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German Pages 163 Year 1988
Beiträge zum Parlamentsrecht
Band 16
Rechtsschutz im parlamentarischen Untersuchungsverfahren Von
Dr. Udo Di Fabio
Duncker & Humblot · Berlin
UDO DI FABIO
Rechtsschutz im parlamentarischen 1Jntersuchungsverfahren
Beiträge zum Parlamentsrecht Herausgegeben von Norbert Achterberg t
Band 16
Rechtsschutz im parlamentarischen Untersuchungsverfahren Von Dr. Udo Di Fabio
Duncker & Humblot . Berlin
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Di Fabio, Udo: Rechtsschutz im parlamentarischen Untersuchungsverfahren I von Udo Di Fabio. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1988 (Beiträge zum Parlamentsrecht; Bd. 16) Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1987 ISBN 3-428-06455-0 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1988 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Hagedornsatz, Berlin 46 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-06455-0
Vorwort Die nachfolgende Arbeit hat der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn im Sommer 1987 als Dissertation vorgelegen. Sie versucht, einen Teil der Probleme, die neuere parlamentarische Untersuchungsverfahren des Bundes - insbesondere der Untersuchungsausschuß "NEUE HEIMAT" - aufgeworfen haben, zu vertiefen und Lösungen zuzuführen. Kompetenzunsicherheiten im Verhältnis zwischen Untersuchungsausschuß und Bürger sind zwischenzeitlich durch das Bundesverfassungsgericht nur teilweise beseitigt worden. Verfahrensprobleme beim Rechtsschutz gegen parlamentarische Untersuchungsmaßnahmen harren nach wie vor einer weiteren Bearbeitung durch Wissenschaft oder Gesetzgeber. Insoweit sind vom anstehenden 57. Deutschen Juristentag, dessen staatsrechtliche Abteilung sich der Frage der gesetzlichen Neuregelung dieser Materie widmet, vertiefte Einsichten zu erwarten. Zu besonderem Dank bin ich Herrn Prof. Dr. Fritz Ossenbühl und der Verwaltung des Deutschen Bundestages verpflichtet. Bonn, im Mai 1988
Udo Di Fabio
Inhaltsübersicht Einleitung ........................ '.' . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Teil Kompetenzen und Befugnisse
A. Privates Verhalten als Gegenstand parlamentarischer Untersuchungen
15
19 19
I. Der Konflikt zwischen parlamentarischer Untersuchung und Privatinteressen .........................................................
19
H. Kompetenzbestimmungen in Rechtsprechung und Literatur ..........
20
1. Befund .....................................................
20
2. Kompetenzbestimmung durch Taxinomierung nach Untersuchungszwecken? ...................................................
22
3. Inhalt und Reichweite der Korollartheorie .......................
24
III. Auslegung des Art. 44 Abs. 1 GG ................................
26
1. Wortlaut ...................................................
26
2. Entwicklungsgeschichte .......................................
27
a) Art. 34 WRV .......... . ...................... . ...........
27
b) Art. 44 GG ..............................................
29
c) Zwischenergebnis.........................................
31
3. Die teleologische Auslegung des Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG - Funktionsanalyse des parlamentarischen Untersuchungsrechts ..............
32
a) Ausgangspunkt ...........................................
32
b) Die Rolle des Untersuchungsrechts als Kontroll- und Informationsorgan ...................................................
32
c) Die Kompetenzreichweite des Parlaments ....................
34
ca) cb) cc) cd)
Herkömmliche Funktionseinteilung ..................... Wurzeln der Beschränkung auf die Exekutivkontrolle ...... Staatsleitung als kooperativer Prozeß ..................... Konsequenzen .......................................
34 36 37 39
8
Inhaltsübersicht IV. Grenzen parlamentarischer Entschließungs- und Untersuchungskompetenz
40
1. Externe Schranken ..........................................
40
2. Die immanente Grenze des "öffentlichen Interesses" .............
41
V. Ergebnis ......................................................
44
B. Enquetebefugnisse im privaten und gesellschaftlichen Bereich ............
45
I. Die Bedeutung der Beweiserhebungsbefugnisse .....................
45
11. Die normative Grundlage des Beweiserhebungsrechts ...............
46
III. Zeugnispflicht und Betroffenenstatus ..............................
47
1. Meinungsstand ..............................................
47
2. Die Bedeutung des Verweisungsbegriffs "sinngemäß" für das Zeugnisverweigerungsrecht ..........................................
48
IV. Die Beschlagnahme von Privat- und Geschäftsunterlagen ............
49
1. Bestandsaufnahme ...........................................
49
a) Bedeutung des Beschlagnahmerechts ........................
49
b) Die Weiinarer Debatte ....................................
50
c) Die Debatte nach 1949 ....................................
52
d) Rechtsprechung ..........................................
53
2. Die Auslegung des Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG im Normkontext des Art. 44 GG ..................................................
55
3. Ergebnis ...................................................
59
V. Durchsuchungsrecht ............................................
59
2. Teil
Verfahrensbeteiligung und Verfahrensrecht
61
c. Rechtsschutz durch Verfahrensbeteiligung .............................
61
I. Widerstreitende Interessen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
11. Normative Grundlagen eines Verfahrensbeteiligungsanspruchs Privater . .
62
1. Einfachgesetzliche Rechtsnormen ..............................
62
2. Herleitung von Beteiligungsrechten aus der Verfassung ............
63
a) Rechtliches Gehör als rechtsstaatlicher Minimalschutz .........
63
b) Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG ..................................
65
Inhaltsübersicht
9
D. Die Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren .................................
68
I. Bedeutung des VwVfG für das parlamentarische Untersuchungsverfahren
68
H. Die Voraussetzungen des § 1 VwVfG ..............................
70
1. Das Verhältnis der Merkmale "Behörde" und "öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit" ............................................
70
2. Die Qualität von Eingriffsbefugnissen als Merkmal der Verwaltungsausübung .....................................................
71
III. Der Begriff der Verwaltung im Sinne des VwVfG
...................
74
1. Entwicklung und Meinungsstand ..............................
74
2. Der Verwaltungsbegriff und die Funktion des VwVfG .............
77
3. Untersuchungstätigkeit - Verwaltung oder Regierung? ............
78
IV. Ergebnis ......................................................
81
3. Teil Gerichtlicher Rechtsschutz gegen Akte parlamentarischer Untersuchungsausschüsse
82
E. Justitiabilität ......................................................
82
I. Das Justitiabilitätsproblem in Rechtsprechung und Literatur ..........
82
11. "Rechtsschutzfähige" Maßnahmen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse .......................................................
85
1. Bestimmungsversuche individualrechtsverletzender Parlamentsakte ..
85
2. Eingriff und Rechtsverletzung im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG
...
86
III. Besondere Injustitiabilitätsfaktoren im parlamentarischen Untersuchungsrecht .........................................................
90
1. Maßnahmen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse als "öffentliehe Gewalt" LS.d. Art. 19 Abs. 4 GG ..........................
90
2. Die Lehre vom gerichtsfreien Hoheitsakt ................... . ....
91
3. Reichweite des Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG
92
.......................
4. Ergebnis
98
F. Rechtsweg ........................................................
98
I. Rechtswegzuordnung und Rechtswegdisparitäten ....................
98
Inhaltsübersicht
10
11. Unmittelbare Maßnahmen des Untersuchungsausschusses
100
1. Rechtswegzuweisung nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ..............
100
a) Prozessuale Praxis ........................................
100
b) Das Abgrenzungsmerkmal "nichtverfassungsrechtlicher Art" in § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ......................................
102
ba) Meinungsstand zur Auslegung des Merkmals "nichtverfassungsrechtlicher Art" ............................... bb) Historische Wurzeln der Abgrenzung nach den Streitsubjekten bc) Funktionsadäquate Auslegung des Begriffs "verfassungsrechtlich" ............................................
102 106 108
c) Die Tätigkeit parlamentarischer Untersuchungsausschüsse als materiell verfassungsrechtliche Aktivität des Bundestages ...........
111
d) Ergebnis ............................................ . ...
113
2. Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. .
114
a) Rechtsschutz vor dem Bundesverfassungsgericht als Rechtsweg im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG .........................
114
b) Verfassungsbeschwerde ohne vorgängiges Gerichtsverfahren ....
115
3. Ergebnis und Schlußfolgerungen ...............................
116
III. Rechtsweg und Rechtswegausgestaltung bei richterlich angeordneten Maßnahmen.......................................................
117
1. Rechtswegprobleme bei Inanspruchnahme des Strafrichters durch den Untersuchungsausschuß ......................................
117
2. Die normative Grundlage zur Inanspruchnahme richterlicher Hilfe durch den Untersuchungsausschuß .............................
120
a) Begründungen der Rechtsprechung .........................
120
b) Begründungen der Literatur ................................
122
c) Das normative Gebot zur richterlichen Inanspruchnahme aus Art. 44 Abs.2 Satz 1 GG LV. m. § 98 Abs. 1 StPO .............
122
3. Die formelle Grundlage der richterlichen Inanspruchnahme .......
124
a) Art. 44 Abs.3 GG
i.v. m. § 156 GVG als formelle
Grundlage? ...
124
b) Voraussetzungen der Rechtshilfe ............................
125
c) Anwendbarkeit der §§ 156 ff GVG ..........................
128
d) Ergebnis und Konsequenzen ...............................
130
IV. Gesamtergebnis ............. . ..................................
132
C. Kontrolldichte und Kontrollmaßstab ..................................
132
I. Die Probleme materieller Entscheidungsfindung ....................
132
Inhaltsübersicht 11. Kontrolldichte
11 134
1. Gerichtliche Nachprüfbarkeit des Kompetenzmerkmals "öffentliches Interesse" ..................................................
134
2. Kontrolldichte im Rahmen strafrichterlicher Rechtshilfe ...... . ....
138
III. Kontrollmaßstab ...............................................
142
1. Die rechtsstaatlichen Grenzen des Untersuchungsrechts - Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ...................................
142
2. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung im einzelnen ...................
145
a) Mehrfachprüfungen .......................................
145
b) Die Merkmale "Geeignetheit" und "Erforderlichkeit" ..........
145
c) Proportionalität ...........................................
146
Ergebnisse in Thesenform und Bewertung
150
I. Ergebnisse
150
11. Bewertung
151
Literaturveneichnis
153
Sachwortveneichnis
161
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. Abl. Abs. AK Anm. AöR Art. Aufl.
anderer Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt Absatz Alternativkommentar Anmerkung Archiv für öffentliches Recht Artikel Auflage
BayVBl. BayVerfGH BayVGH Bd. BGAG BGG BGH BGHSt BK BT BVerfG BVerfGE BVerfGG
Bayerisches Verwaltungsblatt Bayerischer Verfassungsgerichtshof Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Band Beteiligungsgesellschaft Aktiengesellschaft Bonner Grundgesetz Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Bonner Kommentar Bundestag Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz
DBT ders. d.h. Diss. DJT DÖV DRiZ Drs. DVBl.
Deutscher Bundestag derselbe das heißt Dissertation Deutscher Juristentag Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Richterzeitung Drucksache Deutsches Verwaltungsblatt
ESVGH
Entscheidungssammlung des Hessischen und Württemberg- Badischen Verwaltungsgerichtshof
etc. EuGRZ
et cetera Europäische Grundrechte-Zeitschrift
ur.
folgende Seite(n) Frankfurter Allgemeine Zeitung
FAZ
Abkürzungsverzeichnis FG FN FS
Finanzgericht Fußnote Festschrift
GBl. GG GOBT GVBl. GVG GVNW
Gesetzblatt Grundgesetz Geschäftsordnung des Bundestages Gesetz- und Verordnungs blatt Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen
HbStR HehE HDStR HessStGH HptA hrsg.
Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Herrenchiemseer Verfassungsentwurf Handbuch des Deutschen Staatsrechts Hessischer Staatsgerichtshof Hauptausschuß herausgegeben
i.e.S. IPA i.S. i.S.d. i.V. i.V.m.
im engeren Sinne Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft im Sinne im Sinne des in Verbindung in Verbindung mit
JöR JuS JZ
Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Schulung Juristenzeitung
Kap.
Kapitel
LG LVerfNW
Landgericht Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen
m.w.Nw.
mit weiteren Nachweisen
NF NJW Nr. NVwZ NW
Neue Folge Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht N ordrhein-Westfalen
o.g. OLG OrgA OVG
oben genannt(e) Oberlandesgericht Organisationsausschuß Oberverwaltungsgericht
Rdnr. resp.
Randnummer respektive
13
14
Abkürzungsverzeichnis
RGBL RiA
Reichsgesetzblatt Das Recht im Amt
S. seil. SGVNW sog. Sten.Prot. StGH StPO
Seite scilicet Sammlung des bereinigten Gesetz- und Verordnungs blattes für das Land N ordrhein-Westfalen sogenannte(r) Stenographisches Protokoll Staatsgerichtshof Strafprozeßordnung
UA u.a.
Untersuchungsausschuß unter anderem
VerwArch. VG vgl. VO VVDStRL VwGO VwVfG
Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht vergleiche Verordnung Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz
WRV
Weimarer Reichsverfassung
z.B. ZBR ZParl. ZRP
zum Beispiel Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für Parlamentsfragen Zeitschrift für Rechtspolitik
Einleitung * Das parlamentarische Untersuchungsrecht erfreut sich der ungebrochenen Aufmerksamkeit juristischer Literatur. Obwohl schon in der Weimarer Republik vergleichsweise breit debattiert 1 , riß auch nach Inkrafttreten des Grundgesetzes die Diskussion über dieses parlamentarische Rechtsinstitut nicht ab. 2 Im Zusammenhang mit Art. 44 GG3 überwiegen dabei umstrittene Fragen die konsentierten. Diskussionen ergaben und ergeben sich um jeden einzelnen Absatz des Art. 44 GG. Weder ist der Kompetenzbereich des Untersuchungsrechts sicher abgegrenzt noch die sinngemäße Anwendung der Vorschriften über den Strafprozeß außerhalb eines Meinungsstreits. 4 Das Problem der Amts- und Rechtshilfe wird ebenso diskutiert S wie der Rechtsschutzausschluß in Abs. 4 Satz 1 des Art. 44 GG.6 Neue Nahrung erhielten die zum Teil schwelenden Auseinandersetzungen durch eine Reihe von Untersuchungsverfahren in Bund und Ländern seit
* Die Arbeit wurde im Juli 1987 fertiggestellt. Nach diesem Zeitpunkt ergangene Rechtsprechung und erschienene Literatur konnten nur noch vereinzelt in den Fußnoten berücksichtigt werden. 1 Das parlamentarische Untersuchungsrecht war eines der Themen des 34. Deutschen Juristentages. Vgl. die Gutachten von Rosenberg und Alsberg, in: Verhandlungen des 34. Deutschen Juristentages, 1. Bd. (Gutachten) 1926, S. 3ff. und S. 332ff. 2 Vgl. insbesondere Partsch, Empfiehlt es sich, Funktion, Struktur und Verfahren der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse grundlegend zu ändern?, Verhandlungen des 45. Deutschen Juristentages 1964, Bd. 1 (Gutachten); sowie Halstenberg, Das Verfahren der parlamentarischen Untersuchungen nach Art. 44 GG, Diss. Bonn 1956; Cordes, Das Recht der Untersuchungsausschüsse des Bundestages, Diss. Münster 1958; Müller-Boysen, Die Rechtsstellung des Betroffenen vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß, 1980; Schleich, Das parlamentarische Untersuchungsrecht des Bundestages, 1985; Kipke, Die Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages, 1985; Stern, Die Kompetenz der Untersuchungsausschüsse nach Art. 44 GG im Verhältnis zur Exekutive unter besonderer Berücksichtigung des Steuergeheimnisses, AöR 109 (1984), S. 199ff. 3 Nur das Untersuchungsrecht des Bundes ist Gegenstand dieser Arbeit, auf Landesbestimmungen wird nur vergleichend oder zur Verdeutlichung eingegangen. 4 Versteyl spricht im Zusammenhang mit Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG von einer "zu vielerlei Mißverständnissen und Bedenken" Anlaß gebenden Vorschrift, die allgemein als verbesserungswürdig gelte. Versteyl , in: von Münch, Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 1983, Art. 4 Rdnr. 18. S Vgl. Stern, AöR 109 (1984), 199, 242ff. 6 Maunz beklagt die "äußerst unglücklich gefaßte und daher schwer verständliche Vorschrift". Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 44 Rdnr. 61.
16
Einleitung
Anfang der 80er Jahre. Neben den tradierten Konfliktlinien, die insbesondere zwischen Parlamentsmehrheit und Parlamentsminderheit verlaufen 7 , schoben sich auch andere Streitkonstellationen in-den Vordergrund. Die im Zusammenhang mit der Praxis der steuerlichen Behandlung von Parteispenden durchgeführten Untersuchungsverfahren 8 belebten zunächst den ebenfalls klassischen Konflikt zwischen dem Informationswillen der Legislative und der Weigerung der Exekutive, Akten an den Untersuchungsausschuß herauszugeben oder Beamte vor ihm aussagen zu lassen. Innerhalb dieses Organstreits wurde mit der Abwehrkraft individualrechtsschützender Normen (Steuergeheimnis), insbesondere der Grundrechte, argumentiert und damit in dieser Klarheit zum ersten Mal dem parlamentarischen Aufklärungsinteresse grundrechtliche Positionen gegenübergestellt. 9 Die bereits von Partsch konstatierten Mängel im Untersuchungsverfahren, die in der Unbestimmtheit des Status des Betroffenen liegen 10 , stellten einen weiteren aktuellen Problemschwerpunkt dar. l l Sowohl die zum Themenkomplex ,,spendenpraxis an politische Parteien" gehörenden Untersuchungsverfahren- als auch diejenigen zum Problemkreis "NEUE HEIMAT" zählenden 12 brachten über die vorgenannten - bekannten - Konfliktpunkte hinaus eine perspektivisch neue Konstellation zutage, die 7 Dies entspricht der (partei-)politischen Struktur des Untersuchungsrechts und seiner Rolle als genuinem Oppositionsinstrument. Vgl. dazu Kipke, S. 97ff; Schleich, S. 81 ff. 8 1. UA des 10. Deutschen Bundestages (Flick-UA), PI. Prot. 10/8 S. 433 (19. Mai 1983), sowie Untersuchungsausschüsse der LäRder, vgl. Baden-Württemberg, PI. Prot. 8/66 S. 5277 (20. April 1983) und 9/27 S. 1 877 (24. April 1985); Rheinland-Pfalz, PI. Prot. 10/29 S. 1 645 (13. September 1984); Nordrhein-Westfalen, PI. Prot. 10/5 S. 128 (18. September 1985). 9 Vgl. aus der umfänglichen Literatur zu diesem Thema: Mengel, Die Auskunftsverweigerung der Exekutive gegenüber parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, EuGRZ 1984, S. 97ff; Stern, AöR 109 (1984), 199ff.; Fenk, Müssen Beamte als Zeugen vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen aussagen?, ZBR 1971, S. 44ff.; Jekewitz, Parlamentarische Akteneinsicht mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts?, DÖV 1984, S. 197ff.; Keßler, Die Aktenvorlage und Beamtenaussage im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, AöR 88 (1963), 313ff.; Linck, Zur Informationspflicht der Regierung gegenüber dem Parlament, DOV 1983, S. 957 ff.; Löwer, Untersuchungsausschuß und Steuergeheimnis, DVBI. 1984, 757ff.; sowie die grundlegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 67, 100ff. 10 Vgl. Partsch, Gutachten, S. 209ff. 11 Vgl. den Streit zwischen dem 3. Untersuchungsausschuß des 10. Deutschen Bundestages (NEUE HEIMAT-UA) und der Gewerkschaftsholding BGAG über die Einräumung der BetroffenensteIlung: VG Köln - 4 L 958/86 - Beschluß vom 5. August 1986 (unveröffentlicht); OVG NW, DVBI. 1987, 98ff.; vgl. auch die Aufnahme von Betroffenenrechten in den Gesetzentwurf über Einsetzung und Verfahren von Untersuchungsausschüssen des Deutschen Bundestages - Drs. 10/6587 (§ 15 des Entwurfs)der allerdings der Diskontinuität verfallen ist. 12 3. Untersuchungsausschuß des 10. Deutschen Bundestages PI. Prot. 10/219 S. 16964 (5. Juni 1986); Untersuchungsausschuß der Hamburgischen Bürgerschaft PI. Prot. 11/5 S. 249 (23. Februar 1983). .
Einleitung
17
theoretisch unreflektiert und praktisch ohne Erfahrungsgrundlage war. In den Vordergrund des Interesses rückte die Beziehung zwischen einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß und einem privaten Unternehmen. Grundlegend ging es einmal um die Frage, ob es einem Untersuchungsausschuß überhaupt zusteht, Vorgänge im privaten Bereich aufzuklären. 13 Darüber hinaus war auch hier umstritten, ob und in welcher Weise Grundrechte durch Maßnahmen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse betroffen sein können und welche Konsequenzen dies für die Zulässigkeit einzelner Eingriffe haben kann. 14 Auch das alte Problem, welche Befugnisse dem Untersuchungsausschuß zustehen, insbesondere, ob er die Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen anordnen kann 1s , spielte eine wichtige Rolle. Die Aufforderung des Untersuchungsausschusses an eine private Holding, Geschäftsunterlagen herauszugeben, wurde in dieser Konstellation als Betreten juristischen Neulands angesehen. 16 Neben diesen breitgestreuten materiell-rechtlichen Fragen traten zunehmend auch prozessuale Probleme in den Vordergrund. Die Auseinandersetzung zwischen der BGAG und dem 3. Untersuchungsausschuß NEUE HEIMAT beschäftigte neben den Verwaltungsgerichten auch Strafgerichte und das Bundesverfassungsgericht. Dabei wurden bemerkenswerte Unklarheiten des Rechtsschutzes im parlamentarischen Untersuchungsverfahren erkennbar I?, die zu der Bemerkung im Abschlußbericht des NEUE-HEIMAT-Untersuchungsausschusses Anlaß gaben, "daß die Verfahren vor den ordentlichen Gerichten und den Verwaltungsgerichten Probleme haben zutage treten lassen, die de lege lata nicht oder nur unbefriedigend zu lösen sind."18 Nachdem bereits in der Vergangenheit vereinzelt Unsicherheiten der Rechtsprechung im Hinblick auf die ludizierbarkeit einzelner Akte im Untersuchungsverfahren sichtbar geworden waren 19, ergaben sich nunmehr neben 13 Vgl. das in verschiedenen Rechtsstreitigkeiten zwischen dem 3. Untersuchungsausschuß des 10. DBT (NEUE-HEIMAT-UA) und den betroffenen juristischen Personen des Privatrechts zugrundegelegten (von der in erster Linie betroffenen Holding in Auftrag gegebenen) Rechtsgutachten II von Hans Meyer, S. 99 (unveröffentlicht); vgl. auch Wassner, Vor dem Untersuchungsausschuß, in FAZ vom 8.10.1986. 14 Vgl. Linck, Untersuchungsausschüsse und Privatsphäre, ZRP 1987, S. 11. 15 Vgl. dazu bereits Schachtel, Die sinngemäße Anwendung der Strafprozeßordnung auf das Verfahren der Untersuchungsausschüsse, Diss. Heidelberg 1927, S. 35ff. 16 Vgl. Handelsblatt v. 6.8.1986 Nr. 148. 17 Dazu: Ossenbühl, Rechtsschutz im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, in: Gedächtnisschrift für Wolfgang Martens, 1987, S. 177ff.; ferner die Übersicht über die im Zusammenhang mit dem NEUE HEIMAT-VA durchgeführten Streitverfahren im Abschlußbericht - BT-Drs. 10/6779 S. 21ff (insbesondere S. 29-31); vgl. auch die weitsichtige Analyse von Partsch, S. 209 ff. 18 BT-Drs. 10/6779 S. 32. 19 Vgl. HessStGH, DÖV 1972, 56ff.; BayVGH, BayVBI. 1981, 209ff. 2 Di Fabio
18
Einleitung
Problemen der Judizierbarkeit solche des Rechtsweges und der Rechtswegkonkurrenzen sowie der Kontrolldichte der einzelnen Verfahren. Der zähe juristische Widerstand der BGAG gegen Maßnahmen des Untersuchungsausschusses brachte eine bislang verborgene Problematik an den Tag, die auch in Zukunft eine größere Rolle spielen könnte. In welcher Weise können betroffene Private Rechtsschutz gegen Maßnahmen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse erlangen? Eine auch nur annähernd zufriedenstellende Antwort kann sich dabei nicht auf prozessuale Pro bleme beschränken, sondern ist darauf angewiesen, die materiellen Rahmenbedingungen einer Untersuchung im Privatbereich auszuleuchten. Der Gang dieser Arbeit ist damit vorgezeichnet. Es kommt zunächst darauf an, der Frage nachzugehen, ob und inwieweit ein Untersuchungsausschuß Vorgänge im privaten Bereich zum Gegenstand seiner Ermittlungen machen kann (Enquetekompetenz). 20 Sodann ist zu prüfen, welche besonderen Eingriffsbefugnisse dem Untersuchungsausschuß gegenüber Privaten zustehen (Enquetebefugnisse). 21 Der materiell-rechtlichen Kompetenz- und Befugnisanalyse folgt die Behandlung der Frage, inwieweit der Betroffene einen vorverlagerten Rechtsschutz durch Verfahrensbeteiligung im Untersuchungsverfahren verlangen kann und ob das parlamentarische Untersuchungsverfahren ein Verwaltungsverfahren im Sinne des VwVfG darstellt. Im Mittelpunkt der eigentlichen Rechtsschutzgewährung steht der gerichtliche Rechtsschutz mit den Fragen nach der Justitiabilität von Untersuchungsmaßnahmen, dem Rechtsweg, der richterlichen Kontrolldichte und den Kontrollmaßstäben, die einer rechtlichen Bewertung zugrunde gelegt werden.
20 Im folgenden werden die Begriffe "Untersuchung" und "Enquete", wie allgemein verbreitet, synonym gebraucht. Die von Achterberg vorgeschlagene begriffiiche Trennung (Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 445) erscheint nicht notwendig, da die Unterscheidung zwischen Untersuchungsausschüssen nach Art. 44 GG und Enquete-Kommissionen nach § 56 GOBT bereits durch die terminologische Differenzierung zwischen Ausschuß und Kommission gewährleistet ist. 21 Die nach Fertigstellung dieser Arbeit ergangenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - insbesondere der Beschluß des 2. Senats vom 1. Oktober 1987, EuGRZ 1987, 531 ff. - haben sowohl einen Teil der Kompetenz- wie der Befugnisfragen beantwortet. Da das BVerfG weder umfassend die Problematik klären konnte, noch zu erwarten ist, daß die Diskussion über Inhalt und Reichweite des parlamentarischen Untersuchungsrechts mit diesen Entscheidungen ihren Abschluß gefunden hat, bleibt dem ersten Teil dieser Arbeit seine Bedeutung erhalten.
1. TEIL
Kompetenzen und Befugnisse A. Privates Verhalten als Gegenstand parlamentarischer Untersuchungen I. Der Konflikt zwischen parlamentarischer Untersuchung und Privatinteressen
Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß befaßt sich mit "privaten Gegenständen", wenn er sich unmittelbar oder mittelbar mit Vorgängen beschäftigt, die sich nicht - zumindest nicht ausschließlich - dem staatlichen Bereich zuordnen lassen. 1 Der Begriff "private Gegenstände" umfaßt sowohl das Verhalten natürlicher Personen als auch Vorgänge im gesellschaftlichen Bereich, die von juristischen Personen des Privatrechts geprägt werden. 2 Die Zurechnung der Betätigung juristischer Personen des Privatrechts zur Privatsphäre ergibt sich bereits aus Art. 19 Abs. 3 GG, wonach der freiheitssichernde Schutz der Grundrechte auch für inländische juristische Personen gilt, sofern die Grundrechte ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. 3 Die Grundrechtsverbürgungen markieren den verfassungsrechtlich geschützten Privatbereich, während gesetzliche Kompetenz- und Aufgabenzuweisungen den staatlichen Bereich normativ abgrenzen. Die Trennlinie dieser im klassisch liberalen Staats- und Freiheitskonzept antinomisch und sich weitgehend einander ausschließend gedachter Bereiche verläuft im modemen Verfassungsstaat unter den Bedingungen eines hochkomplexen und dichtvernetzten Gesellschaftsaufbaus immer weniger klar konturiert. Es nimmt deshalb nicht wunder, daß in jüngster Vergangenheit privates Verhalten zunehmend in das Fadenkreuz parlamentarischen Untersuchungsinteresses geraten ist. 4 Vgl. Linck, ZRP 1987, 11 ff. Zum begriffiichen Zusammenhang von Privatsphäre, Gesellschaft und staatlichem Bereich vgl. Karpen, Die verfassungsrechtliche Grundordnung des Staates - Grundzüge der Verfassungstheorie und Politischen Philosophie, JZ 1987, 431 (433f.); vgl. auch Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, 1973. 3 Vgl. Vetter, Verfassungsrechtliche Grenzen der Beweiserhebung parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, DÖV 1987,426 (431). 4 Vgl. die Nachweise in der Einleitung FN 9, 12 und 13; sowie Linck, ZRP 1987, 11. 1
2
2·
20
1. Teil: Kompetenzen und Befugnisse
Die Diffusion staatlicher und gesellschaftlich-privater Betätigungsfelder ist bei Institutionen wie den privatrechtlieh verfaßten Parteien bereits in ihrem Wesen als Mittler zwischen dem gesellschaftlichen und dem staatlichen Bereich angelegt,S aber auch bei Wirtschaftsunternehmen, Verbänden und Gewerkschaften sind Berührungspunkte und Überschneidungen zwischen privater und staatlicher Betätigung vielfältig. 6 Konflikten zwischen parlamentarischem Aufklärungsinteresse und grundrechtlieh verbürgten individuellen Freiheitsinteressen kommt daher nicht jener Seltenheitswert zu, den man prima facie aufgrund der traditionellen Funktion des Untersuchungsrechts als Mechanismus parlamentarischer Regierungskontrolle annehmen könnte. Die Schwierigkeit, private Interessen als mögliche Tabuzone parlamentarischen Aufklärungswillens überhaupt gegenüber öffentlichen und staatlichen Belangen exklusiv abzugrenzen, läßt weder eine spontane Parteinahme für oder wider eine Enquetekompetenz im privaten Bereich zu, noch kann dieses Problem dahingestellt bleiben. Für den gegen Akte parlamentarischer Untersuchungsausschüsse Rechtsschutz suchenden Bürger ist es von entscheidender Bedeutung, ob sich die Enquetekompetenz überhaupt auf private Gegenstände erstreckt. Soweit das Beweisthema einer Untersuchung in einzelnen Punkten oder insgesamt auf private Gegenstände zielt, bedarf es der entsprechenden Kompetenz, da ohne Enquetekompetenz es an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für Beweiserhebungen im Privatbereich fehlt. Bereits der Einsetzungsbeschluß und jede einzelne belastende Maßnahme des Untersuchungsausschusses würden aufgrund des Gesetzesvorbehalts rechtswidrig sein. 7 11. Kompetenzbestimmungen in Rechtsprechung und Literatur 1. Befund
Die Frage nach der kompetentiellen Reichweite des Untersuchungsrechts wird vom Gesetz nicht eindeutig beantwortet. Weder Art. 44 GG noch Landesverfa~sungen oder Untersuchungsausschußgesetze auf Landesebene enthalten klarstellende Regelungen über die zulässigen Gegenstände einer parlamentarischen Untersuchung. Landesuntersuchungsausschußgesetze konS Vgl. zum Thema parlamentarische Untersuchung gegen Parteien: Vetter, DÖV 1987, 426 (428ft). 6 Man denke nur an die Subventionierung ganzer Wirtschaftszweige oder an die Versuche von privaten Interessengruppen (Verbände, Lobbyisten, Gewerkschaften), Einfluß auf die Regierungspolitik zu nehmen. 7 Aus diesem Grunde zentrierte die insbesondere gegen die Herausgabe von Geschäftsunterlagen sich wehrende Gewerkschaftsholding im NEUE-HEIMAT-Untersuchungsverfahren ihre Angriffe u.a. auf die Frage der Enquetekompetenz. Vgl. Gutachten Hans Meyer, II, S. 9ff., sowie Begründung der Verfassungsbeschwerde der BGAG vom 22. Oktober 1986 gegen die Beschlagnahme von Aufsichtsratsprotokollen, S. 10ff; vgl. auch FAZ vom 1.10.1986 und 17.10.1986.
A. Privates Verhalten und parlamentarische Untersuchung
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kretisieren im Vergleich zum Bundesrecht lediglich, daß die Untersuchung im öffentlichen Interesse liegen muß.8 Eine Entscheidung des BVerfG zu dieser Frage steht noch aus. 9 Aus der bislang vorliegenden Rechtsprechung des BVerfG läßt sich allerdings keine Stellungnahme gegen eine Enquetekompetenz im privaten Bereich entnehmen; sowohl bei einer mittelbaren Beweiserhebung im Privatbereich 10 als auch bei der Frage, ob einem Untersuchungsausschuß auf Landesebene das Recht zur Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen aus dem Privatbereich zusteht 11 , hat das BVerfG zumindest incident zu erkennen gegeben, daß Untersuchungen privaten Verhaltens nicht gänzlich unzulässig sind. Andere Gerichte haben sich bereits mit einiger Deutlichkeit für eine Enquetekompetenz über den genuin staatlichen Bereich hinaus ausgesprochen. Das 0 VG NW führt dazu - wenngleich implizit - im Zusammenhang mit der Frage nach dem Anspruch auf rechtliches Gehör im Untersuchungsverfahren aus: "Zwar neigt der Senat mit dem VG zu der Annahme, daß natürliche und juristische Personen, gegen die sich ein parlamentarisches Untersuchungsverfahren nach Art. 44 GG ausschließlich oder ganz überwiegend richtet, durch die Untersuchung in ihren Grundrechten (Art. 2 Abs.1 i.V.mitArt.1 Abs.1,Art.12und 14i.V. mit Art. 19 Abs. 3 GG) beeinträchtigt werden und daher aufgrund des berührten Grundrechts i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) einen Anspruch auf rechtliches Gehör haben können."'2
Die mit dieser Begründung zum Ausdruck gebrachte Auffassung der Zulässigkeit einer Untersuchung, die sich ganz oder doch überwiegend gegen Private richtet, wird vom LG Frankfurt expressis verbis vertreten: "Solche (seil. ein privates Wohnungsbauunternehmen betreffende) Mißstands- oder Skandalenqueten sind auch dann zulässig, wenn sie nicht den genuin staatlichen Bereich 8 § 1 des Gesetzes über die Einsetzung und das Verfahren von Untersuchungsausschüssen des Landtags NordrheinWestfalen vom 18. Dezember 1984 (GVNW 1985 S. 26/SGV NW 1101) lautet beispielsweise: "Ein Untersuchungsausschuß des Landtages hat die Aufgabe, Sachverhalte, deren Aufklärung im öffentlichen Interesse liegt, zu untersuchen und dem Landtag darüber Bericht zu erstatten." § 3 Abs. 1 Satz 2 bestimmt: "Die Untersuchung muß geeignet sein, dem Landtag Grundlagen für eine Beschlußfassung im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Zuständigkeit zu vermitteln." 9 Sie dürfte in der Hauptsacheentscheidung über die Verfassungsbeschwerden im Zusammenhang mit der Tätigkeit des NEOE-HEIMAT-Untersuchungsausschusses des Bundestages fallen. Vgl. BVerfG, NJW 1987, 770. Diese Erwartung ist zwischenzeitlich bestätigt worden. Das BVerfG hat die Kompetenz zur parlamentarischen Untersuchung gesellschaftlicher Vorgänge bejaht. Hinsichtlich rein privater Materien ohne Staatsbezug hat das Gericht die Entscheidung aber offengelassen. BVerfG, EuGRZ 1987, 531 (543). 10 BVerfGE 67, 100ff(ln der sog. "Flick-Entscheidung" ging es um die Weigerung der Exekutive, Akten an den Untersuchungsausschuß weiterzugeben, wobei als Begründung der Schutz des Steuergeheimnisses zugunsten der Firma Flick herangezogen wurde.) 11 Vgl. BVerfG, NJW 1984, 1345. 12 OVG NW, DVBI. 1987,97 (99).
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1. Teil:. Kompetenzen und Befugnisse
von Regierung und Verwaltung betreffen, aber durch "Staatsbezug" öffentliche Interessen berühren."13 Diese Tendenz der Rechtsprechung zu einer weiten Kompetenzannahme 14 ist allerdings bislang noch in keinen größeren verfassungsrechtlich durchdachten Zusammenhang gestellt worden, so daß die Entscheidungen unter einem Begründungsdefizit leiden. Dies liegt zu einem Gutteil auch daran, daß die Literatur dieses Problem noch nicht genügend bearbeitet und strukturiert hat. ls In der einschlägigen Literatur zum parlamentarischen Untersuchungsrecht dominieren vor allem zwei Versuche, die Kompetenz eines Untersuchungsausschusses gegenständlich zu bestimmen und zu begrenzen. Zum einen versucht man, durch Taxinomierung von Enquetezwecken bestimmte (zulässige) Enquetetypen auszuprägen und enumerativ zu kanonisieren, zum anderen erhofft man sich, durch die sog. Korollartheorie die Kompetenzgrenzen des Untersuchungsausschusses über die Kompetenzgrenzen des Parlaments zu bestimmen. 2. Kompetenzbestimmung durch Taxinomierung nach Untersuchungszwecken?
In der Literatur zum Thema Untersuchungsrecht findet sich eine Anzahl von Versuchen, das Enqueterecht funktional zu erschließen, indem eine Taxinomie von Untersuchungszwecken entwickelt wird. Im Vordergrund steht dabei die Unterscheidung von Exekutivkontroll- und Legislativenqueten, wobei zusätzlich die selbstreferentielle Funktion der Ansehenswahrung des Parlaments genannt wird. Stern sieht drei herkömmliche Enqueteunterscheidungen nach dem Gegenstand der Untersuchung: -
"die Gesetzgebungsenquete, die der Sachinformation zur Vorbereitung einer aus der Mitte des Bundestages gem. Art. 76 Abs. 1 GG einzubringenden Gesetzesvorlage dienen so11, die Enquete zur Wahrung des Ansehens des Parlaments, und die Kontro11enquete, die Mißstände in der Verwaltung aufklären will."16
Bei dieser dreiteiligen Zweckbestimmung ist es jedoch nicht geblieben. 17 Insbesondere die politisch-propagandistische Intention eines Untersuchungsverfahrens legt die Einführung einer weiteren Kategorie, nämlich die der Skandalenquete nahe. 18 Dabei verliert jedoch die funktionale, an der jeweils 13 LG Frankfurt, NJW 1987, 787 (788). 14 Vgl. auch OVG NW, DVBI. 1987, 100; VG Hamburg, DVBI. 1986, 1017; LG Bonn, NJW 1987, 790 (791). IS Vgl. aber neuere Ansätze dazu: Böckenförde, Parlamentarische Untersuchungsausschüsse und kommunale Selbstverwaltung, AöR 103 (1978), 1 (11 fl); Linck, ZRP 1987, 11 ff. 16 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II 1980, S. 61. 17 Dies konstatiert und beklagt bereits Partseh, S. 21 FN 33. Vgl. weitere Einteilungen bei Halstenberg, S. 36; Cordes, S. 8; Gascard, Das Parlamentarische Untersuchungsrecht in rechtsvergleichender Sicht, Diss. Kiel 1966, S. 75ff; Rechenberg, in: BK, Art. 44 Rdnr. 7.
A. Privates Verhalten und parlamentarische Untersuchung
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wahrgenommenen Aufgabe des Parlaments orientierte Klassifizierung an Klarheit, denn welcher Parlamentszweck erfüllt sich in parteipolitischer Agitation? 19 Gerade die Einbeziehung der Skandalenquete in eine Gegenstandstaxinomie möglicher Untersuchungszwecke verwischt die auf Einzelfunktionen des Parlaments zugeschnittenen Ordnungskriterien. Der Skandalcharakter kann akzidentelles oder wesentliches Attribut aller sonstigen Untersuchungszwecke sein, es sind Justizmißstands-, Wirtschaftsmißstands- oder Verwaltungsmißstandsenqueten möglich. 20 Dieser übergreifende Aspekt trifft ebenso auf den Typ der Legislativenquete zu. Soweit nicht eindeutig außerhalb der Gesetzgebungskompetenz des den Untersuchungsausschuß kreierenden Parlaments liegend, können alle Materien zum Gegenstand einer Legislativenquete gemacht werden. Die Trennschärfe der Einteilungen leidet darunter, daß sie sich auf heterogene Strukturebenen beziehen 21 und dadurch eine Vergleichbarkeit nicht gegeben ist. Unabhängig von der immanenten Schwäche gängiger Zweckkategorisierungen wird über die Konsequenz derartiger Einteilungen - insbesondere darüber, ob sie enumerativ-exklusiv gemeint sind - geschwiegen. Schnabel spricht von den "denkbaren Aufgaben" parlamentarischer Untersuchungsausschüsse 22 und läßt damit den Eindruck aufkommen, jenseits dieser Kategorisierungen wäre eine Enquetekompetenz nicht gegeben. Dieser Eindruck ist unzutreffend. Der weder aus dem Gesetz noch der gesamten Verfassungsstruktur 23 abgeleitete, mithin rein deskriptive Charakter derartiger Zweckordnungen verurteilt sie zur Unverbindlichkeit. 24 Kategorisierungen von Untersuchungszwecken haben lediglich eine "exemplifizierende Bedeutung" 25 , sie stellen bloße Ordnungsleistungen der Literatur dar, die nichts Verbindliches über Aufgaben und Zulässigkeitsgrenzen parlamentarischer Untersuchungen aussagen. 26 18 Schleich, S. 16 spricht von "politisch-propagandistischen Skandalenqueten"; vgl. auch Rechenberg, BK, Art. 44 Rdnr. 2; Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 44 Rdnr. 4. 19 Vgl. die Kritik von Partsch, Gutachten, S. 21. 20 Vgl. Gascard, S. 87. Vgl. auch die Kritik von Memminger, Parlamentarische Kontrolle der Regierung durch Untersuchungsausschüsse, DÖV 1986, 15 (16). 21 Achterberg, Parlamentsrecht, S. 447f. 22 Schnabel, Der parlamentarische Untersuchungsausschuß ein wirksames Kontroll- und Informationsorgan des Parlaments?, Diss. Tübingen 1969, S. 4. 23 Achterberg, Parlamentsrecht, S. 447f. 24 Aussagekraft könnten sie allenfalls im Zusammenhang mit der teleologischen Auslegung des Art. 44 GG entfalten. Vgl. dazu unten 111.3. 2S Stern, AöR 109 (1984), 199 (226). 26 Becker, Ein Beitrag zum Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, DÖV 1964, 505 (507); vgl. auch Bay VerfGH, NVwZ 1986, 822 (824); sowie Stern, AöR 109 (1984),199 (225f.); Hilf, Untersuchungsausschüsse vor den Gerichten, NVwZ 1987, 537 (538).
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1. Teil: Kompetenzen und Befugnisse 3. Inhalt und Reichweite der Korollartheorie
Weitestgehende Anerkennung hat der Gedanke gefunden, wonach bereits aus der "statusmäßigen Stellung eines Hilfsorgans gegenüber dem (Haupt-)Organ folgt, daß die materiellen Kompetenzen des Unterorgans grundsätzlich nicht weitgehender sein können als die des Hauptorgans selbst. "27 Auf das Problem der Enquetekompetenz angewandt bedeutet diese allgemeine Einsicht, daß die Kompetenz des Untersuchungsausschusses mit derjenigen des Parlaments konvergiert, Untersuchungsgegenstände sich folglich innerhalb der sachlichen Zuständigkeit des Parlaments bewegen müssen. Diesen Zusammenhang bringt die Korollartheorie zum Ausdruck. Der Schöpfer des Begriffs des "Korollars" Egon Zweig definierte das parlamentarische Enqueterecht als dynamisch mit den Parlamentsaufgaben wachsend und führte zur Enqueteinstitution allgemein aus: "Sie erscheint als logisch oder juristisch notwendiges Korollar der der Volksvertretung zugewiesenen Tätigkeit, als sachliche Vorbereitung und Ergänzungjener Formalakte, in welchen ein Parlament seine verfassungsmäßige Zuständigkeit verwirklicht. Hierin liegt die Zweck- und Grenzbestimmung, für die durch die parlamentarische Enquete zu leistende Ermittlungsfunktion, deren Inhalt und Umfang sich in jedem einzelnen Fall nach der allgemeinen Kompetenz des Vertretungskörpers bemißt, ... "28
Dieser Gedanke einer engen Bindung der Enquetekompetenz an diejenige des Parlaments hat sich nach Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung unter dem Begriff "Korollartheorie" durchgesetzt. 29 Gegen diesen theoretischen Ansatzpunkt, der eigentlich nur Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes "nemo plus iuris transferre po test quam ipse habet" ist 30 , hat es nur vereinzelt Widerspruch gegeben. Lewald nahm eine unbegrenzte Kontrollfunktion der Untersuchungsausschüsse an und ging insoweit davon aus, daß die Kompetenz der Untersuchungsausschüsse weiter als die des Parlaments reiche. "Die politische Enquete unterscheidet sich von der Gesetzgebungsenquete dadurch, daß sie nicht wie diese eine in notwendiger funktioneller Abhängigkeit von der Tätigkeit des Parlaments selbst stehende Hilfstätigkeit ist. Sie hat vielmehr unabhängig von ihrer möglichen Zweck beziehung auf eine parlamentarische Beschlußfassung eine in ihr selbst ruhende Bedeutung. "31
Kipke, S. 39 Zweig, Die parlamentarische Enquete nach deutschem und österreichischem Recht, in: Zeitschrift für Politik 1913 (6. Bd.), S. 265 (267). 29 "Seit Zweig gilt das parlamentarische Untersuchungsrecht als "Korollar" des im übrigen durch die Verfassung beschränkten parlamentarischen Aufgabenkreises, .... " Schleich, S. 15; Steffani, Über die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, in: Parlamentarismus, hrsg. von Kluxen, 1967, S. 249 (265). 30 Vgl. Keßler, Die Aktenvorlage und Beamtenaussage im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, AöR 88 (1963), 313. 31 Lewald, Enqueterecht und Aufsichtsrecht, AöR Bd. 44 (NF 5) 1923, S. 269 (289). 27 28
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Allerdings räumt Lewald selbst ein, daß seine These, die Enquetekompetenz könnte weiterreichen als diejenige des Parlaments, letztlich keiner Auslegung entspringe, sondern dezisionistisch sei. 32 Ebenso hat sich Smend gegen eine eng verstandene Korollartheorie gewandt und die Ansicht vertreten, die Verfassung binde "die Ausschüsse nicht ausdrücklich an die Rolle bloßer Hilfsorgane des Reichstagsplenums" , die nach seiner Auffassung im Vordergrund stehende Integrationsfunktion der Verfassung im allgemeinen bestimme auch die besondere Integrationsfunktion des parlamentarischen Untersuchungsrechts, die in der effizienten Klärung politischer Fragen bestehe. Im Blick auf Art. 34 Weimarer Reichsverfassung schrieb Smend: "Die Verfassung selbst bindet die Ausschüsse nicht ausdrücklich an die Rolle bloßer Hilfsorgane des Reichstagsplenums; politische Einigung durch evidente Klärung politischer Fragen, die einen wesentlich die Einigkeit hindernden Keil im deutschen politischen Körper darstellen, liegt in der Linie der allgemeinen Integrationsaufgabe der Verfassung überhaupt und der Denkweise der Mehrheit von Weimar insbesondere."33
Beide in der Weimarer Debatte gegen die Korollartheorie vorgebrachten Argumente sind jedoch kaum geeignet, die Überzeugungskraft dieser Theorie zu zerstören. Das parlamentarische Untersuchungsrecht ist als Recht des Parlaments entstanden. 34 Eine kompetenzielle Abkopplung vom Parlament bedürfte eines Anhaltspunktes in der Verfassung selbst, ein transpositiver Integrationszweck - wie von Smend angenommen - kommt als Rechtfertigung besonderer, über die Parlamentszuständigkeit hinausgehender Kompetenzen nicht in Betracht. Die Rechtsnatur eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses läßt sich nur in Beziehung zu dem Kreationsorgan, d. h. als Intra-OrganVerhältnis, begreifen. Diese derivative Struktur des Enqueteinstituts formuliert Stern ganz im Sinne der Korollartheorie: "Zweifelsfrei gehen die Untersuchungsausschüsse aus dem Parlament hervor; sie werden von diesem eingesetzt, haben keinen von ihm unabhängigen Wirkungskreis. "35
Die in der Weimarer Zeit gegen die Korollartheorie gerichteten Argumente sind in neuerer Zeit verstummt. 36 Heute ist die Korollartheorie zu Recht allgemein anerkannt. 37 Mit der Anerkennung der Korollartheorie ist das Kompetenzpro. 3i Vgl. Lewald, S.292, wo er davon spricht, daß es sich um eine "praktische Entscheidung" zugunsten einer weiten Kompetenzfassung handele. 33 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 1955 (Erstdruck 1928), S. 119 (245); zum Integrationsgedanken Smends (und Hellers), Mössle, Regierungsfunktion des Parlaments, 1986, S. 27ff.; vgl. auch Luhmann, Grundrechte als Institution, 1965, S. 44. 34 Zu den historischen Wurzeln parlamentarischer Untersuchungsausschüsse vgl. Steffani, S. 265. 35 Stern, Staatsrecht H, S. 105. 36 Nicht ganz klar ist, ob Kölble sich gegen die Korollartheorie wenden will. Vgl. Kölble, Parlamentarisches Untersuchungsrecht und Bundesstaatsprinzip, DVBI. 1964,701 (703).
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1. Teil: Kompetenzen und Befugnisse
blem parlamentarischer Untersuchungsausschüsse jedoch nicht gelöst, sondern nur auf die Frage verlagert, welche Kompetenzen dem Parlament im privaten oder gesellschaftlichen Bereich zustehen. Für sich genommen ist die Korollartheorie nicht geeignet, Kompetenzgrenzen abschließend zu klären. 38 Die Korollartheorie zeigt nur die äußersten Grenzen des Untersuchungsrechts auf; Gegenstände, die der Bundestag weder erörtern und über die er nicht einen schlichten Parlamentsbeschluß herbeiführen kann 39 , darf der Bundestag erst recht nicht nach Art. 44 GG mit den darin eingeräumten besonderen Beweiserhebungsrechten untersuchen lassen. Allerdings kann nicht auf kurzem Wege mit der Korollartheorie von der Frage nach der Kompetenz parlamentarischer Untersuchungsausschüsse auf die Frage nach der Zuständigkeit des Parlaments übergeleitet werden. Die Analyse der Parlamentskompetenz ist in eine Auslegung des Art. 44 GG einzulagern, weil ansonsten sowohl der besondere Regelungsgehalt der ermächtigenden Norm als auch der besondere Zweck des Untersuchungsinstruments, d. h. seine Funktion für das Parlament im Rahmen der Gesamtkonzeption der Verfassung, vernachlässigt würden. 111. Auslegung des Art. 44 Abs. 1 GG 1. Wortlaut
Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG statuiert das Recht, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen. 4O Mit Blick auf das parlamentarische Innenrecht regelt Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG weiterhin, daß der Bundestag verpflichtet ist, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, wenn ein Viertel seiner Mitglieder dies beantragt. Das dritte Regelungsmoment des Satzes 1 liegt in der Tätigkeitscharakterisierung des Untersuchungsausschusses, der in öffentlicher Verhandlung die erforderlichen Beweise erheben soll. Über die kompetenzielle Reichweite des Untersuchungsinstruments sagt die Vorschrift nichts aus.41 37 "Es ist heute unbestritten, daß der Kompetenzbereich parlamentarischer Untersuchungsausschüsse als Hilfsorgan des Parlaments nicht weiterreichen kann als der des Parlaments selbst (sog. Korollartheorie)". Böckenförde, AöR 103 (1978), 1 (4); vgl. auch Linck, ZRP 1987, 11. 38 Darauf weist Memminger hin: "Allerdings sind, wie der Hess. Staatsgerichtshof (HessStGH) zu Recht feststellt, mit der Korollartheorie die gegenständlichen Grenzen des Untersuchungsrechts noch nicht im einzelnen geklärt. Vielmehr kommt es darauf an, den Umfang der Zuständigkeiten des Parlaments gerade gegenüber der Exekutive mit Blick auf den Untersuchungsausschuß näher zu umgrenzen." Memminger, Parlamentarische Kontrolle der Regierung durch Untersuchungsausschüsse, DÖV 1986, 15 (16). 39 Zum Begriff des schlichten Parlamentsbeschlusses vgl.: Stern, Staatsrecht 11, S. 48; zur Unterscheidung von bloßer parlamentarischer Erörterung und parlamentarischer Beschlußfassung: Linck, Parlament und Rundfunk, NJW 1984, 2433 (2434). 40 Stern weist daraufhin, daß es sich im strengen Sinne nicht um (subjektive) "Rechte" des Parlaments handelt, sondern um "Kompetenzen eines Staatsorgans, die nach Maßgabe der Verfassung gegenüber Staatsorganen oder Privatpersonen eingeräumt" werden. Stern, AöR 109 (1984), 199 (207f.).
A. Privates Verhalten und parlamentarische Untersuchung
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Aus dem Fehlen eines Anhaltspunktes zur Enquetekompetenz im Wortlaut der rechtskonstituierenden Norm im Grundgesetz könnte zum einen der Schluß gezogen werden, daß die Zuständigkeit zur parlamentarischen Untersuchung gegenständlich nicht beschränkt ist. 42 Das Fehlen einer Kompetenzkonkretisierung in Art. 44 GG könnte allerdings zum anderen auch bedeuten, daß das Grundgesetz einen verfassungsrechtlich hinreichend bestimmten Grundbegriff des parlamentarischen Untersuchungsrechts voraussetzt. 43 Festzuhalten ist, daß aus dem bloßen Wortlaut der das Untersuchungsrecht konstituierenden Norm kein Argument für oder gegen eine Enquete im privaten oder gesellschaftlichen Bereich entnommen werden kann. 2. Entwicklungsgeschichte
a) Art. 34 WRV
Die Bestimmung des Kompetenzumfangs parlamentarischer Untersuchungen, die über eine Auslegung von Art. 44 GG erfolgt, bedarf einer entwicklungsgeschichtlichen Rückversicherung. Ansetzen muß dieser Rückgriff bei der verfassungsrechtlichen Etablierung des Untersuchungsrechts in Deutschland durch Art. 34 WRV.44 Vor 1919 hat es keine verfassungsrechtliche Festschreibung des parlamentarischen Untersuchungsrechts in Deutschland gegeben. Abgesehen von halbherzigen Vorstößen im 19. Jahrhundert, verzichtete der im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern eher schwach ausgebildete deutsche Parlamentarismus auf die Erkämpfung des Untersuchungsrechts. Die starke monarchische Exekutive hat sowohl in Preußen als auch nach 1871 im Kaiserreich Versuche zur Etablierung des Untersuchungsrechts rigoros unterbunden. Es hat im Zeitraum von 1871 bis 1918 keinen parlamentarischen Untersuchungsausschuß mit Kontrollaufgaben gegeben; eine Wahlenquete des Preußischen Abgeordnetenhauses aus dem Jahre 1863 wurde durch Bismarck im Ansatz erstickt, indem Staatsbeamten die Unterstützung der U ntersuchungstätigkeit untersagt wurde. 4s 41 Arndt polemisiert gegen dieses nach seiner Ansicht bestehende Defizit: "kein Sterbenswort darin, was denn Gegenstand einer Untersuchung sein darf." Arndt, Reform der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse?, DRiZ 1964, 290 (291). 42 Für den insofern gleichlautenden Art. 34 Abs. 1 Satz 1 WRV hat Lewald dies explizit gefolgert. Lewald, S. 292f. 43 Davon geht Halstenberg aus: Halstenberg, S. 20. 44 Die Genese der verfassungsrechtlichen Normierung des Untersuchungsrechts und der Diskussion in der verfassungsgebenden Nationalversammlung von Weimar bleibt auch heute noch virulent für eine Auslegung des Art. 44 GG, weil die heute geltende Norm auf dem überkommenen Rechtsbestand aufbaut. Stern, Staatsrecht II, S. 39; vgl. auch Schotz, Parlamentarischer Untersuchungsausschuß und Steuergeheimnis, AöR 105 (1980), 564 (565). 4S Vgl. dazu StejJani, Die Untersuchungsausschüsse des Preußischen Landtages zur Zeit der Weimarer Republik, 1960, S.56ff. Gleichwohl hat es Legislativenqueten des
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1. Teil: Kompetenzen und Befugnisse
Mentor des Untersuchungsrechts in Deutschland war Max Weber, der in seinen einflußreichen politischen Schriften in der Endzeit der Monarchie die Grundstrukturen der parlamentarischen Demokratie entwarf und über die Zusammenarbeit mit Hugo Preuß an der verfassungstextlichen Umsetzung dieser Konzeption direkt beteiligt war. 46 Die erste Fassung einer Enquetenorm in dem von Hugo Preuß konzipierten Verfassungsentwurfvom 20. Januar 1919 trägt denn auch die Handschrift des "geistigen Vaters des Enqueterechts in Deutschland", Max Weber, der an den Vorbesprechungen zur Erstellung des Verfassungsentwurfs im Reichsamt des Inneren in der Zeit vom 9. bis 12. Dezember 1918 teilgenommen hatteY § 52 Abs. 1 Satz 1 des Verfassungsentwurfs lautete: "Jedes Haus des Reichstages hat das Recht und auf Verlangen eines Fünftels seiner Mitglieder die Pflicht, Ausschüsse zur Untersuchung von Tatsachen einzusetzen, wenn die Gesetzlichkeit oder Lauterkeit von Regierungs- oder Verwaltungsmaßnahmen des Reichs angezweifelt wird. "48
Mit dieser Formulierung hatte sich Weber durchgesetzt, der sich zuvor mit Nachdruck für das Instrument der parlamentarischen Untersuchung zur Kontrolle einer als verselbständigt verstandenen Bürokratie und Exekutive stark gemacht hatte 49 , so daß man davon ausgehen kann, daß die konditionale Bestimmung und Beschränkung auf die Gesetzlichkeits- und Lauterkeitskontrolle der Exekutive auf ihn zurückgeht. Doch die im ersten Verfassungsentwurf zum Ausdruck gebrachte reine Kontrollfunktion, die exakt Webers Forderungen aus der vorrepublikanischen Zeit entsprach, so wurde bereits im Entwurf des Staatenausschusses vom 17. Februar 1919 fallengelassen. Der einschlägige Artikel 55 Abs. 1 Satz 1 lautete nunmehr: "Der Reichstag hat das Recht und auf Antrag von einem Fünftel seiner Mitglieder die Verpflichtung, Untersuchungsausschüsse einzusetzen." 51
Im Verfassungsausschuß wurde die Frage, ob eine Beschränkung auf die Kontrollfunktion der Exekutive eingeführt werden sollte, kontrovers diskutiert. Die Anträge der Abgeordneten Schultz und Delbrück zielten aufWiederherstellung der Fassung aus dem ersten von Preuß erarbeiteten Verfassungsentwurf Reichstages ohne Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive gegeben, die über förmlichen Gesetzesbeschluß etabliert wurden. Vgl. z. B. Reichsgesetz v. 26. Juni 1878, RGBI. S. 129. Mi Vgl. allgemein zur Entstehungsgeschichte des Art. 34 WRV: Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 18. August 1919,14. Aufl., 1933, Art. 34 Anm. 2. 47 Heck, Das parlamentarische Untersuchungsrecht 1925, S. 13; Steffani, Über die Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, S. 262; lellinek, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des deutschen Staatsrechts, 1. Bd., 1930, S. 127ff. 48 Quellensammlung zum deutschen Reichsstaatsrecht, hrsg. von Heinrich Triepel, 4. Aufl., 1926, S. 14. 49 Vgl. dazu unten 3.b). so Vgl. Weber, Gesammelte politische Schriften, 3. Aufl. 1971, S. 352. 51 Quellensammlung zum deutschen Reichsstaatsrecht, S. 22.
A. Privates Verhalten und parlamentarische Untersuchung
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vom 20. Januar 1919. 52 Diese Anträge wurden von der Ausschußmehrheit verworfen. Die im Wortlaut des Ursprungsentwurfs zum Ausdruck kommende Restriktion des Untersuchungsrechts auf eine reine Exekutivkontrolle wurde demnach bewußt nicht beibehalten. Die Genese des für Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG modellhaften Art. 34 Abs. 1 Satz 1 WRV ergibt somit keinen Hinweis auf eine gewollte Einschränkung des parlamentarischen Untersuchungsrechts. Darüber hinaus können die in Art. 34 WRV im Laufe der Beratungen aufgenommenen Verfahrensregeln (sinngemäße Anwendung der Strafprozeßordnung, Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit) als Korrektiv einer weiten Kompetenzzuweisung verstanden werden. 53 Im Ergebnis bietet die Entstehungsgeschichte des Art. 34 WRV kein Argument für eine verfassungsrechtlich gewollte Kompetenzrestriktion, sie deutet eher auf eine bewußt gegen den Preußschen Entwurf gerichtete unbestimmt gelassene Kompetenzregelung hin. StefJani schließt daraus auf die Absicht einer thematisch unbegrenzten Kompetenzzuweisung. "Es war eindeutig, daß der Wille, das Untersuchungsrecht nicht lediglich auf verwaltungskontrollierende Maßnahmen zu beschränken, es vielmehr in seiner ganzen potentiellen Ermittlungsbreite wirksam werden zu lassen, dominierte." 54
Andererseits ergeben die Materialien zur Entstehungsgeschichte des Art. 34 WRV auch keinen Hinweis, daß an eine Enquete im privaten oder gesellschaftlichen Bereich konkret gedacht worden wäre. Darüber hinaus ist auch nicht ersichtlich, daß ein fest umrissener vorverfassungsrechtlicher Begriff des Enqueterechts den Vätern der Weimarer Reichsverfassung vorschwebte; das neue Parlamentsrecht scheint vielmehr in seiner praktischen Bedeutung noch nicht ganz klar gewesen zu sein. b) Art. 44 GG
Im Rahmen der Entstehungsgeschichte des Art. 44 GG bieten die Aufzeichnungen über die Beratungen des Herrenchiemseer Verfassungskonvents Material zur Frage der Enquetekompetenz. Es gab Tendenzen, das Untersuchungsrecht gegenüber dem Art. 34 WRV aufgrund der Erfahrungen der Weimarer Zeit einzuschränken. "Die ganze Tätigkeit der Untersuchungsausschüsse, die aufgrund der Weimarer Verfassung eingesetzt worden sind, hat zu erheblicher Kritik Anlaß gegeben. Sie haben im wesentlichen nur dazu gedient, extremen Parteien Material für Agitationszwecke zu liefern, das den Anschein einer Objektivität hatte, die ihm nach der ganzen Art des Verfahrens in keiner Weise zukam."55 VIII. Verfassungsausschuß der Nationalversammlung, S. 265ff. Diesen kompensatorischen Aspekt bringt Heck, S. 14, zum Ausdruck. 54 Steffani, Über die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, S. 263; vgl. auch Troßmann, Parlamentsrecht, S. 438. 55 Baade, in: Plenarsitzung vom 22.08.1948, in: Der Parlamentarische Rat 1948 1949, Akten und Protokolle, Bd. 2, 1981, S. 396. S2
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1. Teil: Kompetenzen und Befugnisse
Ein Anlaß für die Kritik an der Arbeit parlamentarischer Untersuchungsausschüsse waren die Erfahrungen des Konventsdelegierten Baade. Gegen ihn als zuständigen Reichskommissar war in der Spätphase der Weimarer Republik mit Hilfe eines Untersuchungsausschusses über die Roggenstützaktion - in dem Nationalsozialisten und Kommunisten die Mehrheit besaßen - eine Agitationskampagne entfacht worden. 56 Nachdem verschiedene Möglichkeiten zur Veränderung des in Art. 34 WRV normierten Untersuchungsrechts erörtert worden waren (u. a. die Abschaffung des Untersuchungsrechts als Minderheitenrecht)S7, kam es auch zum Vorschlag einer Kompetenzbegrenzung. "Das Problem würde gelöst sein, wenn wir den Zweck der Untersuchungsausschüsse in der Vorlage genauer definieren würden. Die Vorlage geht daran vorüber. Die Untersuchungsausschüsse können nur zwei Aufgaben haben: Erstens als EnqueteKommission, um Gesetzesmaterialien zu sammeln, zweitens um die Gesetzlichkeit und Sauberkeit von Verwaltungsmaßnahmen nachzuprüfen."58
Dieser Vorschlag wurde - wie bereits in der Beratungsphase der Weimarer Reichsverfassung - nicht aufgenommen, stattdessen tendierte man im Verfassungskonvent eher zu Garantien, die die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens sichern sollten. 59 "Der Konvent hält daher eine Rechtskontrolle für unerläßlich. Sie muß allerdings, um das Ansehen des Parlaments und die Funktionsfahigkeit der Untersuchungsausschüsse zu wahren, auf ein Minimum beschränkt bleiben. In Betracht kommen etwa grobe Verletzungen des Rechts auf Gehör, Druck auf Zeugen, willkürliche Beweisabschneidungen, Verletzung der Denkgesetze bei den vom Ausschuß gezogenen Folgerungen. "60
Der Vorschlag zur Kompetenzbegrenzung wurde in dem Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee ausdrücklich als Minderheitsansicht von der Mehrheit verworfen. 61 Der Entwurf eines Grundgesetzes, der Herrenchiemseer Entwurf, übernahm denn auch in seinem Art. 57 Abs. 1 die Formulierung des Art. 34 Abs. 1 Satz 1 WRV. Im Parlamentarischen Rat wurde über die Frage der Enquetekompetenz nicht explizit debattiert, sondern die Linie des Herrenchiemseer Verfassungskonvents beibehalten, keine Kompetenzbegrenzungen vorzunehmen; das rechtsstaatliche Verfahren wurde als Korrektiv einer weiten Kompetenzeinräumung betont. 56 Vgl. vorige Fußnote S. 398. Spitta, wie Fußnote 55, S. 398. 58 Brill, wie Fußnote 55, S. 400. 59 Eine solche Tendenz beschrieb Heck bereits für die Entstehung der Weimarer Reichsverfassung. Heck, S. 14. 60 Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. 23. August 1948, Verfassungsausschuß der Ministerpräsidenten-Konferenz der westlichen Besatzungszonen, S. 36f. 61 Wie Fußnote 60. 57
A. Privates Verhalten und parlamentarische Untersuchung
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"Das Recht der Untersuchungsausschüsse lehnt sich eng an das bisherige Recht an. Als sehr wesentlich wurde in den Beratungen die Bezugnahme auf die Vorschriften der StPO hervorgehoben, weil dadurch im Interesse der Rechtssicherheit für das Verfahren der Untersuchungsausschüsse bestimmte Grenzen gezogen werden."62
Der Befund für die Genese des Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG entspricht demjenigen für Art. 34 Abs. 1 Satz 1 WRV. Wenn die Beratungen überhaupt einen Schluß zulassen, so den, daß die Enquetekompetenz nicht eingeschränkt werden sollte. 63 Ob der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee oder der Parlamentarische Rat einen vorgängigen, dogmatisch ausbuchstabierten Begriff des Untersuchungsrechts zugrunde gelegt haben, muß eher bezweifelt werden. Die Weimarer Debatte über dieses Verfassungsinstitut hatte einen klar konturierten Begriff nicht erarbeitet, so daß das Grundgesetz sich nicht auf eine solche Begriffsbildung klärend stützen konnte. c) Zwischenergebnis
Eine Antwort auf die Frage, ob Untersuchungsausschüsse des Bundestages das Verhalten Privater zum Gegenstand einer Enquete machen dürfen, kann weder dem Wortlaut noch der Entwicklungsgeschichte des Art. 44 GG eindeutig entnommen werden. Da aus der systematischen Stellung des Art. 44 in dem Abschnitt des Grundgesetzes, der die Rechtsstellung des Bundestages regelt, bestenfalls ein Argument für die enge Bindung an die parlamentarische Zuständigkeit gewonnen werden kann,64 also nicht über die Korollartheorie hinausführt, bleibt als zusätzliches Auslegungsinstrument nur die teleologische Auslegung, die nach den erkennbaren Zwecken und Grundgedanken einer Norm fragt und dabei in angemessener Weise historisch bedingte Entwicklungsverläufe mit zu reflektieren hat. 65 Im Verfassungsrecht kommt dieser Auslegungsmethode besondere Bedeutung zu, da die Besonderheiten von Verfassungsnormen eine logisch-teleologische Interpretation schon unter dem zu beachtenden Gesichtspunkt der "Einheit der Verfassung" gebieten. 66 Praktisch bedeutet dies, daß die Auslegung einer einzelnen Verfassungsnorm zwar von ihrem selbständigen Bedeutungsgehalt ausgeht, aber im nächsten Schritt den Stellenwert der Norm in einem sinnvoll akkordierten Verfassungsgefüge zu 62 Parlamentarischer Rat, Bonn 1948(49, Schrift!. Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland - Drs. 850, 854 - An!. zum Stenografischen Bericht der 9. Sitzung des Parlamentarischen Rates vom 6. Mai 1949, S. 23. 63 Im Ergebnis ebenso: Böckenförde, AöR 103 (1978), S. 5; Troßmann, S. 437f. 64 Vg!. Keßler, AöR 88 (1963), S. 313 (314); 65 Vg!. allgemein zur teleologischen Auslegungsmethode: Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Auflage, 1983, S. 318ff.; zur Zunahme der Bedeutung teleologischer Auslegung bei älteren Gesetzen: Tettinger, Rechtsanwendung und gerichtliche Kontrolle, S. 21. 66 BVerfGE 19, 206 (220); Stern, Staatsrecht I, S. 131.
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1. Teil: Kompetenzen und Befugnisse
berücksichtigen hat. Teleologische Auslegung heißt demnach - insbesondere im Verfassungsrecht - immer auch funktionale Analyse; es gilt, funktionale . Bezüge so zu erkennen und zu respektieren, daß die Struktur (Einheit der Verfassung) nicht durch eine Einzelauslegung über Gebühr belastet wird. Dabei ist dieser funktionale Bezugsrahmen keine statische Größe, sondern variiert mit einer lebendigen Verfassungswirklichkeit. 3. Die teleologiscbe Auslegung des Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG Funktionsanalyse des parlamentariscben Untersucbungsrecbts
a) Ausgangspunkt
Reichweite, Sinn und Zweck des Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG können nur dann in zutreffender Weise bestimmt werden, wenn die Aufgabe parlamentarischer Untersuchungsausschüsse und ihre Stellung innerhalb des parlamentarischen Systems geklärt sind. Der Korollargedanke, der als äußerste Grenzen des Untersuchungsrechts die Kompetenzgrenzen des Parlaments ansieht, weist dabei zunächst in die richtige Richtung. Die Enquetekompetenz kann nicht losgelöst von der Parlamentskompetenz gesehen werden, so daß die an das Untersuchungsrecht gestellte Frage nach der Zulässigkeit von Enqueten mit privaten Gegenständen an das allgemeine Parlamentsrecht weitergereicht wird, seil. ob dem Parlament selbst ein derartiges Befassungsrecht zusteht. Dieser in der Literatur diskutierten Frage 67 vorgelagert ist jedoch ein anderes Problem. Da das Untersuchungsrecht nur eine dem Parlament dienende Funktion hat, muß zunächst einmal nach dem Zweck des Untersuchungsrechts für die parlamentarische Arbeit gefragt werden. Es wäre nämlich denkbar, daß der Sinn und Zweck des EnquSterechts bereits eine wesensmäßige innere Beschränkung in sich trägt, die nicht dem Aufgabenkanon des Parlaments entspricht, d. h. dem Parlament könnte ein breiteres Aktionsfeld zustehen als es mit dem Mittel des Untersuchungsrechts aufklären darf. 68 b) Die Rolle des Untersuchungsrechts als Kontrollund Informationsorgan
Die ursprüngliche Aufgabe des parlamentarischen Untersuchungsrechts lag in der Exekutivkontrolle. Webers Vorschlag zur Schaffung dieses Parlamentsinstruments geht auf die antinomische Vorstellung zurück, wonach die Parlamente als "Vertretungen der durch die Mittel der Bürokratie Beherrschten" einem Verwaltungsapparat gegenüberstehen, der mit dem exklusiven Machtmittel des "Dienstwissens" (als "Geheimwissen" in Form des Dienstgeheimnisses) sich Vgl. aus jüngster Zeit nur Linck, ZRP 1987, 11 ff. Die Korollartheorie beschränkt sich auf die Frage, ob der Untersuchungsausschuß mehr kompetentielle Befugnisse als das Parlament haben kann, nicht aber ob auch eine geringere Kompetenzreichweite als die des Parlaments möglich ist. Vgl. Schleich, S. 15. 67
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A. Privates Verhalten und parlamentarische Untersuchung
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gegen Eingriffe des Parlaments immunisiert. 69 Das Untersuchungsrecht sollte danach das Parlament instand setzen, in die Domäne der Exekutive einzudringen und mit eigenen Mitteln sich Informationen zu beschaffen. Weber zumindest dachte dabei vor allem an Informationen aus dem Verwaltungsapparat, so daß daraus der Schluß gezogen werden könnte, das Enqueterecht erlaube nur eine Informationsbeschaffung zur Regierungs- und Verwaltungskontrolle. 70 Wie der Blick auf die Entwicklungsgeschichte des Art. 34 WRV gezeigt hat, hat dieses enge Enqueteverständnis gerade keine Aufnahme in den Verfassungstext gefunden,71 auch um andere Enqueteformen wie die damals danach bereits bekannte Legislativenquete nicht zu verhindern. Der eigentliche Sinn des Untersuchungsrechts ergibt sich aus einem strukturellen Defizit des Parlaments. Das Parlament, obwohl zumindest in unserer verfassungsrechtlichen Ordnung oberstes Repräsentationsorgan des Volkswillens, besitzt keine eigenen Administrativorgane, welche die für die Arbeit des Parlaments notwendigen Informationen beschaffen könnten. Es ist ohne entsprechende Organe im Vergleich zur Exekutive oder Judikative strukturell blind. 72 Die in der Geschäftsordnung des Bundestages ausgeprägten Informationsrechte, insbesondere die Institution der parlamentarischen Anfragen (§§ 100ff. GOBT) die Sachverständigenanhörung im Gesetzgebungsverfahren (§ 70 GOBT) oder die Einsetzung einer Enquete-Kommission (§ 56 GOBT) kompensieren dieses Defizit ein Stück weit, ihnen fehlt die für eine wirksame Aufklärung von Tatsachenzusammenhängen nötige Zwangsbewehrung, wie sie im Untersuchungsverfahren vorgesehen ist. Eine wirksame Informationsbeschaffung kann in bestimmten Bereichen nicht mit wissenschaftlichen Mitteln (Statistiken, Erhebungen, Daten) allein geleistet werden, sondern bedarf eines eingreifenden (zwangsbewehrten) Instrumentariums zur Beweisbeschaffung. 73 Dieses Instrument zur eigenständigen Informationsverschaffung wird dem Bundestag durch Art. 44 GG verliehen und stellt eine gewollte Durchbrechung des Gewaltenteilungsgrundsatzes dar 74 , die ihre Rechtfertigung in der Notwendigkeit findet, das bestehende Informationsdefizit des Parlaments, das dessen verfassungsrechtliVgl. Weber, Gesammelte Politische Schriften, S. 353. Vgl. Keßler, AöR 88 (1963), S. 313 (314). 71 Vgl. oben 2.a). 72 Ohne entsprechende "Sensoren" (d.h. auch einem mit Zwangsbefugnissen versehenen Enqueterecht) war schon nach Weber der Reichstag im monarchischen System "verfassungsmäßig zur dilettantischen Dummheit verurteilt". Weber, S. 352. 73 Das Enqueterecht ist insofern die ultima ratio der Informationsbeschaffung des Parlaments; Vetter spricht vom "schwersten Geschütz" parlamentarischer KontroIItätigkeit. Vetter, Die Parlamentsausschüsse im Verfassungssystem der Bundesrepublik Deutschland, S. 112; vgl. auch Linck, Zur Informationspflicht der Regierung gegenüber dem Parlament, DÖV 1983, 957 (958 f.); Plagemann sieht im Untersuchungsverfahren die Chance der Abgeordneten durch Vernehmung und Aktenvorlage, Sachverhalte aus erster Hand kennenzulernen. Plagemann, Mehr parlamentarische Kontrolle durch Untersuchungsausschüsse, ZParl. 1977, 242 (248). 74 Vgl. Rechenberg, in: Bonner Kommentar, Art. 44 Rdnr. 3. 69
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1. Teil: Kompetenzen und Befugnisse
cher und politischer Rolle inadäquat ist, auszugleichen. Eine diesem Gedanken entsprechende Definition des Untersuchungsrechts hat Partsch vorgelegt: "Das Untersuchungsrecht ist ein dem Parlament eingeräumtes verschärftes Frage- und Kontrollrecht, um sich selbst unabhängig von anderen Staatsorganen die zur Wahrnehmung seiner Funktion notwendigen Informationen zu beschaffen".75
Nach dieser Definition kann das Parlament das Untersuchungsrecht in der ganzen Breite seiner Funktionswahrnehmung einsetzen und nicht nur im Bereich der Exekutiv- und Verwaltungskontrolle. Eine solche Auffassung dürfte die Zweckbestimmung der Parlamentsenquete unter modemen verfassungsrechtlichen Bedingungen am ehesten einfangen. Jenseits eines konstitutionellen Verfassungsverständnisses läßt sich das Parlament nicht auf eine nur reagierende Kontrolltätigkeit gegenüber der eigentlich handelnden Exekutive festlegen. 76 Ein derartiges Parlamentsverständnis wäre aber die Voraussetzung, um eine dem parlamentarischen Untersuchungsrecht inhärente Zweckbegrenzung auf die Exekutiv- und Verwaltungskontrolle zu begründen. Selbst wenn das Untersuchungsrecht ursprünglich als reine Exekutivkontrolle eingeführt worden sein sollte - wozu es an Anhaltspunkten fehlt -, entspräche es nicht einer funktional sinnvollen Auslegung des Art. 44 GG das Enqueterecht als statisch anzusehen, während das Parlamentsverständnis voranschreitet. Bereits Zweig hatte zu Beginn des Jahrhunderts zutreffend hervorgehoben, daß die Zweckrichtung des Untersuchungsrechts sich der Rolle des Parlaments dynamisch anpassen müsse. 77 Die Korollartheorie ist demnach nach beiden Seiten wirksam: die Enqueteinstitution hat weder eine geringere noch eine größere kompetentielle Reichweite als das Parlament; das Untersuchungsrecht enthält keine inhärente Zweckbestimmung auf eine ausschließliche Exekutivkontrolle. c) Die Kompetenzreichweite des Parlaments
ca) Herkömmliche Funktionseinteilung Für die teleologische Auslegung des Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG im Blick auf die Frage, ob Untersuchungen im privaten Bereich zulässig sind, ist es demnach von entscheidender Bedeutung, ob dem Parlament selbst ein entsprechendes Befassungsrecht zusteht. Die Aufgaben des Parlaments werden herkömmlich in drei Funktionskreise eingeteilt: Rechtsetzung, personelle Kreation und Kontrolle. 78 Soweit ein Untersuchungsausschuß sich im Rahmen eines Untersuchungsauftrags bewegt, der sich unter einen dieser drei Funktionskreise subsumieren läßt, bestehen auch Partseh, S. 13. 76 Vgl. dazu unten c). 77 Zweig, S. 267. 78 Schröder, Grundlagen und Anwendungen des Parlamentsrechts, 1979, S. 206.
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A. Privates Verhalten und parlamentarische Untersuchung
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dann keine kompetentiellen Bedenken, wenn als Vorfrage, mittelbarer Gegenstand oder als Annex auch private Gegenstände erörtert werden. Angesichts einer weiten legislativen Kompetenz des Gesetzgebers 79 könnte eine Enquete, die ausschließlich oder überwiegend die Aufklärung von Gegenständen im privaten oder gesellschaftlichen Bereich zum Ziel hat, regelmäßig als Gesetzgebungsenquete "getarnt" werden. Einem solchen "Formenrnißbrauch" sind allerdings Grenzen gesetzt. Eine gerichtliche Nachprüfung der Zulässigkeit der Enquete könnte den wahren Zweck zutage fördern und hätte vor allem zu überprüfen, ob einzelne Untersuchungsrnaßnahmen sich mit dem angegebenen Untersuchungszweck überhaupt begründen lassen. Prekär an einer solchen falschen Etikettierung wäre vor allem die Ansehensgefahrdung des Parlaments selbst, da die Öffentlichkeit - der im Untersuchungsverfahren eine herausragende Bedeutung zukommt - über den wahren Zweck der Untersuchung getäuscht würde. Wenn eine solche Untersuchung im Privatbereich demnach nicht tatsächlich zum Zwecke der Gesetzgebung durchgeführt wird, kommt als rechtfertigender Funktionskreis nach der herkömmlichen Dreiteilung der Parlamentsaufgaben nur derjenige der Kontrollwahrnehmung in Betracht. Faßt man den Kontrollbegriff als Exekutivkontrolle auf, so scheidet die Zulässigkeit einer Untersuchung im Privatbereich aus. 80 Der Kontrollbegriff ist allerdings heute nicht mehr klar als Exekutiv- oder Regierungskontrolle konstruiert, er ist in den Sog eines veränderten Verständnisses der Parlamentsfunktion geraten. Soweit die Exekutivkontrolle nicht nur auf die unmittelbare Staatsverwaltung sich erstrecken soll, sondern auf alle juristischen Personen des öffentlichen Rechts, 81 begegnet dies keinen grundsätzlichen Bedenken. 82 Problematisch dagegen scheint die Ausdehnung des Kontrollbegriffs zu einer Art von Residualkategorie, unter die alle denkbaren Aktivitäten des Parlaments fallen können. Anhänger einer solchen Neufassung der Kontrollfunktion sprechen insoweit von einem "Auffangtatbestand", der "alle parlamentarischen Aufgaben außerhalb der Gesetzgebungs- und Kreationsfunktion erfaßt". 83 Die explanative Kraft des Kontrollbegriffs wird durch eine derartige (tautologische) Selbsterklärung beeinträchtigt. Der Kontrollbegriff soll ja gerade ein Aufgabenfeld des Parlaments beschreiben; er selbst kann nicht durch die 79 Linck spricht von einer nahezu unbegrenzten Gesetzgebungskompetenz. Linck, ZRP 1987, 11 (12). 80 So Stern, AöR 109 (1984), 199 (229). 81 So Linck, ZRP 1987, 11 (13). 82 Dies gilt allerdings nur, sofern dabei verfassungsrechtlich eingeräumte Selbstverwaltungsgarantien für Gemeinden, Kirchen und den öffentlichen Rundfunk nicht tangiert werden. Vgl. dazu Böckenförde, AöR 103 (1978),1 (24ft); Linck, NJW 1984, 2433ff. 83 Linck, NJW 1984, 2433; vgl. auch ders., ZRP 1987, 11 (12); Achterberg, Grundzüge des Parlamentsrechts, 1971, S. 57; ders., Parlamentsrecht, S. 410; ferner Troßrnann, JÖR NF 28 (1979), 1 (49).
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1. Teil: Kompetenzen und Befugnisse
Erklärung, er umfasse alle denkbaren Aufgaben des Parlaments, erläutert werden. Gleichwohl reagieren derartige Versuche auf ein Spezifikum der modernen Parlamentsentwicklung, nämlich auf die mitunter immer noch nicht zureichend wahrgenommene Diskontinuität des aktuellen Parlamentsverständnisses gegenüber einem konstitutionell geprägten Parlamentsbegriff. Es geht um die Frage, ob die herkömmliche Dreiteilung der Parlamentsfunktionen noch haltbar ist, oder ob dem Parlament zusätzliche Aufgabenfelder zugestanden werden müssen. Um diese Frage zu beantworten, ist es notwendig, auf die Begründung einzugehen, warum sich die Parlaments funktion neben der Legislativ- und Kreationsfunktion in der Exekutivkontrolle erschöpfen soll. cb) Wurzeln der Beschränkung auf die Exekutivkontrolle Neben der Rolle als genuinem Schöpfer des Rechts im Gesetzgebungsverfahren kam dem Parlament von Anbeginn an die Aufgabe zu, die handelnde Exekutive in Gestalt von Regierung und Verwaltung zu kontrollieren. "The proper office of a representative assembley is to watch and control the government. "84Die Modalitäten und Mechanismen zur Realisierung der Exekutivkontrolle sind vielfältig, sie können insbesondere nach dem Grad ihrer Rechtsverbindlichkeit unterschieden werden. Kontrollmittel, die in für die Regierung rechtsverbindliche Entscheidungen des Parlaments einmünden, sind das Mißtrauensvotum, der Gesetzes- resp. Haushaltsbeschluß und die Entlastung im Rahmen der Rechnungskontrolle, während eine andere Gruppe von Kontrollrechten auf die Informationsgewinnung für das Parlament zielt, wie das Zitierrecht oder parlamentarische Anfragen. 85 Beiden Arten der Kontrolle ist allerdings gemein, daß sie im Sinne der ursprünglichen Wortbedeutung 86 auf die Hemmung und Begrenzung einer potentiell überschießenden Exekutive zugeschnitten sind. In ihnen spiegelt sich die "Resistenz konstitutioneller Vorstellungen und Argumentationsmuster" 87 , die dem Parlament eine eher defensive, machtbegrenzende Rolle im Verfassungsaufbau zuweisen. 84 MiIl, Utilitarism, Liberty, Representative Government, 1968, S. 239. Zu beachten ist im Bereich der englischen Staatsorganisation, daß der Begriff der Kontrolle gegenüber dem deutschen Begriff eine wesentlich weitere Bedeutung hat, nämlich auch die "Mitgestaltung" umfaßt. Vgl. Busch, Parlamentarische Kontrolle - Ausgestaltung und Wirkung, 1983, S. 11. 8S Vgl. zur Darstellung der Kontrollmittel: Memminger, Parlamentarische Kontrolle der Regierung durch Untersuchungsausschüsse, DÖV 1986, 15 (19f.). 86 Das deutsche Wort "Kontrolle" stammt vom französischen Wort contre-role und bezeichnet eine Gegenzeichnung oder ein Doppelregister im Sinne einer zweitinstanzlichen Rechnungsprüfung. Vgl. Busch, S. 11. 87 Vgl. Möss!e, Regierungsfunktion des Parlaments, 1986, S. 115.
A. Privates Verhalten und parlamentarische Untersuchung
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"Die bürgerliche Gesellschaft stellte dem "monarchischen Prinzip" die Forderung nach gesellschaftlicher Freiheit gegenüber und erkannte das hierzu geeignete Mittel in ihrer Beteiligung an der Gesetzgebung als Gegenposition zu der in der Monarchie integrierten Exekutive. "88
Daraus ergab sich in entwickelten konstitutionellen Verfassungssystemen wie dem des Kaiserreichs bis 1918 eine defensive Rollenbeschränkung des Parlaments hinsichtlich des Bereichs der Staatsleitung. Weber kritisierte diesen Zustand als lediglich negative Politik. 89 Selbst in der Weimarer Republik dauerte dieser Zustand defensiver Parlamentsauffassung an und nahm im quasikonstitutionellen Klima in der Endphase der Republik, angesichts eines mit Notverordnungen autokratisch regierenden Reichspräsidenten, wieder ausgeprägte Züge an. Die Beschränkung des Parlaments auf die Kontrolle der Regierung kann im Grunde nur in konstitutionellen Verfassungssystemen mit der "Kronprärogative des Monarchen" begründet werden. 90 Die konstitutionelle Vorstellung einer agierenden Krone und einer mit wirksamen Mitteln parlamentarischer Kontrolle ausgestatteten Volksvertretung ist die Wurzel des Gedankens, das Parlament erschöpfe seinen Funktionenkreis in Gesetzgebung, Kreation und Kontrolle. Nach dem Wegfall konstitutioneller Strukturen läßt sich die Beschränkung des Parlaments auf eine konterkarierende resp. nur begleitende Kontrolltätigkeit als Widerpart eines innovativen und initiativen administrativen Aktivitätszentrums nicht mehr aufrechterhalten. cc) Staatsleitung als kooperativer Prozeß Die neuere verfassungsrechtliche Literatur hat das Problem der aktiven Teilnahme des Parlaments an politischen Leitentscheidungen (außerhalb der klassischen Funktionen) unter die Begriffe der "Staatsleitung" oder der "Regierungsfunktion" gefaßt. Magiera definiert Staatsleitung als den Aufgabenbereich der umfassenden und grundlegenden Planung, Feststellung und Durchführung der staatlichen Organisation, Ziele und Aufgaben sowie der Rechtsordnung unter dem Grundgesetz. 91 Als potentiell staatsleitende Organe sieht er die obersten (unmittelbaren) Verfassungsorgane, also neben Parlament und Regierung auch den Bundesrat, den Bundespräsidenten und das Bundesverfassungsgericht. 92 Im Anschluß an den mittlerweile klassischen 88 Jakob, Kommunale Satzungen Eingriffe in "Freiheit und Eigentum" DÖV 1970, 666 (668). . 89 "Die ganze Struktur des deutschen Parlaments ist heute zugeschnitten auf eine lediglich negative Politik: Kritik, Beschwerde, Beratung, Abänderung und Erledigung von Vorlagen der Regierung." Weber, S.351. 90 Vgl. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 52f. 91 Magiera, Parlament und Staatsleitung, S. 95. 92 Magiera, a.a.O.
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1. Teil: Kompetenzen und Befugnisse
Regierungsbegriff, wonach Regierung allgemein als verantwortliche Leitung des Ganzen der inneren und äußeren Politik bestimmt wird, betont M össle 93 die besondere Bedeutung des Umstandes, daß der Regierungsfunktion ein schöpferisches Definitionsrecht dessen innewohnt, was als "Politik" verstanden wird. 94Dieser selbstreferentielle Aspekt wurde bereits von Smend hervorgehoben, für den Regierung der Teil der Staatsfunktion war, "der in den Kreis der Politik fällt, d. h. in dem der Staat sich und sein Wesen bestimmt und durchsetzt. "95 Die "Selbst- und Wesens bestimmung des Staates", 96 in der täglich neu das politisch Relevante definiert und über seine Bewältigung entschieden wird, findet allerdings nicht in einem abgeschlossenen staatlichen Raum statt, sondern verläuft als interaktiver Prozeß zwischen dem staatlich-politischen Aktivitätszentrum und der den politischen Willensbildungsprozeß beeinflussenden öffentlichen Meinung. 97 Es ist gerade diese Rückbindung an den verfassungsrechtlichen Souverän, die dem Parlament nach der Ordnung des Grundgesetzes eine Rolle auch bei der Regierung im funktionellen Sinne zuweist. Regierung als Domäne des Politischen und das Politische wiederum als Interaktionsprozeß zwischen staatlichen Trägern und gesellschaftlicher Willens bildung - diese beiden Pole weisen auf eine kommunikative Dimension des Bereichs der Staatsleitung hin 98, die eine Kompetenzdiskussion nicht außer acht lassen darf. Eine verfassungsadäquate Bestimmung der Kompetenzreichweite des Parlaments, die auch eine Parlamentsteilhabe an der Regierungstätigkeit im materiellen Sinne umfaßt, kann und braucht sich nicht argumentativ ausschließlich auf die besondere legitimatorische Qualität des Parlaments als unmittelbar vom Souverän gewählte Institution zu stützen. 99 Sie kann sich auf Eigenschaften des Parlaments berufen, die es funktional für eine Teilhabe am Bereich politischer Leitentscheidungen als besonders geeignet erscheinen läßt. Während der Regierung im organisatorischen Sinne ein umfangreicher Bestand an personellen, sachlichen Mössle, Regierungsfunktionen des Parlaments, S. 104. Hesse spricht vom "politischen Kern" der Regierungsfunktion. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 15. Auflage, 1985, S. 203; vgl. zum Begriff des "Politischen": Obermeier, Die schlichten Parlamentsbeschlüsse, Diss. München 1965, S. 87ff. 95 Smend, Die politische Gewalt im Verfassungsstaat, Festgabe für W. Kahl, 1923 Bd. III, S. 16. 96 Mössle, S. 105. 97 Vgl. Mössle, S. 105ff; Luhmann spricht von der Steuerung des politischen Systems durch die öffentliche Meinung; Luhmann, Politische Planung, 1971, S. 17. 98 Stern weist dem Parlament deshalb als "Forum der Nation" eine besondere kommunikative "Repräsentationsfunktion" zu, die er neben die klassischen Parlamentsfunktionen stellt; Stern, Staatsrecht II, S. 47; vgl. auch Wulf Damkowski (Hrsg.), Der parlamentarische Untersuchungsausschuß, 1987, S. 79. 99 Darauf beruht aber die Präponderanzthese Böckenfördes, AöR 103 (1978), 1 (6ft); zur Kritik an dieser These vgl. Staupe, Gesetzesvorbehalt, S. 123; vgl. auch bereits Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 199. 93
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A. Privates Verhalten und parlamentarische Untersuchung
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und organisatorischen Mitteln zur Verfügung steht, der sie instand setzt, zügig auf wechselnde Lagen zu reagieren,100 vermag das Parlament im rationalen Diskurs zu wertenden Entscheidungen zu kommen, die für die Selbstdefinition des Politischen und für den Interaktionsprozeß mit der öffentlichen Meinung grundlegend sein können. Die unterschiedliche Funktion von Regierung und Parlament kann danach so verstanden werden, daß der Regierung ein struktureller Informations- und Handlungsvorsprung, dem Parlament ein struktureller Kommunikations- und Wertungsvorsprung zukommt. 101 Beide Verfassungsorgane können somit als in einem Komplementärverhältnis zueinander stehend angesehen werden, beide ergänzen sich zu einer umfassenden und effizienten Staatsleitung. Dieses über konstitutionelle Befangenheiten hinausreichende Komplementärmodell hat Friesenhahn bereits in den fünfziger Jahren als kooperative "Staatsleitung zur gesamten Hand" treffend charakterisiert. 102 cd) Konsequenzen Für die hier in Frage stehende Kompetenzreichweite des Parlaments haben die vorgenannten Überlegungen zwei Konsequenzen. Zum einen läßt sich die Parlamentsfunktion nicht auf die klassische Dreiteilung Legislation, Kreation und Kontrolle begrenzen. Dem Parlament steht es zu, auch mit seinen diskursiven Mitteln, d. h. durch bloße parlamentarische Erörterung oder schlichte Beschlußfassung, in den Staatsleitungsprozeß einzugreifen, gesellschaftliche Themen politisch zuzuspitzen und wertend Stellung zu nehmen. Zum anderen leidet das Parlament auch bei dieser Aufgabenwahrnehmung wie bei der Gesetzgebung und Exekutivkontrolle - unter dem allgemeinen Informationsdefizit der Legislative, die über keinen originären Zugang zur gesellschaftlichen Wirklichkeit verfügt wie etwa die Regierung mit Hilfe ihres administrativen Apparats. Man würde daher dem Parlament eine ihm für seine gesamte Aufgabenwahrnehmung eingeräumte Kompetenz in einem zunehmend wichtiger werdenden Bereich aus der Hand nehmen, wenn man ihm den punktuellen Einsatz seiner scharfen Informationserhebungswaffe in der gesellschaftlichen Sphäre verweigerte. Dieser Bereich ist nicht staatsfrei in dem Sinne, daß politische Instanzen sich nicht mit Informationen daraus versorgen dürften. Gesellschaftliche Prozesse oder Konflikte können nur dann ins Politische (und damit ins Entscheidbare) transformiert werden, wenn eine ausreichende Informationsgrundlage besteht. Zur besonderen Funktion des Untersuchungsrechts im Rahmen der Repräsentations-, Kommunikations- und Leitungsaufgabe des Parlaments zählt auch - und dies sollte keineswegs als systemfremd betrachtet werden - die 100 101 102
BVerfGE 68, 1 (87). Vgl. Magiera, S. 232ff. Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), S. 38.
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1. Teil: Kompetenzen und Befugnisse
politische, mitunter propagandistische Zielsetzung des Verfahrens. Parlamentarische Untersuchung i.S.d. Art. 44 GG heißt Aufklärung von Sachverhalten unter politischen Gesichtspunkten 103 mit gewollter Beteiligung der Öffentlichkeit. 104 Da es zur Regierungs- und Leitungsaufgabe des Parlaments zählt, auf Entwicklungen und Ereignisse im gesellschaftlichen Bereich zu reagieren, kann kein Zweifel bestehen, daß Art. 44 Abs.l S. 1 GG Untersuchungen im gesellschaftlichen und privaten Raum im Grundsatz als Ermächtigungsnorm mit abdeckt, sofern ein erkennbarer politischer Bezug besteht. Dieser teleologischen Auslegung stehen weder Wortlaut noch Entwicklungsgeschichte der Norm noch der Verfassungskontext entgegen. Versuche, die Enquetekompetenz auf eine bloße Exekutivkontrolle zu reduzieren, lassen sich deshalb de lege lata nicht begründen. lOS IV. Grenzen parlamentarischer Entschließungs- und Untersuchungskompetenz 1. Externe Schranken
Wie jede staatliche Kompetenz ist auch das Untersuchungsrecht im gesellschaftlichen und privaten Bereich begrenzt. Für den Rechtsschutz Privater ist es von erheblicher Bedeutung, sich dieser Grenzen zu vergewissern. In Betracht kommen dabei zunächst diejenigen Beschränkungen, die jeder staatlichen Gewalt, die Freiheitsrechte zu tangieren vermag, auferlegt sind. Zu denken ist dabei an die Schutzwirkung der Grundrechte, die insbesondere im durch Art. 19 Abs. 2 GG geschützten Kernbereich als absolute Sperre wirken,l06 an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der eine Abwägung von öffentlichem Interesse und Individualrechten erfordert,107 sowie an innerstaatliche Kompetenzkonkurrenzen. 108 Letztere Begrenzung besteht insoweit, als andere durch die Verfassung positiv geregelte Kompetenzen nicht tangiert werden dürfen und darüber hinaus das Parlament in die durch das Prinzip der Gewaltenteilung garantierten Kernbereiche der jeweils anderen Teilgewalten nicht eindringen darf. 109 Hilf, NVwZ 1987, 537 (538). Die Öffentlichkeit nimmt teil an den stattfindenden Verhandlungen. Diese Anteilnahme ist publizistisch mitunter höher einzuschätzen als der Abschlußbericht an das Plenum. Vgl. Damkowski (Hrsg.), Der parlamentarische Untersuchungsausschuß, 1987, S.146. 105 Arndt, der bereits zur Zeit des 45. DJT sich prononciert für die reine Exekutivkontrolle eingesetzt hatte, war sich dessen bewußt und hat deshalb de lege ferenda argumentiert. Vgl. Arndt, Reform der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, DRiZ 1964, 290 (292). 106 Vgl. BVerfGE 67,100 (143). 107 Vgl. dazu unten Kapitel G. IU. 108 Schleich, S. 75ff. 103
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A. Privates Verhalten und parlamentarische Untersuchung
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2. Die immanente Grenze des "öffentlichen Interesses"
In den Bereich der Kompetenzbestimmung des parlamentarischen Untersuchungsrechts im engeren Sinne fallen diejenigen Grenzen, die sich aus der Ratio des Enqueterechts selbst ergeben, Grenzen mithin, die diesem Recht immanent gezogen sind. Als immanente und absolut wirkende Schranke kommt dabei das Merkmal des "öffentlichen Interesses" in Betracht. 110 Eine Enquete wird nach h. M. nur dann für zulässig gehalten, wenn der Untersuchungs gegenstand von öffentlichem Interesse ist. 111 Das Gewicht dieses Kriteriums variiert mit der jeweiligen Kompetenzbewertung parlamentarischer Untersuchungsausschüsse. Faßt man die Kompetenz des Untersuchungsausschusses restriktiv auf, so kommt dem öffentlichen Interesse nicht mehr als die Bedeutung eines zusätzlichen Regulativs zu, legt man eine weite Zuständigkeit des Parlaments, bis in den gesellschaftlichen und privaten Bereich hinein, zugrunde, erlangt das Merkmal des "öffentlichen Interesses" eine wesentliche Bedeutung als immanentes sachliches Begrenzungskriterium. ll2 Untersuchungen im Privatbereich deuten prima facie eher auf das Fehlen öffentlichen Interesses hin, so daß es besonderer Umstände bedarf, um vom Vorliegen dieses Merkmals ausgehen zu können. Der Begriff des "öffentlichen Interesses" läßt sich definitorisch ähnlich schwer in den Griff bekommen wie der des "Politischen". 113 Als Ansatzpunkt wurde in der einschlägigen Literatur eine wenig aussagekräftige Negativbestimmung vorgeschlagen, wonach ein Gegenstand dann im öffentlichen Interesse steht, wenn er nicht zur Privatsphäre zählt. 114 Dieser negative Definitionsversuch orientiert sich an einer allgemeinen Bestimmung dieses Begriffs im öffentlichen Recht, wonach das öffentliche Interesse durch seine "Ausrichtung auf das Anliegen der Allgemeinheit, auf das gesamtgesellschaftliche, von subjektiver Interessiertheit zu trennende, objektivierte Interesse (an einem Sachverhalt) geprägt iSt."115 109 So darf das Parlament nicht im organisatorischen Bereich der Regierung die "Initiativgewalt des Staates" durch seine Tätigkeit lähmen. Stern, Staatsrecht I, S. 968; Linck sieht diese Grenze des Entschließungsrechts in Art. 79 Abs. 3 GG: "Die Entschließungskompetenz von Parlamenten ist dabei gegenständlich ebenso weit wie ihre Gesetzgebungskompetenz; nach den obigen Ausführungen also nur durch Art. 79 IU GG begrenzt." Linck, ZRP 1987, 11 (13); Hilf, NVwZ 1987, 537 (542). 110 Schleich spricht von der ersten "Zulässigkeitsvoraussetzung". Schleich, S. 32; vgl. auch Maunz, in: MaunzjDürig, Art. 44 Rz. 19; v. Mangoldt j Klein, Grundgesetz Kommentar, S. 945; Kipke, S. 45. 111 Müller-Boysen, Die Rechtsstellung des Betroffenen vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß, 1980, S. 121; Böckenförde, AöR 103 (1978), 1 (14 f); Maunz, in: MaunzjDürig, Art. 44 Rdnr. 19; Achterberg, S. 446; Scholz, AöR 105 (1980), 564 (594); a.A.: Mengel, EuGRZ 1984, 97 (99). 112 Memminger, DÖV 1986, 15 (22). 113 "Zur Undeterminierbarkeit" dieses BegritTs vgl. Rupp, Wohl der Allgemeinheit und ötTentliche Interessen-Bedeutung der Begriffe im Verwaltungsrecht, in: Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Band 39, 1968, S. 116tT. 114 Vgl. Kipke, S. 45; vgl. auch bereits Rosenberg, 34. DJT, Bd. I, S. 1 (9).
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1. Teil: Kompetenzen und Befugnisse
Im Grunde bezeichnet diese Formulierung inhaltlich jedoch nicht mehr als die vorgängige Erkenntnis, daß das Öffentliche vom Privaten zu trennen ist, führt demnach über die negative Formel nicht hinaus. Auch die damit zusammenhängende allgemeine Einsicht, daß die Dichotomie von "privat" und "öffentlich" als Reflex der Beziehung von Staat und Gesellschaft nur eine sprachliche Chiffre für die Suche nach Ordnungen sei, in denen die Freiheit aller mit Gemeinschaftsinteressen zusammen bestehen kann,116 hilft als konkrete Lösungsvorgabe nicht weiter. Sinnvoller erscheint es, einen normativen Ansatzpunkt zu wählen und von da aus Erweiterungen vorzunehmen. Es gibt Gegenstände, die durch normative Zuweisungen als Aufgaben unmittelbarer oder mittelbarer Staatsverwaltung zu erkennen sind. Die gesamte Palette der Ausführung von Gesetzen durch Behörden und der Regierungsbereich zählen zu den genuin öffentlichen Materien, so daß bei Untersuchungen, in deren Mittelpunkt das Verhalten von Behörden oder politischen Kräften bei der Erfüllung dieser Aufgaben steht, privates Verhalten als Annex von diesem öffentlichen Interesse erfaßt werden kann. 117 Problematisch dagegen sind Gegenstände, die keinen unmittelbaren Staatsbezug 118 aufweisen, die im normativen Sinne weder der staatlichen Organisation noch staatlicher Aufgabenerfüllung zuzurechnen sind. Derartige Materien, die ausschließlich oder ganz überwiegend im privaten oder gesellschaftlichen Bereich angesiedelt sind, können kein normativ vermitteltes öffentliches Interesse in sich tragen. Solche Materien können nur faktisch von öffentlichem Interesse sein. Diese Differenzierung gilt es zu beachten, wenn das immanente Begrenzungsmerkmal diskutiert wird. 119 Privaten Materien fehlt nicht nur ein normativer Zurechnungspunkt zur staatlichen Sphäre, der grundrechtlieh ausgeformte Freiheitsschutz privater Betätigung spricht eher für das Gegenteil. Nur das Additiv öffentlicher Anteilnahme an privaten oder gesellschaftlichen Angelegenheiten, die in öffentlicher Debatte, in Publikationen und Diskussionen von Ereignissen Ausdruck findet, kann Privatmaterien zu Gegenständen öffentlichen Interesses machen. Böckenförde weist auf die Bedeutung faktischer Anteilnahme hin: "Ein öffentliches Interesse liegt demgemäß nicht nur dann vor, wenn sich Vorgänge auf als solche bestimmte und anerkannte öffentliche Angelegenheiten beziehen, sondern auch dann, wenn irgendwelche Vorgänge tatsächlich das Interesse und die Aufmerksam115 Kipke, a.a.O.; v. Münch, Verwaltung und Verwaltungsrecht im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, in: Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl., 1986, S. 6f. 116 Stol/eis, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, VerwArch 65 (1974), S. 1 (27). 117 Vgl. BayVerfGH, NVwZ 1986, 822 (824f.). 118 Vgl. zum Staatsbezug privater, gemeinwirtschaftlicher Unternehmen: LG Frankfurt, NJW 1987, 787 (788). 119 Insbesondere Böckenförde und Vetter weisen auf diese Unterscheidung hin. Vgl. Böckenförde, AöR 103 (1978), 1 (15); Vetter, DÖV 1987,426 (430).
A. Privates Verhalten und parlamentarische Untersuchung
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keit der oder einer begrenzten Allgemeinheit erregen. Was alle (auch im Rahmen einer begrenzten Allgemeinheit) angeht und bewegt, erhält eben dadurch, daß es alle angeht und bewegt, öffentlichen Charakter und tritt aus der nur persönlichen oder privaten Sphäre heraus." 120
Würde ein öffentliches Interesse nur dann bejaht, wenn ein Gegenstand normativ dem öffentlichen Bereich zugewiesen ist,121 wäre die politische Willens bildung nicht mehr frei, neue öffentliche Materien zu bestimmen. Die Emissionen eines Industrieunternehmens beispielsweise mögen zu Beginn des Jahrhunderts als Privatangelegenheit angesehen und mit Hilfe der Nachbarschaftsbestimmungen des BGB geregelt worden sein, durch die - in öffentlicher Diskussion - erfolgte Sensibilisierung der öffentlichen Meinung handelt es sich heute um eine öffentliche Angelegenheit. Parteien, Parlament und Regierung haben - neben der öffentlichen Meinung - das Recht und die Aufgabe, gesellschaftliche Phänomene zu thematisieren und sie als "politisch relevante Vorgänge des öffentlichen Lebens"122 zu deklarieren. Der Zusammenhang zwischen öffentlicher Anteilnahme resp. Erörterung und der Natur eines Gegenstandes ist nicht auflösbar, eine Gegenüberstellung, wie sie Schleich vornimmt,123 deshalb nicht durchzuhalten. Vielmehr scheint es so, daß der Stellenwert des Parlaments innerhalb des Meinungsbildungsprozesses mitunter ausreicht, eine beliebige Materie allein durch die faktische Befassung mit ihr zum Gegenstand öffentlichen Interesses zu machen. l24 An diesem Argumentationspunkt setzt nun allerdings auch die abweichende Meinung an, die das Begrenzungsmerkmal des "öffentlichen Interesses" für zumindest obsolet hält. Wenn es letztlich im Belieben des Parlaments steht, ein öffentliches Interesse durch parlamentarische Erörterung selbst zu erzeugen, wäre in der Tat jede Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zugleich die Erfüllung des Merkmals "öffentliches Interesse". "Wenn eine Diskussion im Parlament über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses begonnen wird, dann steht spätestens zu diesem Zeitpunkt das Thema, mit dem sich der Ausschuß auf Wunsch der ihn fordernden Abgeordneten beschäftigen soll, im öffentlichen Interesse, um so mehr, wenn das Plenum seine Einsetzung beschließt." 125 Böckenförde, AöR 103 (1978), 1 (15). Schleich spricht mißverständlich davon, daß "der zu behandelnde Gegenstand nach objektiven Kriterien für Staat und Gesellschaft von Bedeutung sein muß". Schleich, S. 32. Dabei wird übersehen, daß die Grenzlinie zwischen den Ansichten von Böckenförde und Schleich nicht zwischen den Merkmalen objektiv versus subjektiv verläuft, sondern zwischen genuin (normativ) öffentlichen Angelegenheiten und Angelegenheiten, die erst durch öffentliche Debatte in den Bereich des Öffentlichen gezogen werden. 122 OVG Saarlouis, NVwZ 1987, 612. 123 Schleich, a.a.O. 124 Vgl. Böckenförde, a.a.O.; zu dem ähnlich gelagerten Umstand, daß das Parlament durch kontroverse Diskussion einen Gegenstand zu einem "wesentlichen" im Sinne der Wesentlichkeitstheorie machen kann; vgl. Kisker, Neue Aspekte im Streit um den Vorbehalt des Gesetzes, NJW 1977, 1313 (1318). 125 Mengel, EuGRZ 1984, 97 (99). 120 121
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1. Teil: Kompetenzen und Befugnisse
Dieser Einwand ist jedoch überspitzt. Die Befassung des Parlaments mit einer Materie löst zwar regelmäßig eine mehr oder minder größere öffentliche Resonanz aus, es sind jedoch auch Fälle denkbar, bei denen diese Resonanz ausbleibt. Wenn klar erkennbar ist, daß nachweisbare Anteilnahme und Aufmerksamkeit in Medien oder nennenswerten Bevölkerungsquantitäten fehlen, die Zwecke des Untersuchungsverfahrens mißbräuchlich sind und die Untersuchung nicht einer Bewältigung gesellschaftlicher 'Probleme nach politischen Entscheidungsmustern dient, kann das öffentliche Interesse trotz Einsetzung eines Untersuchungsausschusses nicht gegeben sein. Das öffentliche Interesse fehlt auch dann, wenn eine Enquete aus propagandistischen Gründen durchgeführt wird, obwohl der Sachverhalt offenkundig ist und insoweit keiner Aufklärung bedarf.1 26 Allerdings weist Linck zu Recht daraufhin, daß der Zweck eines Begrenzungsmerkmals staatlicher Gewaltausübung, dem Schutz Privater zu dienen, durch die Möglichkeit des Parlaments öffentliche Anteilnahme selbst zu initiieren, kaum noch zu erfüllen ist. 127 Darüber hinaus werfen der politische Charakter der Frage, wann ein Gegenstand öffentliches Interesse erregt, und das Fehlen geeigneter normativer Maßstäbe Zweifel an der vollen Justitiabilität dieses Begrenzungsmerkmals auf. 128
v.
Ergebnis
Aus der Perspektive des Rechtsschutz suchenden Bürgers - sei es eine natürliche Person, ein privates Wirtschaftsunternehmen oder ein sonstiger Personenzusammenschluß - ist das gefundene Ergebnis wenig befriedigend. Eine parlamentarische Untersuchung im Privatbereich mit ihren vielfältigen öffentlichen Resonanzen, die die Gefahr von Individualrechtsverletzungen in sich birgt, kann mit Kompetenzargumenten kaum abgewehrt werden. Je profilierter sich ein Einzelner im öffentlichen Leben engagiert hat, je erfolgreicher und bedeutender ein Unternehmen ist, desto eher besteht ein öffentliches Interesse im jeweiligen Privatbereich parlamentarisch zu untersuchen. Andererseits ist es aus der Sicht des Parlaments und seines verfassungsrechtlich verbürgten Untersuchungsrechts unumgänglich, die Frage, womit sich ein Parlament beschäftigen darf, nicht vorschnell einer restriktiven Judikatur zu übergeben. Der Judikative fehlt in diesem Punkt, von einer Willkürkontrolle abgesehen, die gewaltenteilige Autorisierung. Rechtskontrolle muß dort stattfinden, wo rechtliche Beurteilsmaßstäbe vorhanden sind. Dies ist bei der Überprüfung von Einzelmaßnahmen des Uiltersuchungsausschusses weit eher der Fall als bei der Kompetenzfrage. Für die Rechtsschutzgewährung ist es deshalb von Bedeutung, welche Befugnisse dem Untersuchungsausschuß gegen126 127
128
BayVGH, NVwZ 1986, 822 (824). Linck, ZRP 1987, 11 (14). Vgl. dazu unten Kapitel E und G.
B. Enquetebefugnisse im privaten und gesellschaftlichen Bereich
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über Privaten zustehen und welche Verfahrensbeteiligungsrechte der Betroffene geltend machen kann.
B. Enquetebefugnisse im privaten und gesellschaftlichen Bereich I. Die Bedeutung der Beweiserhebungsbefugnisse
Untersuchungsausschüsse dienen der Informationsbeschaffung des Parlaments. Das Untersuchungsrecht ist deshalb in erster Linie ein Instrument zur unabhängigen Tatsachenermittlung. 1 Da ein Untersuchungsausschuß anders als andere Ausschüsse oder Enquetekommissionen des Bundestages auch über Eingriffs- und Zwangsbefugnisse gegenüber Dritten verfügt, ist das Untersuchungsrecht eine exzeptionelle Erscheinung im Staatsorganisationsrecht und steht quer zum Gewaltenteilungsgrundsatz. 2 Allerdings wird diese im Hinblick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz dysfunktionale Struktur des Untersuchungsrechts dadurch entschärft, daß dem Untersuchungsverfahren kein zwangbewehrtes Ergebnis nachfolgt. Der Abschlußbericht des Ausschusses mag belastend für den Betroffenen sein, er besitzt aber keine rechtstechnische Eingriffsintensität wie ein Strafurteil oder ein belastender Verwaltungsakt, weil er nicht intentional nach außen, sondern auf das Binnenverhältnis zwischen Untersuchungsausschuß und Parlamentsplenum gerichtet ist. 3 Von dem Abschlußbericht abgesehen - gegen den ein gerichtlicher Rechtsschutz generell durch Art. 44 Abs. 4 GG ausgeschlossen ist -liegt der Schwerpunkt der unmittelbaren Betroffenheit Privater in einzelnen Verfahrensmaßnahmen des Ausschusses, in erster Linie in dem selbständig belastenden Gehalt einzelner Beweiserhebungsakte. Schon quantitativ ist in diesem Bereich die Mehrzahl der Streitigkeiten zwischen Untersuchungsausschuß und Privaten angesiedelt. 4 Neben Gewichtungs- und Abwägungsfragen zwischen öffentlichem Untersuchungsinteresse und betroffenen Individualrechten (insbesondere Grundrech1 Maunz, in: Maunz/ Dürig, Art. 44 Rdnr. 20; Schleich, S. 19; Partsch spricht von einem "Organ zur objektiven Feststellung von Tatsachen". Partsch, Gutachten, S. 201. 2 "Seine (seil. des Untersuchungsrechts) besondere Eigenart liegt aber darin, daß ein Parlamentsorgan - der Untersuchungsausschuß - mit Machtbefugnissen ausgestattet ist, die dem Parlament als solchem sonst nicht zustehen und die sonst nur anders strukturierten Staatsorganen - nämlich den Gerichten anvertraut zu werden pflegen ... ". Partsch, Gutachten, S. 13. 3 Ob er sich gleichwohl durch seine Ergebnisse und Wertungen belastend auf einen Dritten auswirkt, kann nur im Rahmen einer Definition des Eingriffsbegriffs entschieden werden. Vgl. dazu unten Kapitel E.II.2. 4 Vgl.BVerfG, NJW 1984, 1345; BVerfG, DÖV 1984, 759; BVerwG, BayVBI. 1981,214; BayVGH, BayVBI. 1981,209; StGH Bremen, DÖV 1970, 386; OVG Berlin, DVBI. 1970, 293; OVG Koblenz, NVwZ 1986, 575; FG Hamburg, NVwZ 1986, 598.
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1. Teil: Kompetenzen und Befugnisse
ten) spielt traditionell eine wesentliche Rolle, welche Beweiserhebungsbefugnisse dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß zustehen. 5 Den Schwerpunkt möglicher Auseinandersetzungen bilden dabei Konflikte über das Aussageverweigerungsrecht betroffener Privatpersonen und die Beschlagnahme von Akten oder Geschäftsunterlagen. 6 11. Die normative Grundlage des Beweiserhebungsrechts Daß den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen des Bundes Beweiserhebungsrechte zustehen, ergibt sich bereits aus der das Untersuchungsrecht konstituierenden Norm. Art. 44 Abs.1 Satz 1 GG bestimmt, daß der Untersuchungsausschuß die erforderlichen Beweise erhebt. Zur Konkretisierung dieser Beweiserhebungsrechte bedient sich Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG des Mittels der Gesetzesverweisung, indem er die "sinngemäße Anwendung" der Vorschriften über den Strafprozeß anordnet. Diese Verweisungssystematik auf das strafprozessuale Verfahren stand von vornherein unter der Kritik der einschlägigen Literatur.? Auf Bundesebene stellt Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG mit seiner Verweisung auf die Regeln des Strafprozesses die einzige normative Grundlage für die Bestimmung der Enquetebefugnisse mit Rechtswirkung nach außen dar. Versuche, ein Verfahrensgesetz zu verabschieden, das die zustehenden Befugnisse des Untersuchungsausschusses regelt, sind bislang nicht erfolgreich gewesen. 8 Die Geschäftsordnung des Bundestages, Verfahrensbeschlüsse des eingesetzten Untersuchungsausschusses selbst oder die sogenannten IPA-Regeln,9 die regelmäßig zur Grundlage des Verfahrens der einzelnen Untersuchungsausschüsse gemacht wurden 10, haben nur für die interne Verfahrensgestaltung 5 Dies stand schon während des ersten Untersuchungsausschusses der Weimarer Republik zur Kriegsschuldfrage neben der Kompetenzfrage im Vordergrund. Vgl. dazu Kaufmann, Untersuchungsausschuß und Staatsgerichtshof, 1920. Die geladenen Zeugen verweigerten mit dem Hinweis auf fehlende Befugnisse sowohl die Aussage als auch die Ablegung des Eides. Vgl. Rinck, DVBI. 1964,706 (707). . 6 Vgl. Beschlußempfehlung und Bericht des 3. Untersuchungsausschusses "NEUE HEIMAT" - Drs. 10/6779 S. 218. 7 Kaufmann, S. 29; Heck, S. 54; Lammers, HDStR II, S. 454 (470): " ... eine wenig glückliche Fassung, die den Keim von Zweifeln und Streitfragen von vornherein in sich trägt und in der praktischen Handhabung des Untersuchungsrechts die größten Schwierigkeiten bietet." Aus der neueren Literatur vgl. Schleich, S. 20; Maunz, in: Maunz / Dürig, Art. 44 Rdnr. 49f.; Schäfer, Der Bundestag, 4. Auflage, 1982, S. 280; vgl. auch BT-Drs. VI/3829, S. 17 (Zwischenbericht der Enquete-Kommission). 8 Vgl. für die 5. Wahlperiode den "Entwurf eines Gesetzes über Einsetzung und Verfahren von Untersuchungsausschüssen des Bundestages" - Drs. V /4209 - , insbesondere § 13 des Entwurfs; für die 10. Wahlperiode Drs. 10/6587, insbesondere § 16 des Entwurfs. 9 Hinter dem Begriff IPA-Regeln verbirgt sich im wesentlichen das Regelwerk des Gesetzentwurfs der 5. Wahl- periode - Drs. V /4209 - der von einer interfraktionellen Arbeitsgruppe ausgearbeitet wurde; vgl. Kipke, S. 34. 10 Vgl. Troßmann, ParJamentsrecht, § 63 Rdnr. 16.3.
B. Enquetebefugnisse im privaten und gesellschaftlichen Bereich
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Bedeutung l l und entfalten keine Außenwirkung. Private können aus internem Parlamentsrecht keinerlei subjektive Rechtspositionen herleiten. 12 Angesichts der spärlichen normativen Grundlage des Verfahrensrechts parlamentarischer Untersuchungsausschüsse des Bundes steht die Interpretation des Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG im Vordergrund der Bestimmung einzelner Beweiserhebungsbefugnisse. 13
III. Zeugnispflicht und Betroffenenstatus 1. Meinungsstand
Die Rechtsstellung Privater vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß wird wesentlich von der Frage bestimmt, wann die Aussage verweigert werden darf und wie die Zeugnispflicht, die mit der ordnungsgemäßen Ladung ausgelöst wird 14, mit der Rolle des Betroffenseins zum Ausgleich zu bringen ist. Die sinngemäße Anwendbarkeit der Vorschriften über den Strafprozeß legt nahe, daß der strafprozessuale Grundsatz gilt, wonach eine Beweisperson nur dann verpflichtet ist, Auskunft über die Wahrnehmung von Tatsachen zu geben, wenn sich das Strafverfahren nicht gegen sie selbst richtet (Nemo-TeneturPrinzip).1s In der Literatur wurde in der Vergangenheit diskutiert, ob es im parlamentarischen Untersuchungsverfahren überhaupt einen Betroffenen geben könne, der mit dem Angeklagten des Strafprozesses vergleichbar wäre. Trotz der vorhandenen Strukturunterschiede zwischen Untersuchungsverfahren und Strafverfahren - vor allem der Beschränkung auf den Erkenntnisprozeß im Untersuchungsverfahren - ist die Meinung vertreten worden, das Nemo-TeneturPrinzip gelte in allen Verfahren, wo es sich um individualisierbare Vorwürfe der Verletzung objektiven Rechts handelt. 16 Die Gegenansicht weist sowohl aus formellen Gründen 17 als auch mit materiellen Erwägungen die pauschale Stern, AöR 109 (1984), 199 (299). Diese Frage spielte eine Rolle in dem "NEUE-HEIMAT"-Untersuchungsverfahren des 10. Deutschen Bundestages, soweit die Beteiligungsrechte der betroffenen BGAG im Streit waren; aVG NW, DVBI. 1987, 98ff; vgl. dazu unten Kapitel C. 13 Schon in der Weimarer Zeit war dieses Problem Gegenstand einer Dissertation. Vgl. Schachtel, Die sinngemäße Anwendung der Strafprozeßordnung auf das Verfahren der Untersuchungsausschüsse, Diss. Heidelberg 1927. 14 Geller/Kleinrahm, LVerfNW, Art. 41 Anm. 11 c) bb). 1S Kleinknecht / Meyer, StPO, 37. Auflage, 1986, vor§ 48 Rdnr. 1; Müller-Boysen, S. 90. 16 So bereits Schachtel, S. 25; Alsberg, 34. DJT, S. 376ff.; aus neuerer Literatur insbesondere Gol/witzer, Der Betroffene im Verfahren der Untersuchungsausschüsse des Bayrischen Landtages, BayVBI. 1982, 420. 17 "Was das Recht zur Auskunftverweigerung betrifft, so gibt es bei der parlamentarischen Untersuchung grundsätzlich keinen Beschuldigten und damit auch kein generelles Aussageverweigerungsrecht für Beschuldigte." Geiler / Kleinrahm, Landesverfassung NW, Art. 41, Anm. 11 c bb; vgl. auch Halstenberg, S. 100; Cordes, S. 87f. 11
12
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1. Teil: Kompetenzen und Befugnisse
Gewährung des Aussageverweigerungsrechts zurück. Hingewiesen wird darauf, daß der Betroffene eines Untersuchungsverfahrens "keine Verurteilung durch den Ausschuß zu befürchten" hat. 1B 2. Die Bedeutung des Verweisungsbegriffs "sinngemäß" für das Zeugnisverweigerungsrecht
Angesichts der noch nicht eindeutigen Haltung des Gesetzgebers 19 wird bei der gegenwärtigen Rechtslage eine Lösung des Problems im Sinne des Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG nur aus Überlegungen zur "sinngemäßen" Anwendbarkeit strafprozessualer Regeln zu gewinnen sein. Das einschränkende Merkmal der nur "sinngemäßen" Anwendbarkeit der strafprozessualen Vorschriften stellt die Heterogenität beider Verfahren in Rechnung. Insbesondere in ihrer Zielsetzung unterscheiden sich Strafverfahren und Untersuchungsverfahren gravierend. Vor allem ist danach zu fragen, inwieweit strafprozessuale Befugnisnormen - oder entsprechende Gegenrechte des Betroffenen - mit dem Wesen des Untersuchungsausschusses als Teilorgan des Bundestages und dem Aufklärungsauftrag zu vereinbaren sind. 20 Sinngemäße Anwendung der strafprozessualen Regeln bedeutet demnach vor allem, daß Beweiserhebungsrechte und Gegenrechte in den Sinn- und Zweckzusammenhang des Untersuchungsverfahrens passen müssen. 2l Ob dem Betroffenen im Untersuchungsverfahren ein Aussageverweigerungsrecht zusteht, hängt deshalb davon ab, aus welchen Gründen die strafprozessualen Regeln dieses Gegenrecht zulassen und ob diese Gründe im Untersuchungsverfahren ebenso gegeben sind. Das strafprozessuale Aussageverweigerungsrecht stellt angesichts des hohen Stellenwerts der Zeugenaussage im Erkenntnisverfahren einen Aufklärungsverzicht des Staates dar, der nur mit der unmittelbar drohenden Verschlechterung der Rechtsstellung des Beschuldigten zu rechtfertigen ist. Nicht mit dieser rechtsstaatlichen Notwendigkeit vergleichbar ist der Fall, daß im parlamentarischen Untersuchungsverfahren der Betroffene durch die Aussage Rechtsnachteile durch die Publizität des Verfahrens erleidet. Nur dann, wenn die Voraussetzungen des § 55 StPO vorliegen, d. h. eine Strafverfolgung in gleicher oder anderer Sache aufgrund der Aussage im parlamentarischen Untersuchungsverfahren droht oder ein solches Verfahren bereits anhängig ist 22 , kann Schleich, S. 50. Die Tendenz der eingebrachten Entwürfe und der rPARegeln geht in Richtung eines generellen Aussageverweigerungsrechts des Betroffenen. Vgl. § 15 ur 1 des Entwurfs eines Gesetzes über Einsetzung und Verfahren von Untersuchungsausschüssen des Deutschen Bundestages, - BT-Drs. 10/6587. 20 Vgl. dazu Schleich, S. 20, der allerdings das Merkmal "sinngemäß" als Kristallisationspunkt mehrerer Schranken des Untersuchungsrechts zu überschätzen scheint. 21 Vgl. dazu auch Schatz, AöR 105 (1980), 564 (592). 22 Gleiches gilt auch im Falle einer Richter- oder Präsidentenanklage. V gl. BG H, NJW 1960, 1960 (1961). 18
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B. Enquetebefugnisse im privaten und gesellschaftlichen Bereich
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der Betroffene mit Aussicht auf Erfolg sich auf das Aussageverweigerungsrecht berufen,23 weil insoweit die sinngemäße Anwendung der Beschuldigten-Schutzvorschriften angesichts der möglichen Verschlechterung seiner Position im Strafprozeß geboten ist. 24 Auch verfassungsunmittelbar läßt sich ein generelles Aussageverweigerungsrecht des Betroffenen nicht herleiten. Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG schützen zwar im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen letzten unantastbaren Bereich menschlicher Freiheit der jeder öffentlichen Gewalt entzogen ist 25 , eine solche Eingriffsintensität wird - zumindest innerhalb einer kompetentiell zulässigen Enquete - aber nur dann erreicht, wenn eine strafrechtliche Verurteilung droht. In der Praxis der Tätigkeit parlamentarischer Untersuchungsausschüsse des Bundes scheint auch nach dieser Differenzierung verfahren worden zu sein. So hat der 3. Untersuchungsausschuß des 10. Deutschen Bundestages ("NEUE HEIMAT"-Untersuchungsausschuß) sowohl partiell als auch generell Aussageverweigerungen gemäß § 55 StPO zugelassen. 26 IV. Die Beschlagnahme von Privat- und Geschäftsunterlagen 1. Bestandsaufnahme
a) Bedeutung des Beschlagnahmerechts
Je komplexer aufzuklärende Materien gestaltet sind, desto mehr tritt die Bedeutung persönlicher Wahrnehmung von Zeugen gegenüber der Beweiskraft von Urkunden, Schriftstücken und vor allem Geschäftsunterlagen (Aufsichtsratsprotokolle, Bilanzen, Vermerke, Kassenbelege etc.) zurück.27 Das Ziel einer Untersuchung kann bei politisch und wirtschaftlich schwer überschaubaren und verschachtelten Materien mitunter nur dann erreicht werden, wenn die Aufklärung mit Hilfe von Privat- und Geschäftsunterlagen erfolgt. Eine Instanz - ob gerichtlich oder parlamentarisch - die Zugriff auf die Geschäftsunterlagen eines Unternehmens nehmen kann, greift allerdings nicht unerheblich in geschützte Rechtspositionen (Art. 14, 12 GG) ein und gibt dem Verfahren insbesondere im Falle der Beschlagnahme oder Durchsuchung eine besondere Schärfe. 28 Es nimmt deshalb nicht wunder, daß sowohl das Recht der So zutreffend Schleich, S. 53; Müller-Boysen, S. 117. Andernfalls würde seine rechtsstaatlich garantierte Verteidigungsposition im gerichtlichen Verfahren entwertet. Vgl. Geiler / Kleinrahm, LVerfNW, Art. 41 Anm. 11 c) bb). 2S Vgl. Müller-Boysen, S. 116f. 26 BT-Drs. 10/6779 S. 36. 27 Das BVerfG sieht schriftliche Fixierungen bei der Untersuchung politischer Vorgänge auch deshalb als besonders wichtig an, weil das Gedächtnis von Zeugen "aus mancherlei Gründen unergiebig" werden kann.BVerfGE 67, 100 (132). 23
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4 Di Fabio
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1. Teil: Kompetenzen und Befugnisse
Beschlagnahme und Durchsuchung sowie der Herausgabeanspruch von Behördenakten mit privatem oder geschäftlichem Inhalt Gegenstand zahlreicher Kontroversen waren und sind. 29 Von den Anfängen des Untersuchungsrechts in Deutschland bis auf den heutigen Tag war und ist es umstritten, ob man dem Untersuchungsausschuß die scharfe Waffe des Beschlagnahmerechts (verbunden mit dem Durchsuchungsrecht) zubilligen sollte oder nicht. Die Argumentationsfiguren sind dabei teilweise gleich geblieben, teilweise haben sie sich vom Formalen zum Inhaltlichen verschoben. Im folgenden soll die Debatte seit der Weimarer Zeit in Grundzügen rekonstruiert und für eine Beurteilung fruchtbar gemacht werden. b) Die Weimarer Debatte
Die klassischen Grundlinien der älteren (Weimarer) Debatte verliefen längs der Fragen, ob man zwischen Beweiserhebung und Beweissicherung unterscheiden müsse - wobei die Beweissicherung dann als genuines Mittel des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens angesehen wurde, zu dem es im parlamentarischen Untersuchungsverfahren keine Parallele gebe 30 - und ob der öffentliche Zweck des Untersuchungsverfahrens ähnlich gravierende Eingriffe wie der Strafanspruch des Staates rechtfertige. 31 Eingebettet waren diese Fragen in den Auslegungskontext des damaligen Art. 34 Abs. 3 WRV und das Problem wie die sinngemäße Verweisung auf die StPO ~u verstehen sei. Die Meinungsmehrheit neigte in dieser Zeit dazu, die Anordnung der "nur" sinngemäßen Verweisung als einschränkendes Merkmal zu verstehen - dem Untersuchungsausschuß sollten nicht alle Mittel des Strafprozesses zustehen, entweder weil diese Mittel spezifisch auf den repressiven Teil des Strafrechts (dem Strafen) zugeschnitten seien oder der hohe Stellenwert des Strafzwecks bestimmte Eingriffe erlaube, nicht aber der Zweck eines Untersuchungsverfahrens. Eine Rolle in der Frage, ob das Beschlagnahmerecht zum Befugnisarsenal parlamentarischer Untersuchungsausschüsse zählen sollte, spielte in der Weimarer Zeit auch die Entstehungsgeschichte des Art. 34 Abs. 3 WRV. Die 28 Dies gilt ebenso im Bereich des Aktenvorlageanspruchs gegenüber der Exekutive, die vor allem im 1. Untersuchungsausschuß des 10. Dt. Bundestages ("Flick"-Untersuchungsausschuß) eine wesentliche Rolle spielte. Vgl. BVerfGE 67, 100ff.; Stern AöR 109, S. 199ff.; Löwer, DVBI. 1984, 757ff. 29 Im Gegensatz zum Beschlagnahme- und Durchsuchungsrecht wird der Aktenvorlageanspruch dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß allerdings nicht grundsätzlich abgesprochen, sondern nur mit Gegenrechten operiert. Vgl. Stern, AöR 109 (1984), S. 199ff; FG Hamburg, NVwZ 1986, 598. 30 Schachtel, S. 35ff.; Lammers, HDStR II, S. 472; Rosenberg, 34. DJT, S. 19; die Gegenposition vertrat dezidiert vor allem Heck, S. 64. 31 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 14. Aufl. 1933, Art. 34 Anm. 8 b; Schachtel, S. 34.
B. Enquetebefugnisse im privaten und gesellschaftlichen Bereich
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Befürworter einer Beschlagnahmebefugnis stellten zunächst auf den Wortlaut des Art. 34 Abs. 3 WRV ab und wiesen darauf hin, daß die gesetzliche Bezugnahme auf den Schutz des Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnisses obsolet wäre, wenn sämtliche Mittel zur Beweisverschaffung (insbesondere die Mittel der Durchsuchung und der Beschlagnahme) parlamentarischen Untersuchungsausschüssen ohnehin nicht zuständen. 32 Diese auf einem argurnenturn e contrario gestützte Auslegung des Art. 34 WRV wurde wiederum mit der Entstehungsgeschichte des Art. 34 zu entkräften versucht. Der Passus über das Brief- und Fernmeldegeheimnis sei bereits in die Vorschrift eingefügt worden, bevor von einer Anwendbarkeit der StPO überhaupt die Rede gewesen sei. 33 Größere Bedeutung erlangte jedoch der Streit, ob der Verfassungsgeber bei der Aufnahme der sinngemäßen Verweisungsvorschrift bewußt insofern zwischen Beweiserhebung und Beweissicherung unterschieden hatte, als daß Eingriffsbefugnisse, die zur Beweissicherung zählten, von vorneherein ausgeklammert gewesen wären. 34 Noch in jüngster Zeit wurde mit der Entstehungsgeschichte des Art. 34 WRV zu' belegen versucht, daß die Unterscheidung von Beweiserhebungs- und Beweissicherungsrechten vom damaligen Verfassungsgeber gewollt gewesen sei. 3s Demgegenüber hat schon Heck aus den Protokollen der Nationalversammlung entnommen, daß der Verweis auf die StPO ohne Bewußtsein seiner Tragweite in den Verfassungstext aufgenommen worden sei.36 In der Tat geben die Protokolle für die Annahme einer Unterscheidung von Beweiserhebung und Beweissicherung in den Debatten nichts herY Maßgeblicher Grund für die Aufnahme der Verweisungsregelung war die gesehene Notwendigkeit, dem Untersuchungsausschuß auch Zwangsmittel, insbesondere zur Durchsetzung der Zeugnispflicht, an die Hand zu geben. 38 Aus dem Umstand, daß nicht ersichtlich ist, daß dabei an die ganze Palette strafprozessualer Möglichkeiten gedacht worden ist, kann nicht auf eine gewollte Beschränkung geschlossen werden. Vielmehr ist ja der Verweis auf die StPO als Durchsetzungsmittel, also als positive Befugniseinräumung dem 32 Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, 1922, S. 614; Stier-Somlo, Deutsches Rechts- und Landesstaatsrecht, Bd. 1, 1924, S. 592; Heck, S. 64; vgl. auch Halstenberg, S. 124. 33 Schachtel, S. 36. 34 So z.B. Rosenberg, 34. DJT 1926, S. 1 ff. 35 Vgl. dazu Meyer, Rechtsgutachten III, S. 65ff.; vgl. auch LG Frankfurt, NJW 1987, 787 (788). 36 Heck, S. 54. 37 Vgl. VIII. Verfassungsausschuß der Nationalversammlung vom 8.04.1919, Protokolle S. 664ff. - Drs.Nr. 391. 38 Vgl. Schachtel, S. 36; Lammers, HDStR II, S. 454 (471); Hatschek, Bd. I, S. 616f.
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1. Teil: Kompetenzen und Befugnisse
Untersuchungsrecht beigefügt worden. Bei genauerem Hinsehen fällt auch auf, daß innerhalb der Weimarer Debatte diejenigen, die ein Beschlagnahmerecht ablehnen, letztlich aus der unterschiedlichen Zweckrichtung von Strafverfahren und Untersuchungsverfahren argumentieren, also nicht auf die Entwicklungsgeschichte sich berufen. 39 Das Beschlagnahmerecht wurde in seinem ganzen Wesen als auf kriminalistische Zwecke ausgerichtet angesehen und sollte von dem öffentlichen Zweck eines Untersuchungsausschusses nicht in gleicher Weise getragen werden. 40 c) Die Debatte nach 1949
Auch die Entstehungsgeschichte des Art. 44 Abs. 2 GG wurde dafür in Anspruch genommen zu belegen, daß die Palette der EnquHebeweiserhebungsmittel nicht Beweissicherungsmittel, sondern nur den Zeugenbeweis umfaßte. 41 Art. 57 Abs. 2 Herrenchiemseer Verfassungsentwurf (HChE) deutet allerdings in eine ganz andere Richtung. Er lautet: "Der Untersuchungsausschuß und die von ihm ersuchten Behörden können in entsprechender Anwendung der Strafprozeßordnung die erforderlichen Beweise erheben, auch Zeugen und Sachverständige vorladen, vernehmen, beeidigen und das Zwangsverfahren gegen sie durchführen. Das Postgeheimnis bleibt unberührt. Die Gerichts- und Verwaltungsbehörden sind verpflichtet, einem Ersuchen des Ausschusses um Beweiserhebung, Beweissicherung, Auskunft oder Aktenvorlage Folge zu leisten."
Dieser Entwurfsvorschlag konkretisiert die in Satz 1 programmatisch vorangestellte Funktion der Beweiserhebung als Oberbegriff für Beweiserhebung (im engen prozessualen Sinne), der Beweissicherung und der Einholung von Auskünften sowie das Recht, Aktenvorlage zu verlangen. Das hier formulierte Beweiserhebungsrecht, das durch das Wort "auch" besonders die Rechte gegenüber Zeugen hervorhebt, geht offensichtlich davon aus, daß es neben diesem zwangsbewehrten Beweiserhebungsrecht noch andere gibt. Diese Form des Absatzes 2 im Verfassungsentwurf wurde in den Beratungen des Organisationsausschusses nicht deshalb einer Überarbeitung unterzogen, weil man gegen die Einbeziehung der Beweissicherung in den Befugniskatalog gewesen wäre, sondern weil die Formulierung:i!u umständlich, zu breit angelegt war und deshalb als verfehlt angesehen wurde. 42 Eine bewußte Entscheidung gegen die Einräumung der Beschlagnahmebefugnis resp. die Formulierung "Beweissicherung" ist den entsprechenden Dokumenten nicht zu entnehmen. 43 Vgl. insbesondere Schachtel, S. 36 f; Lammers, HDStR II, S. 454 (472). Vgl. dazu unter 2. 41 Meyer, Rechtsgutachten III, S. 65. 42 OrgA, 20. Sitzung vom 05.11.1948, Steno Prot. S. 26ff. (40); Drs. Nr. 265 V. 05.11.1948. 43 So auch LG Frankfurt, NJW 1987, 787 (788); die gegenteilige Behauptung Meyers ist unbelegt, vgl. Meyer, Rechtsgutachten III, S. 65f. 39
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B. Enquetebefugnisse im privaten und gesellschaftlichen Bereich
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Autoren, die ein Beschlagnahmerecht parlamentarischer Untersuchungsausschüsse ablehnen, gehen denn auch weniger auf die Entstehungsgeschichte des Art. 44 GG ein, sondern setzen mit den Argumenten der ehemals als herrschend bezeichneten Lehre 44 die Diskussion fort. 45 Die Durchmusterung der einschlägigen Literatur ergibt gegenüber der Weimarer Zeit insbes~mdere bei Anhängern einer restriktiven Interpretation der Befugnisse parlamentarischer Untersuchungsausschüsse keine sachlich neuen Argumente.-«i Sowohl der bereits von Anschütz eingeführte Gedanke, daß der kriminalistische Zweck des Strafverfahrens wesensverschieden von dem Enquetezweck sei und deshalb das typisch kriminalistische Beschlagnahme- und Durchsuchungsrecht nicht auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren passe, wurde weiter fortgeführt 47 als auch die Differenzierung zwischen Beweiserhebung und Beweissicherung. 4S Bereits bei Balstenberg und zunehmend in neuerer Literatur löste man sich allerdings sowohl von der Entstehungsgeschichte als auch von den eingefahrenen Argumentationsmustern der Weimarer Zeit und zentrierte sich mehr auf eine sachliche Interpretation dessen, was unter "sinngemäßer" Verweisung auf die Strafprozeßregeln zu verstehen sei. 49 Insbesondere in der Rechtsprechung wurden seit der Entscheidung des StGB Bremen aus dem Jahre 1970 deutliche Tendenzen sichtbar, zum Befugnisarsenal des Enqueterechts auch das Beschlagnahmerecht zu zählen. d) Rechtsprechung
Verbindliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage, ob die Befugnisse parlamentarischer Untersuchungsausschüsse des Bundes das Recht der Beschlagnahme umfassen, steht noch aus. Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 5.11.1986 50 hat im Eilverfahren die Zulässigkeit der Beschlagnahme bereits präjudiziert und läßt deshalb eine baldige Beilegung dieser Streitfrage erwarten. Neben der bereits erwähnten Entscheidung des StGB Bremen s1 hat das Bundesverfassungsgericht in zwei Fällen eine Ausle44 Die Zusammenstellung der divergierenden Meinungen bei Halstenberg deutet eher auf einen quantitativ ausgeglichenen Meinungsstand hin. Halstenberg, S. 125. 45 So besonders Cordes, S. 62fT.; vgI. auch von Mangoldt/Klein, S. 948; Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 44 Rdnr. 59. 46 VgI. Maunz, in: Maunz / Dürig, Art. 44 Rdnr. 59; von M angoldt / Klein, S. 948; Hamannj Lenz, Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 3. Auflage 1977, Art. 44 Anm. D 3; Bleibtreuj Klein, Grundgesetz Kommentar, 6. Aufl. 1983, Art. 44, Rdnr. 8; Versteyl, in: von Münch, Grundgesetz-Kommentar, Art. 44 Rdnr. 19. 47 Pfander, NJW 1970, 315. 48 VgI. die Übersicht über den Argumentationsgang bei Schleich, S. 26. 49 VgI. Halstenberg, S. 122; Gollwitzer, Die sinngemäße Anwendung der StPO bei der Bewirtschaftung parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, Festschrift Dünnebier, 327 (329); Fenk, S. 45; Kipke, S. 54ff.: Schleich, S. 20. 50 NJW 1987, 770. 51 StGH Bremen, DÖV 1970, 386 & NJW 1970, 1309.
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1. Teil: Kompetenzen und Befugnisse
gung von Landesverfassungen dahingehend, daß Landesuntersuchungsausschüssen das Beschlagnahmerecht zusteht, für verfassungsgemäß erklärt. S2 Darüber hinaus ist das Beschlagnahmerecht von Untersuchungsausschüssen des Bundestages implizit vom 0 VG NWS3 und ausdrücklich vom LG FrankJurt S4 bejaht worden, so daß bereits davon gesprochen wird, daß die Rechtsprechung das Recht zur Beschlagnahme und Durchsuchung weitgehend anerkannt hat. S5 Der StGH Bremen hat in seiner Entscheidung vom 17.04.1970 sich mit der Frage befaßt, ob Art. 105 Abs. 6 Satz 2 Landesverfassung durch die eingeräumte Befugnis, "Beweise (zu) erheben", das Durchsuchungs- und Beschlagnahmerecht mit garantiert. 56 Das Judikat setzt sich zunächst mit den das Beschlagnahmerecht ablehnenden Stimmen der Weimarer Zeit auseinander und weist darauf hin, daß die starre Trennung zwischen Beweiserhebung und Beweissicherung letztlich auf eine verengte Auslegung des Begriffs Beweiserhebung zurückzuführen sei. Das Gericht führt an, daß auch Zeugenladungen und Zeugniszwang nicht zum eigentlichen Vorgang der strafprozessualen Beweiserhebung zählten, gleichwohl sie einhellig unter den verfassungsrechtlichen Begriff der Beweiserhebung subsumiert würden. 57 Die Entscheidung wird im wesentlichen allerdings durch ein teleologisches Argument getragen, nämlich daß der Wortlaut und Zweck der Verfassungsnorm auf die "vollständige Sachaufklärung" zielt und dafür alle "erforderlichen" Beweismittel dem Untersuchungsausschuß einräumt. Angesichts dieser Zweckvorgabe kommt es für den StGH nur darauf an, ob "die Zwangsmittel der Beschlagnahme und Durchsuchung für eine vollständige Sachaufklärung durch den Untersuchungsausschuß unentbehrlich" sind. 58 Über den Umweg einer strafprozessualen Analyse des Zwecks von Durchsuchung und Beschlagnahme bejaht dies das Gericht. S9 In jüngster Zeit haben Vorprüfungsausschüsse des Bundesverfassungsgerichts (jetzt Kammern)60 über die Auslegung einschlägiger Landesverfasssungsnormen entschieden. Ohne selbst die fachgerichtliche Auslegung der Verfassungsvorschriften einer Überprüfung zu unterziehen 61 , hat das Gericht aus der BVerfG, NJW 1984, 1345; BVerfG, DÖV 1984, 759. OVG NW, DVBI. 1987, 100 (101). 54 LG Frankfurt, NJW 1987, 787 (788). 55 Hilf, NVwZ 1987, 537 (541). 56 StGH Bremen, DÖV 1970, 386. 57 StGH Bremen, DÖV 1970, 386. 58 A.a.O. 59 A.a.O. S. 386f.: das Gericht führt weiter aus, warum die Durchsuchung und Beschlagnahme nur durch einen Richter angeordnet werden kann; VgI. dazu unten F.Ul. (j() VgI. §§ 15a, 93b BVerfGG. 61 Dies hätte nur am Maßstab der Landesverfassungen erfolgen können, so daß insoweit eine Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts nicht gegeben war. 52 53
B. Enquetebefugnisse im privaten und gesellschaftlichen Bereich
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Perspektive des Grundgesetzes die Auslegung von Art. 25 Abs. 2 Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg durch die Gerichte des Ausgangsverfahrens, die ein Beschlagnahmerecht des Untersuchungsausschusses bejahen, für vertretbar 62 , insbesondere für nicht willkürlich 63 gehalten. Unter den ordentlichen Gerichten hat sich das LG Frankfurt im Rahmen des "NEUE-HEIMAT"-Untersuchungsverfahrens am eingehendsten mit der Frage befaßt, ob das Beschlagnahmerecht einem Untersuchungsausschuß zusteht, weil diese Frage für den Ausgang des Rechtsstreits entscheidungserheblich war. 64 Das Gericht gelangt nach Erörterung der Entstehungsgeschichte des Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG und Referierung des Meinungsstandes zu dem Ergebnis, daß die Möglichkeit, auf Urkunden gegen den Willen des Verwahrers notfalls im Wege der Beschlagnahme zuzugreifen, "ein unerläßliches Mittel der Sachverhaltserforschung" sei. 65 2. Die Auslegung des Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG im Normkontext des Art. 44 GG
Betrachtet man die fast 7 Jahrzehnte währende Auslegungsmühe zur Frage, was "sinngemäße Anwendung" der strafprozessualen Regeln bedeutet, so fällt auf, daß eine Klärung überwiegend nur im engen Rahmen des Verhältnisses von Untersuchungsverfahren und Strafverfahren versucht worden ist, ohne auf den Normzusammenhang der das Untersuchungsrecht statuierenden Verfassungsnorm einzugehen. Ein Grund für diese Beschränkung liegt sicherlich in einer falschen Weichenstellung der Interpretation seit den 20er Jahren. Der bedeutende und einflußreiche Verfassungsrechtler Anschütz hat mit seiner auf die Restriktion der Enquetebefugnisse zielenden Definition dessen, was als Kern der "sinngemäßen Anwendbarkeit" strafprozessualer Regeln zu verstehen sei, die Diskussion auf eine eingeschränkte Problemformulierung festgelegt, die bis in die heutige Kommentarliteratur hinein unhinterfragt geblieben ist: 66 "Nur diejenigen Vorschriften des Strafprozesses sind anzuwenden, die dem Sinn des Verfahrens vor dem Untersuchungsausschuß entsprechen. Der Sinn des Verfahrens vor dem Untersuchungsausschuß ist es, hinsichtlich des Gegenstandes der Untersuchung die Wahrheit zu erforschen, nicht aber einen Verbrecher der Bestrafung zuzuführen. Das parlamentarische Untersuchungsverfahren ist keine Strafgerichtsbarkeit. Es wäre BVerfG, DÖV 1984, 760. BVerfG, NJW 1984, 1345. 64 Der "NEUE-HEIMAT"-VA (3. VA des 10. DBT) hatte beim Amtsgericht Frankfurt die Beschlagnahme von Aufsichtsratsprotokollen sowie Geschäfts-, Jahresund Sozialberichten beantragt. Gegen den stattgebenden Beschluß hatte die betroffene Holding Beschwerde beim Landgericht u. a. mit der Begründung eingelegt, ein Beschlagnahmerecht stünde dem Vntersuchungsausschuß nicht zu. Vgl. LG Frankfurt, NJW 1987, 787ff. 65 LG Frankfurt, NJW 1987, 787 (789). 66 Vgl. dazu auch StGH Bremen, DÖV 1970, 386. 62
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1. Teil: Kompetenzen und Befugnisse nicht sinngemäß, sondern sinnwidrig, würde man den Untersuchungsausschüssen gestatten, bei ihrer Tätigkeit Befugnisse anzuwenden, die sozusagen rein kriminalistisch konstruiert, die in ihrer ganzen Wesensart durch den Strafverfolgungszweck, dem sie dienen, wenn auch nicht ausschließlich, so doch spezifisch bestimmt sind."67
Mit dieser Definition ist eine bestimmte Perspektive prädeterminiert. Aus der Sicht des Strafverfahrens wird dem Untersuchungsverfahren nicht nur eine letztlich geringere öffentliche Bedeutung als dem Strafverfahren unterstellt, sondern zum Maßstab der Auslegung wird die Normzweckstruktur der StPO erhoben. Demgegenüber ist in neuester Zeit auf den dogmatischen Gehalt der Gesetzesverweisung zu Recht rekurriert und von der engen Fixierung auf den (durch die StPO) bestimmten Begriff der "Beweiserhebung" abgegangen worden. 68 Die Verweisung als gesetzestechnisches Vereinfachungsmittel bedient sich des Zusatzes "entsprechend" oder "sinngemäß", um unsachgemäße Gleichsetzungen mit den in Bezug genommenen Rechtssätzen zu verhindern. 69 Konkretisiert bedeutet dies für das parlamentarische Untersuchungsverfahren: "Die einschlägigen Vorschriften der Strafprozeßregeln sind im Untersuchungsverfahren uneingeschränkt und unverändert anwendbar, soweit dies objektiv möglich ist"70 und wenn dadurch der Sinn des Untersuchungsverfahrens nicht verändert wird. "Sinngemäß" i.S.d. Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG bedeutet, daß die Regeln über den Strafprozeß heranzuziehen sind, insoweit sie eine wirkungsvolle Erfüllung des Untersuchungsauftrags ermöglichen. 71 Orientierungsmaßstab ist nicht die ratio legis der betroffenen Verfahrensregeln, sondern die Sinnvorgabe des Art. 44 GG.72 Geht man von der generellen Zwecksetzung des Untersuchungsverfahrens zur Tatsachenermittlung 73 aus, so liegt auf der Hand, daß beispielsweise die Anordnung von Untersuchungshaft oder Einziehung von Gegenständen im parlamentarischen Untersuchungsverfahren nicht möglich ist, weil diese Maßnahmen durch den Zweck der Tatsachenermittlung nicht gedeckt sind und somit den Charakter des Untersuchungsverfahrens unzulässig veränderten. Dem Untersuchungsausschuß sind nach diesem Ansatzpunkt alle in den Strafprozeßregeln vorgesehenen Befugnisse verliehen, die erforderlich sind, um eine vollständige Tatsachenermittlung zu ermöglichen. 74 Genau an diesem Punkt Anschütz, Kommentar, Art. 34 WRV, Anm. 8b. 68 Vgl. Gollwitzer, in: Festschrift Dünnebier, S. 329. 69 Vgl. Larenz, Methodenlehre, 1983, S. 250; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, 1970, S. 78. 70 Kipke, S. 58. 71 Hilf, NVwZ 1987, 537 (540). 72 Keßler, AöR 88 (1963), 313 (316). 73 Vgl. oben 1. 74 So schon Halstenberg, der den Auslegungsgrundsatz wählte, daß dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß alle unentbehrlichen (aber auch nur diese) Zwangsmittel zur Verfügung stehen müßten. Halstenberg, S. 128. 67
B. Enquetebefugnisse im privaten und gesellschaftlichen Bereich
57
liegt die Crux der Diskussion um die Befugnisse parlamentarischer Untersuchungsausschüsse. Es ist jeweils funktionsadäquat zu fragen, ob der Untersuchungsausschuß zur Tatsachenermittlung auf eine bestimmte, in den Strafprozeßregeln vorgesehene Zwangs befugnis angewiesen ist. Diese Fragestellung koppelt die Auslegung des Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG an den Normgehalt des Art. 44 Abs. 1 GG, der den Untersuchungsausschüssen einräumt, die erforderlichen Beweise :zu erheben. Die Anhänger einer restriktiven Auslegung der Verweisung auf strafprozessuale Regeln haben in diesem zentralen Punkt eine bezeichnende Inkonsequenz an den Tag gelegt. Die Monographie Schachteis zur sinngemäßen Anwendung der StPO unter der Geltung des Art. 34 WRV liefert bereits zu Beginn der Arbeit eine Definition des Begriffs der "Erhebungen". "Die Erhebung von Beweisen geschieht mit den rechtlich anerkannten Beweismitteln: Zeugen, Sachverständigen, Urkunden und Augenscheinsobjekten. Alles was die Erhebung, d. h. die Herbeischaffung und die Auswertung dieses Beweismaterials betrifft, ist Gebiet der Strafprozeßordnung."75
Mit dieser Definition, die den Beweiserhebungen wie selbstverständlich auch die Herbeischaffung der Beweismittel zurechnet, wird zum Ausdruck gebracht, daß ohne Beschaffung von Beweismitteln regelmäßig auch keine Verwertung der Beweise erfolgen kann. Es scheint einigermaßen weltfremd, dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß zwar einerseits Beweismittel wie den Urkundenbeweis zuzugestehen, aber andererseits ihm die Möglichkeit zu nehmen, sich in den Besitz von Urkunden oder Gegenständen gegen den Willen des Gewahrsamsinhabers zu setzen. Es kann weder von einem Bürger noch von einem privaten Unternehmen erwartet werden, möglicherweise kompromittierende Unterlagen an den parlamentarischen Untersuchungsausschuß freiwillig herauszugeben; ohne das Zwangsmittel der Beschlagnahme wird auf ein im Einzelfall möglicherweise entscheidendes Beweismittel zur Tatsachenfeststellung verzichtet. Die bedauernde Feststellung Schachteis zu dieser wohl kaum mit der das Untersuchungsrecht konstituierenden Verfassungsnorm in Einklang zu bringenden Konsequenz, liest sich heute wie eine Reminiszenz an eine vergangene (parlamentskritische) Zeit: " Bedauerlich ist allerdings, daß der Untersuchungsausschuß sich insbesondere wichtige Urkunden, abgesehen von Briefen und Postsachen, aus Privatbesitz nicht unbedingt verschaffen kann. Indessen wird er natürlich freiwillig dargebotenes Material verwerten sowie Private um freiwillige Vorlegung von Urkunden angehen dürfen."76
Die in der älteren Weimarer Debatte angelegte Tendenz, Befugnisse parlamentarischer Untersuchungsausschüsse auf eine Beweisaufnahme im Sinne der §§ 244ff. StPO zu reduzieren, führt im Ergebnis nicht nur zu einer je nach dem Aufklärungsziel mehr oder minder großen Lähmung der Aufklärungskraft des 75
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Schachtel, S. 14. Schachtel, S. 39.
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1. Teil: Kompetenzen und Befugnisse
Untersuchungsausschusses, sondern mißachtet auch den Normkontext des Art.44GG (Art. 34WRV). Dieses Ergebnis wird dann vermieden, wenn die Auslegung des Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG nicht aus der Perspektive der Strafprozeßordnung erfolgt, sondern sich an Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG orientiert, d. h. von dem Begriff der "erforderlichen Beweiserhebung" ausgeht. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Perspektivenwechsel gegenüber älteren Ansichten in seiner Entsc.heidung vom 17.07.1984 zum Umfang des Aktenvorlageanspruchs eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses ausdrücklich festgeschrieben. Hinsichtlich einer funktionsadäquaten Auslegung des Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG führt das Gericht aus: "Auszugehen ist zunächst vom Sinn und Zweck des parlamentarischen Untersuchungsverfahrens (Art. 44 Abs. 1 GG). Von daher ist jeweils zu prüfen, welche strafprozessualen Vorschriften heranzuziehen und in welchem Umfang sie anzuwenden sind. Mithin bleibt das in Abs. 1 verankerte Recht zur Erhebung der erforderlichen Beweise so, wie es Sinn und Zweck des Untersuchungsausschusses erfordert, für die Anwendung der Vorschriften des Strafprozesses beherrschend."77
Damit ist ein klares Wort gesprochen. Nicht der vorgeblich höhere Zweck des Strafverfahrens 78 determiniert die Auslegung des Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG, sondern der verfassungsrechtliche Sinngehalt des Art. 44 GG insgesamt, insbesondere der grundlegende Absatz 1 Satz 1. Die Bedeutung des Begriffs der "erforderlichen" Beweise (Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG) erschließt sich nur aus der Perspektive, die von dem Aufklärungszweck der Untersuchung sich leiten läßt. Erforderlich sind diejenigen Beweise und Beweismittel, die unerläßlich sind, einen Sachverhalt befriedigend aufzuklären. Auch hierzu hat das BVerfG Stellung bezogen. "Wenn der Untersuchungsausschuß die erforderlichen Beweise erheben kann, so ergibt sich schon aus dieser Wortwahl die Befugnis, in den Grenzen des seiner Tätigkeit zugrundeliegenden Parlamentsbeschlusses diejenigen Beweise zu erheben, die er für erforderlich hält. "79
Dieser Gedanke bezieht sich nicht nur auf die Auswahl zwischen mehreren, in Betracht kommenden Beweismitteln im tatsächlichen Sinne (also ob beispielsweise der Zeuge A oder B vernommen wird), er setzt auch voraus, daß dem Untersuchungsausschuß auch diejenigen Beweismittel rechtlich zur Verfügung stehen, die eine effektive Sachverhaltsaufklärung erst ermöglichen. Zu diesen Beweismitteln zählt ohne Frage auch das Beschlagnahmerecht nach §§ 94ff. StPO.
77 BVerfGE 67, 100 (128) (Flick-Entscheidung). 78 Beide Verfahren finden ihren Zweck in der im öffentlichen Interesse stattfindenden Wahrheitssuche. Vgl. Lässig, Beschränkungen des Beweiserhebungsrechts parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, DÖV 1976, 722 (728). 79 BVerfGE 67, 100 (128).
B. Enquetebefugnisse im privaten und gesellschaftlichen Bereich
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3. Ergebnis
Die Auslegung des Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG ergibt, daß das Beschlagnahmerecht im Sinne der §§ 94 ff. StPO zu den durch Art. 44 Abs. 2 Satz 1 i. V.m. Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß eingeräumten Befugnissen zählt. Dieses Ergebnis wird weder durch die Entwicklungsgeschichte der Norm noch durch unterschiedliche Zweckvorgaben von Strafverfahren und Untersuchungsverfahren widerlegt.
V. Durchsuchungsrecht Das Durchsuchungsrecht (§§ 102ff. StPO) wird gemeinhin mit dem Beschlagnahmerecht in einem Zuge genannt und als Befugnis des parlamentarischen Untersuchungsausschusses mit ihm gemeinsam abgelehnt oder bejaht. 80 Allerdings hat es auch den Versuch gegeben, in Betracht kommende Zwangsbefugnisse nach der Schwere des Eingriffs zu differenzieren und daraus unterschiedliche Ergebnisse herzuleiten. Aus diesem Blickwinkel bejaht Halstenberg eine Beschlagnahmebefugnis, hält jedoch ein Durchsuchungsrecht für nicht gegeben. 81 Durch eine solche Differenzierung wird allerdings der dogmatische Ausgangspunkt verwischt. Die Frage der Zuordnung von Befugnissen orientiert sich primär nicht an der Schwere des Eingriffs, sondern an der verfassungsmäßigen Vorgabe, ob ein in den Strafprozeßregeln vorgesehenes Zwangsmittel erforderlich ist, um den U.ntersuchungsauftrag zu erfüllen. Insoweit scheidet eine a-limine-Ablehnung des Durchsuchungsrechts aus. Vielmehr ist im Einzelfall zu fragen, ob die Durchsuchung tatsächlich erforderlich ist, um bestimmte Tatsachen festzustellen und ob dabei grundrechtliche oder rechtsstaatliche Grundsätze - insbesondere das Verhältnismäßigkeitsprinzip - eingehalten werden. 82 Weil eine richterliche Beschlagnahmeanordnung nicht aus sich heraus mit einem Durchsuchungsrecht verbunden ist, sondern nach den §§ 102 ff. StPO dann gleichzeitig angeordnet werden muß, wenn Gegenstände in Wohn- oder Geschäftsräumen aufgefunden werden sollen, die der Beschlagnahme unterliegen,83 würde die Ablehnung des Durchsuchungsrechts die effektive Durchsetzung der Beschlagnahmebefugnis in vielen Fällen blockieren. Eine Trennung dieser Befugnisse wäre demnach systemwidrig. Das für das Beschlagnahmerecht gefundene Ergebnis gilt ebenso für das Durchsuchungsrecht 84 ; die Vgl. Schleich, S. 25ff.;BVerjG, DÖV 1984,759 (769); StGH Bremen, DÖV 1970, 386. So vor allem Halstenberf(, S. 126ff. 82 Vgl. dazu unten Kapitel G. III. 83 Kleinknecht / Meyer, StPO, 37. Aufl., vor § 94 Rdnr. 3. 84 So auch Schleich, S. 28; StGH ,Bremen DÖV 1970, 386, der zu Recht nur die Durchsuchung nach § 102 StPO, nicht aber die nach § 103 StPO ablehnt. 80 81
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1. Teil: Kompetenzen und Befugnisse
Berücksichtigung der unterschiedlichen Eingriffsschwere erfolgt innerhalb der im Einzelfall vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung. Da ein Durchsuchungsbeschluß im Gegensatz zur genau bezeichneten Einzelbeschlagnahme eine größere belastende Streuwirkung entfalten kann,85 kann die Eingriffsintensität des Durchsuchungsbeschlusses die einer Beschlagnahme übertreffen. Dieser Umstand vermag im konkreten Einzelfall im Rahmen einer Rechtsgüterabwägung besonderes Gewicht zu entfalten, er kann jedoch nicht zu einer grundsätzlichen Ablehnung des Durchsuchungsrechts führen. B6
85 Von der Durchsuchung können immerhin Gegenstände betroffen sein, die der absolut geschützten Privatsphäre zuzurechnen und deshalb nicht beschlagnahmefähig sind. 86 So auch Ge/lerjKleinrahm, LVerfNW, Art. 44 Anm. 11 c) bb).
2. TEIL
Verfahrensbeteiligung und Verfahrensrecht
c.
Rechtsschutz durch Verfahrensbeteiligung I. Widerstreitende Interessen
Das Rechtsschutzprinzip findet nicht nur durch die nachträgliche Kontrolle mittels eines unabhängigen Richters seinen Niederschlag, sondern es "drückt sich auch in der rechtlichen Durchordnung und Formung des Verwaltungsverfahrens sowie in bestimmten Verfahrensgarantien aus."l Die Gewährung und die Einhaltung von Verfahrensbeteiligungsrechten können auch als eine Art von vorverlagertem Grundrechtsschutz gesehen werden 2 , jedenfalls verlangt die Effektivität des Rechtsschutzes eine Vorverlagerung in das jeweilige Entscheidungsverfahren. 3 Unabhängig von der Frage, ob das Untersuchungsverfahren als Verwaltungsverfahren qualifiziert werden kann,4 trifft der allgemeine Rechtsgedanke des Rechtsschutzes durch Verfahrensbeteiligung auch die Situation im parlamentarischen Untersuchungsverfahren. Natürliche oder juristische Personen des Privatrechts, die sich durch eine parlamentarische Untersuchung mittelbar oder unmittelbar zum Gegenstand einer Enquete gemacht sehen, haben ein erhebliches Interesse daran, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt und möglichst umfassend individuelle Rechtspositionen im laufenden Untersuchungsverfahren zu wahren. 5 Auf der anderen Seite sind ausgeprägte Verfahrensrechte Betroffener geeignet, den Untersuchungszweck zu gefahrden, weil das Verfahren erheblich verzögert oder die Arbeit des Untersuchungsausschusses wesentlich erschwert werden kann. 6 lOssenbühl, Welche normativen Anforderungen stellt der Verfassungsgrundsatz des demokratischen Rechtsstaates an die staatliche planende Tätigkeit?, dargestellt am Beispiel der Entwicklungsplanung, Gutachten für den 50. DJT, 1974, S. 1 ff (142). Zum Zusammenhang von Verwaltungsverfahren und verwaltungsgerichtlicher Kontrolle als Elemente eines differenzierten Gesamtrechtsschutzsystems vgl. auch Schwarze, Der funktionale Zusammenhang von Verwaltungsverfahrensrecht und verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz, 1974, S. 44ff. 2 BVerfGE 53, 30 (65). 3 Vgl. Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973, S. 145 f. 4 Vgl. dazu unten Kapitel D. S Vgl. dazu Hilf, NVwZ 1987, 537 (545). 6 VG Köln, Beschluß vom 05.08.1986 4 L 958/86, S. 17 (unveröffentlicht).
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2. Teil: Verfahrensbeteiligung und Verfahrensrecht
Das Problem der Verfahrensbeteiligung Privater an einem genuin politischparlamentarischen Verfahren besteht in der Integration individueller Rechtsschutzbedürfnisse in ein strukturell nicht auf die Beteiligung Betroffener, sondern auf die Auseinandersetzung zwischen parlamentarischer Mehrheit und Minderheit programmiertes Erkenntnis- und Bewertungsverfahren. 7 Es gilt daher, das Bedürfnis nach antizipiertem Rechtsschutz durch Verfahrensbeteiligung mit den funktionalen Erfordernissen dieses besonderen Verfahrens abzustimmen. 11. Normative Grundlagen eines Verfahrensbeteiligungsanspruchs Privater 1. Einfachgesetzliche Rechtsnormen
Eine gesetzliche Regelung der Verfahrensrechte Betroffener im parlamentarischen Untersuchungsverfahren des Bundes steht gegenwärtig noch immer aus. 8 In mehreren Bundesländern gelten entsprechende, die Befugnisse des Ausschusses und die Beteiligungsrechte Betroffener zum Teil dezidiert festlegende Verfahrensgesetze. 9 Auf Bundesebene wurden bislang regelmäßig die sog. IPA-Regeln dem Untersuchungsverfahren zugrunde gelegt. 10 § 18 Abs. 1 Ziff. 4 der IPA-Regeln definiert die Rechtsfigur des betroffenen Privaten als Person, gegen die sich die Untersuchung ausschließlich oder überwiegend richtet. Diesem Personenkreis wird nach § 18 Abs. 3 der IPA-Regeln praktisch die Rechtsstellung des Beschuldigten im Strafverfahren mit eigenem Beweisantrags- und Fragerecht eingeräumt. l l Als anspruchsbegründende Norm für Private scheiden die 7 Insoweit hat das Enqueterecht parallel zum Verhältnis Parlament und Regierung - einen Funktionswandel dahingehend erfahren, daß die "Fronten" primär nicht mehr zwischen dem Untersuchungsausschuß als Parlamentsorgan versus Exekutive verlaufen, sondern zwischen Opposition auf der einen und Parlamentsmehrheit und Regierung auf der anderen Seite. Schleich, S. 81. 8 Vgl. den jüngsten Gesetzesentwurf der 10. Wahlperiode, Drs. 10/6587; zu den vorangegangenen Bemühungen: Bötsch,Das Recht parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, in: FS für Helmut Schellknecht, 1984, S. 9. 9 Baden-Württemberg: Gesetz über Einsetzung und Verfahren von Untersuchungsausschüssen des Landtages vom 03.03. 1987 (GBI. S. 194); Bayern: Gesetz über die Untersuchungsausschüsse des Bayerischen Landtages vom 23.03.1970 (GVBI. S. 95); Berlin: Gesetz über die Untersuchungsausschüsse des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 22.06.1970 (GVBI. S. 925); Bremen: Gesetz über Einsetzungen und Verfahren von Untersuchungsausschüssen vom 15.11.1982 (GBI. S. 329); Nordrhein-Westfalen: Gesetz über die Einsetzung und das Verfahren von Untersuchungsausschüssen des Landtags Nordrhein-Westfalen vom 18.12.1984 (GV NW S. 26/SGV NW 1101); Saarland: Gesetz Nr. 970 über den Landtag des Saarlandes vom 20.06.1973, §§ 38 - 59 (ABI. S. 517); zum Inhalt einzelner Gesetze in Bezug auf die Rechtsstellung des Betroffenen vgl. MüllerBoysen, S. 36ff. 10 Vgl. oben B.H. FN 9; Müller-Boysen, S. 34f.
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regelmäßig der Arbeit des Untersuchungsausschusses zugrunde gelegten IPARegeln aus, da unabhängig von ihrer Qualifizierung als (Innen-)Rechtssatz ihre Normvalenz den Organbereich des Parlaments nicht überschreitet I2 , es sich somit wie bei Geschäftsordnungsregeln des Bundestages um reines Innenrecht handelt, aus dem Dritte, die außerhalb der organschaftlichen Beziehung stehen, keine Rechte herleiten können. I3 2. Herleitung von Beteiligungsrechten aus der Verfassung
a) Rechtliches Gehör als rechtsstaatlicher Minimalschutz
Das Grundgesetz garantiert unmittelbar als Verfahrensgrundrecht durch Art. 103 Abs. 1 GG das rechtliche Gehör im gerichtlichen Verfahren. Obwohl eine direkte Anwendung dieses Verfassungssatzes auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren ausscheidet, weil der Untersuchungsausschuß kein Gericht ist I 4, könnte der Anspruch auf rechtliches Gehör wie er in Art. 103 Abs. 1 GG normiert ist, Ausdruck eines allgemeinen, die Verfassung durchziehenden Prinzips sein. Als solcher jedes öffentlich-rechtliche Verfahren beeinflussender Grundsatz kommt das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Betracht. Is Jedes Verfahren, das von der öffentlichen Gewalt getragen wird und geeignet ist, eine Verschlechterung oder Gefährdung individueller Rechtspositionen herbeizuführen, muß eine - wie immer geartete - Beteiligungsmöglichkeit des Betroffenen bereitstellen. Ein öffentliches Verfahren, das einen Einzelnen zum Objekt von Untersuchungen macht, ohne ihm ein Äußerungsrecht zuzugestehen, gerät in die Nähe des Schutzbereichs von Art. 1 Abs. 1 GG, der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Erniedrigung des einzelnen zum bloßen Objekt öffentlicher Gewalt verhindern will. 16 Grundsätzlich obliegt es dem Gesetzgeber, individuelle Verfahrensbeteiligungsrechte auszugestalten. Fehlt eine solche Konkretisierung durch den Gesetzgeber, ist aus der Verfassung selbst als Mindestbeteiligungsrecht das Recht auf Gehör ableitbar. I7 Die Einräumung rechtlichen Gehörs wird dabei nicht nur durch Art. 103 Abs. 1 GG für das gerichtliche Verfahren garantiert, sondern läßt sich auf Art. 1 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG auch für nichtgerichtliche, öffentlich-rechtliche Verfahren 11 Die Untersuchungsausschüsse des Bundestages haben bislang allerdings in keinem Fall weder einer natürlichen noch einer juristischen Person die formelle Stellung eines Betroffenen eingeräumt. Vgl. dazu Kipke, S. 62; zu grundsätzlichen Problemen der Einräumung des Betroffenenstatus vgl. Partsch, Gutachten, S. 209 ff. 12 Achterberg, Pariamentsrecht, S. 58 f. 13 OVG NW, DVBI. 1987, S. 99; Stern, AöR 109 (1984) 199 (230); Hilf, NVwZ 1987, 537 (540);allgemein zu Geschäftsordnungen BVerfGE 1, 144 (148). 14 Vgl. die eingehende Begründung bei Müller-Boysen, S. 46ff. 1S Vgl. dazu auch Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 253. 16 BVerfGE 1,97 (104), 275 (278f.); 38, 105, 114. 17 OVG NW, DVBI. 1987,98 (99).
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2. Teil: Verfahrensbeteiligung und Verfahrensrecht
zurückführen. IB Die Anwendbarkeit des Grundsatzes rechtlichen Gehörs auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren kann nicht mit dem Hinweis abgelehnt werden, es handele sich bei dem Verfahren um ein "staatsinternes" Verfahren. Für den in einigen Punkten durchaus mit dem Untersuchungsrecht vergleichbaren Problemfeld der Rechnungsprüfung hat Haverkate einen solchen Schluß gleichwohl gezogen. Allein dem Umstand, daß das Rechnungsprüfungsverfahren nicht auf Rechtsverbindlichkeit nach außen - vor allem gegenüber dem Bürger - angelegt ist, hat Haverkate die Begründung für die Verneinung des Anspruchs auf rechtliches Gehör entnommen. 19 Er sieht die Struktur des Verfahrens gefahrdet, weil der Anspruch auf rechtliches Gehör ein Verfahren voraussetze, an dessen zeitlichem Ende ein belastender Verwaltungsakt stehe. 20 Eine solche Ansicht mag im nicht auf Öffentlichkeit gerichteten Verfahren der Rechnungsprüfung vertretbar sein, angesichts der möglichen Verletzung von Individualrechten bereits während der (öffentlichen) Beweisaufnahme ist sie auf das parlamentarische Untersuchungsyerfahren nicht übertragbar. Auch die besondere Qualität des Untersuchungsverfahrens hindert nicht die Gewährung rechtlichen Gehörs, solange dieses Recht nicht als jederzeitiges Rede- und Präsenzrecht interpretiert wird. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verbürgt allerdings "nicht mehr als ein Minimum an rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien, das so bemessen sein muß, daß er (der Betroffene) insgesamt hinreichend Gelegenheit hat, sich zu dem entscheidungserheblichen Sachverhalt zu äußern und mit seinen Äußerungen auf Gang und Ergebnis des Verfahrens Einfluß zu nehmen."21 Über diesen Mindeststandard an Verfahrensbeteiligung hinaus können dem Rechtsstaatsprinzip oder Art. 1 Abs. 1,20 Abs. 3 GG keine weitergehenden Ansprüche auf Verfahrensbeteiligung entnommen werden. Auch der verfahrensrechtliche Schutzgehalt einzelner, möglicherweise durch die parlamentarische Untersuchung betroffener Grundrechte (Art. 2 I, 12, 14 GG)22 kann nicht zur Gewährung von qualifizierten, über das Recht auf Gehör hinausgehenden Beteiligungsrechten herangezogen werden. Den Grundrechten können keine besonderen Verfahrensregeln entnommen werden, die über den rechtsstaatlichen Minimalschutz hinausgehen. Nur gemeinsam mit bestehenden einfachge18 Müller-Boysen, S. 66 und 77; zur Generierung des Rechtsstaatsprinzips über Art. 2 Abs. 1 GG zu einer subjektiv wirksamen Rechtsposition. VgI. Mauder, Der Anspruch auf rechtliches Gehör, seine Stellung im System der Grundrechte und seine Auswirkung auf die Abgrenzungsproblematik zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit, 1986, S. 10ff. 19 Haverkate, Der Schutz subjektiv-öffentlicher Rechte in der Rechnungsprüfung, AöR 107 (1982), S. 539 (550). 20 Haverkate, AöR 107 (1982), S. 539 (550f.). 21 OVG NW, DVBI. 1987,98 (99); vgI. auch BVerfGE 21, 132 (137). 22 VgI. zum verfahrensrechtlichen Gehalt der Grundrechte, Ossenbühl, Grundrechtsschutz im und durch Verfahrensrecht, in: Festschrift für Eichenberger, 1982, S. 183ff.
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setzlichen Verfahrensvorschriften kommt eine Schutzwirkung der Grundrechte im Bereich der Verfahrensausgestaltung in Betracht. 23 Das im parlamentarischen Untersuchungsverfahren gültige Prinzip rechtlichen Gehörs garantiert im einzelnen sowohl das Recht des Betroffenen über den Gang des Verfahrens informiert und mit seinem Vortrag und seinen Anregungen gehört zu werden als auch den Anspruch auf Berücksichtigung seiner Stellungnahme. 24Zumindest bei komplizierten Materien besteht auch das Recht des Betroffenen, sich durch einen Rechtsbeistand vertreten zu lassen (§ 137 StPO).25 Solange der Rechtsbeistand nicht über mehr Rechte verfügt als der Betroffene, zählt die Hinzuziehung eines Rechtskundigen zu den verfassungsrechtlich gesicherten Minimalbeteiligungsrechten. 26 Im Interesse des ungestörten Ablaufs des Untersuchungsverfahrens kann dem Betroffenen jedoch nicht die Wahl des Zeitpunkts überlassen werden, an dem er sich vor dem Untersuchungsausschuß äußert. Dem Anspruch auf rechtliches Gehör ist Genüge getan, wenn der Betroffene überhaupt angemessene Gelegenheit erhält, sich zu äußern. 27 Dabei wird man dem Ausschußvorsitzenden, der für Rechtmäßigkeit und Effizienz des Verfahrensablaufs gleichermaßen verantwortlich ist,28 ein gerichtlich nur begrenzt nachprüfbares Ermessen einräumen müssen.
b) Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG Die Bezugnahme des Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG auf die strafprozessualen Regeln sollte das Beweiserhebungsrecht parlamentarischer Untersuchungsausschüsse konkretisieren. 29 Die generalklauselartige Verweisung legt den Gedanken nahe, nicht nur die Befugnisse des Strafprozesses dem Ausschuß zuzusprechen, sondern auch dem Betroffenen die Gegen- und Beteiligungsrechte als qualifizierte - über das Recht auf Gehör hinausgehende - Verfahrensrechte zuzugestehen. 30 Als Gegen- und Beteiligungsrechte in Betracht kommen vor allem das Beweisantragsrecht (§ 219 StPO), das Fragerecht (§ 240 Abs. 2 StPO), das Recht jederzeitiger Anwesenheit (§ 226 StPO) - auch mit einem gewählten Vgl. BVerfGE 53, 30ff. Gollwitzer, BayVBl. 1982, 417 (423); Müller-Boysen, S. 79. 25 VG Hamburg, NJW 1987, 1568 ff.; vgl. auch Schleich, S. 51; Gollwitzer, in: Festschrift Dünnebier, S. 327 (339). 26 So auch Müller-Boysen, S. 87f. 27 OVG NW, DVBl. 1987, 100. 28 Zur Stellung des Ausschußvorsitzenden allgemein: Vetter, Parlamentsausschüsse im Verfassungssystem, S. 146ff. 29 Schleich, S. 20; vgl. oben B.IV.2. 30 Arloth, Grundlagen und Grenzen des Untersuchungsrechts parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, NJW 1987,808 (810f.); vgl. auch BVerfGE 67, 100 (133). 23
24
5 Di Fabio
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2. Teil: Verfahrensbeteiligung und Verfahrensrecht
Rechtsbeistand StPO).31
und das Recht zur jederzeitigen Stellungnahme (§ 257
Ob die Verweisung auf die Vorschriften des Strafprozesses die Beteiligungsrechte des Angeklagten während der Hauptverhandlung im parlamentarischen Untersuchungsverfahren mit einbezieht, ist nur über die Auslegung des Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG zu entscheiden. 32 Es kommt auch hier darauf an, ob die Einbeziehung der genannten Rechte dem Sinn und Zweck eines Verfahrens vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß entspricht. 33 Eine solche Entsprechung kann nicht bereits aus formalen Gründen verneint werden, weil es keinen "Beschuldigten" i.S.d. Strafverfahrens gebe. 34 Richtet sich eine Untersuchung ausschließlich oder ganz überwiegend gegen eine natürliche oder juristische Person, so ist deren Interessenslage punktuell durchaus mit derjenigen eines Angeklagten während der Hauptverhandlung zu vergleichen. Zu Recht jedoch ist darauf hingewiesen worden, daß die relativ starke Stellung des Angeklagten im Strafprozeß ihre Rechtfertigung letztlich aus der drohenden Sanktion ziehe. "Das Strafverfahren richtet sich grundsätzlich gegen eine bestimmte Person und unterliegt deshalb von Verfassungs wegen besonderen rechtsstaatlichen Garantien, die ein justizförmiges, in den kollidierenden Interessen ausgewogenes ("faires") Verfahren gewährleisten, dem von staatlichen Sanktionen Bedrohten ausreichende Verteidigungsmöglichkeiten sichern und verhindern sollen, daß er zum bloßen Objekt des gegen ihn gerichteten Verfahrens herabgewürdigt wird. "35
Diese vom Gegensatz des staatlichen Strafanspruchs und dem individuellen Selbstbestimmungsrecht geprägte kontradiktorische Stellung fehlt im parlamentarischen Untersuchungsverfahren 36 , kontradiktorisch stehen sich hier vor allem parlamentarische Regierungsmehrheit und Opposition gegenüber. Auch wenn das parlamentarische Aufklärungsinteresse im Einzelfall mit privatrechtlichen Positionen kollidiert, fehlt es dem Untersuchungsausschuß doch an außenwirksamen Mitteln, über die Beweiserhebung hinaus vollstreckbare Entscheidungen zu treffen oder Sanktionen zu verhängen. Ein wesentlicher Strukturunterschied liegt demnach in der fehlenden Sanktionsfinalität des Untersuchungsverfahrens, der die Übernahme der Beteiligungsrechte als nicht zwingend erscheinen läßt. 37 Zum Zeugnisverweigerungsrecht vgl. oben B.III. Es ist auffällig, daß die Literatur sich dieses naheliegenden verfassungsrechtlichen Ausgangspunktes überwiegend nicht bedient. Daraufweist Kipke, S. 61, FN 143 hin. Vgl. aber OVG NW, DVBI. 1987,99. 33 Vgl. Rechenberg, BK Art. 44 Rdnr. 22. 34 So aber Cordes, der dann allerdings den "Quasi-Beschuldigten" zuläßt; Cordes, S. 91. 35 Gollwitzer, in: Festschrift für Dünnebier, S. 332. 36 Gollwitzer, S. 333. 37 Dazu auch VG Köln, Beschluß vom 5.08.1986 4 L 958/86, S. 13. 31
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Gleichwohl hat das VG Hamburg die Ausgestaltung des Verfahrens und die Art und Weise der Beteiligung Betroffener an dem aus dem Strafrecht entliehenen Gedanken des "fairen Verfahrens" gemessen,38 so daß sich die Frage ergibt, ob dieser Grundsatz qualifizierte· Beteiligungsrechte - über das Recht auf Gehör hinaus - begründet. Das Gericht hat sich bei dem Rückgriff auf den Grundsatz des "fairen Verfahrens" auf eine Entscheidung des BVerfG berufen,39 das diesen Grundsatz als immantes Prinzip justizförmiger Verfahren verortet und daraus das Recht eines Beschuldigten abgeleitet hat, im Rahmen seiner prozessualen Befugnisse einen Anwalt seines Vertrauens hinzuzuziehen. 40 Weder das BVerfG noch das VG Hamburg haben jedoch über das Recht auf Gehör und die Hinzuziehbarkeit des Anwalts hinaus qualifizierte prozessuale Befugnisse - etwa Beweisantragsrechte - dem Grundsatz des fairen Verfahrens entnommen. Der Grundsatz des fairen Verfahrens ist weder als selbständiges Rechtsprinzip noch im Rahmen einer Auslegung von Art.44 Abs. 2 Satz 1 GG geeignet, ohne Rücksicht auf die besondere Natur des Untersuchungsverfahrens - das sich einerseits durch seinen politischen Charakter und andererseits durch mangelnde Sanktionsfinalität auszeichnet - selbständige, zusätzliche Beteiligungsansprüche zu begründen und damit die Ausgestaltung des Untersuchungsverfahrens strukturell zu bestimmen. Ausgeschlossen ist die Deduktion von qualifizierten Verfahrensbeteiligungsrechten aus Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG insbesondere, wenn eine entsprechende Rechtsgewährung das Untersuchungsverfahren dysfunktional beeinflussen würde, weil die Übernahme solcher Beteiligungsrechte in das Untersuchungsverfahren zweckwidrig und deshalb nicht "sinngemäß" wäre. Während der Sinn des Strafverfahrens - auch unter Berücksichtigung generalpräventiver Zwecksetzungen - nicht über die Sühne individueller Schuld hinausreicht, der Zweck des Verfahrens und der Sinn der Beteiligungsrechte demnach zwei Seiten derselben Medaille sind, findet das parlamentarische Untersuchungsverfahren seinen Zweck nicht in der Überführung eines Betroffenen, sondern siedelt im parlamentarisch-politischen, möglicherweise auch propagandistischen Raum und steht in unmittelbarer Interaktion mit Erwartungen und Resonanzen der öffentlichen Meinung. Infolge dieser an das öffentliche Interesse gebundenen Zweckrichtung steht ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß im Gegensatz zum Strafverfahren regelmäßig unter Erwartungs- und Zeitdruck. Dieser sachliche und temporäre, nicht gering zu veranschlagende Strukturunterschied, kann sich durch den Grundsatz parlamentarischer Diskontinuität noch wesentlich verschärfen. 41 38 39 40 41
5*
VG Hamburg, NJW 1987, 1568ff.; vgl. auch Hilf, NVwZ 1987, 537 (539). BVerfGE 38, 105ff. BVerfGE 38, 105 (112f.). Vgl. als wohl extremes Beispiel die Einsetzung des 4. Untersuchungsausschusses der
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2. Teil: Verfahrensbeteiligung und Verfahrensrecht
Die formale Einräumung der o.g. Verfahrensbeteiligungsrechte birgt, wie eine Fülle von Strafverfahren zeigt, die Gefahr in sich, daß die Effizienz des Verfahrens leidet und ein erheblicher Zeitbedarf auftritt. Im Strafverfahren ist dies nicht nur aus rechtsstaatlichen Gründen, sondern bereits aus der Logik des Verfahrens hinzunehmen, da nicht ein schnelles, sondern nur ein "richtiges" Urteil Wertmaßstab der strafprozessualen Verfahrensgestaltung sein kann. Im Untersuchungsverfahren stellt der erhöhte Zeit bedarf und ein mögliches Effizienzdefizitjedoch den gesamten Untersuchungszweck in Frage. Die durch Verteidiger sachkundig Vertretenen und zu einer Ausschöpfung der Mitwirkungsbefugnisse entschlossenen Betroffenen wären bei knappem Zeitbudget in der Lage, das Verfahren solange zu paralysieren, bis entweder das öffentliche Interesse erlahmt oder der Untersuchungsausschuß der Diskontinuität verfiele. 42 Nicht weil Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG von vorneherein nicht auf Beteiligungsrechte anwendbar ist,43 sondern weil die entsprechende Gewährung der Rechtsposition eines Angeklagten in der Hauptverhandlung den Zweck des Untersuchungsverfahrens gefährden würde, scheidet eine sinngemäße Anwendung der strafprozessualen Mitwirkungsbefugnisse im Untersuchungsverfahren und damit Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG als individualrechtsbegründende Norm aus.
D. Die Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes (V wVfG) auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren I. Bedeutung des VwVfG für das parlamentarische Untersuchungsverfahren Die Frage, ob auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren die Vorschriften des VerwaltungsverfahrensgesetZes unmittelbar oder sinngemäß Anwendung finden, ist von erheblicher Bedeutung für den Rechtsschutz im Untersuchungsverfahren. Für die zuvor erörterten Verfahrensbeteiligungsrechte, die qua Verfassungsrecht unmittelbar den Betroffenen zustehen, ist die Anwendbarkeit des VwVfG zwar insofern von geringer Bedeutung, als die im VwVfG gewährten unmittelbaren Beteiligungsrechte (§§ 28 und 29 VwVfGAnhörung und Akteneinsicht) nicht weitergehen als der Anspruch auf rechtliches Gehör, jedoch würde die Anwendbarkeit des VwVfG das Untersuchungsverfahren in seinem Ablauf formen und eine Reihe von Problemen präjudizieren. Handelte der Untersuchungsausschuß in Form des Verwaltungsverfahrens 10. Wahlperiode (U-Boot-Untersuchungsausschuß) die kurz vor Ende der Legislaturperiode am 9.12.1986 beantragt wurde. (Antrag vom 9.12.1986 Drs. 10/6709). 42 Zur Gefahrdung des Untersuchungszwecks vgl. Gol/witzer, BayVBI. 1982,417 (418). 43 So aber OVG NW, DVBI. 1987,99.
D. Die Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes
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und wären seine Akte Verwaltungsakte i.S.d. § 35 VwVfG, knüpften sich daran für den Rechtsschutz suchenden Bürger eine Reihe von Konsequenzen. Zum einen ergäbe sich die Frage, ob ein Widerspruchsverfahren i.S.d. § 68 VwGO durchgeführt werden muß, bevor gerichtlicher Rechtsschutz erlangt werden kann. l Zum anderen hätte der Ausschuß im Untersuchungsverfahren die Erfordernisse des VwVfG - insbesondere die Begründungspflicht schriftlicher Verwaltungsakte (§ 39 VwVfG), Bestimmtheitsanforderungen (§ 37 VwVfG) und Bekanntmachungspflichten (§ 41 VwVfG) zu achten. Die Rechtsstellung des betroffenen Privaten im Untersuchungsverfahren würde insoweit gestärkt 2 , insbesondere auch, wenn man in Rechnung stellt, daß jede Verdichtung verfahrensrechtlicher Vorschriften die Fehleranfälligkeit von Verfahren erhöht 3 und insoweit ein Einfallstor für gerichtliche Überprüfung darstellt. Dies gilt gerade auch in Fällen, in denen die gerichtliche Kontrolldichte aufgrund von Ermessensfreiräumen oder Beurteilungsspielräumen eingegrenzt ist. 4 Die Frage nach der Qualifizierung des Untersuchungsverfahrens als Verwaltungsverfahren i.S. des VwVfG resp. die Einordnung der Untersuchungsausschüsse unter den Behördenbegriff ist deshalb nicht rein akademischer Natur 5 , sie wird vor allem in der Rechtsprechung sowohl bei der Entscheidung, ob der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist als auch bei der Frage nach der Verwaltungsakt-Qualität von Maßnahmen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse behandelt 6 und dürfte - was nicht immer klar erkannt wird - im Falle der Bejahung einer Anwendbarkeit des VwVfG auf die verfahrensmäßige Ausgestaltung der Rechtsbeziehung zwischen Untersuchungsausschuß und Privaten nicht ohne Konsequenzen bleiben, weshalb dieses Problem schon im vorgerichtlichen Rechtsschutzbereich der Erörterung bedarf.
1 Wobei dann allerdings zu diskutieren wäre, ob der Untersuchungsausschuß "oberste Bundesbehörde" i.S.d. § 68 Abs. 1 Ziffer 1 VwGO ist. Ablehnend Bay VGH, BayVBI. 1981, 209 (210), wonach das Plenum keine dem Untersuchungsausschuß übergeordnete Instanz mit Letztentscheidungsbefugnis ist. Darüber hinaus wäre der Rechtsweg, die Klageart und die aufschiebende Wirkung der Klage durch die Anwendung des VwVfG indiziert. 2 Badura spricht im Blick auf das Verwaltungsverfahrensrecht vom antizipierten Rechtsschutz. Badura, Staatsrecht, S. 407. 3 Die Rechtswissenschaft ist durch diesen Trend gezwungen, mit der Ausbildung einer relativierenden Fehlerlehre zu reagieren. Vgl. Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 1986; Hill, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986. 4 Vgl. für den Bereich des parlamentarischen Untersuchungsrechts Kapitel G.II. S So noch Partseh, Gutachten, S. 127. 6 Vgl. OVG Berlin, DVBI. 1970,293 (294); BayVGH, BayVBI. 1981,209 (211); OVG Lüneburg, DÖV 1986, 210(211); BVerwG, BayVB1.1981, 214; OVG NW, DVBI. 1987, 100 (101); vgl. auch Bäumler, Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes aufVerwaltung ausübende Parlamentsausschüsse, DVBI. 1978, 291 (296).
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2. Teil: Verfahrensbeteiligung und Verfahrensrecht
11. Die Voraussetzungen des § 1 YwYfG 1. Das Verhältnis der Merkmale "Behörde" und "öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit"
Ein öffentlich-rechtliches Verfahren unterfällt nach § 1 Abs. 1 YwYfG dann dem YwVfG, wenn es sich um öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden handelt. Behörde wiederum ist nach § 1 Abs. 4 VwVfG jede Stelle, die Aufgaben öffentlicher Verwaltung wahrnimmt. Der Schlüsselbegriff, der über die Anwendbarkeit des VwVfG entscheidet, ist demnach das Merkmal "öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit". Der auch im Zusammenhang mit der Arbeit parlamentarischer Untersuchungsausschüsse viel diskutierte Begriff der Behörde 7 ist ohne den definitorisch vorgeordneten Begriff der "Verwaltungstätigkeit" nicht sinnvoll zu erfassen. Wenn gleichwohl der Behördenbegriff auch in der Rechtsprechung zum parlamentarischen Untersuchungsrecht im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht 8 , so dürfte dies mehr praktische als systematische Gründe haben. Der scheinbar sowohl einfachere als auch konturiertere Begriff der Behörde verspricht schnelleren Abgrenzungserfolg. Diese Erwartung ist allerdings mitunter trügerisch. Zwar kann es für den Fall, daß bereits die Behördenqualität aus anderen Gründen verneint wird, dahingestellt bleiben, ob es sich um Verwaltungstätigkeit handelt, jedoch darf nicht übersehen werden, daß das entscheidende Konstitutionselement des Behördenbegriffs durch das Merkmal der" Verwaltungstätigkeit" vorgegeben ist. 9 Die Diskussion über die Anwendbarkeit des VwVfG auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren mag deshalb zwar unter dem Etikett der Behördenqualität geführt werden, aber nur dann, wenn man auch in diesem Rahmen über die Frage Rechenschaft ablegt, ob die Tätigkeit dieses Ausschusses öffentlich-rechtliches Verwaltungshandeln darstellt. 1O Da das Handeln eines Untersuchungsausschusses unzweifelhaft öffentlich-rechtlicher Natur ist, gilt es, die Merkmale des Begriffs "Verwaltungsausübung" zu benennen und zu konkretisieren. 7 Vgl. Lammers, HDStR I1, S. 560; Rosenberg, DJT, S. 27; Anschütz, WRV, Art. 34 Anm. 4; von Mangoldt/ Klein, S. 944; Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 44 Rdnr. 58; Halstenberg, S. 70; Cordes, S. 154ff. (168); vgl. allgemein zu Parlamentsausschüssen: Bäumler, DVBI. 1978, 291 (294). 8 Vgl. Nachweise bei FN 6. Für den Behördenbegriff kommt es darauf an, "daß die wahrzunehmenden Aufgaben und Zuständigkeiten im materiellen Sinne der öffentlichen Verwaltung zuzurechnen sind." Kopp, VwVfG, 4. Aufl. 1986, § 1 Rdnr. 23. 10 So prüft zutreffend VG Köln, Beschluß vom 26.8.1986 L 1185/86 - (unveröffentlicht); vgl. auch OVG NW, DVBI. 1987, 100 (101 f.); dagegen beschränkt Bäumler sich auf die Erörterung des Behördenbegriffs ohne auf das entscheidende Konstitutionselement des Behördenbegriffs zurückzugreifen, mit der Folge, daß seine Begründung, warum die Arbeit von Parlamentsausschüssen dem VwVfG unterfällt, letztlich blaß wirkt. Vgl. Bäumler, DVBI. 1978, 291 (294f.).
D. Die Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes
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Auf die Beurteilung, ob die Tätigkeit des parlamentarischen Untersuchungsausschusses verwaltungsrechtlicher Natur ist, kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt verzichtet werden, daß die Anwendbarkeit des VwVfG schon deshalb ausgeschlossen ist, weil die Verfahrensordnung des Untersuchungsausschusses durch Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG mit dem Verweis auf die strafprozessualen Regeln umfassend vorgegeben sei. 11 Aufgrund der Subsidiaritätsklausel des § 1 Abs. 1 VwVfG bliebe angesichts der Inkongruenz zwischen spezifisch auf den Strafprozeß zugeschnittenen Regeln und den Besonderheiten des parlamentarischen Untersuchungsverfahrens gleichwohl ein Bereich in dem das VwVfG Anwendung finden könnte. Die strafprozessualen Regeln sind darüber hinaus mit der auslegungsbedürftigen "sinngemäßen" Verweisung in Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG belastet, so daß als klarstellendes Regelwerk das subsidiär anwendbare VwVfG in Betracht käme. Die Frage beispielsweise, ob die Maßnahmen eines Untersuchungsausschusses Verwaltungsakte darstellen, kann im Rahmen der Strafprozeßordnung nicht sinnvoll beantwortet werden, es bedarf des Rückgriffs auf die Legaldefinition des § 35 VwVfG.12 2. Die Qualität von Eingriffsbefugnissen als Merkmal der Verwaltungsausübung
Die Tätigkeit parlamentarischer Untersuchungsausschüsse wurde in Rechtsprechung und Literatur vor allem deshalb als Verwaltungstätigkeit im materiellen Sinne angesehen, weil der Untersuchungsausschuß über nach außen unmittelbar gegenüber dem Bürger wirkende (hoheitliche) Eingriffsbefugnisse verfügt. Dabei wird regelmäßig von der Qualität der Befugnisse auf den verwaltungsrechtlichen Charakter des Untersuchungsverfahrens geschlossen. 13 Der Schluß von den Eingriffsbefugnissen auf den verwaltungsrechtlichen Charakter des Untersuchungsverfahrens ist nicht unproblematisch. Dies hängt zum einen damit zusammen, daß die verliehenen Eingriffsbefugnisse nicht das umfassende Wesen einer staatsrechtlichen Institution spiegeln, sondern nur ein - wenngleich starkes - Indiz für dieses Wesen bereitstellen. Zum anderen weisen die Befugnisse nur dann eine einschlägige Signifikanz auf, wenn es sich um typische Verwaltungsbefugnisse handelt. Dies ist im parlamentarischen Raum beispielsweise bei der verfassungsunmittelbaren Einräumung des Hausrechts und der Polizeigewalt an den Bundestagspräsidenten in Art. 40 Abs.2 GG der Fall. Die durch diese Verfassungsnorm dem Bundestagspräsidenten zuge11
So VG Köln, Beschluß vom 26.8.1986 - 4 L 1185 f 86 - , S. 6 der Urteilsausfertigung.
12 Entscheidend dürfte dabei vor allem sein, ob die Tätigkeit eines U Aals Verwaltungs-
tätigkeit zu verstehen ist. Dies ist aber auch das Problem, mit dem die Anwendbarkeit des VwVfG (§ 1) steht und fällt. 13 Anschütz, WRV, 14. Aufl. S. 219f.; Heck, S. 28; von MangoldtfKlein, S. 945f.; Maunz, in: Maunzf Dürig, Art. 44 Rdnr. 27; Halstenberg, S. 70; Stern, AöR 109 (1984), S. 199 (246); Schneider, AK, Art. 44 Rdnr. 15; 0 VG BerUn, DVBl. 1970,293 (294); 0 VG NW, DVBl. 1987, 100 (101);BVerwG, BayVBl. 1981, S. 214f.
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2. Teil: Verfahrensbeteiligung und Verfahrensrecht
wiesenen Befugnisse weisen unzweifelhaft eine verwaltungsrechtliche Struktur auf, der Bundestagspräsident wird durch diese Zuweisung zur Ordnungs- und Polizeigewalt im Bereich des Bundestages. 14 Aus der Qualität dieser verfassungsrechtlich eingeräumten Befugnisse kann deshalb ein Argument für die Zuordnung von Maßnahmen nach Art. 40 Abs. 2 GG zum Verwaltungsrecht gewonnen werden. 15 Eine vergleichbar signifikante Zuordnung zum Verwaltungsrecht erlauben die Befugnisse des parlamentarischen Untersuchungsausschusses aber gerade nicht. Sowohl durch den Enquetezweck, der sich nicht vom gerichtlichen Erkenntnisverfahren grundlegend unterscheidet, als auch vor allem durch die Verweisung in Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG auf die Vorschriften des Strafprozesses ist von Verfassungs wegen festgelegt, daß dem Untersuchungsausschuß diejenigen hoheitlichen Befugnisse eingeräumt sind, die dem Strafgericht im Erkenntnisverfahren zur Verfügung stehen. Das 0 VG Lüneburg hat in seiner Entscheidung vom 27.11.1985 auf die besondere Qualität der dem Untersuchungsausschuß verliehenen Eingriffsbefugnisse hingewiesen und gegen die ältere Entscheidung des OVG Berlin 16 ausgeführt: Die vom OVG Berlin vertretene Ansicht verkennt, daß nicht jede "positivrechtliche Rechtsverleihung" die Annahme eines Verwaltungsaktes rechtfertigt. So verleiht die StPO dem Strafgericht die Befugnis, Maßnahmen des Zeugniszwangs anzuordnen (§ 51 . Abs. 1 StPO); diese Anordnungen sind keine Verwaltungsakte. Gerade diese Kompetenz wollte Art. 44 Abs.2 Satz 1 GG und Art. 34 Abs.3 WeimRV aber den Untersuchungsausschüssen verleihen. Der Untersuchungsausschuß wird daher bei der Anordnung von Maßnahmen aufgrund einer gerichtsähnlichen, nicht aufgrund einer behördenähnlichen Kompetenz tätig."17
Dieser Gedankengang des Gerichts beleuchtet, daß diejenigen, die aus der hoheitlichen Struktur der Eingriffsbefugnisse auf die Verwaltungsqualität des Handeins parlamentarischer Untersuchungsausschüsse schließen, aufheterogenen Ebenen sich bewegen und sich in Widersprüche verstricken. Beispielhaft dafür ist der Argumentationsgang einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, die sich bemüht, den verwaltungsrechtlichen Charakter einer parlamentarischen Untersuchung zu begründen. Zunächst wird festgestellt, daß die Beweiserhebungsbefugnisse eines Untersuchungsausschusses hoheitliche Befugnisse gegenüber Dritten darstellen. IB Auf dieser Ebene wird allerdings nicht wie sonst üblich der Schluß gezogen, daß damit der verwaltungsrechtliche Charak14 Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 40 Rdnr. 24ff.; von Münch, GrundgesetzKommentar, Art. 40 Rdnr. 24. IS Das Haus- und Polizei recht des Bundestages wird im Ergebnis nach allgemeiner Meinung dem Verwaltungsrecht zugeordnet. Vgl. z.B. Wolff/ BachofVerwaltungsrecht, Bd. 1, § 46 III b 3. 16 DVBI. 1970, 293 (in dieser Entscheidung wurde vom hoheitlichen Charakter der Eingriffsbefugnisse auf Verwaltungshandeln des Untersuchungsausschusses geschlossen. 17 OVG Lüneburg, DÖV 1986, 210 (211). 18 BVerwG, BayVBI. 1981,214.
D. Die Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes
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ter parlamentarischer Untersuchungsrnaßnahmen bereits feststehe. 19 Ohne es auszusprechen scheint sich das Gericht des Problems bewußt, daß gerade die gerichtliche Struktur der Beweiserhebungsbefugnisse den Untersuchungsausschuß eher einem Gericht als einer Verwaltungsbehörde ähnlich macht. Diesen unausgesprochenen Einwand entkräftet das Gericht auf einer anderen, nämlich organisationsrechtlichen Ebene, indem es sich die unbestrittene Ansicht zu eigen macht, wonach Untersuchungsausschüsse im organschaftlichen Sinne - weder personell noch organisatorisch - Gerichte seien. 20 Auf einer dritten Argumentationsebene wird so dann die Abgrenzung zur eigentlich legislatorischen Tätigkeit mit Hilfe der übertragenen sachlichen Aufgabe vorgenommen - weil Untersuchungstätigkeit keine Gesetzgebung ist, sei sie VerwaltungstätigkeitY Diese Argumente sind in unterschiedlichen Akzentuierungen auch in anderer Rechtsprechung und in der Literatur anzutreffen. 22 Sie entbehren nicht einer gewissen Beliebigkeit. Während man in anderen Bereichen nicht den hoheitlichen Charakter von Befugnissen ausreichen läßt, um auf Verwaltungstätigkeit zu schließen, sondern ausdrücklich eine Befugnisstruktur verlangt, die typischerweise Verwaltungsbehörden zusteht 23 , wird bei der Beurteilung von Untersuchungstätigkeit von der besonderen Qualität der Eingriffsbefugnisse abstrahiert 24 und damit der naheliegenden Konsequenz ausgewichen, daß die Qualität der Eingriffsbefugrusse eine gerichtsähnliche Natur des Untersuchungsausschusses indiziert. Soweit der Gesichtspunkt der sachlichen Aufgabe herangezogen wird, kann zwar der Negativabgrenzung des BVerwG, wonach Untersuchungstätigkeit keine Gesetzgebung sei, voll zugestimmt werden, aber weist nicht die sachliche Aufgabe des Untersuchungsausschusses, mit gerichtlichen Beweiserhebungsrechten einen Sachverhalt aufzuklären, eine ungleich größere Affinität Z'lir Judikative, denn zur Verwaltungstätigkeit auf?25 Trotz dieser bei zwei Merkmalen bestehenden Verwandtschaft zum gerichtlichen Erkenntnisverfahren, wird die Konsequenz, Untersuchungstätigkeit als gerichtliche resp. gerichtsähnliche und deshalb nicht als verwaltende zu klassifizieren, mit dem Hinweis abgefangen, daß ein Untersuchungsausschuß organisatorisch kein Gericht sei. Aber gerade die organisationsrechtliche Indifferenz dieses Parlamentsausschusses, der ja an sich zur Legislative zählt, aber nicht legislativ Vgl. etwa OVG NW, DVBI. 1987, 100 (101). A.a.O. 21 A.a.O., S. 214f. 22 Vgl. OVG NW, DVBI. 1987, 100 (101); OVG Berlin, DVBI. 1970, 293 (294); von Mangoldt (Klein, S. 944; Halstenberg, S. 52ff.; Hamann( Lenz, GG, S. 466; Stern, AöR 109 (1984),199 (217f.). 23 Vgl. die Diskussion um die Rechtsnatur des Hausrechts des Bundestagspräsidenten (Art. 40 Abs. 2 GG). Nachweise bei FN 14 und 15. 24 Anders aber Stern, der die Befugnisse differenziert sieht, Art. 44 Abs. 2 GG als gerichtsähnliche und solche nach Art. 44 Abs. 3 GG als verwaltungsähnliche. Stern, AöR 109 (1984), 199 (217f.). 2S Vgl. OVG Lüneburg, DÖV 1986, 210. 19
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2. Teil: Verfahrensbeteiligung und Verfahrensrecht
tätig wird, zwingt zu der Erörterung, welche Qualität denn nun das Handeln eines Untersuchungsausschusses besitzt. Auf der organisatorischen Ebene ist der Untersuchungsausschuß weder ein Gericht noch eine Verwaltungsbehörde, so daß mit diesem Kriterium jedenfalls keine positive Antwort auf die Frage gewonnen werden kann, ob das Handeln parlamentarischer Untersuchungsausschüsse Verwaltungstätigkeit i.S.d. VwVfG ist. Die Argumentation auf heterogenen Ebenen ist zum Teil deshalb so wenig konsistent, weil sie auch jeweils in verschiedenen Diskussionsbereichen stattfindet. Einmal geht es um die Abgrenzung verfassungsrechtlicher und verwaltungsrechtlicher Streitigkeiten, dann darum, ob Maßnahmen des Untersuchungsausschusses Verwaltungsakte darstellen oder ob es sich nicht vielleicht schon um keine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt, weil Maßnahmen des Ausschusses "Strafsachen" seien. 26 In der älteren Auseinandersetzung ging es zusätzlich noch um die Frage der Konkurrenz zwischen Untersuchungsausschuß und Gericht. 27 Die in verschiedenen Kontexten entwickelten Argumente sind nicht nur wegen ihrer inneren Widersprüchlichkeit wenig ergiebig, sondern auch weil sie nur in wenigen Fällen auf die Problematik zugeschnitten sind, ob die Tätigkeit eines Untersuchungsausschusses als "Verwaltungs tätigkeit" i.S.d. § 1 VwVfG zu betrachten ist. Darüber hinaus wird die Inkonsistenz der Argumentation durch die Verwendung eines scheinbar einheitlichen Begriffs der Verwaltung gespeist, der alles andere als klar konturiert ist. So ist bereits ungeklärt, ob die Begriffe Exekutive und Verwaltung synonym verstanden werden müssen oder ob "Exekutive" ein weiterreichender Terminus ist. 28 III. Der Begriff der Verwaltung im Sinne des VwVfG 1. Entwicklung und Meinungsstand
In den fünfziger Jahren vor Inkrafttreten der VwGO und des VwVfG hat vor allem Cordes als Befürworter der Behördeneigenschaft parlamentarischer Untersuchungsausschüsse diese Ansicht versucht tiefergehend zu begründen, indem er aufgrund der damaligen Rechtslage danach fragte, was VerwaltungstäDies prüft das OVG Lüneburg, DÖV 1986,210. Die in der Literatur noch heute häufig zu findende Betonung, daß Untersuchungsausschüsse keine Gerichte seien, zielt vor allem gegen den in der Weimarer Zeit vorgetragenen Gedanken, man müßte entweder das parlamentarische U ntersuchungsverfahren oder ein Strafverfahren in gleicher Sache aussetzen, weil beide Verfahren nicht nebeneinander verlaufen könnten. Kaufmann entwickelte dieses Argument soweit, daß parlamentarische Untersuchungsausschüsse eine Handlung überhaupt nicht zum Gegenstand ihrer Ermittlungen machen dürften, soweit eine Gerichtszuständigkeit bestehe, Kaufmann, Untersuchungsausschuß und Staatsgerichtshof, 1920, S. 23; vgl. auch Halstenberg, S. 54. 28 Bettermann differenziert zwischen "vollziehender Gewalt" und "Verwaltung" als dem engeren Begriff Bettermann, Urteilsanmerkung zu VG Köln, DVBI. 1965,882 (887). 26
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D. Die Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes
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tigkeit sei und ob das Handeln der Untersuchungsausschüsse unter diesen Begriff subsumierbar ist. 29 Dieser Weg über eine Analyse des Verwaltungsbegriffs ist auch und gerade unter der Geltung des VwVfG unumgänglich, um Klarheit über die Rechtsnatur des parlamentarischen Untersuchungsverfahrens zu erlangen. Das VwVfG selbst hat den Verwaltungsbegriff so wenig klargestellt wie zuvor die VwGO. Die amtliche Begründung zum Entwurf des VwVfG geht auf den Verwaltungsbegriff nicht ein, allerdings heißt es darin zum Behördenbegriff: "Die Legaldefinition der Behörde "im Sinne dieses Gesetzes" geht von dem umfassenden Behördenbegriff aus, wie er sich bisher in der Rechtsprechung zur Verwaltungsgerichtsordnung entwickelt hat; vgl. hierzu Urt. des BVerwG vom 30. September 1959, BVerwGE 9,182 und vom 18. Oktober 1963, BVerwGE 17,41. Dieser Behördenbegriff läßt sich zwar nicht logisch, sondern nur pragmatisch bestimmen, weshalb auch die Verwaltungsgerichtsordnung auf eine Definition verzichtet und die Klärung der Rechtsprechung überlassen hat."30
Es muß demnach davon ausgegangen werden, daß das VwVfG auch den Verwaltungsbegriff an den tradierten Bestand von Rechtsprechung und Literatur angeschlossen sehen wollte und keinen neuen eigenständigen Verwaltungsbegriff im Sinne hatte. Die im Staats- wie Verwaltungsrecht angesiedelte Frage nach dem Verwaltungsbegriff bewegt sich auf wenig sicherem dogmatischen Terrain, der Begriff der Verwaltung gilt als problematisch, facettenreich und einer Definition kaum zugänglich. 31 Zweierlei fällt dabei besonders auf. Der Verwaltungswissenschaft gelingt es nicht, ihren Gegenstand eindeutig positiv zu bestimmen, während verfassungsrechtliche Überlegungen den Verwaltungsbegriffnahezu ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung betrachten. Das Modell der Gewaltenteilung zwingt nun allerdings zu einer Verteilung staatlicher Gewalt ohne Rest, jede Emanation öffentlicher Gewalt muß einer der von der Verfassung vorgegebenen drei Funktionen - Legislative, Judikative und Exekutive - zugeordnet werden. Damit dies gelingt, werden gemeinhin der Exekutive alle Erscheinungen öffentlicher Gewalt zugeschlagen, die nicht eindeutig Gesetzgebung oder Rechtsprechung sind. Exekutive wird demnach negativ im Sinne einer Residualkategorie bestimmt. 32 29 Systematisch geht es bei Cordes um die Frage, ob Maßnahmen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse Verwaltungsakte darstellen und deshalb nach dem damals geltenden § 22 VO Nr. 165 der Verwaltungsrechtsweg gegeben war. Vgl. Cordes, S. 151. 30 BT-Drs. 7/910, S. 32. 31 Cordes, S. 152; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl. 1973, S. 1; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 187ff.; Herzog spricht von einem "Wissenschaftsdefizit" der letzten Generationen, Herzog, in: Maunz / Dürig, Art. 20 Abschnitt V Rdnr. 98. 32 Gesprochen wird auch von der "Substraktionsmethode"; Würtenberger, in: BK, Art. 45 c Rdnr. 116; Achterberg, Rechtsprechung als Staatsfunktion, Rechtsprechungslehre als Wissenschaftsdisziplin, in: ders. (Hrsg.), Rechtsprechungslehre, 1986, S. 3 (5).
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2. Teil: Verfahtensbeteiligung und Verfahrensrecht
Mit dieser Definitionsmethode wird das Verwaltungsrecht scheinbar aus der Verlegenheit befreit, einen positiven Verwaltungsbegriff vorlegen zu müssen. Otto Mayer hat frühzeitig diesen Anschluß an die Gewaltenteilungslehre hergestellt und Verwaltung als alles bezeichnet, was weder Gesetzgebung noch Rechtsprechung sei. 33 Ohne Rest sah allerdings Mayer dieses Residualmodell nicht ganz aufgehen. Den Kernbereich der Regierungstätigkeit ließ er unbestimmt, nicht zuletzt, weil er zuvor den Begriff der Verwaltung aus dem Regierungsbegriff deduziert und abgegrenzt hatte. "Endlich kommt auch noch für das, was außerhalb der Justiz und der Gesetzgebung für staatliche Zwecke geschieht, ein neuer Name auf, der Name Verwaltung. Die ist dann ebenmäßig nicht mehr gedacht als eine bloße Erscheinung der Regierung; sie soll vielmehr mit ihrer Eigenart ein Seitenstück zur Justiz sein und ein Gegenstück zur Regierung, von der sie sich ablöst. "34
Die danach außerhalb des Gewaltenteilungsmodells stehende Regierungstätigkeit wurde von Mayer nicht der Verwaltung zugeschlagen, sondern als über den drei Funktionen der Staatsgewalt stehend angesehen. 35 Es fällt in der Tat schwer, jenen Teil der Tätigkeit oberster Verfassungsorgane als "vollziehende" zu beschreiben. Regierung in ihrem initiativen Sinne ist geradezu das Gegenteil von Gesetzesausführung. 36 Gleichwohl kann der Bereich der Regierung nicht als "vierte Gewalt" apostrophiert werden, vielmehr unterscheidet man heute die Exekutivfunktion in sich noch einmal nach den Bereichen Regierung, Verwaltung und militärischer Verteidigung 37 , womit zugleich der synonyme Gebrauch der Begriffe Exekutive und Verwaltung aufgegeben wird. In der neueren verwaltungsrechtlichen und staatsrechtlichen Literatur ist denn auch die Tendenz spürbar, das Residualmodell zwar beizubehalten, der Exekutive demnach alle nicht der Judikative und der Legislative zugehörigen Bereiche einzuordnen, - damit kein ungeklärter Restposten frei fluktuierender Staatsgewalt entsteht -, aber zugleich den Exekutivbereich deutlich zu differenzieren und positiv zu definieren. 38 Neben das klassische Residualmodell, das Verwaltung als alles definiert, was nicht Rechtsetzung und Rechtsprechung ist, tritt ein differenziertes Modell, das danach unterscheidet, ob von der Staatsfunktion der Exekutive im eher abstrakt angelegten Gewaltenteilungsmodell die Rede ist oder von Verwaltung im eher konkreten verwaltungsrechtlichen Sinne. Die nochmalige Funktionsteilung der Dtto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 3. Auflage, 1924, S. 7. Mayer, a.a.O., S. 2. 3S Mayer, a.a.O., S. 2; vgl. die Rekonstruktion dieser begrifflichen Entwicklung und der Zusammenhang mit dem konstitutionellen historischen Hintergrund: Magiera, S. 53. 36 Vgl. Stern, Staatsrecht 11, S. 684. 37 Hesse, S. 202ff.; Stern, Staatsrecht II, S. 694; Herzog, in: MaunzjDürig, Art. 20 Der Bereich der Regierung, 1967, Abschnitt V Rdnr. 39 und 96; a. A. Kassimatis, S. 62ff. 38 Vgl. die Nachweise bei Stern, Staatsrecht II, S. 735; sowie die Kritik am Residualmodell bei Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Auflage, 1986, S. 3. 33
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D. Die Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes
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Exekutive in Bereiche der Regierung, Verwaltung und der militärischen Verteidigung ist auch bei der Reichweitenbestimmung des VwVfG zum Teil rezipiert worden. FinkeInburg / Lässig nehmen die sogenannte gubernativen Tätigkeiten, d. h. Maßnahmen der politischen Leitung und Führung (Regierungsakte) ausdrücklich von der Verwaltungstätigkeit aus 39 , während Kopp Verwaltung im Duktus der klassischen Gewaltenteilungslehre als die Tätigkeit staatlicher Organe kennzeichnet, die formell weder als Gesetzgebung noch als Rechtsprechung anzusehen ist. 4O Für die QualiflZierung des Handelns parlamentarischer Untersuchungsausschüsse ist zweierlei entscheidend. Zum einen geht es um die Frage, welcher Verwaltungsbegriff dem VwVfG zugrundeliegt, und zum anderen, ob im Sinne der vorgenommenen Differenzierung parlamentarische Untersuchungstätigkeit als Verwaltungstätigkeit oder Regierungstätigkeit zu bewerten ist. 2. Der Verwaltungsbegriff und die Funktion des VwVfG
Die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des VwVfG sieht zwar ausdrücklich keine Definition des Verwaltungsbegriffs vor, jedoch lassen sich aus der Ausgrenzung bestimmter Materien aus dem Anwendungsbereich des VwVfG Schlüsse auf das legislatorische Vorverständnis des Begriffs Verwaltung ziehen. Das VwVfG soll nicht den gesamten Bereich staatlicher Exekutive abdecken.
§ 2 VwVfG nimmt eine ganze Reihe von exekutiven Handlungen aus dem
Anwendungsbereich aus. Diese Ausnahmen sind keineswegs nur deshalb katalogisiert worden, weil in diesen Gebieten eigene verfahrensrechtliche Spezialregelungen vorlägen, vielmehr spricht die Regierungsbegründung davon, "daß die Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes für diesen Bereich auch dann nicht heranzuziehen sind, wenn dort keine entsprechenden verfahrensrechtlichen Vorschriften bestehen. "41
Der Grund für die Exemtion bestimmter Gebiete liegt in der Besonderheit einzelner Verfahren, die nicht unter die Schablone klassischer Gesetzesausführung passen. Beispielsweise nimmt das Gesetz Verfahren vor dem deutschen Patentamt deshalb von der Anwendung des VwVfG aus (§ 2 Abs. 2 Ziffer 3), weil das Verfahren justizförrnig und nicht verwaltungsförrnig geregelt ist. "Die Ausnahme für das Patentrecht (Nummer 3) ist dadurch gerechtfertigt, daß das Verfahren vor dem Patentamt justizförmig geregelt ist und einen in sich abgeschlossenen, mit anderen Verwaltungsgebieten nicht vergleichbaren Bereich der Justizverwaltung betrifft. "42 39 FinkeInburg / Lässig, VwVfG, 1979, G 1 Rdnr. 13; vgl. auch Knack, VwVfG, 2. Auflage 1982, § 1 Rdnr. S. 2ff. 40 Kopp, VwVfG, § 1 Rdnr. 36. 41 BT-Drs. 7/910 S. 33
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2. Teil: Verfahrensbeteiligung und Verfahrensrecht
Als ganz selbstverständlich nimmt die Begründung zum Entwurf des VwVfG auch die militärischen Kommandobehörden im Bereich der Bundeswehr vom Behördenbegriff des VwVfG aus. Dies zeigt deutlich, daß das VwVfG keine Verfahrensordnung für die gesamte Exekutive im Sinne der tradierten Gewaltenteilungslehre bereitstellen will, sondern nur das Verfahren für die gesetzesvollziehende Verwaltung im eigentlichen Sinne regelt, mithin die Bereiche militärischer Kommandogewalt, Regierungsakte und justizförmiger Verfahren dieser Verfahrensordnung nicht unterwerfen wollte. Kopp übersieht diese Zusammenhänge und argumentiert deshalb gegen die erwähnte Exemtion von Patentsachen in § 2 Abs. 2 Ziffer 3 VwVfG zu unrecht damit, daß das Deutsche Patentamt nicht "als Gericht tätig wird".43 Die Regierungsbegründung wollte aber nicht zum Ausdruck bringen, daß das Patentamt ein Gericht im formellen Sinne sei, sondern, daß das Verfahren eher justizförmig als verwaltungsförmig organisiert ist und ihm deshalb keine fremde Verfahrensordnung aufgezwungen werden sollte.
Die Parallelen zum parlamentarischen Untersuchungsverfahren drängen sich angesichts dieser Begründung geradezu auf. Auch das Untersuchungsverfahren ist justizförmig organisiert und mit einer, trotz aller Vorbehalte, annähernd verwandten Verfahrensordnung versehen (Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG). Selbst wenn man das Handeln parlamentarischer Untersuchungsausschüsse als Verwaltungstätigkeit ansehen wollte, läge es nahe, über eine Analogie zu § 2 Abs. 2 Ziffer 3 VwVfG auch diese Tätigkeit von der Geltung des VwVfG auszunehmen. Diese Vorgehensweise ist jedoch nur erforderlich, wenn man in einem Untersuchungsverfahren Verwaltungstätigkeit sieht und somit die Voraussetzungen des § 1 VwVfG als erfüllt ansieht. Handelt es sich aber bei der Tätigkeit von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen um "Regierungstätigkeit", so bedarf es keiner Erörterung, ob unmittelbar oder entsprechend die Ausnahmetatbestände des § 2 VwVfG gegeben sind, weil schon bereits die Voraussetzungen des § 1 VwVfG nicht vorliegen. 3. Untersuchungstätigkeit -
Verwaltung oder Regierung?
Bereits im Rahmen der Kompetenzanalyse ist deutlich geworden, daß das Parlament auch außerhalb der Kreations- und Gesetzgebungsfunktion in den Bereich politischer Leitung resp. der Regierungstätigkeit im materiellen Sinne gestaltend eingreifen kann. 44 Die besondere Funktion des Untersuchungsrechts, dem Parlament effektive Informationsdienste zu leisten, damit der Bundestag seine verfassungsmäßigen Aufgaben auch mit diesem Hilfsmittel bewältigen kann, rückt diese Institution selber in die Nähe von Regierungstätigkeit, wenn man Regierung und Verwal42
43 44
BT-Drs. 7/910 S. 33. Kopp, VwVfG, § 1 Rdnr. 30. Vgl. oben Kapitel A. III. 3. ce).
D. Die Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes
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tung nach dem Grad der politischen Autonomie unterscheidet. Auf den ersten Blick scheint eine mögliche Qualifizierung der Tätigkeit eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses als "Regierung" nicht weniger problematisch als die Unterordnung unter den Verwaltungsbegriff. Dies gilt umso mehr, wenn man herkömmliche Vorstellungen heranzieht, die als Regierung eine Institution bezeichnen, die mit richtungsgebenden Direktiven untergeordnete Staatsorgane (Verwaltung) steuert. 45 Der Untersuchungsausschuß steuert nicht die Verwaltung (zumindest nicht unmittelbar) und kann auch keine (verbindlichen) Direktiven erteilen. Gleichwohl kann er indirekt, mitunter nicht unerheblich auf Gesetzgebung und Verwaltung einwirken und an der Formulierung parlamentarischer und staatlicher Willensbildung mitwirken. Genau diesen Bereich schlägt Kassimatis dem Regierungsbereich im funktionalen Sinne zu: "Unter Leitung sind nicht nur die unmittelbar richtunggebenden Weisungen und lenkenden Handlungen zu verstehen, sondern auch die indirekten Einwirkungen auf die verschiedenen Instanzen in Bezug auf die Formulierung und Durchsetzung des Staatswillens. "46
In den Begriffen "Willensbildung" und "Formulierung des Staatswillens" schlägt sich jenes schöpferische Element nieder, das durch den Terminus "politisch" repräsentiert wird 47 und als eigentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen den Exekutivbereichen Verwaltung und Regierung zu gelten hat. Der Umstand, daß die Abgrenzung von Regierung und Verwaltung außerordentlich umstritten ist, hängt insbesondere mit der extrajuridischen Dimension des Begriffs "Politik" zusammen. 48 Aber auch wenn man auf eine Guristisch kaum mögliche) Definition dieses Begriffs verzichtet, so zieht sich doch wie ein roter Faden durch diverse Abgrenzungsbemühungen der in diesem Begriff repräsentierte Gedanke, daß freie, schöpferische Entscheidung als Merkmal der Regierungstätigkeit von der gesetzesausführenden und an die parlamentarische Vorgabe gebundenen Verwaltung abzugrenzen ist. 49 Im Anschluß an Leisner 50 spricht Stern von der Verwaltung als "definierte Gewalt" und läßt dieses grundsätzliche Abgrenzungskriterium auch in seine (positive) Definition der Verwaltung einfließen. "Verwaltung kann zunächst negativ bestimmt werden als alle nicht zur Rechtsetzung, zur Regierung, zur staatsleitenden Planung, zur militärischen Verteidigung und zur Rechtsprechung gehörende öffentliche Aufgabenerfüllung durch die Organe der Vgl. Kaufmann, VVDStRL 9 (1952), S. 5ff. Kassimatis, S. 30. 47 Vgl. oben Kapitel A. III. 3. c) ac. 48 Vgl. Kassimatis, S. 47ff. 49 Vgl. Scheuner, Der Bereich der Regierung, in: Staatstheorie und Staatsrecht, 1978, S. 455ff.; Badura, Staatsrecht, S. 302; Stern, Staatsrecht II, S. 694fT. m.w. Nachweisen. 50 Leisner, JZ 1968, 727. 45
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2. Teil: Verfahrensbeteiligung und Verfahrensrecht
vollziehenden Gewalt und bestimmte ihnen zuzurechnende Rechtssubjekte. Positiv bedeutet Verwaltung die den Organen der vollziehenden Gewalt und bestimmten diesen zuzurechnenden Rechtssubjekten übertragene eigenverantwortliche ständige Erledigung der Aufgaben des Gemeinwesens durch konkrete Maßnahmen in rechtlicher Bindung nach (mehr oder weniger spezifiziert) vorgegebener Zwecksetzung."51
Legt man den in Satz 2 dieser Definition ausgedrückten positiven Verwaltungsbegriff zugrunde, so fallt es schwer, die Tätigkeit parlamentarischer Untersuchungsausschüsse unter diese Vorgabe zu subsumieren. U ntersuchungsausschüsse erledigen keine Aufgabe des Gemeinwesens durch konkrete Maßnahmen, sondern dienen nur der Funktionserfüllung des Parlaments. 52 Sie entscheiden keine Lebenssachverhalte nach Vorgabe gültiger Normen (konkrete Maßnahmen), den Eingriffen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse fehlt diese verwaltungsrechtliche Regelungsfinalität, sie setzen keinen legislativen Auftrag in die Wirklichkeit um, sie gestalten nicht. 53 Die bloße und auf sich selbst beschränkte Tatsachenfeststellung des Untersuchungsrechts sperrt sich bereits dem Sinn- und Bedeutungsgehalt des Wortes "verwalten". Mit dem Begriff der "Verwaltung" schwingt immer der Sinn des "Handeins, Besorgens und Verrichtens" mit S4 , der zwar Beweiserhebungstätigkeiten als Vorbereitung einer konkreten Verwaltungsentscheidung gegenüber dem Bürger mit umfaßt (vgl. §§ 24, 26, 69 VwVfG), nicht jedoch Beweiserhebung als solitären Verwaltungszweck. Gegen die im Zusammenhang einer positiven Begriffsdefinition von Verwaltung stets assoziierte Vorstellung einer - wenngleich mit eigenen Entscheidungsspielräumen ausgestatteten - zweckgebundenen Verwaltung spricht der politische Charakter des Untersuchungsverfahrens. Zwar wird dem Untersuchungsausschuß durch den plenaren Untersuchungsauftrag ein Zweck vorgegeben 55 , jedoch ist der Untersuchungsausschuß bei aller verfahrensrechtlichen Selbständigkeit weder organisationsrechtlich noch praktisch-politisch vom Parlament zu trennen. Der Untersuchungsausschuß ist Hilfsorgan des Parlaments 56; es handelt sich beim Untersuchungsrecht um ein Recht des Parlaments, die die Willens bildung des Bundestages tragenden Fraktionen sind nach ihrem Kräfteverhältnis im Untersuchungsausschuß vertreten und die Mitglieder des Ausschusses sind politisch mit der Fraktion kurzgeschlossen.
51 Stern, Staatsrecht II, S. 738. 52 und zwar nicht über die bloße Bereitstellung von Rahmenbedingungen wie dies beim Hausrecht des Bundestagspräsidenten (Art. 40 Abs. 2 GG) der Fall ist, sondern unmittelbar materiell durch die Beweiserhebung und Bewertung zur Erstellung eines Abschlußberichtes an das Plenum. 53 So bereits Cordes, S. 158. 54 Stern, Staatsrecht H, S. 745. 55 Kipke, S. 37. 56 Vgl. oben Kapitel A III 3 b.
D. Die Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes
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Der hochpolitische und von der verfassungsrechtlichen Stellung des Parlaments nicht zu trennende Charakter des Untersuchungsverfahrens deckt sich nicht mit der im Gewaltenteilungsmodell fußenden Vorstellung einer zweckvorgebenden Legislative und einer diese Zwecke umsetzenden, gerade nicht politisch agierenden Verwaltung. Die (partei-)politische Fundierung des Untetsuchungsverfahrens, seine intermediäre Stellung zwischen gesellschaftlichem und staatlichem Bereich, die u.a. in der öffentlichen Resonanz seiner Tätigkeit und umgekehrt der Abhängigkeit des Untersuchungsverlaufs von der öffentlichen Diskussion zum Ausdruck kommt, erfüllt das Merkmal der selbständigen politischen Entscheidungs- und Handlungsvollmacht. Aus diesem Grunde ist das Untersuchungsverfahren nicht in den Verwaltungs-, sondern in den Regierungsbereich einzuordnen. IV. Ergebnis Untersuchungsausschüsse üben materiell keine Verwaltungstätigkeit aus, von ihren gerichtsförmigen Eingriffsbefugnissen kann nicht auf Verwaltungshande1n geschlossen werden. Das parlamentarische Untersuchungsrecht ist als besonderes parlamentarisches Erkenntnis- und Informationsgewinnungsverfahren ein verfassungsunmittelbar geregeltes Verfahren sui generis, das wegen seiner hochpolitischen Natur dem funktionellen Bereich der Staatsleitung zuzurechnen ist und deshalb vom Verwaltungsbegriff des VwVfG nicht umfaßt wird. Daraus ergeben sich folgende Konsequenzen: Der Untersuchungsausschuß ist weder eine Behörde i.S.d. VwVfG noch sind seine Maßnahmen Verwaltungsakte i.S.d. § 35 VwVfG. Eine analoge Anwendung des VwVfG auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren scheitert nicht nur an der unterschiedlichen Zwecksetzung des Verwaltungsverfahrens und des Untersuchungsverfahrens, sondern auch an der Bereitstellung einer Verfahrensordnung durch die Verfassung selbst (Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG). Der Wunsch, das Untersuchungsverfahren verfahrensrechtlich dem förmlichen Verwaltungsverfahren anzugleichen, darf nicht mit dem nicht zu rechtfertigenden Befund des Vorliegens einer Regelungslücke verwechselt werden. Das Untersuchungsverfahren wird geprägt durch die sinngemäße Anwendung der Regeln des Strafprozesses und die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages. Sofern das rechtspolitische Bedürfnis nach einer im Interesse des Rechtsschutzes Betroffener konturierteren Ausgestaltung der Förmlichkeit des Untersuchungsverfahrens sich durchsetzt, dürfte der bereits in den Ländern eingeschlagene Weg einer speziellen gesetzlichen Verfahrensordnung den Besonderheiten des Untersuchungsrechts eher gerecht werden, als die Anwendung der letztlich "fremden" Verfahrensordnung des VwVfG.
6 Di Fabio
3. TEIL
Gerichtlicher Rechtsschutz gegen Akte parlamentarischer Untersuchungsausschüsse E. Justitiabilität I. Das Justitiabilitätsproblem in Rechtsprechung und Literatur
Gerichtlicher Rechtsschutz gegen Maßnahmen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse scheint angesichts der Eingriffsbefugnisse des Ausschusses und der teilweise erheblichen öffentlichen Brisanz des Untersuchungsverfahrens für betroffene Private eine rechtsstaatliche Notwendigkeit, die zudem durch Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich verbürgt ist. Die Besonderheit des Untersuchungsverfahrens als eines verfassungsunmittelbaren Verfahrens sui generis ist jedoch nicht in jeder Hinsicht mit der klaren Konzeption der auf gerichtliche Kontrolle gesetzesausführender Verwaltung zugeschnittenen Regel des Art. 19 Abs. 4 GG kongruent. Trotz der lange dauernden wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Recht parlamentarischer Untersuchungsausschüsse ist das Problem gerichtlichen Rechtsschutzes eher vernachlässigt worden. Bereits Heck konstatierte in den 20er Jahren das Problem, wie gegen Maßnahmen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse Rechtsschutz zu erlangen sei. "Es bleibt noch die Frage, welche Kautelen den durch die Maßnahme des VA. Beschwerten gegeben sind gegen eine bei seiner Zusammensetzung leicht möglichen Willkür."l
Dabei sah Heck eine gerichtliche Nachprüfbarkeit nur insoweit gegeben, als Gerichte im Rahmen der "Rechtshilfe" für den Ausschuß tätig wurden. 2 Während der Beratungen des Herrenchiemseer Verfassungsentwurfs stand dann allerdings die Frage der Rechtsschutzgewährung im Vordergrund einer Veränderung des Untersuchungsrechts gegenüber Art. 34 WRV. Art. 57 HehE enthielt als Abs. 5 folgende Bestimmung: "Wer durch die Feststellungen des Ausschusses in seiner Ehre betroffen ist, kann das Bundesverfassungsgericht anrufen, wenn er die Mindestgrundsätze eines geordneten Verfahrens, namentlich sein Recht auf Gehör, verletzt glaubt. Ist die Beschwerde begründet, so erkennt das Gericht, daß Feststellungen des Ausschusses nicht nach Vorschrift der Gesetze getroffen sind."3
Heck, S. 72. Heck, S. 73. 3 Vgl. zur Begründung des Konvents oben Kapitel A III. 2. b). 1
2
E. Justitiabilität
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Der Organisationsausschuß hat die Vorschrift zwar wieder gestrichen, jedoch nicht mit einer erkennbaren Intention, den Rechtsschutz vollkommen auszuschließen. 4 Gleichwohl zeigen die Verfassungsberatungen über das U ntersuchungsrecht, daß man zwischen Rechtsschutzgewährung und Rechtsschutzausschluß schwankte. Einerseits befürchtete manjudizielle Einmischung in ein genuin politisch-parlamentarisches Verfahren, andererseits konnte man sich nach den Weimarer Erfahrungen auch ehrverletzende und willkürlich verfahrende Untersuchungsausschüsse vorstellen, gegen deren Maßnahmen gerichtlicher Rechtsschutz geboten war. 5 Die Tendenz gegen gerichtlichen Rechtsschutz brachte der Antrag der Abgeordneten Dr. Menzel und Dr. Katz in den Beratungen zum Ausdruck, der verlangte, die Bestimmung aufzunehmen: "Die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses unterliegt keiner gerichtlichen Nachprüfung."6 Diese Formulierung wurde in erster und zweiter Lesung vom Hauptausschuß abgelehnt und statt dessen die Fassung des geltenden Art. 44 Abs. 4 GG gewählt. Eine im Verfassungstext zum Ausdruck kommende Verbesserung der Rechtsstellung der durch die parlamentarische Untersuchung Betroffenen gegenüber der Weimarer Rechtslage wurde damit nicht erreicht. 7 Das Problem gerichtlichen Rechtsschutzes blieb weiterhin der Literatur und der Rechtsprechung selbst überlassen. Die Unsicherheit in der Frage des Justitiabilitätsumfangs brachte Partsch im Rahmen des 45. DJT (1964) zur Sprache: "Einerseits ist an gewisse Vorgänge aus der Weimarer Zeit zu erinnern, bei denen Untersuchungsausschüsse unverschämten Zeugen gegenüber machtlos waren. Sie sprechen gegen eine Beschneidung der Zwangsmittel. Andererseits aber ist es richtig, daß es dem Grundsatz des lückenlosen Rechtsschutzes widerspricht, daß Zwangsmaßnahmen der richterlichen Kontrolle entzogen sind."8
In These 8 seines Gutachtens zur Reform des Untersuchungsrechts schlägt Partsch de lege ferenda die Eröffnung einer "Beschwerde" gegen Zwangsmaßnahmen der Untersuchungsausschüsse zu den Verfassungsgerichten vor 9 , obwohl er auch bereits de lege la ta neben dem Rechtsschutz durch die ordentliche Gerichtsbarkeit die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde in Betracht zieht. 10 Auch im Jahre 1970 noch hat der StGH Bremen ausgeführt, es sei immer noch umstritten, "ob und in welchem Umfang Rechtsmittel gegen die unmittelbare Vgl. OrgA 9. Sitzung vom 24.09.1948 Sten.Prot. S. 59. Vgl. die Ausführungen Baades in der Plenarsitzung vom 22.08.1948 in: Der Parlamentarische Rat 1948 1949, Akten und Protokolle, Bd. 2, 1981, S. 396ff. 6 HptA, 2. Sitzung vom 11.12.1948, Sten.Prot. S. 16 18. 7 Vgl. zur Geschichte des Art. 44 Abs. 4 GG Doemming / Füßlein / Matz, in: J öR NF 1, S. 366ff. 8 Partsch, Gutachten, S. 212. 9 Partsch, S. 220. 10 Partsch, S. 106. 4
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3. Teil: Gerichtlicher Rechtsschutz
Ausübung von Zwangsbefugnissen durch Untersuchungsausschüsse zulässig sind." 11 Vor diesem Hintergrund nimmt es wunder, daß in neueren Rechtsstreitigkeiten Gerichte mehr oder minder umstandslos Rechtsschutz gewährt haben, ohne auf die Frage der Justitiabilität näher einzugehen. 12 Die eher apodiktische Feststellung der Literatur, Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG beziehe sich nur auf den Abschlußbericht, alle anderen eingreifenden Maßnahmen seien voll justitiabel 13 , wurde dabei von der Rechtsprechung übernommen. 14 Die spärliche oder fehlende Fundierung der Rechtsprechung in diesem Bereich läßt es notwendig erscheinen, sowohl die für gerichtliche Überprüfbarkeit infrage kommenden Maßnahmen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse zu benennen als auch mögliche, der Justitiabilität entgegenstehende Bedingungen (lnjustitiabilitätsfaktoren) zu konkretisieren. Dabei gilt es zu bedenken, daß die Arbeit parlamentarischer Untersuchungsausschüsse keine gestaltende Verwaltungsausübung darstellt, sondern parlamentarische Tätigkeit nichtlegislatorischer Art. Der Problemzusammenhang "Rechtsschutz gegen nicht zur Rechtsetzung gehörende Akte der Legislative" wurde in der Vergangenheit nur vereinzelt behandelt und dieser Bereich mit den Stichwörtern "Grauzone" oder "dogmatisch graue Sphäre" als klärungsbedürftig angezeigt. 1s Dabei kann angesichts der überragenden Bedeutung des Art. 19 Abs. 4 GG für die Rechtsschutzgewährung die Justitiabilitätsdiskussion nur im Rahmen einer Prüfung einzelner Tatbestandsmerkmale dieser Norm geführt oder es müssen exemtorische Verfassungsvorschriften dem Art. 19 Abs. 4 GG entgegengestellt werden. 16
StGH Bremen, DÖV 1970, 387 (mit Nachweisen zum Meinungsstreit). OVG Koblenz, NVwZ 1986, 575 stellt lediglich fest, die Herausgabe von Ermittlungsakten durch die Exekutive an den Untersuchungsausschuß sei kein "gerichtsfreier Hoheitsakt". Vgl. auch BayVGH, BayVBl. 1981,209 (210). 13 Vgl. Maunz, in: MaunzjDürig, Art. 44 Rdnr. 63; Rechenberg, in: BK Art. 44 Rdnr. 32; v. Mangoldt j Klein, S. 950; Cordes, S. 149; Halstenberg, S. 153; Kipke, S. 46f. 14 Vgl. OVG Berlin, DVBl. 1970,293 (294); OVG NW: "Diese Bestimmung (Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG) bezieht sich lediglich auf verfassungsabschließende Beschlüsse, mit denen das Ergebnis der Untersuchung festgestellt wird, nicht aber Maßnahmen im Vorfeld." OVG NW, DVBl. 1987, 100 (101). 1S Vgl. Schmelter, Rechtsschutz gegen nicht zur Rechtsetzung gehörende Akte der Legislative, 1977, S. 16; Dürig, in: MaunzjDürig, Art. 17 Rdnr. 81; Otto Mayer spricht von verfassungsrechtlichen Hilfstätigkeiten. Vgl. Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. I, S. 7; vgl. auch oben Kapitel D. 16 Schmelter sieht aus diesem Grunde seine Monographie zum Thema des Rechtsschutzes gegen Nichtgesetzgebungsakte der Legislative als Exegese des Art. 19 Abs. 4 GG an. Vgl. Schmelter, S. 18. 11
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E. lustitiabilität
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11. "Rechtsschutzfäbige" Maßnahmen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse 1. Bestimmungsversuche individualrechtsverletzender Parlamentsakte
Private, die mittelbar oder unmittelbar im Mittelpunkt einer parlamentarischen Untersuchung stehen, können sich durch eine ganze Reihe höchst unterschiedlicher Maßnahmen des Ausschusses in ihren subjektiven Rechten beeinträchtigt fühlen. Als potentiell individualrechtsverletzende Akte kommen insbesondere in Betracht: -
der Einsetzungsbeschluß, Mitteilungen durch den Ausschußvorsitzenden oder Mitglieder des Untersuchungsausschusses an die Öffentlichkeit (zu jedem Verfahrenszeitpunkt), der Bereich der Beweiserhebungen (Beweisbeschluß, Zeugenladungen, Aktenanforderungen von Behörden, Aufforderungen an Private zur Vorlage von Unterlagen, Zwangsvorführung, Erzwingungshaft, Beschlagnahmeund Durchsuchungsanordnung), Ordnungsmaßnahmen, der Abschlußbericht.
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Für die Frage der Justitiabilität ist es von Bedeutung, ob unabhängig von Justitiabilitätsausschlüssen Ordnungskriterien an die Maßnahmen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse herangetragen werden können, die zwischen rechtsschutzfähigen Akten und solchen ohne Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz unterscheiden können. Eine solche Diskussion kann sinnvoll nur anhand und aufgrund der dogmatischen Ausprägung des Eingriffsbegriffs geführt werden, wobei dieser Begriff, der ja im Wortlaut des Art. 19 Abs. 4 GG nicht auftaucht, als Konkretisierung des Merkmals "Rechtsverletzung" angesehen werden muß. Jede subjektive Rechtsverletzung setzt rechtslogisch einen Eingriff in eine subjektive Rechtsstellung voraus. 17 In diesen Problemzusammenhang sind Beiträge einzuordnen, die bestimmten Aktionen staatlicher Gewalt per definitionem den Charakter der rechtsschutzauslösenden Maßnahme resp. eines Eingriffs absprechen wollen. Zum einen wird versucht, zwischen parlamentarischem Innenrecht und parlamentarischen Maßnahmen mit Außenwirkung zu unterscheiden, wobei nur die letztere Gruppe rechtsschutzfahig sein soll.18 Zum anderen können die Finalität der Maßnahme und der Regelungsgehalt eines Parlamentsaktes als Kriterien eines rechtsschutzfähigen Aktes angesehen werden 19 oder es kann die Unmittelbarkeit zwischen Maßnahme und Beeinträchtigung verlangt werden. 20 Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 292. Achterberg, Parlamentsrecht, s. 776; vgl. auch SeI/mann, Der schlichte Parlamentsbeschluß, 1966, S. 142ff; vgl. auch Haverkate, AöR 107 (1982), 539)ff. 19 Vgl. Friauf, Die Rolle der Grundrechte im Interventions- und Leistungsstaat, DVBI. 1971,674 (681); in diese Richtung tendiert auch OVG NW, DVBI. 1987, 100 (103), wo in dem Herausgabeverlangen von Geschäftsunterlagen gegenüber Privaten kein Verwal17
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3. Teil: Gerichtlicher Rechtsschutz
Die Unterscheidung nach parlamentarischen Innenrechtsakten (neben dem Einsetzungsbeschluß kommen auch Beweisbeschlüsse und der Abschlußbericht in Betracht) und eingreifenden Außenakten (z.B. Auferlegung eines Ordnungsoder Zwangsgeldes) spielte in der bislang einzigen Entscheidung über die Möglichkeit einer Individualrechtsverletzung durch den Einsetzungsbeschluß eine Rolle. Der StGH Hessen hat in seiner Entscheidung vom 9.02.1972 den den Einsetzungsbeschluß auslösenden Antrag einer Fraktion auf Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses als "Parlamentsinternum" bezeichnet, "der deshalb nicht die Grundrechtssphäre eines Bürgers berühren" könne. 21 Dem StG H ist darin zuzustimmen, daß parlamentsinternen Akten regelmäßig keine Außenwirkung zukommt. 22 Gleichwohl kann das über eine normative (und nicht faktische) Qualifizierung gewonnene Innen/ Außenkriterium nicht über die Frage des Rechtsschutzes vorgängig und abstrakt entscheiden, vielmehr ist eine die Rechtsschutzgewährung steuernde Beurteilung einzelner Ausschußmaßnahmen nur anhand des insoweit einschlägigen Art. 19 Abs. 4 GG vorzunehmen. 2. Eingriff und Rechtsverletzung im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG
Die Grundvoraussetzungjeder Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes ist der die Rechtsverletzung bewirkende Eingriff. Eine gültige Definition dieses Begriffs steht nach wie vor aus. Überkommene Definitionen eignen sich aber als Ausgangspunkt oder grobe Faustregel. Schenke spricht von einem Eingriff in die Rechtssphäre, "wenn einer Person durch eine Verwaltungsmaßnahme ein Handeln, Dulden oder Unterlassen auferlegt wird."23 Dieser klassische (ordnungsrechtlich geprägte) Eingriffstatbestand enthält zwei elementare Bestandteile, zum einen die Finalität einer staatlichen Maßnahme gerichtet auf den Betroffenen bzw. sein subjektives Recht und zum anderen eine Unmittelbarkeit zwischen Maßnahme und Rechtsbeeinträchtigung. 24 Auf beide Kriterien wurde in der Vergangenheit in unterschiedlichem Maße verzichtet oder ihr BedeutungsgehaIt variiert. Die Diskussion wird unter dem tungsakt mit Regelungswirkung gesehen wird, sondern eine "schlichte öffentlichrechtliche Willenserklärung", gegen die (zumindest im Eilverfahren) kein selbständiger Rechtsschutz gewährt wurde. (Stattdessen wurde auf die Rechtsprüfung des Strafrichters beim Erlaß der Beschlagnahmeanordnung nach § 98 StPO hingewiesen). 20 Vgl. den Überblick über Rechtsprechung und Literatur zu dieser Frage bei Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen des Eigentums, 1980, S. 82ff. 21 StGH Hessen, ESVGH 22, 137 (138). 22 So auch Haverkate, AöR 107 (1982), 539 (552) für den vergleichbaren Bereich des Verhältnisses zwischen Rechnungshof und Parlament. 23 Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 292. 24 Vgl. Wolf!/ Bachof, Verwaltungsrecht I, § 46 V a; Ossenbühl, Umweltpflege durch behördliche Warnungen und Empfehlungen, 1986, S. 14f.
E. Justitiabilität
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Stichwort der "faktischen Beeinträchtigung" geführt und spielt vor allem im Wirtschafts- und Subventionsrecht eine nicht unerhebliche Rolle. 2s Im Bereich des parlamentarischen Untersuchungsverfahrens können nur diejenigen Maßnahmen des Ausschusses unter den traditionellen Eingriffsbegriff gefaßt werden, die auf die Auferlegung einer Pflicht gegenüber dem Betroffenen hinauslaufen, wie beispielsweise die Auferlegung eines Zwangsgeldes. Andere Aktivitäten wie z. B. ehrverletzende Äußerungen des Ausschußvorsitzenden oder Rufschädigung durch die Publizität des Verfahrens entbehren dagegen regelmäßig zumindest der Finalität oder auch der Unmittelbarkeit zwischen auslösender Aktion und eingetretenem Verletzungserfolg. 26 Die Möglichkeit faktischer Beeinträchtigung von Grundrechten durch Vertreter des Parlaments und der Regierung war bereits mehrfach Gegenstand der Rechtsprechung. Das BVerfG hat der Publizierung eines Verfassungsschutzberichts, der von der Verfassungswidrigkeit einer Partei spricht, die Eingriffsqualität zunächst abgesprochen, weil die "faktischen Nachteile", die der Partei entstehen, keine Auswirkungen im Rechtssinne seien. 27 Im Anschluß daran prüft das Gericht gleichwohl, ob das negative Werturteil sachlich oder willkürlich abgegeben wurde, wobei im letzteren Falle offenbar doch eine Beeinträchtigung des Art. 21 GG (Chancengleichheit) gegeben sein sollte. 28 Zuvor hatte das BVerfG der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage unter dem Hinweis auf die nur parlamentsinterne Wirkung die Qualität einer Rechtsverletzung abgesprochen. 29 In einer anderen Entscheidung hat das Gericht auf die Finalität der Maßnahme abgehoben und die Abgrenzung zur bloßen Reflexwirkung gesucht. 30 In jüngeren Entscheidungen wird zunehmend deutlich, daß das BVerfG faktische Beeinträchtigungen doch als rechtsverletzende Eingriffe für möglich hält. 31 Das BVerfG scheint zum einen - ähnlich dem BVerwG32 - entweder bei einem schweren und unerträglichen Nachteil einen 25 Vgl. Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen des Eigentums; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen im Bereich der Grundrechte, 1970; Ossenbühl, Umweltpflege durch behördliche Warnungen und Empfehlungen, 1986, S. 15fT; Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973, S. 135. 26 Vgl. dazu Linck, ZRP 1987, S. 15. 27 BVerfGE 40, 287 (293). 28 A.a.O. 29 BVerfGE 13, 123 (125). 30 BVerfGE 31, 33 (40); zur Abgrenzung faktischer Rechtsverletzungen von bloßen Reflexwirkungen vgl. bereits Bachof, Reflexwirkungen und subjektive Rechte im öfTentliehen Recht, in: Festschrift für W. Jellinek, 1955, S. 287fT. 31 Für den Bereich der Leistungsverwaltung vgl. BVerfGE 46,120 (137); allgemein zur Möglichkeit (psychischer) Fernwirkungen nicht-finaler staatlicher Tätigkeit vgl. BVerfGE 65, 1 (41 ff.); In dieser Entscheidung wird bereits die undurchschaubare staatliche Informationsbeschaffung und -speicherung wegen der entstehenden Unsicherheit des Bürgers als EingrifTin Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (allgemeines Persönlichkeitsrecht) angesehen. 32 Vgl. zur Rechtsprechung des BVerwG Nachweise bei Ossenbühl, Umweltpflege, S. 20ff.
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3. Teil: Gerichtlicher Rechtsschutz
Eingriff auch ohne Finalität zu bejahen 33 oder anstelle des Unmittelbarkeitskriteriums Prüfungspunkte wie U rsächlichkeit oder Zurechenbarkeit zuzulassen. 34Die Rechtsprechung des BVerfG spiegelt die allgemeine Tendenz wider, vom polizeirechtlichen Eingriffsbegriff als alleinige Eingriffsform Abschied zu nehmen und faktische Beeinträchtigungen als Eingriff unter bestimmten Voraussetzungen zu qualifizieren. Auch wenn diese Voraussetzungen noch nicht mit der wünschenswerten Prägnanz formuliert sind,35 ist gleichwohl eines deutlich. Ein Eingriff in eine geschützte Rechtsposition durch Träger öffentlicher Gewalt kann nicht ohne Einzelfallprüfung allein deshalb abgelehnt werden, weil dieser Akt bestimmte förmliche Modalitäten nicht erfüllt. 36 Zur Beurteilung der Frage, wann ein rechtsverletzender Eingriff vorliegt, kommt es weder auf die Plazierung des Aktes innerhalb der Staats organisation 37 noch auf die Absicht und den Willen des Eingriffsverursachers (Finalität) an. Art. 19 Abs. 4 GG ist nicht aus der Sicht staatsrechtlicher Organisation oder verwaltungs rechtlicher Klassifizierungen, sondern aus derjenigen des durch die öffentliche Gewalt Betroffenen zu lesen. Die Beurteilungsperspektive wird durch das möglicherweise verletzte subjektive Recht vorgegeben, das Wie und Warum staatlicher Aktion ist für die Bejahung eines Eingriffs sekundär, wenn nur ein nachvollziehbarer Zusammenhang (Zurechenbarkeit) zwischen öffentlichem Handeln und verletzter Individualposition besteht. 38 Man könnte auch mit Schmidt-Aßmann nach dem Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen parlamentarischem Akt und geschütztem Individualrecht fragen. Weder kann eine rechtmäßige Maßnahme des Untersuchungsausschusses (oder des Plenums) eine Rechtsverletzung herbeiführen (bloße Rechtsbeeinträchtigung) noch ist jeder Verstoß gegen objektives Recht eine Verletzung subjektiver Rechtspositionen i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG. 39 Die angegriffene Maßnahme muß sich als Verstoß gegen eine Rechtsposition Vgl. BVerfGE 40,287 (293). Vgl. dazu BVerfGE 66,39 (60). 3S Ossenbühl spricht von "Problemgesichtspunkten, die sich in einem ständigen Fluß befinden und stark von der Besonderheit des jeweils zu entscheidenden Falles bestimmt wurden". Ossenbühl, Umweltpflege, S. 25. 36 Schmelter, S. 116; vgl. auch Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, 1970, S. 120: "ob die Rechtsverletzung Folge einer selbständigen oder unselbständigen, primären oder akzessorischen Maßnahmen eines Individual- oder Kollektivaktes ist, spielt für Art. 19 Abs. 4 schlechterdings keine Rolle." 37 Bei Akten der Rechtsprechung oder der rechtsetzenden Parlamentsfunktion scheitert die Anwendbarkeit des Art. Abs. 4 GG an der Tatbestandsvoraussetzung "öffentlicher Gewalt". 38 Vgl. BVerfGE 65,1 (41 ff.); in dieser Entscheidung treten Ziele und Umstände der Datenerhebung bei der Beurteilung als Eingriff in den Hintergrund, die Eingriffsproblematik wird als Schutzbereichsbestimmung des Art. 2 Abs. 1 GG formuliert. 39 Schmidt-Aßmann, in Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 16; Linck spricht vom "rechtswidrigen Effekt". ZRP 1987, 11 (15). 33
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E. Justitiabilität
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darstellen, die zum Schutz einer Individual- oder Grundrechtssphäre errichtet wurde. 4O Der Rechtswidrigkeitszusammenhang ist bei parlamentarischen Akten ohne Regelungsfinalität ausnahmsweise dann gegeben, wenn parlamentarische Aktionen unmittelbar zu intensiven Grundrechtsbeeinträchtigungen führen. Weder reicht es aus, daß ohne zurechenbaren Kausalverlauf das Grundrecht reflexartig tangiert wird, noch ist ein Eingriff bei bloßen - wenig intensivenGrundrechtsbeeinträchtigungen gegeben. Damit staatsinterne Akte als Eingriff qualifiziert werden können, müssen sie in gewisser Weise deutlich und meßbar den innerstaatlichen Bereich verlassen. 41 Da eine innerparlamentarische Maßnahme an Maßstäben objektiven Rechts gemessen wird (Kompetenz-, Geschäftsordnungs- und Verfahrensregelungen) und im Regelfall nicht auf subjektive Rechtspositionen zielt, kann der Eindruck entstehen, innerparlamentarische Maßnahmen könnten generell keine Rechtsverletzung i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG auslösen. Gerade im Untersuchungsverfahren besteht jedoch die Besonderheit, daß der "Publizitätsfaktor" eine erhebliche Rolle spielt. Die Formulierung eines Untersuchungsauftrags, der sich gegen private natürliche oder juristische Personen richtet und einen bestimmten aufklärungsbedürftigen Sachverhalt unterstellt, kann im Bereich der Skandalenqueten unmittelbare Folgen zeitigen. Zum einen kann sich die betroffene Privatperson durch die negative Resonanz unmittelbar in ihrer Ehre gekränkt fühlen 42 , zum anderen kann die einsetzende (oder sich verstärkende) öffentliche Anteilnahme zu einer Kreditgefährdung oder anderen Beeinträchtigungen des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs führen. 43 Bei Vorliegen eines Rechtswidrigkeitszusammenhangs (Verletzung geschützter Grundrechte durch den Untersuchungsausschuß - z.B. Eindringen in den Intimbereich, willkürliche Preisgabe von Geschäftsgeheimnissen) kann im Grundsatzjede Maßnahme des Parlaments und des Untersuchungsausschusses eine Rechtsverletzung i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG darstellen. Eine Differenzierung von Maßnahmen des Untersuchungsausschusses nach Justitiabilitätsgesichtspunkten kann demnach nicht a limine vorgenommen werden, sondern bleibt Sache des zu beurteilenden Einzelfalls. 44
Schwabe, DVBI. 1984, 140 (142). Haverkate, AöR 107 (1982), 539 (553). 42 Vgl. zu ehrverletzenden Äußerungen im öffentlichen Recht: Berg, Zum Widerruf ehrkränkender Behauptungen im öffentlichen Recht, JuS 1984, 521 ff.; Bettermann, Vom Rechtsschutz und Rechtsweg des Bürgers gegen Rundfunk-Rufmord, NJW 1977, 513; BHG NJW 1976, 11987ff.; OVG Lüneburg, NJW 1975, 76ff. . 43 Vgl. die öffentliche Diskussion um die Materien des 1. Untersuchungsausschullses des 10. DBT - Flick-Untersuchungsausschuß - und des 3. Untersuchungsausschusses des 10. DBT - NEUE-HEIMAT-Untersuchungsausschuß; vgl. Einleitung FN 8 und 11. 44 So auch Schmelter, S. 126 (mit Beispielen für Individualrechtsverletzungen aus dem parlamentarischen Bereich); vgl. auch Lorenz, S. 155. 40 41
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3. Teil: Gerichtlicher Rechtsschutz
111. Besondere Injustitiabilitätsfaktoren im parlamentarischen Untersuchungsrecht 1. Maßnahmen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse
als "öffentliche Gewalt" i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG
Zweifel an der Anwendbarkeit des Art. 19 Abs. 4 GG können auch dann noch bestehen, wenn eine Rechtsverletzung durch Maßnahmen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse im jeweiligen Einzelfall bejaht wird. Es kann die Frage aufgeworfen werden, ob parlamentarische Akte überhaupt das Tatbestandsmerkmal "öffentliche Gewalt" i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG erfüllen oder dieses Merkmal nicht vielmehr nur den Ausübungsbereich von "Verwaltung" meint. 45 Die Rechtsprechung hat den Bereich der Legislative ausdrücklich aus dem Definitionsbereich des Begriffs, "öffentliche Gewalt" ausgenommen 46 , jedoch ist dabei zwischen der Gesetzgebung im funktionellen Sinne und der Parlamentstätigkeit im organisatorischen Sinne zu unterscheiden. Die nicht zur Gesetzgebung im funktionellen Sinne zählenden Akte des Parlaments sind nach heute einhelliger Auffassung Emanation staatlicher Gewalt und können nicht von vorneherein aus dem Definitionsbereich "öffentliche Gewalt" ausgeschlossen werden. 47 Art. 19 Abs. 4 GG gebraucht den Begriff "öffentliche Gewalt" einschränkungslos, eine Festlegung auf nur eine der drei Teilgewalten des Staates findet keinen Anhaltspunkt in der Verfassung. Ähnlich wie bei der Feststellung einer Rechtsverletzung kommt es auch hier nicht darauf an, wo der rechtsverletzende Akt seinen Ursprung innerhalb der Staatsorganisation findet, sondern ob er sich aus der Sicht des Verletzten als Akt öffentlicher Gewalt darstellt. Der Begriff "öffentliche Gewalt" grenzt demnach nur Akte privater Gewalt vom Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG aus. 48 Die in subjektive Rechtspositionen eingreifenden Maßnahmen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse sind deshalb Akte öffentlicher Gewalt im Sinne 45 Das VG Köln sieht in einer älteren Entscheidung den Begriff der "öfTentlichen Gewalt" auf die Tätigkeit von Verwaltungsbehörden beschränkt. VG Köln, DVBI. 1965, 882 (885); vgl. auch Klein, Tragweite der Generalklausel im Art. 19 Abs. 4 des Bonner Grundgesetzes, VVDStRL 8, 67 (107). 46 Vgl. BVerfGE 24,33 (49fT.); 25, 352 (365); 31, 364 (468). 47 Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 219ff.; Harnannj Lenz, GG, Art. 19 Abs. 4 Anm. B 14; Achterberg, Parlamentsrecht, S. 773fT.; Schrnidt-Aßrnann, in: MaunzjDürig, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 91; Schrnelter, S. 79fT.; zu kaum argumentativ gestützten älteren AufTassungen vgl. Sellrnann, Der schlichte Parlamentsbeschluß, S. 142fT.; Obermeier, Die schlichten Parlamentsbeschlüsse, S. 162. Heute wird in der Literatur darüber hinausgehend bereits die Einbeziehung der eigentlichen Gesetzgebung in den Wirkungsbereich des Begriffs "öffentlicher Gewalt" i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG diskutiert. Vgl. dazu die Nachweise bei Schrnidt-Aßrnann, in: MaunzjDürig, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 93. 48 Die Nichtanwendung des Art. 19 Abs. 4 GG auf Akte der Rechtsprechung selbst ergibt sich bereits aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift, die nicht in der Herbeiführung einer unendlichen (paradoxen) Selbstüberprüfung der Judikative liegen kann.
E. J ustitiabilität
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des Art. 19 Abs. 4 GG49, ein Rechtsschutzausschluß oder eine Beschränkung gegenüber dieser Art von Parlamentsakten kann sich nicht aus dem Begriff "öffentliche Gewalt" ergeben. 50 2. Die Lehre vom gerichtsfreien Hoheitsakt
Obwohl mitunter in die Diskussion über die Reichweite des Merkmals der "öffentlichen Gewalt" involviert 51 , hat die Auseinandersetzung über eine der Justitiabilität entzogene Sphäre genuiner Regierungstätigkeit eine eigenständige Bedeutung erlangt. Der Gedanke justizfreier Regierungsakte wurde in der Nachkriegszeit von Hans Schneider wieder aufgenommen 52 und hat bis in die 60er Jahre für eine kontroverse Debatte gesorgt. 53 Im Zentrum der Argumentation von Befürwortern justizfreier Hoheitsakte stand der Hinweis auf den politischen Charakter von Regierungstätigkeit im materiellen Sinne. Der besondere Charakter politischer Leitentscheidungen lasse eine Bewertung mit rein rechtlichen Maßstäben inadäquat erscheinen und verschiebe strukturell vorgegebene Verantwortlichkeiten. 54 Da die Tätigkeit parlamentarischer Untersuchungsausschüsse durch ihren besonderen politischen Gehalt als Regierungstätigkeit im materiellen Sinne zu beurteilen sei, könnten Untersuchungsrnaßnahmen unter Zugrundelegung der Lehre vom gerichtsfreien Hoheitsakt entweder bereits als Nicht-Rechtsakte oder als Rechtsakte, die aber der Gerichtsbarkeit entzogen sind 55, bewertet werden. Einer generellen Injustitiabilität der Maßnahmen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse unter Hinweis auf den politischen Kern des Verfahrens steht jedoch heute eine weitgehend homogene Ablehnung der Lehre vom gerichtsfreien Hoheitsakt entgegen. 56 Die Forderung nach gerichts freien Hoheitsakten läßt sich weder als Ergebnis restriktiver Auslegung des Begriffs "öffentlicher Gewalt" in Art. 19 Abs. 4 GG noch "verfassungsimmanent" begründen. Das mehr oder weniger scharf artikulierte Unbehagen gegenüber der Gerichtsbarkeit im "politischen BeBVerfGE 67, 100 (142). So auch Schmelter, S. 108 (mit ausführlicher Begründung). 51 Vgl. VG Köln, DVBI. 1965,882 (885); Schmelter, S. 108. 52 Schneider, Gerichtsfreie Hoheitsakte, 1951; vgl. auch Ipsen, Hans-Peter, Politik und Justiz, 1937. 53 Vgl. Klein, VVDStRL 8, 67 (111); Obermayer, BayVBI. 1955, 129 (173f.); Loening, Regierungsakt und Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBI. 1951,233 ff.; Husen, Gibt es in der Verwaltungsgerichtsbarkeit justizfreie Hoheitsakte?, DVBI. 1953, 70ff.; OVG Münster, DVBI. 1967, 51 (52); VG Köln, DVBI. 1965, 882 (884f.). 54 Vgl. Schneider, S. 42f.; Loening, DVBI. 1951, 233 (235f.); OVG Münster, DVBI. 1967, 51 (52). 55 Vgl. zu dieser begriffiichen Unterscheidung Petersen, Gnadenakt und Rechtsweggarantie, JuS 1974, 502. 56 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: MaunzjDürig, Art. 19, Abs. 4 Rdnr. 77; Badura hält die Diskussion über justizfreie Hoheitsakte zeitlich für überholt. Badura, Staatsrecht, S. 463; vgl. auch Schenke, BK Art. 19 Rdnr. 223ff; Lorenz, S. 158. 49
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3. Teil: Gerichtlicher Rechtsschutz
reich" 57 ist zwar im Spannungsfeld der Gewaltenteilungsdiskussion richtig angesiedelt, jedoch wurden vor allem durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Argumentationsfiguren von der Justitiabilitätsfrage wegverlagert auf Fragen des Ermessens und der Beurteilungs- oder Prognosespielräume. 58 Diese Akzentverschiebung ist eine dogmatische Reaktion auf das Problem, den Kernbereich einer Teilfunktion der Staatsgewalt zu respektieren und zugleich Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG für den Einzelnen zu gewährleisten. Nicht das "Ob" von Rechtsprechung im Bereich der Regierungsakte (Justitiabilität) steht zur Disposition, sondern es geht um die Frage des "Wie" im Sinne eines judical-self-restraint der Rechtsprechung, die die Maßstäbe judizieller Kontrolldichte in diesem Bereich selbst entwickeln muß. 59 Dort, wo eine Entscheidung politisch (d.h. auch immer voluntaristischverantwortlich) getroffen wird, wo ein Verfahren nach politischen und erst in zweiter Linie rechtlichen Kriterien gesteuert wird, können die eher engen Maßstäbe juridischer Kontrolle nicht umstandslos angewandt werden 60 , da ansonsten eine Dysfunktionalität innerhalb der gewaltenteiligen Funktionszuordnung und eine dem Gewaltenteilungsprinzip zuwiderlaufende Verantwortungsverschiebung die Folge wären. 61 Gleichwohl kann dieser Gedanke angesichts der allgemeinen Rechtsschutzeröffnung durch Art. 19 Abs. 4 GG und des rechtsstaatlichen Kontrollauftrags der Judikative 62 nur zu einer Kontrollbegrenzung, aber nicht zu einer generellen Exemtion entsprechender Materien und damit zur Eröffnung rechtsfreier Räume führen. 63 3. Reichweite des Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG
Die verfassungsmäßige Verbürgung des Untersuchungsrechts im Grundgesetz ist mit einer Ausnahme von der allgemeinen Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG versehen. Nach Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG sind die Beschlüsse der Untersuchungsausschüsse der richterlichen Erörterung entzogen. Diese Norm Schmelter, S. 137f. Vgl. dazu BVerfGE 49,89 (131); ferner Schmelter, S. 152f. 59 Vgl. dazu Schneider, NJW 1980, 2103 (2108 ff.); allgemein zu diesem Problem: Zuck, Political-Question-Doktrin, Judical-self-restraint und das Bundesverfassungsgericht, JZ 1974, 361 ff. 60 Zur Unterscheidung rechtlicher und politischer Maßstäbe vgl. Schmidt-Aßmann, in: MaunzjDürig, Art. 19 Abs. IV Rdnr. 12. 61 Dies frühzeitig erkannt zu haben, ist das Verdienst Hans Schneiders. Vgl. Schneider, Gerichtsfreie Hoheitsakte, S. 42. 62 "Rechtsstaatlichkeit meint heute einen umfassend entfalteten Rechtsschutz". Stern, Staatsrecht I, S. 839; vgl. auch BVerfGE 53, 115 (127). 63 Schmidt-Aßmann, in: Maunz j Dürig, Art. 19 Abs. 4 GG Rdnr. 78; Stern, Staatsrecht 11, S. 689. 57
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E. Justitiabilität
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wird allgemein als punktuelle Abweichung von der grundsätzlichen Justitiabilität staatlicher Hoheitsakte angesehen. 64 Die Injustitiabilitätsregelung wurde angesichts der Erfahrungen der Weimarer Zeit in das Grundgesetz neu aufgenommen, um negative und herabsetzende Kritik der Richterschaft gegenüber der Arbeit parlamentarischer Untersuchungsausschüsse zu verhindern. 65 Für die Frage nach der Justitiabilität von Maßnahmen der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse ist es von Bedeutung, welche Handlungen im einzelnen von dieser Norm erfaßt werden. Der Wortlaut der Norm deutet daraufhin, daß alle "Beschlüsse" des Untersuchungsausschusses, auch beispielsweise Beweisbeschlüsse, jeder richterlichen Erörterung entzogen, also injustitiabel sind. 66 Die herrschende Meinung geht allerdings davon aus, daß nur der Abschlußbericht des Ausschusses der gerichtlichen Erörterung entzogen sei. 67 Teilweise scheint die restriktive Auslegung des Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG auch vor dem Abschlußbericht keinen Halt zu machen. 68 Eine gängige Begründung für eine Beschränkung des Justitiabilitätsausschlusses auf den Abschlußbericht wird in der Finalität einer Maßnahme gesehen. 69 Diese Auffassung geht im wesentlichen auf von Mangoldt / Klein zurück, die eine Unterscheidung wie folgt treffen: "Beschlüsse im Sinne des Abs. 4 Satz 1 sind nach Entstehungsgeschichte und Zweck der Vorschrift sowie unter dem Gesichtspunkt des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 nur diejenigen Beschlüsse der Untersuchungsausschüsse, die das Ergebnis der Untersuchung feststellen, nicht dagegen solche, die - wie etwa Beschlüsse über Ordnungsstrafen gegen Zeugen - Rechtswirkungen gegenüber dem Staatsbürger haben."70
Abgesehen von dem Rückgriff auf Sinn und Zweck des Art. 44 Abs. 4 S. 1 GG sowie seiner Entstehungsgeschichte ist an dieser Begründung auffällig, daß die geforderte Eingriffsfinalität in Zusammenhang mit Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG gestellt wird. Berücksichtigt man, daß in den fünfziger Jahren - aus denen 64 Vgl. von Münch, GG, Art. 44, Rdnr. 24; Klein, VVdStRL 8 (1950), S.123, spricht von der Einschränkung eines formellen Grundrechts. 6S Vgl. Verhandlungen des Parlamentarischen Rats, 2. Sitzung vom 11.11.1948, Ausschußprotokoll S. 16ff.; vgl. auch Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 44 Rdnr. 65, der vom "Kritikschutz" spricht. 66 So Geiler / Kleinrahm, Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, Art. 41 Anm.l0d. 67 Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 44 Rdnr. 63; Kipke, S. 46; Schneider, AK, Art. 44 Rdnr. 10; von Mangoldt / Klein, S. 950; Rechenberg, in: BK, Art. 44, Rdnr. 32; Hilf, NVwZ 1987, 537 (543). 68 Vgl. neuerdings OVG Hamburg, NVwZ 1987, 610 (611). Nicht ganz klar ist, ob von Münch mit seiner Forderung, gegen eine staatlicherseits ausgesprochene Beschuldigung sollte dem Bürger ein Abwehrrecht zustehen, de lege lata oder de lege ferenda argumentiert. Von Münch, GG Art. 44 Rdnr. 25; vgl. auch die kritischen Anmerkungen bei Kipke, S. 46f. 69 Rechenberg, in: BK, Art. 44 Rdnr. 32. 70 v. M angoldt / Klein, Das Bonner Grundgesetz, S. 950.
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3. Teil: Gerichtlicher Rechtsschutz
dieses (grundlegende) Zitat stammt - noch an der traditionellen Definition des Eingriffs und der Rechtsverletzung, die Finalität und Unmittelbarkeit voraussetzte, festgehalten wurde, so wird deutlich, daß Art. 44 Abs. 4 S. 1 GG gar nicht als Ausnahme von der allgemeinen Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG gesehen wurde. Wenn nämlich Art. 19 Abs. 4 GG - wie damals angenommen - nur Rechtsschutz gegen finale und unmittelbare Rechtswirkungen erzeugende Akte garantierte, so fiele der Abschlußbericht, der sich ja nur an das Plenum richtet, ohnehin nicht in den Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG. Aus dieser Sicht der Dinge ist es dann auch selbstverständlich, daß Maßnahmen, die dem traditionellen Eingriffsbegriff entsprechen, schon wegen der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht vom gerichtlichen Rechtsschutz ausgenommen werden dürfen. 71 Eine solche Argumentation trägt jedoch nur soweit, als daß Art. 44 Abs. 4 S. 1 GG nicht als Durchbrechung der allgemeinen Rechtsschutzgewährleistung vom Verfassungsgeber gewollt war. Eine solche Ansicht wird heute jedoch nicht explicit vertreten, sondern allgemein sehen Rechtsprechung und Literatur in Art. 44 Abs. 4 S. 1 GG eine Ausnahmeregelung gegenüber Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG.72 Angesichts der dogmatischen Fortentwicklung bei der Auslegung des Merkmals der Rechtsverletzung in Art. 19 Abs. 4 GG (Eingriffsdiskussion) erscheint die vor allem von der Literatur vorgenommene Betonung der Finalität und der Unmittelbarkeit der Maßnahme als Entscheidungskriterien für die Anwendbarkeit des Art. 44 Abs. 4 S. 1 GG nicht mehr auf dem neuesten Stand der Verfassungsinterpretation. Durch die Anerkennung der faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen haben die Merkmale Finalität und Unmittelbarkeit erheblich an argumentativer Kraft verloren, sie stellen heute keine exklusiven Kriterien für die Rechtsschutzgewährung mehr dar. Daraus kann für die Betrachtung des Art. 44 Abs. 4 S. 1 GG nur der Schluß gezogen werden, daß die Differenzierung nach Finalitätsgesichtspunkten nicht über ein konsentiertes Verständnis hinsichtlich eines finalen Eingriffsbegriffs mit Ursprung in Art. 19 Abs. 4 GG - begründet werden kann, sondern nur aus dem Sinn und Zweck des Art. 44 Abs. 4 S. 1 GG selbst. Dabei darf die Entstehungsgeschichte dieser Norm nicht überschätzt werden. Der Diskussionskontext im Organisationsausschuß war durch das alte Problem der wechselseitigen Überschneidungsmöglichkeiten von gerichtlichen Strafverfahren und parlamentarischen Untersuchungsverfahren geprägt, Individualrechtsschutz wurde nur in anderen Zusammenhängen ausdrücklich erwähnt. 73 Insbesondere hat der Hauptausschuß zu der gegenwärtigen Fassung des Art. 44 Abs. 4, der durch den 71 Diesen Schluß zieht ausdrücklich das 0 VG Berlin, das einen Rechtsschutzausschluß über Art. 44 Abs. 4 S. 1 GG bei finalen Maßnahmen als einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG ansieht. OVG Berlin, DVBI. 1970,293 (294). 72 Vgl. Nachweise FN 61 sowie Schneider, in: AK, Art. 44 Rdnr. 10; Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 44 Rdnr. 65; Rechenberg, in: BK, Art. 44 Rdnr. 32; Harnann/ Lenz, GG, Art. 44 Anm. B. 4.; VG Harnburg, DVBI. 1986, 1017 (1018). 73 Vgl. den in Kapitel A, FN 60 zitierten Konventsbericht.
E. lustitiabilität
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Fünferausschuß in dieser Formulierung erstmalig vorgelegt wurde, keine Stellung bezogen, so daß für die Interpretation dieser Vorschrift sich aus den Protokollen keine Anhaltspunkte ergeben. 74 Erkennbar ist jedoch, daß der hohe Rang dieses parlamentarischen Instruments den Verfassungsgeber zu einem besonderen Eingriffsschutz gegenüber der dritten Gewalt veranlaßt hat, ohne daß allerdings belegt werden könnte, daß die gesamte Tätigkeit des Untersuchungsausschusses justizfrei sein sollte. 75 Man wird deshalb angesichts der demgegenüber deutlichen Entscheidung in Art. 19 Abs. 4 GG für einen lückenlosen Rechtsschutz gegenüber rechtsverletzenden Hoheitsakten einerseits Art. 44 Abs. 4 S. 1 GG eher restriktiv auslegen und andererseits die Zielsetzung der Norm (Autonomie des Untersuchungsverfahrens, Kritikschutz) beachten müssen. Angesichts der überragenden Bedeutung der Garantie gerichtlichen Rechtsschutzes darf die Ausnahmevorschrift nur soweit zur Geltung gebracht werden, wie dies die besondere Funktion des Untersuchungsrechts erfordert. Es gilt demnach, für die Bestimmung der Reichweite des Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG einen anderen Abgrenzungsmaßstab zu finden als den der Finalität oder der Unmittelbarkeit. Das VG Hamburg hat zum ersten Mal sich mit dieser Frage näher beschäftigt und versucht, Kriterien aus dem Sinn des Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG selbst zu gewinnen. 76 Das VG führte dazu aus: "Durch die in Art. 25 Abs. 6 Satz 1 HV garantierte ,Kritikfreiheit' soll diese besondere parlamentarische Aufgabe vor Einflußnahme und Behinderung von außen geschützt werden."77
Da es in dem Judikat um die Justitiabilität eines Abschlußberichtes geht, fragt das Gericht im Anschluß an diese Funktionsbestimmung der Norm, welche Bedeutung der Abschlußbericht für die Untersuchungsarbeit besitzt und gelangt aufgrund der herausragenden Bedeutung des Berichts zu dem Ergebnis, der Justitiabilitätsausschluß erstrecke sich "jedenfalls auf den Abschlußbericht eines Untersuchungsausschusses".78 Da anderen Beschlüssen des Untersuchungsausschusses eine derartig herausragende Bedeutung nicht ohne weiteres zukommt, hält das Gericht diese zwingende funktionale Konsequenz nicht in jedem Fall für gegeben. Doemming/Füsslein/Matz, löR 1 (NF) 1951, S. 369. 7S Immerhin wurde der Antrag der Abgeordneten Menzel und Dr. Katz abgelehnt, der die Formulierung enthielt: "Die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses unterliegt keiner richterlichen Nachprüfung." Vgl. Nachweise" bei Doemming / Füsslein / Matz, vorige FN. 76 VG Hamburg, DVBI. 1986, 1017 (1019). In dieser Entscheidung ging es um den landesrechtlich einschlägigen, im Wortlaut mit Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG übereinstimmenden Art. 25 Abs. 6 Satz 1 HarnVerf. 77 VG Hamburg, DVBI. 1986, 1017 (1019). 78 VG Hamburg, DVBI. 1986, 1017 (1919). 74
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3. Teil: Gerichtlicher Rechtsschutz
"Gegen andere Beschlüsse des Ausschusses z.B. auch gegen Einzelmaßnahmen des Ausschußvorsitzenden kann hingegen Rechtsschutz möglich sein."79
Die vorsichtige Formulierung deutet auf die Ansicht des Gerichts hin, daß in anderen Fällen jeweils auch die Bedeutung des streitigen Beschlusses für das Untersuchungsverfahren festgestellt werden müsse. Dies ist der einzig gangbare Weg, dem Sinngehalt des Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG gerecht zu werden. Andere Beschlüsse des Untersuchungsverfahrens können eine ähnliche Bedeutung für den Verlauf und das politische Ergebnis des Verfahrens haben wie der Abschlußbericht. Zu nennen wäre hier zum einen der Einsetzungsbeschluß, der als Gegenstandsbestimmung des Plenums die konstituierende Voraussetzung des Untersuchungsverfahrens darstellt 80 und im Falle einer gerichtlichen Aufhebung das gesamte Untersuchungsverfahren bereits im Ansatz verhindern würde. Ähnlich gewichtig können zentrale Beweisbeschlüsse und Beweisanordnungen sein. Da der Charakter des Untersuchungsausschusses neben der Bewertung von Tatsachen vor allem die Feststellung von Tatsachen zum Ziel hat (Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG), können im Einzelfall der Beweisbeschluß oder bestimmte Beweiserhebungen für die Ermittlungstätigkeit zentrale Bedeutung erlangen. Mit der Vorlage oder Nichtvorlage von Beweismitteln kann ein Untersuchungsverfahren - sofern nicht auf andere Beweismittel ausgewichen werden kann - stehen oder fallen. 81 Legt man die teleologischen Maßstäbe des VG Hamburg an einen derartig wichtigen Beweisbeschluß an, so dürfte man sich kaum der Einsicht verschließen können, daß ein solcher Beweisbeschluß (oder seine Konkretisierung in einer speziellen Beweiserhebung) im Grundsatz ebenfalls dem Injustitiabilitätsschutz des Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG unterfallen könnte. Der "Kritikschutz", der dem Abschlußbericht nahezu einhellig zugesprochen wird, könnte illusorisch werden, wenn der Untersuchungsausschuß bereits im Vorfeld der Tatsachenfeststellung gehindert würde, die erforderlichen Beweise zu erheben. Ohne diese Erhebung käme ein - der Rechtsprechung entzogener - Abschlußbericht erst gar nicht zustande, so daß die Ausübung des Untersuchungsrechts sogar in größerem Maße betroffen sein könnte als im Fall einer Justitiabilität des Abschlußberichtes. Anders als beim Einsetzungsbeschluß und Abschlußbericht, die nach dieser funktionellen Betrachtung des Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG generell der Rechtsprechung entzogen sind, 82 besteht bei anderen Maßnahmen des U ntersuchungsausschusses allerdings das Problem, wer darüber entscheiden soll, ob eine VG Hamburg, DVBI. 1986, 1017 (1019). Vgl. zur Bedeutung des Einsetzungsbeschlusses Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 44 Rdnr. 11; Achterberg, Pariamentsrecht, S. 147; Rechenberg, in: BK, Art. 44 Rdnr. 8. 81 Vgl. die Auseinandersetzung um die Steuerakten der Fa. Flick; BVerfGE 67, 100ff. 82 Für den Einsetzungsbeschluß bereits zutreffend, wenn auch mit der Formel des "gerichtsfreien Hoheitsaktes" umschrieben; HessStGH, DÖV 1972, 56ff. 79
80
E. Iustitiabilität
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Maßnahme zum injustitiablen Kernbereich des Untersuchungsrechts zählt oder nicht, d. h. ob sie vom Regelungsgehalt des Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG erfaßt wird. Bei Beweiserhebungen tritt als zusätzliche Schwierigkeit hinzu, daß nur der sa~hliche Kern der Beweiserhebung als injustitiabel in Betracht kommt, nicht aber Modalitäten der Ausführung. Darüber hinaus ist den Bedenken der Literatur hinsichtlich der Anwendbarkeit des Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG auf final belastende Maßnahmen der Untersuchungsausschüsse 83 insoweit Rechnung zu tragen, als auch Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG eine Auslegung im Gesamtzusammenhang der Verfassung erfahren muß. Auch die - zu Unrecht im Schrifttum vernachlässigte - funktional-teleologische Betrachtungsweise des Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG kann angesichts der überragenden Bedeutung gerichtlichen Rechtsschutzes gegenüber Eingriffen öffentlicher Gewalt nicht zu einer generellen Unüberprüfbarkeit von belastenden Beweiserhebungen führen. Wenn die Zusammenschau von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, dem Rechtsstaatsprinzip, dem Gedanken der Gewaltenteilung und nicht zuletzt auch der Abwehrkraft der Grundrechte - denen ihre Realisierbarkeit durch gerichtlichen Schutz inhärent ist _84 eine vollständige Exemtion der Beweiserhebungsmaßnahmen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse aus der Rechtsschutzgarantie verbietet, so wird dadurch der Regelungsgehalt des Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG nicht umstandslos absorbiert, sondern in den Bereich der Frage nach dem Umfang judizieller Prüfungsbefugnis verlagert. Schmidt-Aßmann hat den Zusammenhang von Justitiabilität und Kontrolldichte wie folgt problematisiert: "Dazwischen (seil. zwischen injustitiablem Abschlußbericht von Untersuchungsausschüssen und sitzungspolizeilichen Maßnahmen als materieller Verwaltungstätigkeit) liegt eine ,dogmatisch graue Sphäre' (Dürig) für die heute nicht mehr die grundsätzliche Einbeziehung in den Art. 19 IV, wohl aber der für eine Rechtsverletzung notwendige Aktualitätsgrad und der Umfang gerichtlicher Kontrolle Schwierigkeiten bereiten kann."8S
Soweit die Justitiabilität von Maßnahmen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse bejaht wird, ist das erkennende Gericht nicht von der Prüfung entbunden, ob die vollständige gerichtliche Kontrolle nicht durch Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG eingeschränkt wird, insoweit als die Anerkennung politischer Beurteilungsspielräume im Interesse einer verfassungskonformen Verwirklichung des parlamentarischen Untersuchungsrechts geboten ist. 86
83 Vgl. Nachweise in FN 68 B4 Art. 19 Abs. 4 GG, wird als formelles Korrelat der Grundrechte verstanden; vgl. Hamann/Lenz, Art. 19 Anm. 12. 8S Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rdnr. 91 (Erläuterung nicht im Original). 86 So Linck, ZRP 1987, 14; vgl. dazu Kapitel G.II. 7 Di Fabio
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3. Teil: Gerichtlicher Rechtsschutz 4. Ergebnis
Die Durchmusterung der in Betracht kommenden Injustitiabilitätsfaktoren hat ergeben, daß eine Exemtion gerichtlichen Rechtsschutzes ausschließlich über Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG zu rechtfertigen ist und ein genereller lustitiabilitätsausschluß nur in den Fällen des Abschlußberichtes und des Einsetzungsbeschlusses von dieser Norm getragen wird. Für das Problem der Kontrolldichte bleibt festzuhalten, daß der Regelungszweck des Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG im Rahmen gerichtlicher Entscheidungsfindung immer dann Wirkung entfaltet, wenn der in Streit stehenden Maßnahme für die Durchführung des Untersuchungsverfahrens herausragende Bedeutung zukommt.
F. Rechtsweg I. Rechtswegzuordnung und Rechtswegdisparitäten
Der exzeptionelle Charakter des Untersuchungsrechts innerhalb des Systems öffentlicher Gewalt führt nicht nur zu lustitiabilitätsunsicherheiten, problematisch ist auch die Rechtswegzuweisung. 1 Sowohl Verwaltungsgerichte als auch Strafgerichte haben in der Vergangenheit Rechtsstreitigkeiten zwischen Untersuchungsausschuß und betroffenen Privaten judiziert, aber nur selten grundsätzlich zur Frage des Rechtsweges Stellung genommen. Der Bay VGH schneidet in seinem Urteil vom 19.05. 1978 2 dieses Problem an und referiert die verschiedenen Rechtswegvorschläge der Literatur: "Maunz-Dürig erachten eine gerichtliche Überprüfung der vom Vntersuchungsausschuß angeordneten Zwangsmaßnahmen im ordentlichen Rechtsweg gemäß Art. 19 IV GG für möglich. Partsch will die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit solcher Maßnahmen de lege ferenda den Verfassungsgerichten anvertrauen. Von anderen wird angenommen, daß die Anordnung von Zwangsmaßnahmen der gerichtlichen N achprüfung durch die Verwaltungsgerichte unterliegt, so daß es des subsidiären Rechtsweges zu den ordentlichen Gerichten nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 GG nicht bedarf."3
Diese vom Bay VG H für klärungsbedürftig empfundene Rechtswegunsicherheit spielte in jüngster Zeit eine praktische Rolle in der von einer Vielzahl von Gerichtsverfahren begleiteten Arbeit des 3. Untersuchungsausschusses des 10. Deutschen Bundestages (NEUE HEIMAT-Untersuchungsausschuß).4 Prak1 Zum Gebot der Rechtsklarheit in diesem Bereich vgl. Schmidt-Aßmann, in: MaunzjDürig, Art. 19 IV. Rdnr. 23Of. 2 BayVGH, BayVBI. 1981, 209ff. (im Streit war eine Zeugenladung). 3 BayVGH, BayVBI. 1981,210. 4 Vgl. die Zusammenstellung im Abschlußbericht des 3. VA der 10. WP, BT-Drs. 10/6779, S. 29ff.
F. Rechtsweg
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tisch bedeutsam war vor allem eine Überschneidung der Rechtswege. Während Verwaltungsgerichte noch über die Rechtmäßigkeit eines Beweisbeschlusses zu entscheiden hatten, wurde bereits das Strafgericht mit der Umsetzung dieses Beweisbeschlusses in Form einer beantragten Beschlagnahmeanordnung befaßt. 5 Das OVG NW, das über die Rechtmäßigkeit einer Anforderung von Geschäftsunterlagen durch den Ausschuß im Eilverfahren zu entscheiden hatte, spürte offensichtlich die ungeklärte Rechtswegproblematik, wenn es zum Fehlen eines Anordnungsgrundes (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO) auf den Rechtsschutz vor den Strafgerichten verweist und zur Konkurrenz beider Rechtswege ausführt: "Ebensowenig ist die Verweisung auf den Rechtsschutz im Beschlagnahmeverfahren für die Antragsteller deshalb unzumutbar, weil das VG in Fragen des öffentlichen Rechts das sachnähere Gericht wäre. Ein Recht des Bürgers darauf, daß stets das VG entscheidet, wenn öffentlich-rechtliche Rechte und Pflichten in Rede stehen, gibt es nicht. Vielmehr sind die Gerichtszweige unbeschadet ihrer unterschiedlichen Zuständigkeit einander gleichwertig. "6
Abgesehen davon, daß diese Ausführungen das Problem der Rechtswegkonkurrenz nur berühren, aber nicht klären, versuchte das Gericht mit der getroffenen Entscheidung vor allem die Rechtswegunsicherheit zu umschiffen. Indem es zum einen die Aufforderung zur Vorlage der Geschäftsunterlagen nicht als Verwaltungsakt, sondern als schlichte öffentlich-rechtliche Willenserklärung qualifizierte?, wurde dadurch eine Entscheidung im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO obsolet, während andererseits im Rahmen der Prüfung nach § 123 VwGO eine sachliche Entscheidung (d.h. eine materiell zur Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung Stellung nehmende Entscheidung) durch die Verneinung eines Anordnungsgrundes vermieden werden konnte. Eine sachlich-materielle Entscheidung - die durch diese Argumentation entbehrlich wurde - hätte die Gefahr unterschiedlicher rechtlicher Beurteilungen zwischen Verwaltungs- und Strafgerichten in sich geborgen. Es wäre angesichts der noch ungeklärten Frage, ob dem Untersuchungsausschuß ein Beschlagnahmerecht zusteht, Z.B. möglich gewesen, daß die Verwaltungsgerichtsbarkeit dieses Recht verneint und die Strafgerichtsbarkeit es bejaht hätte. In diesem Fall wäre eine Klarstellung des Rechtswegproblems unabweisbar geworden und zwar gerade wegen der vom o VG NW festgestellten Gleichwertigkeit der unterschiedlichen Gerichtszweige. 8 5 Die betroffene juristische Person des Privatrechts (BGAG) wandte sich in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht nicht unmittelbar gegen den gefaßten Beweisbeschluß, sondern gegen die aufgrund dieses Beweisbeschlusses ergangene Anforderung von Geschäftsunterlagen; OVG NW, DVBI. 1987, 100ff. Zu den strafgerichtlichen Verfahren im Rahmen der Beschlagnahmeanordnung von Geschäftsunterlagen vgl. LG Frankfurt, NJW 1987, 787ff. Vgl. auch LG Bonn, NJW 1987, 790 (792). 6 OVG NW, DVBI. 1987, 100 (103). 7 OVG NW, DVBI. 1987, 100 (103).
7*
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3. Teil: Gerichtlicher Rechtsschutz
Die Heterogenität der Untersuchungsmaßnahmen, die sowohl eine unmittelbare Regelung durch den Untersuchungsausschuß zulassen (z.B. Verhängung eines Ordnungsgeldes) als auch die Einschaltung eines Richters vorsehen (z.B. Beschlagnahme- und Durchsuchungsanordnungen), zwingt zu einer differenzierten Betrachtung der Rechtswegmöglichkeiten. Unterschieden werden muß zwischen unmittelbaren Maßnahmen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse 9 und Maßnahmen nach Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. den Vorschriften der StPO, soweit richterliche Hilfe in Anspruch genommen wird. 11. Unmittelbare Maßnahmen des Untersuchungsausschusses 1. Rechtswegzuweisung nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO
a) Prozessuale Praxis In der Vergangenheit wurden Streitigkeiten im unmittelbaren Verhältnis zwischen Untersuchungsausschuß und Privaten überwiegend vor den Verwaltungsgerichten ausgetragen. Die Verwaltungsgerichte bejahten regelmäßig ihre Zuständigkeit aufgrund des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO.I0 Näher erörtert wurde insbesondere, ob es sich bei diesen Materien um "nichtverfassungsrechtliche Streitigkeiten" handelte. II Die befaßten Verwaltungsgerichte sahen dabei die Rechtsbeziehungen zwischen Untersuchungsausschuß und betroffenen Privaten als verwaltungsrechtlich und nicht als verfassungsrechtlich an. 12 Die Probleme einer besonderen Zuweisung an die Strafgerichtsbarkeit nach Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG oder einer Rechtswegkonkurrenz wurden nur vereinzelt behandelt. 13 Entscheidend für die Bejahung des Verwaltungsrechtsweges ist die Auseinandersetzung mit der Frage, ob das Rechtsverhältnis zwischen Bürger und Untersuchungsausschuß als nichtverfassungsrechtliches zu qualifizieren ist. Bislang hat kein Verwaltungsgericht seine Zuständigkeit deshalb verneint, weil Vgl. OVG NW, DVBI. 1987, 100 (103). In diesen Bereich fallen auch Maßnahmen, die im Rahmen der Amtshilfe geleistet werden. In diesen Fällen wendet sich der Betroffene allerdings unmittelbar gegen die ersuchte Behörde. Vgl. OVG Koblenz, NVwZ 1986, 575. 10 OVG Berlin, DVBI. 1970, 293ff.; BayVGH, BayVBI. 1981, 209ff.; OVG Koblenz, NVwZ 1986, 575ff.; OVG Lüneburg, DÖV 1986, 210ff.; OVG NW, DVBI. 1987, 98ff.; OVG NW, DVBI. 1987, 100ff.; VG Köln, Beschluß vom 05.08.1986 - 4 L 958/86 (unveröffentlicht); VG Hamburg, DVBI. 1986, 1017ff.; VG Hamburg, NJW 1987, 1568; OVG Hamburg, NVwZ 610 (611). 11 BayVGH, BayVBI. 1981,210 (21Of.); OVG Koblenz, NVwZ 1986, 575; OVG NW, DVBI. 1987, 100 (101). 12 Vgl. aus jüngster Zeit OVG NW, DVBI. 1987, 100 (101). 13 Vgl. OVG Lüneburg, DÖV 1986, 210. Besondere Rechtswegzuweisungen gibt es in einzelnen Landesuntersuchungsausschußgesetzen, die die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte anordnen. Vgl. § 27 des Gesetzes über Untersuchungsausschüsse NW. 8
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F. Rechtsweg
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es sich bei diesem Rechtsverhältnis um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit handele. Allerdings werden für die Bejahung des Verwaltungsrechtsweges zwei unterschiedliche Begründungsmuster angeführt. Zum einen wird die Charakterisierung als eine verfassungsrechtliche Streitigkeit bereits deshalb abgelehnt, weil solche Streitigkeiten nur zwischen Verfassungsorganen (oder Organteilen) möglich seien, nicht jedoch im Verhältnis zwischen Staat und Bürger. 14 Etwas weniger einfach machen es sich zum anderen Entscheidungen, die auf das Rechtsverhältnis zwischen Untersuchungsausschuß und Bürger näher eingehen und es materiell zu bestimmen versuchen. Das BVerwG schließt aus der sachlichen Aufgabe des Untersuchungsausschusses, daß er nicht als Verfassungsorgan - weil nicht im Bereich der Legislative - tätig wird. 15 Das 0 VG NW macht sich dieses in der vorgetragenen Form nicht überzeugende Argument nicht zu eigen und geht zunächst im Rahmen einer materiellen Beurteilung des Rechtsstreits auf die Funktion des Untersuchungsrechts ein. Das OVG stellt klar, daß ein Untersuchungsausschuß verfassungsrechtliche Hilfstätigkeit leistet, indem er die Arbeit des Parlaments unterstützt und dessen Entscheidung vorbereitet. "In Anbetracht dieser Funktion des VA und seiner Eigenschaft als parlamentarisches Hilfsorgan ist seine Tätigkeit - ebenso wie diejenige anderer Ausschüsse des Bundestages - grundsätzlich dem Bereich des Verfassungsrechts zuzuordnen."16
Dennoch verneint das Gericht im Ergebnis eine verfassungsrechtliche Streitigkeit, weil es aus dem hoheitlichen Charakter der dem Untersuchungsausschuß eingeräumten Beweiserhebungsbefugnisse auf eine verwaltungsrechtliche Natur der Untersuchungsrnaßnahmen schließt. 17 Da bereits festgestellt worden ist, daß das Untersuchungsverfahren kein Verwaltungsverfahren ist, vermag diese Begründung nicht zu überzeugen. Gleichwohl ist durch die Ablehnung der Anwendbarkeit des VwVfG eine verfassungsrechtliche Materie nur indiziert. Die Entscheidung, ob die Auseinandersetzung zwischen Untersuchungsausschuß und Bürger eine verfassungsrechtliche Streitigkeit darstellt, kann im Zusammenhang mit der Rechtswegfrage nur im Normkontext des § 40 Abs. 1 VwGO verbindlich getroffen werden.
14 OVG Koblenz, NVwZ 1986, 575; BayVGH, BayVBI. 1981,210. IS BVerwG, BayVBI. 1981, 214f. 16 OVG NW, DVBI. 1987, 100 (101). 17 A.a.O.; vgl. zu diesem Argument bereits oben Kapitel D.
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3. Teil: Gerichtlicher Rechtsschutz
b) Das Abgrenzungsmerkmal "nichtverfassungsrechtlicher Art" in § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO
ba) Meinungsstand zur Auslegung des Merkmals "nichtverfassungsrechtlicher Art" Gängige Kommentierungen der VwGO stellen in den Vordergrund einer Definition des Merkmals "nichtverfassungsrechtlich" (bzw. positiv gewendet, "verfassungsrechtliche Streitigkeit") nicht (oder nicht nur) eine materielle Definition dessen, was eine verfassungsrechtliche Streitigkeit charakterisiert, sondern die Qualität der beteiligten Rechtssubjekte. Kopp spricht in diesem Zusammenhang von "sog. echten Verfassungsstreitigkeiten, d.h. Streitigkeiten zwischen am Verfassungsleben unmittelbar beteiligten Rechtsträgern, Verfassungsorganen und Teilen von solchen." 18 Redeker / von Oertzen definieren zwar als verfassungsrechtlich jede Streitigkeit, "deren Gegenstand materiell dem Bundes- oder Landesverfassungsrecht zuzurechnen ist", schränken im Anschluß daran aber ein: "Dabei sind dem Verfassungsrecht nur die Rechtsbeziehungen von Verfassungsorganen oder am Verfassungsleben beteiligten Organen zueinander zuzurechnen, nicht aber diejenigen zwischen Bürger und Staat, selbst wenn ein Verfassungsorgan daran beteiligt ist." 19
Eyermann / Fröhler sehen im Regelungsbereich des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur "eigentliche" Verfassungsstreitigkeiten, und zwar solche zwischen obersten Staatsorganen (oder Teilen derselben) und reduzieren Verfassungsstreitigkeiten auf" verfassungsrechtliche Organstreitigkeiten" . 20
Diese Definitionen - apodiktisch vorgetragen - werden schwerpunktmäßig vor allem durch Hinweise auf einschlägige Rechtsprechung untermauert. Soweit Kopp auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bezug nimmt 21 , findet sich allerdings keine Stellungnahme des Gerichts speziell zu dieser Frage. Im Beschluß zur Wahlkampfkostenerstattung politischer Parteien vom 7.10.1969 22 geht es um die Voraussetzungen eines Organstreitverfahrens. Dabei betont das Gericht, daß die Beteiligten nicht in einem verwaltungsrechtlichen, sondern in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis stehen müssen, damit ein Organstreitverfahren angenommen werden kann. 23 Damit wird klargestellt, daß die bloße subjektive Rechtsqualität der Beteiligten nicht das entscheidende, zumindest nicht das allein entscheidende Kriterium für eine verfassungsrechtliche Streitigkeit ist, sondern es auf das Vorliegen eines verfassungsrechtlichen 18 19
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Kopp, VwGO, § 40 Anm. 32. Redeker/von Oertzen, VwGO, § 40 Anm. 3. Eyermann / Fröhler, VwGO, § 40 Rdnr. 63 und 66. Vgl. Kopp, a.a.O. BVerfGE 27, 152ff. BVerfGE 27, 152 (157).
F. Rechtsweg
103
Rechtsverhältnisses ankommt. Das Bundesverfassungsgericht hat dabei nicht zu der Frage Stellung genommen, ob im umgekehrten Fall, wenn zwar ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis gegeben ist, aber nur auf einer Seite ein Verfassungsorgan steht, eine verfassungsrechtliche Streitigkeit vorliegt. Auch in der von Kopp ebenfalls genannten Entscheidung über den Länderstaatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen vom 7.04.1976 hat das Gericht auf keine allgemeine Auslegung des Begriffs "verfassungsrechtliche Streitigkeit" gezielt, sondern wiederum nur herausgestellt, daß nicht jedes Rechtsverhältnis zwischen Bundesländern allein wegen der verfassungsrechtlichen Qualität der Beteiligten eine verfassungsrechtliche Streitigkeit indiziere. 24 Der Qualität der Beteiligten wird vom BVerfG zwar erkennbar ein gewisses Gewicht zugemessen, es läßt aber offen, ob die Verfassungsorganqualität beider Beteiligter conditio sine qua non einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit ist. Demgegenüber hat das Bundesverwaltungsgericht wiederholt die Auffassung vertreten, Streitigkeiten zwischen Bürger und Staat könnten keine verfassungsrechtlichen Streitigkeiten sein. 25 Gleichwohl fällt es schwer, eine argumentativ fundierte, gefestigte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auszumachen. Das BVerwG sieht seine erhobene Forderung nach einem formalsubjektiven Kriterium als Konkretisierung älterer Rechtsprechung an. 26 In der bezuggenommenen Entscheidung hatte das BVerwG aus seiner dogmatischen Verlegenheit in dieser Frage allerdings keinen Hehl gemacht: "Was eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art ist, läßt sich nicht ganz eindeutig abgrenzen. Das Bundesverwaltungsgericht hat deshalb auch in früheren Entscheidungen einer mehr praktischen Abgrenzung den Vorzug gegeben und als entscheidendes Kriterium die Frage angesehen, ob das streitige Rechtsverhältnis entscheidend vorn Verfassungsrecht geformt ist. "27
In einem noch früheren Urteil hatte das Bundesverwaltungsgericht eine verfassungsrechtliche Streitigkeit im Verhältnis Bürger / Staat ausdrücklich bejaht und ausschließlich auf die materielle Qualifizierung des angegriffenen Rechtsaktes (Gnadenerweis durch einen Ministerpräsidenten) und seine verfassungsrechtliche Deduktion abgestellt. 28 Das BVerwG schwankt offenbar zwischen einer ausschließlich materiell bestimmten Auslegung des Begriffs "nicht verfassungsrechtlich" und einer subjektiv-formalen Akzentuierung der Auslegung. In jüngster Zeit scheint sich wieder eine Trendverschiebung zu einer eher materiellen Beurteilung zu ergeben. In der Entscheidung vom 11.07.1985 über die Entschädigung eines Abgeordneten wird der Frage, ob beide Beteiligte als Verfassungsorgan tatsächlich in 24 2S 26 27 28
BVerfGE 42, 103 (112). BVerwGE 36,218 (228); BVerwG, DÖV 1976, 315; BVerwGE 51,69 (71). BVerwGE 36, 218 (228). BVerwGE 24,272 (279). BVerwG, JZ 1963, 26 (27).
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Erscheinung getreten seien (dies konnte sowohl für den Abgeordneten als auch für den Präsidenten des Abgeordnetenhauses zweifelhaft sein), keine Bedeutung beigemessen. "Ebensowenig kommt dem Umstand, daß die Parteien dieses Rechtsstreits auch als Verfassungsorgane oder Verfassungsorganteile in Erscheinung treten können, allein ausschlaggebende Bedeutung für die Qualifizierung der Streitigkeit als verfassungsrechtlich zu. "29
Stattdessen fragt das Gericht auf der Linie einiger älterer Entscheidungen 30 wieder danach, ob das streitige Rechtsverhältnis entscheidend vom Verfassungsrecht geformt ist, und stellt dabei auf normative Gesichtspunkte ab, insbesondere geht es der Frage nach, inwieweit Verfassungsrecht unmittelbar Anwendung findet oder aber einfachrechtlichen Fragen selbständige Bedeutung zukommt. 31 Die Unsicherheit in der Abgrenzung verfassungsrechtlicher Streitigkeiten setzt sich in der Rechtsprechung unterhalb des Bundesverwaltungsgerichts fort. 32 Die Forderung, daß eine verfassungsrechtliche Streitigkeit nur dann vorliegen könne, wenn beide Streitbeteiligte Verfassungsorgane oder Verfassungsorganteile sind, wurde von den Verwaltungsgerichten nicht stringent erfüllt. Die Rechtsbeziehung zwischen Bürger und Behörde, die sich aus dem Gesetz über das Verfahren bei Volksbegehren und Volksentscheid NW33 ergibt, hat dasOVG NWin seinem Beschluß vom 20.02.1974 als verfassungsrechtliche Streitigkeit angesehen, weil es sich unabhängig von der subjektiven Qualität der Beteiligten um eine Rechtsbeziehung handele, die in ihrem Kern unmittelbar in der Verfassung geregelt sei und sachlich einen verfassungsrechtlichen Tätigkeitsbereich - scil. den der Gesetzgebung - betreffe. 34 Ebenfalls das 0 VG NW hat die Rechtsbeziehung zwischen Bürger und Landesrechnungshof nicht deshalb als nichtverfassungsrechtlich qualifiziert, weil auf der einen Seite des Streits ein Bürger stand, sondern weil der Landesrechnungshofkein verfassungsunmittelbares Organ sei. Das Gericht hält offensichtlich eine verfassungsrechtliche Streitigkeit für möglich, wenn ein Bürger einem Verfassungsorgan, das zugleich Verfassungsfunktionen erfüllt, Rechte in einem verfassungsunmittelbaren Tätigkeitsbereich bestreitet, also seine "verfassungsrechtlichen Grundlagen" in Frage stellt. 35 BVerwG, NJW 1985, 2344. BVerwGE 24,272 (279); 50,124 (130). 31 BVerwG, NJW 1985, 2344 (2345). Das Gericht läßt die Frage nach der verfassungsrechtlichen Natur der Streitigkeit allerdings offen, da es im Wege der erweiternden Auslegung des § 40 Abs. 1 VwGO auch bei Bejahung einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit zum Verwaltungsrechtsweg gelangt. 32 Vgl. OVG NW, NJW 1980, 137ff.; VG Düsseldorj, NJW 1981, 1396ff. 33 GS NW S. 60jSGV NW 1111. 34 OVG NW, NJW 1974, 1671. 3S OVG NW DVBI. 1979,431 (432). 29
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Die Rechtsbeziehung zwischen Bürger und Landesrechnungshof hat das VG nüsseldorf auf dieser Rechtsprechungslinie denn auch für verfassungsrechtlich im Sinne des § 40 Abs. 1 VwGO bezeichnet, weil in dem zu entscheidenden Fall nicht einzelne Sachverhaltsschilderungen im Prüfbericht bestritten wurden, sondern der ganze Prüfbericht im Streit stand. Zur Frage der subjektiven Qualität der Streitbeteiligten führt das Gericht aus: "Dieser Streitgegenstand ist verfassungsrechtlicher Natur. Verfassungsstreitigkeiten werden dann angenommen, wenn Auslegung und Anwendung der Verfassung den eigentlichen Kern des Rechtsstreits bilden oder das streitige Rechtsverhältnis entscheidend vom Verfassungsrecht geformt ist. Dabei muß es sich nach überwiegender Auffassung um Streitigkeiten zwischen am Verfassungsleben unmittelbar beteiligten Rechtsträgern handeln. Die Beziehungen im Verhältnis Bürger-Staat sind grundsätzlich nicht dem Verfassungsrecht zuzuordnen, selbst wenn ein Verfassungsorgan beteiligt ist. Doch ist es nicht immer erforderlich, daß aufbeiden Seiten eines verfassungsrechtlichen Rechtsstreits ein Verfassungsorgan beteiligt ist. So hat das OVG Münster die Klage eines Bürgers gegen Anordnungen eines Gemeindedirektors im Zusammenhang mit der Vorbereitung eines Volksbegehrens als verfassungsrechtliche Streitigkeit angesehen. Anders liegt es auch, wenn ein klagender Bürger mit seinem Klagebegehren auf das Rechtsverhältnis zwischen Dritten einwirken will und dieses seinerseits verfassungsrechtlicher Natur ist. "36
Der Blick in die Rechtsprechung zeigt, daß eine einheitliche Konzeption dahingehend, daß zwischen Bürger und Staat keine verfassungsrechtliche Streitigkeit möglich ist, nicht besteht. Gleichwohl läßt sich eine Übereinstimmung sowohl in der Rechtsprechung des BVerfG als auch der Verwaltungsgerichte feststellen. Als Konstitutionsmerkmal des Begriffs "verfassungsrechtliche Streitigkeit" wird das Vorliegen eines verfassungsrechtlich determinierten Rechtsverhältnisses durchgängig als Ansatzpunkt gewählt. Unklar bleibt lediglich, ob dieses verfassungsrechtliche Rechtsverhältnis eines ist, das exklusiv nur zwischen Verfassungsorganen bestehen kann oder auch - ausnahmsweise - im Verhältnis zwischen Staat und Bürger. Die Literatur bietet ein ähnliches Bild wie die Rechtsprechung; auch sie pendelt zwischen materiell-rechtlicher Bestimmung der verfassungsrechtlichen Streitigkeit und einer Bestimmung nach Gegenstand und Parteien. 37 Dabei wird die früher geäußerte rein formelle Position, wonach eine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art ist, wenn sie in den Kompetenzkatalogen der Verfassungsgerichtsgesetze aufgezählt ist 38 , heute nicht mehr vertreten 39, sondern nur noch über die Definition und die Elemente VG Düsseldorj, NJW 1981, 1396 (1396f.). Kopp, Rechtsschutz des Bürgers gegen den Inhalt und die Verbreitung von Prüfungsberichten eines Rechnungshofes, JuS 1981, 419; Maurer, Anm. zu BVerwG JZ 1963,26 (27ff.); Achterberg, Parlamentsrecht, S. 778; derselbe, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 645 f; Löwer, Zuständigkeiten und Verfahren des Bundesverfassungsgerichts, in: HbStR, Bd. H, 1987, § 56 Rdnr. 6. 38 Vgl. Wertenbruch, DÖV 1959, 506 (507); Schunck/ De Clerck VwGO, 2. Aufl. 1967, § 40 Anm. 2a und 3. 39 Achterberg zieht insoweit eine falsche Trennlinie zwischen der rein formellen und 36
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einer materiellen Bestimmung des Begriffs "verfassungsrechtliche Streitigkeit" debattiert. Dabei fällt es den Anhängern einer Abgrenzung nach den Streitsubjekten schwer, dieses Kriterium anders zu begründen, denn als ein zusätzliches Argument im Rahmen einer materiell-rechtlichen Bestimmung. Immer dann nämlich, wenn im Streit die Qualität eines Verfassungsorgans als solches steht, ist materiell sicherlich eine Verfassungsstreitigkeit gegeben, so daß insoweit bei Beteiligung von Verfassungsorganen auf beiden Seiten des Streitverhältnisses eine verfassungsrechtliche Streitigkeit indiziert ist. Allerdings kann man dieses Argument nicht dahingehend umkehren, daß andernfalls eine verfassungsrechtliche Streitigkeit ausgeschlossen wäre. 40 Die apodiktisch vorgetragenen Versuche, eine verfassungsrechtliche Streitigkeit zwingend an die Qualität der Beteiligten zu binden 41 und damit dieses Merkmal zu verselbständigen, erscheinen, sobald Begründungen vorgetragen werden, geradezu dezisionistisch. Kopp versieht seine Überlegungen zum Begriff des Verfassungsorgans denn auch in dieser Hinsicht mit einem erhellenden Nachsatz: "Dies muß umso mehr gelten, wenn man berücksichtigt, daß der Vorbehalt in § 40 Abs. 1 VwGO nicht ausdrücklich die Beteiligung eines Verfassungsorgans am Rechtsstreit voraussetzt, vielmehr eine solche Beteiligung nur Indiz für das Vorliegen einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit ist und zumindest theoretisch auch verfassungsrechtliche Streitigkeiten denkbar sind, an denen kein Verfassungsorgan beteiligt ist."42
Wenn trotz dieser Einsicht an der Bestimmung einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit nach Gegenstand und Parteien festgehalten wird, muß das tiefere, nicht immer genannte, Gründe haben. bb) Historische Wurzeln der Abgrenzung nach den Streitsubjekten Die mangelnde argumentative Absicherung einer Abgrenzung nach der Verfassungsorganeigenschaft beider Beteiligter des Rechtsstreits findet ihren Grund in einer Übernahme historisch gebundener Definitionsversuche in eine veränderte positivrechtliche Situation. In der Weimarer Zeit konnten Streitigkeiten vor dem Staatsgerichtshof nur solche zwischen Verfassungsorganen (oder ihren Teilen) sein, da eine auf den Bürger zugeschnittene Klageform, die zum Reichsstaatsgerichtshofführte, nicht einer materiellen Position; vgl. Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 645f. Der Graben zwischen den verschiedenen Ansichten heute verläuft längs der Frage, ob die Qualität der Rechtssubjekte für das Vorliegen einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit ausschlaggebend ist oder nicht. 40 So auch Kopp, JuS 1981, 423 (entgegen seiner Auffassung in Kopp, VwGO, § 40 Anm.32). 41 Vgl. Kopp, VwGO, § 40 Anm. 32 m.w.Nw. 42 Kopp, JuS 1981,424.
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existierteY Entsprechend dieser verfassungsrechtlichen Konstruktion war eine Verfassungsstreitigkeit zwischen Bürger und Staat vor dem Staatsgerichtshof bereits begrifflich ausgeschlossen. "Nicht jeder Streit über die richtige Auslegung einer Verfassungsnorm ist ein "Verfassungsstreit", sondern nur ein Streit über ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis. Da ein solches nur zwischen den Subjekten des Verfassungsrechtskreises möglich ist, können alle "Rechtssubjekte" dieses Rechtsstreits und nur sie Parteien eines Verfassungsstreitverfahrens sein, in dem ihre gegenseitigen rechtlichen Beziehungen Gegenstand des Streites sind. "44
Das Selbstverständnis der Weimarer Verfassung als objektive Rechtsstruktur oberhalb des einfachen Rechts stand dem Gedanken einer unmittelbaren Beteiligung des Bürgers in Verfassungsfragen fremd gegenüber, das Verhältnis Staat-Bürger war nur als Verwaltungsrechtsverhältnis denkbar, weil nur das einfache Recht subjektive, d.h. durchsetzbare Rechte verlieh. 45 Das Grundgesetz hat mit der subjektiven Struktur grundrechtlicher Verbürgungen eine völlig veränderte Verlaufsrichtung der Verfassungsinterpretation und vor allem der Implementierung von Verfassungsrecht in die gesellschaftliche Wirklichkeit eingeschlagen. 46 Die als subjektives Abwehrrecht konzipierte Verfassungsbeschwerde dominiert heute die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, eine Rechtsprechung, die im Gegensatz zur Weimarer Zeit steuernd auf die Rechtsanwendung einfachen Rechts in erheblichem Umfang einwirkt. 47
43 Der Reichsstaatsgerichtshof entschied nach Art. 19 WRV vor allem in ReichLänder-Streitigkeiten und Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, in dem kein Gericht zur Erledigung bestand. Zum Teil wurde die Aufgabe des Reichsstaatsgerichtshofs aber auch in einer prinzipalen Normenkontrolle am Maßstab der Verfassung gesehen. Kelsen, Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit, in: VVDStRL 5 (1928), S. 30
(57).
Friesenhahn, HDStR II, S. 534. "Der einzelne Staatsbürger dagegen kann niemals den Staatsgerichtshof anrufen, da er nicht in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis stehen kann. Auch soweit er bei Wahlen und Abstimmungen "organschaftliche Funktionen" wahrnimmt, tritt ihm immer nur der verwaltende Staat entgegen." Friesenhahn. a.a.O., S. 538. Der StGH sollte daher Instrument zur rechtsstaatlichen Kontrolle der inneren Staatswillensbildung sein, während Verwaltungsgerichte die Handhabung der Staatsgewalt gegen Außenstehende kontrollieren sollten; vgl. dazu Schmelter, S. 160. 46 Zur strukturbildenden Kraft subjektiv-öffentlicher Rechte vgl. Lorenz, S. SOff.; Ossenbühl, Die Weiterentwicklung der Verwaltungswissenschaft, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte V, 1986, S. 1143 (1146f.). 47 Ein Beispiel dafür ist die verstärkte Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in der fachgerichtlichen Rechtsprechung, nachdem das BVerfG diesen Grundsatz u.a. aus den Grundrechten entwickelte (BVerjGE 7, 377 Apothekenurteil). Vgl. dazu Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 17. 44
45
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Die Grundstruktur des Bonner Grundgesetzes unterscheidet sich demnachbei aller ansonsten gegebenen freiheitlichen Kontinuität - von der Weimarer Verfassung durch ihre Zentrierung auf gesetzlich durchsetzbare und die Verfassungswirklichkeit prägende, dem einzelnen zustehende Grundrechte. Mit der Einführung der Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht wurde auch prozessual zum Ausdruck gebracht, daß Verfassungsangelegenheiten nunmehr durch das Bundesverfassungsgericht nicht mehr nur auf die Staatsorganisation beschränkt, sondern auch im Verhältnis zwischen Staat und Bürger verbindlich entschieden werden sollten. Die Bestimmung der Verfassungsstruktur durch freiheitssichernde Grundrechte und die Bereitstellung einer darauf zugeschnittenen Klageform signalisieren eine prinzipielle Diskrepanz zur Weimarer Verfassung, die nicht so sehr im Inhaltlichen zu suchen ist, sondern mit der Aufwertung individueller Freiheitsrechte zusammenhängt, die gewichtigen Einfluß auf die objektive Verfassungsstruktur gewonnen haben. Die zur Weimarer Zeit entwickelte und vertretene Auffassung, eine verfassungsrechtliche Streitigkeit könne nur unter Verfassungsorganen gegeben sein, entsprach vollauf der damaligen Rechtslage. Unter der Herrschaft des Grundgesetzes hat dieses Argument aber seine Evidenz verloren, zurecht hat deshalb Kassimatis davon gesprochen, daß die Abgrenzung nach Parteien durch die Einführung der Verfassungsbeschwerde einen "schweren Schlag" erlitten habe. 48 Originäre Verfassungsstreitigkeiten zwischen Staat und Bürger sind unter der Geltung des Grundgesetzes kein Fremdkörper im System verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung, sondern stehen in einem Komplementärverhältnis zur Staatsorganisation; Grundrechtsfragen und Organstreitigkeiten sind die beiden Säulen der Verfassungsauslegung. 49 Eine generelle Aussonderung der Streitigkeiten zwischen Bürger und Staat aus dem Bereich der verfassungsrechtlichen Streitigkeiten ist deshalb nicht zu rechtfertigen. bc) Funktionsadäquate Auslegung des Begriffs "verfassungsrechtlich" Der relative Erfolg der Abgrenzung nach der Qualität der Beteiligten verdankt sich vor allem seiner Unterscheidungskraft, während eine rein materielle Definition der verfassungsrechtlichen Streitigkeiten sich auf schwieriges Terrain begibt. so Gleichwohl ist eine materielle Bestimmung sowohl nach normativen wie nach funktionalen Gesichtspunkten möglich. Obermayer hat einen verfassungsrechtlichen Akt dann angenommen, wenn eine Handlung ausschließlich auf VerfasKassimatis, Der Bereich der Regierung, 1967, S. 182. Im Ergebnis übereinstimmend: Maunz, in: Maunz/ Dürig, Art. 93 Rdnr. 4. 50 Aus diesem Grunde nimmt es nicht wunder, daß die judizierende Praxis sich dieses Abgrenzungsmerkmals bedient, um grundsätzliche Erwägungen zum Begriff der Verfassungsstreitigkeit zu vermeiden. 411
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sungsrecht beruht und nicht (auch) ein Verwaltungsgesetz vollzieht. 51 Der Rechtsstreit muß insoweit vom Verfassungsrecht beherrscht werden, daß "die Auslegung oder Anwendung eines Verfassungssatzes nicht lediglich eine Vorfrage, sondern den Kern des Rechtsstreits bilden". 52 Probleme bei dieser begrifflichen Bestimmung ergeben sich allerdings, wenn unter "Verfassungsrecht" nur dasformelle Verfassungsrecht verstanden wird. So wird die Ausübung des Hausrechtes durch den Bundestagspräsidenten nach Art. 40 Abs. 2 GG nicht deshalb zur verfassungsrechtlichen Streitigkeit, weil entsprechende Maßnahmen unmittelbar auf (formellem) Verfassungsrecht beruhen. Derartige Fälle werden ausgeschieden, wenn man nur diejenigen Vorschriften des GG als Verfassungsrecht im materiellen Sinne ansieht, "die politische Grundsätze in die Geltungskraft der Rechtsordnung erheben oder die politische Strukturen, Organisationen und Institutionen ins Leben rufen und ordnen oder die Verfassungsregeln für politisches Handeln aufstellen". 53 Damit eine Streitigkeit zwischen Bürger und Staat verfassungsrechtlicher Art ist, müssen demnach folgende Bedingungen erfüllt sein: -
Dem Bürger muß eine Stelle öffentlicher Gewalt gegenüberstehen, die sich unmittelbar auf einen Verfassungsrechtssatz stützt, und
-
dieser Verfassungsrechtssatz muß zum materiellen Verfassungsrecht zählen.
Entscheidend ist nicht, auf welches Abwehrrecht der Bürger sich stützt (insbesondere, ob er sich auf Grundrechte beruft), sondern aufgrund welcher Vorschrift eine staatliche Stelle handelt. Man kann diese Fragestellung auch funktional umformulieren, indem man eine verfassungsrechtliche Streitigkeit immer dann annimmt, wenn ein staatlicher Akt ausschließlich oder ganz überwiegend darauf zielt, unmittelbar die politische Tätigkeit von Verfassungsorganen zu ermöglichen resp. zu fördern und damit die Erfüllung verfassungsrechtlicher Aufgaben unmittelbar sicherzustellen. Die Ausübung des Hausrechts zielt in diesem Sinne nur mittelbar auf die Funktionserfüllung des Parlaments; die Arbeit von Ausschüssen ist unmittelbare verfassungsrechtliche Hilfstätigkeit, damit das Parlament seinen verfassungsrechtlichen Auftrag (Legislative, Kontrolle, Staatsleitung) ausfüllen kann. Immer dann, wenn im Vordergrund eines Rechtsstreits zwischen Untersuchungsausschuß und Privatem die Kompetenz, Befugnisse oder die grundsätzliche Funktion des Untersuchungsausschusses steht, handelt es sich überwiegend um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit, weil- ähnlich wie im Organstreitverfahren - die Rechtsstellung eines Verfassungsorgans zur Disposition steht. Es kann nicht darauf 51 Obermayer, Grundzüge des Verwaltungsrechts und des Verwaltungsprozeßrechts, 2. Aufl.1975, S. 213 f. vgl. auch ders., VwVfG, § 1 Rdnr. 37ff. 52 ove NW, DVBI. 1967, 51 (52). 53 Maunz, in: MaunzjDürig, Art. 93 Rdnr. 4.
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ankommen, wer als Kläger die gerichtliche Überprüfung der Rechtsstellung eines Verfassungsorgans initiiert, ob also ein anderes Verfassungsorgan ihm Rechte streitig macht oder ein Privater in einem - ausnahmsweise unmittelbar verfassungsgeprägtem Rechtsverhältnis dem Untersuchungsausschuß Rechte abspricht. 54 Ausschlaggebend ist, daß ein Gericht unmittelbaralso nicht als Annex einer Grundrechtsprüfung oder einer einfachgesetzlichen Prüfung - zur Entscheidung über die Rechtsstellung eines Verfassungsorgans angerufen wird. Auf das Kriterium der Unmittelbarkeit wird auch dann nicht verzichtet, wenn man z.B. die Anfechtung einer Immunitätsentscheidung (Art. 46 Abs. 2 - 4 GG) in einen verfassungsrechtlichen Kontext stellt,55 weil in diesem Fall die Immunitätsentscheidung zwar nicht unmittelbar die Aufgabenerfüllung des Parlaments betrifft, wohl aber unmittelbar verfassungsrechtliche Rechte und Pflichten eines Trägers verfassungsrechtlicher Positionen (seil. des Abgeordneten) zum Gegenstand hat 56 , d. h. sich gravierend auf seinen Status auswirkt. Seinen tieferen Grund findet sowohl das normative wie funktionale Argument in dem Sinn verfassungsgerichtlicher Sachzuweisung. Nur das Bundesverfassungsgericht ist berufen, im Kernbereich der Funktionsdefinition und Funktionswahrnehmung von Verfassungsorganen verbindlich am Maßstab der geschriebenen Verfassung zu entscheiden. Diese materiell-funktionale Interpretation des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit dürfte dem Regelungsgehalt des § 40 Abs. 1 VwGO am ehesten gerecht werden. Im Blick auf diesen Zusammenhang sah sich das Bundesverwaltungsgericht (auch unter Berücksichtigung von Art. 19 Abs. 4 GG) in einer älteren Entscheidung gehindert, über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Landesorgans 57 zu entscheiden. Das Gericht sprach den Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit die Befugnis ab, "auf Betreiben eines Einzelnen in das Verfassungsgefüge des Bundes oder der Länder einzugreifen".58 Dies ist nicht ohne weiteres als Votum für die Injustitiabilität von bestimmten Entscheidungen zu sehen 59 , sondern nur als Rekurs auf die sachliche Reichweite der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Rahmen einer Rechtswegbestimmung.
54 So auch Haverkate, AöR 107 (1982), 539 (558) für den Bereich der Rechnungsprüfung unter Berufung auf BVerwGE 36, 218 (227). 55 So Schmelter, S. 166. 56 Schmelter, a.a.O.; vgl. auch BVerfGE 4, 144 (149). 57 Es ging dabei um das Gnadenrecht des Ministerpräsidenten. 58 BVerwG, JZ 1963, 26 (27). 59 Das Gericht hat ausdrücklich offengelassen, ob die Voraussetzungen einer Verfassungsbeschwerde gegeben waren. Vgl. BVerwG, a.a.O.
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c) Die Tätigkeit parlamentarischer Untersuchungsausschüsse als materiell verfassungsrechtliche Aktivität des Bundestages
Wendet man die oben entwickelten Kriterien der Zuordnung von Maß~ah men zum Verfassungsrecht auf die unmittelbar belastenden Maßnahmen von Untersuchungsausschüssen an, so ergibt sich, daß parlamentarische Untersuchungsausschüsse bei ihren Beweiserhebungen in einem verfassungsrechtlich unmittelbar geregelten Verfahren handeln. Unabhängig von der gegenständlichen Ausrichtung des Untersuchungsauftrags nimmt der Untersuchungsausschuß nicht nur Informationsaufgaben für das Parlament wahr 60 , leistet also unmittelbar parlamentarische Hilfsdienste. Dem Untersuchungsverfahren kommt darüber hinaus auch eine eigenständige und durch das Plenum nicht zu leistende Integrationswirkung, insbesondere im Bereich von Skandalenqueten, zu. 61 Wenn im Vordergrund eines streitigen Rechtsverhältnisses zwischen Untersuchungsausschuß und Privatem nicht der Schutzgehalt der Grundrechte, sondern die Reichweite der Kompetenz und der Befugnisse des Untersuchungsausschusses steht, wird über die Auslegung eines materiellen, auf den Status eines Verfassungsorgans bezogenen Rechtssatzes (Art. 44 GG) gestritten. Der Streitgegenstand einer Auseinandersetzung zwischen Untersuchungsausschuß und Bürger liegt dann schwerpunktmäßig bei der Auslegung des Art. 44 GG. Selbst wenn wie im Flick-Urteil des Bundesverfassungsgerichts 62 zunächst die Reichweite des Steuergeheimnisses als Abwehrrecht von Bedeutung war, so hat das Bundesverfassungsgericht doch keinen Zweifel daran gelassen, daß die Auslegung des Art. 44 GG (sowohl Abs. 1 Satz 1 als auch Abs. 2 Satz 1) der Entscheidung zugrunde liegt und es im wesentlichen um eine Schrankenbestimmung dieser Norm ging. "Dem verfassungsrechtlichen Charakter des Streitverhältnisses steht nicht entgegen, daß die Antragsgegner die vollständige Herausgabe der Akten unter Hinweis auf das in § 30 AO geregelte Steuergeheimnis verweigern. Ein solches Verweigerungsrecht kann indessen nur dann bestehen, wenn es sich aus Art. 44 GG ergibt oder aus einer anderen Verfassungsbestimmung abzuleiten ist. "63
Die gerichtliche Entscheidung über Maßnahmen des Ausschusses, die dessen Arbeit unmittelbar betreffen, konkretisiert in erster Linie die dem Untersuchungsrecht zugrunde liegende Verfassungsnorm. Diese Maßnahmen des Vgl. dazu oben Kapitel A. Vgl. dazu Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in: Staatsrechtliche Abhandlungen 1955 (Erstdruck 1925, S. 119 (245»; vgl. weiterhin Mössle, Regierungsfunktion des Parlaments, 1986, S. 27ff. 62 BVerfGE 67, 100ff.; wobei der Streit zwar unmittelbar zwischen Staatsorganen ausgetragen, die Verweigerung der Aktenvorlage aber mit dem Schutz des Bürgers wirkenden Steuergeheimnisses begründet wurde. 63 BVerfGE 67, 100 (124); vgl. auch S. 142. 60
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Untersuchungsausschusses sind daher verfassungsrechtliche Hoheitsakte 64 ; die subordinationsrechtliche Konstellation der Streitbeteiligten steht dieser materiellen Zuordnung nach dem Streitgegenstand nicht entgegen. 65 Da auf Bundesebene die maßgebliche normative Regel ausschließlich in Art. 44 GG zu finden ist, kristallisieren sich in dieser Vorschrift Ausgangspunkte und Ziele nahezu jeder relevanten Streitfrage betreffend das parlamentarische Untersuchungsrecht. Diese Verfassungsnorm kann durch einfaches Recht nicht relativiert werden, sondern nur durch andere Verfassungssätze eine Beschränkung erfahren. Nahezu jede Streitfrage im Zusammenhang mit dem parlamentarischen Untersuchungsrecht ist auf Verfassungsebene angesiedelt, nur ausnahmsweise kann sich der Schwerpunkt der Auseinandersetzung auf rein organisatorische Fragen oder Maßnahmen der Sitzungsleitung bzw. der Ausübung des Hausrechts verschieben und damit dem Rechsverhältnis die verfassungsrechtliche Natur nehmen. Es kommt im Einzelfall darauf an, ob die Auslegung oder Anwendung eines Verfassungssatzes - des Art. 44 GG - den Kern des Rechtsstreits bildet. 66 Die Frage, ob das Verhältnis zwischen Bürger und Ausschuß im parlamentarischen Untersuchungsverfahren verfassungsrechtlicher Natur ist, kann nicht pauschal beantwortet werden. 67 Nur dann, wenn dem Ausschuß Kompetenzen und Befugnisse aus Art. 44 GG bestritten werden oder die Verletzung von Verfassungsrecht im Kernbereich seiner Tätigkeit vorgeworfen wird, ist eine verfassungsrechtliche Streitigkeit gegeben. 68 Wie die Serie von Rechtsstreitigkeiten zwischen dem 3. U ntersuchungsausschuß des 10. DBT (NEUE-HEIMAT-UA) und der hauptsächlich betroffenen Gewerkschaftsholding gezeigt hat, ist ein Streit um die Auslegung von Art. 44 GG resp. das Verhältnis dieser Norm zu anderen Verfassungssätzen eher die Regel, denn die Ausnahme. 69
64 Zu diesem Begriffvgl. Husen, DVBI. 1953,70 (71); Obermayer, Verwaltungsakt und innerdienstlicher Rechtsakt, S. 90f. 65 So auch Schmelter, S. 165. 66 Vgl. OVG NW, DVBI. 1967, 51 (52); Ossenbühlweist in diesem Zusammenhang auf einen kompetentiellen Aspekt hin. Wenn Verwaltungsgerichte - wie dies regelmäßig der Fall sein wird - im Eilverfahren entscheiden, so entscheidet ein Landesoberwaltungsgericht praktisch letztverbindlich über die Auslegung des Art. 44 GG und damit über die Kompetenzzuweisung eines Bundesverfassungsorgans. Ossenbühl, in: Gedächtnisschrift für Martens, S. 177 (191f.). 67 "Im übrigen ist eine schematische Lösung, wann ein Streit verfassungsrechtlicher Natur ist und wann nicht, fehl am Platze." Haverkate, AöR 107 (1982), 539 (559). 68 Diese Unterscheidung nimmt auch das OVG Lüneburg vor. Vgl. OVG Lüneburg, DÖV 1986, 210. 69 Dies belegt der Argumentationsgang der im Auftrag der betroffenen Holding erstellten Rechtsgutachten von Meyer, der die Unzulässigkeit der Untersuchung nahezu ausschließlich im Rahmen einer Auslegung von Art. 44 GG und der Sperrwirkung anderer Verfassungsnormen (Art. 30 GG und die Grundrechte) zu belegen sucht. Vgl. Meyer, Rechtsgutachten II; vgl. auch Ossenbühl, in: Gedächtnisschrift für Martens, S. 177 (191).
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d) Ergebnis Die Auslegung des § 40 Abs. 1 VwGO hat hinsichtlich des Merkmals "nicht verfassungsrechtlich" ergeben, daß dieser Begriff materiell zu bestimmen ist, es also auf die Qualität der beteiligten Rechtssubjekte nicht entscheidend ankommt. Die Beteiligung von Verfassungsorganen aufbeiden Seiten des Rechtsstreits hat zwar ebenso eine deutliche Indizfunktion für eine verfassungsrechtliche Materie, wie das Verhältnis Staat-Bürger eine nicht-verfassungsrechtliche Streitigkeit signalisiert. In beiden Fällen sind aber Ausnahmen möglich, weil die Zuordnung letzIich materiell erfolgen muß. Für die allgemeine Praxis der Anwendung des § 40 Abs. 1 VwGO hat dieses Ergebnis nur geringe Bedeutung; die Zahl der Fälle, in denen ein Verfassungsorgan, unmittelbar den Einzelfall regelnd, verfassungsunmittelbar auf den Bürger einwirkt (oder ihn doch faktisch belastet), dürfte verschwindend gering sein. 70 Für den Rechtsschutz gegen Untersuchungsrnaßnahmen führt das gefundene Ergebnis in der Mehrzahl der Fälle zu einer Ablehnung des Verwaltungsrechtsweges, weil die besondere Qualität des Untersuchungsverfahrens als genuin verfassungsrechtliche Hilfstätigkeit in der überwiegenden Zahl der Streitkonstellationen über die Auslegung von Art. 44 GG streitentscheidend bestimmt wird. Sofern dem Untersuchungsausschuß durch den rechtsschutzsuchenden Privaten allerdings schwerpunktmäßig keine Rechte aus Art. 44 GG abgesprochen werden oder die Auslegung dieser Vorschrift nicht im Streit ist, handelt es sich um eine nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit die nach § 40 Abs. 1 VwGO vor den Verwaltungsgerichten ausgetragen wird. Ein Beispiel dafür bietet der Streit um eine zu knapp terminierte Zeugenladung, und die damit zusammenhängende Vereitelung der Hinzuziehung eines Rechtsbeistandes. 71 In diesem Fall lag der Schwerpunkt der Auseinandersetzung nicht beim Status des Untersuchungsausschusses, sondern bei der Reichweite von Freiheitsrechten, zu denen auch das Recht auf ein "faires Verfahren" zählt. Für eine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte fehlt es gegenüber unmittelbar vom Untersuchungsausschuß getroffenen Maßnahmen an einer Rechtsschutzlücke i.S.d. Art. 19 Abs. 4 S. 2 GG. 72
70 Neben dem Untersuchungsverfahren ist auch an sonstige schlichte Parlamentsbeschlüsse oder Regierungsakte zu denken, die ausnahmsweise rechtsverletzende Wirkung haben können. 71 Vgl. VG Hamburg, NJW 1987, 1568ff. 72 a.A. Schmelter, S. 179f.
8 Di Fabio
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3. Teil: Gerichtlicher Rechtsschutz 2. Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht
a) Rechtsschutz vor dem Bundesverfassungsgericht als Rechtsweg im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG In der älteren Literatur wurde bestritten, daß der Weg zum Bundesverfassungsgericht als Rechtsweg i.S.d. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG anzusehen ist. 73 Die Begründung Kleins, wonach Verfassungsgerichte nicht als Rechtsweg i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG in Frage kommen, ist jedoch - worauf Schmelter zu Recht hinweist _74 nach Einführung der Verfassungsbeschwerde zeitlich und sachlich überholt. Klein schloß nämlich die Verfassungsgerichtsbarkeit als Rechtsweg deshalb aus, weil sie im Bereich der Staatsgerichtsbarkeitjudiziere, also nicht im Verhältnis von Staat und Bürger. 75 Definiert man den Rechtsweg i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG als den "Weg zu den deutschen Gerichten, die in ihrer organisatorischen Stellung und personellen Besetzung den Erfordernissen des Art. 92 und 97 GG genügen" 76 , so erfüllen die Verfassungsgerichte nicht nur diese Kriterien 77, sondern es wird in Gestalt der Verfassungsbeschwerde eine typischerweise auf die Kontrolle von Individualrechtsverletzungen ausgerichtete Verfahrensart zur Verfügung gestellt (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a und b GG; §§ 13 Ziffer 8a, 90 ff. BVerfGG). Soweit Verfassungsgerichte demnach mit dem Individualrechtsschutz betraut sind, zählen sie zum Rechtsweg i.S.d. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. 78 Auch das Bundesverfassungsgericht geht incident davon aus, daß die Verfassungsgerichtsbarkeit einen Rechtsweg i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG darstellt, wenn es davon spricht, "eine andere Zuständigkeit i.S.d. Art. 19 IV 2 GG sei wegen Fehlens einer Verfassungsgerichtsbarkeit in Berlin ebenfalls nicht begründet" 79 , und damit bei der Prüfung des Rechtsweges den Verwaltungsrechtsweg und die Rechtswege zu den ordentlichen Gerichten sowie zu den Verfassungsgerichten auf eine Stufe stellt. Auch das Grundgesetz versteht das Verfahren vor dem BVerfG als Rechtsweg, wenn es in Art. 93 Abs. 1 Ziffer 4 die Zuständigkeit des BVerfG anordnet, "soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist."80 Verfassungsrechtsprechung ist auch sachlich Rechtserkennung. Der Umstand, daß Verfassungsrechtsprechung innerhalb des hierarchischen Normensy73 So vor allem von Klein, VVDStRL 8 (1950), 67 (93); BVerfGE 1, 323 (344); vgl. weitere Nachweise bei Schmelter, S. 168. 74 Schmelter, S. 170. 7S Klein, a.a.O., S. 93 FN 57. 76 Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 39. 77 Schenke, a.a.O., Rdnr. 42; Schmelter, S. 167f. 78 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 175; Bettermann, Die Grundrechte III/2, S. 823. 79 BVerwG, NJW 1985, 2344 (2345). 80 Vgl. auch den entsprechenden § 13 Ziffer 8 BVerfGG.
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sterns auf einer Höhe angesiedelt ist, die oberhalb des einfachen Gesetzes ihre Prüfungsmaßstäbe findet und damit systematisch in Konflikt zum einfachen Gesetzgeber geraten kann, macht aus dem BVerfG weder ein Legislativorgan noch eine politische Instanz. Ob die Grenzen der Verfassung eingehalten werden, ist eine reine Rechtsfrage. 81 Es spricht demnach alles dafür, das BVerfG als Teil des Rechtswegesystems anzusehen, wie es in Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG vorausgesetzt wird. b) Verfassungsbeschwerde ohne vorgängiges Gerichtsverfahren Da verfassungsrechtliche Streitigkeiten zwischen Bürger und Untersuchungsausschuß vor dem Bundesverfassungsgericht nur mit der Verfassungsbeschwerde ausgetragen werden können, ist § 90 Abs.2 S.1 BVerfGG anwendbar, wonach die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtsweges erhoben werden kann, sofern überhaupt ein Rechtsweg zulässig ist. Wenn man die Verfassungsbeschwerde selbst als Rechtsweg i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG zuläßt, ergibt die Anwendung des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG offensichtlich keinen Sinn. Die Absicht der Norm, die eine vorgängige Erschöpfung des Rechtswegs verlangt, liegt in der Entlastung des Bundesverfassungsgerichts und in dem B.estreben, eine klare Kompetenzverteilung zwischen Fachgerichten und Bundesverfassungsgericht zu erreichen. Fachgerichte und Bundesverfassungsgericht sollen nicht parallel zueinander judizieren 82, und das Bundesverfassungsgericht soll nicht mit einfachrechtlichen Fragen befaßt werden, sondern in seiner Tätigkeit auf die eigentliche Verfassungsauslegung beschränkt bleiben. 83 Im Grunde handelt es sich beim Gebot der Rechtswegerschöpfung um eine besondere Regelung im Bereich des individuellen Rechtsschutzbedürfnisses. 84 Bereits ohne besondere Normierung könnte eine Verfassungsbeschwerde im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung deshalb abgelehnt werden, weil ein Rechtsschutzbedürfnis solange nicht gegeben ist, wie dem Kläger ein einfacheres gerichtliches Verfahren zur Verfügung steht. 85 Dabei darf nicht außer acht gelassen werden, daß der Begriff des "Rechtswegs" in Art. 19 Abs. 4 GG und § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG eine andersgelagerte Intention aufweist. Im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG ist "irgendeine" Überprüfung durch unabhängige Gerichte gemeint, während § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG die vorgängige Inanspruchnahme der für die Auslegung einfachen Rechts zuständigen Fachgerichte gewährleisten will. 86 Es darf auch nicht übersehen werden, daß die Löwer, in: HbStR, Bd. II, § 56 Rdnr. 2. Es soll keinen "wahlweisen" Rechtsweg geben. Vgl. BVerfGE 1, 97 (103); 22, 287 (290). 83 Vgl. dazu Schmidt-Bleibtreu, in: MaunzjSigloch, BVerfGG, § 90 Rdnr. 193. 84 Schmidt-Bleibtreu, a.a.O., Rdnr. 192. 8S Tschiraj Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, 1987, S. 64. 81
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Forderung nach Erschöpfung des Rechtsweges in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nur für die Fälle gilt, in denen das einfache Recht einen Rechtsweg bereitstellt 87 ; ist dies nicht der Fall, so bleibt die Verfassungs beschwerde als unmittelbarer Individualrechtsschutz i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG bestehen. Insoweit sind verfassungsrechtlich zu beurteilende nicht zur Rechtsetzung gehörende Akte der Legislative - also auch Maßnahmen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse - nicht anders zu behandeln als Verfassungsbeschwerden gegen Akte der Rechtsetzung, bei denen anerkannt ist, daß im Falle einer eigenen, gegenwärtigen und unmittelbaren Betroffenheit durch ein Gesetz ohne Vollziehungsakt und auch ohne Inanspruchnahme der Fachgerichte unmittelbar mit der Verfassungsbeschwerde geklagt werden kann. 88 Da für verfassungsrechtliche Akte parlamentarischer Untersuchungsausschüsse keine anderweitige Gerichtszuständigkeit gegeben ist 89 , steht deshalb weder der Wortlaut noch der Sinn des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG einer unmittelbaren Verfassungsbeschwerde gegen Akte parlamentarischer Untersuchungsausschüsse entgegen. 3. Ergebnis und Schlußfolgerungen
Unmittelbar belastende Maßnahmen eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Bundes gegenüber natürlichen oder juristischen Personen des Privatrechts gehören nach dem Vorgenannten vor das Bundesverfassungsgericht, wenn die Auslegung von Verfassungsrecht den Kern des Rechtsstreits bildet. Dies ist dann gegeben, wenn ein zu beurteilender Einzelfall folgende Kriterien erfüllt. Der konkrete Streitfall muß im wesentlichen durch materielle Verfassungsnormen entscheid bar sein. Im Streit zwischen Untersuchungsausschuß und Privaten müssen entweder die Kompetenz, die Befugnisse, der Status des Untersuchungsausschusses innerhalb der Staatsorganisation, Grundprinzipien des Verfahrens, der Untersuchungsauftrag oder relevante Feststellungen des Untersuchungsausschusses sein. Als Abgrenzungshilfe kann dabei auch eine auf das Ergebnis gerichtete Frage gestellt werden. Eine verfassungsrechtliche 86
2.a}.
Vgl. zu diesem bei der Auslegung zu berücksichtigenden Normkontext bereits oben
87 § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG formuliert als Bedingung: "Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, ... " 88 BVerfGE 1,97 (101); 16, 147 (158f.); 29, 83 (94); 29, 402 (407f.); 35, 79 (107); 60, 360 (369ff.); 66, 39 (56ff.); vgl. zur unmittelbaren Verfassungsbeschwerde gegen Petitionsentscheidungen BVerfGE 2,225 (227ff.). 89 Die subsidiäre Zuständigkeit in Art. 19 Abs. 4 Satz 2 GG kommt erst dann zum Zuge, wenn auch keine Möglichkeit der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht besteht. Dies könnte theoretisch dann der Fall sein, wenn eine Maßnahme des Untersuchungsausschusses zwar Rechte des Betroffenen, aber keine Grundrechte verletzt. Vgl. zum Subsidiaritätsverhältnis zwischen Art. 19 Abs. 4 Satz 2 und § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, Schrnelter, S. 174f.
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Streitigkeit im materiellen Sinne ist immer dann indiziert, wenn - unabhängig vom faktischen Ausgang des Rechtsstreits - eine zu Lasten des Ausschusses gehende Entscheidung das Wesen des eingesetzten Ausschusses verändern, Strukturen des Untersuchungsrechts nachhaltig, also über den Einzelfall hinaus, beeinflussen oder der konkreten Beweiserhebung eine geänderte Verlaufsrichtung geben würde. Rein verwaltungsrechtliche Maßnahmen wie die Ausübung des Hausrechts durch den Vorsitzenden oder Formalien im Verfahren (Ladung, Zustellung, Fristen) gehören dagegen vor die Verwaltungsgerichte, da es sich um nichtverfassungsrechtliche Streitigkeiten handelt. Da das Untersuchungsverfahren ein verfassungsunrnittelbares Verfahren sui generis ist und keine Verwaltung darstellt, kommt als Klageart vor dem Verwaltungsgericht nur die allgemeine Leistungsklage in Betracht (§ 43 Abs. 2 VwGO). Der Rechtsweg zum BVerfG wird durch die Verfassungsbeschwerde eröffnet. Dieses Ergebnis ist sachgerecht, da das Bundesverfassungsgericht einerseits berufen ist, über Kompetenzen und Befugnisse eines (Teil-)Verfassungsorgans verbindlich zu entscheiden, und andererseits die Funktionsfähigkeit dieses Organs regelmäßig von gerichtlichen Entscheidungen betroffen ist. Überlegungen der Prozeßökonomie stehen dem gefundenen Auslegungsergebnis nicht im Wege. Zum einen wird jedes relevante Verfahren in hochpolitischen Fragen, das gerichtlich ausgetragen wird, irgendwann vor dem Bundesverfassungsgericht enden, so daß die unmittelbare Zuständigkeit einen Zeitgewinn in einem zeitsensiblen Verfahren darstellt. Zum anderen ist die Zahl der Streitigkeiten notwendigerweise begrenzt, da in einer Legislaturperiode des Bundestages nur eine überschaubare Anzahl von Untersuchungsverfahren stattfinden kann, eine Überlastung des Bundesverfassungsgerichts demnach nicht droht. Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt demonstriert, daß es auch unter Zeitdruck - d. h. im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§ 32 BVerfGG) - zu sachgerechten Regelungen findet. 90 Es bestehen demnach auch keine durchgreifenden praktischen Einwände gegen die bei statusspezifischen Fragen gegebene Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts. III. Rechtsweg und Rechtswegausgestaltung bei richterlich angeordneten Maßnahmen 1. Rechtswegprobleme bei Inanspruchnahme des Strafrichters durch den Untersuchungsausschuß
Eine Reihe von Maßnahmen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse kann nach h.M. nicht von diesem unmittelbar selbst angeordnet werden, sondern sie bedürfen einer richterlichen Entscheidung. 91 Hierzu zählen vor Vgl. zuletzt BVerfG, NJW 1987, 770. StGB Bremen, DÖV 1970, 386ff; BVerfG, DÖV 1984, 259 (760); LG Bann, NJW 1987, 790 (791); OVG NW, DVBl. 1987, 100 (101); Gallwitzer, in: Festschrift für 90
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3. Teil: Gerichtlicher Rechtsschutz
allem Beschlagnahme- und Durchsuchungsbeschlüsse, aber auch Verhaftungen im Rahmen des § 70 StPO (Ordnungs- und Erzwingungshaft). Von der rechtlichen Einordnung dieser Maßnahmen hängt es ab, mit welchen Rechtsmitteln und vor welcher Gerichtsbarkeit Beschlüsse des Strafrichters angegriffen werden können. 92 Je nachdem wie man die Inanspruchnahme des Strafrichters qualifiziert, kann man zu verschiedenen Rechtswegen und Rechtsmittelsystemen gelangen. Handelt der Strafrichter, der eine Beschlagnahme oder Durchsuchung für den Untersuchungsausschuß anordnet, ausschließlich im Rahmen strafprozessualer Regeln, weil man seine Inanspruchnahme auf Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG zurückführt und in der sinngemäßen Verweisung auch eine Einbeziehung des Rechtsmittelsystems der StPO erblickt, so ist der Beschwerdeweg nach §§ 304 ff. StPO innerhalb der Strafgerichtsbarkeit gegeben. 93 Dieser Gedankengang ist allerdings in mehreren Punkten nicht so zwingend, wie die zum Teil in apodiktischer Kürze vorgetragenen Begründungen der Rechtsprechung vermuten lassen. Cordes hat einen Zusammenhang zwischen der sinngemäßen Verweisung in Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG und einer Rechtswegzuständigkeit der Strafgerichte verneint und scheint auch in diesem Bereich eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte anzunehmen. "Dabei darf "sinngemäß" in Art. 44 Abs. 2 BGG nicht so verstanden werden, als ob im jeweiligen Fall dieselben Rechtsmittel wie in der StPO anzuwenden wären, sondern in der Weise, daß überhaupt Rechtsmittel zu gewähren sind. "94
Wenn man das Untersuchungsverfahren als Verwaltungsverfahren ansieht,95 könnten bereits Zweifel an der Zuständigkeit des Strafrichters aufkommen. Wenn eine Beschlagnahme- oder Durchsuchungsanordnung aus rechtsstaatlichen Gründen nur durch den Richter erfolgen darf,96 ist nicht einzusehen, warum in einem Verwaltungsverfahren nicht die Verwaltungsgerichte diese Aufgabe übernehmen sollten. Damit wäre vor allem das Problem beseitigt, daß durch die gegenwärtig praktizierte Dualität der Rechtsschutzgewährung gegen parlamentarische Untersuchungsrnaßnahmen Überschneidungen auftreten, die zu einer (ungeklärten) Konkurrenzsituation zwischen Strafgericht und Verwaltungsgericht führen. Wenn ein belastender Beweisbeschluß des UntersuchungsDünnebier, S. 327 (340); Hilf, NVwZ 1987, 537 (544); Schleich, S. 28; Lässig, DÖV 1976, 727 (728f.); a.A .. Geiler / Kleinrahm, LVerfNW, Art. 41 Anm. 11 c) bb). 92 Diese rechtliche Einordnung richterlicher Inanspruchnahme ist keine Thematik, die sich auf die Frage des Rechtsweges beschränkt; gleichwohl ist diese Frage für den rechtsschutzsuchenden Bürger von vorgängigem Interesse und wird deshalb in diesem Rahmen erörtert. 93 So hat die jüngste Rechtsprechung entschieden. LG Frankfurt, NJW 1987, 789; LG Bann, NJW 1987, 790; LG Hamburg, ZRP 1984,115; vgl. auch StGH Bremen, DÖV 1970, 386. 94 Cordes, S. 196. 9S Vgl. Kapitel D. 96 So StGH Bremen, DÖV 1970, 386 (387); vgl. auch unten 2.
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ausschusses vor dem Verwaltungsgericht angefochten werden kann und zugleich aufgrund dieses Beweisbeschlusses eine strafrichterliche Beschlagnahmeanordnung ergeht,97 besteht die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen, wobei ein Rangverhältnis zwischen den Gerichten nicht besteht und somit auch keine Prioritätsentscheidung getroffen werden kann. Wenn man die Beweiserhebung des Untersuchungsausschusses als Verwaltungsverfahren ansieht, wäre es konsequent und praktikabel, Beschlagnahmeanordnungen gleich beim Verwaltungsgericht zu beantragen. Sieht man jedoch das Untersuchungsverfahren - wie in dieser Arbeit - als verfassungsunmittelbares Verfahren sui generis an,98 so käme zwar eine Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts als die Beschlagnahme anordnendes Gericht wegen der Exklusivität des Zuständigkeitskatalogs in § 13 BVerfGG nicht in Betracht, so daß man - wie gegenwärtig der Fall- auf den wegen Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG sachnächsten Richter (den Strafrichter) zurückgreifen würde. Damit steht allerdings noch nicht fest, welche Rechtsmittel auf welchem Rechtsweg gegen dessen Entscheidung zur Verfügung stehen. Nur wenn Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG allein auch die Inanspruchnahme des Strafrichters und des strafprozessualen Rechtsmittelsystems durch seine sinngemäße Verweisung trägt, ist mit der gegenwärtigen Praxis der Beschwerdeweg für beide am Untersuchungsverfahren beteiligten Seiten innerhalb der Strafgerichtsbarkeit zu rechtfertigen. Es wird demgegenüber aber auch die Ansicht vertreten, daß die Inanspruchnahme des Strafrichters im Wege der Rechtshilfe und aufgrund von Art. 44 Abs. 3 GG erfolgt. 99 Wenn der Strafrichter nicht nur aufgrund von Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG, sondern im Rahmen der Rechtshilfe nach Art. 44 Abs. 3 GG tätig wird, könnte das Rechtsmittelsystem nach §§ 304 ff. StPO - zumindest soweit der Untersuchungsausschuß gegen die Weigerung des Strafrichters, einen Beschlagnahmeoder Durchsuchungsbeschluß zu erlassen, vorgehen will - nicht anwendbar sein, da die §§ 156 ff. GVGmöglicherweise auch im Verhältnis zwischen Untersuchungsausschuß und Gericht als speziell für die verweigerte Rechtshilfe einschlägige Normen in Betracht kommen. Man könnte dann diskutieren, ob nach verweigerter Rechtshilfe durch den Amtsrichter der Untersuchungsausschuß das OLG anrufen kann zu dessen Bezirk das ersuchte Gericht gehört 97 So geschehen im NEUE-HEIMAT-Untersuchungsverfahren, wo die Verwaltungsgerichte über die Rechtmäßigkeit der Aktenanforderung (und des zugrundeliegenden Beweisbeschlusses) Zu entscheiden hatten (VG Köln - 4 K 3873/86 - u.a. noch anhängig), während der Strafrichter aufgrund des Beweisbeschlusses seine Beschlagnahmeanordnungerließ. Vgl. AG Frankfurt, Beschluß vom 29.9. 1986-931 Gs 3417/86; vgl. auch VG Köln, Beschluß vom 26.8.1986-4 L 1185/86 -; OVG NW, DVBI. 1987, 100; LG Bann, NJW 1987, 790 (792); vgl. auch oben II. 98 Vgl. oben Kapitel D II Und F H. 99 Halstenberg, S. 147f.; Giese, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 1976, Art. 44, Anm. II 4.
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3. Teil: Gerichtlicher Rechtsschutz
(§ 159 Abs. 1 S. 1 GVG) und gegebenenfalls gegen eine ungünstige Entscheidung Beschwerde beim BGH erheben könnte (§ 159 Abs. 1 S. 2 und 3 GVG). Diese teilweise verwirrenden Möglichkeiten führen zur Rechtsunsicherheit in dieser Kategorie parlamentarischer Untersuchungsrnaßnahmen. Eine Klärung kann nur erwartet werden, wenn zumindest zwei Fragen aufgrund der gegenwärtigen Rechtslage zufriedenstellend beantwortet werden können: -
Aus welchem normativen Gebot ergibt sich die Notwendigkeit, bestimmte Maßnahmen nicht durch den Untersuchungsausschuß selbst, sondern nur durch einen Richter vornehmen zu lassen?
-
In welchem formellen Rahmen wird der Richter tätig? Handelt er unmittelbar aufgrund einer durch Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG vermittelten Zuständigkeit oder im Rahmen der Rechtshilfe nach Art. 44 Abs. 3 GG? 2. Die normative Grundlage zur Inanspruchnahme richterlicher Hilfe durch den Untersuchungsausschuß
a) Begründungen der Rechtsprechung Soweit die Rechtsprechung Gelegenheit hatte, über Anträge auf Beschlagnahme bzw. Durchsuchungen oder Anträge auf Anordnung von Erzwingungshaft sowie über die diesbezüglich eingelegten Rechtsmittel zu entscheiden, fand sie für die normative Grundlage ihrer Inanspruchnahme nur wenige Worte. Das LG Frankfurt etwa führt im Beschwerdeverfahren gegen eine Beschlagnahmeanordnung des Amtsgerichts dazu aus: "Die angegriffene Beschlagnahme erging gern. Art. 44 II GG, § 98 I StPO in sinngemäßer Anwendung der Vorschriften der StPO. Gegen eine solche Maßnahme ist gern. § 304 I StPO der Rechtsbehelf der Beschwerde gegeben."lOO
Begründet wird diese Feststellung lediglich mit dem Hinweis auf einen Kammerbeschluß des Bundesverfassungsgerichts 101 und der Entscheidung des StGH Bremen. 102 Das Bundesverfassungsgericht geht in seinem Beschluß vom 5. Juni 1984 ohne nähere Begründung davon aus, daß Beschlagnahmen und Durchsuchungen von einem Richter angeordnet werden und weist dem Richter in diesem Zusammenhang die Aufgabe zu, die Beachtung der Grundrechte und die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten. 103 Diese Aufgabenkonkretisierung läßt den Eindruck entstehen, daß der Vorprüfungsausschuß (Kammer) den eigentlichen Grund der richterlichen Inanspruchnahme im Rechtsstaatsprinzip sieht. Auf dieser Argumentationslinie 100 101 102 103
LG Frankfurt, NJW 1987, 789. BVerfG, DÖV 1984, 759f. (= NJW 1984, 2277). StGH Bremen, DÖV 1970, 386ff. (= NJW 1970, 1309ff.). BVerfG, DÖV 1984, 759 (766).
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bewegte sich auch schon der StG H Bremen in seiner Entscheidung vom 17. April 1970, der dezidiert das rechtsstaatliche Argument als Grund der richterlichen Inanspruchnahme entwickelte: "Die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse können aber die Beschlagnahme und die Durchsuchung nach § 103 StPO nicht selbst anordnen. Sie sind nur befugt, sie beim zuständigen Richter zu beantragen. Bei einem Eingriff in die Freiheitssphäre des Bürgers von der Intensität der Beschlagnahme oder der Durchsuchung ist das rechtsstaatliche Interesse an der strikten Wahrung der Grenzen der Rechtszulässigkeit in besonderem Maße gegeben. Zwar würde auch der Untersuchungsausschuß selbst sich der Einhaltung dieser Schranken zu versichern haben. Die beste Gewähr für die Wahrung der Grenzen der rechtlichen Zulässigkeit liegt aber in dem Vorbehalt der Anordnungsbefugnis für den unabhängigen und rechtskundigen Richter". 104
Nicht auf allgemeine Rechtsstaatserwägungen, sondern auf eine verfassungsrechtliche Norm stützte sich das LG Bann bei der Frage, ob die Anordnung von Erzwingungshaft nach § 70 Abs. 2 StPO dem Richter vorbehalten ist. Das Gericht sah wegen Art. 104 Abs. 2 GG den Untersuchungsausschuß gehindert, selbst Erzwingungshaft anzuordnen. 105 Dieses zutreffende Argument gilt auch für das Durchsuchungsrecht. Auch in diesem Fall bestimmt bereits eine Verfassungsnorm, daß Durchsuchungen nur durch den Richter angeordnet werden dürfen (Art. 13 Abs. 2 GG). Für Verhaftungen und Durchsuchungen bedarf es deshalb zur Begründung der Inanspruchnahme des Strafrichters keines Rückgriffs auf das Rechtsstaatsprinzip, vielmehr ergibt sich die normative Grundlage aus der Verfassung selbst (Art. 104 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 2 GG). Problematisch bleibt danach nur, ob auch die richterliche Beschlagnahme rechtlich zwingend ist. Die Rechtsprechung rekurriert offensichtlich insoweit vor allem auf Praktikabilitätserwägungen, etwa in dem Sinne, daß ein Richter besser die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze sichern kann, als der Ausschuß. Die Begründung des StGH Bremen 106 liefert insoweit dafür ein Beispiel. Angesichts der Unkonturiertheit des Rechtsstaatsprinzips, dem man im Grunde - nicht mehr, aber auch nicht weniger - als ein Willkürverbot entnehmen kann 107, reichen diese Erwägungen nicht aus, um die Inanspruchnahme des Richters im Falle von Beschlagnahmen durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß zwingend vorzuschreiben.
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StGH Bremen, DÖV 1970, 386 (387). LG Bann, NJW 1987, 790 (791). Vgl. FN 98. Vgl. Kunig, S. 302ff.
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b) Begründungen der Literatur Stellungnahmen der Literatur zu dem Problem, auf welcher rechtlichen Grundlage die Inanspruchnahme des Richters bei Beschlagnahmen erfolgt, sind eher spärlich. Dies hängt zum einen damit zusammen, daß ein Teil der Literatur dem Untersuchungsausschuß bereits grundsätzlich das Recht zur Beschlagnahme abspricht und deshalb das hier behandelte Problem nicht mehr ins Blickfeld gerät. lOB Ebenso wie in der Rechtsprechung unterliegt es auch in der Literatur keinem Zweifel, daß Eingriffe des Untersuchungsausschusses in die Freiheit der Person nur durch den Richter (Art. 104 Abs. 2 GG) angeordnet werden können. 109 Gerade aber aus dem Umstand, daß bei Eingriffen in die Freiheit der Person und bei Durchsuchungen (Art. 13 Abs. 2 GG) nach verfassungsrechtlichen Imperativen eine Inanspruchnahme des Richters zwingend geboten ist, wird vereinzelt auch der naheliegende Schluß gezogen, daß die Beschlagnahme von Urkunden und Unterlagen aufgrund des Fehlens eines entsprechenden verfassungsrechtlichen Gebots durch den Untersuchungsausschuß selbst vorgenommen werden kann. 110 Dagegen ist allerdings argumentiert worden, daß das Gebot richterlicher Inanspruchnahme sich nicht nur aus der Verfassung, sondern auch einfachgesetzlich ergeben kann. Die StPO schreibt nicht nur für Durchsuchungen, sondern auch für Beschlagnahmen eine richterliche Entscheidung vor (§§ 98 Abs. 1, 105 Abs. 1 StPO), so daß möglicherweise die sinngemäße Anwendung der Regeln über den Strafprozeß dieses einfachgesetzliche Gebot mitumfaßt. lll Ähnlich argumentiert auch Schleich, der die Inanspruchnahme des Richters bei Beschlagnahmen deshalb für wünschenswert und angebracht hält, weil durch die Hinzuziehung eines Richters die gefährdeten Individualinteressen besser gegenüber dem Untersuchungsinteresse zur Geltung gebracht werden können. Nach Schleich ist dieses Vorgehen "sinngemäß" im Sinne von Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG.!12 c) Das normative Gebot zur richterlichen Inanspruchnahme aus Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG i. v.m. § 98 Abs. 1 StPO
Die sinngemäße Verweisung auf die Regeln des Strafprozesses in Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG zielt vor allem darauf, die Beweiserhebungen der Untersuchungsausschüsse in einem geordneten Verfahren erfolgen zu lassen. Letztlich wurde 108 Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 44 Rdnr. 59 m.w.Nw.; Rechenberg, in: BK, Art. 44 Rdnr. 29; sowie Kapitel B.IV.1. 109 Gollwitzer, in: Festschrift für Dünnebier, S. 327 (340); Schleich, S. 28. 110 Geiler / Kleinrahm, Art. 41 Anm. 11 c) bb). 111 So Pfander, Beschlagnahme von Anwaltsakten im Rahmen eines Enqueteverfahrens?, NJW 1970, 314 (315). 112 Schleich, S. 28.
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dem Untersuchungsrecht eine auf Beweiserhebungsmaßnahmen - die zum Teil erheblich in Individualrechte eingreifen - zugeschnittene und erprobte Verfahrensordnung als Mindest- und Reserveordnung zur Verfügung gestellt. 113 Die in Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG angeordnete sinngemäße Anwendung der strafprozessualen Regeln eröffnet dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß einerseits Befugnisse, andererseits beschränkt es diese aber auch durch die Unterwerfung unter eine Verfahrens ordnung, die eine Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips in einem besonders sensiblen Bereich des Staat-Bürger-Verhältnisses darstellt. 114 Es bedarf deshalb nicht eines Rückgriffs auf das allgemeine Rechtsstaatsprinzip, um die Notwendigkeit der Inanspruchnahme eines Richters bei Beschlagnahmeanordnungen zu belegen. Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG verleiht (gemeinsam mit Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG) Befugnisse und kanalisiert diese Befugnisse in rechtsstaatliche Formen. Soweit es mit dem Sinn und Zweck des parlamentarischen Untersuchungsverfahrens vereinbar ist, sind daher die im Interesse des (von der Strafverfolgung betroffenen) Bürgers im Strafprozeß vorgesehenen rechtsstaatlichen Sicherungsmechanismen auf das Untersuchungsverfahren zu übertragen. Die Anforderungen der Beschlagnahme und Durchsuchung dürfen aber nach der StPO im Regelfall nur durch den Richter erfolgen (§§ 98 Abs. 1 Satz 1, 105 Abs. 1 StPO).115 Da die Inanspruchnahme des Richters somit einerseits den strafprozessualen Regeln entspricht, auf die Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG Bezug nimmt, und andererseits dieser rechts staatliche Richtervorbehalt zwar zu einer zeitlichen Belastung des Untersuchungsverfahrens, nicht jedoch zu einer generellen Aufgabengefährdung führt - d.h. nicht dem Zweck des U ntersuchungsverfahrens zuwiderläuft -, dürfte die Notwendigkeit der Anordnung durch einen Richter auch sinngemäß sein. Das normative Gebot zur Inanspruchnahme des Richters bei Verhaftungen und Durchsuchungen ergibt sich danach unmittelbar aus der Verfassung und für Beschlagnahmen aus Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG i.V.m. § 98 Abs. 1 StPO. Der durch Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG vermittelte Bezug zu den Regeln über den Strafprozeß läßt zugleich auch nur die Inanspruchnahme des Strafrichters zu. Die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts läßt sich daher nicht begründen. Es 113 Vgl. bereits Heck, S. 53, der von "durchdachten Lösungen des Interessenkonflikts Staat-Individuum" spricht; vgl. auch die Beratungen im Hauptausschuß, HptA., Sten.Prot., 2. Sitzung am 11.11.1948, S. 15. 114 Vgl. BVerfGE 67, 100 (133); Arloth NJW 1987, 808 (810f.). 115 Die Anwendung der Ausnahmeregelung der StPO, wonach die Anordnung auch durch Staatsanwaltschaft und Polizei erfolgen kann, sofern "Gefahr im Verzug" ist, ist aufgrund der unterschiedlichen Zweckrichtung beider Verfahren im Untersuchungsverfahren praktisch nicht denkbar. Das BVerfG hat zwischenzeitlich die Auffassung bestätigt, daß sich die Notwendigkeit richterlicher Inanspruchnahme aus Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG i. V.m. § 98 Abs. 1 S. 1 StPO ergibt. Die Problematik der Eilanordnung hat das Gericht dahinstehen lassen. BVerfG, EuGRZ 1987, 531 (545).
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3. Teil: Gerichtlicher Rechtsschutz
liegt aufgrund dieser normativen Fundierung der Notwendigkeit einer (straf)richterlichen Inanspruchnahme auch nahe, das Rechtsmittelsystem der §§ 304 StPO für einschlägig zu halten, da eine Rechtskontrolle durch die Verwaltungsgerichte angesichts einer Problematik, die entweder strafprozessual oder aber verfassungsrechtlich geprägt ist, nicht sachgerecht erscheint. Auch die unmittelbare Anrufung des BVerfG gegen die Entscheidung des Strafrichters dürfte dem Gebot in § 90 Abs. 2 BVerfGG zuwiderlaufen, da der Rechtsweg innerhalb der Strafgerichtsbarkeit noch nicht erschöpft ist. Um diese Frage jedoch eindeutig klären zu können und um zu entscheiden, welche Rechtsmittel dem Untersuchungsausschuß zustehen, wenn sein Antrag vom Strafrichter abgelehnt wird, ist es erforderlich, auch den formellen Rechtsrahmen zu bezeichnen, in dem die richterliche Inanspruchnahme erfolgt, da zumindest für den Untersuchungsausschuß unterschiedliche Rechtsmittelsysteme in Betracht kommen, nämlich der Weg über §§ 304 ff. StPO oder §§ 156 ff. GVG. 3. Die formelle Grundlage der richterlichen Inanspruchnahme
a) Art. 44 Abs. 3 GG i. v.m. § 156 GVG als formelle Grundlage? Die letztlich aus der Verfassung gewonnene Einsicht, daß der Untersuchungsausschuß Beschlagnahmen, Durchsuchungen und Verhaftungen nicht selbst anordnen kann, sagt allerdings noch nichts darüber aus, nach welcher formellen Grundlage ein Richter verpflichtet ist, dem Verlangen des Untersuchungsausschusses nachzukommen. Die verfassungsrechtliche Notwendigkeit zur Inanspruchnahme eines Richters bedarf der Transformierung in das Prozeßrecht, damit sie zu einer Verpflichtung eines bestimmten Richters zum Tätigwerden führt und ein rechtlicher Rahmen bezeichnet wird, der das Verhältnis zwischen Untersuchungsausschuß und Richter klärt. Als solche formelle Grundlage bietet sich die in Art. 44 Abs. 3 GG eigens normierte Pflicht von Behörden und Gerichten zur Rechts- und Amtshilfe gegenüber dem Untersuchungsausschuß an, insbesondere wenn man diese Verfassungsnorm im Zusammenhang mit den §§ 156 ff. GVG liest. Wie in anderen Bereichen des Untersuchungsrechts auch, bewegt sich eine derartige Ableitung in einer Sphäre, in der so gut wie alles umstritten ist. Eine Mehrheit der einschlägigen Literatur sieht Art. 44 Abs. 3 GG schon als rein deklaratorisch an, weil Art. 35 GG ohnehin auf Untersuchungsausschüsse als Behörden anwendbar sei 116; diejenigen dagegen, die eine Behördenqualität des Untersuchungsausschusses ablehnen, halten Art. 44 Abs. 3 GG für konstitutiv. ll7 116 Vgl. von Münch, GG, Art. 44 Anm. 23; von Mangold! j Klein, GG, S. 949; Maunz, in Maunz j Dürig, Art. 44 Rdnr. 47, läßt es dahingestellt, ob Art. 44 Abs. 3 GG deklaratorisch ist oder nicht. 117 Schneider, AK, Art. 44 Rdnr. 16; vgl. auch oben Kap. D., wo die Behördeneigenschaft schon deshalb abgelehnt wird, weil ein Untersuchungsausschuß keine Verwaltung im materiellen Sinne ausübt.
F. Rechtsweg
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Dieser Streit kann jedoch - wie Maunz zu Recht festgestellt hat dahingestellt bleiben 118, da jedenfalls unbestritten ist, daß ein U ntersuchungsausschuß Amts- und Rechtshilfe in Anspruch nehmen kann. Unklar dagegen bleibt, ob das Gebot der richterlichen Anordnung von Verhaftungen, Durchsuchungen und Beschlagnahmen im Rahmen der Amts- resp. Rechtshilfe erfolgt. Während beispielsweise das nordrhein-westfälische Untersuchungsausschußgesetz 1l9 zwischen Amts- und Rechtshilfeleistungen einerseits und der Inanspruchnahme des Richters bei Beschlagnahmen etc. andererseits normativ differenziert 120, wird in der Literatur die richterliche Inanspruchnahme als Rechtshilfeleistung angesehen. l2l Ebenfalls umstritten ist, ob die §§ 156 ff. GVG auf das Ersuchen eines Untersuchungsausschusses an den Richter Anwendung finden. 122 Da eine gesetzliche Klarstellung auf Bundesebene nicht existiert, kommt es darauf an, die begrifflichen Voraussetzungen der Rechtshilfe zu klären und zu entscheiden, ob die notwendige Inanspruchnahme des Richters unter diesen Begriff subsumierbar ist.
b) Voraussetzungen der Rechtshilfe Die Abgrenzung zwischen Amts- und Rechtshilfe ist nicht ganz eindeutig. 123 Es bestehen zwei grundsätzliche Definitionsmöglichkeiten. Die herrschende Meinung stellt auf die ersuchte Behörde ab; Rechtshilfe ist danach dann gegeben, wenn um richterliche Tätigkeit ersucht wird. 1U Kleinknecht / Meyer sehen dagegen Rechtshilfe als Hilfeleistung unter Gerichten an 125 , d. h. auch die ersuchende Stelle muß ein Gericht sein. Die zweite Position dürfte - wenn überhaupt - jedoch nur innerhalb der Normauslegung der §§ 156 GVG haltbar sein, da § 156 GVG von Gerichten spricht, die sich gegenseitig Rechtshilfe leisten. Allgemein (im Rahmen einer Interpretation des Art. 35 oder 44 Abs. 3 GG) gilt die Definition Drehers, wonach Rechtshilfe die "behördliche Unterstützung durch die Vornahme richterlicher Handlungen" ist, "wobei es gleichgültig ist, ob diese Unterstützung Vgl. Maunz, a.a.O. Abgedruckt in: Hippel-Rehborn, Gesetze und Verordnungen des Landes NordrheinWestfalen Nr. 1 b. 120 Vgl. § 23 und § 28 des Untersuchungsausschußgesetzes NW. 121 Badura, DÖV 1984, 763; Gol/witzer, in: Festschrift für Dünnebier, S. 327 (340); Pfander, NJW 1970, 314. 122 Dafür: Giese, GG, Art. 44 Anm. 11.4; Halstenberg, S. 147f.; ablehnend: von MangoldtjKlein, S. 949; Maunz, in: MaunzjDürig, GG, Art. 44, Rdnr. 47. 123 Es handelt sich dabei um einen alten Meinungsstreit; vgl. von Münch, GG, Art. 35 Anm.6. 124 Maunz, in: MaunzjDürig, Art. 35, Rdnr. 3; Bull, in: AK, Art. 35 Rdnr. 15; Meyer j Borgs, VwVfG, 2. Aufl. 1982, § 4 Rdnr. 12. 125 Kleinknecht j Meyer, StPO, § 156 GVG Rdnr. 1. 118
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3. Teil: Gerichtlicher Rechtsschutz
für ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde gewährt wird."126 Da die Inanspruchnahme des Richters durch den Untersuchungsausschuß auf genuin richterliche Tätigkeit zielt, kann es sich danach begrifflich nur um Rechtshilfe handeln. Bezieht man gleichwohl die insbesondere nach Inkrafttreten des VwVfG entstandene neuere Dogmatik zu den Voraussetzungen der Amtshilfe in die Betrachtung ein 127 , so bereiten zwei Voraussetzungen für die Annahme einer Rechtshilfe Schwierigkeiten. Zum einen werden in der neueren Literatur selbständige Maßnahmen und Vollstreckungsmaßnahmen nicht als Amtshilfe oder Rechtshilfe im üblichen Sinne betrachtet 128, bzw. es wird eine spezielle, sich auf diese Hilfeleistung beziehende gesetzliche Ermächtigung - die nicht bereits durch Art. 35 GG gegeben ist - gefordert. 129 Diese Fallgruppe ist jedoch bei richterlichen Beschlagnahmen und Durchsuchungen nicht gegeben. Der Richter ordnet zwar die Beschlagnahme an, aber er vollstreckt sie nicht selbständig; die Vollstreckung auf Grundlage der Anordnung liegt in der Hand des Untersuchungsausschusses. Von einer selbständigen Vollstreckungshandlung kann demnach nicht gesprochen werden. Der zweite Gesichtspunkt gegen die Annahme einer Rechtshilfe knüpft ebenfalls an das Merkmal der "Selbständigkeit" an. Fraglich ist, ob die Hilfeleistung des ersuchten Gerichts qualitativ nur in einer reinen Hilfsleistung (z.B. Zeugenvernehmung anhand der Beweisfragen eines Beweisbeschlusses des ersuchenden Gerichts) oder auch in einer selbständigen, d.h. mit eigenen Entscheidungs- und Wertungsfreiheiten versehenen Maßnahme bestehen kann. Im Zusammenhang mit der allgemeinen Amtshilfeleistung fordert Obermayer, daß die ersuchende Behörde "Herrin des Verfahrens" sein muß. 130 Die Erfüllung dieser Anforderung könnte daran scheitern, daß das Gericht eine - wie auch im einzelnen immer geartete - selbständige Rechtsüberprüfung vornehmen muß, wobei das Bundesverfassungsgericht gerade diese vom Gericht zu leistende Abwägung für konstitutiv zur Gewährleistung der Rechtsstaatlichkeit dieser Befugnisausübung ansieht. l3l Die vom Bundesverfassungsgericht und vom StGB Bremen 132 sowie von Teilen der Literatur 133 dem Richter zugedachte Funktion, ein besonderes rechtsstaatliches Regulativ bei der Beweisaufnahme 126 Dreher, Die Amtshilfe. Die Probleme der gegenseitigen behördlichen Unterstützungspflicht unter besonderer Berücksichtigung der Situation im Bundesstaat, 1959, S. 15 f. 127 Dies ist möglich, weil die §§ 4ff. VwVfG eine bloße Kodifikation bereits zuvor ausgeformter Grundsätze zum Thema Amts- und Rechtshilfe darstellen; vgl. dazu Stern, AÖR 109 (1984), S. 199 (232). 128 Vgl. Kopp, VwVfG, § 4 Rdnr. 7. 129 Bull, Datenschutz contra Amtshilfe, DÖV 1979,689 (693). 130 Obermayer, VwVfG, 1983, § 4 Rdnr. 16. 131 Vgl. BVerfG, DÖV 1984, 759 (766). 132 StGH Bremen, DÖV 1970, 386ff. 133 Vor allem Schleich, S. 28.
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des Untersuchungsausschusses darzustellen, scheint mit der Vorstellung von Rechts- und Amtshilfe als unselbständiger Hilfeleistung durch eine andere Behörde zu kollidieren. Es bedurfte in der allgemeinen Debatte über die Rechtsund Amtshilfe immerhin der KlarsteIlung, ob das ersuchte Gericht (bzw. die ersuchte Behörde) überhaupt prüfen darf, ob die geforderte Maßnahme rechtmäßig ist. 134 Verantwortlich - d.h. auch mit einer besonderen rechtlichen Prüfungspflicht belastet - ist im Rechts- und Amtshilfeverhältnis zunächst die ersuchende und nicht die ersuchte Behörde. 135 Gleichwohl hat das BVerfG im Scheidungsaktenbeschluß vom 15.1.1970 von der ersuchten Behörde eine Verhältnismäßigkeitsprüfung verlangt und als Grundlage für diese Rechtsprüfung eine mit Tatsachen belegte Darstellung der Bedeutung der Sache und der Erforderlichkeit der Maßnahme für notwendig gehalten. 136 Im Geltungsbereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes ist eine Rechtsprü~ fung der ersuchten Behörde bereits deshalb angebracht, weil ansonsten die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 S. 1 VwVfG gar nicht geklärt werden können. 137 Aber auch außerhalb des Verwaltungsverfahrens kann auf eine Rechtsprüfung durch die ersuchte Behörde nicht verzichtet werden. Bereits aus der Gesetzesbindung aller öffentlichen Verwaltung und der Rechtsprechung (Art. 20 Abs. 3 GG) ergibt sich, daß eine mechanistische, gleichsam willenlose Ausführung eines Rechtshilfeersuchens der grundgesetzlichen Ordnung fremd ist. Der völlige Verzicht auf die rechtliche Prüfung durch die ersuchte Behörde unterliegt deshalb verfassungsrechtlichen Bedenken. Zu Recht billigt daher auch die Literatur der ersuchten Behörde die Befugnis zur Rechtmäßigkeitsprüfung im Amtshilfeverfahren zu und streitet lediglich über die Intensität der Rechtskontrolle. 138 Bei der Befugnis des Strafrichters, über die rechtlichen Voraussetzungen einer Beschlagnahme- oder Durchsuchungsanordnung zumindest im Rahmen einer Willkür kontrolle zu befinden, handelt es sich demnach um kein Recht, daß dem Amts- oder Rechtshilfesystem fremd wäre, sondern es entspricht der verfassungsrechtlich gewollten Gesetzesbindung aller Staatsgewalt ausübenden Organe. Es bestehen daher keine grundsätzlichen Bedenken, die Inanspruchnahme des Strafrichters bei bestimmten Beweiserhebungen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses als Rechtshilfe zu qualifizieren. 134 Vgl. insoweit OLG Düsseldorf, DVBI. 1957,215 = NJW 1957,1037; PreußOVGE 20, 448; aus der Literatur vgl. Dreher, S. 101 ff.; Lorenz, Das Melderegister als Informationsquelle, DÖV 1975, 151ff. 135 Zum Behördenbegriff im Sinne des Art. 35 GG zählen auch Gerichte. Maunz, in: Maunz! Dürig, Art. 35 Rdnr. 3. 136 BVerfGE 27,344 (352f.). 137 Schlink, Die Amtshilfe, S. 256. 138 Vgl. Meyer, in: Meyer!Borgs, VwVfG, § 5 Rdnr. 27; Kopp, VwVfG,§ 5 Rdnr. 33ff.; Obermayer, VwVfG, § 7 Rdnr. 14; Bult, DÖV 1979, 689 (693); Schlink, S. 256 f; vgl. dazu unten Kapitel G.II.2.
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3. Teil: Gerichtlicher Rechtsschutz
Eine Rechtshilfemaßnahme würde nur dann ausscheiden, wenn das ersuchte Gericht über die Rechtmäßigkeitskontrolle hinaus noch eigene Entscheidungsfreiheiten besäße, beispielsweise Beweismittel selbst aussuchen könnte oder den Umfang der Beweisaufnahmen selbst bestimmen dürfte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Dem Rechtshilfeersuchen liegt ein konkreter Beweisbeschluß des Untersuchungsausschusses zugrunde, in dem der Zweck und die Mittel der Beweiserhebung bestimmt sein müssen. 139 Ist der Beweisbeschluß dagegen nicht genügend konkretisiert oder wird der Rechtshilfeantrag nicht vom Untersuchungszweck gedeckt, kann das Gericht die Beweismaßnahme aus Rechtsgründen verweigern. 140 Der Strafrichter, bei dem der Untersuchungsausschuß eine Beweisaufnahme beantragt - gleichgültig, ob der Untersuchungsausschuß selbst die Beweisaufnahme vornehmen durfte oder nur durch einen Richter - , ist deshalb aus Art. 44 Abs. 3 GG zur Rechtshilfe verpflichtet. 141 c) Anwendbarkeit der § § 156 ff G VG
Für die Beantwortung der Frage nach der Rechtsschutzausgestaltung gegen richterliche Anordnungen, die als notwendige Rechtshilfe für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß ergehen, bleibt nach Erörterung der Rechtsnatur dieser Inanspruchnahme noch das Problem zu lösen, ob die §§ 156 ff. GVG auf dieses Rechtsverhältnis Anwendung finden. Für die Anwendung dieser Vorschriften spricht, daß der Verfassungsgeber mit der sinngemäßen Verweisung auf die Regeln des Strafprozesses (Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG) ausdrücklich das GVG miteinbeziehen wollte. 142 Daß aus der sinngemäßen Anwendbarkeit des GVG gleichwohl nur vereinzelt der Schluß gezogen worden ist, daß bei Verweigerung der Rechtshilfe die Anrufung des OLG nach § 158 Abs. 1 GVG für den Untersuchungsausschuß eröffnet ist 143 , mag mit mangelnder Problemre139 Der Zweck der Beweiserhebung wird dabei durch den Untersuchungsauftrag fixiert, während der Beweisbeschluß die Konkretisierung der Beweismittel enthält. Vgl. dazu als Anschauungsmaterial den Einsetzungsbeschluß des NEUE-HEIMAT-UA des 10. DBT - BT-Drs. 10/6779 S. 15ff. und die entsprechenden Beweisbeschlüsse - BT-Drs. 10/6779 S. 337ff. 140 Vgl. BVerfG, DÖV 1984, 759 (760); Einzelheiten zur richterlichen Kontrollbefugnis vgl. unten Kapitel G.II.2. 141 Der von Halstenberg vorgenommenen Differenzierung, daß Rechtshilfe nur bei Maßnahmen vorliege, die der Untersuchungsausschuß auch rechtlich selbst vornehmen kann, ansonsten es sich um Amtshilfe handele - Halstenberg, S. 147 und S. 149 - kann angesichts der hier zugrundegelegten Definition der Rechtshilfe als Hilfeleistung durch Gerichte - vgl. FN 126 - nicht gefolgt werden. 142 Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 44. Rdnr. 47; Rechenberg, in: BK, Art. 44 Rdnr. 22; Frost, AÖR 95 (1970), 38 (68); Troßmann, Parlamentsrecht, S. 449; Schleich, S. 21. 143 So Groß, zur Rechts- und Amtshilfe gegenüber parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, RiA 1970, 65; ders., Zum Verfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, DVBI. 1971,638 (641); Pfander, NJW 1970, 314 verhältnismäßig als gegeben an, geht aber auf die Frage der Anwendbarkeit des § 158 GVG nicht ein.
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flexion in der Literatur aufgrund fehlenden praktischen Anschauungsmaterials zusammenhängen. 144 Gegen die Anwendung des § 159 Abs. 1 GVG könnte jedoch der Umstand sprechen, daß diese Norm sich auf ein Rechtsverhältnis bezieht, an dem auf beiden Seiten Gerichte beteiligt sind. 145 Da der Untersuchungsausschuß kein Gericht ist, sondern nur mit gerichtlichen Beweiserhebungsrechten eine gerichtsähnliche Tätigkeit entfaltet,146 könnte die Anwendung des § 159 Abs. 1 GVG aus diesem Grunde abgelehnt werden. Eine solche Argumentation liefe allerdings Gefahr, die Bedeutung der sinngemäßen Verweisung mißzuverstehen. Das GVG insgesamt ist nur auf Gerichte im organisatorischen Sinne anwendbar, so daß Untersuchungsausschüsse nicht dem Definitionsbereich des § 1 GVG unterfallen. Es ist aber gerade der Sinn der sinngemäßen Verweisung, daß der Untersuchungsausschuß in Verfahrensfragen einem Gericht gleichgestellt wird, sofern sich eine solche Gleichstellung mit dem Sinn und Zweck eines Untersuchungsverfahrens vereinbaren läßt. Da der Untersuchungsausschuß nach Art. 44 GG ermächtigt ist, das Untersuchungsverfahren autonom durchzuführen und, soweit verfassungsrechtlich zulässig, die erforderlichen Beweise selbständig zu erheben, ist er verfahrensrechtlich durchaus mit einem Gericht zu vergleichen, das durch verweigerte Rechtshilfe in seiner verfahrensrechtlichen Autonomie tangiert sein kann und deshalb nach § 159 Abs. 1 GVG instandgesetzt werden soll, eine Entscheidung des OLG herbeizuführen. Es ist nicht ersichtlich, daß die Anwendung des § 159 Abs. 1 GVG auf das parlamentarische Untersuchungsrecht für das Enqueteverfahren dysfunktional wirken könnte. Im Gegenteil besteht gerade für den mit einer Rechtshilfeverweigerung konfrontierten Untersuchungsausschuß ein ganz erhebliches Interesse an qualifiziertem Rechtsschutz. Da es jedenfalls unbefriedigend ist, wenn ein zur jeweiligen Landesorganisation zählendes Gericht für einen Untersuchungsausschuß des Bundes letztverbindlich über bestimmte Beweiserhebungen entscheidet, wäre zu überlegen, ob nicht auch die Beschwerde zum BGH gegen eine ablehnende Entscheidung des OLG (§ 159 Abs. 1 S. 2 und 3 GVG) durch die sinngemäße Verweisung gedeckt ist 147, und insofern der Rechtsschutz für den Untersuchungsausschuß noch einmal intensiviert würde. 148 144 Vgl. etwa die Ausführungen bei Maunz, in: MaunzjDürig, Art. 44 Rdnr. 47, der diese Frage letzlich ungeklärt läßt. 145 § 156 GVG spricht von "Gerichten", die sich Rechtshilfe leisten. 146 Vgl. Müller-Boysen, S. 46ff. 147 Man könnte davon ausgehen, daß die Voraussetzung des § 159 Abs. 1 S. 2 GVG, wonach die beteiligten Gerichte in verschiedenen OLGBezirken liegen müssen, im Falle des Untersuchungsausschusses als eines Verfassungsorgans des Bundes als erfüllt angesehen werden kann. 148 Eine solche Intensivierung scheint vor allem deshalb vonnöten, weil nach gegenwärtiger Rechtslage zwar der durch eine richterliche Anordnung im Rahmen des Untersuchungsverfahrens betroffene Private mit der Verfassungsbeschwerde eine endgültige Entscheidung des BVerfG herbeiführen kann, nicht jedoch der Untersuchungsausschuß. Vgl. dazu unten d).
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Di Fabio
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3. Teil: Gerichtlicher Rechtsschutz
Es entspricht somit durchaus dem Sinn und Zweck des Untersuchungsverfahrens, wenn die Rechtsschutzausgestaltung des GVG im Rechtshilfeverfahren Anwendung findet, weil sie das Untersuchungsverfahren in seiner Beweiserhebung durchsetzungsfahiger, d.h. effektiver gestalten kann. l49 Zur Begründung der Anwendbarkeit der §§ 156 ff. GVG auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren bedarf es deshalb keines (problematischen) Rückgriffs auf § 87 Abs. 2 des Preußischen Ausführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz, wonach der Anwendungsbereich des § 159 GVG auch auf die Beschwerden "anderer als gerichtlicher Behörden" ausgedehnt wird 1so , weil die Anwendbarkeit schon aus Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG folgt. lsl Diesem Ergebnis könnte lediglich en.tgegengehalten werden, daß das Rechtsmittelsystem des § 159 GVG nur auf eine (beschränkte) Kontrolle am Maßstab des § 158 GVG orientiert ist, wobei der Grundsatz des Abs. 1 gilt, daß ein Rechtshilfeersuchen nicht abgelehnt werden darf, es sei denn, es bestehe ein ausdrückliches gesetzliches Verbot, die ersuchte Handlung vorzunehmen (§ 158 Abs. 2 S. 1 GVG). Diese gesetzlich fixierte Begrenzung der Rechtshilfeverweigerung auf eine Willkürkontrolle 1s2 könnte ihre Rechtfertigung vor allem daraus beziehen, daß auch die ersuchende Stelle als Gericht jene personelle und sachliche Neutralität garantiert, die dem Untersuchungsausschuß als (partei) politischem Instrument gerade fehlt. Dieser Strukturunterschied ist im Rahmen der Frage, wieweit die inhaltliche Kontrolle der Gerichte gegenüber parlamentarischen Untersuchungsrnaßnahmen reicht, von Bedeutung und vermag die gängige Auffassung über die Reichweite der Prüfungsbefugnis im Rahmen des § 159 Abs. 1 GVG durchaus zu verändern, da sinngemäße Anwendung nicht starre Übernahme bedeutet, sondern gerade auch systemgerechte Anpassungen zuläßt. ls3 Der Hinweis auf die unterschiedliche Qualität eines ersuchenden Gerichts und eines ersuchenden Untersuchungsausschusses hindert deshalb nicht die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 159 GVG, sondern wirkt sich lediglich auf die richterliche Kontrolldichte (erweiternd) aus. 1S4
d) Ergebnis und Konsequenzen Die rechtliche Einordnung der (notwendigen) Inanspruchnahme eines Richters als Rechtshilfe im Rahmen der §§ 156ff. GVG klärt die Problematik des 149 Der durch dieses Rechtsmittelsystem auftretende Zeitverlust wiegt geringer als die ansonsten (nämlich bei Anwendung der §§ 304ff. StPO) gegebene Gefahr einer letztverbindlichen Rechtshilfeverweigerung durch ein Landgericht. 150 Vgl. dazu Groß, DVBI. 1971,638 (641); Dreher, S. 127. 151 Im Ergebnis ebenso Groß, a.a.O. 152 Die abgelehnte Handlung muß schlechthin rechtlich unzulässig sem. Kleinknecht / Meyer, StPO, § 158 GVG Rdnr. 2. 153 Keßler, AöR 88 (1963), S. 313 (316). 154 Vgl. dazu unten Kapitel G.II.2.
F. Rechtsweg
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Rechtswegs und der Rechtswegausgestaltung zu einem guten Teil. Einmal ist klargestellt, daß als ersuchter Richter (Rechtshilferichter) gemäß § 157 Abs. 1 GVG nur der funktionell zuständige Richter an dem Amtsgericht, in dessen Bezirk die Amtshandlung vorgenommen werden soll, in Betracht kommt. ISS Die Zuständigkeit einer anderen Gerichtsbarkeit (Verwaltungsgerichte oder BVerfG) läßt sich danach unabhängig von der rechtlichen Qualifizierung des Untersuchungsverfahrens nicht begründen. Ebensowenig ist es zutreffend, eine grundsätzliche örtliche Zuständigkeit des AG Bonn anzunehmen. 1s6 Die Rechtswegausgestaltung innerhalb der Strafgerichtsbarkeit verläuft auf zwei verschiedenen Schienen. Gegen die Entscheidung des Rechtshilferichters ist dem betroffenen Privaten die Beschwerde zum Landgericht gegeben, während eine den Untersuchungsausschuß belastende Rechtshilfeverweigerung beim OLG angegriffen werden muß, wobei darüber hinaus noch die Beschwerde zum BGH in Betracht kommt. Diese de lege lata bestehende Situation ist jedoch mit zwei Ungereimtheiten belastet. Zum einen tritt eine Rechtsmitteldisparität auf, wenn der Rechtshilferichter dem Antrag des Untersuchungsausschusses nur teilweise nachkommt. Durch eine solche Entscheidung können sowohl der Betroffene als auch der Untersuchungsausschuß belastet sein und Rechtsmittel einlegen, wobei dann eine Rechtmäßigkeitskontrolle über diesen Streitgegenstand zeitgleich beim Landgericht (§ 304 StPO) und beim Oberlandesgericht (§ 159 Abs. 1 GVG) mit der Gefahr widersprechender Entscheidungen erfolgt. Zum anderen bleibt das bereits erwähnte Problem des unterschiedlichen Zugangs zum Bundesverfassungsgericht ungelöst. Während für den betroffenen Privaten im Falle der Zurückweisung seiner Beschwerde der Weg zum Bundesverfassungsgericht durch Art. 93 Abs. 1 Ziffer 4a GG, § 13 Ziffer 8a BVerfGG eröffnet ist, steht dem Untersuchungsausschuß keine Verfahrensart vor dem Bundesverfassungsgericht zur Verfügung. Die von Schneider sowohl für die verweigerte Amts- als auch Rechtshilfe reklamierte Möglichkeit, im Wege des Organstreitverfahrens nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen 157, ist ausschließlich für die Amtshilfe gegeben. Denn welches oberste Bundesorgan als Antragsgegner im Organstreitverfahren sollte wohl einen Strafrichter anweisen können, dem Rechtshilfeersuchen des U ntersuchungsausschusses nachzukommen? Die gegebene Asymmetrie des Rechtsschutzes,158 die in den Fällen einer Ablehnung des Rechtshilfeersuchens zur Versperrung des Rechtsweges zum Bundesverfassungsgericht für denUntersuchungsausschuß führt, läßt sich 155 So verfahrt auch die prozessuale Praxis, vgl. AG Frankfurt, Beschluß vom 29.9.1986 931 Os 3417/86 - (unveröffentlicht); LG Frankfurt, NJW 1987, 787. 156 So aber Schneider, in: AK, Art. 44 Rdnr. 15. 157 Schneider,in: AK, Art. 44 Rdnr. 16. 158 Ossenbühl, in: Oedächtnisschrift für Martens, S. 177 (195).
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3. Teil: Gerichtlicher Rechtsschutz
demnach nach der gegenwärtigen Rechtslage nicht beseitigen. Beide Probleme verlangen insoweit nach einer Klärung durch den Gesetzgeber. 159 IV. Gesamtergebnis Der im Zusammenhang mit der Rechtsschutzausgestaltung bei mittelbarennotwendig durch den Richter angeordneten - Maßnahmen des Untersuchungsausschusses gewonnene Eindruck von der Komplexität und teilweisen Widersprüchlichkeit dieser verfahrensrechtlichen Materie verstärkt sich, wenn die unterschiedlichen Rechtswegzuweisungen bei . unmittelbaren Maßnahmen des Ausschusses mitberücksichtigt werden. 160 Gegenüber den Maßnahmen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse kommen je nach Fallgestaltung für den betroffenen Privaten insgesamt drei Rechtswege in Betracht. Gegen unmittelbare Maßnahmen des Ausschusses besteht im Grundsatz der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht mit der Verfahrensart der Verfassungsbeschwerde; gegenüber Maßnahmen, die ihren Schwerpunkt nicht im Verfassungsrecht haben (untergeordnete Einzelmaßnahmen, Sitzungsleitung, Formfragen), ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Gegen richterliche Maßnahmen auf Ersuchen des Untersuchungsausschusses ist zunächst der Rechtsweg innerhalb der Strafgerichtsbarkeit mit dem Rechtsmittel der allgemeinen Beschwerde nach § 304 StPO zu wählen, und im Falle einer negativen Entscheidung steht darüber hinaus dem betroffenen Bürger die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht zu. 161 Diese Rechtswegvielfalt mit ihrem hohen Unsicherheits- und Überschneidungspotential gerät in die Nähe einer dem Rechtsstaatsprinzip (BestimmtheitfVoraussehbarkeit) und dem Rechtsschutzprinzip (Art. 19 Abs. 4 GG) zuwiderlaufenden Gerichtsverfahrensregelung.
G. Kontrolldichte und Kontrollmaßstab I. Die Probleme materieller Entscheidungsfindung Parlamentarische Untersuchungen, die unmittelbar oder mittelbar Materien aus dem privaten oder gesellschaftlichen Bereich behandeln, führen regelmäßig zu einer kontradiktorischen Interessenkonstellation; dem parlamentarischen Aufklärungsinteresse stehen grundrechtlich oder einfachrechtlich verbürgte Abwehrinteressen natürlicher oder juristischer Personen des Privatrechts Vgl. dazu auch unten Kapitel H.H. Vgl. insoweit oben H. 161 Wegen § 310 Abs. 2 StPO steht dem betroffenen Privaten nicht das Rechtsmittel der weiteren Beschwerde zu, und zwar auch nicht gegen Haftanordnungen, da die Haft nach § 70 Abs. 2 StPO nicht von § 310 Abs. 1 StPO erfaßt wird. Vgl. BGBSt 30, 52 (54). 159
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G. Kontrolldichte und Kontrollmaßstab
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gegenüber. 1 Der Gang materieller Entscheidungsfindung setzt in dieser spezifischen Relation des Staat-Bürger-Verhältnisses bei einer Kompetenz- und Befugnisfeststellung an. Am Anfang der sachlichen Entscheidung werden die Fragen stehen: Welche Untersuchungsgegenstände darf ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß aufklären 2 ? Welche Beweiserhebungsrechte, d. h. welche Eingriffsbefugnisse stehen dem Ausschuß ZU3? Auf den Einzelfall bezogen ist sodann zu prüfen, ob sich der Untersuchungsauftrag im Rahmen der Kompetenz bewegt und sich zulässiger Eingriffsbefugnisse bedient. Die Beantwortung dieser Fragen erfolgt durch entsprechende Gesetzes-, insbesondere Verfassungsauslegung bzw. Subsumierungsleistung und bietet insoweit keine dogmatischen Schwierigkeiten bei der Ausgestaltung des Rechtsschutzes im parlamentarischen Untersuchungsverfahren. Im Rahmen der Kompetenzüberprüfung ergibt sich jedoch eine Frage, die aus der spezifisch politischen Natur des Untersuchungsverfahrens resultiert und den Rahmen gewöhnlicher Rechtsauslegung überschreitet, nämlich inwieweit das Merkmal des "öffentlichen Interesses"4 der richterlichen Nachprüfung unterliegt. Die Frage lautet, ob es eine politische Prärogative gibt, die es dem Parlament vorbehält, darüber zu entscheiden, was zum öffentlichen Interesse zählt. Wenn dem so wäre, hätte dies zwar keine generelle Injustitiabilität dieser Frage zur Folge 5 , wohl aber müßte an eine Einschränkung richterlicher Kontrollbefugnisse gedacht werden; es ergibt sich insoweit das Problem der Kontrolldichte. 6 Während bei Verfasungsbeschwerden gegen unmittelbare Maßnahmen des Untersuchungsausschusses dieses Problem als eine des judical-self-restraint beim Bundesverfassungsgericht angesiedelt ist, stellt sich auf der strafrichterlichen Ebene die Frage der Kontrolldichte in anderer Form. Der Strafrichter steht vor dem Problem, wie weit seine sachlich-materielle Prüfungsbefugnis reicht, wenn man seine Tätigkeit als Rechtshilfe für den Untersuchungsausschuß ansieht. 7 Die Klärung der Kontrolldichte richterlicher Prüfung von U ntersuchungsmaßnahmen reicht aber nicht aus, einen generellen Orientierungsrahmen für Gerichtsentscheidungen in diesem Bereich bereitzustellen. Die Rechtsprüfung steht angesichts eines verfassungsunmittelbar garantierten und autonom ausge1 Aus dem grundrechtlich geschützten Bereich zu nennen sind insbesondere die Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG (allgemeines Persönlichkeitsrecht oder als besondere Ausprägung dieses Grundrechts das Recht der informationellen Selbstbestimmung - BVerfGE 65, 1(43) -) und für juristische Personen des Privatrechts (z. B. Wirtschaftsunternehmen) Art. 14 GG (vor allem als Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb). Vgl. dazu Schotz, AöR 105 (1980), 564 (604ff.). 2 Vgl. Kap. A. 3 Vgl. Kap. B. 4 Vgl. dazu Kapitel A. III. 3. d) db). 5 Vgl. dazu Kapitel E III. 6 Vgl. unten Abschnitt 11.1. 7 Vgl. dazu oben F.III, sowie unten II.2.
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3. Teil: Gerichtlicher Rechtsschutz
stalteten parlamentarischen Beweiserhebungsverfahrens vor einem besonderen Zuordnungsproblem. Der verfassungsrechtlich zulässige Eingriff des Untersuchungsausschusses muß mit der Abwehrkraft grundrechtlicher Verbürgungen in Einklang gebracht werden. In diesem Zusammenhang geht es um die Bezeichnung der einschlägigen Entscheidungsdirektiven, die eine gewachsene Verfassungsinterpretation der Rechtsprechung an die Hand gibt. Die Stichworte der einschlägigen Diskussion lauten: Herstellung praktischer Konkordanz und Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Diese im klassischen Staat-BürgerVerhältnis entwickelten und erprobten Rechtsfiguren gilt es für die Einzelfallentscheidung im Untersuchungsrecht fruchtbar zu machen. 8
11. KontroUdichte 1. Gerichtliche Nachprütbarkeit des Kompetenzmerkmals "öffentliches Interesse"
Bereits die Ausführungen zur Justitiabilität von Maßnahmen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse haben ergeben, daß eine vollständige Exemtion der Beweiserhebungsmaßnahmen aus der Kontrolle der Gerichte an Art. 19 Abs. 4 GG scheitert. 9 Allerdings können sowohl aus dem Regelungsgehalt des Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG als auch aus der besonderen Struktur des Untersuchungsverfahrens sich Schranken für die richterliche Kontrolle ergeben. Die Debatte über richterlichen Kontrollumfang und richterliche Kontrollintensität geht von dem Grundsatz aus, daß die Befugnis zur Letzterkenntnis der Rechtmäßigkeit von Maßnahmen öffentlicher Gewalt grundsätzlich der Judikative zustehen muß.lO Als Ausnahmen von diesem Grundsatz führt das Verwaltungsrecht die Diskussion über die Kontrolldichte gerichtlicher Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen in erster Linie mit den dogmatischen Kategorien des "Ermessens" und des "Beurteilungsspielraumes" 11 , aber auch unter Begriffen wie "Einschätzungsprärogative" , "Prognoseermächtigung" , "Planungsermessen" und "Normsetzungsermessen".12 Die beiden erstgenannten verwaltungsrechtlichen Figuren, die sich einmal auf das Entscheidungsfeld verschiedener rechtmäßiger Verhaltensweisen (alternative Rechtsfolgen) der Verwaltung und zum anderen auf einen zugestandenen Auslegungsspielraum bei unbestimmten Gesetzesbegriffen zentrieren, sind im Vgl. unten III. Vgl. oben F. III. 3. 10 Stern, Staatsrecht I, S. 851f. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 183. 11 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1986, § 7 Rdnr. 6fT. und 20fT. 12 Vgl. den Überblick bei Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. IV Rdnr. 188ff. 8
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G. Kontrolldichte und Kontrollrnaßstab
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Bereich parlamentarischer Untersuchung nicht eindeutig anwendbar. Auch hier scheinen verwaltungsrechtliche Begriffe der besonderen verfassungsrechtlichen Funktion des Untersuchungsrechts nicht ohne weiteres angemessen. Die unmittelbar verfassungsrechtliche Kompetenzbegründung in Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG enthält keinen unbestimmten Gesetzesbegriff. 13 Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG eröffnet erst recht keinen Ermessensspielraum, wann etwa ein Untersuchungsausschuß eingesetzt werden könnte. Die auf eine gesetzesvollziehende Verwaltung zugeschnittenen Begriffe wirken gegenüber einem Teilverfassungsorgan inadäquat. Ermessen findet auf der Rechtsfolgeseite statt, während es sich bei der Frage, ob ein öffentliches Interesse besteht, um eine Tatbestandsvoraussetzung (ungeschriebener Art) in Art. 44 Abs. 1 GG handelt. Wie die Kompetenzanalyse des Untersuchungsrechts gezeigt hat, überläßt das Grundgesetz die Entscheidung über die Untersuchungsmaterie voll und ganz dem Verfassungsorgan Bundestag, der dann nur noch durch seine eigenen verfassungsrechtlichen Organgrenzen in seinem Handeln limitiert ist. Gleichwohl wird mit dem Begriff des "öffentlichen Interesses" eine dem Untersuchungsrecht inhärente Kompetenzgrenze gezogen, die bei der Rechtskontrolle wie eine ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung wirkt und insofern am ehesten Parallelen zum verwaltungsrechtlichen Beurteilungsspielraum nahelegt. 14 Das Bundesverfassungsgericht hat in dem dem Untersuchungsrecht funktional adäquaten Bereich des Regierungshandelns wiederholt besondere Beurteilungsspielräume anerkannt, die im Legislativbereich unter dem Begriff "Gestaltungsfreiheit"15 und im Regierungsbereich als "politisches Ermessen" 16 resp. als Bereich "freier politischer Gestaltung"l? oder als politische Entscheidung "in eigener Verantwortung" 18 firmieren. Die Begründung für die Anerkennung politischer Entscheidungsfreiräume 19 liegt zum einen in der richterlichen Einsicht, bestimmte Einschätzungen oder Prognosen, die in ihrem Kern nicht an 13 Bei der gleichwohl erforderlichen Interpretation der Norm handelt es sich um eine Sinn- und Bedeutungsanalyse der Vorschrift, die zwar auch Auslegung im weiteren Sinne ist, aber nicht Auslegung eines bewußt vom Gesetzgeber eingesetzten unbestimmten gesetzlichen Tatbestandsmerkmals. Die Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs ist nur eine von mehreren denkbaren Auslegungsfällen. Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 118. 14 Deshalb spricht Linck zu Recht von einem "weiten Beurteilungsspielraum" Linck, ZRP 1987, 11 (14) - , während die Terminologie Böckenfördes zwar das gleiche meint, aber mit dem Hinweis auf Ermessensgrenzen eher mißverständlich wirkt. Böckenförde, AöR 103 (1978), 1 (16). Gegen die Annahme eines unbestimmten Gesetzesbegriffes spricht sich Schneider aus. Vgl. AK, Art. 44 Rdnr. 11. 15 BVerfGE 18, 121 (124). 16 BVerfGE 1, 281 (282). 17 BVerfGE 36, 1 (15). 18 BVerfGE 48, 127 (160). 19 Die nicht mit Injustitiabilität verwechselt werden darf so aber Schneider für das Merkmal des "öffentlichen Interesses" in AK Art. 44 Rdnr. 11 - , da die Einhaltung bestimmter Grenzen des Entscheidungsfreiraums gleichwohl der gerichtlichen Nachprüfung unterliegt.
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3. Teil: Gerichtlicher Rechtsschutz
rechtlichen Maßstäben gemessen werden können, nicht besser, sondern wegen fehlender Sachnähe eher schlechter als die handelnde staatliche Einheit vornehmen zu können. 2o Darüber hinaus verlangen genuin politische Entscheidungen auch eine klare Verantwortlichkeitszuordnung, für die letztlich als Verantwortlichkeitsträger nur Organe in Betracht kommen, die einer Kontrolle durch den Wähler unterliegen. 21 Da die Entscheidung, wann ein öffentliches Interesse für die parlamentarische Untersuchung vorliegt, eine politische Entscheidung ist 22 , für die eindeutige rechtliche Kriterien nicht zur Verfügung stehen, greifen die Gesichtspunkte für die Einräumung"eines politischen Beurteilungsspielraums. Damit soll nicht einer Injustitiabilität politischer Entscheidungen das Wort geredet werden, etwa im Sinne einer Dichotomie oder gar Antinomie von Recht und Politik, sondern die verfassungsrechtlich und kompetentiell notwendige Respektierung eines funktionellen Aufgabenkreises, der genuin dem Parlament und nicht der Rechtsprechung zugewiesen ist, betont werden. 23 Das Parlament, das kooperativ mit der Regierung an d~r Staats leitung beteiligt ist, würde in dieser Funktion beeinträchtigt, wenn ein Gericht, und sei es das BVerfG, die parlamentarische (Leit-) Entscheidung, was von öffentlichem Interesse sei, kassierte. In diesem Fall bestünde die Gefahr, daß die Definitionsmacht dessen, was als politisch relevant erachtet wird, vom Parlament auf die Rechtsprechung überginge. Der nach Art. 19 Abs. 4 GG notwendige Individualrechtsschutz realisiert sich effektiv und ausreichend in einer Einzelfallüberprüfung, die sowohl eine Willkürkontrolle als auch eine Zweck-Mittel-Relationierung im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vornimmt. Bei der für ein Untersuchungsverfahren grundlegenden Feststellung, ob ein öffentliches Interesse an der Untersuchung überhaupt besteht, ist darüber hinaus der Rechtsprechung auch durch Art. 44 Abs. 4 S. 1 GG Zurückhaltung auferlegt. Diese Vorschrift, die, wie festgestellt 24 , die Autonomie des Untersuchungsverfahrens als eines unabhängigen parlamentarischen Sachverhaltsermittlungsverfahrens vor judiziellen Zugriffen schützen will, entfaltet eine Sperrwirkung für die gerichtliche Kontrolle außerhalb des Einsetzungsbeschlus20 Vgl. die kritische Anmerkung zu diesem Argument bei Ossenbühl, Die Kontrolle von Tatsachenfeststellungen und Prognoseentscheidungen durch das Bundesverfassungsgericht, in: Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts, Bd. I, 1976, S. 458 (518). 21 Bei der Bundesregierung ist diese Kontrolle mittelbar durch die parteipolitische Verbindung zur Parlamentsmehrheit gegeben, beim Bundesverfassungsgericht dagegen fehlt eine solche Bindung. 22 Dieser Entscheidung wohnt, wie ausgeführt, auch stets ein selbstreferentielles Moment insofern inne, als die Behandlung eines gesellschaftlichen Ereignisses im Parlament dieses Ereignis erst zu einem Gegenstand öffentlichen Interesses machen kann. Vgl. oben Kapitel A. III. 3. d) db). 23 Vgl. Schuppert, Verfassungsgerichtsbarkeit und Politik, ZRP, 1973, 257 (259). 24 Vgl. oben Kapitel E. III. 3.
G. Kontrolldichte und Kontrollmaßstab
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ses und des Abschlußberichtes 25 insoweit, als zumindest ein Beurteilungsspielraum für das Parlament verbleibt, der sich an der besonderen politischen Intention des Untersuchungsverfahrens orientiert. Konkret wirkt sich diese reduzierte Kontrolldichte dergestalt aus, daß eine Einzelmaßnahme des Untersuchungsausschusses - beispielsweise eine bestimmte Beweiserhebung regelmäßig nicht deshalb für rechtswidrig erklärt werden kann, weil das Gericht durch andere politische Bewertungen zu der Auffassung gelangt, die Untersuchung werde durch kein öffentliches Interesse getragen. Keine Auswirkungen dagegen hat dieses Ergebnis auf andere Rechtsprüfungen, z. B. ob Kompetenzgrenzen im Bund-Länder-Verhältnis eingehalten werden oder der Ausschuß im Rahmen verliehener Befugnisse handelt. Hier ist die volle gerichtliche Kontrolle gegeben, während das Begrenzungsmerkmal des öffentlichen Interesses nur einer Willkürkontrolle unterliegt. Die verbleibende gerichtliche Prüfungsbefugnis zentriert sich auf die Einhaltung äußerster Grenzen, die insbesondere dann überschritten sein können, wenn Untersuchungen im privaten oder gesellschaftlichen Bereich eindeutig ohne sachlich-politische Intention vorgenommen werden oder die Untersuchung in den durch Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG absolut geschützten Kernbereich des Persönlichkeitsrechts (Intimsp~äre) eingreift. 26 Die Schutzwirkung durch eine Kompetenzüberprüfung ist durch die Anerkennung eines weiten Beurteilungsspielraums für den von einer Untersuchung betroffenen Privaten relativ gering 27 ; den Bedenken, die sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergeben könnten, wird jedoch dadurch Rechnung getragen, daß der eigentliche Eingriffsakt einer Zweck-Mittel-Überprüfung insoweit zugeführt wird, als der Involvierung des Betroffenen in ein Geschehen von öffentlichem Interesse Rechnung getragen wird. Je mehr einem privaten Verhalten gesellschaftliche, politische oder staatliche Anknüpfungspunkte fehlen, desto eher wird man grundrechtstangierende Maßnahmen als unverhältnismäßig ablehnen müssen. 28 Auf diese Weise findet dann womöglich doch eine indirekte Kontrolle daraufhin statt, ob die Begrenzungsfor