denen anderer Mitgliedstaaten nach sich ziehen 119. – In Fall 4 sah der EuGH, dass die drohende Verschlechterung der finanziellen Lage bei Landwirt B diesen zu einer unwiderruflichen Einstellung seiner beruflichen
112 Stoll in: Grabitz/Hilf, Bd 3, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 28; Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 20. 113 EuGH Slg 1994, I-1395 = BayVBl 1995, 337 Rn 31. 114 Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 20. 115 EuGH Slg 1990, I-3351 = EuZW 1990, 349 Rn 38; EuGH Slg 1991, I-533 = EuZW 1991, 313 = DVBl 1991, 480 = NVwZ 1991, 460 Rn 29; EuGH Slg 1995, I-3781 = EuZW 1995, 837 = DVBl 1996, 247 = NJW 1996, 1333 Rn 41; EuGH Slg 2001, I-2909 = EuZW 2001, 431 Rn 103. 116 Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 32; Kischel in: Recht der EU (Fn 7) Art 242, 243 EGV Rn 24; Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 20. 117 EuGH Slg 2002, I-8977 = EuZW 2002, 721 = DVBl 2003, 255 Rn 56. 118 Arhold EuZW 2002, 728. 119 EuGH Slg 1990, I-3351 = EuZW 1990, 349 Rn 39.
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Tätigkeit zwingen könne; ein Konkurs bei B habe faktisch unumkehrbare Folgen 120. – In Fall 5 hatte der EuGH drohende irreversible Fakten auf beiden Seiten zu gewärtigen. Zu Gunsten der von der Kommission vertretenen Interessen erkannte der EuGH, das von Österreich verhängte Fahrverbot könne die Funktionsfähigkeit und die wirtschaftliche sowie finanzielle Stabilität zahlreicher Unternehmen in der EG spürbar beeinträchtigen; auf der anderen Seite war anzuerkennen, dass in Österreich durch die Luftverschmutzung auftretende Schäden für Umwelt und menschliche Gesundheit nicht wiedergutgemacht werden können 121. Die Auflösung des Konflikts wurde in einer Interessenabwägung gesucht.
(4) Zeitliche Schadensnähe Die Dringlichkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist schließlich nur gegeben, wenn der schwere und irreversible Schaden unmittelbar bevorsteht 122. Der Antragsteller muss die hierfür notwendigen Tatsachen zur Überzeugung des Gerichts darlegen. Allerdings braucht das unmittelbare Bevorstehen des Schadens nicht mit absoluter Sicherheit nachgewiesen zu werden; insbesondere wenn die Entstehung des Schadens vom Eintritt einer Reihe von Faktoren abhängt, genügt es, dass er mit einem hinreichenden Grad von Wahrscheinlichkeit vorhersehbar ist 123. Potentielle Risiken sowie eine ungewisse und vom Zufall abhängige Gefahr des Schadenseintritts genügen nicht; unzureichend sind auch vage und rein hypothetische Behauptungen des Antragstellers 124.
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In Fall 3 wies der EuGH darauf hin, dass der Eintritt des von Deutschland geltend gemachten drohenden Schadens (Preisanstieg für Bananen, Angebotsverknappung, Verlust von Arbeitsplätzen) von einer Reihe von Faktoren abhänge. Die Reaktion des Marktes auf die neue Marktordnung für Bananen sei kaum vorhersehbar; insbesondere sei nicht ersichtlich, weshalb es den betreffenden Importeuren nicht gelingen solle, sich mit Gemeinschafts- und AKP-Bananen einzudecken, deren Vermarktung durch die EG-Verordnung gefördert werden solle. Erweise sich die Einschätzung der EG als unrichtig, könnten die notwendigen Anpassungen vorgenommen werden 125.
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c) Interessenabwägung Droht dem Antragsteller ein schwerer und irreversibler Schaden, treten der EuGH und das EuG in eine Interessenabwägung ein, um letztlich über den Erlass der eAO oder die Anordnung der AdV zu befinden. Das Schrifttum folgt diesem Vorgehen. Abgewogen werden die dem Antragsteller drohenden Schäden mit den Nachteilen, die dem Antragsgegner sowie Dritten im Fall des Erlasses der beantragten gerichtlichen Eilmaßnahme
120 EuGH Slg 1997, I-441 = DVBl 1997, 655 Rn 40, 41. 121 EuGH Slg 2003, I-7929 = EuZW 2004, 177 Rn 91 f und Rn 99. 122 Wägenbaur EuZW 1996, 327, 331; Pechstein EU/EG, Rn 906; Kischel in: Recht der EU (Fn 7) Art 242, 243 EGV Rn 23; Schwarze in: ders, EUV, Art 242 EGV Rn 21. 123 EuG Slg 2001, II-3295 = DVBl 2002, 249 Rn 188. 124 Wägenbaur EuZW 1996, 327, 331 f. 125 EuGH Slg 1993, I-3667 = EuZW 1993, 483 = EuR 1993, 286 Rn 32 ff, 41, 45.
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drohen 126. Zur Gewährung des begehrten vorläufigen Rechtsschutzes müssen die Interessen des Antragstellers die gegenläufigen Interessen überwiegen127. Die „Interessenabwägung“ ist ein Produkt richterlicher Rechtsfortbildung; klare Konturen hat sie bis heute nicht gewonnen 128. Das von Teilen des Schrifttums eingeforderte methodische Vorgehen im Wege der Doppelhypothese 129 – Folgen der Ablehnung vorläufigen Rechtsschutzes für den Antragsteller bei unterstelltem späteren Hauptsacheerfolg versus Folgen der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei angenommener späterer Abweisung der Klage in der Hauptsache 130 – beachten EuGH und EuG nicht. Die von ihnen praktizierte „Interessenabwägung“ hat kein verallgemeinerungsfähiges Konzept; es handelt sich vielmehr – oftmals rechtspolitisch inspiriert und einem nahezu ungebundenen richterlichen Dezisionismus folgend – um eine fallbezogene Würdigung der richterlich für relevant gehaltenen konkreten Umstände. Will man die Praxis der Rechtsprechung weniger kritisch beleuchten, kann von einem weiten Gestaltungsspielraum des Richters gesprochen werden, „der ihm ein hohes Maß an Einzelfallgerechtigkeit ermöglicht“ 131. Funktionell betrachtet ermöglicht die „Interessenabwägung“ die Einbeziehung der Interessen des Antragsgegners und der Interessen Dritter in das Eilverfahren und deren Gewichtung; es handelt sich also nicht um eine offene Interessenabwägung, vielmehr werden vornehmlich die „Interessen“ des Antragsgegners, bestimmter Dritter, der EG, der Allgemeinheit (etc.) gewürdigt und als Gegenpositionen zur beantragten Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in Stellung gebracht 132. Dieses Vorgehen erlaubt es der Rechtsprechung, die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes selbst dann abzulehnen, wenn zuvor seine „Notwendigkeit“ angenommen und die „Dringlichkeit“ bejaht worden waren 133. In Fall 2 erklärte der EuGH, selbst bei einem dem VK drohenden schweren und irreversiblen Schaden sei es Sache des Gerichtshofs, das Interesse des VK an der Aussetzung des Ausfuhrverbots gegen das Interesse der EG und anderer Mitgliedstaaten an der Aufrechterhaltung des Verbots abzuwägen. Diese Abwägung spreche für die Aufrechterhaltung der Entscheidung der Kommission, da der dem VK drohende irreversible Schaden eher in Kauf zu nehmen sei als der – vom VK indes bestrittene – schwere Schaden für die Gesundheit der Bevölkerung 134. – In Fall 3 stellte der EuGH fest, selbst wenn Deutschland ein irreversibler Schaden drohe, führe eine Abwägung der betroffenen Interessen dazu, dass Deutschland im
126 EuG Slg 1998, II-2641 = WuW 1999, 289 Rn 68 ff; Wägenbaur EuZW 1996, 327, 332; Pechstein EU/EG, Rn 907; Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 33; Wegener in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 19 Rn 27, 30 und § 20 Rn 17; ders in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 22 ff; Estler Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 82 ff. 127 Kischel in: Recht der EU (Fn 7) Art 242, 243 EGV Rn 25; Gaitanides in: vd Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Bd 4, Art 242, 243 EGV Rn 31. 128 Kaessner Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 190, 198. – Vgl ferner Sladicˇ Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 28) S 211 ff. 129 So Arhold EuZW 2002, 729; Pechstein EU/EG, Rn 907. 130 Vgl zu diesem Modell, das § 32 BVerfGG zugeschrieben wird, Niesler JURA 2007, 362, 364 f. 131 So Wägenbaur EuZW 1996, 327, 332. 132 Ausführlich dazu Kaessner Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 194 ff; Lehr Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 6) S 88 ff. 133 EuGH Slg 2001, I-2909 = EuZW 2001, 431 Rn 111; EuG Slg 2001, II-3295 = DVBl 2002, 249 Rn 216 ff. 134 EuGH Slg 1996, I-3903 = EuZW 1996, 628 Rn 89 ff.
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Interesse des Funktionierens der neuen Marktordnung in deren gemeinschaftsweite Anwendung einbezogen werden müsse 135. – In Fall 5 behauptete der EuGH mit Blick auf die beiden Seiten drohenden irreversiblen Fakten, bis zur Entscheidung in der Hauptsache sei denjenigen Interessen, die am stärksten unmittelbar und irreversibel bedroht seien, gesteigertes Gewicht beizumessen; dies seien die von der Kommission angeführten Interessen 136. Warum dies der Fall sein soll, begründete der EuGH nicht.
d) Glaubhaftmachung Nach Art 83 § 2 EuGH-VfO, Art 104 § 2 EuG-VfO muss der Antragsteller die Umstände „anführen“, aus denen sich die Dringlichkeit des begehrten Rechtsschutzes ergibt. Ferner ist – nach der deutschen Übersetzung – die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht „glaubhaft“ zu machen; richtig müsste es heißen, dass die tatsächlichen und rechtlichen Gründe „anzuführen“ sind 137. Nach deutschem Recht können nur Tatsachen glaubhaft gemacht werden (§ 294 I ZPO). Die eigenständige Begrifflichkeit des EG-Prozessrechts verlangt, dass im Eilverfahren sowohl eine Erleichterung hinsichtlich der Tatsachenfeststellung (zB eidesstattliche Versicherung) zulässig ist als auch eine erleichterte rechtliche Würdigung stattfinden kann 138. An einer Beweisaufnahme im Eilverfahren ist das Gericht allerdings nicht gehindert (Art 84 § 2 I EuGH-VfO, Art 105 § 2 I EuG-VfO). Letztlich geht es darum, dass der Antragsteller das Gericht von der Begründetheit seines Eilantrags überzeugt. Beweisaufnahmen in Eilverfahren kommen in der Praxis selten vor 139. Die Überzeugungskraft des Vortrags des Antragstellers ist entscheidend, wenn dem Eilantrag stattgegeben werden soll, bevor die Stellungnahme des Antragsgegners beim Gericht eingeht (Art 84 § 2 II 1 EuGH-VfO, Art 105 § 2 II 1 EuG-VfO) 140. Die Anforderungen an die „Glaubhaftmachung“ (iwS) variieren in der Rechtsprechung des EuGH und des EuG; mitunter verlangt die Rechtsprechung sogar – obwohl dies vom EG-Prozessrecht nicht gedeckt ist –, dass bestimmte Umstände nachgewiesen sind 141.
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In Fall 1 erklärte der EuGH, dass die Kommission die Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens „nachgewiesen hat“ 142. – In Fall 2 bemerkte der EuGH, dass das VK das Vorliegen eines schweren und irreversiblen Schadens „nicht nachgewiesen“ habe 143.
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135 136 137 138 139 140 141 142 143
EuGH Slg 1993, I-3667 = EuZW 1993, 483 = EuR 1993, 286 Rn 49 ff. EuGH Slg 2003, I-7929 = EuZW 2004, 177 Rn 103. Kaessner Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 107 f, 123. Kaessner Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 123 f; an § 294 I ZPO orientieren sich Pechstein EU/EG, Rn 901; Wegener in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 19 Rn 34. Wägenbaur EuZW 1996, 327, 333. Beispiel: EuGH Slg 1990, I-2715 = EuZW 1990, 255 Rn 17 und Rn 19 (zu Fall 1). EuGH Slg 2002, I-8977 = EuZW 2002, 721 = DVBl 2003, 255 Rn 62; EuG Slg 2001, II-3295 = DVBl 2002, 249 Rn 188. EuGH Slg 1990, I-3351 = EuZW 1990, 349 Rn 40. EuGH Slg 1996, I-3903 = EuZW 1996, 628 Rn 87.
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IV. Entscheidung und Entscheidungsinhalt 1. Verfahren 70
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Die funktionelle Zuständigkeit für die Eilentscheidung liegt beim Präsidenten des EuGH bzw des EuG (Art 85 I EuGH-VfO, Art 106 EuG-VfO, Art 39 EuGH-Satzung). Der Präsident kann die Entscheidung allerdings dem Gericht(shof) übertragen; dies kommt vor allem dann in Betracht, wenn die Sache grundsätzliche Bedeutung hat 144. Ein derartiger Übertragungsakt wird mitunter auch dann noch vorgenommen, wenn der Präsident bereits in der betreffenden Sache eine Eilentscheidung getroffen hat 145. Die Eilentscheidung ergeht durch Beschluss (Art 86 § 1 EuGH-VfO, Art 107 § 1 EuGVfO). Dieser ist zu begründen und wird den Parteien unverzüglich zugestellt. Im Eilverfahren ergehende Beschlüsse sind – sofern sie einen vollstreckungsfähigen Inhalt haben – vollstreckbar 146. Eilentscheidungen des EuGH sind unanfechtbar 147. 2. Entscheidungsinhalt
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Nach Art 242 S 2 EGV (278 S 2 AEUV-E) „kann“ eine AdV angeordnet, nach Art 243 EGV (279 AEUV-E) „kann“ eine eAO getroffen werden. Daraus darf nicht gefolgert werden, die Eilentscheidung stehe im Ermessen des Gerichts. Diese „kann“-Bestimmungen stellen Kompetenzzuweisungen dar. Liegen die Voraussetzungen für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht vor, muss ein Antrag abgelehnt werden, sind sie hingegen erfüllt, muss vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden; bezüglich des „Ob“ der Eilentscheidung besteht kein richterliches Ermessen 148. Im Falle der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht eine begrenzte gerichtliche Gestaltungsbefugnis („richterliches Ermessen“). Nimmt man das EG-Prozessrecht ernst, ist das Ermessen kleiner als vielfach angenommen. Der Inhalt der Eilentscheidung hängt zunächst von der Verfahrensart ab 149. Im Rahmen des Art 242 S 2 EGV (278 S 2 AEUV-E) ist der Inhalt einer stattgebenden Eilentscheidung vorgezeichnet. Das Gericht setzt die Durchführung der angefochtenen Handlung aus; in Betracht kommt auch eine teilweise Aussetzung 150. Durch das EG-Recht nicht vorgezeichnet ist der Inhalt einer eAO; insoweit
144 Wägenbaur EuZW 1996, 327, 333; Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 43; Kaessner Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 227 f. – Ein Beispiel hierfür ist die Entscheidung zu Fall 3. 145 Beispiel: EuGH Slg 1990, I-2715 = EuZW 1990, 255, nachfolgend die Entscheidung zu Fall 1; kritisch dazu Wegener in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 19 Rn 38: rechtlich nicht zweifelsfreie Praxis des EuGH. 146 Wägenbaur EuZW 1996, 327, 334 f; Kaessner Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 264. 147 Zu Rechtsbehelfen gegen EuG-Entscheidungen → Rn 77 ff. 148 Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 16; Kaessner Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 99 f; Estler Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 93. 149 Wägenbaur EuZW 1996, 327, 334; Estler Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 93. 150 Wegener in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 19 Rn 41; Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 47; Gaitanides in: vd Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Bd 4, Art 242, 243 EGV Rn 48.
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besteht ein richterlicher Gestaltungsspielraum, der mit Blick auf das Rechtsschutzziel ausgeübt werden kann 151. Allerdings wird der Inhalt einer eAO durch den Eilantrag (vor)bestimmt 152. Insbesondere darf der Richter nicht über den Eilantrag hinausgehen 153; die Billigung der teilweise abweichenden Praxis 154 ist mit dem Antragsprinzip (Dispositionsmaxime) nicht vereinbar. Prozessrechtlich festgeschrieben ist, dass die Eilentscheidung nur eine einstweilige Regelung darstellen und der Hauptsacheentscheidung nicht vorgreifen darf (Art 86 § 4 EuGH-VfO, Art 107 § 4 EuG-VfO). Normiert ist damit die Vorläufigkeit der gerichtlichen Anordnung. Nach der Rechtsprechung muss die Maßnahme vorläufig in dem Sinne sein, dass sie den Rechts- und Tatsachenfragen des Rechtsstreits nicht vorgreift und die Folgen der später zur Hauptsache zu treffenden Entscheidung nicht im Voraus aufhebt155. Abgeleitet wird daraus auch – obgleich dies alles andere als zwingend ist – das „Vorwegnahmeverbot der Hauptsache“ 156. Ihm wird ein dreifacher Gehalt zugeschrieben: (1) Keine Bindung im Hauptsacheverfahren an die Eilentscheidung, (2) begrenzte Wirkungsdauer der Eilentscheidung bis zum Ergehen der Hauptsacheentscheidung und (3) keine faktische oder rechtliche Präjudizierung der Hauptsacheentscheidung durch (a) das Verbot der Maßnahmevorwegnahme und (b) das Verbot der Prüfungsvorwegnahme 157. Die ersten beiden Elemente sind unproblematisch; damit könnte es sein Bewenden haben, um Art 86 § 4 EuGH-VfO, Art 107 § 4 EuG-VfO Rechnung zu tragen. Dem letztgenannten Postulat (3b) kommt die Rechtsprechung mühelos dadurch nach, dass sie die „summarische Prüfung“ entwertet hat (→ Rn 48, 50). Das Verbot der Maßnahmevorwegnahme macht allenfalls bei der eAO Sinn 158; bei der AdV erhält der Antragsteller tatsächlich dasjenige (Beibehaltung des status quo), was er im Ergebnis im Hauptsacheverfahren letztlich erreichen könnte. Aus Gründen des wirksamen Rechtsschutzes müssen bei der eAO Ausnahmen zugelassen werden 159. Würde der Faktor „Zeit“ bedacht und die Interimsfunktion der eAO in Rechnung gestellt, würde auch im EG-Prozessrecht deutlich, dass eine Maßnahmevorwegnahme in den meisten Fällen sowohl bei der Gewährung als auch bei der Ablehnung des begehrten vorläufigen Rechtsschutzes stattfindet 160, rechtlich also zur Begrenzung des Inhalts der eAO nicht taugt, wenn das Gebot wirksamen Rechtsschutzes ernst genommen würde.
151 Stoll in: Grabitz/Hilf, Bd 3, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 37; Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 27. 152 Wegener in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 20 Rn 21. 153 Wägenbaur EuZW 1996, 327, 334. 154 Estler Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 93 f. 155 EuGH Slg 1995, I-2165 Rn 22; EuG Slg 2001, II-3295 = DVBl 2002, 249 Rn 64. 156 Wägenbaur EuZW 1996, 327 (328, 332); Kischel in: Recht der EU (Fn 7) Art 242, 243 EGV Rn 10, 14; Wegener in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 19 Rn 40 und § 20 Rn 22; ders in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 25. 157 Kaessner Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 213 ff. – Undifferenzierter Sladicˇ Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 28) S 135 ff. 158 Vgl Schwarze in: ders, EUV, Art 243 EGV Rn 20. 159 EuGH Slg 1997, I-441 = DVBl 1997, 655 Rn 36 ff; Kaessner Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 218 ff. 160 Erkannt von EuG Slg 1992, II-1839 = EuZW 1992, 485 Rn 26.
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Über Gestaltungsbefugnisse verfügt das Gericht insoweit, als es sowohl die AdV als auch die eAO an Auflagen, Bedingungen oder Befristungen binden kann 161. Die Sicherheitsleistung (als Unterfall der Auflage) und die Befristung sind im EG-Prozessrecht ausdrücklich erwähnt (Art 86 § 2 und § 3 EuGH-VfO, Art 107 § 2 und § 3 EuG-VfO). Ob von diesen Gestaltungsmitteln Gebrauch gemacht wird, liegt im pflichtgemäßen richterlichen Ermessen 162.
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In Fall 1 ordnete der EuGH an, dass die Bundesrepublik Deutschland die Erhebung der Straßenbenutzungsgebühr bis zum Erlass des Urteils in der Hauptsache aussetzt. Die von Deutschland beantragte Sicherheitsleistung lehnte der EuGH ab, weil im Sinne des Art 86 § 2 EuGH-VfO nicht zu befürchten sei, dass die EG einen eventuellen Schadenersatz nicht leisten könne 163. – In Fall 4 erkannte der EuGH, dass aus Gründen eines wirksamen Rechtsschutzes dem Eilantrag stattzugeben ist, auch wenn die Zahlung dem Klageantrag entspreche; der Erlass der eAO greife der Hauptsacheentscheidung dennoch nicht vor, weil die Zahlung nur vorläufig sei und die eAO mit der Verkündung des Endurteils außer Kraft trete 164. – In Fall 5 wurde das von Österreich erlassene Fahrverbot ausgesetzt; die Verfahrensbeteiligten wurden vom EuGH zudem zur Aushandlung eines Kompromisses aufgefordert, der dem Gerichtshof mitzuteilen sei, damit dieser über eine Verlängerung, Aufhebung oder Änderung seiner Eilentscheidung befinden könne 165.
V. Rechtsbehelfe 1. Rechtsmittel 77
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Eilentscheidungen des EuGH bzw seines Präsidenten sind mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht angreifbar; die Beschlüsse sind, wie bereits erwähnt (→ Rn 71), unanfechtbar (Art 86 § 1 S. 1 EuGH-VfO). Gegen Eilentscheidungen des EuG bzw seines Präsidenten kann von der unterlegenen Partei binnen zwei Monaten nach Zustellung der Eilentscheidung ein Rechtsmittel beim EuGH eingelegt werden (Art 56 I u II 1, 57 II EuGHSatzung). Die Zulässigkeit des Rechtsmittels wird von Amts wegen geprüft 166. Das Rechtsmittel hat zwar einen Devolutiveffekt, ihm kommt jedoch kein Suspensiveffekt (aufschiebende Wirkung) zu (Art 60 I EuGH-Satzung). Im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens kann aber beim EuGH die Aussetzung der Wirkungen der Eilentscheidung des EuG beantragt werden (Art 60 II Hs 2 EuGH-Satzung); für die Entscheidung gelten die allgemeinen Voraussetzungen für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes 167.
161 Wägenbaur EuZW 1996, 327, 334; Wegener in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 19 Rn 41 f und § 20 Rn 21; Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 47; Gaitanides in: vd Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Bd 4, Art 242, 243 EGV Rn 48; Lehr Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 6) S 94 f. 162 Wegener in: Rengeling, Rechtsschutz EU, § 19 Rn 41. 163 EuGH Slg 1990, I-3351 = EuZW 1990, 349 Rn 47 ff. 164 EuGH Slg 1997, I-441 = DVBl 1997, 655 Rn 37, 39. 165 EuGH Slg 2003, I-7929 = EuZW 2004, 177 Rn 104 ff. 166 EuGH Slg 2001, I-2909 = EuZW 2001, 431 Rn 52. 167 Wägenbaur EuZW 1996, 327, 335.
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Vorläufiger Rechtsschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht
§ 12
Das Rechtsmittel ist auf Rechtsfragen beschränkt (Art 225 I EGV (257 I AEUV-E), Art 58 I 1 EuGH-Satzung). Zuständig für die Tatsachenfeststellung und Tatsachenwürdigung ist allein das EuG, sofern sich nicht aus den Prozessakten ergibt, dass dessen Sachverhaltsfeststellungen oder die Tatsachenbeurteilung sachlich falsch sind 168. Statthafte Rechtsmittelgründe sind die prozessrechtlich festgeschriebenen Rügemöglichkeiten (Art 58 I 2 EuGH-Satzung): Unzuständigkeit des Gerichts (dh des EuG); Verfahrensfehler, durch die die Interessen des Rechtsmittelführers beeinträchtigt werden; Verletzung des – materiellen – Gemeinschaftsrechts durch das Gericht (EuG). Das Rechtsmittel hat Erfolg, wenn einer der Rechtsmittelgründe gegeben ist. In materiellrechtlicher Hinsicht wird überprüft, ob das EuG die Notwendigkeit und die Dringlichkeit des begehrten vorläufigen Rechtsschutzes zutreffend erkannt sowie die Interessenabwägung ordnungsgemäß durchgeführt hat. Ist einer der Rechtsmittelgründe gegeben, ist das Rechtsmittel begründet 169. Von Bedeutung in der Praxis sind auch formellrechtliche Rechtsmittelgründe 170. Ist das Rechtsmittel zulässig und begründet, wird ihm vom EuGH stattgegeben, und der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Zum Fortgang des Eilverfahrens kann die Sache an das EuG zurückverwiesen werden, das – erneut – unter Beachtung der Rechtsauffassung des EuGH entscheiden muss 171. Der EuGH kann den Rechtsstreit aber auch selbst endgültig entscheiden, wenn Entscheidungsreife besteht 172. Die Vorgaben für die Rechtsmittelentscheidung sind in Art 61 EuGH-Satzung normiert. Für die funktionelle Zuständigkeit bezüglich der Rechtsmittelentscheidung gelten die allgemeinen Regeln; grundsätzlich entscheidet demnach der Präsident des EuGH 173.
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In Fall 4 gab der Präsident des EuGH dem Rechtsmittel statt und verwies die Sache an das EuG zurück. Der Präsident des EuG hatte in seiner Eilentscheidung das Gebot effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes verkannt 174. In der Rechtsmittelentscheidung wurde zudem der Hinweis gegeben, dass die zu erlassende eAO an Bedingungen oder sonstige Sicherungen geknüpft werden könne, um ihre Tragweite zu verringern 175.
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2. Abänderungsverfahren Das EG-Prozessrecht kennt – wie das deutsche Recht (§ 80 VII VwGO, → § 29 Rn 175 ff) – das sog. Abänderungsverfahren. Es ist bei Eilentscheidungen sowohl des EuGH als auch des EuG statthaft. Erging eine stattgebende Eilentscheidung ohne Anhörung des Antrags-
168 EuGH Slg 2001, I-2909 = EuZW 2001, 431 Rn 50; EuGH Slg 2002, I-8977 = EuZW 2002, 721 = DVBl 2003, 255 Rn 66. 169 Beispiel: EuGH Slg 2001, I-2909 = EuZW 2001, 431 Rn 56 f, 70 (keine Beurteilung des fumus boni iuris, daher Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, ohne dass weitere Rechtsmittelgründe zu prüfen wären). 170 Beispiel: EuGH Slg 2002, I-8977 = EuZW 2002, 721 = DVBl 2003, 255 Rn 22 ff (Prüfung der Zulässigkeit des Antrags auf AdV beim EuG und der Zuständigkeit des EuG). 171 Beispiel (Fall 4): EuGH Slg 1997, I-441 = DVBl 1997, 655 Rn 20, 41 f. 172 Beispiel: EuGH Slg 2001, I-2909 = EuZW 2001, 431 Rn 71 ff. 173 Kischel in: Recht der EU (Fn 7) Art 242, 243 EGV Rn 29. 174 Vgl oben → Rn 60, 74. 175 EuGH Slg 1997, I-441 = DVBl 1997, 655 Rn 42.
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3. Teil: Rechtsschutz im Europäischen Unions- und Gemeinschaftsrecht
gegners, kann das Abänderungsverfahren von Amts wegen durchgeführt werden (Art 84 § 2 II 2 EuGH-VfO, Art 105 § 2 II 2 EuG-VfO). Die frühere Eilentscheidung kann jederzeit abgeändert oder aufgehoben werden; besondere Voraussetzungen hierfür bestehen nicht 176. Daneben kann das Abänderungsverfahren auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten eingeleitet werden (Art 87 EuGH-VfO, Art 108 EuG-VfO). Dabei handelt es sich um einen außerordentlichen Rechtsbehelf 177. Der Antrag kann bis zum Erlass des Urteils in der Hauptsache gestellt werden 178. Voraussetzung für die Änderung oder Aufhebung des Beschlusses ist das Vorliegen „veränderter Umstände“; sie müssen zu einer von der früheren Eilentscheidung abweichenden Beurteilung führen. Der Antrag hat keinen Devolutiveffekt; über ihn entscheidet der erkennende Spruchkörper selbst 179. Unabhängig vom Abänderungsverfahren hindert die Abweisung eines Eilantrags den Antragsteller nicht, in der betreffenden Sache einen weiteren Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu stellen; allerdings muss dieser Antrag auf neue Tatsachen gestützt sein (Art 88 EuGH-VfO, Art 109 EuG-VfO). Neue Tatsachen sind solche, die noch nicht Gegenstand des vorangegangenen Eilverfahrens waren. Der neue Eilantrag kann jederzeit gestellt werden 180. Ist er begründet, führt dies zwar nicht zu einer Abänderung der früheren Eilentscheidung, in der Sache erreicht der Antragsteller jedoch das gewünschte Rechtsschutzziel.
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Schwarze in: ders, EUV, Art 242 EGV Rn 28 und Art 243 EGV Rn 21. Pechstein EU/EG, Rn 911. Wägenbaur EuZW 1996, 327, 335; Estler Einstweiliger Rechtsschutz (Fn 7) S 112 f. Pechstein EU/EG, Rn 911; Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 242, 243 EGV Rn 50. Wägenbaur EuZW 1996, 327, 335.
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4. Teil: Rechtsschutz im Verfassungsrecht
§ 13 Individualverfassungsbeschwerde Arno Scherzberg* I. Funktion und Bedeutung der Verfassungsbeschwerde Als Verfassungsbeschwerde nach § 90 I BVerfGG und Art 93 I Nr 4a GG ist die Anrufung des BVerfG mit der Behauptung zu verstehen, der Bf sei durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder einem seiner in Art 20 IV, 33, 38, 101, 103 und 104 GG enthaltenen Rechte verletzt. Mit der Verfassungsbeschwerde steht einem Grundrechtsträger ein besonderes Rechtsschutzinstrument zur prozessualen Durchsetzung seiner Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte gegenüber Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung zur Verfügung. Im Verfahren der Verfassungsbeschwerde kann er selbst als „Subjekt und Verteidiger“ seiner individuellen verfassungsmäßigen Rechte tätig werden 1 und zugleich zur Durchsetzung des Regelungsanliegens des Grundgesetzes in der Wirklichkeit des Verfassungslebens beitragen. Das im Jahre 1951 in §§ 90 ff BVerfGG eingeführte 2 und im Jahre 1969 in Art 93 I Nr 4a GG verfassungsrechtlich verankerte 3 Rechtsinstitut der Verfassungsbeschwerde dient diesem doppelten Zweck: der Verwirklichung der subjektiven Grundrechte des Bf und der Durchsetzung des objektiven Geltungsanspruchs der Verfassung.4 Da die individuelle Rechtsverfolgung immer auch Anlass zur Klärung von Streitfragen über die Auslegung, Konkretisierung und ggf Fortbildung der einschlägigen Verfassungsbestimmungen bietet, wird die Verfassungsbeschwerde auch als „spezifisches Rechtsschutzmittel des objektiven Verfassungsrechts“ bezeichnet.5 Verfahrensrechtlich ist die Verfassungsbeschwerde nicht als Rechtsmittel im Sinne des Prozessrechts, sondern als Rechtsbehelf eigener Art ausgestaltet. So hat sie anders als die meisten Rechtsmittel keinen Suspensiveffekt,6 und ist die formelle Rechtskraft der angegriffenen Entscheidung nicht Hindernis, sondern Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Urteilsverfassungsbeschwerde (→ Rn 89 ff). Auch die Beschränkung des Prüfungsumfangs auf „spezifisches Verfassungsrecht“ (→ Rn 120) verdeutlicht ihre Sonderstellung als „außerordentlicher Rechtsbehelf“ zur Abwehr von Grundrechtsverletzungen der öffentlichen Gewalt.7 * Aktualisierte, korrigierte und erweiterte Fassung der unter Mitarbeit von Matthias Mayer in JURA 2003, 373 ff, 513 ff, 663 ff und JA 2004, 51 ff und 137 ff veröffentlichten Beiträge zur Verfassungsbeschwerde. 1 Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 8. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz vom 12.3.1951, BGBl I, S 243. 3 Durch Gesetz vom 29.1.1969 (BGBl I, 97). 4 BVerfGE 18, 315, 325; 49, 252, 258; 68, 376, 379 f; 94, 166, 213 f; 107, 395, 413. 5 BVerfGE 33, 247, 258 f; 45, 63, 74; 85, 109, 113; vgl zur rechtsfortbildenden Funktion der Verfassungsbeschwerde: Rühl KritV 1998, 156, 161 ff; siehe auch Benda/Klein VerfPrR, Rn 392 ff; Ruppert in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 90 Rn 17; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 9. 6 BVerfGE 93, 381, 385; Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 I Nr 4a Rn 170. 7 BVerfGE 18, 315, 325; 49, 252, 258; 68, 376, 379 f.
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§ 13
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4. Teil: Rechtsschutz im Verfassungsrecht
Die Verfassungsbeschwerde ist zahlenmäßig mit Abstand das bedeutsamste Verfahren vor dem BVerfG. Seit Errichtung des Gerichts im Jahre 19518 bis zum 31.12.2006 waren von insgesamt 163.348 erledigten Verfahren allein 157.342 Verfassungsbeschwerden, was einer Quote von 96,32 % entspricht. So hoch ihre Zahl, so gering ist aber auch ihre Erfolgsquote: im genannten Zeitraum waren nur 3.835 Verfahren erfolgreich, dies entspricht ca. 2,5 %.9 Neben der Verfassungsbeschwerde zum BVerfG besteht in den meisten Bundesländern die Möglichkeit, Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung von Landesgrundrechten durch die öffentliche Gewalt des jeweiligen Landes vor den Landesverfassungsgerichten zu erheben.10 Dieses Recht bleibt gem § 90 III BVerfGG durch die Möglichkeit der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde zum BVerfG unberührt. Beide Rechtsbehelfe können also nebeneinander eingelegt werden.11
II. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde 5
Über eine Verfassungsbeschwerde darf das BVerfG in der Sache nur entscheiden, wenn sie zulässig ist. Die Voraussetzungen dafür, also die Sachentscheidungsvoraussetzungen,12 finden sich in § 13 Nr 8a, §§ 23, 90 ff BVerfGG.13 Zu deren Auslegung hat sich in der Rechtsprechungspraxis der vergangenen fünfzig Jahre eine umfangreiche Kasuistik entwickelt, ohne deren Kenntnis die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde nicht mehr zuverlässig beurteilt werden kann.14 1. Ordnungsgemäßer Antrag
a) Schriftform 6
Fall 1: B will gegen ein amtsgerichtliches Räumungsurteil Verfassungsbeschwerde erheben. Dazu sendet er per Computerfax 2 Wochen nach Zustellung des Urteils einen Schriftsatz an das BVerfG, in dem er eine Verletzung seines Eigentums rügt und vorträgt, dass er sich auch als Mieter auf Art 14 GG berufen könne. Der Schriftsatz ist mit einer eingescannten Unterschriftsgrafik des B versehen. 6 Wochen später rügt der B zusätzlich, dass das Räumungsurteil auch sein Recht auf körperliche Unversehrtheit verletze, da er nunmehr unter schlechtesten hygienischen Umständen in einer Notunterkunft untergebracht und seitdem ständig krank sei.
8 Vgl zur Geschichte des Bundesverfassungsgerichts und der Verfassungsbeschwerde: Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Entstehungsgeschichte S 3 ff. 9 Quelle: Statistik des Bundesverfassungsgerichts, zugänglich unter http://www.bundesverfassungsgericht.de/organisation/gb2006/A-I-1.html. 10 Vgl dazu Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 346 ff; zur Frage nach der Anwendbarkeit des Landesverfassungsrechts bei der Ausführung von Bundesrecht durch Landesorgane vgl BVerfGE 96, 345, 351. 11 Vgl BVerfGE 60, 175, 208; BVerfG, NJW 1996, 1463, 1464; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 348. 12 Erichsen Jura 1991, 585, 585 f. 13 Art 93 I Nr 4a GG stellt nur die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Befugnis zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde dar und weist dem BVerfG die Zuständigkeit zur Entscheidung über sie zu; vgl Erichsen Jura 1991, 585, 585 f. 14 Vgl Spranger AöR 127 (2002), 27, 29 f; Seegmüller DVBl 1999, 738, 739.
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Individualverfassungsbeschwerde
§ 13
Wie jedes andere Gericht wird auch das BVerfG nur auf Antrag tätig. Verfahrenseinleitende Anträge sind gem § 23 I 1 BVerfGG schriftlich zu stellen. Aus dem Schriftstück müssen die Person des Bf und sein Begehren hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Die Beschwerdeschrift muss eine eigenhändige Unterschrift des Bf tragen. Nicht erforderlich ist, dass jedes Schriftstück selbst unterschrieben ist, sofern erkennbar wird, dass sich die Unterschrift des Bf auch auf die Anlagen zur Verfassungsbeschwerde bezieht.15 Im Falle der Vertretung durch einen Anwalt muss gleichzeitig mit der Beschwerdeschrift die Vertretungsbefugnis angezeigt werden. Eine nachträgliche Bevollmächtigung reicht nicht aus,16 jedoch darf eine vor Einlegung der Verfassungsbeschwerde erteilte Vollmacht nach Ablauf der Frist nachgereicht werden.17 Das Schriftformerfordernis ist – wie auch die übrigen den Zugang zum BVerfG regelnden Verfahrensbestimmungen – so auszulegen, dass die Gewährung von Rechtsschutz vor dem BVerfG nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht gebotener Weise erschwert wird. Daher wahrt auch die telegrafische Einlegung der Verfassungsbeschwerde die Schriftform,18 und ist bei nicht unterschriebenen oder mit eingescannter Unterschrift versehenen Computerfaxen eine an den Umständen des Einzelfalls ausgerichtete Prüfung vorzunehmen, ob die Schreiben vom Bf herrühren und von ihm mit Wissen und Wollen in den Verkehr gebracht wurden.19 Bei elektronisch übermittelten Schreiben verneinen Literatur und Rechtsprechung 20 überwiegend die Wahrung der Schriftform, weil es an einem verkörperten Dokument fehle.21 Fraglich ist zwar, ob dieser Einwand nicht auch gegenüber der Zulassung von Fax und Computerfax erhoben werden müsste. Auch insoweit geht beim BVerfG nur ein elektronischer Impuls ein. Der Gesetzgeber hat im Justizkommunikationsgesetz 22 allerdings für diverse Prozessordnungen die Zulassung der elektronischen Form gesondert vorgesehen, ohne dabei das BVerfGG einzubeziehen, und hat damit das tradierte Verständnis von § 23 I 1 BVerfGG bestätigt. Da die Verfassungsbeschwerde zumindest auch dem Individualschutz dient, kann der Antrag grundsätzlich bis zum Abschluss des Verfahrens zurückgenommen werden, mit der Folge, dass damit die Grundlage für eine Entscheidung des BVerfG entfällt.23 Angesichts der zugleich objektiven Funktion der Verfassungsbeschwerde hält das BVerfG eine Rücknahme indes für unwirksam, wenn die Verfassungsbeschwerde wegen ihrer allgemeinen Bedeutung zur Entscheidung angenommen und über sie mündlich verhandelt wurde und die allgemeine Bedeutung in der Zeit bis zur Urteilsverkündung nicht entfallen ist.24 15 16 17 18 19
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BVerfGE 15, 288, 290. BVerfGE 16, 190, 191; 8, 92, 94 f. BVerfGE 50, 381, 383 f. BVerfGE 4, 7, 12. BVerfG, NJW 2002, 3534, 3535. Diese Entscheidung erging zwar zum Zugang zu den Instanzgerichten, dies dürfte aber gleichermaßen für § 23 BVerfGG gelten. Siehe auch Benda/Klein VerfPrR, Rn 620 ff. HessVGH DÖV 2006, 438, 439; VG Sigmaringen VBlBW 2005, 154, 154; Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 88. VG Sigmaringen VBlBW 2005, 154, 154 f; Hartmann NJW 2006, 1390, 1391 f; Puttler in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 23 Rn 7. Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz (Justizkommunikationsgesetz, JKomG) vom 22.3.2005, BGBl I, 837. BVerfGE 85, 109, 113. BVerfGE 98, 218, 242 f. Vgl dazu Benda/Klein VerfPrR, Rn 409; allgemein zur Rücknahmemöglichkeit Menzel JuS 1999, 339 ff.
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b) Substantiierungserfordernis 10
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Der Antrag ist nach §§ 23 I 2, 92 BVerfGG zu begründen. Der Bf muss die aus seiner Sicht verletzten Grundrechte zwar nicht ausdrücklich benennen, aber zumindest sinngemäß bezeichnen und die Grundrechtsverletzung durch Darlegung des die Verletzung enthaltenden Vorgangs hinreichend deutlich und substantiiert behaupten.25 Unzureichend ist also die pauschale Behauptung einer Grundrechtsverletzung. Der Sachvortrag muss vielmehr ergeben, inwiefern der beanstandete Hoheitsakt bestimmte Grundrechte verletzen soll.26 Die so geltend gemachte Verletzung des Grundrechts, auf das sich der Bf beruft, muss wenigstens möglich erscheinen.27 Dabei muss der Bf so viel zu den Tatsachen und zur Rechtslage vorbringen, dass das BVerfG ohne weitere tatsächliche Ermittlungen seine Entscheidung über die Annahme der Verfassungsbeschwerde treffen kann (→ Rn 187).28 Bei der Rüge eines Verstoßes gegen die Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs gem Art 103 I GG muss der Beschwerdebegründung deshalb zu entnehmen sein, was bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs geltend gemacht worden wäre, damit sich feststellen lässt, ob die Entscheidung auf dem vermeintlichen Grundrechtsverstoß beruht.29 Bei der Rüge eines verfassungswidrigen Unterlassens sind die konkreten Handlungen zu bezeichnen, auf deren Vornahme der Bf einen Anspruch zu haben meint. Die allgemeine Behauptung, er sei durch pflichtwidrige Unterlassung geschädigt, genügt nicht.30 Der Bf muss deshalb ausführen, in welcher Situation welches Staatsorgan welche Handlung vorzunehmen gehabt hätte.31 Die Aktenvorgänge, auf die im Rahmen der Substantiierung Bezug genommen wird, insbesondere angefochtene Gerichtsentscheidungen, sind „ihrem wesentlichen Inhalt nach“ mitzuteilen.32 Da der „wesentliche Inhalt“ für den Bf nicht immer einfach zu bestimmen ist, empfiehlt sich die vollständige Vorlage vor allem der angegriffenen Entscheidungen. Dabei muss der Bf den Bezug der angegriffenen Elemente der Entscheidungen zur gerügten Grundrechtsverletzung deutlich machen, weshalb sich die Verweisungen in der Beschwerdeschrift auf konkrete Stellen beziehen und kennzeichnen müssen, welche dort zu findenden Informationen für welche Fragen relevant sind.33 Das BVerfG zieht bei der Annahmeentscheidung in der Regel keine externen Akten bei und verlangt deshalb nicht nur die Wiedergabe bzw. Vorlage der angegriffenen Entscheidung, sondern auch die anderer Dokumente, soweit sie in den zugrundeliegenden Verfahren eine Rolle gespielt haben und ihr Inhalt für die Beurteilung der Vereinbarkeit der angegriffenen Entscheidung mit den Grundrechten des Bf von Bedeutung sein kann.34 25 BVerfGE 23, 242, 250; 9, 109, 114; 65, 227, 232 f; 89, 155, 171 ff; 109, 279, 308. 26 BVerfG, NVwZ 1998, 1287, 1288; BVerfG Az 1 BvR1540/98 vom 15.9.1998; BVerfG Az 2 BvR 501/99 vom 13.4.1999. Vgl Lübbe-Wolff EuGRZ 2004, 669, 678. 27 BVerfGE 17, 252, 258; 47, 182, 186 f; 52, 303, 327 f; 80, 137, 148 ff; vgl auch die Darstellung des Vortrages des Bf in BVerfGE 89, 155, 172 f. 28 Seegmüller DVBl 1999, 738, 741 f. 29 BVerfGE 77, 275, 281; vgl auch BVerfGE 81, 242, 248; 110,141,151. 30 BVerfGE 2, 287, 290; 110, 370, 382. Zu weiteren inhaltlichen Anforderungen an die Begründung vgl Kreuder NJW 2001, 1243, 1246 ff. 31 Gas JA 2007, 378. 32 BVerfGE 88, 40, 45; Kreuder NJW 2001, 1243, 1243 f, 1247; Seegmüller DVBl 1999, 738, 741 f; Lübbe-Wolff EuGRZ 2004, 669, 676. 33 Magen in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 92 Rn 52, 53. 34 Lübbe-Wolff EuGRZ 2004, 669, 679.
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Individualverfassungsbeschwerde
§ 13
Die Voraussetzungen eines ordnungsgemäßen Antrags müssen innerhalb der Beschwerdefrist des § 93 I BVerfGG (→ Rn 102 ff) erfüllt werden. Dies schließt nicht aus, die Begründung der Verfassungsbeschwerde nachträglich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht zu ergänzen. Ein neuer Sachverhalt oder eine anders geartete Grundrechtsverletzung können jedoch nach Fristablauf nicht mehr zum Gegenstand der Verfassungsbeschwerde gemacht werden.35
13
Lösung Fall 1: Die Schriftform gem. § 23 I 1 BVerfGG ist gewahrt, da sich aus dem Computerfax mit eingescannter Unterschrift mit hinreichender Sicherheit erkennen lässt, dass das Schriftstück wissentlich und willentlich vom Bf selbst in Umlauf gebracht wurde.36 Die nachträgliche Erweiterung der Verfassungsbeschwerde auf die Rüge des Art 2 II GG durch die nunmehr behauptete Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist dagegen nicht möglich. Dies ist keine Vertiefung der ursprünglichen Begründung, sondern ein neuer Sachvortrag, der nach Ablauf der Beschwerdefrist nicht mehr geltend gemacht werden darf.
14
2. Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts Die Zuständigkeit des BVerfG für die Verfassungsbeschwerde ergibt sich aus § 13 Nr 8a BVerfGG und Art 93 I Nr 4a GG.
15
3. Beteiligtenfähigkeit Fall 2: Eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt lehnt es ab, der P-Partei Wahlwerbezeiten zuzuweisen, weil der Inhalt der Werbespots volksverhetzend sei. Hiergegen erhebt die P-Partei Verfassungsbeschwerde mit der Begründung, sie werde gegenüber anderen Wahlbewerbern benachteiligt und dadurch in ihrem verfassungsrechtlichen Status verletzt.
16
Fall 3: S ist Sohn und Alleinerbe des vor kurzem verstorbenen G. Nach einer erfolglosen Unterlassungsklage gegen die Veröffentlichung eines Romans, der in zwar künstlerisch verfremdeter, aber noch erkennbarer Weise die Lebensgeschichte seines Vaters zum Inhalt hat, erhebt er Verfassungsbeschwerde. S ist der Meinung, die ehrenrührige Darstellung des G verletze dessen Menschenwürde, die auch über den Tod hinaus zu schützen sei. Die Veröffentlichung des Romans müsse deshalb untersagt werden.
17
Fall 4: Die zu einhundert Prozent im Eigentum einer Gemeinde G befindliche „Stadtwerke AG“ will gegen die Enteignung eines ihr gehörenden Grundstücks für den Bau einer Autobahn Verfassungsbeschwerde erheben.
18
Fall 5: Durch Gesetz sollen zwei benachbarte Universitäten zusammengelegt werden. Diese sehen darin einen Eingriff in ihre Wissenschaftsfreiheit und erheben gegen das Gesetz Verfassungsbeschwerde.
19
35 BVerfGE 18, 85, 89; 77, 275, 282; 84, 212, 223; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 124. 36 Vgl BVerfG, NJW 2002, 3534, 3535.
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§ 13
4. Teil: Rechtsschutz im Verfassungsrecht
a) Begriff 20
Beteiligtenfähigkeit bezeichnet die Fähigkeit, selbst oder durch einen Vertreter Verfassungsbeschwerde zu erheben und Beteiligter im Verfahren der Verfassungsbeschwerde zu sein.37 Das BVerfGG enthält anders als andere Prozessordnungen keine allgemeine Bestimmung über die Beteiligtenfähigkeit, sondern spricht ebenso wie Art 93 I Nr 4a GG in § 90 BVerfGG nur von „jedermann“. Jedermann ist jedes Rechtssubjekt, das Träger eines der in § 90 I BVerfGG genannten Rechte sein kann und damit grundrechtsfähig ist.38
b) Natürliche Personen 21
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Beteiligtenfähig ist zunächst jede natürliche Person,39 unabhängig davon, ob die persönlichen Eigenschaften oder Verhältnisse es dem Grundrechtsträger ermöglichen, das Grundrecht auch tatsächlich auszuüben.40 Soweit Grundrechte geltend gemacht werden, die nur Deutschen zustehen, beschränkt sich die Beteiligtenfähigkeit auf Deutsche im Sinne des Art 116 GG.41 Ausländer sollen sich im Regelungsbereich von Deutschen-Grundrechten nach hM allerdings auf Art 2 I GG berufen dürfen und insoweit beteiligtenfähig sein.42 Zwar schließen die DeutschenGrundrechte in ihrem personalen Schutzbereich eine Begünstigung von Ausländern aus, und darf diese Entscheidung nicht dadurch überspielt werden, dass Ausländern über den Rückgriff auf Art 2 I GG ein gleichwertiger Grundrechtsschutz eingeräumt wird.43 Jedoch kann sich ein Ausländer im Rahmen des Art 2 I GG nicht auf die stärkere Schutzwirkung der qualifizierten Gesetzesvorbehalte der Deutschen-Grundrechte aus Art 8, Art 9 und Art 11 GG berufen und muss sich bei der Abwägung seines Freiheitsinteresses mit dem vom Gesetzgeber definierten „Eingriffsgut“ auch entgegenhalten lassen, dass der Ausübung der allgemeinen Handlungsfreiheit ein geringeres Gewicht zukommt als der vergleichbaren, von einem speziellen Freiheitsrecht geschützten Betätigung.44 Deshalb ist
37 Benda/Klein VerfPrR, Rn 426. Teilweise ist auch von „Antragsberechtigung“ (Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 206) oder „Parteifähigkeit“ (Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 125) die Rede. Zumindest der letztere Begriff ist untauglich, weil es sich bei der Verfassungsbeschwerde nicht um ein kontradiktorisches Verfahren handelt, es also keinen Beschwerdegegner und keine Partei im prozessrechtlichen Sinne gibt, vgl Benda/Klein VerfPrR, Rn 468; Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 I Nr 4a Rn 173. 38 Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 126; Benda/Klein VerfPrR, Rn 426; Ruppert in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 90 Rn 17. 39 Ruppert in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 90 Rn 19. 40 Benda/Klein VerfPrR, Rn 429. Letzteres ist gegebenenfalls eine Frage der Prozessfähigkeit, dazu unten B.4. 41 Benda/Klein VerfPrR, Rn 428; Ruppert in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 90 Rn 19. 42 Vgl BVerfGE 35, 382, 399; 78, 179, 196 f; 104, 337, 345 f; Isensee VVDStRL 32 (1974), 49, 80; Stern Staatsrecht III/1, 1988, 1040 f; Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art 2 Rn 3; Höfling in: Friauf/Höfling (Hrsg), GG, 20. Lfg 2007, Art 2 Rn 82; Lerche in: Isensee/Kirchhof (Hrsg), HbStR V, 2. Aufl 2000, § 121 Rn 14; Benda/Klein VerfPrR, Rn 428. 43 Einem pauschalen Rückgriff auf Art 2 I GG steht insoweit die Spezialität der Deutschen-Grundrechte entgegen. Art 2 I GG hat keine generelle Auffangfunktion; vgl auch Erichsen in: Isensee/Kirchhof (Hrsg), HbStR VI, 2. Aufl 2001, § 152 Rn 48 f; vgl auch unten C.IV.1.a). 44 Vgl Pieroth AöR 115 (1990), 33, 42; Degenhart JuS 1990, 161, 167 f; Murswiek in: Sachs, GG, Art 2 Rn 140; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art 2 Rn 10; wohl auch BVerfGE 78, 179, 196 f; BVerwGE 74, 165, 173. Bedenklich deshalb BVerfGE 104, 337, 345 ff, wo bei der Gewichtung der
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es vertretbar, wenn auch nicht zwingend, die Beteiligtenfähigkeit von Ausländern im Regelungsbereich von Deutschen-Grundrechten aus Art 2 I GG zu bejahen.45 Die Beteiligtenfähigkeit beginnt – wenn man den nasciturus mit einer heute vielfach geteilten Meinung als Träger der Grundrechte aus Art 1 I, 2 II und 14 I GG anerkennt – bereits vor der Geburt 46 und endet mit dem Tod. Der Tod des Bf führt allerdings nicht notwendig zur Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde. In der Regel können die Erben als Gesamtrechtsnachfolger analog § 239 ZPO in das Verfahren der Verfassungsbeschwerde eintreten 47 und sich auf den grundrechtlichen Schutz der ihnen zugewachsenen Güter und Interessen berufen.48 Eine Prozessstandschaft für den Verstorbenen findet hingegen nicht statt.49 Nur im Falle einer strafgerichtlichen Verurteilung kann entsprechend § 361 II StPO der strafprozessual zur Wiederaufnahme berechtigte Ehegatte des Verstorbenen die Verfassungsbeschwerde fortführen.50
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c) Juristische Personen Nach Art 19 III GG können sich auch inländische juristische Personen – also solche, die ihren Sitz im Inland haben 51 – auf die Grundrechte berufen, sofern diese ihrem Wesen nach auf sie anwendbar sind. Juristische Personen im Sinne des Art 19 III GG sind nicht nur Rechtssubjekte, denen die förmliche Rechtsfähigkeit zukommt, sondern auch solche, die, ohne Rechtsfähigkeit zu besitzen, Träger von Rechten und Pflichten sein können und zu einer einheitlichen Willensbildung und Willensverwirklichung in der Lage sind.52 Das sind zB Gesellschaften bürgerlichen Rechts nach §§ 705 ff BGB oder nichtrechtsfähige Vereine nach § 54 BGB.53
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Berufsfreiheit eines Ausländers im Rahmen des Art 2 I GG, wohl wegen der dogmatisch ihrerseits zweifelhaften Verstärkung seiner Grundrechtsposition durch Art 4 I und II GG, kein Unterschied zum Deutschen-Grundrecht aus Art 12 GG erkennbar wird; krit dazu Spranger NJW 2002, 2074, 2075 f; Faller KJ 2002, 227, 228 f. Soweit Ausländer als Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der EG wegen des Diskriminierungsverbotes des Art 12 EGV (Art 18 AEUV-E) wie Inländer behandelt werden müssen, können sie sich auch auf die Deutschen-Grundrechte berufen; dazu näher Spranger AöR 127 (2002), 27, 44 f; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art 19 Rn 11; anders Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art 2 Rn 3, der den diskriminierungsfreien Schutz von EU-Bürgern über Art 2 I GG gewährleistet sieht. Vgl Ruppert in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 90 Rn 20; Benda/Klein VerfPrR, Rn 430 ff; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 129; Spranger AöR 127 (2002), 27, 31 f, jeweils mwN. Zu § 239 ZPO vgl Thomas/Putzo ZPO, 28. Aufl 2007, § 239 Rn 1, Vorb § 50 Rn 16 ff. BVerfGE 93, 165, 170; 88, 366, 374; 6, 389, 442; Benda/Klein VerfPrR, Rn 433. Benda/Klein VerfPrR, Rn 434. Unklar insoweit BVerfGE 30, 173, 195; BVerfG, NJW 1993, 1462, 1462; NJW 1994, 783, 783; NJW 1994, 783, 784 f, hinsichtlich des postmortalen Schutzes der Menschenwürde. BVerfGE 6, 389, 442; 37, 201, 206. Vgl BVerfGE 21, 207, 208 f; ungeklärt ist, ob dies auch gilt, wenn sämtliche Mitglieder der Vereinigung Ausländer sind oder diese von Ausländern beherrscht wird. Offengelassen in: BVerfG, NJW 2002, 1485, 1485, mit Nachweisen. Dagegen lässt sich nicht anführen, dass die Ausländer als Kollektiv ansonsten Grundrechte geltend machen dürften, die ihnen individuell nicht zustehen (so aber Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art 19 Rn 15, da im vorliegenden Zusammenhang gerade nicht die Grundrechte der Mitglieder, sondern die Grundrechte der Vereinigung selbst in Frage stehen. BVerfGE 82, 286, 295; 10, 89, 98; 6, 273, 277; 4, 7, 12; 3, 383, 391. Vgl Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art 19 Rn 19, mwBsp.
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Diese Vereinigungen können nach Art 19 III GG nur die ihr als Vereinigung zustehenden Grundrechte, nicht aber die ihrer Mitglieder wahrnehmen. Nur soweit die Vereinigung behauptet, in ihren eigenen Grundrechten betroffen zu sein, kann sie Verfassungsbeschwerde einlegen.54 Voraussetzung für die Beteiligtenfähigkeit juristischer Personen ist, dass die Grundrechte ihrem Wesen nach auf sie anwendbar sind. Bei wirtschaftlich handelnden juristischen Personen ist das vor allem für das Eigentum und die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit (Art 14 I, Art 12 I, Art 2 I GG),55 den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 I GG),56 die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art 13 GG),57 den Schutz des Brief- und Postgeheimnisses (Art 10 I GG), die Freizügigkeit (Art 11 I GG) sowie das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art 19 IV GG) der Fall.58 Presse- und Rundfunkunternehmen können sich auch auf Art 5 I 2 GG stützen.59 Grundsätzlich nicht in Betracht kommen dagegen die mit der Körperlichkeit und der personalen Individualität des Menschen verbundenen Grundrechte wie die Menschenwürde, das Recht auf Leben und Gesundheit oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht und der daraus herzuleitende Anspruch auf Ehrschutz.60 Religionsgesellschaften oder andere Vereinigungen, die der Pflege und Förderung eines religiösen Bekenntnisses ihrer Mitglieder dienen, können sich allerdings auf das personenbezogene Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit aus Art 4 I, II GG berufen.61 Bei politischen Parteien62 ergeben sich Zweifel an ihrer Qualifizierung als „jedermann“ daraus, dass sie in den Bereich der verfassungsrechtlich organisierten Staatlichkeit hineinwirken.63 Art 21 GG stellt die politischen Parteien nicht in den systematischen Zusammenhang der Grundrechte, sondern in den der Staatsorganisation und erhebt sie wegen ihrer Bedeutung für die demokratische Willensbildung64 in den Rang einer „verfassungsrechtlichen Institution“.65 Politischen Parteien steht deshalb nach Auffassung des BVerfG zur Durchsetzung ihrer Rechte primär das Organstreitverfahren zur Verfügung. Soweit eine politische Partei die Verletzung ihres verfassungsrechtlichen Status und der sich daraus ergebenden Rechte, insbesondere auch ihrer Chancengleichheit, durch ein anderes Verfassungsorgan geltend macht, ist hierfür das Organstreitverfahren als speziellere
54 BVerfGE 13, 54, 89 f; Benda/Klein VerfPrR, Rn 439; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 207. 55 Vgl BVerfGE 74, 129, 148 f; 66, 116, 130; 35, 348, 360; 23, 153, 163; 21, 261, 266; 10, 89, 99; 4, 7, 17. 56 Vgl BVerfGE 23, 153, 163; 4, 7, 12; 3, 383, 390. 57 Vgl BVerfGE 76, 83, 88; 42, 212, 219. 58 Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 140, 143; Benda/Klein VerfPrR, Rn 443. 59 Vgl BVerfGE 20, 162, 171; 21, 271, 277 f; 50, 234, 239; 66, 116, 130; 80, 124, 131; auch dann, wenn die Herausgabe einer Zeitung nicht der eigentliche Unternehmenszweck ist: BVerfGE 95, 28, 34. 60 Benda/Klein VerfPrR, Rn 443; vgl auch die Nachweise bei Ruppert in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 90 Rn 30 ff und Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 141 f; allerdings offengelassen für das Persönlichkeitsrecht bei BVerfGE 95, 220, 242. 61 BVerfGE 99, 100, 118; 70, 138, 161; 24, 236, 246 f; 19, 129, 132. 62 Zum Begriff der politischen Partei iSd Art 21 GG vgl BVerfGE 24, 260, 263 f; 79, 379, 384; 91, 262, 266 f; Morlok in: Dreier, Bd 2 GG, Art 21 Rn 28 ff. 63 BVerfGE 20, 56, 100 f; 41, 399, 407; 44, 125, 145 f; 52, 63, 82 f; 73, 1, 33. 64 BVerfGE 85, 264, 285; 111, 382, 395. 65 BVerfGE 41, 399, 416.
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Rechtsschutzform einschlägig.66 Im Organstreitverfahren sind allerdings nur Streitigkeiten zwischen Verfassungsorganen zu entscheiden.67 Um eine Verfassungsbeschwerde, bei der die politische Partei als „jedermann“ beteiligtenfähig ist, handelt es sich hingegen, wenn sie behauptet, durch die Maßnahme eines Hoheitsträgers, der selbst keine Organstreitfähigkeit besitzt, in ihren Grundrechten verletzt zu sein.68 Auch ein Parlamentsabgeordneter, der seine Statusrechte gegenüber einem anderen Träger verfassungsrechtlicher Rechte und Pflichten geltend macht, agiert nicht als „jedermann“. Auch für ihn kommt deshalb nur das Organstreitverfahren in Betracht.69
d) Juristische Personen des öffentlichen Rechts Umstritten ist, ob die Grundrechte ihrem Wesen nach auch auf juristische Personen des öffentlichen Rechts anwendbar sind. Juristische Personen des öffentlichen Rechts erfüllen die ihnen zugewiesenen Aufgaben nicht in Wahrnehmung unabgeleiteter, ursprünglicher Freiheiten, sondern aufgrund von Kompetenzen, die ihnen vom positiven Recht verliehen werden.70 Die Grundrechte sollen nach Wortlaut, Systematik und Entwicklungsgeschichte der Gewährleistung individueller Freiheiten und Rechte und damit der Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen Bürger und Staat, nicht aber der Abgrenzung der Befugnisse zwischen den staatlichen Gewalten und ihren einzelnen Funktionsträgern dienen. Deshalb können die Kompetenzen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts nicht mit der Verfassungsbeschwerde durchgesetzt werden.71 Dies gilt auch, soweit sich mehrere juristische Personen des öffentlichen Rechts zu einem privatrechtlichen Dachverband zusammenschließen 72 oder eine öffentliche Aufgabe in einer privatisierten Rechtsform wahrnehmen.73 Die Grundrechte sind ihrem Wesen nach also grundsätzlich nicht auf juristische Personen des öffentlichen Rechts anwendbar, diese demnach im Verfahren der Verfassungsbeschwerde auch nicht beteiligtenfähig.74 Etwas anderes gilt jedoch für solche juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die wegen der ihnen übertragenen Aufgaben „unmittelbar dem durch Grundrechte geschützten Lebensbereich zuzuordnen sind“, wie dies für Rundfunkanstalten zu Art 5 I 2 GG 75 und
66 BVerfGE 64, 301, 312; 57, 1, 8 f; 27, 10, 17; 4, 27, 30 f; vgl auch BVerfGE 85, 264 ff: Zulässigkeit des Organstreits einer Partei gegen Bundestag und Bundesrat wegen Verletzung ihres Anspruchs auf Chancengleichheit aus Art 21 I und 3 I GG durch eine Änderung des Parteiengesetzes. 67 Vgl zur Parteifähigkeit im Organstreit: Benda/Klein VerfPrR, Rn 985 ff; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 79 ff. 68 BVerfGE 69, 257, 265 f; 47, 198, 223; 7, 99, 103; jeweils wegen Zuteilung von Werbezeiten öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten im Wahlkampf. 69 Vgl etwa BVerfGE 64, 301, 312 f. 70 BVerfGE 75, 192, 196; 68, 193, 205 ff; 61, 82, 100 ff; 45, 63, 78 f; 39, 302, 312 ff; 21, 362, 367 ff. Kritisch zur Ablehnung der Grundrechtsträgerschaft öffentlich-rechtlicher Sparkassen Spranger AöR 127 (2002), 27, 37 ff. Vgl zu weiteren Gegenstimmen aus der Literatur auch hinsichtlich anderer juristischer Personen des öffentlichen Rechts die Nachweise bei Dreier in: ders, Bd 1 GG, Art 19 III Rn 55 ff. 71 Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 144. 72 BVerfGE 68, 193, 211 ff. 73 BVerfGE 45, 63, 79 f. 74 Ruppert in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 90 Rn 41. 75 BVerfGE 59, 231, 254; 31, 314, 321 f.
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4. Teil: Rechtsschutz im Verfassungsrecht
Universitäten und Fakultäten zu Art 5 III GG gilt,76 oder die kraft ihrer Eigenart einem bestimmten Grundrechtsbereich zugehören, wie Kirchen und sonstige Religionsgemeinschaften, die nach Art 140 GG, 137 V WRV den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzen.77 Diese juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind beteiligtenfähig, weil ihre Errichtung der Verwirklichung der individuellen Grundrechte ihrer Angehörigen oder Mitglieder dient und sie deswegen als eigenständige, vom Staat unabhängige oder jedenfalls distanzierte Einrichtungen fungieren sollen.78 Darüber hinaus soll sich eine juristische Person des öffentlichen Rechts ausnahmsweise auch insoweit auf Grundrechte berufen können, als sie neben der Wahrnehmung gesetzlich zugewiesener und geregelter öffentlicher Aufgaben auch als Instrument zur Verfolgung kollektiver privater Interessen dient und von dem beanstandeten Akt der öffentlichen Gewalt nicht als Teil der staatlichen Verwaltung, sondern als Interessenvertretung ihrer Mitglieder betroffen ist.79 Umstritten ist, ob eine weitere Ausweitung des Grundrechtsschutzes auf juristische Personen des öffentlichen Rechts vorzunehmen ist, wenn diese als Träger privater Rechte im Außenverhältnis einem anderen Hoheitsträger wie Privatpersonen unterworfen sind. Bei einem Eingriff in die privaten Rechte der juristischen Personen des öffentlichen Rechts könnte eine „grundrechtstypische Gefährdungslage“ 80 bestehen, auf die die Grundrechte ihrem Wesen nach anwendbar sind.81 Aber auch die Zuweisung von privaten Rechten an juristische Personen des öffentlichen Rechts erfolgt nicht zur Eröffnung einer Freiheit, sondern dient der Erfüllung ihrer von der Kompetenzordnung übertragenen Aufgaben. Die Ausübung privater Rechte bleibt deshalb immer öffentlich-rechtlich gesteuert und gebunden und die Berufung auf Privatautonomie dem Aufgabenträger versagt.82 Dient aber die Ausübung privater Rechte der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und der Verfolgung öffentlicher Interessen, entspricht der Streit um den Eingriff eines anderen Trägers öffentlicher Gewalt in die Ausübung dieser Rechte nicht dem Muster eines Grundrechts-, sondern dem eines Kompetenzkonflikts. Die Grundrechte sind deshalb ihrem Wesen nach nicht anwendbar.83
e) Ausländische juristische Personen 31
Ausländische juristische Personen, also solche, die ihren Sitz im Ausland haben, können sich nach Art 19 III GG nicht auf Grundrechte berufen.84 Etwas anderes dürfte allerdings
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BVerfGE 15, 256, 261 f. BVerfGE 53, 366, 386 ff; 42, 312, 321 ff; 19, 129, 132; 19, 1, 5. BVerfGE 75, 192, 196 f. BVerfGE 70, 1, 15 ff – Orthopädietechniker-Innungen (im Gegensatz zu anderen öffentlich-rechtlichen Innungen). v. Mutius in: Dolzer/Vogel, BK, Art 19 III Rn 114; Dreier in: FS Scupin, 1973, 81, 90 spricht von einer „grundrechtstypischen Unterworfenheit“. So Erichsen Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, 2. Aufl 1976, 176 f; v. Mutius in: Dolzer/Vogel, BK, Art 19 III Rn 107 f; Dreier in: FS Scupin, 1973, 81, 90. Burgi in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 6 Rn 10 ff. BVerfGE 61, 82, 109 bringt dies auf die plakative Formel, Art 14 schütze „nicht das Privateigentum, sondern das Eigentum Privater“. Vgl auch Bryde in: v. Münch/Kunig, GG, Art 14 Rn 8; Papier in: Maunz/Dürig, GG, 41. Lfg 2002, Art 14 Rn 204. BVerfGE 21, 207, 208; 23, 229, 236; 100, 313, 364; Ruppert in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 90 Rn 25; Benda/Klein VerfPrR, Rn 442.
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wegen des europarechtlichen Diskriminierungsverbotes aus Art 12 EGV (Art 18 AEUV-E), auf das sich gem Art 48, 55 und 183 Nr 4 EGV (Art 54, 62 und 199 Nr 4 AEUV-E) auch juristische Personen berufen können, im Anwendungsbereich des EG-Vertrages hinsichtlich solcher juristischer Personen gelten, die ihren Sitz im Gebiet der Gemeinschaft haben.85
f) Verfahrensgewährleistungen Großzügiger ist die Rechtsprechung des BVerfG hinsichtlich der grundrechtsähnlichen Verfahrensgewährleistungen der Art 101 I 2 und Art 103 I GG. Diese Rechte kommen als objektive Verfahrensgrundsätze jedem zugute, der nach den Verfahrensnormen parteifähig ist oder von einem Verfahren unmittelbar betroffen wird.86 Für die Beanspruchung dieser Rechte kommt es deshalb allein darauf an, ob der Bf im Ausgangsverfahren als Partei aufgetreten und damit wie jede andere Person richterlicher Hoheitsgewalt unterworfen ist.87 Insoweit sind also sowohl juristische Personen des öffentlichen Rechts als auch ausländische juristische Personen beteiligtenfähig. Jedenfalls soweit juristische Personen des öffentlichen Rechts sich auf materielle Grundrechte berufen können, steht ihnen überdies der Schutz der Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art 19 IV GG zu.88
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Lösung Fall 2: Ein Organstreit zur Geltendmachung des verfassungsrechtlichen Status der Partei aus Art 21 GG scheidet aus, da es sich bei der Rundfunkanstalt nicht um einen organstreitfähigen Gegner nach § 63 BVerfGG handelt. Die Verfassungsbeschwerde könnte deshalb als richtige Verfahrensart in Betracht kommen. Art 21 GG selbst ist allerdings kein beschwerdefähiges Recht iSd § 90 I BVerfGG. Das hier in der Sache angeführte Gebot der Gleichbehandlung der Parteien im Wahlkampf ist aber nicht allein in Art 21 I GG, sondern auch in Art 3 I GG verfassungsrechtlich verankert und kann daher im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden.89
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Lösung Fall 3: Die Beteiligtenfähigkeit des S könnte sich daraus ergeben, dass er als Erbe für seinen verstorbenen Vater die über den Tod hinausgehende Verpflichtung der staatlichen Organe, die Würde auch von Verstorbenen zu schützen, geltend machen kann. Weder gehen aber die höchstpersönlichen Rechte des G auf S als Erben über, noch wäre deren Geltendmachung im Wege der Prozessstandschaft zulässig. Soweit die Würde des Verstorbenen als Gegenstand bestimmter rechtlich anerkannter Belange und Werthaltungen den Schutz der Rechtsordnung findet und die staatliche Gewalt die Verpflichtung trifft, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde auch über den Tod hinaus zu gewähren,90 handelt es sich um einen objektiv-rechtlichen Belang der Allgemeinheit, der nicht von Einzelnen, auch nicht den Erben des Verstorbenen, durchgesetzt werden kann.91 Die Beteilig-
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85 Spranger AöR 127 (2002), 27, 41 ff. 86 BVerfGE 61, 82, 104; 21, 362, 373; 6, 45, 49 f. Kritisch zur Argumentation des Gerichts Benda/Klein VerfPrR, Rn 442. 87 Vgl Ruppert in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 90 Rn 27. 88 BVerfGE 107, 299, 310. 89 Vgl BVerfGE 69, 257, 265 ff; 47, 198, 223 ff; 7, 99, 103 ff (dort auf Art 38 GG abstellend); Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 92. 90 Vgl BVerfGE 30, 173, 194. 91 Vgl Enders Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, 1997, 470 f.
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4. Teil: Rechtsschutz im Verfassungsrecht
tenfähigkeit des S kann sich aber daraus ergeben, dass er die Verletzung seines eigenen von Art 2 I GG gewährleisteten Rechts auf Totenfürsorge und auf Schutz seines eigenen sozialen Wert- und Achtungsanspruchs geltend macht.92
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Lösung Fall 4: Eine auf Art 14 GG gestützte Verfassungsbeschwerde der „Stadtwerke AG“ kommt nur in Betracht, wenn auf sie als juristische Person die Grundrechte ihrem Wesen nach anwendbar sind. Mit der „Stadtwerke AG“ nimmt die Gemeinde G eine lediglich hinsichtlich der Organisationsform privatisierte öffentliche Aufgabe (Daseinsvorsorge) durch eine im städtischen Eigentum stehende AG wahr. Das Eigentum an dem Grundstück der AG dient damit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben sowie der Verfolgung öffentlicher Zwecke und Interessen durch einen Hoheitsträger. Es handelt sich bei dem Grundstück zwar um Privateigentum, nicht aber um das „Eigentum Privater“, das allein von Art 14 GG geschützt ist. Art 14 GG ist daher nicht auf die „Stadtwerke AG“ anwendbar; diese kann somit nicht Beteiligte in einem um die Verletzung von Eigentumsrechten geführten Verfahren der Verfassungsbeschwerde sein.93 Sofern sich die Gemeinde als Eigentümerin der Stadtwerke AG auf ihre durch die Selbstverwaltungsgarantie des Art 28 II GG geschützte Finanzhoheit beruft, kann sie dies mittels der Gemeindeverfassungsbeschwerde nach Art 93 I Nr 4b GG verfassungsprozessual geltend machen. Ob aus Art 28 II GG auch ein Schutz einer einzelnen vermögenswerten Rechtsposition folgt, ist umstritten.94
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Lösung Fall 5: Bei den Universitäten handelt es sich zwar um Körperschaften des öffentlichen Rechts, die vom Land gegründet und unterhalten werden und gegenüber ihren Mitgliedern Hoheitsgewalt ausüben. Sie werden aber gerade zur Gewährleistung freier Wissenschaft, also als organisatorische Grundlage für die Wahrnehmung des Grundrechts des Art 5 III GG gebildet. Ihnen ist der in Art 5 III GG geschützte Lebensbereich in spezifischer Weise zugeordnet. Dieses Grundrecht ist daher dem Wesen nach auf die Universitäten anwendbar, so dass diese im Verfahren der Verfassungsbeschwerde beteiligtenfähig sind.95
4. Prozessfähigkeit 37
Fall 6: Die 16-jährige Schülerin S sieht sich in ihrer negativen Glaubensfreiheit verletzt, da in ihrem Klassenraum in einer bayerischen Volksschule ein Holzkreuz an der Wand hängt und sie gezwungen wird, im Anblick dieses religiösen Symbols ihrer Schulpflicht nachzukommen. Sie möchte ohne Zustimmung ihres Vaters Verfassungsbeschwerde erheben.
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Die Prozessfähigkeit bezeichnet die Fähigkeit, im eigenen Namen vor Gericht Verfahrenshandlungen vorzunehmen, also etwa eine Verfassungsbeschwerde zu einzulegen, sie zu begründen, Prozessanträge zu stellen, Richter abzulehnen oder die Verfassungsbeschwerde zurückzunehmen.96 Das BVerfGG enthält keine allgemeine Regelung der Prozessfähig-
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Vgl BVerfG, NJW 1994, 783, 783 f. Vgl BVerfGE 45, 63, 79 f; 61, 82, 100 ff. Dagegen BVerfG, NVwZ 1999, 520, 521; dafür Ehlers DVBl 2000, 1301, 1308 f. Vgl BVerfGE 15, 256, 262. Benda/Klein VerfPrR, Rn 459; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 169; Ruppert in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 90 Rn 49; Spranger AöR 127 (2002), 27, 46.
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keit. Wegen der besonderen Eigenart der verfassungsgerichtlichen Verfahren können die Bestimmungen anderer Verfahrensordnungen, die hinsichtlich der Prozessfähigkeit an die Geschäftsfähigkeit anknüpfen, nicht ohne weiteres übertragen werden.97 Ausgangspunkt für die Bestimmung der Prozessfähigkeit ist vielmehr die Frage, ob der Bf nach der Rechtsordnung als reif angesehen wird, im Bereich der grundrechtlichen Freiheit Entscheidungen zu treffen oder Pflichten zu übernehmen.98 Vielfach wird dies als „Grundrechtsmündigkeit“ bezeichnet.99 Anknüpfungspunkte dafür bietet die gesetzliche Ausgestaltung des jeweiligen Grundrechts.100 Bejaht wurde die Grundrechtsmündigkeit von Personen, die wegen Geisteskrankheit oder -schwäche entmündigt waren, für Verfahren, in denen über Maßnahmen zu entscheiden ist, die wegen ihres Geisteszustandes zu treffen sind.101 Bei Minderjährigen wurde die Prozessfähigkeit bejaht für das Verfahren über die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer oder sonstiger die Wehrpflicht betreffende Verfahren 102 und hinsichtlich Art 4 GG, soweit das Gesetz über die religiöse Kindererziehung 103 für Minderjährige die freie Wahl des religiösen Bekenntnisses vorsieht.104 Juristische Personen werden im Verfahren der Verfassungsbeschwerde von ihren Organen vertreten.105 Von der Prozessfähigkeit zu unterscheiden ist die Frage, ob man im Verfahren der Verfassungsbeschwerde durch einen Anwalt vertreten sein muss, die sog Postulationsfähigkeit. Allgemein besteht im Verfahren der Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG kein Anwaltszwang, vielmehr kann jeder Beteiligte im Rahmen seiner Prozessfähigkeit grundsätzlich selbst alle erforderlichen Verfahrenshandlungen vornehmen. Nur in einer mündlichen Verhandlung 106 muss sich der Bf gem § 22 I 1 BVerfGG durch einen an einem deutschen Gericht zugelassenen Anwalt oder einen Lehrer des Rechts an einer deutschen Hochschule vertreten lassen, um auf deren Ablauf Einfluss nehmen zu können. Lösung Fall 6: Da das Gesetz über die religiöse Kindererziehung vorsieht, dass Jugendliche mit Vollendung des 14. Lebensjahres selbst über ihre religiöse Ausrichtung bestimmen können, kann die 16-jährige S (nach Erschöpfung des Rechtsweges) ohne ihren gesetzlichen Vertreter selbst Verfassungsbeschwerde erheben.107
97 Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 I Nr 4a Rn 174. 98 Erichsen Jura 1991, 585, 587. 99 Ruppert in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 90 Rn 49; Bethge in: Maunz/SchmidtBleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 171; Schlaich/Korioth, BVerfG, Rn 212. Kritisch zu diesem Begriff Benda/Klein VerfPrR, Rn 460. 100 BVerfGE 28, 243, 254; 1, 87, 88 f. 101 BVerfGE 65, 317, 321; 19, 93, 100 f; 10, 302, 306. 102 BVerfGE 28, 243, 254 f. 103 RelKErzG v 15.7.1921, RGBl, 939. 104 BVerfGE 1, 87, 88 f. 105 Pestalozza VerfPrR, § 12 Rn 21. 106 Die in der Praxis des Verfassungsbeschwerdeverfahrens die Ausnahme ist, vgl Benda/Klein VerfPrR, Rn 464. 107 Vgl BVerfGE 1, 87, 89.
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5. Beschwerdegegenstand 42
Fall 7: Rechtsanwalt R wird vom Vorstand der örtlichen Anwaltskammer wegen einiger Formulierungen in einem Schriftsatz gerügt, über die sich die Gegenseite beschwert hatte. Sein Verhalten sei standeswidrig und lasse sich nicht mit einer sachlichen Interessenvertretung vereinbaren. R wird aufgefordert, die beanstandeten Formulierungen in Zukunft nicht mehr zu gebrauchen. Kann er hiergegen mit der Verfassungsbeschwerde vorgehen?
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Fall 8: Ein deutscher Bananen-Importeur sieht durch die europarechtlich vorgeschriebene Beschränkung von Bananenimporten aus bestimmten Ländern seine Berufsfreiheit verletzt, da er gerade mit Bananenproduzenten aus diesen Ländern in besonders intensivem Geschäftskontakt steht. Er ist der Auffassung, die entsprechende EG-VO sei nicht von den EG-Verträgen und damit auch nicht von den entsprechenden deutschen Zustimmungsgesetzen gedeckt. Kann er hiergegen Verfassungsbeschwerde erheben?
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Fall 9: Gegen B wird von der Staatsanwaltschaft X beim zuständigen Haftrichter Haftbefehl beantragt. Noch vor der Entscheidung des Haftrichters erhebt B gegen den Antrag Verfassungsbeschwerde.
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Fall 10: Nichtraucher B ist der Auffassung, der Gesetzgeber sei zum Schutz von Leben und Gesundheit verpflichtet, Rauchverbote in Gaststätten und öffentlichen Räumen zu erlassen. Kann er dies mit einer Verfassungsbeschwerde einfordern?
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Das Verfahren der Verfassungsbeschwerde ist nicht als kontradiktorischer Rechtsstreit mit einem „Beschwerdegegner“, sondern als ein objektives Beanstandungsverfahren ausgestaltet, bei dem ein bestimmtes staatliches Handeln oder Unterlassen auf seine Verfassungsmäßigkeit hin überprüft wird. Die fraglichen Handlungen oder Unterlassungen eines staatlichen Organs bilden als Akte der „öffentlichen Gewalt“ gem § 90 I BVerfGG den Beschwerdegenstand.108 Die Bedeutung des Begriffs der öffentlichen Gewalt iSd § 90 I BVerfGG, Art 93 I Nr 4a GG ist nicht mit der des gleichlautenden Art 19 IV GG identisch. Vielmehr können anders als von der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie gewährleistet im Rahmen der Verfassungsbeschwerde auch Akte der Judikative und Legislative zur Überprüfung gestellt werden.109 Als Beschwerdegegenstand kommen alle Maßnahmen oder Unterlassungen in Betracht, die einem Verpflichtungsadressaten des Art 1 III GG zuzurechnen sind110 und die innerstaatliche Wirkungen auslösen.111
108 Benda/Klein VerfPrR, Rn 468. Weil davon auszugehen ist, dass die staatliche Stelle, die den Beschwerdegegenstand zu verantworten hat, am Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens interessiert ist, erhält sie zusammen mit weiteren von der Verfassungsbeschwerde Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme, § 94 BVerfGG. 109 So auch Ruppert in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 90 Rn 53. 110 Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 I Nr 4a Rn 175. 111 Daran fehlt es etwa beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge und der Mitwirkung deutscher Vertreter bei der Erzeugung von Gemeinschaftsrecht in den Gremien der EG; vgl BVerfGE 77, 170, 209 f; BVerfG, NJW 1990, 974, 974.
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a) Deutsche öffentliche Gewalt Öffentliche Gewalt im Sinne des § 90 I BVerfGG ist grundsätzlich jede Maßnahme der deutschen Staatsgewalt.112 Hoheitliches Handeln eines fremden Staates kann nicht am Maßstab des Grundgesetzes gemessen werden.113 Fraglich ist die Tragweite dieser Feststellungen angesichts der innerstaatlichen Wirkung bestimmter Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaften.114 Wurde eine Verfassungsbeschwerde gegen Rechtsakte des Gemeinschaftsrechts zunächst für unzulässig gehalten, weil es sich bei der EG um eine gegenüber den Mitgliedstaaten selbständige öffentliche Gewalt handelt und ihre Hoheitsakte keine Akte deutscher öffentlicher Gewalt sind,115 hielt das BVerfG die Überprüfung europarechtlicher Vorschriften an den Grundrechten später für möglich, solange das Gemeinschaftsrecht keinen den Grundrechten des Grundgesetzes entsprechenden Grundrechtsschutz gewährleistet.116 Nachdem dieser Forderung durch die Fortentwicklung des europäischen Grundrechtsstandards in der Rechtsprechung des EuGH Rechnung getragen ist und Art 23 GG die Übertragung von Hoheitsrechten an die Europäische Union unter der Voraussetzung eines „im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutzes“ auf europarechtlicher Ebene ausdrücklich zulässt, nimmt das BVerfG eine Prüfung von Gemeinschaftsrecht am Maßstab des Grundgesetzes nicht mehr vor, solange der verfassungsrechtlich vorausgesetzte Grundrechtsschutz im Gemeinschaftsrecht generell gewährleistet ist.117 Verfassungsbeschwerden gegen Akte der Gemeinschaftsgewalt können danach nur noch zulässig sein, wenn der Bf hinreichend substantiiert darlegt, dass das europäische Recht den als unabdingbar anzusehenden Grundrechtsschutz in bestimmter Hinsicht generell verfehlt.118 Nicht ausreichend wäre demgegenüber die Behauptung, dass eine europarechtlich geregelte Maßnahme in einem konkreten Einzelfall grundrechtswidrig ist.119 Gleiches gilt, wenn sich der Bf gegen eine von deutschen Behörden in Vollzug des Gemeinschaftsrechts erlassene Maßnahme wendet. Ein mit der Verfassungsbeschwerde angreifbarer Akt öffentlicher Gewalt läge insoweit allerdings vor, wenn der Bf geltend macht, in der Art und Weise des Vollzugs liege eine selbständige, von der europarechtlichen Rechtslage unabhängige Grundrechtsverletzung.120
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b) Tun oder Unterlassen Öffentliche Gewalt wird durch aktives Tun oder durch Unterlassen ausgeübt. Die Verfassungsbeschwerde kann sich daher, wie sich aus § 95 I BVerfGG ergibt, auch gegen eine 112 BVerfGE 22, 293, 295; 1, 10, 10 f; Benda/Klein VerfPrR, Rn 470 ff; Spranger AöR 127 (2002), 27, 48 ff; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 213. 113 BVerfGE 57, 9, 23 f. 114 So gelten insbesondere Verordnungen der EG nach Art 249 II EGV (Art 288 II AEUV-E) unmittelbar und ohne nationalen Umsetzungsakt auch innerstaatlich. 115 BVerfGE 22, 293, 297; 58, 1, 27 ff. 116 BVerfGE 37, 271, 284 f (allerdings im Rahmen einer Normenkontrolle). 117 BVerfGE 73, 339, 387; 102, 147, 161 ff. Vgl zur Wirkung der Übertragung von Hoheitskompetenzen: Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 331 ff. 118 BVerfGE 89, 155, 174 f; zu Recht krit zu dieser Entscheidung Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 214, 358 ff mit ausführlicher Darstellung des Streitstandes. 119 BVerfGE 102, 147, 164. Kritisch dazu Spranger AöR 127 (2002), 27, 49 f, da auch ein einzelnes Fehlurteil des EuGH geeignet sein könne, den geforderten unabdingbaren Grundrechtsschutz zu unterminieren. 120 Vgl BVerfGE 73, 339, 387 f; Erichsen Jura 1991, 585, 587.
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Unterlassung richten.121 Nicht gemeint ist damit das sog unechte Unterlassen. Darum handelt es sich, wenn sich der Betroffene dagegen wendet, von einem Rechtsakt nicht oder nicht hinreichend berücksichtigt worden zu sein, etwa durch die Nichtgewährung der einem anderen Rechtssubjekt gewährten Begünstigung. Hier kann die Auswahl der Begünstigten – und damit positives Tun – als grundrechtswidrig gerügt werden.122 Echtes Unterlassen ist hingegen dadurch gekennzeichnet, dass die öffentliche Gewalt überhaupt nicht tätig wird. Nur in diesem Fall ist ein Unterlassen Gegenstand der Verfassungsbeschwerde. Die allgemeine Behauptung, ein Unterlassen sei verfassungswidrig und schädige den Bf, eröffnet die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde aber noch nicht.123 Echtes Unterlassen ist nur dann als Akt der öffentlichen Gewalt beschwerdefähig, wenn sich der Bf auf einen konkreten verfassungsrechtlichen Handlungsauftrag beruft. So kann sich der Betroffene etwa gegen ein Unterlassen der Exekutive wenden, wenn diese eine gesetzliche Leistungspflicht unter Verletzung von Art 3 I und 20 III GG missachtet.124 Auch gegen ein gesetzgeberisches Unterlassen kann die Verfassungsbeschwerde zulässig sein.125 Auch hierfür ist erforderlich, dass ein grundrechtlicher Handlungsauftrag besteht, der Inhalt und Umfang der gebotenen Maßnahmen im Wesentlichen bestimmt.126 Das ist etwa für Art 6 V GG 127 und Art 33 V GG 128 anerkannt. Handlungspflichten des Gesetzgebers können sich als Schutz- und Leistungspflichten aber auch aus den in den Grundrechten verkörperten Wertentscheidungen ergeben.129 Die Verfassungsbeschwerde kann sich dann gegen die gänzliche Untätigkeit des Gesetzgebers oder gegen offensichtlich ungeeignete oder völlig unzulängliche Maßnahmen richten.130 Sie kann aber auch darauf gestützt werden, dass der Gesetzgeber durch seine Untätigkeit die verfassungsrechtliche Pflicht zur Nachbesserung einer zunächst als verfassungskonform angesehenen Regelung verletzt,131 etwa weil sich ursprüngliche Einschätzungen oder Prognosen als unzutreffend erwiesen haben oder das Gesetz das erwartete und von der Verfassung geforderte Maß an Schutz nicht zu gewährleisten vermag.132
c) Legislative 52
Unter den Begriff der öffentlichen Gewalt fällt zum einen die Gesetzgebung.133 Bundesund Landesgesetze können zum Gegenstand der Verfassungsbeschwerde gemacht werden, 121 122 123 124 125 126 127 128 129
130 131 132 133
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Ruppert in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 90 Rn 54. Vgl BVerfGE 13, 284, 287; 29, 268, 273. BVerfGE 2, 287, 290. Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 207. Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 218 f, mit umfassenden Nachweisen zu einzelnen Gesetzgebungsaufträgen des GG. BVerfGE 6, 257, 264 f; 11, 255, 261 f; 12, 139, 142; 23, 242, 249; 56, 54, 70. BVerfGE 8, 210, 126 f; 25, 167, 173 ff. BVerfGE 15, 167, 195 f; vgl auch die weiteren Nachweise bei Benda/Klein VerfPrR, Rn 496. Vgl BVerfGE 39, 1, 41 ff; 49, 89, 14 f; 56, 54, 78 ff; 77, 170, 214 ff; 79, 174, 201 f; 88, 203, 251 ff. Zur Problematik der Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden bei Verletzung verfassungsrechtlicher Schutzpflichten durch den Gesetzgeber vgl Möstl DÖV 1998, 1029, 1030 ff. Vgl BVerfGE 77, 170, 214 ff. BVerfGE 56, 54, 70 ff. Vgl BVerfGE 88, 203, 309 ff. StRspr seit BVerfGE 1, 97, 101; vgl auch BVerfGE 12, 354, 361; 70, 35, 49; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 208. Vgl zu Sonderproblemen der Rechtssatzverfassungsbeschwerde Weber JuS 1995, 114 ff.
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sobald sie verkündet sind. Ihr Inkrafttreten ist nicht erforderlich. Vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens liegt hingegen noch kein angreifbarer Akt öffentlicher Gewalt vor. Andernfalls könnte das dem Rechtsschutz gewidmete Beschwerdeverfahren zur Einflussnahme auf den parlamentarischen Entscheidungsprozess missbraucht werden.134 Lediglich die sog Vertragsgesetze, mit denen Bundestag und Bundesrat gem Art 59 II GG ihre Zustimmung zu völkerrechtlichen Verträgen erteilen, können vor ihrer Verkündung durch den Bundespräsidenten Gegenstand eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens sein, um das Eintreten völkerrechtlicher Verbindlichkeit zu verhindern.135 Keinen Akt der Rechtssetzung stellt die (Neu)Bekanntmachung einer Regelung dar, wenn und soweit dabei Vorschriften inhaltlich unverändert erneut in den Willen des Gesetzgebers aufgenommen werden.136
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d) Exekutive Um Akte der vollziehenden Gewalt handelt es sich bei Maßnahmen der Regierung und Verwaltung von Bund und Ländern sowie der verselbständigten Verwaltungsträger wie Gemeinden, berufsständische Kammern, Rundfunkanstalten oder Beliehenen. Deshalb stellen neben Rechtsverordnungen der Regierung auch Satzungen öffentlich-rechtlicher Körperschaften beschwerdefähige Akte der Exekutive dar.137 Auf die gewählte Handlungsform kommt es nicht an, so dass auch der privatrechtlich handelnde Staat öffentliche Gewalt iSd. § 90 I BVerfGG ausübt.138 Auch die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen nach § 4 TVG ist mit der Verfassungsbeschwerde angreifbar.139 Das BVerfG hält Maßnahmen der Exekutive allerdings nur für beschwerdefähig, wenn ihnen ein Entscheidungs- oder Regelungsgehalt und Außenwirkung zukommt.140 Unverbindliche Regelungen ohne Rechtswirkung außerhalb des Behördenaufbaus sollen keinen Akt öffentlicher Gewalt iSd § 90 BVerfGG darstellen.141 Das gilt etwa für behördeninterne Erlasse und Schreiben,142 allgemeine Verwaltungsvorschriften und Richtlinien,143 mündliche Mitteilungen, die keine auf einen rechtlichen Erfolg zielenden Anordnungen enthalten,144 sowie bloße Hinweise auf die Rechtslage.145 Indes wird öffentliche Gewalt nicht nur durch Maßnahmen ausgeübt, die auf die Setzung einer Rechtsfolge gerichtet sind, sondern auch durch solche, die auf die Herbeiführung eines tatsächlichen Erfolgs
134 Benda/Klein VerfPrR, Rn 487. 135 BVerfGE 1, 396, 410 ff; Benda/Klein VerfPrR, Rn 489; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 209. 136 BVerfGE 43, 108, 115 f; 17, 364, 368 f; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 209. 137 Vgl die umfassenden Nachweise bei Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 188; Benda/Klein VerfPrR, Rn 502. 138 Erichsen Jura 1991, 585, 588. 139 BVerfGE 44, 322, 341, 347; 55, 7, 21; Benda/Klein VerfPrR, Rn 504 ff. 140 BVerfGE 33, 18, 20 f; Benda/Klein VerfPrR, Rn 518 f. 141 BVerfGE 33, 18, 20 f. 142 BVerfGE 33, 18, 20 f. 143 BVerfGE 2, 237, 242 f; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 192; Ruppert in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 90 Rn 54; Benda/Klein VerfPrR, Rn 503. 144 BVerfGE 15, 256, 263. 145 BVerfGE 16, 89, 93.
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zielen.146 Kommt ihnen keine Außenwirkung zu, wird es allerdings meist an der sogleich zu erörternden Beschwerdebefugnis fehlen.147 Zweifelhaft ist, ob es sich bei Gnadenentscheidungen des Bundespräsidenten nach Art 60 II GG bzw der Ministerpräsidenten der Länder um die Ausübung öffentlicher Gewalt iSd § 90 I BVerfGG handelt. Das BVerfG spricht hier von „Gestaltungsmacht besonderer Art“, die nicht zum Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde gemacht werden könne,148 da es sich bei der Gnadenfunktion um eine rechtlich gerade nicht überprüfbare Entscheidung („Gnade vor Recht“) handele.149 Diesem Verständnis des Gnadenrechts stehen aber Art 1 III und Art 20 II GG entgegen, wonach alle Staatsgewalt an die Grundrechte gebunden ist. Auch die Gnadenentscheidung ist Ausübung von Hoheitsgewalt und darf zumindest nicht willkürfrei getroffen werden. Die Entscheidung über das Gnadenrecht mag keine in vollem Umfang rechtlich gebundene Entscheidung sein, sie ist aber ein durch das Grundgesetz reglementierter, grundrechtlich relevanter und deshalb auch einer Verfassungsbeschwerde zugänglicher Akt öffentlicher Gewalt.150 Verfassungsbeschwerden gegen Verwaltungsmaßnahmen sind, wie noch zu erörtern ist,151 erst nach Erschöpfung des Rechtswegs zulässig. Verfahrensgegenstand sind dann sowohl die Maßnahme der Exekutive als auch die sie bestätigenden gerichtlichen Entscheidungen.152
e) Judikative 58
Anders als bei Art 19 IV GG fällt unter den Begriff der öffentlichen Gewalt in § 90 I BVerfGG, Art 93 I Nr 4a GG auch die Rechtsprechung. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde kann daher generell jede gerichtliche Entscheidung sein.153 Dies gilt grundsätzlich auch für die ein Verfahren nicht abschließenden Zwischenentscheidungen wie zB Durchsuchungsoder Haftbefehle, bei denen es aber wegen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde vielfach an einer weiteren Sachentscheidungsvoraussetzung fehlt.154 Auch freisprechende Urteile können durch die Art ihrer Begründung Grundrechte verletzen und damit eine verfassungsrechtliche Beschwer enthalten.155 Soweit es sich bei der Äußerung eines Gerichts nur um einen ergänzenden Hinweis zur Rechtslage und nicht um einen die Entscheidung tragenden Grund handelt (obiter dictum), kann daraus keine verfassungsrechtliche Beschwer hergeleitet werden.156 Wird mit einer Urteilsverfassungsbeschwerde mittelbar eine gesetzliche Vorschrift angegriffen, kann diese Bestimmung nur insoweit Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sein, als sie Grundlage des angegriffenen Urteils ist.157 146 147 148 149 150
151 152 153 154 155 156 157
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Erichsen Jura 1991, 585, 588. Erichsen Jura 1991, 585, 588. BVerfGE 25, 352, 358 ff, 360 f; 30, 108, 110. Benda/Klein VerfPrR, Rn 521. Vgl BVerfGE 25, 352, 363 ff; ebenso Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 205, der zumindest bei einer Verrechtlichung von Gnadenentscheidungen in einem durch eine Gnadenordnung normierten Verfahren von der verfassungsgerichtlichen Nachprüfbarkeit ausgeht. Zur Sachentscheidungsvoraussetzung der Rechtswegerschöpfung unten B.7.a). Vgl BVerfGE 84, 1, 3; 20, 257, 267; 6, 386, 387; 3, 377, 379; Benda/Klein VerfPrR, Rn 515. Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 233. Ruppert in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG § 90 Rn 56; vgl dazu näher unten B.7.b). BVerfGE 28, 151, 159; 6, 7, 9. Vgl BVerfGE 80, 137, 149. BVerfGE 80, 137, 149 f, „mittelbare Gesetzesverfassungsbeschwerde“.
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Entscheidungen des BVerfG selbst sind im Wege der Verfassungsbeschwerde nicht angreifbar158. Allerdings besteht in Fällen groben prozessualen Unrechts die Möglichkeit einer Gegenvorstellung beim BVerfG gegen dessen eigene Entscheidung.159 Auch eine Entscheidung des Gerichts, die nach § 31 II BVerfGG Gesetzeskraft besitzt (→ Rn 195 f), wird dadurch nicht zu einem mit der Verfassungsbeschwerde angreifbaren Gesetz.160 Die Entscheidung des einen Senats ist für den anderen unüberprüfbar, weil jeder Senat für sich „das Bundesverfassungsgericht“ darstellt.161 Gleiches gilt für die Kammern des Gerichts, gegen deren Entscheidung es keinen Rechtsbehelf an den Senat gibt.162 Zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ordnet § 16 I BVerfGG die Entscheidung des Plenums an, wenn ein Senat von der in einer Entscheidung des anderen Senats enthaltenen Rechtsauffassung abweichen will.163 Das Plenum stellt für den Rechtssuchenden selbst jedoch keine weitere, über den Senaten stehende Instanz dar.164
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Lösung Fall 7: Fraglich ist, ob es sich bei dem Schreiben der Rechtsanwaltskammer um einen Akt öffentlicher Gewalt handelt. Der Anwaltskammer ist die Überwachung der Einhaltung standesrechtlicher Berufsausübungsregelungen übertragen. Sie ist dazu gem § 62 BRAO als öffentlich-rechtliche Körperschaft organisiert. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts übt die Anwaltskammer öffentliche Gewalt aus und ist durch Art 1 III GG verpflichtet, die Grundrechte zu beachten.165
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Lösung Fall 8: Eine Verfassungsbeschwerde wäre nur zulässig, wenn der Bf darlegen kann, dass ein dem Grundrechtsschutz des Grundgesetzes im wesentlichen gleichzuachtender Grundrechtsstandard durch den EuGH generell (und nicht nur im Einzelfall) nicht mehr gewährleistet ist. Da dies derzeit nicht der Fall ist, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig.166
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Lösung Fall 9: Da es sich bei dem Haftbefehlsantrag lediglich um einen vorbereitenden Antrag der Staatsanwaltschaft handelt, über den erst noch der zuständige Haftrichter entscheiden muss, geht von dem Antrag selbst noch keine selbständige Beschwer aus, so dass eine Verfassungsbeschwerde unzulässig ist.167
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Lösung Fall 10: Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gegen ein gesetzgeberisches Unterlassen setzt voraus, dass sich B auf einen konkreten verfassungsrechtlichen Handlungsauftrag beruft. Ein solcher kann sich hier aus der aus Art 2 II GG hergeleiteten
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158 159 160 161 162 163 164 165 166 167
BVerfGE 19, 88, 90; Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 I Nr 4a Rn 175. BVerfGE 72, 84, 88. BVerfGE 9, 89, 90; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 243. BVerfGE 7, 17, 18. Vgl BVerfGE 19, 88, 90; 7, 241, 243; 18, 440, 440 f; alle noch zu den Vorprüfungsausschüssen als Vorgänger der Kammern; Pestalozza VerfPrR, § 20 Rn 52. Vgl dazu den gerichtsinternen Konflikt in: BVerfGE 96, 375, 403 ff und BVerfGE 96, 409 ff. BVerfGE 1, 89, 91. Vgl BVerfGE 50, 16, 24 ff. Zur mittelbaren Staatsverwaltung durch verselbständigte Körperschaften des Öffentlichen Rechts vgl Stern Staatsrecht III/1, 1333 ff. Vgl BVerfGE 102, 147, 164. Vgl BVerfGE 20, 162, 172.
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Schutzpflicht für Leben und Gesundheit ergeben, die den staatlichen Organen auferlegt, sich schützend und fördernd vor die genannten Rechtsgüter zu stellen und sie vor rechtswidrigen Eingriffen anderer zu bewahren.168 Allein die allgemeine Behauptung unzureichender Vorkehrungen zur Gesundheitsvorsorge kann für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde aber nicht genügen, hängt doch die Entscheidung, ob und in welcher Form Schutz zu gewähren ist, von vielen Erwägungen ab, die sich der Nachprüfung im allgemeinen meinen entziehen.169 Angesichts des weiten Gestaltungsspielraumes, der dem Gesetzgeber bei der Umsetzung grundrechtlicher Schutzpflichten zusteht, bedarf es besonderer Umstände, aus denen sich ergiebt, dass sich der allgemeine Schutzauftrag der Grundrechte zu einer konkreten Handlungspflicht des Gesetzgebers verdichtet hat. B muss daher nicht nur darlegen, dass die Belästigungen durch Raucher in Gaststätten und öffentlichen Räumen ein Niveau erreicht haben, die eine konkrete Gesundheitsgefährdung nicht ausschließen, sondern auch, dass der Gesetzgeber zur Erfüllung der Schutzpflicht entweder völlig untätig geblieben ist, oder die getroffenen Maßnahmen zur Erreichung des Schutzziels offensichtlich ungeeignet bzw unzulänglich sind. Werden diese hohen Anforderungen nicht erfüllt, ist die Verfassungsbeschwerde gegen gesetzgeberisches Unterlassen unzulässig.170
6. Beschwerdebefugnis 64
Fall 11: H war bei der K-GmbH als Handelsvertreter beschäftigt. In dem Handelsvertretervertrag war vereinbart, dass er bei Vertragsbeendigung aus von ihm verschuldetem wichtigem Grund jede Tätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen zu unterlassen habe und ihm wegen des Wettbewerbsverbots keine Entschädigung gezahlt werden müsse. Nachdem H während der Laufzeit des Vertrages vertragswidrig für ein Konkurrenzunternehmen tätig wurde, kündigte ihm die K-GmbH und verklagte ihn auf Einhaltung des Wettbewerbsverbotes. Gegen die der Klage stattgebende letztinstanzliche Entscheidung legte H Verfassungsbeschwerde ein.
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Fall 12: Durch Änderung des Einkommensteuergesetzes wird die Abzugsfähigkeit von Parteispenden von derzeit 10.000 € auf bis zu 50.000 € erhöht und auch die Abzugsfähigkeit von Firmenspenden eingeführt. Partei X, die nur wenig Spenden von Firmen bekommt, sieht dadurch ihre Chancengleichheit verletzt. Kann sie gegen die Gesetzesänderung Verfassungsbeschwerde erheben?
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Fall 13: In einem an den Mandanten des Anwalts B gerichteten gerichtlichen Beschluss wird B als Verteidiger in einem Strafprozess ausgeschlossen. B sieht darin eine Verletzung seiner Berufsfreiheit und wendet sich an das BVerfG.
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Fall 14: Die Verwertungsgesellschaft für die Wahrnehmung urheberrechtlicher Rechte von Bildjournalisten (VG Bild) klagt gegen einige freiberufliche Ärzte wegen des Auslegens von Fotojournalen und Zeitschriften in ihren Wartezimmern auf Zahlung einer Vergütung gem § 27 I UrhG. Nach letztinstanzlicher Klageabweisung erhebt sie unter Berufung auf Art 14 I GG Verfassungsbeschwerde. 168 Vgl BVerfGE 39, 1, 42; 88, 203, 251. 169 BVerfGE 56, 54, 70 f. 170 Vgl BVerfGE 77, 170, 214 ff; 56, 54, 70 ff.
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Fall 15: Durch Gesetz wird die Zulassung für Rechtsanwälte neu geregelt. Assessoren müssen nunmehr zunächst drei Jahre als angestellte Anwälte gearbeitet haben, bevor sie sich selbständig niederlassen dürfen. Rechtsreferendar B, der vorhat, sich später als Rechtsanwalt niederzulassen, sieht seine Berufsfreiheit verletzt und möchte gegen die Regelung Verfassungsbeschwerde erheben.
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Fall 16: Durch Änderung des EStG wird die Abschreibungsfähigkeit von Ausgaben für Neubauwohnungen beschränkt. B, der gerade einen Wohnungskaufvertrag abgeschlossen hat, hält dies für verfassungswidrig und möchte hiergegen Verfassungsbeschwerde erheben.
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a) Möglichkeit der Grundrechtsverletzung Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde setzt die substantiierte Behauptung des Bf voraus, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder einem seiner sonstigen in § 90 I BVerfGG genannten Rechte verletzt zu sein.171 Die zumindest sinngemäße Bezeichnung des angeblich verletzten Rechts ist eines der Mindesterfordernisse einer zulässigen Verfassungsbeschwerde (→ Rn 10) Damit allein ist der dem Bf in § 90 I BVerfGG auferlegten Behauptungslast aber nicht genügt. Aus dem Sachvortrag des Bf muss sich ferner mit hinreichender Deutlichkeit ergeben, dass die Verletzung des Grundrechts, auf das er sich beruft, durch die angegriffene Maßnahme wenigstens möglich erscheint.172 Es darf also nicht ausgeschlossen erscheinen, dass – die angegriffene Maßnahme den grundrechtlichen Schutzbereich nachteilig berührt, – es sich um eine grundrechtlich relevante Beeinträchtigung handelt und – diese Beeinträchtigung verfassungswidrig ist. Dies ist etwa nicht der Fall, wenn der Bf nicht Träger des geltend gemachten Grundrechts sein kann, dieses nach seinem Sachvortrag nicht einschlägig ist oder kein Anhaltspunkt für einen Verfassungsverstoß besteht. Die Prüfung der Beschwerdebefugnis verlangt daher insbesondere eine Definition und Subsumtion des von der fraglichen Grundrechtsnorm erfassten Schutzgutes. Sie erfordert überdies die Prüfung, ob die angegriffene Maßnahme öffentlicher Gewalt überhaupt geeignet ist, die Rechtsposition des Bf zu seinem Nachteil zu verändern.173 Bei nur mittelbaren Freiheitsbeeinträchtigungen, etwa durch staatliches Informationshandeln, ist zu fragen, ob das Grundrecht nach seinem Regelungszweck überhaupt den Schutz vor solcherart bewirkten Einbußen umfasst.174 Bei einer zivilgerichtlichen Entscheidung ist zu prüfen, ob die bei der Entscheidung eines zivilrechtlichen Rechtsstreits zu beachtende Ausstrahlungswirkung der Grundrechte verkannt sein kann.175
171 BVerfGE 49, 1, 8; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 215. 172 BVerfGE 80, 137, 150. 173 Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 227; daran fehlt es etwa, wenn die Maßnahme keine Außenwirkung hat, wie dies für unverbindliche Meinungsäußerungen, Verwaltungsvorschriften und innerdienstliche Weisungen gilt; vgl Erichsen Jura 1991, 638, 639. 174 Im Rahmen der Beschwerdebefugnis genügt hierbei regelmäßig die Feststellung, dass sich das geltend gemachte Grundrecht nicht nur gegen unmittelbar rechtliche, sondern grundsätzlich auch gegen mittelbar-faktische Beeinträchtigungen der individuellen Freiheitsbetätigung wendet. 175 StRspr seit BVerfGE 7, 198, 204 ff; aus neuerer Zeit: BVerfGE 81, 242, 253 ff; 89, 214, 229 f; vgl zur Problematik Bäuerle Vertragsfreiheit und Grundgesetz, 2001.
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Die im Rahmen der Beschwerdebefugnis anzustellenden Überlegungen überschneiden sich insoweit mit denen zur Begründetheitsprüfung.176 Für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde genügt indes die Feststellung, dass die Möglichkeit der Grundrechtsverletzung nicht ausgeschlossen ist. Im Rahmen der Beschwerdebefugnis muss jedes geltend gemachte Grundrecht oder grundrechtsgleiche Recht geprüft und die Zulässigkeit der Rüge festgestellt werden.177 Soweit die Behauptung einer Grundrechtsverletzung die Beschwerdebefugnis nicht begründet, darf das betreffende Grundrecht nicht zum Gegenstand der Begründetheitsprüfung gemacht werden (→ Rn 117 f).178 Wenn aufgrund des Sachvortrags die Möglichkeit der Verletzung des Schutzbereichs eines speziellen Freiheitsrechts ausgeschlossen erscheint, kann zur Begründung der Beschwerdebefugnis auf Art 2 I GG zurückgegriffen werden. Die heute herrschende Meinung versteht Art 2 I GG als allgemeine Handlungsfreiheit und damit als umfassendes, allerdings nur subsidiär anwendbares Freiheitsrecht.179 Daraus wurde in der Literatur – in Anknüpfung an eine missverständliche Äußerung des BVerfG 180 – teilweise gefolgert, Art 2 I GG begründe eine allgemeine „Freiheit von ungesetzlichen Nachteilen“ und sei als umfassende Subjektivierung des in Art 20 III GG enthaltenen Gesetzmäßigkeitsprinzips zu verstehen.181 Danach würde bereits das Vorbringen einer dem Staat zurechenbaren rechtswidrigen Belastung des Bf in eigenen Interessen die Beschwerdebefugnis aus Art 2 I GG begründen.182 Wäre diesem Grundrecht ein allgemeiner Anspruch auf Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns zu entnehmen, käme allerdings jeder einfache Gesetzesverstoß als Gegenstand einer Grundrechtsrüge in Betracht und würde die von Art 19 IV GG vorgezeichnete und im materiellen öffentlichen Recht wie im Prozessrecht ausgeprägte Unterscheidung von objektivem Rechtsverstoß und subjektiver Rechtsverletzung überspielt. Zwar ist die Gesetzmäßigkeit der Maßnahme eine der Voraussetzungen für die Verfassungsmäßigkeit einer Grundrechtsbeeinträchtigung (→ Rn 120 f). Stets muss aber die
176 Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 218; näher zu den Voraussetzungen einer Grundrechtsverletzung deshalb unten C.IV. 177 So zB BVerfGE 80, 137, 150: „Die einzelnen mit der Verfassungsbeschwerde erhobenen verfassungsrechtlichen Rügen sind […] nur zum Teil zulässig.“ 178 Das schließt nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht aus, die Begründetheit einer zulässigen Verfassungsbeschwerde auf andere Gesichtpunkte als die gerügten Grundrechtsverletzungen zu stützen. Das BVerfG nimmt für sich die Befugnis in Anspruch, die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit der angegriffenen Norm von Amts wegen „unter jedem in Betracht kommenden verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt“ zu prüfen. Vgl BVerfGE 42, 312, 325 f; 53, 366, 390; 54, 53, 67; 57, 220, 241; 70, 138, 162; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 224; Benda/Klein VerfPrR, Rn 646 ff; Seegmüller DVBl 1999, 78, 742. 179 Vgl BVerfGE 6, 32, 36 f; 54, 143, 144; 59, 275, 278 f; 80, 137, 152; 97, 332, 340 f; Degenhart JuS 1990, 161, 162 f; Höfling in: Friauf/Höfling (Hrsg), GG, 20. Lfg 2007, Art 2 Rn 53 ff; Dreier in: ders, Bd 1 GG, Art 2 I Rn 27; Pieroth AöR 115 (1990), 33 ff; dagegen: Hesse Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl 1999, Rn 428; Sondervotum Grimm zu BVerfGE 80, 137, 168 ff; kritisch auch Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 220. 180 Art 2 I GG umfasse den grundrechtlichen Anspruch, nicht „mit einem Nachteil belastet zu werden, der nicht in der verfassungsmäßigen Ordnung begründet ist.“ Vgl BVerfGE 19, 206, 215; 29, 402, 408. 181 Bernhardt JZ 1963, 302, 306; Zuleeg DVBl 1976, 509, 514; Lipphardt EuGRZ 1986, 149, 161; vgl dagegen BVerwGE 54, 211, 221. 182 Krit dazu bereits Scherzberg Grundrechtsschutz und „Eingriffsintensität“, 1989, 146 ff; Kahl AöR 131 (2006), 579, 611 ff.
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weitere Voraussetzung dargetan sein, dass es sich um eine vom Schutzzweck des Grundrechts umfasste und daher „grundrechtsrelevante“ Beeinträchtigung handelt. Bei der allgemeinen Handlungsfreiheit kommt dafür, wie bei den übrigen Freiheitsrechten, jede unmittelbare Minderung der Handlungsfreiheit durch Befehl oder Zwang oder eine mittelbar-faktische Beeinträchtigung in Betracht, die ein funktionales Äquivalent zur unmittelbaren Rechtsminderung darstellt (dazu allgemein → Rn 138).183
b) Art der Betroffenheit Nicht jede grundrechtliche Beschwer eröffnet allerdings die Verfassungsbeschwerde. Deren Zulässigkeit setzt vielmehr voraus, dass die angegriffene Maßnahme den Bf selbst, gegenwärtig und unmittelbar betrifft.184 Diese ursprünglich nur für Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze verwendete Formel hat sich in der Rechtsprechung des BVerfG inzwischen als Zulässigkeitsvoraussetzung jeder Verfassungsbeschwerde etabliert.185
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(1) Selbst betroffen Der Wortlaut des § 90 I BVerfGG verlangt, dass der Bf behaupten kann, in einem seiner Rechte verletzt zu sein. Dies erfordert, dass der Bf durch den angegriffenen Hoheitsakt selbst betroffen ist, und unterscheidet die Verfassungsbeschwerde des GG von der Popularklage und der abstrakten Normenkontrolle.186 Nicht ausreichend ist also die Behauptung einer Verletzung fremder Rechte, unabhängig davon, ob der Bf berechtigt ist, diese im eigenen Namen geltend zu machen.187 Im Verfassungsbeschwerdeverfahren gibt es grundsätzlich keine Prozessstandschaft.188 Ausnahmen bestehen nur für die „Partei kraft Amtes“ 189 und für vergleichbare Fälle, in denen sich der materiell Berechtigte zur Wahrnehmung seiner Rechte aufgrund gesetzlicher Vorschriften eines Dritten bedienen muss.190 Auch Erben und Sonderrechtsnachfolger können das Verfahren fortführen oder einleiten, soweit es nicht um höchstpersönliche Rechte geht. Eine Fortführungsmöglichkeit liegt regelmäßig bei finanziellen Ansprüchen vor, die auch in der Person des Erben grundsätzlich geschützt sind.191 Bei einer Verfassungsbeschwerde gegen eine Norm liegt Selbst-
183 Zu Art 2 I GG näher Erichsen in: Isensee/Kirchhof (Hrsg), HbStR VI, § 152 Rn 80 f; Pieroth/ Schlink Grundrechte, Rn 380. 184 StRspr seit BVerfGE 1, 97, 101 ff; aus neuerer Zeit vgl BVerfGE 97, 157, 164. Teilweise werden einige dieser Kriterien in der Literatur zwar dem Rechtsschutzbedürfnis bzw der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde zugeordnet, vgl Ruppert/Sperlich in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGE § 90 Rn 72 ff, 90 ff, 131 ff; Spranger AöR 127 (2002), 27, 53; zur dogmatischen Einordnung Weber JuS 1995, 114, 118 f. 185 Näher Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 231; Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 I Nr 4a Rn 178. 186 BVerfGE 1, 97, 101 f; 13, 1, 9. 187 Erichsen Jura 1991, 638, 639; Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 I Nr 4a Rn 183. 188 Vgl Ruppert in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG § 90 Rn 82 f; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 233. 189 Etwa den Vermögensverwalter im Rahmen einer Gesamtvollstreckung, vgl BVerfGE 95, 267, 299; 65, 182, 190; 51, 405, 409. 190 Etwa die obligatorische Einschaltung zum Geltendmachen von Ansprüchen durch eine Verwertungsgesellschaft gem §§ 27 III, 49 I 3, 54 h UrhG; vgl BVerfGE 77, 263, 269; 79, 1, 19. 191 BVerfGE 11, 191, 211; 12, 331, 315; 93, 165, 170.
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betroffenheit vor, wenn der Bf Adressat der angegriffenen Norm 192 oder von ihr mittelbar betroffen ist. Entgegen der früheren Rspr des BVerfG ist es dafür unerheblich, ob diese Betroffenheit eine unbeabsichtigte Reflexwirkung darstellt oder sie nach Bedeutung und Zielrichtung der Norm gerade ihm gegenüber beabsichtigt war (→ Rn 139 ff).193 Gleichermaßen kann eine Gerichtsentscheidung auch andere als die Parteien und eine Verwaltungsmaßnahme andere als ihre Adressaten in Grundrechten beeinträchtigen.194 Rügt der Bf, eine Norm würde zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung führen, ist seine Betroffenheit nicht schon durch den Hinweis auf die Besserstellung eines Dritten in vergleichbarer Lage dargetan. Vielmehr muss der Bf vortragen, dass er durch die Nichtigerklärung der Norm eine Besserstellung erfahren würde, die über die Beseitigung der Begünstigung Dritter hinausgeht. Ihn müssen die Regelungswirkungen des beanstandeten Gesetzes also gerade auch „selbst“ nachteilig betreffen.195 Das ist zB bei einer einen Konkurrenten begünstigenden und zugleich den Bf benachteiligenden wettbewerbsbeeinflussenden Regelung der Fall.196
(2) Gegenwärtig betroffen 77
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Mit der Gegenwärtigkeit der Betroffenheit wird danach gefragt, ob der Bf zu dem Zeitpunkt betroffen ist, in dem die Verfassungsbeschwerde erhoben wird. Dies ist nicht der Fall, wenn er nicht mehr beschwert ist, weil sich sein Begehren erledigt hat, oder wenn die Beschwer noch nicht aktuell ist, weil sie erst irgendwann einmal in Zukunft eintritt.197 Von einer Norm gegenwärtig betroffen ist ein Bf nur, wenn ihn ihre Wirkungen aktuell und nicht nur potentiell treffen.198 Das ist auch der Fall, wenn das Gesetz die Normadressaten mit Blick auf künftig eintretende Wirkungen bereits jetzt zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen zwingt 199 oder wenn bereits zum Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde sicher abzusehen ist, dass und auf welche konkrete Weise der Bf in der Zukunft von der Regelung betroffen sein wird.200 Sog „Grundrechtsgefährdungen“, bei denen lediglich eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt einer künftigen Grundrechtsverletzung besteht, begründen die Beschwerdebefugnis, wenn das Wahrscheinlichkeitsurteil auf einer hinreichend sicheren theoretischen oder empirischen Grundlage beruht und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein weiteres Zuwarten die Verhinderung des Schadeneintritts erschwert.201 Eine gerichtliche Entscheidung trifft den Bf gegenwärtig, wenn sie zu einem aktuellen Eingriff in seine Rechtssphäre führt. Provoziert jedoch der Bf in einem Verwaltungs- oder gerichtlichen Verfahren eine (ablehnende) Entscheidung über eine ihn erst irgendwann
192 BVerfGE 97, 157, 164. 193 Richtigerweise kommt diese Unterscheidung erst bei der Prüfung der Grundrechtsrelevanz der Beeinträchtigung zum Tragen; aA offenbar BVerfGE 6, 273, 277 f; 34, 338, 340. 194 Vgl BVerfGE 15, 283, 286; 22, 114, 118; 76, 1, 37. 195 BVerfGE 49, 1, 8 f. 196 BVerfGE 18, 1. 197 Ruppert in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG § 90 Rn 98; Benda/Klein VerfPrR, Rn 558. 198 BVerfGE 1, 97, 102; 72, 1, 5. 199 Vgl BVerfGE 45, 104, 118; 58, 81, 107. 200 BVerfGE 97, 157, 164; 74, 297, 320; 58, 81, 107; 45, 104, 118; vgl auch BVerfGE 60, 360, 372; 65, 1, 37; 75, 246, 263. 201 BVerfGE 51, 324, 347.
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zukünftig betreffende Regelung, um die Norm im Instanzenzug auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen, fehlt es an der gegenwärtigen Betroffenheit.202 Unselbständige Zwischenentscheidungen wie zB die Ablehnung eines Beweisantrages treffen den Bf nicht gegenwärtig, weil sie ihre Wirkungen nicht aktuell, sondern erst vermittelt durch die Endentscheidung entfalten. Anderes gilt für Entscheidungen in selbständigen Zwischenverfahren, die über eine das weitere Verfahren wesentliche Rechtsfrage abschließend befinden und im weiteren Rechtszug nicht mehr nachgeprüft werden können, wie dies bei der Entscheidung über die Ablehnung von Richtern wegen Befangenheit der Fall ist.203
(3) Unmittelbar betroffen Das Merkmal der Unmittelbarkeit der Betroffenheit ist von praktischer Bedeutung nur bei Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze oder sonstige Rechtsnormen.204 Hier steht dem Bürger regelmäßig Rechtsschutz gegen Umsetzungs- und Ausführungsakte zur Verfügung, in dessen Rahmen auch das Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüft werden kann. Eines Rechtsschutzes unmittelbar gegen das Gesetz bedarf es nur in Fällen der unmittelbaren Betroffenheit. Diese liegt vor, wenn die angegriffene Vorschrift die Rechtsstellung des Bf ohne weiteren Vollzugsakt verändert.205 Das ist nur ausnahmsweise der Fall, etwa bei der gesetzlichen Festlegung einer Steuerschuld oder bei dem Verbot, einen Beruf künftig ohne Zulassung auszuüben.206 Ist ein Vollzugsakt nötig, so muss er zunächst abgewartet und muss sodann gegen diesen vorgegangen werden.207 Anderes gilt, wenn andernfalls die Effektivität des verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes für den Bf unzumutbar herabgesetzt würde. Eine ausreichende unmittelbare Betroffenheit kann deshalb auch vor Erlass eines Vollzugsaktes gegeben sein, wenn die Norm den späteren Vollzug bereits bis in die Einzelheiten festlegt,208 oder sie ihren Adressaten bereits vor dem Vollzug zu später nicht mehr korrigierbaren Dispositionen veranlasst.209 Eine unmittelbare Betroffenheit ist schließlich auch dann zu bejahen, wenn es dem Bf faktisch unmöglich ist, von dem bevorstehenden Vollzugsakt zu erfahren. Dies ist typischerweise bei geheimen Datenerhebungen oder verdeckten Ermittlungsmaßnahmen der Fall. Dabei kommt es nicht darauf an, ob nach der jeweils einschlägigen gesetzlichen Regelung eine nachträgliche Bekanntgabe vorgesehen ist, wenn von ihr aber aufgrund weit reichender Ausnahmetatbestände langfristig abgesehen werden kann.210 In Privatrechtsbeziehungen liegt sie vor, wenn sich die Änderung der Rechtslage unmittelbar auf die Rechtsbeziehungen der Beteiligten auswirkt.211 Systemwidrig hat das BVerfG die Verfassungsbeschwerde gegen das Volkszählungsgesetz vor
202 203 204 205 206 207 208 209 210 211
BVerfGE 72, 1, 5 ff. BVerfGE 24, 56, 60 f; Sperlich in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG § 90 Rn 136. Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 238; Spranger AöR 127 (2002), 27, 53; Weber JuS 1995, 114, 116. BVerfGE 97, 157, 164; 68, 319, 325; 68, 143, 150; 65, 1, 37; vgl auch die Beispiele bei Ruppert in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG § 90 Rn 78. BVerfGE 31, 314, 322 f; 46, 120, 135. Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 238. Vgl BVerfGE 70, 35, 50 ff. Allerdings scheitert dann die Zulässigkeit regelmäßig an der fehlenden Erschöpfung des Rechtsweges, ebd 53 ff. BVerfGE 90, 128, 136; 75, 246, 263; 70, 35, 50 ff. BVerfGE 30, 1, 16 f; 109, 276, 306 f; 113, 348, 362; Klein/Sennenkamp NJW 2007, 945, 949. BVerfGE 97, 157, 164, mwN; 68, 319, 325.
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dessen Vollziehung für zulässig erachtet, weil hierbei innerhalb eines kurzen Zeitraums mit einer Vielzahl von Ausführungsakten und einer großen Zahl dazu ergehender, sich möglicherweise widersprechender gerichtlicher Eilentscheidungen zu rechnen war und dies zu großer Rechtsunsicherheit hätte führen können.212 81
Lösung Fall 11: Es ist fraglich, ob die Grundrechte des H durch die Entscheidung des Zivilgerichts überhaupt verletzt werden konnten. Das Zivilgericht hat das zwischen den Parteien geltende Recht anzuwenden. Seine Grundrechtsbindung aus Art 1 III GG kann deshalb nicht weiter reichen als die Grundrechtsbindung der sich im Zivilprozess gegenüberstehenden Parteien. Die Verletzung eines Grundrechts des H kommt deshalb nur in Betracht, soweit dessen Grundrechte im Rechtsstreit mit der K-GmbH beachtlich sind. Grundrechte sind nach heute fast einhelliger Meinung in privaten Rechtsverhältnissen nicht unmittelbar anwendbar. Sie stellen allerdings nicht nur Abwehrrechte gegenüber staatlichen Eingriffen dar, sondern wirken als „objektive Wertentscheidungen“ auch auf die zwischen Privatpersonen bestehenden Rechtsbeziehungen ein. Sie sind deshalb „mittelbar“, dh über die Auslegung und Anwendung der einschlägigen zivilrechtlichen Normen, auch im zivilgerichtlichen Rechtsstreit zu beachten. Auch die Verkennung dieser Ausstrahlungswirkung auf das einfache Recht kann eine Verletzung des Grundrechts des Betroffenen begründen, so dass auch eine zivilgerichtliche Entscheidung als Akt der rechtsprechenden Gewalt insoweit verfassungsgerichtlicher Überprüfung unterliegen muss.213 H muss also die Möglichkeit einer Verletzung der grundrechtlichen Ausstrahlungswirkung dartun. Sie kann sich hier daraus ergeben, dass das Zivilgericht bei der Auslegung und Anwendung der maßgeblichen zivilrechtlichen Vorschriften deren Bedeutung für seine von Art 12 I GG geschützte Berufsfreiheit nicht hinreichend beachtet und gewürdigt hat. Die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung durch die zivilgerichtliche Entscheidung ist daher dargetan.
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Lösung Fall 12: Das Einkommensteuergesetz wendet sich zwar nicht an die von der Abzugsfähigkeit der Parteispenden begünstigten Parteien, sondern an die steuerpflichtigen Personen. Die Regelung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Parteispenden hat aber unmittelbar erheblichen Einfluss auf die wirtschaftliche Basis und damit die Handlungsfähigkeit der politischen Parteien. Die X-Partei ist daher auch selbst durch das Gesetz betroffen.214
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Lösung Fall 13: Der Ausschluss des Verteidigers richtet sich zwar unmittelbar gegen den Mandanten des Anwalts, der diesen nicht mehr als Verteidiger wählen kann. Er betrifft aber gleichermaßen auch den Anwalt selbst in seinem Grundrecht aus Art 12 I GG, da er damit in der Ausübung seiner Anwaltstätigkeit beschränkt wird.215
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Lösung Fall 14: Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde ist fraglich, da Inhaber des von Art 14 I GG geschützten Vergütungsanspruchs allein der Urheber des geschützten Werkes ist und der Vergütungsanspruch durch die Verwertungsgesellschaft lediglich treuhänderisch geltend gemacht wird. Die Verfassungsbeschwerde kann aber nur auf die Verletzung eigener
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BVerfGE 65, 1, 37 f. Vgl BVerfGE 7, 198, 204 ff; 81, 242, 253 ff; 89, 214, 229 f. Vgl BVerfGE 6, 273, 277 f. Vgl BVerfGE 22, 114, 118.
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Rechte gestützt werden. Eine Prozessstandschaft ist demnach grundsätzlich unzulässig. Der urheberrechtliche Vergütungsanspruch steht nun allerdings zwar dem jeweiligen Urheber zu, kann aber nach § 27 III UrhG ausschließlich durch die Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden. Es handelt sich damit um einen Fall der obligatorischen Prozessstandschaft. Schlösse man für diesen Fall die Verfassungsbeschwerde aus, würde dies die verfassungsprozessuale Durchsetzung des Vergütungsanspruchs unmöglich machen. Damit wäre der eigentumsrechtliche Schutz des Urhebers unangemessen beschränkt. Um dies zu vermeiden, wird die Wahrnehmung der Eigentumsrechte des Urhebers eines geschützten Werkes im Wege der Verfassungsbeschwerde durch eine Verwertungsgesellschaft für zulässig erachtet. Die VG Bild ist deshalb beschwerdebefugt.216
Lösung Fall 15: Es steht noch nicht sicher fest, ob B seine Ausbildung erfolgreich abschließen und tatsächlich nach Abschluss seiner Ausbildung als Anwalt tätig werden wird. Allerdings konnte er nach der früheren Rechtslage bei Beginn des Referendariats berechtigterweise erwarten, sich nach dessen erfolgreichem Abschluss ohne weiteres als Anwalt niederlassen zu können. Dies reicht nach Auffassung des BVerfG aus, um seine gegenwärtige Betroffenheit zu begründen.217 Allerdings: solange B mit Blick auf eine sofortige Niederlassung keine besonderen Investitionen tätigt, dürfte „gegenwärtig“ lediglich seine Erwartung und damit kein beschwerdefähiges Interesse verletzt sein.
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Lösung Fall 16: Es bedarf die Umsetzung der einkommensteuerrechtlichen Vorschriften zwar noch eines Steuerbescheides durch das Finanzamt, durch den die Steuerschuld für den abgelaufenen Veranlagungszeitraum festgesetzt wird. Da aber über steuerreduzierende Aufwendungen schon vor der Festsetzung im laufenden Veranlagungszeitraum entschieden werden muss, führt die Änderung des EStG schon vor ihrem Vollzug zu später nicht mehr korrigierbaren Dispositionen und damit zu einer unmittelbaren Betroffenheit des B.
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7. Rechtswegerschöpfung und Subsidiarität Fall 17: B wurde die Zuteilung eines Standplatzes auf dem Weihnachtsmarkt in X verweigert. Sein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wurde von VG und OVG ohne rechtliche Prüfung der Kriterien zur Schaustellerauswahl zurückgewiesen, da mittlerweile alle Standplätze an andere Schausteller vergeben seien und sein Begehren daher keinen Erfolg mehr haben könnte. Hiergegen erhebt B – noch vor der Entscheidung des VG in der Hauptsache – Verfassungsbeschwerde und beruft sich auf sein Verfahrensgrundrecht aus Art. 19 IV GG.
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Fall 18: Durch Gesetz wird das Züchten von bestimmten gefährlichen Hunderassen ohne spezielle Zusatzausbildung unter Strafandrohung verboten. Züchter B, der diese Ausbildung nicht besitzt, aber bereits jahrelange Erfahrung mit dem Züchten der betreffenden Hunderassen hat, sieht sich in seiner Berufsfreiheit verletzt und möchte gegen das Gesetz Verfassungsbeschwerde erheben.
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216 Vgl BVerfGE 77, 263, 269. 217 Vgl BVerfGE 26, 246, 251 f.
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4. Teil: Rechtsschutz im Verfassungsrecht
a) Rechtswegerschöpfung 89
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Nach § 90 II 1 BVerfGG darf die Verfassungsbeschwerde grundsätzlich erst dann erhoben werden, wenn ein bestehender Rechtsweg vorher erschöpft wurde. Die Verfassungsbeschwerde ist demnach die „ultima ratio des Grundrechtsschutzes“.218 Rechtsweg ist jede gesetzlich vorgesehene Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts,219 so dass sich Verfassungsbeschwerden in der Regel gegen letztinstanzliche, rechtskräftige Gerichtsentscheidungen richten.220 Das Nebeneinander von verfassungs- und fachgerichtlichen Rechtsbehelfen wird damit vermieden.221 Nicht zum Rechtsweg iSd § 90 II BVerfGG gehört lediglich das Verfahren der Landesverfassungsbeschwerde.222 Der Rechtsweg ist erschöpft, wenn der Bf alle Instanzen durchlaufen und alle gesetzlich vorgesehenen Rechtsmittel genutzt hat.223 Das ist nicht der Fall, wenn von einem zulässigen Rechtsmittel kein Gebrauch gemacht wurde, der Bf dieses zurückgenommen hat oder ein eingelegtes Rechtsmittel aus formellen Gründen zurückgewiesen wurde.224 Zum einzuschlagenden Rechtsweg gehören auch Rechtsbehelfe, deren Zulässigkeit in der bisherigen fachgerichtlichen Rechtsprechung nicht eindeutig geklärt ist, und die Nichtzulassungsbeschwerde, bei der erst geprüft wird, ob noch ein weiteres Rechtsmittel gegen ein Urteil gegeben ist.225 Ferner gehören zum einschlägigen Rechtsweg auch solche Rechtsbehelfe, die keinen Devolutiveffekt haben. Dazu zählen ua der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand 226 sowie die Einlegung eines Einspruches gegen ein Versäumnisurteil oder gegen einen Haftbefehl.227 Nach Einführung des Anhörungsrügengesetzes 228 garantieren die jeweiligen Verfahrensordnungen, wie etwa § 321a ZPO, §§ 33a, 356a StPO und § 152a VwGO, einen Rechtsbehelf auch bei Gehörsverletzungen durch die letzte Instanz. Diese Anhörungsrüge wegen Verletzung des Art 103 I GG ist daher vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde zwingend zu erheben.229 Dies gilt selbst dann, wenn neben der Gehörsverletzung auch andere Grundrechtsverstöße geltend gemacht werden. Eine unmittelbare Abhilfe gegen die sonstigen Grundrechtsverstöße ist hier zwar nur schwerlich unmittelbar zu erreichen. Eine erfolgreiche Anhörungsrüge führt aber zur Fortsetzung des ursprünglichen Verfahrens, so dass dann jedenfalls die Möglichkeit der Heilung der anderen Grundrechtsverstöße bestünde.230 Der Erschöpfung des Rechtswegs 218 Erichsen Jura 1991, 638, 641; BVerfGE 1, 91, 103. 219 BVerfGE 67, 157, 170; vgl dazu näher Sperlich in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG § 90 Rn 111 ff; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 383. 220 Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 244; Spranger AöR 127 (2002), 27, 53. 221 Vgl Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 377 f. 222 Dazu bereits oben A. 223 Vgl BVerfGE 1, 12, 13; 34, 204, 205; 42, 252, 257. 224 BVerfGE 1, 13, 14; 2, 123, 124; 21, 94, 96; 54, 53, 65; vgl auch Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 395. 225 BVerfGE 16, 1, 2; 51, 386, 395 f; vgl auch Benda/Klein VerfPrR, Rn 600. 226 BVerfGE 77, 275, 282. 227 Kreuder NJW 2001, 1243, 1245. 228 Gesetz über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügegesetz) vom 09.12.2004, BGBl I, 3220. 229 BVerfG, NJW 2005, 3059, 3059; Zuck NJW 2006, 1703, 1705; Lübbe-Wolff EuGRZ 2004, 669, 671 f. 230 BVerfG, NVwZ 2002, 848, 848; Klein/Sennekamp NJW 2007, 945, 950; Lübbe-Wolff AnwBl 2005, 509, 513; Desens NJW 2006, 1243, 1245, der zusätzlich nach der Teilbarkeit des Streitgegenstandes differenziert.
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bedarf es ausnahmsweise nicht, wenn sie für den Bf unzumutbar ist. Das wird etwa angenommen, wenn ein Rechtsmittel wegen entgegenstehender gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung offensichtlich völlig aussichtslos ist.231 Da es gegen Gesetze und die meisten Rechtsverordnungen keinen Rechtsweg iSd § 90 II BVerfGG gibt, läuft das Gebot der Rechtswegerschöpfung bei den Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze leer. Die Verfassungsbeschwerde gegen eine Rechtsnorm wäre daher – bei Vorliegen der übrigen Sachentscheidungsvoraussetzungen, vornehmlich der Unmittelbarkeit der Beschwer – ohne weiteres zulässig. Dem ist das BVerfG durch die Entwicklung des Grundsatzes der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegengetreten.232
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b) Subsidiarität Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ist das Ergebnis einer am Regelungsgehalt des § 90 II 1 BVerfGG anknüpfenden, in seinen Wirkungen jedoch weit darüber hinausgehenden richterlichen Rechtsfortbildung.233 Danach muss der Bf vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde alle zur Verfügung stehenden und zumutbaren Wege beschreiten, um den Verfassungsverstoß im Wege fachgerichtlichen Rechtsschutzes zu beseitigen bzw. ihn gar zu verhindern.234 Dazu ist die Zulässigkeit einfachrechtlicher Rechtsbehelfe über die Rechtswegerschöpfung hinaus zu prüfen.235 Insbesondere soll der von einer Rechtsnorm unmittelbar Betroffene durch Beschreiten des Rechtswegs eine inzidente Normenkontrolle initiieren.236 Dazu kann von ihm gefordert sein, einen gesetzesvollziehenden Einzelakt zu provozieren oder vor Gericht zu erstreiten.237 Dies gilt auch dann, wenn das angerufene Fachgericht gem Art 100 I GG seinerseits zu einer Vorlage an das BVerfG verpflichtet wäre und der Grundrechtsverletzung selbst nicht abhelfen dürfte. 231 Vgl BVerfGE 91, 93, 106 f; 78, 155, 160 f; 70, 180, 186; 68, 376, 380 f; 68, 143, 151 f; 61, 319, 341; 28, 151, 159; 21, 160, 167; 6, 7, 9; Sodan DÖV 2002, 925, 934. Zu der Frage, wann ein Rechtsmittel „offensichtlich unzulässig“ ist vgl Sperlich in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG § 90 Rn 125; kritisch zu den damit verbundenen Problemen und Risiken vgl Spranger AöR 127 (2002), 27, 54 ff; Benda/Klein VerfPrR, Rn 602 ff. 232 Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 252; krit zur Ausdehnung des Subsidiaritätsgrundsatzes auf die Rechtssatzverfassungsbeschwerde bei Rn 247. 233 StRspr seit BVerfGE 22, 287, 290 f; aus neuerer Zeit: BVerfGE 79, 275, 278 f; 80, 40, 45; 81, 22, 27; 104, 65, 70 f; 107, 257, 267. Vgl zur Herleitung: Sodan DÖV 2002, 925, 927 f; E. Klein FS Zeidler, 1987, Bd 2, 1305 ff. Bisher noch nicht geklärt ist, ob es sich dabei um einen Aspekt der Rechtswegerschöpfung oder um ein eigenständiges Kriterium handelt, vgl Spranger AöR 127 (2002), 27, 58 f, ebenda S 60 ff. auch kritisch zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Einführung dieses Merkmals. 234 Seegmüller DVBl 1999, 738, 743 f; Zuck FS Redeker, 1993, 213, 221; Erichsen Jura 1991, 638, 641. 235 BVerfGE 68, 376, 379 ff. Dies kann auch erfordern, im Wege der Nebenintervention einem Ausgangsverfahren beizutreten, an dem man bisher noch gar nicht beteiligt ist, BVerfG, NJW 1998, 2663, 2664; vgl zu weiteren Möglichkeiten Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 246; Sodan DÖV 2002, 925, 929 ff; Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 I Nr 4a Rn 191; zur Möglichkeit der formlosen Gegenvorstellung vgl Buchheister NVwZ 2000, 1356, 1357 f, mNachw aus der Rspr; Seegmüller DVBl 1999, 738, 744 f. 236 BVerfGE 79, 1, 20; 74, 69, 74 ff; 69, 122, 125 f; zur Subsidiarität bei der Rechtssatzverfassungsbeschwerde vgl Gersdorf Jura 1994, 398, 401; Detterbeck DÖV 1990, 558, 559; Gerontas DÖV 1982, 440, 442 f; Weber JuS 1995, 114, 116 ff. 237 BVerfGE 74, 69, 74 ff; 69, 122, 125 f.
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Eine inzidente Normenkontrolle durch die Fachgerichte ist auch dann zu initiieren, wenn sich die Beschwer aus einer Rechtsverordnung oder Satzung des Bundes ergibt. Auch für die besonderen Fälle der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit untergesetzlicher Normen des Bundes ist bei den Verwaltungsgerichten im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art 19 IV GG Individualrechtsschutz zu erlangen. Statthafte Klageart ist die Feststellungsklage iSv § 43 I VwGO. Das Klagebegehren ist hierbei auf die Feststellung gerichtet, dass zwischen dem Kläger und dem beteiligten Hoheitsträger durch die für nichtig gehaltene Rechtsnorm kein Rechtsverhältnis begründet wird.238 Ein ähnliches Problem stellt sich einem Bf, der den Erlass einer Rechtsnorm erzwingen will. Wegen der Rechtsschutzgarantie des Art 19 IV GG ist auch hier verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz eröffnet und daher vorrangig zu ergreifen. Ein Antrag auf Normenkontrolle nach § 47 VwGO kommt in diesen Fällen nicht in Betracht. Die Vorschrift ist ausschließlich auf die Überprüfung der Gültigkeit bzw Ungültigkeit bereits bestehender Rechtsnormen gerichtet. Richtige Klageart ist vielmehr auch insoweit die Feststellungsklage nach § 43 I VwGO, da diese den geringsten Übergriff in die Kompetenzen des Verordnungsgebers zur Folge hat und diesem weiterhin einen eigenen Entscheidungsspielraum gewährt.239 Auch dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde sind Grenzen durch Gesichtspunkte der Zumutbarkeit gesetzt. Der Bf muss daher vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde nicht zunächst gegen eine straf- oder bußgeldbewehrte Norm verstoßen, um im anschließenden Straf- oder Bußgeldverfahren die Verfassungswidrigkeit dieser Norm geltend machen zu können.240 Auch dürfe „die Anwendung des Grundsatzes der Subsidiarität nicht dazu führen, dass ein effektiver Grundrechtsschutz nicht mehr gewährleistet ist“, etwa weil die Norm zu später nicht mehr korrigierbaren Dispositionen veranlasst.241 Wendet sich der Bf jedoch gegen die ein Verfahren nicht abschließenden strafprozessualen Zwischenentscheidungen, ist es ihm im Grundsatz zuzumuten, das anhängige Strafverfahren zu durchlaufen und im Falle seiner Verurteilung fachgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Die Nachteile der Beendigung des laufenden Verfahrens und der drohenden Wiederholung der Hauptverhandlung wegen eines Verfahrensfehlers genügen für sich genommen regelmäßig nicht, die Unzumutbarkeit des fachgerichtlichen Verfahrens zu begründen. Die hierdurch entstehenden zeitlichen und finanziellen Belastungen sind grundsätzlich hinzunehmen.242 Auch gegenüber der letztinstanzlichen Versagung vorläufigen Rechtsschutzes kann dem Bf unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität die sofortige Erhebung der Verfassungsbeschwerde verwehrt sein. Zwar sind Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegenüber dem Hauptsacheverfahren eigenständig.243 Dennoch wird der Bf auf die vorherige Durchführung des Verfahrens in der Hauptsache verwiesen, wenn dieses nach Art der gerügten Grundrechtsverletzung die Möglichkeit bietet, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen.244 Das ist regelmäßig anzunehmen, wenn mit der Verfassungsbeschwerde ausschließlich Grundrechtsverletzun238 BVerfGE 115, 81, 91 ff; BVerfG, NVwZ 2005, 79, 79; Kritisch dazu Rupp NVwZ 2002, 286, 287 ff. 239 BVerwGE 80, 355, 365 f; BVerfGE 115, 81, 91 ff; Zustimmend: Pietzcker in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, § 42 I Rn 160; Robbers JuS 1990, 978, 980; dagegen: Köller/Haller JuS 2004, 189, 191, welche eine allgemeine Leistungsklage als richtige Klageart ansehen. 240 BVerfGE 97, 157, 165; 81, 70, 82 f; 46, 246, 256. 241 BVerfGE 74, 69, 76 f; 77, 84, 100 f. 242 BVerfG 2 BvR 1277/07 v 09.08.2007. 243 Vgl BVerfGE 51, 130, 138. 244 BVerfGE 51, 130, 139 f.
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gen gerügt werden, die sich auf die Hauptsache beziehen oder wenn die tatsächliche und einfachrechtliche Lage durch die Fachgerichte noch nicht ausreichend geklärt ist und dem Bf durch die Verweisung auf den Rechtsweg in der Hauptsache kein schwerer Nachteil entsteht.245 Die Durchführung des Hauptsacheverfahrens wird auch dann als für den Bf unzumutbar erachtet, wenn er die Verletzung von Grundrechten durch die Eilentscheidung selbst geltend macht,246 wenn die verwaltungsgerichtliche Entscheidung im Verfahren der einstweiligen Anordnung in ihrer Wirkung die Hauptsache vorwegnimmt oder wenn die im vorläufigen und im Hauptsacheverfahren zu entscheidenden Rechtsfragen identisch sind und deshalb nicht damit gerechnet werden kann, dass das Hauptsacheverfahren der grundrechtlichen Beschwer abhilft.247 Zur Begründung für die Entwicklung des Subsidiaritätsgrundsatzes weist das BVerfG auf die grundgesetzliche Aufgabenverteilung hin, wonach vorrangig die Fachgerichte Rechtsschutz gegen Verfassungsverletzungen gewähren und etwaige im Instanzenzug auftretende Fehler durch Selbstkontrolle beheben sollen.248 Zudem werde dem BVerfG nur nach einer umfassenden fachgerichtlichen Vorprüfung der Beschwerdepunkte ein hinreichend aufbereitetes und geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet und die Fallanschauung und Rechtsauffassung insbesondere auch der obersten Bundesgerichte vermittelt.249 Dies falle besonders dann ins Gewicht, wenn das mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Gesetz der Verwaltung oder den Gerichten einen Auslegungs- oder Entscheidungsspielraum lässt, gelte aber auch, wenn ein solcher Spielraum fehlt. Bei der Kontrolle von Eilentscheidungen dürfe das BVerfG nicht gezwungen werden, verfassungsrechtliche Fragen allein aufgrund der summarischen Erwägungen in den Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes und damit auf ungesicherter einfachrechtlicher Grundlage zu entscheiden und dabei auf die Entwicklung des einfachen Rechts womöglich in einer dem Vorrang der Fachgerichtsbarkeit nicht entsprechenden Weise Einfluss zu nehmen.250 Im Gegenschluss wird die vorherige Anrufung der Fachgerichte nicht verlangt, wenn hiervon keine Vertiefung oder Verbreiterung des tatsächlichen und rechtlichen Materials zu erwarten ist, das für die Beurteilung durch das BVerfG bei der Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes oder anderer Rechtsvorschriften von Bedeutung sein kann.251 Das BVerfG hat dem Grundsatz der Subsidiarität in früheren Entscheidungen überdies die Forderung entnommen, dass eine im Verfahren der Verfassungsbeschwerde erhobene Rüge inhaltlich schon Gegenstand des Ausgangsverfahrens gewesen sein muss,252 so dass die
245 BVerfGE 80, 40, 45. 246 BVerfGE 79, 275, 279; BVerfG DVBl 2002, 1112, 1112; DVBl 2003, 257, 257 f. 247 BVerfGE 69, 257, 267; 47, 198, 224; Sperlich in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG § 90 Rn 139. 248 BVerfGE 47, 144, 145; 69, 122, 125. Vgl hierzu auch die Berichte von Alexy, Kunig, Heun und Hermes zum Beratungsgegenstand: Verfassungsrecht und einfaches Recht – Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, in: VVDStRL 61 (2002). 249 BVerfGE 68, 376, 380; 69, 122, 125; vgl auch Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 403. 250 BVerfGE 77, 381, 400 ff; vgl allg zum Verhältnis von vorläufigem Rechtschutz und Hauptsacheverfahren unter den Gesichtspunkten Rechtswegerschöpfung und Subsidiarität: BVerfGE 59, 63, 82 ff mwN. 251 BVerfGE 88, 384, 400; 98, 218, 244; 114, 258, 280. 252 Vgl BVerfGE 80, 137, 151; Kreuder NJW 2001, 1243, 1244 ff unterscheidet insoweit zwischen formeller und materieller Subsidiarität; ebenso Sodan DÖV 2002, 925, 931 f.
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behauptete Grundrechtsverletzung grundsätzlich bereits dort fristgerecht geltend zu machen ist.253 Damit würde die materielle Rügepflicht im einfachrechtlichen Verfahren über das nach dem dortigen Verfahrensrecht Erforderliche hinaus erweitert und eine materielle Einwendungspräklusion begründet.254 Demgegenüber verlangt das Prozessrecht von den Parteien im fachgerichtlichen Verfahren keine (verfassungs)rechtliche Bewertung ihres Tatsachenvortrages. Während die Entwicklung des allgemeinen Subsidiaritätsgebots der Verfassungsbeschwerde zur Sicherung einer erschöpfenden Aufklärung der Sach- und Rechtslage und zur Wahrung der primären Zuständigkeit der Fachgerichte bei der Abhilfe von Rechts- und damit auch von Grundrechtsverletzungen eine hinreichende Grundlage in der Ordnung des bundesdeutschen Verfahrensrechts findet, würde die skizzierte weitergehende „Konstitutionalisierung“ des Ausgangsverfahrens die Grundlagen dieses Prozessrechtssystems überschreiten.255 Dieser Kritik hat das BVerfG in einer neueren Entscheidung Rechnung getragen und festgestellt: „Es ist durch das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs nicht gefordert, dass der Beschwerdeführer bereits das fachgerichtliche Verfahren auch als ,Verfassungsprozess‘ führt.“ 256 Der Bf müsse bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde nicht darlegen, dass er von Beginn des fachgerichtlichen Verfahrens an verfassungsrechtliche Erwägungen und Bedenken vorgetragen hat. Lediglich der der Verfassungsbeschwerde unterliegende Sachvortrag muss demnach bereits Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits gewesen sein, das Unterbleiben von Ausführungen zum Verfassungsrecht führt dagegen nicht zu einem Verstoß gegen den Subsidiaritätsgrundsatz.
c) Vorabentscheidung 96
Nach § 90 II 2 BVerfGG kann auch über eine vor Erschöpfung des Rechtsweges eingelegte Verfassungsbeschwerde entschieden werden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder dem Bf bei Verweisung auf den Rechtsweg ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde. Diese Regelung bietet über ihren unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus auch die Grundlage für eine Ausnahme vom soeben erörterten Grundsatz der Subsidiarität.257 In jedem Fall muss die danach mögliche Vorabentscheidung die Ausnahme bleiben. Angesichts der Vielzahl der beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerden kommt sie nur in Betracht, wenn dies unter Berücksichtigung der Dringlichkeit der übrigen Verfahren „offensichtlich geboten“ ist.258 Sie setzt zudem voraus, dass die dem Bf drohenden Nachteile überhaupt noch abgewendet werden können 259 und der Rechtsweg grundsätzlich noch offen steht.260
253 BVerfGE 84, 203, 208; 77, 275, 282; 54, 53, 65; Sperlich in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG § 90 Rn 145 ff; zur Problematik allgemein: Bender NJW 1988, 808, 809 f. 254 Kreuder NJW 2001, 1243, 1246. 255 So auch Benda/Klein VerfPrR, Rn 606 ff; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 249; Spranger AöR 127 (2002), 27, 57 f. 256 BVerfGE 112, 50, 60. 257 Sodan DÖV 2002, 925, 933. 258 BVerfGE 8, 38, 40; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 397. 259 BVerfGE 14, 192, 194. 260 Sperlich in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG § 90 Rn 152; Benda/Klein VerfPrR, Rn 612; BVerfGE 11, 244, 244 f; 22, 349, 354 f; 56, 54, 68 f; dies gilt auch für Fälle von allgemeiner Bedeutung, BVerfGE 11, 244, 244 f.
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Die Verfassungsbeschwerde hat allgemeine Bedeutung, wenn die Entscheidung des BVerfG geeignet ist, über den Einzelfall hinaus Klarheit in einer Vielzahl gleicher oder gleichgelagerter Fälle zu schaffen und damit Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären.261 In diesem vom Begehren des Bf unabhängigen Tatbestandsmerkmal spiegelt sich die objektivrechtliche Wirkung der Verfassungsbeschwerde.262 Allein die Tatsache, dass die angegriffene Maßnahme, gegen die sich die Verfassungsbeschwerde richtet, politisches Aufsehen erregt, genügt zur Bejahung der allgemeinen Bedeutung nicht.263 Ein schwerer und unabwendbarer Nachteil liegt vor, wenn ohne eine sofortige verfassungsgerichtliche Entscheidung eine nicht wiedergutzumachende Schädigung des Bf droht, er in seinen beschwerdefähigen Rechten besonders hart betroffen ist und ein schwerwiegender Grundrechtsverlust zu besorgen ist.264 Wann dies der Fall ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles.265 Allgemeine Nachteile, wie sie mit jeder Rechtsverfolgung verbunden sind, genügen hierfür naturgemäß nicht.266 Auch wenn die Voraussetzungen des § 90 II 2 BVerfGG vorliegen, ist das BVerfG nicht verpflichtet, vorab zu entscheiden. Vielmehr steht die Entscheidung hierüber im (pflichtgemäßen) Ermessen des Gerichts.267
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Lösung Fall 17: Auch soweit der Rechtsweg im einstweiligen Rechtsschutz erschöpft ist, verlangt der Grundsatz der Subsidiarität regelmäßig, vor der Verfassungsbeschwerde das Hauptsacheverfahren durchzuführen, um dort der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen. Dies gilt allerdings nicht, wenn gerade die Verletzung von Grundrechten durch die Eilentscheidung selbst geltend gemacht wird. So liegt es in diesem Fall, wo die Ablehnung einstweiligen Rechtsschutzes durch die Verwaltungsgerichte allein mit der faktischen Erschöpfung der Platzkapazität begründet worden war. Demgegenüber hätte das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes gem Art 19 IV GG eine zumindest summarische inhaltliche Prüfung der Auswahlkriterien im Eilverfahren erfordert.268
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Lösung Fall 18: Würde B gegen die angegriffene Norm verstoßen und gegen ihn ein Strafverfahren durchgeführt, könnte die behauptete Verfassungswidrigkeit vor dem BVerfG geltend gemacht werden, indem entweder das Strafgericht die Norm nach Art 100 I GG zur Prüfung vorlegt oder B letztlich gegen eine strafgerichtliche Verurteilung Verfassungsbeschwerde erhebt. B hätte aber das Risiko zu tragen, dass die Norm letztlich doch verfassungsgemäß
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261 BVerfGE 85, 167, 172; 68, 176, 184 f; 62, 338, 342; 27, 88, 97 f; 19, 268, 273; Sperlich in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG § 90 Rn 156; Benda/Klein VerfPrR, Rn 610; vgl auch die Fallbeispiele, in denen allgemeine Bedeutung angenommen wurde bei Bethge in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 398. 262 Sperlich in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG § 90 Rn 156 263 Geiger BVerfGG, 1952, 285; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 398. 264 Vgl BVerfGE 14, 121, 130 f; 7, 99, 105; in beiden Fällen ging es um die Zuteilung von Wahlwerbezeiten im Rundfunk kurz vor einer Wahl; vgl auch Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 399. 265 Sperlich in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG § 90 Rn 159; BVerfGE 9, 120, 121. 266 BVerfGE 1, 69, 69 f; 8, 222, 226. 267 Vgl BVerfGE 8, 222, 226 f; 14, 192, 194; 76, 248, 251 f; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 397; Benda/Klein VerfPrR, Rn 609; Sperlich in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 90 Rn 161. 268 Vgl BVerfG DVBl 2003, 257, 258 f.
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ist und er zu Recht verurteilt würde. Dies ist nicht zumutbar. Er kann daher unmittelbar gegen die Norm Verfassungsbeschwerde erheben, ohne zunächst durch ein strafbewehrtes Verhalten eine inzidente Überprüfung der Norm vor den Fachgerichten veranlassen zu müssen.
8. Frist 102
Fall 19: Drei Wochen nach Zurückweisung einer unzulässigen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das BSG legt B Verfassungsbeschwerde gegen ein nunmehr über ein Jahr zurückliegendes Berufungsurteil ein. Fristgerecht? Kommt es darauf an, ob der Bf die Nichtzulassungsbeschwerde für zulässig halten konnte?
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Fall 20: Gegen ein am 7.7.2002 verkündetes Gesetz, das rückwirkend zum 1.3.2002 in Kraft gesetzt wird, wird am 31.6.2003 Verfassungsbeschwerde erhoben. Fristgerecht?
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Bei der Verfassungsbeschwerde handelt es sich um einen grundsätzlich fristgebundenen Rechtsbehelf. Mit der Befristung soll gewährleistet werden, dass die Bestandskraft angegriffener Hoheitsakte nicht weiter eingeschränkt wird, als dies das Rechtsschutzziel des Verfahrens erfordert.269 Gem § 93 I BVerfGG ist die Verfassungsbeschwerde gegen Hoheitsakte, gegen die ein Rechtsweg eröffnet ist oder die einen solchen abschließen,270 binnen eines Monats seit Bekanntgabe oder Verkündung der Entscheidung zu erheben und zu begründen. Für Verfassungsbeschwerden gegen ein Gesetz oder einen sonstigen Hoheitsakt, gegen den ein Rechtsweg nicht offensteht, beträgt die Frist gem § 93 III BVerfGG ein Jahr. Für die Fristberechnung gelten § 222 ZPO und §§ 187 ff BGB.271 Innerhalb der gesetzlichen Frist muss dem BVerfG nicht nur die Beschwerdeschrift übermittelt werden, sondern auch die dazugehörigen Anlagen und die Begründung. Die Monatsfrist des § 93 I BVerfGG bedeutet eine echte Ausschlussfrist.272 Die Einlegung eines offensichtlich unzulässigen Rechtsmittels beeinflusst den Lauf (und Ablauf) der Frist für die Erhebung der Verfassungsbeschwerde gegen die mit dem Rechtsmittel angefochtene Entscheidung nicht. Die Frist wird also durch die Entscheidung über ein offensichtlich unzulässiges Rechtsmittel nicht erneut in Gang gesetzt. Allerdings darf eine eventuelle Unklarheit der Rechtslage nicht zu Lasten des Bf gehen, der auch nicht von der Obliegenheit entbunden ist, Abhilfe mit einem möglicherweise unzulässigen Rechtsmittel zu suchen (→ Rn 90). Im Falle eines nicht offensichtlich unzulässigen Rechtsmittels beginnt die Frist für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde erst mit dessen Zurückweisung.273
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269 Schmidt-Bleibtreu in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 93 Rn 5. 270 Auch wenn gegen letztinstanzliche Gerichtsentscheidungen kein Rechtsweg (mehr) offensteht, findet hier Abs 1 und nicht Abs 3 Anwendung, vgl Heusch/Sennkamp in: Umbach/Clemens/ Dollinger, BVerfGG § 93 Rn 83. 271 Benda/Klein VerfPrR, Rn 624; Schmidt-Bleibtreu in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu BVerfGG, § 93 Rn 8. 272 BVerfGE 9, 109, 144; Klein/Sennekamp NJW 2007, 945, 954. 273 BVerfGE 91, 93, 106 f; 52, 380, 387; 48, 341, 344; 17, 86, 91; 16, 1, 3. Wegen verbleibender Unsicherheiten kann es sinnvoll sein, sowohl das weitere Rechtsmittel als auch die Verfassungsbeschwerde zu erheben und darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung über die Verfassungs-
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Schwierigkeiten bereitet die Fristgebundenheit der Verfassungsbeschwerde bei Maßnahmen, von denen der Betroffene (zunächst) nichts erfährt, wie dies bei verdeckten Ermittlungen, der Telefonüberwachung oder der Einbeziehung in eine Rasterfahndung der Fall ist. Hier kann der Fristbeginn erst angenommen werden, wenn die Maßnahme dem Bf nachträglich in den vorgeschrieben Formen mitgeteilt wurde.274 Ist eine solche Benachrichtigung nicht vorgesehen – wie dies nach § 12 I 3 G-10 möglich ist – wird auf eine Fristberechnung ganz zu verzichten sein.275 Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Unterlassen der öffentlichen Gewalt, greifen die Fristvorschriften des § 93 BVerfGG gleichfalls nicht.276 Die Verfassungsbeschwerde bleibt zulässig, solange die Unterlassung andauert.277 Bei Gesetzen beginnt die Jahresfrist mit dem Inkrafttreten des Gesetzes, frühestens aber mit dem Tag der Verkündung, da es sich bei der Jahresfrist um eine echte Überlegungsfrist handelt.278 Die Frist für eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz wird durch ein Änderungsgesetz, welches den angegriffenen Teil dieser Regelung unberührt lässt, nicht erneut in Lauf gesetzt, auch wenn die angegriffene Vorschrift mit dem Änderungsgesetz erneut in den Willen des Gesetzgebers aufgenommen wurde.279 Sie wird allerdings neu in Gang gesetzt, wenn ältere Vorschriften so in ein neues gesetzliches Umfeld eingebettet werden, dass von ihnen neue belastende Wirkungen ausgehen können.280 Die Jahresfrist des § 93 III BVerfGG gilt gleichermaßen auch für Rechtsverordnungen.281 Die in der Rspr des Gerichts ursprünglich nicht für zulässig erachtete Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 282 ist nun ausdrücklich in § 93 II BVerfGG geregelt.283 War der Bf unverschuldet verhindert, die Frist des § 93 I BVerfGG einzuhalten, ist ihm Wiedereinsetzung zu gewähren. Verschulden liegt beispielsweise dann vor, wenn der Bf die Übermittlung seines Schriftsatzes mittels Telefax beim BVerfG nicht so rechtzeitig beginnt, dass unter gewöhnlichen Umständen mit dem Abschluss am Tage des Fristablaufes ge-
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beschwerde aus Sicht des Bf bis zum Abschluss des Rechtsmittelverfahrens zurückgestellt werden könne, Heusch/Sennekamp in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 93 Rn 35; Seegmüller DVBl 1999, 738, 745. Vgl zB § 101 I StPO. Vgl Spranger AöR 127 (2002), 27, 65 f, der dies für sämtliche „Geheimmaßnahmen“ so handhaben will. BVerfGE 77, 170, 214; 6, 257, 266. BVerfGE 10, 302, 308. BVerfGE 64, 367, 376; 62, 374, 382; 32, 157, 162; 2, 105, 109; 1, 415, 416 f. Mit der Anknüpfung an das Inkrafttreten eines Gesetzes iSd § 93 III BVerfGG wird nicht auf seine Rechtswirkungen abgestellt, die ggf in die Vergangenheit zurückreichen, sondern auf den Zeitpunkt seines tatsächlichen Wirksamwerdens, der nicht vor dem Verkündungsdatum liegen kann. Vgl zu dem ähnlichen Problem der Wirksamkeit von Verwaltungsakten: Schmidt-De Caluwe VerwArch 1999, 49, 62 ff. BVerfGE 80, 137, 149; Benda/Klein VerfPrR, Rn 629; Schmidt-Bleibtreu in: Maunz/SchmidtBleibtreu, BVerfGG, § 93 Rn 47. BVerfGE 100, 313, 356; 78, 350, 356; 45, 104, 119; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 243. BVerfGE 53, 1, 15. Dies gilt allerdings nicht für Rechtsverordnungen, gegen die ein Rechtsweg gem § 47 VwGO eröffnet ist. BVerfGE 78, 7, 15 f; 4, 309, 313 ff. Eingeführt durch Gesetz über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) v 2.8.1993, BGBl I, 1442; vgl zu den Voraussetzungen der Wiedereinsetzung: Benda/Klein VerfPrR, Rn 631 f; Schmidt-Bleibtreu in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 93 Rn 41a; Kreuder NJW 2001, 1243, 1244.
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rechnet werden kann oder darf.284 Dabei ist zu beachten, dass eine Belegung des Empfangsgerätes des BVerfG kein einer technischen Störung gleich zu achtender Umstand ist, sondern ein gewöhnliches Ereignis, auf das sich der Rechtssuchende einstellen muss.285 110
Lösung Fall 19: Zwar steht mit der Zurückweisung der unzulässigen Nichtzulassungsbeschwerde fest, dass gegen das Berufungsurteil des LSG keine Revision mehr gegeben und damit der Rechtsweg schon seit nunmehr einem Jahr erschöpft war. Das wurde aber erst im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde geprüft und festgestellt. Wenn deren Einlegung nicht als offensichtlich unzulässig zu beurteilen ist, darf sie dem Bf nicht unter dem Gesichtspunkt der Verfristung der Verfassungsbeschwerde vorgehalten werden. Andernfalls würde ihm das Risiko auferlegt, mit einer unmittelbar nach Erlass des Berufungsurteils eingelegten Verfassungsbeschwerde am Gebot der Rechtswegerschöpfung zu scheitern. Der Fristablauf beginnt daher erst mit der Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision. Die Verfassungsbeschwerde ist daher fristgerecht eingelegt.286
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Lösung Fall 20: Auch wenn das am 7.7.2002 verkündete Gesetz rückwirkend zum 1.3.2002 in Kraft gesetzt wurde, ist Anknüpfungspunkt für die Berechnung der Jahresfrist nach § 93 III BVerfGG der Zeitpunkt des Abschlusses des Gesetzgebungsverfahrens. Erst mit der Verkündung des Gesetzes können die Betroffenen von seinem Inhalt Kenntnis erlangen und die Erhebung der Verfassungsbeschwerde erwägen. Die Verfassungsbeschwerde ist deshalb fristgerecht.287
9. Einwand der Rechtskraft 112
Sachentscheidungen der Senate und stattgebende Kammerentscheidungen über Verfassungsbeschwerden erwachsen in formelle und materielle Rechtskraft.288 Sie sind für das Gericht unwiderruflich und für die Parteien formell unanfechtbar und materiell bindend, so dass eine erneute Erhebung einer Verfassungsbeschwerde in derselben Sache unzulässig ist.289 Nicht materiell rechtskraftfähig sind dagegen die Nichtannahmeentscheidungen der Kammern, selbst wenn sie Ausführungen zur Rechtslage enthalten.290 Zur Verhinderung groben prozessualen Unrechts 291 lässt das BVerfG vereinzelt Ausnahmen von der Unanfechtbarkeit seiner Entscheidungen zu und setzt sich auf Antrag sachlich erneut mit einer bereits gefällten Entscheidung auseinander.292
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BVerfG, NJW 2006, 1505, 1506. BVerfG, NJW 2000, 574, 574; Klein/Sennekamp NJW 2007, 945, 955. Vgl BVerfGE 91, 93, 105 ff. Vgl BVerfGE 62, 374, 382; 1, 415, 416. Näher Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 476 ff. Gusy Die Verfassungsbeschwerde, 1988, Rn 168; zur Wirkung der Entscheidungen des BVerfG vgl Pestalozza VerfPrR, § 20 Rn 49 ff. 290 Umbach in: ders/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 31 Rn 40. 291 Vgl zu dieser Formel BVerfGE 63, 77, 78 f; 69, 233, 242. 292 Benda/Klein VerfPrR, Rn 332; vgl BVerfGE 72, 84 ff. In diesem Fall hielt das Gericht einen Antrag auf Abänderung einer Entscheidung für zulässig, weil bei der Beratung ein versehentlich nicht zu den Akten genommener Schriftsatz des Bf nicht berücksichtigt wurde.
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10. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis Fall 21: Nach Durchführung einer staatsanwaltlich angeordneten Durchsuchung in den Redaktionsräumen des Nachrichtenmagazins S erhebt deren Herausgeber Verfassungsbeschwerde, da er meint, die Durchsuchung sei verfassungswidrig gewesen. Zudem fürchtet er, dass in ähnlich gelagerten Fällen wiederum mit Durchsuchungen zu rechnen sei.
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Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis als in der Regel ungeschriebenes Erfordernis der Zulässigkeit jedes Rechtsbehelfs 293 bezeichnet die Frage, ob ein Rechtsschutzsuchender tatsächlich ein schutzwürdiges Interesse an dem begehrten Rechtsschutz hat.294 Dies ist bei Vorliegen der übrigen Sachentscheidungsvoraussetzungen regelmäßig zu bejahen, lassen sich diese doch als Konkretisierung des Grundgedankens begreifen, Rechtsschutz immer, aber auch nur dann zu gewähren, wenn dem Begehren ein schutzwürdiges Interesse des Bf zugrunde liegt.295 Das Rechtsschutzinteresse an der Inanspruchnahme des BVerfG im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde kann im Einzelfall fehlen, wenn der Bürger auf die gerichtliche Hilfe bei der Durchsetzung seines Anliegens nicht angewiesen ist, etwa weil er ohne Anrufung des Gerichts ebenso gut zum gewünschten Ziel kommen kann oder die angestrebte Entscheidung nicht geeignet ist, die geltend gemachte Beschwer zu beseitigen oder zu mildern.296 Das Rechtsschutzbedürfnis muss noch im Zeitpunkt der Entscheidung des BVerfG gegeben sein.297 Es ist entfallen, wenn sich die den angegriffenen Entscheidungen zugrundeliegende Rechtslage zwischenzeitlich grundlegend zugunsten der Rechtsposition des Bf geändert hat und dieser die Möglichkeit hat, auf der Grundlage der neuen Rechtslage eine erneute Entscheidung in der Sache ohne Inanspruchnahme des BVerfG herbeizuführen.298 Von besonderer Bedeutung ist die Prüfung des Rechtsschutzbedürfnisses, wenn sich das Begehren des Bf zwischenzeitlich erledigt hat.299 In diesen Fällen besteht das Rechtsschutzbedürfnis nur fort, wenn die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung andernfalls unterbliebe und der gerügte Grundrechtseingriff besonders belastend erscheint oder wenn eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme zu besorgen ist.300 In Fällen besonders tief greifender und folgenschwerer Grundrechtsbeeinträchtigung ist das Gericht vom Fortbestehen des Rechtsschutzbedürfnisses auch dann ausgegangen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt auf eine Zeitspanne beschränkt war, in welcher der Betroffene nach dem regelmäßigen Geschäfts-
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293 Dazu Erichsen Jura 1991, 638, 642 f; einige Autoren wie Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 256; Ruppert in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 90 Rn 90; sowie Benda/Klein VerfPrR, Rn 584 ff sprechen vom Rechtsschutzinteresse, ohne dass dies in der Sache etwas anderes bedeutet. 294 Benda/Klein VerfPrR, Rn 585. 295 Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 256; Erichsen Jura 1991, 638, 643. 296 Ruppert in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG § 90 Rn 90 ff, 96. 297 BVerfGE 81, 138, 140. 298 BVerfG DVBl 2001, 275, 275 (allerdings unter dem Stichwort Subsidiarität geprüft). 299 Vgl Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 256; Benda/Klein VerfPrR, Rn 590; Bethge in: Maunz/SchmidtBleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 442; Spranger AöR 127 (2002), 27, 63 f. 300 BVerfGE 33, 247, 257 f.
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gang eine Entscheidung des BVerfG kaum erlangen konnte. Andernfalls würde der Grundrechtsschutz des Bf in unzumutbarer Weise verkürzt.301 116
Lösung Fall 21: Das Rechtsschutzinteresse besteht nach Abschluss der Durchsuchung fort, weil der Bf geltend macht, dass die fragliche Maßnahme mit einer tief greifenden Grundrechtsbeeinträchtigung verbunden war und sich auf einen Zeitraum beschränkte, in dem er keine Entscheidung des BVerfG erlangen konnte.302 Auch die (näher darzulegende) Wiederholungsgefahr würde den Fortbestand des Rechtsschutzinteresses begründen.303
III. Begründetheit der Verfassungsbeschwerde 1. Prüfungsgegenstand und Prüfungsmaßstab 117
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Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn der Bf in einem seiner Grundrechte oder in Art 93 I Nr 4a GG genannten grundrechtsgleichen Rechten verletzt ist. Das ist der Fall, wenn eines dieser Rechte durch die angegriffene Maßnahme beeinträchtigt, dh in grundrechtlich relevanter Weise nachteilig betroffen wurde und diese Beeinträchtigung verfassungswidrig ist.304 Das BVerfG ist bei dieser Prüfung nicht an die vom Bf erhobenen Grundrechtsrügen gebunden, sondern kann bei einer zulässigen Verfassungsbeschwerde umfassend untersuchen, ob ein beschwerdefähiges Recht verletzt ist.305 Von dieser Möglichkeit macht in der Praxis allerdings nur der Zweite Senat Gebrauch, während der Erste lediglich die Verletzung des gerügten Grundrechts prüft.306 Maßstab für die Frage der Verletzung eines subjektiven Grundrechts sind nicht nur die aus diesem selbst folgenden Verhaltensregeln, sondern ist auch das gesamte übrige Verfassungsrecht.307 Hierzu zählen insbesondere die Kompetenz- und Verfahrensvorschriften sowie die objektiv-rechtlich wirkenden Staatszielbestimmungen der Art 20 I, Art 20a und 28 I 1 GG. 2. Prüfungsumfang und Prüfungsdichte
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Aus der Zweckbestimmung der Verfassungsbeschwerde als besonderer Rechtsbehelf zur Durchsetzung der Grundrechte 308 und aus der besonderen Stellung des BVerfG im Funktionengefüge des Grundgesetzes ergeben sich einige Begrenzungen des Umfangs und der
301 BVerfGE 81, 138, 140, mit umfassenden Nachweisen, stRspr; vgl zu einzelnen Kriterien aus neuerer Zeit BVerfGE 96, 27, 40; 91, 125, 133; 89, 315, 322; 83, 341, 352. Das Gericht verwendet hierzu neuerdings auch für die Verfassungsbeschwerde den Begriff des „Fortsetzungsfeststellungsinteresses“, DVBl 2003, 257, 258. 302 Vgl BVerfGE 20, 162, 173; 9, 89, 93 f. 303 Vgl BVerfG DVBl 2003, 257, 258. 304 Erichsen Jura 1992, 142. 305 BVerfGE 42, 312, 325 f; 76, 1, 74. Pieroth in: Jarass/Pieroth, GG, Art 93 Rn 72. Vgl dazu ausführlich Müller-Franken DÖV 1999, 590, 590 f. 306 Hierzu ausführlich Görisch NVwZ 2007, 1007, 1007 f; siehe auch Pieroth in: Jarass/Pieroth, GG, Art 93 Rn 72. 307 Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 1167. 308 Vgl oben A.
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Intensität der verfassungsgerichtlichen Prüfung, insbesondere bei der Kontrolle fachgerichtlicher Entscheidungen sowie gesetzgeberischer Wertungen und Prognosen.
a) Kontrolle gerichtlicher Entscheidungen Grundrechte werden in aller Regel im Rahmen der Anwendung oder Anwendungskontrolle einfachen Rechts verletzt. Sie garantieren nach heute ganz überwiegender Auffassung auch die Gesetzmäßigkeit der den grundrechtlichen Schutzbereich beeinträchtigenden exekutiven und judikativen Rechtsanwendung. Das Gebot richtiger Rechtsanwendung ist demnach nicht nur ein in Art 20 III GG verankerter Verfassungsgrundsatz. Gesetzmäßigkeit wird auch zu einer Bedingung für die Verfassungsmäßigkeit des Grundrechtseingriffs. Jede fehlerhafte, einen Grundrechtsträger in grundrechtlich geschützten Interessen beeinträchtigende Gerichtsentscheidung stellt daher eine Grundrechtsverletzung dar. Deshalb müsste die verfassungsgerichtliche Kontrolle auch die richtige Anwendung des einfachen Rechts durch Verwaltung und Fachgerichte umfassen.309 Dies entspricht jedoch nicht der Stellung des BVerfG als eines speziell zur verfassungsrechtlichen Kontrolle eingerichteten Organs. Das Gericht ist keine „Superrevisionsinstanz“,310 welcher – vermittelt über Art 20 III GG – auch die Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der Anwendung und Fortbildung des einfachen Rechts übertragen wäre.311 Das BVerfG begrenzt die Kontrolle fachgerichtlicher Entscheidungen daher zu Recht auf die Prüfung, ob eine Verletzung „spezifischen Verfassungsrechts“ vorliegt.312 Die Feststellung und Würdigung des Sachverhaltes, die Auslegung der Gesetze und ihre Anwendung auf den einzelnen Fall seien allein Sache der dafür zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das BVerfG entzogen. „… nur bei einer Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht durch die Gerichte kann das BVerfG auf Verfassungsbeschwerde hin eingreifen. … Spezifisches Verfassungsrecht ist aber nicht schon dann verletzt, wenn eine Entscheidung, am einfachen Recht gemessen, objektiv fehlerhaft ist; der Fehler muss gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen.“ 313 Damit ist indes noch keine befriedigende Abgrenzung des Prüfungsumfangs bei der Verfassungsbeschwerde gelungen. Die Grundrechte garantieren nämlich nicht nur die Gesetzmäßigkeit der ihren Schutzbereich berührenden Rechtsakte, sondern wirken nach heute allgemeiner Auffassung auch in verschiedener Weise – etwa durch die im Rahmen des Art 5 II GG herzustellende Wechselwirkung zwischen Grundrecht und allgemeinem Gesetz, durch ihre Ausstrahlungswirkung auf die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts und durch das Gebot der verfassungskonformen Auslegung – auf das nachrangige Recht und seine Anwendung ein. Wegen dieser Verknüpfungen zwischen Verfassungsrecht und einfachem Recht sind die Grenzen des „spezifischen Verfassungsrechts“ nur schwer zu definieren.314
309 Vgl Berkemann DVBl 1996, 1028, 1029; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 283 ff. 310 BVerfGE 7, 198, 207. 311 Bryde Verfassungsentwicklung, 1982, 313 ff; Hermes VVDStRL 61 (2002), 119, 127 f, 141 f, 144 ff; Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 1174. 312 BVerfGE 18, 85, 92; 49, 252, 258; 54, 117, 125; 67, 90, 94 ff; 111, 54, 84; BVerfG NVwZ 2007, 1049, 1050; siehe auch Pestalozza VerfPrR, § 12 Rn 13 ff; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 Rn 64; Gusy Die Verfassungsbeschwerde, 1988, Rn 78 ff. 313 BVerfGE 18, 85, 92. 314 Vgl dazu Berkemann DVBl 1996, 1028, 1028 ff; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 281 ff; Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 1177 ff. Zur Kritik an der Formel vom spezifischen Verfassungsrecht vgl Scherzberg Grundrechtsschutz und „Eingriffsintensität“, 1989, 28 ff.
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Als Anhaltspunkt für den Umfang der Überprüfung fachgerichtlicher Entscheidungen mag die Feststellung des Gerichts gelten, spezifisches Verfassungsrecht sei berührt, wenn die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Tragweite und Bedeutung eines Grundrechts beruht oder sachlich schlechthin unhaltbar und damit willkürlich ist.315 Bei der Anwendung dieser Formel hat das BVerfG den Umfang der verfassungsgerichtlichen Kontrolle vielfach nach Maßgabe der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung abgestuft.316
b) Kontrolle von Rechtsverordnungen 122
Noch nicht eindeutig geklärt ist der Umfang der verfassungsgerichtlichen Kontrolle von Rechtsverordnungen im Hinblick auf die Frage, ob sich die Verordnung im Rahmen ihrer gesetzlichen Grundlage hält. Auch dies setzt eine den Fachgerichten vorbehaltene Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts, hier der Reichweite und der Grenzen der Verordnungsermächtigung voraus. Im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle einer Verordnung beschränkt das BVerfG seine Prüfung dennoch nicht auf „spezifisch“ verfassungsrechtliche Fragen, sondern kontrolliert auch, ob die Rechtsverordnung inhaltlich mit dem zu ihrem Erlass ermächtigenden Gesetz vereinbar ist. Nur so sei festzustellen, ob überhaupt ein gültiger Verfahrensgegenstand vorliegt, da es im Fall der abstrakten Normenkontrolle nicht zu einer vorherigen fachgerichtlichen Klärung der Vorgaben des einfachen Rechts kommt.317 Anders verhält es sich jedoch in der Regel bei der Verfassungsbeschwerde: Ergibt sich aus einer Verordnung die Ermächtigung zu einer Grundrechtsbeeinträchtigung, muss bei der der Verfassungsbeschwerde vorgeschalteten fachgerichtlichen Kontrolle der betreffenden Maßnahme (→ Rn 87 ff) die inhaltliche Vereinbarkeit der Verordnung mit ihrer gesetzlichen Grundlage geprüft und ggf die Nichtigkeit der Verordnung festgestellt werden.318 Daher dürfte bei einer Urteilsverfassungsbeschwerde, die sich mittelbar gegen eine Verordnung richtet, deren Vereinbarkeit mit ihrer fachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage nicht mehr vom BVerfG zu prüfen sein und sich die verfassungsgerichtliche Kontrolle wiederum auf die Verletzung „spezifischen Verfassungsrechts“ beschränken.319
c) Kontrolle legislativer Prognosen und Wertungen 123
Fraglich ist auch der Umfang der verfassungsgerichtlichen Kontrolle der Prognosen des Gesetzgebers. Im Zeitpunkt des Erlasses einer Norm kann dieser oftmals nicht sicher einschätzen, wie sich die für den Erlass maßgeblichen Umstände in der Zukunft entwickeln und wie sich die Norm auf künftige Lebenssachverhalte auswirken wird. Auch wenn die
315 Vgl BVerfGE 85, 248, 257 f; 65, 317, 322; 62, 338, 343; 18, 85, 92 f. 316 StRspr, vgl BVerfGE 103, 89, 100; 96, 375, 399; 89, 214, 230; 42, 143, 149 f; 42, 163, 168; 18, 85, 93; zur älteren Rspr Scherzberg Grundrechtsschutz und „Eingriffsintensität“, 1989, 41 ff. 317 Vgl BVerfGE 101, 1, 30 f. 318 Mit der Folge, dass eine konkrete Normenkontrolle nach Art 100 I GG unzulässig wäre, vgl BVerfGE 2, 307, 320 f. 319 Hierzu scheint auch das BVerfG zu tendieren, vgl BVerfGE 101, 1, 30 f; die umfassende Prüfung der Vereinbarkeit der VO mit ihrer einfachgesetzlichen Ermächtigung in BVerfGE 62, 117, 148 ff und 65, 248, 259 ff dürfte dem Umstand geschuldet gewesen sein, dass eine Prüfung derselben im Ausgangsverfahren scheinbar nicht stattgefunden hat. Bei einer Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen eine selbstvollziehende Verordnung dürften dagegen die gleichen Maßstäbe gelten wie im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle.
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Richtigkeit der Prognose ungewiss bleibt, ist sie ein unabdingbares Element politischen Entscheidens.320 Für ihre verfassungsgerichtliche Beurteilung hat das BVerfG differenzierte Maßstäbe aufgestellt: Die Ungewissheit über die Auswirkungen eines Gesetzes schließe zwar nicht die Befugnis des Gesetzgebers aus, auch weitreichende Gesetze zu erlassen, begründe aber auch keinen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle generell unzugänglichen legislativen Spielraum. Die Reichweite der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers hänge ab „von der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der Bedeutung der auf dem Spiele stehenden Rechtsgüter“.321 Die Beurteilung von Prognosen des Gesetzgebers durch das BVerfG reicht dementsprechend von einer bloßen Evidenzkontrolle 322 über eine Vertretbarkeitskontrolle323 bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle.324 Dabei prüft das Gericht aus der ex-ante Perspektive, in der sich der Gesetzgeber zum Zeitpunkt des Normerlasses befunden hat.325 Eine aufgrund der tatsächlichen Entwicklung widerlegte Prognose zieht daher nicht die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes nach sich, soweit die an das Verfahren der Prognoseerstellung zu richtenden Rationalitätsanforderungen erfüllt sind.326 Allerdings muss der Gesetzgeber seine auf falscher Prognose beruhende Entscheidung für die Zukunft korrigieren.327 Diese Nachbesserungspflicht besteht auch dann, wenn es (noch) nicht zu einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung eines Gesetzes gekommen ist. Je höher der Rang der betroffenen grundrechtlichen Schutzgüter ist, desto stärker ist der Gesetzgeber verpflichtet, die Auswirkungen seines gesetzlichen Konzepts in der sozialen Wirklichkeit nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens zu beobachten.328 Soweit der Gesetzgeber eine wertende Zuordnung verschiedener grundrechtlich geschützter Rechtsgüter vornimmt oder diese nach selbst gesetzten Zwecken zu beschränken sucht, ist die dabei getroffene Abwägung verfassungsgerichtlich nur überprüfbar, soweit die Verfassung hierfür Maßstäbe zur Verfügung stellt. Dies ist angesichts der Struktur des Grundgesetzes als bewusst unvollständiger Rahmenordnung des Staates 329 nur begrenzt der Fall. Darüber dürfte heute weitgehende Einigkeit erzielt sein, auch wenn die Grenzen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle des Gesetzgebers wohl immer eines der umstrittensten Probleme der Verfassungsrechtsdogmatik bleiben werden. Immerhin lassen sich dem Grundgesetz verschiedene Regelungen entnehmen, die die Ausfüllung verfassungsrechtlicher Spielräume dem Gesetzgeber übertragen und eine Anreicherung und Verdichtung im Wege der verfassungsgerichtlichen Verfassungsentwicklung ausschließen.330 Darüber hinaus weist der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes dem Gesetzgeber die Befugnis
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Ossenbühl in: Festgabe 25 Jahre BVerfG, Bd 1, 1976, 458, 501. BVerfGE 50, 290, 332 f; vgl auch BVerfGE 57, 139, 159; 88, 203, 262; 90, 145, 173; 99, 367, 389 f. Vgl BVerfGE 36, 1, 17; 37, 1, 20; 40, 196, 223; 99, 367, 389 f. Vgl BVerfGE 25, 1, 12 f, 17; 30, 250, 263; 39, 210, 225 f. BVerfGE 50, 290, 332 f; vgl auch 57, 139, 159; 88, 203, 262; 90, 145, 173; 99, 367, 389 f. BVerfGE 113, 167, 234; 30, 250, 264. BVerfGE 113, 167, 234; 83, 203, 263; 79, 311, 344; 68, 193, 220; 50, 290, 332 f. Vgl BVerfGE 25, 1, 13; 50, 290, 335; 57, 139, 162; 88, 203, 309; 95, 267, 314. Vgl BVerfGE 111, 333, 360; 95, 267, 313; 88, 203, 310. BVerfGE 42, 312, 332; Böckenförde Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, 17, 58, 86 f; Isensee in: ders/Kirchhof (Hrsg), HbStR VI, § 162 Rn 47; Starck ebenda, § 164 Rn 5 f. 330 Scherzberg DVBl 1999, 356, 363 ff; im Ansatz auch Meßerschmidt Gesetzgebungsermessen, 2000, 101 ff; 400 f, 1043.
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zur Erstinterpretation der Verfassung zu.331 Das Grundgesetz legt seine gestaltende Umsetzung damit immer dann in parlamentarische Verantwortung, wenn ihm mit den bekannten Argumentationsformen der Verfassungsinterpretation keine hinreichend sicheren Maßstäbe für eine wertende Verfassungskonkretisierung entnommen werden können. Das BVerfG ist deshalb auf die Korrektur methodisch sicher falsifizierbarer Auslegungsergebnisse beschränkt (→ Rn 158, 170).332 3. Grundrechtsverletzung – Vorbemerkungen 125
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Wenn die Begründetheit einer Verfassungsbeschwerde nach dem oben Gesagten voraussetzt, dass der Bf „in einem seiner Grundrechte […] verletzt ist“, geht es dabei um die Verletzung des Grundrechts als eines subjektiv-öffentlichen Rechts.333 Wenn § 95 I BVerfGG demgegenüber anordnet, das BVerfG habe bei der Stattgabe der Verfassungsbeschwerde festzustellen, „welche Vorschrift des Grundgesetzes […] verletzt ist“, bezieht sich dies auf die betreffende Verfassungs- und ggf auch Grundrechtsnorm in ihrem objektiv-rechtlichen Gehalt. Das Grundrecht als subjektives Recht und die Grundrechtsnorm als objektive Regelungsanordnung sind demnach offenbar zu unterscheiden. Die Begriffe „subjektivrechtlich“ und „objektivrechtlich“ werden bezogen auf die Grundrechte aber häufig in anderer und missverständlicher Weise benutzt. So hat sich für die über die sog Eingriffsabwehr hinausgehenden Wirkungsweisen der Grundrechte – insbesondere ihre teilhaberechtliche und ihre schutzpflichtbegründende Dimension – offenbar wegen deren Herleitung aus der vom BVerfG in den Grundrechten erkannten sog „objektiven Wertordnung“ 334 – die Bezeichnung „objektiv-rechtliche Regelungsgehalte“ oder „objektiv-rechtliche Funktionen“ etabliert.335 Dennoch sind nach Auffassung des BVerfG und der herrschenden Lehre auch die Teilhabe- und Schutzpflichtfunktion der Grundrechte grundsätzlich im Wege der Verfassungsbeschwerde durchsetzbar.336 Auch insoweit begründen die Grundrechte also offenbar ein subjektives Recht. Objektiv-rechtliche Regelungsgehalte können sich aber schwerlich zu subjektiven Rechten verdichten. Die Rede vom „objektiv-rechtlichen Regelungsgehalt“ verkennt die aus der allgemeinen Rechtslehre stammende Unterscheidung von subjektivem und objektivem Recht.337 Wie jeder zwingende Rechtssatz begründet eine Grundrechtsnorm zunächst eine objektive Befolgungspflicht ihrer Regelungsadressaten. Sie kann darüber hinaus auch auf die
331 Kirchhof NJW 1996, 1497, 1504; implizit BVerfG, NJW 2003, 3111, 3116, wo das Gericht die verfassungsimmanenten Schranken der konkurrierenden vorbehaltlosen Freiheitsgarantien nicht abschließend selbst bestimmt, sondern ihre Konkretisierung einer (landes)gesetzlichen Regelung überträgt. 332 Näher dazu Scherzberg DVBl 1999, 357, 365 f. 333 Zu Begriff und Funktion des subjektiven Rechts: Röhl Allgemeine Rechtslehre, 325 ff. 334 Zu dieser problematischen Rechtsfigur Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 76 ff; Hesse Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl 1999, Rn 299 ff; Scherzberg Grundrechtsschutz und „Eingriffsintensität“, 1989, 155 ff. 335 Vgl Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 76; Böckenförde Der Staat 29 (1990), 1, 13 ff; Alexy Der Staat 29 (1990), 49 ff. 336 Vgl BVerfGE 33, 303, 332; 48, 127, 161; 53, 30, 57; 76, 1, 49 ff; 77, 170, 214 f; 79, 174, 201 f; BVerfG, JZ 2007, 576; Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 81; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb vor Art 1 Rn 3, 6 ff, 22. 337 Dazu zusammenfassend Scherzberg DVBl 1988, 129, 130.
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Begründung eines subjektiven Rechts des von ihr begünstigten Personenkreises gerichtet sein. Das ist nach den allgemeinen Regeln über die Begründung subjektiver Rechte der Fall, wenn die Grundrechtsnorm den Grundrechtsträger zum Sachwalter eines durch sie geschützten Interesses bestimmt und ihm die Rechtsmacht zur Durchsetzung ihrer objektiven Verhaltensbefehle gegenüber dem Regelungsadressaten einräumt.338 Dass die Grundrechte des Grundgesetzes diese Voraussetzungen erfüllen, ist heute im Grundsatz unbestritten. Sie weisen nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Funktion als Bürger- und Menschenrechte den Begünstigten die Wahrnehmung selbst gewählter Interessen als eigene Angelegenheit zu und gewähren sie als Freiheit, die nur im Rahmen des verfassungsgemäßen Rechts begrenzt werden darf und gegen verfassungswidrige Übergriffe verteidigt werden kann. Die Abwehrbefugnis des Grundrechtsträgers bezieht sich auf alle, dem Schutz dieser Freiheit dienenden objektiv-grundrechtlichen Regelungsanordnungen. Sein Abwehrrecht bezieht sich deshalb nicht, wie in der Tradition der Jellinek’schen Statuslehre 339 heute vielfach noch behauptet,340 auf die Verteidigung einer räumlichgegenständlichen Freiheitssphäre, sondern auf die Abwehr von Verletzungen der (objektiven) Grundrechtsnorm.341 4. Prüfung der Grundrechtsverletzung Aufbau und Inhalt der Begründetheitsprüfung ist von der Art der geltend gemachten Grundrechtsverletzung abhängig. Zu unterscheiden sind: – Freiheitsbeeinträchtigungen mittels Befehl und Zwang oder durch mittelbar-faktische „Eingriffe“; – Sonstige Beeinträchtigungen „realer Freiheit“, etwa durch die Verletzung einer grundrechtlichen Schutzpflicht oder die Nichtgewährung von Teilhabe oder Leistungen; – Verstöße gegen den Gleichheitssatz.
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a) Abwehr imperativer und mittelbar-faktischer Freiheitsbeeinträchtigungen („klassische“ Eingriffsabwehr 342) Fall 21: Durch Bundesgesetz wird das Reiten im Walde nur auf bestimmten, als Reitwege gekennzeichneten Straßen und Wegen gestattet. Wanderwege dürfen nicht als Reitwege gekennzeichnet werden, damit Spaziergänger und Wanderer nicht durch Reitpferde gefährdet werden. Reiter R hält das Gesetz für eine unzulässige Beschränkung seiner grundrechtlichen Freiheit. Da ein Großteil der Waldwege als Wanderwege ausgewiesen sei, seien ausgedehnte Reitausflüge im Wald nicht möglich. Abgesehen davon, dass das Gesetz nicht
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Dazu Scherzberg in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 11 Rn 11. Dazu näher Scherzberg Grundrechtsschutz und „Eingriffsintensität“, 1989, 214 ff. S etwa Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 58; Schlink EuGRZ 1984, 457, 457 f. Scherzberg Grundrechtsschutz und „Eingriffsintensität“, 1989, 214 ff; ders DVBl 1989, 1128, 1135 f; krit zur tradierten Konzeption von Freiheitssphären auch Hoffmann-Riem in: Bäuerle/ Hanebeck/Hausotter/Mayer/Mohr/Mors/Preedy/Wallrabenstein, Haben wir wirklich Recht?, 2004, 53, 57. 342 Berechtigte Einwände gegen die Bezeichnung dieser Grundrechtsfunktion als „klassisch“ bei Grimm Die Zukunft der Verfassung, 2. Aufl 1994, 224 ff; anders aber Stern in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, § 1 Rn 62.
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ordnungsgemäß zustande gekommen sei, weil dem Bundesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz fehlt, stelle es auch eine unverhältnismäßige Freiheitsbeschränkung dar. Der Schutz von Fußgängern sei auch durch entsprechende Rücksichtnahmegebote und andere, seine Freiheit weniger beschränkende Maßnahmen möglich. Wird R mit seinen Einwänden gehört werden? 343
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Fall 22: In einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage zum Thema „Neuere Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften“ bezeichnete sie die „B-Gemeinschaft“ als eine pseudoreligiöse Psycho- und Jugendsekte, die ihre Mitglieder weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit manipuliere, destruktive religiöse Kulte anwende sowie Pseudoheilslehren verbreite. Verletzt dies die „B-Gemeinschaft“ in ihren Grundrechten, wenn die Vorwürfe der Manipulation und Destruktion einer tatsächlichen Grundlage entbehren? 344
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Eine Grundrechtsverletzung durch Verstoß gegen die Pflicht zur Unterlassung von Beeinträchtigungen grundrechtlich geschützter Güter und Freiheiten liegt vor, wenn – die angegriffene Maßnahme den grundrechtlichen Schutzbereich nachteilig berührt, – es sich dabei um eine grundrechtlich erhebliche Beeinträchtigung handelt (sog. Eingriff) und – diese Beeinträchtigung verfassungswidrig ist.345 (1) Bestimmung des Schutzbereiches
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Bei der Bestimmung des grundrechtlichen Schutzbereichs ist zu fragen, welche Grundrechtsnorm für den der Verfassungsbeschwerde zugrundeliegenden Sachverhalt in personeller und sachlicher Hinsicht einschlägig ist.346 Während im Rahmen des personellen Schutzbereichs zu untersuchen ist, wer von dem Grundrecht geschützt ist,347 geht es beim sachlichen Schutzbereich um die Feststellung, ob die in der Verfassungsbeschwerde geschilderten Verhaltensweisen, Befindlichkeiten, Interessen oder Rechtsgüter vom Grundrecht gegenüber staatlichen Beeinträchtigungen geschützt sind. Die Definition des sachlichen Schutzbereichs hat am Wortlaut des in Betracht kommenden Grundrechts anzusetzen. Dort enthaltene Begrenzungen des grundrechtlichen „Tatbestandes“ sind zu berücksichtigen.348 So schützt beispielsweise Art 8 I GG nur das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln, so dass unfriedliche oder bewaffnete Versammlungen von vornherein nicht vom Schutzbereich dieser Norm erfasst werden.349 Begrenzungen müssen nicht verfassungstextlich ausdrücklich benannt sein. Sie können sich auch aus systematischen Erwägungen ergeben. So wird eine Verfassung, die den Staat auf den Schutz von Leben, Gesundheit und Eigentum verpflichtet, nicht gleichzeitig die Tätigkeit eines Berufsverbrechers zum grundrechtlichen Schutzgut erheben. Im
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Fall nach BVerfGE 80, 137. Fall nach BVerfGE 105, 279. Vgl Schoch VerfR, 19. Dreier in: ders, Bd 1 GG, Vorb Rn 79. Dies korrespondiert mit der im Rahmen der Beteiligtenfähigkeit behandelten Frage, wer Träger eines Grundrechts iSd § 90 BVerfGG sein kann, vgl oben B.3. 348 Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb vor Art 1 Rn 20. 349 BVerfGE 69, 315, 360.
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Rahmen des Art 12 I GG ist deshalb nur die allgemein erlaubte Tätigkeit als Beruf geschützt, so dass dieses Grundrecht nur einschlägig ist, wenn eine Betätigung gerade wegen ihrer gewerblichen Ausübung bestimmten Verboten oder Beschränkungen unterliegt.350 Grundrechte wie zB die Vereinigungs- oder die Religionsfreiheit, die das Recht auf einen spezifischen Freiheitsgebrauch gewähren, schützen auch die sogenannte „negative Freiheit“, dh das Recht, von der fraglichen Freiheit gerade keinen Gebrauch zu machen.351 Besondere Freiheitsrechte schließen für den von ihnen erfassten Lebensbereich als speziellere Regelung die Anwendung des Art 2 I GG aus.352 Insbesondere kommt ein Rückgriff auf die allgemeine Handlungsfreiheit dann nicht in Betracht, wenn ein besonderes Freiheitsrecht thematisch einschlägig ist, aber im konkreten Fall keinen Schutz gewährt.353 Ein weitergehendes Verständnis des Art 2 I GG als „totales Auffanggrundrecht“354 würde die grundgesetzlichen Differenzierungen der Freiheitsrechte mit ihren unterschiedlichen Schutzbereichsbegrenzungen und Gesetzesvorbehalten in bedenklicher Weise relativieren.355 Ist ein Lebenssachverhalt vom Schutzbereich mehrerer Grundrechte erfasst, stellt sich die Frage nach der Grundrechtskonkurrenz.356 So kann die Arbeit eines Journalisten von Art 12 I und Art 5 I GG geschützt sein,357 kann Satire der Kunstfreiheit nach Art 5 III oder der Meinungsfreiheit nach Art 5 I GG zugeordnet werden358 und eine Fronleichnamsprozession sich als Versammlung nach Art 8 I GG oder als Form der gemeinsamen Religionsausübung nach Art 4 II GG darstellen.359 Hier ist jeweils auf die Art der Beeinträchti350 Vgl Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 810; Scholz in: Maunz-Dürig, GG, Art 12 Rn 28 f; BVerfGE 7, 377, 397; 78, 179, 193; 81, 70, 85; 113, 29, 48 f. Teilweise wird die Beschränkung auf erlaubte Tätigkeit aber auch abgelehnt, vgl Kahl AöR 131 (2006), 579, 604; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art 12 Rn 7; Breuer in: Isensee/Kirchhof (Hrsg), HbStR VI, 2. Aufl 2001, § 147 Rn 43 f, oder durch den viel zu unbestimmten Ausschluss „gemeinschaftsschädlicher Tätigkeit“ ersetzt, vgl Gubelt in: v. Münch/Kunig, GG I, Art 12 Rn 9; differenzierend Lerche FS Fikentscher, 1998, 541, 544 f, 552 f. 351 Vgl Dreier in: ders, Bd 1 GG, Vorb Rn 87 mwN. 352 Vgl BVerfGE 68, 193, 223 f; 38, 61, 79; 33, 171, 191; 23, 50, 55 f; Erichsen in: Isensee/Kirchhof (Hrsg), HbStR VI, 2. Aufl 2001, § 152 Rn 25. 353 Strittig ist, ob unfriedliche Versammlungen, die nicht unter Art 8 I GG fallen, von der allgemeinen Handlungsfreiheit erfasst werden. Dies hängt letztlich von der Haltung zur Auffangfunktion des Art 2 I GG ab, dazu schon oben B.3.b) sowie B.6.a). Dafür: BVerfG, NJW 1991, 971, 971; Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 34 f; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art 8 Rn 7; Kunig in: v. Münch/Kunig, GG I, Art 8 Rn 37; dagegen: Erichsen in: Isensee/Kirchhof, HbStR VI, § 152 Rn 26; Herzog in: Maunz/Dürig, GG, Art 8 Rn 77; Gusy in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 8 Rn 92; widersprüchlich: Schultze-Fielitz in: Dreier, Bd 1 GG, Art 8 Rn 72. 354 So aber Di Fabio in: Maunz/Dürig, GG, Art 2 I Rn 26 f; auch schon Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art 2 I Rn 6, 8; Dreier in: ders, Bd 1 GG, Art 2 I Rn 22, 66; Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 341 f. 355 Erichsen in: Isensee/Kirchhof, HbStR VI, § 152 Rn 25 ff; Hoffmann-Riem (Fn 341) 53, 73; vgl auch Hesse Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl 1999, Rn 300 ff. Zur Bedeutung des Art 2 I GG als Auffanggrundrecht für Ausländer im Regelungsbereich von Deutschen-Grundrechten → Rn 22. AA Kahl Der Staat 43 (2004), 167, 185 ff. 356 Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb vor Art 1 Rn 17 f. Vgl dazu umfassend: Heß Grundrechtskonkurrenzen, 2000. 357 Vgl Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 338; Schultze-Fielitz in: Dreier, Bd 1 GG, Art 5 I, II Rn 318. 358 Vgl BVerfGE 86, 1, 9 ff. 359 Vgl Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 344; Morlok in: Dreier, Bd 1 GG, Art 4 Rn 76.
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gung abzustellen und zu prüfen, ob ein Grundrecht sich nach seinem Schutzzweck für diesen Typus von Freiheitsminderung als speziellere Norm erweist,360 oder ob das beeinträchtigte Verhalten gleichzeitig von mehreren Grundrechten geschützt wird. Sind verschiedene spezielle Freiheitsrechte einschlägig und lässt sich keines davon als sachnähere Norm identifizieren, muss sich die Beeinträchtigung an beiden Grundrechten messen lassen.361 In der neueren Rechtsprechung des Ersten Senats des BVerfG ist eine Tendenz zur Verengung grundrechtlicher Schutzbereiche zu verzeichnen.362 Was mit dem Ausschluss eigenmächtiger Inanspruchnahme fremden Eigentums aus der Kunstfreiheit begann,363 fand seine Fortsetzung in der Osho-Entscheidung, derzufolge die Bezeichnung „Psychosekte“ den Schutzbereich der Religionsfreiheit nicht berührt,364 und in der Glykol-Entscheidung, welche eine staatliche Einflussnahme auf das Marktgeschehen nicht dem Schutzbereich des Art 12 I 1 GG unterwirft.365 Paradigmatischer Höhepunkt des neuen Ansatzes ist aber die Neuinterpretation der Versammlungsfreiheit des Art 8 GG. Während bislang als Versammlung jede Zusammenkunft galt, die durch die innere Verbindung der Versammlungsteilnehmer zu gemeinsamer Zweckverfolgung gekennzeichnet ist,366 soll zur Eröffnung des Schutzbereichs des Art 8 GG nunmehr die Ausrichtung der Versammlung auf eine Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung erforderlich sein.367 Zur Begründung weist der Erste Senat auf den engen Funktionszusammenhang zwischen Versammlungsfreiheit und Demokratieprinzip hin und stellt fest, in einem parlamentarischen Repräsentativsystem seien die kollektive Meinungskundgabe und der Minderheitenschutz von besonderer Bedeutung.368 So richtig diese Feststellung ist, so bedenklich sind die daraus gezogenen Folgerungen. Der Erste Senat nimmt keine bloße Arrondierung des grundrechtlichen Schutzgehalts vor, sondern verabschiedet die Ursprünglichkeit der Grundrechtsfunktion des Freiheitsschutzes, die im Anerkenntnis der Subjektqualität des Menschen in Art 1 I 1 GG wurzelt. Statt die dem Menschen seiner Natur nach innewohnende Fähigkeit zur Selbstbestimmung als Selbstwert zu schützen, wird das Grundrecht auf Zubringerdienste für Staatsstrukturprinzipien beschränkt. Wortlaut, Entstehungs- und Entwicklungs-
360 Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb vor Art 1 Rn 17 f. 361 Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 343. 362 Ausführliche Diskussion dazu bei Kahl Der Staat 43 (2004), 167 ff; ders AöR 131 (2006), 579, 605 ff; Hoffmann-Riem Der Staat 43 (2004), 203 ff; ders (Fn 341), 53 ff; Volkmann JZ 2005, 261, 265 ff; Möllers NJW 2005, 1973 ff. 363 BVerfG, NJW 1984, 1293 ff. Hierzu Denninger in: Isensee/Kirchhof (Hrsg), HbStR VI, 2. Aufl 2001, § 146 Rn 40 f. 364 BVerfGE 105, 279, 294 f. Für einen engeren Schutzbereich des Art 4 GG auch Böckenförde Der Staat 42 (2003), 165, 179 ff; Dreier in: ders, Bd 1 GG, Vorb Rn 121; krit dazu unten Lösung zu Fall 23 mit Fn 466. 365 BVerfGE 105, 252, 265. Hierzu krit Möllers NJW 2005, 1973, 1975. Volkmann JZ 2005, 261, 266 betont den Verzicht des BVerfG, diese Auffassung auf eine explizite Normauslegung zu stützen. 366 Vgl Schulze-Fielitz in: Dreier, Bd 1 GG, Art 8 Rn 23 f; in diesem Sinne wohl auch BVerfGE 69, 315, 343. 367 BVerfGE 111, 147, 154 f; 104, 92, 104; BVerfG, NVwZ 2005, 80, 80; NJW 2001, 2459, 2460 f. Zur fachgerichtlichen Rezeption siehe etwa VG Stade vom 17.8.2007 Az 1 A 93/05. Zustimmend Hoffmann-Riem Der Staat 43 (2004), 203, 212 f; Enders Jura 2003, 34, 37 f; Jarass in: Jarass/ Pieroth, GG, Art 8 Rn 3. 368 BVerfG, NJW 2001, 2459, 2460; ebenso Hoffmann-Riem Der Staat 43 (2004), 203, 213. Zur Beschränkung des Schutzbereichs vgl Kahl Der Staat 43 (2004), 167, 172; dens AöR 131 (2006), 579, 605 ff; Möllers NJW 2005, 1973, 1976 ff; Dreier in: ders, Bd 1 GG, Vorb Rn 122 (alle krit).
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geschichte der Versammlungsfreiheit enthalten indes keinerlei Hinweis auf eine solche Indienstnahme. Die systematische Zusammenschau der Grundrechte mit kommunikativem und interaktivem Gehalt lässt vielmehr erkennen, dass das Grundgesetz einen auf selbstbestimmte Entfaltung gerichteten, zweckunabhängigen Freiheitsschutz konzipiert: durch die Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit werden individuelle kommunikative Akte, durch die Vereinigungsfreiheit wird die soziale Gruppenbildung jeweils unabhängig von einer inhaltlichen Bewertung des verfolgten Zweckes geschützt.369 Gemeinsamer Anknüpfungspunkt ist dabei das natürliche Bedürfnis des Menschen nach Interaktion als eine Voraussetzung persönlicher Entfaltung. In diesem Kontext steht auch die Versammlungsfreiheit. Sie gewährleistet die Freiheit gemeinschaftlicher Zweckverfolgung in einer Gruppe und trägt damit der Gemeinschaftsbezogenheit des Individuums, seiner vorfindlichen Sozialität, Rechnung.370 Dieser Befund schließt nicht aus, bei der Abwägung grundrechtlich geschützter Interessen mit den der Grundrechtsausübung im Einzelfall entgegenstehenden Gütern neben dem individual-grundrechtlichen Belang auch ein besonderes, mit der Grundrechtsausübung verknüpftes objektives Gemeinwohlinteresse einzustellen.371 Eine sich daraus eventuell ergebende Abstufung bei der Gewichtung verschiedener Formen der Grundrechtsbetätigung muss sich freilich vor der grundrechtlichen Systematik von Schranken und Schranken-Schranken bewähren, folgt mithin einem dogmatisch überprüfbaren Argumentationsmuster und nicht apriorischer verfassungsgerichtlicher Setzung. Zu Unrecht mit der neueren Rechtsprechung des Ersten Senats in Verbindung gebracht wird die terminologische Frage der Eignung des Begriffes des Schutzbereiches.372 Da Grundrechte heute nicht mehr nur Schutz vor dem, sondern auch durch den Staat sowie Leistungs- und Teilhaberechte gewähren (→ Rn 166 ff), mag sich die Einführung des Begriffs „Gewährleistungsgehalt“ durchaus empfehlen.373 Diese terminologische Korrektur ändert aber den Umfang des Gewährten nicht.
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(2) Grundrechtserheblichkeit der Beeinträchtigung (sog Eingriff 374) Nur eine grundrechtserhebliche Beeinträchtigung des Schutzbereichs kann eine Grundrechtsverletzung auslösen. Grundrechtserheblich ist wegen der Beschränkung der Grundrechtsbindung auf staatliche Organe gem Art 1 III GG zunächst nur deren Handeln. Hierzu zählen auch die Gerichte, so dass auch ein zivilgerichtliches Urteil, das den Streit zwischen zwei Privaten entscheidet, als Akt der Judikative grundrechtlichen Disziplinierungen unterliegt.375 Da die Grundrechte in Privatrechtsbeziehungen nur im Rahmen ihrer Ausstrahlungswirkung gelten, ist die fachrichterliche Rechtsanwendung hier freilich in geringerem Umfang grundrechtlich determiniert.376
369 Vgl Bauer in: Dreier, Bd 1 GG, Art 9 Rn 19. 370 Hierzu Depenheuer in Maunz/Dürig, GG, Art 8 Rn 1. 371 Die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes betont Engel VVDStR 60 (2001), 635, 636. 372 So aber Kahl Der Staat 43 (2004), 167, 190. 373 Vgl Hoffmann-Riem Der Staat 43 (2004), 203, 226 ff; St. Meyer Gemeinwohlauftrag, 35 f, 42 f. 374 Zu den unterschiedlichen Bezeichnungen vgl Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 206 ff; den Eingriffsbegriff völlig ablehnend und auf „Einwirkung“ abstellend: Ipsen Staatsrecht II, 10. Aufl 2007, Rn 125 ff. 375 Vgl die stRspr seit BVerfGE 7, 198, 212; aus neuerer Zeit: BVerfGE 81, 242, 253; 82, 272, 280; 86, 1, 10; 89, 214, 229 f; BVerfG, JZ 2007, 576, 577 ff. 376 BVerfGE 66, 116, 135; näher den Fall 11.
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In den ersten Jahrzehnten der Grundrechtsdogmatik ist versucht worden, grundrechtserhebliche Beeinträchtigungen individueller Freiheit und Güter von nicht grundrechtserheblichen Störungen mit Hilfe des „klassischen“ Eingriffsbegriffs zu unterscheiden. Dieser war zunächst durch die Merkmale Finalität, Unmittelbarkeit, Rechtsförmigkeit und Zwang gekennzeichnet,377 was dazu führte, dass bloß unbeabsichtigte Folgen einer auf andere Ziele gerichteten Maßnahme oder lediglich mittelbar-faktische Wirkungen staatlichen Handelns grundrechtlich nicht erheblich und folglich auch nicht abzuwehren waren.378 Mit der Überführung des liberalen in einen sozialen Rechtsstaat durch Art 20 I und Art 28 I GG hat das Grundgesetz den Staat allerdings umfassend zur Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens und zur sozialen Absicherung der individuellen Freiheit ermächtigt und verpflichtet.379 Diese Erweiterung des staatlichen Handlungsauftrages führt nicht nur zur Eröffnung neuer Freiheitschancen durch staatliche Fürsorge-, Planungs- und Lenkungsmaßnahmen, sondern bringt auch neue Formen der Beeinträchtigung der individuellen Lebensgestaltung mit sich. Eine auf die effektive Verwirklichung grundrechtlicher Freiheit zielende Verfassung muss den Staat nicht nur bei direktem Zugriff auf die individuelle Freiheitssphäre disziplinieren, sondern auch dann, wenn er durch Neuordnung der rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen oder sonstigen Rahmenbedingungen des Freiheitsgebrauchs mittelbar auf die tatsächlichen Entfaltungschancen des Einzelnen einwirkt. Gerade auch mittelbar-faktische Beeinträchtigungen der Grundrechtsausübung können deshalb grundrechtlich erheblich sein. Der Eingriffsbegriff als Chiffre für den Versuch, abstrakte Kriterien für die Grundrechtserheblichkeit einer Freiheitsminderung aufzustellen, ist damit überholt. Grundsätzlich kann jedes staatliche Handeln, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht oder erschwert, grundrechtlich erheblich sein.380 Unstreitig ist das bei jeder Beeinträchtigung der Grundrechtsausübung durch Ge- und Verbote oder diesen gleichkommende körperliche Gewalt („Befehl und Zwang“) der Fall. Fraglich sind allein die Fälle einer bloß mittelbaren Beeinträchtigung der tatsächlichen Nutzbarkeit der grundrechtlich eröffneten Freiheitschancen („mittelbar-faktische Freiheitsbeeinträchtigung“). Hier sind grundrechtserhebliche Beeinträchtigungen von bloßen Belästigungen nach dem Schutzzweck der jeweils einschlägigen Grundrechtsbestimmung zu unterscheiden.381 Soweit die Verfolgung bestimmter, mit der Grundrechtsausübung verbundener individueller Interessen durch staatliches Handeln beeinträchtigt werden, ist dies nur dann erheblich, wenn dieses Interesse typischerweise derart eng mit der grundrechtlichen Betäti377 Dreier in: ders, Bd 1 GG, Vorb Rn 124; Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 238; Ipsen Staatsrecht II, Rn 130; Lübbe-Wolff Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, 42 ff. 378 Bleckmann/Eckhoff DVBl 1988, 373, 374 f; Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 239. 379 Vgl Scherzberg Grundrechtsschutz und „Eingriffsintensität“, 1989, 140 ff; Grimm Die Zukunft der Verfassung, 2. Aufl 1994, 411 ff. 380 Vgl BVerfGE 113, 63, 76 f; 105, 279, 299 ff – Osho; Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 240 ff; Gallwas Faktische Beeinträchtigungen, 1970; W. Roth Faktische Eingriffe in Freiheit und Eigentum; A. Roth Verwaltungshandeln mit Drittbetroffenheit, 139 ff; Stern Staatsrecht III/1, § 72 III 4; ders, Staatsrecht III/2, § 78 III 3 b, 2 b; Eckhoff Der Grundrechtseingriff, 1992, 236 ff; Bleckmann/Eckhoff DVBl 1988, 373 ff; Lübbe-Wolff Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, 70 ff; Dreier in: ders, Bd 1 GG, Vorb Rn 82; Scherzberg Grundrechtsschutz und „Eingriffsintensität“, 1989, 145 f; zum Charakter mittelbar-faktischer Freiheitsbeeinträchtigungen vgl auch Scherzberg DVBl 1989, 1128 ff; krit zum Begriff Hoffmann-Riem (Fn 341) 53, 69 ff. 381 Vgl Eckhoff (Fn 380) 252 ff; Dreier in: ders, Bd 1 GG, Vorb Rn 125; siehe auch BVerfGE 105, 279, 294 f – Osho; 105, 252, 265 ff – Glykol.
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gung verknüpft ist, dass sich Freiheitsschutz und Interessenschutz praktisch decken. Das ist etwa bei der Rentabilität einer beruflichen Betätigung im Rahmen des Art 12 I GG oder der Wahrnehmungsmöglichkeit einer Demonstration durch die Öffentlichkeit bei Art 8 I GG der Fall.382 Mittelbar-faktische Beeinträchtigungen der Berufsausübung sind nach Auffassung des BVerfG nur dann grundrechtlich relevant, wenn sie eine objektiv berufsregelnde Tendenz haben 383 oder im Schwerpunkt Tätigkeiten betreffen, die typischerweise beruflich ausgeübt werden.384 Allgemein stellen mittelbar-faktische Nebenfolgen staatlicher Maßnahmen nur dann abwehrrechtlich erhebliche Grundrechtsbeeinträchtigungen dar, wenn sie sich vor dem Hintergrund des Schutzzwecks des einschlägigen Grundrechts nach Zielsetzung und Wirkungen als „funktionales Äquivalent“ eines Eingriffs durch Befehl und Zwang darstellen.385 Bloße Bagatellen, alltägliche Lästigkeiten und subjektive Empfindlichkeiten sind regelmäßig nicht grundrechtserheblich.386 Dies gilt insbesondere hinsichtlich des weiten Schutzbereichs der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art 2 I GG. Würde jede Belastung mit einem Nachteil im Rahmen des Art 2 I GG grundrechtlich relevant,387 würde dies, wie oben gezeigt (→ Rn 70 ff), zu einem vom Grundgesetz nicht intendierten allgemeinen Anspruch des Bürgers auf rechtmäßiges Verhalten des Staates führen. Deshalb sind die Kriterien des klassischen Eingriffsbegriffs für dieses Grundrecht nur mit Vorsicht auszuweiten: Nur Beeinträchtigungen durch Befehl und Zwang und solche mittelbar-faktische Beeinträchtigungen, die dem nach Zielsetzung und Wirkung gleichkommen, sind als grundrechtserhebliche Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit anzusehen.388 An der „Eingriffäquivalenz“ einer den Bf nur mittelbar betreffenden Belastung wird es im Rahmen des Art 2 I GG regelmäßig fehlen, solange – etwa nach Stilllegung einer Straße oder Umwidmung eines bisherigen Naherholungsgebietes zum Baugebiet – zumutbare Alternativen oder Ausweichmöglichkeiten verbleiben.389
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(3) Verfassungsmäßigkeit der Beeinträchtigung Die Feststellung der Grundrechtserheblichkeit einer Beeinträchtigung sagt noch nichts darüber aus, ob auch eine Verletzung des Grundrechts vorliegt. Die Beeinträchtigung muss dazu auch verfassungswidrig sein.390
382 383 384 385 386 387 388
389 390
Vgl Scherzberg Grundrechtsschutz und „Eingriffsintensität“, 1989, 150 f. BVerfGE 98, 218, 258; 97, 228, 254; 95, 267, 302. BVerfGE 97, 228, 254; 113, 29, 48 f. Vgl BVerfGE 105, 279, 303 – Osho. H. H. Klein in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, § 6 Rn 58; Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 248; aA: Stern Staatsrecht III/2, 204 ff. So aber ausdrücklich BVerfGE 9, 83, 88. Krit Dreier in: ders, Bd 1 GG, Vorb Rn 126. So im Ansatz auch Erichsen in: Isensee/Kirchhof (Hrsg), HbStR VI, 2. Aufl 2001, § 152 Rn 75 ff; Dreier in: ders, Bd 1 GG, Art 2 I Rn 51; Lege Jura 2002, 753, 760; Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 380; ganz auf den klassischen Eingriffsbegriff abstellend dagegen Pietzcker FS Bachof, 1984, 131, 145 ff; Höfling in: Friauf/Höfling (Hrsg), GG, 20. Lfg 2007, Art 2 Rn 61 f. Zum Schutz des Art 2 I GG vor Umweltbelastungen Hoppe/Beckmann/Kauch Umweltrecht, 2. Aufl 2000, § 4 Rn 68 ff. Vgl Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 224. Wegen der damit verbundenen Indizierung staatlichen Handelns im Grundrechtsbereich als potentiell rechtswidrig wird hier nicht nach der „verfassungsrechtlichen Rechtfertigung“, sondern schlicht nach der Verfassungsmäßigkeit bzw Verfassungswidrigkeit der Schutzbereichsbeeinträchtigung gefragt.
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(a) Rechtsgrundlage der Grundrechtsbeeinträchtigung 144
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Jede Schutzbereichsbeeinträchtigung muss durch die Verfassung selbst zugelassen sein und entweder auf einer ausdrücklichen oder auf einer der Verfassung durch Auslegung zu entnehmenden immanenten Grundrechtsschranke beruhen. Die Schrankensystematik des GG unterscheidet zwischen Grundrechten mit einfachem Gesetzesvorbehalt, solchen mit qualifiziertem Gesetzesvorbehalt und vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten. In jedem Fall bedarf die Beeinträchtigung grundrechtlich geschützter Freiheiten und Güter einer gesetzlichen Grundlage,391 beinhaltet doch sowohl die Abwägung zwischen Grundrecht und „Eingriffsgut“ als auch die wertende Zuordnung kollidierender Verfassungsgüter einen schöpferischen Akt der Verfassungsinterpretation, für den in der Demokratie des Grundgesetzes primär der Gesetzgeber berufen ist (→ Rn 123 f).392 Das muss grundsätzlich auch für Beeinträchtigungen mittelbar-faktischer Art gelten; zu Recht stellt das BVerfG insoweit differenzierend auf die Vorhersehbarkeit der Beeinträchtigung und die Normierbarkeit des Sachbereiches ab.393 Handelt es sich um ein Grundrecht mit einfachem Gesetzesvorbehalt, muss die grundrechtserhebliche Einwirkung durch ein oder aufgrund eines kompetenzgerecht erlassenen und ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes erfolgen, das den weiteren Anforderungen der sog Schranken-Schranken entspricht (→ Rn 151 ff).394 Einfache Gesetzesvorbehalte finden sich etwa in Art 2 I, Art 2 II 2, Art 10 II 1 und Art 14 I GG. Bei qualifizierten Gesetzesvorbehalten verlangt das Grundgesetz nicht nur eine wirksame gesetzliche Grundlage für die Beeinträchtigung des grundrechtlichen Schutzgutes, sondern benennt die Rechtsgüter ausdrücklich selbst, denen Vorrang vor dem grundrechtlich geschützten Interesse eingeräumt werden darf. Dazu knüpft das Grundgesetz etwa in Art 5 II GG, Art 11 II oder Art 13 II–VII GG an bestimmte Situationen oder mit der Beeinträchtigung verfolgte Zwecke an oder schreibt bestimmte Mittel vor.395 Sind die Anforderungen des qualifizierten Gesetzesvorbehalts nicht erfüllt, kann sich die Verfassungsmäßigkeit einer Grundrechtsbeeinträchtigung aber a maiore ad minus auch aus den für Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt geltenden Regeln ergeben. Für Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt 396 sieht das Grundgesetz zwar keine ausdrückliche Beschränkung vor. Aber auch diese Grundrechte gewährleisten Freiheit nicht grenzenlos. Beschränkungen finden vielmehr ihren verfassungsmäßigen Grund in kollidie-
391 Vgl Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 261 ff; Dreier in: ders, Bd 1 GG, Vorb Rn 141; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb vor Art 1 Rn 43. Dieser Gesetzesvorbehalt hat sich vom Kriterium des „klassischen“ Eingriffs losgelöst und wurde zum Parlamentsvorbehalt für alle grundrechtswesentlichen Fragen weiterentwickelt, vgl BVerfGE 45, 400, 417 ff; 47, 46, 79 f; 49, 89, 126; 58, 257, 268; siehe dazu auch Eberle DÖV 1984, 485, 485 f. 392 So für die Konkretisierung immanenter Schranken zuletzt BVerfG, NZA 2007, 394, 395. Siehe auch H. H. Klein in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, § 6 Rn 59. 393 BVerfGE 105, 279, 303 ff. Die Einschlägigkeit des Gesetzesvorbehalts bei faktisch-mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigungen ist allerdings noch nicht überzeugend geklärt, vgl Volkmann JZ 2005, 261, 269; Hoffmann-Riem AöR 130 (2005), 5, 42 ff. 394 Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 253; Dreier in: ders, Bd 1 GG, Vorb Rn 136. 395 Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 255; Dreier in: ders, Bd 1 GG, Vorb Rn 136. 396 Insbesondere Art 5 III GG. Ob auch Art 4 I, II GG ohne Gesetzesvorbehalt ist oder sich ein solcher aus Art 140 GG iVm Art 136 I WRV ergibt, ist streitig. Vgl dazu: M. Mayer NVwZ 1997, 561, 562 f sowie die Nachweise bei Muckel in: Friauf/Höfling (Hrsg), GG, 20. Lfg 2007, Art 4 Rn 241.
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rendem Verfassungsrecht. „Nur kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte sind mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung […] ausnahmsweise imstande, auch uneinschränkbare Grundrechte in einzelnen Beziehungen zu begrenzen.“ 397 Allerdings erhält nicht jedes Schutzgut oder Interesse, das in der Verfassung Erwähnung findet, dadurch Verfassungsrang. Insbesondere ist kein Rückgriff auf die in qualifizierten Gesetzesvorbehalten anderer Grundrechte erwähnten Rechtsgüter zulässig, da dies einer unzulässigen Schrankenübertragung gleich käme.398 Auch den in den Gesetzgebungskatalogen der Art 73 ff GG genannten Materien kommt allein durch ihre Aufnahme als Kompetenztitel des Bundes kein Verfassungsrang zu.399 Liegt ein gegenläufiges Rechtsgut mit Verfassungsrang vor, ist die Kollision mit dem vorbehaltlos gewährleisteten Grundrecht durch Herstellung „praktischer Konkordanz“,400 dh so aufzulösen, dass beide Verfassungsgüter ihre höchstmögliche Entfaltung erlangen. Kollidiert etwa die durch Art 5 III GG vorbehaltlos gewährleistete Kunstfreiheit mit dem durch Art 2 I iVm Art 1 I GG geschützten Persönlichkeitsrecht, ist zu klären, ob die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts so schwerwiegend ist, dass die Freiheit der Kunst zurückzutreten hat. Dabei zieht die Kunstfreiheit ihrerseits dem Persönlichkeitsrecht Grenzen.401 Uneinheitlich ist die dogmatische Erfassung dieser sog „verfassungsimmanenten Schranken“.402 Teilweise werden sie als eine Form der Begrenzung des Schutzbereichs vorbehaltloser Grundrechte betrachtet, so dass der Gesetzgeber, soweit er die kollidierenden Verfassungsgüter im Wege praktischer Konkordanz zu einem angemessenen Ausgleich bringt, verfassungsunmittelbar bereits gezogene Grenzen lediglich nachvollzieht.403 Demgegenüber dürfte vorzugswürdig sein, verfassungsimmanente Schranken als ungeschriebene,
397 BVerfGE 28, 243, 261; stRspr, vgl aus neuerer Zeit: BVerfGE 81, 278, 292 ff; 83, 130, 139; 84, 212, 228; 103, 293, 306; BVerfG, NZA 2007, 394, 395; vgl Dreier in: ders, Bd 1 GG, Vorb Rn 139 mwN aus der Literatur. 398 Vgl Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb vor Art 1 Rn 46. 399 Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 328; BVerfGE 69, 1, 57 ff (Sondervotum Mahrenholz/Böckenförde): „Bundesstaatliche Kompetenzvorschriften haben den Sinn, die Handlungsbereiche von Bund und Ländern gegeneinander abzugrenzen. Sie legen nicht bestimmte Aufgabenbereiche als notwendige Staatsaufgaben fest, sondern bestimmen, für welche Handlungsbereiche der Bund […] im Verhältnis zu den Ländern zuständig ist. Ihr normativer Gehalt liegt darin, dass in den von ihnen bezeichneten Bereichen das Handeln der Staatsgewalt des Bundes […] erlaubt ist. Sie besagen damit auch, dass das Handeln in diesen Bereichen von der innerbundlichen Verfassungsordnung her nicht überhaupt ausgeschlossen ist. Sie erheben Gegenstände möglichen staatlichen Handelns aber nicht zu materiell-rechtlichen Handlungsaufträgen, -geboten oder sonstigen ‚Wert‘-Entscheidungen, die anderweitig in der Verfassung festgelegte Modalitäten oder Begrenzungen staatlichen Handelns wieder aufheben oder einschränken.“ Anders noch BVerfGE 28, 243, 261; 69, 1, 21; Pieroth AöR 114 (1989), 422, 431 ff; Stern Staatsrecht III/2, 1994, 582 ff. 400 Zu diesem Begriff vgl Ossenbühl in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, § 15 Rn 30; Hesse Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl 1999, Rn 72, 317 ff. 401 BVerfGE 67, 213, 228; dass dabei unterschiedliche Konfliktlösungen verfassungskonform sein können, betont BVerfGE 108, 282, 301 ff; krit dazu Sacksofsky NJW 2003, 3297, 3300. 402 V. Münch in: Münch/Kunig, GG I, Vorb Rn 56; Dreier in: ders, Bd 1 GG, Vorb Rn 139. 403 BVerfGE 30, 173, 193; unlängst BVerfG, DVBl 2007, 1425, 1426; Hesse Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl 1999, Rn 72, 312; wohl auch in diese Richtung tendierend Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 332 ff; vgl aber auch ebd Rn 323.
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in besonderer Weise qualifizierte Gesetzesvorbehalte, als „Eingriffsermächtigung aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts“ zu deuten. Eine Begrenzung bereits auf Schutzbereichsebene hieße, dass der grundrechtliche Schutzbereich einzelfallabhängig und damit nicht mehr abstrakt zu bestimmen ist.404 Zudem unterläge die gesetzliche Regelung jenseits der Herstellung der „praktischen Konkordanz“ keiner weiteren Prüfung von „SchrankenSchranken“ (→ Rn 151 ff) und damit geringeren Anforderungen als sie für Grundrechtseinschränkungen aufgrund eines ausdrücklichen Gesetzesvorbehalts gelten. Dies dürfte der Intention des Verfassunggebers zuwiderlaufen, den vorbehaltlosen Grundrechten einen besonders weitreichenden Schutz zu verleihen.405 Nicht um einen Gesetzesvorbehalt handelt es sich, wenn das grundrechtliche Schutzgut einer gesetzlichen Ausformung bedarf,406 wie dies vor allem für das Eigentum in Art 14 I GG, für die Gründung von Vereinen und Gesellschaften gem Art 9 I GG und für das Rechtsinstitut der Ehe gem Art 6 I GG gilt. Die Grundrechte knüpfen insoweit an ein unterverfassungsrechtliches Regelungsgefüge an, das die verfassungsrechtlich geschützten Institutionen und Gestaltungsmöglichkeiten überhaupt erst eröffnet und definiert. Diese Ausgestaltung ist nur in den Grenzen des Art 19 II GG – etwa wenn die Verfassung erkennbar an bestimmte Traditionen anknüpft – verfassungsrechtlich determiniert (→ Rn 159 ff).407 Allerdings kann sich die Änderung bestehender rechtlicher Regelungen für die Inhaber von nach altem Recht erworbenen Rechten oder Status als grundrechtserhebliche Beeinträchtigung darstellen.408
(b) Schranken-Schranken 151
Ein Gesetz, das zu grundrechtlich erheblichen Beeinträchtigungen führt und den Schrankenregelungen des Grundgesetzes entspricht, unterliegt weiteren verfassungsrechtlichen Anforderungen, für die sich der Begriff „Schranken-Schranken“ eingebürgert hat.409
(aa) Verbot des grundrechtseinschränkenden Einzelfallgesetzes, Art 19 I 1 GG 152
Das Gesetz muss gem Art 19 I 1 GG allgemein und darf nicht nur für den Einzelfall gelten. Mit dieser Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes 410 wird dem Gesetzgeber verboten, „aus einer Reihe gleichartiger Sachverhalte willkürlich einen Fall heraus-
404 Dreier schlägt vor, die „verfassungsimmanenten Schranken“ als der Verfassung insgesamt, nicht aber dem jeweiligen Schutzbereich als Schranke innewohnend aufzufassen (Dreier in: ders, Bd 1 GG, Vorb Rn 139). 405 Vgl Lübbe-Wolff Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, 94 ff; Lege DVBl 1999, 569, 572. 406 BVerfGE 112, 1, 21; Ipsen, Staatsrecht II, Rn 149 ff. 407 Vgl Scherzberg DVBl 1999, 356, 365; Cornils Die Ausgestaltung der Grundrechte, 2005, 633 ff, passim. Krit dazu Kahl AöR 131 (2006), 579, 603. 408 So stellt die generell-abstrakte Beschränkung der Nutzungsmöglichkeit des Eigentums durch eine Änderung des Denkmal- oder Umweltschutzrechts für den davon betroffenen Grundrechtsträger eine zwar grundrechtserhebliche Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art 14 I GG, aber keine Enteignung nach Art 14 III GG dar, vgl BVerfGE 100, 226, 240; 83, 201, 211 ff; 70, 191, 200. 409 Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 274 f. Krit zu diesem Begriff Ipsen Staatsrecht II, Rn 170. 410 BVerfGE 25, 371, 399. Vgl Dreier in: ders, Bd 1 GG, Art 19 I Rn 16; Krebs in: v. Münch/Kunig, GG I, Art 19 Rn 10 spricht von einem „qualifizierten Gleichheitsgebot“.
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zugreifen.“ 411 Daher liegt kein Einzelfallgesetz vor, wenn es nur eine Sachverhaltskonstellation der betroffenen Art gibt und deren besondere gesetzliche Behandlung sachlich angemessen erscheint 412 oder wenn eine Vorschrift zwar gegenwärtig nur einen Fall betrifft, es aber in der Zukunft weitere Anwendungsfälle geben kann.413 Für den Fall der Legalenteignung wird das Verbot des Einzelfallgesetzes in Art 19 I GG durch Art 14 III 1 GG als lex specialis verdrängt.414
(bb) Zitiergebot, Art 19 I 2 GG Förmliche Gesetze, die ein Grundrecht einschränken oder dazu ermächtigen, müssen gem Art 19 I 2 GG das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen. Mit diesem Zitiergebot soll erreicht werden, dass sich der Gesetzgeber die Auswirkungen seiner Regelungen für die betroffenen Grundrechte vergegenwärtigt.415 Deshalb muss ein Änderungsgesetz, welches zu neuen Grundrechtseinschränkungen ermächtigt, laut einer kürzlich erfolgten Klarstellung des BVerfG auch dann die einzuschränkenden Grundrechte zitierten, wenn das geänderte Gesetz bereits eine Zitiervorschrift enthielt.416 Das Zitiergebot dient neben seiner Signalfunktion gegenüber dem Gesetzgeber zugleich der Information der Gesetzesadressaten über die beabsichtigte Grundrechtsbeschränkung.417 Es soll nach der Auffassung des BVerfG jedoch nur bei Grundrechten zur Anwendung kommen, „die aufgrund ausdrücklicher Ermächtigung vom Gesetzgeber eingeschränkt werden dürfen“,418 und greift nur im Hinblick auf gezielte und unmittelbare Einwirkungen ein.419 Keine Anwendung findet das Zitiergebot daher auf allgemeine Gesetze iSd Art 5 II GG,420 den Regelungsvorbehalt des Art 12 I GG,421 Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Art 14 I GG 422 sowie bei Art 16a II, III GG.423 Nicht erfasst werden zudem die ungeschriebenen Ausgestaltungsaufträge, etwa in Art 6 I und Art 9 GG, sowie die auf verfassungsimmanente Schranken gestützten Gesetze bei vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten.424 Auch bei vorkonstitutionellen Gesetzen findet das Zitiergebot keine Anwendung.425
411 412 413 414 415 416 417 418 419 420 421 422 423 424 425
BVerfGE 85, 360, 374. BVerfGE 85, 360, 374; 25, 371, 399; Krebs in: v. Münch/Kunig, GG I, Art 19 Rn 10. BVerfGE 13, 225, 228 f; 24, 33, 52; 99, 367, 400. BVerfGE 95, 1, 26; Krebs in: v. Münch/Kunig, GG I, Art 19 Rn 12. BVerfGE 64, 72, 79; 85, 386, 403 f; 113, 348, 366 f; Herzog in: Maunz/Dürig, GG, Art 19 I Rn 48; Dreier in: ders, Bd 1 GG, Art 19 I Rn 18. BVerfGE 113, 348, 367. Krebs in: v. Münch/Kunig, GG I, Art 19 Rn 14. BVerfGE 83, 130, 154; 64, 72, 79; 113, 348, 366; aA Dreier in: ders, Bd 1 GG, Art 19 I Rn 20; Huber in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 5. Aufl 2005, Art 19 I Rn 74. Krebs in: v. Münch/Kunig, GG I, Art 19 Rn 16; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art 19 Rn 4. BVerfGE 28, 282, 289; 33, 52, 77 f. BVerfGE 13, 97, 122; 64, 72, 80 f; aA Manssen in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 12 I Rn 7. BVerfGE 21, 92, 93; 24, 367, 398. Pieroth in: Jarass/Pieroth, GG, Art 16a Rn 24, 30. BVerfGE 83, 130, 154; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art 19 Rn 5. BVerfGE 2, 121, 122; 5, 13, 16; 28, 36, 46. Kritisch zu der insgesamt sehr weitgehenden Einengung des Wirkungsbereichs des Zitiergebots: Dreier in: ders, Bd 1 GG, Art 19 Rn 26 f; Herzog in: Maunz/Dürig, GG, Art 19 I Rn 57 f; M. Mayer JA 1998, 345, 349 f.
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(cc) Übermaßverbot 154
Bedeutsamste Schranken-Schranke bei der Begrenzung von Grundrechten ist das Übermaßverbot,426 in anderer Terminologie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinn,427 das aus dem Rechtsstaatsprinzip,428 Art 19 II GG 429 und dem Wesen der Grundrechte abgeleitet wird.430 Das Übermaßverbot besteht aus vier Teilgeboten: Die staatliche Maßnahme muss einen legitimen Zweck verfolgen sowie zur Erreichung dieses Ziels geeignet, erforderlich und angemessen sein.431
(a) Legitimer Zweck 155
Auch bei einer weitgehenden Zwecksetzungsbefugnis des Gesetzgebers sind Grundrechtseinschränkungen nur zulässig, wenn das gewählte Ziel nicht außerhalb des verfassungsrechtlich Zulässigen liegt.432 Dementsprechend untersucht das BVerfG regelmäßig, ob der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck verfassungsgemäß ist.433 Damit darf jedoch die aus der grundsätzlichen Allzuständigkeit des Staates folgende Befugnis des Gesetzgebers zur Definition von (neuen) Staatsaufgaben nicht in Zweifel gezogen werden. Zu fragen ist deshalb nur, ob die Verfolgung des gewählten Zwecks nicht ausnahmsweise verfassungsrechtlich unzulässig ist. Maßstäbe dafür finden sich insbesondere in den Diskriminierungsverboten des Art 3 III und 33 II, III GG, aber zB auch in Art 26 und Art 87a GG.
(b) Geeignetheit 156
Das Gebot der Geeignetheit schließt die zur Erreichung des angestrebten Zwecks untauglichen Maßnahmen als verfassungswidrig aus. Mangelnde Eignung ist allerdings nur zu konstatieren, wenn mit Hilfe des gewählten Mittels der gewünschte Zweck nicht gefördert werden kann oder die Möglichkeit der Zweckereichung schlechthin ausgeschlossen erscheint.434 Unerheblich ist demgegenüber, ob es sich um das optimale Mittel handelt435 oder es in jedem Einzelfall wirksam ist.436
(g) Erforderlichkeit 157
Die Erforderlichkeit verlangt, dass es kein milderes Mittel zur Erreichung des angestrebten Ziels gibt, kein Mittel also, welches bei gleicher Effektivität eine weniger intensive Grund-
426 Grundlegend: Lerche Übermaß und Verfassungsrecht, 1961. 427 Vgl zur uneinheitlichen Terminologie Krebs Jura 2001, 228, 228 f. 428 Sobota Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, 234 ff, 253; Stern Staatsrecht III/2, 1994, 767 ff; BVerfGE 19, 342, 348 f; 61, 126, 134; 69, 1, 35; 76, 1, 50; 76, 256, 359; 80, 109, 120. 429 Erichsen in: Isensee/Kirchhof (Hrsg), HbStR VI, 2. Aufl 2001, § 152 Rn 29; ders Jura 1988, 387, 388; Krebs in: v. Münch/Kunig, GG, Art 19 Rn 24. 430 Kunig Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, 354 ff; Alexy Theorie der Grundrechte, 1985, 100 ff; BVerfGE 19, 342, 348 f; 61, 126, 134; 76, 1, 50 f; 77, 308, 334. Vgl zur verfassungsrechtlichen Verortung ausführlich Krebs Jura 2001, 228, 229. 431 Vgl v. Münch in: Münch/Kunig, GG I, Vorb Rn 55. 432 BVerfGE 30, 292, 316. Vgl Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 280. 433 Vgl BVerfGE 81, 156, 188 f; 65, 1, 54 f; 37, 1, 19 f; 13, 97, 107. 434 BVerfGE 111, 160, 175; 96, 10, 23; 67, 157, 173 ff; 33, 171, 187; 30, 292, 316. 435 Stern Staatsrecht III/2, 776 f; Sachs in: ders, GG, Art 20 Rn 150. 436 BVerfGE 67, 157, 175; Schultze-Fielitz in: Dreier, Bd 2 GG, Art 20 (Rechtsstaat) Rn 183.
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rechtsbeeinträchtigung mit sich bringen würde.437 Die Maßnahme ist nicht erforderlich, wenn ihr Zweck durch ein gleich wirksames, aber weniger belastendes Mittel erreicht werden kann.438 Dabei ist nicht nur die Belastung des Bf, sondern auch diejenige Dritter und der Allgemeinheit einzubeziehen.439 Bei der oft schwierigen Beurteilung des komplexen Bezuges von Eingriff und Eingriffszweck kommt dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum hinsichtlich der Prognose der erwarteten Effekte sowohl im Hinblick auf die Erreichung der mit der Maßnahme beabsichtigten Ziele als auch hinsichtlich des Ausmaßes der zu erwartenden Grundrechtsbeeinträchtigung zu (→ Rn 123 f).440
(d) Angemessenheit Nach heute fast einhellig vertretener Auffassung ist das Übermaßverbot auch dann verletzt, wenn die Grundrechtsbeeinträchtigung nicht angemessen erscheint. Die Angemessenheit 441 der Maßnahme soll durch Abwägung zwischen der Schwere der grundrechtlichen Beeinträchtigung und dem Gewicht des mit der Maßnahme verfolgten Belanges bestimmt werden.442 Genau genommen lassen sich freilich nicht Zweck und Mittel, sondern nur Kosten und Nutzen einer Grundrechtsbeeinträchtigung ins Verhältnis setzen, und ist dabei neben dem Gewicht von „Schutz- und Eingriffsgut“ auch das Ausmaß ihrer Förderung bzw Belastung durch die fragliche Regelung nebst weiteren Nebenfolgen einzustellen. Wegen der Wertungsabhängigkeit dieser Abwägung besteht allerdings die Gefahr, dass das BVerfG seine eigenen Maßstäbe an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt, ohne dies aus der Verfassung überzeugend herleiten zu können.443 Insoweit ist zu vergegenwärtigen, dass das Grundgesetz immer dann, wenn es sich einer Gewichtung und Bewertung des Eingriffsgutes enthält, auch keine Maßstäbe für die Abwägung dieses Gutes mit dem beschränkten Freiheitsinteresse bietet. So weisen Grundrechte mit einfachem Gesetzesvorbehalt die Entscheidung über das Eingriffsziel und die Auswahl der Mittel zu dessen Verfolgung abschließend dem Gesetzgeber zu und verzichten insoweit auf eine verfassungseigene Determinierung.444 Aber auch im Übrigen kommt dem Gesetzgeber bei der Gewichtung des verfolgten Regelungsziels und seiner Abwägung mit dem
437 Dreier in: ders, Bd 1 GG, Vorb Rn 149; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art 20 Rn 85; BVerfGE 102, 197, 217; 92, 262, 274; 68, 193, 218 f; 67, 157, 176 ff; 53, 135, 146. 438 Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 285; Schultze-Fielitz in: Dreier, Bd 2 GG, Art 20 (Rechtsstaat) Rn 183. 439 Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art 20 Rn 85; Manssen Grundrechte, 2000, Rn 152; vgl BVerfGE 81, 70, 91 f; 77, 84, 110 f. 440 BVerfG, NJW 2007, 617, 617; Vgl Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 282; vgl allgemein zur Kontrolle legislativer Prognosen: Ossenbühl in: Festgabe 25 Jahre BVerfG, Bd 1, 1976, 458, 501 ff. 441 Auch als Zumutbarkeit, Proportionalität oder Verhältnismäßigkeit ieS bezeichnet, vgl Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art 20 Rn 86; Dreier in: ders, Bd 1 GG, Vorb Rn 145 f. 442 Dreier in: ders, Bd 1 GG, Vorb Rn 149; Schultze-Fielitz in: Dreier, Bd 2 GG, Art 20 (Rechtsstaat) Rn 184. Vgl BVerfGE 102, 197, 220; 92, 277, 327; 90, 145, 173; 83, 1, 19; 80, 297, 312; 76, 1, 51; 68, 193, 219; 65, 1, 5. 443 Vgl Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 293, die wegen fehlender rationaler und verbindlicher Maßstäbe in der Verfassung die Prüfung der Verhältnismäßigkeit ieS gegenüber dem Gesetzgeber völlig ablehnen. Vgl dazu auch schon Schlink Abwägung im Verfassungsrecht, 1976, 78 f, 152 f; Kahl Der Staat 43 (2004), 167, 180 f; Martins DÖV 2007, 456, 460. 444 Scherzberg DVBl 1999, 356, 364; das BVerfG steht insoweit vor den bereits oben (→ Rn 123 f) skizzierten Grenzen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle.
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beeinträchtigten Grundrecht eine Einschätzungsprärogative zu.445 Eine Verletzung der Angemessenheit lässt danach nur feststellen, wenn die Kosten der Maßnahme ihren Nutzen ersichtlich überwiegen.446
(dd) Wesensgehalts- und Institutsgarantie, Art 19 II GG 159
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Nach Art 19 II GG darf in keinem Fall ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.447 Entgegen der Systematik des Art 19 GG findet diese Vorschrift nach hM auf alle Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte Anwendung 448 und stellt eine „verfassungsrechtliche Minimalgarantie“ für den Grundrechtsschutz auf.449 Diese ist nach zutreffender Auffassung auch auf den Schutz des individuellen subjektiven Grundrechts bezogen, so dass eine Grundrechtsbeeinträchtigung verfassungswidrig ist, wenn der einzelne Grundrechtsträger von seinen Grundrechten keinen Gebrauch mehr machen kann.450 Den verfassungsändernden Gesetzgeber bindet die Wesensgehaltsgarantie allerdings nicht.451 Der Wesensgehalt eines Grundrechts ist allerdings relativ in Bezug auf die Umstände des Einzelfalls zu bestimmen, so dass Art 19 II GG jenseits eines letzten unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung, der durch die unantastbare Würde des Menschen geschützt und der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogen ist,452 einem die individuelle Grundrechtsposition überwiegenden Allgemeininteresse Raum lässt 453 und die Wesensgehaltsgarantie im Ergebnis mit den Anforderungen des Übermaßverbots übereinstimmt.454 Art 19 II GG ist auch Grundlage für eine nicht nur, aber vor allem bei normgeprägten Grundrechten zu beachtende weitere Schranken-Schranke, die sog Institutsgarantie.455 Als Institutsgarantie soll Art 19 II GG sicherstellen, dass das Grundrecht auch nach seiner gesetzlichen Einschränkung oder Ausgestaltung „für das soziale Leben im Ganzen“ noch Wirksamkeit entfaltet.456 So ist die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe gem § 211 StGB mit Art 2 II 2 iVm Art 19 II GG nur vereinbar, weil es in der Bundesrepublik nur zu einer geringen Zahl derartiger Verurteilungen kommt.457 Für die normgeprägten
445 Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art 20 Rn 86; Ipsen Staatsrecht II, Rn 182; Sachs in: ders, GG, Art 20 Rn 151. 446 Vgl BVerfGE 44, 353, 373. 447 Vgl grundlegend Häberle Die Wesensgehaltsgarantie des Art 19 II GG, 3. Aufl 1983. 448 Vgl die Nachweise bei Dreier in: ders, Bd 1 GG, Art 19 II Rn 9; vgl auch BVerfGE 61, 82, 113. 449 Scherzberg Grundrechtsschutz und „Eingriffsintensität“, 1989, 210. 450 Dreier in: ders, Bd 1 GG, Art 19 II Rn 12 mwN; Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 305; vgl auch BVerfGE 80, 367, 373; 45, 187, 270 f; 32, 373, 379. Der Gesetzesvorbehalt zu Art 2 II 1 GG, der einen das individuelle Leben des Einzelnen auslöschenden Eingriff in das Grundrecht auf Leben zulässt, ist lex specialis zu Art 19 II GG, so dass in diesem Fall die Wesensgehaltsgarantie nicht durch die völlige individuelle Zerstörung des Grundrechts angetastet ist, vgl Kunig in: v. Münch/ Kunig, GG I, Art 2 Rn 85; Dreier in: ders, GG, Art 19 Rn 10. AA Herzog FS Zeidler, Bd 2, 1987, 1415, 1424; Brenner Staat 32 (1993), 493, 504 ff; Erichsen NJW 1976, 1721, 1724. 451 BVerfGE 109, 279, 310 f. 452 BVerfGE 80, 367, 373 f. 453 BVerfGE 109, 133, 156; aA Stern Staatsrecht III/2, 865 ff. 454 Vgl Dreier in: ders, Bd 1 GG, Art 19 Rn 16 f; Maunz in: Maunz/Dürig, GG, Rn 16 ff. 455 Vgl Häberle Die Wesensgehaltsgarantie des Art 19 II GG, 3. Aufl 1983, 236 ff. 456 BVerfGE 2, 266, 285. 457 Erichsen Jura 1992, 142, 147; zur Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe BVerfGE 45, 187, 242 ff; 72, 105, 113.
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Grundrechte, deren Schutzgüter durch einfachgesetzliche Regelungen erst hervorgebracht und ausgestaltet werden, verlangt die Institutsgarantie den Fortbestand derjenigen Regeln, die für die Existenz und Funktionsfähigkeit der betreffenden Rechtsinstitute unabdingbar sind.458 Sie gewährleistet also, dass diese auch nach einer gesetzlichen Neuordnung etwas umfassen, „was den Namen des Grundrechts noch verdient“,459 die Ehe beispielsweise als eine lebenslang gedachte Verbindung erhalten bleibt. Die bewahrende Kraft der Institutsgarantie ist allerdings begrenzt, muss doch auch das Institutionelle einer Anpassung an veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen zugänglich sein.460
(ee) Sonstiges Verfassungsrecht, insbesondere Bestimmtheitsgrundsatz und Rückwirkungsverbot Auch aus übrigen Bestimmungen des Grundgesetzes können sich Anforderungen ergeben, die über die einschlägigen Grundrechte als Schranken-Schranken subjektiviert sind.461 Bei der damit aufgeworfenen Frage nach der „Verfassungsmäßigkeit im übrigen“ kann vor allem auf das Erfordernis rechtsstaatlicher Klarheit und Bestimmtheit und das Rückwirkungsverbot einzugehen sein, welches in Art 103 II GG für Normen des Strafrechts eine besondere Ausprägung gefunden hat und im übrigen auf dem Rechtsstaatsprinzip des Art 20 III GG beruht.462 Aber auch die Vereinbarkeit einer Regelung mit anderen Staatszielbestimmungen und sonstigem objektiven Verfassungsrecht kann im Einzelfall fraglich sein.
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Lösung Fall 22: Da spezielle Freiheitsrechte nicht einschlägig sind, könnte sich R auf Art 2 I GG berufen. Dieses Grundrecht schützt nach Auffassung des BVerfG und der hM die allgemeine Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne und nicht nur einen begrenzten Bereich der Persönlichkeitsentfaltung, so dass auch das Reiten in den Schutzbereich des Art 2 I GG fällt. Das Verbot, auf bestimmten Wegen zu reiten, stellt als rechtliche Beschränkung der Handlungsfreiheit auch eine grundrechtserhebliche Beeinträchtigung dar.463 Die allgemeine
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458 Für die Eigentumsgarantie vgl Bryde in: v. Münch/Kunig, GG I, Art 14 Rn 32 ff. 459 BVerfGE 24, 367, 389 zu Art 14 I GG; vgl Ipsen Staatsrecht II, Rn 153. Für Art 6 I GG vgl Coester-Waltjen in: v. Münch/Kunig, GG I, Art 6 Rn 12 ff; BVerfGE 10, 59, 66 f; 31, 58, 69 f; 80, 81, 92. Für die Ausgestaltung der Vereinigungsfreiheit sind die Grenzen des Zulässigen enger, ohne dass dabei die Figur der Institutsgarantie begrifflich verwendet wird, vgl Jarass in: Jarass/ Pieroth, GG, Art 9 Rn 14; Bauer in: Dreier, Bd 1 GG, Art 9 Rn 48. 460 Vgl Häberle Die Wesensgehaltsgarantie des Art 19 II GG, 3. Aufl 1983, 171; Bryde Verfassungsentwicklung, 1982, 20 f spricht in etwas anderem Zusammenhang von „stillem Verfassungswandel“. 461 Auch wenn dies in der Rechtsprechungspraxis des BVerfG vielfach im Kontext des Art 2 I GG geprüft wird (vgl etwa BVerfGE 91, 335, 338 f; 78, 123, 126; 69, 381, 385), gilt das Erfordernis der „Verfassungsmäßigkeit im übrigen“ in gleicher Weise für die Beeinträchtigung der speziellen Freiheitsrechte, siehe etwa BVerwGE 19, 128, 131. 462 Pieroth in: Jarass/Pieroth, GG, Art 103 Rn 40. Vgl zum Bestimmtheitsgebot: BVerfGE 49, 168, 181; 59, 104, 114; 62, 169, 183; 80, 103, 107 f; 110, 33, 53 ff; 110, 370, 396 f; 113, 348, 375 f; Schultze-Fielitz in: Dreier, Bd 2 GG, Art 20 (Rechtsstaat) Rn 129 ff; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art 20 Rn 60 ff; zum Rückwirkungsverbot: BVerfGE 63, 343, 356 f; 67, 1, 14 ff; 72, 175, 196 ff; BVerfG DVBl 2006, 1370, 1371; Schultze-Fielitz in: Dreier, Bd 2 GG, Art 20 (Rechtsstaat) Rn 151 ff; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art 20 Rn 67 ff; M. Mayer DZWiR 1998, 402, 403. 463 Vgl BVerfGE 80, 137, 152 ff; aA Sondervotum Grimm ebenda 164 ff.
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Handlungsfreiheit ist aber nur in den Schranken des Art 2 I GG gewährleistet und kann – nach heutigem Verständnis des Vorbehalts der verfassungsmäßigen Ordnung als eines einfachen Gesetzesvorbehalts 464 – durch oder aufgrund eines formell und materiell mit der Verfassung zu vereinbarenden Gesetzes eingeschränkt werden. Ein solches liegt nur vor, wenn die Kompetenz- und Verfahrensvorschriften sowie die verfassungsrechtlichen SchrankenSchranken beachtet wurden.465 Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich vorliegend aus Art 74 I Nr 29, 1. Alt iVm Art 72 I GG. Fraglich ist, ob das Übermaßverbot verletzt wurde. Die Regelung verfolgt den legitimen Zweck, die freie Entfaltung und die Gesundheit von Wanderern zu schützen. Dazu sind gefährliche Begegnungen von Reitern und Wanderern zu verhindern. Deren Trennung auf verschiedenen Waldwegen ist dazu geeignet. Die Maßnahme ist erforderlich, da Rücksichtnahmegebote zugunsten der Wanderer schon mangels vollständiger Beherrschbarkeit von Tieren kein in gleicher Weise geeignetes Mittel wären, um Gefährdungen auszuschließen. Ob das Grundrecht angesichts seines einfachen Gesetzesvorbehalts überhaupt Maßstäbe für die Prüfung der Angemessenheit des Reitverbots bereithält, ist fraglich. Jedenfalls ergeben sich keine Anhaltspunkte für ein deutliches Missverhältnis zwischen dem Ausmaß der Beeinträchtigung der Reiter, die grundsätzlich, wenn auch nur in beschränktem Umfang, weiterhin ihrem Sport nachgehen können, und dem Nutzen der Maßnahme für die Gesundheit und Erholungsmöglichkeiten anderer Personen im Wald. Das Übermaßverbot ist mithin gewahrt.
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Lösung Fall 23: Die Äußerungen der Bundesregierung greifen zwar nicht rechtlich in die Religionsausübungsfreiheit der „B-Gemeinschaft“ ein, da ihr nicht verboten wird, weiterhin tätig zu sein und neue Mitglieder zu werben und aufzunehmen. Sie enthalten aber eine deutliche Abwertung der „B-Gemeinschaft“, können damit bei potentiellen Interessenten erhebliche Vorbehalte gegenüber dieser Vereinigung wecken und sind deshalb geeignet, deren grundrechtliche Betätigung mittelbar und faktisch zu beeinträchtigen. Diese Art der Beeinträchtigung kommt angesichts ihrer Zwecksetzung und Wirkungen einem rechtlichen Betätigungsverbot nahe und ist deshalb vom Schutzzweck des Grundrechts erfasst, also auch grundrechtserheblich.466 Fraglich ist, ob sie dem – auch bei den vorbehaltlosen Grundrechten zu beachtenden (→ Rn 144 ff) – Gesetzesvorbehalt unterliegen. Das BVerfG hat dies im vorliegenden Fall verneint. Der Gesetzesvorbehalt erfasse mittelbar-faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen nur dann, wenn der betroffene Sachbereich staatlicher Normierung zugänglich sei. Daran fehle es, wenn sie Folge eines komplexen Geschehensablaufes seien und vom Verhalten Dritter abhängen, welches der Staat nicht unmittelbar steuern könne. Dies sei bei der Informationstätigkeit der Bundesregierung vorliegend der Fall. Daher genüge hierfür die grundgesetzliche Zuweisung der Aufgabe, staatsleitend tätig zu
464 StRspr seit BVerfGE 6, 32, 37 ff; vgl aus neuerer Zeit BVerfGE 91, 335, 338 f; Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 383. 465 Vgl BVerfGE 80, 137, 153. 466 Vgl BVerfGE 105, 279, 298 ff. Anders dort aber hinsichtlich der Begriffe „Sekte“, „Jugendreligion“, „Jugendsekte“ und „Psychosekte“: Diese enthielten keine diffamierenden oder verfälschenden Darstellungen, sondern bewegten sich im Rahmen einer sachlich geführten Informationstätigkeit und stellten schon daher keine Beeinträchtigung der Rechte der Bf’in dar, ebd 295 ff. Diese Einschätzung ist angesichts der mit dem Sektenbegriff im allgemeinen Sprachgebrauch verbundenen Herabwürdigung schon vom Tatsächlichen her fragwürdig, angesichts des Gebots der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates aber um so mehr als normativer Befund.
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sein.467 Auch bei deren Umsetzung seien aber die Maßstäbe des Übermaßverbots zu beachten. Die Bezeichnung der „B-Gemeinschaft“ als „destruktiv“, „pseudoreligiös“ und „manipulierend“ sei diffamierend und unangemessen, nicht durch hinreichend gewichtige, durch Tatsachen gestützte Gründe getragen und deshalb verfassungswidrig.
Das BVerfG schränkt damit freilich die Geltung des Gesetzesvorbehalts in dogmatisch nicht nachvollziehbarer Weise ein. Staatliche Warnungen und Handlungsempfehlungen zielen darauf ab, befolgt zu werden. Sie haben also steuernde Funktion und sind in ihren Wirkungen intendiert und vorhersehbar. Entsprechend absichtsvoll herbeigeführte Grundrechtsbeeinträchtigungen unterliegen nach den eigenen Maßstäben des Gerichts den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts.468 Das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage lässt sich entgegen der Auffassung des BVerfG auch nicht mit dem Hinweis auf die Zuweisung der Aufgabe der Staatsleitung an die Bundesregierung kompensieren. Die Herleitung einer Ermächtigung zur Grundrechtsbeeinträchtigung aus einer bloßen Aufgabenzuweisung ist mit dem Stand der Entwicklung deutscher Rechtsstaatlichkeit unvereinbar.469 Dies gilt um so mehr, als die Aufgabe „Staatsleitung“ für die Bundesregierung im Grundgesetz weder erwähnt noch näher definiert ist und deshalb zweifelhaft bleibt, inwieweit sie überhaupt die Beobachtung und Kommentierung von Vorgängen aus dem gesellschaftlichen Bereich umfasst.470
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b) Schutzpflichten Fall 24: B wohnt in unmittelbarer Nähe zu einer Hochfrequenz-Mobilfunksendeanlage, die die auf Empfehlungen der Strahlenschutzkommission gesetzlich festgelegten Strahlengrenzwerte einhält. Weitergehende Schutzmaßnahmen wurden abgelehnt, weil sich deren Notwendigkeit nicht durch verlässliche wissenschaftliche Erkenntnisse belegen lasse. B hält die Genehmigung der Sendeanlage wegen der Ungewissheit über das Risikopotential derartiger Anlagen mit der staatlichen Schutzpflicht für Leben und Gesundheit für unvereinbar.471
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Grundrechtsnormen begründen nicht nur Abwehrrechte des Einzelnen gegenüber staatlicher Grundrechtsbeeinträchtigung, sondern sind auch Leitprinzipien für Normgebung und Rechtsanwendung, in der Terminologie des BVerfG „Elemente objektiver Ordnung“,472 die den staatlichen Organen die fortlaufende Verwirklichung des „Verfassungsziels Freiheit“ auch außerhalb imperativer Einwirkungen auf grundrechtliche Schutzgüter auferlegen. Als wesentliche, teilweise miteinander verknüpfte Facetten des „objektiven“
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467 BVerfGE 105, 279, 301 ff. 468 Vgl allgemein zur Geltung des Gesetzesvorbehalts für staatliches Informationshandeln: Erichsen Zur Umsetzung der Richtlinie des Rates über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt, 1992, 126 ff. 469 Dazu nur Schoch DVBl 1991, 667, 668. 470 Vgl Murswiek NVwZ 2003, 1, 6 f; zur Kritik auch Huber JZ 2003, 290, 292 ff; Ruge ThürVBl 2003, 49, 51 ff. 471 Fall nach BVerfG, DÖV 2002, 521, 521. 472 Zur Kritik an dieser Begrifflichkeit oben → Rn 126 f.
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grundrechtlichen Freiheitsschutzes sind bislang vor allem die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte auf Rechtsbeziehungen des Privatrechts,473 die Verpflichtung des Gesetzgebers zu grundrechtsfreundlicher Ausgestaltung des grundrechtsrelevanten Organisations- und Verfahrensrechts,474 das allgemeine Gebot zu freiheitsfördernder Aktivität des Staates, insbesondere zur Gewährung von Teilhabe an öffentlichen Einrichtungen,475 sowie die Pflicht zur Bewahrung der grundrechtlichen Freiheitssphäre vor Beeinträchtigungen durch Dritte, die sog grundrechtlichen Schutzpflichten, herausgearbeitet worden. Letztere sollen hier exemplarisch behandelt werden.
(1) Bestehen der Schutzpflicht 168
Die Grundrechte begründen die Pflicht des Staates, das grundrechtliche Schutzgut vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten Dritter zu bewahren.476 Das BVerfG hat dies vor allem für das Grundrecht auf Leben und Gesundheit aus Art 2 II 1 GG herausgearbeitet,477 aber auch bei anderen Grundrechten, wie der aus Art 2 I GG folgenden Vertragsfreiheit,478 der Berufsfreiheit aus Art 12 GG 479 sowie der Koalitionsfreiheit aus Art 9 III GG 480 von staatlichen Schutzpflichten gesprochen.481 Spezielle Ausprägungen findet die Schutzpflicht in dem von Art 1 I 2 GG geforderten Schutz der Menschenwürde und dem Schutzauftrag zugunsten der Mutter in Art 6 IV GG. Tendenziell erstreckt sich die Schutzpflichtdimension der Grundrechte auf alle Freiheitsrechte,482 möglicherweise auch auf die Wahrung des Gleichbehandlungsgebots, jedenfalls soweit besondere Gleichheitsrechte in Frage stehen.483
(2) Schutzpflichtauslösende Gefährdungslage 169
Die Schutzpflicht greift zunächst bei konkret drohenden Schutzgutbeeinträchtigungen durch Übergriffe Privater. Sie können nach allgemeiner Ansicht aber auch schon im Vorfeld drohender Schädigungen bei bloßen Grundrechtsgefährdungen ansetzen.484 Insoweit
473 BVerfGE 7, 198, 204 ff; 73, 261, 269; 81, 242, 253 ff; 89, 214, 229 f; BVerfG, NJW 2007, 3055, 3055 f. Vgl dazu umfassend Bäuerle Vertragsfreiheit und Grundgesetz, 2001, 280 ff. 474 BVerfGE 46, 325, 334 f; 49, 220, 225; 52, 380, 389 f; 53, 30, 65 f; 57, 295, 320; 69, 315, 355 f; K. Hesse EuGRZ 1978, 427, 434 ff; Grimm NVwZ 1985, 865, 865 f; Bethge NJW 1982, 1, 1 f. 475 BVerfGE 33, 303, 330 ff; 35, 79, 115 f; 75, 40, 62 ff; vgl auch Heintschel v. Heinegg/Haltern JA 1995, 333, 337. 476 Vgl BVerfGE 39, 1, 41 f; 46, 160, 164; 49, 24, 53; 49, 89, 142; 56, 54, 73; 77, 170, 214; 79, 174, 201 f; 88, 203, 251; BVerfG, NJW 2007, 2167, 2169 f. Vgl zur dogmatischen Begründung der Schutzpflicht Calliess Rechtsstaat und Umweltstaat, 2000, 437 ff; Erichsen Jura 1997, 85, 86. 477 Vgl dazu grundlegend Murswiek Die staatliche Verantwortung für Risiken der Technik, 1985; Hermes Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987. 478 BVerfGE 89, 214, 232 479 BVerfGE 81, 242, 255 f, 260 f; 84, 133, 146 f; 92, 26, 46; 92, 140, 150 ff; 97, 169, 175 ff; BVerfG, NZA 2005, 41, 42; 153, 155. 480 BVerfGE 92, 26, 38 ff. 481 Zu weiteren Grundrechten vgl die Nachweise bei Jarass in: FS 50 Jahre BVerfG, 2001, Bd 2, 35, 37 f. 482 Dreier in: ders, Bd 1 GG, Vorb Rn 104. 483 Vgl BVerfGE 89, 276, 285 ff, wo das Gericht die grundrechtliche Schutzpflicht auf Art 3 II GG bezieht. Vgl auch Erichsen Jura 1997, 85, 87. 484 BVerfGE 49, 89, 132; 56, 54, 78.
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stellt sich die Frage, welche Gefährdungslage und welches Gefährdungsniveau die staatliche Schutzpflicht auslösen.485 Das lässt sich abstrakt schwer bestimmen. Immerhin wird man in Anlehnung an den polizeirechtlichen Gefahrenbegriff mit seiner Verknüpfung von Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß davon ausgehen können, dass die Grundrechte sowohl bei hoher Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadens als auch bei hohem Schadenspotential zu Maßnahmen des vorbeugenden Rechtsgüterschutzes verpflichten und das Maß der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, bei dem die Schutzpflicht ausgelöst wird, mit der Intensität des zu erwartenden Schadens und der Bedeutung des bedrohten Rechtsgutes abnimmt.486 Jedoch spielt die Frage nach der schutzpflichtauslösenden Gefährdungslage nur bei völliger Untätigkeit des Staates eine Rolle. Hat der Staat bereits Schutzmaßnahmen getroffen, kommt es allein auf das erforderliche Maß der Schutzgewährung an.487
(3) Maß und Umfang der Schutzpflicht Wird eine die Schutzpflicht auslösende Gefährdungslage bejaht, ist die weitere Frage zu beantworten, welches Maß an Schutz die Verfassung fordert. Dem Wortlaut der Grundrechte lässt sich insoweit nichts entnehmen. Allerdings sprechen sowohl funktionell-rechtliche als auch systematische Erwägungen dafür, aus deren Schutzgedanken bindende Vorgaben an den Gesetzgeber nur behutsam abzuleiten. Das Grundgesetz entscheidet als konkretisierungsoffene und -bedürftige Rahmenordnung die in ihm geregelten Rechtsfragen nicht abschließend selbst, sondern weist die wesentlichen Entscheidungen über die Ausgestaltung der Rechtsordnung dem Gesetzgeber zu.488 Dies muss besonders bei der Umsetzung der staatlichen Schutzpflicht gelten, für deren Erfüllung eine Vielzahl zulässiger Alternativen zu Verfügung stehen, unter denen das Grundgesetz keine erkennbare Auswahl trifft.489 Dementsprechend hat auch das BVerfG betont, dass die Frage, wie der Staat seine Verpflichtung zu einem effektiven Grundrechtsschutz erfüllt, in erster Linie vom Gesetzgeber zu entscheiden ist. Ihm komme bei der Umsetzung der grundrechtlichen Schutzpflicht ein großer Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu, der auch Raum für die Berücksichtigung konkurrierender öffentlicher und privater Interessen lässt.490 In der Zweiten Abtreibungsentscheidung hat das BVerfG die den Gesetzgeber treffenden Pflichten zutreffend als Untermaßverbot 491 charakterisiert, welches unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter einen auf sorgfältigen Tatsachenermittlungen und vertretbaren Einschätzungen beruhenden Mindeststandard wirksamen Grundrechtsschutzes verlange.492 Hieraus wurden in der besagten Entscheidung dann allerdings
485 Vgl hierzu Hermes Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, 226 ff; Scherzberg Grundrechtsschutz und „Eingriffsintensität“, 1989, 194 ff. 486 Hermes ebd 236 f. 487 Vgl Hermes ebd 237 ff zur Frage des hinzunehmenden Restrisikos bei zwar nur geringer Schadenseintrittswahrscheinlichkeit, aber hohem Schadenspotential. 488 Vgl Scherzberg DVBl 1999, 356, 363 ff. 489 Grimm Die Zukunft der Verfassung, 2. Aufl 1994, 436; vgl auch BVerfG, JZ 1997, 777, 778. 490 BVerfGE 39, 1, 44. 491 Dazu schon vorher Isensee in: Isensee/Kirchhof (Hrsg), HbStR V, 2. Aufl 2000, § 111 Rn 165; Scherzberg Grundrechtsschutz und „Eingriffsintensität“, 1989, 208 ff. 492 BVerfGE 88, 203, 254 f.
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detaillierte Anforderungen für die Ausgestaltung des Schutzes des nasciturus durch die Rechtsordnung abgeleitet und damit die sich aus dem grundrechtlichen Untermaßverbot ergebenden Anforderungen deutlich überspannt.493 171
Lösung Fall 24: Die staatliche Schutzpflicht für Leben und Gesundheit umfasst auch den Schutz vor den von Anlagen Privater ausgehenden ionisierenden Strahlen, soweit diese Gesundheitsgefahren begründen können. Allerdings ist fachwissenschaftlich nicht geklärt, ob und in welchem Ausmaß Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Mobilfunksendeanlagen zu befürchten sind. Grundsätzlich müssen, wie das BVerwG im Zusammenhang mit § 7 II Nr 3 AtG betont hat, auch solche Schadensmöglichkeiten in Betracht gezogen werden, „die sich nur deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können und daher noch keine Gefahr, sondern nur ein Gefahrenverdacht oder ‚Besorgnispotential‘ besteht.“ 494 In dieser Situation der Ungewissheit kommt dem Gesetzgeber bei der Einschätzung und Bewältigung der grundrechtlichen Gefährdungslage aber ein besonderer Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zu. Insbesondere besteht keine Pflicht zur Vorsorge gegen rein hypothetische Gefährdungen. Die Schutzpflicht verlangt daher nicht, Grenzwerte zum Schutz vor Immissionen aufzustellen oder zu verschärfen, soweit über deren gesundheitsschädigende Wirkungen keine verlässlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen. Es bleibt nach Auffassung des BVerfG deshalb allein der politischen Entscheidung überlassen, ob bei gebotener Beachtung konkurrierender Interessen Vorsorgemaßnahmen auf wissenschaftlich ungeklärter Tatsachengrundlage ergriffen werden sollen.495 Ob der grundrechtliche Schutzauftrag im Fall des Gefahrenverdachts damit erschöpfend beschrieben ist, erscheint allerdings zweifelhaft.496
c) Gleichheitsrechte 172
Fall 25: Durch das Transsexuellengesetz, mit dem der besonderen Situation Transsexueller im Namensrecht Rechnung getragen werden soll, ist geregelt, dass Personen, die sich aufgrund ihrer transsexuellen Prägung nicht mehr dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen Geschlecht zugehörig fühlen, unter näher definierten Voraussetzungen ohne vorherigen geschlechtsanpassenden operativen Eingriff ihren Vornamen gerichtlich ändern lassen können, sofern sie mindestens fünfundzwanzig Jahre alt sind (sog „kleine Lösung“). Namensänderungen nach geschlechtsanpassender Operation (sog „große Lösung“) sind schon mit 18 Jahren möglich. Der 22-jährige transsexuelle B, bei dem die sonstigen Voraussetzungen für eine Namensänderung vorliegen, möchte ohne operativen Eingriff seinen Vornamen ändern lassen. Er hält die Altersgrenze bei der kleinen Lösung für unvereinbar mit Art 3 I GG.497
493 Vgl die aus der Schutzpflicht abgeleiteten konkreten Mindestanforderungen an die Rechtsordnung in BVerfGE 88, 203, 264 ff. Kritisch hierzu: Hermes/Walther NJW 1993, 2337, 2337; Scherzberg DVBl 1999, 356, 366. 494 BVerwGE 72, 300, 315. 495 Vgl BVerfG DÖV 2002, 521, 521 f. 496 Zumindest eine Verpflichtung des Staates zur Durchführung oder Veranlassung weiterer Sachaufklärung (Risikobegleitforschung) dürfte dem Grundrecht zu entnehmen sein; vgl dazu Scherzberg VVDStRL 63 (2004), 214, 243 ff; auch Di Fabio DÖV 1995, 1, 7; Köck ZUR 2002, 349, 351. 497 Fall nach BVerfGE 88, 87.
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Art 3 I GG gebietet, Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln.498 Bei der Prüfung des Gleichheitssatzes ist stets an vorgängiges staatliches Verhalten anzuknüpfen und danach zu fragen, ob die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Maßnahme im Vergleich dazu eine unzulässige (Un-)Gleichbehandlung von verschiedenen Personen oder Sachverhalten darstellt. Daher ist die Prüfung der Gleichheitsrechte zweistufig aufgebaut: Ausgangspunkt ist die Bestimmung eines geeigneten Vergleichspaares, also zweier Vergleichsobjekte, die in verfassungsrechtlich relevanter Weise gleich bzw ungleich behandelt werden. Daran schließt sich die Frage an, ob diese Gleich- bzw Ungleichbehandlung verfassungswidrig ist.499
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(1) (Un-)Gleichbehandlung Typischer Ausgangspunkt der Prüfung des Art 3 I GG ist die Feststellung einer Ungleichbehandlung. Verfassungsrechtlich relevant ist eine Ungleichbehandlung nur, wenn es sich um die unterschiedliche Behandlung zweier vergleichbarer Sachverhalte handelt. Vergleichbarkeit iSv Art 3 I GG liegt nur vor, wenn ein unter einen gemeinsamen Oberbegriff (genus proximum) fallendes, aber anhand eines speziellen Merkmals (differentia specifica) unterscheidbares Vergleichspaar gebildet werden kann.500 Zur Bestimmung des gemeinsamen Oberbegriffs ist auf einer höheren Abstraktionsstufe nach einer verbindenden Gemeinsamkeit der Vergleichsobjekte zu suchen. Der Oberbegriff (zB Lebewesen, handelbare Ware, Fortbewegungsmittel) muss sich nach sachlichen Gesichtspunkten von anderen Oberbegriffen unterscheiden lassen. Keine Vergleichbarkeit besteht allein aufgrund der Zuordnung zu nicht oder kaum noch unterscheidbaren Begriffen wie Objekt, Phänomen oder Ding. Die Ungleichbehandlung zweier Vergleichsobjekte ist nur verfassungsrechtlich relevant, wenn die verglichenen Maßnahmen der gleichen Rechtssetzungs- oder Vollzugsgewalt zuzurechnen sind. Art 3 I GG bindet jeden Träger öffentlicher Gewalt nur in seinem Zuständigkeitsbereich,501 so dass eine Verletzung des Gleichheitssatzes allein deshalb, weil ein anderer Hoheitsträger einen vergleichbaren Sachverhalt anders behandelt, nicht in Betracht kommt.502
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(2) Verfassungsmäßigkeit der (Un-)Gleichbehandlung Menschen und Sachverhalte sind nie in allen ihren Aspekten gleich. Art 3 I GG fordert deshalb Gleich- bzw Ungleichbehandlung in wesentlichen Merkmalen.503 Liegt eine Gleichbzw Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte vor, ist deshalb danach zu fragen, ob diese in wesentlichen Merkmalen gleich bzw ungleich sind.504 Das beantwortet sich weder „aus der Natur der Sache“ noch aus begrifflichen Überlegungen.505 Maßstäbe hierfür 498 BVerfGE 3, 58, 135; 42, 64, 72; 71, 255, 271. 499 Schoch VerfR, 25 f; anders Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art 3 Rn 4 ff, der auch bei Gleichheitsrechten von Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung ausgeht. 500 Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 433; bei fehlender Unterscheidbarkeit liegt keine Vergleichbarkeit, sondern Identität vor, vgl Heun in: Dreier, Bd 1 GG, Art 3 Rn 18, 23. 501 Gubelt in: v. Münch/Kunig, GG, Art 3 Rn 8; BVerfGE 21, 54, 68; 76, 1, 73; 79, 127, 158; 113, 167, 182. 502 Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 431; BVerfGE 16, 6, 24; 42, 20, 27; 52, 42, 57 f; 93, 319, 351. 503 BVerfGE 98, 365, 385; 81, 108, 117; 71, 39, 53. 504 Vgl BVerfGE 49, 148, 165. 505 So aber Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 435, wonach für die Wesentlichkeit eines Merkmals ausreichen soll, dass sich zwei Vergleichsobjekte unter einen einheitlichen Oberbegriff fassen lassen. Damit ist aber überhaupt erst Vergleichbarkeit hergestellt.
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können sich vielmehr aus der Verfassung selbst ergeben und in deren Grenzen durch den Gesetzgeber oder nach Maßgabe zulässiger Delegation von der Exekutive gesetzt werden. Anzuknüpfen ist grundsätzlich an den Regelungs- oder Maßnahmezweck. Die Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes bestimmen sich relativ in Bezug auf das mit der zu prüfenden Regelung oder Maßnahme verfolgte Regelungsziel.506 Es ist daher zu prüfen, ob die betroffenen Personen oder Sachverhalte im Hinblick auf dieses Ziel als im Wesentlichen gleich oder ungleich zu beurteilen sind. Das erfordert eine wertende Zuordnung von Differenzierungsziel und -mittel. Diese steht im Mittelpunkt der Prüfung des Gleichheitssatzes im Rahmen der Verfassungsbeschwerde. Teilweise nimmt die Verfassung diese Zuordnung ganz oder teilweise selbst vor. So bestimmt Art 38 II GG das Alter zum zulässigen Unterscheidungskriterium für die Bestimmung der Wahlberechtigung, und verbietet Art 33 II GG für den Zugang zu öffentlichen Ämtern eine Anknüpfung an andere Kriterien als die Eignung, Befähigung und fachliche Leistung.507 Art 3 II und III GG enthalten weitere Diskriminierungsverbote. Unterscheidet sich ein Vergleichspaar in einem der dort genannten Merkmale, ist dieser Unterschied von Verfassungs wegen nicht „wesentlich“ und darf an ihn zur Begründung von Ungleichbehandlungen nicht angeknüpft werden.508 Auch aus sonstigen Verfassungsbestimmungen, etwa aus Art 6 I, IV und V,509 Art 9 III,510 Art 28 I,511 Art 33 I und III 512 sowie Art 38 I 1 GG 513 können sich Vorgaben für die Bestimmung dessen ergeben, was als wesentlich gleich bzw ungleich anzusehen ist. So verbietet Art 6 I GG, dass der Gesetzgeber Ehe und Familie gegenüber anderen Lebensgemeinschaften schlechter stellt und Verheiratete nur deshalb, weil sie verheiratet sind, beim Bezug staatlicher Leistungen gegenüber Ledigen benachteiligt.514 Soweit es an speziellen verfassungsrechtlichen Vorgaben fehlt, ist zu fragen, welche Anforderungen Art 3 I GG an die von Gesetzgeber und Rechtsanwender getroffene Zuordnung von Differenzierungsziel und -mittel stellt. Wurde Art 3 I GG ursprünglich als reines Willkürverbot verstanden, bei dem jeder sachliche Grund Differenzierungen wie Entdifferenzierungen trägt,515 definiert das BVerfG die Anforderungen an die Verfassungsmäßigkeit einer (Un-)Gleichbehandlung in neuerer Zeit anhand der Intensität, mit der eine Ungleichbehandlung die Betroffenen trifft. Bei der Prüfung des Gleichheitssatzes sind nach seiner „neuen Formel“ je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Maßstäbe zu verwenden, die „vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse“ 516 reichen können.
506 507 508 509 510 511 512 513 514 515 516
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Erichsen Jura 1992, 142, 147. Erichsen Jura 1992, 142, 147. Heun in: Dreier, Bd 1 GG, Art 3 Rn 116. Vgl Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 458a f; BVerfG, DÖV 1991, 838, 840. BVerfGE 3, 225, 240. BVerfGE 3, 225, 240. Vgl Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 470 ff. Vgl Pieroth/Schlink Grundrechte, Rn 460 ff. Vgl BVerfGE 99, 216, 235 ff; 75, 382, 393. Vgl Bryde/Kleindiek Jura 1999, 36, 37 f. BVerfGE 88, 87, 96; 91, 389, 401; 95, 267, 316; BVerfG, NJW 2000, 1471, 1478; BVerfG, DVBl 2007, 821, 828.
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Ausgangspunkt für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Ungleichbehandlung bleibt danach das Willkürverbot.517 Danach ist die Ungleichbehandlung nur dann verfassungswidrig, wenn sich für sie kein sachlich vertretbarer Grund finden lässt und die Ungleichbehandlung deshalb als willkürlich angesehen werden muss.518 Dem Gesetzgeber wird bei der Setzung und Zuordnung von Differenzierungsziel und -mittel weitgehende Gestaltungsfreiheit eingeräumt,519 die nur auf die Einhaltung äußerster Grenzen zu überprüfen ist.520 Die Unsachlichkeit der Differenzierung muss evident sein, um sie dem Gesetzgeber nach Art 3 I GG entgegenhalten zu können.521 In bestimmten Fällen sollen nach der „neuen Formel“ hingegen strengere Anforderungen gelten und soll eine erhöhte Kontrolldichte geboten sein.522 Diese strengere Prüfung wird am Maßstab der Verhältnismäßigkeit durchgeführt, wonach der die Ungleichbehandlung rechtfertigende Grund in angemessenem Verhältnis zum Grad der Ungleichbehandlung stehen muss.523 Art 3 I GG ist danach verletzt, „wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnte.“ 524 Schwierigkeiten bereitet noch die Frage, wann dieser strengere Maßstab an gesetzliche Differenzierungen zu stellen ist.525 Teilweise wird darauf abgestellt, auf welchen Gründen die Ungleichbehandlung beruht, und zwischen internen, aus der Eigenart der Sachverhalte stammenden und externen, durch gesellschaftliche Nutzenerwägungen veranlassten Zwecken differenziert.526 Im letzteren Fall sei die Ungleichbehandlung nicht auf „Erwägungen der Gerechtigkeit“ oder die Natur der Sache gestützt und daher der strengeren Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterziehen.527 Gesetzliche Regelungen sind jedoch häufig aus einer Gemengelage von unterschiedlichen Zielen motiviert und können auch bei der Verfolgung externer Zwecke nach internen Gerechtigkeitsmaßstäben differenzieren.528 In neuerer Zeit wird verstärkt auf das Differenzierungsmerkmal selbst abgestellt und danach gefragt, ob die Differenzierung anhand von in der Person des Normadressaten liegenden Merkmalen, wie etwa der sexuellen Orientierung oder der Staatsangehörigkeit begründet wird. Ist dies der Fall, soll eine strengere Prüfung indiziert sein, wenn sich 517 Bryde/Kleindiek Jura 1999, 36, 37 f; aA Leisner NJW 1995, 1516 und Zuck MDR 1986, 723, 724, die zu Unrecht meinen, das BVerfG habe mit der „neuen Formel“ den Maßstab des Willkürverbots gänzlich aufgegeben. 518 BVerfGE 83, 1, 23; 91, 118, 123; 97, 271, 291. Zum Versuch, das Willkürverbot theoretisch näher zu erfassen vgl Bleckmann Die Struktur des allgemeinen Gleichheitssatzes, 1995, 70 ff. 519 BVerfGE 80, 109, 118. 520 BVerfGE 18, 121, 124; 50, 57, 77; 74, 182, 200. 521 BVerfGE 55, 72, 90; 88, 87, 97; 89, 132, 142; 99, 367, 389; BVerfG, NVwZ 2007, 937, 940. 522 Vgl Hesse AöR 109 (1984), 174, 188 ff; Wendt NVwZ 1988, 778, 781. 523 BVerfGE 88, 126, 146; 99, 165, 178; 102, 68, 87. 524 BVerfGE 55, 72, 88; 82, 60, 86; 95, 39, 45. 525 Vgl zur bereichsspezifischen Abgrenzung zwischen Willkürprüfung und „neuer Formel“ umfassend: Bryde/Kleindiek Jura 1999, 36 ff; auch Kallina Willkürverbot und Neue Formel, 2001, passim. 526 Huster Rechte und Ziele, 1993, 165 ff. 527 Huster (Fn 526) 225 ff; ders JZ 1994, 541, 543 f; Sachs JuS 1997, 124, 129 bezeichnet diese nicht lediglich der Verschiedenheit der Regelungsgegenstände entsprechende Ungleichbehandlung als „Eingriff in das Gleichheitsgrundrecht“. 528 Vgl Bryde/Kleindiek Jura 1999, 36, 39.
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dieses Merkmal den personenbezogenen Differenzierungsverboten des Art 3 III GG annähert oder die Differenzierung mittelbar an von grundrechtlichen Freiheitsrechten geschützten Merkmalen der persönlichen Entfaltung ansetzt und sich deshalb auf die Ausübung der grundrechtlich geschützten Freiheit nachteilig auswirken kann.529 Bei der Willkürkontrolle verbleibt es hingegen, wenn der Ungleichbehandlung keine Differenzierung nach persönlichen Merkmalen zugrunde liegt. Sie greift nach Ansicht des BVerfG ferner für die Regelung von hochkomplexen Zusammenhängen Platz, bei denen vielfältige konfligierende Interessen berücksichtigt werden müssen und für die dem Gesetzgeber daher ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht.530 Auf eine Willkürkontrolle beschränkte sich das BVerfG deshalb bei der Überprüfung von Regelungen zur Sanierung des Staatshaushalts,531 bei wirtschaftslenkenden und wirtschaftsordnenden Maßnahmen 532 sowie bei rechtsgestaltenden Maßnahmen zur Herstellung der Einigung Deutschlands.533 Lösung Fall 25: Gemeinsame Bezugsgruppe des Transsexuellengesetzes sind transsexuelle Personen ohne geschlechtsanpassende Operation. Wird einer solchen Person, soweit sie unter 25 Jahren ist, die Namensänderung verwehrt, könnte darin eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem liegen. Ausgangspunkt für die „Wesentlichkeit“ ist der Zweck des Gesetzes, jüngere Transsexuelle vor Fehlentscheidungen zu schützen. Fraglich ist, ob dieses Differenzierungsziel die vorgesehene Ungleichbehandlung trägt. Eine evidente Unsachlichkeit der Unterscheidung wird man angesichts des mit ihr verfolgten Zwecks nicht feststellen können. Indes knüpft die Differenzierung nach dem Alter an ein personenbezogenes Merkmal an und wirkt sich erheblich auf den vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art 2 I iVm Art 1 I GG umfassten Schutz der engeren Lebenssphäre, insbesondere des Intim- und Sexualbereichs aus. Daher ist auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des BVerfG nicht das Willkürverbot als Maßstab anzuwenden, sondern ist die Ungleichbehandlung der strengeren Prüfung anhand ihrer Verhältnismäßigkeit zu unterziehen. Der Zweck der Unterscheidung, nämlich jüngere Transsexuelle davor zu schützen, sich überstürzt und vorzeitig auf das andere Geschlecht zu fixieren, wird mit der Altersgrenze für die kleine Lösung nicht mit hinreichender Sicherheit erreicht. Angesichts des Umstandes, dass ihnen die Möglichkeit der geschlechtsanpassenden Operation bereits mit 18 Jahren eröffnet ist, könnten sich jüngere Transsexuelle dazu entschließen, diesen irreversiblen Weg zu wählen, wenn sie nur so die Voraussetzungen für eine Vornamensänderung im Rahmen der großen Lösung schaffen können. Hier hätte eine frühzeitige Fehlentscheidung weit schwerwiegendere Folgen. Die Altersgrenze für die kleine Lösung hält einer Verhältnismäßigkeitskontrolle demnach nicht stand. Sie führt – am verfolgten Regelungsziel gemessen – zu einer Ungleichbehandlung im Wesentlichen gleicher Sachverhalte und ist deshalb verfassungswidrig.534
529 Vgl BVerfGE 74, 9, 24; 82, 126, 146; 88, 5, 12; 88, 87, 96; 89, 15, 22 f; 89, 365, 375 f; 90, 46, 56; 91, 346, 362 f; 91, 389, 401 f; 93, 99, 111. Vgl auch Bryde/Kleindiek Jura 1999, 36, 42 ff; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art 3 Rn 19, 21; Sachs JuS 1997, 124, 127. 530 Bryde/Kleindiek Jura 1999, 36, 44. 531 BVerfGE 60, 16, 42 f; 61, 43, 63; 64, 158, 169. 532 BVerfGE 18, 315, 331 f; 50, 290, 338. 533 BVerfGE 84, 90, 130 f; 95, 143, 157 f; 102, 254, 299; vgl auch Bryde/Kleindiek Jura 1999, 36, 44; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art 3 Rn 24. Vgl schon zuvor zu Fragen der Kriegsfolgenregelung: BVerfGE 27, 259, 286; 53, 164, 178; 71, 66, 76. 534 Vgl BVerfGE 88, 87, 96 f.
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IV. Entscheidung des BVerfG 1. Annahme der Verfassungsbeschwerde Nach Art 93a I BVerfGG bedarf die Verfassungsbeschwerde der Annahme zur Entscheidung.535 Sie ist nach § 93a II BVerfGG zur Entscheidung anzunehmen, wenn ihr entweder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt (lit a) oder die Annahme zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (lit b). In den beiden Annahmegründen spiegelt sich die Doppelfunktion der Verfassungsbeschwerde als Instrument des objektiven und des subjektiven Grundrechtsschutzes (→ Rn 1 ff).536 Für die Prüfung der Annahme ist eine aus drei Richtern bestehende Kammer 537 des BVerfG zuständig. Diese kann durch einstimmigen Beschluss gem § 93b iVm § 93d III BVerfGG die Annahme der Verfassungsbeschwerde ablehnen. Sie kann sie gem § 93b iVm §§ 93c I 1, 93a I lit b BVerfGG ebenfalls einstimmig zur Entscheidung annehmen und ihr stattgeben, wenn dies zur Durchsetzung der Rechte des Bf angezeigt ist, die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche verfassungsrechtliche Frage durch das BVerfG bereits entschieden und die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist. In Fällen grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung ist eine stattgebende Kammerentscheidung jedoch ausgeschlossen. Aufgabe der Kammern ist es also lediglich, die bereits vorliegende Rechtsprechung des BVerfG nachzuvollziehen. Grundlegende und das Verfassungsrecht fortbildende Entscheidungen sind dem Senat vorbehalten.538 Hat die Kammer die Annahme nicht abgelehnt oder liegen die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c I BVerfGG nicht vor, entscheidet der Senat über die Annahme. Sie ist nach § 93d III 2 BVerfGG beschlossen, wenn ihr mindestens drei Richter zustimmen.539
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2. Sachentscheidung
a) Urteil oder Beschluss Nach § 25 II BVerfGG ergeht die Entscheidung, wenn eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Urteil, ansonsten als Beschluss. Unterschiedliche Rechtsfolgen ergeben sich daraus nicht. Entgegen der Regel des § 25 I BVerfGG entscheidet das BVerfG über die Verfassungsbeschwerde gem § 94 V 2 BVerfGG meist ohne mündliche Verhandlung, da von dieser regelmäßig keine weitere Förderung des Verfahrens zu erwarten ist und die beigetretenen Verfassungsorgane üblicherweise auf sie verzichten.540 Kammerentscheidungen ergehen nach § 93d I 1 BVerfGG immer ohne mündliche Verhandlung als Beschluss. 535 Dabei ist zu beachten, dass die Annahmefähigkeit kein Bestandteil der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde ist, sondern eine eigenständige Entscheidung darstellt, für die neben der Begründetheit auch die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde von Bedeutung ist. Vgl zur kritischen Beurteilung des Annahmeverfahrens: Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 259 f. 536 Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 263 f. 537 Bei jedem Senat bestehen gem § 15a BVerfGG mehrere (z Zt drei) Kammern aus je drei Richtern, die für die Dauer eines Geschäftsjahres berufen werden. 538 Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 266. 539 Vgl zum Annahmeverfahren auch Benda/Klein VerfPrR, Rn 633 ff. 540 Vgl Benda/Klein VerfPrR, Rn 246.
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b) Mehrheit, Sondervotum 190
Die Senate entscheiden nach § 15 IV 2 BVerfGG mit Mehrheit der an der Entscheidung mitwirkenden Richter. Bei Stimmengleichheit kann gem § 15 IV 3 BVerfGG ein Verstoß gegen das Grundgesetz nicht festgestellt werden, so dass die Verfassungsbeschwerde abzuweisen ist. Nach § 30 II BVerfGG können die Senate in ihren Entscheidungen das Stimmenverhältnis mitteilen und können die nicht mit der Entscheidung übereinstimmenden Richter ihre abweichende Meinung zu der Entscheidung oder zu deren Begründung in einem Sondervotum niederlegen, welches der Entscheidung anzufügen ist.541
c) Rechtsfolgenausspruch (1) Nichtigkeitsausspruch bzw Aufhebung 191
Wendet sich der Bf gegen eine ihn belastende Einzelfallregelung der öffentlichen Gewalt, also eine „Entscheidung“ iSd § 92 II BVerfGG,542 und gibt das BVerfG der Verfassungsbeschwerde statt, so hebt es diese Maßnahme gem § 95 II BVerfGG auf. Gerichtsentscheidungen werden aufgehoben und zurückverwiesen.543 Bei einer stattgebenden Entscheidung gegen ein Gesetz ist dieses gem § 95 III 1 BVerfGG grundsätzlich für nichtig zu erklären.544 Dies gilt auch, wenn eine nach Abs 2 aufgehobene Entscheidung auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruht.545 Die auszusprechende Nichtigkeitsfolge bezieht sich dabei grundsätzlich nur auf den Teil der Norm, der verfassungswidrig ist. Wenn der verfassungswidrige Teil den verfassungsmäßigen allerdings derart dominiert oder mit ihm verwoben ist, dass dieser für sich allein keinen Sinn ergibt oder funktionslos wäre, ist das gesamte Gesetz für nichtig zu erklären. Dabei ist die Regelungsintention des Gesetzgebers soweit wie möglich zu wahren.546
(2) Unvereinbarkeitserklärung 192
Bei der Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde, die mittelbar oder unmittelbar eine Normenkontrolle impliziert, kann es angezeigt sein, entgegen der gesetzlichen Regel statt der Nichtigkeit lediglich die Unvereinbarkeit der Norm mit dem Grundgesetz festzustellen.547 Dieser Entscheidungsausspruch, der im BVerfGG nicht vorgesehen ist, wurde vom BVerfG unter weitgehender Billigung der Literatur im Wege richterlicher Rechtsfortbildung für Fälle entwickelt, in denen es erforderlich erschien, unerwünschte Rechtsfolgen der an sich gebotenen Nichtigkeitserklärung abzuwenden. Dies wird insbesondere angenommen, wenn der Ausspruch der Nichtigkeit zu einer schwer erträglichen Rechtsfolge führen würde, die noch weniger mit dem Grundgesetz vereinbar wäre als die für ver541 Zur Bedeutung der Sondervoten vgl Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 51 ff. Ein besonders kurioses Beispiel findet sich in BVerfGE 32, 199, wo alle sieben (!) an der Entscheidung mitwirkenden Richter ein Sondervotum angefügt haben, vgl ebd 227, 242, 249. Das wohl kürzeste Sondervotum hat der damalige Präsident des Gerichts Zeidler zu BVerfGE 77, 137 abgefasst: „Ich stimme dieser Entscheidung nicht zu.“, ebd 167. 542 Vgl Schmidt-Bleibtreu in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 95 Rn 23. 543 Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 375 f. 544 Zur normativen Herleitung und den Auswirkungen der Nichtigkeitsfolge vgl Benda/Klein VerfPrR, Rn 1244 ff. 545 Vgl allg Ipsen Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit von Norm und Einzelakt, 1980, passim. 546 Benda/Klein VerfPrR, Rn 1262 f. 547 Vgl umfassend Benda/Klein VerfPrR, Rn 1267 ff; Schmidt-Bleibtreu in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 95 Rn 36 ff; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 394 ff.
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fassungswidrig befundene Norm, also zu einem Zustand führte, „der der verfassungsmäßigen Ordnung noch ferner stünde als der jetzige“,548 oder wenn der Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten hat, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen. Letzteres kommt vor allem bei Verletzungen des Gleichheitssatzes in Frage, in denen der Gesetzgeber entweder die gleichheitswidrig von einer Begünstigung ausgeschlossenen Personen in die Begünstigung einbeziehen oder aber die Begünstigung gänzlich abschaffen kann.549 Mit der Unvereinbarkeitserklärung wird das Gesetz nicht ex tunc für nichtig erklärt. Vielmehr trifft den Gesetzgeber die Pflicht zur Herstellung einer der Verfassung entsprechenden Gesetzeslage.550 Das BVerfG benennt hierfür häufig eine Übergangsfrist, bis zu der der verfassungswidrige Zustand beseitigt sein muss.551 Während dieser Übergangszeit ist die unvereinbare Norm regelmäßig nicht anwendbar, es sei denn, das BVerfG ordnet deren vorläufige Anwendbarkeit ausdrücklich an.552
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(3) Appellentscheidung Als dritte Entscheidungsvariante hat das BVerfG die sog Appellentscheidung entwickelt. In einer Appellentscheidung wird die Vereinbarkeit der geprüften Norm mit der Verfassung im Entscheidungszeitpunkt zwar für (gerade) noch gegeben angesehen, aber die Entwicklung der Norm wegen sich verändernder tatsächlicher Umstände in die Verfassungswidrigkeit hinein für sicher gehalten. Dem Gesetzgeber wird deshalb aufgegeben, die drohende Verfassungswidrigkeit durch das Ergreifen legislativer Maßnahmen abzuwenden.553 Abgesehen davon, dass ein solcher Appell als obiter dictum (→ Rn 196) den Gesetzgeber rechtlich nicht bindet, sind die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen dieser Entscheidungsform äußerst zweifelhaft. Es ist derzeit völlig ungeklärt, wann sich das BVerfG eines Appells bedienen, wann es einen Verfassungsauftrag zur Nachbesserung von Gesetzen erkennen und wann es diesen mit der Androhung der Nichtigkeit der geprüften Norm nach Ablauf einer vom Gericht gesetzten Frist verbinden darf. Das BVerfGG beschränkt das Gericht auf die Prüfung, ob eine Norm zum Entscheidungszeitpunkt verfassungswidrig ist oder nicht. Ist sie dies nicht, liegt es nicht in der Kompetenz des Gerichts, den möglicherweise zukünftig eintretenden Umschlag in die Verfassungswidrigkeit zu prognostizieren. Allenfalls darf das BVerfG darauf hinweisen, dass den Gesetzgeber auch bei verfassungsgemäßen Regelungen eine Beobachtungs- und gegebenenfalls Nachbesserungspflicht 554 treffen kann.555
548 BVerfGE 33, 303, 347; 85, 386, 401; vgl auch 62, 256, 289; 83, 130, 194. 549 Vgl BVerfGE 87, 114, 136; 82, 126, 154 f; 57, 335, 346. In Fällen, in denen das BVerfG meint, mit Sicherheit annehmen zu können, dass der Gesetzgeber bei Beachtung des allgemeinen Gleichheitssatzes die nach der Nichtigerklärung verbleibende Regelung wählen würde, hält es sich ausnahmsweise doch zur Nichtigerklärung befugt, vgl BVerfGE 88, 87, 101 f. 550 BVerfGE 85, 386, 402; 81, 363, 384; 55, 100, 110. 551 Vgl BVerfGE 100, 226, 248; 100, 104, 106; 99, 202, 216; 72, 330, 422; 40, 296, 329; 111, 191, 225; BVerfG NJW, 2007, 573, 586. 552 Schlaich/Korioth BVerfGG, Rn 413. Ausführlich zu den Rechtsfolgen der Unvereinbarkeitserklärung ebd Rn 401 ff; BVerfGE 111, 191, 224; BVerfG, NJW 2007, 573, 586. 553 Vgl BVerfGE 101, 158, 159 f, 237 f; 85, 80, 93; 78, 249, 251; 54, 11, 37 ff; 45, 187, 252; 39, 169, 194 f; 33, 1, 12 f; vgl auch Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 431 ff. 554 Vgl zB BVerfGE 92, 365, 401 f; 88, 203, 309 ff; 87, 348, 358; 73, 118, 180; 50, 290, 335 f. 555 Vgl zur Kritik an den Appellentscheidungen Benda/Klein VerfPrR, Rn 1280 ff; Schmidt-Bleibtreu in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 95 Rn 37.
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d) Entscheidungswirkung 195
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Entscheidungen des BVerfG über die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit der Verfassung einschließlich der Feststellung der Nichtigkeit haben nach § 31 II 1 BVerfGG Gesetzeskraft. Diese Vorschrift bewirkt, dass die verfassungsgerichtliche Entscheidung über Gesetze nicht nur gegenüber den Staatsorganen nach § 31 I BVerfGG, sondern auch gegenüber jedermann verbindlich ist, und führt damit zu einer personellen Erstreckung der Bindungswirkung auf alle Bürger.556 Die Gesetzeskraft des § 31 II BVerfGG beschränkt sich nach Auffassung des BVerfG nicht auf den Entscheidungstenor, sondern bezieht auch die die Entscheidung „tragenden Gründe“ mit ein.557 Daher ist es oftmals notwendig zu ermitteln, welcher Teil der Entscheidungsgründe notwendige argumentative Stützen für das in der Entscheidungsformel zum Ausdruck gekommene Ergebnis enthält (ratio decidendi) und welche Begründungsteile nur „nebenbei gesagt“ wurden (obiter dicta). Letztere nehmen an der Gesetzeskraft nicht teil. Ob ein die Urteilsbegründung „tragender Grund“ vorliegt, ist durch Auslegung der Entscheidungsgründe zu ermitteln 558 und kann nicht durch das Gericht selbst festgestellt werden.559
556 Vgl Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 496. 557 BVerfGE 1, 14, 37; 19, 377, 392; 20, 56, 87; 40, 88, 93 f. Zur Kritik daran Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 485 ff mwN. 558 Benda/Klein VerfPrR, Rn 1325. 559 So aber in BVerfGE 36, 1, 36 geschehen.
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§ 14 Kommunale Verfassungsbeschwerde Stefan Mückl I. Funktion und Bedeutung der kommunalen Verfassungsbeschwerde Art 28 II GG gewährt in S 1 den Gemeinden und in S 2 den Gemeindeverbänden das „Recht“ der Selbstverwaltung.1 Der prozessualen Absicherung dieser materiellen Rechtsposition dient ein spezifischer verfassungsgerichtlicher Rechtsbehelf, der sowohl vom GG selbst (Art 93 I Nr 4b) als auch vom BVerfGG (§ 91) als „Verfassungsbeschwerde“ bezeichnet wird. Indes dürfen die Begrifflichkeiten nicht zu einer vorschnellen Parallelisierung mit der in Art 93 I Nr 4a GG, §§ 90 ff BVerfGG geregelten Individualverfassungsbeschwerde verleiten. Denn anders als der in ihrem Rahmen beschwerdeberechtigte „Jedermann“ sind die Gemeinden und Gemeindeverbände grds 2 keine Grundrechtsträger. Vor allem aber stellt Art 28 II GG seiner Rechtsnatur nach kein Grundrecht, sondern eine institutionelle Garantie dar.3 Denn nach heutiger Verfassungsrechtslage gehören die Kommunen – wofür schon die systematische Stellung der Norm im staatsorganisatorischen Teil des GG („Der Bund und die Länder“) spricht – nicht (mehr) der gesellschaftlichen,4 sondern der staatlichen Sphäre an. Der Schutzgehalt der Selbstverwaltungsgarantie beinhaltet 5 zum einen eine (institutionelle) Rechtssubjektsgarantie (derzufolge es überhaupt Gemeinden und Gemeindeverbände als eigenständige Rechtssubjekte geben muss), zum anderen eine (objektive) Rechtsinstitutionsgarantie. Letztere gewährleistet den Kommunen einen bestimmten Aufgabenbestand (den Gemeinden nach S 1 die Allzuständigkeit für „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“, den Gemeindeverbänden gem S 2 nach Maßgabe der Gesetze) sowie die Eigenverantwortlichkeit bei der Erledigung dieser Aufgaben. Da nun die Rechtsnatur einer Gewährleistung als institutionelle Garantie mit der Zubilligung ihrer Wehrfähigkeit als subjektives Recht nicht unvereinbar ist,6 enthält Art 28 II GG drittens eine subjektive Rechtstellungsgarantie zur Verteidigung der beiden genannten Garantieebenen. Nicht nur infolge ihrer Bezeichnung als „Verfassungsbeschwerde“ hat die systematische Einordnung der kommunalen Verfassungsbeschwerde in die Typik des grundgesetzlichen Verfassungsprozessrechts seit jeher Schwierigkeiten bereitet.7 Zwar werden in den Anfangsjahren des GG noch geäußerte Zweifel an der Grundgesetzkonformität des Verfah1 Dazu aus der Ausbildungsliteratur Schoch Jura 2001, 121; Magen JuS 2006, 404; Welti JA 2006, 871. 2 Zu den Ausnahmen → Rn 34. 3 BVerfGE 1, 167, 175; 50, 50; 79, 127, 143 → JK 89 GG Art 28 II/17; 86, 90, 107; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 2; Magen in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 91 Rn 11. 4 Anders noch das Verständnis im 19. Jahrhundert, das teilweise noch in einigen Länderverfassungen der unmittelbaren Nachkriegszeit nachwirkt, dazu Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 9 f. 5 Klassifizierung nach Stern Bonner Kommentar zum GG, Art 28 (Stand: 1964) Rn 78 ff; s zusammenfassend Schoch Jura 2001, 121, 124 f. 6 Maurer in: FS Starck 335, 339. 7 Magen in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 91 Rn 12.
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rens 8 schon lange nicht mehr artikuliert. Da sich die kommunale Verfassungsbeschwerde nur gegen ein Gesetz richten kann, wurde und wird sie vielfach als abstrakte Normenkontrolle „mit gegenständlich beschränkte(m) Antragsrecht“ 9 angesehen. Da die Kommunen ihren verfassungsgesetzlichen Zuständigkeitsbereich gegen Beeinträchtigungen durch andere (staatliche) Hoheitsträger verteidigen können, lassen sich gewisse Berührungspunkte zum gleichfalls kompetenzwahrenden Verfahrenstypus des Bund-Länder-Streits ausmachen. Doch die gänzliche Zuordnung der kommunalen Verfassungsbeschwerde zur Verfahrenstypik des Bund-Länder-Streits 10 vermochte sich nicht durchzusetzen.11 Eine „bruchlose“ systematische Klassifizierung der kommunalen Verfassungsbeschwerde zu einem der Grundtypen verfassungsgerichtlicher Rechtsbehelfe (föderale Streitigkeiten, Organstreitigkeiten, Normenkontrolle, Verfassungsbeschwerde) dürfte schwerlich gelingen. Ob dem Klassifizierungsbedürfnis durch die (meist eher Verlegenheit dokumentierende) Etikettierung als „Rechtsinstitut eigener Art“ 12 weiterführend gedient ist, steht dahin. Für einen praktikablen Umgang mit der Verfahrensart hinreichen dürfte die kurze Formel von der „auf die Gemeinden zugeschnittene(n) und auf Rechtssätze beschränkte(n) Verfassungsbeschwerde“ 13.
II. Zulässigkeit der kommunalen Verfassungsbeschwerde 1. Parteifähigkeit 6
Fall 1: Im Land L werden die Bestimmungen in der Gemeindeordnung zum sog kommunalen Wirtschaftsrecht novelliert. Demnach sollen die Gemeinden wirtschaftliche Unternehmen nur noch dann errichten und betreiben dürfen, wenn (außerhalb der kommunalen Daseinsvorsorge) der Zweck nicht besser und wirtschaftlicher durch Private erfüllt wird oder erfüllt werden kann. Gegen die Gesetzesänderung legen Bürgermeister B namens der Gemeinde G sowie die gemeindeeigene Landschaftsgärtnerei GmbH Verfassungsbeschwerde ein. Als der Gemeinderat von G von der Verfassungsbeschwerde erfährt, verwahrt er sich dagegen; das neue Gesetz sei genau das richtige Signal zur Stärkung der privaten Wirtschaft. Sind die Verfassungsbeschwerden zulässig?14
8 Schäfer DÖV 1951, 572 (allerdings war seinerzeit die kommunale Verfassungsbeschwerde nur einfachgesetzlich in § 91 BVerfGG normiert; ihre Konstituionalisierung erfolgte – wie auch die der Individualverfassungsbeschwerde – durch das 19. ÄndG zum GG v. 29.1.1969). 9 Friesenhahn Die Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik Deutschland, 1963, 56 f; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 1; ähnlich Schäfer DÖV 1951, 572, 574: „Fall der abstrakten Normenkontrolle im Gewande der Verfassungsbeschwerde“. 10 Burmeister Verfassungstheoretische Neukonzeption der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, 1977, 183 ff; ders JA 1980, 17, 22. 11 Ablehnend Sachs BayVBl 1982, 37. 12 Lechner/Zuck BVerfGG, § 91 Rn 2; Starke JuS 2008, 319, 320. 13 Maurer in: FS Starck 335, 339. 14 Fall nach VerfGH RP, NVwZ 2000, 801 → JK GG Art 28 II 1/25.
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Fall 2: Das Land L beobachtet mit Sorge die wachsende Neigung der (freiwilligen wie pflichtigen) Zweckverbände, ihren Finanzbedarf durch immer höhere Umlagen zu decken. L befürchtet eine finanzielle Auszehrung der Mitgliedsgemeinden und hält aus ordnungspolitischen Gründen eine Gebührenfinanzierung für vorzugswürdig. Um Anreize für Gebührenerhöhungen zu schaffen, ändert L das Gesetz über die kommunale Zusammenarbeit und normiert darin Höchstgrenzen für die Verbandsumlage. Der Zweckverband Z hält dies für einen eklatanten Eingriff in seine Finanzwirtschaft und erhebt Verfassungsbeschwerde.
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Fall 3: Das Land L will durch eine kommunale Gebietsreform leistungsfähige Gemeinden schaffen. Das Gesetz zur kommunalen Neugliederung bestimmt daher, dass die Mindesteinwohnerzahl für eigenständige Gemeinden bei 3000 liegen soll. Die Gemeinde G (2 800 Einwohner) wird durch das Gesetz aufgelöst und in die benachbarte Stadt S eingegliedert. Darüber herrscht in G allgemeine Empörung, die auch nach Inkrafttreten des Gesetzes anhält. In G konstituiert sich eine Bürgerinitiative, welche die Einleitung verfassungsgerichtlicher Schritte gegen die „willkürliche Zerschlagung von G“ anstrebt. Wäre dies überhaupt (noch) möglich?
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Nach Art 93 I Nr 4b GG, § 91 S 1 BVerfGG können nur Gemeinden und Gemeindeverbände eine kommunale Verfassungsbeschwerde erheben. Wie bei der Individualverfassungsbeschwerde gibt es keinen Antragsgegner, so dass es sich nicht um eine kontradiktorische Verfahrensart handelt.15 Die nähere Bestimmung des Kreises der Parteifähigen (oder: Antrags- bzw Beschwerdeberechtigten) bemisst sich nach dem materiellen Verfassungsrecht, konkret nach der Verfassungsbestimmung des Art 28 II GG, dessen verfahrensmäßige Absicherung die kommunale Verfassungsbeschwerde bezweckt. Demnach kommt es darauf an, wer Träger der in Art 28 II GG umschriebenen Selbstverwaltungsgarantie ist. Dies richtet sich – infolge der Gesetzgebungskompetenz der Länder für das Kommunalrecht (Art 30, 70 I GG) – nach dem Landesrecht. Wenig problematisch ist der Begriff der Gemeinden. Bei ihnen handelt es sich um demokratisch verfasste, als Gebietskörperschaften strukturierte (und damit rechtlich selbstständige) Verwaltungseinheiten auf der untersten Verwaltungsebene, welchen die Erledigung der öffentlichen Aufgaben in ihrem („örtlichen“) Wirkungskreis verfassungsunmittelbar zugewiesen ist.16 Träger der so umschriebenen Selbstverwaltungsgarantie sind indes nur die Gemeinden als solche, nicht aber ihre (rechtlich) unselbstständigen Untergliederungen wie (Stadt-)Bezirke oder Ortschaften.17 Folglich können diese ebenso wenig eine kommunale Verfassungsbeschwerde erheben 18 wie – unabhängig von ihrer Rechtfähigkeit – andere Rechtsgeschöpfe der Gemeinden (Eigenbetriebe und Eigengesellschaften, desgleichen Träger mittelbarer Kommunalverwaltung wie insbes die Sparkassen).19
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15 Schon aus diesem Grund überzeugt die strukturelle Zuordnung zum Typus des Bund-Länder-Streits (Nachw o Fn 10) nicht, zutreffend Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 23. 16 BVerfGE 79, 127 → JK 89 GG Art 28 II/17; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 25; Magen in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 91 Rn 15; Lechner/Zuck BVerfGG, § 91 Rn 4. 17 Lechner/Zuck BVerfGG, § 91 Rn 5. 18 Schwarz in: Mann/Püttner (Hrsg), HkWP I, § 27 Rn 11. 19 Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 26; Lechner/Zuck BVerfGG, § 91 Rn 5.
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Besonderheiten gelten für die „Stadtstaaten“: Voraussetzung der über die kommunale Verfassungsbeschwerde geltend zu machenden materiellen Rechtsposition ist das Bestehen einer „dialektischen Spannungslage“ zwischen Gemeinde und Land (vgl § 91 S 1 BVerfGG). Fehlt diese, weil staatliche und kommunale Ebene zusammenfallen, ist für die Verfahrensart von vornherein kein Raum. Demnach sind Untergliederungen der „Stadtstaaten“ nur dann parteifähig, wenn sie auch materiell „Gemeinden“ im Sinne der allgemeinen Umschreibung sind. Diese Voraussetzungen treffen allein auf die Gemeinden Bremen und Bremerhaven als Teile der Freien Hansestadt Bremen zu,20 nicht aber auf die Bezirke der Freien und Hansestadt Hamburg sowie des Landes Berlin.21 Träger von Selbstverwaltungsgarantie (Art 28 II 2 GG) und, damit korrespondierend parteifähig bei der kommunalen Verfassungsbeschwerde, sind weiter die Gemeindeverbände. Unter diesen Sammelbegriff 22 fallen jedenfalls unstreitig die (in Art 28 I 2 und 3 GG auch eigens genannten) (Land-)Kreise.23 Da der Begriff nach der Rspr des BVerfG für kommunalrechtliche Neuschöpfungen offen ist,24 bedarf es bei übergemeindlichen Rechtsträgern jeweils sorgsamer Prüfung, ob sie Gemeindeverbände iSd Art 28 II 2 GG sind. Kriterien dafür sind die Befassung mit kommunalen Aufgaben, deren Wahrnehmung in eigener Zuständigkeit sowie demokratisch-partizipative Elemente – kurz: sie bedürfen eines den Gemeinden vergleichbaren kommunalen Bezugs.25 Das trifft etwa auf die Bezirke in Bayern, nach manchen Stimmen auch auf die Landschaftsverbände in NRW zu,26 nicht aber auf die Zweckverbände.27 Bei den diversen Formen kommunaler Zusammenarbeit 28 kommt es auf die nähere Ausgestaltung im Landesrecht an, je nachdem ob der erforderliche kommunale Bezug besteht (oder ob es sich um bloße Zusammenschlüsse im Interesse einer höheren Verwaltungskraft handelt). In jedem Fall ist zur wirksamen Erhebung einer kommunalen Verfassungsbeschwerde ein Beschluss der jeweils zuständigen kommunalen Vertretungskörperschaft erforderlich.29 Die Entscheidung über die Einlegung einer kommunalen Verfassungsbeschwerde ist kein „Geschäft der laufenden Verwaltung“, das der Hauptverwaltungsbeamte (idR: Bürgermeister bzw Landrat) in eigener Zuständigkeit führen könnte. Ob aber in der Konsequenz eine ohne oder gar gegen den Willen der Vertretungskörperschaft erhobene kommunale Verfassungsbeschwerde unzulässig ist, wird unterschiedlich beurteilt.30
20 Lechner/Zuck BVerfGG, § 91 Rn 9; Benda in: Benda/Klein, VerfPrR, Rn 692. 21 Scholz in: Maunz/Dürig, GG, Art 28 Rn 41g; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 30. 22 So BVerfGE 52, 95, 111. 23 BVerfGE 83, 363, 383; 103, 332, 359. 24 BVerfGE 52, 95, 115 f. 25 Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 27 ff; Magen in: Umbach/Clemens/ Dollinger, BVerfGG, § 91 Rn 16; Lechner/Zuck BVerfGG, § 91 Rn 6; Goos in: Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 276a; monographisch Litzenburger Die kommunale Verfassungsbeschwerde in Bund und Ländern, 1985, 75 ff. 26 S zum Meinungsstand Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 28 mwN. 27 Goos in: Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 276a. 28 Dazu Überblick bei Burgi Kommunalrecht, 2006, § 19 Rn 8. 29 Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 23; Hopfauf in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art 93 Rn 206; Goos in: Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 273. 30 Dafür HessStGH, NVwZ-RR 2002, 64 → JK HessStGHG § 46/1, unter Rückgriff auf die Figur des Rechtsmissbrauchs. – Differenzierend Magen in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 91
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Lösung Fall 1: Bei der kommunalen Verfassungsbeschwerde sind Gemeinden, also hier G, unproblematisch parteifähig. Es fragt sich aber, ob und wie sich der Umstand auswirkt, dass sich der Gemeinderat ausdrücklich gegen die Erhebung der Verfassungsbeschwerde ausgesprochen hat. Kommunalrechtlich ist der Bürgermeister dazu grds nicht befugt, es handelt sich nicht um ein von ihm in eigener Zuständigkeit zu erledigendes „Geschäft der laufenden Verwaltung“. Während eine Ansicht daraus die Konsequenz der Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde zieht, schlägt die interne Kompetenzüberschreitung nach der Gegenauffassung nicht auf das Außenrechtsverhältnis durch, so dass dann die erhobene Verfassungsbeschwerde zulässig bliebe. Die von der Landschaftsgärtnerei GmbH erhobene (kommunale) Verfassungsbeschwerde ist hingegen ohne weiteres unzulässig, da nur die Gemeinden als solche parteifähig sind, nicht aber von ihr geschaffene Rechtssubjekte. Eine dann denkbare Individualverfassungsbeschwerde scheiterte an der Beschwerdefähigkeit der GmbH (Stichwort: keine Grundrechtsfähigkeit von Unternehmen in öffentlicher Hand).
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Lösung Fall 2: Um überhaupt Verfassungsbeschwerde erheben zu können, müsste Z parteifähig sein. In Frage kommt allein die Qualifizierung als Gemeindeverband. Darunter fällt nicht schon jeder Zusammenschluss von Gemeinden (was bei einem Zweckverband unzweifelhaft zutrifft), sondern entscheidend ist ein den Gemeinden vergleichbarer kommunaler Bezug. Kriterium dafür ist nicht allein die Befassung mit kommunalen Aufgaben, vielmehr bedarf es vor allem demokratisch-partizipativer Elemente zugunsten der Bürger. Daran fehlt es gemeinhin bei Zweckverbänden, so dass sie in der Sache eher Zusammenschlüsse zur effizienteren Wahrnehmung gemeindlicher Aufgaben, denn eigenständige Träger bürgerschaftlicher Selbstverwaltung sind. Demnach ist Z mangels Zuordnung zur Kategorie der „Gemeindeverbände“ nicht parteifähig. – Etwas anderes kann allerdings das jeweilige Landesverfassungsrecht ausdrücklich vorsehen, so Art 71 I 1 LV BW.
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Lösung Fall 3: Voraussetzung für die allein in Betracht kommende kommunale Verfassungsbeschwerde (sei es nach Bundes-, sei es nach Landesverfassungsrecht) ist die Parteifähigkeit des Beschwerdeführers. Diese liegt grundsätzlich bei einer Gemeinde ohne weiteres vor. Problematisch ist hier aber, dass die Gemeinde G nach dem Inkrafttreten des Neugliederungsgesetzes nicht mehr besteht, so dass ihr mangels rechtlicher Existenz nunmehr keine Beschwerdefähigkeit mehr zukommen würde. Allerdings entspricht es einem allgemein anerkannten prozessualen Grundsatz, einen Rechtsträger insoweit weiterhin als rechtsfähig zu behandeln, als gerade seine Rechtsfähigkeit im Streit ist.31 Demnach wird für die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Auflösung einer Gemeinde deren Fortbestand – und somit auch ihre Parteifähigkeit – fingiert.32 Damit scheitert eine kommunale Verfassungsbeschwerde von G jedenfalls nicht schon an ihrer fehlenden Parteifähigkeit.
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Rn 49: nur, wenn dies nach dem Kommunalrecht des betreffenden Landes Voraussetzung einer wirksamen Außenvertretung ist. 31 S nur Zöller ZPO, 26. Aufl 2007, § 50 Rn 8 mwN; vgl ferner BVerfGE 42, 345, 355 f. 32 Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 31; Magen in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 91 Rn 17.
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2. Prozessfähigkeit 18
Die beschwerdeführende Kommune wird bei der Verfassungsbeschwerde durch das nach den jeweiligen kommunalrechtlichen Bestimmungen für die Außenvertretung zuständige Organ vertreten. Für die Gemeinden ist dies regelmäßig der (Ober-)Bürgermeister,33 für die (Land-)Kreise der Landrat.34 3. Beschwerdegegenstand
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Fall 4: Wegen der angespannten Haushaltslage erhöht die Haushaltssatzung des Landkreises die von den kreisangehörigen Gemeinden zu erbringende Kreisumlage von 27 % auf 29 % der Umlagegrundlagen. Dagegen wendet sich die Gemeinde G, die sowohl den Grund als auch die Höhe der Kreisumlage für unvereinbar mit Art 28 II 1 GG hält: Mittels der Kreisumlage würden kompetenzwidrigerweise Aufgaben finanziert, die verfassungsrechtlich ausschließlich den Gemeinden zugewiesen seien. Die Erhöhung würde bei G bewirken, dass eigene gemeindliche Aufgaben nicht mehr wahrgenommen werden könnten, da dazu keine finanziellen Spielräume mehr bestünden. Da das Land von der Ermächtigung des § 47 I Nr 2 VwGO keinen Gebrauch gemacht hat, sieht G in einer Verfassungsbeschwerde ihre letzte Hoffnung. Zu Recht?
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Fall 5: Im als Gesetz erlassenen Teil I des Raumordnungsprogramms des Landes L ist allgemein geregelt, dass aufgrund raumstruktureller Erfordernisse „Vorrangstandorte für großindustrielle Anlagen“ festgelegt werden können und weiter, dass sämtliche raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen mit dieser vorrangigen Zweckbestimmung vereinbar sein müssen. Nun stellt die Landesregierung von L im Beschlussweg den Teil II des Raumordnungsprogramms fest und macht ihn im Ministerialblatt des Landes bekannt. Darin ist ua etwa ein Drittel des Gebiets der Gemeinde G als Vorrangstandort ausgewiesen sowie die Verpflichtung festgeschrieben, „an diesen Standorten für die Ansiedlung von Großindustrie, die auf eine Lage am seeschifftiefen Fahrwasser angewiesen ist, die erforderlichen Flächen bereitzustellen“. G will das nicht hinnehmen und erhebt Verfassungsbeschwerde.
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Fall 6: Die Stadt S wendet sich gegen das Finanzausgleichsgesetz (FAG) des Landes L mit der Zielsetzung, höhere Zuweisungen von L zu erhalten. Sie macht geltend, L habe rein schematische Regelungen getroffen und vollständig unberücksichtigt gelassen, dass sie im Landesdurchschnitt überproportionale Lasten für die Grundsicherung von Arbeitssuchenden („Hartz IV“) sowie für die Leistungen von Asylbewerbern zu erbringen habe. L meint, den Kommunen stehe keine verfassungsrechtliche „Normerlassklage“ zur Verfügung und hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig. Zu Recht?
33 § 42 I 2 GemO BW; Art 38 I BayGemO; §§ 67 I BbgGemO; 38 II 1 KV MV; 63 I 2 NdsGemO; 63 GemO NRW; 47 I 1 Hs 2 GemO RP; 59 I SaarlKSVG; 51 I 2 SächsGemO; 57 II GemO LSA; 56 I GemO SH; 31 I ThürKO; anders nur § 71 HessGemO: Vertretung durch Gemeindevorstand. 34 § 37 I 2 LKrO BW; Art 35 BayLKrO; §§ 50 S 2 BbgLKrO; 115 I 1 KV MV; 58 I NdsLKrO; 42 lit e KrO NRW; 41 I 2 Hs 2 LKrO RP; 178 I SaarlKSVG; 47 I 2 SächsLKrO; 46 S 3 LKrO LSA; 50 I KrO SH; 109 I ThürKO; wiederum anders § 45 I 1 HessGemO: Vertretung durch Kreisausschuss.
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Die kommunale Verfassungsbeschwerde kann zulässigerweise gegen „ein Gesetz des Bundes oder des Landes“ gerichtet werden. Anders als die Individualverfassungsbeschwerde ist das Verfahren nach Art 93 I Nr 4b GG, § 91 BVerfGG also als reine Rechtssatzverfassungsbeschwerde ausgestaltet, andere „Akte öffentlicher Gewalt“ wie solche der Exekutive und der Judikative kommen von vornherein nicht in Betracht. Dieser Konzeption der Rechtssatzverfassungsbeschwerde folgen (bis auf eine Ausnahme 35) die kommunalen Verfassungsbeschwerden des Landesverfassungsrechts, welchen gegenüber Landesgesetzen gem Art 93 I Nr 4b GG, § 91 S 2 BVerfGG der Vorrang zukommt (→ Rn 42 ff). Der hier in Rede stehende Begriff des „Gesetzes“ ist weit. Das BVerfG 36 beschränkt ihn in stRspr nicht auf Gesetze im formellen Sinn, sondern fasst darunter sämtliche (auch untergesetzliche) Rechtsnormen, die gegenüber den Kommunen Außenwirkung entfalten.37 Hintergrund ist das Bestreben, das Entstehen von mit Art 28 II GG nicht vereinbaren Lücken im verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz der Kommunen zu vermeiden,38 könnten doch sonst Bund oder Länder durch die Wahl der Form einer Rechtsnorm diesen Rechtsschutz steuern. Demnach kann die kommunale Verfassungsbeschwerde insbesondere gegen Rechtsverordnungen erhoben werden.39 Gleichfalls sind Satzungen von (auch: anderen kommunalen) Selbstverwaltungsträgern grds taugliche Beschwerdegegenstände.40 Maßgeblich ist – wie stets – die vom jeweiligen Normgeber gewählte Form, unabhängig davon, ob sie auch die materiell-rechtlich „richtige“ gewesen ist.41 In Betracht kommen außerdem Maßnahmen mit normativem Gehalt, doch ohne förmliche Rechtssatzqualität wie Pläne und Programme des Bau- und Planungsrechts.42 Auszuscheiden haben hingegen 35 In Rheinland-Pfalz können Körperschaften des Öffentlichen Rechts (somit Gemeinden und Gemeindeverbände) gem Art 130 I 2, 135 I Nr 1 LV RP iVm §§ 2 Nr 1a, 23 ff VerfGHG den VerfGHG gegen ein (formelles) Gesetz oder eine „sonstige Handlung eines Verfassungsorgans“ anrufen. Außerdem eröffnet Art 130a LV RP iVm § 44 VerfGHG jedem die (allerdings subsidiäre, § 44 IV VerfGHG) Verfassungsbeschwerde. Die Rspr des VerfGH RP subsumiert auch Gemeinden und Gemeindeverbände unter „jeder“ (VerfGH RP, NVwZ 1996, 161; NVwZ-RR 1996, 458). Diesen steht damit im Ergebnis verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz gegen sämtliche Akte öffentlicher Gewalt zu (eingehend zur Rechtslage in RP Kment DVBl 2004, 214, 223 ff). 36 Zur insoweit abweichenden Rspr mancher LVerfGe und den daraus resultierenden Konsequenzen → Rn 43 ff. 37 BVerfGE 71, 25, 34; 76, 107, 114 → JK 88, BVerfGG § 91/1; Löwer in: Isensee/Kirchhof, HStR, § 70 Rn 77. 38 BVerfGE 26, 228, 236; 76, 107, 114 → JK BVerfGG § 91/1; BVerfGE 107, 1, 15 f. 39 BVerfGE 26, 228, 236; 56, 298, 309; 71, 25, 34; 107, 1, 8. 40 BVerfGE 26, 228, 245; unentschieden BVerfG, NVwZ-RR 1999, 417 (Verfassungsbeschwerde einer kreisangehörigen Gemeinde gegen Haushaltssatzung des Landkreises); zustimmend Magen in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 91 Rn 29. – Ob die Verfassungsbeschwerde auch im Übrigen zulässig ist, steht damit selbstverständlich noch nicht fest. Der Umstand, dass eine Gemeinde ihre eigene Satzung selbst aufheben kann, betrifft indes (entgegen Bethge in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 35) ebenso wenig die Kategorie des Beschwerdegegenstands wie die Möglichkeit einer Gemeinde, gegen eine Satzung der Nachbarkommune einen verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollantrag gem § 47 VwGO zu stellen (sondern diejenige des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses bzw der Rechtswegerschöpfung). 41 BVerfGE 26, 228, 236: Form der Rechtsnorm mit Einzelmaßnahme als Regelungsgegenstand; vgl aus dem Staatsrecht BVerfGE 95, 1, 15 ff. 42 Bzgl Raumordnungsplänen BVerfGE 76, 107, 114 → JK BVerfGG § 91/1; speziell für planungsrechtliche Handlungsformen Kment DVBl 2004, 214; Hoppe DVBl 1995, 179, 180 mwN; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 34 mwN; Löwer in: Isensee/Kirchhof, HStR, § 70 Rn 77.
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Binnenrechtssätze wie Verwaltungsvorschriften und Ministerialerlasse.43 Hinsichtlich des Gewohnheitsrechts hat sich das BVerfG noch nicht festgelegt.44 Hinsichtlich des auch bei anderen Verfahrensarten problematischen 45 Sonderfalls des gesetzgeberisches Unterlassens – den das BVerfG bisher ebenfalls offen gelassen hat 46 – wird in der Literatur mit Recht eine vermittelnde Lösung vorgeschlagen: 47 Das „echte“ Unterlassen (der Gesetzgeber ist gänzlich untätig geblieben) kann nicht mit der kommunalen Verfassungsbeschwerde angegriffen werden, da das in Art 93 I Nr 4b GG, § 91 S 1 BVerfGG geforderte „Gesetz“ gerade nicht vorliegt.48 Anders verhält es sich beim „unechten“ Unterlassen (Gesetzgeber hat ein Gesetz erlassen, das nach dem Vortrag des Beschwerdeführers hinter dem Schutzgehalt des Art 28 II GG zurückbleibt). Hier wird ein tatsächlich existentes Gesetz angegriffen; dies ist zulässig.49
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Lösung Fall 4: Die kommunale Verfassungsbeschwerde kann nur gegen ein Gesetz erhoben werden. Die nähere Konkretisierung des allgemeinen Begriffs differenziert zunächst zwischen Gesetzen im formellen und Gesetzen im nur materiellen Sinn. Letztere sind grds auch Satzungen. Bedenken, hiergegen eine kommunale Verfassungsbeschwerde zuzulassen, könnten aber deshalb bestehen, weil der Konzeption dieses Rechtsbehelfs eine Spannungslage zwischen Staat und Gemeinde zugrunde liegt. Im Falle der Kreisumlage treten die Spannungen dagegen im innerkommunalen Bereich auf. Freilich ist das kein hinreichender Grund, Gemeinden den Rechtsschutz gegen normatives Handeln des Kreises zu verwehren: Einmal kann auch dadurch die primär ihnen zugesprochene verfassungsgesetzliche Garantie der Selbstverwaltung beeinträchtigt werden, zum anderen hat das Land durch die Normierung des Instituts der Kreisumlage in den (Land-)Kreisordnungen die Spannungslage gleichsam in den innerkommunalen Bereich hineingetragen. Nach diesen Maßstäben ist hier die Haushaltssatzung von L ein tauglicher Beschwerdegegenstand einer kommunalen Verfassungsbeschwerde.
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Lösung Fall 5: Fraglich ist allein, ob sich (die bei der kommunalen Verfassungsbeschwerde unproblematisch parteifähige) G gegen den sie konkret nachteilig betreffenden Teil II des Raumordnungsprogramms wenden kann, da dieser jedenfalls nicht den Voraussetzungen eines (formellen) Gesetzes entspricht (Beschluss der Landesregierung, Veröffentlichung im
43 Aus der Rspr der LVerfGe: VerfGH NRW, NVwZ-RR 1995, 101. 44 BVerfG, NVwZ 1987, 124; großzügig die Rspr mancher LVerfGe (so VerfGH NRW, NVwZ 1982, 431 bzgl örtlichen Gewohnheitsrechts – sog „Lokalobservanz“); dafür auch Pieroth in: Jarass/ Pieroth, GG, Art 93 Rn 74. 45 S die weiteren Beiträge in diesem Band; zur abstrakten Normenkontrolle → § 15 Rn 22; zur Verfassungsbeschwerde → § 13 Rn 49 ff. 46 BVerfG, NVwZ 2001, 66 f; aus der Landesverfassungsgerichtsbarkeit ablehnend VerfGH NRW, NVwZ-RR 2001, 74. 47 Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 40; Hopfauf in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art 93 Rn 207; Goos in: Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 282. 48 Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 40; Goos in: Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 282; Löwer in: Isensee/Kirchhof, HStR, § 70 Rn 77. Anders aber Magen in: Umbach/ Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 91 Rn 30; Pieroth in: Jarass/Pieroth, GG, Art 93 Rn 74; Ehlers DVBl 2000, 1520, 1522. 49 Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 40; Magen in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 91 Rn 30; Goos in: Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 282.
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Ministerialblatt). Das BVerfG vertritt einen weiten „Gesetzes“-Begriff, unter den alle vom Staat erlassenen Rechtsnormen fallen, die gegenüber einer Kommune Außenwirkung entfalten. Um mit der Rechtsschutzfunktion der kommunalen Verfassungsbeschwerde unvereinbare Lücken zu vermeiden, fallen darunter nicht nur Rechtsverordnungen, sondern auch andere staatliche Hoheitsakte, die – neben Elementen eines Einzelaktes – auch normative Elemente aufweisen. Das trifft nach der Rspr des BVerfG auch auf raumbezogene Regelungen wie die hier streitigen Bestimmungen von Raumordnungsprogrammen zu. Diese bezeichnen somit einen tauglichen Beschwerdegegenstand.
Lösung Fall 6: Voraussetzung der kommunalen Verfassungsbeschwerde ist, dass sich S gegen ein bestehendes Gesetz wendet. Von einer „Normerlassklage“ ieS lässt sich nur dann sprechen, wenn L gänzlich untätig geblieben wäre und es S darum ginge, dass L überhaupt gesetzgeberisch tätig wird (selbst hierin wollen einige Stimmen im Schrifttum einen zulässigen Beschwerdegegenstand sehen). Vorliegend macht S aber geltend, das von L erlassene FAG sei inhaltlich unzureichend und verletze sie in Art 28 II GG. Damit greift S ein tatsächlich existentes Gesetz im Wege des „unechten Unterlassens“ an. Das ist nach ganz hM zulässig.
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4. Beschwerdebefugnis Fall 7: Der Bundestag überträgt durch eine Änderung des SGB II den Kreisen als den Trägern der Grundsicherung (vgl § 6 I 1 Nr 2 SGB II) die Wahrnehmung von weiteren Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende („Hartz IV“). Der Kreis K meint, schon die Zuweisung dieser Aufgabe verletzte die kommunale Selbstverwaltungsgarantie. Schließlich dürfe der Bund den Kommunen keine Aufgaben (mehr) übertragen. Kann K mit dieser Argumentation zulässigerweise Verfassungsbeschwerde erheben?
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Fall 8: Das Land L erlässt ein Gesetz, mit dem bestimmte landwirtschaftliche Nutzflächen zugunsten eines für die gesamte strukturschwache Region bedeutsamen Infrastrukturvorhabens enteignet werden. Davon betroffen sind u.a. auch einige Streuobstwiesen der Gemeinde G, die aus dem Verkauf des dort angebauten Obstes (regelmäßig in der Haushaltssatzung eingeplante) Gewinne für den Gemeindehaushalt zieht. G meint, das Gesetz verletzte sie in ihrem Selbstverwaltungs- und ihrem Eigentumsrecht, außerdem müsse sie so ihre Schutzpflicht gegenüber den Gemeindebürgern wahrnehmen, denen durch das Infrastrukturvorhaben erhebliche Lärm- und Geruchsbelästigungen drohen. Kann S auf diese Vorbringen eine Verfassungsbeschwerde stützen?
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Fall 9: Die Stadt S hatte der Deutschen Bahn Netz AG im Wege einer seuchenpolizeilichen Verfügung aufgegeben, an einer Bahnunterführung eine Netzabspannung anzubringen, um so das dauerhafte Ansammeln, Nisten und Brüten von Tauben unter der Brückenkonstruktion zu unterbinden und damit Verschmutzungs- und Gesundheitsgefahren zu begegnen. Die von der Bahn angerufenen Verwaltungsgerichte hoben die Verfügung als rechtswidrig auf. S meint, die Gesetzesauslegung durch die Verwaltungsgerichte sei offensichtlich unhaltbar und damit willkürlich. Außerdem sei ihr Vorbringen ersichtlich nicht einmal in Betracht gezogen worden. S erhebt Verfassungsbeschwerde.
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a) Zulässiges Rügepotential 50 31
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Nach dem eindeutigen Wortlaut von Art 93 I Nr 4b GG können die Gemeinden und Gemeindeverbände mit der kommunalen Verfassungsbeschwerde allein die Verletzung des Art 28 II GG geltend machen.51 Wie bei der Individualverfassungsbeschwerde handelt es sich auch bei der kommunalen Verfassungsbeschwerde um ein subjektives Rechtsschutzverfahren, so dass dem Beschwerdeführer allein die Rüge der ihm durch die Verfassung zugebilligten materiellen Rechtspositionen offen steht. Damit wird verhindert, dass die kommunale Verfassungsbeschwerde „durch die Hintertür“ zu einer allgemeinen und umfassenden Normenkontrolle der Gemeinden und Gemeindeverbände umfunktioniert wird,52 die ihnen unbestritten nicht zusteht.53 Diese Gefahr könnte aber drohen, würde die vom BVerfG für die Individualverfassungsbeschwerde entwickelte „Elfes-Konstruktion“ 54 – die einen Beschwerdeführer mit dem Vortrag zuließe, ein Gesetz bewege sich außerhalb des in Art 28 II GG normierten gesetzgeberischen Ausgestaltungsvorbehalts, da es formell oder materiell mit dem GG nicht vereinbar sei 55 – auch für die kommunale Verfassungsbeschwerde fruchtbar gemacht. Ablehnende Stimmen in der Literatur verweisen darauf, dass den Kommunen – anders als den Bürgern mit der Bestimmung des Art 2 I GG – kein Recht auf eine allgemeine (kommunale) Handlungsfreiheit zustehe.56 Die Gegenauffassung argumentiert vor allem mit der Schutzbedürftigkeit der Kommunen bei drohenden Aushöhlungen des Rechts aus Art 28 II GG.57 Das BVerfG, welches diese Diskussion bisher nicht aufgegriffen hat, wählt eine andere Konstruktion, um weitere Vorschriften des GG als Prüfungsmaßstab (und vorgängig: als zulässigerweise zu rügende Norm) bei der kommunalen Verfassungsbeschwerde heranzuziehen: Seit Anbeginn seiner Rspr greift es auch auf diejenigen Normen des GG zurück, „die ihrem Inhalt nach das verfassungsrechtliche Bild der Selbstverwaltung mitzubestimmen geeignet sind“.58 Die Voraussetzungen dieser (nicht eben sehr trennscharfen) Formel hat das BVerfG etwa bei den Bestimmungen der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung (Art 70 ff GG 59 sowie Art 84 I 7 GG 60), bei den finanzverfassungsrechtlichen Garantien der Selbstverwaltung,61 bei Art 3 I GG als objektivem Prinzip der Gerechtigkeit (Willkür-
50 Zum Erfordernis der Prüfung bereits im Rahmen der Zulässigkeit Lechner/Zuck BVerfGG, § 91 Rn 17 ff. 51 Unpräzise insoweit § 91 S 1 BVerfGG, der allgemein von „Art 28 des GG“ handelt; erst aus der Zusammenschau mit S 2 wird deutlich, dass allein das Selbstverwaltungsrecht rügefähig ist. 52 Zutreffend Magen in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 91 Rn 18. 53 BVerfG, NVwZ 1995, 370, 371; 1999, 520, 522. 54 Grdl BVerfGE 6, 32, 41, s auch → § 13 Rn 73. 55 Eingehend Mückl Finanzverfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Selbstverwaltung, 1998, 134 ff. 56 Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 64 f; Benda in: Benda/Klein, VerfPrR, Rn 700; Löwer in: Isensee/Kirchhof, HStR, § 70 Rn 78. 57 Stern (Fn 5), Art 28 Rn 177 sowie Art 93 Rn 813; ders Staatsrecht II, 1980, 1024 f; Hoppe in: Starck/Stern (Hrsg), Landesverfassungsgerichtsbarkeit II, 1983, 257, 291 f; ders DVBl 1995, 179, 185. 58 Grdl BVerfGE 1, 167, 181; 56, 298, 310; 71, 25, 37; 91, 228, 242. 59 BVerfGE 56, 298, 310; 112, 216, 221. 60 BVerfG, NVwZ 2008, 183, 185. 61 BVerfGE 71, 25, 37 f; 112, 216, 221 f.
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verbot 62 sowie interkommunale Gleichbehandlung 63) sowie bei bestimmten Ausprägungen 64 der Staatszielbestimmungen „Demokratie“,65 „Rechtsstaat“ 66 und „Bundesstaat“ 67 als gegeben angesehen, nicht aber bei Art 33 II GG.68 Unzulässig ist im Verfahren der kommunalen Verfassungsbeschwerde insbes die Rüge, ein Gesetz verstoße gegen Grundrechte. Diese kann eine Kommune mangels Grundrechtsfähigkeit auch nicht im Verfahren der Individualverfassungsbeschwerde gem Art 93 I Nr 4a GG, §§ 90 ff BVerfGG geltend machen, insoweit ist sie nicht „jedermann“ iSv Art 93 I Nr 4a GG, § 90 I BVerfGG.69 Eine Ausnahme gilt allein bzgl der Justizgrundrechte.70 Rügt eine Kommune in ein- und derselben Antragsschrift eine Verletzung von Art 28 II GG und eines (Justiz-)Grundrechts, ist zu prüfen, welcher Rüge in welchem Verfahren nachzugehen ist. Das BVerfG kann beide Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbinden.71
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b) Betroffenheit des Beschwerdeführers Dem Wortlaut des § 91 S 1 BVerfGG, demzufolge die beschwerdeführende Kommune die „Behauptung“ der Verletzung ihres Rechts aus Art 28 (II) GG führen muss, entnimmt das BVerfG die Notwendigkeit des Vortrags, durch das angegriffene Gesetz beschwert zu sein. Dem Grunde nach gelten hier die gleichen Maßstäbe wie bei der Individualverfassungsbeschwerde; die Kommune muss demnach durch das Gesetz selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sein.72 Das Erfordernis, selbst in eigenen Rechten verletzt sein zu können, bringt den auch für die kommunale Verfassungsbeschwerde geltenden verfassungsprozessualen Grundsatz vom Verbot der Popularklage zur Geltung.73 Eine Kommune kann also nur das ihr zustehende Recht aus Art 28 II GG verteidigen, nicht aber die Rechte Dritter geltend machen. Mit der Einlassung, stellvertretend oder treuhänderisch die Grundrechte ihrer Bürger wahrnehmen zu wollen, wird die Kommune nicht gehört.74
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70 71 72
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BVerfGE 26, 228, 244; BVerfG, NVwZ 2005, 82, 83. BVerfGE 76, 107, 119 f → JK BVerfGG § 91/1; 83, 363, 393. Weitergehend für eine generelle Erstreckung Tettinger in: Mann/Püttner, HkWP I, § 11 Rn 67. BVerfGE 86, 90, 106 (Parlamentsvorbehalt); 91, 228, 244. BVerfGE 86, 90, 106 (Bestimmtheitsgebot); jüngst VerfGH RP, DVBl 2007, 1176 → JK LVerf RP Art 77 II/1 (Rückwirkungsverbot). BVerfGE 56, 298, 311. BVerfGE 91, 228, 245. BVerfGE 61, 82, 105 ff → JK GG Art 19 III/3; BVerfG, NVwZ 2002, 1366; jüngst BVerfG, NVwZ 2007, 1420, 1421; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 7; Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 196; allg Schoch Jura 2001, 201, insb 204 f; Guckelberger Jura 2008, 819 ff. BVerfGE 61, 82, 104 → JK GG Art 19 III/3; 75, 192, 200 (bzgl Art 101 I 2 und 103 I GG); BVerfG, NVwZ 2005, 82, 83. So BVerfG, NVwZ 1994, 58. BVerfGE 25, 124, 128; 59, 216, 225; 71, 34 f; 107, 1, 8; BVerfG, NVwZ 1987, 123; Bethge in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 43 ff; Magen in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 91 Rn 18 ff; Goos in: Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 283 ff; erläuternd Rennert JuS 2008, 29, 31. Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 41. BVerfGE 61, 82, 103 f → JK GG Art 19 III/3; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 8, 44; vgl aus dem Staatsrecht BVerfGE 81, 310, 334.
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Während hinsichtlich der gegenwärtigen Betroffenheit keine Abweichungen zu den für die Individualverfassungsbeschwerde aufgestellten Kriterien bestehen (aktuelle, nicht bloß virtuelle Beschwer),75 gelten hinsichtlich des Erfordernisses der unmittelbaren Betroffenheit insoweit abgeschwächte Maßstäbe:76 Bei der (Individual-)Rechtssatzverfassungsbeschwerde fehlt es an der unmittelbaren Betroffenheit des Beschwerdeführers, wenn ihm zugemutet werden kann, zunächst einen die angegriffene Rechtsnorm konkretisierenden Vollzugsakt abzuwarten, gegen diesen den Verwaltungsrechtsweg zu beschreiten und erst nach dessen Erschöpfung das BVerfG im Wege der (Urteils-)Verfassungsbeschwerde anzurufen (→ § 13 Rn 79 f.) Da aber die kommunale Verfassungsbeschwerde ausschließlich als Rechtssatzverfassungsbeschwerde konzipiert ist, würde dieser Mechanismus den verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz der Kommunen verkürzen. Mit dieser Erwägung verengt das BVerfG das „Unmittelbarkeits“-Erfordernis auf Rechtsnormen: 77 Greift eine Kommune ein formelles Gesetz an, das zu seiner Vollziehung noch der Konkretisierung durch eine untergesetzliche Rechtsnorm (insbes eine Rechtsverordnung) bedarf, ist die kommunale Verfassungsbeschwerde mangels Unmittelbarkeit unzulässig. Administrative Vollzugsakte muss die Kommune hingegen nicht abwarten, vielmehr kann sie dann sogleich gegen das betreffende Gesetz vorgehen.78
c) Möglichkeit der Rechtsverletzung 38
Schließlich muss sich aufgrund des Vortrags des Beschwerdeführers substantiiert ergeben, dass die Selbstverwaltungsgarantie des Art 28 II GG verletzt sein könnte.79 Damit sind hohe Anforderungen an die beschwerdeführende Kommune hinsichtlich der Darlegung eines entsprechenden Sachverhalts wie der Begründung der Rechtsverletzung verbunden. Das BVerfG handhabt die §§ 23 I 2, 92 BVerfGG, welche es auch auf die kommunale Verfassungsbeschwerde anwendet,80 konsequent streng. Dieses Zulässigkeitserfordernis hat sich vor allem bei kommunalen Verfassungsbeschwerden wegen Verletzung der kommunalen Finanzhoheit (finanzielle Mindestausstattung) als hohe praktische Hürde erwiesen.81
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Lösung Fall 7: K ist als Selbstverwaltungskörperschaft für das Verfahren der kommunalen Verfassungsbeschwerde parteifähig und wendet sich zulässigerweise gegen ein (Bundes-)Gesetz (Änderung des SGB II). Dieses Gesetz müsste möglicherweise in Art 28 II GG eingreifen. Hier rügt K in erster Linie die Verletzung einer anderen Verfassungsbestimmung (Art 84 I 7 GG). Fraglich ist, ob darin auch ein (mittelbarer) Verstoß gegen Art 28 II GG zu sehen sein könnte. Da die Selbstverwaltungsgarantie lediglich „im Rahmen der Gesetze“ gewährleistet ist, ließe sich argumentieren, dass nur solche Gesetze Art 28 II GG wirksam begrenzen können, die ihrerseits formell und materiell mit dem GG vereinbar sind. Diese Überlegung der
75 Dazu → § 13 Rn 74 ff. – Speziell für die kommunale Verfassungsbeschwerde Bethge in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 45. 76 Ausführlich Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 46; Magen in: Umbach/ Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 91 Rn 21 ff. 77 BVerfGE 71, 25, 35 f; 76, 107, 112 f → JK BVerfGG § 91/1; BVerfG, NVwZ 1987, 123. 78 Kritisch zur Rspr des BVerfG Magen in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 91 Rn 23 ff. 79 BVerfGE 71, 25, 34, 36; 86, 90, 106; 107, 1, 8. 80 BVerfGE 71, 25, 34; 76, 107, 112 → JK BVerfGG § 91/1. 81 BVerfGE 71, 25, 36 ff; BVerfG, NVwZ-RR 1999, 417.
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sog „Elfes-Konstruktion“ der Grundrechtsdogmatik ist nach wohl hM auf die institutionelle Garantie des Art 28 II GG nicht übertragbar. Das BVerfG wählt statt dessen einen anderen Weg: Auch solche Verfassungsnormen, die nach ihrem Inhalt das verfassungsrechtliche Bild der Selbstverwaltung mitzubestimmen geeignet sind, können im Rahmen des Art 93 I Nr 4b GG als verletzt gerügt werden. Da Art 84 I 7 GG explizit den Schutz der Kommunen vor Aufgabenzuweisungen durch Bundesgesetz bezweckt, liegt diese Voraussetzung für jene (bei der Föderalismusreform I eingefügte) Norm vor. K ist damit beschwerdebefugt.
Lösung Fall 8: Da G ein Gesetz angreift, könnten die Voraussetzungen für eine kommunale Verfassungsbeschwerde vorliegen. Dann müsste G aber die Verletzung von Art 28 II GG geltend machen. Der Verlust der einnahmefördernden Streuobstwiesen könnte die kommunale Finanzhoheit berühren. Darunter ist allgemein die Befugnis zu einer eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft im Rahmen eines gesetzlich geordneten Haushaltswesens“ zu verstehen.82 Der Entzug einer einzigen Einnahmequelle berührt Art 28 II GG hingegen nicht. Somit scheidet eine kommunale Verfassungsbeschwerde aus. Eine Individualverfassungsbeschwerde setzt voraus, dass G „jedermann“ und damit Träger von Grundrechten ist. Für juristische Personen des Öffentlichen Rechts wird dies von der hM grds abgelehnt; die Berufung auf materielle Grundrechte wie Art 14 I GG ist der Gemeinde versagt.83 Auch kann sich ein Träger öffentlicher Gewalt nicht zum Sachwalter von Individualrechten Dritter machen.84 Damit ist eine Verfassungsbeschwerde von G insgesamt unzulässig.
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Lösung Fall 9: S wendet sich hier gegen Gerichtsentscheidungen, so dass eine kommunale Verfassungsbeschwerde mangels eines zulässigen Beschwerdegegenstands von vornherein ausscheidet. Eine Individualverfassungsbeschwerde von S erscheint hier – anders als in Fall 8 – nicht sogleich unzulässig, da S keine materiellen Grundrechte geltend machen möchte. Die Rspr des BVerfG gestattet auch juristischen Personen des Öffentlichen Rechts die Berufung auf die sog Prozessgrundrechte. Die Rüge von S, ihr Vorbringen sei nicht einmal in Betracht gezogen worden, bezieht sich auf das in Art 103 I GG gewährleistete Recht auf gerichtliches Gehör, welches als objektiver Verfahrensgrundsatz für jedes gerichtliche Verfahren gilt. Anders verhält es sich mit dem allgemeinen, aus Art 3 I GG fließenden Willkürverbot; hier meint das BVerfG, dessen Geltung folge schon aus dem Wesen des Rechtsstaates, ohne dass es noch der Konstruktion eines für juristische Personen des Öffentlichen Rechts geltenden Grundrechts bedürfe.85 Somit ist S allein im Rahmen einer Individualverfassungsbeschwerde unter dem Aspekt des Art 103 I GG beschwerdebefugt.
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82 83 84 85
BVerfGE 26, 228, 244; ebenso Stern (Fn 5), Art. 28 Rn 99 mwN. BVerfGE 61, 82, 105 ff → JK GG Art 19 III/3. BVerfGE 81, 310, 344. BVerfG, NVwZ 2007, 1420, 1421.
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5. Subsidiarität der (bundesrechtlichen) kommunalen Verfassungsbeschwerde 42
Fall 10: Das Land Sachsen-Anhalt, in dem eine Vielzahl kleiner, zur Durchführung ihrer Aufgaben nicht hinreichend leistungsfähiger Gemeinden besteht, erlässt ein „Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit“, welches die Übertragung bestimmter Aufgaben der Gemeinden auf übergeordnete Verwaltungsgemeinschaften vorsieht. Auf dessen Grundlage wird der Innenminister ermächtigt, auf dem Verordnungswege nicht hinreichend leistungsfähige Gemeinden (was das Gesetz bei einer Einwohnerzahl von weniger als 5 000 vermutet) zu einer leistungsfähigen Verwaltungsgemeinschaft zusammenzufassen. Durch eine Rechtsverordnung ordnet der Innenminister die 2 800 Einwohner zählende Gemeinde G der Verwaltungsgemeinschaft V zu. G will dies verfassungsgerichtlich überprüfen lassen.
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Dass die kommunale Verfassungsbeschwerde in der verfassungsgerichtlichen Praxis keine allzu große Bedeutung erlangen konnte, liegt insbesondere an der besonderen Subsidiaritätsklausel in Art 93 I Nr 4b aE GG sowie § 91 S 2 BVerfGG. Demnach kommt der Rechtsbehelf zum BVerfG bei Landesgesetzen dann nicht in Betracht, wenn eine Beschwerde wegen einer Verletzung des Selbstverwaltungsrechts zum LVerfG möglich ist. Eine derartige landesverfassungsrechtliche kommunale Verfassungsbeschwerde ist mittlerweile in jedem („Flächen“-)Land eröffnet.86 Für diesen Fall ist die Verfassungsbeschwerde zum BVerfG prinzipiell ausgeschlossen, ohne dass es auf die prozessuale Ausgestaltung des Rechtsbehelfs zum LVerfG ankäme.87 Den im Verfahren der kommunalen Verfassungsbeschwerde Parteifähigen steht also allein eine einstufige verfassungsgerichtliche Überprüfungsmöglichkeit offen; vor allem kann das BVerfG nicht als zusätzliche (Revisions-)Instanz in Anspruch genommen werden.88 Allerdings kann fraglich sein, ob die Sperrwirkung für den bundesverfassungsrechtlichen Rechtsbehelf tatsächlich besteht. Das ist nicht nur dann nicht der Fall, wenn eine Beschwerdemöglichkeit zum LVerfG überhaupt nicht besteht, sondern auch dann, wenn dessen Schutzintensität hinter derjenigen der kommunalen Verfassungsbeschwerde gem Art 93 I Nr 4b GG zurückbleibt. Die in dieser Norm zum Ausdruck kommende Entscheidung des Verfassunggebers für eine möglichst umfassende verfassungsgerichtliche Kontrolle von gesetzlichen Gestaltungen des kommunalen Selbstverwaltungsrechts verlangt
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86 Baden-Württemberg (Art 76 LV; §§ 8 I Nr 8, 54 StGHG); Bayern (Art 98 S 4 BV; Art 2 Nr 7, 55 VerfGHG); Brandenburg (Art 100 LV; §§ 12 Nr 5, 51 VerfGG); Bremen (Art 140 LV, §§ 10 Nr 2, 24 BremStGHG); Hessen (Art 131 III LV iVm § 46 StGHG); Mecklenburg-Vorpommern (Art 53 Nr 8 LV; §§ 11 I Nr 8 und 10, 52 III LVerfGG); Niedersachsen (Art 54 Nr 5 LV; §§ 8 Nr 10, 36 StGHG); Nordrhein-Westfalen (Art 75 Nr 4 LV; §§ 12 Nr 8, 52 VerfGHG); Rheinland-Pfalz (Art 130a LV; § 44 VerfGHG); Saarland (Art 97 Nr 4 LV; §§ 9 Nr 13, 55 II VerfGHG); Sachsen (Art 90 LV; § 7 Nr 8, 36 VerfGHG); Sachsen-Anhalt (Art 75 Nr 7 LV, §§ 2 Nr 8, 51 LVerfGG); Thüringen (Art 80 I Nr. 2 LV; § 11 Nr 2, 31 ff VerfGHG). – Eingehend Bethge in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 72 ff; Kment DVBl 2004, 214, 220 ff. 87 BVerfG, NVwZ 1994, 58, 59; NVwZ-RR 1999, 353. 88 BVerfG, NVwZ 1994, 58; NVwZ-RR 1999, 353; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 75 f. – Das folgt bereits aus der Konzeption des Art 93 I Nr 4b GG als bloße Rechtssatzverfassungsbeschwerde. Denkbar bleibt eine allgemeine (Urteils-)Verfassungsbeschwerde gem Art. 93 I Nr 4a GG, sofern ein Verstoß der Entscheidung des LVerfG gegen Justizgrundrechte gerügt wird → Rn 34.
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von den Ländern zwar kein dem bundesverfassungsrechtlichen Rechtsbehelf gleichgestaltetes, aber doch ein diesem im wesentlichen gleichwertiges Verfahren.89 An einer gleichwertigen Verfahrensausgestaltung kann es namentlich in drei Konstellationen fehlen, bei denen die „Reservezuständigkeit des BVerfG“90 wieder auflebt: (1.) Bleibt das Landesrecht hinsichtlich der Parteifähigkeit hinter dem Schutzniveau der bundesrechtlichen kommunalen Verfassungsbeschwerde zurück, greift die Subsidiaritätsklausel nicht. Kommunale Körperschaften (insbes Gemeindeverbände), deren Parteifähigkeit als Träger der Selbstverwaltungsgarantie im Rahmen von Art 93 I Nr 4b GG, § 91 S 1 BVerfGG unstreitig ist, denen aber das Landesrecht oder die Rspr den Zugang zum LVerfG verwehren, können zulässigerweise die bundesrechtliche kommunale Verfassungsbeschwerde erheben.91 So können sich etwa die bayerischen (Land-)Kreise mangels Zugangsmöglichkeiten zum BayVerfGH beschwerdeführend an das BVerfG wenden.92 (2.) Auch kommt die Subsidiaritätsklausel nicht zur Anwendung, wenn nach dem jeweiligen Landesrecht (bzw der Rspr des betreffenden LVerfG) engere Zulässigkeitsvoraussetzungen im Hinblick auf den Beschwerdegegenstand bestehen. Das betrifft diejenigen Länder, in denen Kommunen die landesverfassungsrechtliche Beschwerde nur gegen formelle Landesgesetze zu Gebote steht.93 Für diesen Fall bleibt ihnen gegen untergesetzliche Rechtsnormen der Rechtsweg zum BVerfG erhalten.94 Auch wenn dadurch Folgeprobleme ausgelöst werden,95 können allein so Rechtsschutzlücken zu Lasten der Kommunen vermieden werden. (3.) Keine verfassungsgerichtliche Klärung hat bisher die Frage erfahren, wie bei Divergenzen im Prüfungsmaßstab zu verfahren ist. Aufgrund der getrennten „Verfassungsräume“ von Bund und Ländern bildet Art 28 II GG den Prüfungsmaßstab für das BVerfG, die jeweilige landesverfassungsrechtliche Gewährleistung denjenigen für das betreffende LVerfG.96 Dieser inkongruente Prüfungsmaßstab hat Überlegungen angeregt, die „Reservezuständigkeit des BVerfG“ auch dann zur Geltung zu bringen, wenn entweder die landes-
89 BVerfGE 107, 1, 9 f; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 71; Magen in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 91 Rn 37. 90 So BVerfGE 107, 1, 11; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 74. 91 Magen in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 91 Rn 36. 92 Nach der Rspr des BayVerfGH können zwar die Gemeinden, nicht aber die Gemeindeverbände das Selbstverwaltungsrecht gem Art 11 BV als grundrechtsgleiches Recht im Wege der Popularklage gem Art 98 S 4 BV geltend machen; s VerfGHE 2/II, 143, 145, 164; Hoppe (Fn 57), 257, 263. 93 So die Rspr des StGH BW (DÖV 1977, 744) sowie des VerfGH LSA (LKV 1996, 413). – Demgegenüber kann nach der Rspr des BayVerfGH (NVwZ 1984, 711), des BbgVerfG (LKV 1995, 365; 2000, 397), des VerfGH NRW (NVwZ 1990, 456; 1992, 874; NVwZ-RR 1995, 101; NVwZ-RR 1998, 473) sowie des SächsVerfGH (SächsVBl 1994, 280) der landesverfassungsrechtliche Rechtsbehelf gegen jede – also auch untergesetzliche – Rechtsnorm erhoben werden; zu RP o Fn 35. Für die übrigen Länder ist die Frage höchstrichterlich nicht geklärt, zum jew Diskussionsstand Kment DVBl 2004, 214, 220 ff. 94 BVerfGE 107, 1, 9 f; Löwer in: Isensee/Kirchhof, HStR, § 70 Rn 78; kritisch Goos in: Hillgruber/ Goos, VerfPrR, Rn 295. 95 Das BVerfG darf zwar nicht das ranghöhere Landesgesetz, wohl aber das rangniedrigere untergesetzliche Landesrecht auf seine Vereinbarkeit mit der Selbstverwaltungsgarantie überprüfen. Ist dann eine inzidente Kontrolle des formellen Landesgesetzes durch das BVerfG in Konkurrenz zum LVerfG zulässig? – Anzeige des Problems bei Maurer in: FS Starck, 335, 340; Rennert JuS 2008, 29, 31; nicht geklärt durch BVerfGE 107, 1, 15 f. 96 Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 80 ff.
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verfassungsrechtliche Gewährleistung selbst oder aber deren Auslegung durch das LVerfG hinter dem materiellen Schutzniveau des Art 28 II GG zurückbleiben.97 49
Lösung Fall 10: G ist unproblematisch im Rahmen der kommunalen Verfassungsbeschwerde parteifähig. Sie wendet sich gegen die Rechtsverordnung des Innenministers, welche ein „Gesetz“ iSv Art 93 I Nr 4b GG, § 91 S 1 BVerfGG darstellt und somit einen zulässigen Beschwerdegegenstand bezeichnet. Da G bestimmte Aufgaben an V verliert, besteht auch die Möglichkeit einer Verletzung von Art 28 II 1 GG. Allerdings stellt sich die Frage, ob G sich nicht an das LVerfG wenden muss. Das wäre dann der Fall, wenn in L überhaupt ein LVerfG eingerichtet ist und weiter, wenn dort ein im wesentlichen gleichwertiges Verfahren zum Schutz der Selbstverwaltungsgarantie zur Verfügung steht. Daran kann es fehlen, wenn dieses nach dem Landesverfassungsrecht bzw der Rspr des LVerfG nur bei formellen Landesgesetzen zulässig ist. Da im konkreten Fall das zuständige LVerfG die LV in diesem Sinn auslegt, greift die Subsidiaritätsklausel nicht ein. Die Verfassungsbeschwerde von G ist also vor dem BVerfG zulässig.98
6. Rechtswegerschöpfung und (allgemeine) Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde 50
Fall 11: Was muss G im Fall 10 prozessual beachten, wenn sie die Einlegung einer kommunalen Verfassungsbeschwerde erwägt?
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Das BVerfG wendet (gesetzessystematisch nicht völlig zweifelsfrei) das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung des § 90 II 1 BVerfGG auch für die kommunale Verfassungsbeschwerde an.99 Allerdings erlangt dies für Verfassungsbeschwerden gegen formelle Gesetze keine Bedeutung: Gegen sie gibt es keinen Rechtsweg, und eine beschwerdeführende Kommune kann, anders als der Bürger bei der Individualverfassungsbeschwerde, nicht darauf verwiesen werden, zunächst fachgerichtlichen Rechtsschutz gegen Vollzugsakte in Anspruch zu nehmen (→ Rn 37). Somit wird § 90 II 1 BVerfGG allein für den Fall der Verfassungsbeschwerde gegen eine untergesetzliche Rechtnorm praktisch. Dann ist die vorherige Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle gem § 47 I VwGO zu prüfen; sofern das Landesrecht die Möglichkeit eröffnet (§ 47 I Nr 2 VwGO), ist erst dieses Verfahren zu durchlaufen.100 Hingegen gewährt die Feststellungsklage gem § 43 VwGO keinen auf die prinzipale Normenkontrolle gerichteten Rechtsschutz. Daher kann einer Kommune auch bei der Verfassungsbeschwerde gegen eine untergesetzliche Rechtsnorm nicht – unter Berufung auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität der Verfas-
97 Dafür etwa Magen in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 91 Rn 37; Bethge in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 88, befürwortet einen auf Art 28 III GG gestützten „latenten Zugriffsvorbehalt“ des BVerfG in Parallele zur Judikatur bzgl „ausbrechender Rechtsakte“ des Gemeinschaftsrechts (BVerfGE 89, 155, 174 f; 102, 147, 163 f); sehr skeptisch dagegen Benda in: Benda/Klein, VerfPrR, Rn 702. 98 BVerfGE 107, 1, 6, 8 f; zur Rspr der LVerfGe s die Nachw in Fn 94. 99 BVerfGE 76, 107, 114 f → JK BVerfGG § 91/1; 107, 1, 8; ablehnend Magen in: Umbach/ Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 91 Rn 46; jedenfalls skeptisch Rennert JuS 2008, 29, 32. 100 BVerfGE 76, 107, 114 f → JK BVerfGG § 91/1; 107, 1, 8; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 48; ebenso für die Individualverfassungsbeschwerde BVerfGE 70, 35, 53 f; 71, 305, 335 f.
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sungsbeschwerde – der langwierige Weg durch die Fachgerichte (mit der ihnen allein möglichen inzidenten Normenkontrolle) angesonnen werden.101 Jenem Grundsatz kommt, wenn überhaupt, bei der kommunalen Verfassungsbeschwerde nur ein schmaler Anwendungsbereich zu.102 Lösung Fall 11: Nach der Rspr des BVerfG gilt das in § 90 II 1 BVerfGG für die Individualverfassungsbeschwerde normierte Erfordernis der Rechtswegerschöpfung auch für die kommunale Verfassungsbeschwerde. G muss daher vor Anrufung des BVerfG um den einfachgesetzlich möglichen fachgerichtlichen Rechtsschutz nachsuchen. Die Rechtsverordnung des Innenministers stellt eine „unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift“ dar, gegen die grds der Rechtsbehelf der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle zum OVG/VGH gem § 47 I Nr 2 VwGO zur Verfügung steht. Sofern L in seinem Landesrecht von der Öffnungsklausel des § 47 I Nr 2 VwGO Gebrauch gemacht hat, muss G vor Erhebung der kommunalen Verfassungsbeschwerde erst einen Normenkontrollantrag zum OVG/VGH stellen.
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7. Beschwerdefrist Fall 12: G hat im Fall 11 einen Normenkontrollantrag nach § 47 I Nr 2 VwGO gestellt. Als das Gericht nach zehn Monaten mitgeteilt hat, es werde den Fall aus Gründen massiver Arbeitsüberlastung voraussichtlich erst in drei Monaten verhandeln können, wird man in G nervös und befürchtet, dann die Möglichkeit zu verlieren, ggf doch noch eine kommunale Verfassungsbeschwerde erheben zu können. Um das Gericht zur Eile anzuhalten, überlegt man in G, einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 VI VwGO zu stellen. Ist dies nötig?
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Im Vergleich zur Individualverfassungsbeschwerde ergeben sich für die kommunale Verfassungsbeschwerde keine Besonderheiten. Auch für letztere gilt die Jahresfrist des § 93 III BVerfGG, unabhängig davon, ob sie gegen formelle Gesetze oder gegen untergesetzliche Rechtsnormen erhoben worden ist.103 Im letzten Fall ist die beschwerdeführende Kommune freilich wegen § 90 II 1 BVerfGG gehalten, vor der Anrufung des BVerfG einen Normenkontrollantrag gem § 47 I VwGO zum OVG/VGH zu stellen.104 Durch diese Antragstellung wird die Jahresfrist nach § 93 III BVerfGG unterbrochen und beginnt mit der verfahrensbeendenden Entscheidung des OVG/VGH wieder neu zu laufen.105
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101 So aber Goos in: Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 291; dagegen mit Recht Bethge in: Maunz/SchmidtBleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 49; Magen in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 91 Rn 46. 102 Näher Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 50 ff; zum (für die Individualverfassungsbeschwerde entwickelten, nicht mit der Subsidiarität gem § 91 S 2 BVerfGG zu verwechselnden) Grundsatz allgemein Goos in: Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 216 ff. 103 BVerfGE 13, 248, 253; Magen in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 91 Rn 47. 104 Hierfür gilt seit der Änderung von § 47 II VwGO zum 1.1.2007 gleichfalls eine Jahresfrist; nach § 47 II VwGO aF betrug die Antragsfrist zwei Jahre (mit der Konsequenz, dass eine Kommune den Antrag gem § 47 I VwGO binnen Jahresfrist stellen musste, um sich die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde zu erhalten). 105 BVerfGE 76, 107, 116 → JK BVerfGG § 91/1; den Mechanismus erläuternd Rennert JuS 2008, 29, 32. – Demgegenüber will für diese Konstellation – wenig überzeugend – Goos in: Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 298, die Monatsfrist des § 93 I 1 BVerfGG anwenden.
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Lösung Fall 12: Die Befürchtung von G resultiert aus einer drohenden Überschreitung der für die kommunalen Verfassungsbeschwerde geltenden Beschwerdefrist (§ 93 III BVerfGG). Allerdings wird diese Frist durch die Erhebung eines Normenkontrollantrags gem § 47 I Nr 2 VwGO unterbrochen. Der schleppende Verfahrensablauf vor dem Normenkontrollgericht schmälert also die verfassungsprozessualen Möglichkeiten von G nicht. Allerdings muss G binnen eines Jahres nach der Normenkontrollentscheidung des OVG/VGH die kommunale Verfassungsbeschwerde erheben. Einer einstweiligen Anordnung bedarf es jedenfalls nicht.
III. Begründetheit der kommunalen Verfassungsbeschwerde 56
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Erweist sich die kommunale Verfassungsbeschwerde als zulässig, tritt das BVerfG in eine Sachprüfung ein. Dessen Prüfungsmaßstab ist dabei – anders als etwa bei der abstrakten Normenkontrolle (→ § 15 Rn 59) oder (folgt man der Rspr des Zweiten Senats des BVerfG) auch bei der Individualverfassungsbeschwerde (→ § 13 Rn 118) – beschränkt: Alleiniger Maßstab sind Art 28 II GG sowie – nach der Rspr des BVerfG – diejenigen Verfassungsnormen, die das verfassungsrechtliche Bild der Selbstverwaltung mitzubestimmen geeignet sind. Entscheidend ist also, ob die im Rahmen der Beschwerdebefugnis als möglich benannten Rechtsverletzungen auch tatsächlich vorliegen. Hinsichtlich der institutionellen Garantie des Art 28 II GG kommt es darauf an, ob deren Gewährleistungsbereich verfassungsrechtlich unzulässig beschränkt worden ist,106 bei den übrigen zu überprüfenden Verfassungsbestimmungen, ob sie zu Lasten der beschwerdeführenden Kommune(n) verletzt wurde. In der bisherigen Praxis des BVerfG haben sich kommunale Verfassungsbeschwerden indes nur in seltenen Fällen als für die beschwerdeführenden Kommunen erfolgreich erwiesen107 – was allerdings nicht verdecken sollte, dass auch im konkreten Einzelfall „verlorene“ Verfahren zentrale Bedeutung für die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung und die Entwicklung des Kommunalrechts entfaltet haben.108
IV. Entscheidung des BVerfG 58
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Die Entscheidungswirkungen bemessen sich bei der kommunale Verfassungsbeschwerde gem § 95 I, III BVerfGG. Infolge ihres Charakters als Rechtssatzverfassungsbeschwerde kommt durchweg § 31 II 2 BVerfGG zur Anwendung, die vom BVerfG getroffene Sachentscheidung erwächst also stets in Gesetzeskraft. Erweist sich das von der beschwerdeführenden Kommune angegriffene Gesetz als verfassungswidrig, stellt das BVerfG dessen Unvereinbarkeit mit Art 28 II GG fest (vgl § 95 I 1 BVerfGG) und erklärt es für nichtig (vgl § 95 III 1 BVerfGG). Die vom BVerfGG generell für Normenkontrollentscheidungen entwickelten Entscheidungsaussprüche unter-
106 Zur Prüfungsabfolge zuletzt aus der Ausbildungsliteratur Rennert JuS 2008, 29, 32 ff; Starke JuS 2008, 319, 322 ff. 107 BVerfGE 56, 298 (gemeindliche Planungshoheit); 59, 216 (Namensänderung); 86, 90 (Neugliederungs- und Gebietsänderungsmaßnahme); jüngst BVerfG, NVwZ 2008, 183 („Harz IV-Arbeitsgemeinschaften“). 108 Etwa BVerfGE 79, 127 → JK GG Art 28 II/17.
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halb der Schwelle der Nichtigkeit (→ § 15 Rn 21 ff) können auch für die kommunale Verfassungsbeschwerde Anwendung finden.109 Liegt hingegen nach Überzeugung des BVerfG kein Verfassungsverstoß vor, erkennt es ausdrücklich dahin, dass das betreffende Gesetz mit Art 28 II GG vereinbar ist. Schema
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I. Zulässigkeit 1. Parteifähigkeit 2. Prozessfähigkeit 3. Beschwerdegegenstand 4. Beschwerdebefugnis a) Zulässiges Rügepotential b) Betroffenheit des Beschwerdeführers c) Möglichkeit der Rechtsverletzung 5. Subsidiarität der (bundesrechtlichen) kommunalen Verfassungsbeschwerde 6. Rechtswegerschöpfung und (allgemeine) Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde 7. Beschwerdefrist II. Begründetheit
109 Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 Rn 96.
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§ 15 Abstrakte Normenkontrolle Stefan Mückl I. Funktion und Bedeutung der abstrakten Normenkontrolle Der Begriff der (gerichtlichen) Normenkontrolle bezeichnet allgemein die Prüfung der Vereinbarkeit einer Rechtsnorm mit einer höherrangigen Rechtsnorm durch ein dazu berufenes (Verfassungs-)Gericht.1 Dass die Judikative überhaupt damit betraut wird, Akte der Legislative auf ihre Recht- bzw. Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen und ggf als ungültig zu verwerfen, ist verfassungsgeschichtlich wie -theoretisch keinesfalls zwingend. Als Geburtsstunde dieser richterlichen Kompetenz gilt gemeinhin die Entscheidung Marbury v Madison des amerikanischen Supreme Court aus dem Jahr 1803.2 Sie beruht auf zwei elementaren Voraussetzungen: Einer Hierarchie der Rechtsnormen, insbesondere dem Grundsatz des Vorrangs der Verfassung (materielle Komponente) sowie dem richterlichen Prüfungsrecht (formelle, kompetenzielle Komponente).3 Beide Grundlagen sind im GG normiert: Der Vorrang der Verfassung ergibt sich aus Art 1 III, 20 III GG (weitere für eine Normenhierarchie bedeutsame Vorschriften sind Art 80 GG für untergesetzliche Normen sowie Art 31 GG für das Verhältnis von Bundes- und Landesrecht). Mit der Einrichtung einer Verfassungsgerichtsbarkeit (Art 93 GG) und der konkreten Zuweisung von Streitigkeiten über die Gültigkeit von Rechtsnormen (Art 93 I Nr 2, 2a, II, 100 I–III, 126 GG) erkennt das GG auch das Institut des richterlichen Prüfungsrechts an. Typologisch lassen sich verschiedene Arten einer Normenkontrolle unterscheiden: 4 Bildet die Vereinbarkeit einer Norm mit einer höherrangigen Norm den Gegenstand des Rechtsstreits, handelt es sich um eine prinzipale Normenkontrolle. Ist hingegen die Rechtbzw Verfassungsmäßigkeit eines Einzelakts (VA, Urteil) im Streit und hängt dessen Entscheidung von der Verfassungsmäßigkeit der zugrunde liegenden Rechtsnorm als Vorfrage ab, spricht man von einer inzidenten Normenkontrolle. Bezieht sich diese Unterscheidung auf den Streitgegenstand, lässt sich eine weitere in Bezug auf die Veranlassung der Normenkontrolle bilden: Erfolgt sie aus Anlass eines anhängigen Rechtsstreits, bei dem es entscheidungserheblich auf die Gültigkeit der Norm ankommt, ist die Normenkontrolle konkret. Die abstrakte Normenkontrolle wird dagegen unabhängig von einem konkreten Streitfall der Rechtsanwendung durchgeführt. Eine derartige abstrakte Normenkontrolle 5 sieht das GG in Art 93 I Nr 2 vor. Demnach entscheidet das BVerfG bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit dem GG sowie über die Vereinbarkeit von Landesrecht mit Bundesrecht.
1 Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 1; Maurer StaatsR, § 20 Rn 66; zur verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle → § 27. 2 Dazu Heun Der Staat 42 (2003), 267; Brugger JuS 2003, 320. 3 Grundl Thoma AöR 43 (1922), 267; ferner Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 114 ff. 4 Eingehend Maurer StaatsR, § 20 Rn 69 ff. 5 Begriffsprägend Friesenhahn in: HdbDStR II, 1932, 523, 526.
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Eine föderative Variante der abstrakten Normenkontrolle stellt die 1994 in das GG eingefügte Bestimmung des Art 93 I Nr 2a dar, derzufolge das BVerfG auch über Meinungsverschiedenheiten, ob ein Gesetz den Voraussetzungen des Art 72 II GG entspricht, entscheidet („Kompetenzkontrolle“ 6). Allerdings hat die „Föderalismusreform I“ im Jahr 2006 den Anwendungsbereich der Bestimmung erheblich eingeschränkt, da nunmehr nur noch für bestimmte Materien aus dem Kompetenzkatalog des Art 74 GG der Nachweis ihrer Erforderlichkeit erbracht werden muss. Die Föderalismusreform hat in Art 93 II GG eine weitere Variante der „Kompetenzkontrolle“ geschaffen: Besteht die Erforderlichkeit für eine bundesgesetzliche Regelung iSd Art 72 II GG nicht mehr oder könnte Bundesrecht in den Fällen des Art 125a II 1 GG nicht mehr erlassen werden, so kann dies nun das BVerfG aussprechen. Im Ergebnis eröffnet dieser Verfahrenstypus die Möglichkeit, die „Freigabe“ bundesgesetzlicher Materien für den Landesgesetzgeber mit Hilfe des BVerfG zu erzwingen.7 Ob er in der Praxis relevant werden wird, bleibt abzuwarten.8 Charakteristikum der abstrakten Normenkontrolle ist die strikt objektive Verfahrensnatur. Von Anfang seiner Tätigkeit an hat das BVerfG betont, es habe hier als „Hüter der Verfassung … darüber zu wachen, dass das GG weder formell noch sachlich durch Rechtsvorschriften des Bundes oder der Länder verletzt und andererseits die sich aus der bundesstaatlichen Struktur ergebende Gefahr vermieden wird, dass sonstiges Recht des Bundes durch Landesrecht beeinträchtigt wird“ 9. Demnach ist die abstrakte Normenkontrolle ein von subjektiven Berechtigungen unabhängiges, objektives Beanstandungsverfahren zum Schutz der Verfassung sowie der Bundesrechtsordnung.10
II. Zulässigkeit des Antrags 1. Ordnungsgemäßer Antrag 7
Unbeschadet ihrer Funktion als objektives Rechtsbeanstandungsverfahren bedarf auch die abstrakte Normenkontrolle eines verfahrenseinleitenden Antrags. Das BVerfG wird grundsätzlich nur auf Antrag tätig, ein Tätigwerden von Amts wegen ist nicht vorgesehen.11 Speziell für die abstrakte Normenkontrolle ergibt sich das Antragserfordernis ausdrücklich aus Art 93 I Nr 2, 2a, 2b GG, §§ 76 I, 97 I BVerfGG. Der Antrag muss den in § 23 I BVerfGG normierten Anforderungen entsprechen (Schriftform, Begründung, Angabe der Beweismittel). 6 So treffend Robbers Verfassungsprozessuale Probleme in der öffentlich-rechtlichen Arbeit, 2. Aufl 2005, 65; eingehend zu dieser – bisher praktisch wenig bedeutsamen – Variante Benda/Klein VerfPrR, Rn 740 ff; Hillgruber in: Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 553 ff. 7 Einzelheiten bei Schwarz in: Starck (Hrsg), Föderalismusreform, 2007, Rn 105 ff. 8 Optimistisch Schwarz (Fn 7), Rn 108 („nicht unerheblicher Disziplinierungseffekt“); skeptisch hingegen Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 125. 9 BVerfGE 1, 184, 195 f. 10 BVerfGE 83, 37, 49 mwN; Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 5; Benda/Klein VerfPrR, Rn 707; Hillgruber in: Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 493; skeptisch aber Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 118 f. 11 BVerfGE 1, 184, 196; Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 119; Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 7; Benda/Klein VerfPrR, Rn 178, 182, 709; Söhn FS 25 Jahre BVerfG, 1976, 292, 296. – Einzige (nicht klausurrelevante) Ausnahme: § 105 II BVerfGG.
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2. Antragsberechtigung 12 Fall 1: Der Bundeskanzler (BK) propagiert – im Gegensatz zur Mehrheit der Bundesminister – zur Ankurbelung der Wirtschaft und zur Verbesserung der politischen Stellung Deutschlands in der Welt eine Verstärkung der Rüstungsexporte. Die dem entgegenstehenden restriktiven Bestimmungen des Kriegswaffenkontrollgesetzes (KrWaffG, Sart I Nr 823) verstoßen seiner Ansicht nach gegen die Berufsfreiheit der Hersteller von Rüstungsgütern und schränkten zudem den außenpolitischen Handlungsspielraum der Bundesregierung unverhältnismäßig ein. Kann er einen Antrag nach Art 93 I Nr 2 GG stellen?
8
Fall 2: Der Bundestag (BT) beschließt gegen die Stimmen der Fraktion der oppositionellen B-Partei, die verfassungsrechtliche Bedenken anmeldet, ein Gesetz. Hiergegen richten sich Normenkontrollanträge dreier, von der B-Partei gestellter Landesregierungen, darunter auch der des Landes L, die im Bundesrat dem Gesetz zugestimmt hatte.
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Abwandlung: Der Antrag nach Art 93 I Nr 2 GG wird von der Fraktion der B-Partei gestellt, die im BT über 250 Abgeordnete verfügt.
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Als Antragsteller im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle können nach der – abschließenden 13 – Regelung des Art 93 I Nr 2 GG, § 76 I BVerfGG die Bundesregierung, eine Landesregierung oder ein Drittel der Mitglieder des BT auftreten. Sie fungieren als „watchdogs zum Schutz des GG“ 14: Nach der Wertung von GG und BVerfGG 15 soll die Auswahl des Kreises der Antragsberechtigten – die exekutiv-politische Spitze des Bundes, ihre föderativen Pendants in den Ländern sowie eine qualifizierte parlamentarische Minderheit – gewährleisten, dass das BVerfG zur Überprüfung von Rechtsnormen von allgemeiner Bedeutung auch tatsächlich angerufen wird 16 und so seine Rolle als „Hüter der Verfassung“ ausfüllen kann.
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12 Zur Terminologie: Da es sich bei der abstrakten Normenkontrolle um ein objektives Verfahren handelt, ist der Ausdruck „Parteifähigkeit“ nicht angebracht. Auch der teilweise verwandte Begriff „Antragsbefugnis“ (etwa v. Mutius JURA 1987, 534, 537) ist missverständlich; damit wird üblicherweise die Befugnis zur Geltendmachung eigener Rechte bezeichnet. 13 BVerfGE 21, 52, 53 f; 68, 346, 349; Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 120; Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 8; Benda/Klein VerfPrR, Rn 710. 14 Benda/Klein VerfPrR, Rn 710. 15 Verfassungstheoretisch zwingend ist diese nicht: Die Verfahrenseinleitung in diesem objektiven Beanstandungsverfahren ließe sich auch anderen Verfassungsorganen oder sogar dem „Jedermann“ zubilligen. Eine derartige sog Popularklage sieht das bayerische Verfassungsrecht vor (Art 98 S 4 BayVerf; Art 53 BayVerfGHG); dazu Fleury VerfPrR, Rn 133 ff. 16 Im Regelfall hat sich diese Erwartung erfüllt, s Söhn FS 25 Jahre BVerfG, 1976, 292, 296; v. Mutius JURA 1987, 534, 537 f – Erfolgte allerdings eine gesetzliche Regelung im Konsens der maßgeblichen politischen Kräfte, kam es zu deren verfassungsgerichtlicher Kontrolle nicht im Wege der abstrakten Normenkontrolle, sondern der Verfassungsbeschwerde. Prominente Beispielsfälle: Mitbestimmungsgesetz 1976 (BVerfGE 50, 290); Vertrag von Maastricht 1992 (BVerfGE 89, 155 → JK GG Art 23/1); Asylkompromiss 1993 (BVerfGE 94, 49, 115, 166); Regelung der akustischen Wohnraumüberwachung 1998 (sog „großer Lauschangriff“, BVerfGE 109, 279).
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Gleichfalls abschließend ist die Antragsberechtigung im Verfahren der sog Kompetenzkontrolle gem Art 93 I Nr 2a GG, § 76 II BVerfGG sowie gem Art 93 II GG, § 97 BVerfGG geregelt: Sie steht dem Bundesrat, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes zu. Hintergrund dieser Auswahl ist der mit der Bestimmung verbundene Verfahrenszweck: 17 Der drohenden Erosion der Ländergesetzgebungskompetenzen durch eine extensive Inanspruchnahme der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen seitens des Bundes können nicht nur der Bundesrat (insoweit nicht als Verfassungsorgan des Bundes, sondern als „Sachwalter der Länderinteressen“ 18) und die Landesregierungen, sondern auch die von dieser Entwicklung primär betroffenen Landesparlamente vor dem BVerfG entgegentreten. Unter Bundesregierung ist das aus BK und Bundesministern gebildete Kollegialorgan zu verstehen (Art 62 GG). Der Antrag der Bundesregierung ist nur zulässig, wenn ihm ein entsprechender Kabinettsbeschluss gem § 24 GO BReg vorausgegangen ist.19 Fehlt dieser, kann er auch durch eine auf seine Richtlinienkompetenz nach Art 65 S 1 GG gestützte Entscheidung des BK nicht ersetzt werden.20 Die gleichen Grundsätze gelten (sowohl im Verfahren nach Nr 2 als auch nach Nr 2a sowie gem Art 93 II GG) für die Landesregierungen: Ihre Definition ergibt sich aus dem jeweiligen Landesverfassungsrecht,21 auch hier ist ein Kabinettsbeschluss erforderlich. Ohne Auswirkung auf die Antragsberechtigung einer Landesregierung ist der Umstand, dass sie nicht schon auf politischem Weg, namentlich im Bundesrat, das Zustandekommen des nun angegriffenen Gesetzes zu verhindern versucht hat.22 Bei der Antragsberechtigung von einem Drittel der Mitglieder des BT bezieht sich das notwendige Mindestquorum auf die gesetzliche Mitgliederzahl des BT (Art 121 GG). Diese beträgt nach § 1 I 1 BWG 598 Abgeordnete, so dass zur Einleitung eines Normenkontrollverfahrens 200 Abgeordnete erforderlich sind. Abweichungen können sich allerdings dann ergeben, wenn sich die Mitgliederzahl durch Überhangmandate (§ 6 V BWG) erhöht.23 Das den Antrag stellende Mitgliederdrittel – das auch im Wege einer fraktionsübergreifenden Initiative zustande kommen kann – muss allerdings als Einheit auftreten: Es muss sich durch denselben Bevollmächtigten vertreten lassen und kann nicht unterschiedliche Rechtsauffassungen hinsichtlich der (Un-)Vereinbarkeit der zur Überprüfung
17 S aus den Gesetzgebungsmaterialien BT-Drucks 12/6000, 32 f, 36. 18 Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 79. 19 Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 9; Benda/Klein VerfPrR, Rn 710; ausdrücklich auch § 19 II der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien, Besonderer Teil (GGO II). 20 Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 120; Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 9; Benda/Klein VerfPrR, Rn 710; aA Stern Staatsrecht II, 1980, 312. 21 Art 45 II 1 LV BW; Art 43 II BayVerf; Art 55 II LV Berlin; Art 82 LV Bbg; Art 107 BremLV; Art 33 HLV; Art 100 HessLV; Art 42 I LV MV; Art 28 II NdsLV; Art 51 LV NRW; Art 98 I LV Rh-Pf; Art 86 SaarLV; Art 59 II 1 SächsLV; Art 64 I 2 LV LSA; Art 26 I 2 LV SH; Art 70 II ThürLV. 22 BVerfGE 101, 158, 213; Benda/Klein VerfPrR, Rn 710; Hillgruber in: Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 498. 23 Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 11; Hillgruber in: Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 498. – Bei den Wahlen zum 16. Deutschen Bundestag wurden 16 Überhangmandate vergeben. Nach dem Ausscheiden eines (nicht nachzubesetzenden, vgl BVerfGE 97, 317) direkt gewählten Abgeordneten bestand der Bundestag aus 612 Abgeordneten.
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gestellten Norm mit höherrangigem Recht vertreten.24 Ist der Antrag einmal gestellt, bleibt er auch über das Ende der Legislaturperiode des BT hinaus bestehen; er unterliegt also nicht dem parlamentsrechtlichen Grundsatz der Diskontinuität.25 Voraussetzung für die Antragsberechtigung von Bundesrat und einer Volksvertretung des Landes 26 im Fall der Kompetenzkontrolle nach Art 93 I Nr 2a GG sowie nach Art 93 II GG ist jeweils ein entsprechender Mehrheitsbeschluss des betreffenden Organs (gem Art 52 III 1 GG bzw der einschlägigen landesverfassungsrechtlichen Bestimmung 27). Aufgrund des objektiven Charakters des Normenkontrollverfahrens entfällt die Antragsberechtigung des Bundesrates auch dann nicht, wenn er zuvor dem Gesetz zugestimmt oder keinen Einspruch erhoben hat 28; ebenso wenig hindert die Zustimmung eines einzelnen Landes im Bundesrat (das hier durch seine Regierung repräsentiert wird, Art 51 I 1 GG) die Zulässigkeit eines Normenkontrollantrags der Volksvertretung des betreffenden Landes.29
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Lösung Fall 1: Der BK selbst ist aufgrund der abschließenden Regelung des Art 93 I Nr 2 GG nicht antragsberechtigt. Deren analoge Anwendung auf andere Verfassungsorgane kommt nicht in Betracht. Denkbar wäre aber, dass der BK den Antrag im Namen der Bundesregierung stellt. Dann müsste er jedoch einen entsprechenden Kabinettsbeschluss herbeiführen, der hier nicht erreichbar erscheint. Nicht statthaft wäre es, wenn der BK den fehlenden Beschluss mit einer auf Art 65 S 1 GG gestützten Entscheidung überspielen würde. Der Antrag ist vielmehr unzulässig.
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Lösung Fall 2: Eine Landesregierung kann grds einen Antrag nach Art 93 I Nr 2 GG stellen. Zweifel könnten hier aber deshalb bestehen, weil die Landesregierungen gleichsam „stellvertretend“ für „ihre“ BT-Fraktion handeln. Darin liegt aber noch kein Missbrauch prozessualer Rechte; liegen bei einem der Antragsberechtigten die rechtlichen Voraussetzungen für die Einleitung des Normenkontrollverfahrens vor, kommt es nicht mehr darauf an, zwischen welchen Beteiligten politische Auseinandersetzungen stattgefunden haben.30 Auch der Umstand, dass die Regierung des Landes L im Bundesrat dem Gesetz zugestimmt hat, hindert sie nicht daran, aufgrund einer abweichenden späteren Rechtsauffassung – etwa nach einem zwischenzeitlichen Regierungswechsel – das Gesetz doch noch einer Überprüfung durch das BVerfG zuzuführen. Die Anträge sind zulässig.
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24 BVerfGE 68, 346, 350; Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 11; Benda/Klein VerfPrR, Rn 712. 25 BVerfGE 79, 311, 327; 82, 286, 297; Robbers (Fn 6) 59. 26 Im Regelfall die Landtage; im Land Berlin das Abgeordnetenhaus (Art 38 I LV Berlin) sowie in den Hansestädten Bremen und Hamburg die Bürgerschaften (Art 75 I BremLV; Art 6 I HLV). 27 Art 33 II 1 LV BW; Art 23 I BayVerf; Art 60 I LV Berlin; Art 65 LV Bbg; Art 90 S 1 BremLV; Art 19 HLV; Art 88 S 1 HessLV; Art 32 I 1 LV MV; Art 21 IV 1 NdsLV; Art 44 II LV NRW; Art 88 II 1 LV Rh-Pf; Art 74 II 1 SaarLV; Art 48 III 1 SächsLV; Art 51 I 1 LV LSA; Art 16 I 1 LV SH; Art 61 II 1 ThürLV. 28 Benda/Klein VerfPrR, Rn 741, Fn 115, unter Hinweis auf BVerfGE 101, 158, 213. 29 Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 81; Aulehner DVBl 1997, 982, 984. 30 Löwer in: Isensee/Kirchhof, HStR, § 56 Rn 60; Schoch VerfR, 249 f.
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4. Teil: Rechtsschutz im Verfassungsrecht
Lösung Abwandlung Fall 2: Eine BT-Fraktion als solche ist bei der abstrakten Normenkontrolle nicht antragsberechtigt. Der Antrag kann aber dahingehend umgedeutet werden, dass er von einem Drittel der Mitglieder des BT gestellt worden ist. In Anbetracht der Stärke der B-Fraktion ist dieses Erfordernis erfüllt.
3. Antragsgegenstand 19
Fall 3: Im Rahmen eines deutsch-russischen Regierungsgipfels in Moskau unterzeichnen der BK und der russische Präsident ein „deutsch-russisches Schulabkommen“. Es sieht ua vor, dass in jedem Land die Sprache des jeweils anderen Landes an den weiterführenden Schulen mindestens fünf Jahre als Pflichtfach unterrichtet werden soll. Nach heftigen Debatten verabschieden sowohl BT als auch Bundesrat mit knappen Mehrheiten ein Gesetz, das dem Vertrag die parlamentarische Zustimmung erteilt. Unmittelbar darauf wendet sich die Regierung des Landes L an das BVerfG.
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Fall 4: Der Haushaltsplan des Jahres 2004 hatte höhere Einnahmen aus Kreditaufnahme vorgesehen als der Bund für Investitionen ausgeben wollte (vgl Art 115 I 2 GG aF). Die oppositionelle A-Fraktion, die im BT über 230 Mandate verfügt, sieht darin eine „unverantwortliche Schuldenmacherei zu Lasten der nachfolgenden Generationen“. Da nach ihrer Auffassung keine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorgelegen hatte, hält sie den Haushaltsplan für verfassungswidrig und strengt sogleich ein Normenkontrollverfahren an. Über dieses kann das BVerfG infolge großen Geschäftsanfalls erst nach Jahren entscheiden.
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Fall 5: Die Bundesregierung beobachtet die Entwicklung im Baugewerbe mit Sorge, dass immer mehr Unternehmen keinem Arbeitgeberverband angehören. Um der durch die EUOsterweiterung erhöhten Gefahr eines „Lohndumping“ zu begegnen, erklärt der Bundeswirtschaftsminister den aktuellen, für das Baugewerbe abgeschlossenen Tarifvertrag (TV) für allgemeinverbindlich (Einzelheiten: § 5 TVG – Schönfelder ErgBd Nr 81). Die Landesregierung von L sieht darin einen Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit und ruft das BVerfG an.
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Tauglicher Gegenstand der abstrakten Normenkontrolle ist nach Art 93 I Nr 2 GG, § 76 I BVerfGG „Bundes- oder Landesrecht“ 31. Entsprechend der Funktion des Normenkontrollverfahrens, die Integrität der Verfassungs- und Bundesrechtsordnung zu schützen, ist der „Norm“-Begriff weit: Überprüfungsfähig sind sämtliche geltenden Rechtsnormen der deutschen Rechtsordnung. Dabei genügt bereits die (äußere) Rechtssatzform; dass dort auch inhaltlich Rechtssätze iSd überkommenen Rechtssatzbegriffs enthalten sind, ist demgegenüber nicht entscheidend.32 Grundvoraussetzung ist freilich, dass positiv überhaupt
31 Im Fall der „Kompetenzkontrolle“ nach Art 93 I Nr 2a GG, § 76 II BVerfGG sowie im Verfahren gem Art 93 II GG, § 97 BVerfGG beschränkt sich der Kreis überprüfungsfähiger Normen auf Bundesgesetze: nur für diese ist die Kompetenzbeschränkungsnorm des Art 72 II GG sowie die Übergangsvorschrift des Art 125a II GG von Relevanz. 32 BVerfGE 2, 307, 312; 20, 56, 89; 38, 121, 127; Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 121; Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 14; Söhn FS 25 Jahre BVerfG, 1976, 292, 312.
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eine überprüfungsfähige Norm vorhanden ist: Ein gesetzgeberisches Unterlassen kann nicht im Wege der abstrakten Normenkontrolle gerügt werden,33 eine verfassungsgerichtliche „Normerlassklage“ existiert, anders als in bestimmten Konstellationen des Verwaltungsprozesses (→ § 27 Rn 23),34 nicht. Somit kommen Rechtsnormen des Bundes- wie des Landesrechts unabhängig von ihrer Rangstufe als Antragsgegenstand der abstrakten Normenkontrolle in Betracht: Verfassungsnormen und verfassungsändernde Gesetze,35 Gesetze im (nur) formellen Sinn,36 Gesetze im formellen und materiellen Sinn sowie Gesetze im (nur) materiellen Sinn (Rechtsverordnungen, Satzungen). Gleiches gilt für sog schlichte Parlamentsbeschlüsse, wenn sie funktionell an die Stelle eines Gesetzes treten und somit gesetzesersetzenden Charakter haben.37 Auszuscheiden haben demgegenüber Regelungen, denen es an der Rechtssatzqualität fehlt – das betrifft insb Verwaltungsvorschriften 38 – oder die nicht einem Träger der deutschen, staatlichen Gewalt zuzurechnen sind. Demnach sind Normenkontrollanträge gegen ausländisches, Völker-, sekundäres Gemeinschafts- und inneres Kirchenrecht unzulässig.39 Auf den Entstehungszeitpunkt der fraglichen Norm kommt es nicht an; anders als bei der konkreten Normenkontrolle nach Art 100 I GG kann die abstrakte Normenkontrolle auch im Hinblick auf vorkonstitutionelles Recht durchgeführt werden.40 Voraussetzung ist hingegen, dass es sich bei der zur Überprüfung gestellten Norm um geltendes Recht handelt: Nur wenn eine Norm mit dem formellen Anspruch auf Geltung auftritt, liegt begrifflich überhaupt „Recht“ vor. Nur in diesem Fall ist auch die Schutzfunktion des Normenkontrollverfahrens berührt, die Integrität der Verfassungs- und Rechtsordnung vor diese in Frage stellenden rangniedrigeren Normen zu bewahren.41 Der maßgebliche Zeitpunkt für das Vorhandensein existenten Rechts ist der formelle Abschluss des Gesetzgebungsver-
33 Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 19; Graßhof in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 76 Rn 20; Hillgruber in: Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 507. 34 S auch Reidt DVBl 2002, 595; Duken NVwZ 1993, 546. 35 BVerfGE 1, 14, 32; 30, 1, 15 f. 36 Vornehmliche Relevanz: Zustimmungsgesetze zu einem völkerrechtlichen Vertrag gem Art 59 II GG (dazu BVerfGE 1, 396, 410; 4, 157, 161 ff; 6, 290, 294; 36, 1, 13; 101, 239, 258) sowie Haushaltsgesetze gem Art 110 II 1 GG (dazu BVerfGE 20, 56, 91 ff; 38, 121, 127; 79, 311, 326). 37 Bedeutung erlangt diese Figur (allgemein Butzer AöR 119 (1994), 61) insb im Landesverfassungsrecht, wo teilweise die Transformation von Staatsverträgen zwischen den Ländern in Landesrecht nicht durch Gesetz (wie im Fall des Art 59 II GG), sondern durch einen schlichten Zustimmungsbeschluss des Landesparlaments erfolgt, so Art 50 S 2 LV BW; Art 72 II BayVerf; Art 91 II LV Bbg; Art 43 S 3 HLV; Art 103 II HessLV; Art 35 II NdsLV; Art 66 S 2 LV NRW; Art 65 II SächsLV; Art 69 II LV LSA; Art 30 II 2 LV SH; Art 77 II ThürLV. – Zu Art 72 II BayVerf: BVerfGE 90, 60, 84 ff. 38 BVerfGE 12, 180, 199; Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 121; Rozek in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 43; Benda/Klein VerfPrR, Rn 720; allgemein zu Verwaltungsvorschriften Remmert JURA 2004, 728. 39 Umfassender Überblick bei Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 34 ff; knapp Pieroth in: Jarass/Pieroth, GG, Art 93 Rn 23. 40 BVerfGE 103, 111, 124 mwN; Hillgruber in: Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 503; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 129. 41 Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 122; Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 16; Benda/Klein VerfPrR, Rn 724; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 129; Söhn FS 25 Jahre BVerfG, 1976, 292, 313 f.
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fahrens, also die Verkündung im jeweils vorgesehenen Publikationsorgan (für Bundesgesetze im Bundesgesetzblatt, vgl Art 82 S 1 GG).42 Das Inkrafttreten der Norm ist dagegen nicht Voraussetzung. Ist nach geltendem Bundesverfassungsrecht 43 die abstrakte Normenkontrolle als repressive und nicht als präventive ausgestaltet,44 lässt das BVerfG im Fall der Überprüfung des Zustimmungsgesetzes zu einem völkerrechtlichen Vertrag eine – teilweise – Ausnahme zu: Um dem denkbaren Dilemma einer (externen) völkerrechtlichen Bindung an einen möglicherweise (intern) verfassungswidrigen Vertragsinhalt zu entgehen,45 kann in dieser Konstellation der Normenkontrollantrag bereits vor der Verkündung des Zustimmungsgesetzes, aber nach dem Abschluss des parlamentarischen Beratungsverfahrens in Bundestag und Bundesrat gestellt werden.46 Umgekehrt können außer Kraft getretene Rechtsnormen grds nicht mehr im Wege der abstrakten Normenkontrolle angegriffen werden, es sei denn, sie entfalten weiterhin rechtliche Wirkungen.47 25
Lösung Fall 3: In Betracht kommt ein Antrag nach Art 93 I Nr 2 GG. Die in diesem Verfahren antragsberechtigte Landesregierung von L müsste sich dabei gegen einen zulässigen Antragsgegenstand wenden. Ein solcher ist ua „Bundesrecht“. Dabei kommt es allein auf die äußere Form des betreffenden Hoheitsaktes an, er muss nicht notwendigerweise auch Rechtssätze im hergebrachten Sinn (abstrakt-generelle Regelungen, die für den Bürger verbindlich sind) enthalten. Diesen Anforderungen genügt das fragliche Gesetz: Nach Art 59 II 1 GG erfolgt die parlamentarische Zustimmung zu einem völkerrechtlichen Vertrag „in der Form eines Bundesgesetzes“. Allerdings ist das Gesetzgebungsverfahren noch nicht abgeschlossen (vgl Art 82 S 1 GG), so dass begrifflich (noch) kein – existentes – Gesetz vorliegt. Würde dieser Umstand im Regelfall zur Unzulässigkeit des Antrags führen, gilt nach der Rspr des BVerfG in Konstellationen wie diesen eine Ausnahme: Um die Verfassungsmäßigkeit eines Vertragsgesetzes so rechtzeitig prüfen zu können, dass nicht durch den Austausch der Ratifikationsurkunden die völkerrechtliche Bindung an einen möglicherweise verfassungswidrigen Vertragsinhalt herbeigeführt wird, ist ausnahmsweise hier die Antragstellung bereits vor der Verkündung des Gesetzes, aber in jedem Fall nach dem Abschluss der parlamentarischen Beratungen, zulässig.
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Lösung Fall 4: Die A-Fraktion verfügt mit 230 Mandaten über das notwendige Quorum für das erforderliche Mitgliederdrittel von Abgeordneten des BT; ihre Abgeordneten sind somit antragsberechtigt. Der Haushaltsplan wird nach Art 110 II 1 GG durch das Haushaltsgesetz festgestellt. Allein dieser Form wegen stellt es einen geeigneten Antragsgegenstand dar; dass es keine Rechtswirkungen gegenüber dem Bürger entfaltet (s § 3 II BHO) ist demgegenüber nicht maßgeblich (Gesetz im nur formellen Sinn). Gleichwohl könnte der Antrag unzulässig
42 BVerfGE 1, 396, 400. 43 Anderes kann nach Landesverfassungsrecht gelten, s Art 64 I 3 LV BW; Art 75 III BayVerf; Art 52 II (iVm § 54 II SaarlVerfGHG), 101 III SaarlLV; Art 74 I 3 SächsLV. 44 Anders nur Holzer Präventive Normenkontrolle durch das BVerfG, 1978. 45 Dazu Schweitzer Staatsrecht III, 8. Aufl 2004, 762. 46 BVerfGE 1, 396, 413; 2, 143, 169; 35, 193, 195; 36, 1, 15; Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 122; Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 17; Benda/Klein VerfPrR, Rn 726; ablehnend Söhn FS 25 Jahre BVerfG, 1976, 292, 314 f. 47 BVerfGE 5, 25, 28; 20, 56, 94; 79, 311, 328; 100, 249, 257; Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 18 mwN.
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(geworden) sein, weil das Haushaltsgesetz 2004 durch die späteren Haushaltsgesetze gegenstandslos geworden ist, von ihm also keine Rechtswirkungen mehr ausgehen. Dies trifft zwar in dem Sinne zu, dass dessen Vorschriften keine Ermächtigungsnormen für konkretes haushaltsrechtliches Handeln mehr darstellen. Gleichwohl bejaht das BVerfG ein „Entscheidungsinteresse über den Zeitraum (der) eigene(n) rechtliche(n) Wirkung“ hinaus: Es besteht die Möglichkeit der Wiederholung einer „verfassungsrechtlich zweifelhafte(n) Normsetzung“ (denkbarer Verstoß gegen Art 115 I 2 GG). Daher ist der Antrag zulässig.48 Lösung Fall 5: Fraglich ist hier, ob die Landesregierung – im Verfahren nach Art 93 I Nr 2 unproblematisch antragsberechtigt – einen zulässigen Antragsgegenstand benannt hat. Ein solcher ist Bundes- oder Landesrecht. Ein TV als Vereinbarung zwischen den Tarifvertragsparteien, der – wie jeder Vertrag – nur diese bindet, rechnet dazu nicht (s §§ 1 I, 3 I TVG). Allerdings hat hier der Bundeswirtschaftsminister den TV für allgemeinverbindlich erklärt, so dass sich seine Rechtwirkungen nunmehr auf sämtliche, also auch die nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, erstrecken (§ 5 I, IV TVG). Auch wenn das Institut der Allgemeinverbindlicherklärung nicht ohne Weiteres in die üblichen Rechtsetzungsformen (Gesetz, VO, Satzung) einzuordnen ist, stellt es doch einen „Rechtsetzungsakt eigener Art“ dar, der im Wege der abstrakten Normenkontrolle der verfassungsgerichtlichen Überprüfung zugänglich ist.49
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4. Antragsgrund Fall 6: Nach der vom Bundeslandwirtschaftsminister erlassenen, auf § 2a I TierSchG (Sart I Nr 873) gestützten Hennenhaltungsverordnung können bis zu vier Legehennen in einem Drahtkäfig mit den Maßen 40 ×45 cm gehalten werden. Die Landesregierung von L sieht darin eine „üble Tierquälerei“ und meint, damit sei die Möglichkeit der Hennen zu artgemäßer Bewegung so eingeschränkt, dass ihnen Schmerzen und vermeidbare Leiden zugefügt werden (§ 2 I Nr 1 TierSchG). Sie hält die VO für verfassungswidrig, da sie von der Ermächtigungsnorm des § 2a I TierSchG (der ausdrücklich auf die Schutzanforderungen des § 2 TierSchG Bezug nimmt) nicht gedeckt sei.
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Fall 7: Der BT beschließt die Einführung eines neuen Straftatbestands der „Nachstellung“ („Stalking“, § 238 StGB). Damit soll das systematisch-zielgerichtete Nachstellen von Personen, ua unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln, unter Strafe gestellt werden, wobei der Gesetzgeber in erster Linie die Belästigung Prominenter durch Verehrer sowie von Personen durch enttäuschte Liebhaber im Auge hatte. Jedoch werden auch sog Paparazzi vor den Strafgerichten wegen § 238 StGB angeklagt. Während es in einigen Fällen zu Verurteilungen kommt, erfolgen in anderen Fällen Freisprüche, da die Norm bei verfassungskonformer Auslegung im Lichte des Art 5 I 2 GG nicht auf Journalisten angewendet werden könne. Sowohl die oppositionelle B-Fraktion (220 Mandate) wie die Mehrheitsfraktion (11) rufen das BVerfG an: Erstere will erreichen, dass § 238 StGB jedenfalls keine Journalisten „kriminalisiere“, M dagegen wehrt sich gegen die restriktive Praxis der Norm durch einige Gerichte.
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48 BVerfGE 79, 311, 327 f; 119, 96, 116; zur Unanwendbarkeit des Diskontinuitätsgrundsatzes s oben Nachw in Fn 25. 49 BVerfGE 44, 322, 340, 346 f; 55, 7, 20; Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 42; v. Mutius JURA 1987, 534, 538.
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Ein Antragsteller muss im objektiven Verfahren der abstrakten Normenkontrolle nicht die Verletzung eigener Rechte geltend machen, einer Antragsbefugnis bedarf es hier nicht. Statt dessen normieren Art 93 I Nr 2, 2a, II GG das Erfordernis eines Antragsgrundes,50 der – allgemein formuliert – in „Meinungsverschiedenheiten (oder Zweifeln)“ über die Vereinbarkeit der zur Überprüfung gestellten Norm mit einer bestimmten höherrangigen Norm liegt. Damit sind zwei voneinander zu trennende Aspekte angesprochen: Einmal die (behauptete) Divergenz in der Normhierarchie, zum zweiten die Anforderungen an die Überzeugung vom Bestehen dieser Divergenz.
a) Divergenz in der Normenhierarchie 31
32 33
Das GG stellt je nach Antragsgegenstand unterschiedliche Anforderungen an die Vereinbarkeit einer Norm mit höherrangigem Recht. Diese konkretisieren im Einzelnen die jeweiligen Schutzfunktionen des Verfahrens der abstrakten Normenkontrolle: Im Fall des Bundesrechts soll sie die Integrität der Verfassungsordnung und im Fall des Landesrechts diejenige der Bundesrechtsordnung wahren. Die „Kompetenzkontrolle“ nach Art 93 I Nr 2a GG sowie das Verfahren nach Art 93 II GG dienen der Effektuierung der kompetenzbeschränkenden Vorschrift des Art 72 II GG (bzw der Übergangsvorschrift des Art 125a II GG). Die jeweils geltenden Prüfungsmaßstäbe lassen sich in insgesamt vier verschiedene Fallgruppen systematisieren: – Bildet Bundesrecht (einschließlich des GG selbst sowie verfassungsändernder Gesetze) den Antragsgegenstand, ist nach Art 93 I Nr 2 GG allein das GG der Prüfungsmaßstab. Entsprechende Aussagen enthalten auch §§ 13 Nr 6, 78 S 1 BVerfGG, während § 76 I Nr 1 BVerfGG durch die Wendung „und dem sonstigen Bundesrecht“ den Prüfungsmaßstab zu erweitern scheint. Die Frage ist allein für untergesetzliches Bundesrecht (VOen, Satzungen) von Bedeutung: Hier wird unterschiedlich beurteilt, ob dieses nur anhand des GG,51 oder zusätzlich am Maßstab des einfachen Bundesrechts 52 zu überprüfen ist. Die besseren Argumente sprechen für die erstgenannte Ansicht: Angesichts der anderen Bestimmungen des BVerfGG, die mit Art 93 I Nr 2 GG inhaltlich übereinstimmen, dürfte es sich bei § 76 I Nr 1 BVerfGG um den sprachlich und syntaktisch verunglückten Versuch handeln, in einem Satz den (nicht deckungsgleichen) Prüfungsmaßstab für Bundes- und Landesrecht zu benennen. Systematisch besteht keine Notwendigkeit für eine Erweiterung der Maßstabsnormen bei untergesetzlichem Bundesrecht. Bei VOen wird bei Divergenzen zum ermächtigenden Gesetz in den meisten Fällen zugleich ein Verstoß gegen Art 80 GG vorliegen (Gesetz ist seinerseits verfassungswidrig, Gesetz deckt VO inhaltlich nicht ab).53 Übrigen Rechtsverstößen können die Fachgerichte selbst abhelfen, indem sie eine untergesetzliche Norm im Einzelfall, also mit Wirkung inter partes, unangewendet lassen. Schließlich dient die abstrakte 50 Zur Frage der Terminologie s nochmals oben Fn 12. 51 Dafür die hM: Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 126; Rozek in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 63; Graßhof in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 76 Rn 36; Benda/Klein VerfPrR, Rn 732; Söhn FS 25 Jahre BVerfG, 1976, 292, 317; Tillmanns DÖV 2001, 728. 52 So Stern Bonner Kommentar zum GG, Art 93 Rn 264; Löwer in: Isensee/Kirchhof, HStR, § 70 Rn 66; Hesse Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl 1995, Rn 681. 53 Vgl BVerfGE 101, 1, 30 f → JK GG Art 80 I 3/4; kritisch zur dort gewählten Konstruktion Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 67.
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Normenkontrolle in Bezug auf das Bundesrecht der Erhaltung der Integrität der Verfassungsordnung; dieser Schutzzweck wird durch einen möglichen Verstoß einer untergesetzlichen Norm gegen einfaches Recht jedoch nicht tangiert. – Bei der Überprüfung von Landesrecht bildet nach Art 93 I Nr 2 GG, § 76 I Nr 1 BVerfGG neben dem GG auch das gesamte übrige Bundesrecht den Prüfungsmaßstab. Insoweit dient das Normenkontrollverfahren dem umfassenden Schutz der Bundesrechtsordnung. Zum übrigen Bundesrecht rechnen auch untergesetzliche Normen sowie die allgemeinen Regeln des Völkerrechts (Art 25 GG). Der Vorrang bundesrechtlicher Normen ist dabei umfassend: Auch eine VO des Bundes geht dem Verfassungsrecht eines Landes vor. Keinen Prüfungsmaßstab bei der abstrakten Normenkontrolle von Landesrecht stellt hingegen das jeweilige Landesverfassungsrecht dar; 54 darüber entscheidet allein das betreffende Landesverfassungsgericht nach Maßgabe der landesverfassungsgerichtlichen Normenkontrolle.55 – Im Fall der sog Normbestätigung (§ 76 I Nr 2 BVerfGG) gelten die gleichen Grundsätze: Bundesrecht ist nur anhand des GG, Landesrecht zusätzlich anhand des sonstigen Bundesrechts zu überprüfen. Hier kommt es – neben der Divergenz in der Normenhierarchie – noch auf das zusätzliche Erfordernis an, dass ein Gericht, eine Verwaltungsbehörde oder ein Organ des Bundes oder eines Landes die betreffende Rechtsnorm nicht angewendet hat. Der Begriff des „Nichtanwendens“ wird dabei weit verstanden, er umfasst auch Fälle, in denen die Norm nicht vollzogen oder in sonst relevanter Weise missachtet und ihre Geltung damit in einer ihre praktische Wirksamkeit beeinträchtigenden Weise in Frage gestellt wird.56 Umstritten ist allerdings, ob auch eine von Gerichten vorgenommene verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen ein (teilweises) „Nichtanwenden“ darstellt, mit der Folge, dass die Antragsberechtigten das BVerfG mit dem Ziel anrufen können, die von ihnen intendierte oder für richtig gehaltene Auslegung durchzusetzen.57 – Das Verfahren der Kompetenzkontrolle nach Art 93 I Nr 2a GG (wie nach Art 93 II GG) sieht demgegenüber einen limitierten Prüfungsmaßstab vor. Die hier Antragsberechtigten können nur bei Meinungsverschiedenheiten über das Vorliegen der Voraussetzungen des Art 72 II GG (bzw Art 125a II 1 GG) das BVerfG anrufen. Wird dies in § 76 II Hs 1 BVerfGG wiederholt, erweitert Hs 2 den Antragsgrund, indem ein Antrag auch auf die Behauptung des Nichtvorliegens der Voraussetzungen von Art 75 II GG gestützt werden kann. Im letzteren Fall ist allerdings nicht ganz zweifelsfrei, ob diese Erweiterung gegenüber dem GG im BVerfGG als einfachem Recht statthaft ist.58
54 BVerfGE 2, 307, 336. 55 Art 68 I 1 Nr 2 LV BW; Art 98 S 4 BayVerf iVm Art 55 BayVerfGHG; Art 84 II Nr 2 LV Berlin; Art 113 Nr 2 LV Bbg; Art 140 BremLV; Art 65 II Nr 2 HLV; Art 132 HessLV; Art 53 Nr 2 LV MV; Art 54 Nr 3 NdsLV; Art 75 Nr 3 LV NRW; Art 130, 135 I Nr 1 LV Rh-Pf; Art 97 Nr 2 SaarLV; Art 81 I Nr 2 SächsLV; Art 75 Nr 3 LV LSA; Art 44 II Nr 2 LV SH Art 80 I Nr 4 ThürLV. 56 BVerfGE 2, 143, 158; 12, 205, 221 f; 96, 133, 137 f. 57 So insb Roth NVwZ 1998, 563; ebenso Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 133; tendenziell auch Hillgruber in: Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 516; ablehnend Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 52. 58 Bejahend Zuck NJW 1998, 3028, 3029; ablehnend Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 130; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 125; skeptisch Benda/Klein VerfPrR, Rn 746. – Freilich hat sich das Problem mit der Aufhebung der Kategorie der „Rahmengesetzgebungskompetenz“ durch die Föderalismusreform erledigt.
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b) Grad der Überzeugung vom Bestehen der Divergenz 37
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Hinsichtlich des Grades der Überzeugung genügt nach Art 93 I Nr 2 GG das Bestehen von „Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln“ (nach Art 93 I Nr 2a GG nur von „Meinungsverschiedenheiten“) über die Frage der Vereinbarkeit einer Norm mit einer ranghöheren Norm. § 76 BVerfGG verschärft diese Zulässigkeitsvoraussetzung in zweifacher Hinsicht: – Zum einen verlangt § 76 BVerfGG die positive Überzeugung von der Nichtigkeit (I Nr 1, II) bzw der Gültigkeit (I Nr 2) der zur Überprüfung gestellten Norm. Bloße Zweifel genügen also – entgegen Art 93 I Nr 2 GG – nicht. – Zweitens lässt das GG sowohl in Art 93 I Nr 2 als auch in Nr 2a offen, auf wessen Zweifel es ankommen oder zwischen wem Meinungsverschiedenheiten bestehen müssen. § 76 BVerfGG hingegen stellt nunmehr 59 auf den konkreten Antragsteller als relevanten Meinungsträger ab: Gerade er muss die umstrittene Norm für nichtig (bzw gültig) halten. In beiden Fällen nimmt das wissenschaftliche Schrifttum überwiegend an, dass der einfache Gesetzgeber nicht zur Einschränkung der grundgesetzlich fixierten Zulässigkeitsvoraussetzungen befugt war. Daraus wird teilweise der Schluss der Teilnichtigkeit von § 76 BVerfGG gezogen,60 während andere Stimmen die Bestimmung verfassungskonform auslegen wollen.61 In Kenntnis dieses Diskussionsstandes hat allerdings das BVerfG in einer jüngeren Entscheidung die Verfassungsmäßigkeit von § 76 BVerfGG ausdrücklich bestätigt und zur Begründung auf die Konkretisierungskompetenz des Gesetzgebers nach Art 94 II 1 GG verwiesen.62 Praktische Relevanz hat diese Frage indes nicht erlangt; auch künftig wird daher jeder Antragsberechtigte, dem an einer Sachentscheidung des BVerfG gelegen ist, vortragen, gerade er sei von der Nichtigkeit (bzw Gültigkeit) der betreffenden Rechtsnorm zutiefst überzeugt.63 Lösung Fall 6: Der Normenkontrollantrag der antragsberechtigten Landesregierung richtet sich zulässigerweise gegen die VO als Bundesrecht. Problematisch ist aber, ob ein Antragsgrund vorliegt. Dazu müsste nach Art 93 I Nr 2 GG ein Verstoß der VO gegen das GG geltend gemacht werden, während § 76 I Nr 1 BVerfGG – scheinbar – bereits einen Verstoß gegen sonstiges Bundesrecht ausreichen lässt. Im letzteren Fall wäre, da die Landesregierung die Unvereinbarkeit der VO mit § 2a I iVm § 2 TierSchG rügt, ein Antragsgrund unproblematisch gegeben. Das aber würde die Verfassungsmäßigkeit von § 76 I Nr 1 BVerfGG voraussetzen. Die Klärung dieser – umstrittenen – Frage 64 könnte unterbleiben, wenn aus ande-
59 So seit dem Änderungsgesetz v 16.7.1998 (BGBl I S 1823). § 76 BVerfGG aF hatte es noch ausreichen lassen (wenngleich auch schon Art 93 I Nr 2 GG einschränkend), dass „einer der Antragsberechtigten“ von der Nichtigkeit bzw Gültigkeit der Norm überzeugt war. 60 Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 123, 130; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 130; noch strenger Söhn FS 25 Jahre BVerfG, 1976, 292, 303: § 76 BVerfGG insgesamt verfassungswidrig; schwankend Heun FS 50 Jahre BVerfG, 615, 620: „mindestens teilnichtig“. 61 Benda/Klein VerfPrR, Rn 730; wohl auch Degenhart Staatsrecht I, 24. Aufl 2008, Rn 767. 62 BVerfGE 96, 133, 137. 63 Zutreffend Lerche FS Jauch, 1990, 121, 122: „Der Aufwand ihrer Erörterung steht im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Bedeutung“; ähnlich pragmatisch Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 47, 84 sowie Löwer in: Isensee/Kirchhof, HStR, § 70 Rn 61. 64 Nachw oben Fn 51, 52.
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ren Gründen auch ein Verstoß gegen das GG selbst denkbar ist. Nach der Rspr des BVerfG soll die Vereinbarkeit der VO mit einfachem Bundesrecht als Vorfrage zu prüfen sein, da nur so das Bestehen eines gültigen Antragsgegenstands festgestellt werden könne. Für die Klärung dieser Vorfrage aber bilde Art 80 I GG den Prüfungsmaßstab.65 Somit ist der Antrag zulässig.
Lösung Fall 7: Sowohl die B- wie die M-Fraktion sind antragsberechtigt und greifen einen zulässigen Antragsgegenstand – § 238 StGB – an. Zweifelhaft ist aber jeweils, ob auch der Antragsgrund bejaht werden kann. In beiden Fällen wird nicht die Nichtigkeit bzw die Feststellung der Gültigkeit der Norm nach vorheriger Nichtanwendung erstrebt, sondern die verfassungsgerichtliche Durchsetzung einer bestimmten Normauslegung. Hält aber ein Antragsberechtigter eine Norm nur in einer bestimmten Deutung für wirksam, geht er gerade nicht von ihrer Nichtigkeit aus. Umgekehrt liegt im Ausschluss einer bestimmten Deutung kein „Nichtanwenden“ der Norm, sondern ihr genaues Gegenteil. In der Ablehnung bzw der Forderung einer verfassungskonformen Auslegung liegt demnach keine Kollision mit einer höherrangigen Norm vor, die das BVerfG verbindlich beseitigen müsste. Da die Anträge vielmehr auf eine – längst abgeschaffte (§ 97 BVerfGG aF) – gutachterliche Stellungnahme des BVerfG hinauslaufen, sind sie unzulässig.66
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5. Objektives Klarstellungsinteresse Fall 8: Das Land L führt in seinem Kommunalwahlgesetz ein allgemeines, nicht nur auf EU-Ausländer beschränktes, Wahlrecht für Ausländer ein. Das Land B sieht darin einen Verstoß gegen „tragende Verfassungsprinzipien“ (Art 28 I, 20 II GG) und beantragt beim BVerfG die Nichtigerklärung des Gesetzes von L. L verwahrt sich gegen die Einmischung in seine Angelegenheiten.
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Fall 9: Das OVG des Landes L hatte in mehreren Entscheidungen eine Bestimmung der Beihilfe-VO von L nicht angewendet. Abgesehen davon, dass die Vorschrift von der beamtenrechtlichen Ermächtigungsgrundlage nicht gedeckt sei, habe der VO-Geber den bundesweiten Beihilfestandard unterschritten und die Fürsorgepflicht als hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums (Art 33 V GG) verletzt. Die Landesregierung von L fragt nach einer Möglichkeit, die Rechtswirksamkeit der fraglichen Norm verbindlich feststellen zu lassen.
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Nach der st Rspr des BVerfG ist bei der abstrakten Normenkontrolle noch ein „besonderes objektives Interesse“ des Antragstellers an einer Klarstellung der Geltung der zur Prüfung gestellten Norm als ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung zu beachten.67
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65 BVerfGE 101, 1, 30 f → JK GG Art 80 I 3/4. 66 Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 49, 52; anders Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 130, 133. 67 Grundl BVerfGE 6, 104, 110; aus neuerer Zeit BVerfGE 96, 133, 137 mwN; 100, 249, 257; 101, 1, 30; Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 124; Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 58; Benda/Klein VerfPrR, Rn 735.
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Grundsätzlich wird es durch die Antragstellung und das Bestehen eines Antragsgrundes nach § 76 I BVerfGG indiziert, so dass es in einer Fallbearbeitung nur bei konkreten Anhaltspunkten für ein Fehlen zu untersuchen ist. Das Interesse des Antragstellers an der Klarstellung der Norm bemisst sich nach objektiven Kriterien. Entsprechend dem objektiven Charakter des Normenkontrollverfahrens kommt es nicht auf ein subjektives – der Verteidigung eigener Rechtspositionen dienendes – Rechtsschutzbedürfnis an.68 Ebenso wenig muss ein Antragsteller ein besonderes Kontrollbedürfnis in dem Sinn dartun, dass die fragliche Norm auf die eigene Rechtsordnungen Auswirkungen entfaltet.69 Sämtliche der in Art 93 I Nr 2, 2a, II GG Genannten sind als Garanten der gesamten verfassungsmäßigen Rechtsordnung berufen.70 Daher muss die zur Überprüfung gestellte Norm weder von gesamtstaatlicher Relevanz sein, sofern die Bundesregierung oder ein Drittel der Mitglieder des BT als Antragsteller auftreten,71 noch die Rechtsordnung des eigenen Landes betreffen, wenn ein Land Bundes- oder fremdes Landesrecht vor dem BVerfG angreift.72 Auch im Fall eines Antrags auf Normbestätigung (§ 76 I Nr 2 BVerfGG) indizieren Antragstellung und Antragsgrund das Klarstellungsinteresse. Dieses besteht allerdings nur unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass die Nichtanwendung der Norm ausschließlich aus Gründen ihrer (angeblichen) Unvereinbarkeit mit dem GG oder sonstigem Bundesrecht erfolgte.73 Wird eine Norm hingegen zusätzlich aus anderen Gründen, vor allem solchen des Landes(verfassungs)rechts nicht angewandt, steht dem BVerfG kein umfassender Prüfungsmaßstab zur Verfügung, so dass er die (durch die Nichtanwendung der Norm begründete) Rechtsunsicherheit nicht mit verbindlicher Wirkung (Gesetzeskraft der Entscheidung, § 31 II BVerfGG) beheben kann.74 Das objektive Klarstellungsinteresse setzt eine bestehende Rechtsnorm logisch voraus. Eine solche fehlt, wenn eine Norm noch nicht oder nicht mehr gültig ist: Ist also das Gesetzgebungsverfahren noch nicht abgeschlossen oder hat das BVerfG bzw ein Landesverfassungsgericht die fragliche Norm für nichtig erklärt, liegt bereits kein zulässiger Antragsgegenstand vor (und ist nicht erst das Klarstellungsinteresse zu verneinen 75). Anderweitige politische oder verfassungsgerichtliche Optionen der Antragsteller beseitigen das Klarstellungsinteresse hingegen nicht: Sie müssen sich weder auf den Weg einer Gesetzesinitiative mit dem Ziel einer Gesetzesänderung 76 noch auf die Überprüfung der
68 Terminologisch verfehlt daher BVerfGE 32, 199, 211 („Rechtsschutzinteresse“); 39, 96, 106 („rechtliches Interesse“). 69 Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 59; Benda/Klein VerfPrR, Rn 735; Söhn FS 25 Jahre BVerfG, 1976, 292, 305. 70 BVerfGE 101, 158, 213. 71 BVerfGE 73, 118, 150. 72 BVerfGE 83, 37, 49; Hillgruber in: Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 498a. 73 BVerfGE 96, 133, 137; Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 124; Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 60; ähnlich Maurer StaatsR, § 20 Rn 82, allerdings unter dem Gesichtspunkt der „Subsidiarität der abstrakten Normenkontrolle, die noch genauer entwickelt werden müsste“. 74 BVerfGE 96, 133, 137. 75 So aber – hinsichtlich noch nicht verkündeter Rechtsnormen – Degenhart Staatsrecht I, 24. Aufl 2008, Rn 768. 76 BVerfGE 32, 199, 211; Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 59; Schlaich/ Korioth BVerfG, Rn 130.
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fraglichen Norm in einem anderen (möglichen) Verfahren 77 verweisen lassen. Liegt schon eine vorgängige verfassungsgerichtliche Entscheidung vor,78 entfällt das Klarstellungsinteresse jedenfalls dann, wenn das BVerfG die Norm zwar nicht für nichtig, aber für unvereinbar mit dem GG erklärt hat.79 Hat es die Norm hingegen für mit dem GG vereinbar erklärt, kommt es darauf an, ob sich zwischenzeitlich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so geändert haben, dass eine erneute Normenkontrolle geboten erscheint.80 Kein Hindernis für ein Verfahren vor dem BVerfG besteht aufgrund der unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe hingegen bei einer vorherigen normerhaltenden Entscheidung eines Landesverfassungsgerichts. Lösung Fall 8: Gegen die Zulässigkeit des Antrags von B könnte sprechen, dass B eine Rechtsnorm eines anderen Landes angreift, von der es selbst nicht betroffen ist. Darauf kommt es allerdings in Anbetracht des Charakters der Normenkontrolle als objektives Beanstandungsverfahren nicht an: Weder geben der Wortlaut von Art 93 I Nr 2 GG, § 76 I Nr 1 BVerfGG einen Anhaltspunkt für eine Beschränkung der Antragsberechtigung noch veranlassen Sinn und Zweck des Verfahrens eine teleologische Reduktion der Bestimmungen, die alle dort genannten Antragsberechtigten zu Wächtern der verfassungsgemäßen Rechtsordnung insgesamt bestellen. Der Antrag ist daher zulässig.81
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Lösung Fall 9: In Betracht kommt die Durchführung eines Normenkontrollverfahrens mit der Zielsetzung, die Rechtsgültigkeit der fraglichen Bestimmung der Beihilfe-VO verbindlich feststellen zu lassen (§ 76 I Nr 2 BVerfGG). Das erforderliche Klarstellungsinteresse liegt jedoch nur dann vor, wenn die Norm ausschließlich deshalb nicht angewendet worden ist, weil sie – angeblich – gegen das GG oder gegen sonstiges Bundesrecht verstößt. Hier hat aber das OVG seine Rechtsansicht nicht nur auf eine Verletzung von Art 33 V GG gestützt, sondern auch darauf, dass die VO von der (landesrechtlichen) Ermächtigungsgrundlage nicht gedeckt sei. Da Letzteres nicht zum Prüfungsmaßstab des BVerfG rechnet, kann dieses die Rechtsunsicherheit nicht umfassend ausräumen. Somit ist der Antrag unzulässig.82
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6. Frist In Anbetracht des objektiven Verfahrenscharakters ist die Einleitung und Durchführung einer abstrakten Normenkontrolle an keine Frist gebunden.83 77 BVerfGE 7, 367, 372; 8, 104, 110; 20, 56, 95; 32, 199, 211; Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 124; Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 59; allgemein zu den Verfahrenskonkurrenzen vor dem BVerfG Bethge JURA 1997, 591. 78 Guter Überblick hierzu bei Fleury VerfPrR, Rn 110 ff. 79 Zu diesem Entscheidungsausspruch noch unten → Rn 60 ff. 80 BVerfGE 4, 31, 38 ff; 20, 56, 86 f; 33, 199, 203 f; 65, 179, 181; 70, 242, 249; 78, 38, 48; 82, 198, 205 f; 87, 341, 346; Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 98; Benda/Klein VerfPrR, Rn 1332 ff; Brox FS Geiger, 1974, 809. 81 BVerfGE 83, 37, 49; Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 120; Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 59; Benda/Klein VerfPrR, Rn 735; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 125; Robbers (Fn 6) 62; Söhn FS 25 Jahre BVerfG, 1976, 292, 306; Kruis FS Lerche, 1993, 475, 484 ff; aA Stuth in: Umbach/Clemens, BVerfGG, 1. Aufl 1992, § 76 Rn 8. 82 BVerfGE 96, 133, 137. 83 BVerfGE 7, 305, 310; 79, 311, 326 f; Benda/Klein VerfPrR, Rn 736.
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Fall 10: Im Fall 4 ist die A-Fraktion – nachdem die A-Partei die zwischenzeitliche Bundestagswahl gewonnen hat – nunmehr Regierungsfraktion geworden. Auch die von ihr getragene Bundesregierung sieht sich zu einer die Investitionssumme übersteigenden Kreditaufnahme veranlasst. Um zu verhindern, dass ein (dem vor Jahren gestellten Antrag) stattgebendes Urteil des BVerfG „politisch gegen die jetzige Regierung instrumentalisiert“ wird, erwägt die A-Fraktion, ihren Antrag zurückzunehmen. Hätte dies Auswirkungen auf das Verfahren?
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Fall 11: Die „reichen“ Bundesländer A, B und C sind der Meinung, sie müssten zu viel in den Länderfinanzausgleich einbezahlen und beantragen daher die Nichtigerklärung des Finanzausgleichsgesetzes (FAG – Sart III Nr 42). Das „arme“ Land L, welches die bisherigen Regelungen weiter angewendet wissen will, möchte die Mitwirkung des Verfassungsrichters V verhindern. L hält V für befangen, weil er in einem vergleichbaren früheren Verfahren das Land A als Bevollmächtigter vertreten hatte. Was kann L tun?
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Als objektives Beanstandungsverfahren kennt die abstrakte Normenkontrolle keinen Antragsgegner.84 Die in anderen Verfahrensarten (§§ 65, 69, 82 II, 83 II 2, 94 IV 1 BVerfGG) vorgesehene Möglichkeit eines Verfahrensbeitritts anderer Antragsberechtigter besteht nicht.85 Allerdings gibt das BVerfG den in § 77 BVerfGG Genannten Gelegenheit zur Äußerung, so dass sich auch die abstrakte Normenkontrolle in der Praxis gerade bei politisch kontroversen Gesetzen 86 einem kontradiktorischen Verfahren annähert.87 Das ändert aber de lege lata nichts an der fehlenden rechtlichen Stellung dieser Äußerungsberechtigten als Verfahrensbeteiligte.88 Wesentliche Verfahrensrechte wie das Stellen von Befangenheitsanträgen (§ 19 BVerfGG),89 Akteneinsicht (§ 20 BVerfGG) oder der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung (§ 25 I Hs 2 BVerfGG) 90 stehen ihnen – im Gegensatz zum Antragsteller, der insoweit Beteiligter ist 91 – nicht zu.92 Der objektive Charakter des Normenkontrollverfahrens bedingt des Weiteren die Nichtgeltung des Dispositionsgrundsatzes. Der Antrag eines der dazu Berechtigten begründet die Zuständigkeit des BVerfG, erschöpft sich aber auch in dieser „Anstoßfunk-
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84 BVerfGE 1, 14, 18; 208, 219 f; 20, 56, 95. 85 Erstaunlicherweise hat die neu eingeführte Variante der „Kompetenzkontrolle“ gem Art 93 II GG in § 97 III BVerfGG eine derartige Beitrittsoption geschaffen – die Gründe dafür lassen sich der Gesetzesbegründung indes nicht entnehmen (BT-Drucks 16/814, 14). 86 Etwa: BVerfGE 36, 1 (Grundlagenvertrag); 39, 1 sowie 88, 203 (Strafbarkeit der Abtreibung); aus jüngerer Zeit BVerfGE 105, 313 (Lebenspartnerschaftsgesetz); 106, 310 → JK GG Art 51/1 (Zuwanderungsgesetz). 87 Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 119 spricht von „natürlichen Antragsgegnern“. 88 Benda/Klein VerfPrR, Rn 738; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 125. 89 BVerfGE 1, 66, 68; 2, 307, 311 f. 90 BVerfGE 2, 307, 312. 91 BVerfGE 2, 307, 311 f; 3, 45, 48 f; Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 71. 92 Darin wird teilweise unter Berufung auf einen Grundsatz der „Waffengleichheit“ ein Verfassungsverstoß gesehen, so von Szcepanski, JZ 2000, 486.
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§ 15
tion“. Der weitere Verlauf des Verfahrens entzieht sich der Disposition des Antragstellers; auch eine Rücknahme des Antrags oder eine Erledigungserklärung führen nicht notwendigerweise zur Beendigung des Verfahrens. Vielmehr kann das BVerfG bei Bestehen eines öffentlichen Interesses auch dann eine Entscheidung in der Sache fällen.93 Lösung Fall 10: Die Rücknahme des Antrags seitens der A-Fraktion würde sich nur dann auf das Verfahren auswirken, wenn im Verfassungsprozess allgemein oder wenigstens bei der abstrakten Normenkontrolle der Dispositionsgrundsatz gelten würde. Dann könnte ein Antragsberechtigter durch eine Prozesshandlung nicht nur ein Verfahren in Gang bringen, sondern es auch beenden. Die ganz überwiegende Meinung hält mit dem BVerfG den Dispositionsgrundsatz für nicht anwendbar. Gerade bei der abstrakten Normenkontrolle mit ihrem Charakter als objektivem Verfahren soll die Möglichkeit einer Sachentscheidung nicht von einer jeweiligen politischen Opportunität abhängen. Demnach würde das BVerfG bei Vorliegen eines öffentlichen Interesses (was hier zu bejahen sein dürfte) das Verfahren gleichwohl fortführen.
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Lösung Fall 11: L könnte einen Befangenheitsantrag gegen V gem § 19 BVerfGG stellen. Dies setzt allerdings voraus, dass L überhaupt Verfahrensbeteiligter ist. Darunter fallen bei der abstrakten Normenkontrolle allein die (konkreten) Antragsteller, nicht jedoch die nach § 77 BVerfGG Äußerungsberechtigten. Allerdings könnte L seinerseits einen Normenkontrollantrag – gerichtet auf die Gültigerklärung des FAG (§ 76 I Nr 2 BVerfGG) – stellen. Damit würde ein von den bisherigen drei Verfahren unabhängiges, neues Verfahren eröffnet, in welchem L als nunmehriger Antragsteller V wegen Befangenheit ablehnen könnte.94
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III. Begründetheit des Antrags Liegen die Zulässigkeitsvoraussetzungen vor, trifft das BVerfG eine Sachentscheidung. Bei seiner Sachprüfung legt das BVerfG einen umfassenden Prüfungsmaßstab zugrunde: 95 Der jeweilige Prüfungsgegenstand wird unter allen denkbaren Gesichtspunkten auf seine – förmliche und sachliche – Vereinbarkeit mit dem als Prüfungsmaßstab heranzuziehenden höherrangigen Recht überprüft. In förmlicher Hinsicht betrifft dies die Zuständigkeit des Normgebers zum Erlass der Norm (Kompetenz) sowie die Einhaltung des für die Normgebung vorgesehenen Verfahrens. In sachlicher Hinsicht darf die zur Überprüfung gestellte Norm den konkreten höherrangigen Maßstabsnormen nicht widersprechen. Dabei ist das BVerfG nicht an die vom Antragsteller vorgetragenen Gründe gebunden,
93 BVerfGE 1, 396, 414; 8, 183, 184; 25, 308, 309; 77, 345; 87, 152, 153; 106, 210, 213; ebenso für die Verfassungsbeschwerde BVerfGE 98, 218, 242 f → JK GG Art 6/13; Pieroth in: Jarass/Pieroth, GG, Art 93 Rn 26; Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 7, 71; Söhn FS 25 Jahre BVerfG, 1976, 292, 309; Heun FS 50 Jahre BVerfG, 615, 619; ablehnend Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 21, 119. 94 Dazu BVerfGE 101, 46; die konkrete Zulässigkeit des auf die Gültigkeit der Norm abzielenden Antrags offenlassend BVerfGE 101, 158, 214. 95 BVerfGE 86, 148, 211; 101, 239, 257; Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 68.
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seine Prüfung beschränkt sich also nicht auf diese.96 Anderes gilt nur für das Verfahren der Kompetenzkontrolle nach Art 93 I Nr 2a GG sowie nach Art 93 II GG: Hier bildet allein Art 72 II GG den Prüfungsmaßstab; übrige Verfassungsnormen – insbesondere die Bestimmungen über das Gesetzgebungsverfahren sowie die Grundrechte – sind hier ohne Belang.97
IV. Entscheidung des BVerfG 60
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Ist die zur Überprüfung gestellte Norm nach Auffassung des BVerfG mit dem jeweils maßgeblichen höherrangigen Recht unvereinbar, so hat es nach § 78 S 1 BVerfGG die Norm für nichtig zu erklären. Nach heute ganz hM gilt die Nichtigkeitsfolge mit Wirkung ex tunc; die Entscheidung des BVerfG wirkt bloß deklaratorisch.98 Allerdings hat die Nichtigerklärung einer Norm nicht zwangsläufig auch Auswirkungen auf den Bestand der auf ihrer Grundlage ergangenen Einzelakte (näher: § 79 BVerfGG).99 Neben der in § 78 S 1 BVerfGG allein vorgesehen Rechtsfolge der Nichtigkeit hat die Praxis des BVerfG ein vielfältiges Instrumentarium sonstiger Entscheidungsaussprüche entwickelt: 100 Am bedeutsamsten ist dabei die sog Unvereinbar(keits)erklärung, bei der sich das BVerfG auf die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Norm beschränkt. Namentlich in Fällen gesetzgeberischer Verstöße gegen verfassungsgesetzliche Gleichheitssätze hat das BVerfG von der Nichtigerklärung Abstand genommen; desgleichen in Konstellationen, bei denen die Nichtigerklärung einen „noch weniger“ verfassungsgemäßen Zustand herbeiführen würde. Ist die Norm hingegen verfassungsgemäß, spricht das BVerfG ihre Vereinbarkeit mit der jeweiligen Maßstabsnorm aus. Eine Einschränkung kann dieser Entscheidungsausspruch durch die Formulierung „nach Maßgabe der Gründe“ erfahren, wenn das BVerfG die Norm nur in einer bestimmten Auslegung für mit dem GG vereinbar einstuft (verfassungskonforme Auslegung).101 Die Entscheidung des BVerfG hat im Fall des Art 93 I Nr 2, Nr 2a GG, § 13 Nr 6, Nr 6a BVerfGG (nicht aber bei Art 93 II, § 13 Nr 6b BVerfGG) gem § 31 II BVerfGG Gesetzeskraft.
96 BVerfGE 39, 96, 106; 40, 296, 309 f; 93, 37, 65 mwN → JK GG Art 20 II/1; kritisch, aber im Ergebnis zustimmend Benda/Klein VerfPrR, Rn 751 f. 97 Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 131; Rozek in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76 Rn 91 mwN. 98 Statt aller Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 379 ff. 99 Vertiefend hierzu J. Ipsen Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit von Norm und Einzelakt, 1980. 100 Systematisch Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 46 ff; ferner Maurer StaatsR, § 20 Rn 83 ff; Benda/Klein VerfPrR, Rn 1244; Hillgruber in: Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 528 ff; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 378 ff; eingehend Blasberg Verfassungsgerichte als Ersatzgesetzgeber, 2003. 101 Hierzu Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 52.
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I. Zulässigkeit 1. 2. 3. 4.
Ordnungsgemäßer Antrag Antragsberechtigung Antragsgegenstand Antragsgrund a) Divergenz in der Normenhierarchie b) Grad der Überzeugung vom Bestehen der Divergenz 5. Objektives Klarstellungsinteresse 6. Keine Antragsfrist II. Begründetheit
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§ 16 Konkrete Normenkontrolle Rainer Wernsmann I. Funktion und Bedeutung der konkreten Normenkontrolle Gesetze müssen den Anforderungen der Verfassung genügen. Art 1 III und Art 20 III GG ordnen den Vorrang der Verfassung vor den Gesetzen an. Diese Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung drohte indes leerzulaufen, wenn sie nicht auch gerichtlich überprüfbar wäre. Daher kommt den Richtern das Recht (und die Pflicht) zu, Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfen (sog richterliches Prüfungsrecht). Dieses richterliche Prüfungsrecht wird in Art 100 I GG vorausgesetzt 1 und folgt auch aus Art 19 IV und 1 III, 20 III GG: Wer einen ihn belastenden Verwaltungsakt angreift, kann auch rügen, dass dieser Bescheid deshalb rechtswidrig ist, weil er auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruht. Gäbe es Art 100 I GG nicht, so wäre jeder Richter aufgerufen, verfassungswidrige Normen bei der Entscheidung des konkreten Rechtsstreits außer Anwendung zu lassen. Eine solche Möglichkeit erscheint indes aus mehreren Gründen nicht wünschenswert: Die Autorität des unmittelbar demokratisch legitimierten Parlaments wäre gefährdet, wenn jeder Richter Gesetze „beliebig“ außer Anwendung lassen könnte. Die Gefahr der Missachtung des gesetzgeberischen Willens unter Berufung auf Verfassungswidrigkeit des Gesetzes ist besonders groß, da Verfassungsrecht in weitem Umfang auch offen für Wertungen und Abwägungen ist. Verfassungsrecht bedarf regelmäßig in größerem Umfang als sonstiges Recht der Konkretisierung durch die Rechtsprechung.2 Die Erfahrungen der Weimarer Republik, in der die Richter der jeweiligen Parlamentsmehrheit großteils grundsätzlich ablehnend gegenüberstanden 3, bestätigen das Gefahrenpotential, wenn unter Berufung auf vermeintliche Verfassungsinhalte politische Gestaltungsvorstellungen des Parlaments konterkariert werden können. Wenn es eine richterliche Normenkontrolle gibt, so bedeutet dies immer auch, dass die Richter das letzte Wort haben, ob ein Akt der Legislative auf den Einzelfall anzuwenden ist oder nicht. Die letztverbindliche Entscheidung, ob ein Gesetz tatsächlich gilt, liegt dann bei den Gerichten. Diese besonders verantwortungsvolle Aufgabe hat der Verfassunggeber ausschließlich dem BVerfG zugewiesen. Es verfügt über das sog Verwerfungsmonopol, die letztverbindliche Normenkontrolle ist ausschließlich seine Aufgabe. Liegt der Hauptzweck des Art 100 I GG im Schutz der Autorität des parlamentarischen Gesetzgebers 4, so sprechen für die Monopolisierung der Normverwerfung wegen 1 Indem Art 100 I GG das richterliche Prüfungsrecht voraussetzt, klärt es eine Frage, die in der Weimarer Republik äußerst umstritten war. Ausführlich dazu Maurer DÖV 1963, 683 ff; Wieland in: Dreier, Bd 3, GG, Art 100 Rn 1. 2 Vgl BVerfGE 10, 124, 128. S auch Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 33. 3 Vgl Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 116 mwN. 4 BVerfGE 1, 184, 197 f; 1, 283, 292; 6, 55, 65; 42, 42, 49; 90, 263, 275; st Rspr; ebenso Klein in: Benda/Klein, VerfPrR, Rn 769 f; Hillgruber in: Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 567 ff; Wieland in: Dreier, Bd 3, GG, Art 100 Rn 5 ff; kritisch zur Hervorhebung dieses Gesichtspunkts durch das BVerfG etwa Ipsen StaatsR, Rn 939; Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 88; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 138.
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§ 16
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Verfassungswidrigkeit außerdem Rechtssicherheit und Rechtseinheitlichkeit sowie Qualitätssteigerung durch einen spezialisierten Spruchkörper.5 Diese wären gefährdet, wenn in einer solch zentralen Frage wie der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen rechtskräftige Entscheidungen der Fachgerichte ergehen könnten, die einmal von der Verfassungsmäßigkeit, dann wieder von der Verfassungswidrigkeit einer Rechtsnorm ausgehen. Aus diesem Grund hat das Grundgesetz dem BVerfG das Verwerfungsmonopol für Gesetze zuerkannt: Solange das BVerfG nicht ein Gesetz für verfassungswidrig und ggf nichtig (vgl §§ 78, 82 I BVerfGG) erklärt hat, darf kein Gericht es wegen Verfassungswidrigkeit außer Anwendung lassen. Das ist die zentrale Aussage des Art 100 I GG. In ähnlicher Weise behält sich übrigens der EuGH das Verwerfungsmonopol hinsichtlich primärrechtswidrigen Sekundärrechts vor: Geht ein Gericht eines Mitgliedstaates davon aus, dass sekundäres Gemeinschaftsrecht (insb Verordnungen oder Richtlinien) gegen primäres Gemeinschaftsrecht (etwa die Kompetenznormen der Verträge oder die – noch ungeschriebenen – Gemeinschaftsgrundrechte; vgl Art 6 II EUV) verstößt, so muss dieses Gericht (entgegen Art 234 Ib iVm II, III EGV; 267 Ib iVm II, III AEUV-E) aus Gründen der Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts die Frage dem EuGH vorlegen, auch wenn es nicht letztinstanzliches Gericht ist.6 Hält dagegen das Gericht eines Mitgliedstaates ein nationales Gesetz für unanwendbar wegen Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht, so kann es die Frage nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts dem EuGH vorlegen (Art 234 Ia, II, III EGV; 267 Ia, II, III AEUV-E), es kann aber auch – wenn die Rechtslage klar erscheint, weil der EuGH die zu entscheidende Rechtsfrage bereits in einem anderen Verfahren geklärt hat oder die richtige Auslegung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig erscheint, dass keinerlei Raum für vernünftige Zweifel verbleibt 7 – ohne weiteres (dh ohne Vorlage) die Norm wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit außer Anwendung lassen. Insofern gibt es kein „Verwerfungsmonopol“ für gemeinschaftsrechtswidriges nationales Recht; dieses wird auch ohnehin nicht vom EuGH für nichtig erklärt, sondern bleibt – nach Auslegung der Verträge durch den EuGH – nur „unangewendet“. 1. Arten der Normenkontrollverfahren
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Das Grundgesetz kennt verschiedene sog Normenkontrollverfahren. In diesen wird eine Norm auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht überprüft. Art 93 I Nrn 2 und 2a GG, § 13 Nrn 6, 6a, §§ 76 ff BVerfGG ermöglichen eine sog abstrakte Normenkontrolle durch das BVerfG – „abstrakt“ deshalb, weil eine Rechtsnorm dem BVerfG zur Prüfung gestellt wird, ohne dass es auf deren Gültigkeit in einem Rechtsstreit zwischen zwei Rechtssubjekten ankommt. Art 100 I GG, § 13 Nr 11, §§ 80 ff BVerfGG regeln die sog konkrete Normenkontrolle – „konkret“ deshalb, weil sich die Frage der Vereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Recht 8 in einem Rechtsstreit stellt, in dem es auf die Gültigkeit der Norm ankommt. Die konkrete Normenkontrolle wird deshalb auch als Richtervorlage bezeichnet.9 Das Normenkontrollverfahren ist ein Zwischenverfahren im Ausgangsprozess. 5 Wernsmann, Das gleichheitswidrige Steuergesetz – Rechtsfolgen und Rechtsschutz, 2000, S 252 ff. Allgemein zu den Funktionen gerichtlicher Vorlageverfahren Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, Anh § 40 VwGO Vorbem zu Art 100 GG. 6 EuGHE 1987, 4199 – Foto-Frost; zustimmend Streinz EuropaR, Rn 637. 7 Vgl Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 234 EGV Rn 44. 8 Zu den einzelnen Fallkonstellationen → Rn 8. 9 Maurer StaatsR, § 20 Rn 102.
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Konkrete Normenkontrolle
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2. Fallkonstellationen Die konkrete Normenkontrolle nach Art 100 I GG kennt vier Fallkonstellationen. Zu differenzieren ist nach Prüfungsgegenstand (Bundesgesetz/Landesgesetz) und Prüfungsmaßstab (Grundgesetz/einfaches Bundesrecht/Landesverfassung):
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(1) Ein Gericht hält ein Bundesgesetz wegen Verletzung des Grundgesetzes für verfassungswidrig, Art 100 I 1 Alt 2 GG. (2) Ein Gericht hält ein Landesgesetz (oder die Landesverfassung) für grundgesetzwidrig, Art 100 I 2 Alt 1 GG. (3) Ein Gericht hält ein Landesgesetz (oder die Landesverfassung) für bundesrechtswidrig, Art 100 I 2 Alt 2 GG. (4) Ein Gericht hält ein Landesgesetz wegen Verletzung der Landesverfassung für verfassungswidrig, Art 100 I 1 Alt 1 GG. In den Konstellationen (1)–(3) ist die jeweilige Norm dem BVerfG, in Konstellation (4) ist die Norm dem jeweiligen LVerfG 10 vorzulegen. Art 100 I 1 Alt 1 GG enthält damit eine für die Länder verbindliche Normierung einer Verfahrensart vor dem jeweiligen LVerfG. Die Länder können die Vorlagepflicht zwar näher ausgestalten (vgl zB § 12 Nr 7, §§ 50 f VGHG NRW) und auch erweitern und auf weitere Fälle erstrecken, nicht aber einschränken.11 Beispiel: Meint das zuständige VG, dass dem Land NRW für eine Norm seiner Gemeindeordnung die Gesetzgebungskompetenz (Art 70 ff GG) fehle und außerdem auch Mängel im Gesetzgebungsverfahren vorlägen (Art 65 ff LVerf NRW), so muss es die Norm (nacheinander) sowohl dem BVerfG gem Art 100 I 2 Alt 1 GG als auch dem VerfGH NRW gem Art 100 I 1 Alt 1 GG vorlegen. (Normen der Landesverfassung sind grundsätzlich kein Prüfungsmaßstab des BVerfG! 12)
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3. Vorlagekonkurrenzen Nimmt das Fachgericht an, dass ein Landesgesetz sowohl gegen das Grundgesetz als auch gegen die Landesverfassung verstößt (etwa weil sowohl das Grundgesetz als auch die jeweilige Landesverfassung Grundrechte gewährleisten, die das Gericht als verletzt ansieht; vgl zB Art 4 I LVerf NRW), so kann es wählen, ob es dem BVerfG oder LVerfG vorlegt; auch eine Vorlage zunächst an das BVerfG ist zulässig.13 Hält das BVerfG die Norm für vereinbar mit dem Grundgesetz, ist das LVerfG, wenn ihm danach die Norm vorgelegt wird, nicht gehindert, die (Landes-)Norm für landesverfassungswidrig zu halten, weil die Rechtskraft der Entscheidung des BVerfG (vgl § 31 BVerfGG) sich nur
10 Die Landesverfassungsgerichte heißen teils VerfGH (zB in Bayern und Nordrhein-Westfalen), teils StGH (zB in Baden-Württemberg und Hessen), teils LVerfG (zB in Brandenburg). 11 Pestalozza VerfPrR, § 13 Rn 2 aE; s auch BVerfGE 4, 178, 188 f. 12 BVerfGE 6, 376, 382; 11, 89, 94; 41, 88, 119; 60, 175, 209; Rozek Das Grundgesetz als Prüfungsund Entscheidungsmaßstab der Landesverfassungsgerichte, 1993, S 50 mwN. 13 BVerfGE 2, 380, 388 f; 55, 207, 224 f; 69, 174, 182 f; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 348 aE. – Zum (komplizierteren) Verhältnis von Bundes- und Landesverfassungsbeschwerde (soweit die Landesverfassungen eine solche überhaupt kennen, was in vielen Ländern – zB NRW – nicht der Fall ist) vgl BVerfGE 96, 345 ff und ausführlich Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 349 ff mwN.
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auf die Vereinbarkeit der Norm mit dem Grundgesetz (nicht aber mit der Landesverfassung) erstreckt.14 Der folgenden Darstellung werden nur die Fallkonstellationen (1) und (2) → Rn 9 (Vereinbarkeit eines Landes- oder Bundesgesetzes mit dem GG) zugrunde gelegt, soweit nicht auf Besonderheiten der anderen Fallkonstellationen hinzuweisen ist. Auch wenn das Fachgericht eine Norm sowohl für gemeinschaftsrechtswidrig als auch für verfassungswidrig hält 15, hat es die Wahl, ob es zunächst eine Vorabentscheidung des EuGH nach Art 234 Ia EGV (267 Ia AEUV-E) einholt oder die Norm dem BVerfG nach Art 100 I 1 Alt 2 GG vorlegt.16 Erst wenn feststeht, dass die Norm wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit nicht mehr angewendet werden darf, ist die konkrete Normenkontrolle mangels Entscheidungserheblichkeit unzulässig (→ Rn 61). 4. Rechtstatsächliche Bedeutung und Aktenzeichen
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Das BVerfG hat bis Ende 2007 insgesamt 1016 Senatsentscheidungen und 177 Kammerentscheidungen im Verfahren der konkreten Normenkontrolle nach Art 100 I GG gefällt.17 Das Verfahren der konkreten Normenkontrolle nach Art 100 I GG ist damit das zahlenmäßig (allerdings mit weitem Abstand) zweithäufigste nach der Verfassungsbeschwerde, über die das BVerfG 3980 Senatsentscheidungen und 139566 Kammer- bzw früher Richterausschussentscheidungen zu treffen hatte. Konkrete Normenkontrollverfahren nach Art 100 I GG tragen in der Mitte des Aktenzeichens stets die Buchstabenkombination „BvL“, vorangestellt wird die Senatsbezeichnung (1 oder 2) und es folgt die Eingangsziffer im jeweiligen Jahr. Beispiel: Das Verfahren 2 BvL 1/08 bedeutet also, dass es sich um ein Verfahren der konkreten Normenkontrolle handelt, das beim Zweiten Senat des BVerfG anhängig ist und den ersten Eingang in dieser Verfahrensart im Jahr 2008 darstellte.
14 Offenlassend, ob es sich um ein mehrfach gewährleistetes Grundrecht oder um mehrere Grundrechte handelt, aber BVerfGE 96, 345, 368 mwN. – Auch eine Vorlagepflicht des jeweiligen LVerfG an das BVerfG nach Art 100 III GG wird in diesen Fällen nur ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn es nämlich darum geht, ob die Landesverfassung mit dem Grundgesetz vereinbar ist; zutreffend Rozek (Fn 12), S 53 ff; Pieroth in: Jarass/Pieroth, GG, Art 100 Rn 21; weitergehend BVerfGE 60, 175, 207; 69, 112, 117. Nimmt das LVerfG einen Verstoß der LVerf gegen das GG an, so muss es schon nach Art 100 I 2 Alt 1 GG vorlegen; geht es selbst von Vereinbarkeit der LVerf mit dem GG aus, liegt aber abweichende Rechtsprechung des BVerfG oder eines anderen LVerfG zu der Rechtsfrage vor, muss es nach Art 100 III GG vorlegen, auch wenn es selbst die Norm nicht für grundgesetzwidrig iSd Art 100 I GG „hält“. Überschneiden sich die Voraussetzungen von Art 100 I und III GG, so geht BVerfGE 36, 342, 356 von Wahlfreiheit des vorlegenden Gerichts aus. 15 Bsp: Ein Landesvergabegesetz macht die Vergabe öffentlicher Aufträge im Baubereich von sog Tariftreueerklärungen der Auftragnehmer abhängig. Das Fachgericht nimmt einen Verstoß gegen Art 9 III und Art 12 I GG an und außerdem einen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit des Art 49 EGV (56 AEUV-E) und die gemeinschaftsrechtlichen Vergaberichtlinien; vgl BVerfGE 116, 202. 16 BVerfGE 69, 174, 183; 116, 202, 214 f. 17 Jahresstatistik 2007, abrufbar unter www.bverfg.de/organisation/gb2007/A-I-5.html.
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II. Zulässigkeit der konkreten Normenkontrolle Das BVerfG entscheidet über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes nur, wenn die Vorlage des Gerichts zulässig ist, dh wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen. Das BVerfG ist für die konkrete Normenkontrolle nach Art 100 I 1 Alt 2, I 2 Alt 1 und 2 GG gem § 13 Nr 11 BVerfGG zuständig. Die Richtervorlage ist unabhängig davon zulässig, ob einer der Prozessbeteiligten im Ausgangsverfahren die Verfassungswidrigkeit der Norm im Ausgangsverfahren rügt (deklaratorisch § 80 III BVerfGG). Wenn er die Verfassungswidrigkeit einer Norm in den Verfahren vor den Fachgerichten nicht rügt, kann aber später uU der Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen die gerichtliche Entscheidung, die auf dem möglicherweise verfassungswidrigen Gesetz beruht, der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegenstehen.18
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1. Vorlageberechtigung: Gericht Fall 1: Der Finanzbeamte B soll nach einem Steuergesetz den Steuerpflichtigen S veranlagen. B hält das Gesetz für verfassungswidrig, da es eine unzulässige echte Rückwirkung entfalte. B meint, er könne es nicht verantworten, ein verfassungswidriges Gesetz anzuwenden. Kann B einen Antrag auf Normenkontrolle an das BVerfG stellen? Falls nicht: Was kann B tun?
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Vorlageberechtigt (und ggf – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen – vorlageverpflichtet) sind nach Art 100 I GG nur (staatliche) Gerichte. Gericht iS dieser Regelung ist der erkennende Spruchkörper, der – ausgestattet mit richterlicher Unabhängigkeit – in einem Gesetz mit Aufgaben eines Gerichts betraut und als Gericht bezeichnet ist.19 Die Vorlagepflicht trifft – anders als beim Vorabentscheidungsersuchen nach Art 234 EGV (267 AEUV-E) – nicht nur letztinstanzliche, sondern alle Gerichte. Keine Gerichte iSd Art 100 I GG sind danach etwa der Rechtspfleger (mangels richterlicher Unabhängigkeit), der Bundesrechnungshof (mangels Gerichtsstellung) oder Kirchen- und Vereinsgerichte. Wohl aber können auch Landesverfassungsgerichte vorlageverpflichtet sein.20 Ebenfalls nicht vorlageberechtigt ist der Deutsche Bundestag im Verfahren der Wahlprüfungsbeschwerde nach Art 41 GG 21; allerdings könnten ein Drittel der Mitglieder des Bundestags einen Antrag auf abstrakte Normenkontrolle nach Art 93 Abs 1 Nr 2 GG stellen und damit ein möglicherweise verfassungswidriges Wahlgesetz durch das BVerfG überprüfen lassen.
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18 Zwar sind die Parteien des Ausgangsverfahrens grundsätzlich nicht gehalten, Rechtsausführungen zu machen. Daher muss der Beschwerdeführer nicht von Beginn des fachgerichtlichen Verfahrens an verfassungsrechtliche Erwägungen und Bedenken vortragen. Anderes gilt jedoch, wenn ein Klagebegehren nur Aussicht auf Erfolg haben kann, wenn verfassungsrechtliche Erwägungen in das fachgerichtliche Verfahren eingeführt werden. Dies ist insb der Fall, soweit der Ausgang des Verfahrens von der Verfassungswidrigkeit einer Norm abhängt oder eine bestimmte Normauslegung angestrebt wird, die ohne verfassungsrechtliche Erwägungen nicht begründbar ist. Zusammenfassend zuletzt BVerfGE 112, 50, 62. 19 BVerfGE 6, 55, 83; 30, 170, 171. 20 BVerfGE 69, 112, 117 f. 21 BVerfG v 3.7.2008, 2 BvC 1/07, 7/07, Rn 80, www.bverfg.de.
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Lösung Fall 1: Nach Art 100 I GG vorlegen kann weder eine Behörde noch ein einzelner Amtswalter. Hält ein Beamter eine Norm, die er anzuwenden hat, für verfassungswidrig, so kann er remonstrieren (zB §§ 56 II BBG, 38 II BRRG, 59 II LBG NRW ua). Teilt sein Vorgesetzter die Einschätzung, dass die Norm verfassungswidrig ist, so kann dieser seinerseits remonstrieren. Entweder übernimmt dann zuletzt der Minister die Verantwortung, oder dieser kann einen Beschluss der Landes- bzw Bundesregierung anregen, einen Antrag auf abstrakte Normenkontrolle nach Art 93 I Nr 2 GG, § 13 Nr 6, §§ 76 ff BVerfGG beim BVerfG zu stellen.22
2. Vorlagegegenstand: Gesetz 21
Vorlagegegenstand kann nach Art 100 I GG nur ein Gesetz sein. Dagegen kann sich der Grundrechtsberechtigte mit der Verfassungsbeschwerde nach Art 93 I Nr 4a GG, § 13 Nr 8a, §§ 90 ff BVerfGG gegen jeden Akt öffentlicher Gewalt (also Gesetze, Gerichtsentscheidungen und – nach Rechtswegerschöpfung, § 90 II BVerfGG – Maßnahmen der Verwaltung) wenden. Einen Verwaltungsakt, der zwar auf einem verfassungsmäßigen Gesetz, aber auf einer verfassungs- (zB grundrechts-)widrigen Ermessensausübung durch die Verwaltung im Einzelfall beruht und daher rechtswidrig ist, kann etwa das VG selbst nach § 113 I 1 VwGO aufheben, ohne das BVerfG einschalten zu müssen.
a) Nur formelle nachkonstitutionelle Gesetze 22
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Der Begriff des Gesetzes ist einschränkend auszulegen, so dass nur formelle Gesetze von der Vorlagepflicht erfasst werden, und teleologisch auf nachkonstitutionelle Gesetze zu reduzieren. Denn tragender Grund 23 der Vorlagepflicht nach Art 100 I GG ist der Schutz der Autorität des parlamentarischen Gesetzgebers, über dessen Willen sich nicht jedes einzelne Gericht soll hinwegsetzen dürfen.24 Daher müssen die Fachgerichte dem BVerfG nur formelle nachkonstitutionelle Gesetze vorlegen 25; alle anderen Rechtsnormen kann (und muss) das jeweilige Fachgericht selbst außer Anwendung lassen. Es entscheidet dann inzident (als Vorfrage) über die Verfassungsmäßigkeit der Norm. Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit bzw Annahme der Nichtigkeit erwächst in diesen Fällen als bloße Vorfrage nach allgemeinen Regeln nicht in Rechtskraft, und die Entscheidung wirkt auch nur zwischen den Parteien („inter partes“). Andere Gerichte können also die Verfassungsmäßigkeit der Norm später noch abweichend beurteilen. Zwar würde eine Einbeziehung untergesetzlicher Rechtsnormen (Rechtsverordnungen und Satzungen) und vorkonstitutioneller Gesetze andere Zwecke der Entscheidungsmonopolisierung beim BVerfG (insb die Rechtssicherheit und die Rechtseinheit durch Entscheidungskonzentration bei einem einzigen Gericht 26) durchaus fördern.27 Jedoch wollte
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Vgl dazu Maurer AllgVerwR, § 4 Rn 55 f mwN. Krit etwa Heun, FS BVerfG, S 615, 622, 624. BVerfGE 1, 184, 197 f; seither st Rspr; s ferner zB noch BVerfGE 97, 117, 122; 114, 303, 310. Für formelle Gesetze: BVerfGE 1, 184, 189 ff; für nachkonstitutionelles Recht: BVerfGE 2, 124, 128 ff; seitdem st Rspr; zustimmend etwa Schoch VerfR, S 308 f mwN. 26 Diese erkennt auch das BVerfG als weitere Zwecke der Vorlagepflicht an; BVerfGE 63, 131, 141; 96, 345, 360. 27 Kritisch zur restriktiven Rechtsprechung des BVerfG daher Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 138.
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der Verfassungsgeber mit Art 100 I GG nur das in der Weimarer Republik umstrittene richterliche Prüfungsrecht absichern und damit (nur) den Konfliktfall zwischen dem parlamentarischen Gesetzgeber und der Rechtsprechung regeln.28 Zudem würde die Befassung des BVerfG mit der Verfassungsmäßigkeit von zB Satzungen mit nur beschränkter örtlicher und sachlicher Reichweite die Arbeitsfähigkeit des BVerfG beeinträchtigen. Schließlich kann Rechtseinheit und Rechtssicherheit auch über höchstinstanzliche Entscheidungen der Fachgerichtsbarkeit hergestellt werden, und eine Klärung auch der Verfassungsmäßigkeit des nicht-formellen oder vorkonstitutionellen Gesetzes bleibt dann noch im Wege der Urteilsverfassungsbeschwerde möglich, sofern das letztinstanzliche Fachgericht von dessen Verfassungsmäßigkeit ausgegangen ist.29 Halten die Fachgerichte eine Rechtsverordnung für verfassungswidrig, so kann zB die Bundes- oder eine Landesregierung im Wege der abstrakten Normenkontrolle (Art 93 I Nr 2 GG) ein sog Normbestätigungsverfahren einleiten mit dem Ziel, vom BVerfG letztverbindlich die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsverordnung feststellen zu lassen. Formelle Gesetze sind nur vom Parlament in dem von der Verfassung dafür bestimmten Verfahren beschlossene Gesetze. Nicht darunter fallen Rechtsverordnungen und Satzungen. Auch aus dem Landesrecht bedürfen nur formelle Gesetze der Vorlage an das BVerfG; der Wortlaut des Art 100 I 2 Alt 1 GG, der von Landesrecht spricht, ist – gemessen an seinem Zweck – zu weit geraten 30 und daher teleologisch zu reduzieren. Zu beachten ist, dass das BVerfG auch solche Bestimmungen in Rechtsverordnungen, die das Parlament geändert hat, aus Gründen der Normenklarheit und Normenwahrheit als Verordnungsrecht qualifiziert, da sonst nicht erkennbar wäre, welche Normen der Rechtsverordnung die Exekutive und welche die Legislative erlassen hat.31 In einem solchen Fall, in dem sich der Gesetzgeber auf die Ebene der Verordnung begeben hat, hält das BVerfG ihn nicht für schutzwürdig und die Intention, seine Autorität durch das Verwerfungsmonopol des BVerfG zu wahren, für nicht tragfähig.32 Da das Fachgericht das BVerfG nur anrufen darf, wenn seine eigene Prüfungszuständigkeit nicht ausreicht, um die Norm für die Entscheidung des konkreten Rechtsstreits außer Anwendung zu lassen,33 ist die Vorlage auch solcher Bestandteile einer Rechtsverordnung, die der parlamentarische Gesetzgeber geändert hat, mangels tauglichen Vorlagegegenstands unzulässig. Nachkonstitutionell sind nur solche Gesetze, die zeitlich nach der jeweiligen höherrangigen Norm, die als Prüfungsmaßstab dient, in Kraft getreten sind. Ist das Grundgesetz im Rahmen des Art 100 I GG der Prüfungsmaßstab, so sind nachkonstitutionell grundsätzlich solche Gesetze, die nach dem 23.5.1949 verkündet worden sind 34; ist die einschlägige Norm des GG später eingefügt oder entsprechend geändert worden, so kommt
28 Wieland in: Dreier, Bd 3, GG, Art 100 Rn 1, 5. 29 Vgl auch Maurer StaatsR, § 20 Rn 104. – Immer möglich bleibt auch die abstrakte Normenkontrolle nach Art 93 I Nrn 2 und 2a GG, § 13 Nrn 6 und 6a, §§ 76 ff BVerfGG. Hier kann formelles und materielles, vor- und nachkonstitutionelles Recht Prüfungsgegenstand sein, BVerfGE 2, 124, 131; 24, 174, 179 f; 103, 111, 124. Zudem kennt Art 93 I Nr 2 GG auch den Antrag auf Normbestätigung. 30 Vgl Erichsen Jura 1982, 88, 90. – Art 100 I 2 Alt 2 GG beschränkt den Vorlagegegenstand (auch im Wortlaut deutlich) konsequent wieder auf Landes-„Gesetze“. 31 BVerfGE 114, 196; 114, 303, 312. 32 BVerfGE 114, 303, 313. 33 BVerfGE 10, 124, 127. 34 Pieroth in: Jarass/Pieroth, GG, Art 100 Rn 8.
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es grundsätzlich auf diesen Zeitpunkt an.35 Lässt ein Fachgericht eine solche Norm unangewendet, so macht es dem parlamentarischen Gesetzgeber nicht den „Vorwurf“, gegen das Grundgesetz verstoßen zu haben, und stellt dessen Autorität damit nicht in Frage. Eine Vorlage nach Art 100 I GG ist in solchen Fällen also nicht geboten.36 Beispiel: DDR-Gesetze, die nach Art 9 II des Einigungsvertrags (EVertr) fortgelten, ordnet das BVerfG nicht als vorzulegendes nachkonstitutionelles Recht ein 37. Zwar sei das Zustimmungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland zum Einigungsvertrag ein formelles nachkonstitutionelles Gesetz; Art 9 II EVertr mache die Fortgeltung des dort genannten DDR-Rechts jedoch gerade ausdrücklich von dessen Vereinbarkeit mit dem GG und dem Gemeinschaftsrecht abhängig, so dass der nachkonstitutionelle parlamentarische (Bundes-) Gesetzgeber diese Bestimmungen nur „hingenommen“, nicht aber in seinen Willen aufgenommen und inhaltlich bestätigt habe. Bisweilen schwierig zu beurteilen ist die Frage, ob eine Norm nachkonstitutionell ist, wenn ein vorkonstitutionelles Gesetz unter der Herrschaft des GG nur teilweise geändert oder ersetzt wird. Dann ist zu prüfen, ob der nachkonstitutionelle Gesetzgeber auch die nicht geänderten Normen nunmehr anlässlich der Gesetzesänderung „in seinen Willen aufgenommen“ und damit inhaltlich bestätigt hat 38; in diesem Fall bliebe die Normverwerfung dem BVerfG vorbehalten. Eine solche Aufnahme einer vorkonstitutionellen Norm in den Willen des nachkonstitutionellen Gesetzgebers liegt etwa vor, wenn eine alte Norm als Gesetz neu verkündet wird, wenn eine neue Norm auf die alte verweist oder wenn ein begrenztes und überschaubares Rechtsgebiet durchgreifend geändert wird und veränderte und unveränderte Normen eng miteinander zusammenhängen.39 Eine bloße Neubekanntmachung ist aber nicht ausreichend.
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Fall 2: Nach § 828 II BGB in der damals geltenden Fassung hafteten Minderjährige, die das siebte, aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatten, für einen Schaden, wenn sie bei der Begehung der Schädigungshandlung die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hatten. Der 16-jährige M unternimmt mit seiner Freundin F eine „Spritztour“, ohne im Besitz eines Führerscheins und ohne haftpflichtversichert zu sein. Dabei verunglücken beide; F ist querschnittsgelähmt. M würde bei Anwendung des § 828 II BGB sein Leben lang hoch verschuldet sein. Das LG legt dem BVerfG § 828 II BGB in der damals geltenden Fassung mit der Begründung vor, dass eine solche unbegrenzte Haftung im Falle typischer Jugendverfehlungen gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art 1 I iVm 2 I GG) verstoße. Zulässig? (vgl BVerfG, NJW 1998, 3557 f).
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Lösung Fall 2: Tauglicher Vorlagegegenstand iSd Art 100 I 1 Alt 2 GG sind nur formelle nachkonstitutionelle Gesetze, da der tragende Grund für die Monopolisierung des Normverwerfungsmonopols beim BVerfG im Schutz der Autorität des parlamentarischen unter dem GG handelnden Gesetzgebers besteht. § 828 II BGB aF müsste also nachkonstitutionell sein. Der Titel über unerlaubte Handlungen (§§ 823 ff BGB) war (im Zeitpunkt der Ent-
35 Maurer StaatsR, § 20 Rn 104; Stern StaatsR Bd 2, S 992. 36 AA Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 141: Der parlamentarische Gesetzgeber sei generell vor der Verwerfung der von ihm erlassenen Rechtsnormen durch die Fachgerichte zu schützen. 37 BVerfGE 97, 117, 123 f. Kritisch Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 137 aE. 38 BVerfGE 6, 55, 65; 70, 126, 129; stRspr. 39 BVerfG, NJW 1998, 3557.
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scheidung des BVerfG) seit dem Inkrafttreten im Jahr 1900 nahezu unverändert geblieben; der nachkonstitutionelle Gesetzgeber hatte sich nie speziell mit der Minderjährigenhaftung befasst. Auch wenn der nachkonstitutionelle Gesetzgeber ein Gesetz wie das BGB mehrfach – auch teilweise tiefgreifend – geändert hatte, so war nicht davon auszugehen, dass er aus Anlass einzelner Änderungen jeweils das BGB und dessen Verfassungsmäßigkeit insgesamt geprüft und bejaht hatte.40 Er hatte die Norm des § 828 II BGB aF also nie erkennbar bestätigt und damit in seinen Willen aufgenommen.41 § 828 II BGB aF war somit ein vorkonstitutionelles Gesetz. Mangels tauglichen Vorlagegegenstands war die Vorlage des LG damit unzulässig.
Der Zweck der Vorlagepflicht (Schutz der Autorität des parlamentarischen Gesetzgebers) gilt auch bei der Überprüfung von Landesrecht am Maßstab des (einfachen) Bundesrechts (Fallkonstellation (3) → Rn 9). Geht es darum, ob ein neues Landesgesetz gegen ein früher erlassenes (kompetenzmäßiges) Bundesgesetz verstößt, so stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit mit Art 71, 72 I GG usw. In diesem Fall muss das Gericht die Norm nach Art 100 I GG vorlegen. Erlässt der Bund hingegen zeitlich später kompetenzgemäß ein Gesetz, so bricht dieses das vorher erlassene Landesrecht nach Art 31 GG. Ein Außeranwendunglassen bedeutet im letztgenannten Fall keine „Missachtung“ des Landesgesetzgebers durch das Gericht; eine Vorlage unterbleibt daher. Das Gericht kann selbst das Landesrecht wegen Bundesrechtswidrigkeit außer Anwendung lassen.42 Eine Vorlage an das BVerfG nach Art 100 I GG ist dann unzulässig. Wendet ein Gericht, eine Verwaltungsbehörde oder ein Organ des Bundes oder eines Landes das Recht (zB Rechtsverordnungen oder Satzungen) wegen angeblicher Verfassungs- oder sonstiger Bundesrechtswidrigkeit nicht an, so können die Antragsberechtigten im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle (zB Bundes- oder Landesregierungen) nach Art 93 I Nr 2 GG, § 13 Nr 6, § 76 I Nr 2 BVerfGG beantragen, dass das BVerfG die Gültigkeit der Norm feststellt (sog Normbestätigungsverfahren 43). Auch verfassungsändernde Gesetze können Gegenstand der konkreten Normenkontrolle sein; Prüfungsmaßstab ist dann aber nur Art 79 GG. Dagegen kann ursprüngliches Verfassungsrecht nicht verfassungswidrig sein 44; die Widersprüche bestehen dann nämlich zwischen Normen gleichen Ranges und sind dann nach den allgemeinen Kollisionsregeln (zB „lex specialis derogat legi generali“) aufzulösen. Ein formelles Gesetz iSd Art 100 I GG ist auch das Haushaltsgesetz; mangels Außenwirkung (zB § 3 BHO) verneint das BVerfG aber regelmäßig die Entscheidungserheblichkeit 45 (→ Rn 59 f).
40 BVerfGE 11, 126, 131; BVerfG, NJW 1998, 3557. 41 Hinweis: Mittlerweile hat der Gesetzgeber § 828 BGB geändert; in dieser Fassung ist er nunmehr nachkonstitutioneller Natur. 42 BVerfGE 10, 124, 127 f; Degenhart Staatsorganisationsrecht, 23. Aufl 2007, Rn 775; Müller-Terpitz in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art 100 Rn 12; iErg auch Heun in: FS BVerfG, S. 615, 624. Allg Stern StaatsR Bd 2, S 992. AA Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 141. 43 Vgl Rein Das Normbestätigungsverfahren, 1991; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 133. Praktische Beispiele: BVerfGE 83, 89 ff; 96, 133 ff; 106, 244 ff – jeweils zu Beihilfeverordnungen. 44 BVerfGE 3, 225, 232 f hat erwogen, dass „theoretisch“ auch ursprüngliches Verfassungsrecht verfassungswidrig sein könne; abl Wernsmann Der Staat 2005, 43, 45 f mwN. In Wahrheit meinte BVerfG aaO nicht mehr „Verfassungsrecht“ als Prüfungsmaßstab, sondern überverfassungsrechtliche (vorpositive) Gerechtigkeitsvorstellungen. 45 BVerfGE 38, 121, 125.
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b) Normen des Gemeinschaftsrechts und Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen 34
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Auch Zustimmungsgesetze zu Staatsverträgen zwischen den Bundesländern und zu völkerrechtlichen Verträgen (auch zB zum EG-Vertrag) können Gegenstand der konkreten Normenkontrolle sein.46 Nimmt ein Gericht etwa an, dass die Inhalte des EG-Vertrags gegen das Grundgesetz verstoßen, so kann es das jeweilige Zustimmungsgesetz zu den Verträgen dem BVerfG nach Art 100 I GG vorlegen, nicht aber das primäre Gemeinschaftsrecht 47 (also vor allem EU- oder EG-Vertrag) selbst.48 Die Verfassungswidrigkeit des Zustimmungsgesetzes kann aber gerade aus dem Inhalt des Vertrags folgen; ist das Zustimmungsgesetz nichtig, so ist das primäre Gemeinschaftsrecht mangels innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehls insoweit nicht anwendbar. Was aber gilt, wenn die verfassungsrechtlichen Bedenken nicht den Verträgen gelten, sondern einer Richtlinie oder Verordnung (vgl Art 249 EGV; 288 AEUV-E), die auf den EG-Vertrag gestützt wird? Diese Frage, ob sekundäres Gemeinschaftsrecht (also insbesondere Verordnungen und Richtlinien nach Art 249 EGV; 288 AEUV-E) Vorlagegegenstand nach Art 100 I GG sein kann, ist dogmatisch äußerst umstritten, auch wenn das BVerfG über entsprechende Vorlagen in der Praxis wohl nicht mehr in der Sache entscheiden wird.
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Fall 3: Eine Verordnung der EG führt dazu, dass Bananen aus Nicht-EU-Staaten nur noch in deutlich geringerem Umfang als bisher nach Deutschland importiert werden können. Nachdem das vom Importeur I angerufene VG dem EuGH nach Art 234 EGV (267 AEUVE) die Frage vorgelegt hat, ob die Verordnung mit den Gemeinschaftsgrundrechten vereinbar sei, und der EuGH das bejaht hat, legt das VG nunmehr die EG-Verordnung dem BVerfG nach Art 100 I GG mit der Begründung vor, diese sei wegen Verstoßes gegen die Grundrechte des Grundgesetzes (Art 12 I, 3 I GG) verfassungswidrig. Zulässig? (vgl BVerfGE 102, 147 – Bananenmarktordnung).
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Zwei Fragen sind bei der Beurteilung, ob sekundäres Gemeinschaftsrecht dem BVerfG nach Art 100 I GG vorgelegt werden kann, auseinander zu halten: (1) Sind „Gesetze“ iSd Art 100 I GG nur Akte der deutschen öffentlichen Gewalt, oder sind auch Rechtsnormen einer supranationalen Einrichtung wie der EG umfasst (dazu bb)? (2) Sind die Grundrechte des Grundgesetzes Prüfungsmaßstab für sekundäres Gemeinschaftsrecht, oder ist dieses nur an den Gemeinschaftsgrundrechten zu messen, die Bestandteil des primären Gemeinschaftsrechts sind (dazu aa)?
(1) Grundrechte als Prüfungsmaßstab für sekundäres Gemeinschaftsrecht 38
Das Verhältnis zwischen nationalem Verfassungsrecht (insbesondere den Grundrechten) und europäischem Gemeinschaftsrecht ist zwischen EuGH und BVerfG umstritten. Dem europäischen Gemeinschaftsrecht kommt der Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht zu, und zwar auch vor nationalem Verfassungsrecht.49 Wenn Art 23 I GG ausdrück-
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BVerfGE 63, 131, 140; 95, 39, 44. Zum Begriff etwa Ehlers in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 2 Rn 27 ff. BVerfGE 52, 187, 199 f. EuGHE 1970, 1125, 1135 Rn 3; 1978, 629, 644 f Rn 23; 1990, I-2433, 2473 Rn 18; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art 23 Rn 34; Kirchhof DStJG 15 (1993), 3, 25; Wernsmann Jura 2000, 657, 659. Kritisch Krebs in: v. Münch/Kunig, GG, Bd 1, Art 19 Rn 33c aE, da das Europarecht dann
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lich die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche europäische Einrichtungen durch Gesetz erlaubt, so sind Rechtsakte, die diese zwischenstaatliche Einrichtung erlässt, grundsätzlich anzuerkennen.50 Gemeinschaftsrecht kann nur funktionieren, wenn es einheitlich in allen Staaten gilt 51; ob es gültig ist, insbesondere mit den (Gemeinschafts-) Grundrechten vereinbar ist, muss dann ebenfalls einheitlich (durch Gemeinschaftsorgane, hier: den EuGH) entschieden werden.52 Auf Ebene der Mitgliedstaaten stellt sich nur die Frage, ob das Zustimmungsgesetz zu den Verträgen mit der Verfassung (insb den Grenzen der Integrationsermächtigung nach Art 23 GG) vereinbar ist.53 Genügt jedoch das Zustimmungsgesetz den Anforderungen des Grundgesetzes, so kann sekundäres Gemeinschaftsrecht (Richtlinien, Verordnungen) nicht mehr durch das BVerfG am Maßstab des Grundgesetzes überprüft werden. Ebenso wenig wie Bundesgesetze am Maßstab der Landesverfassungen überprüft werden können, kann sekundäres Gemeinschaftsrecht am Maßstab der mitgliedstaatlich verbürgten Grundrechte überprüft werden.54 Weist Art 234 Ib EGV (267 Ib AEUV-E) dem EuGH die Entscheidung darüber zu, ob sekundäres Gemeinschaftsrecht gültig (dh mit dem – höherrangigen – primären Gemeinschaftsrecht, insb den Verträgen und den Gemeinschaftsgrundrechten vereinbar) ist, so ist diese Kompetenz auf den EuGH „übertragen“.55 Der EuGH hat – im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art 234 Ib EGV (267 Ib AEUV-E) – zu prüfen, ob das sekundäre Gemeinschaftsrecht kompetenzgemäß erlassen ist und den Gemeinschaftsgrundrechten genügt. Ihm (und nicht dem BVerfG) ist es danach auch „übertragen“, die „Grenzen des (sc auf die Gemeinschaft) Übertragenen“ 56 zu bestimmen. Über dies hinausgehend hält das BVerfG jedoch grundsätzlich sekundäres Gemeinschaftsrecht am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes für überprüfbar. Es sieht sich aber in einem „Kooperationsverhältnis“ mit dem EuGH 57 und „übt“ seine von ihm in Anspruch genommene Rechtsprechungszuständigkeit nicht „aus“, solange der EuGH den für unabdingbar erachteten Mindestgrundrechtsschutz gegen Gemeinschaftsrechtsakte
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eine materielle Verfassungsänderung ohne Verfassungstextänderung bewirke; damit ist die Grenze des Übertragbaren indes nicht überschritten, da Art 23 I 3 GG Art 79 I GG jedenfalls nicht in Bezug nimmt. – Den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht betonend auch BVerfGE 73, 339, 375; 75, 223, 244; 85, 191, 204; tendenziell von einem „Geltungsvorrang“ des Gemeinschaftsrechts ausgehend und damit insoweit überholt BVerfGE 31, 145, 174. Degenhart Staatsorganisationsrecht, 23. Aufl 2007, Rn 244 ff. Ehlers in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 2 Rn 95 f; Klein in: Benda/Klein, VerfPrR, Rn 722. Ebenso schon Sondervotum Rupp, Hirsch, Wand BVerfGE 37, 291, 298. Für den Regelfall auch Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 83, 85. BVerfGE 118, 79, 97 f hält es in solchen Fällen zwecks Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes generell für erforderlich, dem EuGH die Frage der Vereinbarkeit sekundären Gemeinschaftsrechts mit den Gemeinschaftsgrundrechten nach Art 234 EGV (267 I AEUV-E) vorzulegen. Das BVerfG sieht insofern also offensichtlich nicht nur die letztinstanzlichen Gerichte zur Einleitung des Vorabentscheidungsverfahrens verpflichtet, sondern im Wege der Ermessensreduzierung (vgl Art 234 II EGV; 267 II AEUV-E) auch die Instanzgerichte. So auch BVerfGE 52, 187, 199; 75, 223, 242 f; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 365 aE. Zu letzterem ebenso Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art 23 Rn 38 f. Ebenso schon Sondervotum Rupp, Hirsch, Wand BVerfGE 37, 291, 291, 295 f – zu Solange I. Vgl zum Begriff etwa Ehlers in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 2 Rn 99 f mwN. BVerfGE 89, 155, 175 und Leitsatz 7.
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gewährleistet.58 Da das BVerfG dies derzeit bejaht und ein generelles Absinken des gemeinschaftsrechtlichen Standards nicht zu erwarten ist, ist wohl nicht mehr damit zu rechnen, dass das BVerfG Vorlagen von sekundärem Gemeinschaftsrecht noch für zulässig erachten wird.59
(2) Sekundäres Gemeinschaftsrecht als Gesetz iSd Art 100 I GG? 41
Gesetze im Sinne des Art 100 I GG sind richtiger Ansicht nach nur deutsche Gesetze 60, ebenso wie Gegenstand der Verfassungsbeschwerde nur Akte deutscher öffentlicher Gewalt 61 sein können. Eine direkte Anwendung des Art 100 I GG scheidet damit aus.62 Aber auch die analoge Anwendung verfassungsrechtlicher Bestimmungen begegnet erheblichen Bedenken. Die Verfassung ist eine Rahmenordnung, die auch Zuständigkeiten abgrenzt. Eine analoge Anwendung von Verfassungsbestimmungen verträgt sich damit ohnehin schon schlecht.63 Hielte man eine analoge Anwendung von Verfassungsrecht für zulässig, so fehlte es vorliegend jedenfalls spätestens an der Vergleichbarkeit des geregelten mit dem nicht geregelten Sachverhalt. Zielt die Vorlagepflicht nach Art 100 I GG auf den Schutz der Autorität des parlamentarischen Gesetzgebers, so ist nicht erkennbar, wieso die Einschaltung des BVerfG (und nicht des EuGH) zum Schutz des Gemeinschaftsgesetzgebers nötig sein sollte.
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Lösung Fall 3: Fraglich ist, ob die EG-Verordnung ein Gesetz iSd Art 100 I GG ist. Gegenstand der konkreten Normenkontrolle können richtiger Ansicht nach aus den oben genannten Gründen nur Akte des deutschen Gesetzgebers sein (str). Danach liegt kein Gesetz vor. – Die Vorlage könnte auch noch aus anderen Gründen unzulässig sein. Wird dem BVerfG sekundäres Gemeinschaftsrecht zur Prüfung am Maßstab des Grundgesetzes vorgelegt, so übt es seine Rechtsprechung nur aus, wenn im Einzelnen dargelegt ist, dass der EuGH den „jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz generell nicht mehr gewährleistet“.64 Nicht ausreichend ist, dass der Grundrechtsschutz auf Gemeinschaftsebene im konkreten Fall unter dem Niveau des Grundgesetzes liegt. An dieser Darlegung fehlt es. Die Vorlage ist daher unzulässig.
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Hinweis: Die Frage, ob die Darlegungen des vorlegenden Gerichts den Anforderungen dafür genügen, dass das BVerfG die seiner Ansicht nach grundsätzlich gegebene Rechtsprechungszuständigkeit wieder ausübt, ist als zusätzlicher eigener Prüfungspunkt im Rahmen der Zulässigkeit abzuhandeln. Beim derzeitigen Stand der Rspr des EuGH ist nicht davon auszugehen, dass eine solche Vorlage zulässig sein kann. 58 Zusammenfassend zuletzt BVerfGE 102, 147, 161 ff – Bananenmarktordnung; BVerfGE 118, 79, 95; zuvor ferner vor allem BVerfGE 37, 271 ff – Solange I; 73, 339 ff – Solange II; 89, 155 ff – Maastricht. 59 So auch Müller-Terpitz in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art 100 Rn 14 aE. 60 Vgl BVerfGE 118, 79, 95. 61 So schon BVerfGE 22, 293, 295 ff; 58, 1, 27 mwN; Benda/Klein VerfPrR, Rn 722, 809 ff; Hillgruber in: Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 598; Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 85, 87; Streinz EuropaR, Rn 242; anders BVerfGE 89, 155, 175 und Leitsatz 7. 62 So offensichtlich jetzt auch BVerfGE 102, 147, 161, wo mehrfach von Vorlagen „entsprechend“ Art 100 I GG die Rede ist. Ebenfalls schon darauf hinweisend, dass allenfalls eine analoge Anwendung des Art 100 I GG denkbar sei, Sondervotum BVerfGE 37, 291, 303 ff. 63 Vgl BVerfGE 2, 341, 346; s ferner BVerfGE 67, 256, 288 f; 105, 185, 194. 64 BVerfGE 102, 147, 164 und Leitsatz 2. Hervorhebung nur hier.
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(3) Innerstaatliche Umsetzungsakte von Gemeinschaftsrecht (Richtlinien) Sekundäres Gemeinschaftsrecht (Verordnungen und Richtlinien) misst das BVerfG nicht an den Grundrechten des Grundgesetzes. Vielmehr ist für die Frage, ob eine solche Richtlinie oder Verordnung mit den (Gemeinschafts-)Grundrechten vereinbar ist, der EuGH zuständig. Gleiches muss dann aber auch für eine innerstaatliche Rechtsnorm gelten, die eine Richtlinie in deutsches Recht umsetzt, soweit das Gemeinschaftsrecht keinen Umsetzungsspielraum belässt, sondern zwingende Vorgaben macht.65 Das Fachgericht muss die Frage der Vereinbarkeit der Richtlinie mit den Gemeinschaftsgrundrechten dem EuGH nach Art 234 Ib EGV (267 Ib AEUV-E) vorlegen. Hält der EuGH die Richtlinie für vereinbar mit höherrangigem Gemeinschaftsrecht (insb den Gemeinschaftsgrundrechten) und belässt die Richtlinie den nationalen Gesetzgebern keinerlei Umsetzungsspielräume, so ist die Richtlinie gültig. Der nationale Gesetzgeber muss diese Richtlinie dann kraft Gemeinschaftsrechts umsetzen, und das BVerfG kann das nationale Gesetz dann nicht mehr am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes überprüfen; das BVerfG sieht die von ihm noch beanspruchte Reservekompetenz erst dann wieder aufleben, wenn der EuGH den Schutz der Grundrechte generell nicht mehr gewährleisten würde.66 Hält der EuGH die Richtlinie, auf der das deutsche Umsetzungsgesetz beruht, hingegen für unvereinbar mit den Gemeinschaftsgrundrechten und erklärt er die Richtlinie daher für nichtig 67, so verstoßen auch solche nationalen Rechtsakte, die ausschließlich der Umsetzung der Richtlinie dienen und bei deren Erlass der nationale Gesetzgeber über keinerlei Umsetzungsspielraum verfügte, automatisch gegen die Gemeinschaftsgrundrechte. Dies bekräftigt Art 51 I 1 GRCh, wonach die Gemeinschaftsgrundrechte für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung von Gemeinschaftsrecht und damit bei der Umsetzung von Richtlinien gelten. Wenn also der EuGH die Gemeinschaftsgrundrechte durch die Richtlinie verletzt sieht, steht gleichzeitig fest, dass nationales Recht, das ausschließlich diese umsetzt, wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit unanwendbar ist. Eine Vorlage an das BVerfG nach Art 100 I GG ist dann mangels Entscheidungserheblichkeit unzulässig, wenn feststeht, dass eine Norm wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit nicht angewendet werden kann.68 Dagegen meint das BVerfG, dass das deutsche Umsetzungsgesetz nicht automatisch ebenfalls unbeachtlich werde, wenn der EuGH die Richtlinie für ungültig erklärt habe. Jedoch sei dann Raum für eine Prüfung an den deutschen Grundrechten und ggf für eine Vorlage nach Art 100 GG.69 Dies überzeugt indes nicht. Erstens ist der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht (soweit keine Spielräume bestehen) an die Gemeinschaftsgrundrechte gebunden, und ein Gesetz, das sich ausschließlich in der Umsetzung einer grund-
65 BVerfGE 118, 79, 95 ff mwN. 66 BVerfGE 118, 79, 95. 67 Dem primären Gemeinschaftsrecht kommt ein Geltungsvorrang vor sekundärem Gemeinschaftsrecht zu, dh Richtlinien und Verordnungen, die gegen die Verträge oder die ungeschriebenen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts verstoßen, sind nichtig (arg e Art 234 Ib EGV; 267 Ib AEUV-E). Dagegen gilt im Verhältnis von Gemeinschaftsrecht zu nationalem Recht nur ein Anwendungsvorrang, dh gemeinschaftsrechtswidriges nationales Recht ist nicht nichtig, sondern bleibt nur außer Anwendung, soweit es gegen Gemeinschaftsrecht verstößt. 68 Vgl allgemein BVerfGE 85, 191, 203 ff; 106, 275, 295, dazu → Rn 61. 69 BVerfGE 118, 79, 97 unter Bezugnahme auf Cremer DV 37 (2004), 165, 186 f.
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rechtswidrigen Richtlinie erschöpft, verstößt seinerseits automatisch gegen die insoweit anwendbaren Gemeinschaftsgrundrechte und hat wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit – ohne dass es noch einer Verwerfung durch das BVerfG bedürfte – wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts außer Anwendung zu bleiben (→ § 11 Rn 22).70 Und zweitens führt diese Sichtweise auch zu einer unzumutbaren Rechtsschutzerschwerung für den betroffenen Bürger, der dann gleich zwei Rechtsakte (die Richtlinie und den Umsetzungsakt) in zwei langwierigen Zwischenverfahren (zunächst beim EuGH und dann beim BVerfG) aus der Welt schaffen müsste. Richtiger Ansicht nach bedarf es einer Vorlage nach Art 100 I GG nur, soweit der deutsche Gesetzgeber frei von gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben Recht gesetzt hat. Soweit die deutsche Rechtsnorm sich in der bloßen Umsetzung von zwingenden Vorgaben einer Richtlinie erschöpft, ist Rechtsschutz vor dem EuGH notwendig, aber auch ausreichend. Legt das Fachgericht dem BVerfG das deutsche Umsetzungsgesetz mit der Begründung vor, dieses verstoße gegen Grundrechte des Grundgesetzes, so stellt sich allenfalls noch die Frage, ob das BVerfG – wenn es diese Einschätzung teilt – dem EuGH die Richtlinie nach Art 234 Ib EGV (267 Ib AEUV-E) vorlegen müsste. Auf die Gültigkeit der Richtlinie könnte es in dem Verfahren der konkreten Normenkontrolle nach Art 100 I GG deshalb iSd Art 234 EGV (267 AEUV-E) ankommen, weil – wenn die Richtlinie gültig ist – das BVerfG das Umsetzungsgesetz nicht für verfassungswidrig erklären kann.71 Indes kommt es nach hier vertretener Auffassung ausschließlich auf die Entscheidung des EuGH an. Einer eigenständigen Normverwerfung durch das BVerfG bedarf es in keinem Fall, wenn das deutsche Gesetz sich in der Umsetzung der Richtlinie erschöpft. Richtigerweise ist die Vorlage an das BVerfG nach Art 100 I GG in einem solchen Fall daher unzulässig.
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Fall 4: Angenommen, eine auf Art 13 EGV gestützte Anti-Diskriminierungs-Richtlinie der EG schreibt Privatpersonen vor, bei der Vergabe von Wohnraum nicht nach dem Geschlecht zu differenzieren. Ein deutsches Anti-Diskriminierungs-Gesetz setzt diese Vorgaben exakt entsprechend den gemeinschaftsrechtlichen Minimalforderungen um. Vermieterin V hat Wohnraum öffentlich angeboten, aber nur für „weibliche Mieter“, weil sie mit männlichen schlechte Erfahrungen gemacht habe. Der abgewiesene männliche Bewerber M klagt gegen V vor dem zuständigen Zivilgericht auf Schadensersatz, wie Richtlinie und Gesetz das vorsehen. Das Zivilgericht ist der Auffassung, dass die Richtlinie und das deutsche Umsetzungsgesetz sowohl Grundrechte des Grundgesetzes (allgemeine Handlungsfreiheit in Form der Vertragsfreiheit) als auch Gemeinschaftsgrundrechte verletzten. Wie muss es entscheiden?
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Lösung Fall 4: (1) Das Zivilgericht könnte dem BVerfG die Norm des deutschen Umsetzungsgesetzes zur Prüfung nach Art 100 I GG vorlegen. Dem Gemeinschaftsrecht kommt jedoch der Anwendungsvorrang vor nationalem Recht zu. Ist die Richtlinie gültig, dh mit höherrangigem Gemeinschaftsrecht (insbesondere der Kompetenzordnung des Vertrags und den Gemeinschaftsgrundrechten) vereinbar, so sind die Mitgliedstaaten zur Umsetzung gem Art 249 III EGV (288 III AEUV-E) verpflichtet, ohne dass die Umsetzungsakte dann noch am Maßstab der nationalen Grundrechte überprüft werden könnten.
70 So wohl auch Ehlers in: ders, EuGR § 14 Rn 34 aE. 71 Vgl Klein in: Benda/Klein, VerfPrR, Rn 722 mwN.
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(2) Das Zivilgericht könnte dem EuGH die Richtlinie gem Art 234 II, III iVm Ib EGV (267 II, III iVm Ib AEUV-E) vorlegen, wenn es meint, dass der Gemeinschaft für die Richtlinie die Kompetenz fehle oder diese gegen Gemeinschaftsgrundrechte verstoße. Würde das Zivilgericht direkt und allein dem EuGH die Frage vorlegen, ob die Richtlinie mit dem höherrangigen primären Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, und würde der EuGH diese Einschätzung teilen und die Richtlinie für nichtig erklären (Art 234 Ib EGV; 267 Ib AEUV-E), so wäre allerdings immer noch das deutsche Umsetzungsgesetz „in der Welt“, das die später für nichtig erklärte Richtlinie umgesetzt hat. Auch dieses würde dann aber – soweit es ausschließlich die Richtlinie umsetzt und keine weitergehenden Regelungen trifft – gegen die Gemeinschaftsgrundrechte verstoßen. Auch die Mitgliedstaaten sind bei der Umsetzung von Richtlinien an die Gemeinschaftsgrundrechte gebunden 72 (vgl jetzt auch Art 51 I 1 aE GRCh 73). Dann wäre die nationale Norm wegen des Anwendungsvorrangs des Europarechts (hier: der Gemeinschaftsgrundrechte) insoweit automatisch nicht anwendbar; einer weiteren Vorlage an das BVerfG gem Art 100 I GG bedürfte es dann nicht.74 Diese wäre richtiger Ansicht nach sogar unzulässig, da es auf die Vereinbarkeit des Gesetzes mit dem GG nicht mehr ankäme (→ Rn 61). Geht das Gesetz hingegen über die bloße Umsetzung der Richtlinie hinaus, indem der deutsche Gesetzgeber ihm verbliebene Gestaltungsspielräume genutzt hat, so müsste die Norm dem BVerfG (wegen dessen Verwerfungsmonopols) insoweit nach Art 100 I GG vorgelegt werden.
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c) Unterlassen und gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss Fall 5: Nach § 55 V 6 BBG (aF) erhalten Soldaten, die im Ausland in integrierten militärischen Stäben verwendet werden, einen erhöhten Auslandszuschlag, Beamte in gleicher Verwendung jedoch nicht. Beamter B klagt vor dem VG auf Gewährung des nur für Soldaten vorgesehenen Zuschlags. Das VG teilt im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 I GG) die verfassungsrechtlichen Bedenken des B und legt dem BVerfG § 55 V 6 BBG (aF) vor. Zulässig? (vgl BVerfGE 93, 386).
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Nicht vorlagefähig ist ein absolutes Unterlassen des Gesetzgebers. Sieht etwa das Gesetz keinerlei Leistungen vor, obwohl (ausnahmsweise) aus der Verfassung ein entsprechender originärer Leistungsanspruch folgt (dies ist etwa beim Anspruch auf Sozialhilfe zur Sicherung eines menschenwürdigen Daseins der Fall), so kann keine Norm vorgelegt werden, da eine solche gerade nicht existiert. Der Grundrechtsberechtigte muss dann Verfassungsbeschwerde erheben.75 Sofern allerdings bestehende Leistungsgesetze abgeschafft werden, kann der Betroffene gegen die ablehnenden Bescheide klagen und das Fachgericht könnte das Änderungsgesetz – also ein Tun des Gesetzgebers – vorlegen. Ebenfalls nicht um ein Unterlassen handelt es sich in den Fällen des sog gleichheitswidrigen Begünstigungsausschlusses. Bevorzugt das Gesetz eine Vergleichsgruppe und benachteiligt es die andere Vergleichsgruppe, indem es nur diese belastet (zB besteuert) oder indem es dieser eine Begünstigung (zB eine Subvention oder BAföG-Leistungen) vorenthält, so liegt ein aktives „Tun“ des Gesetzgebers vor. Der gleichheitswidrige Begünstigungsausschluss kann gesetzestechnisch ausdrücklich oder konkludent erfolgen oder aus dem Nebeneinander zweier Regelungssysteme folgen.
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Ehlers in: ders, EuGR § 14 Rn 33 f. Dazu etwa Streinz in: ders, EUV/EGV, Art 51 GRCh Rn 8. AA insoweit wohl BVerfGE 118, 79, 97. BVerfGE 56, 54, 70; Pieroth in Jarass/Pieroth, GG, Art 93 Rn 50a.
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Beispiele: Angenommen C sei der Oberbegriff für A und B, so liegt ein ausdrücklicher Begünstigungsausschluss vor, wenn § 1 Gruppe C eine Begünstigung gewährt und § 2 Gruppe B ausdrücklich davon ausnimmt. Ein konkludenter Begünstigungsausschluss liegt vor, wenn es nur eine Norm (§ 1) gibt, die die Begünstigung nur A gewährt, und B gar nicht erwähnt wird, sondern sich die Ausgrenzung dieser Gruppe aus einer Nichtregelung ergibt. Ungleichbehandlungen können sich auch daraus ergeben, dass zwei unterschiedliche Normen nebeneinander stehen: § 1 sieht für A eine Leistung in Höhe von 200 € und § 2 sieht für B eine Leistung in Höhe von 100 € vor. Abzustellen ist in keinem Fall auf ein „Unterlassen“ der Belastung der anderen Gruppe oder der Begünstigung der Gruppe, der der Kläger angehört.76 Vielmehr liegt ein (ungleich behandelndes) Gesetz und damit ein tauglicher Prüfungsgegenstand auch im Falle des konkludenten Begünstigungsausschlusses vor.77 3. Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes
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Das Ausgangsgericht muss die Norm, die es vorlegen will, für verfassungswidrig halten. Bloße verfassungsrechtliche Zweifel reichen – anders als bei der abstrakten Normenkontrolle, Art 93 I Nr 2 GG, und anders auch als beim Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH nach Art 234 Ia, b, II, III EGV (267 Ia, b, II, III AEUV-E) 78 – nicht aus.79 Ist eine verfassungskonforme Auslegung möglich, weil eine Norm mehrere Auslegungsmöglichkeiten zulässt, von denen eine verfassungskonform ist, so ist die Richtervorlage unzulässig. 4. Entscheidungserheblichkeit
a) Grundlagen 59
Gem Art 100 I 1 GG muss es auf die „Gültigkeit“ des Gesetzes bei der Entscheidung des Ausgangsgerichts ankommen, dh die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes muss entscheidungserheblich sein. Dies ist dann der Fall, wenn die Klärung der verfassungsrechtlichen Frage zur abschließenden Klärung des konkreten Falles unerlässlich ist und die Entscheidung des Ausgangsgerichts bei Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes anders ausfällt als bei seiner Verfassungswidrigkeit.80 Mit der Entscheidung in diesem Sinne ist grundsätzlich der Tenor (dh der Entscheidungssatz, zB: „Die Klage wird abgewiesen“) gemeint. Allerdings kann es auf die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes auch dann ankommen, wenn der Tenor in beiden Fällen gleich ausfällt. So ist etwa die Abweisung einer Klage wegen Unzulässigkeit eine andere Entscheidung als die Abweisung der Klage wegen Unbegründetheit 81; eine andere Entscheidung liegt auch dann vor, wenn in einem Fall die Klage wegen Nichtbestehens des Anspruchs, im anderen Fall wegen
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Näher Wernsmann (Fn 5), S 106 ff mwN. Vgl auch BVerfGE 93, 386, 396. Dazu etwa Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, Art 234 EGV Rn 35. Erichsen Jura 1982, 88, 91 mwN. Vgl Erichsen Jura 1982, 88, 92. BVerfGE 19, 330, 336; 35, 65, 72.
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Erlöschens des Anspruchs infolge Aufrechnung abgewiesen wird.82 Grundsätzlich kommt es für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit auf die Einschätzung des vorlegenden Gerichts an; das BVerfG fühlt sich an diese Beurteilung erst dann nicht mehr gebunden, wenn diese „offensichtlich unhaltbar“ ist 83 (was es aber wiederum nicht selten annimmt 84). Das Fachgericht darf nach allgemeinen Regeln nur Beweis erheben, wenn es auf das Vorliegen der streitigen Tatsache ankommt; die Tatsache muss also ebenfalls beweisbedürftig (dh „entscheidungserheblich“) sein. Das Gericht muss jedoch nach dem Grundgedanken der Subsidiarität der Verfassungsgerichtsbarkeit, bevor es dem BVerfG eine Norm vorlegt, eine Beweisaufnahme durchführen. Erst wenn sich danach herausstellt, dass es auf die Verfassungsmäßigkeit der Norm ankommt, kann das Gericht vorlegen. Eine Vorlage ist unzulässig, wenn sich das Gericht lediglich eine Beweisaufnahme ersparen will.85 Eine Ausnahme hat das BVerfG nur in einem Fall von allgemeiner und grundsätzlicher Bedeutung für das Gemeinwohl und besonderer Dringlichkeit zugelassen.86
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b) Verhältnis zu anderen Vorlageverfahren Steht bereits fest, dass eine (deutsche) Rechtsnorm wegen entgegenstehenden europäischen Gemeinschaftsrechts unanwendbar ist, so kommt es auf die Frage ihrer Verfassungsmäßigkeit im Ausgangsrechtsstreit nicht mehr an.87 Die Entscheidung fällt bei Verfassungswidrigkeit der Norm nicht anders aus als bei Verfassungsmäßigkeit, weil sie schon aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen außer Anwendung bleibt. Hält das Fachgericht eine Norm sowohl für verfassungs- als auch für gemeinschaftsrechtswidrig, so hat es die Wahl, ob es zunächst dem BVerfG oder dem EuGH vorlegt.88 Die Vorlage an das BVerfG kann nicht mit der Begründung für unzulässig erklärt werden, dass die Notwendigkeit einer Entscheidung des BVerfG für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens nicht feststehe, weil eine Vorlage an den EuGH in Betracht komme, aufgrund derer die Norm wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit außer Anwendung gelassen werden müsse. Denn umgekehrt müsste sonst auch der EuGH im Vorabentscheidungsverfahren, das gem Art 234 I EGV (267 I AEUV-E) ebenfalls die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage voraussetzt, darauf verweisen, dass die Entscheidungserheblichkeit im Vorabentscheidungsverfahren nach Art 234 I EGV (267 I AEUV-E) fehle, solange nicht feststehe, ob die Norm innerstaatlich gültig sei.
82 Erichsen Jura 1982, 88, 93. 83 BVerfGE 20, 312, 316; 105, 61, 67; st Rspr. Kritisch zu dieser Einschränkung Löwer in: Isensee/ Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 94, nach dessen Auffassung es stets auf die Sichtweise des vorlegenden Gerichts ankommt, da dieses die Entscheidung des BVerfG zur Entscheidung seines Falles benötige. 84 Kritisch dazu Wieland in: Dreier, Bd 3, GG, Art 100 Rn 19. 85 BVerfGE 11, 330, 335; 63, 1, 22. Anders sieht das der EuGH im Vorabentscheidungsverfahren → § 11 Rn 25. 86 BVerfGE 47, 146, 152 ff – Genehmigung eines Atomkraftwerks. 87 BVerfGE 85, 191, 203 ff; 106, 275, 295; 116, 202, 214 f; vgl auch BVerfGE 110, 141, 155 f für die Verfassungsbeschwerde. 88 BVerfGE 116, 202, 214 f; Hillgruber in: Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 638. Offen gelassen noch von BVerfGE 106, 275, 295. → Rn 12 ff.
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4. Teil: Rechtsschutz im Verfassungsrecht
c) Vorlage in gerichtlichen Eilverfahren 62
Vorläufigen Rechtsschutz können die Fachgerichte – ohne Einschaltung des BVerfG – mit der Begründung gewähren, dass das jeweilige Gesetz verfassungswidrig ist.89 Sofern die Hauptsache im Eilverfahren nicht vorweggenommen wird 90, kommt es auf die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes „endgültig“ 91 erst im Hauptsacheverfahren an; erst dann ist nach Art 100 I GG das Gesetz vorzulegen. Damit wird auch dem aus Art 19 IV GG folgenden Gebot effektiven Rechtsschutzes entsprochen, weil das Fachgericht in angemessener Zeit das Eilverfahren abschließen kann. Zudem bleibt die Autorität des Gesetzgebers durch die Pflicht zu späterer Vorlage geschützt.
d) Prognose der Fortgeltung einer verfassungswidrigen Norm 63
Das BVerfG verzichtet häufig in besonders haushaltswirksamen Rechtsgebieten (vor allem in massenwirksamen Bereichen des Steuer- und Sozialrechts) abweichend von §§ 78, 82 I BVerfGG auf die Nichtigerklärung der verfassungswidrigen Norm und ordnet an, dass verfassungswidriges Recht für eine Übergangszeit weiter fortgilt und erst ab einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft durch eine verfassungskonforme Neuregelung ersetzt werden muss.92 Ist schon vorab erkennbar, dass das BVerfG in diesem Sinne im Falle der Verfassungswidrigkeit der Norm gleichwohl ihre vorübergehende weitere Anwendung anordnen wird, so ändert sich am Ausgang des Verfahrens vor dem Fachgericht nichts, und zwar unabhängig davon, ob die Norm verfassungswidrig ist oder nicht. Gleichwohl entfällt die Entscheidungserheblichkeit in diesen Fällen nicht.93 Im Rahmen der Zulässigkeit der Richtervorlage ist also keine Prognose über die Tenorierung des BVerfG bei etwaiger Verfassungswidrigkeit der Norm anzustellen.
e) Gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss 64
In den Fällen des gleichheitswidrigen Begünstigungsausschlusses (→ Rn 55 f) ist bei Verfassungsmäßigkeit der Norm die Klage des Benachteiligten abzuweisen. Ist die Norm hingegen verfassungswidrig, so erklärt das BVerfG sie regelmäßig nicht für nichtig, sondern stellt bloß die Unvereinbarkeit mit dem GG fest. Die regelmäßige Rechtsfolge ist dann, dass der Gesetzgeber handeln und grds auch für die Vergangenheit eine gleichheitskonforme Neuregelung treffen muss (→ Rn 76 ff). In diesem Fall bleibt das Verfahren vor
89 BVerfGE 86, 382, 389. AA Erichsen Jura 1982, 88, 95 f. 90 Vgl BVerfGE 46, 43, 51; 63, 131, 141; 86, 382, 389. 91 Klein in: Benda/Klein, VerfPrR, Rn 834 spricht davon, dass „derzeit“ die Entscheidungserheblichkeit fehle. 92 Eine explizite Rechtsgrundlage für dieses Vorgehen gibt es nicht; es kann aber unter bestimmten Voraussetzungen gerechtfertigt werden, vgl Wernsmann (Fn 5), S 52 ff. – Der EG-Vertrag ermöglicht dem EuGH ein derartiges Vorgehen bei primärrechtswidrigen EG-Verordnungen ausdrücklich, vgl Art 231 II EGV (264 II AEUV-E). Auf gemeinschaftsrechtswidriges nationales Recht wendet der EuGH diese Norm indes nicht zugunsten der Mitgliedstaaten analog an; vgl dazu Ehlers/Eggert JZ 2008, 585, 587 f → § 11 Rn 43 ff. 93 BVerfGE 72, 51, 62; 87, 153, 180; 93, 121, 131; 117, 1, 28; BVerfG v 17.4.2008, 2 BvL 4/05, Rn 31, www.bverfg.de; Wernsmann (Fn 5), S 260 ff; anders BVerfGE 66, 100, 105; abweichend auch BVerfGE 79, 245, 250 für den Fall, dass eine untergesetzliche Norm, die auf einer verfassungswidrigen Ermächtigungsgrundlage beruht, weiter anzuwenden sei.
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dem Fachgericht ausgesetzt, bis der Gesetzgeber eine Neuregelung getroffen hat. Auch das ist eine andere Entscheidung als die Klageabweisung,94 so dass es auf die Verfassungsmäßigkeit der ungleich behandelnden Norm ankommt. Die ältere Rechtsprechung nahm – ausgehend von der Prämisse, dass auch ein gleichheitswidrig begünstigendes Gesetz „nichtig“ sei – an, dass es auf die Verfassungsmäßigkeit der drittbegünstigenden Norm in diesen Fällen nicht ankomme, da ja auch bei Verfassungswidrigkeit – und der daraus gefolgerten Nichtigkeit der Norm – der Ausgeschlossene nicht in den Genuss der Begünstigung komme, weil bei Nichtigerklärung der Norm „die Anspruchsgrundlage entfiele“.95 (Im Beispiel unter Rn 56 würde bei dieser Sichtweise im Falle des konkludenten Begünstigungsausschlusses die Begünstigung des A für nichtig erklärt, so dass auch B nach Nichtigerklärung nicht besser stünde als bei Bestätigung der Norm.) Diese ältere Rechtsprechung, die die Entscheidungserheblichkeit in Fällen gleichheitswidriger Begünstigungsausschlüsse zu eng fasste, ist überholt.96 Eine gleichheitskonforme Lösung kann nämlich darin bestehen, dass die benachteiligte Gruppe N nunmehr ebenso wie die bevorzugte Gruppe V behandelt wird; denkbar ist zwar auch, dass V wie N behandelt wird oder beide auf eine dritte Weise (sog Ergebnisoffenheit des Gleichheitssatzes 97). Aber jedenfalls eröffnet die Feststellung der Verfassungswidrigkeit durch das BVerfG der benachteiligten Gruppe im Regelfall die Chance, eine für sie günstigere Regelung durch den Gesetzgeber zu erreichen.98 Auch hier sind im Rahmen der Entscheidungserheblichkeit (wie oben → Rn 63) keine hypothetischen Erwägungen darüber anzustellen, ob das BVerfG nur die Unvereinbarkeit der Norm feststellen oder die drittbevorzugende Norm sogar für nichtig erklären wird.99 Die Entscheidungserheblichkeit iSd Art 100 I GG (als Sachentscheidungsvoraussetzung) hängt nicht von einer Prognose über den zu erwartenden Rechtsfolgenausspruch ab. Ob der Kläger des Ausgangsverfahrens tatsächlich „politisch“ eine Chance auf Einbeziehung in eine drittbegünstigende Regelung hat, hängt von Mutmaßungen zum hypothetischen Willen des Gesetzgebers ab, die nicht die Rechtsprechung anzustellen hat.100 Das BVerfG will die Entscheidungserheblichkeit jedoch dann verneinen, wenn der Gesetzgeber „aus Rechtsgründen oder aus offenkundigen tatsächlichen Gründen“ gehindert ist, eine für den Kläger des Ausgangsverfahrens günstige Regelung zu schaffen.101 Mit der Bezugnahme auf „offenkundige tatsächliche Gründe“ stellt das BVerfG dann doch wieder auf die Chance zur Verbesserung der eigenen Rechtslage ab und verbannt lediglich die gröbsten Spekulationen aus der Prüfung der Entscheidungserheblichkeit; zudem berücksichtigt diese Rückausnahme für den Bereich des Eingriffsrechts nicht, dass auch die eigene Belastung, die einen Eingriff in Freiheitsrechte (zumindest Art 2 I GG) darstellt, gleichheitswidrig ist, solange Dritte gleichheitswidrig bevorzugt werden – unabhängig von der Frage, ob eine
94 BVerfGE 93, 386, 394 mwN. 95 BVerfGE 8, 28, 32 f, 35 f; 9, 250, 254 f; 14, 308, 311 f; 15, 121, 125 f; zustimmend noch Erichsen Jura 1982, 88, 92 und 94 mit Fn 77. 96 Vgl Wernsmann (Fn 5), S 240 ff mwN. 97 BVerfGE 22, 349, 361 f; Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 92; Osterloh in: Sachs, GG, Art 3 Rn 42. Vgl auch Pieroth/Schlink Grundrechte, 23. Aufl 2007, Rn 479. 98 BVerfGE 93, 386, 395 mwN; st Rspr. 99 AA BVerfGE 74, 182, 195 f; 84, 233, 237 f; 98, 70, 81 f; Klein in: Benda/Klein, VerfPrR, Rn 857. 100 BVerfG v 17.4.2008, 2 BvL 4/05, Rn 32, www.bverfg.de. 101 BVerfG v 17.4.2008, 2 BvL 4/05, Rn 32, www.bverfg.de.
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Chance auf Einbeziehung in deren Vergünstigung besteht.102 Eine verfassungswidrige Belastung muss aber jedenfalls abgewehrt werden können. 67
Lösung Fall 5: (1) § 55 V 6 BBG aF müsste tauglicher Vorlagegegenstand sein. Es handelt sich um Gesetz, das eine bestimmte Gruppe begünstigt und eine andere nicht. Solche gleichheitswidrige Begünstigungsausschlüsse sind nicht etwa – im Hinblick auf die nicht berücksichtigte Gruppe – als ein nicht vorlagefähiges Unterlassen des Gesetzgebers anzusehen, sondern als – möglicherweise gleichheitswidriges – Tun. § 55 V 6 BBG aF ist damit ein vorlagefähiges Gesetz iSd Art 100 I GG. (2) Die Vereinbarkeit des § 55 V 6 BBG aF mit Art 3 I GG müsste auch entscheidungserheblich sein. Das ist dann der Fall, wenn das Gericht im Ausgangsverfahren bei Verfassungsmäßigkeit der Norm eine andere Entscheidung zu treffen hätte als bei Verfassungswidrigkeit. Im Falle der Verfassungsmäßigkeit der Norm ist die Klage im Ausgangsverfahren abzuweisen, im Falle der Verfassungswidrigkeit hat der Gesetzgeber eine gleichheitssatzkonforme Neuregelung zu treffen. Bis zur Neuregelung des Gesetzgebers, die entweder den Kläger des Ausgangsverfahrens mit der bisher begünstigten Gruppe gleichstellt oder die Begünstigung auch für die bisher privilegierte Gruppe abschafft oder beide auf eine dritte Weise behandelt, hat das Gericht das Ausgangsverfahren weiter auszusetzen, was ebenfalls zu einer anderen Entscheidung führt als im Falle der Verfassungsmäßigkeit der Norm. Es kommt daher im Ausgangsverfahren auf die Verfassungsmäßigkeit des § 55 V 6 BBG aF an.
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Fall 6: Wie wäre Fall 5 zu beurteilen, wenn die Verwaltung den Soldaten S fälschlich als Beamten angesehen hätte, S jetzt auf den ihm nach dem Gesetz zustehenden Zuschlag für Soldaten klagt, aber das zuständige VG die Norm für verfassungswidrig hält, weil diese Soldaten ohne rechtfertigenden Grund gegenüber Beamten bevorzuge?
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Es gibt Entscheidungen des BVerfG, die Vorlagen mangels Entscheidungserheblichkeit für unzulässig halten, wenn der Richter in einem Rechtsstreit „lediglich“ beanstandet, dass der Gesetzgeber eine am Verfahren nicht beteiligte Personengruppe zu Unrecht bei der Gewährung einer Leistung außer Acht gelassen habe.103 Diese Rechtsprechung überzeugt nicht. Bei der konkreten Normenkontrolle handelt es sich um ein objektives Zwischenverfahren, nicht um einen subjektiv-rechtlichen Rechtsbehelf zur Durchsetzung eigener Grundrechte.104 Auch wenn der Kläger des Ausgangsverfahrens also nach Meinung des Fachgerichts gleichheitswidrig begünstigt wird, kommt es auf die Vereinbarkeit der Norm mit dem Gleichheitssatz an. Hier gilt nichts anderes, als wenn der Benachteiligte versucht, die ihm gleichheitswidrig vorenthaltene Begünstigung einzuklagen. Stets muss der Richter über seinen eigenen Prozess hinausdenken, indem er bei der Prüfung von möglichen Gleichheitsverstößen auch einbeziehen muss, wie das Gesetz Vergleichsgruppen behandelt.105
102 Näher Wernsmann (Fn 5), S 270 ff mwN auch der Gegenauffassung. 103 So BVerfGE 66, 100, 105 ff; 67, 239, 243 f. Vgl auch BVerfGE 66, 226, 231 f; 80, 68, 71. Implizit anders – ohne ausdrückliche Aufgabe der genannten Rechtsprechung – aber BVerfGE 99, 280, 288 f iVm 298 ff. 104 Zutreffend Aretz JZ 1984, 918, 921 f; Klein in: Benda/Klein, VerfPrR, Rn 859; Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 93; Sachs DVBl 1985, 1106, 1107, 1111; ausführlich Wernsmann (Fn 5), S 273 ff. Krit auch Sieckmann in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 100 Rn 53. 105 So auch Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 150.
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Lösung Fall 6: Fraglich ist, ob es auf die Vereinbarkeit der den Kläger des Ausgangsverfahrens begünstigenden Norm mit dem Gleichheitssatz (Art 3 I GG) ankommt („Entscheidungserheblichkeit“). Dies ist dann der Fall, wenn das Gericht im Ausgangsverfahren bei Verfassungsmäßigkeit der Norm eine andere Entscheidung zu treffen hätte als bei Verfassungswidrigkeit. Bei Verfassungsmäßigkeit der Norm wäre der Klage des S stattzugeben; bei Verfassungswidrigkeit der Norm wäre das Verfahren auszusetzen, bis der Gesetzgeber eine gleichheitskonforme Neuregelung getroffen hat. Auch das ist eine andere Entscheidung als die Stattgabe der Klage bei Verfassungsmäßigkeit der Norm. Dass S möglicherweise aus Vertrauensschutzgründen für die Vergangenheit die Begünstigung zu belassen ist und dass deshalb das BVerfG möglicherweise bei Annahme der Verfassungswidrigkeit die weitere übergangsweise Fortgeltung der begünstigenden Norm anordnen könnte, steht der Entscheidungserheblichkeit jedenfalls nicht entgegen. Die Frage der Vereinbarkeit der Norm mit Art 3 I GG ist daher entscheidungserheblich.
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5. Begründungserfordernisse (§ 80 II BVerfGG) § 80 II BVerfGG fordert schließlich – die verfassungsrechtliche Regelung der konkreten Normenkontrolle nach Art 100 I GG ausgestaltend –, dass das vorlegende Gericht sowohl die Entscheidungserheblichkeit als auch die Verfassungswidrigkeit der Norm eingehend begründet.106 Dies umfasst auch die sorgfältige Darlegung, warum eine verfassungskonforme Auslegung der Norm nicht möglich ist.
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6. Kein Verfahrenshindernis Schließlich ist – aber nur, wenn der Fall dazu Anlass bietet – zu prüfen, ob der Vorlage ein Verfahrenshindernis entgegensteht. Hat das BVerfG die fragliche Norm bereits einmal auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft und sie für verfassungsgemäß erachtet, so könnte einer erneuten Vorlage § 31 I, II 1 BVerfGG entgegenstehen. Danach binden Entscheidungen des BVerfG alle Gerichte und Behörden des Bundes und der Länder, und ihnen kommt Gesetzeskraft zu. Die erneute Vorlage einer bereits früher auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüften Norm ist nicht ausgeschlossen, wenn das vorlegende Gericht von der früheren Entscheidung des BVerfG ausgeht und nach dieser Entscheidung tatsächliche oder rechtliche Veränderungen eingetreten sind, die deren Grundlage berühren und ihre Überprüfung nahe legen. Auch das hat das Gericht im Einzelnen darzulegen.107
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III. Begründetheit der konkreten Normenkontrolle Die Vorlage ist begründet 108, wenn die zur Prüfung gestellte Norm tatsächlich gegen das Grundgesetz (Art 100 I 1 Alt 2 bzw I 2 Alt 1 GG) oder – in den Fällen des Art 100 I 1 Alt 1,
106 Vgl BVerfGE 79, 240, 243 f. Zust Sturm in: Sachs, GG, Art 100 Rn 6. Kritisch Wieland in: Dreier, Bd 3, GG, Art 100 Rn 20, der die Gefahr einer Überspannung der Anforderungen sieht. 107 BVerfGE 70, 242, 249; 78, 38, 48; 87, 341, 346; 94, 315, 323; Schoch VerfR, 313 f. 108 Das BVerfG vermeidet häufig bei Richtervorlagen den Begriff der Begründetheit und stellt eingangs des Begründetheitsteils schlicht fest, dass die Norm gegen den einschlägigen Prüfungs-
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I 2 Alt 2 GG (wenn Prüfungsgegenstand ein Landesgesetz ist) – gegen die Landesverfassung oder gegen Bundesrecht 109 verstößt. Ist die Vorlage zulässig, so ist das BVerfG bei seiner verfassungsrechtlichen Prüfung nicht auf die vom vorlegenden Gericht herangezogene Maßstabsnorm beschränkt. Die vorgelegte Norm ist vielmehr in allen ihren Rechtswirkungen und unter allen denkbaren Gesichtspunkten Gegenstand des Verfahrens.110 Alle Verfassungsbestimmungen (nicht nur die subjektive Rechte vermittelnden) sind Prüfungsmaßstab. Das BVerfG kann – soweit dies nach den anerkannten Auslegungsmethoden möglich ist – die Norm auch selbst verfassungskonform auslegen. Hinweis für die Falllösung: Zu beachten ist, dass das Landesverfassungsrecht kein Prüfungsmaßstab für das BVerfG ist. Falsch ist es deshalb, bei der Überprüfung eines Landesgesetzes durch das BVerfG in der Falllösung zu schreiben: „Mängel im Gesetzgebungsverfahren sind nicht ersichtlich.“ Denn das Gesetzgebungsverfahren richtet sich bei Landesgesetzen nach der jeweiligen Landesverfassung, die aber kein tauglicher Prüfungsmaßstab für das BVerfG ist, wie aus Art 100 I GG deutlich wird.
IV. Entscheidung durch das BVerfG 76
Kommt das BVerfG im Verfahren der konkreten Normenkontrolle zu der Überzeugung, dass die vorgelegte Norm verfassungswidrig (bzw bundesrechtswidrig) ist, so erklärt es sie gem §§ 82 I, 78 S 1 BVerfGG grundsätzlich für nichtig. Die Entscheidung hat nach § 31 II 1 BVerfGG iVm § 13 Nr 11 BVerfGG Gesetzeskraft und wirkt damit – über den Anlassfall hinaus – erga omnes und nicht nur inter partes 111, dh nicht nur zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens. Auch wenn die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes in dem Ausgangsverfahren nur Vorfrage für die Entscheidung des konkreten Rechtsstreits war, so ist die Nichtigerklärung allgemein verbindlich. Ob aus der Bindungswirkung (§ 31 I BVerfGG) auch ein Normwiederholungsverbot für den Gesetzgeber folgt, wenn das BVerfG eine Norm für nichtig erklärt hat, ist – auch zwischen den beiden Senaten des BVerfG – umstritten.112 Richtigerweise wird man auch hier 113, um einer Versteinerung sowohl der Rechtsordnung als auch der Rechtsprechung entgegenzuwirken, davon ausgehen müssen, dass bei Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse die Wiederholung einer früher einmal für verfassungswidrig erklärten Norm durch den Gesetzgeber jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen ist.
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maßstab verstößt oder nicht verstößt; vgl zB BVerfGE 93, 386, 396. Es spricht aber nichts gegen eine Verwendung des Begriffs „Begründetheit“; ebenso BVerfGE 38, 348, 357; Erichsen Jura 1982, 88, 93 mit Fn 66; Pestalozza VerfPrR, § 13 Rn 26. Ist Prüfungsgegenstand ein (formelles nachkonstitutionelles) Landesgesetz, so ist Prüfungsmaßstab das gesamte Bundesrecht (also auch Rechtsverordnungen); der Begriff des „Bundesgesetzes“ iSd Art 100 I 2 Alt 2 GG ist weit zu verstehen; BVerfGE 1, 283, 292; Erichsen Jura 1982, 88, 94. BVerfGE 3, 187, 197; 67, 1, 11; 93, 121, 133. Vgl Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 482. Bejahend der Zweite Senat, BVerfGE 1, 14, 37 und Leitsatz 5; 69, 112, 115; verneinend der Erste Senat, BVerfGE 77, 84, 103 f. Ausführlich dazu Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 483 f. Zum umgekehrten Fall, dass eine für verfassungskonform erklärte Norm später nochmals dem BVerfG zur Überprüfung vorgelegt werden soll, siehe bereits → Rn 72.
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Die Nichtigerklärung eines Gesetzes hilft dem Kläger im Ausgangsverfahren in den Fällen des gleichheitswidrigen Begünstigungsausschlusses indes nicht weiter. Klagt in Fall 5 ein Beamter vor dem VG unter Berufung auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 I GG) darauf, ebenfalls die Zulage zu erhalten, und legt das VG dem BVerfG die entsprechende Norm nach Art 100 I GG vor, so wäre dem Beamten (also dem von der Begünstigung Ausgeschlossenen) mit einer Nichtigerklärung nicht gedient, weil dann zwar die Soldaten die Zulage nicht mehr bekommen könnten, Beamte aber auch nicht. In diesen Fällen erklärt das BVerfG das gleichheitswidrig Dritte begünstigende Gesetz nicht für nichtig, sondern stellt lediglich die Unvereinbarkeit des Gesetzes mit dem Grundgesetz fest.114 In der Regel bleiben die Ausgangsverfahren dann ausgesetzt, bis der Gesetzgeber eine gleichheitskonforme Neuregelung getroffen hat (→ Rn 64 ff). Diese Tenorierungspraxis hat der Gesetzgeber im Jahr 1970 nachträglich legitimiert; §§ 31 II 2 und 3, 79 I BVerfGG setzen diese Tenorierungsform voraus. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass der Gleichheitssatz von seiner Rechtsfolge her „ergebnisoffen“ ist. Im Beispielsfall können gleichheitsgerecht die Beamten die gleiche Zulage erhalten, wie sie die Soldaten bisher schon erhielten; umgekehrt kann die Zulage auch für die Soldaten gestrichen werden mit der Folge, dass sie nun niemand mehr bekommt, oder sowohl die Soldaten als auch die Beamten bekommen eine Zulage, aber auf einem niedrigeren Niveau. Vor dem Gleichheitssatz sind alle Alternativen gleichermaßen zulässig, weil er relativer Natur ist 115, dh Rechtsverstöße nur aus der abweichenden Behandlung Dritter folgen. Absolute Grenzen können nur aus anderen Bestimmungen folgen, im Beispielsfall etwa aus Art 33 V GG mit dem Gebot amtsangemessener Alimentation. Soweit es um gleichheitswidrige Belastungen geht (Bsp: jemand wird aufgrund eines gleichheitswidrig ausgestalteten Steuergesetzes besteuert), kann das Rechtsschutzziel des Klägers im Ausgangsverfahren – anders als in den Fällen des gleichheitswidrigen Begünstigungsausschlusses – auch durch eine Nichtigerklärung nach §§ 82 I, 78 S 1 BVerfGG erreicht werden; die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bleibt gewahrt, da er die nichtige Regelung durch eine verfassungskonforme ersetzen kann. Daher bleibt es richtiger Ansicht nach in diesen Fällen beim Regelfall der Nichtigerklärung.116 Bestandskräftige Verwaltungsakte und rechtskräftige Entscheidungen bleiben von der Normverwerfung durch das BVerfG grundsätzlich unberührt, §§ 82 I, 79 II BVerfGG.117 Die Nichtig- bzw Unvereinbarerklärung eines Gesetzes bildet jedoch im Strafverfahren einen Wiederaufnahmegrund, §§ 82 I, 79 I BVerfGG. Mittlerweile kann auch die (mit drei Richtern des BVerfG besetzte) Kammer (§ 15a BVerfGG) einstimmig die Unzulässigkeit einer Richtervorlage feststellen (§ 81a S 1 BVerfGG). Die Entscheidung bleibt jedoch dem (mit acht Richtern besetzten) Senat vorbehalten, wenn die Vorlage von einem Landesverfassungsgericht oder einem obersten Gerichtshof des Bundes stammt (§ 81a S 2 BVerfGG). 114 Diese Tenorierungsform beruht in Wahrheit darauf, Rechtsschutz gegen gleichheitswidrige Begünstigungen zu ermöglichen, nicht in erster Linie auf der Rücksichtnahme auf die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, die aber immer wieder als Begründung für diese Tenorierungsform herangezogen wird; näher Wernsmann (Fn 5), S 92 ff, 95 ff. 115 Maurer in: FS Weber, 1974, S 345, 354; Ipsen, Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit von Norm und Einzelakt, 1980, S 213 f; Wernsmann (Fn 5), S 134 f. 116 Näher Wernsmann (Fn 5), S 118 ff, 123 ff mwN. Das BVerfG folgt insoweit keiner klaren Linie. Einerseits zB BVerfGE 75, S 166, 182 f – Unvereinbarerklärung einer gleichheitswidrig belastenden Norm, andererseits zB BVerfGE 9, 291, 302; 65, 325, 357 – Nichtigerklärung einer solchen. 117 Näher dazu Steiner in: FS Leisner, 1999, S 569 ff; Wernsmann (Fn 5), S 20 ff mwN.
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V. Aufbauschema 82
In universitären Übungsarbeiten spielt die Entscheidung der Kammer in aller Regel keine Rolle. Lautet die Fallfrage: „Wie wird das BVerfG entscheiden?“, so sind die Zulässigkeits- und Begründetheitsvoraussetzungen zu prüfen und abschließend der zu erwartende Entscheidungsausspruch zu nennen. Lautet die Fallfrage: „Hat der Antrag Erfolg?“, so ist nur auf Zulässigkeit und Begründetheit einzugehen. I. Zulässigkeit 1. Vorlageberechtigung: Gericht (Art 100 I GG) 2. Möglicher Vorlagegegenstand: (Formelles, nachkonstitutionelles) Gesetz (Art 100 I GG) 3. Entscheidungserheblichkeit der Verfassungsmäßigkeit der Norm im Ausgangsverfahren (Art 100 I GG) 4. Überzeugung des Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der Norm (Art 100 I GG) 5. Begründungserfordernisse (§ 80 II BVerfGG) (auch Ausschluss der Möglichkeit verfassungskonformer Auslegung, die auch das Fachgericht selbst vornehmen könnte) II. Begründetheit 1. In der Alternative des Art 100 I 1 Alt 2 sowie I 2 Alt 1 GG: Vorlage ist begründet, wenn die vorgelegte Norm gegen eine Norm des GG verstößt. Beachte bei Zugrundelegung der üblichen Schemata (formelle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, materielle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes usw: Gesetzgebungsverfahren von Landesgesetzen darf BVerfG wegen begrenzten Prüfungsmaßstabs nicht prüfen, da Prüfungsmaßstab insoweit Landesverfassungsrecht betrifft!) 2. In der Alternative des Art 100 I 2 Alt 2 GG: Vorlage ist begründet, wenn das Landesgesetz (oder die Landesverfassung) gegen Bundesrecht verstößt. 3. In der Alternative des Art 100 I 1 Alt 1 GG (Vorlage an das LVerfG): Vorlage ist begründet, wenn das vorgelegte Landesgesetz gegen die Landesverfassung verstößt. III. Entscheidungsausspruch (nur bei entsprechender Fallfrage mitzubehandeln) 1. Regelfall: Nichtigerklärung, §§ 78, 82 BVerfGG. 2. Ausnahmen insb bei gleichheitswidrigen Begünstigungsausschlüssen beachten: idR nur Unvereinbarerklärung. Kommt der Bearbeiter im Rahmen der Beurteilung der Erfolgsaussichten einer verwaltungsgerichtlichen Klage zu dem Ergebnis, das ein entscheidungserhebliches Gesetz verfassungswidrig ist, so ist die Klage nicht als begründet zu bezeichnen, sondern auf die Pflicht zur Vorlage an das BVerfG gem Art 100 I GG hinzuweisen.
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§ 17 Organstreitverfahren Dirk Ehlers I. Funktion und Bedeutung des bundesverfassungsgerichtlichen Organstreitverfahrens Juristische Personen untergliedern sich in der Regel in mehrere Organe, die dazu berufen sind, nach innen und/oder nach außen die Aufgaben des Rechtsträgers wahrzunehmen. Zwischen den Organen kann es zu Streitigkeiten kommen. Das trifft namentlich auf Staatsorgane zu, weil es sich bei Staaten um Großgebilde mit einer besonders vielfältigen Organisationsstruktur handelt, die Zuweisung der Organkompetenzen dem im Gewaltenteilungsprinzip verankerten Grundsatz von „checks and balances“ folgt und es oftmals um die Entscheidung kontroverser Fragestellungen hochpolitischer Art geht. Um in derartigen Fällen einen gerichtlichen Streitentscheid zu ermöglichen, schreibt Art 93 I Nr 1 GG vor, dass das BVerfG über die Auslegung des GG aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter entscheidet, die durch das GG oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Mit dieser Bestimmung geht das GG über Vorläuferbestimmungen und Regelungen in anderen Staaten, die ein Organstreitverfahren zulassen, hinaus.1 Es handelt sich bei dem in Art 93 I Nr 1 GG normierten, gemeinhin als Organstreit bezeichneten Verfahren um eine verfassungsgerichtliche Innenrechtsstreitigkeit kontradiktorischer Art zwischen einem Antragsteller (Ast) und einem Antragsgegner (Ag). Nach Art 93 I Nr 1 GG geht es nicht unmittelbar um die Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Parteien, sondern um die „Auslegung“ des GG „aus Anlass von Streitigkeiten“. Gleichwohl schreibt § 67 S 1 BVerfGG vor, dass das BVerfG darüber befindet, ob die „beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners“ gegen eine Bestimmung des GG verstößt. Die vorgelagerte Auslegungsfrage kann, muss aber nicht mit entschieden werden (§ 67 S 3 BVerfGG). Das BVerfG hält das Hinausgehen über Art 93 I Nr 1 GG für gerechtfertigt, weil die Grundgesetzbestimmung weder klar noch abschließend sei und eine Ausweitung des Prüfprogramms jedenfalls von Art 93 III GG gedeckt werde.2 Zahlenmäßig bleiben die Organstreitigkeiten weit hinter den Verfassungsbeschwerden (Art 93 I Nr 4a und 4 b GG) und auch deutlich hinter den abstrakten und konkreten Normenkontrollverfahren (Art 93 I Nr 2, 100 I GG) zurück.3 Doch hat das BVerfG im Organstreitverfahren gewichtige Entscheidungen (zB über die Höhe der Sperrklausel bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl 4 und zur Zulässigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr 5) getroffen. Für Streitigkeiten über Rechte und Pflichten der obersten Landesorgane sehen die Landesverfassungen oder Verfassungsgerichtsgesetze der Länder in weitgehender Anlehnung an Art 93 I Nr 1 GG den Rechtsweg zu 1 2 3 4 5
Vgl Pietzcker in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd 1, 587. BVerfGE 1, 208, 231 f; 2, 143, 150 ff; Krit Pestalozza VerfPrR, § 7 Rn 5. Vgl die Zahlenangaben in FS 50 Jahre BVerfG, Bd 2, 2001, 938 f. BVerfGE 83, 322. BVerfGE 90, 286.
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4. Teil: Rechtsschutz im Verfassungsrecht
den Landesverfassungsgerichten vor. Über die verfassungsrechtlichen Organstreitigkeiten entscheidet auch in Schleswig-Holstein nicht mehr gem Art 99 GG das BVerfG im Wege der Organleihe, da mit Wirkung zum 1.5.2008 das Schleswig-Holsteinische Landesverfassungsgericht seine Arbeit aufgenommen hat.6 Ferner ist das BVerfG nach Art 93 I Nr 4, 3. Var GG für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten innerhalb eines Landes zuständig, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist (→ § 18 Rn 51 ff). Diese Voraussetzung liegt insbesondere dann vor, wenn die landesrechtliche Antragsbefugnis stärker als nach Art 93 I Nr 1 GG eingegrenzt ist, so dass im konkreten Fall keine Möglichkeit besteht, den Organstreit vor dem Landesverfassungsgericht auszutragen.7 Andererseits lässt Art 93 I Nr 4, 3. Var GG eine Erweiterung des gerichtlichen Rechtsschutzes über die Wahrung eigener Kompetenzen hinaus nicht zu, so dass für die Annahme einer Prozessstandschaft (zB einer Fraktion zur Wahrnehmung der Rechte des Landtags gegen die Landesregierung) anders als nach Bundesrecht 8 kein Raum ist.9
II. Zulässigkeit des Antrags 2
Wie alle anderen Rechtsbehelfe ist auch ein Rechtsschutzantrag nach Art 93 I Nr 1 GG erfolgreich, wenn er zulässig und begründet ist. Die näheren Voraussetzungen ergeben sich teils aus dem GG selbst, teils aus §§ 13 Nr 5, 63 ff BVerfGG. 1. Ordnungsgemäßer Antrag
3
Gemäß § 23 BVerfGG muss der Antrag schriftlich und mit Begründung eingereicht werden. Der Ast hat die Bestimmung des GG zu bezeichnen, gegen die durch die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Ag verstoßen worden sein soll (§ 64 II BVerfGG). 2. Beteiligungsfähigkeit
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Fall 1: Der Bundestag hat ein Gesetz ohne Zustimmung des Bundesrats verabschiedet. Was kann der Bundesrat unternehmen, wenn er das Gesetz für zustimmungspflichtig hält?
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Fall 2: Der A-Partei, die mit 20 Abgeordneten im Bundestag vertreten ist, wird unter Hinweis auf § 10 GO BT der Fraktionsstatus vom Bundestag verweigert. Hat ein Organstreitverfahren der Abgeordneten der A-Partei Aussicht auf Erfolg?
6
Abwandlung Fall 2: Eine Anzahl von Bundestagsabgeordneten unterstützt das Anliegen der A-Partei und führt eine Bundestagsabstimmung herbei, unterliegt jedoch in der Abstimmung. Daraufhin stellen sie einen Antrag nach Art 93 I Nr 1 GG.
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LVerfGG SH vom 10.1.2008, GVOBl SH 2008, S 25. Vgl BVerfGE 93, 195, 202; krit Zierlein AöR 118 (1993) 66, 102. Pestalozza VerfPrR § 7 Rn 32. Vgl BVerfGE 60, 319, 326 f.
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Organstreitverfahren
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Fall 3: Der partei- und fraktionslose Abgeordnete des Bundestags B wird bei der Besetzung der Ausschüsse des Bundestags nicht berücksichtigt. Ist ihm zu einem Organstreitverfahren zu raten?
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Fall 4: Kurz vor der Wahl des Bundestags versendet die Bundesregierung an alle Bürger ein Informationsblatt, in dem sie auf ihre Erfolge in der Legislaturperiode hinweist. Die Oppositionspartei C hält dies für eine unzulässige Wahlwerbung. Wäre ein Antrag nach Art 93 I Nr 1 GG zulässig?
8
a) Oberste Bundesorgane Nach Art 93 I Nr 1 GG steht das Organstreitverfahren zunächst den obersten Bundesorganen zur Verfügung. § 63 BVerfGG nennt ausdrücklich den Bundespräsidenten (Art 54 GG), den Bundestag (Art 38 ff GG), den Bundesrat (Art 50 ff GG) und die Bundesregierung (Art 62 ff GG). Die Zahl der obersten Bundesorgane wird indessen durch diese Aufzählung nicht erschöpft. So wird man jedenfalls die Bundesversammlung (Art 54 GG) und den Gemeinsamen Ausschuss (Art 53a GG) – nicht dagegen die Bundesländer, das Staatsvolk und die einzelnen Staatsbürger 10 – zu den obersten Bundesorganen zu zählen haben. Umstritten ist, ob dasselbe für den Wehrbeauftragen (Art 45b GG), die Bundesbank (Art 88 GG), den Bundesrechnungshof (Art 114 GG) und den Vermittlungsausschuss (Art 77 II GG) gilt.11 Das BVerfG ist zwar oberstes Bundesorgan, kann aber nicht Richter in eigener Sache sein. Da § 63 BVerfGG als einfaches Gesetz nicht Art 93 I Nr 1 GG beschränken, sondern lediglich erweitern kann, muss die Bestimmung verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass über die genannten Parteien hinaus auch die anderen obersten Bundesorgane als Beteiligte in Betracht kommen.12
9
Lösung Fall 1: Da Bundesrat und Bundestag (sowie der gemäß Art 82 I GG für die Ausfertigung und Verkündung der Gesetze zuständige Bundespräsident) oberste Bundesorgane sind, ist für die Austragung des Streits, ob ein Gesetz der Zustimmung des Bundesrats bedarf, das Organstreitverfahren des Art 93 I Nr 1 GG eröffnet.
10
b) Andere Beteiligte Beteiligungsfähig sind nach Art 93 I Nr 1 GG ferner andere Beteiligte, die durch das GG oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Für die Frage, ob ein Beteiligter mit eigenen Rechten ausgestattet ist, kommt es grundsätzlich nicht auf den konkreten Streitfall, sondern auf die abstrakte Betrachtungsweise an (→ Rn 35).13 Eine besondere Gruppe anderer Beteiligter stellen zunächst die in § 63 BVerfGG erwähnten Organteile dar, die im GG, in der GO BT oder GO BR mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Darunter fallen etwa der Bundeskanzler, die Bundesminister 14, die Präsidenten des Bundestags und Bundesrats, die Ausschüsse des Bundes-
10 11 12 13 14
Vgl Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd 3, Art 93 Rn 103. Vgl die Nachw bei Pieroth in: Jarass/Pieroth GG, Art 93 Rn 6 ff. Allg Auffassung. Vgl Erichsen JURA 1990, 670, 671. Siehe zum Problem auch Klein in: Benda/Klein, VerfPrR, Rn 989 ff. Vgl etwa BVerfGE 45, 1, 29; 90, 286, 338.
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§ 17
4. Teil: Rechtsschutz im Verfassungsrecht
tags und Bundesrats, die Fraktionen im Bundestag (einschließlich der Fraktionen im Ausschuss 15), andere Zusammenschlüsse von Abgeordneten (Art 38 I 2 GG, § 10 IV GO BT) sowie die qualifizierten Minderheiten im Bundestag 16 (vgl Art 39 III 3, 42 I 2, 44 I 1, 61 I 2 GG) und im Bundesrat (vgl Art 52 II 2, 61 I 2 GG). 12
Lösung Fall 2: Das Recht, sich mit anderen Abgeordneten zu einer Fraktion zusammenzuschließen, findet seine verfassungsrechtliche Grundlage in Art 38 I 2 GG. Daher sind die Abgeordneten beteiligungsfähig. Die auf § 10 I GO BT gestützte Vorenthaltung des Fraktionsstatus verletzt möglicherweise Art 38 I 2 GG, so dass auch eine Antragsbefugnis (§ 64 BVerfGG) zu bejahen ist. Weitere Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrags bestehen nicht. Da die in § 10 I 1 GO BT geregelte Fraktionsmindeststärke von 5 vH der Mitglieder des Bundestags nicht zu beanstanden ist, ist der Antrag der Abgeordneten aber unbegründet.17
13
Nicht beteiligungsfähig sind Abstimmungsminderheiten oder Abstimmungsmehrheiten.18 Es handelt sich bei solchen um von Fall zu Fall zusammenarbeitende Gruppierungen, nicht um mit eigenen Rechten ausgestattete Organteile.
14
Lösung Abwandlung Fall 2: Die das Anliegen der A-Partei unterstützenden Abgeordneten wollen nicht selbst als Fraktion anerkannt werden und stellen auch keine ständig vorhandene Gliederung des Parlaments (etwa nach Art von Fraktionen) dar. Es handelt sich um eine ad hoc-Gruppierung, die nur zahlenmäßig definiert ist und im GG mit besonderen Rechten ausgestattet sind. Ihnen fehlt die Qualität eines Organteils. Daher ist der Antrag der Abgeordneten mangels Beteiligungsfähigkeit unzulässig.
15
§ 63 BVerfGG bleibt auch im Hinblick auf die Aufzählung der anderen Beteiligten hinter Art 93 I Nr 1 GG zurück und muss verfassungskonform erweiternd ausgelegt werden. So sind die Abgeordneten zwar keine obersten Bundesorgane, aber auch nicht nur Organteile des Bundestags, sondern (zumindest zugleich) selbständige Funktionsträger, die durch Art 38 I 2 GG mit eigenen Rechten (zB mit Teilnahme-, Rede-, Frage- und Abstimmungsrecht 19) ausgestattet sind.20 Dementsprechend müssen sie als beteiligungsfähig angesehen werden. Im Organstreitverfahren dürfen sie aber nur die mit ihrem verfassungsrechtlichen Status verbundenen Rechte geltend machen.21 Eine Berufung auf Grundrechte ist nicht gestattet.22 Gegenüber der Verfassungsbeschwerde ist das Organ-
15 Vgl BVerfGE 67, 100, 124; BVerfGE 105, 197, 220 → JK GG Art 44/4. 16 AA zB Pietzcker in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd 1, 596; auch wenn man der hier vertretenen Ansicht folgt, sind die qualifizierten Minderheiten nur punktuell (im Rahmen der im GG vorgegebenen Ausnahmefälle) beteiligungsfähig. Deshalb muss insoweit auf den konkreten Streitfall (und nicht auf die abstrakte Fähigkeit, Beteiligter sein zu können) abgestellt werden. 17 Vgl BVerfGE 84, 304, 317 f und 326. 18 Vgl BVerfGE 2, 143, 160 f. 19 Vgl Pieroth in: Jarass/Pieroth GG, Art 38 Rn 25 ff. 20 Vgl BVerfGE 62, 131; 114, 121, 146 → JK GG Art 68/2; Umbach in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, §§ 63, 64, Rn 14; Von einer Doppelstellung der Abgeordneten (als andere Beteiligte iSd Art 93 I Nr 1 GG und Organteile iSd § 63 BVerfGG) gehen Pestalozza VerfPrR, § 7 Rn 12 Fn 58, und Schlaich in: Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 91 aus. 21 Vgl BVerfGE 43, 142, 148 f; 60, 374, 380; 99, 19, 29. 22 Vgl BVerfG, NVwZ 2007, 916, 918 → JK GG Art 38 I 2/16 (s a Fall 12).
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Organstreitverfahren
§ 17
streitverfahren der speziellere Rechtsbehelf, selbst wenn der Abgeordnete zugleich eine Grundrechtsverletzung rügt. Ob eine Maßnahme, die auf den Status des Abgeordneten zielt, in besonderen Ausnahmefällen in dessen grundrechtlich geschützte Privatsphäre eingreifen kann, hat das BVerfG bisher offen gelassen.23 Der Vorrang des Organstreitverfahrens gilt aber nur, soweit sich der Abgeordnete mit Organen oder Organteilen streitet, mit denen er in einem dem Organstreitverfahren zugänglichen Verfassungsrechtsverhältnis steht, um seine Statusrechte streitet. Anderes gilt, wenn der Abgeordnete die Verletzung eines im fachgerichtlichen Verfahren zu berücksichtigenden subjektiven öffentlichen Rechts durch die öffentliche Gewalt rügt (zB Rüge, dass die Fachgerichte Art 47 S 2 GG verletzt haben). Insoweit steht nur die Verfassungsbeschwerde zur Verfügung.24 Lösung Fall 3: Die Beteiligtenfähigkeit des B ergibt sich aus Art 38 I 2 GG iVm § 63 BVerfGG. Bedenken gegen die Zulässigkeit eines Organstreitverfahrens bestehen nicht. Steht die Zahl der Abgeordneten einer entsprechend großen Zahl von Ausschusssitzen gegenüber, hat jeder einzelne Abgeordnete Anspruch darauf, in einem Ausschuss mit Rede- und Antragsrecht mitzuwirken; hingegen ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, dem partei- und fraktionslosen Abgeordneten im Ausschuss ein – notwendigerweise überproportional wirkendes – Stimmenrecht zu geben.25
16
In st Rspr geht das BVerfG – beeinflusst durch die sog Parteienstaatslehre des früheren Bundesverfassungsrichters Leibholz 26 – davon aus, dass auch die auf Bundesebene tätigen Parteien immer Beteiligte sind, „wenn und soweit sie um Rechte kämpfen, die sich aus ihrem besonderen in Art 21 GG umschriebenen Status ergeben“ 27 Diese Auffassung überzeugt nicht, weil die grundrechtsberechtigten, nicht unmittelbar grundrechtsverpflichteten Parteien nicht Teil der Staatsorganisation, sondern der gesellschaftlichen Sphäre zuzurechnen sind.28 Zudem steht den Parteien heute anders als in der Weimarer Zeit die Verfassungsbeschwerde zur Verfügung. Da die Rspr des BVerfG (und der dem Gericht folgenden Landesverfassungsgerichte) aber gefestigt ist, erscheint eine Änderung sehr unwahrscheinlich. Zu Recht abgelehnt worden ist die Beteiligungsfähigkeit von Wählervereinigungen.29
17
Lösung Fall 4: Die Zulässigkeit des Organstreitverfahrens hängt allein von der Beteiligungsfähigkeit der Partei ab. Folgt man der Rspr des BVerfG, ist die Beteiligungsfähigkeit gegeben, weil sich die Partei auf ihr durch Art 21 GG garantiertes Recht auf Gleichheit aller Wahlen und Chancengleichheit im politischen Wettbewerb berufen kann.30 Folgt man der Kritik, ist ein Organstreitverfahren unzulässig. Die Partei müsste vielmehr Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben.
18
23 24 25 26 27 28 29 30
BVerfG, NVwZ 2007, 916, 918 → JK GG Art 38 I 2/16 (s a Fall 12). BVerfGE 108, 251, 267 f → JK GG Art 38 I 2/14. Vgl BVerfGE 80, 188, 224 f. Vgl Leibholz Strukturprobleme der modernen Demokratie, 3. Aufl 1974, 71 ff; Krit Grimm in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, Bd 1, § 14 Rn 24 ff mwN. BVerfGE 24, 260, 263. Vgl auch BVerfGE 1, 208, 223 f; 60, 53, 61 f; 84, 290, 299. Ebenso die wohl hL, vgl Schlaich in: Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 92; Voßkuhle in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Rn 106; Pietzcker in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd 1, 595. BVerfGE 51, 222, 233; 74, 96, 101; 79, 379, 383 ff. Vgl BVerfGE 44, 125, 127 ff.
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c) Verlust der Beteiligungsfähigkeit 19
Verliert der Ast nach Antragstellung seine Eigenschaft als Organ oder Organteil (zB weil der antragstellende Abgeordnete nicht wiedergewählt worden ist), ändert dies grundsätzlich nichts an der Beteiligungsfähigkeit, da es auf den Zeitpunkt der Antragstellung ankommt.31 Ungeachtet des Grundsatzes der Diskontinuität wird die Organstellung eines Parlaments durch eine Neuwahl nicht berührt.32 Ein bloßer Wechsel des Organwalters (zB des Bundespräsidenten) vermag ohnehin nichts an der Organstellung zu ändern. Allerdings können Veränderungen das Rechtsschutzbedürfnis entfallen lassen. Das ist namentlich dann der Fall, wenn keine Wiederholungsgefahr besteht (→ Rn 50). 3. Antragsgegenstand
20
Fall 5: Der Präsident des Bundestags rügt einen Abgeordneten im Bundestag wegen eines ungebührlichen Verhaltens.
21
Fall 6: Der Bundesinnenminister kennzeichnet die – vom BVerfG nicht verbotene – Partei NPD in seinen Verfassungsschutzberichten als eine Partei mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung und Betätigung.
22
Fall 7: Eine Fraktion im Bundestag möchte sich gegen die Weigerung der Bundesregierung wenden, einen Bund-Länder-Streit (Art 93 I Nr 3 GG) gegen ein Land einzuleiten.
23
Fall 8: Eine Bundestagsfraktion möchte feststellen lassen, dass die Bundesregierung die Rechte des Bundestags aus Art 59 II GG dadurch verletzt hat, dass sie sich sowohl an der konsensualen Fortentwicklung des NATO-Vertrags als auch an der Erweiterung des ISAFMandats (Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der International Security Assistance Force) iSd Beschlusses des Bundestags vom 9.3.2007 beteiligt hat. Hat ein Organstreitverfahren des Abgeordneten, der Partei und der Fraktion vor dem BVerfG Aussicht auf Erfolg?
24
Gegenstand des Organstreitverfahrens ist nach § 64 I BVerfGG eine Maßnahme oder Unterlassung des Ag. Der Begriff der Maßnahme ist weit auszulegen. Neben Einzelrechts- und Realakten kann sich das Verfahren auch gegen Normsetzungsakte (nicht gegen die Norm selbst) richten. Da es um Rechtsstreitigkeiten (verfassungsrechtlicher Art) geht, muss die Maßnahme oder Unterlassung rechtserheblich sein oder sich zumindest zu einem die Rechtstellung des Ast beeinträchtigenden, rechtserheblichen Verhaltens verdichten können 33 (teilweise wird dies im Rahmen der Antragsbefugnis geprüft 34). Handlungen, die nur vorbereitenden oder bloß vollziehenden Charakter haben, scheiden als Angriffsgegenstand im Organstreit aus.35 An der Rechtserheblichkeit soll es zB bei bloßen Gesetzentwürfen,36 gesetzlichen Bestimmungen, die noch einer Durchführung 31 32 33 34 35 36
BVerfGE 4, 144, 152; 102, 224, 231; VerfGH NW, DVBl 1997, 824. BVerfGE 4, 144, 152. BVerfGE 57, 1, 4 f; 60, 374, 381; 97, 408, 414; BVerfG, NVwZ 2008, 407 (→ Fall 13). Vgl zB Pieroth in: Jarass/Pieroth GG, Art 93 Rn 12. BVerGE 68, 1, 74 f. BVerfGE 80, 188, 212. Für noch nicht in Kraft getretene Gesetze vgl BVerfGE 92, 74, 79 f.
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Organstreitverfahren
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bedürfen,37 vorläufigen Feststellungen im Rahmen der Abgeordnetenüberprüfung nach § 44b AbgG 38 und reinen Meinungsäußerungen (etwa im Rahmen der Beantwortung einer mündlichen Anfrage im Parlament 39) fehlen. Durchführungen einer Norm sind nur dann rechtserheblich, wenn sie nicht lediglich die in einer Norm angelegten Vor- und Nachteile zur Wirkung bringen.40 Ob dies auch gilt, wenn es den Ast (zB eine Partei) zum Zeitpunkt des Normerlasses noch nicht gab, ist fraglich. Unterlassungen haben nur rechtliche Bedeutung, wenn eine Pflicht zum Handeln besteht.41 Das BVerfG hat bisher (zu Unrecht) offen gelassen, ob Unterlassungen des Gesetzgebers im Wege des Organstreitverfahrens angreifbar sind.42 Da die Verfassung keine fortlaufende Kontrolle von Gesetzen verlangt, müssen die Umstände, welche eine rechtliche Überprüfungspflicht des Gesetzgebers ausgelöst haben sollen, jedenfalls substantiiert dargelegt werden.43 Im Übrigen unterscheidet das BVerfG zwischen einem schlichten und einem qualifizierten Unterlassen. Die Ablehnung eines Gesetzesentwurfs wird dann nicht als schlichtes Unterlassen, sondern als rechtserhebliche Maßnahme angesehen, die dem Erlass eines Gesetzes gleichkommt, wenn sich das Parlament intensiv mit dem Gesetzesentwurf befasst hat (qualifiziertes Unterlassen).44 Die Landesverfassungsgerichte gehen davon aus, dass auch ein gesetzgeberisches Unterlassen Gegenstand eines landesverfassungsgerichtlichen Organstreitverfahrens sein kann.45
25
Lösung Fall 5: Das BVerfG 46 stuft die bloße Rüge des Präsidenten des Bundestags (im Unterschied zum rechtserheblichen Ordnungsruf nach § 36 S 2 GO BT) als nicht rechtserhebliche Maßnahme ein. Eine andere Auffassung lässt sich gut vertreten.
26
Lösung Fall 6: Das BVerfG hat (im Rahmen eines Organstreitverfahrens nach § 24 BVerfGG) dahingestellt sein lassen, ob der Antrag zulässig ist.47 Selbst wenn man den Parteien die Stellung eines Beteiligten iSd Art 93 I Nr 1 GG zubilligt, dürfte eine verfassungsrechtliche Streitigkeit und damit eine Beteiligungsfähigkeit des Bundesinnenministers zu verneinen sein, weil es sich bei der Verfassungsschutzberichterstattung nicht um eine unmittelbar staatsleitende Tätigkeit handelt. Geht man von einer Beteiligungsfähigkeit aus, stellt sich die Frage, ob die Einstufung der Partei als verfassungsfeindlich eine reine Meinungsäußerung oder ein rechtserhebliches Verhalten ist. Im zuerst genannten Fall fehlt es an einen tauglichen Antragsgegenstand eines Organstreitverfahrens. Das BVerfG hat angenommen, dass an die Werturteile des Innenministers keinerlei rechtliche Auswirkungen geknüpft sind. Dies vermag nicht zu überzeugen.
27
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47
BVerfGE 94, 351, 362. BVerfGE 97, 408, 414 f. BVerfGE 13, 123, 126; 57, 1, 5 ff. Krit Klein in: Benda/Klein, VerfPrR, Rn 1028. Vgl BVerfGE 92, 80, 88 f – Anwendung von Wahlgesetzen. Vgl BVerfGE 96, 264, 277; VerfGH NRW, NWVBl 2001, 467, 470. BVerfGE 92, 80, 87; 103, 164, 169; 103, 81, 86; 104, 310, 324 → JK GG Art 46 II/1; 107, 286, 291; 110, 403; BVerfG, NVwZ 2008, 407 f (→ Fall 13). Vgl auch VerfGH NRW, NWVBl 2001, 467, 470. BVerfG, NVwZ 2008, 407 f (→ Fall 13). VerfGH NRW, NVwZ 2000, 666, 667; VerfG MV, LKV 2001, 270, 271; ThürVerfGH, LKV 2007, 175. Siehe dazu Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 361. BVerfGE 60, 374, 381 ff. BVerfGE 40, 287, 290.
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Lösung Fall 7: Die Fraktion im Bundestag ist als ein mit eigenen Rechten ausgestatteter Teil des Bundestags, die Bundesregierung als oberstes Bundesorgan beteiligungsfähig. Gerügt wird das Unterlassen der Bundesregierung, einen Bund-Länder-Streit zu führen. In dem konkreten Fall hat das BVerfG angenommen, dass das Unterlassen nicht rechtserheblich ist, weil zwischen dem Bund und dem Land keine konkrete Meinungsverschiedenheiten über grundgesetzliche Rechte und Pflichten bestehen.48 Doch dürfte die Weigerung der Ag, ein Bund-Länder-Verfahren einzuleiten, deshalb rechtserheblich sein, weil damit das Zustandekommen eines verfassungsrechtlichen Prozessverhältnisses ausgeschlossen wird. Ist die Ag im Bund-Länder-Streit nicht antragsbefugt, weil sie keine Verletzung verfassungsrechtlicher Rechte geltend machen kann, fehlt es der Ast im Organstreitverfahren aber an der Antragsbefugnis.
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Lösung Fall 8: Beteiligte eines Organstreitverfahrens können auch eine Bundestagsfraktion (als andere Beteiligte) sowie die Bundesregierung sein. Als Antragsgegenstand kommt eine Maßnahme oder ein Unterlassen der Ag in Betracht. Soweit sich die Ast gegen die konsensuale Fortentwicklung des NATO-Vertrags wendet, ist dies nicht substantiiert genug. Das gerügte fortdauernde Unterlassen der Ag, sich gegen die NATO-Beschlüsse aus früheren Jahren zu wenden, ist nicht fristgemäß angegriffen worden (§ 64 III BVerfGG). Denn die Frist beginnt im Falle eines Unterlassens mit der erkennbaren Weigerung, nach der aufgrund des verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses gebotenen Weise tätig zu werden, zu laufen. Soweit sich der Antrag gegen den Beschluss der Ag zur Entsendung von (Tornado-) Aufklärungsflugzeugen nach Afghanistan richtet, liegt ein tauglicher Antragsgegenstand vor. Da die Ast geltend machen kann, dass der Bundestag durch das nicht mehr der Friedenssicherung dienende Verhalten der Ag in seinen Rechten verletzt worden ist (Art 59 II iVm 24 II GG), ist auch eine Antragsbefugnis gegeben. Sonstige Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrags bestehen nicht.49
4. Antragsbefugnis 30
Fall 9: Die D-Partei wendet sich im Wege eines Organstreitverfahrens gegen den Bundespräsidenten, um die Erstattung von Wahlkampfkosten zu erreichen.
31
Fall 10: Abgeordneter E beantragt vor dem BVerfG die Feststellung, dass der Bundestag ihn durch die Aufhebung seiner Immunität in seinen Rechten verletzt hat.
32
Fall 11: Die Bundestagsabgeordneten F und G beantragen vor dem BVerfG festzustellen, dass die Anordnung des Bundespräsidenten, den Bundestag vorzeitig aufzulösen und Neuwahlen stattfinden zu lassen, gegen das Grundgesetz verstößt.
33
Abwandlung Fall 11: Die bislang nicht im Bundestag vertretene H-Partei beantragt vor dem BVerfG die Feststellung, dass die Anordnungen des Bundespräsidenten, den Bundestag vorzeitig aufzulösen und Neuwahlen stattfinden zu lassen, gegen das Grundgesetz verstoßen.
48 BVerfGE 103, 81, 86 f → JK BVerfGG § 64 I/2. 49 Vgl BVerfGE 118, 244 ff → JK GG Art 59 2/2.
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Organstreitverfahren
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Gem § 64 I BVerfGG ist ein Antrag im Organstreitverfahren nur zulässig, wenn der Ast geltend macht, in seinen Rechten verletzt oder gefährdet zu sein. Während die Beteiligungsfähigkeit voraussetzt, dass der Ast (bzw der Ag) überhaupt mit Rechten ausgestattet ist, verlangt die Antragsbefugnis die Möglichkeit einer Verletzung oder Gefährdung im konkreten Fall. Das Organstreitverfahren dient somit nicht dazu, abstrakt die Verfassungsmäßigkeit im Sinne eines Rechtsgutachtens klären zu lassen.50
34
a) Eigene Rechte Der Ast muss sich auf eigene Rechte (oder Pflichten) berufen können. Hierunter sind nicht subjektive öffentliche Rechte des Außenrechtskreises, sondern Zuständigkeiten zu verstehen, die „zur ausschließlich eigenen Wahrnehmung oder zur Mitwirkung übertragen sind oder deren Beachtung erforderlich ist, um die Wahrnehmung seiner Kompetenzen und die Gültigkeit seiner Akte … zu gewährleisten“.51 Die Rechtspositionen müssen sich aus dem GG ergeben. Anders als für die Beteiligungsfähigkeit reichen also Geschäftsordnungsbefugnisse (oder sonstige unterverfassungsrechtliche Kompetenzen) nicht aus.
35
Lösung Fall 9: Bei der Entscheidung über die Erstattung von Wahlkampfkosten wird der Präsident des Bundestags auf der Grundlage des PartG als „mittelverwaltende Stelle“ und nicht als Verfassungsorgan tätig.52 Demgemäß kann sich auch eine Partei dem Präsidenten des Bundestags gegenüber mangels eines verfassungsrechtlichen Verhältnisses nicht gerade auf ihren verfassungsrechtlichen Status berufen. Deshalb fehlt der Ast die Antragsbefugnis.
36
Abgeordnete des Bundestags haben kein eigenes Recht auf Wahrung des institutionellen Gesetzesvorbehalts53, der Kompetenzen des Bundestags gegenüber der Bundesregierung54 oder darauf, dass die Terminierung der 2. und 3. Lesung eines Gesetzes unterlassen wird.55 Der Fraktion im Bundestag stehen eigene Rechte „im innerparlamentarischen Raum, nicht aber im Verhältnis zwischen Parlament und Regierung“56 zu. Dementsprechend hat eine Fraktion zB kein eigenes Recht auf Einhaltung der der Bundesregierung für den Auslandseinsatz der Bundeswehr gezogenen Grenzen. In Betracht kommt aber eine Prozessstandschaft für den Bundestag (→ Rn 41). Ob nicht am parlamentarischen Verfahren beteiligte politische Parteien in einem Organstreitverfahren vor den Landesverfassungsgerichten die Antragsbefugnis besitzen, den Gesetzgeber zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu verpflichten, wird von den Landesverfassungsgerichten unterschiedlich beurteilt.57
37
50 51 52 53 54 55
Vgl BVerfGE 90, 286, 338; 117, 359, 370. BVerfGE 68, 1, 73. BVerfGE 28, 97, 103. BVerfGE 80, 188, 215. BVerfGE 90, 286, 342 f; BVerfGE 117, 359, 368 f. BVerfGE 112, 363, 366 → JK GG Art 93 I Nr. 1/8 (möglicherweise will das BVerfG bereits die Rechtserheblichkeit der Maßnahme verneinen). 56 BVerfGE 100, 266, 270. 57 Verneinend SaarlVerfGH, LVerfGE 8, 257, 263 f; ThürVerfGH, LKV 2007, 175 f; bejahend zB VerfGH NRW, NVwZ 1995, 579; NWVBl 1996, 58; NVwZ 2000, 666 f; NVwZ-RR 2003, 83, 84; VerfG MV, LKV 2001, 270, 272.
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Lösung Fall 10: Der Ast kann sich auf Art 38 I 2 iVm Art 46 II GG berufen. Der Genehmigungsvorbehalt für die strafrechtliche Verfolgung von Parlamentariern dient zwar vornehmlich dem Bundestag als Ganzen und nicht seinen einzelnen Mitgliedern. Nach Sinn und Zweck der Immunität hat der einzelne Parlamentarier aber einen Anspruch darauf, dass sich der Bundestag bei der Entscheidung über die Aufhebung der Immunität nicht von sachfremden, willkürlichen Motiven leiten lässt.58 Scheidet eine Verletzung dieser Grundsätze nicht eindeutig und offensichtlich aus, ist eine Antragsbefugnis zu bejahen.
39
Lösung Fall 11: Die Ast sind in ihrer Rechtstellung als Abgeordnete unmittelbar betroffen. Die in Art 39 I 1 GG festgelegte Dauer der Wahlperiode soll dem Deutschen Bundestag die wirksame und kontinuierliche Erfüllung seiner Aufgabe ermöglichen. An dieser Gewährleistung hat der Status des einzelnen Abgeordneten teil. Die Ast sind demnach antragsbefugt.59
40
Lösung Abwandlung Fall 11: Die mögliche Verletzung des Art 68 GG durch den Bundespräsidenten kann keine Verletzung der Rechte der Ast darstellen. Art 68 GG dient nicht dem Schutz der im Bundestag nicht vertretenen Parteien.60 Ihnen wird durch Art 68 GG keine hinreichend lange Vorbereitungszeit gewährleistet. Eine Rechtsverletzung der Partei scheidet somit aus.
b) Prozessstandschaft 41
Gem § 64 I BVerfGG darf ein Ast geltend machen, dass er „oder das Organ, dem er angehört“, in seinen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Der Sache nach handelt es sich um einen Fall der gesetzlich zugelassenen Prozessstandschaft, weil dem Ast gestattet wird, im eigenen Namen fremde Rechte geltend zu machen. Dies wird mit dem Interesse an einem Minderheitsschutz begründet. Das BVerfG hat bisher aber nur eine Prozessstandschaft der Fraktionen des Bundestags anerkannt.61 Für die Abgeordneten des Bundestags 62 und selbst für die „Fraktionen im Ausschuss“ 63 soll die Erweiterung der Antragsbefugnis dagegen nicht gelten. Dagegen können die in einem Untersuchungsausschuss ernannten Mitglieder, sofern diese mindestens ein Viertel der Mitglieder des Bundestags umfassen, die Rechte der Einsetzungsminderheit iSd Art 44 I 1 GG geltend machen.64 Die Begrenzung der Prozessstandschaft erscheint „zumindest nicht zwingend“.65 Unzulässig ist eine gewillkürte Prozessstandschaft.
58 59 60 61
62 63 64 65
BVerfGE 104, 310, 325 → JK GG Art 46 II/1. BVerfGE 114, 121, 146 f → JK GG Art 68/2. BVerfGE 114, 107, 114 f. BVerfGE 2, 142, 160; 90, 286, 336, 343 f; BVerfGE 118, 244, 254 f → JK GG Art 59 2/2. Ist eine andere Fraktion in einem ähnlichen Fall schon in Prozessstandschaft für den BT aufgetreten, steht die Rechtskraft eines Urteils dem Organstreit nicht entgegen, weil eine generelle subjektive Rechtskrafterstreckung auf den Rechtsinhaber im Falle der Prozessstandschaft jedenfalls für den Organstreit über Rechte des BT nicht anzuerkennen ist, vgl BVerfGE 104, 151, 196 f. BVerfGE 70, 324, 354; 90, 286, 343 f; jüngst bestätigt durch BVerfGE 117, 359, 367. BVerfGE 67, 100, 126. BVerfGE 105, 197, 220 f. Vgl Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rn 110; Vgl auch die Kritik von Klein in: Benda/Klein, VerfPrR, Rn 1022.
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Organstreitverfahren
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c) Geltendmachung einer Verletzung oder unmittelbaren Gefährdung In zulässiger Ausformung des Art 93 I Nr 1 GG bestimmt § 64 I BVerfGG, dass der Ast eine Verletzung seiner Rechte geltend machen muss. Die Verletzung muss mögliche Folge des Verhaltens des Ag sein. Dies ist erst dann der Fall, wenn „nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann“, dass der Ag aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten erwachsende Rechte des Ast durch die beanstandete rechtserhebliche Maßnahme verletzt hat.66 Neben der Geltendmachung einer Verletzung reicht bereits die Geltendmachung einer unmittelbaren Gefährdung (also die Möglichkeit einer unmittelbaren Gefahr für die übertragenen Rechte und Pflichten) aus. Dadurch werden die Anforderungen im Vergleich etwa zur Klagebefugnis des § 42 II VwGO oder Behauptungslast nach § 90 I BVerfGG (geringfügig) gesenkt. Nicht erforderlich ist, dass eine Maßnahme zielgerichtet gegen den Ast gerichtet ist. Es reicht aus, wenn dieser zwangsläufig von der Maßnahme mitbetroffen ist.67
42
5. Passive Prozessführungsbefugnis Der Antragsbefugnis (dh aktiven Prozessführungsbefugnis) entspricht als Gegenstück die passive Prozessführungsbefugnis. Richtiger Ag ist derjenige, der für die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung die rechtliche Verantwortung trägt.68 Das setzt voraus, dass die Maßnahme tatsächlich von dem bezeichneten Ag ausgegangen ist.69 Richtet sich der Antrag gegen einen Gesetzesbeschluss, ist der Bundestag allein oder gemeinsam mit dem Bundesrat, nicht aber mit der Bundesregierung, passiv prozessführungsbefugt.70 Im Falle der Abberufung eines Abgeordneten des Bundestags aus einem Ausschuss durch seine Fraktion ist diese, nicht aber der Bundestag und dessen Präsident richtiger Ag Eine passive Prozessstandschaft (eines Organteils) lässt weder Art 93 I Nr 1 GG noch § 64 BVerfGG zu.
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6. Antragsfrist Fall 12: Neun Bundestagsabgeordnete, die gleichzeitig als Rechtsanwälte, Unternehmer oder Handelsvertreter tätig sind, haben beim BVerfG die Feststellung beantragt, dass die Neuregelung des § 44a I Abgeordnetengesetz (AbgG), wonach die Ausübung des Mandats im Mittelpunkt der Tätigkeit eines Abgeordneten steht, die Freiheit des Mandats gem Art 38 I 2, 48 II GG, hilfsweise die Grundrechte des Art 2 I iVm Art 1 I, 12 I GG, verletzt. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift sehen sie zudem in den Neuregelungen über die Verpflichtung zur Anzeige und zur Veröffentlichung von Tätigkeiten und Einkünften neben dem Mandat (§ 44a IV 1, 44b AbgG iVm §§ 1, 3 Verhaltensregeln und Ausführungsbestimmungen des Bundestagspräsidenten) über die Sanktionierung von Verstößen (§§ 44a IV 2 bis 5, 44b Nr. 5 AbgG iVm § 8 Verhaltensregeln). Das AbgG wurde am 28.6.2005 verkündet.
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BVerfGE 94, 351, 362 f; 99, 19, 28. BVerfGE 62, 1, 32; BVerfG, NVwZ 2008, 407, 408 (→ Fall 13). BVerfGE 62, 1, 33. BVerfGE 80, 188, 216. BVerfGE 73, 1, 30; 82, 322, 336.
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4. Teil: Rechtsschutz im Verfassungsrecht
Als Zeitpunkt des Inkrafttretens wurde – ebenso wie für die Verhaltensregeln – der Tag der ersten Sitzung des 16. Bundestag (18.10.2005) bestimmt. Zwei Abgeordnete erhoben ihre Anträge erst am 12.4.2006.
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Fall 13: Eine bisher nicht in den Parlamenten vertretene Partei hält die 5 %-Sperrklausel des § 6 VI BWG für verfassungswidrig und wendet sich in einem Organstreitverfahren dagegen, dass es der Bundesgesetzgeber unterlassen habe, diese Klausel zu streichen oder abzumildern. Ua beruft sie sich auch auf eine vier Monate zurückliegende Ablehnung einer auf Änderung des § 6 VI BWG abzielenden Petition.
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Gem § 64 III BVerfGG muss der Antrag binnen sechs Monaten gestellt werden, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Ast bekannt geworden ist. Liegt die beanstandete Maßnahme im Erlass gesetzlicher Vorschriften, beginnt die Frist nach der Rspr des BVerfG mit der Verkündung des Gesetzes 71 (was für Außenstehende, wie die politischen Parteien, nicht zwingend ist, dagegen für die am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten Sinn macht 72). Jedenfalls bei Geschäftsordnungsverstößen hat das BVerfG aber nicht nur auf den Erlasszeitpunkt, sondern auf die „aktuelle Betroffenheit“ abgestellt.73 Dieser Zeitpunkt liegt später, wenn die Geschäftsordnungsbestimmung an rechtliche Voraussetzungen anknüpft, die sich beim Ast erst später verwirklichen.
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Lösung Fall 12: Abgeordnete sind als durch das GG (Art 38 I 2) mit eigenen Rechten ausgestattete andere Beteiligte iSd Art 93 I Nr 1 GG, der Bundestag als oberstes Bundesorgan beteiligtenfähig. In Bezug auf die Ausführungsbestimmungen ist der Bundespräsident als oberstes Bundesorgan (Art 40 GG) der richtige Ag, da er diese erlassen und somit zu verantworten hat. Eine rechtserhebliche Maßnahme iSd § 64 I BVerfGG ist nicht nur im Erlass des AbgG, sondern auch in den Verhaltensregeln und Ausführungsbestimmungen zu sehen, weil diese die Pflichten des AbgG (verbindlich) konkretisieren. Ein Antrag ist nur zulässig, wenn der Ast geltend macht, durch die beanstandete Maßnahme des Ag in seinen ihm durch das GG übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet zu sein. Hier kann eine Verletzung der Art 38 I 2, 48 II GG nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Ob die Maßnahmen möglicherweise auch Grundrechte der Ast verletzen, kann dahinstehen, da Grundrechtsverletzungen im Organstreitverfahren nicht geltend gemacht werden können. Die Anträge könnten in Bezug auf die Vorschriften des AbgG und der Verhaltensregeln aber nicht die Frist des § 64 III BVerfGG gewahrt haben, da diese mit der Verkündung beginnt und somit am 12.4.2006 abgelaufen war. Jedenfalls bei Geschäftsordnungen – dazu gehören die Verhaltensregeln (§ 18 GO BT) – hat das BVerfG aber als Fristbeginn den späteren Zeitpunkt der aktuellen Betroffenheit anerkannt (BVerfGE 80, 188, 209). Erst mit dem Beginn seiner Stellung als Abgeordneter, also mit der ersten Sitzung des 16. Bundestags am 18.10.2005, betreffen die gerügten Pflichten die Ast unmittelbar, so dass die Frist erst am 18.4.2006 abläuft. Diese für Geschäftsordnungen geltende Besonderheit ist in diesem Fall auf das AbgG zu übertragen, da der Normgeber die Zusammengehörigkeit von AbgG und Verhaltensregeln durch das gleichzeitige Inkrafttreten verdeut-
71 BVerfGE 24, 252, 258. 72 Vgl Klein in: Benda/Klein, VerfPrR, Rn 1037. 73 BVerfGE 80, 188, 209; 118, 277, 317 → JK GG Art 38 I 2/16 (s a → Fall 12): Übertragung auf formelles Gesetz im konkreten Fall aufgrund des Zusammenhangs von Geschäftsordnung und AbgG.
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Organstreitverfahren
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licht hat. Zudem wird so vermieden, dass gegen das Gesetz schon vorgegangen werden muss, obwohl die Zugehörigkeit zum Parlament und die rechtliche Betroffenheit noch nicht abzusehen ist. Da die Anträge vom 12.4.2006 demgemäß fristgerecht erhoben wurden, ist der Organstreit insgesamt zulässig.
Soweit die Durchführung einer Norm rechtserheblich ist (→ Rn 24), kommt es für die Bestimmung der Frist auf den Zeitpunkt der Durchführung an. Bei Unterlassungen ist auf die ernstliche und eindeutige Verweigerung der Erfüllung einer geltend machenden Handlungspflicht abzustellen.74 Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt des konkreten Unterlassens zu laufen. Nicht angeknüpft werden darf daran, dass auch nach Ablauf der so bestimmten Frist noch eine allgemeine Unterlassung fortbestehen bleibt.75 Es handelt sich bei der Antragsfrist um eine Ausschlussfrist 76; eine Wiedereinsetzung in den vorliegenden Stand lässt das BVerfG daher nicht zu.77
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Lösung Fall 13: Bejaht man die vom BVerfG bisher offen gelassene Frage, ob sich eine „Organklage“ auch gegen ein Unterlassen des Gesetzgebers richten kann (→ Rn 25), und hält man auch die nicht am parlamentarischen Verfahren beteiligten politischen Parteien für antragsbefugt (→ Rn 17), wird auch bei fortdauerndem gesetzgeberischen Unterlassen die Frist spätestens dadurch in Lauf gesetzt, dass sich der Gesetzgeber erkennbar und eindeutig weigert, in der Weise tätig zu werden, die der Ast zur Wahrung der Rechte in seinem verfassungsrechtlichen Status für erforderlich hält.78 Hier hat sich der Gesetzgeber über Jahrzehnte hinweg für die Beibehaltung der 5 %-Sperrklausel ausgesprochen 79, so dass die Frist des § 64 III BVerfGG längst abgelaufen ist. Abschlägig beschiedene Petitionen berühren nicht den verfassungsrechtlichen Status der Parteien 80 und vermitteln daher nicht die Befugnis zur Durchführung eines Organstreitverfahrens 81, so dass die negative Petitionsentscheidung nicht erneut eine Antragsfrist in Gang gesetzt hat. Auch wenn es sich um eine neu gegründete Partei handeln sollte, dürfte die Frist nicht erneut in Gang gesetzt worden sein, weil jedenfalls bei Wahlgesetzen auf den Zeitpunkt der Verkündung abzustellen ist.
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7. Rechtsschutzbedürfnis Das Rechtsschutzbedürfnis wird grundsätzlich durch das Vorliegen der Antragsbefugnis indiziert. Es entfällt nicht schon deshalb, weil die geltend gemachte Rechtverletzung einen
74 BVerfGE 4, 250, 259; 21, 312, 319; 92 , 80, 87, 89. 75 Vgl BVerfGE 118, 244, 256 → JK GG Art 59 II/2; krit dazu in Bezug auf die Fortentwicklung völkerrechtlicher Verträge Murswiek NVwZ 2007, 1130, 1134. 76 BVerfGE 45, 1, 30 f. 77 BVerfGE 24, 252, 257; 80, 188, 210; 92, 80, 87. 78 BVerfGE 103, 164, 170 f; 110, 403, 405 → JK BVerfGG § 64/3. 79 Vgl BVerfGE 3, 383, 394; 83, 322, 337 ff; 95, 408, 418 f. 80 Soweit sich eine Partei nicht gegen das gesetzgeberische Unterlassen, sondern bloß allgemein gegen eine parlamentarische Überprüfung der 5 %-Sperrklausel richtet, ist schon zweifelhaft, ob sie als nicht direkt am parlamentarischen Verfahren Beteiligte überhaupt in ihren Rechten verletzt sein kann (verneint ThürVerfGH, LKV 2007, 175 f; aA VerfGH NRW, NVwZ-RR 2003, 83, 84. Vgl auch bereits → Fn 57). 81 VerfGH NRW, NWVBl 2003, 12 f.
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inzwischen abgeschlossenen Sachverhalt betrifft,82 das angegriffene Gesetz im Wege der abstrakten Normkontrolle für nichtig erklärt wurde 83 oder der Ast parlamentarisch-politische Handlungsmöglichkeiten hatte.84 Verneint wurde das Rechtschutzbedürfnis, wenn der Ast das gerügte Verhalten selbst hätte verhindern können 85 oder keine Wiederholungsgefahr besteht (zB weil der Ast aus dem Bundestag ausgeschieden ist 86).
III. Verfahren 51
Für das gerichtliche Verfahren gelten die allgemeinen Bestimmungen (§§ 17 ff BVerfGG). Bundespräsident, Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung sind in jedem Fall in Kenntnis zu setzen (§ 65 II BVerfGG), damit sie sich äußern können. Eine Benachrichtigung weiterer Organe ist nicht ausgeschlossen.87 Dem Ast und Ag können in jeder Lage des Verfahrens andere Antragsberechtigte beitreten, wenn die Entscheidung auch für die Abgrenzung ihrer Zuständigkeiten von Bedeutung ist (§ 65 I BVerfGG). Der Beitritt muss auf Seiten der Partei erfolgen, deren rechtliche (nicht notwendig politischen) Interessen denen des Beitretenden entsprechen.88 So dürfen in dem Streit einer politischen Partei gegen den Bundestag andere politische Parteien nicht auf Seiten des Bundestags, wohl aber auf Seiten der antragstellenden Partei, beitreten.89 Der Beitritt eines kollegialen Verfassungsorgans ist nur wirksam, wenn er vom Kollegium beschlossen wird.90 Anträge der Beitretenden müssen mit dem Antrag des Ast in einem inneren Zusammenhang stehen.91 Das BVerfG kann auch anhängige Verfahren verbinden oder verbundene trennen (§ 66 BVerfGG). Eine Antragsrücknahme bedarf nach mündlicher Verhandlung der Zustimmung des Gerichts. Diese kann verweigert werden, wenn öffentliche Interessen entgegenstehen.92
IV. Begründetheit des Antrags 52
Über § 93 I Nr 1 GG hinausgehend 93 stellt das BVerfG in seiner Entscheidung gem § 67 S 1 BVerfGG fest, ob die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Ag gegen eine Bestimmung des GG verstößt. Nicht vorgesehen ist die Feststellung, dass der Ast dadurch in seinen Rechten oder Pflichten verletzt ist.94 Dies deutet darauf hin, dass es sich bei dem
82 BVerfGE 10, 4, 11; 70, 77. 83 BVerfGE 20, 134, 141. 84 BVerfGE 90, 286, 338 f; 104, 151, 198; aA abweichende Meinung Böckenförde/Kruis, 90, 286, 390 ff. 85 BVerfGE 68, 1, 77. 86 BVerfGE 87, 207, 209. 87 BVerfGE 67, 100, 119. 88 Vgl BVerfGE 12, 308, 310 f – für Bund-Länder-Streit. 89 BVerfGE 20, 18, 23 ff; BVerfG, NVwZ 2008, 407, 408 (Fall 13). 90 BVerfGE 7, 282, 288 f. 91 BVerfGE 6, 309, 326; 20, 18, 25. 92 BVerfGE 24, 209, 300. 93 Zur Unbedenklichkeit vgl die Ausf zu → Rn 1. 94 Vgl demgegenüber aber Erichsen JURA 1990, 670, 672.
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Organstreitverfahren
§ 17
Organstreitverfahren – ähnlich wie bei der Normkontrolle nach § 47 VwGO 95 – trotz des Erfordernisses der Antragsbefugnis um ein objektives (nicht subjektives) Rechtsschutzverfahren handelt. Doch darf das BVerfG keine Vollprüfung vornehmen, sondern ist auf die Begrenzung des Streitstoffs in dem durch den Antrag bestimmten Umfang gebunden.96 Gleichwohl stellt das BVerfG gelegentlich fest, dass Rechte des Ast verletzt worden sind.97 Trotz des kontradiktorischen Charakters des Organstreitverfahrens ist es dem BVerfG verwehrt, eine Maßnahme aufzuheben, für nichtig zu erklären oder den Ag zu einer Handlung zu verpflichten. Art 20 III GG und das Rechtstaatsprinzip verpflichten den Ag aber dazu, aus der Feststellungsentscheidung die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.98 Die Bestimmung des § 67 S 3 BVerfGG ermöglicht es dem BVerfG, in der Entscheidungsform zugleich eine für die Auslegung der Maßstabsnorm des GG erhebliche Rechtsfrage zu entscheiden. Das hat zur Folge, dass die Normauslegung an der Bindungswirkung nach § 31 I BVerfGG teilnimmt. Liegt nach Auffassung des BVerfG kein Rechtsverstoß vor, weist es den Antrag zurück (was nicht ausschließt, dass im Tenor weitere Feststellungen getroffen werden).
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Vgl Ehlers in: FS Hoppe, S 1043. Vgl BVerfGE 2, 347, 367 f; Hillgruber/Goos, VerfPrR, Rn 392 ff. Vgl BVerfGE 85, 264, 266. Voßkuhle in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rn 115; Klein in: Benda/Klein, VerfPrR, Rn 1048.
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§ 18 Föderative Streitigkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht Hermann Pünder I. Überblick und historischer Hintergrund Der Föderalismus ist eine konfliktträchtige Staatsform. Vorkehrungen zur Wahrung des Friedens zwischen den Gliedern des Bundes sind unverzichtbar. Kommt es im Streit zu keiner Einigung, bedarf es einer letztentscheidenden Instanz. Das Grundgesetz weist die Entscheidung föderativer Auseinandersetzungen – zumindest subsidiär – dem BVerfG zu. Bei Streitigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern ist zwischen grundgesetzbezogenen Konflikten (Art 93 I Nr 3 GG), für die das BVerfG innerhalb der Judikative ein Entscheidungsmonopol hat (→ Rn 3 ff), und „anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten“ (Art 93 I Nr 4 Alt 1 GG) zu unterscheiden, für die das Gericht nur zuständig ist, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist (→ Rn 31 ff). Subsidiär ist auch die Entscheidungsbefugnis bei Streitigkeiten zwischen den Ländern (Art 93 I Nr 4 Alt 2 GG, Rn 42 ff) und bei landesinternen Konflikten (Art 93 I Nr 4 Alt 3 GG), die freilich nur in einem weiteren Sinne zu den föderativen Streitigkeiten gehören (→ Rn 51 ff). Dass bundesstaatliche Konflikte richterlich entschieden werden, ist in historischer Betrachtung nicht selbstverständlich.1 Unter der Reichsverfassung von 1871 oblag die Streitentscheidung dem Bundesrat, also einer politischen Instanz.2 Eine Verfassungsgerichtsbarkeit war nicht vorgesehen.3 Allerdings lässt sich die richterliche Schlichtung föderaler Auseinandersetzungen bis ins Heilige Römische Reich Deutscher Nation zurückverfolgen.4 Hier gab es für Streitigkeiten zwischen den Reichsständen eine Entscheidungskompetenz der beiden Reichsgerichte (Reichskammergericht, Reichshofrat). In dieser Tradition stand der von der Nationalversammlung von 1848 unternommene, freilich mit der Paulskirchen-
1 Näher Hesse in: FS Schindler, 1989, 723 ff. 2 Gesetz betreffend die Verfassung des Deutschen Reiches v 16.4.1871 (RGBl 1871, 63 ff), abgedruckt in: Ernst Rudolf Huber (Hrsg), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd 2, 3. Aufl 1986, 384 ff. Nach Art 76 I RV wurden Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bundesstaaten, die nicht privatrechtlicher Natur waren, „auf Anrufen eines Theils von dem Bundesrathe erledigt“. Art 76 II RV bestimmte: „Verfassungsstreitigkeiten in solchen Bundesstaaten, in deren Verfassung nicht eine Behörde zur Entscheidung solcher Streitigkeiten bestimmt ist, hat auf Anrufen eines Theils der Bundesrath gütlich auszugleichen oder, wenn das nicht gelingt, im Wege der Reichsgesetzgebung zur Erledigung zu bringen.“ Darüber hinaus beschloss der Bundesrat nach Art 7 Nr 3 RV „über Mängel, welche bei der Ausführung der Reichsgesetze … hervortreten“. Art 19 RV bestimmte: „Wenn Bundesglieder ihre verfassungsmäßigen Bundespflichten nicht erfüllen, können sie dazu im Wege der Exekution angehalten werden. Diese Exekution ist vom Bundesrathe zu beschließen und vom Kaiser zu vollstrecken. Zum historischen Hintergrund Stern Staatsrecht, Bd 2, 1980, 972. 3 Man ging davon aus, dass die Entscheidung des Bundesrats über die Mängelrüge nach Art 7 Nr 3 RV eine Tätigkeit eines „obersten Bundesgerichts“ ist. Vgl Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 42 mit Hinweis auf Adolf Arndt, Verfassung des deutschen Reichs, 5. Aufl 1913, Art 36 Anm. 6. 4 S etwa Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 28 mwN.
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verfassung von 1849 gescheiterte Versuch der Begründung einer Verfassungsgerichtsbarkeit für das Reich.5 Unmittelbares Vorbild für die grundgesetzlichen Regelungen ist die Generalklausel des Art 19 I der Weimarer Reichsverfassung von 1919.6 Danach entschied der Staatsgerichtshof „über Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, in dem kein Gericht zu ihrer Erledigung besteht“, sowie „über Streitigkeiten nicht privatrechtlicher Art zwischen verschiedenen Ländern oder zwischen dem Reich und einem Lande“, „soweit nicht ein anderer Gerichtshof zuständig ist“.7 Zugrunde lag die Einschätzung, dass – wie Kelsen es ausdrückte – die politische Idee des Bundesstaates „rechtlich überhaupt erst mit der Institution des Verfassungsgerichts vollendet wird“. Der Bundesstaat sei „stets ein Schauplatz leidenschaftlichster Kämpfe um die Kompetenz“, die Wahrung der Kompetenzgrenzen eine „politische Lebensfrage“ für den Bundesstaat, die eine „objektive Instanz, die diese Kämpfe auf friedlichem Wege schlichtet“, ein „Forum, vor dem diese Streitigkeiten als Rechtsfragen aufgeworfen und als solche entschieden werden“, verlange.8 Schicksalhaft war das sog. Preußenschlag-Urteil des Staatsgerichtshofs: Am 20. Juli 1932 hatte die Reichsregierung von Papen die preußische Regierung Braun aufgrund einer Notverordnung des Reichspräsidenten abgesetzt. Dies wurde in einer spektakulären Entscheidung für rechtmäßig erklärt.9
II. Grundgesetzbezogener Bund-Länder-Streit (Art 93 I Nr 3 GG) 3
Nach Art 93 I Nr 3 GG entscheidet das BVerfG „bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht“. 1. Funktion und Bedeutung
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Der Bund-Länder-Streit nach Art 93 I Nr 3 GG nimmt unter den föderativen Streitigkeiten eine herausgehobene Stellung ein. Er gilt als das „Urbild der Verfassungsstreitig-
5 Verfassung des Deutschen Reichs v 28.3.1849 (RGBl 1849, 101 ff), abgedruckt in: Ernst Rudolf Huber (Hrsg), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd 2, 3. Aufl 1986, 375 ff. Nach § 126 Buchstabe a RV sollte das Reichsgericht für „Klagen eines Einzelstaats gegen die Reichsgewalt wegen Verletzung der Reichsverfassung durch Erlassung von Reichsgesetzen und durch Maaßregeln der Reichsregierung“ sowie für „Klagen der Reichsgewalt gegen einen Einzelstaat wegen Verletzung der Reichsverfassung“ zuständig sein. 6 Verfassung des Deutschen Reichs v 11.8.1919 (RGBl 1919, 1383 ff), abgedruckt in: Ernst Rudolf Huber (Hrsg), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd 4, 3. Aufl 1991, 151 ff. Vgl zur Entstehungsgeschichte der grundgesetzlichen Vorgaben etwa Stern Staatsrecht, Bd 2, 1980, 995 f; Lechner/Zuck BVerfGG, vor § 68 Rn 2. 7 Daneben gab es Spezialregelungen. Vgl Triepel Festgabe der Berliner Juristischen Fakultät für Wilhelm Kahl zum Doktorjubiläum, 1923, 1, 14 ff; Anschütz Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl 1933, Art 19 Nr 12 (S 172 f). Umfassend zu „Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit“ Triepel/Kelsen VVDStRL 5 (1929), 2 ff und 30 ff. 8 Kelsen Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit, VVDStRL 5 (1929), 30, 81 f. 9 RGZ 138, Anhang: Entscheidungen des Staatsgerichtshofs, S 1. Vgl dazu Grund „Preußenschlag“ und Staatsgerichtshof im Jahre 1932, 1976. Zu den Prozessvertretern etwa Pünder Carl Schmitt als Theoretiker der Macht, Rechtstheorie 33 (2002), 1, 22 f.
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Föderative Streitigkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht
§ 18
keiten, jedenfalls für die deutsche Rechtsentwicklung“.10 Allerdings ist es bislang nur zu relativ wenigen Verfahren gekommen.11 Dies liegt nicht nur daran, dass – worauf Isensee hinweist – „Bund und Länder dazu neigen, Rechtsfragen politisch zu behandeln, sie politisch auszutragen und, je nach politischen Bedürfnissen, Konfrontation oder Verständigung suchen“.12 Die unter dem Stichwort „kooperativer Föderalismus“ diskutierte Tendenz zur „Unitarisierung“, zur Kooperation und Politikverflechtung kommt auch hier zum Tragen 13, ein Befund, der den Hinweis erforderlich macht, dass eine – allerdings gerichtlich nicht einforderbare – bundesstaatliche Verfassungsrechtspflicht besteht, sich gegen einen „Kompetenzexzess“ der je anderen Seite zur Wehr zu setzen, selbst wenn er „als Wohltat daherkommt“.14 Entscheidend aber ist, dass sich kompetenzrechtliche Streitigkeiten im Bund-Länder-Verhältnis zumeist am Erlass von Gesetzen entzünden. In diesen Fällen ist das Verfahren der abstrakten Normenkontrolle nach Art 93 I Nr 2 GG (→ § 15) attraktiver 15, weil – was im Folgenden vergleichend deutlich werden wird 16 – die Zulässigkeitsschwelle niedriger (weiterer Kreis der Antragsberechtigten, Geltendmachung eigener verfassungsmäßiger Rechte nicht erforderlich, keine Frist), die gerichtliche Kontrolle umfassender (Prüfung auch am Maßstab der Grundrechte) und die Entscheidung weitreichender (Nichtigerklärung der Norm mit Gesetzeskraft nach § 13 II BVerfGG statt bloßer Feststellung der Verfassungswidrigkeit) ist. Vor diesem Hintergrund halten manche die Entscheidung im Bund-Länder-Streitverfahren für eine „praktisch nahezu bedeutungslose Kompetenz“ des BVerfG.17 Dem ist nicht zu folgen.18 Im Bund-Länder-Streit wurde über wichtige Fragen entschieden. In der Anfangszeit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ging es etwa um die Bildung des Südweststaates (1951) 19, die bundesrechtlichen Vorgaben für die Beamtenbesoldung
10 So Maunz in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 13 Rn 43 (Erstbearbeitung). Ähnlich Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 28; Benda/Klein VerfPrR, Rn 1088; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 103. 11 Hillgruber/Goos VerfPrR, 156 Fn 8, weisen darauf hin, dass unter den bis Ende 2005 anhängig gewordenen 157.233 Verfahren nur 44 Anträge im Bund-Länder-Streitverfahren waren. In 25 Fällen kam es zu einer Sachentscheidung des Gerichts. Vgl auch die Zusammenstellung von Schorkopf in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, vor §§ 68 ff Rn 18 f. 12 Isensee in: FS 50 Jahre BVerfG II, 719, 726. 13 Selmer in: FS 50 Jahre BVerfG I, 563, 564. Krit bereits Hesse in: FS Schindler, 723 ff. 14 S Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 32. 15 Vgl Selmer FS 50 Jahre BVerfG I, 2001, 563, 565; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 104; Benda/Klein VerfPrR, Rn 1053, 1088; Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 407; Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 30; Stern in: BK GG, Art 93 Rn 330; Hesse in: FS Schindler, 723, 727 f. 16 Vgl die Ausführungen zu den Antragsberechtigten im Bund-Länder-Streit (Rn 8 ff), zur Beschränkung des Verfahrensgegenstandes (Rn 12 ff) und zur Antragsbefugnis (Rn 16 ff), zur Antragsfrist (Rn 25 f) sowie zum Entscheidungsinhalt und zum Prüfprogramm (Rn 29 f). 17 So Leisner in: FS 25 Jahre BVerfG I, 260, 287. Ähnlich Sachs Verfassungsprozessrecht, 2004, Rn 302; Ipsen Staatsrecht I, 18. Aufl 2006, Rn 901. 18 Vgl auch Brechmann Der Bund-Länder-Streit in der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in Aulehner u.a. (Hrsg), Föderalismus – Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, S 113 f; Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 408; Wieland in: Dreier, Bd 3, GG, Art 93 Rn 64; Schorkopf in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, vor §§ 68 ff Rn 21; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 104; Stern Staatsrecht, Bd 2, 1980, 997 f; Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 135; Selmer in: FS 50 Jahre BVerfG I, 563, 585. 19 BVerfGE 1, 14 ff.
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(1954) 20, die Gültigkeit des Reichskonkordats (1957) 21, die Zulässigkeit einer Volksbefragung zur Atombewaffnung (1958) 22, den Fernsehstreit (1961) 23 und um die Neugliederung des Bundesgebietes (1961) 24. Seit Beginn der 90er Jahre hat die Zahl der Verfahren wieder zugenommen.25 Entschieden wurde etwa über die Zulässigkeit atomrechtlicher Weisungen im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung (1990, 1991, 2002) 26, die Sicherung der Rechte der Länder auf europäischer Ebene anlässlich der Umsetzung der Fernsehrichtlinie (1995) 27 und über die Beteiligung der Länder an den UMTS-Erlösen des Bundes (2002).28 Schon diese Zusammenstellung zeigt, dass auch der Bund-Länder-Streit einen bedeutenden Beitrag zur Sicherung der föderalen Ordnung leistet (und damit zu den prüfungsrelevanten Verfahrensarten gehört). In Zukunft dürfte es vor allem um die Klärung von Fragen gehen, die sich innerstaatlich aus der Mitgliedschaft des deutschen Bundesstaates in der Europäischen Union ergeben, etwa wenn gegen Deutschland im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes eine monetäre Sanktion nach Art 104 EGV (Art 126 XI AEUV-E) oder wegen der Nichtumsetzung von Richtlinien ein Pauschalbeitrag oder ein Zwangsgeld nach Art 228 II EGV (Art 260 II AEUV-E) verhängt wird.29 Die Frage, inwieweit der Bund berechtigt ist, für Zahlungen oder Erstattungen an die EU oder andere internationale Organisationen bei einem dafür verantwortlichen Land Rückgriff zu nehmen, war bereits Gegenstand bundesverfassungsgerichtlicher Verfahren.30 2. Zulässigkeitsvoraussetzungen 6
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für den grundgesetzbezogenen Bund-Länder-Streit ergeben sich aus Art 93 I Nr 3 GG und aus § 13 Nr 7 iVm den §§ 68 bis 70 BVerfGG, wobei § 69 BVerfGG anordnet, dass Vorschriften über das Organstreitverfahren (§§ 64 bis 67 BVerfGG) entsprechend gelten. Liegen die Voraussetzungen nicht vor, wird der Antrag vom BVerfG als unzulässig „verworfen“.31 20 21 22 23 24 25
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BVerfGE 4, 115 ff. BVerfGE 6, 309 ff. BVerfGE 8, 122 ff. BVerfGE 12, 205. BVerfGE 13, 54 ff. Vgl Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 408 („gewisse Renaissance des Verfahrens“); Rinken in: AK GG, Art 93 Rn 33; Brechmann Der Bund-Länder-Streit in der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in Aulehner u.a. (Hrsg), Föderalismus – Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, S 113 f. BVerfGE 81, 310 ff; 84, 25 ff. BVerfGE 92, 203 ff. BVerfGE 105, 185 ff → JK GG Art. 106 /1. Vgl Schorkopf in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, vor §§ 68 ff Rn 10 mwN. Zu den Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts für die Staatsverschuldung (Art 104 ff EGV (Art 126 ff AEUV-E)) und zu den Regelungen der Kostentragung im innerstaatlichen Recht (Art 109 V GG) ausf Pünder in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht Bd 5, 3. Aufl 2007, § 123 Rn 102 ff, 116 ff. Vgl BVerfGE 109, 1 ff → JK BVerfGG § 64 III/4 (es ging um die Anlastung von Marktordnungsausgaben durch die EU; die Anträge des Landes Mecklenburg-Vorpommern wurden freilich wegen Fristversäumung verworfen); BVerfGE 116, 271 ff (Rechtmäßigkeit einer Aufrechnungserklärung im Rahmen von gemeinschaftsrechtlichen Rückforderungen an den Bund). Vgl zu den Folgen einer antragsabweisenden Prozessentscheidung Bethge in: Maunz/SchmidtBleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 183.
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Fall 1: Seit Mitte der 1970er Jahre verfolgten Bund und Länder für die Behandlung radioaktiver Reststoffe das sog. integrierte Versorgungskonzept. Danach sollten abgebrannte Brennelemente, soweit sie nicht wiederaufgearbeitet und wiederverwertet werden können, zunächst in Einrichtungen der Länder zwischengelagert und schließlich in einer Anlage des Bundes endgelagert werden. Als mögliches Endlager für radioaktive Abfälle erkundete der Bund den Salzstock in Gorleben. Hiervon rückte die rot-grüne Bundesregierung ab, ohne sich mit den Ländern ins Benehmen zu setzen. In einer Vereinbarung mit den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000 wurde festgelegt, dass „die Erkundung des Salzstockes in Gorleben bis zur Klärung konzeptioneller und sicherheitstechnischer Fragen für mindestens 3, längstens jedoch 10 Jahre unterbrochen (wird)“. Die bayerische Staatsregierung war damit nicht einverstanden. Ist ein Antrag auf bundesverfassungsgerichtliche Entscheidung nach Art 93 I Nr 3 GG zulässig? 32
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a) Partei- und Prozessfähigkeit Die Parteifähigkeit im Bund-Länder-Streit ist in Art 93 I Nr 3 GG nicht ausdrücklich geregelt. In § 68 BVerfGG heißt es, dass Antragsteller und Antragsgegner für den Bund die Bundesregierung und für ein Land eine Landesregierung sind. Daraus kann man aber nicht den Schluss ziehen, dass die genannten Verfassungsorgane Parteien des Verfahrens sind.33 Der Bund-Länder-Streit ist kein Organstreitverfahren (weshalb dessen Zulässigkeitsvoraussetzungen in den §§ 64 ff BVerfGG nach § 69 BVerfGG auch nur „entsprechend“ gelten 34). Es geht um föderative Verbandsstreitigkeiten. Die Parteistellung kommt dem Bund und den Ländern selbst zu.35 Dabei kann es sich nur um einen Streit zwischen dem Bund und einem Land, nicht um einen Streit zwischen verschiedenen Ländern handeln 36, weil hierfür § 93 I Nr 4 Alt 2 GG einschlägig ist (→ Rn 42 ff). Streitpartei können auch untergegangene Länder sein, die dann – worauf unten näher einzugehen ist (→ Rn 46) – wegen des Wegfalls der Landesregierung durch die fortbestehenden obersten Gebietskörperschaften vertreten werden.37 § 69 BVerfGG erlaubt iVm § 65 I BVerfGG einen Verfahrensbeitritt anderer Antragsberechtigter. Dies rechtfertigt sich aus der Bindungswirkung der Entscheidung nach § 31 I BVerfGG.38 Der „Prozesshelfer“ erlangt die Stellung einer Prozesspartei mitsamt den damit verbundenen prozessualen Rechten (Ladung, Zustellung von Schriftsätzen und Entscheidungen, Recht auf Stellung von Anträgen im prozessualen Sinne, Recht auf 32 Vgl BVerfGE 104, 238 ff. 33 So aber Degenhart Staatsrecht I, 23. Aufl 2007, Rn 606. 34 Vgl Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 6 ff; Selmer in: FS 50 Jahre BVerfG I, 563, 577 ff; Schorkopf in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, vor §§ 68 ff Rn 6. 35 S etwa Benda/Klein VerfPrR, Rn 1059; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 13 Rn 74, § 68 Rn 4, § 69 Rn 7; Stern in: BK GG, Art 93 Rn 332; Lechner/Zuck BVerfGG, § 68 Rn 2; Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 404; Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 38. 36 AA Degenhart Staatsrecht I, 23. Aufl 2007, Rn 757; Fleury VerfPrR, Rn 432. 37 Vgl BVerfGE 22, 221, 231; 42, 345, 355; 62, 295, 312. Anträge können allerdings nicht von ehemaligen Ländern des Deutschen Reichs gestellt werden. Ein Antrag der „Länder“ Memelland, Ostpreußen, Westpreußen Danzig, Pommern, Brandenburg, Nieder- und Oberschlesien, Sudetenland, Südböhmen und Südmähren, vertreten durch deren „Länderrat“, wurde abgelehnt (BVerfGE 33, 42, 43 f). 38 Vgl zur Bindungswirkung für die nicht am Verfahren beteiligten Bundesländer Bethge in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 193.
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Richterablehnung, Akteneinsicht und Äußerungsrechte).39 Für den Verfahrensbeitritt anderer Antragsberechtigter genügt es, dass „die Entscheidung auch für die Abgrenzung ihrer Zuständigkeiten von Bedeutung ist“. Eine Antragsbefugnis im Sinne des § 69 iVm § 64 I GG wird nicht vorausgesetzt.40 Zudem haben andere Länder die Möglichkeit, ebenfalls zu klagen und auf eine Klageverbindung gem § 69 iVm § 66 BVerfGG hinzuwirken.41 Einem Land, das in einem Bund-Länder-Streit die Auffassung des Bundes teilt, bleibt nur die politische Unterstützung der Bundesregierung. Ein Verfahrensbeitritt auf Seiten des Bundes ist ausgeschlossen.42 Politisch ist die „Zwangssolidarität“ unter den Ländern wirklichkeitsfremd 43, normativ aber unausweichlich, weil der Verfahrensbeitritt zur Stellung als Prozesspartei führt und für Streitigkeiten zwischen den Ländern das Verfahren nach Art 93 I Nr 4 Alt 2 GG vorgesehen ist. § 68 BVerfGG regelt bloß die Prozessfähigkeit im Sinne einer gesetzlichen Vertretungsmacht, die nur den Regierungen (unabhängig von landesverfassungsrechtlichen Regelungen, wonach der Ministerpräsident das Land nach außen vertritt 44) zukommt. Die Regierungen handeln nicht in Prozessstandschaft.45 Vielmehr werden in „organschaftlicher“ Vertretung fremde Rechte (des Bundes bzw. des Landes) in fremdem Namen wahrgenommen.46 Zur Antragstellung bedarf es eines Kabinettsbeschlusses. Dies ist von Amts wegen zu prüfen.47 Dass – anders als im abstrakten Normenkontrollverfahren gem Art 93 I Nr 2 GG (→ § 15 Rn 8 ff) und auch beim Organstreit nach Art 93 I Nr 1 GG (→ § 17 Rn 4 ff) – allein die jeweiligen Regierungen einen Antrag stellen dürfen, erstaunt, weil auch die Parlamente ein Interesse daran haben können, selbst einen Bund-Länder-Streit vor das Verfassungsgericht zu bringen. Der Gesetzgeber hat dies nicht bedacht. Er hatte offensichtlich nur die Bundesaufsicht als Streitgegenstand im Blick; in der Gesetzesbegründung wird allein auf „Verfassungsstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiet
39 S Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 130. Die Anträge der Beitretenden müssen mit dem Antrag des Antragstellers in einem inneren Zusammenhang stehen. Zur Frage, welche Fristen für selbstständige Anträge Beitretender gelten, s BVerfGE 92, 203, 229; Hillgruber/ Goos VerfPrR, Rn 464. 40 Zu weit gehend Mayer/Müller/Wagner VerwArch 94 (2003), 295, 316 („ohne jede eigene Beschwer“). 41 Zur Verbindung und Trennung von Verfahren Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 131 ff; Schorkopf in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, §§ 68, 69 Rn 32. 42 BVerfGE 12, 308, 309 ff; 42, 103, 118 f. Ebenso etwa Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 121; Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 136. Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 38; Benda/Klein VerfPrR, Rn 1084; Maunz in: ders/ Dürig, GG, Art 93 Rn 52. 43 Krit Isensee Zwangssolidarität unter Ländern, Parteien, Fraktionen vor dem Bundesverfassungsgericht, FS Helmrich, 1994, 229 ff. 44 Vgl Schorkopf in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, §§ 68 ff Rn 2; Leisner in: FS 25 Jahre BVerfG I, 260, 265. 45 So aber Degenhart Staatsrecht I, 23. Aufl 2007, Rn 758; Maunz in: ders/Dürig, GG, Art 93 Rn 51; Leibholz/Rupprecht BVerfGG, 1968; § 68. 46 S etwa Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 68 Rn 5; Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 423 f; Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 38; Stern in: BK GG, Art 93 Rn 332. 47 S etwa BVerfGE 6, 309, 323 f; Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 426; Schorkopf in: Umbach/Clemens/ Dollinger, BVerfGG, §§ 68 ff Rn 3.
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der Exekutive“ verwiesen, um die Vertretungsbefugnis der Regierungen zu begründen.48 Allerdings geht die restriktive Regelung über die Konkretisierungsermächtigung des Art 94 II 1 GG nicht hinaus, da Bund und Länder auch sonst zwischen- und innerstaatlich durch die Exekutive repräsentiert werden. Eine „ergänzende“ Auslegung ist angesichts des eindeutigen Wortlauts nicht möglich.49 Ob ein Antrag im Bund-Länder-Streit gestellt wird, bleibt dem politischen Prozess zwischen Regierung und Parlament überlassen. Meist stimmen Parlamentsmehrheit und Regierung politisch ohnehin überein. Einen parlamentarischen Anspruch auf Verfahrenseinleitung gibt es grundsätzlich nicht.50 Diese Entscheidung liegt – was § 68 BVerfGG deutlich macht – im Verantwortungsbereich der Exekutive.51
b) Statthaftigkeit der Verfahrensart Gem § 69 iVm § 67 S 1 BVerfGG „stellt“ das BVerfG im Verfahren nach Art 93 I Nr 3 GG „fest“, „ob die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegner gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt“. Demgemäß ist diese Verfahrensart nur statthaft, wenn der Antragsteller eine entsprechende Feststellung begehrt. Der Antragsteller entscheidet über die Verfahrensart mit seinem Vorbringen.52 Wird die Nichtigerklärung einer Rechtsnorm verlangt, ist der Antrag zwar nicht im Bund-Länder-Streit, wohl aber im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle statthaft (→ § 15 Rn 60).
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(1) Beschränkung auf grundgesetzbezogene föderative Verfassungsstreitigkeiten Dass es um Verfassungsstreitigkeiten gehen muss, ergibt sich nicht aus Art 93 I Nr 3 GG, der bloß von „Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder“ spricht. Vielmehr folgt aus der Zusammenschau mit dem in Art 93 I Nr 4 Alt 1 GG geregelten Verfahren zur Entscheidung über „andere öffentlich-rechtliche Streitigkeiten“ (→ Rn 31 ff), dass Art 93 I Nr 3 GG nicht dafür gedacht ist, unterverfassungsrechtliche – staatsvertragliche oder einfachgesetzliche, vor allem verwaltungsrechtliche – Verpflichtungen von Bund und Ländern zu klären.53 Das BVerfG hat die einfachgesetz-
48 Im Entwurf heißt es: „In diesen Fällen handelt es sich um Verfassungsstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiet der Exekutive. In diesen Streitigkeiten wird der Bund von der Bundesregierung, das Land durch die Landesregierung repräsentiert. Diese allein können deshalb am Verfahren beteiligt sein.“ (BT-Drucks 1/788, 32 f). 49 Anders Pestalozza VerfPrR, § 9 Rn 9. Wie hier Benda/Klein VerfPrR, Rn 1059; Bethge in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 68 Rn 6; Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 137; Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 424; Kunig JURA 1995, 262, 265. 50 Vgl Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 421; Schorkopf in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, §§ 68 ff Rn 5 f. 51 Allerdings hat das BVerfG in seiner Entscheidung im Fall Pofalla (BVerfGE 103, 81, 86) offengelassen, ob es eine treuhänderische Pflicht der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag zur Einleitung eines Bund-Länder-Streits gibt, wenn ein Land verfassungsmäßige Rechte des Bundestages verletzt. 52 Vgl BVerfGE 4, 115, 122 f; Detterbeck Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen im öffentlichen Recht, 1995, 414; Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 415; Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 30; Benda/Klein VerfPrR, Rn 1088. 53 Vgl BVerfGE 1, 14, 30; 4, 115, 122; 13, 54, 72; 99, 361, 365 f; 109, 1, 6 → JK BVerfGG § 64 III/4; Kunig JURA 1995, 262, 266; Pestalozza VerfPrR, § 9 Rn 6 (mit Hinweisen zur Entstehungs-
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liche Vorgabe, dass es um „Bestimmungen des Grundgesetzes“ gehen muss, besonders ernst genommen und eine verfassungsrechtliche Streitigkeit aus dem Einigungsvertrag – worauf unten näher einzugehen ist (→ Rn 35) – nach Art 93 I Nr 4 Alt 1 GG entschieden.54 Art 93 I Nr 3 GG beschränkt sich danach auf grundgesetzbezogene Konflikte. Zudem ist das Verfahren nur statthaft, wenn es um die verfassungsrechtlichen Konkretisierungen des Bundesstaatsprinzips (Art 20 I GG) – in den Worten des BVerfG: um ein „Bund und Land umschließendes materielles Verfassungsrechtsverhältnis“ 55 – geht.56 Diese Beschränkung ist zwar nirgendwo ausdrücklich geregelt, ergibt sich aber aus dem historischen Hintergrund des Bund-Länder-Streits als Verfahren zur Beilegung spezifisch föderaler Konflikte (→ Rn 2).
(2) Abgrenzung zwischen verfassungsrechtlichen und nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeiten 13
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Die Abgrenzung zwischen verfassungsrechtlichen und nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeiten bereitet Probleme, die spiegelbildlich bei der Frage auftreten, ob der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 I 1 VwGO eröffnet ist. Insofern geht die herrschende Meinung davon aus, dass Streitigkeiten dann als verfassungsrechtlich der Verwaltungsgerichtsbarkeit entzogen sind, wenn eine sog. doppelte Verfassungsunmittelbarkeit gegeben ist.57 Im vorliegenden Zusammenhang kommt es – da das formelle Kriterium stets gegeben ist, weil im Verfahren nach Art 93 I Nr 3 GG Bund und Länder als Streitparteien ohne weiteres „unmittelbar am Verfassungsleben beteiligt“ sind 58 – nur darauf an, ob es in materieller Hinsicht um „unmittelbar im Grundgesetz geregelte Rechte und Pflichten“ geht. Zwar stehen Bund und Länder im Bundesstaat stets in einem verfassungsrechtlichen Verhältnis zueinander, doch sind nicht alle Ansprüche zwischen ihnen verfassungsrechtlich fundiert.59 Die Streitigkeit muss durch Auslegung des Grundgesetzes zu entscheiden sein. Es muss um die verfassungsrechtlichen Funktionen der Streitparteien gehen.60 Die Annahme einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit ist unproblematisch nur in den Fällen, in denen es an unterverfassungsrechtlichen Konkretisierungen der Verfassungsvorgaben fehlt, die Parteien mithin allein um die Auslegung des Grundgesetzes streiten. Meist besteht eine Gemengelage von Verfassungs- und einfachem Recht. Dann kommt es – wie das BVerfG sagt – auf „die wirkliche Rechtsnatur des von den Antragstellern geltend gemachten Anspruchs“ an.61 Maßgeblich ist das „verfassungsrechtliche Grundverhältnis“
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geschichte in Fn 21); Pieroth in: Jarass/Pieroth, GG, Art 93 Rn 30; Voßkuhle in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 142; Stern in: BK GG, Art 93 Rn 337; Selmer in: FS 50 Jahre BVerfG I, 563, 568 ff; Leisner in: FS 25 Jahre BVerfG I, 260, 274 ff. Vgl BVerfGE 94, 297, 309 ff; 95, 250, 266. BVerfGE 81, 310, 329; 92, 203, 226. Vgl nur Selmer in: FS 50 Jahre BVerfG I, 563, 574 ff; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 21; Stern in: BK GG, Art 93 Rn 353. Vgl etwa Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 141 ff, iE ablehnend, weil es auch verfassungsrechtliche Streitigkeiten zwischen Staat und Bürger geben kann, Rn 143 ff. Vgl Clemens in: Umbach/Clemens, GG, Art 93 Rn 54. Vgl Schorkopf in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, vor §§ 68 ff Rn 10. Vgl Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 149, 156 („Inanspruchnahme des Verfassungsrechtssubjekts als solches“). BVerfGE 42, 103, 110. Ähnlich BVerfGE 109, 1, 6 → JK BVerfGG § 64 III/4 („Charakter“). Vgl auch die Zusammenstellung von Bsp aus der Judikatur bei Stern in: BK GG, Art 93 Rn 351 f.
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zwischen Bund und Land.62 In den Worten des BVerwG müssen die Streitigkeiten „entscheidend vom Verfassungsrecht geformt“ sein.63 Die vagen Begriffsbestimmungen zeigen, dass sich allgemeingültige abstrakte Definitionen kaum gewinnen lassen. Es kommt auf den Einzelfall an.64 Wertungsspielräume für den Letztentscheider sind nicht zu verkennen. Die Vorstellungen des Antragstellers von der Rechtsnatur des Streitverhältnisses sind unmaßgeblich.65 Einfachgesetzliche Rechtsverstöße des Antragsgegners können im Verfahren nach Art 93 I Nr 3 GG selbst dann nicht isoliert geltend gemacht werden, wenn die Interessen von Bund und Land offensichtlich berührt sind.66 Nichtverfassungsrechtlich sind zB Auseinandersetzungen über die Art der Verteilung von Haushaltsmitteln des Bundes, die für den Wohnungsbau in den Ländern zur Verfügung stehen, wenn streitig ist, ob die Verteilung durch den Bund im Widerspruch zu einer einfachgesetzlichen Vorschrift bzw. zu einer Bund-Länder-Vereinbarung steht.67
(3) Vorlagepflichten des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundessozialgerichts Das Entscheidungsmonopol des BVerfG in Verfassungsstreitigkeiten wird durch Vorlagepflichten des BVerwG (§ 50 III VwGO) und des BSG (§ 39 II 2 und III SGG) gesichert, wenn zunächst eine Klage bei den obersten Bundesgerichten erhoben wurde.68 Auf die damit verbunden Fristfragen wird später eingegangen (→ Rn 26). Wird dem BVerfG eine verfassungsrechtliche Streitigkeit vorgelegt, hat es die Befugnis zur abschließenden Entscheidung, damit der Streit zügig zu einem Ende kommt.69
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c) Antragsbefugnis Entgegen dem Wortlaut des Art 93 I Nr 3 GG genügen für die Einleitung des Bund-LänderStreitverfahrens bloße „Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten der Länder“ nicht. Dies macht Art 98 I Nr 4 GG deutlich, der – dem Vorbild der Weimarer Reichsverfassung folgend (→ Rn 2) – von „anderen … Streitigkeiten zwischen dem Bunde und den Ländern“ spricht. Erforderlich ist ein konkreter, d.h. auf einen bestimmten Sachverhalt bezogener Streit zwischen den Parteien über subjektive Berechtigungen oder Verpflichtungen.70 Anders als im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle nach Art 93 I Nr 2 GG, der auch von „Meinungsverschiedenheiten“ spricht (→ § 15 Rn 37), genügt ein objektives Klar-
62 Vgl BVerfGE 109, 1, 6 → JK BVerfGG § 64 III/4. 63 Vgl BVerwGE 36, 218, 227 f mwN; 50, 124, 130; sowie BVerwGE 117, 244, 246. Ebenso etwa Leisner in: FS 25 Jahre BVerfG I, 260, 278 ff. 64 Vgl auch die Zusammenstellung von Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 158 ff 65 Vgl BVerfGE 42, 103, 110 f; 62, 295, 313; 109, 1, 6 → JK BVerfGG § 64 III/4 66 Vgl BVerfGE 95, 150, 161 ff; 95, 250, 261 f; 103, 81, 88. 67 Vgl BVerfGE 1, 299, 306; 42, 103, 112 f; Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 165. 68 Vgl Pestalozza VerfPrR, § 9 Rn 24 f; Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 36 f. 69 S BVerfGE 109, 1, 8 f → JK BVerfGG § 64 III/4. 70 S BVerfGE 2, 143, 155; 13, 54, 72 f; 20, 18, 23 f; sowie etwa Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 14; Meyer in: v Münch/Kunig, GG, Art 93 Rn 46; Kunig JURA 1995, 262, 265; Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 141; Detterbeck Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen im öffentlichen Recht, 1995, 405.
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stellungsinteresse nicht.71 Da das Verfahren nach Art 93 I Nr 3 GG einen kontradiktorischen Charakter hat 72, gelten für die Antragsbefugnis gem § 69 BVerfGG die gleichen Anforderungen wie nach § 64 I BVerfGG für das Organstreitverfahren (→ § 17 Rn 30 ff). Die antragstellende Regierung muss „geltend machen“, dass der Bund bzw. das Land „durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist“.
(1) Mögliche Verletzung oder Gefährdung von subjektiven Verfassungsrechten, die im Bundesstaatsprinzip wurzeln 17
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Die antragstellende Partei muss sich danach auf ein status- bzw. kompetenzrechtlich vermitteltes subjektiv-öffentliches „Recht“ (gemeint sind Befugnisse, Kompetenzen oder Zuständigkeiten 73) berufen, das – wie oben gesehen – seine Grundlage im spezifisch föderativen Verfassungsrecht hat.74 Zudem muss das geltend gemachte Recht der antragstellenden Partei selbst zustehen.75 Eine Prozessstandschaft ist nicht erlaubt. Weder können Bund und Länder für die jeweils andere Seite tätig werden, noch kann ein Land Rechtspositionen eines anderen Landes treuhänderisch geltend machen. Das BVerfG spricht von Ansprüchen, „die sich aus einem beide Teile umschließenden materiellen Verfassungsrechtsverhältnis ergeben“.76 Schließlich muss die Verletzung oder unmittelbare Gefährdung der gegenseitigen Rechte und Pflichten nach dem Vortrag des Antragstellers „möglich“ erscheinen.77 Eine Rechtsposition ist dann unmittelbar gefährdet, wenn deren Verletzung ohne prozessuale Gegenwehr wahrscheinlich ist.78 Ebenso wie bei der Antragsbefugnis im Organstreit (→ § 17 Rn 42) bzw. der Beschwerdebefugnis im Verfahren der Verfassungsbeschwerde (→ § 13 Rn 70) genügt die bloße Behauptung einer Rechtsverletzung oder -gefährdung nicht. Die Rechtsverletzung oder -gefährdung darf nicht von vornherein und nach jeder Betrachtung ausgeschlossen sein. Ob dem antragsstellenden Land oder Bund die geltend gemachte Rechtsposition wirklich zusteht, ist eine Frage der Begründetheit.79 Die Antragsbefugnis kann sich aus jeder konkreten „Maßnahme oder Unterlassung“ ergeben, die der gegnerischen Partei zurechenbar ist.80 Das Verhalten muss rechtlich erheblich sein, d.h. es muss sich eine Rechtsbeeinträchtigung der antragstellenden Partei
71 Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 155. 72 Vgl BVerfGE 20, 18, 23 f; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 13; Mayer/Müller/Wagner VerwArch 94 (2003), 295, 314; Leisner in: FS 25 Jahre BVerfG I, 260, 262 ff Anders früher Friesenhahn DV 1949, 478, 485. 73 Hinsichtlich der Frage, ob staatliche Kompetenzen als „subjektiv-öffentliche Rechte“ verstanden werden dürfen, besteht eine – freilich nur terminologische – Uneinigkeit. Wie hier Bauer DVBl 1986, 208 ff; zum Bund-Länder-Verhältnis ders Die Bundestreue, 1992, 282 ff, 288 ff. Anders etwa Waechter Die Verwaltung 29 (1996), 47, 70 f; Schorkopf in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, vor §§ 68 ff Rn 6. 74 Vgl nur Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 142. 75 Ausf Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 80 ff. 76 BVerfGE 13, 54, 72 f. 77 Vgl nur BVerfGE 21, 312, 319; 41, 291, 303; 81, 310, 329; 92, 203, 226; sowie etwa Selmer in: FS 50 Jahre BVerfG I, 563, 578 f. 78 S Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 91. 79 Vgl BVerfGE 81, 310, 329. 80 Vgl Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 139; Benda/Klein VerfPrR, Rn 1069; Schorkopf in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, §§ 68 ff Rn 7.
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ergeben können.81 Wendet sich die Partei gegen eine Unterlassung, muss sie substantiiert darlegen, dass sie möglicherweise einen verfassungsrechtlich fundierten Anspruch darauf hat, dass der Streitgegner einer Handlungspflicht nachkommt.82 Das tatsächliche Bestehen einer Handlungspflicht ist ebenso eine Frage der Begründetheit wie ihre Verletzung. Das Spektrum der angreifbaren Handlungen und Unterlassungen ist weit.83 Wie die Verfassungsrechtsprechung zeigt, kommen als Anlass für den Bund-Länder-Streit Weisungen im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung 84, Normsetzungsakte 85, Kabinettsbeschlüsse über die Zustimmung zu EG-Richtlinien 86, die Gewährung von Finanzhilfen 87, das Untätigbleiben der Länder im Bereich der Kommunalaufsicht 88 und die Klageerhebung im Falle einer Bund-Länder-Streitigkeit vor dem BVerwG 89 in Betracht. Bloßen Meinungsäußerungen öffentlich-rechtlicher Funktionsträger kommt dagegen in der Regel mangels rechtlicher Relevanz kein Maßnahmencharakter zu.90 Maßnahmen oder Unterlassungen von Kommunen können nicht Antragsgegenstand sein, weil es an der „Unmittelbarkeit“ der Rechtsverletzung oder -gefährdung fehlt. Angegriffen werden kann nur das Unterlassen des Landes, gegen die Gemeinden aufsichtsrechtlich einzuschreiten.91 Ähnliches gilt für Maßnahmen und Unterlassungen einzelner Bundes- oder Landesbehörden. Auch hier kommt nur das pflichtwidrige Unterlassen von Aufsichtsmaßnahmen als Angriffsgegenstand in Betracht.92
(2) In Betracht kommende Verfahrensgegenstände Unter den Verfahrensgegenständen werden in Art 93 I Nr 3 GG beispielhaft („insbesondere“) die in den Art 83 ff GG geregelte Ausführung von Bundesrecht durch die Länder 93 und die in Art 83 III und IV GG für die Länderverwaltung „als eigene Angelegenheit“ und in Art 85 IV GG für die Bundesauftragsverwaltung speziell normierte Ausübung der Bundesaufsicht erwähnt. Die Hervorhebung erklärt sich aus der Bedeutung der Reichsaufsicht unter der Weimarer Reichsverfassung.94 Hinsichtlich der Kontrolle von Weisungen im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung ist sorgfältig zu prüfen, ob die Streitigkeit ver-
81 Vgl BVerfGE 109, 1, 10 f → JK BVerfGG § 64 III/4; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 39. 82 BVerfGE 104, 238, 245 ff; Pieroth in: Jarass/Pieroth, GG, Art 93 Rn 32a; Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 444. Ausf zu den Unterlassungskonstellationen Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 46 ff. 83 Ausf Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 37 ff; Selmer in: FS 50 Jahre BVerfG I, 563, 579 ff. 84 Vgl BVerfGE 81, 310, 335 ff; 84, 25, 31 ff. 85 BVerfGE 1, 14, 30; 4, 115, 122; 6, 309, 324; 92, 80, 87. 86 BVerfGE 92, 203, 226 ff. 87 BVerfGE 4, 115, 116 ff. 88 S BVerfGE 8, 122, 129 ff. 89 BVerfGE 99, 361, 365 f. 90 Vgl Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 44. 91 Vgl BVerfGE 8, 122, 129. Näher Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 435 mN auch zur Gegenansicht. 92 Vgl BVerfGE 21, 312, 328. Näher Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 437. 93 Vgl BVerfGE 11, 6 ff; 21, 312 ff. 94 Vgl Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 132; Stern Staatsrecht, Bd 2, 1980, 998. Zur heute geringen Bedeutung der Bundesaufsicht Selmer in: FS 50 Jahre BVerfG I, 563, 564.
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fassungsrechtlich ist. Das BVerfG betont, dass dem Land nur die sog. Wahrnehmungskompetenz zukommt. Das Handeln und die Verantwortlichkeit nach außen bleibe stets Landesangelegenheit. Ein Eintrittsrecht des Bundes sehe Art 85 GG nicht vor. Anderes gelte für die Sachbeurteilung und Sachentscheidung. Zwar liege die sog. Sachkompetenz zunächst beim Land. Aber der Bund könne sie, indem er das ihm zuerkannte Weisungsrecht in Anspruch nimmt, nach eigener Entscheidung an sich ziehen.95 Daraus folgt, dass die Länder durch eine Weisung des Bundes nur dann in ihrem Verfassungsrecht auf Wahrnehmung der eigenen Kompetenz verletzt sein können, „wenn gerade die Inanspruchnahme der Weisungsbefugnis – sei es als solche (…) oder in ihren Modalitäten (…) – gegen die Verfassung verstößt“. Gegen eine seiner Meinung nach inhaltlich rechtswidrige Weisung könne sich ein Land im grundgesetzbezogenen Bund-Länder-Streitverfahren nicht zur Wehr setzen, da „in eine eigene Sachkompetenz der Länder nicht eingegriffen (wird)“.96 Anderes soll nur in dem „äußersten Fall“ gelten, dass „eine zuständige oberste Bundesbehörde unter grober Missachtung der ihr obliegenden Obhutspflicht zu einem Tun oder Unterlassen anweist, welches im Hinblick auf die damit einhergehende allgemeine Gefährdung oder Verletzung bedeutender Rechtsgüter schlechterdings nicht verantwortet werden kann“.97 Grundsätzlich ist das BVerfG aber kein „Superverwaltungsgericht“.98 Anlass für einen Bund-Länder-Streit können auch die Zuständigkeiten zur Gesetzgebung nach den Art 70 ff GG sein. Dem steht nicht entgegen, dass auch eine abstrakte Normenkontrolle erhoben werden kann. In Art 93 I Nr 3 GG findet sich – anders als in Art 93 I Nr 4 GG – keine Subsidiaritätsklausel. Art 93 I Nr 2 und 2a GG sind keine abschließenden Spezialregelungen.99 Auch die von Art 20 I GG garantierte Eigenstaatlichkeit der Länder kann als möglicherweise verletztes Recht in Betracht kommen.100 Eine Verletzung von Art 30 GG, wonach die „Ausübung der staatlichen Befugnisse“ grundsätzlich „Sache der Länder“ ist, kann im Raum stehen, wenn der Bund die Anwendung von Landesrecht durch Bundesbehörden billigt.101 Denkbar ist auch, dass Länder Maßnahmen des Bundeszwangs nach Art 37 GG angreifen.102 Streitträchtig kann weiter die Finanzverfassung des Grundgesetzes sein 103, weil die Art 104a ff GG ein „Spiegel und Bestandteil der bundesstaatlichen Ordnung“ sind.104 Schließlich können sich „Rechte und
95 BVerfGE 81, 310, 332. 96 S BVerfGE 81, 310, 332 f (wobei jedoch – insofern widersprüchlich – die Antragsbefugnis bejaht wurde, 329 f). Im Ergebnis ebenso Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 450; Benda/Klein VerfPrR, Rn 1068; Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 143; Ossenbühl Der Staat 28 (1989), 31, 42 ff. Umfassend Janz Das Weisungsrecht nach Art 85 Abs 3 GG – Inhalt, Grenzen und haftungsrechtliche Dimensionen, 2003. 97 BVerfGE 81, 310, 334. Dazu Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 44. 98 Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 28. 99 Vgl BVerfGE 1, 14, 30; 20, 56, 95; sowie etwa Detterbeck Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen im öffentlichen Recht, 1995, 414; Schorkopf in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, vor §§ 68 ff Rn 14; Leisner FS 25 Jahre BVerfG I, 1976, 260, 265 ff. 100 Vgl Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 74. 101 S BVerfGE 21, 312, 328. 102 Vgl Benda/Klein VerfPrR, Rn 1079; Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 45; Stern in: BK GG, Art 93 Rn 369 f. 103 Vgl BVerfGE 41, 291, 303 ff. 104 Selmer FS 50 Jahre BVerfG I, 2001, 563, 569.
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Pflichten“ iSd Art 93 I Nr 3 GG auch aus dem ungeschriebenen Verfassungsgebot der Bundestreue ergeben 105, wonach sowohl der Bund als auch die Länder bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen „die gebotene und ihnen zumutbare Rücksicht auf das Gesamtinteresse des Bundesstaates und auf die Belange der Länder“ zu nehmen haben.106 Ein Verstoß kann freilich nicht isoliert geltend gemacht werden. Der Grundsatz wird nur innerhalb besonderer Rechtsbeziehungen wirksam. Im grundgesetzbezogenen Bund-Länder-Streit kann sich die antragstellende Partei auf die Bundestreue nur im Rahmen eines verfassungsrechtlichen Verhältnisses berufen. Unterverfassungsrechtlich normierte Rechte und Pflichten werden durch den Verfassungsgrundsatz nicht auf Verfassungsniveau gehoben. Kein tauglicher Streitgrund sind die aus Grundrechten fließenden Staatspflichten, weil sie nicht das verfassungsrechtliche Rechtsverhältnis zwischen Bund und Ländern betreffen, sondern nur die Bürger als Träger der Grundrechte berechtigen.107 Dies hat das BVerfG in jüngeren Entscheidungen deutlich gemacht 108, nachdem es früher einmal – im sog. Fernsehstreit – wegen der „fundamentalen Bedeutung für das gesamte öffentliche, politische und verfassungsrechtliche Leben in den Ländern“ auf die Rundfunkfreiheit (Art 5 I Satz 2 GG) abgestellt hatte.109 Bund und Länder können im Verfahren nach Art 93 I Nr 3 GG auch nicht als „Sachwalter des Einzelnen“ auftreten und die Verletzung oder Gefährdung seiner Grundrechte geltend machen.110 Die objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte verschafft den Ländern keine Garantenstellung. Zweifelhaft ist freilich die Einschätzung des BVerfG, dass ein Verfassungsrechtsverhältnis „auch nicht aus dem Gebot föderaler Gleichbehandlung“ abgeleitet werden kann 111, und dass aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem „damit verbundenen Denken in den Kategorien von Freiraum und Eingriff“ keine „Schranken für die Kompetenzausübung in dem von Staatlichkeit und Gemeinwohlorientierung bestimmten Bund-Länder-Verhältnis gewonnen werden“ können.112 Auch wenn die Länder keine Grundrechtsträger sind, ergibt sich doch aus dem Grundsatz der Bundestreue die Pflicht des Bundes zu willkürfreiem und nicht unverhältnismäßigem Verhalten.113 Sicher ist, dass Art 20 III GG keine Rechte
105 Vgl BVerfGE 8, 122, 131; 13, 54, 75 f; 21, 312, 319, 326; 42, 103, 117; 81, 310, 337 f; 104, 238, 248. Aus dem Schrifttum etwa Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 21 ff; Leisner FS 25 Jahre BVerfG I, 1976, 260, 280 ff; Benda/Klein VerfPrR, Rn 1065; Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 453 f; Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 142; Sturm in: Sachs, GG, Art 93 Rn 55; Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 35; Schorkopf in: Umbach/ Clemens/Dollinger, BVerfGG, §§ 68, 69 Rn 14; Selmer FS 50 Jahre BVerfG I, 2001, 563, 570 ff; Mayer/Müller/Wagner VerwArch 94 (2003), 295, 303 ff. 106 S etwa BVerfGE 81, 310, 337. Zu den konkurrierenden Begründungsansätzen Bauer Die Bundestreue, 1992, 234 ff. 107 Vgl etwa Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 143; Meyer in: v Münch/Kunig, GG, Art 93 Rn 49; Selmer FS 50 Jahre BVerfG I, 2001, 563, 575 ff. Differenzierend Bethge Der Staat 1971, 481 ff; Rupp FS G. Müller, 1970, 341 ff. 108 Vgl BVerfGE 81, 310, 334; 104, 238, 246. 109 BVerfGE 12, 205, 259. Krit etwa Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 156; Detterbeck Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen im öffentlichen Recht, 1995, 408; Benda/Klein VerfPrR, Rn 1064. 110 So BVerfGE 81, 310, 333 f. 111 BVerfGE 95, 250, 265; Selmer FS 50 Jahre BVerfG I, 2001, 563, 576. 112 BVerfGE 81, 310, 338. 113 Vgl zum Gleichheitssatz Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 157.
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für den Bund-Länder-Streit vermittelt, da sonst jede mögliche Verletzung einfachgesetzlich begründeter Rechte genügen würde, um die Antragsbefugnis zu begründen.114 Zudem scheidet die bloße Berufung auf Staatszielbestimmungen und objektive Verfassungsprinzipien – wie etwa Art 20a GG oder das Rechtsstaatsprinzip – aus.115
d) Mängelrügeverfahren als Vorverfahren bei Streitigkeiten um die Ausführung von Bundesgesetzen 22
Die Zulässigkeit eines Antrags im Bund-Länder-Streitverfahren ist grundsätzlich nicht von der Durchführung eines Vorverfahrens abhängig. Die antragstellende Partei kann unmittelbar gegen Maßnahmen oder Unterlassungen des Antragsgegners vorgehen. Anderes gilt für einen Streit um die Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder. Hier muss zunächst das sog. Mängelrügeverfahren nach Art 84 IV 1 GG durchgeführt werden, wonach der Bundesrat auf Antrag der Bundesregierung oder des Landes beschließt, „ob das Land das Recht verletzt hat“. In der vorgeschalteten Entscheidung eines politisch zusammengesetzten Gremiums scheint verfassungsgeschichtlich die Konzeption der Reichsverfassung von 1871 auf (→ Rn 2). Allerdings kann gegen den Beschluss des Bundesrates gem Art 84 IV 2 GG das BVerfG angerufen werden.116 Die Vorschaltung des Mängelrügeverfahrens ist zwingend.117 Zwar ist der Wortlaut des Art 84 IV GG insofern nicht eindeutig. Doch verlangt schon das Gebot bundesfreundlichen Verhaltens, dass zunächst eine Bundesratsentscheidung herbeigeführt wird. In dem sich anschließenden Verfahren vor dem BVerfG richtet sich der Antrag nach dem Wortlaut des Art 84 IV 2 GG „gegen den Beschluss des Bundesrates“. Entsprechend spricht § 70 BVerfGG von der Anfechtung des Bundesratsbeschlusses. Allerdings ist das Verfahren kein Organstreit zwischen dem Bundesrat und der unterlegenen Partei, sondern ein Unterfall des Bund-Länder-Streits.118 Außerhalb des Anwendungsbereichs des Mängelrügeverfahrens ist ein Vorverfahren weder notwendig noch möglich.119
e) Ordnungsgemäße Antragstellung, Antragsrücknahme 23
Gemäß § 23 I BVerfGG ist der das Verfahren einleitende Antrag schriftlich zu stellen und zu begründen. Nach § 69 iVm § 64 II BVerfGG ist im Antrag „die Bestimmung des Grundgesetzes zu bezeichnen, gegen die durch die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners verstoßen wird“. Darüber hinaus verlangt das BVerfG eine „nähere
114 S nur Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 457. 115 BVerfGE 104, 238, 246. 116 Vgl hinsichtlich einer Weisung des Bundes an ein Land zur Erteilung einer atomrechtlichen Weisung BVerfGE 81, 310 ff. 117 S Sachs Verfassungsprozessrecht, 2004, Rn 310; Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 459; Lerche in: Maunz/Dürig, GG, Art 84 Rn 178 ff; Benda/Klein VerfPrR, Rn 1073; Stern in: BK GG, Art 93 Rn 359; Leisner FS 25 Jahre BVerfG I, 1976, 260, 271. Für Nachweise zur Gegenansicht S Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 42. 118 Vgl etwa Detterbeck Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen im öffentlichen Recht, 1995, 409; Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 460; Benda/Klein VerfPrR, Rn 1074. 119 Vgl etwa Pestalozza VerfPrR, § 9 Rn 3; Schorkopf in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, vor §§ 68 ff Rn 12; Leisner FS 25 Jahre BVerfG I, 1976, 260, 272.
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Substantiierung der Begründung“.120 Rügt der Antragsteller einen Verstoß gegen einen ungeschriebenen Grundsatz der Verfassung, so ist dieser zu nennen.121 Die Rücknahme des Antrags hat zur Folge, dass die Entscheidungszuständigkeit des BVerfG entfällt. Ein „objektiver Verfahrenszweck“ steht dem nicht entgegen.122 Das Verfahren muss beendet werden, weil der Verfahrensbeginn einen Antrag voraussetzt.123 Der Zustimmung des Gerichts oder des Antragsgegners bedarf es nicht. Ob bereits mündlich verhandelt wurde, ist entgegen der Einschätzung des BVerfG unerheblich.124
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f) Antragsfrist Nach § 69 iVm § 64 III BVerfGG muss der Antrag im Bund-Länder-Streit binnen sechs Monaten gestellt werden, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt geworden ist.125 Wendet sich der Antragsteller gegen ein Unterlassen, beginnt die Frist erst zu laufen, wenn sich der Antragsgegner ernsthaft und eindeutig weigert, der Forderung des Antragstellers nachzukommen.126 Eine Sonderregelung enthält § 70 BVerfGG für das sog. Mängelrügeverfahren. Danach kann der Bundesratsbeschluss nur binnen eines Monats nach Beschlussfassung angefochten werden. Hierbei handelt es sich jeweils um Ausschlussfristen.127 Die Geltendmachung von Rechtsverletzungen wird durch die Fristversäumung „präkludiert“; der Antrag im Bund-Länder-Streit wird als unzulässig verworfen. Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand ist – anders als bei der Verfassungsbeschwerde nach § 93 II BVerfGG (→ § 13 Rn 109) – nicht vorgesehen und nicht möglich.128 Für die Fristberechnung können die Vorschriften der §§ 187 ff BGB herangezogen werden. Da Ziel der Fristbestimmung nur ist, zwischen Bund und Ländern möglichst bald Rechtsfrieden herzustellen, gilt die Frist nur für die Antragstellung, nicht für den Verfahrensbeitritt (→ Rn 9). Dies dient dem Interesse einer möglichst umfassenden Darlegung und rechtlichen Bewertung des Streitgegenstandes.129 Wenn unklar ist, ob eine vom BVerfG zu entscheidende verfassungsrechtliche BundLänder-Streitigkeit vorliegt oder eine Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art, die – worauf unten näher eingegangen wird (→ Rn 36) – gem § 50 I Nr 1 VwGO vor dem BVerwG auszutragen ist, kann der Antragsteller zunächst den Verwaltungsrechtsweg
120 BVerfGE 24, 252; Pieroth in: Jarass/ders, GG, Art 93 Rn 15, 34; Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 416. 121 Vgl BVerfGE 6, 309, 328; 21, 312, 319. Näher Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 416. 122 So aber Benda/Klein VerfPrR, Rn 1085; Schorkopf in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, §§ 68, 69 Rn 34. 123 Vgl Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 134; Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 418 f. 124 Anders BVerfGE 85, 164, 165: „Im Verfahren nach Art 93 I Nr 3 GG … bedarf die Rücknahme des verfahrensleitenden Antrags vor mündlicher Verhandlung grundsätzlich weder der Einwilligung des Antragsgegners noch der Zustimmung des Gerichts“. Ebenso Pieroth in: Jarass/ders, GG, Art 93 Rn 34; Benda/Klein VerfPrR, Rn 1083. 125 Richtet sich der Antrag gegen einen Normsetzungsakt, kommt es für den Fristbeginn grundsätzlich auf den Verkündungszeitpunkt an. S BVerfGG 92, 80, 87. 126 BVerfGE 21, 312, 319 f; Benda/Klein VerfPrR, Rn 1083. Zur Frage des Fristbeginns bei einem legislatorischen Unterlassen Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 466. 127 Vgl BVerfGE 80, 188, 210; 103, 164, 170. 128 Vgl Schorkopf in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 70 Rn 6. 129 BVerfGE 92, 203, 229; Schorkopf in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, §§ 68, 69 Rn 21.
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beschreiten. Der Antragsteller muss nicht zur Sicherheit auch noch das BVerfG anrufen. Hält das BVerwG die Streitigkeit für verfassungsrechtlich, muss es die Sache dem BVerfG, das in verfassungsrechtlichen Streitigkeiten ein Entscheidungsmonopol hat, gem § 50 III VwGO zur Entscheidung vorlegen (→ Rn 15). Damit die Antragsfrist nicht umgangen wird, verlangt das BVerfG freilich, dass das BVerwG binnen sechs Monaten angerufen worden ist.130 Entsprechendes muss für Verfahren vor dem BSG (§ 39 SGG) gelten.
g) Rechtsschutzbedürfnis 27
Für die Zulässigkeit eines Antrags im Bund-Länder-Streitverfahren ist schließlich – wie bei jedem Gesuch um gerichtlichen Rechtsschutz 131 – erforderlich, dass der Antragsteller ein rechtlich geschütztes Interesse an einer Entscheidung durch das BVerfG hat. Allerdings wird das Rechtsschutzbedürfnis durch das Vorliegen der normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen indiziert.132 Dass der Bund gegen ein Bundesland auch im Wege des Bundeszwangs nach Art 37 GG vorgehen kann, steht dem Rechtsschutzbedürfnis nicht entgegen, da der Bundeszwang die Zustimmung des Bundesrates voraussetzt und die Anrufung des BVerfG ein milderes Mittel ist.133 Außerdem kann das betroffene Bundesland gegen Maßnahmen des Bundeszwangs ohnehin das Verfassungsgericht anrufen. Dass eine Verletzungshandlung in der Vergangenheit liegt und abgeschlossen ist, führt nicht per se zu einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses.134 Eine Wiederholungsgefahr muss vollständig ausgeschlossen sein. Eine bloße Wohlverhaltenszusage, die Versicherung des Antragsgegners, eine bestimmte Praxis nicht fortzuführen, beseitigt das Rechtsschutzbedürfnis jedenfalls so lange nicht, wie das Vorbringen des Antragsgegners die Deutung zulässt, er fühle sich im Recht und halte sein Vorgehen für zulässig.135 Schließlich kann, wenn auch der Verwaltungsrechtsweg beschritten wurde, gegen das Rechtschutzbedürfnis nicht das Prozesshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit vorgebracht werden, da die Entscheidung über verfassungsrechtliche Streitigkeiten beim BVerfG monopolisiert ist (→ Rn 15).136
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Lösung Fall 1: Im Streit um die Aufgabe des sog. integrierten Entsorgungskonzepts waren der Bund und der Freistaat Bayern parteifähig. Die bayerische Staatsregierung war gem § 68 Alt 2 BVerfGG ein tauglicher Antragsteller, die Bundesregierung gem § 68 Alt 1 BVerfGG der richtige Antragsgegner. In der Sachverhaltsdarstellung des Gerichts heißt es, dass die
130 S BVerfGE 109, 1, 10 → JK BVerfGG § 64 III/4; Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 468; Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 36 f; Für die Annahme einer Fristhemmung bis zur Entscheidung des BVerwG Schorkopf in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, §§ 68, 69 Rn 24. 131 Vgl BVerwGE 81, 164, 165; sowie etwa Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 40 Rn 74 f. 132 Vgl auch BVerwGE 81, 164, 165 f. 133 S Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 471. 134 BVerfGE 1, 372, 379; 10, 4, 11; 41, 291 303 f; Pieroth in: Jarass/ders, GG, Art 93 Rn 33; Schorkopf in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, §§ 68, 69 Rn 19; Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 475; Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 33, 46. 135 Vgl BVerfGE 41, 291, 303 f; Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 473; Selmer FS 50 Jahre BVerfG I, 2001, 563, 580; Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 46; Mayer/Müller/Wagner VerwArch 94 (2003), 295, 316. 136 Vgl BVerfGE 84, 25, 30; Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 202; Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 474.
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Hessische Landesregierung die Auffassung der Antragstellerin teilt.137 Zu einem formellen Verfahrensbeitritt ist es aber nicht gekommen. Der Bund-Länder-Streit war nach Art 93 I Nr 3 GG statthaft, weil die Bayerische Staatsregierung die Feststellung beantragt hatte, dass der Bund durch die Unterbrechung der Erkundung des Salzstockes Gorleben und die Aufgabe des Entsorgungskonzeptes für radioaktive Abfälle ohne Beteiligung der Länder ua gegen die grundgesetzliche Kompetenzverteilung der Art 83 ff GG und den verfassungsrechtlichen Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens – mithin gegen grundgesetzliche Vorgaben, die das Bund-Länder-Verhältnis konkretisieren – verstoßen hat.138 Am Vorliegen eines formell ordnungsgemäßen Antrags bestanden keine Zweifel.139 Da der Antrag am 13.12.2000 beim BVerfG eingegangen war, wurde die Antragsfrist von sechs Monaten gerade noch gewahrt, da die Bundesregierung die Entschließung zum Moratorium und zur Aufgabe des Entsorgungskonzeptes am 14.6.2000 kenntlich gemacht hatte.140 Allerdings hat das BVerfG die Anträge als unzulässig verworfen, weil die Bayerische Staatsregierung ihre Antragsbefugnis nicht darzulegen vermochte.141 Es sei nichts dafür ersichtlich, dass dem Freistaat Bayern eine im Grundgesetz wurzelnde Rechtsposition auf zügige und kontinuierliche Erkundung des Endlagers Gorleben oder auf Beteiligung bei der Änderung des Entsorgungskonzepts gegenüber dem Bund zustehen könnte. Auf die Verletzung von Grundrechten sowie auf Art 20a GG und Art 20 III GG könne sich die Antragstellerin nicht berufen, „weil ein Land vom Bund nur die Achtung solcher Verfassungsnormen verlangen kann, die die Bundesgewalt in Auswirkung auf das Verfassungsleben der Länder beherrschen und damit eine rechtliche Beziehung zwischen Bundesgewalt und Landgewalten herstellen“. Die genannten Bestimmungen prägten nicht das föderative Bund-Länder-Verhältnis. Dass den Ländern eine verfassungsrechtliche Position bei der Regelung der Endlagerung auch nicht nach der Zuständigkeitsverteilung der Art 83 ff GG zukommt, begründete das BVerfG vor allem damit, dass Endlagerstätten auf der Grundlage des Art 87 III 1 GG in bundeseigener Verwaltung erkundet werden. Der Bund könne durch die Errichtung einer Bundesoberbehörde, der er bestimmte Aufgaben zuweist (hier des Bundesamtes für Strahlenschutz), die Verwaltungszuständigkeit an sich ziehen und gleichzeitig insoweit die Verwaltungshoheit der Länder nach Art 83 GG beenden. Auf den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens könne sich die Antragstellerin nicht berufen, weil der Grundsatz eine korrespondierende Rechtsposition der Länder voraussetze.
3. Begründetheit Ist der Antrag im Bund-Länder-Streit zulässig, „stellt“ das BVerfG gem § 69 iVm § 67 BVerfGG in Parallele zum Organstreit „fest“, „ob die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt“ (§ 67 I 1 BVerfGG).142 Ist ein Antrag nach Art 84 IV 2 GG (→ Rn 22) begründet, ist der
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BVerfGE 104, 238, 245. Näher BVerfGE 104, 238, 242 ff. Vgl BVerfGE 104, 238, 242. Vgl BVerfGE 104, 238, 245. Vgl BVerfGE 104, 238, 245 ff. Zu den Folgen des Feststellungsurteils Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 171 ff; Detterbeck Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen im öffentlichen Recht, 1995, 410 ff; Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 485 f; Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 47 ff.
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Beschluss des Bundesrates aufzuheben und in der Sache durch Feststellungsurteil zu entscheiden.143 Ein Folgenbeseitigungsausspruch ist im Urteilstenor beim Bund-LänderStreit nach Art 93 I Nr 3 GG – anders als im Verfahren nach Art 93 I Nr 4 Alt 1 und 2 GG (→ Rn 41, 50), aber wie im Verfahren nach Art 93 I Nr 4 Alt 3 GG (→ Rn 62) – nicht vorgesehen. Entscheidungen gestaltender und verpflichtender Art kommen nicht in Betracht.144 Durch das bloße Feststellungsurteil unterscheidet sich der verfassungsrechtliche Bund-Länder-Streit vom Verfahren der abstrakten Normenkontrolle, in dem die angegriffene Norm ggf. für nichtig erklärt wird (→ § 15 Rn 60). Gesetzeskraft haben Entscheidungen im Bund-Länder-Streit nicht (§ 31 II BVerfGG).145 Das Prüfungsprogramm wird durch die Anforderungen an den Streitgegenstand (→ Rn 11 ff) und die Antragsbefugnis (→ Rn 16 ff) bestimmt. Zu untersuchen ist lediglich, ob gegen grundgesetzliche Konkretisierungen des Bundesstaatsprinzips verstoßen wurde.146 Grundrechte sind kein Prüfungsmaßstab (→ Rn 21). Einfachgesetzliche Fragen werden nur insoweit beantwortet, als die Befassung damit ein notwendiger Bestandteil der verfassungsrechtlichen Prüfung ist. In der Fallbearbeitung ist bei der Bildung des Obersatzes zu berücksichtigen, dass der Bund-Länder-Streit kein objektiv-rechtliches Beanstandungsverfahren ist. Das BVerfG betont zwar den objektiven Verfahrenszweck des Bund-Länder-Streits.147 Doch ist – in Entsprechung zur Antragsbefugnis auf der Zulässigkeitsebene (→ Rn 17) – der Antrag nur begründet, wenn der Antragsgegner durch die Maßnahme oder Unterlassung grundgesetzliche, das Bundesstaatsprinzip konkretisierende Rechte des Antragstellers verletzt.148
III. Sonstiger Bund-Länder-Streit (Art 93 I Nr 4 Alt 1 GG) 31
Nach Art 93 I Nr 4 Alt 1 GG entscheidet das BVerfG auch „in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bunde und den Ländern“, „soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist“. 1. Funktion und Bedeutung
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Die Bedeutung des Bund-Länder-Streits nach Art 93 I Nr 4 Alt 1 GG ist gering. Da ausdrücklich festgelegt ist, dass es sich um „andere öffentlich-rechtliche Streitigkeiten“ handeln muss, scheiden die von Art 93 I Nr 3 GG erfassten verfassungsrechtlichen BundLänder-Streitigkeiten (→ Rn 11 ff) aus. Zudem ist regelmäßig ein „anderer Rechtsweg“ zum BVerwG bzw. zum BSG gegeben (→ Rn 36). Bei der Schaffung des Grundgesetzes
143 Zur Notwendigkeit einer „kassatorischen“ Entscheidung Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 163 ff; Schorkopf in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 70 Rn 10. 144 AA Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 160. 145 Vgl Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 69 Rn 194 ff. 146 Vgl Benda/Klein VerfPrR, Rn 1085; Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 GG Rn 148; Pieroth in: Jarass/ders, GG, Art 93 Rn 35. 147 Vgl BVerfGE 41, 291, 311. S auch Mayer/Müller/Wagner VerwArch 94 (2003), 295, 314 ff. 148 S Gersdorf Verfassungsprozessrecht und Verfassungsmäßigkeitsprüfung, 2. Aufl 2005, Rn 135; Mayer/Müller/Wagner VerwArch 94 (2003), 295, 315. Etwas anders Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 480.
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ging es noch um eine unentbehrliche Lückenschließung im Gerichtsschutz.149 Heute läuft Art 93 I Nr 4 Alt 1 GG praktisch leer.150 Die Entscheidungskompetenz des BVerfG ruht. Bislang sind nur wenige Entscheidungen ergangen.151 In einem frühen Fall stritten sich Bayern und der Bund über die Verteilung von Mitteln für den sozialen Wohnungsbau und den Grundsatz der Bundestreue.152 Damals gab es die verwaltungsgerichtliche Generalklausel des § 40 VwGO noch nicht. Heute wäre das BVerwG zuständig (→ Rn 36). In einer anderen Entscheidung ging es – worauf gleich näher einzugehen ist (→ Rn 35) – um einen Streit aus dem Einigungsvertrag zwischen dem Land Brandenburg und dem Bund.153 2. Zulässigkeitsvoraussetzungen Die Zulässigkeitsvoraussetzungen ergeben sich aus Art 93 I Nr 4 Alt 1 GG und den Konkretisierungen in § 13 Nr 8 iVm §§ 71 f BVerfGG.
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Fall 2: Nach den Richtlinien der Treuhandanstalt über die Verpachtung ehemals volkseigener landwirtschaftlicher Flächen sollten Opfer der besatzungsrechtlichen Bodenreform (1945–1949) oder ihre Erben bei der Verpachtung bevorzugt werden. Zudem sollten die Pachtverträge eine Kaufoption enthalten. Die Regierung des Landes Brandenburg wandte sich gegen die Regelungen mit der Begründung, dass der Einigungsvertrag verletzt werde, zu dessen Inhalt auch die „Gemeinsame Erklärung“ der Bundesregierung und der Regierung der ehemaligen DDR gehört (Art 41 EV), wonach „bei der Lösung der anstehenden Vermögensfragen ... ein sozial verträglicher Ausgleich unterschiedlicher Interessen zu schaffen ist“ und „die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage (1945–1949) nicht mehr rückgängig zu machen (sind)“. Ist der Bund-Länder-Streit zulässig? 154
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a) Statthaftigkeit der Verfahrensart und Subsidiarität des bundesverfassungsgerichtlichen Verfahrens Vom Verfahren nach Art 93 I Nr 3 GG unterscheidet sich Art 93 I Nr 4 Alt 1 GG im Verfahrensgegenstand: Erfasst werden „andere öffentlich-rechtliche Streitigkeiten“. Vielfach wird gesagt, dass Art 93 I Nr 3 GG die verfassungsrechtlichen und Art 93 I Nr 4 Alt 1 GG die nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeiten betrifft.155 Dieser Beschränkung entspricht die Rechtsprechung des BVerfG nicht. Vielmehr hat das Gericht nach Art 93 I Nr 4 Alt 1 GG auch über einen (verfassungsrechtlichen) Streit aus dem Einigungsvertrag entschieden, der es in Art 44 jedem der neuen Länder gestattet, Rechte geltend zu machen, die zugunsten der DDR oder zu ihren eigenen Gunsten unmittelbar in dem Vertrag begründet worden 149 Vgl Stern Staatsrecht, Bd 2, 1980, 1001. 150 S Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 106; Benda/Klein VerfPrR, Rn 1094; Maurer, Staatsrecht I, Rn 60; Selmer in: FS 50 Jahre BVerfG I, 563, 566. 151 Vgl Umbach/Dollinger in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 71 Rn 25. 152 BVerfGE 1, 299, 314 ff. 153 BVerfGE 94, 297, 309 ff. Vgl auch BVerfGE 95, 250, 266. 154 Vgl BVerfGE 94, 297 ff. 155 S etwa Pieroth in: Jarass/ders, GG, Art 93 Rn 29 ff und 36 ff; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 106; Stern Staatsrecht, Bd 2, 1980, 1001.
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sind.156 Danach erfasst Art 93 I Nr 4 Alt 1 GG neben den nichtverfassungsrechtlichen auch die nicht grundgesetzbezogenen verfassungsrechtlichen Streitigkeiten, die ihre Grundlage außerhalb der „formellen Verfassung“ im bloß „materiellen Verfassungsrecht“ haben.157 Zwingend notwendig ist die Judikatur nicht.158 Aus Gründen der klaren Trennung sollte Art 93 I Nr 4 Alt 1 GG auf öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art beschränkt werden und Art 93 I Nr 3 GG alle verfassungsrechtlichen Streitigkeiten erfassen. Die Abgrenzungsfrage ist nicht bedeutungslos 159, da das BVerfG – worauf unten einzugehen ist (→ Rn 41) – nach Art 93 I Nr 4 GG den Antragsgegner auch zur Vornahme oder Unterlassung einer Maßnahme verpflichten, also nicht nur wie bei Art 93 I Nr 3 GG bloß eine Feststellung treffen kann. Allerdings sind verfassungsrechtliche Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern, die ihre Grundlage nicht im Grundgesetz (einschließlich seiner ungeschriebenen Grundsätze), sondern im „extrakonstitutionellen Verfassungsrecht“ haben, eine seltene Ausnahme.160 Manche meinen, dass Art 93 I Nr 4 Alt 1 GG von vornherein nur dieses „andere Verfassungsrecht“ erfasst.161 Dem muss wegen der Subsidiaritätsklausel („soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist“) nicht nachgegangen werden, da über „öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art zwischen dem Bund und den Ländern“ gem § 40 I 1 iVm § 50 I Nr 1 VwGO das BVerwG „im ersten und letzten Rechtszug“ bzw. bei sozialgerichtlichen Streitigkeiten (§ 51 SGG) gemäß § 39 II SGG das BSG zuständig ist. Dass die obersten Bundesgerichte verpflichtet sind, verfassungsrechtliche Streitigkeiten dem BVerfG vorzulegen, wurde oben bereits erwähnt (→ Rn 15).
b) Sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen 37
Hinsichtlich der sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen bestehen keine Besonderheiten. Parteien des Streitverfahrens können – wie beim grundgesetzbezogenen Bund-LänderStreit (→ Rn 8 ff) – nur der Bund und die Länder sein. Vertretungsbefugt sind gem § 71 I Nr 1 BVerfGG erneut allein die Regierungen. Im Falle des Untergangs eines Landes durch Eingliederung sollen die auf dem Territorium des untergegangenen Landes bestehenden obersten Selbstverwaltungskörperschaften handeln können.162 Auf Details wird in anderem Zusammenhang eingegangen (→ Rn 46). Einzelpersonen ist dieser Weg – unabhängig davon, ob sie als Abgeordnete demokratisch legitimiert sind oder nicht – versperrt.163
156 Vgl BVerfGE 94, 297, 309 ff. Ebenso Wagner Der Einigungsvertrag nach dem Beitritt, 1994, 268 ff. 157 S Sachs Verfassungsprozessrecht, 2004, Rn 320; Detterbeck Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen im öffentlichen Recht, 1995, 416 f; Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 154. 158 Krit auch Benda/Klein VerfPrR, Rn 1095; Maurer Staatsrecht I, § 20 Rn 60; Wieland in: Dreier, Bd 3, GG, Art 93 Rn 68. Positiver Selmer in: FS 50 Jahre BVerfG I, 563, 573. 159 So aber Maurer Staatsrecht I, § 20 Rn 60. 160 Sachs Verfassungsprozessrecht, 2004, Rn 320; Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 154. Vgl zur Abgrenzung Isensee Staat und Verfassung, in: ders/Kirchhof (Hrsg), Handbuch des Staatsrechts, Bd 2, § 15 Rn 188 ff; Sachs in: ders, GG, Einf Rn 7 ff. Krit zu dieser Unterscheidung Hesse Verfassung und Verfassungsrecht, in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, § 1 Rn 3 mit Fn 4. 161 S etwa Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 154. 162 Vgl Pieroth in: Jarass/ders, GG, Art 93 Rn 36; Benda/Klein VerfPrR, Rn 1092; offen gelassen in BVerfGE 49, 10, 15. 163 BVerfGE 49, 10, 15. Ebenso etwa Benda/Klein VerfPrR, Rn 1092.
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Für die Antragsbefugnis fehlt es an einer ausdrücklichen Regelung. In den §§ 71 f BVerfGG findet sich – anders als für den grundgesetzbezogenen Verfassungsstreit (§ 69 BVerfGG) – kein genereller Verweis auf das Organstreitverfahren (§§ 64 bis 67 BVerfGG).164 Freilich muss es auch hier um „Streitigkeiten“ gehen. Der Konflikt muss einen „kontradiktorischen“ Charakter haben.165 Die antragstellende Partei muss geltend machen, dass der Antragsgegner ihre Rechte möglicherweise verletzt oder unmittelbar gefährdet.166 Die Formerfordernisse sind in § 23 I BVerfGG geregelt. Die Antragsfrist beträgt gem § 71 II iVm § 64 III BVerfGG sechs Monate, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt geworden ist.167 Schließlich muss der Antragsteller wie im Fall der grundgesetzbezogenen Bund-Länder-Streitigkeit ein Rechtsschutzinteresse an der verfassungsgerichtlichen Streiterledigung haben.168
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Lösung Fall 2: Im Rechtsstreit um die Bevorzugung der Opfer der Bodenreform hielt das BVerfG das Verfahren – ohne auf Art 93 I Nr 3 GG einzugehen – gem Art 93 I Nr 4 GG für statthaft. Betont wurde, dass „ein anderer Rechtsweg, etwa der zum BVerwG gem §§ 40 I 1, 50 I Nr 1 VwGO, für einen solchen Rechtsstreit nicht gegeben (ist), weil es sich um materielles Verfassungsrecht handelt“.169 Allerdings wurde der Antrag des Landes Brandenburg wegen fehlender Antragsbefugnis als unzulässig verworfen. Eine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland aus dem Einigungsvertrag, bei der Regelung offener Vermögensfragen einen sozial verträglichen Ausgleich unterschiedlicher Interessen zu schaffen und keine Rechtsvorschriften zu erlassen, die der Gemeinsamen Erklärung widersprechen, werde durch die Richtlinie der Treuhandanstalt „offensichtlich nicht verletzt“. Das Gericht erklärte, dass „von einer generellen und sozial unverträglichen Bevorzugung der Bodenreformopfer oder ihrer Erben bei der Verpachtung von ehemals volkseigenen landwirtschaftlichen Flächen nicht die Rede sein (kann)“.170
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3. Begründetheit Hinsichtlich des Entscheidungsinhalts trifft § 72 BVerfGG eine Regelung, die über die Vorgaben für den Bund-Länder-Streit nach Art 93 I Nr 3 GG (→ Rn 29 f) und den Organstreit nach Art 93 I Nr 1 GG (→ § 17 Rn 52) hinausgeht.171 Danach kann das BVerfG in seiner Entscheidung nicht nur „auf die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer
164 Der fehlende Verweis auf § 64 I BVerfGG ist keine Nachlässigkeit, sondern wohlüberlegt. Denn § 64 I BVerfGG betrifft die Verletzung oder unmittelbare Gefährdung von „durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten“. Darum geht es bei Art 93 I Nr 4 Alt 1 GG jedoch gerade nicht. Vgl Benda/Klein VerfPrR, Rn 1093. 165 Vgl etwa Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 155; Benda/Klein VerfPrR, Rn 1093; Leisner in: FS 25 Jahre BVerfG I, 260, 263. 166 S etwa Pieroth in: Jarass/ders, GG, Art 93 Rn 36. 167 Vgl Umbach/Dollinger in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 71 Rn 23. 168 S nur Benda/Klein VerfPrR, Rn 1096. 169 S BVerfGE 94, 297, 310. 170 S BVerfGE 94, 297, 309 ff. 171 Näher zum Entscheidungsinhalt und den Rechtsfolgen des Urteils Umbach/Dollinger in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 71 Rn 4 ff, 11 ff.
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Maßnahme erkennen“ (§ 72 I Nr 1 BVerfGG), also ein Feststellungsurteil erlassen, sondern den Antragsgegner auch zu einer Leistung (§ 72 I Nr 3 BVerfGG) oder zu sonstigem Verhalten (§ 72 I Nr 2 BVerfGG) verpflichten.
IV. Streit zwischen Bundesländern (Art 93 I Nr 4 Alt 2 GG) 42
Nach Art 93 I Nr 4 Alt 2 GG ist das BVerfG auch für „öffentlich-rechtliche Streitigkeiten … zwischen verschiedenen Ländern“ zuständig, „soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist“. 1. Funktion und Bedeutung
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Dass das BVerfG – wie schon der Staatsgerichtshof in der Weimarer Republik (→ Rn 2) – auch über Streitigkeiten zwischen den Bundesländern entscheiden kann, soll den „Bundesfrieden“ sichern.172 Allerdings wird auch der Anwendungsbereich des Zwischenländerstreitverfahrens durch die Subsidiaritätsklausel erheblich eingeschränkt. Da bei öffentlichrechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art „ein anderer Rechtsweg“ gegeben ist, beschränkt sich der bundesverfassungsgerichtliche Zwischenländerstreit im Ergebnis auf verfassungsrechtliche Streitigkeiten (→ Rn 47). In der Praxis ging es bislang vor allem um Streitigkeiten um die verfassungsrechtlichen Rechte von vorkonstitutionell durch Eingliederungsverträge untergegangene Gliedstaaten.173 Angesichts der stets latenten Diskussion um die Neugliederung des Bundesgebietes könnte die Judikatur wieder aktuell werden.174 2. Zulässigkeitsvoraussetzungen
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Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung eines Streits zwischen Bundesländern ergeben sich aus Art 93 I Nr 4 Alt 2 GG, der durch § 13 Nr 8 iVm § 71 f BVerfGG konkretisiert wird.
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Fall 3: Der Freistaat Coburg wurde in den Freistaat Bayern durch einen am 1.7.1920 in Kraft getretenen Staatsvertrag zwischen beiden Ländern eingegliedert. Der Vertrag enthält ua Regelungen zur Wahrung der kulturellen Interessen Coburgs. Vor allem wurden die bestehenden Bildungsanstalten garantiert. Durch ein am 31.10.1962 verkündetes Gesetz wurde die Stadt Coburg verpflichtet, vorher nicht bestehende Lasten als Träger der betroffenen Schulen zu übernehmen. Wie kann sie dagegen vorgehen? 175
172 Vgl Benda/Klein VerfPrR, Rn 1100; Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 28; Stern Staatsrecht, Bd 2, 1980, 996 f, 1003. 173 Vgl BVerfGE 4, 250, 267 ff; 22, 221, 231 ff; 38, 231, 237; 62, 295, 312 f. Allgem Frowein ZaÖRV 30 (1970), 1 ff. 174 Im Übrigen soll das Verfahren auch außerhalb von Staatsverträgen bei einem verfassungsrechtlichen Streit zwischen Ländern wichtig werden können, wenn mangels besonderer Vereinbarung subsidiär nach völkerrechtlichen Regelungen zu entscheiden ist. So Voßkuhle in: v Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 156; Umbach/Dollinger in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 71 Rn 39. 175 Vgl BVerfGE 22, 221 ff.
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a) Parteifähigkeit und Vertretungsbefugnis Parteien des Rechtsstreits sind die Länder selbst. Vertretungsbefugt sind gemäß § 71 I Nr 2 BVerfGG erneut nur die Landesregierungen. Probleme ergeben sich, wenn es um die Verletzung der Rechte eines untergegangenen Landes geht. Das BVerfG fingiert das untergegangene Land „als fortbestehend“, soweit Rechte geltend gemacht werden, die im unmittelbaren Zusammenhang mit seinem Untergang stehen.176 Dahinter steht die Überlegung, dass Art 93 I Nr 4 GG einen lückenlosen Gerichtsschutz gewähren will. Außerdem gelten nach der Altrechtsklausel des Art 123 I GG die Eingliederungsverträge als Recht aus der Zeit vor dem Zusammentritt des Ersten Bundestages fort, soweit sie dem Grundgesetz nicht widersprechen.177 Da die Landesregierung als verfassungsmäßiges Vertretungsorgan nicht mehr besteht, sollen die auf dem Territorium bestehenden obersten Selbstverwaltungskörperschaften – in der Regel Landkreise oder kreisfreie Städte – „als Repräsentanten der Bevölkerung des untergegangenen Landes“ den Antrag stellen können.178 Nach anderer Auffassung können die Gebietskörperschaften in einer Prozessstandschaft die Rechte des untergegangenen Landes im eigenen Namen geltend machen.179 Dagegen wird vorgebracht, dass die Prozessstandschaft als Ausnahmetatbestand einer ausdrücklichen gesetzlichen Zulassung bedürfe, die nicht besteht.180 Der dogmatische Streit hat keine praktische Bedeutung. Jedenfalls müssen alle fortbestehenden Gebietskörperschaften grundsätzlich gemeinsam handeln. Anderes gilt nur dann, wenn einzelne sich der Rechtsverfolgung verweigern und damit die Gesamtbevölkerung schutzlos gestellt würde.181
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b) Statthaftigkeit der Verfahrensart und Subsidiarität des bundesverfassungsgerichtlichen Verfahrens Anders als es der Wortlaut des – insoweit redaktionell verunglückten 182 – Art 93 I Nr 4 GG nahe legt („andere öffentlich-rechtliche Streitigkeiten“), kann es im Streit zwischen den Ländern grundsätzlich nicht nur um verwaltungsrechtliche, sondern auch um verfassungsrechtliche, mithin um alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten gehen.183 Dafür spricht neben dem Zweck der Regelung, den „Bundesfrieden“ zu sichern, die Entstehungsgeschichte. Das BVerfG steht insofern in der „staatsgerichtlichen“ Tradition.184 Nur pri176 Vgl BVerfGE 4, 250, 268; 22, 221, 231; 62, 295, 312. Unklar BVerfGE 42, 345, 355. 177 Vgl Umbach/Dollinger in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 71 Rn 33. 178 Vgl BVerfGE 4, 250, 267; 13, 54, 86; 22, 221, 231, 233; 42, 345, 355 f. Zum historischen Hintergrund der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs Stern in: BK GG, Art 93 Rn 390 ff. 179 S etwa Benda/Klein VerfPrR, Rn 1105; Sturm in: Sachs, GG, Art 93 Rn 63; Umbach/Dollinger in: Umbach/Clemens/Dollinger, § 71 Rn 38. 180 S Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 71 Rn 108 mwN; Voßkuhle in: v Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 157. Benda/Klein VerfPrR, Rn 1105, halten dem das Gebot effektiven Rechtschutzes entgegen. 181 Vgl BVerfGE 22, 221, 231 ff. 182 Die Wendung „andere öffentlich-rechtliche Streitigkeiten“ kann sich nur auf Art 93 I Nr 4 Alt 1 GG beziehen, da in keiner der vorangehenden Ziffern des Art 93 I GG eine Zuständigkeit des BVerfG für Streitigkeiten zwischen den Ländern normiert ist. So auch Stern Staatsrecht, Bd 2, 1980, 1003. 183 S Benda/Klein VerfPrR, Rn 1100; Stern in: BK GG, Art 93 Rn 380 ff; Sturm in: Sachs, GG, Art 93 Rn 62; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 107; Pieroth in: Jarass/ders, GG, Art 93 Rn 38. 184 Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 28, weist darauf hin, dass die ältere Doktrin bevorzugt von „Staatsgerichtsbarkeit“ sprach, weil dieser Begriff auch die Staatengerichtsbarkeit nichtverfassungsrechtlichen Zuschnitts (verwaltungsrechtliche und sogar auch privatrechtliche
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vatrechtliche Verträge können – dem Vorbild der Weimarer Reichsverfassung entsprechend (→ Rn 2) – kein Streitgegenstand sein.185 Teile des Schrifttums 186 und – wenn auch nicht ganz widerspruchsfrei – das BVerfG 187 meinen, dass sich Art 93 I Nr 4 GG von vornherein ausschließlich auf materiell verfassungsrechtliche Streitigkeiten bezieht. Hierfür spricht, dass das BVerfG ein Spezialgericht für Verfassungsfragen ist. Der Streit hat freilich keine praktische Bedeutung, da bei den öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art ohnehin „ein anderer Rechtsweg“ eröffnet ist. „Funktionsfremde Aufgaben“ werden dem Verfassungsgericht nicht aufgebürdet.188 Wiederum entscheidet das BVerwG gem § 40 iVm 50 I Nr 1 VwGO „im ersten und letzten Rechtszug“ bzw. nach § 39 I, § 51 SGG das BSG. Damit beschränkt sich der bundesverfassungsgerichtliche Zwischenländerstreit im Ergebnis doch auf verfassungsrechtliche Streitigkeiten. Eine spezielle Kompetenzzuweisung an das BVerfG, die als ein anderer Rechtsweg den Zwischenländerstreit nach Art 94 I Nr 4 Alt 2 GG ausschließen würde, gibt es nicht. Die Jurisdiktionsgewalt der Landesverfassungsgerichte ist naturgemäß auf das jeweilige Landesgebiet beschränkt.189 Ein „anderer Rechtsweg“ ist – was freilich unwahrscheinlich ist – allenfalls bei einer entsprechenden Schiedsvereinbarung gegeben.190 Ob Staatsverträge verfassungsoder verwaltungsrechtlicher Natur sind, hängt vom Einzelfall ab.191 So beurteilte das BVerfG den Staatsvertrag zwischen dem früheren Freistaat Coburg und dem Freistaat Bayern aus dem Jahre 1920 über die Eingliederung Coburgs in den Freistaat Bayern als verfassungsrechtlich,192 den Staatsvertrag der Länder über die Vergabe von Studienplätzen hingegen als verwaltungsrechtlich.193
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Die – nicht explizit geregelte – Antragsbefugnis ist gegeben, wenn das antragstellende Land geltend macht, dass eigene Rechte durch das beklagte Land möglicherweise verletzt
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Streitigkeiten) in sich aufnahm. Vgl zur Entstehungsgeschichte auch Stern in: BK GG, Art 93 Rn 381 f. Vgl BVerfGE 62, 295, 312 ff, 319 f (zum Streit zwischen dem früheren Staat Waldeck-Pyrmont und seinem fürstlichen Haus); Kirchhof DÖV 1972, 109, 113. S etwa Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 151; Umbach/Dollinger in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 71 Rn 8 ff; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 71 Rn 17 ff; Rinken in: AK GG, Art 93 Rn 35. S BVerfGE 31, 371, 377. An anderer Stelle (BVerfGE 4, 250, 267) hat das BVerfG freilich dem „Sinnzusammenhang“ der Art 93 I Nr 3 und 4 GG entnommen, „dass für alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten aus dem föderalen Bereich, wenigstens subsidiär, der Rechtsweg an das BVerfG eröffnet werden sollte“. So aber Rinken in: AK GG, Art 93 Rn 35. Vgl Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen im öffentlichen Recht, 1995, 420. Vgl Benda/Klein VerfPrR, Rn 1100; Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 156; Pestalozza VerfPrR, § 10 Rn 1; Umbach/Dollinger in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 71 Rn 6; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 71 Rn 35; Friesenhahn in: FS 25 Jahre BVerfG I, 748, 786. Vgl zu den maßgeblichen Kriterien Benda/Klein VerfPrR, Rn 1102; Vedder Interföderale Staatsverträge, 1996, 274 f. BVerfGE 22, 221, 229 ff. BVerfGE 42, 103, 110 ff.
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Föderative Streitigkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht
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oder unmittelbar gefährdet werden.194 Man mag § 64 I BVerfGG analog anwenden. Das Erfordernis einer Antragsbefugnis folgt aus dem kontradiktorischen Charakter der Streitigkeit.195 § 23 I BVerfGG bestimmt die Formerfordernisse. Die sechsmonatige Antragsfrist ergibt sich aus §§ 71 II, 64 III BVerfGG.196 Lösung Fall 3: Im bundesverfassungsgerichtlichen Streit um den Staatsvertrag zur Eingliederung des Freistaats Coburg in das Land Bayern stand die Parteifähigkeit des untergegangenen Landes in Frage. Das BVerfG betonte, dass der Freistaat Coburg für den Prozess als fortbestehend anzusehen ist. Daran könne der Umstand, dass zwischen dem Abschluss des Staatsvertrages und dem Anhängigwerden des Rechtsstreites zwei strukturelle Veränderungen stattgefunden haben– der Übergang zum Einheitsstaat nach 1933 und die Neubildung der Länder nach 1945 – nichts ändern.197 Als vertretungsbefugte Antragsteller kamen die beiden kreisfreien Städte Coburg und Neustadt sowie der Landkreis Coburg als oberste Selbstverwaltungskörperschaften in Betracht. Dass nur die Städte den Antrag gestellt haben und sich der Landkreis nicht am Verfahren beteiligt hat, schadete nach Auffassung des BVerfG nicht, weil „andernfalls das untergegangene Land schutzlos und klaglos gestellt werden (würde)“. Das Gericht erklärte: „Es kann nicht Rechtens sein, dass einer von mehreren in Betracht kommenden Klageberechtigten den Prozess an dieser prozessualen Frage soll scheitern lassen können, indem er aus teils unsachlichen, teils irrigen Erwägungen sich weigert beizutreten“.198 Das Verfahren war nach Art 93 I Nr 4 Alt 2 GG statthaft. Das BVerfG betonte, dass einzelne Vereinbarungen des Staatsvertrages, wenn man sie isoliert betrachtet, auch Inhalt eines Verwaltungsabkommens zwischen zwei Staaten sein und dann unter Umständen dem Verwaltungsrecht angehören könnten. Die in Streit stehende Vereinbarung wurde jedoch als ein „rechtlich unlösbarer Teil des verfassungsrechtlichen Eingliederungsvorgangs“ angesehen. Sie bilde mit den übrigen Garantien und Zusicherungen nach der Eingliederung den letzten Rest von Staatlichkeit auf der Seite des aufgenommenen Landes.199 Die Antragsfrist war gewahrt, weil das maßgebliche Gesetz am 31.10.1962 verkündet worden und der Antrag am 26.4.1963 eingegangen war. Die Antragsbefugnis war gegeben, weil nicht ausgeschlossen war, dass die gesetzlich zugewiesene Schulträgerlast die Rechte der Stadt Coburg aus dem Staatsvertrag verletzte.
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3. Begründetheit Ein Antrag ist im bundesverfassungsgerichtlichen Zwischenländerstreit begründet, wenn das beklagte Land die Rechte des antragstellenden Landes verletzt. Der zulässige Entscheidungsinhalt ergibt sich auch aus § 72 I BVerfGG. Es kommt nicht nur ein Feststellungs-, sondern auch ein Verpflichtungsurteil (etwa die Verurteilung zu einer Leistung) 200 in Betracht.201
194 195 196 197 198 199 200 201
S nur Pieroth in: Jarass/ders, GG, Art 93 Rn 38. Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 158. Vgl Umbach/Dollinger in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 71 Rn 23. BVerfGE 22, 221, 231. BVerfGE 22, 221, 233. BVerfGE 22, 221, 230 mwN. Vgl BVerfGE 34, 217, 236 ff. Zum Entscheidungsinhalt und den Rechtsfolgen der Entscheidung Umbach/Dollinger in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 71 Rn 4 ff, 11 ff.
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V. Landesinterne Streitigkeiten (Art 93 I Nr 4 Alt 3 GG) 51
Nach Art 93 I Nr 4 Alt 3 GG entscheidet das BVerfG schließlich auch über „öffentlichrechtliche Streitigkeiten … innerhalb eines Landes“, „soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist“. 1. Funktion und Bedeutung
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Die von Art 93 I Nr 4 Alt 3 GG erfassten landesinternen Konflikte gehören an sich nicht zu den föderativen Streitigkeiten; denn hier wird nicht unmittelbar das bundesstaatliche Rechtsverhältnis berührt, sondern primär das Landesverfassungsrecht.202 Allerdings ist ein Bezug zur Bundesstaatlichkeit gegeben, weil der Bund ein legitimes Interesse daran hat, dass landesinterne Konflikte wegen ihrer möglichen Auswirkungen auf den Bundesbereich gerichtlich bereinigt werden können.203 Die Entscheidungsbefugnis des BVerfG fußt auf einer entsprechenden Regelung in der Weimarer Reichsverfassung (→ Rn 2). Da dem Gericht Kompetenzen zugewiesen werden, die eigentlich auf die Landesebene gehören, versteht es sich von selbst, dass die Entscheidungsbefugnis aufgrund der Eigenstaatlichkeit der Länder nur in Ausnahmefällen zum Tragen kommen kann. Dem Wortlaut des Art 98 I Nr 4 Alt 3 GG nach bezieht sich die Zuständigkeit des BVerfG auf alle landesinternen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten. Allerdings scheidet eine Entscheidung im nichtverfassungsrechtlichen Rechtsstreit schon wegen der Subsidiaritätsklausel aus, weil dann gem § 40 I 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Im bundesverfassungsgerichtlichen Verfahren kann es mithin nur um verfassungsrechtliche Streitigkeiten gehen. Zum gleichen Ergebnis kommt das BVerfG mit einer teleologischen Reduktion des Art 93 I Nr 4 Alt 3 GG. Danach ist Zweck des Verfahrens von vornherein bloß die prozessuale Absicherung des Bundesfriedens durch Gewährleistung lückenlosen gerichtlichen Rechtsschutzes in Verfassungsstreitigkeiten innerhalb der Länder.204 Insofern wirkt allerdings die Subsidiaritätsklausel zugunsten einer Landesverfassungsgerichtsbarkeit. Vor diesem Hintergrund hatte die Zuständigkeit des BVerfG zur Entscheidung landesinterner Streitigkeiten zunächst kaum Bedeutung erlangt.205 Teilweise wird sogar für eine Streichung von Art 93 I Nr 4 Alt 3 GG plädiert, um das BVerfG zu entlasten.206 Nach der Wiedervereinigung hatte das Verfahren aber zwischenzeitlich an Bedeutung gewonnen, weil die Landesverfassungsgerichtsbarkeit in den neuen Ländern zu Beginn noch nicht funktionsfähig war.207 Auch in den alten Bundesländern kam das Verfahren zum Tragen, weil es dort teilweise über einen langen Zeitraum hinweg Lücken bei der Eröffnung des Organstreits gab, die – worauf später näher einzugehen ist (→ Rn 58) –
202 203 204 205 206
Stern Staatsrecht, Bd 2, 1980, 998. Maurer Staatsrecht I, § 20 Rn 54. BVerfGE 27, 240, 245 ff; 60, 319, 325 f; 93, 195, 202. Vgl Benda/Klein VerfPrR, Rn 1129. So zB Bundesministerium der Justiz (Hrsg), Entlastung des BVerfG, Bericht der Kommission, 1998, 94; s auch Mahrenholz ZRP 1997, 129, 131 f. 207 Vgl BVerfGE 102, 224 ff; Sachs Verfassungsprozessrecht, 2004, Rn 338; Sturm in: Sachs, GG, Art 93 Rn 64.
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durch das BVerfG geschlossen wurden. Jedenfalls ist Art 93 I Nr 4 Alt 3 GG zwar nur, aber immerhin von nachrangiger Bedeutung, weil der „Reservekompetenz“ des BVerfG im Notfall eine gewährleistende Funktion zukommt.208 2. Zulässigkeitsvoraussetzungen Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Antrags auf eine bundesverfassungsgerichtliche Entscheidung landesinterner Streitigkeiten ergeben sich aus § 93 I Nr 4 Alt 3 GG und aus den Konkretisierungen in § 13 Nr 8 iVm §§ 71 f BVerfGG.
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Fall 4: Im Jahr 1994 setzte die Hamburgische Bürgerschaft einen Untersuchungsausschuss zu einem mutmaßlichen Fehlverhalten von Polizeibeamten während einer Kundgebung auf dem Hamburger Gänsemarkt ein. Der Untersuchungsausschuss beschloss, dass die Fraktionen je zwei Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen benennen können, die an allen Sitzungen (auch den nichtöffentlichen) teilnehmen und Akteneinsichtsrecht haben. Die GAL-Fraktion benannte ua ihren Mitarbeiter M. Da dieser die Vorgänge auf dem Gänsemarkt beobachtet hatte und deswegen als Zeuge in Betracht kam, beschloss der Ausschuss ihn von der weiteren Ausschussarbeit auszuschließen. Kann die GAL-Fraktion dagegen mit einem Antrag an das BVerfG vorgehen? 209
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a) Parteifähigkeit Im Verfahren zur bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung landesinterner Konflikte geht es – anders als bei den anderen föderativen Streitigkeiten – um einen Organstreit. Allerdings trifft Art 93 I Nr 4 Alt 3 GG keine Regelung zur Parteifähigkeit. Maßgeblich ist § 71 I Nr 3 BVerfGG, wonach – in Anlehnung an die Vorgabe des § 63 BVerfGG zum Bundesorganstreit nach Art 93 I Nr 1 GG – „nur die obersten Organe des Landes und die in der Landesverfassung oder in der Geschäftsordnung eines obersten Organs des Landes mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe“ Antragsteller und Antragsgegner sein können, „wenn sie durch den Streitgegenstand in ihren Rechten oder Zuständigkeiten unmittelbar berührt sind.“ 210 Das BVerfG orientiert sich bei der Anwendung dieser Vorschrift an seiner Rechtsprechung zum Bundesorganstreit (→ § 17 Rn 4 ff).211 Danach kommt den „Faktoren des Verfassungslebens“ 212 Parteifähigkeit zu.213 Dies gilt vor allem für Landesparlamente 214, Landesregierungen 215, Ministerpräsidenten und Minister.216 Zum Kreis der Parteifähigen zählen aber auch einzelne Abgeordnete 217, Parlamentsaus-
208 Vgl Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 153; Benda/Klein VerfPrR, Rn 1129; Zierlein AöR 118 (1993), 66, 105; Hesse JZ 1995, 265, 269. 209 Vgl BVerfGE 93, 195 ff. 210 Zur Entstehungsgeschichte Umbach/Dollinger in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 71 Rn 3. 211 Vgl Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 160. 212 Vgl BVerfGE 1, 208, 221; 27, 240, 246. 213 Benda/Klein VerfPrR, Rn 1119. 214 BVerfGE 62, 194, 200. 215 BVerfGE 60, 175, 203 → JK GG Art. 93 I Nr 4/2. 216 S nur Benda/Klein VerfPrR, Rn 1119. 217 BVerfGE 62, 194, 200; 64, 301, 312; 102, 224, 231.
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schüsse, Fraktionen und konstituierte Minderheiten der Landesparlamente 218, Landesverbände der politischen Parteien 219 und Landesrechnungshöfe.220 Keine Verfassungsorgane und damit nicht parteifähig sind Kommunen 221, einzelne Bürger 222 und – aufgrund ihrer richterlichen Funktion – die Landesverfassungsgerichte.223 Schließlich wird auch dem Staatsvolk, selbst wenn es landesverfassungsrechtlich mit Organrechten etwa im Gesetzgebungsverfahren (Volksbegehren, Volksentscheid) ausgestattet ist, die Parteifähigkeit abgesprochen.224 Dies ist zwar umstritten 225, aber zutreffend, weil dem Staatsvolk eine ausreichende Organisation und funktionsfähige Struktur fehlt.
b) Statthaftigkeit der Verfahrensart und Subsidiarität des bundesverfassungsgerichtlichen Verfahrens 57
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Wie erwähnt erfasst die Zuständigkeit des BVerfG – anders als es der Wortlaut von Art 93 I Nr 4 Alt 3 GG nahe legt – von vornherein oder aufgrund der Subsidiaritätsklausel nicht alle „öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten“ innerhalb eines Landes, sondern in Parallele zum Bundesorganstreit gemäß Art 93 I Nr 1 GG (→ § 17 Rn 35) nur die verfassungsrechtlichen Organstreitigkeiten.226 Zudem wird das Verfahren wegen der Subsidiaritätsklausel durch im Landesrecht vorgesehene Zuständigkeiten der Landesverfassungsgerichte (Verfassungsgerichtshöfe, Staatsgerichtshöfe) bzw. in Schleswig-Holstein durch die – von Art 99 GG ermöglichte – Entscheidungsbefugnis des BVerfG als „Landesverfassungsgericht für das Land Schleswig-Holstein“ verdrängt.227 Es wird eine Balance zwischen der „Bundessorge für das System der gewaltengeteilten Staatswillensbildung auch auf der Landesebene“ auf der einen und des „verfassungsnotwendigen Respekts vor der ‚Landesverfassungsgerichtsbarkeit als Wesenselement des Föderalismus‘“ hergestellt.228 Allerdings ist der Umfang der Verdrängung streitig. Um „einen lückenlosen Rechtsschutz für die am Verfassungsleben eines Landes Beteiligten gegen alle Verletzungen ihrer eigenen verfassungsmäßigen Rechte zu gewährleisten“ 229, hält sich das BVerfG in konkreter Betrachtungsweise nicht nur dann für zuständig, „wenn das Landesrecht für Organstreitigkeiten überhaupt keine Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichts vorsieht, sondern auch soweit das Landesrecht den Kreis der Antragsberechtigten enger zieht als nach 218 Vgl BVerfGE 62, 194, 199 f; 93, 195, 203. 219 Vgl BVerfGE 66, 107, 115; 67, 65 69; 75, 34, 39; Benda/Klein VerfPrR, Rn 1119; Stein DÖV 2002, 713, 717 f. Umbach/Dollinger in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 71 Rn 43. AA Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 153. 220 Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 71 Rn 178. 221 S BVerfGE 27, 240 246; sowie Benda/Klein, VerfPrR, Rn 1121 mN zur Gegenauffassung. 222 BVerfGE 60, 175, 200 ff → JK GG Art. 93 I Nr 4/2, mwN. 223 BVerfGE 60, 175, 202 f → JK GG Art 93 I Nr 4/2; 67, 65, 68; BVerfG, Kammerbeschl. v 8.1.1996, LKV 1996, 333; Benda/Klein VerfPrR, Rn 1120; Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art 93 Rn 160. 224 Vgl Benda/Klein VerfPrR, Rn 1120. 225 AA etwa Pieroth in: Jarass/ders, GG, Art 93 Rn 40; Pieroth/Kampmann NWVBl 1987, 60. 226 BVerfGE 27, 240, 245 f; 96, 231, 244; Maurer Staatsrecht I, § 20 Rn 65. 227 Vgl zu den Landesverfassungsgerichten BVerfGE 102, 245, 250; 109, 275, 278 f. Zu SchleswigHolstein vgl BVerfGE 27, 44 ff; 60, 53 ff; 103, 332, 344 f; Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 53 ff. Zum Prüfungsumfang der Landesverfassungsgerichte Benda/Klein VerfPrR, Rn 1116. 228 S Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 26; Benda/Klein VerfPrR, Rn 1113. 229 BVerfGE 93, 195, 202; 102, 224, 231; 102, 245, 250.
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Art 93 I Nr 4 GG iVm § 71 I Nr 3 BVerfGG“.230 Dies komme durch den Passus „soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist“ deutlich zum Ausdruck.231 Das Gericht wird danach auch dann als „subsidiäres Landesverfassungsgericht“ tätig, wenn „keine ausreichende landesverfassungsgerichtliche Zuständigkeit“ gegeben ist.232 Diese Einschätzung ist im Hinblick auf die Eigenstaatlichkeit und Verfassungsautonomie der Länder zweifelhaft. Die „Bundesgewährleistung des Landesverfassungsrechts“ 233 findet ihre Grenze in Art 28 I 1 GG, wonach die „verfassungsmäßige Ordnung“ nur den „Grundsätzen des … Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen“ muss. Weil der Bund damit lediglich die notwendige Homogenität sichern, nicht Uniformität schaffen darf,234 ist eine abstrakte Betrachtungsweise angebracht. § 93 I Nr 4 Alt 3 GG hat nur die Aufgabe, die aus Gründen der bundesstaatlichen Struktur unerlässlichen Verfassungsgewährleistungen zu garantieren.235 Danach schließt schon die Einrichtung eines landesrechtlichen Organstreitverfahrens den Gang zum BVerfG grundsätzlich – dh, wenn das Organstreitverfahren „diesen Namen verdient“, weil die Landesregelung nicht „ihrer Struktur nach mit dem Grundgesetz unverträglich erscheint“ – aus.236 Andernfalls würden die politischen Entscheidungen der Landesgesetzgeber zu Art und Umfang der verfassungsgerichtlichen Entscheidung verfassungsrechtlicher Konflikte entwertet. Neben der größtmöglichen Schonung der Eigenstaatlichkeit der Länder spricht der Gesichtspunkt der Entlastung des BVerfG für diese Einschätzung. Immerhin hat das BVerfG deutlich gemacht, dass die Antragsbefugnis entfällt, wenn während des Verfahrens das Landesrecht einen eigenen Rechtsweg zur Verfügung stellt.237
c) Sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen Die Antragsbefugnis ergibt sich aus § 71 I Nr 3 BVerfGG. Vorausgesetzt wird, dass die Verfahrensbeteiligten „durch den Streitgegenstand in ihren Rechten oder Zuständigkeiten unmittelbar berührt sind“. Maßgeblich ist das Landesverfassungsrecht.238 Der Antragsteller muss danach „schlüssig behaupten“, dass „er und der Antragsgegner an einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis unmittelbar beteiligt sind und dass der Antragsgegner hieraus erwachsende eigene verfassungsmäßige Rechte und Zuständigkeiten des Antragstellers durch die beanstandete Maßnahme oder das Unterlassen verletzt oder unmittelbar gefährdet hat“.239 Vor diesem Hintergrund ist – anders im Bundesorganstreitverfahren 230 BVerfGE 93, 195, 202; 102, 245, 250. Ebenso Benda/Klein VerfPrR, Rn 1117; Pieroth in: Jarass/ ders, GG, Art 93 Rn 41. 231 BVerfGE 60, 175, 205 → JK GG Art. 93 I Nr 4/2, mwN. 232 BVerfGE 102, 245, 250. Ausf zur Handhabung der Auffangzuständigkeit in der bundesverfassungsgerichtlichen Praxis sowie zu den damit verbunden Auslegungsfragen Zierlein AöR 118 (1993), 66, 81 ff. 233 Vgl Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 20 Rn 252 ff. 234 S etwa BVerfGE 9, 268, 279; 36, 342, 360 f. 235 S Umbach/Dollinger in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 71 Rn 18. 236 S Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 159. Im Ergebnis ebenso Sturm in: Sachs, GG, Art 93 Rn 65; Zierlein AöR 118 (1993), 66, 96 ff, 102 ff; Umbach/Dollinger in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 71 Rn 40 ff; Rinken in: AK GG, Art 93 Rn 37. 237 BVerfGE 102, 245, 251 f. 238 BVerfGE 88, 63, 68. 239 S etwa BVerfGE 62, 194, 201; 93, 195, 203; ferner Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 161; Benda/Klein VerfPrR, Rn 1122.
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nach § 64 I BVerfGG – eine Prozessstandschaft von Organteilen für das Organ nicht zulässig.240 Fraktionen, parlamentarische Minderheiten oder einzelne Abgeordnete können keine Rechte des Parlaments geltend machen. Der Gedanke des Minderheitenschutzes greift bei Art 93 I Nr 4 Alt 3 GG wegen der Eigenstaatlichkeit der Länder nicht durch. Die Formerfordernisse ergeben sich aus § 23 I BVerfGG. Die Antragsfrist beträgt gemäß §§ 71 II, 64 III BVerfGG sechs Monate, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragssteller bekannt geworden ist. Wird die Entscheidungskompetenz des BVerfG erst dadurch begründet, dass ein Landesverfassungsgericht die Klage als unzulässig abgewiesen hat, gilt die Frist als gewahrt, wenn das Landesverfassungsgericht nach dem Landesrecht rechtzeitig angerufen wurde und der Antragsteller nach Urteilsverkündung unmittelbar das BVerfG angerufen hat.241 Hinsichtlich des Rechtsschutzbedürfnisses muss betont werden, dass aus Respekt vor der Landesverfassungsgerichtsbarkeit eine besondere Zurückhaltung angebracht ist.242 Lösung Fall 4: Im Streit um die Mitwirkung von Fraktionsmitarbeitern im Untersuchungsausschuss war die GAL-Fraktion als Antragstellerin gem § 71 I Nr 3 BVerfGG parteifähig, weil Fraktionen in der Geschäftsordnung der Hamburgischen Bürgerschaft mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Antragsgegnerin war die Hamburgische Bürgerschaft. Sie war als oberstes Landesorgan parteifähig.243 Der Antrag war gem Art 93 I Nr 4 Alt 3 GG statthaft, da es um die verfassungsrechtlichen Beziehungen zwischen der Hamburgischen Bürgerschaft als Trägerin des Untersuchungsrechts und einer Fraktion der Bürgerschaft ging.244 Die Antragsgegnerin trug vor, dass der Rechtsweg zum BVerfG nicht eröffnet sei, weil die Hamburgische Verfassung in Art 65 II Nr 1 GG einen anderen Rechtsweg zum Hamburgischen Verfassungsgericht vorsehe. Dem folgte das BVerfG nicht, weil das Hamburgische Verfassungsgericht damals nur von dem Senat oder einem Viertel der gesetzlichen Mitglieder der Bürgerschaft, d.h. von mindestens 30 Abgeordneten, nicht aber von der Antragsstellerin angerufen werden konnte.245 Mittlerweile hat sich die Rechtslage in Hamburg geändert.246 Wäre dies während des Verfahrens geschehen, hätte der anhängige Antrag als unzulässig verworfen werden müssen. Zur damaligen Zeit war auch die Antragsbefugnis gegeben, da die GAL-Fraktion eine Verletzung des Grundsatzes der Fraktionsgleichheit schlüssig dargetan hatte.247
240 Vgl BVerfGE 60, 319, 325 f; 62, 194, 201; 92, 130, 134; Benda/Klein VerfPrR, Rn 1123; Schlaich/ Korioth BVerfG, Rn 108; Voßkuhle in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 93 Rn 161; Robbers JuS 1994, 670, 673. 241 Vgl BVerfGE 4, 375, 379; 6, 367, 375 f; Umbach/Dollinger in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 71 Rn 24. 242 BVerfGE 102, 224, 232 f; 102, 245, 253; Pieroth in: Jarass/ders, GG, Art 93 Rn 43. 243 BVerfGE 93, 195, 203. 244 BVerfGE 93, 195, 203. 245 S BVerfGE 93, 195, 200 f, 202 f. 246 Seit der Verfassungsreform von 1996 entscheidet das Hamburgische Verfassungsgericht nach Art 65 III Nr 2 nF auch „über die Auslegung der Verfassung aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines Verfassungsorgans oder anderer Beteiligter, die durch die Verfassung mit eigenen Rechten ausgestattet sind“. Vgl dazu und zur Rechtslage vor der Reform David Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 2. Aufl 2004, Art 65 Rn 34 ff; Thieme Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 1998, Art 65 Anm 6; Gündisch in: FS Thieme, 1993, 1041 ff. 247 Vgl BVerfGE 93, 195, 203 f.
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3. Begründetheit Der mögliche Entscheidungsinhalt ist in § 72 II BVerfGG festgelegt. Danach kommt nur ein Feststellungsurteil des BVerfG darüber in Betracht, „ob die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners gegen eine Bestimmung der Landesverfassung verstößt“.248 Bundesverfassungsrecht kann nur insoweit Prüfungsmaßstab sein, als es zur grundgesetzkonformen Anwendung des Landesverfassungsrechts notwendig ist.249
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VI. Prüfungsschema Über das angemessene Schema zur Prüfung der Zulässigkeit von Anträgen in den föderativen Streitverfahren besteht im Schrifttum keine Einigkeit.250 Allerdings geht es nur um Zweckmäßigkeitsfragen.251 Es empfiehlt sich für alle föderativen Streitigkeiten ein einheitliches Prüfprogramm. Je nach Fallgestaltung sollte auf folgende Punkte eingegangen werden: (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7)
Partei- und Prozessfähigkeit Statthaftigkeit der Verfahrensart, ggf Subsidiarität des Verfahrens Ordnungsgemäße Antragstellung, keine Antragsrücknahme Antragsfrist Antragsbefugnis ggf Mängelrügeverfahren als Vorverfahren Rechtsschutzbedürfnis
248 249 250 251
Näher Umbach/Dollinger in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 71 Rn 8 f. Vgl BVerfGE 60, 175, 206 f → JK GG Art 93 I Nr 4/2; 88, 63, 68. Vgl zum Streit um den angemessenen Aufbau etwa Hillgruber/Goos VerfPrR, Rn 411 ff. Zum Wert und Unwert von Aufbauschemata etwa Schoch VerfR, 99 ff.
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§ 19 Vorläufiger Rechtsschutz durch das Bundesverfassungsgericht Friedrich Schoch I. Funktion und Bedeutung des verfassungsgerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzes Fall 1: Der deutsche Bundestag hatte den VISA-Untersuchungsausschuss eingesetzt. Dieser Ausschuss soll aufklären, ob durch Erlasse und Weisungen der Bundesregierung und durch die Visaerteilungspraxis bestimmter Botschaften im Ausland gegen geltendes Recht verstoßen worden ist. Der Ausschuss nahm seine Arbeit zügig in Angriff. Als der Bundeskanzler in seiner eigenen Partei auf Grund der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der Regierung zunehmend an Rückhalt verliert, äußert er öffentlich die Absicht, vorgezogene Neuwahlen herbeiführen zu wollen. Daraufhin beschließt der Untersuchungsausschuss mit der Mehrheit der Vertreter der Koalitionsfraktionen, die Arbeit des Ausschusses zu beenden, bereits geladene Zeugen auszuladen und zum Abschluss einen Sachstandsbericht zu erarbeiten. Die oppositionelle F-Fraktion im Deutschen Bundestag streitet für die Fortsetzung des Ausschusses und wendet sich mit einem Eilantrag an das BVerfG.1
1
Fall 2: Der Wehrpflichtige W wurde zum Grundwehrdienst einberufen. Sein Widerspruch hiergegen blieb erfolglos. W erhob Klage und beantragte beim VG die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Die Einberufung verstoße gegen Art 3 I GG, weil nur noch jeder vierte Wehrpflichtige zum Grundwehrdienst eingezogen werde, so dass die Wehrgerechtigkeit verletzt sei. Das VG lehnt den Eilantrag nach § 80 V VwGO ab; das Einberufungsermessen der Wehrverwaltung orientiere sich zutreffend an einer optimalen Personalbedarfsdeckung der Bundeswehr. Die Beschwerde des W beim OVG bleibt ohne Erfolg. Mittels Verfassungsbeschwerde ruft W das BVerfG an und beantragt zugleich, im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollziehung des Einberufungsbescheids bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen.2
2
1. Die einstweilige Anordnung im System des verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes Die einstweilige Anordnung (eAO) ist im Arsenal der verfassungsprozessualen Rechtsschutzmöglichkeiten ein Instrument des vorläufigen Rechtsschutzes.3 Insoweit verhält es sich nicht anders als bei der verwaltungsprozessualen eAO (→ § 30 Rn 2 f). Für bestimmte Fallkonstellationen sieht die Rechtsordnung die Befugnis des BVerfG zum Erlass einer eAO spezialgesetzlich vor. Das gilt zunächst für die Präsidentenanklage; nach Erhebung der Anklage kann das BVerfG durch eAO bestimmen, dass der Bundespräsident an der Ausübung seines Amtes verhindert ist (Art 61 II 2 GG, § 53 BVerfGG). Dasselbe gilt im Falle der Richteranklage gegen einen Bundesrichter (Art 98 II GG, § 58 I BVerfGG). Der
1 Fall nach BVerfGE 113, 113 = DVBl 2005, 1038 = NJW 2005, 2537 (m Bespr Lenz S 2495). 2 Fall nach BVerfG-K, NJW 2004, 2297. 3 BVerfG-K, DVBl 1999, 163, 164; NVwZ-Beilage I 7/2000, 74; Berkemann JZ 1993, 161; Niesler JURA 2007, 362.
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4. Teil: Rechtsschutz im Verfassungsrecht
Sache nach ist die Rechtslage ähnlich bei der vorläufigen Amtsenthebung eines Richters des BVerfG (§ 105 V BVerfGG),4 obgleich das Gesetz den Begriff „eAO“ in diesem Fall nicht verwendet. Im Wahlprüfungsrecht kann das BVerfG eine eAO erlassen, wenn der Bundestag über den Verlust der Mitgliedschaftsrechte eines Abgeordneten entschieden hat (§ 16 III WahlPrüfG). Die spezialgesetzlichen Bestimmungen zur verfassungsgerichtlichen eAO (→ Rn 3) spielen in der Praxis kaum eine Rolle. Von herausragender Bedeutung hingegen ist die allgemeine Verfahrensvorschrift des § 32 BVerfGG. Sie findet ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Art 94 II GG.5 Nach § 32 I BVerfGG kann das BVerfG im Streitfall einen Zustand durch eAO vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Der Wortlaut dieser Regelung („im Streitfall“) und ihr gesetzessystematischer Standort (im Abschnitt der allgemeinen Vorschriften des BVerfGG zum verfassungsgerichtlichen Verfahren) dokumentieren den Anwendungsbereich des § 32 I BVerfGG; er umfasst alle Verfahrensarten, für die eine Zuständigkeit des BVerfG besteht.6 Gemeint sind damit nicht nur (kontradiktorische) Rechtsstreitigkeiten im herkömmlichen Sinne. Vielmehr gilt: Für alle Hauptsacheverfahren im Rahmen der – dem Enumerationsprinzip folgenden – Rechtswegzuständigkeit des BVerfG (vgl § 13 BVerfGG) ist § 32 BVerfGG zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes anwendbar. 2. Funktionen der einstweiligen Anordnung
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Der verfassungsgerichtliche vorläufige Rechtsschutz nach § 32 I BVerfGG verfolgt – ebenso wie der verwaltungsgerichtliche Eilrechtsschutz gemäß § 80 V VwGO (→ § 29 Rn 15 u Rn 81) und § 123 I VwGO (→ § 30 Rn 2) – zunächst eine Sicherungsfunktion.7 Dies ist unbestritten. Die Sicherungsfunktion ist ein Element jeglichen vorläufigen Rechtsschutzes, steht in einem funktionalen Zusammenhang mit dem Hauptsacheverfahren und dient dazu, durch die Verhinderung des Eintritts vollendeter Tatsachen die Entscheidung in der Hauptsache offen zu halten.8 Ohne die Möglichkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes käme die Hauptsacheentscheidung vielfach zu spät, um für wirksamen Rechtsschutz sorgen zu können; allein durch Zeitablauf können irreversible Fakten entstehen, die der Hauptsacheentscheidung ihre praktische Wirksamkeit nehmen. Die eAO kann von daher als ein Sicherungsmittel in Bezug auf die noch ausstehende Hauptsacheentscheidung qualifiziert werden.9 4 Klein in: Benda/ders, VerfPrR, Rn 1202; Robbers Probleme VerfPrR, 106; Sachs VerfPrR, Rn 542; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 462. 5 Ob § 32 BVerfGG auch von Art 19 IV GG gefordert ist, ist umstritten; vgl dazu Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 9. 6 Hillgruber in: ders/Goos, VerfPrR, Rn 755; Robbers Probleme VerfPrR, 106; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 462; Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 14; Lechner/Zuck BVerfGG, § 32 Rn 17. 7 BVerfGE 85, 53, 55 f; 91, 70, 76 f; 96, 223, 229; BVerfG-K, DVBl 1999, 163, 164; NJW 2001, 357; Hillgruber in: ders/Goos, VerfPrR, Rn 748; Robbers Probleme VerfPrR, 106; Sachs VerfPrR, Rn 543; Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 1. 8 Rozek DVBl 1997, 517, 523; Klein in: Benda/ders, VerfPrR, Rn 1191; Lechner/Zuck BVerfGG, § 32 Rn 5. 9 Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 11, spricht von der „Eigensicherung der künftigen Entscheidungseffektivität des BVerfG“.
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§ 19
In der Entscheidung zu Fall 1 hat das BVerfG für das Organstreitverfahren die Bedeutung der Sicherungsfunktion einer eAO hervorgehoben. Ihr Erlass diene der vorläufigen Sicherung des strittigen Rechts des Antragstellers, „damit es nicht im Zeitraum bis zur Entscheidung der Hauptsache durch vollendete Tatsachen überspielt wird“.10 – Zu der Konfliktsituation in Fall 2 hat das BVerfG angemerkt, nach seinem Sicherungszweck beziehe sich der Eilantrag auf eine (nach Erschöpfung des Rechtswegs) in der Hauptsache zu erhebende Verfassungsbeschwerde; mit der Einberufung des W zum Wehrdienst sei ein Streitfall iSd § 32 BVerfGG entstanden, der einer Regelung durch Erlass einer eAO zugänglich sei.11
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Neben der Sicherungsfunktion (→ Rn 5) erfüllt die eAO eine interimistische Befriedungsfunktion.12 Für den (Zwischen-)Zeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung wirkt die Eilentscheidung – schon wegen des Zeitablaufs – notwendigerweise endgültig; die bis zum Ergehen der Hauptsacheentscheidung ablaufende Zeit ist unwiederbringlich, in der Vergangenheit liegende rechtliche Zustände und faktische Lagen sind als solche irreparabel, allenfalls für die Zukunft können sie revidiert werden, so dass sowohl die Gewährung als auch die Ablehnung vorläufigen Rechtsschutzes eine abschließende gerichtliche Regelung für den Interimszeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung darstellen. Die Eilentscheidung ist die endgültige Regelung eines vorläufigen Zustands.13 Das gilt für den Erlass der eAO ebenso wie für den Nichterlass; denn auch die Ablehnung einer eAO zeitigt für den Interimszeitraum endgültige Wirkungen.14 Das BVerfG nimmt die interimistische Befriedungsfunktion der Eilentscheidung für § 32 BVerfGG merkwürdigerweise nicht zur Kenntnis,15 obwohl es in Bezug auf den verwaltungsgerichtlichen vorläufigen Rechtsschutz aus dem Blickwinkel des Art 19 IV 1 GG schon frühzeitig darauf hingewiesen hat.16
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Die beiden Ausgangsfälle verdeutlichen die Endgültigkeit der Eilentscheidung für die Zeit ihrer Geltung. Wird in Fall 1 antragsgemäß eine eAO erlassen, kann der VISA-Untersuchungsausschuss seine Arbeit fortsetzen; Zeugen werden einvernommen, sonstige Beweise werden erhoben, der Ausschuss nimmt seine Aufklärungsarbeit wahr. Nichts davon kann im Nachhinein ungeschehen gemacht werden, allenfalls für die Zukunft kann zB davon abgesehen werden, bestimmte Konsequenzen aus der Beweisaufnahme zu ziehen. Wird die eAO abgelehnt, kommt der Ausschuss (jedenfalls bis zur Hauptsacheentscheidung) seinem Unter-
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10 BVerfGE 113, 113, 124; ebenso BVerfGE 108, 34, 41; 117, 359, 366. 11 BVerfG-K, NJW 2004, 2297, 2298. 12 Klein in: Benda/ders, VerfPrR, Rn 1191; Hillgruber in: ders/Goos, VerfPrR, Rn 751; Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 8; Lechner/Zuck BVerfGG, § 32 Rn 6. 13 Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 13; Graßhof in: Maunz/SchmidtBleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 9. 14 Vgl → Rn 8; unzutr Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, Rn 10 f, mit der Behauptung, bei Nichterlass einer eAO sei bei späterem Hauptsacherfolg eine nachträgliche Korrektur der Rechtslage im Interimszeitraum möglich; diese These ignoriert den Faktor „Zeit“ und unterscheidet nicht zwischen Irreparabilität (dh unverrückbare Fakten im abgelaufenen Zeitraum) und Irreversibilität (dh vollendete Tatsachen auch für die Zukunft). 15 Treffende Kritik dazu bei Klein in: Benda/ders, VerfPrR, Rn 1192; Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 14 f. 16 BVerfGE 46, 166, 178: Überbrückung des Zeitraums bis zur endgültigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren durch eine schnelle Zwischenregelung.
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suchungsauftrag nicht nach; auch dies wäre irreparabel, die verstrichene Zeit ist unwiederbringlich, im Falle einer Auflösung des Bundestages ist die Einstellung der Arbeiten durch das Gremium sogar irreversibel. Erlass und Nichterlass einer eAO regeln den Interimszeitraum gleichermaßen endgültig. – Wird in Fall 2 die eAO mit der Folge abgelehnt, dass W seinen Grundwehrdienst ableistet, ist dies selbst bei einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren nicht mehr ungeschehen zu machen (Irreparabilität). Aber auch bei Erlass der beantragten eAO ist für den Interimszeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung eine endgültige Regelung getroffen, diesmal mit inhaltlich gegensätzlichem Ergebnis; dass W in dem im Einberufungsbescheid festgelegten Zeitraum keinen Grundwehrdienst geleistet hätte, wäre eine unverrückbare Tatsache.
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Wenn die Eilentscheidung für die Zeit bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens eine endgültige ist (→ Rn 7), verlangt Art 20 III GG, den Geltungsanspruch des materiellen Rechts möglichst bereits im Interimszeitraum zu verwirklichen. Die interimistische prozessuale Zwischenlösung müsste sich folglich am materiellen Recht orientieren.17 Es geht um die Verteilung, möglichst Minimierung und – im optimalen Fall – Ausschaltung des Fehlentscheidungsrisikos.18 Das BVerfG blendet auch diesen Aspekt aus und vermag daher keine Konsequenzen für die Gewinnung des richtigen Prüfungsmaßstabs im Eilverfahren (→ Rn 32 ff) zu ziehen.19 Dem Ideal der Rechtsordnung entspricht eine Eilentscheidung, die als interimistische Zwischenlösung zur Geltung bringt, was nach der Hauptsacheentscheidung zu gelten hat(te);20 in einem solchen Fall hat sich das Fehlentscheidungsrisiko nicht verwirklicht. 3. Bedeutung der einstweiligen Anordnung in der Praxis
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Die praktische Bedeutung des Eilverfahrens nach § 32 BVerfGG kann – unabhängig vom Erfolg eines Eilantrags – kaum überschätzt werden. Das breiteste Anwendungsfeld findet das Rechtsinstitut der eAO im Versammlungsrecht, insbesondere beim Eilrechtsschutz gegen behördliche Versammlungsverbote.21 In der jüngeren Vergangenheit musste sich das
17 Hillgruber in: ders/Goos, VerfPrR, Rn 751. 18 Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 16; Lechner/Zuck BVerfGG, § 32 Rn 7. 19 Methodisch und dogmatisch nicht haltbar ist die These von Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 83, die interimistische Regelung nach § 32 BVerfGG müsse nicht stets die Übereinstimmung mit der materiellen Verfassungsrechtslage anstreben. – Was denn sonst? Art 20 III GG gilt auch für das BVerfG! 20 Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 328, erklärt den Grundsatz „Minderung des Fehlentscheidungsrisikos“ im Rahmen des § 32 BVerfGG zur maßgebenden Richtschnur, so dass die interimistische Zwischenlösung gegenüber der Sicherungsfunktion der eAO sogar Vorrang genieße. 21 Beispiele: BVerfG-K, DVBl 2001, 721 = NJW 2001, 1407: erfolgreicher Eilantrag der NPD; BVerfG-K, DVBl 2001, 558 = NJW 2001, 1409 = JZ 2001, 651 (m Anm Enders) → JK GG Art 8/13: Bestätigung der Untersagung eines Aufzugs Rechtsextremer am Holocaust-Gedenktag; BVerfG-K, DVBl 2001, 897 = NJW 2001, 2069: eAO gegen ein Versammlungsverbot aus Gründen der öffentlichen Ordnung; BVerfG-K, NJW 2003, 3689: eAO gegen Verbot der Versammlung „Gedenken an Rudolf Heß“; BVerfG-K, DVBl 2004, 697 = NVwZ 2004, 1111: Bestätigung der sofortigen Vollziehbarkeit eines Verbots der Versammlung „Stoppt den Synagogenbau“; BVerfG-K,
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BVerfG immer wieder mit Eilanträgen von Medienvertretern befassen, die die Zulassung von Rundfunkaufnahmen in spektakulären (Straf-)Prozessen begehrten.22 Auch in hochpolitischen Angelegenheiten wird immer wieder Eilrechtsschutz beim BVerfG durch Erlass einer eAO beantragt.23 Daneben findet das Eilverfahren nach § 32 BVerfGG in unzähligen „Alltagsstreitigkeiten“ statt. Beispiele hierfür sind die vorläufige Entziehung einer Fahrerlaubnis,24 der vorläufige Rechtsschutz gegen (Landes-)Hundeverordnungen,25 der Streit um die Zahlung des Pflichtteils im Erbrecht auf Grund eines zivilgerichtlichen Urteils,26 die Durchsuchung von Rechtsanwaltskanzleien nebst Beschlagnahme von Unterlagen,27 die Durchsetzung des Rechts auf Gegendarstellung im Presserecht,28 der Streit um den Umgang eines Vaters mit seinem nichtehelichen Kind,29 der vorläufige Rechtsschutz gegen eine polizeiliche Wohnungsverweisung (wegen häuslicher Gewalt) mit Rückkehrverbot,30 der Eilrechtsschutz in beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitigkeiten,31 die Auseinandersetzung um die Pfanderhebungs- und Rücknahmepflicht nach der Verpackungsverordnung,32 die Studienplatzvergabe auf Grund eines Eilantrags,33 der sofort vollziehbare Widerruf einer Approbation,34 der Widerruf einer Anwaltszulassung,35 die drohende Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen nach Spanien auf Grund eines Europäischen Haftbefehls,36 die Überprüfung der Altersgrenze für Fluglotsen37 und der Streit um die Ausstrahlung eines Fernsehfilms („Contergan“).38 Diese Beispiele verdeutlichen, dass kein Rechtsgebiet vom Anwendungsbereich des § 32 BVerfGG ausgenommen ist und die zur verfassungsgerichtlichen Eilentscheidung gestellten Lebenssachverhalte in ihrer Vielgestaltigkeit kaum überschaubar sind.
22 23
24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38
DVBl 2005, 969 = NVwZ 2005, 1055: keine eAO gegen Auflage bzgl Wegstrecke eines Aufzugs von Rechtsextremisten in Berlin am 60. Jahrestag des Kriegsendes; BVerfG-K, NVwZ 2007, 574: eAO gegen Demonstrationsverbot an Heiligabend; BVerfG-K, NJW 2007, 2167 → JK GG Art 8/22: Bestätigung des Verbots eines „Sternmarsches“ zum G8-Gipfel in Heiligendamm; BVerfG-K, NVwZ-RR 2008, 73: keine eAO gegen Verbot der rechtsextremen Versammlung „Gedenken an Rudolf Heß“. – Vgl zu dem Themenkomplex auch Fall 3 (→ Rn 29). BVerfG-K, NJW 2000, 2890; NJW 2002, 2021; NJW 2007, 672; DVBl 2007, 496 = NJW-RR 2007, 986 = K&R 2007, 314; ZUM 2007, 845; NJW 2009, 2117. BVerfGE 108, 34 = NJW 2003, 2373 (m Bspr Nolte S 2359) = JZ 2003, 897 (m Anm Rupp): Einsatz dt Soldaten in AWACS-Flugzeugen der NATO; BVerfGE 117, 359 = NVwZ 2007, 685: Tornado-Einsatz in Afghanistan; BVerfGE 118, 111 = NVwZ 2007, 687: Aufklärungs-Tornados in Afghanistan. – Weitere Beispiele bei Schoch in: FS 50 Jahre BVerfG, 2001, 695, 696 f. BVerfG-K, NJW 2001, 357. BVerfG-K, NVwZ 2000, 1408; NVwZ 2002, 592. BVerfG-K, NJW 2001, 1484. BVerfG-K, NJW 2001, 2957; BVerfGE 105, 365 = NJW 2002, 2458; NJW 2003, 3761. BVerfG-K, NJW 2002, 356. BVerfG-K, NJW 2002, 1863; NJW 2005, 1105. BVerfG-K, NJW 2002, 2225. BVerfG-K, NVwZ 2002, 1367; NVwZ 2004, 1109; bzgl Notarstelle BVerfG-K NJW 2003, 3043. BVerfG-K, NVwZ 2003, 725. BVerfG-K, NVwZ 2003, 857. BVerfG-K, NJW 2003, 3617 (Apothekerin); NVwZ-RR 2004, 545 (Zahnarzt). BVerfG-K, NJW 2005, 1418. BVerfGE 112, 90 = NJW 2005, 2060. BVerfG-K, NVwZ 2007, 327. BVerfG-K, DVBl 2007, 1294 = NJW 2007, 3197.
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4. Teil: Rechtsschutz im Verfassungsrecht
Kann die eAO nach § 32 I BVerfGG prozessrechtlich in Bezug auf sämtliche Verfahrensarten ergehen, für die in der Hauptsache eine Zuständigkeit des BVerfG besteht (→ Rn 4), unterliegen funktionellrechtlich Akte der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der (fachgerichtlichen) Rspr dem verfassungsgerichtlichen vorläufigen Rechtsschutz; hinzu treten interne Streitfälle in der Staatsorganisation, wie das Beispiel des Organstreits (→ Rn 1) zeigt. In der Praxis dominieren Eilanträge gemäß § 32 I BVerfGG in Bezug auf Rechtsprechungsakte (Urteile und Beschlüsse der Fachgerichte), in der Hauptsache zu sichern ist zumeist die (bereits anhängige oder bevorstehende) (Urteils-)Verfassungsbeschwerde; die in Rn 10 angeführten Beispiele geben Zeugnis zu derartigen Fallkonstellationen. Gegenstand eines Eilantrags nach § 32 I BVerfGG sind jedoch immer wieder auch Gesetzgebungsakte; Eilrechtsschutz wird insoweit für die Offenhaltung einer abstrakten Normenkontrolle (→ § 15) begehrt 39 oder zur Sicherung der Wirksamkeit einer Individualverfassungsbeschwerde (→ § 13) gegen das Gesetz beantragt.40 Eine nicht zu unterschätzende Bedeutung kommt § 32 I BVerfGG ferner im Rahmen von Organstreitverfahren (→ § 17) zu.41 Schon für das Hauptsacheverfahren gilt für derartige Streitfälle, dass die Kontrolle anderer Verfassungsorgane durch das BVerfG verfassungsprozessuale Normalität ist; dasselbe gilt für den Eilrechtsschutz nach § 32 BVerfGG, der zu den Voraussetzungen der Rechtsschutzgewährung nicht nach dem Gegenstand eines Eilantrags oder nach Verfahrensarten in der Hauptsache abstuft. Deshalb entsteht aus der Befugnis des BVerfG zur vorläufigen Regelung verfassungsrechtlicher Streitfälle kein Gewaltenteilungsproblem.42 Die dennoch vom BVerfG vorgenommenen Differenzierungen nach der Art von Streitfällen für die Anforderungen an den Erlass einer eAO (→ Rn 37) sind rechtlich zweifelhaft.
II. Zulässigkeit des Eilantrags 12
Beim Eilantrag ist – nicht anders als bei einem Hauptsacheantrag an das BVerfG – zwischen dessen Zulässigkeit und seiner Begründetheit zu unterscheiden.43 Diese Differenzierung entspricht grundlegenden Standards der allgemeinen Prozessrechtslehre.44 Das BVerfG folgt der Unterscheidung in aller Regel. Zweifel an der Abgrenzung zwischen Zulässigkeit und Begründetheit im Rahmen des § 32 BVerfGG (aus ehemaliger verfas-
39 BVerfGE 104, 23 = DVBl 2001, 1141 = NJW 2001, 3253: Aussetzung des Inkrafttretens des AltenpflegeG (Hauptsacheentscheidung: BVerfGE 106, 62 → JK GG Art 72/3); BVerfGE 104, 51 = DVBl 2001, 1353 = NJW 2001, 2457: keine Aussetzung des Inkrafttretens des LPartDisBG (mit Sondervotum der Richter Papier, Haas, Steiner), dazu Bespr Schoch JURA 2001, 833 ff. 40 BVerfGE 106, 351 = NVwZ 2003, 979; BVerfGE 108, 45 = NJW 2003, 2737; BVerfG-K, NVwZ 2004, 1228; BVerfGE 112, 284 = NJW 2005, 1179; BVerfGE 117, 126 = NVwZ 2007, 324; BVerfG, NVwZ 2009, 441 (einstweilige Außerkraftsetzung von Teilen des BayVersG), dazu Bespr Scheidler NVwZ 2009, 429 und Hong NJW 2009, 1458. 41 BVerfGE 106, 51 = NVwZ-RR 2003, 85: Streit um Vorlage von Regierungsakten an Parlamentsausschuss; ferner Beispiele o Fn 23. 42 Klein in: Benda/ders, VerfPrR, Rn 1193. 43 BVerfGE 104, 23, 27; 108, 34, 40, 41; Niesler JURA 2007, 362; Berkemann in: Umbach/Clemens/ Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 38. 44 Zum verwaltungsgerichtlichen Aussetzungsverfahren → § 29 Rn 99, zur eAO nach der VwGO → § 30 Rn 17.
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sungsrichterlicher Sicht 45) sind unangebracht; der Gewinn an Rechtssicherheit, der jener Unterscheidung zu Grunde liegt, sollte nicht aufgegeben werden.46 1. Zuständigkeit des BVerfG („Rechtsweg“) Das BVerfG entscheidet nach § 32 I BVerfGG „im Streitfall“. Das Gericht kann danach im Eilverfahren eine vorläufige Regelung treffen, soweit seine Zuständigkeit im Hauptsacheverfahren reicht.47 Nach dem im Verfassungsprozessrecht geltenden Enumerationsprinzip ist der Zuständigkeitskatalog des § 13 BVerfGG maßgebend. Es besteht eine Zuständigkeitskongruenz zwischen Eilverfahren und Hauptsacheverfahren. Ist der Rechtsweg zum BVerfG nicht gegeben, ist der Eilantrag unzulässig. Die Ermittlung der Zuständigkeit des BVerfG für den Erlass einer eAO bereitet idR keine Schwierigkeiten. Abgrenzungsfragen zur Landesverfassungsgerichtsbarkeit stellen sich kaum, am ehesten noch bei der Kommunalverfassungsbeschwerde (→ Rn 18). Art 99 GG spielt praktisch keine Rolle mehr.48 Im Verhältnis zur Verwaltungsgerichtsbarkeit ist insbesondere § 50 I Nr 1 VwGO zu beachten; über ör Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art zwischen dem Bund und den Ländern sowie zwischen verschiedenen Ländern entscheidet im ersten und letzten Rechtszug das BVerwG.49 Folglich richtet sich der vorläufige Rechtsschutz insoweit nach der VwGO (→ § 29 Rn 123, → § 30 Rn 27).
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2. Antragserfordernis Das Eilverfahren nach § 32 I BVerfGG setzt einen Antrag voraus, der den Anforderungen des § 23 I BVerfGG genügen muss.50 Das BVerfG indes reklamiert für sich – ohne Begründung 51 – die Befugnis, eine eAO auch von Amts wegen erlassen zu können.52 Diese Kompetenzanmaßung stößt im Schrifttum für die eAO vor Einleitung des Hauptsacheverfahrens
45 Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 37 ff. 46 Pointiert Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 40: „Die verfahrensrechtliche Disziplinierung ist indes für jedes Gericht unabdingbar.“ 47 Klein in: Benda/ders, VerfPrR, Rn 1200; Hillgruber in: ders/Moos, VerfPrR, Rn 757 ff. 48 Instruktiv vormals BVerfGE 99, 57, 65 ff: § 32 BVerfGG im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle nach dem Landesverfassungsrecht SH; BVerfGE 106, 51, 55 ff: § 32 BVerfGG im Rahmen eines Organstreitverfahrens zwischen LReg und LT-Ausschuss SH. 49 Beispiele: BVerwGE 128, 342 = DVBl 2007, 1500 = NVwZ 2008, 86 und BVerwG, NVwZ 2007, 1198 → JK GG Art 104a VI/7: Verteilung von Finanzierungslasten im Bund-Länder-Verhältnis bei Verletzung völkerrechtlicher Pflichten; BVerwG NVwZ 2009, 599: Kostenerstattungsanspruch eines Landes gegen den Bund für den Betrieb einer atomrechtlichen Landessammelstelle. 50 Vgl zur Unzulässigkeit des Eilantrags wegen Missachtung des § 23 I 2 BVerfGG BVerfG-K, NJW 1999, 3036; NJW 2002, 2225, 2226; EuGRZ 2007, 391. 51 Krit dazu Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 29. – Im Sondervotum BVerfGE 94, 223, 225 wird das amtswegige Eilverfahren auf die „Verfassungsorgantreue“ gestützt. 52 BVerfGE 1, 74, 75; 1, 281, 283; 42, 103, 119 f; 46, 337, 338; BVerfG-K, NJW 1999, 634; ferner BVerfGE 112, 284, 292 f = NJW 2005, 1179, 1180 für den Fall einer vorangegangenen Ablehnung der eAO und drohenden Nachteilen für den Antragsteller.
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auf einhellige Ablehnung.53 Das BVerfG ist Teil der rechtsprechenden Gewalt (Art 92 GG) und ein Gericht (§ 1 I BVerfGG). Mit der Funktion der rechtsprechenden Gewalt und der richterlichen Neutralität ist es nicht zu vereinbaren, dass ein Gericht einen Streitfall an sich zieht und – im Falle des BVerfG – ungefragt in den Kompetenzbereich anderer Staatsfunktionen eingreift. Es gilt vielmehr die Dispositionsmaxime; ohne Antrag darf das BVerfG keine eAO erlassen. Eine Ausnahme vom Antragserfordernis soll nach hM im Falle eines anhängigen Hauptsacheverfahrens anzuerkennen sein, weil das BVerfG dann einen Verfassungsrechtsstreit nicht aus eigener Initiative an sich ziehe;54 nach einer restriktiveren Auffassung kommt eine eAO von Amts wegen während eines anhängigen Hauptsacheverfahrens nur ganz ausnahmsweise in Betracht (zB bei fehlender Antragsbefugnis und Vorliegen aller anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen, im Verfahren der konkreten Normenkontrolle, bei drohenden irreparablen Nachteilen für das allgemeine Wohl, bei einem Bedürfnis nach Sicherung der ausstehenden Hauptsacheentscheidung).55 Andere ziehen eine eAO von Amts wegen allenfalls im abstrakten Normenkontrollverfahren wegen dessen objektiver Beanstandungsfunktion in Betracht.56 Diese eher pragmatischen Argumente vermögen rechtsdogmatisch nur wenig zu überzeugen. Gilt auch im Verfassungsprozess die Dispositionsmaxime (→ Rn 15), bedürfte es gemäß § 32 BVerfGG einer ausdrücklichen Ermächtigung für das Tätigwerden des BVerfG von Amts wegen.57 Die § 32 BVerfGG durchaus bekannten Befugnisse zu amtswegigen Maßnahmen des BVerfG (vgl § 32 IV 2, VI 2 BVerfGG) enthalten den – erstmaligen – Erlass einer eAO ohne Antrag nicht. 3. Statthaftigkeit des Eilantrags
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Die Statthaftigkeit des Antrags nach § 32 I BVerfGG stellt keine eigenständige, substantielle Zulässigkeitsvoraussetzung dar, sondern deckt sich angesichts des Enumerationsprinzips (§ 13 BVerfGG) mit dem „Rechtsweg“ zum BVerfG (→ Rn 13). Der Eilantrag ist folglich statthaft, wenn die Zuständigkeit des BVerfG für das zu sichernde Hauptsacheverfahren gegeben ist.58 In der Rspr kommt diese inhaltliche Übereinstimmung der Zulässigkeitsvoraussetzungen zB dadurch zum Ausdruck, dass das BVerfG feststellt, der Rechtsweg in der Hauptsache sei gemäß Art 93 I Nr 1 GG, § 13 Nr 5 BVerfGG eröffnet, so dass auch im Organstreitverfahren ein Antrag auf Erlass einer eAO statthaft sei.59 Gilt § 32 BVerfGG für alle Verfahrensarten, für die eine Zuständigkeit des BVerfG besteht, ist ein Eilantrag insbesondere statthaft in den praktisch bedeutsamen Verfahrensarten der Individualverfassungsbeschwerde, des Organstreitverfahrens und der abstrakten Nor53 Niesler JURA 2007, 362; Klein in: Benda/ders, VerfPrR, Rn 1194; Hillgruber in: ders/Goos, VerfPrR, Rn 767; Pestalozza VerfPrR, § 18 Rn 4; Sachs VerfPrR, Rn 545; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 463; Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 63 ff; Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 29. 54 Niesler JURA 2007, 362, 363; Klein in: Benda/ders, VerfPrR, Rn 1195; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 463; Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 30 ff. 55 Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 66 ff. 56 Hillgruber in: ders/Goos, VerfPrR, Rn 767. 57 Pestalozza VerfPrR, § 18 Rn 4. 58 Klein in: Benda/ders, VerfPrR, Rn 1202; Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 44; Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 43. 59 BVerfGE 108, 34, 40 = NJW 2003, 2373, 2374 = JZ 2008, 897.
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menkontrolle (→ Rn 11). Das Eilverfahren kann aber auch im Bund-Länder-Streit zum Tragen kommen.60 In Bezug auf eine Kommunalverfassungsbeschwerde ist der Eilantrag nach § 32 I BVerfGG nur im Rahmen der Subsidiaritätsklausel gemäß Art 93 I Nr 4b GG, § 91 BVerfGG statthaft.61 4. Beteiligtenfähigkeit Antragsberechtigt im Eilverfahren ist nur, wer beteiligtenfähig (parteifähig) ist. Die Beteiligtenfähigkeit im Verfahren des § 32 BVerfGG deckt sich mit derjenigen des Hauptsacheverfahrens.62 Die im Verfahren nur Äußerungsberechtigten haben keine Antragsberechtigung. Beim Eilverfahren in der konkreten Normenkontrolle sind die gemäß § 82 II BVerfGG beitrittsberechtigten Verfassungsorgane nach ihrem Beitritt antragsberechtigt.63 In der Praxis ist die Beteiligungsfähigkeit im Verfahren nach § 32 BVerfGG nur selten problematisch. Anlass zur Prüfung besteht mitunter bei einem Eilantrag im Rahmen eines Organstreitverfahrens.64 Besonderheiten sind damit nicht verbunden. Es treten nur diejenigen Fragestellungen auf, die vom Organstreit im Hauptsacheverfahren bereits bekannt sind (→ § 17 Rn 9 ff).
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5. Antragsbefugnis Die Antragsbefugnis für einen Eilantrag nach § 32 I BVerfGG setzt eine materielle Beschwer des Antragstellers voraus, die durch die eAO beseitigt werden könnte.65 Im Schrifttum wird bei der Ermittlung der Antragsbefugnis eine Unterscheidung zwischen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund vorgeschlagen; zur ersten Variante entspreche die Antragsbefugnis der Antrags- bzw Beschwerdebefugnis im Hauptsacheverfahren, in Bezug auf den Anordnungsgrund müsse geltend gemacht werden, dass einer der in § 32 I BVerfGG genannten (wichtigen) Gründe die eAO erfordere.66 Juristisch ist diese Doktrin zutreffend, in der Rspr verfängt sie deshalb nicht, weil das BVerfG in der Begründetheitsprüfung dem nach Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund unterscheidenden Prüfungskonzept nicht folgt (→ Rn 32 ff). In der Praxis ist die Antragsbefugnis höchst selten zweifelhaft. Anlass zur Prüfung kann beim Eilantrag im Rahmen eines Organstreitverfahrens bestehen. Zu fragen ist danach, ob der Antragsteller die Verletzung eigener (Organ-)Rechte hinreichend substantiiert dargelegt hat; es genügt die Möglichkeit der Rechtsverletzung.67 60 BVerfGE 80, 74, 79. 61 BVerfGE 82, 310, 312; BVerfG-K, NVwZ 2000, 789. – Näher dazu Guckelberger JURA 2008, 819, 825. 62 Niesler JURA 2007, 362, 363; Klein in: Benda/ders, VerfPrR, Rn 1201; Hillgruber in: ders/Goos, VerfPrR, Rn 773; Robbers Probleme VerfPrR, 107; Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 85; Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 44. 63 Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 26. 64 BVerfGE 79, 379, 383 f: fehlende Beteiligungsfähigkeit im Organstreit; vgl ferner zu Fall 1 → Rn 28. 65 Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 91. 66 Niesler JURA 2007, 362, 363; Hillgruber in: ders/Goos, VerfPrR, Rn 775, 776. 67 BVerfGE 113, 113, 121 = DVBl 2005, 1038 = NJW 2005, 2537, 2538; näher dazu am Beispiel von Fall 1 → Rn 28.
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6. Zeitpunkt der Antragstellung 23
Eine Antragsfrist schreibt § 32 BVerfGG nicht vor. Der Eilantrag nach § 32 I BVerfGG ist bereits zulässig, bevor ein Verfahren zur Hauptsache anhängig gemacht wird.68 Voraussetzung ist in diesem Fall jedoch, dass nachfolgend ein Hauptsacheantrag gestellt werden könnte, der nicht von vornherein unzulässig ist; 69 das BVerfG meint – zu Unrecht –, der Antrag dürfe auch nicht offensichtlich unbegründet sein.70 7. Rechtsschutzbedürfnis
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Ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung für jeden Eilantrag 71 ist das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis. Der Antragsteller muss ein schützenswertes Interesse an der Inanspruchnahme gerade vorläufigen Rechtsschutzes haben.72 Liegen die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen vor, ist das Rechtsschutzbedürfnis indiziert. Im konkreten Fall müssten demnach konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben sein, dass das Rechtsschutzinteresse ausnahmsweise zu verneinen ist. In der Rspr des BVerfG zu § 32 I BVerfGG spielt das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis keine große Rolle. Zudem unterscheidet das Gericht nicht ordnungsgemäß zwischen Aspekten der Begründetheit des Eilantrags und Fragen des Rechtschutzinteresses.73 Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt ausnahmsweise, wenn die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes beim BVerfG nicht erforderlich ist, das Interesse nicht schutzwürdig erscheint oder der Rechtsschutzzweck nicht (mehr) erreicht werden kann.74 Vermag das BVerfG in der Hauptsache so rechtzeitig zu entscheiden, dass hierdurch die dem Antragsteller drohenden schweren Nachteile vermieden werden können, bedarf es keiner Eilentscheidung;75 in seiner neueren Rspr prüft das BVerfG diesen Gesichtspunkt – allerdings ohne klare Zuordnung zu den Merkmalen des § 32 I BVerfGG – in der Begründetheitsstation.76 Das Rechtsschutzbedürfnis wird auch verneint, wenn der Antragsteller zunächst fachgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen könnte.77 Die Beispiele zeigen, dass es auf die konkreten Umstände des Falles ankommt, um dem Antragsteller ausnahmsweise das Rechtsschutzinteresse versagen zu können. 68 BVerfGE 71, 350, 352; BVerfGE 108, 34, 40 = NJW 2003, 2373, 2374 = JZ 2003, 897; BVerfG-K, NVwZ 2004, 1109. 69 Robbers Probleme VerfPrR, 106 f; Lechner/Zuck BVerfGG, § 32 Rn 18; Graßhof in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 18. 70 BVerfGE 113, 113, 120 = DVBl 2005, 1038 = NJW 2005, 2537, 2538. 71 Zum verwaltungsgerichtlichen Aussetzungsverfahren → § 29 Rn 127 ff, zum eAO-Verfahren nach der VwGO → § 30 Rn 31 (§ 123 VwGO) und → § 30 Rn 76 (§ 47 VI VwGO). 72 Klein in: Benda/ders, VerfPrR, Rn 1210; Robbers Probleme VerfPrR, 108. 73 Symptomatisch der Rechtfertigungsversuch von Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 52: „Rechtsschutzinteresse“ und „Dringlichkeit“ der eAO überschnitten sich; dagegen zutr Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 130. 74 Einzelheiten dazu bei Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 127 ff. 75 BVerfG-K, NJW 2000, 1399, 1400; Klein in: Benda/ders, VerfPrR, Rn 1210; Hillgruber in: ders/ Goos, VerfPrR, Rn 797; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 464. 76 BVerfGE 108, 34, 41 = NJW 2003, 2373, 2374 = JZ 2003, 897, 898; BVerfGE 113, 113, 124 = DVBl 2005, 1038, 1039 = NJW 2005, 2537, 2539; BVerfGE 118, 111, 123 = NVwZ 2007, 687, 688. 77 Niesler JURA 2007, 362, 364; Hillgruber in: ders/Goos, VerfPrR, Rn 790; Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 132. – Aus der Praxis BVerfGE 94, 334, 347, im konkreten Fall jedoch Bejahung des Rechtsschutzbedürfnisses unter Rückgriff auf § 90 II 2 BVerfGG.
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8. Vorwegnahmeverbot der Hauptsache Nach hL78 ist ein Eilantrag unzulässig, wenn er auf eine Entscheidung über die im Hauptsacheverfahren angegriffene Maßnahme zielt (prozessuales Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache); trotz Vorwegnahme der Hauptsache soll der Eilantrag jedoch ausnahmsweise zulässig sein, wenn die Hauptsacheentscheidung zu spät käme und der Antragsteller ohne Eilentscheidung rechtsschutzlos würde. Das BVerfG folgt dieser Doktrin und prüft im Rahmen der Zulässigkeit, ob der Eilantrag auf eine Maßnahme gerichtet ist, die die Entscheidung in der Hauptsache (im Wesentlichen) vorwegnähme; trotz Vorwegnahme der Hauptsache sei der Eilantrag aber zulässig, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache möglicherweise zu spät käme und dem Antragsteller in anderer Weise ausreichender Rechtsschutz nicht mehr gewährt werden könnte.79 Überzeugend ist die Lehre vom prozessualen Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache (→ Rn 26) nicht. Selbst wenn ein derartiges Verbot als rechtliche Kategorie anerkannt werden sollte, handelte es sich dabei nicht um eine Zulässigkeitsvoraussetzung, sondern um einen Prüfungspunkt im Rahmen der Begründetheit des Eilantrags.80 Genau genommen geht es – wie beim verwaltungsgerichtlichen vorläufigen Rechtsschutz (→ § 30 Rn 58 ff) – um eine Frage des zulässigen Entscheidungsinhalts (→ Rn 55 ff).
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In Fall 2 stellten sich keine Zulässigkeitsprobleme. In der Entscheidung zu Fall 1 erklärte das BVerfG zunächst, der Zulässigkeit des Eilantrags stehe nicht entgegen, dass ein Antrag in der Hauptsache noch nicht gestellt worden sei; es sei nicht erforderlich, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung im Eilverfahren bereits ein Verfahren in der Hauptsache anhängig sei, sondern ein nachfolgender Hauptsacheantrag dürfe nur nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet sein. Die F-Fraktion sei ferner als ständig vorhandene Gliederung des Deutschen Bundestages beteiligungsfähig (parteifähig); das gelte auch für das Organstreitverfahren, in dem die Fraktion in Prozessstandschaft für das Gesamtparlament im eigenen Namen Rechte des Bundestages gegenüber dem Antragsgegner geltend mache (vgl § 63 BVerfGG). Der Untersuchungsausschuss sei als ein gemäß Art 44 GG mit eigenen Rechten ausgestattetes Hilfsorgan des Deutschen Bundestages ebenfalls beteiligungsfähig. Die Antragsbefugnis (vgl § 64 I BVerfGG) der F-Fraktion könne auf Art 44 GG gestützt werden (Kontrollrecht der Minderheit mit der Konsequenz bestimmter Mitbestimmungsrechte in Bezug auf die Arbeit des Untersuchungsausschusses); es sei nicht ausgeschlossen, dass die nicht einvernehmlich beschlossene Beweisaufnahme des Untersuchungsausschusses Rechte der Minderheit verletze. Der Antrag sei auch zulässig, soweit er auf eine Maßnahme gerichtet sei, die die Entscheidung in der Hauptsache im Wesentlichen vorwegnehme; denn eine Hauptsacheentscheidung käme zu spät, verstrichene Termine seien nicht nachholbar, ohne Eilrechtsschutz drohe sich die Ausschussarbeit durch Zeitablauf zu erledigen.
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78 Niesler JURA 2007, 362, 363; Hillgruber in: ders/Goos, VerfPrR, Rn 785 ff; Robbers Probleme VerfPrR, 107; Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 121; Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 48. 79 BVerfGE 108, 34, 40 = NVwZ 2003, 2373, 2374 = JZ 2003, 897; BVerfGE 113, 113, 122 = DVBl 2005, 1038 f = NJW 2005, 2537, 2538 f. 80 N. Huber Die einstweilige Anordnung nach § 32 BVerfGG am Beispiel der Verfassungsbeschwerde – Eine Kritik am Entscheidungsmodell des Bundesverfassungsgerichts, 1999, 167.
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III. Begründetheit des Eilantrags 29
Fall 3: Die von der rechtsradikalen N-Partei angemeldete Versammlung mit dem Motto „Keine Steuergelder für den Synagogenbau!“ wird von der zuständigen Behörde unter Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids verboten, da die öffentliche Ordnung unmittelbar gefährdet werde. Denn eine rechtsextremistische Ideologie wie der Nationalsozialismus lasse sich unter der Herrschaft des Grundgesetzes nicht legitimieren; aus dessen Wertordnung seien verfassungsimmanente Schranken abzuleiten, denen auch unterhalb der gesetzlichen Schwelle der Strafbarkeit Rechnung zu tragen sei. N erhebt gegen das Verbot Widerspruch und stellt einen Eilantrag gemäß § 80 V 1 VwGO, der beim VG und OVG/VGH erfolglos bleibt. Nun erhebt N beim BVerfG Verfassungsbeschwerde und beantragt den Erlass einer eAO.81
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Fall 4: Der Bund regelt mit dem Altenpflegegesetz erstmals länderübergreifend die Ausbildung in der Altenpflege. Bundesweit sollen ein einheitliches Ausbildungsniveau sichergestellt und das Berufsbild attraktiver gestaltet werden. Das Gesetz enthält Bestimmungen zur dreijährigen Regelausbildung, zum Schutz der Berufsbezeichnung, zur Gestaltung des Ausbildungsverhältnisses und zum Anspruch auf Ausbildungsvergütung. Die Regierung des Landes L beantragt beim BVerfG mit einem Normenkontrollantrag die Nichtigerklärung des Gesetzes wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz des Bundes und begehrt mit einem Eilantrag die vorläufige Außervollzugsetzung des Gesetzes.82
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Fall 5: Auf Grund der RL 2006/24/EG wurde in Deutschland die Vorratsspeicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten zu Zwecken der öffentlichen Sicherheit eingeführt (§§ 113a, 113b TKG 83). A und B, die privat und geschäftlich verschiedene TK-Dienste (Festnetzanschlüsse, Mobiltelefone, Internetzugangsdienste etc) nutzen, halten die Vorratsdatenspeicherung für unvereinbar mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und erheben Verfassungsbeschwerde beim BVerfG. A und B meinen, schon das VolkszählungsUrteil 84 habe eine Vorratsdatenspeicherung kategorisch ausgeschlossen. Zum Schutz ihrer Rechte stellen A und B beim BVerfG einen Eilantrag und begehren die Aussetzung der §§ 113a, 113b TKG bis zur Entscheidung in der Hauptsache.85
1. Entscheidungsmaßstab 32
Die Anforderungen an die Begründetheit eines Eilantrags nach § 32 I BVerfGG hängen von den für die Eilentscheidung maßgeblichen Kriterien ab. Explizit gibt § 32 BVerfGG einen Entscheidungsmaßstab nicht vor. Das rechtsdogmatisch argumentierende Schrifttum orientiert sich am Gesetzestext und nimmt die Systematik des vorläufigen Rechtsschutzes ernst, die grundlegende Strukturelemente freilegt. Danach ist ein Eilantrag begründet, wenn auf der Grundlage eines (unbestrittenen oder) glaubhaft gemachten Sachverhalts 81 82 83 84 85
Fall nach BVerfGE 111, 147 = DVBl 2004, 1230 = NJW 2004, 2814 → JK BVerfGG § 32/8. Fall nach BVerfGE 104, 23 = DVBl 2001, 1141 = NJW 2001, 3253. Abgedruckt in Sartorius ErgBd Nr 920. BVerfGE 65, 1 = DÖV 1984, 156 = NJW 1984, 419; erläuternd Kunig JURA 1993, 595 ff. Fall nach BVerfGE 121, 1 = DVBl 2008, 569 = NVwZ 2008, 543 → JK GG Art 10 I/4.
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ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund gegeben sind. Die Notwendigkeit des Anordnungsanspruchs ergibt sich aus dem Merkmal „Streitfall“ gemäß § 32 I BVerfGG; damit ist das jeweilige Hauptsacheverfahren in Bezug genommen (→ Rn 4, 13), so dass es unter dem Aspekt des Anordnungsanspruchs bei der Verfassungsbeschwerde um das subjektive (Abwehr-)Recht des Beschwerdeführers geht, beim Organstreit um das organschaftliche (Innen-)Recht des Antragstellers, beim Bund-Länder-Streit um Kompetenzen, ebenso bei der abstrakten Normenkontrolle, bei der Vorschriften des Gesetzgebungsverfahrens und des materiellen Verfassungsrechts (Grundrechte) hinzukommen (können). Der Anordnungsgrund markiert den Regelungsanlass für eine Eilentscheidung und verlangt eine besondere Dringlichkeit für den Erlass der eAO. Nach dem Entscheidungsmodell des Schrifttums hat also eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs zu erfolgen; hinzu tritt der Anordnungsgrund, der in § 32 I BVerfGG einen positivrechtlichen Niederschlag gefunden hat (Abwehr schwerer Nachteile, Verhinderung drohender Gewalt, anderer wichtiger Grund; daher eAO zum gemeinen Wohl dringend geboten).86 Das BVerfG propagiert (und praktiziert, zum Teil jedenfalls) demgegenüber das Konzept eines folgenorientierten Abwägungsmodells, das die materielle Rechtslage grundsätzlich ausblendet und die in § 32 I BVerfGG normierten Kriterien für den Anordnungsgrund nur sporadisch (ohne ein System oder wenigstens eine Leitidee) berücksichtigt (→ Rn 34). Dieses juristisch kaum abgesicherte Modell87 wird treffend als „ein Kind richterlicher Pragmatik“ bezeichnet.88 Das BVerfG meint – sofern es überhaupt einen Hinweis auf seinen gesetzesinakzessorischen Entscheidungsmaßstab gibt –, in der Kürze der Zeit dürfe der Erlass einer eAO nicht von etwas Ungewissem, der summarischen Abschätzung der Erfolgschancen in der Hauptsache, abhängig gemacht werden.89 Wegen der Auswirkungen verfassungsgerichtlicher Entscheidungen sei ein summarisches Verfahren nach § 32 BVerfGG auf Ausnahmefälle zu beschränken, in denen anders eine befriedigende Regelung nicht zu erzielen sei.90
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2. Abwägungsmodell des BVerfG In st Rspr hält das BVerfG, jedenfalls verbal, an seinem Modell einer materiell-inakzessorischen Folgenabwägung fest, von dem es nur bestimmte Ausnahmen gebe (→ Rn 39 ff). Abweichende Entscheidungsmuster sind eher selten und können als „Ausreißer“ bezeichnet werden. Das gilt zB für die in freier richterlicher Rechtsschöpfung aufgestellte These, 86 Klein in: Benda/ders, VerfPrR, Rn 1222 f; Hillgruber in: ders/Goos, VerfPrR, Rn 823 ff, 835; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 466 f; Pestalozza VerfPrR, § 18 Rn 13 ff; Lechner/Zuck BVerfGG, § 32 Rn 22 f; Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 151 ff; Huber Einstweilige Anordnung (Fn 80) 186 ff. 87 Verteidigend im Schrifttum nur (ehem Verfassungsrichterin) Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 87 ff, 108 ff. 88 Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 180. 89 BVerfGE 12, 36, 40; 71, 350, 352; 104, 23 = DVBl 2001, 1141, 1142 = NJW 2001, 3253. – BVerfGE 33, 247, 265 weist das summarische Verfahren mit der Behauptung zurück, Aufgabe des BVerfG sei die Klärung verfassungsrechtlicher Zweifelsfragen mit bindender Wirkung inter omnes; das ist schon deshalb nicht richtig, weil die Eilentscheidung nach § 32 BVerfGG unter dem Vorbehalt der späteren Hauptsacheentscheidung steht. 90 BVerfGE 77, 130, 135.
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der Erlass einer eAO könne ausnahmsweise mit Blick auf die objektive Funktion des Eilrechtsschutzes im verfassungsgerichtlichen Verfahren (in concreto: Interesse des BVerfG an der Klarstellung verfassungsrechtlicher Maßstäbe im Versammlungsrecht), dh „aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten“ sein.91 Ein Anordnungsgrund allein kann nicht zum Erlass einer eAO führen.92 Ferner lassen sich Eilentscheidungen nachweisen, in denen das BVerfG auf eine Folgenabwägung verzichtet hat, weil der Antragsteller „schwere Nachteile“ iSd § 32 I BVerfGG nicht dargelegt hatte.93 Derartige Eilentscheidungen sind nicht zu kritisieren, weil das BVerfG den Anordnungsgrund als nicht gegeben sah und schon deshalb in der Sache (ablehnend) entscheiden konnte. Nach dem vom BVerfG vertretenen Modell der folgenorientierten Abwägung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, der in der Hauptsache gestellte (bzw noch zu stellende) Antrag erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Danach werden bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens die Folgen, die eintreten würden, wenn eine eAO nicht erginge, das Hauptsacheverfahren aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abgewogen, die entstünden, wenn die angegriffene Maßnahme (Regelung) außer Vollzug gesetzt, sich im Hauptsacheverfahren aber als verfassungsgemäß erweisen würde.94 Nach dem Prüfungsschema des BVerfG hat die Folgenabwägung auf Grund einer Doppelhypothese zu erfolgen: (1) Erlass der eAO bei unterstelltem Misserfolg des Antragstellers im Hauptsacheverfahren versus (2) Ablehnung der eAO bei unterstelltem Hauptsacheerfolg; darauf basierend (3) Ermittlung, Bewertung und Gewichtung der Folgen mit anschließender Abwägung und Erzielung eines Abwägungsergebnisses nach Maßgabe der am ehesten hinnehmbaren Folgen (Auswirkungen) einer Fehlentscheidung im Eilverfahren.95 In der Praxis verfährt das BVerfG häufig nach diesem Entscheidungsmuster.96 Eine Analyse vorliegender Eilentscheidungen
91 So BVerfG-K, NVwZ 2002, 983. 92 Abl zu der Entscheidung (Fn 91) sogar Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 12. 93 BVerfG-K, NVwZ 2003, 725, 726; NVwZ 2004, 1228; BVerfGE 118, 111, 123 f = NVwZ 2007, 687, 688. 94 BVerfG-K, NVwZ 2000, 1408, 1409; NJW 2001, 1484; BVerfGE 104, 23, 28 = DVBl 2001, 1141 = NJW 2001, 3253; BVerfGE 104, 51, 55 = DVBl 2001, 1353 = NJW 2001, 2451 m Bespr Schoch JURA 2001, 833 ff; BVerfG-K, NVwZ 2002, 592, 593; NJW 2002, 1863; NJW 2002, 2632; NVwZ 2002, 1367; BVerfGE 108, 45, 49 = NJW 2003, 2737; BVerfG-K, NJW 2003, 3761; NVwZ 2004, 1109; NJW 2005, 1105; NJW 2005, 1418, 1419; BVerfGE 112, 284, 291 f = NJW 2005, 1179; BVerfG-K, CR 2007, 383; NVwZ 2007, 327; BVerfGE 117, 126, 135 = NVwZ 2007, 325; BVerfG-K, NJW 2007, 3197, 3198; DVBl 2009, 120, 121 = NJW 2009, 350, 351. 95 Analysierend und erläuternd Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 180 ff. 96 BVerfGE 88, 25, 36 ff; 91, 320, 327 f; 96, 120, 129 ff; BVerfG-K, DVBl 2000, 1593, 1594 f = NJW 2000, 3051, 3052; BVerfGE 104, 23, 31 ff = DVBl 2001, 1141, 1142 ff = NJW 2001, 3253, 3254 ff; BVerfGE 104, 51, 56 ff = DVBl 2001, 1353 ff = NJW 2001, 2457 ff; BVerfG-K, NVwZ 2002, 592, 593 f; NJW 2002, 1863; NJW 2002, 2458, 2459; NJW 2002, 3313 f; BVerfGE 106, 51, 60 ff = NVwZ-RR 2003, 85, 86; BVerfGE 106, 351, 356 ff = NVwZ 2003, 979, 980; BVerfGE 108, 34, 43 ff = NJW 2003, 2373, 2375 = JZ 2003, 897, 898 f; BVerfGE 108, 45, 49 ff = NJW 2003, 2737; BVerfGE 108, 238, 249 ff = NJW 2003, 2598, 2599 f; BVerfG-K, NVwZ-RR 2004, 545, 546; NJW 2005, 1105, 1107; BVerfGE 112, 284, 293 ff = NJW 2005, 1179, 1180 ff; BVerfG-K, CR 2007, 383, 384; NVwZ 2007, 327 f; BVerfGE 117, 126, 139 f = NVwZ 2007, 324, 325 f; BVerfG-K, NJW 2007, 3197, 3198 f; NVwZ 2009, 441, 444 ff.
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zeigt jedoch, dass nicht selten die Folgenabwägung propagiert, in der Sache jedoch eine summarische Prüfung der Rechtslage vorgenommen wird.97 In zahlreichen Fällen besteht demnach eine erhebliche Diskrepanz zwischen methodischem Anspruch und richterlicher Wirklichkeit; 98 eine Erklärung hierfür bleibt das BVerfG schuldig. Besonderheiten wirft im Eilverfahren mitunter die Sachverhaltsermittlung auf. An sich gilt der Untersuchungsgrundsatz (§ 26 I 1 BVerfGG).99 Steht die Eilentscheidung unter großem Zeitdruck, kann eine Amtsermittlung praktisch kaum durchgeführt werden. Beispiele hierfür bietet das Versammlungsrecht. In st Rspr legt das BVerfG der Prüfung des Eilantrags idR die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in der angegriffenen (fachgerichtlichen) Entscheidung zu Grunde, es sei denn, die Tatsachenfeststellungen sind offensichtlich fehlsam oder die Tatsachenwürdigung trägt unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtsnorm(en) offensichtlich nicht.100 Von Bedeutung ist diese Rspr insbesondere in Bezug auf die (behördlich vorgenommene und fachgerichtlich bestätigte) Gefahrenprognose für ein Versammlungsverbot oder die Verhängung bestimmter Auflagen gegenüber einer Versammlung.101 Diese Judikatur findet aber auch außerhalb des Versammlungsrechts Anwendung.102
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3. Maßstabsverschärfung Sowohl die summarische Prüfung (→ Rn 32) als auch das Abwägungsmodell des BVerfG (→ Rn 35) liefern – unabhängig von der Richtigkeit des jeweiligen Konzepts – handhabbare Maßstäbe für die Entscheidungsfindung im Eilverfahren. Immer wieder, wenn auch ohne erkennbare Systematik sowie ohne gesetzlichen Anhaltspunkt, postuliert das BVerfG für § 32 I BVerfGG indes einen „strengen Maßstab“; dieser Topos soll seine Rechtfertigung in den idR weitreichenden Konsequenzen einer eAO finden,103 speziell im Organstreitverfahren wird darauf hingewiesen, dass der Erlass einer eAO einen Eingriff
97 Am Beispiel des Versammlungsrechts (dazu auch → Rn 41) BVerfG-K, DVBl 2001, 721 = NJW 2001, 1407; DVBl 2001, 558 = NJW 2001, 1409 = JZ 2001, 651 → JK GG Art 8/13; DVBl 2001, 897 = NJW 2001, 2069; DVBl 2001, 797 = NJW 2001, 1411; DVBl 2001, 1054 = NJW 2001, 2072; DVBl 2001, 1056 = NJW 2001, 2075; DVBl 2001, 1132 = NJW 2001, 2078; DVBl 2001, 1134 = NJW 2001, 2076; NVwZ 2004, 90; DVBl 2005, 969 = NVwZ 2005, 1055; NJW 2007, 2167 → JK GG Art 8/22. 98 Enders JZ 2001, 652, 653; Hillgruber in: ders/Goos, VerfPrR, Rn 831 ff; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 466; Lechner/Zuck BVerfGG, § 32 Rn 21; Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 182. 99 Einzelheiten dazu bei Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 145 ff. 100 BVerfG-K NVwZ-RR 2001, 353; DVBl 2001, 721 = NJW 2001, 1407, 1408; DVBl 2001, 558 = NJW 2001, 1409 = JZ 2001, 651; DVBl 2001, 1054 = NJW 2001, 2072, 2073; DVBl 2001, 1132 = NJW 2001, 2078; NJW 2001, 2459, 2460; DVBl 2004, 697 = NVwZ 2004, 1111; NJW 2007, 2167, 2168 → JK GG Art 8/22; erläuternd Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 155 f. 101 Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 149 f. 102 BVerfG-K DVBl 2007, 1294, 1295 = NJW 2007, 3197, 3198 bzgl Ausstrahlung eines Fernsehfilms zum Contergan-Skandal. 103 BVerfGE 81, 53, 54; 82, 310, 312; 82, 353, 363; 87, 107, 111; 91, 70, 74 f; 99, 57, 66; BVerfG-K, NVwZ-RR 2001, 353; NVwZ 2003, 725; DVBl 2007, 1294, 1295 = NJW 2007, 3197, 3198.
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des BVerfG in die Autonomie eines anderen Verfassungsorgans bedeute.104 Ist ein Gesetz Gegenstand des Eilantrags (Begehren auf vorläufige Aussetzung des Gesetzesvollzugs), postuliert das BVerfG sogar einen „besonders strengen Maßstab“, weil der Erlass einer eAO stets einen erheblichen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers darstelle;105 den Vollzug eines Gesetzes dürfe das BVerfG nur dann vorläufig aussetzen, wenn die eAO unabweisbar (unabdingbar) sei.106 Diese Rspr hat das BVerfG sogar auf die Verordnungsgebung übertragen.107 Eine nochmalige Verschärfung der Anforderungen ergebe sich, wenn eine Maßnahme mit völkerrechtlichen oder außenpolitischen Auswirkungen in Rede stehe.108 Eine weitere Verschärfung des Maßstabs findet auch bei dem Antrag auf Erlass einer eAO statt, durch die der Vollzug einer Rechtsnorm ausgesetzt werden soll, die zwingende Vorgaben des EG-Rechts in das deutsche Recht umsetzt.109 Rechtlich überzeugend sind die vom BVerfG postulierten Maßstabsverschärfungen (→ Rn 37) nicht. Zutreffend wird dem Gericht vorgehalten, die Unterscheidung zwischen strengen, besonders strengen und nochmals verschärften besonders strengen Anforderungen sei praktisch nicht handhabbar und juristisch ohne Rechtsgrundlage.110 Es entspricht zudem nicht der Sicherungs- und Regelungsfunktion des § 32 I BVerfGG (→ Rn 5 ff), wenn sich das BVerfG selbst eine zusätzliche Zurückhaltung auferlegt, obwohl die eAO ohnehin nur – wenn der Gesetzestext ernst genommen wird – erlassen wird, falls sie „zum gemeinen Wohl dringend geboten ist“.111 Die Kontrolle anderer Verfassungsorgane ist eine „normale“ Aufgabe des BVerfG (→ Rn 11) und – ohne entsprechende gesetzliche Anordnung – keiner gesteigerten Zurückhaltung unterworfen. Das gilt auch in Bezug auf den Gesetzgeber.112 Methodisch lässt das BVerfG jede Präzisierung des „besonders strengen Maßstabs“ (→ Rn 37) vermissen;113 inhaltlich wird dem Gesetzgeber vom Antragsteller gerade vorgeworfen, dass er seine Gestaltungsbefugnisse verfassungswidrig überschritten hat, so dass ein Rückzug des BVerfG unter Hinweis auf eben diese gesetzgeberische Kompetenz selbstverständlich ausscheidet.114 Die eigenmächtige Maßstabsverschärfung des BVerfG beim Eilantrag gegen eine Rechtsverordnung (→ Rn 37) ist unvertretbar, wie schon die fachgerichtliche Normverwerfungskompetenz (§ 47 V 2 VwGO) zeigt.115 Beson-
104 BVerfGE 108, 34, 41; 118, 111, 122. 105 BVerfGE 82, 310, 313; 83, 162, 171; 94, 334, 347 f; 104, 23, 27; 104, 51, 55; BVerfG-K, NVwZ 2002, 592, 593; BVerfGE 106, 351, 355; 108, 45, 48; BVerfG-K 2004, 1228; BVerfGE 112, 284, 292; 117, 126, 135; BVerfG-K, NVwZ 2009, 103, 107; NVwZ 2009, 441, 444. 106 BVerfG-K, NVwZ 2000, 1408, 1409; BVerfGE 104, 23, 27. 107 BVerfG-K, NVwZ 2000, 1408, 1409; NVwZ 2003, 725. 108 BVerfGE 108, 34, 41; 117, 359, 366; 118, 111, 122. 109 BVerfGE 121, 1, 18 → JK GG Art 10 I/4; DVBl 2008, 1569 = NVwZ 2009, 96 Tz 74. 110 Lechner/Zuck BVerfGG, § 32 Rn 19; Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 160. 111 Hillgruber in: ders/Goos, VerfPrR, Rn 805. 112 Terminologisch verfehlt ist die Zuweisung von Gestaltungs„freiheit“ an den Gesetzgeber (→ Rn 37); „Freiheit“ (als Rechtsbegriff ernst genommen) steht den Grundrechtsberechtigten zu, nicht aber dem Gesetzgeber als Grundrechtsverpflichteten (Art 1 III GG). Der Gesetzgeber verfügt im Rechtssinne über Gestaltungsbefugnisse, -kompetenzen, -spielräume etc. 113 Berkemann JZ 1993, 161, 164: „Die Kraft der Worte täuscht schlicht über das Gebot methodischer Präzision hinweg“; zustimmend Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 139. 114 Hillgruber in: ders/Goos, VerfPrR, Rn 806. 115 Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 175.
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derheiten gelten schließlich auch nicht in außenpolitischen Angelegenheiten; insoweit verfügt die Regierung zwar über weite Handlungs- und Gestaltungsspielräume, hat sie jedoch deren Grenzen überschritten (und nur darum geht es in der Rechtsschutz- und Kontrollperspektive des BVerfG), ist eine besondere Zurückhaltung des BVerfG rechtlich nicht angezeigt.116 4. Ausnahmen vom Abwägungsmodell – summarisches Verfahren Sein Abwägungsmodell auf der Grundlage der Doppelhypothese (→ Rn 35) hält das BVerfG nicht strikt durch, sondern anerkennt wichtige Ausnahmen zu Gunsten des summarischen Verfahrens (dh Beurteilung der Erfolgsaussichten des Antragstellers in der Hauptsache). Der erste Ausnahmefall ist in dem Vorbehalt zur Folgenabwägung bereits angelegt. Danach bleiben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, im Eilverfahren nicht außer Betracht, wenn der in der Hauptsache gestellte Antrag von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist (→ Rn 35). In beiden Varianten geht es um den erfolglosen Eilantrag.117 Der Folgenabwägung zur Entscheidungsfindung bedarf es nicht, wenn auf Grund einer materiellen Prüfung der Sach- und Rechtslage rasch geklärt werden kann, dass ein Sicherungsbedürfnis für die anstehende Hauptsacheentscheidung nicht besteht.118 Die Praxis zeigt, dass der Antrag auf Erlass einer eAO abgelehnt wird, wenn sich der in der Hauptsache gestellte Antrag von vornherein als unzulässig erweist.119 Ist der (angekündigte) Hauptsacherechtsbehelf offensichtlich unbegründet, wird der Eilantrag ebenfalls abgelehnt.120 In etlichen Eilentscheidungen, die auf Grund der Folgenabwägung ergehen, wird der Anwendung der Doppelhypothese eine (mitunter intensive) Beurteilung der Unzulässigkeit des Antrags in der Hauptsache und seiner offensichtlichen Unbegründetheit – mit jeweils negativem Ergebnis – vorangestellt.121 Auch dies zeigt, dass die summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nötig und möglich ist. Der Erlass einer eAO wird in der Rspr auch dann von der Rechtsprüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache abhängig gemacht, wenn durch die Eilentscheidung eine Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung erfolgt.122 Da es nicht um ein Offenhalten des Hauptsacheverfahrens gehe, sondern um dessen vorweggenommene Durchsetzung, müsse
116 Ausführlich dazu Schoch/Wahl in: FS Benda, 1995, 265, 276 ff. 117 Es gibt allerdings auch, vom BVerfG nicht besonders erwähnt, den umgekehrten Fall: Erlass einer eAO wegen offensichtlicher Begründetheit des Rechtsbehelfs; BVerfG-K, NVwZ-RR 2002, 500 (offensichtliche Rechtswidrigkeit eines fachgerichtlich bestätigten sofort vollziehbaren Versammlungsverbots). 118 Niesler JURA 2007, 362, 365. 119 BVerfG-K, NJW 2002, 2632; BVerfGE 117, 359, 366 = NVwZ 2007, 685, 686; BVerfG, DVBl 2008, 1566 = NVwZ 2009, 103 Tz 90. 120 BVerfG-K, NJW 2002, 356. 121 BVerfGE 106, 51, 58 ff = NVwZ-RR 2003, 85, 86; BVerfGE 108, 34, 42 ff = NJW 2003, 2373, 2374 f = JZ 2003, 897, 898 f; BVerfGE 108, 238, 246 ff = NJW 2003, 2598, 2599 f; BVerfG-K NJW 2003, 3617 f; NJW 2005, 1105 ff; NJW 2005, 1419; CR 2007, 383 f; BVerfGE 117, 126, 135 ff = NVwZ 2007, 324, 325 f; BVerfG, NVwZ 2009, 441, 442 ff. 122 BVerfGE 63, 254 f; BVerfGE 67, 149, 152 – jeweils zu Wahlwerbesendungen politischer Parteien im Rundfunk.
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das Fehlentscheidungsrisiko nach der maßgeblichen materiellen Rechtslage verteilt werden.123 Eng verwandt mit dieser Konstellation ist der Eilrechtsschutz zur Verhinderung vollendeter Tatsachen. Das BVerfG entscheidet nach Maßgabe der Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde, wenn die behauptete Rechtsverletzung im Falle der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte, die Entscheidung in der Hauptsache also zu spät käme.124 Eine Bereichsausnahme zu Gunsten der Prüfung des maßgeblichen materiellen Rechts im Eilverfahren sieht das BVerfG für den verfassungsgerichtlichen vorläufigen Rechtsschutz im Versammlungsrecht vor. Insoweit war seit geraumer Zeit eine Diskrepanz zwischen verbaler Ankündigung (Folgenabwägung nach Maßgabe der Doppelhypothese) und praktischer Durchführung (materiellrechtliche Prüfung) zu beobachten (→ Rn 35 aE). Das Gericht hat dann im Rahmen des § 32 I BVerfGG ausdrücklich von der „summarischen Prüfung“ gesprochen.125 In einer Senatsentscheidung hat das BVerfG schließlich in Anknüpfung an allgemeine Überlegungen zur materiell-akzessorischen Prüfung – Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung, drohende vollendete Tatsachen (→ Rn 40) – erkannt, es widerspräche der Aufgabe des BVerfG, die Grundrechte im Verfahren der Verfassungsbeschwerde zu sichern, wenn deren erkennbaren Erfolgsaussichten im Eilverfahren nicht berücksichtigt würden, falls aus Anlass eines Versammlungsverbots über einen Eilantrag zu entscheiden sei und ein Abwarten bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens den Versammlungszweck mit hoher Wahrscheinlichkeit vereitele.126 Damit wird für Eilverfahren nach § 32 I BVerfGG auf dem Gebiet des Versammlungsrechts offen die (summarische) Prüfung der materiellen Rechtslage eingefordert.127 In Fall 1 ist der Antrag der F-Fraktion im Organstreitverfahren weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Zur Folgenabwägung nach der Doppelhypothese stellte das BVerfG auf der einen Seite fest: Werde dem Antrag auf Erlass einer eAO stattgegeben, sollte der Antrag in der Hauptsache aber keinen Erfolg haben, würde die Arbeit des VISA-Untersuchungsausschusses entgegen einem rechtmäßigen Beschluss über die Beendigung der Zeugeneinvernahme gleichwohl fortgeführt (Hypothese 1). Auf der anderen Seite gelte: Bei einer Ablehnung des Antrags auf Erlass einer eAO und späterer Stattgabe in der Hauptsache müsste das bereits beschlossene Arbeitsprogramm in rechtswidriger Weise vorzeitig beendet werden (Hypothese 2). Das Interesse der F-Fraktion an der Fortführung des beschlossenen Arbeitsprogramms des Ausschusses sei grundsätzlich schutzwürdig, weil die besonderen Schutzrechte für die qualifizierte Minderheit im Untersuchungsausschussrecht 128 sonst leerlaufen könnten; demgegenüber sei die Schutzwürdigkeit der Interessen der
123 Niesler JURA 2007, 362, 365; Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 94. 124 BVerfG-K, NJW 2007, 672, 673: Ergebe in einer solchen Fallgestaltung die Prüfung im Eilverfahren, dass eine Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet wäre, läge in der Nichtgewährung von Rechtsschutz der schwere Nachteil für das gemeine Wohl (§ 32 I BVerfGG). 125 BVerfG-K, NVwZ 2004, 90, 91. 126 BVerfGE 111, 147, 153 = DVBl 2004, 1230, 1231 = NJW 2004, 2814 → JK BVerfGG § 32/8. 127 Bestätigend BVerfG-K DVBl 2005, 969 = NVwZ 2005, 1055; anders allerdings (dh Folgenabwägung) BVerfG-K, NJW 2005, 3204; NVwZ-RR 2008, 73, 74 – jeweils zu Problemen des § 130 IV StGB; zutr demgegenüber („Sternmarsch“ G8-Gipfel) BVerfG-K, NJW 2007, 2167, 2168 ff → JK GG Art 8/22. 128 Näher dazu Schulte JURA 2003, 505 ff. – Vgl auch Fallbearbeitungen von Mager/Siebert JURA 2003, 490 ff, sowie Ortmann JURA 2003, 847 ff.
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Ausschussmehrheit (Vorlage eines Sachstandsberichts vor Ablauf der Legislaturperiode) nur als gering zu veranschlagen, zumal die vorzeitige Beendigung der Wahlperiode des Deutschen Bundestages mangels Selbstauflösungsrechts des Parlaments von Faktoren abhänge, deren Eintreten nicht prognostiziert werden könne (Abwägung). Der drohende Verlust von Beweismitteln würde dem Zweck des parlamentarischen Untersuchungsrechts zuwiderlaufen und die Rechte der F-Fraktion in schwerwiegender Weise verletzen, so dass eine eAO zur vorläufigen Sicherung der Rechte der F-Fraktion geboten sei (Abwägungsergebnis). Der Eilantrag ist danach begründet.
In der Entscheidung zu Fall 2 anerkannte das BVerfG, dass bei sofortiger Heranziehung des W zum Grundwehrdienst ein irreversibler Zustand eintreten würde, falls die eAO nicht erginge, W mit seiner Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte. Beim Erlass der beantragten eAO und späterem Misserfolg der Verfassungsbeschwerde sei der Nachteil für die Wehrfähigkeit Deutschlands zwar gering, Einrichtung und Funktionsfähigkeit der Bundeswehr auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht129 seien jedoch – unabhängig von der Entscheidung des einzelnen Wehrpflichtigen für oder gegen den Wehrdienst – auf eine stetige und gleichmäßige Heranziehung der tauglichen Wehrpflichtigen angewiesen. Bei Abwägung der widerstreitenden Interessen dürfe nicht nur die Bedeutung des W für die Bundeswehr in den Blick genommen werden, vielmehr lasse die Gefahr einer Erosion der Wehrpflicht das Individualinteresse des W gegenüber dem staatlichen Vollzugsinteresse zurücktreten.130 Der Eilantrag ist danach abzulehnen.
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Die Eilentscheidung zu Fall 3 hat nicht auf Grund einer Folgenabwägung sondern nach (summarischer) Prüfung der materiellen Rechtslage zu ergehen (→ Rn 41). Entscheidend ist, dass staatliche Beschränkungen des Inhalts (und der Form) einer Meinungsäußerung, auch wenn sie in einer oder durch eine Versammlung erfolgt, nur nach Maßgabe des Art 5 II GG zulässig sind.131 Der Gesetzgeber hat in allgemeinen Gesetzen (zB §§ 86, 86a, 130 StGB) Beschränkungen des Inhalts von Meinungsäußerungen an bestimmte tatbestandliche Voraussetzungen gebunden; die „öffentliche Ordnung“ ist als Tatbestandsmerkmal nicht vorgesehen. Das Versammlungsverbot ist danach rechtswidrig, der Eilantrag begründet.
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In Fall 4 war der Normenkontrollantrag zulässig und weder offensichtlich begründet noch offensichtlich unbegründet. Die Eilentscheidung erging auf Grund einer Folgenabwägung, wobei das BVerfG einen besonders strengen Maßstab postulierte (→ Rn 37), weil der Vollzug eines Gesetzes ausgesetzt werden sollte: Ergehe die eAO nicht, erweise sich das Altenpflegegesetz aber später im Hauptsacheverfahren als verfassungswidrig,132 drohten dem gemeinen Wohl schwere Nachteile (vergebliche Investition von Berufsanfängern in die Ausbildung, Abschreckungseffekte für die Ausbildung in der Altenpflege wegen der Ungewiss-
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129 Zur Verfassungsmäßigkeit der allgemeinen Wehrpflicht BVerfGE 105, 61 = DVBl 2002, 769 = NJW 2002, 1708. 130 Zur Wehrgerechtigkeit bei der Einberufung zum Grundwehrdienst BVerwGE 122, 331 = DVBl 2005, 784 (m Anm Münster) = NJW 2005, 1525 → JK GG Art 12a/1; dazu Bespr Krieger JURA 2006, 769 ff. 131 BVerfG-K NVwZ 2006, 586, 588; NVwZ 2008, 671, 673 → JK GG Art 8/24. 132 So in der Tat BVerfGE 106, 62 → JK GG Art 72/3 wegen Verstoßes gegen Art 72 II (aF) GG.
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heit über den Ausgang des Normenkontrollverfahrens, zeitweiliger Verlust der Berufsperspektive in der Altenpflege, Umstrukturierungsmaßnahmen im Ausbildungssystem auf unsicherer Grundlage); werde dem Eilantrag stattgegeben, habe der Normenkontrollantrag in der Hauptsache jedoch keinen Erfolg, bliebe lediglich die gegenwärtige Rechtslage länger als geplant in Kraft, so dass die mit dem Bundesgesetz angestrebten Qualitätsstandards nicht sofort erreicht werden könnten. Trotz des geltenden strengen Maßstabs für den Erlass einer eAO wögen die Nachteile bei einem Inkrafttreten des Gesetzes und einem späteren Erfolg im Hauptsacheverfahren schwerer als die Nachteile, die durch die Aussetzung des Vollzugs des Gesetzes entstünden. Dem Eilantrag sei daher stattzugeben.
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Fall 5 bietet ein Beispiel für den (jedenfalls verbal) weiter verschärften Maßstab im Eilverfahren. Eine Aussetzung des Vollzugs von § 113a TKG scheide aus, weil die in dieser Vorschrift geregelte Pflicht bestimmter Anbieter von TK-Diensten zur Speicherung von TKVerbindungsdaten zwingenden Vorgaben der RL 2006/24/EG 133 entspreche; in der Sache selbst liege in der Datenspeicherung allein ein besonders schwerwiegender und irreparabler Nachteil iSd § 32 I BVerfGG nicht. Zu einem möglicherweise irreparablen Nachteil für den Einzelnen könnten jedoch der Abruf personenbezogener Daten und die Nutzung der Daten nach § 113b S 1 Nr 1 TKG führen. Darin liege eine erhebliche Gefährdung des in Art 10 I GG verankerten Persönlichkeitsschutzes sowie ein schwerwiegender und nicht mehr rückgängig zu machender Grundrechtseingriff; demgegenüber wögen die Nachteile für das öffentliche Interesse an einer effektiven Strafverfolgung bei Erlass der eAO weniger schwer, weil die Strafverfolgungsbehörden über sonstige effektive Ermittlungsinstrumente verfügten und die Nutzung auch der Vorratsdatenspeicherung bei einem Misserfolg der Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren nur verzögert werde. Der Eilantrag bleibt danach erfolglos, soweit er gegen § 113a TKG gerichtet ist, in Bezug auf § 113b S 1 Nr 1 TKG ist er begründet.134
5. Kritik am Abwägungsmodell des BVerfG 47
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Dem Abwägungsmodell des BVerfG (→ Rn 35) sind vielfach methodische, dogmatische und praktische Mängel nachgewiesen worden,135 auf die hier nur kurz hingewiesen werden kann. Eine Auseinandersetzung mit der Kritik hat das Gericht bislang vermieden.136 Es konnte noch nicht einmal erläutert werden, worin die praktischen Vorzüge der Folgenabwägung gegenüber der im Eilverfahren zu ermittelnden (summarischen) Erfolgsprognose liegen sollen.137 Schwerer wiegen die beiden anderen Kritikpunkte. Die Begründetheitsprüfung des BVerfG im Rahmen des § 32 I BVerfGG ist von Inkonsistenzen und von einem Methodensynkretismus geprägt. Das BVerfG hält sein Abwä-
133 Bestätigung der Rechtswirksamkeit der Richtlinie unter Kompetenzgesichtspunkten (Art 95 EGV) durch EuGH DVBl 2009, 371 (m Anm Frenz) = EuZW 2009, 212 (m Anm Petri) = JZ 2009, 466 (m Anm Ambos) → JK EGV Art 95/5; dazu Bespr Terhechte EuZW 2009, 199 ff. 134 Zur Wiederholung der eAO (§ 32 VI 2 BVerfGG) → Rn 64. 135 Berkemann JZ 1993, 161 ff; ders in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 237 ff; Schoch/Wahl in: FS Benda, 1995, 291, 299 ff; Schoch in: FS 50 Jahre BVerfG, 2001, 695, 708 ff. 136 Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 238: „Das ‚offizielle‘ Selbstverständnis des BVerfG bleibt von dieser im Schrifttum geführten Kritik unberührt.“ 137 Lechner/Zuck, BVerfGG, § 32 Rn 22.
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gungsmodell nicht durch, sondern postuliert (ohne Gesetzesbezug) selbst gegriffene Ausnahmen (→ Rn 34, 39 ff), deren – abschließende (?) – Eigenrationalitäten sich nicht automatisch erschließen.138 Häufig findet eine (echte) Abwägung gar nicht statt, sondern das BVerfG argumentiert eindimensional (und mitunter am Ergebnis orientiert).139 Beim „Abwägungspatt“ bleibt (wegen der Ausblendung des maßgeblichen materiellen Rechts) nur die richterliche Dezision.140 Die Abwägung ohne Rechtsmaßstab – der nur aus dem dem konkreten Fall zu Grunde liegenden Sachrecht gewonnen werden könnte – bleibt inhaltsleer, unkontrollierbar und gibt (verfassungs)rechtlich kaum fassbaren politischen Erwägungen Raum.141 Das BVerfG verknüpft ohne Orientierung an der Rechtsordnung inkommensurable Größen (politische, soziale, ökonomische, fiskalische etc Topoi), so dass eine rational nachvollziehbare Abwägung nicht selten ausbleibt. Ein Musterbeispiel hierfür bietet Fall 2. Wenn W durch die sofortige Heranziehung zum Grundwehrdienst irreversible Nachteile drohen, wie das BVerfG feststellt (→ Rn 43), ist die Sicherungsfunktion des § 32 I BVerfGG (→ Rn 5) gefragt; nach seinen eigenen Standards – Verhinderung vollendeter Tatsachen vor der Hauptsacheentscheidung (→ Rn 40) – müsste das BVerfG von der Folgenabwägung absehen und die materielle Rechtslage (summarisch) prüfen. Die dennoch vorgenommene Folgenabwägung stellt nicht das Interesse des W an der Verhinderung des Eintritts irreparabler Nachteile vor der Hauptsacheentscheidung und den Nachteil für die Wehrfähigkeit Deutschlands bei einer vorläufigen Zurückstellung des W gegenüber, sondern konfrontiert den irreversiblen Zustand zu Lasten des W mit der – durch nichts belegten – „Gefahr einer Erosion der Wehrpflicht“, von der angesichts der Lebenswirklichkeit ernsthaft keine Rede sein kann.142 Mit seiner (substanzlosen) „Großformel“ konnte das BVerfG dem staatlichen Vollzugsinteresse den Vorrang einräumen. Bei einer anderen – durch das maßgebliche Sachrecht ohnehin nicht geleiteten – Auswahl der Abwägungstopoi wäre das gegenteilige (und richtige) Entscheidungsergebnis erzielt worden.
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Rechtsdogmatisch ist die Folgenabwägung des BVerfG unbrauchbar, weil es an einem prozessrechtlich reflektierten Begriff der „vollendeten Tatsachen“ fehlt und das Gericht unter Ausblendung des Faktors „Zeit“ die interimistische Befriedungsfunktion jeder Eilentscheidung (→ Rn 7) übersieht.143 Dass die „Irreparabilität“ eines Zustands ein ambivalenter Argumentationstopos ist, weil durch Zeitablauf auf Seiten des Antragstellers oder des Antragsgegners permanent später (mit der Hauptsacheentscheidung) nicht
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138 Vgl zur Kritik auch Hillgruber in: ders/Goos, VerfPrR, Rn 827 ff, 831; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 466. 139 Symptomatisch hierfür zB BVerfG-K, NVwZ 1992, 54, 55; BVerfGE 87, 107, 112 f; BVerfG-K, NVwZ 1994, 261; BVerfGE 96, 223, 230; BVerfG-K, NJW 2001, 2957; NJW 2002, 2021, 2022; NVwZ 2003, 725, 726; NJW 2003, 3043; NVwZ 2004, 1228; BVerfGE 112, 90, 92 f = NJW 2005, 2060; BVerfG-K, NVwZ 2006, 815; BVerfGE 118, 111, 123 f = NVwZ 2007, 687, 688. 140 Vgl BVerfGE 36, 37, 40; 63, 254 f; 65, 101, 103; 85, 94, 96 f; 88, 25, 39 f; 91, 70, 81; BVerfG-K, NVwZ 2000, 789, 790; BVerfGE 108, 34, 45 = NJW 2003, 2373, 2375 = JZ 2003, 897, 899. 141 Klein in: FS 50 Jahre BVerfG, 2001, 507, 529 f; ders in: Benda/ders, VerfPrR, Rn 1223. 142 Vgl dazu (mit Zahlen zu den Wehrpflichtigen und den tatsächlich Einberufenen) Unterreitmeier ZRP 2007, 163 ff; ferner Voland ZRP 2007, 185 ff. 143 Zutr Kritik hierzu bei Klein in: Benda/ders, VerfPrR, Rn 1222, 1223; Lechner/Zuck BVerfGG, § 32 Rn 43.
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mehr ungeschehen zu machende Zustände eintreten,144 erkennt das BVerfG kaum. Zumeist wird einseitig die Sichtweise des Antragstellers eingenommen und eine ihm drohende Irreparabilität als (entscheidendes) Argument für den Erlass einer eAO verwendet; 145 oftmals korrespondieren damit auf Seiten des Antragsgegners nur zeitliche Verzögerungen (der beabsichtigten Hoheitsmaßnahme), was als weiteres Argument für den Erlass der beantragten eAO gilt.146 Die Rspr liefert aber auch Gegenbeispiele; trotz des Eintritts irreparabler Zustände beim Antragsteller wird der Erlass einer eAO – aus tatsächlichen oder vermeintlichen Gründen des Gemeinwohls (vgl Fall 2 → Rn 49) – vielfach abgelehnt.147 Die relative Beliebigkeit der Argumentationstopoi zeigt sich auch bei wirtschaftlichen Nachteilen, die dem Antragsteller drohen. Derartige Nachteile gelten an sich als kompensierbar;148 gegenläufige Entscheidungen sprechen jedoch von kaum wiedergutzumachenden wirtschaftlichen Nachteilen des Antragstellers, was dann im Rahmen der Folgenabwägung für den Erlass der beantragten eAO spricht.149 Der Verzicht auf stereotyp anmutende und dennoch austauschbar verwendete Argumentationsmuster zeigt, dass jede Eilentscheidung bis zur Hauptsacheentscheidung als Interimsregelung eine endgültige ist (→ Rn 7) und insoweit – durch die Hauptsacheentscheidung unverrückbare – „vollendete Tatsachen“ schafft, die sich für die Verfahrensbeteiligten vorteilhaft oder nachteilig auswirken können.150 Vereinzelt erkennt das BVerfG diese Ambivalenz.151 Konsequenzen zieht die Rspr aus dem Befund kaum.152 Treten allein durch Zeitablauf zu Lasten des Antragstellers oder zu Lasten des Antragsgegners not-
144 Näher dazu Schoch in: 50 Jahre BVerfG, 2001, 695, 706 ff; Hillgruber in: ders/Goos, VerfPrR, Rn 829. 145 BVerfGE 63, 332, 339; 68, 233, 236; 88, 76, 82; BVerfG-K, NJW 1994, 573, 574; NJW 1995, 2023, 2024; NJW 1997, 45, 46; NJW 1998, 3631; DVBl 2000, 1121, 1122 = NVwZ-RR 2000, 554, 555; NVwZ 2002, 1367; BVerfGE 105, 365, 372 = NJW 2002, 2458, 2459; BVerfGE 106, 51, 61 f = NVwZ-RR 2003, 85, 86; BVerfG-K, NJW 2003, 3761; NVwZ 2004, 1109; BVerfGE 112, 90, 93 = NJW 2005, 2060; BVerfG-K, NJW 2005, 1418, 1419; BVerfGE 113, 113, 127 = NJW 2005, 2537, 2540; BVerfG-K, CR 2007, 327, 328; BVerfGE 117, 126, 139 = NVwZ 2007, 324, 325; BVerfG-K, DVBl 2007, 496, 497 = NJW-RR 2007, 986, 987; ZUM 2007, 845, 846; BVerfGE 121, 1, 22 = DVBl 2008, 569 = NVwZ 2008, 543 Tz 156 → JK GG Art 10 I/4. 146 BVerfGE 108, 238, 250 = NJW 2003, 2598, 2599 f; BVerfG-K, NJW 2003, 3617, 3618; NJW 2005, 1419. 147 BVerfGE 85, 130, 133; 89, 113, 116 ff; 91, 320, 327; 94, 334, 348 ff; BVerfG-K, NJW 1999, 634; NJW 1999, 1951; NJW 1999, 3036, 3037; DVBl 2000, 1593, 1595 f = NJW 2000, 3051, 3052 f; NJW 2004, 2297, 2298; DVBl 2007, 1294, 1295 = NJW 2007, 3197, 3198. 148 BVerfGE 106, 351, 357 = NVwZ 2003, 979, 980; BVerfGE 108, 45, 50 = NJW 2003, 2737, 2738; Hillgruber in: ders/Goos, VerfPrR, Rn 818 f. 149 BVerfG-K, NJW 2003, 3617; NVwZ-RR 2004, 545, 546. 150 Lechner/Zuck BVerfGG, § 32 Rn 7. 151 BVerfG-K, DVBl 2009, 120 = NJW 2009, 350 (Fernsehberichterstattung über ein Strafverfahren): Bei Zulassung des Fernsehens irreparable Stigmatisierung des Angeklagten (Tz 15 und Tz 17), bei Ablehnung der eAO irreparabler Ausfall der Fernsehberichterstattung (Tz 9). – Zum Faktor „Zeit“ instruktiv BVerfG-K, NJW 2005, 1105 (1107) zum Umgangsrecht eines Vaters mit seinem nichtehelichen Kind: Bei Ablehnung der eAO keine Teilhabe des Vaters an der Entwicklung des Kindes für einen nicht unerheblichen Zeitraum, bei Erlass der eAO (und späterer Erfolglosigkeit der Verfassungsbeschwerde) irreversible Umgangskontakte zwischen Vater und Kind von wöchentlich zwei Stunden. 152 Vgl aber zum Eilrechtsschutz im Versammlungsrecht → Rn 41.
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wendigerweise „vollendete Tatsachen“ ein (was den unwiederbringlichen Zeitverlust einschließt), kann es – um zu einer rechtsnormativen Bewertung des Befundes zu gelangen – allein darauf ankommen, ob die infolge des Zeitablaufs unumkehrbaren Geschehnisse und Unterlassungen der Rechtsordnung entsprechen oder nicht. Vorläufiger Rechtsschutz nach § 32 I BVerfGG sollte daher nicht unter Ausblendung des maßgeblichen materiellen Rechts gewährt werden, sondern nur unter Beachtung des im konkreten Fall entscheidungserheblichen Sachrechts.153 Auf diese Weise wird am ehesten gewährleistet, dass bereits in dem Interimszeitraum gilt, was auf Grund der (ausstehenden) Hauptsacheentscheidung ohnehin zu gelten hat. Die Forderung der hL nach Durchführung eines summarischen Verfahrens gemäß § 32 I BVerfGG (→ Rn 32, 51) verlangt vom BVerfG für die große Mehrzahl der Fälle („Urteilsverfassungsbeschwerden“) nichts anderes, als in dem jeweils vorausgehenden fachgerichtlichen Eilverfahren von den Gerichten gefordert wird.154 Das BVerfG postuliert zudem selbst eine materiell-akzessorische Prüfung im Eilverfahren, falls vollendete Tatsachen zu verhindern seien oder eine Vorwegnahme der Hauptsache erfolge (→ Rn 40). Da dies mit jeder Eilentscheidung zwangsläufig geschieht (→ Rn 50, 51),155 müsste sich das BVerfG zum summarischen Eilverfahren bekennen. Angesichts der nur seltenen Diskrepanzen zwischen dem Ergebnis der Eilentscheidung und dem Resultat der Hauptsacheentscheidung wird eine „verdeckte“ summarische Prüfung seitens des BVerfG vermutet.156 Das Gericht selbst hält sich auch dazu bedeckt.
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IV. Entscheidung und Entscheidungsinhalt 1. Erlass der Eilentscheidung Ist der Antrag auf Erlass einer eAO unzulässig oder unbegründet, bleibt er erfolglos; das BVerfG spricht die Ablehnung des Eilantrags aus.157 Es ergeht also eine Eilentscheidung mit negativem Inhalt für den Antragsteller. Ist der Eilantrag hingegen zulässig und begründet, ist die Stattgabe der für den Antragsteller positive Gehalt der Eilentscheidung; diese Entscheidung ist zwingend. Der Ausdruck „kann“ in § 32 I BVerfGG eröffnet dem BVerfG kein Entschließungsermessen, sondern stellt eine Kompetenzzuweisung dar; liegen die Voraussetzungen des § 32 I BVerfGG vor, ist dem Eilantrag stattzugeben.158
153 Zum Konzept der hL → Rn 32. 154 Zum Aussetzungsverfahren → § 29 Rn 135 ff, zum Verfahren der eAO → § 30 Rn 36 ff. 155 Zudem geht – dem vorläufigen Rechtsschutz immanent – von jeder Eilentscheidung eine Vorwegnahmewirkung aus, die sich als selbstverständliche und normale zeitlich begrenzte rechtliche Folge der Eilentscheidung darstellt; Leipold JZ 1991, 461, 462. 156 Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 238. 157 Vgl BVerfG-K, NJW 2004, 2297 (Fall 2); ferner zB BVerfGE 112, 284, 285 = NJW 2005, 1179; BVerfGE 117, 359, 360 = NVwZ 2007, 685; BVerfGE 118, 111, 112 = NVwZ 2007, 687; krit zur Tenorierung des BVerfG Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 319: Ein unzulässiger Eilantrag werde verworfen, ein unbegründeter Eilantrag werde zurückgewiesen. 158 Klein in: Benda/ders, VerfPrR, Rn 1212; Robbers Probleme VerfPrR, 108; Sachs VerfPrR, Rn 546; Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 462; Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 56; Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 157.
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Zuständig für die Eilentscheidung ist nach § 32 I BVerfGG „das Bundesverfassungsgericht“. Gerichtsintern ist derjenige Spruchkörper zuständig, der in der Hauptsache zu entscheiden hat. Das ist grundsätzlich der nach § 14 BVerfGG zuständige Senat. Ist die Verfassungsbeschwerde der statthafte Hauptsacherechtsbehelf und hat der Senat noch nicht über deren Annahme entschieden, hat die zuständige Kammer (§ 15a BVerfGG) die Eilentscheidung zu treffen. Die Kammer kann den Eilantrag ablehnen, aber auch – wenn die Voraussetzungen des § 32 I BVerfGG gegeben sind – die beantragte eAO treffen.159 Eine eAO, mit der die Anwendung eines Gesetzes ganz oder teilweise ausgesetzt wird, kann allerdings nur der Senat erlassen (§ 93d II 2 BVerfGG). Bei besonderer Dringlichkeit kann unter den Voraussetzungen des § 32 VII 1 BVerfGG ein „Notsenat“ entscheiden.160 Eine Eilentscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung ergeht durch Urteil, die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung als Beschluss (§ 25 II BVerfGG). Die eAO kann ohne mündliche Verhandlung getroffen werden (§ 32 II 1 BVerfGG). Die Kammer entscheidet ohne mündliche Verhandlung (§ 93d I 1 BVerfGG). 2. Vorläufige Maßnahmen
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Wird dem Eilantrag stattgegeben, muss das BVerfG „einen Zustand … vorläufig regeln“ (§ 32 I BVerfGG). Der Inhalt der Eilentscheidung ist mit dieser Vorgabe nur schwach determiniert. § 32 I BVerfGG stellt, ähnlich wie § 938 I ZPO,161 eine prozessrechtliche Ermächtigung für die richterliche Gestaltungsbefugnis dar. Die eAO muss für den Zeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung eine abschließende Interimsregelung treffen und die noch ausstehende Entscheidung in der Hauptsache offen halten. Die Auswahl der Maßnahmen orientiert sich am Eilantrag (ohne an dessen Formulierung gebunden zu sein), dh am Rechtsschutzziel.162 Das BVerfG kann einen Rechtsakt (Gesetz, Administrativakt wie zB Rechtsverordnung und Verwaltungsakt, Gerichtsentscheidung) vorläufig außer Vollzug setzen oder dem Anordnungsadressaten ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen auferlegen.163 Den konkreten Inhalt der Eilentscheidung bestimmt das BVerfG entsprechend dem Sicherungs- bzw Regelungszweck der eAO nach richterlichem Ermessen. Zulässig ist auch eine „überschießende“ eAO.164 Der Gegenstand des Eilantrags, der Sicherungs- und Regelungszweck sowie die Umstände des Einzelfalles determinieren den Anordnungsinhalt der Eilentscheidung. Betrifft die eAO ein Gesetz, kann die vorläufige Aussetzung des Gesetzesvollzugs verfügt werden;165 zulässig ist auch, die Anwendung des Gesetzes mit bestimmten Maßgaben zu
159 Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 198; unzutr Robbers Probleme VerfPrR, 110. 160 Näher dazu Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 205 ff. 161 Vgl dazu für das eAO-Verfahren nach der VwGO → § 30 Rn 56 ff. 162 Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 469; Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 322 ff; Lechner/Zuck BVerfGG, § 32 Rn 28. 163 Klein in: Benda/ders, VerfPrR, Rn 1227. 164 Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 462: eAO im Organstreit zur Durchführung einer bestimmten Maßnahme zwecks Sicherung der Entscheidung in der Hauptsache, obwohl diese auf eine bloße Feststellung beschränkt ist (§ 67 BVerfGG). 165 BVerfGE 81, 53, 56; BVerfGE 104, 23 f = DVBl 2001, 1141 = NJW 2001, 3253; BVerfGE 117, 126 = NVwZ 2007, 324.
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erlauben.166 Bei einem noch nicht in Geltung befindlichen Gesetz kann angeordnet werden, dass das Gesetz einstweilen nicht in Kraft tritt.167 Die vorläufige Aussetzung der Vollziehung eines Hoheitsakts ist auch bei Verwaltungsmaßnahmen und bei Gerichtsentscheidungen zulässig.168 Bei der eAO im Versammlungsrecht (gegen ein fachgerichtlich bestätigtes behördliches Versammlungsverbot) greift das BVerfG idR zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des verwaltungsprozessualen Rechtsbehelfs (§ 80 V 1 VwGO), wobei mitunter bestimmte Maßgaben (Auflagen) mit angeordnet werden (vgl § 80 V 4 VwGO).169 Soweit es um konkrete Handlungsanweisungen und Unterlassungsgebote mittels eAO geht, sind die einzelnen Maßnahmen naturgemäß heterogen und stark vom konkreten Fall abhängig.170 Zur Veranschaulichung des Befundes seien einige Beispiele zum Inhalt der eAO aus der Rechtsprechungspraxis genannt: Rückgabe einer beschlagnahmten EDVAnlage,171 Hinterlegung bestimmter Gegenstände durch die Ermittlungsbehörde und Versiegelung von Datenträgern,172 Nichtbesetzung bestimmter Beförderungsstellen173 bzw einer Anwaltsnotarstelle,174 Aussetzung der Übergabe eines deutschen Staatsangehörigen an einen Drittstaat im Auslieferungsverfahren,175 Anordnung einer bestimmten Umgangsregelung zwischen einem Vater und seinem nichtehelichen Kind,176 Erlaubnis zur Anfertigung von Lichtbildern im Gerichtssaal.177 In einem Organstreitverfahren hat das BVerfG eine feststellende Eilentscheidung getroffen und mittels eAO vorläufig geklärt, dass eine Landesregierung nicht verpflichtet sei, bestimmte Akten dem Landtag vorzulegen.178 Die ausgewählten Fallbeispiele verdeutlichen die Bandbreite an Gestaltungsbefugnissen des BVerfG im Rahmen der Eilentscheidung nach § 32 I BVerfGG. Fragen zur „vorläufigen Regelung“ eines Zustands stellten sich lediglich in Fall 2 nicht, nachdem das BVerfG den Eilantrag des W für unbegründet hielt (→ Rn 43). Der Antrag auf Erlass einer eAO wurde folglich abgelehnt (vgl → Rn 53).179
166 BVerfGE 121, 1 f = DVBl 2008, 569 = NVwZ 2008, 543 → JK GG Art 10 I/4; BVerfG, NVwZ 2009, 441, 442. 167 BVerfGE 82, 310; 86, 390, 393. 168 BVerfG-K, NJW 2003, 3617 und NVwZ-RR 2004, 545: Aussetzung der sofortigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts. – BVerfG-K NJW 2005, 1418, 1419: Aussetzung der Wirksamkeit eines Beschlusses des BGH bis zur Hauptsacheentscheidung. 169 BVerfG-K, DVBl 2001, 721 = NJW 2001, 1407; DVBl 2001, 897 = NJW 2001, 2069; DVBl 2001, 1054 = NJW 2001, 2072; DVBl 2001, 1132 = NJW 2001, 2078; NVwZ 2002, 983; NVwZ-RR 2002, 500; NJW 2003, 3689; NVwZ 2004, 90; BVerfGE 111, 147 = DVBl 2004, 1230 = NJW 2004, 2814 → JK BVerfGG § 32/8; BVerfG-K, NVwZ 2007, 574, 575. 170 Überblick zu etwas älteren Entscheidungen bei Schlaich/Korioth BVerfG, Rn 470. 171 BVerfG-K 104, 42, 44 = NJW 2001, 2957. 172 BVerfG-K, NJW 2003, 3761. 173 BVerfG-K, NVwZ 2002, 1367. 174 BVerfG-K, NJW 2003, 3043. 175 BVerfGE 112, 90 = NJW 2005, 2060. 176 BVerfG-K, NJW 2005, 1105. 177 BVerfG-K, DVBl 2007, 496 = NJW-RR 2007, 986 = K&R 2007, 314. 178 BVerfGE 106, 51, 52 = NVwZ-RR 2003, 85. 179 BVerfG-K, NJW 2004, 2297.
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In Fall 1 war der Eilantrag im Organstreitverfahren begründet (→ Rn 42). Folglich musste zu Gunsten der F-Fraktion eine eAO erlassen werden. Das BVerfG verpflichtete den Antragsgegner (VISA-Untersuchungsausschuss), bis zum Zeitpunkt einer etwaigen Anordnung des Bundespräsidenten zur Auflösung des Bundestags die Zeugeneinvernahme entsprechend dem im Ausschuss beschlossenen Arbeitsprogramm unverzüglich fortzuführen, es sei denn, dass eine Änderung dieses Programms einvernehmlich beschlossen werde.180
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In Fall 3 war das BVerfG auf Grund einer (summarischen) Prüfung der Sach- und Rechtslage zu dem Ergebnis gelangt, dass das gegenüber der N-Partei verfügte Versammlungsverbot rechtswidrig und der Eilantrag demzufolge begründet war (→ Rn 44). Das BVerfG entschied, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers (N-Partei) gegen die behördliche Verbotsverfügung wieder hergestellt wird.181
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In Fall 4 enthielt das angegriffene Gesetz ein komplexes Regelungsgefüge, ua ein gestuftes Inkrafttreten der Gesetzesvorschriften. Auf Grund des begründeten Eilantrags (→ Rn 45) entschied das BVerfG, dass bestimmte Vorschriften des Altenpflegegesetzes bis zur Entscheidung über die Vereinbarkeit dieses Gesetzes mit dem Grundgesetz, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen außer Kraft gesetzt werden; im Übrigen wurde das Inkrafttreten des Gesetzes bis zur Hauptsacheentscheidung, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen ausgesetzt.182
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In seiner Eilentscheidung zu Fall 5 gelangte das BVerfG zu einem differenzierten Ergebnis; der Eilantrag war unbegründet, soweit er sich gegen § 113a TKG richtete, in Bezug auf § 113b S 1 Nr 1 TKG war er begründet (→ Rn 46). Das BVerfG entschied: (1) 113b S 1 Nr 1 TKG ist bis zur Entscheidung in der Hauptsache nur mit bestimmten – vom Gericht detailliert vorgegebenen – Maßgaben anzuwenden; (2) die Bundesregierung hat dem BVerfG bis zu einem bestimmten Stichtag (1.9.2008) einen Bericht zu den praktischen Auswirkungen des § 113a TKG vorzulegen, wobei die Länder und der Generalbundesanwalt zur Übermittlung der für den Bericht erforderlichen Informationen an die Bundesregierung verpflichtet wurden; (3) im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer eAO abgelehnt.183
V. Entscheidungswirkungen und Entscheidungsfolgen 63
Die Eilentscheidung nach § 32 I BVerfGG ist rechtlich verbindlich. Zwischen den Verfahrensbeteiligten erwächst sie – wie jede Gerichtsentscheidung – in formelle und materielle Rechtskraft.184 Der Eilentscheidung kommt ferner die Bindungswirkung nach § 31 I
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BVerfGE 113, 113, 114 = DVBl 2005, 1038 = NJW 2005, 2537, 2538. BVerfGE 111, 147 = DVBl 2004, 1230, 1231 = NJW 2004, 2814 → JK BVerfGG § 32/8. BVerfGE 104, 23 f = DVBl 2001, 1141 = NJW 2001, 3253. BVerfGE 121, 1 f = DVBl 2008, 569 = NVwZ 2008, 543 → JK GG Art 10 I/4. Hillgruber in: ders/Goos, VerfPrR, Rn 848; Sachs VerfPrR, Rn 555; Pestalozza VerfPrR, § 18 Rn 27; aA Lechner/Zuck BVerfGG, § 32 Rn 30.
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§ 19
BVerfGG zu;185 das Gesetz unterscheidet nicht zwischen Hauptsacheentscheidung und Eilentscheidung. Die Bindungswirkung besteht allerdings nur für die Dauer der Geltung der eAO (→ Rn 64). Gesetzeskraft kommt einer eAO zu, soweit darin das Inkrafttreten eines Gesetzes einstweilen untersagt oder der Vollzug eines Gesetzes vorläufig ausgesetzt wird; § 31 II BVerfGG gilt entsprechend.186 Als Konsequenz hieraus ist die Entscheidungsformel im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen.187 Die eAO nach § 32 I BVerfGG unterliegt einer zeitlichen Befristung. Gemäß § 32 VI 1 BVerfGG tritt die eAO nach sechs Monaten außer Kraft. Sie kann jedoch mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen wiederholt werden (§ 32 VI 2 BVerfGG).188 Für die Wiederholung der eAO müssen die Voraussetzungen für den Erlass einer eAO wie im „Erstverfahren“ gegeben sein.189 Zulässig ist auch die mehrmalige Wiederholung einer eAO.190 Wird eine eAO durch Beschluss, dh ohne mündliche Verhandlung (→ Rn 54 aE), erlassen oder abgelehnt, kann gegen die Eilentscheidung Widerspruch erhoben werden (§ 32 III 1 BVerfGG). Widerspruchsberechtigt ist, wer am Verfahren beteiligt ist;191 ausgenommen ist der Beschwerdeführer eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens (§ 32 III 2 BVerfGG). Der Widerspruch gegen die Eilentscheidung hat keine aufschiebende Wirkung, allerdings kann das BVerfG die Vollziehung der eAO aussetzen (§ 32 IV BVerfGG). Eine Frist für den Widerspruch besteht nicht.192 Die Entscheidung über den Widerspruch obliegt dem BVerfG nach mündlicher Verhandlung (§ 32 III 3 BVerfGG). Unabhängig von dem Rechtsbehelfsverfahren nach § 32 III BVerfGG ist anerkannt, dass das BVerfG eine eAO ändern oder aufheben kann, wenn ein Erkenntnisgewinn dazu veranlasst.193 Das Abänderungsverfahren trägt insbesondere veränderten rechtlichen oder tatsächlichen Umständen Rechnung.194 Dies stellt eine Parallele zum verwaltungsgerichtlichen vorläufigen Rechtsschutz dar.195
185 Klein in: Benda/ders, VerfPrR, Rn 1228; Hillgruber in: ders/Goos, VerfPrR, Rn 849; Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 366; aA Lechner/Zuck BVerfGG, § 32 Rn 30; Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 186 ff, bejaht die Bindungswirkung für Senatsentscheidungen, nicht aber für Eilentscheidungen der Kammern (Rn 189). 186 Hillgruber in: ders/Goos, VerfPrR, Rn 850; Pestalozza VerfPrR, § 18 Rn 28; Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 368; Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 190. 187 Vgl BVerfGE 86, 390, 393; 88, 83, 86; 104, 23, 24. 188 Beispiel aus der Praxis zur Vorratsdatenspeicherung (→ Rn 31 Fall 5): Wiederholung der Aussetzung des § 113b S 1 Nr 1 TKG (→ Rn 46) durch BVerfG, DVBl 2008, 1569 = NVwZ 2009, 96 = MMR 2009, 29 (m Anm Bär). 189 BVerfGE 89, 113, 115 f; Klein in: Benda/ders, VerfPrR, Rn 1235. 190 Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 408; Lechner/Zuck BVerfGG, § 32 Rn 39; krit Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 254. 191 Klein in: Benda/ders, VerfPrR, Rn 1232; Hillgruber in: ders/Goos, VerfPrR, Rn 851; Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 376 ff. 192 Lechner/Zuck BVerfGG, § 32 Rn 35; Graßhof in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 32 Rn 234. 193 BVerfGE 31, 87, 93; Hillgruber in: ders/Goos, VerfPrR, Rn 769. 194 Berkemann in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 32 Rn 70, 365. 195 Zum Aussetzungsverfahren → § 29 Rn 175 ff, zum eAO-Verfahren → § 30 Rn 68.
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§ 20 Widerspruchsverfahren Friedrich Schoch I. Funktion und Bedeutung des Widerspruchsverfahrens 1. Das Widerspruchsverfahren als Verwaltungsverfahren und gerichtliches Vorverfahren Nach § 68 I 1 VwGO sind vor Erhebung der Anfechtungsklage (→ § 22) Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des – angefochtenen – VA in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Dasselbe gilt gemäß § 68 II VwGO für die Verpflichtungsklage, wenn der Antrag auf Vornahme des – begehrten – VA abgelehnt worden ist (→ § 23 Rn 13).1 Mit diesen verwaltungsprozessualen Bestimmungen wird das Widerspruchsverfahren als „Voraussetzung der verwaltungsgerichtlichen Klage“ (vgl § 77 II VwGO) angesprochen. In der Sache stellt das Widerspruchsverfahren indes ein Verwaltungsverfahren dar.2 Es findet im Zuständigkeitsbereich von Verwaltungsbehörden statt (§§ 72, 73 I 1 VwGO), ist auf eine Recht- und Zweckmäßigkeitskontrolle ausgerichtet (§ 68 I 1 VwGO) 3 und wird mit einem Verwaltungsakt (Widerspruchsbescheid) abgeschlossen (§ 73 I 1 u III VwGO).4 Die handelnden Beamten verfügen nicht über die richterliche Unabhängigkeit (vgl Art 97 I GG), sondern sind weisungsabhängig. Etwas Anderes gilt insoweit nur in Ländern mit weisungsfreien Widerspruchsausschüssen bzw Stadt- und Kreisrechtsausschüssen als Widerspruchsbehörden (§ 73 II VwGO);5 dort ist allerdings die Aufsichtsklage des Staates als verfassungsrechtliches Korrektiv vorgesehen, um die notwendige Einbindung der Verwaltung in das Prinzip der parlamentarischen Verantwortung des zuständigen Ressortministers sicherzustellen.6 Die Doppelfunktion (nicht: Doppel„natur“) des Widerspruchsverfahrens wirft Fragen zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf. Die Regelung des Verwaltungsverfahrens für Landes- und Kommunalbehörden obliegt den Ländern (Art 70 I GG). Der Bund verfügt nur über die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis für „das gerichtliche Verfahren“ (Art 74 I Nr 1 GG). Das BVerfG stützt darauf die Kompetenz des Bundesgesetzgebers „zur Einführung des Widerspruchsverfahrens als eines Vorverfahrens vor Erhebung der
1 § 68 II VwGO erfasst damit nur die Versagungsgegenklage, nicht jedoch die Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO. 2 OVG LSA, NVwZ 1994, 1227; H. Hofmann in: FS für Menger, 1995, 605, 610; Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 24 Rn 4; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 175, 192; Hufen VerwPrR § 5 Rn 11; Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO Vorb § 68 Rn 2; unzutr BVerwGE 82, 336, 339: Das Widerspruchsverfahren sei „auch“ Verwaltungsverfahren. 3 Anders § 113 I und V VwGO: bloße Rechtmäßigkeitskontrolle durch die Gerichte. 4 Anders §§ 107 ff VwGO: gerichtliche Entscheidung durch Urteil oder Beschluss. 5 § 7 II HbgAGVwGO iVm der VO über Widerspruchsausschüsse (WiAusschußVO); §§ 6 ff AGVwGO RP (dazu Jutzi LKRZ 2008, 212 ff); §§ 7 ff SaarlAGVwGO. – Vgl auch § 7 HessAGVwGO. 6 OVG RP, NVwZ-RR 2003, 75 (zu § 17 AGVwGO RP; vgl ferner § 17 SaarlAGVwGO). – In Hamburg zieht der Behördenleiter die Sache in bestimmten Fällen obligatorisch oder fakultativ an sich (§ 12 WiAusschußVO).
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Anfechtungs- und Verpflichtungsklage im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in § 68 VwGO …, da es die Voraussetzung für ein Sachurteil im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist“.7 Die Regelungsbefugnis des Bundes für die §§ 69 bis 73 VwGO ergibt sich daraus nicht. Sie lässt sich allenfalls unter Heranziehung und extensiver Deutung des Art 84 I GG 8 oder durch Bejahung einer Bundeskompetenz kraft Sachzusammenhangs 9 oder einer Annexkompetenz 10 begründen. Die Verwobenheit von gerichtlichem Verfahrensrecht und Verwaltungsverfahrensrecht im Widerspruchsverfahren zeigt sich auch an der Regelung zum anwendbaren Recht. Nach § 79 (L)VwVfG gelten für den Widerspruch (als dem maßgeblichen förmlichen Rechtsbehelf gegen einen VA, § 77 VwGO) grundsätzlich die Vorschriften der VwGO (also §§ 68 ff), im Übrigen gelten die Vorschriften des (L)VwVfG.11 2. Zielsetzungen des Widerspruchsverfahrens
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Das Widerspruchsverfahren verfolgt drei Zielsetzungen. Es dient dem Rechtsschutz des Einzelnen, der Selbstkontrolle der Verwaltung und der Entlastung der Gerichte.12 • Die Rechtsschutzfunktion kommt darin zum Ausdruck, dass die angegriffene Verwaltungsmaßnahme in vollem Umfang nochmals zur behördlichen Nachprüfung gestellt wird. Die Rechtmäßigkeit und bei Ermessensentscheidungen auch die Zweckmäßigkeit des VA werden erneut überprüft. Beim gerichtlichen Rechtsschutz hingegen ist die Kontrolle behördlichen Ermessens auf Ermessensfehler begrenzt (§ 114 S 1 VwGO). • Die Selbstkontrolle der Verwaltung gibt der Ausgangsbehörde (§ 72 VwGO) und der Widerspruchsbehörde (§ 73 VwGO) Gelegenheit, die tatsächlichen Grundlagen der Verwaltungsentscheidung und die rechtliche Würdigung des Sachverhalts zu überprüfen und Fehler zu korrigieren. Gesicherte Erkenntnisse zur Effektivität der verwaltungsinternen Rechtmäßigkeits- und Zweckmäßigkeitskontrolle in der behördlichen Praxis liegen nur begrenzt vor.13 • Die Entlastung der Gerichte äußert sich in der „Filterfunktion“ des „Vor“verfahrens. Wird dem Widerspruch abgeholfen bzw stattgegeben, kommt es nicht zu einem Verwaltungsprozess. Wird der Widerspruch zurückgewiesen, kann die Begründung des Widerspruchsbescheids (§ 73 III 1 VwGO) mitunter so überzeugend sein, dass der Widerspruchsführer die fehlende Erfolgsaussicht seines Begehrens erkennt und von einer Klage absieht. Die drei Zielsetzungen des Widerspruchsverfahrens stehen gleichwertig nebeneinander. Eine „Prioritätenliste“ besteht nicht. Im Zuge des „Bürokratieabbaus“ ist das Widerspruchsverfahren in einigen Ländern weitgehend abgeschafft worden (→ Rn 93); die skizzierten Zielsetzungen können dann naturgemäß nicht (mehr) verfolgt werden. 7 BVerfGE 35, 65, 72; daran anschließend BVerwGE 61, 360, 362. 8 So BVerwGE 82, 336, 338 f; abl Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 68 Rn 7: Anwendbarkeit des Art 84 I GG nur auf materielle Sachgesetze. 9 H. Hofmann FS Menger (Fn 2) 609; Würtenberger VerwPrR, Rn 344. 10 Erichsen JURA 1992, 645, 646; Lorenz VerwPrR § 19 Rn 4. 11 Übersicht zu den im Widerspruchsverfahren anwendbaren Vorschriften des (L)VwVfG neben §§ 68 ff bei Hufen VerwPrR, § 5 Rn 13; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 194. 12 BVerwGE 26, 161, 166; 40, 25, 28 f; 51, 310, 314; BayVGH, BayVBl 1987, 465, 466. 13 Vgl dazu Oppermann Die Verwaltung 30 (1997), 517, 522 ff. – Vgl ferner → Rn 94.
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II. Zulässigkeit des Widerspruchs Ein Widerspruch nach §§ 68 ff VwGO hat – ebenso wie eine verwaltungsgerichtliche Klage – Erfolg, wenn er zulässig und soweit er begründet ist. Wie bei der Klage ist die Zulässigkeit vor der Begründetheit zu prüfen. Einige Zulässigkeitsvoraussetzungen spielen nur eine untergeordnete Rolle. So muss zB der Verwaltungsrechtsweg (§ 40 I 1 VwGO, vgl → § 21 Rn 34 ff) eröffnet sein; das Widerspruchsverfahren nach der VwGO erfasst nur Widersprüche („Vorverfahren“), die einem evtl Verfahren bei der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit vorgeschaltet sind.14 Ferner muss der Widerspruchsführer beteiligungsfähig, handlungsfähig und ggf ordnungsgemäß vertreten sein (§ 79 VwVfG iVm §§ 11, 12, 14 VwVfG, vgl → § 21 Rn 134 ff).15 Auf derartige Prüfungspunkte muss bei der Fallbearbeitung nur eingegangen werden, wenn der Sachverhalt dazu Anlass bietet.16
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1. Ordnungsgemäße Erhebung des Widerspruchs Fall 1: E ist mit einem ihn belastenden Bescheid nicht einverstanden. Er geht zu der zuständigen Behörde und trägt dort der Sachbearbeiterin M seine Einwendungen vor. M fertigt hierzu einen Aktenvermerk an. Hat E gegen den Bescheid Widerspruch erhoben? 17
a) Widerspruchserhebung Das Widerspruchsverfahren beginnt mit der Erhebung des Widerspruchs (§ 69 VwGO). Erhoben ist der Widerspruch, wenn er der zur Entgegennahme zuständigen Behörde zugeht.18 Dies ist die Ausgangsbehörde (§ 70 I 1 VwGO); dem steht die Einlegung des Widerspruchs bei der – mit der Ausgangsbehörde idR nicht identischen – Widerspruchsbehörde gleich (§ 70 I 2 VwGO). Nicht vereinbar mit dem Gesetz ist – was für die Einhaltung der Widerspruchsfrist von Bedeutung sein kann – die Behauptung, der Widerspruch könne unter dem Aspekt der „Einheit der Verwaltung“ auch bei einer anderen Behörde erhoben werden.19 Kein Widerspruch liegt in der Klageerhebung.20 Auch wenn ein beim VG gestellter Eilantrag und eine Klage in Abschrift der zuständigen Behörde zur Kenntnis zugesendet werden, ist dies keine Erhebung des Widerspruchs.21 Auf die ausdrückliche Bezeichnung „Widerspruch“ kommt es nicht an. Es genügt, wenn der Betroffene deutlich macht, dass er sich von der angegriffenen Maßnahme beschwert fühlt, sich deshalb dagegen wehrt und die Überprüfung sowie Aufhebung der Maßnahme
14 Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 30 Rn 1 ff. – Zum Widerspruchsverfahren im Sozialrecht vgl § 62 SGB X, §§ 51, 78 ff SGG; zum Einspruchsverfahren im Abgabenrecht vgl § 44 FGO, §§ 347, 348 AO. 15 Hufen VerwPrR, § 6 Rn 3 ff. 16 Vgl die Aufbauschemata bei Hufen VerwPrR, § 6 Rn 46 und § 7 Rn 15; Schenke VerwPrR Rn 651a; Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 29 Rn 3. 17 Fall nach ThürOVG, NVwZ-RR 2002, 408. 18 Der Nachweis des Zugangs des Widerspruchsschreibens obliegt dem Widerspruchsführer; OVG Hamburg, NJW 2006, 2505, 2506. 19 So aber VGH BW, VBlBW 1990, 335; abl dazu Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 33 Rn 1. 20 OVG Hamburg, NVwZ-RR 1996, 397, 398 f. 21 VGH BW, NVwZ-RR 2002, 407 f; erläuternd hierzu Clausing JuS 2003, 170, 174.
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begehrt.22 Auch Begriffe wie zB „Einspruch“ oder „Beschwerde“ können diese Anforderungen erfüllen. Unter Umständen muss eine Auslegung der Willenserklärung analog § 133 BGB vorgenommen werden. Dabei ist zu Gunsten des Bürgers davon auszugehen, dass er denjenigen Rechtsbehelf einlegen will, der seinen Interessen entspricht und den erkennbar angestrebten Erfolg erreichen kann.23 Auszuschließen ist nur, dass es nicht um ein anderes Begehren (zB Dienstaufsichtsbeschwerde, Fachaufsichtsbeschwerde, Gegenvorstellung) geht. 8
In Fall 1 hat E durch seinen Vortrag gegenüber M nach Meinung des OVG keinen rechtswirksamen Widerspruch erhoben. Schriftlich hat E ohnehin keinen Widerspruch eingelegt. Der von M gefertigte Aktenvermerk war nach Auffassung des OVG keine Widerspruchserhebung „zur Niederschrift“. Der Wille von E, einen förmlichen Rechtsbehelf einzulegen, sei nicht hinreichend manifestiert worden. Das Vorbringen könne auch eine spontane Unmutsäußerung sein. Zu Beweiszwecken und aus Gründen der Rechtssicherheit müsse ein eindeutiger Nachweis zum „Widerspruch“ verlangt werden; daran fehle es. – Zweifelsfrei ist diese Deutung nicht; E erschien bei der zuständigen Behörde und trug seine Einwendungen gegen den ihn belastenden Bescheid vor. Dies deutet eher auf den Willen zur Widerspruchserhebung hin.
b) Form der Widerspruchserhebung 9
Fall 2: Gegenüber A wird ein Beitragsbescheid erlassen. Wenige Minuten vor Ablauf der Widerspruchsfrist erhebt A gegen den Bescheid mit einfacher E-Mail Widerspruch. Angefügt ist der Vermerk: „Die Unterschrift ist elektronisch gesichert; sofern ein konventionelles Schreiben gewünscht wird, bitte ich um einen entsprechenden Hinweis. A.“ Hat A rechtswirksam Widerspruch erhoben? 24
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Die Formerfordernisse für die ordnungsgemäße Erhebung des Widerspruchs sind eher gering.25 Dennoch scheitert die formgerechte Erhebung des Widerspruchs nicht selten. Er ist schriftlich oder zur behördlichen Niederschrift zu erheben (§ 70 I 1 VwGO). Ein mündlich erhobener Widerspruch genügt dem gesetzlichen Formerfordernis nicht.26 Dasselbe gilt für die fernmündliche Einlegung des Widerspruchs, auch wenn in der Behörde dazu ein schriftlicher Vermerk angefertigt wird.27 Schriftlichkeit fordert grundsätzlich die eigenhändige Unterschrift unter das Schriftstück; davon lässt die Rechtsprechung (zB bei der Kopie eines Schreibens) Ausnahmen zu, wenn sich Urheberschaft und Rechtserklärungswille hinreichend sicher ohne Notwendigkeit einer Beweiserhebung feststellen lassen.28 Der Schrift22 BVerwGE 63, 74, 76 f; OVG NRW, NVwZ 1990, 676; Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzer, VwGO, § 69 Rn 4. 23 BVerwGE 115, 302, 307; krit hierzu bei anwaltlicher Vertretung des Widerspruchführers Clausing JuS 2003, 170, 175 f. 24 Fall nach HessVGH, DÖV 2006, 438. 25 VG Düsseldorf, NWVBl 1998, 286, 288: Daher komme die zusätzliche „Anlegung eines laxen Maßstabes“ nicht in Betracht. 26 VGH BW, NVwZ-RR 1992, 184, 185; OVG Saarland, NVwZ 1986, 578. 27 BVerwGE 17, 166, 168 f; Clausing JuS 2003, 170, 173; Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 33 Rn 6. 28 BVerwGE 91, 334, 337; ThürOVG, NVwZ-RR 2002, 408, 409.
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form stehen zB Telefax und Computerfax gleich.29 Zur Niederschrift der Behörde wird der Widerspruch durch Protokollierung in Anwesenheit des Widerspruchführers erhoben, wobei das Protokoll vorgelesen und idR mittels Unterschrift genehmigt werden muss.30 Dem Schriftformerfordernis des § 70 I 1 VwGO wird im Rahmen der elektronischen Kommunikation nur unter engen Voraussetzungen entsprochen. Mittels einfacher E-Mail kann ein Widerspruch rechtswirksam nicht erhoben werden. „Schriftform“ meint grundsätzlich die Verkörperung einer Gedankenerklärung auf einem Datenträger (idR auf Papier); dabei setzt die zuverlässige Zuordnung des Schriftstücks zu dem Urheber iSd § 70 I 1 VwGO voraus, dass der Widerspruchsführer das Schriftstück eigenhändig unterschrieben hat.31 Die Schriftlichkeit gemäß § 70 I 1 VwGO soll sicherstellen, dass der Urheber und der Inhalt der Erklärung zweifelsfrei feststehen und ausgeschlossen werden kann, dass es sich bei dem Schriftstück lediglich um einen Entwurf handelt.32 Bei elektronisch übermittelten Erklärungen hat der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes 33 in der Übertragung einer Textdatei mit eingescannter Unterschrift auf ein Faxgerät des Empfängers den Zweck der Schriftform als (noch) gewahrt erachtet; zwar sei mangels Existenz eines körperlichen Originalschriftstücks beim Absender eine eigenhändige Unterschrift nicht möglich, jedoch sei die Person des Erklärenden idR dadurch eindeutig bestimmt, dass seine Unterschrift eingescannt sei.34 Bei der Einlegung des Widerspruchs mittels einfacher E-Mail sind die unverzichtbaren Mindestanforderungen an die Authentizität und Rechtsklarheit nicht gewahrt; es besteht keine hinreichend sichere Gewähr für die Identifizierbarkeit des Absenders und auch der Inhalt der Erklärung ist gegenüber Eingriffen Unbefugter nicht ausreichend geschützt.35 Die bestehenden Regelungen zum elektronischen Rechtsverkehr bestätigen die Richtigkeit der Auslegung des § 70 I 1 VwGO bezüglich der E-Mail-Korrespondenz (→ Rn 11). Für das gerichtliche Verfahren geht der Gesetzgeber selbst nicht davon aus, dass eine einfache E-Mail dem Schriftformerfordernis genügt.36 Dasselbe gilt für das Verwaltungsverfahren und das Widerspruchsverfahren. Nach § 79 iVm § 3a II VwVfG (des Bundes bzw des Landes, in Schleswig-Holstein § 52a II LVwG) wird die gesetzlich angeordnete Schriftform durch die elektronische Form nur dann wirksam ersetzt, wenn das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach § 2 Nr 3 SigG 37 versehen ist. Eine einfache E-Mail erfüllt diese Voraussetzung nicht.38
29 VG Neustadt adW, NJW 2007, 619; Geis/Hinterseh JuS 2001, 1176, 1177; Hufen VerwPrR, § 6 Rn 23. 30 ThürOVG, NVwZ-RR 2002, 408, 409; Clausing JuS 2003, 170, 173; Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 33 Rn 2. 31 Kintz NVwZ 2004, 1429. – Zu den Grundlagen BVerfGE 74, 228, 235 f. 32 HessVGH, DÖV 2006, 438; VG Sigmaringen, VBlBW 2005, 154. 33 Vgl Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Schönfelder ErgBd Nr 95b. 34 GmS-OBG, NJW 2000, 2340. 35 Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzer, VwGO, § 70 Rn 6b; Hüttenbrink in: Posser/ Wolff, VwGO, § 70 Rn 11; Kopp/Schenke VwGO, § 70 Rn 2. 36 Vgl § 55a I 3 u 4 VwGO; dazu Rudisile in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzer, VwGO, § 55a Rn 32 ff. – Ebenso die anderen Prozessordnungen, § 65a I 3 u 4 SGG, § 52a I 3 u 4 FGO, § 130a I 2 ZPO, § 46c I 2 ArbGG. 37 Sartorius ErgBd Nr 924. 38 Ausführlich Kintz NVwZ 2004, 1429, 1430 ff.
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Zu Fall 2 musste der VGH feststellen, dass das Widerspruchsschreiben des A, das mit einfacher E-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur übermittelt worden war, dem Erfordernis der Schriftlichkeit iSd § 70 I 1 VwGO nicht genügt. Ein durch A erhobener rechtswirksamer Widerspruch liegt folglich nicht vor. Der Beitragsbescheid wurde bestandskräftig, da A innerhalb der Widerspruchsfrist von einem Monat nach Bekanntgabe des VA nicht in rechtswirksamer Weise Widerspruch eingelegt hat.
2. Statthaftigkeit des Widerspruchs 14
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Ein Widerspruch nach § 68 VwGO ist nur statthaft, wenn er einer Anfechtungsklage (§ 68 I 1 VwGO; → § 22) oder einer Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage (§ 68 II VwGO; → § 23) vorgeschaltet ist; Gegenstand des Widerspruchs ist demnach (vgl § 42 I) ein VA oder die Ablehnung eines VA. Der Widerspruch ist nicht statthaft, wenn die umstrittene Verwaltungsmaßnahme nicht als VA zu qualifizieren ist,39 wie dies zB bei der Eintragung im Verkehrszentralregister 40 oder bei einer schlichten behördlichen Zahlungsaufforderung 41 angenommen wird. Nicht statthaft ist auch ein „vorbeugender Widerspruch“, der den Erlass eines VA zu verhindern sucht.42 Bei einer behördlichen Maßnahme, die keinen VA darstellt, im Verwaltungsprozess also zur allgemeinen Leistungsklage (→ § 24) oder Feststellungsklage (→ § 25) führt, ist der Widerspruch nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung statthaft; das bekannteste Beispiel hierzu ist § 126 III BRRG 43 (= § 54 II BeamtStG); für Bundesbeamte findet sich die Parallelbestimmung – da der Bund über keine Rahmenkompetenz (Art 75 aF GG) mehr verfügt (vgl zur Fortgeltung der Rahmengesetze des Bundes Art 125a GG) – in § 126 II BBG. Soweit eine Teilanfechtung des VA (zB bei Teilbarkeit oder in Bezug auf Nebenbestimmungen, § 36 VwVfG 44) in Betracht kommt, kann auch der Widerspruch nur gegen einen Teil des VA bzw die Nebenbestimmung gerichtet werden. Hat die Verwaltung einen sog vorläufigen VA erlassen (zB Bescheid über die Abschlagszahlung eines noch nicht endgültig berechneten Zahlungsbetrags), erstreckt sich der hiergegen erhobene Widerspruch nicht automatisch auf den endgültigen VA; will sich der Betreffende auch hiergegen wehren, muss er – schon zur Verhinderung des Eintritts der Bestandskraft – gegen die abschließend getroffene Regelung eigens einen Widerspruch erheben.45 Bei Erledigung des VA vor Klageerhebung, also in der Situation der Fortsetzungsfeststellungsklage (→ § 26 Rn 44 ff), ist der Widerspruch nach der Rspr des BVerwG nicht statthaft.46 Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei ein Unterfall der Feststellungsklage, einen Fortsetzungsfeststellungswiderspruch sehe das Gesetz nicht vor und die Zielsetzun-
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Vgl zum VA-Begriff Kahl JURA 2001, 505 ff. BVerwGE 77, 268, 270. BVerwGE 78, 3, 4. BVerwG, NVwZ 1990, 59; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 178. Dazu BVerwGE 114, 350, 354; ferner unten Fall 13. Näher dazu Axer JURA 2001, 748 ff; vgl ferner → § 22 Rn 19 ff. VGH BW, NVwZ-RR 2006, 154, 155 mit Hinweisen zu evtl Ausnahmen. BVerwGE 81, 226, 229 → JK VwGO § 113 I 4/12: War Widerspruch bereits erhoben, sei das Widerspruchsverfahren bei Erledigung des VA einzustellen.
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gen des Widerspruchverfahrens (→ Rn 4) könnten nicht mehr erfüllt werden.47 Dem lässt sich entgegnen, dass die Fortsetzungsfeststellungsklage ausweislich des systematischen Standorts von § 113 I 4 VwGO eine „kupierte Anfechtungsklage“ darstellt, eine behördliche Feststellungsentscheidung nichts Ungewöhnliches ist, das Widerspruchsverfahren durchaus seine Rechtsschutzfunktion erfüllt und der Betroffene ein berechtigtes Interesse an der behördlichen Entscheidung haben kann (zB bei Wiederholungsgefahr).48 3. Widerspruchsbefugnis § 70 I 1 VwGO spricht von dem durch den VA „Beschwerten“. Danach ist ein „Popularwiderspruch“ (ebenso wie eine Popularklage, vgl → § 22 Rn 36 ff) unzulässig. Dem Widerspruchsführer muss die Widerspruchsbefugnis zustehen. Das ist angesichts der Vorschaltfunktion des Widerspruchsverfahrens konsequent, da bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklage die Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) gegeben sein muss. Zum Ausschluss des „Popularwiderspruchs“ muss der Widerspruchsführer in einem subjektiven öffentlichen Recht betroffen sein; eine bloße Beeinträchtigung in wirtschaftlichen oder ideellen Interessen genügt nicht.49 Der Drittwiderspruch (zB des Nachbarn im Baurecht) muss auf eine drittschützende Norm gestützt werden können.50 Die Art der Beschwer kann von der Art des VA abhängen. Beim gebundenen VA ist die Widerspruchsbefugnis in der Sache mit der Klagebefugnis (→ § 22 Rn 36 ff, § 23 Rn 31 ff) identisch. Der Widerspruchsführer muss geltend machen, durch den VA oder dessen Ablehnung in seinen Rechten verletzt zu sein.51 Diese Anforderung genügt auch beim ErmessensVA. Da § 68 I 1 VwGO jedoch den Prüfungsmaßstab auf die Zweckmäßigkeit des VA erstreckt, kann im Widerspruchsverfahren – anders als bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 42 II VwGO) – auch die Unzweckmäßigkeit des VA gerügt werden.52 Voraussetzung ist allerdings, dass der VA auf einer behördlichen Ermessensentscheidung (oder einem Beurteilungsspielraum) basiert. Ist dies der Fall, ist die Widerspruchsbefugnis bereits gegeben, wenn der Widerspruchsführer durch den VA in seinen Rechten beeinträchtigt wird und der VA möglicherweise unzweckmäßig ist.53
47 In diesem Sinne aus dem Schrifttum zB Geis/Hinterseh JuS 2001, 1074, 1077; Deckenbrock/Patzer JURA 2003, 476, 482 f; Würtenberger VerwPrR, Rn 358; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 178. 48 Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner VwGO, § 68 Rn 23; Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 31 Rn 30; Schenke VerwPrR, Rn 666; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 398; ausf H. Dreier NVwZ 1987, 474 ff. 49 Geis/Hinterseh JuS 2002, 34, 37. 50 Hufen VerwPrR, § 6 Rn 21; Lorenz VerwPrR, § 19 Rn 44. 51 Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 35 Rn 3; Hufen VerwPrR, § 6 Rn 20. 52 Lorenz VerwPrR, § 19 Rn 44; Schenke VerwPrR, Rn 649; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 395. – AA Hain DVBl 1999, 1544, 1549: Die Rechtsschutzfunktion des Widerspruchsverfahrens sei auf den Schutz subjektiver Rechte vor rechtswidrigen VA beschränkt. 53 Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 35 Rn 3; Hufen VerwPrR, § 6 Rn 22; Würtenberger VerwPrR, Rn 359. – Nach Klüsener NVwZ 2002, 816, 820 f, hat das Merkmal „Zweckmäßigkeit“ in § 68 I 1 VwGO keine eigenständige Bedeutung, weil die „Zweckwidrigkeit“ mit den Komponenten des Übermaßverbots (Geeignetheit, Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit) identisch und demnach in der Prüfung der Rechtmäßigkeit des VA enthalten sei. Zwingend ist das nicht, wie zB der Erlass eines Subventionsbescheids oder die Teilrücknahme eines VA zeigen; insoweit bleiben der
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Für die Geltendmachung der Rechts- oder Zweckwidrigkeit des VA genügt, dass dies nach dem Sachvortrag des Widerspruchsführers möglich ist.54 Die bloße Unzweckmäßigkeit eines VA ist in Klausur und Hausarbeit in aller Regel nicht zu prüfen. In der Praxis spielt sie, soweit ersichtlich, keine große Rolle. Nach der Gesetzeslage hat der Widerspruchsführer jedoch ein Recht auf Überprüfung einer Ermessensentscheidung im Widerspruchsverfahren auch bzgl der Zweckmäßigkeit.55 4. Widerspruchsfrist
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Fall 3: Am 7.7. war Bauherr B von der zuständigen Bauaufsichtsbehörde die Genehmigung für einen Anbau an seinem Haus erteilt worden. Nachbar N, dem die Genehmigung nicht bekannt gegeben worden war, erhob am 16.10. „Widerspruch gegen die Baumaßnahmen“, da die von B gewählte Dachkonstruktion den Eindruck vermittele, dass eine baurechtswidrige Aufstockung bevorstehe. Ist der Widerspruch zulässig? 56
a) Bekanntgabe des VA und Rechtsbehelfsbelehrung 20
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Nach § 70 I VwGO muss der Widerspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des VA gegenüber dem Beschwerten eingelegt werden. Die Widerspruchsfrist beginnt nur bei wirksamer Bekanntgabe des VA oder seiner Ablehnung zu laufen. „Bekanntgabe“ ist die nach den jeweils maßgeblichen Vorschriften vorgesehene Art der amtlichen Verlautbarung des VA.57 Die zufällige Kenntnisnahme von dem VA genügt nicht. Grundsätzlich genügt die Bekanntgabe nach § 41 VwVfG.58 Für den Zugang des mittels einfachen Briefes übersandten VA gilt danach (und zwar auch beim „schlichten Bestreiten“ des Adressaten) die Zugangsvermutung des § 41 II 1 VwVfG. Das gilt nicht, wenn vom Betroffenen derart substantiierte Einwendungen vorgebracht werden, dass der Zugang ernsthaft Zweifeln unterliegt; dann muss die Behörde den Zugang des VA und den Zeitpunkt des Zugangs nachweisen, so dass also die Verwaltung das Risiko der Nichterweislichkeit des Zugangs trägt.59 Eine wirksame Bekanntgabe des VA kann auch durch dessen Übergabe (Überbringung, Aushändigung durch Boten) erfolgen.60 Das gilt nur dann nicht, wenn besondere Bekanntgabevorschriften bestehen. Hat die Bekanntgabe eines VA mittels Zustellung zu erfolgen (§ 41 V VwVfG, § 1 II VwZG), muss die gesetzlich bestimmte Form der Bekanntgabe beachtet werden. Ausgeführt wird die Zustellung – nach dem VwZG des Bundes oder des Landes – durch die Post oder durch die Behörde oder im Wege ausdrücklich normierter Sonderarten der Zustel-
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Behörde rechtlich nicht determinierte Entscheidungsspielräume. Für eine Identität von Widerspruchsbefugnis und Klagebefugnis auch Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzer, VwGO, § 70 Rn. 42. Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 35 Rn 5. HessVGH, ESVGH 22, 232, 234. Fall nach ThürOVG, ThürVBl 2002, 256. BVerwG, NVwZ 1989, 648, 649. Dazu Erichsen/Hörster JURA 1997, 659 ff. NdsOVG, NVwZ-RR 2007, 365, 366. – Zu Zugangsproblemen beim schriftlichen VA, der mittels einfachen Briefes übersandt wird, Hebeler DÖV 2006, 112 ff. OVG Bbg, NVwZ 2004, 507 (am Bsp des § 122 AO).
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lung (vgl nur etwa § 2 II BVwZG).61 Verkehrszeichen stellen nach hM einen Sonderfall dar; schon durch die Aufstellung eines Verkehrsschildes (§§ 39 II u IIa, 45 IV StVO) und nicht erst im Zeitpunkt der Wahrnehmbarkeit des Schildes durch den Einzelnen sei die Bekanntgabe erfolgt.62 Keine Besonderheiten gelten beim VA mit Drittwirkung, wenn nicht im Besonderen Verwaltungsrecht (zusätzlich) spezielle Bestimmungen getroffen sind.63 Wird ein VA nicht bekannt gegeben, beginnt der Lauf der Widerspruchsfrist 64 nicht. Ist ein VA mehreren Personen bekannt zu geben (zuzustellen), muss jeder Adressat eine Ausfertigung des VA erhalten.65 Ohne Bekanntgabe des VA (sei es nach § 41 VwVfG oder nach dem VwZG oder nach Sondervorschriften) wird keine Rechtsbehelfsfrist in Gang gesetzt (vgl § 57 I VwGO), auch nicht die Jahresfrist gemäß § 58 II VwGO. Um die Widerspruchsfrist in Lauf zu setzen, muss neben der Bekanntgabe des VA seitens der Behörde auch eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung erfolgen (§ 70 II iVm § 58 I VwGO). Der Betroffene (Verfahrensbeteiligte) muss über den gegen den VA statthaften Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde, bei der der Rechtsbehelf anzubringen ist, deren Sitz und die einzuhaltende Frist belehrt werden.66 Ist der VA zwar bekannt gegeben worden, fehlt jedoch eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung (§ 58 I VwGO), beginnt der Lauf der Monatsfrist des § 70 I VwGO nicht. Es gilt nach § 70 II VwGO die Jahresfrist des § 58 II VwGO. Diese stellt eine Ausschlussfrist dar und beginnt mit der ordnungsgemäßen Bekanntgabe des VA. – Unberührt von diesen gesetzlichen Vorgaben bleibt die Verwirkung des Rechtsbehelfs (→ Rn 25).
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b) VA mit Drittwirkung Da beim VA mit Drittwirkung grundsätzlich keine Besonderheiten gelten (→ Rn 20), wird die Widerspruchsfrist auch hier nur durch die ordnungsgemäße Bekanntgabe des VA gegenüber dem Dritten in Lauf gesetzt. Fehlt dem bekannt gegebenen VA die ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung, läuft die Jahresfrist nach §§ 70 II, 58 II VwGO.67 In der Praxis unterbleibt die Bekanntgabe des VA an Dritte nicht selten. Eine besondere Rolle spielt die Problematik im Baunachbarrecht. Die Rechtsprechung hat frühzeitig Rücksichtnahmepflichten aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis entwickelt.68 Danach wird die unterbliebene amtliche Bekanntgabe einer Baugenehmigung durch die Erlangung zuverlässiger Kenntnis auf andere Weise mit der Folge ersetzt, dass der Widerspruch innerhalb der Jahresfrist des § 70 II iVm § 58 II VwGO zu erheben ist; dies gelte nicht nur für den unmittelbaren Grenznachbarn.69 Gestützt wird diese richterrechtliche Fristbestimmung auf den auch im Öffentlichen Recht anwendbaren Grundsatz von Treu 61 Näher zum (neuen) Verwaltungszustellungsrecht Tegethoff JA 2007, 131 ff; ferner Rosenbach DVBl 2005, 816 ff; ders NWVBl 2006, 121 ff; Kremer NJW 2006, 332 ff; Tegethoff NdsVBl 2007, 1 ff. 62 BVerwGE 102, 316 = JZ 1997, 780 (m Anm Hendler); dazu Bespr Mehde JURA 1998, 297 ff; ferner Hansen/Meyer NJW 1998, 284 ff, mit Erwiderung Mehde NJW 1999, 767 ff. 63 Vgl am Beispiel der Bekanntgabe der Baugenehmigung Füßer LKV 1996, 314 ff. 64 ThürOVG, ThürVBl 2002, 256, 257. 65 VGH BW, VBlBW 1986, 183; OVG NRW, NVwZ-RR 1995, 623. 66 Aus der Praxis hierzu OVG Bbg, NVwZ-RR 2004, 315; OVG NRW, NJW 2009, 1832. 67 Näher dazu Füßer, LKV 1996, 314, 316 f. 68 BVerwGE 44, 294, 298 ff. 69 BVerwGE 78, 85, 89; VG Potsdam, LKV 1999, 377.
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und Glauben. Der positiven Kenntniserlangung gleichgestellt ist der Fall, dass der Betroffene zuverlässige Kenntnis von der Baugenehmigung hätte haben müssen.70 Der Rückgriff auf Treu und Glauben (Verwirkung des verfahrensrechtlichen Widerspruchsrechts 71) darf indes nicht zu einer schematischen Anwendung der Jahresfrist nach §§ 70 II, 58 II VwGO führen, sondern verlangt eine Würdigung der Umstände im Einzelfall. Danach kann auf Grund der besonderen Verhältnisse des Falles der Verlust des Widerspruchsrechts vor Ablauf der Jahresfrist eintreten.72 Denkbar ist auch der Eintritt der Verwirkung erst nach Ablauf der Jahresfrist.
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In Fall 3 war das Rechtsschutzbegehren als Widerspruch gegen die Baugenehmigung zu deuten. Die Monatsfrist (§ 70 I VwGO) begann mangels Bekanntgabe des VA gegenüber N nicht zu laufen. Ein Zeitpunkt für den Beginn der Jahresfrist (§§ 70 II, 58 II VwGO) oder einer kürzeren Frist konnte unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht bestimmt werden. Die Jahresfrist wäre von dem am 16.10. eingelegten Widerspruch ohnehin gewahrt worden. Umstände, nach denen sich für N das Vorliegen der Baugenehmigung alsbald hätte aufdrängen müssen, so dass eine Widerspruchserhebung vor dem 16.10. nach Treu und Glauben verlangt werden könnte (→ Rn 25), waren nicht feststellbar. Der Widerspruch wurde fristgerecht und auch sonst zulässig erhoben.
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Beim Verkehrszeichen, einer Allgemeinverfügung (§ 35 S 2 VwVfG), kommen die für den VA mit Drittwirkung zur Widerspruchsfrist entwickelten Regeln nicht zur Anwendung. Auf Grund der Rechtsprechung zum Wirksamwerden von Verkehrszeichen (→ Rn 21) wird angenommen, dass die einjährige Rechtsbehelfsfrist des § 58 II VwGO gilt und diese grundsätzlich mit dem Aufstellen des Verkehrszeichens gegenüber allen betroffenen Verkehrsteilnehmern in Gang gesetzt wird.73
c) Berechnung der Frist 28
Steht fest, wann die Frist in Gang gesetzt wird, kann sie nach den gesetzlichen Vorgaben berechnet werden. Umstritten ist, ob sich die Berechnung der Widerspruchsfrist nach § 57 II VwGO, § 222 ZPO, §§ 187 ff BGB („verwaltungsprozessuale Lösung“) 74 oder nach §§ 79, 31 I VwVfG, §§ 187 ff BGB („verwaltungsverfahrensrechtliche Lösung“) 75 bestimmt. Praktische Konsequenzen hat der Meinungsstreit nicht. In jedem Fall wird der Tag der Bekanntgabe des VA bei der Fristberechnung nicht mitgezählt (§§ 187 I, 188 II BGB). Fällt das Ende der Frist auf einen Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder Sonnabend, endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktags (§ 222 II ZPO oder § 31 III 1 VwVfG).
70 OVG Bbg, LKV 2001, 466; ThürOVG, ThürVBl 2002, 256, 257. 71 Instruktiv zur Unterscheidung zwischen der Verwirkung des formellen Abwehrrechts (Widerspruch) und des materiellen nachbarlichen Abwehrrechts OVG MV, NVwZ-RR 2003, 15, 16 f; vgl ferner H. Bauer Die Verwaltung 23 (1990), 211, 221 f; de Vivie/Barsuhn BauR 1995, 492, 494 f. 72 BVerwG, NVwZ 1991, 1182, 1184; OVG Bbg, LKV 2001, 466, 467; VG Potsdam, LKV 1999, 377. 73 So HessVGH, NJW 1999, 2057; abl Bitter/Konow NJW 2001, 1386 ff. 74 VGH BW, NJW 1987, 1353; VBlBW 1992, 137, 138; OVG Berlin, NVwZ-RR 1998, 270; Dolde/ Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 70 Rn 15; Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 33 Rn 7; Schenke VerwPrR, Rn 673. 75 Geis/Hinterseh JuS 2001, 1176, 1178; Hufen VerwPrR, § 6 Rn 28; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 197.
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d) Verfristeter Widerspruch Fall 4: Nachdem K die Prüfung für das künstlerische Lehramt an Gymnasien bestanden hatte, wurde er in das Beamtenverhältnis auf Probe berufen. K verbrachte alsbald – gegen den Willen der Schulleitung des Gymnasiums und der Schulverwaltungsbehörde (Regierungspräsidium – RP), jedoch mit Billigung des Kultusministers – auf Grund eines Sonderurlaubs einen Studienaufenthalt in England. Als das dienstliche Verhalten von K zunehmend zu beanstanden war, wurde er vom RP wegen mangelnder Bewährung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe entlassen. Der Bescheid wurde K ordnungsgemäß am 21.7. zugestellt, am 8.9. legte er Widerspruch ein. Der Kultusminister wies den Widerspruch als unbegründet zurück. Kann K dagegen beim VG zulässigerweise klagen? 76
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Fall 5: E möchte auf seinem Grundstück bauen. Antragsgemäß wird E unter Befreiung von nachbarschützenden Vorschriften die Baugenehmigung für das Vorhaben erteilt. Nachbar N erhält eine mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Ausfertigung der Baugenehmigung. 7 Monate später erhebt N Widerspruch. Die Widerspruchsbehörde weist den Widerspruch mit der Begründung zurück, das Bauvorhaben von E beeinträchtige keine Belange von N. N möchte klagen.77
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Ist innerhalb der Widerspruchsfrist kein Widerspruch erhoben worden, wird der VA bzw seine Ablehnung bestandskräftig. Der verfristete Widerspruch ist als unzulässig zurückzuweisen. Die Bestandskraft des VA kann seitens der Behörde durch Rücknahme (§ 48 VwVfG) oder Widerruf (§ 49 VwVfG) überwunden werden. Dem Betroffenen bleibt, falls er unverschuldet die Widerspruchsfrist versäumt hat, der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 70 II, 60 VwGO).78 Die Rechtsprechung gesteht der Widerspruchsbehörde indes die Befugnis zu, über den verspäteten Widerspruch auch in der Sache zu entscheiden; die Folge hiervon sei, dass trotz der Missachtung des § 70 I VwGO eine anschließende Klage beim VG zulässig und damit der Weg zur gerichtlichen Sachprüfung eröffnet werde.79 Begründet wird dies unter Hinweis auf die „Sachherrschaft der Behörde“. Die Widerspruchsfrist diene vornehmlich dem Schutz der Behörde; ihr stehe es daher frei, sich entweder auf die Verspätung des Widerspruchs zu berufen und diesen als unzulässig zurückzuweisen oder unter Außerachtlassung des Fristversäumnisses zur Sache zu entscheiden.80 Auf Grund dieser Judikatur wird sogar behauptet, der Widerspruchsführer habe einen Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens zu den beiden Entscheidungsvarianten.81 Etwas Anderes gilt im Fall der Fristversäumung beim VA mit Drittwirkung (unstr). Danach vermittelt die Bestandskraft auch eines objektiv rechtswidrigen VA dem Begünstigten eine gesicherte Rechtsposition (vgl § 48 I 2 VwVfG), die diesem nur nach Maßgabe einer besonderen Rechtsgrundlage entzogen werden darf. §§ 68 ff VwGO enthalten eine
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Fall nach BVerwG, NVwZ 1983, 608 → JK VwGO § 70/4. Fall nach BVerwG, DVBl 1982, 1097 → JK VwGO § 70 I/3. Vgl dazu Deckenbrock/Patzer JURA 2003, 476, 480. BVerwGE 15, 306, 310; 28, 305, 307 f; 57, 342, 344 f; NVwZ 1983, 608; NVwZ-RR 1989, 85, 86; LKV 2007, 178. 80 Ebenso zB Deckenbrock/Patzer JURA 2003, 476, 480; Hufen VerwPrR, § 6 Rn 32; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 201. 81 VGH BW, VBlBW 1992, 96, 97 und VBlBW 1993, 220, 221. 76 77 78 79
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derartige Ermächtigungsgrundlage nicht; diese kann sich nur aus dem materiellen Recht (einschließlich §§ 48, 49 VwVfG) ergeben. Beim VA mit Drittwirkung muss der verfristete Widerspruch demnach zurückgewiesen werden. Nach zutreffender hL 82 gilt dies auch beim VA im zweiseitigen Rechtsverhältnis. Die „Sachherrschaft der Behörde“ (→ Rn 32) ist – als Missachtung rechtlicher Vorgaben – eine freie Erfindung der Rechtsprechung und keine gesetzliche Befugnis. In der Sache stimmen die Behauptungen der Judikatur ebenfalls nicht. Zunächst entfaltet ein wegen Verfristung unzulässiger Widerspruch keinen Devolutiveffekt (→ Rn 43 f), so dass die Widerspruchsbehörde schon gar keine Kompetenz hat, um über den eingelegten Widerspruch (sachlich) zu entscheiden.83 Sodann steht die Gesetzesbestimmung des § 70 II VwGO – selbstverständlich – nicht zur Disposition der Widerspruchsbehörde. Die Widerspruchsfrist dient auch dem öffentlichen Interesse an der Vermeidung unnötiger Prozesse. § 70 II VwGO sieht für den Fall der Verfristung ein formalisiertes Verfahren vor. Die Bestandskraft eines VA wird nach Maßgabe der §§ 48, 49, 51 VwVfG eingeschränkt. § 70 I VwGO dient zudem dem Interesse der Ausgangsbehörde. Diese gesetzlichen Regelungen werden umgangen, wenn die Widerspruchsbehörde ohne Bindung an das geltende Recht im Wege einer Ermessensentscheidung die Bestandskraft des VA ignoriert.
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In Fall 4 billigte das BVerwG das Vorgehen des Ministers, auf Grund seiner „Sachherrschaft“ trotz verspäteten Widerspruchs eine Entscheidung in der Sache zu treffen und sich nicht auf die Versäumung der Widerspruchsfrist zu berufen. Damit werde die Klage beim VG zulässig; dieses dürfe die Klage nicht wegen Versäumung der Widerspruchsfrist als unzulässig abweisen. – In Fall 5 durfte die Widerspruchsbehörde wegen der durch die Bestandskraft der Genehmigung vermittelten gesicherten Rechtsposition von E über den verspäteten Nachbarwiderspruch nicht sachlich entscheiden. Die dennoch ergangene Sachentscheidung hat keine „heilende Wirkung“. Dem VG ist folglich ebenfalls eine Sachentscheidung verwehrt.
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Die obergerichtliche Rechtsprechung entzieht sich teilweise der unzutreffenden Judikatur des BVerwG zur Sachentscheidungsbefugnis der Widerspruchsbehörde bei verfristetem Widerspruch. So werden bei dem VA einer Gemeinde in Selbstverwaltungsangelegenheiten84 die erwähnten Grundsätze zum VA mit Drittwirkung (→ Rn 33) herangezogen; die staatliche Widerspruchsbehörde darf danach beim verfristeten Widerspruch nicht in der Sache entscheiden.85 Dem widerspricht das BVerwG mit der These, die vorrangig dem Gemeinwohl und der Gesetzmäßigkeit verpflichtete Gemeinde genieße grundsätzlich – 82 W. Schütz NJW 1981, 2785 ff; Judick NVwZ 1984, 356 ff; H. Hofmann FS Menger (Fn 2) 617; Erichsen JURA 1992, 645, 649; Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 42 Rn 8 ff; Stern/ Blanke VerwPrR, Rn 400; Schenke VerwPrR, Rn 679 ff; Dolde/Porsch in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, § 70 Rn 40; Geis in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 68 Rn 41 ff; Rennert in: Eyermann, VwGO, § 70 Rn 11. 83 Engst JURA 2006, 166, 170; Kopp/Schenke VwGO, § 70 Rn 9; Kastner in: Fehling/Kastner/Wahrendorf, VerwR, § 70 VwGO Rn 13. 84 Näher zu dieser Kategorisierung Schoch JURA 2001, 121, 127 f. 85 OVG Saarland, NVwZ 1986, 578, 579; deutlich OVG RP, NVwZ-RR 1994, 47: keine sachliche Bescheidung eines verfristeten Widerspruchs, wenn Ausgangs- und Widerspruchsbehörde verschiedenen Rechtsträgern angehören und die Widerspruchsbehörde (zB in gemeindlichen Selbstverwaltungsangelegenheiten) nur eine eingeschränkte Prüfungs- und Entscheidungskompetenz hat.
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anders als Private – keinen Vertrauensschutz.86 Überzeugend ist das kaum; bei der Einhaltung der Widerspruchsfrist geht es nicht um Vertrauensschutz, sondern um die Gesetzmäßigkeit des Handelns der Widerspruchsbehörde (→ Rn. 34). 5. Widerspruchsinteresse Das Widerspruchsinteresse stellt die Parallele zum allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis bei der Klage (→ § 21 Rn 185 ff) dar. Gefragt ist nach dem Sachbescheidungsinteresse, das allerdings nur höchst selten fehlt und keine große Rolle spielt.87 Soweit in dem Zusammenhang „Missbrauch“ und „Verwirkung“ thematisiert werden, geht es idR um den verwirkten Nachbarwiderspruch (→ Rn 24 f). Der Verzicht auf einen Widerspruch ist allenfalls eine Randerscheinung.88
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III. Ablauf des Verfahrens und Entscheidung über den Widerspruch Die Prüfung der Begründetheit eines zulässigen Widerspruchs erfolgt anhand des Maßstabs gemäß § 68 I 1 bzw II VwGO. Die gesetzlichen Vorgaben gelten sowohl für die Ausgangsbehörde als auch für die Widerspruchsbehörde. Besonderheiten bestehen dazu in der Fallbearbeitung idR nicht, zumal die „Zweckmäßigkeit“ des VA in den schriftlichen Arbeiten ohne Bedeutung ist. Einige spezielle Fragestellungen gibt es zum Verfahrensablauf und zu den Entscheidungsmöglichkeiten im Widerspruchsverfahren.
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1. Aufschiebende Wirkung und Devolutiveffekt Fall 6: Landwirt L hat ohne die erforderliche Baugenehmigung auf der Grenze zum Grundstück des Nachbarn N einen Schuppen errichtet, in dem er Kühe und Kälber hält. Die Bauaufsichtsbehörde hat die Beseitigung des Schuppens angeordnet. Auf den Widerspruch von L hin hebt die Widerspruchsbehörde diese Anordnung auf und untersagt L, den Grenzbau als Viehstall zu benutzen. Bestand für diese Entscheidung eine Kompetenz? 89
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Fall 7: C ist Eigentümer eines unbebauten Grundstücks in der kreisangehörigen Gemeinde G. Auf Grund einer Beitragssatzung für die Herstellung einer kommunalen Wasserversorgungsanlage wurde C von G zur Zahlung eines Beitrags von 3.300 Euro herangezogen. C erhob gegen den Bescheid Widerspruch; G prüfte die Angelegenheit und reduzierte den von C geforderten Beitrag in einem Teil-Abhilfebescheid auf 800 Euro, im Übrigen blieb der Widerspruch des C erfolglos. Das Landratsamt als Widerspruchsbehörde hielt einen Beitrag von 1.400 Euro für rechtmäßig und setzte diesen Betrag im Widerspruchsbescheid fest. C fragt nach der Rechtmäßigkeit des Widerspruchbescheids.90
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86 BVerwG, LKV 2007, 178. 87 Vgl die wenigen Beispiele bei Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 35 Rn 6 ff. 88 Beispiele aus der Praxis: VGH BW, NJW 1992, 1582 und OVG NRW, NVwZ 1983, 681, wobei die Behörde über den gleichwohl eingelegten Widerspruch ohne Berufung auf den Verzicht in der Sache entschieden hat. 89 Fall nach OVG Saarland, DÖV 1983, 821. 90 Fall nach BayVGH, BayVBl 2006, 434 → JK VwGO § 73/2.
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Mit der Erhebung des Widerspruchs sind wichtige Rechtswirkungen verknüpft: Der Eintritt der aufschiebenden Wirkung (§ 80 I VwGO) und – unter der Bedingung der Nichtabhilfe (Rn 43) – der Devolutiveffekt (§ 73 I 1 iVm § 72 VwGO). Die aufschiebende Wirkung erfüllt eine Rechtsschutzfunktion (→ Rn 42). Der Devolutiveffekt wirkt für die Widerspruchsbehörde kompetenzbegründend (→ Rn 43).
a) Aufschiebende Wirkung des Widerspruchs 42
Die auf Grund des Widerspruchs gemäß § 80 I VwGO eintretende aufschiebende Wirkung („Suspensiveffekt“) dient der vorläufigen Sicherung des status quo, damit wirksamer Rechtsschutz nicht durch die Schaffung irreversibler Zustände unmöglich gemacht oder gefährdet wird. Die aufschiebende Wirkung tritt mit der Erhebung des Widerspruchs rückwirkend auf den Zeitpunkt des Erlasses des VA ein. Aufschiebende Wirkung kommt nach § 80 I VwGO (neben der Anfechtungsklage) nur dem Anfechtungswiderspruch (§ 68 I 1 VwGO) zu, nicht aber dem Verpflichtungswiderspruch (§ 68 II VwGO); die automatische vorläufige Einräumung einer begehrten Begünstigung durch Widerspruchserhebung ist im Gesetz nicht vorgesehen (zu Ausnahmen im Aufenthaltsrecht → § 29 Rn 27). Die aufschiebende Wirkung erstreckt sich auch auf den VA mit Drittwirkung (§ 80 I 2 VwGO). Trotz der Schlichtheit der in § 80 I VwGO getroffenen Regelung sind damit zahlreiche Zweifels- und Streitfragen verbunden; dies verlangt eine gesonderte Darstellung (→ § 29 Rn 17 ff). Dasselbe gilt für die Überwindung der aufschiebenden Wirkung durch ihren gesetzlichen Ausschluss (→ § 29 Rn 42 ff) oder durch die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung des angegriffenen VA (→ § 29 Rn 60 ff).
b) Devolutiveffekt des Widerspruchs 43
Der Devolutiveffekt des Widerspruchs begründet die Entscheidungskompetenz der Widerspruchsbehörde. Vorausgesetzt ist der Regelfall, dh dass Ausgangsbehörde und Widerspruchsbehörde verschiedenen Rechtsträgern, die auf unterschiedlichen Verwaltungsebenen angesiedelt sind, angehören, so dass Widerspruchsbehörde die nächsthöhere Behörde ist (§ 73 I 2 Nr 1 VwGO). Dem Devolutiveffekt kommt eine zuständigkeitsbegründende Anfallwirkung zu.91 Diese ist bedingt durch die Abhilfeverweigerung der Ausgangsbehörde (vgl § 73 I 1 VwGO), beginnt mit dem für den Widerspruchsführer negativen Abschluss des Abhilfeverfahrens und endet mit der wirksamen Zustellung (vgl § 73 III 2 VwGO) des Widerspruchsbescheids.92 Die Anfallwirkung des Devolutiveffekts hat keine die Abhilfebefugnis der Ausgangsbehörde beendende Wirkung.93 Mangels Entscheidungsmonopols der Widerspruchsbehörde besteht für die Dauer des Devolutiveffekts eine Zuständigkeitskonkurrenz zwischen Ausgangs- und Widerspruchsbehörde.94 Folglich kann die Ausgangsbehörde auch nach Vorlage des Widerspruchs an die für den Erlass des Widerspruchsbescheids zuständige Behörde dem Widerspruch nach § 72 VwGO abhelfen.95
91 Uhle NVwZ 2003, 811, 815; Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 25 Rn 4. 92 H. Hofmann FS Menger (Fn 2) 618. 93 Geis/Hinterseh JuS 2001, 1176, 1180; Engst JURA 2006, 166, 171; Hufen VerwPrR, § 8 Rn 4; aA Pache/Knauff DÖV 2004, 656, 658. 94 Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 25 Rn 6. 95 BVerwGE 82, 336, 338; VGH BW, VBlBW 1989, 53, 54; BayVGH, BayVBl 1987, 465; NdsOVG, NVwZ-RR 2003, 326, 327.
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Widerspruchsverfahren
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Ausgelöst wird der eine Sachentscheidungsbefugnis der Widerspruchsbehörde begründende Devolutiveffekt nur durch einen zulässigen Widerspruch.96 Mit dem Abschluss des Widerspruchsverfahrens (wirksame Zustellung des Widerspruchsbescheids) endet die Sachentscheidungsbefugnis der Widerspruchsbehörde.97 Solange ihre „Sachherrschaft“ besteht, nimmt die Widerspruchsbehörde die Funktion der Ausgangsbehörde ein und hat grundsätzlich 98 deren volle Entscheidungskompetenz. Innerhalb des durch den Widerspruch abgesteckten Rahmens kann die Widerspruchsbehörde den ursprünglichen VA folglich bestätigen, aufheben, abändern, durch einen anderen ersetzen sowie (im Fall des § 68 II VwGO) den beantragten VA erlassen.99 Der Devolutiveffekt des Widerspruchs hat allerdings nicht nur eine zuständigkeitsbegründende Wirkung, sondern außerdem einen zuständigkeitsbegrenzenden Effekt. Die Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde ist nur im Rahmen des Devolutiveffekts gegeben; sie darf nicht über den Regelungsbereich des angegriffenen VA hinausgehen, insbesondere kein ihr gesetzlich nicht zustehendes Selbsteintrittsrecht ausüben.100 Im Einzelfall kommt es für die Ermittlung des Umfangs des Devolutiveffekts mitunter auf eine detaillierte Würdigung der konkreten Umstände des Streites an.101
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Die Ersetzung der von der Bauaufsichtsbehörde ausgesprochenen Beseitigungsverfügung durch die Nutzungsuntersagung lag in Fall 6 noch innerhalb der Entscheidungskompetenz der Widerspruchsbehörde. Der Devolutiveffekt des Widerspruchs hatte die volle Sachentscheidungsbefugnis der Widerspruchsbehörde begründet. Praktisch (nicht: rechtsdogmatisch) kann die Nutzungsuntersagung als ein „Minus“ gegenüber der Abrissverfügung angesehen werden. Jedenfalls handelt es sich bzgl der Voraussetzungen und der Wirkungen um artverwandte VA, so dass die Widerspruchsbehörde die Sachkompetenz zum Erlass des Nutzungsverbots hatte.
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Zu der Problematik in Fall 7 betonte der VGH zunächst, dass die Widerspruchsbehörde auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit des VA beschränkt sei (vgl → Rn 44 Fn 98); die Selbstverwaltungsbehörde (hier: G) überprüfe nach § 72 VwGO auch die Zweckmäßigkeit. Im Widerspruchsverfahren gegen einen kommunalen Abgabenbescheid dürfe die Widerspruchsbehörde nur die darin festgesetzte Abgabe dem Grunde und der Höhe nach kontrollieren und ggf mindern oder aufheben, nicht aber über die festgesetzte Abgabe hinausgehen; andernfalls
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96 H. Hofmann FS Menger (Fn 2) 617; Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 42 Rn 8. 97 BVerwGE 58, 100, 105; Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 73 Rn 43. 98 Die wichtigste Ausnahme bilden VA in kommunalen Selbstverwaltungsangelegenheiten; insoweit kann – soweit das Landesrecht iSd § 73 I 2 Nr 3 VwGO etwas anderes bestimmt – der staatlichen Widerspruchsbehörde die Überprüfung der Zweckmäßigkeit entzogen sein; vgl § 17 I 2 AGVwGO BW, Art 119 Nr 1 BayGO u Art 105 Nr 1 BayLKrO, § 6 II 1 AGVwGO RP, § 8 II SaarlAGVwGO, § 27 I 2 SächsJG, § 124 Nr 1 ThürKO. 99 OVG Saarland, DÖV 1983, 821, 822. – Zur reformatio in peius → Rn 67 ff. 100 BayVGH, BayVBl 2006, 434, 435 → JK VwGO § 73/2. 101 Vgl BayVGH, BayVBl 2004, 149 → JK VwGO § 68/8: Eine vom Nachbarn angegriffene Baugenehmigung dürfe von der Widerspruchsbehörde mit einer Befreiung nach § 31 II BauGB ergänzt werden, denn eine etwa erforderliche Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans sei konkludent als im Bauantrag mitbeantragt anzusehen, so dass die Entscheidung über die Befreiung integraler Bestandteil des Baugenehmigungsverfahrens sei.
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nehme die Widerspruchsbehörde ein ihr nicht zustehendes Selbsteintrittsrecht in Anspruch und verstoße im Falle der Erhöhung der Kommunalabgabe gegen die kommunale Finanzhoheit. – Überzeugend ist das kaum. Zweckmäßigkeitsfragen im Rahmen des Ermessens stellen sich bei der Erhebung von Kommunalabgaben allenfalls in zweiter Linie (zB bzgl Stundung, Erlass oder Minderung aus Billigkeitsgründen). Zunächst geht es um den Vollzug der kommunalen Beitragssatzung; dies ist Rechtsanwendung und steht daher der Widerspruchsbehörde auch in gemeindlichen Selbstverwaltungsangelegenheiten zu. Allerdings war im Streitfall die Frage der reformatio in peius (→ Rn 67 ff) aufgeworfen; darauf geht der VGH jedoch nicht ein.
2. Abhilfeverfahren und Abhilfeentscheidung 47
Fall 8: Hauseigentümer H erhielt antragsgemäß die Genehmigung für den Bau eines Satteldachs. Nachbar N erhebt ordnungsgemäß Widerspruch. Die Ausgangsbehörde hilft dem Widerspruch nicht ab. Die Widerspruchsbehörde kommt zu dem Ergebnis, zwar verstoße die Genehmigung nicht gegen § 15 BauNVO, jedoch gegen das bauordnungsrechtliche Verunstaltungsverbot und sei daher objektiv rechtswidrig. Die darüber informierte Ausgangsbehörde nimmt nun die Genehmigung zurück. N verlangt eine Entscheidung zur Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens.102
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Hält die Ausgangsbehörde, bei der der Widerspruch grundsätzlich zu erheben ist (§ 70 I 1 VwGO), den Rechtsbehelf für begründet, so hilft sie ihm ab und entscheidet über die Kosten (§ 72 VwGO). Eine „Abhilfe“ (bzw Teil-Abhilfe) iSd § 72 VwGO liegt vor, wenn die Ausgangsbehörde dem Begehren des Widerspruchsführers ganz (oder teilweise) entspricht, weil sie den Widerspruch (wenigstens zum Teil) für begründet hält.103 Die Abhilfeentscheidung setzt – selbstverständlich – die in § 72 VwGO nicht ausdrücklich erwähnte Zulässigkeit des Widerspruchs voraus.104 Ist der Widerspruch zulässig und begründet, muss die Ausgangsbehörde die dem Widerspruchsführer günstige Abhilfeentscheidung treffen. Ermessen besteht bzgl dieser Entscheidung nicht. Handelt es sich bei dem angefochtenen VA um eine Ermessensentscheidung, kann zwar insoweit das Ermessen erneut ausgeübt werden,105 die Behörde muss nach dieser Prüfung aber abhelfen, wenn sie den Widerspruch für begründet hält. Mit dem Abhilfebescheid endet das Widerspruchsverfahren.106 Das Abhilfeverfahren ist kein eigenständiges Verwaltungsverfahren, sondern Teil des Widerspruchsverfahrens. Die Abhilfeentscheidung der Ausgangsbehörde stellt eine das Widerspruchsverfahren abschließende Sachentscheidung dar; der Abhilfebescheid ist aber
49
102 Fall nach BVerwGE 101, 64. 103 BayVGH, BayVBl 2004, 244, 245; OVG Hamburg, NVwZ-RR 1999, 706, 707. 104 BVerwG, NVwZ 2000, 195 → JK VwGO § 72/2; Engst JURA 2006, 166, 167; aA Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 210. 105 Geis/Hinterseh JuS 2002, 34, 35; Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 72 Rn 11. 106 Anders ist es bei der Teil-Abhilfe, wenn der Widerspruch nur teilweise für begründet erachtet wird. – Dazu Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 26 Rn 7 f (Weiterleitung des Vorgangs an die Widerspruchsbehörde); Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 72 Rn 12 (Pflicht zum Erlass eines Teilabhilfebescheids, Eintritt des Devolutiveffekts nur im Übrigen).
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kein Widerspruchsbescheid iSd § 73 VwGO.107 Die Durchführung des Abhilfeverfahrens ist obligatorisch. § 72 VwGO ist eine wesentliche Verfahrensvorschrift iSd § 79 II 2 VwGO. Entscheidet die Widerspruchsbehörde ohne Abhilfeverfahren, liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel vor.108 Besondere Bedeutung hat das Abhilfeverfahren in den Fällen des § 73 I 2 Nr 3 VwGO; dann bietet es die alleinige Möglichkeit einer erneuten Zweckmäßigkeitsprüfung.109 Bei Identität von Ausgangs- und Widerspruchsbehörde (vgl § 73 I 2 Nr 2 u 3 VwGO) findet ein Abhilfeverfahren nicht statt; mangels Zweistufigkeit des Widerspruchsverfahrens wird sogleich durch Widerspruchsbescheid entschieden.110 Im Abhilfeverfahren ist § 71 VwGO zu beachten. Ist die Abhilfeentscheidung erstmalig mit einer Beschwer verbunden (zB beim VA mit Drittwirkung), soll der Betroffene vorher gehört werden. In der Sache kann die Ausgangsbehörde nur die in § 72 VwGO vorgesehene stattgebende Entscheidung treffen. Die Behörde darf den Widerspruch hingegen nicht als unzulässig oder unbegründet zurückweisen,111 so dass im Abhilfeverfahren auch eine reformatio in peius (→ Rn 67 ff) nicht zulässig ist; vielmehr muss der Widerspruch (mit den Akten und einem Vorlagebericht) der Widerspruchsbehörde vorgelegt werden.112 Die im Fall der Abhilfe von § 72 VwGO geforderte Kostenentscheidung stellt lediglich eine Kostengrundentscheidung dar; der Inhalt der Kostenentscheidung richtet sich nach § 80 VwVfG.113 Bei einem zulässigen und begründeten Widerspruch hat die Ausgangsbehörde nach hM ein Wahlrecht, ob sie den angegriffenen rechtswidrigen VA durch eine Abhilfeentscheidung (§ 72 VwGO) oder mit einem Rücknahmebescheid (§ 48 I 1 VwVfG) aufhebt.114 Das gilt sogar nach Abgabe des Widerspruchsvorgangs an die Widerspruchsbehörde.115 Entscheidet sich die Ausgangsbehörde für die Rücknahme des VA (gleichsam „aus Anlass“, jedoch „außerhalb“ des Widerspruchsverfahrens), erhält der Widerspruchsführer keine Kostenerstattung; denn § 80 I 1 VwVfG setzt einen erfolgreichen „Widerspruch“ voraus.116 Vor diesem Hintergrund verlangt die Rechtsprechung einen tragfähigen Grund für das Absehen von der Abhilfeentscheidung; sich im Wege der Rücknahme des VA nur der Kostenlast zu entziehen und den Widerspruchsführer um den nach § 72 VwGO zu erwartenden Kostenanspruch zu bringen, sei kein tragfähiger Grund.117 Die „Wahlfreiheit“ der Behörde
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BayVGH, BayVBl 2004, 244, 245. Geis/Hinterseh JuS 2002, 34; Schenke VerwPrR, Rn 668; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 207. Hufen VerwPrR, § 8 Rn 7; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 208. BVerwGE 70, 4, 12; OVG NRW, NVwZ-RR 2003, 327, 328; Engst JURA 2006, 166, 172 f. Engst JURA 2006, 166, 168. Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 26 Rn 5; Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO § 72 Rn 13. BVerwGE 101, 64, 67. BVerwGE 101, 64, 69 f; 118, 84, 88 f → JK VwVfG § 80/1; aA Pache/Knauff DÖV 2004, 656, 658: während der Dauer des Abhilfeverfahrens Vorrang der Abhilfe als spezielleres Instrument gegenüber der Rücknahme des VA. – Zu den rechtlichen Unterschieden zwischen Abhilfe und Rücknahme des VA vgl Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, § 27 Rn 4 ff. NdsOVG, NVwZ-RR 2003, 326, 327. Etwas anderes gilt in denjenigen Ländern, in denen § 80 VwVfG eine Kostenentscheidung „nach billigem Ermessen“ (unter Berücksichtigung des bisherigen Sachstandes) auch dann vorschreibt, wenn sich der Widerspruch „auf andere Weise“ erledigt (zB durch Rücknahme des angegriffenen VA); dazu (am Bsp des § 80 I 5 VwVfG BW) VGH BW, VBlBW 2005, 281. BVerwGE 101, 64, 71; enger NdsOVG, NVwZ-RR 2003, 326, 327.
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zwischen den beiden Verfahrensweisen – Abhilfe nach § 72 VwGO oder Rücknahme des rechtswidrigen VA nach § 48 I 1 VwVfG – stehe unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben; das behördliche Vorgehen nach § 48 VwVfG sei allerdings nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn der Behörde „gute Gründe für diese Verfahrensweise nicht zur Seite stehen“.118 52
In Fall 8 hatte die Ausgangsbehörde, so das BVerwG, im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung keinen Anlass zu der Annahme, die Rechtsfragen seien abschließend zu Gunsten des Widerspruchsführers geklärt. Ein erkennbar zulässiger und begründeter Widerspruch habe nicht vorgelegen. Daher sei es nicht sachwidrig gewesen, keinen Abhilfebescheid zu erlassen. – Tragender wäre es gewesen, auf die nur objektivrechtliche Wirkung des Verunstaltungsverbots zu verweisen.
3. Entscheidung der Widerspruchsbehörde
a) Erlass des Widerspruchsbescheids 53
Hilft die Ausgangsbehörde dem Widerspruch nicht ab, entscheidet die Widerspruchsbehörde über den Rechtsbehelf durch Widerspruchsbescheid (§ 73 I 1 VwGO). Die Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde ergibt sich aus § 73 I 2 VwGO. Danach erlässt den Widerspruchsbescheid grundsätzlich die nächsthöhere Behörde (Nr 1), falls diese jedoch eine oberste Bundes- oder Landesbehörde ist, die Ausgangsbehörde (Nr 2), und in Selbstverwaltungsangelegenheiten entscheidet grundsätzlich die Selbstverwaltungsbehörde (Nr 3).119 Abweichend von der grundsätzlichen Entscheidungszuständigkeit der nächsthöheren Behörde (§ 73 I 2 Nr 1 VwGO) kann gesetzlich für die Widerspruchsentscheidung die Zuständigkeit der Ausgangsbehörde bestimmt werden (§ 73 I 3 VwGO).120 Abgrenzungsprobleme können zwischen Nr 1 und Nr 3 des § 73 I 2 VwGO auftreten. Umstritten ist, was unter dem Begriff „Selbstverwaltungsangelegenheiten“ iSd § 73 I 2 Nr 3 VwGO zu verstehen ist. Nach dem engen Begriffsverständnis werden nur die weisungsfreien Angelegenheiten des eigenen kommunalen Wirkungskreises erfasst.121 Das – zutreffende – weite Begriffsverständnis rekurriert auf das Landes(verfassungs)recht und bezieht im monistischen Aufgabenmodell (im Unterschied zu den „Auftragsangelegenheiten“ im dualistischen Aufgabenmodell) 122 die Pflichtaufgaben der Kommunen zur Erfüllung nach Weisung ein.123 Ob eine und ggf welche Art einer Selbstverwaltungsangelegenheit vorliegt, richtet sich nach dem jeweiligen Fachrecht (also zB Gemeindeordnung, 118 So BVerwGE 118, 84, 89 → JK VwVfG § 80/1, mit weiterem Hinweis darauf, dass die Behörde bei treuwidriger Unterlassung der Abhilfeentscheidung nach § 72 VwGO bzgl der Kosten so zu stellen sei, als wäre die Abhilfeentscheidung ergangen. 119 Ausführlich zu den Zuständigkeitsregelungen (auch zu den Durchführungsvorschriften des Landesrechts) Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 37; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 212 ff. 120 Vgl dazu Kastner in: Fehling/Kastner/Wahrendorf, VerwR, § 73 VwGO Rn 12; Rennert in: Eyermann, VwGO, § 73 Rn 6a. 121 Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 73 Rn 14; Geis in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 73 Rn 11; Hüttenbrink in: Posser/Wolff, VwGO, § 73 Rn 6; Kastner in: Fehling/Kastner/Wahrendorf, VerwR, § 73 VwGO Rn 13; Kothe in: Redeker/v Oertzen, VwGO, § 73 Rn 2; Rennert in: Eyermann, VwGO, § 73 Rn 5. 122 Einzelheiten zu den Aufgabenmodellen bei Schoch JURA 2001, 121, 127. 123 OVG NRW, NWVBl 2004, 109, 110; Riotte/Waldecker NWVBl 1995, 401 ff.
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LBO, Straßenrecht, Polizei- und Ordnungsrecht). Anerkannt ist, dass bei der juristischen Bewältigung eines einheitlichen Lebenssachverhalts mitunter differenziert werden muss. So wird die Gebührenerhebung durch eine Gemeinde den Selbstverwaltungsangelegenheiten zugeordnet, falls das Gebührenaufkommen der Gemeinde verbleibt, auch wenn die gebührenpflichtige Amtshandlung keine Selbstverwaltungsangelegenheit ist.124 Zum Verwaltungsverfahren(srecht) bzgl der Widerspruchsentscheidung enthalten §§ 68 ff VwGO nur rudimentäre Regelungen. Die Entscheidungsfindung erfolgt – soweit nicht § 71 und § 73 VwGO bzw das zu dessen Ausführung ergangene Landesrecht besondere Bestimmungen treffen – nach den Regeln des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts (§ 79 iVm §§ 11 ff VwVfG).125 Von besonderer Bedeutung ist das nach der „Soll“-Vorschrift des § 71 VwGO zu gewährende rechtliche Gehör. Der Gesetzestext setzt hierfür eine „erstmalige Beschwer“ im Widerspruchsverfahren voraus.126 Sinn und Zweck der (zT: erneuten) Anhörung ist die Vermeidung einer Überraschungsentscheidung. Vor diesem Hintergrund findet § 71 VwGO entsprechende Anwendung, wenn im Widerspruchsverfahren um eine nach § 30 I BauGB rechtswidrige Baugenehmigung zu deren Legalisierung eine Befreiung nach § 31 II BauGB nachgeschoben wird.127 Eine derartige Maßnahme steht der „erstmaligen Beschwer“ iSd § 71 VwGO gleich. Seiner Rechtsform nach stellt der Widerspruch einen VA dar. Vorgeschrieben ist eine Begründung; ferner ist der Widerspruchsbescheid mit einer Rechtsbehelfsbelehrung (§ 58 I VwGO) zu versehen (§ 73 III 1 VwGO). Die Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids erfolgt durch Zustellung (§ 73 III 2 VwGO). Zu entscheiden ist auch über die Kostentragung (§ 73 III 3 VwGO); dies betrifft (wie beim Abhilfebescheid, § 72 VwGO) nur die Kostenlast (dh Kostentragung dem Grunde nach, Rn 50), der Inhalt der Kostenentscheidung bestimmt sich nach § 80 VwVfG.128 Zur Beendigung des Widerspruchsverfahrens durch Erlass eines Widerspruchsbescheids kommt es nicht, wenn sich der Widerspruch erledigt. Dies ist insbesondere bei der Zurücknahme des Widerspruchs der Fall; diese ist ohne behördliche Zustimmung und auch ohne Zustimmung eines evtl beteiligten Dritten möglich. Umstritten ist der äußerste Zeitpunkt für die Zurücknahme eines Widerspruchs. Nach hM kann der Widerspruch bis zur Bekanntgabe (Zustellung) des Widerspruchsbescheids zurückgenommen werden.129 124 VGH BW, VBlBW 2005, 391, 394; Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 73 Rn 14. 125 Zu Einzelheiten Hufen VerwPrR, § 8 Rn 10 ff. 126 Als „Soll“-Vorschrift ist § 71 VwGO für den Regelfall iS einer „Muss“-Vorschrift zu verstehen und erlaubt nur in atypischen Fallkonstellationen Abweichungen von der gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolge; tatbestandlich erfasst § 71 VwGO nicht nur die Heranziehung neuer Tatsachen, sondern auch die rechtliche Neubewertung des Sachverhalts durch die Verwaltung auf Grund bekannter Tatsachen; BVerwG, NVwZ 1999, 1218, 1219 = BayVBl 2000, 55 → JK VwGO § 71/2. – Es geht idR um Fälle der reformatio in peius, → Rn 67 ff. 127 BayVGH, BayVBl 2004, 149, 150 → JK VwGO § 68/8, mit Hinweis darauf, dass das Nachschieben einer Befreiung einer materiellen reformatio in peius gleichkomme. 128 Näher dazu Saller NdsVBl 2001, 258, 263 ff. – Zur Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren instruktiv BVerwG, DVBl 2008, 389. 129 BVerwGE 44, 64, 66 unter Hinweis auf abweichende Bestimmungen zur Zurücknahme der Klage (§ 92 I 1 VwGO), der Berufung (§ 126 I 1 VwGO) und der Revision (§ 140 I 1 VwGO); ebenso zB BVerwG, NVwZ 1999, 1218, 1219 → JK VwGO § 71/2; Geis/Hinterseh JuS 2002, 34, 35 f; Hufen VerwPrR, § 8 Rn 22; Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 36 Rn 8: Verfahrensziel mit Erlass des Widerspruchsbescheids erreicht und Widerspruch „verbraucht“.
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Nach der Gegenauffassung ist dies auch nach Erlass des Widerspruchsbescheids zulässig, solange seine Unanfechtbarkeit noch nicht eingetreten ist;130 danach kommt die Zurücknahme des Widerspruchs auch während eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in Betracht.131 Im Falle der Erledigung (auch zB durch Vergleich, spätere Abhilfeentscheidung oder Zeitablauf) ist das Widerspruchsverfahren einzustellen.132
b) Inhalt der Entscheidung 57
Fall 9: B will die Verkaufsfläche seines im Industriegebiet der Stadt S angesiedelten Lebensmittelmarktes (Vollsortimenter) auf 1.150 m2 erweitern. Der seinerzeit alle maßgeblichen Vorschriften beachtende Bauantrag des B wurde von S, die zuständige untere Bauaufsichtsbehörde ist, mit Bescheid vom Dezember 2005 abgelehnt. Dagegen erhob B Widerspruch. Im September 2006 fasste S einen Änderungsbeschluss zum Bebauungsplan, wonach der Einzelhandel mit zentren- und nahversorgungsrelevanten Sortimenten ausgeschlossen werden soll. Gleichzeitig wurde eine Veränderungssperre beschlossen; deren Bekanntmachung erfolgte im Oktober 2006, während der Änderungsbeschluss zum Bebauungsplan erst im Mai 2008 bekannt gemacht wurde. Mit Widerspruchsbescheid von Ende Januar 2006 war S seitens des Regierungspräsidiums (RP) als zuständiger Widerspruchsbehörde unter Hinweis auf die Unwirksamkeit der Veränderungssperre zur Erteilung der von B beantragten Baugenehmigung verpflichtet worden. Hiergegen hatte S Anfechtungsklage beim zuständigen VG erhoben. Während des Gerichtsverfahrens beschloss S im September 2008 die Verlängerung der Veränderungssperre, bevor im Juni 2009 der neue Bebauungsplan rechtswirksam beschlossen und bekannt gemacht worden ist. Wie entscheidet das VG? 133
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Der Inhalt der Widerspruchsentscheidung hängt davon ab, ob der Widerspruch zulässig und begründet ist. Prüfungsmaßstab ist § 68 I 1 VwGO (Anfechtungswiderspruch) bzw § 68 II iVm I 1 VwGO (Verpflichtungswiderspruch). Auf Grund der durch den Devolutiveffekt gewonnenen vollen Entscheidungskompetenz (→ Rn 43) wird der angegriffene VA bzw die Ablehnungsentscheidung der Ausgangsbehörde einer umfassenden und grundsätzlich (zu wichtigen Ausnahmen → Fn 98) uneingeschränkten Überprüfung unterzogen; die Kontrolle der Widerspruchsbehörde erstreckt sich auf die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Ausgangsentscheidung und grundsätzlich auch auf deren Zweckmäßigkeit, und zwar ohne Bindung an die Tatsachenermittlung (§§ 24 ff VwVfG) der Ausgangsbehörde.134 Je nach dem Ergebnis der Überprüfung kann dem Widerspruch ganz oder teilweise stattgegeben oder er kann zurückgewiesen werden; im Falle der Zurückweisung können seitens der Widerspruchsbehörde Verfahrensfehler der Ausgangsbehörde behoben (→ Rn 65), rechtliche Defizite bereinigt (zB zutreffende Ermessenserwägungen angestellt) oder ein Austausch der Rechtsgrundlage(n) vorgenommen werden.135
130 Schildheuer NVwZ 1997, 637 ff; Allesch NVwZ 2000, 1227 ff; Bienert SächsVBl 2003, 29 ff – jeweils mit Differenzierungen und Ausnahmen. 131 So NdsOVG, NVwZ 1993, 1214 unter Heranziehung des § 92 I VwGO sowie der Dispositionsmaxime; krit dazu Artzt NVwZ 1995, 666 ff. 132 Hufen VerwPrR, § 8 Rn 20 ff, 24. 133 Fall nach VGH BW, VBlBW 2007, 20 und BVerwGE 130, 113 = JZ 2008, 729 (m Anm Schenke) → JK VwGO § 113 I 1/23. 134 Engst JURA 2006, 166, 168; Hüttenbrink in: Posser/Wolff, VwGO, § 73 Rn 13. 135 Kothe in: Redeker/v Oertzen, VwGO, § 73 Rn 19.
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Aus verwaltungsprozessualer Sicht (§ 79 VwGO) ist im Gerichtsverfahren als Gegenstand der Klage der Widerspruchsbescheid maßgebend (→ Rn 64). Zur Tenorierung der Widerspruchsentscheidung macht die VwGO keine Vorgaben.136 Sie sieht auch im Übrigen – anders als bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (vgl § 113 VwGO) – davon ab, bestimmte Inhalte zur Entscheidung der Widerspruchsbehörde vorzuzeichnen. In den Fällen der (teilweisen) Stattgabe ist dies deshalb misslich, weil offen bleibt, ob die Widerspruchsbehörde die Sache „durchentscheidet“ oder lediglich die Ausgangsbehörde „anweist“ (→ Rn 61, 62). Die relative Regelungsarmut des § 73 VwGO darf allerdings nicht mit einer kompletten Regelungsabstinenz des Bundesgesetzgebers verwechselt werden. Zumindest missverständlich ist die vom BVerwG aus § 73 I 1 VwGO gezogene Schlussfolgerung, „dass die Widerspruchsbehörde nicht verpflichtet ist, in der Sache selbst zu entscheiden“.137 Selbstverständlich muss die Widerspruchsbehörde nach der Abhilfeverweigerung der Ausgangsbehörde eine – entweder bestätigende oder korrigierende bzw modifizierende – Entscheidung zur Sache treffen; § 73 I 1 VwGO lässt lediglich offen, in welcher Art und Weise einem (zum Teil) begründeten Widerspruch (teilweise) stattgegeben wird.138 Der unzulässige Widerspruch ist von der Widerspruchsbehörde zurückzuweisen.139 Das gilt auch im Falle der Unzulässigkeit wegen Verfristung; die Gegenauffassung ist gesetzeswidrig und daher abzulehnen (→ Rn 34). Zurückzuweisen ist auch der unbegründete Widerspruch, sei es dass der VA rechtmäßig und zweckmäßig oder zwar rechtswidrig bzw unzweckmäßig ist, jedoch den Widerspruchsführer nicht in seinen Rechten verletzt bzw beschwert.140 Dem (zulässigen und) begründeten Widerspruch ist stattzugeben; ist der Widerspruch zum Teil begründet, wird ihm teilweise stattgegeben, teilweise wird er zurückgewiesen.141 Umstritten ist, wie die Stattgabe zu erfolgen hat. Beim begründeten Anfechtungswiderspruch steht fest, dass der angegriffene VA rechtswidrig bzw unzweckmäßig ist und den Widerspruchsführer dadurch in seinen Rechten verletzt bzw beschwert.142 Im Interesse eines wirksamen (dh auch: raschen) Rechtsschutzes hebt die Widerspruchsbehörde den Ausgangsbescheid auf.143 Die verbreitete Neigung, der Widerspruchsbehörde die (interne) Anweisung (als Aufsichtsbehörde) gegenüber der Ausgangsbehörde zur Abhilfe (§ 72 VwGO) oder Rücknahme (§ 48 VwVfG) des VA zu gestatten,144 kann nicht akzeptiert werden. § 73 VwGO lässt zwar das (Landes-)Organisations- und -verfahrensrecht unberührt, jedoch kann § 73 VwGO keine Befugnis der Widerspruchsbehörde entnommen werden, in
136 Zur Tenorierung von Widerspruchsentscheidungen Hufen VerwPrR, § 9 Rn 2; Muster eines Widerspruchsbescheides bei Stern/Blanke VerwPrR, Rn 417; ausf Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 50. 137 So BVerwGE 130, 113, 116 Tz 11. 138 Rennert in: Eyermann, VwGO, § 73 Rn 14. 139 Hufen VerwPrR, § 9 Rn 7; Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 73 Rn 30 ff; Geis in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 73 Rn 33. 140 Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 73 Rn 33. 141 Hufen VerwPrR, § 9 Rn 11; Geis in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 73 Rn 34. 142 Kastner in: Fehling/Kastner/Wahrendorf, VerwR, § 73 VwGO Rn 18. 143 Engst JURA 2006, 166, 169; Hufen VerwPrR, § 9 Rn 9; Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 73 Rn 34; Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 42 Rn 13 u Rn 31. 144 OVG NRW, NVwZ-RR 1993, 289; Geis in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 73 Rn 35; Kopp/Schenke VwGO, § 73 Rn 7.
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die Funktion der Aufsichtsbehörde zu wechseln und mit Weisungen zu agieren.145 Offensichtlich nicht gedeckt von § 73 I 1 VwGO ist die Anweisung der Ausgangsbehörde zur Rücknahme des VA außerhalb des Widerspruchsverfahrens, weil dadurch dem Widerspruchsführer eine das Widerspruchsverfahren abschließende Sachentscheidung und vor allem auch eine Kostenentscheidung vorenthalten wird.146 Ist der Verpflichtungswiderspruch (zulässig und) begründet, steht fest, dass der Widerspruchsführer einen Anspruch auf den beantragten und von der Ausgangsbehörde zu Unrecht abgelehnten VA hat.147 Die Sache ist gleichsam „spruchreif“. In einem solchen Fall hat die Widerspruchsbehörde mittels Widerspruchsbescheid den beantragten VA zu erlassen.148 Die Gegenauffassung billigt der Widerspruchsbehörde ein „Wahlrecht“ zu; sie könne selbst die nach materiellem Recht angezeigte Sachentscheidung treffen oder aber sich darauf beschränken, die Ausgangsbehörde zur Erteilung des beantragten VA zu verpflichten.149 Einen „Bescheidungswiderspruchsbescheid“ kennt § 73 VwGO indessen nicht; eine bloße Aufhebung und Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung der Ausgangsbehörde kommt allenfalls in den eher seltenen Fällen in Betracht, in denen die Widerspruchsbehörde wegen eingeschränkter Prüfungskompetenz bzgl der Zweckmäßigkeit (zB in Selbstverwaltungsangelegenheiten der Ausgangsbehörde) nicht abschließend entscheiden kann.150
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In Fall 9 hat das BVerwG – mit fatalen Folgen für B (→ Rn 66) – es der Widerspruchsbehörde freigestellt, ob sie selbst (auf Grund der Nichtigkeit der Veränderungssperre 151) die Baugenehmigung erteilt oder lediglich die Genehmigungsbehörde (Stadt S) zur Erteilung der Baugenehmigung verpflichtet. § 73 I 1 VwGO fordere nicht, dass der VA in allen Fällen von der Widerspruchsbehörde in seiner endgültigen Form erlassen werde. Daher sei die bloße Verpflichtung von S zur Erteilung der Baugenehmigung rechtens.
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Der maßgebliche Zeitpunkt für die Widerspruchsbehörde zur Beurteilung der Sachund Rechtslage ist grundsätzlich der Erlass der Widerspruchsentscheidung.152 Während des Widerspruchsverfahrens eintretende Änderungen der Sach- bzw Rechtslage müssen,
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Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 73 Rn 35. Rennert in: Eyermann, VwGO, § 73 Rn 14. Kastner in: Fehling/Kastner/Wahrendorf, VerwR, § 73 VwGO Rn 18. Engst JURA 2006, 166, 169; Hufen VerwPrR, § 9 Rn 10; Dolde/Porsch in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, § 73 Rn 39; Hüttenbrink in: Posser/Wolff, VwGO, § 73 Rn 15; Kastner in: Fehling/Kastner/Wahrendorf, VerwR, § 73 VwGO Rn 19 f; Rennert in: Eyermann, VwGO, § 73 Rn 15. BVerwGE 130, 113, 115 Tz 10; Würtenberger VerwPrR, Rn 364; Geis in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 73 Rn 38; Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 42 Rn 18. Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 73 Rn 39; Rennert in: Eyermann, VwGO, § 73 Rn 15. Grund der Nichtigkeit im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung ist die damals fehlende Bekanntmachung des Änderungsbeschlusses zum Bebauungsplan; diese Veröffentlichung ist Voraussetzung seiner Rechtswirksamkeit, diese wiederum ist Voraussetzung einer wirksamen Veränderungssperre; BVerwGE 130, 113, 114 f Tz 8. BVerwG, DÖV 2007, 302; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 407; Kastner in: Fehling/Kastner/Wahrendorf, VerwR, § 73 VwGO Rn 21; Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 38 Rn 31.
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Widerspruchsverfahren
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sofern sich aus dem materiellen Recht nichts anderes ergibt, berücksichtigt werden.153 Ausgangsverfahren und Widerspruchsverfahren bilden eine verfahrensmäßige Einheit, den Abschluss bildet der Widerspruchsbescheid; er gibt dem Ausgangsbescheid seine endgültige und für den Verwaltungsprozess maßgebliche Gestalt (§ 79 I Nr 1 VwGO). Eine bedeutsame Ausnahme von diesen Grundsätzen macht die Rechtsprechung für den Fall des Drittwiderspruchs gegen eine Baugenehmigung; Rechtsänderungen, die während des Widerspruchsverfahrens zu Lasten des Bauherrn eintreten, seien mit Blick auf die ihm mit der Baugenehmigung eingeräumte Rechtsposition nicht zu berücksichtigen.154 Verstöße gegen Form- und Verfahrensvorschriften führen zur Rechtswidrigkeit des VA. Die grundsätzliche Maßgeblichkeit des Widerspruchsbescheids für die gerichtliche Kontrolle (§ 79 I Nr 1 VwGO) erlaubt indes die Heilung von Form- und Verfahrensfehlern im Widerspruchsverfahren. § 45 II VwVfG zeigt, dass dies auch mit Blick auf einen Verwaltungsprozess in zeitlicher Hinsicht unproblematisch ist. Von praktischer Bedeutung sind vor allem die Beseitigung von Begründungsmängeln (§ 45 I Nr 2 VwVfG) im Ausgangsbescheid 155 und die Nachholung einer von der Ausgangsbehörde zu Unrecht unterlassenen Anhörung eines Beteiligten (§ 45 I Nr 3 VwVfG).156 Die Heilungsbefugnis der Widerspruchsbehörde besteht angesichts ihrer umfassenden Sachentscheidungsbefugnis (→ Rn 43 f) unabhängig davon, ob der verfahrensfehlerhafte Ausgangsbescheid eine gebundene Verwaltungsentscheidung darstellt oder auf einer behördlichen Ermessensentscheidung beruht.157 Für das Gelingen der Fehlerbeseitigung gilt das Gebot realer Fehlerheilung, dh der Beteiligte muss in der Sache – lediglich zeitversetzt – so gestellt werden, wie er ohne den behördlichen Verfahrensverstoß stünde; abzulehnen ist die Rechtsprechung, die in dem ordnungsgemäß durchgeführten Widerspruchsverfahren eine automatisch bewirkte Fehlerheilung sieht.158 Das Widerspruchsverfahren steht als Heilungsinstrument für Form- und Verfahrensfehler dort nicht zur Verfügung, wo es abgeschafft worden ist (→ Rn 93). Die im Widerspruchsverfahren selbst entstandenen Fehler werden prozessual nach § 79 II VwGO behandelt.159
153 Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 68 Rn 45; Geis in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 68 Rn 196; Kothe in: Redeker/v Oertzen, VwGO, § 73 Rn 15. 154 BVerwG, DÖV 1970, 135; NVwZ 1998, 1179; DÖV 2007, 302; Dolde/Porsch in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, § 68 Rn 46; Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 38 Rn 32. 155 BVerwG, NVwZ 1993, 976, 977; BayVGH, NVwZ 1995, 304, 307; HessVGH, NJW 1989, 2767, 2768. 156 BayVGH, BayVBl 1993, 599; BayVBl 2004, 149, 150 → JK VwGO § 68/8; OVG Bremen, NVwZRR 2006, 643, 644; NdsOVG, AfP 1997, 572, 573; OVG NRW, NVwZ-RR 1998, 23, 24; OVG RP, NVwZ-RR 1991, 533, 534; SächsOVG, NVwZ-RR 2002, 53, 54. 157 Engst JURA 2006, 166, 170; Hufen VerwPrR, § 8 Rn 31; Dolde/Porsch in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, § 68 Rn 43; aA Kothe in: Redeker/v Oertzen, VwGO, § 73 Rn 14c. – Eine Ausnahme gilt in dem seltenen Fall, dass der Widerspruchsbehörde die Zweckmäßigkeitsprüfung versagt ist (→ Fn 98); BVerwGE 66, 111, 114; BVerwG, NVwZ-RR 1991, 337. 158 Ausführlich zu der Problematik Schoch in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, GVwR III, 2009, § 50 Rn 300 (m umfangr Nachw). 159 Hufen VerwPrR, § 8 Rn 25, 34.
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In Fall 9 hatte der VGH als maßgeblichen Zeitpunkt für die gerichtliche Beurteilung der Sach- und Rechtslage denjenigen der Zustellung des Widerspruchsbescheids fixiert; denn im Zweifel sei bei der Anfechtung eines VA der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebend. Nach der damaligen Sach- und Rechtslage habe das RP als Widerspruchsbehörde (wegen der Nichtigkeit der Veränderungssperre, → Fn 151) richtig entschieden; der Umstand, dass das RP die Baugenehmigung nicht selbst erteilt, sondern S zur Erteilung derselben (nur) verpflichtet habe, ändere nichts an der streitentscheidenden Sachund Rechtslage im Zeitpunkt der Behördenentscheidung.160 Demgegenüber entschied das BVerwG, bei der Anfechtungsklage einer Gemeinde gegen einen Widerspruchsbescheid, der sie zur Erteilung einer Baugenehmigung verpflichte, sei für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der letzten mündlichen Gerichtsverhandlung maßgeblich. Dieser Zeitpunkt ergebe sich aus dem materiellen Recht;161 dieses sei hier das aus der gemeindlichen Planungshoheit folgende Recht der Bauleitplanung, die – unter Beachtung der gesetzlichen Regeln (vor allem §§ 1 III, 2 I 1, 1 VII BauGB) – jederzeit nach eigenen Vorstellungen der Gemeinde betrieben werden und die planungsrechtlichen Grundlagen für die Zulässigkeit eines Vorhabens ändern könne.162 Im Zeitpunkt der gerichtlichen Verhandlung war indes die Veränderungssperre mit den Rechtswirkungen des § 14 I BauGB in Kraft getreten. An diesem Punkt erlangt der Inhalt der Widerspruchsentscheidung (→ Rn 62) streitentscheidende Bedeutung: Hätte das RP „durchentschieden“ und B die beantragte Baugenehmigung Ende Januar 2006 erteilt, wären die nachfolgenden bauplanungsrechtlichen Aktivitäten von S für B wirkungslos geblieben (vgl § 14 III BauGB);163 da das RP als Widerspruchsbehörde die Ausgangsbehörde (S) aber nur zur Erteilung der begehrten Genehmigung verpflichtete, habe B keine gegenüber nachträglichen Rechtsänderungen gesicherte Rechtsposition erhalten,164 so dass die Klage von S begründet sei. – Der Fall zeigt, dass die These unzutreffend ist, (auch) unter Rechtsschutzaspekten mache es für den Widerspruchsführer keinen Unterschied, ob die Widerspruchsbehörde den VA mit dem Widerspruchsbescheid erteile oder die Ausgangsbehörde zum Erlass des VA anweise.165
c) Insbesondere: reformatio in peius 67
Fall 10: Für die Entnahme von Grundwasser durch das Unternehmen U, das dieses als Kühl- und Brauchwasser verwendet, setzt die Stadt S als zuständige untere Wasserbehörde – vorbehaltlich einer Nachprüfung – ein Wasserentnahmeentgelt von 1 Mio Euro fest. Den Widerspruch von U weist das Regierungspräsidium (RP), das auch Fachaufsichtsbehörde ist, zurück und setzt das Entgelt rechnerisch richtig (nach Aufdeckung eines Berechnungsfehlers der Ausgangsbehörde) zur Überraschung von U auf 1,7 Mio Euro fest. Ist dies rechtmäßig 166?
160 VGH BW, VBlBW 2007, 20, 21. 161 Zum rechtlichen Hintergrund näher Baumeister JURA 2005, 655 ff; Schoch in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, GVwR III, § 50 Rn 191 f. 162 BVerwGE 130, 113, 119 f Tz 15, 16. 163 BVerwGE 69, 1, 4: Das genehmigte Bauvorhaben wird von einem später erlassenen Bebauungsplan nicht berührt. 164 BVerwGE 130, 113, 117 Tz 12: Der Bescheidungswiderspruchsbescheid enthält keine feststellende, dh die planungsrechtliche Zulässigkeit treffende Regelung. 165 So zB Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 42 Rn 18; ähnlich Jutzi LKRZ 2008, 212 (215). 166 Fall nach VGH BW, VBlBW 2001, 313 → JK VwGO § 71/3.
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Widerspruchsverfahren
§ 20
(1) Zulässigkeit der reformatio in peius Die Widerspruchsbehörde ist nach § 73 I 1 iVm § 68 I 1, II VwGO gehalten, die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des VA bzw seiner Ablehnung durch die Ausgangsbehörde vollständig zu überprüfen (→ Rn 44, 58). Das Ergebnis dieser Kontrolle kann lauten, dass nach geltendem Recht die Belastung des Widerspruchsführers höher oder eine von der Ausgangsbehörde zugesprochene Begünstigung niedriger ausfallen bzw ganz entfallen muss.167 Kommt es danach auf Grund des erhobenen Widerspruchs zu einer Abänderung der angegriffenen Entscheidung der Ausgangsbehörde seitens der Widerspruchsbehörde zum Nachteil des Widerspruchsführers („Verböserung“),168 liegt eine reformatio in peius (rip) vor. Die rip bezeichnet demnach im Widerspruchsverfahren die Abänderung des VA der Ausgangsbehörde durch die Widerspruchsbehörde zu Lasten desjenigen, der den Rechtsbehelf eingelegt hat.169 Die prinzipielle Zulässigkeit der rip im Widerspruchsverfahren ist nach mittlerweile fast einhelliger Auffassung zu bejahen.170 Verfassungsrechtlich ist die rip nicht untersagt,171 sondern dem Gesetzgeber zur Entscheidung überlassen. Die VwGO (§§ 68 ff) hat die Frage nicht entschieden.172 §§ 71, 79 II VwGO gehen von der tatsächlichen Möglichkeit einer zusätzlichen selbstständigen Beschwer durch den Widerspruchsbescheid aus, sagen aber nicht, dass dieser eine solche Beschwer enthalten darf.173 Auch die Zielsetzungen des Widerspruchsverfahrens (→ Rn 4) vermitteln keine Antwort. Der Widerspruchsführer erhebt Widerspruch, um eine ihm günstigere Entscheidung zu erreichen; daher spricht die Rechtsschutzfunktion gegen die Zulässigkeit der rip. Andererseits muss die Widerspruchsbehörde den VA umfassend überprüfen; die Selbstkontrolle der Verwaltung verlangt folglich die rip, um gesetzmäßige Zustände herstellen zu können (Art 20 III GG). Da die VwGO die Frage der Zulässigkeit der rip im Widerspruchsverfahren unentschieden lässt, kann sich die Antwort nur aus der sonstigen Rechtsordnung ergeben. Ver-
167 Umfasst ist auch die Beifügung einer belastenden Nebenbestimmung zu dem VA sowie die Verschärfung einer dem VA schon beigefügten Nebenbestimmung; Dolde/Porsch in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 68 Rn 47; Kastner in: Fehling/Kastner/Wahrendorf, VerwR, § 68 VwGO Rn 17. 168 Nicht der rip unterfallen der Austausch der Begründung des VA, die erstmalige Belastung eines Dritten durch den Widerspruchsbescheid und die Aufhebung eines begünstigenden VA auf Grund eines Drittwiderspruchs; Schenke VerwPrR, Rn 690. 169 Hufen VerwPrR, § 9 Rn 15; Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 40 Rn 2; Geis in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 68 Rn 221. 170 AA noch Hufen, VerwPrR, § 9 Rn 17. 171 Europarechtlich ist die Frage bislang nicht geklärt; nach EuGH, EuZW 2009, 92 verpflichtet das EG-Recht den nationalen Richter nicht dazu, von Amts wegen eine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts anzuwenden, wenn dadurch ein im nationalen Recht normiertes Verbot der rip durchbrochen werden müsste. Der Entscheidung lässt sich keine Aussage zur Gemeinschaftsrechtskonformität eines Verbots der rip im Widerspruchsverfahren entnehmen; Lindner DVBl 2009, 224, 227. 172 AA unter Hinweis auf §§ 71, 79 (zT auch § 78) VwGO Stern/Blanke VerwPrR, Rn 414; Würtenberger VerwPrR, Rn 371. 173 BVerwGE 51, 310, 314; Topel BayVBl 1988, 9; Lindner DVBl 2009, 224, 225; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 219; Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 68 Rn 48; Kopp/Schenke VwGO, § 68 Rn 10a.
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wiesen ist damit auf das Organisationsrecht, das Verfahrensrecht und das materielle Recht.174
(2) Voraussetzungen der reformatio in peius 70
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Zunächst muss die Widerspruchsbehörde über die Entscheidungskompetenz zur rip verfügen. Rechtsdogmatisch enthält diese Anforderung zwei Elemente: die Zuständigkeit für den Erlass des Widerspruchsbescheids als solchen und die Kompetenz gerade zur Vornahme der inhaltlichen Verböserung.175 Vor diesem Hintergrund werden mitunter zwei Zuständigkeitsnormen gefordert: § 73 VwGO für den Erlass des Widerspruchsbescheids und zusätzlich eine Vorschrift des Bundes- oder Landesrechts zur Vornahme der rip.176 Überzeugend ist das kaum. Da die Widerspruchsbehörde nach § 68 I 1, II VwGO zur umfassenden Überprüfung der Ausgangsentscheidung am Maßstab des geltenden Rechts verpflichtet ist und dabei – selbstverständlich – zu einer rechtmäßigen und zweckmäßigen Entscheidung gelangen muss, kann die Entscheidungskompetenz zur rip auf § 73 iVm § 68 VwGO gestützt werden.177 Die (abzulehnende) engere Auffassung, die zusätzlich eine Kompetenznorm außerhalb der VwGO gerade für die Verböserung fordert, muss auf das einschlägige Organisationsrecht zurückgreifen. Danach ist die rip kompetenzrechtlich jedenfalls dann unbedenklich, wenn Widerspruchsbehörde und Ausgangsbehörde identisch sind, wenn die Widerspruchsbehörde über ein Selbsteintrittsrecht verfügt oder wenn die Widerspruchsbehörde gegenüber der Ausgangsbehörde als Fachaufsichtsbehörde fungiert (und ein uneingeschränktes Weisungsrecht hat).178 Entgegen der hM179 kann auch einem als Widerspruchsbehörde agierenden weisungsunabhängigen (Kreis- oder Stadt-) Rechtsausschuss die Kompetenz zur rip nicht vorenthalten werden; ist einem derartigen Ausschuss (ohne Einschränkung durch das AGVwGO) die volle Überprüfungs- und Entscheidungskompetenz nach § 73 iVm § 68 VwGO übertragen, hat der Ausschuss das geltende Recht korrekt anzuwenden, was zu einer Verböserung der Ausgangsentscheidung führen kann.180 Dass der Ausschuss weisungsunabhängig ist und eher als Rechtsbehelfsbehörde denn als objektivrechtliche Kontrollinstanz fungiert, betrifft eine andere Ebene. Die rechtmäßige Vornahme der rip im Widerspruchsverfahren verlangt, dass auch das Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt wird. Von besonderer Bedeutung ist die Anhö-
174 BVerwGE 65, 313, 319; BVerwG, DVBl 1987, 238, 239; DVBl 1996, 1318; BVerwGE 115, 259, 265; VGH BW, NVwZ-RR 1991, 113, 114; VBlBW 2001, 313; OVG RP, DVBl 1992, 787, 788 f; Meister JA 2002, 567, 569; Kingreen DÖV 2003, 1, 2; Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 68 Rn 49; Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 40 Rn 11. 175 Hufen VerwPrR, § 9 Rn 19. 176 Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 40 Rn 29. 177 BVerwG, DVBl 1987, 238, 239; DVBl 1996, 1318; VGH BW, VBlBW 2001, 313, 314 → JK VwGO § 71/3. 178 Würtenberger VerwPrR, Rn 372; Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 68 Rn 51; Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 40 Rn 24 f; aA bzgl des Weisungsrechts Lindner DVBl 2009, 224, 225; Kopp/Schenke VwGO, § 68 Rn 10b. 179 OVG RP, DÖV 2004, 889; Hufen VerwPrR, § 9 Rn 18; Schenke VerwPrR, Rn 693; Pietzner/ Ronellenfitsch Assessorexamen, § 40 Rn 26; Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 68 Rn 51; Rennert in: Eyermann, VwGO, § 68 Rn 18; Geis in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 68 Rn 229. 180 Schröder NVwZ 2005, 1029, 1030; Jutzi LKRZ 2008, 212, 214.
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Widerspruchsverfahren
§ 20
rung gemäß § 71 VwGO. Nach dem weiten Verständnis der „Soll“-Vorschrift (→ Rn 54) muss der Widerspruchsführer – abgesehen von atypischen Fallgestaltungen – vor der beabsichtigten rip nicht nur bei objektiv neuen Tatsachen, sondern auch bei einer rechtlichen Neubewertung bekannter Umstände angehört werden.181 Dies kommt idR einer behördlichen Pflicht zur Unterrichtung des Widerspruchsführers über die bevorstehende rip gleich.182 Angesichts der Schutzvorschrift des § 71 VwGO ist der Widerspruchsführer einer ihm drohenden rip nicht hilflos ausgesetzt; er kann sich der Verböserung dadurch entziehen, dass er seinen Widerspruch zurücknimmt.183 Die materielle Befugnis der Widerspruchsbehörde zur rip ergibt sich nicht aus § 71 iVm § 68 VwGO; denn die verwaltungsprozessualen Vorschriften verhalten sich zur inhaltlichen Zulässigkeit der rip indifferent (→ Rn 69). Mangels spezialgesetzlicher Regelung wird die Heranziehung der §§ 48 ff VwVfG vorgeschlagen.184 Das ist schon deshalb unrichtig, weil jene Vorschriften Befugnisnormen der Ausgangsbehörde sind. Abzulehnen ist auch die entsprechende Anwendung der §§ 48 ff VwVfG auf die Widerspruchsentscheidung.185 Denn es geht im Widerspruchsverfahren nicht etwa um die Rücknahme oder den Widerruf eines VA, sondern um die Überprüfung des Ausgangsbescheids in einem förmlichen Rechtsbehelfsverfahren am Maßstab der „Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit“ (§ 68 I 1, II VwGO). Damit verweist das Gesetz auf das im konkreten Fall anzuwendende Bundesbzw Landesrecht („Rechtmäßigkeit“);186 hinzutritt – bei behördlichen Ermessens- oder Beurteilungsspielräumen – die nach Lage des Falles zu beurteilende Opportunität der Verwaltungsentscheidung („Zweckmäßigkeit“). Folglich gelangt in rechtlicher Hinsicht das im konkreten Fall maßgebliche materielle Recht (das an sich schon von der Ausgangsbehörde hätte korrekt vollzogen werden müssen) voll zur Anwendung. Materielle Rechtsgrundlage für den Widerspruchsbescheid sind demnach allein die für den Erlass des Ausgangsbescheids einschlägigen Rechtsvorschriften.187 Bei einer Änderung der Rechtslage ist das im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung maßgebliche materielle Recht zu beachten (→ Rn 64). Normiert es eine gebundene Verwaltungsentscheidung, verfügt die Widerspruchsbehörde (im Unterschied zur Heranziehung der §§ 48 ff VwVfG) über kein Ermessen; geht es um die Überprüfung eines ErmessensVA, sind die fachgesetzlichen Prägungen des Ermessens (und nicht etwa ein Rücknahme- oder Widerrufsermessen) auszuüben. Deshalb greifen auch die Vertrauensschutztatbestände der §§ 48, 49 VwVfG nicht ein; eine
181 BVerwG, NVwZ 1999, 1218, 1219 → JK VwGO § 71/2; bestätigend BVerwGE 115, 259, 266; VGH BW, NVwZ 1995, 1220, 1221 → JK VwVfG § 28 I/1; Dolde/Porsch in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, § 71 Rn 5; restriktiver Piontek JuS 2000, 1244, 1245. 182 VGH BW, VBlBW 2001, 313 → JK VwGO § 71/3. 183 BVerwG, NVwZ 1999, 1218, 1219 → JK VwGO § 71/2; Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen § 40 Rn 31. 184 So Schenke VerwPrR, Rn 694; Kopp/Schenke VwGO, § 68 Rn 10c; Kothe in: Redeker/v Oertzen, VwGO, § 68 Rn 20; Geis in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 68 Rn 228, 231 ff. 185 So aber Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 68 Rn 49; Rennert in: Eyermann, VwGO, § 68 Rn 18; nur „vergleichend“ sollen §§ 48, 49 VwVfG gelten nach Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 40 Rn 16; ähnlich Kastner in: Fehling/Kastner/Wahrendorf, VerwR, § 68 VwGO Rn 20. 186 VGH BW, VBlBW 2001, 313 → JK VwGO § 71/3; OVG RP, DVBl 1992, 787, 788 f; Meister JA 2002, 567, 570. 187 Hüttenbrink in: Posser/Wolff, VwGO, § 68 Rn 12.
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5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
Grenze findet die rip lediglich nach rechtsstaatlichen Direktiven im unantastbaren Kernbestand des Vertrauensschutzes sowie im Grundsatz von Treu und Glauben.188 73
In Fall 10 lag ein Verstoß gegen § 71 VwGO vor. Der VGH rechtfertigte die von der Widerspruchsbehörde unterlassene Anhörung mit dem wenig überzeugenden Hinweis, der Ausgangsbescheid sei unter dem Vorbehalt einer Nachprüfung ergangen.189 In der Sache lagen die Voraussetzungen der rip vor. Das RP hatte das Entgelt korrekt berechnet; da das RP Fachaufsichtsbehörde war, hatte es auf jeden Fall (→ Rn 70) die Entscheidungskompetenz zur rip.
IV. Rechtliche Folgen des Widerspruchsbescheids und Rechtsschutz 1. Bindungswirkung des Widerspruchsbescheids 74
Fall 11: Die Gemeinde G erlässt gegenüber X einen Erschließungsbeitragsbescheid, gegen den X Widerspruch erhebt. G hilft dem Widerspruch nicht ab. Die Widerspruchsbehörde hebt den Bescheid auf, weil nach Maßgabe des zwischen G und X geschlossenen Erschließungsvertrags (§ 124 BauGB) ein Beitrag nicht anfalle. Bürgermeister B von G verweist auf einen Rechtsirrtum der Widerspruchbehörde, da der Erschließungsvertrag hier gar nicht anwendbar sei und erlässt erneut einen Beitragsbescheid. X fragt nach der Rechtmäßigkeit.190
75
Mit der wirksamen Zustellung des Widerspruchsbescheids (§ 73 III 2 VwGO) findet das Widerspruchsverfahren seinen Abschluss.191 Die Widerspruchsbehörde hat durch VA eine rechtsverbindliche Entscheidung getroffen, an die die Beteiligten – vorbehaltlich eines gerichtlichen Vorgehens (Rn 79 ff) – gebunden sind. Als verfahrensabschließende Entscheidung steht der Widerspruchsbescheid nicht zur Disposition der Ausgangsbehörde; sie ist zur isolierten Rücknahme des Widerspruchsbescheids nicht befugt, sondern kann – um eine neue Entscheidungssituation herbeizuführen – lediglich ihre Sachentscheidung zurücknehmen.192 Der hierin liegenden Gefahr einer Entwertung des Widerspruchsverfahrens ist durch die Einschränkung zu begegnen, dass die Rücknahme des Ausgangsbescheids auf neue, nach Erlass des Widerspruchsbescheids gewonnene tatsächliche oder rechtliche Erkenntnisse gestützt werden muss.193
188 BVerwGE 51, 310, 315; abl (unter Hinweis auf die Rechtsschutzfunktion des Widerspruchs) Lindner DVBl 2009, 224, 225 f. 189 Zutreffende Kritik dazu bei Ehlers Die Verwaltung 37 (2004), 255, 286. 190 Fall nach OVG NRW, NVwZ-RR 2003, 327. 191 OVG NRW, NVwZ-RR 2005, 450 u 451. 192 BVerwG, NVwZ 2002, 1252 → JK VwVfG § 48 I/1; Engst JURA 2006, 166, 172. 193 Clausing JuS 2003, 170, 172; Uhle NVwZ 2003, 811, 812 f – andernfalls ermessensfehlerhafte Rücknahme des VA.
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In Fall 11 missachtete B die Bindungswirkung des Widerspruchsbescheids und handelte daher rechtswidrig. Das OVG stellte fest: Solange der Widerspruchsbescheid wirksam und die Begründung, die zur Aufhebung des Ausgangsbescheids geführt hat, nicht überholt ist, darf die Ausgangsbehörde wegen der Bindungswirkung des Widerspruchsbescheids einen Ausgangsbescheid nicht erneut erlassen.
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Gebunden an ihren Widerspruchsbescheid ist mit dem Abschluss des Widerspruchsverfahrens (dh nach Zustellung) auch die Widerspruchsbehörde selbst. Die durch den Devolutiveffekt bewirkte Zuständigkeit der Behörde (→ Rn 43) ist beendet. Eine sachliche Änderung des Widerspruchsbescheids ist der Widerspruchsbehörde nach erfolgter Zustellung folglich untersagt.194
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2. Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz Fall 13: Der Beamte B, Vater mehrerer Kinder, ist mit seiner Besoldung nicht einverstanden. Gegenüber seinem Dienstherrn „beanstandete“ B schriftlich vor drei Jahren, dass seine Besoldung angesichts der Zahl seiner Kinder nach der Rechtsprechung des BVerfG zu niedrig sei. Nun tritt ein Besoldungsanpassungsgesetz in Kraft. B erhält eine Nachzahlung kinder-
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Bleibt der Widerspruchsführer mit seinem Widerspruch erfolglos, kann er sein Begehren mit einer Klage beim VG weiterverfolgen. Bei der Anfechtungsklage ist Gegenstand grundsätzlich der ursprüngliche VA in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat (§ 79 I Nr 1 VwGO). Dies gilt auch dann, wenn der Widerspruchsbescheid inhaltliche Fehler aufweist, die im Ausgangsbescheid noch nicht enthalten waren.196 Der Grund für diesen auf den ersten Blick überraschenden Befund liegt im System der §§ 78 I, 79 I Nr 1 VwGO. Danach schlagen Fehler (zB rechtswidrige Ermessenserwägungen) der Widerspruchsbehörde auf den Ausgangsbescheid durch, so dass die Ausgangsbehörde bzw ihr Rechtsträger für den Rechtsfehler einstehen muss und den Prozess verliert.197 Die isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheids (→ § 22 Rn 26 ff) kommt nur unter den engen Voraussetzungen gemäß § 79 I Nr 2 oder II VwGO in Betracht. In der Situation der Verpflichtungsklage (Versagungsgegenklage, § 68 II VwGO) wird die Verurteilung der Behörde bzw des Verwaltungsträgers zum Erlass des beantragten VA begehrt (§§ 42 I, 113 V VwGO). Bleibt die Widerspruchsbehörde (oder die Ausgangsbehörde) untätig und entscheidet nicht über den ihr vorliegenden Widerspruch (bzw Antrag), ist das Widerspruchsverfahren unter den Voraussetzungen des § 75 VwGO entbehrlich (→ § 23 Rn 29), und der
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194 BVerwGE 58, 100, 105; VGH BW, VBlBW 1995, 137, 138 und VBlBW 1995, 359, 360; Engst JURA 2006, 166, 172; ferner Uhle NVwZ 2003, 811, 815 f mit aA bei Identität von Ausgangsund Widerspruchsbehörde. 195 Fall nach VGH BW, DVBl 1994, 707 → JK VwGO § 75/2. 196 VGH BW, NVwZ 1990, 1085 (m abl Bespr Kopp JuS 1994, 742); SächsOVG, NVwZ-RR 2002, 409, 410 → JK VwGO § 79 I/1; SächsOVG, SächsVBl 2002, 91, 94; Pietzcker in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 79 Rn 3. 197 Clausing JuS 2003, 170, 171.
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Widerspruchsführer kann Untätigkeitsklage erheben.198 Dabei handelt es sich nicht um eine eigene Klageart, sondern um einen Unterfall derjenigen Klagen, bei denen vor Klageerhebung an sich ein Widerspruchsverfahren durchzuführen ist.199 Umstritten ist, ob der Widerspruchsführer – unabhängig von § 75 VwGO – einen Anspruch auf Erlass des Widerspruchsbescheids hat und diesen Anspruch ggf gerichtlich durchsetzen kann. Dies wird verschiedentlich unter Hinweis auf § 75 S 1 VwGO sowie mit der Erwägung verneint, § 73 I 1 VwGO normiere nur eine objektive Verpflichtung der Behörde, aber kein einklagbares subjektives Recht; etwas Anderes könne sich beim VA mit Drittwirkung im Baunachbarrecht ergeben.200 Richtig ist das in dieser Allgemeinheit nicht. Bei Ermessensentscheidungen verlöre der Widerspruchsführer ohne Widerspruchsverfahren sein aus § 68 I 1 bzw II VwGO folgendes Recht auf Überprüfung der Zweckmäßigkeit des VA; Entsprechendes gilt beim VA auf Grund einer Beurteilungsermächtigung. Aus § 68 I 1 VwGO („sind … nachzuprüfen“) iVm § 73 I 1 VwGO („so ergeht“) ergibt sich ein Anspruch des Widerspruchsführers auf Erlass eines Widerspruchbescheids, § 75 VwGO eröffnet nur die zusätzliche Möglichkeit der sofortigen Klageerhebung; für Klagen auf die Widerspruchsbescheidung fehlt aber grundsätzlich das Rechtsschutzbedürfnis (weil nach § 75 VwGO unmittelbar das Hauptsachebegehren verfolgt werden kann), es sei denn, es geht um Entscheidungen nach behördlichem Ermessen oder Beurteilungsspielraum.201 In Fall 12 nahm der VGH (rechtsdogmatisch zu Unrecht) einen Ausnahmefall an und bejahte den Anspruch auf Erlass eines Widerspruchsbescheids aus materiellrechtlichen Gründen wegen des nach der LBO bestehenden Anspruchs auf Erteilung einer Baugenehmigung. Da nur eine bestandskräftige Baugenehmigung eine vollwertige Genehmigung sei, könne E ausnahmsweise einen Anspruch auf Erlass eines Widerspruchsbescheids geltend machen und gerichtlich einklagen.
V. Das Widerspruchsverfahren als gerichtliche Sachentscheidungsvoraussetzung 1. Widerspruchsverfahren als gerichtliches Vorverfahren 83
Fall 13: Der Beamte B, Vater mehrerer Kinder, ist mit seiner Besoldung nicht einverstanden. Gegenüber seinem Dienstherrn „beanstandete“ B schriftlich vor drei Jahren, dass seine Besoldung angesichts der Zahl seiner Kinder nach der Rechtsprechung des BVerfG zu niedrig sei. Nun tritt ein Besoldungsanpassungsgesetz in Kraft. B erhält eine Nachzahlung kinder-
198 Das gilt nach VGH BW, VBlBW 2004, 190 nicht, wenn eine Behörde einen Widerspruch als Neuantrag in gleicher Sache gewertet und einen Ablehnungsbescheid erlassen habe; dann sei die Behörde nicht „untätig“ geblieben, und der Betroffene sei auf den Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid verwiesen. 199 Deckenbrock/Patzer JURA 2003, 476, 481. 200 VGH BW, DVBl 1994, 707 → JK 95, VwGO § 75/2; Hain DVBl 1999, 1544, 1549; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 176. 201 v Schledorn NVwZ 1995, 250 f; Schenke DÖV 1996, 529 ff; ders VerwPrR, Rn 262, 683; Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO Vorb § 68 Rn 15; Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 24 Rn 17 f; Kopp/Schenke VwGO, vor § 68 Rn 13.
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Widerspruchsverfahren
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bezogener Gehaltsbestandteile nur rückwirkend zum Jahresbeginn; seine Beanstandung wurde abschlägig beschieden. B will sofort die Nachzahlung auch für die Jahre davor einklagen. Ist dies zulässig? 202
Fall 14: A betreibt auf einem im Eigentum des V-Vereins stehenden Grundstück eine Schule. Durch einen an V „zH A“ gerichteten Bescheid (mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung) ordnete die zuständige Bauaufsichtsbehörde die Beseitigung eines illegal auf dem Schulgrundstück angelegten Sportplatzes an. Rechtsanwalt R erhob fünf Wochen später für V Widerspruch, der wegen Versäumung der Widerspruchsfrist als unzulässig zurückgewiesen wurde. Dagegen klagt A beim VG. Ist die Klage zulässig? 203
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Da vor Erhebung der Anfechtungsklage (§ 68 I 1 VwGO) und vor Erhebung der Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage (§ 68 II VwGO) der VA bzw seine Ablehnung seitens der Verwaltung nochmals zu überprüfen ist, fungiert das Widerspruchsverfahren aus prozessrechtlicher Perspektive als gerichtliches Vorverfahren (→ § 22 Rn 30 ff u § 23 Rn 27 ff). Seine erfolglose Durchführung ist eine von Amts wegen zu prüfende Sachentscheidungsvoraussetzung von Anfechtungs- und Verpflichtungsklage; 204 ohne das erforderliche Vorverfahren ist die Klage unzulässig. Dies gilt auch bei spezialgesetzlich angeordneter Notwendigkeit des Vorverfahrens im Fall der allgemeinen Leistungs- oder Feststellungsklage (vgl § 126 III BRRG bzw § 54 II BeamtStG, § 126 II BBG). Dabei genügt es nicht, dass das Vorverfahren im Ergebnis erfolglos war. Es muss auch ordnungsgemäß in dem Sinne durchgeführt worden sein, dass der Widerspruchsführer die an ihn adressierten Vorschriften (§§ 68 bis 70 VwGO) eingehalten hat.205 Der Widerspruch muss demzufolge insbesondere formgerecht und fristgemäß erhoben werden. Vor allem die Wahrung der Widerspruchsfrist ist nicht nur eine Zulässigkeitsvoraussetzung für den Widerspruch (→ Rn 19 ff), sondern auch für die Klage.206 Diese gesetzliche Anforderung wird von der Rechtsprechung unterlaufen, soweit sie der Verwaltung auf Grund deren „Sachherrschaft“ die Befugnis zugesteht, auch beim verfristeten Widerspruch eine Sachentscheidung zu treffen und dadurch die gerichtliche Sachprüfung wieder zu eröffnen (→ Rn 32). Als Sachentscheidungsvoraussetzung kann das erfolglos durchgeführte Vorverfahren bis zur gerichtlichen Entscheidung über die Klage nachgeholt werden.207
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202 Fall nach BVerwGE 114, 350. 203 Fall nach OVG Berlin, NVwZ-RR 1998, 270. 204 VGH BW, NVwZ-RR 2006, 154; Geis/Hinterseh JuS 2001, 1074, 1075; Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzer VwGO, Vorb § 68 Rn 3. 205 VG Düsseldorf, NWVBl 1998, 286, 287; Geis/Hinterseh JuS 2001, 1074, 1076; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 397. – Bei Verletzung der an die Verwaltung adressierten Vorschriften (§§ 71 bis 73 VwGO) kann eine Klage begründet sein. 206 BVerwG, NJW 1983, 1923; NVwZ 1989, 648, 649; OVG NRW, NVwZ-RR 1995, 623; unzutr BVerwG, NVwZ 1983, 608 → JK VwGO § 70/4. 207 BVerwG, DVBl 1984, 91, 92.
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In Fall 13 musste B unabhängig von der Klageart und dem Vorliegen eines VA in jedem Fall Widerspruch erheben (§ 126 III BRRG/§ 54 II BeamtStG bzw § 126 II BBG bei Bundesbeamten). Der Widerspruch könne auch, so das BVerwG, gegen eine Amtshandlung ohne VA-Qualität und sogar „gegen ein behördliches Unterlassen gerichtet werden“. Die „Beanstandung“ von B genüge den inhaltlichen Anforderungen an einen Widerspruch; auf die Bezeichnung komme es nicht an (allg → Rn 7). Die Klage war danach zulässig.
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In der Konstellation von Fall 14 war die Klage von A unzulässig, weil er vor Klageerhebung nicht erfolglos ein Widerspruchsverfahren durchgeführt hatte. A hatte auch nicht versucht, das Vorverfahren bis zur Entscheidung des VG nachzuholen. A konnte ferner nicht den Widerspruch von V zu seinem eigenen Rechtsbehelf umdeklarieren. Selbst wenn dies möglich gewesen wäre, war dieser Widerspruch verfristet; A hatte in demselben Zeitpunkt wie V sichere Kenntnis von der Verfügung, musste also innerhalb der Monatsfrist Widerspruch erheben.
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Bei berufsbezogenen Prüfungen verlangt die Rechtsprechung wegen des Grundrechtsschutzes nach Art 12 I GG – als notwendigen Ausgleich für die Zurücknahme der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle von Prüfungsentscheidungen 208 – vor Klageerhebung ein verwaltungsinternes Kontrollverfahren. Dies müsse nicht unbedingt das Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff VwGO sein; es genüge auch ein anderes verwaltungsinternes wirkungsvolles Kontrollverfahren.209 Prüflinge müssen die Möglichkeit haben, in einem verwaltungsinternen Verfahren auf (vermeintliche) Irrtümer und Rechtsfehler bei der Bewertung von Prüfungsleistungen rechtzeitig und wirkungsvoll hinzuweisen und damit ein Überdenken zu erreichen.210 Ist das verfassungsrechtlich gebotene Verfahren des „Überdenkens“ nicht näher geregelt (zB im JAG oder in der JAPO), findet es im Rahmen des Widerspruchsverfahrens statt.211 Die angegriffene Prüfungsentscheidung ist von der – an der Prüfung nicht beteiligten – Kontrollinstanz (Widerspruchsbehörde) keiner vollständigen Nachprüfung zu unterziehen; wie von den Gerichten im Prozess ist der behördliche Beurteilungsspielraum bezüglich der prüfungsspezifischen Bewertungen (nicht jedoch: fachwissenschaftlichen Beurteilungen) auch in dem verwaltungsinternen Kontrollverfahren zu beachten.212 Wird das „Überdenkungsverfahren“ aus dem Widerspruchsverfahren ausgegliedert und zB (bei juristischen Prüfungen) in ein spezielles JAPO-Verfahren gefasst, bestehen nicht unerhebliche Gestaltungsbefugnisse des Normgebers zur Formung dieses spezifischen Verfahrens.213
208 Vgl dazu Schoch JURA 2004, 612, 616 f. 209 BVerwGE 92, 132 → JK GG Art 12 I/32; krit dazu P. Becker, NVwZ 1993, 1129, 1135: Widerspruchsverfahren notwendig. 210 BVerfGE 84, 34, 48; OVG MV, LKV 2003, 565; OVG RP, NJW 2003, 3073, 3074. 211 VGH BW, VBlBW 2005, 100, 101. 212 Engst JURA 2006, 166, 169. – Instruktiv zur Neubewertung juristischer Prüfungsleistungen BVerwG, NJW 2003, 1063 → JK GG Art 12 I/70; zu Obliegenheiten des Prüflings im Vorverfahren mit Blick auf eine mögliche „Präklusion“ im Prüfungsprozess Linke NVwZ 2006, 1382 ff. 213 OVG MV, LKV 2003, 565; OVG RP, NJW 2003, 3073, 3074.
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2. Entbehrlichkeit eines (ordnungsgemäßen) Vorverfahrens Fall 15: Als F, dem die Fahrerlaubnis entzogen worden war, von der Polizei im Straßenverkehr „erwischt“ wurde, beschlagnahmte die Polizei das Kfz. F legte gegen die Beschlagnahme (Sicherstellung) mündlich Widerspruch ein, drei Wochen später klagte F beim VG und beantragte die Aufhebung der Beschlagnahme (Sicherstellung) sowie die Herausgabe des Kfz. Behördlicherseits wurde unter Darlegung der Sach- und Rechtslage die Abweisung der Klage als unbegründet beantragt. Darf das VG eine Sachentscheidung treffen? 214
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Fall 16: Ein Bauantrag von E wurde seitens der Bauaufsichtsbehörde abschlägig beschieden, nachdem die Gemeinde ihr erforderliches Einvernehmen nach § 36 BauGB versagt hatte. Fünf Wochen später erhob E gegen den in formeller Hinsicht ordnungsgemäßen Bescheid Widerspruch und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Widerspruchsfrist. Die Widerspruchsbehörde gewährte – ohne dass die Voraussetzungen vorlagen – die Wiedereinsetzung und wies den Widerspruch als unbegründet zurück. Wäre eine Klage von E beim VG zulässig? 215
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Vor Klageerhebung muss ein erfolglos gebliebenes Widerspruchsverfahren nicht durchgeführt werden, wenn das Gesetz das Vorverfahren für entbehrlich erklärt. Das ist grundsätzlich bei einem VA einer obersten Bundes- oder Landesbehörde der Fall (§ 68 I 2 Nr 1 VwGO), ferner bei einer erstmaligen Beschwer im Abhilfe- oder Widerspruchsbescheid (§ 68 I 2 Nr 2 VwGO) und schließlich in allen sonstigen gesetzlich bestimmten Fällen (§ 68 I 2 vor Nr 1 VwGO). Wurde ein VA von einer obersten Bundes- oder Landesbehörde erlassen, fehlt ein „Instanzenzug“, der den Widerspruch immer als sinnvoll und notwendig erscheinen ließe; etwas anderes gilt kraft gesetzlicher Anordnung, wenn ein Widerspruchsverfahren auch dann durchgeführt werden muss, falls die Entscheidung von einer obersten Bundes- oder Landesbehörde erlassen worden ist.216 Enthält ein Abhilfe- oder ein Widerspruchsbescheid erstmalig eine Beschwer, würde ein nochmaliger Widerspruch kaum Sinn machen; Anwendungsfälle sind insoweit der VA mit Drittwirkung und die rip.
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a) Gesetzlicher Ausschluss des Vorverfahrens Der spezialgesetzliche Ausschluss des Vorverfahrens nach § 68 I 2 vor Nr 1 VwGO wirkt für das Bundesrecht deklaratorisch,217 für das Landesrecht fungiert jene Bestimmung als gesetzliche Ermächtigung. Bislang haben die meisten Länder kaum bzw eher zurückhaltend von der Öffnungsklausel des § 68 I 2 Nr 1 VwGO Gebrauch gemacht.218 Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass im Landesrecht ein Trend zur weitgehenden Abschaffung
214 Fall nach VGH BW, NVwZ-RR 1992, 184. 215 Fall nach VGH BW, VBlBW 2001, 487 → JK VwGO § 70/5. 216 § 126 III Nr 1 BRRG, § 54 II 2 BeamtStG, § 126 II BBG. – Ferner zB im Informationsfreiheitsrecht § 9 IV 2 IFG, § 6 II UIG, § 4 IV 1 VIG; dazu Schoch IFG, 2009, § 9 Rn 73. 217 Es gilt ohnehin die lex specialis-Regel; Beispiele sind etwa §§ 70, 74 I 2 VwVfG, § 83 II AufenthG, § 11 AsylVfG, § 137 II TKG. 218 § 15 AGVwGO BW (Entscheidungen des RP); § 4 II AGVwGO Bln (zT im AufenthR); § 6 II HbgAGVwGO (bestimmte Einzelmaterien); §§ 8a, 8b ThürAGVwGO (bestimmte Einzelfälle).
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des Widerspruchsverfahrens eingesetzt hat.219 In Bayern entfällt das Vorverfahren nach § 68 VwGO grundsätzlich (Art 15 II BayAGVwGO), bei etlichen Sachmaterien besteht ein Wahlrecht zwischen der Einlegung eines Widerspruchs und der unmittelbaren Klageerhebung (Art 15 I BayAGVwGO).220 Hessen hat das Vorverfahren weitgehend abgeschafft (§ 16a HessAGVwGO). In Mecklenburg-Vorpommern entfällt das Vorverfahren in bestimmten Fällen (§ 13b AGGerStrG MV), in anderen Fällen besteht ein Wahlrecht zwischen dem Widerspruch und der unmittelbaren Klageerhebung (§ 13a AGGerStrG MV).221 Niedersachsen verzichtet auf das Widerspruchsverfahren weitgehend, soweit es um VA geht, die zwischen dem 1.1.2005 und dem 31.12.2009 bekannt gegeben worden sind (§ 8a NdsAGVwGO).222 Dasselbe gilt in Nordrhein-Westfalen für VA, deren Bekanntgabe zwischen dem 1.11.2007 und dem 31.10.2012 liegt (§ 6 AGVwGO NRW).223 SachsenAnhalt schreibt den Ausschluss des Vorverfahrens (von etlichen Ausnahmen abgesehen) in den Fällen des § 73 I 2 Nr 2 u 3 VwGO vor, falls Ausgangs- und Widerspruchsbehörde in jenen Konstellationen identisch sein sollten (§ 8a AGVwGO LSA).224 Die (weitgehende) Abschaffung des Widerspruchsverfahrens (in immer mehr Ländern) wird (rechts)politisch auf den Willen der Verfahrensbeschleunigung und der Kostensenkung gestützt; außerdem hätten empirische Untersuchungen gezeigt, dass die im Rahmen des § 68 VwGO vorgesehene Selbstkontrolle der Verwaltung (→ Rn 4) in der Praxis defizitär ausgeübt worden sei.225 Ob diese Erwägungen überzeugen oder ob bei festgestellten Mängeln nicht eher eine Reform des Widerspruchsverfahrens angezeigt wäre,226 muss nach der lex lata dahinstehen. Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die (teilweise) Abschaffung des Widerspruchsverfahrens bestehen nicht.227 Denn keine Verfassungsnorm gebietet die verwaltungsinterne Nachprüfung eines VA in einem gerichtlichen Vorverfahren.228 Auch die Kompetenz des Landesgesetzgebers ist nicht (mehr) zweifelhaft, nachdem die frühere Einschränkung „für besondere Fälle“ in § 68 I 2 vor Nr 1 VwGO gestrichen worden ist.229
219 Näher dazu Rüssel NVwZ 2006, 523 ff; Allesch in: GS Kopp, 2007, 16 ff; Härtel VerwArch 98 (2007), 54 ff; Holzner DÖV 2008, 217 ff; Biermann DÖV 2008, 395 ff; Beaucamp/Ringermuth DVBl 2008, 426 ff; Dolde/Porsch VBlBW 2008, 428 ff. 220 Unterreitmeier BayVBl 2007, 609 ff; Heiß/Schreiner BayVBl 2007, 616 ff; Hüffer BayVBl 2007, 619 ff; Geiger BayVBl 2008, 161 ff. 221 Biermann NordÖR 2007, 139, 144 ff. 222 v Nieuwland NdsVBl 2007, 38 ff; Meyer NdsVBl 2009, 7 ff. 223 Kamp NWVBl 2008, 41 ff; Kallerhoff NWVBl 2008, 334 ff; Fehrmann NWVBl 2008, 384 ff. 224 Schneider LKV 2004, 207 ff. 225 D. Oppermann Die Verwaltung 30 (1997), 517, 523 ff; Klüsener NVwZ 2002, 816 ff; Allesch GS Kopp (Fn 219), 29 f; Kamp NWVBl 2008, 41, 44, 45; Kallerhoff NWVBl 2008, 334, 336; Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 68 Rn 16 f; ausf MüllerGrune Abschaffung des Widerspruchsverfahrens, 2007. 226 Härtel VerwArch 98 (2007), 54, 67 ff; Hufen VerwPrR, § 5 Rn 4 f. 227 BayVerfGH, BayVBl 2007, 79 ff; NVwZ 2009, 716 ff; zT aA Geiger BayVBl 2008, 161 ff; Holzner DÖV 2008, 217, 221 ff. 228 BVerfGE 35, 65, 73; 60, 253, 291. – Unberührt davon ist die speziell für berufsbezogene Prüfungen aus Art 12 I GG abgeleitete Pflicht zur Durchführung eines verwaltungsinternen Kontrollverfahrens (→ Rn 89). 229 Ausf zur Gesamtproblematik Schoch in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, GVwR III, § 50 Rn 348 ff; ferner Steinbeiß-Winkelmann NVwZ 2009, 686 ff.
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b) Richterrechtliche Ausnahmen vom Erfordernis eines Vorverfahrens Soweit der Ausschluss des Vorverfahrens angeordnet oder die Erhebung des Widerspruchs im Optionenmodell zur Wahl des Rechtsschutzsuchenden gestellt ist (→ Rn 93), bedeutet der Verzicht auf das Vorverfahren das Absehen von einer bestimmten Sachentscheidungsvoraussetzung bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (→ § 22 Rn 30 ff u § 23 Rn 27 ff). In der Perspektive des Verwaltungsverfahrensrechts (→ Rn 1) bewirkt die gesetzliche Abschaffung des Vorverfahrens die Unzulässigkeit des Widerspruchs als außergerichtlicher Rechtsbehelf.230 Hinzu treten richterrechtlich geschaffene Ausnahmen vom Erfordernis des Vorverfahrens (→ Rn 96). Unabhängig von der (schwachen) Überzeugungskraft dieser Judikatur führen die richterrechtlichen Ausnahmen nicht zur Unzulässigkeit, sondern lediglich zur Entbehrlichkeit eines gleichwohl erhobenen, statthaften Widerspruchs.231 Die Rechtsprechung hat praeter legem aus „Gründen der Prozessökonomie“ neben § 68 I 2 VwGO weitere Ausnahmen von der an sich notwendigen (ordnungsgemäßen) Durchführung eines Vorverfahrens zugelassen. Der wichtigste Anwendungsfall ist die sog rügelose Einlassung auf die Sache. Danach soll das Vorverfahren entbehrlich sein, wenn sich die Verwaltung(sbehörde) sachlich auf die Klage eingelassen und deren Abweisung als unbegründet beantragt hat.232 Diese Erfindung der Rechtsprechung ist – da die Regelung des Vorverfahrens (§§ 68 ff VwGO) zwingendes Recht ist – bedenklich 233 und erscheint allenfalls nachvollziehbar, wenn Widerspruchsbehörde und Beklagter identisch sind.234 Weitere Beispiele des kraft Richterrechts entbehrlichen Vorverfahrens sind die Änderung einer behördlichen Ermessensentscheidung 235 und die Gewissheit, dass sich an der Haltung der Verwaltung bei Erhebung eines Widerspruchs nichts ändern würde.236 Diesen und ähnlichen Ausnahmen geht es darum, das Vorverfahren nicht zu einer leeren Förmelei werden zu lassen, wenn sein Zweck schon auf andere Weise erreicht worden ist oder nicht (mehr) erfüllt werden kann. Selbst wenn diese ratio akzeptiert wird, kommt eine über § 68 I 2 VwGO hinausgehende Entbehrlichkeit des Vorverfahrens gleichwohl nur in eng begrenzten Ausnahmekonstellationen in Betracht.237 Denn mit „Gründen der Prozessökonomie“ können – entgegen der richterlichen Gesetzesbindung (Art 20 III, 97 I GG) – dem Richter nicht genehme Verfahrensvorschriften willkürlich ignoriert werden. Ein Beispiel für den sachangemessenen Verzicht auf ein (erneutes) Vorverfahren ist die Situation der Rechtsnachfolge; so wurde erkannt, dass der Erwerber eines die Klagebefugnis gegen einen VA vermittelnden Gegenstandes vor der Klageerhebung kein eigenes Widerspruchsverfahren durchführen müsse, soweit die auf den Erwerbsgegenstand bezogene Beschwer bereits Gegenstand eines Widerspruchs seines Rechtsvorgängers gewesen sei, weil der Erwerber in die Verfahrensposition seines Rechtsvorgängers einrücke.238 230 Kopp/Schenke VwGO, § 68 Rn 16. 231 Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 31 Rn 31; Rennert in: Eyermann, VwGO, § 68 Rn 30. 232 BVerwG, DVBl 1984, 91; BayVBl 1990, 667; NVwZ 1995, 76, 77; VGH BW, VBlBW 2004, 187; BayVGH, BayVBl 1983, 309; OVG MV, LKV 1995, 255; ThürOVG, NVwZ-RR 1999, 488. 233 Kritik zusammenfassend Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 68 Rn 29. 234 VGH BW, NVwZ-RR 1992, 184, 185. 235 BVerwGE 85, 163 (sogar bei fehlender Identität von Widerspruchsbehörde und Ausgangsbehörde). 236 OVG SH, NVwZ-RR 2001, 589, 590. 237 H. Hofmann FS Menger (Fn 2), 616 (zB bloße Abänderung, Ersetzung oder Wiederholung einer Regelung). 238 BVerwG, DVBl 2006, 1246, 1247.
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In Fall 15 fehlte es an der formgerechten Erhebung des Widerspruchs (§ 70 I 1 VwGO). Der VGH hielt das gesetzlich angeordnete Vorverfahren dennoch für entbehrlich, weil sich der Beklagte sachlich auf die Klage eingelassen hatte, ohne das Fehlen des ordnungsgemäßen Vorverfahrens zu rügen. Das VG durfte danach zur Sache entscheiden.
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In Fall 16 erklärte der VGH die Klage für zulässig, weil die Widerspruchsbehörde durch die Sachentscheidung den Mangel der Fristversäumung geheilt habe. Aus welchem Grund dies geschehen sei und ob sich die Behörde dabei über das ihr zustehende Ermessen bewusst gewesen sei, sei unbeachtlich.
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Die erwähnte Judikatur (Rn 96 ff) fügt sich nahtlos in die Rechtsprechung zur Sachentscheidungsbefugnis der Widerspruchsbehörde bei verfristetem Widerspruch (→ Rn 32) ein. Sie steht aber in einem gewissen Gegensatz zu der früheren Auffassung, das Recht auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 70 II iVm § 60 VwGO) sei eine die Zulässigkeit der Klage betreffende verfahrensrechtliche Frage.239 Auch dies zeigt, dass die richterrechtlichen Ausnahmen vom Erfordernis eines Vorverfahrens nur schwer vorhersehbar sind und offenbar stark von den Umständen des Einzelfalles geprägt werden.240
239 BVerwG, NJW 1983, 1923. 240 Systematisierungsversuche bei Geis in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 68 Rn 159 ff; Kopp/Schenke, § 68 Rn 23 ff; Rennert in: Eyermann, VwGO, Rn 28 ff.
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§ 21 Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutzanträge Dirk Ehlers I. Unterscheidung von Zulässigkeit und Begründetheit 1. Erforderlichkeit der Unterscheidung Fall 1: Nachbar A wendet sich nach erfolglosem Widerspruchsverfahren mit einer verwaltungsgerichtlichen Klage gegen die dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung, weil er den geplanten Bau als überaus hässlich empfindet und befürchtet, dass darunter seine eigene Wohnqualität leiden wird. Wie wird das VG entscheiden?
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Förmliche Rechtsbehelfe, dh Klagen oder prozessuale Rechtsmittel respektive Rechtsbehelfsanträge (etwa nach den §§ 47, 80 V, 80a III, 123 VwGO), können – im Gegensatz zu den nicht förmlichen Rechtsbehelfen wie Gegenvorstellungen, Aufsichtsbeschwerden oder den sich gegen das persönliche Verhalten eines Verwaltungsbediensteten richtenden Dienstaufsichtsbeschwerden 1 – nur Erfolg haben, wenn sie zulässig und begründet sind. Sinn der Unterscheidung von Zulässigkeit und Begründetheit ist es, das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen (Zulässigkeitsvoraussetzungen) vorab zu klären. Die Unterscheidung von Zulässigkeit und Begründetheit liegt auch der VwGO zugrunde, wie sich etwa aus den §§ 42 II, 75, 91 I, 109, 142 I VwGO einerseits sowie der – Begründetheitsanforderungen normierenden – Bestimmung des § 113 VwGO andererseits ergibt. Nicht zu folgen ist der Ansicht, dass die Eröffnung des Rechtswegs vor der Zulässigkeit und Begründetheit des Rechtsschutzbegehrens (dh der Klage oder des Rechtsschutzantrags) zu prüfen ist 2, statt einem zwei- somit ein dreistufiger Prüfungsaufbau gewählt werden muss oder sollte. Die Ansicht von der Notwendigkeit eines dreistufigen Prüfungsaufbaus wird darauf gestützt, dass bei Nichteröffnung des Rechtswegs oder fehlender (sachlicher, örtlicher respektive instanzieller) Zuständigkeit das Gericht die Klage nicht als unzulässig abweisen darf, sondern gem §§ 173 S 1 VwGO, 17a II 1 GVG ggf iVm § 83 S 1 VwGO an „das zuständige Gericht zulässigen Rechtswegs“ respektive an das zuständige Gericht von Amts wegen (und nicht nur auf Antrag) verweisen muss.3 Das angerufene Gericht hat jedoch nicht allgemein über die Zulässigkeit einer erhobenen Klage, sondern nur darüber zu entscheiden, ob die bei ihm anhängig gemachte Klage zulässig ist. Falls der Rechtsweg nicht eröffnet oder die Zuständigkeit des Gerichts nicht gegeben ist, fehlt es an einer Sachentscheidungsund damit an einer Zulässigkeitsvoraussetzung: dh an einer Bedingung, die erfüllt sein muss, damit das angerufene Gericht über das Rechtsschutzbegehren in der Sache verhan-
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1 Vgl Schenke VerwPrR, Rn 2 ff. 2 Vgl Hufen VerwPrR, § 10 Rn 1; ferner Ipsen Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl 2007, Rn 1165; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 237. 3 Schon der Sprachgebrauch des § 17a II 1 GVG („Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig …“) deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber die Eröffnung des Rechtswegs als Zulässigkeitsvoraussetzung angesehen hat. Im Ergebnis wie hier Fischer JURA 2003, 748 ff mwN.
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deln, Beweis erheben und entscheiden darf. Zudem wäre eine Vorabprüfung des Rechtswegs und der Zuständigkeit des Gerichts auch deshalb verfehlt, weil andere Zulässigkeitsvoraussetzungen (wie das Bestehen der deutschen Gerichtsbarkeit) vorrangig sein können und weil eine Verweisung nach § 17a II 1 GVG zB auch beim Vorliegen einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit iSd § 40 I 1 VwGO oder bei der Erhebung einer Normenkontrolle nicht in Betracht kommt. Zulässigkeitsvoraussetzungen sind vorrangig zu prüfen.4 Es ist daher dem VG zumindest grundsätzlich auch dann nicht erlaubt, Zulässigkeitsfragen offen zu lassen, wenn der Rechtsschutzantrag offensichtlich unbegründet ist. Ist etwa der Rechtsweg nicht gegeben, widerspräche eine Sachentscheidung dem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 101 I 2 GG). Auch kann es für die Rechtskraft einen Unterschied ausmachen, ob eine Klage durch Prozessurteil (als unzulässig) oder durch Sachurteil (als unbegründet) abgewiesen wird. Allenfalls wenn keine Konsequenzen davon abhängen, ob ein Rechtsbehelf als unzulässig oder unbegründet abgewiesen wird, und es Schwierigkeiten bereitet zu entscheiden, ob der Rechtsbehelf bereits unzulässig oder nur unbegründet ist, könnte daran gedacht werden, die Frage der Zulässigkeit dahingestellt sein zu lassen.5 Auf die Zulässigkeit kommt es ausnahmsweise nicht an, wenn das Rechtsschutzverfahren durch Erklärung eines Beteiligten oder beider Beteiligten in der Hauptsache beendet worden ist: zB durch Klagerücknahme (§ 92 VwGO), Prozessvergleich (§ 106 VwGO) oder übereinstimmende Erledigungserklärung (§ 161 II VwGO).6 Lösung Fall 1: Da die Baugenehmigung ein VA ist, hat A eine verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage erhoben. Die Zulässigkeit der Anfechtungsklage setzt gem § 42 II VwGO ua voraus, dass der Kläger geltend machen kann, in seinen Rechten verletzt zu sein. Dies zu beurteilen kann uU Schwierigkeiten bereiten. Vielleicht steht aber fest, dass die Baugenehmigung rechtmäßig ist. Dann könnte das Gericht daran denken, die Klage als unbegründet abzuweisen. Indessen darf nicht zur Begründetheitsprüfung „durchgestartet“ werden. Gem § 42 II VwGO ist die Klage, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, „nur zulässig“, wenn die Klagebefugnis gegeben ist. Erst wenn die Zulässigkeit feststeht, stellt sich die Begründetheitsfrage. § 42 II VwGO verlangt die Möglichkeit einer Rechtsverletzung. A müsste sich daher auf ein subjektives öffentliches Recht berufen können, das möglicherweise verletzt ist. Ein subjektives Recht ist nur gegeben, wenn eine Regelung auch den Interessen der Nachbarn zu dienen bestimmt ist. Solche Normen sind hier nicht ersichtlich. Bauästhetische Vorschriften dienen nicht dem Schutz der Nachbarn. Auf Art 14 I GG kann sich A nicht stützen, weil der Inhalt des Eigentums durch die Gesetze bestimmt wird (Art 14 I 2 GG), eine gesetzliche Position hier aber nicht vorhanden ist. Somit ist die Klage des A unzulässig. Das VG darf sich mit der Frage, ob die Baugenehmigung rechtmäßig oder rechtswidrig ist, nicht befassen.
4 HM, statt vieler Stern/Blanke VerwPrR, Rn 129 f; aA zB Rimmelspacher Zur Prüfung von Amts wegen im Zivilprozess, 1966, 92 ff, 136, 143 f. 5 Vgl BVerwG, DÖV 1968, 214; BFH, BayVBl 1988, 219; Sendler DVBl 1982, 923, 929; Schenke VerwPrR, Rn 64 (für das Rechtsschutzbedürfnis). 6 Vgl Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorbem § 40 Rn 5.
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Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen
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2. Arten der Zulässigkeitsvoraussetzungen Fall 2: Gemeinde B wurde durch rechtskräftiges Urteil verpflichtet, die beantragte Windenergieanlage des Klägers zu genehmigen. In der Zwischenzeit hat B durch einen neuen Flächennutzungsplan an anderer Stelle als im Bereich des Vorhabens des Klägers einen Windpark ausgewiesen. Als der Kläger die Vollstreckung des verwaltungsgerichtlichen Urteils einleitet, erhebt B verwaltungsgerichtliche Klage.
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Die Zulässigkeitsvoraussetzungen lassen sich in echte Prozessvoraussetzungen, Sachentscheidungsvoraussetzungen und Prozesshindernisse einteilen. Fehlt eine echte Prozessvoraussetzung, kommt von vornherein kein Prozessrechtsverhältnis zustande. Dies ist nur der Fall, wenn sich eine Eingabe beim Gericht nicht als Rechtsschutzantrag darstellt (etwa weil sie offensichtlich nicht ernstlich gemeint ist, wie im Falle der Klage eines Karnevalvereins gegen den Oberbürgermeister wegen Humorlosigkeit). In der Regel stellen sich die Zulässigkeitsvoraussetzungen als Sachentscheidungsvoraussetzungen dar (→ Rn 2). Bei den Prozesshindernissen handelt es sich um negative Sachentscheidungsvoraussetzungen. Dazu gehören die Erfordernisse „keine anderweitige Rechtshängigkeit“ (§ 17 I 2 GVG), „keine schiedsvertraglichen Vereinbarungen“ (§§ 173 VwGO, 1032 ZPO), „keine rechtskräftige Entscheidung in derselben Sache“ (§ 121 VwGO) 7, „kein Ausschluss des Rechtsschutz durch § 44a VwGO“ und kein Rechtsschutzverzicht. Nicht zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen (Sachentscheidungsvoraussetzungen) gehören die Prozesshandlungsvoraussetzungen. Sie betreffen nicht das ganze Verfahren, sondern lediglich einzelne Handlungen der Beteiligten oder auch des Gerichts (zB Zulässigkeit einer Klagerücknahme, Klageänderung, Klagehäufung, Beweisaufnahme, Beiladung oder eines Zwischenurteils).
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Lösung Fall 2: Fraglich ist allein, welche Klageart in Betracht kommt. Eine Leistungsklage auf Unterlassung der Vollstreckung hätte keinen Erfolg, weil das rechtskräftige Urteil des VG einen vollstreckbaren Titel gem § 168 I Nr 1 VwGO darstellt. Die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage (§ 43 VwGO) ist subsidiär (§ 43 II 1 VwGO). Bei Zugrundelegung der VwGO kommt zwar keine andere Klageart in Betracht. Doch ist gem § 167 I 1 VwGO die Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO entsprechend im Verwaltungsprozess anwendbar. Die Vollsteckungsabwehrklage zielt auf die Erklärung der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus einem vollstreckbaren Titel durch das Gericht ab. Ein stattgebendes Urteil stellt nicht das Nichtbestehen eines Anspruchs fest und beseitigt nicht den Vollstreckungstitel selbst, wohl aber seine Vollstreckbarkeit.8 Deshalb stellt die Klage nach § 767 ZPO eine prozessuale Gestaltungsklage dar, die einer Klage auf Feststellung der Unzulässigkeit einer Vollstreckung vorgeht. § 767 ZPO ist nur anwendbar, wenn der Vollstreckungsabwehrkläger Einwendungen geltend macht, die den durch das Urteil festgestellten Anspruch selbst betreffen. Dies ist nach Auffassung des BVerwG 9 vorliegend der Fall. Eine Einwendung iSd § 767 ZPO lasse sich auf alle Gründe stützen, die den zuerkannten Anspruch untergehen lassen oder in seiner Durchsetzbarkeit hemmen. Dies könne etwa eine
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7 Zur Unzulässigkeit einer neuen Klage bei identischem Streitgegenstand (ne bis idem) vgl BVerwGE 73, 348 f; 79, 33, 35 f; BGHZ 35, 338, 341; 117, 1, 7; Clausing in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 121 Rn 21 ff; Rennert in: Eyermann, VwGO, § 121 Rn 9; aA v. Nicolai in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 121 Rn 5 (nur Abweichungsverbot). 8 Vgl BGHZ 118, 229, 231. 9 BVerwGE 117, 44 → JK ZPO § 767/12.
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Gesetzesänderung sein, sofern sich daraus unmittelbare Rechtsfolgen für den titulierten Anspruch ergeben. Einer Gesetzesänderung gleichzusetzen ist der Erlass eines Flächennutzungsplans (obwohl der Flächennutzungsplan nicht als Satzung bekannt gemacht und nach seinem materiellen Gehalt nicht als Außenrechtsnorm anzusehen ist). Entscheidend sei allein, dass sich aus dem Erlass oder der Änderung eines Flächennutzungsplans rechtliche Folgen für den zuerkannten Anspruch ergeben können, wie dies aufgrund von § 35 III Nr 1 BauGB der Fall ist. Unerheblich sei, dass sich ein bestandskräftiger Bauvorbescheid, der die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens bescheinigt 10 gegenüber nachfolgenden Rechtsänderungen durchsetzt. Dem Vorliegen eines VA könne nicht der Fall gleichgesetzt werden, dass eine Behörde zum Erlass eines VA verpflichtet worden ist, ihn aber noch nicht erlassen hat. Eine rechtsstaatlich bedenkliche Durchbrechung der Rechtskraft des verwirkten verwaltungsgerichtlichen Urteils liege nicht vor, weil die Rechtskraft nicht berührt, vielmehr allein die Vollstreckbarkeit des Titels beseitigt werde. Im Hinblick auf ein möglicherweise schützenswertes Vertrauen des Anlagenbetreibers verweist das BVerwG auf die Möglichkeit einer Entschädigung gem § 42 BauGB. Zuständig für die Vollstreckungsabwehrklage ist gem § 767 I ZPO das Prozessgericht des ersten Rechtszuges, hier also das VG. Sonstige Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen nicht.
3. Einteilung der Sachentscheidungsvoraussetzungen 8
Die Sachentscheidungsvoraussetzungen lassen sich in verschiedener Weise einteilen, zB danach, ob sie das Gericht betreffen (etwa Bestehen der deutschen Gerichtsbarkeit, internationale Zuständigkeit, Eröffnung des Rechtsweges, Zuständigkeit des Gerichts, keine anderweitige Rechtshängigkeit), die Beteiligten (etwa Beteiligungsfähigkeit, Prozessfähigkeit, Klagebefugnis, berechtigtes Feststellungsinteresse, richtiger Klagegegner) oder den Streitgegenstand (etwa Rechtsschutzform, Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens). Empfehlenswert dürfte es sein, zwischen allgemeinen (rechtsschutzformunabhängigen) Sachentscheidungsvoraussetzungen, der Rechtsschutzform und den besonderen (rechtsschutzformabhängigen) Sachentscheidungsvoraussetzungen zu unterscheiden. Strikt durchhalten lässt sich (auch) diese Unterscheidung nicht. ZB können allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen wie die Beteiligungsfähigkeit (§ 47 II 1 Alt 2 VwGO) oder die (örtliche) Zuständigkeit des Gerichts (zB § 52 Nr 2 und 3 VwGO) von der Rechtsschutzform abhängen. Auch sollte das (eine allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzung darstellende) Rechtsschutzbedürfnis wegen des Auffangcharakters dieses Erfordernisses am Ende der Zulässigkeit geprüft werden (zur Prüfung des berechtigten Feststellungsinteresses → § 25 Rn 41 ff; § 26 Rn 53 ff). Legt man die genannte Unterscheidung dennoch zugrunde, bietet sich folgender Aufbau an: I.
Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen 1. Ordnungsgemäße Klageerhebung bzw Antragstellung (§§ 81 f ggf iVm §§ 55a, 123 III VwGO, 920 I ZPO) 2. Deutsche Gerichtsbarkeit 3. Internationale Zuständigkeit 4. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
10 Vgl § 57 LBO BW; Art 71 BO Bay; § 74 BauO Berl; § 59 BO Bbg; § 69 LBO Brem; § 63 BauO Hmb; § 66 BO Hess; § 75 LBauO MV; § 74 BauO Nds; § 71 BauO NRW; § 72 LBauO RP; § 76 LBO Saarl; § 75 BO Sachs; § 74 BauO LSA; § 72 LBO SH; § 73 BO Thür.
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Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen
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5. Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts (§§ 45 ff VwGO, ggf nach Feststellung der Rechtsschutzform) 6. Beteiligungsfähigkeit (§ 61 VwGO) 7. Prozessfähigkeit (§§ 62, 67 VwGO) 8. Keine Rechtshängigkeit (§ 17 I 2 GVG) 9. Keine rechtskräftige Entscheidung (§ 121 VwGO) 10. Kein Ausschluss des Rechtsschutzes nach § 44a VwGO 11. Keine schiedsvertragliche Vereinbarung (§ 173 VwGO iVm § 1032 ZPO) 12. Kein Rechtsschutzverzicht 13. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis II. Rechtsschutzformen 1. Anfechtungsklage (§ 42 I VwGO) 2. Verpflichtungsklage (§ 42 I VwGO) 3. Allgemeine Leistungsklage 4. Feststellungsklage (§ 43 VwGO) 5. Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 I 4 VwGO) 6. Normenkontrolle (§ 47 VwGO) 7. Sonstige Rechtsschutzformen (zB Vollstreckungsabwehrklage gem § 167 I VwGO iVm § 767 ZPO) III. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen 1. Anfechtungsklage a) Ggf örtliche Zuständigkeit (§ 52 Nr 2 und 3 VwGO) b) Erfolglosigkeit des Widerspruchs (§ 70 VwGO) bzw Untätigkeit der Behörde (§ 75 VwGO) c) Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) d) Richtiger Klagegegner (§ 78 VwGO) e) Wahrung der Klagefrist (§ 74 I, § 75 S 2 VwGO) 2. Verpflichtungsklage a) Ggf örtliche Zuständigkeit (§ 52 Nr 2 und 3 VwGO) b) Erfolglosigkeit des Widerspruchs (§ 70 VwGO) bzw Untätigkeit der Behörde (§ 75 VwGO) c) Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) d) Richtiger Klagegegner (§ 78 VwGO) e) Wahrung der Klagefrist (§ 74 II bzw § 75 S 2 VwGO) 3. Allgemeine Leistungsklage a) Erfolglosigkeit des Widerspruchs (zB § 54 II BeamtStG) b) Analoge Anwendung der Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) c) Richtiger Klagegegner d) Wahrung der Klagefrist (zB § 54 II BeamtStG iVm § 74 VwGO) oder keine Verwirkung 4. Feststellungsklage a) Erfolglosigkeit des Widerspruchs (zB § 126 III BRRG) b) Analoge Anwendung der Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) c) Berechtigtes Feststellungsinteresse (§ 43 I VwGO) d) Richtiger Klagegegner e) Wahrung der Klagefrist (zB § 54 II BeamtStG iVm § 74 VwGO) oder keine Verwirkung Dirk Ehlers
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5. Fortsetzungsfeststellungsklage a) Erfolglosigkeit des Widerspruchs (entfällt nach hM) b) Klagebefugnis c) Berechtigtes Feststellungsinteresse d) Richtiger Klagegegner e) Wahrung der Klagefrist (§ 74 VwGO) oder keine Verwirkung 6. Normenkontrolle a) Antragsbefugnis (§ 47 II 1, IIa VwGO) b) Richtiger Antragsgegner (§ 47 II 2 VwGO) c) Wahrung der Antragsfrist (§ 47 II 1 VwGO) IV. Rechtsschutzbedürfnis 9
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Die hier vorgeschlagene Prüfungsreihenfolge der Sachentscheidungsvoraussetzung ist zu einem erheblichen Teil logisch bedingt. So kann die Zuständigkeit des VG erst bejaht werden, wenn feststeht, dass der Rechtsstreit der deutschen Gerichtsbarkeit unterfällt und der Rechtsweg zu den allgemeinen VG gegeben ist. Auch ergibt die Prüfung der besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen keinen Sinn, wenn die Rechtsschutzform nicht vorher bestimmt worden ist. In solchen Fällen ist die Prüfungsreihenfolge der Sachentscheidungsvoraussetzungen zwingend. Doch kann sich die Lage anders darstellen. So ist es vertretbar, die Sachentscheidungsvoraussetzungen „Ordnungsgemäße Klageerhebung“ und „Beteiligungsfähigkeit“ an späterer Stelle als hier vorgeschlagen zu prüfen. Ohnehin nehmen die Gerichte für sich in Anspruch, nicht an eine bestimmte Reihenfolge der Prüfung der Sachentscheidungsvoraussetzungen gebunden zu sein, sondern ein Abweisen des Prozessurteils auf den am leichtesten und schnellsten feststellbaren Zulässigkeitsmangel stützen zu dürfen.11 Dies gilt aber nicht ausnahmslos. Beispielsweise lässt sich der Regelung des § 17a GVG entnehmen, dass die Frage der Rechtswegzuständigkeit in einem möglichst frühen Zeitpunkt des Verfahrens zu prüfen ist. Weist ein VG eine verwaltungsgerichtliche Klage wegen Verfristung ab, ohne die Rechtswegzuständigkeit zuvor bejaht zu haben, kann darin ein Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 101 I 2 GG) liegen. Die einzelnen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind zwar jeweils zu prüfen. Erweisen sie sich aber als völlig unproblematisch, bedürfen sie keiner Erwähnung. Regelmäßig sollte jedoch (zumindest kurz) zur Rechtswegzuständigkeit, zur Rechtsschutzform und ggf zu den besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen der in Anspruch genommenen Rechtsschutzform Stellung genommen werden. 4. Behandlung der Zulässigkeitsvoraussetzungen
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Sowohl die echten Prozessvoraussetzungen als auch die Sachentscheidungsvoraussetzungen sind von Amts wegen zu prüfen.12 Dagegen ist eine schiedsvertragliche Vereinbarung nur auf eine prozessuale Einrede hin zu berücksichtigen, wie sich aus § 173 VwGO iVm § 1032 I ZPO ergibt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Zulässigkeitsvoraussetzungen ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder, wenn eine solche
11 Vgl Stern/Blanke VerwPrR, Rn 133; Reichold in: Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl 2007, Vorbem § 253 Rn 14. 12 Vgl BVerfGE 40, 356, 361; BVerwGE 40, 25, 32.
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nicht stattfindet, der Zeitpunkt des Erlasses der gerichtlichen Entscheidung. Ob eine bei Einreichung des Rechtsschutzantrags fehlende Zulässigkeitsvoraussetzung noch nachträglich herbeigeführt werden kann, hängt von der jeweiligen Voraussetzung ab. ZB reicht es aus, wenn die Prozessfähigkeit (§ 62 VwGO) im Laufe des Prozesses erworben wird. In bestimmten Fällen müssen die Zulässigkeitsvoraussetzungen bereits im Zeitpunkt des Eingangs der Klage (bzw des Rechtsschutzantrags) bei Gericht vorliegen. So sind eine Anfechtungsklage und ein Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO nur zulässig, wenn bereits bei Einreichung des Rechtsschutzantrags ein VA respektive eine untergesetzliche Norm vorliegen.13 Terminologisch wird in solchen Fällen von Zugangsvoraussetzungen gesprochen.14 Auch wenn die Erfüllung einer Sachentscheidungsvoraussetzung während des Rechtsstreits wegfällt, reagiert das Prozessrecht hierauf unterschiedlich. ZB zieht der Verlust der Beteiligungsfähigkeit während der Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens eine Unterbrechung oder Aussetzung des Prozesses nach sich 15, wohingegen die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs durch eine nach Rechtshängigkeit eintretende Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt wird 16. Unzulässige Klagen sind durch Prozessurteil abzuweisen. Entsprechend ist bei sonstigen Rechtsbehelfsanträgen zu verfahren (Abweisung als unzulässig).
II. Ordnungsgemäße Klageerhebung Fall 3: C hat per E-Mail verwaltungsgerichtliche Klage bei einem nordrhein-westfälischen VG erhoben. Ist die Klage zulässig?
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Ein Verfahren vor den VG wird durch eine Klage respektive einen Antrag (im Normenkontrollverfahren oder im vorläufigen Rechtsschutzverfahren) in Gang gebracht.17 Welche Anforderungen an die Klage zu stellen sind, ist in den §§ 81, 82 VwGO geregelt. Die Vorschriften sind zwar nur anwendbar, wenn der Verwaltungsrechtsweg (zB nach § 40 VwGO) gegeben ist. Doch sind sie Ausdruck allgemeiner Grundsätze des deutschen Prozessrechts, so dass es vertretbar (und zweckmäßig) erscheint, ihre Erhebung vor der Entscheidung über die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs zu prüfen.18 Stellt sich ein Rechtsschutzbegehren nicht als Klage, sondern als Rechtsbehelfsantrag dar (wie zB bei einem Antrag auf vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz), sind die §§ 81, 82 VwGO entsprechend heranzuziehen. Teilweise greifen spezialgesetzliche Normen ein. So soll das Gesuch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 III VwGO iVm § 920 I, III ZPO die Bezeichnung des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes enthalten und auch vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden können. Im Einzelnen normieren die §§ 81, 82 VwGO vier Voraussetzungen: sie erfordern die Erhebung einer Klage (1.), die Einhaltung einer bestimmten Form (2.), die Bezeichnung des Klägers und Beklagten (3.) sowie die Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens (4.). Entspricht die Klage nicht den
13
13 14 15 16 17 18
Vgl auch Schenke VerwPrR, Rn 181, 877. Vgl BayVGH, BayVBl 1992, 148; NVwZ-RR, 1994, 127. Vgl § 173 VwGO iVm §§ 239, 246 ZPO. § 17 I 1 GVG. Vgl auch Schenke VerwPrR, Rn 70. Vgl auch Erichsen in: ders, JURA Extra, 2. Aufl 1983, 173.
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Anforderungen des § 82 I 1 VwGO, kann dem Kläger eine Ausschlussfrist gesetzt werden (§ 82 II 2 VwGO). Wird die Frist nicht genutzt, ist die Klage unzulässig. Im Übrigen normieren die §§ 81, 82 VwGO weitere Sollensanforderungen (5.). 1. Erhebung einer Klage 14
Nach § 81 I 1 VwGO ist die Klage bei dem Gericht „zu erheben“. Die Erhebung ist eine Prozesshandlung, welche die Streitsache rechtshängig macht (§ 90 I VwGO). Sie muss bedingungs- und vorbehaltlos sein, dem Gericht zugehen und ein ernsthaft gemeintes Rechtsschutzbegehren enthalten.19 2. Form der Klageerhebung
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§ 81 I VwGO verlangt eine schriftliche Erhebung der Klage (S 1). Wird die Klage beim VG erhoben (und nicht beim OVG oder BVerwG), kann sie auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden (S 2).20 Da es sich bei der Klage um eine Prozesshandlung und nicht um eine (privatrechtliche) Willenserklärung handelt, ergeben sich die Anforderungen an die Schriftlichkeit nicht aus § 126 BGB (eigenhändige Unterschrift, es sei denn, § 126 III BGB ist einschlägig). Zweck des prozessualen Schriftformerfordernisses ist es, die Rechtssicherheit und Verlässlichkeit der Eingaben zu gewährleisten 21 sowie die Urheberschaft und den Rechtsverkehrswillen feststellen zu können 22. Daher bedarf es nach der Rspr nicht unbedingt einer eigenhändigen Unterschrift.23 Zulässig sein soll auch eine Klageerhebung durch Telegramm 24, Fernschreiben 25, Telefax 26 und sogar Computerfax mit eingescannter Unterschrift 27. Darüber hinaus spricht die (nicht eindeutig geratene) Bezugnahme des § 81 II auf § 55a VwGO dafür, dass grundsätzlich auch eine elektronische Übermittlung zulässig sein soll.28 Allerdings setzt § 55a I 1 VwGO zum einen die Zulassung einer Übermittlung elektronischer Dokumente durch eine Rechtsverordnung der Bundesregierung oder einer Landesregierung voraus. Die Bundesregierung hat mit Wirkung (auch) für das BVerwG eine entsprechende VO erlassen.29 VO der Landesregierungen über die Zulassung einer elektronischen Übermittlung gibt es bisher nur zum Teil (für das gesamte Land oder einzelne Gerichte oder Verfahren, vgl § 55a I 6 VwGO).30 Zudem ist bei Dokumenten, die einem schriftlich zu unterzeichnenden Schriftstück gleichstehen, eine qualifizierte elektronische Signatur oder ein anderes zuge-
19 Vgl Ortloff/Riese in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 81 Rn 4. 20 Wegen der Verweisung des § 173 VwGO auf § 129a ZPO dürfte auch eine Erhebung bei der Geschäftsstelle eines anderen VG oder eines AG in Betracht kommen. 21 GmS-OGB, BVerwGE 111, 377, 382. 22 Vgl BVerwGE 81, 32, 33. 23 Vgl auch bereits GmS-OGB, BVerwGE 58, 359, 364 f. 24 BVerwGE 1, 103, 104. 25 BGHZ 79, 314, 316; 87, 63, 64 f. 26 BVerfG-K, NJW 1996, 2857. 27 GmS-OGB, BVerwGE 111, 377 ff. 28 Vgl zum Ganzen auch Hartmann NJW 2006, 1390, 1392. 29 Vgl BGBl 2004 I, 3091. 30 Näher dazu Rudisile in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 55a Rn 30.
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lassenes sicheres Verfahren erforderlich (§ 55a I 3, 4 VwGO). Die Erhebung der Klage zur Niederschrift dient der Rechtsschutzerleichterung (etwa von Schreibunkundigen). Der Urkundsbeamte hat ein von ihm unterschriebenes Protokoll nach Maßgabe des § 162 I 1 ZPO zu erstellen. Da die Gerichtssprache deutsch ist (§ 55 VwGO iVm § 184 GVG), muss die Erhebung der Klage in dieser Sprache abgefasst sein. Nicht zur Erhebung der Klage gehört die Zustellung an den Beklagten. Diese ist vielmehr vom Gericht zu verfügen (§ 85 VwGO). Erfüllt eine Klageschrift die Anforderungen des § 81 I VwGO nicht, ist die Klage nicht wirksam erhoben worden. UU kann eine Wiedereinsetzung gem § 60 VwGO in Betracht kommen. Lösung Fall 3: Gem § 81 I VwGO ist eine verwaltungsgerichtliche Klage schriftlich (oder zur Niederschrift) zu erheben. Aus § 81 II iVm § 55a lässt sich entnehmen, dass auch eine Klageerhebung durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments in Betracht kommen kann. Doch setzt dies nach § 55a I 1 VwGO zunächst voraus, dass die Übermittlung durch VO zugelassen ist. Ferner bedarf es nach § 55a I 3 VwGO für Dokumente, die einem schriftlich zu unterzeichnenden Schriftstück gleichstehen, einer qualifizierten elektronischen Signatur. In Nordrhein-Westfalen ist zwar eine VO 31 über den elektronischen Rechtsverkehr bei den VG und den Finanzgerichten im Lande Nordrhein-Westfalen erlassen worden. Doch lässt diese zum einen nur eine elektronische Kommunikation bei bestimmten VG (OVG, VG Minden) zu. Zum anderen ist gem § 2 I 2 der VO eine Einreichung elektronischer Dokumente per E-Mail auch bei diesen VG unzulässig. Somit hat C bisher noch keine Klage erhoben.
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3. Bezeichnung des Klägers und des Beklagten Nach § 82 I 1 VwGO muss die Klage den Kläger und den Beklagten bezeichnen. Kläger und Beklagter ist grundsätzlich, wer als solcher bezeichnet wurde.32 Auf die Frage, ob die Genannten beteiligungsfähige oder richtige Subjekte der streitigen Rechtsbeziehungen sind, kommt es für die ordnungsgemäße Klageerhebung nicht an. Die Zulässigkeit der Klage kann dann aber an anderen Sachentscheidungsvoraussetzungen (Beteiligungsfähigkeit, Klagebefugnis, richtiger Klagegegner) scheitern. Wie sich aus § 173 VwGO iVm §§ 253 IV, 130 Nr 1 ZPO ergibt, muss die Klageschrift (grundsätzlich) eine ladungsfähige Anschrift des Klägers enthalten (idR Wohnungsanschrift oder Sitz), um diesen eindeutig identifizieren und erreichen zu können. Die Anschrift „postlagernd“ reicht nicht aus.33 Ausnahmsweise entbehrlich ist die Angabe der ladungsfähigen Anschrift, wenn die Erfüllung dieser Pflicht unmöglich oder unzumutbar ist oder sich die ladungsfähige Anschrift aus den Akten ergibt oder sich auf andere Weise ohne Schwierigkeiten ermitteln lässt.34 Auch ist die Bezeichnung der Beteiligten auslegungsfähig. Nach § 78 I Nr 1 Hs 2 VwGO genügt für die Bezeichnung eines beklagten Verwaltungsträgers die Angabe der Behörde. Hat der Kläger den Verwaltungsträger anstelle der (nach § 78 I Nr 2 VwGO zu verklagenden) Behörde genannt, ist es gem § 86 III VwGO Aufgabe des Vorsitzenden des Gerichts, auf eine Richtigstellung hinzuwirken. Treten auf Seiten des Klägers oder des Beklagten
31 32 33 34
VO vom 23.11.2005, GV NRW, 926. Vgl dazu auch Clausing JuS 1998, 919, 921. OVG NRW, NVwZ-RR 1994, 124, 125. Vgl BVerwG, NJW 1999, 2608, 2609.
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mehrere Beteiligte auf, finden über § 64 VwGO die Vorschriften der §§ 59 ff ZPO über die Streitgenossenschaft Anwendung. Die Zulassung einer einfachen Streitgenossenschaft bezweckt, aus Gründen der Prozessökonomie, mehrere Prozesse bei einheitlichem Prozessstoff zusammenzufassen (um Wiederholungen zu vermeiden, einzelne Streitpunkte besser beurteilen zu können, Kosten zu sparen und eine erhöhte Rechtssicherheit zu gewährleisten), wohingegen bei einer notwendigen Streitgenossenschaft das streitige Rechtsverhältnis allen Streitgenossen gegenüber nur einheitlich festgestellt werden kann.35 4. Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens 18
In sachlicher Hinsicht muss die Klageschrift gem § 82 I 1 VwGO den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Damit ist nicht der prozessuale Streitgegenstand (iSd § 121 VwGO) 36, sondern die Präzisierung des Klagebegehrens gemeint (zB die Angabe, welcher VA angefochten werden soll). Gegebenenfalls ist der Gegenstand durch Auslegung des Vorbringens zu ermitteln. Hierbei darf das Gericht nicht über das Klagebegehren hinausgehen (§ 88 VwGO). Gem § 44 VwGO können vom Kläger in einer Klage auch mehrere Klagebegehren zusammen verfolgt werden, wenn sie sich gegen denselben Beklagten richten, im Zusammenhang stehen und dasselbe Gericht zuständig ist (objektive Klagehäufung). Eine solche Klagehäufung liegt namentlich vor, wenn der Kläger mehrere prozessuale Ansprüche geltend macht (kumulative Klagehäufung) oder Haupt- und Hilfsbegehren miteinander verbindet (eventuale Klagehäufung), sei es, dass über die Hilfsklage nur bei Misserfolg der Hauptklage (sog eigentliche eventuale Klagehäufung) oder bei erfolgreicher Hauptklage (sog uneigentliche eventuale Klagehäufung oder Stufenklage 37) entschieden werden soll. Nicht um eine objektive Klagehäufung handelt es sich bei der alternativen Klage, mit der der Kläger den einen oder anderen prozessualen Anspruch geltend macht.38 Unberührt bleibt das Recht des Klagegegners Widerklage zu erheben (§ 89 I VwGO), es sei denn, es handelt sich um Anfechtungs- oder Verpflichtungsklagen (§ 69 II VwGO). 5. Sollensanforderungen der §§ 81, 82 VwGO
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Die §§ 81, 82 VwGO normieren des Weiteren eine Reihe von Sollensanforderungen. Insbesondere „soll“ die Klage nur einen bestimmten Antrag enthalten (§ 82 I 2 VwGO). Ferner sollen vorbehaltlich des § 55a VwGO Abschriften beigefügt werden (§ 81 II VwGO) sowie bestimmte Angaben gemacht und Verfügungen eingereicht werden (§ 82 I 3 VwGO). Die Nichteinhaltung der Sollensanforderungen macht die Einreichung der Klage nicht unwirksam. Gerade bei der Stellung von Anträgen ist oftmals die Mithilfe des an die Fassung von Anträgen nicht gebundenen Gerichts (§ 88 VwGO) geboten (§ 86 III VwGO). Spätestens in der mündlichen Verhandlung (§ 103 III VwGO) oder – bei Fehlen einer 35 Vgl auch Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 64 Rn 3. 36 Zu der (schwierigen) Bestimmung des Streitgegenstandes vgl BVerwGE 52, 247, 249 f; 70, 110, 112; 96, 24, 25; Detterbeck Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen im Öffentlichen Recht, 1995, 61 f; Clausing in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 121 Rn 54 ff; Rennert in: Eyermann, VwGO, § 121 Rn 23 f. 37 Vgl § 173 VwGO iVm § 254 ZPO. 38 Vgl Schenke VerwPrR, Rn 75.
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mündlichen Verhandlung – vor Erlass der Gerichtsentscheidung (§ 101 II VwGO) ist, ggf nach Aufforderung des Gerichts (§ 82 II 1 VwGO), ein Antrag zu stellen, soll die Klage nicht unzulässig werden.39 Erfüllt der Kläger die Sollensanforderungen der §§ 81 II, 82 I 3 VwGO auch nach Aufforderung des Gerichts (§ 82 II 1 VwGO) nicht, kann dies uU zwar zu einer Präklusion führen (§ 87b II VwGO), doch wird die Zulässigkeit der Klage dadurch nicht berührt.
III. Deutsche Gerichtsbarkeit Rechtsschutzanträge, die bei einem deutschen VG gestellt werden, sind nur zulässig, wenn deutsche Gerichtsgewalt gegeben ist. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach völkerrechtlichen Grundsätzen. In der Vergangenheit hat das Bestehen der deutschen Gerichtsgewalt im Verwaltungsprozess kaum eine Rolle gespielt. Dies hat sich im Zuge der Europäisierung und Internationalisierung aller Lebensbereiche sowie auch des geltenden Rechts aber grundlegend geändert, auch weil die Staaten auf ihrem Territorium die alleinige Souveränität verloren haben. Dementsprechend kommt es auf eigenem Staatsgebiet oftmals zur Ausübung von Hoheitsgewalt durch internationale Organisationen, die Europäische Gemeinschaft oder andere Staaten.
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1. Räumlicher Bereich der deutschen Gerichtsbarkeit Fall 4: Der in einer niederländischen Grenzgemeinde wohnende Niederländer D erhebt Klage vor einem deutschen VG gegen eine Genehmigung, die das Kernkraftwerk Emsland betrifft. Ist die Klage zulässig?
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Fall 5: Geschäftsmann E fliegt an Bord eines Flugzeuges einer deutschen Fluggesellschaft von Düsseldorf nach Madrid. Während des Flugs tauscht er über französischem Territorium via Modem und Mobiltelefon Daten mit seinem Büro aus. Als er sich weigert einer Bitte der Stewardess nachzukommen, die Benutzung der elektronischen Geräte einzustellen, weil der Betrieb des Mobiltelefons den Navigationsempfänger des Flugzeugs störe, nimmt der Flugkapitän ihm das Mobiltelefon weg. E hat in Düsseldorf verwaltungsgerichtliche Klage erhoben und die Feststellung beantragt, dass die Maßnahme des Flugkapitäns rechtswidrig gewesen ist.
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In räumlicher Hinsicht erstreckt sich die deutsche Gerichtsbarkeit allein auf das deutsche Staatsgebiet, einschließlich des darunter befindlichen Erdraums, des Luftraums, des Küstenmeeres und der inländischen Luftfahrzeuge und Schiffe unter inländischer Flagge, solange sich diese nicht in einem fremden Hoheitsgebiet befinden.40 Die räumliche Beschränkung der Gerichtsbarkeit bedeutet, dass ein deutsches VG im Ausland ohne Zustimmung des ausländischen Staates grundsätzlich keine gerichtlichen Handlungen (etwa Zustellungen, Beweisaufnahmen oder Vollstreckungsmaßnahmen) vornehmen darf.
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39 Vgl Aulehner in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 82 Rn 27; wohl aA Ortloff/Riese in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, § 82 Rn 11. 40 Vgl Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorbem § 40 Rn 28.
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Lösung Fall 4: Eine nach dem deutschen Atomgesetz erteilte Genehmigung gilt zwar nur innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland, entfaltet also keine darüber hinausgehenden Wirkungen in dem Sinne, dass sie in einem anderen Staat verbindlich ist. Das sagt aber noch nichts über den Rechtsschutz von Ausländern aus, die im Ausland wohnen. Ein Zuwiderhandeln gegen völkerrechtliche Grundsätze hätte eine solche Öffnung des Rechtsschutzes nicht zur Folge. Daher ist deutsche Gerichtsgewalt gegeben. Es fehlt auch nicht an der internationalen Zuständigkeit des deutschen VG, weil über deutsches öffentliches Recht gestritten wird. Fraglich ist somit nur, ob ein im Ausland lebender Ausländer gem § 42 II VwGO geltend machen kann, durch die atomrechtliche Genehmigung in seinen Rechten verletzt zu sein. Dies hängt allein davon ab, ob bei der Genehmigung Rechtsvorschriften beachtet werden müssen, die auch den Schutz ausländischer Kläger bezwecken. Dies hat das BVerwG bejaht.41
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Lösung Fall 5: Fraglich ist, ob deutsche Gerichtsgewalt und die internationale Zuständigkeit des VG Düsseldorf gegeben ist. Deutsche Gerichtsgewalt besteht jedenfalls, wenn um Gerichtsschutz in Deutschland nachgesucht wird und die Beteiligten der deutschen Gerichtsgewalt unterliegen. Die zuerst genannte Voraussetzung ist unproblematisch. An der zweiten könnte es deshalb fehlen, weil die angegriffenen Maßnahmen des Flugkapitäns über dem französischen Territorium erfolgt sind. Ein Flugzeug ist nicht ein „beweglicher Teil“ seines Flaggenstaates.42 Jedoch ist der Flugkapitän (in einem in Deutschland registrierten Luftfahrzeug) unter Inanspruchnahme von Befugnissen des deutschen Luftrechts (§ 12 LuftSiG) und nicht etwa des Rechts anderer Staaten oder internationaler Organisationen tätig geworden. Ein Fall von Immunität ist nicht gegeben. Somit unterfällt der Streit der deutschen Gerichtsbarkeit. Bei Fällen mit Auslandsberührung bestimmt das deutsche Kollisionsrecht, ob und inwieweit Gerichtsschutz gewährt (und damit eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte begründet) werden soll. Da sich nur der Ort der Handlung im Ausland befunden hat, hier aber über die Anwendung deutschen Rechts zwischen inländischen Rechtssubjekten vor einem deutschen Gericht gestritten werden soll, ist bereits fraglich, ob ein relevanter Auslandsbezug iSd deutschen Gerichtsbestimmungen vorliegt. Jedenfalls ist dem LuftSiG nicht zu entnehmen, dass der Weg zur deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit in solchen Fällen versperrt sein soll.
2. Personeller Bereich der deutschen Gerichtsbarkeit 26
Fall 6: F, ein deutsches Unternehmen der Flugtouristik, G, ein deutscher Lehrer an den Europäischen Schulen, und H, ein deutscher Bewerber für eine Stelle als Patentprüfer bei dem Europäischen Patentamt, haben verwaltungsgerichtliche Klage in Deutschland erhoben. F wendet sich gegen eine Gebührenforderung der Europäischen Organisation zur Sicherung der Luftfahrt (Eurocontrol), G klagt auf Auszahlung von Dienstbezügen und H greift die Ablehnung seiner Einstellung als Patentprüfer aus gesundheitlichen (nicht fachlichen) Gründen an.
41 BVerwGE 75, 285. S zu grenzüberschreitenden Lärmimmissionen BVerwG, DVBl 2009, 315. 42 Vgl BT-Drucks 14/1454, 1; Schwenk/Giemulla, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 3. Aufl 2005, 213, 482.
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In personeller Hinsicht unterliegen grundsätzlich alle Personen – inländischer oder ausländischer Herkunft – der deutschen Gerichtsgewalt. Doch können sie nach allgemeinen Regeln des Völkerrechts, aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen 43 oder sonstiger Rechtsvorschriften (des supranationalen, insbesondere europäischen, oder des staatlichen Rechts) von ihr befreit sein.44 Nach einer allgemeinen Regel des Völkerrechts genießen fremde Staaten (einschließlich ihrer hoheitlichen Untergliederungen 45) Immunität, unterliegen also nicht der innerstaatlichen Gerichtsbarkeit, wenn sich der Rechtsschutz gegen ihr hoheitliches Handeln (acta iure imperii) – im Gegensatz zu einem privatrechtlichen Handeln (acta iure gestionis) – richtet.46 Die Abgrenzung des hoheitlichen Bereichs von dem privatrechtlichen bestimmt sich nach der lex fori, dh dem nationalen Recht des Gerichtsstaates. Des Näheren wird zwischen der Immunität im Erkenntnisverfahren und im Vollstreckungsverfahren unterschieden. Im Erkenntnisverfahren kommt es auf die Natur der staatlichen Handlung 47, im Vollstreckungsverfahren auf die Zwecke an, die von den fremden Staaten mit den betroffenen Vermögensgegenständen verfolgt werden 48. Den Staaten bleibt es unbenommen, auf ihre Immunität zu verzichten und sich damit einer fremden Gerichtsgewalt zu unterwerfen.49 Für die internationalen Organisationen respektive zwischenstaatlichen Einrichtungen (Art 24 I GG 50) gilt entsprechendes wie für die Staaten.51 Die Immunität ergibt sich vielfach bereits aus den Gründungsverträgen 52, im Übrigen aus Gewohnheitsrecht.53 Oftmals wird entgegen der hier vertretenen Ansicht aber angenommen, dass sich die Immunität auch auf das privatrechtliche Organisationshandeln erstreckt.54 Können die internationalen Organisationen oder zwischenstaatlichen Einrichtungen Hoheitsgewalt mit Wirkung für das deutsche Staatsgebiet ausüben, ist eine Übertragung nach der Rspr des BVerfG 55 nur zulässig, wenn die sich aus Art 19 IV 1 GG und 2 I GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Rechtsschutzanforderungen nicht generell und offenkundig unterschritten werden. Der Rechtsschutz kann sowohl durch eigene Gerichte der Einrichtung als auch durch Gerichte eines anderen Mitgliedstaates 56 43 Vgl das (bisher nur in wenigen Staaten geltende) Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität (BGBl 1990 II, 34) sowie vor allem die UN-Konvention zur Immunität von Staaten und deren Vermögen von 2004 (ILM 44 [2005], 803 ff). 44 Vgl § 20 II GVG. 45 Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorbem § 40 Rn 43; vgl aber auch BVerfGE 64, 1, 23. 46 Dahm/Delbrück/Wolfrum Völkerrecht, Bd I, 2. Aufl 1989, 456 ff; Hailbronner in: Vitzthum, VölkerR, 3 Abschn Rn 90; Herdegen VölkerR, § 37 Rn 5. Vgl auch BGHZ 155, 279 ff (keine Durchbrechung der Staatenimmunität bei Verstößen gegen ius cogens). 47 Vgl BVerfGE 16, 27, 61 – Reparatur einer Heizungsanlage. 48 Vgl BVerfGE 46, 342, 392 ff; 64, 1, 23 ff; BVerfGE 117, 141 ff. 49 Vgl Doehring VölkerR, Rn 668; Epping in: Ipsen, VölkerR, § 26 Rn 29. 50 Zum Begriff vgl Streinz in: Sachs, GG, Art 24 Rn 19 f. 51 Vgl Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorbem § 40 Rn 47. 52 ZB Art 105 I UN-Charta. 53 Vgl Herdegen VölkerR, § 10 Rn 21 f. 54 Vgl Damian Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 84 ff; Wenckstern Buch des internationalen Zivilverfahrensrechts, Bd II/1: Die Immunität internationaler Organisationen, 1994, 130 ff; SeidlHohenveldern/Loibel Das Recht der internationalen Organisationen einschließlich der supranationalen Gemeinschaften, 7. Aufl 2000, Rn 1908; Klein in: Vitzthum, VölkerR, 4. Abschn Rn 106 ff. 55 Grundlegend BVerfGE 73, 339, 375 f – Solange II. Vgl zum Rechtsschutz BVerfG-K, NJW 2001, 2705, 2706; NVwZ 2006, 1403 → JK GG Art 24 I, II. 56 Vgl BVerfGE 58, 1, 29; 59, 63, 85; BVerwGE 54, 291, 301.
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gewährt werden. In Betracht kommt ferner eine Verweisung des originären Rechts der internationalen Organisationen oder zwischenstaatlichen Einrichtungen an die nationalen Gerichte.57 Für den Rechtsschutz in Bezug auf die Europäische Union gilt im Grundsatz nichts anderes als für den Rechtsschutz gegen internationale Organisationen oder zwischenstaatliche Einrichtungen (→ § 6 Rn 6 ff). Im Falle grenznachbarschaftlicher Einrichtungen (Art 24 Ia GG 58) kommt es darauf an, ob diese selbst eigenständiges Recht setzen, die Anwendbarkeit einer nationalen Rechtsordnung vereinbart wurde oder (wie im Regelfall) die Einrichtungen auf die Rechtsordnung aller beteiligten Staaten verweisen. Im ersten Fall ist eine deutsche Gerichtsgewalt (bei Wahrung des verfassungsrechtlich unabdingbaren Mindeststandards) nicht, im zweiten und dritten Fall dann gegeben, wenn und soweit deutsches Recht anwendbar ist.59 Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen genießen nach Maßgabe der Wiener Diplomatenrechtskonvention 60 (Art 31 f) und Wiener Konsularrechtskonvention 61 (Art 43, 45) sowie der §§ 18 ff GVG Immunität und sind insoweit auch nicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit unterworfen. Die Immunität der Angehörigen und Bediensteten der in Deutschland stationierten NATO-Truppen ist durch das NATO-Truppenstatut (NTS) nebst Zusatzabkommen 62 geregelt. Für Schadensersatzansprüche Dritter wegen unerlaubter Handlungen der Streitkräfte gilt gem Art VIII: NTS die deutsche Gerichtsbarkeit, wobei die Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland als gesetzlicher Prozessstandschafterin des Entsendestaates (Art 12 II, 25 NTSAusfG) zu richten ist. 28
Lösung Fall 6: Fraglich ist in allen Fällen, ob die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben ist. Sowohl im Falle von Eurocontrol 63 als auch im Falle der Europäischen Schulen 64 und der Europäischen Patentorganisation, deren Organ das Europäische Patentamt ist 65 handelt es sich um zwischenstaatliche Einrichtungen iSv Art 24 I GG. Das hoheitliche Handeln zwischenstaatlicher Einrichtungen unterfällt nicht der deutschen Gerichtsgewalt. Zwar öffnet Art 24 I GG (ebenso wie Art 23 GG) nicht den Weg, die Grundstruktur der Verfassung zu ändern. Zu den unaufgebbaren grundrechtlichen Bestandteilen des GG 66 gehören auch die sich aus Art 19 IV GG und Art 2 I GG iVm dem Rechtsstaatprinzip ergebenden Rechtsschutzanforderungen. Jedoch wird nur verlangt, dass das vom GG geforderte Ausmaß an Rechtsschutz nicht generell und offenkundig unterschritten wird. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist hier nicht dargelegt worden und auch nicht ersichtlich. Im Falle von G und H haben die Gerichte sogar angenommen, dass die Maßnahmen der zwischenstaatlichen Einrichtungen keine Wirkungen in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen entfalten, sondern im innerorganisatorischen Bereich verbleiben.67 Selbst wenn das Grundgefüge des GG durch Preisgabe der zwingend erforderlichen Rechtsschutzanforderungen angetastet wird, folgt daraus noch nicht eine Auffangzuständigkeit der deutschen VG.
57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67
Vgl BVerwGE 91, 126 ff. Vgl Rennert FS Böckenförde, 1995, 199 ff. Vgl Ehlers Die Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts, 1999, 28. Sart II Nr 325. Sart II Nr 326. Vgl BGBl 1961 II, 1183; 1966 I, 653. Vgl BVerfGE 58, 1 ff → JK GG Art 19 IV/8. Vgl BVerwGE 91, 126 ff → JK GG Art 19 IV/15. Vgl BVerfG-K, NVwZ 2006, 1403 → JK GG Art 24 I/2. Vgl BVerfGE 73, 339, 375 f. Vgl BVerwGE 91, 126, 128; BVerfG-K, NVwZ 2006, 1403 → JK GG Art 24 I/2.
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IV. Internationale Zuständigkeit Fall 7: Die Republik Türkei klagt vor einem deutschen VG gegen einen in Deutschland lebenden Türken, der seine Steuer in der Türkei nicht gezahlt hat. Ist die Klage zulässig?
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Fall 8: Ein deutscher Tourist hat aus Griechenland illegal Kulturgut nach Deutschland gebracht, um es hier zu verkaufen. Die Republik Griechenland hat Klage vor einem deutschen VG auf Rückgabe erhoben. Ist die Klage zulässig?
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Steht das Völkerrecht der Gewährung inländischen Gerichtsschutzes nicht entgegen, stellt sich in Fällen mit Auslandsberührung die Frage, ob und in welchem Umfang ein solcher Gerichtsschutz tatsächlich gewährt werden soll. Dies ist nur der Fall, wenn die inländischen Gerichte eine internationale Zuständigkeit besitzen.68 Maßgebend ist grundsätzlich das nationale Recht. Für Streitigkeiten in Zivil- und Handelssachen gilt in der Europäischen Union, von Ausnahmen abgesehen, (insbesondere) die VO 44/2001/EG.69 Ob eine Zivil- oder Handelssache vorliegt, bestimmt sich nach den Maßstäben des EGRechts, auch wenn innerstaatlich eine ör Streitigkeit anzunehmen ist. Fehlt es an ausdrücklichen Regelungen, wird für zivilgerichtliche Streitigkeiten angenommen, dass sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nach den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit dieser Gerichte beurteilt.70 Auf Streitigkeiten über ausländisches öffentliches Recht lassen sich diese Grundsätze wegen der anderen Interessenlagen nicht übertragen. Die Zuständigkeit deutscher Gerichte in ör Angelegenheiten hängt davon ab, ob das fremde öffentliche Recht durch innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl auch im innerstaatlichen Rechtskreis für anwendbar erklärt worden ist.71 Dies ist grundsätzlich nicht der Fall. Dagegen ist das europäische Gemeinschaftsrecht ungeachtet des Umstandes, dass es sich um eine eigene Rechtsordnung handelt, auch im innerstaatlichen Bereich anwendbar.72 Gleichwohl ist die Zuständigkeit deutscher Gerichte ausgeschlossen, wenn der EuGH oder das Gericht erster Instanz ausschließlich zuständig sind.73 So dürfen Vertragsverletzungsklagen nach Art 226 EGV (Art 258 AEUV-E) allein vor dem EuGH anhängig gemacht werden (→ § 7 Rn 5). Ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union kann daher nicht die Bundesrepublik Deutschland vor deutschen Gerichten wegen Verletzung des EGV verklagen. Wohl aber darf eine natürliche oder juristische Person Ansprüche aus einer VO vor einem innerstaatlichen Gericht geltend machen. Stets zuständig sind die deutschen Gerichte, wenn sich der Rechtsschutzsuchende auf deutsches
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68 Näher dazu Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorbem § 40 Rn 52; ders Die Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts, 1999, 31 ff; Feldmüller Die Rechtsstellung fremder Staaten und sonstiger juristischer Personen des ausländischen öffentlichen Rechts im deutschen Verwaltungsprozessrecht, 1999, 74 ff. 69 Sart II Nr 161. 70 Vgl BGHZ 94, 156, 157; Linke Internationales Zivilprozessrecht, 4. Aufl 2006, Rn 115 f; Geimer Internationales Zivilprozessrecht, 5. Aufl 2005, Rn 946; BGHZ 115, 90, 92; 119, 392, 393; 120, 335, 337 71 Ausführlich dazu Feldmüller (Fn 68) 82 ff. 72 Vgl zB EuGH, Slg 1963, 1, 23 ff – Van Gend & Loos. 73 Vgl Art 240 EGV (Art 274 AEUV-E).
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öffentliches Recht beruft. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob der Rechtsschutzsuchende In- oder Ausländer ist, respektive seinen Sitz im In- oder Ausland hat. Ferner ist die Zuständigkeit deutscher Gerichte immer gegeben, wenn deutsches Recht gegen Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland angewendet werden soll. 32
Lösung Fall 7: Die deutsche Gerichtsbarkeit ist gegeben, weil die Republik Türkei selber als Klägerin auftritt und damit ihre Immunität nicht berührt wird. Fraglich ist allein, ob die internationale Zuständigkeit sowie der Rechtsweg nach § 40 I 1 VwGO gegeben ist. Dies ist zu verneinen, weil es an einer Norm des innerstaatlichen Rechts fehlt, wonach türkisches öffentliches Recht auch in Deutschland anwendbar ist. Will die Republik Türkei einen Titel erlangen, muss sie die eigene Gerichtsbarkeit bemühen. Die Durchsetzung eines ausländischen Titels im Inland richtet sich nach den Grundsätzen der internationalen Rechts- und Vollstreckungshilfe.74
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Lösung Fall 8: Gegen die Zulässigkeit der Klage der Republik Griechenland bestehen keine Bedenken, weil nach der auf einer EG-Richtlinie 75 beruhenden Regelung des § 12 Kulturgüterrückgabegesetz 76 andere Staaten ihren hoheitlichen Anspruch auf Rückgabe illegal verbrachten Kulturguts vor deutschen VG durchsetzen dürfen 77.
V. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs 34
Der Rechtsweg zu den allgemeinen VG ist eröffnet, wenn eine aufdrängende Sonderzuweisungsnorm dies vorsieht (1.) oder wenn die Voraussetzungen der Generalklausel des § 40 I 1 VwGO gegeben sind (2.) und keine abdrängende Sonderzuweisungsnorm an eine andere Gerichtsbarkeit existiert (3.). Aufdrängende Sonderzuweisungsnormen gehen als spezialgesetzliche Regelungen der Generalklausel vor und verdrängen diese. Fehlt es an einer aufdrängenden Vorschrift, kann statt der Generalklausel des § 40 I 1 VwGO auch zunächst geprüft werden, ob eine abdrängende Sonderzuweisungsnorm einschlägig ist. Zwar setzen abdrängende Rechtswegzuweisungen an sich voraus, dass eine ör Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegt. Doch kann die Ermittlung der Voraussetzungen des § 40 I 1 VwGO erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Zudem ist es im Falle der Einschlägigkeit einer speziellen Zuweisung an eine andere als die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit unerheblich, ob es sich um eine „abdrängende“ Zuweisung handelt. Dennoch wird im Folgenden an der in § 40 I 1 VwGO zugrunde gelegten Reihenfolge der Tatbestandsmerkmale (insoweit) festgehalten. Unter bestimmten Voraussetzungen dürfen die VG ferner auch über rechtswegfremde Rechtsschutzbegehren mitentscheiden (4.). Gesonderter Betrachtung bedürfen die Rechtswegentscheidung und Rechtswegverweisung (5.).
74 Vgl dazu BVerfG, JZ 2007, 1046 f (m Anm Stadler); BVerfGE 108, 238, 247 f; 91, 335 ff; ferner Idziok Die Vollstreckungshilfe nach deutschem Recht und europäischem Gemeinschaftsrecht, 1997, 152 ff. 75 Art 5 S 1 RL 93/7/EWG. 76 BGBl 1998 I, 3162. 77 Näher dazu Ehlers in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Bd V, E 17 Rn 14.
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Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen
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1. Aufdrängende Rechtswegzuweisungen Fall 9: Die Kommunalaufsichtsbehörde rügt einen Beschluss des Stadtrates der nordrheinwestfälischen Stadt I, in welcher die Außenpolitik der Bundesregierung kritisiert wird. Der Rat möchte dies nicht auf sich beruhen lassen und fragt, welche Gerichtsbarkeit für eine Klage zuständig ist.
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Fall 10: Der Antrag der ausgebildeten Grundschullehrerin J auf Einstellung in den Schuldienst wird abgelehnt, weil die Bewerberin darauf beharrt, aus religiösen Gründen ein Kopftuch zu tragen. K hat mit dem Land einen Arbeitsvertrag zwecks Einstellung auf unbestimmte Zeit abgeschlossen. In einer Nebenabrede wurde vereinbart, dass K spätestens nach 4 Jahren in das Beamtenverhältnis auf Probe übernommen wird. Vor welchen Gerichten können J und K klagen?
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Dem Bund bleibt es unbenommen, Rechtsstreitigkeiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch spezialgesetzliche Regelungen zuzuweisen. Die Generalklausel des § 40 I 1 VwGO gelangt dann nicht zur Anwendung. Da der Bundesgesetzgeber mit Erlass des § 40 VwGO für den Bereich der Rechtswegbestimmung von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das gerichtliche Verfahren (Art 74 I Nr 1 GG) prinzipiell abschließend Gebrauch gemacht hat, bleibt für aufdrängende landesrechtliche Rechtswegzuweisungen an die allgemeinen VG dagegen grundsätzlich kein Raum. Anderes gilt, wenn Bundesrecht die Länder ermächtigt, den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit Aufgaben zu übertragen (so zB §§ 187 I VwGO; 106 BPersVG). Soweit Landesgesetze anordnen, dass die VG zu entscheiden haben – was namentlich auf dem Gebiet des Kommunalrechts (vgl Fall 9 Rn 35; 38), des Polizei- und Ordnungsrechts 78 und des Kirchensteuerrechts 79 der Fall ist –, werden die Bestimmungen von der hM als deklaratorisch oder ungültig angesehen respektive anders interpretiert.80
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Lösung Fall 9: Als aufdrängende Sonderzuweisungsnorm für die Verwaltungsgerichtsbarkeit könnte § 126 GO NRW in Betracht kommen. Nach dieser Norm können Maßnahmen der Aufsichtsbehörde unmittelbar mit der Klage im Verwaltungsstreitverfahren angefochten werden.81 Fraglich ist aber, ob die Länder überhaupt aufdrängende Rechtswegzuweisungsnormen erlassen dürfen. Nach hM 82 ist dies nicht der Fall, weil der Bund mit Erlass des § 40 VwGO von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz abschließend Gebrauch gemacht hat. Deshalb wird angenommen, dass § 126 GO NRW nicht den Rechtsweg betrifft,
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78 Vgl zB Art 73 II PAG Bay; §§ 65 S 2a SUG Berl; 70 HS 2 SOG Hmb; 99 SOG MV; 86 HS 2 SOG Nds; 43 II OBG NRW; 74 HS 2 POG RP; 74 HS 2 PolG Saarl; 75 HS 2 SOG LSA; 74 HS 2 PAG Thür. 79 Vgl zB §§ 14 I KiStG BW; 10 II KiStRG Nds; 13 I KiStG Hess; 9 I KiStG LSA. 80 Vgl hierzu (krit) Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 33 ff (der abweichend von der hM normkonkretisierende Landeszuweisungen, welche die Generalklausel bereichsspezifisch präzisieren – also nicht verdrängen –, als gültig und konstitutiv ansieht); ebenso Sodan in: ders/Ziekow, VwGO, § 40 Rn 139 f. 81 Gleichlautende Bestimmungen enthalten die §§ 125 GO BW; 130 GO Bbg; 142 GO Hess; 85 KV MV; 126 GO RP; 136 KSVG Saarl; 141 GO LSA. 82 Vgl zB Schnapp/Rawert JuS 1986, 631, 634; v. Mutius Kommunalrecht, 1996, Rn 868 f.
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sondern nur die Entbehrlichkeit des Widerspruchsverfahrens anordnet. Folgt man dieser Auffassung, ergibt sich die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs aus § 40 I 1 VwGO. Geht man entgegen der hM davon aus, dass § 40 I 1 VwGO Landeszuweisungen, welche die Generalklausel bereichsspezifisch präzisieren (ohne von ihr abzuweichen), nicht ausschließen will,83 handelt es sich bei § 126 GO NRW um eine aufdrängende Sonderzuweisungsnorm.
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Die aufdrängenden Sonderzuweisungsnormen des Bundes beziehen sich vor allem auf Klagen, die Personen in einem ör Dienst- und Treueverhältnis betreffen.84 Die größte Bedeutung kommt hierbei § 54 I des am 1.4.2009 in Kraft getretenen Beamtenstatusgesetzes für Beamte des Landes, der Kommunen und anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie § 126 I BBG für Beamte des Bundes zu, wonach für alle Klagen aus dem Beamtenverhältnis und für Klagen des Dienstherrn der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist.85 Die Vorschrift ist weit zu interpretieren, weil „alle“ Klagen beamtenrechtlicher Art erfasst werden und die Vorschrift nicht nur Beamte, sondern auch Nichtbeamte (frühere Beamte, Hinterbliebene) einbezieht.
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Lösung Fall 10: Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten könnte sich aus § 54 I BeamtStG ergeben. Danach ist der Verwaltungsrechtsweg für alle Klagen aus dem Beamtenverhältnis gegeben. J ist noch keine Beamtin. Doch gehören wegen der Notwendigkeit, § 54 I BeamtStG weit zu interpretieren, zu den Klagen aus dem Beamtenverhältnis auch Klagen vorbeamtenrechtlicher Art, wie die Klage auf Einstellung.86 Der von K mit dem Land geschlossene Arbeitsvertrag gehört dem Privatrecht an. Doch kann die Nebenabrede eines privatrechtlichen Vertrages selbständigen Charakter haben und einen vom öffentlichen Recht geordneten Sachbereich betreffen (vgl → Rn 88, 93). Hierfür dürfte in dem gegebenen Fall auszugehen sein, weil sich die Nebenabrede auf das Beamtenrecht bezieht. Daher sind die Voraussetzungen des § 54 I BeamtStG gegeben.87
2. Generalklausel des § 40 I 1 VwGO 41
Fall 11: Der volljährige deutsche Staatsangehörige L möchte an der Bundestagswahl teilnehmen, ist aber nicht in das Wählerverzeichnis eingetragen und hat auch keinen Wahlschein erhalten.88 Zwei Tage vor der Bundestagswahl beantragt er beim VG im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung die zuständige Behörde zu verpflichten, ihn in das Wählerverzeichnis einzutragen.
83 Vgl Fn 80. 84 Vgl die §§ 59, 82 SG; 32 WPflG; 78 II ZDG; § 43 des Gesetzes über den Zivilschutzkorps; §§ 46, 71 III DRiG; 83, 106 BPersVG. Weitere Beispiele bei Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 97. 85 Das auf der Grundlage des Art 74 I Nr 27 GG erlassene Beamtenstatusgesetz ersetzt das früher geltende BRRG. Die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes für das Beamtenrecht ist durch die Föderalismusreform I entfallen. 86 Vgl BVerwGE 26, 31, 33. 87 Vgl auch BVerwG, NdsVBl 2003, 236 ff → VwVfG § 59 II/1 o Ausf zum Rechtsweg. 88 Zu den Voraussetzungen der Ausübung des Wahlrechts vgl § 14 BWG (Sart Nr 30).
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Gem § 40 I 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen ör Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Die Vorschrift ist eine (wenn nicht sogar die) Schlüsselnorm 89 des Verwaltungsprozessrechts. Sie eröffnet für die genannten Streitigkeiten den Zugang zu einem staatlichen Gericht und löst damit einerseits die sich aus Art 19 IV 1 GG oder der allgemeinen Justizgewährungspflicht 90 ergebenden Rechtsschutzgarantien ein, geht andererseits aber noch darüber hinaus. ZB wird die Justiziabilität von staatlichen Innenrechtsstreitigkeiten (→ Rn 46 ff) weder von Art 19 IV 1 GG noch von der allgemeinen Justizgewährungspflicht des Staates garantiert. Des Weiteren wird die Beurteilungskompetenz zur Entscheidung der erfassten Streitigkeiten nicht in die Hände der allgemeinen, dh „ordentlichen“, Gerichte gelegt, sondern einer Fachgerichtsbarkeit (nämlich der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit) anvertraut. Zum Teil abweichend von früheren Rechtswegklauseln 91 gilt nicht ein Enumerationsprinzip 92, vielmehr werden mittels einer Generalklausel alle ör Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art erfasst. Werden die Tatbestandsmerkmale der Generalklausel erfüllt, heißt dies noch nicht, dass ein verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz zulässig ist zB kann es mangels des Bestehens subjektiver Rechte des Rechtsschutzsuchenden an der Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) fehlen. Doch ist ein kategorialer Ausschluss des Rechtsschutzes mit § 40 I 1 VwGO unvereinbar, es sei denn, dass sich ausnahmsweise aus dem europäischen Gemeinschaftsrecht, dem Verfassungsrecht oder einem mit Art 19 IV 1 GG respektive der staatlichen Justizgewährungspflicht konformen späteren Bundesgesetz etwas anderes ergibt (vgl Fall 11 Rn 41; 44). § 40 VwGO bezieht sich nur auf das Erkenntnis-, nicht auf das Vollstreckungsverfahren. Wie sich der, § 40 VwGO verdrängenden, Vorschrift des § 168 VwGO entnehmen lässt, bestimmt im Vollstreckungsrecht die Herkunft des Titels den Rechtsweg. Geht es um verwaltungsgerichtliche Titel, ist stets der Verwaltungsrechtsweg gegeben (selbst wenn sich ein verwaltungsgerichtlicher Vergleich auf die Titulierung privatrechtlicher Ansprüche bezieht 93), in allen anderen Fällen gerichtlicher Vollstreckung ist dies nicht der Fall. Im Einzelnen normiert § 40 I 1 VwGO vier Voraussetzungen, nämlich das Erfordernis einer Streitigkeit (a), einer „Rechts“-Streitigkeit (b), einer „nichtverfassungsrechtlichen“ Streitigkeit (c) und einer „öffentlich-rechtlichen“ Streitigkeit (d). Die Generalklausel spricht zwar von ör Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, erwähnt also das Erfordernis einer nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeit am Schluss. IdR wirft die Feststellung des verfassungsrechtlichen oder nichtverfassungsrechtlichen Charakters einer Streitigkeit aber keine Probleme auf, so dass sich eine Vorabprüfung empfiehlt.
89 Zum Ausdruck vgl Hufen VerwPrR, § 11 Rn 4. 90 Das BVerfG leitet die allgemeine Justizgewährungspflicht, die auch ör Streitigkeiten betrifft (zB wenn ein Verwaltungsträger ein Leistungsbegehren gerichtlich verfolgen will), in st Rspr aus dem Rechtsstaatsprinzip iVm Art 2 I GG her. Vgl BVerfGE 93, 99, 107; 107, 395, 401 ff; 116, 135, 150. 91 Näher dazu Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 1 ff; Sydow Die Verwaltungsgerichtsbarkeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts, 2000. 92 Insbesondere wird die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nicht von dem Vorliegen eines VA abhängig gemacht. 93 Vgl Pietzner in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 168 Rn 2, 23 ff.
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Lösung Fall 11: Bei Zugrundelegung der hM 94 ist ein verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz des L ausgeschlossen. Dies wird damit begründet, dass nach Art 41 GG iVm § 49 BWG, §§ 1 ff WahlprüfG 95, 13 Nr 3, 48 BVerfGG etwaige Wahlfehler gerichtlich nur nach Maßgabe des Wahlprüfungsverfahrens (nach vorheriger Entscheidung des Bundestages) vor dem BVerfG geltend gemacht werden können. Doch ist der genannten Ansicht nicht zu folgen.96 Das Wahlprüfungsverfahren stellt ein objektiv-rechtliches, an einschränkende Voraussetzungen gebundenes 97, nachträgliches Verfahren dar und dient damit nicht der Durchsetzung des individuellen Wahlrechts. Da die Voraussetzungen des § 40 I 1 VwGO vorliegen, das Ziel des Art 41 GG (eine termingerechte und einheitliche Durchführung der Wahl sicherzustellen) durch den Antrag des L nicht in Frage gestellt wird und die Ablehnung individuellen Rechtsschutzes zudem Art 19 IV GG widerspricht, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.
a) Erfordernis einer Streitigkeit 45
§ 40 I 1 VwGO setzt zunächst das Vorliegen einer Streitigkeit voraus. Eine solche liegt nur vor, wenn mindestens zwei rechtsfähige oder teilrechtsfähige Subjekte (Personen) eine Kontroverse austragen. An der Personenmehrheit fehlt es, wenn der Rechtsschutzsuchende Rechtsschutz gegen sich selbst begehrt. Dies schließt allerdings Innenrechtsstreitigkeiten innerhalb ein und derselben juristischen Person nicht aus (→ Rn 50). Von einer Kontroverse kann zB nicht gesprochen werden, wenn es dem Rechtsschutzsuchenden um die gutachterliche Klärung einer abstrakten Rechtsfrage geht.
b) Erfordernis einer Rechtsstreitigkeit 46
Fall 12: Strafgefangener M schreibt regelmäßig Briefe an seine Familie. Die Leitung der Strafvollzugsanstalt befürchtet, dass darin Pläne für einen Ausbruch geschmiedet werden und öffnet die Briefe. M erhebt dagegen verwaltungsgerichtliche Klage.
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Fall 13: N ist Pfarrer einer als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisierten Kirche und von dieser mit sofortiger Wirkung wegen theologischer Irrlehren entlassen worden. Daraufhin hat N gegen seine Entlassung und wegen seiner Auffassung zu Unrecht zurückbehaltener Gehaltszahlungen verwaltungsgerichtliche Klage erhoben.
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Ferner begründet § 40 I 1 VwGO eine Rechtswegzuständigkeit der allgemeinen VG nur für (öffentlich-)rechtliche Streitigkeiten. Da die Setzung des Rechts – jedenfalls in der westlichen Welt – den Staaten oder supranationalen Gemeinschaften obliegt, muss es sich um staatliches respektive supranationales Recht oder jedenfalls um Regelungen handeln, die von diesen Hoheitsträgern anerkannt werden.98 Da der Staat ein rechtlich konstituiertes und
94 Vgl insbesondere BVerfGE 22, 277, 281; 46, 196, 198; 66, 232, 234; Schreiber Handbuch zum Wahlrecht zum Deutschen Bundestag, 7. Aufl 2002, § 49 Rn 3; Badura in: Dolzer, Bonner Kommentar zum GG, Anh zu Art 38: BWahlG Rn 91; Deter VBlBW 1991, 93, 95. 95 Sart Nr 32. 96 Vgl auch Franzke DVBl 1980, 730 ff; Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 187; Schenke VerwPrR, Rn 132. 97 Vgl § 48 I BVerfGG. 98 In Betracht kommt neben dem geschriebenen Recht auch Gewohnheitsrecht (das eine von der Rechtsüberzeugung getragene lang andauernde Übung voraussetzt).
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bestimmtes Gebilde ist, handelt es sich bei einem Streit um Aufgaben, Befugnisse oder Verpflichtungen des Staates immer um Rechtsstreitigkeiten. Das schließt justizfreie Hoheitsakte des Staates kraft ausdrücklichen Ausschlusses eines Rechtsschutzes 99 oder wegen des Nichteingreifens einer Gerichtsbarkeit 100 bzw des Fehlens anderer Sachentscheidungsvoraussetzungen 101 zwar nicht aus, ändert aber nichts an dem Vorliegen einer Rechtsstreitigkeit. Anders als dies früher oftmals vertreten wurde, handelt es sich auch bei einem Streit über Maßnahmen in (früher sog) besonderen Gewaltverhältnissen, staatlichen Innenrechtsmaßnahmen, Regierungsakten und Petitionen um Rechtsstreitigkeiten. Die in der konstitutionell-monarchischen Ära vertretene Auffassung 102, welche die besonderen Gewaltverhältnisse im Staat (im Gegensatz zum Staat-Bürger-Verhältnis) nur dem Innenbereich des Staates zuordnete und diesen Bereich wegen der Verengung des Rechtssatzbegriffes auf die Abgrenzung selbständiger Willenssphären verschiedener Rechtssubjekte (Jellinek; Laband) oder die Regelung von Eingriffen in Freiheit und Eigentum (Anschütz; Thoma) aus dem Recht ausklammerte, ist mit dem geltenden Verfassungsrecht unvereinbar.103 Deshalb wird heute zu Recht nicht mehr von besonderen Gewaltverhältnissen, sondern von Sonderverbindungen 104 oder Sonderstatusverhältnissen 105 gesprochen. Streitigkeiten über Sonderstatusverhältnisse sind Rechtsstreitigkeiten 106, in vielen Fällen Außenrechtsstreitigkeiten. Nichts anderes gilt für Innenrechtsstreitigkeiten (auch Organstreitigkeiten genannt), wie zB die Kommunalverfassungsstreitigkeiten (etwa Streitigkeiten zwischen dem Rat einer Gemeinde und dem Bürgermeister oder zwischen Ratsmitgliedern und dem Rat).107 Unter Innenrechtsstreitigkeiten sind Streitigkeiten zwischen Funktionssubjekten einer Organisation über die Ausübung von Zuständigkeiten zu verstehen. Da der Binnenbereich staatlicher Organisationen und deren Untergliederung rechtlich strukturiert ist, stellen sich diesbezügliche Auseinandersetzungen ebenfalls als Rechtsstreitigkeiten dar. § 40 I 1 VwGO erstreckt sich auf alle Rechtsstreitigkeiten, unabhängig davon, ob sie dem Innenoder dem Außenrecht zuzuordnen sind. Die Zulässigkeit von Innenrechtsstreitigkeiten im staatlichen Binnenbereich hängt daher nicht von § 40 I VwGO, sondern von anderen Sachentscheidungsvoraussetzungen ab: vor allem davon, ob sich der Rechtsschutzsuchende auf eine wehrfähige Innenrechtsposition berufen kann (→ Rn 149). Auch wenn zwischen Regierung und Verwaltung zu unterscheiden ist 108, handelt es sich bei den Regierungsakten (dh den staatsleitenden Akten oberster Staatsorgane) um Rechts-
99 Vgl Art 10 II 2, 44 IV 1 GG. 100 Handelt es sich um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit, ist diese nur justiziabel, wenn eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichts besteht. 101 ZB sind verwaltungsgerichtliche Anträge vorbehaltlich einer anderweitigen gesetzlichen Bestimmungen unzulässig, wenn der Kläger nicht gem oder entspr §§ 42 II, 47 II 1 VwGO geltend machen kann, in seinen Rechten verletzt zu sein. 102 Vgl zB Laband Staatsrecht, Bd 2, 5. Aufl 1911, 181. 103 Grundl BVerfGE 33, 1 ff (Strafgefangenenentscheidung). 104 Vgl Loschelder Vom besonderen Gewaltverhältnis zur ör Sonderverbindung, 1982. 105 Vgl zB Ehlers in: Erichsen/ders, AllgVerwR, § 2 Rn 35; § 5 Rn 20. 106 Vgl Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, GG Kommentar, Art 19 IV Rn 86. 107 Näher dazu Erichsen FS Menger, 211 ff; Schoch JuS 1987, 783 ff; Ehlers NVwZ 1990, 105 ff; Bethge in: Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd 1, 3. Aufl 2007, § 28. 108 Vgl BVerfGE 105, 279, Warnung vor Jugendsekten → JK GG Art 4 I, II/23 a.
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akte.109 Vielfach fehlt Klägern gegen Regierungsakte mangels des Bestehens subjektiver Rechte allerdings die Klagebefugnis. Macht der Einzelne von seinem Petitionsrecht (Art 17 GG) Gebrauch, hat er zwar keinen Anspruch auf Erfüllung eines materiellen Sachbegehrens 110, wohl aber ein Recht auf Entgegennahme der Petition, sachliche Prüfung und Bescheidung.111 Da der Petitionsausschuss dem Bürger gegenüber in derselben oder in ähnlicher Weise wie eine Verwaltungsbehörde tätig wird, sind die Verwaltungsgerichte auch für den Rechtsschutz gegen Petitionsbescheide zuständig.112 Nach wie vor umstritten ist die Justiziabilität von Gnadenentscheidungen. Da Gnade „vor Recht“ ergehe, wird in der Rspr vielfach die Meinung vertreten, dass es sich bei Gnadenentscheidungen um außerhalb der Rechtsordnung stehende justizfreie Hoheitsakte handelt.113 Demgegenüber soll gegen den Widerruf begünstigender Gnadenentscheidungen der Rechtsweg gewährleistet sein, weil sich die dem Verurteilten zuvor im Gnadenwege eingeräumte Rechtsstellung verschlechtert.114 Da die Exekutive immer an die durch Art 1 III, 20 III GG gezogenen Grenzen gebunden ist, so dass beispielsweise stets das Willkürverbot beachtet werden muss, vermag die teilweise Verweigerung eines Rechtsschutzes nicht zu überzeugen.115 Jedoch ist gegen Gnadenentscheidungen nicht der Verwaltungsrechtsweg gegeben, da es sich bei Begnadigungen in Bezug auf Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten um Akte auf dem Gebiet der Staatsrechtspflege handelt, für die gem §§ 23 ff EGGVG der ordentliche Rechtsweg eröffnet ist. Schließlich sind früher Rechtsschutzanträge gegen religiöse (kirchliche) Körperschaften des öffentlichen Rechts 116 weithin als unzulässig abgewiesen worden, weil sich der Staat wegen des in Art 140 GG iVm 137 III WRV garantierten Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften nicht in innerkirchliche Angelegenheiten einmischen dürfe.117 Diese Rspr ist in der Literatur seit langem auf Kritik gestoßen.118 Die neuere Rspr hat sich die Kritik der Literatur (jedenfalls teilweise) zu Eigen gemacht. Aus der Justizgewährungspflicht folge, dass die staatlichen Gerichte grundsätzlich zur Entscheidung aller Rechtsfragen berufen sind, deren Beurteilung sich nach staatlichem Recht richtet.119 Das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften schränke nicht die Justizgewährungspflicht des Staates, sondern nur das Maß der Justiziabilität ein. Nach wie vor ist aber eine Reihe von Streitfragen nicht geklärt. So geht das BVerwG (zu Unrecht) davon aus,
109 So beurteilt sich die Anordnung militärischen Bereitschaftsdienstes gem § 6 VII WPflG aF (heute § VI) nicht nur nach politischem Ermessen (so aber BVerwGE 15, 63 ff). Wie hier Schenke VerwPrR, Rn 92. Vgl aber auch BVerfGE 15, 46, 66. 110 BVerfGE 2, 225, 230; BVerwG, NJW 1977, 118. 111 Vgl statt vieler Stettner in: Dolzer, Bonner Kommentar zum GG, Art 45 C, Rn 111. 112 Vgl auch BVerfG-K, DVBl 1993, 32; BVerwG, NJW 1991, 936, 937. 113 BVerfGE 25, 352, 358 ff; BVerfG-K, NJW 2001, 3771. 114 BVerfGE 30, 108, 110 f. 115 So auch die hL. Vgl statt vieler Schenke in: Dolzer, Bonner Kommentar zum GG, Art 19 IV Rn 236; Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, GG Kommentar, Art 19 IV GG Rn 80. 116 Für Klagen von Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts ist in konsequenter Weise zumeist anderes angenommen worden. 117 Vgl statt vieler Ehlers JuS 1989, 364 ff mwN. 118 Vgl etwa v Campenhausen AöR 112 (1987) 623 ff; v Campenhausen/de Wall Staatskirchenrecht, 4. Aufl 2006, 309 ff. Kästner Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, 1991, 101 ff. 119 BVerfG, NJW 1999, 349; BGH, NJW 2000, 1555, 1556.
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dass für die Klage eines Geistlichen gegen seine Versetzung in den Ruhestand, der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten nicht eröffnet ist (→ Fall 13 Rn 47; 56). Lösung Fall 12: Der Verwaltungsrechtsweg ist gem § 40 I 1 VwGO nur eröffnet, wenn eine Streitigkeit ör Art vorliegt. Früher wurden die sog besonderen Gewaltverhältnisse in den Einrichtungen des Staates aus dem Recht ausgeklammert, was zur Folge hatte, dass ein Strafgefangener mit Eintritt in die staatliche Einrichtung (jedenfalls weitestgehend) seine Rechtssubjektivität verlor. Diese Auffassung ist heute nicht mehr vertretbar.120 Da sich M auf seine Grundrechte berufen kann, ist eine (Außen-) Streitigkeit gegeben. Jedoch greift die Sonderzuweisung des § 109 StVollzG iVm § 78a I 2 Nr 2 GVG ein, so dass der Rechtsstreit an die Strafvollstreckungskammer des LG zu verweisen ist (§ 17a II 1 GVG).
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Lösung Fall 13: Soweit N Klage gegen seine Entlassung erhoben hat (sog Statusklage), ist nach Ansicht des BVerwG 121 die Klage unzulässig, weil es sich um eine kirchliche Maßnahme handelt, für die das für alle geltende Gesetz (Art 140 GG iVm 137 III 1 WRV) nicht gilt, so dass staatlicher Rechtsschutz nicht in Betracht kommt. Für Gehaltsklagen wird zumeist anderes angenommen.122 Nach der hier vertretenen Ansicht ist der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten immer gegeben, wenn sich der Kläger auf eine Verletzung staatlich gewährter Rechtspositionen beruft und eine solche Position zumindest denkbar erscheint. Letzteres trifft nicht nur auf Gehaltsklagen, sondern auch auf Entlassungen der Bediensteten zu. Beispielsweise können allgemein zu respektierende Mindesterfordernisse der staatlichen Rechtsordnung uU einer sofortigen Entlassung entgegenstehen. Da Pfarrer ör organisierter Religionsgemeinschaften in einem ör Dienst- und Treueverhältnis stehen, ist auch der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Ob die Klage im Übrigen zulässig ist, bestimmt sich nach anderen Sachentscheidungsvoraussetzungen. ZB muss der Kläger klagebefugt sein (was nicht der Fall ist, wenn das staatliche Recht eine Rechtsposition der behaupteten Art nicht kennt). Ferner soll bei Zugrundelegung der Auffassung der Rspr für die Anrufung staatlicher Gerichte das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, wenn die Möglichkeit besteht, die Streitigkeiten durch Anrufung kircheneigener Gerichte oder Schlichtungsgremien beizulegen.123
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c) Erfordernis einer nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeit Die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs setzt nach der Generalklausel des § 40 I 1 VwGO des Weiteren das Vorliegen einer Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art voraus. Sinn der Ausklammerung verfassungsrechtlicher Streitigkeiten ist es, die verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeiten auf die Gewährung von Rechtsschutz in Verwaltungsangelegenheiten zu beschränken, die Einmischung in die Willensbildung und Betätigung oberster Staatsorgane dagegen dem qualifizierten Entscheidungsvorbehalt verfassungsgerichtlicher Erkenntnis zu unterstellen.124
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Grundl BVerfGE 33, 1 ff (Strafgefangenenentscheidung). BVerwGE 117, 145 ff; vgl aber auch BVerwGE 116, 86, 88. BGHZ 154, 306 ff. Vgl BVerfG-K, NJW 1999, 349, 350; BGHZ 154, 306, 312. Krit Ehlers in: Sachs, GG, Art 140 GG/137 WRV Rn 17. 124 Vgl auch Löwer in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 70 Rn 6.
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Fall 14: Bürger O wendet sich im Wege der Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Klage gegen die Auflösung eines Landtags, die Ladung eines Untersuchungsausschusses des Bundestages, die Warnung der Bundesregierung vor Jugendsekten und die Allgemeinverbindlichkeitsklärung eines Tarifvertrages, Bundestagsabgeordneter P gegen einen ihn betreffenden Ordnungsruf des Bundestagspräsidenten während der Bundestagssitzung sowie gegen die zu niedrige Festsetzung seiner Abgeordnetendiäten und die Zuweisung eines Büros mit Blick nach Norden (statt nach Süden).
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Einigkeit besteht darüber, dass eine Streitigkeit nicht schon dann verfassungsrechtlicher Art iSd § 40 I 1 VwGO ist, wenn über Verfassungsrecht gestritten wird. Abgesehen davon, dass das Verwaltungsrecht weithin konkretisiertes Verfassungsrecht ist 125 und fast jede ör Streitigkeit auch ein Streit über Verfassungsrecht ist (zB über das Gesetzmäßigkeitsprinzip, die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots oder die Beachtung der Grundrechte), so dass bei einem Abstellen auf das Verfassungsrecht für eine eigene Verwaltungsgerichtsbarkeit kaum noch Raum bliebe, zeigen das Gebot der Rechtswegerschöpfung des § 90 II BVerfGG sowie die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde 126, dass nicht alle Streitigkeiten über Bundes- oder Landesverfassungsrecht als verfassungsrechtliche Streitigkeiten iSd § 40 I 1 VwGO angesehen werden können. Nicht gefolgt werden kann auch der Ansicht 127, dass unter verfassungsrechtlichen Streitigkeiten iSv § 40 I 1 VwGO die den Verfassungsgerichten vorbehaltenen Streitigkeiten zu verstehen sind. Abgesehen davon, dass § 40 I 1 VwGO bewusst 128 nicht auf die Nachprüfbarkeit durch ein Verfassungsgericht abstellt, wäre eine solche Gleichsetzung auch ohne eigenständige Bedeutung, weil der Verwaltungsrechtsweg für die ausdrücklich den Verfassungsgerichten zugewiesene Streitigkeiten schon nach § 40 I 1 HS 2 VwGO ausscheidet, das Kriterium „Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art“ also keinen Sinn ergäbe. Kommt es nicht nur auf die Rechtswegzuweisung an die Verfassungsgerichte an, kann es verfassungsrechtliche Streitigkeiten geben, die nicht justiziabel sind, weil die enumerativ festgelegten Zuständigkeiten der Verfassungsgerichte nicht berührt werden.129 Abzulehnen ist auch die weit verbreitete Meinung, dass sich Streitigkeiten iSd § 40 I 1 VwGO dadurch auszeichnen, dass sich Verfassungsorgane über Verfassungsrecht streiten (sog doppelte Verfassungsunmittelbarkeit).130 Die Anwendung dieser „Faustformel“ kommt zwar in vielen Fällen zu zutreffenden Ergebnissen, versagt aber gerade in den problematischen. ZB unterliegt es keinem Zweifel, dass die Klage eines Bürgers auf Erlass oder Aufhebung eines Parlamentsgesetzes eine verfassungsrechtliche Streitigkeit betrifft, für welche die VG nicht zuständig sind
125 Vgl Werner DVBl 1959, 527. 126 Vgl BVerfGE 86, 382 f → JK BVerfGG § 90 II/6; BVerfGE, NVwZ 2000, 1407 f → JK BVerfGG § 90 II/7; BayVerfGH, BayVBl 1992, 526 → JK VwGO § 40 I/24; Hillgruber in: Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 2. Aufl 2006, Rn 205, 209 ff, 216 ff. 127 Vgl Wertenbruch DÖV 1959, 506, 507. 128 Zur Entstehungsgeschichte vgl BT-Drucks 3/55, 30. 129 Vgl auch BVerfGE 13, 54, 96 f; Kunig JURA 1990, 386, 387. 130 Vgl etwa BVerwG, NJW 1976, 637, 638; BayVerfGH, DÖV 1992, 967; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 56; Hufen VerwPrR, § 11 Rn 49 ff; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 188 f; Würtenberger VerwPrR, Rn 161.
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Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen
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(obwohl der Bürger kein Verfassungsrechtssubjekt ist, also nicht auf beiden Seiten des Streites am Verfassungsleben beteiligte Subjekte stehen).131 Nach der hier vertretenen Ansicht liegt eine verfassungsrechtliche Streitigkeit iSd § 40 I 1 VwGO vor, wenn der Rechtsschutzgegner ein Verfassungsrechtssubjekt ist, das als solches verpflichtet werden soll.132 Unter Verfassungsrechtssubjekten sind Stellen und Personen der Staatsorganisation zu verstehen, die durch das Verfassungsrecht errichtet und organisiert werden. Lediglich auf den Rechtsschutzgegner kommt es an, weil die Ausklammerung der verfassungsrechtlichen Streitigkeiten aus dem Anwendungsbereich des § 40 I VwGO nur den Rechtsschutzgegner vor einer gerichtlichen Kontrolle seiner verfassungsrechtlichen Kompetenz durch die VG schützen will. Stets muss es um das rechtliche Können, Dürfen oder Müssen eines Verfassungsrechtssubjekts als solches gehen, dh um dessen (materielle) verfassungsrechtliche Funktionen. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn ein Handeln, Dulden oder Unterlassen verlangt wird, das nicht notwendigerweise einem Verfassungsrechtssubjekt vorbehalten ist (sondern auch von einem Verwaltungsrechtssubjekt verlangt werden kann). Verfassungsrechtlicher Art sind zB Präsidentenanklagen (Art 61 GG), Immunitätsentscheidungen (Art 46 II, III GG), Streitigkeiten iSd Art 93 I Nr 1, 2, 2a, 4 133, 4b GG oder Normenverifikationen (Art 100 II GG), nichtverfassungsrechtlicher Art dagegen Klagen auf Erlass untergesetzlicher (dh exukutiver) Normen 134 (zB auf Erlass einer VO oder einer Satzung), auf Erlass von Gnadenentscheidungen, auf Erstattung von Wahlkampfkosten 135 oder Klagen gegen Prüfungsberichte der Rechnungshöfe 136 bzw Verfassungsschutzberichte 137. Lösung Fall 14: Für die Klage des O gegen die Auflösung des Landtages ist der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet, weil es um die spezifische Position eines Verfassungsrechtssubjekts als solche geht (Landtag).138 Im Hinblick auf die Klage gegen die Ladung des Untersuchungsausschusses ist zwar mangels Eingreifens des (nur den Abschlussbericht betreffenden) Art 44 IV 1 GG der Rechtsweg nicht ausgeschlossen. Es handelt sich auch um eine nicht verfassungsrechtliche Streitigkeit, weil der Untersuchungsausschuss wie eine Ver-
131 Auch das BVerwG hält verfassungsrechtliche Streitigkeiten zwischen Staat und Bürger für möglich. Vgl zB BVerwGE 51, 69, 71; BVerwG, NJW 1985, 2344, 2346. Ferner Sodan NVwZ 2000, 601, 607; Bethge JuS 2001, 1100, 1101. Krit Seiler DVBl 2007, 538, 541 f. Vgl ferner Bethge JURA 1998, 529, 533; Kraayvanger Der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit im Sinne des § 40 I 1 VwGO, 2004. 132 Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 149; zust Rennert in: Eyermann, VwGO, § 40 Rn 21; Sodan in: ders/Ziekow, VwGO, § 40 Rn 210 ff. 133 Vgl BVerfGE 109, 1, 5 → JK BVerfGG § 64 III/4. 134 Vgl zur Leistungsklage/Feststellungsklage: Hufen VerwPrR, § 20 Rn 8; aA Schenke VerwPrR, Rn 131. 135 Der Bundespräsident wird in solchen Fällen nur als mittelverwaltende Stelle nach Maßgabe des § 19a oder des § 20 ParteiG (Sart Nr 58) tätig. Dementsprechend handelt der Bundestagspräsident im Falle einer Rückforderung wegen unrichtiger Festsetzung „durch VA“ (§ 31a III 1 ParteiG). Vgl auch BVerfGE 27, 152, 157; 28, 97, 102 f; BVerwGE 111, 175 → JK GG Art 21/3. 136 Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 191. 137 Teilweise aA Gusy NVwZ 1986, 6, 11. 138 Selbst ein Abgeordneter könnte nicht vor dem VG klagen, sondern müsste einen Antrag beim Verfassungsgericht im Organstreitverfahren stellen. Vgl auch Schenke VerwPrR, Rn 130.
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waltungsbehörde tätig wird. Doch ist gem § 36 I PUAG 139 nur die Zuständigkeit des BGH eröffnet. Bei der Warnung der Bundesregierung vor Jugendsekten soll es sich nach dem BVerfG 140 zwar um Regierungstätigkeit (im Gegensatz zur Verwaltungstätigkeit) handeln. Dies ändert aber nichts daran, dass eine Warnung von allen Verwaltungsbehörden ausgesprochen werden kann, die Regierung also nicht gerade als solche in Anspruch genommen wird.141 Da kein Sachzusammenhang zum Privatrecht gegeben ist, liegt auch eine ör Streitigkeit vor. Allgemeinverbindlichkeitserklärungen sind zwar Akte der Rechtsetzung, gehören gem § 5 TVG aber nicht der parlamentarischen Rechtsetzung an, so dass sie nichtverfassungsrechtlichen Charakter iSd § 40 I 1 VwGO haben.142 Da der Bundestagspräsident beim Ordnungsruf im Bundestag gerade als Verfassungsrechtssubjekt als solches tätig wird 143, scheidet insoweit der Verwaltungsrechtsweg aus. P hat nur die Möglichkeit, einen Antrag nach Art 93 I Nr 1 GG zu stellen.144 Im Übrigen ist für die Klagen des P der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Sowohl bei der Festsetzung der Abgeordnetendiäten 145 als auch bei der Zuweisung von Büroraum geht es nicht um die Verfassungsorganstellung der Abgeordneten als solche. Demgemäß wird der Bundestagspräsident als Verwaltungsbehörde tätig.
d) Erfordernis einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit 62
Von zentraler Bedeutung für die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs ist das Erfordernis einer ör Streitigkeit. Das Tatbestandsmerkmal dient der Abgrenzung zu den bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, für die nach § 13 GVG die ordentlichen Gerichte zuständig sind. Die Unterscheidung dieser beiden Arten von Streitigkeiten gehört zu den am meisten erörterten und diffizilsten Problemen des Prozessrechts. Einer ausführlichen Erörterung bedarf es nur, wenn Anlass dazu besteht. Zunächst stellt sich die Frage, auf welchen Bezugspunkt der Qualifizierung der Streitigkeit abzustellen ist (1). Sodann ist das Augenmerk auf die Unterscheidung (2) und Geltung (3) von öffentlichem und privatem Recht sowie auf die an das Rechtsschutzvorbringen zu stellenden Anforderungen (4) zu richten. Einige problematische Abgrenzungsfälle sollen der Verdeutlichung dienen (5).
(1) Bezugspunkt des Charakters der Streitigkeit 63
Fall 15: Gemeinde X veranstaltet ein nach Maßgabe der GewO festgesetztes Volksfest. Die Standplätze werden privatrechtlich vermietet. Q erhält keinen Stand zugewiesen. R wird aufgegeben, seinen Stand den Gepflogenheiten anzupassen. Q und R erwägen eine Klage. Welche Gerichtsbarkeit ist zuständig?
139 Sart Nr 6. 140 Vgl BVerfGE 105, 279, Warnung vor Jugendsekten → JK GG Art 4 I, II/23 a. 141 Vgl auch BVerwGE 82, 79 ff; Kopp/Schenke VwGO, § 40 Rn 35; Sodan in: ders/Ziekow, VwGO, § 40 Rn 224. 142 Vgl Ehlers in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 160. 143 Vgl § 36 GO BT (Sart Nr 35). 144 Vgl BVerfGE 60, 374, 378. 145 Vgl auch BVerwG, NJW 1985, 2344 ff; BVerwG, NJW 1990, 462.
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Fall 16: Die S-Partei möchte in der von der stadteigenen Gesellschaft der Stadt Y betriebenen Stadthalle ihren Bundeskongress durchführen. Die Gesellschaft weigert sich, einen Mietvertrag abzuschließen. Kann die S die Gesellschaft auf Vertragsabschluss oder Y auf Zugang zu der Stadthalle vor dem VG verklagen?
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(a) Maßgeblichkeit einer eindeutigen Rechtswahl der verklagten Verwaltung Eines näheren Eingehens auf die Abgrenzung von ör und bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten bedarf es dann nicht, wenn sich ein Rechtsschutzsuchender gegen ein Handeln der Verwaltung wendet und die Verwaltung durch rechtsgeschäftliche Erklärung (zB durch Erlass eines VA) eindeutig zu erkennen gegeben hat, auf welches Rechtsregime sie sich gestützt hat. Wurde seitens des Verwaltungsträgers eine eindeutige Formwahl getroffen, gilt das gewählte Rechtsregime unabhängig davon, ob das öffentliche respektive private Recht gewählt werden durfte. Rechtmäßigkeit und Rechtsnatur einer Maßnahme müssen auseinander gehalten werden. Entscheidend für die Rechtsnatur ist nur, was der Verwaltungsträger getan hat, nicht, was er hätte tun müssen oder dürfen.146 Dementsprechend ist ohne Weiteres eine ör Streitigkeit gegeben, wenn sich der Kläger gegen einen mit Rechtsmittelbelehrung iSd VwGO versehenen Leistungsbescheid (VA) der Verwaltung wendet, auch wenn die Verwaltung eine privatrechtliche Forderung geltend macht, also gar nicht zum Erlass des VA befugt war.147 Für den Prüfungsaufbau bedeutet dies, dass das Vorliegen einer eindeutigen Rechtswahl der Verwaltung im Falle ihrer gerichtlichen Inanspruchnahme zunächst untersucht werden sollte.
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(b) Maßgeblichkeit der Rechtsnatur des Rechtsverhältnisses Ob eine Streitigkeit ör oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich nach ständiger Rspr, wenn eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers fehlt, (im Übrigen) nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird.148 Ör ist ein Rechtsverhältnis, wenn die maßgeblichen Normen dem öffentlichen Recht angehören, bürgerlich-rechtlich, wenn das Rechtsverhältnis dem Privatrecht unterliegt. Offen bleibt zumeist, was die Rspr in diesem Zusammenhang unter einem Rechtsverhältnis versteht. Der Begriff wird sinnvariierend im Rechtsleben gebraucht (→ § 25 Rn 5 ff). Im engeren Sinne sind unter einem Rechtsverhältnis die sich aus einer Regelung ergebenden rechtlichen Beziehungen zu verstehen. Hierauf wird zumeist bei der Erhebung von Feststellungsklagen gem § 43 VwGO (gerichtet auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses) oder bei der Beantragung von Regelungsanordnungen gem § 123 I 2 VwGO (gerichtet auf Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis 149) abgestellt. Im weiteren Sinne besteht ein Rechtsverhältnis aus der Gesamtheit einander zweckhaft zugeordneter Rechtsbeziehungen. So wird zB von einem Sozial-, Subventions- oder Beamtenverhältnis gesprochen. Lassen sich mehrere Rechtsverhältnisse unterscheiden, orientiert sich die Rspr bei der Rechtswegabgrenzung grundsätzlich an dem Rechtsverhältnis im weiteren Sinne (nicht an einzelnen Berechtigun146 Ehlers in: Erichsen/ders, AllgVerwR, § 3 Rn 51. 147 Vgl auch BVerwGE 105, 302 ff; Druschel Die Verwaltungsaktbefugnis, 1999, 112 f. 148 Vgl GmS-OGB BSGE 37, 292; GmS-OGB BGHZ 97, 312, 313 f; GmS-OGB BGHZ 102, 280, 283; GmS-OGB BGHZ 108, 284, 286; BVerwGE 129, 9 ff → JK VwGO § 40 I/37. 149 Vgl dazu Schoch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn 73 ff.
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gen oder Verpflichtungen aus dem Rechtsverhältnis). Regelmäßig soll es darauf ankommen, ob die Beteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen und sich der Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient.150 Eine ör Streitigkeit könne allerdings auch auf einem Gleichordnungsverhältnis beruhen. Gleichordnungsverhältnisse seien ör, wenn die das Rechtsverhältnis beherrschenden Rechtsnormen nicht für jedermann gelten, sondern Sonderrechte oder Sonderpflichten des Staates oder sonstiger Träger öffentlicher Aufgaben sind und sich die Rechtsnormen zumindest auf einer Seite nur an Hoheitsträger wenden.151 Diese Art der Abgrenzung hat vor allem im Falle eines Handelns der privatrechtlich tätig werdenden Verwaltung Bedeutung. Die Rspr stellt in solchen Fällen auf das Basisrecht 152 (nicht die streitentscheidende Norm) ab. Dies bedeutet, dass die gerichtliche Kontrolle an die privatrechtliche Handlungsform des Handelns „angeseilt“ wird.153 ZB soll für Streitigkeiten über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen mit einem Auftragswert unterhalb der in der Vergabeverordnung genannten Schwellenwerte 154 wegen der privatrechtlichen Rechtsnatur der Vergabeverträge 155 nicht der Rechtsweg zu den VG, sondern der ordentliche Rechtsweg gegeben sein, selbst wenn nur über das Gleichbehandlungsgebot des Art 3 I GG (also eine Norm des öffentlichen Rechts) gestritten wird.156 Die ordentlichen Gerichte sollen befugt und verpflichtet sein, im Rahmen ihrer Zuständigkeit nach § 13 GVG über die ör Bindungen eines privatrechtlichen Verwaltungshandelns mit zu entscheiden.157 Insbesondere wenn Privatrechtssubjekte (zB die Eigengesellschaft eines Verwaltungsträgers und ein Privater) miteinander streiten, seien nur die ordentlichen Gerichte zuständig.158 Die Rspr verfährt jedoch vielfach inkonsequent. So werden die Nutzungsverhältnisse der kommunalen öffentlichen Einrichtungen idR privatrechtlich ausgestaltet, weil sich die Kommunen respektive ihre wirtschaftlichen Unternehmen bei der Teilnahme am Wirtschaftsleben fast immer privatrechtlicher Handlungsformen bedienen. Dennoch werden Streitigkeiten zwischen Einwohnern und einer Kommune über den Zugang zu einer kommunalen öffentlichen Einrichtung 159 sowie zwischen den privaten Konkurrenten kommunalwirtschaftlicher Unternehmen und einer Kommune über die Zulässigkeit eines Markt-
150 GmS-OGB BGHZ 97, 312, 314; GmS-OGB BGHZ 102, 280, 283; BVerwGE 129, 9 ff → JK VwGO § 40 I/37. 151 GmS-OGB BGHZ 108, 284, 286 f; BVerwG, NJW 2006, 2568; BVerwGE 129, 9 ff → JK VwGO § 40 I/37. 152 Pietzcker NVwZ 1983, 121, 124. 153 Vgl auch Burmeister DÖV 1975, 695, 698. 154 Vgl § 2 VgV (iVm § 100 I GWB). Erreichen die Aufträge die Schwellenwerte oder überschreiten sie diese, bestimmt sich der gerichtliche Rechtsschutz (nach einem vorgehenden verwaltungsrechtlichen Nachprüfungsverfahren) nach § 116 III GWB (Zuständigkeit der OLG). 155 Vgl Ehlers in: Erichsen/ders, AllgVerwR, § 3 Rn 47; Gurlit in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 29 Rn 6. 156 BVerwGE 129, 9 ff → JK VwGO § 40 I/37. 157 Vgl BVerwG, NVwZ 1991, 59. 158 Vgl BVerwG, NVwZ 1991, 59; NJW 2006, 2568. Vgl auch BGH, NJW 2000, 1042; BGHZ 155, 166. 159 Vgl statt vieler BVerwG, NJW 1990, 134 f; Schmidt-Aßmann/Röhl in: Schoch/Schmidt-Aßmann, Bes VerwR, 1. Kap Rn 109; Burgi Kommunalrecht, 2006, § 16 Rn 33.
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zutritts der Kommune 160 einhellig als ör Streitigkeiten angesehen. Statt auf das (durch die Verwendung der privatrechtlichen Handlungsformen der Verwaltung bestimmte) Basisrecht wird in solchen Fällen also doch auf die streitentscheidende (Bindungs-) Norm der privatrechtlich tätig werdenden Verwaltung abgestellt. Dies erscheint nur folgerichtig, wenn das Rechtsverhältnis entweder iSd Zweistufenlehre (iS einer ör Entscheidung über das Grundverhältnis und privatrechtlicher Abwicklung) aufgespalten wird oder zwischen verschiedenen Rechtsverhältnissen (etwa privatrechtliches Rechtsverhältnis zu den Leistungsempfängern und ör Rechtsverhältnis zu den Konkurrenten) differenziert werden könnte und müsste.161 Doch ist jedenfalls die Zugrundelegung der Zweistufenlehre im Normalfall nicht gerechtfertigt, weil die Gemeindeordnungen die Kommunen nicht auf eine zweistufige Verfahrensweise festlegen und die Verwaltung (bei Verwendung privatrechtlicher Handlungsformen) regelmäßig nicht zweistufig verfährt.162 Außerdem beurteilt sich das Verhältnis der öffentlichen Hand zu den Konkurrenten (Wettbewerbern) auch nach dem Kartellrecht. Dieses Verhältnis soll nach der Rspr aber grundsätzlich privatrechtlich zu beurteilen sein.163 Lösung Fall 15: Stellt man auf das Rechtsverhältnis ab, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, müsste wegen des privatrechtlichen Charakters des Mietverhältnisses eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit angenommen werden. Demgegenüber geht die hM aber davon aus, dass für Klagen auf Teilnahme an Volksfesten, die von einer Gemeinde veranstaltet und festgesetzt werden, zumeist der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist.164 Dies lässt sich nur mit einer Aufspaltung des Rechtsverhältnisses nach Maßgabe der Zweistufenlehre respektive dem Abstellen auf die streitentscheidende Norm (§ 70 I iVm 60b II GewO) begründen. § 70 I GewO berechtigt und verpflichtet Jedermann (was typischerweise auf Privatrechtsnormen zutrifft), soll aber einen „ambivalenten“ Charakter haben 165, dh sowohl im privaten als auch im öffentlichen Recht gelten 166, da die Vorschrift auf die „für alle Veranstaltungsteilnehmer geltenden Bestimmungen abstellt“. Ist die Kommune Veranstalterin, wird § 70 GewO teilweise als Konkretisierung (oder Modifizierung) des (ör) kommunalrechtlichen Benutzungs-
160 Vgl zB OVG NRW, DVBl 2003, 133 → JK GO NW § 107 I/2; DVBl 2004, 1500 → JK GO NW § 107 I 1/3; Hess VGH, NVwZ 2003, 238 f (wonach für Rechtsschutzbegehren eines privaten KFZ-Schilderprägebetriebs gegen die privatrechtliche Vergabe von Räumen im Gebäude einer amtlichen KFZ-Zulassungsstelle der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist). 161 Grundlegend Ipsen FS Wacke, 1972, 139 ff; zur Rspr vgl Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 40 Rn 246 ff. 162 Krit zum fiktiven Charakter der Zweistufen-„Lehre“ sowie den damit heraufbeschworenen Komplikationen Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 255 ff; Maurer Allg VerwR, § 17 Rn 14 ff; Redeker/v Oertzen VwGO, § 40 Rn 23. 163 Vgl GmS-OGB BGHZ 102, 280 ff; BGHZ 66, 229 ff; 67, 81 ff; 82, 375 ff; 121, 126, 128 f. 164 Vgl Schönleiter in: Landmann/Rohmer, GewO, Bd 1, 1992, § 70 Rn 27; Ehlers in: Achterberg/ Püttner/Würtenberger, Besonderes Verwaltungsrecht, Bd 1, 2. Aufl 2000, § 2 Rn 84; Tettinger/Wank GewO, 7. Aufl 2004, § 70 Rn 60; Wagner in: Friauf, GewO, 2006, § 70 Rn 62 – jeweils mwN. 165 Vgl Tettinger/Wank GewO, 7. Aufl 2004, § 70 Rn 57; Wagner in: Friauf, GewO, 2006, § 70 Rn 61. 166 Näher zum gemeinsamen Recht, das keine dritte Kategorie zwischen dem privaten und dem öffentlichen Recht ist, sondern je nach Sachzusammenhang, in dem es im Einzelfall aktuell wird, entweder dem privaten oder dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist, Ehlers in: Erichsen/ders, AllgVerwR, § 3 Rn 24. Krit Burgi in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd 1, 2006, § 18 Rn 62.
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anspruchs 167 angesehen, teilweise iS einer Ermächtigung zu einer zweistufigen Verfahrensweise interpretiert, die regelmäßig unterstellt wird.168 Da der zuerst genannten Alternative nach der hier vertretenen Ansicht zu folgen ist (Konkretisierung oder Modifizierung des kommunalrechtlichen Benutzungsanspruchs), ist für die Klage des Q der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Demgegenüber geht es R nicht um die Teilnahme, sondern um die Art und Weise der vertraglichen Gestaltung. Diesbezügliche Streitigkeiten sind wegen des privatrechtlichen Charakters des Vertrages bürgerlich-rechtlicher Art, so dass die ordentliche Gerichtsbarkeit gem § 13 GVG zuständig ist.
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Lösung Fall 16: Stellt man mit der hM auf das Rechtsverhältnis ab, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, ist für die Klage gegen die Gesellschaft wegen des lediglich privatrechtlichen Tätigwerdens der Gesellschaft und damit des privatrechtlichen Rechtsverhältnisses der Verwaltungsrechtsweg nicht gegeben, selbst wenn S ihr Begehren nur auf eine Norm des öffentlichen Rechts (zB den auch Eigengesellschaften bindenden Gleichheitssatz des Art 3 I GG) stützt.169 Zu einem anderen Ergebnis kann man kommen, wenn man auf die streitentscheidende Norm abstellt. Als streitentscheidende Normen kommen sowohl Normen des öffentlichen Rechts (Art 3 I GG, § 5 I ParteiG, kommunalrechtlicher Benutzungsanspruch) als auch Normen des Privatrechts (§ 20 GWB, § 826 BGB) in Betracht, so dass sich S den Rechtsweg aussuchen kann. Über den rechtswegfremden Anspruch ist gem § 17 II 1 GVG mit zu entscheiden. Streitigkeiten zwischen Privaten und einer Gemeinde über den Zugang zu einer gemeindlichen Einrichtung werden von der Rspr auch dann als ör Streitigkeiten angesehen, wenn die Gemeinde die Einrichtung durch eine juristische Person des Privatrechts betreiben lässt.170 Insoweit wird also nicht auf das Rechtsverhältnis (zwischen den Privaten und der Gesellschaft), sondern nur auf die Rechtsbeziehung zwischen der Gemeinde und den Privaten abgestellt. Diese Beziehung wird wegen des ör Charakters des kommunalrechtlichen Benutzungsanspruchs und des Art 3 I GG dem öffentlichen Recht unterstellt. Die Rspr lässt die Klage auch nicht am Rechtsschutzbedürfnis scheitern, obwohl es einen einfacheren Weg gibt (Klage gegen die Gesellschaft).
(c) Maßgeblichkeit des Rechtsschutzbegehrens bzw der Rechtsnatur der streitentscheidenden Norm (Regelung) 70
Fall 17: Rechtsanwalt T klagt vor dem LG gegen eine Fachhochschule auf Unterlassung der Verleihung des akademischen Grades „Diplom-Wirtschaftsjurist“ für die Absolventen des von ihr eingerichteten Studienganges „Wirtschaftsrecht“.
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Fall 18: U wendet sich gegen eine baden-württembergische Polizeiverordnung, die das Betteln verbietet und zugleich vorsieht, dass Zuwiderhandlungen mit einem Bußgeld belegt werden können.
167 So Ehlers in: Erichsen/ders, AllgVerwR, § 3 Rn 84. 168 Vgl Tettinger/Wank GewO, 7. Aufl 2004, § 70 Rn 61; Wagner in: Friauf, GewO, 2006, § 70 Rn 62. Die Unterstellung einer zweistufigen Verfahrensweise findet in der Rechtswirklichkeit regelmäßig keine Grundlage. 169 Vgl BVerwG, NVwZ 1991, 59. 170 BVerwG, NJW 1990, 134 f.
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Nach einer in der Lit vertretenen Auffassung kommt es für die Abgrenzung von ör und bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten entgegen der Rspr nicht auf die Natur des Gesamtrechtsverhältnisses, sondern nur darauf an, ob das (Klage- bzw Antrags-)Begehren des Rechtsschutzsuchenden ör oder privatrechtlicher Art ist.171 Begründet wird dies zum einen damit, dass in den §§ 40 I 1 VwGO, 13 GVG von einem Rechtsverhältnis nicht die Rede ist und oftmals eine Vielzahl unterschiedlicher Rechtsverhältnisse in Betracht kommt. Zum anderen knüpfen auch die §§ 82 I 1, 88 VwGO und die Klagearten an das Klagebegehren an. Nichts anderes ergibt sich aus § 17 II 1 GVG, der – im Falle einer Kumulation von Klagegründen – voraussetzt, dass für ein und denselben prozessualen Rechtsstreit verschiedene Gerichtszweige zuständig sein können (→ Rn 130). Dann aber kann es nicht auf das Rechtsverhältnis insgesamt, sondern nur auf das Klagebegehren ankommen. Legt man diese Art der Abgrenzung zugrunde, bestimmt sich der Rechtsweg danach, ob das Begehren des Rechtsschutzsuchenden ör oder privatrechtlicher Art ist. Dies richtet sich nach der „wahren“ Rechtsnatur des geltend gemachten materiellrechtlichen Klagegrundes – anders ausgedrückt nach der Rechtsnatur der streitentscheidenden Norm (Regelung) –, so dass statt auf den Rechtscharakter des Rechtsschutzbegehrens auch sogleich auf den Rechtscharakter der streitentscheidenden Norm (Regelung) abgestellt werden kann. Im Falle der Erhebung von Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklagen ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben, wenn sich der Kläger auf eine ör Anspruchsgrundlage beruft. Begehrt der Rechtsschutzsuchende die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses (§ 43 I VwGO), sind die VG zuständig, wenn das konkret bezeichnete Rechtsverhältnis (nicht notwendigerweise das Basisverhältnis) wegen des ör Charakters der zugrundeliegenden Regelung ör ist. Wurde ein Normkontrollantrag nach § 47 VwGO gestellt, ist der Verwaltungsrechtsweg nur eröffnet, wenn die VG für die Überprüfung der Norm, aus deren Anwendung sich Gerichtsstreitigkeiten ergeben können, zuständig sind.172 Kumulieren ör und privatrechtliche Ansprüche – etwa weil sich der geltend gemachte Anspruch auf Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages mit der Verwaltung sowohl aus Art 3 I GG als auch einer Vorschrift des Privatrechts (wie zB § 20 GWB oder § 826 BGB) ergeben kann – hat der Rechtsschutzsuchende nach dieser Ansicht allerdings die Möglichkeit, zwischen dem Verwaltungsrechtsweg und dem Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten zu wählen, wobei das zuerst angerufene Gericht gem § 17 II 1 GVG den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden hat. Kommt von vornherein nur ein Rechtsverhältnis (dh eine Rechtsbeziehung zwischen Rechtsschutzsuchenden und Rechtsschutzgegner) in Betracht, führen das Abstellen auf das Rechtsverhältnis oder das Rechtsschutzbegehren respektive den Rechtscharakter der streitentscheidenden Norm (Regelung) zum selben Ergebnis.
171 Vgl Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 205 ff; Stelkens Verwaltungsprivatrecht, 2005, 1024 ff. Vgl auch BGH, NVwZ 2002, 1535, 1536 f; Bay VGH, NVwZ-RR 2004, 224, 225 f. Bei Zugrundelegung dieser Auffassung ist zB entgegen der Ansicht des BVerwGE 129, 9 ff → JK VwGO § 40 I/37, der Verwaltungsrechtsweg gegeben, wenn der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Vergabe eines öffentlichen Auftrags mit einem Auftragswert unterhalb der in der Vergabeverordnung genannten Schwellenwerte Art 3 I GG verletzt. 172 Es reicht also nicht aus, dass die angegriffene Norm dem öffentlichen Recht angehört. Vielmehr müssen sich aus der zur Überprüfung gestellten Rechtsvorschrift auch im Einzelfall ör Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art ergeben können → § 27 Rn 6.
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Lösung Fall 17: Nach ständiger Rspr 173 ist im Falle des ör Handelns eines Verwaltungsträgers mit wettbewerbsrechtlichen Auswirkungen zwischen den ör Beziehungen des Verwaltungsträgers und dem privatrechtlichen Wettbewerbsverhältnis zu unterscheiden.174 Hier steht die ör tätig werdende Fachhochschule nach Ansicht des BGH 175 aber nicht in einem Wettbewerb zu privaten Anbietern, die vergleichbare Leistungen anbieten. Zudem sei die in Rede stehende ör Befugnis der Fachhochschule zur Graduierung nicht auf das Verhältnis zu den Absolventen beschränkt, vielmehr vermittele die Satzung der Fachhochschule die auch gegenüber Dritten geltende Berechtigung, die Berufsbezeichnung zur Führung im Rechtsverkehr zu verleihen. Liegt eine ör Streitigkeit vor, muss das LG den Rechtstreit gem § 17a II GVG an das zuständige VG verweisen.
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Lösung Fall 18: Da das OVG (VGH BW) gem § 47 I VwGO „im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit“ zu entscheiden hat, reicht es nicht aus, dass die angegriffenen Normen dem öffentlichen Recht angehören. Vielmehr müssen sich aus den zur Überprüfung gestellten Rechtsvorschriften auch im Einzelfall ör Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art ergeben können. Soweit das Verbot des Bettelns als solches angegriffen wird, ist dies der Fall. Dagegen ist ein Normenkontrollantrag gegen die in der VO mit enthaltene Bußgeldvorschrift unzulässig, weil gegen die auf die genannte Norm gestützten Bußgeldbescheide der Verwaltungsbehörde nur die ordentlichen Gerichte angerufen werden können (§ 68 OWiG), der Rechtsweg insoweit also nicht eröffnet ist.176
(d) Unmaßgebliche Gesichtspunkte 75
Übereinstimmung besteht darüber, dass es für die Qualifizierung von Streitigkeiten nicht auf die Bewertung durch die klagende Partei (sondern die wahre Rechtsnatur) ankommt.177 Nicht entscheidend ist ferner, welchem Rechtsgebiet die Vorfragen unterfallen und welche Rechtsfolgen ein erfolgreicher Rechtsschutzantrag auslöst. Wendet sich ein Kläger etwa gegen die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts (§ 24 BauGB), weil kein Kaufvertrag zustande gekommen ist, ändert die privatrechtlich zu beurteilende Vorfrage nichts an dem ör Charakter der Streitigkeit. Ebenso ist für eine Verpflichtungsklage auf Erlass eines privatrechtsgestaltenden VA der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, mögen sich die Wirkungen des VA auch im Privatrecht zeigen. Schließlich kommt es nicht zwangsläufig auf die Rechtsnatur des begehrten Handelns oder Unterlassens an.178 Verlangt etwa ein Privater aufgrund einer Vereinbarung mit einem anderen Privaten die Zurücknahme eines eingelegten verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfs 179, richtet sich das Begehren zwar auf Vornahme einer ör Handlungsweise, wird aber aus einem privatrechtlichen Rechtsverhältnis respektive einer privatrechtlichen Anspruchsgrundlage hergeleitet. Dementsprechend ist der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet. Schließlich beziehen sich die zur Abgrenzung von öffentlichem und privatem Recht entwickelten Theorien 180 nicht auf die Qualifizierung von Streitigkeiten, sondern nur von Rechtssätzen. 173 174 175 176 177 178 179 180
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Vgl die Nachw in Fn 163. Krit zu solchen Doppelqualifikationen Ehlers in: Erichsen/ders, AllgVerwR, § 3 Rn 49. BGH, NJW 1998, 546 f → JK VwGO § 40/2. VGH BW, DÖV 1998, 1015 → JK Pol- u. OrdR/1. Vgl zB BGHZ 121, 367, 372 f. Vgl BVerwGE 87, 115, 119. Vgl BGHZ 79, 131, 135 f. Vgl die folgenden Ausf.
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Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen
§ 21
(2) Unterscheidung des öffentlichen und privaten Rechts Fall 19: Beamter V kandidiert für den Bundestag und macht gem § 3 AbgG 181 im Klagewege einen Anspruch auf Wahlvorbereitungsurlaub gegen seinen Dienstherrn geltend.
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Wird für die Abgrenzung der Rechtswege in erster Linie auf das Rechtsverhältnis abgestellt, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, muss dieses dem öffentlichen oder privaten Recht zugeordnet werden. Dies bestimmt sich nach dem Charakter der für das Rechtsverhältnis maßgebenden Normen (Regelungen).182 Hält man das Rechtsschutzbegehren für maßgebend, kommt es nur auf den Charakter der streitentscheidenden Normen (Regelungen) an, auf die das Rechtsschutzbegehren gestützt wird. In jedem Falle entscheidet somit die Rechtsnatur der für maßgeblich angesehenen Normen (Regelungen) darüber, ob eine Streitigkeit ör oder bürgerlich-rechtlicher Art ist. Zur Unterscheidung von ör und privatrechtlichen Normen sind zahlreiche Theorien entwickelt worden.183 Die bekanntesten sind die Interessentheorie, die Subordinationstheorie und die Subjektstheorie. Die Interessentheorie qualifiziert Rechtssätze, die dem öffentlichen Interesse dienen, als öffentliches Recht, wohingegen die sonstigen Rechtssätze dem Privatrecht zugeordnet werden. Nach der Subordinationstheorie sind Rechtssätze, die das Verhalten von Hoheitsträgern regeln, dann ör, wenn sie ein Über- bzw Unterordnungsverhältnis betreffen. Die Subjektstheorie wird in einer formalen und materiellen Spielart vertreten. Nach der formalen Subjektstheorie ist öffentliches Recht der Inbegriff derjenigen Rechtssätze, deren berechtigtes oder verpflichtetes Zuordnungssubjekt ausschließlich ein Träger hoheitlicher Gewalt ist.184 Nach der materiellen Subjektstheorie ist öffentliches Recht die Gesamtheit jener Rechtssätze, bei denen zumindest ein Zuordnungssubjekt Träger von Staatsgewalt als solcher ist (weil es als solches berechtigt, verpflichtet oder organisiert wird).185 Als solche sprechen Rechtssätze die Träger von Staatsgewalt an, wenn diese nicht wie ein Jedermann (als Privatrechtssubjekt) auftreten, sondern das Amtsrecht des Staates als Sonderrecht in Anspruch nehmen sollen. Nach der hier vertretenen Ansicht ist primär die materielle Subjektstheorie der Abgrenzung von öffentlichem und privatem Recht zugrunde zu legen. Da zur Klärung der Frage, wann ein Träger von Staatsgewalt als solcher angesprochen wird, auf materielle Kriterien abgestellt werden muss, kommt insoweit aber auch eine Kombination dieser Theorie mit anderen Theorieansätzen (insbesondere denen der Subordinationstheorie) in Betracht. Rechtssätze wenden sich idR an die Verwaltung in deren Eigenschaft als Privatrechtssubjekte und nicht als Hoheitsträger, wenn es ihr um Bedarfsdeckung, Vermögensverwertung oder Teilnahme am allgemeinen Wirtschaftsverkehr geht.
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181 Sart Nr 48. 182 Es muss sich nicht in jedem Fall um Rechtsnormen (iSv Gesetzen) handeln. In Betracht kommen auch rechtsgeschäftliche Regelungen. ZB kann der Kläger einen vertraglichen Anspruch geltend machen. Es kommt dann darauf an, ob der Vertrag dem öffentlichen oder dem privaten Recht zuzuweisen ist. 183 Überblick bei Ehlers in: Erichsen/ders, AllgVerwR, § 3 Rn 14 ff; Stelkens Verwaltungsprivatrecht, 2005, 328 ff; Burgi in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd 1, 2006, § 18 Rn 19 ff. Wegen der Einzelheiten wird auf die Verwaltungsrechtslehrbücher sowie die VwGO-Kommentare verwiesen. 184 Vgl Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht, Bd 1, 9. Aufl 1974, § 22 II C (abweichend Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 12. Aufl 2007, § 22 Rn 28); ähnlich Erichsen JURA 1982, 537, 540. 185 Vgl Ehlers in: Erichsen/ders, AllgVerwR , § 3 Rn 27 mit näheren Differenzierungen.
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5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
Lösung Fall 19: Wegen der gebotenen weiten Auslegung des § 126 I BBG (→ s zur Parallelnorm für Beamte der Länder und Kommunen § 54 II BeamtStG Rn 35 ff) ergibt sich die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs aus dieser Norm. In der Begründetheit stellt sich die Frage, wie § 3 AbgG einzuordnen ist. Die Norm berechtigt jeden Bewerber und verpflichtet jeden Arbeitgeber. Beamte stehen in einem ör Dienst- und Treueverhältnis. Einen privatrechtlichen Anspruch auf Freistellung von einem ör Dienstverhältnis kann es nicht geben. Doch dürfte § 3 AbgG sowohl im privaten als auch im öffentlichen Recht gelten, also zu den beiden Rechtskreisen gemeinsamen Recht gehören 186, so dass keine Bedenken bestehen, den Anspruch gegen den Dienstherrn durchgreifen zu lassen.
(3) Geltung des öffentlichen und privaten Rechts 79
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Die Unterscheidung des öffentlichen und privaten Rechts sagt noch nichts über die Geltung der beiden Rechtskreise aus. So gehören die Vertragsbestimmungen des BGB dem privaten Recht, die §§ 54 ff VwVfG dem öffentlichen Recht an. Im Streitfall stellt sich aber gerade die Frage, ob die einen oder anderen Vorschriften für den mit der Verwaltung abgeschlossenen Vertrag maßgebend sind. Problematisch ist die Geltung des öffentlichen oder privaten Rechts nur, wenn keine abschließenden spezialgesetzlichen Normierungen vorliegen und beide Rechtssatzgruppen Regelungen enthalten. Das ist grundsätzlich nur der Fall, wenn die Verwaltung leistend oder zum Zwecke der Bedarfsdeckung, Vermögensverwaltung oder Teilnahme am allgemeinen Wirtschaftsverkehr tätig wird, während der mit Eingriffsmitteln arbeitenden Verwaltung in aller Regel nur ör Normen zu Verfügung stehen. Nach hM genießt die nichteingreifend tätig werdende Verwaltung grundsätzlich Formwahlfreiheit, dh sie soll sich sowohl der Organisations- als auch der Handlungsformen des öffentlichen oder privaten Rechts bedienen dürfen.187 Gleichzeitig soll sich die Zuordnung eines Verwaltungsvertrages zum öffentlichen oder privaten Recht nach dem Gegenstand des Vertrages – also einem objektiven Abgrenzungskriterium – bestimmen.188 Ferner wird besonders auf dem Gebiet des Subventionswesens und der Nutzung öffentlicher Einrichtungen (→ Fall 16 Rn 64; 69) die Zweistufentheorie herangezogen. Dies läuft darauf hinaus, bestimmte Entscheidungen der Leistungsverwaltung (nämlich die Entscheidungen über das Ob einer Gewährung) entgegen dem Grundsatz der Formwahlfreiheit immer dem öffentlichen Recht zu unterstellen. Die verschiedenen Ansätze lassen sich kaum miteinander in Einklang bringen. Dementsprechend kann die Rechtswegabgrenzung uU zu einem Lotteriespiel werden. Nach der hier vertretenen, nicht hM, unterfällt das Handeln ör organisierter Träger von Staatsgewalt immer dem öffentlichen Recht, es sei denn, dass sich aus dem positiven Recht oder aus Gewohnheitsrecht etwas anderes ergibt oder die Verwaltung zum Zweck der Bedarfsdeckung, Vermögensverwaltung oder Teilnahme am allgemeinen Wirtschaftsverkehr tätig wird.189 In den zuletzt genannten Fallgestaltungen muss sich die Verwaltung
186 Vgl Fall 15 (→ Rn 63). Krit Burgi in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd 1, 2006, § 18 Rn 62 m Fn 1170, der meint, dass die maßgebliche Vorschrift des AbgG so zu lesen ist, dass der Anspruch nach Maßgabe der für das jeweilige Beschäftigungsverhältnis maßgeblichen Vorschriften zu erfüllen ist. Was das anderes sein soll als gemeinsames Recht, ist nicht ersichtlich. 187 Vgl zB BVerwGE 92, 56, 61 ff; 94, 229 ff → JK VwGO § 40 I/25; BGHZ 37, 1, 27; 91, 84, 86 → JK Allgem Verw Priv Recht/1; 115, 311, 313. 188 → Rn 86 ff m Fn 209 189 Vgl Ehlers Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S 194 ff.
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Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen
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des Privatrechts bedienen, es sei denn, aus dem Gesetz ergibt sich Abweichendes. Das Handeln privatrechtlich organisierter Verwaltungsträger ist grundsätzlich privatrechtlich zu qualifizieren, weil den privatrechtlich verselbständigten Verwaltungsträgern die Befugnis fehlt, sich der Handlungsformen des öffentlichen Rechts zu bedienen. Anders ist die Rechtslage nur, wenn den Privatrechtssubjekten durch Gesetz Hoheitsbefugnisse übertragen worden sind.190
(4) Anforderungen an das Rechtsschutzvorbringen Fall 20: W und X verklagen einen Verwaltungsträger vor dem VG auf Widerruf einer ehrkränkenden Äußerung. Es ist unbestritten, dass sich die Behörde des Verwaltungsträgers gegenüber W nur ör geäußert hat. Es steht aber nicht fest, ob ehrkränkenden Äußerungen tatsächlich getätigt wurden. Im Falle X steht zwar die Ehrkränkung fest, doch ist streitig, ob sie im Zusammenhang mit der ör oder privatrechtlichen Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben erfolgt ist.
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Für die Bestimmung des streitigen Rechtsverhältnisses bzw des Rechtsschutzbegehrens kommt es grundsätzlich allein auf das Vorbringen des Rechtsschutzsuchenden (nicht auf dessen rechtliche Bewertung, → Rn 75) an. Nur bei einer negativen Feststellungsklage, die sich gegen eine entsprechende Berühmung des Rechtsschutzgegners richtet, ist auch dessen Vortrag heranzuziehen, um zu klären, welcher Natur die von ihm beanspruchten Rechte sind.191 Beruft sich der Rechtsschutzsuchende auf eine Regelung des öffentlichen Rechts, muss die Rechtsordnung zum einen eine solche Regelung kennen und diese Regelung zum anderen im konkreten Streitfall zumindest möglicherweise anwendbar sein.192 Verklagt zB ein Privater einen anderen Privaten unter Berufung auf Art 3 I GG auf Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages, ist zwar der ör Charakter des Art 3 I GG nicht streitig. Doch ist die Norm bei Zugrundelegung der hM 193 auf Rechtsbeziehungen zwischen Privaten offensichtlich nicht anwendbar. Macht dagegen ein Privater einen kommunalrechtlichen Benutzungsanspruch gegen die Kommune geltend, muss und darf nicht bereits im Rahmen der Rechtswegbestimmung geprüft werden, ob wirklich eine öffentliche Einrichtung der Kommune vorliegt.194 Kommt es auf das tatsächliche Vorbringen des Rechtsschutzgegners an, aber von vornherein nur ein Rechtsweg in Betracht 195, ist der Rechtsweg gegeben, wenn sich dieser schlüssig aus dem Vorbringen ergibt.196 Ist das tatsächliche Vorbringen für die Rechtsweg-
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190 Vgl Ehlers in: Erichsen/ders, AllgVerwR, § 3 Rn 46 ff. 191 Vgl GmS-OGB BGHZ 102, 280, 284. 192 Vgl BVerwG, NVwZ 1993, 359; BGH, NVwZ 1990, 1103; Hess VGH, NVwZ 2003, 238; OVG NRW, NVwZ-RR 2004, 795; Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 217 (mit näherer Differenzierung). 193 Vgl Pieroth/Schlink, Grundrechte, Staatsrecht II, 23. Aufl 2007, Rn 173 ff. 194 AA OVG NRW, NJW 1976, 820, 821; OVG Lüneburg, NJW 1985, 2347; Bay VGH, NVwZ-RR 1988, 71. Wie hier zB Schoch FS Menger, 1985, 305, 333 f. 195 Sogenannte „sic-non“ Fälle. 196 Vgl zur Schlüssigkeitstheorie BVerfGE 42, 103, 110; 62, 295, 313; BVerwGE 89, 281, 283; BGHZ 121, 367, 392; Schenke FG BGH III, 2000, 45, 49; Kluth NJW 1999, 342 ff.
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abgrenzung von Bedeutung 197, hat das VG im Zweifelsfall wegen des Amtsermittlungsgrundsatzes Beweis zu erheben.198 84
Lösung Fall 20: Für die Klage des W ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 I 1 VwGO eröffnet, da ein anderer Rechtsweg nicht in Betracht kommt (sog sic-non-Fall). Ob die Äußerungen getätigt wurden, ist eine Frage der Begründetheit. Im Falle von X muss bei Zugrundelegung der Beweiserhebungstheorie (im Gegensatz zur Schlüssigkeitstheorie) Beweis erhoben werden, weil der Sachverhalt rechtswegrelevant ist (Verwaltungsrechtsweg bei Ehrkränkung im Zusammenhang mit der Wahrnehmung ör Aufgaben, Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten bei Ehrkränkung im Zusammenhang mit der privatrechtlichen Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben).
(5) Einzelfälle 85
Auf eine Aufzählung der zahllosen Streitigkeiten, deren Zuordnung zum öffentlichen oder privaten Recht umstritten ist, muss hier verzichtet werden. Verwiesen sei auf die einschlägigen Ausführungen in den Verwaltungsrechtslehrbüchern und vor allem die detaillierte Darstellung der Kasuistik in den Kommentaren zur VwGO. Im Folgenden wird nur auf einige immer wiederkehrende Streitfragen eingegangen.
(a) Klagen aus Vertrag 86
Fall 21: Künstler Y ist die Teilnahme an einer aus öffentlichen Mitteln finanzierten Kunstausstellung der Stadt B im Ausland zugesagt worden. Nachdem er ein Bild eingereicht hat, dass einen bekannten Politiker in sitzender Haltung vor einem Hakenkreuz zeigt, entschließt sich B, das Bild nicht auszustellen. Daraufhin erhebt Y vor dem VG Klage auf Feststellung, dass die Entfernung des Bildes rechtswidrig gewesen ist.
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Fall 22: Die als rechtsextremistisch geltende Partei Z verklagt eine Sparkasse vor dem VG auf Eröffnung eines Girokontos.
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Fall 23: A möchte einen Baudispens gem § 31 BauGB bekommen. Die zuständige Behörde signalisiert Wohlwollen, wenn A sich verpflichtet, einen Geldbetrag von 10 000 € zur Förderung der kommunalen Infrastruktur zu leisten. Daraufhin wird ein entsprechender, einseitig verpflichtender Vertrag abgeschlossen. A möchte nunmehr das Geld zurück haben und fragt, an welches Gericht er sich wenden kann.
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Fall 24: Die Stadt B hat M ein Grundstück für den Bau eines Hauses verkauft. M hat sich nicht nur zur Zahlung des Kaufpreises, sondern auch dazu verpflichtet, die Bauplanung und Bauausführung unabhängig vom Baugenehmigungsverfahren mit B abzustimmen. Da die Ausführung nicht den Vorgaben von B entspricht, klagt B vor dem LG auf Vornahme baulicher Veränderungen.
197 Sog „aut-aut“ Fälle. Zur Abgrenzung von den „et-et“ Fällen (in den der Rechtschutzsuchende sein Begehren auf mehrere materielle Anspruchsgrundlagen stützen kann, die der Rechtswegzuständigkeit verschiedener Gerichte unterfallen) vgl Sodan in: ders/Ziekow, VwGO, § 40 Rn 282. 198 AA wohl die hM, die auch insoweit auf Schlüssigkeit abstellt. Wie hier Ehlers in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 219; Sodan in: ders/Ziekow, VwGO, § 40 Rn 281 f; Schenke VerwPrR, Rn 85 mwN.
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§ 21
Werden vertragliche Ansprüche eingeklagt, hängt der Rechtsweg davon ab, ob es sich um einen ör oder privatrechtlichen Vertrag handelt. Die Rechtsnatur eines Vertrages kann nur einheitlich bestimmt werden.199 Dies schließt zusammengesetzte Verträge (mehrere vertragliche Abmachungen, die zwar in einem Vertragswerk getroffen werden, aber in keinem untrennbaren inneren Zusammenhang stehen) nicht aus. In Wahrheit handelt es sich dann aber um unterschiedliche Verträge in einer Vertragsurkunde, wobei diese teils dem öffentlichen, teils dem privaten Recht unterfallen können.200 Für die Zuordnung der Verträge zum öffentlichen oder privaten Recht stellt die hM auf den Gegenstand des Vertrages ab (also auf ein objektives Abgrenzungskriterium).201 Gehören die durch Vertrag begründeten, geänderten oder aufgehobenen Rechte und Pflichten dem öffentlichen Recht an, weil auf von der gesetzlichen Ordnung ör geregelte Sachverhalte eingewirkt wird, ist auch der Vertrag ör Natur. Sog hinkende Austauschverträge, in denen eine ör normierte Leistung nicht unmittelbar Vertragsgegenstand, sondern Zweck oder Bedingung für das Leistungsversprechen des Bürgers ist, werden ebenfalls dem öffentlichen Recht zugeordnet.202 Qualifikationsprobleme ergeben sich, wenn der Gegenstand des Vertrages nicht normativ durch Außenrechtssätze vorgeordnet ist. Dies ist zB weithin bei Subventionsverträgen der Fall. Die Gegenstandslehre müsse in solchen Fällen an sich zu einer privatrechtlichen Qualifizierung kommen. Doch ordnet die Rspr Subventionsverträge vielfach als verwaltungsrechtliche Verträge ein.203 Dies ließe sich uU mit der Wahlfreiheit der Verwaltung 204 begründen.205 Doch wird dann entgegen dem Ansatz der Gegenstandslehre gerade auf eine objektive Abgrenzung verzichtet. Teilweise wird ferner die Zweistufenlehre bemüht 206 oder es wird von der Vermutung ausgegangen, dass die Verwaltung sich zur Erledigung öffentlicher Aufgaben des öffentlichen Rechts bedienen will.207 Nach der hier vertretenen (nicht herrschenden) Auffassung sind nicht gesetzesakzessorische Verträge der Verwaltung immer dem öffentlichen Recht zuzuordnen, es sei denn, dass die Verwaltung nur mittelbar Verwaltungsaufgaben wahrnimmt, dh zur Bedarfsdeckung, Vermögensverwaltung oder allgemeinen Teilnahme am Wirtschaftsverkehr (etwa zum Zwecke der Wettbewerbsbeeinflussung) tätig wird.208 Folgt man dieser Ansicht, haben Subventionsverträge stets ör Charakter (es sei denn, aus einem Gesetz ergibt sich anderes).
199 Str, wie hier BVerwGE 84, 183, 186; Gurlit in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 29 Rn 5. 200 Zu einem Beispiel vgl Fall 10 (→ Rn 36). 201 GmS-OGB BGHZ 97, 312, 314; 116, 339, 342; Maurer Allg VerwR, § 14 Rn 11; Gurlit in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 29 Rn 3. 202 Vgl Ehlers Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, 447; Maurer Allg VerwR, § 14 Rn 11; Gurlit in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 29 Rn 4. 203 Vgl BGHZ 57, 130, 133 f; NJW 2003, 3767; BVerwGE 84, 236 ff → JK VwVfG § 56/1, mit krit Anm Ehlers JZ 1990, 594 f. 204 Näher dazu Ehlers in: Erichsen/ders, AllgVerwR, § 3 Rn 34 ff. 205 Vgl auch Maurer Allg VerwR, § 17 Rn 27. 206 Krit Gurlit in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 30 Rn 2. 207 Vgl Gurlit in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 29 Rn 4. Die Verwaltung hätte es dann jederzeit in der Hand, die Vermutung zu widerlegen. Krit Scherzberg JuS 1992, 205, 207 f. 208 Vgl Ehlers in: Erichsen/ders, AllgVerwR, § 3 Rn 46 f.
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Lösung Fall 21: Der Verwaltungsrechtsweg ist gem § 40 I 1 VwGO gegeben, wenn sich Y auf einen ör (genauer: verwaltungsrechtlichen) Vertrag berufen kann. Dies bestimmt sich nach dem Gegenstand des Vertrages. Da es an Rechtsnormen fehlt, die das Vertragsverhältnis prägen, hat das BVerwG 209 eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit angenommen. Geht man davon aus, dass Leistungsverwaltung (Kunstförderung und nicht nur ein Geschäft der Bedarfsdeckung) vorliegt und die Leistungsverwaltung grundsätzlich ör tätig wird, kommt man zu einem anderen Ergebnis (Bejahung der Voraussetzung des § 40 I 1 VwGO).
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Lösung Fall 22: Stellt man auf das Rechtsverhältnis ab, aus dem der Klageanspruch abgeleitet wird, müsste wegen des privatrechtlichen Tätigwerdens der Sparkasse eine bürgerlichrechtliche Streitigkeit angenommen werden. Dem gegenüber hat das OVG NRW 210 nur auf die Anspruchsgrundlage (streitentscheidende Norm) abgestellt und wegen des ör Charakters des § 5 I 1 ParteiG den Verwaltungsrechtsweg bejaht.
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Lösung Fall 23: Der Verwaltungsrechtsweg ist gem § 40 I 1 VwGO eröffnet, wenn A einen ör Erstattungsanspruch hat. Ein solcher kommt nur in Betracht, wenn der Vertrag als ör (verwaltungsrechtlicher) Vertrag zu qualifizieren ist. Dies richtet sich nach dem Gegenstand des Vertrages. Ausdrücklich regelt der Vertrag nur die Pflicht des A zur Zahlung von Geld und betrifft damit einen Sachverhalt, für den es an einer ör Vorordnung fehlt. Ziel des Vertrages und Zweck der Leistungsverpflichtung war jedoch die Erreichung eines Baudispenses. Es handelt sich deshalb um einen sog hinkenden Austauschvertrag, in dem die Leistung der Verwaltung zwar nicht zum Gegenstand der vertraglichen Regelung, aber zur Geschäftsgrundlage gemacht worden ist. Ist ein hinkender Austauschvertrag auf die Gestaltung ör geregelter Sachverhalte gerichtet (hier: Baudispens), hat er ör Charakter, so dass ein Erstattungsanspruch in Betracht kommt und der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.
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Lösung Fall 24: Eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit iSd § 13 GVG ist gegeben, wenn B privatrechtliche Ansprüche geltend macht. Dies richtet sich nach der Rechtsnatur des mit M abgeschlossenen Vertrages. Der Vertrag hat privatrechtliche und ör Elemente. Nach wohl hM kann es gemischte Verträge nicht geben, weil ein Vertrag nur ein Rechtsverhältnis begründen, ändern oder aufheben kann. Da die Bauplanungs- und Bauausführungsabsprache ör Natur (nicht zweifelsfrei) ist und auch ein zusammengesetzter Vertrag kaum in Betracht kommen dürfte, ist nach dieser Auffassung der Verwaltungsrechtsweg gem § 40 I 1 VwGO eröffnet (weil jeder Vertrag, der ein ör Element enthält, dem öffentlichen Recht zugeordnet werden muss). Nach anderer Auffassung kommt es für die Rechtswegeröffnung auf den Vertragsteil an, dem der jeweilige Streitgegenstand angehört.211 Vorliegend käme diese Ansicht ebenfalls zur Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs. Demgegenüber hat der BGH darauf abgestellt, wo der Schwerpunkt der Vereinbarung liegt. Da es sich schwerpunktmäßig um einen Grundstückskaufvertrag handelt, wurde der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten bejaht.212
209 210 211 212
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VerwRspr 28, 238 ff; aA Schwarze JuS 1978, 94 ff. OVG NRW, NVwZ-RR 2004, 795. OVG SH, NVwZ-RR 2002, 793; Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 5 Rn 11. BGH, NVwZ 2004, 253 f → JK VwGO § 40 I 1/35 (Vorinstanz OLG Schleswig, NJW 2004, 1052).
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§ 21
(b) Klagen gegen Realakte der Verwaltung oder auf Erlass von Realakten Fall 25: C wehrt sich mit einer verwaltungsgerichtlichen Klage gegen den Betrieb einer Feueralarmsirene auf dem benachbarten Feuerwehrgerätehaus, D gegen die von einem benachbarten Zeltplatz ausgehenden Geräusch- und Geruchsimmissionen. Der Zeltplatz wird von einem Landkreis betrieben. Mit den Benutzern werden privatrechtliche Verträge abgeschlossen.
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Unter Realakten (Tathandlungen) sind Handlungsweisen zu verstehen, die nicht final auf die Wirkung bestimmter Rechtsfolgen, sondern auf die Herbeiführung eines tatsächlichen Erfolges gerichtet sind, wie zB Erklärungen ohne Regelungscharakter (Auskünfte) oder Verrichtungen (zB Baumaßnahmen der Verwaltung). Werden solche Akte in Vollziehung einer Rechtsnorm vorgenommen, teilen sie die Rechtsnatur dieser Norm. Schwierigkeiten bereitet erneut die Zuordnung der nicht gesetzesakzessorischen Akte zum öffentlichen oder privaten Recht. Nach der hier vertretenen Ansicht sind Realakte der ör organisierten Verwaltung immer ör zu qualifizieren, sofern sie nicht in einem engen inneren und äußeren Zusammenhang mit der Wahrnehmung privatrechtlich zu erfüllender Aufgaben stehen.213 Ein Zusammenhang zum Privatrecht ist zB zu bejahen, wenn sich die Klage gegen ehrkränkende Äußerungen eines Amtswalters richten und die Äußerungen sich auf das Verhalten eines Bieters bei der staatlichen Auftragsvergabe beziehen. Der privatrechtliche Charakter der Vergabeverträge 214 färbt dann auf die Erklärung ab. Richtet sich die Klage gegen Immissionen aus öffentlichen Einrichtungen ist ein Zusammenhang zum Privatrecht gegeben, wenn die Einrichtungen privatrechtlich benutzt werden.215 Umstritten ist etwa die Qualifizierung der Rundfunk- und Fernsehsendungen der ör organisierten Rundfunkanstalten. Nach der hier vertretenen Auffassung sind sie (vorbehaltlich abweichender Normierungen) dem öffentlichen Recht zuzuordnen, soweit es sich nicht um Werbefunk oder Werbefernsehen respektive um private Äußerungen handelt.216 Zieht die Verwaltung zur Ausführung der ihnen obliegenden Realakte außenstehende Privatpersonen heran, ohne diesen ör Befugnisse im Wege der Beleihung zu übertragen, kommt es darauf an, ob die Einschaltung des Privaten nur interne Bedeutung hat (wie bei der Verwaltungshilfe) oder der Private nach außen hin selbständig tätig wird. Im zuerst genannten Fall ändert sich an der Rechtsnatur des Realaktes durch die Heranziehung des Privaten nichts. Dementsprechend ist das Abschleppen von Fahrzeugen durch einen von der Polizei beauftragten Unternehmer ungeachtet des privatrechtlichen Rechtsverhältnisses zwischen Polizei und Unternehmer dem öffentlichen Recht zuzuordnen.217 Liegt ein selbständiges Handeln vor, wird der Private privatrechtlich tätig.
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213 Vgl Ehlers in: Erichsen/ders, AllgVerwR, § 3 Rn 58. 214 Vgl die Nachw in Fn 155. 215 AA Würtenberger VerwPrR, Rn 138, der mit einer in der Rspr nicht selten vertretenen Auffassung darauf abstellt, ob die Einrichtungen der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienen (das ist immer der Fall) und in einem ör Planungs- und Funktionszusammenhang stehen. Weitere Beispiele zu Nachbarrechtsverhältnissen mit Verwaltungsbeteiligung Ehlers in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 394 ff; Stelkens Verwaltungsprivatrecht, 2005, 465 ff. 216 Vgl auch Schenke in: Festgabe 50 Jahre BGH, Bd III, 2000, 45, 63 ff; Maurer Allg VerwR, § 3 Rn 23. AA zB Rennert in: Eyermann, VwGO, § 40 Rn 85. 217 Vgl auch BGHZ 121, 161, 167; BGHZ 161, 6, 10 f.
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§ 21
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5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
Lösung Fall 25: Da der Betrieb einer Feuersirene nicht im Sachzusammenhang mit einer privatrechtlichen Handlungsweise steht, ist für die Klage des C gem § 40 I 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg gegeben.218 Dagegen besteht im Zeltplatzfall ein solcher Zusammenhang, weil die Benutzung des Zeltplatzes privatrechtlich geordnet ist.219 Somit wird das VG die Klage des D gem § 17a II GVG an das zuständige ordentliche Gericht verweisen.
(c) Klagen gegen behördliche Hausrechtsmaßnahmen 98
Fall 26: Nachdem der Arbeitslose E bei mehreren Vorsprachen im Arbeitsamt massiv den Dienstbetrieb gestört hat, hat die Behördenleitung gegen ihn ein Hausverbot verhängt und gleichzeitig die sofortige Vollziehung angeordnet. E hat gegen das Hausverbot verwaltungsgerichtliche Klage erhoben.
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Soweit spezialgesetzliche Normen nach Art des Art 40 II 1 GG oder der Bestimmungen der Gemeindeordnungen über die Ausübung des Hausrechts während der Ratssitzungen existieren 220, teilen Hausrechtsmaßnahmen wegen des ör Charakters der Normen deren ör Natur.221 Hausverbote stellen sich dann als VA dar, die mit der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage angegriffen werden können. Fehlt es an spezialgesetzlichen Normen, differenziert die (wohl noch hM) hinsichtlich der behördlichen Hausrechtsmaßnahmen nach den von den Besuchern verfolgten Zwecken. Geht es dem Adressaten eines Hausverbots um die Erledigung ör Angelegenheiten, soll das Verbot ör Charakter haben. Erfolgt es im Rahmen privatrechtlicher Rechtsbeziehungen, wird es dem Privatrecht unterstellt.222 Angeknüpft wird also an die Rechtsnatur des Hauptaktes. Diese Ansicht vermag nicht zu überzeugen. Zweck des Behördenhausrechts ist es, die Aufgabenstellung der Verwaltung zu sichern. In Behördengebäuden geht es der Verwaltung unabhängig von der Rechtsnatur des allgemeinen Handelns nach außen hin immer nur um den Schutz der ör Aufgabenstellung. Die Anknüpfung an die Zwecke des (störenden) Besuchers hilft zudem nicht weiter, wenn dieser keine Zwecke gegenüber der Behörde verfolgt (sich zB im Behördengebäude nur aufwärmen möchte) oder sowohl ör als auch privatrechtliche Angelegenheiten erledigen will. Zudem kann ein ör Zugangsrecht bestehen (etwa ein Recht zur Benutzung der kommunalen öffentlichen Einrichtungen), das durch ein privatrechtliches Verbot nicht zum Wegfall gebracht werden kann. Mit der neueren Rspr 223 und der überwiegenden Meinung des Schrifttums 224 ist daher davon auszugehen, dass Hausverbote von 218 Vgl BVerwGE 79, 254 (o Ausf zum Rechtsweg). 219 Vgl BGHZ 121, 248 (o Ausf zum Rechtsweg). 220 Vgl § 36 I GemO BW; Art 36, 53 Bay GO; §§ 45 I Bbg GO; 58 IV, 60 HGO; 29 I 3 KV MV; 44 I, II NGO; 51 I GO NRW; 36 II, 38 GemO RP; 43 KSVG Saarl; 38 I SächsGemO; 55 GO LSA; 37, 42 GO SH; 41 ThürKO. 221 Vgl zum Haus- sowie zum Ordnungsrecht des Bundestagspräsidenten vgl auch §§ 7 II, 38 I GO BT (Sart Nr 35), zum Hausrecht des Bürgermeisters während der Ratssitzungen Ehlers in: Mann/Püttner, Handbuch für kommunale Wissenschaft und Praxis, Bd 1, 2007, § 21 Rn 90. Zum Hausrecht des Schulleiters vgl OVG NRW, NWVBl 2006, 101 → JK SchulG NRW § 59 II/1. 222 Vgl BVerwGE 35, 103; BGHZ 33, 230, 231; BGH, NJW 1967, 1911 f. Vgl auch OVG NRW, NJW 1995, 1573; 1998, 1426 f; NVwZ-RR 1998, 595, 596 → JK VwGO § 40 I/29. 223 Vgl zB BayVGH 1982, 1717; OVG NRW, NVwZ-RR 1989, 316 → JK VwGO § 40 I/20. 224 Würtenberger VerwPrR, Rn 147; Hufen VerwPrR, § 11 Rn 38; Maurer Allg VerwR, § 3 Rn 24; Redeker/v Oertzen VwGO, § 40 Rn 28.
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Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen
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Behörden in den genannten Fällen ör Charakter haben. Anders zu beurteilen sind Hausverbote, die von Privatrechtssubjekten (zB Eigengesellschaften der Verwaltung oder gemischt zusammengesetzten Gesellschaften 225) ausgesprochen werden oder sich lediglich auf Sachen des Finanzvermögens (zB vermietete Häuser) beziehen. Lösung Fall 26: Es liegt eine ör Streitigkeit (nicht verfassungsrechtlicher Art) vor. Der ör Charakter ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass sich die Behörde eindeutig der Mittel des öffentlichen Rechts bedient hat (Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 II Nr 4 VwGO). Im Übrigen haben nach der hier vertretenen Ansicht behördliche Hausverbote immer ör Charakter. Stellt man demgegenüber darauf ab, welchen der Zwecke der Außenstehende, demgegenüber das Hausverbot ergeht, verfolgt, ergibt sich hier nichts anderes, weil E das Arbeitsamt zwecks Empfang von Leistungen nach dem SGB III-Arbeitsförderung aufsuchte und es ihm damit um die Erledigung ör Angelegenheiten ging. Statt des Verwaltungsrechtswegs könnte hier allerdings gem § 40 I 2 HS 2 VwGO iVm § 51 I SGG eine abdrängende Sonderzuweisung zu den Sozialgerichten gegeben sein. Nach dieser Vorschrift ist der Weg zu den Sozialgerichten ua für ör Streitigkeiten in Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung und der übrigen Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit gegeben. Das Hausrecht findet seine materiell-rechtliche Grundlage aber weder im Recht der Arbeitslosenversicherung, noch in den sonstigen Rechtsgebieten, die der Bundesstaat ausdrücklich durch Gesetz, VO oder in sonstiger Weise zugewiesen worden sind. Vielmehr geht es um die Wahrung des allgemeinen Behördenhausrechts. Daher greift die Sonderzuweisung des § 51 I SGG nicht ein.226 E hat zu Recht Klage beim VG erhoben.
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3. Keine abdrängenden Sonderzuweisungsnormen
a) Allgemeine Grundsätze Wenn der Bund gem Art 95 I GG für das Gebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit ein BVerwG errichten muss, verpflichtet ihn das, eine Verwaltungsgerichtsbarkeit mit einem adäquaten Aufgabenbestand vorzusehen. Dies gebietet aber nicht, alle ör Streitigkeiten der Beurteilungskompetenz der allgemeinen VG zu unterstellen. Teilweise schreibt bereits die Verfassung eine andere Zuweisung vor. So muss gem Art 14 III 4 GG wegen der Höhe der Enteignungsentschädigung im Streitfall der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offenstehen. Nach Art 19 IV 2 GG ist der ordentliche Rechtsweg gegeben, soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist. Ferner darf der ordentliche Rechtsweg für einen Amtshaftungsanspruch und für den Rückgriff nach Art 34 S 3 GG nicht ausgeschlossen werden. Fehlt es an speziellen verfassungsrechtlichen Vorgaben, steht die Zuweisung von ör Streitigkeiten an andere Gerichte im Ermessen des jeweils zuständigen Gesetzgebers. § 40 I 1 HS 2, 2 VwGO lässt abdrängende Sonderzuweisungen durch Bundesgesetz oder Landesgesetz zu. Aus dem Erfordernis einer gesetzlichen Regelung ergibt sich zunächst, dass es im Gegensatz zu früher nicht möglich ist, kraft Parteivereinbarung, bloßer Tradition oder Gewohnheitsrecht die Zuständigkeit einer anderen Gerichtsbarkeit zu begründen. Da die Rechtswegabgrenzung die Verwirklichung von Grundrechten wesentlich betrifft,
225 Vgl BGH, NJW 2006, 1054 → JK GG Art 8 I/21. 226 Vgl OVG NRW, NVwZ-RR 1998, 594 f → JK VwGO § 40 II/29.
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5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
muss es sich um ein formelles Gesetz (Parlamentsgesetz) handeln.227 Vorkonstitutionelle Bundesgesetze reichen aus.228 Dagegen ergibt sich aus der zukunftsgerichteten Fassung des § 40 I 2 VwGO, dass Landesgesetze nach Inkrafttreten der VwGO erlassen sein müssen oder frühestens in Kenntnis der VwGO mit ihrem Inkrafttreten selbst in Kraft getreten sein dürfen.229 Im Interesse der Rechtsklarheit und der möglichst eindeutigen Bestimmbarkeit des gesetzlichen Richters (Art 101 I 2 GG) verlangt § 40 I 1 VwGO eine „ausdrücklich(e)“ Zuweisung an eine andere Gerichtsbarkeit. Für Landesgesetze dürfte nichts anderes gelten. In Rspr und Lit 230 wird vielfach die Auffassung vertreten, dass die Gerichte im Falle eines Sachzusammenhangs 231 oder des Bestehens einer besonderen Sachkunde 232 oder Sachnähe 233 zur Vermeidung einer doppelten Inanspruchnahme von Gerichtsbarkeiten (also aus prozessökonomischen Gründen) auch für isoliert gesehen rechtswegfremde Ansprüche zuständig sind. So sollen die ordentlichen Gerichte nicht nur über ör Schadensersatzansprüche (§ 40 II 1 Alt 3 VwGO), sondern auch über die Hilfs- und Nebenansprüche (zB auf Auskunftserteilung oder Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung zur Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses 234) entscheiden dürfen. Eine Bestimmung des Rechtswegs mittels prozessökonomischer Erwägung ist jedoch nicht mit dem Ausdrücklichkeitsgebot des § 40 I HS 2 VwGO sowie dem Ausnahmecharakter von Sonderzuweisungen vereinbar. Entscheidend ist allein die Auslegung der Sonderzuweisungsnormen.235 Nur wenn diese weit ausgelegt werden können und müssen, darf die Zuweisung einer Rechtsmaterie in ihrer Gesamtheit an einen anderen Gerichtszweig bejaht werden. Auch § 17 II 1 GVG hat die Rspr zur Rechtswegabgrenzung kraft Sachzusammenhangs nicht legalisiert.236 Die Vorschrift bezieht sich nur auf ein und denselben prozessualen Anspruch, der auf Anspruchsgrundlagen des öffentlichen oder privaten Rechts gestützt werden kann (→ Rn 130). Die Kompetenz für den Erlass abdrängender Sonderzuweisungsnormen bestimmt sich nach der Gesetzgebungskompetenz. Abdrängende landesgesetzliche Zuweisungen müssen ör Streitigkeiten auf dem Gebiet des Landesrechts betreffen. Schließlich kann der Verwaltungsrechtsweg nur durch die Zuweisung an ein anderes Gericht ausgeschlossen werden. Eine Verweisung zB an unabhängige Verwaltungsstellen reicht nicht aus.
227 Stern/Blanke VerwPrR, Rn 189; Lorenz VerwPrR, § 11 Rn 56; Bosch/Schmidt Verfahren, § 9 I 1; Schmitt-Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 61. 228 GmSOGB BVerwGE 37, 369, 370. 229 Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 495. 230 Vgl Kopp/Schenke VwGO, § 40 Rn 49; Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht, 16. Aufl 2004, § 9 Rn 22. 231 Vgl zB GmSOGB, NJW 1974, 2087, 2088; BVerwGE 37, 231, 238 f; 40, 254, 255; BVerwG, NJW 1984, 191; BVerwGE 75, 362, 364; BGHZ 43, 34, 40 f. 232 ZB BGHZ 67, 81, 87; 89, 250, 252; 103, 255, 259; Kunig JURA 1990, 386, 387. 233 ZB BVerwG, NJW 1989, 412, 413; BGHZ 43, 34, 40; BGH, NJW 1994, 2620. 234 Vgl BGHZ 78, 274, 276 ff; vgl auch GrSen BGHZ 67, 81, 90 f; BVerwGE 37, 231, 236 f; 40, 254, 255 f; Kopp/Schenke VwGO, § 40 Rn 49. 235 Vgl auch Rennert in: Eyermann, VwGO, § 40 Rn 100; Sodan in: ders/Ziekow, VwGO, § 40 Rn 490 ff. 236 AA offenbar Hufen VerwPrR, § 11 Rn 54; Schenke VerwPrR, Rn 150 („Der Rechtsweg kraft Sachzusammenhangs (§ 17 II GVG)“).
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Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen
§ 21
b) Sonderzuweisungen an die ordentlichen Gerichte Zahlreiche ör Streitigkeiten sind den ordentlichen Gerichten (§ 12 GVG) zugewiesen worden. Viele der Zuweisungen erscheinen heute nicht mehr zeitgemäß, weil die gerichtliche Zuständigkeit genauso gut oder besser bei den VG angesiedelt werden kann und abdrängende punktuelle Zuweisungen die Gefahr einer Zweigleisigkeit und Unübersichtlichkeit des Rechtsschutzes heraufbeschwören. Das ändert nichts an ihrer Gültigkeit. Soweit sich die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte bereits aus dem Verfassungsrecht ergibt oder auf Verfassungsrecht beruht, bedürfte die Aufhebung der abdrängenden Sonderzuweisungsnormen einer Verfassungsänderung. Im Folgenden kann nur auf die Zuweisungen eingegangen werden, denen in der Ausbildung besondere Bedeutung zukommt.237
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(1) Verfassungsrechtliche Zuweisung Eine verfassungsrechtliche Zuweisung an die ordentlichen Gerichte findet sich in Art 14 III 4 GG in Bezug auf die Höhe der Enteignungsentschädigung.238 Nicht erfasst werden zB Entschädigungen wegen enteignenden oder enteignungsgleichen Eingriffen 239, Klagen gegen Enteignungsmaßnahmen selbst oder Klagen auf Rückübertragung des Eigentums.240 IdR enthalten die einfachgesetzlichen Enteignungsbestimmungen inhaltsgleiche Rechtswegzuweisungen wie Art 14 III 4 GG (so dass nicht auf das Verfassungsrecht zurückgegriffen werden muss). Teilweise gehen die einfachgesetzlichen Rechtswegzuweisungen über Art 14 III 4 GG hinaus.241 Dagegen stellt Art 19 IV 2 GG nur eine Auffangvorschrift dar, die nicht zum Zuge kommt, solange die Generalklausel des § 40 I 1 VwGO bestehen bleibt. Art 34 S 3 GG wendet sich an den Gesetzgeber (der dem Verfassungsgebot in § 40 II 1 Alt 3 VwGO Rechnung getragen hat), nimmt die Zuweisung an die ordentlichen Gerichte also nicht selbst vor.
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(2) Zuweisungen des § 40 II VwGO Fall 27: F hat eine Baugenehmigung beantragt. Im Gegenzug schlägt ihm die Gemeinde den Abschluss eines ör Vertrages vor. Im Vertrauen darauf, dass es zu einem solchen Vertragsabschluss kommt, hat F erhebliche Aufwendungen gemacht. Als sich die Gemeinde weigert, den Vertrag abzuschließen, verlangt F mit einer verwaltungsgerichtlichen Klage Ersatz seiner Aufwendungen.
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Fall 28: Auf den Antrag eines Nachbarn des G hin hat das VG einer Gemeinde aufgegeben, gegenüber G eine Einstellungsverfügung im Hinblick auf die begonnenen Bauarbeiten zu erlassen. Im Hauptsacheverfahren stellt sich später heraus, dass die Durchführung der Bauarbeiten rechtmäßig gewesen ist. Wegen der Unterbrechung der Arbeit und des dadurch entstandenen Schadens verklagt G die Gemeinde vor dem Zivilgericht auf Schadensersatz.
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237 Näher zum Ganzen Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 499 ff; Sodan in: ders/Ziekow, VwGO, § 40 Rn 502 ff. Vgl ferner zB die §§ 63 IV 1 GWB; 13 I, 44 I 1, 61 I IRG (Sch II Nr 90 h); 2 I InsO; 223 I 1 BRAO; 111 III BNotO; Art XI § 1 KostÄndG. 238 Im Rahmen eines Streits über die Höhe der Entschädigung haben die ordentlichen Gerichte als Vorfrage auch darüber zu entscheiden, ob überhaupt eine Enteignung vorliegt. 239 Zur Unterscheidung vgl Grzeszick in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 44 Rn 62 ff, 86 ff. 240 Vgl demgegenüber aber BGHZ 76, 365, 367 f. Zum einfachgesetzlichen Recht s zB §§ 217 iVm 102 f BauGB. 241 Vgl für das Bauplanungsrecht § 217 I BauGB.
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5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
Nach § 40 II 1 VwGO sind die ordentlichen Gerichte für Ansprüche aus Aufopferung (Alt 1), ör Verwahrung (Alt 2) sowie Schadensersatzansprüche aus der Verletzung ör Pflichten, die nicht auf einem ör Vertrag beruhen (Alt 3), zuständig. Die Norm ist wegen ihres Ausnahmecharakters eng auszulegen und erfasst unter Zugrundelegung der Entstehungsgeschichte und des systematischen Zusammenhangs mit den Amtshaftungsansprüchen nur Ansprüche gegen den Staat 242 (nicht Ansprüche des Staates gegen den Bürger) sowie Ansprüche auf Geldleistung 243 (oder auf Leistung anderer vertretbarer Sachen), nicht dagegen auf Folgenbeseitigung oder Naturalrestitution. § 40 II 2 VwGO stellt nur klar, dass die aufdrängende Sonderzuweisung durch Normen wie § 54 II BeamtStG und § 126 I BBG (ebenso wie diejenigen anderer Dienst- und Treuverhältnisse) auch bei Streitigkeiten über den Ausgleich von Vermögensnachteilen unberührt bleibt. Gleiches gilt für die (mittlerweile ohnehin gestrichene) Vorschrift des § 48 VI VwVfG. (a) Die bereits aus den Freiheitsgrundrechten ableitbaren 244, jedenfalls aber gewohnheits- oder richterrechtlich anerkannten Ansprüche aus Aufopferung für das gemeine Wohl (§ 40 II 1 Alt 1 VwGO) setzen einen hoheitlichen Eingriff in die durch Art 2 II GG geschützten Rechte voraus.245 Erfasst werden zB Impfschäden oder Schädigungen Nichtverantwortlicher von Polizeieinsätzen (wie in Fällen eines versehentlichen Querschlägers bei einer Verbrecherjagd). Die Rspr hat es bisher abgelehnt, weitere immaterielle Rechtsgüter (wie das Persönlichkeitsrecht) in das Haftungsinstitut einzubeziehen.246 Den rechtmäßigen werden die rechtswidrigen (aufopferungsgleichen) Eingriffe gleichgestellt.247 Nicht zu überzeugen vermag die Ansicht des BGH, wonach auch Entschädigungsansprüche für Eingriffe in vermögenswerte Rechte als Aufopferungsansprüche iSd § 40 II 1 Alt 1 VwGO anzusehen sind.248 Die Haftung für enteignungsgleiche Ansprüche richtet sich nach § 40 II 1 Alt 3 VwGO.249 Nichts anderes gilt für Ansprüche aus enteignendem Eingriff, weil es sich nur um eine Modalität des enteignungsgleichen Eingriffs handelt (Haftung für Erfolgsunrecht).250 In Bezug auf Ansprüche aus ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums (die vielfach – zu Unrecht – als Aufopferungsansprüche angesehen wurden 251) ist nach der ausdrücklichen Regelung des § 40 II 1 HS 2 VwGO nicht der ordentliche Rechtsweg gegeben. Für die meisten Aufopferungslagen existieren heute spezialgesetzliche Vorschriften mit (zT von § 40 II 1 Alt 1 VwGO abweichenden) ausdrücklichen Rechtswegbestimmungen.252 242 Vgl BVerwGE 18, 72, 78; 37, 231, 236. 243 AA die hM im Hinblick auf die ör Verwahrung. Vgl Fn 261. 244 Vgl Ehlers VVDStRL 51 (1992) 211, 243 f; Maurer Allg VerwR, § 28 Rn 3; Grzeszick in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 44 Rn 100 ff. 245 Vgl BGHZ 9, 83, 89; Ossenbühl Staatshaftungsrecht, 5. Aufl 1998, S 135. 246 Vgl etwa BGHZ 111, 349. 247 Vgl zB BGHZ 45, 58, 77. Krit Schmitt-Kammler JuS 1995, 473, 476 ff. 248 BGHZ 128, 204, 207; Rinne DVBl 1994, 23, 25 f; Schenke VerwPrR, Rn 145. Krit Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 524 ff. 249 Vgl Schoch JURA 1990, 140, 150 (m Fn 182); ders FS Menger, 1985, 305, 335; Papier in: Maunz/Dürig, GG, Art 14 Rn 723. 250 AA Schoch (Fn 194); Papier in: Maunz/Dürig, GG, Art 14 Rn 723. 251 Wie hier BVerwGE 94, 1. 252 Vgl zB für die Impfschäden § 68 II iVm § 60 IfSG (Sart II Nr 285 – Rechtsweg vor den Sozialgerichten); zu den sich auch auf Aufopferungsansprüche beziehenden Rechtswegbestimmungen des POR vgl Pieroth/Schlink/Kniesel Polizei- und Ordnungsrecht, 4. Aufl 2007, § 26 Rn 39 m Fn 25 (ordentlicher Rechtsweg).
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Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen
§ 21
(b) Zu den vermögensrechtlichen Ansprüchen aus ör Verwahrung (§ 40 II 1 Alt 2 VwGO) gehören Geldleistungsansprüche des Bürgers gegen den Staat (nicht Ansprüche des Staates), die auf einer ör Inbesitznahme von Sachen beruhen. Dieses trifft zB auf die Beschlagnahme oder Sicherstellung von Gegenständen im Rahmen einer Strafverfolgung oder nach Maßgabe des Polizei- und Ordnungsrechts zu, auch wenn die Behörde die Sache bei einem Privaten in Verwahrung gibt (zB einem Abschleppunternehmer). Unerheblich ist die Rechtmäßigkeit der Verwahrung. Die Rechtswegzuweisung greift auch ein, wenn das Verwahrungsverhältnis auf einem ör Vertrag basiert. Nach hM soll sich die Rechtswegverweisung neben Geldleistungsansprüchen auch auf sonstige Ansprüche wegen Verletzung von Verwahrungspflichten beziehen (zB Ansprüche auf Rückgewähr oder Auskunft).253 (c) Die weitaus größte Bedeutung kommt § 40 II 1 Alt 3 VwGO zu, weil nach dieser Vorschrift für sämtliche Schadensersatzansprüche aus der Verletzung ör Pflichten, die nicht auf einem ör Vertrag beruhen, der ordentliche Rechtsweg gegeben ist. Damit werden insbesondere alle Amtshaftungsansprüche 254 (auch wegen Verletzung des europäischen Gemeinschaftsrechts 255), ferner auch die Ansprüche aus enteignungsgleichem, enteignendem und aufopferungsgleichem Eingriff erfasst.256 Dagegen fehlt es für Ansprüche aus ör Gefährdungshaftung an einer Pflichtverletzung, so dass der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist.257 Vertragliche Ansprüche kumulieren vielfach mit deliktischen Ansprüchen. Die VG sind zwar für alle Schadensersatzansprüche aus ör Vertrag, nicht aber für die Amtshaftungsansprüche zuständig (§ 40 II 1 Alt 3 VwGO iVm § 17 II 2 GVG).258 Dagegen haben die Zivilgerichte neben den Amtshaftungsansprüchen nach § 17 II 1 GVG auch über die rechtswegfremden ör Vertragsansprüche mit zu entscheiden. Obwohl somit vor den Zivilgerichten umfassenderer Rechtsschutz erlangt werden kann, hindert dies den Rechtsschutzsuchenden (auch wegen des Ausnahmecharakters des § 17 II 2 GVG) nicht, sich an die Verwaltungsgerichtsbarkeit wegen eines Schadensersatzanspruchs aus ör Vertrag zu wenden. Den vertraglichen Schadensersatzansprüchen werden wegen ihres vertragsähnlichen Charakters teilweise die Schadensersatzansprüche aus verwaltungsrechtlichem Schuldver-
253 Vgl Rennert in: Eyermann, VwGO, § 40 Rn 123; Redeker/v. Oertzen VwGO, § 40 Rn 44; Schenke VerwPrR, Rn 146. Krit dazu Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 538. 254 Nach st Rspr des BGH (BGHZ 9, 373, 387 ff; 112, 74, 75) ist die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht von Verwaltungsträgern nur dann als Amtspflichtverletzung anzusehen, wenn die Wahrnehmung der Verkehrssicherungspflicht durch gesetzliche Regelung oder Organisationsakt ör ausgestaltet wurde. Krit statt vieler Bartlsperger DVBl 1973, 465 ff. 255 Dies gilt auch dann, wenn man annimmt, dass die Haftung der Mitgliedsstaaten wegen Verletzung des Gemeinschaftsrechts ihre Grundlage im Gemeinschaftsrecht findet (so BGHZ 134, 30, 36), das Gemeinschaftsrecht also nicht nur eine Vorgabe für die mitgliedstaatliche Haftung enthält. 256 Str, näher zum Streitstand Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 547 ff. Vgl ferner die Nachw in Fn 257, 258. 257 Str, aA zB BVerwGE 75, 362, 364; Rennert in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 40 Rn 120 – wegen des engen Zusammenhangs mit der Aufopferung und Amtshaftung. Vgl aber auch Sodan in: ders/Ziekow, VwGO, § 40 Rn 570 ff. 258 Besteht ein „aktueller“ Zusammenhang mit dem Amtshaftungsanspruch, soll nach BVerwGE 37, 231, 238 – entgegen dem klaren Wortlaut des § 40 II 1 Alt 3 VwGO – auch für einen vertraglichen Anspruch der ordentliche Rechtsweg gegeben sein.
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hältnis 259 gleichgestellt 260 (zB Schadensersatzansprüche wegen Verletzung eines durch Rechtsnorm, VA oder tatsächlicher Inanspruchnahme begründeten ör Benutzungsverhältnisses einer öffentlichen Einrichtung). Doch ist dies mit dem klaren Wortlaut des § 40 II 1 Alt 3 VwGO und dem Ausnahmecharakter des Vertragsvorbehalts nicht mehr vereinbar, weil es sich gerade nicht um Vertragsansprüche handelt.261 114
Lösung Fall 27: F macht einen Anspruch aus cic bei der Anbahnung eines ör Vertrages geltend (§ 62 S 2 iVm § 311 II Nr 1BGB). Nach dem BVerwG 262 sind für cic-Ansprüche, die typischerweise auch Gegenstand eines Amtshaftungsanspruchs sein können, die ordentlichen Gerichte, für Ansprüche neben vertraglichen Ansprüchen die VG zuständig. Dieser Auffassung ist nicht zu folgen, weil es nach § 40 II 1 VwGO auf die Gattung des geltend gemachten Anspruchs und nicht den Sachzusammenhang im Einzelfall ankommt. Vielfach werden cic-Ansprüche wegen der Vertragsähnlichkeit wie vertragliche Ansprüche behandelt.263 Doch beruhen Ansprüche aus cic gerade nicht auf einem Vertrag, sondern auf einem gesetzlichen Schuldverhältnis, so dass aus cic bei Zugrundelegung der hier vertretenen Ansicht nach § 40 II 1 Alt 3 VwGO immer der ordentliche Rechtsweg gegeben ist.264
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Lösung Fall 28: Ein Schadensersatzanspruch des G kann sich aus § 123 III VwGO iVm § 945 ZPO ergeben. Nach Auffassung des BGH handelt es sich wegen der vollkommenen Gleichstellung der Parteien im Prozessrechtsverhältnis um einen bürgerlich-rechtlichen Anspruch, so dass der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nach § 13 GVG eröffnet ist.265 Diese Ansicht stößt auf Bedenken, weil die Regelung des § 123 III VwGO (ebenso wie die VwGO selbst) ör Charakter hat. § 40 II 1 Alt 3 VwGO ist nicht einschlägig, da keine Pflichtverletzung der Gemeinde vorliegt. Somit ist § 40 I 1 VwGO einschlägig. Das Zivilgericht hat den Rechtsstreit gem § 17a II 1 GVG an das zuständige VG zu verweisen.
(3) Zuweisung der §§ 23 EGGVG, 109 StVollzG 116
Eine erhebliche Bedeutung kommt ferner den abdrängenden Sonderzuweisungen der §§ 23 EGGVG (Entscheidungszuständigkeit der ordentlichen Gerichte für die sogenannten Justizverwaltungsakte), 109 f StVollzG zu. Da die eine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte begründende Rechtswegklausel des § 23 EGGVG insbesondere auch das Handeln der Polizei betrifft, wird hierauf in dem folgenden Abschnitt eingegangen. Hinsichtlich der §§ 106 f StVollzG kann auf den Fall 12 (→ Rn 46) verwiesen werden.
259 Vgl zu dieser Rechtsfigur Grzeszick in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 45 Rn 18 ff. 260 Vgl die Nachw bei Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 543. 261 So auch die hM vgl zB BGHZ 59, 303, 305; Schoch FS Menger, 1985, 305, 324 f; Kopp/Schenke VwGO, § 40 Rn 72. 262 BVerwG, NJW 2002, 2894; vgl auch BGHZ 43, 34, 40 f; 71, 386; 76, 343; BGH, NJW 1986, 1109. 263 ThürOVG, NJW 2002, 386; Hufen JuS 2002, 718; Rennert in: Eyermann, VwGO, § 40 Rn 121; Kopp/Schenke VwGO, § 40 Rn 71. 264 Vgl Ehlers JZ 2003, 209 ff; Würtenberger VerwPrR, Rn 185. 265 BGHZ 78, 127 ff.
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Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen
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(4) Zuweisungen in Bezug auf polizeiliche Maßnahmen Fall 29: Nach Durchsuchung einer Drogenberatungsstelle werden H und I erkennungsdienstlich behandelt (Aufnahme von Lichtbildern und Herstellung von Fingerabdrücken). H ist Leiter der Drogenberatungsstelle und steht im Verdacht, den Konsum von Rauschgiften in den Diensträumen der Drogenberatungsstelle geduldet zu haben. Der Drogensüchtige I soll eines Einbruchs überführt werden. Das Strafverfahren gegen I wird später eingestellt (§ 170 II StPO). H und I klagen vor dem VG auf Vernichtung der erkennungsdienstlichen Unterlagen.
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Fall 30: J ist wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs an einer 12-jährigen Schülerin von Polizeibeamten festgenommen worden. Dabei wurde er durchsucht. Außerdem kam es zur Beschlagnahme von Schriftstücken als Beweismittel. Später wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt. J beantragt bei einem ordentlichen Gericht die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner vorläufigen Festnahme und der Beschlagnahme.
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Besondere Rechtswegprobleme können sich beim Rechtsschutz gegen polizeiliche Maßnahmen stellen. Streitigkeiten diesbezüglicher Art stellen sich als ör Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art dar. Wird die Polizei zum Zwecke der Gefahrenabwehr präventiv-polizeilich tätig (idR nach Maßgabe von Befugnisnormen des Polizeigesetzes), ergibt sich die Zuständigkeit der VG grundsätzlich aus der Generalklausel des § 40 I 1 VwGO. Doch können die Gesetze anderes vorsehen. So stehen Wohnungsdurchsuchungen oder Ingewahrsamsnahmen durch die Polizei bereits nach den grundgesetzlichen Vorgaben 266 grundsätzlich unter Richtervorbehalt. Nach den Polizeigesetzen iVm dem Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehung 267 entscheiden die Amtsgerichte.268 Geht es um repressives Handeln der Polizei zum Zwecke der Strafverfolgung, ist Rechtsschutz zumeist nur nach Maßgabe der §§ 23 EGGVG oder der StPO-Vorschriften vor den ordentlichen Gerichten zu erlangen. § 23 EGGVG erfasst zwar nur Maßnahmen, die von „Justizbehörden“ auf den genannten Gebieten (des bürgerlichen Rechts, der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder Strafrechtspflege) getroffen werden. Es besteht jedoch Einigkeit darüber, dass der Begriff nicht organisatorisch, sondern funktional (im Gegensatz zur rechtsprechenden Tätigkeit) zu verstehen ist.269 Polizeiliches Handeln wird folglich von der Vorschrift erfasst, wenn die Polizei auf dem Gebiet der Strafrechtspflege – dh wie die Staatsanwaltschaft zur Ermittlung und Erforschung strafbarer Handlungen respektive der Durchführung des Strafverfahrens oder im Strafvollzug – repressiv tätig wird (vgl auch insb § 163 StPO). Man spricht in solchen Fällen auch von Justizverwaltungsakten. Doch erfasst § 23 EGGVG jedes ör Tun, Dulden oder Unterlassen der Polizei auf dem Gebiet der Strafrechtspflege 270, also zB auch das Handeln durch Realakt (im Gegensatz zum VA). Nicht erfasst werden dabei sachgebietsübergreifende Maßnahmen der Gerichtsverwaltungen oder der
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266 267 268 269 270
Vgl Art 13 II, 104 II GG. Sart Nr 617. Vgl die Nachw bei Schenke Polizei- und Ordnungsrecht, 5. Aufl 2007, Rn 146 mit Fn 355. Vgl BVerwGE 47, 255, 259 f; 69, 192, 195; Schoch JURA 2001, 628, 630. Dies lässt sich etwa § 28 EGGVG entnehmen.
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5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
Behörden der Justizverwaltung, wie etwa die Beeidigung von Dolmetschern und die Ermächtigung von Übersetzern.271 121
Lösung Fall 29: Zwar liegt eine ör Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vor. Der Verwaltungsrechtsweg ist aber gem § 40 I 1, 2 VwGO nur eröffnet, wenn die Streitigkeit nicht einer anderen Gerichtsbarkeit zugewiesen worden ist. In Betracht kommt eine Zuweisung an die ordentlichen Gerichte gem § 23 EGGVG. Handelt die Polizei auf dem Gebiet der Strafrechtspflege, wird sie als Justizbehörde iSd Vorschrift tätig. Hier könnte sich die Polizei auf § 81 b Alt 1 StPO gestützt haben. Indessen bedurfte es für die Durchführung eines Strafverfahrens gegen H von vornherein keiner erkennungsdienstlichen Behandlung, zumal die Identität des H feststand. Es ist daher anzunehmen, dass die Maßnahme nur den Zwecken des Erkennungsdienstes (§ 81b Alt 2 StPO) diente.272 Hierbei handelt es sich um Gefahrenabwehr, so dass § 23 EGGVG nicht einschlägig ist. Im Falle von I hat die Polizei zunächst auf der Grundlage des § 81b Alt 1 StPO strafrechtliche Ermittlungen angestellt und zu diesem Zwecke erkennungsdienstliche Maßnahmen vorgenommen. Nach Einstellung des Strafverfahrens dient die Aufbewahrung der Unterlagen des Beschuldigten aber nur der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgungsvorsorge.273 Somit ist sowohl für das Begehren des H als auch des I der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.
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Nach § 23 III EGGVG gilt die – eine Zuständigkeit der Oberlandesgerichte begründende – Rechtswegbestimmung der Vorschrift nur, soweit die ordentlichen Gerichte nicht bereits aufgrund anderer Vorschriften angerufen werden können. Spezialregelungen enthalten insb die §§ 98 II, 111e II 3, 128, 161a III, 163a III 3 StPO. Danach stehen zwar viele strafprozessuale Maßnahmen unter Richtervorbehalt, für den regelmäßig die Amtsgerichte zuständig sind. Doch sind die (Staatsanwaltschaft und ihre) Ermittlungspersonen (dh die Beamten des Polizeidienstes 274) bei Gefahr im Verzug (ebenso wie im Polizeirecht) vielfach zu einem Eingreifen befugt. So dürfen die Polizeibeamten in ihrer Eigenschaft als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft bei Gefahr im Verzuge nach § 98 I 1 StPO eine Beschlagnahme anordnen. Der Betroffene kann dann jederzeit eine richterliche Entscheidung des Amtsgerichts beantragen (§ 98 II 2 StPO). Diese Art des Rechtsschutzes bezieht sich an sich nur auf die Anordnung der Maßnahme selbst, nicht auf die Art und Weise der Durchführung (was namentlich bei Freiheitsentziehung von Bedeutung ist). Außerdem entscheidet der Amtsrichter nach § 98 II 2 StPO nicht über die ursprüngliche Rechtmäßigkeit der Maßnahme, sondern trifft eine Entscheidung über ihre Aufrechterhaltung für die Zukunft. Nicht geregelt ist ferner, wie im Falle der Erledigung entschieden werden soll (bevor der Amtsrichter eingeschaltet worden ist). In vielen Fällen ist zudem ein Rechtsschutz gegen die Maßnahmen der (Staatsanwaltschaft oder der) Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (dh Beamten des Polizeidienstes) in der StPO nicht vorgesehen.
271 Vgl BVerwG, GewArch 2007, 237, 238. 272 Zur (umstrittenen) Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift und zu dem Verhältnis zu den polizeigesetzlichen Regelungen über erkennungsdienstliche Maßnahmen vgl BVerfGE 113, 348, 368 ff. Krit mit w Hinw zum Streitstand Pieroth/Schlink/Kniesel Polizei- und Ordnungsrecht, 4. Aufl 2007, § 14 Rn 58. Vgl ferner Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann, Bes VerwR, 2. Kap Rn 203. 273 Vgl BVerwG, DÖV 1990, 117; BayVGH, NJW 1984, 2235; HessVGH, NVwZ-RR 1994, 652, 653; Würtenberger VerwPrR, Rn 177. 274 Vgl § 152 GVG iVm § 161 I 2 StPO.
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Der BGH wendet in diesen Fällen § 98 II 2 StPO analog oder doppelt analog an.275 Dies ist problematisch, weil es wegen der Regelung des § 23 EGGVG an einer Regelungslücke fehlt.276 Der BGH begründet die analoge Anwendung des § 98 II 2 StPO im Wesentlichen mit der Verhinderung einer Rechtswegspaltung innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit sowie der Schwerfälligkeit und Unübersichtlichkeit des Verfahrens nach §§ 23 ff EGGVG. De lege ferenda sind eindeutige und klare Rechtswegabgrenzungen im Hinblick auf die Maßnahmen der (Staatsanwaltschaft und) Polizei (in der StPO und bei präventivem Handeln der Polizei unter Richtervorbehalt auch in den Polizeigesetzen) zu fordern. Lösung Fall 30: Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 23 I EGGVG sind erfüllt (Handeln einer „Justizbehörde“ auf dem Gebiet der Strafrechtspflege). Doch gilt die Vorschrift nur subsidiär (§ 23 III EGGVG). Hier hat der BGH 277 eine Zuständigkeit des Amtsgerichts in (mehrfach) analoger Anwendung des § 98 II 2 StPO wegen des Gebots eines wirksamen Rechtsschutzes zwecks Vermeidung einer Zersplitterung von Zuständigkeiten 278 angenommen (sowohl im Hinblick auf erledigte Fallgestaltung als auch im Hinblick auf andere Maßnahmen als eine Beschlagnahme).
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Vielfach ist zweifelhaft, ob die Polizei präventiv oder repressiv tätig wird. ZB kann eine polizeiliche Observation, Durchsuchung, Beschlagnahme oder Ingewahrsamsnahme entweder der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung dienen. Im ersten Fall richtet sich der Rechtsweg nach § 40 I 1 VwGO, im zweiten nach § 23 I 1 EGGVG (soweit nicht wegen bestehender Richtervorbehalte etwas anderes gilt). Denkbar ist auch, dass die Polizei sowohl präventive als auch repressive Zwecke verfolgt. Die hM entscheidet die Rechtswegfrage in solchen Fällen generalisierend danach, wo der Schwerpunkt der polizeilichen Tätigkeit liegt.279 Dadurch soll eine Doppelung des Rechtswegs vermieden werden. Bei der Schwerpunktbestimmung wird überwiegend darauf abgestellt, wie sich die Maßnahme für einen objektiven Beobachter ihrem Gesamteindruck nach darstellt.280 Nach einer gegenteiligen Ansicht liegen bei doppelfunktionalen Maßnahmen in Wahrheit zwei Akte vor, so dass sowohl der Verwaltungsrechtsweg als auch der Rechtsweg nach § 23 EGGVG beschritten werden muss, um vollständigen Rechtsschutz zu erlangen.281
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275 Vgl für Durchsuchungen und körperliche Untersuchungen BGHSt 28, 57, 58; 160, 161; BGH, NJW 1978, 1013; für die sonstigen Fallkonstellationen BGHSt 44, 171 → JK EGGVG § 23 ff/5. Näher zum Ganzen Amelung in: Festgabe 50 Jahre BGH, Bd IV, 2000, 911, 921 ff. 276 Näher zum Ganzen Schoch FS Stree/Wessels, 1993, 1095 ff; ders JURA 2001, 628, 630 f; Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 613 ff. 277 BGHSt 44, 171 → JK EGGVG § 23 ff/5. 278 Vgl auch BVerfGE 96, 44, 49 (mit der Feststellung, dass Rechtsmittel gegen Durchsuchungsmaßnahmen „nach geltendem Recht in schwer zu durchschauender Weise mehrfach gespalten (sind) und … von den Fachgerichten uneinheitlich gehandhabt“ werden). 279 Vgl BVerwGE 47, 255, 264 f; OVG NRW, NJW 1980, 855; VGH BW, NVwZ-RR 1989, 412, 413; BayVGH, BayVBl 1991, 657; 1993, 429, 430; Pieroth/Schlink/Kniesel Polizei- und Ordnungsrecht, 4. Aufl 2007, § 2 Rn 15. 280 Vgl Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd II, 2. Aufl 2000, § 21 Rn 101. 281 Vgl Schwan Verwaltungsarchiv 70 (1979) 109, 129; Schoreit NJW 1985, 169, 172; Götz JuS 1985, 869, 872; Schenke VerwPrR, Rn 424.
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5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
Beide Auffassungen stoßen auf Bedenken. Zunächst liegt eine doppelfunktionale Maßnahme nicht vor, wenn sich der Geschehensablauf in verschiedene Handlungen aufspalten lässt, die eindeutig der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung zugeordnet werden können. So dient die Räumung eines besetzen Hauses der Gefahrenabwehr, die nachfolgende Identitätsfeststellung oder Festnahme der Strafverfolgung. Ein und dieselbe Maßnahme lässt sich dagegen nicht in verschiedene Akte aufspalten. Die Polizei verfügt über die Entscheidungsbefugnis, ob sie präventiv oder repressiv handeln will. Jedoch muss dies vor dem Tätigwerden feststehen.282 Fehlt es an einer entsprechenden Festlegung und werden sowohl Ziele der Gefahrenabwehr als auch der Strafverfolgung verfolgt, ist es der Polizei nicht verwehrt, eine derartige Handlung auf verschiedene Rechtsgrundlagen zu stützen. Es liegt dann sowohl eine Maßnahme der Gefahrenabwehr als auch der Strafverfolgung vor, so dass sowohl die Verwaltungsgerichte als auch die ordentlichen Gerichte angerufen werden können.283 Eine Rechtsschutzverdopplung findet gleichwohl nicht statt, weil das angerufene Gericht gem § 17 II 1 GVG den Rechtstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden hat.284
c) Zuweisung an die Arbeitsgerichte 126
Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist zwar aus der ordentlichen Gerichtsbarkeit hervorgegangen, doch handelt es sich bei ihr um eine eigene Gerichtsbarkeit.285 Die Rechtswegklauseln für die Arbeitsgerichtsbarkeit finden sich in den § 2 III ArbGG. Die Frage der Abgrenzung des Arbeitsrechtsweges gegenüber dem Verwaltungsrechtsweg stellt sich vor allem im Hinblick auf die Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Dienst. Während für Fragen aus dem Beamtenverhältnis der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist (→ Rn 35 ff), sind für Streitigkeiten zwischen Angestellten und Arbeitern im öffentlichen Dienst und ihren Dienstherren wegen der privatrechtlichen Natur der Rechtsbeziehung idR die Arbeitsgerichte zuständig.286
d) Zuweisungen an die Sozial- und Finanzgerichte 127
Im Interesse einer Spezialisierung der Gerichtsbarkeit sind in weitem Umfange ferner ör Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art den besonderen VG der Sozialgerichtsbarkeit und Finanzgerichtsbarkeit zugewiesen worden. Die einschlägigen Rechtswegbestimmungen finden sich (vor allem) in den §§ 51 SGG, 33 I FGO. Die Sozialgerichte sind insbesondere für Angelegenheiten der Sozialversicherungen und Arbeitslosenversicherungen zuständig (einschließlich der privatrechtlichen Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung 287). Darüber hinaus entscheiden sie seit dem 1.1.2005 an Stelle der VG auch in Angelegenheiten der Sozialhilfe (§ 51 I Nr 6a SGG). Dadurch haben
282 Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann, Bes VerwR, 2. Kap Rn 11. 283 Vgl auch Würtenberger VerwPrR, Rn 196; Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 607; Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann, Bes VerwR, 2. Kap Rn 11. 284 AA Schenke Polizei- und Ordnungsrecht, 5. Aufl 2007, Rn 424 wegen der Annahme zweier verschiedener Handlungen. 285 Vgl BAG NZA 1992, 954, 955; 1993, 31, 32. 286 Vgl statt vieler BAGE 1, 85, 86. 287 § 51 II SGG.
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Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen
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die VG der ersten Instanz rund 10 bis 15 % ihrer Eingänge verloren.288 Paradoxerweise kann durch Landesgesetz bestimmt werden, dass die Sozialgerichtsbarkeit (ua) in Angelegenheiten der Sozialhilfe durch besondere Spruchkörper der VG und der OVG ausgeübt wird (§ 50a SGG). Die Finanzgerichte entscheiden insbesondere über Abgabenangelegenheiten (§ 33 II 1 FGO). Doch müssen die Abgaben der Gesetzgebungskompetenz des Bundes und der Verwaltungskompetenz der Bundes- und Landesfinanzbehörden unterfallen. Daher bleibt es bei der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit, wenn Rechtsschutz gegen die Erhebung kommunaler Abgaben begehrt wird.
e) Zuweisungen an Sondergerichtsbarkeiten Weiterhin existieren zahlreiche abdrängende Rechtswegzuweisungen an Sondergerichtsbarkeiten wie die Disziplinargerichte 289, die Wehrdienstgerichte, die Dienstgerichte, die Patentgerichte oder die Berufsgerichte.290 So entscheiden in anwaltsgerichtlichen Verfahren die Anwaltsgerichte, Anwaltsgerichtshöfe oder der Bundesgerichtshof in Anwaltssachen (§§ 92 ff BRAO).
128
4. Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit für rechtswegfremde Ansprüche Fall 31: K hat verwaltungsgerichtliche Klage gegen den Bund auf Auszahlung eines durch VA bewilligten Subventionsbetrags erhoben. Der Bund stellt den Anspruch des K auf Zahlung des Subventionsbetrages nicht in Abrede, rechnet aber mit einer von K bestrittenen privatrechtlichen Gegenforderung auf. Wie wird das VG entscheiden?
129
Gem § 173 S 1 VwGO iVm § 17 II 1 GVG entscheidet ein zulässigerweise angerufenes VG „den Rechtstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten“. Da Art 14 III 4 und Art 34 S 3 GG unberührt bleiben (§ 17 II 1 GVG), gilt dies nicht für Ansprüche über die Höhe einer Enteignungsentschädigung sowie für Amtshaftungsansprüche (über die stets nur die ordentlichen Gerichte entscheiden dürfen). Erfasst wird von § 17 II 1 GVG nur der Fall, dass ein prozessualer Anspruch kumulativ auf mehrere materiell-rechtliche Gründe gestützt wird, für die isoliert gesehen verschiedene Gerichtsbarkeiten zuständig sind. Von der Kumulation von Ansprüchen zu unterscheiden ist der Fall rechtlicher Alternativität (zB wenn die Beteiligten darüber streiten, ob der zwischen ihnen abgeschlossene Vertrag, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, ör oder privatrechtlich zu qualifizieren ist). Nicht anwendbar ist § 17 II 1 GVG ferner, wenn mehrere prozessuale Ansprüche geltend gemacht werden. Dies ist etwa bei einer objektiven Klagehäufung (§ 44 VwGO), einer subjektiven Klagehäufung (§ 64 VwGO iVm §§ 59 ff ZPO 291), der Erhebung einer Widerklage (§ 89 VwGO) oder einer Änderung des Streitgegenstands
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288 Vgl Hien DVBl 2004, 464, 466. 289 Zu den Disziplinargerichten der Länder (§ 187 I VwGO) vgl Sodan in ders/Ziekow, VwGO, § 40 Rn 106; Heckmann in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 187 Rn 14. Zur Disziplinargerichtsbarkeit des Bundes vgl § 45 BDG (Sart Nr 220 – Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit). 290 Näher dazu Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 691 ff. 291 Anderes gilt, wenn ein Fall notwendiger Streitgenossenschaft vorliegt.
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5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
durch Klageänderung (§ 91 VwGO) der Fall. Werden mehrere prozessuale Ansprüche als Haupt- und Hilfsansprüche rechtshängig gemacht, bestimmt sich der Rechtsweg zunächst allein nach dem Hauptanspruch. Wegen des Eventualverhältnisses darf auf den Hilfsantrag erst eingegangen werden, wenn der Hauptantrag nicht durchgreift. Bei Unzulässigkeit des Rechtswegs für den Hauptantrag hat das Gericht nach § 17a II GVG den Rechtsstreit ohne Rücksicht auf den Hilfsantrag zu verweisen. Ist der Rechtsweg für den Hauptantrag gegeben, der Antrag aber nicht begründet, muss das Gericht den Rechtsstreit nach Ausspruch über den Hauptantrag an das für den Hilfsantrag zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs verweisen.292 Nicht anwendbar ist § 17 II 1 GVG ferner auf Stufenklagen (zB nach 173 S 1 VwGO iVm § 254 ZPO), weil dann in Wahrheit mehrere prozessuale Ansprüche im Wege einer objektiven Klagehäufung geltend gemacht werden. Unberührt bleibt die Kompetenz der Verwaltungsgerichtsbarkeit, auch über solche Vorfragen zu entscheiden, die, wären sie Hauptfragen, in die Rechtswegzuständigkeit eines anderen Gerichts fallen würden. 131
Lösung Fall 31: Ob § 17 II 1 GVG den Gerichten erlaubt, über die Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Forderung zu entscheiden, ist umstritten. Die Zulässigkeit wird teilweise deshalb bejaht, weil es sich bei der Aufrechnung um einen rechtlichen Gesichtspunkt iSd Vorschrift handle, über die auch aus prozessökonomischen Gründen als Vorfrage mit entschieden werden dürfe.293 Dieser Ansicht ist in Übereinstimmung mit der wohl hM 294 nicht zu folgen. § 17 II 1 GVG setzt voraus, dass ein prozessualer Anspruch auf mehrere Gründe gestützt wird. Dies trifft auf die Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Forderung nicht zu, weil dem durch Klageantrag und Lebenssachverhalt bestimmten Streitgegenstand ein weiterer hinzugefügt wird. Im Gegensatz zur gerichtlichen Beantwortung einer Vorfrage erwächst zudem die Entscheidung, dass eine Gegenforderung nicht besteht, gem § 322 II ZPO (iVm § 173 S 1 VwGO) regelmäßig in Rechtskraft. Schließlich tritt für die zur Aufrechnung gestellte Forderung im Gegensatz zur Rechtslage bei der Kumulation von Ansprüchen keine Rechtshängigkeit ein 295, so dass eine Forderung parallel in mehreren Gerichtswegen geltend gemacht werden dürfte. Auch dies liefe der Intention des § 17 II 1 GVG zuwider. Allerdings wird eine Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Forderung dann zugelassen, wenn die Gegenforderung bereits rechtskräftig oder bestandskräftig festgestellt wurde oder nicht bestritten wird.296 Da K die Forderung des Bundes bestreitet, hat das VG entweder den Rechtstreit gem § 94 VwGO auszusetzen, bis das ordentliche Gericht über den Bestand der zur Aufrechnung gestellten rechtswegfremden Gegenforderung entschieden hat, oder ein Vorbehaltsurteil gem § 173 S 1 VwGO iVm § 302 ZPO zu erlassen.
292 Vgl OVG NRW, NWVBl 1994, 109, 111 f; VGH BW, NJW 1993, 3344; BayVGH, NVwZ-RR 2004, 224, 225; Albedyll in: Bader, Verwaltungsgerichtsordnung: Kommentar anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung, 4. Aufl 2007, § 41 Rn 11. 293 Vgl Kopp/Schenke VwGO, § 40 Rn 45 (m umfangr Nachw in Fn 293). 294 BAG, NJW 2002, 317; BFH, NJW 2002, 3126; BFH/NV 2007, 968 ff; Ehlers in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 41/§ 17 GVG Rn 28 ff; Sodan in: ders/Ziekow, VwGO, § 17 GVG Rn 44 ff; Rennert in: Eyermann, VwGO, § 41 Rn 19. 295 Insoweit ebenso Schenke/Ruthig NJW 1992, 2505, 2511 f. 296 Vgl BVerwGE 77, 19, 24; BFH/NV 2005, 1759 ff; Ehlers JuS 1990, 777, 782.
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5. Rechtswegentscheidung und Rechtswegverweisung Rechtswegstreitigkeiten sind als Erbübel des deutschen Prozesses bezeichnet worden.297 Die §§ 17 bis 17b GVG versuchen, diesem Übel abzuhelfen, soweit dies auf der Grundlage verschiedener Rechtswege möglich ist. Neben einer Konzentration des Rechtsschutzes nach Möglichkeit bei einer Gerichtsbarkeit (§ 17 II GVG) und der Vereinheitlichung der Rechtswegabgrenzung wird eine Beschleunigung der verbindlichen Entscheidung über den Rechtsweg angestrebt. Hat ein Gericht den Rechtsweg rechtskräftig für zulässig erklärt, sind die anderen Gerichte daran gebunden (§ 17a I, V GVG). Im Falle der Unzulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs verweist das Gericht den Rechtsstreit bei fortdauernder Rechtshängigkeit (§ 17b I 2 GVG) von Amts wegen durch Beschluss an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs (§ 17a II 1 GVG), wobei dieses Gericht (nach Rechtskraft 298) auch bei Fehlerhaftigkeit des gerichtlichen Verfahrens oder inhaltlicher Unrichtigkeit „hinsichtlich des Rechtsweges“ (im Gegensatz zur sachlichen, örtlichen oder instanziellen Zuständigkeit des Gerichts) an die Verweisung gebunden ist (§ 17a II 3 GVG). Bei offensichtlicher Gesetzwidrigkeit oder willkürlichen Verweisungen (also extremen Verstößen) wird eine Bindungswirkung ungeachtet des in § 17a IV GVG bereitgestellten Überprüfungsverfahrens zT verneint.299 Hält das Gericht den Rechtsweg für zulässig, kann oder muss es (bei Rüge einer Partei) eine Vorabentscheidung treffen (§ 17a III GVG). Verweisungen und Vorabentscheidungen dürfen nur in den Beschwerdeverfahren nach § 17a IV GVG angegriffen werden. Neben der sofortigen Beschwerde (§ 17a IV 3 GVG) ist eine weitere Beschwerde nur zulässig, wenn es sich bei dem Beschwerdegericht um ein oberes Landesgericht handelt (in der Verwaltungsgerichtsbarkeit: OVG) und die Beschwerde in dem Beschluss zugelassen worden ist (§ 17a IV 4 GVG). Auf das gerichtliche Eilverfahren (§§ 80 V, VI, 80a III, 123 VwGO) finden die §§ 17 ff GVG entsprechende Anwendung (→ § 29 Rn 100).300
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VI. Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Während die Rechtswege die Kompetenzen der verschiedenen Gerichtsbarkeiten voneinander abgrenzen, geht es bei der Sachentscheidungsvoraussetzung „Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts“ um die Bestimmung, welches Gericht im konkreten Streitfall die Gerichtsbarkeit auszuüben hat. Dies dient der Präzisierung des gesetzlichen Richters (Art 101 I 2 GG). Eine Prorogation, dh Parteivereinbarung über die Gerichtszuständigkeit oder Begründung einer Zuständigkeit durch rügelose Verhandlung zur Hauptsache, ist – im Gegensatz zum Zivilprozessrecht – nicht zulässig. Die VwGO unterscheidet zwischen sachlicher, instanzieller und örtlicher Zuständigkeit. Die sachliche Zuständigkeit 297 Kissel NJW 1991, 945, 947. 298 Vgl § 17a IV GVG. 299 Vgl BAG, NJW 1993, 1878; s aber auch BGHZ 144, 21, 24 (Bindungswirkung bei gesetzwidriger Rückverweisung); BGH, NJW 2003, 2990 f (Bindungswirkung der Verweisung auch bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör). Da bei Verweisungen lediglich wegen sachlicher oder örtlicher Unzuständigkeit kein Rechtszug besteht (§ 83 S 2 VwGO), werden insoweit weitreichende Ausnahmen gemacht (BVerwGE 79, 110, 113; BVerwG, NVwZ 2004, 1124 f). 300 HM. Vgl BVerwG Buchholz 310 § 40 Nr 286; OVG Rh-Pf, DVBl 2005, 988; HessVGH, DÖV 2007, 263. AA Kopp/Schenke VwGO, § 41 Rn 2a.
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5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
bezieht sich auf die erstinstanzlichen Entscheidungskompetenzen des Gerichts. Grundsätzlich sind die VG sachlich zuständig (§ 45 VwGO), in einigen Fällen (Normenkontrolle, bedeutsame Angelegenheiten, Großvorhaben) aber auch die Oberverwaltungsgerichte 301 (§§ 47 (→ § 27), 48 VwGO) oder das BVerwG (§ 50 I VwGO 302).303 Die instanzielle Zuständigkeit regelt die Zuständigkeit eines Gerichts im Instanzenzug als Berufungs-, Revisionsoder Beschwerdegericht.304 Für das OVG greift § 46 VwGO, für das BVerwG § 49 VwGO ein. Die örtliche Zuständigkeit legt fest, welches Gericht innerhalb derselben Instanz zu entscheiden hat. Vorrangig bestimmt sich dies nach § 52 Nr 1 VwGO (Belegenheit einer Sache), sodann jeweils unter dem Gesichtspunkt der Spezialität nach § 52 Nr 4 (dienstrechtliche Streitigkeiten), § 52 Nr 2 VwGO, § 52 Nr 3 VwGO und (falls die genannten Zuweisungen nicht eingreifen) nach § 52 Nr 5 VwGO (Auffangzuständigkeit). Kommt es auf § 52 Nr 2 oder Nr 3 VwGO an, muss zunächst die Klageart bestimmt werden (→ Rn 8). In den Fällen des § 53 VwGO entscheidet das nächsthöhere Gericht oder das BVerwG. Hält sich das angerufene VG für sachlich oder örtlich unzuständig, hat es den Rechtstreit gem § 83 VwGO entsprechend den §§ 17 bis 17b GVG an das zuständige Gericht zu verweisen. Da im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes das Gericht der Hauptsache entscheidet 305, gelten die Zuständigkeitsbestimmungen auch für dieses Verfahren.
VII. Beteiligungsfähigkeit 1. Beteiligte des Rechtsstreits 134
Fall 32: Ausländer L hat gegen seine Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage erhoben. Muss das VG die deutsche Ehefrau des L beiladen?
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An einem verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreit sind mindestens zwei Personen, nämlich der Kläger und der Beklagte (respektive Antragsteller oder Antragsgegner) beteiligt (§ 63 Nr 1, 2 VwGO). Nach Maßgabe des § 64 VwGO iVm §§ 59 ff ZPO können auch mehrere Personen klagen oder verklagt werden, also beteiligt sein. Als weitere Beteiligte kommen gem § 63 Nr 3 und 4 VwGO zudem der Beigeladene (§ 65 VwGO) sowie der Vertreter des Bundesinteresses (§ 35 VwGO) oder nach Maßgabe des Landesrechts der Vertreter des
301 In einigen Ländern führen die Oberverwaltungsgerichte die Bezeichnung „Verwaltungsgerichtshof“ (vgl § 184 VwGO). 302 Zur Abgrenzung von ör Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern iSd § 50 I Nr 1 VwGO von verfassungsrechtlichen Bund-Länder-Streitigkeiten vgl BVerfGE 22, 221, zur Abgrenzung von sonstigen ör Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern BVerwGE 116, 234; BVerfGE 109, 1 → JK BVerfGG § 64 III/4. Praktische Relevanz kommt ferner der erst im Jahre 2006 neu geschaffenen erst- und letztinstanzlichen Zuständigkeit des BVerwG nach § 50 I Nr 6 VwGO zu. 303 Neben den § 45 ff VwGO kann sich eine Zuständigkeit aus der Verweisungsnorm des § 90 VwGO ergeben (Weitergeltung bestimmter Sonderregelungen). 304 Vgl Würtenberger VerwPrR, Rn 206. 305 Vgl §§ 80 V, VII, 123 II VwGO.
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Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen
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öffentlichen Interesses (§ 36 VwGO) in Betracht.306 Der Rechtsschutzsuchende hat keinen Einfluss darauf, ob weitere Beteiligte einbezogen werden. Die Beteiligung oder Nichtbeteiligung betrifft daher weder die Zulässigkeit noch die Begründetheit einer Klage (bzw eines Antrags). Daraus lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass eine weitere Beteiligung für den Rechtsschutzsuchenden ohne Belang ist. Zum einen können sich die Vertreter des Bundesinteresses und des öffentlichen Interesses jederzeit im Verfahren äußern 307 und die Beigeladenen dürfen selbständige Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend machen sowie alle Verfahrenshandlungen wirksam vornehmen (wobei die einfach Beigeladenen 308 im Gegensatz zu den notwendig Beigeladenen 309 keine abweichenden Sachanträge stellen dürfen 310). Zum zweiten werden, von den Besonderheiten des Normenkontrollverfahrens abgesehen (→ § 27),311 nur die Beteiligten (und ihre Rechtsnachfolger) – sowie Nichtantragsteller des § 65 III VwGO – an Gerichtsentscheidungen rechtskräftig gebunden (§ 121 VwGO). Zum dritten muss der Rechtsschutzsuchende für den Fall des Vorliegens der Voraussetzung einer notwendigen Beiladung daran interessiert sein, dass die Beiladung nicht unterbleibt. So entfaltet das Gestaltungsurteil einer stattgebenden Anfechtungsklage beim Unterlassen einer notwendigen Beiladung keinerlei Wirkungen, weil der Schutz des Dritten anders nicht sichergestellt werden kann und die Aufhebung eines VA nur gegenüber bestimmten Beteiligten keinen Sinn ergibt. Bei der Stellung von Verpflichtungs-, Leistungs- oder Feststellungsanträgen wirkt die Gerichtsentscheidung nur gegenüber den Hauptbeteiligten, wohingegen sie gegenüber den nichtbeigeladenen, aber notwendig beizuladenden Dritten unwirksam bleibt.312 Notwendig ist eine Beiladung, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Dies ist der Fall, wenn unmittelbar Rechte des Dritten gestaltet, bestätigt, festgestellt, verändert oder aufgehoben werden 313 (wie bei einer Anfechtungsklage eines Dritten gegen einen VA mit Doppelwirkung oder einer Verpflichtungsklage auf Erlass eines belastenden VA an einen Dritten). Den wichtigsten Anwendungsfall der notwendigen Beiladung bildet die Anfechtungsklage gegen einen VA mit drittbelastender Doppelwirkung (Begünstigung einer Person, Belastung einer anderen). Greift etwa ein Nachbar oder eine Gemeinde eine Baugenehmigung vor dem VG an, muss der (durch die Genehmigung begünstigte) Bauherr beigeladen werden. Bei Verpflichtungsklagen ist die Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung dann gegeben, wenn Adressat des vom Kläger beantragten VA ein Dritter ist (zB Klage des Nachbarn auf Erlass eines VA gegenüber dem Anlagenbetreiber) oder die stattgebende Entscheidung zugleich die Aussage enthält, dass der für den ablehnenden Bescheid maßgebliche Mitwirkungsakt eines Dritten rechtswidrig ist (wie dies auf die Versagung des Einvernehmens durch die Gemeinde gem § 36 BauGB zutrifft).314 Im Falle der Erhebung
306 Zur Bedeutung der §§ 35, 36 VwGO und rechtspolitischen Einschätzung vgl Gerhardt/Olberts in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §§ 35 Rn 16, 36 Rn 16. 307 §§ 35 II, 36 II VwGO. 308 § 65 I VwGO. 309 § 65 II VwGO. 310 Vgl § 66 VwGO. 311 Vgl § 47 V 2 HS 2 VwGO. 312 Vgl Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 65 Rn 39 f; Czybulka in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 65 Rn 187. 313 Vgl BVerwGE 18, 124, 126; 51, 268, 275; 55, 8, 11; Kopp/Schenke VwGO, § 65 Rn 14. 314 Näher dazu Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 65 Rn 22 ff.
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einer allgemeinen Leistungsklage in Gestalt einer Unterlassungsklage ist eine Beiladung notwendig, wenn die Leistung an einen bestimmten Dritten unterbleiben soll. Bei Feststellungsklagen greift § 65 II VwGO ein, wenn ein Dritter an dem Rechtsverhältnis, um dessen Feststellung gestritten wird, unmittelbar beteiligt ist (so zB wenn die Feststellung beantragt wird, dass ein Vertrag, der zwischen der Verwaltung und einem Konkurrenten abgeschlossen wurde, ungültig ist). Entsprechendes gilt für die Nichtigkeitsfeststellungsklage. Da die Beachtung des § 65 II VwGO für den Kläger von größtem Interesse ist, weil sich ein obsiegendes Urteil ansonsten als nutzlos erweisen kann, ist es erforderlich, im Rechtsgutachten die Frage der notwendigen Beiladung zu prüfen. Da es weder um die Zulässigkeit noch um die Begründetheit der Klage geht, sollte dies entweder zwischen Zulässigkeit und Begründetheit oder nach der Begründetheit geschehen. Lösung Fall 32: Nach § 65 II VwGO sind Dritte notwendig beizuladen, wenn sie an dem Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Streitiges Rechtsverhältnis ist der von L geltend gemachte Anspruch auf Aufhebung der Ausweisungsverfügung. Die Ehefrau kann durch die Ausweisung ebenfalls in ihren durch Art 6 I GG geschützten Rechten verletzt sein. Sie kann daher einen Anspruch gleichen Inhalts wie ihr Mann haben. Hieraus ergibt sich nach Auffassung der Rspr 315 aber noch nicht, dass die Ehefrau derart an dem Rechtsverhältnis beteiligt ist, dass die Entscheidung auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Daher scheidet eine notwendige Beiladung aus. In Betracht kommt nur eine einfache Beiladung (§ 65 I VwGO).
2. Anforderungen an die Beteiligtenstellung 139
Fall 33: M ist der von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg verliehene Doktorgrad entzogen worden, weil es sich bei der Dissertation um ein Plagiat gehandelt habe. Er möchte wissen, ob eine verwaltungsgerichtliche Klage gegen die Rechtswissenschaftliche Fakultät in Betracht kommt.
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Fall 34: Bürgerinitiative N sammelt Unterschriften, um ein Bürgerbegehren gegen den drohenden Verkauf der Stadtwerke zu initiieren und die Bürger anschließend über den Verkauf entscheiden zu lassen. Da der Abschluss entsprechender Verträge droht, beantragen die Vertreter des Bürgerbegehrens im Wege des einstweiligen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, der Gemeinde zu untersagen, die Verträge abzuschließen.
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Die Beteiligten müssen die Fähigkeit besitzen, Subjekt eines Prozessrechtsverhältnisses sein zu können. Erhebt ein nicht beteiligungsfähiges Subjekt eine Klage, ist es zwar an dem durch die Klage ausgelösten Prozess beteiligt; die Klage ist aber wegen mangelnder Beteiligungsfähigkeit unzulässig.316 Im Streit um die Beteiligungsfähigkeit (einschließlich der Rechtsmittelverfahren gegen Prozessurteile, die wegen Fehlens der Beteiligungsfähigkeit ergangen sind) ist derjenige, dessen Beteiligungsfähigkeit fraglich ist, als beteiligten-
315 BVerwG, NJW 1977, 1603; BVerwGE 55, 8, 11. 316 Schenke VerwPrR, Rn 455.
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fähig anzusehen.317 Ebenso ist eine aufgelöste juristische Person (zB eine nach einer kommunalen Gebietsreform in eine andere Kommune eingegliederte Gemeinde 318 oder ein verbotener Verein 319) beteiligungsfähig, wenn gerade um die Auflösung oder das Verbot gestritten wird. Im Falle des Todes einer natürlichen Person tritt bei höchstpersönlichen Rechten und Pflichten Erledigung der Hauptsache ein 320, ansonsten wird das Verfahren nach § 173 S 1 VwGO iVm § 239 ZPO unterbrochen und ggf wieder aufgenommen.
a) Natürliche und juristische Personen Greifen keine spezielleren Normen ein 321, bestimmt sich die Beteiligungsfähigkeit nach § 61 VwGO, für die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle nach § 47 II 1, 2 VwGO. Danach kommt es grundsätzlich auf die Rechtsfähigkeit an.322 Demgemäß sind natürliche oder juristische Personen (des öffentlichen oder privaten Rechts) stets beteiligungsfähig (§ 61 Nr 1 VwGO).
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Lösung Fall 33: Die Zulässigkeit der Klage setzt ua voraus, dass die Rechtswissenschaftliche Fakultät beteiligungsfähig ist und richtiger Beklagter des Verwaltungsstreits sein kann. Da der mitgliedschaftlich verfassten Fakultät (§ 22 III LHG BW) das Promotionsrecht zusteht 323, handelt es sich bei der Fakultät um eine (teilrechtsfähige) Vereinigung iSd § 61 Nr 2 VwGO. Richtiger Beklagter einer Anfechtungsklage ist (wegen des Fehlens einer landesrechtlichen Bestimmung iSd § 78 I Nr 2 VwGO) in BW der Rechtsträger (hier: Körperschaft) deren Behörde den VA erlassen hat (§ 78 I Nr 1 VwGO). Da der Promotionsausschuss der Rechtswissenschaftlichen Fakultät nach der einschlägigen Promotionsordnung für die Entziehung des Doktorgrades zuständig ist und den Doktorgrad tatsächlich auch entzogen hat, ist die Klage gegen die Rechtswissenschaftliche Fakultät zu richten. Demgegenüber ist der VGH BW ohne Begründung von der Zulässigkeit einer gegen die Universität gerichteten Klage ausgegangen.324
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Lösung Fall 34: Mangels aufdrängender oder abdrängender Sonderzuweisung richtet sich der Rechtsweg nach § 40 I 1 VwGO. Die Zulässigkeit von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden auf kommunaler Ebene ist in den Gemeindeordnungen, also Normen des öffentlichen Rechts, geregelt, so dass eine ör Streitigkeit anzunehmen ist. Diese müsste des Weiteren nichtverfassungsrechtlicher Art sein. Ziel der Bürgerinitiative ist es, die Bürger (also das Gemeindevolk) anstelle des Rates entscheiden zu lassen. Beim Gemeindevolk könnte es sich um ein Verfassungsorgan handeln, als deren Organteile oder Organwalter die Initiatoren tätig werden. Indessen ist die Gemeinde ein Verwaltungsträger, der Rat (an dessen
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317 Vgl Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 61 Rn 11; Czybulka in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 61 Rn 8. 318 Vgl zB VerfG Bbg, Sächs VBL 1995, 204; VGH BW, DÖV 1979, 605. 319 BVerwGE 1, 266, 267 f; vgl auch § 6 VereinsG. 320 Es bedarf dann einer Kostenentscheidung nach § 161 II VwGO gegenüber dem Erben. 321 Vgl etwa § 3 ParteiG, wonach eine Partei unabhängig von ihrer Rechtsfähigkeit unter ihrem Namen klagen und verklagt werden kann. 322 Keine Beteiligungsfähigkeit kann somit Tieren oder der Natur als solcher zukommen (zur Klage von bedrohten Seehunden vgl VG Hamburg, NVwZ 1988, 1058). 323 So auch VGH BW, 19.4.2000, 9 S 2435/99. 324 Vgl VGH BW, 19.4.2000, 9 S 2435/99
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Stelle die Bürger entscheiden wollen) ein Verwaltungsorgan. Somit liegt jedenfalls keine verfassungsrechtliche Streitigkeit iSd § 40 I 1 VwGO vor. Da die Bürgerinitiative kein „Kommunalverfassungsorgan“ ist und die die Bürgerinitiative unterstützenden Bürger ebenso wie bei der Ausübung des Kommunalwahlrechts von ihren staatsbürgerlichen Mitwirkungsrechten Gebrauch machen wollen, handelt es sich nicht um einen Innen-, sondern um einen Außenrechtsstreit.325 Wird ein Volksbegehren auf staatlicher Ebene für unzulässig erklärt, sehen die Verfassungsgerichte die Vertrauenspersonen des Volksbegehrungszulassungsantrags als beteiligungsfähig an.326 Dementsprechend sind die Unterzeichner eines Bürgerbegehrens 327 oder jedenfalls die „Vertreter“ 328 in ihrer Eigenschaft als natürliche Person im Streit um die Nichtzulassung eines Bürgerentscheids gem § 61 Nr 1 VwGO beteiligungsfähig.329 Hier ist es zwar noch nicht zu einem Bürgerbegehren gekommen (weil das Quorum noch nicht erreicht wurde). Doch kann für das Vorstadium des plebiszitären Verfahrens nichts anderes gelten. Da eine Gemeinde eine juristische Person (nämlich Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts) ist, ergibt sich deren Beteiligungsfähigkeit ebenfalls aus § 61 Nr 1 VwVfG.
b) Vereinigungen 145
Fall 35: Der Polizeivollzugsbeamte O wendet sich nach erfolgloser Einlegung von Widersprüchen mit einer verwaltungsgerichtlichen Klage gegen die Umsetzung auf einen anderen Dienstposten seiner Behörde sowie die Anordnung des Dienstvorgesetzten, seine Haare höchstens in Hemdkragenlänge zu tragen.
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Fall 36: Die Ratsfraktion P des Rates der Stadt X sowie deren Vorsitzender in seiner Eigenschaft als einfaches Ratsmitglied haben verwaltungsgerichtliche Klage erhoben und die Feststellung beantragt, dass der beklagte Rat sie durch Ausschluss der Öffentlichkeit bei der Beratung eines Tagesordnungspunktes in ihren organschaftlichen Rechten verletzt hat.
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Über § 50 ZPO hinausgehend spricht ferner § 61 Nr 2 VwGO den (nicht rechtsfähigen) Vereinigungen Beteiligungsfähigkeit zu, soweit ihnen ein Recht zustehen kann. Vereinigungen sind Personenmehrheiten, denen ein Mindestmaß an Organisation zukommt.330 Ferner müssen den Vereinigungen selbst (und nicht nur ihren Mitgliedern) Rechte (oder Pflichten) zustehen können. Dies trifft zB auf BGB-Gesellschaften 331 und nichtrechtsfähige Vereine, nicht dagegen auf Bruchteilsgemeinschaften 332 (§ 741 ff BGB) und Aufsichtsorgane
325 Str wie hier BayVGH, NVwZ-RR 1998, 256, 257; OVG NRW, DVBl 1998, 785; aA OVG LSA, NVwZ-RR 1998, 253, 254; OVG RP, NVwZ-RR 1995, 411, 412; OVG NDS, NdsVBl 1998, 240. 326 Vgl zB BVerfGE 96, 139; VerfGH NRW, NVwZ 1982, 188. 327 Vgl Schliesky DVBl 1998, 169, 173 mwN. 328 So mit Blick auf § 26 II 2, VI 2 GO NRW, OVG NRW, NVwZ-RR 1999, 136. 329 Teilweise wird von § 61 Nr 2 ausgegangen (zB Schenke VerwPrR, Rn 462). Dies hätte erheblich Konsequenzen, zB für die Kostentragung. 330 Redeker/v. Oertzen VwGO, § 61 Rn 4. 331 Vgl BVerfG-K, NJW 2002, 3533; BGHZ 146, 341, 343 ff; zur Behandlung im Verwaltungsprozess Pache/Knauff Bay VBl 2003, 168. 332 So zB Wohnungseigentümergemeinschaften. Vgl Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 61 Rn 6; s aber auch BGH, NJW 2005, 2061; KG, NJW 2006, 1983.
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einer Stiftung 333 zu. Für offene Handelsgesellschaften und Kommanditgesellschaften ergibt sich die Beteiligungsfähigkeit bereits aus der spezialgesetzlichen Normierung des § 124 HGB (iVm § 161 II). Nicht ausreichend ist, dass der Vereinigung irgendein Recht zustehen kann. Vielmehr muss ihr das Recht gerade im Hinblick auf den konkreten Streitgegenstand zustehen können.334 Die Prüfung des § 42 II VwGO wird damit nicht hinfällig. Die Vorschrift verlangt nicht nur die Geltendmachung einer klagefähigen (subjektiv ör) Klageposition, sondern darüber hinaus die Geltendmachung einer Rechtsverletzung, dh der Rechtswidrigkeit der Rechtsbeeinträchtigung.335 Über den Wortlaut hinausgehend ist § 61 Nr 2 VwGO analog 336, im Wege der Rechtsfortbildung 337 oder der Interpretation im Lichte des § 40 I VwGO 338 auf alle teilrechtsfähigen Subjekte anwendbar, soweit diesen ein Recht zustehen kann. Dies hat vor allem für Innenrechtssubjekte Bedeutung.339 Innenrechtssubjekte (wie zB der Gemeinderat, eine Ratsfraktion oder der Allgemeine Studentenausschuss einer Universität 340) sind beteiligungsfähig, wenn und soweit sie sich auf wehrfähige Rechtsposition berufen können. Von einer solchen Position ist nach der hier vertretenen Auffassung dann auszugehen, wenn dem Innenrechtssubjekt im Funktionsinteresse der juristischen Person des öffentlichen Rechts oder der teilrechtsfähigen Außenrechtsvereinigung Zuständigkeiten zur eigenständigen Wahrnehmung zugewiesen sind, kein Interessenausgleich möglich ist und das objektive Recht im Interesse einer Optimierung der Entscheidung auch den Schutz des Innenrechtssubjekts bezweckt. Das Innenrechtssubjekt ist dann Endsubjekt rechtlicher Zuordnung und nicht nur Subjekt einer transitorischen Wahrnehmungszuständigkeit (Durchgangssubjekt).341 Ist dies der Fall, besteht Beteiligungsfähigkeit auch dann, wenn es sich bei dem Innenrechtssubjekt um ein monokratisches Organ respektive einen Organteil oder einen Amtswalter handelt. Zum Beispiel kann ein Ratsmitglied entsprechend § 61 Nr 2 VwGO gegen seinen Ausschluss aus dem Rat klagen. Lösung Fall 35: Die Beteiligungsfähigkeit des O könnte sich aus § 61 Nr 1 VwGO ergeben. Dann müsste er in seiner Eigenschaft als natürliche Person klagen. Die Umsetzungsverfügung betrifft den O jedoch nur als Amtswalter. Demgemäß kann er allenfalls entsprechend § 61 Nr 2 VwGO beteiligungsfähig sein. Zwar können auch Amtswalter als Vereinigungen in analoger Anwendung der Vorschriften anzusehen sein. Doch müsste dem O dann eine wehrfähige Rechtsposition gerade im Hinblick auf den konkreten Streitgegenstand zustehen. Ein
333 OVG Berlin, NVwZ-RR 2003, 323; Suerbaum NVwZ 2005, 161. 334 BVerwGE 31, 359, 365; 32, 333, 334; 45, 39, 42; 56, 56, 57; Ehlers NVwZ 1990, 105, 110. AA Czybulka in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 61 Rn 29 (abstrakte nicht konkrete Betrachtungsweise mit nicht weiterführenden Hinweis auf BVerwGE 90, 304, 305), vgl auch Schenke VerwPrR, Rn 462a. 335 Vgl Ehlers NVwZ 1990, 105, 110. 336 Vgl zB Dolde FS Menger, 1985, 433, 436 f. 337 Vgl Erichsen FS Menger, 1985, 211, 223 f; Schoch JuS 1987, 783, 787. 338 Vgl Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 135. 339 Näher dazu Franz JURA 2005, 156, 160; Bethge in: Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis 1, 3. Aufl 2007, § 28. 340 Näher dazu Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 61 Rn 7. 341 Vgl Erichsen FS Menger, 1985, 211, 215 ff.
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Recht auf Beibehaltung eines Dienstpostens gibt es grundsätzlich nicht.342 Da ein Ausnahmefall nicht ersichtlich ist, muss nach hier vertretener Ansicht die Klage als unzulässig abgewiesen werden. Dennoch hat das BVerwG in einem ähnlichen Fall die Klage nur als unbegründet angesehen.343 Die Anordnung, die Haare nur bis zu einer bestimmten Länge zu tragen, ist zwar ebenfalls eine verwaltungsinterne Maßnahme, weil sie dazu bestimmt ist, den Beamten nicht als Träger subjektiver Rechte, sondern als Amtswalter und Glied der Verwaltung anzusprechen (Erscheinungsbild im Dienst).344 Auch der gem § 54 II BeamtStG ergangene Widerspruchsbescheid ändert nichts am verwaltungsinternen Charakter der angegriffenen Maßnahme. Jedoch können auch solche Maßnahmen nichtintendierte Außenwirkungen haben. Dies ist bei der Regelung über die Gestaltung der Haartracht der Fall, weil solche Regelungen zwangsläufig auch die private Lebensführung beeinflussen, also das Persönlichkeitsrecht verletzen können. Demgemäß ergibt sich die Beteiligungsfähigkeit des O insoweit aus § 61 Nr 1 VwGO, weil K als natürliche Person klagt.
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Lösung Fall 36: Da es sich sowohl bei der Ratsfraktion als auch bei dem Ratsmitglied um Innenrechtssubjekte handelt 345, beurteilt sich die Beteiligungsfähigkeit entsprechend § 61 Nr 2 VwGO. Die entsprechend auch auf monokratische Stellen anwendbare Vorschrift verlangt, dass den Beteiligten ein Recht gerade im Hinblick auf den konkreten Streitgegenstand zustehen kann. Vielfach wird ein wehrfähiges Recht von Ratsmitgliedern auf Wahrung des Grundsatzes der Öffentlichkeit von Ratssitzungen abgelehnt.346 Eine aA vertritt aber das OVG NRW,347 weil die Öffentlichkeit auch auf Antrag des Ratsmitglieds ausgeschlossen werden könne, die Verschwiegenheitspflicht über nichtöffentliche Sitzungen in Konflikt mit dem Recht auf freie Mandatsausübung gerate und der den Bürgern zugute kommende Schutzzweck des Grundsatzes der Öffentlichkeit zeige, dass es nicht nur um objektives Recht gehe. Ebenso müsse der Ratsfraktion ein wehrfähiges Recht auf Wahrung des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit zugestanden werden. Folgt man der Ansicht des OVG NRW, sind Fraktion und Ratsmitglied beteiligungsfähig. Die Beteiligungsfähigkeit des verklagten Rates ergibt sich ebenfalls aus entsprechender Anwendung des § 61 Nr 2 VwGO.
c) Behörden 152
Da Behörden Organe von Rechtsträgern oder teilrechtsfähigen Personen, aber nicht selbst rechtsfähig sind, können sie grundsätzlich nicht Beteiligte eines Rechtsstreits sein. Jedoch ermächtigt § 61 Nr 3 VwGO die Länder dazu, Behörden durch Landesrecht (Gesetz oder Verordnung) für beteiligungsfähig zu erklären. Unter Behörden iSd Vorschrift sind nur
342 Ausnahmen können für Wahlbeamte gelten (die für ein bestimmtes Amt gewählt worden sind) oder für Professoren (zum Ausschluss eines Theologieprofessors aus der Theologenausbildung vgl BVerwGE 124, 310 → JK GG Art 5 III/22). 343 Vgl BVerwGE 60, 144 → JK VwVfG § 35 S 1/5. 344 Vgl BVerwGE 125, 85 → JK GG Art 2 I/42. 345 Vgl zur Fraktion Ehlers in: Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis 1, 3. Aufl 2007, § 21 Rn 55 mwN. 346 VGH BW, NVwZ-RR 1992, 373; Schnapp VerwArch 78 (1987), 407, 428 ff; Erichsen Kommunalrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl 1997, 154 f. 347 OVG E 35, 8 ff; DVBl 2001, 1281 → JK GO NW § 48 II.
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Stellen eines Verwaltungsträgers mit Außenzuständigkeit zu verstehen.348 Die Ermächtigung bezieht sich nur auf Landesbehörden, nicht auf Bundesbehörden.349 Sind die Behörden beteiligungsfähig, werden sie im Wege der Prozessstandschaft für den Rechtsträger tätig, dem sie angehören. Von der Ermächtigung des § 61 Nr 3 VwGO haben die Länder Brandenburg 350, Mecklenburg-Vorpommern 351, Niedersachsen 352, Nordrhein-Westfalen 353, Rheinland-Pfalz 354, das Saarland 355, Sachsen-Anhalt 356 und Schleswig-Holstein 357 in unterschiedlichem Umfang Gebrauch gemacht. Für Normenkontrollverfahren sieht § 47 II 1 VwGO bundeseinheitlich eine Beteiligungsfähigkeit behördlicher Antragsteller vor. Sofern eine Beteiligungsfähigkeit der Behörden gegeben ist, sind die Behörden kraft landesrechtlicher Bestimmungen auch richtiger Klagegegner (bzw Antragsgegner) iSd § 78 I Nr 2 VwGO.
VIII. Prozessfähigkeit Fall 37: Rechtsanwalt Q, der gleichzeitig Mitglied des Rates der Stadt X ist, hat im Auftrag eines Mandanten Anfechtungsklage gegen eine Ordnungsverfügung der Stadt X erhoben. Darf oder muss das VG Q als Bevollmächtigten zurückweisen?
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Unter Prozessfähigkeit ist die Befugnis zu verstehen, selbst oder durch einen Bevollmächtigten wirksam Prozesshandlungen vornehmen oder entgegennehmen zu können. § 62 I Nr 1 VwGO verknüpft die Prozessfähigkeit mit der Geschäftsfähigkeit des bürgerlichen Rechts. Prozessfähig sind die Volljährigen (dh die Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben 358), prozessunfähig die Geschäftsunfähigen 359, zB die Kinder unter 7 Jahren. Die nur beschränkt Geschäftsfähigen (dh vor allem die Minderjährigen 360) sind nicht beschränkt prozessfähig, sondern grundsätzlich prozessunfähig. Soweit sie durch Vorschriften des bürgerlichen oder öffentlichen Rechts für den Gegenstand des Verfahrens als geschäftsfähig (handlungsfähig 361) anerkannt sind, kommt ihnen allerdings partiell volle
154
348 Hierfür spricht auch die Entstehungsgeschichte der Norm (Erichsen (Fn 346) 222), der Sachzusammenhang mit der Bestimmungen der §§ 62 III (der von gesetzlichen Behördenvertretern spricht), 78 I Nr 2 VwGO sowie die sich aus § 61 Nr 2 VwGO ergebenden Sperrwirkungen für Innenrechtsstreitigkeiten. Anders wohl Kopp/Schenke VwGO, § 61 Rn 13. 349 BVerwGE 14, 330, 331; 72, 165, 167; aA Dolde FS Menger, 1985, 433, 434; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 239. 350 § 8 I VwGG BbG. 351 § 14 I AGGerStrG MV. 352 § 8 I NDS VwGG. 353 § 5 I AGVwGO NRW. 354 § 17 II AG VwGO RP. 355 § 19 I SaarlAG VwGO. 356 § 8 S 1 AGVwGO LSA. 357 § 6 S 1 AGVwGO SH. 358 § 2 BGB. 359 § 104 BGB. 360 §§ 106 ff BGB. 361 Vgl § 12 VwVfG.
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Prozessrechtsfähigkeit zu. ZB sind Minderjährige in den Fällen der §§ 112, 113 BGB für die dort genannten Geschäfte prozessfähig. In religiösen Fragen sind Kinder ab 14 Jahren religionsmündig 362 und damit auch prozessfähig.363 UU kann sich die Prozessfähigkeit auch aus einer Grundrechtsmündigkeit ergeben.364 Bei Betreuung oder Pflegschaft richtet sich die Prozessfähigkeit nach § 62 II VwGO iVm § 1903 BGB, § 62 IV VwGO iVm § 53 ZPO, bei Ausländern nach § 62 IV VwGO iVm § 55 ZPO. Für juristische Personen 365, teilrechtsfähige Vereinigungen und Behörden handeln gem § 62 III VwGO ihre gesetzlichen Vertreter, Vorstände oder besonders Beauftragte. Aus dem Umstand, dass juristische Personen und teilrechtsfähige Vereinigungen durch Organe handeln, wird von einer Mindermeinung angenommen, dass auch juristische Personen geschäftsfähig und damit prozessfähig iSd § 62 I Nr 1 VwGO sind.366 Doch würde dann § 62 III VwGO weitgehend leerlaufen. Vertreter des Staates ist idR der zuständige Minister, Vertreter eines mittelbaren Trägers der Staatsverwaltung der jeweils zuständige Behördenleiter und Vertreter einer Gemeinde der Bürgermeister. Die Prozessfähigkeit ist von der Prozessführungsbefugnis, der Postulationsfähigkeit und Prozessvertretung zu unterscheiden. Die Prozessführungsbefugnis bezieht sich auf die Frage, ob über das im Prozess streitige Recht im eigenen Namen ein Rechtsstreit geführt werden darf. Dies beurteilt sich im Verwaltungsprozess auf der Klägerseite nach § 42 II VwGO (Klagebefugnis oder aktive Prozessführungsbefugnis), auf der Beklagtenseite – für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen – nach § 78 VwGO 367, dem Rechtsträgerprinzip oder (bei Innenrechtsstreitigkeiten) dem Verwaltungsorganisationsrecht (Beklagtenbefugnis oder passive Prozessführungsbefugnis). Unter der nur als Prozesshandlungsvoraussetzung (→ Rn 5), nicht Sachentscheidungsvoraussetzung, einzustufende Postulationsfähigkeit ist die Befugnis zu verstehen, selbst und nicht nur durch einen Prozessvertreter (Bevollmächtigten) Prozesshandlungen vornehmen zu können.368 Vor dem VG bedarf es grundsätzlich keiner Prozessvertretung, jedoch kann sich der Beteiligte in jeder Lage durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen oder sich eines Beistands in der mündlichen Verhandlung bedienen, sofern die Personen zum sachgemäßen Vortrag fähig sind (§ 67 II VwGO). Soll kein Rechtsanwalt (ggf aus dem Ausland 369) eingeschaltet werden, ist bei geschäftsmäßiger Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten das Rechtsberatungsgesetz 370
362 Vgl § 5 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung (KErzG von 1921). 363 Weitere ör Regelungen der beschränkten Handlungsfähigkeit und damit der partiellen Prozessfähigkeit enthalten die §§ 80 AufenthG, 12 AsylVfG, 36 SGB I, 10 FahrerlaubnisVO. 364 Näher zur Problemstellung v Mutius JURA 1987, 272 ff; Meier Die Stellung der Minderjährigen im öffentlichen Recht, 1988, 107 ff; Roth Die Grundrechte Minderjähriger im Spannungsfeld selbständiger Grundrechtsausübung, elterlichen Erziehungsrechts und staatlicher Grundrechtsbindung, 2003, 164 ff. 365 Der Wortlaut des § 62 III VwGO (Vereinigung) muss entsprechend der Zweckbestimmung der Vorschrift erweiternd ausgelegt werden. 366 Vgl Erichsen in: ders, JURA Extra, 2. Aufl 1983, 172, 184. 367 Anders als vielfach vertreten handelt es sich bei § 78 VwGO um eine Sachentscheidungsvoraussetzung, nicht um eine Begründetheitsfrage → § 22 Rn 60. 368 Vgl Schenke VerwPrR, Rn 483. 369 Vgl insbes das Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland v 9.3.2000 (Bundesgesetzblatt I S 182). 370 Schönfelder (E) Nr 99.
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zu beachten.371 In bestimmten Fällen kann das Gericht die Bestellung eines Bevollmächtigten oder Hinzuziehung eines Beistands anordnen (§§ 67 II 2, 67a VwGO). Vor dem BVerwG und OVG muss sich jeder Beteiligte durch einen Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule iSd Hochschulrahmengesetz mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen (§ 67 I 1 VwGO). Für juristische Personen des öffentlichen Rechts gilt dies nicht (§ 67 I 3 VwGO). Für einzelne Streitgegenstände sind weitere Personen vertretungsberechtigt (§ 67 I 4–6 VwGO). Lösung Fall 37: Nahezu alle Gemeindeordnungen schreiben vor, dass Ratsmitglieder Ansprüche eines anderen gegen die Gemeinde nicht geltend machen dürfen, es sei denn, dass sie als gesetzliche Vertreter gehandelt haben.372 Die Rspr geht davon aus, dass die Vertretungsverbote Rechtsgrundlage für den Ausschluss im gerichtlichen Verfahren sein können.373 Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.374 Da den Rechtsanwälten gem § 3 II BRAO 375 das Recht zusteht, in Rechtsangelegenheiten aller Art vor Gericht oder Behörden aufzutreten, und dieses Recht nur durch Bundesgesetz beschränkt werden darf, steht dem Landesgesetzgeber nicht die Gesetzgebungskompetenz zu, das Tätigwerden der Rechtsanwälte zu regeln.
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IX. Keine Rechtshängigkeit Gem § 173 S 1 VwGO iVm § 17 I 2 GVG kann während der Rechtshängigkeit eine Streitsache ferner von keiner anderen Partei anderweitig anhängig gemacht werden. Damit sollen die Beteiligten und Gerichte vor doppelten Prozessen in derselben Angelegenheit geschützt werden. Im Verwaltungsprozessrecht tritt Rechtshängigkeit bereits mit Eingang der Klageschrift bei dem Gericht ein (§ 90 I iVm § 81 I VwGO), während im Zivilprozessrecht die Klage zugestellt sein muss (§ 261 I iVm § 253 I ZPO). Die Rechtshängigkeit endet durch Klagerücknahme (§ 92 VwGO), Prozessvergleich (§ 106 VwGO), übereinstimmende Erledigungserklärung 376 oder Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung (→ Rn 158 ff). Die Rechtshängigkeit ist von Amts wegen in jeder Lage des Prozesses zu berücksichtigen. Das später angerufene Gericht muss die Klage als unzulässig abweisen. Eine Verweisung an das zuerst angerufene Gericht ist nicht statthaft, da sonst eine doppelte Rechtshängigkeit eintreten würde. Ergeht dennoch ein Urteil, ist es nicht nichtig, aber auf Rechtsmittel
371 Umstr ist, ob Rechtslehrer an deutschen Hochschulen unter Freistellung von Rechtsberatungsgesetz grds befugt sind, vor den Verwaltungsgerichten als Bevollmächtigte aufzutreten. Befürwortend (im Wege eines argumentum a maiore ad minus) Kopp/Schenke VwGO, § 67 Rn 8, 41; aA Meissner in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 67 Rn 32; Schmidt in: Eyermann, VwGO, § 67 Rn 6. 372 Vgl die Nachw bei Ehlers in: Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis 1, 3. Aufl 2007, § 21 Rn 27. 373 Vgl BVerfGE 41, 231, 241 f; 52, 42, 53 ff. Ferner BVerfGE 61, 68, 72; BVerfG-K, NJW 1988, 694 f. Ein Ausschlusszwang lässt sich (in konsequenter Weise) der Rspr bisher nicht entnehmen. 374 Vgl Schoch Das kommunale Vertretungsverbot, 1981, 238 ff; ders JuS 1989, 531, 533. 375 Schönfelder (E) Nr 98. 376 Vgl Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 17 Rn 12.
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5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
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hin aufzuheben.377 Die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges wird durch eine nach Rechtshängigkeit eintretende Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt (§ 173 S 1 VwGO iVm § 17 I 1 GVG).
X. Keine rechtskräftige Entscheidung 158
Fall 38: R hat erfolgreich Anfechtungsklage gegen die Untersagung eines Gebrauchtwagenmarktes an Sonntagen erhoben. Nachdem das BVerwG 378 in einem anderen Verfahren entschieden hat, dass keine Gebrauchtwagenmärkte an Sonntagen durchgeführt werden dürfen, erließ die zuständige Behörde erneut eine Untersagungsverfügung, gegen die R ebenfalls Anfechtungsklage erhoben hat.
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Fall 39: Das VG hat die Androhung einer Abschiebung des Asylbewerbers S aufgehoben. Später erließ die zuständige Behörde eine neue Abschiebungsverfügung, weil Abschiebungshindernisse aufgrund neuerer Auskünfte nicht mehr vorlägen. Dagegen hat S wiederum verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage erhoben.
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Fall 40: T und U sind Adressaten eines Beitragsbescheides. T hat den Beitragsbescheid bestandskräftig werden lassen. Die Anfechtungsklage des U gegen den Beitragsbescheid wurde als unbegründet abgewiesen. Nunmehr haben T und U beim LG Amtshaftungsklage wegen falscher Berechnung des Beitrages erhoben. Darf das LG die Rechtmäßigkeit der Beitragsbescheide überprüfen?
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Aus Sinn und Zweck der Rechtskraftregelungen ergibt sich ferner, dass eine Klage (Rechtsschutzantrag) unzulässig ist, wenn über den Streitgegenstand zwischen den Beteiligten bereits rechtskräftig entschieden wurde. Formell rechtskräftig ist eine Gerichtsentscheidung, wenn sie nicht mehr mit ordentlichen Rechtmitteln angefochten werden kann 379: sei es, dass ein Rechtsmittel nicht (mehr) gegeben ist, die Rechtsmittelfristen für alle Beteiligten abgelaufen sind, auf das Rechtsmittel verzichtet wurde oder das Rechtsmittel zurückgenommen worden ist. Kein ordentliches Rechtsmittel ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand 380, die Erhebung einer Nichtigkeitsklage oder Restitutionsklage zwecks Wiederaufnahme des Verfahrens 381, die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde oder die Erhebung einer Beschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die materielle Rechtskraft bezieht sich auf die inhaltliche Bindung an die Gerichtsentscheidung.382
377 378 379 380 381 382
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Vgl Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 41 / § 17 GVG Rn 15. E 79, 118. Vgl § 173 S 1 VwGO iVm § 705 ZPO. § 60 VwGO. § 153 VwGO iVm §§ 579, 580 ZPO. Die Rechtskraft ist von der Tatbestand- und Feststellungswirkung von Gerichtsentscheidungen zu unterscheiden. Bei der Tatbestandswirkung knüpft das materielle Recht an die Existenz einer Gerichtsentscheidung an (zB § 41 I BBG), bei der Feststellungswirkung entfalten die in den Gerichtsentscheidungen getroffenen Feststellungen ausnahmsweise Kraft gesetzlicher Anordnung Bindungswirkungen (zB § 35 III GewO). Vgl Clausing in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 121 Rn 38 f; Schenke VerwPrR, Rn 617 ff.
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Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen
§ 21
Gem § 121 VwGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, ihre Rechtsnachfolger sowie im Falle des § 65 III VwGO auch Personen, die einen Antrag auf Beiladung nicht oder nicht fristgemäß gestellt haben, „soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist“. Der materiellen Rechtskraft fähig sind grundsätzlich alle formell rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidungen, Zwischenentscheidungen aber nur eingeschränkt.383 Nach der herrschenden prozessualen Rechtskrafttheorie lässt die Gerichtsentscheidung die materielle Rechtslage unberührt 384, enthält also nur ein Abweichungsverbot sowie das Verbot, über den Streitgegenstand erneut zu verhandeln und erneut zu entscheiden (ne bis in idem). Nachträgliche Einwände tatsächlicher oder rechtlicher Art, welche die Entscheidungsgrundlage betreffen, sind präkludiert.385 Wie sich aus § 121 VwGO ergibt („soweit … entschieden worden ist“) erwächst nur der Entscheidungssatz (Tenor) selbst in Rechtskraft, nicht zB die die Entscheidung tragenden Gründe, die festgestellten Tatsachen oder die mitentschiedenen Vorfragen.386 Ist der Tenor der Entscheidung nicht eindeutig, müssen zu seiner Auslegung aber alle Entscheidungselemente (insbesondere die tragenden Gründe der Entscheidung) mit herangezogen werden.387 So muss insbesondere bei abweisenden Entscheidungen auf die Gründe zurückgegriffen werden. Im Falle eines Prozessurteils erwächst beispielsweise die Entscheidung nur im Hinblick auf die nicht als gegeben erachteten Sachentscheidungsvoraussetzungen in Rechtskraft.388 Der Umfang der Rechtskraft bestimmt sich nach dem „Streitgegenstand“, dieser nach dem Klageantrag (Klagebegehren 389) und Klagegrund (Lebenssachverhalt) – sog zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff.390 Streitgegenstand der Anfechtungsklage ist der Anspruch des Klägers auf Aufhebung des VA (§ 42 I VwGO) sowie die Rechtsbehauptung des Klägers, dass der VA ihn in seinen Rechten verletzt (§ 113 I 1 VwGO) 391, Streitgegenstand der Verpflichtungsklage der Anspruch auf Erlass des VA (§ 42 I VwGO) oder Neubescheidung (§ 113 V 2 VwGO) sowie die Rechtsverletzung des Klägers, dass die Ablehnung oder Unterlassung ihn in seinen Rechten verletzt.392 Im Falle der Erhebung einer allgemeinen Leistungsklage ist der prozessuale Anspruch auf Leistung, im Falle einer Feststellungsklage der prozessuale Anspruch auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens des im Antrag bezeichneten Rechtsverhältnisses bzw 383 Vgl Schenke VerwPrR, Rn 618, mit Hinw §§ 173 iVm 318, 512, 557 II ZPO. 384 AA die sog materiellrechtliche Rechtskrafttheorie. Näher zum Ganzen Clausing in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 121 Rn 19 ff mwN. 385 Vgl Rennert in: Eyermann, VwGO, § 121 Rn 14. 386 Im Falle der Aufrechnung erstreckt sich die Rechtskraft dagegen auch auf die Verneinung oder – über den Wortlaut des § 322 II ZPO iVm § 173 S 1 VwGO hinausgehend – Bejahung der Gegenforderung. Vgl BGHZ 36, 316, 319. 387 Vgl Rennert in: Eyermann, VwGO, § 121 Rn 21. 388 Vgl Rennert in: Eyermann, VwGO, § 121 Rn 22. 389 § 88 VwGO. 390 Vgl BVerwGE 52, 247, 249; 70, 110, 112; 96, 24, 25; BGHZ 117, 1, 5; 132, 240, 243; Detterbeck Streitgegenstand und Entscheidungswirkung im öffentlichen Recht, 1995, 46; Rosenberg/Schwab/ Gottwald Zivilprozessrecht, 16. Aufl 2004, § 92 Rn 10. 391 Vgl zum Letzteren BVerwGE 91, 256, 257. Näher zum Ganzen statt vieler Schenke VerwPrR, Rn 610. 392 Letzteres ist streitig. Wie hier BVerwGE 89, 354 ff; Rennert in: Eyermann, VwGO, § 121 Rn 28; anders Clausing in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 121 Rn 63 f. Vgl auch Schenke VerwPrR, Rn 611, der für diese Fälle einen Fortsetzungsfeststellungsantrag verlangt.
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der Nichtigkeit des VA 393, im Falle der Fortsetzungsfeststellungsklage der Anspruch auf Feststellung, dass der erledigte VA rechtswidrig gewesen ist und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt wurde 394, als Streitgegenstand anzusehen. Gegenstand einer Normenkontrolle ist der prozessuale Anspruch auf Feststellung der behaupteten Ungültigkeit der angegriffenen Norm. Ist rechtskräftig entschieden worden, hat dies im Falle einer erfolgreichen Anfechtungsklage zur Folge, dass der VA nicht erneut erlassen werden darf (Wiederholungsverbot). Geschieht dies gleichwohl, muss die Nichtbeachtung der Rechtskraft gerichtlich geltend gemacht werden können.395 Daher kann erneut Anfechtungsklage erhoben werden. Die Anfechtungsklage ist auch begründet, ohne dass die Rechtmäßigkeit des VA ein weiteres Mal überprüft werden muss.
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Lösung Fall 38: Die Anfechtungsklage des R gegen den neuen VA ist nicht nur zulässig, sondern auch begründet, weil es der im Vorprozess unterlegenen Behörde verwehrt ist, bei unveränderter Sach- und Rechtslage gegen denselben Betroffenen einen neuen VA aus den vom Gericht in einer rechtskräftigen Entscheidung missbilligten Gründen zu erlassen. Die Rechtskraftwirkung tritt auch bei sachlicher Unrichtigkeit des rechtskräftigen Urteils ein. Es ist daher unerheblich, dass die Unrichtigkeit später höchstrichterlich bestätigt wurde.396
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Lösung Fall 39: Gegen die Zulässigkeit der Anfechtungsklage bestehen keine Bedenken. Die Rechtskraft des erfolgreichen Anfechtungsurteils steht dem neuen VA nur dann nicht entgegen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich verändert hat. Der Zeitablauf allein stellt keine wesentliche Änderung der Sachlage dar. Mit zunehmender Dauer der seit dem rechtskräftigen Urteil verstrichenen Zeit besteht zwar in asylrechtlichen Streitigkeiten Grund für die Annahme, dass sich die entscheidungserhebliche Sachlage geändert haben könnte. Doch müssen sich dann die nach dem rechtskräftigen Urteil eingetretenen Tatsachen so wesentlich von den früher maßgeblichen Umständen unterscheiden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eines Urteils eine erneute Sachentscheidung gerechtfertigt ist. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, ist eine Frage des Einzelfalles.397
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Lösung Fall 40: Nach ständiger, in der Lit 398 vielfach angegriffener Rspr des BGH 399, darf die Rechtmäßigkeit bestandskräftiger VA im Anfechtungsprozess überprüft werden. Dem ist nach der hier vertretenen Ansicht beizupflichten, weil die Rechtmäßigkeit Voraussetzung, nicht aber Gegenstand der Regelung eines VA ist.400 Somit hängen die Erfolgsaussichten der
393 Vgl jeweils Clausing in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 121 Rn 66, 67. 394 Streitig. Wie hier Schenke VerwPrR, Rn 611. Zur Begründetheit der Fortsetzungsfeststellungsklage → § 26. 395 Auch wenn in derselben Sache ein neuer VA ergeht, liegt ein neuer Streitgegenstand vor. Vgl Clausing in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 121 Rn 22. 396 Vgl BVerwGE 91, 256 ff. 397 Vgl BVerwGE 115, 345 ff. 398 Vgl zB Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorbem § 113 Rn 16; Stuttmann NJW 2003, 1432 ff. 399 Vgl grundl BGHZ 113, 17 ff mwN. 400 Vgl Ehlers in: Krebs, Liber amicorum Hans-Uwe Erichsen, 2004, 1, 16.
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Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen
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Klage des T von den Amtshaftungsvoraussetzungen ab.401 Dagegen ist im Falle von U die Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides rechtskräftig festgestellt worden. Hieran ist das LG gebunden, so dass die Amtshaftungsklage ohne weiteres als unbegründet abgewiesen werden muss.
Die bindende Wirkung der Rechtskraft entfällt, wenn sich die entscheidungserhebliche Sach- oder Rechtslage ändert. Es liegt dann ein neuer Streitgegenstand vor. Geht es um die Aufhebung oder Änderung eines (nicht gerichtlich angefochtenen oder gerichtlich bestätigten) unanfechtbaren VA, kommt im Verwaltungsverfahren ein Wiederaufgreifen nach Maßgabe des § 51 VwVfG in Betracht. Beruft sich der Rechtsschutzsuchende auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 I VwVfG, steht die Rechtskraft einer vorangegangenen Gerichtsentscheidung auch im Falle der Geltendmachung eines Wiederaufnahmegrundes iSv § 51 I Nr 2 oder 3 VwVfG einer erneuten gerichtlichen Befassung nicht entgegen. Ändert sich die Sach- oder Rechtslage nach Eintritt der Rechtskraft, aber vor Vollstreckung, kommt eine Vollstreckungsgegenklage nach § 167 I VwGO iVm § 767 ZPO in Betracht (→ Fall 2 Rn 5, 7). Liegt eine Verurteilung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen vor, ist nach Maßgabe des § 173 S 1 VwGO iVm § 323 ZPO eine Abänderungsklage statthaft. Eine Änderung der Sachlage liegt vor, wenn sich die für die rechtskräftige Entscheidung maßgeblichen Tatsachen ändern. Eine Änderung der Rechtslage setzt voraus, dass sich das vom Gericht in der rechtskräftig gewordenen Entscheidung berücksichtigte materielle Recht gewandelt hat. Keine Änderung der Rechtslage stellt eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung dar.402
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XI. Kein Ausschluss des Rechtsschutzes durch § 44a VwGO Fall 41: V hat erfahren, dass die zuständige Behörde entschieden hat, ein Verwaltungsverfahren auf Entzug seines Führerscheins durchzuführen. Um planen zu können, erhebt er verwaltungsgerichtliche Klage auf Gewährung von Akteneinsicht. Bauantragsteller W klagt gegen die Gemeinde gegen die Verweigerung ihres Einvernehmens iSd § 36 I BauGB mit der Erteilung einer Baugenehmigung, Gemeinde X gegen die Ersetzung des Einvernehmens nach § 36 II 3 BauGB. Y wehrt sich vor dem VG gegen die Anordnung, zur Musterung zu erscheinen.
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§ 44a VwGO dürfte eine eigenständige Sachentscheidungsvoraussetzung in Gestalt einer Verfahrenskonkurrenzregelung oder einer negativen Sachentscheidungsvoraussetzung normieren 403 und nicht nur eine Ausprägung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses darstellen.404 Nach der Vorschrift können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshand-
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401 Auch wenn der VA vom LG als rechtswidrig angesehen wird, scheidet eine Ersatzpflicht wegen § 839 III BGB zumeist ganz oder teilweise aus. 402 Vgl BVerwGE 28, 122, 127; 95, 86, 89 f → JK VwGO § 121/2; Ruffert in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 25 Rn 6. 403 Vgl Stelkens in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 44 a Rn 24; Schenke VerwPrR, Rn 566. 404 So aber Stern/Blanke VerwPrR, Rn 254; Hufen VerwPrR, § 23 Rn 18; Würtenberger VerwPrR, Rn 260; Ziekow in: Sodan/ders VwGO, § 44a Rn. 13 ff.
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lungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden, es sei denn, die behördlichen Verfahrenshandlungen können vollstreckt werden oder ergehen gegen einen Nichtbeteiligten. Zweck der – rechtspolitisch umstrittenen 405 – Vorschrift ist es, eine Verzögerung des Verwaltungsverfahrens durch Anrufung der Gerichte zu vermeiden und den Gerichtsschutz schwerpunktmäßig auf die Überprüfung der Sachentscheidungen auszurichten. Die Zulässigkeit eines nur nachträglichen (statt begleitenden) gerichtlichen Verfahrensrechtsschutzes steht in einem engen Zusammenhang mit den Heilungsvorschriften des § 45 VwVfG und den Fehlerfolgenregelungen der §§ 46, 75 Ia VwVfG, weil das Verfahren danach nur eine dienende Funktion für die Durchsetzung des materiellen Rechts hat und Auswirkungen der Verfahrenshandlungen auf die Sachentscheidung gering geachtet werden. Dies hat einerseits zur Folge, dass Verfahrensfehler weitgehend sanktionslos bleiben (weil sie selbst im gerichtlichen Verfahren noch geheilt werden können 406 oder eine Aufhebung des Verfahrensfehlers ausgeschlossen ist 407).408 Andererseits steht zum Zeitpunkt der Verfahrenshandlungen noch nicht fest, welche Auswirkungen diese auf die Sachentscheidung haben (so dass ein verfahrensbegleitender Gerichtsschutz als verfrüht erscheint). Den behördlichen „Verfahrenshandlungen“ iSd § 44a VwGO sind alle behördlichen Maßnahmen zuzuordnen, die der Vorbereitung einer Sachentscheidung dienen oder jedenfalls in Bezug auf eine Sachentscheidung ergehen. Unerheblich ist die Rechtsnatur der Maßnahme. Daher kommt es nicht darauf an, ob die Verfahrenshandlungen selbst VA sind (wie zB die Entscheidung, ein Verwaltungsverfahren nach § 51 I VwVfG nicht wieder aufzugreifen – sog wiederholende Verfügung 409). Entgegen der hM 410 werden alle Verwaltungsverfahren erfasst, die einer Überprüfung im Verwaltungsrechtsweg zugänglich sind, nicht nur die auf Erlass eines VA gerichteten Verwaltungsverfahren.411 Für die Gleichsetzung der Sachentscheidungen iSd § 44a VwGO mit VAen bietet der Wortlaut der Bestimmung keine Anhaltspunkte. Wenn geltend gemacht wird, dass die ratio des § 44a VwGO nicht auf ör Verträge passt, da Verträge dem Bürger nicht aufgezwungen werden können 412, wird nicht berücksichtigt, dass solche Verträge in die Rechte eines Dritten eingreifen können (wie zB Subventionsverträge), Rechtsbehelfe gegen Verträge auch im Übrigen in Betracht kommen können (etwa weil der Vertragspartner der Behörde den
405 Vgl zur Kritik die Angaben bei Stelkens in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 44a Rn 5. 406 Vgl § 45 II VwVfG. 407 Dies ist nach § 46 VwVfG der Fall, wenn die Verletzung von Vorschriften über das Verfahren offensichtlich die Entscheidung einer Sache nicht beeinflusst hat. Dies wird bei gebundenen Entscheidungen angenommen. Bei Ermessens- oder Beurteilungsspielräumen gelangt § 46 VwVfG nach hM zur Anwendung, wenn der Einfluss des Verfahrensfehlers auf das Entscheidungsergebnis ausgeschlossen werden kann. Vgl statt vieler Pünder in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl 2006, § 13 Rn 64. 408 Krit statt vieler Ziekow in: Sodan/ders, VwGO, § 44a Rn 8. 409 Vgl Ruffert in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 20 Rn 29, § 25 Rn 2. 410 Vgl Eichberger Die Einschränkung des Rechtsschutzes gegen behördliche Verfahrenshandlungen, 1986, 173; Stelkens in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 44a Rn 10; v Nicolai in: Redeker/v Oertzen, VwGO, § 44 Rn 2; Kopp/Schenke VwGO, § 44a Rn 3. 411 Vgl auch Ziekow in: Sodan/ders, VwGO, § 44a Rn 27 ff. 412 Vgl Stelkens in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 44a Rn 10; Kopp/Schenke VwGO, § 44a Rn 3.
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Vertrag nicht mehr akzeptiert) und wegen der erhöhten Fehlerimmunität von verwaltungsrechtlichen Verträgen (§ 59 VwVfG) ein Bedürfnis nach gerichtlicher Überprüfung der einem Vertragsschluss vorausgehenden Verfahrensakte bestehen kann 413. Letzteres ist zB der Fall, wenn die Behörde einem Bürger den Abschluss eines Vergleichsvertrages (§ 55 VwVfG) anbietet, die Gewährung von Akteneinsicht (§ 29 VwVfG) aber verweigert. Folgt man der hier vertretenen Ansicht, erfasst § 44a VwGO auch Verfahrenshandlungen vor Abschluss von verwaltungsrechtlichen Verträgen sowie vor dem Erlass von Verwaltungsrechtsnormen (VO, Satzungen), ör zu beurteilenden Realakten oder Innenrechtsmaßnahmen der Verwaltung. Unter „behördlichen“ Verfahrenshandlungen iSd § 44a VwGO sind Handlungen von Verwaltungsbehörden 414 im Gegensatz zu Verfahrenshandlungen von Bürgern einerseits sowie Parlamenten oder Gerichten in einem rechtsetzenden bzw kontradiktorischen Verfahren andererseits zu verstehen. Gem § 44a S 2 VwGO gilt der Ausschluss von Rechtsbehelfen gegen behördliche Verfahrenshandlungen nicht, wenn diese vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen. Wegen der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung 415 und der Einbeziehung von Verfahrenshandlungen, die sich nicht als VA darstellen, greift der Begriff der Vollstreckbarkeit über die Vollstreckung iSd Verwaltungsvollstreckungsgesetze hinaus.416 Erfasst werden alle zwangsweise durchsetzbaren Maßnahmen (wie zB eine polizeiliche Durchsuchung, die Beschlagnahme eines Briefes zum Zwecke der Verwertung als Beweismittel 417 oder die Sicherstellung der Befolgung einer Verfahrensmaßnahme mittels der Möglichkeit eines Rückgriffs auf das Disziplinarrecht 418). Nichtbeteiligte iSd § 44a S 2 VwGO sind Personen (respektive Organ- oder Amtswalter), die in einem Verfahren nicht mit eigenen Rechten (etwa nach Maßgabe des § 13 VwVfG oder entsprechenden Vorschriften) beteiligt sind.419 Dazu gehören zB Zeugen, Sachverständige, Bevollmächtigte oder Personen, die vergeblich eine Beiziehung zum Verfahren nach § 13 II VwVfG beantragt haben 420, nicht dagegen Nachbarn in einem Baugenehmigungsverfahren oder Einwender in einem Planfeststellungsverfahren (§ 73 VI VwVfG). Die Ausklammerung von Nichtbeteiligten ist verfassungsrechtlich geboten, weil diesen Personen ansonsten jeglicher Rechtsschutz genommen würde. Über die in § 44a S 2 VwGO ausdrücklich genannten Fälle hinausgehend ist Satz 1 der Vorschrift wegen des Vorrangs des höherrangigen Rechts nicht anwendbar, wenn europäisches Gemeinschaftsrecht oder das Verfassungsrecht die selbständige Geltendmachung von Verfahrensrechten verlangen. So garantiert das europäische Gemeinschaftsrecht in größerem Ausmaße als das deutsche Recht selbständig einklagbare Verfahrenspositionen.
413 Vgl auch Ziekow in: Sodan/ders, VwGO, § 44a Rn 29. 414 Nach Sinn und Zweck des § 44a VwGO dürfte die Vorschrift auch auf Innenrechtsakte zu beziehen sein. Dies lässt sich entweder durch Auslegung iSe weiten, nicht auf die Wahrnehmung von Außenzuständigkeiten abzielenden Behördenbegriffs oder durch entsprechende Anwendung der Vorschrift erreichen. 415 Vgl die folgenden Ausf. 416 Ebenso Stelkens in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 44a Rn 26; Ziekow in: Sodan/ ders, VwGO, § 44a Rn 61; aA zB Geiger in: Eyermann, VwGO, § 44a Rn 13. 417 Vgl Kopp/Schenke VwGO, § 44a Rn 8. 418 Vgl BVerwG, DVBl 1993, 51; Kopp/Schenke VwGO, § 44a Rn 8. 419 Vgl auch Ziekow in: Sodan/ders, VwGO, § 44a Rn 64 f. 420 Geiger in: Eyermann, VwGO, § 44 Rn 14.
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Beispielsweise gewährt die EG-Umweltinformationsrichtlinie 421 grundsätzlich Jedermann einen verfahrensunabhängigen Anspruch auf freien Zugang zu den bei der Behörde gespeicherten Informationen über die Umwelt. Dementsprechend kann der Umweltinformationsanspruch nach § 3 I UIG selbstständig eingeklagt werden (ohne dass ein rechtliches Interesse dargelegt werden muss).422 Präjudizieren Verfahrenshandlungen der nationalen Behörden aufgrund ihrer inhaltlichen Bindungswirkung die Entscheidung der Kommission, verlangt der EuGH zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes unter Verdrängung nationaler Verfahrensvorschriften nach Art des § 44a VwGO eine direkte Klagemöglichkeit vor den mitgliedstaatlichen Gerichten (→ § 6 Rn 10). Verfassungsrechtlich kann die Verschiebung des Rechtsschutzes auf den Zeitpunkt eines zulässig geltend gemachten Rechtsbehelfs gegen die Sachentscheidung zu einer Verletzung der Grundrechte oder der Rechtsschutzgarantie des Art 19 IV 1 GG führen. Ob in solchen Fällen § 44a S 1 VwGO restriktiv zu interpretieren 423 bzw teleologisch zu reduzieren ist oder ob § 44a S 2 VwGO erweiternd auf alle Verfahrenshandlungen ausgelegt werden muss, bei denen ein Rechtsbehelf zusammen mit dem Rechtsbehelf gegen die Sachentscheidung zu spät käme und dadurch ein Recht des Betroffenen vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde 424, macht im Ergebnis keinen Unterschied aus. Die Grundrechte gewähren nicht nur Schutz vor Sachentscheidungen, welche Freiheit und Eigentum rechtswidrig beschränken oder das Gleichbehandlungsgebot missachten, sie müssen auch „im“ Verwaltungsverfahren beachtet werden. ZB dürfen nicht Betriebsgeheimnisse durch das öffentliche Auslegen von Unterlagen verletzt 425, rechtswidrige ärztliche Untersuchungen vorgenommen 426 oder Prüfungen durch befangene Prüfer angeordnet werden 427. In solchen Fällen entfalten die Verfahrenshandlungen unmittelbare Rechtswirkungen zu Lasten der Betroffenen über das Verfahren hinaus. Daher muss isolierter Rechtsschutz erlangt werden können. Ferner können die Grundrechte nicht nur den Schutz „im“ Verfahren, sondern auch den Schutz „durch“ Verfahren gebieten. So ist etwa aus Art 14 I GG abgeleitet worden, dass einem Schuldner die Möglichkeit bleiben muss, in einem zwangsvollstreckungsrechtlichen Verfahren gegenüber einer unverhältnismäßigen Verschleuderung seines Grundvermögens um Rechtsschutz nachzusuchen.428 Entsprechende Fallgestaltungen sind auch im Verwaltungsprozessrecht denkbar. Lösung Fall 41: Da die Gewährung von Akteneinsicht nach Maßgabe des § 29 VwVfG ein Verfahrensrecht darstellt und Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nach § 44a S 1 VwGO nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfe geltend gemacht werden können, ist die Klage des V unzulässig. V muss warten, bis ein VA ergeht (Einziehung des Führerscheins). Er kann dann den VA angreifen und in die-
421 Art 3 RL 2003/4/EG. 422 Wird der Antrag auf Zugang zu Umweltinformationen nach § 5 UIG abgelehnt, kann verwaltungsgerichtliche Verpflichtungsklage erhoben werden. Vgl Fluck/Theuer Umweltinformationsrecht, § 4 Rn 80; Wegener in: Schomerus/Schrader/ders, UIG Handkommentar, 2. Aufl 2002, § 4 Rn 38. 423 So zB Geiger in: Eyermann, VwGO, § 44a Rn 16. 424 Vgl Stelkens in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 44a Rn 29. 425 Rossnagel JuS 1994, 927, 929. Vgl ferner BVerfGE 77, 121. 426 ZB BVerwG, NVwZ-RR 1993, 252 f; HessVGH, NVwZ 1995, 47, 48. 427 Vgl BVerwGE 70, 143. 428 Vgl BVerfGE 46, 325, 334 f.
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sem Zusammenhang seinen Anspruch auf Akteneinsicht durchsetzen. Auch die Klage des W ist unzulässig, weil das Einvernehmen der Gemeinde im Verhältnis zum Bauantragsteller nach der Rspr eine (verwaltungsinterne) Verfahrenshandlung darstellt 429 und der Klage daher sowohl § 44a S 1 VwGO als auch die fehlende Klagebefugnis des W (§ 42 II VwGO) entgegensteht. Dagegen scheitert die Klage der Gemeinde nicht an § 44a S 1 VwGO, weil die Ersetzung des Einvernehmens als (kommunal-)aufsichtliche Maßnahme 430 nicht nur eine verfahrensrechtliche, sondern eine materiell-rechtliche, in die Planungshoheit der Gemeinde eingreifende Bedeutung hat.431 Als zulässig anzusehen ist auch die Klage des Y, da die Musterungsanordnung gem § 44 II WPflG zwangsweise durchgesetzt werden kann, also einen Vollstreckungsakt iSd § 44a S 2 VwGO darstellt.
XII. Keine schiedsvertragliche Vereinbarung Gem § 173 S 1 VwGO iVm § 1032 ZPO ist eine Klage in einer Angelegenheit, die Gegenstand einer Schiedsvereinbarung ist, als unzulässig abzuweisen, sofern der Beklagte dies vor Beginn der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache rügt, es sei denn, das Gericht stellt fest, dass die Schiedsvereinbarungen nichtig, unwirksam oder undurchführbar sind. Diesbezügliche Fallgestaltungen sind im Verwaltungsprozess eine Seltenheit.
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XIII. Kein Rechtsschutzverzicht Fall 42: Grundstückseigentümer Z hatte einen Normenkontrollantrag gegen einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan (Post-Tower in Bonn) eingelegt. Später verzichtete er gegen Zahlung eines Millionenbetrages gegenüber dem Bauherrn auf alle ör Abwehrrechte. Als der Bauherr ohne Baugenehmigung eine von einem Künstler konzipierte Fassadenbeleuchtung anbringen ließ, beantragte Z beim VG, der Bauaufsichtsbehörde im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem Bauherrn das Anbringen der Lichtanlage, hilfsweise die Inbetriebnahme der Lichtanlage, zu untersagen.
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Verzichtet der Rechtsschutzsuchende (Kläger) auf Rechtsschutz, ist ein Rechtsschutzantrag (Klage) unzulässig, wenn er gleichwohl gestellt wird. Der prozessuale Verzicht auf Rechtsschutz ist von dem Verzicht auf den prozessualen Anspruch 432 sowie dem materiellrechtlichen Anspruch zu unterscheiden. Diese führen nicht zur Unzulässigkeit, sondern zur Unbegründetheit des Rechtsschutzantrags. Vielfach wird der Rechtsschutzverzicht
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429 Vgl BVerwGE 22, 342, 344 f; 28, 145, 146 ff; Hellermann JURA 2002, 589, 591; aA Budroweit Die Mitwirkung der Gemeinde bei baurechtlichen Entscheidungen, 2004, 122 ff; Bay VGH, DÖV 2001, 257 → JK BauGB § 36/4. 430 Zum VA-Charakter vgl BayVGH, NVwZ-RR 2001, 364, 365 → JK BauGB § 36/4. Lasotta BayVBl 1998, 609, 615; Hellermann JURA 2002, 589, 593. 431 Wie hier Lasotta BayVBl 1998, 609, 615; Dippel NVwZ 1999, 921, 925. AA Hellermann JURA 2002, 589, 594; Möstl BayVBl 2003, 225 ff; Budroweit (Fn 429) 284 ff; Schenke VerwPrR, Rn 567. 432 Vgl § 173 VwGO iVm § 306 ZPO; ferner §§ 81, 83 ZPO.
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nicht als gesonderte negative Sachentscheidungsvoraussetzung 433, sondern als Unterfall des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses angesehen 434. Rechtskonsequenzen hängen von der unterschiedlichen prozessualen Einordnung nicht ab. Der Rechtsschutzverzicht kann gegenüber dem Gericht oder dem Gegner erklärt und darüber hinaus rechtsgeschäftlich vereinbart werden.435 Im zuerst genannten Fall ist der Verzicht von Amts wegen, ansonsten nur auf Einrede zu berücksichtigen. Ein Verzicht auf Rechtsmittel ist als bedingungsfeindliche Prozesshandlung (anders als ein Verzicht auf materielle Rechte) erst nach Ergehen der gerichtlichen Entscheidung wirksam. Ein rechtsgeschäftlicher Verzicht soll nach der Rspr auch dann wirksam sein, wenn er durch finanzielle Leistung eines Verfahrensbeteiligten „erkauft“ wurde.436 184
Lösung Fall 42: Nach Ansicht des OVG NRW 437 ist der Antrag zulässig, jedoch nach § 123 VwGO unbegründet, weil der von Z geltend gemachte Abwehranspruch wegen des „Verkaufs“ der Abwehrrechte nach dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben eine unzulässige Rechtsausübung gegenüber dem beigeladenen Bauherrn darstellt. Dieser Ansicht ist zutreffend, wenn Z nur auf materielle Ansprüche und nicht auf den Rechtsschutz verzichtet hat (vorausgesetzt, es scheidet nicht bereits die Antragsbefugnis aus). Nimmt man einen Rechtsschutzverzicht an, ist der Antrag aus diesem Grunde unzulässig.
XIV. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis 1. Inhalt und Rechtsgrundlage 185
Unter dem Rechtsschutzbedürfnis ist das Interesse eines Rechtsschutzsuchenden zu verstehen, zur Erreichung des begehrten Rechtsschutzes ein Gericht in Anspruch nehmen zu dürfen.438 Eine Ausprägung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses stellt das berechtigte Feststellungsinteresse dar, dass gemäß den §§ 43 I, 113 I 4 VwGO für die Erhebung einer Feststellungs- und Fortsetzungsfeststellungsklage erforderlich ist. Da sich das berechtigte Feststellungsinteresse in den genannten Fällen mit dem allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis deckt, bedarf letzteres nicht einer zusätzlichen Prüfung. Sieht man von Regelungen nach Art der §§ 43 I, 113 I 4 VwGO ab, fehlt es sowohl in der VwGO als auch in den anderen Prozessordnungen an Normierungen des Rechtsschutzbedürfnisses. Dennoch setzt nach allgemeiner Auffassung jede an einen Antrag gebundene gerichtliche Entscheidung ein Rechtsschutzbedürfnis voraus.439 Seinen Geltungsgrund findet das Rechtsschutz-
433 So aber BVerwGE 55, 355, 357; Stein Die Sachentscheidungsvoraussetzung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses im Verwaltungsprozessrecht, 2000, S. 86 ff (zur Abgrenzung zum widersprüchlichen Verhalten, ebd, S. 217 ff); Würtenberger VerwPrR, Rn 251. 434 Vgl zB Schmitt-Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 135; Schenke VerwPrR, Rn 590. 435 Vgl Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 40 Rn 111 ff. 436 Vgl BGHZ 79, 131 ff (vertraglich vereinbarte Rücknahme eines Widerspruchs gegen Zahlung von Geld); krit Ehlers Verwaltung und Privatrechtsform, 1984, S 446. 437 GewArch 2003, 331 → JK GG Art 12/69. 438 Vgl BGH, NJW-RR 1989, 263, 264. 439 Vgl BVerfGE 61, 126, 135; BVerwGE 81, 164 ff; näher dazu Stein (Fn 433) 18 ff; Christonakis Das verwaltungsprozessuale Rechtsschutzinteresse, 2004, 33 ff.
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bedürfnis in einem das gesamte Prozessrecht beherrschenden allgemeinen Rechtsgrundsatz, der in den §§ 43 I, 113 I 4 VwGO zum Ausdruck kommt, sowie in dem Grundsatz von Treu und Glauben, der einen Missbrauch prozessualer Rechte verbietet.440 Beide Grundsätze gelten gewohnheitsrechtlich und sind sowohl mit Art 19 IV 1 GG als auch mit der verfassungsrechtlichen Justizgewährungspflicht 441 vereinbar.442 Das Rechtsschutzinteresse wird grundsätzlich indiziert, wenn die sonstigen Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen, insb auch weil die Rechtsmacht zur gerichtlichen Durchsetzbarkeit zum Inhalt eines subjektiven Rechts gehört. Das Rechtsschutzbedürfnis braucht daher nur geprüft zu werden, wenn besondere Umstände dies erfordern. 2. Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten Das Rechtsschutzbedürfnis ist von der Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) und den Verfahrenskonkurrenzregelungen 443 der §§ 43 II 1 und 44a VwGO zu unterscheiden. Die (die Geltendmachung einer Rechtsverletzung voraussetzende) Klagebefugnis (→ § 22 Rn 36 ff) stellt nach vorherrschender, aber nicht unbestrittener Auffassung eine Ausprägung der aktiven Prozessführungsbefugnis 444 und nicht des Rechtsschutzbedürfnisses 445 dar. Das Erfordernis einer Klagebefugnis dient in erster Linie dem Schutz des Klagegegners (der grundsätzlich nicht mit Popular- oder bloßen Interessentenklagen überzogen werden soll), das Rechtsschutzbedürfnis dient vor allem dem Schutz des Gerichts vor unnötiger Inanspruchnahme. Dementsprechend ist es für das Bestehen einer Klagebefugnis unerheblich, ob es andere Möglichkeiten der Konfliktlösung gibt. Die Subsidiaritätsregelung des § 43 II 1 VwGO (nach der eine Feststellung nicht begehrt werden kann, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können) betrifft die Statthaftigkeit der Feststellungsklage (→ § 25 Rn 34), so dass sich die Frage, ob im Falle eines Eingreifens der Subsidiaritätsklausel ein Rechtsschutzbedürfnis für die Erhebung der Feststellungsklage besteht, nicht mehr stellt. Die Bestimmung des § 44a VwGO, die isolierte Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen grundsätzlich ausschließt, normiert eine eigenständige Sachentscheidungsvoraussetzung (→ Rn 171 ff). Sieht man entgegen der hier vertretenen Ansicht die Vorschriften der §§ 42 II, 43 II 1, 44a VwGO als Ausprägung des allgemeinen Rechtsschutzinteresses an, ergeben sich daraus keine anderen Konsequenzen.
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3. Fallgestaltungen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses Im Folgenden kann nur auf die hauptsächlichen Fälle fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses eingegangen werden.
440 Str, vgl zu den verschiedenen Begründungsansätzen Stein (Fn 433) 34 ff; Christonakis (Fn 439) 69 ff. 441 Vgl BVerfGE 85, 337, 345; 107, 395, 401. 442 Vgl BVerfGE 96, 27, 36; 104, 220, 232. 443 Schenke VerwPrR, Rn 565 f. 444 Vgl Schoch JuS 1987, 783, 790; Ehlers NVwZ 1990, 105, 111. 445 Vgl demgegenüber aber BVerwGE 60, 144, 150; Schmitt-Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 173.
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a) Ineffektivität des Rechtsschutzes 188
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Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis für die Inanspruchnahme der (Verwaltungs-)Gerichtsbarkeit fehlt, wenn der Rechtsschutzsuchende sein Ziel sachgerechter – insbesondere einfacher, umfassender, schneller oder billiger – erreichen kann.446 Dies ist unter anderem der Fall, wenn die Anrufung der Gerichte entbehrlich ist (1), die falsche Gerichtsbarkeit in Anspruch genommen wurde (2) oder der Rechtsschutzsuchende die falsche Rechtsschutzform gewählt hat (3). (1) Entbehrlichkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes: Erhebt ein Verwaltungsträger verwaltungsgerichtliche (Leistungs-)Klage, ist ein Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen, wenn der Anspruch bereits in einem Verwaltungsakt tituliert worden ist 447, der Gegner sich gem § 61 VwVfG der sofortigen Vollstreckung unterworfen hat 448 oder der Verwaltungsträger einen VA erlassen müsste 449 respektive erlassen könnte 450. Steht der Erlass eines VA im Ermessen der Behörde, soll die Verwaltung demgegenüber nach einer vielfach vertretenen Auffassung zwischen dem Erlass des VA oder der Erhebung einer Leistungsklage wählen dürfen 451; jedenfalls, wenn ohnehin mit einem Rechtsstreit zu rechnen wäre 452 (weil der Betroffene den VA voraussichtlich nicht akzeptieren wird). Dieser Auffassung ist nicht zu folgen, weil es der Inanspruchnahme der Gerichtsbarkeit nicht bedarf, wenn die Verwaltung die Möglichkeit hat, ihr Recht auf einfachere Weise durchzusetzen (zumal ansonsten das Verwaltungs- und uU auch Vorverfahren umgangen und der Betroffene in die Rolle des Beklagten gedrängt wird).453 Diskutabel ist die Zulassung des gerichtlichen Rechtsschutzes nur, wenn ernsthafte Zweifel an der Verwaltungsaktbefugnis der Verwaltungsbehörde bestehen. Stellt eine Behörde gem § 47 II 1 VwGO einen Normenkontrollantrag, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn sie die Norm ohne Inanspruchnahme der Gerichtsbarkeit selbst aufheben könnte (→ § 27 Rn 44). Soweit das Prozessrecht nichts anderes vorsieht 454, braucht sich ein Rechtsschutzsuchender vor Anrufung der Gerichte nicht vergeblich an den Rechtsschutzgegner gewandt zu haben. So setzt die Erhebung einer Nichtigkeitsfeststellungsklage (§ 43 I 1 Alt 2 VwGO) nicht voraus, dass der Kläger zuvor einen Antrag nach § 44 V VwVfG gestellt hat.455 Auch hängt die Zulässigkeit eines Normenkontrollantrags nach § 47 VwGO nicht davon ab, dass sich der Antragsteller zunächst bei der Verwaltung um die Aufhebung der Norm bemüht hat. Nicht zu folgen ist schließlich der Ansicht, dass Leistungsansprüche erst eingeklagt werden dürfen, wenn der Rechtsschutzgegner zuvor vergeblich zur Leis-
446 447 448 449 450 451 452 453 454 455
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Vgl BGHZ 55, 201, 206. Vgl auch VGH BW, NVwZ-RR 2004, 473 → JK öff.-rechtl. GoA § 677/1. Vgl auch Schmitt-Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 121. Etwa nach § 49a I 2 VwVfG. So zB im Falle der Möglichkeit eines kommunalaufsichtlichen Einschreitens gegen eine Gemeinde, vgl VGH BW, NVwZ 1993, 393. BVerwGE 25, 280, 281 ff; 28, 153, 154 f. BVerwGE 29, 310, 312; 58, 316, 318; Schenke VerwPrR, Rn 592; Stein (Fn 433), S 116 ff. Wie hier Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 40 Rn 85; Hufen VerwPrR, § 17 Rn 18; Rennert in: Eyermann, VwGO Vor § 40 Rn 13. Dies trifft etwa auf die Verpflichtungsklage zu, die nur statthaft ist, wenn der Kläger zuvor einen Antrag auf Erlass des VAs gestellt hat (§§ 42 I, 68 II, 75 VwGO). Vgl Ehlers Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 40 Rn 82.
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tung aufgefordert worden ist.456 Hat der Beklagte durch sein Verhalten keine Veranlassung zur Erhebung der Klage gegeben, kann er den Anspruch sofort anerkennen, mit der Folge, dass die Prozesskosten gem § 156 VwGO dem Kläger zur Last fallen. Da die sofortige Anerkennung voraussetzt, dass die Klage zulässig ist, ergibt sich aus der genannten Regelung, dass die VwGO das Unterlassen einer vorherigen Antragstellung nicht als Fall mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses ansieht.457 (2) Inanspruchnahme der falschen Gerichtsbarkeit: Kein Rechtsschutzbedürfnis ist des Weiteren grundsätzlich dann gegeben, wenn in einer anderen Gerichtsbarkeit umfassenderer Rechtsschutz erlangt werden kann. ZB begründet die Absicht, eine Amtshaftungsklage zu erheben, kein berechtigtes Interesse an der Erhebung einer Fortsetzungsfeststellungsklage (→ § 26 Rn 56 f). Vielmehr muss sogleich eine Schadensersatzklage beim Landgericht eingereicht werden (→ Rn 108).458 Nach Ansicht des BFH fehlt dem Kläger einer finanzgerichtlichen Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Mitteilung von Steuerrückständen an die Gewerbeüberwachungsbehörde das Rechtsschutzbedürfnis, wenn das Rechtsschutzziel nur die Aufhebung der auf die Mitteilung gestützten (vor den VG angreifbaren) Gewerbeuntersagung ist.459 Ebenso soll nach einer Auffassung des BVerwG einer verwaltungsgerichtlichen Klage gegen die behördliche Genehmigung privatrechtlicher Rechtsgeschäfte das Rechtsschutzbedürfnis abzusprechen sein, wenn die Zivilgerichte dasselbe wie die VG zu prüfen haben und darüber hinaus weitere Fragen (wie die der Gültigkeit des privatrechtlichen Rechtsgeschäftes) zu entscheiden sind.460 Die Lit steht zu Recht weithin auf einem anderen Standpunkt, weil die Schutz- und Streitgegenstände unterschiedlich sind, es keinen Vorrang eines Gerichtszweiges gibt und die Genehmigung uU bestandskräftig werden kann.461 Unproblematisch ist das Rechtsschutzbedürfnis, wenn gegen die Versagung der Genehmigung geklagt wird.462 Lässt sich ein Klageziel in verschiedenen Gerichtsbarkeiten in gleicher Weise erreichen, bleibt die Auswahl des Rechtswegs dem Rechtsschutzsuchenden überlassen. So darf einer verwaltungsgerichtlichen Klage auf polizeiliches Einschreiten gegen einen „Störer“ das Rechtsschutzbedürfnis nicht deshalb abgesprochen werden, weil der Kläger im Zivilrechtsweg vor dem ordentlichen Gericht unmittelbar gegen den Störer vorgehen könnte.463 Zwar obliegt der Schutz privater Rechte den Polizeibehörden nur, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne behördliche Hilfe die Verwirk-
456 So für Leistungsklagen Privater aber BVerwG, DVBl 1978, 607, 608; Pietzcker in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs 1 Rn 156; Schmitt-Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 388; Hufen VerwPrR, § 17 Rn 17; Rennert in: Eyermann, VwGO Vor § 40 Rn 13. Vgl auch VGH BW, NVwZ-RR 1990, 566. 457 Vgl auch BVerwG 114, 350, 354 (für den Fall einer beamtenrechtlichen Leistungsklage); Sodan in: ders/Ziekow, VwGO, § 42 Rn 45; Schenke VerwPrR, Rn 363. 458 Vgl §§ 40 II 2 Alt. 3 VwGO; 71 II Nr. 2 GVG. 459 BFHE 173, 201. 460 Grundlegend zum Fall sog akzessorischer VA BVerwGE 4, 317 ff (Unzulässigkeit der Anfechtungsklage eines Kleingartenpächters gegen die Genehmigung der Kündigung eines Kleingartenpachtverhältnisses wegen Fehlens des erforderlichen Rechtsschutzbedürfnisses) Vgl auch bereits BVerwGE 1, 134 ff. 461 Vgl Stein (Fn 433) 125 ff, Christonakis (Fn 439) 276. AA Lorenz VerwPrR, § 13 Rn 14. 462 BVerwGE 4, 332, 333 f. 463 Vgl Steinberg NJW 1984, 457, 464; Rennert in: Eyermann, VwGO, Vor § 40 Rn 14.
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lichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde.464 Hierbei handelt es sich aber nur um eine Regelung des materiellen Rechts (nicht des Prozessrechts). Kumuliert ein Amtshaftungsanspruch mit einem vor dem VG einklagbaren Schadens- oder Entschädigungsanspruchs, hindert § 12 II 2 GVG den Kläger nicht daran, verwaltungsgerichtliche Klage zu erheben.465 (3) Wahl der falschen Rechtsschutzform: Das Rechtsschutzbedürfnis ist ferner zu verneinen, wenn mit einer anderen Rechtsschutzform ein weitergehender Rechtsschutz erlangt werden kann. So sind sog isolierte Anfechtungsklagen gegen die Ablehnung eines begünstigenden VA (statt einer Verpflichtungsklage) grundsätzlich unzulässig. Wendet sich ein Konkurrent gegen die einem Mitbewerber durch VA gewährte Vergünstigung und strebt er diese Vergünstigung für sich selbst an, fehlt der alleinigen Erhebung einer Anfechtungsklage das Rechtsschutzbedürfnis. Vielmehr muss sowohl Anfechtungs- als auch Verpflichtungsklage erhoben werden (Str → § 23 Rn 23).
b) Nutzlosigkeit des Rechtsschutzes 194
Fall 43: A hat gegen einen Leistungsbescheid in Höhe von 5.000,– € Widerspruch eingelegt. Ohne vorherige Anhörung setzt die Widerspruchsbehörde 7.500,– € fest. Daraufhin hat A verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage gegen den Widerspruchsbescheid erhoben.
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Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt auch, wenn der angestrebte Rechtsschutz im Falle seines Erfolges die Rechtsstellung des Rechtsschutzsuchenden nicht verbessern würde. Die Nutzlosigkeit muss tatsächlich oder rechtlich außer Zweifel stehen (→ § 22 Rn 23).466 Ein Rechtsschutzbedürfnis für verwaltungsgerichtliche Klagen oder Anträge wurde etwa in folgenden Fällen verneint: Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung, obwohl dem Bauvorhaben nicht ausräumbare zivilrechtliche Hindernisse entgegenstehen 467; Klage auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer, wenn feststeht, dass der Kläger dauernd wehrdienstunfähig ist 468; Klage gegen einen VA, von dem die Wirksamkeit eines privatrechtlichen Geschäfts abhängt, wenn eindeutig feststeht, dass das Rechtsgeschäft ohnehin unwirksam ist 469; Beantragung einer Normenkontrolle nach § 47 VwGO gegen einen Bebauungsplan, obwohl der durch den Bebauungsplan ermöglichte Bau aufgrund einer bestandskräftigen Baugenehmigung bereits errichtet worden ist 470 oder die untergesetzliche Rechtsvorschrift nur eine gesetzliche Norm inhaltlich wiederholt, die auch im Falle der Nichtigerklärung vom Antragsteller beachtet werden müsste 471. Bejaht wurde dem464 So die sog Privatrechtsklauseln des Polizeirechts. Vgl die Nachw bei Pieroth/Schling/Kniesel Polizei- und Ordnungsrecht, 4. Aufl 2007, § 5 Rn 42. 465 Christonakis (Fn 439) 279 ff. 466 BVerwGE 121, 1. 467 BVerwGE 48, 242, 247; 61, 128, 130 f; BVerwG, NVwZ 1994, 482. 468 Anderes gilt, wenn der Wehrpflichtige wegen besonderer Härte, zeitweilig fehlender Wehrdiensttauglichkeit, eingeschränkter Tauglichkeit, Überschreitung der Altersgrenze oder aus ähnlichen Gründen nicht einberufen worden ist. Vgl zusammenfassend BVerwGE 74, 342, 345 ff; 82, 154 f. 469 OVG NRW, NWVBl 1989, 378, 379. 470 BVerwGE 78, 85, 91 ff; BVerwG, NVwZ 1989, 653 f; NVwZ 1998, 732, 733. 471 BVerwG, NVwZ 2002, 869 f. Eine Nutzlosigkeit nimmt die Rspr auch an, wenn bei einem Erfolg der Normenkontrolle ein für den Ast ungünstiger Bebauungsplan wieder in Kraft tritt (BVerwG, 19.11.2007, 4 BN 49/07). Vgl aber auch BVerwG, NVwZ 2002, 1126 f (Rechtsschutzbedürfnis,
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gegenüber ein Rechtsschutzbedürfnis etwa, wenn der Kläger Asyl begehrt, obwohl er ein Aufenthaltsrecht hat 472, oder wenn eine Gaststättenerlaubnis angestrebt wird, und die ebenfalls erforderliche Baugenehmigung zwar bereits bestandskräftig versagt wurde, ein erneuter Antrag aber möglich und nicht aussichtslos ist 473. Richtet sich eine Anfechtungsklage gegen einen erledigten VA, scheitert die Klage nicht erst am fehlenden Rechtsschutzbedürfnis, sondern bereits an der Unstatthaftigkeit der Klage (→ § 22 Rn 24). In solchen Fällen kommt aber eine Fortsetzungsfeststellungsklage in Betracht. Bei der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle reicht der Umstand, dass auf der Basis der Norm ein VA ergangen und dieser bestandskräftig geworden ist, noch nicht aus, um das Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen (weil zB weitere VA ergehen können oder der VA uU noch nicht vollzogen worden ist). Lösung Fall 43: Nach § 79 II 1 VwGO kann der Widerspruchsbescheid alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen VA eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält. Als zusätzliche Beschwer ist die Erhöhung des Leistungsbescheides anzusehen (Verböserung). Kraft ausdrücklicher Bestimmung gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift als eine zusätzliche Beschwer, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht (§ 79 II 2 VwGO). Als wesentliche Verfahrensvorschrift kommt hier § 71 VwGO in Betracht. Danach soll der Betroffene gehört werden, wenn die Aufhebung oder Änderung eines VA im Widerspruchsverfahren erstmalig mit einer Beschwer verbunden ist. Zwar dürfte hier nicht eine erstmalige, sondern nur eine zusätzliche Beschwer vorliegen (vgl zur Differenzierung einerseits § 79 I Nr 2 VwGO, andererseits § 79 II VwGO). Doch dürfte § 71 VwGO auch auf diesen Fall anwendbar sein, eine Anhörung also geboten sein, es sei denn, es liegt ein Ausnahmefall vor. Letzteres ist hier nicht ersichtlich. Trotzdem hat das BVerwG 474 das Rechtsschutzbedürfnis für die isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheides gem § 79 II 2 VwGO verneint, weil im Falle der gerichtlichen Aufhebung des Widerspruchsbescheides die Rücknahme des Ausgangsbescheides und Festsetzung eines Betrages in Höhe von 7.500,– € unabweisbar gewesen sei und der angestrebte Rechtsschutz daher die Rechtstellung des Rechtsschutzsuchenden nicht verbessere. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtungsklage fehlt nicht deshalb, weil damit zu rechnen ist, dass der rechtswidrige VA durch einen neuen, dieses Mal rechtmäßigen VA gleichen Inhalts ersetzt wird. Selbst wenn der Behörde ausnahmsweise kein Ermessen für die Rücknahme des begünstigenden (eine höhere Abgabe als 5.000,– € ausschließenden) Teils des Ausgangsbescheides zustehen sollte, ist die Aufhebung des erlassenen Widerspruchsbescheides schon deshalb für den Kläger günstiger, weil die Zahlungspflicht eines neuen Bescheides später einsetzen würde.
wenn zwar ein alter Bebauungsplan wieder in Kraft tritt, sich aber nicht ausschließen lässt, dass die Gemeinde einen neuen Bebauungsplan mit möglicherweise für den Ast günstigeren Festsetzungen aufstellen wird). 472 BVerwGE 75, 304, 305 ff. 473 BVerwGE 84, 11, 12. 474 BVerwG, NVwZ 1999, 1218 → JK VwGO § 71/2.
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c) Verbot missbilligenswerter Ziele 197
Fall 44: Naturschutzverband B wendet sich mit einer verwaltungsgerichtlichen Klage gegen einen Planfeststellungsbeschluss für eine Bundesautobahn. Er ist Eigentümer eines als Streuobstwiese genutzten Grundstücks, das für den Autobahnbau in Anspruch genommen werden soll. Das Grundstück erwarb B unentgeltlich aufgrund eines Überlassungsvertrags. Der Veräußerer behielt sich ein im Grundbuch an erster Rangstelle eingetragenes unentgeltliches Nießbrauchrecht vor. Für den Fall einer Enteignung des Grundstücks soll B verpflichtet sein, eine etwaige Entschädigung an den Veräußerer auszubezahlen. Erfolgt keine Enteignung, soll das Grundstück unentgeltlich zurück übertragen werden. Für den Fall, dass B das Grundstück ohne Zustimmung des Veräußerers an Dritte weiter veräußert, hat der dem Veräußerer den Verkaufserlös zuzüglich einer Schadensersatzleistung zu zahlen.
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Kein Rechtsschutzbedürfnis besteht ferner, wenn der Rechtsschutzsuchende objektiv erkennbar missbilligenswerte Ziele verfolgt 475, etwa wenn die Ausübung des Rechts nur dem Zweck dient, einem anderen Schaden zuzufügen (Schikaneverbot 476). Eine Annahme missbilligenswerter Ziele kommt nur in krassen Ausnahmefällen in Betracht, weil es grundsätzlich nicht darauf ankommt, aus welchen Gründen ein Rechtsschutzsuchender sein Recht durchsetzen will.
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Lösung Fall 44: Die Zulässigkeit einer statthaften Anfechtungsklage setzt ua voraus, dass der Kläger klagebefugt ist (§ 42 II VwGO). Hier hat sich B auf sein Grundrecht aus Art 14 I 1 GG berufen (also sog Verbandsverletztenklage erhoben 477). Dies reicht idR aus, um die Möglichkeit einer Rechtsverletzung iSd § 42 II VwGO darzutun. Anderes soll nach Ansicht des BVerwG 478 gelten, wenn die Eigentümerstellung rechtsmissbräuchlich begründet worden ist. Allein der Erwerb eines sog Sperrgrundstücks reicht nicht aus, um Rechtsmissbrauch anzunehmen.479 Als Missbrauch sieht das BVerwG es aber an, wenn der Erwerb eines Sperrgrundstücks allein dem Zweck der einem Eigentümer vorbehaltenen Prozessführung dient. Ein solcher Fall ist nach Ansicht des Gerichts gegeben, weil B lediglich eine Rechtstellung übertragen worden sei, die auf eine formale Hülle ohne substantiellen Gehalt hinauslaufe (zB bestehendes Nießbrauchrecht des Veräußerers, ggf Auszahlung des Enteignungserlöses, ansonsten kostenlose Rückübertragung des Grundstücks, Zahlung des Verkaufserlöses an den Veräußerer zuzüglich eines „Schadensersatzes“ im Falle der Weiterveräußerung). Das BVerwG hat daher die Klagebefugnis verneint. Bejaht man einen Rechtsmissbrauch iSd materiellen Rechts, dürfte dieser wegen fehlender Offensichtlichkeit und Eindeutigkeit erst der Begründetheit der Klage und nicht bereits der Klagebefugnis entgegenstehen. Jedoch ist bei Zugrundelegung der Ansicht des BVerwG auch Missbrauch iSd des Prozessrechts anzunehmen gewesen, so dass sich die Unzulässigkeit der Klage aus dem fehlenden Rechtsschutzbedürfnis ergibt.
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Näher dazu Kröpil DVBl 2000, 686 ff; Stein (Fn 433) 202 ff. Vgl im materiellen Recht § 226 BGB. Vgl Wahl/Schütz in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs 2 Rn 230. BVerwGE 112, 135 ff → JK VwGO § 42 II/25. Näher dazu Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 40 Rn 98.
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d) Verfrühter Rechtsschutz Fall 45: Mit einer verwaltungsgerichtlichen Klage wendet sich der ehemalige Bundeskanzler gegen die Zugänglichmachung ihn betreffender Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR für die Forschung, politische Bildung oder für die Verwendung seitens der Medien, Bürger C gegen die bevorstehende Aufstellung eines Schildes „Tempo 30“, Geschäftsführer D einer Gaststätte gegen die auf die Unzuverlässigkeit gestützte Drohung mit einer gaststättenrechtlichen Untersagungsverfügung und Gemeinde E gegen die Bauleitplanung einer Nachbargemeinde.
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Ein Rechtsschutzbedürfnis fehlt auch, wenn der Rechtsschutzsuchende verfrüht die Gerichte anruft. Da die VwGO vom Grundsatz eines nachträglichen Rechtsschutzes ausgeht und solcher wegen der Möglichkeit, vorläufigen Rechtschutz nach den §§ 80 I, 80 V, 80a III, 123, 47 VI VwGO zu erlangen, dem sich aus Art 19 IV 1 GG ergebenden Gebot effektiven Rechtschutzes 480 idR gerecht wird, bedürfen Unterlassungsklagen eines mehr oder weniger qualifizierten Rechtsschutzbedürfnisses. Letzteres trifft auf allgemeine Unterlassungsklagen zu. Ist ein Eingriff schon erfolgt, muss nur dargelegt werden, dass er andauert oder Wiederholungsgefahr besteht. Ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis ist notwendig, wenn eine vorbeugende Unterlassungsklage erhoben wurde. So kann der sich gegen den Erlass einer Rechtsnorm oder eines VA wendende Leistungskläger normalerweise auf den nachträglichen vorläufigen Rechtschutz verwiesen werden. Anders ist die Rechtslage, wenn Rechtsverletzungen drohen und die Verweisung auf den nachträglichen Rechtschutz nicht zumutbar ist. Ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis ist insbesondere in den Fällen zu bejahen, in denen vollendete Tatsachen oder irreparable Schäden drohen.481 Wendet sich ein Leistungskläger gegen den Erlass eines VA, ist ein solches Rechtschutzbedürfnis jedenfalls anzunehmen, wenn ein VA aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht mehr aufgehoben werden könnte (→ § 22 Rn 46) 482, ein schon getätigtes Verhalten durch den drohenden VA mit Strafe oder Bußgeld belegt werden soll 483, eine Vielzahl von VA angegriffen werden müsste 484 oder die Verzögerung eines angekündigten VA zu einer nicht hinnehmbaren Unsicherheit der Rechtslage führt. In Fällen der Eilbedürftigkeit kann der Rechtsschutzsuchende auch ein berechtigtes Interesse an einem vorläufigen vorbeugenden Rechtschutz nach § 123 I VwGO haben (einstweilige Anordnung gegen den Erlass eines VA). Begehrt ein ausländischer Kläger Abschiebungs-
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480 BVerfGE 109, 279 f. 481 Näher zu den Einzelheiten Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vor § 40 Rn 101; Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs 1 Rn 165 ff.; Schenke VerwPrR, Rn 356 ff. 482 ZB soll nach der (nicht überzeugenden) Rspr die beamtenrechtliche Ernennung eines Konkurrenten grundsätzlich nicht mehr anfechtbar sein. Vgl BVerfG NJW 1990, 501 f; BVerwGE 118, 370 ff. Aus tatsächlichen Gründen nicht aufhebbar ist ein VA, wenn er sich nach seinem Erlass sofort oder kurzfristig erledigt (wie häufig im POR), so dass vorläufiger Rechtsschutz nicht weiterhilft. 483 Weitergehend Schenke VerwPrR, Rn 361, wonach eine vorbeugende Unterlassungsklage gegen einen mit Strafe oder Geldbuße oder mit sonstigen Sanktionen bewehrten VA immer zulässig ist. 484 Vgl auch Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs 1 Rn 166: Die vorbeugende Unterlassungsklage ist in Fällen zulässig, in denen eine Vielzahl gleichartiger VA teils schon ergangen ist und teils noch zu ergehen droht.
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schutz in Bezug auf einen in einer Abschiebungsandrohung nicht genannten Zielstaat, differenziert die Rechtsprechung zwischen dem ausländerrechtlichen und asylrechtlichen Anfechtungsschutz. Für einen vorbeugenden ausländischen Abschiebungsschutz fehle das Rechtsschutzbedürfnis.485 Dagegen wird für einen vorbeugenden asylrechtlichen Abschiebungsschutz wegen der asylrechtlichen Gesetzeslage anderes angenommen.486 Richtet sich die vorbeugende Klage gegen einen drohenden, den Kläger belastenden behördlichen Realakt, ist ein qualifiziertes Vorbeugungsinteresse regelmäßig gegeben.487 202
Lösung Fall 45: Die Unterlassungsklage des ehemaligen Bundeskanzlers 488 ist zulässig (und begründet 489), weil sich mit einem nachträglichen Rechtschutz eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts nicht verhindern lässt und einmal in die Öffentlichkeit gelangte Informationen dieser nicht mehr entzogen werden können. Dagegen fehlt C das Rechtsschutzbedürfnis, weil ihm zugemutet werden kann, Widerspruch und Anfechtungsklage einzulegen bzw einen Antrag nach § 80 V VwGO zu stellen.490 Das Begehren des D geht dahin, nicht nur den drohenden VA, sondern bereits die Drohung selbst abzuwehren, da sie schon den Arbeitgeber zur Kündigung veranlassen kann. Somit ist ihm das Rechtsschutzbedürfnis für die Erhebung einer Unterlassungsklage nicht abzusprechen.491 Folgt man der Rspr des BVerwG, ist eine vorbeugende (nach nicht überzeugender Ansicht des BVerfG auf Feststellung gerichtete) Klage der Gemeinde E gegen die Bauleitplanung der Nachbargemeinde zulässig.492 Es ist indessen nicht ersichtlich, warum es der Gemeinde unzumutbar sein soll, den Erlass des Bebauungsplans abzuwarten und dann ggf von § 47 VI VwGO Gebrauch zu machen.493
e) Prozessuale Verwirkung 203
Eine weitere Fallgestaltung fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses stellt schließlich die verspätete gerichtliche Geltendmachung eines Rechts dar.494 Die Rechtsschutzgarantie des Art 19 IV 1 GG steht der Annahme einer Verwirkung nicht entgegen.495 Eine Verwirkung ist zu bejahen, wenn der Rechtsschutzgegner darauf vertrauen durfte, dass der Berechtigte sein Recht nicht mehr geltend macht (Vertrauensgrundlage) und sich tatsächlich durch seine Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Vertrauensbetätigung).496 Grundsätzlich muss dem Berechtigten die Möglichkeit einer Klageerhebung (Antragstellung) bewusst gewesen sein. Der positiven Kenntnis steht es gleich, wenn der Berechtigte von der ihn belastenden Maßnahme zuverlässig Kenntnis hätte haben müssen, weil sich ihm deren Vorliegen hätte aufdrängen müssen und es ihm möglich und zumutbar
485 486 487 488 489 490 491 492 493 494 495 496
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BVerwGE 115, 267, 270 f. BVerwGE 122, 376. Vgl auch BVerwGE 34, 69, 73; 71, 183, 188 ff. Vgl VG Berlin, NJW 2001, 2988 ff. BVerwGE 116, 104 ff. Vgl auch VGH BW, NVwZ 1994, 801. Vgl auch BayVGH, NJW 1986, 3221. BVerwGE 40, 323 ff. Vgl auch Hufen VerwPrR, § 16 Rn 27. BVerwGE 44, 294, 298 ff; BVerwG, NVwZ 1991, 1182 ff; BVerwG, NVwZ 2001, 206. BVerfGE 32, 305, 308. Vgl BVerwGE 44, 339, 343; 91, 276, 279; 108, 93, 96.
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Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen
§ 21
war, sich über die getroffene Maßnahme Gewissheit zu verschaffen.497 Darüber hinaus dürfte Verwirkung auch dann anzunehmen sein, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Rechtsfriedens ihm gebietet, die Anrufung des Gerichts nach langer Zeit als unzulässig anzusehen.498 Die von der Verwirkung des materiellen Rechts (dh dem Rechtsverlust) zu unterscheidende prozessuale Verwirkung kommt idR nur in Betracht, wenn keine Rechtsbehelfsfristen laufen: sei es, dass keine Fristen gelten (wie für die Leistungs- und Feststellungsklage) oder dass es an einer Bekanntgabe respektive Zustellung des angegriffenen VA oder Widerspruchs gerade gegenüber dem Kläger fehlt (wie nicht selten im Falle der Erhebung von Nachbar- oder Konkurrentenklagen). Die Verwirkung setzt stets eine längere Dauer der Untätigkeit des Berechtigten voraus. Hierbei kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Erhebt ein Nachbar gegen eine ihm nicht bekannt gegebene Baugenehmigung des Bauherrn Anfechtungsklage, muss die Verwirkungsfrist deutlich länger als die Monatsfrist des § 70 iVm § 58 I VwGO betragen. Vielfach wird sich eine Orientierung an der Jahresfrist des § 58 II VwGO anbieten (beginnend mit dem Zeitpunkt, in dem der Nachbar zuverlässig Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen, weil sich ihm das Vorliegen einer Baugenehmigung aufdrängen musste oder es ihm möglich und zumutbar war, sich hierüber Gewissheit zu verschaffen). Doch kann die Verwirkung je nach Umständen des Einzelfalls auch bereits vor Ablauf der Jahresfrist des § 58 II VwGO 499 oder später anzunehmen sein. In den Fällen des vorläufigen Rechtsschutzes tritt Verwirkung wegen der besonderen Eilbedürftigkeit und der damit einhergehenden Obliegenheit des Antragsstellers zu einem unverzüglichen Handeln wesentlich schneller ein.500 Geht eine prozessuale Verwirkung mit einer materiellen einher, fehlt es bei offensichtlicher und eindeutiger Verwirkung des materiellen Rechts bereits an der Klagebefugnis (Antragsbefugnis).501 Keine Frage des Rechtsschutzbedürfnisses ist die Präklusion verspäteten Vorbringens (→ § 22 Rn 48).
497 498 499 500 501
BVerwG, NVwZ 2001, 206. Str, wie hier BVerwGE 44, 294, 300. Vgl BVerwG, NVwZ 1991, 1182, 1184; OVG MV, NVwZ-RR 2003, 15, 16. Vgl Stein (Fn 433) 238 f. Schenke VerwPrR, Rn 590.
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§ 22 Verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage Dirk Ehlers I. Funktion und Bedeutung der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage Nach wie vor stellt der VA die dominierende Handlungsform der (öffentlich-rechtlich tätig werdenden) Verwaltung dar. Ist der Adressat eines VA mit diesem nicht einverstanden und wird – gegebenenfalls nach erfolgloser Einlegung eines Widerspruchs oder eines außerordentlichen Rechtsbehelfs – deshalb das Verwaltungsgericht angerufen, kommt als Klageart in erster Linie die verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage (§ 42 I Alt 1 VwGO) in Betracht. Auch wenn keine umfassenden Statistiken geführt werden, dürfte es sich bei der Anfechtungsklage um die in der Praxis (und im Studium) am häufigsten vorkommende verwaltungsgerichtliche Klage handeln. Dementsprechend ist die Anfechtungsklage – zusammen mit der Verpflichtungsklage als weiterer „Verwaltungsakt-Klage“ 1 – sehr viel detaillierter als die anderen Rechtsschutzformen (Leistungs-, Feststellungs- und Fortsetzungsfeststellungsklage sowie Normenkontrollverfahren) in der VwGO geregelt worden. Begehrt der Kläger vor dem VG die Aufhebung eines VA, könnte zunächst an eine Verpflichtungsklage (§ 42 I Alt 2 VwGO) gedacht werden. Die Verpflichtungsklage kann sich auf Aufhebung (Rücknahme oder Widerruf 2) des VA durch die Verwaltung – uU verknüpft mit einem vorherigen Wiederaufgreifen des Verfahrens (§ 51 I VwVfG) – richten.3 Ist der VA jedoch noch nicht bestandskräftig geworden, verdrängt die Anfechtungsklage als speziellere Klageart die Verpflichtungsklage. Da im Falle der Anfechtungsklage das Gericht den VA selbst aufhebt und damit unmittelbar die Rechtslage gestaltet, unterscheidet sie sich deutlich von den sonstigen in den §§ 42 ff VwGO angesprochenen Klagearten oder dem Normenkontrollverfahren. Gleichwohl stellt die Anfechtungsklage nicht die einzige Form einer verwaltungsgerichtlichen Gestaltungsklage dar. So kommt der (auf Beseitigung der Vollstreckbarkeit eines Titels gerichteten) Vollstreckungsabwehrklage (§ 167 I 1 VwGO iVm § 767 ZPO) ebenfalls gestaltende Wirkung zu (→ § 21 Rn 7). Als Gestaltungsurteile sind Anfechtungsurteile weder einer Vollstreckung bedürftig noch zugänglich.
1
2
II. Zulässigkeit der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage Wie allen Rechtsbehelfen kann auch einer Anfechtungsklage nur Erfolg beschieden sein, wenn sie zulässig und begründet ist. Zulässig ist die Anfechtungsklage, wenn die allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen (→ § 21), die Rechtsschutzform der Anfechtungsklage statthaft ist (1.) und die besonderen (rechtsschutzformabhängigen) Sachentscheidungsvoraussetzungen erfüllt sind (2.).
1 Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 I Rn 1. 2 §§ 48, 49 VwVfG. 3 Vgl zu den Rechtsschutzmöglichkeiten im Falle eines Wiederaufgreifens Sachs in: Stelkens/Bonk/ ders, VwVfG, § 51 Rn 68 ff; Ruffert in: Erichsen/Ehlers, Allg VerwR, § 25 Rn 11; Maurer Allg VerwR, § 11 Rn 55 ff.
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§ 22
5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
1. Statthaftigkeit der Anfechtungsklage 4
Gemäß § 42 I Alt 1 VwGO ist die Anfechtungsklage die richtige Klageart, wenn sich das Begehren auf Aufhebung (1) eines VA (2) durch das Verwaltungsgericht (3) richtet. Entscheidend ist das objektive (und nicht nur behauptete) Vorliegen eines VA (→ Rn 6). Teilweise ist in Rechtsprechung 4 und Literatur 5 eine gerichtliche Kassation auch dann für notwendig erachtet worden, wenn kein VA gegeben ist. So sollen rechtswidrige Innenrechtsakte – wie der unberechtigte Ausschluss eines Ratsmitglieds aus der gemeindlichen Volksvertretung – vom Gericht aufzuheben sein. Dieser Auffassung ist jedoch nicht zu folgen. Eine erweiternde Auslegung des § 42 I Alt 1 VwGO scheitert am eindeutigen Wortlaut (Verwaltungsakt). Zudem greifen verwaltungsprozessuale Gestaltungsklagen in den verfassungsrechtlich geschützten Funktionsbereich der Exekutive ein und können daher nur kraft Gesetzes und nicht kraft richterlicher Rechtsfortbildung als zulässig angesehen werden.6 Eine allgemeine Gestaltungsklage kennt die VwGO indessen nicht. Auch lässt sich kein Bedürfnis nach Anerkennung einer solchen Klage feststellen, weil die geregelten Klagearten ausreichen.7
a) Vorliegen eines Verwaltungsaktes (1) Gesetzliche Tatbestandsmerkmale des § 35 VwVfG 5
Fall 1: A hat verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage gegen die ör Aufrechnungserklärung eines Verwaltungsträgers, B gegen die Aufstellung eines Verkehrszeichens durch ein Straßenbauunternehmen, C gegen die Benotung einer versetzungserheblichen Klausur im Schulfach Biologie, die nordrhein-westfälische Gemeinde D gegen die Anweisung der Bezirksregierung, E gegen die von einer Gemeinde erlassene Baugenehmigung eines eigenen Bauvorhabens der Gemeinde auf dem Nachbargrundstück, Polizeibeamter F gegen die Anordnung, seine Haare höchstens in Hemdkragenlänge zu tragen und G gegen die Umbenennung seiner Wohnstraße erhoben. Sind die Anfechtungsklagen statthaft?
6
Was die VwGO unter einem VA versteht, ergibt sich aus § 35 BVwVfG (die Landes-VwVfG enthalten inhaltsgleiche Bestimmungen oder verweisen auf das BVwVfG).8 Zwischen der Rechtsnatur einer Maßnahme und ihrer Rechtmäßigkeit ist zu unterscheiden. Hat sich die Verwaltung eindeutig der Form des VA bedient, handelt es sich auch dann um einen solchen, wenn in rechtmäßiger Weise nur ein Privatrechtsakt oder eine Rechtsnorm hätte erlassen werden dürfen. Umgekehrt behalten Verordnungen oder Satzungen auch dann ihren Charakter, wenn die Regelungen inhaltlich alle Merkmale des § 35 VwVfG erfüllen. Bei einer Divergenz von Form und Inhalt ist somit jedenfalls im Falle eindeutiger Formenwahl nur an die Form anzuknüpfen.9
4 5 6 7 8 9
Vgl BayVerfGH BayVBl 1997, 753; 1988, 16. ZB Hufen VerwPrR, § 21 Rn 16. Vgl Schmidt-Aßmann FS Menger, 107, 116; Ehlers NVwZ 1990, 105, 106. Vgl Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 42 I Rn 20. Näher zum Begriff des VA Kahl JURA 2001, 505, 506 ff. Vgl Ehlers Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, 434. Tendenziell aA Schenke VerwPrR, Rn 231 ff, der aber zu Recht ein Wahlrecht des Rechtsschutzsuchenden nach Maßgabe der im Rechtsmittelrecht vertretenen Theorie der Meistbegünstigung ablehnt.
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Verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage
§ 22
Lösung Fall 1: Eine Anfechtungsklage ist nur statthaft, wenn ein VA vorliegt. Das setzt ua eine hoheitliche Regelung voraus. Hierunter ist die einseitige Setzung von Rechtsfolgen zu verstehen, die – vorbehaltlich ihrer Aufhebung im gerichtlichen Verfahren – unabhängig von Rechtsfehlern verbindlich sind. Dies trifft auf eine Aufrechnungserklärung, deren Voraussetzungen in den §§ 387 ff BGB geregelt sind, nicht zu 10. A kann mittels Erhebung einer Leistungsklage seine Forderung einklagen. Ein Verkehrszeichen in Gestalt eines Ge- oder Verbots wird heute zwar als VA iSd § 35 S 2 Alt 3 VwVfG angesehen 11. Doch setzt dies eine behördliche Maßnahme voraus. Straßenbauunternehmer dürfen als technische Ausführungsorgane der anordnenden Behörde tätig werden (§ 45 I, III, VI StVO).12 Weicht die Aufstellung des Verkehrszeichens durch den Unternehmer wesentlich von der behördlichen Anordnung ab, liegt in Wahrheit kein VA, sondern ein Nichtakt vor. In diesem Falle kann B nur Feststellungsklage erheben (→ § 25 Rn 30). Nicht versetzungsrelevanten Schulnoten wird von der Rspr teilweise der Regelungscharakter abgesprochen (unselbständiger Bestandteil einer Gesamtbeurteilung), teilweise wird die unmittelbare Außenwirkung verneint (keine über den Schulbereich hinausgehende unmittelbare Rechtswirkung und keine Bedeutung für die weitere Schullaufbahn).13 Folgt man dieser nicht zweifelsfreien Beurteilung, muss C Leistungs- statt Anfechtungsklage erheben. Die Weisung der Bezirksregierung an die Gemeinde D ist nur dann auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gem § 35 S 1 VwVfG gerichtet, wenn es sich bei den Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung 14 um Selbstverwaltungsangelegenheiten und nicht um staatliche Auftragsangelegenheiten handelt. Hiervon ist nach der hier vertretenen Ansicht auszugehen.15 Die Anfechtungsklage des E ist nur statthaft, wenn die Genehmigung eines eigenen Vorhabens trotz Identität der handelnden und begünstigten Person Verwaltungsaktcharakter hat. Dies wird von der Rspr bejaht, auch weil die Baugenehmigung im Verhältnis zu Dritten – und damit nach außen – den Inhalt des jeweiligen Eigentums bestimmen soll.16 Dagegen zielt die an den Polizeibeamten F gerichtete Anordnung, seine Haare höchstens in Hemdkragenlänge zu tragen, ihrem objektiven Sinngehalt nur auf eine organisationsinterne Wirkung ab, weil sie dazu bestimmt ist, den Beamten nicht als Träger subjektiver Rechte, sondern als Amtswalter und Glied der Verwaltung anzusprechen. Dass sie den Beamten außerdienstlich in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit einschränkt, ändert daran nichts. Auch der Erlass eines Widerspruchsbescheides führt nicht zur Zulässigkeit der Anfechtungsklage, weil sich die Klage gegen die Anordnung richtet und es auch vor Erhebung auch von Leistungs- und Feststellungsklagen gem § 54 II BeamtStG eines Vorverfahrens bedarf, es sei denn das entsprechende Bundesland hat eine abweichende Regelung getroffen wie zB NRW in § 104 I LBG oder Niedersachsen in § 105 I NBG. Somit ist die allgemeine Leistungsklage die richtige Klageart.17 Bei der Straßenumbenennung handelt es sich um einen VA iSd § 35 S 2 Alt 2 VwVfG 18, so dass die Anfechtungsklage des G statthaft ist.
10 Vgl BVerwGE 66, 218, 220; BFHE 149, 482; OVG LSA NVwZ-RR 2002, 907 → JK VwGO § 123/3; Ehlers JuS 1990, 777 f. 11 Vgl BVerwGE 97, 323, 326; 102, 316, 318 → JK VwVfG § 38/1. 12 Vgl BVerwGE 35, 134, 136; OVG NRW NWVBl 2001, 184. 13 Näher dazu Kopp/Ramsauer VwVfG, 10. Aufl. 2008, § 35 Rn 58. 14 Vgl § 60 II BauO NRW iVm §§ 3 I, 9 I, II OBG. 15 Str vgl OVG NRW NWVBl 1995, 300, 301; BbgVerfG NVwZ-RR 1997, 352; näher zum ganzen Schmidt-Aßmann/Röhl in: Schmidt-Aßmann, Bes VerwR, 1. Kap. Rn 39; Burgi Kommunalrecht, 2006, § 8 Rn 21 ff. 16 Vgl BVerwG NVwZ 1998, 737, 738 → JK BauO NW § 75/1 (krit.). 17 Vgl BVerwGE 125, 85 → JK GG Art 2 I/42. 18 Vgl OVG NRW NJW 1987, 2695; Brugger JuS 1990, 566 ff; Ennuschat NWVBl 1992, 337 ff.
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(2)Rechtliche Existenz (äußere Wirksamkeit) eines Verwaltungsaktes 8
Fall 2: H betreibt ein genehmigtes Zementwerk. Mit Inkrafttreten des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes (TEHG) sind nach § 4 VII 1 TEHG die Anforderungen der §§ 5, 6 TEHG als Bestandteil der vorhandenen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung von H anzusehen. Gegen diese Änderung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung hat H Anfechtungsklage erhoben. Ist diese statthaft?
9
Fall 3: Die zuständige Behörde hat dem I einen Abgabenbescheid durch Post übermittelt. Der Brief ist am Montag zur Post aufgegeben worden und dem I am gleichen Tag zugegangen. Am Dienstag hat I Anfechtungsklage erhoben. Ist diese statthaft?
10
Fall 4: Der Hilfe zum Lebensunterhalt beziehende J ist durch VA verpflichtet worden, gemeinnützige Arbeit zu leisten. Er hat hiergegen am 1.2. Anfechtungsklage erhoben. Obwohl die beklagte Behörde dem J am 1.9. mitgeteilt hat, dass sie ihm keine Arbeitsmöglichkeit mehr zur Verfügung stellen kann, hält J die Anfechtungsklage aufrecht.
11
Fall 5: Die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post will Telekommunikationslizenzen im Wege der Versteigerung vergeben lassen und hat durch Verfügung zunächst bekannt gegeben, welcher regulatorische Rahmen für das Versteigerungsverfahren gilt. Kann das Telekommunikationsunternehmen K die Verfügung mit Aussicht auf Erfolg durch eine Anfechtungsklage angreifen?
12
Rechtliche Existenz oder sog äußere Wirksamkeit 19 erlangt ein VA erst, wenn er bekannt gegeben worden ist (§ 41 VwVfG). Die Bekanntgabe an eine Person reicht aus, so dass Dritte (zB Nachbarn oder Konkurrenten) auch dann Anfechtungsklage erheben können, wenn ihnen gegenüber keine Bekanntgabe erfolgt ist.20 Ob die Rechtsordnung bestimmen kann, dass eine Maßnahme gegenüber einer Person ein VA und gegenüber einer anderen Person eine Handlung von anderer Rechtsqualität ist, mag dahinstehen. Relative VA sind wegen der unterschiedlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen und Fehlerfolgen nicht sinnvoll und daher in der Rechtsordnung kaum anzutreffen.21 So ist die Anfechtungsklage eines Bürgers gegen die Genehmigung einer kommunalen Satzung durch die staatliche Aufsichtsbehörde nicht deshalb unzulässig, weil die Genehmigung kein VA ist, sondern weil dem Bürger die Klagebefugnis fehlt.22 Rechtlich existent ist ein VA auch dann, wenn der Gesetzgeber das Vorliegen eines solchen fingiert hat.23 Die Fiktion setzt ein willensgetragenes Verhalten der Behörde voraus, an das die Fiktion anknüpfen kann.
19 Zur Frage, ob sich zwischen rechtlicher Existenz und äußerer Wirksamkeit unterscheiden lässt, vgl Ehlers in: Krebs, Liber amicorum Hans-Uwe Erichsen, 2004, 1, 2 f. Näher zur äußeren Wirksamkeit Ruffert in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 21 Rn 15; Maurer Allg VerwR, § 9 Rn 66. 20 Vgl § 43 I 1 VwVfG: Wirksamkeit eines VA gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist „oder von ihm betroffen wird“. 21 Vgl auch kritisch VGH BW NVwZ 1998, 416; Laubinger VerwArch 77 (1986), 421, 431. 22 Vgl Happ in: Eyermann, VwGO, § 42 Rn 9. 23 Zutreffend Schenke VerwPrR, Rn 182; Hufen VerwPrR, § 14 Rn 10. Zu zahlreichen Beispielen einer Fiktion vgl Stelkens/Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn 66 ff.
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Verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage
§ 22
Lösung Fall 2: Sieht man in der Bestimmung des § 4 VII 1 TEHG einen unmittelbaren gesetzlichen Zugriff auf den Regelungsgehalt erteilter Genehmigungen, scheidet eine Anfechtungsklage von vornherein aus, da ein VA definitionsgemäß die „Regelung einer Behörde“ voraussetzt. Um einen fingierten VA annehmen zu können, bedürfte es eines willensgetragenen Verhaltens der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde, an das die Fiktion anknüpfen kann. Die Pflichten nach den §§ 5, 6 TEHG treffen den Verantwortlichen aber unmittelbar Kraft Gesetzes, gleichgültig, ob sie in die Genehmigung aufgenommen worden sind oder nicht. Somit ist die Anfechtungsklage mangels Vorliegen eines VA nicht statthaft 24. In Betracht kommt nur eine Feststellungsklage.
13
Der VA muss im Zeitpunkt der Klageerhebung bereits erlassen worden sein 25 und zum Zeitpunkt der gerichtlichen Beurteilung noch existieren. Das ist nicht der Fall, wenn er durch Rücknahme, Widerruf oder anderweitig aufgehoben worden ist respektive sich erledigt hat. Die Gleichstellung der Erledigung mit der Aufhebung ergibt sich aus § 113 I 4 VwGO und § 43 II VwVfG. Eine Klage gegen einen erledigten VA ist daher unstatthaft (und scheitert nicht erst am fehlenden Rechtsschutzbedürfnis).26 In Betracht kommt im Falle der Erledigung aber eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 I 4 VwGO.27 Hat sich ein VA nicht ex tunc, sondern ex nunc erledigt bzw ist der VA nur mit Wirkung ex nunc aufgehoben worden, bleibt er bis zum Zeitpunkt der Erledigung respektive Aufhebung bestehen. Soll der VA auch mit Wirkung für die Vergangenheit durch das Gericht beseitigt werden, ist die Anfechtungsklage statthaft.
14
Lösung Fall 3: Die Anfechtungsklage ist nur statthaft, wenn im Zeitpunkt der Klageerhebung ein VA vorliegt. Als bekannt gegeben gilt ein durch Post übermittelter VA gem § 41 II VwVfG mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post (Donnerstag). Ob die Zugangsfiktion auch zu Lasten des Empfängers greift, ist umstritten 28. Im Falle des amtlich veranlassten tatsächlichen Zugangs eines VA wird man jedenfalls von einem tauglichen Angriffsobjekt für eine Anfechtungsklage und damit von der Statthaftigkeit derselben ausgehen müssen.
15
Lösung Fall 4: Die Anfechtungsklage könnte unstatthaft geworden sein, weil sich die Verpflichtung zur Leistung gemeinnütziger Arbeit erledigt hat. Doch ist die Erledigung erst am 1.9. eingetreten. Daher kann die Aufhebung des VA für die Zeit bis zum 1.9. verlangt werden. Für die Zeit danach hätte J einen Fortsetzungsfeststellungsantrag gem § 113 I 4 VwGO stellen müssen.
16
Unerheblich ist, ob dem VA innere Wirksamkeit zukommt, dh ob er Regelungswirkungen entfaltet.29 Wie sich aus § 43 II VwGO ergibt, kann auch ein nichtiger VA Gegenstand einer Anfechtungsklage sein (weil auch ein nichtiger VA einen Rechtsschein zu erzeugen
17
Vgl BVerwGE 124, 47 → JK EG RL 2003/87/EG/1. Kopp/Schenke VwGO, § 42 Rn 3. Vgl Schenke VerwPrR, Rn 246. Vgl hierzu sowie zur Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage bei Erledigung vor Erhebung der Anfechtungsklage → § 26 Rn 18 ff. 28 Ablehnend Stelkens/Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 41 Rn 69. AA Liebetanz in: Obermayer, VwVfG, 3. Aufl 1999, § 41 Rn 34. 29 Das ist zB nicht der Fall, wenn eine aufschiebende Bedingung noch nicht eingetreten ist. 24 25 26 27
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vermag und die Zulassung der Anfechtungsklage neben der Nichtigkeitsfeststellungsklage verhindert, dass die Wahl des richtigen Rechtsbehelfs von der ganz unsicheren Prognose der Fehlerfolgen – bloße Rechtswidrigkeit oder Nichtigkeit – abhängt).30 In der Regel dürfte die Anfechtungsklage für den Kläger günstiger sein. Zwar müssen das Vorverfahrenserfordernis und die Fristen beachtet werden. Die Aufhebung eines nichtigen VA wirkt aber inter omnes und nicht nur inter partes (wie bei der Feststellungsklage).31 Zudem dürfte in der Anfechtungsklage bei Auslegung des Klagebegehrens als minus der Feststellungsantrag enthalten sein (nicht aber umgekehrt).32 Von dem nichtigen VA sind Nichtakte zu unterscheiden (zB die sich als VA gerierenden Anordnungen eines Karnevalsprinzen nach Übernahme des Rathauses).33 Sofern überhaupt eine ör Streitigkeit vorliegt, soll gegen Nichtakte nur eine Feststellungsklage iSd ersten Alternative des § 43 I VwGO (Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses) zulässig sein.34 Entfaltet ein VA Regelungswirkungen, kommt es für die Statthaftigkeit der Anfechtungsklage nicht darauf an, welcher Art diese sind. So differenziert § 42 I Alt 1 VwGO nicht zwischen belastenden und begünstigenden VA. Daher kann auch ein begünstigender VA Gegenstand einer Anfechtungsklage sein. Das gilt selbst dann, wenn der VA von dem Adressaten und nicht von einem belasteten Dritten angegriffen wird.35 Ob die Anfechtungsklage zulässig ist, hängt dann im Wesentlichen von der Klagebefugnis und dem Rechtsschutzbedürfnis ab. Auch der Rechtsschutz gegen Verfahrensverwaltungsakte scheitert nicht an § 42 I Alt 1 VwGO. Wohl aber ist § 44a VwGO zu beachten (→ § 21 Rn 172 ff). 18
Lösung Fall 5: Bei der Verfügung der Behörde handelt es sich um einen verfahrensgestaltenden VA und damit um eine Verfahrenshandlung iSd § 44a VwGO. Die Anfechtungsklage ist zwar statthaft, sie scheitert aber an § 44a VwGO.36
b) Teilaufhebung eines Verwaltungsakts 19
Fall 6: L hat eine Baugenehmigung für die Errichtung einer Holzlagerhalle beantragt. Die Genehmigung wurde ihm unter der Maßgabe erteilt, dass eine sich auf dem Nachbargrundstück befindende Pipeline feuerhemmend zu ummanteln sei. Nachdem H gegen den lästigen Zusatz erfolglos Widerspruch eingelegt hat, erhebt er verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage. Wird diese erfolgreich sein?
30 HM vgl zB Lorenz VerwPrR, § 17 Rn 43, § 22 Rn 34 f. AA zB Würtenberger VerwPrR, Rn 272; Hufen VerwPrR, § 14 Rn 11. 31 Kopp/Schenke VwGO, § 42 Rn 3. 32 BayVerfGH NJW 1984, 626; Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 I Rn 18. 33 Näher dazu Ehlers Die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts und die Ultra-vires-Doktrin des öffentlichen Rechts, 2000. 34 Vgl BVerwG NVwZ 1987, 330. 35 ZB könnte sich ein Adressat gegen einen nicht beantragten Leistungsbescheid mit der Begründung wenden, dass er nichts geschenkt haben möchte. 36 Vgl zum Ganzen auch Ehlers in: Piepenbrock/Schuster, UMTS-Lizenzvergabe, 2001, 114, 141; Holznagel/Schulz NWVBl 2003, 400.
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Verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage
§ 22
Wie sich der Formulierung des § 113 I 1 VwGO entnehmen lässt („Soweit der VA rechtswidrig […] ist“ 37), ist auch die Anfechtung eines Teils eines VA statthaft. Das setzt Teilbarkeit voraus. Regelmäßig gilt ein VA als teilbar, wenn nach erfolgreicher Anfechtung des rechtswidrigen Teils der verbleibende Rest als selbständiger VA bestehen kann, ohne zum aliud zu werden.38 Ob und wann, ist seit jeher umstritten.39 Im Wesentlichen werden sieben verschiedene Auffassungen hierzu vertreten. Nach Meinung 1 sind Nebenbestimmungen immer isoliert anfechtbar.40 Meinung 2 differenziert zwischen den nicht für anfechtbar gehaltenen Nebenbestimmungen iSd § 36 II Nr 1–3 VwVfG und den stets für anfechtbar erachteten Nebenbestimmungen gem § 36 II Nr 4, 5 VwVfG.41 Meinung 3 stellt darauf ab, ob eine gebundene Entscheidung oder eine Ermessensentscheidung vorliegt.42 Im zuerst genannten Fall soll die Nebenbestimmung immer, im zuletzt genannten niemals anfechtbar sein. Meinung 4 stellt ähnlich wie im Fall des § 44 IV VwVfG darauf ab, ob die Behörde den VA bei Kenntnis der Rechtswidrigkeit der Nebenbestimmung ohne Nebenbestimmung erlassen hätte.43 Meinung 5 will eine Anfechtungsklage nur zulassen, wenn der Rest-VA der Rechtsordnung entspricht.44 Meinung 6 schränkt dies weitergehend dahin ein, dass ein Anfechtungskläger einen Anspruch auf einen uneingeschränkten VA haben muss.45 Schließlich wird von Meinung 7 die Ansicht vertreten, dass Rechtsschutz gegen belassene Nebenbestimmungen wegen der vom Kläger erstrebten Erweiterung seines Rechtskreises allein mit der Verpflichtungsklage zu erlangen ist.46 Gegen die ersten drei Ansichten wird geltend gemacht, dass eine isolierte Anfechtung Suspensiveffekte auslöst und nach erfolgreicher Aufhebung der Nebenbestimmung ein rechtswidriger Rest-VA zurückbleiben kann.47 Selbst wenn es noch möglich sei, den VA aufzuheben, könnten bis dahin irreparable Zustände hervorgerufen werden. Das Abstellen auf den Willen der Behörde ist spekulativ (zumal die Behörde zum Ausdruck gebracht hat, dass sie keinen VA ohne Nebenbestimmung erlassen wollte). Meinung 5 und 6 würden dazu führen, dass bereits im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Klage intensiv auf Begründetheitsfragen eingegangen werden müsste. Meinung 7 wird vorgehalten, dass sie nicht genügend berücksichtige, dass ein VA auch teilrechtswidrig sein kann. Das BVerwG scheint sich seit dem Jahre 2000 auf die zuerst genannte Ansicht festgelegt zu haben.48 Danach soll eine Nebenbestimmung grundsätzlich immer isoliert angefochten werden dürfen. Die Frage, ob der begünstigende VA ohne die Nebenbestimmung „sinnvoller- und rechtmäßigerweise“ bestehen bleiben kann, betreffe die Begründetheit und nicht die Zulässigkeit des Anfechtungsbegehrens, sofern nicht eine isolierte Aufhebbarkeit offenkundig von vornherein ausscheidet. Teilt man diesen Standpunkt, ist
37 Vgl demgegenüber § 42 I VwGO (Aufhebung eines VA). 38 BVerwG DVBl 1993, 152; Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 I Rn 13; Happ in: Eyermann, VwGO, § 42 Rn 17. 39 Vgl die Übersicht bei Axer JURA 2001, 748, 751 ff. 40 Vgl Laubinger VerwArch 73 (1982), 345, 357 ff. 41 Vgl BVerwGE 29, 261, 265; Pietzcker NVwZ 1995, 15, 17 ff; Axer JURA 2001, 748, 752. 42 Vgl Maurer Allg VerwR, § 12 Rn 26. 43 Vgl BVerwGE 60, 269, 277 f; siehe auch Schenke JuS 1983, 182, 184. 44 Vgl BVerwG NVwZ 1984, 366 f. 45 Meyer/Borgs VwVfG, 2. Aufl 1982, § 36 Rn 41 ff. 46 Vgl Fehn DÖV 1988, 202 ff; Stadie DVBl 1991, 613 ff; Labrenz NVwZ 2007, 161 ff. 47 Krit dazu Schenke VerwPrR, Rn 298. 48 BVerwGE 112, 221 → JK VwVfG § 36 II/2.
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dem eine Nebenbestimmung angreifenden Kläger prinzipiell zu raten, Anfechtungsklage zu erheben.49 Gleichzeitig empfiehlt es sich aber, neben dem Anfechtungsantrag hilfsweise einen Verpflichtungsantrag gerichtet auf uneingeschränkte Vergünstigung für den Fall zu stellen, dass sich im Rahmen der Begründetheitsprüfung erweist, dass eine isolierte Aufhebung nicht rechtmäßig ist. Erweist sich von vornherein, dass der Kläger keinen Anspruch auf einen uneingeschränkten VA hat (weil dieser der Rechtsordnung widerspräche), ist ihm zur Vermeidung einer kostenpflichtigen Teilabweisung der Klage zu raten, den Verpflichtungsantrag in Form eines Antrags auf Neubescheidung zu stellen. 22
Lösung Fall 6: Geht man mit der jüngeren Rspr des BVerwG davon aus, dass die Frage der Teilbarkeit eines VA in der Regel nur die Begründetheit betrifft, spricht dies für die Statthaftigkeit der Anfechtungsklage. Anderes gilt, wenn man annimmt, dass eine isolierte Anfechtung „offenkundig von vornherein“ nicht in Betracht kommt. Da eine isolierte Aufhebung der hier angefochtenen Nebenbestimmung mit dem materiellen Recht nicht vereinbar ist 50, ist die Anfechtungsklage in jedem Falle unbegründet. Daher ist dem L zu raten, (zumindest hilfsweise) einen Verpflichtungsantrag in Form eines Antrags auf Neubescheidung zu stellen. Sollte der Zusatz, die Pipeline auf dem Nachbargrundstück zu ummanteln, rechtswidrig sein, wird das Verwaltungsgericht ein Bescheidungsurteil erlassen und die Klagegegner verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes neu zu bescheiden (§ 113 V 2 VwGO).
c) Isolierte Anfechtungsklage 23
Fall 7: Der in Deutschland geborene M, Kind abgelehnter Asylbewerber aus Aserbaidschan, wendet sich gegen die behördliche Einleitung eines Asylverfahrens nach § 14a II AsylVfG und begehrt mittels Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage die Aufhebung des in diesem Verfahren ergangenen negativen Bescheids des zuständigen Bundesamts (Ablehnung des als gestellt geltenden Antrags auf Anerkennung als Asylberechtigter).
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Von einer isolierten Anfechtungsklage wird gesprochen, wenn der Kläger – statt eine Verpflichtungsklage zu erheben – nur die Aufhebung der Ablehnung eines beantragten VA begehrt.51 Über die Zulässigkeit der isolierten Anfechtungsklage besteht Meinungsstreit.52 Soweit sie für zulässig erachtet wird, beruft man sich vor allem darauf, dass von einem Hoheitsträger erwartet werden könne, die aus einem bloßen Aufhebungsurteil gebotenen Folgerungen zu ziehen 53 und es Sache des Klägers sei, seine prozessualen Ziele eigenverantwortlich festzulegen 54. Vielfach wird eine isolierte Anfechtungsklage als unzulässig erachtet. Richtigerweise ist zu differenzieren. Da die Ablehnung eines beantragten VA
49 Zur Frage, ob die Anfechtungsklage Suspensivwirkung gem § 80 I VwGO auslöst vgl Pietzcker NVwZ 1995, 15, 19 f. 50 Eine Baugenehmigung ohne Feuerschutz entspräche nicht der Rechtsordnung, vgl BVerwG NVwZ 1984, 366, 367. 51 Vgl Laubinger FS Menger, 443. 52 Vgl Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 I Rn 107 ff. 53 BVerwGE 38, 99, 102. 54 Laubinger FS Menger, 453, 457; Vgl auch Sodan in: ders/Ziekow, VwGO, § 42 Rn 344 ff; Happ in: Eyermann, VwGO, § 42 Rn 18 ff.
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selbst ein VA ist, muss die isolierte Anfechtungsklage als statthaft angesehen werden. Regelmäßig fehlt dem Kläger aber das Rechtsschutzbedürfnis für eine isolierte Anfechtungsklage. Wie sich zB aus § 43 II 1 VwGO (sog. Subsidiarität der Feststellungsklage) ableiten lässt, darf sich der Kläger nicht mit einem Weniger an Rechtsschutz zufrieden geben, wenn er die Möglichkeit hat, ein Mehr zu erreichen (→ § 21 Rn 193). Hebt das Gericht etwa die Ablehnung des beantragten VA wegen eines beachtlichen Verfahrensfehlers auf, bleibt nach wie vor offen, ob der Kläger einen Anspruch auf Erlass des VA hat. Dies zeigt zugleich, dass bei der isolierten Anfechtung ablehnender VA regelmäßig die Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme des Gerichts besteht. Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Erhebung isolierter Anfechtungsklagen ist nur in Ausnahmefällen anzuerkennen (zB wenn sich das Verpflichtungsbegehren erledigt hat oder der Kläger jedenfalls den VA nicht mehr erstrebt, die Ablehnung aber eine selbständige Beschwer enthält).55 Lösung Fall 7: In einem Asylprozess wird mit dem Klageantrag grundsätzlich der weitestgehende Schutz vor den geltend gemachten Gefahren im Heimatstaat, nämlich die behördliche Anerkennung als Asylberechtigter bzw Flüchtling, begehrt. Prozessual ist dies mit der Verpflichtungsklage zu verfolgen. Eine isolierte Anfechtung ist zulässig, wenn an einem positiven Asylbescheid des Bundesamtes kein Interesse besteht oder Gründe für die Zuerkennung für Asyl oder Abschiebungsschutz auch nach Auffassung des Ausländers nicht vorhanden sind, mittels einer isolierten Anfechtung aber die nachteiligen Folgen eines negativen Bescheides des Bundesamtes beseitigt werden können.56
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d) Anfechtung des Ablehnungs- oder Widerspruchsbescheides Fall 8: Die zuständige Behörde hat einen Leistungsbescheid gegen N in Höhe von 3 000 € erlassen. Auf den Widerspruch des N hin reduziert die Behörde den Bescheid auf 1 000 €. Die Widerspruchsbehörde setzt gegenüber N einen Betrag in Höhe von 2 000 € fest. N hat gegen den Widerspruchsbescheid Anfechtungsklage erhoben.
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Wird der VA vor Erhebung der Anfechtungsklage zum Gegenstand eines Widerspruchsverfahrens gemacht, ist er gem § 79 I Nr 1 VwGO in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, Gegenstand der Anfechtungsklage. Ausnahmsweise kann der Abhilfebescheid (§ 72 VwGO) und Widerspruchsbescheid (§ 73 I 1 VwGO) aber auch alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein. Dies ist der Fall, wenn die Bescheide erstmalig eine Beschwer enthalten (§ 79 I Nr 2 VwGO). Beim Widerspruchsbescheid reicht auch eine zusätzliche selbständige Beschwer aus (§ 79 II VwGO).
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Lösung Fall 8: Die Anfechtungsklage ist nur statthaft, wenn der Widerspruchsbescheid alleiniger Gegenstand der Klage sein kann. Dies trifft gem § 79 II 1 VwGO auf die von N erhobene Klage zu, wenn und soweit der Widerspruchsbescheid gegenüber dem ursprünglichen VA eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält. In Bezug auf die Ursprungs-
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55 Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 I Rn 112; vgl auch BVerwGE 127, 161 f. 56 Vgl zu den negativen Folgen einer bestandskräftigen Ablehnung § 71 I AsylVfG. Näher dazu BVerwG NVwZ 2007, 465, 466 f.
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fassung des Ausgangsbescheides ist dies nicht der Fall, wohl aber im Vergleich zu dessen Gestalt in der Abhilfeentscheidung (§ 72 VwGO). Letzteres reicht aus, jedenfalls, wenn die Widerspruchsbehörde außerhalb des Devolutiveffektes entschieden hat.57 Die Klage des N ist gem § 115 iVm § 113 I 1 VwGO begründet, wenn der Widerspruchsbescheid rechtswidrig oder unzweckmäßig ist und der Widerspruchsführer dadurch in seinen Rechten beeinträchtigt wurde. Die Rechtswidrigkeit könnte sich daraus ergeben, dass die Widerspruchsbehörde aus Kompetenzgründen die Rechtmäßigkeit des ursprünglichen Bescheids nicht mehr prüfen durfte, nachdem die Ausgangsbehörde durch den Teilabhilfebescheid die Heranziehung auf 1000 € reduziert hatte. Die Entscheidungskompetenz der Widerspruchsbehörde wird mit dem Devolutiveffekt des Widerspruchs begründet (→ § 20 Rn 44). Hilft die Ausgangsbehörde dem Widerspruch nicht ab, erhält die Widerspruchsbehörde die volle Sachentscheidungskompetenz. Dabei soll es nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung auch bei einem bloßen Teilabhilfebescheid der Ausgangsbehörde bleiben.58 Nach der Gegenauffassung tritt der Devolutiveffekt nicht ein, soweit dem Widerspruch im Wege der Teilabhilfe abgeholfen worden ist. Gegenstand des Widerspruchsverfahrens sei nur noch die Forderung in der Höhe, die sie durch den Abhilfebescheid gefunden hat (§ 72 VwGO).59 Schließt man sich der letzteren Auffassung an, ist die Anfechtungsklage begründet.
e) Verbindung des Anfechtungsantrags mit weiteren Anträgen 29
Der vom Kläger zu stellende Antrag auf Aufhebung des VA kann mit weiteren Anträgen verbunden werden. Ist der VA schon vollzogen, kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, dass und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat (§ 113 I 2 VwGO). Geht es nicht um die Rückgängigmachung des Vollzugs, sondern um die Gewährung sonstiger Leistungen nach Aufhebung des VA (zB Gehaltsnachzahlung an einen Beamten nach erfolgreicher Anfechtung der Entlassung), kann der Kläger einen Antrag nach § 113 IV VwGO stellen. Solche Anträge haben für den Kläger den Vorteil, dass nicht zunächst die Rechtskraft des Anfechtungsurteils abgewartet werden muss. Bei Geldleistungs-VA kann eine Betragsänderung begehrt werden.60 Das Gericht darf (auch wegen § 88 VwGO) den VA aber nur durch einen VA ersetzen, der den Anfechtungskläger weniger belastet (zB Reduzierung des Abgabenbetrages von 1000 € auf 500 €).61 Der Sache nach besteht zwischen einer Teilaufhebung (Kassation) und Abänderung kein Unterschied. Gem § 113 II 2 VwGO darf das Gericht im Falle eines nicht unerheblichen Aufwands die Ermittlungsarbeit der Behörde überlassen. Schließlich kann es notwendig sein, den Anfechtungsantrag mit einem durch eine andere Klageart zu verbindenden Antrag zu verbinden. Wendet sich der Kläger zB gegen die einem Anderen durch VA gewährte Begünstigung (zB einen Subventionsbescheid), weil er die Begünstigung für sich selbst anstrebt, muss er den begünstigenden VA zunächst aufheben lassen, um die Begünstigung wieder für sich verfügbar zu machen. Deshalb ist in solchen Fällen sowohl ein Anfechtungsantrag (im Beispielsfall auf Aufhebung des den Konkurrenten begünstigenden Subventions-VA) als auch ein Verpflichtungsantrag (auf Erlass eines neuen, den Kläger begünstigenden VA) zu stellen. 57 Vgl BayVGH BayVBl 2006, 434 → JK VwGO § 73/2. 58 Vgl Engst JURA 2006, 166, 168; Geis in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 72 Rn 22. 59 So BayVGH BayVBl 2006, 434 → VwGO § 73/2; VGH BW VBl BW 1982, 13, 14; Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 72 Rn 12. 60 Zur Notwendigkeit einer Antragsstellung Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rn 38. AA Kopp/Schenke VwGO, § 113 Rn 152. 61 Vgl Schmidt in: Eyermann, VwGO, § 113 Rn 10.
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2. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen der Anfechtungsklage
a) Erfolglose, form- und fristgerechte Widerspruchserhebung Fall 9: Die Widerspruchsbehörde hat den gegen eine Baugenehmigung nach Ablauf der Widerspruchsfrist eingelegten Nachbarwiderspruch des O unter Zurückweisung des Widerspruchs sachlich entschieden. Ist die von O eingelegte Anfechtungsklage zulässig (wenn es keine einschlägigen Gesetze iSd § 68 I 2 VwGO gibt)?
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Gem § 68 I 1 VwGO sind „vor Erhebung der Anfechtungsklage“ Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des VA in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Anderes gilt, wenn eine der Voraussetzungen des § 68 I 2 VwGO vorliegt: dh ein Gesetz bestimmt, dass es eines Widerspruchsverfahrens nicht bedarf (1), der VA von einer obersten Bundes- oder Landesbehörde erlassen wurde, es sei denn, eine Nachprüfung ist vorgeschrieben (2) oder wenn der Abhilfe- oder Widerspruchsbescheid erstmalig eine Beschwer enthält (3). Große Bedeutung kommt insbesondere der zuerst genannten Einschränkung zu. Eine Reihe von Ländern haben mittlerweile das Widerspruchsverfahren – zunächst für eine Übergangszeit – weitgehend abgeschafft (→ § 20 Rn 93 ff).62 Das wurde mit der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung begründet, geht aber zu Lasten der mit dem Widerspruchsverfahren verfolgten Ziele (Selbstkontrolle der Verwaltung, Entlastung der Gerichte, schneller, kostengünstiger und umfassender Rechtsschutz zugunsten der Adressaten und Betroffenen eines VA). So entfällt zB jede Zweckmäßigkeitskontrolle.63 Da sich prozessuale Sachentscheidungsvoraussetzungen nur auf Anforderungen beziehen können, die der Rechtsschutzsuchende durch eigenes Verhalten zu erfüllen vermag, kommt es im Falle der Erforderlichkeit eines Vorverfahrens nicht auf das ordnungsgemäße Durchlaufen des Widerspruchsverfahrens, sondern nur darauf an, dass die §§ 68–70 VwGO eingehalten worden sind und der Widerspruch erfolglos geblieben ist. Entscheidet zB entgegen § 73 I 2 Nr 1 VwGO die Ausgangsbehörde über den Widerspruch oder wird zu Unrecht von einer Anhörung gem § 71 VwGO abgesehen, berührt dies nicht die Zulässigkeit der Anfechtungsklage (weil es die Verwaltung nicht in der Hand hat, durch rechtswidriges Verhalten die Unzulässigkeit der Klage herbeizuführen). Ist über einen Widerspruch ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, ist die Klage gem § 75 VwGO abweichend von § 68 VwGO zulässig. Nach §§ 68 I 1, 70 I 1 VwGO muss der Kläger den Widerspruch vor Erhebung der Anfechtungsklage form- und fristgerecht (dh schriftlich oder zur Niederschrift innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe) einlegen. Lässt sich der Beklagte, ohne dass Widerspruch erhoben worden ist, auf die Klage ein 64, bescheidet er einen verspäteten Widerspruch in der Sache 65 oder wird der Widerspruch erst nach Erhebung der Anfechtungsklage eingelegt 66 soll nach der Rspr des BVerwG und eines großen Teils der Lit 67 die Klage gleichwohl zulässig sein, es sei denn, dass ein VA mit Doppelwirkung vorliegt und ein Dritter bereits eine
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Vgl. auch die Übersicht bei Kamp, NWVBl 2008, 41, 42 f. Krit Härtel VerwArch 98 (2007), 54 ff; Müller-Grune/Grune, BayVBl 2007, 65, 70 ff. St Rspr seit BVerwGE 1, 247, 249. BVerwGE 28, 305, 308. BVerwGE 23, 135, 136. Vgl zB Hufen VerwPrR, § 14 Rn 113; ausführlich zum Meinungsstand Dolde/Porsch in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 68 Rn 28 f, 35; Rennert in: Eyermann, VwGO, § 68 Rn 21, 31.
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unanfechtbare Rechtsposition erlangt hat.68 Dies wird vor allem damit begründet, dass das Widerspruchsverfahren in erster Linie dem Schutz der Verwaltung diene und die Ausgangsbehörde jederzeit auch einen Zweitbescheid erlassen könne. Indessen ist dieser Auffassung nicht zu folgen.69 Das Vorverfahren ist in der VwGO zwingend angeordnet worden und steht als Sachentscheidungsvoraussetzung nicht zur Disposition der Beteiligten (zumal es nicht nur um die Selbstkontrolle der Verwaltung, sondern auch um die Entlastung der Gerichte geht, und sich eine über den Ablauf der Widerspruchsfrist hinwegsetzende Widerspruchsbehörde oftmals gar nicht an dem gerichtlichen Verfahren beteiligt ist). 34
Lösung Fall 9: Die Anfechtungsklage ist nach Ablauf der Widerspruchsfrist (§ 70 I VwGO) erhoben worden. Hält man die Fristbestimmung mit der hier vertretenen Auffassung für zwingend, ist die Anfechtungsklage von vornherein unzulässig. Nichts anderes gilt, wenn man der Rspr folgt, weil es sich hier um einen VA mit Doppelwirkung handelt. VA mit Doppelwirkung, die den einen begünstigen und den anderen belasten, erwachsen nach Ablauf der Frist des § 70 VwGO in Bestandskraft. Diese Bestandskraft vermittelt dem durch den VA Begünstigten eine gesicherte Rechtsposition. Diese darf nur dann entzogen werden, wenn hierfür eine besondere Ermächtigungsgrundlage besteht. Weder die §§ 68 ff VwGO noch sonstige Bestimmungen enthalten eine solche Ermächtigungsgrundlage. Darf nach alledem die Widerspruchsbehörde wegen der durch die Bestandskraft der Baugenehmigung vermittelten gesicherten Rechtspositionen des Bauherren nicht über den verspäteten Widerspruch des Nachbarn sachlich entscheiden, kommt auch einer gleichwohl ergehenden Sachentscheidung eine die Fristversäumung heilende Wirkung nicht zu (BVerwG DÖV 1982, 940, 941).
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Ob sich die Widerspruchsfrist nach § 57 II VwGO iVm den §§ 222 I, II ZPO, 187 I, 188 II, III BGB oder nach den §§ 79, 31 I, III VwVfG iVm den §§ 187 I, 188 II, III BGB bestimmt 70 (weil § 70 VwGO nicht auf § 57 verweist), macht im Ergebnis keinen Unterschied. Die Widerspruchsfrist endet danach mit demjenigen Tag des der Bekanntgabe des VA folgenden Monats, der durch seine Zahl dem Anfangstag, also dem Tag der Bekanntgabe entspricht bzw ihm am nächsten kommt (zB Bekanntgabe 2.3., Fristablauf 2.4., es sei denn, es handelt sich zB um einen Sonntag, dann gem § 222 II ZPO bzw § 31 III VwVfG71 Fristablauf am Montag, dem 3.4.).72 Fehlt bei einer nach Monaten bestimmten Frist in dem letzten Monat der für ihren Ablauf maßgebende Tag, so endet die Frist mit dem Ablauf des letzten Tages dieses Monats 73 (zB Bekanntgabe 31.1., Fristablauf 28. oder 29.2.). Die Frist beginnt nur zu laufen, wenn der VA dem Kläger bekannt gegeben worden ist und eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung vorliegt (§ 70 II iVm § 58 I VwGO). Ist eine Bekanntgabe unterblieben, greifen die Grundsätze der Verwirkung ein.74 Bei feh-
68 BVerwG DÖV 1982, 940, 941. 69 Grundlegend von Mutius Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozessvoraussetzung 1969, 175 ff; vgl auch Meier Die Entbehrlichkeit des Widerspruchsverfahrens, 1992, 72 ff. 70 Vgl Schenke VerwPrR, Rn 673. 71 Vgl aber auch § 31 III 2 VwVfG. 72 Näher zum Ganzen Deckenbrock/Patzer JURA 2003, 476 ff. 73 Vgl § 57 II VwGO iVm §§ 222 I ZPO, 188 III BGB respektive §§ 79, 31 I VwVfG, 188 III BGB. 74 Vgl BVerwGE 44, 294, 300; 78, 85, 88.
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lender Belehrung gilt die Jahresfrist des § 58 II VwGO. Bei Fristversäumung kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht kommen (§ 70 II iVm § 60 VwGO). Näher dazu → § 20 Rn 19 ff.
b) Klagebefugnis Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist eine Anfechtungsklage gem § 42 II VwGO nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den VA in seinen Rechten verletzt zu sein.75 Mit dem Erfordernis der Geltendmachung einer eigenen Rechtsverletzung sollen sowohl Popularklagen als auch Interessentenklagen bloß tatsächlich beschwerter Personen ausgeschlossen werden.76 Da in einem subjektiv-rechtlich ausgerichteten Rechtsschutzsystem (zu § 47 VwGO → § 27 Rn 1) der Erfolg einer Klage in jedem Fall von dem Vorliegen einer eigenen Rechtsverletzung abhängt, hat die Klagebefugnis nur die Bedeutung, bestimmte Merkmale der Rechtsverletzung bereits im Rahmen der Zulässigkeit zu prüfen. Doch kann die Abgrenzung der Zulässigkeits- und Begründetheitsanforderungen Schwierigkeiten bereiten.77 Zudem dürfte es für die Abschreckung von Popularklägern und bloß faktisch betroffenen Interessenten idR unerheblich sein, ob eine Klage wegen Fehlens einer Klagebefugnis als unzulässig oder wegen mangelnder Rechtsverletzung als unbegründet abgewiesen wird.78
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(1) Erfordernis der Geltendmachung einer eigenen Rechtsverletzung Fall 10: Die Freie und Hansestadt Hamburg stellte entlang einer Straße das Verkehrszeichen 237 (Radfahrer) iSd § 41 II Nr 5 StVO auf. Es verpflichtet Radfahrer, die mit dem Zeichen 237 gekennzeichneten Radwege zu benutzen (§ 2 IV 2 StVO). P erhebt Klage gegen die Radweg-Benutzungspflicht, obwohl er mittlerweile in ein anderes Bundesland verzogen ist und das betreffende Straßenstück nur noch sehr gelegentlich befährt. Ist P klagebefugt?
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Fall 11: Q und X haben sich um eine ausgeschriebene Beamtenstelle beworben. Als Q erfährt, dass X ernannt worden ist, erhebt er Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (auf Aufhebung der Ernennung des X und eigene Ernennung), weil er der Meinung ist, dass er eine sehr viel bessere Eignung als X für die Beamtenstelle mitbringt.
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Fall 12: R, der auf der Grundlage einer bestandskräftigen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung in einem faktischen Baugebiet (Mischgebiet) im nichtqualifiziert beplanten Innenbereich einer Gemeinde ein Chemiewerk betreibt, wendet sich mit der Anfechtungsklage gegen eine dem beigeladenen Y erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Wohngebäudes auf einem ca. 300 Meter vom Betriebsgelände des R entfernt und in einem
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75 Vgl dazu Schlette JURA 2004, 90 ff. 76 Vgl – auch zur Kritik – Ehlers VerwArch 84 (1993), 139, 172 ff. 77 Die Gerichte nehmen deshalb bei Klageabweisung wegen fehlender Rechtsverletzung häufig keine klare Stellung zur Zulässigkeit der Klage. 78 Auch die Rechtskrafterstreckung ist in dem einen oder anderen Fall keine wesentlich andere. Vgl Ehlers VerwArch 84 (1993), 139, 172. So lange die VwGO an § 42 II VwGO festhält, muss das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschrift aber gesondert überprüft werden.
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anderen faktischen Baugebiet (allgemeines Wohngebiet) liegenden Grundstücks, weil er fürchtet, dass Y nach Errichtung des Wohngebäudes gegen den vom Chemiewerk ausgehenden Gewerbelärm vorgehen wird.
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Fall 13: S wendet sich mit einer verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage gegen einen Planfeststellungsbeschluss. Er beruft sich ausschließlich auf Einwendungen, die er erst 2 Monate nach Auslegung des Plans bei der Gemeinde erhoben hat.
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Unter „Rechten“ iSd § 42 II VwGO sind subjektive öffentliche Rechte zu verstehen, dh ör Regelungen, die zumindest auch dem Schutz der Regelungsadressaten bzw Betroffenen zu dienen bestimmt sind (Schutznormlehre) .79 Bei den Regelungen kann es sich nicht nur um normative Bestimmungen handeln. Vielmehr reichen rechtsgeschäftliche Regelungen (zB ein VA, eine Zusicherung oder ein ör Vertrag) aus. Kommen mehrere subjektive öffentliche Rechte in Betracht und sind diese in Regelungen unterschiedlicher Rangordnung verkörpert worden (zB Zusicherung und Parlamentsgesetz, Verordnung und Parlamentsgesetz, Parlamentsgesetz und Verfassungsrecht, primäres und sekundäres Gemeinschaftsrecht), gilt an sich der Anwendungsvorrang der niederrangigen Regelung 80, weil diejenige Rechtsquelle anzuwenden ist, die dem zu entscheidenden Fall am nächsten steht, und das niederrangige Recht konkreter bestimmt, was rechtens sein soll. Ist der Kläger Adressat eines in seine Rechtssphäre eingreifenden VA, kommt aber immer eine Verletzung der in Art 2 I GG garantierten allgemeinen Handlungsfreiheit in Betracht.81 Es kann dann dahinstehen, ob auch andere subjektive öffentliche Rechte verletzt sein können. Von einer Adressatentheorie sollte gleichwohl nicht gesprochen werden, weil § 42 II VwGO nicht auf Theorien, sondern auf das Recht abstellt und die Adressatentheorie in Drittbeteiligungsfällen (zB Nachbar- oder Konkurrentenklagen) ohnehin nicht weiterhilft. § 42 II VwGO verlangt die Geltendmachung einer Verletzung des Klägers in „seinen“ Rechten. Dies schließt – anders als im Zivilprozessrecht 82 – eine gewillkürte (im Gegensatz zur gesetzlichen) Prozessstandschaft 83 aus. Macht ein Verband die Verletzung eigener Rechte geltend – zB wenn sich ein Verein gegen ein Vereinsverbot wendet 84 oder in seiner Eigenschaft als Eigentümer eines Grundstücks klagt – ergeben sich keine Besonderheiten (sog Verbandsverletztenklage) (→ § 21 Rn 142 ff). Dagegen ist sowohl die Geltendmachung von Mitgliederrechten (sog juristische Verbandsklage) als auch von ausschließlich öffentlichen Interessen (sog altruistische Verbandsklage) unzulässig 85, es sei denn, es liegt ein Fall einer gesetzlichen Prozessstandschaft iSd § 42 II Hs 1 VwGO vor (→ Rn 52).
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79 Näher dazu Scherzberg in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 11 Rn 9 ff. 80 Zum Unterschied von Geltungsvorrang und Anwendungsvorrang vgl statt vieler Ehlers in: Erichsen/ders, Allg VerwR, § 2 Rn 90, § 5 Rn 4; Maurer Allg VerwR, § 4 Rn 50. 81 Vgl zur allgemeinen Handlungsfreiheit BVerfGE 6, 32, 37 – Elfes. 82 Vgl BGHZ 96, 151, 152 f. 83 Unter Prozessstandschaft versteht man das Recht, im eigenen Namen – dh als Partei – über ein fremdes Recht oder eine fremde Verbindlichkeit zu prozessieren. Vgl Jauernig Zivilprozessrecht, 29. Aufl 2007, § 22 II. 84 Vgl zB BVerwG NVwZ 1995, 595. 85 Die Terminologie ist uneinheitlich. Näher zu den verschiedenen Formen der Verbandsklagen Rehbinder in Kimminich, Handwörterbuch des Umweltrechts, 2. Aufl 1994, Sp 2559; Wahl/Schütz in:
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Wehrt sich eine Gemeinde gegen die Planung einer Fernstraße, kann sie sich auf die Verletzung ihres Selbstverwaltungsrechts in Gestalt der Planungshoheit (Art 28 II GG) – nicht aber auf die Gefährdung der Umwelt – berufen. Eine Universität kann sich gegen eine staatliche Anordnung auf die Verletzung der Wissenschaftsfreiheit (Art 5 III GG) – nicht aber auf eine Gesundheitsgefährdung der Studenten – berufen.86 § 42 II VwGO verlangt nicht, dass der Kläger tatsächlich in seinen Rechten verletzt ist (dann würde sich eine Begründetheitsprüfung erübrigen). Vielmehr bedarf es nur der Geltendmachung einer eigenen Rechtsverletzung. Die bloße Behauptung einer Rechtsverletzung ist nicht ausreichend. Andererseits kommt es nicht auf die Schlüssigkeit der Behauptung einer Rechtsverletzung oder jedenfalls Rechtsbeeinträchtigung an.87 Vielmehr besteht seit langem Einigkeit darüber, dass der Kläger nur die Möglichkeit einer eigenen Rechtsverletzung darlegen muss.88 Nach einer vom BVerwG vielfach verwendeten Formel fehlt es hieran, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die vom Kläger behaupteten Rechte bestehen oder ihm zustehen können.89 Diese Auffassung bedarf der Präzisierung, da sie offen lässt, ob auf das abstrakte oder konkrete Recht abzustellen ist. Nach der hier vertretenen Auffassung muss der Nachweis erbracht werden, dass es ein subjektives Recht der behaupteten Art in abstracto gibt, und das in abstracto bestehende Recht auch den Personenkreis schützt, dem sich der Kläger zurechnet (zB Nachbarn oder Konkurrenten). Sodann muss der Kläger die Verletzung eines eigenen subjektiven Rechts in concreto plausibel machen können. Insoweit (aber auch nur insoweit) reicht die Möglichkeit aus.90 Die Möglichkeit, dass der Kläger „durch den VA“ in seinen Rechten verletzt ist, besteht, wenn der Kläger einen Anspruch auf Aufhebung des VA geltend machen kann. Der Anspruch kann sich nur aus dem von der Verwaltung zu beachtenden Recht, nicht aus dem Prozessrecht ergeben. Die in § 42 II VwGO genannten Rechte sind mit dem Aufhebungsanspruch nicht vollkommen identisch, da der Aufhebungsanspruch erst aus der Rechtsverletzung resultiert. Jedoch ergibt sich aus den subjektiven öffentlichen Rechten im Falle einer Verletzung regelmäßig auch ein Anspruch auf Folgenbeseitigung und damit auf Aufhebung rechtswidriger Beeinträchtigungen. Das gilt nicht nur für die Grundrechtsbestimmungen 91, sondern auch für die sonstigen subjektiv-rechtlich unterfangenen Rechtspositionen. Daher ist der Kläger im Falle der Möglichkeit einer eigenen Rechtsverletzung immer klagebefugt. Lösung Fall 10: P ist gem § 42 II VwGO klagebefugt, wenn er geltend machen kann, durch das Radweg-Benutzungsgebot in seinen Rechten verletzt zu sein. Dazu ist erforderlich, dass das Klagevorbringen es zumindest als möglich erscheinen lässt, dass die angefochtene Maß-
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Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 42 Abs. 2 Rn 228 ff; Koch Umweltrecht, 2. Aufl, 2007, § 7 Rn 125 ff. Vgl zur ersten Fallkonstellation BVerwGE 100, 388; BVerwG, NVwZ 2001, 1160 amtliche Entscheidungssammlung, zur zweiten Hufen VerwPR, Rn 102. Vgl demgegenüber aber zB Ule Verwaltungsprozessrecht, 9. Aufl 1987, § 33 II mwN. Vgl statt vieler Lorenz VerwPrR, § 18 Rn 11; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 155. BVerwG DVBl 1964, 191; BVerwGE 18, 154, 157; 36, 192, 199 f; 44, 1, 2 f. Vgl auch Ehlers VerwArch 84 (1993), 139, 148. Zur Fundierung des Folgenbeseitigungsanspruches in den Grundrechten vgl BVerwGE 82, 76, 95; Schoch VerwArch 79 (1988), 1, 34 f; Ossenbühl Staatshaftungsrecht, 5. Aufl 1998, 293 ff.
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nahme eigene Rechte verletzt.92 Ist jemand Adressat eines ihn belastenden VA, kommt zumindest eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit gem Art 2 I GG in Betracht. Die Klagebefugnis erscheint auch nicht deshalb als ausgeschlossen, weil P nach dem Umzug nicht mehr nachhaltig bzw regelmäßig von der Verkehrsregelung betroffen wird und damit die Einräumung eines Anfechtungsrechts der Zulassung einer unzulässigen Popularklage gleichkomme. Das Erfordernis nachhaltiger oder regelmäßiger Betroffenheit lässt sich § 42 II VwGO nicht entnehmen.93 Ist eine Rechtsverletzung möglich, besteht die Klagebefugnis unabhängig davon, ob es sich um eine einmalige oder wiederholte Rechtsverletzung handelt. Schon nach Art 19 IV 1 GG kann es dem Bürger nicht zugemutet werden, vereinzelte Rechtsverletzungen zu erdulden, ohne dagegen gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen zu können. Das verkehrsbeschränkende Anordnungen von vielen Verkehrsteilnehmern angefochten werden können, liegt in ihrer Natur als Massenverwaltungsakte begründet und hat mit der Popularklage nichts zu tun. Nach alledem ist P klagebefugt, obwohl er mittlerweile nicht mehr in Hamburg wohnt und das fragliche Straßengrundstück nur noch gelegentlich befährt.94
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Lösung Fall 11: Nach der vom BVerfG 95 im Grundsatz gebilligten Rspr des BVerwG 96 kann eine einmal erfolgte Beamtenernennung im Interesse des Vertrauensschutzes sowie wegen der Ämterstabilität und der eine rechtswidrige Beamtenernennung abschließend regelnden (sich nicht auf den Fall des Art 33 II GG beziehenden) beamtenrechtlichen Rücknahmebestimmungen nicht aufgehoben werden. Folgt man dieser Ansicht, müsste die Klage des Q an sich an der Klagebefugnis scheitern, weil das behauptete Recht dem Q offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise zustehen kann. Indessen vermag die Auffassung der Rspr nicht zu überzeugen. Vertrauensschutz kann erst nach Bestandskraft eintreten, der ungeschriebene Grundsatz der Ämterstabilität vermag nicht Art 33 II GG auszuhebeln und die Frage der Rücknehmbarkeit von Ernennungen durch die Verwaltung hat nichts mit der gerichtlichen Anfechtung nicht bestandskräftiger VA zu tun.97 Zum anderen verlangt auch das BVerfG, dass der unterlegene Bewerber um eine beamtenrechtliche Stelle innerhalb einer für seine Rechtsschutzentscheidung ausreichenden Zeitspanne vor der Ernennung des Mitbewerbers durch eine Mitteilung Kenntnis vom Ausgang des Auswahlverfahrens erlangen muss, damit er dagegen im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes vorgehen kann 98. Trifft dies nicht zu (wie im Falle des Q), muss der Rechtsschutzsuchende zumindest die Möglichkeit haben, das VG anzurufen. Demnach ist Q als klagebefugt anzusehen.99
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Vgl nur BVerwGE 92, 32, 35. BVerwG DÖV 2004, 166 f → JK VwGO § 42 II/26. Vgl BVerwG DÖV 2004, 166 f → JK VwGO § 42 II/26. BVerfG-K NJW 1990, 501; DVBl 2002, 1633. BVerwGE 80, 127, 129 f; 118, 370, 372 f → JK GG Art. 19 IV/25. Vgl auch statt vieler Schenke VerwPrR, Rn 524. BVerfG-K NJW 1990, 501 f; DVBl 2002, 1633. Vgl auch OVG NRW NWVBl 2006, 262 → JK GG Art 33 II/21. Vgl aber auch BVerwGE 118, 370 → GG Art. 19 IV/25 (wird entgegen einer einstweiligen Anordnung ein Mitbewerber befördert, so kann der im vorläufigen Rechtsschutz obsiegende Beamte seinen Bewerbungsverfahrensanspruch im Hauptsacheverfahren weiter verfolgen. Das setzt nicht die Möglichkeit voraus, die bereits erfolgte Ernennung aufzuheben).
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Lösung Fall 12: Die Zulässigkeit der Klage hängt davon ab, ob R gem § 42 II VwGO klagebefugt ist. Dann müsste er sich auf ein subjektives Recht berufen können. Im Bauplanungsrecht wird der Festsetzung eines B-Plans über die Art der baulichen Nutzung generell eine nachbarschützende Funktion zu Gunsten der Planbetroffenen zuerkannt.100 Ein solcher genereller Gebietserhaltungsanspruch steht gem § 34 II BauGB iVm der BauNVO auch dem Nachbarn eines nicht (qualifiziert) beplanten Innenbereichs zu.101 Ferner kann sich X auf das sich aus den §§ 34 II BauGB, 4 BauNVO (allg. Wohngebiet) iVm § 15 I 2 BauNVO – im Übrigen aus § 34 I 1 BauGB „einfügen“ – ergebende drittschützende 102 Gebot der Rücksichtnahme berufen (relativer Nachbarschutz).103 Da sowohl der Gebietswahrungsanspruch als auch das Gebot der Rücksichtnahme möglicherweise verletzt wurden, ist X klagebefugt. Der BayVGH hat die Klage aber als unbegründet abgewiesen, weil der Gebietsbewahrungsanspruch einem Eigentümer, dessen Grundstück sich außerhalb des Baugebiets befindet, nicht zusteht und weil die Zumutbarkeitsgrenze in Gestalt der Richtwerte der TA-Lärm für das allg Wohngebiet, in dem Y bauen möchte, eingehalten worden ist.104
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Umstritten ist, ob und ggf wann eine Präklusion die Klagebefugnis entfallen lässt. Unter Präklusion versteht man den Ausschluss von Rechten. Zu unterscheiden ist zwischen formeller und materieller Präklusion.105 Im Falle einer lediglich formellen Präklusion hat der Ausschluss verspätet geltend gemachter, verspätet vorgebrachter Äußerungen oder Einwendungen nur verfahrensrechtliche Bedeutung. Die Verwaltungsbehörde muss oder darf die verspäteten Äußerungen respektive Einwendungen nicht mehr berücksichtigen.106 Dagegen zeichnet sich eine materielle Präklusion dadurch aus, dass sie Einwendungen oder Ansprüche des Betroffenen nicht nur für das Verwaltungsverfahren, sondern auch für das gerichtliche Verfahren ausschließt: sei es durch Besetzung von Ausschlussfristen 107 (sog Verwirkungspräklusionen) oder durch den Erlass vorgelagerter, bestandskräftig gewordener VA 108 (sog Bestandskraftpräklusion). Die materielle Präklusion wird teils als Rechtsuntergang, teils als Rechtslähmung gedeutet.109 Im Hinblick auf die Sachentscheidungsvoraussetzungen wird sie der Klagebefugnis zugeordnet 110, als Unterfall der Verwir-
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100 Schoch JURA 2004, 317, 319; Brohm Öffentliches Baurecht, 3. Aufl 2002, § 19 Rn 18. 101 Grundl BVerfGE 94, 151, 156. 102 Nach BVerwGE 82, 343, 347 kommt dem Gebot der Rücksichtnahme drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Vgl auch BVerwGE 67, 334, 339; BVerwG, NVwZ 2007, 587. 103 Näher zum Gebot der Rücksichtnahme Schoch JURA 2004, 317, 320 ff. 104 BayVGH BauR 2007, 505 → JK BauGB § 34 II/2. 105 Näher dazu statt vieler Degenhart FS Menger, 621 ff; Brandt NVwZ 1997, 233 ff. 106 Vgl für den Fall der sog Behördenpräklusion §§ 71 d II, 73 IIIa 2 VwVfG. 107 Vgl zB §§ 73 IV 3 VwVfG, 10 III 3 BImSchG, 61 III BNatSchG. 108 Vgl zB §§ 75 II 1 VwVfG, 14 BImSchG (nur Ausschluss von privatrechtlichen Abwehransprüchen); 11 I WHG. Näher zur Präklusion subjektiver Rechte bei einer Stufung des Verwaltungsverfahrens Schenke VerwPrR, Rn 502g ff. Näher zur Verwirkung; → § 21 Rn 203 f. 109 Vgl Brandt NVwZ 1997, 233, 235; Oexle Das Rechtsinstitut der materiellen Präklusion in den Zulassungsverfahren des Umwelt- und Baurechts, 2000, S. 19 ff. 110 Vgl Steinberg Fachplanung, 3. Aufl 2000, § 2 Rn 90; Wahl/Schütz in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 42 II Rn 107; Kuhla/Hüttenbrink/Endler Der Verwaltungsprozess, 3. Aufl 2002, D 80; Würtenberger VerwPrR Rn 294; Jarass BImSchG, 7. Aufl 2007, § 10 Rn 98.
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kung und damit des Rechtsschutzbedürfnisses angesehen 111 oder als eigenständige negative Sachentscheidungsvoraussetzung (Prozesshindernis 112) qualifiziert. Nach der hier vertretenen Ansicht kann der Kläger im Falle einer offensichtlichen eindeutigen Präklusion keine Rechtsverletzung iSd § 42 II VwGO mehr geltend machen. Im Übrigen muss im Rahmen der Begründetheit der Anfechtungsklage geprüft werden, ob die (eine Rechtsverletzung ausschließenden) tatbestandlichen Voraussetzungen für den Eintritt der normativ angeordneten materiellen Präklusionen gegeben sind.113 49
Lösung Fall 13: Ein Planfeststellungsbeschluss ist anders als ein Bebauungsplan (§ 10 I BauGB) ein VA114, so dass eine verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage in Betracht kommt. Der Nachprüfung in einem Vorverfahren bedarf es nicht (§ 74 I 2 iVm § 70 VwVfG). Die Einwendungen des S sind mit Ablauf der 2-Wochen-Frist (§ 73 IV 1 VwVfG) aber materiell präkludiert (§ 73 IV 3 VwVfG), dh mit Wirkung für das gerichtliche Verfahren ausgeschlossen. Die Anfechtungsklage kann somit keinen Erfolg haben. Da nur über das präkludierte Vorbringen gestritten wird und die Präklusion offensichtlich und eindeutig ist, fehlt nach der hier vertretenen Auffassung die Klagebefugnis (nach anderer Auffassung ist die Klage wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses oder wegen eines Prozesshindernisses abzuweisen).
(2) Vorbehalt anderweitiger gesetzlicher Bestimmungen 50
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Nach § 42 II Hs 1 VwGO muss der Kläger eine Rechtsverletzung nur geltend machen, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist. Wird von der Möglichkeit, abweichende Regelungen zu erlassen Gebrauch gemacht, wirkt sich dies auf die Begründetheitsprüfung der Anfechtungsklage nach § 113 I 1 VwGO aus (→ Rn 79). Notwendig sind Regelungen des parlamentarischen Gesetzgebers. Die Ermächtigung zu abweichenden Regelungen richtet sich nicht nur an den Bundesgesetzgeber (der ohnehin durch frühere Gesetze nicht gebunden werden kann) sondern auch und gerade an die Landesgesetzgeber. ZB lassen das rheinland-pfälzische und das saarländische Ausführungsgesetz zur VwGO sogenannte Aufsichtsklagen von Behörden gegen Widerspruchsbescheide bei bloßer Geltendmachung einer Rechtswidrigkeit (statt Rechtsverletzung) zu. Insgesamt gesehen gibt es nur wenige anderweitige gesetzliche Bestimmungen. Diese beziehen sich zumeist auf die Zulassung egoistischer oder altruistischer Verbandsklagen (→ Rn 42). ZB kann eine Handwerks- oder Industrie- und Handelskammer unter bestimmten Voraussetzungen gegen Ausnahmen zur Eintragung in die Handwerksrolle (§ 8 IV HandwO), die Eintragung in die Handwerksrolle (§ 12 HandwO) oder die Untersagung der Fortsetzung des Handwerksbetriebs (§ 16 X 4 iVm § 12 HandwO) klagen. Besondere Bedeutung kommt der Erweiterung der Klagerechte aufgrund anderweitiger gesetzlicher Bestimmungen aber im Umweltrecht zu.115 So können nach Bundes- oder Landesrecht anerkannte Naturschutzvereine gem § 61 BNatSchG gegen bestimmte Befreiungen von Verboten und Geboten sowie Planfeststellungsbeschlüsse Rechtsbehelfe
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Vgl Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, GG, Art 19 IV Rn 234, 260. Oexle (Fn 109), 29. Vgl auch BVerwGE 66, 99, 106 f. BVerwGE 29, 282, 283; 38, 152, 156. Grundlegend Rehbinder/Burgbacher/Knieper Bürgerklage im Umweltrecht, 1972; vgl hierzu auch Koch NVwZ 2007, 369 ff.
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nach Maßgabe der VwGO einlegen, ohne dass die Geltendmachung einer Verletzung in eigenen Rechten verlangt wird.116 Allerdings ist eine Klage nur zulässig, wenn der Verein geltend macht, dass Normen verletzt sind, die zumindest auch den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu dienen bestimmt sind.117 Die Länder können Rechtsbehelfe von Vereinen auch in anderen Fällen zulassen.118 Eine ähnliche Regelung hat das der Umsetzung der UVP-RL (85/337/EWG) und IVU-RL (96/61/EG) der Europäischen Gemeinschaft 119 sowie der völkerrechtlichen Aarhus-Konvention 120 dienende Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz 121 (URG) getroffen. Doch verlangt § 2 I Nr 1 URG zusätzlich, dass die von den anerkannten Umweltvereinigungen als verletzt gerügte Vorschrift Rechte Einzelner begründen kann. Damit hat sich das Gesetz für einen Mittelweg zwischen subjektivem und objektivem Rechtsschutz entschieden.122 Zwar dürfen die Umweltvereinigungen gegen bestimmte Entscheidungen über Umweltverträglichkeitsprüfungen und bestimmte Anlagengenehmigungen klagen, ohne eigene Rechte geltend machen zu müssen. Doch wird eine rein altruistische Verbandsklage (anders als im Naturschutzrecht) gerade nicht zugelassen. Um subjektive Rechte Einzelner geltend machen zu können, bedarf es in der Regel keines Verbandsklagerechts, weil Umweltverbände ohnehin die Möglichkeit haben, Einzelkläger zu unterstützen.123
(3) Einwirkung des Europäischen Gemeinschaftsrechts Fall 14: Für den Betrieb eines Steinbruchs der A-AG wurde ein Rahmenbetriebsplan gem § 57a BBergG durch die zuständige Behörde planfestgestellt, ohne dass die notwendige Umweltverträglichkeitsprüfung gem den Anforderungen der RL 85/337/EWG durchgeführt wurde. T hat gegen den Planfeststellungsbeschluss verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage erhoben.
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Werden VA von nationalen Behörden in Vollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts erlassen, richtet sich die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage zwar nach der VwGO, doch kann diese anders als im Falle der Beantragung von Rechtsschutz gegen VA zu interpretieren sein, deren Rechtmäßigkeit sich nur nach nationalem Recht bestimmt (→ § 6 Rn 6) 124 Findet Gemeinschaftsrecht unmittelbare Anwendung – zB wie sich der Kläger auf eine Grundfreiheit des Gemeinschaftsrechts, eine Verordnung oder eine unmittelbar anwendbare Richtlinie beruft –, beurteilt sich ausschließlich nach Gemeinschaftsrecht, ob dieses
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116 Näher dazu Gellermann in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 61 BNatSchG Rn 2 ff. 117 § 61 II Nr 1 BNatSchG. Ferner muss der Verein in seinem satzungsmäßigen Aufgabenbereich berührt und sein Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen sein. § 61 II Nr 2, 3 BNatSchG. 118 § 61 V 1 BNatSchG. Vgl auch die Auflistung von Landesregelungen bei Sodan ders/Ziekow, VwGO § 42 Rn 405. 119 Die genannten Richtlinien sind durch die Öffentlichkeitsbeteiligungs-RL 2003/35/EG an die völkerrechtliche Aarhus-Konvention angepasst worden. 120 BGBl 2006 II, 1251. 121 BGBl 2006 I, 2816. 122 Vgl Ziekow NVwZ 2007, 259, 260 f. 123 Vgl Koch NVwZ 2007, 369, 379. Zur Vereinbarkeit des § 2 I URG mit dem Gemeinschaftsrecht und zur rechtspolitischen Einordnung vgl auch Ziekow NVwZ 2007, 259, 260 f; Ewer NVwZ 2007, 267, 272 f; Fischer-Lescano JZ 2008, 373, 378 f. 124 Vgl Ehlers Europäisierung, 47 ff; Schoch in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, 507, 516 ff.
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dem Kläger ein Recht verleiht. Entgegen einer früher in der Lit vertretenen Ansicht 125 fordert das Gemeinschaftsrecht weder generell Popularklagen zur Einklagbarkeit objektiven Gemeinschaftsrechts noch Interessentenklagen, die eine bloß faktische Betroffenheit ausreichen lassen. Vielmehr liegt der Ansatz der Schutznormlehre des deutschen Rechts (→ Rn 41) auch dem Gemeinschaftsrecht zugrunde.126 Allerdings ist der EuGH bei der Zuerkennung subjektiver Rechte tendenziell großzügiger als das deutsche Recht: wohl auch weil stärker als in Deutschland betont wird, dass die Wirksamkeit von Rechtsnormen nicht zuletzt von ihrer Einklagbarkeit abhängt. So hat der EuGH im Umweltrecht Grenzwertbestimmungen zum Schutz der menschlichen Gesundheit als klagefähige Rechte eingestuft 127, während in Deutschland solche Bestimmungen traditionell oftmals den nicht als Drittschutz angesehenen Vorsorgebestimmungen zugeordnet werden. Demgemäß lässt sich bei Anwendung des Gemeinschaftsrechts von einer gemeinschaftsrechtlich aufgeladenen Schutznormlehre sprechen.128 Für die Verwaltungsgerichte bedeutet dies, dass Klagen wegen der Vergrößerung der Rechtsmasse und der Vermehrung subjektiver Rechte zunehmen werden. Insbesondere verbürgt das Gemeinschaftsrecht in größerem Ausmaße als das deutsche Recht Verfahrensrechte, die selbständig geltend gemacht werden. Beispielhaft kann auf die Umweltinformationsrichtlinie 129 verwiesen werden, die in Deutschland durch das Umweltinformationsgesetz umgesetzt worden ist und grundsätzlich jedermann einen verfahrensunabhängigen Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen gewährt (§ 3 UIG). Sind deutsche Umsetzungsnormen erlassen worden, müssen diese gemeinschaftsrechtskonform interpretiert werden. Auch hieraus können sich Rechte iSd § 42 II VwGO ergeben. Lässt sich dem Gemeinschaftsrecht nichts für die Einräumung subjektiver Rechtspositionen entnehmen, muss gleichwohl der Äquivalenzgrundsatz des Gemeinschaftsrechts beachtet werden (→ § 6 Rn 6). Dies bedeutet, dass der Gerichtsschutz nicht weniger günstig ausgestaltet sein darf als bei entsprechenden innerstaatlichen Klagen. Deshalb dürfte die Beschränkung einiger Grundrecht iSd Grundgesetzes auf deutsche Personen oder die Ausklammerung ausländischer juristischer Personen (Art 19 III GG) im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts zumindest grundsätzlich nicht auf EG-Ausländer anwendbar sein.130 Gewährt das Gemeinschaftsrecht dem Einzelnen weitergehende Rechtspositionen als das deutsche Recht und muss letzteres deshalb gemeinschaftskonform angereichert werden, handelt es sich um Rechte iSd § 42 II VwGO, nicht um anderweitige gesetzliche Bestimmungen iSd Vorschrift.131 Zum einen sind subjektive Rechte des Gemeinschaftsrechts nicht anders zu behandeln als solche des nationalen Rechts. Zum anderen
125 Vgl die Meinungsübersicht bei Ehlers Europäisierung, 48 ff; Dünchheim Verwaltungsprozessrecht unter europäischem Einfluss, 2003, 167; Gellermann in: Rengeling/Middeke/Kellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2. Aufl 2003, § 36 Rn 15 ff. 126 Vgl Stern JuS 1998, 769, 771; Schoch NVwZ 1999, 457, 464; Ehlers DVBl 2004, 1441, 1445; Dörr/Lenz Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 2006, Rn 431 f. 127 EuGH, Slg 1991, I-825 Rn 3 ff; Slg 1991, I-2567 Rn 15 ff; Slg 1991, I-2607 Rn 18 ff; Slg 1991, I-4983 Rn 13 ff. Zum Anspruch auf die Erstellung von Aktionsplänen zur Luftreinhaltung vgl EuGH Rs C-237/07, Urt v 25.7.2008, Rn 35 ff – Janecek → JK BIm SchG, § 47 II/1. 128 Dörr in: Sodan/Ziekow, VwGO, EVR, Rn 234; ders DVBl 2008, 1401, 1405. 129 RL 2003/4 EG. 130 Näher zur Problemstellung statt vieler Wernsmann JURA 2000, 657 ff. 131 Vgl Ehlers DVBl 2004, 1441, 1446; Würtenberger VerwPrR, Rn 72; aA Wahl in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, Vor § 42 Abs 2 Rn 127 f.
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kann auch in solchen Fällen grundsätzlich kein objektiver Rechtsschutz erlangt werden. So ist eine Anfechtungsklage nur begründet, wenn der Kläger in seinen Rechten verletzt ist. Anderweitige Bestimmungen iSd § 42 II VwGO sind nur prozessuale Normierungen des Gemeinschaftsrechts, die Klagen ohne die Geltendmachung einer eigenen Rechtsverletzung ermöglichen (wie zB Verbandsklagen).132 Lösung Fall 14: 133 Die Klage des T kann nur zulässig sein, wenn T klagebefugt ist. Das BVerwG hat es abgelehnt, Verstößen gegen die auf die UVP-RL 134 zurückgehenden UVPVorschriften über die Durchführung einer UVP drittschützenden Charakter beizumessen. Verstöße könnten nur vor Gericht angegriffen werden, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Verfahrensfehler die Entscheidung anders ausgefallen wäre.135 Doch ist das nationale Recht gemeinschaftskonform zu interpretieren. Ob der Einzelne unmittelbar aus der UVP-RL bei Vorliegen der normativen Voraussetzungen ein Recht auf Durchführung einer UVP herleiten kann, ist umstr. Der Rspr des EuGH lässt sich dies bisher nicht entnehmen. Jedenfalls besteht aber immer die konkrete Möglichkeit, dass ohne die Verfahrensfehler die Entscheidung anders ausgefallen wäre. Sind materielle Rechte des Einzelnen betroffen, kann dieser daher auch den Verfahrensfehler (fehlende Durchführung einer UVP) rügen.136 Die besonderen verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Ermittlung, Darstellung und Bewertung der Umweltauswirkungen eines Vorhabens sind nämlich nicht Selbstzweck, sondern dienen der besseren Durchsetzung von Umweltbelangen.137
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c) Richtiger Klagegegner Fall 15: Wer ist richtiger Klagegegner einer verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage, wenn der VA von einer auf der Grundlage des § 44 III BHO (Sart Nr 700) tätig gewordenen juristischen Person des privaten Rechts erlassen wurde oder sich die Klage gegen die Baugenehmigung sowie einen im Wege der Ersatzvornahme erlassenen VA eines bayerischen Landrats richtet?
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Nach § 78 I VwGO ist die Anfechtungsklage gegen den Bund, das Land respektive die Körperschaft, deren Behörden den angefochtenen VA erlassen hat (Nr 1) oder – sofern das Landesrecht dies bestimmt – gegen die Behörde selbst zu richten, die den angefochtenen VA erlassen hat (Nr 2).138 Der Begriff der Körperschaft ist in einem weiten Sinne zu verstehen.139 Er umfasst alle juristischen Personen und teilrechtsfähigen Vereinigungen (→ § 21 Rn 147 ff) des öffentlichen Rechts. Somit gilt bei Einschlägigkeit des § 78 I Nr 1 VwGO das Rechtsträgerprinzip, bei Eingreifen des § 78 I Nr 2 VwGO das Behörden-
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Vgl dazu Epiney NVwZ 1999, 485, 488 ff. Vgl zu einer ähnlichen Fallgestaltung EuGH, Slg 2004, I-723-Wells. RL 85/337/EWG, geändert durch RL 2003/35/EG. Vgl BVerwGE 98, 339, 361 f; 100, 238, 252; 104, 236, 241; OVG NRW, NVwZ-RR 2004, 408, 409; NWVBl 2006, 334, 336; Saarl OVG, LKRZ, 2008, 74. Krit zur Rspr des BVerwG vgl bereits Kadelbach Allgemeines Verwaltungsrecht unter Europäischem Einfluss, 1999, 421 f; Pietzcker FS Maurer, 2001, S 695, 711; Schoch in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, 507, 524 f. BVerwGE 98, 339, 361 f. Krit zur Zweckmäßigkeit der Unterscheidung (zu Recht) Klenke NWVBl 2004, 85 ff. Vgl Brenner in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 78 Rn 22.
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prinzip. Hat der Bund gehandelt, ist immer das Rechtsträgerprinzip maßgebend, weil die Länder nicht die Rechtsmacht haben, Bestimmungen darüber zu treffen, wer für den Bund (passiv) prozessführungsbefugt sein soll.140 Von der Ermächtigung des § 78 I Nr 2 VwGO haben ganz oder teilweise die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, das Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein Gebrauch gemacht.141 Da Gegenstand der Anfechtungsklage gem § 79 I Nr 1 VwGO grundsätzlich der ursprüngliche VA in der Gestalt ist, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, ist der Rechtsträger der Ausgangsbehörde respektive die Ausgangsbehörde selbst und nicht der Rechtsträger der Widerspruchsbehörde oder die Widerspruchsbehörde selbst in aller Regel richtiger Klagegegner. Wird der Widerspruchsbescheid isoliert angegriffen, weil dieser erstmalig (§ 78 II VwGO) oder zusätzlich (§ 79 II 3 iVm § 78 II VwGO) eine Beschwer enthält, gilt anderes. Ist der VA zunächst in vollem Umfang in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, angefochten worden, beschränkt der Kläger aber die Klage später auf die erst durch den Widerspruchsbescheid auferlegte zusätzliche Beschwer, soll nach Ansicht des BVerwG 142 der Rechtsträger der Ausgangsbehörde (respektive die Ausgangsbehörde selbst) richtiger Beklagter bleiben. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden,143 weil durch die teilweise Rücknahme des Klagebegehrens der Ausgangsbescheid bestandskräftig wird und damit dieselbe Situation eintritt, die bestanden hätte, wenn der Kläger sich von Anfang an darauf beschränkt hätte, nur den verbösernden Widerspruchsbescheid anzufechten. Ob der Austausch des Klagegegners rechtmäßig ist, beurteilt sich nach § 91 VwGO (Klageänderung). In Rspr und Lit wird vielfach die Auffassung vertreten, § 78 VwGO regele nicht die Zulässigkeit (passive Prozessführungsbefugnis), sondern die Begründetheit (Passivlegitimation) der Klage (dh die Frage, gegen wen sich der Aufhebungsanspruch richtet).144 Dieser Auffassung ist nicht zu folgen 145. Schon die prozessuale Fassung der Norm spricht dafür, dass es sich um eine Sachentscheidungsvoraussetzung handelt. Statt von einem Anspruchsgegner (wie bei einer Regelung der Passivlegitimation zu erwarten gewesen wäre) ist lediglich die Rede davon, gegen wen die Klage zu richten ist. Ferner steht § 78 VwGO in einem Abschnitt der VwGO, der sich mit Sachentscheidungs- und nicht mit Begründetheitsvoraussetzungen befasst. Auch ist nicht ersichtlich, warum die VwGO, die keine Regelung der Aktivlegitimation enthält, die Passivlegitimation regeln sollte. Dem Bundesgesetzgeber steht gar nicht die Befugnis zu, Regelungen darüber zu treffen, wer richtiger Anspruchsgegner iSd Landesrechts ist. Ferner sind Behörden nur Organe von Rechtsträgern nicht aber selbst materiell Verpflichtete. Dass es sich im Falle des § 78 I VwGO nicht um
140 Vgl Ehlers FS Menger, 379, 391; Meissner in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 78 Rn 39. 141 §§ 8 II Bbg VwGG; 14 II AGGOrgG MV; 8 II AGVwGO NDS; 5 II AGVwGO NRW; 19 II AGVwGO Saarl; 8 S 2 AGVwGO LSA 6 S 2 AGVwGO SH. 142 NVwZ 1987, 215 f. 143 Vgl Meissner in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 78 Rn 44. 144 Vgl BVerwG NVwZ-RR 1990, 44; BayVGH BayVGL 1990, 312; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 238; Happ in: Eyermann, VwGO, § 78 Rn 1 ff; Redeker/v. Oertzen VwGO, § 78 Rn 11. Vgl auch Brenner in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 78 Rn 1 ff, sowie Würtenberger VerwPrR, Rn 509 f (die zwischen § 78 I Nr 1 u Nr 2 VwGO differenzieren). 145 Vgl Ehlers FS Menger, 381 ff; Jestaedt NWVBl 1989, 47; Meissner in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 78 Rn 4 ff; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 242; Kopp/Schenke VwGO, § 78 Rn 1.
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eine Regelung der Passivlegitimation handeln kann, tritt noch klarer zutage, wenn eine Verpflichtungsklage erhoben worden ist. Wurde der VA bei einer unzuständigen Stelle beantragt, müsste das Verständnis des § 78 I Nr 2 VwGO als Regelung der Passivlegitimation zu dem untragbaren Ergebnis führen, dass die unzuständige Stelle nunmehr passivlegitimiert, dh sachlich zuständig ist. Hat der Kläger zu Unrecht die Behörde als Beklagte angegeben, ist dies gem § 78 I Nr 1 Hs 2 VwGO unschädlich. Für den umgekehrten Fall (Bezeichnung des Rechtsträgers statt der Behörde) dürfte im Ergebnis regelmäßig nichts anderes gelten, weil der Vorsitzende jeweils gem § 86 III VwGO verpflichtet ist, den Kläger darauf hinzuweisen, wer der richtige Beklagte ist (falls nicht eine entsprechende Anwendung des § 78 I Nr 1 Hs 2 VwGO in Betracht kommen sollte).146 Lösung Fall 15: Eine juristische Person des privaten Rechts, die nach Maßgabe des § 44 III BHO tätig wird, handelt als Beliehene. Nach hM kommt den Beliehenen sowohl die Stellung eines Verwaltungsträgers als auch einer Behörde zu.147 Zu verklagen ist dann stets der Beliehene selber.148 Nach einer beachtlichen Mindermeinung ist der Beliehene nur als Behörde des Beleihenden Verwaltungsträgers anzusehen.149 Bei Zugrundelegung dieser Auffassung ist bei Einschlägigkeit des § 78 I Nr 1 VwGO der Beleihende Verwaltungsträger (Bund oder bundesmittelbare „Körperschaft“) zu verklagen. Da in Bayern von § 78 I Nr 2 VwGO kein Gebrauch gemacht wurde und der Landrat eine Doppelstellung innehat (sowohl Behörde des Landkreises als auch untere staatliche Verwaltungsbehörde) kommt es darauf an, ob er staatliche Aufgaben oder Landkreisaufgaben wahrgenommen hat. Die Aufgaben der Bauaufsichtsbehörde sind in Bayern Staatsaufgaben.150 Daher ist die Klage gegen die Baugenehmigung gegen den Freistaat zu richten. Bei einer kommunalen Ersatzvornahme wird die kommunale Aufsichtsbehörde „anstelle“ der Kommune tätig. Hieraus zieht die wohl hM den Schluss, dass die ersatzweise getroffene Maßnahme im Außenverhältnis der Kommune zuzurechnen ist.151 Richtiger Klagegegner ist dann die Gemeinde. Nach einer vielfach vertretenen gegenteiligen Auffassung soll es dagegen auf die handelnde Behörde bzw deren Rechtsträger ankommen.152 In Bayern wäre dann der Landkreis zu verklagen.
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d) Klagefrist Fall 16: Die Widerspruchsbehörde hat einen am 5.3. verfassten und an U adressierten Abgabenbescheid mittels eingeschriebenen Briefes dem Rechtsanwalt R des U zugestellt. Der Bescheid ist am Samstag, den 8.3., in das Postfach des R gelegt worden. Da R am Samstag nicht arbeitet, wurde das Schreiben erst am Montag, den 10.3. dem Postfach entnommen. Am 9.4. erhebt R im Auftrag des U Klage. Ist die Klagefrist gewahrt worden?
146 147 148 149 150 151 152
Meissner in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 78 Rn 58. Vgl Burgi in: Erichsen/Ehlers, Allg VerwR, § 9 Rn 24, 30; Maurer AllgVerwR, § 23 Rn 56, 59. Vgl Ehlers FS Menger, 379, 387 f. Stelkens NVwZ 2004, 304. Art 54 I BayBO. BayVGH BayVBl 1976, 48 f; Knapp/Rawert JuS 1986, 631, 638; Diewald BayVBl 2006, 40, 42 ff. OVG NRW NVwZ-RR 1990; Würtenberger VerwPrR, Rn 603 (mit der pragmatischen Erwägung, dass eine Gemeinde im Prozess kein großes Interesse zeigen wird, den ihr durch Ersatzvornahme aufgedrängten VA zu verteidigen); Schenke VerwPrR, Rn 549.
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Die Anfechtungsklage muss gem § 74 I VwGO innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids (§ 73 III 2 iVm dem VwZG des Bundes) oder (wenn ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich ist) innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des VA erhoben werden. Die Monatsfrist ist sowohl mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht 153 als auch mit Art 6 I 1 und Art 13 EMRK (sofern diese Vorschriften überhaupt für den Verwaltungsprozess von Bedeutung sind 154) vereinbar. Wird die Klage vor Ablauf der Monatsfrist bei einem Gericht einer unzuständigen Gerichtsbarkeit oder einem sachlich oder örtlich unzuständigen Verwaltungsgericht eingelegt (§§ 83 VwGO, 17b I 2 GVG), ist die Frist gewahrt worden. Für die Berechnung der Klagefrist gelten dieselben Grundsätze wie für die Widerspruchsfrist (→ Rn 31 ff). War der Kläger ohne Verschulden verhindert, die gesetzliche Frist einzuhalten ist ihm nach Maßgabe des § 60 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Zustellung des Widerspruchsbescheids oder ist der Widerspruchsbescheid bzw VA einem hierdurch belasteten Dritten nicht mitgeteilt worden, bestimmt sich die Rechtzeitigkeit der Klageerhebung mangels Laufs einer Klagefrist nach den Grundsätzen der Verwirkung. Ist über den Widerspruch ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, richtet sich die Zulässigkeit der Klage nach § 75 VwGO (→ § 23 Rn 36).
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Lösung Fall 16: Gem § 74 I VwGO beginnt die Klagefrist mit Zustellung des Widerspruchsbescheids zu laufen. Ist ein Bevollmächtigter bestellt worden, kann ihm gegenüber zugestellt werden (§ 7 I 1 VwZG). Der Zeitpunkt der Zustellung richtet sich nach § 4 I VwZG. Danach gilt bei der Zustellung durch die Post mittels eingeschriebenen Briefes ein VA grundsätzlich mit dem dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als zugestellt. Demnach wäre die Zustellung 3 Tage nach dem 5.3., also am Samstag, dem 8.3., erfolgt. § 222 II ZPO (iVm § 57 II VwGO), wonach eine Frist nicht an einem Samstag, sondern erst am nächsten Werktag endet, dürfte nicht entsprechend anwendbar sein, weil es hier nicht um das Ende einer Frist, sondern den Beginn geht.155 Die Dreitagesfiktion des § 4 I 1 VwZG gilt nicht, wenn der VA nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Hier wurde der Bescheid am Samstag in das Postfach des R gelegt. Der Zeitpunkt des Zugangs bemisst sich nach den Grundsätzen, wie sie den Zugang von (privatrechtlichen) Willenserklärungen nach § 130 BGB aufgestellt worden sind. Danach ist eine Willenserklärung zugegangen, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass unter gewöhnlichen Umständen nach der Verkehrsauffassung mit Kenntnisnahme zu rechnen ist. Hier ist der Bescheid am Samstag in den Machtbereich des R gelangt. Problematisch ist jedoch, ob mit einer Kenntnisnahme am Samstag zu rechnen war. Dies dürfte zu verneinen sein, da Rechtsanwälte zwar oftmals samstags arbeiten, eine samstägliche Leerung des Postfaches aber nicht die
153 Die sog Emmott-Rspr des EuGH, wonach für einen Einzelnen, der sich auf den Schutz einer EG-RL beruft, die Klagefrist erst beginnt, wenn die RL ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt worden ist (Slg 1991, I-4269 Rn 24 – Emmott), beruht auf Besonderheiten des Einzelfalls und lässt sich nicht verallgemeinern. Vgl EuGH, Slg 1994, I-5483 Rn 26 f – Johnson; Slg 2000, I-10465 Rn 34 – Roquette Frères; BVerwG NVwZ 2000, 193. 154 Vgl zu Art 6 I 1 EGMR NVwZ 2000, 661 Rn 60 ff – Pellegrin; NJW 2002, 3087, 3089 – Volkmer; Schmidt-Aßmann FS Schmitt-Glaeser, 2003, 317, 328 f; zur Bedeutung des Art 13 EMRK für das gerichtliche Verfahren, EGMR EuGRZ 1975, 91 Rn 33 – Golder; Grabenwarter, EMRK, 3. Aufl 2008, § 24 Rn 160. 155 OVG NRW NVwZ 2001, 1171 → JK VwVfG § 41 II/1.
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Regel ist.156 Der Zugang erfolgte dann erst am Montag, dem 10.3. Bei Zugrundelegung dieser Ansicht war die Monatsfrist am 9.4.2003 noch nicht abgelaufen (vgl §§ 57 II VwGO, 222 I ZPO, 187 I, 188 II BGB).157
III. Begründetheit der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage 1. Allgemeines Nach § 113 I 1 VwGO hebt das Gericht den angefochtenen VA (und etwaigen Widerspruchsbescheid) auf, „soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist“. Da eine Rechtsverletzung immer Rechtswidrigkeit voraussetzt, ist nicht ohne weiteres ersichtlich, welchen Sinn die gesonderte Erwähnung der Rechtswidrigkeit neben der Rechtsverletzung haben soll. Möglicherweise handelt es sich um Nachwehen der im 19. Jahrhundert mit Nachdruck ausgetragenen Kontroverse, ob der Verwaltungsrechtsschutz auf objektive Rechtskontrolle ausgerichtet sein soll (so zunächst das preußische System 158) oder der Durchsetzung subjektiven Rechts zu dienen bestimmt ist (so die Tendenz in den süddeutschen Ländern 159). Geht man davon aus, dass die Vorschrift nicht tautologisch formuliert ist, wird man zwischen objektiver und subjektiver Rechtswidrigkeit zu unterscheiden haben.160 Das Tatbestandsmerkmal, dass der erlassene VA rechtswidrig sein muss, ist dann im Sinne der objektiven Rechtwidrigkeit zu verstehen. Objektiv rechtswidrig ist ein VA, der gegen eine Vorschrift des objektiven Rechts (dh eine Norm der bestehenden Rechtsordnung) verstößt. Unter subjektiver Rechtswidrigkeit ist demgegenüber die auf das subjektive Recht (bzw die subjektive Rechtsstellungsgarantie) des Klägers bezogene Rechtswidrigkeit zu verstehen, die erst bei Verletzung des subjektiven Rechts eintritt (→ Rn 36). Somit ist die subjektive Rechtswidrigkeit mit der Rechtsverletzung gleichzustellen. Nicht jede objektive Rechtswidrigkeit führt zur Rechtsverletzung. So sind Nachbar- und Konkurrentenklagen nicht schon begründet, wenn der VA rechtswidrig ist. Vielmehr müssen die Kläger durch die Rechtsverletzung in ihren Rechten verletzt sein. Selbst wenn die rechtlich geschützten Interessen des Klägers beeinträchtigt werden, hat ein objektiv-rechtswidriges Verhalten der Verwaltung keineswegs ausnahmslos eine Rechtsverletzung zur Folge. Trotz Beeinträchtigung zieht die objektive Rechtswidrigkeit zB keine Rechtsverletzung nach sich, wenn die Rechtswidrigkeit des Verhaltens keinerlei Auswirkungen auf die geschützte Rechtsposition des Klägers hat (etwa weil sich die Rechtswidrigkeit nur auf das Innen- oder Völkerrecht bezieht). Orientiert sich das VG am Wortlaut des § 113 I 1 VwGO und prüft es zuerst die Rechtswidrigkeit, darf der Rechtswidrigkeitszusammenhang („dadurch“ in seinen Rechten verletzt) nicht aus den Augen verloren werden. Das Gericht ist nicht befugt, sich zu Rechtsfragen zu
156 Vgl Lechleitner AnwBl 2002, 725 ff; aA OVG NRW NVwZ 2001, 1171. 157 Vgl OVG NRW NVwZ 2001, 1171. 158 Vgl Erichsen Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden VA und seine Aufhebung im Prozess, 1971, 275 ff; Rüfner in: Jeserich/Pohl/ v. Unruh (Hrsg), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd 3, 1984, 909, 912. 159 Vgl v Sarwey Das öffentliche Recht und die Verwaltungsrechtspflege, 1880, 405 f; Sydow Die Verwaltungsgerichtsbarkeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts, 2000, 96 ff. 160 Vgl zum folgenden bereits Ehlers VerwArch 84 (1993), 139, 174 f.
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äußern, die erkennbar keine Auswirkung auf die geschützte Rechtsposition des Klägers haben können. Insofern sind der objektiven Rechtskontrolle anlässlich eines subjektivrechtlich ausgerichteten Rechtsschutzverfahrens deutliche Grenzen gesetzt. Soweit gesetzlich anderes im Sinne des § 42 II VwGO bestimmt ist, kommt es auf die Rechtsverletzung nicht an. In diesem Falle ist die Anfechtungsklage begründet, wenn der VA (objektiv) rechtswidrig ist. 2. Aufbaufragen 67
Fall 17: Nachbar V, der im sog. unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) wohnt, wendet sich mit einer verwaltungsgerichtlichen Klage gegen die dem Bauherrn erteilte rechtswidrige Baugenehmigung.
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Fall 18: Das zuständige Ministerium hat einen den W begünstigenden VA ohne Anhörung des W zurückgenommen. Auf die verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage des W hin beschränkt sich das Ministerium darauf, neue Gründe für die Rücknahme darzulegen, ohne sich mit den von W vorgebrachten Gegenargumenten auseinanderzusetzen. Wie hat das Verwaltungsgericht zu entscheiden, wenn es davon ausgeht, dass die Begünstigung des W rechtswidrig war?
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Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich bereits, dass die Reihenfolge der Begründetheitsprüfung einer Anfechtungsklage unterschiedlich ausfallen kann.
a) Klassischer Aufbau 70
Anders als bei der Verpflichtungsklage (§ 113 V VwGO) stellen Rspr und Lit üblicherweise nicht primär auf die Rechtsverletzung des Klägers oder seinen (Aufhebungs-) Anspruch, sondern – mit leichten Modifikationen – auf den Wortlaut des § 113 I 1 VwGO ab .161 Es empfiehlt sich dann folgendes Schema: (1) In Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage (2) Rechtmäßigkeit des VA in formeller Hinsicht (a) Zuständigkeit (b) Verfahren (c) Form des VA (d) Formell ausreichende Begründung (§ 39 VwVfG) (3) Rechtmäßigkeit in materieller Hinsicht (4) Rechtsverletzung (5) Kein Ausschluss der gerichtlichen Aufhebung (str)
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Ohne Erörterung der in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage kann die formelle Rechtsmäßigkeit des VA (insbesondere die Zuständigkeit) nicht überprüft werden. Fehlt einem eingreifenden VA die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage, ist die Anfechtungsklage wegen Verstoßes gegen das Prinzip des Vorbehaltes des Gesetzes begründet. Einer Ermächtigungsgrundlage bedarf es sowohl im Hinblick auf die Verwendung des VA als
161 Vgl zB Schenke VerwPrR, Rn 730; Hufen VerwPrR, § 25 Rn 1 ff mwN.
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Handlungsform 162 als auch im Hinblick auf den Inhalt des VA. Stützt sich der VA auf eine untergesetzliche Norm (zB Satzung) und diese auf ein Gesetz, sollten von vornherein beide Bestimmungen genannt werden. Ob es sich empfiehlt, die Vereinbarkeit der Ermächtigungsgrundlage mit höherrangigem Recht (Parlamentsgesetz, Verfassungsrecht, EG-Recht) bereits an dieser Stelle oder erst im Zusammenhang mit der Erörterung der materiellen Rechtmäßigkeit des VA zu überprüfen, ist eine Zweckmäßigkeitsfrage, die von Fall zu Fall beantwortet werden sollte. Im Zweifelsfall dürfte es angeraten sein, die Gültigkeitsfrage vorab zu klären. Die sachliche Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde ergibt sich aus dem Organisationsrecht oder Sachgesetz, die örtliche Zuständigkeit bei Fehlen spezialgesetzlicher Regelungen aus § 3 VwVfG. Eine Prüfung der Passivlegitimation neben der Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde ergibt keinen Sinn.163 Im Rahmen der Prüfung, ob die Verfahrensbestimmungen eingehalten wurden, ist insbesondere § 28 VwVfG zu beachten. Falls nichts anderes vorgeschrieben ist, gilt für die Form des VA § 37 II 1 VwVfG. Liegt ein Verfahrens- oder Formverstoß vor, ist dieser unbeachtlich, wenn er geheilt worden ist (§ 45 I VwVfG) oder bis zum maßgeblichen gerichtlichen Beurteilungszeitpunkt (→ Rn 88 ff) noch geheilt wird (§ 45 II VwVfG). Verfahrens- oder Formfehler führen zur formellen Rechtswidrigkeit (vgl § 59 II Nr 3 VwVfG). Ob der Fehler die Aufhebung des VA gem § 46 VwVfG ausschließt, ist erst im Rahmen der Prüfung der Rechtsverletzung bzw. des Ausschlusses der gerichtlichen Aufhebung zu erörtern. Die Vorschrift des § 39 VwVfG bezieht sich nur auf das formelle Erfordernis einer Begründung, nicht darauf, ob die Begründung inhaltlich zutrifft (→ Rn 93). In materieller Hinsicht ist ein (belastender) VA nur rechtmäßig, wenn er auf eine (gültige) gesetzliche Ermächtigungsgrundlage gestützt werden kann (und nicht gegen sonstiges Recht verstößt). Stets muss der Rechtswidrigkeitszusammenhang beachtet werden (→ Rn 66). Hat die Verwaltung einen Gestaltungs- (dh Beurteilungs- oder Ermessens-) Spielraum, ist die Kontrolldichte des Verwaltungsgerichts beschränkt (→ Rn 81). Zur materiellen Rechtmäßigkeit des VA gehört auch die inhaltliche Bestimmtheit (§ 37 I VwVfG) 164. Die Begründetheit der Anfechtungsklage hängt entscheidend davon ab, ob der Kläger in seinen Rechten verletzt ist. Die Frage der Rechtsverletzung stellt sich bei Zugrundelegung des klassischen Aufbaus allerdings nur, wenn zuvor die Rechtswidrigkeit des VA festgestellt wurde. Ob eine Anfechtungsklage trotz Rechtsverletzung unbegründet sein kann, ist umstritten. Nach wohl hM 165 soll dies der Fall sein, weil § 113 I 1 VwGO teleologisch reduziert werden müsse, wenn der Kläger nicht die Aufhebung des VA beanspruchen kann. Dies wird etwa in den Fällen des § 46 VwVfG angenommen oder wenn die isolierte Aufhebung einer Nebenbestimmung ausscheidet (und dies nicht von vornherein offensichtlich war 166). Die besseren Gründe sprechen dafür, § 113 I 1 VwGO als abschließend anzusehen, zumal Landesrecht (wie § 46 LVwVfG) kaum Bundesrecht (§ 113 I 1 VwGO)
162 163 164 165
Vgl zum Meinungsstand Ruffert in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 21 Rn 27. AA zB Hufen VerwPrR, § 25 Rn 3. Schenke VerwPrR, Rn 731; Ruffert in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 21 Rn 37. Grundlegend Schenke DÖV 1986, 305 ff; vgl ferner Kopp/Schenke VwGO, § 113 Rn 55, 108 mwN. 166 Dann ist bei Zugrundelegung der neueren Rspr die Anfechtungsklage bereits nicht statthaft (→ Rn 20 f).
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reduzieren kann.167 Folgt man dieser Betrachtungsweise, entfällt die Erörterung des Punktes „Kein Ausschluss der gerichtlichen Aufhebung“. Vielmehr sind die Fragen im Zusammenhang mit der Prüfung der Rechtsverletzung (nicht etwa der formellen oder materiellen Rechtmäßigkeit) zu erörtern. Eine Rechtsverletzung iSd § 113 I 1 VwGO liegt nur vor, wenn der Kläger einen Anspruch auf Aufhebung des VA hat. Diese Voraussetzung ist bei lediglich verfahrens- oder formfehlerhaften VA nicht gegeben, wenn § 46 VwVfG eingreift.
b) Subjektiv-rechtlich orientierter Aufbau 75
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Hängt die Begründetheit der Anfechtungsklage allein entscheidend von der Rechtsverletzung ab, stellt sich die Frage, warum nicht von vornherein nur hierauf abgestellt wird.168 Geht man mit der hier vertretenen Ansicht davon aus, dass eine Rechtsverletzung iSd § 113 I 1 VwGO gegeben ist, wenn der Kläger einen Anspruch auf Aufhebung des VA hat, so wäre es ebenso möglich, sogleich diesen Anspruch in den Blick zu nehmen. Die Formulierung könnte dann etwa lauten: „Nach § 113 I 1 VwGO ist die Anfechtungsklage begründet, soweit der VA rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Diese Voraussetzungen liegen vor, wenn der Kläger einen Anspruch auf Aufhebung des VA hat.“ Teilt man die Auffassung, dass trotz einer Rechtsverletzung die gerichtliche Aufhebung des VA ausgeschlossen sein kann, empfiehlt es sich erst recht, nicht die Rechtsverletzung in den Vordergrund zu stellen, sondern danach zu fragen, ob die Aufhebung des VA beansprucht werden kann. Der Aufhebungsanspruch ergibt sich aus dem materiellen Recht (Sachrecht), nicht aus dem Prozessrecht: zB im Falle des Zuwiderhandelns gegen eine Zusicherung aus dieser, im Falle eines beachtlichen Anhörungsmangels aus § 28 VwVfG oder im Falle einer rechtswidrigen Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art 2 I GG. Für ein Abstellen nur auf die Rechtsverletzung oder auf den Aufhebungsanspruch spricht auch, dass bei der Verpflichtungsklage von der ganz hM nicht anders verfahren wird. Insoweit besteht nämlich weitgehende Einigkeit darüber, dass eine Begründetheitsprüfung „entlang dem Wortlaut“ des § 113 V VwGO (Rechtswidrigkeit der Ablehnung oder Unterlassung des VA, Rechtsverletzung des Klägers, Spruchreife) nicht zweckmäßig erscheint. Vielmehr wird zugleich danach gefragt, ob der Kläger einen Anspruch auf Erlass des VA hat.169 Auch im Rahmen der Begründetheitsprüfung der allgemeinen Leistungsklage wird nur erörtert, ob ein Anspruch auf das begehrte Tun, Dulden oder Unterlassen besteht. Da § 113 I 1 VwGO das Modell des subjektiven Rechtsschutzes nicht lupenrein verwirklicht hat, ist es gleichwohl nicht falsch (und gängige Praxis), das klassische Aufbauschema zugrunde zu legen. Lösung Fall 17: Da die Baugenehmigung rechtswidrig ist, liegt die erste Voraussetzung des § 113 I 1 VwGO vor. Die Klage ist aber nur begründet, wenn V in seinen Rechten verletzt ist (2 Voraussetzung des § 113 I 1 VwGO) bzw V einen Anspruch auf Aufhebung des VA hat. Dies setzt die Missachtung eines öffentlichen Nachbarrechts voraus (für die Klagebefugnis
167 Grundlegend Krebs DVBl 1984, 109 ff. 168 Vgl demgegenüber Weyreuther FS Menger, 1985, 681, 692 m Fn 44, der ein Vorgehen, bei dem die Prüfung der objektiven Rechtswidrigkeit der Prüfung der subjektiven Rechtswidrigkeit vorausgeht, für verbindlich hält und nur bei gegebenen Anlässen dem Vorrang der Frage nach der objektiven Rechtswidrigkeit durch eine Unterstellung Rechnung tragen will. 169 Vgl Schenke VerwPrR, Rn 841 (bei Spruchreife). AA zB Hufen VerwPrR, § 25 Rn 48.
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reicht gem § 42 II VwGO ein Geltendmachen der Rechtsverletzung aus). Der Nachbar hat zum einen einen generellen Gebietserhaltungsanspruch. Zum anderen kann er sich auf das sich aus § 34 II BauGB iVm § 15 I 1 BauNVO sowie aus § 34 I BauGB („sich einfügen“) ergebende Gebot der Rücksichtnahme berufen (→ Rn 47). Nachbarschützende Wirkung hat das Gebot der Rücksichtnahme nur, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen des Nachbarn Rücksicht zu nehmen ist.170 Von dem Vorliegen der genannten Voraussetzung hängt der Erfolg der Klage ab. Lösung Fall 18: Der Rücknahme-VA des Ministeriums ist wegen des (nicht geheilten) Anhörungsmangels (§§ 28 I, 13 I Nr 2 VwVfG) jedenfalls formell rechtswidrig. Da der Beteiligte durch die Anhörung gerade die Möglichkeit erhalten soll, die Willensbildung der Behörde zu beeinflussen, muss die Behörde die Ausführung zur Kenntnis nehmen und bei der Entscheidung in die Erwägung mit einbeziehen.171 Ob W in seinen Rechten verletzt ist (bzw einen Aufhebungsanspruch hat), hängt davon ab, ob der Anhörungsmangel nach § 46 VwVfG beachtlich ist. Da es sich bei der Rücknahme gem § 48 I VwVfG um eine Ermessensentscheidung handelt und nicht offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat, ist hiervon auszugehen und der Anfechtungsklage stattzugeben.
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c) Objektiv-rechtlich orientierter Aufbau Wie sich aus den zuvor gemachten Ausführungen ergibt (→ Rn 50), kommt es bei Vorliegen anderer Bestimmungen iSd § 42 II VwGO im Rahmen der Begründetheit ganz oder teilweise nur auf die objektive Rechtswidrigkeit des VA an. Die Verwaltungsgerichte haben demgemäß im Falle der Zulässigkeit der Anfechtungsklage ganz oder teilweise eine Vollprüfung vorzunehmen und den VA auch dann aufzuheben, wenn nicht Rechte des Klägers verletzt werden. Objektiv rechtswidrig sind alle VA, die gegen den Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes verstoßen.172 Liegt eine gültige Ermächtigungsgrundlage vor, kommt es darauf an, ob sich der VA auf diese stützen lässt. Dies ist nicht der Fall, wenn entweder das Recht falsch angewendet oder von falschen Tatsachen ausgegangen worden ist.
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3. Gerichtliche Kontrolldichte Fall 19: Eine Lehrerin wurde nach Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zur Studienassessorin wegen mangelhafter Bewährung im Unterricht entlassen. Nach erfolglosem Vorverfahren (§ 54 II BeamtStG iVm § 68 I 1 VwGO) hat sie verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage erhoben, weil es über das Verfahren zur Feststellung der Bewährung keine Vorschriften gebe und weil sie sich tatsächlich bewährt habe.
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Aus Art 19 IV 1 GG (und § 40 I 1 VwGO) ergibt sich eine Verpflichtung der Verwaltungsgerichte zur grundsätzlich vollständigen Nachprüfung eines angefochtenen VA in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht am Maßstab des Rechts. Die Unbestimmtheit eines
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170 Vgl BVerwGE 52, 122, 131; ferner → Rn 47. 171 BVerwGE 66, 111, 114. 172 Vgl Ruffert in: Erichsen/Ehlers, Allg VerwR, § 23 Rn 3.
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gesetzlichen Tatbestandsmerkmals berechtigt als solche nicht dazu, von dem Grundsatz der vollständigen Rechtskontrolle abzuweichen.173 Da es gem der sog normativen Ermächtigungslehre im Rahmen der rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes Aufgabe des Gesetzgebers ist, unter Beachtung der Grundrechte die Rechtspositionen zuzuweisen und auszugestalten, die Art 19 IV GG voraussetzt und deren gerichtlichen Schutz er gewährleistet 174, darf der Gesetzgeber bestimmte Kontrollbegrenzungen (bei Bewahrung der Eigenständigkeit der Exekutive uU auch Kontrollverschärfungen 175) vornehmen.176 Herkömmlicherweise wird hierbei zwischen der Tatbestands- und der Rechtsfolgenebene von Rechtsnormen unterschieden. Im Hinblick auf die Tatbestandsseite einer Ermächtigungsnorm soll der Verwaltung nur ausnahmsweise ein die gerichtliche Kontrolle einschränkende Beurteilungsspielraum zukommen. Dagegen ist die Einräumung von Ermessensspielräumen auf der Rechtsfolgenseite einer gesetzlichen Regelung sehr viel häufiger anzutreffen (zB wenn die Regelung davon spricht, dass die Verwaltung etwas tun kann, tun darf, tun soll oder dass sie befugt ist, etwas zu tun). Die Unterscheidung von Tatbestands- und Rechtsfolgenseite und damit von Beurteilungs- und Ermessensspielraum ist häufig aber nur eine Frage der in concreto gewählten Gesetzesformulierung. Zum Beispiel macht es keinen wesentlichen Unterschied aus, ob der Gesetzgeber eine Gefahrenabwehrregelung zugunsten der Volksgesundheit als Beurteilungsermächtigung (zB: „Wenn die Volksgesundheit gefährdet ist und Schutzimpfungen erfolgversprechend erscheinen, hat die Behörde Impfpflichten festzusetzen“) oder als Ermessensnorm (zB: „Wenn die Volksgesundheit gefährdet ist, kann die Behörde Impfpflichten festsetzen“) ausgestaltet hat.177 Auch lassen sich kategoriale Unterschiede zwischen dem Beurteilungsspielraum und dem Ermessensspielraum nicht feststellen.178 Hinzu kommt, dass sowohl der Europäische Gerichtshof als auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht zwischen unbestimmten Rechtsbegriffen wie Beurteilungsspielraum, Ermessensspielraum und sonstigen Ermessensspielräumen und sonstigen Rechtsbindungen differenzieren, selbst wenn die Begriffe gelegentlich genannt werden.179 Gleichwohl grenzt das Gesetz Ermessensermächtigung von den sonstigen Letztentscheidungen der Verwaltung ab, wie die §§ 40 VwVfG und 114 VwGO zeigen. Die Unterscheidung von Beurteilungs- und Ermessensspielräumen liegt deshalb auch der ständigen Kontrollpraxis zugrunde. Beurteilungsspielräume bei der Auslegung oder Konkretisierung von Tatbestandsmerkmalen einer Norm 180 hat die Rspr im Falle von Prüfungsentscheidungen, beamtenrechtlichen Beurteilungen, Wertungen, die das Gesetz sachverständigen oder pluralistisch zusammengesetzten Gremien anvertraut hat, prognostischen Entscheidungen mit politi-
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BVerwGE 94, 307, 309; Schmidt-Aßmann in: Schoch/ders/Pietzner, VwGO, Einl, Rn 183. BVerwGE 94, 307, 309 f. Vgl Schmidt-Aßmann in: Schoch/ders/Pietzner, VwGO, Einl, Rn 184. BVerfGE 62, 86, 98; BVerwGE 94, 307, 309; 100, 221, 225. Vgl auch Schoch JURA 2004, 462 ff, 612 ff. Vgl zu dem Beispiel Starck, FS Sendler, 1991, 167, 168. Näher zum Ganzen Jestaedt in: Erichsen/Ehlers, Allg VerwR § 10 Rn 12 ff. Jestaedt in: Erichsen/Ehlers, Allg VerwR, § 10 Rn 27 ff. Vgl Rubel Entscheidungsfreiräume in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs, 2005, 26 ff, 159 ff; vgl auch → § 8 Rn 58. Zur Unterscheidung vgl Ehlers in: Erichsen/ders, Allg VerwR § 2 Rn 14 f.
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schem Einschlag sowie planerisch gestaltenden Entscheidungen anerkannt.181 Doch ist aus rechtsstaatlichen Gründen namentlich bei Grundrechtsbeschränkungen im Hinblick auf die Annahme und die Bestimmung der Reichweite von Beurteilungsspielräumen Zurückhaltung geboten. So erstreckt sich der Beurteilungsspielraum bei Prüfungsentscheidungen zwar auf die prüfungsspezifischen Wertungen, nicht aber auf alle fachlichen Fragen, die den Gegenstand der Prüfung bilden 182 (auch weil das fachspezifische Wissen losgelöst von der nur begrenzt rekonstruierbaren Prüfungssituation notfalls durch Heranziehung von Sachverständigen durch die Gerichte ermittelt werden kann 183). Überschritten bzw fehlerhaft angewendet worden ist ein Beurteilungsspielraum, wenn Verfahrensfehler begangen worden sind, das anzuwendende Recht verkannt wurde, von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen worden ist, allgemeine Bewertungsgrundsätze verletzt wurden (Willkürkontrolle) oder sich die Verwaltung von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen.184 Lässt sich etwa im Prüfungsrecht die Richtigkeit oder Angemessenheit von Lösungen wegen der Eigenart der Prüfungsfrage nicht eindeutig bestimmen, ist dem Prüfer zwar ein Beurteilungsspielraum, dem Prüfling aber auch ein Antwortspielraum zuzugestehen.185 Soweit die Verwaltungsbehörde – bei der Bestimmung der Rechtsfolgen – ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Verwaltungsgericht gem § 114 S 1 VwGO auch, ob der VA deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Somit ist das Verwaltungsgericht nur zur Ermessenskontrolle, nicht aber zur eigenen Ermessensausübung ermächtigt. Die Beschränkung der gerichtlichen Überprüfung bezieht sich sowohl auf das „Ob“ des Handelns (Entschließungsermessen) als auch auf das „Wie“ (Auswahlermessen). Üblicherweise wird davon gesprochen, dass die gerichtlichen Nachprüfungen sich darauf beschränken, ob das Ermessen rechtmäßig ausgeübt wurde, wohingegen die Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Verwaltung überlassen bleibt 186. Die auch in § 68 I 1 VwGO angelegte Unterscheidung von Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit darf indessen nicht dahin missverstanden werden, dass die Zweckmäßigkeitsentscheidungen der Verwaltung außerhalb des Rechts anzusiedeln sind. Freie (Beurteilungs- und) Ermessensspielräume kann es im Rechtsstaat nicht geben.187 Die Verwaltung muss sich stets zu derjenigen Entscheidung durchringen, die sie in Anbetracht der verbindlichen Normzwecke für die richtige bzw die beste hält. Sie darf sich also nicht mit der zweitbesten Lösung zufrieden geben oder durch Los entscheiden. Eine zweckwidrige Verwaltungsentscheidung verstößt deshalb nicht nur gegen metajuristische Maßstäbe, sondern auch gegen den das Verwaltungshandeln regelnden Rechtssatz selbst. Wenn § 40 VwVfG bestimmt, dass das Ermessen einer Verwaltungsbehörde entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt werden muss, impliziert dies zugleich, dass eine zweckwidrige Entscheidung rechtswidrig ist. Mit der gewählten
181 Vgl BVerwG, NVwZ 1991, 268, 269. Näher zum Ganzen Jestaedt in: Erichsen/Ehlers, Allg VerwR, § 10 Rn 45 ff. 182 Vgl BVerfGE 84, 34, 50 ff. Siehe auch BVerfGE 88, 40, 56 ff. 183 Vgl Schenke VerwPrR, Rn 765. 184 Vgl auch Niehues Schul- und Prüfungsrecht, Bd 2, 4. Aufl 2004, Rn 846 ff. 185 Vgl BVerfGE 84, 34, 55. 186 BVerwGE 11, 95, 97; 19, 149, 153. 187 Vgl bereits Bernatzik Rechtsprechung und materielle Rechtskraft, 1964, 41.
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Terminologie (Rechtmäßigkeit oder Zweckmäßigkeit) soll nur zum Ausdruck gebracht werden, dass die gerichtliche Kontrolldichte in solchen Fällen gemindert ist 188. Ein von den Verwaltungsgerichten zu berücksichtigender Ermessensfehler liegt im Falle eines Nichtgebrauchs, einer Unterschreitung, einer Überschreitung oder eines Fehlgebrauchs des Ermessens vor. Beim Nichtgebrauch ist es zu keiner Abwägung gekommen. Dies ist unschädlich, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben war (im Einzelfall also kein Ermessen vorlag). Nach der Rspr sollen fehlende Ermessenserwägungen auch bei einem sog intendierten Ermessen (Fälle, in denen ein bestimmtes Ergebnis gesetzlich gewollt ist und nur ausnahmsweise etwas anderes gelten soll) im Normalfall nicht zu beanstanden sein.189 Eine Ermessensunterschreitung liegt vor, wenn die Behörde hinter der gesetzlichen Rechtsfolge zurückbleibt (zB Erhebung einer Gebühr von 100 €, obwohl das Gesetz 150–200 € vorschreibt). Bei einer Ermessensüberschreitung wird der gesetzlich vorgegebene Ermessensrahmen überschritten (zB Gebühr in Höhe von 200 €, obwohl nur 100–150 € zulässig sind). Im Falle eines Ermessensfehlgebrauchs ist das Ermessen aus sonstigen Gründen rechtsfehlerhaft ausgeübt worden. Es kann sich um prinzipiell dieselben Fehler wie beim Beurteilungsfehlgebrauch handeln (→ Rn 82). Neben den aus der ratio legis resultierenden Ermessensdirektiven muss die Verwaltung vor allem auch die verfassungsrechtlichen Grundsätze wie den Gleichheitssatz, das Koppelungsverbot (als Element des Rechtsstaatsprinzips), die Grundrechte und insbesondere den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten.190 Im Ergebnis kommt es nicht auf die terminologisch umstrittenen Unterscheidungen (zwischen Ermessensunterschreitung, -überschreitung und -fehlgebrauch), sondern darauf an, dass in den zuvor genannten Fallgestaltungen nach allgemeiner Auffassung ein vom Gericht zu beachtender Ermessensfehler anzunehmen ist. (Zum Nachschieben von Gründen → Rn 93 ff). 84
Lösung Fall 19: Die Anfechtungsklage ist gem § 113 I 1 VwGO begründet, wenn die Entlassung rechtswidrig ist und die Kl in ihren Rechten verletzt. Alle Beamtengesetze sehen vor, dass ein Beamter auf Probe entlassen werden kann, wenn er sich in der Probezeit nicht bewährt hat (vgl § 23 III Nr 2 BeamtStG für Beamte des Landes, der Kommunen und anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts). Da die Feststellung der Bewährung nicht auf einer förmlichen Prüfung beruht, hält das BVerwG 191 eine gesetzliche Regelung des Verfahrens für nicht erforderlich. Die Beurteilung der Bewährung ist ihrem Inhalt nach auf die Bewertung persönlicher Merkmale, ihrem Ziel nach auf die Zukunft und ihrem Maßstab nach auf Aufgaben ausgerichtet, die idR der Dienstherr nach seinem Organisationsermessen dem Amt dem statusrechtlichen Sinne zuordnet. Die Entscheidung über die Bewährung macht der Gesetzgeber somit teils von wertenden und teils von prognostischen Entscheidungen des Dienstherren abhängig. Mithin ist der Verwaltung die Subsumtion des Sachverhaltes unter dem Begriff der „Bewährung“ überlassen. Die Entscheidung der Verwaltung unterliegt deshalb nur im Hinblick darauf der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung, „ob der gesetzliche Begriff der Bewährung und ob die gesetzlichen Grenzen der Beurteilungs-
188 Vgl zum Ganzen Krebs Kontrolle in staatlichen Entscheidungsprozessen, 1984, 79; Ehlers in: Erichsen/ders, AllgVerwR, § 1 Rn 51. 189 Vgl zum intendierten Ermessen BVerwGE 72, 1, 6; 105, 55, 57 f. Krit Sachs in: Stelkens/Bonk/ ders, § 40 Rn 28 ff; Maurer Allg VerwR, § 7 Rn 63. 190 Jestaedt in: Erichsen/Ehlers, Allg VerwR, § 10 Rn 63. 191 BVerwGE 106, 263 → JK GG Art 19 IV/18.
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ermächtigung anerkannt worden sind, ob der Beurteilung ein unrichtiger Sachverhalt zugrunde liegt und ob allgemeine Wertungsmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt worden sind (vgl BVerwG DVBl 1984, 440; BVerwGE 85, 177, 180)“. Da Umstände dieser Art nicht ersichtlich sind, ist davon auszugehen, dass die Entlassung wegen zulässiger Ausfüllung des Beurteilungsspielraums rechtmäßig und die Klage unbegründet ist.192
4. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des angefochtenen Verwaltungsaktes Fall 20: Dem X ist die Ausübung seines Gewerbes wegen finanzieller Unzuverlässigkeit (Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern) gem § 35 I 1 GewO untersagt worden. Im Laufe des Anfechtungsprozesses überwindet X seine finanziellen Schwierigkeiten. Wie wird das Gericht entscheiden?
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Fall 21: Studienrat Y wurde neben seinem Gehalt eine befristete Zulage für die Durchführung von Lehrerseminaren als Fachleiter gewährt. Mit Wirkung zum 1.1.2008 wurde Y an ein anderes Gymnasium versetzt. Aufgaben eines Fachleiters sind ihm nicht mehr zugewiesen worden. Die Zulage erhielt Y aber weiter. Im Juli 2008 bemerkte die zuständige Behörde die Weiterzahlung der Zulage und widerrief diese ab dem 1.1.2008. Hiergegen hat Y Anfechtungsklage erhoben. Ist diese begründet?
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Fall 22: Z erhebt Klage gegen einen an ihn adressierten Abgabenbescheid, der auf eine nichtige Abgabensatzung gestützt worden ist. Im Laufe des Prozesses wird eine nicht auf den Erlasszeitpunkt zurückwirkende Abgabensatzung nachgeschoben.
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Als Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des VA und der Rechtsverletzung kommt der Abschluss des Verwaltungsverfahrens – dh der Erlasszeitpunkt des VA oder des Widerspruchsbescheides (§ 79 I Nr 1 VwGO) – oder der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht respektive der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in Betracht. Zu unterscheiden ist zwischen dem Klageantrag sowie dem prozessrechtlich und dem materiellrechtlich maßgebenden Zeitpunkt.193 Der Kläger bestimmt mit seinem Begehren bzw Antrag (§ 82 I 2 VwGO) den Gegenstand des Rechtsstreits (zB Aufhebung des VA ex tunc oder ex nunc oder für einen bestimmten Zeitraum in der Vergangenheit). Das Gericht entscheidet im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder seiner Entscheidung über die (Zulässigkeits- und) Begründetheitsvoraussetzungen der Klage (prozessrechtlicher Zeitpunkt). Findet keine mündliche Verhandlung statt (§ 101 II, III VwGO), kommt es auf den Zeitpunkt der Entscheidung, ansonsten auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung an. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass immer der Zeitpunkt der Entscheidung maßgebend ist.194 Doch ist im Falle einer ent-
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192 Vgl BVerwGE 106, 263 → JK GG Art 19 IV/18. 193 Vgl Scherzberg BayVBl 1992, 426; Schmidt in: Eyermann, VwGO, § 113 Rn 45 ff; Schenke VerwPrR, Rn 782 ff. 194 Baumeister JURA 2005, 655, 659.
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scheidungsrelevanten Veränderung der Sach- oder Rechtslage nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung eine Wiedereröffnung gem § 104 III 2 VwGO geboten, wenn das Gericht auf die veränderten Umstände abstellen will oder muss.195 Ob der VA rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist und deshalb einen Anspruch auf Aufhebung des VA hat, bestimmt sich nicht nach § 113 I 1 VwGO, sondern nach den Maßstabsnormen des materiellen Rechts.196 Das Prozessrecht dient nur der Durchsetzung des materiellen Rechts. Deshalb entscheidet das materielle Recht auch allein darüber, ob es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des VA auf den Abschluss des Verwaltungsverfahrens oder auf einen anderen Zeitpunkt (spätestens den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor Gericht oder der Entscheidung des Gerichts) ankommt.197 Wie sich namentlich aus den §§ 48, 49 VwVfG ergibt (die auf der Vorstellung beruhen, dass ein VA nur dann als rechtswidrig zu qualifizieren ist, wenn „das im Zeitpunkt des Erlasses geltende Recht unrichtig angewendet wird“ 198), bestimmt sich die Normkonformität eines VA idR nach der Sach- und Rechtslage zur Zeit seines Erlasses.199 Ist zB eine Baugenehmigung rechtmäßig erteilt worden oder eine Abschlussprüfung rechtmäßig für nicht bestanden erklärt worden, ändert sich hieran nicht dadurch etwas, dass im Laufe des Anfechtungsprozesses ein das Bauen verbietender Bebauungsplan erlassen worden ist oder der Prüfling seinen Wissensstand verbessert hat. Anders kann sich die Rechtslage insbesondere bei VA mit Dauerwirkung darstellen. Hierunter sind VA zu verstehen, die auf Dauer angelegte Rechtsverhältnisse zur Entstehung bringen und sich so ständig neu aktualisieren.200 Im Asylrecht kommt es kraft ausdrücklicher Anordnung (§ 77 I AsylVfG) auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder (wenn keine mündliche Verhandlung durchgeführt wird) auf den Zeitpunkt der Entscheidung an. Bei rückwirkenden Änderungen des Rechts stellt sich die Frage der Änderung des Prüfungsmaßstabes nicht (weil rückwirkend von Anfang an der neue Maßstab gilt). 89
Lösung Fall 20: Maßgeblicher Zeitpunkt ist nach Auffassung des BVerwG 201 der Erlasszeitpunkt des VA. Zwar wird die Gewerbeuntersagung als Dauer-VA angesehen. Jedoch ist die Wiedergestattung der Gewerbeausübung gem § 35 VI 1 GewO von einem an die Behörde zu richtenden schriftlichen Antrag abhängig. Das Antragserfordernis schließt eine Berücksichtigung der für die Wiedergestattung relevanten Umstände im laufenden Anfechtungsprozess aus.202
195 196 197 198 199
Vgl auch Kopp/Schenke VwGO § 113 Rn 33 m Fn 40. St Rspr, vgl BVerwGE 78, 243, 244; BVerwG, NVwZ 08, 434. Vgl BVerwG, NVwZ 1991, 360; JZ 2008, 729; JK VwGO § 113 I 1/23. BT-Drucks 7/19, 68 (Gesetzesbegründung). BVerwG, NVwZ 1990, 653; Lehner, Die Verwaltung 26 (1993), 183 ff; Spannowsky in: Sodan/ Ziekow, VwGO, § 113 Rn 65; Schmidt in: Eyermann, VwGO, § 113 Rn 47; Ruffert in: Erichsen/ Ehlers, Allg VerwR, § 21 Rn 38; Maurer Allg VerwR, § 11 Rn 11. AA zB BVerwGE 82, 98, 99; Schenke DVBl 1989, 433; ders BayVBl 1990, 107 ff. 200 Ruffert in: Erichsen/Ehlers, Allg VerwR, § 21 Rn 38. 201 BVerwGE 65, 1, 2 f. 202 AA Schenke WiVerw 1988, 145, 166 ff; VerwPrR, Rn 801, der allein aus dem Antragserfordernis nicht auf die Notwendigkeit eines Verwaltungsverfahrens schließen will (obwohl nach § 35 VI GewO die Behörde – und nicht das Gericht – die Ausübung des Gewerbes zu gestatten hat). Lagen die Voraussetzungen für eine Gewerbeuntersagung nach § 35 I GewO zum Zeitpunkt der
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Lösung Fall 21: Als Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung der Gewährung der Zulage kommt § 48 oder § 49 VwVfG in Betracht. Die Rücknahmebestimmung des § 48 VwVfG bezieht sich auf rechtswidrige VA. Fraglich ist, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit des VA maßgebend ist. Nach einer im konkreten Fall vom BVerwG bestätigten Ansicht des OVG NRW 203 bezieht sich § 48 VwVfG auch auf VA, die im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig waren, später jedoch rechtswidrig geworden sind. Dieser Ansicht widerspricht nicht nur die Entstehungsgeschichte der §§ 48, 49 VwVfG, sondern auch die Normierung des § 49 II 1 Nr 3 und 4, III VwVfG, weil nachträgliche Veränderungen dem § 49 und nicht dem § 48 VwVfG zugeordnet werden. Andernfalls lassen sich die §§ 48 und 49 VwVfG auch kaum auseinanderhalten. So auch die hM (→ Fn 199). Die Voraussetzung des § 49 III VwVfG liegen nicht vor, da dem Y die Zulage nicht zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks gewährt oder hierfür Voraussetzung ist. Vielmehr durfte Y das Geld für beliebige Zwecke verwenden. So greift nur § 49 II Nr 3 VwVfG ein. Diese Vorschrift ermöglicht aber nur einen Widerruf für die Zukunft. Die Aufhebung des Zulagebescheides ist daher insoweit rechtswidrig, als sie auch für die Vergangenheit erfolgt ist.
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Lösung Fall 22: Im Zeitpunkt seines Erlasses war der auf eine nichtige Satzung gestützte Abgabenbescheid rechtswidrig. Gleichwohl soll nach Ansicht des BVerwG 204 die Anfechtungsklage keinen Erfolg haben, weil die nachgeschobene Satzung (die einen VA gleichen Inhalts ermöglicht) den Aufhebungsanspruch entfallen lässt. Dieser Ansicht ist nicht zu folgen.205 Die nachgeschobene, nicht rückwirkende Satzung vermag den grundrechtlichen Abwehranspruch des Z nicht zu beseitigen. Auch scheitert die Klage nicht gem dem Grundsatz „dolo agit, qui petit quod statim redditurus est“ am fehlenden Rechtsschutzbedürfnis oder an der fehlenden Rechtsverletzung (§ 113 I 1 VwGO), weil das Beharren auf die Herstellung rechtskonformer Zustände nicht rechtsmissbräuchlich ist. Zumindest müsste der Abgabenbescheid für den Zeitraum zwischen seinem Ergehen und dem Inkrafttreten der neuen Satzung aufgehoben werden.
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5. Zulässigkeit eines Nachholens oder Nachschiebens von Begründungen Fall 23: Die Einbürgerung von A ist nach vorheriger Anhörung des A und ausführlicher Erörterung der Rechtslage ohne Begründung von der zuständigen Behörde zurückgenommen worden. Bei dem im Rahmen der Anhörung geführten Gespräch hat sich die Behörde darauf berufen, dass A die Einbürgerung wegen bestimmter Straftaten erschlichen hat. Nachdem der Widerspruch des A ohne zureichenden Grund nicht in angemessener Frist beschieden wurde (§ 75 VwGO), erhebt A verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage. Im Prozess begründet die Behörde die Rücknahme der Einbürgerung mit anderen Straftaten des A.
letzten Verwaltungsentscheidung noch nicht vor, ist dies aber zum Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Verhandlung der Fall, soll die Anfechtungsklage nach OVG Lüneburg, NVwZ 1995, 185, erfolglos bleiben. § 35 VI GewO verbiete lediglich die Berücksichtigung einer späteren positiven Entwicklung im Anfechtungsstreit. 203 NVwZ-RR 1988, 1, 2. Vgl ferner → Fn 199. 204 NVwZ 1991, 360 f. 205 Wie hier Scherzberg BayVBl 1992, 426 ff.
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Ist ein VA nicht, unvollständig oder unzutreffend begründet worden, stellt sich die Frage, welche prozessuale Bedeutung dies hat und ob der Mangel noch im Prozess korrigiert werden kann. Ob VA einer Begründung bedürfen, ergibt sich (vorbehaltlich inhaltsgleicher oder entgegenstehender Regelungen) aus § 39 VwVfG. Fehlt eine Begründung oder ist die Begründung, gemessen an den Erfordernissen des § 39 I 2, 3 VwVfG, unvollständig, stellt dies einen Verfahrensfehler dar, der aber gem § 45 I Nr 2, II VwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens noch mit heilender Wirkung nachgeholt werden kann. Kommt es nicht zur Nachholung, ist die Anfechtungsklage wegen fehlender Rechtsverletzung – bzw Aufhebbarkeit des VA (→ Rn 74 ff) – gleichwohl unbegründet, wenn § 46 VwVfG eingreift (dh offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat). Von dem formellen Erfordernis der Begründungspflicht zu unterscheiden ist die materiell-rechtlich zu klärende Frage, ob inhaltlich fehlerhafte oder unzureichende Begründungen eines VA durch „Nachschieben“ neuer (den VA stützender) Gründe ersetzt respektive ergänzt werden können.206 Die hM bejaht dies, wenn die von der Verwaltung nachgeschobenen Gründe schon beim Erlass des VA vorlagen, der VA keine Wesensveränderung erleidet und der Kläger durch das Nachschieben nicht unzulässig in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird.207 Die zeitliche Begrenzung (Vorliegen der Gründe bei Erlass des VA) ist zu starr. Soweit Veränderungen der Sach- und Rechtslage nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen sind (→ Rn 88), muss grundsätzlich auch ein Nachschieben von Gründen zulässig sein.208 Statt von einer Wesensänderung sollte besser von einer Änderung der Identität des VA gesprochen werden.209 Bleibt es bei dem Regelungsgehalt, ändert sich bei rechtlich gebundenem VA durch die Beifügung einer anderen Begründung prinzipiell nichts an der Identität des VA (weil ein identischer VA erneut erlassen werden müsste).210 Es gilt dann der Grundsatz, dass Reparatur vor Kassation geht.211 Bei Ermessensentscheidungen und Entscheidungen mit Beurteilungsspielraum stellt sich die Rechtslage anders dar, weil der Gestaltungsspielraum der Verwaltung vom Gericht zu respektieren ist, die Vermeidung einer Niederlage vor Gericht oft das Handeln der Verwaltung bestimmen wird und ein Austausch der dem VA zugrunde liegenden inhaltlichen Erwägungen dem Neuerlass eines VA gleichkommt.212 Die Ersetzung der einem VA zugrunde liegenden Ermessenserwägung durch andere Ermessenserwägungen ist daher nicht zulässig. Von einer Änderung der Identität des VA ist auch dann auszugehen, wenn sich die Behörde irrtümlich für gebunden gehalten hat,
206 Vgl dazu Schoch DÖV 1984, 401 ff; Horn Die Verwaltung 25 (1992) 203 ff; Schenke VerwArch 90 (1999) 232 ff. 207 Vgl BVerwGE 38, 191, 195; 85, 163, 166; Hufen VerwPrR, § 24 Rn 21. Krit Schenke VerwPrR, Rn 813 ff. 208 Ebenso Schenke VerwArch 90 (1999) 232, 248 f. Vgl aber auch Schmidt in: Eyermann, VwGO, § 113 Rn 45, der terminologisch zwischen Nachschieben von Gründen und dem Reagieren auf nachträglich veränderte Umstände unterscheidet. 209 Vgl BVerwG, NVwZ 1993, 976; Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rn 21. 210 Schmidt in: Eyermann, VwGO, § 113 Rn 22. Zu möglichen (sich aus dem Fachrecht ergebenden) Ausnahmen vgl Schenke VerwArch 90 (1999) 232, 252 ff. 211 Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rn 21. 212 Vgl BVerwGE 85, 163, 165 f; BVerwG, Buchholz 316 § 76 VwVfG Nr 4, S 3.; Schmidt in: Eyermann, VwGO, § 113 Rn 25.
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nunmehr aber erkennt, dass eine Ermessensentscheidung zu treffen war und vor Gericht Ermessenserwägungen nachliefert. Dies gilt selbst dann, wenn die Ausgangsbehörde und Widerspruchsbehörde identisch sind, ein Ausfall der Zweckmäßigkeitsüberprüfung durch die Widerspruchsbehörde also nicht zu befürchten ist.213 § 114 S 2 VwGO gestattet es der Verwaltungsbehörde, ihre Ermessenserwägung hinsichtlich des VA auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu ergänzen. Damit wird jedoch nur die prozessrechtliche Seite des Nachschiebens von Gründen bei dem Vorliegen eines Ermessens-VA geregelt (keine Klageänderung, kein weiteres Vorverfahren).214 Die Frage, wann ein VA rechtmäßig ist, beurteilt sich nach dem materiellen Recht, nicht nach dem Prozessrecht. Der VwGOGesetzgeber (Bund) wäre auch nicht befugt, über die Rechtmäßigkeit von VA zu entscheiden, die auf dem Landesverwaltungsrecht beruhen. Jedoch ist zwischen Ergänzung und (unzulässiger) Ersetzung von Ermessenserwägungen zu unterscheiden. Von einer Ergänzung kann nur gesprochen werden, wenn die Behörde im Kern an ihren bisherigen Ermessenserwägungen festhält und das materielle Recht (idR) nicht schlechthin eine spätere „Anreicherung“ (Verdeutlichung, Klarstellung, Komplettierung) von Ermessenserwägungen ausschließt. In diesem Fall dürfte § 114 S 2 VwGO (bei restriktiver Interpretation) mit dem materiellen Recht (jedenfalls grundsätzlich) vereinbar sein. In seiner Rechtsverteidigung durch das Nachschieben von Gründen unzulässig beeinträchtigt wird ein Kläger im Falle von Überraschungsentscheidungen (§ 108 II VwGO) und im Falle einer Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs (Art 103 I GG).215 Lösung Fall 23: Obwohl die Rücknahme der Einbürgerung 216 nicht begründet wurde, liegt keine Verletzung des § 39 VwVfG vor, weil dem A wegen des im Rahmen der Anhörung geführten Rechtsgesprächs die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt war (§ 39 II Nr 2 VwVfG). Da sich die Behörde im Prozess aber auf ganz andere Straftaten und damit auf ganz andere Gründe beruft, hat sie ihre Ermessenserwägungen nicht ergänzt (iSv § 114 S 2 VwGO), sondern ersetzt. Ein solches Nachschieben von Gründen im gerichtlichen Verfahren ist unzulässig, weil es der Verwaltung nicht gestattet ist, den angefochtenen VA durch einen anderen (wenn auch vom Tenor her inhaltsgleichen) zu ersetzen. Daher ist die Anfechtungsklage des T begründet.
213 Vgl Schoch DÖV 1984, 401, 410; Schmidt in: Eyermann, VwGO, § 113 Rn 25. Offen gelassen vom BVerwG, DÖV 1982, 409. 214 Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 114 Rn 12c; Rennert in: Eyermann, VwGO, § 114 Rn 85. 215 Vgl auch Schenke VerwArch 90 (1999) 232, 250. Überschreiten die nachträglichen Erwägungen den Rahmen des zulässigen Nachschiebens, sind sie im Prozess zunächst unbeachtlich. Hat die Behörde in Wahrheit einen VA erlassen (und damit den alten aufgehoben) kann der Kläger die Hauptsache für erledigt erklären, einen Fortsetzungsfeststellungsantrag gem § 113 I 4 VwGO stellen oder seine Anfechtungsklage nunmehr gegen den neuen Bescheid richten. Vgl Rennert in: Eyermann, VwGO, § 114 Rn 90. 216 Zu der (hier nicht entscheidenden) Frage, ob und wann die Rücknahme einer durch Täuschung erschlichenen Einbürgerung ungeachtet der Art 16 I, 73 Nr 2 GG auf § 48 VwVfG gestützt werden darf, vgl BVerfGE 116, 24 GG Art 16 I/1.
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6. Besondere Entscheidungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit 96
Ist eine Anfechtungsklage begründet, hebt das Gericht den VA und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf (§ 113 I 1 VwGO), ansonsten weist es die Klage – als unbegründet – ab. Zusätzlich können weitere Entscheidungen in Betracht kommen, nämlich eine Verurteilung zur Rückgängigmachung der Vollziehung des VA (§ 113 I 2 VwGO) oder zu einer Leistung (§ 113 IV VwGO) – vgl → Rn 29. An sich ist das Gericht verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 86 I 1 VwGO). Ist der VA auf unzureichende Tatsachen gestützt (und deshalb rechtswidrig) und hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es im Interesse der zügigen Erledigung des Rechtsstreits unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne Herbeiführung der Spruchreife den VA oder den Widerspruchsbescheid binnen 6 Monaten nach Eingang der Behördenakten bei Gericht aufheben (§ 113 III VwGO). Ebenso kann das Gericht in bestimmten Fällen die Neuberechnung von Geldleistungs-VA der Verwaltung überlassen (§ 113 II 2 VwGO). Dagegen muss bei mangelnder Spruchreife auf den Ausspruch, dass und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung des VA rückgängig zu machen hat, verzichtet werden (§ 113 I 3 VwGO). Die praktische Bedeutung der genannten Bestimmungen ist gering.
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§ 23 Verwaltungsgerichtliche Verpflichtungsklage Dirk Ehlers I. Funktion und Bedeutung der verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsklage Ebenso wie bei der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage (→ § 22 Rn 1 ff) handelt es sich bei der verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsklage um eine „VerwaltungsaktKlage“, weil auch diese Klageart auf die Verwendung der Handlungsform des VA durch die Verwaltung bezogen ist. Da der VA die gebräuchlichste Handlungsform der Verwaltung ist, kommt der Verpflichtungsklage eine ähnlich große Bedeutung wie der Anfechtungsklage zu. Von dieser unterscheidet sie sich in zweifacher Hinsicht: Zum einen stellt die Verpflichtungsklage im Gegensatz zur Anfechtungsklage keine Gestaltungsklage dar, weil das Gericht die Rechtslage nicht selbst gestaltet, sondern dem Beklagten die vollstreckbare (§ 172 S 1 VwGO) Verpflichtung zum Erlass eines VA auferlegt. Die Verpflichtungsklage ist insoweit weniger rechtsschutzintensiv als die Anfechtungsklage. Zum anderen richtet sich die Verpflichtungsklage nicht auf Aufhebung, sondern auf den Erlass eines VA. Ihrer Eigenart nach stellt sich die Verpflichtungsklage somit als Unterfall der Leistungsklage dar. Wegen ihrer Bezogenheit auf den VA weicht die Verpflichtungsklage aber erheblich von der insbesondere in den §§ 43 II, 111, 113 IV VwGO erwähnten, aber nicht näher geregelten allgemeinen Leistungsklage ab (die auf ein sonstiges Tun respektive Dulden oder Unterlassen gerichtet ist). So hängt die Zulässigkeit der Verpflichtungsklage anders als diejenige der allgemeinen Leistungsklage grundsätzlich von der erfolglosen Einlegung eines Widerspruchs (§ 68 II VwGO) sowie von der Wahrung einer Klagefrist (§ 74 II VwGO) ab. Ihre Wirkung entfaltet die Verpflichtungsklage in der Regel in der Ordnungs- und Leistungsverwaltung. Andere Rechtsordnungen kennen zumeist keine der Verpflichtungsklage entsprechende Klageart (dh keine Rechtsschutzform, welche auf die Verurteilung der Verwaltung zum Erlass eines Hoheitsaktes abzielt). Wird Rechtsschutz gegen die Europäische Gemeinschaft begehrt, kann zwar gem Art 232 EGV (Art 265 AEUV-E) auch eine Untätigkeitsklage erhoben werden (→ § 9). Diese führt im Falle des Erfolges aber nur zu der Feststellung, dass das beklagte Gemeinschaftsorgan durch seine Untätigkeit eine gemeinschaftsrechtliche Handlungspflicht verletzt hat. Die Verurteilung zu einem bestimmten Handeln ermöglicht europäisches Gemeinschaftsrecht anders als das deutsche Verwaltungsprozessrecht somit nicht.
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II. Zulässigkeit der verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsklage Die Verpflichtungsklage ist zulässig, wenn die allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzungen gegeben sind (→ § 21), die Rechtsschutzform statthaft ist (1.) und die besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen der Verpflichtungsklage vorliegen (2.).
2
1. Statthaftigkeit der Verpflichtungsklage Gem § 42 II Alt 2 VwGO kann durch Klage die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakt begehrt werden. Die Statthaftigkeit der VerpflichDirk Ehlers
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tungsklage hängt somit von vier Voraussetzungen ab, nämlich davon, dass sich das Begehren auf die Verpflichtung der Verwaltung (1) zum Erlass eines VA (2) nach Ablehnung oder Unterlassung (3) durch das Verwaltungsgericht (4) bezieht.
a) Verwaltungsaktqualität des begehrten Behördenhandelns 4
Fall 1: Nachdem der gem § 12 II 1 BauGB gestellte Antrag des Vorhabenträgers A über die Einleitung eines Bebauungsplanverfahrens zwecks Erschließung eines neuen Baugebiets von der Gemeinde nicht beschieden worden ist, hat A verwaltungsgerichtliche Verpflichtungsklage auf Entscheidung erhoben.
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Fall 2: Zeitungsverlag B hat bei der zuständigen Behörde einen Antrag auf Erteilung von Umweltinformationen über Abwassereinleitungen eines Chemiewerks gestellt, der unter Hinweis auf ein noch laufendes strafrechtliches Verfahren (§ 8 I Nr 3 UIG) abschlägig beschieden wurde. Daraufhin klagt B vor dem VG auf Erteilung von Auskunft.
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Fall 3: Der Antrag des C auf Erteilung einer Baugenehmigung wird zu Unrecht abgelehnt. Nach erfolglosem Vorverfahren wird der Bebauungsplan zuungunsten des C geändert. C möchte Klage beim VG erheben und fragt, welchen Antrag er stellen soll.
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Die Klage muss sich auf den Erlass eines VA richten. Was die Verwaltungsgerichtsordnung unter einem VA versteht, bestimmt sich nach § 35 (B)VwVfG. Die früher gelegentlich vertretene Auffassung,1 dass unter den Begriff des VA iSd § 42 II VwGO jede Amtshandlung zu subsumieren ist, weil § 113 IV 1 VwGO (heute § 113 V 1 VwGO) diesen Begriff verwendet, hat sich zu Recht nicht durchgesetzt.2 § 113 V 1 VwGO knüpft an § 42 I VwGO an und setzt auch selbst voraus, dass ein VA abgelehnt oder unterlassen worden ist. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass für die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ein unterschiedlicher Verwaltungsaktsbegriff gelten soll. Gründe für eine Abweichung von § 35 (B)VwVfG sind nicht ersichtlich, zumal die allgemeine Leistungsklage einen Rechtsschutz auf Vornahme von Handlungen ermöglicht, die keine VA sind (der Begriff des VA also nicht zur Schließung einer Rechtsschutzlücke ausgeweitet zu werden braucht).
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Lösung Fall 1: Die Verpflichtungsklage setzt die Verurteilung zum Erlass eines VA voraus. Da durch § 12 II 1 BauGB ein Recht des Vorhabenträgers weder begründet noch festgestellt wird, ist die Entscheidung über die Einleitung eines Bebauungsplanverfahrens mangels einer Regelung (Setzung einer Rechtsfolge) kein VA. Somit ist die Verpflichtungsklage unzulässig.
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Die Verpflichtungsklage betrifft alle Arten von VA 3 (zB auch gestaltende oder feststellende 4 VA). Unerheblich ist, ob der Adressat des beantragten VA der Kläger selbst oder ein Dritter (wie im Falle des Verlangens eines polizeilichen Einschreitens gegen den Verantwortlichen) sein soll. Ohne Bedeutung ist ferner, auf welcher Rechtsgrundlage der VA be1 2 3 4
Bettermann NJW 1960, 649; ders DVBl 1969, 703, 705. BVerwGE 31, 301, 303 f; Erichsen in: JURA Extra, 2. Aufl 1983, 172, 187 f. BVerwGE 90, 265, 269. BVerwG, NVwZ 1991, 267 f.
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ruht. So ist die Verpflichtungsklage auch dann einschlägig, wenn sich die Behörde in einem verwaltungsrechtlichen Vertrag zum Erlass eines VA verpflichtet hat.5 Begehrt der Kläger eindeutig die Verpflichtung der Behörde, durch VA zu entscheiden, ist die Verpflichtungsklage selbst dann statthaft, wenn nicht durch VA entschieden werden darf.6 Die Klage scheitert dann erst an der Klagebefugnis, dem Rechtsschutzbedürfnis oder der Begründetheit. Im Zweifelsfall ist das Klagebegehren (§ 88 VwGO) aber dahingehend auszulegen, dass der Kläger die richtige Klageart in Anspruch nehmen will. Hierauf hat auch der Vorsitzende im Rahmen seiner Aufklärungspflicht (§ 86 III VwGO) hinzuwirken. Wird ein Realakt (zB Auskunftserteilung, Gewährung von Akteneinsicht oder Herausgabe bzw Vernichtung von Unterlagen) begehrt, hängt die Bestimmung der Klageart – im Falle des Fehlens einer eindeutigen Wahl der Rechtsschutzform und eines Beharrens auf dieser Rechtsschutzform – davon ab, ob die Entscheidung der Behörde über die Vornahme des Realakts durch VA zu treffen ist. Dies beurteilt sich nach dem materiellen Recht. Fehlt es an eindeutigen Anhaltspunkten, kann nicht von einer Entscheidung durch VA ausgegangen werden.7 Richtige Klageart ist dann (nur) die allgemeine Leistungsklage (→ § 24 Rn 1). Lösung Fall 2: Die Erteilung einer Auskunft ist ein Realakt, der nur mit der allgemeinen Leistungsklage durchgesetzt werden kann. Das Begehren des B dürfte sich in Wahrheit aber darauf richten, eine positive Entscheidung über das Auskunftsbegehren zu treffen. Ob die Entscheidung in solchen Fällen ein VA ist, beurteilt sich nach der Rspr unterschiedlich. Handelt es sich bei der Auskunftserteilung um eine Routineangelegenheit, könne ein VA idR nicht angenommen werden. Liege der rechtliche Schwerpunkt dagegen nicht in der Erteilung oder Versagung der Auskunft als solcher, sondern in der hierdurch zum Ausdruck gebrachten Ermessensentscheidung der Behörde, müsse von einem VA ausgegangen werden.8 Diese Differenzierung vermag nicht zu überzeugen. Maßgebend kann nur sein, ob das materielle Recht eine vorgeschaltete verbindliche Entscheidung durch VA vorsieht. Dies trifft auf den Umweltinformationsanspruch zu, weil die Ablehnung des Informationsantrags gem §§ 5, 6 II UIG als VA ausgestaltet ist (→ § 24 Rn 17). B kann daher nur Auskunft erlangen, wenn zunächst der ablehnende Bescheid aufgehoben und durch einen positiven Bescheid ersetzt wird. Die richtige Klageart hierfür ist die Verpflichtungsklage.
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Da der Widerspruchsbescheid ebenfalls ein VA ist, kann auch eine auf Erlass oder Änderung eines Widerspruchsbescheids gerichtete Verpflichtungsklage in Betracht kommen. Allerdings dürfte einer solchen Klage wegen der Möglichkeit der Erhebung einer isolierten Anfechtungsklage (§ 79 II VwGO) oder einer auf den Erlass des begehrten VA gerichteten Verpflichtungsklage (sei es auch in Form der Untätigkeitsklage) vielfach das Rechtsschutzbedürfnis fehlen.9 Ist der Antrag auf Erlass eines VA abgelehnt oder unter-
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5 Vgl Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs 1 Rn 99; Kopp/Schenke VwGO, § 42 Rn 43 mN auch der Gegenmeinung. 6 Vgl Happ in: Eyermann, VwGO, § 42 Rn 27; aA uU Hufen VerwPrR, § 15 Rn 3, der eine Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Genehmigung (offenbar stets) für nicht statthaft hält, wenn das Vorhaben genehmigungsfrei ist. 7 Str, vgl zum Meinungsstand Stelkens/Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn 99 ff. 8 BVerwGE 31, 301 ff. 9 Vgl Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 79 Rn 17; Schenke VerwPrR, Rn 262.
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lassen worden und erledigt sich der Erlass nunmehr (zB wegen Änderung der Rechtslage), ist die Verpflichtungsklage zwar nicht unstatthaft. Doch fehlt es dem Verpflichtungskläger entweder an der Klagebefugnis oder die Verpflichtungsklage ist unbegründet. In Betracht kommt in solchen Fällen aber eine Fortsetzungsfeststellungsklage, indem § 113 I 4 VwGO analog auf die Versagungsgegenklage angewendet wird (→ § 26 Rn 28 ff), oder eine Feststellungsklage (§ 25 Rn 1). 12
Lösung Fall 3: Eine Verpflichtungsklage verspricht nunmehr keinen Erfolg mehr, da es hierbei auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor Gericht respektive den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (III. 2.) ankommt und C nunmehr keinen Anspruch auf eine Baugenehmigung mehr hat. In Betracht kommt eine Fortsetzungsfeststellungsklage wegen doppelt analoger Anwendung des § 113 I 4 VwGO (Erledigung vor Klageerhebung, Anwendung auf die Verpflichtungsklage). Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist allerdings wegen fehlenden Feststellungsinteresses unzulässig, wenn es dem C nur noch auf Schadensersatz ankommt. In diesem Falle kann gleich vor dem Zivilgericht geklagt werden (→ § 26 Rn 57).
b) Unterscheidung von Versagungsgegenklage und Untätigkeitsklage 13
§ 42 I VwGO erfasst sowohl den Fall eines abgelehnten als auch eines unterlassenen VA. Im ersten Fall wird von einer Versagungs- oder Weigerungsgegenklage, im zweiten von einer Untätigkeitsklage gesprochen. Die Untätigkeitsklage ist keine eigene Klageart, sondern ein Unterfall der Verpflichtungsklage, für die § 75 VwGO Ausnahmen vom Erfordernis eines Widerspruchsverfahrens vorsieht. Beide Formen der Verpflichtungsklage setzen einen vorherigen, bei der Verwaltung gestellten Antrag auf Vornahme des VA voraus (auch wenn dieser ohne Antrag ergehen kann oder gar von Amts wegen erlassen werden muss). Für die Versagungsgegenklage versteht sich dies wegen der Anknüpfung an eine Ablehnung von selbst, für die Untätigkeitsklage folgt das Antragerfordernis aus § 75 S 1 VwGO.10 Die Versagungsgegenklage richtet sich nicht gegen die Ablehnung des VA, sondern auf die Verpflichtung zum Erlass des beantragten VA. Die Ablehnung ist selbst ein VA, der idR aber mangels Rechtsschutzbedürfnisses keiner isolierten Anfechtung zugänglich ist, weil die Versagungsgegenklage die Klage auf Aufhebung der Ablehnung (in der Gestalt, die sie durch den Widerspruchsbescheid erfahren hat) einschließt.11 Die Ablehnung wird aber nur insoweit aufgehoben, als sie dem Verpflichtungsausspruch entgegensteht. Verlangt der Kläger eine darüber hinausgehende Aufhebung (zB nicht nur Aufhebung zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Gerichts 12, sondern Aufhebung ex tunc), muss Anfechtungsklage erhoben werden.
10 Vgl BVerwGE 99, 158, 160. Das BVerwG beruft sich auch darauf, dass es nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung zunächst Sache der Verwaltung sei, sich mit Ansprüchen des einzelnen zu befassen. Vgl aber auch § 156 VwGO (Kosten bei sofortigem Anerkenntnis bei fehlender Veranlassung zu Erhebung der Klage). 11 Vgl Schenke VerwPrR, Rn 263, 851. Näher zur isolierten Anfechtungsklage → § 22 Rn 23 ff. 12 Zum maßgeblichen Zeitpunkt für die gerichtliche Beurteilung der Verpflichtungsklage → Rn 44 ff.
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c) Unterscheidung von Vornahmeklage und Bescheidungsklage Fall 4: Telekommunikationsunternehmen D hat einen Verpflichtungsanspruch auf Genehmigung höherer Entgelte vor dem VG geltend gemacht und Neubescheidung iSd § 113 V 2 VwGO begehrt. In der mündlichen Verhandlung begehrt D nunmehr eine Neubescheidung aus anderen Gründen nach einer anderen Vorschrift des TKG. Darf das VG die Klage wegen Unzulässigkeit der Klageänderung (§ 91 VwGO) abweisen?
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Da der Kläger bei fehlender Spruchreife (§ 113 V 2 VwGO) nicht den Erlass eines VA erreichen kann, muss es ihm gestattet werden, nicht nur einen Vornahmeantrag (§ 113 V 1 VwGO), sondern auch einen Antrag auf Neubescheidung (§ 113 V 2 VwGO) zu stellen. Ein Bescheidungsurteil kommt insbesondere in Betracht, wenn die Ablehnung oder Unterlassung des VA zwar rechtswidrig war, die Verwaltung aber noch über Ermessen oder einen Beurteilungsspielraum verfügt. UU darf aber auch bei gebundenen VA im Hinblick auf die Notwendigkeit weiterer Sachverhaltsermittlungen der Verwaltung ausnahmsweise ein Bescheidungsurteil ergehen (→ Rn 48). Wird die Verpflichtung zum Erlass eines VA begehrt, enthält dieser Antrag als Minus idR zwar auch einen Bescheidungsantrag.13 Um sicher zu gehen, ist der Kläger aber gut beraten, in Zweifelsfällen sowohl einen Vornahmeantrag als auch (hilfsweise) einen Bescheidungsantrag zu stellen. Da der Streitgegenstand einer Vornahme- und einer Bescheidungsklage im Wesentlichen identisch ist, stellt der Übergang von einem Vornahme- zu einem Bescheidungsantrag keine Klageänderung dar.14 Ist auf Vornahme (Verpflichtung zum Erlass des VA) geklagt worden und ergeht ein Bescheidungsurteil, ist die Klage teilweise unbegründet. Dies hat an sich zur Folge, dass der Kläger gem § 155 I VwGO auch einen Teil der Kosten zu tragen hat. Die Praxis bewertet ein derartiges Teilunterliegen je nach Sachlage zwischen 1/3 und 1/10.15 Doch erscheint es unbillig, dem Kläger die Kosten aufzuerlegen, wenn zB die Ablehnung des beantragten VA ermessensfehlerhaft war, der Kläger aber nicht vorhersehen konnte, ob die Voraussetzungen einer Ermessensreduzierung auf Null vorlagen. Um den Prognoseschwierigkeiten Rechnung zu tragen, wird man die Gerichte für verpflichtet halten müssen, entweder am Ende der mündlichen Verhandlung gem § 86 III VwGO eine dem Ergebnis entsprechende Fassung anzuregen 16 oder von § 155 IV VwGO (Auferlegung verschuldeter Kosten) – ggf auch durch entspr. Anwendung der Vorschrift – großzügig Gebrauch zu machen (Kostentragungspflicht der Verwaltung).17
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Lösung Fall 4: Eine Klageänderung (iSd § 91 VwGO) ist nur bei Veränderung des Streitgegenstandes gegeben. Der Streitgegenstand einer Bescheidungsklage ist der prozessuale Anspruch des Klägers auf Neubescheidung. Das VG ist bei seiner Entscheidungsfindung an das im Streitgegenstand zum Ausdruck kommende Klagebegehren gebunden, nicht jedoch
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13 14 15 16
Vgl BVerwG, NVwZ-RR 1997, 271, 273. BVerwG, NVwZ 2007, 104 f → JK VwGO § 113 V 2/21. Rennert in: Eyermann, VwGO, § 155 Rn 3. Jegliches Risiko können die nicht letztinstanzlich entscheidenden Gerichte dem Rechtsschutzsuchenden nicht abnehmen, weil sich nicht ausschließen lässt, dass das Rechtsmittelgericht anders entscheiden wird. 17 Vgl Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 42 I Rn 102.
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an die Klagegründe.18 Es prüft die Rechtslage von Amts wegen und richtet den Inhalt seiner Entscheidung an dem Ergebnis dieser Prüfung aus. Somit kann und muss ggf der Klage im Rahmen des Streitgegenstands auch aus anderen Gründen stattgegeben werden, als die vom Kläger geltend gemacht werden. Demgemäß stellt die Änderung der von D vorgebrachten und vertretenen Rechtsauffassung keine Klageänderung dar.19
d) Abgrenzung zu anderen Klagearten 17
Fall 5: E ist Adressat eines bestandskräftig gewordenen Gebührenbescheids. Nachdem das BVerwG entschieden hat, dass die dem Gebührenbescheid zugrunde liegende GebührenVO mit höherrangigem Recht unvereinbar ist, die Behörde ein Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens aber abgelehnt hat, erhebt E verwaltungsgerichtliche Klage, um einen günstigeren Gebührenbescheid zu erstreiten. Er möchte wissen, welchen Klageantrag er stellen soll.
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Fall 6: Obwohl die Bauaufsichtsbehörde dem Nachbarn F die Einhaltung des objektiven Baurechts zugesichert hat, erteilt sie dem Bauherrn die beantragte Genehmigung. Welche Klage kann F erheben?
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Fall 7: In der Stadt X sind 30 neue Genehmigungen für den Verkehr mit Taxen erteilt worden. Bewerber G wurde nicht berücksichtigt und erhebt deshalb Verpflichtungsklage.
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Fall 8: Dem ausländischen Ehemann der H wurde die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis versagt. Daraufhin hat H gegen diesen Bescheid Anfechtungsklage erhoben.
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Probleme kann insbesondere die Abgrenzung des Anwendungsbereichs von Anfechtungsund Verpflichtungsklage aufwerfen. Da die Anfechtungsklage grundsätzlich rechtsschutzintensiver ist (I.) und dem Kläger idR das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn er eine weniger intensive Rechtsschutzform wählt 20, geht die Anfechtungsklage prinzipiell vor (→ § 22 Rn 2). Ist zB eine Baugenehmigung noch nicht bestandskräftig geworden, muss der Nachbar Anfechtungs- statt Verpflichtungsklage – gerichtet auf Rücknahme der Genehmigung – erheben. Nach Bestandskraft eines VA kommt nur noch ein Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens im engeren Sinne (§ 51 I VwVfG) oder im weiteren Sinne 21 (§ 51 V iVm §§ 48 I, 49 I VwVfG) in Betracht. Im ersten Fall richtet sich das Begehren auf Erlass eines Zweitbescheides (nicht lediglich auf Wiederaufgreifen 22 oder auf Wiederaufgreifen und Erlass eines Zweitbescheides 23), im zweiten auf Rücknahme oder Widerruf.24 Somit ist stets die Verpflichtungsklage die zutreffende Rechtsschutzform. 18 19 20 21
Vgl BVerwGE 111, 318, 320. Vgl BVerwG, NVwZ 2007, 104, 106 → JK VwGO § 113 V 2/21. Vgl auch den Rechtsgedanken des § 43 II 1 VwGO. Maurer AllgVerwR, § 11 Rn 62 f; krit zur Rechtsfigur eines Wiederaufgreifens im weiteren Sinne Ruffert in: Erichsen/Ehlers, Allg VerwR, § 25 Rn 12. 22 Str, vgl Fall 6. 23 In Betracht würde dann eine Stufenklage kommen. 24 Teilweise wird angenommen, dass auch nach einem Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens iSd § 51 I VwVfG die Entscheidung nach den §§ 48 I, 49 I VwVfG zu treffen ist (zB Maurer Allg-
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Lösung Fall 5: Da zwischen dem Wiederaufgreifen des Verfahrens und der Sachentscheidung (hier Ersetzung oder Aufhebung des Gebührenbescheids) zu trennen und die Entscheidung über das Wiederaufgreifen von der Behörde zu treffen ist, wird vielfach angenommen, dass zunächst auf Wiederaufgreifen geklagt werden muss.25 Demgegenüber vertritt das BVerwG 26 die Auffassung, dass nicht lediglich auf Wiederaufgreifen geklagt und vom Gericht isoliert über die Frage, ob wieder aufzugreifen ist, entschieden werden kann. Für die Auffassung des BVerwG spricht – neben prozessökonomischen Gründen – der Rechtsgedanke des § 44a VwGO (→ § 21 Rn 172 ff), mag die Vorschrift auch nur Rechtsbehelfe „gegen“ behördliche Verfahrenshandlungen betreffen. Da in jedem Fall die Verpflichtungsklage die richtige Klageart ist, betrifft der Meinungsstreit nicht die Statthaftigkeit der Klage, sondern andere Sachentscheidungsvoraussetzungen. Dem Rechtsschutzsuchenden bleibt es unbenommen, statt auf Vornahme nur auf Bescheidung zu klagen (weil nach materiellem Recht 27 respektive dem § 48 I VwVfG eine Ermessensentscheidung zu treffen ist).
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Wendet sich der Kläger nur gegen die einem VA beigefügte Nebenbestimmung, soll nach der (umstrittenen) Rspr des BVerwG grundsätzlich eine Anfechtungsklage zu erheben sein, weil die Frage der Teilbarkeit des VA eine Begründetheitsfrage sei. Anders stelle sich die Rechtslage dar, wenn eine isolierte Aufhebbarkeit „offenkundig von vornherein“ ausscheidet (→ § 22 Rn 21). Dann sei nur die Verpflichtungsklage statthaft. Folgt man dieser Weichenstellung, empfiehlt es sich für den Kläger im Normalfall, neben dem Anfechtungsantrag hilfsweise einen Verpflichtungsantrag gerichtet auf uneingeschränkte Vergünstigung für den Fall zu stellen, dass sich im Rahmen der Begründetheitsprüfung erweist, dass eine isolierte Aufhebbarkeit nicht rechtmäßig ist (→ § 22 Rn 21). Ist dem Kläger ein vorläufiger begünstigender VA erteilt worden und wird dieser durch einen hinter dem vorläufigen Bescheid zurückbleibenden endgültigen VA ersetzt, hat sich der vorläufige VA erledigt (so dass eine Anfechtungsklage gegen die Aufhebung des vorläufigen VA nicht statthaft ist). Will der Kläger einen günstigeren endgültigen Bescheid erstreiten, muss er Verpflichtungsklage erheben.28 Wurde einer anderen Person eine Vergünstigung durch VA eingeräumt (zB eine Subventionsgewährung) und strebt der Kläger eine entsprechende Vergünstigung (etwa unter Berufung auf Art 3 I GG) auch für sich selbst an, ist die Verpflichtungsklage die richtige Klageart (mitunter wird auch – nicht sehr glücklich – von einer positiven Konkurrentenklage gesprochen). Kann der Kläger die Vergünstigung nur erreichen, wenn sie mindestens einer anderen Person zuvor genommen wird (sog negative Konkurrentenklage), muss sowohl Anfechtungsklage erhoben werden (um die Vergünstigung wieder verfügbar zu machen) als auch Verpflichtungsklage (gerichtet auf Selbstbegünstigung → § 22 Rn 29). Nur über die
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VerwR, § 11 Rn 61). Dieser Ansicht ist nicht zu folgen. Vielmehr wird das Verfahren in die Lage vor der letzten Verwaltungsentscheidung versetzt, so dass eine Entscheidung nach materiellem Recht zu treffen ist. Vgl BVerwG, NJW 1982, 2204 f; BVerwGE 70, 110, 115; Ehlers Die Verwaltung 37 (2004), 255, 284. Zur Entscheidung nach dem § 51 V iVm den §§ 48, 49 VwVfG vgl BVerwGE 113, 322, 326. Vgl Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 51 Rn 69; Ruffert in: Erichsen/Ehlers, Allg VerwR, § 25 Rn 11. BVerwGE 106, 171, 173; vgl auch Clausing JuS 1999, 474, 475; Hödl-Adick Die Bescheidungsklage als Erfordernis eines interessengerechten Rechtsschutzes, 2001, 282 ff; Schenke VerwPrR, Rn 278 f. Vgl Ehlers Die Verwaltung 37 (2004), 255, 284. Grundl BVerwGE 67, 99 ff. Zum vorsorglichen (statt vorläufigen) VA vgl BVerwGE 81, 84 ff.
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Verpflichtungsklage kann Rechtsschutz nicht erlangt werden, weil es einen (grundrechtlich fundierten) Folgenbeseitigungsanspruch zu Lasten Dritter nicht gibt und § 113 V im Gegensatz zu § 113 I 1 VwGO eine Rechtsgestaltung des Gerichts zum Zwecke der Gewährung von Rechtsschutz mit Ausnahme einer Aufhebung des an den Kläger adressierten Ablehnungsbescheides nicht erlaubt.29 Da die Verpflichtungsklage nur auf den Erlass eines VA abzielt, kann mit ihr nicht die Verurteilung zur Unterlassung eines VA erreicht werden. Die richtige Klageart ist in solchen Fällen die allgemeine Leistungsklage. Diese ist idR allerdings unzulässig, weil der Kläger bei vorbeugendem Rechtsschutz eines qualifizierten Rechtsschutzbedürfnisses bedarf und es – auch wegen §§ 80 I, V VwGO – grundsätzlich zumutbar ist, zunächst den Erlass des VA abzuwarten (→ § 24 Rn 35; § 21 Rn 201). 24
Lösung Fall 6: Grundsätzlich kommt nur eine Anfechtungsklage des F in Betracht. Kann sich F erfolgreich nur auf die Zusicherung (und nicht auf – sonstige – Nachbarrechte) berufen, soll die unter Verletzung der Zusicherung erteilte Baugenehmigung nach Ansicht des BVerwG30 nicht mit der Anfechtungsklage, sondern nur mit der auf Rücknahme der Baugenehmigung gerichteten Verpflichtungsklage angreifbar sein (die Zusicherung wird als rechtsmäßig angesehen, richte sich aber nur gegen die Behörde und wandle sich nach Erteilung der Baugenehmigung in einen Anspruch auf Rücknahme der Baugenehmigung um, wenn Vertrauensschutzgesichtspunkte des Bauherrn nicht entgegenstehen).
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Lösung Fall 7: Geht man (zu Unrecht 31) von der Verfassungsmäßigkeit und Konformität des § 13 IV PBefG mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht und dem Grundgesetz sowie von einer Kapazitätserschöpfung aus, müsste G an sich zunächst Anfechtungsklage (gegen eine, mehrere oder alle Genehmigungen) und sodann Verpflichtungsklage (auf Erteilung einer an ihn adressierten Genehmigung) erheben. Das BVerwG 32 hat es in solchen Fällen (GüKG aF) – wohl um dem Kläger eine Vielzahl von Klagen zu ersparen – für zulässig erachtet, wenn der im Auswahlverfahren erfolglose Bewerber nur auf Neubescheidung klagt. Im Falle des Erfolgs der Klage müsse die Behörde neben einer erneuten Bescheidung des rechtswidrig übergangenen Klägers zugleich prüfen, ob sie eine rechtswidrig erteilte Genehmigung zurücknehme und die dadurch freiwerdende Genehmigung dem Kläger zuteile. Nach Schenke 33 muss der Kläger auf Erteilung der Genehmigung, nicht lediglich auf erneute Bescheidung klagen, da die Behörde wegen des Bestehens eines grundrechtlich fundierten Beseitigungsanspruchs ohne Anfechtung verpflichtet sei, einen noch nicht bestandskräftigen, den Konkurrenten in seinen Rechten verletzenden VA aufzuheben und damit den auf die Begünstigung gerichteten Anspruch zu erfüllen. Diese Auffassungen sind problematisch. Die Verpflichtungsklage kann (auch als Bescheidungsklage) nur erfolgreich sein, wenn feststeht, dass zumindest einem anderen Bewerber zu Unrecht die Genehmigung erteilt wurde. Eine Ausklammerung der anderen Bewerber aus dem gerichtlichen Verfahren ist somit nicht möglich. Zur Aufhebung eines VA ist das VG im Rahmen des § 113 V VwGO nicht befugt. Auch kann mit einem bloßen Verpflichtungsantrag nicht verhindert werden, dass die den Mitbewerbern erteilten Genehmigungenbestandskräftig werden. Daher muss G sowohl Anfechtungs- als auch Verpflichtungsklage erheben.
29 AA Schenke VerwPrR, Rn 276 f. 30 BVerwGE 49, 244 ff. 31 Vgl Badarsky Objektive Marktzugangsbeschränkungen im Taxengewerbe aus verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Sicht, 1998. 32 BVerwGE 49, 244, 251 f. 33 Schenke VerwPrR, Rn 276 f.
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Verwaltungsgerichtliche Verpflichtungsklage
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Lösung Fall 8: Bei der Klage der H könnte es sich um eine unzulässige isolierte Anfechtungsklage handeln. Doch erschöpft sich die Anfechtung des Versagungsbescheides nicht in der Aufhebung der Ablehnung einer Vergünstigung. Beantragt ein Ausländer die Verlängerung seines Aufenthaltstitels, gilt der bisherige Aufenthaltstitel gem § 81 IV AufenthG bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Lehnt die Behörde die Verlängerung des Aufenthaltstitels ab, wird nicht nur eine Vergünstigung vorenthalten, sondern zugleich der Status quo des Ausländers (und damit zugleich seiner Ehefrau) wegen des Wegfalls der Fiktionswirkung des § 81 IV AufenthG verschlechtert. Daher darf sich H darauf beschränken, Anfechtungsklage gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu erheben (weil dies im Erfolgsfall wiederum die Fiktionswirkungen des § 81 IV AufenthG auslösen würde).34
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2. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen der Verpflichtungsklage
a) Erfolglose, form- und fristgerechte Widerspruchserhebung Fall 9: I hat drei Monate nach Stellung eines Antrags auf Erteilung einer Auskunft nach dem UIG Untätigkeitsklage erhoben. Nachdem das Gericht das Verfahren ausgesetzt und die Behörde den Erlass des beantragten VA abgelehnt hat, stellt sich I die Frage, ob er nunmehr noch Widerspruch einlegen muss.
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Gem § 68 II iVm I VwGO bedarf es auch vor Erhebung von Versagungsgegenklagen (wenn also der Antrag auf Vornahme des VA abgelehnt worden ist), der erfolglosen, formund fristgerechten Einlegung eines Widerspruchs, sofern nicht die Ausnahmevoraussetzungen des § 68 I 2 VwGO vorliegen (→ § 22 Rn 31). Ergibt sich aus § 68 I 2 VwGO nichts anderes, gilt § 68 II VwGO auch, wenn der Erlass eines VA aufgrund eines Vertrages oder einer Zusicherung begehrt wird.35 Die an die Erhebung des Widerspruchs zu stellenden Anforderungen entsprechen denjenigen im Anfechtungsverfahren (→ § 22 Rn 33). Wie sich aus § 80 I VwGO ergibt, hat der Widerspruch gegen die Ablehnung auf Vornahme des VA anders als im Anfechtungsverfahren keine aufschiebende Wirkung, so dass vorläufiger Rechtsschutz nur über die einstweilige Anordnung gem § 123 I VwGO zu erlangen ist. Das Erfordernis der Widerspruchserhebung gilt nicht, wenn die Behörde untätig geblieben ist, dh über den Antrag auf Vornahme des VA ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat (§ 75 S 1 VwGO).36 Was angemessen ist, bestimmt sich nach einer Abwägung zwischen der Dringlichkeit der Sachentscheidung für den Kläger und den Gründen für die Bearbeitungsdauer bei der Behörde. Als zureichender Grund für eine Nichtentscheidung sind zB eine vorübergehende Antragsflut oder Anlaufschwierigkeiten im Zuge des Aufbaus der Verwaltung, nicht hingegen Urlaub,
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34 Vgl Albrecht in: Storr ua, Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl 2008, § 81 Rn 25. Zum vorläufigen Rechtsschutz vgl (noch zum früheren AuslR) VGH BW, NVwZ-RR 1992, 509 ff. 35 AA HessVGH, DÖV 1964, 462 f; Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 31 Rn 10; wie hier Dolde in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 68 Rn 8. 36 Dies galt gem § 126 III BRRG (§ 54 II BeamtStG, § 126 II BBG) auch bei beamtenrechtlichen Klagen. Vgl zur früheren Rechtslage Ule Beamtenrecht, 1970, § 126 Rn 3.
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Krankheit oder eine längerfristige Überlastung der Verwaltung anzusehen.37 Die Klage darf dann gem § 75 S 2 VwGO 38 nach Ablauf einer Sperre von drei Monaten erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles (insbesondere Dringlichkeit des VA) eine kürzere Frist geboten ist (→ Rn 36). Liegt ein zureichender Grund dafür vor, dass der beantragte VA noch nicht erlassen worden ist, setzt das VG das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus (§ 75 S 3 VwGO). Hat das Gericht keine Frist gesetzt 39 oder die Behörde nicht innerhalb der gesetzten Nachfrist entschieden, kommt dem Kläger die Vergünstigung des § 75 S 1 VwGO zugute. Der Erhebung eines Widerspruches bedarf es in diesem Falle selbst dann nicht, wenn die Behörde den Kläger während des Rechtsstreits doch noch ablehnend bescheidet.40 Wird der VA innerhalb der gesetzten Frist erlassen, ist die Hauptsache für erledigt zu erklären (§ 75 S 4 VwGO). 30
Lösung Fall 9: Ist die Untätigkeitsklage zulässigerweise erhoben worden und lehnt die Behörde innerhalb der ihr vom Gericht gesetzten Frist die Vornahme des beantragten VA ab, soll nach dem BVerwG 41 die gerichtliche Sachentscheidung erst nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens zulässig sein. Einer ausdrücklichen Einlegung des Widerspruchs bedürfe es aber nicht. Der Widerspruch sei mit der Untätigkeitsklage antizipiert. Diese Auffassung ist nicht zweifelsfrei, weil sie den Rechtsschutz des Untätigkeitsklägers weiter hinauszögert 42 und ein Widerspruch nur nach Ergehen des VA möglich ist.43 Geht man von der Entbehrlichkeit eines Widerspruchs als SEV im vorliegenden Fall aus, bedeutet dies nicht, dass der Kläger nicht gleichwohl Widerspruch erheben darf, um eine Zweckmäßigkeitsprüfung zu erreichen.
b) Klagebefugnis 31
Fall 10: J verlangt von der Bauaufsichtsbehörde ein Einschreiten dagegen, dass auf dem Nachbargrundstück ohne Baugenehmigung und unter Verletzung des Abstandsflächenrechts ein Gebäude errichtet worden ist. Er erhebt deshalb Verpflichtungsklage auf Erlass einer Abrissverfügung.
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Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist eine Verpflichtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch die Ablehnung oder Unterlassung des VA in seinen Rechten verletzt zu sein (§ 42 II VwGO). Der Kläger wird dann durch die Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt, wenn er einen Anspruch auf Erlass des VA (Vornahme) oder auf (Neu-)Bescheidung hat (→ Rn 38 ff). Anders als bei der Anfechtungsklage geht es nicht um einen Abwehr-, sondern um einen Leistungsanspruch. Da sich den
37 Vgl OVG Hamburg, NJW 1990, 1379, 1380; Dolde in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 75 Rn 8; Rennert in: Eyermann, VwGO, § 75 Rn 9. Ausf zum zureichenden Grund einer Entscheidungsverzögerung Leissner VerwArch 2000, 227, 240 ff. 38 Vgl auch § 14 a BImSchG. 39 Vgl BVerwGE 100, 221, 224. 40 BVerwGE 66, 342, 344. 41 BVerwGE 42, 108, 112. 42 Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 31 Rn 28. 43 Ehlers DVBl 1976, 71 f; Rennert in: Eyermann, VwGO, § 75 Rn 14.
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Grundrechten – von Art 3 GG abgesehen – idR keine unmittelbaren Leistungsansprüche entnehmen lassen 44, können sich diese im Falle der Nichtanwendbarkeit des Gleichheitssatzes grundsätzlich nur aus einfachem Recht oder aus den rechtsgeschäftlichen Erklärungen der Verwaltung (zB einem verwaltungsrechtlichen Vertrag oder einer Zusicherung) ergeben. Bei der Interpretation des einfachen Rechts ist indessen das Gebot verfassungskonformer Auslegung zu berücksichtigen. So sind präventive Verbote mit Erlaubnisvorbehalt in der Ordnungsverwaltung prinzipiell nur grundrechtskonform, wenn der Einzelne im Falle des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen einen Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis (etwa zum Bauen oder zur Ausübung eines Gewerbes) hat. Bei repressiven Verboten mit Befreiungsvorbehalt muss dem Einzelnen idR zumindest ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Befreiungsvoraussetzungen eingeräumt werden.45 Da vom Kläger nur die „Geltendmachung“ einer Rechtsverletzung durch Ablehnung oder Unterlassung des VA verlangt wird und hierfür die Möglichkeit ausreicht (→ § 22 Rn 43 f), muss der Kläger den Anspruch nicht schlüssig darlegen. Andererseits reicht der Hinweis darauf, dass er mit seinem Antrag nicht oder nicht vollständig durchgedrungen ist, nicht aus. Vielmehr ist zu verlangen, dass sich der Verpflichtungskläger auf eine Anspruchsgrundlage des öffentlichen Rechts berufen kann, die zumindest auch dazu bestimmt ist, den Personenkreis zu schützen, dem sich der Kläger zurechnet, und die dem Kläger möglicherweise den begehrten Anspruch auf Erlass des VA oder jedenfalls auf Bescheidung zuspricht. Lösung Fall 10: Im POR ist anerkannt, dass der Einzelne nach Maßgabe der Generalklauseln einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung hat, wenn eine Gefahr für das Rechtsgut des Einzelnen besteht.46 Nichts Anderes gilt im Bauordnungsrecht. Nach den bauordnungsrechtlichen Generalklauseln können die Bauaufsichtsbehörden zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben die erforderlichen Maßnahmen treffen.47 Da das Abstandsflächenrecht nachbarschützenden Charakter hat 48, kann J jedenfalls einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das bauaufsichtsrechtliche Einschreiten geltend machen. Ob er einen Anspruch auf Erlass der begehrten Abrissverfügung hat, ist eine Begründetheitsfrage. IdR ist eine Ermessensreduzierung auf Null nicht gegeben.49 UU kann auch die Möglichkeit eines zivilrechtlichen Vorgehens gegen den Bauherrn ein beachtlicher Ermessensgesichtspunkt (für ein Nichteinschreiten der Behörde) sein.
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c) Richtiger Klagegegner § 78 I VwGO regelt ausdrücklich nur, gegen wen die Klage zu richten ist, wenn die Behörde den beantragten VA unterlassen hat (Untätigkeitsklage). Nicht erwähnt wird der viel häufigere Fall der Versagungsgegenklage. Doch besteht Übereinstimmung darüber, dass 44 Vgl aber zB BVerwG, NJW 2003, 2629 (verfassungsunmittelbarer Auskunfts- und Informationsanspruch gegen die Verwaltung gem Art 12 I GG) → JK 4/04, GG Art 12 I/71. 45 Vgl zum Ganzen auch Ehlers in: Erichsen/ders, AllgVerwR, § 1 Rn 38. 46 Schoch in: Schmidt-Aßmann/ders, Bes VerwR, 2. Kap Rn 115; Pieroth/Schlink/Kniesel Polizeiund Ordnungsrecht, 4. Aufl 2007, § 7 Rn 10. 47 Vgl § 58 II 2 Musterbauordnung. Die landesrechtlichen Regelungen entsprechen dieser Vorschrift. Vgl die Auflistung bei Krebs in: Schmidt-Aßmann/Schoch, Bes VerwR, 4. Kap Rn 219 m Fn 802. 48 Vgl BVerwGE 88, 191, 195 f; OVG NRW, BauR 2004, 314, 315; Schoch JURA 2004, 317, 323. 49 BVerwG, NVwZ 1998, 395; aA zB OVG NRW, NVwZ-RR 2000, 205 f; näher dazu Schoch JURA 2004, 317, 324 f.
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insoweit keine andere Regelung gilt.50 Somit ist die Verpflichtungsklage gegen den Bund zu richten, wenn der Erlass eines VA durch eine Bundesbehörde begehrt wird. Ist der Antrag auf Vornahme eines VA bei einer Landesbehörde gestellt worden, kommt es darauf an, ob Landesrecht iSd § 78 I Nr 2 VwGO existiert. In diesem Falle ist die Behörde, ansonsten der Rechtsträger zu verklagen. § 78 VwGO regelt nur die Zulässigkeit (passive Prozessführungsbefugnis), nicht die Begründetheit (Passivlegitimation) der Klage (dh die Frage des Anspruchsgegners; → § 22 Rn 60, auch zu weiteren Einzelheiten). Darüber hinaus kann auf die Ausführungen zur Anfechtungsklage verwiesen werden (→ § 22 Rn 57 ff).
d) Klagefrist 36
Für die Verpflichtungsklage gilt die Monatsfrist des § 74 I VwGO, wenn der Antrag auf Vornahme des VA abgelehnt worden ist (§ 74 II VwGO). Die Frist beginnt mit Zustellung des Widerspruchsbescheides oder, wenn ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich ist, mit Bekanntgabe der Ablehnung des VA (§ 74 I 2 VwGO). Für die Berechnung der Frist gelten dieselben Grundsätze wie bei der Anfechtungsklage (→ § 22 Rn 64, 35). Ist über einen Widerspruch nicht entschieden worden oder hat es die Behörde unterlassen, über den Antrag auf Erlass des VA zu entscheiden, bestimmt sich der frühstmögliche Zeitpunkt der Klageerhebung nach § 75 VwGO (→ Rn 29). Grundsätzlich ist die dreimonatige Sperrfrist des § 75 S 2 VwGO abzuwarten. Doch kann in dringenden Fällen eine kürzere Frist geboten sein (§ 75 S 2 VwGO) und bei zureichendem Grund eine längere Frist festgesetzt werden (§ 75 S 3 VwGO). Nicht geregelt wird in § 75 VwGO, wie lange die Klage erhoben werden kann, wenn über den Widerspruch oder den Antrag auf Vornahme eines VA ohne zureichenden Grund in angemessener Zeit sachlich nicht entschieden wurde. Insoweit greift der Gedanke der Verwirkung ein, wobei sich eine Orientierung an der Jahresfrist des § 58 II VwGO anbietet. Wird der Erlass eines VA gegen einen Dritten begehrt (zB ordnungsbehördliches Einschreiten gegen den Verantwortlichen), kann wegen des Vertrauensschutzes des Dritten die Verwirkung zu einem früheren Zeitpunkt in Betracht kommen.
III. Begründetheit der verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsklage 1. Aufbaufragen 37
Fall 11: Winzer K wollte einen Spätburgunder Rotwein als „Qualitätswein“ mit Prädikat (Spätlese) bezeichnen dürfen, wozu nach § 19 I WeinG die Zuteilung einer amtlichen Prüfnummer erforderlich ist. Nach der einschlägigen Durchführungsverordnung ist diese zu erteilen, wenn der Wein nach einer Sinnenprüfung durch eine Sachverständigenkommission „in Aussehen, Geruch und Geschmack frei von Fehlern ist“. Die zuständige Behörde hat die Erteilung der Prüfnummer abgelehnt, nachdem die Kommission den Wein nicht als fehlerfrei bewertet hat. K hat nach erfolglosem Widerspruchsverfahren verwaltungsgerichtliche Klage erhoben.
50 Vgl Meissner in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 78 Rn 27; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 78 Rn 1.
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Nach § 113 V 1 VwGO ist die Verpflichtungsklage in Gestalt der Vornahmeklage begründet, wenn die Ablehnung ohne Unterlassung des VA rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist sowie Spruchreife besteht. Bei der Bescheidungsklage (§ 113 V 2 VwGO) kommt es nur auf die beiden zuerst genannten Voraussetzungen an. Die Frage, ob die durch den Wortlaut des § 113 VwGO nahe gelegte Prüfungsreihenfolge 51 sinnvoll ist, stellt sich bei der Verpflichtungsklage in noch stärkerem Maße als bei der Anfechtungsklage (→ § 22 Rn 70 ff). So kommt es auf die Rechtswidrigkeit der Ablehnung oder Unterlassung des VA nicht an, wenn der Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt ist. In seinen Rechten verletzt sein kann der Kläger aber nur, wenn er einen Anspruch auf Erlass des VA oder zumindest auf Bescheidung hat. Deshalb geht die hM 52 zu Recht davon aus, dass es sich – jedenfalls bei der Verpflichtungsklage – empfiehlt, von vornherein anspruchsbezogen zu prüfen. Dies entspricht der gerichtlichen Praxis, führt allerdings dazu, dass das Verwaltungshandeln nur insoweit kontrolliert wird, als es für den Ausgang des Prozesses darauf ankommt. Hat der Verpflichtungskläger zB einen Anspruch auf Erlass des beantragten VA, ist unerheblich, ob die Ablehnungsentscheidung der Behörde formell rechtmäßig war. Richtet man die Begründetheitsprüfung der Verpflichtungsklage entgegen der herkömmlichen Betrachtungsweise am Wortlaut des § 113 V VwGO aus, darf der Rechtswidrigkeitszusammenhang („dadurch“ in seinen Rechten verletzt) nicht aus den Augen verloren werden. Das Gericht ist nicht befugt, sich zu Rechtsfragen zu äußern, die für die Begründetheit der Klage erkennbar keine Bedeutung haben. Folgt man mit der auch hier vertretenen Ansicht einem anspruchsbezogenen Aufbau, erscheint folgendes Schema zweckmäßig: (1) Die in Betracht kommende Anspruchsgrundlage (2) Das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen im Falle gebundener Entscheidung (a) Anspruchsvoraussetzungen in personeller Hinsicht (b) Anspruchsvoraussetzungen in sachlicher Hinsicht (3) Das Vorliegen der Entscheidungsvoraussetzungen im Falle eines Beurteilungs- oder Ermessensspielraums der Verwaltung (a) Rechtswidrigkeit der Ablehnung oder Unterlassung in formeller Hinsicht (b) Rechtmäßigkeit in materieller Hinsicht (c) Rechtsverletzung Einer Vorabfestlegung der in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage bedarf es zwar nicht zwangsläufig, doch empfiehlt sich diese Prüfung aus denselben Gründen wie bei der Anfechtungsklage (→ § 22 Rn 71) zumindest dann, wenn der Kläger nur ein Bescheidungsurteil erlangen kann. Zudem bereitet die Erörterung dieses Punktes idR keine Schwierigkeiten, weil bereits im Rahmen der Klagebefugnis geprüft worden ist, auf welche Anspruchsgrundlage sich der Kläger berufen kann. Stets begründet ist die Verpflichtungsklage, wenn die Anspruchsvoraussetzungen für den Erlass des beantragten VA vorliegen. Dies ist nur der Fall, wenn die Verwaltung gebunden ist, also keinen Gestaltungsspielraum (dh keine administrative Letztentschei-
51 Für Einhaltung dieser Prüfungsreihenfolge: Würtenberger VerwPrR, Rn 339, 343. 52 Vgl Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rn 64; Lorenz VerwPrR, § 16 Rn 32; Tettinger/Warendorf VerwPrR, § 16 Rn 8. Vgl auch Schmitt Glaeser/Horn, VerwPrR, Rn 302, die zwar prüfen, ob die Ablehnung des begehrten VA rechtswidrig ist, eine Rechtswidrigkeit aber nur annehmen, wenn der Kläger einen Anspruch auf Erlass des begehrten VA hat.
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dungskompetenz) hat. Von einer Bindung der Verwaltung ist auch im Falle der Reduzierung eines Beurteilungs- oder Ermessensspielraums auf Null auszugehen. Maßgebend ist allein das materielle Recht. Zu unterscheiden ist zwischen den personellen und sachlichen Anspruchsvoraussetzungen. In personeller Hinsicht muss der Kläger den Erlass des VA beanspruchen können (Aktivlegitimation) und der Beklagte zum Erlass des VA verpflichtet sein (Passivlegitimation). Letzteres ist zB nicht der Fall, wenn der VA bei einer unzuständigen Behörde beantragt worden ist (etwa Beantragung einer Gaststättenerlaubnis beim Rektor einer Universität). In sachlicher Hinsicht müssen die (sonstigen) Tatbestandsvoraussetzungen der Anspruchsnorm erfüllt sein: So dürfen im Falle einer beantragten Baugenehmigung ör Vorschriften dem Bauvorhaben nicht entgegenstehen (zB § 75 I BauO NRW), oder bei einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung müssen die Anforderungen des § 5 BImSchG eingehalten worden sein. Kommt der Verwaltung ein Gestaltungs-, dh Beurteilungs- oder Ermessensspielraum zu, kann der Kläger allenfalls ein Bescheidungsurteil erlangen. Dieses setzt voraus, dass die Ablehnung oder Unterlassung des VA rechtswidrig gewesen ist und der Kläger dadurch in seinen Rechten (dh in seinem Anspruch auf fehlerfreie Entscheidung) verletzt wurde. Es empfiehlt sich dann, insoweit den klassischen Aufbau der Begründetheitsprüfung einer Anfechtungsklage zugrunde zu legen (→ § 22 Rn 70 ff). Formell rechtswidrig ist die Ablehnung eines VA zB, wenn der Kläger nicht angehört worden ist und man entgegen der Rspr 53 davon ausgeht, dass § 28 I VwVfG (Eingriffsakt) auch diesen Fall erfasst. Ob der (nicht geheilte) Fehler beachtlich ist, bestimmt sich dann nach § 46 VwVfG. Eine materielle Rechtswidrigkeit ist anzunehmen, wenn die Behörde von ihrem Beurteilungsoder Ermessensspielraum nicht ordnungsgemäß Gebrauch gemacht hat. Liegt ein Unterlassen vor und hat der Kläger mit zureichendem Grund Untätigkeitsklage erhoben, liegt allein in der Säumnis der Verwaltung eine materielle Rechtswidrigkeit. Eine Rechtsverletzung setzt voraus, dass der (im Rahmen der Klagebefugnis und der in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage bereits „vor“ zu prüfende) Anspruch auf fehlerfreie Entscheidung wirklich dem Kläger zusteht und dass der Kläger den Antrag bei der zuständigen Behörde bzw dem zuständigen Rechtsträger gestellt hat. Statt des klassischen Prüfungsschemas einer Anfechtungsklage könnte auch im Rahmen der Begründetheitsprüfung einer Bescheidungsklage von vorneherein auf den Anspruch auf neue bzw erstmalige Bescheidung abgestellt werden (Zur Anfechtungsklage → § 22 Rn 75 ff). Lösung Fall 11 54: Die zulässige Verpflichtungsklage ist begründet, wenn K einen Anspruch auf Erteilung der amtlichen Prüfnummer hat. Die Prüfnummer ist zu erteilen, wenn der Wein in Aussehen, Geruch und Geschmack frei von Fehlern ist. Hierbei handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, welcher grundsätzlich der vollständigen gerichtlichen Kontrolle unterliegt.55 Doch könnte der Behörde ein Beurteilungsspielraum einzuräumen sein. Eine normative Beurteilungsermächtigung an die Verwaltung kommt in Betracht, wenn ein unbestimmter Rechtsbegriff wegen hoher Komplexität (oder besonderer Dynamik der geregelten Materie) so vage und bzgl der Konkretisierung im Nachvollzug der Verwal-
53 BVerwGE 66, 184, 186 → JK 8/83, VwVfG § 28/2; zum Meinungsstand vgl Ehlers JURA 1996, 617, 618 f; Pünder in: Erichsen/Ehlers, Allg VerwR, § 13 Rn 28. 54 Vgl zur Fallgestaltung BVerwG, NJW 2007, 2790 → JK 2/08, Allg VerwR Beurteilungsspielraum/3. 55 Vgl Schoch JURA 2004, 612, 615.
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tungsentscheidung so schwierig ist, dass die gerichtliche Kontrolle an die Funktionsgrenzen der Rspr stößt.56 Das BVerwG räumt der Verwaltung ua dann eine Beurteilungsermächtigung ein, wenn der zu treffenden Entscheidung in hohem Maße wertende Elemente anhaften und das Gesetz für sie deshalb ein besonderes Verwaltungsorgan für zuständig erklärt, dass weisungsfrei ist, mit besonderer fachlicher Legitimation und in einem besonderen Verfahren entscheidet. Diese Kriterien sieht das BVerwG bei einer behördlichen Weinprüfung als gegeben an.57 Die Entscheidung, ob Wein die sensorischen Voraussetzungen für einen Qualitätswein erfüllt, erfordere hohe Sachkunde, die nur durch fachliche Schulung sowie langjährige Erfahrung gewonnen werden könne. Deshalb lasse sie sich regelmäßig nicht ohne Hinzuziehung von Sachverständigen treffen. Da auch Sachverständige ihre Beurteilungen nicht völlig von subjektiv-wertenden Elementen freihalten können, ist die Prüfung hier nicht einem einzelnen Sachverständigen überlassen, sondern einem mehrköpfigen Gremium anvertraut worden. Dies alles rechtfertigt die Annahme eines Beurteilungsspielraums. Ist die gerichtliche Überprüfung der behördlichen Subsumtion des Sachverhaltes unter § 19 I WeinG demnach eingeschränkt, hat das Gericht nur zu überprüfen, ob die gültigen Verfahrensbestimmungen eingehalten worden sind, ob die Behörde bzw ihre Prüfungskommission von einem richtigen Verständnis des anzuwendenden Gesetzesbegriffs ausgegangen ist, ob sie ferner den erheblichen Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt hat, ob sie sich des Weiteren bei der eigentlichen Beurteilung an allgemein gültige Wertmaßstäbe gehalten und schließlich das Willkürverbot nicht verletzt hat. Sind diese Vorgaben beachtet worden, wird das Gericht die Klage abweisen.
2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Verpflichtungsbegehrens Fall 12: L hat nach nicht bestandener juristischer Staatsprüfung und erfolglosem Vorverfahren Verpflichtungsklage mit dem Antrag erhoben, die Prüfung für bestanden zu erklären, weil eine Klausur besser als mit 0 Punkten hätte bewertet werden müssen.
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Einer Verpflichtungsklage darf nur stattgegeben werden, wenn der Kläger zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (ansonsten der Entscheidung des Gerichts; vgl dazu § 22 Rn 88) einen Anspruch auf Vornahme des VA bzw auf Bescheidung hat (prozessrechtlicher Zeitpunkt).58 Ob ein solcher Anspruch besteht, beurteilt sich nach materiellem Recht (materiell-rechtlicher Zeitpunkt).59 Da es (auch bei Bescheidungsklagen) um ein noch zu erfüllendes Leistungsbegehren geht, muss auf das zum prozessrechtlichen Zeitpunkt maßgebende materielle Recht abgestellt werden. Hatte der Kläger bei Klageerhebung keinen Anspruch auf Erlass des VA oder auf Bescheidung, steht ihm nunmehr aber dieser Anspruch zu, wirkt sich dies zu seinen Gunsten aus. Ist während des Gerichtsverfahrens eine Rechtsänderung zu Ungunsten des Klägers eingetreten, kommt es darauf an, ob die Neufassung des Gesetzes einen durch das alte Recht begründeten Anspruch des Klägers beseitigt oder unberührt gelassen hat.60 Fehlen besondere Anhaltspunkte im Gesetz, muss
45
56 Vgl BVerwGE 84, 34, 50; BVerfG-K DVBl 2002, 1203, 1204; BVerwGE 106, 263, 267 → JK 6/99, Art 19 IV/18. 57 AA noch BVerwGE 94, 307, 309 → JK 2/95, Allg VerwR/Beurteilungsspielraum/2. 58 BVerwGE 84, 157, 160. 59 BVerwGE 97, 79, 81 f. 60 BVerwGE 84, 157, 161.
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vom Ersteren ausgegangen werden.61 Hatte der Kläger etwa zum Zeitpunkt der Klageerhebung einen Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung, aber nicht mehr zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem VG, ist die Klage abzuweisen.62 Ändert sich die Sachlage während des gerichtlichen Verfahrens zu Ungunsten des Klägers (etwa weil der eine gewerberechtliche Erlaubnis anstrebende Kläger unzuverlässig wird), geht dies zu seinen Lasten. Nicht auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (bzw der Entscheidung des Gerichts), sondern auf einen davor liegenden Zeitpunkt (regelmäßig den Zeitpunkt der Antragstellung) haben die Gerichte etwa im Berufszulassungsrecht, bei Zeitpunktgesetzen sowie bei Zeitabschnittsgesetzen im Wirtschaftsförderungs- und Steuerrecht abgestellt: zB Maßgeblichkeit der Antragstellung bei der Zulassung von Rechtsanwälten 63, der Zulassung zum Studium 64, der Gewährung von Wohngeld 65, der Erbringung von Beihilfen 66 oder der Bewilligung von Investitionszulagen 67. 46
Lösung Fall 12: Im Prüfungsrecht kommt es darauf an, ob der Prüfling im Zeitpunkt der Prüfung die Anforderungen erfüllt. Daher ist nur auf diesen Zeitpunkt und nicht darauf abzustellen, welche Kenntnisse zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem VG vorhanden sind.
3. Urteilsarten 47
Fall 13: M hat beim zuständigen nordrhein-westfälischen Landrat eine Baugenehmigung für ein Vorhaben im Außenbereich beantragt. Obwohl planungsrechtliche Bedenken dem Vorhaben nicht entgegenstehen, verweigert die Gemeinde ihr Einvernehmen nach § 36 BauGB. Der Landrat hat daraufhin dem M wegen des fehlenden Einvernehmens einen abschlägigen Bescheid erteilt. Nach erfolglosem Vorverfahren erhebt M verwaltungsgerichtliche Verpflichtungsklage gegen den Landrat.
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Ist die Verpflichtungsklage zulässig, erlässt das VG ein Vornahmeurteil (§ 113 V 1 VwGO), ein Bescheidungsurteil (§ 113 V 2 VwGO) oder weist die Klage (als unbegründet) ab.68 Ein Vornahmeurteil setzt Spruchreife voraus. Bei gebundenen Entscheidungen ist das Gericht zu umfassenden Sachverhaltsaufklärungen (§ 86 I VwGO) und damit zur Herbeiführung der Spruchreife verpflichtet. Nur bei sehr komplexen Sachverhalten kann es ausnahmsweise gerechtfertigt sein, ein Bescheidungsurteil zu erlassen, damit die Verwaltung die fehlenden Ermittlungen nachholen kann.69 Hat sich der Rechtsstreit erledigt (etwa weil
61 Wie hier Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rn 66 m Fn 307. 62 Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rn 66 m Fn 307. Vgl auch Schenke VerwPrR,, Rn 850. 63 BVerwG, NJW 1961, 1275. 64 BVerwGE 42, 296, 300. 65 BVerwGE 84, 278, 281 ff. 66 OVG NRW, NVwZ-RR 1995, 453. 67 BVerwGE 48, 211, 213. 68 In den gesetzlich vorgesehenen Fällen entscheidet das Gericht nicht durch Urteil, sondern durch Beschluss (zB § 130a VwGO) oder Bescheid (§ 84 VwGO). Die folgenden Ausf gelten auch für diese gerichtlichen Entscheidungsformen. 69 Vgl BVerwG, NVwZ 1990, 257 f; NVwZ-RR 1999, 74; 2003, 719. Näher zum Ganzen Hödl-Adick (Fn 26), 92 ff.
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der begehrte VA während des gerichtlichen Verfahrens erlassen worden ist oder ein Erlass wegen der Änderung der Rechtslage nunmehr nicht in Betracht kommt), kann der Kläger in analoger Anwendung des § 113 I 4 VwGO (→ § 26 Rn 18 ff) auch dann noch einen Fortsetzungsfeststellungsantrag stellen, wenn im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses keine Spruchreife bestand. In einem derartigen Fall hat das VG grundsätzlich die Spruchreife herzustellen.70 Das stattgebende Urteil ist auf die Verpflichtung der Behörde gerichtet, den VA zu erlassen. Die Aufhebung eines ablehnenden Bescheides (ggf in der Gestalt des Widerspruchsbescheids) ist üblich und empfehlenswert, allerdings nicht zwingend erforderlich (weil das Verpflichtungsurteil den Versagungsbescheid auch ohne ausdrückliche Aufhebung „konsumiert“).71 Erlässt das Gericht ein Bescheidungsurteil, verpflichtet es die Behörde im Tenor, über den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (erneut oder erstmalig) zu entscheiden. Das Gericht hat hierbei deutlich zu machen, welche Gesichtspunkte die Behörde ihrer Abwägung zugrunde legen muss. Hat der Kläger Vornahme begehrt, wird die Klage beim Bescheidungsurteil insoweit abgewiesen (zu den kostenrechtlichen Konsequenzen → Rn 15). Für die Aufhebung eines ablehnenden Bescheides gilt dasselbe wie bei der Vornahmeklage. Lösung Fall 13: Bedenken gegen die Zulässigkeit der Verpflichtungsklage bestehen nicht. Da in NRW von § 78 I Nr 2 VwGO Gebrauch gemacht worden ist (§ 5 II AG VwGO NRW), ist der Landrat richtiger Klagegegner. Die Begründetheit der Klage kann nur an dem fehlenden Einvernehmen der Gemeinde scheitern, weil sonstige Bedenken dem Bauvorhaben des M nicht entgegenstehen. Jedoch soll das gemeindliche Einvernehmen nach ständiger Rspr im Falle der nicht gerechtfertigten Verweigerung des Einvernehmens vom VG ersetzt werden.72 Diese Auffassung ist deshalb nicht unproblematisch, weil die Verpflichtungsklage (von der Aufhebung ablehnender Bescheide abgesehen) keine Gestaltungsklage ist. Prozessual könnte auch an eine Verpflichtung der Bauaufsichtsbehörde (bzw ihres Rechtsträgers) gedacht werden, die begehrte Baugenehmigung nach der gesetzlich gebotenen Erteilung des Einvernehmens der Gemeinde zu erlassen. Als notwendig Beigeladene wäre die Gemeinde dann gem den §§ 121 Nr 1 iVm § 63 Nr 3 VwGO an den Tenor dieser Entscheidung gebunden.
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4. Rechtskraft des Verpflichtungsurteils Fall 14: Nach Ablehnung seines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling hat der aus dem Kosovo stammende N verwaltungsgerichtliche Verpflichtungsklage erhoben. Im Mai 1999 verpflichtete das VG den Bund zur Gewährung asylrechtlichen Abschiebungsschutzes, weil albanische Volkszugehörige im Kosovo verfolgt würden. Das Urteil wurde rechtskräftig. Anfang 1999 wurde der Kosovo-Konflikt beendet. Ende Juni 1999 erteilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (§ 5 I AsylVfG) unter Hinweis auf die Gerichtsentscheidung einen Anerkennungsbescheid als Flüchtling. Im Jahre 2000 widerrief das Bundesamt die Anerkennung. N begehrt vor dem VG die Aufhebung dieses Widerrufsbescheides.
70 Vgl BVerwG, NVwZ 1998, 1295, 1296. 71 Wie hier Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rn 72. 72 Vgl BVerwG, NVwZ-RR 2003, 719 f, mwN.
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Wird ein stattgebendes Verpflichtungsurteil rechtskräftig (§ 121 VwGO), ist die Behörde gehalten, den VA zu erlassen oder den Kläger neu bzw erstmalig zu bescheiden. Wurde der VA erlassen, schließt dies einen späteren Widerruf wegen Änderung der Sach- oder Rechtslage nach dem prozessrechtlich maßgeblichen Zeitpunkt nicht aus. Lehnt die Behörde den Antrag des Klägers, ihm in Erfüllung eines rechtskräftigen Bescheidungsurteils den beantragten VA zu erteilen, förmlich ab, darf der Kläger den geltend gemachten „Erfüllungsanspruch“ mit einer Verpflichtungsklage weiter verfolgen. Er muss sich nicht auf einen Vollstreckungsantrag gem § 172 VwGO verweisen lassen.73
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Lösung Fall 14: Die Anfechtungsklage des N ist begründet, wenn der Widerruf rechtswidrig ist und N dadurch in seinen Rechten verletzt wird (§ 113 I 1 VwGO). Nach § 73 I 1 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. In Betracht kommt hier nur eine Änderung der Sachlage durch Beendigung des Kosovo-Konflikts. Da der Anerkennungsbescheid des Bundesamtes nach Beendigung des Kosovo-Konflikts erlassen wurde, ist fraglich, ob eine Änderung angenommen werden kann. Das BVerwG 74 hat dies bejaht, weil maßgeblich für die Prüfung der Voraussetzungen des Widerrufs von VA, die in Erfüllung eines rechtskräftigen Verpflichtungsurteils ergangen sind, nicht der Zeitpunkt des Ergehens des VA, sondern derjenige des rechtskräftig gewordenen Verpflichtungsurteils ist. Auch wenn das Verpflichtungsurteil die Behörde zum Erlass des VA verpflichtet, schließt dies ein Reagieren auf spätere Veränderungen nicht aus. Da das Bundesamt nicht verpflichtet war, eine Vollstreckungsabwehrklage gem § 167 VwGO iVm § 767 ZPO zu erheben, durfte sie die Anerkennung als Flüchtling wegen Änderung der Sachlage (Beendigung des Kosovo-Konflikts) widerrufen.
73 Vgl BayVGH, NVwZ-RR 2007, 736 ff (auch zur Frage, wie sich eine nachträgliche Änderung der Rechtslage durch das Inkrafttreten einer Veränderungssperre oder eines Bebauungsplans auf die Verpflichtung der Behörde aus einem rechtskräftigen Bescheidungsurteil auswirkt). 74 BVerwGE 118, 174 ff → JK AsylVfG 73 I/1.
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§ 24 Allgemeine verwaltungsgerichtliche Leistungsklage Dirk Ehlers I. Funktion und Bedeutung der allgemeinen verwaltungsgerichtlichen Leistungsklage Anders als die Anfechtungs-, Verpflichtungs-, Feststellungs- und Fortsetzungsfeststellungsklage wird die allgemeine Leistungsklage in der VwGO zwar erwähnt (vgl §§ 43 II, 111, 113 IV VwGO), aber nicht näher geregelt. Die Notwendigkeit der Anerkennung einer allgemeinen Leistungsklage ergibt sich aber bereits aus § 40 I 1 VwGO.1 Liegt eine ör Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vor, muss es die Möglichkeit geben, diese vor einem Verwaltungsgericht auszutragen. Kommt keine andere Klageart in Betracht, erfüllt die allgemeine Leistungsklage eine Auffangfunktion. Von der Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Fortsetzungsfeststellungsklage unterscheidet sich die allgemeine Leistungsklage dadurch, dass es sich bei ihr nicht um eine „Verwaltungsakt-Klage“ handelt. Anders als die Anfechtungsklage stellt die Leistungsklage auch keine Gestaltungsklage dar. Das VG verurteilt den Klagegegner zu einer Leistung, gestaltet die Rechtslage aber nicht selbst. Die Verpflichtungsklage ist zwar ebenfalls eine Leistungsklage, richtet sich aber nur auf den Erlass eines VA. Im Vergleich zur Feststellungs- und Fortsetzungsfeststellungsklage gewährt die allgemeine Leistungsklage weitergehenden Rechtsschutz, weil sie auf Verurteilung zu einem bestimmten Verhalten abzielt und die gerichtliche Entscheidung auch vollstreckt werden kann. Nach der Rechtsprechung des BVerwG soll die Möglichkeit, eine allgemeine Leistungsklage gegen die Verwaltung zu erheben, ungeachtet der Subsidiaritätsklausel des § 43 II 1 VwGO eine verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage gleichwohl nicht ausschließen.2 Begründet wird die Wahlmöglichkeit zwischen allgemeinen Leistungs- und Feststellungsklagen vor allem damit, dass die Verwaltung rechtskräftig festgestellte Leistungsverpflichtungen aufgrund ihrer verfassungsmäßigen Bindung an Gesetz und Recht erfüllen werde. Sinn des § 43 II 1 VwGO sei es, nur zu verhindern, dass die für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen geltenden Sonderregelungen für Fristen und (ggf 3) für das Vorverfahren unterlaufen werden. Diese Auffassung kann schon deshalb nicht überzeugen, weil sie dem klaren Wortlaut des § 43 II 1 VwGO widerspricht.4 Zudem hält sich die Verwaltung nicht immer an Gesetz und Recht. Ist eine Vollstreckung entbehrlich, hätte es des § 170 VwGO nicht bedurft. Des Weiteren ist es auch möglich, dass sich die feststellende Entscheidung des Gerichts nur auf Teilelemente des Leistungsanspruchs bezieht, was einer vollständigen Klärung der Rechtslage entgegenstünde.5 Kann ein Kläger ein Mehr an Rechtsschutz mittels Erhebung einer allgemeinen Leistungsklage erlangen, darf er sich nach alledem nicht mit einem Weniger zufrieden geben.
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Vgl auch BVerwGE 77, 268, 274 f. Vgl BVerwGE 36, 179, 181 f; 51, 69, 75; 77, 207, 211; BVerwG NJW 1997, 2534, 2535. Zur weitgehenden Abschaffung des Vorverfahrens → § 20 Rn 93. Vgl auch Schenke VerwPrR, Rn 420; Hufen VerwPrR, § 18 Rn 6; BayVGH GewArch 2000, 60 → JK GG Art 2 I/32. 5 Vgl BVerwGE 111, 306 → JK VwGO § 43/12.
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Da als Leistungskläger sowohl Private als auch staatliche Verwaltungsträger in Betracht kommen und mit der allgemeinen Leistungsklage neben einem Tun auch ein Dulden und Unterlassen begehrt werden kann, ist sie nicht zu Unrecht als „prozessuale Mehrzweckwaffe“ bezeichnet worden.6 Der Verbreitungsgrad der allgemeinen Leistungsklage hängt in erster Linie davon ab, in welchem Ausmaße das Verwaltungshandeln als VA eingestuft wird. Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts hing die Eröffnung des gerichtlichen Verwaltungsrechtsschutzes zum Teil von dem Vorliegen eines VA ab.7 Obwohl seit langem umfassender Verwaltungsrechtsschutz gewährt wird, lässt sich wohl wegen des Nachwirkens dieser Tradition auch heute noch eine Neigung feststellen, einzelfallbezogenes Verwaltungshandeln nach Möglichkeit selbst dann als VA zu qualifizieren, wenn ein Regelungscharakter kaum feststellbar ist.
II. Zulässigkeit der allgemeinen verwaltungsgerichtlichen Leistungsklage 3
Die verwaltungsgerichtliche Leistungsklage ist zulässig, wenn die allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzungen gegeben sind (→ § 21), die allgemeine Leistungsklage die statthafte Rechtsschutzform ist (1.) und die besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen der allgemeinen Leistungsklage vorliegen (2.). Besondere Bedeutung kommt dem Vorliegen des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses zu (3.). 1. Statthaftigkeit der allgemeinen Leistungsklage
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Fall 1: Ein Landkreis betreibt einen Zeltplatz. Die Nutzungsverhältnisse sind ör geregelt. Der in der Nachbarschaft wohnende A fühlt sich durch die Geräusch- und Geruchsimmissionen, die von dem Zeltplatz ausgehen, gestört. Er klagt vor dem VG auf Unterlassung.
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Mit der allgemeinen Leistungsklage kann ein bestimmtes Verhalten (Tun, Dulden oder Unterlassen) begehrt werden, wenn es nicht um die Beseitigung oder den Erlass eines VA geht. Hinsichtlich der Bestimmtheit ist zu berücksichtigen, dass eine verwaltungsgerichtliche Klage nach § 82 I 2 VwGO nur einen bestimmten Antrag enthalten „soll“. Gleichwohl muss das Klagebegehren (§ 82 I 1 VwGO) grundsätzlich bestimmt sein. Anderes gilt nur, wenn es dem Kläger nicht möglich oder nicht zumutbar ist, das Klagebegehren zu präzisieren. So hat das BVerwG den gegen die Studentenschaft einer Universität gerichteten Antrag auf Unterlassung allgemeinpolitischer Stellungnahmen, die nicht hochschulbezogene Angelegenheiten betreffen, als hinreichend bestimmt angesehen, weil andernfalls in der Regel nur die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit bleibe, die im Hinblick auf die Sanktionslosigkeit keinen wirksamen Rechtsschutz bietet.8
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Lösung Fall 1: Für die Unterlassungsklage des A ist gem § 40 I 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, weil die Nutzung des Zeltplatzes ör geordnet ist. Als Klageart kommt die allgemeine Leistungsklage in Betracht. Fraglich ist, ob der gestellte Antrag zu unbestimmt ist und der Kläger nicht auf Vornahme bestimmter Maßnahmen hätte klagen müssen. In
6 Steiner JuS 1984, 853. 7 Vgl Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 14. 8 BVerwGE 34, 69, 73 f.
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einem vergleichbaren (allerdings von den Zivilgerichten zu beurteilenden) Fall hat der BGH 9 angenommen, dass wegen der Besonderheiten von immissionsschutzrechtlichen Unterlassungsklagen Klageanträge zulässig seien, wonach allgemeine Störungen bestimmter Art, bspw Geräusche und Gerüche, zu unterlassen seien. In solchen Fällen schulde der Klagegegner keine konkreten Maßnahmen, sondern einen konkreten Erfolg. Da es für den Kläger unmöglich sei, mit Worten das Maß zulässiger Einwirkungen so zu bestimmen, dass ein hinlänglicher Schutz entstehe und der Titel nicht schon bei tatsächlichen Veränderungen gegenstandslos werde, könne von ihm nicht die Angabe hinlänglich präziser Emissionsrichtwerte verlangt werden.
Da sich die Leistungsklage auf ein Tun oder ein Untätigbleiben bezieht, kann (typologisch) zwischen Vornahme- und Unterlassungsklagen unterschieden werden.
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a) Vornahmeklage Im Falle der Erhebung einer Vornahmeklage wird ein bestimmtes Tun begehrt. Verlangt werden kann die Abgabe einer Erklärung – sei es mit, sei es ohne Regelungscharakter – oder die Vornahme einer (sonstigen) Verrichtung. In Betracht kommt auch eine Klage auf künftige oder wiederkehrende Leistungen (§§ 173 S 1 VwGO iVm 257 f ZPO). Ist der Leistungsanspruch in der Vergangenheit erloschen, ist verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage zu erheben.
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(1) Erklärungen mit Regelungscharakter Fall 2: Durch Rechtsverordnung wird die Kostenentschädigung der Gerichtsvollzieher geregelt (§ 49 III BBesG). Mit einer verwaltungsgerichtlichen Leistungsklage begehrt der Gerichtsvollzieher B die Kostenregelung den heutigen Verhältnissen anzupassen.
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Zielt die verwaltungsgerichtliche Klage auf Verurteilung zum Erlass, zur Änderung oder zur Aufhebung einer Regelung ab – dh einer Willenserklärung, die final auf Bewirkung bestimmter Rechtsvorschriften gerichtet ist – muss differenziert werden: Erstrebt der Kläger den Erlass, die Änderung oder Aufhebung eines Parlamentsgesetzes, ist eine verwaltungsgerichtliche Leistungsklage schon deshalb unzulässig, weil der Verwaltungsrechtsweg wegen des Vorliegens einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit iSd § 40 I 1 VwGO nicht eröffnet ist.10 Dagegen handelt es sich bei einem Streit um den Erlass, die Änderung oder Aufhebung einer untergesetzlichen Norm der Verwaltung (insbesondere einer VO oder Satzung) um eine nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit.11 Da eine Norm nur aufgehoben werden kann, wenn sie ungültig ist, die prinzipale Beurteilung der Gültigkeit einer untergesetzlichen Norm sich aber ausschließlich nach § 47 VwGO richtet (→ § 27 Rn 26), sind auf die Aufhebung von Normen gerichtete verwaltungsgerichtliche Klagen unstatthaft. Die Änderung von Rechtsnormen bestimmt sich nach denselben Maßstäben wie der Erlass. Für eine Klage auf den Erlass (oder die Änderung) einer untergesetzlichen Rechts-
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9 NJW 1993, 1656 f. 10 Vgl Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 145. 11 Vgl BVerfGE 68, 319, 325 f; 71, 305, 343; BVerwGE 80, 355, 361; BVerwG NVwZ 2002, 1505 → JK VwGO § 43/13; Würtenberger VerwPrR, Rn 701; anders Schenke VerwPrR, Rn 347.
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norm soll nach einer in der Rspr und Lit vielfach vertretenen Auffassung – nur, primär oder jedenfalls auch – die allgemeine Feststellungsklage in Betracht kommen.12 Die Verfolgung des Klagebegehrens durch eine Feststellungsklage trage eher als eine Leistungsklage dem Gewaltenteilungsprinzip Rechnung, weil auf die Entscheidung des rechtsetzenden Organs gerichtlich nur in dem für den Rechtsschutz des Bürgers unumgänglichen Umfang eingewirkt werde.13 Dem ist wegen der Subsidiarität der Feststellungsklage (§ 43 II 1 VwGO) nicht zu folgen (→ § 25 Rn 34 ff). Richtige Klageart einer auf Erlass (Änderung) einer untergesetzlichen Norm gerichteten Klage ist die allgemeine Leistungsklage.14 Geht es dem Kläger um die Aufhebung oder den Erlass (respektive die Änderung) eines Verwaltungsakts (einschließlich der Zusicherung), kommt nicht die allgemeine Leistungsklage, sondern nur die Anfechtungs- respektive die Verpflichtungsklage in Betracht. Zur Frage, wann sich die Ablehnung eines Realaktes (zB einer Auskunft) als VA darstellt vgl → § 23 Rn 9. Richtet sich die Klage gegen eine tatsächliche Handlung, die einen VA vollzieht, reicht eine allgemeine Leistungsklage nicht aus. Vielmehr muss der VA zuvor angefochten werden. Da die Folgeansprüche (zB Rückgabe eines Führerscheins nach Anfechtung der Einziehungsverfügung) bei Zugrundelegung der – keineswegs über jeden Zweifel erhabenen – hM erst mit formeller Rechtskraft des Anfechtungsurteils entstehen 15, müssten sie grundsätzlich in separaten Verfahren geltend gemacht werden. Aus Gründen der Prozessökonomie und Rechtsschutzeffektivität gestatten jedoch § 113 I 2 VwGO für den Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch sowie allgemein § 113 IV VwGO die Verbindung des sich anschließenden Leistungsbegehrens mit dem Anfechtungsbegehen in einer Klage. Es handelt sich dann um eine objektive Klagehäufung iSd § 44 VwGO. Im Wege der Auslegung kann sich ergeben, dass mit der Klage auf Rückgängigmachung der Vollziehungshandlung gleichzeitig die Anfechtung des zugrunde liegenden VA begehrt wird.16 Ist nach der Gesetzeslage der begehrten Leistung ein VA vorgeschaltet (zB Ausgleich des Vermögensnachteils nach Rücknahme des VA gem § 48 III 4 VwVfG), kann mit der zu erhebenden Verpflichtungsklage das Leistungsbegehren (nach Erlass des VA) analog § 113 I 2 VwGO verbunden werden.17 Die Leistungsklage ist ferner die richtige Klageart, wenn Private oder Verwaltungsträger auf Abschluss eines verwaltungsrechtlichen Vertrages oder Organ- respektive Amtswalter auf Vornahme eines Innenrechtsaktes 18 (etwa die Rückgängigmachung des Ausschlusses eines Ratsmitglieds von künftigen Gemeinderatssitzungen 19 oder die Aufhebung
12 Vgl BVerwGE 80, 355, 363; 111, 276, 278; Sodan NVwZ 2000, 601, 608; dens in: ders/Ziekow, VwGO, § 42 Rn 49; Würtenberger VerwPrR, Rn 703. 13 BVerwG NVwZ 1990, 162 f; BVerwGE 111, 276, 279; BVerwG NVwZ 2008, 423, 424. 14 Vgl auch VGH BW DÖV 2000, 784 → JK VwGO § 42/23; Duken NVwZ 1993, 546, 548; Happ in: Eyermann, VwGO, § 42 Rn 63; Hufen VerwPrR, § 20 Rn 8; NVwZ 2002, 1505 → JK VwGO § 43/13. 15 Kopp/Schenke VwGO, § 113 Rn 84; Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rn 57. Wird ein VA nach den §§ 48, 49 VwVfG aufgehoben, entfaltet die Aufhebungsentscheidung gem § 43 VwVfG mit der Bekanntgabe sofortige Wirkung (und nicht erst nach Bestandskraft). Begründungsbedürftig ist, warum es demgegenüber im gerichtlichen Verfahren auf die Rechtskraft ankommen soll. 16 Schenke VerwPrR, Rn 347. 17 Schenke VerwPrR, Rn 347. 18 Zum Rechtsweg und zur Beteiligungsfähigkeit → § 21 Rn 34 ff, 135 ff. 19 Vgl Schoch JuS 1987, 783, 788; Ehlers NVwZ 1990, 105, 106 f.
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eines Rauchverbots in Ratssitzungen 20) klagen. Die Rspr neigt bei Innenrechtsstreitigkeiten dazu, allgemein die Feststellungsklage als richtige Klageart anzusehen. Dem kann aus den genannten Gründen (Subsidiarität der Feststellungsklage) nicht gefolgt werden. Lösung Fall 2: Der Verwaltungsrechtsweg ist für die Klage des B gem § 126 I BRRG oder § 40 I 1 VwGO eröffnet, weil das auf Änderung einer Rechtsnorm im Rang unterhalb eines förmlichen Gesetzes gerichtete Klagebegehren nichtverfassungsrechtlicher Art ist. Als Klageart kommt die Leistungsklage in Betracht. Demgegenüber hat das BVerwG die Feststellungsklage für zulässig erachtet.21
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(2) Erklärungen ohne Regelungscharakter Fall 3: C hat mehrere verwaltungsgerichtliche Leistungsklagen erhoben. Er begehrt nach Ablehnung zuvor gestellter Anträge von der informationspflichtigen Stelle Auskunft über Umweltinformationen nach § 3 I, II 1 UIG, vom Bundesamt für Verfassungsschutz die Preisgabe des Namens eines Informanten, der ihn angeschuldigt hat, vom Bundesamt für Justiz Auskunft über den ihn betreffenden Inhalt des Gewerbe- und Zentralregisters nach § 150 GewO und von der zuständigen Behörde Auskunft über die ihn in einem laufenden Verwaltungsverfahren zustehenden Rechte nach § 25 S 2 VwVfG.
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In vielen Fällen ist Streitgegenstand einer allgemeinen Leistungsklage ein Informationsbegehren des Klägers (zB auf Beratung und Auskunft 22, auf Benennung eines Beamten zur Vorbereitung einer Schadensersatzklage gegen denselben 23, auf Ermittlung von Daten 24, auf Erfüllung des presserechtlichen Informationsanspruchs 25 oder auf Bescheidung einer Petition 26). Es kommt dann darauf an, ob der Informationsgewährung ein VA vorauszugehen hat oder die Ablehnung eines gestellten Antrags auf Informationsgewährung als VA einzustufen ist. Im ersten Fall müsste die Leistungsklage mit einer (vorrangigen) Verpflichtungsklage (→ § 23 Rn 9), im zweiten Fall mit einer (vorrangigen) Anfechtungsklage kombiniert werden. Die Rspr geht dann vom Vorliegen eines VA aus, wenn die Behörde eine Entscheidung getroffen hat, der Schwerpunkt behördlichen Handels in der Rechtsentscheidung über die Erteilung oder Versagung der Auskunftserteilung liegt oder schwierige Ermessenserwägungen anzustellen sind (→ § 23 Rn 9 f). Diesen Auffassungen ist nicht zu folgen, auch weil nahezu jedem tatsächlichen Handeln eine Entscheidung zugrunde liegt, Kriterien für eine Schwerpunktbestimmung fehlen und das Bestehen eines Ermessens nichts über die Handlungsform aussagt. Nur wenn sich ausdrücklich oder im Wege der Auslegung aus dem Gesetz ergibt, dass die Behörde durch VA zu entscheiden hat, ist es der Behörde gestattet, sich dieses Mittels zu bedienen.27 Hat die Behörde allerdings einen Antrag auf Erlass einer Erklärung ohne Regelungsgehalt eindeutig durch VA abgelehnt, handelt es sich auch dann um einen solchen, wenn die Inanspruchnahme der
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Vgl Fall 9. Vgl BVerwG NVwZ 2002, 1505 → JK VwGO, § 43/13. Vgl zB die §§ 25 VwVfG, 1 IFG. BVerwGE 10, 274 f. OVG Berlin NJW 1978, 1644 f. ZB OVG NRW NJW 1995, 2741. BVerwG NJW 1977, 118 f. Vgl auch Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs 1 Rn 156.
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Form des VA fehlerhaft war. Neben einem Informationsbegehren und der Abgabe sonstiger Erklärungen ohne Regelungscharakter kann mit der Leistungsklage auch der Widerruf von Äußerungen begehrt werden.28 18
Lösung Fall 3: Die Ablehnung eines Antrags auf Zugang zu Umweltinformationen ist ein VA, wie sich unter anderem aus dem (sonst überflüssigen) § 5 I 4 UIG und § 6 II UIG (Widerspruchsverfahren) ergibt.29 Das BVerwG hat auch die Bescheidung eines Antrags auf Preisgabe des Namens eines Informanten durch ein Verfassungsschutzamt als VA angesehen, sich hierbei aber auf die zuvor abgelehnten Kriterien berufen.30 Ob Auskünfte über Registereintragungen VA sind, ist umstritten. Die wohl hM stuft die Ablehnung einer Auskunft über den Inhalt des Gewerbezentralregisters als VA ein.31 Folgt man diesen Ansichten, sind die drei zuerst genannten Leistungsklagen des C unzulässig, weil C Anfechtungsklage hätte erheben müssen. Nach der hier vertretenen Ansicht trifft dies auf die begehrte Auskunft vom Verfassungsamt und vom Bundesamt für Justiz mangels des Vorliegens von VA nicht zu, so dass die Leistungsklage als statthafte Klageart anzusehen ist. Ferner stellt die Ablehnung einer Auskunft nach § 25 S 2 VwVfG keinen VA dar. Doch steht einer isolierten Klage auf Erteilung einer Auskunft § 44a VwGO entgegen (→ § 21 Rn 172 ff).
(3) Verrichtungen 19
Fall 4: Wohnungseigentümer D will mittels einer verwaltungsgerichtlichen Leistungsklage von der beklagten Ordnungsbehörde die Räumung seiner Wohnung erzwingen, da sich die Zwangseinweisung eines Obdachlosen wegen des in der Verfügung vorgesehenen Zeitablaufs erledigt habe, der Obdachlose aber gleichwohl die Wohnung nicht verlasse.
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Des Weiteren kann sich die allgemeine Leistungsklage auf Vornahme von Verrichtungen des Außen- oder Innenrechtskreises jeglicher Art richten: zB auf eine Geldzahlung der Verwaltung oder des Bürgers wegen einer vertraglichen Forderung oder eines ör Erstattungsanspruchs 32, die Reparatur einer Straße 33, die Errichtung einer Parallelklasse in einer öffentlichen Schule 34 oder die Gewährung von Akteneinsicht für eine Ratsminderheit 35. Auch im Falle einer begehrten Beseitigung (Rückgängigmachung) von Verrichtungen ist die Leistungsklage die richtige Klageart 36 (ggf in Verbindung mit einer Anfechtungsklage, wenn es um den Vollzug eines VA geht, der sich noch nicht erledigt hat). 28 ZB BVerwG NJW 1989, 412 f (Presseerklärung der Staatsanwaltschaft). 29 Vgl auch BVerwGE 108, 369 f; BVerwGE 110, 17, 19; vgl allgem zu Informationsansprüchen → § 21 Rn 177. 30 Vgl BVerwGE 31, 301, 306 f vgl auch BVerwGE 84, 375 f; zu § 15 BVerfSchG vgl BVerfG NVwZ 2001, 185 f. 31 ZB Tettinger/Wank GewO, 7. Aufl 2004, § 150 Rn 1; aA Ehlers in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, Besonderes Verwaltungsrecht I, 2. Aufl 2000, § 2 Rn 90. 32 Vgl auch BVerwGE 85, 24, 29 – Rückerstattung einer Kaution; VGH BW VBlBW 1991, 263, 264 – Rückzahlung einer Folgekostenpauschale; OVG NRW DVBl 1992, 444, 447 f – Erstattung der Kosten eines Organstreits. Zur Frage des Rechtsschutzbedürfnisses, wenn die Verwaltung einen Leistungsbescheid hätte erlassen können → § 21 Rn 189. 33 Vgl auch Hufen VerwPrR, § 17 Rn 3. 34 Vgl BayVGH BayVBl 1980, 244, 245. 35 OVG NRW NWVBl 1998, 110, 111. 36 Vgl zB VGH BW DVBl 1984, 881 – Beseitigung einer Telefonzelle; OVG Rh-Pf NJW 1986, 953 – Beseitigung der von einer Straßenlampe ausgehenden Störungen.
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Lösung Fall 4: Eine bloße auf Räumung gerichtete verwaltungsgerichtliche Leistungsklage des D ist nicht statthaft, weil die Räumung zuvor den Erlass einer Ausweisungsverfügung voraussetzt. Daher muss zunächst mittels einer Verpflichtungsklage auf Erlass einer Ausweisungsverfügung geklagt werden. Das zusätzliche Leistungsbegehren (Räumung) kann analog § 113 I 2 VwGO mit der Verpflichtungsklage verbunden werden.
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b) Unterlassungsklage Wie bereits ausgeführt (→ Rn 5), richtet sich die Unterlassungsklage im Gegensatz zu der auf einen Handel abzielenden Vornahmeklage auf ein Untätigbleiben (Dulden oder Unterlassen). Die Abgrenzung zwischen Beseitigungshandlungen und Unterlassungen kann sich als problematisch erweisen. Die Beseitigung einer eingetretenen Beeinträchtigung führt dazu, dass die mit einer Beeinträchtigung verbundenen Dauerwirkungen entfallen, so dass es in solchen Fällen einer (ggf zusätzlichen) Unterlassungsklage nicht bedarf. Ist unsicher, ob ein Beseitigungsanspruch (zB auf Abbau einer Feuerwehrsirene) besteht, kann es sich empfehlen, zusätzlich auf Unterlassung (zB des künftigen Betriebs der Feuerwehrsirene) zu klagen.37 Verbunden werden muss ein Beseitigungs- mit einem Unterlassungsantrag auch, wenn die Beseitigung der eingetretenen Beeinträchtigung (zB des Widerrufs einer ehrverletzenden Äußerung) künftige Beeinträchtigungen (zB Wiederholungen der ehrverletzenden Äußerung) nicht auszuschließen vermag. Da sowohl die Beseitigung als auch die Unterlassung eine Leistung darstellt, kommt der Abgrenzung für die Bestimmung der Klageart keine ausschlaggebende Bedeutung zu (wohl aber uU für die an das Rechtsschutzbedürfnis zu stellenden Anforderungen, die Bestimmung der Anspruchsgrundlage sowie die Tenorierung und die Vollstreckung der Leistungsklage). Unterlassungsklagen zielen darauf ab, künftiges Handeln zu unterbinden und sind deshalb stets vorbeugend. Doch hat sich eingebürgert, zwischen allgemeinen Unterlassungsklagen, die nach schon erfolgter Beeinträchtigung zukunftsgerichtet weitere Beeinträchtigungen abwehren sollen, und vorbeugenden Unterlassungsklagen im engeren Sinne, die auf Verhinderung erstmals drohender Beeinträchtigungen gerichtet sind, zu unterscheiden.38 Grundsätzliche Bedenken gegen die Statthaftigkeit der (einen oder anderen) Unterlassungsklage bestehen nicht. Die Unterlassungsklage kann sich sowohl gegen drohende Realakte als auch gegen drohende untergesetzliche Rechtsnormen, VA oder verwaltungsrechtliche Verträge (mit drittbelastender Wirkung) richten. Soweit vereinzelt vorbeugender Rechtsschutz gegen untergesetzliche Rechtsnormen stets für unzulässig erachtet wird, weil der Verwaltungsrechtsweg nicht gegeben ist 39, oder nur die Feststellungsklage als richtige Klageart angesehen wird 40, ist dem aus den genannten Gründen (→ § 27 Rn 23 f) nicht zu folgen. Entsprechendes gilt für den Vorschlag, Unterlassungsklagen gegen drohende VA die Statthaftigkeit „wegen einer dem Klagesystem der VwGO immanenten Verfahrenskonkurrenzregelung“ grundsätzlich abzusprechen.41 Es ist zwar richtig, dass die VwGO von einem grundsätzlich repressiven (nachträglichen) Rechtsschutz gegen Verwaltungsakte ausgeht. Doch betrifft die Zulässigkeit einer zeitlichen Vorverlegung des Rechtsschutzes nicht die Klageart, sondern das Rechtsschutzbedürfnis (→ § 21 Rn 201). 37 38 39 40 41
Vgl Fall 8. Vgl Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs 1 Rn 162. Schenke VerwPrR, Rn 1089. Sodan in: ders/Ziekow, VwGO, § 42 Rn 60. Vgl Schenke VerwPrR, Rn 355.
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2. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen der allgemeinen Leistungsklage
a) Erfolglose, form- und fristgerechte Widerspruchserhebung 25
Fall 5: E schloss mit dem Land Nordrhein-Westfalen einen Arbeitsvertrag ab, durch den er als Angestellter auf unbestimmte Zeit eingestellt wurde. In einer Nebenabrede wurde vereinbart, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Ziel einer späteren Übernahme in das Beamtenverhältnis nach 4 Jahren geschlossen wird. Für diese Zusicherung verpflichtete sich E zu einer Gegenleistung in Höhe von 200 € monatlich. Als E in das Beamtenverhältnis berufen wird, begehrt er Rückzahlung der inzwischen geleisteten Beträge.
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Nach § 68 I 1, II VwGO sind vor Erhebung einer Anfechtungsklage und einer Verpflichtungsklage in Gestalt einer Versagungsgegenklage (→ § 23 Rn 13) Recht- und Zweckmäßigkeit des VA selbst oder der Ablehnung des VA grundsätzlich in einem Vorverfahren nachzuprüfen, soweit gem § 68 I 2 VwGO nichts anderes gilt.42 Da das Widerspruchsverfahren auf die Kontrolle von VA zugeschnitten ist, lässt sich das Erfordernis eines Vorverfahrens nicht auf die allgemeine Leistungsklage übertragen. Anderes gilt nur, wenn Sondergesetze des Bundes Regelungen nach Art der § 68 ff VwGO treffen. So schreibt § 126 III BBG vor, dass die Vorschriften des 8. Abschnitts der VwGO (§§ 68 ff VwGO) – mit bestimmten Maßgaben – auch für Leistungs- (und Feststellungs-)klagen von Beamten des Bundes aus dem Beamtenverhältnis gelten. Für Klagen der Beamten des Landes, der Kommunen und anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts findet sich eine entsprechende Regelung in § 54 II 3 BeamtStG. Gemäß § 54 II 3 BeamtStG können Landesgesetze aber bestimmen, dass ein Vorverfahren nicht erforderlich ist.43 Es ist daher anhand des entsprechenden Landesrechts zu untersuchen, ob ein Beamter vor Erhebung einer Leistungsklage grundsätzlich form- und fristgerecht ohne Erfolg einen Widerspruch eingelegt haben muss. Gibt es im entsprechenden Bundesland diesbezüglich keine Regelung, ist die Einlegung eines Widerspruchs gemäß § 126 III BRRG notwendig. Ist ein ablehnender Widerspruchsbescheid ergangen, führt dies nicht dazu, dass neben der Leistungs- auch Anfechtungsklage (gerichtet auf Aufhebung des Widerspruchsbescheids) erhoben werden muss. Der Widerspruchsbescheid ändert nicht den Charakter der den Klagegegenstand bildenden Maßnahme.44 Eine Änderung der Rechtsnatur durch den Widerspruchsbescheid kommt allenfalls in Betracht, wenn ansonsten die Gewährung effektiven Rechtsschutzes gem Art 19 IV 1 GG nicht ermöglicht werden kann.45 Für Leistungsklagen des Dienstherrn gilt § 54 II BeamtStG von vornherein nicht.
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Lösung Fall 5 46: Nach der aufdrängenden Sonderzuweisungsnorm des § 54 I BeamtStG ist der Verwaltungsrechtsweg für alle klagenden Beamten aus dem Beamtenverhältnis gegeben. Die Vorschrift ist weit auszulegen und umfasst auch alle Klagen, die im Zusammenhang mit
42 Insbesondere die Länder haben vielfach in einem weiten Umfang das Widerspruchsverfahren ausgeschlossen → § 20 Rn 93. 43 So zB NRW in § 104 I LBG und Niedersachsen in § 105 I NBG. 44 BVerwGE 125, 85, 87 → JK GG Art. 2 I/42. 45 Vgl BVerwGE 78, 3, 5. 46 Vgl zur Fallgestaltung BVerwG DVBl 2003, 1550 (mit weitgehend anderem Lösungsweg) → JK VwVfG § 59 II/1. Anderes gilt, wenn die Gegenleistung allein für die Versorgungsanwartschaft gezahlt wurde. Zur Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit in diesem Fall vgl BAG, NZA 2006, 684; OVG Nds VBl 2007, 169; BVerfG-K, NVwZ 2008, 1111 → JK VwVfG § 59 II/2.
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der Begründung eines Beamtenverhältnisses stehen. Als Anspruchsgrundlage kommt ein ör Erstattungsanspruch oder ein privatrechtlicher Bereicherungsanspruch in Betracht. Als Kehrseite des Leistungsanspruchs teilen die genannten Ansprüche dessen Rechtsnatur. Daher kommt es darauf an, ob die zugrunde liegende Nebenabrede dem öffentlichen oder privaten Recht zuzuordnen ist. Der zwischen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag gehört dem Privatrecht an. Ein Vertrag kann nicht sowohl ör als auch privatrechtlicher Natur sein. Doch kann die Nebenabrede selbständigen Charakter haben und einen vom öffentlichen Recht geordneten Sachbereich betreffen. Hierfür spricht der Umstand, dass die Zahlungsverpflichtung des E als Gegenleistung für eine Zusicherung vereinbart wurde. Die Zusicherung bezieht sich auf das Beamtenrecht. Daher sind die Voraussetzungen aus § 54 I BeamtStG gegeben. Da eine Geldzahlung verlangt wird, ist die allgemeine Leistungsklage die statthafte Klageart. Gem § 54 II BeamtStG müsste auch bei einer allgemeinen Leistungsklage ein Vorverfahren durchgeführt werden. In NRW wurde jedoch eine in § 104 I LBG von § 54 II BeamtStG abweichende Regelung getroffen. Außer bei Maßnahmen, denen eine Bewertung einer Leistung im Rahmen einer berufsbezogenen Prüfung zugrunde liegt, sowie Maßnahmen in besoldungs-, versorgungs-, beihilfe-, heilfürsorge-, reisekosten-, trennungsentschädigungs- und umzugskostenrechtlichen Angelegenheiten, keines Widerspruchsverfahrens. Die vorliegende Streitigkeit ist keinem der in § 104 I 2 LBG NRW genannten Bereiche zuzuordnen. Eine besoldungsrechtliche Streitigkeit liegt nicht vor, da es um die Rückzahlung von Geldern geht, die E als Angestellter geleistet hat. Da E möglicherweise einen Anspruch auf eine ör Erstattung hat 47, ist er auch klagebefugt. Sonstige Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen nicht.
b) Klagebefugnis Fall 6: F wendet sich mit einer verwaltungsgerichtlichen Leistungsklage gegen Immissionen, die durch den Betrieb öffentlicher Einrichtungen (Bolzplatz, Jugendhaus) auf benachbarten Grundstücken verursacht werden.
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Umstritten ist, ob § 42 II VwGO analog auf die allgemeine Leistungsklage angewendet werden muss. Die Analogie setzt eine Lücke, die Planwidrigkeit der Lücke und eine vergleichbare Interessenlage voraus. Soweit bereits eine Lücke verneint wird, weil über die Verweisungsnormen des § 173 S 1 VwGO die Grundsätze der zivilprozessualen Prozessführungsbefugnis zur Geltung gelangen 48, ist dem entgegenzuhalten, dass (1) § 173 VwGO nur subsidiär zum Zuge kommt (wenn die VwGO keine Bestimmungen enthält), (2) die Verweisung sich offenbar nur auf das Verfahren iSd § 54 ff VwGO (und nicht auf § 42 ff VwGO) beziehen soll, (3) die Prozessführungsbefugnis in der ZPO nicht geregelt ist, (4) die zivilprozessualen Grundsätze der Prozessführungsbefugnis speziell für den Zivilprozess (nicht das weitergehende Anforderung stellende Verwaltungsgerichtsverfahren) entwickelt worden sind und (5) die Sachentscheidungsvoraussetzungen der allgemeinen Leistungsklage in der VwGO nicht normiert wurden. Die bestehende Lücke ist auch planwidrig, weil bei jeder in der VwGO geregelten Rechtsschutzform – selbst dem auf objektive Rechtskontrolle abzielenden Normenkontrollverfahren (§ 47 II 1 VwGO) – grundsätzlich eine besondere „Subjektivierung“ vom Kläger als Sachentscheidungsvoraussetzung verlangt wird
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47 Tatsächlich ist der ör Vertrag über die Zusicherung gem § 59 II Nr 4 iVm § 56 I 2 VwVfG sowie § 59 II Nr 1 iVm § 44 I VwVfG nichtig. 48 Vgl etwa Erichsen Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, 2. Aufl 1984, 47.
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5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
und es der Konzeption der VwGO widersprechen würde, nur im Falle der allgemeinen Leistungsklage hiervon abzusehen. Schließlich entspricht es der Interessenlage, die planwidrige Lücke iSd § 42 II VwGO zu schließen, da die eine Klagebefugnis erfordernde Verpflichtungsklage nur eine besondere Leistungsklage ist, unterschiedliche Anforderungen für die Verpflichtungs- und die Leistungsklage sich (insoweit) also nicht begründen lassen.49 Nach alledem ist mit der Rspr 50 und der wohl hL 51 von einer analogen Anwendung des § 42 II VwGO auf die Leistungsklage auszugehen.52 Dies bedeutet, dass der Leistungskläger geltend machen muss, einen Anspruch auf die begehrte Leistung oder Unterlassung (Duldung) zu haben. Dies ist der Fall, wenn er sich auf eine Anspruchsgrundlage des öffentlichen Rechts berufen kann, die zumindest auch den Personenkreis zu schützen bestimmt ist, dem sich der Kläger zurechnet, und die Anspruchsgrundlage dem Kläger möglicherweise den begehrten Anspruch auf das Tun, Dulden oder Unterlassen zuspricht.53 30
Lösung Fall 6: Die Leistungsklage ist nur zulässig, wenn F klagebefugt ist. Ob sich F auf § 22 BImschG berufen kann, ist umstritten. Teilweise wird die Ansicht vertreten, dass diese Vorschrift nur das Verhältnis Behörde-Betreiber, nicht das Nachbarschaftsverhältnis Störer-Gestörter regelt.54 Jedenfalls kommt aber eine Berufung auf Art 2 II GG (körperliche Unversehrtheit) und auf das durch Art 14 I GG geschützte Eigentum (iVm mit den §§ 903–906 BGB, 22 BImschG) in Betracht. Aus den genannten Normen ergibt sich ein Unterlassungsanspruch. Da sich nicht ausschließen lässt, dass dem F ein solcher Unterlassungsanspruch zusteht, ist F klagebefugt.
c) Richtiger Klagegegner 31
Fall 7: Nachdem Ratsmitglied G mehrfach erfolglos die Anordnung eines Rauchverbots in den Ratssitzungen beantragt hat, verklagt er den Gemeinderat auf Erlass eines solchen Verbots.
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Beklagter in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist derjenige, den der Kläger nach § 82 I 1 VwGO als solchen bezeichnet hat (selbst wenn er nicht beteiligungsfähig oder das richtige Subjekt der streitigen Beziehung ist).55 Ob der Beklagte beteiligungsfähig ist, bestimmt sich nach § 61 VwGO, ob er richtiger Klagegegner ist, bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen nach Maßgabe des § 78 VwGO (ggf iVm dem Landesrecht). Entgegen einer vielfach vertretenen Ansicht regelt § 78 VwGO nicht die die Begründetheit der Klage betreffende Passivlegitimation (dh die Frage des richtigen Anspruchsgegners), sondern die passive Prozessführungsbefugnis, also eine Zulässigkeitsvoraussetzung (→ § 22 49 Näher zum Ganzen Ehlers NVwZ 1990, 105, 109 f; ders VerwArch 84 (1993), 139, 143. 50 ZB BVerwGE 36, 192, 199; 60, 144, 150; 99, 64, 66; BVerwG NVwZ 2008, 423, 424. 51 Vgl zB Schenke VerwPrR, Rn 363; Hufen VerwPrR, § 17 Rn 8; Sodan in: ders/Ziekow, VwGO, § 42 Rn 371; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 387; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 490; aA zB Achterberg DVBl 1981, 278, 279; Schoch JuS 1987, 783, 790; Erichsen JURA 1989, 220, 221; 1992, 384, 386; 1994, 385, 386; Redeker/v. Oertzen VwGO, § 42 Rn 153. 52 Vgl auch die eine Klagebefugnis für die allgemeine Leistungsklage fordernden §§ 40 II FGO, 54 V SGG. 53 Zur parallelen Rechtslage im Falle der Erhebung einer Verpflichtungsklage → § 23 Rn 32 ff. 54 BVerwGE 79, 254, 257; Sachs NVwZ 1988, 127; Laubinger VerwArch 80 (1989), 261, 265; aA BVerwGE 74, 315, 327; 101, 157, 164; Jarass BImSchG, 7. Aufl 2007, § 22 Rn 69. 55 Vgl Ehlers in: FS Menger, 379.
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Rn 60). Sind die Voraussetzungen des § 78 I Nr 2 VwGO gegeben, ist bei Anfechtungsund Verpflichtungsklagen nicht der Rechtsträger, sondern die Behörde zu verklagen. Diese gesetzliche Regelung hat Ausnahmecharakter und lässt sich nicht auf die allgemeine Leistungsklage (gegen die Verwaltung) übertragen. Richtiger Klagegegner einer Leistungsklage sind somit stets nur rechtsfähige oder teilrechtsfähige Personen (also natürliche und juristische Personen sowie Subjekte, die trotz fehlender Rechtsfähigkeit selbständig rechtlich handeln, klagen und verklagt werden können 56). Anderes gilt für Innenrechtsstreitigkeiten. In solchen Fällen ist schon die Beteiligungsfähigkeit nur gegeben, wenn die verklagte Stelle Zuordnungssubjekt des Innenrechtsstreits sein kann. Trifft dies zu, ist das als Klagegegner bezeichnete Innenrechtssubjekt richtiger Klagegegner (möglicherweise aber nicht richtiger Anspruchsgegner). Lösung Fall 7: Da sich der Rat auf wehrfähige Innenrechtspositionen berufen kann 57, ist er beteiligungsfähig und richtiger Klagegegner. Die Klage des G ist aber nicht begründet, weil nur der Bürgermeister Inhaber der Ordnungsgewalt ist, und das Rauchverbot daher nicht vom Rat, sondern vom Bürgermeister zu erlassen gewesen wäre.58
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d) Klagefrist Die Monatsfrist des § 74 VwGO dient der Herbeiführung und Sicherstellung der Bestandskraft von VA. Sie lässt sich daher vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Bestimmungen nicht auf die Leistungs- (Untätigkeits- und Feststellungs-)klage übertragen. Nach dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben 59 (§ 242 BGB) führt aber eine unangemessene Verzögerung der Klageerhebung zur Verwirkung des Klagerechts.60 Wann Verwirkung eintritt, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls und dem Rechtsgebiet. Die Jahresfrist des § 58 II VwGO vermag allenfalls einen groben Anhaltspunkt zu liefern. ZB ist es Innenrechtssubjekten zuzumuten, in erheblich kürzerer Zeit die Klage einzureichen. Bei Klagen aus dem Beamtenverhältnis gilt § 74 VwGO wegen der Verweisung der § 126 II BBG, § 54 II BeamtStG auf den 8. Abschnitt der VwGO.61 Soweit gleichzeitig die Aufhebung eines Widerspruchsbescheides begehrt wird, ergibt sich dies auch daraus, dass es sich insoweit um eine Anfechtungsklage handelt.62
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3. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis Während im Normalfall im Falle der Beantragung verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes von dem Vorliegen eines allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses ausgegangen werden kann, bedarf dieses bei Erhebung einer Leistungsklage vielfach der näheren Prüfung. Das gilt insbesondere, wenn Unterlassung begehrt wird (zu den Einzelheiten → § 21 Rn 201). 56 So zB die OHG, vgl § 124 I HGB, näher dazu → § 21 Rn 142. 57 Ausführlich dazu Ehlers in: Mann/Püttner (Hrsg), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd I, 3. Aufl 2007, § 21 Rn 125 ff. 58 Vgl OVG NRW DVBl 1983, 53, 54; zum Rauchverbot s auch OVG NRW NWVBl 1991, 16 f. 59 BVerwGE 108, 93, 96. 60 AllgM vgl zB Schenke VerwPrR, Rn 704. 61 Zu § 126 II BRRG s BVerwG VerwRspr 27, 951, 955; Meissner in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 74 Rn 7. 62 Vgl auch Rennert in: Eyermann, VwGO, § 74 Rn 1.
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III. Begründetheit der allgemeinen verwaltungsgerichtlichen Leistungsklage 36
Fall 8: Der in Nordrhein-Westfalen wohnende H klagt unter Berufung auf Gesundheitsbeeinträchtigungen in erster Linie auf Beseitigung einer Feuerwehrsirene auf dem benachbarten Feuerwehrhaus, hilfsweise auf Unterlassung ihrer Betätigung.
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Die Leistungsklage ist begründet, wenn der Kläger einen Anspruch auf die begehrte Leistung (Tun, Dulden oder Unterlassen) hat. Der Anspruch kann sich aus dem europäischen Gemeinschaftsrecht (zB einer Grundfreiheit, einer VO oder einer unmittelbar anwendbaren Richtlinie), der Verfassung, dem Gesetz, einer ör Willenserklärung (zB einem VA oder einer ör Zusage 63) oder aus einem verwaltungsrechtlichen Vertrag ergeben. So verbürgen die Freiheitsgrundrechte (und auch viele weitere subjektive öffentliche Rechte) in ihrem abwehrrechtlichen Gehalt Unterlassungs- und (Folgen-)Beseitigungsansprüche. Eines in Rspr und Lit immer wieder bemühten (ohnehin nicht weiterführenden) Rekurses auf Art 19 IV 1, 20 III GG (Gesetz und Recht) oder des Rechtsstaatsprinzips 64 bedarf es ebenso wenig wie einer analogen Anwendung der §§ 1004, 12, 862 BGB.65 Dagegen enthalten die Grundrechte grundsätzlich keine originären Leistungsansprüche. Wohl aber kann sich ein Anspruch auf ein Tun, Dulden oder Unterlassen aus Art 3 I GG ergeben. Wird auf Schadensersatz oder Entschädigung geklagt, bestimmt sich die Begründetheit nach dem Haftungsrecht. Doch sind für solche Klagen im weitem Umfange die Zivilgerichte zuständig (→ § 21 Rn 109). Keine Besonderheiten gelten für Innenrechtsstreitigkeiten. Leistungsklagen sind auch in diesem Falle nur, aber zugleich stets, begründet, wenn die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Hat ein Privater Leistungsklage erhoben, besteht ein Rechtsanspruch auf die begehrte Leistung nur, wenn die Verwaltung gebunden ist, also kein Gestaltungsspielraum im Sinne eines nicht auf Null reduzierten Beurteilungs- oder Ermessensspielraums hat. So steht der Erlass oder Nichterlass einer untergesetzlichen Norm zumeist im Ermessen der zuständigen Behörde. Kommt der Verwaltung ein Gestaltungsspielraum zu, kann der Kläger allenfalls ein Bescheidungsurteil erlangen. Beispielsweise hat ein Schüler der fünften Klasse einer öffentlichen Schule, der sich mit einer Leistungsklage gegen die (nicht als VA einzustufende) Benotung einer Klassenarbeit wendet, wegen des Beurteilungsspielraums des Lehrers im günstigsten Fall einen Anspruch auf Neubewertung, nicht auf Vergabe einer bestimmten Note (sofern überhaupt eine Klagebefugnis gegeben ist und ein Rechtsschutzbedürfnis besteht).66 Für die Neubescheidung gelten dieselben Grundsätze wie für die Verpflichtungsklage (→ § 23 Rn 15). Hat der Private einen Antrag gestellt, der von der Verwaltung abgelehnt oder nicht beschieden worden ist, empfiehlt es sich zu prüfen, ob die
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63 Während sich die Zusicherung iSd § 38 VwVfG auf den Erlass oder das Unterlassen eines VA richtet (was zur Folge hat, dass eine Verpflichtungsklage zwecks Durchsetzung des zugesicherten Erlasses eines VA erhoben werden muss), stellt eine Zusage das verbindliche Versprechen der Behörde dar, eine bestimmte, sich nicht als VA darstellende Verwaltungsmaßnahme vorzunehmen oder zu unterlassen vgl Ruffert in: ders/Ehlers, Allg VerwR, § 20 Rn 61 f; Maurer Allg VerwR, § 9 Rn 59 f. 64 Vgl BVerwGE 61, 15 f. 65 Näher zum Ganzen Schoch VerwArch 79 (1988), 1 ff; ders JURA 1993, 478 ff. 66 Zu Justiziabilität in solchen Fällen vgl Niehues Schul- und Prüfungsrecht, Band 2, 4. Aufl 2004, Rn 807 f.
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Ablehnung oder Unterlassung rechtswidrig gewesen ist und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt wird. § 114 VwGO ist auf die allgemeine Leistungsklage entsprechend anzuwenden.67 Auch die Bestimmung des Zeitpunkts für die gerichtliche Beurteilung des Leistungsanspruchs bemisst sich nach denselben Maßstäben wie bei der Verpflichtungsklage (→ § 23 Rn 45). Der Kläger muss zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (ansonsten der Entscheidung des Gerichts) nach materiellem Recht einen Anspruch auf Leistung bzw. auf Bescheidung haben.68 Ist ein in der Vergangenheit bestehender Leistungsanspruch aufgrund einer Änderung der Sach- oder Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung respektive der Entscheidung entfallen, kann das frühere Bestehen des Anspruchs durch Klage nach § 43 VwGO (nicht durch Fortsetzungsfeststellungsklage in analoger Anwendung des § 113 I 4 VwGO) festgestellt werden (→ § 26 Rn 35).69 Die Vollstreckung von Leistungsurteilen richtet sich nach den §§ 167 ff VwGO iVm den §§ 704 ff ZPO. Lösung Fall 8: Für die von H erhobene Klage ist gem § 40 I 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, da eine Feuerwehranlage ör betrieben wird, dementsprechend auch die Immissionen als ör zu qualifizieren sind und damit eine ör Streitigkeit vorliegt. Im Hinblick auf das Unterlassungsbegehren ist dem H ein Rechtsschutzbedürfnis nicht abzusprechen, weil ein nachträglicher Rechtsschutz auf Feststellung der Rechtswidrigkeit (jedes Mal wenn die Sirene betätigt wurde) ineffektiv und damit nicht zumutbar ist. Sonstige Bedenken gegen die Zulässigkeit bestehen nicht. Bei der Begründetheit ist zu differenzieren. Ein (Folgen-)Beseitigungsanspruch setzt voraus, dass durch einen hoheitlichen Eingriff in ein subjektives Recht ein rechtswidriger Zustand geschaffen wurde, der noch andauert. Ein solcher Anspruch scheidet hier schon deshalb aus, weil die Installation der Anlage nicht Grundrechte des H (Art 2 II, 14 I GG) beeinträchtigt. Eine Unterlassungsklage ist gegeben, wenn die Gefahr künftiger Grundrechtsverletzungen besteht. In Betracht kommt vor allem eine Verletzung der durch Art 2 II GG geschützten körperlichen Unversehrtheit. Sollte der Lärmpegel so stark sein, dass die Eingriffsschwelle der mittelbar-faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen überschritten wird, bedürfen die künftig zu erwartenden Grundrechtseingriffe einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Zudem müssten sie dem Übermaßverbot genügen. Ob als Ermächtigungsgrundlage § 22 BImSchG in Betracht kommt, ist streitig.70 Jedenfalls kann sich die Gemeinde auf § 28 FSHG NRW berufen, wonach der Grundstückseigentümer zur Anbringung von Sirenen auf seinem Grundstück verpflichtet ist (entsprechende Vorschrift gibt es auch in anderen Bundesländern). Im Wege des Erst-RechtSchlusses muss der Grundstückseigentümer dann auch die Anbringung und den Betrieb von Sirenen auf einem benachbarten Feuerwehrhaus dulden. Bei der Berücksichtigung des Übermaßverbotes müssen die Wertungen der §§ 22 BImSchG und des § 906 BGB berücksichtigt werden. Die Betätigung der Alarmsirene dient dem Brandschutz und damit einer legitimen Zielsetzung. Sie dürfte zur Erfüllung dieses Zwecks auch geeignet und erforderlich sein. Problematischer ist die Angemessenheit. Das BVerwG hat sich für eine Duldungspflicht ausgesprochen, wenn die Belastung durch den Einbau von durch die Verwaltung zu bezahlenden Lärmschutzfenstern auf ein erträgliches Maß gemildert wird.71
67 Vgl BVerwGE 36, 352, 356; Rennert in: Eyermann, VwGO, § 114 Rn 6; Kopp/Schenke VwGO, § 114 Rn 2. 68 Vgl auch BVerwGE 97, 79, 81 f. 69 Vgl Schenke VerwPrR, Rn 868. 70 Vgl Fn 54. 71 Vgl BVerwGE 79, 254 ff.
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§ 25 Verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage Dirk Ehlers
I. Funktion und Bedeutung der verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage Neben der eine Gestaltungsklage darstellenden Anfechtungsklage (→ § 22) sowie der Leistungsklage in Gestalt der Verpflichtungs- (→ § 23) und der allgemeinen Leistungsklage (→ § 24) kennt die Verwaltungsgerichtsordnung als dritte hauptsächliche Rechtsschutzform die Feststellungsklage. Anders als ein Anfechtungs- und Leistungsurteil führt ein Feststellungsurteil weder zu einer Rechtsänderung noch zu einem – auf ein Tun, Dulden oder Unterlassen gerichteten – vollstreckbaren Titel. Nach hM dient die Feststellungsklage auch nicht der prozessualen Durchsetzung eines materiell-rechtlichen Anspruchs des Klägers gegen den Beklagten, sondern stellt ein rein prozessuales Instrument zur verbindlichen Feststellung des Rechts dar.1 In der Regel erstrebt der Kläger eine gerichtliche Feststellung, weil die Rechtslage unklar ist und eine autoritative Klarstellung verhaltenssteuernde Wirkung hat. Die Feststellungsklage hat ihre Regelung im Wesentlichen in § 43 VwGO gefunden. Unabhängig davon, ob man die auf Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsaktes gerichtete Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 I 4 VwGO) in erster Linie als amputierte Anfechtungsklage oder als besondere Feststellungsklage ansieht (→ § 26 Rn 1 f), weisen Feststellungsklage und Fortsetzungsfeststellungsklage die gleiche Struktur auf. Zudem ergänzen sich beide Klagearten, weil § 113 I 4 VwGO einen besonderen Fall der gerichtlichen Feststellung regelt. Gewisse Ähnlichkeit mit der Feststellungsklage hat auch die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle gem § 47 VwGO, obwohl es sich hierbei um ein objektives Rechtsschutzverfahren handelt (→ § 27 Rn 1). Wird ein Normenkontrollantrag mit inter partes-Wirkung abgewiesen, enthält die Entscheidung zwar keine Feststellung über die Gültigkeit der Norm. Anders stellt sich die Rechtslage aber dar, wenn ein Oberverwaltungsgericht eine Norm für unwirksam erklärt. Bei dieser – gem § 47 V 2 VwGO allgemein verbindlichen – Erklärung handelt es sich um eine Feststellung, die allerdings nicht konstitutiv, sondern nur deklaratorisch wirkt (weil rechtswidrige Normen von Anfang an unwirksam sind).2 Eine Sonderform der Feststellungsklage ist die Zwischenfeststellungsklage gem § 173 VwGO iVm § 256 II ZPO zur Feststellung eines im Laufe des Prozesses streitig gewordenen Rechtsverhältnisses, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt. Das Verhältnis muss für die Hauptsache vorgreiflich, darf aber nicht mit ihr identisch sein.3 Da nach § 43 II 1 VwGO eine verwaltungsgerichtliche Feststellung nicht begehrt werden kann, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können, kommt der Feststellungsklage abgesehen von dem in § 43 II 2 VwGO geregelten Fall an sich nur eine Auffangfunktion zu. Ungeachtet dessen ist die Bedeutung der Feststellungsklage keineswegs gering zu veranschlagen. So kommen 1 Vgl Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 43 Rn 1; Happ in: Eyermann, VwGO, § 43 Rn 3; Terhechte in: Fehling/Kastner/Wahrendorf, VerwR, § 43 VwGO Rn 7. 2 Vgl → § 27 Rn 54. 3 Vgl BVerwGE 39, 135, 138.
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§ 25
5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
eine Gestaltungs- oder eine Leistungsklage von vornherein nicht in Betracht, wenn sie nicht dem – auf Erlangung effektiven Rechtsschutzes gerichteten – Interesse des Klägers entsprechen. Beispielsweise lässt sich mit der Feststellungsklage anders als mit der Anfechtungs- oder Leistungsklage eine Klärung der Rechtslage im Hinblick auf zahlreiche Rechte und Pflichten erreichen (wie etwa beim Streit über das Bestehen eines vielerlei Rechte und Pflichten auslösenden Beamtenverhältnisses oder beim Streit über Rechte und Pflichten, die in Zukunft wiederholt entstehen können).4 Ferner kann oftmals nur mit der Feststellungsklage effektiver verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz gegen Normen des nationalen Rechts oder des europäischen Gemeinschaftsrechts erlangt werden (→ Rn 36). Hinzu kommt des Weiteren, dass die Rspr dazu tendiert, die Subsidiaritätsklausel des § 43 II 1 VwGO zu relativieren und eine Feststellungsklage insbesondere auch dann zuzulassen, wenn eine Leistungsklage statthaft gewesen wäre (krit → Rn 39; → § 24 Rn 12).
II. Zulässigkeit der verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage 3
Eine verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage ist nur zulässig, wenn die allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzungen verwaltungsgerichtlicher Klagen gegeben sind (→ § 21), die Klage statthaft ist (1.) und die besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen der Feststellungsklage vorliegen (2.). Kurz einzugehen ist ferner auf das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis (3). 1. Statthaftigkeit der Feststellungsklage
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§ 43 I VwGO regelt zwei verschiedene Gegenstände der Feststellungsklage. Zum einen geht es um die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses (a), zum anderen um die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes (b). Im zuerst genannten Fall muss zudem die Subsidiaritätsklausel des § 43 II 1 VwGO beachtet werden (c).
a) Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses (1) Begriff des Rechtsverhältnisses 5
Der Begriff des Rechtsverhältnisses 5 wird in einem weiteren und einem engeren Sinne verwendet.6 Das Rechtsverhältnis im weiteren Sinne lässt sich als die Gesamtheit einander zweckhaft zugeordneter Rechtsbeziehungen, also als ein Bündel von Rechten und Pflichten, umschreiben.7 So stellt etwa das Sozial-, das Subventions- oder das Beamtenverhältnis ein verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis in diesem Sinne mit einer Vielzahl von Berechti-
4 Vgl Happ in: Eyermann, VwGO, § 43 Rn 2. 5 Die hM stellt bereits bei der Bestimmung des Rechtsweges im Rahmen der Prüfung, ob eine ör Streitigkeit iSd § 40 I 1 VwGO vorliegt, auf die Natur des dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses ab (→ § 21 Rn 66). 6 Vgl Ehlers DVBl 1986, 912, 914 7 Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO bezeichnet solche (in einem gewissen Maße verselbständigte Bündel von Rechtsbeziehungen) anders als hier als engere Rechtsverhältnisse, § 43 Rn 7.
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gungen und Verpflichtungen dar. Dagegen sind unter einem Rechtsverhältnis im engeren Sinne die sich aus einer rechtlichen Regelung ergebenen rechtlichen Beziehungen zu verstehen. Statt der hier zugrunde gelegten Definition verwenden Rspr und Lit zumeist ausführlichere Umschreibungen des Rechtsverhältnisses im engeren Sinne. So unterfallen nach dem BVerwG einem Rechtsverhältnis iSd § 43 I VwGO diejenigen rechtlichen Beziehungen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt betreffenden öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben.8 Wie sich zeigen wird, ist diese ausführlichere Umschreibung zum Teil tautologisch, zum Teil zu eng geraten. In der Regel kommt es nur auf das Rechtsverhältnis im engeren Sinne an. Will der Kläger durch den Richterspruch Klarheit über eine Vielzahl von Rechtsbeziehungen erzielen, reicht es normalerweise aus, auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens des Grundverhältnisses zu klagen. Da Grundverhältnisse fast immer durch „eine“ Regelung begründet werden 9 (zB durch die Begründung einer Sozialversicherung, den Erlass eines Subventions-VA, den Abschluss eines Subventionsvertrages oder die Ernennung eines Beamten), wird auch in solchen Fällen um ein Rechtsverhältnis im engeren Sinne gestritten. Werden mehrere Rechtsbeziehungen zum Gegenstand eines Feststellungsbegehrens gemacht, handelt es sich um eine (objektive und ggf auch subjektive) Klagehäufung.
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(a) Vorliegen einer rechtlichen Regelung Fall 1: A ist Eigentümer eines Mietshauses in M. Er beantragt beim VG die Feststellung, dass der Mietspiegel der Stadt M unwirksam ist, weil die ortsübliche Vergleichsmiete falsch berechnet wurde.
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Rechtsverhältnisse bestehen aus rechtlichen Beziehungen. Solche Beziehungen kann es nur auf der Grundlage des Rechts geben: genauer gesagt auf der Grundlage von rechtlichen Regelungen, dh von Maßnahmen, die auf Setzung einer Rechtsfolge gerichtet sind.10 Zu den rechtlichen Regelungen gehören alle wirksamen Rechtsnormen (zB Vorschriften des europäischen Gemeinschaftsrechts oder des Verfassungsrechts, Parlamentsgesetze, Verordnungen, Satzungen, Verwaltungsvorschriften, Gewohnheitsrecht) als auch alle wirksamen rechtsgeschäftlichen – dh final auf Bewirkung von Rechtsfolgen gerichtete – Willenserklärungen 11 (zB VA, Zusicherungen, Zusagen und vertragliche Willenserklärungen). Von den Willenserklärungen zu unterscheiden sind die rechtsgeschäftsähnlichen Handlungsweisen (zB Mahnungen oder Fristsetzungen) und Realhandlungen.12 Nur wenn solche Handlungsweisen der Verwirklichung von Tatbestandsmerkmalen einer Regelung dienen, können Rechtsverhältnisse entstehen.13 Zum Beispiel handelt es sich bei der Warnung einer Verwaltungsbehörde vor gesundheitsgefährdenden Produkten eines Lebens-
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8 BVerwGE 89, 327, 329; BVerwG, NVwZ-RR 2005, 711; Happ in: Eyermann, VwGO, § 43 Rn 12. 9 So orientiert sich die hM bei der Bestimmung des Rechtsverhältnisses im Rahmen der Prüfung des § 40 I 1 VwGO (Fn 5) an der Handlungsform der Verwaltung, also zumeist einer Regelung. 10 Das Recht besteht nicht nur aus Regelungen, sondern kann auch einen anderen Inhalt – beispielsweise nur einen empfehlenden Charakter – haben. Vgl Ehlers in: Erichsen/ders, Allg VerwR, § 2 Rn 4. Zum Begriff der Regelung Ruffert in: ebd, § 20 Rn 24. 11 Vgl auch BVerwGE 100, 83, 90. 12 Vgl Heinrichs in: Palandt, BGB, 67. Aufl 2008, Überblick vor § 104 Rn 6 ff. 13 Anderer Auffassung Maurer Allg VerwR, § 8 Rn 18.
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5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
mittelherstellers mangels Setzung einer Rechtsfolge nicht um Verwaltungsakte, sondern um Realakte. Um ein Rechtsverhältnis wird aber gestritten, wenn der Lebensmittelhersteller die Feststellung begehrt, dass die Warnungen Art 12 Abs 1 GG verletzen. 9
Lösung Fall 1: Da die Aufstellung und Veröffentlichung eines örtlichen Mietspiegels durch eine Gemeinde nach § 2 V 1 und 5 des Gesetzes zur Regelung der Miethöhe öffentlich-rechtlich wahrgenommen wird, ist zwar der Verwaltungsrechtsweg gem § 40 I 1 VwGO eröffnet. Die Aufstellung des Mietspiegels stellt jedoch keine Regelung, sondern einen Realakt dar. Dieser begründet keine Rechtsbeziehung. Mangels einer Klagebefugnis kann A auch nicht die Feststellung begehren, dass die Stadt ihre gesetzliche Aufgabe wegen der fehlerhaften Berechnung des Mietspiegels rechtswidrig wahrgenommen hat. Eine Klagebefugnis ist nur gegeben, wenn der Kläger an dem festzustellenden Rechtsverhältnis selbst beteiligt ist oder wenn von dem Rechtsverhältnis eigene Rechte abhängen (→ Rn 54). Ersteres scheidet von vornherein aus. Letzteres ist schon deshalb nicht der Fall, weil die Aufstellung kommunaler Mietspiegel von Gesetzes wegen nur zur Erleichterung zivilrechtlicher Mieterhöhungsverlangen vorgesehen ist. Daher hat das BVerwG die Klage im Ergebnis zu Recht als unzulässig abgewiesen.14
(b) Vorliegen rechtlicher Beziehungen 10
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Gegenstand der Feststellungsklage sind die sich aus einer rechtlichen Regelung ergebenden rechtlichen Beziehungen. Solche Beziehungen können sich bereits mit der Existenz bzw dem äußeren Wirksamwerden einer Regelung ergeben 15, mag die Regelung wie bei einer aufschiebenden Befristung oder Bedingung auch erst später innere Wirksamkeit entfalten. Rechtsbeziehungen bestehen zwischen Rechtssubjekten. Um die sachenrechtlichen Regelungen erfassen zu können, werden vielfach auch die Beziehungen zwischen einer Person und einer Sache als Rechtsverhältnisse angesehen.16 So handelt es sich etwa bei der straßenrechtlichen Widmung nicht um eine adressaten-, sondern um eine sachbezogene Allgemeinverfügung iSd § 35 S 2 Alt 2 VwVfG. Wird darüber gestritten, ob eine Widmung auch Wirkung gegenüber einer bestimmten Person entfaltet, könnte ein Streit zwischen einer Person und einer Sache angenommen werden. Doch stellen sich sachenrechtliche Rechtsbeziehungen aufgrund einer Zustandsregelung als bloß rechtstechnische Verkürzung einer Vielzahl personaler Rechtsbeziehungen in Ansehung der Sache dar. In Wahrheit geht es stets um rechtliche Beziehungen zwischen Personen in Bezug auf eine Sache.17 Auch aus dem Umstand, dass Feststellungsklagen ebenso wie andere Klagen stets gegen einen Beklagten zu richten sind, ergibt sich, dass sachbezogene Rechtsverhältnisse in solche zwischen Klägern und Beklagten umformuliert werden müssen.18 – Unterscheidung von Beziehungen, Regelungen und Handlungen: Besteht ein Rechtsverhältnis aus Rechtsbeziehungen, kann eine Regelung als solche niemals selbst Gegenstand einer Feststellungsklage iSd § 43 Abs 1 Alt 1 VwGO sein. Die Regelung begründet, verändert oder beendet ein Rechtsverhältnis, stellt aber nicht selbst ein Rechtsverhältnis dar.
14 Vgl BVerwG, NJW 1996, 2046 ff (mit ausufernder und teilweise auch auf andere Gesichtspunkte abstellender Begründung). 15 Zum Sprachgebrauch vgl Ehlers in: Liber amicorum Erichsen, 2004, 1, 2 f. 16 Vgl BVerwGE 89, 327, 329. 17 Vgl Ehlers DVBl 1986, 912, 913; Schenke VerwPrR, Rn 378. 18 Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 43 Rn 5.
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Deshalb ist es wegen des Fehlens eines Rechtsverhältnisses zB nicht möglich, die Ungültigkeit (Nichtigkeit) einer Rechtsnorm 19, einer Wahl 20, eines Vertrages oder einer verwaltungsinternen Anordnung respektive die Rechtswidrigkeit eines VA feststellen zu lassen. Klagen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten VA (§ 113 I 4 VwGO) oder der Nichtigkeit eines VA (→ Rn 29) sind zwar zulässig, unterfallen aber gerade nicht der ersten Alternative des § 43 I VwGO, sondern speziellen gesetzlichen Normierungen. Dasselbe wie für Regelungen gilt auch für sonstige Handlungen der Verwaltung oder von Privaten. – Normative Beziehungen: Ist streitig, ob sich aus einer Norm (des europäischen Gemeinschaftsrechts oder nationalen Rechts) unmittelbar, selbst und gegenwärtig Rechte oder Pflichten ergeben, kann der Betroffene (zwar nicht auf Feststellung der Unwirksamkeit der Norm, wohl aber) auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der normativen Rechte oder Pflichten klagen.21 Er muss dies sogar tun, wenn anderweitiger Rechtsschutz nicht zu erlangen ist. Da es um die Anwendung einer Norm auf einen konkreten Sachverhalt geht, handelt es sich selbst im Falle von Parlamentsgesetzen um eine nicht verfassungsrechtliche Streitigkeit iSd § 40 I 1 VwGO. Die Art 230 EGV (Art 263 AEUV-E), 93 I Nr 4a GG und § 47 VwGO entfalten schon deshalb keine Sperrwirkung, weil es nicht um eine prinzipale Normenkontrolle geht, sondern die Rechtmäßigkeit der Norm nur als Vorfrage zu prüfen ist (vgl auch → Rn 36). – Außen- und Innenrechtsbeziehungen: Unerheblich für das Vorliegen eines Rechtsverhältnisses ist, ob es sich um Außenrechtsverhältnisse (zwischen Staat und Bürger bzw verschiedenen Verwaltungsträgern) oder um verwaltungsrechtliche Innenrechtsverhältnisse handelt. Da die Verwaltungsträger rechtlich untergliederte juristische Personen oder teilrechtsfähige Rechtssubjekte sind, gibt es auch intrapersonale Streitigkeiten (→ § 28) zwischen verwaltungsrechtlichen Innenrechtssubjekten (Organen, Organwaltern, Ämtern oder Amtswaltern), die zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht werden können.22 – Inhalt der Beziehungen: Inhalt der zwischen Rechtssubjekten bestehenden Beziehungen sind Rechte und Pflichten (oder Obliegenheiten23). Feststellungsfähig sind auch (und gerade) Teile umfassender Rechtsbeziehungen. So sind bei einem aus einem Bündel von Rechten und Pflichten bestehenden Rechtsverhältnis im weiteren Sinne oftmals nur einzelne Rechtsbeziehungen im Streit: zB nicht alle Pflichten eines Beamten, sondern nur die Pflicht zu Tragung einer Dienstkleidung.24 Auch eine einzelne Rechtsbeziehung stellt ein Rechtsverhältnis (im engeren Sinne) dar.25 Als nicht feststellungsfähig angesehen werden dagegen häufig bloße Elemente, Tatbestandsmerkmale oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses wie zB die Eigenschaften einer Person (etwa die gewerberechtliche Zuverlässig-
19 Zur Nichtigkeitsklage in Bezug auf Verwaltungsvorschriften vgl BVerwGE 100, 262, 268. 20 Vgl Laubinger VerwArch 82 (1991) 459, 486 ff. 21 Vgl BVerfG, NVwZ 1998, 169, 170; NVwZ 2000, 1407 → JK BVerfGG § 90 II/7; NVwZ 2004, 977 → JK BVerfGG § 90 II/8; NVwZ 2006, 922 → JK BVerfGG § 90 II/9; BVerwG, NJW 2000, 3584 → JK VwGO § 43/11; NVwZ 2000, 1411 → JK VwGO § 43/12. 22 Allgemeine Auffassung: Vgl Happ in: Eyermann, VwGO, § 43 Rn 14; Kopp/Schenke VwGO, § 43 Rn 10. 23 Zum Begriff vgl Heinrichs (Fn 12) vor § 241 Rn 13. 24 Vgl BVerwGE 67, 222, 228. 25 Sodan in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 43 Rn 27.
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keit 26) oder einer Sache 27 (etwa die Bebaubarkeit eines Grundstücks 28). Dies ist insofern zutreffend, als es auf Beziehungen und nicht auf isolierte Elemente, Tatbestandsmerkmale oder Eigenschaften ankommt. Doch kann der Klageantrag in aller Regel in einen zulässigen Feststellungsantrag umformuliert werden. So bleibt es dem Kläger unbenommen, statt auf Feststellung der Zuverlässigkeit oder des Vorliegens eines Bebauungsgrundstückes die Feststellung zu begehren, dass sich der Kläger gewerblich betätigen respektive sein Grundstück bebauen darf. Inwieweit die sich aus einer rechtlichen Regelung ergebenden Beziehungen aufgesplittert werden dürfen, ist eine Frage, die das berechtigte Feststellungsinteresse, nicht das Rechtsverhältnis betrifft.29 Kann der Kläger ein Mehr an Rechtsschutz durch eine gebotene Ausweitung des Feststellungsantrags erlangen, muss er sich darauf verweisen lassen. Besteht ein berechtigtes Feststellungsinteresse, können auch Teile von Rechtsverhältnissen feststellungsfähig sein. ZB ist es bei wiederkehrenden Leistungspflichten zulässig, die Feststellung lediglich auf den (allein) streitigen Grund des Anspruchs zu beziehen.30 – Gestufte Rechtsverhältnisse: Bestehen mehrere Rechtsverhältnisse, kommt es darauf an, in welchem Verhältnis diese zueinander stehen. Wird ein Rechtsverhältnis durch eine vom Kläger nicht akzeptierte rechtsgeschäftliche Willenserklärung begründet, stellt sich die Frage, ob der Kläger auch auf das vor- oder nachgelagerte Rechtsverhältnis zurückgreifen darf. Dies wäre etwa der Fall, wenn der an ihn adressierte belastende VA nicht angefochten wird, sondern der Kläger die Feststellung begehrt, dass der Verwaltungsakt nach der Gesetzeslage ihm gegenüber nicht hätte erlassen werden dürfen (vorgelagertes Rechtsverhältnis) respektive, dass dem als rechtswidrig angesehenen VA keine Folge geleistet werden muss (nachgelagertes Rechtsverhältnis). Indessen bestimmt ein VA, solange er Bestand hat und nicht nichtig ist, allein, was rechtens ist, so dass kein Raum für ein Zurückgreifen auf das dem VA vorgelagerte Rechtsverhältnis bleibt.31 Dem Abstellen auf das nachgelagerte Rechtsverhältnis steht die Subsidiaritätsklausel des § 43 II 1 VwGO entgegen.32 Richtet sich die Feststellungsklage gegen einen Innenrechtsakt (zB den Ausschluss eines Ratsmitglieds von künftigen Ratssitzungen), dürfte im Ergebnis nichts anderes gelten, weil Leistungsklage erhoben werden kann. Doch lässt die Rspr in solchen Fällen stattdessen auch die Feststellungsklage zu.33 Hat sich ein Innenrechtsakt erledigt und soll dessen Rechtswidrigkeit festgestellt werden, ist nach der hier vertretenen, aber nicht hM § 113 I 4 VwGO entsprechend heranzuziehen (→ § 26 Rn 38). – Auslegung des Klageantrags: Ist der gestellte Antrag wegen Fehlens eines Rechtsverhältnisses nicht statthaft, bedeutet dies noch nicht, dass die Klage unzulässig ist. Vielmehr kann im Rahmen des § 88 VwGO eine Auslegung oder Umdeutung in Betracht kommen. Auch ist der Vorsitzende gem § 86 III VwGO verpflichtet, auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken. Wird etwa die Feststellung der Nichtigkeit eines Vertrages bean26 Vgl Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 43 Rn 14, 16. 27 Näher dazu (mit Relativierungen) Sodan in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 43 Rn 28 ff; krit Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 43 Rn 14, 16. 28 Vgl BVerwG BRS 32 Nr 149. 29 Ebenso Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 43 Rn 16. 30 Happ in: Eyermann, VwGO, § 43 Rn 20. 31 Vgl Siemer Normenkontrolle durch Feststellungsklage?, 1971, 44; Erichsen Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, 2. Aufl 1984, 141. 32 Vgl auch → § 26 Rn 23. 33 Allgemein zum Verhältnis von Feststellungs- und Leistungsklage auch → § 24 Rn 1.
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tragt, ist es Sache des Vorsitzenden darauf hinzuweisen, dass nur die Feststellung begehrt werden kann, der Kläger werde durch den Vertrag nicht verpflichtet.
(2) Entbehrlichkeit weiterer Begriffsmerkmale Nach einer in Rspr und Lit häufig vertretenen Auffassung reicht es für die Bejahung eines Rechtsverhältnisses nicht aus, auf das Vorliegen sich aus einer rechtlichen Regelung ergebenden rechtlichen Beziehung abzustellen. Vielmehr soll es weiterer Voraussetzungen bedürfen.
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(a) Vorliegen öffentlich-rechtlicher Beziehungen Soweit verlangt wird, dass sich die rechtlichen Beziehungen aus ör Regelungen (Normen) ergeben müssen 34 respektive nur Rechtsverhältnisse ör nichtverfassungsrechtlicher Art in Betracht kommen 35, ist dies zwar im Ergebnis (im Falle des Fehlens anderweitiger aufdrängender Sonderzuweisungsnormen) zutreffend. Doch ergibt sich das Erfordernis nicht aus § 43 I VwGO, sondern bereits aus § 40 I 1 VwGO.
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(b) Vorliegen eines Meinungsstreits Nach Ansicht des BVerwG setzt ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis ferner einen Meinungsstreit zwischen den Beteiligten über Rechte oder Pflichten voraus.36 Indessen handelt es sich nicht um eine Begriffsvoraussetzung für das Vorliegen eines Rechtsverhältnisses. Fehlt es an einem Meinungsstreit, liegt schon keine Streitigkeit iSd § 40 I 1 VwGO vor. Außerdem würde es dem Kläger am berechtigten Feststellungsinteresse fehlen.37
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(c) Vorliegen eines konkreten Sachverhalts Fall 2: Handwerksmeister B streitet seit Jahren mit der Handwerkskammer darüber, ob die in einer VO festgesetzten Lehrzeiten durch Vereinbarung mit Lehrlingen in dem der Handwerkskammer zur Einreichung in die Lehrlingsrolle einzureichenden Lehrvertrag verlängert werden dürfen. Er beantragt vor dem VG die Feststellung dieser Berechtigung.
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Nahezu einhellig wird darauf hingewiesen, dass die rechtlichen Beziehungen einen bestimmten oder konkreten Sachverhalt betreffen müssen.38 Dadurch soll verhindert werden, dass bloße abstrakte Rechtsfragen aufgrund eines nur erdachten oder eines solchen Sachverhalts zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht werden, dessen Eintritt noch ungewiss ist. Die Feststellungsklage sei keine allgemeine Auskunftsklage über die Rechtslage ohne konkreten Anlass.39 Dieser Ansicht ist zwar im Ergebnis zuzustimmen.
21
34 BVerwGE 89, 327, 329; BVerwG, NVwZ-RR 2005, 711. 35 v. Nikolai in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 43 Rn 11. 36 Vgl BVerwGE 16, 92, 93; 38, 346, 347; 100, 262, 265; Hunik JURA 1997, 326, 327; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 329. 37 Vgl auch Happ in: Eyermann, VwGO, § 43 Rn 25; Sodan in: ders/Ziekow, VwGO, § 43 Rn 55. 38 Vgl BVerwGE 14, 235, 236; 77, 207, 211; BVerwG, NVwZ 1990, 1173, 1174; Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 43 Rn 17; Schenke VerwPrR, Rn 382. 39 Hufen VerwPrR, § 18 Rn 17.
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Doch setzt schon der Begriff der rechtlichen Beziehungen einen hinreichend konkreten Sachverhalt voraus.40 So liegt nach der Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale einer Rechtsnorm oder nach dem Vorliegen eines Rechtsgeschäfts (etwa dem Erlass eines VA oder dem Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages) die geforderte Konkretisierung bereits vor. Im Übrigen scheitert die Klärung abstrakter Rechtsfragen zumeist bereits am Fehlen einer Streitigkeit, jedenfalls aber am berechtigten Feststellungsinteresse.41 Widersprüchlich ist es, wenn man nur konkrete Rechtsbeziehungen als Rechtsverhältnis qualifiziert und für die Zulässigkeit einer Feststellungsklage außerdem eine Konkretisierung des Rechtsverhältnisses fordert. Geht man von letzterem aus 42, kann die Konkretisierung keine Frage des Bestehens eines Rechtsverhältnisses sein. 22
Lösung Fall 2: Da es um die Berechtigung der eine Körperschaft des öffentlichen Rechts darstellenden Handwerkskammer geht, die Eintragung in die Lehrlingsrolle zu versagen, ist gem § 40 I 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Das BVerwG prüft, ob die Feststellungsklage deshalb unzulässig ist, weil nur die Klärung einer abstrakten Rechtsfrage aufgrund eines nur erdachten oder eines solchen Sachverhalts erreicht werden soll, dessen Eintritt noch ungewiss ist. Dies wird verneint, weil angesichts der jahrelangen Streitigkeiten vom Vorliegen eines konkreten Rechtsverhältnisses ausgegangen werden müsse.43 Nach der hier vertretenen Auffassung betrifft die Prüfung das berechtigte Feststellungsinteresse. Ein solches Interesse ist wegen des andauernden Streits und des Umstands, dass B auch künftig Lehrverträge abschließen will, anzunehmen. Die Subsidiaritätsklausel des § 43 II 1 VwGO kommt trotz der Möglichkeit, Verpflichtungsklage zwecks Eintragung in die Lehrlingsrolle zu erheben, nicht zum Zuge, weil B eine generelle Klärung und nicht nur die Regelung eines Einzelfalls anstrebt.
(d) Vorliegen subjektiver Berechtigungen 23
Des Weiteren wird darauf hingewiesen, dass Rechtsverhältnisse subjektive Rechte und Pflichten (oder Obliegenheiten) voraussetzen müssen.44 Indessen wird dadurch nur der Begriff der rechtlichen Beziehungen präzisiert, da Gegenstand rechtlicher Beziehungen Rechte und Pflichten (oder Obliegenheiten) zwischen Rechtssubjekten sind.45 Zudem ist ein Rechtsschutzsuchender, der einen Feststellungsantrag gestellt hat, nur klagebefugt, wenn er sich auf ein subjektives Recht berufen kann (→ Rn 54).
(e) Vorliegen rechtlicher Beziehungen zwischen Kläger und Beklagten 24
Fall 3: Die beklagte Stadt X hat dem Beigeladenen in einem Subventionsvertrag ein zinsloses Darlehen für den Bau und den Betrieb eines Hotels gewährt. C, der ein konkurrierendes Hotel betreibt, begehrt vor dem VG die Feststellung, dass der Vertrag unwirksam ist.
40 Vgl auch Happ in: Eyermann, VwGO, § 43 Rn 12. 41 Vgl auch Siemer Normenkontrolle durch Feststellungsklage?, 1971, 34 f. 42 Vgl BVerwGE 12, 261, 262; krit zur Konkretheit des Rechtsverhältnisses auch Erichsen → JK VwGO § 43/9. 43 Vgl BVerwG, NJW 1962, 1690. 44 Vgl Sodan in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 43 Rn 9 ff; Schenke VerwPrR, Rn 380. 45 Vgl auch Remmert in: Erichsen/Ehlers, Allg VerwR, § 17 Rn 2.
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Der Begriff des Rechtsverhältnisses sagt noch nichts darüber aus, welche Personen an dem Rechtsverhältnis beteiligt sein müssen. Die Rspr nimmt einerseits an, dass der Kläger nicht unmittelbar selbst an dem streitigen Rechtsverhältnis beteiligt sein muss.46 Das Rechtsverhältnis könne auch zwischen dem Beklagten und einem Dritten bestehen.47 Andererseits soll nur ein (konkretisiertes) Rechtsverhältnis zwischen Kläger und Beklagtem zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht werden können.48 Letzteres ist insofern zutreffend, als das Feststellungsinteresse gerade gegenüber dem Beklagten bestehen muss. Ferner müssen von dem festzustellenden Rechtsverhältnis eigene Rechte des Klägers abhängen. Schließlich kann nur derjenige richtiger Klagegegner einer Feststellungsklage sein, demgegenüber das behauptete Rechtsverhältnis besteht. Doch handelt es sich hierbei nicht um Anforderungen, die sich aus dem Begriff des Rechtsverhältnisses, sondern aus den besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen der Feststellungsklage ergeben.49
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Lösung Fall 3: Gegenstand einer Feststellungsklage kann auch ein Rechtsverhältnis zwischen dem Beklagten und einem Dritten sein. Da die Subvention bereits vergeben wurde und damit eine allgemeine Leistungsklage in Gestalt einer Unterlassungsklage ausscheidet, greift auch die Subsidiaritätsklausel des § 43 II 1 VwGO nicht ein. Ein berechtigtes Feststellungsinteresse ist (jedenfalls deshalb) gegeben, weil die wirtschaftlichen Interessen des in einem Konkurrenzverhältnis zum Beigeladenen stehenden C berührt werden und ein Feststellungsinteresse gerade gegenüber der Bekl besteht. C ist ferner klagebefugt, weil er geltend machen kann, dass das zwischen dem Bekl und dem Beigeladenen bestehende Rechtsverhältnis seine Rechte berührt. Zum einen kann sich C auf § 58 I VwVfG (wonach ein ör Vertrag, der in Rechte eines Dritten eingreift, erst wirksam wird, wenn der Dritte schriftlich zustimmt), zum anderen auf Art 12 I GG berufen. Zu Recht hat deshalb auch das OVG NRW 50 die Klage für zulässig erachtet.
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(f) Zeitlicher Bezug des Rechtsverhältnisses Bei den Rechtsverhältnissen iSd § 43 I VwGO kann es sich nicht nur um gegenwärtige, sondern auch um vergangene oder zukünftige handeln. In Rspr und Lit wird die Überprüfungsfähigkeit vergangener oder zukünftiger Rechtsverhältnisse zum Teil begrenzt. So sollen vergangene Rechtsverhältnisse (die sich zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erledigt haben) nur Gegenstand einer Feststellungsklage sein können, wenn sie andauernde Wirkungen entfalten.51 Zukünftige Rechtsverhältnisse, die sich aus einem künftigen oder noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt ergeben, sollen zumindest „übersehbar“ sein.52 Dies wird aus dem Erfordernis der Konkretheit des Rechtsverhältnisses
46 BVerwGE 39, 247, 248; vgl auch BVerwG, NJW 1970, 2260; BVerwGE 50, 60, 62; 117, 93, 116; BVerwG, NJW 1997, 3257 f. 47 Vgl auch OVG NRW, NVwZ 1984, 522, 523; DVBl 1993, 60, 61; VGH BW, VBl BW 1998, 101, 103. 48 Vgl BVerwGE 124, 47 → JK EG RL 2003/87/EG/1. 49 Schenke VerwPrR, Rn 409, folgert dies aus einer teleologischen Restriktion der Feststellungsklage, die aus einer auf die Prozessbeteiligten beschränkten Rechtskraftwirkung abgeleitet wird. 50 OVG NRW, NVwZ 1984, 522 f. 51 Vgl BVerwGE 2, 229, 230; 61, 164, 169. 52 Vgl BVerwGE 124, 47, 54.
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gefolgert.53 Indessen ist schon ausgeführt worden, dass es sich hierbei nicht um ein Merkmal des Rechtsverhältnisses handelt. Ob vergangene oder zukünftige Rechtsverhältnisse feststellungsfähig sind, beurteilt sich daher nach anderen Sachentscheidungsvoraussetzungen, nämlich nach dem berechtigten Feststellungsinteresse und gegebenenfalls auch der Klagebefugnis (→ Rn 42 ff und 54 f).
(3) Unterscheidung zwischen Bestehen und Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses 28
§ 43 I VwGO erfasst Feststellungsklagen unabhängig davon, ob die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt wird. Im ersten Fall lässt sich von einer positiven, im zweiten von einer negativen Feststellungsklage sprechen. Abzustellen ist jeweils auf den Kläger. Zwar handelt es sich bei dieser Unterscheidung nur um verschiedenartige Sichtweisen in Bezug auf dasselbe Problem.54 Ist ein Rechtsverhältnis im Streit, wird jeweils ein Beteiligter das Bestehen, ein anderer das Nichtbestehen behaupten. Doch ist die Unterscheidung von positiver und negativer Feststellungsklage für die Beweislastverteilung von Bedeutung.55 Nach allgemeinen, prinzipiell auch im Verwaltungsprozessrecht geltenden Grundsätzen 56 muss jede Partei diejenigen Tatsachen beweisen, aus denen sich ihr Recht herleitet (Günstigkeitsprinzip). Der „Anspruchsteller“ trägt die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen.57 In welcher Parteirolle er sich dabei befindet, ist gleichgültig. Daher muss der Kläger bei einer positiven Feststellungsklage die tatsächlichen Voraussetzungen des behaupteten Bestehens eines Rechtsverhältnisses beweisen. Dagegen trägt bei einer negativen Feststellungsklage der Beklagte die Beweislast für das Bestehen des von ihm behaupteten Rechtsverhältnisses. Bleibt unklar, ob das Rechtsverhältnis, dessen sich der Feststellungsbeklagte berühmt 58, besteht, muss einer auf Negation gerichteten Feststellungsklage stattgegeben werden.
b) Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes 29
Obwohl ein nichtiger VA keine innere Wirksamkeit (dh keine Regelungswirkungen) entfaltet, kann er einen Rechtsschein erzeugen. Um dem entgegentreten zu können, muss es gem Art 19 IV GG, § 40 I 1 VwGO einen Gerichtsschutz auch gegen nichtige VA geben. Mit einer auf Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses gerichteten negativen Feststellungsklage kann die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts nicht erreicht werden, weil der VA selbst kein Rechtsverhältnis darstellt (→ Rn 11). Möglich wäre nur die Feststellung, dass der VA kein Rechtsverhältnis (zB keine Pflichten des Klägers) begründet hat. Doch lässt § 43 I VwGO – wohl nicht zuletzt wegen der plastischeren Tenorierung 59 – ausdrücklich auch die Feststellung der Nichtigkeit eines VA als Sonder-
53 Vgl Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 43 Rn 21. 54 Sodan in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 43 Rn 45. 55 Vgl zum Folgenden BGH, NJW 1993, 1716, 1717; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 327; Würtenberger VerwPrR, Rn 431; Greger in: Zöller, ZPO, 26. Aufl 2007, § 256 Rn 18; aA Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 43 Rn 6. 56 Vgl BVerwGE 18, 168, 170 f; 47, 330, 339; 78, 367, 370; 80, 290, 296 f; Wahrendorf in: Fehling/ Kastner/ders, VerwR, § 108 Rn 27. 57 Vgl BGHZ 113, 222, 225. 58 Im Hinblick auf das Berühmen bleibt die Beweislast des Klägers bestehen. Vgl BGH, NJW 1993, 1716, 1717. 59 Vgl Happ in: Eyermann, VwGO, § 43 Rn 27.
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fall neben der Feststellung von Rechtsverhältnissen zu. Ob es ein Bedürfnis für die Aufhebung nichtiger Akte im Allgemeinen gibt 60, kann dahinstehen, da sich aus einem Gegenschluss zu § 43 II 2 VwGO ergibt, dass die VwGO jedenfalls eine Anfechtungsklage gegen nichtige VA zulässt. Damit soll vermieden werden, dass der Kläger bei der Wahl der Klageart mit dem Risiko einer falschen Prognose der Fehlerfolge (Rechtswidrigkeit oder Nichtigkeit des VA) belastet wird. Tatsächlich bedeutet dies, dass der Kläger ein Wahlrecht hat. In der Regel dürfte die Anfechtungsklage vorzuziehen sein (→ § 22 Rn 1). So ist die Feststellungsklage zwar nicht unzulässig 61, im Gegensatz zur Anfechtungsklage wohl aber unbegründet 62, wenn sich herausstellt, dass der VA nur rechtswidrig (und nicht nichtig) war. Des Weiteren handelt es sich bei der Anfechtungsklage auch im Falle der Nichtigkeit des VA um eine Gestaltungsklage.63 Wird der VA aufgehoben, hat dies allgemeine Wirkung und nicht nur (wie bei der Feststellungsklage) für die Beteiligten (→ § 22 Rn 17). Auch dürfte in der Anfechtungsklage bei Auslegung des Klagebegehrens als Minus ein Feststellungsantrag enthalten sein (so dass der Kläger jederzeit Feststellung statt Anfechtung begehren kann). Dagegen lässt sich ein auf Nichtigkeitsfeststellung gerichteter Klageantrag nicht in einen weitergehenden, auf Gestaltung der Rechtslage abzielenden Anfechtungsantrag umdeuten.64 Schließlich kommt hinzu, dass das der Anfechtungsklage regelmäßig vorgelagerte Widerspruchsverfahren eine Klage entbehrlich machen kann. Unzulässig ist eine Anfechtungsklage allerdings, wenn die Widerspruchs- und Klagefrist versäumt wurde. Wegen der Identität des Streitgegenstandes darf gegen einen als nichtig angesehenen VA nicht sowohl eine Anfechtungs- als auch eine negative Feststellungsklage erhoben werden.65 Unbenommen bleibt es dem Kläger aber, einen Haupt- und Hilfsantrag zu stellen.66 Auch kann eine Klageänderung gem § 91 VwGO in Betracht kommen (Übergang vom Feststellungsantrag zum Anfechtungsantrag). Die Nichtigkeitsfeststellungsklage setzt die Existenz oder äußere Wirksamkeit eines VA voraus. Hierbei kann es sich auch um einen Widerspruchsbescheid handeln.67 Von nichtigen VA sind Nichtakte (zB nicht bekannt gegebene VA) zu unterscheiden (→ § 22 Rn 17). Rechtsschutz gegen Nichtakte kann nur über die 1 Alt des § 43 I VwGO erlangt werden 68. Für eine analoge Anwendung des § 43 I Alt 2 VwGO besteht schon wegen des
60 Vgl Ehlers NVwZ 1990, 105, 108. 61 So aber Hufen VerwPrR, § 18 Rn 28, wonach eine Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen rechtswidrige Verwaltungsakte an der Subsidiarität des § 43 II 1 VwGO scheitern soll. 62 Kunig JURA 1997, 326, 328; Schnapp DVBl 2000, 247, 249; Wolff in: ders/Decker, VwGO/ VwVfG, § 43 Rn 44; Schenke VerwPrR, Rn 413. 63 BVerwGE 18, 154, 155; Bosch/Schmidt Verfahren, § 20 IV; Schnapp DVBl 2000, 247, 249; Lorenz VerwPrR, § 17 Rn 14 und § 22 Rn 34; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 330; aA Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 I Rn 18 und § 43 Rn 27; Sodan in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 43 Rn 68 (wonach der Kläger auf einen entsprechenden Hinweis des Gerichtsvorsitzenden nach § 86 III zur Nichtigkeitsfeststellungsklage übergehen muss); Hufen VerwPrR, § 18 Rn 27. 64 → § 22 Rn 2. AA zB Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 43 Rn 27; v. Nicolai in: Redeker/v. Oertzen VwGO, § 42 Rn 12; Würtenberger VerwPrR, Rn 409. 65 Vgl Bay VGH, BayVBl 1990, 370. 66 Vgl zB Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 43 Rn 27. 67 BayVGH, BayVBl 1990, 370. 68 BVerwG, NVwZ 1987, 330; Kunig JURA 1997, 326, 328; BFHE 143, 491; aA Wolff in: ders/ Decker, VwGO/VwVfG, § 43 Rn 46.
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Fehlens einer Rechtsschutzlücke kein Bedürfnis. Aus dem gleichen Grunde kann eine Klage auf Feststellung der Wirksamkeit eines VA nicht mit der Nichtigkeitsfeststellungsklage gleichgestellt werden.69 Gegenstand einer Nichtigkeitsfeststellungsklage können auch Teile eines VA sein (zB eine als nichtig angesehene Nebenbestimmung).70 Ist die Ablehnung eines VA nichtig, muss Verpflichtungsklage erhoben werden, es sei denn, dass auch eine isolierte Anfechtungsklage (hier gerichtet auf Feststellung der Nichtigkeit der Ablehnung) zulässig ist.71
c) Subsidiarität der Feststellungsklage (1) Grundsatz 31
Fall 4: D ist zwei Jahre lang von einem verdeckten Ermittler des Landeskriminalamts beobachtet worden und klagt nunmehr vor dem VG auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beobachtung.
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Fall 5: Die Fischerei-Reederei E möchte sich vor Gericht gegen eine EU-VO wenden, nach der bestimmte Fangmethoden verboten sind, und bittet um Auskunft, was sie unternehmen kann.
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Fall 6: Landwirt F hat eine VB beim BVerfG gegen eine Bundes-VO und ein Parlamentsgesetz erhoben. Durch die VO ist F in eine für die Gewährung von Ausgleichszahlungen ungünstige Erzeugerregion eingestuft worden. Das Parlamentsgesetz verbietet F zur Bekämpfung der Tierseuche BSE bestimmte Futtermittel zu verwenden.
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Gem § 43 II 1 VwGO kann die Feststellung (auf Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses) nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Somit ist die Feststellungsklage (grundsätzlich) subsidiär. Kommt die Subsidiaritätsklausel zum Zuge, ist die Feststellungsklage nicht statthaft.72 Sinn der Klausel ist es, den Rechtsschutzsuchenden auf die Rechtsschutzform zu verweisen, mit der er sein Begehren am wirkungsvollsten durchsetzen kann. Kann eine Rechtsgestaltung oder eine Verurteilung zur Leistung erreicht werden, gibt es keinen Grund dafür, sich mit einem Weniger an Rechtsschutz (dh einer nicht vollstreckbaren Feststellung) zufrieden zu geben, zumal die Gerichte dann uU doppelt in Anspruch genommen werden müssen. Nach der Rspr soll § 43 II 1 VwGO auch verhindern, dass die für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen in Gestalt der Versagungsgegenklage geltenden Fristen unterlaufen werden.73 Doch wird der VA dann ohnehin bestandskräftig.74 Die Subsidiaritätsklausel gilt rechtswegübergreifend, also auch
69 Würtenberger VerwPrR, Rn 410 f; Selb Die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage, 1998, 126 f; aA Kopp/Schenke VwGO, § 43 Rn 7b; Schenke VerwPrR, Rn 412. 70 Vgl Hufen VerwPrR, § 18 Rn 28. 71 Allgemein zur Zulässigkeit isolierter Anfechtungsklagen JURA 2004, 30, 32 f. 72 Ebenso Kunig JURA 1997, 326, 327 f; Sodan/Kluckert VerwArch 94 (2003) 3, 17. 73 BVerwGE 77, 207, 211; BVerwG, NJW 1997, 2534. 74 Vgl auch Happ in: Eyermann, VwGO, § 43 Rn 42.
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dann, wenn die Gestaltungs- oder Leistungsklage vor einem anderen als dem (allgemeinen) Verwaltungsgericht erhoben werden kann.75 Für die Beurteilung der Subsidiarität kommt es grds auf den Zeitpunkt der Erhebung der Feststellungsklage an.76 Eine zulässigerweise erhobene Feststellungsklage bleibt zulässig, auch wenn später eine Gestaltungsoder Leistungsklage hätte erhoben werden können. Anderes soll gelten, wenn die Feststellungsklage noch nicht begründet wurde.77 Steht der Feststellungsklage in Folge einer Änderung der Rechtslage erst nachträglich die Subsidiarität nicht mehr entgegen, kommt es dagegen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung respektive der Entscheidung des Gerichts an, da es „prozessökonomisch“ nicht vertretbar wäre, den Kläger auf die Erhebung einer neuen Feststellungsklage zu verweisen.78 Ist im Zeitpunkt der Erhebung der Feststellungsklage eine Gestaltungs- oder Leistungsklage nicht mehr zulässig (etwa weil die Fristen versäumt wurden), hätte aber früher Gestaltungs- oder Leistungsklage erhoben werden können, kann die Feststellung nicht begehrt werden. § 43 II 1 VwGO kommt nur zur Anwendung, wenn die Gestaltungs- oder Leistungsklage in Reichweite und Effektivität mindestens gleichwertigen Rechtsschutz wie die Feststellungsklage bietet.79 Daher ist die Feststellungsklage nicht subsidiär, wenn es nicht um Einzelakte, sondern um ein ganzes Bündel von Verpflichtungen oder Berechtigungen geht, das Rechtsverhältnis über den Einzelfall hinaus in gleichgelagerten Fällen auch künftig wieder von Bedeutung ist oder eine Gestaltungs- respektive Leistungsklage das Anliegen des Klägers nur als bloße, nicht der Rechtskraft fähige Vorfrage erfassen würde.80 Bestreitet zB jemand Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft zu sein, kann er Feststellungsklage erheben, ohne darauf angewiesen zu sein, jeden einzelnen Beitragsbescheid angreifen zu müssen.81 Lösung Fall 4: Da die Beobachtung keinen VA darstellt, ist nicht die Fortsetzungsfeststellungsklage, sondern die allgemeine Feststellungsklage gem § 43 I VwGO die richtige Klageart. Die Subsidiaritätsklausel des § 43 II 1 VwGO findet keine Anwendung, wenn durch die Feststellungsklage effektiverer Rechtsschutz gewährt werden kann. Dies hat das BVerwG 82 im vorliegenden Fall angenommen. Zwar könne D im Wege der Leistungs- (Verpflichtungs-) Klage Auskunft über die von ihm gespeicherten personenbezogenen Daten und deren Löschung sowie die Vernichtung der dazugehörenden Unterlagen verlangen und dabei als Vorfrage die Rechtswidrigkeit der Datenerhebung geltend machen. Doch kann er mit der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Einsatzes verdeckter Ermittler weitergehenden Rechtsschutz erlangen, nämlich Genugtuung für den mit der Verletzung seiner Privatsphäre verbundenen Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht. Es stünde mit der Gewährleistung effektiven Grundrechtsschutzes jedoch nicht im Einklang, die dem Betroffenen durch die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit zukommende Genugtuung dadurch zu entwerten, dass sie in einem Leistungs- (Verpflichtungs-)Urteil als nicht tenorierte Entscheidung über eine Vor-
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BVerwG, NVwZ 1987, 216, 217; BVerwGE 111, 306, 308 f. BVerwGE 54, 177, 179. Vgl BVerwG, Buchholz 310, § 113 VwGO Nr 282, 18 f. BVerwG NVwZ 2007, 1311, 1312. BVerwGE 32, 333, 335; 90, 112, 115; BVerwG, NJW 1997, 2534, 2535. Vgl Happ in: Eyermann, VwGO, § 43 Rn 41 mwN. BVerwG, DÖV 1983, 548, 549; vgl auch HessVGH, NJW 2007, 457 mit der Begründung, der steuerliche Aspekt betreffe einen anderen Streitgegenstand. 82 BVerwG, NJW 1997, 2534.
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frage gewissermaßen versteckt wird. Mithin ist die Feststellungsklage nicht als subsidiär und damit als statthaft angesehen worden. Obwohl sich die Beobachtung erledigt hat, besitzt D wegen des (schwerwiegenden) Grundrechtseingriffs auch ein Rehabilitationsinteresse und damit ein berechtigtes Feststellungsinteresse.
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Wie sich schon aus den zuvor getroffenen Ausführungen ergibt, ist die Feststellungsklage dann nicht gegenüber der Anfechtungsklage subsidiär, wenn sich mit ihr eine Vielzahl von Anfechtungsprozessen vermeiden lässt 83. Gleiches gilt, wenn über die Reichweite der Bindungswirkungen eines VA gestritten wird 84. Erledigt sich ein VA oder der Antrag auf Erlass eines VA nach Erhebung einer Anfechtungs- respektive Verpflichtungsklage, muss der Kläger gem (respektive entsprechend) § 113 I 4 VwGO einen Fortsetzungsfeststellungsantrag stellen. Tritt Erledigung vor der Erhebung der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ein, findet nach herrschender und zutreffender, aber nicht unumstrittener 85 Ansicht § 113 I 4 VwGO analoge Anwendung, so dass der Rückgriff auf § 43 I VwGO gesperrt ist (→ § 26 Rn 18 ff). Wurde der Antrag auf Erlass eines VA, der sich erledigt hat, nicht beschieden, ist dagegen die Feststellungsklage die richtige Klageart (→ § 26 Rn 32). Die Verpflichtungsklage verdrängt die Feststellungsklage nur, wenn beide Klagen auf dasselbe Ziel gerichtet sind. Ist der Kläger zB der Auffassung, dass er keiner Baugenehmigung bedarf, entspräche eine Verpflichtungsklage auf Erteilung der Genehmigung von vornherein nicht seinem Klageziel. Wohl aber kommt eine Klage auf Feststellung der Genehmigungsfreiheit in Betracht.86 Ebenso darf der Kläger die Feststellung des generellen Bestehens eines Wahlrechts beantragen, wenn es ihm nicht nur auf die Verpflichtung zur Eintragung in das Wählerverzeichnis für eine bestimmte Wahl ankommt.87 Kann der Erlass eines feststellenden VA durch die Verpflichtungsklage erzwungen werden, ist die Feststellungsklage unstatthaft.88 Zum Verhältnis von Feststellungs- und Leistungsklage vgl → Rn 39, zu vorbeugenden Feststellungsklagen → Rn 48. Da § 43 II 1 VwGO nur die Gestaltungs- und Leistungsklage, nicht die Normenkontrolle erwähnt und § 47 VwGO für den Kläger nicht ein Mehr an Rechtsschutz bietet, ist eine Feststellungsklage auch dann statthaft, wenn ein Normenkontrollantrag nach dieser Vorschrift in Betracht gekommen wäre.89 Soweit der Kläger die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erstrebt, handelt es sich zudem um einen unterschiedlichen Streitgegenstand, auch wenn sich der Kläger auf die Nichtigkeit der zugrundeliegenden Norm stützt.90 Zum Zuge kommt die Subsidiaritätsklausel des § 43 II 1 VwGO ferner dann nicht, wenn der Kläger die Feststellung begehrt, dass eine sekundärrechtliche Norm
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Vgl BVerwGE 121, 152, 156. Vgl Schenke VerwPrR, Rn 426. BVerwGE 109, 203, 208 f aA Glaser NJW 2009, 1043 ff. Vgl auch BVerwGE 39, 247, 249. Vgl Schenke VerwPrR, Rn 419. Vgl Sodan in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 43 Rn 132. Vgl in Bezug auf einen Bebauungsplan BayVGH, BayVBl 1972, 443; Dageförde VerwArch 79 (1988) 123, 135; Ziekow in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 47 Rn 26; eine gegenteilige Auffassung (Spezialität des § 47 VwGO auch wegen der Rechtsschutzkonzentration bei dem OVG) lässt sich gut vertreten. 90 Vgl BVerwG, NJW 1983, 2208; wohl auch OVG NRW, NVwZ-RR 1995, 138; Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 43 Rn 25.
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des europäischen Gemeinschaftsrechts oder eine nicht nach § 47 VwGO angreifbare Norm des nationalen Rechts auf ihn keine Anwendung findet. Da sich die Subsidiaritätsklausel nur auf den nationalen Rechtsschutz bezieht, entfaltet sie selbst dann keine Sperrwirkungen, wenn Nichtigkeitsklage gegen eine Verordnung der Europäischen Gemeinschaft vor dem (europäischen) Gericht erster Instanz gem Art 230 IV EGV (Art 263 IV AEUV-E) erhoben werden kann (→ § 8 Rn 3; vgl auch Fall 5). Ist eine Norm nicht nach § 47 VwGO anwendbar (weil es sich um ein Parlamentsgesetz handelt oder die Länder von § 47 I Nr 2 VwGO keinen Gebrauch gemacht haben) kommt zwar grundsätzlich eine Verfassungsbeschwerde in Betracht. Doch ist diese nach st Rspr des BVerfG gegenüber verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklagen prinzipiell subsidiär.91 Ob dies nicht nur für die Überprüfung untergesetzlicher Normen, sondern auch von Parlamentsgesetzen gilt, ist bisher nicht hinreichend geklärt (→ Fall 6).92 Lösung Fall 5: Eine Nichtigkeitsklage vor dem EuG (vgl Art 225 EGV (Art 256 AEUV-E), kommt gem Art 230 IV EGV (Art 263 IV AEUV-E) nur in Betracht, wenn sich die Klage gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter wendet, welche den Kläger unmittelbar treffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen (→ § 8 Rn 28 ff). Deutsche Gerichte sind wegen des Fehlens deutscher Gerichtsgewalt nicht befugt, über die Gültigkeit des EURechts zu entscheiden.93 In Betracht kommt aber eine verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage 94, mit der die Feststellung begehrt werden kann, dass die EU-VO auf den Kläger nicht angewendet werden darf. Das VG (auch der ersten Instanz 95) hat dann eine Vorabentscheidung des EuGH nach Art 234 EGV (Art 267 AEUV-E) über die Gültigkeit der VO einzuholen.
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Lösung Fall 6: Das BVerfG hat in beiden Fällen die VB als unzulässig zurückgewiesen.96 Das sich aus § 90 II BVerfGG ergebende Erfordernis der Rechtswegerschöpfung ist zwar nicht missachtet worden, weil es einen prinzipalen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz weder gegen Bundesverordnungen noch gegen Parlamentsgesetze gibt. Wohl aber muss der vom BVerfG (in seiner Eigenschaft als Verfassungsorgan) entwickelte Grundsatz der Subsidiarität der VB beachtet werden. Die VB eines von der angegriffenen Rechtsnorm selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffenen Grundrechtsträgers ist dann unzulässig, wenn er in zumutbarer Weise Rechtsschutz durch die Anrufung der Fachgerichte erlangen kann. In Betracht kommt in beiden Fällen eine verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage. F kann die Feststellung begehren, dass er durch die VO in seinen Grundrechten verletzt ist und dass er ungeachtet des In-Kraft-Tretens des Parlamentsgesetzes weiterhin seine Futtermittel verwenden darf. Die Subsidiaritätsklausel des § 43 II VwGO kommt nicht zum Zuge, weil es keinen anderweitigen effektiven verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz gibt.
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91 Vgl BVerfG, NVwZ 2006, 922 → JK BVerfGG § 90 II/9; NVwZ 2000, 1407 ff → JK BVerfGG § 90 II/7; NVwZ 2004, 977 → JK BVerfGG § 90 II/8. 92 Zu dieser Frage Schenke JZ 2006, 1004, 1010 ff; Ehlers JZ 1996, 726, 780 f. 93 Vgl Ehlers DVBl 2004, 1441, 1443 f. 94 Vgl statt vieler Dörr Der europäisierte Rechtsschutzauftrag deutscher Gerichte, 2003, 220 f. 95 Vgl Ehlers Die Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts, 1999, 114 ff. 96 Vgl BVerfG, NVwZ 2006, 922 → JK BVerfGG § 90 II/9; NVwZ 2004, 977 → JK BVerfGG § 90 II/8.
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(2) Ausnahmen 39
Kraft ausdrücklicher Bestimmung des § 43 II 2 VwGO findet die Subsidiaritätsklausel dann keine Anwendung, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines VA begehrt wird. Das gilt auch für die nach Ablauf der Anfechtungsfrist erhobene Anfechtungsklage. Richtet sich die Feststellungsklage gegen die öffentliche Hand, soll nach st Rspr der Grundsatz der Subsidiarität der Statthaftigkeit auch dann nicht entgegenstehen, wenn der Kläger die Möglichkeit gehabt hätte, effektiven Rechtsschutz über die allgemeine Leistungsklage zu erlangen. Begründet wird die Wahlmöglichkeit zwischen Feststellungs- und Leistungsklage mit der Homogenität des Prozessrechts (weil die zivilprozessuale Rechtsprechung seit langem von der Zulässigkeit der Feststellungsklage anstelle der Leistungsklage ausgeht, wenn sich diese gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts richtet 97), der Erwartung, dass die öffentliche Hand auch bloße Feststellungsurteile respektieren und die daraus gebotenen Konsequenzen ziehen werde sowie dem Zweck des § 43 II 1 VwGO (lediglich eine Umgehung der für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen geltenden Bestimmungen über Fristen und das Vorverfahren zu verhindern).98 Diese Auffassung ist mit der in der Lit nahezu einhellig vertretenen Lehre 99 schon wegen der Unvereinbarkeit mit dem klaren Wortlaut des § 43 II 1 VwGO abzulehnen (→ § 24 Rn 1). Im Übrigen kennt § 256 ZPO eine dem § 43 II 1 VwGO entsprechende Vorschrift gerade nicht. Kann von der öffentlichen Hand immer erwartet werden, Feststellungsurteile zu respektieren und daraus Konsequenzen zu ziehen, hätte es der §§ 170, 172 VwGO nicht bedurft. Schließlich ist bereits ausgeführt worden, dass § 43 II 1 VwGO nicht nur darauf abzielt, das Vorverfahren und die Fristeinhaltung zu sichern. Vielmehr soll erreicht werden, dass ein Kläger sich nicht mit einem Weniger an Rechtsschutz zufrieden gibt, wenn er die Möglichkeit hat, ein Mehr zu erlangen. 2. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen der Feststellungsklage
a) Erfolglose, form- und fristgerechte Widerspruchserhebung 40
Gem § 68 VwGO bedarf es grundsätzlich nur vor Erhebung einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage der vorherigen Durchführung eines Vorverfahrens.100 Doch können Sondergesetze etwas anderes bestimmen. Dies trifft nach § 126 III BBG grundsätzlich für Klagen von Beamten des Bundes aus dem Beamtenverhältnis zu, so dass Feststellungsklagen gegen den Dienstherrn nur zulässig sind, wenn zuvor form- und fristgerecht ohne Erfolg Widerspruch eingelegt worden ist. Das gleiche gilt gemäß § 54 II BeamtStG für Beamte der Länder, der Kommunen und anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts, es sei denn das Land hat gemäß § 54 II 3 BeamtStG bestimmt, dass es keines Vorverfahrens bedarf 101.
97 Vgl RGZ 129, 31, 34; BGHZ 28, 123, 126; BGH, NJW 1984, 1118, 1119; BAGE 12, 290, 292. 98 Vgl BVerwGE 36, 179, 181 f; 40, 323, 327 f; 51, 69, 75; 77, 207, 211; BVerwG, NJW 1997, 2534, 2535. 99 Vgl Kunig JURA 1997, 326, 328; Würtenberger VerwPrR, Rn 416; aA Lorenz VerwPrR, § 22 Rn 31. 100 In NRW bedarf es aufgrund des 2. Gesetzes zum Bürokratieabbau vom 19.9.2007 nur noch in bestimmten Fällen eines Widerspruchverfahrens, vgl § 6 AGVwGO NRW nF. 101 Eine solche Bestimmung findet sich zB in § 104 I LBG NRW und § 105 I NBG.
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b) Berechtigtes Feststellungsinteresse (1) Allgemeine Anforderungen Fall 7: G begehrt mit einer gegen das Land unmittelbar nach Inkrafttreten des TreibhausgasImmissionshandelsgesetzes (TEHG, BGBl 2004 I S 1578) gerichteten verwaltungsgerichtlichen Klage die Feststellung, dass er beim Betrieb seines Zementwerks nicht verpflichtet ist, die Anforderungen der §§ 4, 5 und 6 TEHG einzuhalten.
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§ 43 I VwGO lässt die Feststellungsklage nur zu, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Das berechtigte Feststellungsinteresse ist eine Ausprägung des (allgemeinen) Rechtsschutzbedürfnisses, dessen Vorliegen der Kläger darzulegen hat.102 Bezweckt wird ein Schutz der Gerichte vor einer unnötigen Inanspruchnahme.103 Anders als § 256 ZPO verlangt § 43 I VwGO kein rechtliches, sondern nur ein berechtigtes Interesse. Darunter wird allgemein jedes schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art verstanden.104 Schutzwürdig ist ein Interesse nur, wenn gerichtlicher Klärungsbedarf besteht. Rechtliche Interessen zeichnen sich dadurch aus, dass sie in der Rechtsordnung Anerkennung gefunden haben. Wirtschaftliche Interessen müssen sich ökonomisch rechtfertigen lassen, ideelle Interessen sind im subjektiven Bereich des Klägers anzusiedeln.105 Nach der Rspr soll § 43 I VwGO höhere Anforderungen an das berechtigte Feststellungsinteresse als § 113 I 4 VwGO stellen, weil im letzten Fall der bereits betriebene Prozessaufwand (zulässige Erhebung einer Klage) berücksichtigt werden müsse.106 Doch kommt eine Fortsetzungsfeststellungsklage auch dann in Betracht, wenn Erledigung vor Klageerhebung eingetreten ist (→ § 26 Rn 44 ff). Umgekehrt können Feststellungsanträge gem § 43 I VwGO in Fortsetzung oder Erweiterung anderweitiger Klagen gestellt werden (zB wenn sich die auf Vornahme eines Realakts gerichtete Leistungsklage erledigt hat oder eine Fortsetzungsfeststellungsklage mit einer Feststellungsklage verbunden wird 107). Dies zeigt, dass der Begriff des berechtigten Feststellungsinteresses es zwar erfordert, der jeweiligen prozessualen Situation Rechnung zu tragen, es aber nicht gerechtfertigt ist, von vornherein unterschiedliche Anforderungen im Rahmen des § 43 I und des § 113 I 4 VwGO zu stellen. In jedem Fall muss das Feststellungsinteresse gerade gegenüber der beklagten Partei bestehen.108 Im Rahmen der Prüfung, ob ein Interesse als berechtigt anzusehen ist, greifen Rspr und Literatur zu Unrecht oftmals auf Kriterien zurück, die anderen Sachentscheidungsvoraussetzungen zuzuordnen sind (zB Abstellen auf die Konkretisierung und Streitigkeit des Rechtsverhältnisses, Subsidiarität der Feststellungsklage, Berücksichtigung subjektiv-rechtlicher Anforderungen).109
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102 BVerwG DÖV 1992, 265; BVerwGE 112, 253, 255; Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 43 Rn 32. 103 Ehlers NVwZ 1990, 105, 111. 104 BVerwGE 36, 218, 226; 74, 1, 4; OVG NRW, NJW 1997, 1176, 1177; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 341. 105 Vgl auch Sodan in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 43 Rn 78. Nach Hess VGH, NJW 2007, 4457 ist ein Interesse ideeller Natur insbesondere in Fällen von tiefgreifenden Grundrechtseingriffen zu bejahen. Ein solcher Fall sei gegeben, wenn jemand Feststellung begehrt, durch den Zuzug in eine Stadt nicht Mitglied einer jüdischen Gemeinde geworden zu sein. 106 Vgl BVerwGE 80, 355, 365 f; 81, 226, 228; BVerwG, NJW 1997, 3257, 3258. 107 BVerwGE 109, 74, 80. 108 BVerwG, NJW 1997, 3257. 109 Vgl statt vieler Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 43 Rn 32.
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Lösung Fall 7: Das BVerwG 110 prüft zunächst, ob ein konkretes feststellungsfähiges Rechtsverhältnis vorliegt, obwohl die Klage unmittelbar nach Inkrafttreten des TEHG erhoben wurde und es Schwierigkeiten bereiten könnte, ein bereits zu diesem Zeitpunkt existierendes, hinreichend konkretes Rechtsverhältnis auszumachen. Jedoch wird ein bestimmter, übersehbarer (nicht bloß erdachter) Sachverhalt jedenfalls deshalb bejaht, weil sich das Land vor Gericht zur Sache eingelassen und spätestens damit seinen Rechtsstandpunkt klargestellt hat. Das auf die Pflicht zur Befolgung der Gesetzesbefehle konkretisierte Rechtsverhältnis besteht nach Ansicht des BVerwG jedoch nur in dem Umfang zu dem Beklagten, als dessen Behörden zum Vollzug der in Rede stehenden Pflichten berufen sind. Dies trifft nur auf die §§ 4 und 5 TEHG zu, weil nur insoweit die nach Landesrecht zuständige Behörde entscheidet. Da demgegenüber die Pflicht aus § 6 I TEHG lediglich gegenüber dem Umweltbundesamt besteht (§ 20 I 2 TEHG) und diesbezüglich der Bund zu verklagen gewesen wäre, ist das Feststellungsbegehren in diesem Umfang als unzulässig erachtet worden. Der Entscheidung des BVerwG lässt sich nicht exakt entnehmen, welche Sachentscheidungsvoraussetzung (teilweise) verneint werden soll. Nach der hier vertretenen Ansicht fehlt insoweit das berechtigte Feststellungsinteresse, als G mit der gegen das Land gerichteten Klage auch eine Klärung der Beziehungen zum Bund verlangt.
(2) Zeitliche Komponente 44
Fall 8: H betreibt ein Datenverarbeitungsprogramm für Arztpraxen. Die beklagte Landeskirche berichtete hierüber kritisch und bezeichnete H als Psychosekte. Dies veranlasste die Geschäftspartner des H, die Geschäftsbeziehung mit ihm zu kündigen. Daraufhin hat H Klage beim VG mit dem Antrag erhoben, die Wiederholung der Äußerung zu untersagen. Gleichzeitig beantragte er mit einer zivilgerichtlichen Klage, die Landeskirche auf Schadensersatz zu verurteilen. Nach Einstellung seines Geschäftsbetriebes begehrt er nunmehr vor dem VG die Feststellung, dass die Äußerungen der Landeskirche rechtswidrig gewesen sind.
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§ 43 I VwGO verlangt, dass der Kläger ein berechtigtes Interesse an der „baldigen“ Feststellung hat. Das berechtigte Interesse muss spätestens zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts vorliegen. Auf baldige Feststellung ist das Interesse gerichtet, wenn es Anlass für das Klagebegehren zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gibt. Gehört ein Rechtsverhältnis der Vergangenheit an, besteht ein berechtigtes Interesse nur, wenn es auch noch in der Gegenwart Rechtswirkungen entfaltet. Die Rspr bejaht dies, wie im Falle des § 113 I 4 VwGO, wenn Wiederholungsgefahr besteht, der Kläger ein Rehabilitationsinteresse hat oder ein Schadensersatz- respektive Entschädigungsprozess vorbereitet werden soll (→ § 26 Rn 55 ff). In Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe ist nach dem BVerfG ein Interesse auch dann gegeben, wenn sich die direkte Belastung durch den Angriff nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann.111 Es bedarf dann keiner konkreten Darlegung fortdauernder Nachteile. Kann kein gerichtlicher Rechtschutz wegen der sofortigen oder alsbaldigen Erledigung erlangt werden, dürfte es entgegen der Ansicht des BVerfG für die Annahme
110 BVerwGE 124, 47 → JK EG RL 203/87/EG/1. 111 Vgl BVerfGE 96, 27, 39 f; vgl auch BVerwG, NJW 1997, 2534; näher zur Bestimmung eines „tiefgreifenden Eingriffs“ BVerfG, NJW 2007, 1117, 1121.
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eines berechtigten Feststellungsinteresses nicht darauf ankommen, ob die Grundrechte tiefgreifend verletzt worden sind.112 Will der Kläger einen Schadensersatz- oder Entschädigungsprozess vorbereiten, steht grundsätzlich schon die Subsidiaritätsklausel des § 43 II 1 VwGO der Feststellungsklage entgegen. Dagegen ist ein berechtigtes Feststellungsinteresse vorhanden, wenn zunächst Leistungsklage erhoben wurde, sich diese im Laufe des Prozesses erledigt hat und der Kläger nunmehr zwecks Vorbereitung eines Schadensersatzrespektive Entschädigungsprozesses Feststellung beantragt, um sich die Früchte des bisherigen Prozesses zu erhalten. Die gegenwärtigen Rechtsverhältnisse werfen in zeitlicher Hinsicht keine besonderen Probleme auf. Gegenwärtig sind auch aufschiebend oder auflösend befristete oder bedingte Rechtsverhältnisse. Ferner ist ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis gegeben, wenn der Kläger feststellen lassen will, dass er sich nicht strafbar oder ordnungswidrig verhält. Liegt eine Rechtsstreitigkeit vor, kann entgegen der sog Damokles-Rspr 113 ein Feststellungsinteresse nicht erst dann bejaht werden, wenn die Behörde mit einer Strafanzeige oder einem Ordnungswidrigkeitenverfahren gedroht hat.114 Zukünftig ist ein Rechtsverhältnis, wenn sich der Kläger auf einen möglicherweise eintretenden Sachverhalt bezieht, der den Tatbestand einer Regelung erfüllt und Rechtsbeziehungen auslöst. Dies ist etwa der Fall, wenn ein Beamter festgestellt haben möchte, ob seine Frau nach seinem Tode Ansprüche auf Versorgungsbezüge besitzt.115 Zukünftige Rechtsverhältnisse sind feststellungsfähig, doch bedarf das Interesse an einer „baldigen“ Feststellung stets besonderer Prüfung. Da kein berechtigtes Interesse an der Klärung abstrakter Rechtsfragen besteht, muss der Sachverhalt zumindest überschaubar sein. Lösung Fall 8: Der Streit über die Äußerungen der Bekl ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit (nichtverfassungsrechtlicher Art) iSd § 40 I 1 VwGO, weil es sich um eine typische Lebensäußerung der ör organisierten Kirche handelt.116 Da sich das Leistungsbegehren (Untersagung von Äußerungen) nach Erhebung der verwaltungsgerichtlichen Klage erledigt hat, könnte eine Fortsetzungsfeststellungsklage (FFK) analog § 113 I 4 VwGO in Betracht kommen. Doch fehlt es in solchen Fällen bereits an einer Regelungslücke, weil Rechtschutz ohne weiteres über die allgemeine Feststellungsklage erlangt werden kann und die FFK verwaltungsaktsbezogen ist (→ § 26 Rn 20 ff). Die Feststellungsklage ist daher die richtige Klageart. Statthaft ist sie aber nur, wenn § 43 II 1 VwGO beachtet wurde. Wegen der prinzipiellen Gleichwertigkeit der Rechtswege gilt die Subsidiaritätsklausel auch rechtswegübergreifend. Hier geht es H nur noch darum, Schadensersatz zu erlangen. Eine Schadensersatzklage ist aber bereits bei dem zuständigen ordentlichen Gericht anhängig. Dennoch könnte ausnahmsweise die Subsidiarität nicht durchgreifen. Wie im Falle der FFK nach § 113 I 4 VwGO verlangt der dem Subsidiaritätsgrundsatz des § 43 II 1 VwGO zu Grunde liegende Gedanke der Prozessökonomie dann eine Fortsetzung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, wenn sich das anfängliche Rechtsschutzbegehren durch eine nachträgliche Veränderung der Sach- oder Rechtslage erledigt hat und der Kl ein Schadensersatzinteresse besitzt. In einem solchen Fall sollen die Früchte des Verfahrens nicht verloren gehen. Hier ist dagegen gleichzeitig mit der Unterlassungsklage und damit unabhängig von einem erledigenden
112 Vgl auch Sodan/Kluckert VerwArch 94 (2003) 3, 14 f. 113 Vgl BVerwGE 77, 207, 213; BVerwG, NVwZ 1986, 35. 114 Vgl Schenke/Roth WuV 1997, 81, 84 ff. 115 Vgl BVerwGE 38, 346 ff; weitere Beispiele bei Sodan in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 43 Rn 22 f; vgl auch BVerwGE 114, 226, 228. 116 BVerwGE 68, 62, 64 f; BGHZ 148, 307, 312 f; ausführlich Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 40 Rn 474 ff.
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Ereignis auch eine Klage auf Schadensersatz erhoben worden. Ein Übergang zu einer Feststellungsklage verbietet sich in einem solchen Fall, weil ansonsten der durch § 43 II 1 VwGO bestimmte Vorrang der Leistungs- vor der Feststellungsklage in sein Gegenteil verkehrt würde. Zudem ist die Rechtmäßigkeit der Äußerungen bereits Gegenstand des zivilgerichtlichen Verfahrens. Auf die Frage, ob das verwaltungsgerichtliche Verfahren zum Erledigungszeitpunkt bereits weiter fortgeschritten war als das zivilgerichtliche Verfahren, kommt es nicht an. Somit ist die Feststellungsklage unzulässig.117
(3) Vorbeugende Feststellungsklage 47
Fall 9: I importiert tief gefrorenes Schlachtgeflügel und veräußert die Ware an Betriebe. Seiner Ansicht nach bestehen Unklarheiten über den Umfang der ihn als Importeur treffenden Untersuchungspflichten des Fleisches. Er erhebt deshalb verwaltungsgerichtliche Klage, mit der er den Umfang seiner lebensmittelrechtlichen Warenuntersuchungspflichten feststellen lassen will, um Maßnahmen der Lebensmittelbehörde vorzubeugen.
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Mit einer vorbeugenden Feststellungsklage wehrt sich der Kläger gegen ein bevorstehendes Handeln (etwa den drohenden Erlass einer belastenden Rechtsnorm, eines belastenden VA oder eines belastenden Realaktes). Zwar geht es in diesen Fällen um die Feststellung eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses (weil der Kläger sofortige Unterlassung verlangt). Doch sind vorbeugende Feststellungsklagen nach der hier vertretenen Ansicht schon deshalb regelmäßig unzulässig, weil die Subsidiaritätsklausel des § 43 II 1 VwGO wegen der Möglichkeit der Erhebung einer vorbeugenden Leistungsklage Sperrwirkungen entfaltet (→ Rn 39). Im Übrigen bedarf es für die Erhebung vorbeugender Unterlassungsklagen stets eines qualifizierten Rechtschutzbedürfnisses, das in der Regel deshalb nicht gegeben ist, weil der Kläger den Erlass der Maßnahme abwarten und sodann vorläufigen Rechtschutz beanspruchen kann (→ § 24 Rn 23). Anders ist die Rechtslage zB, wenn mit der Einleitung eines Bußgeld- oder Strafverfahrens gerechnet werden muss (→ Rn 45).118
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Lösung Fall 9: Da es I darum geht, Maßnahmen der Lebensmittelbehörde vorzubeugen, kommt als Klageart die Leistungsklage in Gestalt einer Unterlassungsklage in Betracht. Demgegenüber greift die in § 43 II 1 VwGO angeordnete Subsidiarität der Feststellungsklage nach der Rspr des BVerwG bei gegen den Staat gerichteten Klagen nur dort ein, wo ohne Beachtung dieser Subsidiarität die für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen geltenden Sonderregelungen unterlaufen würden. Folgt man dieser nicht überzeugenden Ansicht, ist die Feststellungsklage statthaft. Das BVerwG verneint aber das berechtigte Feststellungsinteresse, weil keine konkrete Beanstandung der Lebensmittelbehörde vorgelegen und diese auch weder mit einer lebensmittelrechtlichen Verwaltungsmaßnahme noch mit der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens gedroht habe.119 Nach der hier vertretenen Ansicht
117 So auch BVerwG, NVwZ 2000, 1411→ JK VwGO § 43/12. 118 Bestehen Zweifel über die Auslegung einer in einer Ordnungswidrigkeitsnorm in Bezug genommenen verwaltungsrechtlichen Vorschrift und droht bis zum Abschluss eines zu deren Klärung angestrengten verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nicht die Einleitung eines Bußgeldverfahrens durch die Verwaltungsbehörde, ist nach Ansicht des BVerfG-K, NVwZ 2007, 1172, 1174 f, die Durchführung eines fachgerichtlichen Rechtsschutzverfahrens im Hinblick auf die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde geboten. Vgl dazu auch Vetter NVwZ 2007, 1377, 1380. 119 BVerwGE 77, 207, 211 ff.
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ist zu differenzieren. Soweit Verwaltungsmaßnahmen vorgebeugt werden soll, fehlt I das qualifizierte Feststellungsinteresse, weil der Erlass der Maßnahmen abgewartet und nachträglich vorläufiger Rechtsschutz in Anspruch genommen werden kann. Dagegen ist das Interesse des I, sein „Strafbarkeits- und Ordnungswidrigkeitsrisiko“ so gering wie möglich zu halten, als berechtigt anzusehen, sofern zwischen Kläger und Beklagtem Meinungsstreit besteht. Nicht notwendig ist, dass die Verfolgungsbehörde bereits ein Verfahren eingeleitet hat.120
(4) Negative Feststellungsklage Geht es dem Kläger um die Feststellung, dass er zu einem bestimmten Handeln oder Unterlassen nicht verpflichtet ist, besteht das Feststellungsinteresse grundsätzlich nur so lange, bis keine auf die Durchsetzung des fraglichen Anspruchs gerichtete Klage erhoben wurde.121
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(5) Nichtigkeitsfeststellungsklage Im Falle der Erhebung einer Nichtigkeitsfeststellungsklage wird ein Feststellungsinteresse vielfach verneint, wenn der Kläger nicht zuvor erfolglos einen Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des VA gem § 44 V VwVfG gestellt hat.122 Doch würde der Kläger dann gezwungen werden, ein für die Nichtigkeitsfeststellungsklage nicht vorgesehenes „QuasiVorverfahren“ durchzuführen. Das Feststellungsinteresse entfällt daher nur, wenn der Kläger bereits einen Antrag nach § 44 V VwVfG gestellt hat und eine angemessene Entscheidungsfrist noch nicht abgelaufen ist oder die Behörde tatsächlich eine Nichtigkeitsfeststellung getroffen hat.123
51
(6) Feststellungsklagen von Verwaltungsträgern und Verwaltungsorganen Hat ein Verwaltungsträger einen feststellenden VA erlassen, fehlt diesem bei einer gleichwohl erhobenen Feststellungsklage entgegen der Rspr des BVerwG 124 das berechtigte Feststellungsinteresse.125 An der Austragung einer Innenrechtsstreitigkeit besteht kein berechtigtes Feststellungsinteresse, wenn eine übergeordnete Stelle den Konflikt entscheiden kann.126 Doch dürfte es in solchen Fällen ohnehin an der Beteiligungsfähigkeit (sowie der Klagebefugnis) fehlen (→ § 21 Rn 149).
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c) Klagebefugnis Fall 10: Der in der Stadt Y wohnende, der evangelischen Kirche angehörende J begehrt vor dem VG die Feststellung, dass die Evangelische Wohltätigkeitsstiftung Y nicht wie bisher von der Stadt Y, sondern von der Evangelischen Kirche verwaltet wird.
53
Umstritten ist, ob § 42 II VwGO entsprechend auf die Feststellungsklage anzuwenden ist. Eine in der Lit weit verbreitete Ansicht verneint dies, weil es wegen des Erfordernisses des berechtigten Feststellungsinteresses an einer Regelungslücke fehle und die Feststellungs-
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120 Vgl auch Sodan in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 43 Rn 89. 121 Vgl näher dazu BGH, NJW 1984, 1556, 1557; BGHZ 99, 340, 342. 122 Hufen VerwPrR, § 18 Rn 32; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 342; Würtenberger VerwPrR, Rn 420. 123 Schenke VerwPrR, Rn 577; Sodan in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 43 Rn 109. 124 Vgl BVerwGE 28, 153, 154 f; 29, 166, 172. 125 Näher dazu Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 40 Rn 84 f. 126 Vgl auch BVerwG, NJW 1992, 927.
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klage durch die VwGO bewusst als Interessentenklage ausgestaltet worden sei.127 Dagegen nimmt die Rspr an, dass § 42 II VwGO „zur Vermeidung der dem Verwaltungsprozess fremden Popularklage“ auch für die Feststellungsklage gilt.128 Im Ergebnis ist der Rspr zu folgen. Da die Sachentscheidungsvoraussetzung des (berechtigten) Feststellungsinteresses ebenso wie im Zivilprozessrecht 129 nicht die Klage- (respektive Prozessführungs-)Befugnis, sondern das Rechtschutzbedürfnis betrifft, enthält § 43 VwGO keine Aussage zu der (insbesondere auch die Interessen des Beklagten schützenden) Klagebefugnis. Dann muss jedoch aus den gleichen Gründen wie bei der Leistungsklage (→ § 24 Rn 29) eine analoge Anwendung des § 42 II VwGO für notwendig erachtet werden. Da derjenige, der ein berechtigtes Feststellungsinteresse hat, nicht als quivis ex populo angesehen werden kann, bedürfte es einer analogen Anwendung des § 42 II VwGO zwar dann nicht, wenn Sinn und Zweck dieser Vorschrift lediglich darin bestünde, die Popularklage auszuschließen. Doch stellt § 42 II VwGO auf die Geltendmachung der Verletzung von Rechten ab. Ausgeschlossen werden damit auch Interessentenklagen. Wollte man sich bei der Feststellungsklage allein mit einem berechtigten Feststellungsinteresse des Klägers zufrieden geben, müssten für diese Klageart völlig andere Maßstäbe als für alle sonstigen prozessualen Rechtsschutzformen gelten (weil bloß wirtschaftliche oder ideelle Interessen ausreichen). Selbst für die auf eine objektive Rechtskontrolle abzielende Normenkontrolle bedarf es nach § 47 II 1 VwGO einer Antragsbefugnis. Ferner setzt auch die Fortsetzungsfeststellungsklage sowohl ein berechtigtes Feststellungsinteresse (§ 113 I 4 VwGO) als auch eine Klagebefugnis voraus. Zudem vermag es nicht zu überzeugen, wenn viele Autoren, die grundsätzlich eine analoge Anwendung des § 42 II VwGO auf die Feststellungsklage ablehnen, in Ausnahmefällen (wie den Innenrechtsstreitigkeiten, den Klagen auf Bestehen oder Nichtbestehen eines Drittrechtsverhältnisses oder den gegen VA gerichteten Nichtigkeitsfeststellungsklagen 130) doch eine Klagebefugnis für erforderlich halten. 55
Lösung Fall 10: Nach der zutreffenden Ansicht des BVerwG 131 ist § 42 II VwGO entsprechend auf die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage anzuwenden. Da durch einen rechtswidrigen Eingriff des Staates in die Verwaltung einer mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestalteten konfessionellen Einrichtung das einzelne Kirchenmitglied nicht in seiner Religionsausübungsfreiheit beeinträchtigt wird, kann J nicht geltend machen, dass von dem Rechtsverhältnis eigene (subjektive öffentliche) Rechte abhängen. Somit ist die Feststellungsklage unzulässig.
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Welche genauen Anforderungen sich aus der entsprechenden Anwendung des § 42 II VwGO für den Feststellungskläger ergeben, bleibt häufig unklar. Da § 43 I VwGO berechtigte (im Gegensatz zu rechtlichen) Interessen ausreichen lässt und die Feststel127 Vgl (teilweise mit Modifikationen) Schoch JuS 1987, 783, 789 ff; Laubinger VerwArch 82 (1981) 459, 494; Knöpfle FS Lerche, 1993, 771, 777; Selb Die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage, 1998, 164 ff; Hipp/Hufeld JuS 1998, 802; Würtenberger VerwPrR, Rn 425 ff; Hufen VerwPrR, § 18 Rn 26; Schenke VerwPrR, Rn 410; Sodan in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 42 Rn 372 ff. 128 Vgl BVerwGE 99, 64, 66. Ferner zB BVerwGE 100, 262, 271 f; 114, 356, 360; BVerwG NVwZ 2008, 423, 424; für Nichtigkeitsfeststellungen: BVerwG, NJW 1982, 2205; für kommunalverfassungsrechtliche Streitigkeiten OVG RP, NVwZ 1985, 283; VGH BW, NVwZ-RR 1994, 229; für Drittrechtsverhältnisse OVG NRW, NVwZ 1984, 522. Vgl auch Ehlers NVwZ 1990, 105, 110 f. 129 Vgl statt vieler Thomas/Putzo ZPO, 28. Aufl 2007, § 256 Rn 13. 130 Vgl statt vieler Würtenberger VerwPrR, Rn 426. 131 BVerwG, NVwZ 1991, 470, 471.
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lungsklage ein rein prozessuales Instrument zur verbindlichen Feststellung des Rechts darstellt (I.), muss der Kläger nicht einen (nur aus dem materiellen Recht) ableitbaren Anspruch auf Feststellung oder gar auf Feststellung einer Rechtsverletzung 132 geltend machen. Vielmehr bedarf es nur der Geltendmachung, dass von dem festzustellenden Rechtsverhältnis respektive von dem nichtigen VA eigene Rechte des Klägers abhängen.133 Ist der Kläger an einem Rechtsverhältnis beteiligt, schließt dies die plausible Berufung auf den eigenen Rechtskreis regelmäßig ein. Genauerer Prüfung bedarf das Bestehen eigener Rechte aber, wenn es sich um eine Innenrechtsstreitigkeit handelt, oder das Rechtsverhältnis zwischen einer Partei des Rechtsstreits und einem Dritten besteht.
d) Richtiger Klagegegner Da § 78 I Nr 2 VwGO nur für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen gilt, kann richtiger Klagegegner einer Feststellungsklage grundsätzlich nur ein Rechtsträger oder ein teilrechtsfähiges Rechtssubjekt (nicht eine Behörde) sein.134 Wegen des Ausnahmecharakters der Vorschrift lässt sich diese auch nicht analog auf den Fall einer Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes anwenden.135 Bei Innenrechtsstreitigkeiten ist diejenige Stelle Klagegegner, die der Kläger bezeichnet hat und die nach internem Organisationsrecht Zuordnungssubjekt einer Innenrechtsstreitigkeit sein kann.
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e) Klagefrist Anders als für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen (§ 74 VwGO) gelten für die (allgemeine) Feststellungsklage keine Klagefristen. Unzulässig ist eine Klageerhebung aber, wenn das Klagerecht durch unangemessene Verzögerung verwirkt worden ist (→ § 24 Rn 34).
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3. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis Rechtsschutzanträge sind nur zulässig, wenn der Rechtsschutzsuchende ein Rechtsschutzbedürfnis besitzt (→ § 21 Rn 185 ff). Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis ist eine allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzung. Jedoch sind alle Gesichtspunkte des Rechtsschutzinteresses bereits im Rahmen der Prüfung des berechtigten Feststellungsinteresses zu berücksichtigen. Neben dem berechtigten Feststellungsinteresse muss daher nicht zusätzlich ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis gegeben sein.136
132 Vgl auch BVerwGE 114, 356, 360. 133 Nach dem BVerwG ist die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnis gerichtete Klage nur zulässig, „wenn es dem Kläger dabei um die Verwirklichung seiner Rechte geht, sei es, dass er an dem festzustellenden Rechtsverhältnis selbst beteiligt ist, sei es, dass von dem Rechtsverhältnis immerhin eigene Rechte des Klägers abhängen“ (BVerwGE 99, 64, 66; vgl auch BVerwGE 111, 276, 279). Vgl aber auch BVerwGE 100, 262, 271, dort wird auch die Geltendmachung einer Rechtsverletzung erwähnt. 134 Zur Leistungsklage vgl → § 24 Rn 32. 135 Wie hier Kopp/Schenke VwGO, § 78 Rn 2; aA Meissner in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 78 Rn 21. Nicht eindeutig Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 351; Würtenberger VerwPrR, Rn 429. 136 Vgl Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 40 Rn 79; aA zB v. Nicolai in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 43 Rn 19; Hufen VerwPrR, § 23 Rn 11.
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III. Begründetheit der verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage 60
Fall 11: Die klagende Stadt K hält das beklagte Land für verpflichtet, ihr durch Rechtsverordnung (RVO) die Erschließungsaufgabe und Befugnis zur Erhebung von Erschließungsbeiträgen für auf dem Gebiet der beigeladenen Nachbargemeinde liegende Grundstücke zu übertragen, die an eine von ihr hergestellte, überwiegend auf ihrem eigenen Gemeindegebiet liegende Straße angrenzen. A hatte mit der Nachbargemeinde eine Zweckvereinbarung über die Befugnis zur Erhebung der Erschließungsbeiträge auf den streitgegenständlichen Grundstücken geschlossen, der die Aufsichtsbehörde aber die Genehmigung versagt hat, ohne dass K dagegen etwas unternommen hat. Nunmehr hat sie verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage erhoben.
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Eine positive Feststellungsklage ist begründet, wenn das behauptete Rechtsverhältnis besteht, eine negative, wenn das Rechtsverhältnis nicht besteht, eine Nichtigkeitsfeststellungsklage, wenn der Verwaltungsakt nichtig ist (§ 44 VwVfG). Der Kläger bestimmt mit seinem Begehren oder Antrag, für welchen Zeitpunkt er das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses oder die Nichtigkeit eines VA feststellen lassen will (zB ob es um ein gegenwärtiges oder vergangenes Rechtsverhältnis gehen soll). Die maßgebliche Rechtslage bestimmt sich nach dem materiellen Recht, das auf das zu beurteilende Rechtsverhältnis respektive den zu beurteilenden VA anzuwenden ist.137 Prozessrechtlich maßgeblich ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung.138
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Lösung Fall 11: Bei der Klage handelt es sich um eine Normenerlassklage, gerichtet auf dem Erlass einer untergesetzlichen Rechtsnorm (RVO). Nach Ansicht der Rspr ist die Feststellungsklage (und nicht die allgemeine Leistungsklage) zutreffende Klageart für derartige Normenerlassklagen (krit → Rn 39; → § 24 Rn 12). K ist entspr § 42 II VwGO auch klagebefugt, weil das Land möglicherweise gem § 203 BauGB verpflichtet ist, eine zuständigkeitsverändernde RVO zu erlassen und in die Vorschrift des § 203 I BauGB das Gebot der Rücksichtnahme auf die Selbstverwaltungsbelange nicht nur der abgebenden, sondern auch der übernehmenden Gemeinde zwecks Sicherung der kommunalen Planungs- und Finanzhoheit dieser Gemeinde hineinzulesen ist, so dass K einen Anspruch auf Erlass der Verordnung geltend machen kann. Sonstige Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen nach Ansicht des BVerwG139 nicht. Da K die Eigentümer gemeindegebietsfremder Grundstücke, die von einer Erschließungsanlage erschlossen werden, nicht zu Erschließungsbeiträgen heranziehen kann und die Nachbargemeinde mangels eines Erschließungsaufwandes ebenfalls nicht zur Erhebung von Beiträgen befugt ist, liegen an sich die Anspruchsvoraussetzungen für den Erlass der begehrten RVO vor. Doch nimmt das BVerwG an, dass eine Normenerlassklage besonderen Voraussetzungen unterliegt. Diese ergäben sich aus der Natur des geltend gemachten Anspruchs auf Tätigwerden des Normengebers und dessen Entscheidungsfreiheit als Ausprägung des auch mit Rechtssetzungsakten der Exekutive typischerweise verbundenen normativen Ermessens. Dieses werde erst dann rechtswidrig ausgeübt,
137 Vgl BVerwG, NVwZ-RR 1996, 566. 138 Vgl auch Schenke VerwPrR, Rn 870. Allgemein zum Klageantrag sowie zum prozessrechtlichen und materiell-rechtlichen maßgebenden Zeitpunkt → § 22 Rn 88. 139 NVwZ 2008, 423, 424.
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wenn die getroffene Entscheidung in Anbetracht des Zwecks der Ermächtigung schlechthin unvertretbar oder unverhältnismäßig ist. Eine solche Unvertretbarkeit oder Unverhältnismäßigkeit verneint das BVerwG, weil K (Widerspruch und) Verpflichtungsklage gegen die Versagung der Genehmigung der Zweckvereinbarung mit der Nachbargemeinde hätte erheben können.140 Nach der hier vertretenen Auffassung, ist die Klage indessen nicht erst unbegründet, sondern bereits unzulässig, weil die Subsidiarität der Feststellungsklage (§ 43 II 1 VwGO) missachtet worden ist (Möglichkeit der Erhebung einer Leistungsklage).
140 BVerwG, NVwZ 2008, 423, 426.
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§ 26 Verwaltungsgerichtliche Fortsetzungsfeststellungsklage Dirk Ehlers I. Funktion und Bedeutung der verwaltungsgerichtlichen Fortsetzungsfeststellungsklage Hat sich ein VA nach Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht gem § 113 I 4 VwGO auf Antrag durch Urteil aus, dass der VA rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Rechtsprechung und Schrifttum sprechen in diesem Falle von einer Fortsetzungsfeststellungsklage.1 Hinsichtlich der Rechtsnatur der Fortsetzungsfeststellungsklage werden unterschiedliche Auffassungen vertreten: Teilweise wird davon ausgegangen, dass es sich um eine Anfechtungsklage (→ § 22) handelt, weil jede Anfechtungsklage auch das Begehren auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des VA enthalte. Nach Erledigung des VA beschränke sich das Begehren hierauf, so dass sich die Fortsetzungsfeststellungsklage als amputierte, kupierte oder reduzierte Anfechtungsklage darstelle.2 Nach anderer Auffassung handelt es sich bei der Fortsetzungsfeststellungsklage nicht um eine eigene Klageart, sondern um einen Fall der (allgemeinen) Feststellungsklage (→ § 25) iSd § 43 VwGO. § 113 I 4 VwGO weise nur (deklaratorisch) auf die Möglichkeit einer Klageänderung hin.3 Hierfür spreche auch die Stellung des § 113 I 4 VwGO im 10. statt im 6. Abschnitt der VwGO, der allein Regelungen über die Klageart treffe. Die verschiedenen dogmatischen Einordnungen können zu praktischen Konsequenzen führen, weil sich die Sachentscheidungsvoraussetzungen einer Anfechtungs- von denen einer Feststellungsklage unterscheiden. Auch wenn die genannten Auffassungen einen zutreffenden Kern enthalten, ist ihnen im Ergebnis nicht zu folgen. Um eine Unterart der Anfechtungsklage kann es sich bei der Fortsetzungsfeststellungsklage schon deshalb nicht handeln, weil dem Urteil keinerlei gestaltende Wirkungen zukommen. Mit der allgemeinen Feststellungsklage lässt sich nicht die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit eines VA erreichen (→ Rn 21). Zudem steht die Fortsetzungsfeststellungsklage in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Anfechtungsklage oder (bei analoger Anwendung des § 113 I 4 VwGO) auch der Verpflichtungsklage (→ Rn 29), insbesondere weil sie nur zulässig ist, wenn im Zeitpunkt der Klageerhebung noch eine Anfechtungs- (oder Verpflichtungs-)
1 Vgl Hufen VerwPrR, § 18 Rn 36 ff; Würtenberger VerwPrR, Rn 640 ff; Schenke VerwPrR, Rn 309 ff; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 352 ff – jew m Nachw. 2 Vgl dazu OVG Rh-Pf, NJW 1982, 1301, 1302; BayVGH, BayVBl 1993, 429, 430; W-R Schenke FS Menger, 461, 467; Kopp DVBl 1992, 1492 f; Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 68 Rn 23; R P Schenke NVwZ 2000, 1255, 1258. 3 BayVGH, DVBl 1992, 1492, 1493; Willmer Die sog „Fortsetzungsfeststellungsklage“ – ein rechtliches Nullum?!, 1994, 129 f, 155, 170; Wolff in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 113 Rn 240; ferner Lüke ZZP 107 (1994), 145, 159. Vgl auch Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rn 78, wonach eine interessengerechte Auslegung von § 43 I VwGO zum selben Ergebnis wie § 113 I 4 VwGO führen würde. Krit zur Auffassung von Willmer (zu Recht) Göpfert BayVBl 2000, 300, 303 f.
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Klage erhoben werden konnte (→ Rn 42). Somit ist – in Übereinstimmung mit der wohl hM 4 – davon auszugehen, dass es sich bei der Fortsetzungsfeststellungsklage um eine eigenständige Klageart handelt.
II. Zulässigkeit der verwaltungsgerichtlichen Fortsetzungsfeststellungsklage 3
Wie alle anderen verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfe, ist die Fortsetzungsfeststellungsklage nur zulässig, wenn die allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen (→ § 21), die Rechtsschutzform statthaft ist (1.) und die besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen der Rechtsschutzform vorliegen (2.). 1. Statthaftigkeit der Klage
a) Erledigung des Verwaltungsakts nach Erhebung einer Anfechtungsklage 4
Fall 1: Die zuständige Behörde hat einen sofort vollziehbaren Beitragsbescheid erlassen, wonach A 1.000 € zu zahlen hat. Nach erfolgloser Einlegung eines Widerspruchs erhebt A Anfechtungsklage. Da er die Vollstreckung des Bescheides fürchtet, zahlt er im Laufe des Prozesses den geforderten Geldbetrag und begehrt nunmehr anstatt der Aufhebung die Feststellung, dass der Beitragsbescheid rechtswidrig gewesen ist.
(1) Voraussetzungen 5
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Der in § 113 I 4 VwGO geregelte Fall der Fortsetzungsfeststellungsklage stellt auf drei Voraussetzungen ab: nämlich (1) das Vorliegen eines VA, sowie die Erledigung des VA (2) nach Erhebung der Anfechtungsklage (3). Nicht endgültig geklärt ist, was unter Erledigung zu verstehen ist. Gem § 43 II VwVfG tritt Erledigung durch Zeitablauf oder auf andere Weise ein. Die Vorschrift stellt den Fall der Erledigung mit der Aufhebung eines VA (durch Rücknahme, Widerruf oder auf andere Weise 5) gleich. Hieraus folgt, dass die Erledigung wie eine Aufhebung wirkt. Während die Aufhebung von außen erfolgt, ist die Erledigung ein in der intendierten Regelung des VA selbst angelegter Grund für den Wirksamkeitsverlust.6 Erledigung iSd § 43 II VwVfG ist somit anzunehmen, wenn der VA nicht länger auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist. § 113 I 4 VwGO geht (jedenfalls) insofern über § 43 II VwVfG hinaus, als die Bestimmung die Fortsetzungsfeststellungsklage zulässt, wenn sich der VA „vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt hat“.7 Somit wird die Aufhebung eines VA als Unterfall der Erledigung verstanden. Bei der Aufhebung hat sich der VA durch Beseitigung seiner Existenz (äußeren Wirksamkeit) erledigt. Im Übrigen tritt Erledigung durch Wegfall des Regelungsgehalts der dem VA innewohnenden Regelungsintention ein. 4 5 6 7
Vgl etwa Rozek JuS 1995, 414 f; Fechner NVwZ 2000, 121, 125 ff. Dh durch gerichtliche oder gesetzliche Aufhebung. Vgl auch Steinweg Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes, 165 f. Vgl grundlegend dazu Huxholl Die Erledigung eines VA im Widerspruchsverfahren, 1995, 42 ff, der davon ausgeht, dass § 113 I 4 VwGO prozessuale Bedeutung hat und in Wahrheit nicht die Erledigung des VA, sondern die Erledigung der Hauptsache regelt, 88 f. Zust Sachs in: Stelkens/ Bonk/ders, VwVfG, § 43 Rn 204.
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Verwaltungsgerichtliche Fortsetzungsfeststellungsklage
§ 26
Ein Unterfall der Aufhebung ist die Ersetzung eines vorläufigen VA durch einen endgültigen VA 8 sowie die Überholung 9 eines VA. Seine auf Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtete (Regelungs-)Intention verliert der VA zunächst, wenn der Regelungsadressat oder das Regelungsobjekt wegfällt.10 Ersteres ist etwa der Fall, wenn der höchstpersönlich angesprochene Betroffene eines (Dauer-)VA stirbt (eine Rechtsnachfolge also nicht in Betracht kommt). Gleich zu behandeln ist der Fortfall persönlicher Eigenschaften, auf die der VA abgehoben hat. Letzteres trifft bspw zu, wenn ein in eine Denkmalliste eingetragenes Denkmal zerstört wird oder der Betriebsinhaber, dem durch VA betriebliche Rechte gewährt respektive Pflichten auferlegt worden sind, seinen Betrieb einstellt.11 Weitere Fälle der Erledigung sind der Zeitablauf oder der Eintritt einer auflösenden Bedingung bzw Befristung. Das BVerwG nimmt eine Erledigung ferner an, wenn alle Beteiligten einen VA als obsolet ansehen.12 Allein der Umstand, dass der Kläger kein Interesse an der weiteren Rechtsverfolgung hat, reicht für die Annahme einer Erledigung nicht aus. Ob die Erfüllung eines Handlungsgebotes eines VA zur Erledigung führt, hängt von den jeweiligen Umständen ab. Grundsätzlich tritt keine Erledigung ein, wie § 113 I 2 VwGO zeigt und sich auch aus dem Umstand ergibt, dass ein Folgenbeseitigungsanspruch die Aufhebung des VA voraussetzt. Zahlt etwa ein Bürger den in einem Abgabenbescheid geforderten Geldbetrag, bildet der VA noch den Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Leistung.13 Doch muss die Erfüllung der Pflicht noch reversibel sein. Dagegen kann ein irreparabler Zustand nicht rückgängig gemacht werden. Demgemäß erledigen sich mit dem Abbruch eines Hauses durch den Bauherrn 14 oder der Ableistung des Grundwehrdienstes durch den Wehrpflichtigen 15 die Abbruchverfügung respektive der Einberufungsbescheid (jedenfalls ex nunc). Ein VA kann mit Wirkung für die Vergangenheit oder die Zukunft aufgehoben werden.16 Ebenso kommt der Eintritt einer „anderen“ Erledigung iSd § 113 I 4 VwGO ex tunc oder ex nunc in Betracht.17 ZB kann eine auflösende Bedingung rückwirkend oder mit dem Zeitpunkt des Eintritts die Regelungswirkungen des VA entfallen lassen.18 Hat 8 Grundlegend zum vorläufigen VA BVerwGE 67, 99 ff. 9 Wird eine Baugenehmigung vor Unanfechtbarkeit eines Bauvorbescheides erteilt, soll die Genehmigung nach (nicht überzeugender) Ansicht des BVerwG (DVBl 1989, 673 ff) den Charakter eines (überholenden partiellen) Zweitbescheides haben und damit zur Erledigung des Vorbescheides führen. 10 Zur Kasuistik vgl Steinweg Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes, 175 ff; Kopp/Ramsauer VwVfG, 10. Aufl 2008, § 43 Rn 41; Sachs in: Stelkens/Bonk/ders, VwVfG, § 43 Rn 204 ff. 11 Vgl zum letzteren Fall BVerwG, NVwZ 1991, 570, 571. 12 BVerwG, NVwZ 1998, 729, 730; vgl auch Hufen VerwPrR, § 18 Rn 40; Sachs in: Stelkens/ Bonk/ders, VwVfG, § 43 Rn 209. Krit Ruffert BayVBl 2003, 33, 39 f; Ehlers Verw 37 (2004) 255, 274; Steinweg Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes, 184 ff. 13 BVerwG, DÖV 1983, 980 → Rn 17. 14 Vgl Steinweg Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes, 193. 15 BVerwG, NVwZ-RR 1996, 122. 16 Vgl nur die §§ 48 I 1, 49 II 1, III VwVfG. Grdl zur Unterscheidung zwischen dem Zeitpunkt, in dem eine Rechtsfolge eintritt und dem Zeitraum, für den eine Rechtsfolge eintritt, Steinweg Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes, 31 ff. 17 Die Fälle einer rückwirkenden (nicht auf die Aufhebung des Verwaltungsaktes zurückgehenden) Erledigung betreffen den Fortfall des tatbestandsmäßigen Sachverhalts ex tunc und sind in der Praxis sehr selten. Näher dazu Steinweg Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes, 164 ff. 18 Vgl Sachs in: Stelkens/Bonk/ders, VwVfG, § 43 Rn 207.
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sich der VA ex nunc erledigt, kommt es darauf an, ob er bis zu diesem Zeitpunkt Regelungswirkungen entfaltet hat, die noch fortdauern und sich nur durch Aufhebung – Anfechtung – beseitigen lassen (sofern der VA noch nicht bestandskräftig geworden ist). Möglich ist auch eine nur teilweise Erledigung.19 Die Fragen stellen sich insbesondere, wenn der VA Grundlage eines Gebührenanspruchs, einer Vollstreckungsmaßnahme (zB der Androhung einer Ersatzvornahme oder eines Zwangsgeldes) oder einer Bewehrung mit Geldbuße oder Strafe ist respektive sein kann. Die hM geht in diesen Fällen von der Statthaftigkeit der Anfechtungsklage und damit zugleich der Unzulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage aus, weil sich der VA nicht vollständig erledigt habe 20, eine Aufhebung nicht „sinnlos“ geworden, vielmehr erforderlich geblieben sei, um die Folgemaßnahmen angreifen zu können 21, oder der VA noch Auswirkungen zeitige.22 Dies soll jedenfalls dann gelten, wenn die Folgemaßnahmen nicht an die Rechtmäßigkeit, sondern an das Bestehen des VA anknüpfen. Nach der hier vertretenen Ansicht beurteilt sich die Frage der Erledigung ausschließlich nach der Regelungsintention des VA.23 Hat die Verwaltungsbehörde eine Verfügung und einen darauf bezogenen Gebührenbescheid erlassen, muss der die Rechtmäßigkeit der Verfügung bestreitende Adressat gegen beide VA Anfechtungsklage erheben. Hat er nur die Verfügung angefochten und erledigt sich diese im Laufe des Prozesses, kann er einen Fortsetzungsfeststellungsantrag stellen. Unberührt bleibt die Notwendigkeit, Anfechtungsklage gegen den Gebührenbescheid zu erheben, um diesen nicht bestandskräftig werden zu lassen. Ist der Gebührenbescheid noch nicht erlassen worden und erledigt sich das Gebot der Verfügung während der Dauer des Anfechtungsprozesses (ex nunc), ist wiederum der Fortsetzungsfeststellungsantrag die richtige Rechtsschutzform. Da das Gebührenrecht die Rechtmäßigkeit der zugrunde liegenden Amtshandlung voraussetzt 24, bedarf es nicht der Aufhebung der Verfügung, um den Rechtsgrund eines späteren Gebührenbescheides zu beseitigen. Im Vollstreckungsrecht ist nach hM dagegen lediglich das Bestehen einer Grundverfügung, nicht deren Rechtmäßigkeit, Vollstreckungsvoraussetzung.25 Solange die Grundverfügung Bestand hat, wirkt sie als Voraussetzung der Vollstreckungsmaßnahmen (zB der Androhung der Ersatzvornahme) und der Kosten der Vollstreckungsmaßnahmen (zB der Kosten der Ersatzvornahme) fort. Hieraus wird zumeist gefolgert, dass es an einer Erledigung fehlt, wenn das Gebot einer Grundverfügung mittlerweile weggefallen ist (zB weil der befohlene Abriss eines Bauwerks seitens der Verwaltung vollzogen wurde). Der Vollzug eines Handlungspflichten auferlegenden VA müsse auch dann nicht bereits zu dessen Erledigung führen, wenn irreversible Tatsachen geschaffen wurden. Die Erledigung eines VA trete vielmehr erst ein, wenn dieser nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkung
19 Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rn 82. 20 Steinweg Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes, 163, 193. 21 Schenke VerwPrR, Rn 314 ff; Kopp/Schenke VwGO, § 113 Rn 102. Vgl auch Rozek JuS 1995, 414, 417; Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 11 Rn 12. 22 Näher zum Ganzen Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rn 88; Wolff in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 113 Rn 257 ff; Kröninger/Wahrendorf in: Fehling/Kastner/Wahrendorf, VerwR, § 113 VwGO Rn 77 – jew mwN. Eine gute Übersicht bietet auch die Entscheidung VGH BW, NVwZ 1994, 1130 ff. 23 Im Ergebnis ebenso Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rn 82. 24 Vgl etwa VGH BW, NVwZ 1985, 202, 204. 25 Vgl statt vieler Pieroth/Schlink/Kniesel Polizei- und Ordnungsrecht, 4. Aufl 2007, § 24 Rn 32.
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zu erzeugen oder wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich inne wohnte, nachträglich entfallen ist. Ein VA, der Handlungspflichten auferlege, äußere aber auch nach Vollstreckung weiterhin rechtliche Wirkung für das Vollstreckungsverfahren. Denn er bilde zugleich die Grundlage für den Kostenbescheid. Diese Titelfunktion des Grundverwaltungsakts dauere an.26 Um erfolgreich gegen die Vollstreckungsakte und die darauf gerichteten Kostenbescheide vorgehen zu können, muss danach zunächst die Grundverfügung angefochten werden.27 Dies müsste zur Konsequenz haben, dass im Anfechtungsprozess gegen die Grundverfügung die Umstellung auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag unzulässig ist. Zwingend ist diese Betrachtungsweise nicht. Stellt man nur auf die Regelungsintention der Grundverfügung ab, hat sich jedenfalls das Gebot eines Tun, Dulden oder Unterlassens mit dem Wegfall erledigt. Ob angenommen werden kann, dass die Grundverfügung darüber hinausgehend zugleich die Setzung eines Rechtsgrundes für die folgenden Vollstreckungsakte intendiert hat, ist zweifelhaft, weil sich die vollstreckungsrechtliche Funktion der Grundverfügung uU nicht aus dieser selbst, sondern aus anderen Regelungen (nämlich denen des Vollstreckungsrechts) ergeben könnte.28 Ließe man wegen (vollständiger) Erledigung des VA 29 die Fortsetzungsfeststellungsklage zu, hieße dies noch nicht, dass dem Kläger damit zugleich ein effektiver Rechtsschutz gegen die Vollstreckungsakte versagt wird. Wie noch zu zeigen sein wird (→ Rn 68), hat nämlich die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit eines VA dieselbe Wirkung wie eine Anfechtungsklage respektive eine Nichtigkeitsfeststellung. Nichtige VA stellen jedoch keine taugliche Grundlage einer Verwaltungsvollstreckung dar. Somit könnte sich der Kläger im Falle einer erfolgreichen Fortsetzungsfeststellungsklage auch gegen spätere Vollstreckungsakte und die hierauf bezogenen Kostenfestsetzungsbescheide noch mit der Begründung wenden, dass die Vollstreckungsvoraussetzungen wegen der gerichtlich festgestellten Rechtswidrigkeit der Grundverfügung fehlen. Wird ein mit Geldbuße oder Strafe bewehrter VA nach Zuwiderhandlung des Klägers mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen oder widerrufen, kommt es auf die Erledigung nicht an, wenn nur der Ungehorsam gegen die sofort vollziehbare Anordnung mit Geldbuße oder Strafe sanktioniert wird (die Aufhebung des VA also nicht dazu führen würde, dass die Geldbuße respektive Strafe entfällt).30 Setzt die Sanktionierung das Vorliegen und die Rechtmäßigkeit des VA voraus, bedarf es nicht der Anfechtungsklage sondern der Fortsetzungsfeststellungsklage.31 Ist entscheidend, ob ein VA bestanden hat oder nicht, entspricht die Rechtslage derjenigen im Verwaltungsvollstreckungsrecht (→ Rn 12 f).
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Vgl BVerwG, NVwZ 2009, 122 mwN. Vgl nur Schenke VerwPrR, Rn 318; Kopp/Schenke VwGO, § 113 Rn 102. Vgl Ehlers Liber amicorum Hans-Uwe Erichsen, 2004, 12. Nimmt man Teilerledigung an, könnte sowohl eine Fortsetzungsfeststellungs- als auch eine Anfechtungsklage in Betracht kommen (so Steinweg Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes, 161). Hat der Kläger jedoch die Möglichkeit, den VA durch Aufhebung gänzlich beseitigen zu lassen, ist nicht ersichtlich, warum ein berechtigtes Interesse daran besteht, daneben einen Fortsetzungsfeststellungsantrag zu stellen. 30 Vgl BGHSt 23, 86, 89; BGH, NJW 1982, 189. Krit Schenke JURA 1980, 133, 135. Vgl auch BVerfGE 87, 399, 411 (wonach nur die rechtmäßige Auflösung einer Versammlung strafbewehrt ist). 31 Vgl Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rn 82.
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(2) Antrag 15
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Der Übergang zum Feststellungsbegehren setzt einen Antrag des Klägers voraus, der auch konkludent gestellt werden kann.32 Tritt Erledigung ein, hat der Kläger die Möglichkeit, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären. Schließt sich der Beklagte der Erledigungserklärung an, hat dies prozessbeendende Wirkung, so dass nur noch gem § 161 II VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes über die Kosten zu entscheiden ist.33 Widerspricht der Beklagte der Erledigungserklärung (weil er den Rechtsstreit nicht für erledigt hält), mündet das Verfahren in einen Erledigungsstreit.34 Stattdessen oder wenn der Beklagte der abgegebenen Erledigungserklärung noch nicht zugestimmt hat,35 kann der Kläger einen Antrag nach § 113 I 4 VwGO stellen. Damit soll ihm die Möglichkeit eingeräumt werden, die Früchte des bisherigen Prozesses zu behalten.36 Der Sache nach dürfte es um einen Fall der gesetzlich zugelassenen Klageänderung oder Klagebeschränkung iSd § 264 Nr 2 ZPO handeln. Der Antrag darf auch gestellt werden, wenn Erledigung erst im Berufungs- oder Revisionsverfahren eintritt.37 Ferner können Sach- und Fortsetzungsfeststellungsantrag auch hilfsweise nebeneinander gestellt werden.38 Nach der Rspr soll nach der Erledigungserklärung des Klägers auch der Beklagte einen Feststellungsantrag entsprechend § 113 I 4 VwGO stellen dürfen (soweit er ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtmäßigkeit seiner Maßnahme geltend machen kann), um eine gerichtliche Sachentscheidung erlangen zu können.39 Nach anderer Ansicht soll der Beklagte befugt sein, eine Feststellungswiderklage gem § 89 VwGO zu erheben.40 Diese Auffassungen überzeugen nicht, weil eine Widerklage bei Anfechtungsund Verpflichtungsklagen unzulässig ist (§ 89 II VwGO), der klägerische Sachantrag nach Erledigungserklärung und tatsächlicher Erledigung nicht mehr zur Entscheidung steht, Art 19 IV GG der Verwaltung nicht zugute kommt und sich die Behörde ihrer Verantwortung für die Rechtmäßigkeit späterer Entscheidungen ohnehin nicht entziehen kann.41
32 So BVerwGE 62, 86, 90. 33 Abzustellen ist in erster Linie auf die Erfolgsaussichten der Klage. Näher zum Ganzen Clausing in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 161 Rn 22 ff. 34 Str ist, ob die Klage zulässig und begründet gewesen sein muss. Die Frage ist (anders als im Zivilprozessrecht) zu verneinen. Näher zum Ganzen R P Schenke Der Erledigungsrechtsstreit im Verwaltungsprozess, 1996, 73 ff; Cormann Die Erledigung im Verwaltungsprozess, 1997, 39 f, 193 ff. 35 Vgl BVerwG, NVwZ 1982, 560 f; Schmidt in: Eyermann, VwGO, § 113 Rn 68. AA Schenke VerwPrR, Rn 1114, wonach eine beiderseitige Erledigungserklärung einen Fortsetzungsfeststellungsantrag nicht ausschließt. 36 BVerwGE 81, 226, 228. 37 Vgl BVerwG Buchholz 310, § 161 VwGO Nr 106. Gibt der Kläger weder eine Erledigungs- noch eine Fortsetzungsfeststellungserklärung in der Rechtsmittelinstanz ab, muss die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abgewiesen werden. 38 Vgl BVerwGE 61, 128, 134; 73, 312, 314. 39 Vgl BVerwGE 31, 318; 87, 62, 67 ff. Zust Redeker in: ders/v. Oertzen, VwGO, § 107 Rn 21a. 40 R P Schenke (Fn 34), 250 f. 41 Ebenso Pietzner VerwArch 77 (1986), 299, 319 ff; Burgi DVBl 1991, 193, 200; Göpfert Die Fortsetzungsfeststellungsklage, Versuch einer Neuorientierung, 1998, 52 ff; Würtenberger VerwPrR, Rn 647; Clausing in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 161 Rn 32 f.
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Lösung Fall 1: Durch die freiwillige Befolgung des Beitragsbescheides ist keine Erledigung eingetreten, weil der Beitragsbescheid als Rechtsgrundlage für das Behaltendürfen der Geldzahlung fortwirkt, der Bescheid noch aufgehoben und die Erfüllungshandlung wieder rückgängig gemacht werden kann. Daher ist der Fortsetzungsfeststellungsantrag unzulässig.
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b) Erledigung des Verwaltungsakts vor Erhebung einer Anfechtungsklage Fall 2: Pressefotograf B hat fristgerecht Widerspruch gegen die Beschlagnahme eines Films erhoben. Während des Widerspruchsverfahrens wurde die Beschlagnahme aufgehoben. Die beantragte Feststellung, dass die Anordnung der Beschlagnahme rechtswidrig gewesen ist, lehnt die Widerspruchsbehörde ab. Zwei Monate später erhebt der Fotograf Fortsetzungsfeststellungsklage.
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Nach § 113 I 4 VwGO muss sich der VA „vorher“ erledigt haben. Da sich § 113 I VwGO auf die Anfechtungsklage bezieht, bedeutet dies, dass eine Anfechtungsklage rechtshängig (§ 90 VwGO) gewesen sein muss.42 Somit erfasst die Vorschrift nicht den Fall einer Erledigung vor Klageerhebung. Doch könnte insoweit eine analoge Anwendung in Betracht kommen. Das setzt eine Regelungslücke, deren Planwidrigkeit sowie eine vergleichbare Interessenlage voraus.
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(1) Bestehen einer Regelungslücke Eine Regelungslücke wäre zu verneinen, wenn das Klagebegehren in Form einer anderen Klageart verfolgt werden könnte. Eine Anfechtungsklage kommt von vornherein nicht in Betracht. Ein erledigter VA kann nicht aufgehoben werden (→ § 22 Rn 14). Zudem würde einer Anfechtungsklage gegen erledigte VA immer das Rechtsschutzbedürfnis fehlen.43 Somit ist allenfalls an die allgemeine Feststellungsklage gem § 43 I VwGO zu denken. Eine Nichtigkeitsfeststellungsklage scheidet aus mehreren Gründen aus. Zunächst setzt sie die Existenz oder äußere Wirksamkeit eines VA voraus (→ § 25 Rn 30). Ist ein VA aber aufgehoben worden oder hat er sich anders erledigt iSd § 113 I 4 VwGO, ist ein VA gerade nicht mehr vorhanden. Sodann müsste der – später erledigte – VA nichtig gewesen sein (§ 44 VwVfG). Dies trifft aber nur in Ausnahmefällen und gerade nicht auf die Rechtswidrigkeitsfeststellung zu. Soll § 43 I Alt 1 VwGO einschlägig sein, müsste es bei der Feststellung der Rechtswidrigkeit des VA somit um die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses gehen. In der Literatur wird dies bei vorprozessualer Erledigung vielfach angenommen.44 Auch das BVerwG hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 1999 42 Ganz hM; vgl BVerwGE 26, 161, 165; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 352, 361. AA Göpfert (Fn 41) 40; ThürVBl 1999, 182 f, wonach der Terminus „vorher“ gleichbedeutend sein soll mit „vor Erlass des Urteils“, so dass § 113 I 4 VwGO auch unmittelbare Anwendung findet, wenn sich der VA vor Klageerhebung erledigt hat. 43 Allgemeine Auffassung vgl Ehlers NVwZ 1990, 105, 107. 44 Vgl zB Pietzner VerwArch 84 (1993), 261, 280 ff; Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rn 99; Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs 1 Rn 86; Wolff in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 113 Rn 262; Kröninger/Wahrendorf in: Fehling/Kastner/Wahrendorf, VwGO, § 113 Rn 82; Clausing JuS 2000, 688, 689 f; Fechner NVwZ 2000, 121, 127 ff; Wehr DVBl 2001, 785, 787 ff; Lange SächsVBl 2002, 53, 57 ff; Finger Verwaltungsrundschau 2004, 145 ff (analoge Anwendung des § 43 I Alt 2 VwGO); Glaser NJW 2009, 1043 ff.
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eine Feststellungsklage in einem obiter dictum befürwortet, ohne abschließend zu entscheiden.45 Diesen Ansichten ist jedoch nicht zu folgen. Unter einem Rechtsverhältnis sind die sich aus einer rechtlichen Regelung ergebenden Beziehungen zu verstehen (→ § 25 Rn 8 ff). Ein VA kann zwar auf einem Rechtsverhältnis beruhen oder ein solches begründen, stellt aber (ebenso wie jede andere Regelung) niemals selbst ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis dar, weil zwischen Regelung und den von einer Regelung ausgehenden Beziehungen zu unterscheiden ist.46 Mit einer Feststellungsklage kann daher niemals die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines VA (oder einer anderen Regelung) begehrt werden. Jedoch ließe sich daran denken, die Feststellungsklage auf das dem VA vor- oder nachgelagerte Rechtsverhältnis zu beziehen. Aber abgesehen davon, dass dies gerade nicht dem gestellten Klageantrag entspricht, dürfte eine Klageänderung oder Umdeutung des Klageantrags auch aus anderen Gründen kaum in Betracht kommen. Soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Behörde nach der Gesetzeslage nicht zum Erlass des VA berechtigt war, ist zwar ein vorgelagertes Rechtsverhältnis vorhanden. Dies erlaubt aber gerade keinen zwingenden Schluss auf die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des erledigten VA. ZB kann es sein, dass die Behörde zwar zum Erlass eines VA berechtigt war, der konkret erlassene VA aber wegen Verstoßes gegen Form- oder Verfahrensvorschriften bzw wegen fehlerhafter Ermessensausübung rechtswidrig ist.47 Stellt man auf die Berechtigung zum Erlass des konkreten, nunmehr erledigten VA ab,48 dürfte dies am Ergebnis nichts ändern. Zwar regelt der VA nicht, dass er rechtmäßig erlassen worden ist,49 denn die Rechtsmäßigkeit ist Voraussetzung, nicht Gegenstand der getroffenen Regelung.50 Doch ist die Feststellungsklage gegenüber der Anfechtungsklage gem § 43 II 1 VwGO subsidiär (→ § 25 Rn 31 ff), wird also von der Anfechtungsklage verdrängt, solange der VA noch besteht. Lässt sich der Anspruch auf Aufhebung eines rechtswidrigen VA wegen Erledigung nicht mehr durchsetzen, tritt die Fortsetzungsfeststellungsklage als eigene, aber in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Anfechtungsklage stehende Klageart (→ Rn 2) an die Stelle der Anfechtungsklage. Der VwGO-Gesetzgeber hat sich in § 113 I 4 VwGO gerade nicht mit einer Verweisung auf § 43 I VwGO begnügt. Hieraus dürfte der Schluss zu ziehen sein, dass § 43 I VwGO nicht die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von VA erfassen soll. Auch der Umstand, dass sich der VA erledigt hat, erlaubt dann nicht den Rückgriff auf das vorgelagerte Rechtsverhältnis. Zum Erlasszeitpunkt war nämlich noch keine Erledigung eingetreten. Knüpft man an das durch den VA begründete – also nachgelagerte – Rechtsverhältnis an, kommt zunächst ein Antrag auf Feststellung in Betracht, dass dem (mittlerweile erledigten) VA nicht Folge geleistet werden musste. Insoweit ist jedoch zu bedenken, dass der
45 Vgl Fall 2 (→ Rn 18, 27) mit dem dort angegebenen Nachw. Krit Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn 99; Rozek JuS 2000, 1162, 1165 ff; Schenke VerwPR, Rn 323; Hufen VerwPR, § 18 Rn 43; R P Schenke NVwZ 2000, 1255, 1257; JuS 2007, 697, 699 f. 46 Allgemeine Auffassung vgl Laubinger VerwArch 82 (1991), 459, 487; Schoch VerwR, 243; Fechner NVwZ 2000, 121, 127. 47 Schoch VerwR, 244; Fechner NVwZ 2000, 121, 127. 48 So R P Schenke NVwZ 2000, 1255, 1257. 49 Ehlers Fn (28) 1, 16; Steinweg Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes, 73 ff. 50 Gegen die Annahme, dass jeder VA auch die Feststellung seiner eigenen Rechtmäßigkeit enthält, spricht zB die Regelung des § 48 VwVfG (die eine Rücknahme rechtswidriger VA nach Unanfechtbarkeit zulässt).
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VA unabhängig von seiner Rechtmäßigkeit bereits dann Wirkungen zeitigt, wenn er rechtswirksam ist. Im Rahmen einer auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines solchen Rechtsverhältnisses gerichteten Klage können demgemäß keine Aussagen über das gebotene Tun, Dulden oder Unterlassen getroffen werden.51 Begehrt der Kläger die Feststellung, dass der konkrete VA ihn in seinen Rechten verletzt hat oder er einen Anspruch auf Aufhebung dieses VA hatte, gilt das bereits Gesagte (→ Rn 22). Erfasst § 43 II 1 VwGO nicht den Fall erledigter Verwaltungsakte, ist bei vorprozessualer Erledigung nach alledem eine „teleologische Lücke“ gegeben.52 Will der Kläger festgestellt wissen, dass die Verwaltung heute einen entsprechenden VA nicht mehr erlassen darf, handelt es sich um einen anderen Streitgegenstand. Zudem würde es sich um eine vorbeugende Klage handeln, für die nur ausnahmsweise ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben ist (→ § 21 Rn 201).53 Scheidet nach alledem eine Feststellungsklage aus, ist eine Regelungslücke anzunehmen.
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(2) Planwidrigkeit der Lücke Die Planwidrigkeit der Lücke folgt aus § 40 I 1 VwGO und ferner aus Art 19 IV 1 GG. Handelt es sich um ör Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, muss es zumindest im Falle fortdauernder Rechtswirkungen eine Möglichkeit geben, den Streit in Gestalt einer bestimmten Rechtsschutzform austragen zu können. Ferner gewährleistet auch Art 19 IV 1 GG (bei entsprechendem Interesse) Rechtsschutz gegenüber erledigten Akten der öffentlichen Gewalt.54
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(3) Vergleichbare Interessenlage Schließlich müsste die Interessenlage bei Erledigung des VA vor Klageerhebung mit derjenigen bei Erledigung nach Klageerhebung vergleichbar sein. Aus der Sicht des Klägers ist es unerheblich, ob sich der VA vor oder nach Klageerhebung erledigt. Die Klagemöglichkeit kann nicht von dem – oft zufälligen – Zeitpunkt der Erledigung abhängen.55 Deshalb findet § 113 I 4 VwGO auf die Erledigung des VA vor Erhebung der Anfechtungsklage analoge Anwendung.
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Lösung Fall 2: Das BVerwG 56 hat die Anordnung der Beschlagnahme des Films (iSd § 33 I Nr 1, II 2 PolG BW) als VA qualifiziert, der durch Einbehalten des Films sofort vollzogen wurde. Wegen der Aufhebung der Beschlagnahme im Widerspruchsverfahren hat sich der VA allerdings nicht nach, sondern vor Klageerhebung erledigt. Wie auf die Erledigung im Widerspruchsverfahren zu reagieren ist (→ Rn 46), kann zunächst dahinstehen, weil die Frage nicht die Statthaftigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage betrifft. Bei Zugrunde-
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51 Vgl Schoch VerwR, 243. 52 Vgl auch R P Schenke NVwZ 2000, 1255, 1257, der allerdings auf die Sachentscheidungsvoraussetzungen abstellt. Dies ist problematisch, weil nicht vom Ergebnis auf die Voraussetzungen geschlossen werden darf und sich die Sachentscheidungsvoraussetzungen der Fortsetzungsfeststellungsklage (bei vorprozessualer Erledigung) und der allgemeinen Feststellungsklage kaum unterscheiden. 53 Vgl Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 313. 54 BVerfGE 96, 27, 39 f; BVerwGE 62, 317, 322. 55 Ganz hM; vgl dazu BVerwGE 26, 161, 165; R P Schenke JuS 2007, 697, 700. 56 BVerwGE 109, 203, 206.
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legung der hier und früher allgemein in der Rspr vertretenen Ansicht ist die Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 I 4 VwGO gegeben. Dagegen hat das BVerwG auch eine Feststellungsklage für möglich gehalten, ohne sich abschließend festzulegen. Einer Feststellungsklage soll jedenfalls nicht entgegenstehen, dass es sich bei der Rechtswidrigkeit eines VA um ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis handeln würde.57 Dieser Ansicht ist aus den genannten Gründen nicht zu folgen.
c) Erledigung vor oder nach Erhebung einer Verpflichtungsklage in Form einer Versagungsgegenklage 28
Fall 3: Der Antrag des C auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Lebensmittelmarktes im unbeplanten Innenbereich wird abgelehnt. Nach Zurückweisung des fristgerecht eingelegten Widerspruchs erhebt C verwaltungsgerichtliche Verpflichtungsklage auf Erlass der Baugenehmigung. Während des Prozesses beschließt die Gemeinde die Aufstellung eines Bebauungsplans und setzt eine Veränderungssperre gem § 14 BauGB in Kraft. Daraufhin stellt C einen Fortsetzungsfeststellungsantrag.
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Nach ganz hM findet § 113 I 4 VwGO auch auf die Verpflichtungsklage (analoge) Anwendung.58 Dieser Ansicht ist nur für den Fall der Versagungsgegenklage (Weigerungsgegenklage → § 23 Rn 13) zuzustimmen. Ist der Antrag auf Erlass eines VA abgelehnt worden und erledigt sich der begehrte Erlass (zB weil der Zeitraum abgelaufen ist, für den der VA begehrt wurde, das Leistungsbegehren – etwa durch Anerkenntnis – erfüllt wurde oder neue Rechtsvorschriften dem Begehren entgegenstehen), kommt eine gerichtliche Verurteilung zum Erlass des VA mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses oder eines materiellen Anspruchs 59 nicht mehr in Betracht. Der Kläger muss dann wegen des nach § 40 I 1 VwGO, Art 19 IV 1 GG gebotenen Rechtsschutzes aber jedenfalls die Möglichkeit einer gerichtlichen Rechtswidrigkeitsfeststellung haben. Da die Ablehnung des VA selbst Verwaltungsaktscharakter hat und dieser VA auch im Falle der Rechtswidrigkeit die Rechtslage bestimmt, kann ebenso wie bei der Anfechtungsklage (→ Rn 22) nicht auf das vorgelagerte Gesetz zurückgegriffen werden, so dass eine allgemeine Feststellungsklage (gerichtet auf die Feststellung, dass die Verwaltung nach der Gesetzeslage zum Erlass des VA verpflichtet war) ausscheidet. Ein nachgelagertes Rechtsverhältnis gibt es ohnehin nicht. Die Rechtsschutzlücke ist daher in analoger Anwendung des § 113 I 4 VwGO zu schließen. Einer doppelt analogen Anwendung der Vorschrift bedarf es, wenn Erledigung vor Erhebung der Verpflichtungsklage eingetreten ist.60
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Lösung Fall 3: C kann sein Verpflichtungsbegehren weiterverfolgen, wenn er die Veränderungssperre für unwirksam hält. Bezweifelt er dagegen nicht die Gültigkeit der Veränderungssperre, bietet die Verpflichtungsklage keine Erfolgsaussichten mehr, weil es auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankommt und die Veränderungssperre dem
57 BVerwGE 109, 203, 209. 58 Vgl zB BVerwGE 28, 233 ff; 52, 313, 316; 81, 365, 367; Hufen VerwPrR, § 18 Rn 43; Schenke VerwPrR, Rn 330; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 359; Kopp/Schenke VwGO, § 113 Rn 109; Redeker in: ders/v. Oertzen, VwGO, § 113, Rn 36 – jew mwN. 59 UU fehlt bereits die Klagebefugnis. 60 Vgl zB BVerwGE 52, 313, 316 f; Rozek JuS 1995, 414, 415.
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Anspruch auf Erlass der Genehmigung dann entgegensteht. Die Änderung der Rechtslage hat erledigende Wirkung. Genaugenommen fällt nicht die innere Wirksamkeit der Ablehnungsentscheidung weg, sondern es erledigt sich das Verpflichtungsbegehren. Entsprechend § 113 I 4 VwGO kann C daher den Antrag stellen, festzustellen, dass zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses (Veränderungssperre) ein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung bestand.61
d) Erledigung vor oder nach Erhebung einer Verpflichtungsklage in Form einer Unterlassungsklage Fall 4: Eine in Vereinsform organisierte Umweltvereinigung D hat beantragt, am 18.05. eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel in dem befriedeten Bezirk für den Deutschen Bundestag gem § 5 BefBezG (Sart Nr 434) zuzulassen. Am 20.05. teilt das Bundesministerium des Inneren telefonisch mit, dass sich die Angelegenheit mittlerweile ja erledigt habe. Man gedenke daher nicht mehr zu entscheiden. Ende August erhebt D verwaltungsgerichtliche Klage mit dem Antrag auf Feststellung, dass sie einen Anspruch auf Zulassung der Versammlung gehabt hat.
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Nach hM 62 soll § 113 I 4 VwGO auch dann entsprechend anwendbar sein, wenn der Antrag auf Erlass eines VA, der sich erledigt hat, nicht beschieden, die Vornahme des VA also unterlassen worden ist. Dieser Auffassung ist nicht zu folgen.63 Hat sich der Erlass des VA vor Erhebung der Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) erledigt, kann und muss der Antragsteller (allgemeine) Feststellungsklage gem § 43 I VwGO erheben. Das Begehren richtet sich darauf festzustellen, dass der Verwaltungsträger zum Erlass des VA (oder jedenfalls zur Bescheidung) verpflichtet war. Für eine analoge Anwendung des § 113 I 4 VwGO ist kein Raum. Einerseits fehlt es an einer Rechtsschutzlücke. Andererseits ist mangels eines „aufsaugenden“ (für die Feststellungsklage Sperrwirkungen entfaltenden) VA keine Rechtsähnlichkeit mit dem in § 113 I 4 VwGO geregelten Fall gegeben. Zur Prüfung steht nicht die Rechtmäßigkeit eines (ablehnenden) VA oder ein anderes, an den VA anknüpfendes Rechtsschutzbegehren, sondern ein Untätigbleiben der Verwaltung. Die (allgemeine) Feststellungsklage ist auch dann die richtige Klageart, wenn die Erledigung nach Klageerhebung eingetreten ist (weil der Erlass des VA nunmehr nicht mehr möglich oder sinnvoll ist). Die Änderung der Klage ist stets sachdienlich iSd § 91 I VwGO. Anders ist die Rechtslage, wenn die Vornahme des VA abgelehnt wurde und nur über den Widerspruch in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. In diesem Falle bedarf es wegen des Vorliegens eines ablehnenden VA im Falle der Erledigung einer analogen Heranziehung des § 113 I 4 VwGO.
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Lösung Fall 4: Der Antrag der D hat sich durch Zeitablauf erledigt. Das OVG NRW hat deshalb § 113 I 4 VwGO analog angewendet.64 Jedoch fehlt es an den Analogievoraussetzungen. Zum einen ist § 43 I VwGO einschlägig. Zum anderen kommt die Subsidiarität
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61 Vgl BVerwG, NVwZ 1999, 523; ferner zB VGH BW, BauR 2003, 1345 → JK VwGO § 113 I 4/18. 62 Vgl BVerwGE 106, 295 ff; Kopp/Schenke VwGO, § 113 Rn 109. Zur Fortsetzungsfeststellungsklage nach unzulässiger Untätigkeitsklage vgl VGH BW, BauR 2003, 1345 → JK VwGO § 113 I 4/18. 63 Im Ergebnis wie hier BayVGH, BayVBl 2003, 273, 275; Göpfert (Fn 41), 44 f. 64 Vgl OVG NRW, DVBl 1994, 541.
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der Feststellungsklage (§ 43 II 1 VwGO) nicht zum Tragen, da eine andere in der VwGO geregelte Klageart nicht eingreift. Somit ist das Klagebegehren in Form einer allgemeinen Feststellungsklage zu verfolgen.
e) Erledigung eines Realaktes 34
Des Öfteren wird eine analoge Anwendung des § 113 I 4 VwGO auch befürwortet, wenn sich ein nach öffentlichem Recht zu beurteilender Realakt erledigt hat und somit eine auf ein ör Tun, Dulden oder Unterlassen gerichtete allgemeine verwaltungsgerichtliche Leistungsklage keinen Erfolg mehr haben kann.65 Doch fehlt es in solchen Fällen wiederum bereits an einer Regelungslücke, weil Rechtsschutz ohne weiteres über die (allgemeine) Feststellungsklage erlangt werden kann.66 Zudem ist die Fortsetzungsfeststellungsklage grundsätzlich 67 verwaltungsaktsbezogen.
f) Erledigung eines Feststellungsbegehrens 35
Ist eine verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage auf Bestehen oder Nichtbestehen eines bestimmten Rechtsverhältnisses erhoben worden und erledigt sich dieses Klagebegehren (zB weil das zur Feststellung gestellte Rechtsverhältnis nicht mehr besteht), kann der Kläger bei fortdauernden Wirkungen seinen Feststellungsantrag umstellen. Es bleibt aber bei § 43 I VwGO. Eine entsprechende Anwendung des § 113 I 4 VwGO kommt nicht in Betracht.
g) Erledigung einer Norm 36
Erledigt sich eine untergesetzliche Norm (bevor oder nachdem Normenkontrollantrag iSd § 47 VwGO gestellt worden ist) oder ein Anspruch auf Erlass einer untergesetzlichen Norm,68 schließt dies eine Feststellungsklage nach § 43 I VwGO oder § 47 VwGO nicht aus.69 Einer entsprechenden Anwendung der Vorschriften über die Fortsetzungsfeststellungsklage bedarf es auch hier nicht (→ § 25 Rn 21).70
h) Erledigung eines Innenrechtsaktes 37
Fall 5: Gemeinderatsmitglied E ist wegen Befangenheit von einer Ratssitzung ausgeschlossen worden. Er stellt beim VG den Antrag, festzustellen, dass der Ausschluss rechtswidrig gewesen ist, weil er nicht befangen war.
65 Vgl BayVGH, NVwZ-RR 1991, 519; BayVBl 1992, 310; Hufen VerwPrR, § 18 Rn 44; Redeker in: ders/v. Oertzen, VwGO, § 113 Rn 36; Schmidt in: Eyermann, VwGO, § 113 Rn 106. 66 HM; vgl zB Erichsen JURA 1989, 49, 52; Rozek JuS 1995, 414, 416; Kopp/Schenke VwGO, § 113 Rn 116. 67 Zu einem möglichen Ausnahmefall → Rn 38. 68 Zur Rechtsschutzform vgl Würtenberger VerwPrR, Rn 702 ff. 69 Tritt eine Norm während eines anhängigen Normenkontrollverfahrens außer Kraft, geht das BVerwG (E 68, 12 ff) zu Recht davon aus, dass der Antragsteller unmittelbar auf der Grundlage des § 47 VwGO vom OVG (nicht VG) die Feststellung begehren kann, dass die Norm ungültig war. 70 Näher zur Erledigung im Normenkontrollverfahren Ziekow in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 47 Rn 300 f.
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Verwaltungsgerichtliche Fortsetzungsfeststellungsklage
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Eine analoge Anwendung des § 113 I 4 VwGO auf erledigte Innenrechtsakte wird meist abgelehnt. Stattdessen wird die allgemeine Feststellungsklage für die richtige Rechtsschutzform gehalten.71 Handelt es sich um einen verwaltungsinternen Regelungsakt, dürfte ein anderes Ergebnis angezeigt sein, wenn sich der Nachweis erbringen lässt, dass verwaltungsinterne Regelungen im Falle eines Rechtsverstoßes grundsätzlich nur rechtswidrig, nicht nichtig, sind. Es spricht dann vieles dafür, aus denselben Gründen wie beim Vorliegen eines VA nicht auf das vor- oder nachgelagerte Rechtsverhältnis abzustellen, sondern § 113 I 4 VwGO entsprechend heranzuziehen.72
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Lösung Fall 5: Es handelt sich bei dem Ausschluss aus dem Rat um einen Regelungsakt, der sich mit Beendigung der Ratssitzung erledigt hat. Scheidet die allgemeine Feststellungsklage aus den erwähnten Gründen aus, bietet nur § 113 I 4 VwGO die Möglichkeit, den Kommunalverfassungsstreit auszutragen.
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i) Erledigung eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes Erledigt sich ein Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach den §§ 80 V, 80a III, 123 VwGO, kann das Rechtsschutzbegehren nicht in Form eines Fortsetzungsfeststellungsantrages weiterverfolgt werden. Einerseits kann das Eilverfahren seine Sicherungsfunktion in Bezug auf das Hauptverfahren nicht mehr erfüllen, andererseits lässt sich die Rechtskraftwirkung des § 121 VwGO mit einer Eilentscheidung nicht erreichen.73 Der Rechtsschutzsuchende muss sein Begehren in einem Hauptsacheverfahren geltend machen.
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j) Analoge Anwendung des § 113 I 4 VwGO in sonstigen Fällen Eine entsprechende Anwendung des § 113 I 4 VwGO kann schließlich auch in weiteren Fällen in Betracht kommen. Doch dürfte es zumeist an den Analogievoraussetzungen fehlen. So will Schenke § 113 I 4 VwGO auch auf VA anwenden, die sich zwar nicht erledigt haben, deren Aufhebung aber (zB nach § 46 oder § 75 Ia 1 VwVfG) ausgeschlossen ist.74 Indessen ist die Fortsetzungsfeststellungsklage zwingend auf eine Veränderung der Lage durch Erledigung (und zugleich auf nachträglichen, nicht vorbeugenden Rechtsschutz) zugeschnitten. Allenfalls kann eine Feststellungsklage in Betracht kommen.75 Darf ein VA nicht aufgeho-
71 Vgl etwa Schoch JuS 1987, 783, 788; Rozek JuS 1995, 414, 416. Nach Schenke VerwPrR, Rn 338 scheitert der Rückgriff auf § 113 I 4 VwGO, weil bei Zugrundelegung der hM kein VA vorliege. Bei Erhebung einer Untätigkeitsklage will Schenke dagegen § 113 I 4 VwGO entsprechend heranziehen (Rn 330), obwohl ebenfalls kein VA vorliegt. 72 Näher dazu Ehlers NVwZ 1990, 105 ff; ebenso Hufen VerwPrR, § 21 Rn 12; Stumpf BayVBl 2000, 103, 107; Schmidt in: Eyermann, VwGO, § 113 Rn 109. 73 Vgl Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 246 mwN; Kuntze in: Bader, VwGO, § 113 Rn 49. Für eine Anwendung des § 113 I 4 VwGO in Ausnahmefällen Schmidt in: Eyermann, VwGO, § 113 Rn 108. 74 Schenke VerwPrR, Rn 326 ff; ebenso R P Schenke JuS 2007, 697, 699. Krit Schmidt in: Eyermann, VwGO, § 113 Rn 109. Geht man davon aus, dass § 46 VwVfG die Rechtsverletzung ausschließt (so Krebs DVBl 1984, 109, 110 f), wäre die Fortsetzungsfeststellungsklage ohnehin nicht begründet (→ Rn 67). 75 Vgl Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rn 79 m Fn 393; Wolff in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 113 Rn 321.
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ben werden, weil die Mängel durch ein ergänzendes Verfahren (zB Planergänzung iSd § 75 Ia 2 VwVfG) behoben werden können, hat das Gericht zwar die Rechtswidrigkeit des VA und dessen Nichtvollziehbarkeit festzustellen.76 Doch handelt es sich anders als im Falle des § 113 I 4 VwGO nicht um eine Form der Klageänderung, sondern um eine die Kassation vermeidende, mildere (Begründetheits-)Variante des § 113 I 1 VwGO. 2. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen der Fortsetzungsfeststellungsklage 42
Die besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen der Fortsetzungsfeststellungsklage sind nur lückenhaft im Gesetz geregelt. Da an eine ursprünglich erhobene oder theoretisch mögliche Anfechtungs- bzw Verpflichtungsklage angeknüpft wird, gelten grundsätzlich die Sachentscheidungsvoraussetzungen dieser Klagen (→ §§ 22 Rn 30 ff; 23, 27 ff). Insbesondere muss zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage zulässig gewesen sein.77 Da es sich bei der Fortsetzungsfeststellungsklage aber um eine eigene Klageart in Gestalt einer besonderen Feststellungsklage handelt (→ Rn 2), sind die Sachentscheidungsvoraussetzungen der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zu ergänzen und zu modifizieren.
a) Erfolglose Erhebung eines Widerspruchs (1) Erledigung nach Klageerhebung 43
Erledigt sich der angefochtene VA oder der Antrag auf Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten VA nach Erhebung der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage und bedurfte es eines Widerspruchsverfahrens (→ § 20), macht die Nichteinlegung oder verspätete Einlegung des Widerspruchs die Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage unzulässig. Die Unzulässigkeit wirkt sich auf die Fortsetzungsfeststellungsklage aus, da eine unzulässige Klage nicht fortgeführt werden darf. War die Widerspruchsfrist bei Klageerhebung noch nicht abgelaufen, soll das Vorverfahren noch während des gerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden können.78 Folgt man dieser (nicht überzeugenden 79) Ansicht, ist auch eine Fortsetzungsfeststellungsklage noch möglich, wenn die nach Klageerhebung weiterlaufende Widerspruchsfrist im Zeitpunkt der Erledigung noch nicht abgelaufen war. Ob es dann noch der Erhebung des Widerspruchs bedarf, hängt davon ab, ob nach Erledigung ein Widerspruchsverfahren durchzuführen ist (vgl die folgenden Ausf).
(2) Erledigung vor Klageerhebung 44
Tritt Erledigung vor Klageerhebung, aber nach Ablauf der versäumten Widerspruchsfrist ein, ist eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach dem Gesagten unzulässig. Bescheidet die Widerspruchsbehörde einen Widerspruch trotz Verfristung in der Sache, soll nach der
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BVerwGE 100, 370, 372. Vgl etwa BVerwGE 26, 161, 167; OVG NRW, NWVBl 1996, 441. BVerwG, NVwZ 1984, 507. Gem § 68 I 1 VwGO muss Widerspruch „vor“ der Erhebung der Klage eingelegt werden. Verzichtet man hierauf, wird die Entlastungsfunktion des Vorverfahrens und die abschließende Regelung des § 75 VwGO durchkreuzt.
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Rspr der Weg zur gerichtlichen Sachprüfung frei werden (→ § 22 Rn 33).80 Entsprechendes könnte gelten, wenn die Widerspruchsbehörde über einen zunächst bestandskräftig gewordenen und schon erledigten VA eine nachträgliche Sachentscheidung trifft.81 Die Bescheidung des verspäteten Widerspruchs wäre dann in der Lage, auch nach Erledigung noch die Bestandskraft zu durchbrechen und die Fortsetzungsfeststellungsklage (wieder) zulässig zu machen. Doch ist der Konstruktion einer Neueröffnung der Klagemöglichkeit schon im Ansatz nicht zu folgen, weil Prozessvoraussetzungen nicht disponibel sind (→ § 22 Rn 33). Erst recht fehlt der Widerspruchsbehörde (die häufig noch nicht einmal am Prozess beteiligt ist) die Befugnis, sich mit gerichtlich bindender Wirkung über die Bestandskraft erledigter VA hinwegzusetzen.82 Erledigt sich der Streit während des Widerspruchsverfahrens (so Fall 2 → Rn 18, 27), muss der Widerspruchsführer grundsätzlich Erledigung erklären, wenn er eine Zurückweisung des Widerspruchs verhindern will. Das Widerspruchsverfahren ist dann ohne Sachentscheidung einzustellen. Fraglich ist, ob der Widerspruch nach Erledigung als Fortsetzungsfeststellungswiderspruch aufrecht erhalten bleiben darf. Dies wird vielfach abgelehnt.83 Doch sprechen die besseren Gründe dafür, dem Widerspruchsführer das Recht zuzugestehen, im Widerspruchsverfahren einen Fortsetzungsfeststellungsantrag entsprechend § 113 I 4 VwGO zu stellen.84 Wählt der Widerspruchsführer diesen Weg, ist die Erfolglosigkeit des Antrags Sachentscheidungsvoraussetzung der Fortsetzungsfeststellungsklage. Heftig umstritten ist, ob es noch eines Widerspruchs bedarf, wenn sich der VA oder der Anspruch auf Erlass des abgelehnten VA vor Widerspruchseinlegung und vor Ablauf der Widerspruchsfrist erledigt hat. Die Rspr hält einen Fortsetzungsfeststellungswiderspruch weder für erforderlich noch für statthaft.85 Die §§ 68 ff VwGO beträfen nur Anfechtungsund Verpflichtungsklagen. Das Vorverfahren sei auf die Aufhebung oder den Erlass von VA, nicht auf die verbindliche Feststellung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit erledigter VA zugeschnitten (zumal die Bindungswirkung des § 121 VwGO nicht erreicht werden könne). Ein beachtlicher Teil der Literatur 86 hält dem entgegen, dass dem Zusammenhang zwischen der Anfechtungs- bzw Verpflichtungsklage und der Fortsetzungsfeststellungsklage Rechnung getragen werden müsse und die Zwecke des Vorverfahrens (umfassender Rechtsschutz, Entlastung der Gerichte, Selbstkontrolle der Verwaltung) auch im Fortsetzungsfeststellungswiderspruchsverfahren noch erreicht werden könnten. Die Bindungswirkung eines feststellenden Widerspruchsbescheides bleibe nicht hinter der eines in der Sache stattgebenden Entscheides zurück. Für die Ansicht der Rspr spricht, dass die §§ 68 ff VwGO prozessual gesehen als Sachentscheidungsvoraussetzungen der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage konzipiert
80 Vgl zB BVerwGE 15, 306, 310; 28, 305, 308; NVwZ-RR 1989, 85, 86. Anderes soll bei VA mit Drittwirkung gelten, vgl BVerwG, NVwZ 1983, 285; NJW 1988, 839; NVwZ-RR 1989, 85, 86. 81 Dafür aber BayVGH, DVBl 1992, 1492, 1493. 82 Rozek JuS 1995, 697, 699. 83 Vgl etwa Rozek JuS 2000, 1162, 1163. 84 So auch Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 31 Rn 30, § 42 Rn 33. 85 Vgl grundlegend BVerwGE 26, 161, 165 ff; 81, 226, 229; ferner BVerwGE 109, 203, 209; Erichsen JURA 1989, 49, 51; Huxholl (Fn 7), 410 ff; Hufen VerwPrR, § 18 Rn 55; Rozek JuS 2000, 1162, 1163. 86 Vgl zB Schoch VerwR, 247 ff; Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 68 Rn 23; Schenke VerwPrR, Rn 666.
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sind, bei Erledigung vor Klageerhebung aber von vornherein nur eine gerichtliche Feststellung in Betracht kommt. Auch dürfte mit der Anerkennung der Unzweckmäßigkeit des erledigten VA durch die Widerspruchsbehörde nicht viel gewonnen sein, weil die Verwaltung ihre Meinung jederzeit ändern kann. Schließlich ist bei der Annahme von Analogieschlüssen zu Ungunsten des Bürgers (hier Erschwerung des Rechtsschutzes) Vorsicht geboten.87 Deshalb ist mit der Rspr davon auszugehen, dass der Fortsetzungsfeststellungswiderspruch keine Sachentscheidungsvoraussetzung für die Erhebung der Fortsetzungsfeststellungsklage ist. Muss ein solcher Widerspruch nicht erhoben werden, heißt dies indessen nicht, dass ein gleichwohl eingelegter Widerspruch unzulässig ist oder dass es der Verwaltung untersagt ist, in einem weiteren Verwaltungsverfahren (zB analog § 44 V VwVfG) Feststellungen über die Rechtswidrigkeit eines erledigten VA zu treffen.88 Dies hätte für den Betroffenen den Vorteil, dass er nicht nur einen schnellen, unkomplizierten und billigen Rechtsschutz, sondern auch eine Zweckmäßigkeitsüberprüfung erreichen kann. 48
Im Fall 2 hat sich der VA vor Ablauf der Widerspruchsfrist erledigt. Bei Zugrundelegung der Ansicht der Rspr hätte es der Einlegung eines Widerspruchs nicht bedurft. Vielmehr hätte B abwarten und nach Erledigung sogleich eine Fortsetzungsfeststellungsklage erheben dürfen. Die Einlegung des Widerspruchs ist aber unschädlich. Ebenso hindert der im Widerspruchsverfahren gestellte Antrag auf Feststellung, dass die Anordnung der Beschlagnahme rechtswidrig gewesen ist, nicht die Fortsetzungsfeststellungsklage, da der Antrag nicht erfolgreich gewesen ist.
b) Klagebefugnis 49
Ist es wegen des Abhängigkeitsverhältnisses zur Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nicht Sinn der Fortsetzungsfeststellungsklage, grundsätzlich von den Zulässigkeitsvoraussetzungen der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage zu dispensieren, muss auch der Fortsetzungsfeststellungskläger entsprechend § 42 II VwGO klagebefugt sein, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist.89 Nichts anderes kann bei einer Erledigung vor Klageerhebung gelten. Zum einen bekennt sich die VwGO grundsätzlich zu einem System des subjektiven Rechtsschutzes. Der durch § 42 II VwGO bezweckte Ausschluss der Popular- und Interessentenklage 90 ist auch dann zu berücksichtigen, wenn sogleich Fortsetzungsfeststellungsklage erhoben wird. Hinzu kommt, dass selbst Normenkontrollanträge nach § 47 II 1 VwGO eine Antragsbefugnis voraussetzen, obwohl es sich beim Normenkontrollverfahren um ein objektives Beanstandungsverfahren handelt (→ § 27 Rn 1). Zum anderen vermag das Erfordernis eines berechtigten Feststellungsinteresses die Klagebefugnis nicht zu ersetzen, weil die Geltendmachung bloßer Interessen etwas anderes ist als die Geltendmachung einer Rechtsverletzung.91 Daher ist § 42 II VwGO auch auf die allgemeine Feststellungsklage entsprechend anwendbar (→ § 25 Rn 53 ff).
87 Für ein Analogieverbot zu Ungunsten des Bürgers BVerfG-K NJW 1996, 3146. Krit Schwabe DVBl 1997, 352 f. 88 Vgl hierzu Dreier NVwZ 1987, 474, 477 ff; Ehlers NWVBl 1988, 122, 123; Pietzner/Ronellenfitsch Assessorexamen, § 31 Rn 30. 89 Vgl BVerwG, NJW 1982, 2514; Lorenz VerwPrR, § 22 Rn 60; Hufen VerwPrR, § 18 Rn 54; Würtenberger VerwPrR, Rn 651. 90 Vgl Ehlers VerwArch 84 (1993), 139, 140 f. 91 Vgl Ehlers NVwZ 1990, 105, 111.
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c) Fortsetzungsfeststellungsinteresse Fall 6: F hat Anfechtungsklage gegen die Nichtversetzung in die Jahrgangsstufe 11 der öffentlichen Schule erhoben und nach erfolgreicher Wiederholung der Klasse einen Fortsetzungsfeststellungsantrag gestellt. Mittlerweile hat F die Reifeprüfung bestanden.
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Fall 7: G hat als Versammlungsleiter die Durchführung einer politischen Kundgebung beantragt. Die zuständige Behörde verbietet die Versammlung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung. Das VG gab dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung unter Hinzufügung bestimmter Auflagen statt (§ 80 V 1 Alt 2, 4 VwGO). Die Versammlung wurde daraufhin unter Beachtung der Auflagen durchgeführt. Nunmehr hat G Fortsetzungsfeststellungsklage erhoben, um die Rechtswidrigkeit der Auflagen klären zu lassen.
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Fall 8: Am 3.6. verbietet die zust Verwaltungsbehörde der H-Partei die Abhaltung ihres vom 5. bis 6.6. geplanten Bundesparteitags. Am 2.7. erhebt die H-Partei Fortsetzungsfeststellungsklage.
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(1) Allgemeines Wie § 43 I VwGO verlangt § 113 I 4 VwGO ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, anders als die zuerst genannte Vorschrift aber kein Interesse an einer baldigen Feststellung. Es handelt sich bei dem Erfordernis um einen Unterfall des Rechtsschutzbedürfnisses (→ § 25 Rn 42) und damit um eine Sachentscheidungs-, nicht eine Begründetheitsvoraussetzung. In Betracht kommen alle schutzwürdigen rechtlichen, wirtschaftlichen oder ideellen Belange, welche die Position des Klägers verbessern.92 Der Kläger hat die Umstände darzutun, aus denen er ein Feststellungsinteresse ableitet.93 Bei Erledigung nach Klageerhebung sollen nach Ansicht des BVerwG wegen des Fortsetzungsbonus’ geringere Anforderungen als im Falle des § 43 I VwGO oder der Erledigung vor Klageerhebung gestellt werden.94 Maßgeblich für die Beurteilung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses soll der Zeitpunkt der letzten mündlichen gerichtlichen Verhandlung oder (bei Entscheidung ohne mündliche Verhandlung) der Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung, nicht derjenige des Eintritts der Erledigung, sein.95 Ist die Rechtswidrigkeit nicht bestritten (zB weil der VA ex tunc zurückgenommen wurde), scheidet ein Feststellungsinteresse aus.96
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Lösung Fall 6: Das berechtigte Interesse des F an der Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Nichtversetzung in die Jahrgangsstufe 11 könnte deshalb entfallen sein, weil F bereits die Reifeprüfung bestanden hat. Doch genügt für ein berechtigtes Interesse jedes schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art. Die Nichtversetzung eines
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BVerwGE 61, 164, 165 f; BVerwG, NVwZ 2007, 227, 228. BVerwGE 53, 134, 137. BVerwGE 61, 128, 135; 81, 226, 228. Krit Schenke VerwPrR, Rn 579. Näher dazu → § 25 Rn 42. BVerwGE 106, 295, 299. AA VGH BW, NVwZ 1997, 198, 200. Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rn 90. Abzulehnen BVerwGE 89, 327, 329, wonach bei fehlendem Meinungsstreit kein Rechtsverhältnis iSd § 43 I VwGO bestehen soll. Tatsächlich fehlt nur das Feststellungsinteresse. Zur Rücknahme von VA ex tunc vgl auch die Ausf zu → Rn 53.
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Schülers verzögert nicht nur die Ausbildung, sondern kann u U darüber hinaus den Betroffenen in seiner Ausbildung und zukünftigen beruflichen Entwicklung benachteiligen. Das BVerwG 97 hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Nichtversetzung schon dann angenommen, wenn im Einzelfall nachteilige Auswirkungen auf die weitere schulische oder berufliche Laufbahn des Schülers nicht ausgeschlossen werden können. Der das Feststellungsinteresse begründende Nachteil muss weder unmittelbar bevorstehen, noch sich bereits konkretisiert haben. Ein solches Interesse kann auch dann gegeben sein, wenn der Schüler nach erfolgreicher Wiederholung der Klassenstufe weiter versetzt wird. Selbst nach bestandener Reifeprüfung ist es nicht ohne Aussagewert, ob der Betreffende sie nach „glatt“ durchlaufender Schulzeit oder erst nach Wiederholung einer Klassenstufe abgelegt hat. Gerade weil der Einfluss einer Nichtversetzung auf die Lebensund Berufschancen von der künftigen Entwicklung abhängt, die im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über die Fortsetzungsfeststellungsklage typischerweise nicht abzusehen ist, muss es für das Feststellungsinteresse regelmäßig ausreichen, dass sich die angegriffene Entscheidung auf die weitere Laufbahn nachteilig auswirken kann, solche Nachteile also nach gegenwärtigem Kenntnisstand jedenfalls nicht auszuschließen sind. Demgemäß hat das BVerwG 98 das Fortsetzungsfeststellungsinteresse bejaht.
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Des Näheren hat die Rspr drei Fallgruppen des berechtigten Feststellungsinteresses herausgearbeitet: nämlich das Präjudizinteresse für einen zivilgerichtlichen Schadensersatzoder Entschädigungsprozess, das Wiederholungsvorbeugungsinteresse und das Rehabilitationsinteresse.
(2) Präjudizinteresse für einen zivilgerichtlichen Schadensersatzoder Entschädigungsprozess 56
Tritt Erledigung nach Klageerhebung ein, begründet die Absicht des Klägers, einen nachfolgenden Schadensersatz- oder Entschädigungsprozess vor den Zivilgerichten zu führen, wegen der präjudiziellen, das Zivilgericht gem § 121 VwGO bindenden Feststellung der Rechtswidrigkeit ein berechtigtes Feststellungsinteresse.99 Dies leuchtet ohne weiteres ein, wenn es dem Kläger darum geht, die Früchte des bisherigen Prozesses zu erhalten. Auch wenn der Verwaltungsprozess noch nicht richtig in Gang gekommen ist (zB weil das erledigende Ereignis alsbald nach Klageerhebung eintrat), gilt nach der zutreffenden Ansicht des BVerwG 100 aber nichts anderes. Um den Eintritt der Bestandskraft zu verhindern, sei der Kläger gezwungen gewesen, die Verwaltungsgerichtsbarkeit anzurufen. Der bereits getätigte Aufwand (auch an Kosten und Zeit) müsse ihm erhalten bleiben, selbst wenn die bisherige Prozessführung noch nicht Früchte getragen habe (zumal kaum bestimmbar sei, wie vieler Früchte es bedürfe). Auch die Erforderlichkeit noch zu leistender zeit- und
97 BVerwGE 56, 155, 156 f; BVerwG, NVwZ 2007, 227, 228. 98 NVwZ 2007, 227, 228. Zu weit geht es, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse in einem Rechtsstreit um die Verwendung eines Lesebuchs auch dann zu bejahen, wenn der Schüler inzwischen volljährig geworden ist und das Lesebuch inhaltlich geändert wurde (aA BVerwGE 61, 164 ff). 99 Vgl zB BVerwGE 61, 128, 135 f; 72, 38, 42. Vgl auch BVerwG, NVwZ 2003, 478 → JK BauGB § 31 II/3. Zur Fortsetzungsfeststellungsklage nach unzulässiger Untätigkeitsklage vgl VGH BW, BauR 2003, 1345 → JK VwGO § 113 I 4/18. 100 BVerwGE 106, 295, 297 ff. AA VGH BW, VBlBW 1994, 23, 26 f; NVwZ 1997, 198; Göpfert (Fn 41), 84 ff.
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kostenintensiver Aufklärungsmaßnahmen soll die Fortsetzungsfeststellungsklage nicht entfallen lassen. Ob dies auch dann gilt, wenn ein Sachverständigengutachten notwendig wird, hat das BVerwG dahingestellt sein lassen. Allerdings besteht Einigkeit darüber, dass ein Schadensersatz- oder Entschädigungsprozess nicht offensichtlich aussichtslos sein darf.101 Ein Amtshaftungsprozess wird mangels Vorliegen eines Verschuldens als offensichtlich aussichtslos angesehen, wenn ein Kollegialgericht den VA als rechtmäßig eingestuft hat.102 Das hat zur Folge, dass eine Berufung gegen ein Fortsetzungsfeststellungsurteil eines VG zwecks Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses aussichtslos ist, wenn die Kammer des VG den erledigten VA für rechtmäßig gehalten hat. In keinem Falle besteht ein berechtigtes Feststellungsinteresse unter dem Aspekt der Präjudizwirkung, wenn Erledigung vor Klageerhebung eingetreten ist. Hier bedarf es keines Rechtsschutzes durch die Verwaltungsgerichte, weil der Betroffene sogleich das (auch für die Klärung ör Vorfragen zuständige) Zivilgericht anrufen kann und er sich aus prozessökonomischen Erwägungen hierauf verweisen lassen muss.103 Geht es C im Falle 3 um die Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses, besteht bei Zugrundelegung der Ansicht des BVerwG selbst dann ein berechtigtes Feststellungsinteresse, wenn die Erledigung unmittelbar nach Klageerhebung eingetreten ist und die Beurteilung der Rechtmäßigkeit und der Ablehnung weitere Ermittlungen des Gerichts voraussetzt.
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(3) Wiederholungsvorbeugungsinteresse Nach allgemeiner Auffassung begründet die Annahme einer Wiederholungsgefahr ein berechtigtes Feststellungsinteresse.104 Unerheblich ist, ob in zukünftigen Fällen Eilrechtsschutz in Anspruch genommen werden kann 105 (→ Rn 61). An die Wiederholungsgefahr dürfen keine zu strikten Anforderungen gestellt werden. Es genügt, wenn der Kläger aufgrund gewisser Anhaltspunkte in absehbarer Zeit mit im Wesentlichen gleichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen rechnen muss.106 Jedoch entfällt das Feststellungsinteresse wegen drohender Wiederholungsgefahr, wenn eine Behörde verbindlich erklärt, an der dem VA zugrundeliegenden Rechtsauffassung zukünftig nicht mehr festzuhalten.107 Für die Beurteilung des Interesses ist im Übrigen nicht die Rechtmäßigkeit, sondern die Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheides zu unterstellen.108 Die Feststellung der Voraussetzung einer Wiederholungsgefahr erfolgt im Zuge der Amtsermittlung durch das Gericht.109
101 BVerwGE 61, 128, 135 f; 72, 38, 42; 100, 83, 91 f. 102 Vgl BVerwG, NJW 1985, 876; NVwZ 1985, 267, 268. Krit zur Kollegialitätsgerichts-Rspr Ehlers JZ 2000, 1007, 1008 f. 103 BVerwGE 81, 226, 227 f; 92, 172, 175 f; 106, 295, 298. 104 Vgl zB BVerwG, NVwZ 1994, 282. 105 BVerfGE 110, 77–91 → JK VwGO § 113 I 4/19. 106 Rozek JuS 1995, 598. 107 BayVGH, BayVBl 2007, 373 → JK VwGO § 113 I 4/22. Das BVerwG (BayVBl 2007, 505) hat das Urteil des BayVGH aufgehoben, da ein Rehabilitationsinteresse des Klägers bestand. 108 BVerwG, NVwZ 1994, 282, 283. 109 BVerfGE 110, 77, 90 → JK VwGO § 113 I 4/19; Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 40 Rn 16.
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5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
(4) Rehabilitationsinteresse 60
Schließlich ist ein berechtigtes Interesse zu bejahen, wenn der Betroffene ein Rehabilitationsinteresse hat. Dies ist nach der Rspr anzunehmen, wenn der erledigte VA diskriminierend (ehrenrührig) gewirkt hat (zB Anordnung einer psychiatrischen Untersuchung, publikumswirksame Identitätsfeststellung, Herabwürdigung des beruflichen Ansehens wegen des Vorwurfes der Unzuverlässigkeit, Abqualifizierung künstlerischer Arbeiten) 110 oder wenn tiefgreifend in die Grundrechte eingegriffen worden ist.111 Da Art 19 IV 1 GG den Rechtsschutz nicht von der Schwere einer möglichen Rechtsverletzung abhängig macht, wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass ein berechtigtes Fortsetzungsfeststellungsinteresse auch dann zu bejahen ist, wenn die Grundrechtsbeeinträchtigung nicht tiefgreifend ist.112 Hierfür spricht, dass sich tiefgreifende und sonstige Grundrechtseingriffe nur sehr schwer unterscheiden lassen. Doch greift jede staatliche Freiheitsbeeinträchtigung zumindest in die durch Art 2 I GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit ein. Ließe man dies allein ausreichen, würde das Erfordernis eines berechtigten Fortsetzungsfeststellungsinteresses leerlaufen. Art 19 IV 1 GG gebietet aber nicht, in den Fällen eines an sich beendeten Eingriffs generell ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu bejahen.113 Daher muss die Grundrechtsbeeinträchtigung entweder fortdauern oder der Kläger ein schutzwürdiges Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit besitzen.114 Ein solches ist immer anzunehmen, wenn eine gerichtliche Entscheidung aufgrund von Verzögerungen, die der Justiz anzulasten sind, nicht vor Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzbegehrens zu Stande kommt.115 Eine Bejahung eines „tiefgreifenden“ Grundrechtseingriffs kommt ferner bei Anordnungen in Betracht, die das Grundgesetz vorbeugend dem Richter vorbehalten hat 116 (zB Durchsuchung von Wohn- und Geschäftsräumen aufgrund richterlicher Durchsuchungsanordnung einschließlich der in diesem Rahmen erfolgenden Beschlagnahmeanordnungen 117). Vor allem aber wird ein Rehabilitationsinteresse angenommen, wenn sich die Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann. Effektiver Grundrechtsschutz gebiete es in diesen Fällen, dass der Betroffene Gelegenheit erhalte, die Berechtigung des „schwerwiegenden – wenn auch tatsächlich nicht mehr fortwirkenden – Grundrechtseingriffs“ gerichtlich klären zu lassen.118 Dies ist typischerweise im Polizei- und Ordnungsrecht, besonders im Versammlungsrecht (→ Rn 61), der Fall.
110 Vgl zu diesen und weiteren Rspr-Beispielen Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rn 92; Kopp/Schenke VwGO, § 113 Rn 142; Schmidt in: Eyermann, VwGO, § 113 Rn 92. 111 BVerfGE 96, 27, 39 f; 110, 77, 86 → JK VwGO § 113 I 4/19; BVerfG, NJW 2007, 1117, 1120 → JK GG Art 5 I 2/31; BVerwG, NVwZ 1999, 991. 112 Schenke VerwPrR, Rn 583; Sodan in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 43 Rn 101. 113 Vgl auch BVerfG, NJW 2007, 1117, 1120 → JK GG Art 5 I 2/31. Vgl auch R P Schenke JuS 2007, 697, 698. 114 Vgl auch BVerfGE 110, 77, 89 (anerkennenswertes Interesse) → JK VwGO § 113 I 4/19. 115 BVerfG-K, NVwZ 2007, 807. 116 Entsprechende Maßnahmen sind häufig schon vor möglicher gerichtlicher Überprüfung beendet. 117 BVerfG, NJW 2007, 1117, 1121 → JK GG Art 5 I 2/31. In solchen Fällen obliegt der Rechtsschutz allerdings idR nicht den Verwaltungsgerichten, sondern den ordentlichen Gerichten, → § 21 Rn 116 ff. 118 BVerfG, NJW 2007, 1117, 1120 f → JK GG Art 5 I 2/31.
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Verwaltungsgerichtliche Fortsetzungsfeststellungsklage
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Lösung Fall 7: Auf dem Gebiet des Versammlungsrechts ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu bejahen, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit „schwer“ beeinträchtigt, die Gefahr einer Wiederholung besteht oder zur Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann.119 Im Falle schwerer Beeinträchtigungen spielt es keine Rolle, ob vergleichbare Versammlungen in Zukunft stattfinden sollen. Die Bedeutung der Versammlungsfreiheit in einer Demokratie gebietet stets die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes, wenn die Grundrechtsausübung durch ein Versammlungsverbot unterbunden und die Versammlung aufgelöst worden ist. Derartige Eingriffe sind die schwerste mögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit und begründen stets ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Schwer kann die Beeinträchtigung aber auch sein, wenn die Versammlung zwar durchgeführt werden konnte, aber von versammlungsbehördlichen Auflagen abhängig gemacht wurde, die ihren spezifischen Charakter verändert, insbesondere die Verwirklichung ihres kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert haben. Demgegenüber ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht gegeben, wenn die Abweichungen bloßen Modalitäten der Versammlungsdurchführung beinhalten. Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Kläger voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird. Das auf eine Wiederholungsgefahr gegründete Rechtsschutzinteresse entfällt nicht deshalb, weil der Kläger in zukünftigen Fällen Eilrechtsschutz in Anspruch nehmen kann. Im Eilverfahren erreichbarer Schutz entspricht nicht dem Rechtsschutz, der im Hauptsacheverfahren erlangt werden kann. Dies zeigt schon die Begrenzung der im Eilverfahren erfolgenden Prüfung der in der behördlichen Verfügung zu erfüllenden Rechtmäßigkeitsanforderung. Auch kann es dem Veranstalter einer Versammlung nicht zugemutet werden, den durch Art 19 IV 1 GG garantierten Rechtsschutz stets nur vorläufig und mit Unsicherheit für die Behandlung zukünftiger Fälle erlangen zu können. Dies wäre auch dem Freiheitsrecht des Art 8 GG abträglich und könnte sich langfristig auf die Funktionsweise der Demokratie (Art 20 I GG) auswirken. Von einem Rehabilitationsinteresse ist in versammlungsrechtlichen Streitigkeiten auszugehen, wenn die beschränkenden Maßnahmen diskriminierend wirken (insbesondere, wenn sie Ausführungen über die Persönlichkeit des Veranstalters oder zu seinem erwarteten kriminellen Verhalten auf Versammlungen enthalten). Vorliegend hat das BVerfG 120 dahingestellt sein lassen, ob das Fortsetzungsfeststellungsinteresse schon wegen eines gewichtigen Eingriffs in die Versammlungsfreiheit zu bejahen ist. Jedenfalls liege eine Wiederholungsgefahr vor, da H künftig ähnliche Demonstrationen durchzuführen beabsichtige und mit Verbotsverfügungen respektive Auflagen rechnen müsse.
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Lösung Fall 8: H kann sich auf Art 8 I GG iVm Art 19 III GG berufen. Da das Verbot eines Bundesparteitags einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff darstellt und in der kurzen Spanne zwischen Verbotsverfügung und Terminierung des Parteitages eine gerichtliche Entscheidung kaum zu erlangen war, ist ein Rehabilitationsinteresse gegeben.
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d) Richtiger Klagegegner Wird eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage erhoben, bestimmt sich der richtige Klagegegner nach § 78 VwGO (ggf iVm den landesrechtlichen Ausführungsbestim119 So BVerfGE 110, 77, 89 → JK VwGO § 113 I 4/19. 120 BVerfGE 110, 77, 92 f → JK VwGO § 113 I 4/19.
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5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
mungen).121 Stellt der Kläger im Laufe des Prozesses einen Fortsetzungsfeststellungsantrag, ändert sich nichts an der Beklagtenstellung. Dies spricht dafür, § 78 VwGO auch bei Erledigung vor Klageerhebung anzuwenden. Bestimmt dies das Landesrecht, ist somit die Behörde und nicht (wie stets bei der Feststellungsklage) der Rechtsträger zu verklagen.
e) Klagefrist 64
Tritt Erledigung nach Klageerhebung ein, ist die Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig, wenn die Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage fristgerecht erhoben worden war. Liegt das erledigende Ereignis vor Klageerhebung, ohne dass die Widerspruchs- oder Klagefrist bereits versäumt wurde122, sollen nach einer vielfach vertretenen Ansicht die §§ 74, 58 II VwGO entsprechende Anwendung finden.123 Da bei vorprozessual erledigten VA idR eine Rechtsbehelfsbelehrung fehlt und Rechtsbehelfsbelehrungen keinen Hinweis auf die Fortsetzungsfeststellungsklage zu enthalten pflegen, beläuft sich die Klagefrist dann auf ein Jahr. Die Geltung der Fristbestimmung wird mit dem engen Bezug der Fortsetzungsfeststellungsklage zur Anfechtungs- und Verpflichtungsklage sowie mit dem auch gegenüber erledigten VA bestehenden Interesse an Rechtssicherheit begründet. Fehle es an einer Rechtsbehelfsbelehrung, die für den Fall der Erledigung auf die sofortige Möglichkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage hinweise, gelte nicht die Monatsfrist des § 74 VwGO, sondern die Jahresfrist des § 58 II VwGO. Dieser Auffassung ist das BVerwG zu Recht entgegengetreten.124 Habe sich ein VA vor Eintritt der Bestandskraft erledigt, laufe keine Frist, weil die Fortsetzungsfeststellungsklage ihrer Rechtsnatur nach eine Feststellungsklage sei und der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit nach Erledigung in den Hintergrund trete (da ein erledigter VA nicht bestandskräftig werden kann). Zwar liege es auch bei Erledigung im Interesse der Verwaltung, nach einer bestimmten Frist keinen Ansprüchen mehr ausgesetzt zu sein. Das Rechtsschutzsystem der VwGO sei aber vornehmlich zur Wahrung der Interessen des Bürgers geschaffen worden. Diesem könne eine fristgebundene Klage gegen einen VA, der seine Regelungswirkung verloren habe, nicht zugemutet werden, zumal auch § 113 I 4 VwGO für den Übergang von der Anfechtungs- zur Fortsetzungsfeststellungsklage keinerlei Frist vorsehe. Gehe es darum, etwaige Lücken des Rechtsschutzsystems zu schließen, dürften die Interessen der Verwaltung nicht allein ausschlaggebend sein. Vor Klagen, die noch Jahre nach der Erledigung des VA erhoben werden, sei die Verwaltung zudem hinreichend durch das Erfordernis eines berechtigten Feststellungsinteresses sowie durch das Institut der Verwirkung geschützt.
121 Zum Fall der Weigerungsgegenklage vgl Ehlers in: FS Menger, 379, 385. 122 Im Falle der Fristversäumung ist die Klage unzulässig. 123 Vgl etwa OVG Rh-Pf, NJW 1982, 1301, 1302; BayVGH, BayVBl 1993, 429, 430; VGH BW, DVBl 1998, 835, 836; R P Schenke NVwZ 2000, 1255, 1257; JuS 2007, 698, 700; Meissner in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 74 Rn 11 ff; vgl demgegenüber aber auch Würtenberger VerwPrR, Rn 658; Rennert in: Eyermann, VwGO, § 74 Rn 2; Kopp/Schenke VwGO, § 113 Rn 128. 124 BVerwGE 109, 203, 207 f → JK VwGO § 113 I 4/16. Vgl auch bereits BayVGH, DVBl 1992, 1492, 1493; Detterbeck Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen im Öffentlichen Recht, 1995, 292 f; Rozek JuS 1995, 697, 700.
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Verwaltungsgerichtliche Fortsetzungsfeststellungsklage
§ 26
Im Fall 2 hat B zwar erst zwei Monate nach Eintritt des erledigenden Ereignisses Fortsetzungsfeststellungsklage erhoben. Die Erledigung ist aber vor Bestandskraft eingetreten. Schließt man sich der Auffassung an, dass in solchen Fällen die Fristen der §§ 74, 58 II VwGO nicht gelten, kann keine Verfristung eingetreten sein. Ferner liegen nicht die Voraussetzungen einer (prozessualen) Verwirkung vor.
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III. Begründetheit der verwaltungsgerichtlichen Fortsetzungsfeststellungsklage Fall 9: Der städtische Beigeordnete I ist von seinem Amt abberufen worden und damit in den einstweiligen Ruhestand getreten. Auf die von ihm erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage hin stellt das VG rechtskräftig fest, dass der Bescheid rechtswidrig gewesen ist. Daraufhin wurden I die Dienstbezüge nachbezahlt und weitere Dienstbezüge gewährt, so als sei er nicht abberufen worden. Nunmehr fordert die Stadt die geleisteten Beträge von I zurück. Hiergegen hat I nach erfolglosem Vorverfahren verwaltungsgerichtliche Klage erhoben.
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Entgegen der missverständlichen Formulierung des § 113 I 4 VwGO ist eine Fortsetzungsfeststellungsklage nicht schon im Falle der Rechtswidrigkeit des erledigten VA begründet. Vielmehr muss der Kläger durch den VA auch in seinen Rechten verletzt sein. Das ergibt sich aus dem engen Zusammenhang zwischen Satz 1 und Satz 4 des § 113 I VwGO.125 Ferner spricht das Erfordernis der Klagebefugnis (→ Rn 49) für die Notwendigkeit einer Rechtsverletzung.126 Greift der Kläger die Ablehnung eines VA an oder erledigt sich das Verpflichtungsbegehren im Laufe des Prozesses, ist (entspr § 113 I 4 iVm § 113 V VwGO) zu entscheiden, ob er einen Anspruch auf Erlass des VA oder auf erneute Bescheidung gehabt hat. Was den Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechts- und Sachlage angeht, kommt es – ebenso wie bei der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (→ §§ 22 Rn 85 ff; 23 Rn 44 f) – auf den Klageantrag sowie den prozessual und materiell-rechtlich maßgeblichen Zeitpunkt an. Materiell-rechtlich ist der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung für die Beurteilung der Rechts- und Sachlage maßgebend, wenn das Gericht auch ohne Erledigung hierauf abzustellen hat. Ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder der Gerichtsentscheidung maßgebend, ist jedenfalls dann, wenn der Kläger nichts anderes beantragt hat, auf den Erledigungszeitpunkt abzustellen (so bei erledigten Verpflichtungsbegehren).127 Ob der Kläger die Fortsetzungsfeststellungsklage auf einen Zeitpunkt oder Zeitraum vor Eintritt des erledigenden Ereignisses beziehen darf, ist streitig. Das BVerwG scheint die Wahl eines anderen Zeitpunkts nur bei unveränderter Beurteilungsgrundlage zulassen zu wollen.128 Soll nicht nur die Rechtslage zum Zeitpunkt der Erledigung, sondern auch ein davor liegender Zeitpunkt erfasst werden,
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125 BVerwGE 65, 167, 170 f; 77, 70, 73; BayVGH, BayVBl 1990, 178; Erichsen JURA 1989, 49, 52. 126 Zwingend ist das Argument nicht. So ist ungeachtet der Notwendigkeit einer Antragsbefugnis § 47 VwGO auf eine objektive Kontrolle ausgerichtet, vgl Ehlers in: FS Hoppe, 1041, 1043. 127 Vgl Rozek JuS 1995, 697, 700; Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rn 103. Die Rechtslage ist insoweit anders als bei der Beurteilung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses → Rn 53). 128 Vgl BVerwGE 89, 354 ff; DVBl 2000, 120. Weitergehend Schenke VerwPrR, Rn 863, 865.
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5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
könne aber eine Klageerweiterung im Wege der Klageänderung gem § 91 I VwGO in Betracht kommen.129 68
Lösung Fall 9: Gem § 113 I 1 VwGO ist die Anfechtungsklage begründet, wenn der VA rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Die Rückerstattung zuviel gezahlter Beträge richtet sich gem § 12 II BBesG nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Das BBesG gilt gem § 1 I Nr 1 BBesG auch für die Beamten der Gemeinden. Die Ermächtigung des Dienstherrn, die überbezahlte Besoldung durch VA zurückzufordern, lässt sich den Beamtengesetzen im Wege der Auslegung entnehmen. Nach den Bestimmungen der Landesbeamtengesetze (zB § 30 I 2 LBG NRW) endet das Beamtenverhältnis kommunaler Wahlbeamter u.a. durch Abberufung. Zu fragen ist demnach, ob der Abberufungsbescheid noch Regelungswirkungen entfaltet. Gem § 43 I 1 VwVfG wird ein VA mit Bekanntgabe wirksam. Nicht wirksam ist dagegen gem § 43 III VwVfG eine nichtiger Verwaltungsakt. Da Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des Abberufungsbescheides nicht ersichtlich sind, war I gehalten, eine Aufhebung des VA im Widerspruchsverfahren oder durch Anfechtungsklage herbeizuführen. Vorliegend ist jedoch nur ein Fortsetzungsfeststellungsurteil ergangen, in dem gem § 113 I 4 VwGO festgestellt wurde, dass der Abberufungsbescheid rechtswidrig gewesen ist. Eine Aufhebung des Bescheides ist mit dieser Feststellung nicht verbunden. Dennoch hat das BVerwG 130 entschieden, dass der Abberufungsbescheid keine Regelungswirkung mehr entfaltet. Zwar hänge die Wirksamkeit eines VA nicht prinzipiell von seiner Rechtmäßigkeit ab. Auf die Geltung dieser Entscheidung könne aus Gründen der Rechtssicherheit aber nur so lange vertraut werden, als der VA lediglich potenziell rechtswidrig ist und sich nicht aufgrund einer Prüfung durch ein Gericht als rechtswidrig erwiesen hat. Die Wirksamkeit eines rechtswidrigen VA sei deshalb im Falle seiner späteren Beanstandung als rechtswidrig durch ein Gericht von vornherein nur eine vorläufige. Stehe aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung fest, dass der VA rechtswidrig ist, sei für die Annahme, er sei dennoch wirksam und zeitige folglich Regelungswirkungen, kein Raum mehr. Nach der Verfassungsordnung des GG obliege es vorrangig den Gerichten, die Rechtsordnung durch die letztverbindliche Entscheidung dessen, was im konkreten Fall rechtens ist, zu sichern. Sinn der materiellen Rechtskraft sei es, in den sachlichen und zeitlichen Grenzen des Entscheidungsgegenstandes Rechtsfrieden zwischen den Beteiligten zu stiften. Für verwaltungsgerichtliche Urteile bedeutet dies, dass ihre materielle Rechtskraft gem § 121 VwGO auch das Verhalten des Hoheitsträgers für die Zukunft bindet. Der Rechtsschutz mittels eines Urteils nach § 113 I 4 VwGO sei funktionsgleich mit dem Rechtsschutz der mit einem Aufhebungsurteil nach § 113 I 1 VwGO erreicht wird. Daher mache es keinen Unterschied aus, ob ein VA nach § 113 I 1 VwGO kassiert wird oder nach § 113 I 4 VwGO seine Rechtswidrigkeit festgestellt wird. Die Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht nach Art 20 III GG bewirke im zweiten Fall, dass sie aus dem rechtswidrigen VA keinerlei für die Betroffenen belastende Folgen herleiten darf. Im Ergebnis bedeutet dies, dass ein VA, dessen Rechtswidrigkeit durch ein rechtskräftiges Fortsetzungsfeststellungsurteil festgestellt worden ist, keine Regelungswirkung mehr entfaltet (also wie ein nichtiger VA zu behandeln ist). Dahingestellt sein lassen hat das BVerwG, ob sich die Unwirksamkeit des VA ferner daraus herleiten lässt, dass Gegenstand der rechtskräftigen
129 BVerwGE 109, 74, 78 ff. Gedacht wird bei der Klageänderung offenbar an eine allgemeine Feststellungsklage, nicht an eine Fortsetzungsfeststellungsklage. 130 BVerwGE 116, 1 ff → JK VwGO § 113 I 4/17. Vgl zu dieser Entscheidung auch Schenke JZ 2003, 31 ff; Steinweg Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes, 268 ff.
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Verwaltungsgerichtliche Fortsetzungsfeststellungsklage
§ 26
Feststellung nach § 113 I 4 VwGO auch die Erledigung des angefochtenen VA ist, so dass auch diese und damit gem § 43 II VwVfG die Unwirksamkeit des VA mit Maßgeblichkeit feststeht.131 Das BVerwG gibt zu bedenken, dass die Erledigung eines VA ein Urteil nach § 113 I 4 VwGO ist. Die Rechtskraft eines Sachurteils erstrecke sich aber gewöhnlich nicht auf das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen. Erwachse die Feststellung der Erledigung eines VA nicht in Rechtskraft, stehe nicht mit verbindlicher Wirkung fest, dass der VA wegen Erledigung unwirksam ist. Folgt man dem BVerwG, ist aufgrund der rechtskräftigen Feststellung der Rechtswidrigkeit des Abberufungsbescheids die Rechtslage maßgebend, die ohne diesen Bescheid gegeben war. Danach bestand das Beamtenverhältnis zwischen den Parteien fort, so das I einen Besoldungsanspruch hatte. Die Zahlung der Bezüge erfolgte daher nicht ohne rechtlichen Grund. Mangels eines Rückzahlungsanspruchs ist der Leistungsbescheid auf Rückzahlung der gewährten Bezüge rechtswidrig. Das BVerwG hat daher der Anfechtungsklage stattgegeben.
131 In diesem Sinne BVerwGE 105, 370, 373.
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§ 27 Verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle Dirk Ehlers
I. Funktion und Bedeutung der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle Gerichtliche Normenkontrollen dienen der Überprüfung der Gültigkeit von Rechtsnormen durch die Judikative. Ist die Überprüfung der Norm unmittelbar Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens und nicht nur Vorfrage für die Beurteilung einer (auf die Norm gestützten) Maßnahme, handelt es sich um eine prinzipale Normenkontrolle (im Gegensatz zur inzidenten). Die Zwecke einer prinzipalen Normenkontrolle sind, den Normunterworfenen einen effektiven Rechtsschutz zur Verfügung zu stellen, durch Herbeiführung einer allgemein verbindlichen Entscheidung (vgl § 47 V 2 Hs 2 VwGO) eine Vielzahl von Einzelprozessen zu vermeiden und zur Rechtsklarheit beizutragen.1 Da die Rechtsnormen (ebenso wie im Verfahren gem Art 93 I Nr 2 GG oder bei Verfassungsbeschwerden gegen ein Gesetz) im Falle eines Vorgehens nach § 47 VwGO unabhängig vom Einzelfall überprüft werden, lässt sich die Kontrolle als abstrakt einstufen (im Gegensatz zur konkreten – auf den Einzelfall bezogenen – Kontrolle des Art 100 I GG). Das Normenkontrollverfahren des § 47 VwGO steht in erster Linie im Dienste der Wahrung des objektiven Rechts, enthält aber auch eine subjektive Rechtsschutzkomponente.2 Der objektive Charakter kommt dadurch zum Ausdruck, dass das Gesetz von einem Antrag statt von einer Klage spricht (§ 47 I VwGO), auch Behörden Normenkontrollanträge stellen können (§ 47 II 1 VwGO), wegen des Fehlens von Vorschriften nach Art des § 113 I und V VwGO der Gegenstand der Begründetheitsprüfung nicht auf die Verletzung subjektiver Rechte beschränkt ist (→ Rn 52 ff) und die Entscheidung des Gerichts im Falle der Unwirksamkeitsfeststellung „erga omnes“ wirkt (§ 47 V 2 Hs 2 VwGO). Um die Durchsetzung subjektiver Rechte geht es insofern, als die objektive Kontrolle auch dem Individualrechtsschutz dient und die natürlichen oder juristischen Personen eine Rechtsverletzung geltend machen müssen (§ 47 II 1 VwGO). Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Zulässigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle bestehen nicht. Gründe der Gewaltenteilung (Funktionsgliederung) – etwa mit der Erwägung, dass es sich bei der Normenkontrolle um eine negative Gesetzgebung handelt 3 – stehen einer Gerichtskontrolle nicht entgegen. Zwar lässt sich den Art 93 I Nr 2, 100 I GG sowie § 93 III BVerfGG entnehmen, dass die Feststellung der Nichtigkeit von (nachkonstitutionellen 4) Parlamentsgesetzen nur den Verfassungsgerichten obliegt. Im Falle der Anwendung des § 47 VwGO geht es aber lediglich um die Kontrolle der – rechtssetzenden – Exekutive. Diese darf selbst dann den Gerichten überantwortet werden, wenn man davon ausgeht, dass die Rechtsschutzgarantie des Art 19 IV 1
1 Vgl Gerhardt/Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 47 Rn 3; Schmidt in: Eyermann, VwGO, § 47 Rn 5. 2 Vgl BVerwGE 82, 225, 232 – „eine doppelte Funktion als subjektives Rechtsschutzverfahren und objektives Prüfungsverfahren“; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 405. 3 Vgl Stern Staatsrecht II, 1980, § 44 I 5b. 4 Vgl bereits: BVerfGE 2, 124, 128; 4, 331, 339 ff; s auch → § 16 Rn 22 ff.
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§ 27
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5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
GG weder die formelle (parlamentarische) noch die materielle (hier exekutivische) Gesetzgebung erfasst.5 Andererseits ist eine prinzipale Normenkontrolle nach Art des § 47 VwGO nicht von Verfassungs wegen geboten. Art 19 IV 1 GG und die sich aus dem GG ergebende Justizgewährungspflicht des Staates 6 verlangen nur, dass im Falle der Gewährung subjektiver Rechte überhaupt Rechtsschutz gewährt wird. Dies kann zB auch durch eine inzidente Normenkontrolle oder durch eine Feststellungsklage (→ § 25) geschehen. Daher verstößt es nicht gegen das Grundgesetz, wenn das Bundesrecht und das Landesrecht (vgl § 47 I Nr 2 VwGO) keine verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle kennen.7 Rechtspolitisch wäre allerdings wegen der Vorzüge einer prinzipalen Normenkontrolle deren generelle Zulassung wünschenswert. Bei Erlass der VwGO enthielt § 47 I VwGO nur eine Ermächtigung an den Landesgesetzgeber, eine Normenkontrolle einzuführen. Durch Gesetz vom 24.8.1976 8 wurde kraft Bundesrechts die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle für alle Satzungen nach dem (damaligen) BBauG eingeführt. Auch später ist die Vorschrift verschiedentlich verändert worden, zuletzt durch das Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte, das am 1.1.2007 in Kraft getreten ist.9 Im Baurecht spielen verwaltungsgerichtliche Normenkontrollverfahren eine bedeutende Rolle. Im Übrigen richtet sich die Relevanz danach, ob landesrechtlich von der Vorschrift des § 47 I Nr 2 VwGO Gebrauch gemacht wurde. Vergleichend kann darauf hingewiesen werden, dass das Europäische Unionsrecht nur einen eingeschränkten Individualrechtsschutz gegen normatives Unrecht kennt (→ § 8 Rn 25 ff).
II. Zulässigkeit der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle 5
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Für Normenkontrollanträge gelten grundsätzlich die für verwaltungsgerichtliche Klagen geltenden allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzungen (→ § 21). So bedarf es eines (entspr § 81 I 1 VwGO zu stellenden) Antrags (§ 47 I VwGO), der wegen des Postulationszwangs (§ 67 I VwGO) von einem Rechtsanwalt oder Rechtslehrer eingereicht werden muss. Auf die Bezeichnung kommt es nicht an. Der Antrag hat sich auf die Feststellung der Ungültigkeit von Normen zu richten. Die nähere Formulierung liegt in der Dispositionsbefugnis des Antragstellers, zB kann auch nur die Feststellung einer Teilnichtigkeit beantragt werden. Das OVG darf nur „im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit“ entscheiden (§ 47 I VwGO). Das bedeutet, dass der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein muss. Zulässig ist nur die Überprüfung von Normen, aus deren Anwendung sich Rechtsstreitigkeiten ergeben können, für die der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist (→ § 21 Rn 72).10 In der Regel kommt 5 Für eine Ausklammerung der formellen Gesetzgebung BVerfGE 24, 33, 49 f; 45, 297, 334 f; 75, 108, 165. AA zB Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV Rn 93. Für eine Ausklammerung auch der ausschließlich materiellen Gesetzgebung zB Krüger/Sachs in: Sachs, GG, Art 19 Rn 124; aA BVerwGE 80, 355, 361; Schenke VerwPrR, Rn 1063. 6 BVerfGE 93, 99, 107; BVerfGE 107, 395, 401 f → JK GG Art 103 I/4. 7 BVerfGE 31, 364, 370; BVerwG, NVwZ-RR 1991, 54, 55; Ziekow in: Sodan/ders, VwGO, § 47 Rn 22 ff; aA offenbar Hufen VerwPrR, § 19 Rn 3. 8 BGBl I 1976, 2437. 9 BGBl I 2006, 3316. 10 Vgl BVerwGE 99, 88, 96.
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Verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle
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es auf die Generalklausel des § 40 I 1 VwGO an. Da die Entscheidung über die Rechtsgültigkeit von Parlamentsgesetzen der Verfassungsgerichtsbarkeit vorbehalten ist,11 muss eine verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle gegen ein Parlamentsgesetz bereits wegen Nichteröffnung des Rechtsweges als unzulässig angesehen werden. Sachlich zuständig für die Normenkontrolle ist abweichend von § 45 VwGO das OVG, das in vielen Ländern Verwaltungsgerichtshof (VGH) genannt wird (§ 184 VwGO). Ob im Falle der Einreichung des Antrags bei einem VG eine Verweisung an das OVG entspr § 83 VwGO iVm § 1a II GVG in Betracht kommt, ist streitig.12 Als Antragsteller kommen natürliche oder juristische Personen (auch solche des öffentlichen Rechts) sowie Behörden in Betracht (§ 47 II 1 VwGO). Bei dem Antragsgegner muss es sich um eine juristische Person des öffentlichen Rechts handeln (§ 47 II 2 VwGO). Die Prozessfähigkeit richtet sich nach den allgemeinen Regeln (§ 62 VwGO), die Postulationsfähigkeit nach § 67 I VwGO. Zum allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis vgl Rn 41 (§ 47 IIa), (→ § 21 Rn 99 ff). Liegen die allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzungen vor, ist der Normenkontrollantrag zulässig, wenn er statthaft ist (1.) und die besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen (2.).
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1. Statthaftigkeit der Normenkontrolle
a) Rechtsvorschriften Fall 1: Das Land A hat auf der Grundlage seines Landesplanungsgesetzes einen Landesentwicklungsplan im Rang einer VO erlassen. Durch Gesetz werden sowohl das Landesplanungsgesetz als auch der Landesentwicklungsplan geändert. In den Landesentwicklungsplan wird ein neues Planungsziel eingefügt. Für den geänderten Landesentwicklungsplan sieht das Gesetz die Rückkehr zum einheitlichen Verordnungsrang vor. A wendet sich im Wege der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle gegen das geänderte Planungsziel.
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Fall 2: Der in BW wohnende B wendet sich im Verfahren nach § 47 VwGO erstens gegen einen Bebauungsplan, den der Gemeinderat beschlossen, aber noch nicht bekannt gemacht hat, weil bereits der Plan eine Rechtsgrundlage für die Genehmigung nach § 33 BauGB sein soll, zweitens gegen den Beschluss des Gemeinderates, mit dem ein anderer Bebauungsplan für nichtig erklärt wurde, und drittens gegen eine VO über die Erklärung eines sich auf drei Landkreise ersteckenden Waldes zum Bannwald, wobei die VO wegen Meinungsverschiedenheiten in einem Landkreis noch nicht bekannt gemacht worden ist.
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Fall 3: Die Gemeinde C hat im Jahre 2003 beschlossen, einen Bebauungsplan für Windenergieanlagen aufzustellen und erließ gleichzeitig eine Veränderungssperre (§ 14 BauGB), die von C in einem Normenkontrollverfahren angegriffen wird. Vor der Entscheidung des OVG wird die Veränderungssperre im Jahre 2004 verlängert.
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11 Vgl auch BVerfGE 70, 35, 55. 12 Vgl Schmidt in: Eyermann, VwGO, § 47 Rn 66.
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Fall 4: Nach Wegfall der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage greift D mit einem verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollantrag eine hessische VO an.
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Fall 5: E ist Gerichtsvollzieher in Bayern. Wegen der gestiegenen Kosten verlangt er die Erhöhung der durch Landes-VO geregelten Gebühren und erhebt nach Widerspruch Klage vor dem VG auf Feststellung, dass der Freistaat Bayern verpflichtet ist, die Gebühr den heutigen Verhältnissen anzupassen.
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Die Normenkontrolle bezieht sich auf die Überprüfung von Rechtsvorschriften. Diese zeichnen sich regelmäßig dadurch aus, dass sie Regelungen abstrakt-genereller Art treffen. Doch sind hierzu auch Hoheitsakte zu zählen, die zwar eine Einzelfallregelung treffen, aber in Form einer Rechtsvorschrift gekleidet sind.13 In Betracht kommen nur Vorschriften des nationalen Rechts (nicht zB des europäischen Gemeinschaftsrechts). Wie sich aus § 47 I Nr 1 und 2 VwGO ergibt, muss es sich bei den Rechtsvorschriften zum einen um untergesetzliche, zum anderen um solche des Landesrechts – uU auch auf bundesgesetzlicher Grundlage (vgl zB § 47 I 1 VwGO) – handeln. Damit scheiden von vornherein Parlamentsgesetze (→ Rn 6) und Vorschriften des Bundesrechts (gleich welcher Art) aus. Anderes soll nach der nicht überzeugenden 14 Rspr des BVerfG für Bebauungspläne gelten, die ausnahmsweise nicht in Form einer Satzung (§ 10 I BauGB), sondern (wie in Hamburg) in Form eines Parlamentsgesetzes beschlossen werden.15 Ferner vertritt das BVerfG die Auffassung, dass die (in der Praxis nicht selten vorkommenden) Änderungen oder Ergänzungen von VO durch förmliche Gesetze nichts an dem Verordnungscharakter der Bestimmungen ändern. Die Normklarheit gebiete es, der geänderten oder ergänzten VO einen einheitlichen Rang zuzuweisen. Allerdings soll dies nur gelten, wenn der Gesetzgeber „in den generellen Grenzen einer Verordnungsermächtigung“ die VO geändert oder neue Regelungen in die VO eingefügt hat. Ändere das Parlament wegen des sachlichen Zusammenhangs eines Reformvorhabens bestehende VO oder füge es in diese neue Regelungen ein, so sei das dadurch entstandene Normengebilde aus Gründen der Normklarheit insgesamt als VO zu qualifizieren.16 Bei der Änderung von Verordnungsrecht bestehe eine Bindung des Gesetzgebers an das Verfahren nach Art 76 ff GG und an die Grenzen der Ermächtigungsgrundlage (Art 80 I 2 GG). Die Zustimmungsbedürftigkeit richte sich nach § 80 II GG.17 Die Konstruktion eines im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren geschaffenen Verordnungsrechts begegnet erheblichen Bedenken, weil es für die Qualifizierung der Rechtsnatur eines Rechtssatzes auf den Akteur ankommen dürfte.18 Folgt man demgegenüber der Ansicht des BVerfG, stellt eine durch Parlamentsgesetz vorgenommene Änderung oder Ergänzung einer VO einen geeigneten Antragsgegenstand iSd § 47 I 2 VwGO dar. Dies dürfte auch dann gelten, wenn sich erweist, dass der Gesetzgeber
13 Näher zum Ganzen Ziekow in: Sodan/ders VwGO, § 47 Rn 93 ff; aA Schenke VerwPrR, Rn 880. Vgl auch Ehlers in: Erichsen/Ehlers, Allg VerwR, § 2 Rn 7, 128. 14 Vgl Schenke DVBl 1985, 1367, 1368; Kosmider JuS 1988, 447, 450. 15 BVerfGE 70, 35, 57. 16 BVerfGE 114, 196, 234 ff; 303, 311 ff; BayVGH, DÖV 2007, 79. 17 BVerfGE 114, 196, 238 ff. 18 Vgl auch die ablehnende Stellungnahme der Bundesverfassungsrichter Osterloh und Gerhardt BVerfGE 114, 196, 250 ff.
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die „generellen Grenzen einer Verordnungsermächtigung“ nicht eingehalten hat, weil der Rechtsschutz ansonsten von Umständen abhängen würde, die der Rechtsschutzsuchende nicht kennt respektive vorhersehen kann.19 Zudem spricht die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (→ § 13 Rn 92 ff) dafür, die gerichtliche Kontrolle im Zweifelsfall den Fachgerichten (hier OVG) zu überantworten. Neben dem geschriebenen Recht dürfte auch Gewohnheitsrecht tauglicher Gegenstand einer Normenkontrolle sein. Gegen unmittelbar in die eigene Rechtssphäre eingreifende Rechtsvorschriften des Bundes kann sich der Betroffene mittels einer (auf Nichtanwendung im Einzelfall gerichteten) Feststellungsklage vor dem VG wehren.20 Allgemein zum Verhältnis von Normenkontrolle und Feststellungsklage → § 25 Rn 12, 36).
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Lösung Fall 1: Da die Änderung des Planungsziels im Landesentwicklungsplan durch Parlamentsgesetz herbeigeführt wurde, richtet sich der Antrag gegen ein solches Gesetz. Die prinzipale Überprüfung und Verwerfung von Parlamentsgesetzen obliegt der Verfassungsgerichtsbarkeit, so dass an sich der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet ist. Doch die Rspr erkennt Ausnahmefälle an. Im vorliegenden Fall hat das BVerwG 21 eine verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle für zulässig erachtet (ohne die Rechtswegproblematik zu erörtern). UU könne auch eine Rechtsvorschrift, die als formelles Landesgesetz erlassen worden ist, der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle unterliegen. Dies gelte insb im Fall der Änderung einer VO durch formelles Gesetz, wenn dieses zugleich bestimme, dass auch die gesetzlichen Einfügungen künftig durch VO geändert werden können (sog Entsteinerungsklausel). Eine durch Gesetz geänderte Verordnungsnorm mit Entsteinerungsklausel unterscheide sich in ihrer Qualität vom Regelfall eines förmlichen Gesetzes. Ihr komme ein minderer Rang zu. Das in Art 100 I GG verankerte Verwerfungsmonopol des BVerfG werde nicht betroffen, weil die Gesetzesform nur das Mittel sei, um zügig eine Änderung des materiellen Rechts vornehmen zu können. Folgt man der Ansicht des BVerwG, ist ein Normenkontrollantrag zulässig.
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Grundsätzlich keine Rechtsvorschriften iSd § 47 VwGO sollen Innenrechtssätze wie Verwaltungsvorschriften sein.22 Anderes ist für Geschäftsordnungen kommunaler Vertretungsorgane 23, Geschäftsverteilungspläne von Gerichten 24, Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen nach § 5 TVG 25 und Beihilfevorschriften 26 angenommen worden. Diese Art der Differenzierung überzeugt nicht, zumal keine Maßstäbe dafür
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19 Alternativ könnte daran gedacht werden, die im Rechtsmittelrecht entwickelte Theorie der Meistbegünstigung zur Anwendung gelangen zu lassen und sowohl eine Normenkontrolle nach § 47 I VwGO, als auch eine VB zum BVerfG zuzulassen. 20 Vgl BVerfG-K, NVwZ 1998, 169, 170; 2004, 977, 979 – Feststellung, dass ein Parlamentsgesetz keine Verbotswirkung für den Kläger entfaltet → JK BVerfGG § 90 II/8; BVerwG, NJW 2000, 3584 → JK VwGO § 43/11. 21 BVerwG, NVwZ 2003, 730 → JK VwGO § 47/25; krit (nach hier vertretener Ansicht zu Recht) Uhle DVBl 2004, 1272 ff. 22 Vgl Hufen VerwPrR, § 19 Rn 14; Schenke VerwPrR, Rn 882. Zum Rechtscharakter von Luftreinhalteplänen vgl BVerwGE 128, 278, 288 (Rn 27). 23 BVerwG, NVwZ 1988, 1119; VGH BW, NVwZ-RR 2003, 56, 57. 24 Kopp/Schenke VwGO, § 4 Rn 9 (für Pläne der VG und der OVG); aA NdsOVG, NJW 1984, 627. 25 Vgl dazu BVerwGE 80, 355 ff. 26 BVerwGE 72, 119, 121 f.
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angegeben werden, wann für Innenrechtsvorschriften ein Ausnahmefall gegeben sein soll. Zu unterscheiden sein dürfte zwischen der Nr 1 und der Nr 2 des § 47 I VwGO. Die Bestimmung des § 47 I Nr 1 VwGO betrifft nur Satzungen oder VO, die nach den Vorschriften des BauGB erlassen worden sind. Da das BauGB Satzungen oder VO, die nur das Innenrecht der Verwaltung betreffen, nicht kennt, können insoweit Innenrechtsnormen nicht unmittelbar Gegenstand einer allgemeinen Normenkontrolle nach § 47 VwGO sein (zur analogen Anwendbarkeit der Vorschrift vgl aber Rn 31 f). Anders zu beurteilen sind Rechtsvorschriften iSd § 47 I Nr 2 VwGO. Da § 40 I VwGO auch Innenrechtsstreitigkeiten erfasst (→ § 21 Rn 45), ist davon auszugehen, dass § 47 I Nr 2 VwGO auch Innenrechtsvorschriften einbezieht, sofern sich dies aus dem Landesrecht ergibt. In der Regel ist ein Normenkontrollantrag gegen Innenrechtssätze jedoch aus anderen Gründen unzulässig. So fehlt Privatpersonen, welche Verwaltungsvorschriften angreifen, die Antragsbefugnis, weil solche Vorschriften nicht ihre Rechte verletzen können. Anderes kann für die sog normkonkretisierenden (dh eine gewisse Außenwirkung entfaltenden) Verwaltungsvorschriften 27 (wie etwa die auf § 48 BImSchG gestützte TA Luft 28) gelten 29 (sofern die schillernde Rechtsfigur überhaupt anerkannt wird). Anträgen von Behörden dürfte oftmals das Rechtsschutzbedürfnis fehlen (→ Rn 44). Die Normenkontrolle setzt voraus, dass Rechtsschutz gegen geltendes Recht begehrt wird. Die Vorschriften müssen zwar noch nicht in Kraft getreten, wohl aber erlassen (verkündet) worden sein. Eine Norm ist iSd § 47 VwGO erlassen, wenn sie aus der Sicht des Normgebers bereits Geltung für sich in Anspruch nimmt. Dementsprechend ist ein Normenkontrollantrag auch dann statthaft, wenn gerade strittig ist, ob die Norm formell rechtsgültig erlassen wurde (zB die Bekanntmachung den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Bekanntmachung entspricht 30). Lösung Fall 2: Ein Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO gegen einen als Satzung beschlossenen, aber noch nicht bekannt gemachten Bebauungsplan ist auch dann nicht statthaft, wenn der Planentwurf Grundlage für die Genehmigung nach § 33 BauGB sein kann. Etwas anderes kommt allenfalls in Betracht, wenn der Antragsteller durch Nachbarklagen gegen derartige Baugenehmigungen keinen hinreichenden Rechtsschutz erlangen könnte. Somit ist der Normenkontrollantrag unzulässig.31. Gleiches gilt für den Antrag, die Nichtigkeit des Ratsbeschlusses feststellen zu lassen, da es sich beim Ratsbeschluss nicht um einen im förmlichen Aufhebungsverfahren getroffenen Satzungsbeschluss gem § 10 BauGB handelt.32 Dagegen kann die Bannwald-VO angegriffen werden, selbst wenn noch keine ordnungsgemäße Bekanntgabe vorgelegen haben sollte, weil gerade strittig ist, ob die VO formell rechtsgültig erlassen wurde.33
27 Vgl dazu Jarass JuS 1999, 105, 107 ff; Remmert JURA 2004, 728, 731 ff. 28 Vgl BVerwGE 114, 342 ff. Krit JK Allg VerwR/1. 29 Näher dazu Gerhardt/Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 47 Rn 26; allgemein zu den normenkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften Ehlers in: Erichsen/Ehlers, Allg VerwR § 2 Rn 65 ff; Möstl, ebd, § 18 Rn 29. 30 Vgl BVerwG, NVwZ 2004, 1122; OVG NRW, NWVBl 2007, 305, 306. 31 Vgl BVerwG, NVwZ-RR 2002, 256. 32 HessVGH, DÖV 1987, 450. 33 Vgl BVerwG, NVwZ 1992, 1088.
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Lösung Fall 3: Da Veränderungssperren gem § 16 I BauGB in Form einer Satzung beschlossen werden, können sie nach § 47 I Nr 1 VwGO Gegenstand einer verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle sein. Der Normenkontrollantrag ist jedoch möglicherweise wegen Erledigung durch Zeitablauf unzulässig geworden. Gem § 17 I 1 BauGB sind Veränderungssperren auf zwei Jahre begrenzt, so dass die streitige Sperre inzwischen außer Kraft getreten sein könnte. Die Gemeinde hat jedoch von der Möglichkeit des § 17 I 3 BauGB Gebrauch gemacht und die Geltungsdauer der Veränderungssperre um ein weiteres Jahr verlängert. Die Verlängerung erfolgte zwar nach der Regel des § 16 I BauGB in Form einer Satzung. Es handelt sich bei ihr jedoch nicht um eine selbstständige Veränderungssperre, sondern um die Verlängerung der Geltungsdauer der ursprünglichen Veränderungssperre. Diese bleibt als Gegenstand des Normenkontrollverfahrens erhalten. Materiell und prozessual sind die ursprüngliche Veränderungssperre und ihre Verlängerung als Einheit anzusehen. Ohne die ursprüngliche Veränderungssperre wäre die neue Satzung nicht lebensfähig; wenn die ursprüngliche Sperre an einem Rechtsfehler leidet, ist die Verlängerungssatzung schon aus diesem Grunde unwirksam. Deshalb liegt in der Einbeziehung der Verlängerung keine unzulässige Antragsänderung.34
20
Die Vorschriften dürfen ferner nicht außer Kraft getreten sein. Äußern sie noch Rechtswirkungen (weil in der Vergangenheit liegende Sachverhalte noch nach den Vorschriften zu entscheiden sind), kann die Feststellung begehrt werden, dass die Vorschriften ungültig waren.35 Wird während des Normenkontrollverfahrens eine Norm durch eine andere ersetzt, kommt eine Antragsänderung (entsprechend § 91 VwGO) oder die Abgabe einer Erledigungserklärung und die Stellung eines neuen Antrags in Betracht. Einer analogen Anwendung des § 113 I 4 VwGO wegen Erledigung einer Norm bedarf es in keinem Falle (→ § 26 Rn 36).
21
Lösung Fall 4: Die Frage, ob die VO nach Wegfall der Ermächtigungsgrundlage gültig bleibt, betrifft nicht die Zulässigkeit, sondern die Begründetheit des Antrags. Nach hM berührt der Fortfall der Ermächtigungsvorschrift nicht die Rechtswirksamkeit der VO.36 Nach der beachtlichen Gegenmeinung bilden Gesetz und VO eine normative Einheit, so dass letztere nicht ohne die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage bestehen kann.37
22
Gegen ein Unterlassen des Normgebers ist eine Normenkontrolle unzulässig.38 Erstrebt der Rechtsschutzsuchende den Erlass einer Norm, muss eine verwaltungsgerichtliche Leistungs- oder Feststellungsklage erhoben werden (→ § 24 Rn 12; § 25 Rn 62). Statthaft ist es dagegen, die Ungültigkeit einer erlassenen Norm im Verfahren nach § 47 VwGO mit der Begründung anzugreifen, dass sie bestimmte Regelungen nicht enthält (sog relatives Unterlassen).39 Um vorbeugenden Rechtsschutz zu erlangen, bedarf es der Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Leistungs- oder Feststellungsklage (→ § 24 Rn 23 f; § 25 Rn 47 ff). Regelmäßig wird eine solche Klage allerdings wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig sein, weil den Rechtsschutzsuchenden zugemutet werden kann, den Erlass der Rechtsnorm abzuwarten.
23
34 35 36 37 38 39
Vgl BVerwG, NVwZ 2004, 858 → JK BauGB § 14/1. BVerwGE 68, 12 f; SächsOVG, GewArch 2008, 368. Grundlegend BVerfGE 9, 3, 12. Näher Rütz JURA 2005, 821 ff. BVerwGE 40, 323, 327; 54, 211, 214 f. Vgl Schmidt in: Eyermann, VwGO, § 47 Rn 20; Schenke VerwPrR, Rn 877.
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Lösung Fall 5:Dahingestellt bleiben kann, ob sich die Eröffnung des Rechtswegs nach § 54 I BeamtStG richtet (da E Beamter ist) oder nach § 40 I 1 VwGO. In jedem Falle müsste es sich um eine nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit handeln. Gegenstand des Klagebegehrens ist die Änderung einer Norm (VO) im Range unterhalb eines förmlichen Gesetzes. Beim Erlass solcher Rechtsnormen wird auch ein Minister nicht als Verfassungsorgan, sondern als Exekutivorgan tätig. Der Streit um die Verpflichtung zur Änderung (bzw zum Erlass) einer untergesetzlichen Rechtsnorm ist folglich nichtverfassungsrechtlicher Art. Da § 47 VwGO nur die Überprüfung bestehender Rechtsvorschriften betrifft, kann mit der Normenkontrolle keine Verpflichtung der Exekutive zum Erlass oder zur Änderung von Rechtsvorschriften verlangt werden. Nach Ansicht des BVerwG 40 ist die Feststellungsklage vor dem VG die richtige Rechtsschutzform. Die Möglichkeit der Erhebung einer allgemeinen Leistungsklage schließe das Feststellungsbegehren nicht aus. Letzteres überzeugt nicht, weil die Feststellungsklage subsidiär ist (§ 43 II 1 VwGO) und E die Möglichkeit hat, mit der Leistungsklage ein Mehr an Rechtsschutz (einen vollstreckungsfähigen Titel) zu erlangen (→ § 24 Rn 1).
b) Überprüfung der Gültigkeit 25
Fall 6: F hat einen Normenkontrollantrag gegen eine VO des Freistaates Sachsen gestellt, weil er davon ausgeht, dass die VO mit dem Europäischen Unionsrecht kollidiert.
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Der Normenkontrollantrag muss sich gem § 47 I VwGO auf die Überprüfung der „Gültigkeit“ einer untergesetzlichen Vorschrift richten (vgl auch § 47 IV, V VwGO). Anders als für den VA gelten für Normen prinzipiell keine unterschiedlichen Fehlerfolgen (dh es wird nicht zwischen Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit differenziert). Rechtswidrige Normen sind grundsätzlich eo ipso nichtig. Doch kann etwas anderes gelten (→ § 15 Rn 49). So kann eine Norm lediglich unvereinbar mit dem höherrangigen Recht sein. Dies kommt zum einen vor allem dann in Betracht, wenn die Nichtigkeit zu einer Rechtsfolge führen würde, welche der verfassungsmäßigen respektive gesetzlichen Ordnung noch ferner stünde als der bisherige Zustand (beispielsweise weil staatliche Einrichtungen funktionslos würden).41 Zum anderen wird eine bloße Unvereinbarkeit angenommen, wenn der Normengeber mehrere Möglichkeiten hat, die Kollision mit dem höherrangigen Recht zu beseitigen. Dies trifft vor allem auf Normen zu, die unter Verstoß gegen den Gleichheitssatz Personen von der gewährten Begünstigung ausschließen 42 oder hinter einem Normengebungsauftrag zurückbleiben, ohne dass es gerechtfertigt ist, dem Antragsteller die durch die erlassene untergesetzliche Norm bereits gewährte Vergünstigung zu entziehen.43 Ebenso kann ein ergänzendes Verfahren zur Heilung von Fehlern in Betracht kommen.44 Des Weiteren gibt es Fälle der bloßen Unanwendbarkeit (vgl Fall 6). Die Einreichung einer Normenkontrolle ist auch dann statthaft, wenn lediglich eine bloße Unvereinbarkeit mit höherrangigem Recht oder eine Unanwendbarkeit der Norm wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht geltend gemacht wird. Dies lässt sich heute jedenfalls der Bestim-
40 41 42 43 44
BVerwG, DGVZ 2002, 151 → JK VwGO § 43/13; vgl auch Hufen VerwPrR, § 20 Rn 7. Vgl etwa BVerfGE 33, 1, 13; 33, 303, 347; 41, 251, 266 f; 85, 386, 401. Vgl zB BVerfGE 37, 217, 260 f; 66, 100, 105; 93, 165, 178. Näher zum Ganzen Klein in: Benda/Klein, VerfPrR, Rn 1270 ff. Vgl § 214 IV BauGB.
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mung des § 47 V 2 VwGO entnehmen, weil das OVG im Falle einer Annahme der „Ungültigkeit“ die Vorschrift nur für „unwirksam“ statt für nichtig zu erklären hat (wie dies die Fassung des § 47 V 2 VwGO bis zum 19.4.2004 45 vorsah). Diese Tenorierung sollte den Handlungsspielraum des OVG erweitern.46 Lösung Fall 6: Da das Europäische Unionsrecht im Kollisionsfall nur Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht genießt 47, darf das OVG nicht über die Gültigkeit, sondern nur über die Anwendbarkeit der gesetzlichen Norm auf Sachverhalte mit Unionsrechtsbezug entscheiden. Doch stellt die Unanwendbarkeitserklärung ein Minus zur Nichtigkeitserklärung dar. Der mit der Normenkontrolle verfolgte Zweck erfasst auch diesen Fall.48 Mag das Unionsrecht auch keine Normenkontrolle gebieten, dürfte es zudem ein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip 49 (→ § 6 Rn 6) darstellen, wenn bei der Überprüfung von Normen am Maßstab höherrangigen Rechts allein das Unionsrecht ausgeblendet wird.
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c) Vorschriften aufgrund des BauGB Fall 7: G wendet sich mit einem Normenkontrollantrag gegen einen Bebauungsplan, weil dieser das planungsrechtliche Abwägungsgebot verletzt. Tatsächlich ist der Bebauungsplan in der Praxis nicht beachtet worden.
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Bundesweit können Satzungen nach dem BauGB und VO aufgrund des § 246 II BauGB zum Gegenstand der Normenkontrolle gemacht werden. Hierbei kann es sich vor allem um Bebauungspläne (§ 10 I BauGB) und Veränderungssperren (§ 16 I BauGB), aber auch um Satzungen nach § 22 I BauGB (Sicherung von Gebieten mit Fremdenverkehrsfunktionen), § 25 I BauGB (Begründung eines Vorkaufsrechts), § 34 IV BauGB (Abrundungssatzungen), § 142 III 1 BauGB (Sanierungssatzungen) oder § 172 BauGB (Erhaltungssatzungen) handeln. Nicht ausreichend sind Umlegungsbeschlüsse (§ 47 BauGB) oder Umlegungspläne (§ 66 BauGB). Zu den Bebauungsplänen in Form von Gesetzen → Rn 14.
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Lösung Fall 7: Zweifel an der Zulässigkeit der Normenkontrolle bestehen deshalb, weil diese nur gegen geltendes Recht statthaft ist, Bebauungspläne nach der Rspr aber nicht nur durch Aufhebung, sondern auch durch derogierendes Gewohnheitsrechts oder wegen Funktionslosigkeit außer Kraft treten können (hier: Nichtberücksichtigung des Bebauungsplanes in der Praxis).50 Letzteres steht aber gerade nicht fest. Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens kann auch die Entscheidung über die Gültigkeit eines Bebauungsplanes im Hinblick auf die Frage eines Außerkrafttretens wegen Funktionslosigkeit (oder entgegenstehenden Gewohnheitsrechts) sein.51
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45 Vgl BGBl I 2004, 1359. 46 Vgl auch Gerhardt/Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 47 Rn 113; Kopp/ Schenke, VwGO, § 47 Rn 120. Zum früheren Recht vgl (bereits) BVerwGE 64, 77, 81. 47 Vgl EuGH Slg 1964, 1251, 1296 ff – Costa/ENEL; Slg 1991, I-297 Rn 19 ff – Nimz; BVerfGE 75, 223, 244; 85, 191, 204. 48 Str, vgl die Nachw bei Ehlers DVBl 2004, 1441, 1445. 49 Vgl etwa EuGH, Slg 1999, I-579, Rn 25 – Dilexport. 50 Vgl BVerwGE 54, 5 ff; 67, 334 ff; BVerwG, NVwZ 2001, 1055; NVwZ 2004, 1244 → JK BauGB 1 III/2. Degenhart BayVBl 1990, 71 ff. 51 BVerwG, NVwZ 1999, 986 f.
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d) Analoge Anwendung des § 47 I Nr 1 VwGO 31
Fall 8: H hat eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für den Bau von fünf Windkraftanlagen im Gebiet der in NRW gelegenen kreisfreien Stadt M beantragt. Die Behörde lehnte den Antrag ab, da die gewünschten Standorte nicht innerhalb der im Flächennutzungsplan von M vorgesehenen Konzentrationsfläche liegen. Daraufhin hat H Antrag auf Normenkontrolle beim OVG mit Hinweis darauf gestellt, dass die Konzentrationsfläche nur 0,3 Promille des Stadtgebiets umfasst und mit drei Windkraftanlagen bereits vollständig bebaut ist.
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Da Flächennutzungspläne (§ 1 II BauGB) anders als Bebauungspläne (§ 10 I BauGB) keinen Satzungs- oder gar VO-Charakter haben, unterfallen sie nicht § 47 I Nr 1 BauGB und wegen des bundesrechtlich abschließend ausgestalteten Rechtsschutzes im Bereich des Städtebaurechts auch nicht § 47 I Nr 2 BauGB. Doch können Flächennutzungspläne entsprechend § 47 I Nr 1 VwGO der (prinzipalen) verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle unterliegen. Zwar entfalten Flächennutzungspläne anders als Satzungen oder VO nach § 47 I Nr 1 VwGO aus sich heraus keine unmittelbare rechtliche Bindungswirkungen gegenüber privaten Dritten.52 Doch ist der Gesetzgeber nicht gehindert, den Darstellungen eines Flächennutzungsplanes Bedeutung für die Vorhabenszulassung im Einzelfall beizulegen. So erweitert § 35 III Nr 1 BauGB die Wirkung flächennutzungsplanerischer Darstellungen, in dem er sie zu öffentlichen Belangen erklärt, die einem Außenbereichsvorhaben entgegenstehen können. Noch einen Schritt weiter geht § 35 III 3 BauGB, der normiert, dass öffentliche Belange einem Vorhaben in der Regel auch dann entgegenstehen, soweit hierfür durch Darstellung im Flächennutzungsplan (oder als Ziele der Raumordnung) eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist. Damit kommt dem Flächennutzungsplan jedenfalls insoweit Außenwirkung gegenüber Bauantragstellern und Vorhabenträgern zu. Damit hat sich eine planwidrige Rechtsschutzlücke aufgetan. Erfüllt der Flächennutzungsplan im Anwendungsbereich des § 35 III 3 BauGB eine dem Bebauungsplan vergleichbare Funktion, ist es gerechtfertigt, § 47 I Nr 1 VwGO im Wege der Analogie insoweit auf Darstellungen des Flächennutzungsplans zu erstrecken.53
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Lösung Fall 8: Die Ausweisung von Flächen für die Nutzung der Windenergie durch Windkraftanlagen kommt von vornherein nur im Außenbereich in Betracht und unterfällt daher § 35 III 3 BauGB iVm § 35 I Nr 5 BauGB. Der Flächennutzungsplan erfüllt aufgrund der Regelung des § 35 III 3 BauGB insoweit eine dem Bebauungsplan vergleichbare Funktion. Aufgrund dessen ist § 47 I Nr 1 VwGO auf den angegriffenen Flächennutzungsplan analog anwendbar.54 Angesichts des geringen Zuschnitts der Konzentrationsfläche spricht vieles bereits dafür, dass eine mit § 1 III 1, VII BauGB nicht vereinbare Negativplanung oder (auf eine verkappte Verhinderung der Planung hinauslaufende) „Feigenblatt“-Planung vorliegt. Jedenfalls muss die konzentrationsbezogene Fläche in Relation zur Gemeindegröße stehen.55 Da hier keine Möglichkeit mehr besteht, Windkraftanlagen zu errichten, und die ausgewiesene Fläche im Vergleich zur Gemeindegröße minimal ist, muss die diesbezügliche Festsetzung des Flächennutzungsplans als abwägungsfehlerhaft und damit unwirksam angesehenwerden.56
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BVerwGE 124, 132, 141. BVerwG, NVwZ 2007, 1081 f → JK VwGO § 47/30. Der Normenkontrollantrag ist auch begründet. Vgl BVerwGE 117, 287. Vgl BVerwG, NVwZ 2007, 1081 ff → JK VwGO § 47/30.
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e) Andere untergesetzliche Landesvorschriften Fall 9: Hundehalter I wendet sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen die nordrheinwestfälische LandeshundeVO, wonach das Halten bestimmter Hunde erlaubnispflichtig ist und für diese Hunde ein Leinen- und Maulkorbzwang gilt.
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Andere unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschriften können nur dann Gegenstand einer verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle sein, wenn der Landesgesetzgeber von der Ermächtigung des § 47 I Nr 2 VwGO Gebrauch gemacht hat. Dies ist in BadenWürttemberg (§ 4 AGVwGO), Brandenburg (§ 4 I VwGG), Bremen (Art 7 AGVwGO), Hessen (§ 15 AGVwGO), Mecklenburg-Vorpommern (§ 13 AGGerStrG), Niedersachsen (§ 7 VwGG), Saarland (§ 18 AGVwGO), Sachsen (§ 24 I SächsJG), Sachsen-Anhalt (§ 10 AGVwGO), Schleswig-Holstein (§ 5 AGVwGO) und Thüringen (§ 4 AGVwGO) uneingeschränkt, in Bayern (Art 5 AGVwGO) und Rheinland-Pfalz (§ 4 AGVwGO) in beschränktem Umfange geschehen. Keinen Gebrauch von § 47 I Nr 2 VwGO haben Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen gemacht (zur Verfassungsmäßigkeit → Rn 2). Ob eine landesrechtliche Rechtsvorschrift vorliegt, beurteilt sich nicht danach, ob sie auf einer landesgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage beruht. Maßgeblich ist vielmehr, ob sie von einem Träger unmittelbarer oder mittelbarer Landesverwaltung erlassen wurde.57 Zu den untergesetzlichen Normen sind (insb) die landesrechtlichen VO und Satzungen zu zählen.
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Lösung Fall 9: Nach § 90 II 1 BVerfGG soll eine Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtsweges erhoben werden. I wendet sich unmittelbar gegen die VO. Da NRW von § 47 I Nr 2 VwGO keinen Gebrauch gemacht hat, ist ein Normenkontrollverfahren nicht statthaft. Sonstige verwaltungsgerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten unmittelbar gegen die VO bestehen nicht. Mit der verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage (§ 43 I VwGO) kann nicht die Gültigkeit einer Norm überprüft werden (→ § 25 Rn 1). Eine Norm kann zwar ein Rechtsverhältnis begründen, ändern oder aufheben, stellt aber nicht selbst ein Rechtsverhältnis dar. Eine Nichtigkeitsfeststellung kommt ebenfalls nicht in Betracht, weil es sich bei einer Norm nicht um einen VA handelt. Jedoch scheitert die Verfassungsbeschwerde am Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde. Der Grundsatz besagt, dass der Beschwerdeführer vor einer Anrufung des BVerfG im Rahmen des Zumutbaren alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, Rechtsschutz bei den Fachgerichten zu suchen, ausgeschöpft haben muss. Deshalb kann I auf die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage verwiesen werden, weil ihm auch geholfen ist, wenn er auf Feststellung der Erlaubnisfreiheit seiner Hundehaltung oder des Nichtbestehens eines Leinen- und Maulkorbzwangs klagen kann. Zwar richtet sich eine solche Klage nicht unmittelbar gegen die VO, sondern gegen die Anwendung der VO auf den Einzelfall. Mittelbar kann der Beschwerdeführer auf diese Weise aber zugleich eine Überprüfung der VO erreichen, weil das VG inzident die Rechtmäßigkeit der VO überprüfen muss.58
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57 Schenke VerwPrR, Rn 879. 58 Vgl BVerfG-K, NVwZ 2000, 1407 → JK BVerfGG § 90 II/7.
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2. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen der Normenkontrolle
a) Antragsbefugnis 37
Fall 10: J, K und L wenden sich mit einer verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle gegen einen Bebauungsplan, welcher eine bisher bewaldete Fläche als Kleingartengebiet mit Vereinsheim und Parkplätzen ausweist. J ist Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks, K Mieter einer dort gelegenen Wohnung. Sie machen geltend, dass sie der zu erwartende Freizeitlärm unzumutbar beeinträchtigen werde. L ist Eigentümer eines Grundstücks im Außenbereich, das an das Waldgelände angrenzt. Er wendet sich dagegen, dass das vorgesehene Kleingartengelände durch den sein Grundstück erschließenden Wirtschaftsweg erschlossen werden soll.
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Fall 11: Der Stadtstaat Bremen hat eine VO erlassen, die den Geschäften in einigen Stadtbezirken eine bis 18.00 Uhr ausgedehnte Öffnungszeit an sechs aufeinander folgenden Samstagen erlaubt. M betreibt ein Warenhaus in einem Stadtteil, für den die VO nicht gilt. Er hält die VO für unvereinbar mit höherrangigem Recht und beantragt beim OVG im Wege der Normenkontrolle deren Ungültigkeitserklärung.
(1) Natürliche oder juristische Personen 39
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Stellen natürliche oder juristische Personen einen Normenkontrollantrag, müssen sie gem § 47 II 1 Alt 1 VwGO geltend machen, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Damit werden an die Antragsbefugnis dieselben Anforderungen wie an die Klagebefugnis des § 42 II VwGO gestellt. Dennoch kommt der Antragsbefugnis eine viel größere Bedeutung als der Klagebefugnis zu. So hängt der Erfolg von Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen gem § 113 I, V VwGO (grundsätzlich) ohnehin von dem Vorliegen einer eigenen Rechtsverletzung ab. Da § 42 II VwGO bereits für die Zulässigkeit der Klage deren Geltendmachung verlangt, kommt es zu einer teilweisen Doppelung der Prüfung des Klagegrundes. Zweck der Klagebefugnis soll es sein, Popular- und bloße Interessentenklagen auszuschließen (→ § 22 Rn 36). Solche Klagen können wegen fehlender eigener Rechtsverletzung aber ohnehin keinen Erfolg haben. Für die Abschreckung von Popularklägern und bloß faktisch betroffenen Interessenten dürfte es keinen großen Unterschied ausmachen, ob eine Klage wegen fehlender Klagebefugnis als unzulässig oder wegen mangelnder Rechtsverletzung als unbegründet abgewiesen wird. Dagegen handelt es sich beim Normenkontrollverfahren um eine objektive Rechtskontrolle (→ Rn 1). Gelingt es dem Antragsteller, die Hürde der Antragsbefugnis zu überspringen, ist (bei Vorliegen der sonstigen Sachentscheidungsvoraussetzungen) grundsätzlich nur noch die objektive Rechtslage maßgebend. Dies bedeutet, dass die angegriffenen untergesetzlichen Rechtsvorschriften auch am Maßstab von Normen zu überprüfen sind, hinsichtlich derer dem Antragsteller keine subjektiven öffentlichen Rechte eingeräumt worden sind. Somit entscheidet die Antragsbefugnis allein darüber, welche Subjektivierungslast dem Rechtsschutzsuchenden auferlegt wird. Die Verletzung eines Rechts kommt nur in Betracht, wenn es sich um ein subjektives öffentliches Recht handelt. Dies bestimmt sich nach den Kriterien der Schutznormlehre. Die angegriffene Vorschrift muss zumindest auch dem Schutz der natürlichen oder juristischen Person dienen (→ § 22 Rn 41). In Frage kommen nur Vorschriften des höherrangi-
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gen Rechts, also supranationales Recht (insb europäisches Gemeinschaftsrecht), Verfassungsrecht oder Parlamentsgesetze. Privatpersonen können sich insb auf die Grundrechte, Kommunen (die sich etwa gegen die Planung des Staates oder benachbarter Kommunen wehren 59) auf ihr Selbstverwaltungsrecht (und die sich daraus ergebene Planungshoheit), nicht aber zB auf Art 14 I GG 60, berufen. Die geltend gemachte Rechtsverletzung muss „durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung“ eingetreten oder zu erwarten sein. Eine Rechtsverletzung durch die Norm selbst liegt vor, wenn der Eintritt der Rechtsverletzung keines weiteren Umsetzungsaktes mehr bedarf, eine Rechtsverletzung durch Anwendung, wenn der Erfolg durch Verwirklichung des Regelungsgehaltes der Norm mittels eines selbständigen Aktes gleich welcher Art (zB eines Abgabenbescheides der Verwaltung) herbeigeführt wird. Zwischen der Norm und der geltend gemachten Rechtsverletzung muss ein Zurechnungszusammenhang bestehen. Kann der Antragsteller nur durch Teile der Norm in seinen Rechten verletzt sein, wird man ihm, von offensichtlichen Fällen abgesehen, nicht zumuten können, sich über die Teilbarkeit von Rechtsnormen Gedanken zu machen.61 Der Antrag ist dann zur Gänze zulässig, aber teilweise unbegründet. Es reicht aus, wenn der Antragsteller vorbringt, zwar nicht gegenwärtig, aber „in absehbarer Zeit“ in seinen Rechten verletzt zu sein. Einerseits muss die Verletzung hinreichend wahrscheinlich sein, andererseits darf ein vernünftig Handelnder die Klärung der Rechtslage nicht weiter hinausschieben. An die Geltendmachung sind dieselben Anforderungen wie im Rahmen der Klagebefugnis zu stellen (→ § 22 Rn 37 ff). Nach der hier vertretenen Auffassung muss der objektive Nachweis erbracht werden, dass es ein subjektives Recht der behaupteten Art in abstracto gibt und dieses Recht den Personenkreis schützt, dem sich der Antragsteller zurechnet. Zudem muss der Antragsteller die Verletzung eines eigenen subjektiven Rechts (durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung) in concreto plausibel machen können. Insoweit reicht die Darlegung der Möglichkeit einer eigenen Rechtsverletzung aus.62 In der Rspr bejaht wurden zB die Antragsbefugnis eines Studienbewerbers gegen eine Kapazitätsverordnung, eines Reiters gegen ein in der Landschaftsschutzverordnung enthaltenes Reitverbot, eines Sportlers gegen ein durch eine untergesetzliche Norm verhängtes Tauchverbot im Bodensee oder sogar eines „Freiers“ gegen eine Prostituiertensperrverordnung. Nicht ausreichend ist es, sich einem Bebauungsplan gegenüber auf den Verlust von Parkmöglichkeiten in der Stadt oder die Unerwünschtheit der Ansiedlung neuer Wettbewerber zu berufen.63 Veräußert ein antragsbefugter Grundstückseigentümer während des Normenkontrollverfahrens sein Grundstück, richtet sich die Prozessführungsbefugnis nach den §§ 173 VwGO, 265 II ZPO.64 Gem der mit Wirkung ab dem 1.1.2007 geltenden (→ Rn 50) Vorschrift des § 47 IIa VwGO ist die Berufung auf subjektive Rechte im Baurecht unter bestimmten Voraussetzungen präkludiert. Dies ist der Fall, wenn der Antragsteller Einwendungen geltend macht, die er im Rahmen der öffentlichen Auslegung (§ 3 II BauGB) oder im Rahmen der Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit (§§ 13 II Nr 2, 13a II Nr 1 BauGB) nicht oder 59 Vgl zB BVerwG, NVwZ 1995, 266 f (Normenkontrollantrag einer Nachbargemeinde gegen eine Satzung für einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb). 60 BVerfGE 61, 82, 96 ff. 61 Vgl Ehlers in: FS Hoppe, 1041, 1047; zB einer Teilnichtigkeit OVG SH, NVwZ 2001, 1300 ff → JK GG Art 3 I/34a. 62 Vgl auch VGH BW, DÖV 2004, 755 ff. 63 Vgl zu den Beispielen Hufen VerwPrR, § 19 Rn 27 mit Nachw. 64 Vgl BVerwG, NVwZ 2001, 1282.
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verspätend geltend gemacht hat, aber hätte geltend machen können. Verhindert werden soll, dass sachliche Einwendungen ohne Not erst im gerichtlichen Verfahren vorgebracht werden. Nach der Gesetzesbegründung stellt § 47 IIa VwGO eine Konkretisierung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses dar.65 Nach der hier vertretenen Ansicht sind Präklusionsregelungen der Klagebefugnis zuzuordnen (→ § 22 Rn 48). Rechtliche Konsequenzen hängen von der unterschiedlichen Zuordnung nicht ab. Betroffen werden von der Regelung des § 47 IIa VwGO Bebauungspläne, Entwicklungssatzungen (§ 34 IV 1 Nr 2 BauGB), Ergänzungssatzungen (§ 34 IV 1 Nr 3 BauGB) und Außenbereichssatzungen (§ 35 VI BauGB). Ist ein Normenkontrollantrag wegen der Geltendmachung einer Verletzung anderer subjektiver Rechte zulässig, muss im Rahmen der Begründetheitsprüfung auch über die präkludierten Einwendungen entschieden werden (da es im Rahmen der Begründetheit nur auf die Verletzung objektiven Rechts ankommt).66 42
Lösung Fall 10: Die Normenkontrollanträge sind nur zulässig, wenn J, K und L gemäß § 47 II 1 VwGO antragsbefugt sind. Das Abwägungsgebot des § 1 VII BauGB, wonach bei der Ausstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen sind, vermittelt dem Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks ein subjektives Recht darauf, dass seine Belange in der Abwägung berücksichtigt werden, sofern sie einen städtebaulich relevanten Bezug haben. Allein die Belegenheit eines Grundstücks im Bereich des angegriffenen Bebauungsplans reicht nicht.67 Die Festsetzung muss unmittelbar das Grundstück berühren. Keinen städtebaulichen Bezug haben Belange, wenn sie als geringwertig einzustufen, mit einem Makel behaftet sind, auf den Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht oder die Betroffenheit für die Gemeinde nicht erkennbar war. Da dies hier nicht ersichtlich ist, muss J als antragsbefugt angesehen werden.68 Nichts anderes gilt für K, weil auch die Interessen des Mieters abwägungserheblich sind (vgl § 1 VI Nr 1 BauGB: gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse 69). Auch das Interesse eines außerhalb des Plangebiets ansässigen Anliegers, von der Überlastung eines Weges, der auch der Erschließung seines Grundstücks dient, verschont zu bleiben, stellt ein abwägungsrelevantes, schutzwürdiges Privatinteresse dar, so dass L ebenfalls einen Anspruch auf gerechte Abwägung hat, dem möglicherweise nicht Rechnung getragen wurde.70
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Lösung Fall 11: M muss gem § 42 II 1 VwGO antragsbefugt sein. Dann muss er geltend machen können, durch die VO in eigenen Rechten verletzt zu sein. Die VO könnte gegen § 16 I LSchlG aF verstoßen, wonach Verkaufsstellen an jährlich höchstens sechs Samstagen aus bestimmten Anlässen bis spätestens 21.00 Uhr geöffnet sein durften. Ein möglicher Verstoß kommt aber nur in Betracht, wenn die Gesetzesvorschrift ein subjektives öffentliches Recht vermittelt. Dann muss sie nicht nur den Interessen der Allgemeinheit, sondern auch denjenigen nicht begünstigter Konkurrenten zu dienen bestimmt sein. Die Rspr hat die Antrags- bzw Klagebefugnis von Konkurrenten gegen nichtbegünstigende Ausnahmerege-
65 66 67 68 69
BT-Drs 16/2496, 18. Kopp/Schenke VwGO, § 47 Rn 75a. BVerwG, DVBl 2000, 1881. Vgl BVerwGE 107, 215 → JK BauGB § 1 VI/1. BVerwG, NVwZ 2000, 807; zu anderen Konstellationen (Bauantrag eines Windkraftunternehmens) vgl ThürOVG, ThürVBl 2002, 74 f → JK BauGB § 14/1. 70 BVerwG, NVwZ 2001, 431 → JK VwGO § 47 II 1/23.
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lungen (§§ 4 ff LSchlG) von allgemeinen Ladenöffnungszeiten (§ 3 LSchlG) bislang verneint.71 Das OVG Bremen ist dem zu Recht nicht gefolgt.72 Auch der Ausschluss von einer Befreiung von den allgemeinen Ladenschlusszeiten kann durch Verzerrung der Wettbewerbslage aufgrund hoheitlicher Maßnahmen eine Verletzung der durch Art 12 I GG geschützten unternehmerischen Freiheiten darstellen. Folgt man dieser Betrachtungsweise, ist M antragsbefugt.
(2) Behörden Antragsbefugt sind nach § 47 II 1 Alt 2 VwGO ferner Behörden (nicht einzelne Organoder Amtswalter), ohne dass diese eine Rechtsverletzung geltend machen müssen. Um Popularanträge auszuschließen, wird angenommen, dass es sich um eine Behörde handeln muss, die bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben die Rechtsvorschriften zu beachten hat.73 Dies ist zB nicht der Fall, wenn der Bebauungsplan einer Nachbargemeinde angegriffen werden soll. Die Antragsbefugnis richtet sich dann nach § 47 II 1 Alt 1 VwGO. Haben die antragstellende Behörde oder die juristische Person, der sie angehört, die Norm erlassen, fehlt nicht die Antragsbefugnis, wohl aber das Rechtsschutzbedürfnis, weil die Norm ohne Inanspruchnahme der Gerichtsbarkeit aufgehoben werden kann.74
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(3) Anderweitige Regelung Durch Bundesgesetz kann eine von § 47 II 1 VwGO abweichende Regelung getroffen werden. Eine solche Regelung dürfte § 61 I, V BNatSchG darstellen (Zulassung von Verbandsklagen aufgrund von Landesrecht).
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b) Antragsgegner Richtiger Antragsgegner der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle ist die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung, welche die Rechtsvorschrift erlassen hat (§ 47 II 2VwGO). Wurde die Norm im Wege der Ersatzvornahme von der Aufsichtsbehörde erlassen, ist sie dem beaufsichtigten Rechtsträger zuzurechnen, so dass dieser richtiger Antragsgegner ist.75 Bei Rechtsnachfolge ist auf den Rechtsnachfolger abzustellen.
71 Vgl BVerwGE 65, 167, 171 ff; 108, 182, 184 f; SächsOVG, NJW 1999, 2539 f; NdsOVG, NVwZRR 2001, 584. 72 OVG Bremen, NVwZ 2002, 873 → JK VwGO § 47 II/24; vgl auch Kehrberg GewArch 2001, Heft 1, 14 ff. 73 BVerwGE 81, 307, 310; Gerhardt/Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 47 Rn 78. 74 BVerwGE 81, 307, 310. Vgl aber auch BVerwG, NVwZ 1990, 57 f – Normenkontrollbefugnis der Behörde, die den Bebauungsplan genehmigt hat. S zur Klagebefugnis einer Gemeinde gegen die Festsetzung eines Gewerbegebietes durch die Nachbargemeinde VGH Mannheim, NVwZ-RR 2008, 369 ff. 75 OVG Bremen, NVwZ 2000, 1435; aA Hufen VerwPrR, § 30 Rn 4 (weil der Rechtsträger, zB eine Gemeinde, andernfalls in einen Prozess hineingezogen würde, der ihm inhaltlich nicht zuzurechnen ist). Zum Klagegegner einer Anfechtungsklage gegen einen im Wege der Ersatzvornahme erlassenen VA vgl → § 22 Rn 57 ff.
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c) Antragsfrist 47
Fall 12: N greift eine baden-württembergische Kommunalsatzung an, die seit 1972 gilt, aber im Jahre 2008 neu bekannt gemacht wurde. Der Text wurde mit einer Schlussbestimmung versehen, aus der hervorgeht, dass die Satzung am Tag nach ihrer Bekanntgabe in Kraft und die Satzung aus dem Jahre 1972 außer Kraft tritt. Diese Schlussbestimmung war in der dem Ratsbeschluss zugrunde liegenden Vorlage nicht enthalten.
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Gem § 47 II 1 VwGO muss der Normenkontrollantrag innerhalb von einem Jahr nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift gestellt werden. Damit wird zugleich die einer Vielzahl von Einzelprozessen vorbeugende prozessökonomische Bündelungsfunktion der Normenkontrolle nach Ablauf der Jahresfrist preisgegeben. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Fristbestimmung greifen aber nicht durch.76 Machen die natürlichen oder juristischen Personen geltend, erst durch Anwendung der Rechtsvorschriften in ihren Rechten verletzt zu sein, können sie nach Ablauf der Jahresfrist nur inzident die Vereinbarkeit der Vorschrift mit höherrangigem Recht durch die VG überprüfen lassen.77 Wird die mögliche Rechtsverletzung durch die Rechtsvorschrift selbst verursacht, kommt nach Fristablauf eine verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage in Betracht (→ § 25 Rn 56), mag sich diese auch nicht gegen die Gültigkeit der Vorschrift selbst, sondern gegen ihre Anwendbarkeit im Verhältnis inter partes richten.78 Eine Rechtsbehelfsbelehrung, durch die die Frist in Gang gesetzt wird, ist nicht vorgesehen.79 Zudem müsste gem § 58 II VwGO auch bei einer unterbliebenen oder falschen Rechtsbehelfsbelehrung der Rechtsbehelf innerhalb eines Jahres eingelegt werden. Dagegen dürfte entgegen der wohl hM 80 eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht kommen, wenn auch kaum praktisch werden. Ein Wiedereinsetzungsgrund liegt nicht schon dann vor, wenn der Antragsteller erst nach Ablauf der Jahresfrist von der Rechtsvorschrift betroffen wird (zB wegen Zuzugs in das von dem angegriffenen Bebauungsplan erfasste Baugebiet). Die Frist des § 47 II 1 VwGO wird nicht durch die erneute Bekanntmachung einer untergesetzlichen Norm erneut in Gang gesetzt. Anderes gilt nur, wenn die untergesetzliche Norm Änderungen oder Ergänzungen enthält, die nunmehr angegriffen werden.81 Letzteres ist zB nicht der Fall, wenn die neuerliche Bekanntmachung lediglich einen etwaigen Ausfertigungsmangel heilen soll.82 Da bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte zum 1.1.2007 83 die Antragsfrist zwei Jahre betrug, bleibt es nach der Übergangsregelung des § 195 VII VwGO für Rechtsvorschriften iSd § 47 VwGO, die vor dem 1.1.2007 bekannt gemacht worden sind, bei dieser Frist. Werden einzelne
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76 AA Schenke NJW 1997, 82, 83 (der bereits gegen die durch das 6. VwGOÄndG, BGBl I 1996, 1626 eingeführte Zweijahresfrist Bedenken geäußert hat). 77 Vgl BVerwG, BauR 2001, 1066; VGH BW, VBlBW 1999, 343 ff. 78 Vgl BVerwGE 89, 327, 329; 100, 262, 264 f. Auch eine Feststellungsklage ist nur zulässig, wenn nicht bereits Verwirkung eingetreten ist. 79 Vgl auch OVG NRW, NVwZ-RR 2001, 484 f. 80 Vgl etwa Lorenz VerwPrR, § 26 Rn 15. 81 Vgl BVerwGE 120, 82. 82 OVG NRW, NWVBl 2007, 305 f. 83 Vgl Art 4 des Gesetzes (BGBl I 2006, 3316).
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Bestimmungen untergesetzlicher Normen, die vor dem 1.1.2007 erlassen worden sind, nach dem 1.1.2007 geändert oder neu erlassen, gilt die Einjahresfrist nur für diese Bestimmungen.84 Lösung Fall 12: Fraglich ist, ob der Normenkontrollantrag fristgerecht gestellt wurde. Dies ist zweifelhaft, weil die Vorschriften seit 1972 existieren. Eine neue Bekanntmachung setzt die Frist für unveränderte Regelungen nicht neu in Kraft.85 Jedoch ist nach der Schlussbestimmung die Satzung aus dem Jahre 1972 außer Kraft getreten. Somit kommt es auf das Jahr 2008 an. Insoweit liegt noch keine Verfristung vor. Zweifel daran, ob die Satzung gültig erlassen worden ist (weil die Bekanntmachung vom Ratsbeschluss abweicht), stehen der Zulässigkeit des Antrags nicht entgegen. Die Klärung, ob die angegriffenen Vorschriften Geltung erlangt haben, ist eine Frage der Begründetheit des Normenkontrollantrags. Tatsächlich ist der Antrag begründet, weil die bekannt gemachten Vorschriften wegen der Aufnahme der Schlussbestimmung so nicht beschlossen worden sind und damit die Satzung in rechtsstaatswidriger Weise mit einem anderen als dem vom Normgeber gewollten Inhalt veröffentlicht wurde. Dass N durch die Neufassung der Satzung nicht neu beschwert wurde, hat keine Auswirkungen, da die Normenkontrolle ein objektives Rechtsbeanstandungsverfahren darstellt.86
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III. Begründetheit der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle Ein Normenkontrollantrag ist begründet, wenn die angegriffene untergesetzliche Rechtsvorschrift „ungültig“ iSd § 47 I, IV, V 1 VwGO – dh nichtig, mit höherrangigem Recht unvereinbar oder wegen Verstoßes gegen Europäisches Unionsrecht unanwendbar (→ Rn 26 f) – ist. Dies beurteilt sich nach dem Entscheidungszeitpunkt des OVG (nicht der Bekanntmachung der Vorschriften). Unerheblich ist, ob der Antragsteller tatsächlich in seinen Rechten verletzt wurde oder wird (→ Rn 39). Nichtig ist eine untergesetzliche Norm grundsätzlich immer dann, wenn sie mit höherrangigem Recht nicht vereinbar ist. Dies ist der Fall, wenn entweder die formellen Voraussetzungen des Normerlasses nicht beachtet wurden oder die Vorschriften inhaltlich mit dem höherrangigen Recht kollidieren. Ersteres trifft etwa zu, wenn keine Verbands- oder Organzuständigkeit gegeben ist, die zu beachtenden 87 Verfahrensregelungen missachtet wurden oder ein Verstoß gegen die Form – respektive Bekanntmachungsvorschriften – vorliegt.88 Letzteres ist anzunehmen, wenn die Rechtsvorschriften nicht auf eine verfassungskonforme gesetzliche Ermächtigungsgrundlage gestützt werden können oder die Gesetzes- bzw Verfassungs-
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Vgl auch Kopp/Schenke VwGO, § 47 Rn 83. VGH BW, DVBl 2003, 416. Vgl BVerwG, NVwZ 2004, 620 → JK VwGO § 47 II 1/26.[0] Zur Wirkungsweise von Normen nach Art der §§ 214 ff BauGB vgl Krebs in: Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 11. Aufl. 1999, 4. Abschn., Rn 116 ff. 88 Schreibt eine Bekanntmachungsregelung die kumulative öffentliche Bekanntmachung kommunaler Satzungen in zwei Tageszeitungen vor und stellt eine dieser Zeitungen ihr Erscheinen ein, reicht es nach dem rechtsstaatlichen Publizitätsgebot zumindest vorübergehend aus, die Bekanntmachung weiteren Satzungsrechts in der verbliebenen Zeitung vorzunehmen, vgl BVerwG, NVwZ 2007, 334.
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konformität fehlt.89 Mit höherrangigem Recht unvereinbar ist eine untergesetzliche Norm, wenn sie dem höherrangigem Recht widerspricht, die Nichtigkeitsfolge aber nicht die angemessene Reaktion ist (→ Rn 26).90 Kollidiert die untergesetzliche Norm mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht, stellt das OVG fest, dass die Norm (insoweit) unanwendbar ist (→ Rn 27). Nach § 47 III VwGO prüft das OVG die Vereinbarkeit der Rechtsvorschriften mit Landesrecht nicht, soweit gesetzlich vorgesehen ist, dass die Rechtsvorschrift ausschließlich durch das Verfassungsgericht eines Landes nachprüfbar ist. Umstritten ist, ob die Nachprüfbarkeit abstrakt (dh unabhängig davon, ob der Antragsteller das Verfassungsgericht anrufen kann) oder konkret zu beurteilen ist. Auch wenn der Gesetzgeber anderes beabsichtigt haben mag, ist wegen des eindeutigen Gesetzeswortlauts („ausschließlich“) der abstrakten Betrachtungsweise der Vorzug zu geben.91 Maßgeblich ist demnach nur, ob eine ausschließliche Nachprüfung durch das Landesverfassungsgericht vorgesehen ist (nicht ob der Antragsteller diese initiieren kann). Im Übrigen kann sich die Ausschließlichkeit der landesverfassungsgerichtlichen Kompetenz nicht schon auf die Prüfung der fraglichen Vorschriften, sondern nur auf ihre Verwerfung in einem prinzipalen Normenkontrollverfahren beziehen (zur Prüfung sind alle Gerichte verpflichtet). § 47 III VwGO dürfte heute nur noch in Bayern, Hamburg und Hessen eine (geringe) Rolle spielen.92 Greift die Ausschließlichkeitsklausel ein, beruft sich der Antragsteller aber auch auf eine Verletzung anderer Vorschriften (zB der Grundrechte), ist nur der Prüfungsmaßstab des OVG beschränkt. Geht es dem Antragsteller ausschließlich um die Überprüfung einer Rechtsvorschrift anhand eines dem Landesverfassungsgericht vorbehaltenen Prüfungsmaßstabes, ist die Normenkontrolle vor dem OVG unzulässig.93 Weist das OVG den Antrag (als unbegründet) ab, hat dies inter partes Wirkung, so dass eine Normenkontrolle anderer Personen möglich bleibt. Eine Feststellung über die Gültigkeit der Norm wird nicht getroffen.94 Kommt das Gericht zu der Überzeugung, dass die Rechtsvorschrift „ungültig“ ist, hat sie diese für unwirksam (oder für teilweise unwirk-
89 Ein Verstoß gegen vorrangiges Gesetzesrecht liegt bei einem Bebauungsplan zB auch vor, wenn dieser auf beachtlichen Mängeln der Abwägung (§§ 214 III, 215 I Nr 3 BauGB) beruht. 90 Erklärt das BVerfG ein Gesetz für unvereinbar mit dem GG (vgl § 31 II 2, 79 I BVerfGG) – statt für nichtig – wird mit der Unvereinbarkeitserklärung uU die Anordnung einer vorübergehenden Weitergeltung und weiteren Anwendbarkeit des bisherigen Rechts verbunden (zB BVerfGE 91, 189, 207; 93, 37, 85). Dies ist nur eine in Betracht kommende Folge der bloßen Unvereinbarkeitsstatt Nichtigkeitserklärung. Es reicht aus, wenn das OVG im Tenor den Zeitpunkt der Unwirksamkeit bestimmt. Soweit das BVerfG auch eine Kompetenz zur Setzung normenvertretenden Übergangsrechts für sich in Anspruch nimmt (dh zur Setzung von Regelungen, die der Gesetzgeber nicht getroffen hat, vgl zB BVerfGE 99, 280, 298; 105, 73, 133), lässt sich dies nur mit der Stellung des Gerichts als Verfassungsorgan begründen. Eine diesbezügliche Befugnis kommt dem OVG nicht zu (vgl auch Schmidt in: Eyermann, VwGO, § 47 Rn 92 a; aA wohl Gerhardt/Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 47 Rn 11). 91 Vgl auch Gerhardt/Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 47 Rn 90; Schenke VerwPrR, Rn 919; Ziekow in: Sodan/ders VwGO, § 47 Rn 309; Redeker in: ders/v. Oertzen, VwGO, § 47 Rn 8; aA Schmidt in: Eyermann, VwGO, § 47 Rn 34. 92 Str, näher dazu Gerhardt/Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 47 Rn 91; Schenke VerwPrR, Rn 921. 93 Vgl Hufen VerwPrR, § 19 Rn 7 (fehlendes Rechtsschutzbedürfnis); Schenke VerwPrR, Rn 885 (nicht statthaft). 94 Vgl BVerwGE 65, 131, 137.
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sam) zu erklären. Hierbei handelt es sich um eine deklaratorische (nicht konstitutive) Feststellung, da eine rechtswidrige Norm von Anfang an – und nicht erst mit der Entscheidung des Gerichts – unwirksam ist. Die Entscheidung ist gem § 47 V 2 VwGO allgemein verbindlich und vom Antragsgegner ebenso zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekannt zu machen wäre. Für die Wirkung der Entscheidung gilt § 183 VwGO entsprechend (§ 47 V 3 VwGO). Dies bedeutet, dass die nicht mehr anfechtbaren gerichtlichen Entscheidungen unberührt bleiben, eine Vollstreckung aus einer solchen Entscheidung aber nicht mehr zulässig ist.
IV. Gerichtliches Verfahren und vorläufiger Rechtsschutz Das gerichtliche Verfahren richtet sich grundsätzlich nach den allgemeinen Vorschriften. § 47 VwGO enthält aber verschiedene Sonderbestimmungen. Das OVG kann dem Land und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, deren Zuständigkeit durch die Rechtsvorschriften berührt wird, Gelegenheit zur Äußerung geben und Beiladungen vornehmen (§ 47 II 3, 4 VwGO).95 Die Entscheidung, ob auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werden soll (§ 47 V 1 VwGO), muss Art 6 I 1, 2 EMRK berücksichtigen.96 Ist ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsvorschrift bei einem Verfassungsgericht anhängig, kann die Verhandlung ausgesetzt werden (§ 47 IV VwGO). Die Revisibilität der Entscheidung richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen (§§ 132 ff VwGO). Ferner kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen werden, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist (§ 47 VI VwGO). Der Antrag kann auch schon vor dem Normenkontrollantrag gestellt werden. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt nicht deshalb, weil auch nach den §§ 80 V, 80a, 123 VwGO vorläufiger Rechtsschutz erlangt werden kann (→ § 30 Rn 76). Im Rahmen der Begründetheitsprüfung orientieren sich die OVG an dem vom BVerfG zu § 32 BVerfGG entwickelten Grundsätzen. Anders als nach den §§ 80 V, 123 VwGO wird nicht auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abgestellt. Vielmehr seien die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die auftreten, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Normenkontrollantrag im Ergebnis aber erfolglos bliebe, abzuwägen (Folgenabwägung mittels Doppelhypothese). Dies vermag nicht zu überzeugen (→ § 30 Rn 79).
95 Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen vgl BVerfG-K, DVBl 2000, 1842 ff. 96 Vgl BVerwG, DVBl 2000, 807 ff; Ehlers DVBl 2004, 1441, 1447.
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§ 28 Verwaltungsgerichtlicher Organstreit Friedrich Schoch I. Funktion und Bedeutung innerorganisatorische Rechtsstreitigkeiten Fall 1: F ist Frauenvertreterin beim Universitätsklinikum X. F bittet den Vorsitzenden V des Klinikumsvorstands, ihr Gelegenheit zur Teilnahme an den Vorstandssitzungen und die Tagesordnungen der Sitzungen vorab zur Kenntnis zu geben. V lehnt ab; nach einem Vorstandsbeschluss entscheide der Vorsitzende, zu welchen (Frauenbelange berührenden) Tagesordnungspunkten F hinzugezogen und über welche Punkte sie vorab informiert werde. F möchte verwaltungsgerichtlich klären lassen, ob eine Verletzung ihrer Rechte nach dem Landes-Frauenförderungsgesetz (LFG) gegeben ist.1
1
Fall 2: K ist Mitglied des Kreistags des (Land-)Kreises Y. Bei der Beschlussfassung über den Kreishaushalt für das kommende Jahr wirkten Beigeordnete kreisangehöriger Gemeinden mit. Vor jener Entscheidung hatte K erfolglos den Ausschluss der Beigeordneten beantragt, weil diese wegen eines Sonderinteresses auf Grund des kommunalrechtlichen Mitwirkungsverbots wegen Befangenheit nicht mitwirken dürften. Nun will K die Sache verwaltungsgerichtlich klären lassen.2
2
Fall 3: Bürgermeister B der Gemeinde G lud vor zwei Wochen zur (Gemeinde-)Ratssitzung am Montag dieser Woche ein. Vorgesehen waren 22 Tagesordnungspunkte; die Einladung enthielt den Hinweis, dass die Unterlagen zum TOP 3 nachgereicht würden. Das erfolgte durch Boten am Freitag vergangener Woche. TOP 3 betrifft die – vom Planungs- und vom Wirtschaftsförderungsausschuss befürwortete – Bebauung eines bestimmten Grundstücks. In der Sitzung am Montag dieser Woche beantragte Ratsmitglied R die Absetzung des TOP 3 von der Tagesordnung, da nicht ausreichend Zeit zur Vorbereitung bestanden habe. Der (Gemeinde-)Rat lehnte ab und stimmte der Vorlage der Verwaltung, wie von den Ausschüssen befürwortet, zu. Nun begehrt R beim zuständigen VG die Feststellung, er sei zu TOP 3 der Sitzung nicht ordnungsgemäß geladen worden.3
3
Rechtsstreitigkeiten im Binnenbereich juristischer Personen des Öffentlichen Rechts finden im Verwaltungsprozessrecht – anders als im Verfassungsprozessrecht 4 – keine ausdrückliche Berücksichtigung; gesetzliche Regelungen zu innerorganisatorischen Streitigkeiten kennt die VwGO nicht.5 Sie ist (insbesondere vor dem Hintergrund des Art 19 IV 1 GG) auf Außenrechtsstreitigkeiten („Bürger gegen Staat“) hin konzipiert. Dieser Befund
4
1 Fall nach VGH BW DÖV 2004, 668. Rechtlich vergleichbar OVG Saarland NVwZ 2004, 247. 2 Fall nach OVG RP DVBl 1985, 177 = NVwZ 1985, 283; dazu Bespr Schröder NVwZ 1985, 246, sowie Schoch JuS 1987, 783. 3 Fall nach VGH BW NVwZ-RR 1990, 369 = VBlBW 1990, 457. 4 Zum Organstreitverfahren beim BVerfG nach Art 93 I Nr 1, §§ 13 Nr 5, 63 ff BVerfGG → § 17. 5 Rennert JuS 2008, 119 (123): 1960 beim Erlass der VwGO „noch nicht bedacht“.
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erlaubt jedoch nicht die Schlussfolgerung, Innenrechtsstreitigkeiten könnten nicht bei den Verwaltungsgerichten ausgetragen werden. Dem Schweigen der VwGO kann nur entnommen werden, dass der verwaltungsrechtliche Organstreit verwaltungsprozessual zwar nicht ausdrücklich zugelassen, aber auch nicht ausgeschlossen ist.6 Die Zulässigkeit einer verwaltungsrechtlichen Organklage hängt davon ab, ob die Sachentscheidungsvoraussetzungen nach der VwGO (→ § 21) im konkreten Streitfall erfüllt sind. 1. Erscheinungsformen des Organstreits
a) Rechte und Pflichten im Verwaltungsorganisationsrecht 5
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Verwaltungsträger (Körperschaften, Anstalten, Stiftungen des Öffentlichen Rechts) verfügen in aller Regel über mehrere Organe, die die Aufgaben des jeweiligen Verwaltungsträgers wahrnehmen. Organe begründen – als Schöpfungen der Rechtsordnung – die Handlungsfähigkeit von Verwaltungsträgern und umfassen diejenigen Verwaltungsstellen, denen das Handeln der für den jeweiligen Verwaltungsträger agierenden Menschen (Organwalter) zugerechnet wird.7 Das interne Verwaltungsorganisationsrecht legt insbesondere Kompetenzen fest, bestimmt Verfahren(sabläufe) und normiert vor allem auch die Willensbildung innerhalb bestehender Kollegialorgane sowie zwischen den Organen des Verwaltungsträgers. Diese durch das interne Organisationsrecht geschaffenen transitorischen Wahrnehmungszuständigkeiten begründen grundsätzlich nur Pflichtenstellungen, bestehen im Interesse des Verwaltungsträgers und schaffen keine eigene Rechtsposition des jeweiligen Organs.8 Von daher stellen sich verwaltungsgerichtliche Rechtsschutzfragen nicht. Das Verwaltungsorganisationsrecht kann die Beziehungen zwischen den Organ(teil)en, Organwaltern und sonstigen Funktionsträgern einer juristischen Person des Öffentlichen Rechts jedoch auch so ausgestalten, dass die objektiven Wahrnehmungszuständigkeiten zugleich als wehrfähige Kompetenzen zu qualifizieren sind, die dem betreffenden Organ(teil) wie subjektive Rechte im „Eigeninteresse“ zugewiesen werden.9 Dann können im Binnenbereich von Verwaltungsträgern organschaftliche Streitigkeiten entstehen, die einer verwaltungsgerichtlichen Klärung fähig und bedürftig sind.10 Wird ein Organ als solches durch das Verwaltungsorganisationsrecht – auch – berechtigt, kann es „seine“ Organrechte bei Beeinträchtigungen durch andere Organ(teil)e verwaltungsgerichtlich geltend machen.11 Umstritten ist insoweit nicht mehr das „Ob“, sondern nur noch das „Wie“; zu klären sind ferner die Voraussetzungen, unter denen versubjektivierte Organisationsrechtspositionen angenommen werden können.12
6 Lorenz VerwPrR, § 25 Rn 4. 7 Zur Unterscheidung zwischen „Organ“, „Behörde“ und „Amt“ vgl Burgi in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 7 Rn 28 ff. 8 Lorenz VerwPrR, § 25 Rn 1; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 538. 9 Schmidt-Aßmann/Röhl in: Schmidt-Aßmann/Schoch, BesVerwR, 1. Kap Rn 83. 10 Hufen VerwPrR, § 21 Rn 1; Würtenberger VerwPrR, Rn 662. 11 Stern/Blanke VerwPrR, Rn 538. 12 Umstritten ist auch die Terminologie; für den Begriff „Innenrechtsstreit(igkeit)“ Lorenz VerwPrR, § 25 Rn 2; krit dazu und für den Terminus „Organklage(n)“ Hufen VerwPrR, § 21 Rn 1; hiergegen wiederum Burgi in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 7 Rn 53 (Fn 118). – Die Begrifflichkeit sollte nicht überbewertet werden.
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b) Beispiele aus der Praxis Beispiele für verwaltungsgerichtliche Organstreitverfahren bietet in erster Linie das Kommunalrecht. Geradezu „klassisch“ sind Rechtsstreitigkeiten um den Ausschluss eines (Gemeinde-)Ratsmitglieds von der Mitwirkung und Entscheidung im (Gemeinde-)Rat (gleichbedeutend: Gemeindevertretung, Stadtverordnetenversammlung uä) wegen eines (tatsächlichen oder vermeintlichen) Mitwirkungsverbots wegen Befangenheit;13 der ausgeschlossene Mandatsträger kann gerichtlich klären lassen, ob er wegen eines Sonderinteresses zu Recht an seiner Mandatsausübung gehindert worden ist.14 Andere Beispiele sind der Streit um die Berechtigung eines förmlichen Ordnungsrufs des Bürgermeisters gegenüber einem (Gemeinde-)Ratsmitglied,15 die Verhängung eines Rauchverbots während der (Gemeinde-) Ratssitzung,16 der Disput um Rechte und Pflichten eines (Gemeinde-)Ratsmitglieds bezüglich des Fernbleibens bzw der Teilnahme an Ratssitzungen,17 der Streit um die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht von Ratsmitgliedern,18 die Klärung eines umstrittenen Fraktionsstatus19 und einer konfliktreichen Ausschussbesetzung,20 der Streit um die Aufnahme eines bestimmten Verhandlungsgegenstandes in die Tagesordnung einer (Gemeinde-)Ratssitzung21 sowie die Verpflichtung des Bürgermeisters als Ratsvorsitzenden, über einen bestimmten Tagesordnungspunkt abstimmen zu lassen.22 Anschauungsmaterial für Organstreitigkeiten bietet sodann das Hochschulrecht.23 Beispiele hierfür sind der Streit im Senat um die Wahl eines studentischen Mitglieds in den Verwaltungsrat einer Universität,24 die Beanstandung der Wahl eines Prodekans durch den Fachbereichsrat seitens des Universitätspräsidenten 25 und der Konflikt zwischen einem Hochschullehrer und dem Dekan eines Fachbereichs um die Bestellung von Prüfern in einem bestimmten Fach.26 Auch im Rundfunkrecht sind Organstreitigkeiten denkbar. Ein Beispiel hierfür ist die Auseinandersetzung um die Rechte des Intendanten einer Rundfunkanstalt bzw des Rundfunk-/
13 Zu den materiellrechtlichen Fragen vgl Röhl JURA 2006, 725 ff. 14 VGH BW VBlBW 1987, 24; HessVGH NVwZ 1982, 44; OVG RP NVwZ-RR 1996, 218; VG Koblenz NVwZ-RR 2006, 717. 15 OVG RP DÖV 1996, 474 = NVwZ-RR 1996, 52. 16 OVG NRW DVBl 1983, 53 = NVwZ 1983, 485 = JZ 1983, 25 (m Anm Wischnath). Zu den materiellrechtlichen Problemen ferner OVG NRW DVBl 1991, 498, = NVwZ-RR 1991, 260 = NWVBl 1991, 16 → JK GO NW § 36 I/2. 17 VGH BW NVwZ-RR 1997, 181 = VBlBW 1996, 99 → JK GO BW § 34 III/1; vgl dazu auch Fallbearbeitung von Bargen/Schwarze VBlBW 1998, 397 und 434 ff. 18 VG Minden NVwZ 1983, 495. Zum materiellrechtlichen Problem ferner BayVGH NVwZ 1989, 182 = BayVBl 1989, 81 → JK GO Bay Art 20 II/26, bestätigt durch BVerwG DVBl 1990, 153 = NVwZ 1989, 975 = BayVBl 1990, 157. 19 VGH BW NVwZ-RR 1989, 425 = VBlBW 1989, 178. 20 OVG NRW NWVBl 2003, 267. Zu den materiellrechtlichen Problemen ferner BVerwGE 119, 305 = DVBl 2004, 439 = NVwZ 2004, 621 = NWVBl 2004, 184 → JK GG Art 20 II/4. 21 VGH BW NVwZ 1984, 664 = VBlBW 1984, 317; BayVGH NVwZ 1988, 83 = BayVBl 1987, 239. 22 VGH BW NVwZ-RR 1992, 204 = VBlBW 1992, 97. 23 Ausführlich dazu Fink WissR 1994, 126 ff. 24 VGH BW DÖV 1983, 862. 25 BVerwG NVwZ 1985, 112. 26 OVG NRW NWVBl 1990, 11.
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Verwaltungsrats hinsichtlich der Programmgestaltung.27 Im Kammerrecht kann es ebenfalls zu Innenrechtsstreitigkeiten zwischen den Organen berufsständischer Kammern kommen.28 2. Unterscheidung vom Insichprozess 10
11
12
Zu unterscheiden ist der Organstreit von dem – grundsätzlich unzulässigen – verwaltungsinternen Insichprozess. Bei ihm klagt entweder eine juristische Person des Öffentlichen Rechts, vertreten durch eine Behörde, gegen sich selbst, vertreten durch eine andere Behörde, oder es klagt eine Behörde eines Verwaltungsträgers gegen diesen bzw gegen eine andere Behörde dieses Rechtsträgers.29 Zwar trifft die VwGO zum Insichprozess keine (positive oder negative) Aussage, so dass die Zulässigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Klage im Einzelfall anhand der konkreten Umstände zu beurteilen ist,30 jedoch steht zur Klärung eines rechtlichen Konflikts der Behördenleiter oder eine vorgesetzte Dienststelle zur Verfügung.31 Von daher fehlt es regelmäßig am Rechtsschutzbedürfnis für einen Verwaltungsprozess. Zumeist müssen schon die Beteiligungsfähigkeit und die Klagebefugnis der streitenden Verwaltungsstellen verneint werden, weil die ihnen zugewiesenen Zuständigkeiten lediglich objektivrechtlich wirken und nicht auch als subjektive Gewährleistungen von Wahrnehmungszuständigkeiten bestimmter Verwaltungseinheiten gedeutet werden können. Das gilt jedenfalls für den hierarchischen Verwaltungsaufbau der unmittelbaren Staatsverwaltung,32 aber nicht nur dort. So war die Klage eines Landkreises als Träger der Sozialhilfe gegen sich selbst als Träger der Wohngeldverwaltung (mit dem Ziel einer Erhöhung des Wohngeldes zwecks Verminderung der Sozialhilfe) unzulässig, weil mit dem Landrat eine gemeinsame Behördenspitze bestand. Das BVerwG verneinte für die erhobene Feststellungsklage das „berechtigte Interesse“ (§ 43 I VwGO), da der Streit innerhalb des Landratsamts mit behördlichen Mitteln beigelegt werden konnte.33 Vom Insichprozess unterscheidet sich der Organstreit dadurch, dass die streitenden Parteien – Organe und/oder Organteile eines Verwaltungsträgers, die organisationsrechtlich Träger „eigener“ Rechte und Pflichten sind – in verschiedenartigen Parteirollen auftreten. Auf der Klägerseite und der Beklagtenseite stehen unterschiedliche, durch das Organisationsrecht verwaltungsintern verselbständigte Rechtsträger mit gegenläufigen, organisationsrechtlich geschützten Interessen.34 Anwendungsfelder finden derartige Konstellationen, wie die erwähnten Beispiele (→ Rn 7 ff) zeigen, vornehmlich im Organisationsrecht von Selbstverwaltungsträgern (Kommunen, Hochschulen, Rundfunkanstalten, Kammern). Willensbildungsprozesse sind dort durch die Existenz von „Kontrastorganen“ (→ Rn 14) großenteils anders strukturiert als im Bereich der hierarchisch gegliederten unmittelbaren Staatsverwaltung.
27 28 29 30 31 32
VG Hamburg DVBl 1980, 491. NdsOVG OVGE 12, 414; ausführlich Schöbener GewArch 2008, 329 ff. Ogorek JuS 2009, 511; Lorenz VerwPrR, § 25 Rn 32; Schenke VerwPrR, Rn 528. BVerwGE 45, 207 (209 ff) = NJW 1974, 1836. Lorenz VerwPrR, § 25 Rn 34; Würtenberger VerwPrR, Rn 664. Schmidt-Aßmann/Röhl in: Schmidt-Aßmann/Schoch, BesVerwR, 1. Kap Rn 83; Tettinger/Wahrendorf VerwPrR § 22 Rn 4. 33 BVerwG DÖV 1992, 265 = NJW 1992, 927. 34 Zu prüfen und verarbeiten ist dies bei der Beteiligungsfähigkeit (→ Rn 44 ff) bzw der Klagebefugnis (→ Rn 98 ff).
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3. Kompetenzen als versubjektivierte Rechtspositionen Rechtsdogmatisch ist klarzustellen, dass es sich auch beim verwaltungsrechtlichen Organstreit, der verwaltungsgerichtlich ausgetragen wird, streng genommen um einen Insichprozess (iwS) handelt. Zutreffend ist zum gerichtlichen Rechtsschutzverfahren zwischen Organen einer Stadt betont worden, „dass beide Seiten nicht aus eigenem subjektiven Recht prozessieren, sondern jeweils die ihnen zur selbständigen, auch kontroversen Wahrnehmung übertragenen Organzuständigkeiten der Stadt … wahrnehmen“.35 Diese Analyse trifft unabhängig davon zu, ob die konfligierenden Innenrechtspositionen als „Rechte“ oder als „Kompetenzen“, was im Sinne juristischer Präzision vorzugswürdig ist,36 bezeichnet werden. Mit der rechtlichen Zuordnung einer Kompetenz an ein Organ ist grundsätzlich nicht zugleich auch eine Rechtsposition verbunden, „die wie ein subjektives Recht im Außenverhältnis gegen ‚Übergriffe‘ anderer Organe … durch Anrufung des Gerichts verteidigt werden könnte“; denn die Kompetenzzuweisung erfolgt „grundsätzlich nicht zum Schutz ‚eigennützig‘ wahrzunehmender Interessen der kompetenzbelehnten Stelle, sondern dient in der Regel allein dem einwandfreien und reibungslosen Funktionsablauf innerhalb der Gesamtorganisation und damit der Wahrung öffentlicher Interessen“.37 In Parallele zu Grundannahmen des verfassungsrechtlichen Organstreits (vgl Art 93 I Nr 1 GG, § 64 I BVerfGG) kann beim verwaltungsrechtlichen Organstreit eine Deutung von Kompetenzzuweisungen iS wehrfähiger Rechtspositionen aber dann vorgenommen werden, wenn die Rechtsordnung Verwaltungsorgane durch gezielte Übertragung von Rechten und Pflichten mit „eigenen“ (innerorganisatorischen) Rechtspositionen ausstattet.38 Das ist der Fall, wenn eine Kompetenzzuweisung nicht nur der Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Funktionsablaufs innerhalb der Gesamtorganisation dient, sondern zudem einem bestimmten Funktionsträger als „Kontrastorgan“ zwecks sachgerechter Ausbalancierung innerorganisatorischer Interessen- und Machtgegensätze die eigenständige Bewältigung bestimmter Aufgaben(bereiche) anvertraut.39 Dann kann auf die Ausstattung mit einer wehrfähigen Rechtsposition durch die Rechtsordnung geschlossen und angenommen werden, dass (ein)klagbare Wahrnehmungszuständigkeiten bestehen. Es findet gleichsam eine Versubjektivierung von Kompetenzzuweisungen statt.40 Dabei ist unbeachtlich, dass die versubjektivierten Rechtspositionen des verwaltungsinternen, organschaftlichen Rechtskreises keine subjektiven Rechte iSd Art 19 IV 1 GG, sondern apersonale Kompetenzen darstellen.41 Die grundrechtlich gewährleistete Rechtsschutzgarantie beansprucht keine Ausschließlichkeit, sondern normiert lediglich einen verfassungsrechtlichen Mindeststandard; über ihn kann das Verwaltungsprozessrecht hinausgehen 42.
35 36 37 38 39 40 41 42
OVG Bremen DVBl 1990, 829 = NVwZ 1990, 1195 (1196) → JK GO BW § 40/1. Fehrmann NWVBl 1989, 303 (306). So VGH BW DÖV 2004, 668. Lerche in: FS Knöpfle, 1996, 171 (172 f); Lorenz VerwPrR, § 25 Rn 5; Würtenberger VerwPrR, Rn 666. OVG Berlin LKV 2000, 453; Schoch JuS 1987, 783 (786). SächsOVG DVBl 1997, 1287 (1288) = LKV 1997, 229 = SächsVBl 1997, 13 (14). Schmidt-Aßmann/Röhl in: Schmidt-Aßmann/Schoch, BesVerwR, 1. Kap Rn 83. SächsOVG DVBl 1997, 1287 (1289) = LKV 1997, 229 f = SächsVBl 1997, 13 (15).
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In Fall 1 stellte der VGH BW fest, das LFG räume der Frauenvertreterin gegenüber dem Leiter ihrer Dienststelle (V) keine gerichtlich durchsetzbare Rechtsposition ein. Der Frauenvertreterin sei gesetzlich nicht die Funktion eines „Kontrastorgans“ zugewiesen, etwa um das Austarieren von Interessengegensätzen und Partikularinteressen innerhalb der Dienststelle institutionell abzusichern. Denn die Frauenvertreterin sei – was an sich möglich wäre – nach dem LFG kein eigenständiges Organ, sondern der Dienststellenleitung unmittelbar zugeordnet und damit Teil der Verwaltung, ohne gesetzlich die Qualität eines echten Interessenvertretungsorgans der Beschäftigten zu erhalten. Mangels Klagebefugnis (→ Rn 99) war die Klage der F daher unzulässig.
17
In Fall 2 verneinte das OVG RP ebenfalls die Klagebefugnis. K könne nicht geltend machen, durch die Mitwirkung der Beigeordneten kreisangehöriger Gemeinden im Kreistag bei der Beschlussfassung über den Kreishaushalt in eigenen Rechten verletzt zu sein; die Stimmabgabe anderer Kreistagsmitglieder beeinträchtige keine organschaftlichen Rechte des K. Restlos überzeugend ist das nicht. Falls der Erfolgswert der Stimme des K bei dem Beschluss über den Kreishaushalt gerade dadurch beeinträchtigt sein sollte, dass wegen Interessenkollision auszuschließende andere Kreistagsmitglieder rechtswidrigerweise an der Abstimmung mitgewirkt haben, ist die Rechtsstellung (Mandatsausübung) jedes rechtmäßig abstimmenden Kreistagsmitglieds selbstverständlich tangiert, weil es in dem „Kontrastorgan Kreistag“ um einen Willensbildungsprozess geht, bei dem die Ausbalancierung unterschiedlicher Positionen nach unverrückbaren Befangenheitsregeln stattfindet, um den Erfolgswert nur rechtmäßig abgegebener Stimmen zur Geltung zu bringen.43
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In Fall 3 war die Klage zulässig. Insbesondere war R klagebefugt. Die gemeinderechtliche Vorschrift zur Ladung des (Gemeinde-)Rats – mit angemessener Frist und unter rechtzeitiger Mitteilung der Verhandlungsgegenstände – zur Sitzung44 stellt im Interesse der ordnungsgemäßen Vorbereitung auf die Sitzung eine Schutznorm zu Gunsten des einzelnen Ratsmitglieds dar.
II. Begriffliche Präzisierung und Abgrenzungen 19
Fall 4: Journalist J, der regelmäßig an den öffentlichen Sitzungen des Stadtrats der Stadt S teilnimmt, möchte den Ablauf der Sitzungen auf Tonband aufzeichnen, um seine Berichte in der lokalen Z-Zeitung mit wörtlichen Zitaten versehen zu können. Oberbürgermeister O untersagt J die Tonbandaufzeichnung, nachdem der Stadtrat deren Unzulässigkeit beschlossen hat. Hiergegen klagt J unter Berufung auf die Pressefreiheit.45
43 OVG NRW NVwZ-RR 1997, 52 = NWVBl 1996, 191; Schoch JuS 1987, 783 (791); Suerbaum JuS 1994, 324 (329 f); Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (160); aA (aber zweifelnd) Schröder NVwZ 1985, 246 f. 44 § 34 I 1 GemO BW; Art 46 II BayGO; § 42 BbgGO; § 58 I HessGO; § 29 KV MV; § 41 I NdsGO; § 47 GO NW; § 34 GemO RP; § 41 SaarlKSVG; § 36 III 1 SächsGemO; § 51 IV 2 GO LSA; § 34 GO SH; § 35 II ThürKO. Zu den Stadtstaaten vgl § 6 II BlnBezVerwG; § 11 BremOrtsG Beiräte und Ortsämter sowie § 23 VerfBrhv; § 12 I 1 HbgBezVG. 45 Fall nach BVerwGE 85, 283 = DVBl 1991, 490 = NJW 1991, 118 = JZ 1991, 304 (m Anm Bethge) → JK NdsGO § 44 I/1.
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Fall 5: Der (Gemeinde-)Rat von G beschloss eine Änderung seiner Geschäftsordnung, nach der im Interesse des Minderheitenschutzes das Initiativrecht zur Bestimmung eines Tagesordnungspunktes für eine Ratssitzung auch fraktionslosen Ratsmitgliedern eingeräumt wird. Die zuständige Kommunalaufsichtsbehörde hob den Beschluss auf, weil die Gemeindeordnung ein derart erweitertes Initiativrecht nicht vorsehe. Das fraktionslose Ratsmitglied M klagt gegen die Maßnahme der Aufsichtsbehörde.46
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Fall 6: Die Bürgerinitiative B wandte sich mit einem Bürgerbegehren gegen Pläne des (Gemeinde-)Rats von G für einen Schulneubau; B bevorzugte den kostengünstigeren Anbau an das bestehende Schulgebäude. Der (Gemeinde-)Rat erklärt das Bürgerbegehren wegen – angeblich – unzutreffender Kostenangaben für unzulässig. B fragt, unter welchen Voraussetzungen der Streit gerichtlich geklärt werden kann.47
21
Der verwaltungsgerichtliche Organstreit findet sein Hauptanwendungsgebiet im Kommunalrecht. Er firmiert dort unter dem Stichwort „Kommunalverfassungsstreit“. Hierauf konzentrieren sich die nachfolgenden Ausführungen, zumal die Ausbildungs- und Prüfungsrelevanz des verwaltungsgerichtlichen Organstreits vornehmlich beim Kommunalverfassungsstreit liegt.48 Für sonstige Organstreitigkeiten gelten die zum Kommunalrecht gewonnenen Erkenntnisse sinnentsprechend.49
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1. Begriff des Kommunalverfassungsstreits Der im Kommunalrecht angesiedelte Organstreit umfasst die aus dem kommunalen Organisationsrecht („Kommunalverfassungsrecht“) folgenden und den organschaftlichen Funktionsablauf bestimmenden Rechte und Pflichten kommunaler Organe untereinander oder innerhalb eines kommunalen Organs.50 Es geht also um einen Streit um Wahrnehmungszuständigkeiten im Innenbereich einer juristischen Person des Kommunalrechts, zB Gemeinde (→ Fall 3 Rn 3) oder (Land-)Kreis (→ Fall 2 Rn 2, 17). Der Kommunalverfassungsstreit tritt in zwei Varianten auf: • Der Interorganstreit betrifft Konflikte zwischen verschiedenen kommunalen Organen desselben Rechtsträgers;51 • der Intraorganstreit findet innerhalb eines Kollegialorgans der kommunalen Körperschaft zwischen einem Organteil und dem (Gesamt-)Organ oder zwischen einzelnen Organteilen statt.52 46 Fall nach OVG NRW NVwZ-RR 2004, 674 → JK VwGO § 42 II/27. 47 Fall nach OVG RP NVwZ-RR 1997, 241. 48 Bezüglich der Stadtstaaten vgl OVG Berlin LKV 2000, 453 (Organstreit von Bezirken); OVG Bremen DVBl 1990, 829 = NVwZ 1990, 1195 → JK GO BW § 40/1 (Organstreit in Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven); OVG Hamburg DVBl 1986, 242 (Organstreit in Bezirksversammlung). 49 So ausdrücklich zum Hochschulverfassungsstreit zB BVerwG NVwZ 1985, 112 (113); VGH BW DÖV 1983, 862. 50 OVG NRW NVwZ 1983, 485 (486) = JZ 1983, 25. 51 Gleichgestellt ist der Streit zwischen einem Organteil (zB Ratsmitglied) und einem anderen Organ (zB Bürgermeister), → Fall 3 Rn 3. 52 Martensen JuS 1985, 989; Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (158); Meister JA 2004, 414; Ogorek JuS 2009, 511.
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5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
Bezogen ist der Kommunalverfassungsstreit immer auf die Innenrechtsbeziehungen der Kommune; er umfasst also lediglich Streitigkeiten ihrer Organ(teil)e.53 Sind an dem Streit Rechtspersonen des Außenrechtskreises beteiligt, liegt kein Organstreit vor. 2. Abgrenzung von Außenrechtsstreitigkeiten
a) Klagen außenstehender Dritter 24
Die Eingrenzung des Kommunalverfassungsstreits auf kommunalinterne Auseinandersetzungen bedeutet, dass im Falle des Rechtsbehelfs eines außenstehenden Dritten kein Organstreit gegeben ist.54 Das gilt auch dann, wenn um die Rechtmäßigkeit der Maßnahme eines Gemeindeorgans gestritten wird, deren Rechtsgrundlage im kommunalen Verfassungsrecht wurzelt. Ein Beispiel hierfür ist die Ausübung des Hausrechts durch den Bürgermeister/Vorsitzenden des (Gemeinde-)Rats. Dieses kommunalverfassungsrechtlich verankerte Hausrecht 55 fungiert als Rechtsgrundlage für Maßnahmen gegen außerhalb der Kommunalverwaltung stehende Personen, während das in der Sache vergleichbare Vorgehen gegen kommunale Funktionsträger (und Bedienstete) auf die innere Ordnungsgewalt des Hoheitsträgers zu stützen ist.56
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In Fall 4 handelt es sich bei J um ein Außenrechtssubjekt. Ein Kommunalverfassungsstreit liegt nicht vor. In der Sache sah das BVerwG die Untersagung von Tonbandaufzeichnungen in öffentlicher Sitzung durch das Hausrecht des Ratsvorsitzenden, das gegenüber der Pressefreiheit (Art 5 I 2 GG) ein „allgemeines Gesetz“ iSd Schrankenregelung des Art 5 II GG darstellt, als gerechtfertigt an.57
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Beim Rechtsbehelf eines Ratsmitglieds (oder eines vergleichbaren Funktionsträgers) können sich schwierige Abgrenzungsfragen zwischen Innenrechtsstreit und Außenrechtsstreit stellen. Zunächst kommt es darauf an, ob der Betreffende als Bürger (dann: Außenrechtsstreit) oder in seiner Rolle des Mandatsträgers (dann: Innenrechtsstreit) klagt. So ist zB die allgemeine staatsbürgerliche Rechtsstellung (Art 12 I GG) betroffen, wenn ein Ratsmitglied, das beruflich als Rechtsanwalt arbeitet, auf Grund des kommunalen Vertretungsverbots in einem Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren seines Mandanten gegen die Gemeinde von der Vertretung ausgeschlossen wird.58 Im Übrigen kann nach einer Faust-
53 OVG NRW NVwZ 1983, 485 (486) = JZ 1983, 25. 54 Rennert JuS 2008, 119 (123). 55 Vgl § 36 I 2 GemO BW; Art 53 I BayGO; § 45 I BbgGO; § 58 IV 1 HessGO; § 29 I 3 KV MV; § 44 I NdsGO; § 51 I GO NW; § 36 II GemO RP; § 43 I SaarlKSVG; § 38 I 2 SächsGemO; § 55 I 2 GO LSA; § 37 S. 2 GO SH; § 41 S 1 ThürKO. Zu den Stadtstaaten vgl § 7 II 1 BlnBezVerwG; § 29 II VerfBrhv; § 12 I 2 HbgBezVG. 56 Vgl dazu OVG NRW DVBl 1991, 495 (496) = NVwZ-RR 1991, 35 (36) = NWVBl 1990, 344 f; OVG NRW DÖV 1990, 979 = NWVBl 1990, 296 (297). 57 Näher zu den materiellrechtlichen Problemen Wilhelmi AfP 1992, 221 ff; Frey/Wußler/Vogt VBlBW 2007, 50 ff. 58 Vgl dazu aus der Praxis BVerfG-K DVBl 1988, 54 = NJW 1988, 694 → JK 88, GG Art 72/1, sowie BVerwG DVBl 1988, 791 = NJW 1988, 1994; zu beiden Entscheidungen Bespr Schoch JuS 1989, 531 ff; aus der Praxis ferner VG Schleswig NVwZ-RR 2001, 596; OVG NRW NWVBl 2002, 264.
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formel danach unterschieden werden, ob es um das Recht auf das (durch Wahl erworbene) Mandat geht (dann: persönliche Rechtsstellung) oder um ein Recht aus dem Mandat, dh die Art und Weise seiner Wahrnehmung (dann: organschaftliche Rechtsstellung).59 Eine absolute Abgrenzungssicherheit ergibt sich daraus aber nicht. Dies zeigen Beispiele zur Verletzung der kommunalrechtlichen Verschwiegenheitspflicht.60 Wird gegen das Ratsmitglied wegen der Pflichtverletzung ein Ordnungsgeld verhängt, liegt ein Verwaltungsakt (dh Außenwirkung, § 35 VwVfG) vor, gegen den der Betreffende mit Widerspruch und Anfechtungsklage vorgehen kann,61 trifft der (Gemeinde-)Rat jedoch – ohne weitere Sanktion – lediglich den feststellenden Beschluss, dass der Betreffende gegen seine Verschwiegenheitspflicht verstoßen habe, wird ein kommunalverfassungsrechtlicher Organstreit bejaht.62
b) Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Aufsichtsbehörde Rechtsstreitigkeiten zwischen einer kommunalen Körperschaft und der staatlichen Aufsichtsbehörde stellen Auseinandersetzungen innerhalb der Verwaltungsorganisation dar.63 Um einen Kommunalverfassungsstreit handelt es sich allerdings nicht, da nicht Organ(teil)e eines Verwaltungsträgers miteinander streiten.64 Es stehen sich vielmehr zwei eigenständige juristische Personen des Öffentlichen Rechts gegenüber (kommunale Körperschaft gegen Land). Das gilt zunächst für die Kommunalaufsicht, die eine reine Rechtsaufsicht des Staates über die Kommunen ist.65 Werden diesbezüglich Aufsichtsmaßnahmen von einer kommunalen Körperschaft gerichtlich angegriffen, klagt ein Selbstverwaltungsträger gegen das Land,66 es handelt sich um einen Außenrechtsstreit. Dasselbe gilt nach richtiger Auffassung bei Maßnahmen der staatlichen Fachaufsicht über Kommunen.67 Auch insoweit stehen sich – unabhängig von der kommunalrechtlichen Ausgestaltung der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises als Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung (monistisches Modell) oder als Auftragsangelegenheiten (dualistisches Modell) – mit Gemeinde (Stadt) und Land eigenständige Verwaltungsträger gegenüber,68 juristisch kann eine kommunale Körperschaft auch im übertragenen Wirkungskreis nicht etwa als „verlängerter Arm“ des Staates qualifiziert werden.
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Fall 5 repräsentiert einen etwas ungewöhnlichen Rechtsstreit um eine Maßnahme der Kommunalaufsicht, da nicht die Gemeinde selbst sondern ein Ratsmitglied klagt. Das OVG NRW bejahte die Klagebefugnis des M; subjektive Rechte iSd § 42 II VwGO könnten
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59 Rennert JuS 2008, 119 (123). 60 Zu den materiellrechtlichen Fragen Hahn VBlBW 1995, 425 ff; Meiski BayVBl 2006, 300 ff. 61 BayVGH NVwZ 1989, 182 = BayVBl 1989, 81 → JK GO Bay Art 20 II/26, bestätigt durch BVerwG DVBl 1990, 153 = NVwZ 1989, 975 = BayVBl 1990, 157; BayVGH BayVBl 2004, 402. 62 VGH BW NVwZ-RR 2001, 262 = VBlBW 2001, 179 (180) → JK GG Art 5 I/29; VG Minden NVwZ 1983, 495 (496). 63 Burgi in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 7 Rn 52. 64 Lorenz VerwPrR, § 25 Rn 3. 65 Ausführlich Schoch JURA 2006, 188 ff; knappe Übersicht bei Rennert JuS 2008, 119 (120 f). 66 Instruktiv NdsOVG NVwZ-RR 2008, 127 = NdsVBl 2007, 308 → JK GG Art 28 II 1/29. 67 Ausführlich dazu Schoch JURA 2006, 358 ff. 68 Instruktiv BayVGH BayVBl 2002, 336 (m Anm Reither S 768) → JK GG Art 28 II 1/27; ferner VGH BW VBlBW 2005, 229.
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gegenüber der aufsichtsbehördlichen Maßnahme auch wehrfähige Innenrechtspositionen sein (hier: Vorschriften der Geschäftsordnung). Um einen Kommunalverfassungsstreit handelt es sich allerdings nicht, da kein Streit zwischen Organ(teil)en von G vorliegt. Auch in der Sache hatte die Klage Erfolg; auf Grund seiner Geschäftsordnungsautonomie war der (Gemeinde-)Rat befugt, das gesetzlich vorgesehene Initiativrecht durch eine entsprechende Regelung in der Geschäftsordnung zu erweitern.
c) Streit um Zulassung von Bürgerbegehren 30
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Das deutsche Gemeinderecht weist inzwischen eine Vielzahl plebiszitärer Elemente auf.69 Von herausragender Bedeutung sind der Einwohnerantrag, das Bürgerbegehren und der Bürgerentscheid.70 In der Praxis kommt es nicht selten zu gerichtlichen Auseinandersetzungen, wenn der (Gemeinde-)Rat ein Bürgerbegehren bzw einen Einwohnerantrag für unzulässig erklärt.71 Auf welchem Weg die Initiatoren des Begehrens Rechtsschutz erlangen können, ist umstritten. In der Rechtsprechung ist die Auffassung verbreitet, es handele sich um ein Kommunalverfassungsstreitverfahren. Die hinter dem Begehren stehenden Initiatoren/Einwohner träten nicht als mit subjektiven Rechten des Außenrechtskreises ausgestattete Einzelne in Erscheinung, sondern quasi als Organ der gemeindlichen Verfassung; das gemeindliche Quasi-Organ „Einwohnerantrag“ bzw „Bürgerbegehren“, handelnd durch seine Vertreter, könne im Klageweg nach Maßgabe der Regeln für den verwaltungsgerichtlichen Organstreit ( → Rn 33 ff) Rechtsschutz erlangen.72 Zutreffend ist diese Rechtsauffassung nicht. Die Initiatoren eines Bürgerbegehrens/Einwohnerantrags lassen sich weder institutionell noch funktionell als „Organ“ der Gemeinde qualifizieren; sie nehmen vielmehr als Einwohner und Bürger demokratische Teilhaberechte des Außenrechtskreises wahr.73 Folglich stellt die ablehnende Entscheidung des (Gemeinde-)Rats über die Zulässigkeit des Begehrens bzw Antrags einen Verwaltungsakt dar; dagegen steht der „normale“ Rechtsschutz (Verpflichtungsklage auf Zulassung) zur Verfügung.74 Um organschaftliche Rechte des kommunalen Innenrechts wird nicht gestritten.75
69 Vgl dazu Schmidt-Aßmann/Röhl in: Schmidt-Aßmann/Schoch, BesVerwR, Kap 1 Rn 89 ff. 70 Vgl dazu die Rechtsprechungsanalyse von Oebbecke Die Verwaltung 37 (2004), 105 ff; ferner zB Engelken DÖV 2002, 977 ff; Ritgen NWVBl 2003, 87 ff; Geitmann VBlBW 2007, 321 ff und 2008, 121 ff; Scheffer LKV 2007, 499 ff. 71 Heimlich DÖV 1999, 1029 ff, der die allgemeine Leistungsklage befürwortet. 72 Insoweit „wegweisend“ OVG RP NVwZ-RR 1995, 411 (412) und NVwZ-RR 1997, 241; dem folgend OVG Bremen NVwZ-RR 2005, 54; NdsOVG NdsVBl 2001, 165 (166); SächsOVG NVwZ-RR 1998, 253 (254). 73 HessVGH DVBl 2000, 928 = NVwZ-RR 2000, 451; Schliesky ZG 1999, 91 (110); Meyer NVwZ 2003, 183. 74 BayVGH NVwZ-RR 1999, 137 = BayVBl 1998, 402 (403); OVG MV DVBl 1997, 1282 = NVwZ 1997, 306 (307); OVG NRW NWVBl 2002, 346 (347). 75 Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (161).
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In Fall 6 bejahte das OVG RP auf Grund seiner verfehlten Rechtsprechung einen Kommunalverfassungsstreit. Der Streit um die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens könne von den Vertretern der Initiative mittels Feststellungsklage im Organstreit einer gerichtlichen Klärung zugeführt werden; richtiger Beklagter sei der die Zulassung des Begehrens versagende Gemeinderat. – Juristisch zutreffend ist dies alles nicht.76
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III. Zulässigkeitsvoraussetzungen beim Kommunalverfassungsstreit Im konkreten Fall erfolgt die Prüfung der Zulässigkeit einer Klage, mit der ein Kommunalverfassungsstreit eingeleitet wird, nach den üblichen Voraussetzungen der VwGO: Zunächst müssen die allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen (1.); anschließend ist die statthafte Rechtsschutzform zu bestimmen (2.); es folgt die Ermittlung der besonderen (dh von der jeweiligen Rechtsschutzform abhängigen) Sachentscheidungsvoraussetzungen (3.); schließlich darf das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis nicht übersehen werden (4.). Zu beachten ist immer, dass es um einen Innenrechtsstreit geht.
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1. Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen Fall 7: Die im (Gemeinde-)Rat von G vertretene F-Fraktion schloss Fraktionsmitglied N mit der Begründung aus der Fraktion aus, man sei überzeugt, N habe bei einer geheimen Wahl für den Kandidaten der Gegenseite gestimmt. N bestreitet dies und beantragt beim zuständigen VG, ihm im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Mitarbeit in der F-Fraktion zu sichern.77
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Fall 8: Die drei Mitglieder A, B und C des Kreistags des Landkreises Y, die als Kandidaten auf den Listen der PDS, der NPD und der Freien Wählergruppe (FWG) gewählt worden waren, schlossen sich zu einer Fraktion zusammen. Der Kreistag von Y erkannte den Fraktionsstatus nicht an, weil es an der grundsätzlichen politischen Übereinstimmung von A, B und C fehle. Diese sehen durch den Kreistag ihr von Art 28 I 2 iVm Art 38 I 2 GG geschütztes freies Mandat verletzt, welches das Recht zur Bildung einer Fraktion enthalte und nicht von der Anerkennung seitens eines anderen Kommunalorgans abhänge. A, B und C fragen, ob sie beim BVerfG Rechtsschutz erlangen können.78
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Fall 9: In der Stadt S soll der Hauptbahnhof umgebaut werden. Der Stadtrat kann sich auf die Aufstellung eines entsprechenden Bebauungsplans nicht einigen. Oberbürgermeister O erteilt daraufhin die Baugenehmigung nach Maßgabe des § 34 I BauGB. Stadtratsmitglied T und die F-Fraktion meinen, O habe seine Kompetenzen überschritten und in die Zuständigkeit des Stadtrates eingegriffen. T und F klagen beim zuständigen VG und beantragen zudem, O bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen, die Baugenehmigung in Vollzug zu setzen.79
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76 Zutreffende Lösung bereits durch VGH BW DÖV 1988, 476 = VBlBW 1988, 217 (218). 77 Fall nach HessVGH DVBl 1990, 830 = NVwZ 1990, 391. 78 Fall nach OVG NRW DVBl 2005, 651 = NVwZ-RR 2005, 497 = NWVBl 2005, 213 und BVerfG-K NVwZ-RR 2005, 494. 79 Fall nach SächsOVG NVwZ-RR 1997, 665 = SächsVBl 1997, 120.
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a) Verwaltungsrechtsweg 37
Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz kann im Kommunalverfassungsstreit nur erreicht werden, wenn – da abdrängende oder aufdrängende Rechtswegzuweisungen nicht eingreifen – gemäß § 40 I 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Der Kommunalverfassungsstreit müsste folglich als ör Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art qualifiziert werden können. Das ist – nahezu unumstritten – der Fall.80
(1) Öffentlichrechtliche Streitigkeit 38
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Eine ör Streitigkeit iSd § 40 I 1 VwGO ist gegeben, wenn um die Rechtsfolgen aus der Anwendung von Vorschriften des Öffentlichen Rechts gestritten wird. Da das kommunale Organisationsrecht als Sonderrecht des Staates zu qualifizieren ist, sind Organstreitigkeiten auf kommunaler Ebene nach Maßgabe des Öffentlichen Rechts zu beurteilen.81 § 40 I 1 VwGO unterscheidet nicht danach, ob die streitentscheidenden ör Normen dem Außenrechtskreis angehören oder solche des organschaftlichen Innenrechts sind. Folglich gehören zu den „ör Streitigkeiten“ iSd § 40 I 1 VwGO auch Innenrechtsstreitigkeiten wie zB der Kommunalverfassungsstreit (→ § 21 Rn 50).82 Im Übrigen stellen die Vorschriften des kommunalen Organisationsrechts nicht etwa Normen minderer Rechtsqualität dar. Die auf den Binnenbereich (staatlicher oder) kommunaler Organisationen zielenden Gesetzesbestimmungen sind normativ verbindliche Rechtssätze des Öffentlichen Rechts.83 Abgrenzungsfragen zu „bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten“ (§ 13 GVG) stellen sich in der Praxis vornehmlich in zwei Fallkonstellationen. Beim Streit um Äußerungen eines Funktionsträgers, insbesondere eines (Gemeinde-)Ratsmitglieds (zB wegen Ehrverletzung, Störung des Sitzungsablaufs, Verstoß gegen Verschwiegenheitspflichten), ist zu klären, ob eine Meinungskundgabe in Wahrnehmung der amtlichen Funktion (des Mandats) vorgenommen worden ist oder ob der Betreffende als Privatperson agierte. Auch als kommunaler Funktionsträger verliert zB ein Ratsmitglied während der Ratssitzungen nicht sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art 5 I 1 GG); allerdings nimmt der Betreffende mit Redebeiträgen in Ratssitzungen nicht sein Grundrecht der Meinungsfreiheit zur Äußerung und Verbreitung privater Meinungen wahr, sondern er nimmt als Teil des Gemeindeorgans „Rat“ seine organschaftlichen Befugnisse in Anspruch, so dass zB das Rederecht organschaftliche (und nicht grundrechtliche) Qualität hat.84 Treffend hat das BVerfG festgestellt, „die Mandatsträger auf kommunaler Ebene sind Inhaber eines öffentlichen Amtes und üben kraft dieses Amtes hoheitliche Gewalt aus“.85 Streitigkeiten, die insoweit entstehen, sind demnach ör Natur. Das Tragen von Aufklebern mit politischem Inhalt bei Ratssitzungen gehört nicht zu den organschaftlichen Mitgliedschaftsrechten, und das
80 VG Würzburg BayVBl 1989, 153 (154); Bauer/Krause JuS 1996, 411; Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (158); Gersdorf VerwPrR, Rn 267; Hufen VerwPrR, § 21 Rn 3; Lorenz VerwPrR, § 25 Rn 9; Würtenberger VerwPrR, Rn 668 f. 81 Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (158). 82 Fehrmann NWVBl 1989, 303 (304); Lerche FS Knöpfle (Fn 38) 174. 83 Krebs JURA 1981, 569 (572 f). 84 BVerwG DVBl 1988, 792 (793) = NVwZ 1988, 837 = VBlBW 1989, 15 → JK GO RP §§ 36, 38/1; VGH BW NVwZ-RR 1993, 505 (506) = VBlBW 1993, 259 f. 85 BVerfG-K NVwZ 1994, 56 (57). – Kaum haltbar daher VGH BW NVwZ-RR 2001, 262 = VBlBW 2001, 179: Schutz von Redebeiträgen einer Gemeinderätin durch Art 5 I 1 GG; vgl zur Kritik → JK GG Art 5 I/29.
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Grundrecht des Art 5 I 1 GG steht dem Ratsmitglied nicht in seiner Eigenschaft als Amtswalter zu.86 Soweit der Betreffende zugleich als Privatperson durch das Tragen eines Aufklebers von seiner privaten Meinungsäußerungsfreiheit Gebrauch macht, greift die Befugnis des Ratsvorsitzenden zur Aufrechterhaltung der Ordnung in den Sitzungen 87 ein und ermächtigt iSd Art 5 II GG zur Untersagung privater Meinungsäußerungen.88 Vor diesem Hintergrund ist ein Kommunalverfassungsstreit nur dann zu verneinen, wenn ein kommunaler Funktionsträger eine Äußerung lediglich „bei Gelegenheit“ zB einer Ratssitzung vornimmt und damit ersichtlich als Privatperson agiert.89 Fraktionen sind Untergliederungen des (Gemeinde-)Rats oder Kreistags, denen nach dem Kommunalrecht der Länder besondere Rechte zuerkannt werden.90 Wenig überzeugend ist daher die Auffassung, Fraktionen seien privatrechtliche Zusammenschlüsse von (Gemeinde-)Ratsmitgliedern, so dass zB rechtliche Auseinandersetzungen um die Mitgliedschaft in einer Fraktion als bürgerliche Rechtsstreitigkeit mit der Folge zu qualifizieren seien, dass der Zivilrechtsweg beschritten werden müsse.91 Da die Fraktionsbildung ihre Grundlage im Kommunalrecht (GemO, LKrO, eventuell Geschäftsordnung) findet, sind die fraktionsinternen Rechtsbeziehungen dem Öffentlichen Recht zuzuordnen 92. Im Konfliktfall machen die Fraktionsmitglieder nicht etwa in ihrer Eigenschaft als natürliche Personen subjektive Rechte des Außenrechtskreises geltend, sondern sie streiten um Rechte des gemeindlichen bzw kreislichen Innenbereichs.93 Diese Streitigkeiten sind gerichtlich im Verwaltungsrechtsweg auszutragen.94 Zu Fall 7 erkannte der HessVGH zutreffend, dass der Streit um die Fraktionsmitgliedschaft des N eine ör Streitigkeit (nichtverfassungsrechtlicher Art) iSd § 40 I 1 VwGO darstellt. Der Zusammenschluss von Gemeindevertretern zu einer Fraktion beurteile sich nach Kommunalrecht, so dass auch das Innenverhältnis der Fraktion nach Maßgabe ör Vorschriften zu beurteilen sei. In der Sache hatte der Eilantrag des N Erfolg, weil ein „wichtiger Grund“ für den Fraktionsausschluss objektiv nicht festgestellt werden konnte, sondern F nur nach eigener „Überzeugung“, also mit bloßen Vermutungen, vorgegangen war.
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(2) Keine verfassungsrechtliche Streitigkeit Im Verwaltungsrechtsweg werden ör Streitigkeiten gemäß § 40 I 1 VwGO nur dann ausgetragen, wenn es sich um solche nichtverfassungsrechtlicher Art handelt. Auch diese Vor-
86 OVG RP NVwZ 1987, 1105. 87 Vgl dazu Schmidt-Aßmann/Röhl in: Schmidt-Aßmann/Schoch, BesVerwR, 1. Kap Rn 63. 88 BVerwG DVBl 1988, 792 (793) = NVwZ 1988, 837 = VBlBW 1989, 15 → JK GO RP §§ 36, 38/1; OVG RP NVwZ 1985, 673. 89 Hufen VerwPrR, § 21 Rn 4. 90 Vgl Schmidt-Aßmann/Röhl in: Schmidt-Aßmann/Schoch, BesVerwR, 1. Kap Rn 66a. 91 So aber BayVGH NJW 1988, 2754 = BayVBl 1988, 432 → JK VwGO § 40 I/19. 92 Franz JURA 2005, 156 (157); Ogorek JuS 2009, 511 (512); Hufen VerwPrR, § 21 Rn 5; Lorenz VerwPrR § 25 Rn 27. 93 OVG NRW DVBl 1989, 940 = DÖV 1989, 592 = NJW 1989, 1105 = NWVBl 1989, 130. 94 OVG NRW DVBl 1993, 213 (214) = NVwZ 1993, 399 (m Bespr Lange JuS 1994, 296); NdsOVG DÖV 1993, 1101 = NVwZ 1994, 506; Schmidt-Aßmann/Röhl in: Schmidt-Aßmann/Schoch, BesVerwR, 1. Kap Rn 66a.
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aussetzung liegt beim Kommunalverfassungsstreit vor, und zwar unabhängig davon, ob für einen „Verfassungsstreit“ mit der hM die sog doppelte Verfassungsunmittelbarkeit gefordert wird 95 oder ob darauf abgestellt wird, dass der Rechtsschutzgegner ein Verfassungsrechtssubjekt ist, das als solches verpflichtet werden soll (→ § 21 Rn 60).96 Denn es streiten beim Kommunalverfassungsstreit Verwaltungsorgane bzw deren Teile um verwaltungsrechtliche Wahrnehmungszuständigkeiten. Das sog Kommunal„verfassungs“recht ist das Recht des inneren Gemeindeaufbaus 97 bzw der internen (Land-)Kreisorganisation, stellt also Verwaltungsrecht dar. An diesem Befund ändert sich nichts dadurch, dass Auslegung und Anwendung der im konkreten Fall einschlägigen Vorschriften vielfach durch Vorgaben des Verfassungsrechts geprägt werden.98 Dies stellt einen ganz normalen Vorgang in unserer Rechtsordnung dar. Nichts anderes ergibt sich aus Art 28 I GG. Die Kommunalvertretung ist (ebenso wie andere Gemeinde- oder Kreisorgane) das Organ einer Selbstverwaltungskörperschaft und kein Parlament.99 Daran ändert auch die Legitimation durch Wahlen nichts.100 Mit der Verfassungsbeschwerde (Art 93 I Nr 4a GG, §§ 90 ff BVerfGG) können kommunale Mandatsträger das BVerfG wegen der Verletzung organschaftlicher Rechte zulässigerweise nicht anrufen.101 In seiner Fall 8 betreffenden Entscheidung hat das BVerfG ausgeführt: „Im Streit steht nicht das Verhältnis zwischen Verfassungsorganen oder -organteilen, sondern stehen die organschaftlichen Beziehungen innerhalb einer kommunalen Körperschaft. Dieses Verhältnis wird durch einfaches Recht geregelt. Auf das einfachgesetzliche Kommunalverfassungsrecht hat das Verfassungsrecht bestimmenden Einfluss, etwa durch die Verpflichtung auf die repräsentative Demokratie durch Art. 28 I 2 GG. Der Kommunalverfassungsstreit wird dadurch aber nicht zu einem Organstreit verfassungsrechtlicher Art, für den es einen Zugang zum BVerfG gäbe. Er ist vor den Verwaltungsgerichten auszutragen, die die besondere verfassungsrechtliche Prägung bei ihren Entscheidungen zur Geltung zu bringen haben.“ In der Sache selbst ist die Auffassung des Kreistags angesichts der Bündelungs-, Koordinierungsund Organisationsfunktionen von Fraktionen in (Parlamenten und) kommunalen Vertretungskörperschaften zutreffend. Nur Kreistagsmitglieder mit in wesentlicher Hinsicht übereinstimmender politischer Überzeugung können im Rechtssinne – und nicht nur technisch (zwecks Erlangung bestimmter rechtlicher Vorteile) – eine Fraktion bilden.
b) Beteiligungsfähigkeit 44
Beteiligt am Kommunalverfassungsstreit sind Kläger (§ 63 Nr 1 VwGO) und Beklagter (§ 63 Nr 2 VwGO)102; die Beiladung (§ 65 VwGO) spielt so gut wie keine Rolle, so dass ein weiterer Beteiligter (§ 63 Nr 3 VwGO) kaum zu gewärtigen ist. Welchen Beteiligten die
95 Hufen VerwPrR, § 11 Rn 49; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 188; Tettinger/Wahrendorf VerwPrR, § 9 Rn 25; Würtenberger VerwPrR, Rn 161. 96 Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 149. 97 Schmidt-Aßmann/Röhl in: Schmidt-Aßmann/Schoch, BesVerwR, 1. Kap Rn 55. 98 OVG Berlin LKV 2000, 453. 99 Ausführlich dazu von Ungern-Sternberg JURA 2007, 256 ff. 100 BVerfGE 78, 344 (348) = DVBl 1989, 146 = NVwZ 1989, 46. 101 BVerfG-K NVwZ 1994, 56 (57). 102 Beim Normenkontrollverfahren (→ Rn 88 ff) und beim Eilverfahren (→ Rn 92 ff) sind „Antragsteller“ und „Antragsgegner“ Beteiligte.
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Fähigkeit zuerkannt wird, Subjekt eines Prozessrechtsverhältnisses zu sein, bestimmt § 61 VwGO (allgemein dazu → § 21 Rn 134 ff). Diese Vorschrift ist auf den Außenrechtskreis zugeschnitten.103 Organ(teil)e sind weder natürliche noch juristische Personen (Nr 1) und auch keine – im Außenrechtskreis agierenden 104 – Behörden (Nr 3); sie können (soweit es um Kollegialorgane geht) auch nicht als „Vereinigungen“ (Nr 2) begriffen werden, da insoweit teilrechtsfähige Personenmehrheiten mit Außenrechtsfähigkeit erfasst werden.105 Indem § 61 VwGO keine Regelung zu Innenrechtsstreitigkeiten trifft, entsteht für die rechtliche Begründung der Beteiligungsfähigkeit im Kommunalverfassungsstreit rechtsdogmatisch ein Problem. Soweit der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist (§ 40 I 1 VwGO), muss andererseits jedoch die Fähigkeit der Organ(teil)e, Beteiligte eines Verwaltungsprozesses sein zu können, gewährleistet sein.106 Es wäre widersprüchlich, zunächst die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs zu bejahen, dann jedoch einem klagenden Organ(teil) die Beteiligungsfähigkeit im Prozess zu versagen. Im Ergebnis besteht daher Einigkeit darüber, dass die Zulässigkeit einer Klage im Kommunalverfassungsstreit nicht an § 61 VwGO scheitert.107 Die juristische Absicherung der Beteiligungsfähigkeit wird daher in erster Linie zu einem Konstruktionsproblem, dessen Lösung neben methodischen Herausforderungen allerdings auch sachliche Konsequenzen nach sich zieht (→ Rn 50 ff).
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(1) Rechtliche Grundlage Einigkeit besteht darüber, dass § 61 Nr 3 VwGO als Grundlage für die Herleitung der Beteiligungsfähigkeit im Kommunalverfassungsstreit von vornherein ausscheidet. Abgesehen davon, dass die Bestimmung einen Vorbehalt für das Landesrecht normiert, von dem nicht in allen Ländern Gebrauch gemacht worden ist, erfasst § 61 Nr 3 VwGO mit „Behörden“ nur außengerichtet handelnde Verwaltungsstellen; eine Anwendung auf Innenrechtsstreitigkeiten kommt daher nicht in Betracht.108 Bei monokratisch besetzten Organen (zB Bürgermeister, Landrat) wird die Beteiligungsfähigkeit im Kommunalverfassungsstreit verschiedentlich mit § 61 Nr 1 VwGO zu begründen versucht; ein Organwalter verliere nämlich seine Eigenschaft als Individuum nicht, sondern bleibe natürliche Person.109 Diese Erwägung trägt indessen nicht. Im Kommunalverfassungsstreit wird nicht um persönliche Rechte des Organwalters, dh um die Individualrechte der natürlichen Person, gestritten, sondern um die innerorganisatorischen Wahrnehmungszuständigkeiten des Organ(teil)s.110 Allenfalls könnte eine analoge Anwen-
103 Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (158); Rennert JuS 2008, 119 (123); Bier in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 61 Rn 7; aA Ogorek JuS 2009, 511 (516). 104 Burgi in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 7 Rn 29 („jede Behörde ist zugleich Organ, aber nicht jedes Organ ist immer zugleich Behörde“). 105 Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (159); Rennert JuS 2008, 119 (123 f). 106 Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzer, VwGO, § 61 Rn 7. 107 Hufen VerwPrR, § 21 Rn 6; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 543; Würtenberger VerwPrR, Rn 670 f. Die Rechtsprechung macht sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, kaum noch die Mühe, die Beteiligungsfähigkeit im Organstreit (juristisch korrekt) zu begründen. 108 Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (159); Meister JA 2004, 414 (416); Franz JURA 2005, 156 (160); Ogorek JuS 2009, 511 (516). 109 Rausch JZ 1994, 696 (699); Meister JA 2004, 414 (416). 110 SächsOVG NVwZ-RR 1997, 665 = SächsVBl 1997, 120 (121); Bauer/Krause JuS 1996, 512 (515); Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (158 f); Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 61 Rn 3.
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dung des § 61 Nr 1 VwGO beim Organstreit in Bezug auf monokratisch besetzte Organe in Betracht gezogen werden.111 Die hM geht jedoch einen anderen Weg und stützt die Beteiligungsfähigkeit der Organ(teil)e – sowohl bei Kollegialorganen als auch bei monokratisch besetzten Organen – auf eine entsprechende Anwendung des § 61 Nr 2 VwGO ( → § 21 Rn 152).112 Die teilweise befürwortete unmittelbare Anwendung der Bestimmung (jedenfalls bei Kollegialorganen)113 kommt nicht in Betracht, da kommunale Organe keine (Personen-)Vereinigungen mit Rechten im Außenrechtskreis sind 114. Für die analoge Anwendung des § 61 Nr 2 VwGO spricht, dass in dem Nachsatz „soweit ihnen ein Recht zustehen kann“ der allgemeine Rechtsgedanke zum Ausdruck kommt, dass im Verwaltungsprozess beteiligungsfähig ist, wer Zuordnungssubjekt eines ihn berechtigenden Rechtssatzes ist.115 Bei streng methodischer Betrachtungsweise handelt es sich bei der entsprechenden Anwendung des § 61 Nr 2 VwGO hinsichtlich monokratisch besetzter Organe um eine doppelte Analogie: einmal bezüglich des auf eine Personenmehrheit zielenden Begriffs „Vereinigung“, zum anderen wegen der im kommunalen Innenrechtskreis angesiedelten Streitigkeit.116 Die konstruktiven Schwierigkeiten bei einer juristisch sauberen Begründung der Beteiligungsfähigkeit im Organstreit zeigen, dass letztlich Rechtsfortbildung betrieben wird.117 Der Rückgriff auf die Analogie zu § 61 Nr 2 VwGO durch die hM kann dies nur mühsam verdecken.
(2) Wehrfähige Innenrechtsposition 50
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Die Heranziehung des § 61 Nr 2 VwGO hat sachliche Konsequenzen. Käme bei monokratisch besetzten Organen § 61 Nr 1 VwGO (analog) zur Anwendung, wäre mit Hinweis auf den einen Organwalter dessen Beteiligungsfähigkeit im Verwaltungsprozess bejaht. Die Ermittlung der Beteiligungsfähigkeit über die entsprechende Anwendung des § 61 Nr 2 VwGO verlangt, dass den streitenden Organ(teil)en „ein Recht zustehen kann“. Fehlt es daran, ist die Klage mangels Beteiligungsfähigkeit unzulässig. Im konkreten Fall kann die Beteiligungsfähigkeit eines Organ(teil)s nach der Vorgabe des § 61 Nr 2 VwGO (analog) nur anerkannt werden, soweit diesem Beteiligten ein organschaftliches Recht zustehen kann. Es genügt demnach nicht, dass die am Kommunalver-
111 So Gern VBlBW 1989, 449 (451); Franz JURA 2005, 156 (160); aA Ogorek JuS 2009, 511 (516). 112 SächsOVG NVwZ-RR 1997, 665 = SächsVBl 1997, 120 (121); OVG Berlin LKV 2000, 453 (bzgl der Bezirke Berlins); Schmidt-Aßmann/Röhl in: Schmidt-Aßmann/Schoch, BesVerwR, 1. Kap Rn 84; Lorenz VerwPrR, § 25 Rn 21; Gersdorf VerwPrR, Rn 276; Schenke VerwPrR, Rn 457; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 543; Tettinger/Wahrendorf VerwPrR § 10 Rn 7 und § 22 Rn 6; Würtenberger VerwPrR, Rn 670; Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 61 Rn 7. Ebenso für einen anderen Organstreit OVG NRW NWVBl 1998, 149. 113 HessVGH NVwZ 1986, 328; ThürOVG DVBl 2000, 935 = LKV 2000, 358 = ThürVBl 2000, 104 (105); Rausch JZ 1994, 696 (699); Ogorek JuS 2009, 511 (516). 114 SächsOVG NVwZ-RR 1997, 665 = SächsVBl 1997, 120 (121); Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (159). 115 Rennert JuS 2008, 119 (124); Würtenberger VerwPrR, Rn 670. 116 Schoch JuS 1987, 783 (787); Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 61 Rn 7. 117 Erichsen in: FS Menger, 1985, 211 (223); Schoch JuS 1987, 783 (787); Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (159) unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung BT-Drucks I/4278, 39 (kein Anlass, für Behörden desselben Rechtsträgers durch Verleihung der Parteifähigkeit die Möglichkeit zur Führung von Verwaltungsgerichtsprozessen gegeneinander zu schaffen).
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fassungsstreit Beteiligten allgemein Zuordnungssubjekt irgendeines Innenrechtssatzes sein können; vielmehr muss die wehrfähige Innenrechtsposition gerade im Hinblick auf den konkreten Rechtsstreit bestehen.118. Nimmt man § 61 Nr 2 VwGO (analog) ernst, muss bei der Ermittlung der Beteiligungsfähigkeit abschließend geprüft werden, ob dem klagenden Organ(teil) gegenüber dem beklagten Organ(teil) die streitige organschaftliche Rechtsposition zustehen kann.119 Das bedeutet, dass die Versubjektivierung der organschaftlichen Rechtsposition(en) (→ Rn 13 ff) im Fallaufbau an dieser Stelle zu klären ist. § 61 Nr 2 VwGO (analog) übernimmt im Organstreit die ansonsten – dh im Außenrechtsstreit zwischen einer natürlichen oder juristischen Person und einem Hoheitsträger – § 42 II VwGO zukommende Kernfunktion: die Herausfilterung der im Verwaltungsprozess rügefähigen Rechtspositionen 120. Erfolgte (in der Praxis) eine ordnungsgemäße Zulässigkeitsprüfung der verwaltungsgerichtlichen Organklage, bliebe bei der Klagebefugnis die – kaum problematische – Ermittlung der Geltendmachung einer Rechtsverletzung.121 In der Sache selbst kann eine Organkompetenz als wehrfähige Innenrechtsposition qualifiziert werden, wenn sie dem Organ(teil) zur eigenständigen Wahrnehmung übertragen und dadurch der Schutz des Innenrechtssubjekts bezweckt ist.122 Das setzt zum einen voraus, dass der betreffende Rechtssatz nicht nur objektivrechtlich im Funktionsinteresse der Gesamtorganisation (also der kommunalen Körperschaft) wirkt; zum anderen muss die „subjektivrechtlich“ interpretierbare und damit wehrfähige Innenrechtsposition gerade dem Kläger (auf der Beklagtenseite: dem Beklagten) zustehen.123 Der „soweit“-Satz des § 61 Nr 2 VwGO (analog) ist nicht erfüllt, wenn im konkreten Fall zwar eine wehrfähige Rechtsposition ermittelt werden kann, diese jedoch einem anderen Organ als dem Kläger zuzuordnen ist.124
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(3) Beispiele aus der Praxis Die Frage nach der Existenz einer wehrfähigen Innenrechtsposition stellt sich in der Praxis vor allem in Bezug auf den Kläger (Antragsteller). Zur Gewinnung eines Überblicks kann nach dem Rechtsschutzbegehren der verschiedenen Organ(teil)e differenziert werden.
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(a) Mitglieder der kommunalen Vertretungskörperschaft Inwieweit dem Mitglied einer kommunalen Vertretungskörperschaft (Rat/Gemeindevertretung, Kreistag) ein „Recht“ iSd § 61 Nr 2 VwGO (analog) zustehen kann, ist nach Maßgabe der im konkreten Rechtsstreit einschlägigen Norm des Kommunalrechts zu entschei-
118 SächsOVG NVwZ-RR 1997, 665 = SächsVBl 1997, 120 (121); Erichsen FS Menger (Fn 117) 224; Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (159); Meister JA 2004, 414 (416); Würtenberger VerwPrR, Rn 671; Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 61 Rn 6 f; aA Bethge Die Verwaltung 8 (1975), 459 (474); Schenke VerwPrR, Rn 462a. 119 Die Rechtsprechung ignoriert überwiegend diese Vorgabe des Verwaltungsprozessrechts und prüft die aufgeworfenen Fragen im Rahmen der Klagebefugnis. 120 Schoch JuS 1989, 783 (790). 121 Vgl dazu auch Ehlers NVwZ 1990, 105 (110). 122 OVG NRW NWVBl 1998, 149 (150); Ehlers fordert zusätzlich, dass „kein Interessenausgleich möglich ist“ → § 21 Rn 149; andernfalls läge schon ein unzulässiger Insichprozess vor, → Rn 10 ff. 123 OVG NRW DVBl 1993, 216 = NVwZ-RR 1993, 157 = NWVBl 1993, 91 (zu § 42 II VwGO). 124 VGH BW VBlBW 1999, 304 (zu § 42 II VwGO) → JK GO BW § 34 I 1/1.
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den125. Eine wehrfähige Innenrechtsposition wurde angenommen in Bezug auf die ordnungsgemäße Einladung zur (Gemeinde-)Ratssitzung,126 beim Begehren auf Änderung der Tagesordnung einer Ratssitzung,127 zum Informationsanspruch hinsichtlich einer Aufgabe(nwahrnehmung) des Rates,128 gegenüber einer Redezeitbeschränkung im Gemeinderat durch den Vorsitzenden,129 beim Streit um die Pflicht zur Teilnahme an der Gemeinderatssitzung,130 hinsichtlich der Verpflichtung des Ratsvorsitzenden zur Abstimmung über einen Tagesordnungspunkt,131 gegen einen Ordnungsruf des Ratsvorsitzenden,132 beim Streit um die (Verletzung der) Verschwiegenheitspflicht 133 und gegenüber dem Ausschluss von der Mitwirkung im Rat (Beratung, Entscheidung) wegen – angeblicher – Befangenheit (→ Fn 14). Auch die Verhängung eines Rauchverbots in Ratssitzungen konnte erstritten werden.134 Wehrfähig ist ferner das Recht von (Gemeinde-)Rats- bzw. Kreistagsmitgliedern zum Zusammenschluss zu einer Fraktion.135 Keine wehrfähige Innenrechtsposition hat das einzelne Rats-/Kreistagsmitglied bezüglich einer Feststellung der objektiven Rechtswidrigkeit eines Beschlusses des (Gemeinde-)Rats/Kreistags,136 denn der verwaltungsgerichtliche Organstreit dient dem Schutz der dem klagenden Organ(teil) durch das Innenrecht zugewiesenen Rechtspositionen, nicht aber der gerichtlichen Feststellung der objektiven Rechtswidrigkeit eines Rats-/ Kreistagsbeschlusses.137 Auch gegenüber einer (rechtswidrigen) Eilentscheidung des Bürgermeisters kann das einzelne Ratsmitglied kein „eigenes“ organschaftliches Recht geltend machen, weil die Verteidigung der Kompetenzen des (Gemeinde-)Rates allein diesem zusteht.138 Die Tagesordnungsinitiative eines einzelnen Ratsmitglieds wird nicht von einer wehrfähigen Innenrechtsposition gestützt, wenn die Gemeindeordnung ein Quorum von einem Viertel der gesetzlichen Zahl der Ratsmitglieder für einen Antrag zur Aufstellung der Tagesordnung vorschreibt.139 Ein fraktionsloses Gemeinderatsmitglied hat kein „ihm“
125 Sofern es an speziellen Regelungen fehlt, dient vielfach das „freie Mandat“ als Grundlage für rechtliche Herleitungen; vgl Nolte DVBl 2005, 870 ff. 126 VGH BW DÖV 1988, 469 (470); VGH BW NVwZ-RR 1990, 369 = VBlBW 1990, 457 (458). 127 SächsOVG DVBl 1997, 1287 = LKV 1997, 229 = SächsVBl 1997, 13. 128 OVG Bbg LKV 1999, 34; HessVGH DÖV 1998, 1020 = NVwZ-RR 1998, 773; OVG NRW NVwZ-RR 2003, 225 = NWVBl 2002, 381 → JK VwGO § 61 Nr 2/5; VG Würzburg BayVBl 1989, 153 (154); aA BayVGH BayVBl 1999, 278 → JK GO Bay Art 46 II/1. 129 VGH BW NVwZ-RR 1994, 229 (230) = VBlBW 1994, 99 (100). 130 VGH BW NVwZ-RR 1997, 181 = VBlBW 1996, 99 → JK GO BW § 34 III/1. 131 VGH BW NVwZ-RR 1992, 204 = VBlBW 1992, 97. 132 OVG RP DÖV 1996, 474 = NVwZ-RR 1996, 52. 133 VG Minden NVwZ 1983, 495 (496); vgl ferner → Text zu Fn 62. 134 OVG NRW DVBl 1983, 53 (54) = NVwZ 1983, 485 (486) = JZ 1983, 25; VG Würzburg NJW 1981, 243; VG Stade NJW 1988, 790. Zum Rauchverbot für Ausschusssitzungen OVG NRW DVBl 1991, 498 = NVwZ-RR 1991, 260 = NWVBl 1991, 16 → JK GO NW § 36 I/2. 135 VGH BW NVwZ-RR 1989, 425 = VBlBW 1989, 178; BayVGH NVwZ-RR 2000, 811; OVG RP NVwZ-RR 1991, 506; NVwZ-RR 1997, 310. Vgl auch die Entscheidungen zu Fall 8. 136 VGH BW DÖV 1988, 469 (470). 137 OVG NRW NVwZ-RR 2003, 225 = NWVBl 2002, 381 → JK VwGO § 61 Nr 2/5; OVG NRW NVwZ-RR 2003, 376 = NWVBl 2003, 309 (310). 138 VGH BW DVBl 1993, 212 = DÖV 1993, 211 = NVwZ 1993, 396 = VBlBW 1993, 179. 139 BVerwG DVBl 1993, 891 (892) = NVwZ-RR 1993, 210; OVG NRW NVwZ-RR 2005, 427 = NWVBl 2005, 375; VG Leipzig LKV 2000, 317. Zulässigkeit der Klage zu Unrecht bejahend hingegen VGH BW NVwZ 1984, 664 = VBlBW 1984, 317; OVG SH NVwZ-RR 1994, 459 (460).
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zustehendes Recht gegenüber einer vom Rat beschlossenen Redezeitbeschränkung für Gemeinderatsfraktionen.140 Ein klagbares Recht hat das einzelne Ratsmitglied auch nicht bezüglich der Mitgliedschaft in einem Ausschuss.141 Dass Grundrechte keine Wahrnehmungszuständigkeiten des Innenrechts zu begründen vermögen, ist bereits dargelegt worden (→ Rn 39). Kontrovers beurteilt wird die Klagbarkeit eines Rechts des (Gemeinde-)Ratsmitglieds auf Einhaltung der kommunalrechtlichen Bestimmungen zur Sitzungsöffentlichkeit (→ § 21 Rn 151). Nach hM schützt der Grundsatz der Öffentlichkeit von (Gemeinde-)Ratssitzungen ausschließlich öffentliche Interessen und vermittelt dem einzelnen Mandatsträger daher keine wehrfähige Innenrechtsposition.142 Die Gegenauffassung bejaht die „Versubjektivierung“ vor allem unter Hinweis auf das Antragsrecht des einzelnen Funktionsträgers zum Ausschluss der Öffentlichkeit sowie mit der Verschwiegenheitspflicht des Einzelnen.143
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(b) Fraktionen Ob einer im (Gemeinde-)Rat oder im Kreistag vertretenen Fraktion ein „eigenes“ organschaftliches Recht zustehen kann, hängt teilweise sehr stark von der spezifischen Ausgestaltung des Kommunalrechts in den einzelnen Ländern ab. Andererseits lassen sich aber auch markante wehrfähige Innenrechtspositionen benennen, die länderübergreifend Anerkennung finden. Klagefähig im Kommunalverfassungsstreit ist das Initiativrecht einer Fraktion zur Aufnahme eines bestimmten Punktes in die Tagesordnung der Rats-/Kreistagssitzung,144 darin eingeschlossen ist das Recht auf mündliche Erläuterung im Gremium.145 Einklagbar ist auch die in der Gemeindeordnung normierte Informationspflicht des Hauptverwaltungsbeamten.146 Eine Fraktion kann ferner das Mitwirkungsrecht (Stimmrecht) des Bürgermeisters im Rat verwaltungsgerichlich klären lassen 147. Eine wehrfähige Innenrechtsposition besteht zudem im Falle der Benachteiligung einer Fraktion bei gemeindlichen Zuwendungen an die Ratsfraktionen148. Eine Ratsfraktion durfte sogar als eigenes organschaftliches Recht geltend machen, einem sachkundigen Bürger
140 VGH BW NVwZ-RR 1994, 229 = VBlBW 1994, 99 (100). 141 BVerwG DVBl 1994, 216 = DÖV 1994, 697 = NVwZ-RR 1994, 109; OVG RP DÖV 1996, 612 = NVwZ-RR 1996, 460; ferner OVG NRW NVwZ-RR 2005, 495 (bzgl Kreisausschuss); aA OVG Bremen DVBl 1990, 829 = DÖV 1990, 751 = NVwZ 1990, 1195 → JK GO BW § 40/1. Antrags-, Rede- und Stimmrecht hat ein einzelnes (fraktionsloses) Ratsmitglied in einem Ausschuss, dem es nicht angehört, nicht; VGH BW DVBl 1990, 827 = DÖV 1990, 625 = NVwZ 1990, 893 = VBlBW 1990, 346 → JK GO BW § 40/1; OVG SH NVwZ-RR 1994, 459. 142 VGH BW DVBl 1992, 981 (982) = NVwZ-RR 1992, 373 = VBlBW 1992, 375 → JK GO BW § 35 I/1; Schnapp VerwArch 78 (1987), 407 (428 ff); Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (160). 143 OVG NRW DVBl 1990, 160 = NVwZ 1990, 186 = NWVBl 1989, 436; OVG NRW DVBl 2001, 1281 = NVwZ-RR 2002, 135 → JK GO NW § 48 II/1; NWVBl 2009, 221. 144 OVG NRW NVwZ-RR 1996, 222 = NWVBl 1996, 7; OVG Saarland NVwZ-RR 1993, 210; SächsOVG LKV 2002, 333; VG Gera DÖV 2003, 257. 145 OVG NRW DVBl 1989, 944 = DÖV 1989, 595 = NVwZ-RR 1989, 380 = NWVBl 1989, 132; ThürOVG DVBl 2000, 935 = LKV 2000, 358 = ThürVBl 2004, 104. 146 OVG NRW NWVBl 1991, 115; NVwZ 1999, 1252; VG Gelsenkirchen NWVBl 1989, 101. 147 OVG NRW NVwZ-RR 1997, 52 = NWVBl 1996, 191. 148 OVG NRW NVwZ-RR 2003, 376 = NWVBl 2003, 309.
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stehe ein Anspruch auf Sitzungsgeld für die Teilnahme an Fraktionssitzungen zu 149. Rügefähige Wahrnehmungszuständigkeiten einer Fraktion sind schließlich der aus dem Mitwirkungsrecht resultierende Anspruch auf repräsentative Besetzung eines Ausschusses 150, die Abwehr von Manipulationen bei der Ausschussbesetzung durch Bildung einer „gemeinsamen Liste“ aller anderen Fraktionen 151 und das Recht auf Benennung eines Mitglieds im Jugendhilfeausschuss 152. Keine wehrfähige Innenrechtsposition haben Fraktionen bezüglich der Rechtmäßigkeitskontrolle von Dringlichkeitsentscheidungen des Bürgermeisters 153 und der Verteidigung der Zuständigkeit des (Gemeinde-)Rats 154. Sie haben auch kein Recht auf kostenlose Überlassung von Verwaltungsunterlagen 155 und auf die Bereitstellung von Räumen für spontane Fraktionssitzungen an Wochenenden 156. Ein Anspruch auf Gewährung finanzieller Zuwendungen besteht von vornherein nicht, wenn das Kommunalrecht dies nicht vorsieht 157. Ein organschaftliches Recht von Fraktionen auf Vertretung in allen Ausschüssen (iS einer Privilegierung gegenüber dem Repräsentationsprinzip) existiert ebenfalls nicht.158
(c) Ausschüsse 58
Ausschüsse des (Gemeinde-)Rats 159 und des Kreistags verfügen nach geltendem Recht grundsätzlich nicht über eigene Wahrnehmungszuständigkeiten, sondern sind Unterorgane von Rat bzw Kreistag im Interesse der objektiven Funktionsfähigkeit der kommunalen Körperschaften. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn die Rechtsordnung einem Ausschuss Kompetenzen zur eigenständigen (und nicht: nur dem Rat/Kreistag dienenden) Wahrnehmung überträgt 160. Ein Beispiel hierfür ist das Beschlussrecht des Jugendhilfeausschusses in Angelegenheiten der Jugendhilfe gemäß § 71 III 1 SGB VIII 161. Zur Verteidigung seiner Entscheidungsbefugnis gegenüber dem (Gemeinde-)Rat bzw Kreistag kann der Jugendhilfeausschuss einen Kommunalverfassungsstreit anstrengen.162
(d) Vertretungskörperschaft 59
Die kommunale Vertretungskörperschaft (Rat, Kreistag) kann im Kommunalverfassungsstreit zunächst Kompetenzüberschreitungen anderer Organe zu ihren Lasten geltend
149 OVG NRW NWVBl 2006, 30. 150 VGH BW DÖV 1988, 472 = VBlBW 1988, 407; BayVGH BayVBl 2004, 429; NdsOVG NdsVBl 2005, 236. 151 BVerwGE 119, 305 = DVBl 2004, 439 = NVwZ 2004, 621 = NWVBl 2004, 184 → JK GG Art 20 II/4, gegen OVG NRW NWVBl 2003, 267. 152 OVG NRW NWVBl 2004, 433. 153 OVG NRW NVwZ 1989, 989. 154 BVerwG NVwZ-RR 1994, 352. 155 OVG NRW DVBl 1989, 164 = DÖV 1989, 28 = NVwZ-RR 1989, 155. 156 NdsOVG NVwZ-RR 1995, 215. 157 HessVGH DVBl 1995, 932 = NVwZ-RR 1996, 105; DVBl 1998, 781 = NVwZ-RR 1999, 188. 158 BVerwG DVBl 1986, 240 = NVwZ 1986, 41; DVBl 1993, 890 = NVwZ-RR 1993, 209; BayVGH NVwZ-RR 1993, 267; OVG NRW DVBl 2005, 987 = DÖV 2005, 919 = NWVBl 2005, 347. 159 Vgl dazu Schmidt-Aßmann/Röhl in: Schmidt-Aßmann/Schoch, BesVerwR 1. Kap Rn 66. 160 Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (161). 161 Schönfelder Erg-Bd Nr 46. 162 OVG NRW NWVBl 1992, 17 (18); bestätigt durch BVerwG NWVBl 1995, 378 (379).
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machen. Abgrenzungsfragen stellen sich in erster Linie zwischen der Generalzuständigkeit der Vertretungskörperschaft und den dem Hauptverwaltungsbeamten (Bürgermeister, Landrat) zugewiesenen Geschäften der laufenden Verwaltung.163 Die Rechtsprechung ist nicht ganz einheitlich. Der Erlass von Richtlinien zur Ermessensbetätigung bei der Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen wird auch in Großstädten nicht als Geschäft der laufenden Verwaltung angesehen, sondern der Kompetenz des Rates zugeordnet.164 Die Kriterien für die Zulassung von Bewerbern zu Volksfesten und Märkten wird in Süddeutschland der Richtlinienkompetenz des Gemeinderates zugewiesen,165 in nördlichen Ländern hat ein insoweit bestehender Mangel jedenfalls keine Auswirkungen auf die externe Verteilungsentscheidung.166 Die Zuordnung einer Straßenbaumaßnahme zum BauGB oder zum KAG wurde der Kompetenz des Gemeinderates und nicht des Bürgermeisters überantwortet.167 Kontrollrechte (zB Akteneinsicht, Auskunftsanspruch) gegenüber dem Hauptverwaltungsbeamten stehen üblicherweise einzelnen Rats-/Kreistagsmitgliedern und Fraktionen zu. Es gibt aber auch Exklusivkompetenzen der Vertretungskörperschaft. So wird das Verlangen nach weiterer Aufklärung eines Sachverhalts durch den Bürgermeister (nach vorangegangener unzureichender Information) der Kompetenz des Gemeinderats als Kollegium zugewiesen; das einzelne Ratsmitglied hat keine entsprechende Wahrnehmungszugständigkeit.168 Auch die umstrittene und möglicherweise rechtswidrige Eilentscheidung des Bürgermeisters kann im Kommunalverfassungsstreit von einem einzelnen Ratsmitglied mangels wehrfähiger Innenrechtsposition nicht angegriffen werden; die Wahrung seiner Kompetenzen obliegt dem (Gemeinde-)Rat.169
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(e) Hauptverwaltungsbeamter Wehrfähige Innenrechtspositionen des Hauptverwaltungsbeamten (Bürgermeister, Landrat) sind – in Abgrenzung zu den Wahrnehmungszuständigkeiten anderer Organ(teil)e – seine kommunalrechtlichen Kompetenzen; diese kann er im Kommunalverfassungsstreit geltend machen, verteidigen und durchsetzen.170 Neben den gesetzlich zugewiesenen spezifischen Kompetenzen (zB Wahrnehmung der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises,171 Aufstellung der Tagesordnung für die Sitzungen von Rat bzw Kreistag 172 und Ein-
163 Vgl zur Abgrenzung Schmidt-Aßmann/Röhl in: Schmidt-Aßmann/Schoch, BesVerwR 1. Kap Rn 67 ff, 74. 164 VGH BW VBlBW 2002, 122. 165 VGH BW NVwZ-RR 1992, 90 = VBlBW 1991, 185; BayVGH DÖV 2003, 819 = NVwZ-RR 2003, 771 = BayVBl 2003, 501 → JK BayGO Art 21 I/2; BayVGH NVwZ-RR 2004, 599 = BayVBl 2004, 494 = GewArch 2004, 248 (m Anm Schalt); aA für kleinere Jahrmärkte mit geringer wirtschaftlicher Bedeutung VG Stuttgart GewArch 2001, 87. 166 OVG NRW NVwZ-RR 2004, 157; dem folgend NdsOVG NVwZ-RR 2006, 177 → JK GewO § 70/2; materiellrechtlich bestätigend BVerwG NVwZ-RR 2006, 786. 167 OVG RP NVwZ-RR 1999, 524. 168 VGH BW DVBl 2003, 276 f = VBlBW 2003, 190 (191). 169 VGH BW DVBl 1993, 212 = DÖV 1993, 211 = NVwZ 1993, 396 = VBlBW 1993, 179. 170 Vergleichbares gilt für kollegiale Verwaltungsorgane von Kommunen wie zB Gemeindevorstand und Stadtvorstand. 171 Vgl dazu Schmidt-Aßmann/Röhl in: Schmidt-Aßmann/Schoch, BesVerwR, 1. Kap Rn 75. 172 Dazu aus verfassungsrechtlicher Perspektive BVerfG-K NVwZ 1990, 355.
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berufung zur Sitzung,173 Beanstandungs- bzw Widerspruchs- bzw Einspruchsrecht bei rechtswidrigen Rats-/Kreistagsbeschlüssen,174 Eilentscheidungen in Dringlichkeitsfällen 175) sind es vor allem die bereits erwähnten Geschäfte der laufenden Verwaltung, die dem Bürgermeister/Landrat zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung zugewiesen sind. Im Kommunalverfassungsstreit klärungsbedürftig sind immer wieder die Ordnungsbefugnisse des Bürgermeisters in seiner Funktion als Ratsvorsitzender. Bekannte Beispiele hierfür sind der Streit um die Rechtmäßigkeit eines (förmlichen) Ordnungsrufes gegenüber einem Ratsmitglied 176 und Kontroversen um den Ausschluss eines Ratsmitglieds (zB wegen grober Ungebühr) von der Sitzung.177 Die Abberufung des Hauptverwaltungsbeamten oder eines hauptamtlichen Beigeordneten (als kommunale Wahlbeamte) kann nach der Rechtsprechung von dem Betroffenen im Organstreitverfahren angegriffen werden.178 Der Abberufungsbeschluss des (Gemeinde-)Rats oder Kreistags bezieht sich auf die organschaftliche Stellung des Bürgermeisters bzw Landrats bzw Beigeordneten, nicht auf den dienstrechtlichen Status des kommunalen Wahlbeamten; deshalb ist die kommunalverfassungsrechtliche Position des Wahlbeamten betroffen, so dass Rechtsschutz im Kommunalverfassungsstreitverfahren zulässig ist.179 In Fall 9 ist der Eilantrag von T und F mangels Beteiligungsfähigkeit unzulässig. Das SächsOVG erkannte, dass T und F nicht „eigene“ Rechte geltend machen, sondern Kompetenzen, die dem Stadtrat als solchem gegenüber O zustehen. Damit wird nicht iSd § 61 Nr 2 VwGO (analog) ein Recht geltend gemacht, das T und F gerade in dem konkreten Streit mit O zustehen kann.180
173 VGH BW DÖV 1992, 168 = NVwZ-RR 1992, 204 = VBlBW 1992, 97; OVG Saarland DÖV 1993, 964 = NVwZ-RR 1994, 37; ferner Behnel NWVBl 1993, 406 ff; Werres NWVBl 2004, 294 ff. 174 Ditteney/Clemens VBlBW 1988, 457 ff; Schliesky NordÖR 1998, 54 ff. 175 BayVGH BayVBl 2007, 239 und OVG NRW NWVBl 1996, 441 (Erlass einer Veränderungssperre durch Bürgermeister); OVG NRW DVBl 1989, 166 = DÖV 1989, 29 = NWVBl 1988, 336 → JK GO NRW § 43 I/1 (rechtswidriger Erlass einer kommunalen Beitragssatzung durch Bürgermeister und ein Ratsmitglied); ThürOVG LKV 2002, 583 = ThürVBl 2002, 211 (rechtswidrige Eilentscheidung des Landrats bzgl Haushaltssatzung). 176 BVerwG DVBl 1988, 792 = NVwZ 1988, 837 = VBlBW 1989, 15 → JK GO RP §§ 36, 38/1; OVG RP DÖV 1996, 474 = NVwZ-RR 1996, 52. 177 VGH BW NVwZ-RR 1993, 505 = VBlBW 1993, 259; HessVGH DÖV 1990, 622 = NVwZ-RR 1990, 371 und NVwZ-RR 2001, 464. 178 BVerwGE 81, 318 = DVBl 1989, 775 = DÖV 1990, 31 = NVwZ 1989, 972 = JZ 1989, 1118 (m Anm Lecheler) → JK GG Art 33 V/11; HessVGH DVBl 1989, 934; ThürOVG ThürVBl 1996, 82. – Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Abwahl hauptamtlicher kommunaler Wahlbeamter BVerfG-K NVwZ 1994, 473. 179 BVerwG NVwZ 1990, 772. 180 SächsOVG NVwZ-RR 1997, 665 = SächsVBl 1997, 120 (121) verneinte ergänzend den Anordnungsanspruch gemäß § 123 I VwGO und wies darauf hin, dass ein Übergriff des Oberbürgermeisters in die Kompetenzen eines anderen Organs nur von diesem, hier also vom Stadtrat, gerichtlich angegriffen werden kann.
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Verwaltungsgerichtlicher Organstreit
§ 28
c) Prozessfähigkeit Die Prozessfähigkeit – also die Befugnis, selbst oder durch einen Bevollmächtigten wirksam Prozesshandlungen vornehmen oder entgegennehmen zu können (→ § 21 Rn 154) – ist im Kommunalverfassungsstreit in der Regel unproblematisch. Zu widersprechen ist der These, die Prozessfähigkeit richte sich nach § 62 I VwGO, soweit eine natürliche Person handele;181 im Organstreit sind natürliche Personen nicht beteiligt (→ Rn 44 ff), so dass § 62 I VwGO gar nicht anwendbar ist. Unzutreffend ist auch die Annahme, der Bürgermeister vertrete die Gemeinde als gesetzlicher Vertreter iSd § 62 III VwGO iVm der maßgeblichen gemeinderechtlichen Vertretungsregelung,182 denn die Gemeinde als solche, also die kommunale Körperschaft, ist am Kommunalverfassungsstreit nicht beteiligt, sondern nur gemeindliche Organ(teil)e (→ § 5 ff, 23 ff), so dass sich in Bezug auf den Innenrechtsstreit die Frage nach der Vertretung der Gemeinde nicht stellt. Die Prozessfähigkeit ist – als Konsequenz der Ermittlung der Beteiligungsfähigkeit analog § 61 Nr 2 VwGO (hM) – nach § 62 III VwGO (analog) zu bestimmen. Prozessfähig ist danach der Organwalter des beteiligten Organ(teil)s 183, also (bei Kollegialorganen) zB der Ratsvorsitzende, Kreistagsvorsitzende, Ausschussvorsitzende, Fraktionsvorsitzende; bei monokratisch besetzten Organen und einzelnen beteiligten Mandats-/Amtsträgern ist ebenfalls der jeweilige Organwalter prozessfähig (Bürgermeister, Landrat, Rats-, Kreistags-, Ausschuss-, Fraktionsmitglied etc). Mangels gesetzlicher Vertretungsregelung im kommunalen Organisationsrecht für innerorganisatorische Vertretungsfälle bedarf es bei der Beteiligung von kollegial besetzten Organ(teil)en am Kommunalverfassungsstreit der Bevollmächtigung des Vertreters 184.
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2. Rechtsschutzform Fall 10: Der (Gemeinde-)Rat von G wählte die Mitglieder des Jugendhilfeausschusses, wobei auf die F-Fraktion kein Sitz entfiel. F verlangt, ein Ratsmitglied oder einen sachkundigen Bürger als beratendes Mitglied des Ausschusses benennen zu dürfen und durch den Rat bestellen zu lassen; dieser lehnt ab. Nun will F ihr Begehren mittels verwaltungsgerichtlicher Klage durchsetzen.185
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Fall 11: Nach der unlängst erfolgten Kommunalwahl beschloss der (Gemeinde-)Rat von G für die neue Wahlperiode eine Staffelung der Personalkostenzuwendungen an die Fraktionen. Bei der F-Fraktion, die im (Gemeinde-)Rat nur noch mit zwei statt vorher vier Sitzen vertreten ist, führt dies zu einer Reduzierung der jährlichen Personalkostenzuwendungen fast um die Hälfte. Hiergegen klagt F.186
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181 182 183 184 185 186
So aber Meister JA 2004, 414 (416); Hufen VerwPrR § 21 Rn 7. So aber Franz JURA 2005, 156 (160). Stern/Blanke VerwPrR, Rn 543; Tettinger/Wahrendorf VerwPrR, § 22 Rn 6. Franz LKV 2004, 497 (500); ders JURA 2005, 156 (160). Fall nach OVG NRW NWVBl 2004, 433. Fall nach OVG NRW NVwZ-RR 2003, 376 = NWVBl 2003, 309.
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Fall 12: Der (Gemeinde-)Rat von G beschließt eine Änderung seiner Geschäftsordnung. Die bislang separat aufgestellten Richtlinien über die Höchstbeträge der von Bürgermeister B in eigener Zuständigkeit verausgabbaren Mittel für Geschäfte der laufenden Verwaltung werden in die Geschäftsordnung integriert; zugleich werden die Höchstsummen der B zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel herabgesetzt. B will dagegen gerichtlich vorgehen.187
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Die VwGO kennt, wie § 43 deutlich macht, drei Klagetypen: Feststellungsklage, Gestaltungsklage, Leistungsklage. Diese finden positivrechtliche Ausprägungen in fünf Klagearten: allgemeine Feststellungsklage (§ 43 I VwGO) und Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 I 4 VwGO), Anfechtungsklage (§ 42 I VwGO), Verpflichtungsklage (§ 42 I VwGO) und – die nur implizit erwähnte (vgl §§ 43 II 1, 111, 113 IV VwGO) – allgemeine Leistungsklage. Für den Hauptsacherechtsschutz im Kommunalverfassungsstreitverfahren stehen prinzipiell alle Klagearten zur Verfügung.188 Die frühere Diskussion um eine „Klageart sui generis“ 189 hat sich erledigt; für ein solches Konstrukt ist rechtlich kein Raum und praktisch besteht dafür kein Bedürfnis.190 Nicht übersehen werden darf die Bedeutung der Normenkontrolle (§ 47 VwGO) im Kommunalverfassungsstreit.191 Auch der vorläufige Rechtsschutz (§ 123 VwGO) spielt bei den Organstreitigkeiten keine unwesentliche Rolle. Für die Ermittlung der statthaften Rechtsschutzform ist – wie auch beim Außenrechtsstreit üblich – vom Begehren des Klägers bzw Antragstellers auszugehen.192 Daran schließt sich die Untersuchung der Rechtsschutzformvoraussetzungen für die in Betracht kommende Klageart bzw Antragsart an. Grundsätzlich problematisch ist nur die Anerkennung einer allgemeinen Gestaltungsklage (→ Rn 85 ff).
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a) Anfechtungs- und Verpflichtungsklage 72
Nicht statthaft sind im Kommunalverfassungsstreit Anfechtungs- und Verpflichtungsklage; es fehlt an der von § 42 I VwGO geforderten Rechtsschutzformvoraussetzung „Verwaltungsakt“.193 Maßnahmen im Verhältnis zwischen zwei Organ(teil)en verfehlen den VABegriff (vgl § 35 VwVfG) gleich in zweifacher Hinsicht: Den handelnden Organ(teil)en fehlt – selbst wenn sie in anderer Beziehung (dh im Außenrechtskreis) Behördenqualität aufweisen können (zB Bürgermeister) – im Organstreit die Behördeneigenschaft; außerdem weist die strittige Maßnahme – selbst wenn sie als „Regelung“ (dh verbindliche
187 188 189 190
Fall nach BayVGH NVwZ-RR 2007, 405 = BayVBl 2006, 370. Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 42 Abs 1 Rn 18. Vgl dazu Nachw bei Schoch JuS 1987, 783 (787). OVG Saarland NVwZ-RR 1993, 210; Fehrmann NWVBl 1989, 303 (304); Ehlers NVwZ 1990, 105 (106); Lerche FS Knöpfle (Fn 38) 177; Lorenz VerwPrR, § 25 Rn 18. 191 Die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle nach § 47 VwGO ist als Feststellungsverfahren ausgestaltet; BVerwGE 111, 276 (279) → JK VwGO § 43/11. 192 Franz LKV 2004, 497 (498); ders JURA 2005, 156 (157); Lorenz VerwPrR, § 25 Rn 13; Würtenberger VerwPrR, Rn 672. 193 VG Würzburg BayVBl 1989, 153 (154); Gern VBlBW 1989, 449 (450); Bauer/Krause JuS 1996, 411 (413); Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (161); Meister JA 2004, 414 (415); Franz JURA 2005, 156 (157); Rennert JuS 2008, 119 (124); Ogorek JuS 2009, 511 (512 f); Schmidt-Aßmann/ Röhl in: Schmidt-Aßmann/Schoch, BesVerwR, 1. Kap Rn 84; Gersdorf VerwPrR, Rn 271; Lorenz VerwPrR, § 25 Rn 11; Stern/Blanke VerwPrR Rn 542; Tettinger/Wahrendorf VerwPrR, § 22 Rn 5; Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 42 Abs 1 Rn 18.
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Rechtsfolgeanordnung) zu qualifizieren ist – keine Außenwirkung auf, sondern ist rein verwaltungsinterner Natur. Wenig überzeugend ist die Behauptung der Gegenauffassung, der organschaftliche Rechtskreis könne mit „Außenwirkung“ gleichgesetzt werden; denn Übergriffe anderer Organe in die „eigene“ Wahrnehmungszuständigkeit könnten quasi als „von außen“ kommende Maßnahmen gedeutet werden.194 Dieser Konstruktion liegt eine gesetzeswidrige Manipulation des VA-Begriffs (§ 42 I VwGO, § 35 VwVfG) zu Grunde.195 Außerdem bleibt ungeklärt, worin „behördliches“ Handeln bei verwaltungsinternen Maßnahmen liegen soll. Mit der Ablehnung der Anfechtungsklage ist die Möglichkeit gerichtlicher Kassation im Kommunalverfassungsstreit ausgeschlossen.196 Dies hat zu dem Vorschlag einer analogen Anwendung des § 42 I VwGO (für Anfechtungs- und Verpflichtungsklage) im Organstreit geführt; diese Analogie sei die zwingende Schlussfolgerung aus der Öffnung des Verwaltungsrechtswegs (§ 40 I 1 VwGO) für Organstreitigkeiten.197 Hiergegen kann allerdings eingewendet werden, dass die Voraussetzungen für eine Analogie nicht gegeben sind (→ Rn 85 ff). Ist § 42 I VwGO beim Kommunalverfassungsstreit unanwendbar, gilt dies – in den Fällen einer erledigten innerorganisatorischen Maßnahme – konsequenterweise auch für § 113 I 4 VwGO.198 Für eine Überprüfung erledigter verwaltungsinterner Maßnahmen anhand der Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 I 4 VwGO 199 besteht kein Bedürfnis, weil die allgemeine Feststellungsklage nach § 43 I VwGO zur Verfügung steht.200 Die Rechtsprechung verfährt seit langer Zeit in diesem Sinne.201
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b) Allgemeine Leistungsklage Die allgemeine Leistungsklage ist im Kommunalverfassungsstreit die statthafte Rechtsschutzform, wenn ein Organ(teil) von einem anderen Organ(teil) ein Tun, Dulden oder Unterlassen begehrt.202 Vornehmlich geht es um die Vornahme oder Rückgängigmachung bestimmter Organhandlungen.203 Beispiele sind die Klage eines Hauptverwaltungsbeamten gegen eine Fraktion auf Entfernung bestimmter Symbole in den Fraktionsgeschäftsräumen,204 das Begehren eines wegen Befangenheit ausgeschlossenen Kreistagsmitglieds
194 195 196 197 198 199 200 201
202 203 204
Martensen JuS 1995, 1077 f; Hufen VerwPrR, § 21 Rn 10; Schenke VerwPrR, Rn 228. Näher zur Kritik Lerche FS Knöpfle (Fn 38) 178 f. Ehlers NVwZ 1990, 105 (106). Lerche FS Knöpfle (Fn 38) 179 ff. Bauer/Krause JuS 1996, 411 (415); Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (162); Rennert JuS 2008, 119 (124); Lorenz VerwPrR, § 25 Rn 16; aA Hufen VerwPrR, § 21 Rn 12; Schenke VerwPrR, Rn 338. Ehlers NVwZ 1990, 105 (107 ff) am Beispiel des Feststellungsbegehrens bzgl des Ausschlusses eines Mandatsträgers von der Mitwirkung in der Vertretungskörperschaft wegen Befangenheit. Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (162). Am Beispiel eines erledigten Mitwirkungsverbots wegen Befangenheit VGH BW VBlBW 1987, 24 (25); HessVGH NVwZ 1982, 44 (45); OVG RP NVwZ-RR 1996, 218. Zur Feststellungsklage beim erledigten Leistungsbegehren (Antrag auf Aufnahme eines bestimmten Punktes in die Tagesordnung einer bestimmten Ratssitzung) BayVGH NVwZ 1988, 83 (84) = BayVBl 1987, 239; HessVGH NVwZ 1986, 328; OVG Saarland NVwZ-RR 1993, 210; OVG SH NVwZ-RR 1994, 459 (460). Ehlers NVwZ 1990, 105 (107); Ogorek JuS 2009, 511 (513); Würtenberger VerwPrR, Rn 673. Schmidt-Aßmann/Röhl in: Schmidt-Aßmann/Schoch, BesVerwR, 1. Kap Rn 84; Lorenz VerwPrR, § 25 Rn 17. OVG NRW DVBl 1991, 495 = NVwZ-RR 1991, 35 = NWVBl 1990, 344.
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auf Teilnahme als Zuhörer an nichtöffentlichen Sitzungen des Kreisausschusses,205 das Verlangen auf Erlass eines Rauchverbots durch den Ratsvorsitzenden während der Ratssitzungen,206 die Klage eines Ratsmitglieds gegen den Hauptverwaltungsbeamten auf Akteneinsicht 207 und das Begehren um Aufnahme eines bestimmten Tagesordnungspunktes für die Gemeinderatssitzung.208 Seltener wird in der Praxis ein Unterlassen gefordert; ein Beispiel ist die gegen den Hauptverwaltungsbeamten gerichtete Leistungsklage auf Unterlassung der Ernennung eines Beamten.209 77
In Fall 10 war die allgemeine Leistungsklage im Rahmen des Kommunalverfassungsstreits statthaft und auch sonst zulässig. Die Klage war allerdings unbegründet, da F wegen der abschließenden Sonderregelung zur Besetzung des Jugendhilfeausschusses in § 71 SGB VIII (iVm Landesrecht) keinen gemeinderechtlichen Anspruch für die Ausschussbesetzung hatte.
c) Feststellungsklage 78
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Kommunalverfassungsstreitigkeiten werden in der Praxis überwiegend in der Rechtsschutzform der Feststellungsklage ausgetragen. Zumeist geht es um die gerichtliche Klärung der zwischen den Beteiligten streitigen organschaftlichen Rechte und Pflichten, so dass die Feststellungsklage das Rechtsschutzziel angemessen erfasst.210 Rechtsschutzformvoraussetzung ist nach § 43 I VwGO das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses. „Rechtsverhältnis“ iSd § 43 I VwGO sind die rechtlichen Beziehungen, die sich auf Grund der Anwendung einer Norm des Öffentlichen Rechts auf einen konkreten Sachverhalt für das Verhältnis mehrerer Rechtssubjekte ergeben, kraft deren eines der Rechtssubjekte etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht (→ § 25 Rn 5). Im Kommunalverfassungsstreit geht es um Rechtsbeziehungen zwischen Organ(teil)en, die sich aus der Anwendung kommunalverfassungsrechtlicher Normen auf einen bestimmten Sachverhalt ergeben; die gegenseitigen organschaftlichen Rechte und Pflichten stellen „Rechtsverhältnisse“ dar.211 Es ist geklärt, dass § 43 I VwGO auch Innenrechtsverhältnisse umfasst 212. Wird um die Rechtmäßigkeit eines Beschlusses zB der kommunalen Vertretungskörperschaft (Rat, Kreistag) gestritten, wird die Heranziehung der Feststellungsklage kritisiert, weil eine Regelung (zB Ausschluss von der Mitwirkung im Gremium wegen Befangenheit) kein Rechtsverhältnis sei, sondern ein solches allenfalls begründe, verändere oder beende.213 Die hL reagiert auf die Kritik unter Hinweis darauf, dass als „Rechtsverhältnis“
205 206 207 208 209 210 211 212
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BayVGH BayVBl 1983, 729. OVG NRW DVBl 1983, 53 (54) = NVwZ 1983, 485 (486) = JZ 1983, 25. OVG NRW NVwZ 1999, 1252 (1253). VGH BW NVwZ 1984, 659 (660) und 664; BayVGH NVwZ 1988, 83 (84) = BayVBl 1987, 239 (240). VG Würzburg BayVBl 1989, 153 (154). Rennert JuS 2008, 119 (124); Lorenz VerwPrR, § 25 Rn 14. Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (161); Lorenz VerwPrR, § 25 Rn 15. OVG NRW NWVBl 1993, 262 (263); OVG NRW NVwZ-RR 2003, 225 = NWVBl 2002, 381 → JK VwGO § 61 Nr 2/5; OVG NRW NVwZ-RR 2003, 376 = NWVBl 2003, 309; Franz JURA 2005, 156 (158); Würtenberger VerwPrR, Rn 674; Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 43 Rn 26. Ehlers NVwZ 1990, 105 (107).
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feststellbar auch einzelne organschaftliche Rechte (zB Mitgliedschafts- und Beteiligungsrechte) und Pflichten seien, um die es ohnehin zumeist gehe; feststellungsfähig seien ferner rechtliche Folgen aus dem Rechtsverhältnis, etwa die Unwirksamkeit eines in organschaftliche Rechte eingreifenden Gremienbeschlusses.214 Die Rechtsprechung erklärt, Gegenstand verwaltungsgerichtlicher Feststellung im Kommunalverfassungsstreit könne auch die Rechtswidrigkeit von Beschlüssen des Rates sein.215 Gegenstand zulässiger Feststellungsklagen waren vor dem Hintergrund dieses weiten Verständnisses des § 43 I VwGO zB der Ratsbeschluss bezüglich finanzieller Zuwendungen an Ratsfraktionen,216 die Rechtmäßigkeit der Einladung des Bürgermeisters zu einer Gemeinderatssitzung 217, die Rechtmäßigkeit der Eilentscheidung eines Oberbürgermeisters 218, die Rechtmäßigkeit der vom Gemeinderat beschlossenen Redezeitbeschränkung in Sitzungen,219 die Abberufung als Bürgermeister durch den Stadtrat,220 die Rechtmäßigkeit der Wahl eines Beigeordneten 221 und der Anspruch auf Sitzungsgeld eines sachkundigen Bürgers für die Teilnahme an Fraktionssitzungen.222
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In Fall 11 erklärte das OVG NRW die Feststellungsklage nach § 43 I VwGO für statthaft. Auch ein Ratsbeschluss könne im kommunalrechtlichen Organstreit mittels Feststellungsklage überprüft werden. Gegenstand der Klage sei die Frage, ob F durch die Neuregelung der Fraktionszuwendungen in ihren organschaftlichen Rechten (§ 56 III 1 GO NW) verletzt sei. Damit liege dem Rechtsstreit ein konkretes organschaftliches Rechtsverhältnis iSd § 43 I VwGO zu Grunde.
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Rechtsdogmatisch ist diese Rechtsprechung Bedenken ausgesetzt, sofern sie beim Gegenstand der Klage die Rechtsschutzformvoraussetzung „Rechtsverhältnis“ gemäß § 43 I VwGO nicht ernst nimmt. Zu Innenrechtsakten mit Regelungsqualität hat das BVerwG erkannt, eine Feststellungsklage nach § 43 I VwGO dürfe die „Gültigkeit“ von „Verwaltungsvorschriften nicht als solche zum Gegenstand haben“.223 Strukturell vergleichbar damit ist die Erkenntnis, eine Feststellungsklage könne „mit dem alleinigen Ziel der Nichtigkeitsfeststellung einer Rechtsnorm nicht auf § 43 VwGO gestützt werden, da eine solche Klage auf kein Rechtsverhältnis abzielt … Im Rahmen einer Klage nach § 43 VwGO kann allenfalls die Feststellung begehrt werden, dass wegen Ungültigkeit oder Unanwendbarkeit einer Rechtsnorm kein Rechtsverhältnis zu dem anderen Beteiligten begründet ist“.224 Überträgt man diese Rechtsprechung auf den Kommunalverfassungsstreit, kann mit der Feststellungsklage in der Tat „niemals die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer
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214 Lorenz VerwPrR, § 25 Rn 16; Würtenberger VerwPrR, Rn 677. 215 OVG NRW NVwZ-RR 2003, 225 = NWVBl 2002, 381 → JK VwGO § 61 Nr 2/5; OVG NRW NVwZ-RR 2003, 376 = NWVBl 2003, 309. 216 VG Gelsenkirchen NWVBl 1987, 53 (54) m Anm Bick. 217 VGH BW NVwZ-RR 1990, 369 = VBlBW 1990, 457 (458). 218 VGH BW DVBl 1993, 212 = DÖV 1993, 211 = NVwZ 1993, 396 = VBlBW 1993, 179. 219 VGH BW NVwZ-RR 1994, 229 = VBlBW 1994, 99 (100). 220 ThürOVG ThürVBl 1996, 82. 221 OVG NRW NVwZ-RR 2003, 225 = NWVBl 2002, 381 → JK VwGO § 61 Nr 2/5. 222 OVG NRW NWVBl 2006, 30. 223 BVerwGE 100, 262 (270) = DVBl 1996, 993 (996) = NJW 1996, 2046 (2047). 224 BVerwG NVwZ 2007, 1311 Tz 20; BVerwG DVBl 2007, 1372 = NVwZ 2007, 1428 Tz 20.
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Regelung begehrt werden“.225 Folglich kann zB ein (Gemeinde-)Ratsbeschluss, der als solcher kein „Rechtsverhältnis“ darstellt, streng genommen nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein. Klagebegehren müssten entsprechend umformuliert werden, so dass die Entfaltung von Rechtswirkungen eines solchen Beschlusses nunmehr als Vorfrage der Feststellungsklage zu klären ist. Den Anforderungen des § 43 I VwGO („Rechtsverhältnis“) Rechnung tragende (Um-)Formulierungen eines Feststellungsantrags sehen sich allerdings inhaltlichen Einwänden gemäß § 43 II 1 VwGO ausgesetzt. Die Subsidiarität der Feststellungsklage greift ein, wenn der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Das ist zB der Fall, wenn es dem Kläger eigentlich um die Beseitigung (Aufhebung) eines (Gemeinde-)Ratsbeschlusses oder um die Durchsetzung eines organschaftlichen Anspruchs (etwa auf Ausschussmitgliedschaft, Sitzungsteilnahme, Auskunft vom Bürgermeister, Gewährung von Zuwendungen an Fraktionen etc) geht. In dieser Lage hilft nur die – allerdings rechtsdogmatisch angreifbare, da unverhohlen pragmatisch operierende – Rechtsprechung zur einschränkenden Auslegung und Anwendung des § 43 II 1 VwGO: (1) Wo eine Umgehung der für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen geltenden Bestimmungen über Fristen und Vorverfahren nicht drohe, stehe diese Regelung der Feststellungsklage ebenso wenig entgegen wie in Fällen, in denen diese den effektiven Rechtsschutz biete;226 (2) richte sich die Feststellungsklage gegen einen Träger öffentlicher Verwaltung, könne bei einem solchen Beklagten die Respektierung der Gerichtsentscheidung auch ohne entsprechenden Vollstreckungsdruck erwartet werden.227 Diese „großzügige“ Handhabung des § 43 II 1 VwGO macht den Weg frei für den geradezu flächendeckenden Einsatz der Feststellungsklage im Kommunalverfassungsstreit.228
d) Allgemeine Gestaltungsklage 85
Die Unanwendbarkeit des § 42 I VwGO im Kommunalverfassungsstreit (→ Rn 72 ff) bedeutet mit Blick auf die in der VwGO vorgesehenen Klagearten die Ausblendung der Gestaltungsklage aus den Rechtsschutzformen und damit das Ausscheiden kassatorischer Gerichtsentscheidungen aus dem Organstreit. Juristisch nicht haltbar ist die Erfindung von Leistungs- und Feststellungsklagen mit der Folge eines kassatorischen Ausspruchs des Gerichts;229 diese Konstruktion ist ein Widerspruch in sich und missachtet das in der VwGO vorgesehene Klagensystem.230 Auch Art 19 IV 1 GG (Gebot wirksamen Rechtsschutzes) kann zur Rechtfertigung jener Erfindung nicht herangezogen werden, da das formelle Hauptgrundrecht auf innerorganisatorische Wahrnehmungszuständigkeiten nicht anwendbar ist.231
225 226 227 228
So Ehlers NVwZ 1990, 105 (107). BVerwGE 112, 253 (256) = DVBl 2001, 393 (394) = NVwZ 2001, 564 (565). BVerwGE 36, 179 (181); BayVGH BayVBl 2006, 47 (49). Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (162); Franz JURA 2005, 156 (158); krit Ogorek JuS 2009, 511 (513 f). 229 So BayVGH BayVBl 1976, 753 (754); NVwZ 1985, 845 = BayVBl 1985, 339; BayVBl 1988, 16. 230 Fehrmann NWVBl 1989, 303 (305); Lerche FS Knöpfle (Fn 38) 183 f; Lorenz VerwPrR, § 25 Rn 19; Hufen VerwPrR, § 21 Rn 11. 231 Krebs VerwArch 68 (1977), 189 (196); ders JURA 1981, 569 (575); Ehlers NVwZ 1990, 105 (106).
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Als Konsequenz aus diesem Befund wird verschiedentlich die Anerkennung einer allgemeinen Gestaltungsklage postuliert, um die gerichtliche Kassation(sbefugnis) im Organstreit (zB Aufhebung eines Ratsbeschlusses) erreichen zu können. Dafür gebe es ein praktisches Bedürfnis; grundsätzliche rechtliche Bedenken bestünden nicht, weil die Aufhebung etwa eines (Gemeinde-)Ratsbeschlusses im Organstreit nicht tiefer in die kommunale Selbstverwaltung eingreife als jede andere gerichtliche Kassation von (Gemeinde-)Ratsentscheidungen.232 Die (richterrechtliche) Kreation einer allgemeinen Gestaltungsklage für den Kommunalverfassungsstreit begegnet Bedenken. Materiellrechtlich sind gegen geltendes höherrangiges Recht verstoßende hoheitliche Rechtsakte – soweit das positive Recht nicht wie zB beim Verwaltungsakt (§ 43 VwVfG) etwas anderes bestimmt – unwirksam; ein Gestaltungsurteil bei nichtigen Rechtsakten macht keinen Sinn,233 zur Beseitigung des Rechtsscheins genügt die Feststellungsklage (vgl § 43 II 2 VwGO). Die gerichtliche Kassation eines Rechtsaktes ist zudem ein tiefergehender Einschnitt in das Verwaltungshandeln als eine gerichtliche Feststellung und eine durch Urteil ausgesprochene Verpflichtung der Verwaltung;234 dies spricht dafür, verwaltungsprozessuale Gestaltungsklagen – wie dies bei der Anfechtungsklage durch §§ 42 I, 113 I VwGO geschehen ist – nur nach Maßgabe gesetzlicher Ermächtigung und nicht kraft richterlicher Rechtsfortbildung zuzulassen.235 Allgemeine Leistungs- und Feststellungsklage dürften den Bedarf an effektivem Rechtsschutz im Organstreit abdecken, so dass für eine allgemeine Gestaltungsklage kein Raum ist.236 Auch die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle ist trotz ihres Gegenstands (vgl § 47 I VwGO) als Feststellungsverfahren ausgestaltet. Selbst der verfassungsrechtliche Organstreit führt zu einem Feststellungsurteil (vgl § 67 BVerfGG).
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e) Normenkontrolle Seit geraumer Zeit hat die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle nach § 47 VwGO eine zunehmende Bedeutung als Rechtsschutzform im Kommunalverfassungsstreitverfahren erlangt. Die Statthaftigkeit eines Normenkontrollantrags bestimmt sich nach § 47 I Nr 2 VwGO iVm dem einschlägigen Landesrecht.237 Hintergrund der Entwicklung ist eine Rechtsprechung des BVerwG, die § 47 I Nr 2 VwGO extensiv deutet und dem Merkmal „Rechtsvorschriften“ auch abstrakt-generelle Regelungen zuordnet, die nicht förmlich als Rechtsnormen erlassen worden sind; Sinn und Zweck der Bestimmung forderten ein weites Verständnis, um durch eine einzige (Normenkontroll-)Entscheidung eine Vielzahl von Einzelklagen zu vermeiden, bei denen die Gültigkeit einer bestimmten Rechtsvorschrift als Vorfrage zu prüfen wäre.238 Ausdruck findet die Judikatur in der Zuweisung von Rechtsvorschriften im materiellen Sinne zum Geltungsbereich des § 47 I Nr 2 VwGO.239
232 Hufen VerwPrR, § 21 Rn 14; ausführlich Stumpf BayVBl 2000, 103 (105 ff). 233 Bauer/Krause JuS 1996, 411 (413); Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (162); Ogorek JuS 2009, 511 (513); Würtenberger VerwPrR, Rn 679. 234 Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Vorb § 42 Abs 1 Rn 20. 235 Schmidt-Aßmann in: FS Menger, 1985, 107 (116); Ehlers NVwZ 1990, 105 (106). 236 Fehrmann NWVBl 1989, 303 (305); Bauer/Krause JuS 1996, 411 (414); Pietzcker in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, Vorb § 42 Abs 1 Rn 20. 237 Vgl Übersicht zum Landesrecht gemäß § 47 I Nr 2 VwGO bei Hufen VerwPrR, § 19 Rn 16. 238 BVerwGE 119, 217 (220 f) = DVBl 2004, 629 (630) = NVwZ 2004, 614 (615). 239 Ausführlich dazu Gerhardt/Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 47 Rn 24 ff.
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Bekannte Beispiele insoweit sind die Normenkontrollfähigkeit von Verwaltungsvorschriften 240 und von Flächennutzungsplänen mit den Rechtswirkungen des § 35 III 3 BauGB.241 Im Rahmen von Organstreitverfahren findet die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle vor allem in Bezug auf Geschäftsordnungen von (Gemeinde-)Rat und Kreistag Anwendung. Diese regeln die innere Organisation der kommunalen Vertretungskörperschaft (zB Ausschüsse, Fraktionen) und den organinternen Ablauf der Meinungs- und Willensbildung. Es handelt sich demnach nicht um Rechtsnormen im förmlichen Sinne (im Rang unter dem Landesgesetz) wie zB Rechtsverordnungen, Satzungen, rechtsetzende Vereinbarungen. Eine kommunale Geschäftsordnung ist jedoch als Rechtssatz im materiellen Sinne zu qualifizieren; verbindlich werden in abstrakt-genereller Weise Rechte und Pflichten der Mitglieder der kommunalen Vertretungskörperschaft geregelt. Daraus hat das BVerwG den Schluss gezogen, dass eine Geschäftsordnung trotz ihrer Qualität als bloßer Innenrechtssatz wegen der Versubjektivierung organschaftlicher Kompetenzen nach Sinn und Zweck in den Anwendungsbereich des § 47 I Nr 2 VwGO einbezogen und auf Antrag eines – beteiligungsfähigen und antragsbefugten – Mitglieds der Vertretungskörperschaft vom OVG/VGH auf ihre Gültigkeit überprüft werden muss.242 Statthaft waren danach der Normenkontrollantrag gegen eine Geschäftsordnung in Bezug auf die Festlegung der Fraktionsmindeststärke 243 und hinsichtlich der Regelung der Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen.244 Auch die Bestimmung der Zuständigkeit eines Referenten durch Geschäftsordnungsregelung war der Normenkontrolle zugänglich.245 Dagegen war ein Kreistagsbeschluss, durch den eine Änderung der Geschäftsordnung des Kreistags abgelehnt worden war, kein statthafter Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens.246 Gegenstand einer Normenkontrolle war schließlich die Bestimmung einer Hauptsatzung zur Unterrichtung der Gemeindevertretung über bedeutsame Grundstücksgeschäfte.247 In Fall 12 bestätigte der BayVGH, dass Bestimmungen der Geschäftsordnung eines kommunalen Vertretungsorgans (Gemeinderat) trotz ihrer Qualität als bloße Innenrechtssätze zu den normenkontrollfähigen Rechtsvorschriften zählen, wenn sie in abstrakt-genereller Weise gemeindeinterne Rechtsbeziehungen regeln. Das war der Fall, weil B im Haushalts- und Finanzbereich seitens des Gemeinderats verbindlich Vorgaben gemacht wurden. – In der Sache war der Normenkontrollantrag des B unbegründet. Die vormalige Richtlinie durfte in die Geschäftsordnung integriert werden und der Gemeinderat war ermächtigt, Wertobergrenzen zur Bewirtschaftung der Haushaltsmittel durch den Bürgermeister festzusetzen (Art 37 I 2 BayGO).
240 BVerwGE 122, 264 (266) = DVBl 2005, 766 = NVwZ 2005, 602 (603) → JK GG Art 20 III/41; zuvor bereits zB VGH BW DÖV 1990, 666 = NVwZ 1991, 92 und VBlBW 1992, 350. 241 BVerwGE 128, 382 = NVwZ 2007, 1081 = JZ 2007, 1151 (m Anm Battis) → JK VwGO § 47/30 (Zuordnung zu § 47 I Nr 1 VwGO). 242 BVerwG DVBl 1988, 790 = NVwZ 1988, 1119 (1120) = BayVBl 1988, 249. 243 VGH BW DÖV 2002, 912 = NVwZ-RR 2003, 56 (57) = VBlBW 2003, 119 → JK GO BW § 36/2; BayVGH NVwZ-RR 2000, 811; HessVGH LKRZ 2007, 262 (263). 244 BayVGH NVwZ-RR 1990, 432 = BayVBl 1990, 53. 245 BayVGH NVwZ-RR 1995, 49. 246 VGH BW VBlBW 2000, 474. 247 HessVGH DVBl 1995, 931 = NVwZ-RR 1996, 105.
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f) Vorläufiger Rechtsschutz Die Ausübung kommunalverfassungsrechtlicher Wahrnehmungszuständigkeiten ist mitunter sehr zeitgebunden, und die Abwehr von Kompetenzübergriffen anderer Organe kann derart eilbedürftig sein, dass zeitnaher Rechtsschutz gefordert ist.248 Die Durchführung eines Hauptsache-Klageverfahrens kommt dann wegen dessen langer Zeitdauer nicht in Betracht. Gefordert ist die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Es ist unstreitig, dass für innerorganisatorische Streitigkeiten vorläufiger Rechtsschutz beantragt werden kann. Da nicht um die Abwehr von Verwaltungsakten gestritten wird, sind Verfahren nach § 80 V VwGO nicht statthaft; richtige Rechtsschutzform ist vielmehr der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.249 Bei der Eingriffsabwehr ist die Sicherungsanordnung (§ 123 I 1 VwGO) statthaft, bei der den Antragsteller vorläufig begünstigenden Veränderung des organschaftlichen status quo die Regelungsanordnung (§ 123 I 2 VwGO); ist in der Hauptsache ein Normenkontrollantrag statthaft (§ 47 I Nr 2 VwGO), bestimmt sich der vorläufige Rechtsschutz nach § 47 VI VwGO 250. Besonderheiten bestehen nicht. Für die Begründetheitsprüfung bedeutet dies, dass – in der Praxis: auf der Grundlage glaubhaft gemachter Tatsachen (§ 123 III VwGO iVm § 294 I ZPO) – für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund gegeben sein müssen;251 zum Anordnungsinhalt besteht eine gerichtliche Gestaltungsbefugnis (§ 123 III VwGO iVm § 938 I ZPO), die den Sicherungs- und Regelungsbedürfnissen des konkreten Falles Rechnung tragen kann (→ § 30 Rn 56 ff). Statthafte (und im Ergebnis erfolgreiche) einstweilige Anordnungsverfahren zum kommunalen Organstreit sind durch Eilanträge eingeleitet worden zB zwecks Verhinderung des Vollzugs eines wegen Beschlussunfähigkeit der Gemeindevertretung rechtswidrigen Beschlusses,252 zur Durchsetzung des Rede-, Antrags- und Stimmrechts eines fraktionslosen Mitglieds der Stadtverordnetenversammlung in allen Ausschüssen dieses Gremiums,253 wegen des Anspruchs eines Stadtratsmitglieds, zu einem bestimmten Tagesordnungspunkt einer Stadtratssitzung einen Änderungsantrag stellen zu dürfen 254 und gegen die Praxis eines Kreistags, Anträge einer bestimmten Fraktion durch Mehrheitsbeschluss der übrigen Kreistagsmitglieder von der Tagesordnung der Kreistagssitzungen abzusetzen.255 Statthaft (aber nicht erfolgreich) war der Eilantrag einer Ratsfraktion gegen den Rat auf Unterlassung der Ausführung eines kompetenzwidrigen Beschlusses des Haupt-
248 Näher zu Problemstellung und Rechtsprechungsbeispielen Schoch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 123 Rn 44. 249 Bauer/Krause JuS 1996, 512 (517); Schmidt-Aßmann/Röhl in: Schmidt-Aßmann/Schoch, BesVerwR, 1. Kap Rn 84; Lorenz VerwPrR, § 25 Rn 25; Tettinger/Wahrendorf VerwPrR, § 26 Rn 3; Würtenberger VerwPrR, Rn 688. 250 Meister JA 2004, 414 (415). 251 Hierfür gelten die „normalen“ Standards (→ § 30 Rn 40 ff, 53 ff), so dass für die zT von der Rspr erfundenen „vergleichsweise hohen Anforderungen an Darlegung und Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes“ (so Fehrmann NWVBl 1989, 303/308 zur Rspr des OVG NRW) kein Raum ist. 252 HessVGH NVwZ 1988, 1155. 253 OVG Bremen DVBl 1990, 829 = DÖV 1990, 751 = NVwZ 1990, 1195 → JK GO BW § 40/1. – In der Sache ist die Entscheidung zweifelhaft. 254 SächsOVG DVBl 1997, 1287 = LKV 1997, 229 = SächsVBl 1997, 13. 255 ThürOVG DVBl 2000, 935 = LKV 2000, 358 = ThürVBl 2000, 104.
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ausschusses,256 ebenso verhält es sich mit dem Antrag von Ratsmitgliedern nach § 123 I VwGO, dem Bürgermeister mittels einstweiliger Anordnung den Vollzug des Haushalts durch Personaleinstellungen vorläufig zu untersagen.257 95
In Fall 7 war der Eilantrag zulässig und – mangels objektiv erkennbaren wichtigen Grundes – begründet. Der Rechtsschutzform nach nahm der HessVGH eine Regelungsanordnung (§ 123 I 2 VwGO) an und verpflichtete die F-Fraktion, N mit allen Rechten und Pflichten eines Fraktionsmitglieds zur Fraktionsarbeit zuzulassen.
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In Fall 9 war der Eilantrag zwar statthaft, aber unzulässig, da T und F nicht die Verletzung eigener Rechte, sondern solcher Rechte geltend gemacht hatten, die dem Stadtrat zustehen.
3. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen 97
Die statthafte Rechtsschutzform determiniert die besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen. Da Anfechtungs- und Verpflichtungsklage im Kommunalverfassungsstreit nicht zur Anwendung kommen (→ Rn 72 ff), bedarf es vor Klageerhebung nicht der erfolglosen Erhebung eines Widerspruchs (§§ 68 ff VwGO). Auch eine Klagefrist (vgl § 74 VwGO) ist nicht einzuhalten; allenfalls kann das Klagerecht (ausnahmsweise) verwirkt werden.258 Zu beachten sind die besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen im Falle der allgemeinen Leistungsklage bzw der Feststellungsklage sowie ggf beim Normenkontrollantrag oder bei dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
a) Klagebefugnis und Antragsbefugnis 98
Fall 13: Die F-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung (Stadtrat) der Stadt S begehrt beim VG die Feststellung, dass der Stadtverordnetenvorsteher (Ratsvorsitzender) verpflichtet gewesen ist, einen von F gestellten Antrag auf Schaffung einer atomwaffenfreien Zone auf die Tagesordnung für eine Sitzung der Stadtverordnetenversammlung zu setzen. Ist die Klage zulässig? 259
(1) Anwendungsbereich des § 42 II VwGO 99
Nach § 42 II VwGO sind Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. Entsprechendes gilt für den Normenkontrollantrag nach § 47 II 1 VwGO, so dass darauf nur kurz einzugehen ist. Unmittelbar ist § 42 II VwGO im Organstreitverfahren nicht anwendbar, da Anfechtungsklage und Verpflichtungsklage nicht statthaft sind (→ Rn 72 ff). Das Erfordernis der Klagebefugnis
256 OVG NRW DVBl 1993, 216 = NVwZ-RR 1993, 157 = NWVBl 1993, 91 (keine Antragsbefugnis einer Ratsfraktion zur Wahrung der Kompetenzen des Rates). 257 OVG NRW NVwZ-RR 2007, 627 = NWVBl 2008, 65 (kein organschaftliches Recht von Ratsmitgliedern oder Ratsfraktionen gegenüber dem Bürgermeister, sondern nur des Rates als solchem). 258 Ehlers NVwZ 1990, 105 (112); Hufen VerwPrR, § 21 Rn 23; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 548. 259 Fall nach HessVGH DVBl 1988, 793 (m abl Anm Würkner) = DÖV 1988, 304; BVerwG NVwZ 1989, 470 = BayVBl 1989, 378.
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analog § 42 II VwGO kann sich aber bei der allgemeinen Leistungsklage, der Feststellungsklage und beim Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ergeben. Dass beim Eilantrag nach § 123 I VwGO entsprechend § 42 II VwGO die Antragsbefugnis vorliegen muss, ist unstreitig (→ § 30 Rn 27). Nach mittlerweile nahezu einhelliger Auffassung findet § 42 II VwGO auch bei der allgemeinen Leistungsklage entsprechende Anwendung (→ § 24 Rn 29);260 danach ist die Klage nur zulässig, wenn dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf das Tun, Dulden oder Unterlassen des Klagegegners möglicherweise zusteht. Umstritten ist die entsprechende Anwendung des § 42 II VwGO bei der Feststellungsklage. In der Praxis hat das BVerwG die Analogie zu § 42 II VwGO im Rahmen des § 43 I VwGO mit der Erwägung durchgesetzt, die dem Verwaltungsprozess fremde Popularklage müsse vermieden werden. Auch die auf die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses gerichteten Klagen gemäß § 43 I VwGO seien nur zulässig, wenn es dem Kläger dabei um die Verwirklichung seiner Rechte gehe (→ § 25 Rn 28).261 Nach der Gegenauffassung fehlt es an der planwidrigen Regelungslücke für die Analogie, weil das nach § 43 I VwGO notwendige Feststellungsinteresse die Popularklage ausschließe;262 jedenfalls erübrige das genaue Verständnis des „Rechtsverhältnisses“ iSd § 43 I VwGO – dessen (Nicht-)Bestehen die Beteiligten unmittelbar berühren müsse – eine analoge Anwendung des § 42 II VwGO im Rahmen der Feststellungsklage.263
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In Fall 13 hat das BVerwG bestätigt, dass § 42 II VwGO auch im Rahmen einer kommunalverfassungsrechtlichen Feststellungsklage entsprechend anzuwenden ist. Folglich müsse der Kläger ein eigenes organschaftliches Recht geltend machen, damit die Klage erfolgreich sein könne.
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Verwaltungsrechtsprechung 264 und überwiegendes Schrifttum 265 folgen dem BVerwG und erachten die Feststellungsklage im Kommunalverfassungsstreit nur dann als zulässig, wenn der Kläger geltend machen kann, durch ein anderes Organ oder Organteil eine Verletzung in eigenen organschaftlichen Rechten erfahren zu haben. Andernfalls, so die hM, liefe der Kommunalverfassungsstreit auf ein objektives Beanstandungsverfahren hinaus,
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260 Vgl nur etwa Schlette JURA 2004, 90. 261 BVerwGE 99, 64 (66) = DVBl 1995, 1250 = DÖV 1996, 35 = NJW 1996, 139 → JK VwGO § 43/9; BVerwGE 100, 262 (271) = DVBl 1996, 993 (996) = NJW 1996, 2046 (2048); BVerwGE 111, 276 (279) = DVBl 2000, 1858 (1859) = DÖV 2000, 1005 (1006) = NJW 2000, 3584 (3585) → JK VwGO § 43/11; BVerwGE 114, 356 (360). 262 Laubinger VerwArch 82 (1991) 459 (493 ff); Knöpfle in: FS Lerche, 1993, 771 (777); Würtenberger VerwPrR, Rn 425 f (mit Ausnahme allerdings für den Organstreit); Hufen VerwPrR, § 18 Rn 26 (mit Ausnahme von Unterlassungsbegehren). 263 Schenke VerwPrR, Rn 409 f, 433; ähnlich Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 43 Rn 31. 264 VGH BW DÖV 1988, 469 (470); NVwZ-RR 1990, 369 = VBlBW 1990, 457 (458); DVBl 1992, 981 = NVwZ 1992, 373 = VBlBW 1992, 375 → JK GO BW § 35 I/1; DVBl 1993, 212 = DÖV 1993, 211 = NVwZ 1993, 396 = VBlBW 1993, 179; OVG NRW NVwZ-RR 2003, 376 = NWVBl 2003, 309; NWVBl 2006, 30; NWVBl 2009, 221; OVG RP DVBl 1985, 177 (178) = NVwZ 1985, 283; ThürOVG ThürVBl 1996, 82. 265 Fehrmann NWVBl 1989, 303 (305); Gern VBlBW 1989, 449 (450); Ehlers NVwZ 1990, 105 (111); Bauer/Krause JuS 1996, 512 (513); Meister JA 2004, 414 (415); Hufen VerwPrR, § 21 Rn 15; Würtenberger VerwPrR, Rn 681.
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was in dem auf Individualrechtsschutz angelegten System der VwGO nicht sein dürfe. Warum bei der Feststellungsklage im Organstreit die Abwendung der befürchteten „Popularklage“ nicht über die präzise Erfassung des „Rechtsverhältnisses“ und des „berechtigten Interesses“ gemäß § 43 I VwGO soll bewerkstelligt werden können, erklärt die hM nicht.266
(2) Funktion „eigener“ organschaftlicher Rechte 104
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Mit der entsprechenden Anwendung des § 42 II VwGO bei allen Klagearten soll vermieden werden, dass im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eine objektivrechtliche Kontrolle des Verhaltens von Kommunalorganen erfolgt 267. Dafür ist die Kommunalaufsicht zuständig. Einem klagenden Organ(teil) stehen im Rahmen des § 42 II VwGO zur Geltendmachung nur eigenständige Wahrnehmungszuständigkeiten, dh von der Rechtsordnung zugewiesene wehrfähige „subjektive Organrechte“, zur Verfügung.268 Die Konsequenzen zeigen sich vor allem dann, wenn ein Organteil (zB Ratsmitglied, Fraktion) Kompetenzen des Gesamtorgans gegen Übergriffe eines anderen Organs verteidigen will; entsprechende Klagen sind gemäß § 42 II VwGO (analog) unzulässig.269 Die Wahrnehmung der innerorganisatorischen Rechte von Kommunalorganen durch Organteile im Wege der Prozessstandschaft ist – anders als im verfassungsrechtlichen Organstreit (vgl § 64 I BVerfGG) 270 – weder in der VwGO noch im Kommunalrecht vorgesehen.271 Bei ordnungsgemäßer Fallbearbeitung müsste, wie erwähnt, die Frage einer möglichen Versubjektivierung innerorganisatorischer Wahrnehmungszuständigkeiten schon im Rahmen der Beteiligungsfähigkeit (§ 61 Nr 2 VwGO: „soweit … ein Recht zustehen kann“) geklärt werden (→ Rn 50 ff). Dann müsste bei der Klagebefugnis nur noch geprüft werden, ob die Verletzung des organschaftlichen Rechts im konkreten Fall möglich erscheint.272
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In Fall 13 stellte der HessVGH fest, dass nach der Gemeindeordnung nur dem Gemeindevorstand (Magistrat) und einem Viertel der Gemeindevertretung (Stadtverordneten) ein Anspruch gegen den Vorsitzenden auf Berücksichtigung eines bestimmten Verhandlungsgegenstandes bei der Aufstellung der Tagesordnung der Gemeindevertretung (Stadtverordnetenversammlung) zusteht. Eine „Fraktion“ als solche verfügt – unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Größe – nicht über diese Wahrnehmungszuständigkeit. Folglich ist die Klage der F-Fraktion unzulässig.
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Auch bei der Klagebefugnis ist eine Berufung auf Grundrechte im Kommunalverfassungsstreitverfahren ausgeschlossen.273 Kommunale Mandatsträger (Ratsmitglieder, Kreis266 Vgl. zur Kritik an der hM Schoch JuS 1987, 783 (789 ff); Erichsen/Biermann JURA 1987, 157 (162). 267 OVG BW DÖV 1988, 469 (470); DVBl 1992, 981 = NVwZ-RR 1992, 373 = VBlBW 1992, 375 → JK GO BW § 35 I/1. 268 VGH BW VBlBW 1999, 304 → JK GO BW § 34 I 1/1; OVG NRW NVwZ-RR 2003, 225 = NWVBl 2002, 381 → JK VwGO § 61 Nr 2/5; OVG NRW NVwZ-RR 2003, 376 = NWVBl 2003, 309 (310). 269 VGH BW NVwZ-RR 1994, 229 = VBlBW 1994, 99 (100). 270 Vgl dazu BVerfG NJW 2008, 2018 Tz 47 → JK GG Art 24 II/1. 271 OVG NRW NVwZ-RR 2007, 627; Wahl/Schütz in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs 2 Rn 100. 272 Rennert JuS 2008, 119 (124). 273 Fehrmann NWVBl 1989, 303 (307); Gern VBlBW 1989, 449 (450); Bauer/Krause JuS 1996, 512 (513); Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (160); Franz JURA 2005, 156 (159); widersprüchlich Ogorek JuS 2009, 511 (515).
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tagsmitglieder), die über ein „freies Mandat“ verfügen, agieren nicht als natürliche Personen (Außenrechtssubjekte), sondern als Organwalter; insoweit sind sie grundrechtsverpflichtet und nicht etwa grundrechtsberechtigt. Soweit die Rechtsprechung zB Ratsmitglieder (in dieser Funktion) bezüglich freier Meinungsäußerungen dem Schutz des Art 5 I 1 GG unterstellt,274 kann dem nicht gefolgt werden.
(3) Möglichkeit der Rechtsverletzung Kann seitens des Organ(teil)s eine „eigene“ Wahrnehmungszuständigkeit angeführt werden, muss für die Klagebefugnis nach § 42 II VwGO (analog) noch geltend gemacht werden, dass die umstrittene Maßnahme möglicherweise eine Verletzung des Organrechts darstellt.275 Insoweit sollten im Regelfall keine allzu großen Probleme auftreten. Die Rechtsprechung lässt allerdings mittelbare Auswirkungen der umstrittenen kommunalinternen Maßnahme nicht ausreichen; die nur mittelbare Betroffenheit eines Organ(teil)s könne in einem Organstreit die Klagebefugnis nicht begründen. Deshalb konnte die Eilentscheidung eines Oberbürgermeisters von einem Ratsmitglied nicht angegriffen werden, da unmittelbar nur die Kompetenz des Gemeinderats beeinträchtigt war.276 In einem Eilverfahren wurde die Antragsbefugnis einer Ratsfraktion gegen den Vollzug von Beschlüssen des Hauptausschusses über den Bau einer Erschließungsanlage verneint, da nur mittelbar Mitwirkungsbefugnisse der Fraktion im Rat beeinträchtigt seien.277 Ein fraktionsloses Gemeinderatsmitglied konnte die Redezeitbeschränkung für Fraktionen zulässigerweise nicht angreifen; in Bezug auf den geltend gemachten Anspruch, die Auffassungen der anderen Gemeinderatsmitglieder ohne Einschränkungen vernehmen zu können, liege nur eine mittelbare Betroffenheit vor.278
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In Fall 9 verneinte das SächsOVG – neben der Beteiligungsfähigkeit (→ Rn 64) – die Antragsbefugnis: „Die Entscheidungen des Oberbürgermeisters betreffen unmittelbar … nur den Stadtrat in seiner Organstellung, sie hindern erst dadurch und damit nur mittelbar auch dessen Mitglieder an der Wahrnehmung von Mitwirkungsbefugnissen. Umgekehrt vermittelt ein Recht auf Teilhabe an einer etwaigen Entscheidung des an sich zuständigen Organs noch keinen Anspruch auf Entscheidung durch dieses Organ. Damit obliegt es aber auch nur dem Stadtrat als solchem, gegen eine mögliche Verletzung körperschaftseigener Rechte durch den Oberbürgermeister vorzugehen.“ 279
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Die Ermittlung der Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren (§ 47 II 1 VwGO) folgt den Grundsätzen zur Klagebefugnis. Zwei Beispiele aus der Praxis mögen den Befund verdeutlichen. Der Normenkontrollantrag einer Fraktion der Gemeindevertretung gegen eine Bestimmung der Hauptsatzung zur Kontrolle des Gemeindevorstands scheiterte an der Antragsbefugnis, weil jene Kontrollkompetenz nur der Gemeindevertretung
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274 OVG RP NVwZ 1985, 673; VGH BW NVwZ-RR 2001, 262 = VBlBW 2001, 179, abl dazu → JK GG Art 5 I/29; etwas differenzierter BVerwG DVBl 1988, 792 = NVwZ 1988, 837 = VBlBW 1989, 15 → JK GO Rh-Pf §§ 36, 38/1. 275 Hufen VerwPrR, § 21 Rn 21; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 546. 276 VGH BW DVBl 1993, 212 = DÖV 1993, 211 = NVwZ 1993, 396 = VBlBW 1993, 179. 277 OVG NRW DVBl 1993, 216 = NVwZ-RR 1993, 157 = NWVBl 1993, 91. 278 VGH BW NVwZ-RR 1994, 229 = VBlBW 1994, 99 (100). 279 SächsOVG NVwZ-RR 1997, 665 (666) = SächsVBl 1997, 120 (121).
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als solcher und nicht einzelnen Fraktionen zugeordnet ist.280 Dagegen konnte ein Gemeinderatsmitglied die Änderung der Geschäftsordnung des Gemeinderats, mit der die Fraktionsmindeststärke von zwei auf drei Personen angehoben worden war, mit dem Normenkontrollantrag zulässigerweise angreifen; der Betreffende war Mitglied einer Zwei-MannFraktion, verlor mit der Änderung der Geschäftsordnung Status (Fraktionsvorsitzender) und organschaftliche Rechte (Mitgliedschaft im Ältestenrat), so dass eine Verletzung seines organschaftlichen Mitgliedschaftsrechts als Gemeinderat nicht von vornherein ausgeschlossen war.281
(4) Rechtsschutz gegen Verfahrenshandlungen 111
Nach § 44a S 1 VwGO können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Der für behördliches Handeln maßgebliche Rechtsgedanke dieser Bestimmung kann auf Organstreitigkeiten nicht übertragen werden. Die Regelung hat Bedeutung für Außenrechtsstreitigkeiten; die Rechtsstellung des Individuums wird in der Regel nicht schon durch (vorbereitende) Verfahrenshandlungen, sondern erst durch die abschließende behördliche Sachenentscheidung betroffen.282 Aus Gründen der Verfahrensökonomie schließt § 44a S 1 VwGO isolierte Rechtsstreitigkeiten über behördliche Verfahrenshandlungen aus und konzentriert den gerichtlichen Rechtsschutz auf die Überprüfung der behördlichen Sachentscheidung (→ § 21 Rn 171 ff).
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In Fall 3 hat der VGH BW erkannt, dass Bestand und Reichweite von organschaftlichen Rechten auch dann isoliert feststellungsfähig sind, wenn die behauptete Rechtsverletzung auf einer Verfahrenshandlung beruht. Ohnehin seien die organschaftlichen Mitgliedschaftsrechte überwiegend Verfahrensrechte; eine entsprechende Rechtsstellung habe das einzelne Organ in Bezug auf Sachentscheidungen nicht inne. Zutreffend betont der VGH, dass das Mitgliedschaftsrecht des einzelnen Ratsmitglieds gerade keinen Anspruch auf rechtmäßige Sachentscheidungen des Gemeinderats umfasst.
b) Feststellungsinteresse bei der Feststellungsklage 113
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Ist die Feststellungsklage die statthafte Rechtsschutzform, hängt die Zulässigkeit der Klage auch von einem „berechtigten Interesse“ des Klägers an der baldigen Feststellung ab (§ 43 I VwGO). Für das Feststellungsinteresse gelten die allgemeinen Anforderungen; schutzwürdige Interessen des Klägers können solche rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art sein (→ § 25 Rn 42). Von den anerkannten Fallgruppen zum Feststellungsinteresse kommt die Geltendmachung von Schadenersatz- oder Entschädigungsansprüchen im Anschluss an einen erfolgreichen Kommunalverfassungsstreit kaum in Betracht. Das berechtigte Interesse des Klägers an der gerichtlichen Feststellung der Verletzung von Wahrnehmungszuständig280 HessVGH DVBl 1995, 931 (932) = NVwZ-RR 1996, 105. 281 VGH BW DÖV 2002, 912 = NVwZ-RR 2003, 56 (57) = VBlBW 2003, 119 → JK GO BW § 36/2. Der Antrag war unbegründet, da der Gemeinderat auf Grund seiner Geschäftsordnungsautonomie die Fraktionsmindeststärke auf drei Personen festsetzen darf, ohne gegen Minderheitenrechte zu verstoßen. Vgl auch HessVGH LKRZ 2007, 262 (263). 282 VGH BW NVwZ-RR 1990, 369 = VBlBW 1990, 457 (458).
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keiten durch ein anderes Kommunalorgan kann jedoch auf den Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr gestützt werden.283 Das gilt vor allem in Fällen der Erledigung des umstrittenen Organhandelns. So wurde das berechtigte Interesse an der gerichtlichen Feststellung, dass dem Antrag nach Aufnahme eines bestimmten Verhandlungsgegenstandes in die Tagesordnung einer Gemeinderatssitzung zu entsprechen war, unter Hinweis auf die Wiederholungsgefahr bejaht, da sich der Vorgang jederzeit wiederholen könne.284 Auch die Klage gegen Kompetenzbeschneidungen seitens des Rates gegenüber anderen kommunalen Gremien wurde bezüglich des Feststellungsinteresses mit einer Wiederholungsgefahr begründet, da wegen des vom Rat eingenommenen Rechtsstandpunktes unter im Wesentlichen vergleichbaren Umständen dasselbe erneut passieren könne.285 Abgelehnt wurde die Wiederholungsgefahr hingegen im Fall einer umstrittenen Redezeitbeschränkung im Kreistag, nachdem die Geschäftsordnung des Gremiums in diesem Punkt geändert wurde, so dass eine gleichartige Maßnahme wegen im wesentlichen unveränderter Umstände nicht mehr zu erwarten war.286 Die Begründung des Feststellungsinteresses mit einem anerkennenswerten Rehabilitierungsinteresse des Klägers kann im Organstreit nicht von vornherein verneint werden.287 Zwar sind Maßnahmen mit diskriminierender Wirkung eher in Bezug auf Außenrechtssubjekte, die von behördlichen Maßnahmen betroffen sind, zu erwarten; doch lässt sich Vergleichbares im Innenrechtsstreit nicht ausschließen. So wurde die Feststellungsklage eines von seinem Amt abberufenen Bürgermeisters als zulässig erachtet; der Betroffene hatte seine Abwahl durch die Stadtverordnetenversammlung (Gemeinderat) als ungerechtfertigt und diskriminierend empfunden, ferner war wegen der Außenwirkung des Vorgangs eine gewisse Stigmatisierung nicht zu leugnen, so dass das Feststellungsinteresse bejaht wurde 288. Auch beim Streit um das (un)berechtigte Fernbleiben eines Gemeinderatsmitglieds von Gemeinderatssitzungen wurde ein berechtigtes Rehabilitierungsinteresse für die Feststellungsklage anerkannt; der in öffentlicher Sitzung mit einem entsprechenden Presseecho gefasste Gemeinderatsbeschluss, das betroffene Gemeinderatsmitglied nehme seine ehrenamtliche Tätigkeit nicht gesetzeskonform wahr, könne das Ansehen des betroffenen Mandatsträgers in der Öffentlichkeit herabsetzen, so dass ein berechtigtes ideelles Interesse an der Rehabilitierung anzuerkennen sei.289 In Fall 3 begründete der VGH BW das Feststellungsinteresse mit einer Wiederholungsgefahr. Auf Grund der Umstände des konkreten Falles (Haltung des Bürgermeisters zu Sitzungseinladungen und Zustellung von Unterlagen) sei es konkret möglich, dass sich in Zukunft ein ähnlich gelagerter Fall wieder einstelle.
283 284 285 286 287 288 289
Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (162); Gersdorf VerwPrR, Rn 277. HessVGH NVwZ 1986, 328 f. OVG NRW NWVBl 1993, 262 (263). VGH BW VBlBW 1993, 469 (470). So aber Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (162). ThürOVG ThürVBl 1996, 82 f; die Klage erwies sich jedoch als unbegründet. VGH BW NVwZ-RR 1997, 181 (182) = VBlBW 1996, 99 (100) → JK GO BW § 34 III/1; die Klage war unbegründet, da das Gemeinderatsmitglied ohne „wichtigen Grund“, nur wegen politischer Meinungsverschiedenheiten von Sitzungen fernblieb.
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c) Passive Verfahrensbefugnis 117
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Kaum problematisch und dennoch umstritten ist die passive Verfahrensbefugnis im Organstreit, dh die Frage nach dem richtigen Beklagten. Nicht anwendbar, da nur für Anfechtungs- und Verpflichtungsklage Geltung beanspruchend, ist § 78 VwGO.290 Auch das für die allgemeine Leistungsklage und die Feststellungsklage maßgebliche Rechtsträgerprinzip kommt nicht zur Anwendung. Da es um einen Innenrechtsstreit geht, ist die Klage vielmehr gegen denjenigen Funktionsträger, dh Organ oder Organteil, zu richten, dem gegenüber die Innenrechtsposition bestehen soll.291 Dasselbe gilt für Eilanträge nach § 123 I VwGO. Es ist deshalb unrichtig, wenn die kommunale Körperschaft als solche (Gemeinde/ Stadt, Landkreis) zum richtigen Beklagten erklärt wird.292 Der Rechtsträger der um interne Wahrnehmungszuständigkeiten streitenden Organ(teil)e ist am Verwaltungsprozess gar nicht beteiligt, kann folglich auch nicht passiv verfahrensbefugt sein. Richtiger Beklagter ist derjenige kommunalinterne Funktionsträger, dem die behauptete Kompetenz-/ Rechtsverletzung angelastet wird.293 Bei der Normenkontrolle bestimmt § 47 II 2 VwGO zum Antragsgegner, dass der Antrag gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung zu richten ist, welche die angegriffene Rechtsvorschrift erlassen hat. Diese auf den Außenrechtsstreit gemünzte Bestimmung findet im Kommunalverfassungsstreit keine Anwendung.294 Vielmehr gilt auch insoweit das Funktionsträgerprinzip. Deshalb ist zB der Normenkontrollantrag eines (Gemeinde-)Ratsmitglieds oder einer Ratsfraktion gegen die Geschäftsordnung der kommunalen Vertretungskörperschaft nicht gegen die Gemeinde, sondern gegen den (Gemeinde-)Rat zu richten.295 4. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis
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Jeder Rechtsschutzantrag, mit dem eine gerichtliche Sachentscheidung begehrt wird, setzt ein Rechtsschutzbedürfnis voraus (→ § 21 Rn 185 ff). Das gilt auch beim Kommunalverfassungsstreit. Allerdings ist diese Zulässigkeitsvoraussetzung wegen des innerorganisatorischen Übergriffs anderer Organe in eigene Wahrnehmungszuständigkeiten des klagenden Organ(teil)s oder der Vorenthaltung von Leistungen auf Grund bestehender Mitgliedschaftsrechte in aller Regel indiziert. Dass das betreffende Organ sein Rechtsschutzziel auf anderem Wege einfacher, schneller, besser, billiger erreichen kann, ist kaum anzunehmen.
290 Falsch daher VGH BW VBlBW 1999, 304: der „richtige Beklagte“ ergebe sich gemäß § 78 I Nr 2 VwGO; → JK GO BW § 34 I 1/1. 291 Fehrmann NWVBl 1989, 303 (307); Rausch JZ 1994, 696 (701); Bauer/Krause JuS 1996, 512 (516); Meister JA 2004, 414 (416); Franz JURA 2005, 156 (159); Rennert JuS 2008, 119 (124); Ogorek JuS 2009, 511 (516). 292 So aber BayVGH NVwZ 1985, 845 = BayVBl 1985, 339; BayVGH BayVBl 1995, 661 (662); ferner VGH BW NVwZ-RR 2001, 262 = VBlBW 2001, 179 (180) unter unzutreffender Berufung auf § 78 I Nr 1 VwGO; krit dazu → JK GG Art 5 I/29. 293 VGH BW NVwZ-RR 1990, 369 (370) = VBlBW 1990, 457 (459); OVG NRW NWVBl 1993, 262 (263 f); NWVBl 2003, 309 (310); NWVBl 2009, 221; SächsOVG DVBl 1997, 1287 (1289) = LKV 1997, 229 (230) = SächsVBl 1997, 13 (15). 294 AA VGH BW DÖV 2002, 912 = NVwZ-RR 2003, 56 (57) = VBlBW 2003, 119; → JK GO BW § 36/2; ferner BayVGH NVwZ-RR 2007, 405 (407) = BayVBl 2006, 370 (372); Meister JA 2004, 414 (416). 295 Vgl NdsOVG DVBl 1999, 1737; ferner HessVGH LKRZ 2007, 262 (263): Kreistag.
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Einigkeit besteht darüber, dass das Rechtsschutzbedürfnis nicht deshalb entfällt, weil der Kläger die Kommunalaufsichtsbehörde anrufen und um Einschreiten bitten könnte.296 Viele kommunalinterne Vorgänge unterliegen der Kommunalaufsicht nicht; außerdem besteht vielfach Ermessen, so dass die aufsichtsbehördliche Rechtskontrolle ungewiss ist. Vor allem aber könnte das aufsichtsbehördliche Verfahren das gerichtliche Verfahren bezüglich seiner Wertigkeit nicht ersetzen.297 Mitunter wird allerdings das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis negiert, wenn das klagende Organ sein Ziel zB durch einen Antrag im Gemeinderat, einen Einspruch gegen dessen Entscheidung oder auf Grund gemeindeinterner Beanstandung erreichen könne.298 Derartige Verfahren sind jedoch kaum eine ernsthafte Alternative zum Verwaltungsprozess. Allenfalls kann unter dem Aspekt des Rechtsschutzbedürfnisses gefordert werden, dass der Kläger nicht mutwillig das Gericht anruft, sondern zuvor einen (vergeblichen) Versuch zur kommunalinternen Streitbeilegung (vgl zB → Fall 2, Rn 2, 17) unternommen hat.
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IV. Begründetheit der Klage Bei der Begründetheitsprüfung ergeben sich in den Organstreitigkeiten keine strukturellen Besonderheiten. Der Einstieg in die Begründetheitsprüfung hängt von der für statthaft erachteten Rechtsschutzform ab. Die allgemeine Leistungsklage ist begründet, wenn dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf das begehrte innerorganisatorische Tun, Dulden oder Unterlassen tatsächlich zusteht. Die Feststellungsklage ist begründet, wenn das streitige Rechtsverhältnis besteht (positive Feststellungsklage) oder nicht besteht (negative Feststellungsklage);299 angesichts der erwähnten extensiven Anwendung des § 43 I VwGO (→ Rn 78 ff) geht es zumeist um die Prüfung, ob durch das Verhalten des Beklagten eine Verletzung organschaftlicher Rechte des Klägers erfolgt ist.300 Bei der Normenkontrolle ist die Gültigkeit der angegriffenen Rechtsvorschrift zu prüfen. Die Begründetheit des Eilantrags nach § 123 I VwGO setzt voraus, dass – auf der Grundlage eines glaubhaft gemachten Sachverhalts – Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund gegeben sind. Prüfungsgegenstand ist im Kommunalverfassungsstreit die als verletzt gerügte Wahrnehmungszuständigkeit des klagenden Organ(teil)s; nur der mitgliedschaftsrechtliche Bezug der Streitigkeit ist von Interesse, eine objektive Rechtmäßigkeitskontrolle kommunalinterner Maßnahmen findet nicht statt.301 Prüfungsmaßstab sind alle im konkreten Fall streitentscheidenden Normen des Kommunalverfassungsrechts; materiellrechtlich geht es demnach um eine Prüfung anhand des internen kommunalen Organisationsrechts.
296 Franz JURA 2005, 156 (161); Ogorek JuS 2009, 511 (516); Hufen VerwPrR, § 21 Rn 22; Lorenz VerwPrR, § 25 Rn 24; Schenke VerwPrR, Rn 592; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 547; Würtenberger VerwPrR, Rn 685. 297 ThürOVG DVBl 2000, 935 = LKV 2000, 358 = ThürVBl 2000, 104 (105); Schoch JuS 1987, 783 (792). 298 Vgl Franz JURA 2005, 156 (160 f); Lorenz VerwPrR, § 25 Rn 24; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 547. 299 Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (162). 300 Meister JA 2004, 414 (417). 301 Bauer/Krause JuS 1996, 512 (516); Erichsen/Biermann JURA 1997, 157 (162).
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§ 29 Aufschiebende Wirkung und verwaltungsgerichtliches Aussetzungsverfahren Friedrich Schoch I. System und Funktionen des vorläufigen Rechtsschutzes nach der VwGO Der vorläufige Rechtsschutz nach der VwGO genießt in der Praxis eine kaum zu überschätzende Bedeutung;1 in Ausbildung und Prüfung stellt er „einen geradezu idealen Prüfungsstoff dar, um Wissen und methodische Fähigkeiten abfragen zu können“.2 Grundvoraussetzung für die Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften ist das richtige Verständnis zum System des verwaltungsprozessualen vorläufigen Rechtsschutzes und zu dessen Verhältnis zum Hauptsacherechtsschutz. Hierfür ist die Kenntnis verfassungs- und europarechtlicher Vorgaben (→ Rn 4 ff) unabdingbar. Der Zugang zu den einzelnen Rechtsproblemen wird erleichtert, wenn das Konzept der VwGO zum vorläufigen Rechtsschutz (→ Rn 12 ff) erfasst wird. Wesentlich für die Lösung komplexer Fragestellungen ist die Klarheit zu den Funktionen des vorläufigen Rechtsschutzes (→ Rn 15 f).
1
1. Verfassungs- und europarechtliche Vorgaben Fall 1: Die radikale R-Partei meldet für den 3. Oktober die Durchführung eines Aufzugs durch die Innenstadt von S an. Dabei sollen Kaiserreichsflaggen, Trommeln und Fackeln mitgeführt werden. R will an die „am 3. Oktober vergessene Reichswiederbegründung“ erinnern. Die zuständige Behörde verbietet am 28. September unter Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit (AsV) der Verfügung die geplante Veranstaltung; von R sei eine Verherrlichung des Nationalsozialismus beabsichtigt, wie schon die Assoziationen zu nationalsozialistischen Fackelaufzügen im „Dritten Reich“ zeigten. R legt gegen das Verbot Widerspruch ein und fragt nach einer sofortigen Rechtsschutzmöglichkeit.3
2
Fall 2: Die EG-Kommission hat die Destillation von 12 Mio hl Tafelwein angeordnet. Davon sollen 68.000 hl von den in Deutschland ansässigen Erzeugern destilliert werden. Die zuständigen deutschen Behörden erlassen die notwendigen Verfügungen. Gegen die Mehrzahl der Bescheide werden seitens der Erzeuger Widersprüche eingelegt. Die deutschen Behörden unternehmen nichts. In der Folge werden in Deutschland nur 9.000 hl Tafelwein destilliert. Wie ist das Verhalten der deutschen Behörden rechtlich zu beurteilen? 4
3
1 Einzelheiten dazu bei Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 80 Rn 1 ff. 2 So Proppe JA 2004, 324. – Eine Zusammenstellung examensrelevanter Probleme zu § 80 V und § 123 VwGO (unter besonderer Berücksichtigung der Rspr des BayVGH) bietet Koehl BayVBl 2007, 540 ff u 573 ff; zur Tenorierung verwaltungsgerichtlicher Beschlüsse in Eilverfahren Mann/ Blasche NWVBl 2009, 33 ff u 77 ff; zum vorläufigen Rechtsschutz beim VA mit Drittwirkung Budroweit/Wuttke JuS 2006, 876 ff; zu dem besonders prüfungsrelevanten vorläufigen Rechtsschutz des Nachbarn im öffentlichen Baurecht Debus JURA 2006, 487 ff. 3 Fall in Anlehnung an OVG NRW, DVBl 2001, 584; BVerfG-K, DVBl 2001, 721 = NJW 2001, 1407. 4 Fall nach EuGH, Slg 1990, I-2899 = EuZW 1990, 384.
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a) Verfassungsrechtliche Rechtsschutzgarantie 4
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6
Nach Art 19 IV 1 GG (Rechtsweg- und Rechtsschutzgarantie) muss ein möglichst umfassender gerichtlicher Schutz gegen die Verletzung der Rechtssphäre des Einzelnen durch Maßnahmen der öffentlichen Gewalt zur Verfügung stehen. Daraus ergeben sich konkrete Anforderungen für den verwaltungsgerichtlichen vorläufigen Rechtsschutz. Zwar werden Rechtsweg und Rechtsschutz im Rahmen der einschlägigen Prozessordnung gewährleistet. Bei der Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Regelungen muss jedoch (neben der besonderen Bedeutung evtl betroffener materieller Grundrechte) den Erfordernissen eines wirksamen Rechtsschutzes Rechnung getragen werden: Anspruch des Einzelnen auf eine tatsächlich und rechtlich wirksame Kontrolle der Ausübung öffentlicher Gewalt.5 Die Wirksamkeit des Rechtsschutzes ist in erster Linie vom Faktor „Zeit“ abhängig.6 Der Rechtsschutz des Einzelnen, der zu spät kommt, bleibt wirkungslos, wenn die Verwaltung zwischenzeitlich „vollendete Tatsachen“ geschaffen hat. Art 19 IV 1 GG verlangt daher, dass im einfachgesetzlichen Prozessrecht das Institut des vorläufigen Rechtsschutzes überhaupt vorgesehen ist.7 Kommt nach Lage der Dinge in einem konkreten Fall der Hauptsacherechtsschutz zu spät, kann wirksamer Rechtsschutz iSd Art 19 IV 1 GG nur im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gewährt werden. Ihm wird primär die Aufgabe zuerkannt, nicht wiedergutzumachende (dh irreversible8) Folgen, wie sie durch die sofortige Vollziehung (sV) einer hoheitlichen Maßnahme vor deren abschließender gerichtlicher Überprüfung eintreten können, möglichst auszuschließen.9 Dabei ist – so das BVerfG – der Rechtsschutzanspruch des Einzelnen um so stärker, je schwerer die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken.10 Ein typischer Anwendungsfall für diese Rechtsprechung ist das Versammlungsrecht.11 Reagiert die Verwaltung auf Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, mit einem nach § 80 II 1 Nr 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärten Verbot (§ 15 I VersG), droht für die Grundrechtsberechtigten (Art 8 I GG) die endgültige Verhinderung
5 BVerfG-K, DVBl 1996, 1367 f = NVwZ 1997, 479, 480; DVBl 2004, 431, 432 m Anm Vollmöller; NVwZ 2005, 438; NVwZ 2007, 946 u 948, 949. 6 BVerfG-K, NJW 2001, 3770: „Wirksamer Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit.“ 7 Für die deutsche Rechtsordnung ist dies mit Blick auf § 47 VI, §§ 80 ff, § 123 VwGO (§§ 86a, 86b SGG; §§ 69, 114 FGO) unproblematisch. Auch das EG-Recht verlangt, dass nationale Gerichte gegen Maßnahmen der nationalen öffentlichen Gewalt die Befugnis zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (zur Durchsetzung des EG-Rechts) haben; vgl (am Beispiel des englischen Rechts) EuGH, Slg 1990, I-2466 = DVBl 1991, 861 = NJW 1991, 2271. 8 Die Rspr spricht – ungenau – von „irreparablen“ Folgen bzw Tatsachen; „irreparabel“ ist bei Beachtung des Zeitfaktors jedoch jedes Tun oder Unterlassen. Infolgedessen kann es nur – mit Blick in die Zukunft und den ausstehenden Hauptsacherechtsschutz – um „irreversible“ faktische Lagen gehen. Vgl iE Schoch Vorläufiger Rechtsschutz und Risikoverteilung im Verwaltungsrecht, 1988, 1318 ff. 9 BVerfGE 35, 263, 274 u 382, 401 f; 51, 268, 284; 79, 69, 74; 93, 1, 13; BVerfG-K, NVwZ-RR 1999, 217; DVBl 1999, 1204, 1205; DVBl 2001, 1836; NJW 2001, 3770; NVwZ 2004, 93, 94 → JK GG Art 19 IV/23; NJW 2004, 2297, 2298; NJW 2006, 3551; DVBl 2007, 901, 903; NJW 2008, 1369, 1371; DVBl 2008, 1056, 1057; NVwZ 2009, 240, 241. 10 BVerfGE 67, 43, 61 f; 69, 315, 363; BVerfG-K, NVwZ 1998, 834, 835; NVwZ 2005, 1053, 1054; NVwZ 2007, 946, 947 u 948, 949; NVwZ 2007, 1302, 1304; NJW 2008, 1369, 1371. 11 Vgl dazu auch Fallbearbeitung Arndt/Uhlenbrock JURA 2002, 488 ff.
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der Versammlung in der beabsichtigten Form. Daraus ergibt sich die überragende Bedeutung des vorläufigen Rechtsschutzes auf dem Gebiet des Versammlungsrechts.12 Weitere prominente Anwendungsfelder sind – ebenfalls unter der Prämisse der Verhinderung irreversibler Fakten – zB das Ausländer- und Asylrecht (Ausweisung und Abschiebung), das Baunachbarrecht (Errichtung eines Bauwerks) oder das Polizei- und Ordnungsrecht (Vollzug einer Gefahrenabwehrmaßnahme). In Fall 1 hatte das OVG NRW den Antrag von R gemäß § 80 V 1 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (aW) des gegen das Verbot eingelegten Widerspruchs abgelehnt; die behördliche Verfügung sei nach § 15 I VersG rechtmäßig, da von der geplanten Versammlung eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung ausgehe (Bekenntnis zum Nationalsozialismus unter Missachtung grundgesetzlicher Wertvorstellungen). Demgegenüber stellte das BVerfG die aW des Widerspruchs von R gegen die Verbotsverfügung (mit bestimmten Maßgaben) wieder her. Die Verwaltung stütze ihre Gefahrenprognose nur auf Verdachtsmomente und Vermutungen. Das reiche nicht, zumal vom Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Art und Inhalt der Versammlung auszugehen sei. Vor diesem Hintergrund seien die Nachteile einer Sofortwirkung des Versammlungsverbots schwer und derart gewichtig, dass R vorläufigen Rechtsschutz erhalten müsse.
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b) Determinanten des EG-Rechts Eine Kompetenz für das nationale Verwaltungsprozessrecht besitzt die EG nicht.13 Dennoch wirkt das Gemeinschaftsrecht vielfältig auf den verwaltungsprozessualen vorläufigen Rechtsschutz ein.14 Bei dem – in der Praxis dominierenden – indirekten Vollzug von EG-Recht wird nationales Verfahrensrecht von deutschen Behörden und Gerichten bei der Ausführung von Gemeinschaftsrecht angewendet. Im Falle der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes15 kann der Anwendungsvorrang des (materiellen) EG-Rechts durch den nationalen vorläufigen Rechtsschutz gefährdet sein, weil dieser der wirksamen Durchsetzung des EG-Rechts entgegenstehen kann. Es stellt sich die Frage nach der Verbandskompetenz der EG (und der Organkompetenz des EuGH) zur Durchdringung des mit-
12 Vgl zB VGH BW, DÖV 2000, 647 (Untersagung einer „Probeblockade“); OVG Berlin NVwZ 2000, 1201 u NdsOVG, NdsVBl 2000, 299 sowie OVG NRW, NJW 2001, 2114 u ThürOVG, ThürVBl 2000, 12 u 253 (Untersagung einer NPD-Versammlung); OVG NRW, NJW 2001, 1441 (Auflagen für Demonstrationen von Rechtsextremisten); OVG NRW, DVBl 2001, 839 → JK GG Art 8/14 (Einkesselung einer Versammlung); OVG NRW, NJW 2001, 2111 u 2113 (Untersagung eines Protestmarsches von Neonazis); VGH BW, VBlBW 2002, 383 → JK VersG § 15/4 (Versammlungsverbot wegen befürchteter Gegendemonstranten); ThürOVG, NVwZ-RR 2003, 207 (Versammlungsverbot wegen unzureichender Kooperation); OVG Bbg, NVwZ 2003, 623 (Versammlungsverbot am Volkstrauertag); OVG Bbg, NVwZ-RR 2004, 844 → JK VersG § 15 I/5 (Verbot einer Versammlung auf einem Friedhof); BayVGH, BayVBl 2008, 109 → JK GG Art 5 I 1/38 (Verbot einer Versammlung zum „Gedenken an Rudolf Heß“); HessVGH, DVBl 2008, 1322 → JK GG Art 8/26 (Verbot einer Fahrraddemonstration auf Bundesautobahn). 13 Schwarze NVwZ 2000, 241 (244, 250). 14 Einzelheiten dazu bei Schoch DVBl 1997, 289 ff; Jannasch VBlBW 1997, 361 ff u NVwZ 1999, 495 ff; Sandner DVBl 1998, 262 ff; Sommermann FS Blümel, 1999, 523 ff; Hauser VBlBW 2000, 377 ff; v. Danwitz Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, 592 ff. 15 Vgl dazu die Fallbearbeitung von Herbst JURA 2000, 586 ff.
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gliedstaatlichen vorläufigen Rechtsschutzes und – bei Bejahung der Kompetenz – nach der europarechtskonformen Auslegung und Anwendung des deutschen Prozessrechts.16 Vor diesem Hintergrund liegt die Problemstellung bei Sachverhalten mit Gemeinschaftsrechtsbezug gleichsam „quer“ zu derjenigen nach Art 19 IV 1 GG: Der vorläufige Rechtsschutz nach nationalem Recht nimmt die Schutzbedürftigkeit streitiger subjektiver Rechte zum Ausgangspunkt und erhält darin – gegenüber der öffentlichen Verwaltung – durch Art 19 IV 1 GG eine verfassungsrechtliche Verstärkung. Demgegenüber bezweckt der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts dessen effektive und möglichst unverzügliche administrative Umsetzung; daraus resultiert mitunter eine Rechtsschutzrestriktion dergestalt, dass der vorläufige Rechtsschutz den Vollzug des Gemeinschaftsrechts tunlichst nicht hindern sollte.17
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Zur Sicherung seines Anwendungsvorrangs stehen dem Gemeinschaftsrecht mehrere Möglichkeiten zur Verfügung.18 Es kann auf das nationale (Verwaltungs-)Verfahrensrecht einwirken, um die rasche Durchsetzung der supranationalen Rechtsordnung zu sichern. Ferner kann es die gerichtliche Entscheidungsfindung steuern. Schließlich kann es den nationalen Richter zum Vorlageverfahren nach Art 234 EGV (267 AEUV) zwingen. In Fall 2 machte der EuGH von der erstgenannten Option Gebrauch. Er stellte fest, dass die deutschen Behörden verpflichtet gewesen seien, alle Maßnahmen zu treffen, die zur Durchführung des einschlägigen EG-Rechts (Weindestillation) notwendig waren. Folglich mussten die deutschen Behörden die aW der von den Erzeugern eingelegten Widersprüche (§ 80 I 1 VwGO) durch die AsV der getroffenen Verfügungen gemäß § 80 II 1 Nr 4 VwGO beseitigen. Da dies nicht geschehen war, verstieß die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen.19
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Auf der Ebene des gerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzes ist unter dem Einfluss des EG-Rechts danach zu unterscheiden, ob der Gerichtsschutz zur Abwehr von (materiellem) Gemeinschaftsrecht oder zur Durchsetzung des (materiellen) Gemeinschaftsrechts in Anspruch genommen wird.20 Der letztgenannte Fall ist insoweit unproblematisch, als der Grundsatz effektiven gerichtlichen Schutzes der dem Einzelnen durch das Gemeinschaftsrecht verliehenen Rechte ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des EG-Rechts ist.21 In dem weithin auf den mitgliedstaatlichen Vollzug angewiesenen Rechtssystem verlangt das gemeinschaftsrechtliche Gebot wirksamen Rechtsschutzes, dass nationale Gerichte befugt sind, „vorläufige Maßnahmen zu erlassen, um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Gemeinschaftsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen“.22 Wie die Sicherung der vollen Wirksamkeit der Individualrechte 16 Ausführlich hierzu Buck Die Europäisierung des verwaltungsgerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzes, 2000, 39 ff, 82 ff, 102 ff, 209 ff; Stancke Einstweilige Anordnungen im dezentralen Vollzug des Gemeinschaftsrechts, 2004, 7 ff, 22 ff; Kwanka Die Einwirkungen des Europarechts auf den vorläufigen Rechtsschutz im nationalen Verwaltungsprozess, 2006, 7 ff, 41 ff, 125 ff. 17 Hauser VBlBW 2000, 377 (381). 18 Überblick hierzu bei Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzer, VwGO, Vorb § 80 Rn 19 ff. 19 Erläuternd dazu Vedder EWS 1991, 10 ff. 20 Einzelheiten dazu bei O. Dörr Der europäisierte Rechtsschutzauftrag deutscher Gerichte, 2003, 173 ff u 239 ff. 21 Schwarze FS Starck, 2007, 645 ff. 22 So EuGH, Slg 2007, I-2271 = EuZW 2007, 247 = NJW 2007, 3555 = BayVBl 2007, 589 (m Anm Lindner) Tz 75 → JK EUV Art 6 II/2.
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auf Grund des EG-Rechts bis zur Hauptsacheentscheidung erfolgt, bestimmt sich nach dem innerstaatlichen (Prozess-)Recht. 2. Konzept des vorläufigen Rechtsschutzes nach der VwGO Die VwGO kennt keinen in sich geschlossenen Abschnitt zum vorläufigen Rechtsschutz. Seine positivrechtlichen Ausprägungen finden sich in §§ 47 VI, 80, 80a, 80b, 123 VwGO. Setzt man der gesetzlichen Systemlosigkeit die systematisierende Kraft der Rechtsdogmatik entgegen, lassen sich als Grundkategorien zwei Teilsysteme des verwaltungsprozessualen vorläufigen Rechtsschutzes unterscheiden: die aW und die einstweilige Anordnung (eAO). Dieses Konzept kennt auch das EG-Eigenverwaltungs(prozess)recht (→ § 12 Rn 10 ff). Anders als dort lassen sich im deutschen Recht kaum Konvergenzen zwischen den Teilsystemen erkennen. Die klare Unterscheidung von aW und eAO ist theoretisch und praktisch bedeutsam und folgenreich.23 Diese institutionelle Zweispurigkeit des vorläufigen Rechtsschutzes nach der VwGO wirft die Frage nach der Abgrenzung zwischen aW und eAO auf. Verfassungsrechtlich sind die beiden Rechtsinstitute gleichwertig;24 einfachgesetzlich kommt dem vorläufigen Rechtsschutz im Teilsystem der aW Vorrang gegenüber der eAO zu (vgl § 123 V VwGO). Anknüpfungspunkt für den – gesetzlich angeordneten – Eintritt der aW sind gemäß § 80 I 1 VwGO (Anfechtungs-)Widerspruch und Anfechtungsklage („Suspensionsautomatik“); das gilt auch für die gerichtliche Herstellung der aW nach § 80 V 1 VwGO. Bei den anderen Rechtsschutzformen müsste nach der Abgrenzungsformel des § 123 V VwGO vorläufiger Rechtsschutz im Wege der eAO zu begehren sein; im Anwendungsbereich der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle steht exklusiv § 47 VI VwGO zur Verfügung. Die Orientierung an den Klagearten stellt indes, wie sich zeigen wird, nur eine grobe Faustformel für die Abgrenzung zwischen aW und eAO dar.25 Denn dem Teilsystem der aW sind auch Leistungs- und Feststellungsbegehren zugeordnet (→ Rn 92, 106 ff). Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Rechtsinstituten des vorläufigen Rechtsschutzes besteht darin, dass im Anwendungsbereich der aW auch vor-gerichtlicher Rechtsschutz – durch gesetzliche Anordnung (§ 80 I VwGO) oder behördliche Entscheidung (§ 80 IV und § 80a I, II VwGO) – vorgesehen ist; demgegenüber kann eine eAO nur gerichtlich erlangt werden (§ 123 I, § 47 VI VwGO).26 Die erwähnten Vorschriften der VwGO vermitteln nur ein unvollständiges Bild zum verwaltungsprozessualen vorläufigen Rechtsschutz. Die beklagenswerte Atomisierung des Verwaltungsprozessrechts hat dazu geführt, dass zB im Asylrecht ein nur schwer durchschaubares Subsystem entstanden ist.27 Zahlreiche Spezialfragen kennt auch das Aus23 Finkelnburg in: ders/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 14. 24 BVerfGE 51, 268, 285 f; VGH BW, VBlBW 1981, 227, 228; BayVGH, NJW 1983, 835, 836; OVG Saarland, NVwZ 1986, 769, 770; zweifelnd Hufen VerwPrR, § 31 Rn 4. 25 Ausnahme: § 47 VI VwGO, der sich klar und eindeutig auf den Anwendungsbereich der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle nach § 47 I VwGO bezieht. 26 Einzelheiten zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen aW und eAO bei Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 80 Rn 42 ff. 27 Vgl §§ 18a IV, 34a II, 36 III, 43 II, 75, 76 IV, 82 AsylVfG (Sartorius I Nr 567). Sogar die Verfassung trifft in Art 16a IV GG verwaltungsprozessuale Regelungen! Einzelheiten dazu bei B. Huber/Göbel-Zimmermann Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl 2008, Rn 1985 ff, 1998 ff; Külpmann in: Finkelnburg/Dombert/ders, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 1242 ff.
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länderrecht.28 Im Fachplanungsrecht finden sich etliche abweichende Regelungen zu § 80 V VwGO.29 Und der gesetzliche Ausschluss der aW iSd § 80 II 1 Nr 3 VwGO zwingt ohnehin dazu, bei der Lösung eines Falles das einschlägige Fachrecht in die Prüfung einzubeziehen (→ Rn 55 ff). 3. Funktionen des vorläufigen Rechtsschutzes 15
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Unabhängig von den einfachgesetzlichen Ausprägungen erfüllt jede Art und Form vorläufigen Rechtsschutzes zwei spezifische Funktionen,30 die ihn vom Hauptsacherechtsschutz unterscheiden:31 • Die Sicherungsfunktion folgt aus Art 19 IV 1 GG und dient dazu, das Hauptsacheverfahren nach Möglichkeit offen zu halten. Durch vorläufigen Rechtsschutz soll verhindert werden, dass durch bloßen Zeitablauf irreversible Fakten entstehen und die noch ausstehende Hauptsacheentscheidung dadurch entwertet wird.32 • Die interimistische Befriedungsfunktion ergibt sich aus der unaufhaltsam fortschreitenden Zeit. Da der permanente, unumkehrbare Zeitablauf notwendigerweise zu einer abschließenden Zwischenregelung für einen bestimmten Zeitraum führt, ist es auch Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes, den Zeitraum bis zur endgültigen Entscheidung in der Hauptsache durch eine Zwischenregelung zu überbrücken.33 Nimmt man beides zusammen, ergeht mit Blick auf das ausstehende Hauptsacheverfahren eine vorläufige Entscheidung; diese stellt für den Interimszeitraum zugleich eine endgültige Entscheidung dar, da auf Grund des unumkehrbaren Zeitablaufs ein vorläufiger Zustand notwendigerweise abschließend geregelt wird.34 Wegen der Doppelfunktion des vorläufigen Rechtsschutzes besteht sein Grundproblem in der angemessenen Risikoverteilung.35 Ziel ist hinsichtlich der vorläufigen Verwirklichung des materiellen Rechts und der – besseren – Erkenntnis der ausstehenden verbindlichen Hauptsacheentscheidung die Minimierung und nach Möglichkeit sogar die Vermeidung des Fehlentscheidungsrisikos.36
28 Wichtig: § 84 AufenthG (Sartorius I Nr 565); Überblick zu der Problematik bei Jacob VBlBW 2008, 418 ff. 29 Vgl zB § 17e II–IV FStrG (Sartorius I Nr 932); § 29 VI PBefG (Sartorius I Nr 950); § 18e II–IV AEG (Sartorius I Nr 962); § 14e II–IV WaStrG (Sartorius I Nr 971); § 10 VI LuftVG (Sartorius ErgBd Nr 975); § 43e I u II EnWG (Sartorius I Nr 830). 30 Das gilt auch in Bezug auf Art 242, 243 EGV (278, 279 AEUV) → § 12 Rn 14 ff. 31 Einzelheiten dazu bei Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 80 Rn 33 ff. 32 BVerfG-K, NVwZ-RR 1999, 217; BVerfGE 110, 77, 87 → JK VwGO § 113 I 4/19. 33 BVerfGE 46, 166, 178. 34 VGH BW, NVwZ-RR 1992, 442; HessVGH, NJW 1984, 378; OVG MV, GewArch 1996, 76, 77; OVG Rh-Pf, NVwZ-RR 1992, 35, 37; Mampel DVBl 1997, 1155, 1156; ders BauR 2000, 1817, 1820. 35 Schoch VerwArch 82 (1991), 145, 158; Lorenz, VerwPrR, § 27 Rn 4 ff. 36 Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 80 Rn 37 f.
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II. Eintritt der aufschiebenden Wirkung kraft Gesetzes 1. Gesetzliche „Suspensionsautomatik“ im System des § 80 VwGO Vorläufiger Rechtsschutz im Wege der aW tritt gemäß § 80 I 1 VwGO automatisch mit der Erhebung des Widerspruchs (§ 69 VwGO) bzw der Anfechtungsklage (§§ 42 I 1, 81 VwGO) ein. Diese gesetzliche „Suspensionsautomatik“ stellt im System des § 80 VwGO den Regelfall dar. Die Durchbrechung des Grundsatzes der aW von Widerspruch und Anfechtungsklage ist schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut 37 als Ausnahme konzipiert. Der Ausschluss der aW tritt entweder kraft Gesetzes ein (§ 80 II 1 Nr 1 bis 3, 2 VwGO) oder er kann durch behördliche AsV herbeigeführt werden (§ 80 II 1 Nr 4 VwGO). In beiden Konstellationen kann durch gerichtliche Eilentscheidung (§ 80 V 1 VwGO) zum Grundsatz des § 80 I 1 VwGO zurückgekehrt werden: beim gesetzlichen Ausschluss der aW durch – erstmalige – Anordnung der aW (AOaW), bei behördlicher Beseitigung der aW mittels AsV durch Wiederherstellung der aW (WHaW). Zwischen Eintritt und Bestand der aW einerseits sowie Ausschluss der aW andererseits besteht demzufolge nach der Systematik des § 80 VwGO ein Regel-Ausnahme-Verhältnis.38 Die hM qualifiziert die aW sogar als „fundamentalen Grundsatz des öffentlich-rechtlichen Prozesses“, erkennt in der aW eine „adäquate Ausprägung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie“ und gelangt so zum Schutz des Grundsatzes der aW durch Art 19 IV 1 GG.39 Zutreffend ist dies nicht. Wenn aW und eAO verfassungsrechtlich gleichwertig sind (→ Rn 13), verlangt das Grundgesetz für die gesetzliche Ausgestaltung des vorläufigen Rechtsschutzes nicht eine bestimmte Sicherungstechnik, sondern nur die Gewährleistung des aus Rechtsschutzgründen notwendigen Sicherungserfolges.40 Den Anforderungen des Art 19 IV 1 GG ist Rechnung getragen, wenn anders als durch die „Suspensionsautomatik“ (→ Rn 17), etwa durch eine gerichtliche Entscheidung (§ 80 V VwGO), die Wirksamkeit des vorläufigen Rechtsschutzes sichergestellt ist.41 Bei dem in der Praxis häufig anzutreffenden Verwaltungsakt mit Drittwirkung (VAmD) stehen sich überdies die Rechtspositionen des Begünstigten und des Dritten prinzipiell gleichwertig gegenüber, so dass sich auch von daher die verfassungsrechtliche Überhöhung eines der beiden konfligierenden Interesses verbietet.42 Zutreffend wird vom BVerfG neuerdings ausdrücklich betont, dass Art 19 IV 1 GG im dreiseitigen Rechtsverhältnis nicht gebietet, dem Anfechtungs-
37 § 80 II 1 VwGO: Die aW entfällt „nur“ …! 38 BVerfG-K, NVwZ 2009, 240, 241 → JK VwGO § 80a/6; OVG NRW, NVwZ-RR 2000, 121, 122; OVG Rh-Pf, NVwZ-RR 1999, 27, 28; ThürOVG, ThürVBl 2001, 18, 20. – BVerfG-K, NJW 2008, 1369, 1370 bezeichnet die aW von Widerspruch und Klage als gesetzlichen Normalfall. 39 BVerfGE 35, 263, 272, 274; 67, 43, 58; 69, 220, 227 f; 96, 239, 240; BVerfG-K, NVwZ 2004, 93, 94 → JK GG Art 19 IV/23; NJW 2003, 3618, 3619; NVwZ 2005, 1053, 1054; NVwZ 2007, 946 u 948, 949; NVwZ 2007, 1302, 1304; VGH BW, NVwZ-RR 1990, 186, 187; BayVGH, DÖV 1999, 307 = BayVBl 1999, 373 f und BayVBl 1999, 465, 466; OVG Berlin, NVwZ-RR 1995, 575, 576 f; OVG Hamburg, NVwZ-Beilage I 12/2000, 146; OVG NRW, NVwZ-RR 2000, 121, 122. 40 Mampel DVBl 1997, 1155; Kotulla Die Verwaltung 33 (2000), 521 (555 f); Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, GG, Art 19 IV Rn 274. 41 BVerfGE 51, 268, 284 f; BVerfG-K, NJW 2001, 3770; anerkannt auch von BVerfG-K, NVwZ 2009, 240, 241 → JK VwGO § 80a/6. 42 Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 18.
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rechtsbehelf beim VAmD automatisch aW zuzuerkennen.43 Die aW erfüllt somit eine einfachgesetzliche Schutzaufgabe: Im zweiseitigen Rechtsverhältnis stellt sie ein Gegengewicht zur (Hoheits-)Macht der Verwaltung dar, beim VAmD erfüllt sie lediglich eine verfahrensrechtliche Funktion. Nach der Gesetzessystematik entfaltet sie ohnehin nur eine vorläufige (Suspensions-)Wirkung, lässt den Inhalt des angegriffenen VA also unberührt.44 2. Voraussetzungen für den Eintritt der aufschiebenden Wirkung 19
Fall 3: E ist Eigentümer eines Grundstücks in der Stadt S, das mit einem Wohnhaus bebaut ist und aus einem Vorder-, einem Mittel- und einem Hinterhaus besteht. Die Dächer des Mittel- und des Hinterhauses waren im 2. Weltkrieg zerstört worden; nach dem Krieg wurden flach geneigte Notdächer errichtet. Diese sollen nun durch hoch ragende neue Dächer ersetzt werden. Nach Eingang des hierzu von E eingereichten Bauantrags beschloss S die Aufstellung eines Bebauungsplans für dieses Gebiet und nannte als Ziel der Planung den „Ausschluss von weiteren baulichen Anlagen im Blockinnenbereich“. Auf Antrag von S verfügte die zuständige Bauaufsichtsbehörde die Zurückstellung des Bauantrags für neun Monate. E erhebt hiergegen Widerspruch. Muss der Bauantrag bearbeitet werden? 45
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Fall 4: Die zuständige Behörde erteilte W antragsgemäß eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Windkraftanlage. Die Genehmigung ist auf Grund einer Bestimmung der LBO mit der Bedingung versehen, dass W zur Finanzierung der Rückbaukosten nach dauerhafter Nutzungsaufgabe vor Beginn der Bauarbeiten eine Sicherheitsleistung in Form einer Bankbürgschaft über 72.000 Euro zu erbringen habe. Hat die gegen die Bedingung form- und fristgerecht erhobene Klage aufschiebende Wirkung? 46
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Indem die Kollisionsnorm des § 123 V VwGO den Anwendungsvorrang der §§ 80, 80a VwGO – und damit der aW gegenüber der eAO – normiert, bedarf es zur Abgrenzung der beiden Formen vorläufigen Rechtsschutzes der Bestimmung des Anwendungsbereichs von §§ 80, 80a VwGO. Auf der Ebene des gesetzlichen vorläufigen Rechtsschutzes ergeben sich die Voraussetzungen für den Eintritt der aW aus der Kumulation der Rechtsnatur der angegriffenen Verwaltungsmaßnahme und der Form des eingelegten Rechtsbehelfs: Ein VA muss mit Widerspruch oder Anfechtungsklage angegriffen sein.
a) Angriffsgegenstand: Verwaltungsakt 22
§ 80 I 1 VwGO verknüpft den gesetzlichen Eintritt der aW mit der Erhebung von Widerspruch oder Anfechtungsklage. Beide Rechtsbehelfe richten sich gegen Verwaltungsakte (§§ 68, 42 I VwGO). § 80 I 1 VwGO gewährt folglich vorläufigen Rechtsschutz durch aW gegen eine Maßnahme, die als VA (§ 35 VwVfG) zu qualifizieren ist. Ist das nicht der Fall, kann vorläufiger Rechtsschutz nur im Wege der eAO erlangt werden.
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BVerfG-K, NVwZ 2009, 240, 242 → JK VwGO § 80a/6. BVerwG, BayVBl 1999, 89 f (bloße verfahrensrechtliche Fiktionswirkung der aW). Fall nach OVG Rh-Pf, NVwZ-RR 2002, 708 → JK VwGO § 80 V/13. Fall nach OVG LSA, NVwZ-RR 2009, 239.
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Für die Fallbearbeitung und die gerichtliche Praxis bedeutet dies, dass im konkreten Fall anhand der Merkmale des § 35 VwVfG die VA-Qualität einer behördlichen Maßnahme ermittelt werden muss. Wird diese bejaht, liegt iSd § 123 V VwGO ein „Fall des § 80 VwGO“ vor, Rechtsschutz wird durch die aW gewährt;47 ist die Verwaltungsmaßnahme nicht als VA zu qualifizieren, muss Rechtsschutz durch einen Antrag auf Erlass einer eAO begehrt werden.48 In der Praxis wurden zB die aufsichtsbehördliche Weisung an einen öffentlich bestellten Vermessungsingenieur zur Vornahme bestimmter Arbeiten,49 die Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde und des zuständigen Bundesministers nach § 37 I BauGB,50 die Suspendierung eines Mitglieds der Freiwilligen Feuerwehr 51 sowie die Umbenennung einer Straße 52 jeweils als VA qualifiziert, so dass dem eingelegten Widerspruch aW zukam. Ein VA, der mit Wissen und Willen der Behörde einem Dritten bekannt gegeben worden ist, kann – da der VA objektiv existent ist (→ § 22 Rn 12) – von dem Betroffenen, dem gegenüber noch keine Bekanntgabe erfolgt ist, mit der Wirkung des § 80 I VwGO angefochten werden.53 Dagegen wurden zB der Feststellung des Ergebnisses eines Bürgerentscheids 54, der Berichtigung des Melderegisters,55 dem Abbruch des Auswahlverfahrens zur Besetzung einer Beamtenstelle,56 dem Beschluss eines Stadtrates zur Schulschließung 57 und einer behördlichen Aufrechnungserklärung,58 die VA-Qualität versagt, so dass der jeweils erhobene Widerspruch unstatthaft und der Eilantrag auf gerichtliche Feststellung des Eintritts der aW unzulässig waren. Dem Anwendungsbereich des § 80 VwGO unterfallen alle Arten eines VA,59 also nicht nur der Vollstreckung fähige Verfügungen (Gebote, Verbote)60, sondern – wie § 80 I 2 VwGO klarstellt – auch rechtsgestaltende und feststellende VA61 sowie der VAmD 62, ferner 47 Unterschiedlich können die Rechtsschutzkonstellationen sein: Liegt objektiv ein Fall des § 80 I VwGO vor, bestreitet die Behörde jedoch die VA-Qualität ihrer Maßnahme, trifft das angerufene Gericht eine Feststellungsentscheidung (→ Rn 106 u 167); schließt § 80 II 1 Nr 3 VwGO (zB iVm § 212a I BauGB) den Eintritt der aW aus und handelt es sich entgegen der Auffassung der Behörde bei ihrer Maßnahme objektiv um einen VA, kommt die AOaW in Betracht (→ Rn 166). 48 Wird – in der fälschlichen Annahme der VA-Qualität der angegriffenen Maßnahme – bei Gericht ein Antrag nach § 80 V 1 VwGO gestellt, kommt dessen Umdeutung in einen Antrag nach § 123 I VwGO in Betracht (→ Rn 108). 49 VGH BW, NVwZ-RR 1998, 152. 50 HessVGH, NVwZ 2001, 823. 51 NdsOVG, NVwZ-RR 2001, 419. 52 OVG NRW, NVwZ-RR 2008, 487. 53 OVG LSA, NVwZ-RR 2008, 747. 54 VGH BW, DVBl 2000, 1714 = DÖV 2000, 824 = NVwZ-RR 2001, 51. 55 OVG MV, NVwZ-RR 2001, 93. 56 OVG Saarland, NVwZ-RR 2003, 48, 49; SächsOVG, SächsVBl 2004, 240, 241. 57 SächsOVG, SächsVBl 2002, 42. 58 OVG LSA, NVwZ-RR 2002, 907, 908 → JK VwGO § 123/3; OVG LSA, NVwZ-RR 2009, 226. – Zur Aufrechnung im System des § 80 VwGO ferner → Rn 33 u 35. 59 Überblick dazu bei Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 34 ff. 60 Eine wichtige Konsequenz hieraus ist, dass der Begriff „Vollziehung“ iSd § 80 II 1 Nr 4 VwGO nicht vom Verwaltungsvollstreckungsrecht her gedacht werden darf, sondern vom Schutzbereich der aW her zu bestimmen ist; BayVGH, BayVBl 2008, 86 f; HessVGH, GewArch 1999, 38, 39 und NVwZ 2000, 98, 99; OVG NRW, NVwZ-RR 1999, 477, 478 = NWVBl 1999, 305, 306; näher → Rn 32. 61 BVerwG, NVwZ 2007, 1207, 1208. 62 OVG NRW, NVwZ-RR 2008, 757, 758. – Der Begriff VA mit „Doppelwirkung“ in § 80 I 2 VwGO ist ungenau; richtigerweise müsste es – wie § 80a I VwGO belegt – „Drittwirkung“ heißen.
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VA mit Doppelwirkung und Allgemeinverfügungen63 (§ 35 S 2 VwVfG). § 80 I VwGO bietet von daher gegenüber der „Handlungsform VA“ einen umfassenden vorläufigen Rechtsschutz. Daraus folgt umgekehrt, dass Änderungen im Verwaltungsverfahrensrecht durch Abbau der behördlichen Zulassungskontrolle auf den vorläufigen Rechtsschutz „durchschlagen“. Das prominenteste Beispiel hierfür ist der im Zuge der allgemeinen Deregulierung und Privatisierung vorgenommene Abbau der präventiven bauaufsichtlichen Kontrolle von Vorhaben.64 Vorläufiger Rechtsschutz im baurechtlichen Anzeige- und Freistellungsverfahren vermag der Nachbar eines Bauherrn nur im Wege der eAO zu erlangen.65 Die verwaltungsverfahrensrechtliche Freistellung eines Vorhabens von der Baugenehmigung (VA) nimmt § 80 I 1 VwGO eine Anwendungsvoraussetzung. 25
Lösung Fall 3: In dieser Sachverhaltskonstellation ist die Baugenehmigung das eigentliche Rechtsschutzziel des E. Dennoch muss E nicht nach § 123 I 2 VwGO vorgehen. Die Zurückstellung des Bauantrags (§ 15 BauGB) hat eine eigenständige Rechtsqualität als Eingriffsverwaltungsakt. Dagegen kann – und muss (zur Verhinderung des Eintritts der Bestandskraft) – der Bauherr Widerspruch und Anfechtungsklage erheben.66 Die Folge hiervon ist nach § 80 I VwGO der Eintritt der aW; die vorläufige Suspension der Zurückstellung bewirkt, dass die Bauaufsichtsbehörde den Baugenehmigungsantrag unverzüglich weiterbearbeiten muss.67 In diesem Sinne hat auch das OVG erkannt; bei der Zurückstellung nach § 15 I 1 BauGB handele es sich um eine eigenständige Rechtsbeeinträchtigung durch eine qualifizierte Form der Verfahrensaussetzung, die mittels VA ergehe und gegen die vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 I VwGO gewährt werde.
b) Rechtsbehelf: Anfechtungswiderspruch oder Anfechtungsklage 26
Zweite Voraussetzung für den Eintritt der aW nach § 80 I VwGO ist die Erhebung eines Anfechtungswiderspruchs oder einer Anfechtungsklage. Die aW schützt demnach gegenüber einem „Eingriffs“-VA; § 80 I VwGO erfasst belastende VA.68 Anknüpfungspunkt für die aW ist grundsätzlich der Widerspruch (§ 68 I 1 VwGO). Entfällt ausnahmsweise die Durchführung eines Vorverfahrens (§ 68 I 2 VwGO → § 20 Rn 92 ff), muss gegen den belastenden VA unmittelbar Anfechtungsklage erhoben werden, so dass diese Klage die aW entfaltet.69
63 OVG MV, DVBl 2000, 1072, 1074 = NVwZ 2000, 948, 950; OVG NRW, NVwZ-RR 2008, 487; Kotulla Die Verwaltung 33 (2000), 521, 524 f; Tettinger/Wahrendorf VerwPrR, § 23 Rn 6. Die aW soll dabei nur relativ wirken und sich allein auf den Anfechtenden beziehen. 64 Vgl dazu Preschel DÖV 1998, 45 ff; Oeter DVBl 1999, 189 ff; Sacksofsky DÖV 1999, 946 ff; Seidel NVwZ 2004, 139 ff; Sarnighausen BauR 2006, 46 ff; umfassend Löffelbein Genehmigungsfreies Bauen und Nachbarrechtsschutz, 2000, 39 ff. 65 Ausf Uechtritz BauR 1998, 719 ff; Bamberger NVwZ 2000, 983 ff; Mampel BayVBl 2001, 417 ff; Schulte DVBl 2004, 925, 928 f; Bock DVBl 2006, 12, 15 f. 66 VGH BW, NVwZ-RR 2003, 333. 67 OVG NRW, BauR 2007, 684, 685; Rieger BauR 2003, 1512, 1517. 68 Beispiele für Grenzfälle: BayVGH, NVwZ 1998, 1318 (melderechtliche Abmeldung von Amts wegen); BayVGH, BayVBl 2000, 154 und NVwZ-Beilage I 6/2000, 67 = BayVBl 2000, 692 (ausländerrechtlicher Duldung beigefügte Auflagen); VGH BW, DÖV 1999, 612 = NVwZ-RR 1999, 733 (behördliche Einwände gegen die Notifizierung eines Abfallexports). 69 Vgl iE Kotulla Die Verwaltung 33 (2000), 521, 546 ff.
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§ 80 I 1 VwGO schützt nicht – eine Begünstigung gleichsam vorläufig einräumend – gegenüber der behördlichen Ablehnung eines geltend gemachten Anspruchs auf staatliche Leistung (zB Erteilung einer Baugenehmigung, Bewilligung einer finanziellen Leistung). Vorläufiger Rechtsschutz ist in diesen Fällen nur über § 123 I 2 VwGO zu erreichen. § 80 VwGO ist nicht anwendbar. Etwas anderes gilt, wenn das materielle Recht mit der Versagung einer Begünstigung den Verlust einer Rechtsposition verknüpft. Das bekannteste und wichtigste (potentielle) Beispiel hierfür ist die Fiktion des erlaubten Aufenthalts nach § 81 III und IV AufenthG. Danach gilt der Aufenthalt eines Ausländers, der einen Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels gestellt hat, unter bestimmten Voraussetzungen vorläufig als erlaubt. Die Ablehnung der beantragten Begünstigung entzieht zugleich das vorläufige Bleiberecht.70 Der vor diesem Hintergrund an sich angezeigte Eintritt der aW bei Erhebung eines Verpflichtungswiderspruchs (§ 68 II VwGO) bzw einer Verpflichtungsklage (§ 42 I VwGO) wird indes durch § 84 I AufenthG spezialgesetzlich ausgeschlossen.
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Nach der neueren Rechtsprechung des BVerwG (→ § 22 Rn 21) ist gegen belastende Nebenbestimmungen eines VA die Anfechtungsklage die statthafte Rechtsschutzform.71 Dies gilt unabhängig von der Art der Nebenbestimmung (zB Auflage oder Bedingung) und unabhängig von behördlichen Entscheidungsspielräumen (rechtlich gebundener VA oder ErmessensVA). In der Entscheidung zu Fall 4 folgte das OVG dieser Auffassung und betonte, die aW nach § 80 I 1 VwGO entfalle nicht deshalb, weil W ausschließlich gegen die belastende Nebenbestimmung der begünstigenden Genehmigung klage („isolierte Anfechtungsklage“). Ob die Anfechtungsklage gegen die belastende Nebenbestimmung eines VA zur isolierten Aufhebung der Nebenbestimmung führen könne, sei eine Frage der Begründetheit des Anfechtungsbegehrens.
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Die aW tritt gemäß § 80 I 1 VwGO voraussetzungslos ein. Auch unbegründete Rechtsbehelfe lösen die aW aus.72 Bei der Zulässigkeit des Hauptsacherechtsbehelfs will die hM einem offensichtlich unzulässigen Widerspruch die aW versagen.73 Richtigerweise ist von dem Grundsatz auszugehen, dass auch dem unzulässigen Rechtsbehelf aW zukommt; davon gibt es aber folgende Ausnahmen:74 • Beim Fehlen der deutschen Gerichtsbarkeit und im Falle der Unzulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs fehlt es am Geltungsanspruch der VwGO, so dass § 80 I VwGO keine Anwendung findet.
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70 Konsequenz für den gerichtlichen vorläufigen Rechtsschutz: Statthaft ist das Verfahren nach § 80 V 1 VwGO (nicht: § 123 VwGO); Jacob VBlBW 2008, 418 ff; Einzelheiten dazu → Rn 104. 71 BVerwGE 112, 221, 224 → JK VwVfG § 36 II/2; näher zur Rechtsprechung Labrenz NVwZ 2007, 161 ff. 72 BayVGH, BayVBl 2008, 86, 87; HessVGH, NVwZ-RR 2003, 345, 346. 73 VGH BW, VBlBW 1990, 137; BayVGH, BayVBl 1994, 407, 408; OVG MV, DVBl 2000, 1072 = NVwZ 2000, 948, 949; Kotulla Die Verwaltung 33 (2000), 521, 526; Würtenberger VerwPrR, Rn 505; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 248 f. – Dasselbe soll für die offensichtlich unzulässige Anfechtungsklage gelten. 74 Schenke VerwPrR, Rn 956 ff; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 573; Finkelnburg in: ders/Dombert/ Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 646 ff; Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 80 Rn 65 ff.
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5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
• Sind Widerspruch oder Anfechtungsklage nicht statthaft, mangelt es ebenfalls an einer Anwendungsvoraussetzung für § 80 I VwGO. • Fehlt es an der Widerspruchs- bzw Klagebefugnis des Hauptsacherechtsbehelfs, besteht nicht einmal die Möglichkeit der Rechtsverletzung; da es mit Blick auf das Hauptsacheverfahren nichts offen zu halten gibt, existiert das von § 80 I VwGO vorausgesetzte Schutzbedürfnis nicht. • Beim verfristeten Rechtsbehelf ist der VA unanfechtbar; ein im Ergebnis noch offenes Hauptsacheverfahren muss durch die aW nicht gesichert werden. 3. Folgen der aufschiebenden Wirkung 30
Fall 5: Das Landeswirtschaftsministerium hatte X antragsgemäß eine Subvention in Form eines zinslosen Darlehens bewilligt. Später widerrief das Ministerium den Bewilligungsbescheid, X erhob hiergegen Klage. Dennoch kündigte das Ministerium den mit X geschlossenen Darlehensvertrag. X fragt nach der Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme.75
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Fall 6: F wurde von der zuständigen Behörde eine forstwirtschaftliche Förderung iHv 327 Euro bewilligt. Als er die Auszahlung verlangt, erklärt die Behörde die Aufrechnung; die Gegenforderung beruht auf einem von F angefochtenen VA, mit dem die Behörde frühere Förderungen widerrufen und eine entsprechende Rückforderung festgesetzt hat. F bittet um Auskunft zur Rechtslage.76
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§ 80 I VwGO sagt nicht, welche (Rechts-)Folgen die aW auslöst. Nach hM führt die aW lediglich zu einer Vollziehbarkeitshemmung des angefochtenen VA.77 Dies soll sich, da die aW das Gegenstück zur „sofortigen Vollziehung“ sei, schon aus dem Wortlaut des § 80 II 1 Nr 4 VwGO ergeben. Eine rechtsdogmatisch konsistente Erklärung vermag diese Lehre zur aW bei – den ja nicht vollzugsbedürftigen – feststellenden und rechtsgestaltenden VA sowie beim VAmD nicht zu geben. Dasselbe gilt für gestufte Verwaltungsentscheidungen (zB Vorbescheid, Baugenehmigung). Vorzugswürdig ist die Theorie der vorläufigen Wirksamkeitshemmung.78 Sie denkt nicht vom „Vollziehungs“-Begriff her, sondern argumentiert anhand des Schutzzwecks des § 80 I VwGO. Danach bleibt der Inhalt der im VA getroffenen Regelung unberührt, von ihm geht jedoch auf Grund des durch § 80 I
75 Fall nach OVG Bbg, NVwZ 2000, 577. 76 Fall nach BVerwG, NJW 2009, 1099 → JK VwGO § 80 I/→ 6. 77 BVerwGE 66, 218, 222; 89, 357, 361; BGH, NJW 1993, 2232, 2233; VGH BW, VBlBW 2007, 351, 352; BayVGH, BayVBl 1993, 565, 566; BayVBl 2005, 308, 309; OVG Bremen, NVwZ-RR 1993, 216, 217; NVwZ-RR 2000, 524; HessVGH, NVwZ 1992, 798, 799; OVG MV, DVBl 2000, 1072, 1074 = NVwZ 2000, 948, 950; OVG, SH NVwZ-RR 1993, 437, 438; Hufen VerwPrR, § 32 Rn 3 f; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 250; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 575; Tettinger/Wahrendorf VerwPrR, § 23 Rn 7; Finkelnburg in: ders/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 630. 78 Ausf dazu Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 85 ff; ferner Schenke VerwPrR, Rn 950 ff; Kopp/Schenke VwGO, § 80 Rn 22 ff; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO § 80 Rn 35. – Diese Auffassung findet eine Bestätigung durch § 84 II 1 AufenthG; der Regelung hätte es nicht bedurft, wenn von einer bloßen Vollziehbarkeitshemmung auszugehen wäre; vgl VGH BW, VBlBW 2006, 116.
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Aufschiebende Wirkung und verwaltungsgerichtliches Aussetzungsverfahren
§ 29
VwGO vermittelten Rechtsschutzes vorläufig keine rechtliche Wirkung aus. Danach müssen Ge- und Verbote einstweilen nicht befolgt werden, eine behördliche Feststellung ist noch nicht verbindlich, eine Rechtsgestaltung tritt vorläufig nicht ein, von einer angefochtenen Genehmigung darf der Begünstigte nicht sofort Gebrauch machen und beim mehrstufigen Verwaltungshandeln entzieht die Anfechtung des „Grund-VA“ einem „FolgeVA“ die notwendige Basis. Vertretbar ist die „Vollziehbarkeitstheorie“ (→ Rn 32) aus Rechtsschutzgründen allenfalls bei einem extrem weiten Verständnis des Begriffs „Vollziehung“. Während des Bestehens der aW dürfen aus dem angefochtenen VA keine rechtlichen Folgerungen gezogen werden, die der Realisierung dieses VA dienen; dies kann zB auch ein selbstständiger Folgebescheid sein.79 Soweit die Lehre von der Vollziehbarkeitshemmung in dem weiten Sinne verstanden wird, dass aus dem angefochtenen VA keine unmittelbaren oder mittelbaren, rechtlichen oder tatsächlichen Folgen gezogen werden dürfen, gelangen beide Konzeptionen nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen.80 Rechtsdogmatisch korrekt muss etwa die Abschiebung eines Ausländers iSd § 80 VwGO als „Vollziehung“ der vorangegangenen Ausweisung begriffen werden.81 Die Praxis zeigt jedoch, dass die Rechtsprechung vielfach den Regelungsgehalt des VA nicht suspendiert sehen will, sondern nur bestimmte Folg(erung)en hieraus ausschließen möchte.82 Besonders deutlich zeigt sich dies im Falle der Aufrechnung. Ist ein Leistungsbescheid angefochten, verbietet der Eintritt der aW der Behörde die Aufrechnung, weil mangels (fälliger bzw jedenfalls) durchsetzbarer Gegenforderung keine Aufrechnungslage besteht.83 Die These der hM, die Aufrechnung stelle keine „Vollziehung“ des angefochtenen VA dar84, zeigt die Vordergründigkeit jener Lehre auf und missachtet den Schutzzweck des § 80 I VwGO, weil die Aufrechnung – selbstverständlich – eine unmittelbare rechtliche Folgerung aus dem angefochtenen VA darstellt.85 In Fall 5 erklärte das OVG Bbg – ohne zu dem Theorienstreit Stellung zu nehmen – zutreffend, dass der Eintritt der aW nach § 80 I VwGO ein umfassendes Verwirklichungs- und Ausnutzungsverbot bewirke. Auch wenn die Kündigung des Darlehensvertrags keine „Vollstreckungs“maßnahme darstelle, handele es sich doch um eine rechtliche Schlussfolgerung, die auf Grund der durch die Klage ausgelösten aW nicht hätte gezogen werden dürfen. Die Maßnahme war daher rechtswidrig.
79 BVerfG-K, NJW 2006, 3551, 3552: Exmatrikulation eines Studierenden wegen Nichtzahlung der Langzeitstudiengebühren als „Vollziehung“ des Gebührenbescheides. 80 VGH BW, DÖV 1999, 612, 613 = NVwZ-RR 1999, 733, 734; BayVGH, BayVBl 2008, 86; Würtenberger VerwPrR, Rn 510; Lorenz VerwPrR, Rn 8 ff. 81 VGH BW, NVwZ-RR 2007, 419, 420 = VBlBW 2008, 28, 29. 82 Ausf Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 79 ff. 83 Ehlers JuS 1990, 777, 779; Felix NVwZ 1996, 734 ff; Detterbeck DÖV 1996, 889, 891 ff; Schenke VerwPrR, Rn 954. 84 Grundl BVerwGE 66, 218, 222; ferner zB OVG LSA, NVwZ-RR 2009, 226; krit OVG Bbg, NVwZ 2000, 577, 578; zweifelnd bereits BayVGH, NVwZ-RR 1994, 398, 399. 85 Zutr NdsOVG, NVwZ-RR 2007, 293, 294; Schenke VerwPrR, Rn 954; als Vertreter der hM sogar Hufen VerwPrR, § 32 Rn 4.
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5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
In der Entscheidung zu Fall 6 erklärte das BVerwG, die behördliche Aufrechnung sei keine Vollziehung des Leistungsbescheids. Denn „Vollziehung“ sei „die einseitige Durchsetzung der im Bescheid getroffenen Regelung mit hoheitlichen Mitteln, etwa im Wege der Verwaltungsvollstreckung“. Mit diesem engen Begriffsverständnis wird das Gebot einer weiten Deutung (→ Rn 33) ignoriert und verkannt, dass die Vollziehbarkeit jede Art der Realisierung des VA erfasst, gegen den ein Rechtsbehelf aW entfaltet.86 Abweichend von seiner früheren Rechtsprechung erklärte das BVerwG immerhin, auch wenn § 80 I VwGO nicht die behördliche Aufrechnung als solche hindere, stehe die aW der Aufrechenbarkeit solcher Gegenforderungen entgegen, deren Bestand oder Fälligkeit ihrerseits einen VA voraussetzten. Das sei der Fall, so dass es der Behörde einstweilen untersagt sei, gegenüber F die spezifisch hoheitliche Regelung des VA umzusetzen.
4. Dauer der aufschiebenden Wirkung 36
Fall 7: Die zuständige Behörde erteilte der X-GmbH antragsgemäß die luftverkehrsrechtliche Genehmigung zur zivilen Nutzung eines ehemaligen NATO-Militärflugplatzes. Die Anfechtungsklage des Anwohners A gegen diese Genehmigung blieb beim erstinstanzlich zuständigen OVG/VGH (§ 48 I 1 Nr 6 u S 2 VwGO) im Dezember des vorvergangenen Jahres erfolglos; die Revision gegen das Urteil wurde vom OVG/VGH nicht zugelassen, auf Grund der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 133 VwGO) des A ließ das BVerwG die Revision im Dezember letzten Jahres zur Klärung grundsätzlicher Fragen einer Umweltverträglichkeitsprüfung der Konversion zu (§ 132 II Nr 1 VwGO). X will den regelmäßigen Flugbetrieb mit Flügen im Linien- und Charterverkehr Ende dieses Jahres aufnehmen. Nun beantragt A beim BVerwG während des laufenden Revisionsverfahrens die Anordnung der Fortdauer der aW seiner Anfechtungsklage.87
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Die aW tritt durch die Einlegung des Rechtsbehelfs rückwirkend zum Zeitpunkt des Erlasses des VA ein. Da die Rechtsbehelfsfristen (§§ 70 I, 74 I VwGO) ausgeschöpft werden dürfen, werden bis zur Rechtsbehelfseinlegung erfolgte „Vollziehungs“maßnahmen (iwS → Rn 33) rechtswidrig und sind (vgl den Rechtsgedanken des § 80 V 3 VwGO) rückgängig zu machen.88 Eine Missachtung des VA vor Rechtsbehelfseinlegung ist wegen der ex tunc-Wirkung der aW de iure nicht rechtswidrig. Ausgelöst wird die aW vom ersten Rechtsbehelf, dem der Suspensiveffekt (§ 80 I VwGO) zukommt; im Normalfall (§ 68 I 1 VwGO) löst folglich der Widerspruch die (einheitliche) aW aus, die nicht etwa mit dessen Zurückweisung durch den Widerspruchsbescheid (§ 73 VwGO) endet und erst mit der Erhebung der Anfechtungsklage (§ 81 VwGO) neu begründet werden muss.89 Nur in denjenigen Fällen, in denen ein Widerspruchsverfahren nicht stattfindet (§ 68 I 2 VwGO → § 20 Rn 90 ff, 95 ff), muss der Eintritt der aW nach § 80 I VwGO auf die Anfechtungsklage gestützt werden.
86 SächsOVG, NVwZ-RR 2007, 54, 55 = SächsVBl 2006, 21, 22. 87 Fall nach BVerwGE 129, 58 = NVwZ 2007, 1097 = BayVBl 2007, 662 (m Anm Meyer) → JK VwGO § 80b/1. 88 Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 257; Hufen VerwPrR, § 32 Rn 8. 89 BVerwGE 78, 192, 209; HessVGH, NVwZ-RR 2007, 822, 823.
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Aufschiebende Wirkung und verwaltungsgerichtliches Aussetzungsverfahren
§ 29
Die aW endet mit der Unanfechtbarkeit des VA (§ 80b I 1 Hs 1 VwGO); wurde die Anfechtungsklage im ersten Rechtszug abgewiesen, endet die aW drei Monate nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist des gegen die abweisende Entscheidung gegebenen Rechtsmittels (§ 80b I 1 Hs 2 VwGO). Die Fristberechnung nach § 80b I 1 Hs 2 VwGO hängt davon ab, welches das gegen die klageabweisende Entscheidung gegebene Rechtsmittel ist. Entscheidet im ersten Rechtszug das VG (Normalfall gemäß § 45 VwGO) und lässt dieses die Berufung zu (§ 124a I 1 VwGO), ist „Rechtsmittel“ iSd § 80b I 1 Hs 2 VwGO die Berufung; diese ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des VGUrteils zu begründen (§ 124a III 1 VwGO), so dass die aufschiebende Wirkung nach § 80b I 1 Hs 2 fünf Monate nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils endet. Derselbe Zeitraum besteht, falls das VG die Berufung nicht zulässt; „Rechtsmittel“ ist in diesem Fall der Antrag auf Zulassung der Berufung (§ 124a IV 1 VwGO), die Fristberechnung ergibt sich aus § 80b I 1 Hs 2 iVm § 124a IV 4 VwGO.90 Lässt das VG die Sprungrevision (§ 134 VwGO) zu, besteht eine zweimonatige Begründungsfrist (§ 139 III 1 VwGO), so dass die aW iVm der Dreimonatsfrist des § 80b I 1 Hs 2 VwGO fünf Monate nach der Zustellung des VG-Urteils endet. Wird wegen Nichtzulassung der Sprungrevision durch das VG ein Antrag auf Zulassung der Sprungrevision gestellt (§ 134 I 1 VwGO), handelt es sich mangels Devolutiveffekts dieses Rechtsbehelfs nicht um ein „Rechtsmittel“ iSd § 80b I 1 Hs 2 VwGO.91 Lässt das VG die Revision zu (§ 134 III 2 VwGO), beginnt der Lauf der Dreimonatsfrist nach § 80b I 1 Hs 2 VwGO mit Ablauf der zweimonatigen Revisionsbegründungsfrist (§ 139 III 1 VwGO). Lehnt das VG die Revisionszulassung ab, ist von Neuem der Antrag auf Zulassung der Berufung möglich (§ 134 III 1 VwGO), so dass zur Frist gemäß § 80b I 1 Hs 2 VwGO die zweimonatige Begründungsfrist nach § 124a IV 4 VwGO hinzuzurechnen ist, um das Ende der aW zu ermitteln. Entscheidet im ersten Rechtszug das OVG/der VGH (§ 48 VwGO), endet die aW fünf Monate nach Zustellung des OVG/VGH-Urteils; im Falle der Revisionszulassung ergibt sich dies aus § 80b I 1 Hs 2 iVm § 139 III 1 VwGO, bei Nichtzulassung der Revision und anschließender Nichtzulassungsbeschwerde folgt die Berechnung aus § 80b I 1 Hs 2 iVm § 133 III 1 VwGO.92 Nach § 80b II VwGO kann vom OVG/VGH auf Antrag die Fortdauer der aW angeordnet werden. Erfasst wird damit der Regelfall der erstinstanzlichen Zuständigkeit des VG (§ 45 VwGO), in dem das OVG/der VGH als Rechtsmittelgericht fungiert (§ 46 VwGO). Die Fälle der Sprungrevision (§ 134 VwGO), des Ausschlusses der Berufung (§ 135 VwGO) und der erstinstanzlichen Zuständigkeit des OVG/VGH (§ 48 VwGO) sind nicht berücksichtigt. Das BVerwG hat § 80b II VwGO „berichtigend“ ausgelegt und an die Stelle des Merkmals „Oberverwaltungsgericht“ das Wort „Rechtsmittelgericht“ gesetzt; danach kann auch das BVerwG nach § 80b II VwGO entscheiden.93
90 Kopp/Schenke VwGO, § 80b Rn 7; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80b Rn 13. 91 Lotz BayVBl 1997, 657, 663; Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80b Rn 25. 92 Kopp/Schenke VwGO, § 80b Rn 11; Redeker/v Oertzen VwGO, § 80b Rn 7; Puttler in: Sodan/ Ziekow, VwGO, § 80b Rn 16, 17. 93 BVerwGE 129, 58 = NVwZ 2007, 1097 = BayVBl 2007, 662 Tz 11 f → JK VwGO § 80b/1.
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In Fall 7 ist nach § 80b II VwGO über die Fortdauer der aW zu entscheiden. Das Gesetz weist damit dem Rechtsmittelgericht (→ Rn 39) die Befugnis zur Verlängerung einer noch andauernden aW zu, nicht aber zu einer erneuten Anordnung.94 In der Fall 7 zu Grunde liegenden Entscheidung hat das BVerwG den Gesetzeswortlaut beiseite geschoben und erklärt, der Antrag nach § 80b II VwGO sei nicht fristgebunden, so dass die Fortdauer der aW auch nachträglich angeordnet werden könne.95 A konnte demnach den Antrag auch noch nach dem Ende der aW gemäß § 80 I 1 Hs 2 VwGO stellen. Zum Entscheidungsmaßstab hatte die hM auf Grund der Funktion des § 80b VwGO (Verhinderung einer missbräuchlichen Ausnutzung der aW durch Einlegung aussichtsloser Rechtsmittel) angenommen, mit der Zulassung des Rechtsmittels sei die Anordnung einer Fortdauer der aW präjudiziert, weil das Rechtsmittel danach nicht (mehr) als aussichtslos und infolgedessen die Ausnutzung der aW nicht als missbräuchlich angesehen werden könne.96 Dem ist das BVerwG entgegengetreten; einen eingeschränkten Prüfungsmaßstab gebe es im Verfahren nach § 80b II VwGO nicht, sondern auf Grund der Verweisung des § 80b III VwGO gelte der zu § 80 V VwGO entwickelte Maßstab (→ Rn 136 ff).97 In der Sache blieb der Antrag des A erfolglos; eine Interessenabwägung ergebe, dass durch die Aufnahme des Flugbetriebes keine vollendeten Tatsachen zu Lasten des A geschaffen würden; sollte die Genehmigung im Hauptsacheverfahren aufgehoben werden, könne der Flugbetrieb wieder eingestellt werden.
III. Ausschluss der aufschiebenden Wirkung 41
Der Regelfall der kraft Gesetzes eintretenden aW wird von § 80 II VwGO durchbrochen. Zu unterscheiden ist zwischen dem gesetzlichen Ausschluss der aW (§ 80 II 1 Nr 1 bis 3, 2 VwGO) und der behördlichen Überwindung der aW (§ 80 II 1 Nr 4 VwGO). Die gesetzliche Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses zwischen aW und sV ist an Sachmaterien orientiert, der behördliche Ausschluss der aW findet seine Rechtfertigung im Einzelfall in einem besonderen Vollziehungsinteresse. 1. Gesetzlicher Ausschluss der aufschiebenden Wirkung
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Fall 8: E war behördlicherseits sofort vollstreckbar aufgegeben worden, durch fachkundige Personen einen Hangrutsch beobachten zu lassen. Dem Gebot kam E nicht nach, was zur Ersatzvornahme und zur Anforderung der voraussichtlichen Kosten hierfür führte. E legt gegen den Bescheid über die Kostenanforderung Widerspruch ein. Die Behörde meint, E müsse gleichwohl sofort zahlen.98
94 Meyer BayVBl 2007, 664, 665; Schmidt in: Eyermann, VwGO, § 80b Rn 6; Schoch in: ders/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80b Rn 38. 95 BVerwGE 129, 58 = NVwZ 2007, 1097 = BayVBl 2007, 662 Tz 13 → JK VwGO § 80b/1. 96 OVG Bremen, NVwZ 2000, 942, 943; OVG NRW, NVwZ-RR 2002, 76, 77; Finkelnburg in: ders/ Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 675. 97 BVerwGE 129, 58 = NVwZ 2007, 1097 = BayVBl 2007, 662 Tz 14 → JK VwGO § 80b/1. 98 Fall nach OVG Rh-Pf, DVBl 1999, 116 = NVwZ-RR 1999, 27.
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Aufschiebende Wirkung und verwaltungsgerichtliches Aussetzungsverfahren
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Fall 9: Die zuständige Bauaufsichtsbehörde hat P antragsgemäß einen Bauvorbescheid für den Bau eines Pferdestalles erteilt; darin wird die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens festgestellt. Nachbar N sieht seine Wohnqualität durch die zu erwartenden Immissionen aus der Tierhaltung in unzumutbarer Weise bedroht. N erhebt gegen den Bescheid Widerspruch, über den noch nicht entschieden ist, und begehrt gleichzeitig beim zuständigen VG vorläufigen Rechtsschutz. Ist der Eilantrag zulässig? 99
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Mit dem gesetzlichen Ausschluss der aW für bestimmte Sachgebiete wird eine generelle Bewertung zugunsten des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehbarkeit eines VA gegenüber dem Aufschubinteresse des Rechtsschutzsuchenden zum Ausdruck gebracht.100 Die typisierende Höherbewertung des öffentlichen Vollzugsinteresses gegenüber dem privaten Aufschubinteresse entbindet die Verwaltung von der Pflicht, gemäß § 80 II 1 Nr 4 VwGO das besondere Dringlichkeitsinteresse am Sofortvollzug eines VA im Einzelfall darlegen zu müssen; eine größere „Rechtmäßigkeitsvermutung“ als die von § 80 I VwGO erfassten VA genießen die unter § 80 II 1 Nr 1 bis 3, 2 VwGO fallenden VA jedoch nicht.101 Das gilt insbesondere auch dann, wenn der gesetzliche Ausschluss der aW beim VAmD zugunsten eines privaten Interesses wirkt (zB § 212a I BauGB). Das öffentliche oder private Interesse am Sofortvollzug eines VA und die Frage nach dessen (wahrscheinlicher) Rechtmäßigkeit sind strikt zu trennen. Deshalb ist der Rechtsschutzanspruch des Betroffenen nicht davon abhängig, ob der Sofortvollzug eines VA einer gesetzlichen (§ 80 II 1 Nr 1 bis 3 VwGO) oder einer behördlichen Anordnung (§ 80 II 1 Nr 4 VwGO) entspringt.102 Zumindest missverständlich ist infolgedessen die These, die Entscheidung(sfindung) im Verfahren nach § 80 V 1 VwGO sei in den Fällen nach § 80 II 1 Nr 1 bis 3 VwGO zwar nicht präjudiziert, aber doch vorstrukturiert.103
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a) Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten § 80 II 1 Nr 1 VwGO lässt die aW eines Rechtsbehelfs nicht etwa bei jedem Geldleistungsbescheid entfallen, sondern nur bei der Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten. Deshalb darf nicht lediglich allgemein auf die Deckung des Finanzbedarfs zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben abgestellt werden.104 Nach den Vorgaben des § 80 II 1 Nr 1 VwGO soll gerade nicht jeder VA, der eine Geldleistung zum Gegenstand hat, sofort vollziehbar sein.105 Nicht haltbar ist daher die Auffassung, dass die aW eines Rechtsbehelfs bereits dann nach § 80 II 1 Nr 1 VwGO entfällt, wenn ein Hoheitsträger sich eine Einnahmequelle zur Deckung von Ausgaben erschließe.106 Die Finanzierungsfunktion der vom Ein-
99 Fall nach NdsOVG, NVwZ-RR 2005, 69 = NdsVBl 2004, 339 = BauR 2004, 1596 → JK VwGO § 80a/5. 100 ThürOVG, ThürVBl 2004, 184 (186). 101 Einzelheiten dazu bei Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 107, 110. 102 BVerfG-K, NVwZ 2004, 93, 94 → JK GG Art 19 IV/23; BVerfG-K, NVwZ 2007, 948, 949. 103 So BVerwGE 123, 241, 245 = DVBl 2005, 717, 718 = NVwZ 2005, 689, 690; bekräftigend BVerwG, NVwZ 2007, 1207, 1209. 104 OVG Bbg, LKV 2000, 313; OVG MV, NVwZ-RR 2001, 401, 402; Hufen VerwPrR, § 32 Rn 11; unzutreffend daher HessVGH, NVwZ-RR 1995, 158 und NVwZ-RR 1998, 463 f. 105 BayVGH, BayVBl 2008, 281; OVG MV, LKV 2005, 172, 173 → JK VwGO § 80 II 1 Nr 1/2; OVG LSA, NJW 2008, 3304, 3305; ThürOVG, ThürVBl 2008, 274. 106 So aber OVG Hamburg, NVwZ-RR 2006, 156, 157; dazu Koch NVwZ 2007, 782 ff.
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5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
zelnen zu erbringenden Geldleistung ist eine notwendige, aber noch keine hinreichende Voraussetzung zur Bejahung des § 80 II 1 Nr 1 VwGO. Denn eine Finanzierungsfunktion lässt sich für jedweden Mittelzufluss bei der öffentlichen Hand nachweisen, der in Zeiten knapper Kassen willkommen ist.107 Die bloße Einnahmeerzielung als solche ist nach § 80 II 1 Nr 1 VwGO als Rechtfertigungsgrund für den Ausschluss der aW aber gerade nicht vorgesehen.108 Es kann daher nicht pauschal auf die behördliche Anforderung von Geldleistungen verwiesen werden, um den Tatbestand des § 80 II 1 Nr 1 VwGO bejahen zu können. § 80 II 1 Nr 1 VwGO dient der Sicherung der ordnungsgemäßen Haushaltsplanung.109 Es soll verhindert werden, dass sich Abgaben- und Kostenschuldner durch bloße Rechtsbehelfseinlegung Zinsvorteile verschaffen und dass zugleich den öffentlichen Haushalten durch zahlreiche Rechtsbehelfe auf unabsehbar lange Zeit Einnahmen entzogen werden. Eine geordnete Haushaltsführung durch fortlaufenden Eingang der einplanbaren finanziellen Mittel wäre ansonsten nicht möglich. § 80 II 1 Nr 1 VwGO dient demnach der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Hand, indem der Finanzbedarf des jeweiligen Hoheitsträgers gedeckt werden soll, um die zugewiesenen Aufgaben finanzieren zu können.110 Unverzichtbar neben der Finanzierungsfunktion einer Abgabe (→ Rn 45) sind iSd § 80 II 1 Nr 1 VwGO daher die Verlässlichkeit und die Berechenbarkeit des Mittelflusses in die öffentlichen Kassen.111
(1) Anforderung öffentlicher Abgaben 47
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Danach sind öffentliche Abgaben iSd § 80 II 1 Nr 1 VwGO alle hoheitlich geltend gemachten öffentlich-rechtlichen Geldforderungen, • die von allen erhoben werden, die einen gesetzlich bestimmten Tatbestand erfüllen (Gesetzmäßigkeitsprinzip), • zur Deckung des Finanzbedarfs eines Hoheitsträgers für die Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben dienen (Finanzierungsfunktion) und • auf Grund rechtsnormativ verbindlicher und berechenbarer Festlegung die ordnungsgemäße Haushaltsplanung und -führung sichern (Haushaltssicherungsfunktion).112 Erfasst sind hiervon Steuern, Beiträge und Gebühren im abgabenrechtlichen Sinne, ferner alle diejenigen Geldforderungen des Gemeinwesens, die funktionale Äquivalente hierzu darstellen.113 Diese Voraussetzungen wurden in der Rechtsprechung zB bei der
107 ThürOVG, ThürVBl 2008, 138. 108 ThürOVG, ThürVBl 2008, 274. 109 VGH BW, NVwZ-RR 2006, 816; VBlBW 2007, 228; BayVGH, BayVBl 2001, 55; OVG Berlin, NVwZ-RR 2005, 304, 305; OVG Hamburg, DÖV 2000, 780, 781 = NVwZ-Beilage I 12/2000, 146, 147; OVG NRW, NVwZ-RR 1994, 617; OVG Rh-Pf, NVwZ-RR 1999, 27, 28; OVG LSA, NJW 2008, 3307, 3308; ThürOVG, ThürVBl 2008, 274; Würtenberger VerwPrR, Rn 514. 110 BayVGH, NVwZ-RR 2005, 679 = BayVBl 2005, 149; OVG Bbg, LKV 2004, 474; OVG LSA, NJW 2008, 3307, 3308. 111 BayVGH, BayVBl 2008, 281. 112 BayVGH, BayVBl 2008, 281; OVG Bbg, LKV 2004, 474; OVG LSA, NJW 2008, 3307, 3308; ThürOVG, ThürVBl 2008, 274. – Unzureichend, da die dritte Voraussetzung ausblendend, VGH BW, NVwZ-Beilage I 6/2001, 66, 67; BayVGH, NVwZ-RR 2005, 679 = BayVBl 2005, 149; NdsOVG, NVwZ-RR 2008, 113. 113 Vgl iE Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 114 ff.
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Erhebung einer Zweitstudiengebühr 114, bei Beiträgen zu einem Abwrackfonds 115, beim Wassernutzungsentgelt nach dem LWG,116 bei der Schornsteinfegergebühr 117 sowie bei der Kreisumlage 118 bzw der Zweckverbandsumlage 119 als erfüllt angesehen. Dagegen konnten – idR mangels Planbarkeit für den Haushalt – von der Verwaltung beglichene Beerdigungskosten 120, Kosten für eine unmittelbare Ausführung der Polizei 121, der Ausgleichsbetrag nach der LBO zur Ablösung der Stellplatzpflicht 122, die Kosten einer Abschiebung 123, der gemeindliche Ersatzanspruch für den Hausanschluss an eine Entwässerungsanlage 124, das der Anschubfinanzierung privater lokaler Rundfunkanbieter dienende Teilnehmerentgelt nach einem LMedienG,125 die Kostenerstattung für die auswärtige Unterbringung im Bereich der Tagesbetreuung von Kindern 126 sowie Aufwendungen für Einsatzmaßnahmen der technischen Unfallhilfe einer Feuerwehr 127 nicht als „öffentliche Abgaben“ anerkannt werden. In Grenzfällen ist das genaue Verständnis des § 80 II 1 Nr 1 VwGO von ausschlaggebender Bedeutung. So wurden zB die nach dem Baugebührenrecht auf den Bauherrn abzuwälzenden Kosten für die Prüfung der Statik durch einen Prüfingenieur als „öffentliche Abgabe“ iSd § 80 II 1 Nr 1 VwGO qualifiziert,128 obwohl es sich um einen „Durchlaufposten“ handelt und von einem stetigen Mittelzufluss im Interesse einer ordnungsgemäßen Haushaltsplanung keine Rede sein kann. Unvertretbar ist die Zuordnung von Säumniszinsen bzw Säumniszuschlägen zu § 80 II 1 Nr 1 VwGO;129 deren Finanzierungsfunktion tritt völlig in den Hintergrund, da es sich um ein „Druckmittel“ gegenüber dem säumigen Schuldner handelt130 und ein regelmäßiger Mittelzufluss zur Haushaltsfinanzierung ohnehin nicht vorliegt. Zu den Kostenbeiträgen nach §§ 91 ff SGB VIII131 bejaht die hM den Tatbestand des § 80 II 1 Nr 1 VwGO, weil diese Beiträge auf normativ verbindlicher Grundlage berechenbar eine Finanzierungsfunktion erfüllen.132
114 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131 132
BayVGH, BayVBl 2000, 724. OVG NRW, DVBl 1998, 239 = NVwZ-RR 1998, 515. OVG Bbg, LKV 2004, 474. OVG Saarland, NVwZ-RR 2006, 738. SächsOVG, SächsVBl 2005, 97. ThürOVG, LKV 2003, 290. VGH BW, DVBl 1999, 1733 = NVwZ-RR 2000, 189. OVG Bbg, LKV 2000, 313. OVG Hamburg, NVwZ-RR 2000, 106; OVG MV, LKV 2005, 172 → JK VwGO § 80 II 1 Nr 1/2. OVG Hamburg, DÖV 2000, 780 = NVwZ-Beilage I 12/2000, 146. OVG MV, NVwZ-RR 2001, 401. BayVGH, NVwZ-RR 2005, 679 = BayVBl 2005, 149. OVG LSA, NJW 2008, 3307. ThürOVG, ThürVBl 2008, 274. NdsOVG, NVwZ-RR 2008, 752, 753. So aber OVG Hamburg, NVwZ-RR 2006, 156, 157. ThürOVG, ThürVBl 2008, 138. Schönfelder ErgBd Nr 46. BayVGH, BayVBl 2008, 281; NdsOVG, NVwZ-RR 2008, 113; OVG LSA, NJW 2008, 3304; aA HessVGH, NJW 2007, 241: bloße Wiederherstellung des Nachrangs der Jugendhilfe durch typische sozialrechtliche Billigkeitsregelungen.
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(2) Anforderung öffentlicher Kosten 50
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Öffentliche Kosten iSd § 80 II 1 Nr 1 VwGO sind die in einem (förmlichen) Verwaltungsverfahren für die öffentlich-rechtliche Tätigkeit einer Behörde entstehenden Gebühren und Auslagen.133 Nicht jegliche Aufwendungen der Verwaltung werden erfasst. Anzuknüpfen ist an das Verwaltungskostenrecht (vgl § 1 I VwKostG Bund 134); Kosten sind danach Gebühren oder Auslagen einer öffentlich-rechtlichen Verwaltungstätigkeit der Behörden.135 Kennzeichnend ist, dass sie nach allgemein gültigen Regeln und Tarifen mit festen Sätzen erhoben werden, so dass sich ihre Höhe im Voraus bestimmen und entsprechende Einnahmen der öffentlichen Hand prognostizieren lassen.136 Nicht erfasst von § 80 II 1 Nr 1 VwGO werden demnach von den Umständen des Einzelfalles abhängige Kostenerstattungen für Aufwendungen der öffentlichen Hand.137 Dabei handelt es sich lediglich um den Ersatz finanzieller Aufwendungen, mit denen die Behörde für den Schuldner in Vorlage getreten ist.138 Kosten der Ersatzvornahme werden von § 80 II 1 Nr 1 VwGO nicht erfasst; sie dienen nicht der Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs der öffentlichen Hand.139 Umstritten ist die Reichweite des § 80 II 1 Nr 1 VwGO in Bezug auf die Kostenanforderung. Nach einer im Vordringen befindlichen Auffassung entfaltet der Rechtsbehelf gegen eine Sachentscheidung keine aW gegenüber der mit der Sachentscheidung verbundenen Kostenentscheidung; für eine restriktive Auslegung des § 80 II 1 Nr 1 VwGO biete der Gesetzeswortlaut keinen Anhaltspunkt, und die Sicherung notwendiger staatlicher Einnahmen entspreche dem Gesetzeszweck.140 Nach der Gegenauffassung erfasst § 80 II 1 Nr 1 VwGO nur die selbstständige Kostenanforderung, während die mit der Sachentscheidung verbundene unselbstständige Kostenanforderung der aW (§ 80 I VwGO) unterliegt; hierfür spricht der systematische Zusammenhang mit der – selbstständigen – Anforderung öffentlicher Abgaben nach § 80 II 1 Nr 1 VwGO.141
133 VGH BW, DVBl 1999, 1733, 1734 = NVwZ-RR 2000, 189, 190; BayVGH, BayVBl 2001, 55, 56; OVG Berlin, NVwZ-RR 1995, 575; OVG Bbg, LKV 2000, 313; OVG MV, NVwZ-RR 2001, 401; OVG NRW, NVwZ 1989, 84; Finkelnburg in: ders/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 690. 134 Sartorius I Nr 120. 135 VGH BW, NVwZ-Beilage I 6/2001, 66, 67. 136 VGH BW, VBlBW 2007, 228; ThürOVG, ThürVBl 2008, 274, 275. 137 Unzutr daher BayVGH, NVwZ-RR 2006, 305 (Aufwendungsersatz für behördlich untergebrachte Tiere als „Kosten“ iSd § 80 II 1 Nr 1 VwGO). 138 VGH BW, VBlBW 2007, 228 (Aufwendungsersatz für die Unterbringung von Tieren); ThürOVG, ThürVBl 2008, 274 (Aufwendungen für Einsatzmaßnahmen der technischen Unfallhilfe der Feuerwehr). 139 OVG Bln-Bbg, NVwZ-RR 2006, 376, 377 = DÖV 2006, 309 f; OVG SH, NVwZ-RR 2001, 586; Peter JuS 2008, 512, 513. 140 HessVGH, NVwZ-RR 1998, 463; OVG NRW, DÖV 2003, 864 = NWVBl 2003, 479; OVG Rh-Pf, NVwZ-RR 2004, 157; ThürOVG, NVwZ-RR 2004, 393, 394; Emrich NVwZ 2000, 163 ff; Finkelnburg in: ders/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 696. 141 VGH BW, VBlBW 1988, 19, 20; BayVGH, BayVBl 1994, 372; Fürniß LKV 2001, 260 f; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 262; Lorenz VerwPrR, § 28 Rn 19; Tettinger/Wahrendorf VerwPrR, § 23 Rn 10.
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Kostenanforderungen wegen Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung fallen nicht unter § 80 II 1 Nr 1 VwGO. Sie dienen nicht der Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs der öffentlichen Hand. Demgemäß hat das OVG Rh-Pf in Fall 8 § 80 II 1 Nr 1 VwGO für die Kosten der Ersatzvornahme verneint. E muss nicht sofort zahlen, da er durch die aW des Widerspruchs (§ 80 I VwGO) vorläufig geschützt ist.
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b) Unaufschiebbare Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten Nach § 80 II 1 Nr 2 VwGO entfällt die aW bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten. Dies entspricht einem Bedürfnis der Praxis. Privilegiert ist nur die Vollzugspolizei im institutionellen Sinne, nicht die „Verwaltungspolizei“ (allg Polizei-, Sicherheits-, Ordnungsbehörden).142 Unaufschiebbar sind va eilbedürftige Gefahrenabwehrmaßnahmen („Gefahr im Verzug“). Auf Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen, die als VA iSd § 35 S 2 VwVfG qualifiziert werden, wendet die hM infolge deren Funktionsidentität mit Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten § 80 II 1 Nr 2 VwGO entsprechend an.143 Dasselbe soll beim actus contrarius, der behördlichen Entfernung eines Verkehrszeichens, gelten.144 Die hM prüft allerdings im Einzelfall – zu Unrecht – nicht, ob die verkehrsrechtliche Regelung durch Verkehrszeichen „unaufschiebbar“ ist.145 Abzulehnen ist die entsprechende Anwendung des § 80 II 1 Nr 2 VwGO auf die Bekanntgabe eines Smog-Alarms; Behörden der allgemeinen inneren Verwaltung (Ordnungsbehörden) genießen das Privileg jener Vorschrift nicht.146
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c) Spezialgesetzlicher Ausschluss der aufschiebenden Wirkung Nach § 80 II 1 Nr 3 VwGO entfällt die aW, soweit dies durch Bundesgesetz oder – für das Landesrecht – durch Landesgesetz vorgeschrieben ist. Erforderlich ist ein Parlamentsgesetz; eine Rechtsverordnung genügt nicht.147 Mittlerweile ist in großem Ausmaß von „Ausnahme“regelungen zu § 80 I VwGO Gebrauch gemacht worden. Auf manchen Rechtsgebieten ist das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen aW und sV umgedreht. Wichtige Sachbereiche für den spezialgesetzlichen Ausschluss der aW sind das Baurecht (§ 212a BauGB), das Ausländerrecht (§ 84 I AufenthG), das Asylrecht (§ 75 AsylVfG) und das Verkehrswegerecht (§ 5 II 1 VerkPBG, § 17e II 1 FStrG, § 18e II 1 AEG, § 29 VI 2 PBefG, § 14e II 1 WaStrG, § 10 VI 1 LuftVG).148 Von großer Bedeutung ist im Baurecht § 212a I BauGB. Danach haben Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aW. „Dritter“ kann auch eine Gemeinde sein.149 Der Begriff „bauaufsichtliche
142 Einzelheiten dazu bei Ekardt/Beckmann VerwArch 99 (2008), 241 ff. 143 BVerwG, NVwZ 1988, 623; NJW 2004, 698; NJW 2008, 2867 Tz 11; VGH BW, VBlBW 1995, 237, 238; OVG Bremen, NVwZ-RR 1991, 217, 219; HessVGH, NVwZ-RR 1993, 389; OVG NRW, NWBl 1996, 8. 144 OVG NRW, NJW 1998, 329. 145 Vgl zur Kritik iE Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 123. 146 Kotulla Die Verwaltung 33 (2000), 521, 531; aA Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn 65. 147 OVG NRW, NVwZ-RR 2000, 121, 122. 148 Übersicht bei Finkelnburg in: ders/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 706 ff. 149 VGH BW, NVwZ 1999, 442, 443 = VBlBW 1998, 458, 459; NdsOVG, NVwZ 1999, 1005.
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Zulassung“ ist weit gefasst. Er umfasst nicht nur (Teil-)Baugenehmigungen, sondern auch Entscheidungen nach § 37 BauGB.150 Ferner fallen Ausnahmen und Befreiungen nach Bauordnungsrecht unter § 212a I BauGB, denn die Vorschrift nimmt keine Einschränkung in Bezug auf die LBO vor; indem alle bauaufsichtlichen Zulassungen von § 212a I BauGB erfasst werden, bezieht die Bestimmung auch selbstständige Ausnahmen und Befreiungen nach Bauordnungsrecht ein.151 Dagegen erstreckt sich der Ausschluss der aW des Widerspruchs einer Gemeinde gegen die einem Bauherrn erteilte Baugenehmigung nicht auf die von der höheren Behörde erteilte Ersetzung des versagten gemeindlichen Einvernehmens (§ 36 II 3 BauGB).152 Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung eines Vorhabens (zB Windkraftanlage) sind nicht kraft Gesetzes gemäß § 212a I BauGB sofort vollziehbar; indem der Ausschluss der aW ausdrücklich auf die „bauaufsichtliche“ Zulassung begrenzt ist, haben Rechtsbehelfe Dritter gegen sonstige Zulassungen (zB nach dem BImSchG) grundsätzlich nach § 80 I VwGO aW.153 57
Umstritten ist die aW eines Drittrechtsbehelfs gegen einen Bauvorbescheid. Da der Bauvorbescheid nicht zur Bauausführung berechtige und vor seiner Bestandskraft keine Bindungswirkung für das nachfolgende Baugenehmigungsverfahren entfalte, scheide § 212a I BauGB aus; entsprechend der Zielsetzung der Bestimmung könne ein Bauvorbescheid zur Beschleunigung von Bauinvestitionen nicht beitragen.154 Nach der Gegenauffassung, die das NdsOVG in der Fall 9 zu Grunde liegenden Entscheidung vertritt, ist § 212a I BauGB auf den Bauvorbescheid anwendbar; erfasst würden alle Arten von Zulassungen im Zusammenhang mit einem Bauvorhaben, weil die Bauaufsichtsbehörde andernfalls entgegen der Intention der §§ 80 II 1 Nr 3 VwGO, 212a I BauGB (Tätigung von Investitionen) gehindert werde, die Baugenehmigung zu erlassen.155 Danach greift § 80 I VwGO nicht ein; der Antrag des N nach § 80 V 1 VwGO scheitert nicht bereits daran, dass N durch die gesetzliche aW vorläufig geschützt wäre.
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Die Ermächtigung zum landesgesetzlichen Ausschluss der aW hat große Bedeutung für das Verwaltungsvollstreckungsrecht.156 Die einzelnen Landesgesetze 157 bestimmen (überwiegend), dass Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen (in) der Verwaltungsvollstreckung keine
150 HessVGH, NVwZ 2001, 823. 151 VGH BW, VBlBW 2006, 279 u 352; aA OVG NRW, NVwZ-RR 2008, 757, 758: enge Auslegung des § 212a I BauGB. 152 NdsOVG, NVwZ 1999, 1005. 153 OVG NRW, NVwZ-RR 2006, 173 u 244, 245. 154 BayVGH, NVwZ 1999, 1363 = BayVBl 1999, 467; H Redeker NVwZ 1998, 589 f. 155 NdsOVG, NVwZ-RR 1999, 716 = NdsVBl 2000, 10, 11; bekräftigend – Sinn und Zweck des § 212a BauGB: Beschleunigung der Verwirklichung von Bauvorhaben, nicht Torpedierung/ Suspendierung durch die Widerspruchseinlegung seitens der Nachbarn – NdsOVG, NVwZ-RR 2005, 69, 70 = NdsVBl 2004, 339 = BauR 2004, 1596, 1598 → JK VwGO § 80a/5 156 Rechtsgrundlage hierfür ist § 80 II 1 Nr 3 VwGO, nicht § 80 II 2 VwGO. Letztgenannte Bestimmung hat nur einen schmalen Anwendungsbereich: Das „Ob“ der Verwaltungsvollstreckung ist durch Bundesrecht, das „Wie“ durch Landesrecht geregelt. Vgl iE Schoch in: ders/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 136r ff. 157 Auflistung bei Finkelnburg in: ders/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 719 u 720; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn 68.
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aW haben. Dadurch soll verhindert werden, dass der Pflichtige allein durch die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen eine Vollstreckungsmaßnahme die Verwaltungsvollstreckung lahm legt oder unzumutbar behindert.158 Derartige Vollstreckungsmaßnahmen, die der aW entzogen sind, sind insbesondere die Androhung 159 und die Festsetzung 160 eines Zwangsmittels; auch die baurechtliche Versiegelungsanordnung stellt eine Maßnahme in der Verwaltungsvollstreckung dar.161 Dagegen handelt es sich bei der Kostenanforderung für Vollstreckungsmaßnahmen (zB Kosten der Ersatzvornahme) nicht um eine Maßnahme (in) der Verwaltungsvollstreckung; denn der Leistungsbescheid ist nicht auf die zwangsweise Durchsetzung eines durch VA festgesetzten Gebots oder Verbots gerichtet, ist also ohne eigenständigen Beugecharakter, sondern dient dem behördlichen Aufwendungsersatz.162 Dies wird unter Hinweis darauf bestritten, dass der Ausschluss der aW von Rechtsbehelfen gegen die Kostenanforderung eine zügige(re) Vollstreckung ermögliche und zB die Kostenanforderung für die behördliche Ersatzvornahme integraler Bestandteil dieses Zwangsmittels sei.163 Ob dem tatsächlich so ist, kann bezweifelt werden. Unabhängig davon lässt das aus rechtsstaatlichen Gründen streng formalisierte Verwaltungsvollstreckungsrecht derartige Extensionen nicht zu.164 In Fall 8 hat das OVG Rh-Pf zutreffend erkannt, dass die Anforderung der Kosten der Ersatzvornahme keine „Vollstreckungsmaßnahme“ darstellt, und zwar auch dann nicht, wenn die Kostenanforderung der Ersatzvornahme vorausgeht. Der Begriff der „Vollstreckungsmaßnahme“ sei eindeutig, und eine zusätzliche Beugewirkung gehe von der Kostenanforderung auch nicht aus. Infolgedessen hatte der von E eingelegte Widerspruch gemäß § 80 I VwGO aW.
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2. Behördlicher Ausschluss der aufschiebenden Wirkung Fall 10: Der Afrikaner A betrieb in Deutschland erfolglos ein Asylverfahren. Der Aufenthalt des A wurde zunächst geduldet, später erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis. Nachdem A wegen Menschenhandels rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt worden war, nahm die zuständige Behörde die Aufenthaltserlaubnis unter AsV zurück; eine Begründung für den Sofortvollzug wurde nicht gegeben. Im Laufe des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wies die Behörde darauf hin, dass die sV im besonderen öffentlichen Interesse liege, weil andernfalls eine Ungleichbehandlung mit Ausländern in vergleichbarer Lage eintreten würde. Ist der Begründungsmangel geheilt? 165
158 OVG Hamburg, DÖV 2000, 780, 782 = NVwZ-Beilage I 12/2000, 146, 148; Kotulla Die Verwaltung 33 (2000), 521, 541. 159 Vgl zB HessVGH, NVwZ-RR 1998, 463. 160 Vgl zB OVG NRW, NVwZ-RR 1999, 802. 161 OVG Bbg, LKV 2002, 431, 432. 162 VGH BW, NVwZ-Beilage I 6/2001, 67, 68; SächsOVG, NVwZ-RR 2003, 475; Puttler in: Sodan/ Ziekow, VwGO, § 80 Rn 67. 163 OVG Berlin, NVwZ-RR 1999, 156, 157; OVG Bln-Bbg, NVwZ-RR 2006, 376, 377 = DÖV 2006, 309, 310; HessVGH, NVwZ-RR 1998, 534, 535. 164 Vgl iE Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 136p. 165 Fall nach OVG Bln-Bbg, NVwZ-RR 2008, 727 → JK VwGO § 80 III/4.
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Fall 11: R warnt durch Schilder mit der Aufschrift „Radar“ vor mobilen Radarkontrollen der Polizei. Die zuständige Behörde sieht darin eine nicht hinnehmbare Beeinträchtigung der ordnungsgemäßen Durchführung präventiv-polizeilicher Aufgaben auf dem Gebiet der Verkehrsüberwachung und untersagt R die Vornahme weiterer Warnhinweise. Außerdem wird die sV der Verfügung angeordnet, weil die Störung präventiver polizeilicher Maßnahmen die Verkehrssicherheit erheblich gefährde. R fragt nach der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen.166
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Im Einzelfall kann zur Überwindung der nach § 80 I VwGO eintretenden aW gemäß § 80 II 1 Nr 4 VwGO die sofortige Vollziehbarkeit 167 des angefochtenen VA verfügt werden. Der dadurch bewirkte Ausschluss der aW kann im öffentlichen Interesse oder – beim VAmD (vgl § 80a I Nr 1 VwGO) – im überwiegenden Interesse eines Beteiligten angeordnet werden. Die AsV kommt in allen Fällen in Betracht, in denen § 80 I VwGO anwendbar ist. Sie kann mit Erlass des VA oder zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Bei der AsV handelt es sich mangels sachlicher Rechtsfolgenanordnung nicht um einen VA, sondern um eine verfahrensrechtliche Nebenentscheidung zum VA.168
a) Formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit 63
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Die AsV kann von Amts wegen oder (beim VAmD) auf Antrag vorgenommen werden.169 Zuständig sind nach § 80 II 1 Nr 4 VwGO sowohl die Ausgangsbehörde als auch die Widerspruchsbehörde. Es besteht eine echte Zuständigkeitskonkurrenz 170; die Kompetenz der Widerspruchsbehörde zur AsV, die bereits vor Einlegung des Widerspruchs besteht, endet nicht mit Erlass des Widerspruchsbescheids.171 Abweichend von den allgemeinen Zuständigkeitsbestimmungen zur Sachherrschaft der Widerspruchsbehörde im Widerspruchsverfahren (→ § 29 Rn 43 f, 53) ist durch § 80 II 1 Nr 4 VwGO konstitutiv eine Zuständigkeitsregelung für die AsV getroffen worden.172 Eine Anhörung muss vor Erlass der AsV nicht erfolgen.173 § 28 I VwVfG ist mangels VA-Qualität der AsV (→ Rn 62) unmittelbar nicht anwendbar; die entsprechende Anwendung scheitert daran, dass § 80 II 1 Nr 4, III VwGO abschließende Regelungen zu den for-
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Fall nach OVG NRW, NJW 1997, 1596 = NWVBl 1997, 387. Der Gesetzesbegriff „sofortige Vollziehung“ ist sachlich unzutreffend. Ausf zur AsV Schenke VerwArch 91 (2000), 587 ff. Das Antragserfordernis beim VAmD ist in § 80a I Nr 1 VwGO normiert; nach OVG Hamburg, NVwZ 2002, 356, 357 kann ein fehlender Antrag in entsprechender Anwendung des § 45 I Nr 1, II VwVfG mit heilender Wirkung nachgeholt werden. – AsV auch beim VAmD ohne Antrag des Begünstigten befürwortend Schenke VerwPrR, Rn 971; dagegen Külpmann in: Finkelnburg/ Dombert/ders, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 799. Kaltenborn DVBl 1999, 828 (829); Hufen VerwPrR, § 32 Rn 15; Würtenberger VerwPrR, Rn 518. So aber Erbguth JA 2008, 357, 359; Schenke VerwArch 91 (2000), 587, 591 f; ders VerwPrR, Rn 976; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 266; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn 75. OVG NRW, UPR 1993, 316, 317; Schoch NVwZ 1991, 1121, 1122 f. NdsOVG, NVwZ-RR 2002, 822 = NdsVBl 2002, 162; NVwZ-RR 2007, 348; Würtenberger VerwPrR, Rn 519; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn 81; aA Stern/Blanke VerwPrR, Rn 587; Külpmann in: Finkelnburg/Dombert/ders, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 732.
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mellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der AsV treffen.174 Im Übrigen wird der Betroffene idR vor Erlass des VA angehört (§ 28 VwVfG). Die sV muss nach § 80 II 1 Nr 4 VwGO besonders angeordnet werden; eine konkludente AsV ist nicht möglich, sie muss ausdrücklich erfolgen. Das besondere Interesse an der sV ist ferner grundsätzlich schriftlich zu begründen (§ 80 III 1 VwGO). Bei Notstandsmaßnahmen entfällt die Begründungspflicht (§ 80 III 2 VwGO).175 Bei der von § 80 III 1 VwGO verlangten schriftlichen Begründung handelt es sich um ein formelles Begründungserfordernis;176 auf die inhaltliche Richtigkeit der Darlegungen zum besonderen Vollzugsinteresse kommt es im Rahmen des § 80 III 1 VwGO nicht an.177 Die Bezeichnung „formelle Begründungspflicht“ will lediglich von den Anforderungen zur materiellen Rechtmäßigkeit der AsV abgrenzen, darf aber nicht zu dem Missverständnis führen, die Anforderungen des § 80 III 1 VwGO seien dergestalt nur formeller Natur, dass dem Gesetz bereits entsprochen ist, wenn von der Behörde überhaupt eine Begründung zur sV abgegeben worden ist; verbunden mit dem Begründungserfordernis sind bestimmte inhaltliche Anforderungen,178 für deren Erfüllung es aber ganz formal strikt auf die Sicht der Behörde ankommt (→ Rn 67). Das Begründungsgebot erfüllt drei Funktionen:179 • Der Betroffene wird über die behördlichen Gründe für die AsV in Kenntnis gesetzt, um die Erfolgsaussichten eines Eilantrags gemäß § 80 V VwGO abschätzen zu können (Rechtsschutzfunktion). • Der Behörde wird der Ausnahmecharakter der AsV vor Augen geführt, um sie zu einer sorgfältigen Prüfung des Interesses am sV zu veranlassen (Warnfunktion). • Dem Gericht erlaubt die Kenntnis der behördlichen Gründe für die AsV eine wirksame Rechtskontrolle (Kontrollfunktion). Vor dem Hintergrund des Regel-Ausnahme-Verhältnisses zwischen § 80 I VwGO und § 80 II 1 Nr 4 VwGO (→ Rn 18) soll das Erfordernis gesonderter schriftlicher Begründung der Behörde vor allem den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung bewusst machen und sie veranlassen, das ausnahmsweise überwiegende öffentliche Interesse bzw private Drittinteresse an der sV des VA besonders zu rechtfertigen.180 Dem Begründungsgebot des § 80 III 1 VwGO ist nur Rechnung getragen, wenn die Behörde auf formelhafte und pauschale Wendungen sowie auf eine bloße Wiederholung des Gesetzestextes verzichtet und anhand der konkreten Umstände des Falles darlegt,
174 Einzelheiten zu der str Thematik bei Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 181 ff, sowie Kaltenborn DVBl 1999, 828, 830 f; zT aA Schenke VerwArch 91 (2000), 587, 594; ders VerwPrR, Rn 977. 175 Näher dazu Külpmann, in: Finkelnburg/Dombert/ders, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 753 ff. 176 SächsOVG, SächsVBl 2004, 238. 177 VGH BW, NVwZ 1998, 766, 767 und VBlBW 1998, 112; OVG NRW, NWVBl 2004, 273; SächsOVG, SächsVBl 1998, 35; Würtenberger VerwPrR, Rn 521. 178 BayVGH, BayVBl 2005, 565, 566; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn 96; missverständlich OVG Rh-Pf, NVwZ-RR 2005, 621, 622; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 592. 179 VGH BW, VBlBW 2002, 441, 442; BayVGH, BayVBl 1999, 465, 466 und NVwZ-Beilage I 6/2000, 67 f = BayVBl 2000, 692; BayVBl 2005, 565, 566; NdsOVG NdsVBl 2008, 43, 44; OVG NRW, NWVBl 2004, 273; Külpmann in: Finkelnburg/Dombert/ders, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 741; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn 96. 180 NdsOVG, NVwZ-RR 2005, 93, 94 = NdsVBl 2005, 218, 220.
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worin sie das besondere Vollziehungsinteresse sieht.181 Aus der Begründung muss hervorgehen, dass und aus welchen besonderen Gründen im konkreten Fall die aW überwunden werden soll und dem sofortigen Vollzugsinteresse (der Behörde bzw des durch den VA begünstigten Dritten) Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Betroffenen (Widerspruchsführer, Kläger) eingeräumt wird.182 Verstößt die Behörde gegen § 80 III 1 VwGO, weil die Begründung zur AsV fehlt oder unzureichend ist (dh formelhaft, pauschal, ohne Fallbezug, Gesetzestext wiederholend etc), ist die AsV rechtswidrig;183 infolgedessen ist der Eilantrag nach § 80 V 1 VwGO schon deshalb begründet und das Gericht stellt die aW wieder her.184 Eine Heilung von Begründungsmängeln durch Nachholung einer § 80 III 1 VwGO genügenden Begründung kommt nicht in Betracht. Den gegenteiligen, unter Rückgriff auf § 45 I Nr 2, II VwVfG angestellten prozessökonomischen Überlegungen 185 steht § 80 III VwGO als abschließende Sonderregelung entgegen.186 Außerdem würde bei Zulassung einer Heilung der Schutzzweck der Vorschrift (→ Rn 66) negiert.187 Die Behörde ist jedoch nicht gehindert, eine ordnungsgemäß begründete AsV erneut vorzunehmen.188 Dabei handelt es sich keineswegs um eine „leere Förmelei“.189 Denn einerseits wird der Schutzzweck des § 80 III 1 VwGO beachtet, und andererseits wirkt der ordnungsgemäß begründete Neuerlass der Vollziehbarkeitsanordnung nur ex nunc (→ Rn. 76). In der Entscheidung zu Fall 10 hat das OVG die These vertreten, die nach § 80 III 1 VwGO erforderliche schriftliche Begründung für die sV des VA könne aus Gründen der Prozessökonomie noch im gerichtlichen Verfahren mit heilender Wirkung nachgeholt oder ergänzt werden. Auch wenn § 80 III VwGO eine abschließende Regelung darstelle und daher eine analoge Anwendung des § 45 II VwVfG nicht zulasse, könne doch der Rechtsgedanke dieser Bestimmung berücksichtigt werden. – Überzeugend ist dies nicht. Wenn § 45 I Nr 2, II VwVfG mangels VA-Qualität der AsV (→ Rn 62) nicht anwendbar ist und eine Analogie an der abschließenden Normierung des § 80 III 1 VwGO scheitert, stellt es eine glatte Missachtung gesetzlicher Vorgaben dar, wenn ein Gericht unter Hinweis auf einen „Rechtsgedanken“ dennoch einen gesetzlich nicht vorgesehenen Heilungstatbestand erfindet.
181 BayVGH, NVwZ-RR 2002, 646 = BayVBl 2002, 674; OVG Bln-Bbg, NVwZ-RR 2009, 98; Terwiesche NRWVBl 1996, 461, 462 f; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn 97. 182 VGH BW, VBlBW 2002, 441, 442; BayVGH, BayVBl 2005, 565, 566; OVG Bln-Bbg, NVwZ-RR 2009, 98; SächsOVG, SächsVBl 2004, 238; ThürOVG, ThürVBl 2006, 152, 153. 183 Hufen VerwPrR, § 32 Rn 17; Schenke VerwPrR, Rn 979; Würtenberger VerwPrR, Rn 521; Külpmann in: Finkelnburg/Dombert/ders, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 749. 184 Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 180, 298 (dort auch zu der unzutr Auffassung, das Gericht nehme eine Aufhebung der AsV vor). 185 OVG Bln-Bbg, NVwZ-RR 2008, 727 → JK VwGO § 80 III/4; OVG MV, NVwZ-RR 1999, 409; NVwZ-RR 2007, 21, 23; NdsOVG, NdsVBl 2003, 301, 302; Külpmann in: Finkelnburg/Dombert/ ders, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 750 ff; ausf Tietje DVBl 1998, 124 ff. 186 Kaltenborn DVBl 1999, 828, 832 f; Erbguth JA 2008, 357, 359; Schenke VerwArch 91 (2000), 587, 597 f; Hufen VerwPrR, § 32 Rn 17; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn 99. 187 BayVGH, BayVBl 1999, 465, 466; Schenke VerwPrR, Rn 981. 188 BayVGH, NJW 2002, 3044 = BayVBl 2003, 469; Schenke VerwPrR, Rn 981; Puttler in: Sodan/ Ziekow, VwGO, § 80 Rn 99. 189 So aber OVG Bln-Bbg, NVwZ-RR 2008, 727 → JK VwGO § 80 III/4.
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b) Materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit Die AsV im öffentlichen Interesse durchbricht das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen aW und sV. Das „besondere Interesse“ gerade an der sofortigen Vollziehbarkeit des VA (§ 80 III 1 VwGO) wird – vor allem vom BVerfG – vielfach als Interesse beschrieben, das über jenes Interesse hinausgehe, das den Erlass des VA rechtfertige.190 Das darf nicht dahingehend missverstanden werden, das sofortige Vollziehbarkeitsinteresse sei eine Art „gesteigertes Erlassinteresse“. Vielmehr geht es um ein qualitativ anderes Interesse, also um ein aliud;191 der Akzent liegt hier auf der sofortigen Vollziehung des VA, so dass das „besondere“ Interesse iSd § 80 II 1 Nr 4, III 1 VwGO durch die besondere Dringlichkeit des VA-Vollzugs gekennzeichnet ist.192 Bei der Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs ist zunächst im Einzelfall zu ermitteln, worin das Interesse am Sofortvollzug liegt; anschließend ist festzustellen, ob dieses Interesse das gegenläufige Aufschubinteresse überwiegt. Allein von der (offensichtlichen) Rechtmäßigkeit eines VA darf nicht auf die Dringlichkeit seines Vollzugs geschlossen werden. Zwischen der Rechtmäßigkeit eines VA (= notwendige Voraussetzung) und der Dringlichkeit seines Vollzugs (= hinreichende Voraussetzung) ist zu unterscheiden.193 Die Dringlichkeit des VA-Vollzugs hängt von den konkreten Umständen des Falles ab. Im Gefahrenabwehrrecht (iwS) muss die begründete Besorgnis bestehen, die mit der Gefahrenabwehrverfügung bekämpfte Gefahr werde sich vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens (bzgl der Rechtmäßigkeit des VA) verwirklichen.194 Wird die zuständige Polizei-/Ordnungs-/Sicherheitsbehörde über einen längeren Zeitraum nicht tätig, deutet dies darauf hin, dass eine Eilbedürftigkeit beim Vollzug des VA nicht besteht.195 Im Bauordnungsrecht kann die Nutzungsuntersagung eher mit der AsV versehen werden 196 als die Beseitigungsanordnung, bei der vielfach ein irreparabler Substanzverlust droht; das muss aber nicht immer so sein.197 Zur sofortigen Vollziehbarkeit einer (rechtmäßigen) Beseitigungsverfügung werden zunehmend folgende Leitlinien herangezogen: (1) Beseitigung einer illegalen Anlage ohne Substanzverlust bzw hohe Kosten, (2) negative Vorbildwirkung des illegal ausgeführten Vorhabens wegen Nachahmungseffekts, (3) Gefahr für 190 BVerfGE 69, 220, 228 und 233, 245; BVerfG-K, NVwZ 2004, 93 → JK GG Art 19 IV/23; NVwZ 2005, 1303 = BayVBl 2005, 562; NJW 2007, 1521, 1523 → JK GG Art 19 IV/29; NVwZ 2007, 1302, 1304; dem folgend zB VGH BW, NVwZ-RR 1995, 658, 659; BayVGH, BayVBl 1999, 465, 466; BayVBl 2005, 565, 566; OVG Berlin, NVwZ-RR 2001, 229; OVG MV, NVwZ-RR 2007, 21, 23; NdsOVG, NVwZ-RR 2005, 93, 94; OVG NRW, NVwZ 2002, 231; OVG LSA, LKV 1995, 295; ThürOVG, ThürVBl 2004, 73 u 2006, 152, 153; Schenke VerwPrR, Rn 984. 191 Külpmann in: Finkelnburg/Dombert/ders, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 745, 759. 192 VGH BW, VBlBW 2006, 282, 285; NVwZ-RR 2006, 395 = VBlBW 2006, 323; NVwZ-RR 2008, 228, 230; BayVGH, NVwZ-Beilage I 6/2000, 67, 68 = BayVBl 2000, 692, 693; BayVBl 2008, 541; HessVGH, NVwZ-RR 1993, 613; OVG MV, NVwZ 1995, 608; OVG NRW, NVwZ 1998, 977. 193 VGH BW, DÖV 1998, 298 = VBlBW 1998, 189; Schenke VerwPrR, Rn 984; Würtenberger VerwPrR, Rn 520. 194 VGH BW, VBlBW 2009, 37, 38. 195 OVG MV, DÖV 2008, 874, 875 = BauR 2009, 482, 484. 196 OVG Bln-Bbg, NVwZ-RR 2009, 98: sofortige Nutzungseinstellung (Lagerplatz) aus generalpräventiven Gründen wegen negativer Vorbildwirkung. 197 OVG Bbg, LKV 2005, 505: AsV der Beseitigung eines auf eine öffentliche Verkehrsfläche gesetzten Zaunes.
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die öffentliche Sicherheit durch die Anlage, (4) Durchsetzung der Rechtsordnung gegenüber einem beharrlichen und notorischen Schwarzbauer.198 Diese Gesichtspunkte können einzeln oder kumulativ die Dringlichkeit des VA-Vollzugs begründen. Im Übrigen lassen sich Fallgruppen nach einzelnen Rechtsgebieten bilden, die das potentielle Dringlichkeitsinteresse näher konturieren.199 Für die Einwirkungen des EG-Rechts auf § 80 II 1 Nr 4 VwGO gelten die Erörterungen zu Fall 2 (→ Rn 10). Fiskalische Interessen des Hoheitsträgers können nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalles das öffentliche Interesse an der sV des VA begründen;200 die Rechtsprechung ist in diesem Punkt mitunter sehr zurückhaltend.201 Die grundsätzliche systematische Unterscheidung zwischen der Rechtmäßigkeit des VA und der Dringlichkeit seines Vollzugs (→ Rn 70) schließt im Einzelfall nicht aus, dass das besondere Vollziehungsinteresse mit dem Erlassinteresse des VA (weitgehend) übereinstimmt. Eine derartige normative Wertung kann bereits in der Rechtsgrundlage für den Erlass des VA angelegt sein. In derartigen Fällen liegt eine (teilweise) Identität zwischen besonderem Vollziehungsinteresse und Erlassinteresse vor.202 Typische Beispiele hierfür bietet das Gefahrenabwehrrecht.203 Aber auch in anderen Rechtsgebieten können die Gründe für den Erlass des VA im Einzelfall einen so hohen Dringlichkeitsgrad aufweisen, dass diese Gründe zugleich das besondere Vollziehungsinteresse umfassen.204
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Fall 11 stellt ein Beispiel dar, in dem sich die Voraussetzungen für den Erlass der Ordnungsverfügung (weitgehend) mit den Gründen des besonderen Vollziehungsinteresses decken. Das OVG NRW hatte keine Bedenken, dass die AsV von der Behörde für notwendig erachtet wurde, um Gefahren zu bekämpfen, die sich im Zeitraum bis zum Abschluss des Rechtsschutzverfahrens verwirklichen könnten. Die Verwaltungsmaßnahmen waren rechtmäßig.
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Beim VAmD kann die AsV im überwiegenden Interesse eines Beteiligten erfolgen. Die widerstreitenden Privatinteressen – Aufschubinteresse des Anfechtenden, Verwirklichungsinteresse des Begünstigten – stehen sich prinzipiell gleichwertig und gleichgewichtig gegenüber.205 Unter dem Vorzeichen des jeweiligen „Interesses“ ist eine „Patt“situation vorprogrammiert. Dennoch verlangt § 80 II 1 Nr 4 VwGO die Feststellung, welches der
198 OVG Bbg, LKV 2004, 232; OVG MV, LKV 2003, 477, 478; DÖV 2008, 874, 875 = BauR 2009, 482, 483. 199 Vgl Külpmann in: Finkelnburg/Dombert/ders, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 764 ff; Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 150 ff. 200 Schenke VerwPrR, Rn 984; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn 88. 201 Vgl OVG Rh-Pf, NVwZ-RR 2005, 621, 622: Gebührenausfälle im öffentlichen Haushalt rechtfertigen keine AsV von Gebührenbescheiden; SächsOVG, SächsVBl 2004, 238: sofortige Einstellung der Zahlungen an entlassenen Probebeamten. 202 HessVGH, GewArch 1993, 415, 416; OVG MV, NVwZ-RR 2007, 21, 23. 203 VGH BW, VBlBW 2002, 441, 442: Entziehung der Fahrerlaubnis; OVG Berlin, NJW 2003, 2402, 2403: Fahrtenbuchauflage; OVG MV, NVwZ-RR 2007, 21, 23: ordnungsgemäße Abfallentsorgung. 204 BayVGH, BayVBl 2004, 468, 469: Heranziehung zu gemeinnütziger Arbeit; NdsOVG, NdsVBl 2009, 39, 41: Abberufung eines IHK-Hauptgeschäftsführers. 205 BVerfG-K, NVwZ 2009, 240, 242 → JK VwGO § 80a/6; BayVGH, BayVBl 1991, 720, 721; NVwZ 1992, 275, 276; OVG Berlin, ZUM 1993, 495, 496 f; HessVGH, NVwZ-RR 1990, 458, 460; NVwZ 1991, 88, 89; NVwZ 1993, 491, 492.
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antinomischen Interessen überwiegt. Zur Entscheidungsfindung ist eine Interessenabwägung strukturell ungeeignet, wenn sich prinzipiell gleichwertige und gleichgewichtige Interessen gegenüberstehen und das Gesetz (vgl § 80 II 1 Nr 4, § 80a I Nr 1 VwGO) keine Kriterien zur Gewichtung der konfligierenden Interessen und damit zur Begründung einer Rangfolge aufstellt.206 Für den gerichtlichen vorläufigen Rechtsschutz (§ 80 V, § 80a III VwGO) wird daraus die Konsequenz gezogen, dass das „Überwiegen“ entweder des Interesses an der Beibehaltung des status quo oder des Verwirklichungsinteresses anhand einer (summarischen) Prüfung der Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs zu ermitteln ist (→ Rn 157 f). Bleibt der Rechtsbehelf (Widerspruch, Anfechtungsklage) des Dritten gegen den einen Anderen begünstigenden VA mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos, kommt dem Interesse des Begünstigten am alsbaldigen Gebrauchmachen von dem VA Vorrang gegenüber dem Aufschubinteresse des Dritten zu. Im umgekehrten Fall überwiegt das Interesse an der vorläufigen Beibehaltung des status quo. Für die behördliche AsV kann es – will man einen puren Dezisionismus vermeiden – sinnvollerweise keinen anderen Maßstab für die AsV im privaten Beteiligteninteresse geben.207
c) Erlass, Inhalt und Folgen der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit Liegen die Voraussetzungen für die AsV vor, steht ihr Erlass im behördlichen Ermessen.208 § 80 II 1 Nr 4 VwGO stellt eine sog Koppelungsvorschrift dar: unbestimmter Rechtsbegriff auf der Tatbestandsseite, Ermessen auf der Rechtsfolgenseite. Bei einem vorhandenen öffentlichen Interesse am Sofortvollzug eines VA mag es (Ermessens-)Gesichtspunkte geben, die einen Verzicht auf die AsV nahelegen können.209 Bei der AsV im Beteiligteninteresse ist idR eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen.210 Der vom VA Begünstigte hat im Hinblick auf seine Grundrechte (zB Art 12 I, 14 I GG) einen Anspruch auf AsV. Denn bei einem überwiegenden Verwirklichungsinteresse des Begünstigten sind kaum Gesichtspunkte denkbar, mit denen die Behörde den Antrag auf AsV (§ 80a I Nr 1 VwGO) ermessensfehlerfrei ablehnen kann. Der AsV kommt – anders als der aW – keine Rückwirkung zu, sie wirkt ex nunc.211 Das gilt auch beim VAmD.212 Der nach Rechtsbehelfseinlegung gesetzlich (§ 80 I 2 VwGO) geschützte Dritte darf nicht ex post ins Unrecht gesetzt werden, zumal der Begünstigte jederzeit und frühestmöglich die AsV beantragen kann.213
206 Mampel DVBl 1997, 1155 (1157); Külpmann in: Finkelnburg/Dombert/ders, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 806. 207 Vgl iE Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 27. 208 OVG MV, NVwZ-RR 2007, 21 (22); ThürOVG, ThürVBl 2007, 81; Lorenz VerwPrR, Rn 32; Schmitt/Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 267; Schenke VerwPrR, Rn 985; Würtenberger VerwPrR, Rn 522. 209 Grundrechte und Übermaßverbot, Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen aW und AsV, Schaffung irreversibler Fakten durch einen Sofortvollzug. Das EG-Recht kann demgegenüber die AsV geradezu verlangen (→ Rn 10). Zum Ganzen Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 161 ff. 210 Schenke VerwPrR, Rn 985; ders VerwArch 91 (2000), 587, 601 f; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn 93. 211 Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 270; Hufen VerwPrR, § 32 Rn 20; Schenke VerwPrR, Rn 973; Külpmann in: Finkelnburg/Dombert/ders, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 791. 212 AA Schenke VerwPrR, Rn 974 wegen der „prozessualen Waffengleichheit“. 213 Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 187.
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Die Wirkung der AsV besteht in der Beseitigung der nach § 80 I VwGO eintretenden aW. Ergeht die Anordnung mit Erlass des VA, vermag ein dagegen eingelegter Rechtsbehelf die aW von vornherein nicht auszulösen; erfolgt die AsV zu einem späteren Zeitpunkt, entfällt die aW von nun an. Mit der AsV ist der angefochtene VA wie ein bereits unanfechtbar gewordener VA zu behandeln: Verfügungen (Ge- und Verbote) sind zu beachten und können notfalls vollstreckt werden (vgl § 6 I BVwVG), bei feststellenden und rechtsgestaltenden VA stellen sich deren Rechtswirkungen ein, und beim VAmD darf der Begünstigte von der getroffenen Regelung (Erlaubnis, Genehmigung, Konzession etc) Gebrauch machen. Gerichtlichen Rechtsschutz gegen die AsV gibt es nicht im Klagewege; exklusiv steht das Verfahren nach § 80 V bzw § 80a III VwGO zur Verfügung. In seiner jüngeren Rechtsprechung betont das BVerfG (am Beispiel der sV der Anordnung des Ruhens einer Approbation als Apotheker, Zahnarzt oder Arzt), die AsV der behördlichen Maßnahme stelle einen selbstständigen Eingriff dar, der in seinen Wirkungen über die Wirkungen der im Klageverfahren zu prüfenden behördlichen Maßnahme hinausgehe; denn die berufliche Betätigung des Betroffenen werde schon vor einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache beeinträchtigt.214 Da es sich um einen präventiven Eingriff in die Berufsfreiheit bereits vor der Rechtskraft des Hauptsacheurteils handele, müssten strenge Voraussetzungen beachtet werden: Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter und strikte Beachtung des Übermaßverbots.215 Die Kontrolle der behördlichen AsV ist dem gerichtlichen Aussetzungsverfahren (§ 80 V VwGO) überantwortet.
IV. Funktion und Bedeutung verwaltungsgerichtlicher Eilverfahren 79
Fall 12: Der serbische Staatsangehörige S, 1980 in Deutschland geboren und überwiegend hier aufgewachsen, wurde wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln mehrfach zu Freiheitsstrafen verurteilt. Zuletzt hatte S „weiche Drogen“ an Minderjährige verkauft. In dem strafgerichtlichen Verfahren war S geständig und kündigte an, er wolle aus der Haft heraus eine Drogenentwöhnungsmaßnahme durchlaufen, da er seit seinem 14. Lebensjahr „weiche Drogen“ konsumiere und damit nun ein Ende machen wolle; einen Antrag auf Bewilligung von Rehabilitationsmaßnahmen habe er bereits gestellt. Dennoch erlässt die zuständige Ausländerbehörde gegenüber S, der im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist, eine Ausweisungsverfügung unter AsV und droht die Abschiebung nach Serbien an; allein der lange Aufenthalt in Deutschland stehe der Ausweisung nicht entgegen, und die sV müsse schon wegen der Besorgnis, dass S während des zu erwartenden Klageverfahrens erneut strafbare Handlungen begehen werde, angeordnet werden. S klagt und stellt ferner einen Antrag nach § 80 V 1 VwGO. Der Eilantrag bleibt beim OVG/VGH erfolglos, da die Ausweisungsverfügung nach §§ 53 I Nr 2, 56 I 1 Nr 1 AufenthG rechtmäßig sei. Gegen die Eilentscheidung erhebt S beim BVerfG Verfassungsbeschwerde.216
214 BVerfG-K, NJW 2003, 3618; NVwZ-RR 2004, 545; NJW 2008, 1369. 215 BVerfGE 44, 105, 117 ff. 216 Fall nach VGH BW, NVwZ 2007, 609 u BVerfG-K NVwZ 2007, 946.
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1. Verfassungs- und europarechtliche Vorgaben Das in der Rechtsweggarantie des Art 19 IV 1 GG (mit)enthaltene Verfassungsgebot eines wirksamen Rechtsschutzes verlangt, dass gegen die (mögliche) Verletzung der Rechte des Einzelnen durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt ein umfassender gerichtlicher Schutz zur Verfügung steht (→ Rn 4).217 Rechtsweg und Rechtsschutz werden im Verwaltungsrecht im Rahmen der jeweiligen Prozessordnung (VwGO, FGO, SGG) gewährleistet. Gerichtlicher Rechtsschutz gegenüber Maßnahmen der Verwaltung ist nur dann wirksam, wenn er innerhalb angemessener Zeit gewährt wird.218 Kommt der Rechtsschutz zu spät, weil die Verwaltung ihre Maßnahme bereits durchgesetzt hat, ist er nicht effektiv, denn es können nicht wiedergutzumachende Folgen der (bereits vollzogenen) hoheitlichen Maßnahme eintreten. In einem verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren könnte allenfalls noch – im Nachhinein – die Rechtswidrigkeit der Verwaltungsmaßnahme festgestellt werden. Vor diesem Hintergrund verlangt das Gebot eines wirksamen Rechtsschutzes gemäß Art 19 IV 1 GG, dass die Prozessordnungen Regelungen zum gerichtlichen vorläufigen Rechtsschutz vorsehen.219 Ihm wird in erster Linie die Funktion zuerkannt, für den Regelfall sicherzustellen, dass die Verwaltungsbehörden keine irreparablen Maßnahmen durchführen, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit überprüft haben.220 Nach dieser Doktrin erfüllt der vorläufige Rechtsschutz primär eine Sicherungsfunktion;221 die Entscheidung in dem noch ausstehenden Hauptsacheverfahren soll nicht durch bloßen Zeitablauf entwertet werden. Im (Teil-)System der aW (→ Rn 12) ist das verwaltungsgerichtliche Verfahren nach § 80 V VwGO eine adäquate Ausprägung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie.222 Auch das EG-Recht kennt das Gebot eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (→ § 12 Rn 14). Der EuGH sieht in ihm seit geraumer Zeit einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, der sich aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der EGMitgliedstaaten ergibt und in Art 6 und 13 EMRK verankert ist.223 Für die gerichtliche Kontrolle von Maßnahmen nationaler Behörden in Vollzug des Gemeinschaftsrechts folgt daraus – bestärkt durch Art 10 EGV – für den Rechtsschutz, dass ein mit einem nach EGRecht zu beurteilenden Rechtsstreit befasstes nationales Gericht in der Lage sein muss, vorläufigen Rechtsschutz (Aussetzung der Vollziehung einer Behördenentscheidung) zu gewähren, „um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Gemeinschaftsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen“.224
217 BVerfGE 67, 43, 58; 84, 34, 49; 96, 27, 39; 101, 106, 122 f. 218 BVerfG-K, NVwZ-RR 2001, 694; NJW 2001, 3770. 219 Einzelheiten zu diesem Verfassungsgebot bei Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 80 Rn 9 ff. 220 BVerfGE 35, 263, 274; 35, 382, 401 f; 37, 150, 153; 51, 268, 284; 79, 69, 74; 93, 1, 13; BVerfG-K, NVwZ 1998, 834, 835; NVwZ-RR 1999, 217; DVBl 1999, 1204, 1205. 221 Einzelheiten dazu sowie zu der ergänzend hinzutretenden interimistischen Befriedungsfunktion bei Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 80 Rn 34 ff. 222 BVerfG-K, NVwZ 2005, 1303 = BayVBl 2005, 562; NJW 2006, 3551. 223 EuGH, Slg 1987, 4097 Tz 14; EuGH, Slg 1992, I-6313 Tz 14. 224 So EuGH, Slg 2001, I-207 = DVBl 2001, 539 Tz 48.
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In der Entscheidung zu Fall 12 erinnerte das BVerfG daran, dass sich Art 19 IV 1 GG nicht auf die Einräumung der Möglichkeit beschränkt, die Gerichte gegen Akte der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern dem Bürger darüber hinaus einen Anspruch auf eine wirksame Kontrolle der Exekutive gibt. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes verlange die tatsächliche Wirksamkeit vorläufigen Rechtsschutzes. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen sei der VGH nicht gerecht geworden. Die Entscheidung sei allein auf die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung gestützt. Der VGH habe jedoch auch das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit (§ 80 II 1 Nr 4, III 1 VwGO) der Ausweisungsverfügung prüfen müssen; dazu hätte die auf Tatsachen gestützte Annahme begründet werden müssen, die mit der Ausweisung des S bekämpfte Gefahr werde sich bereits vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens realisieren. Dazu fand sich in der VGH-Eilentscheidung nichts. Folglich war die Verfassungsbeschwerde begründet.
2. Praktische Bedeutung verwaltungsgerichtlicher Eilverfahren 84
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Die Bedeutung verwaltungsgerichtlicher Eilverfahren in der Praxis kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. In manchen Rechtsgebieten (zB Aufenthalts- und Asylrecht, Versammlungsrecht, Baunachbarrecht) sieht sich der (reguläre) Hauptsacherechtsschutz durch den vorläufigen Rechtsschutz weitgehend verdrängt. Die Gründe hierfür liegen bei zeitgebundenen Vorhaben und Maßnahmen 225 auf der Hand. Im Baunachbarrecht geht es dem Rechtsschutz suchenden Nachbarn angesichts der in § 212a BauGB getroffenen Regelung (→ Rn 56) um die Verhinderung vollendeter Tatsachen, da selbst im Falle einer erfolgreichen Nachbarklage ein zwischenzeitlich errichtetes Gebäude mitunter nicht beseitigt wird und der an sich mögliche Antrag auf behördlichen vorläufigen Rechtsschutz (§ 80a I Nr 2 VwGO) mangels ernsthafter Erfolgsaussicht in der Praxis kaum Bedeutung hat.226 Auch im zweiseitigen Rechtsverhältnis spielt die behördliche Aussetzung der Vollziehung (AdV) nach § 80 IV VwGO praktisch keine Rolle 227, so dass der vorläufige Rechtsschutz weitgehend auf den Gerichten lastet. Eine Mitverantwortung an dem Bedeutungszuwachs der Eilverfahren wird dem BVerfG zugemessen; dieses habe durch Intensivierung der aus Art 19 IV 1 GG abgeleiteten Anforderungen insbesondere für Verfahren nach § 80 V VwGO Anreize dafür geschaffen, verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz im Eilverfahren und nicht im Hauptsacheverfahren zu suchen.228 Derartige Effekte werden verstärkt, wenn im Hauptsacheverfahren die zweite Instanz nur im Wege der Berufungszulassung (§§ 124 ff VwGO) erreicht werden kann, während im Eilverfahren die Zulassungsbeschwerde entfällt und das OVG bzw der VGH zulassungsfrei angerufen werden kann (§ 146 VwGO).229
225 Typische Beispiele: Anmeldung einer Versammlung für einen bestimmten Tag und Versammlungsverbot; Anordnung einer eilbedürftigen Gefahrenabwehrmaßnahme nach allg Polizeirecht. 226 Dürr DÖV 2001, 625, 641. 227 Vgl dazu Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 189 f. 228 J Schmidt VerwArch 92 (2001), 443, 459. 229 Zu den Erwägungen der BReg vgl BT-Drs 14/6393 S 14; aA BRat, BT-Drs 14/6854 S 6 mit Gegenäußerung der BReg S 10.
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3. Formen des vorläufigen Rechtsschutzes und gerichtliche Entscheidungsbefugnisse Fall 13: Gegenüber Landwirt L waren auf der Grundlage einer entsprechenden Verfügung Verwaltungsvollstreckungsmaßnahmen durchgeführt worden; der Traktor wurde im Wege der Ersatzvornahme abgeschleppt. Die Festsetzung dieser Zwangsmaßnahme war L erst nach Beginn der Ersatzvornahme bekanntgegeben worden. L legte sofort Widerspruch ein und verlangte die Herausgabe des Traktors, auf den er zur Verrichtung der anfallenden Arbeiten dringend angewiesen sei. Da die Behörde die Herausgabe verweigert, bittet L um Auskunft über rasche Rechtsschutzmöglichkeiten.230
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Fall 14: E hat im Zentrum der Gemeinde G ein Gebäude errichtet. Da das betreffende Gebiet sehr dicht bebaut ist, kann E die bauordnungsrechtlich vorgeschriebenen Stellplätze nicht herstellen. Dafür wird er von G, die zugleich Bauaufsichtsbehörde ist, zur Zahlung eines Ausgleichsbetrags für die Stellplätze herangezogen. Gegen den Zahlungsbescheid erhebt E Widerspruch. Daraufhin leitet G die Verwaltungsvollstreckung ein. E fragt nach der Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes beim zuständigen VG.231
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Fall 15: Bauherr B erhielt antragsgemäß von der zuständigen Bauaufsichtsbehörde die Genehmigung zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses sowie von neun Garagen. Dagegen legte Grundstücksnachbar N ordnungsgemäß Widerspruch ein und macht die Verletzung nachbarschützender Vorschriften geltend. Als B mit den Bauarbeiten beginnt und erklärt, er werde die Gebäude innerhalb kürzester Zeit errichten, fragt N nach seinen Rechtsschutzmöglichkeiten.232
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Fall 16: Das pharmazeutische Unternehmen P beantragte beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BAM) die Zulassung für ein bestimmtes Arzneimittel. Das entsprechende Medikament entspricht weitgehend dem vor über zehn Jahren zugelassenen Arzneimittel X, das von der Firma F entwickelt und bislang nur von ihr vertrieben worden ist. P beantragte keine Zulassung als Generikum, sondern nahm in dem Zulassungsantrag auf eine Reihe von Veröffentlichungen zu dem Medikament X Bezug und legte eine Bioäquivalenzstudie vor, mit der die Vergleichbarkeit des neuen Arzneimittels mit dem Medikament X belegt wurde. Das BAM erteilte antragsgemäß die Zulassung, weil – was zutrifft – ein Versagungsgrund nach § 25 AMG 233 nicht vorliege. F erhob gegen die Zulassung sogleich Widerspruch. Daraufhin beantragte P beim BAM die AsV, was die Behörde jedoch ablehnte. P fragt nach der Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes.234
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Verwaltungsgerichtlicher vorläufiger Rechtsschutz steht in den Formen der aufschiebenden Wirkung (aW) und der eAO zur Verfügung. Verfassungsrechtlich sind die beiden Rechtsinstitute gleichwertig (→ Rn 13). In Theorie und Praxis indes herrscht die – vielfach durch entsprechende Eilentscheidungen gestützte – Vorstellung vor, vorläufiger
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230 231 232 233 234
Fall nach OVG NRW, NVwZ-RR 1998, 155. Fall nach OVG MV, LKV 2005, 172 → JK VwGO § 80 II 1 Nr 1/2. Fall in Anlehnung an OVG NRW, NVwZ-RR 2001, 297. Sartorius ErgBd Nr 272. Fall nach OVG NRW, DVBl 2008, 1515.
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Rechtsschutz sei im (Teil-)System der aW (§§ 80, 80a VwGO) „einfacher“ zu erreichen als im Wege der eAO. Unabhängig davon muss im konkreten Fall entschieden werden, in welcher Form gerichtlicher vorläufiger Rechtsschutz zu beantragen und ggf zu gewähren ist. Dies entscheidet sich nach der Anwendbarkeit der in Betracht kommenden Bestimmung; maßgebend insoweit ist die Statthaftigkeit des Eilantrags (→ Rn 91 f u Rn 102 ff). Die eAO gemäß § 47 VI VwGO ist speziell anwendbar im Bereich von Normenkontrollverfahren beim OVG/VGH (§ 47 I VwGO). Im Übrigen ist die eAO gegenüber dem vorläufigen Rechtsschutz in Form der aW nachrangig (vgl § 123 V VwGO). Dies führt in der Fallbearbeitung dazu, dass im Rahmen der Statthaftigkeit des Eilantrags zu prüfen ist, ob – vorrangig – vorläufiger Rechtsschutz nach §§ 80, 80a VwGO (ferner: § 80b II VwGO) zulässig ist oder ob auf einen Eilantrag nach § 123 I VwGO zurückgegriffen werden muss. Die (Teil-)Systeme der aW und der eAO werden häufig durch eine Orientierung an der statthaften Klageart in der Hauptsache abzugrenzen versucht.235 Danach soll vorläufiger Rechtsschutz im Falle der Anfechtungsklage nach §§ 80, 80a VwGO zu erreichen sein, bei den anderen Klagearten sei vorläufiger Rechtsschutz nach § 123 I VwGO (bzw § 47 VI VwGO) statthaft.236 Mehr als eine grobe Faustformel stellt diese Abgrenzungsregel allerdings nicht dar. Der verwaltungsgerichtliche vorläufige Rechtsschutz nach §§ 80, 80a VwGO kennt neben reformatorischen Entscheidungen auch die vorläufige Durchsetzung von Leistungs- und Feststellungsbegehren; Bezugspunkt ist stets die Sicherung der aW. Gerichtliche Entscheidungsbefugnisse, denen statthafte Eilanträge im (Teil-)System der aW entsprechen, sind • die Anordnung der aufschiebenden Wirkung (AOaW) bei gesetzlichem (vgl § 80 II 1 Nr 1 bis 3 VwGO) Wegfall der aW (§ 80 V 1 Alt 1 VwGO), • die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (WHaW) bei behördlicher (vgl § 80 II 1 Nr 4 VwGO) Überwindung der an sich kraft Gesetzes (§ 80 I VwGO) bei Rechtsbehelfseinlegung eintretenden aW (§ 80 V 1 Alt 2 VwGO), • die Aufhebung der Vollziehung (§ 80 V 3 VwGO) als spezialgesetzliche Ausprägung des (Vollzugs-)Folgenbeseitigungsanspruchs, • die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit (AsV) eines VA bei der Drittanfechtung (§ 80a III 1 iVm I Nr 1 VwGO), • die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen zugunsten des Drittanfechtenden nach vorangegangener AdV (§ 80a III 1 iVm I Nr 2 VwGO), • die Feststellung des Eintritts der aW (§ 80 V 1 VwGO analog) bei Missachtung der bereits kraft Gesetzes (§ 80 I VwGO) bestehenden aW (sog faktische Vollziehung), • die Verlängerung einer bestehenden aW (§ 80b II VwGO) und • als Erscheinungsform der Praxis 237 der Erlass einer Zwischenentscheidung (vorläufige Eilentscheidung bei großem Zeitdruck zur Verhinderung des Eintritts irreversibler Maßnahmen). Dieser Überblick zeigt, dass die Orientierung an der Klageart bei der Ermittlung des statthaften gerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzes vielfach zu kurz greift. Das (Teil-)
235 Loos JA 2001, 698; Proppe JA 2004, 324; Erbguth JA 2008, 357, 360; Lorenz VerwPrR, § 27 Rn 9; Schenke VerwPrR, Rn 935; Schmitt Glaeser/Horn VerwPrR, Rn 245. 236 VGH BW, NVwZ-RR 2007, 277; Hufen VerwPrR, § 31 Rn 8 f; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 571; Tettinger/Wahrendorf VerwPrR, § 23 Rn 3; Würtenberger VerwPrR, Rn 501. 237 Vgl dazu Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 242 ff.
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System der aW umfasst auch Eilanträge und gerichtliche Entscheidungsbefugnisse, die nach der Kategorie der Klagearten im Hauptsacheverfahren an sich der Verpflichtungsklage, allgemeinen Leistungsklage oder Feststellungsklage zuzuordnen wären. Empfehlenswert bei der Bestimmung der statthaften Rechtsschutzform ist daher, sofern nicht der Spezialfall des § 47 VI VwGO gegeben ist, von der Kollisionsnorm des § 123 V VwGO auszugehen und zu ermitteln, ob ein Fall des § 80 V VwGO oder des § 80a III VwGO vorliegt (→ Rn 103 ff). Nicht statthaft ist – da es im Verfahren nach § 80 V bzw § 80a III VwGO nur um vorläufige gerichtliche Maßnahmen und nicht um die abschließende rechtskräftige Klärung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit eines VA gehen kann – ein Fortsetzungsfeststellungsantrag (entsprechend § 113 I 4 VwGO).238 – Zusammenfassend (und in Abgrenzung zu den Verfahren der eAO) werden die Eilverfahren nach §§ 80 V, 80a III, § 80b II VwGO als Aussetzungsverfahren bezeichnet. In Fall 13 kann L die vorläufige Herausgabe seines Traktors mit einem Antrag nach § 80 V 3 VwGO erreichen. Voraussetzung für den Erfolg ist allerdings, dass das Gericht zunächst gemäß einem Antrag nach § 80 V 1 VwGO die aW verfügt, so dass die Grundlage für den behördlichen Vollzugsakt entfällt.
In Fall 14 streiten E und G darüber, ob der von E erhobene Widerspruch nach § 80 I VwGO die aW ausgelöst hat (so dass E vorläufig kraft Gesetzes bereits geschützt wäre) oder ob die aW gemäß § 80 II 1 Nr 1 VwGO entfällt, so dass E zur Erzielung vorläufigen Rechtsschutzes das zuständige VG anrufen muss. Zur Klärung der umstrittenen Rechtslage kann E entsprechend § 80 V 1 VwGO beim VG die Feststellung beantragen, dass der Widerspruch gemäß § 80 I VwGO aW hat; hilfsweise sollte E beim VG die AOaW begehren.
Da der Widerspruch von N in Fall 15 gegen die Baugenehmigung wegen § 80 II 1 Nr 3 VwGO, § 212a I BauGB keine aW hat, kann N bei der zuständigen Behörde nach § 80a I Nr 2 VwGO oder beim zuständigen VG nach § 80a III 1 iVm I Nr 2 VwGO um vorläufigen Rechtsschutz nachsuchen. Angesichts der Haltung von B sollte N neben der AdV der Baugenehmigung zusätzlich Sicherungsmaßnahmen beantragen.
In Fall 16 hat der Widerspruch von F gegen die Zulassungsentscheidung des BAM aW (§ 80 I VwGO), so dass P von dem begünstigenden behördlichen VA nicht Gebrauch machen darf. Den Antrag auf AsV von P (§ 80a I Nr 1, § 80 II 1 Nr 4 VwGO) hat das BAM abgelehnt. P hat die Möglichkeit, beim zuständigen VG die AsV zu beantragen (§ 80a III 1 iVm I Nr 1 VwGO).
238 BayVGH, BayVBl 1998, 185; OVG Rh-Pf, NVwZ-RR 1995, 572; OVG Saarland, NVwZ-RR 2006, 756.
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V. Zulässigkeit des Eilantrags im Aussetzungsverfahren 95
Fall 17: Der zuständige Vorgesetzte erstellte über O und vier weitere Stabsoffiziere planmäßige Beurteilungen, die in den Einzelmerkmalen der geforderten freien Beschreibung nahezu identische Formulierungen aufwiesen. Auf Grund seiner positiven dienstlichen Beurteilung freute sich O bereits auf anstehende Personalmaßnahmen. Gegen den Willen von O (und der anderen Beurteilten) hob der Bundesminister der Verteidigung (BMV) im Wege der Dienstaufsicht die Beurteilungen wegen Verstoßes gegen allgemeine Beurteilungsgrundsätze auf. Hiergegen klagt O und stellt beim VG, um die Grundlage anstehender Personalmaßnahmen zu erhalten, einen Antrag auf Erlass einer eAO.239
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Fall 18: Zur Bekämpfung der offenen Drogenszene wurde Drogenhändler H ein sofort vollziehbares dreimonatiges Aufenthaltsverbot für einen näher gekennzeichneten Bereich in und um den Hauptbahnhof der Stadt S erteilt; für den Fall der Zuwiderhandlung wurden bestimmte Zwangsmaßnahmen angedroht. H legte Widerspruch ein. Da H das Verbot nicht beachtete, wurde gegen ihn eine Zwangsgeldfestsetzung vorgenommen. H beantragt beim VG vorläufigen Rechtsschutz sowohl gegen das Aufenthaltsverbot als auch gegen die Zwangsgeldfestsetzung; der Dreimonatszeitraum ist inzwischen abgelaufen.240
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Fall 19: Die zuständige Bauaufsichtsbehörde erteilte E antragsgemäß die Genehmigung, an ihr Wohnhaus zwei Holzbalkone nebst Treppe anzubauen. Im Hinblick auf das Nachbargrundstück des N wurde mit der Baugenehmigung eine Abweichung von der LBO-Vorschrift über Grenzabstände zugelassen. N erhebt Widerspruch gegen die der E erteilte Baugenehmigung und beantragt bei der Bauaufsichtsbehörde die AdV (§ 80 IV VwGO). Noch bevor die Behörde darüber entscheidet, beantragt N beim zuständigen VG die AOaW seines Widerspruchs gegen die Baugenehmigung. Ist dieser Eilantrag zulässig? 241
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Fall 20: Gastwirt G erhält von der zuständigen Behörde die Erlaubnis, auch auf öffentlichem Straßengrund sein Eiscafé zu betreiben. Die von der straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis umfasste Fläche liegt im Anschluss an den Gehweg vor dem Anwesen von Nachbar Q. Dieser befürchtet eine erhöhte Lärmbelästigung und macht weiter geltend, er könne die im Erdgeschoss seines Anwesens gelegenen Geschäfte nicht mehr direkt von der davor liegenden Straßenfläche aus beliefern, wenn die Fläche von Tischen und Stühlen des Eiscafés belegt sei; dies verletze ihn in seinem Anliegerrecht. Nach erfolglosem Widerspruch gegen die Sondernutzungserlaubnis erhebt Q Klage beim zuständigen VG, über die noch nicht entschieden ist. Auf Antrag des G ordnet die Behörde die sV der Sondernutzungserlaubnis an. Nun beantragt Q beim VG die WHaW seines Rechtsbehelfs. Ist der Antrag zulässig? 242
239 240 241 242
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Fall nach BVerwG, NVwZ-RR 2000, 441. Fall nach OVG NRW, NVwZ 2001, 231. Fall nach OVG Rh-Pf, DÖV 2004, 167 = NVwZ-RR 2004, 224 = BauR 2004, 59. Fall nach BayVGH, NVwZ-RR 2004, 886 = BayVBl 2004, 533 → JK BayStrWG Art 18/3.
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Wie bei jedem förmlichen Rechtsbehelf (→ § 21 Rn 2) ist beim Eilantrag im Aussetzungsverfahren zwischen der Zulässigkeit und der Begründetheit des Rechtsschutzbegehrens zu unterscheiden. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen lassen sich nach den aus dem Hauptsacheverfahren bekannten Kategorien (→ § 21 Rn 8) ordnen. Zu unterscheiden ist danach zwischen (1.) den allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzungen, (2.) der statthaften Rechtsschutzform, (3.) den besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen und (4.) dem allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis. Es gelten die allgemeinen Regeln (→ § 21, ferner → § 22 Rn 4 ff); daher ist nachfolgend nur auf solche Zulässigkeitsvoraussetzungen einzugehen, die im Aussetzungsverfahren relevant werden.
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1. Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen Verwaltungsgerichtlicher vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 V, § 80a III VwGO ist nur im Jurisdiktionsbereich der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit zulässig. Für eine Sachentscheidung im Eilverfahren müssen daher die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben (→ § 21 Rn 20 ff) und der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein (aufdrängende Sonderzuweisung oder Generalklausel gemäß § 40 I 1 VwGO). Die „deutsche Gerichtsbarkeit“ ist kaum einmal problematisch. Die Rechtswegeröffnung (→ § 21 Rn 34 ff) ist eine von Amts wegen zu prüfende Sachentscheidungsvoraussetzung.243 Wird sie verneint, ist der Eilantrag nach § 80 V oder § 80a III VwGO unzulässig. Zunehmend setzt sich allerdings die Auffassung durch, dass §§ 17 ff GVG im Eilverfahren entsprechend anwendbar sind.244 Deshalb kann das VG die Unzulässigkeit des zu ihm beschrittenen Rechtswegs feststellen und den Rechtsstreit an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs verweisen (§ 17a II GVG).245 Mitunter stellt sich im Aussetzungsverfahren die Frage nach der Beteiligungsfähigkeit (§ 61 VwGO) des Antragstellers. Auch diese Voraussetzung (→ § 21 Rn 135 ff) ist von Amts wegen zu prüfen.246 Die Beteiligungsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts iSd §§ 705 ff BGB (GbR) 247 ist im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren gemäß § 61 Nr 2 VwGO anerkannt.248 – Sonstige allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen spielen im Aussetzungsverfahren idR keine Rolle.
243 BayVGH, DÖV 1999, 653 = NVwZ 1999, 1015 = BayVBl 2000, 54 (verneint bei Besitzeinweisung für Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ wegen Zuständigkeit des LG, Kammer für Baulandsachen gemäß § 9 III VerkPBG iVm §§ 217 ff BauGB); OVG Berlin, DVBl 2001, 1004 (bejaht für Eilantrag gegen Auslieferungsbewilligung der BReg); HessVGH, DÖV 2007, 262 (verneint für Eilantrag gegen Entlassung eines Schülers aus privater Ersatzschule); OVG NRW, NJW 1998, 1425 (bejaht für ein behördliches Hausverbot). 244 BayVGH, BayVBl 2000, 665; HessVGH, DÖV 2007, 262; OVG NRW, NVwZ 1994, 178. 245 Nach BVerwG, NVwZ 2006, 1291 (m Bespr Braun NVwZ 2007, 49) ist die weitere Beschwerde an das BVerwG nach § 17a IV 4 GVG zur Klärung des Rechtswegs im Eilverfahren ausgeschlossen; beim vorläufigen Rechtsschutz könne es nicht um die Beantwortung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 17a IV 5 GVG) gehen, und auch § 152 VwGO zeige, dass das Gesetz Vorkehrungen für einen zügigen Abschluss des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens getroffen habe. 246 Vgl zB VGH BW, VBlBW 2000, 397, 398; „Europäische Schule“ als juristische Person des ÖR nach § 61 Nr 1 VwGO beteiligungsfähig. 247 Zur (Teil-)Rechtsfähigkeit und Parteifähigkeit (§ 50 ZPO) der (Außen-)GbR BGH, NJW 2001, 1056 = JZ 2001, 655 (m Anm Wiedemann) → JK BGB §§ 705 ff/6. 248 HessVGH, BauR 1998, 1222.
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2. Rechtsschutzformvoraussetzungen für den statthaften Eilantrag 102
Die Statthaftigkeit des Eilantrags in den Verfahren nach § 80 V, § 80a III VwGO ergibt sich aus dem Anwendungsbereich des Aussetzungsverfahrens (→ Rn 90 ff). Rechtsschutzformvoraussetzungen sind das Vorliegen eines (nicht erledigten und auch nicht bestandskräftigen) VA sowie dessen (kraft Gesetzes oder behördlicher Anordnung bestehende) sofortige Vollziehbarkeit und das auf Herstellung bzw Durchsetzung der aW gerichtete Begehren (insb AOaW, WHaW). Der auf die WHaW gerichtete Antrag nach § 80 V 1 VwGO ist nicht statthaft, wenn dem Widerspruch von vornherein keine aW nach § 80 I VwGO zukommt (→ Rn 29); das ist zB bei einem verfristeten Widerspruch der Fall, da der VA nach Ablauf der Widerspruchsfrist unanfechtbar geworden ist.249 Beim VA mit Drittwirkung (VAmD) ist im Aussetzungsverfahren im Falle der durch eine Drittanfechtung (zB Nachbarwiderspruch oder -klage) ausgelösten aW (§ 80 I VwGO) auch der Eilantrag auf gerichtliche AsV statthaft (§ 80a III 1 iVm I Nr 1 VwGO). Ob der Eilantrag im konkreten Fall auf die AOaW, WHaW etc zielt, also statthaft ist, bestimmt sich nach § 88 VwGO (analog); über das Rechtsschutzbegehren hinausgehen darf das Gericht auch im Eilverfahren nicht.250
a) Grundkonstellation: Anfechtung eines Verwaltungsakts 103
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Auf Grund der Kollisionsnorm des § 123 V VwGO und des Anwendungsbereichs von §§ 80, 80a VwGO (→ Rn 21 ff) setzt der Eilantrag im Aussetzungsverfahren voraus, dass es um die sofortige Vollziehbarkeit eines VA geht.251 Ist das nicht der Fall, ist der Antrag auf Erlass einer eAO statthaft. Deshalb kann die Frage nicht unentschieden bleiben, ob es sich bei der angegriffenen Verwaltungsmaßnahme um einen VA handelt oder nicht.252 Vielmehr muss zur Bestimmung der Statthaftigkeit des Aussetzungsantrags im Eilverfahren abschließend geklärt werden, ob ein VA vorliegt.253 §§ 80, 80a VwGO erfassen in ihrem Anwendungsbereich in der Grundkonstellation an sich nur die Situation des (in der Hauptsache statthaften) Anfechtungsrechtsbehelfs (→ Rn 26). Beim Verpflichtungsbegehren in der Hauptsache ist dennoch der Aussetzungsantrag (§ 80 V 1 VwGO) statthaft, wenn die behördliche Ablehnung der beantragten Begünstigung zugleich eine (gesetzlich vorläufig eingeräumte) Rechtsposition entzieht.
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VGH BW, NJW 2004, 2690 = VBlBW 2004, 383. SächsOVG, SächsVBl 1998, 61. Zum Begriff des VA instruktiv Kahl JURA 2001, 505, 506 ff. So aber BayVGH, NVwZ-RR 2000, 35 (am Bsp der AO einer amtsärztlichen Untersuchung); OVG NRW, NJW 1998, 1969 = NWVBl 1998, 275 (am Bsp der Mittelfestsetzung bei der staatl Parteienfinanzierung). 253 Bsple: VGH BW, NVwZ-RR 2003, 333 (Zurückstellung eines Baugesuchs nach § 15 I 1 BauGB als die Gemeinde begünstigender und den Bauherrn belastender VA; vgl dazu auch Fall 3 → Rn 19 u 25); BayVGH, BayVBl 2000, 724 (Anforderung einer Zweitstudiengebühr selbständiger VA neben Exmatrikulation und nicht unselbständige Verfahrenshandlung nach § 44a VwGO); OVG Bbg, NVwZ-RR 1997, 555 (Schließung einer kommunalen Kindertagesstätte kein VA, Antrag nach § 80 V 1 VwGO daher nicht statthaft); OVG Bbg, LKV 2002, 431 (baurechtliche Versiegelungsanordnung als Maßnahme in der Verwaltungsvollstreckung mit VA-Qualität); NdsOVG, DVBl 2000, 713 = NVwZ 2000, 954 (AO zur Änderung des Aufgabenbereichs eines Professors als VA); NdsOVG, NdsVBl 2009, 39 (Abberufung eines IHK-Hauptgeschäftsführers durch die Vollversammlung als VA).
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Das wichtigste Beispiel insoweit bietet das Aufenthaltsrecht. Der Antrag auf AOaW 254 ist nach § 80 V 1 VwGO statthaft, wenn durch die behördliche Ablehnung eines von einem Ausländer beantragten Aufenthaltstitels (vgl § 4 AufenthG) das mit der Antragstellung gesetzlich eingeräumte Recht des fiktiv erlaubten Aufenthalts (§ 81 III 1 u IV AufenthG) entzogen wird; löst der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels keine Erlaubnisfiktion aus, fehlt es an dem Anknüpfungspunkt des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 V 1 VwGO, statthaft ist der Eilantrag gemäß § 123 I 2 VwGO.255 Das gilt auch bei einem verspäteten Antrag, weil dieser nicht zu einer Erlaubnisfiktion (§ 81 III 1 AufenthG), sondern nur zu einer Duldungsfiktion (§ 81 III 2 AufenthG) führt.256
b) Feststellungsantrag bei der „faktischen Vollziehung“ Entfaltet ein Rechtsbehelf gemäß § 80 I VwGO aW, ist der Eilantrag nach § 80 V 1 VwGO nicht statthaft.257 Der Antragsteller ist bereits kraft Gesetzes vorläufig geschützt, für einen Antrag auf WHaW fehlt es an einem sofort vollziehbaren VA. Nun kann allerdings zwischen Verwaltung und Rechtsschutzsuchendem oder – beim VAmD – zwischen dem Begünstigten und dem Belasteten eines VA streitig sein, ob der (Anfechtungs-)Rechtsbehelf gemäß § 80 I VwGO die aW ausgelöst hat oder ob der Eintritt der aW zB durch § 80 II 1 Nr 1 VwGO oder durch § 80 II 1 Nr 3 VwGO, § 212a I BauGB ausgeschlossen ist. Regelmäßig neigt die Behörde dazu, die sofortige Vollziehbarkeit ihres VA anzunehmen, der VA-Begünstigte behauptet den Nichteintritt der aW, um von der ihm erteilten Begünstigung sofort Gebrauch machen zu können. Für derartige Konstellationen einer bevorstehenden oder bereits in Gang gesetzten Realisierung des VA (zB Verwaltungsvollstreckung, Ausführung des Baues bei der Baugenehmigung) trotz bestehender aW258 hat sich die Bezeichnung „faktische Vollziehung“ eingebürgert.259 In diesen Fällen einer (drohenden) faktischen Vollziehung ist der Antrag auf gerichtliche Feststellung des Eintritts der aW gemäß § 80 I VwGO statthaft.260 Mit der gerichtlichen Klärung der Streitfrage zwischen den Beteiligten ist dem vorläufigen Rechtsschutz
254 Der Antrag auf WHaW scheidet aus, weil iSd § 80 II 1 Nr 3 VwGO durch § 84 I AufenthG die an sich kraft Gesetzes eintretende aW (§ 80 I VwGO) ausgeschlossen ist. 255 VGH BW, VBlBW 2006, 286, 287; VBlBW 2008, 306, 307; VBlBW 2009, 109; HessVGH, NVwZ 2006, 111; Jacob VBlBW 2008, 418, 419; Huber/Göbel-Zimmermann Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rn 1339. 256 VGH BW, NVwZ-RR 2008, 841, 842 = VBlBW 2009, 105, 106; Huber/Göbel-Zimmermann Ausländer- und Asylrecht, Rn 1329 (mit Hinweis auf § 58 II 1 Nr 2 AufenthG; aA (zu Unrecht) OVG NRW, NWVBl 2006, 368, 369 bei „geringfügig“ verspätetem Antrag. 257 VGH BW, VBlBW 1992, 155, 156. 258 Es geht idR um die nach § 80 I VwGO kraft Gesetzes bestehende aW. Erfasst ist aber auch die faktische Vollziehung durch Nichtbeachtung der nach § 80 V 1 VwGO gerichtlich angeordneten oder wiederhergestellten aW; BayVGH, BayVBl 2003, 405, 406. 259 Dazu umfassend Kirste DÖV 2001, 397 ff. 260 VGH BW, NVwZ-RR 1998, 152, 153; NVwZ-RR 2006, 816; VBlBW 2007, 228; BayVGH, NVwZ 1998, 1318; NVwZ-RR 2005, 679; NJW 2006, 2282 = BayVBl 2006, 249; HessVGH, NVwZ-RR 2004, 792; NJW 2007, 241; OVG MV, LKV 2005, 172, 174; OVG SH, NVwZ-RR 2001, 586; ThürOVG, ThürVBl 2008, 138; zur umstr rechtsdogmatischen Begründung hierfür vgl Schenke VerwPrR, Rn 1015 f; Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 241.
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häufig Rechnung getragen.261 Dies gilt ebenso beim VAmD 262, etwa den Streitfragen um den Anwendungsbereich des § 212a I BauGB (→ Rn 56 f). Allerdings muss auch in diesen Konstellationen – was im Eilverfahren abschließend zu klären ist – objektiv ein VA vorliegen, um dessen tatsächliche Durchsetzung es (entgegen § 80 I VwGO) der Behörde oder dem Begünstigten geht. Stellt die angegriffene Verwaltungsmaßnahme keinen VA dar, ist schon der dagegen eingelegte Rechtsbehelf (Widerspruch, § 68 I 1 VwGO; Anfechtungsklage, § 42 I VwGO) unzulässig, der Antrag auf gerichtliche Feststellung des Eintritts der aW ist nicht statthaft.263
c) Anträge beim Verwaltungsakt mit Drittwirkung 107
Die Grundkonstellation des vorläufigen Rechtsschutzes im Aussetzungsverfahren (→ Rn 103 f) gilt auch beim VAmD. Ist zur Überwindung der aW beim VAmD (§ 80 I 2 VwGO) auf Antrag des Begünstigten (§ 80a I Nr 1 VwGO) von der Behörde die AsV des VA verfügt worden (§ 80 II 1 Nr 4 VwGO), ist seitens des Betroffenen der Antrag auf WHaW (§ 80 V 1 VwGO) statthaft. Entfällt die aW des Widerspruchs bzw der Anfechtungsklage eines Drittrechtsbehelfs (zB § 80 II 1 Nr 3 VwGO, § 212a I BauGB), vermittelt der Antrag auf AOaW (§ 80 V 1 VwGO) gerichtlichen vorläufigen Rechtsschutz. Beim VAmD sind dem Gericht aber auch die behördlichen Befugnisse zugewiesen (§ 80a III 1 VwGO). Folglich kann es über einen Antrag auf AsV des VA zu Gunsten des Begünstigten befinden (§ 80a III 1 iVm Nr 1 VwGO).264 Auch bei einem den Adressaten belastenden VA (zB Nutzungsuntersagung nach der LBO) ist durch den begünstigenden Dritten der Antrag auf AsV statthaft (§ 80a III 1 iVm II VwGO).265 Ist bei dem den Adressaten begünstigenden VA auf Antrag des Dritten die Vollziehung ausgesetzt (§ 80 IV VwGO), kann der Dritte zum Schutz seiner Rechte beim Gericht Sicherungsmaßnahmen beantragen (§ 80a III 1 iVm I Nr 2 VwGO). Dasselbe gilt (in entsprechender Anwendung jener Bestimmungen) bei der kraft Gesetzes bestehenden (§ 80 I VwGO) oder vom Gericht hergestellten aW (§ 80 V 1 VwGO), falls der VA-Begünstigte die aW missachtet.266 Statthaft sind im Falle der faktischen Vollziehung beim VAmD (→ Rn 106) auch kumulativ der Antrag auf Feststellung des Bestehens der aW iVm dem Antrag auf Anordnung von Sicherungsmaßnahmen.267 Als statthaft ist beim VAmD ferner der – eher seltene – Antrag auf gerichtliche Feststellung der sofortigen Vollziehbarkeit eines VA
261 Unterliegt die Behörde im gerichtlichen Eilverfahren, kann sie allerdings nach § 80 II 1 Nr 4 VwGO vorgehen; unterliegt der VA-Begünstigte, kann dieser nach § 80a I Nr 1 VwGO verfahren; unterliegt der Antragsteller, bleibt ihm der Antrag auf AOaW nach § 80 V 1 VwGO. 262 Vgl BayVGH, BayVBl 2007, 758, 760 (zur Baugenehmigung); OVG MV, DVBl 2000, 1072 = NVwZ 2000, 948 (am Bsp einer Allgemeinverfügung); OVG NRW, NVwZ-RR 2008, 757 (Abweichungsentscheidung bzgl bauordnungsrechtlicher Anforderungen). – Einzelheiten bei Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80a Rn 56 f. 263 VGH BW, NVwZ 2000, 1060 = VBlBW 2000, 365 (Entscheidung eines Gemeinderates über die Einleitung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans mangels „Regelung“ kein VA); OVG MV, NVwZ-RR 2000, 93 (Berichtigung des Melderegisters kein VA, nur Realakt). 264 VGH BW, NVwZ-RR 2003, 27; NdsOVG, NVwZ-RR 2003, 342; OVG NRW, DVBl 2008, 1515, 1516. 265 NdsOVG, NVwZ 2007, 478; SächsOVG, SächsVBl 2005, 148. 266 OVG MV, LKV 2006, 130, 131. 267 HessVGH, NVwZ-RR 2003, 345, 346.
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(Baugenehmigung) erachtet worden, da die Behörde fälschlich die aW eines Drittwiderspruchs bejaht hatte.268
d) Auslegung und Umdeutung Angesichts der bisweilen schwierigen „Grenz“fragen zur Statthaftigkeit des Eilantrags im Aussetzungsverfahren kommt es in der Praxis mitunter zu etwas unklaren oder sogar zu nicht statthaften Rechtsschutzbegehren. In derartigen Fällen ermitteln die Gerichte entsprechend § 88 VwGO das „eigentliche“ Begehren und helfen den Rechtsschutzsuchenden durch Auslegung oder Umdeutung des Eilantrags. Im Vordergrund steht in der gerichtlichen Praxis bei Unklarheiten die Auslegung des Eilantrags. So ist der Antrag auf Erlass einer eAO als Antrag auf Feststellung der aW des Widerspruchs gewertet 269 und der Antrag auf Feststellung der aW einer Klage als Antrag auf AOaW verstanden worden;270 umgekehrt wurde der Antrag auf AOaW (mangels Eingreifens des § 212a I BauGB) als Antrag auf Feststellung der aW aufgefasst.271 Eine Selbstverständlichkeit ist es, den auf WHaW gerichteten Eilantrag im Falle des gesetzlichen Ausschlusses der aW (§ 80 II VwGO) entsprechend dem Rechtsschutzziel als Antrag auf AOaW auszulegen.272 Immer wieder kommt es in der Praxis zur Umdeutung eines Antrags gemäß § 80 V 1 VwGO in einen solchen nach § 123 I VwGO und umgekehrt.273 Umgedeutet wurde auch der Antrag auf AOaW in einem solchen auf gerichtliche Feststellung des Eintritts der aW durch Klageerhebung (§ 80 I VwGO).274
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In Fall 17 ging es O um die AOaW seines Klageantrags gegen die Aufhebungsverfügung des BMV. Bei Stattgabe müsste die vom BMV aufgehobene Beurteilung zur Grundlage der anstehenden Personalmaßnahmen gemacht werden. Unter Hinweis auf § 123 V VwGO erklärte das BVerwG den Antrag auf Erlass einer eAO als nicht statthaft. Der Antrag sei sachgerecht als Antrag auf AOaW auszulegen bzw in einen solchen Antrag umzudeuten.
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In Fall 18 stellte sich die Frage, ob das Aufenthaltsverbot nicht durch Zeitablauf erledigt war und der dagegen gerichtete Aussetzungsantrag daher unstatthaft ist. Das OVG verneinte dies. Zwar gehe eine WHaW hinsichtlich der Verfolgung des Verbots ins Leere, solange die Verfügung jedoch Voraussetzung für die Festsetzung des Zwangsgeldes sei, habe sie sich nicht erledigt.275 Mit der rückwirkenden AOaW des Widerspruchs gegen die Verfügung könne der Zwangsgeldfestsetzung vorläufig die Grundlage entzogen werden.
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268 269 270 271 272 273 274 275
BayVGH, BayVBl 2007, 758, 760. VGH BW, NVwZ-RR 1998, 152, 153; HessVGH, GewArch 1999, 38, 39. NdsOVG, NVwZ-RR 1998, 719. BayVGH, NVwZ 1999, 1363; OVG MV, LKV 2005, 172 → JK VwGO § 80 II 1 Nr 1/2; OVG NRW, NVwZ-RR 2008, 757; ThürOVG, ThürVBl 2008, 138. NdsOVG, NVwZ-RR 2008, 113, 114. BayVGH, NVwZ-RR 2000, 35, 36; NVwZ 2002, 1268; OVG Bbg, NVwZ-RR 1997, 555, 556; ThürOVG, LKV 1994, 110, 111. OVG Hamburg, NVwZ 2000, 1446. In diesem Sinne auch VGH BW, VBlBW 2008, 35 → JK VwVfG § 43/4.
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Fall 14 stellt ein Beispiel für die „faktische Vollziehung“ dar. Die „Stellplatzablöse“ ist keine öffentliche Abgabe iSd § 80 II 1 Nr 1 VwGO (→ Rn 48). Folglich hatte der Widerspruch des E gegen den Zahlungsbescheid aW (§ 80 I VwGO). Dies gerichtlich festzustellen, kann E beantragen.
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In Fall 16 kann P beim zuständigen VG die AsV beantragen. Ein derartiger Eilantrag ist statthaft (§ 80a III 1 iVm Nr 1 VwGO). Er wird zudem Erfolg haben, da die Zehnjahresfrist bzgl des Medikaments der Firma F (§ 22 III 1 Nr 1 AMG) abgelaufen ist und sonstige Versagungsgründe der Zulassung des neuen Arzneimittels nicht entgegenstehen. 3. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen
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Die besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen sind abhängig von der Rechtsschutzform. In der Fallbearbeitung sind sie daher erst nach der Ermittlung der statthaften Rechtsschutzform zu prüfen. Für das Aussetzungsverfahren ergeben sie sich teilweise aus § 80 VwGO, teilweise aus einer Analogie zu Vorschriften des Klageverfahrens (→ § 22 Rn 33 ff).
a) Einlegung eines Rechtsbehelfs in der Hauptsache 115
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Entscheidungen im Aussetzungsverfahren ergehen nur auf Antrag. Neben dem Eilantrag muss ein Hauptsacherechtsbehelf erhoben sein, der die aW auszulösen vermag.276 Ohne einen solchen Rechtsbehelf, dessen Schutzmechanismus gemäß § 80 I VwGO im konkreten Fall durch § 80 II VwGO überwunden ist, fehlt es am Bezugspunkt für die „Wieder“herstellung der aW oder für deren erstmalige Anordnung.277 In den Fällen der faktischen Vollziehung (→ Rn 105 f) mangelt es am Rechtsbehelf, dessen kraft Gesetzes bestehende aW (§ 80 I VwGO) gerichtlich festgestellt werden kann. Bei der gerichtlichen AsV (§ 80a III 1 iVm I Nr 1 VwGO) fehlt es an der Auslösung der aW (§ 80 I VwGO), die überwunden werden soll. Ohne jenen Rechtsbehelf wäre auch kein Hauptsacheverfahren vorhanden, das es vorläufig zu sichern und offen zu halten gilt. Der Hauptsacherechtsbehelf, an den die aW sowie ihre Wiederherstellung, Anordnung, Feststellung etc anknüpfen, ist idR der Widerspruch (§ 68 I 1 VwGO). Findet ein Widerspruchsverfahren nicht statt (§ 68 I 2 VwGO), muss Klage erhoben sein (→ § 21 Rn 13 ff), um deren aW wiederherstellen, anordnen oder ggf feststellen zu können. Im Fall der Klagerücknahme ist der Antrag nach § 80 V VwGO unzulässig.278
276 VGH BW, VBlBW 1991, 184, 194 und 469 f; OVG NRW, DVBl 1996, 115 und NVwZ-RR 2001, 54, 55; OVG Rh-Pf, NJW 1995, 1043; ThürOVG, LKV 1994, 408 f; Erbguth JA 2008, 357, 360; Lorenz VerwPrR, § 28 Rn 47; aA Schenke VerwPrR, Rn 992; Tettinger/Wahrendorf VerwPrR, § 24 Rn 5. 277 BayVGH, NVwZ-Beilage I 2000, 67 = BayVBl 2000, 692 verlangt, dass spätestens im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung der (Hauptsache-)Rechtsbehelf vorliegt, dessen aW wieder hergestellt werden kann; ebenso Stern/Blanke VerwPrR, Rn 599. 278 BVerwG, NVwZ 1998, 1070.
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b) Antragsbefugnis Das Aussetzungsverfahren folgt dem auf subjektiven Rechtsschutz angelegten generellen Konzept der VwGO. Der Antragsteller muss daher antragsbefugt sein. Die Antragsbefugnis entspricht der Klagebefugnis (→ § 22 Rn 36 ff); § 42 II VwGO gilt im Eilverfahren analog.279 Der Antragsteller muss demnach geltend machen können, durch die angegriffene Verwaltungsmaßnahme 280 möglicherweise in seinen Rechten verletzt zu sein. Es gelten insoweit die allgemeinen, nach § 42 II VwGO bestehenden Regeln (→ § 22 Rn 41 ff). Ein besonderer Prüfungsaufwand ist nur gefordert, wenn nicht der Adressat der Verwaltungsmaßnahme den Eilantrag gestellt hat. Beim VAmD ist anhand der Schutznormtheorie (→ § 22 Rn 41) zu ermitteln, ob die einschlägige Vorschrift drittschützende Wirkung hat.281 So muss zB im Baunachbarrecht der Nachbar als Antragsteller geltend machen können, durch die (sofort vollziehbare) Baugenehmigung in seinen Rechten verletzt zu sein.282 Ähnliches gilt im Immissionsschutzrecht beim Drittrechtsbehelf.283 Beim Eilantrag eines Naturschutzverbandes (vgl § 61 BNatSchG) können die Regeln zur Verbandsklage bei der Antragsbefugnis zur Anwendung gelangen.284 Ist eine Gemeinde bzw ein Landkreis Antragsteller im Aussetzungsverfahren, kann sich die Antragsbefugnis aus dem Recht der kommunalen Selbstverwaltung (Art 28 II 1 bzw 2 GG) ergeben.285 Fehlt die Antragsbefugnis, ist der Eilantrag unzulässig.
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In der Entscheidung zu Fall 20 hat der BayVGH den Eilantrag des Q für unzulässig erklärt. In entsprechender Anwendung des § 42 II VwGO sei Q nicht antragsbefugt, weil die zur Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis ermächtigende Norm 286 keinen Drittschutz vermittele, sondern nur ein objektiv-rechtliches Entscheidungsprogramm der (Straßenbau-) Behörde normiere. Auch aus Art 14 I GG vermochte der VGH die Antragsbefugnis des Q nicht herzuleiten, da der Anliegergebrauch im Straßenrecht abschließend geregelt sei und vorliegend die Verbindung des Grundstücks des Q von und zu der Straße nicht (merklich) beeinträchtigt sei.
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279 VGH BW, VBlBW 2000, 397, 398; BayVGH, UPR 2001, 38, 39; OVG Berlin, DVBl 2001, 1004, 1006; HessVGH, GewArch 1999, 38, 39 f; Hufen VerwPrR, § 32 Rn 34; Tettinger/Wahrendorf VerwPrR, § 24 Rn 6; Würtenberger VerwPrR, Rn 529. 280 Behördlich für sofort vollziehbar erklärter VA oder kraft Gesetzes sofort vollziehbarer VA oder VA, dessen AsV die Behörde ablehnt; es kommt auf die jeweilige Rechtsschutzkonstellation an (→ Rn 92). 281 Damit ist bisweilen ein nicht unerheblicher Prüfungsaufwand verbunden; vgl am Bspl der Drittanfechtung einer Apothekenbetriebserlaubnis für einen ausländischen Wettbewerber (DocMorris) OVG Saarland, NVwZ-RR 2008, 95, 97 f. 282 OVG Bbg, NVwZ-RR 1998, 484, 485. – Zum Nachbarschutz im Baurecht Schoch JURA 2004, 317 ff. 283 VGH BW, NVwZ 1998, 766, 767. 284 BVerwG, NVwZ 1998, 616. 285 HessVGH, NVwZ-RR 2005, 683, 684: bejaht für Eilantrag gegen luftverkehrsrechtliche Planung; NdsOVG, NVwZ-RR 2007, 121 = NdsVBl 2007, 19: verneint für Eilantrag gegen straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschluss mangels hinreichend bestimmter gemeindlicher Planung; ThürOVG, ThürVBl 2006, 152, 153: bejaht für Eilantrag gegen immissionsschutzrechtliche Genehmigung. 286 Die Vorschriften nach LStrG sind nachgewiesen → JK BayStrWG Art 18/3.
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c) Passive Verfahrensbefugnis 120
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Prozessual richtiger Antragsgegner ist im Aussetzungsverfahren analog § 78 VwGO diejenige Behörde bzw deren Rechtsträger, der bzw dem die AsV zuzurechnen ist.287 Das ist idR die Ausgangsbehörde bzw deren Rechtsträger.288 Es gelten grundsätzlich die allgemeinen Regeln (→ § 22 Rn 58 ff). Wird die AsV nicht von der Ausgangsbehörde, sondern von der (einem anderen Rechtsträger zuzuordnenden) Widerspruchsbehörde vorgenommen, soll verbreiteter Auffassung nach wegen der Akzessorietät des Aussetzungsverfahrens zum Hauptsacheverfahren gemäß § 79 I Nr 1 VwGO gleichwohl die Ausgangsbehörde bzw ihr Rechtsträger passiv verfahrensbefugt sein.289 Erkennt man indes die rechtliche Selbstständigkeit des Eilverfahrens, muss entsprechend § 78 II VwGO die Widerspruchsbehörde bzw ihr Rechtsträger als richtiger Antragsgegner erachtet werden.290 Enthält der Widerspruchsbescheid erstmalig eine selbstständige Beschwer mit der AsV und wendet sich der Antragsteller hiergegen, ist die Widerspruchsbehörde bzw deren Rechtsträger der richtige Antragsgegner291 (analog § 79 II iVm § 78 II VwGO).
d) Gerichtliche Zuständigkeit 122
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Zuständig für die Entscheidung über den Eilantrag ist das Gericht der Hauptsache (§ 80 V 1 VwGO). Folglich ist der Antrag vor Klageerhebung bei dem Gericht zu stellen, das zur Entscheidung über die künftige Klage zuständig wäre (→ § 21 Rn 133). Nach Klageerhebung ist der Eilantrag bei dem mit der Klage tatsächlich befassten Gericht zu stellen, auch wenn dessen Zuständigkeit objektiv nicht bestehen sollte. „Gericht der Hauptsache“ ist danach idR das örtlich zuständige VG (→ § 21 Rn 133). In den Fällen seiner erstinstanzlichen Zuständigkeit (§ 48 VwGO) ist das OVG/der VGH iSd § 80 V 1 VwGO zuständig; von praktischer Bedeutung ist diese Zuständigkeit im Eilverfahren insb bei Infrakstrukturvorhaben wie zB dem Ausbau eines Flughafens,292 der vorläufigen Besitzeinweisung im Rahmen eines Straßenbahnneubaus 293 oder der Errichtung und dem Betrieb einer Abfallverbrennungsanlage.294. Das BVerwG ist iSd § 80 V 1 VwGO „Gericht der Hauptsache“, wenn es erst- und letztinstanzlich zuständig ist. Das ist zunächst in den Konstellationen des § 50 I VwGO der Fall. Erhebliche praktische Bedeu-
287 Lorenz VerwPrR, § 28 Rn 48. 288 Hinweis: Hier kann sich ein Problem ergeben, wenn Maßnahmen des Landratsamts zuzuordnen sind. Handelt es nicht als Selbstverwaltungsbehörde des (Land-)Kreises, sondern als untere staatliche Behörde, ist Zurechnungssubjekt in den meisten Ländern das Land; vgl zB ThürOVG, LKV 2004, 286 = ThürVBl 2004, 141. Anders soll die Rechtslage in Sachsen sein; vgl SächsOVG, SächsVBl 1998, 67 und 188, 189. 289 VGH BW, NVwZ 1995, 1220 (1221); BayVGH, BayVBl 1988, 86; HessVGH, NVwZ 1990, 677; SächsOVG, SächsVBl 2001, 122, 123; Schenke VerwArch 91 (2000), 587, 608; ders VerwPrR, Rn 995. 290 VGH BW, DVBl 1987, 696, 697; OVG NRW, NJW 1995, 2242; Würtenberger VerwPrR, Rn 530 (§ 78 VwGO allerdings der Passivlegitimation zuordnend); w Nachw b Schoch in: ders/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 321. 291 HessVGH, NVwZ-RR 2005, 519. 292 HessVGH, NVwZ-RR 2005, 683. 293 ThürOVG, NVwZ-RR 1999, 488 = ThürVBl 1999, 230. 294 ThürOVG, ThürVBl 2006, 152, 153.
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tung hat sodann § 5 I VerkPBG;295 danach entscheidet das BVerwG im ersten und letzten Rechtszug über sämtliche Streitigkeiten, die Planfeststellungsverfahren und Plangenehmigungsverfahren für (Verkehrs-)Vorhaben in den neuen Ländern sowie Berlin (§ 1 VerkPBG) betreffen.296 Von Bedeutung ist schließlich § 50 I Nr 6 VwGO iVm dem Fachrecht; von der Möglichkeit zur Bestimmung der erst- und letztinstanzlichen Zuständigkeit des BVerwG bei Planfeststellungs- und Plangenehmigungsverfahren für bestimmte Verkehrsund Infrastrukturvorhaben ist erschöpfend Gebrauch gemacht worden.297 Über den beim zuständigen Gericht gestellten Eilantrag entscheidet der jeweilige Spruchkörper (Kammer, Senat, ggf Einzelrichter, vgl § 6 VwGO). In dringenden Fällen kann auch der Vorsitzende des Spruchkörpers allein entscheiden (§ 80 VIII VwGO). Mit dieser Regelung wird Fällen Rechnung getragen, in denen die Eilentscheidung unter großem Zeitdruck steht.298
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e) Antragsfrist Für den Eilantrag im Aussetzungsverfahren ist in § 80 V VwGO keine Frist vorgesehen. Der Antrag kann folglich in jeder Lage des Verfahrens bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit des VA gestellt werden.299 Insbesondere muss für die Inanspruchnahme gerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzes der Erlass des Widerspruchsbescheids (§ 73 VwGO) nicht abgewartet werden; nach § 80 V 2 VwGO ist der Eilantrag schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig.300 Antragsfristen sind allerdings verschiedentlich im einschlägigen Fachrecht vorgeschrieben. Im Asylrecht ist der Antrag nach § 80 V VwGO gegen die Abschiebungsandrohung in den Fällen der Unbeachtlichkeit und der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrags innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen (§ 36 III 1 AsylVfG); im Flughafenverfahren ist sogar eine Frist von nur drei Tagen vorgesehen (§ 18a IV 1 AsylVfG).301 Eine Monatsfrist für den Aussetzungsantrag besteht beim vorläufigen Rechtsschutz gegen Infrastrukturvorhaben, insbesondere im Verkehrsplanungsrecht,302 wobei der Eilantrag inner-
295 Sartorius III Nr 145. 296 Aus der Praxis dazu BVerwG, NVwZ 1993, 565; NVwZ 1994, 369; NVwZ 1994, 370; NVwZ 1994, 483; NVwZ 1998, 1178; DVBl 2005, 916 = NVwZ 2005, 943, 944; BVerwGE 123, 241, 242 f = DVBl 2005, 717 = NVwZ 2005, 689. 297 § 18e I AEG, § 17e I FStrG, § 14e I WaStrG, § 2d MagSchwebPG. 298 Praktisches Bsp: BVerwG, NVwZ-RR 1998, 489 (Nachtflugbeschränkung für Verkehrsflughafen). – Nach HessVGH, DVBl 2000, 1464 = NVwZ 2000, 1318 gilt § 80 VIII VwGO nur für das erstinstanzliche Verfahren und ist im Beschwerdeverfahren nicht entsprechend anwendbar; zweifelsfrei ist das nicht. 299 OVG MV, DÖV 2004, 213 = NVwZ-RR 2004, 212, 213; Külpmann in: Finkelnburg/Dombert/ ders, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 892. 300 Diese Vorschrift setzt den Regelfall des § 68 I 1 VwGO voraus; der Eilantrag ist zwar vor Erhebung der Anfechtungsklage, aber erst nach Einlegung des Widerspruchs zulässig, da es der Existenz eines Rechtsbehelfs bedarf, dessen aW „wieder“hergestellt (etc) werden kann (→ Rn 115). In den Fällen des § 68 I 2 VwGO ist der Eilantrag erst nach Klageerhebung zulässig (→ Rn 116). 301 Als verfassungsmäßig erachtet von BVerfGE 94, 166 (195 ff); vgl dazu Biermann JURA 1997, 522 ff. 302 Aus der Praxis dazu zB BVerwG NVwZ 1998, 616 u DVBl 2000, 916 = NVwZ 2000, 553 (Monatsfrist gemäß § 5 II 2 VerkPBG); VGH BW VBlBW 2000, 397 (Monatsfrist gemäß § 29 VI 3 PBefG); ThürOVG NVwZ-RR 1999, 488 = ThürVBl 1999, 230 (Monatsfrist gemäß § 29a VII 2 PBefG).
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halb dieser Monatsfrist auch begründet werden muss.303 Auf die Antragsfrist und die Begründungspflicht ist in der Rechtsbehelfsbelehrung hinzuweisen.304 Fehlt es an der ordnungsgemäßen Belehrung, beginnt die Monatsfrist nicht zu laufen und eine spätere Antragsbegründung ist nicht verfristet.305 4. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis 127
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Für den Eilantrag im Aussetzungsverfahren muss ein rechtlich schutzwürdiges Interesse bestehen. Davon ist im Regelfall auszugehen, wenn die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind. Gegenläufige Gesichtspunkte können konkrete Umstände im Einzelfall vermitteln. Die Rechtsprechung fragt beim Rechtsschutzinteresse danach, ob auf Grund der begehrten Eilentscheidung ein rechtlicher Vorteil des Antragstellers eintreten kann.306 Ist das nicht der Fall, ist der Antrag mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.307 Unabhängig von der Würdigung des Einzelfalls fehlt das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis nicht etwa deshalb, weil der Antragsteller vor der Anrufung des Gerichts nach § 80 V VwGO gemäß § 80 IV VwGO behördlichen vorläufigen Rechtsschutz beantragen müsste. § 80 VI VwGO macht deutlich, dass dies nur bei der Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten (§ 80 II 1 Nr 1 VwGO) der Fall ist. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass in den anderen Fällen des § 80 II VwGO das zuständige Gericht (ohne ein zuvor erfolglos durchgeführtes Verfahren nach § 80 IV VwGO) unmittelbar nach § 80 V VwGO angerufen werden kann.308 In seinem sachlichen Anwendungsbereich fungiert § 80 VI VwGO als Zugangsvoraussetzung.309 Danach handelt es sich bei dem erfolglosen Antrag auf AdV gemäß § 80 IV 303 § 17e II 2 u III 1 FStrG (Sartorius I Nr 932); § 29 VI 3 PBefG (Sartorius I Nr 950); § 18e II 2 u III 1 AEG (Sartorius I Nr 962); § 14e II 2 u III 1 WaStrG (Sartorius I Nr 971); § 10 VI 2 LuftVG (Sartorius ErgBd Nr 975); § 43e I 2 EnWG (Sartorius I Nr 830); § 5 II 2 VerkPBG. 304 § 17e II 3 u III 2 FStrG; § 18e II 3 u III 2 AEG; § 14e II 3 u III 2 WaStrG; § 10 VI 3 LuftVG; § 43e I 3 EnWG. 305 BVerwG, DVBl 2005, 916, 917 = NVwZ 2005, 943, 944. 306 BayVGH, BayVBl 2004, 468, 469: Eilantrag eines Sozialhilfeempfängers gegen Heranziehung zu gemeinnütziger Arbeit bzgl Zeitpunkt des VA-Erlasses wegen ansonsten drohender Kürzung der Sozialhilfe; OVG Bbg, LKV 2005, 413: Eilantrag gegen denkmalschutzrechtliche Anordnung trotz Vollzugs des VA wegen evtl Rückgängigmachung der Vollziehung und Unterbindung weiterer Vollstreckungsmaßnahmen. 307 OVG Bremen, NVwZ-RR 1999, 204 (beim isolierten Antrag auf WHaW des Widerspruchs gegen AsV einer Ausweisung, da der Ausländer wegen vollziehbarer Versagung einer Aufenthaltsgenehmigung ohnehin ausreisepflichtig war). – SächsOVG, SächsVBl 2001, 175, 178 (wegen bereits erfolgter Ausreise des Ausländers). – SächsOVG, LKV 1998, 202 = SächsVBl 1998, 64 (bei AOaW eines Widerspruchs gegen baurechtlichen Vorbescheid, da bei Anfechtung der Baugenehmigung der Inhalt des noch nicht bestandskräftig gewordenen Vorbescheids ohnehin zu überprüfen sei). – VGH BW, NVwZ-RR 2003, 333 (kein Rechtsschutzbedürfnis für Eilantrag gegen Zurückstellung eines Baugesuchs, da eigentliches Rechtsschutzziel die Erteilung der Baugenehmigung sei); dieser Entscheidung kann nicht gefolgt werden → Rn 25. 308 Erbguth JA 2008, 357, 360; Külpmann in: Finkelnburg/Dombert/ders, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 899; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn 182. 309 OVG Bln-Bbg, NVwZ 2006, 356; OVG MV, NVwZ-RR 2004, 797; OVG NRW, NVwZ-RR 2008, 594; SächsOVG, SächsVBl 2002, 272, 273; Külpmann in: Finkelnburg/Dombert/ders, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 895; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn 180; Schoch in: ders/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 343.
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VwGO nicht um eine bis zur gerichtlichen Eilentscheidung ggf nachholbare Sachentscheidungsvoraussetzung (→ § 21 Rn 11), vielmehr muss die Zulässigkeitsvoraussetzung bei Stellung des Eilantrags erfüllt sein. Die hiergegen nach Art 19 IV GG geltend gemachten Bedenken, wonach im Interesse einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle von Verwaltungsbehörden eine Nachholung des behördlichen Verfahrens nach § 80 VI 1 VwGO während des gerichtlichen Verfahrens zulässig sein müsse,310 überzeugt nicht. Art 19 IV GG verbietet lediglich Erschwernisse beim Zugang zum Gericht, die unzumutbar und aus Sachgründen nicht zu rechtfertigen sind. Davon kann bei § 80 VI VwGO keine Rede sein, wenn keine überspannten Anforderungen an das behördliche Aussetzungsverfahren gestellt werden;311 außerdem sind im Interesse des wirksamen Rechtsschutzes Ausnahmen vorgesehen (§ 80 VI 2 VwGO). In der Sache muss der von § 80 VI 1 VwGO geforderte Antrag auf AdV (§ 80 IV VwGO) nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB analog) als solcher erkennbar sein; ein Widerspruch gegen den VA, ein Antrag auf Stundung oder eine unspezifische Gegenäußerung zu einem Abgabenbescheid stellen keinen Antrag auf AdV dar.312 Die von § 80 VI 1 VwGO als gerichtliche Zugangsvoraussetzung ferner geforderte behördliche Ablehnung der beantragten AdV des Abgaben- oder Kostenbescheids muss unmissverständlich sein.313 Unter den Voraussetzungen des § 80 VI 2 VwGO braucht ein behördliches Aussetzungsverfahren vor Stellung des gerichtlichen Eilantrags ausnahmsweise nicht durchgeführt zu werden. Die beiden Ausnahmetatbestände stellen eine abschließende gesetzliche Regelung dar. Schwierigkeiten bereitet im Falle behördlicher Untätigkeit (§ 80 VI 2 Nr 1 VwGO) die Bestimmung der „angemessenen“ Frist. Auf § 75 VwGO kann nicht zurückgegriffen werden, da die Vorschrift in dem ganz anderen systematischen Regelungszusammenhang der Hauptsacheklage steht.314 Verschiedentlich wird mit Faustregeln operiert; genannt werden Fristen von einem Monat315 oder von vier Wochen.316 Derartige Leitlinien können allenfalls eine grobe Orientierung vermitteln; maßgebend für die „Angemessenheit“ der Frist iSd § 80 VI 2 Nr 1 VwGO sind immer die Umstände des Einzelfalles.317 Der zweite Ausnahmefall bezieht sich auf eine drohende Vollstreckung (§ 80 VI 2 Nr 2 VwGO). Dafür genügt es, wenn konkrete Vorbereitungshandlungen der Behörde (zB Ankündigungen, Mahnungen, Fristsetzungen) sichere Anzeichen für eine alsbaldige Durchsetzung des Abgaben- oder Kostenbescheids liefern.318 Nicht erforderlich ist die Einleitung der Verwaltungsvollstreckung.
310 BayVGH, NVwZ-RR 2009, 135 = BayVBl 2009, 116. 311 OVG NRW, NVwZ-RR 2008, 594, 595. 312 NdsOVG, NVwZ-RR 2008, 113, 114; Külpmann in: Finkelnburg/Dombert/ders, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 894; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn 181. 313 OVG Rh-Pf, DVBl 1999, 1001 = NVwZ-RR 1999, 810 verlangt sogar Schriftform; mit Recht abl dazu Clausing JuS 2000, 59, 63 f: Schriftform nicht vorgeschrieben. 314 OVG NRW, NVwZ-RR 2008, 594; SächsOVG, SächsVBl 2002, 272, 273; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn 181. 315 OVG Bln-Bbg, NVwZ 2006, 356; SächsOVG, SächsVBl 2002, 272, 273. 316 OVG MV, NVwZ-RR 2004, 797. 317 OVG NRW, NVwZ-RR 2008, 594, 595. 318 BayVGH, NVwZ-RR 1994, 127; BayVBl 2000, 724, 725; NVwZ-RR 2009, 135, 136; OVG Hamburg, NVwZ-RR 2007, 364, 365; NdsOVG, NVwZ-RR 2008, 113, 114; OVG Saarland, NVwZ 1993, 490, 491; OVG SH, NVwZ-RR 2006, 65 f.
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Beim VAmD ist auf Grund der entsprechenden Anwendung des § 80 VI VwGO gemäß § 80a III 2 VwGO umstritten, ob vor der Anrufung des zuständigen Gerichts ein Antrag auf AdV bei der Behörde erfolglos gestellt sein musste. Dafür wird angeführt, dass sich die gesetzliche Bezugnahme auf § 80 VI VwGO durch § 80a III 2 VwGO als eine im Rechtsschutzsystem beim VAmD (vor allem im Baunachbarrecht) sinnvolle Einfügung in die Regelungen des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80a I u II VwGO erweise; § 80a III 2 VwGO stelle eine Rechtsfolgenverweisung auf § 80 VI VwGO mit der Folge dar, dass der Dritte vorläufigen Rechtsschutz beim zuständigen Gericht erst dann beantragen könne, wenn die dort normierten Voraussetzungen erfüllt seien.319 Anhand der Entstehungsgeschichte des § 80 VI VwGO lässt sich indes unschwer belegen, dass der Verweis in § 80a III 2 VwGO auf § 80 VI VwGO ein Redaktionsversehen darstellt.320 Die hM zieht unter anderem daraus den Schluss, dass es sich bei § 80a III 2 VwGO bzgl des § 80 VI VwGO um eine Rechtsgrundverweisung handelt, so dass die erfolglose Anrufung der Behörde nur in den seltenen Fällen des VAmD in Abgaben- und Kostenangelegenheiten Zulässigkeitsvoraussetzung ist; beim VAmD bedarf es daher grundsätzlich keiner vorherigen Anrufung der Verwaltung, bevor der gerichtliche Eilantrag gestellt wird.321 In der Entscheidung zu Fall 9 bekräftigte das NdsOVG seine Auffassung, dass § 80a III 2 VwGO eine Rechtsfolgenverweisung auf § 80 VI VwGO darstelle. Indem der Gesetzgeber sein (vermeintliches) Redaktionsversehen trotz mehrerer Gelegenheiten nicht korrigiert habe, müsse der Schluss gezogen werden, dass die Verweisung des § 80a III 2 VwGO auf § 80 VI VwGO einen gesetzgeberischen Sinn haben müsse. In Fällen öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes sei es sinnvoll, der Bauaufsichtsbehörde – gerade bei Nutzungskonflikten – die Möglichkeit zur Korrektur einzuräumen, bevor das Gericht eingeschaltet werde. Danach war der gerichtliche Eilantrag des N mangels vorherigen Antrags bei der Behörde auf AdV des Bauvorbescheids unzulässig.
Demgegenüber erkannte das OVG Rh-Pf (unter Aufgabe seiner früheren gegenteiligen Rechtsauffassung) zutreffend in Fall 19, dass § 80a III 2 VwGO eine Rechtsgrundverweisung darstellt. Unabhängig von der Entstehungsgeschichte (→ Rn 131) bestätigten rechtssystematische Überlegungen den Befund. Da es sich in Bezug auf den VAmD bei der entsprechenden Anwendung von § 80 V 3 VwGO, § 80 VII 2 VwGO, § 80 VIII VwGO nach § 80a III 2 VwGO um Rechtsgrundverweisungen handele, könne auch die Inbezugnahme des § 80 VI VwGO nur eine Rechtsgrundverweisung sein. Der Eilantrag des E ist demnach zulässig.
319 OVG Bbg, LKV 1998, 489; NdsOVG, NVwZ-RR 2005, 69 = NdsVBl 2004, 339 = BauR 2004, 1596, 1597 → JK VwGO § 80a/5; NdsOVG, NVwZ 2007, 478; ThürOVG, ThürVBl 1995, 64. 320 Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80a Rn 75. 321 VGH BW, NVwZ 1995, 292; NVwZ 1998, 766, 767; OVG Bremen, NVwZ 1993, 592, 593; OVG Rh-Pf, DÖV 2004, 167 = NVwZ-RR 2004, 224 = BauR 2004, 59; ThürOVG, ThürVBl 2006, 152, 153; Hufen VerwPrR, § 32 Rn 34; Schenke VerwPrR, Rn 998; Tettinger/Wahrendorf VerwPrR, § 24 Rn 4; Külpmann in: Finkelnburg/Dombert/ders, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 1065; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80a Rn 18 f.
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VI. Begründetheit des Eilantrags im Aussetzungsverfahren Fall 21: Mit dem Pkw von F war es zu einem schweren Verkehrsverstoß gekommen. Der Fahrer konnte trotz aller behördlicher Anstrengungen nicht ermittelt werden. In dem gegen ihn eingeleiteten Ordnungswidrigkeitenverfahren verweigert F als Fahrzeughalter unter Hinweis auf sein Aussageverweigerungsrecht jede Aussage. Nun trifft die zuständige Behörde gegenüber F die Anordnung eines Fahrtenbuchs und ordnet mit ausführlicher Begründung unter Hinweis auf § 31a StVZO die sofortige Vollziehung der Fahrtenbuchauflage an. F legt Widerspruch ein und beantragt beim zuständigen VG die (Wieder-)Herstellung der aW, da sein Interesse, ein Fahrtenbuch nicht vor rechtskräftigem Abschluss des Hauptsacheverfahrens führen zu müssen, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Maßnahme überwiege.322
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Fall 22: Die zuständige Ausländerbehörde betreibt gegenüber Ausländer A die Abschiebung. Der Antrag von A auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis war abgelehnt, die Abschiebung angedroht worden. Über den Widerspruch ist noch nicht entschieden. Um 9 Uhr geht am heutigen Tage beim zuständigen VG mit Fax ein Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten von A ein; danach wurde A am frühen Morgen festgenommen, damit die Abschiebung um 11 Uhr vorgenommen werden kann. Wie wird das VG über den Antrag auf AOaW entscheiden? 323
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1. Problem der Maßstabsbildung Die Gewinnung der Sachentscheidung im Aussetzungsverfahren sieht sich im Ausgangspunkt mit der (rechtsstaatlich kaum erträglichen) Erkenntnis konfrontiert, dass das Gesetz – anders als zB § 113 I 1 VwGO bei der Anfechtungsklage – einen Entscheidungsmaßstab nicht benennt. Zutreffend wird in der Rechtsprechung konstatiert, dass „weder § 80a VwGO noch § 80 V VwGO die Maßstäbe bestimmen, nach denen das Gericht über die Aussetzung der sofortigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsaktes zu befinden hat“.324 Einigkeit besteht nur darin, dass in den Fällen des § 80 II 1 Nr 1 VwGO die gerichtliche Eilentscheidung analog § 80 IV 3 VwGO zu treffen ist.325 Umstritten ist allerdings, wann „ernstliche Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen VA bestehen. Nach hM müssen die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage wahrscheinlicher sein als der mögliche
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Fall nach VGH BW, DÖV 1998, 298 = VBlBW 1998, 189. Fall in Anlehnung an HessVGH, DVBl 2000, 1464 = NVwZ 2000, 1318. OVG Saarland, NVwZ 1999, 1006, 1007. VGH BW, VBlBW 1993, 257; VBlBW 2004, 352, 353; BayVGH, NVwZ-RR 1995, 111; OVG Berlin, NVwZ-RR 1995, 433, 435; NVwZ-RR 2005, 304, 305; OVG Bln-Bbg, NVwZ 2006, 356; OVG Bbg, LKV 2004, 330 u 474, 475; OVG Hamburg, NVwZ-RR 2007, 364, 365; HessVGH, NVwZ-RR 1998, 199; NVwZ-RR 2007, 554; OVG MV, NVwZ-RR 2000, 822, 823; LKV 2004, 557; OVG NRW, NVwZ-RR 1993, 269, 270; NVwZ-RR 2005, 450 u 451; NVwZ-RR 2008, 594, 595; OVG Rh-Pf, NVwZ 1996, 90, 91; OVG Saarland, NVwZ 1998, 1324; OVG LSA, NVwZRR 1999, 668; LKV 2005, 456, 457; NJW 2008, 3304, 3305; OVG SH, NVwZ-RR 2006, 65, 66; ThürOVG, ThürVBl 1999, 192, 193; ThürVBl 2004, 73; NVwZ-RR 2004, 393.
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5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
Misserfolg.326 Nach der zutreffenden 327 Gegenauffassung bestehen „ernstliche Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit des VA bereits dann, wenn ein Erfolg der Hauptsacheklage ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg.328
a) Interessenabwägung mit (summarischer) Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache 136
Die hM behauptet, dass das Gericht im Verfahren nach § 80 V VwGO eine Ermessensentscheidung zu treffen habe.329 Gefordert sei eine „originäre“ 330 bzw eine „eigenständige“ 331 gerichtliche Eilentscheidung. Infolgedessen gehe es um eine Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug des angegriffenen VA und dem privaten Interesse des Antragstellers, von der sofortigen Vollziehung vorerst (dh bis zur rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung) verschont zu bleiben; dabei komme es maßgeblich auf die Erfolgsaussicht des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs an.332 In der Praxis wird insoweit von der „nur möglichen“ 333 bzw „gebotenen“ 334 summarischen Prüfung der Er-
326 OVG Berlin, NVwZ-RR 2002, 306; NVwZ-RR 2005, 304, 305; OVG Bln-Bbg, NVwZ 2006, 356; OVG Bbg, NVwZ-RR 2001, 485; LKV 2004, 330 u 474, 475; HessVGH, DVBl 2000, 1700; OVG NRW, NWVBl 1998, 359; NVwZ-RR 2005, 450 u 451; NVwZ-RR 2008, 594, 595; SächsOVG, LKV 2004, 30; SächsVBl 2004, 242, 243 u 253, 255; OVG LSA, NJW 2008, 3304, 3306; ThürOVG, LKV 1999, 70, 71 = ThürVBl 1998, 184, 185 f; ThürVBl 2004, 73 u 184, 186; NVwZ-RR 2004, 393. 327 Vgl zur Begründung Kraus ThürVBl 2003, 176 ff; Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 194 ff. 328 NdsOVG, NVwZ-RR 1998, 582; OVG SH, NVwZ-RR 2008, 561, 562; Lorenz VerwPrR, § 28 Rn 55 iVm Rn 41; Schenke VerwPrR, Rn 1001. 329 VGH BW, VBlBW 1999, 462; BayVGH, NVwZ-RR 2000, 815; BayVBl 2000, 724; BayVBl 2005, 472; OVG Berlin, NVwZ 1990, 681; NVwZ-RR 2001, 611; OVG Hamburg, NVwZ 1990, 591; HessVGH, NVwZ 1991, 88, 89; OVG MV, LKV 1995, 254; NdsOVG, NJW 2002, 2236, 2237; OVG NRW, NWVBl 1994, 424, 425; OVG Saarland, NJW 2004, 2033; SächsOVG, SächsVBl 1998, 35; OVG LSA, NJW 1999, 2982; ThürOVG, LKV 1999, 70, 71 = ThürVBl 1998, 184, 185; ThürVBl 2004, 184, 186; ThürVBl 2006, 152, 154; Külpmann in: Finkelnburg/Dombert/ders, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 1066. 330 BayVGH, BayVBl 1999, 373, 374 u DVBl 1999, 624, 625; OVG MV, NVwZ-RR 2000, 559. 331 OVG Berlin, NVwZ-RR 2001, 611. 332 VGH BW, VBlBW 2001, 327; VBlBW 2006, 282 f; BayVGH, NVwZ 2000, 222; BayVBl 2000, 724; NVwZ-RR 2000, 815; NVwZ 2002, 1268; NVwZ 2006, 1306; BayVBl 2007, 567; OVG Berlin, LKV 2002, 183; NVwZ 2002, 489, 490; OVG Bremen, NJW 2003, 1962, 1963; NVwZ-RR 2006, 643, 644; HessVGH, NVwZ 2000, 98, 99; NdsOVG, NVwZ-RR 2002, 645 = NdsVBl 2002, 330; NdsVBl 2003, 301, 302; OVG NRW, NJW 1997, 1596; NVwZ 1999, 1246; NVwZ 2001, 820; NWVBl 2004, 273, 274; OVG Rh-Pf, NJW 2003, 3793, 3794; SächsOVG, LKV 1998, 455 456; OVG LSA, NJW 1999, 2982; LKV 2005, 456, 457; NVwZ 2009, 340 (341); ThürOVG, LKV 2000, 117, 118; ThürVBl 2004, 73; NVwZ-RR 2004, 393. 333 VGH BW, VBlBW 1997, 230, 231; VBlBW 1998, 112; BayVGH, NVwZ-RR 2009, 202, 203; OVG Berlin, LKV 2002, 183; NVwZ 2002, 489, 490; OVG NRW, NVwZ-RR 2004, 408, 409; OVG Saarland, NVwZ 2003, 1004, 1005; ThürOVG, NVwZ-RR 2004, 393. – Noch pointierter OVG NRW, NVwZ 1998, 980 = NWVBl 1999, 18, 19: allein mögliche und gebotene summarische Prüfung; ebenso zB VGH BW, VBlBW 2006, 352; NVwZ-RR, 2007, 277, 279; NdsOVG, NVwZ 2008, 802; OVG Rh-Pf, NVwZ-RR 2005, 621, 622; OVG Saarland, NVwZ-RR 2008, 95, 101; SächsOVG, SächsVBl 1998, 292, 293; SächsVBl 2005, 148 (149); ThürOVG, LKV 2000, 117, 118. 334 VGH BW, VBlBW 2003, 358, 359; BayVGH, BayVBl 2005, 565; OVG Bln-Bbg, EuZW 2006, 91, 92 → JK EGV Art 87 I/2; OVG Bremen, NJW 2000, 2438; NVwZ-RR 2006, 643, 644; Hess-
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folgsaussichten in der Hauptsache gesprochen.335 Tatsächlich erfolgt jedoch idR eine umfassende und nicht etwa eine nur oberflächliche Überprüfung in rechtlicher Hinsicht; die Sachverhaltsfeststellung mag bei besonders eilbedürftigen Entscheidungen lediglich „summarisch“ erfolgen können.336 Führt die „summarische Prüfung“ zu keinem eindeutigen Ergebnis, operiert die hM mit diversen Hilfskonstruktionen. Verbreiteter Auffassung nach soll es in der rechtlichen „Pattsituation“ auf Grund des Regel-Ausnahme-Verhältnisses zwischen aW (§ 80 I VwGO) und sofortiger Vollziehbarkeit des VA (§ 80 II VwGO) im Zweifel bei der aW bleiben; zur Verhinderung faktischer Irreparabilitäten sei die WHaW angezeigt.337 Teilweise wird dieser Gedanke auf die AOaW übertragen; 338 dem wird allerdings mit der Erwägung widersprochen, dass in den Fällen des § 80 II 1 Nr 1 bis 3 VwGO das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgedreht sei, so dass es im Zweifel bei der gesetzlich vorgesehenen sofortigen Vollziehbarkeit des VA bleiben müsse.339 Wieder andere Entscheidungen plädieren bei offener Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs für eine umfassende Abwägung der gegenläufigen Interessen (vorläufiges Verschonungsinteresse des Antragstellers versus öffentliches Interesse am Sofortvollzug des VA).340 Teilweise wird gefordert, diese Abwägung müsse nach dem vom BVerfG (verbal) zu § 32 BVerfGG praktizierten Modell der sog Doppelhypothese (Folgenabwägung) (→ § 19 Rn 35) vorgenommen werden.341 Wenig hilfreich sind die auf der Grundlage des Art 19 IV 1 GG vorgenommenen verfassungsgerichtlichen „Handreichungen“. Die Entscheidungsfindung nach § 80 V VwGO im Wege einer Interessenabwägung, bei der die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (maßgeblich) mitberücksichtigt werden, hat das BVerfG ausdrücklich für verfassungsmäßig erklärt.342 Drohen durch den behördlichen Sofortvollzug irreparable Maßnahmen, soll im Aussetzungsverfahren eine materiell-akzessorische Prüfung angezeigt
335
336 337 338 339 340
341 342
VGH, NVwZ-RR 1998, 463; NVwZ 2000, 98, 99; OVG MV, NVwZ-RR 2000, 63; LKV 2004, 557; OVG NRW, NWVBl 2004, 307, 308; OVG Saarland, NVwZ-RR 2008, 95, 97; SächsOVG, LKV 1998, 455, 456; SächsVBl 2005, 148, 149; OVG LSA, NVwZ-RR 2008, 817, 818; ThürOVG, ThürVBl 2006, 152, 154; ThürVBl 2007, 81. Anders das OVG Bbg, das als Maßstab der Entscheidung nach § 80 V VwGO eine „umfassende Interessenabwägung“ propagiert und in diesem Rahmen auch der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des VA, der vollzogen werden soll, Bedeutung beimisst, „allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte“; so OVG Bbg, NJW 1998, 3513; LKV 2000, 163; LKV 2001, 172, 173; NVwZ-RR 2004, 844; die Rechtmäßigkeit bzw Rechtswidrigkeit des VA ebenfalls als bloßen „Abwägungsbelang“ anerkennend OVG SH, GewArch 2005, 37, 38. Vgl zum Konzept der „summarischen Prüfung“ Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 274 ff. OVG Berlin, NVwZ-RR 2001, 229; OVG NRW, NVwZ 1999, 1246; OVG Rh-Pf, NVwZ-RR 2005, 621, 622; OVG Saarland, NVwZ-RR 1998, 636, 637. BVerwG, NVwZ-RR 1998, 289, 290; VGH BW, NVwZ-RR 2001, 605. BVerwG, NVwZ 1998, 1070, 1071; NVwZ 1999, 535, 538; VGH BW, VBlBW 1995, 237, 238. BVerwGE 123, 241, 244 f = DVBl 2005, 717 f = NVwZ 2005, 689, 690; VGH BW, NVwZ-RR 2005, 472 = VBlBW 2004, 378, 379; NdsOVG, NVwZ-RR 2008, 483, 484; OVG NRW, NVwZRR 2000, 804; SächsOVG, SächsVBl 1998, 292, 296. VGH BW, NVwZ-RR 2003, 103 (104); NdsOVG, NVwZ-RR 2001, 362, 363 f; OVG SH, NVwZRR 1993, 408, 409. BVerfG-K, DVBl 1996, 1369 = NJW 1997, 1062 f; BVerfG-K, DVBl 1999, 163, 165; NJW 2004, 2297, 2298; NVwZ 2009, 582, 583.
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sein: soweit möglich Überprüfung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen VA, nur im Übrigen „sorgsame Interessenabwägung“.343 Im „Normalfall“ des Eilverfahrens soll jedoch eine umfassende rechtliche Prüfung der Hauptsache unterbleiben, vorläufiger Rechtsschutz sei „auf der Grundlage einer Abwägung der öffentlichen und der jeweils beteiligten privaten Interessen zu gewähren“.344 Andererseits meint das BVerfG, nach Art 19 IV GG hätten die Verwaltungsgerichte – sowohl im Aussetzungsverfahren als auch im Verfahren der eAO – eine Art Wahlrecht; sie könnten ihre Eilentscheidung entweder an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen oder an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache ausrichten.345 Ausdrücklich hat das Gericht erklärt, es sei grundsätzlich mit Art 19 IV GG zu vereinbaren, wenn im Verfahren nach § 80 V VwGO die Rechtmäßigkeit des zu Grunde liegenden VA nur einer summarischen Prüfung unterzogen werde und bei offenem Ergebnis dieser Prüfung die gerichtliche Eilentscheidung auf der Grundlage einer Interessenabwägung getroffen werde.346 Dem steht in gewisser Weise die These entgegen, die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache könne untunlich sein; würde die Eilentscheidung bei materiell-akzessorischer Prüfung erheblich verzögert, könne nach Maßgabe einer Folgenabwägung entschieden werden.347 Verschiedentlich wird die Folgenabwägung zusätzlich zur Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache eingefordert.348 – Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung bleibt unklar, ob und ggf welche verfassungsrechtlichen Anforderungen zum Entscheidungsmaßstab im Aussetzungsverfahren bestehen.
b) Kritik an Beliebigkeit und Dezisionismus 139
Streitgegenstand des Aussetzungsverfahrens ist die „sofortige Vollziehbarkeit“ eines „Verwaltungsakts“.349 Beide Maßnahmen ergehen nach rechtlichen Vorgaben: der VA nach Maßgabe des einschlägigen materiellen Rechts, die sofortige Vollziehbarkeit auf Grund Gesetzes (§ 80 II 1 Nr 1 bis 3 VwGO) oder durch behördliche AsV (§ 80 II 1 Nr 4, III VwGO). Folglich ist die Entscheidung im Aussetzungsverfahren rechtlich determiniert, sie ergeht als Rechtsentscheidung (und nicht etwa als gerichtliche Ermessensentscheidung).350 Sie teilt die Rechtsnatur der Eilentscheidung nach § 123 VwGO, die unstreitig eine Rechtsentscheidung des Gerichts darstellt.351 Dieses einheitliche Verständnis verhindert die merkwürdig anmutende Metamorphose der – angeblichen – gerichtlichen Ermessensentscheidung (§ 80 V VwGO) zur Rechtsentscheidung (§ 123 I VwGO) durch bloße Änderungen im Verwaltungsverfahrensrecht.352
343 344 345 346 347 348 349 350 351 352
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BVerfG-K, NVwZ 1998, 834, 835. BVerfG-K, NVwZ-RR 1999, 217, 218. BVerfG-K, DVBl 1996, 1367, 1368 = NVwZ 1997, 479, 480. BVerfG-K, DVBl 2007, 901, 903 = NVwZ 2007, 1176, 1177; DVBl 2008, 1056, 1057 = NVwZRR 2008, 657, 658. BVerfG-K, NVwZ-RR 2001, 694, 695. BVerfG-K, NJW 2003, 3617; NVwZ 2007, 946, 947. NdsOVG, NVwZ-RR 2004, 170. Würtenberger VerwPrR, Rn 532 Fn 89; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn 138. Vgl Nachw b Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn 132. Das bedeutsamste Bsp ist der zunehmende Verzicht auf die Baugenehmigung für bestimmte Vorhaben nach der LBO, so dass sich durch diese verfahrensrechtliche Änderung bei gleichbleibender materieller Rechtslage der vorläufige Rechtsschutz des Nachbarn von §§ 80, 80a zu § 123 VwGO verschiebt; vgl Martini DVBl 2001, 1488, 1495; ferner → Rn 24.
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Ist die Eilentscheidung im Aussetzungsverfahren demnach rechtlich determiniert, hat sie nicht auf Grund einer „Interessen“abwägung zu erfolgen, sondern nach Maßgabe eines rechtlichen Prüfprogramms. Dies ist auch von Art 19 IV 1 GG gefordert. Diese Vorschrift, der § 80 V VwGO verpflichtet ist (→ Rn 81), gebietet den Schutz von Rechten und nicht denjenigen von (auch außerrechtlichen?) „Interessen“.353 Effektiv ist nur der vorläufige Rechtsschutz, der „auf eine der Wahrheit möglichst nahe kommende Entscheidung ausgerichtet ist“; die rechtliche Wahrheit ergibt sich indes aus dem einschlägigen Recht, während eine von der Rechtmäßigkeit des angegriffenen VA „losgelöste allgemeine Interessenabwägung nach § 80 V … die Gefahr einer schlichten Zumutbarkeitsentscheidung“ in sich birgt.354 Hinzu kommt, dass die Eilentscheidung nicht nur eine Offenhaltefunktion in Bezug auf das Hauptsacheverfahren erfüllt, sondern bis zur endgültigen Hauptsacheentscheidung als Zwischenregelung eine – notwendigerweise – endgültige Interimsentscheidung trifft (interimistische Befriedungsfunktion).355 Diese kann schon wegen der richterlichen Gesetzesbindung (Art 20 III, 97 I GG) nur nach Maßgabe des materiellen Rechts ergehen.356 Oder sollte die materielle Rechtslage vorübergehend außer Kraft gesetzt sein und durch eine richterliche „Interessen“abwägung ersetzt werden? Dass die Verwaltungsrechtsprechung entgegen ihren verbalen Bekundungen eine eigene Ermessensentscheidung idR praktisch nicht trifft, sondern eine (summarische) Prüfung der Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs am Maßstab des einschlägigen Rechts vornimmt, zeigt sich in den Fallgestaltungen mit behördlichen Ermessensfehlern. Die Rechtsprechung ersetzt nicht etwa das fehlerhaft ausgeübte Verwaltungsermessen durch eine richterliche Ermessensentscheidung, sondern lehnt dies ausdrücklich ab und konzentriert sich auf die rechtliche Kontrolle der Ermessensgrenzen der Verwaltung.357 Auch die gerichtlich zugelassene Ergänzung von (unzureichenden) behördlichen Ermessenserwägungen analog § 114 S 2 VwGO im Eilverfahren nach § 80 V VwGO 358 zeigt, dass das Gericht keine „eigene Ermessensentscheidung“ trifft; andernfalls müsste die behördliche Ermessensbefugnis nicht respektiert werden. Im Ergebnis führt der behördliche Ermessensfehler zum Erfolg des Eilantrags.359
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2. Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung im zweiseitigen Rechtsverhältnis Führt man die in § 80 VwGO angelegten und Art 19 IV 1 GG geschuldeten Systemelemente zusammen, entsteht – zunächst für den „Normalfall“ der Aussetzungsentscheidung gemäß § 80 V 1 VwGO – ein rechtlich klar strukturierter und praktisch handhabbarer Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab. Aus systematischen Gründen ist zwischen der WHaW und der AOaW zu unterscheiden.
353 354 355 356 357 358 359
Mampel DVBl 1997, 1155, 1157. So treffend OVG NRW NVwZ 2001, 820 f. Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 80 Rn 36 ff. Mampel BauR 2000, 1817 (1820). Vgl zB VGH BW VBlBW 1998, 186 (188); OVG NRW BauR 1995, 528 (530). NdsOVG NVwZ-RR 2008, 776 = NordÖR 2008, 231 → JK VwGO § 114/3. Vgl etwa OVG NRW, NJW 1998, 329 (330).
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5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
a) Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung 143
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Ausgangspunkt ist die unbestrittene Erkenntnis, dass am Vollzug eines rechtswidrigen VA ein „öffentliches Interesse“ (im Rechtssinne) nicht anzuerkennen ist.360 Infolgedessen besteht – in der Perspektive des Eilverfahrens gesprochen – an der sofortigen Vollziehbarkeit eines wahrscheinlich rechtswidrigen VA ein „öffentliches Interesse“ (vgl § 80 II 1 Nr 4 VwGO) nicht. Ist die Rechtmäßigkeit des zur Vollziehung anstehenden VA ernstlich zweifelhaft, kann ein „öffentliches Interesse“ an der sofortigen Vollziehbarkeit des VA nicht bejaht werden. Von daher erklärt es sich, wenn in der Praxis iRd § 80 V 1 VwGO als Maßstab vermehrt § 80 IV 3 VwGO entsprechend angewendet wird.361 Da auch der vorläufige Rechtsschutz subjektivrechtlich ausgestaltet ist, müsste allerdings nicht nur nach der (wahrscheinlichen) objektiven Rechtswidrigkeit des VA gefragt werden, sondern nach der Erfolgsaussicht des Antragstellers im Hauptsacheverfahren.362 Dieser Ansatz deckt sich mit der seitens der hM im Rahmen der – vermeintlichen – Interessenabwägung vorgenommenen materiell-akzessorischen Prüfung (→ Rn 136, 141). Mit der im Eilverfahren gewonnenen Erkenntnis zur wahrscheinlichen Rechtmäßigkeit des VA und der zu prognostizierenden fehlenden Erfolgsaussicht in der Hauptsache ist eine notwendige, aber noch nicht hinreichende Bedingung für die gerichtliche Bestätigung der behördlichen AsV erfüllt. Hinzu kommen muss materiell das besondere Interesse gerade an der sofortigen Vollziehung des VA (vgl § 80 III 1 VwGO). Dieses Dringlichkeitsinteresse (→ Rn 70) hat das Gericht (selbstverständlich ohne Bindung an behördliche Erwägungen) selbstständig zu ermitteln; 363 hier mögen rechtsdogmatisch Elemente der Abwägung die Entscheidungsfindung steuern. Zur formellen Rechtmäßigkeit der AsV hat das Gericht zu prüfen, ob die AsV von der zuständigen Behörde (§ 80 II 1 Nr 4 VwGO → Rn 63) mit der notwendigen Begründung (§ 80 III 1 VwGO → Rn 65 ff) besonders angeordnet worden ist. Eine formell rechtswidrige AsV führt ohne weiteres zum Erfolg des Eilantrags (→ Rn 67). Danach besteht ein dreiaktiger Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab: (1) Zunächst muss die formelle Rechtmäßigkeit der AsV gegeben sein. Ist das nicht der Fall, ist der Eilantrag begründet. (2) Bei formeller Rechtmäßigkeit der AsV ist die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs zu beurteilen. Kernelement dieses Prüfungsabschnitts ist die Untersuchung der Rechtmäßigkeit des mit dem Eilantrag angegriffenen VA. Wird er als rechtswidrig erachtet und dem Hauptsacherechtsbehelf auf Grund der dadurch zu prognostizierenden Rechtsverletzung des Antragstellers Erfolgsaussicht attestiert, nimmt das Gericht die WHaW vor. (3) Ist der VA rechtmäßig und eine Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs nicht gegeben, muss anhand der konkreten Umstände des Falles das Dringlichkeitsinteresse
360 OVG Bln-Bbg, EuZW 2006, 91 (92) → JK EGV Art 87 I/2; OVG Berlin, LKV 2005, 413 (414); Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn 158 (mit Einschränkung bzgl formeller Rechtswidrigkeit des VA). 361 VGH BW, VBlBW 1997, 230, 231; OVG MV, NVwZ-RR 2000, 559; OVG Saarland, NVwZ 1999, 1006, 1008; NVwZ-RR 2006, 756; ferner zB Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn 158; w umfangr Nachw bei Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 266; abl Schenke, VBlBW 2000, 56, 57. 362 Külpmann in: Finkelnburg/Dombert/ders, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 967. 363 OVG NRW, NWVBl 2004, 273, 276.
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gerade an der sofortigen Vollziehung des VA ermittelt werden. Wird dieses öffentliche Interesse verneint, weil keine Eilbedürftigkeit bei der Verwirklichung des VA besteht und der Vollzug daher aufgeschoben werden kann, nimmt das Gericht die WHaW vor. Besteht das Dringlichkeitsinteresse, ist der Eilantrag unbegründet. In der Fallbearbeitung in Studium und Examen stellt sich angesichts eines feststehenden Sachverhalts die Frage einer nur „summarischen Prüfung“ nicht. Die Prüfungsschritte (1) und (2) fordern eine umfassende und gründliche Prüfung mit einem jeweils eindeutigen (Zwischen-)Ergebnis; für eine „Interessenabwägung“ ist kein Raum. Der letzte Prüfungsschritt (3) verlangt ebenfalls die Beantwortung einer Rechtsfrage; methodisch mag die Ermittlung des Dringlichkeitsinteresses infolge der Erwägungen „Für und Wider“ als Abwägung tituliert werden. Liegen die Voraussetzungen für die WHaW vor, muss das Gericht sie vornehmen; zum „Ob“ des vorläufigen Rechtsschutzes gibt es kein gerichtliches Ermessen, allenfalls beim Entscheidungsinhalt bestehen richterliche Gestaltungsbefugnisse (§ 80 V 4 und 5 VwGO → Rn 166).
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b) Anordnung der aufschiebenden Wirkung In den Fällen des § 80 II 1 Nr 1 bis 3 VwGO entfällt die Notwendigkeit einer behördlichen AsV, weil der Grundsatz der aW (§ 80 I VwGO) bereits kraft Gesetzes überwunden ist. Damit muss das Dringlichkeitsinteresse nicht (mehr) im Einzelfall besonders nachgewiesen werden. Die typologisch an bestimmten Sachbereichen ausgerichtete generelle gesetzliche Bewertung des Interesses am Sofortvollzug einer Maßnahme erlaubt aber keine Rückschlüsse auf den materiellen Entscheidungsmaßstab und die konkrete Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen VA.364 Denn in Bezug auf das materiell-akzessorische Element im Prüfprogramm macht es keinen Unterschied, ob die – zusätzlich und separat zu ermittelnde – besondere Dringlichkeit kraft Gesetzes angenommen oder kraft behördlicher Entscheidung begründet wird.365 Die generelle gesetzliche Bejahung eines Dringlichkeitsinteresses beim Vollzug von VA in bestimmten Sachbereichen stellt keine materielle Bewertung konfligierender Rechtspositionen dar.366 Bei der AOaW (§ 80 V 1 VwGO) kommt es auf die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs an; diese ist sorgfältig am Maßstab des einschlägigen (Sach-)Rechts zu ermitteln.
147
c) Verfassungsrechtliche und europarechtliche Besonderheiten Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines VA und damit die Prognose der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs können sich mitunter anhand ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des dem VA zu Grunde liegenden Gesetzes ergeben. Bleibt es bei bloßen Zweifeln, kommt das Verfahren der konkreten Normenkontrolle schon deshalb nicht in Betracht, weil Art 100 I GG die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm voraussetzt (→ § 16 Rn 58). Sollte ein Gericht im Eilverfahren jene Überzeugung gewinnen, gebührt Art 19 IV 1 GG im Konflikt mit Art 100 I GG wegen des Zeitauf-
364 Mindestens missverständlich BVerwG, NVwZ 1998, 1178; NVwZ-RR 1999, 554; NVwZ-RR 2000, 441, 442; BVerwGE 123, 241, 245 = DVBl 2005, 717, 718 = NVwZ 2005, 689, 690; OVG Bbg, NVwZ-RR 1998, 484, 485; NVwZ-RR 1999, 146. 365 BVerfG-K, DVBl 1999, 163, 165. 366 VGH BW, DVBl 1999, 176, 177; OVG NRW, NVwZ 1998, 980 = NWVBl 1999, 18, 19; ThürOVG, LKV 2000, 360, 361; Erbguth JA 2008, 357, 361.
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wands für das Normenkontrollverfahren und der Gefahr eines daher wirkungslosen vorläufigen Rechtsschutzes der relative Vorrang.367 Das nach § 80 V 1 VwGO zuständige Gericht bezieht die ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der den VA tragenden Gesetzesbestimmung in die Entscheidungsfindung ein. Bei Sachverhalten mit Gemeinschaftsrechtsbezug 368 kann die Rechtmäßigkeit eines VA deshalb erheblichen Zweifeln ausgesetzt sein, weil die Gültigkeit des dem VA zu Grunde liegenden sekundären Gemeinschaftsrechts (zB EG-Verordnung) zweifelhaft ist. Nach den Vorgaben des EuGH (zu einem Aussetzungsverfahren nach § 69 III FGO) darf das nationale Gericht die Vollziehung des VA nur aussetzen, wenn • es erhebliche Zweifel an der Gültigkeit des sekundären EG-Rechts hat, • die Frage dieser Gültigkeit dem EuGH, soweit dieser noch nicht damit befasst ist, vorlegt, • die Eilentscheidung dringlich ist und dem Antragsteller ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden droht • und wenn das Gericht das Interesse der EG angemessen berücksichtigt.369 Die Dekretierung dieser Kriterien, die der EuGH im Kern seiner Rechts- und Verfahrensordnung entnommen hat 370, unterliegt durchgreifenden kompetenzrechtlichen Bedenken.371 Für die Praxis muss man allerdings sehen, dass der EuGH diese Vorgaben auf § 123 VwGO ausgedehnt hat (→ § 30 Rn 49). Die Rechtsprechung folgt den Vorgaben des EuGH.372 Eine Vorlagepflicht nach Art 234 III EGV (267 III AEUV) besteht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich nicht.373 Dies gilt selbst dann, wenn die Eilentscheidung nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann (vgl § 152 VwGO).374 Zur Gewährleistung des Entscheidungsmonopols des EuGH bzgl der Gültigkeit sekundären Gemeinschaftsrechts (Art 220, 234 EGV; 267 AEUV) ist es ausreichend, dass der Rechtsschutzsuchende die Möglichkeit hat, ein Hauptsacheverfahren einzuleiten, in dem die im Eilverfahren vorläufig entschiedene Frage des EG-Rechts erneut geprüft wird und Gegenstand einer Vorlage nach Art 234 EGV (267 AEUV) sein kann.375 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht für den Fall, dass ein nationales Gericht die AdV eines auf sekundärem Gemeinschaftsrecht beruhenden nationalen VA mit der Erwägung anordnen will, das EG-Recht sei ungültig (→ Rn 149). In diesem Fall besteht die Pflicht, den EuGH um Vorabentscheidung über die Gültigkeit des Gemeinschaftsrechtsaktes zu ersuchen.376
367 Schenke VerwPrR, Rn 1004. 368 Vgl dazu Fallbearbeitung von Herbst JURA 2000, 586 ff. 369 EuGH, Slg 1991, I-532 = DVBl 1991, 480 = NVwZ 1991, 460 = JZ 1992, 36 (m Anm Gornig) Tz 33; bestätigt durch EuGH, Slg 2005, I-10423 = EWS 2006, 73 Tz 104; EuGH, Slg 2007, I2271 = NJW 2007, 3555 = EuZW 2007, 247 Tz 79 → JK EUV Art 6 II/2. 370 Art 242 EGV (278 AEUV), Art 83 EuGH-VfO (→ § 12 Rn 44 ff). 371 Schoch DVBl 1997, 289 ff; Sandner DVBl 1998, 262 ff; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn 18; verhaltenere Kritik bei Hauser VBlBW 2000, 377, 382 ff; aA Jannasch NVwZ 1999, 495, 500 f; Külpmann in: Finkelnburg/Dombert/ders, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 953 ff. 372 OVG Bln-Bbg, EuZW 2006, 91, 93 f → JK EGV Art 87 I/2. 373 EuGH, Slg 1977, 957 Tz 6; EuGH, Slg 1982, 3723 Tz 10. 374 BVerfG-K, NVwZ 2005, 1303; VGH BW, VBlBW 2006, 27, 32; OVG Saarland, NVwZ-RR 2008, 95, 96. 375 BVerfG-K, NJW 2007, 1521, 1522 → JK GG Art 19 IV/29. 376 EuGH, Slg 1997, I-4517 = EuZW 1997, 629 Tz 50.
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In Fall 21 hatte die zuständige Behörde die AsV der Fahrtenbuchauflage ordnungsgemäß begründet (§ 80 III 1 VwGO). In der Sache war die Anordnung des Fahrtenbuches rechtmäßig, da die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war (§ 31a StVZO). Das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des VA durfte als Maßnahme des Gefahrenabwehrrechts mit dem Interesse am Erlass des VA zusammenfallen (→ Rn 72). Der Eilantrag war unbegründet.
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In Fall 18 waren die Ordnungs-(Polizei-)Verfügung und die AsV rechtmäßig. Insbesondere war die Verfügung inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 37 I LVwVfG) und nicht unverhältnismäßig. Das dreimonatige Aufenthaltsverbot beeinträchtigte H, auch soweit er in Bahnhofsnähe zu tun hatte, nicht übermäßig; zeitliche Verluste durch Umwege infolge des Durchquerungsverbots waren nicht unangemessen.
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In Fall 17 war das in einem Antrag auf AOaW umgedeutete Begehren von O unbegründet. Die Aufhebungsverfügung des BMV war rechtmäßig, da die schematische und undifferenzierte Bewertung der Eignung und Befähigung eines Soldaten gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze (Differenzierungsgebot) verstieß.
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Fall 22 repräsentiert eines der wenigen Beispiele aus der Praxis zur Unmöglichkeit der Prüfung der Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs. Angesichts des Zeitdrucks gab der VGH dem Eilantrag ohne materiell-akzessorische Prüfung zur Sicherung des Anspruchs auf wirksamen Rechtsschutz (Art 19 IV 1 GG) statt und untersagte der Ausländerbehörde vorläufig die Abschiebung des A.
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3. Eilentscheidung beim Verwaltungsakt mit Drittwirkung Fall 23: E, dessen Wohngrundstück in einem faktischen reinen Wohngebiet angrenzend an den Außenbereich liegt, erhebt Widerspruch gegen eine dem Unternehmen U erteilte Baugenehmigung zur Errichtung mehrerer Windkraftanlagen, die in einem Windpark betrieben werden sollen. Ferner beantragt E beim zuständigen VG die AOaW seines Widerspruchs. E macht geltend, die der Baugenehmigung beigefügten Auflagen vermittelten keinen ausreichenden Lärmschutz. U weist darauf hin, dass ihm die Zahlungsunfähigkeit drohe, falls er die Baugenehmigung nicht rasch ausnutzen könne. Das VG hat nach „summarischer Prüfung“ erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Auflagen und damit der Baugenehmigung, kann sich aber ein abschließendes Urteil noch nicht bilden. Wie sollte das VG entscheiden? 377
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Beim VAmD erfolgt der gerichtliche vorläufige Rechtsschutz nach Maßgabe des § 80a III VwGO; Satz 1 weist dem Gericht die behördlichen Entscheidungsbefugnisse zu, Satz 2 nimmt auch § 80 V VwGO in Bezug. Demnach kann das Gericht durch AsV die aW (§ 80 I VwGO) überwinden (§ 80a III 1 iVm I Nr 1 bzw II VwGO), die AdV verfügen (§ 80a III 1
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377 Fall nach OVG, NRW NVwZ 1998, 980 = NWVBl 1999, 18.
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iVm I Nr 2 VwGO) 378 sowie einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte des Dritten treffen (§ 80a III 1 iVm I Nr 2 VwGO). Einen Entscheidungsmaßstab benennt § 80a III VwGO nicht. Die bereits von § 80 V VwGO her bekannten Stereotypen (→ Rn 136 ff) wiederholen sich: Das Gericht habe eine Ermessensentscheidung zu treffen 379 und im Rahmen der danach vorzunehmenden Interessenabwägung seien (auf Grund „summarischer Prüfung“) die Erfolgsaussichten des Hauptsachebehelfs maßgeblich zu berücksichtigen.380 Verschiedentlich wird auch eine Interessenabwägung iSd Folgenabwägung (Doppelhypothese → § 19 Rn 35) propagiert 381 oder schlicht von der „Interessenabwägung“ (ohne Kontur, Struktur und Maßstäblichkeit) gesprochen.382 Indessen ist das Entscheidungsmodell der hM mit prinzipiell gleichwertigen Interessen und gleich schutzwürdigen Positionen beim VAmD schon strukturell ungeeignet, ohne ausschlaggebenden Rückgriff auf die Rechtsordnung eine juristisch begründbare Entscheidung herbeizuführen.383 Anhand welcher Maßstäbe soll denn zB beim Eilantrag gegen eine Baugenehmigung das Verwirklichungsinteresse des Begünstigten mit dem Aufschubinteresse des Dritten (Nachbarn) „abgewogen“ werden, wenn nicht anhand des materiellen Entscheidungsprogramms? Zutreffend betont das BVerfG, im dreiseitigen Rechtsverhältnis stünden konkrete Rechtspositionen Privater gegenüber, die grundsätzlich gleichrangig seien; die Frage, wer bis zur Hauptsacheentscheidung das Risiko vollendeter Tatsachen tragen müsse, bestimme sich nach dem materiellen Recht, also der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs.384 In dem „Interessen-Patt“ 385 (→ Rn 157) kann die Eilentscheidung in der Tat nur unter Rückgriff auf die materielle Rechtslage erfolgen.386 Allein die objektive Rechtsordnung enthält die juristisch wertungsfähigen Interessen.387 Untauglich ist demgegenüber der Versuch, in dem gesetzlich angeordneten Wegfall der aufschiebenden Wirkung (zB § 80 II 1 Nr 3 VwGO iVm § 212a I BauGB) eine vom Gesetzgeber für den Regelfall vorgesehene Wertung zugunsten des Verwirklichungsinteresses sehen zu wollen.388 In der Abweichung vom Regelfall des § 80 I VwGO liegt zunächst einmal eine andere Verteilung der Verfah-
378 Was daneben der Verweis in § 80a III 2 VwGO auf § 80 V 1 VwGO soll, ist unerfindlich; zu einer möglichen Auflösung der „Doppelung“ Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80a Rn 50. 379 OVG Berlin, LKV 1999, 196, 197. 380 VGH BW, NVwZ 1998, 766, 767; VBlBW 2000, 397, 398; BayVGH, NVwZ-RR 1998, 358, 359; BayVBl 1999, 373, 374; OVG Hamburg, NVwZ 2002, 356, 357; HessVGH, NVwZ 2001, 105, 106; OVG MV, NVwZ 1999, 1238; NVwZ-RR 2000, 559; NdsOVG, NVwZ-RR 1999, 716, 717; OVG Saarland, NVwZ 1999, 1006, 1007; NVwZ 2003, 1004, 1005; ThürOVG, NVwZ-RR 1999, 488, 489; ThürVBl 2006, 152, 154. 381 OVG NRW, NVwZ-RR 2003, 637. 382 OVG NRW, NVwZ 2006, 481. 383 Mampel DVBl 1997, 1155, 1157. 384 BVerfG-K, NVwZ 2009, 240, 242 → JK VwGO § 80a/6. 385 Instruktiv dazu HessVGH, NVwZ 2001, 105, 106. 386 BayVGH, BayVBl 1991, 720, 721; BayVBl 1999, 373, 374; OVG Berlin, LKV 1992, 201; HessVGH, NVwZ 2001, 105, 106; NdsOVG, NVwZ-RR 2003, 342; NJW 2004, 382, 383; NVwZ-RR 2007, 7, 8; NVwZ 2007, 478; NdsVBl 2007, 171, 172; OVG Rh-Pf, NVwZ-RR 1994, 194; mit Einschränkungen auch BayVGH, BayVBl 2002, 309, 310; NVwZ-RR 2003, 9, 10 = BayVBl 2003, 48, 50 → JK VwGO §§ 80, 80a/4. 387 OVG Rh-Pf, NVwZ 1991, 86, 87. 388 So aber OVG Bbg, NVwZ-RR 1998, 484, 485; ähnlich BVerwG, NVwZ 2007, 1207, 1209.
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renslast.389 Es besteht jedoch weder eine gesteigerte Rechtmäßigkeitsvermutung zu Gunsten des VA noch erfolgt eine Änderung des gerichtlichen Prüfungsmaßstabs.390 Verfassungsgerichtlich ist geklärt, dass es unter Rechtsschutzaspekten (dh vorläufige Sicherung und Verteidigung der – jeweiligen – materiellen Rechtsposition) keinen Unterschied macht, ob die sofortige Vollziehbarkeit eines VA auf gesetzlicher oder auf behördlicher Anordnung beruht (→ Rn 44). Selbst wenn man – weiter gehend – in § 212a I BauGB eine Wertung zu Gunsten der Hinnahme vollendeter Tatsachen durch Verwirklichung von Bauvorhaben trotz eingelegter Widersprüche sieht, verlangt der ausgewogene Rechtsschutz beim VAmD die Feststellung, ob der Nachbarrechtsbehelf voraussichtlich Erfolg haben wird oder nicht.391 Die Schaffung rechtmäßiger vollendeter Tatsachen ist hinzunehmen.392 Umgekehrt begründet das durch § 212a I BauGB zum Ausdruck kommende Beschleunigungsinteresse nicht etwa die zügige Verwirklichung eines wahrscheinlich rechtswidrigen Vorhabens.393 Die Prüfung der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs erhält ausschlaggebendes Gewicht für die Bewertung der gegenläufigen Interessen im Eilverfahren.394 Gerade beim VAmD ist die objektive Rechtswidrigkeit insoweit nicht ausreichend, da es um subjektiven Rechtsschutz geht; 395 dies gilt selbst im Falle objektiv irreparabler Zustände.396 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art 19 IV 1 GG; auf Grund der Systementscheidung für den Individualrechtsschutz ist bei der Prüfung der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs im Eilverfahren nicht allein schon die objektive Rechtswidrigkeit des VA ausschlaggebend, hinzukommen muss die Verletzung subjektiver Rechte des Antragstellers.397 Die materiell-akzessorische Prüfung ist sowohl bei der AsV als auch bei der AdV angezeigt. Werden einstweilige Sicherungsmaßnahmen zB wegen Missachtung der aW (§ 80 I VwGO) durch den VA-Begünstigten beantragt, ist Voraussetzung für eine stattgebende Eilentscheidung allerdings nur, dass die aW tatsächlich missachtet wird; insoweit findet eine Prüfung der materiellen Rechtslage nicht statt, weil ein „Recht des Dritten“ iSd § 80a III 1 iVm I Nr 2 VwGO auch der durch § 80 I VwGO gewährte Rechtsschutz ist.398 In Fall 23 bezeichnete das OVG die Erfolgsaussichten von E in der Hauptsache als offen. Daher sei eine allgemeine Interessenabwägung durchzuführen. Diese führe zu dem Ergebnis, dass E die andauernde Hinnahme von Geräuschimmissionen bis zur abschließenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar sei. Demgegenüber erschöpfe sich das Interesse von U in dem gewöhnlichen Interesse eines jeden Bauherrn an der möglichst
389 OVG NRW, NVwZ 1998, 980 = NWVBl 1999, 18, 19: Durch § 212a I BauGB werde „lediglich eine Verfahrenslast anders als bisher verteilt“. 390 BayVGH, NVwZ-RR 2003, 9, 11 = BayVBl 2003, 48, 50 → JK VwGO §§ 80, 80a/4. 391 NdsOVG, NVwZ-RR 1999, 716, 717 = NdsVBl 2000, 10, 11; NVwZ-RR 2007, 7, 8; NdsVBl 2007, 171, 172. 392 Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 80 Rn 69. 393 OVG MV, NVwZ-RR 2000, 559, 562. 394 HessVGH, NVwZ 2001, 105, 106. 395 HessVGH, NVwZ 2001, 105, 106; OVG MV, NVwZ-RR 2000, 559. 396 OVG Hamburg, NVwZ 2001, 1173, 1178. 397 BVerfG-K, NVwZ 2009, 240, 242 → JK VwGO § 80a/6. 398 Einzelheiten dazu bei Külpmann in: Finkelnburg/Dombert/ders, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 1088; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80a Rn 36; Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 80a Rn 64 iVm Rn 39, 53 f.
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raschen Ausnutzung einer erteilten Baugenehmigung. Die drohende Zahlungsunfähigkeit infolge der teilweisen Stilllegung des Vorhabens sei ein von U zu tragendes wirtschaftliches Risiko.399 – Überzeugend ist diese Argumentation kaum. Die materiell-inakzessorische „Abwägung“ des OVG verknüpft inkommensurable Interessen. Das VG hatte denn auch gegensätzlich entschieden (Ablehnung einer AOaW). Richtig wäre es gewesen, die AOaW auf die erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung zu stützen.
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In Fall 15 kommt es darauf an, ob durch die dem B erteilte Baugenehmigung Vorschriften verletzt sind, die N schützen. Sollte dies zutreffen, müsste das von N anzurufende VG gemäß § 80a III 1 iVm I Nr 2 VwGO die Vollziehung der Baugenehmigung aussetzen; B dürfte dann von der Genehmigung keinen Gebrauch machen. Um einer durch B drohenden „faktischen Vollziehung“ vorzubeugen, könnten zudem Sicherungsmaßnahmen (zB Stilllegung des Bauvorhabens) angeordnet werden, die entsprechend § 168 I Nr 1, § 172 VwGO vollstreckbar wären.400
4. Sonstige Fallgestaltungen im Aussetzungsverfahren 162
Besonderheiten zur Begründetheit eines Eilantrags gelten bei den sonstigen Fallgestaltungen im Anwendungsbereich des Aussetzungsverfahrens (→ Rn 92). In den Fällen der faktischen Vollziehung ist entscheidungserheblich, ob § 80 II VwGO tatsächlich eingreift oder nicht; irrt die Behörde zB über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 80 II 1 Nr 1 VwGO, so dass einem Widerspruch gemäß § 80 I VwGO aW zukommt, ist der Eilantrag ohne weiteres begründet. In den Konstellationen der Aufhebung der Vollziehung (§ 80 V 3 VwGO) ist Voraussetzung, dass das Gericht zunächst die WHaW bzw die AOaW vornimmt; nur dann entfällt die Grundlage (causa) für den ursprünglich rechtmäßigen Vollzugsakt.401 Bei der Entscheidung über die Fortdauer der aW (§ 80b II VwGO) besteht entgegen der Auffassung des BVerwG (→ Rn 40) nur ein eingeschränkter Prüfungsmaßstab. Da es der Befristung der aW (§ 80b I VwGO) um eine Missbrauchsabwehr geht,402 ist der Antrag gemäß § 80b II VwGO schon dann begründet, wenn das OVG die Berufung zugelassen hat.403 Von einer Aussichtslosigkeit des Rechtsbehelfs und einer missbräuchlichen Ausnutzung der aW kann in diesem Fall keine Rede sein. Im Übrigen kommen die zu § 80 V, § 80a III VwGO dargelegten Entscheidungskriterien zur Anwendung.404 399 OVG NRW, NVwZ 1998, 980, 982 = NWVBl 1999, 18, 21 f. 400 Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 368 und § 80a Rn 79. 401 OVG Berlin, NVwZ 2003, 239, 240; HessVGH, DVBl 2004, 716, 717. – Umstritten ist, ob § 80 V 3 VwGO nur verfahrensrechtliche Bedeutung hat und für die Begründetheit des Antrags materiellrechtlich einen Folgenbeseitigungsanspruch voraussetzt (so zB VGH BW, VBlBW 2006, 116; NVwZ-RR 2008, 841, 844; OVG NRW, NVwZ-RR 2007, 492, 493) oder ob dem Wegfall der causa für Vollziehungsmaßnahmen durch die AOaW bzw WHaW § 80 V 3 VwGO die gerichtliche Ermächtigung für die Anordnung der Aufhebung der Vollziehungsmaßnahmen darstellt (so zutr OVG MV, LKV 2005, 172, 174 → JK VwGO § 80 II 1 Nr 1/2). 402 Missbräuchliche Ausnutzung des Suspensiveffekts (§ 80 I VwGO) durch Einlegung aussichtsloser Rechtsbehelfe, OVG Rh-Pf, NVwZ 1999, 896. 403 OVG Bremen, NVwZ 2000, 942, 943; OVG NRW, DVBl 2001, 1227 = NVwZ-RR 2002, 76, 77 = NWVBl 2002, 69; aA SächsOVG, NVwZ-RR 1999, 616. 404 OVG MV, NVwZ-RR 1999, 591; Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80b Rn 44.
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In Fall 13 beantragte L zunächst die AOaW seines Widerspruchs gegen die Festsetzung der Ersatzvornahme und zusätzlich die Herausgabe des im Wege der Ersatzvornahme abgeschleppten Traktors. Die Prüfung der materiellen Rechtslage ergab, dass die Festsetzungsverfügung rechtswidrig gewesen ist; sie war L erst nach Beginn der Ersatzvornahme bekannt gegeben worden, obwohl die Festsetzung des Zwangsmittels Voraussetzung für seine Anwendung ist (§§ 64, 65 VwVG NW). Das OVG ordnete die aW an (§ 80 V 1 VwGO); damit war die causa für den Vollzugsakt entfallen. Antragsgemäß war daher auch die Abschleppmaßnahme gemäß § 80 V 3 VwGO vorläufig rückgängig zu machen und der Traktor an L herauszugeben.
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In Fall 14 hielt die Behörde bzgl ihrer Kostenbescheide irrtümlich § 80 II 1 Nr 1 VwGO für einschlägig und meinte daher, dass die Widersprüche von E die aW gemäß § 80 I VwGO nicht ausgelöst hatten. Kosten für Gefahrerforschungsmaßnahmen und Kosten einer Ersatzvornahme werden jedoch von § 80 II 1 Nr 1 VwGO nicht erfasst (→ Rn 45 ff). Dies stellte das OVG zutreffend fest, so dass der auf Feststellung des Eintritts der aW seines Widerspruchs gerichtete Eilantrag von E begründet war.
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VII. Entscheidungsinhalt Ist der Eilantrag zulässig und begründet, gewährt das angerufene Gericht vorläufigen Rechtsschutz. Ein Ermessen zum „Ob“ besteht nicht; richterliche Gestaltungsbefugnisse bestehen allenfalls zum Inhalt der Eilentscheidung. Der Entscheidungsinhalt ist durch die Statthaftigkeit des Eilantrags weitgehend vorgezeichnet und in §§ 80 V, 80a III, 80b II VwGO großenteils ausdrücklich normiert. In den Fällen des § 80 II 1 Nr 1 bis 3 VwGO verfügt das Gericht die AOaW, im Falle des § 80 II 1 Nr 4 VwGO die WHaW; letzteres gilt auch, wenn die AsV wegen Verstoßes gegen § 80 III VwGO lediglich formell rechtswidrig ist.405 Seine Eilentscheidung kann das Gericht von einer Sicherheitsleistung oder von Auflagen abhängig machen (§ 80 V 4 VwGO).406 Dem Gestaltungsermessen zum Entscheidungsinhalt entspricht auch die Möglichkeit der Befristung einer stattgebenden Eilentscheidung (§ 80 V 5 VwGO).407 In den Fällen des § 80 V 3 VwGO ordnet das Gericht die (vorläufige) Aufhebung der Vollziehung an. Gerichtlich verfügt wird die Rückgängigmachung von Vollziehungsmaßnahmen. Gemeint sind damit nicht nur Verwaltungsrealakte (dh tatsächliche Vollzugs-
405 Schenke VerwArch 91 (2000), 587, 604. – Die zT vertretene „Aufhebung der AsV“ ist im Gesetz nicht vorgesehen. Nach WHaW kann die Behörde die AsV erneut, und nun § 80 III VwGO genügend, vornehmen (→ Rn 68). 406 Dazu VGH BW, NVwZ-RR 2005, 472 = VBlBW 2004, 378; OVG Saarland, NJW 2004, 2033, 2034; Thür-OVG, NVwZ-RR 1998, 497, 498. – Die hM (vgl SächsOVG, LKV 2008, 127, 129 = SächsVBl 2008, 39, 42) hält es auch für zulässig, dass die Ablehnung eines Eilantrags mit Auflagen gegenüber dem Antragsgegner verbunden wird; krit Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 80 Rn 297. 407 VGH BW, VBlBW 1998, 186, 187: WHaW befristet bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids; ebenso zB NdsOVG, NVwZ 2005, 236, 237; vgl ferner OVG Hamburg, NVwZ-RR 2001, 270: WHaW befristet bis einen Monat nach Erlass des Widerspruchsbescheids.
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handlungen), vielmehr kommt es auf die Art der Vollziehungsmaßnahme, insbesondere des Vollstreckungsaktes, nicht an; die gerichtliche Anordnung der Aufhebung der Vollziehung iSd § 80 V 3 VwGO bezieht sich auch auf Vollziehungsmaßnahmen mit VA-Qualität.408 Bei der faktischen Vollziehung (→ Rn 105) trifft das Gericht die Feststellung zum Eintritt der aW des Rechtsbehelfs gemäß § 80 I VwGO.409 Im Falle des § 80b II VwGO ordnet das Gericht die Fortdauer der aW an.410 168
In Fall 14 hatte die Bauaufsichtsbehörde den Ausgleichsbetrag für Stellplätze rechtsirrig § 80 II 1 Nr 1 VwGO zugeordnet (→ Rn 112). Die Einleitung der Vollstreckung stellte eine – wegen Missachtung des § 80 I VwGO rechtswidrige – faktische Vollziehung dar. Insoweit stellte das OVG zutreffend den Eintritt der aW des von E eingelegten Widerspruchs fest. In Bezug auf die von der Bauaufsichtsbehörde eingeleitete Vollstreckung machte das OVG von § 80 V 3 VwGO Gebrauch und verpflichtete die Behörde, die bereits durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben. Konkret musste die Behörde gegenüber Mietern des E erlassene Pfändungs- und Überweisungsverfügungen aufheben und von den Mietern an die Behörde geleistete Zahlungen an E erstatten.
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Beim VAmD weist das Gesetz dem Gericht behördliche Entscheidungsbefugnisse zu (§ 80a III 1 VwGO). Das bedeutet, dass die an sich der zuständigen Behörde obliegenden Maßnahmen (§ 80a I u II VwGO) im gerichtlichen Eilverfahren vom Gericht selbst getroffen werden können; im Falle eines begründeten Eilantrags erfolgt nicht nur – wie zB im Klageverfahren nach § 113 V VwGO – eine entsprechende Verpflichtung der Behörde. So nimmt das Gericht in den Konstellationen des § 80a I Nr 2 bzw II VwGO die AsV über § 80a III 1 VwGO selbst vor; es spricht also nicht nur eine Verpflichtung der Behörde zur AsV aus.411 Ebenfalls auf der Grundlage des § 80a III 1 VwGO verfügt das Gericht in den Fällen des § 80a I Nr 2 VwGO die AdV 412 und es ordnet selbst die einstweiligen Sicherungsmaßnahmen an.413 Diese gerichtlichen Entscheidungsbefugnisse, die den „Umweg“ über eine bloße Verpflichtung der Behörde vermeiden, dienen dem wirksamen vorläufigen Rechtsschutz.
408 OVG MV, LKV 2005, 172, 174 → JK VwGO § 80 II 1 Nr 1/2; SächsOVG, NVwZ-RR 2007, 68, 69 = SächsVBl 2006, 92. 409 VGH BW, NVwZ-RR 2000, 189, 190; NVwZ-RR 2006, 816; VBlBW 2007, 228; BayVGH, NVwZ 1998, 1318; NVwZ 1999, 1363; NVwZ-RR 2005, 679; NJW 2006, 2282 = BayVBl 2006, 249; OVG Bbg, NVwZ 2000, 577; HessVGH, NVwZ-RR 2004, 792; NJW 2007, 241; OVG MV, NVwZ-RR 2001, 401; LKV 2005, 172, 174 → JK VwGO § 80 II 1 Nr 1/2; NdsOVG, NVwZ-RR 2001, 419; OVG NRW, NVwZ-RR 2000, 121; SächsOVG, SächsVBl 2001, 214; OVG SH, NVwZ-RR 2001, 586; ThürOVG, ThürVBl 2008, 138. 410 OVG NRW, DVBl 2001, 1227 = NVwZ-RR 2002, 76 = NWVBl 2002, 69. 411 VGH BW, NVwZ 1995, 1004; BayVGH, BayVBl 1991, 438 u 723; OVG NRW, DVBl 2008, 1515; SächsOVG, SächsVBl 1995, 102, 103. 412 OVG Saarland, NVwZ 1999, 1006, 1007; anders OVG MV, NVwZ-RR 2000, 559: AOaW. 413 Str, vgl zur Problematik Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80a Rn 55.
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§ 29
VIII. Rechtswirkungen und Folgen der Eilentscheidung Fall 24: Die zuständige Ausländerbehörde hatte A unter AsV ausgewiesen, ihm eine Ausreisefrist von drei Monaten nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Ausweisung gesetzt und die Abschiebung angedroht. A erhob Widerspruch. Auf Grund eines Eilantrags des A wurde die aW des Widerspruchs gegen die Ausweisungsverfügung wiederhergestellt, weil weder spezial- noch generalpräventive Ausweisungszwecke ein besonderes Vollziehungsinteresse begründen könnten, wenn – wie hier – zur Durchsetzung der Ausweisung ein Zeitpunkt nach Bestandskraft der Verfügung festgesetzt werde. Daraufhin erließ die Behörde unter AsV eine Ausweisungsverfügung und forderte A zum Verlassen des Bundesgebietes drei Monate nach Bekanntgabe dieses Bescheids auf; eine Abschiebungsandrohung wurde ebenfalls vorgenommen. Nach erfolglosem Widerspruch stellt A beim zuständigen VG einen Eilantrag.414
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Fall 25: In einem Eilverfahren um eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Ärztehauses war der Antrag von Nachbar N auf AOaW erfolglos geblieben. Das VG konnte eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften nicht feststellen. Nun erkennt das VG, dass die durch eine Rampe an der Nordseite des geplanten Ärztehauses verursachten Beeinträchtigungen von N durch den Verkehr für die Rettungsfahrzeuge nicht mit dem ihnen zukommenden Gewicht erörtert worden waren. Darf das VG auf Grund der neu gewonnenen Erkenntnis seine Eilentscheidung abändern, die AOaW des Widerspruchs von N gegen die Baugenehmigung vornehmen und die Bauarbeiten auf dem Grundstück untersagen? 415
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1. Bindungswirkung der Eilentscheidung Eilentscheidungen im Aussetzungsverfahren erwachsen in formelle Rechtskraft. Darüber hinaus kommt ihnen eine sachliche Bindungswirkung zu; umstritten ist lediglich deren rechtsdogmatische Begründung. Nach hM erwachsen Beschlüsse nach § 80 V VwGO analog § 121 VwGO in materielle Rechtskraft,416 mitunter wird von einer nur „begrenzten Rechtskraft“ gesprochen,417 bisweilen wird die materielle Rechtskraft bei Beschlüssen nach § 80 V VwGO ausdrücklich abgelehnt und eine Verbindlichkeit bzw Bindungswirkung (sui generis) zwischen den Beteiligten auf Grund dessen, was das Gericht materiell angeordnet hat, angenommen; 418 inhaltliche Konsequenzen hat die Diskussion um die Terminologie nicht.419 Bleibt der Eilantrag erfolglos, darf der VA von der Behörde vollzogen werden; beim VAmD darf der Begünstigte bei einem erfolglosen Drittrechtsbehelf zB von der ihm erteilten Genehmigung Gebrauch machen. Ist der Eilantrag des Dritten (zB Nachbarn) im Verfahren nach § 80 V VwGO abgelehnt worden, darf die Behörde die
414 Fall nach HessVGH, NVwZ-RR 2007, 822. 415 Fall nach OVG NRW, DVBl 1999, 998 = NVwZ 1999, 894. 416 HessVGH, NVwZ-RR 2007, 822; NdsOVG, NVwZ-RR 2004, 170; Külpmann in: Finkelnburg/ Dombert/ders, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 1010. 417 BayVGH, BayVBl 2003, 406, 407. 418 OVG SH, NVwZ-RR 2002, 541; vgl auch Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn 171. 419 Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 358.
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gerichtliche Eilentscheidung nicht im Wege der AdV (§ 80 IV 1 VwGO) „korrigieren“; die Änderung der Eilentscheidung ist dem Gericht vorbehalten (§ 80 VII VwGO).420 Hat der Eilantrag Erfolg, tritt die Schutzwirkung der Entscheidung – soweit sie nichts anderes verlauten lässt – ebenso wie die Suspensionsautomatik gemäß § 80 I VwGO (→ Rn 37) ex tunc ein.421 Die Beteiligten werden entsprechend dem Inhalt der Eilentscheidung gebunden.422 In dem in der Praxis am häufigsten auftretenden Fall der WHaW bzw AOaW bedeutet dies, dass die Behörde ihren VA vorläufig nicht durchsetzen darf.423 Beim VAmD darf von der Begünstigung (zB durch den Bauherrn) nicht Gebrauch gemacht werden. Die zeitliche Schutzwirkung besteht grundsätzlich (vgl aber § 80 V 5 VwGO) bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit des VA.424 Während dieses Zeitraums ist die Behörde gehindert, eine erneute AsV vorzunehmen;425 bei einer Änderung der Umstände muss die Verwaltung nach § 80 VII 2 VwGO verfahren.426 Das gilt allerdings nicht, wenn die WHaW nur wegen Verletzung des § 80 III VwGO erfolgt war (→ Rn 68); in diesem Fall ist die erneute (nunmehr formell fehlerfreie) AsV zulässig.427 Unzulässig ist wegen der Bindungswirkung auch der nochmalige Erlass eines VA mit einer AsV gleichen Inhalts.428 Zulässig ist hingegen ein neuer VA mit einer AsV neuen Inhalts.429 Ein Beispiel für die Missachtung der Bindungswirkung einer gerichtlichen Eilentscheidung stellt Fall 24 dar. Der VGH betonte, der Behörde sei es selbst bei einer Änderung der Sachund Rechtslage verwehrt, auf einen Beschluss nach § 80 V 1 VwGO mit einem nochmaligen VA und nochmaliger AsV in derselben Sache zu reagieren; geboten sei das Verfahren nach § 80 VII 2 VwGO. Da die Behörde diesen Weg nicht beschritt, war der Eilantrag des A erfolgreich.
2. Gerichtliches Abänderungsverfahren 175
Die Bindungswirkung der Eilentscheidung besteht – selbstverständlich – nicht in Bezug auf das Hauptsacheverfahren.430 Aber auch für das Eilverfahren selbst gibt es keine strikte Bindung an eine einmal getroffene Eilentscheidung. Das gerichtliche Abänderungs-
420 BayVGH, BayVBl 2003, 406, 407. 421 VGH BW, NVwZ-RR 1992, 509, 510; BayVGH, GewArch 1993, 349, 350 f; OVG Bremen, NVwZ-RR 2006, 692; OVG MV, NVwZ-RR 2004, 212, 213; OVG NRW, NVwZ-RR 1998, 115; NVwZ 2001, 231; SächsOVG, SächsVBl 2001, 40 f; NVwZ-RR 2007, 54, 55. 422 BGH, DVBl 2001, 305 = NVwZ 2001, 352, 354; NdsOVG, NVwZ 1999, 444, 445. 423 BayVGH, DVBl 1999, 624 f; OVG NRW, NVwZ-RR 1999, 477, 478. 424 BVerwGE 78, 192, 208; OVG NRW, NVwZ-RR 1999, 477; ThürOVG, NVwZ-RR 1999, 698. 425 VGH BW, NVwZ 1992, 293; OVG Berlin, NVwZ 1990, 681; NdsOVG, NVwZ-RR 2001, 362. 426 BayVGH, BayVBl 2003, 405, 406; HessVGH, NVwZ-RR 2007, 822, 823. 427 BayVGH, NJW 2002, 3044 = BayVBl 2003, 469; NdsOVG, NVwZ-RR 2001, 362; OVG SH, NVwZ-RR 1992, 590 f; NVwZ-RR 2002, 541. – Entsprechendes gilt bei bloßer gerichtlicher Feststellung der aW im Falle faktischer Vollziehung; VGH BW, VBlBW 1993, 222, 223; OVG Berlin, NVwZ 1990, 681; NdsOVG, NVwZ 1999, 444, 445. 428 BayVGH, DVBl 1999, 624, 625. 429 NdsOVG, NVwZ-RR 2001, 362; aA SächsOVG, NVwZ-RR 2000, 582, 583: Verfahren nach § 80 VII 2 VwGO notwendig. 430 OVG NRW, NWVBl 1998, 321, 323.
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verfahren nach § 80 VII VwGO ermöglicht vielmehr die Revision einer Eilentscheidung durch das „Gericht der Hauptsache“.431 Dabei handelt es sich um ein selbstständiges Verfahren gegenüber dem Aussetzungsverfahren nach § 80 V VwGO.432 Das Abänderungsverfahren stellt eine spezifische Erscheinungsform des im vorläufigen Rechtsschutz, der oft unter Zeitdruck gewährt oder abgelehnt wird, notwendigen Flexibilitätspotentials dar. Es geht nicht etwa um eine Rechtsmittelentscheidung, sondern um eine zukunftsorientierte Entscheidung über den Fortbestand der im Aussetzungsverfahren getroffenen Entscheidung.433 Das Abänderungsverfahren muss daher vom Beschwerdeverfahren abgegrenzt werden.434 § 80 VII VwGO bezieht sich auch auf die nach § 80a III VwGO getroffenen Eilentscheidungen.435 Die Sachentscheidung im Abänderungsverfahren erfolgt nach denselben Grundsätzen wie die Eilentscheidung im Aussetzungsverfahren (§ 80 V, § 80a III VwGO).436 In der Sache kommt im Antragsverfahren nach § 80 VII 2 VwGO eine Abänderungsentscheidung nur bei veränderten Umständen in Betracht. Gefordert werden tatsächliche oder rechtliche Umstände, die für die rechtliche Beurteilung im Ausgangsverfahren maßgeblich gewesen sind.437 Veränderten Umständen iSd § 80 VII 2 VwGO stehen im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände gleich.438 Von Bedeutung ist in erster Linie eine Änderung der Sach- oder Rechtslage. Signifikant für eine Änderung der Rechtslage ist eine veränderte Prozesslage.439 Relevant sind auch eine (nachträgliche) Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung oder die Klärung umstrittener Rechtsfragen.440 Dies bezieht sich nicht nur auf deutsche Gerichte, sondern auch zB auf die Rechtsprechung des EuGH.441 Das amtswegige Verfahren nach § 80 VII 1 VwGO erlaubt dem Gericht „jederzeit“ eine Änderung oder Aufhebung seiner Eilentscheidung. Eine Veränderung der Umstände ist
431 Vgl zur Deutung dieses Begriffs Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 378 ff. 432 VGH BW, NVwZ-RR 1998, 611, 612; OVG NRW, DVBl 1999, 998 = NVwZ 1999, 894, 895; SächsOVG, SächsVBl 1999, 137, 139. 433 BVerwGE 124, 201, 204 = DVBl 2005, 1594, 1595 = NVwZ 2005, 1422; VGH BW, VBlBW 1990, 179; NVwZ-RR 2002, 911; VBlBW 2006, 116, 117; NVwZ-RR 2007, 419, 421; BayVGH, NJW 2007, 2715; ThürOVG, NVwZ-RR 1995, 179. 434 Vgl dazu SächsOVG, NVwZ-RR 2000, 124, 125 u SächsVBl 2001, 175, 178. – Nach OVG Rh-Pf, NVwZ-RR 2005, 748 handelt es sich bei der Beschwerde (§ 146 IV VwGO) und der Abänderung (§ 80 VII VwGO) um zwei nebeneinander stehende Rechtsbehelfe. 435 BayVGH, BayVBl 2007, 758, 759 f; Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 377. 436 BVerwGE 124, 201, 204 = DVBl 2005, 1594, 1595 = NVwZ 2005, 1422; VGH BW, NVwZ-RR 2002, 911; NVwZ 2006, 219; OVG MV, NVwZ-RR 2005, 365, 366; NdsOVG, NVwZ 2005, 236, 237. 437 BVerwG, NVwZ 2008, 1010. – Beispiele: BVerfG-K, NVwZ 2007, 948, 950: Änderung familiärer Verhältnisse im Ausländerrecht; BayVGH, NVwZ-RR 2007, 821 = BayVBl 2007, 500: Änderung einer Baugenehmigung; OVG NRW, NWVBl 2004, 307, 308: Nachtrag (weitere Auflage) zu einer Baugenehmigung. 438 VGH BW, NVwZ-RR 2002, 911. 439 BVerwG NVwZ 2007, 1207, 1208: Nach Ablehnung des Eilantrags mittlerweile Stattgabe der Hauptsacheklage durch das VG; OVG MV, NVwZ-RR 2006, 365, 366: neue Kalkulation bzgl Abgabensatzung. 440 BayVGH, NVwZ-Beilage 2000, 116, 117; NdsOVG, NVwZ 2005, 236, 237. 441 VGH BW, NVwZ 1999, 785; bestätigend BVerfG-K, NVwZ 2005, 438.
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danach nicht Voraussetzung.442 § 80 VII 1 VwGO stellt eine sinnvolle Ermöglichung von Flexibilität dar; bessere Erkenntnisse des Gerichts oder auch eine Änderung der Rechtsauffassung, die sich in der Hauptsacheentscheidung ohnehin niederschlagen würde, erlauben nach hM eine Korrektur der Eilentscheidung, nur willkürlich darf die Abänderungsentscheidung nicht sein.443 Nach der Gegenauffassung soll die Befugnis zur Abänderung der Eilentscheidung von Amts wegen nur bestehen, wenn gewichtige Gründe dafür sprächen, den Belangen der materiellen Einzelfallgerechtigkeit und inhaltlichen Richtigkeit den Vorrang vor der Rechtssicherheit zu geben.444 178
In der Entscheidung zu Fall 25 ist das OVG der hM entgegengetreten und hat den Meinungswandel des VG bei der Beurteilung des Eilantrags als nicht ausreichend für eine Abänderungsentscheidung nach § 80 VII 1 VwGO erachtet. Notwendig seien vielmehr gewichtige Gründe, die den Belangen der materiellen Einzelfallgerechtigkeit und inhaltlichen Richtigkeit den Vorrang vor der Rechtssicherheit einräumen müssten. Dafür reiche der bloße Meinungswandel des Gerichts nicht. – Überzeugend ist diese Auffassung nicht.445 Der Wortlaut des § 80 VII 1 VwGO, die systematische Gegenüberstellung mit § 80 VII 2 VwGO und die (Flexibilitäts-)Funktion des § 80 VII 1 VwGO erlauben nur die Forderung einer „Willkür-Grenze“ (→ Rn 177). Das Gericht soll über § 80 VII 1 VwGO bereits im Eilverfahren derjenigen Rechtsauffassung Ausdruck verleihen dürfen, die es im Hauptsacheverfahren ohnehin vertritt.
442 BGH, DVBl 2001, 305 = NVwZ 2001, 352, 354; VGH BW, DÖV 1996, 177, 178; NVwZ-RR 2002, 911; OVG Hamburg, NVwZ 1995, 1004, 1005; OVG LSA, NVwZ-RR 1999, 668, 669; ThürOVG, DVBl 1999, 480. 443 Vgl dazu m umfangr Nachw Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn 184; Schoch in: ders/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn 385. 444 OVG MV, NVwZ-RR 2006, 365, 367; Külpmann in: Finkelnburg/Dombert/ders, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 1179. 445 Berechtigte Kritik am OVG NRW daher bei Clausing JuS 2000, 688, 692.
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§ 30 Verwaltungsgerichtliche einstweilige Anordnung Friedrich Schoch I. Funktion und Bedeutung der einstweiligen Anordnung 1. Verfassungsrechtliche Vorgaben Fall 1: A war in den Kreistag gewählt worden. Zur Annahme des Mandats kam es nicht, da A zur Ablegung der nach der Landkreisordnung vorgeschriebenen Eidesleistung („ich schwöre“) aus Glaubens- und Gewissensgründen nicht bereit war. A wollte zwar die geforderte Verfassungstreue und Amtspflichtbereitschaft in anderer Weise feierlich beteuern, jedoch stellte der Kreistag fest, dass A auf Grund der Verweigerung der vorgesehenen Eidesleistung nicht Mitglied des Kreistags geworden sei. A hat hiergegen Klage beim zuständigen VG erhoben und fragt, ob er durch einen Eilantrag beim VG im Wege der einstweiligen Anordnung (eAO) erreichen kann, das Mandat einstweilen, dh bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage, wahrzunehmen.1
1
Das aus Art 19 IV 1 GG abgeleitete Gebot wirksamen Rechtsschutzes verlangt insbesondere die Gewährung von Rechtsschutz in angemessener Zeit.2 Oftmals kommt jedoch der Hauptsacherechtsschutz im Klageverfahren zu spät, um den Anspruch des Einzelnen auf einen tatsächlich wirksamen gerichtlichen Schutz seiner Rechte gewährleisten zu können, so dass vorläufiger Rechtsschutz vonnöten ist. Um wirksam sein zu können, muss der Rechtsschutz eingreifen, bevor „vollendete Tatsachen“ geschaffen worden sind.3 Droht im konkreten Fall eine (Grund-)Rechtsverletzung, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden kann, wird nur die Gewährung rasch zu erreichenden vorläufigen Rechtsschutzes den Anforderungen des Art 19 IV 1 GG gerecht.4 Das BVerfG betont (mit Blick auf § 123 VwGO), je weniger die Wahrscheinlichkeit sei, dass die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes für den Bürger eintretenden Folgen im Falle des Obsiegens in der Hauptsache rückgängig gemacht werden könnten, umso weniger dürfe das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden.5 Diese verfassungsrechtlichen Standards nach Art 19 IV 1 GG gelten nicht nur zu §§ 80, 80a VwGO bei der sog. Eingriffsabwehr (→ § 29 Rn 4 ff), sondern auch bei Vornahmesachen. Insoweit verlangt Art 19 IV 1 GG „jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstün-
2
1 Fall nach BVerfGE 79, 69 (m Bespr Urban NVwZ 1989, 433) = JZ 1989, 292 (m Anm Maurer) = BayVBl 1989, 207 (m Anm Rzepka). 2 BVerfG-K, NVwZ-RR 2001, 694; NVwZ 2004, 1346, 1347 → JK GG Art 19 IV 1/27. 3 BVerfG-K, DVBl 1989, 1247 (m Anm Busch DVBl 1990, 106) = NJW 1990, 501; BVerfG-K, NJW 1994, 717, 718; DVBl 2003, 257, 258 = NJW 2002, 3691, 3692 (m Bespr Pöcker NVwZ 2003, 688); BSG, NVwZ-RR 2001, 450, 452. 4 BVerfG-K, NJW 1995, 950, 951 = JZ 1995, 352 f (m Anm Rupp); BVerfG-K, DVBl 1996, 1367, 1368 = NVwZ 1997, 479, 480. 5 BVerfG-K, NVwZ 2004, 1112, 1113; NVwZ-RR 2005, 442, 443.
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§ 30
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den, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre“.6 Danach wird durch § 123 VwGO für die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit 7 dem Grunde nach ein Verfassungsauftrag erfüllt. Mit Blick auf vielfach zu beobachtende Defizite bei der Gesetzesanwendung 8 ist jedoch entscheidend, dass die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung des § 123 VwGO den Erfordernissen eines wirksamen Rechtsschutzes Rechnung tragen.9 4
Den Anforderungen des Art 19 IV 1 GG waren die Verwaltungsgerichte in Fall 1 nicht gerecht geworden. Die eAO war abgelehnt worden, weil ihr Erlass einer – angeblich – unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache (→ Rn 58 ff) gleichgekommen wäre. Das BVerfG stellte zunächst zur materiellen Rechtslage fest, nach Art 33 III 1 GG dürfe die Ausübung des Kommunalmandats nicht aus Gründen verwehrt werden, die mit der in Art 4 I GG geschützten Glaubens- und Gewissensfreiheit unvereinbar seien. Sodann erklärte das BVerfG zu den verwaltungsprozessualen Konsequenzen, ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes würden die Grundrechte des A aus Art 19 IV iVm 33 III 1 und 4 I GG verletzt. Zwar ziele eine eAO iSd Eilantrags für die Zeit bis zur Entscheidung über die Hauptsache auf deren Vorwegnahme, andererseits werde das Recht des A zur Mandatsausübung jedoch „fortschreitend endgültig vereitelt“.10 Das BVerfG ordnete daher selbst an, dass A das Mandat antreten dürfe, wenn er statt der Eidesform „ich schwöre“ mit den Worten „ich beteuere“ die gesetzlich vorgesehene Versicherung zur Amtsführung abgebe.
2. Bedeutung der einstweiligen Anordnung in der Praxis 5
Fall 2: OLG-Richter R bewarb sich um das Amt eines Richters am BGH und wurde dafür vom Dienstvorgesetzten als „herausragend geeignet“ bewertet. Richter N vom LG, der sich ebenfalls beworben hatte, wurde für das Amt als „in höchstem Maße ausgezeichnet geeignet“ beurteilt. Der zur Stellungnahme aufgeforderte Präsidialrat des BGH hielt R für „persönlich und fachlich in jeder Hinsicht gut geeignet“, N hingegen für „fachlich nicht geeignet“. In der Sitzung des Richterwahlausschusses wurde der Wahlvorschlag bzgl R seitens des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) ohne nähere Begründung „zurückgestellt“ und war demzufolge nicht Gegenstand der Wahlentscheidung. N wurde zum Richter am BGH gewählt. Dagegen legt R sofort Widerspruch ein und fragt, ob er die Ernennung des N durch den Antrag auf Erlass einer eAO verhindern kann.11
6
Vor dem skizzierten verfassungsrechtlichen Hintergrund (→ Rn 2 ff) wird deutlich, dass in dem Eilverfahren nach § 123 VwGO eine rasche vorläufige Regelung – nämlich bis zur
6 BVerfGE 79, 69, 74. 7 Der früher defizitäre vorläufige Rechtsschutz im SGG (Sartorius ErgBd Nr 415) ist durch den neuen § 86b (vgl 6. SGGÄndG vom 17.08.2001, BGBl 2001 I, 2144) rechtsstaatlichen Standards angepasst worden; vgl dazu Schlarmann/Buchner NJW 2002, 644 ff; Palsherm JA 2004, 652 ff. 8 Einzelheiten dazu bei Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn 14 ff. 9 BVerfGE 79, 69, 74; BVerfG-K, DVBl 2002, 1112, 1113; DVBl 2002, 1633 = NVwZ 2003, 200; DVBl 2003, 1524 = NVwZ 2004, 95 → JK GG Art 33 II/19. 10 BVerfGE 79, 69, 77. 11 Fall nach OVG SH, DVBl 2002, 134 = NJW 2001, 3495 = JZ 2002, 140 (m Anm Schulze-Fielitz) → JK GG Art 33 II/18.
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Verwaltungsgerichtliche einstweilige Anordnung
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Entscheidung in der Hauptsache – getroffen werden soll.12 Unbehelflich ist demgegenüber die These, da nahezu in jedem Gerichtsverfahren die Dauer des Verfahrens zumindest für einen Prozessbeteiligten nachteilige Folgen habe, die sich zwangsläufig aus der noch nicht rechtsverbindlichen Entscheidung des Streits ergäben, sei die eAO auf Fälle beschränkt, in denen erhebliche, nicht wieder gut zu machende Nachteile, drohende Gewalt oder ähnlich schwerwiegende Umstände dies notwendig erscheinen ließen.13 Vom Erfordernis der Irreversibilität eines bestimmten Zustands steht in § 123 I 2 VwGO nichts, und § 123 I 1 VwGO lässt neben der Rechtsvereitelung auch die wesentliche Erschwerung der Verwirklichung eines Rechts als Anordnungsvoraussetzung genügen. Für das Verständnis der eAO ist die Erkenntnis unabdingbar, dass der vorläufige Rechtsschutz nach § 123 VwGO (zu § 47 VI VwGO → Rn 71 ff) nicht nur eine Sicherungsfunktion erfüllt (Offenhaltung der Hauptsacheentscheidung), sondern zudem eine interimistische Befriedungsfunktion.14 Wegen des unumkehrbaren Zeitablaufs stellen sowohl der Erlass als auch die Versagung einer eAO eine abschließende Zwischenregelung dar (→ Rn 60 f);15 zwar wird nicht etwa eine vorläufige Entscheidung über den Streitgegenstand der Hauptsache getroffen, aber die vorläufige Regelung wirkt für den Zeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung endgültig, dh ein vorläufiger Zustand wird abschließend geregelt.16 Beispiele aus der Rechtsprechungspraxis belegen Bedeutung und Anwendungsbereich des Eilverfahrens nach § 123 VwGO. Das Verfahren der eAO findet zB statt beim Konkurrentenrechtsstreit (um Dienstposten oder Ämter) im Beamtenrecht 17 sowie zwischen Richtern18 und bei Gleichstellungsbeauftragten,19 beim Streit um die Aufnahme eines Schülers in eine bestimmte Schule,20 bei der Nichtversetzung in die nächsthöhere Klasse,21 bei der vorläufigen Erteilung eines Abiturzeugnisses 22 und der (vorläufigen) Zulassung zum Hochschulstudium 23 sowie dem Erlass einer Langzeitstudiengebühr wegen „unbilli-
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BayVGH, DVBl 2000, 925, 926 = BayVBl 2000, 347, 348. So HessVGH, JZ 2000, 427. BVerfG-K, NJW 1995, 950, 951 = JZ 1995, 352, 353; Lorenz VerwPrR, § 29 Rn 2. BVerfGE 46, 166, 178. VGH BW, NVwZ-RR 1992, 442; OVG RP, NVwZ-RR 1992, 35, 37. VGH BW, VBlBW 2006, 62 u 280; NVwZ-RR 2008, 550; NVwZ-RR 2009, 216; BayVGH, NVwZ-RR 2006, 346; NVwZ-RR 2007, 286 = BayVBl 2007, 19; BayVBl 2007, 342; HessVGH, NVwZ-RR 2000, 622 u 787; OVG MV, NordÖR 2003, 32; NdsOVG, NdsVBl 2002, 217; NVwZRR 2008, 552; OVG NRW, NVwZ-RR 2003, 52 u 135; NWVBl 2003, 184 = NVwZ-RR 2003, 373; NVwZ-RR 2004, 437; NWVBl 2004, 258 = NVwZ-RR 2004, 236; NWVBl 2006, 262; OVG RP, NVwZ-RR 1998, 446; NVwZ-RR 1999, 49; DÖV 2001, 41; SaarlOVG, NVwZ 2006, 956; SächsOVG, DVBl 2001, 1219; OVG SH, NVwZ-RR 1997, 373; ThürOVG, NVwZ-RR 2004, 52; ThürVBl 2007, 187. VGH BW, VBlBW 1999, 305; NVwZ-RR 2005, 585 = VBlBW 2006, 59; BayVGH, NVwZ-RR 2004, 871; OVG MV, NVwZ-RR 2001, 454; NdsOVG, NVwZ-RR 2007, 398; OVG SH, NVwZRR 1999, 417; ThürOVG, NVwZ-RR 2006, 745 = ThürVBl 2006, 204. BayVGH, DVBl 2000, 925. VGH BW, NVwZ-RR 2000, 162; OVG Bremen, NVwZ 2003, 122; NdsOVG, NVwZ-RR 2004, 258; OVG NRW, NVwZ-RR 2008, 109 = NWVBl 2007, 488. NdsOVG, NVwZ-RR 2001, 241; OVG NRW, NWVBl 2008, 302. BayVGH, NVwZ-RR 2005, 254. VGH BW, DVBl 1999, 1163 = NVwZ 1999, 1357; NVwZ-RR 2000, 23; NVwZ-RR 2004, 37; VBlBW 2007, 34; NVwZ-RR 2007, 177; BayVGH, NVwZ-RR 2007, 175; OVG Hamburg,
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ger Härte“,24 der Neubewertung einer Prüfungsarbeit im (juristischen) Staatsexamen,25 der vorläufigen Zulassung zu einer mündlichen Prüfung 26 und der erneuten Zulassung zur Prüfung,27 bei der Vorenthaltung beantragter Sozialhilfeleistungen,28 Leistungen der Grundsicherung 29 oder der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) 30 sowie der Ausbildungsförderung (BAföG),31 dem Begehren nach Erteilung einer Duldung 32 bzw Unterlassung der Abschiebung 33 oder einer Aufenthaltserlaubnis im Ausländerrecht,34 bei der Durchsetzung der Wirkungen eines Bürgerbegehrens 35 und des Antrags auf Baustilllegung im Genehmigungsfreistellungsverfahren,36 bei dem Antrag auf behördliches Vorgehen gegen eine illegale bauliche Anlage,37 dem Begehren einer bauaufsichtlichen Nutzungsuntersagung bzgl eines Nachbargebäudes 38 und dem Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung 39 bzw Genehmigung der Nutzungsänderung eines Bauwerks,40 bei dem Verlangen nach Aushändigung eines vorläufigen Prüfungszeugnisses 41 und dem studentischen Unterlassungsanspruch gegen die Wahrnehmung eines allgemeinpolitischen Mandats durch den AStA einer Universität 42 oder bei der Forderung nach einer Ausnahme vom MKS-Impf-
24 25 26 27 28
29 30 31 32 33 34 35
36
37 38 39 40 41 42
NVwZ-RR 1998, 314; NVwZ-RR 2002, 747; NVwZ-RR 2004, 34; NVwZ-RR 2005, 544; HessVGH, NVwZ-RR 2002, 751; NVwZ-RR 2003, 756; NdsOVG, NVwZ-RR 2005, 414; NVwZ-RR 2006, 256; OVG RP, NVwZ-RR 2001, 165; NVwZ-RR 2003, 502; NVwZ-RR 2004, 36; SächsOVG, NVwZ-RR 2002, 752. NdsOVG, NJW 2007, 2570. OVG Hamburg, NJW 2007, 2874. HessVGH, NVwZ-RR 2005, 330; ThürOVG, ThürVBl 2005, 241. HessVGH, NVwZ-RR 2003, 756; SächsOVG, NVwZ-RR 2003, 853. VGH BW, NVwZ-RR 2000, 303; BayVGH, BayVBl 1999, 50; NVwZ-RR 1999, 385; OVG MV, LKV 2000, 539; NdsOVG, NJW 2002, 841; OVG NRW, NJW 2000, 2523; NVwZ-RR 2003, 511; SächsOVG, SächsVBl 2001, 95; ThürOVG, ThürVBl 1999, 190. OVG RP, NVwZ-RR 2003, 657. BbgOVG, LKV 2003, 141; NdsOVG, NVwZ-RR 2008, 792; OVG NRW, NVwZ-RR 2002, 583. SächsOVG, SächsVBl 2004, 284. VGH BW, VBlBW 2001, 228; VBlBW 2002, 495; VBlBW 2008, 114; OVG Hamburg, NVwZ-RR 2007, 559. VGH BW, InfAuslR 2008, 85; VBlBW 2008, 309; VBlBW 2009, 149; OVG Hamburg, NVwZ-RR 2008, 60; OVG NRW, DÖV 2005, 392; NVwZ 2008, 232. VGH BW, VBlBW 2006, 286; HessVGH, DVBl 1998, 1033 = NVwZ-RR 1998, 777; SaarlOVG, NVwZ-Beilage I 2/2001, 21. BayVGH, BayVBl 1998, 209; BayVBl 2001, 500; BbgOVG, LKV 2003, 229; HessVGH, NVwZRR 2004, 281; OVG NRW, NVwZ-RR 1999, 140; NVwZ-RR 2004, 519; SächsOVG, NVwZ-RR 1998, 253; LKV 1998, 237; OVG SH, NVwZ 2006, 363. – Vgl ferner Schliesky DVBl 1998, 169 ff. NdsOVG, NdsVBl 2009, 44 → JK NdsBauO § 89 I/1; OVG NRW, NVwZ-RR 1998, 218; NWVBl 1999, 220 u 266. – Vertiefend zu den Rechtsschutzfragen Uechtritz BauR 1998, 719 ff; Bamberger NVwZ 2000, 983 ff; Mampel BayVBl 2001, 417 ff; Martini DVBl 2001, 1488, 1495 ff; Seidel NVwZ 2004, 139 ff; Schulte DVBl 2004, 925, 928 f; Bock DVBl 2006, 12 ff; Sarnighausen BauR 2006, 46 ff. OVG Berlin, LKV 2003, 276 → JK BauGB § 34 I/2. OVG Berlin, LKV 2005, 227. HessVGH, NVwZ-RR 2003, 814 (m Bespr Maaß NVwZ 2004, 572) → JK VwGO § 123 I 2/2. OVG Bremen, NVwZ-RR 2006, 162. OVG NRW, NWVBl 2000, 317; DVBl 2001, 820. OVG Berlin, NVwZ 2002, 357; OVG Bremen, NVwZ 1999, 211; NVwZ 2000, 342; OVG NRW, NVwZ 2001, 1427 = NWVBl 2001, 21.
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verbot,43 ferner bei dem Antrag auf Zugang zu einer gemeindlichen öffentlichen Einrichtung (Stadthalle) 44 oder auf Zulassung (als Schausteller) zu einem Volksfest,45 bei dem Antrag auf Erteilung einer befristeten Taxikonzession 46 oder der einstweiligen Erlaubnis für ein Busunternehmen zum Linienverkehr,47 eines vorläufigen Jagdscheins,48 oder auf Genehmigung einer Tariferhöhung für die Lieferung von Elektrizität,49 bei dem Antrag auf Anerkennung einer EU-Fahrerlaubnis,50 auf Untersagung einer (ehrverletzenden) Äußerung seitens eines Behördenvertreters,51 auf Gewährung von Sonderurlaub nach Beamtenrecht52 und neuerdings vermehrt auf Informationszugang (Akteneinsicht) bzgl amtlicher Dokumente.53 Die – keineswegs abschließenden – Beispiele zeigen, dass die eAO in allen Gebieten des Verwaltungsrechts Anwendung finden kann. Die Bedeutung des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO übertrifft mitunter das Gewicht des Hauptsacherechtsschutzes. Wie im Anwendungsbereich des § 80 VwGO (→ § 29 Rn 6) gibt es auch bei der eAO Konstellationen, in denen allein der vorläufige Rechtsschutz wirksamen Rechtsschutz verspricht. Ein – extremes – Beispiel hierfür ist die Konkurrentenklage im Beamtenrecht. Nach der – zweifelhaften54 – hM ist im Falle der Besetzung einer Planstelle durch einen Mitbewerber Erledigung eingetreten, da die Ernennung (Einstellung, Beförderung) nicht mehr rückgängig gemacht werden könne.55 Die beklagenswerte Ämterpatronage lässt die Verwaltung nicht einmal davon zurückschrecken, in Kenntnis eines anhängigen Gerichtsverfahrens Beförderungen entgegen den Geboten des Art 19 IV 1 GG und des Art 33 II GG zu vollziehen, um damit „vollendete Tatsachen“ zu schaffen.56 Das BVerfG hat die Unwirksamkeit des verwaltungsgerichtlichen Hauptsacherechtsschutzes beim Konkurrentenstreit (im Beamtenrecht, zwischen Richtern etc) hingenommen und auf den vorläufigen Rechtsschutz verwiesen.57 Aus Art 19 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55
56
57
BayVGH, NVwZ 2001, 828; OVG NRW, NVwZ 2001, 1427 = NWVBl 2001, 390. ThürOVG, ThürVBl 2009, 36 → JK ThürKO § 14/1. HessVGH, GewArch 2004, 345. OVG Hamburg, NVwZ-RR 2007, 760. OVG NRW, DVBl 2008, 1454. VGH BW, NVwZ 2004, 630 = VBlBW 2004, 107. BayVGH, NJW 2007, 620 = BayVBl 2007, 247. OVG RP, NJW 2007, 2650. OVG NRW, NJW 2004, 1611 → JK VwGO § 123 I 1/3; SächsOVG, LKV 2002, 472 = SächsVBl 2001, 293. SaarlOVG, NVwZ-RR 2005, 550. BayVGH, NVwZ-RR 2006, 3; HessVGH, NVwZ 2006, 1081; NVwZ 2007, 348; NVwZ 2009, 60; OVG NRW, NVwZ 2007, 1212 = NWVBl 2008, 32. Vgl zur Kritik Schoch Vorläufiger Rechtsschutz und Risikoverteilung im Verwaltungsrecht, 1988, 684 ff; ferner zB Wernsmann DVBl 2005, 276 ff. BVerwGE 80, 127 = DVBl 1989, 197 = NVwZ 1989, 158; BVerwGE 118, 370, 371 f = DVBl 2004, 317 = DÖV 2004, 391 = NJW 2004, 870, 871 → JK GG Art 19 IV/25; gebilligt zB von BVerfG-K, DVBl 2003, 1524 = NVwZ 2004, 95 → JK GG Art 33 II/19; BVerfG-K, NVwZ 2007, 1178, 1179. So geschehen sogar dem BVerfG-K NVwZ 2000, 1035, das den Bf daraufhin auf die Möglichkeit eines Schadenersatzanspruchs wegen Nichtbeförderung hinwies; instruktiv zur behördlichen „Aushebelung“ von Vorgaben der Rspr ferner die Konstellationen von BVerfG-K, NVwZ 2007, 1178; BVerwGE 118, 370 = DVBl 2004, 317 = DÖV 2004, 391 = NJW 2004, 870 → JK GG Art 19 IV/25; VGH BW, NVwZ-RR 2008, 550; OVG NRW, NWVBl 2006, 262. Die – zutr – verfassungsrechtlichen Bedenken bzgl der Unwirksamkeit des Hauptsacherechtschutzes nach der Rspr durch BVerwGE 115, 89, 91 f wurden von BVerfG-K DVBl 2002, 1633 = NVwZ 2003, 200 unter Hinweis auf den Rechtsschutz nach § 123 I 1 VwGO – zu Unrecht – verworfen.
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IV, 33 II GG hat das BVerfG die Verpflichtung des Dienstherrn abgeleitet, vor der Besetzung einer (Beförderungs-)Stelle die unterlegenen Bewerber vom Ausgang des Auswahlverfahrens zu unterrichten, damit der Rechtsschutz der unterlegenen Bewerber nicht vereitelt wird, sondern diese im Wege der eAO ihre Rechte wahren können.58 Die Konsequenz der Judikatur ist, dass sich der gemäß Art 33 II GG bestehende Bewerbungsverfahrensanspruch nur vor einer Ernennung des ausgewählten Konkurrenten mittels eAO nach § 123 I 1 VwGO iSd Art 19 IV 1 GG effektiv sichern lässt.59 Wird die im Streit stehende Stelle besetzt, gibt es nach der Rspr keinen Primärrechtsschutz.60 10
Vor diesem Hintergrund hat das OVG SH in Fall 2 verfahrensrechtliche Vorkehrungen vermisst, die die Berücksichtigung der Kriterien der Bestenauslese sicherstellen. R wurde gemäß Art 33 II iVm 95 II GG ein verfassungsunmittelbarer Anspruch darauf zuerkannt, dass eine ihn berücksichtigende personelle Auswahlentscheidung auf der Grundlage der Kriterien der Bestenauslese (Eignung, Befähigung, fachliche Leistung) getroffen wird. Da eine Vergabe des streitbefangenen Amtes an N sogar im Falle eines Erfolges von R im Hauptsacheverfahren nicht mehr rückgängig zu machen sei, wurde dem BMJ im Wege der eAO untersagt, die Ernennung von N vor einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung zu vollziehen.
3. Abgrenzung zwischen einstweiliger Anordnung und aufschiebender Wirkung 11
Fall 3: Vielflieger F hat Angst, dass ein von ihm bestiegenes Flugzeug von Terroristen entführt und daraufhin von der Bundeswehr über Deutschland abgeschossen werden könnte, um den Einsatz jenes Flugzeugs als terroristische Waffe gegen Ziele am Boden zu verhindern. Daher begehrt F beim zuständigen VG den Erlass einer eAO mit dem Inhalt, der Bundesrepublik Deutschland zu untersagen, von Terroristen entführte Flugzeuge mit F an Bord abzuschießen, sofern er dem Bundesverteidigungsministerium seine Teilnahme an dem Flug mindestens zwölf Stunden zuvor per Telefax angezeigt hat.61
12
Im System des verwaltungsprozessualen vorläufigen Rechtsschutzes kommt der eAO – ausweislich der in § 123 V VwGO getroffenen Regelung – eine Art „Auffangfunktion“ zu. Immer dann, wenn kein Fall des § 80 oder § 80a VwGO (sowie des § 47 VI VwGO) vorliegt, ist der Antrag nach § 123 VwGO statthaft. Damit wird die Lückenlosigkeit des verwaltungsprozessualen vorläufigen Rechtsschutzes sichergestellt.62 Jedes Hauptsachebegehren (mit Ausnahme der Fortsetzungsfeststellungsklage, für die es im Eilverfahren keinen Bedarf gibt, so dass eine im Nachhinein zu treffende „vorläufige Feststellung“ aus-
58 BVerfG-K DVBl 1989, 1247 (m Anm Busch DVBl 1990, 107) = NJW 1990, 501. 59 So ausdrücklich BVerfG-K, DVBl 2002, 1633 = NVwZ 2003, 200; DVBl 2003, 1524 = NVwZ 2004, 95 → JK GG Art 33 II/19; NVwZ 2007, 1178, 1179. 60 Zum möglichen Schadenersatzanspruch des in seinem Recht nach Art 33 II GG verletzten Mitbewerbers BVerwG, NVwZ 2004, 1257; BVerwGE 124, 99 = NVwZ 2006, 212; ferner Leppin NVwZ 2007, 1241 ff. 61 Fall nach OVG NRW, NWVBl 2008, 354 → JK GG Art 2 II 1/9. 62 Hufen VerwPrR, § 33 Rn 1; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 571, 623.
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scheidet 63) kann durch die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gesichert werden. Greift die gesetzliche aufschiebende Wirkung (§ 80 I VwGO) nicht oder ist ein Antrag im Aussetzungsverfahren (§ 80 V, § 80a III VwGO) nicht statthaft, wird vorläufiger Rechtsschutz unter den Voraussetzungen des § 123 VwGO gewährleistet.64 Die Abgrenzung zwischen §§ 80, 80a und § 123 VwGO anhand der Klagearten 65 stellt nur eine grobe Faustformel dar. Der Anwendungsbereich des § 123 VwGO – und damit die Statthaftigkeit eines Antrags auf Erlass einer eAO – kann exakt nur ermittelt werden, wenn die Voraussetzungen für den gesetzlichen Eintritt der aufschiebenden Wirkung (→ § 29 Rn 21 ff) verneint werden und auch ein Eilantrag im Aussetzungsverfahren (→ § 29 Rn 102 ff) nicht statthaft ist. Danach findet § 123 VwGO in der Tat vornehmlich Anwendung im Bereich der Leistungs- und Feststellungsklagen.66 In Grenzfällen bleibt indes die Notwendigkeit zur präzisen Ermittlung des statthaften Eilantrags.67 So findet § 123 I 1 VwGO Anwendung, wenn eine belastende behördliche Maßnahme in Form des Realakts (und nicht des Verwaltungsakts) erfolgt.68 Im dreiseitigen Rechtsverhältnis ist die Reichweite des Vorrangs der §§ 80, 80a VwGO genau zu ermitteln;69 mitunter bedarf es einer Kombination von Eilanträgen nach § 80a III VwGO und nach § 123 I VwGO.70 So wird im Baunachbarrecht im Bereich der Genehmigungsfreistellung vorläufiger Rechtsschutz durch eAO gewährt,71 da es für § 80 I VwGO mangels Genehmigung am Vorliegen eines VA fehlt; beim Eilantrag auf bauaufsichtsbehördliches Einschreiten kommt die eAO in Betracht, wenn ein Antrag nach § 80a III 1 VwGO nicht statthaft ist.72 Im Ausländerrecht ist der Antrag nach § 123 I 2 VwGO bezüglich eines vorläufigen Bleiberechts statthaft, wenn die Fiktion des erlaubten Aufenthalts (§ 81 III u IV AufenthG) nicht eingreift.73 Die „Kürzung“ der Sozialhilfe ist nicht etwa ein nach § 80 VwGO angreifbarer Eingriffs-VA; da es sich bei der Bewilligung von Sozialhilfe nicht um einen Dauer-VA
63 VGH BW, VBlBW 2006, 285; OVG Hamburg, NVwZ-RR 2008, 197, 198. 64 OVG Berlin, NVwZ 2003, 1524. – Kaum überzeugend ThürOVG, NVwZ-RR 2004, 206 (207): Nach Erlangung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 V VwGO – nur – mit Sicherheitsleistung soll ein weiterer Eilantrag mit dem Ziel der Aussetzung der Vollziehung des VA ohne Sicherheitsleistung (wegen angeblicher Verpflichtungsklage in der Hauptsache) nur iSd eAO statthaft sein. 65 So zB OVG MV, NJW 1998, 2622; Schenke VerwPrR, Rn 1025; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 623. 66 Beim Leistungsbegehren kann im Rahmen des § 123 VwGO unentschieden bleiben, ob die begehrte Verwaltungsmaßnahme einen VA darstellt oder nicht und demnach die Verpflichtungsklage oder die allgemeine Leistungsklage statthafte Rechtsschutzform ist; HessVGH, NVwZ 2006, 1081 (am Bsp der Akteneinsicht). 67 Zur praktischen Bedeutung der Abgrenzung Mückl JA 2000, 329 f. 68 OVG NRW, NVwZ-RR 2000, 429, 430 am Bsp der Sicherstellung einer Sache; OVG RP, DVBl 2002, 1647 = NVwZ-RR 2003, 223, 224 am Bsp der Weisung gegenüber einem Beamten zum Dienstantritt; SächsOVG, LKV 1999, 329 am Bsp einer beamtenrechtlichen Umsetzung (in Abgrenzung zur Versetzung). 69 VGH BW, NVwZ-RR 1998, 651 am Bsp der Rangfolge zur Belegung von Kabelnetzen mit Fernsehprogrammen. 70 OVG NRW, DVBl 2008, 1454 zur Konkurrentensituation im Personenbeförderungsrecht; allg zum kumulativen vorläufigen Rechtsschutz (§ 80 bzw § 80a VwGO und § 123 VwGO) Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 67 ff. 71 NdsOVG, NdsVBl 2009, 44 → JK NdsBauO § 89 I/1; OVG NRW, NWVBl 1999, 220. 72 ThürOVG, LKV 1999, 279, 280; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 123 Rn 38. 73 VGH BW, VBlBW 2006, 286 (287); Külpmann in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 1211.
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handelt, stellt die „Kürzung“ (ebenso wie die Versagung einer Fortführung bisheriger Leistungen) im Rechtssinne die (teilweise) Ablehnung einer beantragten Begünstigung dar, so dass vorläufiger Rechtsschutz durch eAO erfolgt.74 § 123 VwGO kommt ferner beim verwaltungsrechtlichen Organstreit (insbes Kommunalverfassungsstreit → § 28) zur Anwendung,75 und auch der vorbeugende vorläufige Rechtsschutz wird – falls die weiteren Voraussetzungen vorliegen – durch eAO gewährt.76 14
In Fall 3 konnte F vorläufigen Rechtsschutz nur im Wege der eAO verlangen. In der Hauptsache handelte es sich um eine allgemeine Leistungsklage in Gestalt der vorbeugenden Unterlassungsklage (→ § 24 Rn 22 f). Ein Fall nach §§ 80, 80a (§ 123 V VwGO) liegt nicht vor. Statthaft (→ Rn 21 ff) ist folglich der Antrag auf Erlass einer eAO.
II. Zulässigkeit des Eilantrags nach § 123 VwGO 15
Fall 4: Der Landtag von L beschloss die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses (UA) zur Aufklärung bestimmter Ereignisse im Zusammenhang mit der Verbringung des Kurdenführers O in die Türkei. Der UA will den Bundesminister des Innern (BMI) vernehmen und Unterlagen des BMI einsehen. Die Bundesregierung (BReg) lehnt die beantragte Erteilung der Aussagegenehmigung für den BMI und die Herausgabe von Unterlagen an den UA ab. L möchte die BReg im Wege einer eAO verpflichten, dem Begehren des UA zu entsprechen.77
16
Fall 5: T möchte seine Gaststätte, die in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Kerngebiet gelegen ist, künftig als Spielhalle nutzen. Den Antrag auf Erteilung der für die Nutzungsänderung notwendigen Baugenehmigung lehnte die Stadt S als zuständige Bauaufsichtsbehörde unter Hinweis auf § 15 I 2 BauNVO trotz fehlender Anhaltspunkte für Belästigungen ab. Nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhob T Verpflichtungsklage. Daraufhin beschloss S, die geplante Spielhallennutzung durch eine Änderung des Bebauungsplans auszuschließen und das Baugesuch des T – nach Rücknahme des Ablehnungsbescheids – gemäß § 15 I 1 BauGB zurückzustellen. T beantragt beim zuständigen VG die Erteilung der beantragten Baugenehmigung durch Erlass einer eAO.78
17
Der Eilantrag im Verfahren der eAO muss, um Erfolg haben zu können, zulässig und begründet sein. Wie im Klageverfahren (→ § 21 Rn 2) und im Aussetzungsverfahren
74 BayVGH, BayVBl 1999, 50, 51. 75 Vgl zB HessVGH, NVwZ 1999, 1369: Ausschluss eines Gemeinderatsmitglieds aus der Fraktion; ThürOVG, LKV 2000, 358 = DVBl 2000, 935: Antragsrecht einer Kreistagsfraktion; SächsOVG, NVwZ-RR 1998, 253: Sicherung eines Bürgerbegehrens; SächsOVG, SächVBl 2000, 73: Streit um die Bestellung einer Frauenbeauftragten; SächsOVG, SächsVBl 2004, 244: Streit um den Vollzug eines Kreistagsbeschlusses durch Landrätin. 76 VGH BW, NVwZ-RR 2002, 507; NVwZ-RR 2004, 709. 77 Fall nach BVerwGE 109, 258 = DVBl 2000, 487 = NJW 2000, 160 → JK GG Art 44/3. 78 Fall nach HessVGH, NVwZ-RR 2003, 814 (m Bespr Maaß NVwZ 2004, 572) → JK VwGO § 123 I 2/2.
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(→ § 29 Rn 99) ist auch im Verfahren der eAO zwischen der Zulässigkeit und der Begründetheit des Eilantrags zu unterscheiden.79 In Bezug auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen gelten die allgemeinen Kategorien der Systematisierung (→ § 21 Rn 8): (1) allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen, (2.) statthafte Rechtsschutzform, (3.) besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen, (4.) allgemeines Rechtsschutzbedürftnis. Nachfolgend ist auf die Sachentscheidungsvoraussetzungen nur einzugehen, soweit sie im Eilverfahren praktische Bedeutung haben bzw Besonderheiten aufweisen. 1. Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen Für den Erlass einer eAO nach § 123 VwGO muss zunächst der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein (aufdrängende Sonderzuweisung oder Generalklausel gemäß § 40 I 1 VwGO → § 21 Rn 35 ff u Rn 41 ff). Die Rechtswegeröffnung ist eine von Amts wegen zu prüfende Sachentscheidungsvoraussetzung.80 Wird sie verneint, ist der Eilantrag nach § 123 VwGO unzulässig.81 Allerdings sind §§ 17 ff GVG im Eilverfahren entsprechend anwendbar.82 Daher ist die Rechtswegverweisung gemäß § 17a II GVG zulässig.83 Anwendbar im Eilverfahren ist auch § 17a I GVG, so dass eine bindende Entscheidung vorliegt, wenn ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg rechtskräftig für zulässig erklärt hat.84 Kommt § 17a V GVG im Eilverfahren zur Anwendung, prüft das Beschwerdegericht (OVG/VGH) nicht die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs, wenn der Rechtsweg vor dem Eingangsgericht (VG) nicht gerügt und von diesem (stillschweigend) bejaht worden ist.85 Die Beteiligungsfähigkeit ist im Verfahren der eAO – wie im Hauptsacheverfahren (→ § 21 Rn 134 ff) – nach § 61 VwGO zu ermitteln. Eine gewisse Rolle spielt diese Sachentscheidungsvoraussetzung im Organstreit. Beispiele sind der Kommunalverfassungsstreit86 und der zulässige In-sich-Prozess innerhalb eines Landes.87
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In Fall 4 bejahte das BVerwG eine ör Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art iSd § 40 I 1 VwGO. Ein verfassungsrechtlicher Bund-Länder-Streit gemäß Art 93 I Nr 3 GG, § 13 Nr 7 BVerfGG (→ § 18 Rn 3 ff) liege nicht vor, da das dem Streit zu Grunde liegende Rechtsverhältnis nicht verfassungsrechtlich geprägt sei. Die geltend gemachten Ansprüche
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79 Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 22 (mit Ausnahme, Rn 23, aus Gründen der Prozessökonomie). 80 VGH BW, NVwZ-RR 2003, 159 = VBlBW 2002, 345; OVG Berlin, DVBl 2001, 1765, 1766 = NJW 2002, 313; OVG MV, NVwZ 2001, 446 → JK VwGO § 40 I/30; OVG NRW, NJW 2001, 698; SächsOVG, NJW 1999, 2832. 81 NdsOVG, NdsVBl 2008, 75: Eilantrag gegen eine mit dem Betrieb einer gemeindlichen Einrichtung beauftragten juristischen Person des Privatrechts auf Zugang zu der Einrichtung. 82 Schoch, in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn 100. 83 OVG Berlin, NVwZ-RR 1998, 464; OVG Hamburg, NVwZ-RR 2000, 842; HessVGH, NVwZ 2003, 238; OVG MV, NVwZ 2001, 446, 447 → JK VwGO § 40 I/30. 84 OVG NRW, NJW 1998, 1579, 1580. 85 VGH BW, NVwZ-RR 2002, 504, 505. 86 SächsOVG, NVwZ-RR 1998, 253, 254. 87 SächsOVG, NJW 1999, 2832, 2834 zum Streit um den Auskunftsanspruch des Datenschutzbeauftragten gegen das Wissenschaftsministerium.
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auf Erteilung der Aussagegenehmigung und Herausgabe von Unterlagen hätten ihre Grundlage im einfachen Gesetzesrecht.88 Daher handele es sich um eine verwaltungsrechtliche Streitigkeit.
2. Rechtsschutzformvoraussetzungen 21
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Der Antrag auf Erlass einer eAO ist nur statthaft, wenn kein Fall des § 80 oder des § 80a VwGO vorliegt (§ 123 V VwGO → Rn 13) und auch § 47 VI VwGO (→ Rn 74) nicht eingreift. Innerhalb des Systems der eAO unterscheidet das Gesetz zwischen der Sicherungsanordnung (SiAO) gemäß § 123 I 1 VwGO und der Regelungsanordnung (ReAO) gemäß § 123 I 2 VwGO. Die SiAO dient der vorläufigen Erhaltung des status quo, die ReAO zielt auf die einstweilige Veränderung des status quo.89 Demnach geht es bei der SiAO um die Erhaltung des bestehenden Rechtszustands,90 bei der ReAO um die Erweiterung des Rechtskreises des Antragstellers.91 Der Abgrenzung zwischen SiAO und ReAO wird vielfach keine Bedeutung beigemessen;92 in der Praxis werden sogar beide Formen der eAO mitunter alternativ geprüft.93 Richtig ist das nicht.94 Macht man sich bewusst, dass die SiAO das funktionale Äquivalent zur aufschiebenden Wirkung darstellt, müssten zB Konsequenzen für die Unhaltbarkeit des ominösen Vorwegnahmeverbots der Hauptsache(entscheidung) gezogen werden (→ Rn 59). Außerdem sind – gerade auch in der Rechtsprechungspraxis – Unterschiede zwischen den beiden Formen der eAO bei den Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs in der Hauptsache festzustellen (→ Rn 42 u 43). Zwischen der SiAO und der ReAO ist folglich zu differenzieren.95 Die Praxis zeigt, dass zwischen den beiden Formen der eAO durchaus unterschieden werden kann und daher die Statthaftigkeit eines Eilantrags klar zu bestimmen ist. So wurde der Antrag nach § 123 I 1 VwGO als statthaft erkannt beim Anspruch auf Unterlassung der rechtswidrigen Verlegung von Straßenbahngleisen,96 bei der Sicherung des Bewerbungs(verfahrens)anspruchs eines Beamten 97 bzw eines Richters 98 aus Gründen des 88 § 7 I BMinG (Sartorius I Nr 45) regelt die Genehmigung zur Zeugenaussage von Bundesministern. Zur Herausgabe von Unterlagen soll „Entsprechendes“ gelten (so BVerwGE 109, 258, 268 unter Hinweis auf Art 35 I GG); §§ 4 ff VwVfG hätten wohl geprüft werden müssen. 89 Mückl JA 2000, 329, 331; Schenke VerwPrR, Rn 1025; Würtenberger VerwPrR, Rn 541. 90 OVG Berlin, NVwZ 2003, 1524, 1525; OVG SH, NVwZ 2006, 363, 364. 91 OVG NRW, NVwZ-RR 2008, 109. 92 Vgl zB BayVGH, NVwZ 2001, 828, 829; Hufen VerwPrR, § 33 Rn 1; Lorenz VerwPrR, § 29 Rn 11; Würtenberger VerwPrR, Rn 541; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 123 Rn 42, 45. 93 BayVGH, NVwZ-RR 1990, 99; OVG NRW, NJW 1990, 1132 f; NVwZ-RR 1993, 234, 235; OVG RP, NVwZ-RR 1999, 705. 94 Vgl zu den notwendigen Differenzierungen näher Schoch, in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn 49 ff. 95 Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 111. 96 BVerwG, NVwZ 2001, 89, 90. 97 VGH BW, NVwZ-RR 2009, 216; NdsOVG, NdsVBl 2002, 217; OVG NRW, NWVBl 1998, 400; NWVBl 2000, 28; NVwZ-RR 2003, 135; NVwZ-RR 2004, 236 = NWVBl 2004, 258; OVG RP, NVwZ-RR 1999, 49, 50; DÖV 2001, 41; SächsOVG, DVBl 2001, 1219; ThürOVG, NVwZ-RR 2004, 52; ThürVBl 2007, 187. 98 VGH BW, VBlBW 1999, 305, 306; OVG SH, NJW 2001, 3210.
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Art 33 II GG, beim Anspruch der Initiatoren eines Bürgerbegehrens gegen einen Bürgermeister auf Unterlassung von Maßnahmen zur „Aushebelung“ eines geplanten Bürgerentscheids 99 und bei ähnlichen Eilanträgen zur Sicherung der (Rechts-)Wirkungen eines Bürgerbegehrens,100 beim Eilantrag auf Unterlassung der Abschiebung 101 und der Unterlassung dienstlicher Äußerungen,102 beim Konkurrentenschutz gegen die Aufnahme eines Wettbewerbers in den Krankenhausplan eines Landes 103 und beim Eilantrag eines betroffenen Dritten zur Sicherung seines Beteiligungsrechts nach § 8 I IFG 104 vor der – geplanten – Gewährung von Informationszugang gemäß § 1 I IFG durch die Behörde.105 Der Antrag auf Erlass einer ReAO – die ebenfalls der vorläufigen Abwendung von Nachteilen dient, jedoch durch Veränderung des derzeitigen Zustands 106 – wurde zB für statthaft erachtet beim Begehren auf Aufnahme in eine bestimmte Schule,107 auf Versetzung in die nächst höhere Schulklasse,108 auf vorläufige Gewährung von Sozialhilfe 109 und anderen Sozialleistungen,110 auf vorläufige Approbation als Psychologische Psychotherapeutin,111 auf Zulassung zum Studium,112 auf Zulassung zur Prüfung,113 auf Erteilung eines vorläufigen Zeugnisses,114 auf Auskunft des Gemeinderates gegen einen Bürgermeister 115 und eines Landesdatenschutzbeauftragten gegen ein Ministerium,116 auf Fortführung von Bauarbeiten,117 auf Zugang zu einer Stadthalle,118 auf Akteneinsicht119 sowie auf Aufnahme der eigenen Bewerbung in den Wahlvorschlag für die Besetzung des Amtes eines Universitätspräsidenten.120 Vereinzelt missglückt der Rechtsprechungspraxis – sofern sie sich um die exakte Zuordnung eines Eilantrags zu § 123 I 1 VwGO oder zu § 123 I 2 VwGO bemüht – die Abgrenzung zwischen SiAO und ReAO. So geht es bei dem beamtenrechtlichen Konkurrentenstreit bei dem begehrten einstweiligen Verbot der Übertragung eines Dienstpostens an einen Mitbewerber um die vorläufige Wahrung des status quo (→ Rn 21), so dass nicht
99 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120
SächsOVG, NVwZ-RR 1998, 253. BbgOVG, LKV 2003, 229; HessVGH, NVwZ-RR 2004, 281; OVG SH, NVwZ 2006, 363, 364. VGH BW, VBlBW 2008, 309, 310. OVG NRW, NJW 2004, 1611 → JK VwGO § 123 I 1/3. VGH BW, NVwZ-RR 2002, 504; OVG NRW, NVwZ 2003, 630. Sartorius I Nr 113. HessVGH, NVwZ 2009, 60. HessVGH, NVwZ-RR 2001, 366; OVG NRW, NVwZ-RR 2008, 109 = NWVBl 2007, 488. VGH BW, NVwZ-RR 2000, 162; NdsOVG, NVwZ-RR 2004, 258; OVG NRW, NVwZ-RR 2004, 107; NVwZ-RR 2008, 109 = NWVBl 2007, 488. OVG NRW, NWVBl 2006, 302. BayVGH, NVwZ-RR 1999, 385. BbgOVG, LKV 2003, 141 (Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe); OVG RP, NVwZ-RR 2003, 657 (Leistungen der Grundsicherung). OVG Hamburg, NJW 1999, 2754. HessVGH, NVwZ-RR 2002, 751; OVG MV NVwZ-RR, 1999, 542. HessVGH, NVwZ-RR 2003, 756, 757; NVwZ-RR 2005, 330; SächsOVG, NVwZ-RR 2003, 853. OVG NRW, DVBl 2001, 820, 821. BbgOVG, LKV 1999, 34. SächsOVG, NJW 1999, 2832. OVG Bremen, NVwZ-RR 2006, 162. ThürOVG, ThürVBl 2009, 36 → JK ThürKO § 14/1. HessVGH, NVwZ 2006, 1081. HessVGH, NVwZ-RR 2000, 787, 788.
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die ReAO,121 sondern die SiAO statthaft ist (→ Rn 23). Der auf die Nutzungsuntersagung eines Grundstücks zielende Eilantrag ist ebenfalls auf die Beibehaltung des status quo gerichtet, so dass er nicht § 123 I 2 VwGO zugeordnet werden sollte.122 Ist ein den Bürger belastender Geldleistungsbescheid von dem Betroffenen angefochten (außerhalb des Anwendungsbereichs des § 80 II 1 Nr 1 VwGO → § 29 Rn 45 ff), hindert eigentlich die aufschiebende Wirkung (§ 80 I VwGO) die behördliche Aufrechnung gegenüber dem Leistungsanspruch dieses Bürgers aus einem ihn begünstigenden Bescheid (→ § 29 Rn 33); da die Rspr in der behördlichen Aufrechnung jedoch keine „Vollziehung“ sieht (→ § 29 Rn 35), ist der Bürger darauf angewiesen, seinen Anspruch mit einem Eilantrag nach § 123 I 2 VwGO durchzusetzen.123 Rechtsdogmatisch verlangt § 123 I 1 VwGO die Existenz eines sicherungsfähigen Rechts des Antragstellers,124 dessen Verwirklichung vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, weil die Verwaltung nach einer Veränderung des bestehenden Zustands trachtet. Zwischen Antragsteller und Behörde besteht also ein umstrittenes Rechtsverhältnis.125 Dieses Erfordernis ist in § 123 I 2 VwGO ausdrücklich genannt. Das streitige Rechtsverhältnis setzt die vorherige, erfolglos gebliebene Antragstellung bei der Behörde voraus.126 Im Übrigen bemühen sich die Gerichte – wie im Aussetzungsverfahren (→ § 29 Rn 108 f) – um die dem Rechtsschutzziel entsprechende Auslegung des Eilantrags,127 notfalls nehmen sie eine Umdeutung vor;128 machen die Verwaltungsgerichte von diesen Möglichkeiten (im Rahmen des § 88 VwGO) nicht Gebrauch und wird – auch bei anwaltlicher Vertretung des Antragstellers – in Bezug auf einen „falsch“ formulierten Eilantrag kein gerichtlicher Hinweis nach § 86 III VwGO gegeben, kann darin ein Verstoß gegen Art 19 IV 1 GG liegen.129 In Fall 5 erkannte der VGH zutreffend, dass ein Antrag nach § 123 I 1 VwGO nicht statthaft ist, weil es nicht um den Schutz einer dem T bereits zugewiesenen Rechtsposition geht. Mit dem Antrag auf Erteilung der Baugenehmigung werde vielmehr eine Veränderung des bestehenden Zustands angestrebt. Die Erweiterung seiner Rechtsstellung könne T mit dem Antrag auf Erlass einer ReAO nach § 123 I 2 VwGO anstreben.
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So aber OVG MV, NordÖR 2003, 32. So aber OVG Berlin, LKV 2005, 227, 228. OVG LSA, NVwZ-RR 2002, 907 → JK VwGO § 123/2. „Rechte“ iSd § 123 I 1 VwGO sind nicht nur materielle subjektive Rechte, sondern auch individualschützende Verfahrensrechte wie zB § 8 I IFG, HessVGH, NVwZ 2009, 60. Einzelheiten zur rechtsdogmatischen Struktur des § 123 bei Schoch, in: ders/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 123 Rn 52 (zur SiAO) und Rn 56 (zur ReAO). VGH BW, VBlBW 2001, 228; näher Schoch, in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn 102, 106, 121. VGH BW, VBlBW 1992, 152, 153; BayVGH, NVwZ-RR 1999, 641; OVG NRW, NVwZ-RR 1993, 234, 235; NVwZ-RR 2007, 60; OVG SH, NVwZ-RR 1995, 46; ThürOVG, NVwZ-RR 2004, 206, 207. BayVGH, BayVBl 1988, 658, 659; OVG Hamburg, NVwZ-RR 1993, 53, 54; ThürOVG, DVBl 2000, 434 = NVwZ-Beilage I 4/2000, 38; unklar, ob Auslegung oder Umdeutung, OVG LSA, NVwZ-RR 2002, 907 → JK VwGO § 123/2. – BVerwG, NVwZ 2008, 1010, 1011 äußert – unberechtigte – Zweifel an der Zulässigkeit einer Umdeutung bei einem von einem Rechtsanwalt formulierten Eilantrag. BVerfG-K, NVwZ 2008, 417, 418.
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3. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen Die an die statthafte Rechtsschutzform anknüpfenden besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen bereiten bei der eAO idR keine größeren Schwierigkeiten. Die Antragsbefugnis (§ 42 II VwGO analog) setzt ein wehrfähiges, dh subjektiv-öffentliches Recht des Antragstellers voraus.130 Die Möglichkeit der Rechtsverletzung entspricht dem Prüfungsmuster bei der Klagebefugnis (→ § 23 Rn 31 ff, → § 24 Rn 29, → § 25 Rn 54). Die passive Verfahrensbefugnis ist entsprechend § 78 VwGO zu ermitteln.131 Zur gerichtlichen Zuständigkeit trifft § 123 II VwGO eine ausdrückliche Regelung. Zuständig ist das Gericht der Hauptsache; das ist das Gericht des ersten Rechtszugs bzw, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. Grundsätzlich ist danach die Zuständigkeit des VG gegeben (vgl § 45 VwGO). Das Berufungsgericht erlangt – falls das VG die Berufung nicht zulässt (vgl § 124a I VwGO) – die Zuständigkeit gemäß § 123 II 2 VwGO ab Stellung des Antrags auf Zulassung der Berufung 132 (vgl § 124a IV VwGO). In seiner Funktion als Revisionsgericht kommt dem BVerwG nach § 123 II VwGO eine Zuständigkeit zum Erlass einer eAO nicht zu. Als Gericht der Hauptsache ist das BVerwG zuständig, wenn es erstinstanzlich zu entscheiden hat133 (vgl § 50 I VwGO); zuständig ist das BVerwG auch im Falle einer bindenden Verweisung (§ 83 Satz 1 VwGO iVm § 17a II 3 GVG).134
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In Fall 3 ist die Antragsbefugnis des F nicht unproblematisch. F müsste analog § 42 II VwGO einen individuellen Rechtsanspruch darauf haben, dass der Staat und seine Organe im Falle der möglichen eigenen Betroffenheit des F als Passagier eines von Terroristen entführten Flugzeugs dessen Abschuss nicht veranlassen. Das OVG vermochte eine diesbezügliche mögliche Anspruchsgrundlage nicht zu nennen. Das Gericht bejahte vielmehr die Antragsbefugnis des F mit der juristisch wenig präzisen These, ein entsprechender Anspruch des F sei angesichts des Diskussionstandes in der Literatur im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG 135 zu § 14 III LuftSiG 136 nicht von vornherein und nach jeder Betrachtung auszuschließen. Daher sei F antragsbefugt und sein Eilantrag zulässig.
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In Fall 4 bejahte das BVerwG seine Zuständigkeit gemäß § 50 I Nr 1 VwGO. Das Verfahren weise einen verwaltungsrechtlichen Charakter auf. Daher sei das BVerwG zuständig, in dem Bund-Länder-Streit eine eAO zu treffen.
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130 VGH BW, VBlBW 1992, 24; BayVGH, BayVBl 1998, 597, 598; BbgOVG, LKV 2003, 229; OVG NRW, NVwZ-RR 2004, 107 u 519; SächsOVG, NVwZ-RR 1998, 253, 254; LKV 1998, 237; NJW 1999, 2832; SächsVBl 2000, 73. 131 Einzelheiten dazu bei Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn 108. 132 BayVGH, DVBl 1999, 1664, 1665 = NVwZ 2000, 210, 211; ThürOVG, DVBl 2000, 434 = NVwZ-Beilage I 4/2000, 38. 133 BVerwG, NVwZ-RR 2000, 760 (bzgl § 5 I VerkPBG). 134 BVerwG, DVBl 2001, 402. 135 BVerfGE 115, 118 → JK GG Art 2 II 1/8; dazu Bespr Baumann JURA 2006, 447 ff. 136 Sartorius ErgBd Nr 976.
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Sonstige besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen bestehen nicht. Ein Hauptsacheverfahren muss nicht anhängig sein (§ 123 I 1 VwGO: „Antrag … schon vor Klageerhebung“);137 auch ein Widerspruch gegen die ablehnende Verwaltungsentscheidung muss noch nicht eingelegt worden sein.138 Eine Antragsfrist besteht für den Eilantrag nach § 123 VwGO nicht.139 Nicht richtig ist es, den Anordnungsgrund für den Erlass einer eAO als Sachentscheidungsvoraussetzung zu qualifizieren140 oder einen Eilantrag deshalb als unzulässig zu bezeichnen, weil er „auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist“.141 Der Anordnungsgrund ist eine Begründetheitsvoraussetzung (→ Rn 52 ff) und die Vorwegnahme der Hauptsache betrifft allenfalls den Inhalt einer eAO (→ Rn 58 ff). 4. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis
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Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis hat als Sachentscheidungsvoraussetzung (→ § 21 Rn 185 ff) bei der eAO keine allzu große Bedeutung. Erörterungsbedürftig kann es zB beim vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutz142 oder beim Eilantrag im Rahmen eines Insich-Prozesses143 sein. Ansonsten wird geprüft, ob der Antragsteller ein schutzwürdiges Interesse gerade an der Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes hat.144 Dies wird seitens der hM grundsätzlich verneint, wenn der Antragsteller vor dem Eilantrag bei Gericht sein Begehren nicht erfolglos an die zuständige Verwaltungsbehörde gerichtet hatte;145 zweifelhaft ist indes bereits die Statthaftigkeit des Eilantrags, weil ohne vorherige Antragstellung bei der Behörde kaum ein „Rechtsverhältnis“ iSd § 123 I VwGO bestehen dürfte.146 Im Baunachbarrecht wird das Rechtsschutzbedürfnis versagt, wenn sich der Antragsteller gegen ein Bauvorhaben als solches (seine Masse, Substanz) – und nicht auch gegen die Nutzung – wendet und das Bauwerk (Rohbau) fertig gestellt ist.147 Beim Konkurrentenstreit im Beamtenrecht (→ Rn 9) entfällt das Rechtsschutzbedürfnis nach hM mit der (endgültigen) Übertragung des Amtes (im statusrechtlichen Sinne) an einen Mitbewerber.148 Dem behördlichen Eilantrag wird das Rechtsschutzbedürfnis versagt, wenn
137 ThürOVG, NVwZ-RR 2004, 52. 138 Allerdings darf der Ablehnungsbescheid nicht bestandskräftig sein, BayVGH, BayVBl 1995, 373, 374. 139 Zu fachgesetzlichen Anforderungen Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn 109 f. 140 So aber BVerwG, NVwZ 2001, 329; zutr dagegen Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 108. 141 So OVG NRW, DVBl 2001, 820, 822; falsch insoweit auch die Zuordnung von BVerwGE 109, 258, 261 f. 142 BayVGH, NVwZ-RR 1999, 641; Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 104. – In Fall 3 ging das OVG auf das Rechtsschutzbedürfnis des F nicht ein. 143 SächsOVG, NJW 1999, 2832, 2834. 144 SächsOVG, SächsVBl 2004, 284, 285; Hufen VerwPrR, § 33 Rn 10. 145 VGH BW, NVwZ-RR 2005, 174 = VBlBW 2004, 482; Schenke VerwPrR, Rn 1031; Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 95; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 123 Rn 70. 146 Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn 121. 147 NdsOVG, NdsVBl 2009, 44 → JK NdsBauO § 89 I/1. 148 OVG NRW, NWVBl 2006, 262; anders dagegen bei der (vorläufigen) Übertragung lediglich eines Dienstpostens („Amt“ im konkret-funktionellen Sinne), VGH BW, NVwZ-RR 2008, 550.
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die Verwaltung ihr Ziel zB durch Erlass eines VA erreichen kann.149 Im Übrigen ist der verbreiteten Neigung zu widersprechen, dem Rechtsschutzbedürfnis zuzuweisen, was präzise sonstigen Zulässigkeits- oder Begründetheitsvoraussetzungen zugeordnet werden kann. Das gilt zB für die Gleichsetzung von Anordnungsgrund und Rechtsschutzbedürfnis 150 sowie für etliche andere Ungenauigkeiten.151
III. Begründetheit des Eilantrags nach § 123 VwGO Fall 6: Die Stadt S hat im unbeplanten Innenbereich ein städtisches Grundstück einer sog. Wagenburg überlassen, die faktisch eine baurechtsfreie Enklave bildet. Mit den Bewohnern der Wagenburg, die aus 20 ehemaligen Bau- und Zirkuswagen besteht, wurden Mietverträge für die Dauer eines Jahres geschlossen, die sich ohne fristgemäße Kündigung um ein weiteres Jahr verlängern sollen. Die Wohnwagen haben weder einen Strom- noch einen Wasseroder Abwasseranschluss; auch fehlen Sanitäranlagen auf dem Grundstück. E ist Eigentümer eines Grundstücks auf der gegenüberliegenden Straßenseite, auf dem sich eine mehrgeschossige Wohnanlage befindet. Da es beim Verkauf von Eigentumswohnungen zu Problemen kommt, verlangt E von S die Beseitigung der Wagenburg. Als S untätig bleibt, beantragt E beim VG den Erlass einer eAO.152
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Fall 7: Die verfasste Studierendenschaft (AStA) der Universität U, die nach dem Landeshochschulgesetz nicht über ein allgemeinpolitisches Mandat verfügt, äußert sich andauernd zu Themen wie Castortransporten, Ausländerpolitik, Arbeitsmarktpolitik. Student T ist damit nicht einverstanden und verlangt die Unterlassung der allgemeinpolitischen Aktivitäten seitens des AStA. Als dieser seine umstrittenen Aktionen fortsetzt, beantragt T beim VG, dem AStA die allgemeinpolitischen Aktivitäten einstweilen zu untersagen.153
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Fall 8: M möchte vom kommenden Semester an Medizin an der Universität U studieren. Die Ausbildungskapazität beläuft sich auf 217 Vollstudienplätze und 5 weitere auf den vorklinischen Studienabschnitt beschränkte Teilstudienplätze. Nachdem 213 Vollstudienplätze und 13 Teilstudienplätze im vorklinischen Studienabschnitt vergeben worden sind, wird der Antrag von M auf Zulassung zum Medizinstudium abgelehnt. M beantragt beim VG den Erlass einer eAO des Inhalts, bei U vorläufig einen Studienplatz im Studiengang Medizin zu erhalten.154
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149 OVG Hamburg, NJW 1989, 605; OVG NRW, NVwZ-RR 1996, 169. 150 So OVG NRW, NWVBl 2001, 390 = NVwZ 2001, 1427; zutr dagegen Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 108. 151 Vgl dazu Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn 120; ebenso zB bzgl der Qualifizierung des „Vorwegnahmeverbots der Hauptsache“ (→ Rn 58 ff) als Anforderung des Rechtsschutzbedürfnisses Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 109; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 123 Rn 73. 152 Fall nach OVG Berlin, LKV 1998, 355; im Anschluss daran OVG Berlin, LKV 2003, 276 = UPR 2003, 154 → JK BauGB § 34 I/2. 153 Fall nach OVG Bremen, NVwZ 1999, 211. 154 Fall nach OVG RP, NVwZ-RR 2001, 165.
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Fall 9: Eine BGB-Klausur von J in der 1. jur. Staatsprüfung wurde vom Erstprüfer mit 2 Punkten, vom Zweitprüfer mit 4 Punkten benotet. Dadurch waren bei J mehr als drei Aufsichtsarbeiten mit weniger als 4 Punkten bewertet, so dass J von der mündlichen Prüfung ausgeschlossen war. Ausschlaggebend für das Votum des Erstprüfers war die Bewertung, § 680 BGB sei in der Klausur „eher zufällig behandelt worden“. Tatsächlich hatte J das Haftungsprivileg des § 680 BGB in der Klausur zu Recht mit knapper Begründung bejaht und auch auf das Recht der unerlaubten Handlung erstreckt. J begehrt beim VG vorläufigen Rechtsschutz mit dem Ziel der Neubewertung jener BGB-Klausur und der vorläufigen Zulassung zur mündlichen Prüfung.155
1. Entscheidungsmaßstab 36
Der Maßstab für die Entscheidung über die Begründetheit des Antrags auf Erlass einer eAO ergibt sich aus § 123 III VwGO iVm § 920 II ZPO 156 Danach sind der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund glaubhaft zu machen;157 die Verfassungsmäßigkeit dieses Entscheidungsmaßstabs ist bestätigt worden.158 Die verkürzte Ausdrucksweise darf nicht zu fehlerhaften Schlussfolgerungen verleiten. Die Glaubhaftmachung bezieht sich – wie § 123 III VwGO iVm §§ 920 II, 294 ZPO zeigt159 – auf den Nachweis von Tatsachen,160 also auf die tatsächlichen Voraussetzungen des Erlasses einer eAO und nicht etwa auf die rechtlichen Voraussetzungen.161 Die Glaubhaftmachung kann mittels Versicherung an Eides Statt erfolgen.162 Im Übrigen bildet der Tatsachenvortrag des Antragstellers nur ein Element zur Gewinnung der tatsächlichen Grundlagen für die Eilentscheidung; auch im Eilverfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 VwGO).163 Bei Klausuren und Hausarbeiten in Studium und Examen mit vorgegebenem Sachverhalt ist zum Tatsächlichen ohnehin von der feststehenden Aufgabenstellung auszugehen.
155 Fall nach SaarlOVG, NVwZ 2001, 942. 156 § 920 II ZPO: „Der Anspruch und der Arrestgrund sind glaubhaft zu machen“. 157 BVerwG, DVBl 2001, 402; VGH BW, NVwZ-RR 2000, 162; VBlBW 2001, 228 f; NVwZ-RR 2004, 120; NVwZ-RR 2008, 550; BayVGH, BayVBl 1998, 209, 210; NVwZ-RR 2005, 254; BbgOVG, LKV 2003, 141 u 229; OVG Hamburg, NJW 1999, 2754, 2755; HessVGH, NVwZ-RR 2001, 366; NVwZ-RR 2003, 814, 815 → JK VwGO § 123 I 2/2; NVwZ 2006, 1081; NdsOVG, NVwZ-RR 2004, 258; NVwZ-RR 2005, 414; NVwZ-RR 2008, 367, 368; OVG NRW, DVBl 2001, 820, 821; DVBl 2001, 839 f = DÖV 2001, 651 = NVwZ 2001, 1315 → JK GG Art 8/14; NVwZ-RR 2004, 519; SaarlOVG, NVwZ-RR 2005, 550, 551; SächsOVG, SächsVBl 2001, 293, 294 f; ThürOVG, LKV 2000, 358 f; LKV 2001, 140, 141; NVwZ-RR 2004, 52; ThürVBl 2007, 187. 158 BVerfG-K, DVBl 2002, 1112, 1113; NJW 2003, 1305, 1306. 159 VGH BW, VBlBW 2001, 228, 229; ThürOVG, ThürVBl 2009, 36, 37 → JK ThürKO § 14/1. 160 VGH BW, NVwZ-RR 2000, 303, 304; BayVGH, NVwZ-RR 2001, 477; NdsOVG, DVBl 1997, 1336 = NVwZ-RR 1998, 205; NdsVBl 1998, 167; OVG NRW, NJW 2000, 2523. 161 Mückl JA 2000, 329, 333; Lorenz VerwPrR, § 29 Rn 22; aA Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 123 Rn 89. 162 HessVGH, NVwZ 1999, 1369; NdsOVG, NVwZ-RR 2007, 398, 399; SaarlOVG, NVwZ-RR 2005, 550, 552; SächsOVG, LKV 2002, 472, 474 = SächsVBl 2001, 293, 295. 163 BVerfG-K, NVwZ 2004, 1112, 1113; BayVGH, NVwZ-RR 2001, 477; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 123 Rn 90 ff; Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn 95.
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In diesem System markiert der Anordnungsanspruch die materiellrechtliche Rechtsposition, die im Hauptsacheverfahren durchgesetzt werden soll und im Eilverfahren zur einstweiligen Sicherung bzw vorläufigen Realisierung ansteht; der Anordnungsgrund steht für den Anlass der beantragten einstweiligen Maßnahme und manifestiert die Eilbedürftigkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes (→ Rn 52), die ein Zuwarten auf die Hauptsacheentscheidung nicht erlaubt.164 Gegenüber diesen klaren Vorgaben zur Entscheidungsfindung (§ 123 III VwGO iVm § 920 II ZPO) sind Versuche, das Prüfprogramm zum Erlass einer eAO auf eine allgemeine (pauschale) „Interessenabwägung“ zu reduzieren,165 als gesetzeswidrig zurückzuweisen;166 nicht haltbar ist angesichts des eindeutigen gesetzlichen Befundes auch die Überlegung, den Gerichten ein Wahlrecht zwischen der Prüfung des Anordnungsanspruchs sowie des Anordnungsgrundes oder der Durchführung einer „Interessenabwägung“ einzuräumen.167 Es findet, wenn Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bejaht worden sind, nicht etwa auch noch eine zusätzliche „Interessenabwägung“ statt.168 Liegen die Voraussetzungen vor, muss die eAO ergehen; zum „Ob“ der eAO besteht kein „Ermessen“, über Gestaltungsbefugnisse verfügt das Gericht nur beim Inhalt der Anordnung (→ Rn 56 f).169 Nicht vereinbar mit dem geltenden Recht ist auch die These, die Entscheidung nach § 123 VwGO sei – jedenfalls bei Zeitknappheit – mittels einer Folgenabwägung ohne Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu treffen.170 Eine derartige Entscheidungsfindung „lässt das Gesetz nicht zu“.171 Geht es in – ohnehin eher seltenen – zeitlich sehr engen Entscheidungssituationen um die vorläufige Verhinderung des Eintritts „vollendeter Tatsachen“, kann das Gericht aus Gründen des Art 19 IV 1 GG eine sog Schiebeverfügung (Zwischenverfügung, Hängebeschluss) erlassen 172 oder – im Anwendungsbereich des § 123 I 1 VwGO – wegen zumindest offener Erfolgsaussicht in der Hauptsache (→ Rn 42 aE) eine Sicherungsanordnung vornehmen173.
164 Vgl OVG SH, NJW 2000, 3440; Lorenz VerwPrR, § 29 Rn 1; näher dazu Schoch in: ders/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn 64. 165 BayVGH, BayVBl 1998, 209, 210; NVwZ 2001, 828, 829; OVG SH, NVwZ 2006, 363, 364; in der Tendenz auch Hufen VerwPrR, § 33 Rn 16; Stern/Blanke VerwPrR, Rn 639; Tettinger/Wahrendorf, VerwPrR, § 25 Rn 12 f. 166 Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 123 Rn 96; Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 136 (allerdings mit Ausnahmen, Rn 137 ff). 167 So aber BVerfG-K, NJW 2003, 1305, 1306; NVwZ 2005, 927, 928; zutr dagegen zB NdsOVG, NJW 2002, 2808, 2809. 168 Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn 65 mwN. 169 Mückl JA 2000, 329, 332; Schenke VerwPrR, Rn 1033; Würtenberger VerwPrR, Rn 552; Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 143 (ReAO) u Rn 173 (SiAO); Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 123 Rn 76; unzutr Schrader JuS 2005, 37 u 38, der – gesetzeswidrig – eine „eigene Ermessensentscheidung“ des Gerichts postuliert. 170 BVerfG-K, DVBl 1996, 1367, 1368 = NVwZ 1997, 479, 480; BVerfG-K, NVwZ-RR 2001, 694, 695; OVG NRW, NWVBl 2008, 305, 306; OVG SH, NVwZ 2006, 363, 364; bei offener Erfolgsaussicht in der Hauptsache auch ThürOVG, ThürVBl 2005, 241, 244; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 123 Rn 79. 171 So treffend VGH BW, DVBl 1999, 1663, 1664 = NVwZ 1999, 1357; ähnlich in der Sache NdsOVG, NdsVBl 1998, 167 und NVwZ-RR 2001, 241. 172 Vgl BayVGH, DVBl 2000, 925, 926; OVG SH, NVwZ 2006, 956; Einzelheiten bei MacLean LKV 2001, 107 ff, ferner Guckelberger NVwZ 2001, 275 ff. 173 OVG NRW, NVwZ 2008, 232.
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Entsprechend den skizzierten Vorgaben hat das OVG NRW in Fall 3 untersucht, ob der von F geltend gemachte generelle und strikte Abwehranspruch in der Rechtsordnung eine Grundlage findet. – Das OVG Berlin hat in Fall 6 geprüft, ob E einen Abwehranspruch gegenüber der Wagenburg hat und deren vorläufige Beseitigung im Eilverfahren verlangen kann. – In Fall 7 hat das OVG Bremen untersucht, ob der AStA rechtswidrig ein allgemeinpolitisches Mandat wahrnimmt und ob zur Bejahung des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs eine Wiederholungsgefahr angenommen werden kann sowie ob ein dringendes Regelungsbedürfnis gegeben ist. – In Fall 8 wurde vom OVG RP ermittelt, ob M einen Zulassungsanspruch zum Medizinstudium glaubhaft gemacht hat und ob der Erlass der begehrten vorläufigen Regelung gemäß § 123 I 2 VwGO nötig ist. – In Fall 9 wurde vom OVG Saarland geprüft, ob J einen Anspruch auf Neubewertung der BGB-Klausur und auf Zulassung zur mündlichen Prüfung hat und ob ein Anordnungsgrund im Sinne besonderer Dringlichkeit besteht. – Dagegen hat der HessVGH in Fall 5 zu Unrecht Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht geprüft, sondern für seine Entscheidungsfindung sogleich das (angebliche) Verbot der Hauptsachevorwegnahme (→ Rn 58 ff) bemüht.
2. Anordnungsanspruch 40
Fall 10: Die deutsche Futtermittelverordnung (FMVO) schreibt in Umsetzung der RL 2002/2/EG vor, dass bei bestimmten Futtermitteln die Angaben über deren Zusammensetzung offen zu deklarieren sind. Die insoweit maßgebliche Vorgabe der Richtlinie ist Gegenstand mehrerer Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH (Art 234 EGV; 267 AEUV); in einigen EG-Mitgliedstaaten haben innerstaatliche Gerichte den Vollzug der nationalen Durchführungsvorschriften vorläufig ausgesetzt. Futtermittelhersteller H wehrt sich gegen die offene Deklaration der Zusammensetzung seiner Futtermittel, weil Wettbewerber das Produkt-know-how erfahren und dadurch ungerechtfertigte Marktvorteile erlangen könnten. H begehrt mit einem Eilantrag beim zuständigen VG die Feststellung, dass die FMVO vorläufig auf ihn nicht angewendet wird.174
41
Der prozessuale Begriff „Anordnungsanspruch“ meint den materiellen Anspruch, für den die eAO begehrt wird.175 Der rechtsdogmatische Anknüpfungspunkt hierfür findet sich bei der SiAO im „Recht des Antragstellers“ (§ 123 I 1 VwGO), bei der ReAO im „streitigen Rechtsverhältnis“ (§ 123 I 2 VwGO). Der Sache nach kommt es auf dieser Stufe der Begründetheitsprüfung im Verfahren der eAO zu einer Vorausbeurteilung der Erfolgsaussicht der Hauptsacheklage.176 Dabei bezieht sich die in der Praxis vielfach verwendete Formel von der – „nur möglichen“ oder „gebotenen“ – summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage 177 nur auf die Sachverhaltsermittlung. Die Floskel von der „summarischen
174 Fall nach BVerfG-K, NVwZ 2004, 1346 → JK GG Art 19 IV 1/27; BayVGH, BayVBl 2005, 280; OVG NRW, DÖV 2008, 298. 175 NdsOVG, NVwZ-RR 2008, 367, 368; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 123 Rn 77. 176 HessVGH, NVwZ 2000, 92, 93; NVwZ-RR 2001, 366; OVG MV, NJW 1998, 2622, 2623; Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 125. 177 Vgl etwa VGH BW, NVwZ-RR 2000, 162; NVwZ-RR 2000, 303, 304; NJW 2007, 2506 = VBlBW 2008, 30, 31; VBlBW 2008, 114; BayVGH, DVBl 2000, 1140, 1141; NVwZ-RR 2001, 477; BayVBl 2001, 500; BbgOVG, LKV 2003, 141; HessVGH, NVwZ 1999, 1369, 1370; NVwZ-
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rechtlichen Würdigung“ 178 ist juristisch nicht haltbar. Die rechtliche Seite des Anordnungsanspruchs ist strikt zu prüfen; eine „summarische“ („kursorische“) Prüfung der Rechtslage ist dem Richter nicht erlaubt, da Rechtsfragen eindeutig zu beantworten sind 179. Mitunter betont die Rspr ausdrücklich, dass im Verfahren der eAO eine abschließende rechtliche Prüfung zu erfolgen hat.180 Im Wege der eAO vorläufig zu sichern ist auch der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung;181 dabei muss aus Gründen des wirksamen Rechtsschutzes (Art 19 IV 1 GG) im Eilverfahren nicht unbedingt eine Ermessensreduzierung auf Null festgestellt werden.182 Die entsprechende Anwendung des § 114 Satz 2 VwGO im Verfahren nach § 123 VwGO wird abgelehnt.183 Liegt eine Ermessensreduzierung auf Null vor, ist der Anordnungsanspruch problemlos gegeben.184 Gelangt das Gericht im Rahmen seiner rechtlichen Prüfung zu der Überzeugung, dass eine der Rechtsschutzgewährung entgegenstehende Norm verfassungswidrig ist, muss es nicht das Verfahren nach Art 100 I GG betreiben (str); das Gebot wirksamen Rechtsschutzes (Art 19 IV 1 GG) genießt relativen Vorrang.185 Bloße Zweifel an der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes reichen ohnehin nicht, um ein Normenkontrollverfahren zulässigerweise einleiten zu können (→ § 16 Rn 58). Vor diesem Hintergrund ist bei der SiAO (§ 123 I 1 VwGO) jedes subjektive öffentliche Recht des Antragstellers sicherungsfähig.186 Das bedeutet, dass zB beim Konkurrentenstreit im Beamtenrecht (um eine Einstellung oder Beförderung) zu prüfen ist, ob der Bewerbungs(verfahrens)anspruch auf Bestenauslese (Art 33 II GG) verletzt worden ist;187
178 179 180 181 182 183 184 185
186 187
RR 2000, 787, 788; NVwZ 2001, 826; NdsOVG, NVwZ-RR 2001, 241; NVwZ-RR 2007, 398, 399; OVG NRW, NVwZ 2007, 1212 = NWVBl 2008, 32; DVBl 2008, 1454; SächsOVG, NVwZRR 1998, 253, 254; LKV 2002, 472 = SächsVBl 2001, 293; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 123 Rn 87. So BVerwG, DVBl 2001, 402, 403; ähnlich BVerfG-K, DVBl 2002, 1112, 1113; OVG NRW, NWVBl 2001, 21, 22. NdsOVG, NdsVBl 1998, 167; Mückl JA 2000, 329, 332; Lorenz VerwPrR, § 29 Rn 24; Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 116, 118, 157. BVerfG-K, NVwZ 2005, 927, 928; NVwZ 2008, 880, 881; ThürOVG, NVwZ-RR 2006, 745, 746 = ThürVBl 2006, 204, 206. VGH BW, VBlBW 2001, 228, 229; NdsOVG, NdsVBl 2009, 44, 45 → JK NdsBauO § 89 I/1; OVG NRW, NWVBl 1998, 400; NWVBl 2000, 28. NdsOVG, NVwZ-RR 2008, 792, 793 – Ausführlich zur Problematik Schoch in: ders/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn 158 ff. HessVGH, GewArch 2004, 354; NdsOVG, NVwZ-RR 2008, 552, 553. OVG Berlin, LKV 2003, 276, 278; OVG NRW, DVBl 2008, 1454 (im konkreten Fall aber abgelehnt). OVG Hamburg, NJW 1999, 2754, 2759; aA Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 303 (allerdings mit etlichen Ausnahmen, Rn 306 ff). – Nicht überzeugend sind die von BVerfGE 86, 382, 389 behaupteten Restriktionen; vgl zur Kritik Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn 129. OVG SH, NVwZ 2006, 363, 364; auch individualschützende Verfahrensrechte, HessVGH, NVwZ 2009, 60 (zu § 8 I IFG). Vgl VGH BW, NVwZ-RR 2004, 120; NVwZ-RR 2009, 216; NdsOVG, NdsVBl 2002, 217; OVG NRW, NWVBl 1998, 400; NWVBl 2000, 28; NVwZ-RR 2003, 135; NVwZ-RR 2004, 236 = NWVBl 2004, 258; OVG RP, NVwZ-RR 1999, 49, 50; DÖV 2001, 41; SächsOVG, DVBl 2001, 1219; ThürOVG, NVwZ-RR 2004, 52; ThürVBl 2007, 187. – Zur Parallele beim Konkurrentenstreit zwischen Richtern vgl VGH BW, VBlBW 1999, 305, 306; OVG SH, NJW 2001, 3210.
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im Ausländerrecht ist zB rechtlich abschließend zu klären, ob ein Abschiebungshindernis vorliegt;188 im Kommunalrecht ist etwa rechtlich präzise zu ermitteln, ob Sicherungsrechte zur Durchführung eines Bürgerbegehrens bestehen.189 In allen Fällen der SiAO sollte es für die Bejahung des Anordnungsanspruchs ausreichen, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie der Misserfolg.190 Für die Sicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs im beamtenrechtlichen Konkurrentenstreit hat das BVerfG diese Doktrin auf der Grundlage des Art 19 IV 1 iVm 33 II GG durchgesetzt. Zur Sicherung des Anspruchs eines Bewerbers auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Entscheidung setze der verwaltungsgerichtliche Eilrechtsschutz nur voraus, dass die Aussichten des Antragstellers, im Falle eines ordnungsgemäßen Auswahlverfahrens zum Zuge zu kommen, offen seien.191 Die Verwaltungsrechtsprechung folgt diesem Diktum.192 Auch auf anderen Rechtsgebieten trifft jene Lehre zu.193 Bei der ReAO ergibt sich der Anordnungsanspruch aus dem „streitigen Rechtsverhältnis“ (§ 123 I 2 VwGO). Gemeint ist damit das zwischen Antragsteller und Behörde umstrittene materielle Verwaltungsrechtsverhältnis. „Rechtsverhältnis“ (vgl § 43 I VwGO) ist iSd rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem bestimmten Lebenssachverhalt auf Grund der Anwendung von Rechtsnormen zwischen den Verfahrensbeteiligten ergeben (→ § 25 Rn 5 ff). Bei der ReAO entsteht das konkrete, streitige Rechtsverhältnis idR durch Ablehnung eines Antrags des Antragstellers seitens der Behörde. Folglich ist zu prüfen, ob der geltend gemachte Anspruch auf die begehrte Verwaltungsmaßnahme gegeben ist. In diesem Sinne wurde zB geprüft, ob der Anspruch auf Aufnahme in eine bestimmte Schule besteht,194 ob der Sozialhilfeanspruch zu bejahen ist,195 ob der Gemeinderat einen Auskunftsanspruch gegen den Bürgermeister hat,196 ob der Anspruch auf vorläufige Approbation vorliegt,197 ob der Anspruch auf einen Studienplatz gegeben ist 198
188 Vgl VGH, BW NVwZ 1993, 190 u 295; VBlBW 2008, 309, 310; HessVGH, NVwZ-RR 1993, 213. 189 Vgl BbgOVG, LKV 2003, 229; HessVGH, NVwZ 1994, 396; NVwZ-RR 2004, 281; OVG RP, NVwZ-RR 1995, 411; SächsOVG, NVwZ-RR 1998, 253; OVG SH, NVwZ 2006, 363, 364. 190 Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn 70; maßgeblich ist die Erwägung, dass die SiAO das funktionale Äquivalent zur aufschiebenden Wirkung darstellt (dh: ebenfalls vorläufige Sicherung des status quo). – AA VGH BW, NVwZ-RR 2004, 120; Lorenz VerwPrR, § 29 Rn 25; Schenke VerwPrR, Rn 1033: überwiegende Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren notwendig. 191 BVerfG-K, DVBl 2002, 1633, 1634 = NVwZ 2003, 200, 201; NVwZ 2006, 1401, 1402 f → JK GG Art 33 II/20. 192 VGH BW, NVwZ-RR 2005, 585, 586 = VBlBW 2006, 59, 60; VBlBW 2006, 62, 63; NVwZ-RR 2008, 550; VBlBW 2008, 309, 310; NVwZ-RR 2009, 216; ThürOVG, NVwZ-RR 2004, 52; NVwZ-RR 2006, 745, 746 = ThürVBl 2006, 204, 205 f; ThürVBl 2007, 187, 188. 193 Vgl OVG NRW, NVwZ 2008, 232: SiAO gegen drohende Abschiebung eines Ausländers, da der Erfolg im Hauptsacheverfahren ebenso wahrscheinlich sei wie ein Misserfolg. 194 VGH BW, NVwZ-RR 2000, 162; NdsOVG, NVwZ-RR 2004, 258; OVG NRW, NVwZ-RR 2004, 107; NVwZ-RR 2008, 109. 195 BayVGH, NVwZ-RR 1999, 385; bzgl anderer Sozialleistungen BbgOVG, LKV 2003, 141; OVG RP, NVwZ-RR 2003, 657. 196 BbgOVG, LKV 1999, 34. 197 OVG Hamburg, NJW 1999, 2754. 198 HessVGH, NVwZ-RR 2002, 751.
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sowie auf die Zulassung zur Prüfung,199 ob das Recht auf Akteneinsicht besteht,200 ob die Zulassung zur Stadthalle beansprucht werden kann 201 und ob es den Anspruch auf Erteilung eines vorläufigen Zeugnisses gibt.202 Immer kommt es bei der ReAO darauf an, dass der Antragsteller in der Hauptsache mit überwiegender Wahrscheinlichkeit obsiegen wird.203 In Fall 3 hat das OVG NRW – wenn auch mit unzureichender Begründung (→ JK GG Art 2 II 1/9) – den Anordnungsanspruch verneint. Ein grundrechtlicher Abwehranspruch bestehe nicht, und auch aus der staatlichen Schutzpflicht könne ein Anspruch nicht abgeleitet werden.
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In Fall 6 war vom OVG Berlin der Anspruch des E auf behördliches Einschreiten nach der entsprechenden Befugnisnorm der LBO zum Erlass einer Beseitigungsverfügung bejaht worden.204
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In Fall 7 bejahte das OVG Bremen den Unterlassungsanspruch von T gegen den AStA bzgl der allgemeinpolitischen Aktivitäten, da sich ein ör Zwangsverband nur innerhalb seines Aufgabenbereichs betätigen darf und Pflichtmitglieder dieses Zwangsverbandes einen Anspruch auf Einhaltung dieser Betätigungsgrenzen (Verbandskompetenz) haben.205
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In Fall 8 bejahte das OVG RP gemäß Art 12 I GG iVm dem Sozialstaatsgebot (Art 20 I, 28 I 1 GG) einen Anspruch von M auf Zulassung zum Medizinstudium, da nicht alle Vollstudienplätze besetzt waren und die höhere Zahl an Teilzulassungen für den vorklinischen Studienabschnitt bzgl „risikobereiter Bewerber“ der nicht ausgeschöpften Aufnahmekapazität nicht entgegen gehalten werden könne.206
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In Fall 9 sah das OVG Saarland in der Erstkorrektur eine Verletzung prüfungsrechtlicher Grundsätze, da die Ausführungen von J zu § 680 BGB innerhalb des Vertretbaren lagen und daher nicht als falsch bewertet werden durften; da auch die Kausalität des Bewertungsfehlers für die Gesamtwertung des schriftlichen Ergebnisses der 1. jur. Staatsprüfung gegeben war, bejahte das OVG einen Anspruch auf Neubewertung der BGB-Klausur und vorläufige Zulassung zur mündlichen Prüfung.207
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199 200 201 202 203
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HessVGH, NVwZ-RR 2003, 756, 757; NVwZ-RR 2005, 330; SächsOVG, NVwZ-RR 2003, 853. HessVGH, NVwZ 2006, 1081. ThürOVG, ThürVBl 2009, 36 → JK ThürKO § 14/1. OVG NRW, DVBl 2001, 820, 821. HessVGH, NVwZ-RR 2008, 537; OVG RP, NVwZ 2004, 363; Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 123 Rn 74; tragend ist die Erwägung, dass es bei der ReAO um die einstweilige Veränderung des status quo geht. Zweifelhaft allerdings die Heranziehung von § 123 I 1 VwGO durch OVG Berlin, LKV 1998, 355. Eine tragfähige Rechtsgrundlage gab OVG Bremen, NVwZ 1999, 211 für den Unterlassungsanspruch nicht an. Es ist dies Art 2 I GG, OVG NRW, NWVBl 2001, 21; OVG Berlin, NVwZRR 2004, 348, 349. Allg zur Bedeutung der eAO im Hochschulzulassungsrecht Brehm/Zimmerling/Becker NVwZ 1996, 1173, 1180 f u NVwZ 2008, 1303, 1307; Zimmerling/Brehm DÖV 2009, 239 ff. Allg zum vorläufigen Rechtsschutz im Prüfungsrecht Zimmerling/Brehm DVBl 2001, 27 ff; Külpmann in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 1415 ff.
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Eine Modifizierung der rechtlichen Prüfung ist bei Fallgestaltungen mit EG-Rechtsbezug angezeigt, wenn das nationale Gericht Zweifel an der Gültigkeit sekundären Gemeinschaftsrechts hat. Der EuGH anerkennt zwar die Befugnis nationaler Gerichte, in Bezug auf einen (abgelehnten) nationalen Verwaltungsakt, der auf einer rechtlich zweifelhaften EG-Verordnung (vgl Art 249 II EGV; 288 II AEUV) beruht, eine eAO zur vorläufigen Gestaltung oder Regelung der streitigen Rechtspositionen oder Rechtsverhältnisse zu treffen, macht diese jedoch von – unter Rückgriff auf das eigene Prozessrecht gewonnene (→ § 12 Rn 43 ff) – richterrechtlich dekretierten Voraussetzungen abhängig. Danach darf das nationale Gericht in jenen Konstellationen eine eAO nur erlassen,208 – wenn es erhebliche Zweifel an der Gültigkeit der Handlung der EG hat und diese Gültigkeitsfrage, sofern der EuGH mit ihr noch nicht befasst ist, diesem selbst vorlegt; – wenn die Entscheidung dringlich in dem Sinne ist, dass die eAO erforderlich ist, um zu vermeiden, das der Antragsteller einen schweren und nicht wieder gut zu machenden Schaden erleidet; – wenn es das Interesse der EG angemessen berücksichtigt und – wenn es bei der Prüfung aller dieser Voraussetzungen die Entscheidungen des EuGH oder des EuG über die Rechtmäßigkeit der Verordnung oder einen Beschluss im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes betreffend gleichartige eAOen auf Gemeinschaftsebene beachtet. Wenngleich diese richterrechtliche Rechtsschöpfung kompetenzrechtlich fragwürdig ist,209 hat sie der EuGH ausdrücklich bestätigt und für die Situation der Untätigkeitsklage (iS einer Untätigkeit der EG-Kommission zur Schaffung gemeinschaftsrechtskonformer Zustände, → § 9) sogar Rechtsschutzlücken hingenommen, indem er den nationalen Gerichten untersagte, bei Untätigkeit der EG-Kommission zum Schutz materieller Rechte Betroffener eine eAO zu erlassen.210 Die innerstaatlichen Gerichte akzeptieren die Vorgaben des EuGH.211 Das BVerfG hat die richterrechtliche Maßstabsetzung des EuGH – allerdings unter Ignorierung der Kompetenzfrage – gebilligt.212 Das BVerfG hebt für den vorläufigen Rechtsschutz allerdings auch die Befugnis der nationalen Gerichte hervor, sekundäres Gemeinschaftsrecht im Wege des zeitweisen Nichtvollzugs außer Betracht zu lassen, um Rechtsschutz gewähren zu können. Der vorläufige Rechtsschutz bei potentiell gemeinschaftsrechtswidrigem nationalem Recht richtet sich nach den Maßstäben des nationalen Prozessrechts.213 In Fall 10 hat das BVerfG nach Art 19 IV 1 GG die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes postuliert. Das Vorliegen erheblicher Zweifel an der Vereinbarkeit der maßgeblichen Richtlinienregelung mit höherrangigem EG-Recht werde durch die Entscheidungen der Gerichte in den anderen EG-Mitgliedstaaten indiziert. Der BayVGH bejahte daraufhin
208 EuGH Slg 1995, I-3781 = DVBl 1996, 247 = NJW 1996, 1333 = EuZW 1995, 837 (m Anm Burmeister/Miersch). 209 Pernice FS Grabitz, 1995, 523, 544; Schoch Die Europäisierung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, 2000, 47 f; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 123 Rn 25. 210 EuGH Slg 1996, I-6065 = NJW 1997, 1225; krit dazu Koenig EuZW 1997, 206 ff; Ohler/Weiß NJW 1997, 2221 f; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 123 Rn 26. 211 BayVGH, BayVBl 2005, 280, 281; OVG NRW, NJW 1996, 3291; DÖV 2008, 298. 212 BVerfG-K, NVwZ 2004, 1346, 1347 → JK GG Art 19 IV 1/27. 213 OVG RP, NVwZ 2004, 363, 364.
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einen Anordnungsanspruch (und einen Anordnungsgrund) und verpflichtete die Verwaltung, es zu dulden, dass H bis zur Verkündung der EuGH-Entscheidung im Vorabentscheidungsverfahren bestimmte Futtermittel nicht nach den Vorgaben der RL 2002/2/EG etikettieren muss. Das OVG entschied gegenläufig, nachdem der EuGH zwischenzeitlich die Rechtswirksamkeit der RL 2002/2/EG bejaht hatte.214
3. Anordnungsgrund Der Anordnungsgrund manifestiert bei der eAO das spezifische Interesse und Bedürfnis des Antragstellers an der Gewährung gerade vorläufigen Rechtsschutzes (und nicht eben erst regulären Hauptsacherechtsschutzes). Entscheidend sind für die Beurteilung im konkreten Fall der Faktor „Zeit“ und die damit verbundenen Folgen. Die Bejahung des Anordnungsgrundes verlangt das Vorliegen einer besonderen Dringlichkeit in der Sache.215 Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt hierfür ist derjenige der gerichtlichen Entscheidung.216 Der in der Rspr mitunter bemühte funktionale Zusammenhang zwischen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund – je klarer der (Anordnungs-)Anspruch, um so geringere Anforderungen beim Anordnungsgrund 217 – darf nicht iS einer Vermischung der beiden Voraussetzungen missverstanden werden. Der Anordnungsgrund bezieht sich auf die Eilbedürftigkeit der Regelung, sagt aber nichts zur Erfolgsaussicht der Klage in der Hauptsache aus, so dass auch größte Dringlichkeit fehlende Erfolgsaussicht nicht zu kompensieren vermag; allenfalls über Art 19 IV 1 GG lässt sich ein gewisser funktionaler Zusammenhang zwischen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund dergestalt herstellen, dass bei schweren und unzumutbaren, anders nicht abwendbaren irreversiblen Nachteilen eine einstweilige Anordnung eher nicht versagt werden darf.218 Es kann sich bei dem funktionalen Zusammenhang allenfalls um ein Element handeln, das im Rahmen der Interessenabwägung, als die die Ermittlung des Anordnungsgrundes methodisch begriffen werden kann,219 Berücksichtigung findet.220 Der für den Erlass einer eAO unverzichtbare Anordnungsgrund ist vom Gericht in jedem Stadium des Eilverfahrens zu prüfen.221 Bei der SiAO besteht der Anordnungsgrund in einer Gefährdung der Rechtsverwirklichung; § 123 I 1 VwGO spricht davon, dass die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Der Eintritt irreversibler Fak-
214 EuGH Slg 2005, I-10423. 215 VGH BW, NVwZ-RR 2000, 162, 164; VBlBW 2008, 309, 310 u 312; BayVGH, NVwZ-RR 1999, 641, 642; NVwZ-RR 2005, 254; NVwZ-RR 2006, 3, 4; OVG Bremen, NVwZ 1999, 211; NdsOVG, NVwZ-RR 2008, 367, 368; OVG SH, NVwZ 2006, 363, 364; ThürOVG, ThürVBl 2009, 36, 37 → JK ThürKO § 14/1. 216 BayVGH, NVwZ-RR 2006, 3, 4; OVG MV, LKV 2000, 539, 540; NdsOVG, NVwZ-RR 2008, 397, 398. 217 BVerfGE 79, 69, 78; BayVGH, NVwZ 2001, 342 f. 218 Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 135. 219 Lorenz VerwPrR, § 29 Rn 27; Schenke VerwPrR, Rn 1032. 220 Beispiel: Bei Bejahung des (Anordnungs-)Anspruchs auf vorläufige Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt (Sozialhilfe) kann idR vom Vorliegen eines Anordnungsgrundes ausgegangen werden, weil dem Betroffenen bei Verweisung auf das Hauptsacheverfahren unzumutbare Nachteile drohen; NdsOVG, NJW 2002, 841, 842; ThürOVG, ThürVBl 1999, 190. 221 OVG MV, NordÖR 2003, 32; OVG NRW, DÖV 2005, 392.
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ten ist insoweit ein sicherer Indikator.222 Ein typisches Beispiel für die Rechtsvereitelung ist der Konkurrentenstreit im Beamtenrecht, wenn durch die Ernennung (Beförderung) eines Mitbewerbers des Antragstellers „vollendete Tatsachen“ geschaffen werden könnten (→ Rn 9); hiergegen hilft – wenn der Anordnungsanspruch vorliegt – nur der Erlass einer eAO, die Dringlichkeit des Rechtsschutzes liegt auf der Hand.223 In realistischer Einschätzung der Verwaltungspraxis bejahen die Gerichte den Anordnungsgrund (mittlerweile) aber auch bei der (vorläufigen) Übertragung eines Dienstpostens (zur Bewährung) an einen Mitbewerber; zwar werden in einem solchen Fall de iure noch keine vollendeten Tatsachen geschaffen, aber der Mitbewerber könnte mit der Aufgabenwahrnehmung auf dem Dienstposten einen Leistungsvorsprung erwerben, der zu einem tatsächlichen Vorteil bei einer etwaigen Wiederholung der Auswahlentscheidung führen kann und sich nachhaltig auf die Chancen des Antragstellers auswirkt.224 Ein weiteres Beispiel für die wesentliche Erschwerung der Rechtsverwirklichung bietet das Baunachbarrecht bei rechtswidrigen Baumaßnahmen; nach Fertigstellung eines Gebäudes kann dessen Beseitigung nach einem Hauptsacheerfolg auf Grund der geschaffenen Fakten und des Ermessens der Bauaufsichtsbehörde bei der Abrissverfügung idR nur schwer erreicht werden, so dass der Erlass einer eAO im Interesse des Nachbarschutzes dringlich ist.225 Bei einem erfolgreichen Bürgerbegehren ist der Anordnungsgrund zu bejahen, wenn der (Gemeinde-)Rat durch einen gegenläufigen Beschluss das Bürgerbegehren hinfällig zu machen droht.226 Bei der auf die Unterlassung einer amtlichen Äußerung gerichteten SiAO genügt für die Annahme eines Anordnungsgrundes, dass sich eine Wiederholung der streitbefangenen Äußerung nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen lässt.227 Der Anordnungsgrund für die SiAO gegenüber aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im Ausländerrecht verlangt nicht, dass die Abschiebung unmittelbar bevorsteht; die behördliche Absicht zur Vornahme der Maßnahme in absehbarer Zeit genügt.228 Bei der ReAO liegt der Anordnungsgrund im Falle der Abwendung wesentlicher Nachteile oder der Verhinderung drohender Gewalt vor, ferner wenn die eAO „aus anderen Gründen nötig erscheint“ (§ 123 I 2 VwGO). Von praktischer Bedeutung ist vor allem die letzte Variante. Das besondere Dringlichkeitsinteresse ergibt sich bei der ReAO daraus, dass dem Antragsteller das Abwarten der Hauptsacheentscheidung nicht zugemutet werden kann, sondern die vorläufige Erweiterung des Rechtskreises zum Schutz des – nach praktischer Verwirklichung drängenden – materiellen subjektiven Rechts vonnöten ist. Maßgebend ist die Würdigung der Umstände des Einzelfalls. So wurde zB ein Anordnungsgrund für die vorläufige Zulassung zu einer Berufszugangsprüfung bejaht, weil die
222 Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn 78 (mit Beispielen). 223 BayVGH, NVwZ-RR 1999, 641, 642; OVG RP, NVwZ-RR 1999, 49, 50; SächsOVG, DVBl 2001, 1219, 1221; ThürOVG, NVwZ-RR 2004, 52; ThürVBl 2007, 187. 224 VGH BW, VBlBW 2006, 280; NVwZ-RR 2008, 550; BayVGH, NVwZ-RR 2006, 346 = BayVBl 2006, 91; im Grundsatz ebenso, aber auf Grund der Besonderheiten des Falles Anordnungsgrund verneinend, OVG NRW, NVwZ-RR 2003, 373 = NWVBl 2003, 184; NVwZ-RR 2004, 437, 438. 225 OVG NRW, NWVBl 1999, 220 f; ähnlich ThürOVG, LKV 1999, 279, 281 f, jedoch § 123 I 2 VwGO heranziehend. 226 BbgOVG, LKV 2003, 229, 231; OVG NRW, NVwZ-RR 2004, 519, 520. 227 BayVGH, NVwZ-RR 2004, 623, 624 = BayVBl 2004, 566, 567; OVG NRW, NJW 2004, 1611, 1612 → JK VwGO § 123 I 1/3. 228 OVG Hamburg, NVwZ-RR 2007, 559, 561.
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Verzögerung um ein Jahr wegen Art 12 I GG einen schweren Nachteil darstelle.229 Auch für die erneute Prüfungsteilnahme im Fach BWL wurde der Anordnungsgrund wegen „wesentlicher Nachteile“ iSd § 123 I 2 VwGO bejaht, um Verzögerungen des Hauptstudiums zu vermeiden und weil vom Antragsteller nicht verlangt werden könne, das erforderliche Prüfungswissen nach längerer Zeit (dh nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens) erneut aktualisieren zu müssen.230 Die Aufnahme in eine bestimmte Schule zum Schuljahresbeginn 231 wurde ebenso als dringlich angesehen wie die Hochschulzulassung zu einem bestimmten Semester;232 hat der Antragsteller indes einen Studienplatz an einer anderen Hochschule im Bundesgebiet erhalten, entfällt der Anordnungsgrund.233 Bei der eAO zur Erteilung einer vorläufigen Approbation als Psychologische Psychotherapeutin war entscheidend, dass ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz der Antragstellerin geführt hätte.234 Wird mittels Eilantrag ein Anspruch auf Zulassung zur Nutzung einer Stadthalle für die Durchführung einer bestimmten Veranstaltung (Parteitag) an einem bestimmten Tag geltend gemacht, liegt der Anordnungsgrund auf der Hand; die Sache ist eilbedürftig, eine rechtskräftige Hauptsacheentscheidung käme zu spät.235 Demgegenüber wurde es bei einem Anspruch auf Zugang zu Umweltinformationen als nicht nötig erachtet, dem Antragsteller den Informationszugang durch eAO rasch zu ermöglichen, da es zumutbar sei, das Rechtsschutzbegehren im Hauptsacheverfahren zu verfolgen;236 gegenläufig wurde zur Akteneinsicht im Planfeststellungsverfahren (Ausbau Flughafen Frankfurt/M) auf Grund des Zeitplans des Verfahrens entschieden, da die begehrte Akteneinsicht für die Antragsteller notwendig sei, um eine Beeinträchtigung ihrer Rechtspositionen im Planfeststellungsverfahren zu vermeiden.237 Auch der Antrag einer Beamtin auf Rück-Umsetzung wurde abgelehnt; es sei der Antragstellerin zumutbar, ihren neuen Dienstposten – jedenfalls bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens – wahrzunehmen.238 Verneint wurde der Anordnungsgrund zum Eilantrag bzgl Sozialhilfe, weil der Antragsteller seiner Mitwirkungspflicht im Sozialhilfeverfahren nicht nachgekommen war.239 Auch beim Eilantrag auf Verpflichtung der zuständigen Behörde zur Erteilung eines Jagdscheins wurden „wesentliche Nachteile“ iSd § 123 I 2 VwGO verneint; dem Antragsteller sei es zumutbar, auf die Jagdausübung (als Liebhaberei- und Freizeitbeschäftigung) bis zur Entscheidung in der Hauptsache bzgl der Erteilung des Jagdscheins zu verzichten.240 Kein Anordnungsgrund wurde für den Eilantrag auf Neubewertung einer Examenshausarbeit anerkannt; jedenfalls das Abwarten des Widerspruchsverfahrens sei dem Antragsteller zuzumuten, weil der damit verbundene Zeitverlust gering sei.241
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BVerfG-K, NVwZ 1999, 866, 867. SächsOVG, NVwZ-RR 2003, 853, 854. VGH BW, NVwZ-RR 2000, 162, 164; OVG Bremen, NVwZ 2003, 122, 123. VGH BW, NVwZ-RR 2000, 23; OVG Hamburg, NVwZ-RR 2005, 544. VGH BW, NVwZ-RR 2007, 177, 178; HessVGH, NVwZ-RR 2002, 751. OVG Hamburg, NJW 1999, 2754, 2755. ThürOVG, ThürVBl 2009, 36, 37 → JK ThürKO § 14/1. BayVGH, NVwZ 2001, 342. HessVGH, NVwZ 2006, 1081, 1082. SächsOVG, LKV 1999, 329, 330. OVG NRW, NVwZ-RR 2003, 511. VGH BW, NVwZ 2004, 630 = VBlBW 2004, 107 f. OVG Hamburg, NJW 2007, 2874, 2875.
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In der Entscheidung zu Fall 3 wurde neben dem Anordnungsanspruch auch der Anordnungsgrund verneint; ein Zuwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache sei F zumutbar, da für eine dem F drohende Beeinträchtigung jeder vernünftige Anhaltspunkt fehle. – In Fall 6 wurden so wesentliche Nachteile für E angenommen, dass der Erlass der eAO im Vorgriff auf die Entscheidung in der Hauptsache angezeigt erschien, zumal die zu treffenden Maßnahmen bei gegenteiliger Hauptsacheentscheidung rückgängig gemacht werden konnten. – Auch in Fall 7 wurde angesichts der konkreten Situation ein dringendes Regelungsbedürfnis bejaht. – In Fall 8 wurde der Erlass der eAO für nötig erachtet, da die Verwirklichung des Zulassungsanspruchs durch weiteren Zeitablauf gefährdet worden wäre. – In Fall 9 wurde der Anordnungsgrund iS besonderer Dringlichkeit angenommen, da J nicht zugemutet werden könne, sein Präsentwissen für die mündliche Prüfung bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Klageverfahrens zu konservieren und gleichzeitig ständig zu aktualisieren.
IV. Entscheidungsinhalt 1. Richterliche Gestaltungsbefugnis 56
Der Entscheidungsinhalt einer eAO ist dem Gericht durch § 123 VwGO – anders als beim Aussetzungsverfahren (→ § 29 Rn 166 ff) – nicht vorgegeben. Nach § 123 III VwGO iVm § 938 I ZPO ist die Auswahl der Sicherungs- bzw Regelungsmaßnahmen (also das „Wie“ der eAO) dem Ermessen des Gerichts überantwortet.242 Dieses Ermessen ist im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren nicht etwa „frei“, sondern verwaltungsrechtlich gebunden.243 Determiniert ist die richterliche Gestaltungsbefugnis durch den Zweck der eAO (§ 123 III VwGO iVm § 938 I ZPO), den Antragsinhalt (§ 88 VwGO analog) und das (wahre) Rechtsschutzziel (Art 19 IV 1 GG); ferner darf der durch die eAO verpflichteten Behörde nichts tatsächlich oder rechtlich Unmögliches auferlegt werden.244 Orientierungspunkt für den Inhalt der eAO ist zunächst das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers. Ist der Antrag auf Erlass der eAO begründet, wird zB die BReg zur Erteilung der Aussagegenehmigung für einen Minister verpflichtet (Fall 4), wird dem Dienstherrn die Ernennung des entgegen Art 33 II GG bevorzugten Mitbewerbers vorläufig untersagt,245 ebenso die vorläufige Übertragung eines Dienstpostens,246 wird die Verpflichtung aus-
242 BayVGH, BayVBl 1998, 209, 210; Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 144; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 123 Rn 109. 243 Einzelheiten dazu bei Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn 134 ff. 244 OVG SH, NVwZ 2006, 363, 364; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 123 Rn 110 ff. 245 VGH BW, VBlBW 1999, 305, 306; NVwZ-RR 2009, 216; BayVGH, NVwZ-RR 1999, 641; DVBl 2000, 1140; NVwZ-RR 2004, 817; HessVGH, NVwZ-RR 2000, 622; OVG MV, NVwZ-RR 2001, 454; NdsOVG, NVwZ-RR 2007, 398; OVG NRW, NWVBl 1998, 490, 491; NWVBl 2000, 28 u 150; NVwZ-RR 2001, 254; OVG RP, NVwZ-RR 1998, 446; DÖV 2001, 41; SaarlOVG, NVwZ 2006, 956; SächsOVG, DVBl 2001, 1219; OVG SH, NVwZ 1999, 417; NJW 2001, 3210; ThürOVG, ThürVBl 2007, 187. 246 VGH BW, NVwZ-RR 2008, 550; NdsOVG, NdsVBl 2002, 217; NVwZ-RR 2008, 552; OVG NRW, NVwZ-RR 2003, 52; NVwZ-RR 2004, 236 = NWVBl 2004, 258; ThürOVG, NVwZ-RR 2004, 52.
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Verwaltungsgerichtliche einstweilige Anordnung
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gesprochen, einem Schüler den Besuch einer bestimmten Klasse vorläufig zu gestatten 247 bzw den Besuch einer bestimmten Schule zu erlauben,248 wird der Sozialhilfeträger (für einen bestimmten Zeitraum) zur Leistung von Hilfe zum Lebensunterhalt verpflichtet,249 wird der Gemeinde die Vornahme von Maßnahmen zur „Aushebelung“ eines Bürgerbegehrens untersagt,250 wird dem AStA einer Universität die Wahrnehmung eines allgemeinpolitischen Mandats einstweilen untersagt,251 wird die Bauaufsichtsbehörde zum Einschreiten gegen einen vom Genehmigungserfordernis freigestellten, materiell rechtswidrigen Bau verpflichtet,252 wird der Polizei die Einkesselung einer Versammlung ohne vorherige Auflösung untersagt,253 wird die vorläufige Approbation als Psychologische Psychotherapeutin zugesprochen,254 wird die vorläufige Zuweisung eines Studienplatzes angeordnet,255 wird zum vorläufig weiteren Verbleib des Ausländers im Inland die Verpflichtung der Ausländerbehörde zur Duldung ausgesprochen,256 wird die vorläufige Erteilung eines Abiturzeugnisses verfügt,257 wird die (erneute) Prüfungszulassung durch eAO durchgesetzt,258 wird die begehrte Akteneinsicht gewährt.259 Im Übrigen verfügt das Gericht gemäß § 123 III VwGO iVm § 938 I ZPO über das notwendige Gestaltungsermessen, um für den Interimszeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung die zur Zweckerreichung erforderliche (vgl § 938 I ZPO) einstweilige Sicherung des durch Zustandsveränderung bedrohten Rechts (§ 123 I 1 VwGO) bzw vorläufige Zustandsregelung (§ 123 I 2 VwGO) treffen zu können. Es handelt sich dabei, bezogen auf den Anordnungsinhalt, um eine genuin prozessrechtliche Gestaltungsbefugnis des Gerichts.260 Deshalb kann zB auf Grund der Ermächtigung gemäß § 123 III VwGO iVm § 938 I ZPO im Wege der eAO die Vornahme eines vorläufigen VA ausgesprochen werden, auch wenn das materielle Recht diese Figur nicht kennt.261 Beim Widerrufsanspruch kann
247 VGH BW, NVwZ-RR 2000, 162. 248 OVG Bremen, NVwZ 2003, 122. 249 VGH BW, NVwZ-RR 2000, 303; BayVGH, NVwZ-RR 1999, 385; NdsOVG, NJW 2002, 841; ThürOVG, ThürVBl 1999, 190. 250 BayVGH, BayVBl 1998, 209, 210; BbgOVG, LKV 2003, 229; HessVGH, NVwZ-RR 2004, 281. 251 OVG Bremen, NVwZ 1999, 211; NVwZ 2000, 220. 252 OVG NRW, NVwZ-RR 1998, 218; NWVBl 1999, 220, ThürOVG, LKV 1999, 279, 280. 253 OVG NRW, DVBl 2001, 839 = DÖV 2001, 651 = NVwZ 2001, 1215 → JK GG Art 8/14. 254 OVG Hamburg, NJW 1999, 2754. 255 VGH BW, NVwZ-RR 2004, 37; BayVGH, NVwZ-RR 2007, 175; BayVBl 2007, 342; OVG Hamburg, NVwZ-RR 2002, 747; NVwZ-RR 2005, 544; HessVGH, NVwZ-RR 2005, 330; NdsOVG, NVwZ-RR 2005, 414; OVG RP, NVwZ-RR 2001, 165; NVwZ-RR 2003, 502; NVwZ-RR 2004, 36. 256 VGH BW, VBlBW 2002, 495; NJW 2007, 2506 = VBlBW 2008, 30; VBlBW 2008, 114 u 309; OVG Hamburg, NVwZ-RR 2007, 559; OVG NRW, NVwZ 2008, 232. 257 BayVGH, NVwZ-RR 2005, 254. 258 HessVGH, NVwZ-RR 2003, 756; ThürOVG, ThürVBl 2005, 241. 259 HessVGH, NVwZ 2006, 1081. 260 NdsOVG, NVwZ-RR 2006, 256; SächsOVG, NVwZ-RR 2003, 853, 855; OVG SH, NVwZ 2006, 363, 364; Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 144 ff, 172. 261 BayVGH, BayVBl 2001, 500; OVG Bremen, NVwZ-RR 2006, 162; Rolshoven BauR 2003, 646, 650; Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 146; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 123 Rn 112; unzutr BayVGH, NJW 2007, 620: keine vorläufige Tarifgenehmigung; OVG Hamburg, NVwZ-RR 2007, 760: keine vorläufige Taxengenehmigung.
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zB lediglich die vorläufige Unterlassung einer Äußerung angeordnet werden.262 Zulässig ist auch die Befristung einer eAO.263 Wird dem Eilantrag stattgegeben, kann gerichtlich nach § 123 III VwGO iVm § 926 ZPO eine Fristsetzung zur Erhebung der Hauptsacheklage durch den Antragsteller verfügt werden.264 2. Vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache
a) Vorwegnahmeverbot (hM) 58
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Unbefriedigend in der praktischen Handhabung und unreflektiert in der theoretischen Durchdringung ist das Verhältnis zwischen eAO und Hauptsacherechtsschutz in Bezug auf den Entscheidungsinhalt. Die hM 265 postuliert als Grundsatz das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache, von dem es aus Gründen des Art 19 IV 1 GG allerdings Ausnahmen geben soll, wenn die begehrte eAO zur Gewährung wirksamen Rechtsschutzes schlechterdings notwendig sei, dh wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar wären. Das grundsätzliche Vorwegnahmeverbot soll sich aus dem „Wesen“ bzw der „Funktion“ der eAO ergeben,266 für die ReAO wird mitunter auf das Merkmal „vorläufig“ in § 123 I 2 VwGO verwiesen.267 Die von der hM daraus gezogenen Konsequenzen reichen hin bis zur Erstreckung des – angeblichen – Vorwegnahmeverbots sogar auf Unterlassungsbegehren,268 und selbst die „vorläufige Vorwegnahme“ der Hauptsache (für die Dauer des Widerspruchs- bzw Klageverfahrens) soll dem „prinzipiellen Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache“ unterfallen.269 Wäre diese Auffassung zutreffend, dürfte es die eAO gar nicht geben. Denn jede eAO greift der Hauptsacheentscheidung notwendigerweise (partiell) vor. Für die SiAO, die insbesondere Unterlassungsbegehren zur einstweiligen Wahrung des status quo durchsetzt, liegt dies ohnehin auf der Hand (vgl zB vorläufige Untersagung der Stellenbesetzung mit einem Mitbewerber, einstweilige Untersagung bestimmter Äußerungen etc). Aber auch die ReAO gibt – jedenfalls vorübergehend – das, was an sich durch den Hauptsacherechtsschutz zugesprochen wird; de iure handelt es sich indes um die Regelung eines vorläufigen
262 263 264 265
266 267 268 269
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SächsOVG, SächsVBl 2001, 293, 294 f. BayVGH, NVwZ-RR 1999, 641, 643. OVG Hamburg, NVwZ 2004, 117. BVerwG, NVwZ 1999, 650; VGH BW, NVwZ-RR 2000, 470, 471; VBlBW 2009, 149, 150; BayVGH, NJW 1994, 2308; NVwZ-RR 2005, 254; OVG Berlin, NVwZ 1991, 1198; NJW 2003, 840, 841; LKV 2003, 276, 278 → JK BauGB 34 I/2; BbgOVG, LKV 1999, 34; OVG Bremen, NVwZ-RR 2006, 162; OVG Hamburg, NJW 2007, 2874, 2875; HessVGH, DÖV 1998, 391; NVwZ 2001, 826; NVwZ-RR 2005, 330; OVG NRW, DVBl 1995, 934; NVwZ 2007, 1212 = NWVBl 2008, 32; OVG RP, NVwZ-RR 1990, 98; NVwZ-RR 2003, 657; SaarlOVG, NVwZ-RR 2005, 550, 551; SächsOVG, SächsVBl 2004, 244; OVG LSA, NVwZ-RR 2002, 907, 908 → JK VwGO § 123/3; OVG SH, NVwZ-RR 2000, 616, 617; ThürOVG, ThürVBl 1990, 190, 191. So zB VGH BW, VBlBW 1995, 356; BayVGH, BayVBl 2001, 500; OVG Hamburg, NJW 2007, 2874, 2875; OVG RP, NVwZ 2004, 363. So zB OVG Berlin, DVBl 1991, 762, 763; OVG NRW, DVBl 1993, 212, 213; OVG RP, NVwZRR 1990, 98; OVG SH, NVwZ 1992, 81. VGH BW, NVwZ-RR 2000, 397; HessVGH, NVwZ 2000, 207; OVG NRW, NWVBl 2008, 354, 355 → JK GG Art 2 II 1/9. VGH BW, NVwZ 2004, 630; NdsOVG, NVwZ-RR 2001, 241, 242.
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Zustands. Hält man gleichwohl am Dogma des Vorwegnahmeverbots fest, drohen andererseits fortschreitend unwiederbringliche Rechtsverluste;270 die Versagung einer eAO kann sogar zu einem rechtswidrigen irreparablen Zustand führen, der selbst bei einem erfolgreichen Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden kann.271 Das BVerfG steht denn auch der Verwaltungsrechtsprechung aus Gründen eines wirksamen vorläufigen Rechtsschutzes skeptisch gegenüber. Eine eventuelle Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertige es nicht, die Erfordernisse eines effektiven Rechtsschutzes hintanzustellen; die nach Art 19 IV 1 GG geltenden Standards stellten regelmäßig auf den irreparablen Rechtsverlust als solchen oder das Zeitmoment ab, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache mit hoher Wahrscheinlichkeit zu spät käme.272
b) Kritik: Zulässigkeit der vorläufigen Maßnahmevorwegnahme Das Dilemma der in formelartigen, gesetzesinakzessorischen Wendungen gefangenen hM liegt in der Ausblendung der Dimension „Zeit“. Denn für den Zeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung regelt jede eAO einen vorläufigen Zustand endgültig und abschließend.273 Weder bei Erlass noch bei Ablehnung der eAO kann die Gestaltung der Sach- und Rechtslage im Interimszeitraum ungeschehen gemacht werden; die Geschehnisse im abgelaufenen Zeitraum sind als solche irreparabel, allenfalls für die Zukunft kann die Gestaltung revidiert werden.274 Die Konsequenzen wollen bedacht sein: Werden Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bejaht und lehnt man dennoch den Erlass der eAO wegen einer (partiellen) Maßnahmevorwegnahme ab, tritt für den Interimszeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung ein endgültiger Rechtsverlust ein; der bis zum Ergebnis der rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung eintretende Zeitverlust ist unwiederbringlich.275 So schafft die Versagung der Tarifgenehmigung (Tariferhöhung) für ein Elektrizitätsunternehmen im Eilverfahren für den Zeitraum bis zur rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung irreparable Tatsachen;276 dasselbe gilt für die Ablehnung einer befristeten Taxengenehmigung;277 wird die vorläufige Zulassung zum Studium versagt, ist der eintretende Zeitverlust unwiederbringlich.278 Wieso sollte in derartigen Fällen, wenn Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund gegeben sind, mit tragfähiger rechtlicher Argumentation (unter bloßem Hinweis auf einen dem Gesetz unbekannten, richterlich gegriffenen Topos „Vorwegnahmeverbot“) der Erlass einer eAO abgelehnt werden können? Wird im Eilverfahren ein Anspruch auf vorläufige Aufnahme in ein Gymnasium geltend gemacht, kann mit der vorläufigen Zulassung die „vorläufige Vorwegnahme der Haupt-
270 BVerfGE 79, 69, 78. 271 BVerwGE 109, 258, 262; OVG Berlin, DVBl 2001, 1766, 1768 = NJW 2002, 313, 314. 272 BVerfG-K, DVBl 2003, 257, 259 = NJW 2002, 3691, 3692 = BayVBl 2003, 303 = SächsVBl 2003, 21, 22; dazu Bespr Pöcker NVwZ 2003, 688. – Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 186, deutet die Rspr des BVerfG so, dass eine Vorwegnahme der Hauptsache im Verfahren der eAO verfassungsrechtlich unbedenklich ist. 273 Rolshoven BauR 2003, 646, 652; Schrader JuS 2005, 37, 39; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 123 Rn 104. 274 Zur Kritik an der hM ausf Schoch, in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn 146 ff. 275 VGH BW, DVBl 1999, 1163, 1164 = NVwZ 1999, 1357. 276 BayVGH, NJW 20007, 620 = BayVBl 2007, 247. 277 OVG Hamburg, NVwZ-RR 2007, 760. 278 OVG Hamburg, NVwZ-RR 2005, 544.
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sache“ beschworen werden;279 die andere Seite der Medaille ist der unwiederbringliche Rechts- und Zeitverlust (jedenfalls für den Interimszeitraum) bis zur Hauptsacheentscheidung, falls der Antragsteller den Anspruch hat und die eAO wegen „Vorwegnahme der Hauptsache“ dennoch abgelehnt wird. Wird mittels eAO einem Beamten Sonderurlaub zur Pflege und Betreuung seiner kranken Mutter gewährt, kann man darin – jedenfalls temporär – eine Vorwegnahme der Hauptsache erblicken; man muss aber auch sehen, dass der Beamte bei Ablehnung der eAO trotz bestehenden (Anordnungs-)Anspruchs zumindest vorübergehend rechtsschutzlos gestellt wird, weil sich der streitgegenständliche Anspruch bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache durch Zeitablauf erledigt.280 Wird die Anwesenheit eines anwaltlichen Zeugenbeistands vor einem Untersuchungsausschuss mittels eAO durchgesetzt, wird eine Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache angeordnet; andererseits führt aber auch die Ablehnung der eAO zu einem irreparablen Zustand, weil der Ausschluss von der Sitzungsteilnahme infolge Zeitablaufs endgültig ist und auch durch einen Erfolg im Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden kann.281 Trifft also jede eAO eine vorläufige Gestaltung der Verhältnisse, die für den bis zur Hauptsacheentscheidung ablaufenden Zeitraum irreparabel und allenfalls für die Zukunft reversibel ist, postuliert das Dogma vom Vorwegnahmeverbot etwas rechtlich Unmögliches und kann schon deshalb kein gültiger Grundsatz des Prozessrechts sein. In Wahrheit ist die Vorwegnahme des – möglichen – Ergebnisses des Klageverfahrens für den Zeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung bei der eAO „weder generell ausgeschlossen noch … vermeidbar“.282 Der bloße Umstand, dass eine einstweilige Regelung für den abgelaufenen bzw ablaufenden Zeitraum nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, macht diese Regelung im Rechtssinne nicht zu einer endgültigen; liegen die Voraussetzungen für eine stattgebende Eilentscheidung vor, ist die Interimsregelung der typische und gesetzlich gewollte Regelungsinhalt der gerichtlichen Eilentscheidung.283 Hat das Gericht für den Interimszeitraum vorläufig angeordnet, was sich im Hauptsacheverfahren als rechtens erweist, hat das Gericht sogar optimal entschieden: Das materielle Recht konnte sich auch im Interimszeitraum verwirklichen.284
c) Ausnahme: Irreversible Maßnahmevorwegnahme Eine „Vorwegnahme der Hauptsache“ im Rechtssinne liegt demnach nur vor, wenn durch eine eAO irreversible Fakten für die Zukunft geschaffen werden, die eAO die Hauptsacheentscheidung also gegenstandslos macht. Das ist vor allem bei zeitgebundenen Maßnahmen der Fall (zB Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung an einem bestimmten Tag); ein weiteres Beispiel ist der Zugang zu amtlichen Informationen, da die Kenntnisnahme hiervon irreversibel ist. Allein hier bedarf es des Rückgriffs auf Art 19 IV 1 GG, weil durch die eAO nicht nur eine vorläufige Maßnahme für den Interimszeitraum getroffen
279 280 281 282 283 284
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NdsOVG, NVwZ-RR 2004, 258. SaarlOVG, NVwZ-RR 2005, 550, 551. OVG Berlin, DVBl 2001, 1766, 1768 = NJW 2002, 313, 314. So zutreffend OVG Hamburg, NJW 1999, 2754, 2759. BVerfG-K, NVwZ 2003, 1112, 1113. Einzelheiten zu dieser Perspektive der Ausschaltung des Fehlentscheidungsrisikos bei Schoch, in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn 149 ff.
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wird, sondern der anzuordnende Zustand für die Zukunft irreversibel wäre.285 Aus diesem Umstand folgt aber nicht etwa automatisch die Ablehnung der eAO.286 Vielmehr muss im konkreten Fall geprüft werden, ob aus Gründen des Art 19 IV 1 GG die Maßnahmevorwegnahme trotz Irreversibilität angezeigt ist. Das Beispiel des Informationszugangs bestätigt dies; es gibt Fallgestaltungen, in denen der irreversible Vorgriff auf die Hauptsacheentscheidung nicht „nötig erscheint“ (§ 123 I 2 VwGO),287 die Praxis kennt jedoch mit Blick auf die Dringlichkeit des Begehrens (wegen eines drohenden Rechtsverlustes) auch das genaue Gegenteil.288 Die in der Rspr so genannte „vorläufige Vorwegnahme“ der Hauptsache 289 (im Unterschied zur endgültigen Vorwegnahme der Hauptsache) sollte von der hM endlich als Normalfall der eAO vorbehaltlos anerkannt werden.290 Wird eine Rechtsposition mittels eAO vorläufig gesichert oder eingeräumt, dürfte dagegen nicht zu erinnern sein.291 Das gilt zB für die vorläufige Untersagung einer dienstlichen Äußerung, für das vorübergehende Verbot einer Beamtenbeförderung, für die einstweilige Verhinderung der Abschiebung eines Ausländers, für die vorläufige Nutzungsänderung eines Bauwerks, für die befristete Erteilung einer Konzession, für die vorläufige Zulassung zum Studium oder für die vorläufige Zulassung zu einer Prüfung; derartige einstweilige Maßnahmen stehen immer unter dem Vorbehalt der Bestätigung durch die gerichtliche Hauptsacheentscheidung und schaffen im Rechtssinne keine für die Zukunft irreversiblen Fakten. Sollte es sich bei der eAO zu Fall 1 um eine endgültige Maßnahmevorwegnahme gehandelt haben, war diese von Art 19 IV 1, 33 III GG gefordert. – Die eAO in Fall 2 stellt keine irreversible Zukunftsgestaltung dar, ist also völlig unbedenklich. – In Fall 3 hat das OVG Anstoß daran genommen, dass die von F begehrte eAO – wenn auch nur für die Zeit bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren – auf eine Vorwegnahme der Hauptsache ziele; das liegt indes beim vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutz (→ Rn 13) in der Natur der Sache, so dass das Gesetz auch für diese Fälle folgerichtig das Rechtsinstitut der SiAO anerkennt (§ 123 I 1 VwGO). – In Fall 4 war die Hauptsache nach der durch die eAO erreichten Aussagegenehmigung und Aktenvorlage erledigt. Das BVerwG erließ die eAO (mit Blick auf den Ablauf der Legislaturperiode) dennoch, da L eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr rechtzeitig erwirken konnte. – In der Entscheidung zu Fall 5 warf der VGH die Frage auf, ob der Antrag auf Erlass einer ReAO zur Erteilung einer Baugenehmigung „wegen Verstoßes gegen das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache generell unzulässig sei“. Schon die Fragestellung ist rechtswidrig; das Gericht tut so, als gebe es eine Rechtsnorm mit dem Inhalt „Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache“. In der Sache zielt die mit dem Eilantrag
285 Rolshoven BauR 2003, 646, 653. 286 Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 123 Rn 105; unzutr zB OVG RP, NVwZ 2004, 363, 364: Verbot einer bloß „faktischen“ Vorwegnahme der Hauptsache. 287 HessVGH, NVwZ 2007, 348, 350; OVG NRW, NVwZ 2007, 1212. 288 HessVGH, NVwZ 2006, 1081, 1082. 289 HessVGH, NVwZ-RR 2001, 366; NdsOVG, NVwZ-RR 2001, 241; erläuternd dazu Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 179 f (in Abgrenzung zur „endgültigen Vorwegnahme“ Rn 176 ff sowie zur „faktischen Vorwegnahme“ Rn 181 f). 290 Richtig zB VGH BW, VBlBW 2001, 228, 229: auf vorläufige Duldung eines Ausländers gerichtete eAO ohne irreversible Wirkungen bzgl des Hauptsacheverfahrens für die Zukunft. 291 OVG SH, NJW 2000, 3440: Einräumung der Besuchsregelung einer Rechtsanwältin in einer Klinik auf Zeit.
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begehrte Nutzungsänderung nicht auf eine irreversible Maßnahme, weil sie jederzeit rückgängig gemacht werden kann. – In der Entscheidung zu Fall 6 wurde anerkannt, dass bei einer zur eAO gegensätzlichen Hauptsacheentscheidung die von S zu treffenden Maßnahmen rückgängig gemacht werden könnten. – Die eAO in Fall 7 enthielt lediglich die einstweilige Untersagung allgemeinpolitischer Aktivitäten des AStA. – In Fall 8 sprach die eAO nur die vorläufige Zuweisung des Studienplatzes aus. – In Fall 9 verfügte das OVG mittels eAO die Neubewertung der BGB-Klausur durch einen anderen Prüfer als den Erstkorrektor sowie die vorläufige Zulassung zur mündlichen Prüfung. Dadurch sei J eine vorläufige Bestehenschance eingeräumt worden; die endgültige Wertung des Examensergebnisses hänge von dem Ergebnis der vorläufigen Neubewertung der BGB-Klausur und vom endgültigen Ausgang des Klageverfahrens ab.
V. Rechtswirkungen und Folgen der einstweiligen Anordnung 1. Rechtskraft und Bindungswirkung 65
Der Beschluss des Gerichts (§ 123 IV VwGO) über die eAO erwächst in formelle und materielle Rechtskraft.292 Daraus resultiert die inhaltliche Bindung der getroffenen Eilentscheidung. Diese ist jedoch nicht unbegrenzt. So wird ein neuer Eilantrag zum gleichen Gegenstand zugelassen, wenn sich der Antragsteller auf neue Tatsachen oder neue Mittel der Glaubhaftmachung stützt.293 Im Übrigen ist der Antragsteller auf das Abänderungsverfahren (→ Rn 68) angewiesen. Die (Bindungs-)Wirkung einer Eilentscheidung endet mit der Erledigung der Hauptsache.294 2. Vollstreckbarkeit der einstweiligen Anordnung
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Die eAO ist gemäß § 168 I Nr 2 VwGO ein Vollstreckungstitel. Die Vollstreckung der eAO erfolgt nach §§ 169–172 VwGO. Zugunsten der öffentlichen Hand wird nach § 169 VwGO vollstreckt. Gegen die öffentliche Hand richtet sich die Vollstreckung wegen einer Geldforderung nach § 170 VwGO, im Übrigen nach § 172 VwGO. §§ 170, 172 VwGO werden vom BVerfG als Ausprägungen des Art 19 IV 1 GG qualifiziert. Denn der von Verfassungs wegen gebotene vorläufige Rechtsschutz laufe leer, wenn ein Gericht keine wirksamen Maßnahmen zur Durchsetzung der von ihm erlassenen eAO treffen könne.295 Ist die vorläufige Vollstreckbarkeit eines Hauptsacheurteils ausnahmsweise ausgeschlossen (vgl § 167 II VwGO), ist die Rechtsdurchsetzung (Vollstreckung) durch den Erlass einer eAO zu bewerkstelligen.296 Umstritten ist, ob § 172 VwGO eine abschließende Regelung der Vollstreckung gegen eine Behörde außerhalb der von § 170 VwGO erfassten Geldvollstreckung darstellt. Die
292 293 294 295 296
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OVG Hamburg, NVwZ-RR 1995, 180. HessVGH, NVwZ-RR 2001, 366. BayVGH, NVwZ-RR 2007, 286 = BayVBl 2007, 19. BVerfG-K, DVBl 1999, 1646 = NVwZ 1999, 1330, 1331. BVerfG-K, NVwZ 2003, 981.
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hM verneint dies und greift über § 167 VwGO auf §§ 883 ff ZPO zurück.297 Überzeugend ist das kaum. Für die Durchsetzung nicht auf Geldleistungen gerichteter hoheitlicher Verpflichtungen auf Grund eAOen lässt sich § 172 VwGO als umfassende und abschließende Sonderregelung begreifen, die die Anwendung der §§ 883 ff ZPO (über § 167 I 1 VwGO) grundsätzlich ausschließt.298 Unproblematisch anwendbar bei der Vollstreckung einer eAO sind die durch § 123 III VwGO in Bezug genommenen ZPO-Vorschriften; das gilt insbesondere für die Vollziehungsfrist nach § 929 II ZPO.299 3. Gerichtliches Abänderungsverfahren Im Unterschied zu § 80 VII VwGO ist in § 123 VwGO ein Abänderungsverfahren nicht vorgesehen. § 123 III VwGO verweist auch nicht auf § 927 ZPO. Die sachliche Notwendigkeit eines gerichtlichen Abänderungsverfahrens bei der eAO ist indes kaum bestritten.300 Die Regelungslücke ist durch eine analoge Anwendung des § 80 VII VwGO zu schließen.301 Keinen Sinn macht der gleichzeitige Zugriff auf § 80 VII VwGO und § 927 I ZPO,302 da die Vorschriften unterschiedliche Voraussetzungen normieren. Der sachlich sinnvolle Rückgriff auf § 80 VII VwGO (→ § 29 Rn 175 ff) sichert beim Abänderungsverfahren den Gleichlauf zwischen eAO und aufschiebender Wirkung.303
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4. Schadenersatz bei ungerechtfertigter einstweiliger Anordnung Indem § 123 III VwGO auf § 945 ZPO verweist, wird dem Antragsgegner des Verfahrens der eAO gegen den Antragsteller ein verschuldensunabhängiger Schadenersatzanspruch eingeräumt, wenn sich die eAO von Anfang an als ungerechtfertigt erweist.304 Das ist der Fall, wenn der Anordnungsanspruch bzw der Anordnungsgrund nicht gegeben war(en). Im zweiseitigen Rechtsverhältnis kommt der Schadenersatzanspruch nach § 945 ZPO zB in Betracht bei einer ungerechtfertigten eAO auf Leistung von Sozialhilfe 305 oder Ausbildungsförderung 306 oder beamtenrechtlichen Anwärterbezügen.307 297 Zusammenfassend OVG Berlin, NVwZ-RR 1999, 411 f; ferner OVG Berlin, NVwZ 2002, 357, 358; Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 529 f; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 123 Rn 134. 298 So HessVGH, DÖV 2000, 385 ff = NVwZ-RR 2000, 730 f. 299 BayVGH, NVwZ-RR 2003, 699 = BayVBl 2004, 247; Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 521 ff. 300 AA zB Happ in: Eyermann, VwGO, § 123 Rn 81: Der Antragsteller könne wegen veränderter Umstände erneut den Erlass einer eAO beantragen. 301 BVerfG-K, NJW 1998, 1218; VGH BW, VBlBW 2001, 228, 229; NVwZ-RR 2002, 911; VBlBW 2007, 34, 35; VBlBW 2008, 114; OVG Berlin, NVwZ 1998, 1093, 1094; Dombert in: Finkelnburg/ Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 486 ff; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 123 Rn 128; zweifelnd VGH BW, NJW 2007, 2506. 302 So zB VGH BW, NVwZ-RR 2000, 551; OVG RP, NVwZ-RR 1999, 705, 706; DÖV 2001, 41, 42. 303 Vgl BVerfG-K, NVwZ 2008, 417, 418. 304 Vgl zu § 945 ZPO Ahrens FS Piper, 1996, 31 ff; zur Rezeption durch die VwGO J. A. Müller Schadensersatz bei ungerechtfertigter Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes nach der VwGO, 1998, 33 ff. 305 VGH BW, NVwZ-RR 2000, 303. 306 OVG Hamburg, NVwZ 1990, 686. 307 VGH BW, VBlBW 1983, 309; 1984, 86.
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5. Teil: Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
Im dreiseitigen Rechtsverhältnis wird am Beispiel des Baunachbarrechts die Frage erörtert, ob der Bauherr (eines genehmigungsfreien Vorhabens) nach ungerechtfertigter Baueinstellung mittels eAO von dem Nachbarn, der die eAO erwirkt hat, Schadenersatz verlangen kann. Nach §§ 80, 80a VwGO wäre dies (beim genehmigungspflichtigen Vorhaben) nicht der Fall, da dort § 945 ZPO nicht in Bezug genommen ist. Der Bauherr hat gemäß § 123 III VwGO iVm § 945 ZPO ebenfalls keinen Schadenersatzanspruch, da nur der „Antragsgegner“ im Verfahren der eAO anspruchsberechtigt ist.308 Ein Wertungswiderspruch mit §§ 80, 80a VwGO wird somit vermieden, ebenso eine mit Art 19 IV 1 GG uU unvereinbare prohibitive Wirkung des § 945 ZPO im Verwaltungsrecht.
VI. Einstweilige Anordnung bei der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle 71
Fall 11: H ist Halter zweier Bullterrier, eines Rüden und einer Hündin. Seit einigen Jahren züchtet H Bullterrierhunde. Nach einigen aufsehenerregenden Vorfällen mit bissigen Hunden erlässt das Landesinnenministerium formell ordnungsgemäß eine Verordnung über das Halten gefährlicher Hunde (GefHVO). Darin sind ua für bestimmte Hunderassen, zu denen auch Bullterrier gehören, ein Erlaubnisvorbehalt (§ 2) sowie die Prüfung der Zuverlässigkeit und Sachkunde des Halters (§ 3) vorgesehen. Ferner ist für bestimmte Bereiche ein Leinenund Maulkorbzwang angeordnet (§ 4). § 5 GefHVO schreibt vor, dass Kampfhunde dauerhaft unfruchtbar zu machen sind. H beantragt beim OVG/VGH die Nichtigerklärung dieser Bestimmungen und stellt den Antrag auf Erlass einer eAO, die Anwendung der Bestimmungen bis zur endgültigen NK-Entscheidung auszusetzen.309
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Vorläufiger Rechtsschutz bei der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle (NK) wird nach Maßgabe des § 47 VI VwGO gewährt. Danach kann das Gericht auf Antrag eine eAO erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Da der Vorschrift in Ausbildung und Prüfung keine große Bedeutung zukommt, erfolgt hier eine Konzentration der Darstellung auf einige zentrale Rechtsfragen. 1. Zulässigkeit des Eilantrags
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Das Gericht (OVG/VGH) entscheidet nur „im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit“ (vgl § 47 I VwGO). Daher muss der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein (§ 40 I 1 VwGO). Dies gilt in Bezug auf jede einzelne Norm eines angegriffenen Regelwerks. Infolgedessen ist ein Eilantrag nach § 47 VI VwGO insoweit unzulässig, als er sich gegen eine Ordnungswidrigkeitsbestimmung (vgl § 68 OWiG) in einer an sich angreifbaren Rechtsverordnung richtet.310 Der Eilantrag gemäß § 47 VI VwGO ist statthaft, soweit ein NK-Antrag nach § 47 I VwGO statthaft ist (→ § 27 Rn 9 ff). Angreifbar sind danach vor allem Satzungen nach dem BauGB (§ 47 I Nr 1 VwGO), insbesondere Bebauungspläne (vgl § 10 I BauGB); bei anderen im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften kommt es auf 308 NdsOVG, NdsVBl 2009, 44, 45 → JK NdsBauO § 89 I/1; Retzlaff NJW 1999, 3224 ff; Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn 200. 309 Fall nach VGH BW, NVwZ 2001, 827 = VBlBW 2001, 223. 310 BbgOVG, NVwZ 2001, 223, 224.
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das Landesrecht (AGVwGO) an (§ 47 I Nr 2 VwGO → § 27 Rn 35). Statthaft ist der Antrag nur, wenn er sich gegen eine existente Rechtsvorschrift richtet. Bei einem Entwurf ist diese Voraussetzung nicht erfüllt. Die Norm muss erlassen (verkündet) sein; lediglich auf ihr Inkrafttreten kann verzichtet werden.311 Der Antragsinhalt zielt auf die vorläufige Außervollzugsetzung der Rechtsvorschrift oder die einstweilige Hinderung ihres Inkrafttretens, nicht auf die (vorläufige) Ungültigerklärung. Die Antragsbefugnis wird nach § 47 II 1 VwGO (→ § 27 Rn 39 ff) ermittelt.312 Der Antragsteller muss also substantiiert geltend machen, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung möglicherweise in seinen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden.313 Die passive Verfahrensbefugnis (Antragsgegner) liegt entsprechend § 47 II 2 VwGO (→ § 27 Rn 46) bei demjenigen Hoheitsträger, der die angegriffene Rechtsvorschrift erlassen hat.314 Zuständig ist das OVG (der VGH), wie § 47 I VwGO zeigt. Nach Einführung der Revisionsmöglichkeit für NK-Entscheidungen reklamiert das BVerwG für sich im Revisionsverfahren als in der Hauptsache zuständiges Gericht die Entscheidungszuständigkeit gemäß § 47 VI VwGO.315 Dadurch tritt ein Wertungswiderspruch zu § 123 II VwGO auf. Eine Antragsfrist besteht nach § 47 VI VwGO nicht. Auch beim Eilantrag nach § 47 VI VwGO darf das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis nicht fehlen. Das Rechtsschutzinteresse ist bereits gegeben, wenn sich für den Antragsteller aus dem Erfolg seines Antrags günstige Rechtsfolgen ergeben können.316 Nur wenn keine Vorteile erkennbar sind und die Inanspruchnahme des Gerichts deshalb nutzlos erscheint, entfällt das Rechtsschutzbedürfnis.317 Zu widersprechen ist der verbreiteten Neigung, im Baunachbarrecht dem Antragsteller den Rechtsschutz nach § 47 VI VwGO (zT auch durch Verneinung der „Dringlichkeit“ der eAO) unter Hinweis auf bestehende Rechtsschutzmöglichkeiten nach §§ 80, 80a, 123 VwGO zu versagen.318 Die unterschiedlichen Eilverfahren stehen selbstständig und gleichberechtigt nebeneinander;319 sie können daher unabhängig voneinander durchgeführt werden.320
311 BayVGH, GewArch 1999, 439; NVwZ-RR 2000, 469, 470; SächsOVG, SächsVBl 1998, 187. 312 VGH BW, DÖV 1999, 260 = NJW 1999, 1569; BayVGH, BayVBl 1999, 82; NVwZ-RR 2000, 416; BayVBl 2007, 145; OVG Bln-Bbg, NVwZ-RR 2008, 231; BbgOVG, NVwZ-RR 2005, 386; HessVGH, DÖV 1998, 343; NVwZ-RR 2000, 655; NdsOVG, NVwZ-RR 2003, 547; NVwZ-RR 2004, 173, 174; NVwZ-RR 2004, 332; OVG NRW, NVwZ-RR 2006, 94; SächsOVG, SächsVBl 2008, 71, 72; OVG LSA, NJW 1999, 2985; ThürOVG, NVwZ-RR 2001, 234. 313 Strenger Hufen VerwPrR, § 34 Rn 7, sowie Schenke VerwPrR, Rn 1044: Der Antragsteller müsse geltend machen, dass die eAO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten sei. 314 Nach OVG Bremen, NVwZ 2000, 1435 wird eine im Rahmen der Fachaufsicht durch Selbsteintritt der übergeordneten Behörde erlassene VO der beaufsichtigten Körperschaft zugeordnet. 315 BVerwG, NVwZ 1998, 1065, 1066. 316 BayVGH, BayVBl 2007, 145; OVG NRW, NVwZ 2001, 1060, 1061; SächsOVG, SächsVBl 2001, 244 = NVwZ 2002, 615. 317 BayVGH, NVwZ-RR 2000, 416, 417 mit Beispielen: Festsetzungen des angegriffenen B-Plans sind bereits umgesetzt; mit den Bauarbeiten darf auch ohne B-Plan begonnen werden; ähnlich NdsOVG, NVwZ-RR 2005, 691, 692 u 693, 694. 318 So zB VGH BW, DÖV 1997, 1056 = NVwZ-RR 1998, 613; BayVGH, UPR 1998, 467, 468. 319 Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 47 Rn 141 und 151. 320 BayVGH, NVwZ-RR 2000, 416, 417; BayVBl 2007, 145; OVG Hamburg, BauR 2007, 1541, 1542; NdsOVG, NVwZ-RR 2002, 109 f.
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2. Begründetheit des Eilantrags
a) Folgenabwägung nach der Doppelhypothese (hM) 77
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Zur Begründetheit der eAO nach § 47 VI VwGO postuliert die hM einen „strengen Maßstab“.321 Immer wieder wird darauf hingewiesen, die Anforderungen für den Erlass einer eAO seien nach § 47 VI VwGO strenger als nach § 123 VwGO.322 In der Sache sei eine Orientierung an den vom BVerfG zu § 32 BVerfGG entwickelten Grundsätzen (→ § 19 Rn → 33 ff) angezeigt; nach der notwendigen Interessenabwägung müssten die für die eAO sprechenden Gründe so schwer wiegen, dass deren Erlass unabweisbar erscheine.323 Methodisch bedeutet die Orientierung an der zu § 32 BVerfGG gepflegten Praxis eine Entscheidungsfindung nach der bekannten Doppelhypothese (Folgenabwägung): Abzuwägen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine eAO nicht erginge, der NK-Antrag aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die aufträten, wenn die begehrte eAO erlassen würde, der NK-Antrag im Ergebnis aber erfolglos bliebe.324 Dies stellt einen materiell-inakzessorischen Prüfungsmaßstab dar; die Gründe, die für die Ungültigkeit der angegriffenen Rechtsvorschrift geltend gemacht werden, müssen außer Betracht bleiben, es sei denn, der Antrag in der Hauptsache erweist sich von vornherein als offensichtlich begründet oder unbegründet.325 Im Übrigen ist die Erfolgsaussicht in der Hauptsache allenfalls ein Entscheidungselement (Abwägungskriterium); bei der Folgenbetrachtung regiert der Einzelfall.
b) Kritik: Notwendigkeit von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund 79
Die Anlehnung an die – ohnehin kritikwürdige 326 – Entscheidungspraxis des BVerfG zu § 32 BVerfGG überzeugt nicht. Es geht um vorläufigen Rechtsschutz gegenüber Verwaltungshandeln und nicht gegen Parlamentsgesetze. Deshalb verfängt auch der pathetisch anmutende Hinweis nicht, „der Respekt vor dem demokratisch legitimierten Normgeber“ gebiete jene Rechtsprechungspraxis.327 Im Übrigen weisen viele Verwaltungsakte (zB aus
321 VGH BW, NVwZ-RR 1998, 421; VBlBW 1999, 96; DÖV 1999, 260 = NJW 1999, 1569; BayVGH, NVwZ-RR 1997, 417, 418; BayVBl 1999, 82, 83; OVG Bln-Bbg, NVwZ-RR 2008, 231; NVwZ 2007, 107, 108; NdsOVG, NVwZ-RR 2003, 547; NJW 2004, 1340 f; NVwZ-RR 2004, 173, 174; NVwZ-RR 2004, 332, 333; OVG NRW, NVwZ-RR 1998, 17. 322 BVerwG, NVwZ 1998, 1065, 1066; OVG Bremen, NVwZ 2000, 1435; HessVGH, NVwZ-RR 2000, 655, 656; NVwZ 2007, 107, 108; NVwZ 2000, 1438; NdsOVG, NVwZ-RR 1999, 738; NVwZ 2000, 1440, 1441; OVG NRW, NVwZ-RR 2006, 94. 323 VGH BW, NVwZ-RR 1998, 421; BayVGH, BayVBl 1999, 82, 83; OVG Bln-Bbg, NVwZ-RR 2008, 231; BbgOVG, LKV 1997, 258, 259; NVwZ-RR 2005, 386 f; HessVGH, DÖV 1998, 343, 344; OVG NRW, NVwZ 1997, 923; NWVBl 1997, 470, 471; NVwZ-RR 1998, 17. 324 VGH BW, DÖV 1999, 260 = NJW 1999, 1569; BayVGH, NVwZ-RR 1997, 417, 418; OVG BlnBbg, NVwZ-RR 2008, 231; BbgOVG, NVwZ 2001, 223, 224; OVG Bremen, NVwZ 2000, 1435; NdsOVG, NVwZ 2000, 1440, 1442; OVG NRW, NVwZ-RR 2006, 94; SächsOVG, SächsVBl 2008, 71, 72; ThürOVG, NVwZ-RR 2001, 234. 325 Beispiele hierfür: OVG Bremen, NVwZ 2000, 1435 (zT); HessVGH, NVwZ 2000, 1438 (zT) – jeweils zu einer GefHVO. – Ferner NdsOVG, NVwZ 2002, 109 zu einem B-Plan; OVG LSA, NJW 1999, 2985 sowie ThürOVG, NVwZ-RR 2001, 234 – jeweils zu einer VO nach dem LSchlG. 326 Vgl Schoch FS 50 Jahre BVerfG 2001, 695 ff. 327 So HessVGH, NVwZ-RR 2000, 655, 656. – Richtig demgegenüber Hufen VerwPrR, § 34 Rn 1, der betont, dass die Rspr des BVerfG zu § 32 BVerfGG zur verfassungsrechtlichen NK für die gerichtliche Kontrolle von Rechtsnormen der Verwaltung nicht passt.
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dem Genehmigungs-, Planungs-, Umweltrecht) eine höhere Komplexität auf als „Rechtsvorschriften“ iSd § 47 I, VI VwGO; gleichwohl findet dort – selbstverständlich – ein materiell-akzessorisches Eilverfahren statt. Richtig ist demnach bei § 47 VI VwGO ein rechtlich strukturierter Maßstab, der nach Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund fragt.328 Zunehmend wird in der Rspr in der Tat das Modell der „summarischen Prüfung“ praktiziert 329 oder eine an den Maßstäben der §§ 80, 80a VwGO orientierte Prüfung vorgenommen.330 Jedenfalls bei drohenden vollendeten Tatsachen (zB im Bauplanungsrecht) findet vielfach eine Prüfung der Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags statt.331 In Fall 11 nahm der VGH die nach hM gebotene Folgenabwägung vor. Dabei wurde bei H eine übermäßige Belastung durch §§ 2, 3, 4 GefHVO verneint. Demgegenüber wiege schwer, wenn die Schutzwirkungen der Bestimmungen zu Gunsten der Bevölkerung im Falle einer eAO bis auf Weiteres nicht greifen könnten; vor allem falle ins Gewicht, dass der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit von Menschen hochrangige Rechtsgüter seien. Auszusetzen sei dagegen der Vollzug von § 5 GefHVO; der Vollzug dieser Bestimmung schaffe irreparable Nachteile, die nicht mehr auszugleichen seien und Hundezüchter in besonders schwerem Maße träfen.
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3. Einscheidung und Entscheidungswirkungen Ist der Antrag nach § 47 VI VwGO unzulässig oder unbegründet, wird er verworfen bzw abgelehnt. Ist der Eilantrag begründet, muss die eAO erlassen werden, zum „Ob“ besteht ein richterliches Ermessen nicht. Das Gericht setzt die Rechtsvorschrift vorläufig außer Vollzug bzw untersagt ihre Anwendung.332 Entsprechend § 121 VwGO ist die eAO der Rechtskraft fähig, hat aber keinen vollstreckungsfähigen Inhalt. Die Eilentscheidung gemäß § 47 VI VwGO ist unanfechtbar (vgl § 152 VwGO). Die gerichtliche Abänderungsbefugnis ergibt sich nach unterdessen gesicherter Rechtsauffassung aus der analogen Anwendung des § 80 VII VwGO.333
328 Einzelheiten dazu bei Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 47 Rn 159 ff; Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn 598 ff. 329 NdsOVG, NVwZ 2002, 109, 110 unter ausdrücklicher Ablehnung der „Folgenabwägung“ der hM; ferner zB OVG Hamburg, BauR 2007, 1541, 1543 ff; NdsOVG, NVwZ-RR 2003, 547 f; NVwZ-RR 2005, 172 f; NVwZ-RR 2007, 444, 446 f; SächsOVG, NVwZ 2002, 615 f = SächsVBl 2001, 244 ff. 330 BayVGH, NVwZ-RR 2000, 416, 417 f: Entscheidung nach § 47 VI VwGO sei primär an den Erfolgsaussichten des NK-Antrags auszurichten. 331 BayVGH, NVwZ-RR 2003, 176 ff; NdsOVG, NVwZ-RR 2003, 547 f; NJW 2004, 1340, 1341; NVwZ-RR 2004, 173, 174; NVwZ-RR 2004, 332, 333. 332 VGH BW, DVBl 1999, 1734 = NVwZ-RR 2000, 529; BayVGH, NVwZ-RR 1990, 352, 353; OVG Bln-Bbg, NVwZ-RR 2008, 231; OVG Bremen, NVwZ-RR 1992, 154; NdsOVG, BauR 2009, 476 f; OVG NRW, BauR 1996, 826, 828. 333 NdsOVG, DÖV 1997, 923 = NVwZ-RR 1998, 421; NVwZ-RR 2002, 700, 701; OVG NRW, NVwZ-RR 1999, 473, 474.
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Stichwortverzeichnis
Aarhus-Konvention § 22 Rn 52 Abänderungsverfahren – Verfahren nach § 123 VwGO § 30 Rn 68 – vorläufiger Rechtsschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht § 12 Rn 83 – vorläufiger Rechtsschutz vor dem BVerfG § 19 Rn 65 – § 80 VII VwGO § 29 Rn 175 ff Abdrängende Sonderzuweisung § 21 Rn 101 ff Abgaben, öffentliche § 29 Rn 47 ff Abgrenzung zw aufschiebender Wirkung u einstw Anordnung § 29 Rn 13, 92; § 30 Rn 13 Abhilfe § 20 Rn 48 Abhilfeentscheidung § 20 Rn 48 Abhilfeverfahren § 20 Rn 49 f Abschaffung des Widerspruchsverfahrens § 20 Rn 93 Abstrakte Normenkontrolle § 15 – Abgrenzung zum Bund-Länder-Streit § 18 Rn 10 f, 16, 29 Abwägungsmodell, folgenorientiertes § 19 Rn 33, 34 ff, 47 ff; § 30 Rn 38 Additional Facility § 4 Rn 20 Advisory Centre on WTO Law (ACWL) § 3 Rn 53 Akzessorietät zwischen Eilverfahren und Hauptsacheverfahren § 12 Rn 24 f Alliance for Natural Health (EuGH Rs C-154/04) § 11 Rn 12, 32, 42 Alltagsstreitigkeiten § 19 Rn 10 Alternative Klage § 21 Rn 18 Amicus curiae-Schriftsatz § 3 Rn 48 Anfallwirkung, zuständigkeitsbegründende § 20 Rn 43 Anfechtungsantrag, Verbindung mit anderen Anträgen § 33 Rn 29 Anfechtungsklage § 22 – isolierte § 22 Rn 24 – klassischer Aufbau § 22 Rn 70 ff – im Kommunalverfassungsstreit § 28 Rn 72 ff – objektiv-rechtlich orientierter Aufbau § 22 Rn 79 – subjektiv-rechtlich orientierter Aufbau § 22 Rn 75 ff Anfechtungswiderspruch § 20 Rn 42, 61 Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten § 29 Rn 45 ff
Anordnung – der aufschiebenden Wirkung § 29 Rn 17, 92, 109, 147 – Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung § 29 Rn 66 – einstweilige § 19 Rn 3 ff – bei der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle § 30 Rn 71 ff – nach § 123 VwGO § 30 Rn 32 ff – verfassungsgerichtliche § 19 Rn 3 ff – Wiederholung der verfassungsgerichtlichen § 19 Rn 64 – der sofortigen Vollziehung – im Beteiligteninteresse § 29 Rn 74, 75 – Erlass, Inhalt und Folgen § 29 Rn 75 ff – formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung § 29 Rn 63 ff – materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung § 29 Rn 70 ff – im öffentlichen Interesse § 29 Rn 70 ff, 75 – Wirkung § 29 Rn 76 ff – Regelungs- § 30 Rn 21 ff; 43, 54 – Sicherungs- § 30 Rn 21 ff, 42, 53 Anordnungsanspruch § 19 Rn 21, 32; § 30 Rn 37, 40 ff Anordnungsgrund § 19 Rn 21, 32 ff; § 30 Rn 37, 52 ff Anordnungsverfahren, einstweiliges § 12 Rn 32; § 28 Rn 93 f Anspruch auf Erlass des Widerspruchsbescheids § 20 Rn 81 Anspruch auf Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns § 13 Rn 73, 142 Antidumping § 8 Rn 36 Antrag – auf Verfahrenseinleitung bei der Vertragsverletzungsklage § 7 Rn 18 – beim VA mit Drittwirkung § 29 Rn 107 Antrag, ordnungsgemäßer im Organstreitverfahren § 17 Rn 3 Antragsbefugnis – Eilantrag – im Aussetzungsverfahren § 29 Rn 117 f – nach § 32 BVerfGG § 19 Rn 21 f – nach § 123 VwGO § 30 Rn 27 – kommunale Verfassungsbeschwerde § 14 Rn 10 ff
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Stichwortverzeichnis – Kommunalverfassungsstreit § 28 Rn 98 ff, 110 – Organstreitverfahren § 17 Rn 30 ff – föderative Streitigkeiten – im grundgesetzbezogenen Bund-LänderStreit § 18 Rn 16 ff – bei landesinternen Streitigkeiten § 18 Rn 59 – im nicht grundgesetzbezogenen BundLänder-Streit § 18 Rn 38 – im Streit zwischen Bundesländern § 18 Rn 48 – verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle § 27 Rn 37 ff – Behörden § 27 Rn 48 – natürliche und juristische Personen § 27 Rn 39 ff Antragsberechtigung – abstrakte Normenkontrolle § 15 Rn 8 ff – vorläufiger Rechtsschutz im EG-Recht § 12 Rn 34 ff Antragsgegenstand – abstrakte Normenkontrolle § 15 Rn 19 ff – Organstreitverfahren § 17 Rn 24 – vorläufiger Rechtsschutz im EG-Recht § 12 Rn 30 ff Antragsgrund – abstrakte Normenkontrolle § 15 Rn 28 ff Antragsfrist – abstrakte Normenkontrolle § 15 Rn 52 – Eilantrag – im Aussetzungsverfahren § 29 Rn 125 f – nach § 32 BVerfGG § 19 Rn 23 – nach § 123 VwGO § 30 Rn 30 – föderative Streitigkeiten – im grundgesetzbezogenen Bund-LänderStreit § 18 Rn 25 f – bei landesinternen Streitigkeiten § 18 Rn 60 – im nicht grundgesetzbezogenen BundLänder-Streit § 18 Rn 39 – im Streit zwischen Bundesländern § 18 Rn 48 – Organstreitverfahren § 17 Rn 44 ff – verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle § 27 Rn 47 ff – vorläufiger Rechtsschutz § 12 Rn 41 Antragsteller beim vorläufigen Rechtsschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht – nicht privilegiert § 12 Rn 38 – privilegiert § 12 Rn 35 Anwendung, analoge – des § 47 I Nr 1 VwGO § 27 Rn 31 ff – des § 80 VI VwGO § 29 Rn 131 – des § 113 I 4 VwGO § 26 Rn 19 ff Anwendungsvorrang des EG-Rechts § 16 Rn 46 f
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Appellate Body (AB) § 3 Rn 13 ff, 37 ff Appellentscheidung iRd Verfassungsbeschwerde § 13 Rn 194 Appointing authority § 4 Rn 37 Äquivalenzgrundsatz § 6 Rn 6 Arbeitsgericht, Zuweisung an § 21 Rn 126 Atomisierung des Verwaltungsprozessrechts § 29 Rn 14 Auffangfunktion – Feststellungsklage § 25 Rn 2 – Leistungsklage § 24 Rn 1 – verwaltungsgerichtliche einstweilige Anordnung § 19 Rn 12 Aufsichtsklage § 7 Rn 3 Ausklammerung vertragsbezogener Handlungen § 8 Rn 17 Ausklammerung der Entscheidung nach Art 62 Nr 1 EGV § 8 Rn 18 Auslegung des Eilantrags § 29 Rn 108 f; § 30 Rn 25 Auslegung, verfassungskonforme § 16 Rn 58, 71, 74 Auslegungsfragen § 11 Rn 6, 18, 41 Auslegungsentscheidung § 11 Rn 43 ff Ausnahme, richterliche vom Erfordernis eines Vorverfahrens § 20 Rn 95 f Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung § 29 Rn 66 Ausnahmen vom Abwägungsmodell § 19 Rn 39 ff Ausnahmetatbestände des § 80 VI 2 VwGO § 29 Rn 130 Ausschließlichkeitsklausel § 27 Rn 53 Ausschluss, gesetzlicher des Vorverfahrens § 20 Rn 93 f Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung (CERD) § 2 Rn 14 Ausschuss gegen Diskriminierung der Frau (CEDAW) § 2 Rn 16 Ausschuss gegen Folter (CAT) § 2 Rn 15 Außenrechtsakt, rechtsverbindlicher § 9 Rn 11 Außenrechtskreis § 28 Rn 44 Außenrechtsstreitigkeit § 28 Rn 24 ff Außenwirkung § 8 Rn 16 Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens beim EuGH § 6 Rn 14 Aussetzungsverfahren § 12 Rn 31; § 29 Bedienstete § 10 Rn 31 Befriedungsfunktion, interimistische § 12 Rn 16; § 19 Rn 7; § 29 Rn 15 f; § 30 Rn 7 Begründetheit – abstrakte Normenkontrolle § 15 Rn 59
Stichwortverzeichnis – Anfechtungsklage § 22 Rn 66 ff – Eilantrag – im Aussetzungsverfahren § 29 Rn 133 ff – einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO § 30 Rn 32 ff – einstweilige Anordnung bei der verwgerichtl Normenkontrolle § 30 Rn 77 ff – beim vorläufigen Rechtsschutz durch das BVerfG § 19 Rn 29 ff – beim vorläufigen Rechtsschutz im EGRecht § 12 Rn 43 ff – Feststellungsklage § 25 Rn 60 ff – föderative Streitigkeiten § 18 Rn 29 f, 41, 50, 62 – Fortsetzungsfeststellungsklage § 26 Rn 66 ff – ICSID Schiedsklage § 4 Rn 82 f – Individualbeschwerde vor dem EGMR § 5 Rn 70 ff – Individualbeschwerde vor dem Menschenrechtsausschuss § 2 Rn 29 ff – Individualverfassungsbeschwerde § 13 Rn 117 ff – kommunale Verfassungsbeschwerde § 14 Rn 56 ff – Kommunalverfassungsstreit § 28 Rn 123 f – Leistungsklage § 24 Rn 36 ff – Nichtigkeitsklage § 8 Rn 55 ff – Organstreitverfahren § 17 Rn 52 – Schadensersatzklage § 10 Rn 30 ff – Untätigkeitsklage § 9 Rn 22 ff – Verpflichtungsklage § 23 Rn 37 ff – Vertragsverletzungsklage § 7 Rn 28 ff – verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle § 27 Rn 52 ff – verwaltungsgerichtlicher Organstreit § 28 Rn 123 f – Widerspruchsverfahren § 20 Rn 38 ff, 61 – WTO-Streitbeilegung § 3 Rn 60 ff Begründung der Verfassungswidrigkeit § 16 Rn 71 Begründungserfordernis – bei Anordnung der sofortigen Vollziehung § 29 Rn 65 f – der Vorlage beim Vorabentscheidungsverfahren § 11 Rn 39 Begünstigung, gleichheitswidrige § 16 Rn 68 ff Begünstigungsausschluss – gleichheitswidriger § 16 Rn 55 ff, 64, 77 f – konkludenter § 16 Rn 56 f Beiladung § 21 Rn 135 Beitritt im Organstreitverfahren § 17 Rn 51 Bekanntgabe – des angefochtenen Rechtsakts § 8 Rn 47
– des Verwaltungsakts § 20 Rn 20 f, 24 – des Widerspruchsbescheids § 20 Rn 55 Bereichsausnahme § 19 Rn 41 Berichtsverfahren § 2 Rn 9 Bescheidungsurteil – Leistungsklage § 24 Rn 38 – Verpflichtungsklage § 23 Rn 15, 48 f Bescheidungswiderspruchsbescheid § 20 Rn 62 Beschwer im Widerspruchsverfahren § 20 Rn 17 Beschwerdebefugnis – Individualbeschwerde vor dem EGMR § 5 Rn 25, 42 ff – Individualbeschwerde vor dem Menschenrechtsausschuss § 2 Rn 25 – Individualverfassungsbeschwerde § 13 Rn 64 ff – kommunale Verfassungsbeschwerde § 14 Rn 28 ff – WTO-Streitbeilegung § 3 Rn 47 ff Beschwerdefrist – Individualbeschwerde vor dem EGMR § 5 Rn 52 ff – Individualverfassungsbeschwerde § 13 Rn 102 ff – kommunale Verfassungsbeschwerde § 14 Rn 53 ff Beschwerdegegenstand – Individualbeschwerde vor dem Menschenrechtsausschuss § 2 Rn 26 – Individualverfassungsbeschwerde § 13 Rn 42 ff – kommunale Verfassungsbeschwerde § 14 Rn 19 ff Beschwerdeverfahren § 29 Rn 175 Beseitigungsklage § 24 Rn 22 Beteiligte des verwgerichtl Rechtsstreits 21 Rn 134 ff Beteiligungsfähigkeit im verwgerichtl Rechtsstreit § 21 Rn 139 ff – Aussetzungsverfahren § 29 Rn 101 – Eilverfahren des § 32 BVerfGG § 19 Rn 19 f – Einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO § 30 Rn 19 – Individualverfassungsbeschwerde § 13 Rn 16 ff – Organstreitverfahren § 17 Rn 4 ff – oberste Bundesorgane § 17 Rn 9 – andere § 17 Rn 11 ff – Verlust § 17 Rn 19 – verwgerichtl Organstreit § 28 Rn 44 ff – Verwaltungsgerichtsbarkeit – Behörden § 21 Rn 152 – Juristische Person § 21 Rn 142
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Stichwortverzeichnis – Natürliche Person § 21 Rn 142 – Vereinigungen § 21 Rn 145 ff – WTO-Streitbeilegung § 3 Rn 50 Betroffenheit – Individualverfassungsbeschwerde § 12 Rn 74 ff – Kommunale Verfassungsbeschwerde § 14 Rn 35 ff – Nichtigkeitsklage § 8 Rn 25 ff – Untätigkeitsklage § 9 Rn 11, 16 – Verwaltungsgerichtliche einstweilige Anordnung § 30 Rn 108 Beurteilungsspielraum § 22 Rn 81 f Beurteilungszeitpunkt – angefochtener Verwaltungsakt § 22 Rn 85 ff – Feststellungsklage § 25 Rn 61 – Leistungsklage § 24 Rn 38 – Verpflichtungsbegehren § 23 Rn 44 ff Beweisaufnahme bei der konkreten Normenkontrolle § 16 Rn 60 Beweislastverteilung in der WTO- Streitbeilegung § 3 Rn 63 Beweiszulassung im ICSID Schiedsgerichtsverfahren § 4 Rn 49 f Beziehungen, rechtliche § 25 Rn 10 ff Bilateral Investment Treaty (BIT) § 4 Rn 3, 19 Bindungswirkung – der Eilentscheidung – im Aussetzungsverfahren § 29 Rn 172 f – nach § 31 I BVerfGG § 19 Rn 63 – nach § 123 VwGO § 30 Rn 65 – obergerichtlicher Entscheidungen im Instanzenzug § 11 Rn 26 – des Widerspruchsbescheids § 20 Rn 74 ff Bundesgesetze, Ausführung durch die Länder § 18 Rn 21 Bundesstaatsprinzip, Bedeutung im BundLänder-Streit § 18 Rn 12, 30 Bundestreue § 18 Rn 20 f Bundeszwang § 18 Rn 10, 27 Bund-Länder-Streit – grundgesetzbezogener § 18 Rn 3 ff – nicht grundgesetzbezogener § 18 Rn 31 Bürgerbegehren § 28 Rn 30 ff Contract claim § 4 Rn 3, 70 f Court of Arbitration § 4 Rn 31 CSOB-Test § 4 Rn 62 Denial of benefits- Klausel § 4 Rn 59 DDR-Gesetze § 16 Rn 27 Deggendorf (EuGH Slg 1994, I-833) § 11 Rn 34, 38
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Delegation § 6 Rn 10 Determinanten des EG-Rechts § 29 Rn 8 ff Deutsche Gerichtsbarkeit § 21 Rn 20 ff – personeller Bereich § 21 Rn 26 ff – räumlicher Bereich § 21 Rn 21 ff Devolutiveffekt – beim vorläufigen Rechtsschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht § 12 Rn 78 – im Widerspruchsverfahren § 20 Rn 43 f Differenzhypothese § 10 Rn 39 Diplomatischer Schutz auf völkerrechtlicher Ebene § 4 Rn 4, 7 Direktklage – Nichtigkeitsklage § 8 Rn 3 – Vertragsverletzungsklage § 7 Rn 1 Dispositionsmaxime – beim vorläufigen Rechtsschutz durch das BVerfG § 19 Rn 15 – beim vorläufigen Rechtsschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht § 12 Rn 73 Dispute Settlement Understanding (DSU) § 3 Rn 12, 14 Dispute Settlement Body (DSB) § 3 Rn 12 ff Doppelfunktion des Widerspruchverfahrens § 20 Rn 2 Doppelhypothese – bei der Entscheidung gemäß § 80a III VwGO § 29 Rn 157 – bei der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle § 27 Rn 55 – beim vorläufigen Rechtsschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht § 12 Rn 64 – beim vorläufigen Rechtsschutz durch das BVerfG § 19 Rn 35 Dringlichkeit § 12 Rn 44, 51 ff Dringlichkeitsinteresse – bei der Sicherungsanordnung § 30 Rn 52 ff – an der sofortigen Vollziehung eines VA § 29 Rn 44, 70, 144 Drittwiderspruch § 20 Rn 16 Dzodi (EuGH Slg 1990, I-3763) § 11 Rn 10, 29 f Effektivgrundsatz § 6 Rn 6 Effet utile § 12 Rn 55 EGMR § 5 Rn 3 ff – Ausschüsse § 5 Rn 20 – Kammern § 5 Rn 21 f – Sektionen § 5 Rn 19 – Urteile § 5 Rn 18 ff, 33 ff Eigenstaatlichkeit der Länder § 18 Rn 20, 52, 58 f Eilentscheidungen – vor dem BVerfG § 19 Rn 32 ff, 53 ff, 63 ff
Stichwortverzeichnis – im Europäischen Gemeinschaftsrecht § 12 Rn 44 ff, 70, 83 ff – Kontrolle durch das BVerfG § 13 Rn 94 – im verwaltungsgerichtlichen Verfahren § 29 Rn 165 ff – beim VA mit Drittwirkung § 29 Rn 155 ff Eilverfahren § 29 Rn 79 ff Einbuße § 10 Rn 15 Eingriff in Freiheitsrechte der EMRK § 5 Rn 74 Einigung, gütliche § 5 Rn 30 Einstweiliger Rechtsschutz vor dem IGH § 1 Rn 48 ff EMRK – Anwendungsbereich § 5 Rn 7 ff – Innerstaatlicher Status § 5 Rn 13 ff Energiechartavertrag (ECT) § 4 Rn 21 Energy Charter Conference (ECC) § 4 Rn 21 Entbehrlichkeit – gerichtlichen Rechtsschutzes § 21 Rn 189 f – eines Vorverfahrens § 20 Rn 90 ff Entlastung der Gerichte § 20 Rn 4 Entscheidungsbefugnisse, gerichtliche – aufschiebende Wirkung § 29 Rn 86 ff – einstweilige Anordnung § 30 Rn 56 Entscheidungserheblichkeit – Vorabentscheidungsverfahren § 11 Rn 24 ff – Ermessenspielraum § 11 Rn 24 – Präklusion § 11 Rn 35 ff – konkrete Normenkontrolle § 16 Rn 59 ff Entscheidungsinhalt – Eilantrag – im Aussetzungsverfahren § 29 Rn 165 ff – nach § 32 BVerfGG § 19 Rn 53 ff – nach § 123 VwGO § 30 Rn 56 ff – grundgesetzbezogener Bund-Länder-Streit § 18 Rn 29 – nicht grundgesetzbezogener Bund-LänderStreit § 18 Rn 41 – landesinternen Streitigkeiten § 18 Rn 62 – Streit zwischen Bundesländern § 18 Rn 50 Entscheidungskompetenz der Widerspruchsbehörde § 20 Rn 43, 70 Entscheidungsmaßstab – Eilantrag im Aussetzungsverfahren § 29 Rn 135 ff, 145, 157 – Eilantrag nach § 32 BVerfGG § 19 Rn 32 f – Eilantrag nach § 123 VwGO § 30 Rn 36 ff Erga omnes § 8 Rn 63 Ergebnisoffenheit des Gleichheitssatzes § 16 Rn 66, 78 Erklärung – mit Regelungscharakter § 24 Rn 9 ff – ohne Regelungscharakter § 24 Rn 16 ff
Erlass des Widerspruchsbescheids § 20 Rn 53 ff Erledigung – eines Feststellungsbegehrens § 26 Rn 35 – des Verwaltungsakts § 26 Rn 4 ff, 43 ff – nach Erhebung einer Anfechtungsklage § 26 Rn 4 ff – vor Erhebung einer Anfechtungsklage § 26 Rn 18 ff – vor oder nach Erhebung einer Verpflichtungsklage in Form einer Versagungsklage § 26 Rn 28 ff – vor oder nach Erhebung einer Verpflichtungsklage in Form einer Unterlassungsklage § 26 Rn 31 ff – eines Realakts § 26 Rn 34 – einer Norm § 26 Rn 36 – eines Innenrechtsaktes § 26 Rn 37 ff – eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes § 26 Rn 40 – des Widerspruchs § 20 Rn 56 Ermächtigungsgrundlage § 22 Rn 71 Ermächtigungslehre, normative § 22 Rn 81 Ermessensfehler § 22 Rn 83 Ermessensmissbrauch § 8 Rn 58 Ermessensspielraum § 22 Rn 81, 83 Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs § 21 Rn 34 ff – beim vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsrecht § 29 Rn 100 EuGH § 6 Rn 22 f Europol-Übereinkommen § 6 Rn 12 Extrakonstitutionelles Verfassungsrecht § 18 Rn 35 Fachaufsicht § 28 Rn 28 Fakultativklausel (IGH) § 1 Rn 38 ff Fehlerfolge § 25 Rn 29 Feststellung der Unvereinbarkeit des Gesetzes mit dem GG § 16 Rn 78 Feststellung des Haftungsgrunds § 10 Rn 21 Feststellungsantrag bei der faktischen Vollziehung § 29 Rn 105 f Feststellungsinteresse – beim Kommunalverfassungsstreit § 28 Rn 113 ff – bei der verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage § 25 Rn 41 ff; § 21 Rn 185 Feststellungsklage § 25 – beim Kommunalverfassungsstreit § 28 Rn 78 ff, 101 ff, 113 ff – negative § 25 Rn 28, 50 – Nichtigkeits- § 25 Rn 51 – positive § 25 Rn 28
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Stichwortverzeichnis – als Untätigkeitsklage § 9 Rn 1 – von Verwaltungsträgern/-organen § 25 Rn 52 – vorbeugende § 25 Rn 48 Feststellungsurteil – Finanzverfassung § 18 Rn 20 – im grundgesetzbezogenen Bund-Länder-Streit § 18 Rn 29 – bei landesinternen Streitigkeiten § 18 Rn 62 – im nicht grundgesetzbezogenen Bund-LänderStreit § 18 Rn 41 – im Streit zwischen Bundesländern § 18 Rn 50 – Untätigkeitsklage § 9 Rn 25 – Vertragsverletzungsklage § 7 Rn 33 Filterfunktion § 20 Rn 4 Finanzgericht, Zuweisung an § 21 Rn 127 Finanzierungsfunktion § 29 Rn 45 Föderalismus, kooperativer § 18 Rn 4 Folgenbeseitigung § 10 Rn 15 Form des Eilantrags § 12 Rn 39 f Formerfordernisse – im grundgesetzbezogenen Bund-Länder-Streit § 18 Rn 21 – bei landesinternen Streitigkeiten § 18 Rn 69 – im nicht grundgesetzbezogenen Bund-LänderStreit § 18 Rn 39 – im Streit zwischen den Bundesländern § 18 Rn 48 – im Widerspruchsverfahren § 20 Rn 9 ff Formvorschriften § 8 Rn 57 Foreign-control-Klausel § 4 Rn 58 Fortgeltung einer verfassungswidrigen Norm § 16 Rn 63 Fortsetzungsfeststellungsklage – Funktion und Bedeutung § 26 Rn 1 f – Fortsetzungsfeststellungsinteresse § 26 Rn 50 ff – Präjudizinteresse § 26 Rn 56 ff – Rehabilitationsinteresse § 26 Rn 60 – Wiederholungsvorbeugungsinteresse § 26 Rn 59 Foto Frost (EuGH Slg 1990, I-3763) § 11 Rn 46, 50 f, 55 Fourth instance doctrine § 2 Rn 26 Fraktionen § 28 Rn 40, 57 f Freiheitsrechte der EMRK § 5 Rn 71 ff Fremdenrecht § 4 Rn 18 Fumus boni iuris § 12 Rn 44, 47 Funktionsträgerprinzip § 28 Rn 117 ff GATT § 11 Rn 20, § 3 Rn 3 ff Gebot realer Fehlerheilung § 20 Rn 65 Gefährdung der Rechtsverwirklichung § 30 Rn 53
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Gegenstand der konkreten Normenkontrolle § 16 Rn 8 ff, 21 Gehör, rechtliches im Widerspruchsverfahren § 20 Rn 54 Geldersatz § 10 Rn 15 Geltungsanspruch des materiellen Rechts § 19 Rn 9 Gemeinde § 14 Rn 11 Gemeindeverbände § 14 Rn 13 Gemeinschaft, europäische (Wirtschafts-) § 6 Rn 1 Gemeinschaftsgerichtsbarkeit § 6 Rn 4 Gemeinschaftsorgane § 8 Rn 11 Gemeinschaftsrecht § 7 Rn 8; § 16 Rn 34 ff, 41 – europäisches – Besonderheiten Klagebefugnis § 22 Rn 54 – Nichtanwendbarkeit von § 44a VwGO § 21 Rn 177 – sekundäres § 16 Rn 34 ff, 41; § 29 Rn 149 Gemeinschaftsrechtssubjekte § 8 Rn 11, 43 Generalklausel § 40 I 1 VwGO § 21 Rn 41 ff – Nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit § 21 Rn 57 ff – Rechtsstreitigkeit § 21 Rn 46 ff – Streitigkeit § 21 Rn 45 Gerichtliche Kontrolldichte – Anfechtungsklage § 22 Rn 80 ff Gerichtsbarkeit – der EG/EU § 6 Rn 22 ff, 26 ff – falsche § 21 Rn 191 – internationale § 1 Rn 1 – des OVG § 27 Rn 6 Gerichtsentscheidung, kassatorische § 28 Rn 85 Gerichtsstandsklauseln § 4 Rn 74 Gesamtstaaten § 7 Rn 6 Geschäftsordnung § 28 Rn 89 f Gesetz – formelles § 16 Rn 21, 24 – nachkonstitutionelles, § 16 Rn 26 ff – verfassungsänderndes § 16 Rn 33 – vorkonstitutionelles § 16 Rn 28 Gesetzesvorbehalt – ausdrücklicher § 13 Rn 149 – einfacher und qualifizierter § 13 Rn 22, 144 ff, 149, 158, 163 ff – ungeschriebener bei verfassungsimmanenten Schranken § 13 Rn 149 Gesetzgebungskompetenz im Zusammenhang mit dem Widerspruchsverfahren § 20 Rn 2 Gestaltungsbefugnis § 12 Rn 73, 75; § 19 Rn 55 Gestaltungsklage § 8 Rn 1, 61 – beim Kommunalverfassungsstreit § 28 Rn 85 ff
Stichwortverzeichnis Gewaltverhältnis, besonderes, als Rechtsstreitigkeit § 21 Rn 49 Gewährung rechtlichen Gehörs § 7 Rn 15 Glaubhaftmachung § 12 Rn 67 ff Gleichheitsrechte § 13 Rn 172 ff – Prüfungsfolge iRd Verfassungsbeschwerde § 13 Rn 173 ff – „neue Formel“ des BVerfG § 13 Rn 180 ff – Willkürkontrolle § 13 Rn 180 f, 185 Gleichheitsrechte der EMRK § 5 Rn 82 ff Gnadenentscheidung § 21 Rn 53 Görgülü-Entscheidung § 5 Rn 35 Grundgesetz als Prüfungsmaßstab für EG-Recht § 16 Rn 38 Grundgesetz als Rahmenordnung § 13 Rn 124 Grundrechte – als Abwehrrecht § 13 Rn 127 – Beachtung im Verwaltungsverfahren § 21 Rn 179 – und grundgesetzbezogener Bund-LänderStreit § 18 Rn 21 – als subjektives Recht und objektive Norm § 13 Rn 126 f – Schranken § 13 Rn 144 ff, s Gesetzesvorbehalt – Schranken-Schranken § 13 Rn 151 ff – Sonstiges Verfassungsrecht § 12 Rn 162 – Übermaßverbot § 13 Rn 154 ff – Untermaßverbot § 13 Rn 170 – Verbot des Einzelfallgesetzes § 13 Rn 152 – Wesensgehaltsgarantie § 13 Rn 159 ff – Zitiergebot § 13 Rn 153 – Schutzbereichsbestimmung § 13 Rn 132 ff – Verengung durch das BVerfG § 13 Rn 136 – Schutzpflichten § 13 Rn 166 ff Grundrechtskonkurrenz § 13 Rn 135 Grundrechtsschutz – für Ausländer § 13 Rn 22 – als Interessenschutz § 13 Rn 141 – für juristische Personen § 13 Rn 24 ff – für juristische Personen des öffentlichen Rechts § 13 Rn 28 ff – für politische Parteien § 13 Rn 27 Grundrechtsverletzung – durch mittelbar-faktische Beeinträchtigung § 13 Rn 25 (Fn 174), 73, 128 ff, 139 ff, 164 – Eingriff als Voraussetzung § 13 Rn 138 ff – Möglichkeit der § 13 Rn 70 ff – Prüfung iRd Verfassungsbeschwerde § 13 Rn 119 ff, 128 ff, 158 Grundsatz effektiven gerichtliches Schutzes § 29 Rn 11 Gültigkeitsüberprüfung § 27 Rn 25 ff
Gutachtenverfahren – EGMR § 5 Rn 27 – IGH § 1 Rn 60 ff Haftung der EG – außervertragliche § 10 Rn 2 – für rechtmäßiges Handeln § 10 Rn 35 Handeln der EG, einzelfallbezogen § 10 Rn 34 Handeln in Ausübung der Amtstätigkeit § 10 Rn 31 Handelskammer, internationale (ICC) § 4 Rn 30 ff Handlung § 8 Rn 9 Handlungsfreiheit, allgemeine als Auffanggrundrecht § 13 Rn 22, 73, 134, 142 Handlungspflichten – der Gemeinschaftsorgane § 8 Rn 65 – gemeinschaftsrechtliche § 9 Rn 23 – der Mitgliedstaaten § 5 Rn 81 Hauptverwaltungsbeamter § 28 Rn 61 ff Hausrechtsmaßnahme, behördliche § 21 Rn 99 Heilung – von Begründungsmängeln bei der Vollziehungsanordnung § 29 Rn 68 – von Form- und Verfahrensfehlern im Widerspruchsverfahren § 20 Rn 65 ICSID-Konvention § 4 Rn 26 f ICSID-Verfahren – Additional Facility Verfahren § 4 Rn 27 ff – Aufhebungsverfahren § 4 Rn 28 – Ausschließlichkeit § 4 Rn 28 – Schiedsverfahren § 4 Rn 27 ff – Verfahrensgrundsätze § 4 Rn 44 ff – Vergleichsverfahren § 4 Rn 27 Identität zwischen Vollziehungs- und Erlassinteresse § 29 Rn 72 IGH-Statut, Rechtscharakter § 1 Rn 13 Informationsinteresse § 24 Rn 17 Immunität § 21 Rn 27 Individualbeschwerde – vor dem EGMR § 5 Rn 25 – vor dem Menschenrechtsausschuss § 2 Rn 11, 13 ff Individualbeschwerdeverfahren – vor dem EGMR § 5 Rn 28 ff – vor dem Menschenrechtsausschuss § 2 Rn 19 ff Individualität § 8 Rn 32 ff Individualverfassungsbeschwerde § 13 – Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis § 13 Rn 113 ff – Annahme § 13 Rn 187
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Stichwortverzeichnis – Begründetheit § 13 Rn 117 ff – Begründung § 13 Rn 10 ff – Behauptungslast des Beschwerdeführers § 13 Rn 10 ff, 70 – Beschwerdebefugnis § 13 Rn 64 ff – Allgemeine Handlungsfreiheit als Grundlage § 13 Rn 73 – Bei Grundrechtsgefährdung § 13 Rn 77 – Möglichkeit der Grundrechtsverletzung § 13 Rn 70 ff – Voraussetzung der Betroffenheit § 13 Rn 74 ff – Beschwerdegegenstand § 13 Rn 42 ff – Akte des Gesetzgebers § 13 Rn 52 f – Begriff der öffentlichen Gewalt § 13 Rn 47 ff – Exekutive Akte § 13 Rn 54 ff – Gerichtliche Entscheidungen § 13 58 ff – Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaften § 13 Rn 48 – Unterlassen § 13 Rn 49 ff – Beteiligtenfähigkeit § 13 Rn 15 ff – bei Berufung auf Verfahrensrechte § 13 Rn 32 – natürlicher Personen § 13 Rn 21 ff – juristischer Personen § 13 Rn 24 ff – juristischer Personen des öffentlichen Rechts § 13 Rn 28 ff – Form der Entscheidung § 13 Rn 188 f – Frist § 13 Rn 102 ff – bei verdeckten Maßnahmen § 13 Rn 106 – Funktion § 13 Rn 1 ff – Prozessfähigkeit § 13 Rn 37 ff – Prüfungsgegenstand § 13 Rn 117 f – Prüfungsmaßstab § 13 Rn 118 – Prüfungsumfang § 13 Rn 119 ff – Prüfungsumfang § 13 Rn 119 ff – bei Abwägungen des Gesetzgebers § 13 Rn 158 – bei der Urteilsverfassungsbeschwerde § 13 Rn 121 f – bei Prognosen des Gesetzgebers § 13 Rn 123 f – Rechtsfolgenausspruch § 13 Rn 191 ff – Appellentscheidung § 13 Rn 194 – Nichtigkeitsfolge § 13 Rn 191 – Unvereinbarkeitserklärung § 13 Rn 192 – Rechtswegerschöpfung § 13 Rn 89 ff – Schriftformerfordernis § 13 Rn 6 ff – Sondervotum § 13 Rn 190 – Subsidiarität § 13 Rn 92 ff – Ausnahmen § 13 Rn 93, 96 f
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– gegenüber inzidenter Normenkontrolle § 13 Rn 92 – bei Versagung vorläufigen Rechtsschutzes § 13 Rn 93 – Rechtsfortbildung als Grundlage § 13 Rn 92 – Zumutbarkeit als Grenze § 13 Rn 93 – Substantiierungserfordernis § 13 Rn 10 ff – Wirkungen der Entscheidung – Einwand der Rechtskraft § 13 Rn 112 – Gesetzeskraft § 13 Rn 195 f – Obiter dicta § 13 Rn 196 – Rechtskraft § 13 Rn 112 – Zulässigkeit § 13 Rn 5 ff – Zuständigkeit des BVerfG § 13 Rn 15 Inhalt des Widerspruchsbescheid § 20 Rn 57 ff Innenrechtsbeziehungen § 28 Rn 23 Innenrechtsposition, wehrfähige § 28 Rn 50 ff Innenrechtssätze § 27 Rn 17 Innenrechtsstreitigkeit vor dem Verwaltungsgericht § 21 Rn 50; § 28 Rn 1 ff, 38 Innerstaatliche Sachverhalte § 11 Rn 23 Innerstaatliches Rechtsschutzverfahren § 4 Rn 6 Innerstaatliche Rechtswirkung des Völkerrechts § 4 Rn 6 Insichprozess, verwaltungsinterner § 28 Rn 10 ff Instrumentalisierung § 6 Rn 6 Inter Partes Wirkung § 27 Rn 54; § 8 Rn 63 Interessenabwägung § 12 Rn 45, 63 ff; § 29 Rn 136 f Interessenschutz, wirtschaftlicher § 4 Rn 3 Interessentheorie § 21 Rn 77 Interim report § 3 Rn 34 International Centre for the Settlement of Investment Disputes (ICSID) § 4 Rn 14 ff, 23 ff Internationaler Gerichtshof (IGH) – Entwicklung seit 1945 § 1 Rn 7 f – Intervention Dritter § 1 Rn 5 – Kammer § 1 Rn 26 – Kammer für Umweltsachen § 1 Rn 26 – Kanzlei § 1 Rn 28 f – Kanzler § 1 Rn 27 ff – Konsensprinzip § 1 Rn 31 ff – Plenum § 1 Rn 26 – Practice Directions § 1 Rn 15 – Nichterscheinen einer Partei § 1 Rn 54 – Präsident § 1 Rn 27 – Richter – Ad hoc- § 1 Rn 46 f – Amtsdauer § 1 Rn 23 – Amtsenthebung § 1 Rn 20 – Qualifikation § 1 Rn 19
Stichwortverzeichnis – Rechtsstellung § 1 Rn 20 – Stellung im System der UN § 1 Rn 9 ff – Wahl § 1 Rn 21 ff – Wahlverfahren § 1 Rn 23 ff – Urteil – Durchsetzung im deutschen Recht § 1 Rn 59 – Durchsetzung international § 1 Rn 58 – Interpretation § 1 Rn 56 – Rechtskraft § 1 Rn 55 – Versäumnisurteil § 1 Rn 54 – UN-Sicherheitsrat, Verhältnis zum IGH § 1 Rn 17 f – Verfahrensordnung § 1 Rn 14 – Verhältnis zum Sicherheitsrat § 1 Rn 17 f – Widerklage § 1 Rn 52 – Wiederaufnahme des Verfahrens § 1 Rn 57 International Trade Organization (ITO) § 3 Rn 2 Interorganstreit § 28 Rn 23 Intraorganstreit § 28 Rn 23 Investition § 4 Rn 65 ff Investitionsrechtsschutz, internationaler § 4 Investitionsschiedsgerichtsbarkeit § 4 Rn 9 ff Investitionsvertrag § 4 Rn 3, 11, 22 Irreversibilität des Schadens § 12 Rn 57 ff Jay-Vertrag § 4 Rn 9 Jurisdiktionskonflikte, internationale § 1 Rn 66 f Justizgrundrechte § 5 Rn 80 Kammerentscheidung bei Unzulässigkeit der konkreten Normenkontrolle § 16 Rn 81 Kassation, gerichtliche § 28 Rn 85 ff Kausalität § 10 Rn 38 Klage zwischen Mitgliedstaaten § 7 Rn 3 Klageart beim vorläufigen Rechtsschutz im EG-Recht § 12 Rn 12 Klagebefugnis – Anfechtungsklage § 22 Rn 36 – Besonderheiten bei Vollzug Europäischen Gemeinschaftsrechts § 22 Rn 54 – Geltendmachung eigener Rechtsverletzung § 22 Rn 37 ff – Schutznormlehre § 22 Rn 41 – Feststellungsklage § 25 Rn 53 ff – Fortsetzungsfeststellungsklage § 26 Rn 49 – Kommunalverfassungsstreit § 28 Rn 98 ff – Leistungsklage § 24 Rn 28 ff – Nichtigkeitsklage § 8 Rn 20 ff – Natürliche und juristische Personen § 8 Rn 25 ff – Privilegierte Kläger § 8 Rn 21 ff – Rechnungshof und EZB § 8 Rn 24
– Schadensersatzklage § 10 Rn 16 – Untätigkeitsklage § 9 Rn 15 ff – Verpflichtungsklage § 23 Rn 31 ff – Geltendmachung einer Rechtsverletzung § 23 Rn 33 – Vertragsverletzungsklage § 7 Rn 19 Klagebegehren – Bezeichnung des Gegenstands § 21 Rn 18 – ICSID Schiedsgerichtsverfahren § 4 Rn 39 – verwaltungsgerichtliche allgemeine Leistungsklage § 24 Rn 5 Klageerhebung – Begriff § 21 Rn 14 – Form § 21 Rn 15 – Nichtigkeitsklage § 8 Rn 53 – ordnungsgemäße § 21 Rn 12 f – Schadensersatzklage § 10 Rn 21 – Untätigkeitsklage § 9 Rn 20 – Vertragsverletzungsklage § 7 Rn 22 ff Klagefrist – Anfechtungsklage § 22 Rn 63 ff – Feststellungsklage § 25 Rn 58 – Fortsetzungsfeststellungsklage § 26 Rn 64 – Leistungsklage § 24 Rn 34 – Nichtigkeitsklage § 8 Rn 45 ff – Schadensersatzklage § 10 Rn 18 ff – Untätigkeitsklage § 9 Rn 19 – Verpflichtungsklage § 23 Rn 36 – Vertragsverletzungsklage § 7 Rn 21 Klagegegenstand – Nichtigkeitsklage – allgemein§ 8 Rn 8 ff – bei Klageerhebung durch natürliche oder juristische Personen § 8 Rn 19 – Schadensersatzklage § 10 Rn 15 – Untätigkeitsklage § 9 Rn 6 ff – Vertragsverletzungsklage § 7 Rn 7 ff Klagegegner – Anfechtungsklage § 22 Rn 57 ff – Feststellungsklage § 25 Rn 57 – Fortsetzungsfeststellungsklage § 26 Rn 63 – Leistungsklage § 24 Rn 31 ff – Nichtigkeitsklage § 8 Rn 42 ff – Schadensersatzklage § 10 Rn 17 – Untätigkeitsklage § 9 Rn 18 – Verpflichtungsklage § 23 Rn 35 – Vertragsverletzungsklage § 7 Rn 20 Klagehäufung, objektive § 21 Rn 18; § 24 Rn 13 Klagen nach dem EU-Vertrag § 12 Rn 29 Klarstellungsinteresse, objektives – abstrakte Normenkontrolle § 15 Rn 43 ff Kollegium § 7 Rn 17
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Stichwortverzeichnis Kollisionsnorm des 123 V VwGO § 29 Rn 21 ff, 92, 103 Kommission als Schiedsrichter § 7 Rn 18 Kommunalaufsicht § 28 Rn 28 Kommunalverfassungsrecht § 28 Rn 23, 42 Kommunalverfassungsstreit § 28 Rn 22 ff Kommunalvertretung § 28 Rn 43 Kompetenzen, wehrfähige § 28 Rn 6 Kompetenz-Kompetenz – des Schiedsgerichts § 4 Rn 51 – des WTO-Panels § 3 Rn 44 Kompetenzzuweisung des § 32 BVerfGG § 19 Rn 53 Konkordanz, praktische § 13 Rn 148 f Konkurrentenklage § 23 Rn 23; § 30 Rn 9 Konnexität § 12 Rn 30 Konsensus, negativer § 3 Rn 14 Konsensus-Prinzip § 3 Rn 11, 14 Konsultationen § 3 Rn 26, 41 ff Kontrastorgan § 28 Rn 12, 14 Kontrollverfahren, verwaltungsinternes § 20 Rn 89 Konzept der Zunichtemachung oder Schmälerung § 3 Rn 9 Kooperationsverhältnis – des BVerfG mit dem EuGH § 16 Rn 40 – horizontales § 6 Rn 6 – vertikales § 6 Rn 6 Körperschaft, religiöse § 21 Rn 54 Kosten, öffentliche § 29 Rn 50 ff Kostengrundentscheidung § 20 Rn 50 Landesinterne Streitigkeiten § 18 Rn 51 ff Landesrecht § 16 Rn 31 Landesverfassungsgerichtsbarkeit § 18 Rn 53, 58 Lastentragungsgesetz § 7 Rn 36 Leistungsantrag § 10 Rn 21 Leistungsklage – allgemeine § 24 – Kommunalverfassungsstreit § 28 Rn 76 f – Schadensersatzklage § 10 Rn 4 – Unterlassungsklage § 24 Rn 22 ff – Vornahmeklage § 24 Rn 8 ff Letztinstanzlichkeit § 6 Rn 16 Lex arbitri § 4 Rn 13 Litispendenz § 5 Rn 60 Mahnschreiben der Kommission § 7 Rn 14 f Mängelrügeverfahren, im grundgesetzbezogenen Bund-Länder-Streit § 18 Rn 22, 25 Mandatierung § 6 Rn 10 Maßnahmen, polizeiliche § 21 Rn 117 ff
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Maßnahmen, unaufschiebbare von Polizeibeamten § 29 Rn 53 f Maßnahmevorwegnahme § 12 Rn 74; § 30 Rn 60 ff Maßstabsverschärfung § 19 Rn 37 f Meinungsverschiedenheit nach dt. Mustervertrag § 4 Rn 64, 69 Meistbegünstigungsklausel § 4 Rn 76 ff Menschenrechtsausschuss (HRC) § 2 Rn 13 Menschenrechtsrat § 2 Rn 6 Menschenrechtsschutz durch die Vereinten Nationen – außervertraglich (charter-based) § 2 Rn 2 ff – vertraglich (treaty-based) § 2 Rn 7 ff Modell – dualistisches § 28 Rn 28 – monistisches § 28 Rn 28 Mustervertrag über die Förderung und den ggs Schutz von Kapitaleinlagen § 4 Rn 55 ff Nachprüfbarkeit, abstrakte oder konkrete § 27 Rn 53 Nachschieben von Gründen § 22 Rn 92 ff Naturalrestitution § 10 Rn 15 Nichtakt § 22 Rn 17 Nichtbeteiligte § 21 Rn 176 Nichtigerklärung von gleichheitswidrigen Belastungen § 16 Rn 79 Nichtigkeit einer Norm § 27 Rn 52 Nichtigkeitsklage § 8 Nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit § 21 Rn 57 ff Non-violation complaint § 3 Rn 60, 62 Normbestätigungsverfahren § 16 Rn 23, 32 Normenkontrollantrag § 27 Rn 9 ff, 37 ff Normenkontrolle – abstrakte § 16 Rn 7 – inzidente, Vorrang gegenüber der Individualverfassungsbeschwerde § 13 Rn 92 – beim Kommunalverfassungsstreit § 28 Rn 88 ff – konkrete § 16 – verwaltungsgerichtliche § 27 – prinzipale § 27 Rn 1 Normwiederholungsverbot § 16 Rn 76 Notwendigkeit § 12 Rn 44, 47 ff Nutzlosigkeit des Rechtsschutzes § 21 Rn 194 ff Opfereigenschaft § 5 Rn 42 ff Organ § 10 Rn 31; § 28 Rn 5, 46 ff Organklage § 9 Rn 8 Organkompetenz § 8 Rn 56
Stichwortverzeichnis Organleihe § 6 Rn 10 Organstreit, verwaltungsgerichtlicher § 28 Organstreitverfahren § 17 – Bund-Länder-Streit § 18 Rn 6, 10, 16 – Landesinterne Streitigkeiten § 18 Rn 53, 56 Organwalter § 28 Rn 5, 47 Panel of experts § 3 Rn 10 Panelisten § 3 Rn 28 f Panelverfahren § 3 Rn 16, 27 ff Parteiautonomie im Schiedsgerichtsverfahren § 4 Rn 12 ff Parteifähigkeit – Bund-Länder-Streit § 18 Rn 8 – EGMR § 5 Rn 38 ff – nicht grundgesetzbezogener Bund-LänderStreit § 18 Rn 37 – ICSID Schiedsgerichtsverfahren § 4 Rn 56 ff – IGH § 1 Rn 30 – Kommunale Verfassungsbeschwerde § 14 Rn 6 ff – landesinternen Streitigkeiten § 18 Rn 56 – Nichtigkeitsklage § 8 Rn 5 ff – Schadensersatzklage § 10 Rn 10 ff – Streit zwischen Bundesländern § 18 Rn 46 – Untätigkeitsklage § 9 Rn 4 f – Vertragsverletzungsklage § 7 Rn 6 Pattsituation, rechtliche § 29 Rn 137 Pauschalbetrag § 7 Rn 34 Petitionsrecht § 21 Rn 52 Plaumann-Formel § 8 Rn 33 Political-question-Doktrin (IGH) § 1 Rn 62 Popularwiderspruch § 20 Rn 16 Postulationsfähigkeit – vor dem EGMR § 5 Rn 41 – vor Verwaltungsgerichten § 21 Rn 155 Präjudizinteresse § 26 Rn 56 ff Präklusion § 22 Rn 4 Privatrechtssubjekt § 7 Rn 9 Prognose über Tenorierung des BVerfG § 16 Rn 63, 66 Proliferation internationaler Streitbeilegungsmechanismen § 4 Rn 1 Prozessfähigkeit – Bund-Länder-Streit § 18 Rn 10 – Individualbeschwerde vor dem EGMR § 5 Rn 38 ff – Individualverfassungsbeschwerde § 13 Rn 37 ff – Kommunalverfassungsstreit § 28 Rn 65 f – Verwaltungsgerichtsbarkeit § 21 Rn 153 ff Prozessführungsbefugnis – aktive im Verwaltungsprozess § 21 Rn 155
– passive – Anfechtungsklage § 22 Rn 60 – Organstreitverfahren § 17 Rn 43 Prozesshandlungsvoraussetzung § 21 Rn 6 Prozesshindernis § 21 Rn 6 Prozessstandschaft – gewillkürte § 22 Rn 42 – beim Kommunalverfassungsstreit § 28 Rn 104 – bei landesinternen Streitigkeiten § 18 Rn 56 – im Organstreitverfahren § 17 Rn 41 – im Streit zwischen Bundesländern § 18 Rn 46 Prozessvertretung § 21 Rn 155 Prozessvoraussetzung, echte § 21 Rn 6 Prüfung – einheitliche § 12 Rn 18 – materiell-akzessorische § 29 Rn 159 – summarische beim vorläufigen Rechtsschutz – durch das BVerfG § 19 Rn 32 – im Europäischen Gemeinschaftsrecht § 12 Rn 47 ff – durch das Verwaltungsgericht § 29 Rn 136; § 30 Rn 41 Prüfungsgegenstand – Kommunalverfassungsstreit § 28 Rn 124 – konkrete Normenkontrolle § 16 Rn 8 ff, 21 Prüfungsmaßstab – Kommunalverfassungsbeschwerde § 28 Rn 124 – konkrete Normenkontrolle § 16 Rn 8 ff, 74 f – Widerspruchsverfahren § 20 Rn 58 – Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung § 29 Rn 145 Prüfungsrecht, richterliches § 16 Rn 1 Prüfungsschema – Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen § 21 Rn 8 – Anfechtungsklage § 22 Rn 70 – Föderative Streitigkeiten § 18 Rn 63 – Konkrete Normenkontrolle § 16 Rn 82 – Verpflichtungsklage § 23 Rn 37 ff – Vorabentscheidungsverfahren § 11 Rn 68 – Zulässigkeit der ICSID-Schiedsklage § 4 Rn 81 – Zulässigkeit des WTO-Panelverfahrens § 3 Rn 59 Prüfungsumfang in der WTO-Streitbeilegung § 3 Rn 64 Quelle (EuGH Rs C-404/06) § 11 Rn 34, 38 Realakt § 21 Rn 96 Recht auf das Mandat § 28 Rn 26 Recht aus dem Mandat § 28 Rn 26
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Stichwortverzeichnis Recht, geltendes § 27 Rn 18 ff Rechte, eigene organschaftliche § 28 Rn 103 ff Rechtfertigung der Eingriffe in Freiheitsrechte der EMRK § 5 Rn 75 ff Rechtmäßigkeitsvermutung § 29 Rn 44 Rechtsakt – (nicht) existenter § 8 Rn 9 f – (nicht) rechtsverbindlicher § 9 Rn 8 Rechtsbehelf, außerordentlicher § 12 Rn 84 Rechtsbehelf, selbständiger § 10 Rn 4, 24 Rechtsbehelfsbelehrung § 20 Rn 22 Rechtsbindungswirkung § 8 Rn 13 ff Rechtsform des Widerspruchs § 20 Rn 55 Rechtshängigkeit § 21 Rn 157 – EGMR § 5 Rn 57 ff Rechtsinstitutionsgarantie § 14 Rn 2 Rechtskontrolle, objektive – bei der Nichtigkeitsklage § 8 Rn 1 – bei der Untätigkeitsklage § 9 Rn 1 – bei der Vertragsverletzungsklage § 7 Rn 2 – bei der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle § 27 Rn 1, 39 Rechtskraft – Verpflichtungsurteil § 23 Rn 51 ff – Verwaltungsgerichtsbarkeit § 21 Rn 158 ff Rechtsmittel gegen Eilentscheidungen des EuGH § 12 Rn 77 ff Rechtsmittelgründe § 12 Rn 79 f Rechtsmissbrauch § 10 Rn 24 Rechtsposition, versubjektivierte § 28 Rn 13 ff Rechtsquellen des Investitionsrechtschutzes § 4 Rn 17 ff Rechtssatz im materiellen Sinne § 28 Rn 89 Rechtsschein § 25 Rn 29 Rechtsschutz – für ausländische Investoren § 4 Rn 4 ff – direkter § 4 Rn 4, 8 – durch den EGMR § 5 – effektiver § 6 Rn 1; § 12 Rn 14 – in der EU § 6 Rn 5 – im GATT 1947 § 3 Rn 9 ff – vor Gerichten des Gaststaates § 4 Rn 4, 6 – internationaler § 4 Rn 1 – gegen Maßnahmen der Aufsichtsbehörde § 28 Rn 27 ff – nationaler § 6 Rn 6 – der Vereinten Nationen § 2 – gegen Verfahrenshandlungen im Kommunalverfassungsstreit § 28 Rn 111 – verfrühter § 21 Rn 200 ff – vorbeugender § 27 Rn 23 – vorläufiger – im Aussetzungsverfahren § 29 Rn 95 ff
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– – – –
durch das Bundesverfassungsgericht § 19 im EG-Recht § 12, § 29 Rn 82 Formen § 29 Rn 86 ff Kommunalverfassungsbeschwerde § 28 Rn 92 ff – konkrete Normenkontrolle § 16 Rn 62 – System und Funktionen § 29 Rn 1 ff – verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle § 27 Rn 55 – gegen Verletzung der Vorlagepflicht § 11 Rn 57 ff – vor nationalen Gerichten § 11 Rn 58 f – durch Vertragsverletzungsverfahren § 11 Rn 64 – in der WTO § 3 Rn 12 ff, 25 ff – im Widerspruchsverfahren § 20 Rn 78 – wirksamer § 29 Rn 4 f, 80 f Rechtsschutzbedürfnis – allgemeines § 21 Rn 185 – Eilantrag im Aussetzungsverfahren § 29 Rn 127 ff – Eilantrag nach § 32 BVerfGG § 19 Rn 24 f – Eilantrag nach § 123 VwGO § 30 Rn 31 – Feststellungsklage § 25 Rn 59 – Kommunalverfassungsstreit § 28 Rn 120 ff – Leistungsklage § 24 Rn 35 – Beschwerde vor dem EGMR § 5 Rn 68 – grundgesetzbezogener Bund-Länder-Streit § 18 Rn 27 – landesinterne Streitigkeiten § 18 Rn 60 – nicht grundgesetzbezogener Bund-LänderStreit § 18 Rn 39 – Organstreitverfahren § 17 Rn 50 – vorläufiger Rechtsschutz im EG-Recht § 12 Rn 42 Rechtsschutzform § 28 Rn 67 ff – falsche § 21 Rn 193 Rechtsschutzformvoraussetzungen – Eilantrag im Aussetzungsverfahren § 29 Rn 102 ff – einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO § 30 Rn 21 ff Rechtsschutzfunktion des Widerspruchverfahrens § 20 Rn 4 Rechtsschutzgarantie im EG-Recht § 12 Rn 14 f Rechtsschutzgarantie, verfassungsrechtliche § 29 Rn 4 ff, 129, 138; § 30 Rn 2 f Rechtsschutzinteresse – Nichtigkeitsklage § 8 Rn 54 – Schadensersatzklage § 10 Rn 22 ff – Untätigkeitsklage § 9 Rn 21 – Vertragsverletzungsklage § 7 Rn 25 ff Rechtsschutzrestriktion § 29 Rn 9
Stichwortverzeichnis Rechtsschutzverzicht § 21 Rn 182 ff Rechtssatzverfassungsbeschwerde § 14 Rn 22 Rechtssetzungssouveränität § 4 Rn 6 Rechtssicherheit und Rechtseinheitlichkeit § 16 Rn 4, 23 Rechtsstreitigkeit – bürgerliche § 28 Rn 39 – innerorganisatorische § 28 Rn 1 ff – Internationaler Investitionsrechtsschutzes § 4 Rn 64, 69 – Voraussetzung zur Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs § 21 Rn 46 ff Rechtssubjektsgarantie § 14 Rn 2 Rechtsträgerprinzip § 22 Rn 58 Rechtsverhältnis § 25 Rn 5 – beim Kommunalverfassungsstreit § 28 Rn 79 ff – gestufte Rechtsverhältnisse § 25 Rn 15 – zukünftige Rechtsverhältnisse § 25 Rn 45 Rechtsverletzung – Anfechtungsklage § 22 Rn 74 – Kommunalverfassungsstreit § 28 Rn 99 ff – Schadensersatzklage § 10 Rn 32 ff – verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle § 27 Rn 40 Rechtsverordnung – allgemein § 16 Rn 23 – vom Parlament geändert § 16 Rn 25 Rechtsvorschrift § 27 Rn 14 ff Rechtswegentscheidung § 21 Rn 132 Rechtswegerschöpfung § 5 Rn 47 ff – horizontal § 5 Rn 50 – vertikal § 5 Rn 48 Rechtswegverweisung § 21 Rn 132 Rechtswegfremde Ansprüche § 21 Rn 129 ff Rechtswidrigkeit § 10 Rn 33 Rechtswegzuweisung, aufdrängende § 21 Rn 35 ff Rederecht § 28 Rn 39 Reformatio in peius § 20 Rn 67 ff Regelungsanordnung § 30 Rn 21 ff, 43, 54 Regierungsakte § 21 Rn 51 Registrierung im ICSID Schiedsgerichtsverfahren § 4 Rn 40 Rehabilitationsinteresse § 26 Rn 60; § 28 Rn 115 Res iudicata § 3 Rn 56 f Reservekompetenz des BVerfG bei landesinternen Streitigkeiten § 18 Rn 53 Revisionsverfahren in der WTO § 3 Rn 38 f Rheinmühlen Düsseldorf (EuGH Slg 1974, 33) § 11 Rn 11, 31 Rücknahmebescheid § 20 Rn 51 Rügepotential § 14 Rn 31 ff
Sachentscheidungsbefugnis der Widerspruchsbehörde § 20 Rn 44 Sachentscheidungsinteresse § 20 Rn 37 Sachentscheidungsvoraussetzungen – allgemeine § 21 – Eilantrag im Aussetzungsverfahren § 29 Rn 100 f – einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO § 30 Rn 18 ff – verwaltungsgerichtlicher Organstreit § 28 Rn 34 ff – besondere – Anfechtungsklage § 22 Rn 30 – Eilantrag im Aussetzungsverfahren § 29 Rn 114 ff – einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO § 30 Rn 27 ff – Fortsetzungsfeststellungsklage § 26 Rn 42 ff – Kommunalverfassungsstreit § 28 Rn 97 ff – konkrete Normenkontrolle § 16 Rn 17 – Verpflichtungsklage § 23 Rn 27 ff Sachherrschaft der Behörde § 20 Rn 32 Sachverhaltsermittlung im Eilverfahren § 19 Rn 36 Salini-Test § 4 Rn 66 Satzung des EuGH § 12 Rn 8 Schaden § 10 Rn 15, 21, 37; § 12 Rn 54 ff Schadensersatz bei ungerechtfertigter einstweiliger Anordnung § 30 Rn 69 f Schadensersatzanspruch gegen die EG – außervertraglicher § 10 Rn 30 – Umfang § 10 Rn 39 Schadensersatzklage § 10 Schadensnähe, zeitliche § 12 Rn 61 Schengen-Durchführungsübereinkommen § 6 Rn 12 Schiedsgericht § 4 Rn 41 ff Schiedsgerichtsbarkeit, gemischte § 4 Rn 9 Schiedsgerichtsinstitut der Stockholmer Handelskammer (SCC-Institute) § 4 Rn 34 Schiedsklage § 4 Rn 39 Schiedsklausel (contract claim) § 4 Rn 22, 26 Schiedsvereinbarung (treaty claim) § 4 Rn 10 ff, 54 ff; § 21 Rn 181 Schlüssigkeit der Schiedsklage § 4 Rn 79 ff Schrankensystematik beim Menschenrechtschutz § 2 Rn 30 ff Schriftlichkeit § 20 Rn 10 f Schutz der Autorität des parlamentarischen Gesetzgebers § 16 Rn 22, 31 Schutzbereich der Freiheitsrechte der EMRK § 5 Rn 72 ff
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Stichwortverzeichnis Schutznormlehre § 22 Rn 41; § 27 Rn 40; § 29 Rn 118 – Gemeinschaftsrechtlich aufgeladene Schutznormlehre § 22 Rn 55 Schutzpflichten § 13 Rn 166 ff Schutzstandards § 4 Rn 2 Schutzwirkung der Eilentscheidung § 29 Rn 173 Schutzzweck der Norm § 10 Rn 33 Sekretariat des ICC § 4 Rn 32 Sekretariat des ICSID § 4 Rn 25 Sekundärrechtsschutz § 5 Rn 49 Selbstkontrolle der Verwaltung § 20 Rn 4 Selbstverwaltungsangelegenheiten iSd § 73 I 2 Nr 3 VwGO § 20 Rn 53 Selbstverwaltungsgarantie § 14 Rn 1, 2, 11 Selbstverwaltungsträger § 28 Rn 12 Shell corporations § 4 Rn 59 Sicherung der ordnungsgemäßen Haushaltsplanung § 29 Rn 46, 81 Sicherungsanordnung § 30 Rn 21 ff, 42, 53 Sicherungsfunktion – des verfassungsgerichtlichen vorläufigen Rechtsschutz § 19 Rn 5 – des vorläufigen Rechtsschutzes im Europäischen Gemeinschaftsrechts § 12 Rn 15 – des vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht § 29 Rn 15 f, 81; § 30 Rn 7 Sicherungsmaßnahmen § 29 Rn 107 Situation complaint § 3 Rn 9, 60, 62 Sitz- oder Gründungstheorie § 4 Rn 57 Sitzstaatsabkommen (IGH) § 1 Rn 16 Solange II § 16 Rn 40 Sollensanforderungen gem §§ 81, 82 VwGO § 21 Rn 19 Sondergerichtsbarkeiten, Zuweisung an § 21 Rn 128 Sozialgericht, Zuweisung an § 21 Rn 126 Spezialgerichte, internationale § 1 Rn 65 Spezifisches Verfassungsrecht § 13 Rn 121 Staatenbeschwerde – vor dem Menschenrechtsausschuss § 2 Rn 10 – vor dem EGMR § 5 Rn 24 Staatenklage § 9 Rn 8 Staatsangehörigkeit – juristische Person § 4 Rn 57 f – natürliche Person § 4 Rn 56 Staatsvertrag, als Streitgegenstand im Streit zwischen Bundesländern § 18 Rn 45, 47, 49 Staatszielbestimmungen, und grundgesetzbezogenen Bund-Länder-Streit § 18 Rn 21 Stabilisierungsklauseln in Investitionsverträgen § 4 Rn 22
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Stabilitäts- und Wachstumspakt § 18 Rn 5 Stadtstaaten § 14 Rn 12 Ständiger Internationaler Gerichtshof (StIGH) § 1 Rn 4 ff Ständiger Schiedsgerichtshof § 1 Rn 4 Statthaftigkeit – Anfechtungsklage § 22 Rn 4 – Eilantrag – im Aussetzungsverfahren § 29 Rn 91, 102, 133 ff – nach § 32 I BVerfGG § 19 Rn 17 f – nach 123 VwGO § 30 Rn 21 ff – Feststellungsklage § 25 Rn 4 ff – Fortsetzungsfeststellungsklage § 26 Rn 4 ff – Leistungsklage § 24 Rn 4 ff – Verpflichtungsklage § 23 Rn 3 – Verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle § 27 Rn 9 ff – Widerspruch § 20 Rn 14 f Stellungnahme – der Kommission § 7 Rn 16 f – bei der Untätigkeitsklage § 9 Rn 13 f Streichung von der Liste § 5 Rn 30 Streit um Äußerung eines Funktionsträgers § 28 Rn 39 Streitigkeit § 21 Rn 45 – nichtverfassungsrechtlicher Art § 28 Rn 42 ff – öffentlich-rechtliche § 21 Rn 62; § 28 Rn 38 ff Streitigkeiten, föderative – historischer Hintergrund § 18 Rn 2 – Funktion und Bedeutung § 18 Rn 4 f, 32, 43, 52 f – Begründetheit § 18 Rn 29 f, 41, 50, 62 – grundgesetzbezogener Bund-Länder-Streit § 18 Rn 3 ff – nicht grundgesetzbezogener Bund-LänderStreit § 18 Rn 31 ff – Landesinterne Streitigkeiten § 18 Rn 51 ff – Prüfungsschema § 18 Rn 63 – Streit zwischen Bundesländern § 18 Rn 42 ff – Zulässigkeitsvoraussetzungen § 18 Rn 6 ff, 33 ff, 44 ff, 54 ff Streit zwischen den Bundesländern § 18 Rn 42 ff Streitgegenstand – im grundgesetzbezogenen Bund-Länder-Streit § 18 Rn 12 ff, 19 – bei landesinternen Streitigkeiten § 18 Rn 57 – im nicht grundgesetzbezogenen Bund-LänderStreit § 18 Rn 35 f – im Streit zwischen den Bundesländern § 18 Rn 47
Stichwortverzeichnis Streitbeilegung, internationale § 1 Rn 1 ff Streitbeilegungsverfahren in der WTO § 3 Rn 16 ff Subjektiv-öffentliches Recht, im Bund-LänderStreit § 18 Rn 18 Subjektivierungslast § 9 Rn 16 Subjektstheorie § 21 Rn 77 Subordinationstheorie § 21 Rn 77 Subsidiarität – der Feststellungsklage § 25 Rn 31 ff; § 28 Rn 84 – beim nicht grundgesetzbezogenen Bund-Länder-Streit § 18 Rn 36 – der Individualverfassungsbeschwerde § 13 Rn 92 ff – der kommunalen Verfassungsbeschwerde § 14 Rn 42 ff – bei landesinternen Streitigkeiten § 18 Rn 53, 57 f – der Schadensersatzklage § 10 Rn 5, 27 f – beim Streit zwischen Bundesländern § 18 Rn 43 – der Untätigkeitsklage § 9 Rn 2 Survival-clause § 4 Rn 73 Suspensionsautomatik § 29 Rn 13, 17 f Suspensiveffekt – beim vorläufigen Rechtsschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht § 12 Rn 78 – im Widerspruchsverfahren § 20 Rn 42 Tatsachen, neue § 12 Rn 85 Teilaufhebung § 8 Rn 62 Teilsystem der aufschiebenden Wirkung § 29 Rn 12 ff Tenorierung der Widerspruchsentscheidung § 20 Rn 59 Terms of references § 3 Rn 45 f Territoriale Jurisdiktion § 4 Rn 5 Treaty claim § 4 Rn 3, 70 f Trennungsprinzip § 6 Rn 9 Treu und Glauben § 20 Rn 24 ff, 51, 72 Überprüfbarkeit von EG-Verordnungen § 16 Rn 36, 41 f Überprüfbarkeit von EG-Richtlinien § 16 Rn 44 ff, 49 Überprüfbarkeit von Zustimmungsgesetzen § 16 Rn 34 Überraschungsentscheidung § 22 Rn 94 Umbrella-clause § 4 Rn 71 Umdeutung des Eilantrags § 29 Rn 108 f; § 30 Rn 25 Umweltinformationsanspruch § 21 Rn 177
Umweltrecht, besondere gesetzl. Bestimmungen zur Anfechtungsklage § 22 Rn 52 Unanwendbarkeit nationaler Umsetzungsgesetze § 16 Rn 46 f, 49 UNICITRAL Arbitration Rules § 4 Rn 35 ff UNICITRAL-Verfahren § 4 Rn 36 Unmittelbarkeit § 8 Rn 29 ff Untätigkeit, behördliche § 29 Rn 130 Untätigkeitsklage – gemeinschaftsrechtliche § 9 – verwaltungsgerichtliche § 23 Rn 13 Untergang eines Landes – und Vertretungsbefugnis in föderativen Streitigkeiten § 18 Rn 37, 46 Unterlassen § 24 Rn 22 – als Antragsgegenstand im Bund-Länder-Streit § 18 Rn 18 – gesetzgeberisches § 13 Rn 51; § 14 Rn 24; § 15 Rn 22; § 16 Rn 54 – vollständiges § 9 Rn 7 Unterlassungsklage § 24 Rn 22 ff Unterscheidung zw Rechtmäßigkeit eines VA und Dringlichkeit des Vollzuges § 29 Rn 70 ff Untersuchungsverfahren § 2 Rn 12 Unvereinbarkeit einer Norm § 27 Rn 52 Unvereinbarkeit einer Beschwerde mit der EMRK § 5 Rn 62 ff – ratione loci § 5 Rn 64 – ratione materiae § 5 Rn 66 – ratione personae § 5 Rn 63 – ratione temporis § 5 Rn 65 Unzulässigkeit, offensichtliche § 12 Rn 27 Unzuständigkeit § 8 Rn 56 Urteilsverfassungsbeschwerde gegen vorkonstitutionelle Gesetze § 16 Rn 23 Urteilswirkungen – konkrete Normenkontrolle § 16 Rn 12 – Nichtigkeitsklage § 8 Rn 60 ff – Schadensersatzklage § 10 Rn 40 – Untätigkeitsklage § 9 Rn 25 – Verpflichtungsklage § 23 Rn 51 – Vertragsverletzungsklage § 7 Rn 33 ff – Vorabentscheidungsverfahren § 11 Rn 43, 52 Verbandsklagen – Anfechtungsklage § 22 Rn 51 Verbandskompetenz § 6 Rn 3; § 8 Rn 56 Verböserung § 20 Rn 68 Verbot missbilligenswerter Ziele § 21 Rn 197 ff Verdrängung des Hauptsachrechtsschutzes durch den vorläufigen Rechtsschutz § 29 Rn 84 f
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Stichwortverzeichnis Vereinbarkeit eines Landes- oder Bundesgesetzes mit dem GG § 16 Rn 13 Verfahren vor dem EuGH § 6 Rn 30 Verfahren – amtswegiges § 29 Rn 177 – summarisches § 19 Rn 32, 39 ff, 52 Verfahrensanzahl bei der konkreten Normenkontrolle § 16 Rn 15 Verfahrensbefugnis, passive § 28 Rn 117 ff; § 29 Rn 120 f Verfahrensbeitritt – im Bund-Länder-Streit § 18 Rn 9, 25 Verfahrenshandlungen, behördliche § 21 Rn 173 ff Verfahrensordnung – des EuG § 12 Rn 9 – des EuGH § 12 Rn 8 Verfahrensvorschrift, allgemeine des § 32 BVerfGG § 19 Rn 4 Verfassungsbeschwerde, kommunale § 14 – Klassifizierung § 14 Rn 3 ff Verfassungsbeschwerde gegen Nichtvorlage § 11 Rn 58 – Fallgruppen des BVerfG § 11 Rn 59 – gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des Art 101 I 2 GG § 11 Rn 61 – Vergleich zu Art 100 II GG § 11 Rn 61 Verfassungsrecht, extrakonstitutionelles § 18 Rn 35 Verfassungsrechtliche Pflicht zu konventionstreuem Verhalten § 5 Rn 36 Verfassungsrechtssubjekt § 21 Rn 60; § 28 Rn 42 Verfassungsstreitigkeiten § 18 Rn 12 – Abgrenzung zu nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeiten § 18 Rn 13 f Verfassungsunmittelbarkeit, doppelte § 18 Rn 13; § 21 Rn 59; § 28 Rn 42 Verhältnismäßigkeitsmaßstab § 5 Rn 78 Verhandlungen, obligatorische § 4 Rn 75 Verjährungspflicht § 10 Rn 18 ff Verkehrszeichen § 20 Rn 21, 27 Verletzung der Vorlagepflicht § 11 Rn 57 ff – Mögliche Durchbrechung der Bestandskraft von Verwaltungsakten § 11 Rn 58 f – Rechtsschutz vor nationalen Gerichten § 11 Rn 58 f – Staatshaftung für judikatives Unrecht § 11 Rn 66 – Vertragsverletzungsverfahren § 11 Rn 64 Verpflichtungsklage § 23 – Aufbau § 23 Rn 37 ff – im Kommunalverfassungsstreit § 28 Rn 72 ff Verpflichtungswiderspruch § 20 Rn 42, 62
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Verrichtungen § 24 Rn 19 ff Versagungsgegenklage § 23 Rn 13 Verstoß, hinreichend qualifizierter § 10 Rn 34 Versubjektivierung der organschaftlichen Rechtsposition § 28 Rn 13 ff, 51 Vertrag § 21 Rn 90 Vertrag von Lissabon § 6 Rn 1; § 8 Rn 41 Vertragskonforme Auslegung § 11 Rn 41 Vertragsverletzung § 6 Rn 18; § 7 Rn 9; § 8 Rn 59 Vertragsverletzungsklage § 7 Rn 1 Vertragsverletzungsverfahren § 12 Rn 20 Vertraulichkeitsgrundsatz § 3 Rn 34; § 4 Rn 15 Vertretungsbefugnis – im Bund-Länder-Streit § 18 Rn 8 – im nicht grundgesetzbezogenen Bund-LänderStreit § 18 Rn 37 – im Streit zwischen Bundesländern § 18 Rn 46 Vertretungskörperschaft, kommunale § 28 Rn 54 ff, 59 f Verwaltungsakt – Angriffsgegenstand § 29 Rn 22 ff – Aufhebung § 22 Rn 2, 44 – äußere Wirksamkeit / rechtliche Existenz § 22 Rn 8 ff – Bekanntgabe § 20 Rn 20 f, 24 – bestandskräftiger § 16 Rn 80 – Drittwirkung § 20 Rn 23 ff, 33; § 29 Rn 18, 107, 131, 155 ff – Einordnung beim Kommunalverfassungsstreit § 28 Rn 72 f – Erledigung § 22 Rn 14; § 26 Rn 4 ff – Fehlende oder fehlerhafte Begründung § 22 Rn 92 ff – Form § 22 Rn 72 – Gegenstand Verpflichtungsklage § 23 Rn 7 ff – gesetzliche Tatbestandsmerkmale § 22 Rn 5 ff – Nebenbestimmungen § 22 Rn 20; § 23 Rn 23 – nichtiger § 25 Rn 29 – objektive Rechtswidrigkeit § 22 Rn 66 – subjektive Rechtswidrigkeit § 22 Rn 66 – Teilaufhebung § 22 Rn 19 ff – Teilbarkeit § 22 Rn 20 – vorläufig begünstigender § 23 Rn 23 Verwaltungsaktsqualität einer behördlichen Maßnahme § 29 Rn 23 Verwaltungskostenrecht § 29 Rn 50 Verwaltungsrat des ICSID § 4 Rn 25 Verwaltungsrechtsweg § 21 Rn 34 ff; § 29 Rn 100 Verwaltungsverfahren § 20 Rn 1 ff
Stichwortverzeichnis Verwerfungsmonopol des BVerfG § 16 Rn 3 Verwerfungsmonopol des EuGH § 16 Rn 39 – für Gemeinschaftsrecht § 11 Rn 3, 8, 49, 56 – nicht für nationales Recht § 11 Rn 56 Verwirkung, prozessuale § 21 Rn 203 f Violation complaint § 3 Rn 60 f Vollstreckbarkeit der einstweiligen Anordnung § 30 Rn 66 f Vollstreckung – ICSID-Schiedsspruch § 4 Rn 16 – Vertragsverletzungsklage § 7 Rn 34 Vollstreckung, drohende § 29 Rn 130 Vollziehbarkeitshemmung § 29 Rn 32 f Vollziehung, faktische § 29 Rn 105 f Vollzugsakt § 12 Rn 20 Vollzugsorgan § 12 Rn 20 Vorabentscheidungsverfahren – gemeinschaftsrechtliches, als Zwischenverfahren § 11 Rn 4; § 6 Rn 15 – im Rahmen der konkreten Normenkontrolle § 16 Rn 6, 61 – im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutz im EG-Recht § 12 Rn 13 – unionsrechtliches § 6 Rn 20 Vorlage, erneute § 16 Rn 72 Vorlage zum LVerfG § 16 Rn 10 Vorlageberechtigung § 16 Rn 19 Vorlagegegenstand, Vorabentscheidungsverfahren § 11 Rn 17 ff Vorlagepflicht § 11 Rn 46 – acte-clair-Doktrin § 11 Rn 48 – des BVerfG an den EuGH § 16 Rn 48 – des BVerwG und des BSG § 18 Rn 15, 26 – bei letztinstanzlichen Gerichten § 11 Rn 47 – bei unterinstanzlichen Gerichten § 11 Rn 49 – im vorläufigen Rechtsschutz § 11 Rn 53 ff; § 29 Rn 150 Vorläufiger Rechtsschutz – aufschiebende Wirkung und verwaltungsgerichtliches Aussetzungsverfahren § 29 – vor dem BVerfG § 19 – einstweilige Anordnung durch das Verwaltungsgericht § 30 – im Europäischen Gemeinschaftsrecht § 12 – durch den IGH § 1 Rn 48 ff Vorläufigkeit der gerichtlichen Anordnung § 12 Rn 74 Vornahmeklage – Leistungsklage § 24 Rn 8 ff – Verpflichtungsklage § 23 Rn 15, 48 Vorverfahren § 20 Rn 1 ff – Anfechtungsklage § 22 Rn 31 – Untätigkeitsklage § 9 Rn 12 ff
– Verpflichtungsklage § 23 Rn 27 ff – Vertragsverletzungsklage § 7 Rn 11 ff Vorwegnahmeverbot der Hauptsache – vorläufiger Rechtsschutz vor dem BVerfG § 19 Rn 26 f, 40 – vorläufiger Rechtsschutz im Europarecht § 12 Rn 74 – verwaltungsgerichtliche einstweilige Anordnung § 30 Rn 58 ff Wahlmöglichkeit des Fachgerichts zur Vorlage zum – BVerfG oder EuGH § 16 Rn 14, 61 – BVerfG oder LVerfG § 16 Rn 12 Wahlrecht der Ausgangsbehörde § 20 Rn 51 Wahrnehmungszuständigkeiten – des Innenrechts § 28 Rn 38 ff – transitorische § 28 Rn 5 f Welthandelsorganisation (WTO) – allgemein § 3 Rn 6 ff – Anwendung innerstaatlichen Rechts § 3 Rn 24 – Rechtsschutzsystem § 3 Rn 12 ff – Rechtsschutzverfahren § 3 Rn 25 ff – Sekretariat § 3 Rn 8, 30 – Streitbeilegungsverfahren § 3 Rn 16 ff Welthandelsordnung § 3 Rn 1, 7 Weisungen – als Verfahrensgegenstand im grundgesetzbezogenen Bund-Länder-Streit § 18 Rn 19 Widerspruch – verfristeter § 20 Rn 29 ff – vorbeugender § 20 Rn 14 Widerspruchsbescheid § 20 Rn 53 ff – Anfechtung § 22 Rn 26 ff – Leistungsklage § 24 Rn 26 – Verpflichtungsklage auf Erlass o. Änderung § 23 Rn 11 Widerspruchsbefugnis § 20 Rn 16 ff Widerspruchsentscheidung § 20 Rn 53 ff Widerspruchserhebung § 20 Rn 6 ff – Feststellungsklage § 25 Rn 40 ff – Leistungsklage § 24 Rn 25 ff Widerspruchsfrist § 20 Rn 19 ff, 28 – Anfechtungsklage § 22 Rn 35 Widerspruchsgegenstand § 20 Rn 14 Widerspruchsinteresse § 20 Rn 37 Widerspruchsverfahren § 20 – als gerichtliche Sachentscheidungsvoraussetzung § 20 Rn 83 ff – als gerichtliches Vorverfahren § 20 Rn 1, 85 Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung § 29 Rn 17, 92, 102, 107 ff, 142 f
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Stichwortverzeichnis Wiederholung der verfassungsgerichtlichen einstweiligen Anordnung § 19 Rn 64 Wiederholungsgefahr § 28 Rn 114 Wiederholungsvorbeugungsinteresse § 26 Rn 59 Wirksamkeitshemmung, vorläufige § 29 Rn 32 Wirkung, aufschiebende § 20 Rn 42; § 29 – Ausschluss § 29 Rn 41 ff – Dauer § 29 Rn 36 ff – Folgen § 29 Rn 30 ff – Voraussetzungen für den Eintritt § 29 Rn 19 ff – im zweiseitigen Rechtsverhältnis § 29 Rn 142 ff Zeitpunkt der Vorlage im Verfahrensablauf § 11 Rn 25 Zielsetzung des Widerspruchverfahrens § 20 Rn 4 Zugangsvoraussetzung des § 80 VI VwGO § 29 Rn 129 Zulässigkeit – abstrakte Normenkontrolle § 15 Rn 7 ff – Anfechtungsklage § 22 Rn 2 ff – Begriff § 21 Rn 2 f – Eilantrag – im Aussetzungsverfahren § 29 Rn 95 ff – einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO § 30 Rn 15 ff – einstweilige Anordnung bei der verwgerichtl Normenkontrolle § 30 Rn 73 ff – beim vorläufigen Rechtsschutz durch das BVerfG § 19 Rn 12 ff – beim vorläufigen Rechtsschutz im EGRecht § 12 Rn 19 ff – Feststellungsklage § 25 Rn 3 ff – föderative Streitigkeiten § 18 Rn 6 ff, 33 ff, 44 ff, 54 ff – Fortsetzungsfeststellungsklage § 26 Rn 3 ff – ICSID Schiedsgerichtsverfahren § 4 Rn 38, 51 ff – Individualbeschwerde vor dem EGMR § 5 Rn 37 ff – Individualbeschwerde vor dem Menschenrechtsausschuss § 2 Rn 24 ff – Individualverfassungsbeschwerde § 13 Rn 5 ff – kommunale Verfassungsbeschwerde § 14 Rn 6 ff – Kommunalverfassungsstreit § 28 Rn 33 ff – Leistungsklage § 24 Rn 3 ff – Nichtigkeitsklage § 8 Rn 4 ff – Organstreitverfahren § 17 Rn 2 ff
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– – – – –
Schadensersatzklage § 10 Rn 8 ff Untätigkeitsklage § 9 Rn 3 ff Verpflichtungsklage § 23 Rn 2 ff Vertragsverletzungsklage § 7 Rn 4 ff verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle § 27 Rn 5 ff – verwaltungsgerichtlicher Organstreit § 28 Rn 33 ff – vorläufiger Rechtsschutz im EG-Recht (Hauptsacheklage) § 12 Rn 26 ff – Widerspruch § 20 Rn 5 ff – WTO-Streitbeilegung § 3 Rn 40 ff, 59 Zulässigkeitseinreden § 4 Rn 53 Zurechenbarkeit zur Gemeinschaft § 8 Rn 11 f Zurechnungssubjekt § 10 Rn 17 Zurücknahme eines Widerspruchs § 20 Rn 56 Zusammenfassung mehrerer Beschwerden in der WTO-Streitbeilegung § 3 Rn 58 ff Zuständigkeit – BVerfG § 19 Rn 4, 13 f, 54 – Gemeinschaftsgerichtsbarkeit – Nichtigkeitsklage § 8 Rn 4 – Schadensersatzklage § 10 Rn 9 – Untätigkeitsklage § 9 Rn 3 – Vertragsverletzungsklage § 7 Rn 5 – vorläufiger Rechtsschutz im EG-Recht § 12 Rn 20 f – IGH – abstrakt vertraglich begründete § 1 Rn 36 – compromis § 1 Rn 35 – Entscheidung über § 1 Rn 36 – Fakultativklausel § 1 Rn 38 ff – forum prorogatum § 1 Rn 37 – internationale § 21 Rn 29 ff – Investitionsschiedsgerichtsbarkeit § 4 Rn 10, 26 – Schiedsgericht § 4 Rn 52 – personell (jurisdiction ratione personae) § 4 Rn 52, 56 ff – sachlich (jurisdiction ratione materiae) § 4 Rn 52, 63 ff – zeitlich (jurisdiction ratione temporis) § 4 Rn 52, 72 ff – Vereinte Nationen § 2 Rn 2 ff – Verwaltungsgericht – instanzielle § 21 Rn 133 – örtliche § 21 Rn 133; § 29 Rn 123 – sachliche § 21 Rn 133, § 22 Rn 72 – WTO-Streitbeilegung § 3 Rn 44 ff, 54 ff – Widerspruchsbehörde § 20 Rn 43 f, 53 Zwangsgeld § 7 Rn 34 Zweispurigkeit, institutionelle § 29 Rn 13 Zwischenländerstreit § 18 Rn 42 ff