Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren [1 ed.] 9783428490301, 9783428090303

Der Autor geht der Frage nach, wie subjektiven Rechtsschutzbelangen im Zusammenhang mit Bundestagswahlen Rechnung getrag

134 23 38MB

German Pages 385 Year 1997

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Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren [1 ed.]
 9783428490301, 9783428090303

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 730

Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren Von

Heinrich Lang

Duncker & Humblot · Berlin

HEINRICH

LANG

Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 730

Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren

Von

Heinrich Lang

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Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Lang, Heinrich: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren / von Heinrich Lang. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 730) Zugl.: Köln, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-09030-6

Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09030-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Sommersemester 1996 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen. Sie wurde im Juni 1996 abgeschlossen. Später erschienene Literatur und Rechtsprechung wurde nur noch vereinzelt berücksichtigt. Mein herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Karl Heinrich Friauf, an dessen Institut ich seit Juni 1994 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter den erforderlichen Freiraum hatte, um diese Arbeit zu schreiben. Zu danken habe ich ferner Herrn Prof. Dr. Arnulf Schmitt-Kammler für die Übernahme des Zweitgutachtens. Die Idee zu der Arbeit entstand während meiner Ausbildung als Referendar bei Frau Richterin des Bundesverfassungsgerichts Dr. Karin Graßhof. Ihre intensive Förderung hat mich angeregt, mich in dieser Zeit mit verschiedenen Wahlrechtsverfahren zu beschäftigen, wodurch ich auf die Probleme des subjektiven Wahlrechtsschutzes aufmerksam wurde. Danken möchte ich auch meinen Freunden Herrn Wissenschaftlichen Assistenten Christoph Druschel sowie Herrn Rechtsanwalt Stefan von der Linde für ihre hilfreiche Unterstützung. Mein herzlicher Dank gilt darüber hinaus Herrn Richter am VG Andreas Heusch, der die Arbeit mit zahlreichen Anregungen stets interessiert, aber auch kritisch begleitet hat und der mir fachlich wie auch als Freund ein wertvoller Gesprächspartner war. Schließlich möchte ich mich beim Deutschen Bundestag sowie vor allem bei dem Verein der Richter des Bundesverfassungsgerichts, der den größten Teil der Druckkostenzuschüsse gewährt hat, ganz herzlich bedanken. Gewidmet sei die Arbeit Katja und Lorenz. Heinrich Lang

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 Einleitung

19

Kapitel 2 Grundlagen des Wahlprüfungsrechts

24

1. Abschnitt Deflatorische Klarstellungen

24

A. Wahl

25

I. Rechtsgrundlagen der Wahl

25

II. Rechtsnatur des Wahlrechts

27

B. Wahlfehler

27

C. Wahlprüfung

33

I. Rechtsgrundlage der Wahlprüfung

34

II. Rechtsnatur der Wahlprüfung

34

III. Gegenstand der Wahlprüfling

37

2. Abschnitt Darstellung des Wahlprüfungsrechts

39

A. Die Wahlprüfungsinstanzen

39

B. Formelles Wahlprüflingsrecht

40

I. Rechtsbehelfe nach dem Bundeswahlgesetz

41

II. Das Wahlprüfiingsverfahren nach Art. 41 GG

41

1. Das Verfahren vor dem Deutschen Bundestag 2. Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht III. Landesrechtliche Wahlprüfiingsverfahren

43 46 47

nsverzeichnis

8

C. Materielles Wahlprüfungsrecht

52

I. Vorliegen eines Wahlfehlers

53

1. Die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 GG 2. Einfachgesetzliche Regelungen von Wahlfehlern 3. Der strafrechtliche Wahlrechtsschutz II. Rechtsfolgen festgestellter Wahlfehler

53 55 55 56

Kapitel 3 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Wahlprüfungsverfahren

58

1. Abschnitt Prozeßentscheidungen

60

2. Abschnitt Sachentscheidungen

62

A. Entscheidungen, die das Vorliegen eines Wahlfehlers verneinten

62

B. Entscheidungen, die das Vorliegen eines Wahlfehlers bejahten oder offenließen

65

I. Wahlergebnisfeststellung

66

1. Sachverhalt des Beschlusses vom 11. Dezember 1955 - „Formfehler-Fall" 2. Entscheidung des Gerichts 3. Besonderheiten des Falles II. Bereich der eigentlichen Wahlhandlung

67 67 68 69

1. Beschluß vom 15. Februar 1967 - „Wahlgeschenke-Fall" a) Sachverhalt b) Entscheidung des Gerichts c) Besonderheiten des Falles

69 69 70 70

2. Beschluß vom 17. Januar 1973 - „Erledigung Γ a) Sachverhalt b) Entscheidung des Gerichts c) Besonderheiten des Falles

72 72 72 73

3. Beschluß vom 2. April 1974 - „Volksabstimmungs-Fall" a) Sachverhalt b) Entscheidung des Gerichts c) Besonderheiten des Falles

74 74 75 76

nsverzeichnis

III. Bereich der Wahlvorbereitung

76

1. Beschluß vom 22. Mai 1963 - „Evidenz-Fall" a) Sachverhalt b) Entscheidung des Gerichts c) Besonderheiten des Falles

77 77 78 78

2. Beschluß vom 25. Juli 1967 - „Erledigung II" a) Sachverhalt b) Entscheidung des Gerichts c) Besonderheiten des Falles

82 82 83 84

3. Beschluß vom 20. Juni 1973 -"Strafhaft-Fall" a) Sachverhalt b) Entscheidung des Gerichts c) Besonderheiten des Falles

85 85 86 86

4. Beschluß vom 3. Juni 1975 - „Scheinwohnsitze-Fall" a) Sachverhalt b) Entscheidung des Gerichts c) Besonderheiten des Falles

87 87 89 90

5. Beschluß vom 20. Oktober 1993 - „Nichtzulassung I" a) Sachverhalt b) Entscheidung des Gerichts c) Besonderheiten des Falles

91 91 93 96

6. Beschluß vom 23. November 1993 - „Nichtzulassung II" a) Sachverhalt b) Entscheidung des Gerichts c) Besonderheiten des Falles

102 102 104 106

7. Beschluß vom 21. Oktober 1993 - „Nichtzulassung III" a) Sachverhalt b) Entscheidung des Gerichts c) Besonderheiten des Falles

109 110 112 114

IV. Auswertung

116

1. Rechtsfolgen von Wahlfehlern a) Sanktionen in bezug auf die Gültigkeit der Wahl aa) Bei Vorliegen eines mandatsrelevanten Wahlfehlers bb) In Fällen fehlender Mandatsrelevanz b) Sanktionen wegen verletzter subjektiver Wahlrechte aa) Innerhalb eines konkreten Wahlprüfungsverfahrens bb) Außerhalb eines konkreten Wahlprüflingsverfahrens

117 117 117 119 120 120 122

2. Zusammenfassung

123

nsverzeichnis

10

Kapitel 4 Verfassungsrechtliche Probleme der Entsubjektivierung des Wahlrechtsschutzes

125

1. Abschnitt Der Ausschluß subjektiven Rechtsschutzes innerhalb des eigentlichen Wahlprüfungsverfahrens

125

2. Abschnitt Der Ausschluß sonstiger Rechtsschutzmöglichkeiten

127

A. Geltung und Reichweite des Art. 19 Abs. 4 GG im Falle subjektiver Wahlrechtsverstöße

128

B. Der Meinungsstand zur Zulässigkeit von Rechtsmitteln vor Ablauf der Wahl

131

I. Spezialität des Wahlprüfungsverfahrens

132

1. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

132

2. Fachgerichtliche Rechtsprechung a) Bundesverwaltungsgericht b) Berufungsgerichte

133 134 135

3. Schrifttum

135

a) Unvereinbarkeit des Ausschlusses subjektiven Rechtsschutzes außerhalb konkreter Wahlprüfungsverfahren mit Art. 19 Abs. 4 GG b) Kompensationen aa) Hinwirken auf künftige Beseitigung bb) Verfassungsbeschwerde gegen landesverfassungsgerichtliche Wahlprüfungsentscheidungen Ergebnis zu 1 II. Die Zulässigkeit verwaltungsgerichtlicher Klagen

137 141 142 145 152 153

1. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs Ergebnis zu 1

153 156

2.Statthafte Klageart Ergebnis zu 2

156 158

3. Rechtsschutzbedürfnis Ergebnis zu 3

158 160

III. Die Zulässigkeit verfassungsgerichtlicher Rechtsbehelfe

161

1. Die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden Ergebnis zu 1

161 164

nsverzeichnis

2. Sonstige verfassungsgerichtliche Rechtsbehelfe IV. Notwendigkeit einstweiligen Rechtsschutzes C. Die Zulässigkeit von Rechtsmitteln nach Ablauf der Wahl

164 165 169

3. Abschnitt Kritik A. Probleme eines vor Ablauf der Wahl stattfindenden Rechtsschutzes Ergebnis zu A

171 171 174

Β. Probleme eines nach Ablauf der Wahl stattfindenden Rechtsschutzes

174

I. Unüberschaubare Belastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit

174

II. Problem divergierender Entscheidungen 1. Gegensätzliche Entscheidungen von Verwaltungsgericht und Bundesverfassungsgericht 2.Gegensätzliche Entscheidungen innerhalb verschiedener verfassungsgerichtlicher Verfahren

174

Ergebnis zu Β

175 177 178

4. Abschnitt Gesetzliche Neuregelung

178

Kapitel 5 Der Schutz subjektiver Wahlrechte innerhalb des Wahlprüfungsverfahrens 182 1. Abschnitt Der Verfahrensgegenstand des Wahlprüfungsverfahrens

184

A. Allgemeine Grundsätze des Verfassungsprozeßrechts

184

I. Fehlende gesetzliche Definition des Verfahrensgegenstandes

185

1. Keine Definition des Verfahrensgegenstandes in Art. 41 GG 2. Regelungsgehalt des Wahlprüfungsgesetzes 3. Regelungsgehalt des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes

186 187 188

II. Anleihen bei den fachgerichtlichen Verfahrensordnungen

190

B. Besonderheiten des Verfassungsprozeßrechts

191

12

nsverzeichnis

I. Antragsprinzip

191

II. Heterogenität der bundesverfassungsgerichtlichen Verfahren III. Die Bestimmung des Verfahrensgegenstandes anhand der Verfahrensfiinktion 1. Nur Schutz des objektiven Wahlrechts 2. Schutz der Rechtmäßigkeit des Wahlvorgangs 3. Eigener Ansatz: Doppelfunktionaler Verfahrensgegenstand a) Auslegung von Art. 41 GG aa) Grammatikalische Auslegung Ergebnis zu aa)

192 196 197 198 201 201 201 203

bb) Historische Auslegung Ergebnis zu bb)

204 221

cc) Systematische Auslegung

221

(1) Wahlprüfling als Ausdruck der Parlamentsautonomie (2) Der Einfluß von Art. 38 GG auf das Wahlprüfiingsverfahren (3)Normstruktur und Doppelfiinktion des Wahlrechts (a) Subjektives Recht (b) Teilhabefunktion (c)Art. 38 GG als Regelung des objektiven Wahlrechts (d)Funktionen des objektiven Wahlrechts (aa) Legitimationsfunktion (bb) Kreationsfiinktion (4) Der Schluß von der Funktion der Wahl auf die Funktion der Wahlprüfung (a) Argumentation des Bundesverfassungsgerichts (b) Kritik (aa) These vom alleinigen Schutz des objektiven Wahlrechts ist nicht gerechtfertigt (bb) Notwendigkeit der Berücksichtigung der Doppelfiinktionalität der Wahl (cc) Schutz der objektiven Funktion erfordert keine Begrenzung des Verfahrensgegenstandes (dd) Keine Begrenzung des Verfahrensgegenstandes aufgrund des Erheblichkeitsgrundsatzes Ergebnis zu cc) dd) Einheit der Verfassung (1)Konkordanz zu Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG (2) Spezialität des Wahlprüfungsverfahrens gegenüber Art. 19 Abs. 4 GG (a) Anforderungen an die Rechtsschutzintensität des Wahlprüflingsverfahrens (b) Anforderungen an die Ausgestaltung des Wahlprüfungsverfahrens

221 223 224 224 228 231 232 232 233 240 242 247 248 253 262 265 271 271 272 274 279 289

nsverzeichnis

(aa) Notwendigkeit eines „Vorverfahrens" (bb) Verfassungswidrigkeit des Beitrittserfordernisses in § 48 Abs. 1 BVerfGG (cc) Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses der Beschwerdemöglichkeit bei passiver Wahlrechtsbeeinträchtigung Ergebnis zu dd) Ergebnis zu a)

290 293 300 308 308

b) Auslegung des einfachen Rechts Ergebnis zu b)

308 311

c) Auslegung des Verfahrensrechts

312

aa) Der Schluß vom Verfahrensrecht auf das zu schützende materielle Recht bb) Verfahrensmäßige Ausgestaltungen des doppelfunktionalen Verfahrensgegenstandes

312

(1)Nebeneinander von Dispositions- und Offizialmaxime

314

(a) § 2 Abs. 1 WahlprüfG als Ausdruck der Dispositionsmaxime (b)§ 2 Abs. 6 WahlprüfG als Ausdruck der Offizialmaxime (2)Beweislastverteilung im Wahlprüfungsverfahren (a) Subjektive Beweislast (b)Objektive Beweislast (aa) In bezug auf das Vorliegen subjektiver Wahlrechtsverletzungen (bb) In bezug auf die Verletzung objektiven Wahlrechts Ergebnis zu c) Ergebnis des 1. Abschnitts

2. Abschnitt Ausgestaltung des doppelfunktionalen Wahlprüfungsverfahrens

312

314 321 323 324 325 326 327 329 329

329

A. Rechtsfolgen festgestellter Wahlfehler

329

I. Bei Verletzungen des objektiven Wahlrechts

330

II. Bei Verletzungen des subjektiven Wahlrechts

331

B. Tenorierungsfragen

333

I. Kombination von Feststellungs- und Zurückweisungstenor

334

1. Kein Verstoß gegen den Grundsatz ne ultra petita 2. Parallelen zu anderen verfassungsrechtlichen Verfahren

334 335

II. Tenorierung subjektiver Wahlrechtsverletzungen nicht als Selbstzweck

338

14

nsverzeichnis

3. Abschnitt Folgen der vorgeschlagenen Lösung 340 A. Im Bereich des materiellen Wahlprüfungsrechts

340

B. Im Bereich des formellen Wahlprüfungsrechts

341

4. Abschnitt Zusammenfassung und Ergebnisse

341

Literaturverzeichnis

350

Sachregister

371

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. a.E. a.F. Abg. Abs. Anh. Anm. AöR AP ArbGG Art. Aufl. bad.-württ. BAG bay. BayVBl. BayVerfGH Bd. beri. BetrVG BGB BGBl. BGH BGHZ BPG brand. brem. BSGE BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE BWahlG/BWG BWahlGV

anderer Ansicht am angegebenen Ort am Ende alte Fassung Abgeordneter Absatz Anhang Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis Arbeitsgerichtsgesetz Artikel Auflage baden-württembergische Bundesarbeitsgericht bayerische Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verfassungsgerichtshof Band berlinerische Betriebsverfassungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs Bundesparteigericht brandenburgische bremische Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bundeswahlgesetz Bundeswahlgeräteverordnung

16

BWO bzw. CDU d.h. DB DDR dens. Der Staat ders. DÖV Dr. RT Drs. DVBl. EG EGGVG Einl. ESVGH

EU EuGRZ EuR EuZW EVStL f./ff. F.D.P. FamRZ FG FGO Fn. FS FuR GG GS GVBl. GVG h.M. hamb. HChE hess. Hrsg. hrsg.

Abkürzungsverzeichnis

Bundeswahlordnung beziehungsweise Christlich Demokratische Union das heißt Der Betrieb Deutsche Demokratische Republik denselben Der Staat - Zeitschrift für Staatslehre, Öffentliches Recht und Verfassungsgeschichte derselbe Die öffentliche Verwaltung Drucksache des Reichstags Drucksache Deutsches Verwaltungsblatt Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Einleitung Entscheidungen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg mit Entscheidungen der Staatsgerichtshöfe beider Länder Europäische Union Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europarecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Evangelisches Staatslexikon folgende Freie Demokratische Partei Familienrechtszeitung Festgabe Finanzgerichtsordnung Fußnote Festschrift Familie und Recht Grundgesetz Gedächtnisschrift Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz herrschende Meinung hamburgische Herrenchiemseer Entwurf hessische Herausgeber herausgegeben

Abkürzungsverzeichnis

hstl. HVerfG i.S. insb. JA JuS JVA JW JZ KPD KritV lit. LS LVerf m.-v. m.w.N. MWPrüfR n.F. n.v. nieders. NJ NJW nordrhein-westf. NPD Nr./Nrn. NVwZ NVwZ-RR OLG OVG OVGE

OVGE BE ParteiG PrVerwBl. rsp. RGZ rheinl.-pfälz. Rn. 2 Lang

hinsichtlich Hamburgisches Landesverfassungsgericht im Sinne insbesondere Juristische Arbeitsblätter Juristische Schulung Justizvollzugsanstalt Juristische Wochenschrift Juristen-Zeitung Kommunistische Partei Deutschlands Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft litera (Buchstabe) Leitsatz Landesverfassung mecklenburg-vorpommerische mit weiteren Nachweisen Materielles Wahlprüfiingsrecht neue Fassung nicht veröffentlicht niedersächsische Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift nordrhein-westfälische Nationaldemokratische Partei Deutschlands Nummer/Nummern Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, Rechtsprechungsreport Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte für das Land Nordrhein-Westfalen sowie für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein mit Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes Nordrhein-Westfalen und des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs Entscheidungen des Berliner Oberverwaltungsgerichts Parteiengesetz Preußisches Verwaltungsblatt respektive Entscheidungen des Reichsgerichts rheinland-pfälzische Randnummer

18

RV S. s.a. sachsen-anhalt. schlesw.-holst. SGG Sp. SPD st. Rspr. StGB StGH StGHG thür. ThürVBl. u.a. VB1BW VerfGG VerfGH NW VerfGHG VerwArch VG VGH vgl. Vorb/V orbem. VR VVDStRL VwGO VwVfG WahlprüfG WPrüfG WPG WPO WRV z.B. ZaöRV ZG Ziff. ZParl ZPO ZRP

Abkürzungsverzeichnis

Reichsverfassung von 1871 Seite siehe auch sachsen-anhaltinische schleswig-holsteinische Sozialgerichtsgesetz Spalte Sozialdemokratische Partei Deutschlands ständige Rechtsprechung Strafgesetzbuch Staatsgerichtshof Staatsgerichtshofsgesetz thüringische Thüringer Verwaltungsblätter und andere Verwaltungsblätter Baden-Württemberg Verfassungsgerichtsgesetz Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen Verfassungsgerichtshofsgesetz Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vorbemerkung Verwaltungsrundschau Veröffentlichung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Wahlprüfungsgesetz Wahlprüfungsgericht Wahlprüfungsordnung Weimarer Reichsverfassung zum Beispiel Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Gesetzgebung Ziffer Zeitschrift für Parlamentsrecht Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik

Kapitel

1

Einleitung Die allgemein zu beobachtende Tendenz einer - bisweilen zu - extensiven Ausschöpfung (verfassungs)gerichtlicher Rechtsbehelfe hat nun auch das Wahlprüfungsverfahren erfaßt. Dementsprechend wird die Wahlprüfungsbeschwerde als verfassungsgerichtliches Rechtsmittel entdeckt. Nachdem es in früheren Legislaturperioden im Schnitt etwa 80 bis 100 Einsprüche gab, wurden gegen die Wahl zum 13. Deutschen Bundestag am 16. Oktober 1994 bereits 1142 Einsprüche eingelegt1. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit verfassungsrechtlichen Fragen der in Art. 41 GG verankerten und in § 48 BVerfGG näher ausgestalteten Wahlprüfung. Was im einzelnen unter einer „Wahlprüfung" zu verstehen ist, ist in der Verfassung nicht definiert. Immerhin gibt das Gesetz aber Hinweise über den Verfahrensablauf. Für einen ersten Problemzugriff mag es dabei genügen, auf die Zweistufigkeit der Wahlprüfung hinzuweisen. Nach Abschluß der Wahl steht jedem Bürger zunächst der beim Bundestag innerhalb einer Frist von 2 Monaten nach dem Wahltag einzulegende Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zu. Wird dieser Einspruch zurückgewiesen, ist gemäß Art. 41 Abs. 2 GG gegen die Ablehnungsentscheidung des Bundestages die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht zulässig. Geht man zur Annäherung an den Untersuchungsgegenstand „Wahlprüfung" zunächst von den Erfolgschancen der genannten Überprüfungsmöglichkeiten der Wahl aus, so erlebt man eine Überraschung. Bis zur gegenwärtigen 13. Legislaturperiode hatte weder einer der 434 Einsprüche beim Deutschen Bundestag2 noch eine der insgesamt 85 Wahlprüfungsbeschwerden beim Bun-

1

Vgl. die Angaben des Vorsitzenden des Wahlprüfungsausschusses beim 13. Deutschen Bundestag Dieter Wiefelspütz in der Süddeutschen Zeitung vom 20. Dezember 1994. 2

Vgl. Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 20; auch Schindler, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1983-1991, S. 126 allerdings mit Zahlenmaterial nur bis 1990.

20

Kapitel 1 : Einleitung

des Verfassungsgericht 3 je Erfolg. Sämtliche Einsprüche oder Beschwerden wurden als unzulässig oder (offensichtlich) unbegründet zurückgewiesen. Wahlprüfungsrechtliche „Rechts"behelfe sind damit auf Bundesebene immer erfolglos. Ein solches Ergebnis wirft natürlich Fragen auf. Kann es Sinn eines verfassungsrechtlich vorgesehenen Rechtsbehelfs sein, daß er in der konkreten Anwendung gleichsam leerläuft? Bestehen für die betroffenen Wähler, Kandidaten oder Parteien andere Rechtsschutzmöglichkeiten? Oder reduziert die Verfassung(srechtsprechung) die Wahlprüfungsbeschwerde auf eine rein edukative Funktion, die darin besteht, die Wahlprüfungsorgane - gleichsam beiläufig bei Gelegenheit der Zurückweisung der Wahlprüfungsbeschwerde - auf begangene Fehler hinzuweisen? Im Hinblick auf diesen Befund hat H. Meyer die Wahlprüfungsbeschwerde als zwar immer erfolglos, aber nicht immer zwecklos bezeichnet4. Die stete Erfolglosigkeit wahlprüfungsrechtlicher Rechtsbehelfe weist mit der gleichzeitigen weitgehenden Schutzlosstellung des subjektiven Wahlrechts auf ein Phänomen hin, das die Wahlprüfung meist begleitet hat. Dabei ist die traurige Geschichte des fehlenden Schutzes subjektiver Wahlrechte nahezu ebenso alt wie die Wahlprüfung selbst. Bereits in seinem Gutachten für den 19. Deutschen Juristentag 1888 hat G. Jellinek mit dem Vorschlag, die Wahlprüfung einem unabhängigen Wahlprüfungsgerichtshof zu übertragen 5, um die Effektivierung des Wahlrechtsschutzes gerungen und noch 1905 im System verwundert konstatiert, „(e)s haben viel unbedeutendere Individualansprüche in neuester Zeit den richterlichen Schutz gefunden, es ist daher nicht abzusehen, warum eine Ausnahme zu ungunsten des parlamentarischen Wahlrechts stattfinden soll" 6 . Mag die „stiefmütterliche" Behandlung des subjektiven Wahlrechts in einer Epoche verständlich gewesen sein, die das Wahlrecht teilweise überhaupt nicht als subjektives Recht, sondern lediglich als Reflex des Verfassungsrechts begriff 7 , so verwundert die nahtlose Fortsetzung unter der Geltung des Grundgesetzes. Immerhin brachte insoweit Art. 19 Abs. 4 GG eine fundamentale Neuerung, die das Wahlprüfungsverfahren beeinflussen kann.

3

Vgl. Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 20.

4

Vgl. Κ Meyer, HStR II, § 38 Rn. 60.

5

Vgl. G. Jellinek, Ausgewählte Reden und Schriften, S. 416.

6

G. Jellinek, System, S. 166.

7

Vgl. etwa P. Laband, DStaatsR I, § 34, S. 331.

Kapitel 1 : Einleitung

Im Hinblick auf die und trotz der durch die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG erreichten Neuerungen im Verständnis des Verhältnisses BürgerStaat hat Seifert bereits 1967 beklagt, das Wahlprüfungsrecht befinde sich in einem Zustand nahezu völligen Stillstandes8, und 1994 wurde es von H. Meyer als „rechtsstaatlich skandalös"9 bezeichnet. Dazwischen liegen nahezu 30 Jahre bundesrepublikanische Rechtsentwicklung, die wohl eine weitgehende Rechtsschutzgewährleistung und eine feinziselierte Grundrechtskultur hervorgebracht hat, die aber das subjektive Wahlrecht, obgleich das „vornehmste Recht des Bürgers im demokratischen Staat" 10 , gänzlich unbeachtet gelassen hat. In auffälligem Gegensatz zu der damit betonten Bedeutung des Wahlrechts für die Demokratie steht die Beachtung, die sowohl die Ausübung als auch der Schutz dieses politischsten aller Grundrechte findet. Die Gründe für dieses Schattendasein von Wahl- und Wahlprüfungsrecht mögen vielfältig sein. Neben der nach wie vor nicht hinreichend geklärten Rechtsnatur des Wahlrechts dürfte eine weitere Ursache in dem weitgehenden normativen Vakuum der Wahlprüfung liegen. Ebenso alt wie das Institut der Wahlprüfung ist - jedenfalls im deutschen Verfassungsraum - das Fehlen einer Kodifikation der Rechtssätze, nach denen über den Erfolg einer Wahlanfechtung zu entscheiden ist 11 . Die Entwicklung des gesamten Gebäudes des Wahlprüfungsrechts ist damit in die Hände der Praxis gelegt worden, und hieran hat auch das Grundgesetz nichts geändert. Das „Sorgenkind" des wahlprüfungsrechtlichen Rechtsschutzes ist dabei der subjektive Rechtsschutz, um den es denkbar schlecht bestellt ist. Dies liegt zum einen an den insoweit restriktiven (einfach)gesetzlichen Regelungen, beruht zum Großteil aber auf einer den subjektiven Wahlrechtsschutz noch sehr viel stärker einengenden und aushöhlenden Rechtsprechung. Nach wie vor als ungelöst darf hierbei die Frage nach dem Verhältnis der Wahlprüfung zu der Notwendigkeit der Gewährung subjektiven Rechtsschutzes angesehen werden. Freilich hat die Verfassung den Streit um den subjektiven Wahlrechtsschutz durch die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG neu akzentuiert, durch das Nebeneinander von wahlprüfungsrechtlichen und sonstigen Rechtsbehelfen indes zugleich verfassungsrechtlich vorgezeichnet.

8

Vgl. Seifert, DÖV 1967, 231 (231).

9

Vgl. H. Meyer, KritV 1994, 312 (353).

10

So die Formulierung von BVerfGE 1,14 (33).

11

Vgl. dazu Ruszoly, Der Staat 21 (1982), S. 203 (223).

22

Kapitel 1 : Einleitung

Rechtsprechung und Literatur bedienen sich dabei folgender Abgrenzung. Das Wahlprüflingsverfahren diene dem Schutz des objektiven Wahlrechts. Sein Ziel sei die Gewährleistung der richtigen Zusammensetzung des Parlaments. Deshalb könnten nur solche Wahlfehler ein Eingreifen der Wahlprüfungsorgane nach sich ziehen, die sich auf die Sitzverteilung im Parlament auswirken können. Sonstige Wahlfehler, mögen sie auch noch so gravierend sein, blieben im Wahlprüfungsverfahren unbeachtet. Demgegenüber stehen die sogenannten subjektiven Wahlrechtsverletzungen, die sich mangels Mandatsrelevanz nicht auf die Zusammensetzung des Parlaments auswirken können und die deshalb nach dieser Auffassung auch nicht zum Verfahrensgegenstand des Wahlprüfungsverfahrens zu rechnen sind. Als Beispiele seien hier insbesondere die Nichteintragung eines Wählers in das Wählerverzeichnis oder die Nichtzulassung einer (Splitter)Partei zur Wahl genannt. Ob daraus resultierende Streitfragen überhaupt Gegenstand eines Rechtsschutzverfahrens sein können, ob also das (subjektive) Wahlrecht rechtsschutzbewehrt ist, gehört zu den umstrittensten Fragen des Wahlrechts. Der Kern dieses Streits ist, worauf bereits hingewiesen wurde, in der Verfassung, die neben den „klassischen" Rechtsschutzmöglichkeiten des Art. 19 Abs. 4 GG mit dem Einspruchs- bzw. Beschwerdeverfahren nach Art. 41 Abs. 1 und 2 GG ein speziell auf die Wahl zugeschnittenes Überprüfungsverfahren zur Verfügung stellt, selbst angelegt. Vor diesem Hintergrund lauten die Kernfragen der Arbeit: In welchem Verhältnis stehen die beiden genannten Rechtsbehelfe zueinander? Dient das Wahlprüfungsverfahren tatsächlich allein dem Schutz des objektiven Wahlrechts oder ist aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben subjektiver Wahlrechtsschutz auch innerhalb dieses Beschwerdeverfahrens zu gewähren? Welche Rechtsfolge ist aus einem festgestellten, das Wahlergebnis aber nicht beeinflussenden Wahlfehler zu ziehen, und wie kann den subjektiven Rechtsschutzbelangen der betroffenen Aktivbürger Rechnung getragen werden? Neben der Einleitung (Kapitel 1) soll die Arbeit in vier weitere Kapitel unterteilt werden. In Kapitel 2 erfolgen im ersten Abschnitt zunächst einige definitorischen Klarstellungen. Aufgabe des zweiten Abschnitts ist sodann eine Darstellung der Grundlagen des Wahlprüfungsrechts. Angesichts der das Wahlprüfungsrecht beherrschenden These, aufgrund des weitgehenden Fehlens gesetzlicher Grundlagen sei dessen Entwicklung der Praxis überlassen worden, wird in Kapitel 3 die in Wahlprüfungsverfahren ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts untersucht. Dabei

Kapitel 1 : Einleitung

steht im Vordergrund der an die Darstellung der einschlägigen Entscheidungen anknüpfenden Auswertung die Beantwortung der folgenden Fragen: Wie hat das Gericht sein oben angeführtes rein objektiv-rechtliches Verständnis des Wahlprüfungsverfahren begründet? Welche Sanktionen hat es aufgrund festgestellter Wahlfehler ausgesprochen und welche Bedeutung hatte dies für den subjektiven Wahlrechtsschutz? Im folgenden Kapitel 4 werden die verfassungsrechtlichen Probleme der durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bewirkten Entsubjektivierung des Wahlrechtsschutzes, für die das Gericht in der Literatur vehemente Kritik erfahren hat, aufgezeigt. Dabei werden zunächst die in der Literatur entwickelten Lösungsansätze der subjektiven Rechtsschutzfrage in Wahlangelegenheiten dargestellt und danach einer kritischen Überprüfung unterzogen. Insgesamt geht die Untersuchung mit der überwiegenden Auffassung im Schrifttum davon aus, daß der gänzliche Ausschluß subjektiven Wahlrechtsschutzes verfassungsrechtlich nicht haltbar ist. In Kapitel 5 wird sodann der eigene Ansatz zur Lösung der Probleme des subjektiven Wahlrechtsschutzes dargestellt. Der Arbeit liegt die These zugrunde, daß aufgrund sowohl der verfassungsrechtlichen wie der einfachgesetzlichen als auch der verfahrensrechtlichen Vorgaben subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren zu gewähren ist. Dazu wird im ersten Abschnitt zunächst der Verfahrensgegenstand des Wahlprüfungsverfahrens untersucht. Der zweite Abschnitt geht sodann der Frage der Ausgestaltung des Wahlprüfungsverfahrens nach. Abschnitt 3 beschäftigt sich mit den Folgen und Schwierigkeiten, die entstehen, wenn man der hier vorgeschlagenen Lösung folgt. Schließlich erfolgt im 4. Abschnitt eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung.

Kapitel

2

Grundlagen des Wahlprüfungsrechts In Kapitel 2 sollen zunächst die Grundlagen des gemeinhin doch wenig bekannten Instituts der Wahlprüfung dargestellt werden. Nach einigen definitorischen Klarstellungen im ersten Abschnitt erfolgt im zweiten Abschnitt eine (insoweit lediglich referierende) Darstellung des Wahlprüfungsrechts.

1. Abschnitt

Definitorische Klarstellungen Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß das Wahlprüfungsrecht keiner einheitlichen Kodifikation unterworfen ist. Teilweise fehlen gesetzliche Regelungen, teilweise sind sie in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich. In manchem gehen sie auf historische Vorläufer zurück. In anderen Bereichen hat das Grundgesetz - etwa durch die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG - fundamentale Neuerungen gebracht, die die Wahlprüfung beeinflussen können. Es herrscht nicht gerade babylonische Sprachverwirrung im Bereich des Wahlprüfungsrechts. Durch das aber vor allem im Bereich des materiellen Wahlprüfungsrechts schmerzlich empfundene Fehlen einer geschlossenen Kodifikation entsteht eine Begriffsvielfalt, in der naturgemäß die verschiedenen inhaltlichen Positionen transportiert werden. Dies gilt für die Definition des Wahlfehlers genauso wie namentlich für das der herrschenden Meinung zugrundeliegende Verständnis des Wahlprüfungsverfahrens als ein rein objektives Verfahren ohne jeden subjektiven Rechtsschutzaspekt. Dabei kann die vorliegende Arbeit natürlich nicht den Anspruch erheben, diese sprachlichen Besonderheiten einzuebnen. Vielmehr versteht sich von selbst, daß auch in der eigenen Begrifflichkeit inhaltliche Positionen mitschwingen. Hinzu kommt, daß im Rahmen des referierenden zweiten Kapitels verschiedene Diskussionsfelder (wie insbesondere die Festlegung der Rechtsnatur des Wahlrechts oder die Bestimmung des Verfahrensgegenstandes der Wahlprüfung) des Gesamtkomplexes „Wahlprüfung" in ihrer Problematik lediglich angedeutet werden kön-

1. Abschnitt: Definitorische Klarstellungen

25

nen, wobei dann in den nachfolgenden Kapiteln eine eingehendere Erörterung erfolgt. Vor diesem Hintergrund soll im folgenden auf die Begriffe „Wahl", „Wahlfehler" und „Wahlprüfung" eingegangen werden. Dabei sei noch einmal daraufhingewiesen, daß insoweit weitgehend die herrschende Meinung referiert wird und erst in den Folgekapiteln darauf eingegangen wird, ob dieser Auffassung zu folgen ist.

A. Wahl Nach Art. 20 Abs. 2 GG übt das Volk die Staatsgewalt unter anderem durch Wahlen und Abstimmungen aus. Im Gegensatz zu Abstimmungen, die als Entscheidung über Sachfragen im Wege der Volksbegehren bzw. Volksabstimmungen verstanden werden 1, dienen Wahlen in einer parlamentarischen Demokratie in erster Linie der Bestellung von Repräsentanten2. Deshalb ist der Begriff Abstimmungen untechnisch verwandt, wenn das Bundesverfassungsgericht Wahlen als Abstimmungen definiert, durch die eine oder mehrere Personen aus einem größeren Personenkreis ausgelesen werden 3.

I. Rechtsgrundlagen der Wahl Das Grundgesetz verwendet den Begriff der Wahl im Kontext der Bundestagswahlen teils ausdrücklich, teils wird er in verschiedenen Vorschriften vorausgesetzt. So heißt es in der für die demokratische Verfassung des Grundgesetzes zentralen Vorschrift des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG, daß die vom Volk ausgehende Staatsgewalt von ihm unter anderem durch Wahlen ausgeübt wird. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG spricht davon, daß die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in allgemeiner, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt werden und Art. 41 GG stellt ein Instrumentarium zur Verfügung, mit dem unter anderem die Einhaltung dieser Grundsätze bei der Wahl kontrolliert werden kann. Art. 39 Abs. 1 Satz 1 GG legt die Dauer der Legislaturperiode fest. Art. 48 GG regelt Ansprüche des Abgeordneten auf Urlaub zur Vorbereitung seiner Wahl, Art. 137 GG betrifft Regelungen der Wählbarkeit.

1

Vgl. Stern, StaatsR I, S. 607.

2

Vgl. Schiffer, Wahlrecht, in: Benda/Maihofer, HVerfR, S. 295; Schreiber, Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 12 Rn. 2. 3

Vgl. BVerfGE 47, 253 (276).

in:

Kapitel 2: Grundlagen des Wahlprüflingsrechts

26

In Art. 21 Abs. 1 GG wird der Begriff der „Wahl" zwar nicht direkt verwandt, aber indirekt angesprochen, wenn es heißt, daß die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken. Schließlich ist der allgemeine Gleichheitssatz zu nennen, der den Wahlvorgang ebenfalls beeinflußt. Namentlich um Wahlprüfungsentscheidungen der Landesverfassungsgerichte überprüfen zu können, hat das Bundesverfassungsgericht unter Zustimmung weiter Teile der Literatur 4 in ständiger Rechtsprechung5 den Standpunkt eingenommen, die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 GG seien ein Anwendungsfall des allgemeinen Gleichheitssatzes. Es lohnte sich durchaus, einen kritischen Blick auf diese Rechtsprechung zu werfen 6. Sie ist indessen, wie ausgeführt, allgemein anerkannt. Zudem erscheint eine Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht jedenfalls auf Willkürverstöße hin zutreffend. Willkür ist im Rechtsstaat niemals duldungspflichtig 7. Gleichwohl soll nicht verkannt werden, daß das genannte Verständnis des Art. 38 GG als Spezialfall des Art. 3 GG bei der Überprüfung eines verwaltungsgerichtlichen oder landesverfassungsgerichtlichen Urteils im Rahmen des Art. 3 GG einen gegenüber einer reinen Willkürprüfung erweiterten Prüfungsspielraum eröffnet. Ungeachtet dieser Vielfalt verfassungsrechtlicher Aussagen zu Wahlvorgängen sollen im folgenden Kapitel hauptsächlich die Art. 38 GG und Art. 20 Abs. 2 GG im Vordergrund stehen. Art. 20 Abs. 2 GG, weil in dieser Vorschrift zentrale Funktionen der Wahl und damit möglicherweise auch der Wahlprüfung zum Ausdruck kommen. Art. 38 GG, weil er zum einen mit der Festlegung der Wahlrechtsgrundsätze den Rahmen der Wahlprüfung entscheidend mitbestimmt. Zum anderen aber - und

4

Vgl. v. Mangoldt/KleinJAchterberg/Schulte, GG, Art. 38 Rn. 128; Maunz, in: Maunz-Dürig, Art. 38 Rn. 49; Badura, in: BK, Anh. z. Art. 38: BWahlG, Rn. 5; Stern, StaatsR I, S. 303; Gubelt, in: v. Münch, GGK I, Art. 3 Rn. 74; Schneider, in: AK, GG, Art. 38 Rn. 49; Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 38 Rn. 9; Leibholz/Rinck/ Hesselberger, GG, Art. 38 Rn. 12; Pieroth/Schlink, StaatsR II, Rn. 507; Brenner, AöR 116 (1991), 537 (579); kritisch aber Frowein, AöR 99 (1974), 72 (81); Sachs, HStR V, § 126 Rn. 136; pointiert: v. Münch, in: v. Münch, GGK II, Art. 38 Rn. 48 und 83: „Ansicht des BVerfG ist falsch". 5

Vgl. nur BVerfGE 85, 148 (157); 69, 92 (106); 58, 177 (190); 57, 43 (56); 51, 222 (232); 48, 64 (79); 47, 253 (269); 36, 139 (141); 34, 81 (98); 28, 220 (225); 24, 300 (340); 13, 1 (12); 12, 10(25); 11,266 (271); 6, 84 (91); 4,31 (39); 1,208 (242). 6

Dazu unten Kapitel 4, 2. Abschnitt, Β. I. 3. b) bb).

7 Vgl. BVerfGE 55, 72 (89 f.); 78, 232 (248); Stern, FS für Dürig, S. 207 (211); Gubelt, in: v. Münch, GGK I, Art. 3 Rn. 12, „fundamentales Rechtsprinzip".

1. Abschnitt: Definitorische Klarstellungen

27

diesem Umstand ist bisher im Kontext der Wahlprüfling kaum Beachtung geschenkt worden - beinhaltet Art. 38 GG ein - auch fur Wählervereinigungen und politische Parteien geltendes8 - subjektiv-öffentliches (Grund)Recht 9.

IL Rechtsnatur des Wahlrechts Mit diesen letzten Zeilen ist eine Besonderheit des Wahl(grund)rechts angesprochen, das es von sonstigen Rechtspositionen abhebt. Im Wahlakt wird einerseits das Volk in seiner Gesamtheit hoheitlich tätig (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG spricht davon, das Volk übe die Staatsgewalt aus). Andererseits stellt die Ausübung des Wahlrechts die Betätigung eines grundrechtlich verbrieften Rechts dar, dessen Funktion als individuelles Teilhaberecht neben seiner Bedeutung als Kollektivrecht zunehmend stärker akzentuiert wird. So hat Stern daraufhingewiesen, daß im Wahlprüfungsverfahren zwar die Gültigkeit der Wahl geprüft werde, daß es aber gleichzeitig auch um die Wahrung des in Art. 3 GG grundrechtlich ausgestalteten Rechts auf Wahlgleichheit und um die gerichtliche Kontrolle der Beachtung der Wahlrechtsgrundsätze gehe, die durch Art. 38 Abs. 2 GG als grundrechtsgleiche Rechte statuiert würden 10 . Dem Wahlrecht wohnt mithin ein Doppelcharakter inne, wobei dessen Auswirkung auf den Verfahrensgegenstand des Wahlprüfungsverfahrens im einzelnen in Kapitel 5 untersucht wird.

B. Wahlfehler Im Gegensatz zur Rechtsnatur des Wahlrechts ist der Begriff des Wahlfehlers weitgehend geklärt. Hier besteht Einigkeit, daß dessen Definition sowohl in

8

Magiern, in: Sachs, GG, Art. 38 Rn. 103; BVerfGE 4, 27 (30); 51, 222 (233).

9

Vgl. Stern, StaatsR III/2, S. 1798: „Bewirkungsrecht"; zur Einordnung des Wahlrechts in die Grundrechtsfunktionenlehre, vgl. unten Kapitel, 1. Abschnitt, B. III. 3. a) cc) (3) (b). 10

Vgl. Stern, StaatsR III/2, S. 1246. Es soll allerdings nicht verkannt werden, daß der Autor im Gegensatz zu der in Kapitel 5 vertretenen Auffassung subjektiven Wahlrechtsverletzungen nur dann Bedeutung beimessen will, wenn sie auf die Zusammensetzung des Bundestages eingewirkt haben können, vgl. Stern a.a.O., S. 1246 f.

Kapitel 2: Grundlagen des Wahlprüfngsrechts

28

seinem sachlichen als auch personalen Anwendungsbereich denkbar weit erfolgt. In sachlicher Hinsicht werden als Wahlfehler alle Verstöße gegen das materielle und formelle Wahlrecht verstanden 11. Wegen der bereits genannten weitgehend fehlenden Kodifikation des materiellen Wahlprüfungsrechts finden sich nur wenige gesetzliche Normierungen von Wahlfehlern. § 39 BWahlG regelt Fälle der Abgabe ungültiger Stimmen. Freilich ist auch insoweit eine umfassende Regelung aller denkbaren Konstellationen, in denen die Stimmabgabe als ungültig gewertet werden muß, nicht möglich, so daß § 39 BWahlG keine abschließende Regelung enthält 12 . Die Vorschrift begrenzt sich daher im wesentlichen auf sogenannte formelle Mängel, das heißt Mängel der Ausgestaltung der Wahlunterlagen und enthält daneben allgemeine Auslegungsregeln 13 . Von § 39 BWahlG nicht erfaßt sind die materiellen Ungültigkeitsgründe 14 . Als weitere einfachgesetzliche Wahlfehlerregelung findet sich in § 44 BWahlG eine Vorschrift über die Folgen bei gänzlicher oder teilweiser Ungültigkeit einer Wahl, das heißt der Wahlwiederholung. Schließlich regelt § 14 WahlprüfG ein Einspruchsrecht des Präsidenten des Bundestages, wenn sich Zweifel ergeben, ob ein Abgeordneter im Zeitpunkt der Wahl wählbar war. Als Prüfungsmaßstab kommen aber nicht nur die genuinen Wahlrechtsgesetze wie das Bundeswahlgesetz, die Bundeswahlordnung, das Wahlprüfungsgesetz und die sonstigen einschlägigen Gesetze und Verordnungen in Betracht,

11

Vgl. H. Meyer, HStR II, § 38 Rn 60; Maunz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 41 Rn. 4; v. Mangoldt/Klein/Achterberg/Schulte, GG, Art. 41 Abs. 1 Rn. 39; Hüfler, Wahlfehler und ihre materielle Würdigung, S. 13. 12

Vgl. Schreiber, WahlR, § 39 Rn. 2.

13

So ist etwa im Rahmen von Abs. 1 Nr. 5 der Vorschrift für die Ermittlung des Willens des Wählers nicht entscheidend, was der Wähler hat erklären wollen, sondern es kommt auf den objektiven Sinn der Stimmabgabe an, wie er von einem vernünftigen Betrachter aufgefaßt werden muß, vgl. Seifert, BundeswahlR, BWG, § 39 Rn. 8. 14

Vgl. Schreiber, WahlR, § 39 Rn. 2.

1. Abschnitt: Definitorische Klarstellungen

29

sondern auch die in Art. 38 GG niedergelegten Wahlrechtsgrundsätze 15, unzulässige amtliche 16 und private 17 Wahlbeeinflussungen, Verstöße gegen das Parteiengesetz oder das Strafgesetzbuch 18 sowie sonstige Vorkommnisse, welche den von den Wahlgesetzen, die insoweit meist von „Unregelmäßigkeiten" sprechen, vorausgesetzten regelmäßigen, ungestörten Verlauf des Wahlverfahrens beeinträchtigen 19. Wahlprüfungsrechtlich relevant kann darüber hinaus sogar Gewohnheitsrecht sein 20 . Dabei erstreckt sich die Wahlprüfung jedenfalls in dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht auch auf die Verfassungsmäßigkeit der Wahlrechtssowie der Wahlprüfungsrechtsnormen 21. Unter den Wahlfehlern gibt es keine absoluten Nichtigkeitsgründe 22. Das Vorliegen eines Wahlfehlers führt damit nicht notwendig zur Ungültigkeit einer

15 Vgl. Maunz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 41 Rn. 4; bisweilen werden diese Grundsätze sogar als ungeschriebene Rechtssätze, die bei allen Wahlen zu Volksvertretungen zu beachten sind, bezeichnet, vgl. BVerfGE 47, 253 (276 f.). 16

Problematisch sind insoweit die Grenzen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit der Regierung, vgl. BVerfGE 44, 125 (138 ff.); kritisch gegenüber dem Kriterium der „Amtlichkeit" Hüfler, Wahlfehler und ihre materielle Würdigung, S. 17. 17 Vgl. etwa BVerwGE 18, 14 (17): „Hirtenbriefe"; zu weiteren Fällen privater Wahlbeeinflussungen vgl. Magiera, in: Sachs, GG, Art. 38 Rn. 88. 18

Vgl. Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 14.

19

Vgl. Seifert, BundeswahlR, GG, Art. 41 Rn. 6.

20

Seifert, BundeswahlR, GG Art. 41 Rn. 7.

21

Vgl. BVerfGE 16, 130 (135); gegen eine solche Prüfungskompetenz votiert Achterberg, ParlamentsR, S. 186 m.w.N. in Fn. 68. 22

Vgl. Versteyl, in: v. Münch, GGK II, Art. 41 Rn. 15; Schneider, in: AK, GG, Art. 41 Rn. 4; Maunz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 41 Rn. 27; Magiera, in: Sachs, GG, Art. 41 Rn. 16; Schmitt-VOckenhausen, Die Wahlprüfung in Bund und Ländern, S. 25; Kretschmer, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 13 Rn. 57; Kisker/Höfling, Fälle zum StaatsorganisationsR, S. 95; Seifert, BundeswahlR, MWPrüfR, S. 400 m.w.N.; s.a. die Zusammenstellung in OVG Münster, OVGE 8, 42 (44); VGH Mannheim, ESVGH 14, 11 (13); fur Wahlen im Hochschulbereich vgl. aber OVG Hamburg, DVBl. 1994, 1374, wonach ein einstweilige Anordnung in Wahlangelegenheiten nur ergehen kann, wenn der „Wahlakt evident nichtig ist"; für die Existenz absoluter Wahlfehler im Bereich von Parlamentswahlen sprechen sich neuerdings Kuhl/Unruh, DVBl. 1994, 1391 (1398) aus: „Somit können auch nicht mandatsrelevante Wahlfehler im Zusammenhang mit der Kandidatenaufstellung zur Ungültigkeit von Wahlen fuhren, sofern im Einzelfall die Schwere der vorliegenden Wahlfehler den Grundsatz der Stabilität der Parlamente

Kapitel 2: Grundlagen des Wahlprüflingsrechts

30

Wahl; vielmehr kommt es nach herrschender Meinung darauf an, ob sich der gerügte Wahlfehler auf die Sitzverteilung ausgewirkt hat 23 . Diese Rechtsfolgenbegrenzung festgestellter Wahlfehler gilt nicht nur für die Wahlen zum Deutschen Bundestag. Sie findet sich auch bei Wahlen zu anderen Vertretungsorganen 24 und entspricht im wesentlichen auch der Rechtslage in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union 25 . Die bisweilen in der Literatur vertretene Ansicht, die Folgen von Wahlfehlern bestimmten sich ganz allgemein nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 26 , leidet zunächst daran, daß die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Wahlprüfungsverfahren nicht unproblematisch ist. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz mag sich bei grundrechtsrelevantem staatlichen Handeln als „übergreifende Leitregel (..) allen staatlichen Handelns" darstellen 27. Seiner unbesehenen Übertragung auf andere Gebiete der Verfassung hat das Bundes-

überwiegt"; vgl. auch BVerfGE 44, 125 (179) - Sondervotum: „Ein parteiergreifendes Einwirken der Bundesregierung und ihrer Mitglieder auf den Wahlkampf ist im Zweifel eine so schwerwiegende Einmischung in den Prozeß, ... (daß ohne sie die Wahl) anders ausgefallen wäre. Dann aber muß die Wahlanfechtung Erfolg haben und die Wahl wiederholt werden". Auch hier trägt die Schwere des Wahlfehlers die Vermutung der Auswirkung in sich. 23

Vgl. nur BVerfGE 4, 370 (372 f.); 89, 291 (304) und st. Rspr.; aus der Literatur Magiera, in: Sachs, GG, Art. 41 Rn. 4. 24

Für Betriebsratswahlen vgl. etwa BAG AP Nr. 10 zu § 13 BetrVG 53; Hanau, DB 1986, Beilage 4, S. 1 (4); zu Wahlen im Bereich der Sozialversicherung vgl. BSGE 57, 42 (45). Anders ist die Rechtslage indes bei Wahlen des hauptamtlichen Bürgermeisters in Hessen. Hier führen „wesentliche Form- und Verfahrensfehler" zur Ungültigkeit der Bürgermeisterwahl, ohne daß es darauf ankommt, ob sie das Wahlergebnis beeinflußt haben, vgl. Foerstemann, VR 1990, 248 (254). 25

Vgl. Schuster, in: Wolfrum/Schuster (Hrsg.), Verfahren der Kandidatenaufstellung und der Wahlprüfling im europäischen Vergleich, S. 212: „Soweit ersichtlich muß sich der gerügte Wahlfehler auf das Wahlergebnis ausgewirkt haben". 26

Vgl. etwa Magiera, in: Sachs, GG, Art. 41 Rn. 16; Schneider, in: AK, GG, Art. 41 Rn. 5; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 41 Rn. 6; v. Mangoldt/Klein/Achterberg/ Schulte, GG, Art. 41 Rn. 44. 27 Vgl. BVerfGE 76, 1 (50 f.); 23, 127 (133); kritisch gegenüber dieser Rechtsprechung Merten, FS für Schambeck, S. 349 ff., der auf S. 349 von einer „carte blanche" der Verfassungsinterpretation spricht und auf S. 361 betont, das Übermaßverbot sei zwar als Gerechtigkeitspostulat anerkannt, beinhalte aber mangels Präzision keinen unmittelbar anwendbaren Rechtssatz.

1. Abschnitt: Definitorische Klarstellungen

31

Verfassungsgericht indes eine Absage erteilt 28 . Gerade wenn das Wahlprüfungsverfahren nur dem Schutz des objektiven Wahlrechts dient und es in ihm nicht um den Schutz subjektiver (Grund)Rechte geht, was die für die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes streitenden Autoren nicht anzweifeln 29, erscheint die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht selbstverständlich, jedenfalls müßte seine Geltung gerechtfertigt werden 30. Wie in Kapitel 5 im einzelnen gezeigt werden wird, geht die Untersuchung von der Auffassung aus, daß es im Wahlprüfungsverfahren aufgrund der Doppelnatur des Wahlrechts auch um den Schutz subjektiver Rechte geht. Gleichwohl kann dabei einer Korrektur festgestellter Wahlfehler über den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht das Wort geredet werden. Denn seine Anwendung würde dazu führen, daß subjektive Wahlrechtsverletzungen nicht tenoriert und damit erneut nicht rechtskräftig entschieden würden. Den subjektiven Rechtsschutzinteressen der Beschwerdeführer würde damit wiederum nicht hinreichend Rechnung getragen 31. Teilweise wird in der älteren Literatur 32 bereits bei der Bestimmung eines Wahlfehlers auf den Erheblichkeitsgrundsatz zurückgegriffen, und es werden nur solche Wahlverstöße als Wahlfehler angesehen, die sich auf die Sitzverteilung ausgewirkt haben können. Dem kann allerdings nicht gefolgt werden. Die Frage der Mandatsrelevanz eines Wahlfehlers gehört systematisch zu der Frage der Rechtsfolge festgestellter Wahlfehler, nicht zu derjenigen der Definition eines Wahlfehlers.

28

BVerfGE 81, 310 (338) sowie LS 5: „Aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Schranken für Einwirkungen des Staates in den Rechtskreis des Einzelnen sind im kompetenzrechtlichen Bund-Länder-Verhältnis nicht anwendbar. Dies gilt insbesondere für den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit"; ebenso Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 397, Einbau des Verhältnismäßigkeitsprinzips in das kompetenzielle System des GG ist noch nicht geleistet. 29 Vgl. Magiera, in: Sachs, GG, Art. 41 Rn. 2; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 41 Rn. 1; v. Mangoldt/Klein/Achterberg/Schulte, GG, Art. 41 Rn. 10; Schneider, in: AK, GG, Art. 41 Rn. 2, der allerdings für eine geöffnete Wahlprüfüng, die nicht nur das „Ob", sondern auch das „Wie" der Gültigkeit von Wahlen überprüft, eintritt. 30

Zur Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Wahlrecht vgl. neuerdings Frenz, Rechtstheorie 24 (1993), S. 513 (514). 31 Zu der Möglichkeit der rechtskräftigen Feststellung subjektiver Wahlrechtsverletzungen vgl. unten Kapitel 5, 2. Abschnitt, B. 32

Vgl. Draht, Das Wahlprüfüngsrecht bei der Reichstagswahl, S. 1: „Wenn d(as) Wahlergebnis trotz einer Wahlverletzung nicht beeinflußt ist, so besteht auch kein Grund, einen Wahlfehler anzunehmen".

Kapitel 2: Grundlagen des Wahlprüflingsrechts

32

Entsprechend der zeitlichen Aufteilung der Wahl sind Wahlfehler bei der Wahlvorbereitung, der eigentlichen Wahlhandlung und der Feststellung des Wahlergebnisses denkbar 33. Daher bezieht sich die Wahlprüfling auch auf den Gesamtwahlvorgang vom Beginn der Wahlvorbereitung bis hin zur endgültigen parlamentarischen Sitzverteilung 34. In personaler Hinsicht können Wahlfehler zunächst von amtlichen Wahlorganen und Wahlbehörden begangen werden. Dabei sind die Wahlorgane in § 8 BWahlG genannt. Unter Wahlorganen versteht das Gesetz die spezifischen, eigens fur die Durchführung von Bundestagswahlen gebildeten Wahlbehörden 35 . Es handelt sich im wesentlichen um den Bundeswahlleiter, den Bundeswahlausschuß, 16 Landeswahlleiter und 16 Landeswahlausschüsse, die Kreiswahlleiter und die Kreiswahlausschüsse, aber auch um sämtliche Wahlvorsteher sowie die Briefwahlvorsteher 36. Alle in § 8 BWahlG genannten Wahlorgane nehmen zwar Aufgaben des Bundes wahr und üben auch Hoheitsgewalt des Bundes aus37. Gleichwohl stehen sie außerhalb der üblichen Verwaltungsorganisation 38 . Die Wahlorgane werden als eine Art Selbstverwaltungsorgan der Aktivbürgerschaft verstanden 39. Als Wahlbehörden sind in ihrer Funktion als Ernennungsorgane der Wahlleiter, der Bundesminister des Innern und die Landesregierungen (§ 9 Abs. 1 BWahlG) sowie allgemein die Gemeindebehörden zu nennen40. Im Anschluß an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Kandidatenaufstellungsverfahren der Hamburger CDU 4 1 wird auch in der Literatur davon ausgegangen, daß Wahlfehler nicht nur durch die genannten Wahlorgane, sondern auch von „Dritten" begangen werden können, „soweit sie unter Bin-

33

Vgl. Rechenberg, in: BK, Art. 41 Rn. 21.

34

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 87; Magiera, in: Sachs, GG, Art. 41 Rn. 3. 35

Vgl. Seifert, BundeswahlR, Vorbem. vor § 8 BWG Rn. 4.

36

Vgl. Schreiber, WahlR, § 8 Rn. 5.

37

Schreiber, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 12 Rn. 58.

38

Vgl. Seifert, BundeswahlR, Vorbem. vor § 8 BWG Rn. 2.

39

Vgl. Schreiber, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 12 Rn. 58.

40

Vgl. Seifert, BundeswahlR, BWG, § 8 Rn. 5.

41

Vgl. BVerfGE 89, 243 (251) sowie unten Kapitel 3, 2. Abschnitt, B. III. 5.

1. Abschnitt: Definitorische Klarstellungen

33

dung an wahlgesetzliche Anforderungen kraft Gesetzes Aufgaben bei der Organisation einer Wahl erfüllen", wie zum Beispiel im Rahmen der Kandidatenaufstellung (§§ 19, 21, 27 BWahlG, § 17 ParteiG) 42. Der aufgezeigte weite Wahlfehlerbegriff mag ein Grund dafür sein, warum sowohl der Gesetzgeber als auch Rechtsprechung und Rechtswissenschaft einer Systematisierung von Wahlfehlern skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen.

C. Wahlprüfung Gegenstand der Wahlprüfung sind die Wahlen zum Deutschen Bundestag43. Nicht erfaßt sind hiervon die Wahlen des Parlaments 44. Die Wahlprüfung stellt nach herrschender Meinung die Befugnis dar, die ordnungsgemäße Zusammensetzung eines Parlaments zu kontrollieren 45 . Abgeleitet wird diese Befugnis aus dem Gewaltenteilungsprinzip 46 sowie daneben auch aus dem Grundsatz der Volkssouveränität 47, ohne daß diese verschiedenen Herleitungen Unterschiede in bezug auf den Prüfungsumfang bedingen würden. Im Unterschied zu ihren historischen Vorläufern, bei denen die Kontrolle der Legitimation der Mandatsträger den Hauptgegenstand der Wahlprüfung bildete 48 , steht heute die Prüfung des Wahlakts als solchem im Vordergrund 49.

42

Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 14; Magiera, in: Sachs, GG, Art. 41 Rn. 3.

43

Vgl. Seifert, BundeswahlR, § 1 WahlprüfG, Anm. 1.

44

Magiera, in: Sachs, GG, Art. 41 Rn. 2; Rechenberg, in: BK, Art. 41 Rn. 1.

45

Vgl. Kretschmer, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 13 Rn. 1.

46

Vgl. M. Schröder, S. 190 m.w.N. inFn. 498.

Grundlagen und Anwendungsbereich des Parlamentsrechts,

47 So von G. Jellinek, Ausgewählte Schriften und Reden, Bd. 2, S. 408 f. und Seifert, Gedanken zu einer Reform des Wahlprüfungsrechts, DÖV 1967, 231. 48

Vgl. dazu Ruszoly, Der Staat 21 (1982), S. 203 (207).

49

Vgl. M. Schröder, S. 190. 3 Lang

Grundlagen und Anwendungsbereich des Parlamentsrechts,

34

Kapitel 2: Grundlagen des Wahlprüfngsrechts

/. Rechtsgrundlage der Wahlprüfung Als Relikt der als Eigenprüflingsrecht des Parlaments entstandenen Wahlprüfung 50 regelt das Grundgesetz die Wahlprüfung im 3. Abschnitt „Der Bundestag" in Art. 41 GG. Die bei der Wahlprüfung geläufige Dreiteilung in Wahlprüfungsinstanz, formelles und materielles Wahlprüfungsrecht gilt auch hier. Rechtsgrundlagen der Wahlprüfung sind in verfahrensmäßiger Hinsicht dabei Art. 41 GG 5 1 und das gemäß der Ermächtigung in Art. 41 Abs. 3 GG ergangene Wahlprüfungsgesetz. Anknüpfend an eine lange Tradition 52 , ist auch unter der Geltung des Grundgesetzes eine Kodifikation des materiellen Wahlprüfungsrechts, das heißt der Rechtssätze, nach denen sich die Frage entscheidet, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Wahl als gültig bzw. als ungültig anzusehen ist 53 , unterblieben.

IL Rechtsnatur der Wahlprüfung Die Bestimmung der Rechtsnatur der Wahlprüfung bereitet nicht zuletzt wegen der vom Grundgesetz angeordneten Doppelprüfung durch Parlament und Bundesverfassungsgericht Schwierigkeiten. Jedenfalls die Prüfung der Wahl durch den Bundestag ließe sich ebenso gut als politische Kontrolle auffassen. Allerdings wird unter der Geltung des Grundgesetzes zumeist davon ausgegangen, daß auch die Wahlprüfung durch den Bundestag eine Rechtskontrolle darstellt 54 . Zudem wird die Bedeutung der Frage dadurch entschärft, daß die Be-

50

Zu den historischen Wurzeln der Wahlprüfling vgl. Ruszoly, Der Staat 21 (1982), S. 203 (206 ff.). 51

Vgl. Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 16.

52

Im deutschen Verfassungsraum war das materielle Wahlprüfimgsrecht auch unter der Geltung der Vorläuferverfassungen gesetzlich nicht geregelt, vgl. dazu Ruszoly, Der Staat 21 (1982), S. 203 (221) sowie unten Kapitel 5, 1. Abschnitt, B. III. 3. a) bb). 53 54

Vgl. zu dieser Definition Rechenberg, in: BK, Art. 41 Rn. 2.

Vgl. Achterberg, ParlamentsR, S. 186 f.; Kretschmer, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 13 Rn. 3; Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz u.a., BVerfGG, § 48 Rn. 6; Rechenberg,, in: BK, Art. 41 Rn. 3; Magiera, in: Sachs, GG, Art. 41 Rn. 14; Seifert, BundeswahlR, GG, Art. 41 Rn. 7: „Wahlprüfung als materielle Rechtsprechung". Eine Sicht-

1. Abschnitt: Definitorische Klarstellungen

35

schwerde an das Bundesverfassungsgericht in jedem Fall eine Rechtskontrolle darstellt. Gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Art. 41 Abs. 2 GG ist nämlich für die Wahlprüfungsbeschwerde der Rechtsweg an das Bundesverfassungsgericht eröffnet. Allerdings ist die dogmatische Einordnung der Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht ebenfalls ungeklärt. Ob man dabei das Beschwerdeverfahren als Rechtsmittel55, als Rechtsinstitut eigener Art 5 6 oder als der Anfechtungsklage 57 nachgebildet ansieht, mag hier dahinstehen. Von diesen dogmatischen Einordnungen gehen keine Impulse für die Reichweite der Prüfung aus. Im Hinblick auf die hier interessierende Frage eines ausreichenden Schutzes subjektiver Wahlrechte ist weit entscheidender, daß die gegen die Entscheidung des Bundestages zulässige Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht von der herrschenden Meinung unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 58 nicht als Rechtsweg im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG

weise, die etwa während der wilhelminischen Epoche, bei der die Wahlprüfung dem Reichstag oblag, noch keineswegs selbstverständlich war. Bereits damals trat aber etwa G. Jellinek, Ausgewählte Schriften und Reden Bd. 2, S. 398 m.w.N. in Fn. 2 für eine Rechtskontrolle ein. Gleichsam umgekehrt bereitet die Qualifizierung als Rechtskontrolle dort keine Schwierigkeiten, wo die Wahlprüfung wie in Bremen (§ 1 brem. WahlprüfG), Hessen (Art. 78 Abs. 1 LVerf Hessen) und Rheinland-Pfalz (Art. 82 der Landesverfassung) von vornherein einem speziellen (Wahlprüfungs)Gericht oder wie in Schleswig-Holstein der Fachgerichtsbarkeit (vgl. Art. 3 Abs. 3 der Landesverfassung) zugewiesen ist. Zu den Regelungen der Wahlprüfüng in den deutschen Bundesländern vgl. unten 2. Abschnitt, B. III. 55

Vgl. Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 20; Schmidt-Bleibtreu, Maunz u.a., BVerfGG, § 48 Rn. 25. In BVerfGE 2, 300 (305) wurde ebenfalls der Ausdruck „Rechtsmittel" verwandt. In der Sache ging es in der Entscheidung um die Frage, ob die Beschwerde nach Art. 41 Abs. 2 GG auch dann möglich ist, wenn sich der Bundestag zuvor für nicht befugt erklärt hat, über die Ungültigkeit des Wahlgesetzes zu entscheiden. 56

in:

So Lechner, BVerfGG, § 13 Ziff. 3 Anm. 3.

57

Vgl. v. Mangoldt/Klein/Achterberg/Schulte, Art. 41 Rn. 54; Versteyl, in: v. Münch, GGK II, Art. 41 Rn. 42; Schneider, in: AK, GG, Art. 41 Rn. 19; Seifert, BundeswahlR, GG, Art. 41 Rn. 18. Für diese Auffassung könnten § 8 Abs. 1 Nr. 4 des bad-württ. StGHG, § 13 Nr. 1 nieders. StGHG sowie § 2 Nr. 1 des sachsen-anhalt. LVerfGG ins Feld gefuhrt werden, die allesamt von der Anfechtung der Entscheidungen der jeweiligen Landtage vor den Landesverfassungsgerichten sprechen. 58

Vgl. BVerfGE 22, 277 (281).

Kapitel 2: Grundlagen des Wahlprüfngsrechts

36

angesehen wird 5 9 . Demgegenüber wird in der Literatur auch der Standpunkt eingenommen, durch die Beschwerde gemäß Art. 41 Abs. 2 GG sei ein Rechtsweg im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG gegeben60. Mit der Eröffnung auch nur einer Tatsachen- und Rechtsüberprüfungsinstanz sei den Erfordernissen des Art. 19 Abs. 4 GG Genüge getan, und zwar zunächst unabhängig davon, daß im Wahlprüfungsverfahren kein Schutz subjektiver Rechte gewährt werde 61 . In dieser Konsequenz ist dieser Auffassung nicht zu folgen. Das Beschwerdeverfahren nach Art. 41 Abs. 2 GG kann nur dann den Rechtsweg des Art. 19 Abs. 4 GG verdrängen, wenn es in ihm auch um den Schutz subjektiver Rechte geht. Art. 19 Abs. 4 GG dient dem Individualrechtsschutz 62. Dieser Funktion kann durch ein Verfahren, das allein dem Schutz des objektiven Rechts dient, nicht entsprochen werden. Will man zu der aufgeworfenen Frage Stellung beziehen, muß man sich den Hintergrund der Diskussion vergegenwärtigen. Die Aussagen des Gerichts stehen im Zusammenhang mit der Bestimmung des Verfahrensgegenstandes der Wahlprüfung. In der angesprochenen Entscheidung im 22. Band, in der sich der Satz findet, das Wahlprüfungsverfahren stelle keinen Rechtsweg i.S.v. Art. 19 Abs. 4 GG dar, ging es dem Gericht darum, die Prüfung subjektiver Rechtsverletzungen aus dem Wahlprüfungsverfahren auszuscheiden und diesen Ausschluß vor Art. 19 Abs. 4 GG zu rechtfertigen. Es führte aus, die Verletzung subjektiver Rechte könne nur den Anlaß, nicht aber den Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens bilden. Mit Art. 19 Abs. 4 GG sei diese Regelung vereinbar. Die Vorschrift garantiere den Rechtsweg, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt werde. Demgegenüber bestimme Art. 41 GG, daß die Wahlprüfung Sache des Bundestages und gegen dessen Entscheidung die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht zulässig sei. Damit werde die Korrektur etwaiger Wahlfehler einschließlich solcher, die Verletzungen subjektiver Rechte enthielten, dem Rechtsweg des Art. 19 Abs. 4 GG entzogen. Daß die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 41 Abs. 2 GG keinen Rechtsweg i.S.v. Art. 19 Abs. 4 GG darstelle, ergebe sich auch aus § 48

59 Vgl. v. Mangoldt/Klein/Achter ber g/Schulte, BundeswahlR, Art. 41 Rn. 19, jeweils ohne Begründung.

GG, Art. 41 Rn. 54 sowie Seifert,

60

Vgl. Loschelder, Das aktive Wahlrecht und die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, S. 29 f. 61

Vgl. Loschelder, Das aktive Wahlrecht und die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, S. 29. 62

Vgl. Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 25; Papier, HStR VI, § 154 Rn. 2; zu den Bedingungen einer Spezialität des Wahlprüfungsverfahrens, vgl. unten Kapitel 5, 1. Abschnitt, B. III. 3.a)dd) (2).

1. Abschnitt: Definitorische Klarstellungen

37

BVerfGG, wonach die Zulässigkeit der Wahlbeschwerde vom Beitritt weiterer 100 Wahlberechtigter abhängig sei 63 . Das Gericht rechtfertigt also die Ausklammerung subjektiven Rechtsschutzes aus dem Wahlprüfungsverfahren damit, daß die Beschwerde wegen des Beitrittserfordernisses kein Rechtsweg i.S.v. Art. 19 Abs. 4 GG sei. In der sodann in bezug genommenen Entscheidung im 1. Band hatte das Gericht demgegenüber geprüft, ob das Beitrittserfordernis mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar sei und dies mit der Begründung bejaht, im Wahlprüfungsverfahren ginge es nicht um den Schutz des subjektiven Wahlrechts 64. Während damit in dieser Entscheidung das Beitrittserfordernis wegen des auf die Prüfung des objektiven Wahlrechts reduzierten Gegenstandes der Wahlprüfung gerechtfertigt wird, wird in der Entscheidung im 22. Band umgekehrt der auf den Schutz des objektiven Wahlrechts reduzierte Verfahrensgegenstand mit dem Beitrittserfordernis gerechtfertigt. Das Gericht hat damit die beiden Begründungsansätze ausgetauscht, ohne daß ihnen dadurch eine erhöhte Überzeugungskraft zukäme. Es ist dies - wie die Auswertung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts namentlich in Kapitel 3, aber auch in Kapitel 5 zeigen wird - nicht der einzige tautologische Erklärungsansatz im Wahlprüfungsrecht. Auf die Frage, ob das in § 48 Abs. 1 BVerfGG normierte Beitrittserfordernis verfassungsrechtlich haltbar ist, wird in Kapitel 5 noch einzugehen sein 65 . Im Rahmen der hier im Vordergrund stehenden Darstellung der Grundlagen des Wahlprüfungsrechts braucht die Bedeutung der dogmatischen Einordnung der Beschwerde nicht überbetont zu werden. Allein entscheidend für die hier interessierende Frage nach dem Schutz subjektiver Wahlrechte ist weniger deren formale Qualifikation als vielmehr die Festlegung des Verfahrensgegenstandes, denn dessen Bestimmung entscheidet über die Reichweite der Wahlprüfung.

III Gegenstand der Wahlprüfung Was Gegenstand der Wahlprüfung ist, stellt eine der Kernfragen der vorliegenden Untersuchung dar. Sie kann deshalb im Rahmen des darstellenden 2. Kapitels nicht endgültig beantwortet werden. Der Verfahrensgegenstand des WahlprüfungsVerfahrens wird in Kapitel 5 untersucht. Im Rahmen des darstellenden Teils mag es genügen, auf einige Diskussionsfelder hinzuweisen.

63

Vgl. BVerfGE 22, 277 (281) unter Bezugnahme auf BVerfGE 1, 430 (432).

64

Vgl. BVerfGE 1, 430 (432 f.).

65

Vgl. dazu unten Kapitel 5, 1. Abschnitt, B. III. 3. a) dd) (2) (b) (bb).

Kapitel 2: Grundlagen des Wahlprüfngsrechts

38

Namentlich das materielle Wahlprüflingsrecht steckt angesichts des Fehlens klarer gesetzlicher Vorgaben voller Untiefen. Das beginnt bereits bei den verfassungsrechtlichen Grundlagen der Wahlprüfung. Art. 41 GG verwendet zwar den Begriff der Wahlprüfling, definiert ihn aber nicht. Allerdings legt Art. 41 Abs. 1 GG in seinen Sätzen 1 und 2 eine Differenzierung nahe. Wenn Satz 1 die Wahlprüfung zur Sache des Bundestages erklärt und Satz 2 ausspricht, daß der Bundestag auch darüber entscheidet, ob ein Abgeordneter die Mitgliedschaft im Bundestag verloren hat, so ergibt sich, daß die Mandatsprüfling nach Satz 2 nicht zur eigentlichen Wahlprüfung im Sinne des Art. 41 Abs. 1 Satz 1 GG zu rechnen ist 66 . In der Literatur wird deshalb als terminologische Unterscheidung die Wahlprüfling im engeren Sinne dem Regime des Art. 41 Abs. 1 Satz 1 GG unterstellt, während die Wahlprüfling im weiteren Sinne in Satz 2 der Vorschrift angesprochen ist 67 . Diese Zweiteilung liegt auch dem gemäß der Ermächtigung in Art. 41 Abs. 3 GG erlassenen Wahlprüflingsgesetz zugrunde. Das Gesetz regelt in den §§ 1-14 das Verfahren bei der Wahlprüfling nach Art. 41 Abs. 1 Satz 1 GG und in den Vorschriften der §§ 15-17, wie im Falle der Mandatsprüfling zu verfahren ist. Ansonsten besteht an dieser Unterscheidung im wesentlichen ein systematisches Interesse, ohne daß ihr für die konkrete Ausgestaltung der Wahlprüfling oder des Prüfungsumfanges eine besondere Bedeutung zukä-

Darüber hinaus liefert das Wahlprüflingsgesetz auch einen - freilich einfachrechtlichen - Hinweis über den Gegenstand der Wahlprüfling. Nach § 1 Abs. 1 WahlprüfG entscheidet der Bundestag vorbehaltlich der Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht über die Gültigkeit der Wahlen. Mit dieser begrifflichen Festlegung ist allerdings keine entscheidende Klarstellung verbunden, da das Gesetz nicht definiert, was unter Gültigkeit beziehungsweise Ungültigkeit einer Wahl zu verstehen ist. Während über die Definition der Gültigkeit der Wahl, die vorliegt, wenn die Wahl in vollem Umfang und in jeder Hinsicht unangetastet bleiben kann 69 , noch Einigkeit besteht, prallen bei der Bestimmung der Ungültigkeit die verschiedenen Auffassungen über die sachliche Reichweite der Wahlprüfung aufeinander. Den dadurch aufgeworfenen Fragestellungen, insbesondere soweit ein ausreichender Schutz subjektiver Wahlrechte in Rede

66 Vgl. dazu Schmidt-Bleibtreu, in Maunz u.a., BVerfGG, § 48 Rn. 2, der ebenfalls daraufhinweist, daß sich andernfalls die ausdrückliche Gleichsetzung erübrigen würde. 67

Vgl. dazu Schmidt-Bleibtreu,

in Maunz u.a., BVerfGG, § 48 Rn. 2 m.w.N. in

Fn. 4. 68

Vgl. Achterberg, ParlamentsR, S. 186.

69

Vgl. zu dieser Definition Seifert, BundeswahlR, § 1 WahlprüfG, Anm. 1.

2. Abschnitt: Darstellung des Wahlprüfngsrechts

39

steht, wird nach einer Auswertung der Rechtsprechung in den Kapiteln 4 und 5 nachgegangen.

2. Abschnitt

Darstellung des Wahlprüfungsrechts Allgemein wird als Aufgabe des Wahlprüfungsrechts die Untersuchung der folgenden 3 Problemkreise angesehen: Die Instanz der Wahlprüfung, das Verfahren bei der Wahlanfechtung (sogenanntes formelles Wahlprüfungsrecht) und das dabei angewandte materielle Recht (sogenanntes materielles Wahlprüfungsrecht) 70 .

A. Die Wahlprüfungsinstanzen Die erste Frage nach der Wahlprüfungsinstanz ist leicht zu beantworten und für die weitere Untersuchung daher von nicht so großem Interesse. Sie ist durch das Grundgesetz selbst einer Klärung zugeführt worden. Die Wahlprüfung obliegt dem Bundestag und dem Bundesverfassungsgericht. Diese doppelte Prüfungsinstanz ist eine späte Frucht des historischen Streits um das Recht der Wahlprüfung (Krone oder Parlament als Wahlprüfungsinstanz), der im 19. Jahrhundert mit dem Sieg des Parlaments endete71. Von Interesse ist diese heute marginale Streitfrage aber insoweit, als in ihrem Gefolge eine weitere Akzentverschiebung vom Parlament zu einer gerichtlichen Kontrolle stattgefunden hat. Einen Streit, den das Grundgesetz mit seiner Doppelkonstruktion nicht vollständig entschieden hat. Immerhin kommt im Ablauf des Verfahrens - das Bundesverfassungsgericht kontrolliert auch die Entscheidung des Parlaments 72 sowie in der Stellung des Bundesverfassungsgerichts und dessen gegenüber dem Bundestag erweiterter Prüfungskompetenz 73 ein Bekenntnis des Grundgesetzes zu einer vollen rechtlichen Überprüfung der Wahlhandlung zum Ausdruck, die

70

Vgl. dazu Ruszoly, Der Staat 21 (1982), S. 203 (205).

71

Vgl. Kretschmer, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 13 Rn. 14; Ball, Materielles Wahlprüfungsrecht, S. 245 f.; vertiefend zu dem angesprochenen Kompetenzkonflikt Ruszoly, Der Staat 21 (1982), S. 203 (208 ff.). 72 73

Vgl. BVerfGE 89, 243 (249); 89, 291 (299).

Das BVerfG überprüft im Unterschied zum Bundestag auch das der Wahl zugrundeliegende Wahlgesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit, vgl. BVerfGE 16, 130 (135 f.); 21,200 (204).

Kapitel 2: Grundlagen des Wahlprüfngsrechts

40

für die später zentral zu behandelnde Frage einer Ausgestaltung ausreichenden (Individual)Rechtsschutzes der Wahlprüfung von Belang sein wird. Gemäß Art. 41 Abs. 1 GG ist die Wahlprüfung Sache des Bundestages, wobei dessen Entscheidung gemäß § 3 Abs. 1 WahlprüfG durch den Wahlprüfungsausschuß vorbereitet wird. Dessen Tätigkeit entfällt grundsätzlich in drei Verfahrensabschnitte: die Vorprüfung, die mündliche Verhandlung - die allerdings entfallen kann - und die Schlußberatung 74. Gegen die Entscheidung des Bundestages ist gemäß Art. 41 Abs. 2 GG die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht zulässig. Zuständig ist aufgrund der Zuweisung in § 14 Abs. 2 i.V.m. § 13 Nr. 3 BVerfGG der Zweite Senat.

B. Formelles Wahlprüfungsrecht Abgesehen von der Frage nach der Wahlprüfungsinstanz wird üblicherweise das Wahlprüfungsrecht in ein sogenanntes formelles und ein materielles Wahlprüfungsrecht unterteilt 75 . Das formelle Wahlprüfungsrecht regelt das Verfahren bei der Wahlanfechtung 76, wobei zwischen Rechtsbehelfen innerhalb und außerhalb konkreter Wahlprüfungsverfahren unterschieden werden kann. Hinsichtlich des außerhalb eines konkreten Wahlprüfungsverfahrens statthaften Rechtsschutzes in Wahlangelegenheiten ist die Vorschrift des § 49 BWahlG von zentraler Bedeutung. Nicht so sehr als eine Norm zur Regelung des Verfahrens der Wahlanfechtung als vielmehr als eine Ausschlußklausel77 stellt die Vorschrift den verfassungsrechtlichen „Sündenfair des Wahlprüfungsrechts dar. Sie lautet: „Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, können nur mit den in diesem Gesetz und in der Bundeswahlordnung vorgesehenen Rechtsbehelfen sowie im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden."

74

Vgl. Kretschmer, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 13 Rn. 24; vertiefend zu den drei Stadien vgl. Kretschmer, a.a.O., Rn. 25-29. 75

Vgl. Ruszoly, Der Staat 21 (1982), S. 203 (205).

76

Vgl. Rechenberg, in: BK, Art. 41 Rn. 2.

77

Von Olschewski, Wahlprüfling und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 93, gar als „totale Rechtsschutzverweigerungsnorm" bezeichnet.

2. Abschnitt: Darstellung des Wahlprüfngsrechts

41

Daß diese Vorschrift verfassungsrechtliche Probleme im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG aufwirft, liegt auf der Hand. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hält trotz massiver Kritik aus der Literatur 78 die Vorschrift für verfassungsgemäß. Den damit aufgeworfenen Fragestellungen wird in Kapitel 4 näher nachgegangen.

I Rechtsbehelfe nach dem Bundeswahlgesetz Bevor im folgenden das durch Art. 41 Abs. 1 und 2 GG strukturierte Wahlprüfungsverfahren näher dargestellt wird, sollen noch kurz die durch § 49 BWahlG nicht ausgeschlossenen Rechtsbehelfe nach dem Bundeswahlgesetz vorgestellt werden. Das Bundeswahlgesetz enthält nämlich auch einige „interne" Rechtsbehelfe. Es handelt sich hierbei im wesentlichen um die Beschwerde gegen die Zurückweisung von Kreiswahlvorschlägen und Landeslisten der Parteien (§§ 26 Abs. 2 BWahlG und 28 Abs. 2 BWahlG), den Einspruch und die Beschwerde gegen das Wählerverzeichnis (§ 22 Abs. 1 und 5 BWO) sowie den Einspruch und die Beschwerde gegen die Versagung eines Wahlscheines (§ 31 BWO) 7 9 . Die Durchführung der genannten Rechtsbehelfe ist keine Voraussetzung für die Zulässigkeit des Einspruchs beim Deutschen Bundestag oder der Wahlprüfungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht 80.

II Das Wahlprüfungsverfahren

nach Art, 41 GG

Entsprechend den normativen Vorgaben des Art. 41 Abs. 1 und 2 GG verläuft das eigentliche Wahlprüfungsverfahren auf Bundesebene in zwei aufeinander aufbauenden Phasen. Art. 41 Abs. 1 Satz 1 GG erklärt die Wahlprüfung zunächst zur Sache des Bundestages. Ein Umstand, der bei unbefangener Betrachtungsweise Erstaunen auslösen könnte. Denn die Prüfung der Ordnungsgemäßheit der Wahl durch das

78

Vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 575 f.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 34; Achterberg, ParlamentsR, S. 190; Schenke, NJW 1981, 2440 ff. 79

Vgl. zum Ganzen Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 9.

80

Vgl. Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 9.

42

Kapitel 2: Grundlagen des Wahlprüfngsrechts

eben durch die zu überprüfende Wahl legitimierte Parlament stellt eine Prüfung in eigener Sache dar, der an „normalen" Maßstäben gemessen die Besorgnis der Befangenheit geradezu auf die Stirn geschrieben wäre. Verständlich wird dies allein, wenn man sich die Entstehungsgeschichte der Wahlprüfung vor Augen hält. Die Entwicklung des Wahlprüfungsrechts - und hierbei insbesondere auch die Frage nach der Wahlprüfungsinstanz - ist, wie bereits erwähnt wurde, das Ergebnis einer Ausbalancierung der Machtverhältnisse zunächst zwischen Krone und Parlament und nach Beseitigung der Monarchie zwischen Parlament und Regierung 81. Die Wahlprüfung durch das Parlament stellt dabei ein von diesem erkämpftes Eigenprüflingsrecht dar 82 , das - allerdings in den verschiedensten Varianten - die Deutsche Wahlprüfung begleitet hat und auch gegenwärtig noch begleitet. Während es sowohl in § 112 der - indessen nie praktisch gewordenen Paulskirchenverfassung von 1849 als auch in Art. 27 der Reichsverfassung von 1871 voll zur Geltung gebracht werden konnte, trug die Weimarer Reichsverfassung (WRV) dem nur eingeschränkt Rechnung. Aus Furcht vor allein politisch motivierten Wahlprüfungsentscheidungen 83 und in dem Bewußtsein, daß die Wahlprüfung keine politische, sondern eine richterliche Tätigkeit sein sollte 84 , brach die Weimarer Reichsverfassung mit der tradierten Eigenprüfung durch das Parlament und überantwortete in Art. 31 die Wahlprüfung einem beim Reichstag gebildeten Wahlprüfungsgericht. Dieses bestand gemäß Art. 31 Abs. 2 WRV aus einer gesetzlich nicht geregelten und deshalb im Ermessen der Entsendungsberechtigten85 stehenden Anzahl von Mitgliedern des Reichstags und aus Richtern des Reichs Verwaltungsgerichts. In der Entstehungsgeschichte des Art. 41 GG hat die Furcht vor allein politisch motivierten Entscheidungen ebenfalls die Diskussion beherrscht 86 und zu der Zweispurigkeit der Wahlprü-

81

Vgl. Ball, Materielles Wahlprüflingsrecht, S. 246.

82

Vgl. Ball, Materielles Wahlprüflingsrecht, S. 259; auch H. Meyer, HStR II, § 38 Rn. 59 mit Fn. 175. 83

Vgl. Kaisenberg, HDStR I, § 36, S. 400, der bemängelt, aus politischen Gründen sei "vielfach unverhüllt Macht vor Recht gegangen". 84

Vgl. Anschütz, WRV, Art. 31 Anm. 1.

85

Vgl. Anschütz, WRV, Art. 31 Anm. 4.

86

Vgl. den Schriftlichen Bericht des Abg. Wagner (SPD) zum Entwurf des GG, Drs. Nrn. 850, 854, S. 23; Rechenberg, in: BK, Art. 41 Anm. I, S. 7; dazu auch Benda/Klein, VerfprozR, § 32 Rn. 1092.

2. Abschnitt: Darstellung des Wahlprüfngsrechts

43

fung durch Bundestag und Bundesverfassungsgericht geführt. In den deutschen Bundesländern haben sich - wie weiter unten noch gezeigt werden wird - allerdings andere Wahlprüfungsmodelle ebenso gehalten wie die Vorgaben des Art. 41 GG kopiert bzw. vorweggenommen worden sind 87 .

1. Das Verfahren vor dem Deutschen Bundestag Die verfahrensrechtlichen Regelungen des Wahlprüfungsverfahrens beim Deutschen Bundestag enthält das Wahlprüfungsgesetz. Im Unterschied zur unter der Weimarer Reichsverfassung geltenden Rechtslage88 erfolgt die Wahlprüfung durch den Deutschen Bundestag nicht von Amts wegen, sondern ist gemäß § 2 Abs. 1 WahlprüfG an einen (zulässigen) Einspruch 89 gegen die Wahl gebunden. Gemäß § 2 Abs. 2 WahlprüfG kann jeder Wahlberechtigte, jede Gruppe von Wahlberechtigten und in amtlicher Eigenschaft jeder Landeswahlleiter, der Bundeswahlleiter und der Präsident des Bundestages Einspruch einlegen. § 2 Abs. 2 WahlprüfG enthält damit eine Kombination von privatem und amtlichem Einspruchsrecht, das in der verfassungsrechtlichen Diskussion der Ausgestaltung der Wahlprüfung insbesondere bei den Anforderungen an die Substantiierungslast des Einsprechenden Bedeutung erlangt 90. Nach § 2 Abs. 3 WahlprüfG ist ein Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl schriftlich beim Bundestag einzureichen und zu begründen, wobei der Einspruch gemäß § 2 Abs. 4 WahlprüfG binnen einer Frist von 2 Monaten nach dem Wahltag beim Bundestag eingehen muß. Da das Wahlprüfungsverfahren kein kontradiktorisches Streitverfahren darstellt 91 , kennt es keinen Antrags- oder Beschwerdegegner. Verfahrensbeteiligte sind somit die Beschwerdeführer 92 sowie die Beschwerdeberechtigten, soweit

87

Vgl. unten 2. Abschnitt, B. III.

88

Vgl. Anschütz, WRV, Art. 31 Anm. 3; Kaisenberg, HDStR I, § 36, S. 400 (405): „Offizial verfahren". 89 In terminologischer Hinsicht sei darauf hingewiesen, daß das Gesetz nur hinsichtlich des Verfahrens vor dem Bundestag von Einspruch spricht, vgl. § 2 Abs. 1 WahlprüfG. Das Verfahren vor dem BVerfG kommt demgegenüber durch eine Beschwerde in Gang, vgl. Art. 41 Abs. 2 GG sowie § 48 Abs. 1 BVerfGG. 90

Dazu näher unten in Kapitel 5, 1. Abschnitt, B. III. 3. c) bb) (1).

91

Vgl. BVerfGE 34, 81 (96).

92

Vgl. Geiger, BVerfGG, § 48 Anm. 1.

44

Kapitel 2: Grundlagen des Wahlprüfngsrechts

sie dem Verfahren beitreten 93. Teilweise wird daneben auch der Bundestag als Beteiligter eines Wahlprüfungsverfahrens angesehen94. Die Streitfrage dürfte wenig praktische Relevanz aufiveisen. Nach vielfach vertretener Auffassung bestimmt der zulässigerweise erhobene Einspruch zugleich die Reichweite der Sachprüfung des Bundestags95. Bisweilen wird deshalb formuliert, Streitgegenstand des vor dem Bundesverfassungsgericht geführten Verfassungsrechtsstreits sei allein die Sachentscheidung des Bundestages96. Weil die Prüfungstätigkeit des Bundesverfassungsgerichts als „sekundäres" Wahlprüfungsorgan auf den bereits im parlamentarischen Wahlprüfungsverfahren bestimmten Prüfungs- und Entscheidungsgegenstand bezogen sein müsse, sei das Bundesverfassungsgericht an die im dortigen Verfahren entwickelten Grundsätze gebunden97. Letzteres trifft allerdings in dieser Allgemeinheit nicht zu. Denn zum einen überprüft das Bundesverfassungsgericht den Beschluß des Bundestages nicht nur daraufhin, ob ihm ein zulässiger Einspruch zugrundeliegt, sondern die Prüfungskompetenz bezieht sich auch auf die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundestages98, was bereits ganz allgemein auf die volle Überprüfungskompetenz einer „zweiten Instanz" hindeutet. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht jüngst ausgeführt, eine Wahlprüfungsbeschwerde könne auch dann begründet sein, wenn im Verfahren des Bundestages so wesentliche Mängel auftreten, daß sie dessen Entscheidung die Grundlage entzö-

Zudem ist die Prüfungskompetenz des Gerichts gegenüber derjenigen des Bundestages erweitert. Dies rechtfertigt es, im folgenden bei der Bestimmung

93

Vgl. Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 17.

94

Vgl. Seifert,

BundeswahlR, GG Art. 41 Rn. 19 a.E., allerdings ohne jede Begrün-

dung. 95 Vgl. BVerfGE 70, 271 (276); 66, 369 (378 f.); 40, 11 (30); Seifert, BundeswahlR, § 2 WahlprüfG, Anm. 1, S. 380; Kretschmer, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 13 Rn. 31. 96

Vgl. z.B. Ossenbühl, BVerfG u. GG, Bd. I, S. 458 (478); Seifert, GG, Art. 41 Rn. 20.

BundeswahlR,

97

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 24.

98

Vgl. BVerfGE 89, 243 (249); 89, 291 (299).

99

Vgl. BVerfGE 89, 291 (299).

2. Abschnitt: Darstellung des Wahlprüflingsrechts

45

des Verfahrensgegenstandes der Wahlprüfung entscheidend auf das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht abzustellen. Besondere Schwierigkeiten können nämlich entstehen, wenn ein Beschwerdeführer die Verfassungsmäßigkeit des Wahlgesetzes rügt. Der Bundestag lehnt es in ständiger Praxis ab, Wahlgesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen und stellt in seiner Entscheidung lediglich fest, daß er nicht zuständig ist 1 0 0 . Da aber die Sachentscheidung des Bundestages grundsätzlich Voraussetzung der Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht ist (vgl. § 48 Abs. 1 BVerfGG), könnte ein Beschwerdeführer in die unangenehme Situation geraten, daß der Bundestag in der Sache nicht entscheidet und damit auch dem Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit einer Sachentscheidung genommen sein könnte. Der Beschwerdefuhrer stünde dann gänzlich ohne Möglichkeit da, seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Wahlgesetz im Wahlprüfungsverfahren vorzubringen 101 . Die Praxis des Bundestages, Wahlgesetze nicht auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen, wird in der Literatur unter Hinweis darauf gebilligt, auch der Bundestag sei an Bundesgesetze gebunden, solange diese nicht in einem ordentlichen Verfahren aufgehoben seien 102 . Andere Autoren weisen demgegenüber auf Art. 20 Abs. 3 GG hin 1 0 3 . Zum Teil wird vorgeschlagen, über eine analoge Anwendung des Art. 100 GG zu helfen, um dem Bundestag die Möglichkeit zu eröffnen, ein Wahlgesetz, das er aus verfassungsrechtlichen Bedenken nicht anwenden möchte, durch das Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen104. In der Praxis ist das Problem indessen dadurch entschärft worden, daß das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung des Bundestages, mit der dieser sich für unzuständig erklärt, als Beschwerdegegenstand ausreichen läßt und

100

Kretschmer, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 13 Rn. 55.

101

Die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen das Wahlgesetz ist nach allgemeiner Auffassung nicht ausgeschlossen, vgl. dazu unten Kapitel 4, 2. Abschnitt, B. III. 1. 102

Maunz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 41 Rn. 17.

103

Vgl. Schmitt-Vockenhausen, Die Wahlprüfung in Bund und Ländern, S. 24; Lechner, BVerfGG, § 13 Zif. 3 Anm. 2); v. Mangoldt/Klein, GG, 2. Aufl. 1966, Art. 41 Anm. III. 1. b) sowie die Nachweise bei Rechenberg, in: BK, Art. 41 Rn. 18. 104 Seifert, BundeswahlR, MWPrüfR, S. 415; Karpenstein, Die Wahlprüfling und ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen, S. 40-44.

46

Kapitel 2: Grundlagen des Wahlprüfngsrechts

danach in eine eigene - den vollen Überprüfungsspielraum nutzende - Prüfung eintritt 105 .

2. Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ist im wesentlichen in § 48 Abs. 1 BVerfGG geregelt. Als Beschwerdegegenstand ist dort der Beschluß des Bundestages genannt, wobei aber Aufgabe des Gerichts auch die Prüfung der Gültigkeit der Wahl ist 1 0 6 . Die Beschwerdeberechtigung ist ebenfalls in § 48 Abs. 1 BVerfGG geregelt. Danach sind beschwerdeberechtigt der Abgeordnete, dessen Mitgliedschaft bestritten wird, der Wahlberechtigte, dessen Einspruch verworfen wurde, sofern ihm 100 weitere Wahlberechtigte beitreten, jede Fraktion sowie eine Minderheit des Bundestages, die wenigstens ein Zehntel der gesetzlichen Mitglieder umfaßt. Insbesondere das notwendige Quorum der Unterstützung der Beschwerde durch 100 weitere Wahlberechtigte bei dem Einspruch eines Wahlberechtigten macht deutlich, daß das Beschwerderecht zum Bundesverfassungsgericht deutlich enger gefaßt ist als das Einspruchsrecht beim Bundestag. Üblicherweise werden dagegen stehende Bedenken unter Hinweis auf die Kompetenz des Gesetzgebers in Art. 41 Abs. 3 GG beiseite geschoben107. Diese Argumentation verstellt aber den Blick auf die verfassungsrechtliche Besonderheit des § 48 Abs. 1 BVerfGG. Das Bundesverfassungsgericht ist zwar mehrfach von der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift ausgegangen108. Das ist unter Berücksichtigung der Rechtsprechung, die das Wahlprüfungsverfahren nicht in den Dienst des Schutzes subjektiver Rechte stellt, konsequent und von daher auch nicht zu beanstanden. Die Vorschrift muß allerdings unter Druck geraten, wenn man das Wahlprüfungsverfahren auch dazu bestimmt sieht, den subjektiven Rechtsschutzinteressen in Wahlangelegenheiten gerecht zu werden 109 .

105

Vgl. BVerfGE 2, 300 (305).

106

Vgl. nur Detterbeck, Streitgegenstand, S. 569, wofür im übrigen auch bereits der Wortlaut des § 1 Abs. 1 WahlprüfG streitet. 107 Vgl. Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz u.a., BVerfGG, § 48 Rn. 28; demgegenüber bezeichnet Seifert, BundeswahlR, GG, Art. 41 Rn. 19, die Abgrenzung der Beschwerdebefugnis in § 48 Abs. 1 BVerfGG von der Einspruchsberechtigung in § 2 Abs. 2 WahlprüfG als „reichlich undurchsichtig und willkürlich". 108

Vgl. BVerfGE 1, 430 (432 f.); 22, 277 (281).

109

Vgl. dazu unten Kapitel 5, 1. Abschnitt, B. III. 3. a) dd) (2) (b).

2. Abschnitt: Darstellung des Wahlprüfngsrechts

47

In formaler Hinsicht verlangt § 48 Abs. 1 BVerfGG eine Begründung der Beschwerde innerhalb der ebenfalls in § 48 Abs. 1 BVerfGG normierten - nunmehr auf 2 Monate ausgedehnten - Beschwerdefrist. Diese Frist stellt eine Ausschlußfrist dar. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist damit nicht möglich 110 . Daran hat auch die Novellierung durch das Fünfte Änderungsgesetz zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz vom 2. August 1993 nichts geändert 111. Die in § 93 Abs. 3 BVerfGG neu aufgenommene Möglichkeit eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezieht sich lediglich auf die Urteilsverfassungsbeschwerde. Sie wird in Wahlprüfungsverfahren angesichts des dort vorherrschenden Bedürfnisses, über die Gültigkeit einer Wahl alsbald Klarheit zu erlangen, nicht entsprechend angewendet112. Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht endet in der Regel durch Beschluß 113 , der entsprechend dem Wesen einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung unanfechtbar ist und den Bundestag gemäß § 31 BVerfGG bindet 114 . Die Belastung des Bundesverfassungsgerichts durch Wahlprüfungsbeschwerden ist im Vergleich zu derjenigen durch Normenkontrollklagen und insbesondere durch Verfassungsbeschwerdeverfahren außerordentlich gering 115 .

III. Landesrechtliche

Wahlprüfungsverfahren

Die Rechtslage in den Bundesländern ist unterschiedlich.

110 Magiera, in: Sachs, GG, Art. 41 Rn. 13; Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 35, unter Berufung auf die Entscheidung BVerfGE 4, 309 (313 ff.), die allerdings in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren ergangen ist. 111

Vgl. BGBl. I, S. 1173. Die Neufassung des BVerfGG ist am 11. August 1993 in BGBl. 1123 bekannt gemacht worden. 112

Vgl. F aller, FS für Benda, S. 43 (51 f.); Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 48 Rn. 35.

in: Maunz u.a.,

113

Zwar wäre auch ein Abschluß des Verfahrens durch ein Urteil möglich. In den bisherigen Verfahren hat das Bundesverfassungsgericht jedoch stets auf eine mündliche Verhandlung verzichtet und die Wahlprüfungsbeschwerden durch Beschluß entschieden. 114 115

Vgl. v. Mangoldt/Klein/Achterberg/Schulte,

GG, Art. 41 Rn. 57.

Vgl. Faller, FS Benda, S. 43, von den in den Jahren 1951 bis 1994 beim BVerfG anhängig gemachten 95944 Verfahren betrafen allein 91813 Verfassungsbeschwerdeverfahren. Demgegenüber hatte sich das Gericht bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit lediglich 85 Wahlprüfungsbeschwerden (Zahlen bei Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 20) zu befassen.

Kapitel 2: Grundlagen des Wahlprüflingsrechts

48

Nach Art. 31 Abs. 1 der Verfassung Baden-Württembergs vom 11. November 1953 ist die Wahlprüfung Sache des Landtages. Dessen Entscheidungen können nach Abs. 2 beim Staatsgerichtshof angefochten werden. Die Anfechtungsberechtigung ist in § 52 Abs. 1 lit. b) des bad.-württ. StGHG wie im Bund an den Beitritt weiterer 100 Wahlberechtigter gebunden116. Nach Art. 33 der Landesverfassung Bayerns vom 2. Dezember 1946 obliegt die Wahlprüfling dem Landtag. Wird die Gültigkeit der Wahl bestritten, entscheidet der Bayerische Verfassungsgerichtshof. Die Antragsberechtigung ist in Art. 48 Abs. 1 des bay. VerfGHG geregelt. Der einzelne Wähler ist nicht - auch nicht über die Bindung an ein Quorum - antragsbefugt. Die neue Verfassung Berlins vom 23. November 1995 erwähnt die Wahlprüfling ebensowenig wie diejenige vom 1. September 1950. § 14 Nr. 2 und 3 des beri. VerfGHG weist allerdings dem Verfassungsgerichtshof die Entscheidung über Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahl zum Abgeordnetenhaus sowie den Bezirksversammlungen zu. § 40 des gleichen Gesetzes gestaltet die Wahlprüfung näher aus und enthält eine Kombination von an sich beachtlichen Wahlfehlern sowie in den sonstigen Fällen den Grundsatz, daß sich die dort genannten Wahlfehler auf das Ergebnis ausgewirkt haben müssen. Von Interesse ist die Regelung in § 40 Abs. 2 Nr. 1 des beri. VerfGHG, die die rechtswidrige Zurückweisung eines Wahlvorschlags oder eines Bewerbers betrifft. In solchen Fallkonstellationen kann gemäß § 42 Nr. 1 des beri. VerfGHG die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs nur auf Ungültigkeit der Wahl im Wahlgebiet, Bezirk (Wahlkreisverband) oder im Wahlkreis und auf Anordnung der Zulassung des Wahlvorschlags oder des Bewerbers lauten, wobei der bisherige Bewerber gestrichen wird 1 1 7 . Die Einspruchsberechtigung ist in § 40 Abs. 3 beri. VerfGHG je nachdem, welcher Wahlfehler gerügt wird, differenziert ausgestaltet. Brandenburg überantwortet in Art. 63 seiner Verfassung vom 20. August 1992 die Wahlprüfling dem Landtag, gegen dessen Entscheidung die Beschwerde an das Landesverfassungsgericht zulässig ist. Abs. 3 enthält einen Gesetzesvorbehalt. Dieser ist durch das brand. WahlprüfG ausgefüllt. Dort sind

116

Zu beachten ist allerdings, daß nach § 52 Abs. 1 lit. b) im Unterschied zur Rechtslage auf Bundesebene auch Gruppen von Wahlberechtigten beschwerdebefligt sind, freilich gilt auch insoweit das Beitrittserfordernis. 1,7

Vgl. zu dadurch aufgeworfenen Rechtskraft- und Tenorierungsfragen unten Kapitel 5, 2. Abschnitt, Β. I. 2. Zum Verhältnis der Regelung zum Grundsatz der Mandatsrelevanz vgl. Versteyl, ZParl 1976, 65 (67 f.).

2. Abschnitt: Darstellung des Wahlprüfngsrechts

49

in § 4 die Anfechtungsgründe geregelt, die zumeist nur zum Einspruch berechtigen, wenn der gerügte Wahlfehler mandatsrelevant geworden ist. § 59 Abs. 1 Nr. 2 des brand. VerfGG regelt die Anfechtungsberechtigung hinsichtlich der Beschwerde eines Wahlberechtigten wie im Bund 1 1 8 . Die Bremer Verfassung vom 21. Oktober 1947 enthält ebensowenig wie das bremische Verfassungsgerichtshofsgesetz eine Regelung über die Wahlprüfung. Nach § 1 des bremischen Wahlprüfungsgesetzes wird beim Abgeordnetenhaus ein besonderes Wahlprüfungsgericht gebildet, dem die Wahlprüfung obliegt. Grundsätzlich gilt, daß sich der gerügte Wahlfehler auf die Sitzverteilung ausgewirkt haben muß, vgl. § 3 Abs. 2 brem. WahlprüfG. Ausnahmsweise kann gemäß § 3 Abs. 2 lit a) brem. WahlprüfG - insoweit der Regelung in Berlin vergleichbar - der Einspruch auch darauf gestützt werden, daß ein Wahlvorschlag oder ein Bewerber zu Unrecht nicht zugelassen wurde. Hamburg regelt die Wahlprüfung in Art. 9 der Landesverfassung vom 6. Juni 1952. Die Bürgerschaft entscheidet zunächst über die Gültigkeit der Wahl. Gegen deren Entscheidung kann „der Betroffene" das Hamburgische Verfassungsgericht anrufen. In § 47 hamb. VerfGG ist die Beschwerdeberechtigung näher ausgestaltet. Bemerkenswert ist, daß dort auch ein einzelner Bürger, das heißt ohne das Quorum 100 weiterer Wahlberechtigter, beschwerdeberechtigt ist, vgl. § 47 Nr. 1 hamb. VerfGG. Nach Art. 78 Abs. 1 der Verfassung Hessens vom 1. Dezember 1946 entscheidet über die Gültigkeit der Wahlen ein beim Landtag gebildetes Wahlprüfungsgericht. Nach § 15 Abs. 1 hess. WahlprüfG entscheidet das Wahlprüfungsgericht durch Urteil: a) über die Gültigkeit oder Ungültigkeit der gesamten Wahl in einem Wahlbezirk b) über die Gültigkeit oder Ungültigkeit einer bestimmten Anzahl von Stimmzetteln. Buchstabe b) deutet dabei auf eine nicht allein auf die Mandatsrelevanz gerügter Wahlfehler bezogene Wahlprüfung hin. Einspruchsberechtigt ist gemäß § 7 Abs. 1 hess. WahlprüfG jeder Wahlberechtigte.

118

Ansonsten ist nach der brandenburgischen Rechtslage auch eine Gruppe von Wahlberechtigten beschwerdebefugt. 4 Lang

50

Kapitel 2: Grundlagen des Wahlprüfngsrechts

In der Landesverfassung von Mecklenburg-Vorpommern vom 23. Mai 1993 ist die Wahlprüfung in Art. 21 zur Sache des Landtages erklärt. Gegen dessen Entscheidung kann das Landesverfassungsgericht angerufen werden. § 48 Abs. 1 Nr. 2 m.-v. VerfGG verlangt den Beitritt von 100 Wahlberechtigten zu der Beschwerde eines Wahlberechtigten. In der Niedersächsischen Verfassung vom 19. Mai 1993 ist die Wahlprüfung in Art. 11 geregelt. Nach Art. 11 Abs. 2 Satz 1 prüft der Landtag auf Antrag die Gültigkeit der Wahl. Nach Abs. 4 können die Entscheidungen beim Staatsgerichtshof angefochten werden. Nach § 20 Abs. 1 StGHG ist gegen die Entscheidung des Landtages die Beschwerde an den Staatsgerichtshof gegeben. Bemerkenswert ist, daß auch hier in § 20 Abs. 2 lit. a) ein einzelner Wahlberechtigter ohne jedes Beitrittserfordernis beschwerdeberechtigt ist. Nach Art. 33 der Landesverfassung Nordrhein-Westfalens vom 28. Juni 1950 ist die Wahlprüfung Sache des Landtages. Dessen Entscheidungen können beim Landesverfassungsgericht angefochten werden. Nach § 1 nordrh.-westf. WahlprüfG findet eine Überprüfung der Gültigkeit der Wahl nur auf Einspruch statt. Einspruchsberechtigt ist gemäß § 3 des Gesetzes ein einzelner, sofern seinem Einspruch 50 weitere Wahlberechtigte schriftlich zustimmen. § 5 nordrh.-westf. WahlprüfG stellt bei den Anfechtungsgründen überwiegend auf die Mandatsrelevanz ab. In Rheinland-Pfalz ist gemäß Art. 82 der Verfassung vom 18. Mai 1947 die Wahlprüfung einem beim Landtag zu bildenden Wahlprüfungsausschuß überantwortet, gegen dessen Entscheidung die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gegeben ist. Die Beschwerdeberechtigung ist im rheinl.-pfälz. WahlprüfG geregelt. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes ist jeder, dessen Wahlbeanstandung zurückgewiesen wurde, beschwerdeberechtigt, wobei § 13 Abs. 1 Nr. 3 auch Parteien als beschwerdebefiigt ansieht. Als Ausdruck des Offizialprinzips interessant ist die Regelung in § 28a Abs. 3 VerfGHG, wonach die Wahlbeanstandung und die Wahlprüfungsbeschwerde (nur) mit Zustimmung des Verfassungsgerichtshofs zurückgenommen werden können. Art. 75 der Verfassung des Saarlandes vom 15. Dezember 1947 folgt in seinem Aufbau Art. 41 GG. Nach Art. 75 Abs. 1 der Landesverfassung prüft und entscheidet der Landtag über die Gültigkeit der Wahl, wobei Satz 2 auch die Wahlprüfung im engeren Sinne einbezieht. Nach Abs. 2 des Art. 75 können die Entscheidungen des Landtages beim Verfassungsgerichtshof angefochten werden. Die Anfechtungsberechtigung ist in § 38 Abs. 1 VerfGHG wie im Bund, also mit einem Quorum von 100 weiteren Wahlberechtigten, ausgestaltet.

2. Abschnitt: Darstellung des Wahlprüfngsrechts

51

Die Verfassung Sachsens vom 27. Mai 1993 regelt die Wahlprüfung in Art. 45 ebenfalls in Anlehnung an Art. 41 GG. Gegen die Entscheidung des Landtages ist die Beschwerde zum Verfassungsgerichtshof zulässig. Die Beschwerdebefugnis ist in § 32 VerfGHG geregelt, wobei nach Nr. 2 die Beschwerde eines einzelnen Wahlberechtigten nicht an ein Beitrittserfordernis geknüpft ist. Die Verfassung Sachsen-Anhalts vom 16. Juli 1992 regelt die Wahlprüfung in Art. 44. Nach Abs. 1 prüft der Landtag auf Antrag die Gültigkeit der Wahl und gemäß Abs. 3 besteht gegen dessen Entscheidungen die Möglichkeit, das Landesverfassungsgericht anzurufen. Beschwerdebefugt ist gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 1 VerfGG jede wahlberechtigte Person, wenn ihr mindestens 100 Wahlberechtigte beitreten. Schleswig-Holstein geht einen Sonderweg. Nach Art. 3 Abs. 3 der Verfassung vom 13. Dezember 1949 steht die Wahlprüfung den Volksvertretungen jeweils für ihr Wahlgebiet zu. Nach Abs. 3 S. 2 unterliegen deren Entscheidungen der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung. Hierfür ist gemäß § 43 Abs. 2 des schlesw.-holst. WahlG das Oberverwaltungsgericht zuständig. Nach § 44 Abs. 1 des gleichen Gesetzes kann jeder oder jede Wahlberechtigte gegen die Gültigkeit der Wahl Einspruch erheben. Die Verfassung Thüringens vom 25. Oktober 1993 regelt die Wahlprüfung in Art. 49. Nach Abs. 3 prüft der Landtag die Gültigkeit der Wahl. Nach Art. 80 Abs. 1 Nr. 8 entscheidet der Verfassungsgerichtshof über die Anfechtung der Prüfung der Gültigkeit der Landtagswahl nach Art. 49 Abs. 3, wobei der Regelungsgehalt des Art. 80 in § 11 Nr. 8 des thür. VerfGG wiederholt wird. Die Beschwerdebefugnis in § 48 des thür. VerfGG entspricht der Regelung auf Bundesebene. Diese kleine Zusammenschau der Rechtslage in den Bundesländern verdeutlicht, daß für die in der vorliegenden Untersuchung aufgeworfenen Fragen ein Rückgriff auf Gewohnheitsrecht nicht in Betracht kommt. Bereits im Hinblick auf die Instanz, der die Wahlprüfung überantwortet ist, differieren die gesetzlichen Regelungen. Während teilweise in Parallele zur bundesrechtlichen Regelung die Wahlprüfung zunächst dem Parlament selbst übertragen wird und die Verfassungsgerichte erst als „zweite" Instanz eingreifen 119 , sehen andere Ver-

Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hamburg, MecklenburgVorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

52

Kapitel 2: Grundlagen des Wahlprüfngsrechts

fassungen die Bildung besonderer Wahlprüfungsgerichte 120 oder gar die Übertragung der Wahlprüfung auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit vor 1 2 1 . Ähnlich unterschiedlich sind auch die Regelungen hinsichtlich der Rechtsfolgen festgestellter Wahlfehler und der Beschwerdeberechtigung. Insoweit gilt festzuhalten, daß weder überall ein Beitrittserfordernis für notwendig gehalten wird, welches etwa in Hamburg, Niedersachsen und Sachsen völlig fehlt und in Nordrhein-Westfalen nur abgemildert zur Anwendung kommt, noch auch nur von einer einheitlichen Geltung des Erheblichkeitsgrundsatzes ausgegangen werden kann. Es ist deshalb bezogen auf das Landeswahlprüfungsrecht nicht haltbar, von einer gewohnheitsrechtlichen Herausbildung der Maßstäbe, die im Wahlprüfungsverfahren zur Geltung gebracht werden, zu sprechen.

C. Materielles Wahlprüfungsrecht Die dritte große Fragestellung des Wahlprüfungsrechts, die unter dem Stichwort „materielles Wahlprüfungsrecht" abgehandelt wird, lautet: Wann liegt ein Wahlfehler vor und welche Rechtsfolgen sollen aus einem festgestellten Wahlfehler erwachsen? 122 Die verfassungsrechtliche Grundlage findet sich in Art. 41 Abs. 3 GG. Von der dort geregelten Ermächtigung hat der Bundesgesetzgeber keinen Gebrauch gemacht, so daß zumeist formuliert wird, die Entwicklung des materiellen Wahlprüfungsrechts sei der Praxis überlassen worden 123 . Relativierend ist indes darauf hinzuweisen, daß zwar keine gesetzliche Definition des Wahlfehlers vorliegt, dadurch auftretende Schwierigkeiten aber abgemildert werden, weil als Wahlfehler jede Normwidrigkeit, die das Wahl verfahren berührt, angesehen wird 1 2 4 . Von der wenig praktischen Ausnahme eines Verstoßes gegen Gewohnheitsrecht abgesehen, ist damit zumindest für die Beurteilung eines Wahlfehlers eine gesetzliche Grundlage gegeben. Etwas anderes gilt allerdings hinsichtlich der Frage der Rechtsfolge festgestellter Wahlfehler, wo in der Tat jede Kodifi-

120

So in Bremen, Hessen sowie in Rheinland-Pfalz.

121

So allerdings nur in Schleswig-Holstein.

122 Vgl. Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz u.a., BVerfGG, § 13 Rn. 42; Karpenstein, Die Wahlprüfung und ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen, S. 20. 123

So von Seifert, BundeswahlR, MWPrüfR, S. 396.

124

Vgl. Hüfler, Wahlfehler und ihre materielle Würdigung, S. 13.

2. Abschnitt: Darstellung des Wahlprüfngsrechts

53

kation fehlt. Bevor in Kapitel 3 auf die hierzu durch die Praxis entwickelten Kernsätze eingegangen wird, seien noch die wenigen gesetzlichen Grundlagen des materiellen Wahlprüfungsrechts erwähnt, soweit sie das Vorliegen eines Wahlfehlers betreffen, wobei die verfassungsrechtlichen Normierungen im Vordergrund stehen.

I. Vorliegen eines Wahlfehlers 1. Die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 GG Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG enthält fünf Wahlrechtsgrundsätze. Danach müssen die Wahlen zum Deutschen Bundestag allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim sein. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wäre es unmöglich, sämtliche Probleme, die durch die Mißachtung dieser Grundsätze aufgeworfen werden, darzustellen. Insoweit darf auf die einschlägige Kommentarliteratur verwiesen werden. Für die hier interessierende Frage des subjektiven Wahlrechtsschutzes genügen einige grundsätzliche Bemerkungen. Allgemeinheit der Wahl bedeutet, daß prinzipiell alle Staatsbürger an der Wahl teilnehmen können 125 . In Art. 38 Abs. 2 GG ist die Wahlberechtigung an das Erreichen einer Altersgrenze gebunden, deren Berechtigung zunehmend unter den Stichworten „Kinder- bzw. Minderjährigenwahlrecht" diskutiert wird 1 2 6 . Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG verlangt weiterhin eine unmittelbare Wahl. Unmittelbarkeit bedeutet zunächst das Verbot des Wahlmännersystems. Ausgeschlossen ist damit jedes Wahl verfahren, bei dem zwischen Wähler und Wahlbewerber nach der Wahlhandlung eine Instanz tritt, welche die Abgeordneten nach ihrem Ermessen auswählt 127 . Verfassungsrechtlich unzulässig ist darüber hinaus aber auch eine reine Parteienwahl, das heißt eine Wahl, bei der die

125

Vgl. Seifert, BundeswahlR, GG, Art. 38 Rn. 5.

126

Zum Kinderwahlrecht vgl. v. Münch, NJW 1995, 3165 f.; befürwortet von Low, Verfassungsgebot Kinderwahlrecht?, FuR 1993, 25 ff.; ablehnend M. Pechstein, Wahlrecht für Kinder?, FuR 1991, 142 ff.; zu der Entwicklung der Altersgrenzen im Wahlrecht vgl. Groß-Bölting, Altersgrenzen im Wahlrecht, 1993; zum Problem s.a. M. Herdegen, Die Aufnahme besonderer Rechte des Kindes in die Verfassung, FamRZ 1993, 374 ff.; vertiefend U. Fehnemann, Die Innehabung und Wahrnehmung von Grundrechten im Kindesalter, Berlin 1983. 127

Magiera, in: Sachs, GG, Art. 38 Rn. 83.

54

Kapitel 2: Grundlagen des Wahlprüflingsrechts

Wähler nicht die Abgeordneten, sondern Parteien wählen, die dann ihrerseits die Abgeordneten auswählen128. Der Grundsatz der freien Wahl bedeutet, daß der Akt der Stimmabgabe frei von Zwang und unzulässigem Druck bleibt 129 . Dabei ist die Freiheit der Wahl ein Grunderfordernis eines demokratischen Wahlrechts; fehlt sie, liegt infolgedessen gar keine Wahl vor 1 3 0 . Der Grundsatz der Wahlgleichheit besagt nach einer vom Bundesverfassungsgericht verwandten Formel, daß jedermann sein Wahlrecht in formal möglichst gleicher Weise ausüben können soll 1 3 1 . Bezogen auf das aktive Wahlrecht bedeutet der Grundsatz, daß jeder Wähler die gleiche Stimmenzahl hat (gleicher Zählwert) und jede Stimme bei der Umsetzung der Stimmen in die Zuteilung von Parlamentssitzen berücksichtigt wird (gleicher Erfolgswert) 132 . Für das passive Wahlrecht bedeutet Wahlgleichheit die Chancengleichheit aller Wahlbewerber 133. Die Geheimheit der Wahl schließlich schützt vor der Offenbarung, wie jemand wählen will* wählt oder gewählt hat 134 .

128

Vgl. v. Münch, in: v. Münch, GGK II, Art. 38 Rn. 24. Zur Probelmatik der Listenwahl vgl. BVerfGE 3, 45 (49 f.); 7, 63 (68 f.); 7, 77 (85) sowie Magiera, in: Sachs, GG, Art. 38 Rn. 84: „...zulässig, sofern die Wähler dabei das letzte und entscheidende Wort haben". 129

BVerfGE 44, 125(139).

130

Vgl. v. Münch, in: v. Münch, GGK II, Art. 38 Rn. 30. Zur Problematik einer Wahlpflicht durch einfaches Gesetz vgl. verneinend Frenz, ZRP 1994, 91; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 38 Rn. 7; v. Münch, StaatsR I, Rn. 164; Schreiber, WahlR, § 1 Rn. 13; bejahend Maunz, in: Maunz-Dürig, Art. 38 Rn. 32; Mertens, FS Broermann, S. 301 (315); Schneider, in: AK, GG, Art. 38 Rn. 47; Zippelius, Allg. Staatslehre, § 24 I, S. 193. 131

Vgl. BVerfGE 79, 161 (166); 82, 322 (337).

132

Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 38 Rn. 8.

133

Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 38 Rn. 8. Zur Problematik der 5% Sperrklausel des § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG vgl. bereits BVerfGE 1, 208 (248 ff.) sowie 82, 322 (338). In Art. 26 Abs. 2 der Landesverfassung Berlins vom 23. November 1995 ist die Sperrklausel mit Verfassungsrang ausgestattet. 134

Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 38 Rn. 10. Zu Eingriffen in die Geheimheit der Wahl infolge der Briefwahl vgl. BVerfGE 59, 119 (127).

2. Abschnitt: Darstellung des Wahlprüfngsrechts

55

Die in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG normierten fünf Wahlrechtsgrundsätze gelten „als allgemeine Rechtsprinzipien" jedenfalls für Wahlen zu Volksvertretun-

2. Einfachgesetzliche Regelungen von Wahlfehlern Daneben sind die Vorschriften des Bundeswahlgesetzes, der Bundeswahlordnung und sonstige einschlägige Vorschriften wie das Parteiengesetz oder das Strafgesetzbuch zu nennen 136 .

3. Der strafrechtliche Wahlrechtsschutz Der strafrechtliche Wahlrechtsschutz findet sich im 4. Abschnitt des StGB (§§ 105-108e). Pönalisiert sind im einzelnen die Wahlbehinderung (§ 107 StGB), die Wahlfälschung (§ 107a StGB), die Fälschung von Wahlunterlagen (§ 107b StGB), die Verletzung des Wahlgeheimnisses (§108 StGB), die Wählertäuschung (§ 108a StGB), die Wählerbestechung (§ 108b StGB) sowie die Abgeordnetenbestechung (§ 108e StGB). Den Geltungsbereich der wahlrechtlichen StrafVorschriften regelt § 108d StGB. Danach beanspruchen die genannten Schutzvorschriften umfassende Geltung für Wahlen zu den Volksvertretungen, für die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments, für sonstige Wahlen und Abstimmungen des Volkes im Bund, in den Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden sowie für Urwahlen in der Sozialversicherung. In bezug auf den strafrechtlichen Wahlrechtsschutz sei im Hinblick auf die in Kapitel 3 näher dargestellte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im sogenannten „Wahlgeschenke-Fall" 137 auf folgendes hingewiesen. Dort hatte die CDU an alle wahlberechtigten Hausfrauen eines Wahlkreises Kunststoff-

135 Vgl. BVerfGE 13, 54 (91 f.); 41, 1 (12); 47, 253 (276 f.); 60, 162 (167). Zu Wahlen im Bereich der Sozialversicherung vgl. BVerfGE 30, 227 (246), der Personalvertretung vgl. BVerfGE 60, 162 (169 ff.) und der Arbeitnehmerkammern vgl. BVerfGE 71, 81 (94 f.), jeweils zwingende Geltung der Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit. 136

Vgl. zu dieser Aufzählung Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 14, der auch noch die BWahlGV anführt. 137

Vgl. BVerfGE 21, 196 ff. sowie unten Kapitel 3, 2. Abschnitt, Β. II. 1.

Kapitel 2: Grundlagen des Wahlprüfngsrechts

56

Schneidebrettchen versandt, auf die auf der Rückseite ein Werbezettel der CDU aufgeklebt war. Nach § 108b Abs. 1 StGB wird bestraft, wer über Geschenke oder andere Vorteile einen anderen zu bewegen sucht, in einem bestimmten Sinne zu wählen. Der Vorteilsbegriff in § 108b StGB entspricht demjenigen des § 331 StGB 1 3 8 , so daß es auf einen bestimmten materiellen Wert nicht ankommt 139 . Andererseits muß um eine Ausuferung des Tatbestandes der Wählerbestechung zu verhindern, die Abgabe kleiner Wahlgeschenke, wie Kugelschreiber, Fähnchen etc. als sozialadäquates Verhalten von den Geschenken im Sinne des § 108b StGB abgegrenzt werden. Unter Beachtung dieser Maßstäbe dürfte indes die Versendung von Kunststoff-Schneidebrettchen im Jahre 1965 rechtlich nicht unbedenklich sein, auch wenn nicht anzunehmen ist, daß der strafrechtliche Wahlrechtsschutz geeignet ist, die aufgeworfenen Probleme des Wahlprüfungsrechts zu lösen. Deshalb kann bei der Diskussion der Frage, ob nur mandatsrelevante Wahlfehler zu einem Eingreifen der Wahlprüfungsorgane fuhren können, auch nicht der Standpunkt eingenommen werden, der Schutz vor nicht mandatsrelevanten Wahlfehlern solle dem Strafrecht vorbehalten bleiben. Überdies stellt nicht jede Wahlrechtsverletzung zugleich auch ein pönalisiertes Verhalten dar. Darüber hinaus bedeutet eine strafrechtliche Verurteilung zumindest keinen direkten Rechtsschutz für denjenigen, der von dem in Rede stehenden Wahlfehler betroffen ist. Zudem zeigt gerade die angeführte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im sog. „Wahlgeschenke-Fall", daß das Gericht zu Recht wenig Neigung verspürt, den strafrechtlichen Aspekt im Wahlprüfungsverfahren überzubewerten 140.

IL Rechtsfolgen festgestellter

Wahlfehler

Welche Rechtsfolge aus einem Wahlfehler zu ziehen ist, ist in den deutschen Verfassungen zumeist nicht geregelt. Das materielle Wahlprüfungsrecht ist - worauf bereits hingewiesen wurde auch unter der Geltung des Grundgesetzes - wie bereits in den Vorläuferverfassungen und nahezu allen anderen europäischen Staaten (Ausnahmen in England

138

Vgl. Dröher/Tröndle,

StGB, § 108 b Rn. 4.

139

Vgl. Dröher/Tröndle,

StGB, § 331 Rn. 11.

140

Der Senat ließt es dahinstehen, ob die Versendung der Schneidebrettchen überhaupt einen Wahlfehler darstellte, vgl. BVerfGE 21, 196 (199).

2. Abschnitt: Darstellung des Wahlprüfngsrechts

57

1883 und Ungarn 1899) 141 - nicht gesetzlich geregelt. Dieses Fehlen einer geschlossenen Kodifikation der Rechtssätze, nach denen über die Aufhebung einer Wahl zu entscheiden ist, wird - worauf ebenfalls bereits hingewiesen wurde allgemein als Indiz dafür angesehen, der Gesetzgeber habe die Entwicklung des materiellen Wahlprüfungsrechts der Praxis überlassen wollen 142 . Und Seifert konstatiert, es habe sich in diesem Bereich ein gewisses Gewohnheitsrecht entwickelt, das die Wahlprüfung konturiere 143 . Es bietet sich daher an, die Rechtsprechung daraufhin zu untersuchen, ob sie gesicherte Regeln für die Annahme eines Wahlfehlers und die daraus zu ziehenden Konsequenzen entwickelt hat.

141

Vgl. Ruszoly, Der Staat 21 (1982), S. 203 (228).

142

Vgl. bereits Seifert, DÖV 1953, 145 (147) sowie dens., BundeswahlR, MWPrüfR,

S. 396. 143

Vgl. Seifert, BundeswahlR, MWPrüfR, S. 398.

Kapitel

3

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Wahlprüfungsverfahren In diesem Kapitel soll die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum materiellen Wahlprüfungsrecht untersucht werden. Bei diesem stehen - wie bereits erwähnt - zwei Fragen im Vordergrund: Welche Handlungen, Umstände etc. werden als Wahlfehler angesehen, und welche Rechtsfolgen sind aus solchen Wahlfehlern zu ziehen. Dabei besteht die Schwierigkeit einer Auswertung der zu diesem Fragenkreis ergangenen Rechtsprechung zunächst darin, daß das Bundesverfassungsgericht sich zu wahlrechtlichen Sachverhalten nicht nur im Rahmen von Wahlprüfungsbeschwerden geäußert hat. Namentlich zahlreiche Verfassungsbeschwerden1, aber auch Organstreitverfahren 2, Normenkontrollklagen 3 und sogar einstweilige Anordnungen 4 gaben dem Gericht die Gelegenheit, zu wahlrechtlich relevanten Fragen Stellung zu nehmen. Gleichwohl soll auf diese Entscheidungen hier nur am Rande und soweit eingegangen werden, als sie zu der im Vordergrund der Untersuchung stehenden Frage einer Gewährung subjektiven Rechtsschutzes im Wahlprüfungsverfahren etwas beitragen. Dem steht häufig entgegen, daß diese Verfahren andere Streitgegenstände als das Wahlprüfungsverfahren aufweisen. Andererseits sind Ausführungen des Gerichts zum Ausschluß des subjektiven Rechtsschutzes außerhalb eines konkreten Wahlprüfiingsverfahrens im Rahmen

1

Vgl. etwa BVerfGE 89, 119 ff.: „Radiosendezeiten für DVU"; 85, 148 ff.: „Überprüfung der Wahlprüfiingsentscheidung des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichts"; 63, 230 ff.: „Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung"; 63, 251: „Verteilung von Sendezeiten für Wahl Werbespots"; 51, 222 ff.: „Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der 5%-Klausel"; 47, 253 ff.; 41, 399 ff.; 34, 81: „Überprüfung der Wahlprüfiingsentscheidung des rheinland-pfälzischen Verfassungsgerichts"; vgl. außerdem BVerfGE 29, 154 ff.; 24, 289 ff.; 15, 165 ff.; 14, 121 ff.; 13, 127 ff.; 13, 204 ff.; 13, 243 ff.; 12, 33 ff.; 12, 200 ff.; 11, 266 ff.; 11, 351 ff.; 7, 63 ff.; 6, 121 ff.; 6, 376 ff.; 6, 445; 5, 77 ff.; 4, 142 ff.; 3, 19 ff.; 3, 39 ff.; 3, 383 ff. 2

Vgl. etwa BVerfGE 83, 156 ff.; 67, 65 ff.; 44, 125: „Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung"; 27, 10 ff.; 6, 84 ff.; 6, 99 ff.; 6, 367 ff.; 4, 375 ff.; 1, 208 ff. 3 Vgl. BVerfGE 6, 104 ff, wobei hierzu auch die Vorlagen nach Art. 100 GG gerechnet werden, vgl. z.B. BVerfGE 71, 81 ff.; 41, 1 ff.; 7, 77 ff; 3, 45 ff. 4

Vgl. BVerfGE 11, 306 ff.; 11, 329 ff.; 7, 367 ff.; 7, 374 ff.; 3, 41 ff.

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

59

von Wahlprüfungsbeschwerden naturgemäß selten5. Stellungnahmen des Gerichts zu diesem Fragenkreis, insbesondere zu der Vereinbarkeit des gänzlichen Ausschlusses subjektiven Wahlrechtsschutzes mit der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, finden sich häufig in Verfassungsbeschwerdeverfahren, die insoweit in die Auswertung einbezogen sind. Wenn in der vorliegenden Arbeit das Hauptaugenmerk auf die Wahlprüfungsbeschwerden gelegt wird, so rechtfertigt sich dies aufgrund der Überlegung, daß das Anliegen, den Schutz subjektiver Rechte in Wahlangelegenheiten zu untersuchen, entscheidend vom Verständnis des Verfahrensgegenstandes des Wahlprüfungsverfahrens abhängt. Dabei soll die Auswertung der Rechtsprechung auch dazu dienen, dieses Verständnis des Bundesverfassungsgerichts nachzuzeichnen und in Kapitel 5 kritisch zu hinterfragen. Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich deshalb mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht als dem in Wahlprüfungsverfahren letztlich entscheidenden Wahlprüfiingsorgan. Dabei soll der Versuch unternommen werden, die in Wahlprüfungsverfahren ergangenen Entscheidungen des Gerichts zu systematisieren. Der erste Abschnitt ist dabei den unzulässigen Wahlprüfungsbeschwerden gewidmet. Im zweiten Abschnitt folgt eine Darstellung der Sachentscheidungen, wobei insbesondere den vom Bundesverfassungsgericht dargelegten Rechtsfolgen festgestellter oder jedenfalls nicht sicher ausschließbarer Wahlfehler besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden soll. Hieran schließt sich eine Auswertung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Wahlprüfungsverfahren an, in der die Kernaussagen des Gerichts zum Wahlprüfungsrecht sowie das Spannungsverhältnis zu Art. 19 Abs. 4 GG dargelegt werden.

5 Vgl. aber BVerfGE 22, 267 ff. Der in einem Wahlprüfungsverfahren ergangene Beschluß verhält sich zwar ebenfalls nicht selbst zum Ausschluß sonstigen Rechtsschutzes, nimmt aber mit der Entscheidung BVerfGE 14, 154 (155) Ausführungen zu dieser Fragestellung in Bezug, die das BVerfG dort im Rahmen eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens gemacht hatte.

60

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

1. Abschnitt

Prozeßentscheidungen Von den insgesamt 85 Wahlprüflingsbeschwerden, mit denen das Bundesverfassungsgericht befaßt wurde 6 und von denen - soweit ersichtlich - 54 veröffentlicht worden sind, hatten 26 Entscheidungen bereits unzulässige Wahlprüfungsbeschwerden zum Gegenstand7. Schlüsselt man diese Entscheidungen weiter nach Unzulässigkeitsgründen auf, so zeigt sich, daß dabei die fehlende Beschwerdebefugnis sowie die Nichterreichung des Quorums des § 48 Abs. 1 BVerfGG dominieren. Bei den zwölf Entscheidungen, bei denen den Beschwerdeführern die notwendige Beschwerdebefugnis fehlte, stehen Wahlprüfungsbeschwerden von Parteien oder politischen Gruppierungen im Vordergrund, welchen das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die Beschwerdebefugnis in wortgetreuer Interpretation des § 48 Abs. 1 BVerfGG verwehrt 8. Bereits in seinem Beschluß vom 10. Juni 1953 hat das Bundesverfassungsgericht unter Berufung auf den Wortlaut des § 48 Abs. 1 BVerfGG zudem entschieden, daß derjenige Abgeordnete, der ein Mandat erstreiten will im Gegensatz zu demjenigen, dessen Mandat bestritten wird, nicht beschwerdebefugt ist 9 . Im Ergebnis hat diese Rechtsprechung dazu geführt, daß Verletzungen des passiven Wahlrechts im Wahlprüfungsverfahren bereits mangels Beschwerdebefugnis nicht gerügt werden können. Die Literatur geht davon aus, daß sich das Quorum des § 48 Abs. 1 BVerfGG, wonach eine Wahlprüfungsbeschwerde nur zulässig ist, wenn ihr weitere 100 Wahlberechtigte innerhalb der Beschwerdefrist beitreten, bewährt habe. Die Regelung verfolge im wesentlichen das Ziel, querulatorische Wahlprüfungsbeschwerden auszuscheiden10. Dem werde die Vorschrift - wie ein Blick auf das Zahlenmaterial zeige - gerecht. Schreiber 11 stellt den insgesamt 347 Einsprüchen vor dem Bundestag die 85 Wahlprüfungs-

6

Vgl. Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 20.

7

Vgl. BVerfGE 1, 430; 2, 300; 14, 196; 18, 84; 21, 356; 21, 357; 21, 358; 21, 359; 29, 18; 29, 19; 29, 20; 29, 21; 29, 21 f.; 46, 200; 46, 201; 58, 169; 58, 170; 58, 172; 58, 174; 58, 175; 58, 176; 63, 73; 66, 232; 66, 311; 79, 47; 79, 49. 8

In insgesamt 8 Fällen vgl. BVerfGE 2, 300 (303 f.); 14, 196 (197); 21, 356 (357); 21, 357 (358); 21, 359 (360); 48, 271 (276); 66, 311 (311); 79, 47 (48). 9

Vgl. BVerfGE 2, 300 ff. Zu den Rechtsfragen, die entstehen, wenn sich die fragliche Regelung nicht im BVerfGG, sondern in einem Verfassungsgerichtshofsgesetz der Länder findet, vgl. unten Kapitel 4, 2. Abschnitt, Β. I. 3. b) bb). 10

Vgl. BVerfGE 2, 300 (303 f.); Benda/Klein,

11

Vgl. Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 20.

VerfprozR, § 32 Rn. 1098.

1. Abschnitt: Prozeßentscheidungen

61

beschwerden beim Bundesverfassungsgericht gegenüber und folgert daraus, daß das Quorum des § 48 Abs. 1 BVerfGG seine Funktion erfüllt habe. Allerdings ist diese Schlußfolgerung nicht zwingend, da er nicht aufschlüsselt und es wohl auch nicht aufschlüsselbar ist, welche Einsprüche nur deshalb nicht als Beschwerde weiterverfolgt wurden, weil sie das Quorum des § 48 Abs. 1 BVerfGG nicht erreichten. Immerhin ist nicht ausgeschlossen, daß zahlreiche Einspruchsführer die begründete Ablehnungsentscheidung des Bundestages nachvollzogen und dabei anerkannt haben, daß die gerügte Maßnahme oder Entscheidung eines Wahlorgans doch keinen Wahlfehler darstellt. Gleichwohl bedeutet das Quorum des § 48 Abs. 1 BVerfGG auch für eine nicht unerhebliche Anzahl von Beschwerden eine unüberwindliche Hürde. In insgesamt 15 Entscheidungen hatten die Beschwerdeführer die notwendigen 100 Unterstützungsunterschriften nicht innerhalb der Beschwerdefrist des § 48 Abs. 1 BVerfGG beibringen können 12 . Die sonstigen Gründe, derentwegen das Bundesverfassungsgericht Wahlprüfungsbeschwerden als unzulässig ansah, entziehen sich einer weiteren Systematisierung. So wurde eine Beschwerde wegen Verfristung als unzulässig verworfen 13. In einem anderen Verfahren entsprach die Beschwerde nicht den aus § 23 Abs. 1 BVerfGG abgeleiteten - auch im Wahlprüfungsverfahren einzuhaltenden - Mindestanforderungen an eine hinreichende Begründung 14. Schließlich lehnte der Beschluß vom 12. Januar 1983 den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung als unzulässig ab, mit der der Beschwerdeführer die nach der Selbstauflösung des 9. Deutschen Bundestages notwendige Neuwahl zu verhindern suchte. Das Bundesverfassungsgericht entschied, daß weder das Grundgesetz noch ein anderes Gesetz eine vorverlegte Wahlprüfung durch das Bundesverfassungsgericht vorsähen 15. Insgesamt steht damit bei den Gründen, die zu einer Unzulässigkeit der Wahlprüfungsbe-

12

Vgl. BVerfGE 1, 430 (431); 2, 300 (304); 14, 196 (196 f.); 18, 84 (84 f.); 21, 358 (358 f.); 29, 18 (18 f.); 29, 19 (20); 29, 21 (22); 46, 200 (201); 46, 201 (202); 58, 170 (171); 58, 172 (172 f.); 58, 174; 66, 232 (232 f); 66,311 (312). 13

Vgl. BVerfGE 29, 20 f.

14

Vgl. BVerfGE 29, 21 f. Die Behandlung solcher Fälle durch das Bundesverfassungsgericht ist allerdings nicht einheitlich. Mehr als Frage der dem Beschwerdeführer durch § 2 Abs. 1 und 3 WahlprüfG auferlegten Substantiierungslast sah es BVerfGE 70, 271 (276) an, daß sich aus den Rügen des Beschwerdeführers „die tatsächlichen Voraussetzungen eines Wahlfehlers (nicht) hinreichend deutlich entnehmen" ließen und wies die Beschwerde als unbegründet zurück. 15

Vgl. BVerfGE 63,73 (76).

62

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

schwerde geführt haben, die Nichterreichung des Quorums des § 48 Abs. 1 BVerfGG im Vordergrund 16.

2. Abschnitt

Sachentscheidungen Innerhalb der zulässigen Beschwerden kann weiter danach unterschieden werden, ob die Entscheidungen des Gerichts das Vorliegen eines Wahlfehlers verneinten (nachfolgend A.) oder bejahten bzw. offenließen (nachfolgend B.). Im Zentrum der folgenden Erörterungen soll die zweite Fallkonstellation stehen. Denn nur diese Entscheidungen sind für die Frage von Relevanz, welche Rechtsfolgen sich aus festgestellten Wahlfehlern ergeben 17.

A. Entscheidungen, die das Vorliegen eines Wahlfehlers verneinten Gleichwohl sollen im folgenden einige besonders bedeutsame Entscheidungen kurz erwähnt werden, auch wenn in ihnen das Bundesverfassungsgericht bereits das Vorliegen eines Wahlfehlers verneinte. Denn zum einen gaben sie dem Gericht die Gelegenheit zur Abgrenzung erlaubter Wahlbeeinflussungen von Wahlfehlern. Zum anderen wurden durch solche Entscheidungen die Anforderungen näher konkretisiert, die die fünf in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG niedergelegten Wahlrechtsgrundsätze an die Abhaltung der Wahl stellen. Teilt man entsprechend der in der Literatur vorgenommenen Systematik die Wahl unter wahlprüfungsrechtlichen Gesichtspunkten in die zeitlichen Abschnitte Wahlvorbereitung, Wahlhandlung und Wahlergebnisfeststellung ein 18 , so läßt sich zunächst sagen, daß die Wahlergebnisfeststellung bisher lediglich einmal als fehlerhaft gerügt wurde, wobei in diesem Fall allerdings den Wahlorganen tatsächlich ein Rechtsverstoß unterlaufen war 19 .

16

Auf die verfassungsrechtliche Problematik dieser Vorschrift wird unten noch einzugehen sein, vgl. Kapitel 5, 1. Abschnitt, B. III. 3. a) dd) (2) (b). 17

Es soll allerdings nicht unerwähnt bleiben, daß das Bundesverfassungsgericht gelegentlich auch nach Verneinung eines Wahlfehlers bei der Zurückweisung einer Wahlprüfungsbeschwerde zusätzlich noch auf die fehlende Mandatsrelevanz des gerügten Wahlfehlers hingewiesen hat, vgl. etwa BVerfGE 36, 144 (146); 42, 53 (63); 48, 271

(281). 18

Vgl. Rechenberg,, in: BK, Art. 41 Rn. 8, 9 und 10.

19

Vgl. BVerfGE 4, 370 ff. - „Formfehler-Fall".

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

63

Von den 19 Entscheidungen, die einen Wahlfehler verneinten 20, betreffen die weitaus häufigsten Fallgestaltungen Rügen im Bereich der eigentlichen Wahlhandlung. Es handelt sich hierbei zunächst um 11 Entscheidungen, in denen das Bundesverfassungsgericht die aus Art. 38 Abs. 1 GG resultierenden Anforderungen an die Wahlhandlung präzisierte 21. Daneben finden sich 4 Entscheidungen, die sich mit gerügten, im Ergebnis aber verneinten Wahlfehlern aus dem Bereich der Wahlvorbereitung beschäftigen 22 . In weiteren 3 Fällen erhoben die Beschwerdeführer Rügen, denen der Senat mangels hinreichender Substantiierung nicht nachgehen konnte 23 . Der Beschluß vom 3. Mai 1956 schließlich gab dem Bundesverfassungsgericht soweit ersichtlich - erst- und zugleich letztmals Gelegenheit, einen Fall echter Mandatsprüfung zu judizieren 24 . Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang

20 Vgl. BVerfGE 4, 316 ff.; 5, 2 ff.; 16, 4 ff.; 21, 200 ff.; 21, 355 ff.; 36, 139 ff.; 36, 144 ff.; 42, 53 ff.; 46, 196 ff. 48, 271 ff.; 58, 175 ff.; 58, 202 ff.; 59, 119 ff.; 66, 369 ff.; 67, 146 ff.; 70, 50ff.; 70, 271 ff; 79, 161 ff; 79, 169 ff. 21

Vgl. BVerfGE 21, 200: „Freiheit und Geheimheit der Wahl - Briefwahl verfassungsgemäß"; BVerfGE 21, 355: „Unmittelbarkeit der Wahl - Listenwahl verfassungsgemäß"; 36, 139: „Allgemeinheit der Wahl - kein Wahlrecht für Auslandsdeutsche"; BVerfGE 42, 53 bezog sich auf die Durchführung eines Volksentscheids, bei dem die Rüge einer Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG bzw. Art. 38 Abs. 1 GG erhoben wurde, weil es zu keiner Kostenerstattung gekommenen war, der Wahltermin im Winter stattfand und weitere Rügen; BVerfGE 58, 202: „Allgemeinheit der Wahl - kein Wahlrecht für EG-Mitarbeiter"; BVerfGE 59, 119: „Geheimheit der Wahl - weitere Präzisierung der Anforderungen an Briefwahl und Bestätigung der Entscheidung BVerfGE 21, 200; BVerfGE 66, 369: „Freiheit der Wahl - Wahlbeeinflussung durch Unternehmer"; BVerfGE 67, 147: „Allgemeinheit der Wahl - kein Wahlrecht bei bestehender Pflegschaft"; BVerfGE 79, 161: „Gleichheit der Wahl - Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs. 1 Satz 2 BWahlG"; BVerfGE 79, 169: „Gleichheit der Wahl - Verfassungsmäßigkeit von Überhangmandaten". 22 Vgl. BVerfGE 4, 316 ff: „Zurückweisung eines formfehlerhaften Wahlvorschlags"; 16, 4 ff: „Verbauch des Parteienprivilegs auch für Ersatzorganisation"; 36, 144 ff: „Rechtmäßige Modifikation eines Kreiswahlvorschlags durch Wahlorgan"; 46, 196 ff: „Zurückweisung eines formfehlerhaften Wahlvorschlags". Es finden sich keine Entscheidungen, die Wahlfehler im Bereich der Ergebnisfeststellung zum Gegenstand hatten. 23 24

Vgl. BVerfGE 58, 175 ff; 70, 271 ff; 79, 50 ff.

Vgl. BVerfGE 5, 2 ff. Dem Beschwerdeführer war vom Deutschen Bundestag sein erworbenes Mandat entzogen worden, weil er nach erfolgter Wahl seinen ständigen Wohnsitz und Lebensmittelpunkt nach Ostberlin verlegt hatte. Das BVerfG entschied, daß der Bundestag das Repräsentativorgan der im Geltungsbereich des GG lebenden

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

64

weiter die beiden Entscheidungen, die sich mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Überhangmandate beschäftigen 25. Nicht endgültig geklärt erscheint infolge der gegen die Gültigkeit der Wahl zum 13. Deutschen Bundestag erhoben Einsprüche nämlich die Frage, ob Überhangmandate grundsätzlich oder nur in bestimmten Grenzen zulässig sind und ob sie gegebenenfalls nur unter Berücksichtigung von Ausgleichsmandaten verfassungsrechtlich unbedenklich sind. Einsprüche, die gegen die Berücksichtigung der Überhangmandate bei der Wahl zum 13. Deutschen Bundestag erhoben wurden, hat der Bundestag zurückgewiesen. Im Rahmen seines Wahlprüfungsverfahrens könne eine Überprüfung des der Wahl zugrundeliegenden Wahlgesetzes nicht erfolgen, weil dessen Kontrolle dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten sei 26 . Organklagen 27 der Partei Bündnis 90/Die Grünen sowie des Bürgerbundes, mit denen ebenfalls die Überhangmandate zur verfassungsgerichtlichen Überprüfung gestellt werden sollten, hat der Zweite Senat durch Beschluß vom 23. Januar 1995 wegen Verfristung zurückgewiesen 28. Derzeit ist allerdings eine Normenkontrollklage der Regierung des Landes Niedersachsen beim Bundesverfassungsgericht anhängig, mit der die Nichtigkeit von § 7 Abs. 3 Satz 2 BWahlG wegen Verstoßes gegen die Wahlrechtsgleichheit des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG festgestellt werden soll 29 , so daß mit

Bevölkerung sei. Infolgedessen sei der Mandatsverlust gemäß § 56 Abs. 1 Ziff. 2 BWahlG a.F. zu Recht eingetreten. 25

Vgl. BVerfGE 79, 161; 79, 169. Zur Zulässigkeit von Überhangmandaten vgl. auch bereits BVerfGE 16, 130 ff. 26 Vgl. BT-Drs. 13/3770-3776. Die Ablehnung einer Überprüfiingskompetenz in bezug auf das der Wahl zugrundeliegende Wahlgesetz entspricht seit der 1. Wahlperiode der ständigen Praxis des Bundestages; zur Überprüfungskompetenz des Bundestages vgl. Lippold, DVB1. 1987, 933 ff. 27

Hierbei sollte festgestellt werden, daß der Deutsche Bundestag die Rechte der Antragsteller aus Art. 3 Abs. 1,21 Abs. 1 Satz 2 und 38 Abs. 1 GG verletzt habe, in dem er es unterließ, § 6 Abs. 5 des BWahlG um eine Bestimmung zu ergänzen, die die durch Überhangmandate eintretende Verletzung der Wahlrechtsgleichheit beseitige. Die Vorschrift lautet: „In den Wahlkreisen errungene Sitze verbleiben einer Partei auch dann, wenn sie die nach den Absätzen 2 und 3 ermittelte Zahl übersteigen. In einem solchen Fall erhöht sich die Gesamtzahl der Sitze (§ 1 Abs. 1) um die Unterschiedszahl; eine erneute Berechnung nach den Absätzen 2 und 3 findet nicht statt." 28 29

Vgl. BVerfGE 92, 80 ff.

Vgl. Vorgesehene Entscheidungen des BVerfG in diesem Jahr, NJW 1996, 1121 (1123 Nr. 11). In der Zielrichtung entspricht die Normenkontrolle der erwähnten Or-

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

65

einer verfassungsgerichtlichen Klärung der Zulässigkeit und der Grenzen von Überhangmandaten gerechnet werden kann. Deswegen und weil bei einer Qualifizierung der Überhangmandate als Wahlfehler deren Erheblichkeit feststeht, in dieser Arbeit indes in erster Linie die Rechtsfolgen festgestellter, aber nicht mandatsrelevante Wahlfehler interessieren, wird der verfassungsrechtlichen Problematik der Überhangmandate hier nicht weiter nachgegangen30.

B. Entscheidungen, die das Vorliegen eines Wahlfehlers bejahten oder offenließen Für die weitere Untersuchung von besonderem Interesse sind diejenigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in denen der Senat entweder offenließ, ob ein Wahlfehler vorlag oder einen Wahlfehler bejahte. Denn in diesen Entscheidungen kommt es entscheidend auf die noch zu behandelnde Frage an, welche Rechtsfolge sich aus einem festgestellten Wahlfehler ergeben soll. Von den insoweit insgesamt 11 einschlägigen Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht in 6 Fällen Wahlfehler bejaht 31 und in den restlichen 5 Entscheidungen, das heißt in nahezu 50% aller relevanten Fälle, offengelassen32, ob ein Wahlfehler vorlag und sämtliche Fälle bis auf eine Ausnahme über

ganklage. Der Angriff auf § 7 Abs. 3 Satz 2 BWahlG erklärt sich daraus, daß die Vorschrift auf die entsprechende Anwendung des § 6 Abs. 4 und 5 bei den Listenverbindungen verweist. Außer im Rahmen der erwähnten Normenkontrollklage werden die §§6 Abs. 5 Satz 2, 7 Abs. 3 Satz 2 BWahlG noch im Rahmen einer Wahlprüfungsbeschwerde verfassungsrechtlich überprüft, vgl. Vorgesehene Entscheidungen des BVerfG in diesem Jahr, NJW 1996, 1121 (1123 Nr. 13), gleiches gilt fur die sog. Grundmandatsklausel des § 6 Abs. 4 Satz 1 Fall 2 BWahlG, vg. a.a.O., Nr. 12. 30

Zur Problematik vgl. Hoppe, Die Verfassungswidrigkeit der Grundmandatsklausel (§ 6 Abs. Bundeswahlgesetz), DVBl. 1995, 265 ff.; Mager/Uerpmann, Überhangmandate und Gleichheit der Wahl, DVBl. 1995, 273 ff.; R. Schmidt, Überhangmandate - Ist ein Ausgleich verfassungsrechtlich geboten, ZRP 1995, 91 ff.; Unterpaul, Zunehmende Zahl der Überhangmandate unbedenklich?, NJW 1994, 3267 ff.; H. Meyer, Der Überhang und anderes Unterhaltsames aus Anlaß der Bundestagswahl 1994, KritV 1994, S. 312 ff.; Papier, Überhangmandate und Verfassungsrecht, JZ 1996, 265 ff.; Nicolaus, Wahlunrecht und Ausgleichsmandate, ZRP 1995, 251 ff. 31

Vgl. die Entscheidungen in BVerfGE 4, 370 ff. („Formfehler-Fall"); 16, 130 ff. („Evidenz-Fall"); 35, 300 ff. („Strafhaft-Fall"); 40, 11 ff. („Scheinwohnsitze-Fall); 89, 243 ff. („Nichtzulassung I"); 89, 266 ff. („Nichtzulassung III"). 32

Vgl. die Entscheidungen in BVerfGE 21, 196 ff.; 22, 277 ff.; 34, 201 ff.; 37, 84 ff.; 89, 291 ff. Es kann deshalb keine Rede davon sein, Bundestag und BVerfG prüften „regelmäßig zunächst inhaltlich, ob der Sachverhalt überhaupt einen Wahlfehler begründen" könne, so aber Versteyl, in: v. Münch, GGK II, Art. 41 Rn. 3. 5 Lang

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

66

den Grundsatz der Mandatsrelevanz gelöst. Die Ausnahmeentscheidung betrifft einen Fall der verfassungswidrigen Wahlkreiseinteilung, bei der eine Nichterheblichkeit des Wahlfehlers im Sinne der Mandatsrelevanz nicht in Betracht kommt 33 . Im folgenden werden die 11 relevanten Entscheidungen des Gerichts näher dargestellt und erläutert. In bezug auf die materiellen Probleme des Wahlprüfungsrechts soll der Überblick dazu dienen, die beteiligten Rechtspositionen und vor allem die entstehenden Rechtsschutzlücken - deutlicher gegenüberzustellen, als dies mit einer reinen Ergebnismitteilung geschehen kann. Insbesondere können damit die Auswirkungen dieser Entscheidungspraxis auf den Schutz der subjektiven Wahlrechte verdeutlicht werden. Zudem soll anhand der Darstellung der Entscheidungen untersucht werden, ob und gegebenenfalls wie das Bundesverfassungsgericht seine zentralen Aussagen zum materiellen Wahlprüfungsrecht begründet hat. Schließlich zeigt die Darstellung der Entscheidungspraxis des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der prozessualen Handhabung der Beschwerde gemäß Art. 41 Abs. 2 GG namentlich bei der Verteilung der Substantiierungs- und der Beweislast Besonderheiten, die bisher für das Verständnis des Verfahrensgegenstandes der Wahlprüfung kaum fruchtbar gemacht wurden, auf die aber im fünften Kapitel bei der Entwicklung des eigenen Ansatzes zurückzukommen sein wird. In Anlehnung an die oben angeführte Unterteilung werden die Entscheidungen in zeitlicher Hinsicht danach aufgeschlüsselt, ob sich Wahlfehler bei der Wahlergebnisfeststellung, der Wahlhandlung oder bereits im Vorfeld der Wahl bei der Wahlvorbereitung ereigneten.

/. Wahlergebnisfeststellung In diesem Bereich findet sich lediglich eine einzige einschlägige Entscheidung. Hier hatte sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 21. Dezember 1955 34 mit folgendem Sachverhalt zu beschäftigen.

33

Vgl. BVerfGE 16, 130 ff. - „Evidenz-Fall".

34

Vgl. BVerfGE 4, 370 ff.

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

67

1. Sachverhalt des Beschlusses vom 11. Dezember 1955 - „Formfehler-Fall" Der Beschwerdeführer trug vor, daß in einem Wahlbezirk die Stimmabgabe der Wähler sofort bei Aushändigung des Stimmzettels vermerkt wurde. Demgegenüber bestimme § 41 Β WO a.F. 35 , daß die Stimmabgabe erst vermerkt werden darf, nachdem der Wähler den Umschlag mit dem Stimmzettel abgegeben, das heißt also gewählt hat. Weiterhin rügte der Beschwerdeführer, daß in einem anderen Wahlbezirk bei der Auszählung der Stimmen von der gesetzlich in §§ 46-48 Β WO a.F. = § 68 BWO vorgeschriebenen Reihenfolge abgewichen worden war, indem die Stimmzettel vom Wahlvorstand aus vorher nicht gezählten Umschlägen genommen, nach Bewerbern zusammengelegt, durchgezählt und mit der Wählerzahl verglichen wurden. Nach § 68 Satz 2 BWO müssen die Wahlumschläge erst gezählt und dann geöffnet werden.

2. Entscheidung des Gerichts Das Gericht verwarf die Beschwerde als offensichtlich 36 nicht begründet. Das Wahlprüfungsverfahren und damit auch das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 41 Abs. 2 GG in Verbindung mit §48 BVerfGG sei ausschließlich dazu bestimmt, die richtige Zusammensetzung des Bundestages zu gewährleisten 37. Nur solche Wahlfehler könnten daher die Beschwerde rechtfertigen, die auf die Mandatsverteilung von Einfluß sind oder sein können. Infolgedessen schieden alle Verstöße von vornherein als unerheblich aus, die die Ermittlung des Wahlergebnisses nicht berühren könnten. Aber auch Wahlfehler, die die Ermittlung des Wahlergebnisses betreffen, könnten die Beschwerde dann nicht rechtfertigen, wenn sie angesichts der Stimmenverhältnisse keinen Einfluß auf die Mandatsverteilung haben konnten38. Unter Anwendung dieser Maßstäbe hielt das Bundesverfassungsgericht beide Wahlfehler für unbeachtlich.

35

Die Vorschrift entspricht der heutigen Regelung in § 56 Abs. 4 Satz 3 BWO.

36

Zur Bedeutung des Begriffs „offensichtlich" vgl. unten Fn. 252.

37

Vgl. BVerfGE 4, 370 (372).

38

Vgl. BVerfGE 4, 370 (373).

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

68

Die Abweichung der in § 41 BWO vorgeschriebenen Reihenfolge der einzelnen Handlungen bei der Stimmabgabe sei zwar unzulässig. Das sei aber unschädlich, weil gleichwohl die Zahl der Stimmabgabevermerke und die der Wahlscheine übereinstimmten. Folglich hatte sich der Wahlfehler nicht ausgewirkt. Beim zweiten Wahlfehler - den bestätigten Verstößen gegen die §§ 46-48 B W O 3 9 bei der Auszählung der Stimmen im Husumer Wahlbezirk E - sei angesichts der Stimmenverteilung auszuschließen, daß er sich auf die Mandatsverteilung ausgewirkt haben könnte 40 .

3. Besonderheiten des Falles Soweit ersichtlich ist dies die erste Wahlprüfungsbeschwerde 41, in der das Bundesverfassungsgericht nach festgestellten Wahlfehlern deren Beachtlichkeit unter Berufung auf den Erheblichkeitsgrundsatz verneint. Zwar klingt der Grundsatz bereits in dem Beschluß vom 18. September 1952 an 42 . Dort war aber die Wahlprüfungsbeschwerde bereits unzulässig43. Aufschlußreich für die in den ersten Entscheidungen gewählte Behandlung von Wahlfehlern durch das Bundesverfassungsgericht ist, daß sowohl in dem vorliegenden Beschluß vom 21. Dezember 1955 als auch in den vorausgegangenen Entscheidungen44 das Gericht auf jegliche Begründung des Erheblich-

39

Nach heutiger Rechtslage dürfte es sich um § 68 BWO handeln.

40

Vgl. BVerfGE 4, 370 (373 f.).

41

Möglicherweise angeregt durch das Verfahren 1 BvC 1/54 -, BVerfGE 4, 316 ff. Dort hatte der Beschwerdeführer zur Mandatsrelevanz des von ihm gerügten Wahlfehlers vorgetragen, daß bei Zulassung seines vom Kreiswahlausschuß zurückgewiesenen Kreiswahlvorschlages möglicherweise in dem betroffenen Wahlkreis ein anderes Ergebnis entstanden wäre, vgl. BVerfGE 4, 316 (317). Das BVerfG stellte indessen fest, daß der Kreiswahlvorschlag zu Recht zurückgewiesen worden war, weil er gegen zwingende Formvorschriften verstoßen hatte, so daß sich die Entscheidung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers die Mandatsrelevanz betreffend mangels Entscheidungserheblichkeit nicht auseinandersetzen mußte. 42

Vgl. BVerfGE 1, 430 (433).

43

Vgl. BVerfGE 1,430.

44

Vgl. BVerfGE 1, 430 ff; 2, 300; 4, 316, wo der Grundsatz allerdings auch nicht entscheidungserheblich wurde.

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

69

keitsgrundsatzes verzichtet. Hierbei mag für das vorliegende Verfahren eine Rolle gespielt haben, daß in ihm lediglich die Verletzung von Ordnungsvorschriften gerügt worden waren. Gleichwohl zeigt die Entscheidung das von Anfang an bestehende und - wie noch zu zeigen sein wird - seither fortwirkende Begründungsdefizit der Rechtsprechung zum materiellen Wahlprüfungsrecht auf.

II Bereich der eigentlichen Wahlhandlung Häufiger als mit der Rechtmäßigkeit von Wahlergebnisfeststellungen hatte sich das Bundesverfassungsgericht mit Fällen zu beschäftigen, bei denen Wahlfehler im Bereich der Wahlhandlung gerügt worden waren.

1. Beschluß vom 15. Februar 1967 - „Wahlgeschenke-Fall" Hierbei ist zunächst der Beschluß vom 15. Februar 196745 zu nennen.

a) Sachverhalt Der Beschwerdeführer griff die Gültigkeit der Bundestagswahl vom 19. September 1965 an. Zur Begründung trug er vor, die CDU habe gegen § 108b Abs. 1 StGB verstoßen und deshalb den Grundsatz der freien Wahl verletzt. Die CDU hatte in einem bestimmten Wahlkreis an alle wahlberechtigten Hausfrauen ein Kunststoff-Schneidebrettchen versandt, bei dem auf der Rückseite für die CDU wie folgt geworben wurde: „Mit Gottes Hilfe Ihrer Hände Arbeit einer bewährten Politik in eine gesicherte Zukunft CDU Ihr Bundestagskandidat FRIEDRICH FRITZ".

45

Vgl. BVerfGE 21, 196 ff.

70

Kapitel 3 : Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Der Beschwerdeführer sah in der Versendung der Brettchen eine Wahlbestechung. Der Wille die Stimmabgabe zu beeinflussen, ergebe ich eindeutig aus der Beschriftung der Brettchen. Zur Frage der Mandatsrelevanz trug der Beschwerdeführer vor, es lasse sich zwar nicht mit Sicherheit sagen, daß sich die Versendung der Brettchen auf die Wahl ausgewirkt habe. Mit Sicherheit könne man jedoch umgekehrt sagen, daß eine Beeinflussung des Wahlergebnisses durch die Geschenkaktion nicht ausgeschlossen werden könne 46 .

b) Entscheidung des Gerichts Der Senat ließ sowohl die Frage einer strafbaren Handlung nach § 108b Abs. 1 StGB als auch eine Verletzung des Grundsatzes der Wahlfreiheit dahingestellt. Jedenfalls sei ein möglicher Verstoß nicht mandatsrelevant geworden. Da zwischen den beiden großen Parteien eine Differenz von ca. 6000 Stimmen bestanden habe, habe sich an der Sitzverteilung nur etwas ändern können, wenn sich eben ca. 6000 Bürger durch die Zuwendung hätten beeinflussen lassen. Und wörtlich führt der Senat aus: „Eine solche Annahme ist aber offenbar nicht begründet."47 c) Besonderheiten des Falles Der „Wahlgeschenke-Fall" zeigt zwei Besonderheiten. Einmal weist er auf die Schwierigkeiten in tatsächlicher Hinsicht hin, die durch die Anwendung des Erheblichkeitsgrundsatzes entstehen können, und zum anderen hatte der Beschwerdeführer im Hinblick auf die Feststellung der Kausalität eine interessante prozessuale Variante ins Spiel gebracht. Die angesprochene Beschwerde ist eine der ersten, in der das Problem des Erheblichkeitsgrundsatzes weniger in seiner vom Bundesverfassungsgericht ohnehin vernachlässigten rechtlichen Rechtfertigung als vielmehr in seiner tatsächlichen Anwendung begründet liegt. Es mag sein, daß auch im Jahre 1965 den versandten Kunststoffschneidebrettchen kein beachtlicher wirtschaftlicher Wert beizumessen war. Bei unbefangener Betrachtungsweise verwundert es gleichwohl, daß in der Entscheidung nicht mitgeteilt wird, wie viele Brettchen denn nun versandt worden waren. Es erscheint infolgedessen nicht überprüfbar, ob ca. 6000 Bürger sich durch die Geschenke beeinflussen ließen. Zu Recht wird in der Literatur deshalb der Ent-

46

Vgl. BVerfGE 21, 196(198).

47

Vgl. BVerfGE 21, 196(199).

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

71

Scheidung entgegengehalten, daß, sofern in der Versendung der Brettchen eine Verletzung der Wahlfreiheit und damit eine unzulässige Beeinflussung gesehen werden kann, deren mögliche Wirkung auf das Wahlergebnis nicht auszuschließen sei 48 . Hinsichtlich der damit angesprochenen Kausalitätserwägungen, die sich in der typischen Prozeßsituation im Ergebnis immer als Beweisprobleme darstellen, hatte der Beschwerdeführer eine interessante Alternative angeboten. Angesprochen ist damit der letztlich erfolglose und vom Senat keiner argumentativen Auseinandersetzung gewürdigte Versuch des Beschwerdeführers, soweit die Mandatsrelevanz des vorliegenden oder jedenfalls nicht sicher auszuschließenden Wahlfehlers in Rede steht, in Wahlprüfungsangelegenheiten mit einer Umkehr der Beweislast zu argumentieren. Für die Sichtweise des Beschwerdeführers läßt sich immerhin die praktische Schwierigkeit anführen, die einer substantiierten Rüge eines zum Beispiel in Hamburg wohnenden Beschwerdeführers in bezug auf in München erfolgte Wahlfehler entgegensteht und die nicht akademischer Natur ist, sondern etwa im noch zu behandelnden „Scheinwohnsitze-Fair 49 zur teilweisen Abweisung der Rügen als unsubstantiiert geführt hat 50 . In einer sorgsamen Berücksichtigung des Vorschlages des Beschwerdeführers hätte wohl eine Möglichkeit gelegen, die in der Literatur beklagte Praxis des Wahlprüfungsorgans Bundestag, angesichts der Rechtsprechung zum Erheblichkeitsgrundsatz in eine ernsthafte Prüfung eines Wahlfehlers erst gar nicht mehr einzutreten 51, prozessual zu korrigieren und die Prüfungsorgane zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu zwingen 52 . Im Ergebnis dürfte die Entscheidung das genaue Gegenteil bewirkt haben. Denn in dem Beschluß wird erstmals in einem Wahlprüfungsverfahren die Existenz des gerügten Wahlfehlers offengelassen und damit der Beschwerde auch der oben angesprochene edukative Effekt entzogen. Ob und

48

Vgl. Frowein, AöR 99 (1974), S. 72 (107), der die Ablehnung der Beschwerde durch das BVerfG unter Berufung auf den Erheblichkeitsgrundsatz als zu „weitherzig" ansieht. 49

Vgl. BVerfGE 40, 11 ff. sowie unten Kapitel 3, 1. Abschnitt, B. III. 4.

50

Das BVerfG hatte sich dort letztlich auch auf den Standpunkt gestellt, die volle Last des Kausalitätsnachweises treffe den Beschwerdeführer, vgl. BVerfGE 40, 11 (31 f.). 51 52

Vgl. AK-Schneider, Art. 41 Rn. 3.

Zur Beweislastverteilung im Wahlprüfungsverfahren vgl. unten Kapitel 5, 1. Abschnitt, B. III. 3. c) bb) (2).

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

72

gegebenenfalls bis zu welchem Wert Wahlgeschenke zulässig sind, ist durch die Entscheidung des Gerichts keiner Klärung zugeführt worden.

2. Beschluß vom 17. Januar 1973 - „Erledigung I" Auf der gerade gezeichneten Linie liegt auch der Beschluß vom 17. Januar 1973 53 , der eine erledigte Wahlprüfungsbeschwerde gegen die Wahl zum 6. Deutschen Bundestag zum Gegenstand hatte.

a) Sachverhalt Führungsmitglieder der NPD (4,3% bei der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag) hatten Wahlprüfungsbeschwerde eingelegt mit der Begründung, im einzelnen näher dargelegte Rechtsverletzungen 54 hätten den Ausgang der Wahl zum Nachteil der NPD beeinflußt. Der Bundestag hatte die Beschwerde zurückgewiesen, weil etwaige Wahlfehler sich auf die Mandatsverteilung nicht ausgewirkt hätten.

b) Entscheidung des Gerichts Das Bundesverfassungsgericht nahm auch hier zu den gerügten Wahlfehlern nicht Stellung. Nach seiner (nunmehr zwar als ständig bezeichneten, gleichwohl aber nicht näher begründeten) Rechtsprechung sei das Wahlprüfungsverfahren dazu bestimmt, die richtige Zusammensetzung des Bundestages zu gewährleisten55. Infolge der vorzeitigen Auflösung 56 des alten und der zwischenzeitlich

53

Vgl. BVerfGE 34, 201 ff.

54

Vgl. BVerfGE 34, 201 f. Im Rahmen der hier erfolgenden Auswertung sollen die im einzelnen erhobenen Rügen ausnahmsweise nicht mitgeteilt werden. Denn sie sind zwar in den Entscheidungsgründen in allgemeiner Form aufgezählt, doch hat es der Senat in bezug auf die Konkretisierung dieser Rügen mit dem Hinweis bewenden lassen, die Beschwerdeführer hätten im einzelnen (wohl in den Schriftsätzen) dargelegt, welche Vorgänge nach ihrer Ansicht die erhobenen Rügen stützen würden. Eine Darstellung der konkretisierten Rügen war daher nicht möglich. 55

Vgl. BVerfGE 34, 201 (302) unter Bezugnahme auf BVerfGE 4, 370 (372); 21, 196(199); 22, 277, (280). 56

Der Bundestag war in der Legislaturperiode auf Vorschlag des Bundeskanzlers durch den Bundespräsidenten vorzeitig gemäß Art. 68 GG aufgelöst worden.

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

73

erfolgten Konstituierung des neuen Bundestages könne sich eine Entscheidung über die vorliegende Beschwerde nicht mehr auswirken. Deshalb sei fur eine Sachentscheidung kein Raum mehr. Denn die Verletzung subjektiver Rechte könne nur den Anlaß, nicht aber den Gegenstand einer Wahlprüfungsbeschwerde darstellen. Die Verfolgung subjektiver Rechte einzelner müsse zurücktreten gegenüber der Notwendigkeit, die Stimmen einer Vielzahl von Bürgern zu einer einheitlichen wirksamen Wahlentscheidung zusammenzufassen 57. Die Beschwerde sei daher gegenstandslos geworden.

c) Besonderheiten des Falles Auch dieser Fall weist Besonderheiten auf. Zunächst verdeutlicht der Senat sein Verständnis des Wahlprüfungsverfahrens, wenn er ausfuhrt, die Verletzung subjektiver Rechte könne nur der Anlaß für ein Wahlprüfiingsverfahren sein, nicht aber dessen Gegenstand bilden 58 . Im Unterschied zu früheren Wahlprüfungsbeschwerden aber, in denen aus der allein auf den Schutz des objektiven Wahlrechts bezogenen Funktion des Wahlprüfungsverfahrens abgeleitet wurde, daß allein mandatsrelevante Wahlfehler die Beschwerde nach Art. 41 Abs. 2 GG rechtfertigen könnten 59 , trat nun hinsichtlich der Begründung der Mandatsrelevanz ein gleichsam aus der Natur der Sache gewonnenes Argument hinzu. Das Gericht rechtfertigt den Ausschluß jeglichen subjektiven Rechtsschutzes hier aus der Notwendigkeit, die Stimmen einer Vielzahl von Bürgern zu einer einheitlichen wirksamen Wahlentscheidung zusammenzufassen 60. So verständlich und prozeßökonomisch die Vorgehensweise des Senats sein mag, nach Ablauf der Legislaturperiode eine vertiefte Auseinandersetzung mit den vorgebrachten Rügen zu meiden, so sehr bleibt dagegen doch die bereits erwähnte Kritik des Schrifttums gewandt, daß die uneingeschränkte Geltung des Erheblichkeitsgrundsatzes dazu führt, daß sich weder der Bundestag noch das Bundesverfassungsgericht mit den erhobenen Rügen intensiv auseinandersetzen61. Diese Vorgehensweise kann dazu führen, daß die - auch der Beschwerde nach Art. 41 Abs. 2 GG innewohnende - Befriedungsfunktion verlorengeht. Dies gilt um so mehr als die im konkreten Fall eingetretene Erledigung der Beschwerde

57

Vgl. BVerfGE 34, 201 (203) unter Bezugnahme auf BVerfGE 22, 277 (281); 14, 154(155); 28,214(219). 58

Vgl. BVerfGE 34, 201 (203).

59

Vgl. BVerfGE 21, 196(199).

60

Vgl. BVerfGE 34, 201 (203).

61

Vgl. Schneider, in: AK, Art. 41 Rn. 3. Oben 2. Abschnitt, Β. II. 1.

74

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

durch die von den Beschwerdeführern in keinster Weise zu beeinflussende vorzeitige Auflösung des 6. Deutschen Bundestages ausgelöst worden war 62 .

3. Beschluß vom 2. April 1974 - „Volksabstimmungs-Fall" Diese Entscheidung ist zunächst etwas atypisch, weil sie sich nicht zu einer Wahlprüfungsbeschwerde verhält. Die in ihr erhobenen Rügen bezogen sich vielmehr auf die Durchführung einer Volksabstimmung gemäß Art. 29 GG in Baden-Württemberg. Gegenstand dieser Volksabstimmung war die Frage, ob das Teilgebiet Baden als Land wiedererstehen sollte 63 .

a) Sachverhalt Die Beschwerdeführer waren Bürger des Landes Baden-Württemberg und wohnten im Gebietsteil Baden. Im Rahmen der Volksabstimmung zur Frage, ob Baden als Land wiedererstehen sollte, hatten sie sich für die Neugliederung des Landes und gegen den Verbleib im Land Baden-Württemberg ausgesprochen. Nach Art. 1 § 3 des Volksentscheide wäre zur Neugründung des Landes Baden eine Mehrheit erforderlich gewesen, die mindestens ein Viertel der zur Landtagswahl berechtigten Bevölkerung im Gebietsteil Baden umfaßt. Der Beschwerdeführer hatte unter anderem gerügt, daß die bad.-württ. Landesregierung sowie Gemeinden und Gemeindeverbände auf den Ausgang der Abstimmung in einer mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Neutralität amtlicher Organe letztlich nicht zu vereinbarenden Weise Einfluß genommen hätten64. Des weiteren umfaßte die Beschwerde die Rüge, daß im Rundfunk die Befürworter der Erhaltung von Baden-Württemberg weitaus häufiger und länger zu Wort gekommen waren als die Anhänger der Wiederherstellung des Landes Baden 65 .

62

Die Beschwerde war am 10. Dezember 1970 erhoben worden und hatte sich knapp zwei Jahre(!) später dadurch erledigt, daß am 22. September 1972 - wie erwähnt - der Bundestag auf Vorschlag des Bundeskanzlers durch den Bundespräsidenten vorzeitig gemäß Art. 68 GG aufgelöst worden war. 63

Vgl. BVerfGE 37, 84 ff.

64

Vgl. BVerfGE 37, 84 (87).

65

Vgl. BVerfGE 37, 84 (88).

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

75

Statt des erforderlichen Viertelquorums erreichten die Befürworter einer Neugliederung lediglich 18,07%66. Die Bevölkerung sprach sich insgesamt mit einer Mehrheit von ca. 1 Million Stimmen für den Erhalt des Landes BadenWürttemberg aus67.

b) Entscheidung des Gerichts Das Gericht ließ die Zulässigkeit der Beschwerde dahingestellt und entfaltete zunächst den Maßstab zur Beurteilung der Gültigkeit der Volksabstimmung, den es im wesentlichen aus einer Parallele zu seinen im Rahmen von Wahlprüfungsverfahren entwickelten Grundsätzen gewann68. Das normale Wahlprüfungsverfahren nach Art. 41 GG diene dem Schutz des objektiven Wahlrechts, das heißt der Erzielung der gesetzmäßigen Zusammensetzung des Bundestages69. Übertrage man dies auf die hier in Rede stehende Abstimmung, so sei Prüfungsgegenstand die Gesamtheit der Abstimmungsvorgänge. Diese seien daran zu messen, ob bei dem Volksentscheid das objektive Recht eingehalten worden sei oder im Falle seiner Verletzung nicht ausgeschlossen werden könne, daß es ohne die „Wahlfehler" zu einem Abstimmungsergebnis zugunsten des Landes Baden gekommen wäre. Da der Abstand zwischen den beiden Stimmenblöcken so gravierend gewesen sei, hätten durch etwaige Wahlfehler ca. 500 000 Menschen veranlaßt werden müssen, die Abstimmungsfrage anders zu beantworten. Dies zeige, daß hier nur ganz schwerwiegende Verstöße einen im Sinne des Wahlprüfungsrechtes erheblichen Abstimmungsfehler darstellen könnten70. Im einzelnen untersucht das Gericht in den Entscheidungsgründen Rügen, bei denen es eine klare Festlegung, ob hier ein Wahlfehler vorliegt oder nicht, vermeidet.

66

Vgl. BVerfGE 37, 84 (86).

67

Vgl. BVerfGE 37, 84 (92).

68

Vgl. BVerfGE 37, 84 (89). Der Senat ließ die Zulässigkeit der gegen die Gültigkeit der Volksabstimmung gerichteten Beschwerde dahingestellt, weil er zu einer Entscheidung a-limine gemäß § 24 BVerfGG kam. 69

Vgl. BVerfGE 37, 84 (89) unter Bezugnahme auf BVerfGE 1, 430 (433); 4, 370 (372 f.); 22, 277 (281). 70

Vgl. BVerfGE 37, 84 (89 f.) wiederum unter Bezugnahme auf BVerfGE 4, 370 (373); 21, 196 (199); 22, 277 (280); 28, 214 (219 f.).

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

76

Hinsichtlich der Erheblichkeit der gerügten Wahlfehler begnügt sich der Senat mit der lapidaren Feststellung, soweit im Abstimmungskampf die Landesregierung, die Gemeinden und Gemeindeverbände gegen ihre Neutralitätspflicht verstoßen hätten71 und soweit der Rundfunk seine Verpflichtung zu einer ausgewogenen Berichterstattung verletzt habe 72 , könne angesichts des Stimmenabstandes ausgeschlossen werden, daß sich die Mehrheit ohne die gerügten Abstimmungsfehler für eine Wiederherstellung des Landes Baden ausgesprochen hätte 73 .

c) Besonderheiten des Falles In sehr viel deutlicherem Maße als der oben angeführte „WahlgeschenkeFall" zeigt die vorliegende Konstellation die Schwierigkeiten der Anwendung des Erheblichkeitsgrundsatzes auf. Denn gegen die Argumentation des Gerichts könnte polemisch eingewandt werden, mit dieser Begründung sei es denkbar, daß bei Wahlen in totalitären Systemen wie der ehemaligen DDR Wahlfehler mit der Bemerkung verneint werden könnten, angesichts einer Zustimmung von 99% sei ausgeschlossen, daß die gerügten Wahlfehler auf das Ergebnis durchgeschlagen haben. Die Effektivität der Manipulation würde dann den Mißerfolg der Wahlprüfungsbeschwerde indizieren.

III. Bereich der Wahlvorbereitung Am häufigsten kommt es zu Wahlfehlern im Bereich der Wahlvorbereitung, wobei der Fragenkreis „Zulassung von Wahlvorschlägen" dominiert. Wahlfehler in diesem Bereich stellen sich in bezug auf die beeinträchtigten subjektiven Wahlrechte als besonders gravierend dar, betreffen sie doch nicht lediglich die Art und Weise der jeweiligen Ausübung des Stimmrechts oder die (korrigierbare) Falschberechnung des Wahlergebnisses, sondern bewirken zumeist die schlichte Verhinderung der Ausübung des Wahlrechts. Dies mag der Hintergrund sein, warum in der Literatur die Diskussion um den Schutz subjektiver Rechte in Wahlrechtsangelegenheiten nahezu ausschließlich anhand von Wahlfehlern aus diesem Bereich diskutiert wird. Namentlich für den Bereich

71

Vgl. BVerfGE 37, 84 (91).

72

Vgl. BVerfGE 37, 84 (92).

73

Vgl. BVerfGE 37, 84 (92).

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

77

der Wahlvorbereitung wird ein das eigentliche Wahlprüfiingsverfahren ergänzender verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz vorgeschlagen 74.

1. Beschluß vom 22. Mai 1963 - „Evidenz-Fall" Dieser Beschluß behandelt eine Ausnahmekonstellation, weil sich die Mandatsrelevanz der hier gerügten Wahlfehler nicht verneinen ließ 75 .

a) Sachverhalt Der Beschwerdeführer begründete seinen Einspruch gegen die Wahl zum 4. Deutschen Bundestag damit, daß die der Wahl zugrunde gelegte Wahlkreiseinteilung mit dem Verfassungssatz von der Gleichheit der Wahl nicht vereinbar gewesen sei 76 . Der Bundestag wies den Einspruch zurück, weil die Wahlkreiseinteilung nicht Gegenstand des vor ihm zu führenden Einspruchsverfahrens sein könne. Diese beruhe - zumindest mittelbar - auf den Vorschriften des Bundeswahlgesetzes. Der Bundestag halte sich indessen nicht für befugt, die Vereinbarkeit des Wahlgesetzes mit der Verfassung zu überprüfen 77. Im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht rügte der Beschwerdeführer wie bereits in seiner Einspruchsschrift die Einteilung der Wahlkreise im Bundesland Schleswig-Holstein. Dieses habe mindestens drei Wahlkreise mehr als ihm zustünden. Bei einer den Erfordernissen des Art. 38 Abs. 1 GG Rechnung tragenden Einteilung habe daher die CDU anstatt der vier errungenen, lediglich ein Überhangmandat erhalten können78 . Erstmals im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zog der Beschwerdeführer des weiteren die Verfassungsmäßigkeit eines weiteren, von der CDU im Saarland errungenen Überhangmandats in Zweifel 79 .

74

Vgl. dazu im einzelnen unten Kapitel 4, 2. Abschnitt, Β. II.

75

Vgl. BVerfGE 16, 130 ff. „Evidenz-Fall".

76

Vgl. BVerfGE 16, 130(131).

77

Vgl. BVerfGE 16, 130(131 f.).

78

Vgl. BVerfGE 16, 130(132).

79

Vgl. BVerfGE 16, 130(133).

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

78

b) Entscheidung des Gerichts Das Bundesverfassungsgericht stellte zunächst fest, daß die der Wahl am 17. September 1961 zugrunde gelegte Wahlkreiseinteilung aus dem Jahre 1949 stammte. Nach ihr entfielen auf das Land Schleswig-Holstein 14 Wahlkreise. Die Bevölkerungszahl des Landes sei jedoch seit dem Jahre 1950 vor allem durch die Umsiedlung von Vertriebenen und Flüchtlingen, die zunächst dort Zuflucht gefunden hatten, erheblich zurückgegangen. Statt der 14 wären bei einer diese Entwicklung berücksichtigenden Verteilung der Wahlkreise auf Schleswig-Holstein lediglich noch 11 Wahlkreis entfallen. Es stimmte dem Beschwerdeführer in der Einschätzung zu, daß bei korrekter Wahlkreiseinteilung die CDU in Schleswig-Holstein nicht 4, sondern lediglich 1 Überhangmandat und infolgedessen statt 13 insgesamt nur 10 Mandate erhalten hätte 80 . Das Gericht sah einen relevanten Wahlfehler zunächst nicht allein in der Existenz von Überhangmandaten als solchen. Diese rechtfertigte es vielmehr mit der Überlegung, Überhangmandate seien „insoweit verfassungsrechtlich unbedenklich als ihre Zuteilung die notwendige Folge des spezifischen Zieles der personalisierten Verhältniswahl (sei). Eine über diese Besonderheit der personalisierten Verhältniswahl hinausgehende Differenzierung des Stimmgewichts (sei) in Anbetracht der Formalisierung der Wahlrechtsgleichheit daher nicht zu rechtfertigen" 81. Als Verstoß gegen die Wahlrechtsgleichheit sah es der Senat aber an, daß nach dem Bericht der Wahlkreiskommission vom 4. September 1962 am 1. Januar 1962 - also rund 4 Monate nach der Wahl - insgesamt 37 (!) Wahlkreise die mit dem Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit noch vereinbare Toleranzgrenze des § 3 Abs. 3 Satz 2 BWahlG a.F. 82 überschritten hatten83.

c) Besonderheiten des Falles Diese Wahlprüfungsbeschwerde stellte das Bundesverfassungsgericht vor eine bisher nicht aufgetretene Schwierigkeit. Nachdem das Gericht die Verfassungswidrigkeit der Wahlkreiseinteilung und damit des der Wahl zugrundelie-

80

Vgl. BVerfGE 16, 130(138).

81

Vgl. BVerfGE 16, 130(140).

82

Die Regelung findet sich heute in § 3 Abs. 2 Satz 3 Ziff. 2 BWahlG.

83

Vgl. BVerfGE 16, 130(141).

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

79

genden Wahlgesetzes bejaht hatte, konnte mit dem erprobten Fehlerkorrektiv des Erheblichkeitsgrundsatzes eine Aufhebung der Wahl und die daraus mit all ihren Konsequenzen resultierende Notwendigkeit einer Neuwahl nicht vermieden werden. Wenn die Wahlkreiseinteilung verfassungswidrig war, hatte sich dieser Fehler auch auf die Sitzverteilung ausgewirkt. Nach normalen Kriterien wäre damit die Wahl ungültig. Wie aber konnte ein mandatsrelevanter Wahlfehler bejaht und trotzdem dessen Auswirkung auf die Wahl verneint werden? Dem Senat gelang die hierzu notwendige „Quadratur des Kreises", indem er zwischen der verfassungsrechtlichen Situation zum Zeitpunkt der Wahl und derjenigen zum Zeitpunkt der Entscheidung differenzierte. Zwar sei die Wahlkreiseinteilung zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Wahlprüfungsbeschwerde (am 22. Mai 1963) verfassungswidrig, doch folge hieraus nicht, daß die Wahlkreiseinteilung auch zum Zeitpunkt der Wahl (am 17. September 1961) schon verfassungswidrig war 84 . Die Schwierigkeit, den genauen Zeitpunkt zu bestimmen, an dem die ursprünglich verfassungsgemäße Wahlkreiseinteilung verfassungswidrig geworden sei, beruhe darauf, daß diese Entwicklung von fließenden Übergängen gekennzeichnet sei und ihr „Trend" nicht mit genügender Sicherheit vorauszusehen gewesen sei 85 . Da der Verstoß der Wahlkreiseinteilung gegen den Grundsatz der gleichen Wahl zum Zeitpunkt der Wahl „noch nicht so evident war", daß er deren Verfassungswidrigkeit zu jener Zeit habe in Frage stellen können, könne nicht von einem Wahlfehler gesprochen werden, der die Wahlen von 1961 in verfassungswidriger Weise beeinflußt habe86. Letztlich räumte der Senat also ein, daß sich die gerügten Wahlfehler bei der von ihm zu überprüfenden Wahl zum 4. Deutschen Bundestag in gleichheitswidriger Weise ausgewirkt hatten. Wörtlich führte er dazu aus: „Da sich diese Ungleichheiten bei der letzten Bundestagswahl in SchleswigHolstein erneut in einer Differenzierung des Stimmengewichts ausgewirkt(\) haben, die nicht mehr ignoriert werden kann, darf die Wahlkreiseinteilung in ihrer bisherigen Form der nächsten Bundestagswahl nicht mehr zugrunde gelegt werden. Die Wahlkreiseinteilung ist verfassungswidrig geworden"87.

84

Vgl. BVerfGE 16, 130(141).

85

Vgl. BVerfGE 16, 130(142).

86

Vgl. BVerfGE 16, 130 (143 f.).

87

Vgl. BVerfGE 16, 130 (141). - Hervorhebung hinzugefügt.

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

80

Zunächst ist gegen die Argumentation des Gerichts einzuwenden, daß die Evidenz eines Verfassungsverstoß nach allgemeinen Regeln für die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Wahlgesetzes keine Rolle spielt. So hat das Bundesverfassungsgericht zum Beispiel in der noch zu behandelnden Entscheidung betreffend das Kandidatenaufstellungsverfahren der Hamburger CDU 8 8 die Zulassungsentscheidung des Bundeswahlausschusses gerade ohne Rücksicht auf die subjektive Kenntnis des Bundes Wahlausschusses für rechtswidrig erachtet und demzufolge als Fehler angesehen89. Aber selbst wenn man die Evidenz eines Verfassungsverstoßes grundsätzlich als Bewertungskriterium anerkennen wollte, so lag sie hier vor. Denn die Ungleichheiten der Wahlkreiseinteilungen wurden nicht etwa erstmalig bei Gelegenheit der Wahlprüfungsbeschwerde publik; über sie war bereits im Vorfeld der Wahl diskutiert worden. Bereits im Jahre 1955(!) hatte die Wahlrechtskommission in einem Bericht ausgeführt, die bereits eingetretene und bis 1957 noch zu erwartende Bevölkerungsverschiebung mache es unerläßlich, die Wahlkreiseinteilung für die 3. Bundestagswahl zu überprüfen und den neuen Bevölkerungsziffern anzupassen90. Bei der vom Bundesverfassungsgericht zu überprüfenden Wahl zum 4. Deutschen Bundestag im Jahre 1961 waren daher die Probleme der ungleichen Wahlkreiseinteilung bekannt. Auch konnten die Schwierigkeiten nicht zwischenzeitlich in Vergessenheit geraten sein, denn Theodor Eschenburg hatte im Juni 1961 (also etwa 3 Monate vor der Wahl) in der Zeit daraufhingewiesen, daß ungefähr 11% der Wahlkreise um mehr als 33 V3% vom Durchschnitt abwichen, einige davon bis zu 83% und damit außerhalb der Toleranzgrenze des § 3 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BWahlG lagen91. Die Ungleichheit der gerügten Wahlkreiseinteilung war damit auch im Zeitpunkt der Wahl im September 1961 offensichtlich.

88

Vgl. dazu unten Kapitel 3, 2. Abschnitt, B. III. 5 „Nichtzulassung I"

89

Vgl. BVerfGE 89, 243 (253 f.): „Ohne Belang hierfür ist, ob der Verstoß dem Zulassungsorgan bekannt war oder nach zumutbarer Ermittlung hätte bekannt sein können. Auf die Frage, welchen Prüflingspflichten das Wahlorgan in diesem Zusammenhang zu genügen hat, kommt es insoweit nicht an. Allein der Verstoß gegen die wahlrechtlichen Mindestregeln für die Kandidatenaufstellung macht die Zulassungsentscheidung fehlerhaft". 90 91

Zitiert nach Laufer, Verfassungsgerichtsbarkeit und politischer Prozeß, S. 574.

Zitiert nach Laufer, Verfassungsgerichtsbarkeit und politischer Prozeß, S. 574. Nach § 3 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 letzter HS ist bei einer Abweichung von mehr als 33 V3% eine Neuabgrenzung der Wahlkreis vorzunehmen; zu verfassungsrechtlichen Problemen der genannten Grenze vgl. auch Schild, NVwZ 1983, 597 (598).

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

81

In der Literatur ist angesichts dessen konstatiert worden, das Gericht habe sich durch eine Aufhebungsentscheidung wohl nicht den Unmut der Parteien zuziehen wollen und daher eher verfassungspolitisch denn verfassungsrechtlich argumentiert 92. Wenn dies auch nicht das letzte Mal gewesen sein sollte, daß Druck auf das Gericht bei politisch sensiblen Entscheidungen ausgeübt wurde, so dürfte dessen Entscheidung auch durch eine Fülle verfassungsrechtlich ungeklärter Fragestellungen, die eine Aufhebungsentscheidung aufgeworfen hätte, bestimmt worden sein. Wird nämlich aufgrund eines verfassungswidrigen Wahlgesetzes gewählt und infolge einer hierauf gestützten Wahlprüflingsbeschwerde die Wahl für ungültig erklärt, entstehen weitgehend ungelöste Folgeprobleme. Zwar mag es infolge der überwiegend angenommenen Nichtigkeit der Wahl ex nunc und der daraus abgeleiteten Gültigkeit der Entscheidungen des Parlaments bis zu diesem Zeitpunkt 93 zu weit gehen, die Wahl des Bundeskanzlers sowie die Berufung der Bundesminister als ungültig anzusehen94. Völlig unklar wäre aber, auf welcher Grundlage die notwendige Neuwahl durchgeführt werden könnte. Das alte Wahlgesetz könnte der Wahl aus naheliegenden Gründen nicht zugrunde gelegt werden. Da mit der Ungültigerklärung der Wahl der Bundestag seine demokratische Legitimation verliert, wäre er auch nicht imstande, ein neues Wahlgesetz zu erlassen. Gegenüber dem seinerzeit ventilierten Ausweg, die Neueinteilung der Wahlkreise dem Bundesverfassungsgericht zu übertragen 95, sind im Laufe der Entwicklung Bedenken aufgrund des Gewaltenteilungsprinzips 96 und des Grundsatzes des judical self restraint gewachsen. Gleichwohl kann der Entscheidung des Gerichts nicht zugestimmt werden. Nach der hier vertretenen und im folgenden noch weiter entwickelten Auffassung ist der über die Kombination von Erheblichkeitsgrundsatz und Ausschaltung sonstigen Rechtsschutzes aufgrund von § 49 BWahlG bewirkte ,,totale(..) Leerlauf der Wahlprüfung" 97 mit der Bedeutung des subjektiven Wahlrechts für die Demokratie unvereinbar, da subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsver-

92

Vgl. Laufer, Verfassungsgerichtsbarkeit und politischer Prozeß, S. 571.

93

Magiera, in: Sachs, GG, Art. 41 Rn. 17.

94

So die Befürchtungen bei Laufer, Verfassungsgerichtsbarkeit und politischer Prozeß, S. 575. 95

Laufer, Verfassungsgerichtsbarkeit und politischer Prozeß, S. 575.

96

Zur Problematik einer Gesetzgebungskompetenz des BVerfG vgl. Frenz, ZG 1993, 248 ff. 97

Vgl. Seifert, BundeswahlR, MWPrüfR, S. 399.

6 Lang

82

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

fahren auch anders als über eine Aufhebung der Wahl erreicht werden kann 98 . Das Wahlprüfungsverfahren wird seines Anwendungsbereichs indes gänzlich beraubt, wenn auch in Fällen erwiesener Mandatsrelevanz die Wahlfehler sanktionslos bleiben. Daß solche Fallkonstellationen erhebliche Probleme aufwerfen, ist freilich unbestritten. Auf sie soll hier nicht vertieft eingegangen werden. Insoweit mag es mit den folgenden Überlegungen sein Bewenden haben. Möglicherweise kann bei der Frage, wer ein neues Wahlgesetz erlassen könnte, mit einer Parallele zu der sowohl im Bundes- als auch im Landesverfassungsrecht anerkannten Fiktion des Fortbestehens aufgelöster Länder oder Gemeinden zum Zwecke der Rechtsverfolgung geholfen werden. So hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens, das einen Streit über das Vorliegen sowie den Inhalt eines bindenden Eingliederungsvertrages zwischen zwei Ländern zum Gegenstand hatte, das untergegangene Land im Prozeß als fortbestehend behandelt99. Im Rahmen von landesverfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen um die Auflösung von Gemeinden, wie sie im Zuge der großen Gebietsreform mehrfach die Gerichte beschäftigten, wurde ebenfalls anerkannt, daß der Rat der aufgelösten Gemeinde dazu legitimiert war, Verfassungsbeschwerde gegen das die Gemeinde auflösende Gebietsänderungsgesetz einzulegen 100 . In vergleichbarer Weise könnte dem an sich ungültig gewählten Bundestag die Möglichkeit zum Erlaß eines Wahlgesetzes eingeräumt werden, wobei sich hierdurch auftretende Bedenken hinsichtlich der Legitimation solcher Gesetze über die Konstruktion einer „Genehmigung" durch den Wahlakt vermeiden ließen.

2. Beschluß vom 25. Juli 1967 - „Erledigung II" Dieser Beschluß behandelt eine erledigte Wahlprüfungsbeschwerde, die sich auf die Wahl zum 4. Deutschen Bundestag am 17. September 1961 bezog 101 .

a) Sachverhalt Der Beschwerdeführer focht diese Wahl an, weil sein Wahlvorschlag für sich als Einzelbewerber mit der Begründung abgelehnt worden war, seine Kandida-

98

Vgl. dazu im einzelnen Kapitel 5.

99

Vgl. BVerfGE 3, 267 (279 f.).

100

Vgl. etwa VerfGH NW OVGE 14, 372 LS 1; 26, 270 (271) sowie LS 1.

101

Vgl. BVerfGE 22, 277 ff.

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

83

tur stelle eine verbotene Fortsetzung der vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten KPD dar. Der Beschwerdeführer hatte zunächst Verfassungsbeschwerde gegen seine Nichtzulassung eingelegt, die das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 27. Juni 1962 als unzulässig zurückgewiesen hatte. Das Bundesverfassungsgericht könne wegen der Ablehnung eines Wahlvorschlags im Rahmen einer Bundestagswahl nicht unmittelbar, sondern erst nach Durchführung der Wahlprüfung durch den Bundestag angerufen werden 102 . Der Bundestag trug in seiner Stellungnahme zu der Wahlprüfungsbeschwerde vor, selbst wenn die Ablehnung des Wahlvorschlages unzulässig gewesen sei, komme es hierauf mangels Mandatsrelevanz nicht an. Zur Erledigung der Wahlprüfungsbeschwerde war es unter anderem deshalb gekommen, weil das Bundesverfassungsgericht den Ausgang eines parallel gegen den Beschwerdeführer wegen vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betreffend das Verbot der KPD vom 17. August 1956 103 geführten Strafverfahrens abwarten wollte. Dieses Strafverfahren war später nach § 201 StPO eingestellt worden. Der Beschwerdeführer trug vor, das Gericht müsse trotz der Erledigung entscheiden. Schließlich habe man ihm in dem zunächst geführten Verfassungsbeschwerdeverfahren bedeutet, er solle seine Rechte im Wahlprüfungsverfahren geltend machen. Deshalb würde ihm jeder Rechtsschutz gegen die Zurückweisung seines Wahlvorschlags versagt, wenn nunmehr seine Wahlprüfungsbeschwerde für erledigt erklärt werden würde 104 .

b) Entscheidung des Gerichts Das Gericht Schloß sich dieser Auffassung nicht an und erklärte die Wahlprüfungsbeschwerde für erledigt. Nach seiner ständigen Rechtsprechung sei das Wahlprüfiingsverfahren dazu bestimmt, die richtige Zusammensetzung des Bundestages zu gewährleisten 105.

102

Vgl. BVerfGE 14, 154 f. (154).

103

Vgl. BVerfGE 5, 85 ff.

104

Vgl. BVerfGE 22, 277 (280).

105

Vgl. BVerfGE 22, 277 (280) unter Bezugnahme auf BVerfGE 4, 370 (372); 21,

196.

84

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Nachdem die Wahlperiode des 4. Deutschen Bundestages abgelaufen sei, könne die Entscheidung über die Wahlprüfungsbeschwerde keine Auswirkungen mehr auf die Zusammensetzung des Bundestages haben. Für den Erfolg von Wahlprüfungsbeschwerden komme es aber darauf an, ob die gesetzmäßige Zusammensetzung des Bundestages verändert werden könne. Die Verletzung subjektiver Rechte könne nur der Anlaß, nicht aber der Gegenstand eines Wahlprüfungsverfahrens sein 106 . Denn die Verfolgung subjektiver Rechte einzelner müsse gegenüber der Notwendigkeit, die Stimmen einer Vielzahl von Bürgern zu einer einheitlichen, wirksamen Wahlentscheidung zusammenzufassen, zurücktreten 107 . Mit Art. 19 Abs. 4 GG sei diese Regelung vereinbar. Denn diese Vorschrift garantiere den Rechtsweg, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt sei. Demgegenüber bestimme Art. 41 GG, daß die Wahlprüfung Sache des Bundestages sei und daß gegen dessen Entscheidung das Bundesverfassungsgericht angerufen werden könne. Damit werde die Korrektur etwaiger Wahlfehler einschließlich solcher, die Verletzung subjektiver Rechte enthalten, dem Rechtsweg des Art. 19 Abs. 4 GG entzogen108. Daß die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 41 GG kein Rechtsweg im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG sei, ergebe sich im übrigen auch aus § 48 BVerfGG, nach dem die Zulässigkeit der Wahlbeschwerde vom Beitritt weiterer 100 Wahlberechtigter abhängig ist 1 0 9 .

c) Besonderheiten des Falles Die Entscheidung zeigt, daß im Laufe der Rechtsprechung in Wahlprüfungsverfahren das Bewußtsein, daß der Ausschluß jeglichen subjektiven Rechtsschutzes im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht unproblematisch ist, gewachsen ist. Interessant für die in Kapitel 4 noch darzustellende Kontroverse zwischen Rechtsprechung und Literatur um das Verhältnis von Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 41 GG ist die hier durch das Gericht (erstmals) angeführte Spezialitätsthese. Es sieht Art. 19 Abs. 4 GG durch Art. 41 GG verdrängt; nicht etwa hat sich das Gericht auf den Standpunkt gestellt, was gelegentlich fälschlich in der Literatur behauptet wird, im Bereich von Wahlen finde die Vorschrift - etwa

106

Vgl. BVerfGE 22, 277 (281).

107

Vgl. BVerfGE 22, 277 (281).

108

Vgl. BVerfGE 22, 277 (281).

109

Vgl. BVerfGE 22, 277 (281) unter Bezugnahme auf BVerfGE 1, 430 (432).

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

85

wegen der Rechtsnatur des Wahlrechts - keine Anwendung 110 . Man kann der Entscheidung im Gegenteil entnehmen, daß das Bundesverfassungsgericht das Wahlrecht auch als subjektives Recht im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG ansieht. Gleichsam ohne Not und eher beiläufig legte sich das Gericht dann allerdings in dem Beschluß auch hinsichtlich der Qualifizierung der Beschwerde nach Art. 41 Abs. 2 GG fest, in dem es erklärte, aus § 48 BVerfGG (als einfachrechtlicher Vorschrift!) ergebe sich, daß die Wahlprüfungsbeschwerde keinen Rechtsweg im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG darstelle 111 . Damit war freilich die angesprochene und in Kapitel 4 ausgebreitete Kontroverse mit einer den Erfordernissen des Rechtsschutzprinzips verpflichteten Literatur vorgezeichnet. Denn wenn die Wahlprüfungsbeschwerde einerseits zwar den Rechtsweg des Art. 19 Abs. 4 GG verdrängt, andererseits aber selber keinen Rechtsweg darstellt, so ist zwangsläufig, daß sich im Bereich des Wahlrechts Rechtsschutzlücken ergeben. Es gehört zu den Versäumnissen der Rechtsprechung, daß sie diese Lücken durch ihre restriktive Handhabung des Beschwerderechts zwar ermöglicht, aber doch nie erschöpfend und umfassend argumentativ abgesichert und damit die beiden Verfassungsvorschriften in einen unversöhnlichen Antagonismus gestellt hat. Den eingeschlagenen restriktiven Kurs hat das Gericht in der Folgezeit fortgeführt und etwa im Beschluß vom 28. April 1970 entschieden, daß von dem angesprochenen Rechtswegausschluß auch die nachträgliche Verfassungsbeschwerde erfaßt wird 1 1 2 .

3. Beschluß vom 20. Juni 1973 - „Strafhaft-Fall"

a) Sachverhalt Der in Strafhaft sitzende Beschwerdeführer rügte, daß ihm nicht, wie in anderen Strafanstalten üblich, die Möglichkeit sein Wahlrecht auszuüben, ge-

110

Vgl. dazu Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 3; Seifert, BundeswahlR, BWG, § 49 Rn. 3 sowie unten Kapitel 4, 2. Abschnitt, Β. II. 1. 111

Vgl. BVerfGE 22, 277 (281). Nur aufgrund einer solchen Einschätzung der Beschwerde nach Art. 41 Abs. 2 GG wird einigermaßen akzeptabel, daß - wenngleich mitbedingt durch den vom Beschwerdeführer eingeschlagenen „Irrweg" der Verfassungsbeschwerde und das letztlich auch von ihm zu verantwortende parallele Strafverfahren - über die von ihm am 24. Juli 1962 eingereichte Beschwerde funf(!) Jahre später am 25. Juli 1967 entschieden wurde. 112

Vgl. BVerfGE 28,214(219).

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

86

währleistet worden sei 113 . Infolgedessen habe er an der Wahl nicht teilnehmen können. Zur Zulässigkeit seiner nur von ihm selbst unterzeichneten Wahlprüfungsbeschwerde teilte er mit, daß ihn die Anstalt daran gehindert habe, die erforderlichen Unterschriften weiterer 100 Wahlberechtigter beizubringen 114 .

b) Entscheidung des Gerichts Das Bundesverfassungsgericht wies die Beschwerde als offensichtlich unbegründet zurück, ohne auf die durch sie aufgeworfenen Zulässigkeitsprobleme einzugehen115. Da das Wahlprüfungsverfahren nur dem Schutz des objektiven Wahlrechts diene und deshalb nur mandatsrelevante Wahlfehler beachtlich seien, könnten die hier zu Recht gerügten Verletzungen subjektiver Rechte bei der Wahl nicht zu einem Eingreifen der Wahlorgane führen, da auszuschließen sei, daß sie sich auf die gesetzmäßige Zusammensetzung des Bundestages ausgewirkt haben können 116

c) Besonderheiten des Falles Das diesem Beschluß zugrundeliegenden Verfahren ist eines der wenigen vor dem Bundesverfassungsgericht durchgeführten Wahlprüfungsverfahren, in dem die Erheblichkeitsprüfung gänzlich unproblematisch ist. Es ist von einer wohl nur theoretisch denkbaren Ausnahme abgesehen in der Tat ausgeschlossen,· daß die Nichtzulassung eines einzelnen Wählers das Wahlergebnis beeinflussen könnte. Gleichwohl zeigt der Fall deutlich die aus der Sicht des Bürgers bestehende Unsicherheit hinsichtlich des einzuschlagenden Rechtsweges (Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht oder zu den Fachgerichten) auf. Daß diese Unsicherheit durch die angeführte Entscheidung nicht beseitigt ist, zeigen zum einen die wissenschaftliche Diskussion über die Zulässigkeit sonstigen Rechts-

113

Vgl. BVerfGE 35, 300 ff.

114

Vgl. BVerfGE 35, 300 (302).

115 Insbesondere ließ der Senat offen, ob in bezug auf das Beitrittserfordernis des § 48 Abs. 1 BVerfGG im Wahlprüfungsverfahren auf die Frage eingegangen werden könne, warum der Beschwerdeführer die weiteren 100 Unterstützungsunterschriften nicht beibringen konnte, vgl. BVerfGE 35, 300 (301). Daß das Gericht die Zulässigkeit der Beschwerde im Ergebnis offenließ und zur Sache entschied, ist angesichts der Schwierigkeiten der Beibringung weiterer 100 Unterstützungsunterschriften für einen in einer JVA befindlichen Beschwerdeführer überzeugend. 116

Vgl. BVerfGE 35, 300 (302).

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

87

schutzes sowie der Umstand, daß auch in jüngster Zeit Parteien ihre Teilnahme an der Wahl über eine einstweilige Anordnung beim Bundesverfassungsgericht erstreben und damit nach wie vor Rechtsschutz außerhalb konkreter Wahlprüfungsverfahren suchen 117 .

4. Beschluß vom 3. Juni 1975 - „Scheinwohnsitze-Fall" Die angeführte Entscheidung ist von besonderem Interesse, weil sie zum einen die Anforderungen an die Substantiierungslast der Beschwerdeführer verschärft und sich zum anderen mit der Bedeutung des Stimmenergebnisses für die Wahlkampfkostenerstattung auseinandersetzt 118.

a) Sachverhalt Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens waren Mängel, die aus der besonderen verfassungsrechtlichen Lage Berlins vor der Wiedervereinigung resultierten. Bis zur Wiedervereinigung im Jahre 1990 119 war nach dem staatsrechtlichen Verständnis der (alten) Bundesrepublik Berlin (West) zwar ein Land der Bundesrepublik Deutschland mit territorialer Geltung des Grundgesetzes, doch unterlagen die bundesstaatlichen Beziehungen besatzungsrechtlichen Beschränkungen 120 . Dieser Sonderstatus wirkte sich auch im hier interessierenden Bereich der Bundestagswahl aus. § 53 Nr. 2 BWahlG a.F. trug dem zunächst dadurch Rechnung, daß die Berliner Abgeordneten ungeachtet des insoweit deutungsoffenen Art. 144 Abs. 2 GG a.F. 121 nicht direkt durch die Bundestagswahl

117

Vgl. dazu BVerfG, Beschluß v. 25. November 1990-2 BvQ - n.v.

118

Vgl. BVerfGE 40, 11 ff.

119

Die entsprechende Regelung zum Rechtsstatus Berlins enthielt der sog. „Zweiplus-vier-Vertrag" vom 12. September 1990, BGBl. II, S. 1317. In Art. 7 Abs. 1 des Vertrages erklärten die vier Mächte, Frankreich, Großbritannien, die UdSSR sowie die USA ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin für beendet. Die Vier Mächte hatten sodann durch die Erklärung vom 1. Oktober 1990 (BGBl. II, S. 1331) ihre Rechte und Verantwortlichkeiten bereits zum 3. Oktober 1990 suspendiert, so daß am Tag der deutschen Einheit die Wiedergewinnung der staatlichen Einheit mit der Wiedererlangung der staatlichen Souveränität zusammenfiel, vgl. dazu Ipsen, StaatsorganisationsR, 5. Aufl. 1993, Rn. 10. 120

(62). 121

Vgl. dazu BVerfGE 7, 1 (7 ff); 19, 377 (388); 20, 257 (266); 36, 1 (17); 37, 57

Art. 144 Abs. 2 GG a. F. hatte folgenden Wortlaut: „Soweit die Anwendung dieses Grundgesetzes in einem der in Art. 23 aufgeführten Länder oder in einem Teil dieser

88

Kapitel 3 : Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

legitimiert, sondern mittelbar durch das Abgeordnetenhaus gewählt wurden. Sie besaßen aufgrund des Genehmigungsschreibens der Militärgouverneure vom 12. Mai 1949 122 im Bundestag keine Stimmberechtigung 123 und blieben bei der Bestimmung der gesetzlichen Mitgliederzahl von 496 Abgeordneten (§ 53 Nr. 1 BWahlG a.F.) außer Betracht 124 . Vor diesem Hintergrund war es in den 70-iger Jahren dazu gekommen, daß sich Einwohner Berlins mit einem Zweitwohnsitz im Bundesgebiet anmeldeten, um auf diese Weise eine „vollgültige" Stimme bei der Wahl abgeben zu können. Das war problematisch, sofern es sich hierbei um sogenannte Scheinwohnsitze handelte, das heißt um Fälle, in denen die betroffenen Personen in Wahrheit die Zweitwohnung überhaupt nicht bezogen. Diese Praxis war Gegenstand der Rüge des Beschwerdeführers. Er führte aus, unter anderem im Landkreis Siegen und im Landkreis Brühl sowie in Recklinghausen „und anderswo" hätten die aus der nichtberechtigten Teilnahme mit Scheinwohnsitzen angemeldeter Berliner Bürger resultierenden Verfälschungen einen Umfang angenommen, der sich auf das Stimmenergebnis ausgewirkt haben müßte 125 . Hinsichtlich der Reichweite seiner Rüge hatte der Beschwerdeführer betont, seinem Einspruch müsse über die drei namentlich benannten Wahlkreise hinaus aus Amtsermittlungsgrundsätzen in umfassender Weise nachgegangen werden 126 . Hinsichtlich des dabei anzuwendenden Prü-

Länder Beschränkungen unterliegt, hat das Land oder der Teil des Landes das Recht, gemäß Artikel 38 Vertreter in den Bundestag und gemäß Artikel 50 Vertreter in den Bundesrat zu entsenden". Mit der Bezugnahme auf Art. 38 GG war zumindest die mittelbare Wahl der Berliner Abgeordneten nicht unproblematisch. 122

Ziff. 4 enthielt den Vorbehalt zu Berlin. Sie lautete: „Ein dritter Vorbehalt betrifft die Beteiligung Groß-Berlins am Bund. Wir interpretieren den Inhalt der Artikel 23 und 144 (2) des Grundgesetzes dahin, daß er die Annahme unseres früheren Ersuchens darstellt, demzufolge Berlin keine abstimmungsberechtigte Mitgliedschaft im Bundestag und Bundesrat erhalten und auch nicht durch den Bund regiert werden soll, daß es jedoch eine beschränkte Anzahl Vertreter zur Teilnahme an den Sitzungen dieser gesetzgebenden Körperschaften benennen darf." 123 Zur Bedeutung des Genehmigungsschreibens für den Status der Berliner Abgeordneten vgl. Schiedermair, Der völkerrechtliche Status Berlins nach dem ViermächteAbkommen vom 3. September 1971, S. 109 f. (110). 124

Vgl. Ipsen, StaatsorganisationsR, 2. Aufl. 1989, S. 73.

125

Vgl. BVerfGE 40, 11 (11 f.).

126 Vgl. die Ausführungen des Beschwerdeführers in BVerfGE 40, 11 (25 f.), das amtliche Einspruchsrecht dürfe nicht gegen das private ausgespielt werden und „durch die bundesweit gefaßte Anfechtung sei als Streitgegenstand eine umfassende Überprüfung der Wahl unter dem Gesichtspunkt der Scheinwohnsitze vorgegeben gewesen".

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

89

fimgsmaßstabes stand der Beschwerdeführer auf dem Standpunkt, es könne nicht nur darauf abgehoben werden, ob durch die festgestellten Wahlfehler eine Verschiebung der Sitzverteilung möglich sei. Vielmehr sei eine Überprüfung auch des reinen Stimmenergebnisses schon deshalb geboten, weil die Erstattung der Wahlkampfkosten gesetzlich an die Zahl der Zweitstimmen geknüpft sei 127 . In tatsächlicher Hinsicht ist darauf hinzuweisen, daß im Wahlkreis SiegenWittgenstein ein Sitzverlust der CDU schon dann in Betracht gekommen wäre, wenn von deren Zweitstimmenergebnis 199 (ungültige) Stimmen abzuziehen gewesen wären und die Stimmenzahl für die anderen Parteien hierbei unverändert geblieben wäre 128 .

b) Entscheidung des Gerichts Das Gericht stellt zunächst den bereits in früheren Beschlüssen anzuwendenden Maßstab der Wahlprüfung dar. Das Wahlprüfungsverfahren und damit auch das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 41 Abs. 2 GG in Verbindung mit § 48 BVerfGG sei ausschließlich dazu bestimmt, die richtige Zusammensetzung des Bundestages zu gewährleisten. Daher seien nur solche Wahlfehler beachtlich, die auf die Mandatsverteilung von Einfluß sind oder sein können. Dagegen könnten Wahlfehler, welche die Ermittlung des Wahlergebnisses betreffen, die Beschwerde dann nicht rechtfertigen, wenn sie angesichts des Stimmenverhältnisses keinen Einfluß auf die Mandatsverteilung haben konnten 129 . Im Rahmen der fallbezogenen Prüfung begrenzt das Gericht sodann den Prüfungsgegenstand, in dem es eine substantielle Rüge des Beschwerdeführers nur für die drei benannten Wahlkreise annimmt. Nach § 2 Abs. 1 und 3 WahlprüfG erfolge die Wahlprüfung nur auf Einspruch, der zu begründen sei. Dabei richte sich der Umfang der Wahlprüfung nach dem Einspruch, denn der Einspruchsführer bestimme den Anfechtungsgegenstand. Deshalb sei die Wahlprüfung unter dem Gesichtspunkt der Scheinwohnsitze auf die drei im Einspruch benannten Wahlkreise zu begrenzen. Es reiche nicht aus, wenn der Beschwerdeführer annehme, durch die Formulierung

127

Vgl. BVerfGE 40, 11 (28).

128

Vgl. BVerfGE 40, 11 (21).

129

Vgl. BVerfGE 40, 11 (29) unter Bezugnahme auf BVerfGE 4, 370 (372); 21, 196 (199); 22, 277 (280 f.); 34, 201 (203); 35, 300 (301 f.).

90

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

„und anderswo" in seiner Einspruchsschrift könne er die Wahlprüfung auf alle Wahlkreise ausdehnen. Jedenfalls aber genüge seine Einspruchsbegründung nur bezüglich der drei benannten Wahlkreise der durch § 2 Abs. 3 WahlprüfG geforderten Substantiierung 130. Diese Substantiierungspflicht könne auch nicht etwa deshalb entfallen, weil sie im Einzelfall Schwierigkeiten im tatsächlichen Bereich gegenüberstehe. Ihr stünde nämlich ausgleichend das amtliche Einspruchsrecht der in § 2 Abs. 2 WahlprüfG genannten Personen gegenüber 131. Soweit der Beschwerdeführer danach in zulässiger Weise Rügen erhoben habe, und nicht auszuschließen sei, daß innerhalb des Wahlkreises SiegenWittgenstein nichtberechtigte Bürger mit sogenannten Scheinwohnsitzen an der Wahl teilgenommen hätten, könne ausgeschlossen werden, daß hierdurch die Sitzverteilung im Parlament beeinflußt worden sein könnte. Selbst wenn man nämlich unterstelle, daß alle Bürger mit Zweitwohnsitz in diesem Wahlbezirk Scheinwohnsitze begründet hätten, könnten infolgedessen lediglich 196 Stimmen ihre Gültigkeit verlieren. Eine Mandatsrelevanz käme demgegenüber erst bei einer Ungültigkeitsrate von 199 Stimmen in Betracht 132 .

c) Besonderheiten des Falles Zunächst bot der Beschluß dem Bundesverfassungsgericht die Gelegenheit, zu Fragen der Substantiierungslast im Wahlprüfungsverfahren Stellung zu nehmen. Der Senat bürdet dem Beschwerdeführer erneut die volle Substantiierungslast auf, nachdem der frühere Versuch, in Fällen ausreichend substantiierter Wahlfehler beim Kausalitätsnachweis Erleichterungen zu schaffen, fehlgeschlagen war 1 3 3 . In dem vorliegenden Beschluß hat sich das Gericht erkennbar gegen eine über die Prüfung der Erheblichkeit eines Wahlfehlers hinausgehende Wahlprüfung ausgesprochen. Das vom Beschwerdeführer vorgebrachte 134 und in der Literatur 135 aufgegriffene Argument, der Prüfungsmaßstab der Wahlprüfung sei

130

Vgl. BVerfGE 40, 11 (30 f.).

131

Vgl. BVerfGE 40, 11 (32 f.).

132

Vgl. BVerfGE 40, 11 (37).

133

Vgl. oben Kapitel 3, 2. Abschnitt, Β. II. 1. sowie BVerfGE 21, 196 (198). Auf die Schwierigkeit einer sachgerechten Verteilung der Beweislast in Wahlprüfungsverfahren soll unten in Kapitel 5, 1. Abschnitt, B. III. 3. c) bb) (2) eingegangen werden. 134

Vgl. BVerfGE 40, 11 (13 f.).

135

Z.B. von Seifert, BundeswahlR, MWPrüfR, S. 398.

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

91

nicht auf die Feststellung mandatsrelevanter Wahlfehler begrenzt, sondern unter anderem wegen der Auswirkung auf die Wahlkampfkostenerstattung sei auch eine Überprüfung des reinen Stimmenergebnisses auf seine Richtigkeit hin erforderlich, lehnte das Bundesverfassungsgericht ab. Nach § 18 ff. ParteiG bemißt sich die Wahlkampfkostenerstattung zwar nach den bei der Wahl errungenen Stimmen. Gleichwohl steht der Senat auf dem Standpunkt, Gegenstand der Wahlprüfling sei die Gültigkeit der Wahl, und die Gültigkeit einer abgelaufenen Wahl könne nicht dadurch berührt werden, daß aufgrund einer fehlerhaften Feststellung des Stimmenergebnisses den Parteien bei der nachträglichen Erstattung der Wahlkampfkosten zu hohe oder zu niedrige Beiträge zufließen würden 136 . Dies mag zutreffen, negiert aber, daß es nach herrschender Meinung auch keine anderen Rechtsschutzmöglichkeiten für die Partei gibt.

5. Beschluß vom 20. Oktober 1993 - „Nichtzulassung I" Dem Beschluß vom 20. Oktober 1993 137 war bereits vor seiner Veröffentlichung Medienbeachtung gewiß. Seine besondere Brisanz lag in dem Umstand begründet, daß im Mai des gleichen Jahres das Hamburgische Verfassungsgericht die Wahl zur Hamburger Bürgerschaftswahl - soweit ersichtlich erstmals auf Landesebene - für ungültig erklärt hatte 138 und es daraufhin zu einer Neuwahl gekommen war. Dem Verfahren vor den Karlsruher Richtern lagen nun in Teilen Rügen zugrunde, die mit den Beanstandungen des Verfahrens vor dem Landesverfassungsgericht nahezu identisch waren. Das Bundesverfassungsgericht ist allerdings einen anderen Weg gegangen als das Hamburgische Verfassungsgericht. Auf die jeweiligen Übereinstimmungen und Abweichung wird im folgenden näher eingegangen. In der Sache ging es in beiden Verfahren um Unregelmäßigkeiten im Kandidatenaufstellungsverfahren der Hamburger CDU.

a) Sachverhalt Dabei hatte sich das Bundesverfassungsgericht mit folgendem Sachverhalt zu beschäftigen. Im Januar 1989 fand eine landesweite Mitgliederversammlung der CDU zur Wahl einer allgemeinen Vertreterversammlung statt. Deren Aufgabe

136

Vgl. BVerfGE 40, 11 (29).

137

Vgl. BVerfGE 89, 243 ff.

138

Vgl. HVerfG, DVBl. 1993, 1070 ff.

92

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

bestand in der Aufstellung der Landesliste der CDU 1 3 9 . Im September 1990 wählte die Hamburger CDU ihre Wahlkreisbewerber in Wahlkreismitgliederversammlungen 140. Zu beiden Veranstaltungen hatte die Partei - wie das Bundesverfassungsgericht in den Entscheidungsgründen feststellte - in einer gegen § 21 Abs. 1 Satz 2 BWahlG verstoßenden Weise 141 anstatt alle mit Erstwohnsitz im Wahlkreis gemeldeten Parteimitglieder nur diejenigen eingeladen, die dem Hamburger Wahlkreis angehörten. Zu der Mitgliederversammlung im Januar 1989 waren von etwa 14000 geladenen Hamburger CDU-Mitgliedern 768 erschienen142. Auf der genannten Wahlkreismitgliederversammlung im September 1990 kandidierte der Beschwerdeführer W. gegen den Landesvorsitzenden E. Statt der erbetenen Redezeit von 10 Minuten wurde dem Beschwerdeführer W. von der Mehrheit der Mitgliederversammlung lediglich eine Zeitspanne von 3 Minuten zugestanden. Außerdem durfte er sich dabei nur zu seiner Person, nicht aber auch zur Sache äußern. Bei der folgenden Abstimmung erhielten von 220 gültigen Stimmen der konkurrierende Bewerber Ε. 159, der Beschwerdeführer W. 57 (25,9%) 143 . Bei der Bundestagswahl vom 2. Dezember 1990 erzielte im Wahlkreis Hamburg· Altona die SPD-Kandidatin mit 41,8% die Mehrheit der gültigen Erststimmen (gegenüber 39,7% für den CDU-Kandidaten E.). Von den Zweitstimmen entfielen in Hamburg auf die CDU 36,6%, die SPD 41,0%, die FDP 12,0% und auf die Grünen 5,8% 144 . Neben formellen Rügen, auf die hier nicht eingegangen werden soll 1 4 5 , erhoben die Beschwerdeführer in materieller Hinsicht Rügen betreffend das von der

139

Vgl. BVerfGE 89, 243 (246).

140

Vgl. BVerfGE 89, 243 (246).

141

Vgl. BVerfGE 89, 243 (255).

142

Vgl. BVerfGE 89, 243 (246).

143

Vgl. BVerfGE 89, 243 (246).

144

Vgl. BVerfGE 89, 243 (249).

145

Die Beschwerdeführer hatten formelle Rügen im Hinblick auf das im Rahmen des Einspruchsverfahrens durch den Deutschen Bundestag praktizierte Verfahren erhoben. Das Verfahren leide an einer unzulänglichen Sachaufklärung sowie einer überlangen Verfahrensdauer. Auch habe der Bundestag nicht von einer mündlichen Verhandlung über den Einspruch absehen und infolgedessen den Einspruch auch nicht als offensichtlich unbegründet zurückweisen dürfen. Schließlich wandten sie sich gegen die Darstel-

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

93

CDU praktizierte Ladungsverfahren zu den Mitgliederversammlungen, auf denen diese im September 1990 ihre Kreiswahlvorschläge bzw. im Januar 1989 ihre Landeslisten festgelegt hatte. Sämtliche Kreiswahlvorschläge sowie die Aufstellung der Landesliste der CDU seien infolge des Verstoßes gegen § 21 Abs. 1 Satz 2 BWahlG fehlerhaft zustande gekommen 146 . Bei der im September 1990 durchgeführten Aufstellung der Kreiswahlvorschläge sei die Beschneidung des Rederechts für den Kandidaten W. und Beschwerdeführer zu 3) ein Wahlfehler gewesen, dessen Relevanz sich angesichts des gleichwohl von W. erreichten Stimmenanteils von fast 27% nicht ausschließen lasse 147 .

b) Entscheidung des Gerichts Das Bundesverfassungsgericht wies die Beschwerde in vollem Umfang zurück. Entsprechend den Vorgaben des materiellen Wahlprüfungsrechts prüfte das Gericht, ob die Rügen des Beschwerdeführers tatsächlich als Wahlfehler anzu-

lung des Sach- und Streitstandes im Beschluß des Bundestages (vgl. BVerfGE 89, 243 [249 f.]). Erfolg kam der Beschwerde in bezug auf die formellen Rügen nicht zu, da nach Auffassung des BVerfG das Verfahren weder durch eine unzulängliche Sachaufklärung noch eine überlange Verfahrensdauer gekennzeichnet war. Die Bundestagswahl fand am 2.12.1990 statt, der Beschluß des Bundestages, mit dem dieser den Einspruch der Beschwerdeführer zurückwies, datiert vom 19.9.1991. Mithin lagen zwischen Einspruchseinlegung und Bescheidung allenfalls acht Monate. Eine solche Zeitspanne stellt keine unangemessen lange Verfahrensdauer dar (vgl. BVerfG, NJW 1985, 2019 [2020]; BVerfGE 60, 16 [41 f.]; Kopp, VwGO, § 75 Rn. 8). Dem Umstand, daß der Bundeswahlausschuß von der an sich gebotenen mündlichen Verhandlung gemäß § 6 Abs. la Nr. 3 WahlprüfG wegen offensichtlicher Unbegründetheit des Einspruchs absah, maß das Gericht ebenfalls keine Bedeutung zu. Der Senat distanzierte sich von einer an das Verwaltungsrecht angelehnten Evidenzlehre bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „offensichtlich" und stellte fest, daß ein Einspruch auch dann als offensichtlich unbegründet angesehen werden kann, wenn dieses Urteil das Ergebnis vorgängiger gründlicher Prüfung ist (vgl. BVerfGE 89, 243 [250] unter Hinweis auf die zu der inhaltlich übereinstimmenden Regelung in § 24 BVerfGG ergangenen Entscheidung BVerfGE 82, 316 [319 f.]). 146 1

Vgl. BVerfGE 89, 243 (247 f.). Vgl. BVerfGE 89, 243 ( 2 4 ) .

94

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

erkennen sind und stellte im Anschluß daran deren (potentielle) Mandatsrelevanz fest. Der Senat beschäftigte sich zunächst mit den Ladungsfehlern zu der Wahlkreismitgliederversammlung im September 1990 bzw. zu der Versammlung betreffend die Aufstellung der Landeslisten im Januar 1989, die hier der Einfachheit halber zusammen dargestellt werden. Beide Male litten die Einladungen unter einem Verstoß gegen § 21 Abs. 1 Satz 2 BWahlG 1 4 8 . Der Senat sah dies allerdings letztlich als wahlprüfungsrechtlich unbeachtlich an. Denn von den Mitgliedern des CDU-Landesverbandes Hamburg hatte sich nur ein geringer Bruchteil (zwischen 3 und 9%) an der Kandidatenaufstellung beteiligt. Es bestehe kein Anlaß dafür, daß dieses Zahlenverhältnis bei den nicht eingeladenen, aber teilnahmeberechtigten CDU-Mitgliedern, deren Mitgliedschaft außerhalb Hamburgs geführt werde, wesentlich günstiger gewesen sei 149 . Von daher gebe es keinen Anhalt dafür, daß bei einer Beteiligung der wenigen auswärts organisierten Parteimitglieder, die einer Einladung gefolgt wären, ein anderes Abstimmungsergebnis entstanden wäre 150 . Aus den gleichen Erwägungen heraus hielt das Gericht auch die fehlerhafte Einladung zu der im Januar 1989 erfolgten Mitgliederversammlung zur Wahl der Vertreterversammlung zur Aufstellung der Landesliste für wahlprüfungsrechtlich unbeachtlich 151 . Sodann wandte sich der Senat dem zweiten Wahlfehler zu. Daß das von der CDU praktizierte Verfahren der Aufstellung des Wahlkreiskandidaten - insbe-

148 In bezug auf die Frage, ob dieser Verstoß als Wahlfehler anzusehen war, stellte das Gericht zwar fest, daß die Partei an sich zu einer lückenlosen Einladung der Teilnahmeberechtigten verpflichtet gewesen sei, denn zum Bürgerrecht auf Teilnahme an der Wahl gehöre auch die Möglichkeit, Wahlvorschläge zu machen, und die Grundsätze der Allgemeinheit, Gleichheit und Freiheit der Wahl würden sich auch auf dieses Vorschlagsrecht beziehen (vgl. BVerfGE 89, 243 [251]). Zu Recht problematisierte der Senat dann aber die Frage, ob es den Parteien bei Anwendung zumutbarer Sorgfalt überhaupt möglich wäre, der Pflicht zu einer lückenlosen Einladung aller Teilnahmeberechtigten gerecht zu werden (vgl. BVerfGE 89, 243 [257]). Letztlich blieben die insoweit zu stellenden Anforderungen aber offen. Da es Aufgabe der Wahl sei, ein funktionsfähiges Repräsentationsorgan des Volkes hervorzubringen und es dieser Funktion widerspräche, wenn man die Gültigkeit der Wahl durch das Nichteinhalten von Verfahrensregeln in Frage stellen würde, deren Einhaltung den Parteien unzumutbar sei (vgl. BVerfGE 89, 243 [257]), legte sich das Gericht in bezug auf die einzuhaltenden Anforderungen nicht fest und verneinte die Erheblichkeit der gerügten Wahlfehler. 149

Vgl. BVerfGE 89, 243 (258).

150

Vgl. BVerfGE 89, 243 (258).

1

Vgl. BVerfGE 89, 2

(2).

95

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

sondere soweit es die Redezeitbeschränkung sowie die Begrenzung der Ausführungen auf reine Angaben zur Person betrifft - rechtswidrig war, lag angesichts des vom Gericht für zumindest indirekt anwendbar erklärten Maßstabes des Art. 38 GG auf der Hand. Auch das CDU-Parteigericht hat eine später nach den gleichen Grundsätzen durchgeführte Wahl einer Vertreterversammlung, die im übrigen Gegenstand des Verfahrens vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht war, für rechtswidrig erklärt 152 . Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist jedoch die vom Senat angewandte Kausalitätsprüfung von besonderem Interesse. Wie bereits in den meisten der oben angeführten Entscheidungen in Wahlprüfungsangelegenheiten stellte das Gericht zunächst den Maßstab auf, anhand dessen es den Erfolg von Wahlprüfungsbeschwerden beurteilt. Das Wahlprüfungsverfahren sei dazu bestimmt, die ordnungsgemäße Zusammensetzung des Bundestages zu gewährleisten. Die Beschwerde nach § 48 BVerfGG könne daher nur auf solche Wahlfehler gestützt werden, die auf die Sitzverteilung Einfluß haben oder haben können 153 . Dabei dürfe es sich nicht nur um eine theoretische Möglichkeit handeln, sie müsse eine nach der allgemeinen Lebenserfahrung konkrete und nicht ganz fernliegende sein 154 . Das Gericht ging davon aus, daß eine Mandatsrelevanz nur dann vorgelegen hätte, „wenn der Beschwerdeführer W. bei einer erweiterten Vorstellungsmöglichkeit (10 Minuten statt 3 Minuten Redezeit und Ausführungen auch zur Sache) von der Wahlkreismitgliederversammlung als Kandidat nominiert worden wäre und er sodann bei der Bundestagswahl auch mehr Stimmen als die mit einem Vorsprung von 2912 Stimmen (2,1 Prozentpunkte) gewählte Wahlkreiskandidatin der SPD erzielt hätte" 155 . Dies sei jedoch nach der Lebenserfahrung ausgeschlossen. Denn der Beschwerdeführer W. habe sich sein Rederecht überhaupt erst erkämpfen müssen und die Beschränkung seiner Redezeit auf 3 Minuten sei mit einer Mehrheit von 60:40 Stimmen beschlossen worden. Hieraus werde deutlich, daß die Mehrheit der Veranstaltung den Kandidaten E. habe wählen wollen, ohne daß es dieser

152

Vgl. Beschluß des Bundesparteigerichts der CDU vom 6. März 1992 - CDU-BPG 3/91 und unten 2. Abschnitt, Β. II. 5. 153

Vgl. BVerfGE 89, 243 (254) unter Hinweis auf BVerfGE 4, 370 LS; 85, 148

(158 f.). 154 15

Vgl. BVerfGE 89, 243 (254).

V g l . BVerfGE 89, 243 ( 2 ) - Hervorhebung

i

g

.

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

96

Mehrheit darauf angekommen sei, ob der Beschwerdeführer W. über ein aussagekräftiges Programm verfuge. Es könne ausgeschlossen werden, daß von der bereits so festgelegten Mehrheit der Versammlungsteilnehmer eine für eine andere Kandidatenwahl hinreichende Zahl sich durch einen zehnminütigen (statt dreiminütigen) Vortrag des Beschwerdeführers W. hätte umstimmen lassen156.

c) Besonderheiten des Falles Auch dieser Beschluß ist wahlprüfungsrechtlich von herausragendem Interesse. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung sind dabei zwei Aspekte der Entscheidung besonders bedeutsam157. Es handelt sich hierbei um die vom

156 157

Vgl. BVerfGE 89, 243 (261).

Auf eine weitere materielle Besonderheit der vorliegenden Entscheidung sei nur am Rande hingewiesen. Das BVerfG hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt und diese Erkenntnis auch in den ersten Leitsatz seiner Entscheidung aufgenommen, daß Wahlfehler auch von Dritten begangen werden können, soweit sie unter Bindung an wahlgesetzliche Anforderungen kraft Gesetzes Aufgaben bei der Organisation der Wahl erfüllen (vgl. BVerfGE 89, 249 [251-254] sowie LS 1). Der Senat hat aber gleichwohl darauf abgestellt, daß allein der Verstoß gegen die wahlrechtlichen Mindestregelungen für die Kandidatenaufstellung die Zulassungsentscheidung des Bundeswahlausschusses fehlerhaft mache. Es sei hierfür ohne Belang, ob der Verstoß dem Zulassungsorgan bekannt war oder auch nur hätte bekannt sein können (vgl. BVerfGE 89, 243 [253 f.]). Wenn allein die objektiv falsche Zulassungsentscheidung ausreicht, einen Wahlfehler des amtlichen Organs Bundeswahlleiter zu bejahen, hätte es an sich eines Rückgriffes auf die Parteien als Dritte nicht bedurft. Unmittelbar auf das Verhalten der Parteien konnte der Senat nicht abstellen. Denn als Handlung eines Wahlorgans i.S.v. § 8 BWahlG konnte das Kandidatenaufstellungsverfahren nicht qualifiziert werden, weil trotz des Umstandes, daß das BVerfG die Parteien zu Verfassungsorganen erklärt hat (BVerfGE 2, 1 [73] spricht von einer Inkorporation der Parteien in das Verfassungsgefüge, vgl. außerdem BVerfGE 73, 40 [85]: „Rang einer verfassungsrechtlichen Institution") und sie damit nach der Formulierung Henkes zwischen Staat und Gesellschaft stehen (vgl. Henke, Das Recht der politischen Parteien, S. 1), die Parteien jedenfalls im Sachbereich der Wahl nicht der staatlichen, sondern der gesellschaftlichen Ebene zuzuordnen sind (vgl. BVerfGE 20, 56 [100 f.]; 52, 63 [85]; 73, 40 [85]). Letztlich dürften prozessuale Gründe das BVerfG veranlaßt haben, anstatt allein auf die fehlerhafte Zulassungsentscheidung des Bundeswahlausschusses auf das Verfahren der Parteien selbst abzustellen. Bei einem Abstellen allein auf die Zulassungsentscheidung des Bundeswahlleiters wäre dem BVerfG, zumindest wenn das Gericht an dessen Tatsachenfeststellungen gebunden wäre, nur eine eingeschränkte Kontrolle (vgl. Huber, DÖV 1991, 229 [234 ff., 236]: „Zulassung dieser Wahlvorschläge [muß] auf Evidenzkontrolle beschränkt bleiben") möglich gewesen. Das BVerfG steckte mithin in folgendem Dilemma. Einerseits stellten die Entscheidungen des Wahlorgans Bundeswahlausschuß Wahlfehler dar. Andererseits konnte der Senat hierauf nicht allein abstellen. Denn

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

97

Bundesverfassungsgericht vorgenommene Erheblichkeitsprüfling sowie um die Überprüfung des Beschlusses des Bundestages auch in formeller Hinsicht. In bezug auf die vom Beschwerdeführer vorgebrachten formellen Rügen ist mit Blick auf die im Zentrum des fünften Kapitels stehende Frage nach dem Verfahrensgegenstand des Wahlprüflingsverfahrens von Interesse, daß sich der Senat für befugt ansieht, den Beschluß des Bundestags auch in formeller Hinsicht zu überprüfen. Das Gericht führte hierzu wörtlich aus: „Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nach Art. 41 Abs. 2 GG, § 48 BVerfGG, das ein eigenständiges, nicht auf die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wahl beschränktes Verfahren ist, überprüft das Bundesverfassungsgericht den angegriffenen Beschluß des Deutschen Bundestages auch in formeller Hinsicht"158. Abweichend von seinem häufig formulierten Verfahrensgegenstandsverständnis der Wahlprüfung, wonach es lediglich um die Gültigkeit der Wahl als solcher gehe, sprach das Gericht hier nicht von der Gültigkeit der Wahl, sondern von deren Verfassungsmäßigkeit. Es nannte das Verfahren nach Art. 41 Abs. 2 GG zudem ein eigenständiges, eben gerade nicht auf die Verfassungsmäßigkeit der Wahl beschränktes Verfahren. Insoweit wird in Kapitel 5 zu klären sein, ob sich hinter diesen abweichenden Formulierungen allein sprachliche Ungereimtheiten verbergen, oder ob sich der Senat hier der Sache nach für einen nicht allein auf die Gültigkeit der Wahl bezogenen Verfahrensgegenstand des Wahlprüfungsverfahrens ausgesprochen hat. Von besonderem Interesse ist auch die Erheblichkeitsprüfling des Bundesverfassungsgerichts. Sie ist deshalb von besonderer Brisanz, weil sie vom Ham-

da eine Kenntnis der Wahlorgane über den Ablauf des Verfahrens der Kandidatenaufstellung in den Parteiversammlungen oft nicht vorhanden ist und angesichts der in kurzer Zeit zu treffenden Entscheidungen über die Zulassung einer Partei zur Wahl sowie der begrenzten „Ermittlungsmittel" des Bundeswahlausschusses auch nicht herstellbar ist, liefe das Gericht Gefahr, den Prüfungsgegenstand nachträglich gegenüber den Wahlorganen zu erweitern. Da nunmehr, nicht zuletzt aufgrund denkbarer Einsprüche, volle Kenntnis über das von den Parteien angewandte Verfahren bestehen würde, würde im an sich kontrollierenden Wahlprüfungsverfahren gleichsam erstmals vollständig der Tatsachenstoff ermittelt, über den zu entscheiden ist. Einer solchen nachträglichen Erweiterung des Prüfungsgegenstandes wollte der Senat ersichtlich nicht das Wort reden. 158

7 Lang

Vgl. BVerfGE 89, 243 (249). - Hervorhebung hinzugefügt.

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

98

burgischen Verfassungsgericht für einen im wesentlichen vergleichbaren Sachverhalt entgegengesetzt beurteilt worden war 1 5 9 . Der Erheblichkeitsgrundsatz, verstanden als alleiniger Filter zur Abwehr wahlprüfungsrechtlicher Beschwerden ist auch in der Literatur seit längerer Zeit nicht unumstritten 160 . Es dürfte aber kaum eine methodische Kritik an diesem ungeschriebenen Grundsatz des Wahlprüfungsrechts geben, der das Institut Mandatsrelevanz so erschüttert hat, wie dies durch die divergierenden Entscheidungen der beiden Wahlprüfungsgerichte geschehen ist. Denn die Mandatsrelevanz soll üblicherweise nur fehlen, wenn mit „mathematischer oder logischer Sicherheit oder mit einer Wahrscheinlichkeit, die an Sicherheit grenzt", angesichts des Stimmenverhältnisses ausgeschlossen werden kann, daß ein gerügter oder festgestellter Wahlfehler auf die Sitzverteilung Einfluß genommen hat 161 . Es erscheint doch einigermaßen verwunderlich, wenn eine Gewißheit, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gewonnen wurde, von zwei Gerichten derart unterschiedlich beurteilt werden kann. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht seinen Entscheidungen einen etwas flexibleren Erheblichkeitsgrundsatz zugrundegelegt. Danach darf die Möglichkeit des Einflusses der Wahlfehler auf die Sitzverteilung keine theoretische sein, sondern sie muß nach der Lebenserfahrung konkret und nicht ganz fernliegend sein 162 . Aber selbst unter Zugrundelegung dieser beschwerdefeindlicheren Formel erstaunt die unterschiedliche Beurteilung durch die beiden Gerichte. Dafür nun allerdings dem Hamburgischen Verfassungsgericht die alleinige Schuld „in die Schuhe zu schieben", wie dies in der Literatur geschehen ist 1 6 3 , erscheint allzu einfach. Es handelt sich vielmehr um eine Schwäche des Prinzips an sich. In bezug auf die vom Bundesverfassungsgericht vorgenommene Erheblichkeitsprüfung soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit nur die auf die Redezeitbeschränkung des Beschwerdeführers W. bezogene Erheblichkeitsprüfung mit einigen Fragezeichen versehen werden. Der Senat hat insoweit einen doppelten Prüfungsansatz verfolgt. Er hat sich auf den Standpunkt gestellt, die angegriffe-

,59

Vgl. dazu unten 2. Abschnitt, B. III. 5.

160

Vgl. etwa Seifert,

BundeswahlR, MWPrüfR, S. 397; Schneider, in: AK, Art. 41

Rn. 3. 161

Vgl. Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 11.

162

Vgl. BVerfGE 89, 243 (254); 89, 266 (273); 85, 148 (158 f.); 48, 271 (280 f.); 40, 11 (39,41); 29, 154(164). 163

Vgl. z.B. Kuhl/Unruh, 1993, 1077 ff.

DVB1. 1994, 1391 ff.; Karpen, Urteilsanmerkung, DVB1.

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

99

ne Redezeitbeschränkimg sei wahlprüfungsrechtlich nur dann von Belang, wenn ohne sie der Beschwerdeführer W. als Wahlkreisbewerber aufgestellt und im weiteren dann diesen Wahlkreis auch tatsächlich statt der SPD-Bewerberin gewonnen hätte 164 . Der Senat verneint bereits die erste Voraussetzung. Angesichts der im Verlauf der Versammlung und dem jeweiligen Abstimmungsverhalten der Teilnehmer zum Ausdruck gekommenen ablehnenden Stimmung gegen den Beschwerdeführer W. könne ausgeschlossen werden, daß die Versammlungsteilnehmer sich durch eine längere Vorstellung des Bewerbers hätten umstimmen lassen165. Diese Erheblichkeitsprüfung vermag nicht zu überzeugen. Warum sollte es als ausgeschlossen erscheinen, daß ein anderes Abstimmungsergebnis entstanden wäre, wenn die Redezeit verlängert und der Kandidat vor allem auch die Möglichkeit besessen hätte, zu seinen programmatischen Zielsetzungen Ausführungen zu machen? Die entgegenstehende Sichtweise des Bundesverfassungsgerichts leugnet vollständig die Überzeugungskraft politischer Reden, die bisweilen dazu fuhren können, daß sich vorher als sicher geltende Mehrheiten ändern können, und deren hervorragendstes Beispiel aus neuerer Zeit die Rede des CDU-Fraktionsvorsitzenden Schäuble zur Frage des Sitzes von Parlament und Regierung war 1 6 6 . Des weiteren birgt die nachträgliche Sanktion des Verhaltens der Mehrheit auf der Mitgliederversammlung die Gefahr der Erosion des Minderheitenschutzes in Versammlungen. Denn im nachhinein läßt sich in Kenntnis des Abstimmungsverhaltens nahezu jede Benachteiligung mit der Formel „auch ohne sie kein anderes Ergebnis entstanden" als wahlprüfungsrechtlich irrelevant darstellen. Damit würde jedenfalls in diesem Bereich die Schutzfiinktion, die in der Einhaltung demokratischer Spielregeln liegt, ausgehebelt. Zudem ist zu bedenken, daß dem Beschwerdeführer W. nicht nur die Möglichkeit genommen wurde, sich und sein Programm vorzustellen; es wurde auch jede Diskussion darüber untersagt. Es bedeutet aber eine reine Spekulation, sich über den Verlauf einer gedachten Diskussion sowie deren Ergebnis festzulegen.

164

Eine Direktwahl des F.D.P.-Kandidaten bzw. des Bewerbers der Grünen konnte das Gericht von vornherein als nahezu ausgeschlossen außer Betracht lassen. 165 166

Vgl. BVerfGE 89, 243 (261).

Bekanntlich war vor dieser Rede die Mehrheit der nachher für einen Umzug nach Berlin votierenden Parlamentarier für einen Verbleib des Regierungs- und Parlamentssitzes in Bonn gewesen.

100

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Folgt man dem und steigt in die zweite Stufe der Kausalitätsprüfung ein, so wird man auch die Möglichkeit, daß der Beschwerdeführer W. den Wahlkreis gewonnen hätte, nicht sicher ausschließen können. Gerade weil hier Direktmandate in Rede stehen, kann der potentiellen Kausalität des Wahlfehlers nicht mit dem Hinweis begegnet werden, daß der fragliche Wahlkreis nicht von dem statt des Beschwerdeführers W. nominierten Kandidaten der CDU E., sondern von der SPD-Kandidatin gewonnen wurde. Mag angesichts der Parteiendominanz in Wahlen nicht auszuschließen sein, daß auch bei einem anderen CDUKandidaten auf jeden Fall die SPD-Bewerberin den Wahlkreis gewonnen hätte, so ginge eine solche Sichtweise gleichwohl an der Idee der Direktmandate vorbei, bei denen es auf die Person des Bewerbers und nicht auf seine Parteizugehörigkeit ankommt. Andernfalls könnte die Regelung über Direktmandate in § 5 BWahlG auch zugunsten einer weiteren Listenverteilung gestrichen werden. Die Probleme der Erheblichkeitsprüfung des Bundesverfassungsgerichts lassen sich am deutlichsten an der gegensätzlichen Entscheidung des Hamburgischen Verfassungsgerichts darstellen. Insoweit sei aus den zahlreichen in dem Verfahren vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht gerügten Wahlfehler nur einer herausgegriffen. Das Gericht wertete den tatsächlichen Wahlablauf der Mitgliederversammlung am 2. Oktober 1990 167 „als schweren Verstoß gegen den Grundsatz innerparteilicher Demokratie und als Verletzung der allgemeinen Wahlrechtsgrundsätze" 168. Auf der genannten Mitgliederversammlung hatte trotz eines entsprechenden Geschäftsordnungsantrages und der Rüge des Ablaufs der Wahl seitens einer oppositionellen Gruppe die Mehrheit der Teilnehmer auf Antrag des Landesvorstandes weder eine Vorstellung der vom Vorstand vorgeschlagenen Kandidaten noch sonst eine Diskussion zugelassen. Hierdurch habe eine erfolgversprechende Aufstellung von Gegenkandidaten nicht vorbereitet werden können 169 . Aufgrunddessen gelangt das Gericht zu der Überzeugung, daß eine Wahl im Sinne des Demokratieprinzips nicht stattgefunden habe 170 . Das Gericht erachtete diesen Wahlfehler in erkennbarem Gegensatz zum Bundesverfassungsgericht auch als mandatsrelevant. Dies ergäbe sich aus einem „zur Überzeugung des Gerichts feststehenden Erfahrungssatzes der politischen Praxis des Inhalts, daß es bei Kandidatenaufstellungen innerhalb demokratischer Parteien regelmäßig zur

167

Die Bürgerschaftswahl in Hamburg fand am 2. Juni 1991 statt.

168

Vgl. HVerfG, DVB1. 1993, 1070 (1071).

169

Vgl. HVerfG, DVB1. 1993, 1070 (1072).

170

Vgl. HVerfG, DVB1. 1993, 1070 (1072).

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

101

Veränderung der Vorschläge (...) kommt, wenn diese (...) offen diskutiert und Gegenkandidaten mit entsprechender Begründung zur Wahl gestellt werden können". Deshalb sei davon auszugehen, „daß die Bürgerschaft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anders zusammengesetzt wäre, wenn es zu den festgestellten Verstößen" nicht gekommen wäre 171 . Dabei geht das Gericht von einer doppelten Kausalität aus. Es stellt zunächst fest, daß ohne den Wahlfehler als Kandidat der CDU möglicherweise eine andere Person ausgewählt worden wäre und führt aus, bei Unterstellung eines im übrigen gleichen Wahlergebnisses, hätte dies zu einer teilweise anderen Zusammensetzung der CDU-Bürgerschaftsfraktion und damit zu einer teilweise personell anders zusammengesetzten Bürgerschaft geführt 172 . In der Literatur 173 ist dem Hamburgischen Verfassungsgericht vorgeworfen worden, seine Feststellung der Mandatsrelevanz überzeuge nicht. Seine Formel, es bestehe ein Erfahrungssatz des Inhalts, daß es bei Kandidatenaufstellungen innerhalb demokratischer Parteien regelmäßig zur Veränderung der Vorschläge kommt, wenn diese offen diskutiert und Gegenkandidaten mit entsprechender Begründung zur Wahl gestellt werden können 174 , sei spekulativ. Denn mehr als „eine theoretische Möglichkeit der Kausalität" könne anhand dieser Kriterien nicht abgeleitet werden 175 . Dagegen ist zunächst einzuwenden, was die Autoren im Rahmen eines nachträglich stattfindenden Überprüfungsverfahrens denn anderes prüfen wollen, als die theoretische Möglichkeit der Kausalität. Überdies wird man dem Erfahrungssatz des Hamburgischen Verfassungsgerichts Überzeugungskraft nicht absprechen können. Wollte man anders entscheiden, drängte sich die Frage auf, warum Parteien einen demokratischen Diskurs über ihre Kandidaten und Programme führen, wenn auszuschließen ist, daß sich die Parteimitglieder durch die jeweils geführte Diskussion überhaupt beeinflussen lassen.

171

Vgl. HVerfG, DVBl. 1993, 1070 (1073).

172

Vgl. HVerfG, DVBl. 1993, 1070 (1073).

173

Vgl. Kuhl/Unruh,

174

Vgl. HVerfG, DVBl. 1993, 1070 (1073).

175

DVBl. 1994, 1391 ff.

Vgl. Kuhl/Unruh, DVBl. 1994, 1391 (1398); ebenso die Urteilsanmerkung von Karpen, DVBl. 1993, 1077 (1079): „Ausführungen des Gerichts sind hochspekulativ"; ähnlich Ipsen, ZParl 1994, 235 (238): Gericht verliert sich in Spekulationen.

102

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Als Fazit läßt sich damit festhalten, daß dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts im Fall „Nichtzulassung I" eine der wenigen Konstellationen zugrundeliegt, in denen man auch bei großzügigster Interpretation des Erheblichkeitsgrundsatzes nicht helfen kann. Soll die Wahlprüfung nicht zu einer bloßen Billigung einer einmal stattgefundenen Wahl herabsinken, so muß das Gericht in Extremfällen seine Verwerfungskompetenz selbst um den Preis erheblicher praktischer Schwierigkeiten ausschöpfen 176. Die beiden folgenden Wahlprüfungsbeschwerden fuhren zu einer der sensibelsten Fragestellungen des Wahlprüfungsrechts, denn sie betreffen nahezu ausschließlich Entscheidungen über die Zulassung politischer Parteien zur Wahl.

6. Beschluß vom 23. November 1993 - „Nichtzulassung II" Der Beschluß vom 23. November 1993 177 hatte sich dabei mit folgendem Sachverhalt zu beschäftigen.

a) Sachverhalt Der Beschwerdeführer war Generalsekretär der am 2. April 1990 gegründeten Deutschen Sozialen Union (DSU) mit Sitz in Bonn. Die Wahl dieses Namens war nicht unproblematisch, denn in der DDR existierte bereits eine wesentlich größere und bekanntere Partei dieses Namens mit Sitz in Leipzig 178 . Das Begehren der DSU (Bonn) auf Teilnahme an der Wahl wurde vom Bundeswahlausschuß aus zwei Gründen zurückgewiesen. Zum einen führe die Partei zu Unrecht den Namen DSU. Damit fehle es an einer formellen Anzeige für die Beteiligung an der Wahl 1 7 9 . Zum anderen handele es sich bei der DSU nicht

176

Vgl. dazu noch unten Kapitel 5, 1. Abschnitt, B. III. 3. a) cc) (3) (b) (cc).

177

Vgl. BVerfGE 89, 291 ff.

178

Sie führte auch zu einer namensrechtlichen Auseinandersetzung zwischen den beiden Parteien vor einem Zivilgericht, vgl. BVerfGE 89, 291 (297). 179

Diese Ablehnungsbegründung findet sich etwas versteckt nicht in den veröffentlichten Entscheidungsgründen, sondern in dem Beschluß des Bundestages vom 19. September 1991, BT-Drucks. 12/1002, Anlage 64, S. 173 (182) wieder. In den Entscheidungsgründen heißt es hierzu bei den Rügen des Beschwerdeführers, der Bundeswahlausschuß habe eine namensrechtliche Auseinandersetzung der DSU vor einem Zivilgericht zum Anlaß genommen, über das Gesetz hinausgehende Hürden für die

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

103

um eine Partei im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 ParteiG, denn die Vereinigung biete nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, keine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung 180 . Der Beschwerdeführer erhob formelle 181 und materielle Rügen. In materieller Hinsicht rügte der Beschwerdeführer, daß sämtliche Zulassungsentscheidungen - der Bundeswahlausschuß hatte mit gleichlautenden Ablehnungsentscheidungen über die Zulassung zahlreicher weiterer Wahlvorschläge entschieden -, die der Bundeswahlausschuß in seiner Sitzung am 26. Oktober 1990 getroffen habe, ungültig seien, weil der Ausschuß entgegen § 10 Abs. 1 BWahlG (a.F.) mehrfach und gerade in Fragen von besonderer Bedeutung nichtöffentlich beraten und entschieden habe 182 . Diese - vom Bundeswahlausschuß im Prozeß allerdings bestrittene 183 - Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes sei ein so schwerwiegender Mangel, daß sämtliche Beschlüsse und Feststellungen des Bundeswahlausschusses - und in weiterer Folge die gesamte Wahl zum 12. Deutschen Bundestag - ungültig seien 184 .

Wahlzulassung aufzubauen, vgl. BVerfGE 89, 291 (297). Tatsächlich hatte der Bundeswahlausschuß den Antrag der DSU u.a. wegen der Namensgleichheit zurückgewiesen, vgl. dazu auch Leitsatz 3. b). 180

Vgl. BVerfGE 89, 291 (294 f.).

181

In formeller Hinsicht rügte er Mängel im Verfahren vor dem Deutschen Bundestag. Diesem sei eine unzulängliche Sachaufklärung vorzuwerfen, da er die Verwaltungsvorgänge des Bundeswahlleiters und des Bundeswahlausschusses nicht beigezogen habe. Außerdem habe der Bundestag bei der Behandlung seines Einspruches zu Unrecht von einer mündlichen Verhandlung abgesehen, da sein Einspruch nicht offensichtlich unbegründet gewesen sei (vgl. BVerfGE 89, 291 [299]). Diese Rügen erklärte der Senat für unbeachtlich. Sie könnten die Beschwerde nur tragen, wenn sie wesentlich seien und der Entscheidung des Bundestages die Grundlage entzögen (vgl. BVerfGE 89, 291 [299]). Das sei indessen nicht der Fall. Weder habe der Untersuchungsgrundsatz den Bundestag verpflichtet, die o.a. Verwaltungsvorgänge beizuziehen, um dem Beschwerdeführer die Substantiierung seiner Rügen zu erleichtern oder gar zu ermöglichen noch sei zu beanstanden, daß der Bundestag von der grundsätzlich gebotenen mündlichen Verhandlung abgesehen habe (vgl. BVerfGE 89, 291 [299 f.]). 182

Vgl. BVerfGE 89, 291 (295).

183

Vgl. BVerfGE 89, 291 (298).

18

V g l . BVerfGE 89, 2

(29).

104

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

§ 10 Abs. 1 BWahlG a.F. lautete: „Die Wahlausschüsse und Wahlvorstände verhandeln und entscheiden öffentlich". Demgegenüber hat die Vorschrift nunmehr folgende klarstellende Fassung: „Die Wahlausschüsse und Wahlvorstände verhandeln, beraten, und entscheiden in öffentlicher Sitzung". Die im vorliegenden Fall aufgeworfene Streitfrage ist damit zukünftig obsolet geworden. Da das Gericht insoweit aber von einem Wahlfehler ausging und damit der Entscheidung, soweit es um die Rechtsfolgen von Wahlfehlern geht, eine über den konkreten Fall hinausgehende Bedeutung zukommt, soll der Beschluß hier gleichwohl dargestellt werden. Die sonstigen vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen wurden demgegenüber vom Senat nicht als Wahlfehler angesehen. Sie können damit für die hier interessierende Frage nach den Rechtsfolgen festgestellter Fehler außer Betracht bleiben 185 . Noch vor der Senatsentscheidung hatte der Beschwerdeführer seine Beschwerde zurückgenommen.

b) Entscheidung des Gerichts Der Senat entschied ungeachtet der erwähnten Rücknahme der Beschwerde in der Sache. Denn Gegenstand der Wahlprüfung sei in erster Linie nicht die Verletzung subjektiver Rechte, sondern die Gültigkeit der Wahl als solche 186 . Eine erhobene Beschwerde werde durch eine Rücknahme nicht gegenstandslos, da es für den weiteren Verlauf des Beschwerdeverfahrens stets auch auf Gesichtspunkte des öffentlichen Interesses ankomme. Das öffentliche Interesse an einer Klärung von nicht unwichtigen wahlrechtlichen Zweifelsfragen stehe hier einer Beendigung des Verfahrens ohne Entscheidung zur Sache entgegen187. Das Gericht beschäftigte sich sodann eingehend mit der Rüge des Beschwerdeführers, der Bundeswahlausschuß habe den Öffentlichkeitsgrundsatz dadurch

185

Der Beschwerdeführer hatte des weiteren vor allem Rügen betreffend die Zulassung anderer Parteien zur Wahl erhoben, vgl. im einzelnen BVerfGE 89, 291 (309 f.). 186

Vgl. BVerfGE 89, 291 (299) unter Bezugnahme auf BVerfGE 66, 369 (378); 85, 148 (158 f.). 1

Vgl. BVerfGE 89, 291 (29).

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

105

verletzt, daß er in nichtöffentlicher Sitzung beraten und teilweise auch verhandelt habe. Angesichts des oben angeführten uneindeutigen Wortlauts des § 10 Abs. 1 BWahlG a.F. legte das Gericht die Vorschrift zunächst dahin aus, daß von der dort geforderten Öffentlichkeit auch der Beratungsvorgang erfaßt sei. Hiergegen habe der Bundeswahlausschuß, wenn er tatsächlich nichtöffentlich beraten habe, verstoßen. Auf den Beweis der im Prozeß bestrittenen Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes kam es nach Auffassung des Senats nicht an, weil sich der unterstellte Wahlfehler nicht auf die Zusammensetzung des Bundestages ausgewirkt habe. Insoweit inhaltsgleich zu den im Verfahren betreffend das Kandidatenaufstellungsverfahren der Hamburger CDU angestellten Erwägungen fuhrt der Senat aus, das Wahlprüfungsverfahren sei dazu bestimmt, die ordnungsgemäße Zusammensetzung des Bundestages zu gewährleisten. Die Beschwerde nach § 48 BVerfGG könne daher nur auf solche Wahlfehler gestützt werden, die auf die Sitzverteilung von Einfluß sind oder sein können 188 . Die Rüge betreffend die NichtÖffentlichkeit der Sitzung des Bundeswahlausschusses sah das Gericht nicht als für den Ausgang der Wahl erheblich an. Der Ausschuß habe sich ausschließlich an den Maßstab des Parteiengesetzes gehalten, so daß nicht ersichtlich sei, daß das Ergebnis bei einer öffentlichen Beratung anders als geschehen ausgefallen wäre und infolgedessen die Mandatsverteilung im Bundestag beeinflußt haben könnte 189 . Das Gericht beschäftigte sich sodann in der Sache mit der Nichtzulassung der DSU (Bonn) zur Wahl. Soweit der Bundeswahlausschuß hierbei gestützt auf die Namensgleichheit der DSU (Bonn) mit der DSU (Leipzig) ersteren die Teilnahme an der Wahl versagt habe, sei die Entscheidung fehlerhaft 190 . Hierauf sei es aber letztlich nicht entscheidend angekommen, da der in der Ablehnungsentscheidung weiterhin angeführte Grund, die DSU (Bonn) biete nach ihrem

188

Vgl. BVerfGE 89, 291 (304) ebenfalls unter Bezugnahme auf die Entscheidungen in BVerfGE 4, 370 bzw. 85, 148 (158 f.). 189 190

Vgl. BVerfGE 89, 291 (304).

Der Senat verneinte einen öffentlich-rechtlichen Namensschutz dergestalt, daß die Wahlorgane der Verpflichtung des § 4 Abs. 1 ParteiG Geltung verschaffen müßten. Zwar bestimme die Vorschrift, daß sich der Name einer Partei von dem Namen einer bereits bestehenden Partei deutlich unterscheiden müsse, doch werde hierdurch lediglich der durch § 12 BGB ohnehin bestehende zivilrechtliche Schutz des Parteinamens modifiziert und erweitert (vgl. BVerfGE 89, 291 [307 f.]). Die im Rahmen des zivilgerichtlichen Verfahrens ergangene einstweilige Anordnung des OLG Köln, mit der der DSU (Bonn) der weitere Gebrauch des Namens untersagt wurde, könne wegen ihrer auf die Parteien dieses Rechtsstreits beschränkten Bindungswirkung (§ 325 Abs. 1 ZPO) die Ablehnungsentscheidung des Bundeswahlausschusses nicht tragen (vgl. BVerfGE 89, 291 [310]).

106

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Gesamtbild keine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung, für sich genommen die Ablehnungsentscheidung rechtfertige. Denn der Beschwerdeführer habe trotz einer entsprechenden Bitte des Wahlleiters Angaben etwa über Anschriften von Vorstandsmitgliedern, Mitgliederlisten und ähnliches weder belegt noch auch nur glaubhaft gemacht. Auch sei die DSU (Bonn) im Wahlkampf nicht in Erscheinung getreten 191.

c) Besonderheiten des Falles Die Beschwerde wirft eine Fülle wahlprüfungsrechtlich interessanter Fragen auf, die sowohl prozessuale als auch materielle Besonderheiten betreffen. In prozessualer Hinsicht fällt zunächst auf, daß das Gericht durchentscheidet, obwohl der Beschwerdeführer seine Beschwerde zurückgenommen hatte. Die dafür vorgebrachte Begründung nimmt auf den Streitgegenstand der Wahlprüfung Bezug. Abweichend von früheren Formulierungen, in denen das Gericht den Schutz des objektiven Wahlrechts als ausschließlichen Zweck der Wahlprüfung apostrophiert 192, heißt es hier, Gegenstand der Wahlprüfiing sei in erster Linie nicht die Verletzung subjektiver Rechte, sondern die Gültigkeit der Wahl als solcher 193 , ohne daß indessen deutlich wird, ob mit dieser sprachlichen Abweichung auch eine differenzierte Sachposition vertreten werden soll. Hinter der Formulierung, die Entscheidung über die Wahlprüfungsbeschwerde nicht von der Rücknahme der Beschwerde abhängig zu machen, weil ein „öffentliche(s) Interesse an einer Klärung von nicht unwichtigen wahlrechtlichen Zweifelsfragen (...) einer Beendigung des Verfahrens ohne Entscheidung zur Sache entgegen(stehe)"194, versteckt sich überdies eine Stellungnahme des Gerichts zu der Frage nach der das Wahlprüfungsverfahren beherrschenden Prozeßmaxime. Die Berufung auf entgegenstehende öffentliche Interessen ist nämlich nur unter der Geltung der Offizialmaxime relevant, während Verfahren,

191

Vgl. BVerfGE 89, 291 (310).

192

Vgl. etwa BVerfGE 40, 11 (29); 35, 300 (301); 21, 196 (199); 4, 370 (372).

193

Vgl. BVerfGE 89, 201 (299) unter Bezugnahme auf BVerfGE 66, 369 (378); 85, 148 (158 f.). 194

Vgl. BVerfGE 89, 291 (299).

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

107

die allein von der Dispositionsmaxime bestimmt sind, durch eine Rücknahme des Rechtsbehelfs ohne weiteres enden 195 . Dem Bundesverfassungsgericht ist zuzustimmen, wenn es ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Klärung wahlrechtlicher Zweifelsfragen feststellt. Gleichwohl seien zwei Anmerkungen angebracht. Zunächst stellt sich die Frage, wie sich diese These mit der häufig praktizierten Methode des Gerichts in Einklang bringen läßt, die Feststellung von Wahlfehlern dahingestellt sein zu lassen, wenn in dem fraglichen Verfahren eine Abweisung der Beschwerde aufgrund fehlender Erheblichkeit des gerügten Wahlfehlers möglich erschien 196 . Wenn das Gericht trotz der Rücknahme der Beschwerde entscheidet und dies damit begründet, das öffentliche Interesse an einer Klärung von nicht unwichtigen wahlrechtlichen Zweifelsfragen stehe einer Beendigung des Verfahrens ohne Entscheidung zur Sache entgegen197, so spricht dies doch dafür, daß auch in anderen Fällen ein öffentliches Interesse an einer Feststellung besteht, ob ein Wahlfehler vorgekommen ist. Insbesondere etwa in den Verfahren betreffend die Zulässigkeit von Wahlgeschenken198 oder die Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit von staatlichen Organen 199 wird man dem Gericht auch kaum mit der Überlegung beitreten können, die rechtliche Auseinandersetzung mit den dort gerügten Wahlfehlern stellten eine für die Weiterentwicklung des Wahlprüfungsrechts unbeachtliche Nebenfrage dar. Schließlich wirft die vom Bundesverfassungsgericht verwandte Formulierung, es bestehe eine öffentliches Interesse an der Klärung wahlrechtlicher Fragestellungen, die Frage auf, wann eine solche Zweifelsfrage als geklärt angesehen werden kann. Es bestehen trotz der unbestrittenen Autorität des Gerichts jedenfalls Zweifel an der Streitschlichtungsfünktion seiner Entscheidungen, wenn die Qualifizierung einer der Beschwerde zugrundeliegenden Maßnahme

195

Vgl. zur Problematik Pestalozza, VerfprozR, § 2 Rn. 43 und unten Kapitel 5, 1. Abschnitt, B.III. 3. c) bb) (1) (b). 196 So z.B. in den Verfahren BVerfGE 21, 196 ff. („Wahlgeschenke-Fall"); 22, 277 ff. („Erledigung II" und 34, 201 ff. („Erledigung I"); 37, 84 ff. („VolksabstimmungsFall"); 40, 11 ff. („Scheinwohnsitze-Fall"); 89, 243 ff. („Nichtzulassung I"), soweit es um die Verpflichtung zur Einladung aller stimmberechtigten Mitglieder ging. 197

Vgl. BVerfGE 89, 291 (299) - „Nichtzulassung II". Das Gericht verweist hier nicht ohne Grund auf § 2 Abs. 6 WahlprüfG, wonach der Bundestag, falls der Einspruch zurückgenommen wird, das Verfahren einstellen kann. 198

Vgl. BVerfGE 21, 196 ff. („Wahlgeschenke-Fall").

199

Vgl. BVerfGE 37, 84 ff.

108

Kapitel 3 : Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

oder Entscheidung eines Wahlorgans als Wahlfehler lediglich als eine in den Entscheidungsgründen abzuarbeitende Vorfrage angesehen wird, deren rechtliche ΒindungsWirkung damit auf schwachen Beinen steht 200 . Eine dritte prozessuale Besonderheit betrifft schließlich die Verteilung der Substantiierungslast durch den Senat. Das Gericht behandelt einen Teil der Rügen, mit denen der Beschwerdeführer die Sachwidrigkeit der Entscheidungen des Bundeswahlausschusses betreffend die Zulassung von Parteien gerügt hatte, als unsubstantiiert. Es führt aus, die dem Beschwerdeführer durch § 2 Abs. 3 WahlprüfG obliegende Substantiierungspflicht könne ihm nicht deshalb nachgelassen werden, weil, wie der Beschwerdeführer behaupte, dieser nachzukommen gerade dadurch erschwert wurde, daß der Bundeswahlausschuß nichtöffentlich beraten und verhandelt habe, so daß ihm der Einblick in den dort ablaufenden Willensbildungsprozeß erschwert worden sei. Dadurch aufgeworfenen Schwierigkeiten stünde das amtliche Einspruchsrecht der in § 2 Abs. 2 WahlprüfG genannten Personen gegenüber. Damit sei in ausreichender Weise sichergestellt, daß das Erreichen des grundsätzlich alleinigen Ziels der Wahlprüfung, den Schutz des objektiven Wahlrechts, nicht an der Unkenntnis einzelner Bürger oder daran scheitert, daß diese nicht zu substantiierter Anfechtung in der Lage sind 201 . Diese vom Gericht häufiger vorgetragene Auswirkung des amtlichen Einspruchsrechts auf die Verteilung der Substantiierungslast ist angesichts des Umstandes, daß die Regelung in § 2 Abs. 2 WahlprüfG nie praktisch geworden ist, bereits grundsätzlich nicht unproblematisch. Die These fordert aber gerade in der vorliegenden Fallkonstellation Widerspruch heraus. Das amtliche Einspruchsrecht dient nämlich dazu, eine Wahl dann zur Überprüfung zu stellen, wenn, ohne daß sich einzelne Wahlberechtigte gegen Unregelmäßigkeiten bei der Wahl wenden, ein öffentliches Interesse an deren Überprüfung besteht 202 . Seine Aufgabe ist es aber nicht, verfahrensfehlerhaft zustandegekommene Entscheidungen des Bundeswahlausschusses zu „heilen" und das private Einspruchsrecht prozessual zu überspielen. Im Ergebnis hielt der Senat den - von ihm nicht ausermittelten, zugunsten des Beschwerdeführer aber unterstellten - Wahlfehler der Verletzung des Öffent-

200 Die Bindungswirkung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen ist bereits an sich nicht unproblematisch. Zwar können auch die tragenden Entscheidungsgründe in Rechtskraft erwachsen, doch ist die Auslegung dessen, was tragende Entscheidungsgründe sind, naturgemäß deutungsoffen, vgl. zu dieser Problematik Kapitel 5, 2. Abschnitt, Α. II. 201

Vgl. BVerfGE 89, 291 (309). - Hervorhebung hinzugefügt.

202

Vgl. Seifert,

BundeswahlR, § 2 WahlprüfG Anm. 4.

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

109

lichkeitsgrundsatzes für unbeachtlich. Es sei nicht ersichtlich, daß bei einer öffentlichen Beratung die Entscheidung des Bundeswahlausschusses, der sich bei seiner Ablehnungsentscheidung ausschließlich am Maßstab des Parteiengesetzes orientiert habe, anders als geschehen ausgefallen wäre und es hierdurch im Ergebnis zu einer anderen Sitzverteilung im Bundestag gekommen wäre 203 . In der Tat wird man den Mitgliedern des Bundeswahlausschusses wohl kaum unterstellen können, sie hätten beabsichtigt, die Öffentlichkeitsvorschrift zu umgehen, um die Kontrollierbarkeit ihrer Entscheidung zu erschweren. Es stellt sich aber die Frage, ob es auf den Nachweis einer solchen Absicht überhaupt ankommen soll oder ob nicht - gleichsam in Analogie zur Situation bei Befangenheitsanträgen - allein der „böse Schein" einer sachfremden Entscheidungsfindung abgewehrt werden sollte 204 . Anders ausgedrückt: Wo liegt der Wert einer die Öffentlichkeit einer Beratung oder Verhandlung anordnenden Vorschrift, wenn bei Verstößen ihr normativer Gehalt ohne weiteres unter Hinweis darauf überspielt werden kann, bei Öffentlichkeit der Beratung oder Verhandlung sei dasselbe Ergebnis der Entscheidung entstanden? Unbehagen bereitet die Entscheidung auch, weil es ungereimt erscheint, wenn im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht Rügen des Beschwerdeführers als unsubstantiiert zurückgewiesen werden, deren ausreichende Begründung gerade daran gescheitert ist, daß der Bundeswahlausschuß Öffentlichkeitsvorschriften verletzt hat. Die Auseinandersetzung mit solchen Rügen sollte nicht unter Hinweis auf die mangelnde Substantiierung geführt werden.

7. Beschluß vom 21. Oktober 1993 - „Nichtzulassung III" Im Rahmen der gegen die Gültigkeit der Wahl zum 12. Deutschen Bundestag erhobenen Wahlprüfungsbeschwerden entschied das Bundesverfassungsgericht am 21. Oktober 1993 auch über die Beschwerde verschiedener Führungsmitglieder einer Splitterpartei (Unabhängige Arbeiterpartei - U.A.P.) hinsichtlich deren Nichtzulassung zur Wahl 2 0 5 . Im Unterschied etwa zu der Entscheidung

203

Vgl. BVerfGE 89, 291 (304).

204

Hierfür könnte zudem eine Parai leiwertung aus anderen Verfahrensordnungen angeführt werden. Nach § 169 GVG ist die mündliche Verhandlung öffentlich. Das bedeutet, daß nicht nur die Beteiligten und ihre Prozeßbevollmächtigten, sondern auch nicht beteiligte Personen Gelegenheit haben müssen, der Verhandlung als Zuhörer beizuwohnen (vgl. May, Die Revision, V. Rn. 40.). Verletzung der Öffentlichkeit sind gemäß § 551 Nr. 6 ZPO, § 72 Abs. 5 ArbGG, § 138 Nr. 5 VwGO, § 202 SGG, § 119 Nr. 5 FGO absolute Revisionsgründe (vgl. dazu May, Die Revision, VI Rn. 125 ff.). 5

V g l . BVerfGE 89, 2

f.

110

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

des Gerichts betreffend die Beschwerden einiger Hamburger CDU-Mitglieder über die Praxis der Kandidatenaufstellung durch die Hamburger CDU zu den Bürgerschafts- und Bundestagswahlen206, die, freilich auch ausgelöst durch die Entscheidung des Hamburgischen Verfassungsgerichtes 207, in der rechtswissenschaftlichen und politischen Diskussion 208 für erheblichen Wirbel sorgte, wurde die U.A.P.-Entscheidung kaum zur Kenntnis genommen209. Das liegt natürlich darin begründet und soll hier auch nicht weiter kritisiert werden, daß es sich bei der U.A.P. um eine völlig unbedeutende Splitterpartei handelt, während die Praxis der Kandidatenaufstellung durch die CDU ähnlich oder gleich auch von anderen großen Parteien praktiziert wurde und deshalb von außerordentlicher praktischer Tragweite war. Gleichwohl ist insbesondere die U.A.P.-Entscheidung geeignet, nahezu alle Probleme, die die gegenwärtige Praxis der Wahlprüfung in verfassungsrechtlicher Sicht aufweist, aufzuzeigen. Insbesondere im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG ist nämlich daraufhinzuweisen, daß bei der Frage eines ausreichenden Schutzes der subjektiven Rechte die politische Bedeutung einer Partei völlig ohne Belang ist.

a) Sachverhalt Wie der Leitsatz des Beschlusses vom 21. Oktober 1993 zeigt, ging es in dem Verfahren zunächst um den Maßstab der Entscheidung über die Feststellung der Parteieigenschaft. Dem Verfahren zugrunde lag die Nichtzulassung mehrerer Kreiswahlvorschläge der U.A.P. Beschwerdeführer waren im wesentlichen Führungsmitglieder der Partei. Die U.A.P. besteht seit 1962 und ist in einem Bundes- sowie zwei Landesverbänden (Nordrhein-Westfalen und Bayern) organisiert. Im August 1990 zählte die Partei 1887 Mitglieder. Nach unregelmäßiger Teilnahme an insge-

206

Vgl. BVerfGE 89, 243 ff. sowie oben 2. Abschnitt, B. III. 5.

207

Vgl. HVerfG DVBl. 1993, 1070 ff.

208

Vgl. etwa die Beiträge von Karpen, Urteilsanmerkung zu der genannten Entscheidung des Hamburger Verfassungsgerichtes; zu beiden Entscheidungen Kuhl/Unruh, Materielles Wahlprüfungsrecht und Kandidatenaufstellung, DVBl. 1994, 1391 ff.; Mager, Die Kontrolle der innerparteilichen Kandidatenaufstellung im Wahlprüfungsverfahren, DÖV 1995, 9 ff. 209

Sieht man einmal von der zu Ausbildungszwecken vorgenommen Aufbereitung der Entscheidung durch Hobe in der JA 1994, 543 ff. ab.

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

111

samt 10 Bundes- und Landtagswahlen war sie auf Bundesebene zuletzt 1987 für die Wahl zum 11. Deutschen Bundestag zugelassen worden 210 . Zur Wahl zum 12. Deutschen Bundestag am 2. Dezember 1990 reichte die U.A.P. insgesamt 6 Wahlvorschläge ein, mit denen sie jeweils einen der Beschwerdeführer als Bewerber benannte211. Der Bundeswahlausschuß erkannte die U.A.P. nicht als Partei an, weil sie „nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, keine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit ihrer politischen Zielsetzung" biete. Daraufhin ließen die Kreiswahlausschüsse die Kreiswahlvorschläge der U.A.P. nicht zu, weil die erforderliche Feststellung der Parteieigenschaft durch den Bundeswahlausschuß abgelehnt und die Kreiswahlausschüsse an die Entscheidung des Bundeswahlausschusses gebunden sei 212 . Gegen diese Nichtzulassung legte die U.A.P. Beschwerde ein, die der Landeswahlausschuß zurückwies 213 . Einen danach von der U.A.P. sowie den Beschwerdeführern noch vor der Durchführung der Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 gestellten Antrag beim Bundesverfassungsgericht, im Wege der einstweiligen Anordnung festzustellen, daß die Parteieigenschaft der U.A.P. zu bejahen sei und die jeweiligen Kreiswahlvorschläge daher zuzulassen seien, verwarf der zuständige 2. Senat. Die Anträge seien unzulässig. Eine einstweilige Anordnung dürfe nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht ergehen, wenn der in der Hauptsache gestellte oder beabsichtigte Antrag unzulässig oder offensichtlich unbegründet sei 214 . Die gestellten Anträge auf verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz seien - jedenfalls vor Abschluß der Wahl - schon deswegen unzulässig, weil Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Wahlrechtsangelegenheiten nur

210

Vgl. BVerfGE 89, 266 (267).

2,1

Vgl. BVerfGE 89, 266 (266).

212

Vgl. BVerfGE 89, 266 (266).

213

Vgl. Beschluß des Deutschen Bundestages, BT-Drs. 12/1002, Anlage 55, S. 141.

214

Vgl. BVerfGE - 2 BvQ 18/90 - Beschluß vom 25. November 1990, nicht veröffentlicht, Umdruck S. 2 unter Hinweis auf die Entscheidungen in BVerfGE 7, 367 (371); 79, 379 (383); vgl. außerdem BVerfGE 11, 329.

112

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechtsbehelfen und im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden können 215 . Nach der endgültigen Zurückweisung des eigenen Wahlvorschlags forderte der Vorsitzende der Partei die eigenen Anhänger auf, ungültige Stimmen abzugeben 216 . Bei der Bundestagswahl ergab sich fur die weitere Betrachtung in einem Wahlkreis, fur den die U.A.P. einen Wahlkreisbewerber benannt hatte, eine interessante Konstellation. Im Wahlkreis 90 in Essen gewann die SPDKandidatin mit einem Vorsprung von lediglich 386 Stimmen vor dem CDUBewerber 217 . In dem Wahlkreis hatten dabei 1.396 Wahlberechtigte (0,9%) ungültige Stimmen abgegeben218. Nach der Wahl legten die Beschwerdeführer zunächst Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum 12. Deutschen Bundestag ein, den der Bundestag als offensichtlich unbegründet zurückwies. Ein Wahlfehler habe nicht vorgelegen. Die Wahlvorschläge der U.A.P. seien zu Recht zurückgewiesen worden. Jedenfalls könne dem Einspruch aber auch deshalb kein Erfolg zukommen, weil ein etwaiger Wahlfehler sich nicht auf die Sitzverteilung im Parlament ausgewirkt habe 219 .

b) Entscheidung des Gerichts Auch die Beschwerde gemäß Art. 41 Abs. 2 GG brachte der U.A.P. nicht den gewünschten Erfolg. Allerdings bejahte das Gericht sowohl die Rechtswidrigkeit der Zurückweisung der Kreiswahlvorschläge der U.A.P. durch den Bundeswahlleiter als auch die Fehlerhaftigkeit des diese Entscheidung bestätigenden Beschlusses des Bundestages. Die Begründung des Bundeswahlausschusses für die Nichtzulassung der Partei beschränke sich auf eine formelhafte Wieder-

215 Vgl. BVerfGE - 2 BvQ 18/90 - Beschluß vom 25. November 1990, nicht veröffentlicht, Umdruck S. 2 unter Hinweis auf die Entscheidungen in BVerfGE 11, 329 f.; 14, 154 (155); 16, 128 (130). - Hervorhebung hinzugefügt. 216

Vgl. BVerfGE 89, 266 (275).

217

Vgl. BVerfGE 89, 266 (274).

218

Vgl. BVerfGE 89, 266 (275).

219

Vgl. BT-Drs. 12/1002, Anlage 54, S. 138 f.

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

113

gäbe eines Teiles des Wortlauts des § 2 Abs. 1 ParteiG und lasse nicht erkennen, auf welche Tatsachen die Entscheidung gestützt werde 220 . Aber auch die vom Bundestag gewählte Begründung zur Rechtfertigung der Zurückweisung des Wahl Vorschlags sei unzutreffend. Nach § 2 Abs. 2 ParteiG verliere eine Vereinigung ihre Rechtsstellung als Partei, wenn sie sechs Jahre lang weder an einer Bundestagswahl noch an einer Landtagswahl mit eigenen Wahlvorschlägen teilnehme. Diese Voraussetzung liege bei der U.A.P., die an der letzten Wahl im Jahre 1987 teilgenommen habe, aber gerade nicht vor. Dies schließe zwar grundsätzlich nicht aus, aus anderen Gründen wie etwa einem Mitgliederschwund oder einem Zerfall der Organisationsstrukturen gleichwohl vom Fehlen der Parteieigenschaft auszugehen. Indessen seien von den Wahlorganen solche Tatsachen, die eine Ablehnungsentscheidung tragen könnten, nicht festgestellt worden 221 . Daß die U.A.P. bei den Wahlen regelmäßig keinen Erfolg hatte, sieht das Gericht als nicht erheblich an. Aufgrund des Grundsatzes der Offenheit der Wahl könne der Wahlerfolg grundsätzlich nicht als Maßstab der Anerkennung als Partei herangezogen werden. Andernfalls würde die dem Wähler vorbehaltene Entscheidung über den politischen Erfolg einer Partei durch die Wahlorgane vorweggenommen 222. Die Nichtzulassung der U.A.P. zur Wahl stelle daher einen Wahlfehler dar 223 . Gleichwohl müsse die Wahlprüfungsbeschwerde zurückgewiesen werden, weil sich der festgestellte Wahlfehler nicht habe auf die Sitzverteilung im Bundestag auswirken können 224 . Daher habe der Deutsche Bundestag die Einsprüche im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen 225. Das gelte selbst für den Wahlkreis 90 in Essen, in dem die SPD-Bewerberin lediglich einen Vorsprung von 386 Stimmen erzielt hatte. Es könne ausgeschlossen werden, daß der Kandidat der U.A.P. dort Stimmen in einer Höhe errungen hätte, die den Wahlsieg der erfolgreichen Bewerberin hätte verhindern können 226 . Der Bewerber der U.A.P. in dem fraglichen Wahlkreis

220

Vgl. BVerfGE 89, 266 (270).

221

Vgl. BVerfGE 89, 266 (271).

222

Vgl. BVerfGE 89, 266 (271).

223

Vgl. BVerfGE 89, 266 (272).

224

Vgl. BVerfGE 89, 266 (273) unter Berufung auf BVerfGE 29, 154 (164); 40, 11 (39, 41); 48, 271 (280 f.); 85, 148 (158 f.). 225

BVerfGE 89, 266 (273).

226

Vgl. BVerfGE 89, 266 (274 f.).

8 Lang

114

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

sei ein „unbeschriebenes Blatt" gewesen und vor der Wahl weder in Veröffentlichungen oder Mitteilungen der U.A.P. noch in den von ihr eingereichten Zeitungsberichten genannt. „Bei lebensnaher Betrachtungsweise" könne nicht davon ausgegangen werden, daß der Bewerber eine dreistellige Stimmenzahl auf sich hätte vereinigen können, die notwendig gewesen sei, um den Wahlsieg der erfolgreichsten Bewerberin beeinflussen zu können 227 . Etwas anderes könne auch nicht aus der Tatsache abgeleitet werden, daß in dem betroffenen Wahlkreis insgesamt 1.396 ungültige Stimmen abgegeben worden seien und der Vorsitzende der U.A.P. nach der Ablehnung der Wahlvorschläge der Partei zur Abgabe von ungültigen Stimmen aufgefordert habe. Das Gericht räumte zwar ein, daß anzunehmen sei, daß zumindest ein Teil der potentiellen Wähler der U.A.P. ungültige Stimmen abgegeben hätten. Unvermittelt führte der Senat dann aber aus: „Diese ungültigen Stimmen lassen den von der Wahlsiegerin erzielten Stimmenvorsprung unberührt und können bei der Beurteilung möglicher Wählerbewegungen, die aufgrund der Zurückweisung des Wahlvorschlags der U.A.P. eingetreten sein können, außer Betracht bleiben"228. c) Besonderheiten des Falles Diese letzten Ausführungen des Gerichts zur Mandatsrelevanz deuten bereits an, daß auch in diesem Fall die Zurückweisung der Wahlprüfungsbeschwerde unter Berufung auf die fehlende Erheblichkeit des festgestellten Wahlfehlers nicht unproblematisch ist. Für den weiteren Gang der Untersuchung seien zwei Aspekte der Entscheidung herausgegriffen. Zunächst einmal verwundert es, daß sich das Gericht nicht mit der in der Literatur aufgeworfenen These auseinandersetzt, die Zurückweisung eines Wahlvorschlags sei generell keiner nachträglichen Kausalitätsprüfung zugänglich 229 .

227

BVerfGE 89, 266 (275).

228

Vgl. BVerfGE 89, 266 (275).

229

Vgl. dazu vor allem Hüfler, Wahlfehler und ihre materielle Würdigung, S. 150 f., der anführt, zuverlässige Aussagen über einen Wahlvorschlag, der nicht zur Abstimmung gelangt ist, würden sich kaum machen lassen. Allenfalls eine demoskopische Untersuchung könne hier hilfreich sein, die allerdings aufgrund der ansonsten bereits durchgeführten Wahl und der Kenntnis der Bürger hiervon in besonderem Maße die Gefahr der Verfälschung des ursprünglichen Wählervotums in sich trage. Daher sei in

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

115

Unabhängig davon, ob man dieser These folgt, wirft die Kausalitätsprüfung des Gerichts in bezug auf die Abgabe der ungültigen Stimmen mehr Fragen auf als sie beantwortet. Schon die These, der Beschwerdeführer habe „als unbeschriebenes Blatt" im Wahlkreis 90 in Essen - der fragliche Wahlkreis war wie erwähnt lediglich mit einer Mehrheit von 386 Stimmen gewonnen worden - keine Stimmenzahl erhalten können, die diesen Wahlsieg hätte gefährden können, ist zweifelhaft. Von welchen Informationen ist die vom Senat angestellte „lebensnahe Betrachtungsweise" getragen? Der Senat schließt hier von früheren Stimmenergebnissen auf die Ergebnisse, die der Bewerber der Partei möglicherweise erhalten hätte. Dies mag generell nicht ausgeschlossen sein, ist aber bei einer Stimmenzahl von 386 in einem nahezu 193.000 Stimmen umfassenden Wahlkreis nicht unproblematisch. Der Senat begibt sich hier in die Rolle eines Ersatz-Meinungsumfrageinstituts, allerdings ohne seine These empirisch abzusichern. Ist demnach die Erheblichkeitsprüfung bereits Zweifeln ausgesetzt, soweit sie sich mit der Auswirkung der möglicherweise für die U.A.P. abgegebenen Stimmen beschäftigt, so wird sie noch schemenhafter, soweit die Abgabe der ungültigen Stimmen einbezogen wird. Die besondere Brisanz des Falles lag hier nämlich in dem Umstand begründet, daß der Mehrheit des Wahlsiegers von 386 Stimmen im Wahlkreis 90 insgesamt 1.396 ungültige Stimmen gegenüberstanden. Daß der Senat nach seiner Ausgangsfeststellung, es sei anzunehmen, daß zumindest ein Teil der potentiellen U.A.P.-Wähler aufgrund eines entsprechenden Aufrufs des Vorstands ungültige Stimmen abgegeben hätten, unvermittelt festhält, eine Auswirkung auf das Wahlergebnis im Wahlkreis 90 könne ausgeschlossen werden, verwundert. Wieso kann eine solche Auswirkung ausgeschlossen werden? Niemand weiß, in welcher Anzahl sich betroffene U.A.P.Sympathisanten entschlossen, ungültige Stimmen abzugeben. Die These des Gerichts ist eine Spekulation. Ähnlich wie der oben dargelegte sogenannte Fall „Nichtzulassung I " 2 3 0 zeigt diese Entscheidung die Operationalisierungsprobleme des Erheblichkeitsgrundsatzes auf. Gleichwohl kann - wie noch gezeigt werden wird - auf die Erheblichkeitsprüfung als Korrektiv bei Wahlprüfungsbeschwerden nicht verzichtet werden. Um hier zu einer angemessenen und das heißt in erster Linie die berechtigten Rechtsschutzbelange der Beschwerdeführer nicht unterminierenden Behandlung von Wahlrügen zu gelangen, bietet sich eine sachgerechte Vertei-

Fällen der rechtswidrigen Zurückweisung von Wahlvorschlägen die Wahl stets für ungültig zu erklären. 230

Vgl. oben 2. Abschnitt, B. III. 5.

116

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

lung der Beweislast an. Damit zusammenhängenden Fragestellungen soll unten in Kapitel 5 nachgegangen werden. Ebenfalls im Vorgriff auf den weiteren Gang der Untersuchung zeigt das gesamte Verfahren eine zusätzliche Problematik des Wahlprüfungsrechts auf, das einen Schwerpunkt der Untersuchung in Kapitel 4 bilden wird. Gemeint ist der vom Bundesverfassungsgericht erneut festgestellte Ausschluß jeglichen sonstigen (verfassungsgerichtlichen) Rechtsschutzes in Wahlprüfungsangelegenheiten, der dazu geführt hatte, daß die Partei ihre Rechtsverletzung auch nicht außerhalb des konkreten Wahlprüfungsverfahrens (im Rahmen einer einstweiligen Anordnung) rügen konnte. Denn die Anerkennung als Partei durch den Bundeswahlausschuß gemäß § 18 Abs. 4 Nr. 2 BWahlG gehört, wie das Bundesverfassungsgericht 231 unter Zustimmung der Literatur 232 entschieden hat, im Sinne des § 49 BWahlG zu den sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehenden Einzelentscheidungen und ist damit jeglicher gerichtlichen Kontrolle außerhalb des eigentlichen Wahlprüfungsverfahrens entzogen.

IV. Auswertung Die nachfolgende Auswertung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die sich auf bejahte oder nicht sicher ausschließbare Wahlfehler beziehen, orientiert sich an den beiden das materielle Wahlprüfungsrecht bestimmenden Fragen. Welche Umstände begründen einen Wahlfehler und welche Konsequenzen werden daraus gezogen? Hinsichtlich der ersten Frage des materiellen Wahlprüfungsrechts nach dem Vorliegen eines Wahlfehlers soll es mit den folgenden Aussagen sein Bewenden haben. Die gerügten Wahlfehler lassen sich nicht systematisieren. Es ist deshalb unzutreffend von einer Kasuistik zu sprechen, die das Wahlprüfungsrecht beherrscht 233 . Die wahlprüfungsrechtlichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts stellen sich vielmehr als nebeneinanderstehende Einzelfallent-

231

Vgl. BVerfGE 74, 96 (101) leitet dies daraus her, daß mit der Entscheidung des Bundeswahlausschusses für die anderen Wahlorgane bindend über die Zulassung der Partei entschieden wird. 232 233

Vgl. Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 6; Voigt, DVBl. 1976, 430 (433).

So aber Hüfler, Wahlfehler und ihre materielle Würdigung, S. 2, der zum Beleg seiner These allerdings nicht die Rechtsprechung des BVerfG in Bezug nimmt, sondern die Kommentierung von Maunz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 41 Rn. 28, der wiederum gerade von einer „fast unüberschaubaren" Kasuistik spricht.

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

117

Scheidungen dar. Allenfalls läßt sich in zahlenmäßiger Hinsicht feststellen, daß Wahlfehler im Bereich der Wahlvorbereitung besonders häufig auftauchen. Dem entspricht auch das zahlenmäßige Aufkommen der Einsprüche beim Deutschen Bundestag234. Innerhalb des Bereichs der Wahlvorbereitung sind die Nichtzulassung oder fehlerhafte Zulassung von Wahlvorschlägen die häufigsten Fehler, wobei dieser Umstand seine besondere verfassungsrechtliche Brisanz daraus bezieht, daß gerade im Bereich der Wahlvorbereitung der Rechtsschutz am geringsten ausgestaltet ist. Dem materiellen Wahlprüfungsrecht obliegt des weiteren die Beantwortung der Frage, welche Rechtsfolgen aus Wahlfehlern zu ziehen sind. Im folgenden soll zum einen untersucht werden, welche Rechtsfolge das Bundesverfassungsgericht aus den Wahlfehlern für die Gültigkeit der Wahl gezogen hat und wie es seine Entscheidungen insoweit begründet. Entsprechend der Intention der vorliegenden Arbeit, den (subjektiven) Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren zu untersuchen, geht die Auswertung zum anderen darauf ein, wie sich die Entscheidungspraxis des Bundesverfassungsgericht in bezug auf die gerügten Verletzungen der subjektiven - aktiven wie passiven - Wahlrechte der Beschwerdeführer darstellt.

1. Rechtsfolgen von Wahlfehlern Bei der Darlegung der Rechtsfolgen, die das Bundesverfassungsgericht aufgrund festgestellter oder nicht sicher ausschließbarer Wahlfehler ausspricht, ist eine differenzierte Betrachtungsweise angezeigt. Zunächst soll gefragt werden, welche Rechtsfolgen solche Verstöße für die Gültigkeit der Wahl zeitigen nachfolgend a). Im Anschluß daran geht es um die Rechtsfolgen, die an das Vorliegen von Verletzungen subjektiver Wahlrechte geknüpft werden - nachfolgend b).

a) Sanktionen in bezug auf die Gültigkeit der Wahl aa) Bei Vorliegen eines mandatsrelevanten Wahlfehlers Das Bundesverfassungsgericht hat bisher nicht in den Bestand einer Wahl eingegriffen, da ein mandatsrelevanter Wahlfehler - bis auf die bereits erwähnte Ausnahme, in der das Bundesverfassungsgericht auf anderem Wege die Konse-

234

Vgl. dazu unten Kapitel 4, 4. Abschnitt mit Fn. 214.

118

Kapitel 3 : Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

quenz einer Aufhebung der Wahl vermieden hat 235 - nicht Gegenstand eines Wahlprüfungsverfahrens war. Gleichwohl sei diese Fallkonstellation hier der Vollständigkeit halber erwähnt. Die Frage, wie im Falle einer stattgebenden Entscheidung zu tenorieren wäre, wird weder im Wahlprüfungsgesetz noch in sonstigen Wahlgesetzen eindeutig geregelt. Da das Bundesverfassungsgericht nach § 13 Nr. 3 BVerfGG zur Entscheidung über Beschwerden gegen die Wahlprüfungsentscheidungen des Bundestages zuständig ist, geht die überwiegende Auffassung im Schrifttum davon aus, daß zunächst der angegriffene Beschluß des primären Wahlprüfungsorgans aufzuheben ist 2 3 6 . Um dem öffentlichen Interesse an alsbaldiger Klärung bestrittener Wahlen oder Mandate gerecht zu werden, muß das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus auch zugleich selbst eine Sachentscheidung treffen 237 . Dementsprechend ist - auch wenn das Bundesverfassungsgericht in dieser Frage bisher nicht ausdrücklich Stellung bezogen hat 2 3 8 - eine Zurückverweisung an den Bundestag ausgeschlossen239. Inhaltlich wird man fur die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die für die Entscheidung des Bundestages geltenden Vorschriften der §§ 11, 13 und 15 WahlprüfG heranziehen können 240 . Eine erfolgreiche Wahlprüfungsbeschwerde hat demnach zur Folge, daß der Wahlakt selbst ungültig ist, das heißt die Wahlhandlung der Wähler, wobei sich die Ungültigkeitserklärung der Wahlhandlung auch auf das ganze folgende Verfahren, also insbesondere die Wahlergebnisse und die darauf beruhenden Mandate erstreckt 241 . Daher steht mit der Ungültigkeitserklärung der Wahl durch das Bundesverfassungsgericht fest, daß den aus dieser Wahl hervorgegangenen Mitgliedern des Bundestags

235

Vgl. oben 2. Abschnitt, B. III. 1. sowie BVerfGE 16, 130 ff. „Evidenz-Fall".

236

Vgl. Detter beck, Streitgegenstand, S. 571; Geiger, BVerfGG, § 48 Anm. 4; Sachs, Bindung, S. 402; Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz u.a., BVerfGG, § 48 Rn. 40; a.A. Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 22, der eine ausdrückliche Aufhebung der Entscheidung des Bundestages für entbehrlich hält, weil das Besch werdeverfahren kein Rechtsmittel verfahren darstelle. 237

Vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 571.

238

Vgl. BVerfGE 2, 300 (305).

239

Vgl. Seifert, Achterberg/Schulte,

BundeswahlR, GG, Art. 41 Rn. 20 a.E.; v. MangoIdt/Klein/ GG, Art. 41 Rn. 57.

240

Vgl. Storost in Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 43; Sachs, Bindung, S. 404 ff. 241

Vgl. Seifert, BundeswahlR, § 11 WahlprüfG, Anm. B.I., S. 389.

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

119

die demokratische Legitimation fehlt 242 . Damit verlieren alle von dem Wahlfehler betroffenen Abgeordneten ihr Mandat. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch nicht aus eigener Machtfülle heraus eine Wiederholungswahl anordnen 243 . Dies ist im Hinblick auf das Gewaltenteilungsprinzip Sache des Parlamentes244. Es liegt auf der Hand, daß die Aufhebung einer Bundestagswahl für das Staatsganze eine außerordentlich einschneidende Maßnahme darstellt. Dem sucht die Literatur - eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hierzu liegt, wie erwähnt, noch nicht vor - durch verschiedene Besonderheiten im Entscheidungsverfahren gerecht zu werden. Obwohl die Aufhebungsentscheidung als Gestaltungsentscheidung gesehen wird, die nach allgemeinen Grundsätzen zu einer Ungültigkeitserklärung des angegriffenen Rechtsaktes ex tunc führen müßte 245 , treten die Entscheidungswirkungen einer stattgebenden Wahlprüfungsentscheidung ex nunc ein 2 4 6 . Dies bedeutet, daß alle bisher von dem fehlerhaft gewählten Parlament gesetzten Rechtsakte Gültigkeit besitzen.

bb) In Fällen fehlender Mandatsrelevanz Fallkonstellationen, bei denen nach Überzeugung des Gerichts der an sich vorliegende Wahlfehler keine Auswirkung auf das Wahlergebnis hat, führen zur Zurückweisung der Beschwerde, wobei die Tenorierung zwischen einer (schlichten) Verwerfung 247 , einer Verwerfung als „offensichtlich unbegrün-

242

Vgl. Storost, in Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 48.

243

Vgl. Hess. StGH, ESVGH Bd. 35, 73 LS 3; Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 22.

244

So die Argumentation des HVerfG bei seiner Aufhebungsentscheidung der Hamburger Bürgerschaftswahl, vgl. HVerfG, DVB1. 1993, 1070 (1074). 245

Vgl. BVerwG NVwZ 1983, 608; VGH Mannheim NVwZ 1985, 204; Kopp, VwGO, § 113 Rn. 5. 246

Vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 571; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 41 Rn. 6 unter Berufung auf BVerfGE 3, 41 (44). 247

In BVerfGE 37, 84.

120

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

det" 2 4 8 , der Zurückweisung als unbegründet 249 und derjenigen als „offensichtlich unbegründet" 250 sowie einer Feststellung der Erledigung 251 schwankt 252 .

b) Sanktionen wegen verletzter subjektiver Wahlrechte Bei den denkbaren Sanktionen, die an das Vorliegen subjektiver Wahlrechtsverletzungen geknüpft werden könnten, ist zwischen Sanktionen im Rahmen eines konkreten Wahlprüfungsverfahrens und solchen, die in außerhalb eines solchen Verfahrens liegenden gerichtlichen Überprüfungen ergehen können, zu unterscheiden.

aa) Innerhalb eines konkreten Wahlprüfungsverfahrens Verletzungen subjektiver Wahlrechte werden innerhalb eines konkreten Wahlprüfungsverfahrens als logische Folge des Verfahrensgegenstandsverständnisses des Bundesverfassungsgerichts nicht sanktioniert.

248

BVerfGE 4, 370; 40, 11.

249

Vgl. BVerfGE 16, 130; 21, 196; 89, 243; 89, 291; 89, 266.

250

BVerfGE 35, 300.

251

BVerfGE 22, 277 und 34, 201.

252 Dabei bedeutet die Wendung „offensichtlich unbegründet" nicht etwa, daß diese Wahlprüfungsbeschwerden bereits auf den ersten Blick als ohne Erfolgschancen einzustufen gewesen waren. Vielmehr kann die Wertung als offensichtlich unbegründet auch das Ergebnis einer umfangreichen Rechtsprüfung sein (vgl. BVerfGE 82, 316 [319 f.]). Diese auf den ersten Blick etwas befremdlich anmutende Vorgehensweise erklärt sich aus der Funktion der Wendung. Das BVerfG sieht Wahlprüfungsbeschwerden deshalb als „offensichtlich unbegründet" an, weil ihm dies gemäß §§ 24, 25 Abs. 2 BVerfGG die Möglichkeit eröffnet, von einer mündlichen Verhandlung abzusehen (vgl. dazu Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 40). Sämtliche Wahlprüfungsbeschwerden wurden vom BVerfG durch Beschluß zurückgewiesen. In neueren Entscheidungen verzichtet das Gericht indessen auf die genannte Formulierung auch dann, wenn keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat (vgl. BVerfGE 89, 243 [249]; 89, 266 [269]). Für die in dem Verfahren vor dem Deutschen Bundestag geltende, § 24 BVerfGG entsprechende Regelung in § 6 Abs. la Nr. 3 WahlprüfG gelten die angesprochenen Überlegungen ebenfalls (vgl. BVerfGE 89, 291 [300]); kritisch gegenüber der Praxis des Bundestages Hoppe, DVBl. 1996, 344 (346 ff., 347: „Die ständige, lediglich im Interesse der Vermeidung einer mündlichen Verhandlung liegende stereotype Annahme der 'offensichtlichen' Unbegründetheit des Einspruchs bei der Wahlprüfung des Bundestages sollte der Bundestag endlich aufgeben". - Hervorhebung im Original.

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

121

Daß eine solche Beschwerde trotz Vorliegens eines Wahlfehlers erfolglos bleibt, beruht auf verschiedenen Prämissen, unter die das Bundesverfassungsgericht das Wahlprüfungsrecht stellt. Es handelt sich hierbei wie erwähnt einerseits um die Festlegung des Streitgegenstandes der Wahlprüfung sowie andererseits um die daraus abgeleitete Geltung des Erheblichkeitsgrundsatzes. Faßt man hierzu die Kernaussagen des Gerichts zusammen, so lassen sich die folgenden Leitlinien der Rechtsprechung zum Schutz des (subjektiven) Wahlrechts nachzeichnen. Das Bundesverfassungsgericht sieht den Sinn und Zweck der Wahlprüfung darin, das objektive Wahlrecht zu schützen. Ihr gehe es darum, die richtige Zusammensetzung des Bundestages zu gewährleisten 253. Erstmals in seinem Beschluß vom 21. Dezember 1955 nahm der - damals noch zuständige 1. Senat - in seinem Leitsatz die Formulierung auf, das Wahlprüfungsverfahren sei ausschließlich dazu bestimmt, die ordnungsgemäße Zusammensetzung des Bundestages zu gewährleisten 254. Deshalb könne die Beschwerde nach § 48 BVerfGG nur auf solche Wahlfehler gestützt werden, die auf die Sitzverteilung von Einfluß sind oder sein können 255 . Eine verfassungsrechtliche Begründung für dieses Verständnis des Verfahrensgegenstandes wird weder in dem genannten Beschluß noch - wie die vorstehende Darstellung gezeigt hat - in einer der sonstigen Entscheidungen des Gerichts gegeben. Lediglich für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des sogenannten Erheblichkeitsgrundsatzes schob der Zweite Senat im Rahmen einer gegen verwaltungsgerichtliche Entscheidungen zu Kommunalwahlen ergangenen Verfassungsbeschwerde eine Begründung nach 256 . Danach stellt die Parlamentswahl den für die Willensbildung im demokratischen Staat entscheidenden Akt dar, durch den das Volk, von dem die Staatsgewalt ausgeht, das es vertretende Organ bestimmt. Zu den fundamentalen Prinzipien der Demokratie gehöre das Mehrheitsprinzip, in dem der für das Wahlprüfungsverfahren anerkannte Erheblichkeitsgrundsatz letztlich seine Rechtfertigung finde. Ein Wahlfehler könne den in einer Wahl zum Ausdruck gebrachten Volkswillen nur dann ver-

253

BVerfGE 89, 266 (273); 89, 243 (254); 89, 291 (299); 40, 11 (29); 37, 84 (89); 35, 300 (301); 34, 201 (203); 22, 277 (281); 4, 370 (372). 254 Zuvor war in dem Verfahren BVerfGE 4, 316 ff. der Grundsatz der Erheblichkeit bereits einmal von Seiten des Antragstellers in die Diskussion gebracht worden. 255

Vgl. BVerfGE 4, 370 (372 f.).

256

Vgl. BVerfGE 29, 154 ff.

122

Kapitel 3: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

letzen, wenn sich ohne ihn eine andere, über die Mandatsverteilung entscheidende Mehrheit ergeben würde. Erst die Möglichkeit der Auswirkung eines Wahlfehlers auf die Sitzverteilung könne daher relevant sein 257 . Da es nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in der Wahlprüfung nicht um den Schutz subjektiver Rechte geht, sondern allein die gesetzmäßige Zusammensetzung des Bundestages gewährleistet werden soll, bleiben subjektive Rechtsverletzungen im Wahlprüfiingsverfahren unbeachtlich. Ihren Stellenwert sieht das Gericht sogar als derart gering an, daß es häufig der Frage, ob die gerügte Handlung oder Entscheidung eines Wahlorgans tatsächlich einen Wahlfehler begründet, letztlich nicht nachgeht und die Beschwerde wegen fehlender Mandatsrelevanz zurückweist 258 .

bb) Außerhalb eines konkreten Wahlprüfungsverfahrens Dieses Ergebnis wäre mit Blick auf das Rechtsschutzinteresse der Beschwerdeführer sowie unter Beachtung von Art. 19 Abs. 4 GG möglicherweise hinnehmbar, wenn für die betroffenen Bürger oder Parteien außerhalb des konkreten Wahlprüfungsverfahrens andere Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung stünden. Der Eröffnung einer solchen außerhalb eines konkreten Wahlprüfungsverfahrens stehenden Überprüfimgsmöglichkeit hat das Bundesverfassungsgericht indes bereits früh eine Absage erteilt. Während aus der oben angeführten Formulierung, das Wahlprüfiingsverfahren diene allein dem Schutz des objektiven Rechts, die Außerachtlassung der Verletzung subjektiver Rechtsverletzungen im Wahlprüfiingsverfahren folgt, betreffen die Beschlüsse vom 20. Oktober 1960 und vom 27. Juni 1962 die Gewährung subjektiven Rechtsschutzes außerhalb der Beschwerde nach § 48 BVerfGG. Zunächst allein unter Berufung auf den Wortlaut von § 49 BWahlG, in den genannten Beschlüssen aber bereits unter Berufung auf einen „allgemeinen Satz des Wahlprüfungsrechts", führte das Gericht aus, in Wahlrechtsangelegenheiten gelte der Satz, daß Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, nur mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechtsbehelfen und im Wahlprüfiingsverfahren angefochten werden könnten 259 . Eine Wahl lasse sich nur gleichzeitig und termingerecht durchführen, wenn die Rechtskontrolle der insoweit notwendigen Einzelentscheidungen während des Wahlablaufs begrenzt werde. Denn bei einer Wahl müsse eine Vielzahl von Stimmen

257

Vgl. BVerfGE 29, 154 (164 f.).

258

Dieses Verfahren hat das Gericht immerhin in nahezu 50% aller relevanten Fälle angewandt, vgl. oben 2. Abschnitt B. 259

Vgl. BVerfGE 11,329 (329 f.); 14, 154(155).

2. Abschnitt: Sachentscheidungen

123

der Bürger zu einer einheitlichen, wirksamen Wahlentscheidung zusammengefaßt werden 260 . Dies schließe eine außerhalb konkreter Wahlprüfungsverfahren stehende gerichtliche Überprüfung von Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane aus.

2. Zusammenfassung Sucht man die Auswertung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zusammenzufassen, so schälen sich die folgenden drei das Wahlprüfungsverfahren beherrschenden Kernthesen heraus: 1. Das Wahlprüfungsverfahren dient allein dem Schutz des objektiven Wahlrechts. 2. Nur mandatsrelevante Wahlfehler rechtfertigen die Beschwerde nach Art. 41 Abs. 2 GG. 3. Subjektive Wahlrechtsverletzungen bleiben sanktionslos. a) Innerhalb eines konkreten Wahlprüfungsverfahrens gehören sie nicht zum Verfahrensgegenstand. b) Außerhalb dessen ist jeglicher subjektiver Rechtsschutz durch § 49 BWahlG verfassungskonform ausgeschlossen. Dabei hat die Auswertung der Entscheidungen folgendes gezeigt. Die Zentralthese des Bundesverfassungsgerichts, das Wahlprüfungsverfahren diene (allein) dem Schutz des objektiven Wahlrechts, wird in keiner Entscheidung hergeleitet oder begründet. Sie erschöpft sich in einer schlichten Behauptung. Vor diesem Hintergrund soll in Kapitel 5 eine Auseinandersetzung mit dem dem Wahlprüfungsverfahren aufgrund der verfassungsrechtlichen sowie der einfachrechtlichen Vorgaben zugrundezulegenden Verfahrensgegenstand erfolgen. Die zweite Säule des Wahlprüfungsrechts stellt der Erheblichkeitsgrundsatz dar. Dessen Herleitung und Operationalisierung wirft erhebliche verfassungsrechtliche Probleme auf, die indes wegen der noch darzustellenden Notwendigkeit dieses wahlprüfungsrechtlichen Fehlerkorrektivs unvermeidbar sind. Ver-

260

Vgl. BVerfGE 14, 154 (155) sowie 28, 214 (219).

124

Kapitel 3 : Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

fassungsrechtlich unbedenklich handhabbar erweist er sich dabei über eine sorgsame Verteilung der Beweislast 261 . Die dritte Zentralaussage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts berührt den Rechtsschutz außerhalb konkreter Wahlprüfungsverfahren. Nach Auffassung des Gerichts ist das Wahlprüfungsverfahren im Anwendungsbereich des § 49 BWahlG (das heißt bei Maßnahmen und Entscheidungen der Wahlorgane) das gegenüber dem allgemeinen Rechtsweg des Art. 19 Abs. 4 GG speziellere Verfahren. Für die jeweiligen Beschwerdeführer entsteht damit im Hinblick auf die grundgesetzlich verbriefte Möglichkeit, Verletzungen subjektiver Rechte einer gerichtlichen Kontrolle zuzuführen, eine unhaltbare Situation. Sämtliche gerügten und vom Bundesverfassungsgericht festgestellten oder jedenfalls nicht sicher ausgeschlossenen subjektiven Wahlrechtsverletzungen bleiben schlichtweg sanktionslos. Innerhalb der Wahlprüfung vor den Wahlprüfungsorganen Bundestag und Bundesverfassungsgericht sind die gerügten Wahlfehler bei fehlender Mandatsrelevanz erst gar nicht Streitgegenstand des Verfahrens. Außerhalb eines konkreten Wahlprüfungsverfahrens ist jeglicher sonstiger Rechtsschutz durch § 49 BWahlG ausgeschlossen. Ein wie H. Meyer formuliert hat „rechtsstaatlicher Skandal" 262 . Und in der Tat ist diese „Rechtsschutzverweigerung" in Wahlangelegenheiten die verfassungsrechtliche Krux aller Beschwerden nach § 48 BVerfGG. Auf dieser Nahtstelle verschiedener Verfassungsgarantien besteht ein verfassungsrechtliches Begründungsdefizit, dem die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bisher nur unzureichend Rechnung getragen hat. Aus dem aufgezeigten Dilemma, daß (subjektive) Wahlrechte derzeit weitgehend rechtsschutzlos gestellt sind, sind grundsätzlich zwei Auswege denkbar, die Gegenstand der beiden folgenden Kapitel sind. In der Literatur wird vorgeschlagen, unter partieller Überspielung des § 49 BWahlG subjektiven Wahlrechtsschutz über die Gewährung verwaltungsgerichtlicher bzw. weiterer verfassungsrechtlicher Klagemöglichkeiten zu suchen (vgl. dazu Kapitel 4). Da diesem Ansatz nach der hier vertretenen Auffassung aus den in Kapitel 4 im einzelnen dargelegten Gründen nicht zu folgen ist, geht der eigene Vorschlag dahin, den subjektiven Rechtsschutzinteressen im Wahlprüfiingsverfahren Rechnung zu tragen (vgl. dazu Kapitel 5).

261

Vgl. dazu unten Kapitel 5, 1. Abschnitt, B. III. 3. c) bb) (2).

262

Vgl. H Meyer, KritV 1994, 312 (353).

Kapitel

4

Verfassungsrechtliche Probleme der Entsubjektivierung des Wahlrechtsschutzes Die dargestellte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz des subjektiven Wahlrechts ist im Schrifttum auf Kritik gestoßen. Sie prallt - in der Formulierung von Seifert - auf das „verfassungsrechtliche Hindernis" des Art. 19 Abs. 4 GG 1 . Und in der Tat stellt die Harmonisierung der durch Art. 41 GG strukturierten Wahlprüfung mit der subjektiven Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG eines der zentralen Probleme des Wahlprüfungsrechts dar. Im Kern geht es dabei um die Frage, wie ein ausreichender subjektiver Rechtsschutz im Bereich von Bundestagswahlen verwirklicht werden kann. Dabei bietet sich für die weitere verfassungsrechtliche Untersuchung die folgende Differenzierung an. Zunächst ist die Eliminierung subjektiven Rechtsschutzes im eigentlichen Wahlprüfungsverfahren von derjenigen zu trennen, die sich auf außerhalb konkreter Wahlprüfungsverfahren liegende Rechtsschutzmöglichkeiten bezieht.

1. Abschnitt

Der Ausschluß subjektiven Rechtsschutzes innerhalb des eigentlichen Wahlprüfungsverfahrens Wie in Kapitel 3 im einzelnen dargelegt wurde, steht das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der Gewährung subjektiven Rechtsschutzes innerhalb des vor ihm bzw. dem Deutschen Bundestag gemäß Art. 41 Abs. 1 und 2 GG durchzuführenden WahlprüfungsVerfahrens auf dem Standpunkt, subjektive Rechtsverletzungen könnten allenfalls den Anlaß, nicht aber den Gegenstand der Wahlprüfung bilden2. Die Verfolgung subjektiver Rechtsschutzbelange müsse im Wahlprüfungsverfahren zurücktreten gegenüber dem Interesse an

1

Vgl. Seifert, DÖV 1967, 231 (239).

2

Vgl. BVerfGE 22, 277 (281); 34, 201 (203); BVerfG NVwZ 1988, 817 (818).

126

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

einer einheitlichen, wirksamen Wahlentscheidung3. Verfahrensgegenstand des Wahlprüfungsverfahrens sei allein die Frage einer Verletzung objektiven Wahlrechts 4. Das Schrifttum ist den Überlegungen des Gerichts, soweit sie sich auf den Ausschluß subjektiven Rechtsschutzes innerhalb eines konkreten Wahlprüfungsverfahrens beziehen, im wesentlichen beigetreten. Auffällig ist in diesem Kontext indessen die relativ spärliche Auseinandersetzung mit dem Verfahrensgegenstand der Wahlprüfung. Aussagen hierüber erschöpfen sich von wenigen Ausnahmen abgesehen5 in apodiktischen Behauptungen. Gleichwohl besteht im Ausgangspunkt Einigkeit. Die Entscheidung über den Bestand oder die Aufhebung der Wahl sei durch das Grundgesetz den Wahlprüfungsorganen Bundestag und Bundesverfassungsgericht zugewiesen. Daher könne die Entscheidung über die Frage der Gültigkeit der Wahl nicht Gegenstand eines anderen als des Wahlprüfungsverfahrens sein6. Im Ergebnis ist dem zuzustimmen. Andernfalls würde Art. 41 GG seines Anwendungsbereichs beraubt. Der Schutz und die Würde der Parlaments verlangen, daß über die Gültigkeit der Wahl entweder der Bundestag selbst, oder

3

Vgl. BVerfG NVwZ 1988, 817 (818) unter Berufung auf BVerfGE 22, 277 (281); 40, 11 (29); 66, 369 (378). 4

BVerfGE 4, 370 (372); 21, 196 (199); 22, 271 (281); 35, 300 (301); 40, 11 (29).

5

Vgl. dazu näher Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 35 ff.; Detterbeck, Streitgegenstand, S. 568 ff. und passim sowie unten Kapitel 5, 1. Abschnitt. 6 Vgl. Badura, in: BK, Anh. z. Art. 38, BWahlG, Rn. 57, mit der Bemerkung, in der Wahlprüfung gehe es allein um die Gewährleistung des gesetzmäßigen Ablaufs der Wahl und der Sicherstellung einer korrekten Zusammensetzung des Bundestages; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 34; Maunz, in Maunz-Dürig, GG, Art. 41 Rn. 18: Die Frage der Gültigkeit der Wahl kann nicht Gegenstand eines anderen als des Wahlprüfungsverfahrens sein; Versteyl, in: v. Münch, GGK II, Art. 41 Rn. 19; v. Mangoldt/Klein/Achterberg/Schulte, GG, Art. 41 Rn. 14; H. Meyer, HStR II, § 38 Rn. 65; Seifert, BundeswahlR, Art. 41 GG Rn. 16: für alle Rechtsstreitigkeiten, bei denen es um den Rechtsbestand, d.h. die Gültigkeit oder Ungültigkeit einer Wahl geht, sind die beiden Wahlprüfungsorgane Bundestag und Bundesverfassungsgericht ausschließlich zuständig; Loschelder, Das aktive Wahlrecht und die Rechtsweggarantie, S. 34: eine Feststellung der Gültigkeit oder Ungültigkeit der Wahlen (kann) nur im Wege des Wahlprüfungsverfahrens erreicht werden; Detterbeck, Streitgegenstand, S. 575: soweit es um die Korrektur des Wahlergebnisses und der Mandatsverteilung gehe, sind andere Rechtsbehelfe ausgeschlossen; Kopp, VwGO, § 40 Rn. 32: für Streitigkeiten über die Gültigkeit der Wahl ist der Verwaltungsrechtsweg ausgeschlossen.

2. Abschnitt: Kein sonstiger Rechtsschutz

127

aber mit dem Bundesverfassungsgericht ein anderes Verfassungsorgan entscheidet7. Ob damit allerdings zugleich ausgesagt ist, daß es im Wahlprüfungsverfahren allein um die Frage der Gültigkeit der Wahl geht, erscheint zweifelhaft. Eine solche Schlußfolgerung verkehrt nämlich die getroffene Feststellung, daß über die Gültigkeit einer Wahl nur im Wahlprüfungsverfahren entschieden werden kann, in die Aussage, im Wahlprüfungsverfahren könne nur über die Gültigkeit der Wahl entschieden werden. Gegen dieses eindimensionale Verständnis des Verfahrensgegenstandes der Wahlprüfung lassen sich daher Bedenken anmelden, denen in Kapitel 5 im einzelnen nachzugehen sein wird. Ihre ganz besondere verfassungsrechtliche Problematik, die auch den Kern der zwischen dem Bundesverfassungsgericht und der Literatur geführten Kontroverse ausmacht, erhält das genannte Verständnis der Wahlprüfung aber durch den sogleich zu untersuchenden Ausschluß jeglichen subjektiven Wahlrechtsschutzes außerhalb des eigentlichen Wahlprüfungsverfahrens.

2. Abschnitt

Der Ausschluß sonstiger Rechtsschutzmöglichkeiten Das Bundesverfassungsgericht ist nämlich bei der im 1. Abschnitt skizzierten repressiven Ausgestaltung subjektiven Rechtsschutzes innerhalb eines konkreten Wahlprüfungsverfahrens nicht stehengeblieben. Seine gleichsam zweite Säule der Rechtsprechung zum (Nicht)Schutz des subjektiven Wahlrechts stellt der vollständige Ausschluß jeglichen sonstigen Rechtsschutzes in Wahlrechtsangelegenheiten dar. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts können Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, nur mit den im Bundeswahlgesetz und der Bundeswahlordnung vorgesehenen Rechtsbehelfen sowie im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden 8. Weitergehender (insbesondere auch verfassungsgerichtlicher) Rechtsschutz sei

7

So sah zwar Art. 51 HChE vor, daß durch Bundesgesetz bestimmt werden konnte, daß statt des BVerfG auch ein besonderes Wahlprüfungsgericht entscheidet, doch sollte dessen Überprüfungskompetenz beschränkt bleiben. Denn Art. 51 HChE bestimmte weiter: „Ist die Gültigkeit einer Wahl im ganzen angefochten, so bewendet es bei der Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts". Nur dem BVerfG sollte also die Kompetenz zustehen, in die Volkswillensbildung einzugreifen, vgl. Rechenberg, in: BK, Art. 41,1. Entstehungsgeschichte. 8

BVerfGE 11, 329 (329 f.); 28, 214 (219); 74, 96 (101).

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

128

durch § 49 BWahlG verfassungskonform ausgeschlossen9. Mit diesen Ausführungen ist indessen zunächst lediglich der Wortlaut des § 49 BWahlG wiederholt. Initialzündung dieser Rechtsprechung war denn auch ein Verfassungsbeschwerdeverfahren, in dem der in § 50 BWahlG a.F. (= § 49 BWahlG) enthaltene Ausschluß subjektiven Wahlrechtsschutzes zum Gegenstand der verfassungsrechtlichen Diskussion wurde 10 . Diese Rechtsprechung, die subjektiven Rechtsschutz auch außerhalb eines konkreten Wahlprüfungsverfahrens ausschließt, wird in der Literatur - wie im folgenden zu zeigen sein wird - überwiegend mißbilligt. Sie führe nicht zu befriedigenden Ergebnissen, weil es gegen Verletzungen des vornehmsten Rechts des Bürgers in der Demokratie 11 dann keinen Rechtsschutz gebe, wenn - wie meist - hierdurch das Wahlergebnis nicht verfälscht werde 12 . H. Meyer hat der Rechtsprechung vorgeworfen, ihr Widerspruch zu Art. 19 Abs. 4 GG sei so evident, „daß es nur unter Inkaufnahme von handfesten Widersprüchen möglich (sei), die Konkordanz zu diesem prozessualen Hauptgrundrecht herzustellen" 13. Diese These soll zum Anlaß genommen werden, im folgenden die Vereinbarkeit des Ausschlusses jeglichen Rechtsschutzes außerhalb konkreter Wahlprüfungsverfahren mit Art. 19 Abs. 4 GG zu untersuchen. Dies setzt zunächst einige Ausführungen über die Geltung und die Reichweite des Art. 19 Abs. 4 GG in Wahlangelegenheiten voraus.

A. Geltung und Reichweite des Art. 19 Abs. 4 GG im Falle subjektiver Wahlrechtsverstöße Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG steht jemand, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen 14 .

9

Vgl. BVerfGE 14, 154 (155) unter Berufung auf den n.v. Beschluß vom 31. August 1957-2 BvR 4/57. 10

Vgl. hierzu unten 2. Abschnitt, Β. I. 3. a).

11

So BVerfGE 1, 14(33).

12

Benda/Klein,

13

Vgl. Κ Meyer, HStR II, § 38 Rn. 63.

14

VerfprozR, § 32 Rn. 1096.

Demgegenüber ist die praktische Bedeutung und der Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 Satz 2 GG infolge des Zusammenspiels der §§ 23 EGGVG, 33 FGO, 51 SGG und der Generalklausel des § 40 VwGO gering geblieben. Schmidt-Aß mann, in: MaunzDürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 294 sieht die Norm als wenig praktische Ersatzzuständigkeit.

2. Abschnitt: Kein sonstiger Rechtsschutz

129

Art. 19 Abs. 4 GG enthält eine Rechtsweggarantie. Ziel der Vorschrift ist die Gewährung eines sachgerecht ausgestalteten Schutzes der Rechte des Bürgers durch die Gerichte 15. Art. 19 Abs. 4 GG kommt im Gefüge des Grundgesetzes eine besondere Bedeutung zu. Die Norm, selbst ein Grundrecht 16, dient in erster Linie dazu, den Schutz der sonstigen Grundrechte aber auch der subjektiven Rechte des einfachen Rechts zu ermöglichen 17. Abgeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip 18, stellt sie einen wesentlichen Teilbereich des allgemeinen Justizgewährleistungsanspruchs dar 19 und wird ungeachtet des Wortlauts des Art. 79 Abs. 3 GG, der Art. 19 Abs. 4 GG nicht nennt, in ihrem Kerngehalt als verfassungsänderungsfest angesehen20. Art. 19 Abs. 4 GG wird deshalb als Königsgrundrecht 21, als Schlußstein im Gewölbe des Rechtsstaats22 oder schlichter als prozessuales Hauptgrundrecht 23 angesehen. Obwohl Art. 19 Abs. 4 GG sich auf der Schnittstelle der Gewährung von Schutz vor und der Akzeptanz von staatlichen Entscheidungen bewährt hat 24 , begründet die Vorschrift doch auch ein Dilemma. Der von ihr ausgehende Ruf nach Effektivierung des Rechtsschutzes verlangt nach notwendigen Begrenzungen, die aus einer „behutsam abwägenden teleologischen Argumentation" 25 zu gewinnen sind. In der jeweils konkreten Anwendung bedeutet dies vor allem,

15

Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 64 m.w.N.

16

Was heute unstreitig ist, vgl. Krebs, in: v. Münch, GGK I, Art. 19 Rn. 49 m.w.N.; Bettermann, Grundrechte Bd. III/2, S. 783. 17

Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 7.

18

Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 15; Wassermann, in: AK, GG, Art. 19 Rn. 19. 19

Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 19.

20

Die dogmatischen Begründungen dieser „begrenzten Abänderbarkeit" des Art. 19 Abs. 4 GG erfolgen zwar unterschiedlich, doch besteht in der Sache Einigkeit, vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 19; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 30 m.w.N. 21

Vgl. Bettermann, AöR 96 (1971); S. 528 (546) „Königlicher Artikel".

22

Vgl. R. Thoma, in: Wandersieb/Trautmann (Hrsg.), Recht-Staat-Wirtschaft, Bd. 3, S. 9; Krebs, in: v. Münch/Kunig, GGK I, Art. 19 Rn. 47. 23

H. Meyer, HStR II, § 38 Rn. 63.

24

So die eingängige Formulierung von Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 1. 25

Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 5.

9 Lang

130

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

daß das nach zwar bestrittener 26, aber doch herrschender 27 und insbesondere vom Bundesverfassungsgericht 28 vertretener Auffassung aus Art. 19 Abs. 4 GG entwickelte Prinzip der Rechtsschutzeffektivität bei seiner Anwendung Kontur erst durch den Bezug auf das jeweils verletzte subjektive Recht gewinnt und damit nicht losgelöst von dem materiellen Recht verstanden werden kann, um dessen Schutz es geht 29 . Dieser Aspekt gewinnt namentlich Bedeutung bei der Frage, wie das Wahlprüfungsverfahren ausgestaltet sein muß, um dem subjektiven Rechtsschutzbedürfhis der Beschwerdeführer Rechnung zu tragen 30. Eines der gängigsten Mißverständnisse des Art. 19 Abs. 4 GG beruht auf der Verkennung des Umstandes, daß die Vorschrift keine subjektiven Rechte begründet, sondern diese vielmehr voraussetzt 31. Der Schutz des Art. 19 Abs. 4 GG kann mithin nur dort aktiviert werden, wo die einschlägigen Normen dem betroffenen Bürger ein subjektives öffentliches Recht einräumen 32. Für den Bereich des Wahlrechts kommt es somit darauf an, ob das Wahlrecht als subjektives Recht i.S.v. Art. 19 Abs. 4 GG angesehen werden kann. Letztlich ist damit die Frage nach der Rechtsnatur des Wahlrechts aufgeworfen. Auf damit zusammenhängende dogmatische Probleme soll erst unten in Kapitel 5 eingegangen werden. Im Rahmen der hier anzustellenden Untersuchung genügt es, darauf zu verweisen, daß das Wahlrecht nach allgemeiner Auffassung (auch) subjektiv-öffentliche Rechtspositionen enthält und damit grundsätzlich unter den Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG fällt 33 . Auch das Bundesverfassungsgericht verneint nicht, daß das Wahlrecht eine von Art. 19 Abs. 4 GG umfaßte

26 Vgl. Lorenz, AöR 105 (1980), S. 633 ff. sowie die Nachweise bei Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 383 und 384. 27 Vgl. Dürig, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 12 ff.; Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 383; Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 19 Rn. 16. 28

Etwa in BVerfGE 35, 401; 40, 98; 51, 284 f.; 53, 68; 55, 369.

29

Vgl. Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 387.

30

Vgl. dazu unten Kapitel 5.

31

Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 21.

32

Vgl. BVerfGE 31, 33 (39); 83, 182 (194), Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 21. 33

Vgl. Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 246: „bietet der Wortlaut des Art. 19 Abs. 4 GG keinen Anhaltspunkt für eine Verengung seines Anwendungsbereichs im Hinblick auf das aktive wie passive Wahlrecht" sowie dens., NJW 1981, 2440 (2441): „Auch Wahlrechte sind Rechte i.S. des Art. 19 Abs. 4 GG".

2. Abschnitt: Kein sonstiger Rechtsschutz

131

Rechtsposition darstellt 34 . Damit läßt sich festhalten, daß subjektive Wahlrechtsverletzungen vom Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG umfaßt sind. Art. 19 Abs. 4 GG eröffnet den Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten, die den Anforderungen der Art. 92 und 97 GG entsprechen müssen35. Zu diesen Gerichten gehört gemäß Art. 92 GG auch das Bundesverfassungsgericht. Rechtsbehelfe zu anderen Staatsorganen genügen demgegenüber nicht 36 . Art. 19 Abs. 4 GG gewährt dabei sowohl die Zugänglichkeit des Rechtswegs als auch die Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes37. Insbesondere stellt ein zu spät einsetzender unwirksamer Rechtsschutz keinen Rechtsschutz im Sinne der Vorschrift dar 38 . Nachdem subjektive Wahlrechte nach der oben angeführten herrschenden Meinung im Wahlprüfungsverfahren nicht geschützt werden, da sie dort nicht zum Verfahrensgegenstand gerechnet werden, stellt sich die Frage, ob den Erfordernissen des Art. 19 Abs. 4 GG durch einen außerhalb konkreter Wahlprüfungsverfahren stehenden Rechtsschutz Genüge getan werden kann. Insoweit kann sowohl an verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz (nachfolgend B.) als auch an die Einräumung weiterer verfassungsrechtlicher Rechtsbehelfe (nachfolgend C. und D.) gedacht werden. Eine erste Differenzierung ergibt sich insoweit in bezug auf Rechtsschutzmöglichkeiten vor und nach der Wahl.

B. Der Meinungsstand zur Zulässigkeit von Rechtsmitteln vor Ablauf der Wahl Die Frage, ob verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz in Wahlangelegenheiten durch Art. 41 GG ausgeschlossen oder durch Art. 19 Abs. 4 GG geboten ist, gehört zu den umstrittensten Fragen des Wahlrechts. Die hierzu vertretenen Auffassungen sind vielfältig.

34

Vgl. bereits BVerfGE 1, 430 (432 f.). Das Gericht stellt dort die Frage der Vereinbarkeit der Notwendigkeit des Beitritts weiterer 100 Wahlberechtigter in § 48 Abs. 1 BVerfGG mit Art. 19 Abs. 4 GG. 35

Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 174.

36

Vgl. Bettermann, Grundrechte, Bd. III/2, S. 799.

37

Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 229.

38

Vgl. Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 390.

132

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

I. Spezialität des Wahlprüfungsverfahrens Von der insbesondere auf der Rechtsprechung beruhenden herrschenden Meinung wird das Wahlprüfungsverfahren als das gegenüber dem allgemeinen Rechtsweg des Art. 19 Abs. 4 GG speziellere Verfahren angesehen. Subjektive Rechtsverletzungen könnten auch außerhalb eines konkreten Wahlprüfungsverfahrens keiner gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden.

1. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Ausgangspunkt ist insoweit die Spezialitätsthese des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Überprüfung aller im Zusammenhang mit Handlungen der Wahlorgane stehender Rechtsverletzungen einheitlich dem Wahlprüfungsverfahren überantwortet ist. In Wahlangelegenheiten gelte der Satz, daß Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, nur mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechtsbehelfen und im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden können39 . Für die Wahlen zum Deutschen Bundestag sähen daher Art. 41 GG, § 49 BWahlG und das Wahlprüfungsgesetz die ausschließlich statthaften Rechtsbehelfe und Anfechtungsmöglichkeiten vor 40 . Mit Art. 19 Abs. 4 GG sei diese Regelung vereinbar. Denn während Art. 19 Abs. 4 GG den Rechtsweg garantiere, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt werde, bestimme Art. 41 Abs. 1 GG, daß die Wahlprüfung Sache des Bundestags sei 41 . Damit aber werde die Korrektur von Wahlfehlern einschließlich solcher, die Verletzungen subjektiver Rechte enthielten, dem Rechtsweg des Art. 19 Abs. 4 GG entzogen42. „Statt dessen (sei) gegen eine Entscheidung des Bundestages gemäß Art. 41 Abs. 2 GG die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht zulässig, so daß eine ausreichende Rechtskontrolle besteh(e)"43.

39

BVerfGE 14, 154 (155); BVerfG NVwZ 1994, 893 (894) - Kammerbeschluß.

40

Vgl. BVerfGE 74, 96 (101). Zu den in § 49 BWahlG angesprochenen Entscheidungen rechnet das BVerfG in der erwähnten Entscheidung auch die gemäß § 18 Abs. 4 Nr. 2 vom Bundeswahlausschuß zu treffende Anerkennung einer Vereinigung als Partei; ebenso Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 6; Voigt, DVB1. 1976, 430 (433). 41

BVerfGE 22, 277 (281).

42

Vgl. BVerfGE 22, 277 (281).

43

So die Formulierung des Gerichts in BVerfGE 46, 196 (198); vgl. auch BVerfGE 66, 232 (234).

2. Abschnitt: Kein sonstiger Rechtsschutz

133

2. Fachgerichtliche Rechtsprechung Die fachgerichtliche Rechtsprechung hat diese Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts akzeptiert und die der Regelung des Art. 41 GG entnommene These der Spezialität des Wahlprüfungsverfahrens gegenüber allen sonstigen Rechtsbehelfen ungeachtet der Tatsache, daß Art. 41 GG im Land keine Geltung beanspruchen kann, auch auf das Landesrecht übertragen 44. Auf diese nicht unproblematische Rechtsprechung wird unten bei der Erörterung der Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden gegen Wahlprüfungsentscheidungen der Landesverfassungsgerichte einzugehen sein 45 . Da - soweit ersichtlich - die Fachgerichte bezogen auf das Wahlverfahren zum Deutschen Bundestag in keinem Fall die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs bejaht haben, kann auf sich beruhen, ob dieses Ergebnis durch eine Bindungswirkung der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen vorgegeben ist, oder ob es auf „freiwilliger" Gefolgschaft beruht. Bekanntlich ist die Frage der Reichweite der ΒindungsWirkung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen nicht unumstritten 46. Probleme entstehen dann, wenn die Β indungs Wirkung über den Tenor hinaus auf die Entscheidungsgründe ausgedehnt werden soll. Das Gericht selbst hat dies hinsichtlich der tragenden Gründe angenommen47, freilich gleichzeitig anerkannt, daß eine Β indungs Wirkung reiner Inzidenterwägungen im Rahmen von Prozeßentscheidungen ausscheiden muß 48 . Insoweit könnte gegen eine Β indungs Wirkung der Entscheidungen bezüglich des Ausschlusses sonstigen Rechtsschutzes außerhalb des Wahlprüfungsverfahrens sprechen, daß die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses sonstigen Rechtsschutzes nicht zum Streitgegenstand der betreffenden Verfahren zählte, deshalb nicht zu den tragenden Gründen der Entscheidung rechnete 49 und überdies im Rahmen von Prozeßentscheidungen erörtert wurde.

44

BayVerfGH BayVBl. 1992, 267 (269); ebenso Aulehner, BayVBl. 1991, 577

(578). 45

Vgl. unten 2. Abschnitt, Β. I. 3. b) bb).

46

Zum Problem vgl. K. Vogel, BVerfG u. GG Bd. I, S. 568 ff. sowie vertiefend Sachs, Bindungswirkung, passim. 47

Diese Bindung entnimmt das BVerfG in ständiger Rechtsprechung der Regelung in § 31 Abs. 1 BVerfGG, vgl. BVerfGE 4, 31 (38); 19, 377 (391 f.); 20, 56 (87); 79, 256 (264); kritisch Schiaich, Das BVerfG, Rn. 449 ff. m.w.N. in Fn. 95. 48 49

BVerfGE 78, 320 (328); Maunz, in: Maunz u.a., BVerfGG, § 31 Rn. 18.

Wobei Schiaich, Das BVerfG, Rn. 452, darauf verweist, es sei in der 30jährigen Rechtsprechung des BVerfG noch nicht klar geworden, welche Gründe einer Entscheidung eigentlich „tragend" sein sollen.

134

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

Angesichts der Tatsache indes, daß die Fachgerichte dem Bundesverfassungsgericht gefolgt sind, braucht der Frage hier nicht weiter nachgegangen zu werden.

a) Bundesverwaltungsgericht Gelegentlich wird allerdings angeführt, das Bundesverwaltungsgericht habe sich gegen die Exklusivitätstheorie des Bundesverfassungsgerichts ausgesprochen 50 . Denn es habe trotz der Regelung in § 49 BWahlG eine Klage für zulässig erachtet, mit der ein Bürger die Verpflichtung einer Gemeinde festgestellt wissen wollte, ihn in die Wählerverzeichnisse künftiger Bundeswahlen aufzunehmen51. Diese Argumentation beruht indes auf einem MißVerständnis der genannten Entscheidung. Das Bundesverwaltungsgericht hat die zur Entscheidung stehende Frage nämlich gerade nicht vom Anwendungsbereich des § 49 BWahlG umfaßt angesehen52. Daß § 49 BWahlG der Zulässigkeit von Klagen, deren Streitfrage nicht vom Regelungsbereich der Vorschrift umfaßt ist, nicht entgegengesetzt werden kann, ist eine Selbstverständlichkeit. Aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1976 läßt sich daher nichts gegen die Spezialitätsthese des Bundesverfassungsgerichts herleiten. Für den Bereich des Landesrechts hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, der Landesgesetzgeber sei „in der Ausgestaltung des Wahlanfechtungsverfahrens nicht durch Art. 19 Abs. 4 GG gebunden, weil in einem solchen Verfahren überwiegend nicht subjektive Rechte geltend gemacht werden würden" 53 .

50

So Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 14 mit Fn. 21.

51

Vgl. BVerwGE 51, 69 (70 f.) sowie LS 1.

52

So ausdrücklich BVerwGE 51, 69 (71): „Dies alles kann offenbleiben, weil die Voraussetzungen des § 49 BWahlG für den vorliegenden Fall nicht gegeben sind". 53 Vgl. BVerwG NVwZ-RR 1989, 496 (496). In der Sache ging es in dem Verfahren um eine gesetzliche Regelung, die die Wahlanfechtung zeitlich begrenzte. Auf der Ebene des kommunalen Wahlrechts hat - soweit ersichtlich - nur das VG Würzburg NJW 1976, 1651 (1651) die Durchsetzung der Eintragung in die Wählerliste im Wege der einstweiligen Anordnung zugelassen.

2. Abschnitt: Kein sonstiger Rechtsschutz

135

b) Berufungsgerichte Auch die verwaltungsgerichtlichen Berufungsgerichte sind nicht von der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Linie abgewichen. Es ist kein Fall ersichtlich, bei dem sie im Bereich von Bundestagswahlen Klagen, die sich gegen Entscheidungen oder Maßnahmen der Wahlorgane richteten, für zulässig erachteten 54.

3. Schrifttum Im Schrifttum wird ebenfalls die Auffassung vertreten, daß das Wahlprüfungsverfahren das gegenüber dem Rechtsweg im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG speziellere Verfahren darstelle 55. Klarstellend sei insoweit darauf hingewiesen, daß es an dieser Stelle nicht um die Spezialität des Wahlprüfungsverfahrens geht, wenn die Gültigkeit der Wahl im Frage steht, sondern daß die Spezialitätsthese auf den gesamten Bereich des Wahlrechtsschutzes und damit auch auf den subjektiven Wahlrechtsschutz ausgedehnt wird. Nach der im wesentlichen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angelehnten Auffassung wird Art. 19 Abs. 4 GG durch das speziellere Verfahren nach Art. 41 GG also auch insoweit verdrängt, als es allein um die Verletzung subjektiver Wahlrechte geht; wenn demnach mit anderen Worten die Gültigkeit der Wahl nicht (allein) verfahrensgegenständlich ist. Neben der Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die Wahlprüfung diene allein dem Schutz des objektiven Wahlrechts, so daß es sich bei ihr nicht um ein Verfahren des individuellen Rechtsschutzes handele56, steht die

54 Vgl. etwa OVG Münster, NJW 1975, 77 nur Leitsätze: Streitigkeit über Teilnahme an Volksentscheiden als verfassungsrechtliche Streitigkeit; offengelassen in VGH Kassel, NVwZ 1995, 799 (799); s.a. OVG Berlin OVGE BE 13, 191 (196), das in einem Verfahren betreffend die Gültigkeit von Wahlen im Fachhochschulbereich eine nachträgliche Feststellungsklage, mit der der Kläger Beeinträchtigungen seiner Wahlrechte gerügt hatte, für zulässig erachtete. 55

Vgl. Rechenberg,, in: BK, Art. 41 Rn. 12 m.w.N.; Schiaich, Das BVerfG, Rn. 334; Model/Müller, GG, Art. 41 Rn. 1: Ausnahme von der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG; Badura, in: BK, Anh. z. Art. 38: BWahlG Rn. 56; Gensior, in: Starck/Stern (Hrsg.), Landesverfassungsgerichtsbarkeit, Teilband II, S. 109, der diesen Gedanken sogar auf das Landesrecht ausdehnen will, dagegen allerdings BVerfGE 34, 81 (94); vgl. weiter Seifert/Hömig, GG, Art. 41 Rn. 5; Seifert, BundeswahlR, BWG, § 49 Rn. 5, der sich indes gegen eine allein auf die Mandatsrelevanz reduzierte Wahlprüfung ausspricht. 56

Vgl. Löwer, HStR II, § 56 Rn. 138, der die Rechtsprechung des BVerfG mit dessen These, „Art. 41 GG ist insofern eine Spezialvorschrift, die die Verletzung subjekti-

136

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

Argumentation des angesprochenen Schrifttums auf einem zweiten - ebenfalls der Rechtsprechung entnommenen57 - Standbein. Der Ausschluß subjektiven Rechtsschutzes entspreche dem besonderen Charakter der Wahl als einem ohne gerichtliche Intervention zügig und „zentral" abzuwickelnden Vorgang der ursprünglichen demokratischen Willensbildung 58 . Mit dieser Funktion sei es unvereinbar, wenn die Durchführung der Wahl durch verwaltungsgerichtliche Klagen aufgehalten werde. Die Eröffnung solcher Klagemöglichkeiten werde der sich aus der Struktur des Wahlverfahrens ergebenden Notwendigkeit, eine Vielzahl aufeinander bezogener und fristgebundener Einzelentscheidungen zu einem einheitlichen Ergebnis zusammenzufassen, nicht gerecht 59.

ver Rechte in diesem Zusammenhang durch dieses Verfahren Art. 19 Abs. 4 GG entzieht", referiert; Ossenbühl, BVerfG u. GG, Bd. I, S. 458 (477), tritt der Rechtsprechung des BVerfG mit der Überlegung bei, die Formulierung des Art. 41 GG gelte nur der Abwehr des Art. 19 Abs. 4 GG, an dessen Stelle nach Art. 41 GG die Anrufung des BVerfG gesetzt sei. Der Autor äußert sich im Rahmen seines die Wahlprüfung freilich auch eher beiläufig behandelnden Beitrags nicht weiter zu den damit notwendig aufgeworfenen Fragen nach der Ausgestaltung eines an die Stelle subjektiven Rechtsschutzes tretenden Wahlprüfungsverfahrens nach Art. 41 GG. Gegen die Gewährung subjektiven Rechtsschutzes allein unter Berufung auf die Rechtsprechung des BVerfG sprechen sich weiterhin auch Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 24; Erichsen, Jura 1983, 635 (647); Kroppens te dt/Würz berger, VerwArch 73 (1982), S. 311 (318) sowie Leibholz/Rupprecht, BVerfGG, § 48 Rn. 2 aus; unklar Kretschmer, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 13 Rn. 47, der einerseits ausführt, andere Verfahrenswege seien verdrängt und in Fn. 55 andererseits auf die Aufzählung der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte in Wahlsachen bei Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 6 verweist. 57

Vgl. BVerfGE 14, 154 (155); 28, 214 (219).

58

Vgl. Rechenberg, in: BK, Art. 41 Rn. 12: „Interesse der Gesamtheit der Wähler an einem möglichst bald feststehenden korrekten Wahlergebnis"; Badura, in: BK, Anh. z. Art. 38: BWahlG, Rn. 56: „keine...gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoßende Verkürzung des Rechtsschutzes"; ähnlich Zuleeg, BayVBl. 1962, 335 (339), der nach einer Analyse der dem Betroffenen zur Verfügung stehenden verwaltungsprozessualen Möglichkeiten zu der Überzeugung kommt, es habe seinen guten Grund, wenn das BVerfG von einer Spezialität des Wahlprüfungsverfahrens ausgehe. 59 Vgl. Schiffer, in: Benda/Maihofer, HVerfR, S. 295 (314 f.). Auf dieser Linie liegen auch die Ausführungen von Franzke, DVB1. 1980, 730 (733). Der Autor beschäftigt sich in seinem Aufsatz zunächst allerdings mit dem Spezialfall der Nichteintragung eines Wählers ins Wählerverzeichnis. Eine auf Eintragung des Bürgers gerichtete verwaltungsgerichtliche Klage sieht er dabei bereits deshalb als zulässig an, weil nach seiner Auffassung die Entscheidung über die Eintragung in das Wählerverzeichnis nicht von der Ausschlußwirkung des § 49 BWahlG erfaßt wird (vgl. a.a.O., S. 733: Die eine verwaltungsgerichtliche Anfechtung der Nichteintragung ausschließende Vorschrift des § 22 Abs. 5 Satz 6 BWO ist nach Franzke nichtig, da sie nicht von der Ermächtigung

2. Abschnitt: Kein sonstiger Rechtsschutz

137

Faßt man die genannten Argumente zusammen, dann gehören subjektive Rechtsverletzungen im Wahlprüfungsverfahren nicht zum Verfahrensgegenstand und sind außerhalb dessen wegen der Spezialität des Wahlprüfungsverfahrens nicht rechtlich überprüfbar. Sie stehen mit anderen Worten ohne jeden Rechtsschutz dar. Man wird daher nicht umhin kommen, diesem Verständnis im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG ein gewisses Spannungsverhältnis zur Rechtsweggarantie zu konzedieren.

a) Unvereinbarkeit des Ausschlusses subjektiven Rechtsschutzes außerhalb konkreter Wahlprüfungsverfahren mit Art. 19 Abs. 4 GG Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Ausschluß subjektiven Rechtsschutzes außerhalb eines konkreten Wahlprüfungsverfahren wird in der Literatur denn auch ganz überwiegend als mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar angesehen60. Ihr sei ein systematischer Bruch vorzuwerfen. Gerade wenn das Wahlprüfungsverfahren - wie vom Bundesverfassungsgericht immer wieder betont worden sei - ein rein objektives Verfahren darstelle, bei dem der Schutz subjektiver Rechte höchstens als Reflex mitumfaßt sei, komme eine Spezialität des Wahlprüfiingsverfahren gegenüber dem unzweifelhaft subjektivem Rechtsschutz verpflichteten allgemeinen Rechtsweg im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG nicht in Betracht 61. Denn die Spezialität setze einen identischen Anwendungsbereich voraus, der gerade bei Zugrundelegung der Rechtsprechung fehle 62 . Bei der Wahlprüfiing des Art. 41 GG handele es sich mithin vom Regelungsgegenstand her um ein gänzlich anderes Verfahren als bei dem in Art. 19 Abs. 4 GG

des § 52 Abs. 1 BWahlG gedeckt sei). Für alle sonstigen Entscheidungen der Wahlorgane ist nach Franzke der Verwaltungsrechtsweg allerdings durch § 49 BWahlG ohne Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG verdrängt (vgl. a.a.O., S. 733 in Fn. 44). 60

Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 34: Exklusivität der Wahlprüfung nur soweit die Gültigkeit der Wahl als ganzes in Rede steht; Versteyl, in: v.Münch, GGK II, Art. 41 Rn. 19: Ausschließlichkeit des Wegs des Art. 41 GG für alle Fälle, in denen das objektive Wahlrecht und damit die Zusammensetzung des Parlaments angegriffen werden soll; v. Mangoldt/Klein/Achterberg/Schulte, GG, Art. 41 Rn. 14: Ausschluß nur soweit wie die Ziele des Art. 41 Abs. 1 durch einen konkurrierenden Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG beeinträchtigt würden; H. Meyer, HStR II, § 38 Rn. 65: kann eine lex-specialis-Wirkung des Art. 41 GG nur soweit gehen, wie ein Gerichtsverfahren im Schutze des Art. 19 Abs. 4 GG dessen Zielsetzung beeinträchtigen würde. 61 Schneider, in: AK, GG, Art. 41 Rn. 15; kritisch auch Saftig, Kommunalwahlrecht in Deutschland, S. 220: „These der Exklusivität äußerst problematisch". 62

Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 41 Rn. 34.

138

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

angesprochenen subjektiven Rechtsschutzverfahren. Die Spezialitätsthese des Bundesverfassungsgerichts sei daher abzulehnen. Andernfalls bliebe ein großer Teil von Wahlrechtsverletzungen außerhalb der gerichtlichen Überprüfung, was im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht hinnehmbar sei 63 . Der Zulässigkeit von Rechtsmitteln außerhalb des Wahlprüfungsverfahrens könnte § 49 BWahlG entgegenstehen, wonach Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlbehörden nur mit den im Bundeswahlgesetz vorgesehenen Rechtsbehelfen sowie im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden können. Daß § 49 BWahlG im Hinblick auf die subjektive Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG erhebliche Probleme aufwirft, wurde bereits erwähnt. Entzündet hat sich die verfassungsrechtliche Kontroverse um den Ausschluß subjektiven Rechtsschutzes denn auch an der inhaltlich gleichen Vorgängerregelung des § 49 BWahlG (= § 50 BWahlG a.F.). Dessen Verfassungsmäßigkeit hat das Bundesverfassungsgericht erstmals in einem unveröffentlichten^) Beschluß im Jahre 1957 bejaht 64 und später wie folgt begründet. § 50 BWahlG bringe in verfassungskonformer Weise den Satz zum Ausdruck, daß Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, nur mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechtsbehelfen und im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden können 65 . Bettermann hat die unglückliche Entstehungsgeschichte dieses wahlprüfungsrechtlichen Kernsatzes nachgezeichnet und kommt nach einer Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Wahlprüfungsverfahren zu dem Ergebnis, sie sei ein „Musterbeispiel dafür, wie die sachliche Begründung durch eine Berufung auf nicht einschlägige Präjudizien ersetzt wird" 6 6 . Die erstmals in BVerfGE 11, 329 verwandte Formulierung: „In Wahlrechtsangelegenheiten gilt der Satz, daß Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, nur mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechtsbehelfen und im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden können",

63

Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 243-248; ders., NJW 1981, 2440 (24412443); s.a. Bettermann AöR 96 (1971), S. 528 (546): Schließung großer und gefährlicher Rechtsschutzlücken. 64

Vgl. Beschluß vom 31. August 1957-2 BvR 4/57.

65

BVerfGE 14, 154(155).

66

Bettermann, AöR 96 (1971), 528, (544-547).

2. Abschnitt: Kein sonstiger Rechtsschutz

139

die im Rahmen der Prüfung der Rechtswegerschöpfung des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG gebraucht worden ist 67 , sei später vom Bundesverfassungsgericht 68 aus dem Zusammenhang gerissen und zur Rechtfertigung von § 50 BWahlG, der jede gerichtliche Anfechtung von staatlichen Wahlakten außerhalb des Art. 41 GG ausschließe, gebraucht worden 69 . Obwohl in der Literatur der Ausschluß verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes unter Berufung auf § 49 BWahlG gelegentlich anerkannt wird 7 0 , wird der Rechtsprechung ganz überwiegend zu Recht die Gefolgschaft versagt 71. Da Art. 19 Abs. 4 GG ein vorbehaltlos gewährtes Grundrecht darstellt, kann dieses Recht durch § 49 BWahlG bzw. § 50 BWahlG a.F. mithin nicht eingeschränkt werden. Allgemein akzeptiert ist zwar, daß auch vorbehaltlos gewährte Grundrechte gewissen Schranken unterliegen können, doch kommen insoweit nur andere Grundrechte oder sonstige Rechtsgüter von Verfassungsrang in Betracht 72 . Dies dürfte der Grund dafür sein, daß das Bundesverfassungsgericht von einem allgemeinen Satz des Wahlprüfungsrechts des beschriebenen Inhalts gesprochen hat.

67

Das Bundesverfassungsgericht lehnte die beantragte einstweilige Anordnung der Aussetzung der Stadtratswahl ab, weil der Beschwerdeführer gegen die Nichtzulassung seines Wahlvorschlages nicht zunächst um - im konkreten Fall auf landesrechtlicher Grundlage ausnahmsweise eröffneten - einfachrechtlichen Rechtsschutz nachgesucht hatte. 68

Und zwar in der Entscheidung BVerfGE 14, 154 (155).

69

Bettermann, AöR 96 (1971), 528, (547); ähnlich auch v. Mutius, VerwArch. 68 (1977), S. 197 (200). 70

Vgl. Schiffer, in: Benda/Maihofer, HVerfR, S. 295 (314 f.) jedoch ohne Begründung; Rechenberg, in: BK, Art. 41 Rn. 12; Seifert, DÖV 1956, 257 (260) sowie dens., BundeswahlR, BWG, § 49 Rn. 1: „entspricht dem herkömmlichen Rechtszustand", wobei Seifert allerdings für eine nicht auf die Mandatsrelevanz reduzierte Wahlprüfung eintritt. 71

Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 34; Schneider, in: AK, GG, Art. 41 Rn. 15; Versteyl, in: v. Münch, GGK II, Art. 41 Rn. 13; v. Mangoldt/Klein/ Achterberg/Schulte, GG, Art. 41 Rn. 13 u. 14; Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 13; Feneberg/Simader, BWahlG, S. 114 u. 115; Detterbeck, Streitgegenstand, S. 576; Achterberg, ParlamentsR, S. 189 u. 190 mit Fn. 91; Schenke, VerwprozR, Rn. 132a; ders., NJW 1981, 2440 ff. 72

Vgl. BVerfGE 28, 243 (261); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 37 f.

140

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

Gleichwohl begegnen der These des Bundesverfassungsgerichts Bedenken. Vergleicht man nämlich den Wortlaut von § 49 BWahlG als der zu rechtfertigenden Vorschrift mit dem Rechtfertigungssatz, den das Bundesverfassungsgericht heranzieht, so fällt deren Gleichklang ohne weiteres auf. Anders ausgedrückt: Das Bundesverfassungsgericht rechtfertigt den in § 49 BWahlG enthaltenen Ausschluß jeglichen subjektiven Rechtsschutzes in Wahlangelegenheiten damit, es gebe in Wahlangelegenheiten den Satz, daß jeglicher subjektiver Rechtsschutz ausgeschlossen sei. Als verfassungsrechtliche Grundlage eines solchen Satzes kommt nur Art. 41 GG in Betracht. Es ist indes höchst zweifelhaft, ob dieser Vorschrift eine solche Aussage entnommen werden kann. Schließlich spricht die Norm nur davon, daß die Wahlprüfung Sache des Bundestags und gegen dessen Entscheidung die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht gegeben sei. Mag man entgegen der hier vertretenen und im Kapitel 5 im einzelnen dargelegten Auffassung Art. 41 GG entnehmen können, daß durch ihn subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren ausgeschlossen ist, so erscheint es doch wenig überzeugend aus Art. 41 GG weiter abzuleiten, daß damit gleichzeitig auch jeder subjektive Rechtsschutz außerhalb eines konkreten Wahlprüfungsverfahrens ausgeschlossen werden sollte. Legte man diese Auffassung zugrunde, so hätte sich der Verfassunggeber für eine Schutzlosstellung des subjektiven Wahlrechts entschieden. Im Wahlprüfungsverfahren blieben sie mangels Mandatsrelevanz unbeachtlich, außerhalb dessen wären sie erst gar nicht rügbar. Im Bereich des subjektiven Wahlrechts würde demnach das formelle Hauptgrundrecht Art. 19 Abs. 4 GG überhaupt keine Wirkung entfalten. Es läßt sich in verfassungssystematischer Auslegung zwar durchaus die Auffassung vertreten, daß das Wahlprüfungsverfahren das gegenüber dem allgemeinen Rechtsschutz des Art. 19 Abs. 4 GG in Wahlangelegenheiten speziellere Rechtsbehelfsverfahren darstellt 73. Freilich läßt sich eine solche Auffassung nur halten, wenn gleichzeitig das Wahlprüfungsverfahren subjektive Rechtsschutzbelange aufnimmt. Mit der vom Bundesverfassungsgericht angezogenen Begründung ist die Spezialitätsthese indes unhaltbar. Wenn das Verfahren nach Art. 41 Abs. 2 GG ein rein objektives Verfahren ist, kann es gegenüber dem subjektiven Rechtsschutz des Art. 19 Abs. 4 GG nicht spezieller sein. Deshalb bleiben gegenüber der These des Bundesverfassungsgerichts, wonach auch außerhalb eines konkreten Wahlprüfungsverfahrens jeglicher subjektive Rechtsschutz ausgeschlossen ist, im Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG jedenfalls dann Bedenken bestehen, wenn gleichzeitig innerhalb des Wahlprüfungsverfahrens kein

73

Vgl. dazu noch unten Kapitel 5, 1. Abschnitt, B. III. 3. a) dd) (2).

2. Abschnitt: Kein sonstiger Rechtsschutz

141

Schutz vor subjektiven Rechtsverletzungen gewährt wird. Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung zum Schutz subjektiver Rechte im Wahlprüfungsverfahren kommt man nicht umhin, den gleichzeitigen Ausschluß sonstigen Rechtsschutzes als mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar anzusehen. Im Schrifttum haben sich verschiedene Auffassungen zu der Frage gebildet, wie der festgestellte Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG beseitigt werden könnte. Bevor sie im folgenden näher dargestellt und im 2. Abschnitt einer kritischen Überprüfung unterzogen werden sollen, ist noch auf einen Einwand einzugehen, der gelegentlich in der Literatur zur Rechtfertigung des Ausschlusses jeglichen subjektiven Rechtsschutzes außerhalb konkreter Wahlprüfungsverfahren vorgetragen wird.

b) Kompensationen Bisweilen wird der an sich eingeräumte Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG unter Berufung darauf verneint, daß Bundestag und Bundesverfassungsgericht das Fehlen subjektiven Rechtsschutzes im Wahlprüfungsverfahren kompensierten 74. Allein auf die nach dem Bundeswahlgesetz bestehenden Beschwerdemöglichkeiten kann hierbei nicht abgestellt werden 75. Ein ausschließlich in die Hand der Verwaltung gelegter Rechtsschutz genügt nicht den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG 7 6 . Man könnte aber zum einen daran denken, einen Eingriff in Art. 19 Abs. 4 GG dadurch zu kompensieren, daß sowohl der Bundestag als auch das Bundesverfassungsgericht in den vor ihnen anhängigen Verfahren subjektive Rechtsverletzungen feststellten und auf deren künftige Beseitigung hinwirkten. Überdies wird auf die Möglichkeit hingewiesen, Wahlprüfungsentscheidungen der Landesverfassungsgerichte in Wahlangelegenheiten mit der Verfassungsbeschwerde anzugreifen, wodurch ebenfalls ein gewisser Rechtsschutzausgleich

74

Vgl. Löwer, HStR II, § 56 Rn. 138; Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 12; Wuttke, AöR 96(1971), 506 (517). 75

Es handelt sich hierbei im wesentlichen um die oben dargelegten Rechtsbehelfe der §§26 Abs. 2 und 28 Abs. 2 BWahlG sowie der §§22 Abs. 1 und 5 sowie 31 BWO, vgl. dazu Kapitel 2, 2. Abschnitt, Β. I. 76

Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 273; Ule, DVB1. 1982, 821 (830).

142

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

stattfinde 77. Beide Ansätze vermögen indes das Spannungsverhältnis zu Art. 19 Abs. 4 GG nicht befriedigend aufzulösen.

aa) Hinwirken auf künftige Beseitigung In Bezug auf die Praxis des Bundestages sucht Schreiber 78 Bedenken wegen des Ausschlusses des Schutzes subjektiver Rechte im Wahlprüfiingsverfahren dadurch auszuräumen, daß er konstatiert, der Wahlprüfungsausschuß belasse es nicht bei der Zurückweisung eines Einspruchs wegen fehlender Mandatsrelevanz, „sondern er stellt Wahlfehler fest und wirkt darauf hin, daß die Wiederholung des Wahlfehlers bei nachfolgenden Wahlen ausgeschlossen ist". Die dann in der Fußnote in bezug genommenen Ausführungen des Bundestages stellen allerdings im wesentlichen nur dessen Entscheidungen dar. Dort finden sich lediglich vereinzelt Ausführungen über eine zukünftige Verhinderung festgestellter Wahlfehler 79 . Damit lassen sich Rechtsschutzdefizite hinsichtlich subjektiver Rechtsverletzungen sicher nicht kompensieren. Ähnlich wie Schreiber argumentiert auch Wuttke mit dem Bemerken, der Bundestag wirke im Rahmen des Möglichen durch Bitten, Anregungen und Hinweise darauf hin, daß eine Wiederholung festgestellter Wahlfehler vermie-

77

Vgl. Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 15.

78

Vgl. Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 12 mit Fn. 55.

79

Nur in vier der relevanten Verfahren kann von einem Hinwirken des Bundestages auf künftige Fehlerbeseitigung gesprochen werden. So heißt es in BT-Drs. 12/1002 Anlage 6: „Die Gemeinde Ottobrunn wird jedenfalls darauf zu achten haben, daß ihre Mitarbeiter künftig Bürgern keine falsche Auskunft erteilen, durch die sie an ihrem verfassungsmäßigen Wahlrecht gehindert werden" und in den Verfahren BT-Drs. 7/1956, S. 28, BT-Drs. V/1311, S. 26 sowie BT-Drs. VI/343, S. 4 heißt es, der Wahlprüfungsausschuß hielt es jedoch für notwendig, „den Bundesminister des Innern zu bitten, unverzüglich gesetzgeberische, oder wenn dies für ausreichend gehalten werden sollte, auf dem Verordnungswege Maßnahmen zu ergreifen, um eine hinreichende Klarheit und Rechtssicherheit zu schaffen". In allen anderen Fällen wurde entweder die Frage eines Wahlfehlers offengelassen (BT-Drs. 12/1002, Anlage 22; BT-Drs. 12/1002, Anlage 33), so daß natürlich auch nicht auf dessen Beseitigung gedrängt werden konnte, oder es wurde zwar das Vorkommen eines Wahlfehlers eingeräumt, ohne aber in irgendeiner Weise auf dessen Beseitigung hinzuwirken (BT-Drs. 12/1002, Anlage 15; BT-Drs. 12/1002, Anlage 18; BT-Drs. 12/1002, Anlage 20; BT-Drs. 12/1002, Anlage 23; BTDrs. 12/1002, Anlage 29; BT-Drs. 12/1002, Anlage 35; BT-Drs. 12/1002, Anlage 43; BT-Drs. 12/1002, Anlage 50).

2. Abschnitt: Kein sonstiger Rechtsschutz

143

den werde 80 . Es ist aber bereits fraglich, ob solche Bitten und Anregungen überhaupt geeignet sind, den subjektiven Rechtsschutzinteressen Genüge zu tun. Entscheidend gegen die Annahme, diese Möglichkeit werde den Erfordernissen des Art. 19 Abs. 4 GG gerecht, spricht jedoch, daß das Argument in all denjenigen Fällen nicht greift, in denen der Bundestag - wie etwa im oben angeführten Fall der rechtswidrigen Zurückweisung einer Partei 81 - irrtümlich von der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Wahlorgane ausging und daher einen Wahlfehler verneinte 82. In diesen Fällen bestand für ihn natürlich auch keine Veranlassung, auf eine Beseitigung der objektiv gegebenen Fehler hinzuwirken, so daß in diesen Fällen die Bürger bzw. Parteien nach wie vor vollständig rechtsschutzlos gestellt sind. In bezug auf die Entscheidungspraxis des Bundesverfassungsgerichts will Löwer, der die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit dessen These, „Art. 41 GG ist insofern eine Spezialvorschrift, die die Verletzung subjektiver Rechte in diesem Zusammenhang durch dieses Verfahren Art. 19 Abs. 4 GG entzieht", referiert, den sich aufdrängenden Widerspruch zu Art. 19 Abs. 4 GG durch den Hinweis entkräften, das Bundesverfassungsgericht suche zu helfen, indem „es so manchen Fehler feststelle" 83. Die dann zum Beleg angeführten Entscheidungen des Gerichts tragen indessen die Argumentation nicht 84 . Die erste Bezugnahme erscheint ungereimt, weil dort allein ein Formfehler gerügt war und daneben keine subjektive Wahlrechtsverletzung in Rede stand85. Und in der zweiten in Bezug genommenen Entscheidung wurden die dort gerügten Wahlfehler vom Bundesverfassungsgericht letztlich überhaupt nicht als Wahlfehler angesehen86. Gleichwohl könnte durchaus daran gedacht werden, den subjektiven Rechtsschutz dem Bundesverfassungsgericht innerhalb eines kon-

80

Wuttke, AöR 96 (1971), 506 (517).

81

Vgl. BVerfGE 89, 266 ff. sowie oben Kapitel 3, 2. Abschnitt, B. III. 7.

82

Vgl. die Beschlüsse des Deutschen Bundestages, mit denen die Einsprüche der U.A.P. (BT-Drs. 12/1002, Anlage 55, S. 141 [144]) bzw. deren Führungskader (BT-Drs. 12/1002, Anlage 54, S. 137 [139]) zurückgewiesen wurden, in denen der Bundestag auf dem Standpunkt stand, daß Rechtsfehler des Bundeswahlausschusses bei der Zurückweisung der Wahlvorschläge nicht erkennbar seien. 83

Löwer, HStR II, § 56 Rn. 138.

84

Vgl. Löwer, HStR II, § 56 Rn. 138 in Fn. 633.

85

Vgl. BVerfGE 4, 370 (373); in der Sache ging es um die vertauschte Reihenfolge von Stimmzettelabgabe und Stimmabgabevermerk sowie um die fehlerhafte Anwendung des Legeverfahrens bei der Stimmauszählung. 86

Vgl. BVerfGE 66, 369 (380-384).

144

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

kreten Wahlprüflingsverfahrens zu überantworten. Das Gericht selbst hat diesen Ansatz im Rahmen eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens gegen eine im Wahlprüfungsverfahren ergangene Entscheidung eines Landesverfassungsgerichts ins Spiel gebracht und ausgeführt, es könne seiner Aufgabe, Grundrechte des einzelnen Bürgers zu schützen, auch in dem Verfahren nach Art. 41 Abs. 2 GG gerecht werden, wenn es Grundrechtsverstöße feststelle und im Falle ihrer Mandatsrelevanz auch Folgerungen für die Gültigkeit der Wahl ziehe 87 . Und diesen Gedanken aufgreifend, hat es sich in einer späteren Entscheidung auf den Standpunkt gestellt, mit dieser Maßgabe diene das Wahlprüfungsverfahren „auch der Verwirklichung des subjektiven aktiven und passiven Wahlrechts" 88 . Letztlich vermag dieser - im übrigen vom Gericht nie weiter verfolgte - Ansatz, dem Erfordernis eines ausreichenden subjektiven Rechtsschutzes nicht gerecht zu werden. Die Feststellung eines Wahlfehlers in den Entscheidungsgründen dürfte in der Regel als reines obiter dictum zu qualifizieren sein 89 , würde nicht in Rechtskraft erwachsen und entfaltete demzufolge auch keinerlei Vollstreckungsdruck. Abgesehen von diesen aus der fehlenden Rechtskraft abgeleiteten Bedenken, spricht gegen eine solche Lösung des subjektiven Rechtsschutzproblems zudem, daß der betroffene Aktivbürger keinen Anspruch darauf hätte, daß das Bundesverfassungsgericht sich zu dem gerügten Fehler äußerte. Im Gegenteil hat die Praxis des Gerichts gezeigt, daß es diesem Aspekt im Wahlprüfungsverfahren keine besondere Bedeutung beizumessen bereit ist. Immerhin hat der Senat in nahezu 50% aller relevanten Fälle dahinstehen lassen, ob das gerügte Verhalten als Wahlfehler zu qualifizieren war 90 . Auf die Kompensation des fehlenden subjektiven Rechtsschutzes durch eine allein in den Entscheidungsgründen vorzunehmende Feststellung eines Wahlfehlers wird man den Rechtsschutzsuchenden daher nicht verweisen können.

87

Vgl. BVerfGE 34, 81 (95).

88

Vgl. BVerfGE 85, 148 (159); dies aufgreifend sieht Seifert, BundeswahlR, BWG, § 49 Rn. 10, auch die Möglichkeit, daß das BVerfG im Rahmen des Wahlprüfungsverfahrens die Grundrechte des Bürgers mitschützen könne, ohne daß seine Kommentierung darauf eingeht, wie die Gewährung eines solchen Rechtsschutzes, die sich nicht in einem obiter dictum erschöpfen kann, in concreto aussehen soll, dazu näher in Kapitel 5, 2. Abschnitt, Α. II. 89

Zur Möglichkeit einer rechtskräftigen Wahlfehlerfeststellung vgl. unten Kapitel 5, 2. Abschnitt, B. 90

Vgl. dazu oben Kapitel 3, 2. Abschnitt, B. sowie die Entscheidungen BVerfGE 21, 196 ff.; 22, 277 ff.; 34, 201 ff.; 37, 84 ff.; 89, 291 ff

2. Abschnitt: Kein sonstiger Rechtsschutz

145

bb) Verfassungsbeschwerde gegen landesverfassungsgerichtliche Wahlprüfungsentscheidungen Als weitere Kompensation der an sich eingeräumten Unvereinbarkeit des Ausschlusses subjektiven Rechtsschutzes mit Art. 19 Abs. 4 GG wird in der Literatur darauf verwiesen, daß unter anderem wegen der Möglichkeit, gegen Wahlprüfungsentscheidungen der Landesverfassungsgerichte Verfassungsbeschwerde einzulegen, der Ausschließlichkeitsanspruch, den das Bundesverfassungsgericht dem Wahlprüfungsverfahren beimesse, nicht absolut sei 91 . Und in der Tat hat das Bundesverfassungsgericht in bisher zwei Entscheidungen in Wahlprüfungsverfahren ergangene Urteile von Landesverfassungsgerichten überprüft und in beiden Fällen die jeweiligen Entscheidungen aufgehoben 92 . Gleichwohl kann hieraus nicht abgeleitet werden, daß der auf der Schutzlosstellung des subjektiven Wahlrechts beruhende Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG kompensiert werden könnte. Dagegen spricht nämlich bereits, daß diese Rechtsschutzmöglichkeit in bezug auf die hier im Vordergrund stehende Frage des Rechtsschutzes bei Bundestagswahlen ohne Belang ist. Entscheidungen und Maßnahmen der für die Bundestagswahl zuständigen Wahlorgane können nicht Anlaß landesverfassungsgerichtlicher Wahlprüfungsverfahren und damit auch nicht mittelbar Gegenstand eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens werden. Ungeachtet dessen soll im folgenden aus zwei Gründen auf die Frage einer Überprüfung in Wahlprüfungsverfahren ergangener Urteile von Landesverfassungsgerichten durch das Bundesverfassungsgericht eingegangen werden. Zum einen sprechen erhebliche Einwände gegen die Zulässigkeit solcher Verfassungsbeschwerden. Zum anderen ist für die im Zentrum der Untersuchung stehende Frage subjektiven Rechtsschutzes im Wahlprüfungsverfahren von besonderem Interesse, daß in einem beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahren 93 eine Entscheidung eines Landesverfassungsgerichts zur verfassungs-

91 Vgl. Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 13. Als weitere Kompensationen führt der Autor die verfassungsrechtlichen Rechtsbehelfe des Organstreitverfahrens, die Möglichkeit, Verfassungsbeschwerde gegen das der Wahl zugrundeliegende Wahlgesetz zu erheben sowie die Möglichkeit an, daß das BVerfG in den Entscheidungsgründen einer Wahlprüfungsentscheidung den gerügten Wahlfehler feststelle oder verneine. 92

Vgl. BVerfGE 34, 81 ff. und 85, 148 ff.

93

Vgl. „Wichtige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im laufenden Jahr", DVB1. 1995, 415 (417 Nr. 12) und nunmehr „Vorgesehene Entscheidungen des 10 Lang

146

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

rechtlichen Überprüfung gestellt ist, die den weitgehenden Ausschluß des Rechtsschutzes gegenüber Verletzungen des passiven Wahlrechts zum Gegenstand hatte. Es handelt sich hierbei um eine Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, der eine Wahlprüfungsbeschwerde gegen die Bayerische Landtagswahl aus dem Jahre 1990 zugrunde lag 94 . Das genannte Wahlprüfungsverfahren wurde vom Landesverband einer Partei sowie von drei Wahlbewerbern dieser Partei angestrengt. Die betreffende Partei hatte bei der Landtagswahl 4,9% der Stimmen erhalten und die Beschwerdeführer trugen vor, bei der Ermittlung und der Feststellung des Wahlergebnisses seien Fehler unterlaufen, ohne die die Partei die 5% Hürde überwunden hätte. Dies hätte zur Folge gehabt, daß die Antragsteller Landtagsabgeordnete geworden wären 95 . Der Bayerische Verfassungsgerichtshof wies die Anträge als unzulässig zurück. Die Antragsteller gehörten nicht zum abschließend zu verstehenden Kreis der Antragsberechtigten in Art. 48 Abs. 1 bay. VerfGHG 96 . Diese Vorschrift lautet:

„Gegen Beschlüsse des Landtags über die Gültigkeit der Wahl oder den Verlust der Mitgliedschaft kann der Abgeordnete, dessen Mitgliedschaft beim Landtag bestritten ist, oder der Landtag selbst die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs beantragen. Die gleiche Befugnis steht auch einer Minderheit des Landtags zu, die wenigstens ein Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl umfaßt".

Im hier interessierenden Bereich der Antragsbefugnis bei Beeinträchtigungen des passiven Wahlrechts entspricht die Vorschrift damit exakt der Regelung in § 48 BVerfGG. Auch dort ist zwar derjenige Abgeordnete beschwerdebefugt, dessen Mandat bestritten ist, nicht aber derjenige, der ein Mandat erstreiten will. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsmäßigkeit dieser Be-

BVerfG im Jahre 1996", NJW 1996, 1121 (1123 Nr. 15); Holzheid,, Maßgebliche Verfassungsgrundsätze bei Wahlen und Volksbegehren, S. 20 Fn. 36. 94

Vgl. BayVerfGH BayVBl. 1992, 267 ff.

95

Vgl. BayVerfGH BayVBl. 1992, 267 (268).

96 Vgl. BayVerfGH BayVBl. 1992, 267 (268); zustimmend Schmitt Glaeser/Horn, BayVBl. 1992, 673 (680).

2. Abschnitt: Kein sonstiger Rechtsschutz

147

schränkung im Rahmen des § 48 BVerfGG anerkannt 97. Auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof steht auf dem Standpunkt, die restriktive Regelung der Antragsbefugnis sei weder im Blick auf die Bayerische Verfassung noch nach den Maßstäben des Grundgesetzes zu beanstanden. Die tragende Erwägung hierfür ist, daß die Wahlprüfung durch den Landtag und anschließend durch den Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 33 der Bayerischen Verfassung 98 allein dem Schutz des objektiven Wahlrechts diene. Ihr Ziel sei die Feststellung der verfassungs- und gesetzmäßigen Zusammensetzung des Landtages. Von Bedeutung für die Wahlprüfung seien deshalb nur solche Wahlfehler, die auf die Mandatsverteilung von Einfluß sein können. Die Verletzung subjektiver Rechte von Stimmkreis- und Wahlkreisbewerbern oder von Stimmberechtigten könnten zwar der Anlaß, nicht aber der Gegenstand eines Wahlprüfungsverfahrens sein. Denn die Landtagswahl erfordere eine Fülle von Einzelentscheidungen zahlreicher Wahlorgane. Sie lasse sich nur gleichzeitig und termingerecht durchführen, wenn die Rechtskontrolle dieser Einzelentscheidungen während des Wahlablaufs begrenzt werde und im übrigen einem nach der Wahl stattfindenden Wahlprüfungsverfahren vorbehalten bleibe. Deshalb könnten Entscheidungen und Maßnahmen in Wahlrechtsangelegenheiten grundsätzlich nur mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechtsbehelfen und im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden 99. Ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip der Bayerischen Verfassung und die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG liege hierin nicht. Denn die Überprüfung von Wahlfehlern, die zugleich Verletzungen subjektiver Rechte darstellten, sei durch die Sonderregelung für die Wahlprüfung von der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ausgeschlos-

An sich bringt diese Argumentation keine neuen Gesichtspunkte. Das Gericht referiert hier lediglich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum

97 Vgl. BVerfGE 2, 300 (304); 58, 172 (173). In beiden Entscheidungen vermißt man indes eine überzeugende Begründung für diese Auffassung. Zwar wird jeweils die Regelung in § 48 BVerfGG ausgelegt und mit derjenigen in § 2 Abs. 2 WahlprüfG abgeglichen. Im Kern heißt es dann über die Begrenzung der Antragsbefugnis indes lediglich lapidar: „Das mag eng sein, ergibt sich aber eindeutig aus dem Wortlaut des Gesetzes", vgl. dazu unten Kapitel 5, 1. Abschnitt, B. III. 3. a) dd) (2) (b) (cc). 98

Art. 33 der Bayerischen Verfassung lautet: „Die Wahlprüfung obliegt dem Landtag. Wird die Gültigkeit einer Wahl bestritten, so entscheidet der Bayerische Verfassungsgerichtshof. Er entscheidet auch über die Frage, ob ein Abgeordneter die Mitgliedschaft beim Landtag verloren hat". 99

Vgl. BayVerfGH BayVBl. 1992, 267 (268).

100

Vgl. BayVerfGH BayVBl. 1992, 267 (269).

148

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

Ausschluß des subjektiven Rechtsschutzes und zum Verhältnis von Art. 41 GG und Art. 19 Abs. 4 GG. Was der Entscheidung aber ihre besondere verfassungsrechtliche Brisanz verleiht, zeigt sich bei näherer Überprüfung der gewählten Konkordanzformel. Auf Bundesebene rechtfertigt das Bundesverfassungsgericht den Ausschluß des durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährten subjektiven Rechtsschutzes infolge der Spezialität des Wahlprüfungsverfahrens. Anders ausgedrückt: Art. 41 GG verdrängt Art. 19 Abs. 4 GG. Ob eine solche Auslegung, die von den subjektiven Rechtsschutzbelangen nichts mehr übrigläßt, von der Formel praktischer Konkordanz, die ja immer fordert, jedes Recht, soweit wie möglich zu entfalten und nur soweit als notwendig einzuschränken 101, umfaßt ist, mag hier einmal dahingestellt bleiben 102 . Jedenfalls ist eine solche Lösung über den Grundsatz praktischer Konkordanz nur bei gleichrangigen Vorschriften möglich. Dies trifft für die beiden grundgesetzlichen Vorschriften der Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 41 GG zu, nicht aber für das Verhältnis von Art. 33 der Bayerischen Verfassung und Art. 19 Abs. 4 GG. Deren Kollision ist nicht nach Auslegungsgrundsätzen zu lösen, sondern stellt sich schlicht als Anwendungsfall des Art. 31 GG dar. Art. 41 GG vermag hier nicht weiter zu helfen, weil diese Vorschrift im Land keine Geltung beanspruchen kann. Die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG kann mithin nicht unter Berufung auf die Bayerische Verfassung überspielt werden. Deshalb ist die gelegentlich in der Literatur geäußerte Auffassung, „Art. 19 Abs. 4 GG gilt für die Bayerische Verfassung nicht, da die Verfassungsräume von Bund und Ländern grundsätzlich unabhängig sind" 1 0 3 , unhaltbar. Das Bundesverfassungsgericht wird deshalb im Rahmen des anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahrens zu dem Ergebnis gelangen müssen, daß die bayerische Regelung der Antragsbefugnis in Art. 48 Abs. 1 bay. VerfGHG, soweit sie einen Teilbereich des passiven Wahlrechts rechtsschutzlos stellt, mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar und daher nichtig ist. Hierdurch entsteht indes die kuriose Situation, daß eine der bundesrechtlichen Rechtslage unmittelbar entsprechende landesrechtliche Regelung verfassungswidrig ist, während das Bundesverfassungsgericht die identische bundesrechtliche Vorschrift für verfassungsgemäß erachtet hat. Was demnach auf Bundesebene verfassungsrechtlich zulässig wäre, zöge auf der Landesebene das Verdikt der Verfassungswidrigkeit nach sich. Als Ausweg aus diesem Dilemma bieten sich zwei Wege an. Einmal könnte man Art. 41 GG so verstehen, daß das Wahlprüfungsverfahren auch

101

Vgl. nur Hesse, VerfR, § 2 Rn. 72.

102

Vgl. dazu unten Kapitel 5, 1. Abschnitt, B. III. 3. a) dd).

103

Aulehner, BayVBl. 1991, 577 (578).

2. Abschnitt: Kein sonstiger Rechtsschutz

149

subjektiven Rechtsschutzinteressen zu dienen bestimmt ist 1 0 4 . Dies wird bekanntermaßen von der herrschenden Meinung abgelehnt. Denkbar wäre es aber auch, der verfassungsrechtlichen Überprüfung der bayerischen Regelung prozessual unter Berufung auf die Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde auszuweichen. Denn die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden, mit denen im Wahlprüfungsverfahren ergangene Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte angegriffen werden, ist nicht unproblematisch. Schwierigkeiten bereitet bereits die Feststellung eines verletzten Grundrechts. Zwar kommt eine Verletzung der Rechte der Beschwerdeführer durch die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs und damit mittelbar auch durch die gesetzliche Regelung in Art. 48 Abs. 1 bay. VerfGHG aus Art. 3 Abs. 1 GG in Betracht, doch könnte an der Beschwerdebefugnis des Beschwerdeführers im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG hier deshalb gezweifelt werden, weil sich die erhobenen Rügen auch auf mögliche Verletzungen der Wahlrechtsgleichheit beziehen. Der Grundsatz der Wahlgleichheit ist zwar in Art. 38 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verankert und gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG auch verfassungsbeschwerdefähig. Indessen gilt Art. 38 GG nur für Wahlen auf Bundesebene und kann angesichts seines klaren Wortlautes auch nicht auf Wahlen zu Landesparlamenten ausgedehnt werden 105 . Auf eine denkbare Verletzung der in Art. 28 GG ebenfalls genannten Wahlrechtsgrundsätze kann dabei ebenfalls nicht abgestellt werden. Art. 28 GG ist in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG nicht genannt und die Rechtsprechung hat eine darauf gestützte Verfassungsbeschwerde deshalb zu Recht für unzulässig erachtet 106. Ersichtlich um mögliche Wahlrechtsverstöße im Bereich von Kommunal- und Landtagswahlen gleichwohl verfassungsrechtlich überprüfen zu können, hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß der Grundsatz der Gleichheit der Wahl einen Anwendungsfall des allgemeinen Gleichheitssatzes darstellt, so daß jeder Verstoß gegen ihn zugleich eine Verletzung des in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG in Verbindung mit § 90 Abs. 1 BVerfGG in Bezug genommenen Art. 3

104

Vgl. dazu unten Kapitel 5, 1. Abschnitt, B. III. 3. a) cc) (4) (b) (bb).

105

BVerfGE 1, 208 (236); 3, 383 (390); 6, 121 (129 f.); Schmidt-Bleibtreu, Maunz u.a., BVerfGG, § 90 Rn. 65. 106

BVerfGE 1, 208 (209).

in:

150

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

Abs. 1 GG beinhaltet 107 . Die ganz überwiegende Literatur ist dieser Auffassung gefolgt 108 . Vereinzelt wird die Rechtsprechung aber auch mit dem Hinweis kritisiert, ihr alleiniges Motive sei es, eine ansonsten unzulässige Verfassungsbeschwerde zulässig zu machen. Aus prozessualen Gründen habe sich das Bundesverfassungsgericht insoweit der von Leibholz begründeten 109, von H. Meyer als „verblüffend unlogisch" bezeichneten These angeschlossen, Art. 3 Abs. 1 GG als materiales Gleichheitsgebot überlagere den als strikt formal aufgefaßten Grundsatz der Wahlgleichheit in Art. 38 Abs. 1 GG 1 1 0 . Eine solche Auslegung werde nicht der Entstehungsgeschichte der beiden Vorschriften gerecht und führe zudem dazu, daß sich die Spezialisierung der Wahlrechtsgleichheit in Art. 38 GG als unnötig darstelle 111 . Nicht zuletzt wegen der dem Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtlich zugewiesene Aufgabe, die Einhaltung der Grundrechte gegenüber allen Akten der staatlichen Gewalt zu überwachen 112, kann ungeachtet dieser Kritik die angeführte Interpretation des Verhältnisses von Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 38 Abs. 1 GG heute als weitgehend herrschend bezeichnet werden. Daß die Verfassungsbeschwerden in beiden Fällen gleichwohl nur knapp dem Verdikt der

107

BVerfGE 85, 148 (157); 69, 92 (106); 58, 177 (190); 57, 43 (56); 51, 222 (232); 48, 64 (79); 47, 253 (269); 36, 139 (141); 34, 81 (98); 28, 220 (225); 24, 300 (340); 13, I (12); 12, 10 (25); 11, 266 (271); 6, 84 (91); 4, 31 (39); 1, 208 (242). 108 Z.B. v. Mangoldt/Klein/Achterberg/Schulte, GG, Art. 38 Rn. 128; Maunz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 38 Rn. 49; Badura, in: BK, Anh. z. Art. 38: BWahlG, Rn. 5; Stern, StaatsR I, S. 303; Gubelt, in: v. Münch, GGK I, Art. 3 Rn. 74; F. Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 38 Rn. 9; Schneider, in: AK, GG, Art. 38 Rn. 49; Leibholz/Rinck/Hesselberger, GG, Art. 38 Rn. 12; Pieroth/Schlink, StaatsR II, Rn. 528; H. Meyer, HStR II, § 38 Rn. 23, der allerdings auf das rein prozessuale Motiv der Rechtsprechung hinweist. 109

Vgl. Leibholz, Strukturprobleme der modernen Demokratie, S. 44; Leibholz/ Rinck/Hesselberger, GG, Art. 3 Rn. 51: regulative und letzthin übergeordnete Bedeutung des allgemeinen Gleichheitssatzes gegenüber der Wahlrechtsgleichheit; ebenso Rinck, DVBl. 1958, 221 (223). 110

Vgl. H. Meyer, HStR II, § 38 Rn. 24.

111

So v. Münch, in v. Münch, GGK II, Art. 38 Rn. 48 sowie Rn. 83; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 38 Rn. 9; v. Mangold/Klein, GG, Bd. II, 2. Aufl. 1964, Art. 38 Anm. III 2 f), S. 883; ebenso v. Mangoldt-Klein, GG, Bd. I, 2. Aufl. 1957, Art. 3 Anm. II 4 b, S. 194; Sachs, HStR V, § 135 Rn. 136. 112

Vgl. BVerfGE 34,81 (95 f.).

2. Abschnitt: Kein sonstiger Rechtsschutz

151

Unzulässigkeit entgingen 113 , hatte seine Ursache denn auch mehr in den von der Minderheit der Richter gehegten Bedenken aufgrund der Eigenständigkeit des Organisationsrechts der Länder. Und in der Tat läßt sich fragen, ob die Prüfungskompetenz, die sich das Bundesverfassungsgericht gegenüber Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte zuerkannt hat 1 1 4 , im staatsorganisatorischen Bereich dem Geist der föderativen Ordnung des Grundgesetzes entspricht. Denn die grundgesetzliche Garantie eigener Staatlichkeit gewährt den Ländern - freilich im Rahmen des Art. 28 GG - gerade nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Gestaltung der verfassungsmäßigen Ordnung im Rahmen des Homogenitätsprinzips und dabei insbesondere die Bestimmung der Regeln, nach denen sich die Bildung, die Funktionen und die Kompetenzen der Landesverfassungsorgane bemessen115. Art. 28 GG fordert hierbei lediglich ein Mindestmaß an Homogenität zwischen Bundes- und Landesverfassung 116, so daß genügend Spielraum für staatliche Eigenheiten bleibt. Es läßt sich durchaus fragen, ob die von Art. 28 GG angestrebte föderative Grundstruktur aufgehoben wird, wenn die Staats- und Verfassungsgerichtshöfe der Länder in Sachen landesbezogener Wahlprüfung, die sich an der Einhaltung der (Landes)Wahlrechtsgleichheit orientiert, nicht mehr als abschließende Entscheidungsinstanz, sondern lediglich wie sonstige Fachgerichte gesehen werden, deren Entscheidungen generell mit der Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht angefochten werden können 117 . Andererseits hat das Bundesverfassungsgericht dem nicht zu Unrecht entgegengehalten, der Verweis auf die staatliche Autonomie der Länder und die freie Ausgestaltung deren Organisationsrechtes könne nicht dazu benutzt werden, eine Befugnis der Länder zu begründen, Bundesgrundrechte einzuschränken oder die Kontrolle über deren Einhaltung dem Bundesverfassungsgericht zu

113

In dem Verfahren BVerfGE 34, 81 ff. erging die Entscheidung über die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde mit 4 gegen 2 Stimmen, vgl. BVerfGE 34, 81 (98) und in dem Verfahren BVerfGE 85, 148 ff. mit 5 gegen 3, vgl. S. 164. 1,4

Vgl. BVerfGE 6, 445 ff.; 13, 132 ff.; 24, 289 ff. 42, 312 ff.; 60, 175 ff.; sowie die beiden Entscheidungen BVerfGE 34, 81 ff.; 85, 148 ff., in denen das BVerfG Wahlprüfungsentscheidungen von Landesverfassungsgerichten überprüfte. 115

Vgl. BVerfGE 1, 14(34).

116

Vgl. Stern, StaatsR I, S. 705; Maunz, HStR IV, § 95 Rn. 2.

117

Extremfälle könnten über eine ausnahmsweise Zulässigkeit in Fällen der Geltendmachung objektiver Willkür gelöst werden, da die Duldung willkürlicher Entscheidungen im Rechtsstaat schlechthin nicht verlangt werden kann, vgl. dazu oben Kapitel 2, 1. Abschnitt, Α. I. sowie BVerfGE 55, 72 (89 f.); 78, 232 (248); Stern, FS fur Dürig, S. 207 (211).

152

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

entziehen 118 . Auch in der Literatur wird - zumeist unter Berufung auf die genannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - die Verfassungsbeschwerde gegen eine Wahlprüfungsentscheidung eines Landesverfassungsgerichtes ohne weiteres für zulässig 119 erachtet. Letztlich braucht im hier interessierenden Zusammenhang die Frage der Zulässigkeit solcher Verfassungsbeschwerden nicht endgültig entschieden zu werden. Darauf hinzuweisen ist nur, daß auf Dauer die auf Landesrecht beruhende Begrenzung der Antragsbefugnis im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht gerechtfertigt werden kann, was in der Folge auch der bundesrechtlichen Regelung in § 48 Abs. 1 BVerfGG die Legitimation entziehen dürfte. Nach dem hier vertretenen und in Kapitel 5 im einzelnen entwickelten Verständnis eines auch subjektiven Rechtsschutzbelangen dienenden WahlprüfungsVerfahrens ist der in § 48 Abs. 1 BVerfGG enthaltene Ausschluß der Antragsbefugnis bei passiven Wahlrechtsbeeinträchtigungen ohnehin verfassungsrechtlich unhaltbar 120 .

Ergebnis zu I. Im Ergebnis ist festzuhalten, daß auch unter Berücksichtigung der genannten Kompensationen der Ausschluß jeglichen subjektiven Rechtsschutzes in Wahlangelegenheiten mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar ist. In der Literatur wird vorgeschlagen, das aufgezeigte Rechtsschutzdefizit über die Einräumung verwaltungsgerichtlicher (nachfolgend II.) bzw. weiterer verfassungsrechtlicher Rechtsbehelfe (nachfolgend III.) auszugleichen. Soweit § 49 BWahlG der Gewährung von Rechtsschutz auch in solchen Fällen entgegensteht, in denen nicht die Gültigkeit der Wahl in Frage gestellt wird, sondern ein Rechtsbehelf lediglich auf die Beseitigung oder Feststellung der Rechtswidrigkeit von Entscheidungen und Maßnahmen gerichtet ist, die den Betreffenden in

118

BVerfGE 34, 81 (95 f).

119 Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 243; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 34 in Fn. 97; Schneider, in: AK, GG, Art. 41 Rn. 15; Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 21; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 41 Rn. 4; Versteyl, in: v.Münch, GGK II, Art. 41 Rn. 6; Kley/Rühmann, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 90 Rn. 38; F. Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 41 Rn. 1; v. Mutius, VerwArch. 68 (1977), 197, 200; Gensior, in Starck/Stern (Hrsg.), Landesverfassungsgerichtsbarkeit Teilband II, S. 117; Kretschmer, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 13 Rn. 47. 120

Vgl. unten Kapitel 5, 1. Abschnitt, B. III. 3. a) dd) (2) (b) (bb).

2. Abschnitt: Kein sonstiger Rechtsschutz

153

eigenen Rechten verletzen, wird die Vorschrift ganz überwiegend als verfassungswidrig angesehen121.

II. Die Zulässigkeit verwaltungsgerichtlicher

Klagen

In bezug auf den fachgerichtlichen Rechtsschutz gegenüber subjektiven Wahlrechtsverletzungen ist der Meinungsstand zur Zulässigkeit dagegen gerichteter verwaltungsgerichtlicher Klagen - eine Verfolgung des Klagezieles im ordentlichen Gerichtsverfahren kommt angesichts der Funktion des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO als Generalklausel nicht in Betracht - vielfältig.

1. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs Teilweise wird der Standpunkt eingenommen, bei einem Teil der wahlbehördlichen Maßnahmen, wozu insbesondere die Bestimmung von Wahlterminen, die Bildung der Wahlorgane, der Wahlbezirke und die Festlegung der Wahlräume zu zählen seien, handele es sich um Maßnahmen mit staatsorganisatorischem Charakter, die in die Rechtssphäre des einzelnen nicht eingriffen 122 . Diese „zentralen" Angelegenheiten des Wahlverfahrens - wozu neben den bereits genannten auch die Entscheidung über die Zulassung von Wahlvorschlägen zählte - könnten nur im Gesamtzusammenhang des Wahlprozesses vom „objektiven Interesse" her entschieden werden. Ihre Festlegung sei deshalb einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung entzogen123.

121

Wobei zahlreiche Autoren für eine verfassungskonforme Auslegung von § 49 BWahlG eintreten, vgl. etwa Detterbeck, Streitgegenstand, S. 575 f.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 34; Achterberg, ParlamentsR, S. 190; Schenke, NJW 1981, 2440 ff. Als „totale Rechtsschutzverweigerungsnorm" und daher verfassungswidrig sieht Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 93 und 156 § 50 BWahlG a.F. (= § 49 BWahlG) an. 122 Seifert, BundeswahlR, BWG, § 49 Rn. 4; für eine gegen die vorgenommene Wahlkreiseinteilung gerichtete Klage finden sich ähnliche Ausführungen bei Stern, Verwaltungsproz. Probleme, Rn. 50; s.a. Schmitt-Vockenhausen, Die Wahlprüfung in Bund und Ländern, S. 17 für die Bestimmung des Wahltags: „unanfechtbarer staatlicher Organisationsakt". 123 Vgl. Seifert, BundeswahlR, BWG, § 49 Rn. 4; für andere, außerhalb dieses Bereichs liegende Handlungen, wozu z.B. die Aufnahme einzelner Wähler ins Wählerverzeichnis zu rechnen sei, sei zwar eine Eröffnung des Verwaltungsrechtsweg denkbar. Doch stünde solchen - in der Regel - Verpflichtungsklagen das auch im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG relevante Rechtsschutzinteresse entgegen, da derartige Klagen in

154

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen. Die praktisch bedeutsame Frage der Nichtzulassung eines Wählers zur Wahl oder die rechtswidrige Zurückweisung eines Wahlvorschlags tangieren - was auch Seifert selbst einräumt - ganz unzweifelhaft subjektiv-rechtlich geschützte Rechtspositionen der Betroffenen aus Art. 38 GG 1 2 4 . Nach anderer Ansicht sind Streitigkeiten im Anwendungsbereich des § 49 BWahlG der Jurisdiktionsgewalt der Verwaltungsgerichte entzogen. Diese an die überkommene Auffassung 125 anknüpfende Sichtweise sieht Streitigkeiten im Sachbereich der Wahlen als verfassungsrechtliche Streitigkeiten im Sinne der Generalklausel des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO an 126 . Da etwa die Berechtigung des Bürgers zur Teilnahme an der Wahl ein originär verfassungsrechtliches Teilnahmerecht darstelle, seien hierauf bezogene Streitigkeiten notwendiger Weise verfassungsrechtlicher Natur 1 2 7 und könnten daher nicht Gegenstand verwaltungsgerichtlicher Klagen sein. Dem läßt sich bereits entgegengehalten, daß der gänzliche Ausschluß jeglichen Rechtsschutzes unter Berufung auf den verfassungsrechtlichen Charakter schon deshalb ungerechtfertigt ist, weil Art. 19 Abs. 4 GG auch gegenüber Verfassungsakten Rechtsschutz gewähren muß, da andernfalls die umfassende Rechtsschutzgarantie, die Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisten möchte, lückenhaft bliebe 128 . Überdies setzt eine verfassungsrechtliche Streitigkeit i.S.v. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO voraus, daß die Streitfrage sowohl formell als auch materiell entscheidend vom Verfassungsrecht her bestimmt wird 1 2 9 . Dabei geht es in der Streitfrage materiell um Verfassungsrecht, wenn die Kernfrage des Prozesses

aller Regel durch den Ablauf des Wahl Verfahrens überholt würden, vgl. zum Erfordernis des Rechtsschutzinteresses unten Kapitel 4, 2. Abschnitt, Β. II. 3. 124

Aus Art. 38 GG wird auch ein Recht der Parteien auf Teilnahme an der Wahl abgeleitet, vgl. BVerfGE 4, 27 (30); 51, 222 (233); Magiera,, in: Sachs, GG, Art. 38 Rn. 103. 125

Vgl. O. Mayer, VerwR I, S. 8; Forsthoff

VerwR I, S. 12 mit Fn. 3.

126

Etwa Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 2 sowie Einl. Anm. 1.1; Seifert, BundeswahlR, Β WG, § 49 Rn. 3; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 40 Rn. 4; Ule, VerwprozR, S. 49 f.; Karpenstein, Die Wahlprüfung und ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen, S. 54; Schmitt-Vockenhausen, Die Wahlprüfung in Bund und Ländern, S. 17. 127

So Bethge, NJW 1975, 77.

128

So etwa von Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 242.

129

Vgl. Kopp, VwGO, § 40 Rn. 32.

2. Abschnitt: Kein sonstiger Rechtsschutz

155

von Meinungsverschiedenheiten über Inhalt, Auslegung und Anwendung der geschriebenen oder ungeschriebenen - Verfassung gebildet wird 1 3 0 . Formell sind diejenigen Streitigkeiten verfassungsrechtlicher Natur, bei denen die streitenden Parteien Berechtigte und Verpflichtete eines Verfassungsrechtsverhältnisses sind, sie ihre Rechte und Pflichten mithin unmittelbar aus dem materiellen Verfassungsrecht ableiten 131 . Es ist indessen zweifelhaft, ob der einzelne Wahlbürger oder die sich um Zulassung bemühende Partei oder Wählergruppe als Rechtssubjekt bezeichnet werden kann, das seine Rechte unmittelbar aus dem Verfassungsrecht ableitet. Denn echte Verfassungsstreitigkeiten setzen Meinungsverschiedenheiten auf einer Gleichordnungsebene voraus 132 . Mag eine solche Sichtweise für die Ausübung des Wahlrechts ihre Berechtigung aufweisen 133 , so stehen sowohl der sich um Zulassung zur Wahl bemühende Bürger 134 als auch die ihre Teilnahme an der Wahl erstrebende Partei den Wahlorganen gegenüber eher in einem Unterordnungsverhältnis. Ihre Rechtsposition, auf die sie ihren Zulassungsanspruch beziehen, ist zwar im wesentlichen grundrechtlicher Natur, allein die Grundrechtsbefangenheit eines gegen den Staat gerichteten Anspruchs macht die daraus resultierende Streitigkeit aber nicht zu einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit i.S.v. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO 1 3 5 . Streitigkeiten über subjektive Wahlrechtsverletzungen stellen deshalb keine verfassungsrechtlichen Streitigkeiten i.S.v. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO dar. Hierfür spricht zudem die Überlegung, daß mit der herangezogenen Argumentation jedenfalls keine Streitigkeiten über das passive Wahlrecht aus dem Anwendungsbereich des § 40 Abs. 1 VwGO ausgeklammert werden können. Sie sind ersichtlich nicht von einem Gleichordnungsverhältnis gekennzeichnet,

130

Vgl. Stern, Verwaltungsproz. Probleme, Rn. 50.

131

Vgl. Stern, StaatsR II, S. 977.

132

Vgl. Stern, StaatsR II, S. 977.

133

So heißt es bei Karpenstein, Die Wahlprüfung und ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen, S. 54: „Bei der Wahl werden die Aktivbürger hoheitlich tätig". 134

Vgl. Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 242: bei der Nichteintragung ins Wählerverzeichnis handelt es sich um eine Verwaltungstätigkeit. 135

Vgl. Stern, StaatsR II, S. 977 f. In dem von Stern, Verwaltungsproz. Probleme, Rn. 50, angesprochenen Beispiel einer gegen die Wahlkreiseinteilung gerichteten Klage wird der verfassungsrechtliche Charakter der Streitigkeit wegen des „untrennbaren Gesamtakts 'Wahl der Volksvertretung'" angenommen.

156

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

so daß insoweit keine Streitigkeiten verfassungsrechtlicher Art in Betracht kommen können 136 . Die überwiegende Auffassung in der Literatur geht daher von einer Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs in wahlrechtlichen Streitigkeiten aus, da es sich hierbei nicht um verfassungsrechtliche Streitigkeiten handele 137 .

Ergebnis zu 1. Die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs in Wahlrechtsstreitigkeiten ist damit zu bejahen.

2. Statthafte Klageart Damit wird die Frage relevant, mit welcher der verwaltungsgerichtlichen Klagen die erstrebten Rechtsschutzziele erreicht werden können. Dies hängt angesichts der Regelung des § 42 Abs. 1 VwGO zunächst von der Rechtsqualität der angegriffenen Maßnahmen ab. Teilweise werden Entscheidungen der Wahlbehörden oder Wahlorgane gegenüber den Bürgern oder Parteien als Verwaltungsakte angesehen138. Dabei wird etwa die Verweigerung der Eintragung in das Wählerverzeichnis 139 oder

136 Zu der besonderen Problematik eines Schutzes vor Beeinträchtigungen des passiven Wahlrechts vgl. unten Kapitel 5, 1. Abschnitt, B. III. 3. a) dd) (2) (b) (bb). 137

Eyermann/Fröhler, VwGO, § 42 Rn. 38a a.E.; Kopp, VwGO, § 40 Rn. 33; Wolff/Bachof/Stofor, VerwR I, § 45 Rn. 71; Schenke, VerwprozR, Rn. 132a; Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 242; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 41 Rn. 4; Versteyl, in: v. Münch, GGK II, Art. 41 Rn. 19; v. Mangoldt/Klein/Achterberg/Schulte, GG, Art. 41 Rn. 14; Schneider, in: AK, GG, Art. 41 Rn. 15; Feneberg/Simader, BWahlG, § 50 Anm. 2; Petzke, BayVBl. 1975, 317; Haas, VB1BW 1990, 71 f. 138

So von Schweinoch/Simader, BWG, § 49 Rn. 4; H Meyer, HStR II, § 38 Rn. 63; Schenke, VerwprozR, Rn. 132a ; Maunz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 41 Rn. 18, mit dem Beispiel der Anfechtung einer Nichtzulassung zur Wahl; Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 160 f. 139

Für Verpflichtungsklage in diesem Fall Loschelder, Das aktive Wahlrecht und die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, S. 94 f., der meint, bei solchen Klagen könne ,nicht „einfach davon ausgegangen werden", daß das Rechtsschutzinteresse fehle, vielmehr dürfte in den meisten Fällen eine rechtzeitige gerichtliche Entscheidung ergehen

2. Abschnitt: Kein sonstiger Rechtsschutz

157

die Nichtzulassung zur Stimmabgabe ebenso wie die Nichtanerkennung oder Nichtzulassung einer Partei zur Wahl als Ablehnung des jeweils begehrten Verwaltungsakts angesehen, so daß deren Erlaß vom Bürger bzw. der Partei mit der Verpflichtungsklage zu erstreben sei 140 . In solchen Fallkonstellationen wird dann konsequenterweise die Feststellungsklage wegen ihrer in § 43 Abs. 2 VwGO zum Ausdruck kommenden Subsidiarität für unzulässig erachtet 141. Demgegenüber wird teilweise auf die Gestaltungswirkung von Verwaltungsaktsklagen verwiesen und deshalb befürchtet, daß solche Klagen in den Bestand der Wahl eingreifen könnten 142 . Daher seien nur Feststellungsklagen statthaft. Ebenfalls zur Statthaftigkeit der Feststellungsklagen kommen diejenigen Autoren, die zunächst vom Wortlaut des § 49 BWahlG ausgehen. Die Vorschrift spreche ausdrücklich nur von Anfechtung, so daß Feststellungsklagen zulässig seien 143 .

können, vgl. a.a.O., S. 101 f.; als Verwaltungsakt wird die Eintragung ins Wählerverzeichnis auch von Kopp, VwVfG, § 35 Rn. 26 m.w.N. angesehen. 140

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 160 und 161; fehlt es an der Verwaltungsaktsqualität - wie etwa bei der Versendung von das Wahlgeheimnis nicht ausreichend wahrenden Briefwahlunterlagen - kommt allerdings nach dieser Auffassung auch eine allgemeine Leistungsklage in Betracht, vgl. dazu Olschewski, a.a.O., S. 162. 141

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 162 f.

142 Vgl. näher Nass, Wahlorgane und Wahlverfahren, S. 216: Titel aufgrund erfolgreicher Anfechtungs- oder Verpflichtungsklagen würden notwendig in den Bereich der Verfassung übergreifen. 143

Nass, Wahlorgane und Wahl verfahren, S. 221; ihm folgend Keitz, Der Schutz des subjektiven Wahlrechts, S. 120; s.a. Schneider, in: AK, GG, Art. 41 Rn. 15; Henke, Politische Parteien, S. 175, der allerdings für den praktisch bedeutsamsten Fall der rechtswidrigen Zurückweisung eines Wahlvorschlags davon ausgeht, daß durch eine solche Zurückweisung regelmäßig das Wahlergebnis beeinflußt wird. Da diese Frage mithin im Wahlprüfungsverfahren zu klären sei, fehle einer verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis. S. auch Storost, in: Umbach/ Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 14. Die dort sodann zum Beleg der vorgetragenen Auffassung in Bezug genommene Rechtsprechung des BVerfG sowie des BVerwG stützen indes die vorgebrachte These nicht. Sowohl der Kammerbeschluß, BVerfG NVwZ 1988, 818 (818) als auch die Entscheidung BVerwGE 51, 69 (71 ff.) betrafen Fälle außerhalb des Anwendungsbereichs des § 49 BWahlG, da ihnen keine unmittelbaren Maßnahmen oder Entscheidungen der Wahlorgane zugrundelagen. Aus ihnen kann deshalb nicht

158

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

Denkbar wäre des weiteren etwa neben einer gegen das gegen einen Bürger ausgesprochene Verbot, das Wahllokal zu betreten, gerichteten Anfechtungsklage zum Beispiel auch eine allgemeine Leistungsklage, mit der der Wahlberechtigte die Übersendung den Erfordernissen des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG entsprechender Briefwahlunterlagen durchsetzen könnte, wobei sich die Beispiele in der Tat „mühelos vermehren (ließen)" 144 . Es wird aber auch die Auffassung vertreten, die Ratio des § 49 BWahlG gehe dahin, , jeden anderen Wahlrechtsschutz auszuschalten", so daß außer den Gestaltungsklagen auch Feststellungsklagen sowie „andere Streitigkeiten des öffentlichen Rechts" ausgeschlossen seien 145 .

Ergebnis zu 2. Legt man entgegen der zuletzt dargestellten Auffassung § 49 BWahlG eng aus, kommen je nach der Rechtsqualität der Maßnahme oder Entscheidung eines Wahlorgans entweder Verwaltungsaktsklagen oder Feststellungsklagen in Betracht.

3. Rechtsschutzbedürfnis Gleichviel welche Klage in concreto in Betracht zu ziehen ist, hängt deren Zulässigkeit weiterhin davon ab, daß ihr nicht das sogenannte allgemeine Rechtsschutzinteresse fehlt. Mit der bei allen Klagen erforderlichen Prüfung des Rechtsschutzbedürfnisses 146 wird zum Ausdruck gebracht, daß nur derjenige, welcher mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung hat 147 . Fehlt ein solches Interesse führt dies zur Abwei-

abgeleitet werden, daß nach der Rechtsprechung des BVerfG auch im Anwendungsbereich des § 49 BWahlG Feststellungsklagen zulässig sein sollen. 144

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 154 f.

145

Vgl. Seifert, BundeswahlR, BWG, § 49 Rn. 10; anders noch Seifert, DÖV 1953, 365 (368): „Die Feststellungsklage im Verwaltungsstreitverfahren ist in der Tat geeignet, diejenigen Rechtsschutzbedürfnisses zu befriedigen, die das Wahlprüfungsverfahren nicht zu erfüllen vermag". 146

Schmitt Glaeser, VerwprozR, Rn. 117.

147

Schenke, VerwprozR, Rn. 560.

2. Abschnitt: Kein sonstiger Rechtsschutz

159

sung der Klage als unzulässig148. Das Rechtsschutzinteresse kann fehlen, wenn mit der Klage kein nennenswerter Vorteil erstrebt wird 1 4 9 , oder wenn der Kläger das erstrebte Ziel auf andere, einfachere und näherliegende Weise erreichen kann 150 . Klagen, die auf die Zulassung eines Wahlvorschlages oder auf Eintragung in das Wählerverzeichnis gerichtet sind, stehen angesichts des nahen Wahltermins 151 unter erheblichem Zeitdruck. In vielen Fällen wird dies dazu fuhren, daß der geführte Rechtsstreit durch die Durchführung der Wahl überholt wird. Deshalb soll nach teilweise vertretener Ansicht einer verwaltungsgerichtlichen Klage das Rechtsschutzinteresse fehlen, wobei offenbleibt, ob Klagen im Bereich der Wahlvorbereitung dann generell unzulässig sind oder erst ab Durchführung der Wahl unzulässig werden 152 . Jedenfalls brächten solche Klagen dem Kläger angesichts der durchgeführten Wahl in der Regel keinen erkennbaren Vorteil. Dem ist entgegengehalten worden, Art. 19 Abs. 4 GG enthalte auch das Postulat rechtzeitigen Rechtsschutzes153. Es könne daher nicht angehen, wegen des nahen Wahltermins das Rechtsschutzbedürfnis für eine verwaltungsgerichtliche Klage zu leugnen. Vielmehr verlange umgekehrt Art. 19 Abs. 4 GG, daß angesichts des baldigen Wahltermins eine rechtzeitige Terminierung durch das Gericht erfolge 154 . Jedenfalls sei es bei einer entsprechenden Ausgestaltung des Wahlrechtsschutzes durch den Gesetzgeber sehr wohl denkbar, daß eine ge-

148

BVerfGE 61, 126 (135); Redeker/v.

149

Vgl. Kopp, VwGO, Vorb § 40 Rn. 31.

Oertzen, VwGO, § 42 Rn. 28.

150 OVG Münster DÖV 1983, 428; VGH Kassel NVwZ 1986, 762; Stern, Verwaltungsproz. Probleme, Rn. 256. 151

Über die Zulassung von Wahlvorschlägen beispielsweise entscheidet gemäß § 18 Abs. 4 BWahlG der Bundeswahlausschuß spätestens am 72 Tag vor der Wahl. 152

Seifert, BundeswahlR, BWG, § 49 Rn. 4 mit der Bemerkung „unter dem Vorbehalt, daß ein Rechtsschutzinteresse vorhanden sei, stehe aber auch Art. 19 Abs. 4 GG"; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 34: jedenfalls für Klagen nach der Wahl; Zuleeg, BayVBl. 1962, 335 (338); wohl auch Maunz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 41 Rn. 18 mit Fn. 5: „schon aus zeitlichen Gründen keinen praktischen Erfolg"; bei Gestaltungsklagen auch Nass, Wahlorgane und Wahlverfahren, S. 216. 153 154

Vgl. unten Kapitel 5, 1. Abschnitt, B. III. 3. a) dd) (2) (a).

So die Argumentation von Loschelder, Das aktive Wahlrecht und die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, S. 102.

160

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

richtliche Entscheidung vor dem Wahltermin ergehen könne 155 . Bei einer Überholung könne darüber hinaus dem Betroffenen auch das Interesse an einer (nachträglichen) Feststellung von Wahlrechtsverletzungen nicht abgesprochen werden 156 . Folgt man dieser Auffassung, sind Klagen im Anwendungsbereich des § 49 BWahlG nicht wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses unzulässig. Nach anderer Ansicht soll das Rechtsschutzbedürfnis für eine verwaltungsgerichtliche Klage nur dann fehlen, wenn das Wahlprüfungsverfahren die gleichen Folgen mit sich bringt wie das verwaltungsgerichtliche Verfahren 157 . Bei der rechtswidrigen Nichtzulassung von einzelnen Bewerbern oder Wahlvorschlägen sei stets von der Möglichkeit der Mandatserheblichkeit auszugehen. Dies müsse auch das Verwaltungsgericht berücksichtigen. Seien in einem solchen Fall die Wahlvorbereitungen so weit fortgeschritten, daß mit dem einstweiligen Rechtsschutz keine Abhilfe im laufenden Verfahren geschaffen werden könne, stelle das Wahlprüfungsverfahren einen einfacheren und wohl vor allem auch billigeren Weg dar, da der Wähler dort den gleichen Schutz erhalten könne 158 . Demgegenüber soll bei in Rede stehenden Verletzungen des aktiven Wahlrechts, der individuelle Schutz des Wahlrechts über Art. 19 Abs. 4 GG ermöglicht werden. Die dem entgegenstehende These von der Spezialität des Wahlprüfungsverfahrens führe zu einer „von den Gesetzesnormen nicht gedeckten Schmälerung des Rechtsschutzes des einzelnen" 159 .

Ergebnis zu 3. Im Ergebnis ist damit festzuhalten, daß nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung verwaltungsgerichtliche Klagen im Anwendungsbereich des § 49 BWahlG zulässig sind.

155

Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 244.

156

Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 34.

157

Vgl. Saftig, KommunalwahlR in Deutschland, S. 221.

158

Vgl. Saftig, KommunalwahlR in Deutschland, S. 221 unter Verweis in Fn. 16 auf Quecke/Pfeifer, VB1BW 1989, 401 (406). Allerdings verkennt Saftig hier, daß unter Beachtung seiner Ausführungen zur Mandatsrelevanz in dem angeführten Beispiel die Gültigkeit der Wahl als solche in Rede steht, so daß nach ganz herrschender Meinung verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz bereits aus diesem Grund nicht in Betracht kommt. 159

Vgl. Saftig, Kommunalwahlrecht in Deutschland, S. 222.

2. Abschnitt: Kein sonstiger Rechtsschutz

III. Die Zulässigkeit verfassungsgerichtlicher

161

Rechtsbehelfe

Hinsichtlich der verfassungsgerichtlichen Überprüfung von Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane kommen mehrere Rechtsbehelfe in Betracht.

1. Die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden Die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden in Wahlangelegenheiten wird ebenfalls nicht einheitlich beurteilt. Dem Streit entzogen und deshalb allgemein anerkannt ist zunächst, daß Verfassungsbeschwerden gegen Wahlgesetze nicht durch das Wahlprüfungsverfahren ausgeschlossen werden 160 . Die Kontroverse entzündet sich jedoch an der Möglichkeit, mit der Verfassungsbeschwerde Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane anzugreifen. Während die Rechtsprechung sich gegen die Zulässigkeit dieses verfassungsrechtlichen Rechtsbehelfs wendet, steht ein Teil des Schrifttums auf dem gegenteiligen Standpunkt. Das Bundesverfassungsgericht spricht sich in ständiger Rechtsprechung gegen die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden aus, mit denen Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane angegriffen werden 161 . Auch insoweit weist diese Rechtsprechung eine erhebliche verfassungsrechtliche Brisanz auf. Nachdem das Bundesverfassungsgericht in der bereits erwähnten unveröffentlichten Entscheidung aus dem Jahre 1957 den Rechtswegausschluß des § 49 BWahlG (damals § 50 BWahlG) vor Art. 19 Abs. 4 GG gerechtfertigt hatte 162 , dehnte es in seinem Beschluß vom 27. Juni 1962 diesen Ausschluß auch auf den Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde aus 163 . Eine solche Extension der Regelung des Bundeswahlgesetzes war seinerzeit aus rechtssystematischen Gründen nicht zu beanstanden. Die Verfassungsbeschwerde war in § 90 BVerfGG lediglich einfachrechtlich normiert. Das Bundesverfassungsgericht hat indes seine Argumentation im wesentlichen auch dann beibehalten, als im

160

BVerfGE 82, 322 (336); 51, 222 (232 f.); 48, 64 (79 f.); 47, 253 (269 f.); 11, 266 (271 f.); 6, 121 (128); 1, 208 (237 f.); Benda/Klein, VerfprozR, § 32 Rn. 1096 a.E.; Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 14. 161 Jüngst BVerfG NVwZ 1994, 893 (894) - Kammerbeschluß sowie BVerfGE 74, 96 (101); 66, 232 (234); 34, 81 (94); 28, 214 (219); 16, 128 (130); 14, 154 (155); 11, 329 (329 f.). 162

Vgl. BVerfG, Beschluß vom 31. August 1957-2 BvR 4/57.

163

Vgl. BVerfGE 14, 154(155).

11 Lang

162

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

Jahre 1969 die Verfassungsbeschwerde durch Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG mit Verfassungsrang ausgestattet wurde. Die Begründung für den Rechtswegausschluß blieb die gleiche, und das Bundesverfassungsgericht vertritt seither in ständiger Rechtsprechung, der Ausschluß der Verfassungsbeschwerde ergebe sich aufgrund der Spezialität des Wahlprüfungsverfahrens 164. Um den naheliegenden Einwand zu parieren, die einfachrechtliche Vorschrift des § 49 BWahlG könne die Verfassungsnorm des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG nicht derogieren 165, wurde die in § 49 BWahlG enthaltene Regelung zu einem Art. 41 GG entnommenen allgemeinen Satz des Wahlprüfungsverfahrens, so daß der verfassungskräftigen Regelung in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG bzw. Art. 19 Abs. 4 GG mit Art. 41 GG eine Vorschrift von gleichem Gewicht entgegengesetzt werden konnte 166 . Ob der „karg formulierte Art. 41 G G " 1 6 7 tatsächlich eine solche Wirkung entfalten kann, stellt sich in erster Linie als eine Frage seiner Auslegung dar, die in Kapitel 5 bei der Ermittlung des Verfahrensgegenstandes des Wahlprüfungsverfahrens erfolgen soll. Im Rahmen der hier vorzunehmenden Darstellung der herrschenden Meinung genügt es, darauf hinzuweisen, daß das Gericht auf dem Standpunkt steht, in Wahlangelegenheiten gelte der Satz, daß Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane nur mit den im Bundeswahlgesetz vorgesehenen Rechtsbehelfen sowie im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden könnten, und daß dieser Ausschluß auch die Verfassungsbeschwerde erfasse. Durch das Verfahren gemäß Art. 41 Abs. 2 GG bestünde ein ausreichender Rechtsschutz, so daß Verwerfungen mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu befürchten seien 168 .

164

BVerfGE 46, 196 (198); 66, 232 (234).

165

Vgl. H. Meyer, KritV 1994, 312 (358).

166

Vgl. Bettermann,, AöR 96 (1971), 528 (544).

167

Vgl. //. Meyer, KritV 1994, 312 (359), mit der ironischen Frage „Wie in aller Welt kann der doch sehr karg formulierte Art. 41 GG solche Wirkung entfalten?". In Kapitel 5 wird im einzelnen zu zeigen sein, daß das Wahlprüfungsverfahren durchaus für im Zusammenhang mit Wahlen stehende Rechtsverletzungen als das speziellere Rechtsbehelfsverfahren anzusehen ist, wobei eine solche Sichtweise allerdings ein anderes Verständnis des Verfahrensgegenstandes des Wahlprüfungsverfahrens impliziert, vgl. dazu unten Kapitel 5, 1. Abschnitt, B. III. 3. a) dd) (2). 168

Vgl. ausdrücklich BVerfGE 46, 196 (198): „Statt dessen (statt des Rechtswegs im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG) ist gegen eine Entscheidung des Bundestages gemäß Art. 41 Abs. 2 GG die Beschwerde an das BVerfG zulässig, so daß eine ausreichende Rechtskontrolle besteht"; der Sache nach ebenso BVerfGE 22, 277 (281); 66, 232 (234).

2. Abschnitt: Kein sonstiger Rechtsschutz

163

In der Literatur findet diese Rechtsprechung neben Zustimmung 169 auch Kritik. Zahlreiche Stimmen sprechen sich für ein Nebeneinander von Wahlprüfungsbeschwerden und Verfassungsbeschwerden aus 170 . Zum Teil wiederholt sich hier die Argumentation, die auch der bundesverfassungsgerichtlichen These von der Spezialität des Wahlprüfungsverfahrens gegenüber verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz entgegengehalten wurde. Da die Wahlprüfung gerade nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht dem Schutz subjektiver Rechte dient, könne sie auch Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG nicht verdrängen 171. Andere legen dem Wahlprüfungsverfahren einerseits und dem Verfassungsbeschwerdeverfahren andererseits verschiedene Streitgegenstände zugrunde, weswegen beide verfassungsgerichtlichen Rechtsbehelfe nebeneinanderstünden 172. Neben der Möglichkeit, Wahlverfahrensakte mit der Verfassungsbeschwerde anzugreifen, wäre es an sich auch denkbar, die im Wahlprüfungsverfahren ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - etwa im Falle der Zurückweisung einer Wahlprüfungsbeschwerde aufgrund fehlender Mandatsrelevanz - mit der Verfassungsbeschwerde anzugreifen. Zu Recht wird dem allerdings die besondere Natur verfassungsgerichtlicher Entscheidungen entgegengehalten. Diese sind unanfechtbar. Es würde ihrem Wesen widersprechen, wenn sie unter dem Gesichtspunkt einer Grundrechtsverletzung nochmals angefochten werden könnten 173 .

169

Vgl. Benda/Klein, VerfprozR, § 32 Rn. 1096; Kretschmer, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 13 Rn. 47; Wuttke, AöR 96 (1971), S. 506 (516 f.); Kisker, Fälle zum Staatsorganisationsrecht, S. 90; Lechner, BVerfGG, § 48 Anm. 2; Storost, in: Umbach/ Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 13; auch Seifert, BundeswahlR, BWG, § 49 Rn. 10 mit der Bemerkung: „Im übrigen enthält das Wahlprüfungsverfahren einen eigenen Weg zum BVerfG (..), der dem BVerfG die Möglichkeit bietet, auch die Grundrechte des Bürgers zu schützen". 170 H. Meyer, HStR II, § 38 Rn. 66; Detterbeck, Streitgegenstand, S. 576; bei Verletzungen des passiven Wahlrechts aufgrund der insoweit fehlenden Antragsbefugnis im Wahlprüfungsverfahren auch Schiaich, Das BVerfG, Rn. 334, hier könne erwogen werden, ob Verfassungsbeschwerde zulässig ist. 171

Vgl. H. Meyer, HStR II, § 38 Rn. 66.

172

Vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 576; s.a. Maunz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 41 Rn. 18; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 34; Sachs, Bindung, S. 407 mit Fn. 32. 173

So Schiffer,

in: Benda/Maihofer, HVerfR, S. 295 (314).

164

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

Ergebnis zu 1. Als Ergebnis läßt sich daher festhalten, daß nach allgemeiner Auffassung im Sachbereich von Wahlen Verfassungsbeschwerden jedenfalls dann zulässig sind, wenn mit ihnen die Verfassungswidrigkeit des der Wahl zugrundeliegenden Wahlgesetzes gerügt werden soll. Eine in der Literatur vertretene Mindermeinung spricht sich darüber hinaus auch dafür aus, im Geltungsbereich von § 49 BWahlG, also soweit Maßnahmen und Entscheidungen der Wahlorgane in Rede stehen, Verfassungsbeschwerden zuzulassen.

2. Sonstige verfassungsgerichtliche Rechtsbehelfe Trotz der anerkannten These, daß die Korrektur des Wahlergebnisses nur in dem Verfahren nach Art. 41 GG erreicht werden kann 174 , bestehen neben der Wahlprüfungsbeschwerde mit dem Organstreitverfahren, dem Bund-LänderStreit sowie der abstrakten Normenkontrolle weitere verfassungsrechtliche Rechtsbehelfe. Aufgrund der in diesen Verfahren ergangenen Entscheidungen ihre grundsätzliche Zulässigkeit einmal unterstellt - kann zwar das der Wahl zugrundeliegende Wahlgesetz aufgehoben werden. Damit wäre indes nicht zugleich die Ungültigkeit der Wahl festgestellt. Hierzu bedarf es in jedem Fall einer im Wahlprüfungsverfahren ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 175. Freilich ist - von der allgemein anerkannten Ausnahme der Zulässigkeit unmittelbar gegen das Wahlgesetz gerichteter Verfassungsbeschwerden abgesehen - umstritten, ob die genannten Verfahren durch das Wahlprüfungsverfahren gesperrt sind 176 . Diese Frage kann aber letztlich auf sich beruhen. Denn für die

174 Vgl. BVerfGE 3, 45 (52); Rechenberg, in: BK, Art. 41 Rn. 20; Seifert, wahlR, Β WG, § 49 Rn. 10. 175

Bundes-

Vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 576.

176 Für die Zulässigkeit des Organstreitverfahrens gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, mit dem die rechtliche Gestaltung des Wahlverfahrens überprüft wird, vgl. BVerfGE 82, 322 (335 f.); in BVerfGE 83, 156 (157) hat das BVerfG die Frage offengelassen, ob die Sperrwirkung des Wahlprüfungsverfahrens auch für Organklagen gilt; für ein Nebeneinander beider Rechtsbehelfe sprechen sich ausdrücklich Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 14 sowie Detterbeck, Streitgegenstand. S. 576 aus; dagegen votiert Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 4 a.E.; abstrakte Normenkontrollen i.S.v. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG sowie Bund-Länder-Streitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG erachtet Detterbeck, Streitgegenstand, S. 576 für zulässig, Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 4, sieht auch diese aufgrund der Spezialität des Wahlprüfungsverfahrens als ausgeschlossen an.

2. Abschnitt: Kein sonstiger Rechtsschutz

165

hier interessierende Frage der Gewährung subjektiven Wahlrechtsschutzes ergeben sich im Hinblick auf die Unvereinbarkeit des Ausschlusses jeglichen subjektiven Rechtsschutzes keine neuen Erkenntnisse, da die angesprochenen Rechtsbehelfe dieses Defizit nicht beseitigen können. Zwar ist es, da von dem Begriff „Maßnahmen" in § 64 Abs. 1 BVerfGG auch der Erlaß von Gesetzen erfaßt wird 1 7 7 , durchaus denkbar, daß eine Organklage gegen Bundestag oder Bundesrat mit der Rüge der Verfassungswidrigkeit eines Wahlgesetzes gefuhrt wird 1 7 8 , doch vermag die Einräumung dieses verfassungsrechtlichen Überprüfungsverfahren, den aufgezeigten Widerspruch zu Art. 19 Abs. 4 GG nicht aufzulösen. Denn der Wahlberechtigte ist kein Organ im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG und daher im Organstreitverfahren nicht antragsbefugt 179. Zudem könnte im Organstreitverfahren nur die Verletzung spezifischer Organrechte gerügt werden, was nicht mit der Verletzung subjektiver Wahlrechte identisch zu sein braucht. Daß der einzelne die Verletzung seiner subjektiven Wahlrechte nicht erfolgreich abwehren kann, liegt fur das allein dem Schutz des objektiven Verfassungsrechts dienende abstrakte Normenkontrollverfahren 180 ebenso auf der Hand wie für das Bund-LänderStreitverfahren 181. Die Zulassung dieser verfassungsrechtlichen Überprüfungsverfahren vermag den Ausschluß jeglichen subjektiven Rechtsschutzes mithin nicht vor Art. 19 Abs. 4 GG zu rechtfertigen.

IV. Notwendigkeit

einstweiligen Rechtsschutzes

Bei der Möglichkeit, durch den nahen Wahltermin drohende (endgültige) subjektive Wahlrechtsverletzungen im Wege der einstweiligen Anordnung

177 Ständige Rechtsprechung vgl. jüngst BVerfGE 92, 80 (87) sowie BVerfGE 1, 208 (220); 4, 144 (148); 82, 322 (335). 178

Vgl. BVerfGE 82, 322 (335 f.); 92, 80 (83), mit diesem Organstreitverfahren wurden die bei der Wahl zum 13. Deutschen Bundestag entstandenen Überhangmandate und damit mittelbar die Regelung in § 6 Abs. 5 BWahlG angegriffen. Das BVerfG verwarf die Anträge infolge Verfristung, vgl. BVerfGE 92, 80 (81 f.). 179

Vgl. BVerfGE 13,54 (95).

180

Vgl. BVerfGE 1,396 (407).

181

Vgl. zum Verfahrensgegenstand dieses Verfahrens Detterbeck, Streitgegenstand, S. 603 f.

166

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

abzuwehren, ist zwischen vorläufigem verwaltungsgerichtlichem und verfassungsgerichtlichem Rechtsschutz zu unterscheiden. Das Wahlprüfungsverfahren selbst bietet nur einen begrenzten vorläufigen Rechtsschutz. Zunächst regelt § 16 Abs. 3 WahlprüfG einen Sonderfall der einstweiligen Anordnung im Mandatsprüfungsverfahren 182. Darüber hinaus wird im Rahmen eines zulässigen Wahlprüfungsbeschwerdeverfahrens auch eine einstweilige Anordnung für möglich erachtet, die sogar ohne Antrag ergehen könne 183 . Doch setzt eine solche Anordnung ein Wahlprüfungsverfahren voraus, das gemäß § 2 Abs. 4 WahlprüfG erst nach Ablauf der Wahl einsetzen kann. Die Abwehr einer drohenden Rechtsverletzung infolge einer Entscheidung eines Wahlorgans - etwa bei Nichtzulassung zur Wahl - kann damit also nicht erreicht werden. Einen in diesem Sinne vorverlegten Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren hat das Bundesverfassungsgericht auch abgelehnt. Das Verfahren nach Art. 41 Abs. 2 GG setze einen nach der Wahl eingelegten Einspruch sowie die Durchführung des Verfahrens vor dem Deutschen Bundestag voraus. Eine in das einstweilige Anordnungsverfahren vorverlegte Wahlprüfung sähe weder das Grundgesetz noch ein anderes Gesetz vor 1 8 4 . Außerhalb konkreter Wahlprüfungsverfahren hat das Bundesverfassungsgericht als logische Konsequenz seiner Ablehnung der Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen oder Maßnahmen der Wahlorgane die Möglichkeit eines vorverlegten verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes ebenfalls verneint 185 . Ein vorverlegter Rechtsschutz kann in zulässiger Weise nur erhoben werden, wenn das eingelegte Rechtsmittel im Hauptsacheverfahren zulässigerweise eingelegt werden kann 186 .

182

Nach dieser Vorschrift kann das BVerfG während eines Beschwerdeverfahrens trotz der Feststellung des Bundestages, daß der Abgeordnete nicht aufgrund gültiger Wahl gewählt ist und seine Mitgliedschaft verloren hat, anordnen, daß der Abgeordnete an den Arbeiten des Bundestages teilnehmen darf. 183 Vgl. Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 47; Geiger, BVerfGG, § 48 Anm. 5. 184

Vgl. BVerfGE 63, 73 (76). Der Beschwerdeführer suchte mit seinem Antrag die nach der Selbstauflösung des 9. Deutschen Bundestags notwendige Neuwahl zu verhindern. 185 186

BVerfGE 11, 329 (329 f.) - Ablehnung einer einstweiligen Anordnung.

Vgl. BVerfGE 11, 329 (329); BVerfG, Beschluß vom 25. November 1990 2 BvQ 18/90 -, n.v. Umdruck S. 2 f.

2. Abschnitt: Kein sonstiger Rechtsschutz

167

Auch auf diese Rechtsprechung fallt die Reaktion im Schrifttum gespalten aus. Während sie teilweise - wenn auch gelegentlich mit Einschränkungen - in der Literatur rezipiert wird 1 8 7 , begegnen ihr andere mit Kritik, soweit aus ihr auch ein Ausschluß vorbeugenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes abgeleitet wird. Dem Argument, ein solcher Rechtsschutz würde stets durch den Ablauf der Wahl überrollt, fehle die Beweiskraft. „Unter Umständen" lasse sich aus Art. 19 Abs. 4 GG nämlich das Postulat ableiten, daß die Wahlvorbereitungsakte zeitlich so zu terminieren seien, daß ein Gerichtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht von vornherein ausgeschlossen erscheine 188. Jedenfalls fordere Art. 19 Abs. 4 GG, auch irreparable Vorwegnahmen der Hauptsache zuzulassen, wenn anders die subjektiven Wahlrechte des Bürgers nicht geschützt werden könnten 189 . Indessen stehen dieser Sichtweise - so gerechtigkeitsnah sie doch zunächst erscheint - erhebliche Einwände gegenüber. Denn da bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung nicht ausgeschlossen ist, daß die im Beschlußverfahren ergangene Entscheidung falsch ist, werden auch Rechtspositionen anderer tangiert, zu deren Schutz ebenfalls die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG aktiviert werden kann. Als Schlaglicht mag in Parallele zu dem oben dargestellten Fall „Nichtzulassung I " 1 9 0 der Streit um die Nominierung als Wahlkreisbewerber gelten. Wird etwa in einem Kandidatenaufstellungsverfahren ein Kandidat wahlfehlerhaft aufgestellt und sichert er sich ungeachtet dessen anschließend seine Teilnahme an der Wahl im Weg der einstweiligen Anordnung, so wird die Rechtsstellung des rechtmäßigen Bewerbers, das heißt desjenigen, der ohne den Wahlfehler aufgestellt worden wäre, beeinträchtigt. Mithin hätte der zentrale Rang, der Art. 19 Abs. 4 GG eingeräumt wird und aus dem das Postulat vorläufigen Rechtsschutzes abgeleitet wird, hier gerade dazu gefuhrt, daß Rechtspositionen anderer in der Regel unwiderruflich 191 beeinträchtigt würden. Einzuräumen ist allerdings, daß damit

187

Kretschmer, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 13 Rn. 48; Storost, in: Umbach/ Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 13 a.E.; vgl. auch Schneider, in: AK, GG, Art. 41 Rn. 15, der bei Verletzungen des aktiven Wahlrechts die Zulässigkeit einstweiliger Anordnungen befürwortet. 188

Schenke, NJW 1981, 2440 (2443).

189

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 167.

190

Vgl. oben Kapitel 3, 2. Abschnitt, B. III. 5.

191

Daß die Wiederholung der Wahl im Blick auf das Rechtsschutzinteresse zu kuriosen Ergebnisse führen kann, hat die Hamburger Bürgerschaftswahl gezeigt. Infolge des fehlerhaften Kandidatenaufstellungsverfahrens der CDU entstand die Notwendigkeit einer Wahlwiederholung. Und obwohl der Wahlfehler im Risikobereich der CDU lag,

168

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

ein Spezifikum jeden vorläufigen Rechtsschutzes angesprochen ist, das freilich durch die Unwiederholbarkeit des Wahltags eine besondere Qualität erlangt. Dieses Problem wird auch von Autoren gesehen, die sich für einen einstweiligen Rechtsschutz in Wahlprüfungsangelegenheiten aussprechen. Der Finger wird dabei in die Wunde gelegt, wenn - allerdings mit einer beiläufig in die Fußnote verbannten Bemerkung - vorgeschlagen wird, den Organen des Art. 41 GG bleibe die Möglichkeit, „den vom Verwaltungsgericht irreparabel gewährten Rechtsschutz nachträglich zwar nicht zu korrigieren (aber) doch zu ignorieren", indem sie die betreffende Stimmabgabe des Aktivbürgers nicht verwerteten, wenn er nach ihrer Auffassung nicht wahlberechtigt war 1 9 2 . Mag damit auch keine Lösung der aufgezeigten Schwierigkeit angeführt sein, so ist zumindest das Problem divergierender Entscheidungen von Verwaltungsgericht und Wahlprüfungsorganen angedeutet, auf das im Rahmen der kritischen Würdigung der Lösungsvorschläge im 2. Abschnitt noch eingegangen werden soll. Zunächst ist gegen die vorgetragene aus dem Verfassungsrecht abgeleitete Verpflichtung zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in Wahlangelegenheiten noch ein weiteres Bedenken anzumelden. Im Grunde gibt nämlich die Forderung, aufgrund des überragenden Rangs des Art. 19 Abs. 4 GG müsse auch in solchen verwaltungsgerichtlichen Verfahren, die sich auf Entscheidungen der Wahlorgane bezögen, in jedem Fall eine Entscheidung des Gerichts vor Ablauf der Wahl erfolgen, den Beschwerdeführern Steine statt Brot. Denn angesichts des unbestreitbaren Charakters einer Wahl als Massenveranstaltung, die in der Tat eine zügige Durchführung erfordert, stellt diese Forderung - so wünschenswert sie auch erscheinen mag - nicht mehr als ein frommes Postulat auf, das sich in aller Regel nicht realisieren läßt 193 . Der Versuch einer Harmonisierung zweier im Spannungsverhältnis stehenden verfassungsrechtlichen Bestimmungen muß aber mehr darstellen als die Aufstellung einer nicht erfüllbaren Forderung.

profitierte sie entscheidend von der Wiederholungswahl, da sie hierbei ihren Stimmenanteil wesentlich verbessern konnte. 192

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 168 mit Fn. 19. Der Sache nach spricht sich der Autor damit wohl gegen eine Heilungsmöglichkeit fehlerhafter Zulassungsentscheidungen aus. 193

Daß in den meisten Fällen auch der einstweilige Rechtsschutz zu spät kommen dürfte, mag das folgende - zugegebenermaßen extreme - Schulbeispiel Olschewskis, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 166 verdeutlichen. Der Bürger, der 5 Minuten vor Schließung der Wahllokale am Betreten des Wahllokals gehindert wird, kann sein Betretungsrecht auch nicht im Wege einstweiligen Rechtsschutzes rechtzeitig durchsetzen.

2. Abschnitt: Kein sonstiger Rechtsschutz

169

C. Die Zulässigkeit von Rechtsmitteln nach Ablauf der Wahl Läßt sich aufgrund der eindeutigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Frage des subjektiven Rechtsschutzes außerhalb konkreter Wahlprüfungsverfahren bei Rechtsbehelfen vor der Wahl zumindest für die Praxis als geklärt bezeichnen, so komplizieren sich die Dinge hinsichtlich der Zulässigkeit nachträglicher Rechtsbehelfe. Die Argumentation zum Ausschluß verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes beruht auf der Überlegung, die Wahl im großräumigen Flächenstaat stelle eine Massenveranstaltung mit einer Fülle von Einzelentscheidungen dar, die keinen isolierten Angriff der Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane vertrage 1 9 4 . In Abgrenzung hierzu wird in der Literatur der Standpunkt eingenommen, nachträglichen Feststellungsklagen könne dieser Einwand nicht entgegengesetzt werden. Denn da hier die Wahl bereits durchgeführt wäre, könnten die oben angeführten Argumente der Sicherstellung der Gleichzeitigkeit der Entscheidungen nicht gegen die Zulässigkeit solcher Klagen ins Feld geführt werden 195 . Infolgedessen seien nachträgliche verwaltungsgerichtliche Klagen, mit denen allein die Feststellung subjektiver Rechtsverletzungen begehrt werde, grundsätzlich zulässig, wobei im Einzelfall aber immer sorgfältig darauf zu achten sei, ob solchen Klagen nicht das allgemeine Rechtsschutzbedürfhis fehle 196 . Das Bundesverfassungsgericht hat sich zu dieser Frage bisher nicht äußern müssen. Es hat indes eine nachträgliche Verfassungsbeschwerde als unzulässig angesehen. Die grundsätzliche Unzulässigkeit von Verfassungsbeschwerden lasse sich nicht auf die Anfechtung von Einzelmaßnahmen, die vor der Wahl getroffen werden, begrenzen. Sie beziehe sich angesichts der besonderen Ent-

194

BVerfGE 14, 154(155).

195 Vgl. Stern, StaatsR I, S. 327; Schneider, in: AK, GG, Art. 41 Rn. 15; Maunz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 41 Rn. 18, unter Berufung auf die verschiedenen Streitgegenstände. 196

Vgl. neben den bereits genannten Autoren weiter Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 245: „Schließlich kann dem Verletzten auch nach der Durchführung der Wahl das Interesse an der Feststellung von Wahlrechtsverletzungen nicht abgesprochen werden". Demgegenüber meint Schmidt-Aßmann, Maunz-Dürig, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 34: „Nach der Wahl wird die Fortführung eines Verwaltungsprozesses meistens wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses unzulässig sein"; grundsätzlich zustimmend auch Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 162 f., der indes die Möglichkeit verwaltungsgerichtlicher Feststellungsklagen unter Berufung auf deren Subsidiarität gegenüber Verwaltungsaktsklagen verneint.

170

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

wicklung, die das Wahlprüfungsrecht genommen habe, darüber hinaus auch auf die Beanstandung der Wahlhandlung als solcher sowie der Entscheidungen eines Wahlorgans nach der Wahl. Zwar könnten die im Beschluß vom 27. Juni 1962 197 angeführten Gründe, den Rechtsschutz aufgrund der Notwendigkeit zu begrenzen, die Wahl gleichzeitig und termingerecht durchzuführen, nicht gegen eine nachträgliche Anfechtung ins Feld geführt werden, doch stellten die genannten Erwägungen nur eine zusätzliche Rechtfertigung dar. Auch für nachträgliche Anfechtungen bleibe aber der allgemeine Satz des Wahlprüfungsrechts in Geltung, daß Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, nur mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechtsbehelfen und im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden könnten 198 . Diese Argumente können auch nachträglichen verwaltungsgerichtlichen Klagen entgegengesetzt werden. Unter Berücksichtigung dessen erscheint es naheliegend, daß sich das Bundesverfassungsgericht im Streitfalle auch gegen die Zulässigkeit nachträglicher Klagen ausspricht. Auch ein Teil der Literatur sieht solche Klagen als unzulässig an 199 . Zusammenfassend lassen sich die Standpunkte zu der Frage eines subjektiven Rechtsschutzes außerhalb konkreter Wahlprüfungsverfahren damit wie folgt skizzieren. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts findet ein subjektiver Wahlrechtsschutz außerhalb konkreter Wahlprüfungsverfahren nicht statt. Diese These fuhrt jedenfalls dann, wenn gleichzeitig dem Verfahren nach Art. 41 GG ein rein objektiver Verfahrensgegenstand zugrundegelegt wird, zu einer völligen Schutzlosstellung des subjektiven Wahlrechts. In der Literatur mehren sich die Stimmen derer, die dieses Ergebnis über die Gewährung verwaltungsgerichtlichen bzw. verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes zu vermeiden suchen. Dieser Auffassung ist indes aufgrund der folgenden Überlegung nicht zu folgen.

197

Vgl. BVerfGE 14, 154(155).

198

Vgl. BVerfGE 28, 214 (219). In der Sache sollte mit der nach der Wahl erhobenen Verfassungsbeschwerde die Gültigkeit der Wahl, hilfsweise der Beschluß über die Sitzverteilung angefochten werden. 199

Vgl. Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz u.a., BVerfGG, § 48 Rn. 42 f. mit Fn. 9; ebenso Wuttke, AöR 96 (1971), S. 506 (517).

. Abschnitt:

i

171

3. Abschnitt

Kritik Bei der Auseinandersetzung mit den in der Literatur vorgeschlagenen Lösungsansätzen ist ebenfalls zwischen Rechtsmitteln vor und solchen, die nach Ablauf der Wahl eingelegt oder entschieden werden, zu unterscheiden.

A. Probleme eines vor Ablauf der Wahl stattfindenden Rechtsschutzes Gegen die Einräumung verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes vor der Wahl spricht entscheidend, daß diese mit den Erfordernissen der Durchführung der Wahl kollidiert. Es läßt sich nicht von der Hand weisen, daß die vom Bundesverfassungsgericht 2 0 0 reklamierte und auch in der Literatur 201 anerkannte Notwendigkeit, die Stimmen einer Vielzahl von Bürgern zu einer einheitlichen Wahlentscheidung zusammenzufassen, durch verwaltungsgerichtliche Beanstandungen der Entscheidungen oder Maßnahmen der Wahlorgane im Vorfeld der Wahl unterminiert würde. Da die Wahl in einem Flächenstaat eine Fülle von Einzelentscheidungen bedingt, die Durchführung der Wahl aber gleichzeitig unter einem erheblichen Zeitdruck steht, würde das technisch aufwendige und ausgefeilte System der Wahlvorbereitungshandlungen gestört, wenn jede Einzelentscheidung verwaltungsgerichtlich angreifbar wäre. Aus Sachgründen muß deshalb die Rechtskontrolle dieser Entscheidungen während des Wahlablaufs auf die Rechtsmittel nach dem Bundeswahlgesetz begrenzt und im übrigen nach der Wahl einer richterlichen Überprüfung zugeführt werden 202 . Wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung zur Verfassungsmäßigkeit der 5%Klausel entschieden hat, stellt die Funktionsfähigkeit des Parlaments ein Verfassungsgut dar, das Eingriffe in die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG rechtfertigen kann 203 . Dabei kann diese Funktionsfähigkeit auch dadurch in Frage gestellt sein, daß die Gültigkeit einzelner Wahlhandlungen und damit letztlich auch der gesamten Wahl länger als notwendig in der Schwe-

200

Etwa BVerfGE 14, 154(155); 16, 128 (129 f.); 28,214(219).

201

Vgl. etwa Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 34.

202

Vgl. BVerfGE 28, 214 (219 f.).

203

Vgl. bereits BVerfGE 1, 208 (247 ff.); 82, 322 (338) m.w.N.

172

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

be bleibt. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht entschieden, daß bei der Ausgestaltung des Wahlprüfungsverfahrens das Interesse berücksichtigt werden darf, die Legitimation des Parlaments alsbald festzustellen 204. Gegen die Aufteilung des Rechtsschutzes in verwaltungsgerichtliche und verfassungsgerichtliche Verfahren spricht zudem die Schwierigkeit der Abgrenzung von Verletzungen des objektiven und subjektiven Wahlrechts vor der Wahl. Denn diese unterscheiden sich allein anhand der Mandatsrelevanz des Wahlfehlers, das heißt anhand einer in der Regel erst nach der Wahl feststellbaren Kausalitätserwägung. Es stellt sich daher die Frage, wie - abgesehen von gewissen eindeutigen Fällen der Verneinung der Mandatsrelevanz 205 - vor der Wahl die Zuständigkeit der Gerichte denn überhaupt festgestellt werden sollte, um einen rechtzeitigen Rechtsschutz zu gewähren. Dem läßt sich nicht mit dem Einwand begegnen, das Bundesverfassungsgericht sei nach eigener Auffassung für eine Rechtsschutzgewährung vor der Wahl nicht zuständig 206 . Denn es besteht ungeachtet dieser Rechtsprechung Einigkeit, daß die Frage des Bestandes einer Wahl nur im Verfahren nach Art. 41 GG geprüft und entschieden werden kann 207 . Es wäre mithin völlig unklar, wie ein Verwaltungsgericht einen von ihm als möglicherweise mandatsrelevant eingeschätzten Wahlfehler behandeln sollte. Als Beispiel mag die Streitigkeit um die Zulassung einer Partei dienen. Zwar könnte daran gedacht werden, vor der Wahl von einer einheitlichen Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte auszugehen und hierbei die Frage einer etwaigen Mandatsrelevanz unberücksichtigt zu lassen. Gleichwohl könnten dann Kollisionen mit dem angeführten Grundsatz entstehen, daß Entscheidungen über die Aufrechterhaltung der Wahl den Wahlprüfungsorganen obliegen. Das wäre etwa der Fall, wenn das Verwaltungsgericht rechtswidrigerweise eine Partei zur Wahl zuließe und durch die für diese Partei abgegebenen Stimmen in mandatsrelevanter Weise auf das Wahlergebnis eingewirkt würde. Zumindest indirekt würde dies einen Eingriff des Verwaltungsgerichts in den Bestand der Wahl darstellen. Nicht minder problematisch wäre die umgekehrte Konstellation, daß das Gericht einer Partei die Zulassung

204

Vgl. hierzu BVerfGE 85, 148 (159), BVerfG DVB1. 1993, 1069 (1069) - Kammerbeschluß. 205

Als Beispiel hierfür mag die fehlerhaft verweigerte Eintragung eines einzelnen ins Wählerverzeichnis dienen. Die Mandatsrelevanz dieses Wahlfehlers kann in der Tat, von extremen Ausnahmefallen abgesehen, ausgeschlossen werden. 206

Vgl. BVerfGE 63, 73 (76).

207

Vgl. dazu oben 1. Abschnitt.

. Abschnitt:

rt

173

verweigert, von der anzunehmen wäre, daß ihr (fiktiver) Stimmenanteil auf die Sitzverteilung einwirken könnte. Erhebliche Probleme würden weiterhin auch dann entstehen, wenn eine Partei gegen ein ausnahmsweise vor der Wahl ergangenes Urteil eines Verwaltungsgerichtes, das fälschlich die Zurückweisung des Wahlvorschlags bestätigte, im Wege der einstweiligen Anordnung beim Bundesverfassungsgericht ihre Zulassung zur Wahl erstrebte. Einem solchen Antrag könnte kaum die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entgegengehalten werden, wonach einstweiliger Rechtsschutz in Wahlangelegenheiten nicht gewährt werden könne. Denn die tragende Begründung des Gerichts hierfür ist, daß einstweiliger Rechtsschutz nur dort in Frage kommen könne, wo auch im Hauptsacheverfahren der gewählte Rechtsbehelf nicht unzulässig wäre 208 . Da in Wahlangelegenheiten aber der Satz gelte, daß Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane nur mit den im Bundeswahlgesetz vorgesehenen Rechtsbehelfen sowie im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden können, sei im Hauptsacheverfahren eine gegen Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane gerichtete Verfassungsbeschwerde unzulässig. Mit dieser Begründung könnte indes eine einstweilige Anordnung gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht als unzulässig angesehen werden. Denn dessen Urteil stellt keine Maßnahme oder Entscheidung eines Wahlorgans dar. Der vom Bundesverfassungsgericht in Wahlangelegenheiten entwickelte Spezialitätsgrundsatz des Wahlprüfungsverfahrens würde daher dieses Urteil nicht erfassen. Aber auch Fallkonstellationen, denen allein subjektive Wahlrechtsverletzungen zugrundelägen, würden Schwierigkeiten aufwerfen. Denn da solche Wahlfehler auch in einem Wahlprüfungsverfahren gerügt werden könnten, entstünde das Problem der Divergenz der Entscheidungen von Verwaltungs- und Bundesverfassungsgericht, auf das wegen seiner Bedeutung noch gesondert eingegangen werden soll. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß bei einer Aufspaltung des Rechtsschutzes in verwaltungs- und verfassungsgerichtliche Verfahren die Zuständigkeit des jeweiligen Gerichts anstatt von rechtlichen Kriterien von der im Grunde zufälligen Kausalitätserwägung abhängig gemacht würde, ob sich der Wahlfehler auf das Ergebnis der Wahl ausgewirkt hat.

208

Vgl. BVerfGE 11, 329 (329 f.); BVerfG, Beschluß vom 25. November 1990 2 BvQ 18/90 -, n.v., Umdruck S. 2 f.

174

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

Ergebnis zu A. Über die Gewährung verwaltungsgerichtlicher Klagemöglichkeiten vor Ablauf der Wahl können die Defizitprobleme des subjektiven Wahlrechtsschutzes mithin nicht gelöst werden.

B. Probleme eines nach Ablauf der Wahl stattfindenden Rechtsschutzes Auch gegen einen nachträglichen Rechtsschutz in Wahlangelegenheiten durch die Verwaltungsgerichte sprechen schwerwiegende Bedenken.

L Unüberschaubare Belastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit Zunächst entsteht ein eher rechtspolitischer Einwand. Sollte im Wege einer einengenden Auslegung des § 49 BWahlG die Fülle der Einzelentscheidungen der Wahlorgane nachträglich verwaltungsgerichtlich überprüft werden können, würde eine die Verwaltungsgerichte überspülende Prozeßflut drohen, deren Auswirkungen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit kaum absehbar wären. Ohne eine entsprechende Neuregelung wäre in solchen Verfahren der Überprüfung von Maßnahmen und Entscheidungen der Wahlorgane der volle Instanzenzug eröffnet. Die Forderung nach effektivem verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz des Wahlrechts mag daher rechtsstaatlich lauter sein, sie ist jedoch kaum praktikabel.

Läßt man neben den wahlprüfimgsrechtlichen Rechtsbehelfen des § 49 BWahlG gegen Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane nach der Durchführung der Wahl weiteren verwaltungs- oder verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz zu, entsteht zudem die bereits angesprochene Gefahr divergierender Entscheidungen, die zu einer Erosion der Akzeptanz bundesverfassungsgerichtlicher Urteile und zu einer Vertiefung der Rechtsunsicherheit im Wahlrecht führen kann.

II. Problem divergierender

Entscheidungen

Die durch das genannte Nebeneinander zweier Rechtswege aufgeworfenen Fragen sollen im folgenden am Beispiel der (Nicht)Zulassung einer Partei zur Wahl diskutiert werden. Ausgangspunkt hierzu ist, daß die gegenwärtige Rechtslage rechtsstaatlich unbefriedigend ist.

3. Abschnitt: Kritik

175

Will eine Partei an der Wahl teilnehmen, so muß gemäß § 18 Abs. 4 BWahlG der Bundeswahlleiter deren Parteieigenschaft feststellen. An dessen Entscheidung sind sämtliche Wahlorgane gebunden. De facto entscheidet daher der Bundeswahlleiter - trotz der Beschwerdemöglichkeit in § 26 Abs. 2 BWahlG - über die Zulassung einer Partei 209 . Von daher scheint die Einräumung eines weiteren Rechtsbehelfs außerhalb des Bundeswahlgesetzes durchaus sinnvoll. Gleichwohl stehen dem durchgreifende Bedenken entgegen. Die folgenden Fallkonstellationen, die zunächst die Probleme divergierender Entscheidungen der Verwaltungsgerichte und des Bundesverfassungsgerichts aufzeigen und sich sodann dem Problem gegensätzlicher Entscheidungen innerhalb verschiedener verfassungsgerichtlicher Verfahren zuwenden, erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie sollen lediglich dazu dienen, die Probleme eines Nebeneinanders verschiedener Rechtswege aufzuzeigen.

1. Gegensätzliche Entscheidungen von Verwaltungsgericht und Bundesverfassungsgericht Dem ersten Fall liegt die rechtmäßige Zurückweisung eines Wahlvorschlags einer Partei durch den Bundeswahlausschuß zugrunde, weil dieser das Vorliegen einer Partei im Sinne von § 2 ParteiG verneinte. Stellt hier das Verwaltungsgericht auf eine entsprechende Klage hin nach der Wahl fälschlich fest, daß die Nichtzulassung zu Unrecht erfolgt sei, entstehen Probleme, wenn das Bundesverfassungsgericht im Wahlprüfungsverfahren entscheidet, daß die Nichtzulassung der Partei zu Recht erfolgte 210 . Hier wäre - auch im Hinblick auf künftige Streitigkeiten - völlig unklar, was rechtens sei. Einerseits würde aufgrund des verwaltungsgerichtlichen Urteils rechtskräftig feststehen, daß die Parteieigenschaft der Vereinigung vorliege. Andererseits stünde dem die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entgegen, wonach die Nichtzulassung der Partei rechtens war.

209

Gemäß § 26 Abs. 2 BWahlG kann gegen die Zurückweisung eines Wahlvorschlags binnen drei Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zwar Beschwerde beim Landeswahlausschuß eingelegt werden. Doch ist der Landeswahlausschuß gemäß § 8 Abs. 1 BWahlG ein Wahlorgan und als solches nach § 18 Abs. 4 BWahlG an die Entscheidung des Bundeswahlleiters über die Parteieigenschaft gebunden. 210

Zu der damit angesprochenen „Zweigleisigkeit" des Rechtsschutzes wird die Partei schon deshalb Zuflucht nehmen, weil nicht sicher vorhersehbar ist, ob die Nichtzulassung als Wahlfehler kausal auf die Sitzverteilung eingewirkt hat.

176

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

Dieses Nebeneinander zweier gegensätzlicher Entscheidungen könnte nicht einfach dadurch aufgelöst werden, daß die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als verbindlich angesehen würde. Denn da die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens wäre, könnte sie vom Bundesverfassungsgericht auch nicht aufgehoben werden. Aufgrund der ihn bindenden Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils wäre der Bundeswahlleiter daher verpflichtet, sich sehenden Auges in Widerspruch zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu setzen. Dies mag rechtlich keinen durchgreifenden Bedenken begegnen, da die Feststellung des Wahlfehlers im Wahlprüfungsverfahren nur in den Entscheidungsgründen erfolgt und es deshalb problematisch ist, ob die Feststellung eines Wahlfehlers (hier also die rechtswidrige Verweigerung der Zulassung der Partei zur Wahl) in Rechtskraft erwächst 211. Rechtspolitisch dürfte ein solches Überspielen des Bundesverfassungsgerichts kaum wünschenswert sein. Diese Schwierigkeit divergierender Entscheidungen ließe sich allenfalls vermeiden, wenn mit Durchführung der Wahl der verwaltungsgerichtlichen Klage automatisch das Rechtsschutzbedürfiiis verloren ginge 212 . Dem wird mit dem Hinweis begegnet, daß es im Wahlprüfungsverfahren nicht um den Schutz subjektiver Rechte gehe, so daß der betroffene Aktivbürger oder die Partei auch ein Interesse habe, nachträglich die Verletzung ihrer Rechte feststellen zu lassen213. Zudem gäbe ein solcher Lösungsansatz dem Rechtsschutzsuchenden Steine statt Brot, wenn das Verwaltungsgericht entgegen der hier angeführten Fallkonstellation eine rechtswidrige Nichtzulassung durch den Bundeswahlleiter korrigieren will. Wird hier die Klage mit Durchführung der Wahl unzulässig, läuft der der Partei eingeräumte Rechtsschutz leer, wenn einerseits das Bundesverfassungsgericht im Wahlprüfungsverfahren zwar einen Wahlfehler feststellt, die Beschwerde indes mangels Mandatsrelevanz zurückweist und andererseits der verwaltungsgerichtlichen Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Nichtzulassung mit Durchführung der Wahl das Rechtsschutzinteresse abgesprochen wird. Damit ist zugleich die zweite hier näher zu untersuchende Fallkonstellation angesprochen, in der eine Partei rechtswidrigerweise vom Bundeswahlausschuß nicht zur Wahl zugelassen wird. Wiese hier das Verwaltungsgericht die Klage

211

Vgl. dazu unten Kapitel 5, 2. Abschnitt, II.

212

So die Auffassung eines Teiles der Literatur, vgl. die Nachweise oben im 2. Abschnitt, Β. II. 3. mit Fn. 152. 213

Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 245.

. Abschnitt:

rt

177

der Partei gleichwohl ab und käme das Bundesverfassungsgericht im Wahlprüfungsverfahren zu der Überzeugung, daß die Nichtzulassung der Partei rechtswidrig gewesen sei, würde ebenfalls ein nicht auflösbares Nebeneinander zweier entgegengesetzter Gerichtsentscheidungen entstehen. Aufgrund des rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Urteils würde (fälschlicherweise) feststehen, daß die Nichtzulassung der Partei zu Recht erfolgt sei. Dem würde die Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts entgegenstehen. Wie bereits oben dargestellt, könnte das Bundesverfassungsgericht hier auch nicht dadurch helfen, daß es die Entscheidung des Verwaltungsgericht aufhöbe. Diese würde nämlich nicht zum Verfahrensgegenstand des Wahlprüfungsverfahrens gehören. Daß die Rechtsschutzdefizite im Wahlrecht nicht durch die Einräumung weiterer Rechtsbehelfe neben dem Wahlprüfungsverfahren gelöst werden können, wird offensichtlich, wenn man die Möglichkeit des verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes einbezieht. Die Dinge würden sich nämlich weiter dadurch komplizieren, daß den betroffenen Parteien gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auch der Verfassungsrechtsweg nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG eröffnet wäre. Hierdurch entstünde die Gefahr, daß Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die in Verfassungsbeschwerdeverfahren ergingen, denjenigen zuwiderliefen, die das Gericht in Wahlprüfungsverfahren fände.

2. Gegensätzliche Entscheidungen innerhalb verschiedener verfassungsgerichtlicher Verfahren Ausgangspunkt ist hierbei der bereits dargestellte Fall, daß der Bundeswahlausschuß eine Partei zu Unrecht nicht zuläßt und das Verwaltungsgericht dessen Entscheidung fälschlich bestätigt. Während die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde wegen einer Verletzung des subjektiven Wahlrechts erfolgreich wäre, müßte das Bundesverfassungsgericht im parallel geführten Wahlprüfungsverfahren die gleichfalls auf die Nichtzulassung einer Partei gestützte Beschwerde wegen fehlender Mandatsrelevanz zurückweisen. Damit entstünde die kuriose, und dem Rechtsschutzsuchenden nur schwer vermittelbare Situation, daß zwei verfassungsrechtliche Rügen, die auf einen - jedenfalls aus der Sicht des Beschwerdeführers - identischen Sachverhalt gestützt wären, zu unterschiedlichen Ergebnissen führten. Man mag dies unter Berufung auf unterschiedliche Verfahrensgegenstände hinnehmen können. Der Rechtsfrieden dürfte indes hierdurch nicht befördert werden. Während in dem geschilderten Fall die Unterschiedlichkeit der Entscheidung im Verfassungsbeschwerdeverfahren und im Wahlprüfungsverfahren darauf beruht, daß nur in letzterem die Kausalität eines Wahlfehlers von Belang ist, ist auch nicht ausgeschlossen, daß das Bundesverfassungsgericht aufgrund unter12 Lang

178

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

schiedlicher Subsumtion zu gegensätzlichen Ergebnissen kommt. So könnte es im Wahlprüfiingsverfahren einen Wahlfehler bejahen, den es im Rahmen der gegen das Urteil eines Verwaltungsgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde als unbeachtlich angesehen hat. Auch hierdurch würde die Rechtssicherheit im Wahlprüfungsrecht nicht befördert.

Ergebnis zu B. Als Ergebnis ist daher festzuhalten, daß die Überprüfung von Entscheidungen und Maßnahmen von Wahlorganen außerhalb konkreter Wahlprüfiingsverfahren nicht zu befürworten ist. Bevor in Kapitel 5 untersucht wird, ob das aufgezeigte subjektive Rechtsschutzdefizit im Wahlprüfungsrecht innerhalb eines konkreten Wahlprüfungsverfahrens beseitigt werden kann, soll im folgenden dargelegt werden, ob dem gelegentlich vorgebrachten Vorschlag, eine spezielle wahlprüfiingsrechtliche Beschwerdeinstanz einzurichten, zuzustimmen ist.

4. Abschnitt

Gesetzliche Neuregelung Gegen die Wahl zum 12. Deutschen Bundestag wurden insgesamt 80 Einsprüche erhoben 2 1 4 . Dabei betreffen etwa 20 Fälle die Nichtzulassung von Parteien, Wählergruppen oder Einzelbewerbern 215, die damit den Schwerpunkt der Einspruchsverfahren bilden. Gerügt wird von den jeweiligen Einspruchsführern zumeist die personelle Besetzung des gemäß § 18 Abs. 4 BWahlG über die Anerkennung einer politischen Vereinigung entscheidenden Bundeswahlausschusses216 mit Vertretern der „etablierten Parteien" 217 . Dies hat dazu geführt,

214 Vgl. die Beschlußempfehlung und den Bericht des Wahlprüflingsausschusses BTDrs. 12/1002, S. 1. 215

Vgl. die Anlagen 1 bis 74 der BT-Drs. 12/1002.

216

Der Bundeswahlausschuß setzt sich zusammen aus einem Vorsitzenden und einer gewissen Anzahl von Beisitzern, bei deren Auswahl regelmäßig die Vorschläge der Parteien in der Reihenfolge der bei der letzten Bundestagswahl errungenen Zweitstimmen berücksichtigt werden (vgl. § 4 Abs. 2 BWO). 217

Vgl. etwa die Einspruchsbegründung der „Deutschen Biertrinker-Union", BT-Drs. 12/1002, Anlage 58, S. 153 „Kartell-Struktur der Altparteien".

4. Abschnitt: Gesetzliche Neuregelung

179

daß im Bundestag die Einrichtung einer parteiunabhängigen Beschwerdeinstanz diskutiert wird 2 1 8 . Eine erste Reaktion stellte die Neufassung des § 18 Abs. 4 Nr. 2 BWahlG dar, wonach die Entscheidung des Bundeswahlausschusses über die Anerkennung einer Vereinigung als Partei nicht mehr mit einfacher Stimmenmehrheit gefunden werden kann, sondern nunmehr an die Erreichung einer Zweidrittelmehrheit gebunden ist 2 1 9 . Zu weitergehenden Reformmaßnahmen, wie insbesondere der Einrichtung der angesprochenen Beschwerdeinstanz, ist es bisher nicht gekommen. Ihnen dürfte aus den folgenden Gründen auch in Zukunft wenig Chancen einzuräumen sein. Die Forderung nach einer gesetzlichen Abhilfe der festgestellten Rechtsschutzdefizite im Bereich des Wahlrechts ist nämlich nahezu ebenso alt wie die Defizite selbst. Bereits 1967 hat Seifert in den Ruf nach dem Reformgesetzgeber eingestimmt und, „um das Grundrecht der Wahl wirklich zu schützen"(!), die Einräumung eines zusätzlichen Rechtsbehelfs erwogen 220 . Und H. Meyer hat jüngst erneut die Forderung nach Schaffung eines einzügigen, an kurze Fristen gebundenen speziellen wahlrechtlichen Rechtsbehelfs erhoben. Es müsse für alle Wahlfehler, die vor einer Wahl vorkommen könnten, eine einzige Gerichtsinstanz geben, die verpflichtet wäre, wegen der engen Fristen, die bestehen, in kürzester Zeit über Beschwerden gegen das Wahlverfahren zu entscheiden, wobei dadurch die Verfassungsbeschwerde nicht ausgeschlossen sein müsse221. Der Vorteil eines solchen - an ausländische Vorbilder angelehnten222 - separaten einzügigen Rechtswegs sieht 218

Vgl. BT-Drs. 12/41, S. 3359.

219

Zur Gesetzesintention vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP BT-Drs. 12/4616, S. 36. Die personelle Auswahl der Beisitzer ließ die Reform wohl zu Recht unangetastet, da in der Praxis kaum Konsens darüber hergestellt werden könnte, wer etwa aufgrund welcher Maßstäbe darüber befinden sollte, ob ein Bewerber parteiunabhängig ist. 220

Vgl. Seifert, DÖV 1967, 231 (240).

221

H. Meyer, KritV 1994, 312 (359).

222

In Frankreich müssen Kandidaten im Gegensatz zu Parteien, die keinem besonderen Zulassungsverfahren unterworfen sind, vom Präfekten registriert werden. Liegen Gründe für deren NichtWählbarkeit vor, muß der Präfekt die Frage der Registrierung innerhalb von 24 Stunden dem Verwaltungsgericht übergeben. Dessen Entscheidung hat innerhalb von 3 Tagen zu erfolgen und kann nur vom Verfassungsrat angefochten werden. Werden die genannten Fristen nicht eingehalten, ist der Kandidat zu registrieren (vgl. Sasse/Georgel/Hand, (Hrsg.), Das Wahlrecht der Neun, S. 136). Vergleichbar gestaltet sich die Rechtslage in Spanien, wo die Nichtzulassung eines Wahlvorschlags allerdings auf Initiative des Bewerbers - ebenfalls vom Verwaltungsgericht (innerhalb einer Frist von 2 Tagen) angefochten werden kann, vgl. Art. 49 Abs. 1 Ley Orgànica des Régimen Electoral General (Allgemeines Organgesetz über das Wahlrecht). Die Vorschrift lautet übersetzt: „Jeder ausgeschlossene Bewerber, die Vertreter der zugelassenen

180

Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Probleme

der Autor darin, daß alle Fehler, die zum Beispiel das aktive Wahlrecht und die Wahlvorschlagsberechtigung als „fundamentale demokratische Rechte" beträfen, endgültig für berechtigt oder unberechtigt erklärt würden. Kein Fehler, der auf diese Weise vor der Wahl hätte geltend gemacht werden können, könne später noch gerügt werden. Dies sei auch unter Berücksichtigung von Art. 19 Abs. 4 GG vertretbar, denn alle späteren Wahlfehler könnten im Wahlprüfungsverfahren gerügt werden 223 . So viel versprechend eine solche „Rückgabe" der Schwierigkeiten des Wahlprüfungsrechts an den Gesetzgeber auf den ersten Blick auch sein mag, so sehr entstehen bei näherem Zusehen doch unabsehbare Folgeprobleme. Dies betrifft zunächst die von H. Meyer ausdrücklich und entgegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts befürwortete Möglichkeit, neben der Anfechtung in dem zu schaffenden Rechtsweg, Maßnahmen und Entscheidungen der Wahlorgane auch mit der Verfassungsbeschwerde anzugreifen 224. Dadurch wird freilich die Erreichung schneller Entscheidungen, die doch gerade das Ziel des neu geschaffenen einzügigen Rechtszuges sein sollten, in Frage gestellt 225 . Läßt man solche Verfassungsbeschwerden zu, ist die Entscheidung des „Wahlprüfungsgerichts" gerade nicht endgültig, denn der dort vorgetragene Lebenssachverhalt (etwa die Nichtzulassung eines Wahlvorschlags) könnte ohne weiteres auch einem Verfassungsbeschwerdeverfahren zugrundegelegt werden 226 . Zudem entstünden Schwierigkeiten bei der Harmonisierung des Rechtsbehelfs mit dem eigentlichen Wahlprüfungsverfahren. Würde

Kandidaten oder der zurückgewiesenen Kandidaten kann bis zwei Tage nach Bekanntgabe gegen die Feststellungen der Wahlämter vor dem Verwaltungsgericht ein Rechtsmittel einlegen. Zusammen mit der Einlegung des Rechtsmittels müssen eine Begründung sowie die erforderlichen Beweismittel vorgelegt werden". 223

Vgl. H. Meyer, KritV 1994, 312 (360).

224

Vgl. H. Meyer, KritV 1994, 312 (359).

225

Von verfassungsrechtlichen Bedenken, die unter Berufung auf die in Art. 97 GG garantierte richterliche Unabhängigkeit gegenüber einer gesetzlich angeordneten Pflicht zur „zügigen" Entscheidung einer Rechtsstreites aufgeworfen werden könnten, einmal abgesehen. 226

Exakt dies entspricht auch der dargestellten spanischen Rechtslage, wo die Entscheidung des Verwaltungsgerichts innerhalb einer Frist von 2 Tagen beim spanischen Verfassungsgericht angegriffen werden kann, vgl. Art. 49 Abs. 3 Ley Orgànica des Régimen Electoral General (Allgemeines Organgesetz über das Wahlrecht). Die Vorschrift lautet übersetzt: „Die gerichtliche Entscheidung, die in den nächsten Tagen nach der Einlegung des Rechtsmittels gefällt werden soll, ist bestandskräftig und gegen sie kann keine Berufung eingelegt werden, unbeschadet der Verfassungsbeschwerde vor dem Verfassungsgericht. Bezüglich der Verfassungsbeschwerde gelten die in Art. 44.l.a) des Organgesetzes über das Verfassungsgericht genannten Voraussetzungen als erfüllt, wenn das in diesem Artikel geregelte Rechtsmittel eingelegt wurde".

. Abschnitt:

e e h e g e n

181

sich etwa ein Einspruchsführer im nachfolgenden Wahlprüfungsverfahren vor dem Deutschen Bundestag gegen eine vor der Wahl getroffene Entscheidung des neu geschaffenen „Wahlprüfungsgerichts" wenden, dürfte dem Bundestag kaum die Kompetenz eingeräumt werden können, eine gerichtliche Entscheidung aufzuheben. Wird der Einspruchsführer infolgedessen auf den Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht verwiesen, entstehen die gleichen Bedenken, die oben gegen das Nebeneinander von verwaltungsgerichtlichem und verfassungsgerichtlichem Rechtsschutz ins Feld geführt wurden. Auch hier könnten die Entscheidungen des neu geschaffenen „Wahlprüfungsgerichts" von den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die dieses im Rahmen von Verfassungsbeschwerdeverfahren oder Wahlprüfungsverfahren fällen würde, abweichen. Aufgrund dessen kann das Problem eines ausreichenden subjektiven Rechtsschutzes in Wahlangelegenheiten auch nicht über die Schaffung eines weiteren Rechtswegs gelöst werden.

Kapitel

5

Der Schutz subjektiver Wahlrechte innerhalb des Wahlprüfungsverfahrens Die vorstehenden Kapitel haben gezeigt, daß der Schutz des (subjektiven) Wahlrechts gegenwärtig nicht ausreichend gewährt wird. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist mit ihrer Spezialitätsthese des Wahlprüfungsverfahrens angesichts der gleichzeitigen Eliminierung subjektiven Rechtsschutzes innerhalb dieses Verfahrens wenig überzeugend. Die damit einhergehende völlige Schutzlosstellung von subjektiven Wahlrechtsverletzungen gerät zudem in Kollision mit den Wertungen des Art. 19 Abs. 4 GG 1 . Den in der Literatur entwickelten Lösungsvorschlägen der Rechtsschutzfrage kann wegen der dabei entstehenden Folgeprobleme nicht das Wort geredet werden. Die Rechtzeitigkeit (vorläufigen) verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes ist praktisch in den seltensten Fällen zu realisieren und angesichts der Kompliziertheit der Wahl in der Massendemokratie, mit ihrer Fülle von anfechtbaren Einzelentscheidungen, auch nicht zu verwirklichen. Zudem fuhrt das Nebeneinander von verwaltungs- und verfassungsgerichtlichem Rechtsschutz zu kaum lösbaren Abgrenzungsfragen und einer Doppelbelastung des Bundesverfassungsgerichts. Durch die Möglichkeit, verwaltungsgerichtliche Entscheidungen in Wahlangelegenheiten mit der Verfassungsbeschwerde anzugreifen, entsteht überdies die Gefahr divergierender Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bezogen auf einen identischen Lebenssachverhalt2. Vor diesem Hintergrund geht die Untersuchung in Kapitel 5 der Frage nach, ob eine Integration subjektiven Rechtsschutzes in das eigentliche Wahlprüfiingsverfahren geboten ist. Ausgangspunkt soll hierbei die bereits erwähnte Spezialitätsthese des Bundesverfassungsgerichts sein, wonach die Korrektur

1

Vgl. im einzelnen oben Kapitel 3.

2

Vgl. im einzelnen oben Kapitel 4.

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

von Wahlfehlern dem Rechtsweg des Art. 19 Abs. 4 GG entzogen und statt dessen die Beschwerde gemäß Art. 41 Abs. 2 GG statthaft sei3. Die Spezialität des Wahlprüfungsverfahrens ist dabei ohne weiteres zu bejahen, soweit es um die Rechtsfolge der Aufhebung der Wahl geht. Diese Entscheidung ist nach zutreffender Auffassung den Wahlprüfungsinstanzen Bundestag und Bundesverfassungsgericht vorbehalten 4. Problematisch ist die Spezialitätsthese infolgedessen allein, soweit sie sich auch auf den Schutz subjektiver Wahlrechte bezieht, also solcher Wahlfehler, die nicht zu einer Aufhebung der Wahl führen sollen und deshalb nach der herrschenden Meinung auch nicht Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens sind5. Würde demgegenüber das Wahlprüfungsverfahren auch solche subjektiven Rechtsverletzungen aufnehmen und sanktionieren, könnte in der Tat das Wahlprüfungsverfahren ohne Wertungswiderspruch als der gegenüber sonstigen Rechtsschutzmöglichkeiten speziellere Rechtsbehelf für im Zusammenhang mit der Bundestagswahl stehende Beeinträchtigungen des Wahlrechts angesehen werden. Ob subjektiver Rechtsschutz auch innerhalb des durch Art. 41 GG sowie den einfachrechtlichen Wahlprüfungsvorschriften strukturierten Verfahrens möglich ist, stellt sich in erster Linie als eine Frage des Streitgegenstandes der Wahlprüfung dar. Der folgende Abschnitt beschäftigt sich daher mit dem Streit- bzw. Verfahrensgegenstand der Wahlprüfung. Im zweiten Abschnitt soll dann die Ausgestaltung der hier vorgeschlagenen doppelfunktionalen Wahlprüfung näher untersucht werden. Der dritte Abschnitt beschäftigt sich mit Folgerungen, die sich aus der entwickelten Lösung ergeben. Im vierten Abschnitt werden schließlich die Ergebnisses der Untersuchung zusammengefaßt.

3

Vgl. BVerfGE 22, 277 (281); 46, 196 (198); 66, 232 (234).

4

Vgl. Maunz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 41 Rn. 18: „Die Frage der Gültigkeit kann nicht Gegenstand eines anderen als des Wahlprüfungsverfahrens sein" sowie die in Kapitel 4, 1. Abschnitt in Fn. 6 genannten Autoren. 5

Vgl. BVerfGE 1, 208 (238); 1, 430 (433); 22, 277 (281); 34, 201 (203); 40, 11 (29); 48, 271 (280); 59, 119 (123); 79, 173 (173 f.).

184

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

1. Abschnitt

Der Verfahrensgegenstand des Wahlprüfungsverfahrens In terminologischer Hinsicht ist zunächst darauf hinzuweisen, daß es sich eingebürgert hat, in denjenigen Verfahren, in welchen sich - wie bei der Wahlprüfung - nicht Antragsteller und Antragsgegner gegenüberstehen, anstatt des den kontradiktorischen Verfahren zugrundeliegenden Begriffs des Streitgegenstandes den Ausdruck Verfahrensgegenstand zu verwenden 6, ohne daß durch diese sprachliche Diskrepanz weitergehende sachliche Unterschiede bedingt sind7. Um den Verfahrensgegenstand der Wahlprüfling adäquat zu erfassen, muß zunächst Klarheit über einige prozessuale Grundsätze und Besonderheiten des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen.

A. Allgemeine Grundsätze des Verfassungsprozeßrechts Das Verfahrensrecht des Bundesverfassungsgerichts hat durch das Grundgesetz und das Bundesverfassungsgerichtsgesetz in Verbindung mit der Geschäftsordnung des Gerichts nur eine lückenhafte Regelung erfahren 8. Zu den dadurch entstandenen zahlreichen verfassungsprozessualen Problemen rechnen neben der Antragsrücknahme 9, der Zulässigkeit von Vergleichen, der Möglichkeit, Hilfsanträge zu stellen und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen 10 unter anderem auch die Festlegung des Streitgegenstandes. Ungeachtet der aus der Lückenhaftigkeit der gesetzlichen Regelung vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Verfahrensautonomie 11, versteht es sich von

6

Benda/Klein, VerfprozR, § 7 Rn. 141 mit Fn. 22: „Im Verfassungsprozeß ist der Begriff „Streit"-Gegenstand nur im kontradiktorischen Verfahren sinnvoll." 7

Vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 305.

8

Vgl. Benda/Klein, 50, 381 (384).

VerfprozR, § 7 Rn. 123; BVerfGE 1, 109 (110); 33, 199 (204);

9

Die im BVerfGG in den §§ 52 Abs. 1, 58 lediglich im Verfahren der Präsidentenbzw. Richteranklage geregelt ist. 10 Vgl. zu diesen und weiteren Regelungslücken Benda/Klein, Rn. 123. 11

VerfprozR, § 7

Vgl. BVerfGE 2, 79 (86); 33, 199 (204); zustimmend Klein, in: Benda/Klein, VerfprozR, § 7 Rn. 126, der davon spricht, der Gesetzgeber habe dem Gericht bewußt eine Verfahrensautonomie eingeräumt.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

185

selbst, daß auch dem Verfassungsprozeß ein Verfahrensgegenstand zugrundezulegen ist. Auch in diesem Prozeß wird rechtskräftig über einen konkreten Verfahrensgegenstand entschieden12, und auch hier übernimmt der Verfahrensgegenstand eine prozeßleitende Funktion. Einerseits kommt ihm Bedeutung für die Abgrenzung der verschiedenen Verfahrensarten zu 13 , was im vorliegenden Kontext insbesondere für die Beurteilung der Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden im Sachbereich von Bundestagswahlen gegen Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlprüfungsorgane relevant wird 1 4 . Andererseits hängt die Reichweite der Rechtskraft und damit in ganz besonderem Maße die Befriedungsfunktion bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen entscheidend von der Festlegung des Verfahrensgegenstandes ab 15 , der dabei zum einzigen Determinanten der Rechtskraft wird 1 6 . Da der Tenor einer gerichtlichen Entscheidung grundsätzlich den gesamten Verfahrensgegenstand - und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine stattgebende oder eine abweisende Entscheidung handelt - aufzunehmen hat 17 , kommt dem Verfahrensgegenstand zudem eine die Entscheidungsformel dirigierende Funktion zu.

I. Fehlende gesetzliche Definition des Verfahrensgegenstandes Wie in den anderen Verfahrensordnungen 18 wird der Streit- bzw. Verfahrensgegenstand auch im Verfassungsprozeßrecht gesetzlich nicht definiert, sondern als bestehend vorausgesetzt 19. Wie noch zu zeigen sein wird, verhalten sich deshalb weder Art. 41 GG noch die einfachrechtlichen Vorschriften der

12

Vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 303.

13

Vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 3.

14

Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde, mit der das der Wahl zugrundeliegende Wahlgesetz angegriffen wird, ist allgemein anerkannt, vgl. BVerfGE 1, 208 (237 f.); 82, 322 (336); Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 14. 15

Vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 6.

16

Vgl. E. Klein, AöR 108 (1983), S. 410 ff. (437) sowie Detterbeck, Streitgegenstand, S. 3. 17

Vgl. dazu Clemens, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, V, Rn. 3.

18

Vgl. für das Zivilrecht z.B. Thomas/Putzo, ZPO, Einl. II Rn. 3; für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Kopp, VwGO, § 90 Rn. 7; Stern, Verwaltungsproz. Probleme, S. 149 mit Fn. 6; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 121 Rn. 7. 19

Vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 2.

186

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

§§ 1 Abs. 1 WahlprüfG, 13 Nr. 3 BVerfGG zum Verfahrensgegenstand der Wahlprüfung 20 .

1. Keine Definition des Verfahrensgegenstandes in Art. 41 GG Die Vorschrift des Art. 41 GG enthält demzufolge keine grundgesetzliche Definition des Verfahrensgegenstandes der Wahlprüfung. Art. 41 Abs. 1 GG erklärt die Wahlprüfung zur Sache des Bundestages, und Abs. 2 läßt gegen dessen Entscheidung die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht zu. Zumindest auf den ersten Blick ist mit dieser historisch zu erklärenden Doppelzuweisung an Parlament und Gericht keine Aussage über den Verfahrensgegenstand der Wahlprüfung verbunden. Daß Art. 41 GG eine Aussage über den Verfahrensgegenstand des Wahlprüfiingsverfahrens enthält, wird, soweit ersichtlich, auch nicht von den wenigen Autoren behauptet, die sich umfassender mit der Frage des Verfahrensgegenstandes der Wahlprüfung beschäftigt haben 21 . Das Bundesverfassungsgericht 22 hat unter Zustimmung des ganz überwiegenden Teils des Schrifttums 23 zumeist vom Ziel des Verfahrens auf den Verfahrensgegenstand der Wahlprüfung geschlossen. Ob und gegebenenfalls

20

Zu den Aussagen, die sich den §§ 1 Abs. 1 WahlprüfG sowie 13 Nr. 3 BVerfGG in bezug auf die Verfahrensfunktion der Wahlprüfung entnehmen lassen, vgl. unten 1. Abschnitt, B. III. 3. b). 21 Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 25 und Detterbeck, Streitgegenstand, S. 568. Beide schließen vom Ziel des Verfahrens auf den Streitgegenstand. 22

Vgl. etwa BVerfGE 66, 369 (378): Das Wahlprüfiingsverfahren dient dem Schutz des objektiven Wahlrechts. Gegenstand ist nicht die Verletzung subjektiver Rechte, sondern die Gültigkeit der Wahl als solche; s.a. BVerfGE 1, 208 (238); 40, 11 (29). 23 Deutlich etwa Detterbeck, Streitgegenstand, S. 569: „Ziel des Verfahrens ist es, die richtige Zusammensetzung des Bundestages zu gewährleisten. Verfahrensgegenstand ist deshalb die Frage der Gültigkeit der Wahl zum Bundestag" (Hervorhebungen hinzugefugt); Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 37; Schreiber, Wahlrecht, § 49 Rn. 11; Maunz, in: Maunz u.a., BVerfGG, § 13 Rn. 41; Boettcher/Högner, BundeswahlG, § 49 Rn. 2; Pestalozza, VerfprozR, § 5 Rn. 5; Benda/Klein, VerfprozR, § 32 Rn. 1094; kritisch Seifert, BundeswahlR, GG, Art. 41 Rn. 3: „keine Grundlage in der Verfassung" sowie Schneider, in: AK, Art. 41 Rn. 2, der trotz Anerkenntnis der Gültigkeitsprüfung und der damit von der h.M. vorgenommenen Ausklammerung subjektiver Rechtsschutzbelange aus der Wahlprüfung den Begriff „Gültigkeit" der Wahl weit verstehen will, so daß es nicht nur um die Frage gehe, „ob" Wahlen gültig seien, sondern auch darum, „wie" sie gültig seien.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

187

wie dieser Schluß zutreffend ist, wird später geklärt werden 24. In bezug auf Art. 41 GG soll es zunächst mit der Aussage sein Bewenden haben, daß die Vorschrift den Verfahrensgegenstand der Wahlprüfung nicht definiert. Allenfalls ließe sich sagen, daß nach Art. 41 Abs. 2 GG Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens die Wahlprüfung sei. Will man sich hier nicht in tautologischen Erklärungen wie „Wahlprüfung stelle die Prüfung der Wahl" dar 25 verlieren, so läßt sich die Frage nach dem Verfahrensgegenstand der Wahlprüfung nur aus der weiter unten entfalteten Auslegung der den Wahlakt und die Wahlprüfung bestimmenden Verfassungsnormen gewinnen. Im Hinblick auf einfachrechtliche Regelungen ist vorab auf folgendes hinzuweisen. Als einfachgesetzliche Regelungen in bezug auf den Verfahrensgegenstand der Wahlprüfung kommen sowohl § 1 Abs. 1 WahlprüfG als auch § 13 Nr. 3 BVerfGG in Betracht.

2. Regelungsgehalt des Wahlprüfungsgesetzes Nach § 1 Abs. 1 WahlprüfG entscheidet vorbehaltlich der Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht der Bundestag über die Gültigkeit der Wahl. Aus dieser Vorschrift ist geschlossen worden, daß mit ihr in verfassungskonformer 26 Weise der Verfahrensgegenstand der Wahlprüfung festgelegt worden ist 27 . Gegenstand der Wahlprüfung sei deshalb die Gültigkeit der Wahl 28 . Gegen diese Festlegung des Verfahrensgegenstandes der Wahlprüfung ergeben sich indes Bedenken. Einmal wird die genannte These, § 1 Abs. 1 WahlprüfG bestimme in „verfassungskonformer Weise" den Verfahrensgegenstand, den Art. 41 GG der Wahlprüfung zugrundelegt, nicht weiter begründet. Und obgleich die Existenz Verfassungskonkretisierenden einfachen Rechts anerkannt ist, ist die Bestimmung des Verfahrensgegenstandes der Wahlprüfung anhand

24

Vgl. unten 1. Abschnitt, B. III.

25

So etwa Karpenstein, Die Wahlprüfung und ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen, S. 19; dagegen mit Recht Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 24. 26

Gemeint ist wohl verfassungskonkretisierender Weise.

27

Vgl. Schneider, in: AK, Art. 41 Rn. 2.

28

Vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 569.

1

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

gesetzlicher Regelungen in erster Linie nach Maßgabe der Verfassung und des richtigen Verständnisses der Verfahrensfunktion in Art. 41 GG vorzunehmen 29. Dem so gewonnenen Verständnis der Wahlprüfung müssen dann etwaige einfachrechtliche Normierungen des Verfahrensgegenstandes schon wegen des Vorrangs der Verfassung entsprechen. Entscheidend gegen eine Interpretation des Verfahrensgegenstandes der Wahlprüfung anhand von § 1 Abs. 1 WahlprüfG spricht, daß der an sich naheliegende Rekurs auf diese Vorschrift bei näherem Zusehen nur einen scheinbaren Gewinn bedeutet. Denn da sowohl das Wahlprüfungsgesetz als auch sämtliche sonstigen Vorschriften des Wahlprüfungsrechts sich zu der Frage verschweigen, was unter „Gültigkeit der Wahl" rsp. deren Ungültigkeit zu verstehen sei, prallen bei der Auslegung dieser Begriffe die verschiedenen Auffassungen über die Bedeutung und die Reichweite der Wahlprüfung aufeinander, so daß die dann notwendige Auslegung ohnehin wieder auf die Basisnorm des Art. 41 GG zurückgeworfen wird. § 1 Abs. 1 WahlprüfG läßt sich daher für die Bestimmung des Verfahrensgegenstandes der Wahlprüfung nichts entnehmen.

3. Regelungsgehalt des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes Auch der Versuch, den Verfahrensgegenstand der Wahlprüfung anhand von § 13 Nr. 3 BVerfGG zu bestimmen30, wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet. Nach dieser Vorschrift entscheidet das Bundesverfassungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen des Bundestages, die die Gültigkeit einer Wahl oder den Erwerb oder den Verlust der Mitgliedschaft beim Bundestag betreffen. In der Literatur ist dieser Formulierung entnommen worden, Verfahrensgegenstand der Wahlprüfungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht sei lediglich die Sachentscheidung des Bundestages31. Abgesehen davon, daß

29

Vgl. dazu unten 1. Abschnitt, B. III. 3. a).

30

Z.B. Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 37.

31

Vgl. Schmidt-Bleibtreu, in Maunz u.a., BVerfGG, § 48 Rn. 39a, allerdings mit dem sybillinischen Zusatz, dabei dürfe das Ziel des Wahlprüfungsverfahrens, die Gewährleistung der geordneten Zusammensetzung des Parlaments, nicht außer acht gelassen werden; ähnlich Ossenbühl, BVerfG und GG, Bd. I, S. 458 (478): „Streitgegenstand des Verfassungsrechtsstreits ist lediglich die Sachentscheidung des Bundestages und Ziel des Wahlprüfungsverfahren ist die Gewährleistung der geordneten Zusammensetzung des Parlaments"; s.a. Seifert, BundeswahlR, GG, Art. 41 Rn. 20: „Gegenstand des Besch werde Verfahrens ist allein die Sachentscheidung des Bundestages".

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

189

diese Sichtweise kaum mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Einklang gebracht werden kann 32 , ist ihr zu Recht entgegengehalten worden, daß es in der Sache um die Gültigkeit der Wahlen zum Bundestag gehe33. Der Auffassung, Verfahrensgegenstand sei allein der Beschluß des Bundestages, läßt sich zudem bereits die Formulierung des Gesetzes in § 13 Nr. 3 BVerfGG entgegenhalten. Denn die Vorschrift spricht nicht nur davon, daß das Bundesverfassungsgericht über die Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundestages entscheidet, sondern daß es sich hierbei um die Beschwerde gegen eine Entscheidung betreffend die Gültigkeit der Wahl handelt. Mithin rekurriert auch § 13 Nr. 3 BVerfGG auf den Topos der „Gültigkeit der Wahl". Damit sind aber genau die eingangs geschilderten Fragen aufgeworfen, ob aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben das Wahlprüfiingsverfahren sich in einer Prüfung der Gültigkeit der Wahl erschöpft, und was „Gültigkeit der Wahl" bedeutet. Aus dem Wortlaut der gesetzlichen Normierungen in Art. 41 GG, § 1 Abs. 1 WahlprüfG, § 13 Nr. 3 BVerfGG läßt sich daher keine Festlegung hinsichtlich des Verfahrensgegenstandes der Wahlprüfung entnehmen. Obwohl damit an sich ein weites Feld wissenschaftlicher Aufbereitung eröffnet wäre, gehört es zu den Kuriositäten des Verfassungsprozeßrechts, daß Abhandlungen über den Verfahrensgegenstand bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen im allgemeinen 34 und über denjenigen des WahlprüfungsVerfahrens im besonderen selten sind 35 .

32

Das Gericht hat es stets besonders betont, wenn es den Beschluß des Bundestages zum Verfahrensgegenstand gerechnet hat, vgl. etwa BVerfGE 89, 291 (299); 89, 243 (249). Zu den daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen hstl. des Verfahrensgegenstandes vgl. unten 1. Abschnitt, B. III. 3. a) cc) (4) (b) (aa). 33

Vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 568 f.

34 Vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 304. Neben dieser grundlegenden monographischen Bearbeitung des Themas kann nur auf die Münchener Dissertation von Eckl, Der Streitgegenstand im Verfassungsprozeß, aus dem Jahre 1956 verwiesen werden. Ausgeglichen wird dieses Manko indessen teilweise dadurch, daß eine umfangreiche Diskussion um die nicht minder bedeutsame Frage der Β indungs Wirkung der Entscheidungen des BVerfG geführt wurde (vgl. etwa Sachs, Bindung, passim, speziell zum Wahlprüfungsverfahren, S. 401 ff.) und die im Zusammenhang mit dem Verfahrensgegenstand auftretenden Probleme dabei mitbehandelt wurden. Freilich erfolgt insoweit immer ein „Zugang durch die Hintertür". Deshalb ist daraufhinzuweisen, daß gleichsam umgekehrt Fragen der Β indungs Wirkung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen von der Bestimmung des Verfahrensgegenstandes abhängen, so zu Recht Detterbeck, Streitgegenstand, S. 304. 35

Neben der Monographie von Detterbeck, Streitgegenstand, ist hier insbesondere die Arbeit von Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 35-88

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

19

IL Anleihen bei den fachgerichtlichen

Verfahrensordnungen

Angesichts dessen liegt es nahe, bei der Bestimmung des Verfahrensgegenstandes auf die tradierte Begriffsbildung der anderen Verfahrensordnungen zurückzugreifen 36. Das Verhältnis des Verfassungsprozeßrechtes zu den sonstigen Verfahrensordnungen ist allerdings nach wie vor nicht endgültig geklärt 37 . Da das Verfassungsprozeßrecht nicht über eine den sonstigen Verfahrensordnungen vergleichbare Tradition verfügt, besteht aber Einigkeit in dem Anliegen, in Zweifelsfragen das Verfassungsprozeßrecht angesichts der in Art 92 GG sowie § 1 Abs. 1 BVerfGG zum Ausdruck kommenden Zuordnung des Bundesverfassungsgerichts zur rechtsprechenden Gewalt der Übernahme von Strukturprinzipien, die in anderen Verfahrensordnungen verankert sind, zu öffnen 38 , ohne das Verfassungsprozeßrecht damit in das „Prokrustesbett der fachgerichtlichen Verfahrensordnungen" zu zwingen 39 . Eines dieser Strukturprinzipien ist auch das Institut des Streit- bzw. Verfahrensgegenstandes. Die Schwierigkeiten, die sich vor dessen Übertragung auftürmen, sind indessen beachtlich. Sie liegen zunächst darin begründet, daß auch in den anderen Verfahrensordnungen keine einheitliche Bestimmung des Streit- bzw. Verfahrensgegenstandes gelungen ist, dessen Ausdeutung vielmehr immer nur nach Maßgabe einer bestimmten Theorie erfolgt. Ganz herrschend hat sich hierbei

(insb. S. 43 ff.) zu nennen, der sich ausführlich zumindest mit der Frage des Verfahrensziels der Wahlprüfung beschäftigt hat. 36 Benda/Klein, VerfprozR, § 7 Rn. 127. Das BVerfG greift überwiegend auf allgemeine verfahrensrechtliche Grundsätze des Zivil- und Verwaltungsprozeßrechts zurück, vgl. BVerfGE 33, 247 (261); 50, 381 (384). 37

Teilweise wird eine Eigenständigkeit und Autonomie des Verfassungsprozeßrechts befürwortet, vgl. Zembsch, Verfahrensautonomie des BVerfG, 1971, S. 106 ff; Leibholz, DVB1. 1974, 397; Häberle, Verfassungsgerichtsbarkeit, 1976, S. 23 ff.; ders., Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, 1979, S. 414 ff.; Zuck, NJW 1975, 910; ders., JZ 1974, 364; ders., ZRP 1973, 237; Pestalozza, VerfprozR, § 1 Rn. 3; Benda/ Klein, VerfprozR, § 1 Rn. 35. Die Gegenansicht sieht das Verfassungsprozeßrecht als Teil des gesamten Prozeßrechts und eingebettet in dieses an, vgl. Stern, StaatsR II, S. 1029; Klein, in: Maunz u.a., BVerfGG, vor § 17 Rn. 4; Kley/Rühmann, in: Umbach/ Clemens, BVerfGG, § 90 Rn. 47; Lechner, BVerfGG, vor § 17 Vorbem. A; Leibholz/ Rupprecht, BVerfGG, vor § 17 Rn. 1; Schiaich, Das BVerfG, Rn. 51; Gusy, Die Verfassungsbeschwerde, Rn. 11; Sachs, AöR 117 (1992), S. 476; ders., BayVBl. 1979, 386 ff.; Achterberg, DÖV 1977, 649 (658 f).; E. Klein AöR 108 (1983), S. 410 ff. (618 ff.). 38

Vgl. Benda/Klein,

39

Vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 302 f.

VerfprozR, § 7 Rn. 127.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

191

der sogenannte zweigliedrige Streitgegenstandsbegriff herausgebildet, der sowohl im Zivil- 4 0 als auch im Verwaltungsprozeß 41 Anwendung findet. Danach wird der Streit- bzw. Verfahrensgegenstand durch den Antrag des Rechtsschutzsuchenden sowie durch den seinem Vortrag zugrundeliegenden Lebenssachverhalt bestimmt 42 . Wendet man diese Grundsätze auf das Wahlprüfungsverfahren an, so läßt sich vorläufig - gleichsam in Anwendung der allgemeinen Grundsätze - der Verfahrensgegenstand des Wahlprüfungsverfahren in der Regel beschreiben als die Rechtsbehauptung des Beschwerdeführers, eine Maßnahme oder Entscheidung eines Wahlorgans verletze ihn in seinen Rechten und hierdurch sei der Bestand der Wahl in Frage gestellt43.

B. Besonderheiten des Verfassungsprozeßrechts Allerdings ist das genannte - im Zivil- wie im Verwaltungsprozeßrecht anerkannte - Verständnis des Verfahrensgegenstandes im Verfassungsprozeßrecht Verwerfungen ausgesetzt, die sich insbesondere auf die Funktion des Antrags bei der Ermittlung des Verfahrensgegenstandes beziehen.

I. Antragsprinzip Ausgangspunkt ist zwar, daß gemäß § 23 Abs. 1 BVerfGG bundesverfassungsgerichtliche Verfahren durch einen Antrag initiiert werden. Diesem Grundsatz entsprechend hat das Bundesverfassungsgericht für das Wahlprüfungsverfahren entschieden, daß der Einspruchsführer mit seinem Einspruch den Anfechtungsgegenstand des Verfahrens bestimme44. Unter Berufung auf Seifert führt es weiter aus, der Prüfungsgegenstand sei nach dem erklärten,

40

Vgl. Thomas/Putzo, ZPO; Einl. II Rn. 11.

41

Detterbeck,, Streitgegenstand, S. 86 f.

42

Aus der Rechtsprechung für das Zivilrecht BGH NJW 1981, 2306, für das Verwaltungsrecht BVerwGE 70, 110 (112) jeweils m.w.N. 43

Ausnahmsweise ist auch denkbar, daß der Beschwerdeführer die Verletzung reiner Formvorschrifien rügt. Hierbei handelt es sich indes - wie die Auswertung der Rechtsprechung zeigt - um eine wenig praktische Ausnahmekonstellation, vgl. oben Kapitel 3, 2. Abschnitt, Β. I. 1. - „Formfehler-Fall". 44

Vgl. BVerfGE 40, 11 (30).

192

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

verständig zu würdigenden Willen des Einspruchsführers unter Berücksichtigung des gesamten Einspruchs Vorbringens sinngemäß festzulegen 45. Legt man diese Ausführungen zugrunde, wäre kaum zweifelhaft, daß die vom Beschwerdeführer in aller Regel zum Anlaß für seine Rüge genommenen subjektiven Wahlrechtsverletzungen zum Verfahrensgegenstand des Wahlprüfungsverfahrens gerechnet werden müßten. Etwas anderes könnte sich aber aufgrund der besonderen Natur verfassungsgerichtlicher Rechtsbehelfe ergeben.

IL Heterogenität der bundesverfassungsgerichtlichen

Verfahren

Probleme werden nämlich dadurch aufgeworfen, daß die verfassungsgerichtlichen Verfahren gegenüber sonstigen Prozessen eine Besonderheit aufweisen. In fundamentalem Unterschied etwa zum Zivilprozeß stellen die vor dem Bundesverfassungsgericht geführten Verfassungsrechtsstreitigkeiten mehrheitlich keine Verfahren zum Schutz der subjektiven Rechte der Antragsteller dar. Überwiegend handelt es sich um objektive Verfahren zum Schutz der Verfassung 46 , was mit der Funktion des Bundesverfassungsgerichts korrespondiert, Hüter der Verfassung zu sein 47 . Selbst der Verfassungsbeschwerde als dem klassischen verfassungsrechtlichen Individualrechtsbehelf wird, worauf noch zurückzukommen sein wird, eine (auch) objektive Funktion zugeschrieben 48. Damit ist aber zwangsläufig eine Relativierung der verfahrensdirigierenden Kraft des Antrags verbunden, die sogar so weit gehen kann, daß sich das Bundesverfassungsgericht - trotz des auch in den vor ihm zu führenden Verfahren geltenden Grundsatzes „ne ultra petita" 49 - weitgehend vom Antrag löst. So hat das Gericht für sich die Kompetenz in Anspruch genommen, in Verfassungsbeschwerdeverfahren den angegriffenen Hoheitsakt einer umfassenden verfassungsrechtlichen Überprüfung zu unterziehen, sofern der Beschwerdeführer nur

45

Vgl. Seifert, BundeswahlR, WPrüfG, § 2 Anm. 1.

46

Rennert, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 31 Rn. 36, spricht insoweit von einem eingliedrigen Streitgegenstand bei den Normenkontrollverfahren; demgegenüber sei der Streitgegenstand des Organstreitverfahrens wie derjenige bei der Verfassungsbeschwerde zweigliedrig. Zum Wahlprüfungsverfahren verhält sich die Kommentierung von Rennert nicht. 47

Vgl. BVerfGE 6, 300 (304); s.a. Roellecke, HStR II, § 54 Rn. 10.

48

Vgl. etwa BVerfGE 33, 247 (259) sowie E. Klein, DÖV 1982, S. 797 ff. m.w.N.

49

Andernfalls wäre das BVerfG kein Gericht, vgl. Rennert, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 31 Rn. 37.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

19

eine Rüge in zulässiger Weise erhoben hat 50 . Bezogen auf ein Normenkontrollverfahren hat es klarstellend ausgesprochen, das Verfahren kenne zwar einen Antragsberechtigten, es könne aber keinen Anspruchsberechtigten geben, denn das Normenkontrollverfahren sei seinem Wesen nach ein von subjektiven Berechtigungen unabhängiges objektives Verfahren zum Schutz der Verfassung, nicht aber zum Schutz des Antragstellers 51. Für das Verfassungsprozeßrecht wird daher relativierend formuliert, mit dem Antrag bezeichne der Antragsteller grundsätzlich den Verfahrensgegenstand 52. Darüber hinausgehende gemeinsame Aussagen über den Streitgegenstand aller Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht werden zumeist unter Berufung auf die genannte Heterogenität der Verfahren abgelehnt53. Freilich darf die verfahrensbestimmende Wirkung der Unterscheidung in objektive und subjektive Verfahren auch nicht überbewertet werden. Denn zum einen hat es das Bundesverfassungsgericht abgelehnt, eine allzu scharfe Trennung zwischen beiden Verfahrensarten anzunehmen54 und zum anderen ist die Unterscheidung für das

50

Vgl. z.B. BVerfGE 87, 181 (196); 84, 366 (369); 76, 256 (362); 55, 372 (384); 53, 366 (390). Dem von Detterbeck, Streitgegenstand, S. 514 f., gegenüber dieser Rechtsprechung erhobenen Einwand einer unzulässigen „Ausdehnung des bundesverfassungsgerichtlichen Prüfungsmaßstabes" wird man die Rechtsprechung des BVerfG zur allgemeinen Handlungsfreiheit rsp. zur Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung in Art. 2 Abs. 1 GG entgegenhalten können. Da danach formell und materiell verfassungswidrige Gesetze jedenfalls (auch) das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzen, dürfte in den meisten praktischen Anwendungsfallen zumindest auf eine Verletzung dieses Rechtes abgestellt werden können. Zur Kritik an der Rechtsprechung des BVerfG zum Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG - wenn auch nicht im Sinne einer Rückbesinnung auf die Persönlichkeitskerntheorie Peters (Das Recht der freien Entfaltung der Persönlichkeit in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, 1963) - vgl. das Sondervotum Grimm zu der Entscheidung „Reiten im Walde", BVerfGE 80, 137 (164 f.). 51

Vgl. BVerfGE 1,396 (407).

52

Benda/Klein,

VerfprozR, § 8 Rn. 141; Pestalozza, VerfprozR, § 2 Rn. 36.

53

Vgl. Benda/Klein, VerfprozR, § 8 Rn. 141. Versucht man dies gleichwohl, gerät die Definition so abstrakt, daß sie zur Lösung konkreter Abgrenzungsfragen weitgehend ungeeignet erscheint, vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 306 f., der vorschlägt, den „Verfahrensgegenstand sämtlicher Verfahrensarten neutral als Begehren des Antragstellers auf Klärung der zur Entscheidung gestellten Frage" zu bezeichnen. Die Untauglichkeit einer solchen Umschreibung räumt der Autor an anderer Stelle indes ein, vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 311; s.a. auch Maunz, in: Maunz u.a., BVerfGG, § 13 Rn. 20: „... auch im Verfassungsprozeßrecht jener Lehre der Vorzug gegeben wird, die als Streitgegenstand ein bestimmtes Begehren ansieht". 4

V g l . BVerfGE

13 Lang

,

().

19

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

Wahlprüfungsverfahren wenig hilfreich. Denn dessen Einordnung erfolgt gerade nicht eindeutig. In den einschlägigen Lehrbüchern werden zumeist vier Unterscheidungen angeführt. Danach kennt das Verfassungsprozeßrecht „Individualrechtsschutzverfahren" 55, „Verfahren zur objektiven Rechtsfeststellung" 56, „Kontradiktorische Streitverfahren" 57 sowie „Sonstige Verfahren" 58 , wobei das Wahlprüfungsverfahren in diese letzte Gruppe eingeordnet wird 5 9 . Es ist denn auch weniger die formale Einteilung der Verfahren, die den Verfahrensgegenstand variiert, als vielmehr die Funktion des jeweiligen Rechtsbehelfs 60. Obgleich der Verfahrensgegenstand ein Institut des Prozeßrechts ist 61 , gilt für den Verfassungsprozeß nämlich ebenso wie für die fachgerichtlichen Verfahrensordnungen, daß eine „existentielle Abhängigkeit" des Prozeßrechts vom materiellen Recht besteht62, eine These, die vor allem in der Bezogenheit der prozessualen Hauptregeln auf das jeweilige materielle Recht Gestalt annimmt 63 . Weil das Verfassungsprozeßrecht der Beachtung und Verwirklichung des Grundgesetzes durch die Bereitstellung von Regeln dient, die ein geordnetes Verfahren zur Prüfung der jeweiligen Verfassungsfrage ermöglichen sollen 64 , wird der Verfahrensgegenstand in spezifischer Weise von dem konkreten Verfahrens-

55

Darunter werden die Individual- sowie die Kommunalverfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a, 4b GG) gefaßt. 56

Objektive Rechtsschutzverfahren sind das abstrakte und konkrete Normenkontrollverfahren (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 sowie Art. 100 Abs. 1 GG), das Normenqualifizierungsverfahren bei Streitigkeiten über die Fortgeltung von Recht als Bundesrecht (Art. 126 GG) sowie das völkerrechtliche Verifikationsverfahren gemäß Art. 100 Abs. 2 GG. 57

Hierher gehören das Organstreitverfahren (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG), die BundLänder-Streitigkeiten (Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 1. Alt. GG), die Zwischenländerstreitverfahren (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 2. Alt. GG) sowie das Binnenländerstreitverfahren (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 3. Alt. GG). 58 Dazu gehören außer dem Wahlprüfungsverfahren (Art. 41 GG) das Parteiverbotsverfahren (Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG), die Präsidenten- und Richteranklage (Art. 61 sowie Art. 98 Abs. 2 GG), die Divergenzvorlage (Art. 100 Abs. 3 GG), das Verfahren nach Art. 99 GG sowie das Grundrechtsverwirkungsverfahren (Art. 18 GG). 59

Vgl. jeweils die Einteilung in den Inhaltsübersichten bei Benda/Klein, sowie bei Detterbeck, Streitgegenstand. 60

Vgl. E Klein, AöR 108 (1983), S. 410 ff. (562).

61

Vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 2.

62

Vgl. für das Zivilrecht O. Jauernig,, JuS 1971, 329 ff. (329).

63

Vgl. E Klein, AöR 108 (1983), S. 410 ff. (413 f.).

64

Vgl. E. Klein, AöR 108 (1983), S. 410 ff. (561).

VerfprozR

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

19

zweck mitbestimmt 65 . Erst die richtige Ermittlung des Verfahrenszweckes läßt dann Schlüsse auf die richtige Ausgestaltung des Verfahrens zu 66 . Deshalb ist es zutreffend, bei bundesverfassungsgerichtlichen Verfahren von einer „relative(n) Verselbständigung des Streitgegenstandes"67 zu sprechen, doch bedeutet dies nicht, daß er vom Bundesverfassungsgericht nach Belieben festgelegt werden könnte. Vielmehr läßt sich als Zwischenergebnis festhalten, daß im Verfassungsprozeß eine Bestimmung des Verfahrensgegenstandes anhand der Funktion des Verfahrens erfolgt. Dabei wird etwa dem Verfassungsbeschwerdeverfahren ein doppelfunktionaler Streitgegenstand zugrundegelegt 68. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Verfassungsbeschwerde nicht nur ein Rechtsbehelf zur Sicherung und Durchsetzung grundgesetzlich garantierter individueller Rechtspositionen, sondern in gleicher Weise ein spezifisches Rechtsschutzmittel des objektiven Verfassungsrechts 69. Um diese Doppelfunktion adäquat erfassen zu können, hat sich die Bestimmung des Verfahrensgegenstandes an der Funktion des Rechtsbehelfs zu orientieren 70. Der Gedanke, den Verfahrensgegenstand über die Verfahrensfunktion zu bestimmen, wird auch im Wahlprüfungsverfahren zur Anwendung gebracht. Das Bundesverfassungsgericht hat sich zu ihm zwar nicht expressis verbis, aber doch der Sache nach bekannt71. In der Literatur wird die genannte These bisweilen ausdrücklich formuliert 72 . Daß der Verfahrensgegenstand der Wahlprüfung dabei unterschiedlich bestimmt wird, steht dieser These nur scheinbar entgegen. Zwar findet sich namentlich im Schrifttum die Ansicht, Streitgegenstand der Wahlprüfung sei aus-

65

Vgl. Benda/Klein,

VerfprozR, § 8 Rn. 141.

66

Vgl. Benda/Klein,

VerfprozR, § 1 Rn. 37.

67

So die Formulierung von Roellecke, HStR II, § 53 Rn. 4.

68

Rennert, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 95 Rn. 14.

69

BVerfGE 33, 247 (259).

70

Detterbeck, Streitgegenstand, S. 511.

71

Vgl. BVerfGE 22, 277 (280); 40, 11 (29); 66, 369 (378); 79, 173; 85, 148 (158).

72

Etwa von Detterbeck, Streitgegenstand, S. 569 und Seifert, der dies allerdings als „formale Logik" bezeichnet.

DÖV 1967, 231 (236),

Kapitel

19

: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

schließlich die Sachentscheidung des Bundestages73, wohingegen nach anderer Ansicht im Verfahren nach Art. 41 Abs. 2 GG der Verfahrensgegenstand in der Prüfung der Gültigkeit der Wahl zu sehen ist 74 . Doch nähern sich beide Auffassungen im Ergebnis an, da auch nach der ersten Meinung bei der Festlegung des Verfahrensgegenstandes berücksichtigt werden muß, daß das Verfahren dem Schutz des objektiven Wahlrechts dient 75 . Im folgenden soll daher untersucht werden, ob die Verfahrensfunktion des Wahlprüfungsverfahrens zu dem Ergebnis führt, daß subjektive Rechtsverletzungen aus dem Verfahrensgegenstand exkludiert werden.

III. Die Bestimmung des Verfahrensgegenstandes anhand der Verfahrensfunktion Die aufgeworfene Frage nach der Festlegung des Prüfungsziels des Wahlprüfungsverfahrens erfordert zunächst eine Auslegung der einschlägigen materiellen Vorschriften. Es handelt sich hierbei um die in Art. 41 GG normierten Wertungen ebenso wie um die einfachrechtlichen Ausgestaltungen in § 1 Abs. 1 WahlprüfG sowie § 13 Nr. 3 BVerfGG. Daneben soll im folgenden aber - was bisher wenig beachtet wurde 76 - auch eine Ausdeutung des Verfahrensgegenstandes anhand der Prozeß- und Verfahrensmaxime erfolgen, die das Wahlprüfungsverfahren dirigieren und die sich entweder aus einer Auslegung der einschlägigen Vorschriften des Wahlprüfungsgesetzes oder der Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichts entfalten lassen77.

73

So von Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz u.a., BVerfGG, § 48 Rn. 39a; Seifert, deswahlR, GG, Art. 41 Rn. 20; Ossenbühl, BVerfG u. GG, Bd. I, S. 458 (478).

Bun-

74

So die h.M., vgl. Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 37; Maunz, in: Maunz u.a., BVerfGG, § 13 Rn. 41; Lechner, BVerfGG, § 13 Ziff. 3 Anm. 1; Boettcher/ Högner, BundeswahlG, § 49 Rn. 2; Sachs, Bindung, S. 403; Detterbeck, Streitgegenstand, S. 569; Pestalozza, VerfprozR, § 5 Rn. 5. 75

Vgl. Seifert, BundeswahlR, GG, Art. 41 Rn. 5; Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 48 Rn. 39a; Ossenbühl, BVerfG u. GG, Bd. I, S. 458 (478).

in: Maunz u.a.,

76

Vgl. aber E. Klein, AöR 108 (1983), S. 410 ff. (562), der angesichts der Kompetenz des BVerfG zur letztendlichen Auslegung des materiellen wie des Prozeßrechts ausführt, dabei werde „es nicht ausbleiben, daß das prozessuale Verständnis (..) Rückwirkungen auf die Betrachtung des materiellen Rechts haben wird, so wie es umgekehrt der Fall sein muß"; dazu noch unten 1. Abschnitt, B. III. 3. c). 77

Dazu Benda/Klein, VerfprozR, § 1 Rn. 34, Rechtsprechung des BVerfG als Quelle des Verfassungsprozeßrechts.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

19

Die herrschende Meinung sieht das Wahlprüfungsverfahren allein dazu bestimmt, dem Schutz des objektiven Wahlrechts zu dienen. Subjektive Rechtsverletzungen könnten den Anlaß, nicht aber den Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens bilden (vgl. nachfolgend 1.). Demgegenüber ist nach einer in der Literatur vertretenen Mindermeinung diese Sichtweise nicht geeignet, dem Bedeutungswandel der Wahl in der parlamentarischen Demokratie Rechnung zu tragen. Aufgrund deren schlechthin konstituierenden Bedeutung für die Staatsgewalt falle dem Wahlprüfungsverfahren nunmehr die Aufgabe zu, die Rechtmäßigkeit des Wahlvorgangs an sich zu gewährleisten (nachfolgend 2.). Schließlich wird nach der hier vertretenen Auffassung der Wahlprüfung eine Doppelfunktion zugewiesen. Sie soll sowohl dem Schutz der gesetzmäßigen Zusammensetzung des Parlaments als auch subjektiven Rechtsschutzbelangen dienen (vgl. nachfolgend 3.). Dabei wird zu zeigen sein, daß entgegen anderslautender Stellungnahmen das Verfahrensziel der Wahlprüfung keine Exklusion subjektiven Rechtsschutzes erforderlich macht.

1. Nur Schutz des objektiven Wahlrechts Von der herrschenden Meinung wird zumeist ohne jede weitere Begründung ausgesprochen, das Wahlprüfungsverfahren diene allein dem Schutz des objektiven Wahlrechts 78. Es entspreche dem Charakter der Wahl als eines Gesamtaktes, daß das Ziel des Wahlprüfungsverfahrens - und damit auch des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht - primär die Gewährleistung der gesetzmäßigen Zusammensetzung des Bundestages sei und nur im Rahmen und nach Maßgabe dessen dem Schutz subjektiver Individualrechte eines Wählers, Kandidaten oder Abgeordneten diene 79 . Da das Wahlprüfungsverfahren mithin allein dem Schutz des objektiven Wahlrechts verpflichtet sei, sei die Prüfung von (subjektiven) Wahlfehlern allenfalls eine Vorfrage, gehöre aber nicht zum Verfahrensgegenstand der Wahlprüfung 80. Wie im Rahmen der Darstellung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Kapitel 3 sowie der Literatur gezeigt wurde, wird aber nicht begründet, warum dies so sei. Überdies entstehen Schwierigkeiten dadurch, daß

78

So etwa von Schmidt-Bleibtreu/Klein,

79

Vgl. Schiffer,

80

Vgl. nur BVerfGE 22, 277 (281); 34, 201 (203); 35, 300 (301 f.).

GG, Art. 41 Rn. 1 m.w.N.

Wahlrecht, in: Benda/Maihofer, HVerfR, S. 295 (314).

19

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

die inhaltlichen Aussagen variieren. Bisweilen wird ausgeführt, das Wahlprüfungsverfahren diene „nur" 8 1 oder „ausschließlich"82 dem Schutz des objektiven Wahlrechts; andere bezeichnen es als ein überwiegend objektives Verfahren 83, ohne deutlich zu machen, was die Wendung „überwiegend objektives Verfahren" für den hier in Rede stehenden Schutz des subjektiven Wahlrechts bedeutet. Das Bundesverfassungsgericht hat zur Verwirrung beigetragen. In neueren Entscheidungen spricht es davon, das Wahlprüfungsverfahren sei in erster Linie oder grundsätzlich dem Schutz des objektiven Wahlrechts verpflichtet 84 , bzw. davon, mit dieser Maßgabe85 diene das Wahlprüfungsverfahren auch der Verwirklichung des subjektiven aktiven wie passiven Wahlrechts 86. Ungeachtet dieser terminologischen Abweichungen haben sowohl die angesprochenen literarischen Stellungnahmen als auch die Entscheidungen des Gerichts deutlich werden lassen, daß die herrschende Meinung das Wahlprüfungsverfahren dazu bestimmt sieht, das objektive Wahlrecht zu schützen.

2. Schutz der Rechtmäßigkeit des Wahl Vorgangs Gegen diese Sichtweise werden in der Literatur Bedenken angemeldet. Die moderne Demokratie sei von einem Bedeutungswandel der Wahl gekennzeichnet, dem die Wahlprüfung Rechnung tragen müsse. Die Aufgabe der Wahlprüfung könne infolgedessen nicht mehr allein in der Sicherung der ordnungsgemäßen Besetzung der Parlamente gesehen werden. Vielmehr sei ihr zugleich die Wahrung des Wahlrechts an sich als „der verfassungskräftig verbürgten Ordnung eines grundlegenden Konstitutionsprozesses im demokratischen Gemeinwesen" überantwortet 87. Zwar bestimme § 1 Abs. 1 WahlprüfG, daß Gegenstand der Wahlprüfung die Gültigkeit der Wahl sei, doch sei der Begriff „Gültigkeit" weit zu verstehen, so daß die mit ihm gemeinte Rechtmäßigkeitskontrolle grundsätzlich auch solche Wahlfehler erfasse, die sich nicht unmittelbar auf das

81

So in BVerfGE 35, 300 (301).

82

So BVerfGE 4, 370 (372); 21, 196 (199); ebenso - wenn auch ohne Begründung Robbers, Verfassungsproz. Probleme, S. 87. 83

So etwa Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 76.

84

BVerfGE 89, 291 (299) und (309).

85

Gemeint ist dabei der Grundsatz der Mandatsrelevanz.

86

Vgl. BVerfGE 85, 148 (159).

87

Vgl. Schneider, in: AK, Art. 41 Rn. 3.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

19

Wahlergebnis ausgewirkt hätten88. Es gehe - worauf Seifert bereits im Jahre 1967 hingewiesen hatte - bei der Wahlprüfung nicht nur um das Problem, „ob" Wahlen überhaupt gültig sind, sondern auch darum, „wie" sie gültig sind 89 . Folge man demgegenüber der herrschenden Meinung, so seien schwere und schwerste Mängel des Wahlvorgangs denkbar, die, sofern ihnen die Mandatsrelevanz fehle, unbeachtlich blieben 90 . Zum Schutz des in der Wahl zum Ausdruck kommenden demokratischen Gedankens müßten solche Fehler indes unabhängig von ihrer Auswirkung auf die Sitzverteilung überprüft werden kön-

Zudem seien schon politisch neben der Sitzverteilung auch die Stimmergebnisse von Bedeutung. Rechtliche Relevanz käme ihnen aber auch deshalb zu, weil sich die Wahlkampfkostenerstattung (§§ 18 ff. ParteiG) nach ihnen richte 92 . Schließlich sei die vom Bundesverfassungsgericht angenommene Exklusivität des Wahlprüfungsverfahrens für sämtliche Wahlrechtsverletzungen nur dann hinnehmbar, wenn dem Verfahren eine „weit geöffnete Wahlprüfung" zugrundeliege, die auch auf nicht mandatsrelevante Wahlfehler reagiere 93. Denn die von der Rechtsprechung praktizierte Erheblichkeitsprüfung führe dazu, daß auch der Bundestag selbst kaum bereit sei, in eine ernsthafte Prüfung hinsichtlich solcher Wahlfehler einzutreten, die sich nicht auf die Sitzverteilung auswirkten. Da bisher sämtliche wahlprüfungsrechtlichen Rechtsbehelfe erfolglos geblieben seien, habe das Wahlprüfungsverfahren seinen ursprünglichen Sanktionscharakter verloren und sei zu einem reinen Legitimationsinstrument geworden 94 .

88

Vgl. Schneider, in: AK, Art. 41 Rn. 2.

89

Schneider, in: AK, Art. 41 Rn. 2; Seifert, DÖV 1967, 231 (235).

90

Seifert, BundeswahlR, MWPrüfR, S. 398 f.

91

Vgl. Greeve, Die Wahlprüfung, S. 29.

92

Seifert, BundeswahlR, MWPrüfR, S. 398; das BVerfG hat dieser Argumentation indes keine durchgreifende Bedeutung beigemessen. Im „Scheinwohnsitze-Fail" hat das Gericht ausgeführt, die Gültigkeit einer Wahl, die allein Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens sei, könne nicht dadurch berührt werden, daß aufgrund einer fehlerhaften Feststellung des Stimmenergebnisses den Parteien bei der nachträglichen Erstattung der Wahlkampfkosten zu hohe oder zu niedrige Beiträge zufließen würden, vgl. BVerfGE 40, 11 (29) sowie oben Kapitel 3, 2. Abschnitt, B. III. 4. 93 94

Seifert, BundeswahlR, MWPrüfR, S. 399.

So die These von Schneider, in: AK, Art. 41 Rn. 3; ebenso Seifert, MWPrüfR, S. 399: „totaler Leerlauf der Wahlprüfung".

BundeswahlR,

2

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

Man muß der angeführten Argumentation zumindest in diesem letzten Punkt zustimmen. Es kann nicht Sinn eines verfassungsrechtlich gewährten Rechtsbehelfs sein, daß er in der konkreten Anwendung leerläuft. Von der Gegenansicht ist der zitierten Auffassung indes vorgeworfen worden, es bestehe kein Bedürfnis nach einer Feststellung von Rechtsverstößen, die sich nicht auf die Sitzverteilung auswirken könnten. Weder der Staat noch der Bürger könnten ein rechtlich geschütztes oder schutzwürdiges Interesse an der Feststellung solcher schlichter Normverstöße geltend machen95. Da der fehlerfreie Wahlablauf keinen Selbstzweck darstelle, sondern nur die Grundlage für eine rechtmäßig vom Volk legitimierte Vertretungskörperschaft bilde 96 , könne die Ordnungsgemäßheit des Wahlvorgangs kein selbständiger Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens sein 97 . Unabhängig von der noch zu untersuchenden Frage, ob mit dieser Zuschreibung tatsächlich die Funktionsvielfalt der Wahl adäquat erfaßt wird, greift die Kritik eine Schwäche der These einer „geöffneten Wahlprüfung" auf. Indem nämlich die ihr anhängenden Autoren der Ausgangsthese der herrschenden Meinung zustimmen, das Wahlprüfungsverfahren diene dem Schutz des objektiven Wahlrechts 98, koppeln sie den wahlprüfungsrechtlichen Rechtsschutz von der Verletzung subjektiver Rechte ab. Dies macht es Befürwortern der herrschenden Meinung leicht, dem Modell einer „geöffneten Wahlprüfung" entgegenzuhalten, niemand - weder der Staat noch der Bürger - könne ein schutzwürdiges Interesse an der „Feststellung schlichter Normverstöße" haben99. Gegen die vorgetragene Auffassung spricht auch, daß sich keine Ausführungen darüber finden, wie ein weitergehender Schutz prozessual zu verwirklichen wäre. Dies gilt namentlich für die Frage, wie die Verletzung nichtmandatsrelevanter Wahlfehler in der Entscheidungsformel eingefangen werden könnte. Die Schwäche des Ansatzes liegt damit in der Bejahung eines eindimensionalen Verfahrensgegenstandes. So wie nach der herrschenden Meinung die Verletzung subjektiver Rechte eine Vorfrage ist, so stellt sie hier eine Nebenfrage dar. Ein Schutz des Wahlvorgangs um seiner selbst willen ist deshalb abzulehnen.

95

Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 40.

96

Vgl. Schiller, Das sachliche Wahlprüfungsrecht und seine Randgebiete, S. 15.

97

Vgl. Karpenstein, Die Wahlprüfung und ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen,

S. 26. 98

Schneider, in: AK, Art. 41 Rn. 2; Seifert, erster Linie...Gewährleistung objektiven Rechts". 99

BundeswahlR, GG, Art. 41 Rn. 9: „in

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 40.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

1

3. Eigener Ansatz: Doppelfunktionaler Verfahrensgegenstand Die Ableitung des Verfahrensgegenstandes anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie unter Zuhilfenahme der herrschenden Lehre leidet daran, daß hierbei zwei an sich unterschiedliche Prämissen ineinander verwoben werden. Es handelt sich dabei einerseits um die These, das Wahlprüfungsverfahren diene allein dem Schutz des objektiven Wahlrechts und andererseits um die Geltung des sogenannten Erheblichkeitsgrundsatzes. Die These vom alleinigen Schutz des objektiven Wahlrechts gehört systematisch zur Bestimmung des Verfahrensgegenstandes der Wahlprüfung. Ob sie tatsächlich, wie Seifert ausgeführt hat, „keine Grundlage in der Verfassung hat" 1 0 0 , soll im folgenden untersucht werden. Zu Recht ist der herrschenden Meinung jedenfalls vorgeworfen worden, sie entziehe sich einer aus der Verfassung abgeleiteten Ausdeutung des Wahlprüfungsverfahrens, dessen Gegenstand nur aus einer Auslegung der einschlägigen Vorschriften gewonnen werden könne 101 . Wie bereits oben angeführt wurde, hat das Verständnis der Verfahrensfünktion des Wahlprüfungsverfahrens zunächst entscheidend vom Verfassungsrecht her zu erfolgen. Sedes materiae ist dabei Art. 41 GG. Seine Auslegung muß darüber Auskunft geben, ob der Schutz subjektiver Rechte mit dem besonderen Charakter des Wahlprüfungsverfahrens unvereinbar ist, bzw. ob umgekehrt der Schutz auch der subjektiven Wahlrechte aufgrund der Funktion des Verfahrens zwingend geboten ist.

a) Auslegung von Art. 41 GG Gewöhnlich folgt die Auslegung von Gesetzesvorschriften einem bestimmten Auslegungskanon. Sie beginnt mit dem Wortlaut der Vorschrift, erfragt die Entstehungsgeschichte der Norm, stellt die Vorschrift in den Kontext der sie umgebenden Vorschriften und gleicht sie letztendlich mit den sonstigen Wertungen des Gesetzes ab 102 .

aa) Grammatikalische Auslegung Der Wortlaut von Art. 41 Abs. 1 und 2 GG ist für die hier interessierende Frage, ob die Verfahrensfünktion der Wahlprüfung zu einem allein dem Schutz

100

Seifert, BundeswahlR, GG, Art. 41 Rn. 3.

101

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 53.

102

Vgl. dazu Larenz, Methodenlehre, S. 298 ff.

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

2

des objektiven Wahlrechts dienenden Verfahrensgegenstand führt, unergiebig. Die Vorschrift spricht lediglich von der Wahlprüfung, ohne sich näher dazu zu verhalten, was Wahlprüfung meint. Das Grundgesetz definiert den Begriff der Wahlprüfung, wie erwähnt, nicht. Einen Anhaltspunkt liefert insoweit aber das aufgrund der Ermächtigung in Art. 41 Abs. 3 GG ergangene Wahlprüfungsgesetz, das in § 1 Abs. 1 bestimmt: „Über die Gültigkeit der Wahlen zum Bundestag entscheidet vorbehaltlich der Beschwerde gemäß Art. 41 Abs. 2 des Grundgesetzes der Bundestag". In der Literatur wird die Auffassung vertreten, die Vorschrift bestimme in verfassungskonformer Weise den Gehalt des Art. 41 GG 1 0 3 . Es mag dieser Gedankengang sein, der dazu führt, daß die wenigen Autoren, die Art. 41 GG einer umfassenden Auslegung unterziehen, sofort von der Überprüfung der „Gültigkeit" der Wahl ausgehen, obwohl die Verfassung diesen Ausdruck nicht verwendet. Demzufolge sind die Ausführungen über die Verfahrensfünktion der Wahlprüfung dadurch gekennzeichnet, daß sie sich in der grammatikalischen Auslegung vom Wortlaut des Art. 41 GG lösen und sich an dem in Art. 41 GG nicht verwandten Gegensatzpaar Wahlgültigkeitsprüfung contra Wahlrechtmäßigkeitsprüfung ausrichten 104. Diese auf Umwegen erreichte Inkorporation des Begriffs der Gültigkeit in den Verfassungstext begegnet bereits aus systematischen Erwägungen heraus Bedenken 105 . Sie ist indessen für die vorliegende Fragestellung letztlich auch unergiebig. Denn weder die Verfassung noch das einfache Recht definieren, was unter Gültigkeit der Wahl zu verstehen ist. Selbst wenn man also von einer Verfassungskonkretisierenden Wirkung des § 1 Abs. 1 WahlprüfG ausgeht, entsteht - worauf bereits hingewiesen wurde - das Problem, daß der Begriff der Gültigkeit nicht eindeutig geklärt ist, so daß bei der Bestimmung dieses Begriffes letztlich wieder die verschiedenen Grundpo-

103

Schneider, in: AK, GG, Art. 41 Rn. 2.

104

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz., S. 53; s.a. Degenhart, StaatsR I, Rn. 519: „Über Fragen der Gültigkeit einer Bundestagswahl entscheidet gemäß Art. 41 Abs. 1 GG ausschließlich der Bundestag im Wahlprüfungsverfahren, ..." 105

Im „Normalfall" wird - was Art. 1 Abs. 3 GG normativ vorgibt - eine einfachrechtliche Vorschrift so ausgelegt, daß sie mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben übereinstimmt, nicht aber wird umgekehrt eine einfachrechtliche Vorschrift dazu benutzt, dem Verfassungstext einen Inhalt zu geben, zum Problem vgl. Stern, StaatsR III/l, S. 594 ff.; Hesse, VerfR, § 10 Rn. 305.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

sitionen hinsichtlich der Funktion des Wahlprüfungsverfahrens prallen.

aufeinander

Aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 WahlprüfG, der von Gültigkeit und nicht von Rechtmäßigkeit der Wahl spricht, könnte gefolgert werden, daß Ungültigkeit mehr sein muß als bloße Rechtswidrigkeit. Man könnte die Vorschrift deshalb in Parallele zu der Terminologie im Verwaltungsrecht interpretieren. Dort meint Gültigkeit Wirksamkeit, die - wie die Regelungen in § 43 Abs. 2 und 3 VwVfG zeigen - auch bei Rechtswidrigkeit des Hoheitsaktes vorliegen kann. Übertragen auf das Wahlprüfungsrecht würde dann die Ungültigkeit der Wahl eine qualifizierte Rechtsbeeinträchtigung voraussetzen, die im Wahlrecht in dem Grundsatz der Mandatsrelevanz aufscheinen könnte. Gegen diese Parallele läßt sich jedoch die folgende Überlegung wenden. Im Verwaltungsrecht bestehen zwar die beiden Begriffe Rechtmäßigkeit und Gültigkeit, und beide meinen infolgedessen auch nicht dasselbe, doch erklärt sich ihre Unterschiedlichkeit aus dem Vorhandensein spiegelbildlicher Gegenbegriffe. Dem rechtmäßigen Verwaltungsakt steht der rechtswidrige gegenüber, dem wirksamen der nichtige. Nur weil dem gültigen Verwaltungsakt der nichtige korrespondiert, ist die These berechtigt, der rechtswidrige Verwaltungsakt sei nicht notwendig nichtig. Fehlt diese Begrifflichkeit, gibt es mithin nur wirksame oder unwirksame, gültige oder ungültige Wahlen, dann läßt sich aus der Terminologie der „Gültigkeit" rsp. der „Ungültigkeit" der Wahl keine Vermutung ableiten, der Gesetzgeber habe sich damit für eine qualifizierte Fehlernotwendigkeit entscheiden wollen. Unter Berufung auf § 1 Abs. 1 WahlprüfG wird man zwar sagen können, daß im Wahlprüfungsverfahren über die Gültigkeit der Wahl gestritten wird. Die entscheidende Frage ist aber, ob ausschließlich über die Gültigkeit der Wahl oder ob auch über subjektive Rechtsverletzungen gestritten wird. Diese Frage läßt sich aufgrund der gebotenen grammatikalischen Auslegung des Art. 41 GG mithin nicht eindeutig beantworten.

Ergebnis zu aa) Der Wortlaut von Art. 41 GG löst die aufgeworfene Auslegungsfrage damit nicht.

2

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

bb) Historische Auslegung Mit der historischen Auslegung wird die Regelungsabsicht des Gesetzgebers erforscht. Seine erkennbar getroffenen Wertentscheidungen stellen ein wichtiges Auslegungsmoment dar 106 . Obwohl an sich der historischen Auslegung bei der Festlegung einer Gesetzesaussage nur eine unterstützende Funktion zukommt, hat die Entstehungsgeschichte bei der Auslegung von Kompetenz- und Verfahrensnormen eine entscheidende Bedeutung 107 . Bei der Auslegung solcher Vorschriften sind daher prinzipiell zwei Fragestellungen angemessen: Wie war die Regelung in der Weimarer Zeit bzw. gegebenenfalls in der Verfassung von 1871? Wollte der Gesetzgeber hieran etwas ändern? 108 Man wird daraus in der Tat die Forderung ableiten können, daß dort, wo der Gesetzgeber von einer gängigen staatsrechtlichen Praxis abweichen will, er dies in aller Regel klar und deutlich zum Ausdruck bringt 109 . Für das Wahlrecht, das - worauf im Vorgriff auf die folgenden Ausführungen zur Rechtsnatur des Wahlrechts bereits jetzt hingewiesen sei nicht nur ein individuelles Recht, sondern auch eine Organkompetenz beinhaltet 1 1 0 , hat das Bundesverfassungsgericht diesen Grundsatz zuletzt in seiner Entscheidung betreffend das Ausländerwahlrecht aufleben lassen. Das Gericht führt, nachdem es das Art. 28 GG zugrundeliegende Verständnis des Begriffs „Volk" auch unter Zuhilfenahme der historischen Auslegung entfaltet hat, aus: „Vor diesem Hintergrund kann nicht zweifelhaft sein, daß eine etwaige Absicht, unter dem Volk in der Gemeinde etwas anderes zu verstehen als den durch seine Zugehörigkeit zum Staatsvolk definierten Teil der Gemeindebürger, im Parlamentarischen Rat Anlaß ausführlicher und streitiger Beratungen gewesen wäre

106

Vgl. Lorenz, Methodenlehre, S. 328.

107

Vgl. Starck, HStR VII, § 164 Rn. 57. In erster Linie sind damit die Kompetenztitel der Art. 30, 70 ff. 83 ff., 92 ff. GG (vgl. Rengeling, HStR IV, § 100 Rn. 4) angesprochen. Starck nennt aber in diesem Kontext ausdrücklich auch die Verfahrensrechte einschließlich des Wahlrechts; ähnlich v. Münch, StaatsR I, Rn. 38: auf dem Gebiet des Parlamentsrechts kommt historischer Auslegung entscheidende Bedeutung zu. 108

Vgl. Starck, HStR VII, § 164 Rn. 58.

109

So die Argumentation von Seifert, BundeswahlR, MWPrüfR, S. 398.

1,0

Vgl. dazu unten 1. Abschnitt, B. III. 3. a) cc) (3) (b) sowie Nowak, Politische Grundrechte, S. 152 ff.; Höfling, Der Staat 33 (1994), S. 493 (504).

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

und ein Bruch mit der Regelungstradition im Text des Grundgesetzes unmißverständlichen Ausdruck geilinden hätte"111. Für das Wahlprüfungsrecht stellt sich mithin zunächst die Frage, ob der Verfassunggeber des Grundgesetzes an ein gewachsenes Verständnis der Wahlprüfung anknüpfen wollte. Ob sich die Väter des Grundgesetzes dabei für oder gegen einen Schutz der subjektiven Wahlrechte im Wahlprüfungsverfahren aussprechen wollten, lassen die Materialien nicht eindeutig erkennen. Man sorgte sich um die der parlamentarischen Wahlprüfung immer anhaftende Gefahr einer zu wenig effizienten und durch politische Erwägungen überspielten Kontrolle des Parlaments in eigener Sache112. Andere sprachen sich gegen eine „zweitinstanzliche" Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts in Wahlprüfungsangelegenheiten aus, weil die Gefahr bestünde, daß doch , jede Wahl wieder vor das Verfassungsgericht kommt". Wenn der Bundestag entschieden habe, solle es dabei sein Bewenden haben 113 . Namentlich auch um einem Abgeordneten, dessen Mandat bestritten wird, ausreichenden Schutz zu verschaffen, wurde dann eine gerichtliche Kontrolle für notwendig erachtet 114. Dabei sollte, um die Würde des Parlaments zu wahren, die Entscheidung über die Gültigkeit der Wahl dem Verfassungsorgan Bundesverfassungsgericht vorbehalten bleiben 115 . Im Hinblick auf die hier interessierende Frage nach dem Schutz des subjektiven Wahlrechts im Wahlprüfungsverfahren finden sich keine Hinweise auf eine kontroverse Diskussion. Man wird dies als „beredtes Schweigen" über einen

111

Vgl. BVerfGE 83, 37 (58); weiter Starck,, HStR VII, § 164 Rn. 57; s.a. Rengeling,, HStR IV, § 100 Rn. 27 ff. 112

Vgl. die Ausführungen des Abgeordneten Löbe (SPD) in der elften Sitzung des Organisationsausschusses, zitiert nach Jahrbuch des Öffentlichen Rechts, Neue Folge Bd. 1, 1951, S. 361, der auf das zitierte „demokratische Mißtrauen" reagierend dafür plädierte, nur das dem Bundesverfassungsgericht zu übertragen, was bestritten bleibt. 113

Vgl. die Ausführungen des Abgeordneten Dr. Fecht (CDU) in der elften Sitzung des Organisationsausschusses, zitiert nach Jahrbuch des Öffentlichen Rechts, Neue Folge Bd. 1, 1951, S. 361. 1,4 Vgl. die Stellungnahmen der Abgeordneten de Chapeaurouge und Wimmer (beide CDU) in der 11. Sitzung des Organisationsausschusses, zitiert nach Jahrbuch des Öffentlichen Rechts, Neue Folge Bd. 1, 1951, S. 361. 115

Vgl. die Stellungnahme des Abgeordneten Dr. Schwalber (CSU) in der sechsten Sitzung des Organisationsausschusses, zitiert nach Jahrbuch des Öffentlichen Rechts, Neue Folge Bd. 1, 1951, S. 360.

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

2

unausgesprochenen Konsens jedenfalls dann auffassen dürfen, wenn Reichweite und Verfahrensfunktion der Wahlprüfung zuvor außer Streit standen. Dies rechtfertigt es, im folgenden einen kurzen Blick auf das tradierte Verständnis der Wahlprüfung, wie es sich im deutschen Staatsrecht namentlich des 19. und 20. Jahrhunderts entwickelt hat, zu werfen. Die Wahlprüfung bildete sich zusammen mit den bürgerlichen Volksvertretungen aus 116 . In die deutschen Verfassungen des 19. Jahrhunderts wurde sie aus der amerikanischen, die ihrerseits maßgeblich durch die englische Rechtsentwicklung geprägt war 1 1 7 , und der französischen Verfassungsentwicklung des ausgehenden 18. Jahrhunderts übernommen 118. Während die französische Entwicklung von einem weitgehenden Verzicht auf eine Normierung der Grundlagen der Wahlprüfung gekennzeichnet war, beschritt der englische Gesetzgeber den entgegengesetzten Weg 1 1 9 . Anfanglich betraf die Wahlprüfung lediglich die Prüfung der Wahl eines einzelnen Abgeordneten, war zunächst den Parlamenten überlassen 120 und vollzog sich im wesentlichen als Legitimationsprüfung 121.

116

Vgl. Ruszoly, Der Staat 21 (1982), S. 203 (206).

117

In England hatte bereits im Jahre 1586 das Unterhaus für sich in Anspruch genommen, über die Gültigkeit der Wahl anstatt des Königs zu entscheiden. Ab dem beginnenden 17. Jahrhundert entbrannte der Kampf zwischen Krone und Parlament um das Recht der Wahlprüfung, den das Parlament im Laufe des 17. Jahrhunderts für sich entscheiden konnte, vgl. dazu G. Jellinek, Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. 2, S. 401 f. 118 Vgl. dazu und zu dem Vorbild in der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, Schmitt-Vockenhausen, Die Wahlprüfung in Bund und Ländern, S. 2 mit Fn. 8. 119

In England hatte die Wahlprüfung ursprünglich eher strafrechtlichen Charakter. Umfassend kodifiziert wurden deshalb die traditionellen Wahldelikte (insbes. die Bestechung), vgl. Ruszoly, Der Staat 21 (1982), S. 203 (212 f.). 120 Vgl. § 158 der Verfassungs-Urkunde für das Königreich Württemberg vom 25. September 1919: „Die Mitglieder beider Kammern haben sich vor Eröffnung des Landtages zu legitimiren, und zu dem Ende einige Tage vor dem im EinberufungsRescripte vorgeschriebenen Termin an dem bestimmten Ort der Versammlung sich einzufinden. Die Legitimation geschieht, für den ersten künftigen Landtag, auf die bisher übliche Weise, in der Folge aber bei dem ständischen Ausschusse (§.187) durch Vorlegung des Einberufungsschreibens, welches in dem (§.156) erwähnten Falle der Stimmübertragung mit der hierauf gerichteten Vollmacht begleitet seyn muß, und vermittelst der Wahlurkunde". § 112 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 28. März 1849 (Paulskirchenverfassung) lautete: „Jedes Haus prüft die Legitimation seiner Mitglieder und entscheidet darüber".

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

Dabei war die Legitimationsprüfung der feudalen Ständeversammlung ursprünglich rein formeller Natur, ging also nicht über die Kontrolle der Formalerfordernisse des Mandats hinaus 122 . Mit dem Aufkommen des Gedankens der Volkssouveränität verschob sich die Funktionsbestimmung der Wahlprüfung. Denn während bei der Legitimationsprüfung der Abgeordnete seine Rechtsstellung nicht direkt aus dem Willen der Wählerschaft, sondern aus dem Akt der (richtigen) Beurkundung ableitete, sah man nunmehr den Willen der Wählerschaft, rechtmäßig zum Ausdruck gebracht, als die einzige Quelle der Machtvollkommenheit ihrer Repräsentanten an 123 . Über die Bedeutung dieses Wandels herrscht Uneinigkeit, die insbesondere bei der Bestimmung der Reichweite der Wahlprüfung von Belang ist. Einerseits wird der Standpunkt eingenommen, es habe sich zwar der Prüfungsgegenstand der Wahlprüfung verändert, nicht aber das Prüfungsziel, die Feststellung der materiellen Legitimation des Abgeordneten 124. Nach der Gegenansicht widerspricht das Prinzip der reinen Mandatsprüfung der herkömmlichen deutschen Wahlprüfungspraxis 125. Befördert wurde und wird die Kontroverse durch den Umstand, daß sich die deutschen Staaten weitgehend an das französische System der Wahlprüfung anlehnten. Dies hatte zur Folge, daß auch hier das materielle Wahlprüfungsrecht, insbesondere die Wahlungültigkeitsgründe, gesetzlich nicht geregelt wurden, und seine Ausgestaltung der Wahlprüfungspraxis und auf ihr basierend der Rechtswissenschaft überlassen blieb 126 .

Vergleichbar bestimmte Art. 78 der Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850: „Jede Kammer prüft die Legitimation ihrer Mitglieder und entscheidet darüber". Art. 27 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 lautete: „Der Reichstag prüft die Legitimation seiner Mitglieder und entscheidet darüber". Erstmals in der Weimarer Reichsverfassung wurde dann ein spezielles Wahlprüfungsgericht gebildet und das Grundgesetz hat sich in Art. 41 GG bekanntlich für eine Doppelzuständigkeit entschieden. 121

Nur insoweit ist es auch berechtigt, die Wurzeln und Voraussetzungen der Wahlprüfung im feudalen Zeitalter und nicht in der Epoche aufkommender Volksvertretungen zu suchen, vgl. Ruszoly, Der Staat 21 (1982), S. 203 (206). 122

Vgl. Hatschek, ParlamentsR I, S. 396; Ruszoly, Der Staat 21 (1982), S. 203 (207).

123

Vgl. Hatschek, ParlamentsR I, S. 407.

124

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 60.

125

Vgl. Seifert,

BundeswahlR, MWPrüfR, S. 398 sowie Schneider, in: AK, Art. 41

Rn. 3. 126

Vgl. Ruszoly, Der Staat 21 (1982), S. 203 (223).

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

2

Die historische Auslegung des Art. 41 GG kreist dabei um zwei gegensätzliche Interpretationen, denen indes gemeinsam ist, daß sie dem Verfassunggeber des Grundgesetzes eine weitgehende Fixierung auf die historisch gewachsene Wahlprüfung unterstellen. So fuhrt etwa Storost aus, das Wahlprüfungsverfahren habe in der deutschen Rechtsgeschichte eine besondere Entwicklung genommen, die den Charakter des Verfahrens präge 127 . Teilweise wird auf dieser Grundlage der Standpunkt eingenommen, das Wahlprüfungsverfahren habe vom Ständestaat bis zur Weimarer Reichsverfassung „gleichbleibenden Kurs" gehalten 128 . Immer sei es lediglich um eine Mandatsprüfung gegangen. Der Verfassunggeber des Grundgesetzes - ebenso wie der einfache Gesetzgeber des § 1 Abs. 1 WahlprüfG habe hieran anknüpfen wollen und das Verfahren nach Art. 41 GG ebenfalls als Legitimationsprüfung konzipiert 129 . Die Verfassung begrenze daher die Reichweite der Wahlprüfung auf mandatserhebliche Rechtswidrigkeiten der Wahlvorgange

130

.

Nach der Gegenauffassung hat die Praxis den Gegenstand und die Reichweite der Wahlprüfung im Laufe der Entwicklung verändert. Spätestens seitdem in Weimar die Wahlprüfung dem beim Reichstag gebildeten Wahlprüfungsgericht überantwortet war, habe man sich von der reinen Mandatserheblichkeitsprüfung entfernt und sich nicht mehr allein darauf beschränkt, nur dann einzugreifen, wenn Unregelmäßigkeiten des Wahlverfahrens Sitzveränderungen zur Folge hatten 131 . Aus dieser Praxis einer „geöffneten" Wahlprüfung zieht Seifert die Schlußfolgerung, der Verfassunggeber des Grundgesetzes hätte ebenso wie der Gesetzgeber der Wahlgesetze aus den Jahren 1953 und 1956 fur den Fall, daß er mit dieser Praxis habe brechen wollen, seinen diesbezüglichen Willen in einer eindeutigen gesetzlichen Regelung zum Ausdruck bringen müssen. Da dies nicht geschehen sei, könne nur angenommen werden, der Gesetzgeber habe

127 Vgl. Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 11. In der Sache bekennt sich der Autor zur h.M.: „überwiegend objektiver Charakter", vgl. aber auch Rn. 15: Wahlprüfung bezweckt auch Schutz der Grundrechte sowie Hund, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, vor §§ 17 ff. Rn. 17 und 20, Geltung der Dispositionsmaxime im Wahlprüfungsverfahren, weil subjektive Rechtspositionen geltend gemacht werden könnten. 128

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 64.

129

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 64.

130

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 66.

131

Vgl. Seifert,

Rn. 3.

Bundeswahlrecht, MWPrüfR, S. 398; Schneider, in: AK, Art. 41

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

9

die Praxis des Wahlprüfungsgerichts weiterführen und sich deshalb auch nicht auf eine reine Erheblichkeitskontrolle bei der Wahlprüfung kaprizieren wollen 132 . Um die Indizwirkung der historischen Auslegung festlegen zu können, ist angesichts dieser gegensätzlichen Standpunkte zu klären, welches Verständnis der Wahlprüfung den beiden Vorläuferverfassungen des Grundgesetzes zugrundelag 133 . Nach Art. 20 der Reichsverfassung vom 16. April 1871 (RV) ging der Reichstag aus allgemeinen und direkten Wahlen mit geheimer Abstimmung hervor. Die Wahlprüfung war in Art. 27 RV geregelt. Der für die vorliegende Fragestellung allein einschlägige Satz 1 der Vorschrift lautete 134 : „Der Reichstag prüft die Legitimation seiner Mitglieder und entscheidet darüber". Über die Bedeutung dieser Vorschrift für die Reichweite der Wahlprüfung herrschte bereits damals Streit. Teilweise wurde sie als reine Legitimationsprüfung verstanden. Eine (selbständige) Klage auf Ungültigkeit der Reichstagswahl existiere nicht. Wahlanfechtungen, die an den Reichstag gelangten, seien nur „Stoff für die Legitimationsprüfung" 135 . Diese Auffassung wird teilweise in der neueren Literatur rezipiert. Zwar habe sich durch das Aufkommen echter Volksvertretungen die Wahlprüfung verändert. Doch sei dies lediglich dadurch zum Ausdruck gekommen, daß sich die ehedem rein formale Legitimationsprü-

132

Vgl. Seifert, Bundeswahlrecht, MWPrüfR, S. 398.

133

Die Rechtslage der Paulskirchenverfassung von 1849 soll dabei unberücksichtigt bleiben. Angesichts der bereits damals herrschenden These, die Entwicklung des Wahlprüfungsrechts sei der Praxis überlassen, kann der Beitrag dieser (sieht man einmal vom Einfluß auf die allerdings kurzlebige Erfurter Unionsverfassung von 1849, die der Paulskirchenverfassung nahezu wörtlich entsprach, ab) nie praktisch gewordenen Verfassung zur Klärung der aufgeworfenen Auslegungsfrage vernachlässigt werden. Das Standardwerk zur Paulskirchenverfassung von J.-D. Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, Frankfurt a.M. 1985, schenkt dementsprechend der Wahlprüfung keine besondere Aufmerksamkeit. 134

Satz 2 von Art. 27 RV lautete: „Er regelt seinen Geschäftsgang und seine Disziplin durch eine Geschäftsordnung und erwählt seinen Präsidenten, seine Vizepräsidenten und Schriftführer". 135

So die Auffassung von von Seydel, Annalen des Deutschen Reiches, 1880, § 4, Die Wahlprüfung, S. 386. 14 Lang

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

2

fang zu einer Prüfung der „materiellen Legitimation des Abgeordneten" gewandelt habe 136 . Konnte danach nur derjenige Abgeordneter werden, der diesen Status auf Grundlage und in Übereinstimmung mit dem Kollektivwahlakt erhalten hatte, so habe sich damit lediglich der Prüfangsgegenstand, nicht aber das Prüfangsziel der Wahlprüfung verändert. Der gesamte Wahlvorgang sei ersichtlich nur im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der Mandatserwerbe überprüft worden. Dabei könne die Rechtmäßigkeit des Mandatserwerbs nur durch solche Wahlfehler in Frage gestellt werden, die sich auf das Wahlergebnis auswirkten. Der Wahlprüfung der Reichsverfassung von 1871 habe daher eine „ausschließlich auf die Frage der materiellen Legitimation von Abgeordneten zugeschnittene Verfahrensfunktion" zugrundegelegen 137. Anders und in den Worten von v. Seydel ausgedrückt: „Wahlanfechtungen, welche etwa an den Reichstag gelangen, sind nur Stoff fur die Legitimationsprüfung" 138. Diese von v. Seydel im Jahre 1880 vertretene Position galt indes bereits im Jahre 1915 als überholt. Ihr wurde schon damals in dem herausragenden Werk von Hatschek vorgeworfen, sie stehe „auf dem Standpunkt der älteren konstitutionellen Doktrin, welche Legitimationsprüfang und Wahlprüfung vollständig verwechselte" 139 . Hatschek unterschied die (gewachsene) Legitimationsprüfung von der „Wahlprüfung im engeren Sinne" 140 . Legitimationsprüfang bedeutete Prüfung der Wahlvollmachten. Sie stellte einen bloßen Beurkundungsakt dar, durch den ein Beweismittel geschaffen war, gegen das aber der Gegenbeweis gefuhrt werden konnte 141 . Die Wirkung der Legitimationsprüfang bestand also in der (abänderbaren) Anerkennung oder Nichtanerkennung des Gewählten als Abgeordneten ohne Rechtskraftwirkung 142. Die Gültigkeit der Wahl war durch diesen Beurkundungsakt naturgemäß gerade nicht festgestellt. Diese Funktion

136

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 60.

137

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 60. - Hervorhebung hinzugefügt. 138

Vgl. von Seydel, Annalen des deutschen Reichs, 1880, § 4, Die Wahlprüfung,

S. 386. 139

Vgl. Hatschek, ParlamentsR I, S. 497.

140

Vgl. Hatschek, ParlamentsR, I, S. 491.

141

Vgl. Hatschek, ParlamentsR I, S. 481; dens., VerwR, S. 107.

142

Vgl. Hatschek, ParlamentsR I, S. 507.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

1

übernahm die Wahlprüfung im engeren Sinne, die als die Prüfung angefochtener Wahlen verstanden wurde 143 . Die Entscheidung des Reichstags wurde mit der Verkündung des Urteils rechtskräftig und war damit endgültig 144 . Und - was für die vorliegende Frage nach der Verfahrensfunktion der Wahlprüfung weit entscheidender ist - die so verstandene Wahlprüfung war auch keineswegs auf eine Prüfung solcher Wahlfehler begrenzt, die auf das Wahlergebnis einwirken konnten. Zwar mag zutreffend sein, daß nur diese Wahlfehler das Verdikt der Ungültigkeit einer Wahl hervorrufen konnten 145 . Keinesfalls sollten damit indessen zugleich die sonstigen Wahlfehler aus dem Wahlprüfungsverfahren exkludiert werden. Vielmehr hatte der Reichstag nach Hatschek bei der Wahlprüfung über zwei nebeneinander bestehende Ansprüche zu entscheiden: Einmal und hauptsächlich habe er über die Gültigkeit oder Nichtigkeit des Gesamtwahlakts zu entscheiden, der sich aus den Teilwahlakten in den einzelnen Wahlbezirken zusammensetze. Der „Wahlprotest" 146 ziele als Gestaltungsklage auf Vernichtung des Wahlakts, das heißt der Kollektivhandlung der Wähler 147 . Neben dieser Gestaltungsklage könne auch eine andere Klage herlaufen, nämlich die Klage auf Feststellung, daß ein oder mehrere Wähler in ihrem Wahlrecht verletzt wurden 148 . Es ist deshalb unzutreffend, zu behaupten, der Verfahrenszweck der Wahlprüfung während der Geltung der Reichsverfassung von 1871 sei auf eine reine

143

Vgl. Hatschek, ParlamentsR I, S. 481.

144

Vgl. Stier-Somlo, Deutsches Reichs- und LandesstaatsR I, § 76, Die Wahlprüfung, S. 560; Arndt, DStaatsR, § 19, S. 126. 145 Vgl. Arndt, DStaatsR, § 19, S. 126. Ganz eindeutig war indes auch dies nicht. So heißt es bei von Seydel: „Im Allgemeinen werden nur jene Unregelmäßigkeiten Nichtigkeit einer Wahlhandlung hervorzurufen geeignet sein, bei welchen mit Grund anzunehmen ist, daß sie auf das Wahlergebnis Einfluß äußern konnten, vgl. von Seydel, Annalen des Deutschen Reichs, 1880, § 4, Die Wahlprüfung, S. 386 (391) - Hervorhebung hinzugefügt; s.a. Hatschek, VerwR, S. 107 f., der dort - insoweit für die damalige Zeit gleichsam unmodern - neben erheblichen Wahlfehlern auch solche anerkennt, die „so wesentlich sind, daß bei ihrem Vorkommen niemals eine gültige Wahl erfolgt sein kann" und sich damit für die Existenz absoluter Wahlfehler aussprach. 146

Gemeint ist die Wahlanfechtung.

147

Vgl. Hatschek, ParlamentsR I, S. 499 und 508 f.

148 Vgl. Hatschek, ParlamentsR I, S. 499 f. und 508. Übrigens kannte auch das Herzogtum Braunschweig neben der Wahlprüfung durch das Parlament eine Anfechtungsklage zum Verwaltungsgerichtshof wegen einer versagten oder unrichtigen Eintragung in die Wählerliste, vgl. Neumann, Nieders. Verfassung, Art. 5 Rn. 1.

2

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

Legitimationsprüfung beschränkt gewesen149. Das Gegenteil ist richtig. Dabei handelte es sich auch nicht um eine lediglich vereinzelt in der Literatur vertretene Auffassung 150 , sondern diese Auffassung entsprach der Praxis des Reichstags, der seine Überprüfungskompetenz auf all jene Fälle ausdehnte, wo subjektive Wahlrechte verletzt wurden 151 . Wahlprüfung während der wilhelminischen Epoche bedeutete demnach keine auf die materielle Legitimationsprüfung reduzierte Wahlprüfung. Und selbst wenn man der Auffassung Hatscheks nicht folgt, kann jedenfalls nicht die These aufrechterhalten werden, die geschichtliche Entwicklung der Wahlprüfung belege, daß Wahlprüfung unter der Ägide der Reichsverfassung von 1871 ihre ausschließliche Verfahrensfünktion in der Frage der materiellen Legitimation von Abgeordneten gehabt habe 152 . Das Gleiche gilt für die Weimarer Reichsverfassung (WRV) vom 11. August 1919. Die Weimarer Reichsverfassung brach mit der überkommenen Selbstprüfung durch das Parlament und legte die Wahlprüfung in die Hände eines besonderen Wahlprüfungsgerichts. Das Gericht wurde beim Reichstag gebildet 153 , das heißt diesem organisatorisch zugeordnet, was sich in gemeinsamer Büronutzung

149

So aber Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 64. Ablehnend gegenüber dem historischen Verständnis der Wahlprüfung als Legitimationsprüfung auch Schmiemann, Wahlprüfung im Kommunalrecht, S. 115. 150

Etwas versteckt finden sich Anklänge auch bei G. Jellinek, System, S. 163 mit Fn. 2: „Daher haben auch die Wahlanfechtungen oft den doppelten Charakter von Beschwerden und Anzeigen" und zwar von Beschwerden, insoweit Hinderungen der Ausübung des Wahlrechts vorlagen. Der Autor stimmt dann allerdings der von von Seydel vertretenen Auffassung zu, wonach solche Beschwerden nur Bestandteil der Legitimationsprüfung sein könnten. 151

Vgl. Hatschek, ParlamentsR I, S. 500 unter Hinweis auf Dr. RT,. Nr. 140 ex 1884/85, S. 515, wo der genannte Gedanke in der folgenden etwas umständlichen Formulierung zum Ausdruck kommt (in der Sache ging es um Prüfung der Gültigkeit von Stimmzetteln): „Wenn nun auch die ungültige Erklärung der mehrgedachten Stimmzettel einen Einfluß auf die Gültigkeit der Wahl des Kandidaten nicht gehabt hat, da demselben unangesehen die Stimmzettel einer Mehrheit von 1859 gültigen Stimmen in der engeren Wahl zugefallen sind, so ist die Abteilung doch der Ansicht gewesen, daß es geboten erscheine, auch über die Gültigkeit der Wahl der von den Wahlvorständen mit Rücksicht auf die Vorschrift des § 19 Nr. 3 des Wahlreglements für ungültig erklärte Stimmzettel keinen Zweifel zu lassen". 152 153

So aber Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 60.

Gemäß § 2 WPO führte das Wahlprüfungsgericht ein Siegel mit der Umschrift: „Wahlprüfungsgericht beim Reichstag".

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

1

etc. ausdrückte 154. In seinen Entscheidungen war das Wahlprüfungsgericht indes aufgrund der auch für seine Mitglieder geltenden Gewährleistung richterlicher Unabhängigkeit (Art. 102 W R V ) 1 5 5 von Beschlüssen des Reichstags unabhängig 1 5 6 . Personell bestand zum Reichstag freilich insoweit eine Verbindung, als es sich beim Wahlprüfungsgericht um ein sogenanntes gemischtes Gericht handelte. Es bestand nach Art. 31 Abs. 1 Satz 2 WRV aus Mitgliedern des Reichstags, die dieser für seine Wahlperiode wählte, und aus Mitgliedern des Reichsverwaltungsgerichts, die der Reichspräsident auf Vorschlag des Gerichts bestellte 157 . Aufgrund negativer Erfahrungen mit einer rein politisch motivierten parlamentarischen Wahlprüfung, die von Anfang an der Vorwurf der Parteilichkeit begleitet hatte 158 , sollte die Errichtung eines Wahlprüfungsgerichts zum Ausdruck bringen, daß die Entscheidung der dem Gericht zugewiesenen Angelegenheiten nach rechtlichen Kriterien erfolgen und nicht als politische Machtfrage gelöst werden sollte 159 . Aufgabe des Gerichts war dabei die Prüfung, ob die auf Grund der Bestimmungen der Verfassung vorgenommenen Wahlen rechtund ordnungsgemäß vor sich gegangen waren 160 . Die Prüfung erstreckte sich aber nicht nur auf die formale Gesetzmäßigkeit, sondern auch auf die sonstige Ordnungsgemäßheit der Wahlen und des Wahlverfahrens, insbesondere auch darauf, ob Wahlbeeinflussungen irgendwelcher Art stattgefunden hatten 161 . Wie schon zuvor unterblieb auch unter der Geltung der Weimarer Reichsverfassung eine geschlossene Kodifikation des materiellen Wahlprüfungsrechts 162.

154

Vgl. Poetsch-Heffter,

WRV, Art. 31 Anm. 2.

155

Art. 102 WRV lautete: „Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen". 156

Vgl. Poetsch-Heffter,

157

Vgl. dazu oben Kapitel 2, 2. Abschnitt, Β. II.

158

Vgl. G. Je I line k, Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. 2, S. 403.

159

Vgl. Finger, DStaatsR, § 33, S. 231 f.

160

Vgl. Finger, DStaatsR, § 33, S. 231.

161

Vgl. Anschütz, WRV, Art. 31 Anm. 3.

162

WRV, Art. 31 Anm. 2.

W. Jellinek, HDStR I, § 53, S. 630, führt allerdings das Beispiel Württemberg an, das in Art. 30 seines Landeswahlgesetzes bestimmte, daß außer Verstößen gegen das Strafgesetz unter anderem auch die gesetzwidrige Wahlbeeinflussung, die Gewährung oder das Versprechen von Geschenken, absichtliche oder grobfahrlässige Unterlassung der Eintragung von Wahlberechtigten in die Wählerliste als Wahlfehler anzusehen seien.

214

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

Seine Entwicklung sollte in erster Linie der Praxis des Wahlprüfungsgerichts überlassen werden. Für die hier interessierende Frage eines Schutzes subjektiver Wahlrechte im Wahlprüfungsverfahren ergibt sich dabei folgender Befund. Ungeachtet des Grundsatzes, daß die (tenorierte) Entscheidung des Wahlprüfungsgerichts nur auf Gültigkeit oder Ungültigkeit der Wahl lauten konnte 163 , rekurrierte das Wahlprüflingsgericht beim Weimarer Reichstag bei seiner Wahlprüfung nicht allein auf den Grundsatz der Mandatsrelevanz, sondern judizierte auch über sonstige Wahlfehler. Obwohl Entscheidungen des Wahlprüfungsgerichts nicht ohne weiteres erschlossen werden können - weder gibt es eine amtliche Sammlung noch wurden alle Urteile in den juristischen Fachzeitschriften publiziert - finden sich neben einigen Veröffentlichen der Entscheidungen auch Untersuchungen zu diesem Thema. Darin wird klargestellt, daß das Wahlprüflingsgericht auch solche Wahlfehler judiziert hat, die sich nicht auf das Ergebnis ausgewirkt hatten 164 . So erwähnt Ball in seiner grundlegenden Bearbeitung des materiellen Wahlprüfungsrecht der Weimarer Zeit Entscheidungen des Wahlprüfungsgerichts, in denen sich das Gericht nicht (allein) auf den Grundsatz der Mandatsrelevanz stützte. Er fuhrt aus: „Bemerkt sei ferner, daß das Wahlprüfungsgericht sehr häufig bei festgestellten Wahlfehlern, auch wenn sie auf das Ergebnis keinen Einfluß haben, beschließt, die Regierung zu ersuchen, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, in Zukunft für Abhilfe zu sorgen und ähnliches" 1 6 5 . Zwar mag diese Vorgehensweise nach der hier vertretenen Auffassung angesichts des Fehlens einer hierauf bezogenen rechtskräftigen Entscheidung nicht ausreichend sein, subjektive Rechtsschutzbelange hinreichend zur Geltung zu bringen 166 . Es zeigt sich aber, daß es das Wahlprüfungsgericht beim Weimarer Reichstag keineswegs nur bei einer Prüfung der Mandatsrelevanz bewenden ließ. Noch deutlicher wird dies in einem weiteren von Ball mitgeteilten Fall betreffend die rechtswidrige Nichtzulassung einer Partei, in dem das Gericht die

Darüber hinaus enthielt die Vorschrift den Satz, daß eine Wahl nur bei wahlergebnisrelevanten Wahlfehlern aufgehoben werden sollte. 163

Vgl. Anschütz, WRV, Art. 31 Anm. 3.

164

Vgl. Kluge, Wahlanfechtung, S. 34-44; vgl. auch bereits Drath, Das Wahlprüfungsrecht bei der Reichstagswahl, S. 22 „...an die Wahlfehler, die das Resultat nicht beeinflussen, knüpft das Urteil des Wahlprüfungsgerichts häufig ...Rechtsfolgen". 165

Vgl. Ball, Materielles Wahlprüflingsrecht, S. 167 f. - Hervorhebung hinzugefügt.

166

Vgl. dazu unten im 2. Abschnitt, Α. II.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

21

Wahl für ungültig erklärt hatte, „da nicht zu übersehen sei, wie sich das Stimmenergebnis bei der Zulassung des Wahlvorschlags gestaltet hätte" 167 . Aus den in den einschlägigen juristischen Fachzeitschriften veröffentlichten Entscheidungen des Wahlprüfungsgerichts 168 sei beispielhaft der folgende Fall herausgegriffen. In der Sache ging es im wesentlichen um wegen Beschädigung, Verschmutzung oder farblicher Abweichung zu Unrecht für ungültig erklärte Stimmzettel 169 . Das Gericht legte zunächst dar, daß die Stimmzettel fälschlicherweise für ungültig behandelt wurden und fuhr dann fort: „Nach den vorstehenden Ausführungen erweist sich zwar eine Berichtigung der vom Kreiswahlausschuß ermittelten Endzahlen als notwendig; es tritt aber nicht eine derartige Verschiebung des Wahlergebnisses ein, daß die Wahl (...) in Frage gestellt wäre" 170. Dieser Fall verdeutlicht ebenfalls, daß das Wahlprüfungsgericht die Wahlprüfung in der Tat nicht auf eine reine Erheblichkeitsprüfung reduziert, sondern eben auch auf eine Berichtigung der Stimmenergebnisse hingewirkt hat. Dies räumt letztlich auch die Gegenauffassung ein 1 7 1 . Sie sieht das in diesem „Bruch mit der überkommenen Wahlprüfung" durch das Wahlprüfungsgericht liegende Indiz für eine nicht allein mandatsrelevante Wahlfehler berücksichtigende Wahlprüfung indes dadurch entkräftet, daß der „Diskontinuität der wahlprüfungsgerichtlichen Praxis" die „Kontinuiät der objektiven Rechtslage" gegenübergestellt wird 1 7 2 . Wer bestreite, daß Wahlprüfung zu Zeiten der beiden Vorläuferverfassungen des Grundgesetzes reine Prüfung der Rechtmäßigkeit von

167 Vgl. Urteil des Wahlprüfungsgerichts vom 28. Juni 1924, mitgeteilt bei Ball, Materielles Wahlprüfungsrecht, S. 178. - Hervorhebung hinzugefügt. Das Gericht hatte also auf das Stimmenergebnis, nicht die Sitzverteilung abgestellt; vgl. aber andererseits das Urteil des Wahlprüftingsgerichts vom 9. Oktober 1924, das ebenfalls die rechtswidrige Nichtzulassung einer (neugegründeten) Partei zum Gegenstand hatte, in der das Gericht die Wahrscheinlichkeit, daß die Partei „einen Sitz errungen oder den alten Parteien erheblichen Abruch getan haben würde" verneinte, mitgeteilt ebenfalls bei Ball, Materielles Wahlprüfungsrecht, S. 178 f. 168 Vgl. z.B. PrVerwBl. Bd. 42, 208; Bd. 42, 338; Bd. 47, 527 f.; Bd. 47, 553; JW 1921,290. 169

Vgl. WPG JW 1924, 338 ff.

170

Vgl. WPG JW 1924, 338 (340).

171

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 61 f.

172

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 61 f.

216

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren

Mandatserwerben bedeutete, werde für die Zeit der Reichsverfassung von 1871 durch deren Art. 27, für die Weimarer Zeit durch Art. 31 WRV widerlegt 173 . Das Wahlprüfungsgericht habe daher über nicht mandatsrelevante Wahlfehler „contra Constitutionen! et legem" judiziert 174 . Für die wilhelminische Epoche findet die zitierte Auffassung einen Anklang in Art. 27 RV, der von einer Prüfung der Legitimation der Reichstagsmitglieder sprach. Allerdings ist, wie oben ausgeführt wurde, die Vorschrift bereits 1915 so interpretiert worden, daß durch sie dem Reichstag auch die Prüfung der Wahlen oblag 175 . Daß sich der Reichstag hierbei nicht allein mit ergebnisrelevanten Wahlfehlern befaßte, sondern seine Prüfung auf sämtliche Wahlrechtsverstöße ausdehnte, hatte dabei einen positivrechtlichen Anhaltspunkt in § 13 des Wahlgesetzes. Die Vorschrift lautete: „Über die Gültigkeit oder Ungültigkeit der Wahlzettel entscheidet mit Vorbehalt der Prüfung des Reichstags allein der Vorstand des Wahlbezirks nach Stimmenmehrheit seiner Mitglieder" 176. Aus dieser Vorschrift ist in der damaligen staatsrechtlichen Literatur die Möglichkeit abgeleitet worden, neben der als Gestaltungsklage gedachten Klage auf Aufhebung der Wahl auch eine Feststellungsklage des Inhalts zuzulassen, daß Wahlrechte einzelner Bürger verkürzt worden waren 177 . Der Reichstag hat sich dann von den Vorgaben des § 13 des Wahlgesetzes und der engen Stimmzettelprüfimg gelöst und seine Prüfungskompetenz auf Fälle subjektiver Wahlrechtsverletzungen ausgedehnt, in denen die Verletzung der Öffentlichkeit der Wahl, des Wahlgeheimnisses bzw. die Wahlfreiheit in Rede standen178. Gleichgültig, ob die gerügten (allein) subjektiven Wahlrechtsverletzungen nun selbständiger Teil einer Wahlanfechtung waren oder nicht, läßt sich jedenfalls nicht

173

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 64.

174

Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 62.

175

Vgl. Hatschek, ParlamentsR I, S. 481 f.

176

Zitiert nach Hatschek, ParlamentsR I, S. 500.

177

Vgl. Hatschek, ParlamentsR I, S. 499. Gestritten wurde dann nur über die Frage, ob diese Prüfung Teil der Legitimationsprüfung war, so von Seydel, Annalen des Deutschen Reichs, 1880, § 4, Die Wahlprüfung, S. 388 oder ob es sich um eine selbständige Klage handelte, so die Auffassung von Hatschek, ParlamentsR I, S. 499. 178

Vgl. Hatschek, ParlamentsR I, S. 500 m.w.N. in Fn 1.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

217

die Auffassung halten, sie seien nicht zum Verfahrensgegenstand des Wahlprüfungsverfahrens zu rechnen. Die Praxis des Wahlprüfungsgerichts beim Weimarer Reichstag wird in der Literatur gelegentlich falschlich mit dem Verdikt der Gesetzeswidrigkeit versehen 179 . Eingeräumt wird zwar, das Wahlprüfungsgericht sei nicht für eine auf die Prüfung der Mandatsrelevanz reduzierte Wahlprüfung eingetreten. Im wesentlichen aus zwei Erwägungen heraus sei diese Praxis des Wahlprüfungsgerichts aber nicht rechtfertigungsfähig 180. Zum einen sei auch das Wahlprüfungsgericht an das Gesetz gebunden gewesen. Zum anderen habe das Gericht mit der beschriebenen Praxis gegen die juristische „Kunst wie Pflicht (verstoßen), allein über das Entscheidungsrelevante zu befinden" 181 . Diese Einwendungen gegen die Praxis des Wahlprüfungsgerichts der Weimarer Zeit bzw. diejenige des Reichstags während der Reichsverfassung von 1871 halten einer Überprüfung nicht stand. Die zitierte Auffassung bedient sich hier zu Unrecht pejorativer Wertungen. Die Ausgangsthese, die Rechtsprechung des Wahlprüfungsgerichts habe gegen das objektive Recht verstoßen, ist unrichtig. Sie läßt sich - wie dargelegt weder für Art. 27 RV noch für die Rechtslage der Weimarer Zeit aufrechterhalten. Als Beleg für den angeblichen Gesetzesverstoß werden Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WRV sowie § 5 Abs. 1 der Weimarer Wahlprüfungsordnung angeführt. Diese Vorschriften lauten: Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WRV: „Bei dem Reichstag wird ein Wahlprüfungsgericht gebildet". § 5 Abs. 1 Wahlprüfungsordnung: „Vom Verhandlungstermine sind, sofern gegen eine Wahl Widerspruch erhoben ist oder sich sonst gegen die Wahl Bedenken ergeben, als Beteiligte die Perso-

179

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 62.

180

Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 62, nennt als weiteren Grund, der die Rechtsprechung verständlich mache, daß sie den fehlenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz habe kompensieren wollen. Damit ist indes nur ein mögliches Motiv des Wahlprüfungsgerichts, nicht aber ein für die Richtigkeit seiner Rechtsprechung entscheidender Umstand angesprochen. 1

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 63.

218

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

nen zu benachrichtigen, deren Wahl geprüft wird, und die, welche gegen die Wahl Widerspruch erhoben haben, sowie in beiden Fällen deren Vertreter" 182. In beiden Vorschriften ist ersichtlich nicht davon die Rede, das Wahlprüfungsverfahren sei lediglich dazu bestimmt, auf mandatsrelevante Wahlfehler zu reagieren. Der Begriff der Mandatsrelevanz wird in der gesetzlichen Formulierung überhaupt nicht verwandt. Will man ihn in die Formulierungen hineininterpretieren, dann stellt dies eine Stellungnahme zu einer umstrittenen Rechtsfrage dar. Keinesfalls läßt sich indes daraus der Schluß ziehen, die Gegenauffassung verstoße gegen geltendes Recht. Die Behauptung, die wahlprüfungsgerichtliche Praxis habe gegen objektives Recht verstoßen, ist deshalb erkennbar unrichtig. Sie läßt sich nicht einmal dahingehend aufrechterhalten, das Wahlprüfungsgericht habe sich mit seinem Verständnis der Wahlprüfung in einer Kollision zur eindeutig herrschenden Auffassung befunden, da eine einheitliche Sichtweise - wie dargelegt - zumindest zwischen Rechtsprechung und Literatur nicht bestand. Insoweit sei unterstützend auch auf die Praxis des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich hingewiesen. Soweit er mit der Prüfung von Wahlen beauftragt war, hat er ebenfalls nicht allein auf den Grundsatz der Mandatsrelevanz abgestellt. So hatte der Staatsgerichtshof in einer Entscheidung vom 22. März 1929 183 die Wahl zum Sächsischen Landtag vom 31. Oktober 1926 für ungültig erklärt, obwohl der dortige Landtag zu der Auffassung gekommen war, der gerügte Verstoß gegen die Wahlgleichheit sei ohne merklichen Einfluß auf das Ergebnis der Wahl geblieben. Der Staatsgerichtshof stand auf dem Standpunkt die Anwendung des Erheblichkeitsgrundsatzes komme nicht in Betracht, wenn das Wahlgesetz selbst den Verfassungsverstoß begründe. Hier sei der Fehler so „grundsätzlicher Natur, daß es auf eine größere oder geringere tatsächliche Erheblichkeit nicht ankommen" könne 184 . In Abkehr von der Annahme absoluter Wahlungültigkeitsgründe war demgegenüber für das Verfahren

182

Vgl. Wahlprüfungsordnung vom 8. Oktober 1920, Reichsgesetzblatt, S. 1773

(1774). 183 Die Zuständigkeit des Staatsgerichtshofs zur Entscheidung über die Wahl und die Wahlvorschriften ergab sich aus Art. 19 Abs. 1 WRV. Die Vorschrift lautete: „Über Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, in dem kein Gericht zu ihrer Erledigung besteht, sowie über Streitigkeiten nicht privatrechtlicher Art zwischen verschiedenen Ländern oder zwischen dem Reiche und einem Lande entscheidet auf Antrag eines der streitenden Teile der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich, soweit nicht ein anderer Gerichtshof des Reichs zuständig ist." Gegenstand des Verfahrens vor dem Staatsgerichtshof war das zur Anwendung gebrachte Wahlgesetz, vgl. RGZ 123, 13 (18 f.). Die Wahlprüfung als solche war demgegenüber Sache des Sächsischen Landtags. 184

Vgl. RGZ 123, 13 (23).

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

19

vor dem Wahlprüfungsgericht im Schrifttum der Weimarer Epoche die Auffassung herrschend, das Wahlprüfungsgericht könne auch bei der Verletzung zwingender Vorschriften zur Feststellung der Gültigkeit der Wahl gelangen, wenn sich der festgestellte Verstoß nicht auf das Wahlergebnis ausgewirkt habe 1 8 5 . Und obgleich die Entscheidung des Staatsgerichtshofs wegen ihres quasi Anerkenntnisses absoluter Wahlungültigkeitsgründe in der Literatur vehemente Kritik erfahren hat 1 8 6 , bestand in der Staatsrechtslehre doch Einigkeit, daß es hinsichtlich des Wahlprüfungsverfahrens gerade keine normative Rechtsgrundlage gab und die Gerichte deshalb nach Grundsätzen entschieden, die sie durch ihre Praxis gerade erst schufen 187. Über diese Grundsätze rsp. ihre Anwendung wird man streiten können. Sie als Rechtsprechung „contra constitutionem et legem" zu bezeichnen, ist indes verfehlt. Ebensowenig trifft der Vorwurf zu, das Gericht habe sich mit Rechtsfragen befaßt, „die absolut außerhalb seiner Entscheidungszuständigkeit lagen" 188 . Vielmehr hatte sich - was die Gegenauffassung auch einräumt - der Gegenstand der Wahlprüfung auf die Prüfung des gesamten Wahlvorgangs hin verändert 189 . Demzufolge lag die Befassung mit nicht mandatsrelevanten Wahlfehlern nicht außerhalb aller Entscheidungszuständigkeit, sondern war im Gegenteil durch den Grundsatz einer umfassenden Bescheidung des Streitgegenstandes bedingt 190 . Dem steht nicht entgegen, daß das Wahlprüfungsgericht gleichwohl auch eine Prüfung der Erheblichkeit des Wahlfehlers im Sinne seiner Auswirkung auf das Wahlergebnis vornahm. Denn damit sollte nur dem weithin anerkannten Grundsatz Rechnung getragen werden, daß allein mandatsrelevante Wahlfehler

185

Vgl. Kaisenberg, HDStR I, § 36, S. 405.

186

Kritisch gegenüber der Entscheidung des Staatsgerichtshofs, insbesondere soweit sie die Nichtanwendung des Erheblichkeitsgrundsatzes betraf, Apelt, AöR 18 n.F. (1930), S. 121 (127 f.); vgl. zu diesem Fragenkreis auch W. Jellinek, AöR 15 n.F. (1928), S. 99 (124), der sich ebenfalls für die Prüfung des Erheblichkeitsgrundsatzes ausspricht. 187

Vgl. Ball, Materielles Wahlprüfungsrecht, S. 246; E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd.VI, S. 354; Stier-Somlo, Deutsches Reichs- und LandestaatsR I, § 36, Die Wahlprüfung, S. 562 f. 188

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 63.

189

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 60.

190

Vgl. dazu Clemens, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, V, Rn. 3.

220

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

mit dem scharfen Schwert der Aufhebung der Wahl gesühnt werden sollten 191 , ohne daß damit zugleich ausgesprochen wurde, daß sonstige Wahlfehler nicht Prüfungsgegenstand eines Wahlprüfungsverfahrens sein konnten. Dies ist der tiefere Sinn der Entscheidung des Gerichts vom 3. März 1923 192 , in der zunächst der individuelle Wahlfehler festgestellt und sodann dessen Auswirkung auf das Ergebnis verneint wird. Diese Entscheidung ist deshalb nicht „widerspruchsvoll" 193 , sondern zutreffend. Sie widersprach auch keinesfalls der damaligen Rechtslage. Die Vorschriften betreffend die Grundlagen der Wahlprüfung sprachen ersichtlich nicht von einer allein auf die Mandatsrelevanz eines festgestellten Wahlfehlers bezogenen Wahlprüfung. Zwar mag die Auffassung einer reinen Erheblichkeitsprüfung im Schrifttum der Weimarer Zeit herrschend gewesen sein 194 . Angesichts der fehlenden Kodifikation dürfte es aber auch in dieser Zeit entscheidend auf die Praxis angekommen sein, und diese Praxis hat die Vorschriften eben anders und weiter ausgelegt. Es ist auch unter der Geltung des Grundgesetzes nichts Ungewöhnliches, daß in einer gesetzlich nicht oder nicht eindeutig geregelten Frage Rechtsprechung und Literatur uneinig sind. Dies macht aber die Spruchpraxis des Gerichts nicht zu einer Praxis contra constitutionem et legem, sofern man eine andere Ansicht vertritt. Das Argument von der Kontinuität der objektiven Rechtslage, gegen die das Wahlprüfungsgericht mit seiner Abweichung von der bisherigen Praxis verstoßen haben soll 1 9 5 , und der hieraus gezogene Schluß, das Grundgesetz habe die fortbestehende Rechtslage, nicht die hiervon abweichende Praxis in Bezug nehmen wollen 196 , verliert deshalb an Überzeugungskraft. Vielmehr wird man den umgekehrten Standpunkt einnehmen müssen. Wenn das Wahlprüfungsgericht beim Weimarer Reichstag zu einer Rechtmäßigkeitsprüfung übergegangen war, dann hätte man vom Verfassunggeber des Grundgesetzes in der Tat eine deutlichere Stellungnahme gegen diese Praxis erwarten müssen. Seifert hat der herrschenden Meinung insoweit zu Recht entgegengehalten, auch der einfache Gesetzgeber der Jahre 1953 und 1956 hätte wohl kaum gegenüber einer Kodifikation des materiellen Wahlprüfungsrechts eine solche Zurückhaltung an den Tag gelegt, wenn Wahlprüfungsbeschwerden unter Hinweis auf die simple Formel ihrer

191

Vgl. Anschütz, WRV, Art. 31 Anm. 3 „Entscheidung des Wahlprüfungsgerichts kann nur auf Gültigkeit oder Ungültigkeit der Wahl lauten". 192

Vgl. Urteil vom 3. März 1923, JW 1924, 338 (340).

193

So aber Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 62 in Fn. 113. 194

Vgl. dazu Kaisenberg, HDStR I, § 36, S. 405.

195

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 61 f.

196

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 64.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

1

fehlenden Mandatsrelevanz überhaupt kein Erfolg beschieden sein sollte 197 . Dies gilt erst recht, wenn man bedenkt, daß die Lösung aller Wahlprüfungsbeschwerden allein über den Grundsatz der Mandatsrelevanz zu einem „totalen Leerlauf der Wahlprüfung und damit einem Versagen in ihrer Aufgabe geführt hat" 1 9 8 und man dem Gesetzgeber kaum wird unterstellen können, er habe dies intendiert.

Ergebnis zu bb) Als Ergebnis des historischen Verständnisses der Wahlprüfung läßt sich deshalb ein Indiz für eine nicht allein auf die Mandatsrelevanz bezogene Wahlprüfung festhalten. Freilich ist damit noch nichts darüber ausgesagt, welche weiteren Rechtsschutzbelange in das Verfahren einzustellen sind. Hierüber wird nachfolgend die systematische Auslegung des Art. 41 GG Auskunft geben.

cc) Systematische Auslegung Weil der Sinn einer einzelnen Vorschrift sich zumeist erst dann erschließt, wenn man sie als Teil der Regelung betrachtet, der sie angehört, verdient unter mehreren möglichen Auslegungen diejenige den Vorzug, die die Wahrung der sachlichen Übereinstimmung mit einer anderen Bestimmung ermöglicht 199 . Die systematische Auslegung fragt deshalb nach dem Kontext, in dem die auszulegende Vorschrift steht.

(1) Wahlprüfung als Ausdruck der Parlamentsautonomie Die Regelung über die Wahlprüfungsbeschwerde steht im Dritten Abschnitt des Grundgesetzes unter der Überschrift „Der Bundestag". In diesem Abschnitt, in dem in erster Linie die Rechte und Zuständigkeiten des Bundestages geregelt sind, finden sich zuvörderst Normen, die sich auf die Parlamentsautonomie

197

Vgl. Seifert, BundeswahlR, MWPrüfR, S. 398.

198

Vgl. Seifert, BundeswahlR, MWPrüfR, S. 399.

199

Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 325.

2

Kapitel : Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

beziehen 200 . Daraus und aus dem Umstand, daß Art. 41 GG als Ausdruck und Ergebnis des Kampfes um die Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Parlaments gegenüber der Regierung und Krone interpretiert wird 2 0 1 , ist gefolgert worden, die Möglichkeit der „Selbstreinigung" in Art. 41 Abs. 1 GG sei dem Bundestag nur deshalb an die Hand gegeben worden, damit er feststelle, wer auf Grund der Volkswahlen legitimiertes Mitglied bei ihm ist oder nicht 202 . Weil aber „seit alters her" Wahlprüfung reine Legitimationsprüfung sei, habe der Verfassunggeber, der diese historische Vorgabe akzeptiert habe, die Wahlprüfung als Bestandteil der Parlamentsautonomie konzipiert. Mit der Akzeptanz der Legitimationsprüfung habe er zugleich alle sonstigen Verfahrensfunktionen exkludiert. Daran könne auch die Sekundärzuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts nichts ändern, da die Vorschrift über die Wahlprüfung eben nicht bei der Rechtsprechung, sondern bei den Rechten des Bundestages stehe. Wolle man Art. 41 Abs. 2 GG anders auslegen, so verstieße dies gegen den Grundgedanken der Vorschrift 203 . Gegen diese Auslegung sind durchgreifende Bedenken anzumelden. Zum einen ist die historische These der reinen Legitimationsprüfung, wie oben gezeigt, nicht richtig 204 , mindestens aber umstritten 205 und kann daher nicht einfach als vom Verfassunggeber rezipiert betrachtet werden 206 . Zum anderen läßt sich aus der Tatsache, daß die Wahlprüfung im Grundgesetz im III. Abschnitt und nicht im IX. Abschnitt bei der Rechtsprechung Aufnahme gefunden hat, nichts Entscheidendes ableiten. Es gibt noch weitere außerhalb des IX. Abschnitts stehende Zuständigkeiten des Bundesverfassungsge-

200

Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 67, nennt die Art. 39 Abs. 3, 40, 42, 43 Abs. 1, 44, 45, 46 GG. 201 Vgl. Ruszoly; Der Staat 21 (1982), S. 203 (206 ff.); Ball, Materielles Wahlprüfungsrecht, S. 246. 202

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 68.

203

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 69.

204

Vgl. insbesondere die Ausführungen von Hatschek, ParlamentsR I, S. 409 sowie oben 1. Abschnitt, B. III. 3. a) bb). 205 206

Gegen sie auch Schmiemann, Wahlprüfung im Kommunalrecht, S. 115.

Seiferts bereits zitierter Hinweis, der Gesetzgeber der Jahre 1953 und 1956 habe gegenüber der Kodifikation eines materiellen Wahlprüfungsrechts wohl kaum eine so deutliche Zurückhaltung an den Tag gelegt, wenn sich dessen Regelungsgehalt auf die einfache Formel der Mandatsrelevanz erkannter Wahlfehler reduzieren lasse, mag hierfür weiterer Beleg sein (vgl. Seifert, BundeswahlR, MWPrüfR, S. 398).

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

richts 207 , die durch die Verweisungsformel in Art. 93 Abs. 1 Nr. 5 GG zudem in Bezug genommen sind und aus deren formaler Ausgegliedertheit schon deshalb keine Rückschlüsse auf die Ausgestaltung des Verfahrens gezogen werden können.

(2) Der Einfluß von Art. 38 GG auf das Wahlprüfiingsverfahren Entscheidend gegen die oben angeführte systematische Auslegung spricht jedoch, daß sie die - ebenfalls im mit „Der Bundestag" überschriebenen III. Abschnitt des Grundgesetzes stehende - Zentralvorschrift des Wahlrechts, Art. 38 GG, unberücksichtigt läßt. Daß die These, angesichts der zentralen Funktion der Wahl, das Parlament personell zu konstituieren, könne die Wahlprüfung auf die Mandatserwerbsprüfung limitiert werden, einer formalen Logik entspringt, wird in der Literatur unter Aufnahme der Argumentation von Seifert 208 anerkannt. Die Wahl sei nicht nur Organbildungsmittel, sondern auch Ausdruck und Betätigung subjektiver Wahlrechte 209 . Damit benennt der Autor das Problem, verliert es im weiteren Verlauf seiner Ausführungen aber wieder aus den Augen. Denn in seiner systematischen Auslegung von Art. 41 GG bleibt (die subjektivrechtliche Seite von) Art. 38 GG - ebenso wie bei anderen Interpretationen des Wahlprüfungs Verfahrens 210 - unerwähnt. Dies verwundert um so mehr, als das

207 Neben dem Wahlprüfungsverfahren noch die Verfahren nach Art. 18, 61, 98, 99, 100 und 126 GG. 208

Vgl. Seifert, DÖV 1967, 231 (236).

209

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 55.

210

So eliminiert Keitz, Der Schutz des subjektiven Wahlrechts, S. 112, ebenfalls den subjektiven Rechtsschutz aus dem Wahlprüfiingsverfahren, obwohl er gleichzeitig betont, die Wahl und das Wahlrecht erfüllten für jede Demokratie existentiell notwendige Funktionen kollektiver Organbildung sowie individueller(!) Selbst- und Mitbestimmung; bei Schmitt-Vockenhausen, Die Wahlprüfung in Bund und Ländern, heißt es einerseits die Parlamentswahl sei die Entscheidung des Wählers über die Zusammensetzung des Parlaments (S. 11), und andererseits unter Berufung auf die Rechtsprechung des BVerfG die Verletzung der Rechte des Wählers sei nicht Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens (S. 26); ähnlich Hüfler, Wahlfehler und ihre materielle Würdigung, wonach die Wahlprüfung zwar der Verwirklichung des Wählerwillens diene (S. 25), Rechtsfolgen aber wegen des Grundsatzes der Wahlbestandssicherung nur dann zu ziehen seien, wenn die Mandatsverteilung berührt sei (S. 26); ohne jede Begründung heißt es bei Loschelder, Das aktive Wahlrecht und die Rechtsweggarantie, S. 6, Gegenstand der Wahlprüfung sei nicht die Verletzung subjektiver Wahlrechte; ähnlich, Schmiemann, Wahlprüfung im Kommunalrecht, S. 9: „Wahlprüfung dient in erster Linie objektiven Zwecken". Den genannten Untersuchungen ist mithin gemeinsam, daß die

2

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung auf dem Standpunkt steht, das Wahlprüfungsverfahren stelle ein durch Art. 38(!) sowie Art. 41 GG strukturiertes besonderes Verfahren dar 211 . Das systematische Verständnis des dem Grundgesetz zugrundeliegenden Wahlprüfungsverfahrens ist daher in ganz besonderem Maße auf die Einbeziehung des Art. 38 GG angewiesen. Diese Vorschrift weist indes aufgrund ihres Doppelcharakters Besonderheiten auf. Sie enthält objektive Rechtssätze ebenso wie subjektive Rechtspositionen212, deren Realisierung sich einerseits als Kollektivhandlung der Aktivbürgerschaft und andererseits als individuelles Ausübungsrecht darstellt. In diesem Fadenkreuz von multifunktionaler Aufgabenzuweisung und Normstruktur muß die systematische Auslegung entfaltet werden, soll sie darüber Auskunft geben, welche von Art. 38 GG umfaßten Rechtspositionen Schutzgegenstand des Wahlprüfungsverfahrens sind.

(3) Normstruktur und Doppelfunktion des Wahlrechts Eine Darstellung der Gewährleistungsinhalte sowie der Normstruktur von Art. 38 GG birgt Gefahren in sich. Zu wenig entfaltet ist bisher dessen Normstruktur und dementsprechend umstritten die Frage seiner Gewährleistungen 213. Deshalb liegt in jeder Darstellung auch eine Parteinahme in Streitfragen und damit verbundene notwendige Verkürzungen. Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen ist die Beantwortung der Frage, welche Bedeutung der Doppelnatur des Wahlrechts für die Bestimmung des Verfahrensgegenstandes der Wahlprüfung zukommt. Die Vorschrift enthält nach dem Gesagten sowohl subjektiv-rechtliche Gewährleistungen als auch Vorschriften des objektiven Rechts.

(a) Subjektives Recht Die Qualifizierung des Wahlrechts als subjektiv-öffentliches Recht hat sich allerdings nur mühsam durchgesetzt 214. Die besondere Problematik dieses

subjektiv-rechtliche Seite des Art. 38 GG bei der Funktionsbestimmung des Wahlprüfungsverfahrens unberücksichtigt bleibt. 211

Vgl. BVerfGE 14, 154 (155); 28, 214 (219 f.); 66, 232 (234).

2.2

Dieser Doppelcharakter des Wahlrechts ist unstreitig, vgl. nur Stern, StaatsR I,

S. 321. 2.3 214

Vgl. dazu nur Höfling, Der Staat 33 (1994), S. 493 (498 ff.).

Ablehnend etwa noch P. Laband, DStaatsR I, § 34, S. 331: „Das 'Wahlrecht' ist überhaupt kein subjektives, im individuellen Interesse begründetes Recht, sondern

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

Rechts liegt darin, daß es in der Demokratie auch dazu dient, Staatsorgane zu legitimieren bzw. hervorzubringen und damit auch bestimmte (objektivrechtliche) Funktionen erfüllt. Dem Wahlrecht wohnt dabei notwendig ein gemeinschaftsbezogenes Moment inne, das - auch in Abgrenzung zu den klassischen liberalen Freiheitsrechten - dazu geführt hat, das Wahlrecht als politisches Recht zu bezeichnen215. Zugespitzt wurde dabei der Streit um die Rechtsnatur dieses politischen Rechts in der Frage: „Sind die politischen Rechte subjektive Rechte oder Funktionen?" 216 . Durchgesetzt hat sich hierbei die sogenannte dualistische Theorie, wonach die politischen Rechte sowohl subjektive Rechte als auch objektivrechtliche Funktionen darstellen 217. Im Unterschied zu der noch in die Weimarer Zeit hinein wirkenden Kontroverse über die Rechtsnatur des Wahlrechts 218 kann deshalb unter der Geltung des Grundgesetzes nicht zweifelhaft sein, daß

lediglich der Reflex des Verfassungsrechts"; vgl. weiter C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 254, mit der Bemerkung, das Wahlrecht sei zwar kein Recht in dem Sinne, daß es zur freien Verfügung des einzelnen stände, es sei aber auch kein bloßer „Reflex" des Verfassungsgesetzes, sondern eine öffentliche Funktion, weil es nicht vom einzelnen als Privatmann, sondern als Staatsbürger, also kraft eines öffentlich-rechtlichen Status, ausgeübt werde; ähnlich G. Meyer, Das parlamentarische Wahlrecht, S. 412: „...ist die Befugniss, zu wählen, Ausfluss der staatlichen Rechtsordnung. Die Gesetzgebung des Staates befindet sich daher in der Lage, das Wahlrecht nach ihrem Ermessen zu regeln... Bei der Ordnung des Wahlrechts ist (...) lediglich das Staatswohl als massgebend zu erachten". Zu den historischen Entfaltungslinien des Wahlrechts in Preußen vgl. J. Droz, Liberale Anschauungen zur Wahlrechtsfrage und das preußische Dreiklassenwahlrecht, in: Böckenförde (Hrsg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815-1918), S. 195 ff.; zur Rechtslage hinsichtlich der Paulskichenverfassung, vgl. Th. Hamerow, Die Wahlen zum Frankfurter Parlament, in: Böckenforde (Hrsg.), a.a.O., S. 215 ff. 215 Vgl. Höfling, Der Staat 33 (1994), S. 493 (500 f.); Schmidt-Bleibtreu, u.a., BVerfGG, § 90 Rn. 65; Maunz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 38 Rn. 18 u. 29.

in: Maunz

216

Vgl. bereits G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 407 ff. (422 mit Fn. 1): „...das Wahlrecht als zusammengesetzt aus individuellem Recht und öffentlicher Funktion (...) entspricht (...) ganz der von mir entwickelten Lehre, die das rechtliche Verhältnis der beiden Elemente des Wahlrechtes in der auf Grund unserer heutigen öffentlichrechtlichen Anschauungen einzig möglichen Weise konstruiert"; außerdem Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 152, Wahlrecht als politisches Recht; aus neuerer Zeit Nowak, Politische Grundrechte, S. 152. 217 218

Vgl. Nowak, Politische Grundrechte, S. 157.

Vgl. die Zusammenstellung bei Braunias, Das parlamentarische Wahlrecht, Bd. II, S. 3 ff. IS Lang

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

2

sowohl das aktive wie das passive 219 Wahlrecht (auch) ein subjektivöffentliches Recht darstellt, wobei im hier interessierenden Zusammenhang offenbleiben kann, ob die Herleitung überzeugender aus Abs. I 2 2 0 oder Abs. 2 2 2 1 des Art. 38 geschehen kann 222 . Gleichwohl ist die genannte historische Streitfrage keine Makulatur. Sie zeigt - worauf noch einzugehen sein wird Nachwirkungen bei der Funktionsbestimmung des Wahlrechts sowie insbesondere im Zusammenhang mit der Ausgestaltung des (subjektiven) Rechtsschutzes. Mit der Einordnung des Wahlrechts als (auch) subjektives Recht bleibt die Frage unbeantwortet, ob es sich bei dem dabei gewährleisteten Recht um ein Grundrecht handelt. Die bejahende Beantwortung dieser Frage ist auch unter der Geltung des Grundgesetzes einem gewissen Begründungszwang unterworfen. Gegen eine Qualifizierung des Wahlrechts als Grundrecht spricht nämlich zunächst, daß es nicht im I. Abschnitt „Die Grundrechte" steht, sondern, worauf bereits hingewiesen wurde, bei den Rechten des Bundestages223. Damit einhergehende Einordnungsschwierigkeiten brauchen indes seit der im Zusammenhang mit der sogenannten Notstandsgesetzgebung stehenden Verfassungsreform

219 Auch die ist heute im Gegensatz noch zu früheren Auffassungen (vgl. etwa G. Jellinek, System, S. 141: nur Reflexwirkung) unstreitig, vgl. Sachs, in: Stern, StaatsR III/l, S. 587; Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, Rn. 385. 220

So von Maunz, in Maunz-Dürig, GG, Art. 38 Rn. 29; v. Münch, StaatsR I, Rn. 145, der aktives und passives Wahlrecht aus der Verbürgung der Allgemeinheit der Wahl ableitet, ähnlich Stein, StaatsR, § 51 I. 1., S. 417: „Das Wahlrecht als Aktivbürgerrecht ist die subjektivrechtliche Seite der objektivrechtlichen demokratischen Wahlrechtsgrundsätze"; Keitz, Der Schutz des subjektiven Wahlrechts, S. 16 f. 221

Vgl. Badura, in: BK, Anh. z. Art. 38: BWahlG, Rn. 22: Art. 38 Abs. 2 GG enthalte die implizite Regelung und Garantie des aktiven und passiven Wahlrechts; auf dieser Linie auch Schneider, in: AK, Art. 38 Rn. 54, der ausführt: Während in Art. 38 Abs. 1 GG die Wahlrechtsgrundsätze angesprochen seien, deren Verletzungen einen relevanten Wahlfehler bedeuten könnten, lasse sich den Formulierungen des Art. 38 Abs. 2 GG „wahlberechtigt ist" und „wählbar ist" entnehmen, daß die Vorschrift ein subjektiv öffentliches (Wahl)Recht mitgewährleisten wolle; Achterberg, ParlamentsR, S. 181 mit Fn. 52; wohl auch Magiera, in: Sachs, GG, Art. 38 Rn. 101. 222

Manche Autoren verzichten indessen auch auf die angesprochene Differenzierung und führen aus, Art. 38 GG räume dem Bürger auch ein Recht des Wählens ein, vgl. z.B. Merten, Wahlrecht und Wahlpflicht, in: FS Broermann, S. 301 (304). 223

Aus dieser Überlegung heraus finden sich Bedenken gegen die Qualifizierung als Grundrecht bei Stern, StaatsR I, S. 321 f.; zu den Gründen, die dazu führten, das Wahlrecht als politisches Recht nicht in den Grundrechtsteil der Verfassung aufzunehmen, vgl. Nowak, Politische Grundrechte, S. 115 ff.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

von 1969 nicht überbetont zu werden. Nachdem die Verfassungsbeschwerde zuvor nur einfachrechtlich durch § 90 BVerfGG gewährleistet war, erhielt sie in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG Verfassungsrang, wobei Art. 38 GG zum grundrechtsgleichen Recht erklärt wurde 224 . Dies mag mit dafür ursächlich sein, daß sich die auf das Wahlrecht bezogene Diskussion kaum an der systematischen Einordnung der Vorschrift orientiert 225 . Das Bundesverfassungsgericht hat dieser Frage selbst vor der Aufnahme des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG in die Verfassung wenig Beachtung geschenkt und das Wahlrecht zunächst als das vornehmste Recht des Bürgers im demokratischen Staat 226 und dann als politisches Grundrecht bezeichnet227. In der Literatur variieren die Bezeichnungen228. Im folgenden wird das Wahlrecht als politisches Grundrecht bezeichnet229. Dabei ist diese dogmatische Einordnung kein Selbstzweck. Vielmehr wird durch sie auf die hier interessierende Funktion des individuellen Wahlrechts hingeleitet.

224

Mit Verfassungsrang wurde die Verfassungsbeschwerde aufgrund des Gesetzes vom 29. Januar 1969 (BGBl. I, S. 97) ausgestattet. Damals wurden in Art. 93 Abs. 1 GG die Nrn. 4a und 4b eingefügt. 225 Vgl. etwa Nass, Wahlorgane und Wahlverfahren, S. 147; zum Ganzen Nowak, Politische Grundrechte, S. 117. 226

Vgl. BVerfGE 1, 14(33).

227

Vgl. BVerfGE 1, 208 (242). Das Gericht prüft dort allerdings einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl, der in seiner ständigen Rechtsprechung als Anwendungsfall des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG zu verstehen ist, vgl. BVerfGE 1, 208 (242); 4, 31 (39); 6, 84 (91); 11, 266 (271); 12, 10 (25); 13, 1 (12); 24, 300 (340); 28, 220 (225); 34, 81 (98); 36, 139 (141); 47, 253 (269); 48, 64 (69); 51, 222 (232); 57, 43 (56); 58, 177 (190); 69, 92 (106); 85, 148 (157). 228

So rechnet Maunz, in Maunz/Dürig, GG, Art. 38 Rn. 31, das Wahlrecht wohl wegen der Rechtsprechung des BVerfG zum Verhältnis von Art. 3 Abs. 1 und Art. 38 GG zu den Grundrechten; Stern, StaatsR I, S. 321, spricht aufgrund der Stellung des Wahlrechts im III. Abschnitt des Grundgesetzes verhaltener von grundrechtsähnlichem Recht; ähnlich Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 38 Rn. 1, unter Berufung auf Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG. 229

BVerfGE 1, 208 (242); Nowak, Politische Grundrechte, S. 151; rechtsvergleichend Höfling, Die liechtensteinische Grundrechtsordnung, S. 54; vgl weiter dens., Der Staat 33 (1994), 493 (499), wo die Wahl- und Abstimmungsrechte als demokratische Grundrechte bezeichnet werden, s.a. Magiera, in: Sachs, GG, Art. 38 Rn. 100: „politisches Grundrecht"; Maunz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 38 Rn. 31.

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

2

(b) Teilhabefunktion Funktionell bestehen beim Wahlgrundrecht nämlich Besonderheiten, die es notwendig machen, auf einige klassifikatorische Besonderheiten bei der Erfassung demokratischer Grundrechte hinzuweisen. In der Grundrechtsfunktionenlehre hat sich die folgende Differenzierung herausgebildet. Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte gegen den Staat 230 . In dieser Funktion enthalten Grundrechte gesicherte subjektive Rechtspositionen, deren Beeinträchtigung der Staatsgewalt verboten ist und die durch negatorische Ansprüche der Berechtigten gesichert sind 231 . Anerkannt ist weiter, daß aufgrund grundrechtlich geschützter Rechtspositionen auch Leistungsansprüche gegen den Staat erwachsen können, wenn andernfalls die Grundrechtsausübung leerliefe. Solche Leistungsinhalte lassen sich ganz allgemein als Ansprüche auf Schutzgewährung, Gestaltung von Organisationen und Verfahren sowie Teilhabe an staatlichen Leistungen charakterisieren 232 . Schließlich bestehen neben diesen beiden großen „Rechtegruppen" 233 noch weitere Grundrechtsfunktionen, die unter dem Stichwort Bewirkungs- oder Mitwirkungsrechte zusammengefaßt werden. Deren Eigenart besteht darin, daß sie subjektive Grundrechtspositionen erfassen, die es den Berechtigten ermöglichen, durch ihre Wahrnehmung rechtsgestaltend auf die Staatswillensbildung einzuwirken 234 . Als Bewirkungsrecht kann dabei auch das Wahlrecht qualifiziert werden 235 . Dabei bringt die Qualifizierung als Bewirkungsrecht am deut-

230

(2601).

BVerfGE 7, 198 (204 f.); 50, 290 (337); 68, 193 (205); Friauf, NJW 1986, 2595

231

Vgl. Sachs, in Stern, StaatsR III/l, S. 569.

232

Vgl. Sachs, in Stern, StaatsR III/l, S. 569.

233

Ausdruck bei Höfling, Der Staat 33 (1994), S. 493 (501).

234

Sachs, in: Stern, StaatsR III/l, S. 571; Höfling, Der Staat 33 (1994), S. 493 (501).

235

Vgl. Sachs, in: Stern, StaatsR III/l, S. 580, der das Wahlrecht als Sonderkategorie des Bewirkungsrechts auffaßt und hierfür den Ausdruck „Mitwirkungsrecht" wählt; ebenso Höfling, Der Staat 33 (1994), S. 493 (501). Das BVerfG hat gleichsam auf dem Boden der Begriffsbildung G. Jellineks in manchen Entscheidungen davon gesprochen, mit der Stimmabgabe betätige sich der Bürger als Glied des Volkes im status activus, vgl. BVerfGE 8, 104 (115 f.); 122, (133); 83, 60 (71); ebenso Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329 (352). In BVerfGE 49, 15 (21) spricht das Gericht demgegenüber von Mitwirkungs- und Mitgestaltungsrechten.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

9

lichsten die Doppelnatur des Wahlrechts (subjektive Berechtigung und objektive Organkompetenz) zum Ausdruck. Sie wird deshalb auch hier verwandt. Auch wenn sich demnach das Wahlrecht als politisches Grundrecht in erster Linie durch diese Bewirkungsdimension von den „normalen" Freiheitsrechten unterscheidet und folglich durch sie charakterisiert wird 2 3 6 , erschöpft sich hierin seine Funktion nicht. Grundrechte enthalten nämlich zumeist ein Bündel von grundrechtlichen Berechtigungen 237. Sie lassen sich wegen der Offenheit ihrer Formulierungen und des weitreichenden Geltungsanspruchs der Verfassung deshalb nicht von vornherein auf eine bestimmte Art von Berechtigung festlegen 238 . Ihren konkreten Berechtigungskomplex zu eruieren, ist eine Frage der Auslegung, die sich im vorliegenden Kontext vor allem des Zusammenhangs von Haupt- und Hilfsrechten bedienen kann 239 . Die neben das Hauptrecht tretenden (ermöglichenden) Hilfsrechte haben die Aufgabe sicherzustellen, daß die bestehende Hauptgrundberechtigung auch praktisch wirksam werden kann 240 . Daß mithin dem Wahlrecht auch ein abwehr- und leistungsrechtlicher Gehalt zukommt, ist nichts Neues. Einerseits ist es vor einer Beeinträchtigung bei der Ausübung des Wahl- und Stimmrechts geschützt. Andererseits nimmt es in dem Anspruch auf Entgegennahme des Stimmzettels und ordnungsgemäße Verwertung der Stimme Gestalt an 241 . Inhaltlich läßt sich Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG im Anschluß an Maunz 242 sowie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 243 ein subjektiv-öffentliches Recht zumindest auf Teilnahme an den

236

Höfling, Der Staat 33 (1994), S. 493 (502).

237

Sachs, in: Stern, StaatsR III/l, S. 587 f.; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 12; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 224 ff. 238

Sachs, in: Stern, StaatsR III/l, S. 587; Höfling, Der Staat 33 (1994), S. 493 (502).

239

Vgl. Höfling, Der Staat 33 (1994), S. 493 (502).

240

Vgl. Sachs, in: Stern, StaatsR III/l, S. 589.

241

Vgl. schon Thoma, in: Nipperdey (Hrsg.), Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, S. 1 (26); für das Grundgesetz bereits Nass, Wahlorgane und Wahlverfahren, S. 147 f. 242

Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 38 Rn. 29; ähnlich Nass, Wahlorgane und Wahlverfahren, S. 148, im Wahlrecht des einzelnen liege insbesondere ein positiver Anspruch auf Eintragung in das Wählerverzeichnis und Zulassung zum Wahlakt sowie der negative Anspruch begründet, bei Wahlen nicht durch die Wahlorgane behindert zu werden; vgl. weiter Bachof, Vornahmeklage, S. 67, sowie bereits Thoma, HDStR II, S. 618; aus der fachgerichtlichen Rechtsprechung etwa OVG Lüneburg DVBl. 1951, 148(149) sowie LS 2. 243

Vgl. BVerfGE 47, 253 (269); 69, 92 (105 f.); 89, 155 (171).

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

2

Wahlen und auf Einhaltung der fünf Wahlrechtsgrundsätze bei den Wahlen entnehmen. Hinzu tritt indes ein weiterer, entscheidender Anspruch des Grundrechtsberechtigten gegen den Staat. Dessen durch Art. 38 GG gebotene Leistung besteht darin, den einzelnen in die Lage zu versetzen, sein Bewirkungsrecht auch auszuüben 244 . Wahlen in der Demokratie des Grundgesetzes kommt deshalb bezogen auf das individuelle Wahlrecht mit anderen Worten die Funktion zu, dem einzelnen eine Plattform für seine individuelle Grundrechtsausübung zur Verfügung zu stellen, um damit einen grundrechtlich verbürgten Anspruch dieses Bewirkungsrechts einzulösen. Es handelt sich hierbei nicht um eine lediglich im Interesse des Staates gewährte Rechtsposition zur Sicherstellung des Demokratieprinzips, sondern um eine Grundrechtsposition von besonderem Gewicht, auch wenn Stellungnahmen in der Literatur, die das Wahlrecht in Anlehnung an eine vom Bundesverfassungsgericht für die Meinungsfreiheit verwandten Terminologie 245 als für die Demokratie „schlechthin konstituierend" bezeichnen246, die objektiv-rechtliche Seite des Wahlrechts in Bezug zu nehmen scheinen. Denn ausgehend von der Erkenntnis, daß das Grundgesetz, wie insbesondere die Wertungen der Art. 1 Abs. 1 GG sowie Art. 79 Abs. 3 GG zeigen, in der Volkssouveränität und der Menschenwürde eine doppelte Grundlage aufweist 247 , wird dem besonderen Gewicht des Wahlrechts in der Literatur dadurch Rechnung getragen, daß es als „funktionelle Grundlage der Demokratie" und „konkrete Ausformung der aktivbürgerlichen 'Schicht' der Menschenwürdeklausel" interpretiert wird 2 4 8 . Eine

244

Vgl. Höfling, Der Staat 33 (1994), S. 493 (503); Alexy, Theorie der Grundrechte,

S. 453. 245

Vgl. z.B. BVerfGE 7, 198 (208); 12, 113 (125); 20, 56 (97); 35, 202 (221 f.); 59, 231 (266). 246

Vgl. Böckenförde, HStR I, § 22 Rn. 36 - Hervorhebung hinzugefügt; Badura, HStR I, § 23 Rn. 30, spricht davon, daß die Grundbedingung demokratischer Legitimierung ist, daß jedermann in staatsbürgerlicher Gleichheit an den Verfahren der politischen Meinungs- und Willensbildung teilnehmen kann. 247 248

Vgl. Gassner, Der Staat 34 (1995), S. 429 (443).

So von Häberle, HStR I, § 20 Rn. 69; auch H Meyer, VVDStRL 33 (1975), S. 69 (75 f.): „..in einer Demokratie (gehört) es zu der in Art. 1 Abs. 1 für unantastbar erklärten Würde des Menschen, daß er an der Gestaltung der Gemeinschaft, der er angehört, teilhaben kann"; Frenz, Rechtstheorie 24 (1993), S. 513 (529): demokratische Teilhabe hat ihre Wurzel letztlich in der Würde des Menschen; kritisch gegenüber einer solchen

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

1

wesentliche Aufgabe der Wahl besteht deshalb darin, das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen zur Geltung zu bringen 249 . Auf diese Funktionsbestimmung des Wahlrechts wird bei der Ausgestaltung des Wahlprüfungsrechts zurückzukommen sein.

(c) Art. 38 GG als Regelung objektiven Wahlrechts Neben dieser subjektiv-rechtlichen Gewährleistung enthält Art. 38 GG aber auch Rechtssätze des objektiven Rechts. Hierbei handelt es sich namentlich um die fünf Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG. Danach sollen die Wahlen zum Deutschen Bundestag allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim sein. Diese Gewährleistungen stellen zuerst, aber nicht ausschließlich, Sätze des objektiven Verfassungsrechts dar 250 . Die wesentliche Bedeutung von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG besteht indes weniger in der hieraus folgenden Bindung der Staatsgewalt in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege an die Wahlrechtsgrundsätze als vielmehr in seinem engen Zusammenhang mit der Staatsfundamentalnorm des Art. 20 GG 2 5 1 . Die dort in Abs. 1 und 2 getroffene Grundentscheidung der Verfassung für die demokratische Staatsform wird in Art. 38 Abs. 1 GG näher ausgestaltet252. In Art. 38 GG wird damit die Entscheidung der Verfassung für die parlamentarische Demokratie auch verfahrensrechtlich verankert oder, um es in die berühmte Formulierung Niklas Luhmanns zu kleiden, Legitimation durch Verfahren geschaffen. Mit dem Verweis auf Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG enthält die Regelung in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG einen - in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG ebenfalls angelegten kollektiven Bezug. Das Subjekt der Ausübung der Staatsgewalt i.S.v. Art. 20

Interpretation Isensee, Der Staat 20 (1981), S. 161 (162): nur die liberalen Freiheitsrechte wurzelten in der Menschenwürde. 249

Vgl. Frenz, Rechtstheorie 24 (1994), S. 513 (514).

250

Vgl. Stern, StaatsR I, S. 321 \Badura, in: BK, Anh. z. Art. 38: BWahlG, Rn. 21.

251

Häberle, HStR I § 20 Rn. 66, spricht von der Gedankenkette des Wahlrechts zu Art. 20 GG. 252

Vgl. BVerfGE 44, 124 (138); 47, 253 (272); v. Münch, in: v. Münch, GGK II, Art. 38 Rn. 1; Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 20 Rn. 8a; Gassner, Der Staat 34 (1995), S. 429 (431).

2

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

Abs. 2 GG ist das Volk 2 5 3 . In der Verknüpfung mit Art. 38 GG offenbart sich die zweite, objektive Seite des Wahlrechts. Es ist eben nicht nur ein subjektives Recht, dessen Ausübung im ausschließlichen Interesse des einzelnen liegt, sondern stellt gleichzeitig eine Organkompetenz des objektiven Rechts dar, an dessen Schutz und Einhaltung der demokratische Verfassungsstaat ein gesteigertes Interesse bekundet 254 . Diese objektiv-rechtliche Seite des Wahlrecht entfaltet sich dabei in verschiedenen Funktionen der Wahl.

(d) Funktionen des objektiven Wahlrechts Es handelt sich hierbei um die Legitimations- sowie die Kreationsfunktion der Wahl 2 5 5 .

(aa) Legitimationsfunktion Nach H. Meyer ist die Parlamentswahl der in seinen Bedingungen wie in seinem Verfahren staatlich reglementierte Akt, durch den das in Art. 20 Abs. 2 GG zum Ursprung aller staatlichen Gewalt erklärte Volk seinen Willen über die Zusammensetzung der Volksvertretung verbindlich kundtut 256 . Der Wahl kommt für das demokratische Staatswesen mithin fundamentale Bedeutung zu. Denn da die Herrschaft von Menschen über Menschen keine vorgegebene Tatsache darstellt, sondern einer von den Beherrschten selbst ausgehenden Legitimation bedarf 257 , besteht eine wesentliche Bedeutung der Wahl darin, in der verfassungsrechtlich vorgesehenen Weise ein Verfahren legitimierender Machtverteilung zur Verfügung zu stellen 258 . Der Kampf um das Wahlrecht stellt sich denn auch historisch als ein entscheidender Motor im Kampf um demokratische Staatsverfassungen dar 259 ,

253

Vgl. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329 (348).

254

Vgl. Nowak, Politische Grundrechte, S. 196.

255

Zu weiteren hier nicht interessierenden Funktionen der Wahl vgl. Vogel/ Nohlen/Schultze, Wahlen in Deutschland, S. 9 ff. sowie Κ Meyer, HStR II, § 37 Rn. 1-

11.

256

Vgl. H. Meyer, HStR II, § 37 Rn. 1.

257

Vgl. Böckenförde,

258

Vgl.H. Meyer, HStR II, § 37 Rn. 1.

259

Vgl. Stern, StaatsR I, S. 290; Schreiber, WahlR, Einl. 6., S. 59.

HStR I, § 22 Rn. 3.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

wenngleich H. Meyer zu Recht darauf hinweist, daß allein aus der Tatsache einer Wahl noch nichts über den demokratischen Charakter eines Systems ausgesagt ist 2 6 0 . In der durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2, Art. 20 Abs. 2 GG normativ vorgegebenen repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes stellt die Wahl den einzigen Akt dar, in dem der politische Wille des Volkes unmittelbar in staatliche Machtpositionen umgesetzt wird 2 6 1 . Parlamentswahlen aktualisieren dabei im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG die permanente Teilhabe der Bürger an der Staatsgewalt262. Mit der Umsetzung des politischen Willens des Volkes in staatliche Machtpositionen vermittelt die Wahl dem Staatsapparat zugleich seine demokratische Legitimation 263 . Allerdings ist dieses Legitimationserfordernis nicht lediglich formaler Natur. Vielmehr läßt sich, in die pointierte Formulierung von Smend gekleidet, am Wahlrecht ablesen, „welche gesellschaftlichen Klassen die herrschenden im Staate sind" 264 . Deshalb kommt nur unter Beachtung zumindest der Wahlrechtsgrundsätze der Allgemeinheit, Geheimheit, Gleichheit und Freiheit 265 den Wahlen bezüglich der aus ihnen hervorgegangen Mehrheiten legitimierende Funktion zu 2 6 6 .

(bb) Kreationsfunktion Neben diese Legitimierungsfunktion tritt unter der Geltung des Grundgesetzes eine weitere Aufgabe der Wahl. Die Verfassung bekennt sich, wie eine Zusammenschau von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 mit Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG zeigt, zur repräsentativen Demokratie. Obwohl dieses Bekenntnis auch von der Überlegung getragen ist, daß in einer Massendemokratie in einem Flächenstaat wie der Bundesrepublik Deutschland das Volk in seiner Gesamtheit handlungsunfä-

260

Vgl. Κ Meyer, HStR II, § 37 Rn. 2.

261

Vgl. H. Meyer, HStR II, § 37 Rn. 1.

262

Schreiber, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 12 Rn. 1.

263

Vgl. BVerfGE 83, 60 (71); H. Meyer, HStR II, § 37 Rn. 4; dens., Wahlsystem und Verfassungsordnung, S. 16. 264

Vgl. R. Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 27.

265

Der fünfte Wahlrechtsgrundsatz des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG ist für die Legitimationswirkung demgegenüber nicht geboten. 266

Vgl. Starck, Der demokratische Verfassungsstaat, S. 177.

2

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

hig ist 2 6 7 , stellt die Wertentscheidung für die repräsentative Demokratie keinen wie Buschmann/Ostendorf 6* es genannt haben - „Notbehelf dar 269 . Ob dabei Böckenförde 270 in seiner These zuzustimmen ist, das repräsentative Element sei der Demokratie wesenseigen, kann angesichts der klaren Entscheidung des Grundgesetzes für die repräsentative Demokratie in Art. 20 Abs. 2, Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG im vorliegenden Zusammenhang dahingestellt bleiben 271 . Jedenfalls beruht die Demokratie des Grundgesetzes aufgrund dieser klaren Vorgaben nicht auf dem Prinzip der Identität, sondern auf dem der Repräsentation 272. Die Bundestagswahl stellt dabei den Ausgangspunkt der Beziehung der Repräsentierten und Repräsentanten dar und ist dementsprechend von besonderer Bedeutung 273 . Sie ist die ursprünglichste und wichtigste Äußerungsform des Volkes in der repräsentativen Demokratie 274 und knüpft das - wenn auch nicht rechtliche 275 - Band, welches die Aktivbürgerschaft mit der Vertretungskörperschaft verknüpft 276 . Verfassungsrechtlich besteht somit eine weitere Bedeutung

267

Hesse, VerfR, § 5 Rn. 131.

268

Vgl. Buschmann/Ostendorf

ZRP 1977, 153 (155).

269 Vgl. Böckenförde, HStR II, § 30 Rn. 12, Repräsentation kein „zweiter Weg" oder unausweichliche Konzession an räumlich-technische oder zahlenmäßige Gegebenheiten; ähnlich Kriele, Staatslehre, S. 294, nur unter der Bedingung der Repräsentation stehen Institutionen und die dialektischen Verfahrensregeln zur Verfügung, die die Bedingung für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit sind. 270

Vgl. Böckenförde, Repräsentative Demokratie, S. 301 ff.

271

Kritisch gegenüber Böckenförde Häberle, HStR I, § 20 Rn. 68.

272

Vgl. Kriele, Staatslehre, S. 214.

273

Vgl. Stern, StaatsR I, S. 293; Wefelmeier,

Repräsentation, S. 82.

274

BVerfGE 3, 19 (26); Karpenstein, Die Wahlprüfung und ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen, S. 66. 275

Vgl. Badura, HStR I, § 23 Rn. 36, sowie bereits G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 581: „...wird durch den Kreationsakt niemals ein Recht von den Kreierenden auf den Kreierten übertragen, der vielmehr Recht und Pflicht ausschließlich aus der Verfassung schöpft"; P. Laband, DStaatsR I, § 32, S. 297: „Der Reichstag leitet seine Befugnisse nicht aus dem Willen der Wähler, sondern unmittelbar aus der Verfassung" ab. 276

Vgl. Hofmann/Dreier, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 5 Rn. 28; Nohlen, Wahlrecht und Parteiensystem, S. 15 „Bindeglied zwischen den Ansichten des Volkes als Aktivbürgerschaft mit den staatlichen Institutionen"; Wefelmeier, Repräsentation, S. 82.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

der Wahl in der Kreation eines Vertretungsorgans 277, dem aufgrund des fundamentalen Legitimationsmodus der Wahl ein „Legitimationsvorsprung" vor den anderen Organen zukommt 278 . Dieses soll ein Spiegelbild der im Volk herrschenden Auffassungen sein. Anders ausgedrückt: In der Wahl wird der Volkswille zum Ausdruck gebracht und das durch sie legitimierte Parlament soll in seiner Tätigkeit den Volkswillen aufnehmen. Mit den Begriffen „Repräsentation" und „Volkswille" sind zwei demokratietheoretische Zentralbegriffe angesprochen, die sich einer allgemeingültigen juristischen Definition entziehen. Beide werden vielmehr je nach Standpunkt gänzlich verschieden verstanden. Es ist hier nicht der Ort, auf die verschiedenen Deutungen der Begriffe einzugehen279. Denn die mit dem Repräsentationsprinzip verbundenen demokratietheoretischen Fragestellungen beziehen sich hauptsächlich auf die nach der Wahl entstehenden Probleme einer „richtigen" Interpretation des Volkswillens. Insoweit mag es für die vorliegende Fragestellung nach den Funktionen der Wahl genügen, auf folgendes hinzuweisen. Mit der in den Formulierungen des Art. 20 Abs. 1 und 2 GG zum Ausdruck kommenden Inbezugnahme des Volkswillens knüpft das Grundgesetz an ein überkommenes Verständnis der Volkssouveränität an 2 8 0 , bezüglich des Begriffs „Volkswille" speziell an die Staats- und Rechtsphilosophie des 18. Jahrhunderts 281 . Dies legt es an sich nahe, den „Volkswillen" als einen an die Stelle des absoluten Willen des Monarchen getretenen autonomen Willen zu verstehen. Begrifflich läßt sich der Wille des Volkes als Wille zur Gestaltung und Ordnung der gesellschaftlichen Kräfte im Innern und zur Mitgestaltung einer inter-

277 Vgl. Schreiber, WahlR, Einl. 1.1., S. 33; dens, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 12 Rn. 1. 278

Herzog, in: Maunz-Dürig; GG, Art. 20 Abs. 2 Rn. 76, ders., Allg. Staatslehre, S. 247; Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329 (352). 279

Das Schrifttum zum Problemkreis „Repräsentation" ist nicht mehr überschaubar. Hingewiesen werden kann aber auf G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation unter besonderer Berücksichtigung des Repräsentativsystems, Leipzig 1929; H.J. Wolff, Die Repräsentation, in: H. Rausch (Hrsg.), Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und der Repräsentativverfassung, Darmstadt 1968, S. 116 eingehend zu den ideengeschichtlichen Grundlagen der Repräsentationslehre; s.a. U. Scheuner, Das repräsentative Prinzip in der modernen Demokratie, in: Rausch a.a.O., S. 386 ff.; D. Suhr, Repräsentation in Staatslehre und Sozialpsychologie, Der Staat 20 (1981), S. 517 ff. 280

Vgl. Böckenförde, HStR I § 22 Rn. 4.

281

Vgl. Kaufmann, Zur Problematik des Volkswillens, S. 20.

2

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

nationalen Ordnung erfassen 282. Entschlüsseln läßt sich der Begriff aber eher in seinem notwendigen Gleichklang zur Repräsentation 283. Während Repräsentation 2 8 4 ursprünglich die personelle Vergegenwärtigung einer Institution bedeutete (Der Papst repräsentiert die Kirche, der Kaiser das Reich, der König den Staat) 285 und diese Formel zunächst auch auf das „Volk" bzw. dessen Wille ausgedehnt wurde, herrscht heute die Erkenntnis vor, daß der individualistisch gedachte Wille des Volkes selbst bei größtmöglicher nationaler Homogenität eine Fiktion ist 2 8 6 . Deshalb fingiert auch Art. 20 Abs. 1 Satz 1 GG mit der Formulierung, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, keine Willenseinheit des Volkes 287 . Das „Repräsentierte" ist deshalb kein „heiles Ganzes" Rousseauscher Prägung, sondern ein „facettenreicher Gestaltungsprozeß" 288, der aus der Vielfalt und Gegensätzlichkeit der Interessen lebt und dessen Pluralität kein notwendiges Übel, sondern Bedingung der Einheitsfindung ist 2 8 9 . Das Grundgesetz erhebt daher keinen von den jeweiligen Einzelwillen losgelösten, gleichsam „einheitlichen und präexistenten Volkswillen zum Subjekt der Staatsgewalt"290.

282

So die Definition von Kaufmann, Zur Problematik des Volkswillens, S. 23. Der Aufsatz stammt allerdings bereits aus dem Jahre 1931. 283

Kaufmann, Zur Problematik des Volkswillens, S. 23 spricht davon der Volkswille „bedarf seinem Wesen nach der Repräsentation". 284

Rein rechtstechnisch ist zunächst auf folgendes hinzuweisen. Obwohl das Wort „Repräsentation" gemeinhin als gleichbedeutend mit „Vertretung" gebraucht wird und das Grundgesetz hierbei in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG die Abgeordneten als Vertreter des ganzen Volkes bezeichnet, meint Repräsentation im verfassungsrechtlichen Sinne etwas anderes als eine in Analogie zu § 164 BGB gedachte Stellvertretung. Denn die von den Abgeordneten abgegebenen Erklärungen wirken nicht grundsätzlich fur und gegen den Vertretenen, das Volk {H.H. Klein, HStR II, § 41 Rn. 2; Schwartmann, Verfassungsfragen der Aligemeinfinanzierung politischer Parteien, S. 196 f.). Nur wenn die Beschlüsse der Staatsorgane unter Beachtung der in der Verfassung bzw. der Geschäftsordnung geregelten Verfahren zustandegekommen sind, gelten ihre Handlungen als solche des Volkes und werden diesem zugerechnet (Vgl. BVerfGE 44, 308 (316); H.H. Klein,, HStR II, §41 Rn. 2). 285

Vgl. Kriele, Staatslehre, S. 294.

286

Vgl. Hofmann/Dreier,

287

Hesse, VerfR, Rn. 133.

288

So die Formulierung von Hofmann/Dreier,

in: Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 5 Rn. 16.

in: Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 5

Rn. 18. 289

Vgl. M. Drath, Die Entwicklung der Repräsentation, S. 295.

290

Vgl. Badura, HStR I, § 23 Rn. 29.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

Daß die Tätigkeit der Staatsorgane im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 2. HS GG auf diesen Willen des Volkes zurückbezogen sein muß, versteht sich in der repräsentativen Demokratie von selbst. Ebenso offensichtlich ist indes, daß dessen Erfassung nach Durchführung der Wahl - gleichsam im „Alltagsgeschäft" der Staatstätigkeit - Schwierigkeiten bereitet, die Isensee in die Frage gekleidet hat „.. was ist der Wille des Volkes, wenn er sich nicht rechtswirksam in Wahlen oder Abstimmungen äußert?" und die in der Demokratietheorie zu den Forderungen nach formaler und materialer Repräsentation geführt haben 291 . Während damit die Orientierung der Staatsorgane am Volkswillen gleichsam im Verlauf des Repräsentationsprozesses sichergestellt werden soll, stellen Wahlen zu der parlamentarischen Repräsentativkörperschaft das Verfahren dar, in dem sich die repräsentative Demo-

291

Ausgangspunkt ist hierbei die Erkenntnis, daß Kompetenz und Verfahren, wie sie die Demokratie fordert, zunächst eine allein formale Legitimation vermitteln (Isensee, HStR III, § 57 Rn. 90). Insoweit kommt es also auf den Inhalt der Handlungen der Leitungsorgane nicht an (Böckenförde, HStR II, § 30 Rn. 18). Eine staatliche Entscheidung beansprucht mithin bereits dann Geltung, wenn sie aufgrund bestimmter festgelegter Regeln zustandekommt und deshalb als aus dem Volkswillen abgeleitet angesehen werden kann (Isensee, HStR III, § 57 Rn. 90). Findet sich allerdings die Mehrheit des Volkes auf Dauer in diesen Entscheidungen nicht wieder, so entsteht die Gefahr einer Erosion der Legitimation (Böckenförde, HStR II, § 30 Rn. 24). Denn in der Demokratie sind die staatlichen Verantwortungsträger darauf angewiesen, daß ihre Konfliktentscheidungen von den konfligierenden Gruppen anerkannt werden, was voraussetzt, daß sich alle von der Entscheidung Betroffenen mit der Entscheidung identifizieren können (Wefelmeier, Repräsentation, S. 79). M Draht hat dies in die - wegen der mitschwingenden Konzeption einer unmittelbaren Demokratie als der besseren Demokratie (vgl. M. Draht, Die Entwicklung der Repräsentation, S. 261) - nicht unproblematische Formel gekleidet, wo keine Identität von „Herrschern" und „Beherrschten", also keine wirkliche „Selbstregierung der Regierten" möglich sei, solle wenigstens die Identifikation der letzteren mit den ersten möglich sein (vgl. M. Draht, Die Entwicklung der Repräsentation, S. 296). Diese Identifikation beruht zwingend auf freiwilliger Gefolgschaft des Volkes gegenüber den Repräsentanten (Wefelmeier, Repräsentation, S. 80). Materiale Repräsentation in diesem Sinne dient damit letztlich dem Ziel einer Kongruenz von Volks- und Staatswillen (Böckenförde, Repräsentative Demokratie, S. 319), die sich nicht als statischer Zustand, sondern nur als Prozeß stetiger Aktualisierung herstellen läßt. M. Sobolewski hat die westlichen Demokratien beschreibend diesen Prozeß als Vorgang gegenseitiger Anerkennung von staatlichen Entscheidungsträgern und Volk bezeichnet. Diese Anerkennung sei in ständiger, wechselseitiger Kommunikation zwischen Repräsentierten und Repräsentanten herbeizuführen (M Sobolewski, Repräsentation, S. 434 ff.).

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

2

kratie verwirklicht 292 und das Volk deshalb „noch bei sich" ist, weil es die Staatsgewalt unmittelbar ausübt. Hierin liegt eine Besonderheit demokratischer Wahlen, da in ihnen Volks- und Staatswillensbildung in einem einzigen Akt zusammenfallen 293. Obwohl Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG vom Volk als dem Subjekt der Staatsgewalt spricht, ist anerkannt, daß die Vorschrift damit (nur) die Aktivbürgerschaft als die Gesamtheit aller wahlberechtigten Bürger meint 294 . Deshalb läßt sich die Aussage rechtfertigen, in der Wahl komme der Wille des Volkes zum Ausdruck 295 . Da indes auch hier der Volkswille keine „höhere Seinsebene jenseits der Einzelwillen" darstellt 296 , sondern seine Konstituierung von der realen Grundvoraussetzung seiner Bindung an Einzelwillen ausgeht297 und sich gerade in deren Heterogenität artikuliert, ist in der Demokratie keine einstimmige Entscheidung herzustellen. Motor der gleichwohl notwendigen Entscheidungsfindung ist dabei das Mehrheitsprinzip, aus dem das Bundesverfassungsgericht den das Wahlprüflingsrecht beherrschenden Erheblichkeitsgrundsatz abgeleitet hat 298 . Dieses in der Verfassung an mehreren Stellen angesprochene (vgl. Art. 42 Abs. 2, Art. 52 Abs. 3, Art. 54 Abs. 6, Art. 63, Art. 67 Abs. 1 und Art. 77 Abs. 4 GG) und der Demokratie strukturell angemessene Prinzip 299 besagt schlicht, daß ein Recht der Mehrheit besteht, auch bezogen auf die Minderheit verbindli-

292

Vgl. Badura, AöR 97 (1972), S. 1.

293

Vgl. BVerfGE 8, 104 (113); 20, 56 (98); W. Schmitt Glaeser, HStR II, § 31

Rn. 25. 294

Schnapp, in: v. Münch, GGK I, Art. 20 Rn. 31; zur Frage einer Herabsetzung des Wahlalters sowie zum sog. Kinderwahlrecht vgl. oben Kapitel 2, 2. Abschnitt, C. I. 1. 295

Vgl. BVerfGE 29, 154 (165).

296

Vgl. Hofmann/Dreier, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 5 Rn. 17; Böckenförde, HStR II, § 30 Rn. 4: Volkswille existiert nicht unabhängig und losgelöst von den Einzelwillen. 297

Vgl. Badura, HStR I, § 23 Rn. 9.

298

Vgl. BVerfGE 29, 154 (165).

299

Obwohl sich nicht sagen läßt, daß allein die Geltung des Mehrheitsprinzips bedeutet, daß ein Gemeinwesen demokratisch verfaßt ist, vgl. die Darstellung der historischen Entwicklung des Mehrheitsprinzips bei Scheuner, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 13 ff. (insbes. S. 27); ders., in: FS für Kägie, S. 301 (302 ff.): Dreier, ZParl 1986, 94.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

9

che Entscheidungen zu treffen 300 . Gleichwohl ist diese Entscheidungsbefugnis nicht grenzenlos gewährt, sondern unterliegt insbesondere mit der Bindung an die demokratischen Freiheitsrechte sowie der Gleichheit der politischen Mitwirkungsrechte 301, die sich nicht zuletzt in der Ausgestaltung des Wahlrechts niederschlägt, Beschränkungen, die verhindern sollen, daß sich die Mehrheit „rechtlich absolut setzen" kann 302 . Verfahrensrechtlich ist dies dadurch abgesichert, daß für Verfassungsänderungen gemäß Art. 79 Abs. 2 GG qualifizierte Mehrheiten erforderlich sind und indem gegen Mehrheitsentscheidungen (und gegen andere Entscheidungen demokratisch legitimierter Stellen) der Rechtsweg zu den unabhängigen Gerichten (Art. 19 Abs. 4 GG) oder zum Bundesverfassungsgericht offensteht (Art. 92 GG) 3 0 3 . Materiell errichtet Art. 79 Abs. 3 GG eine Grenze, deren Funktion ebenfalls in der „Zügelung" des demokratischen Gedankens gesehen werden kann. Zusätzlich bilden die verschiedenen Grundrechte eine Schranke zum Schutz des einzelnen gegenüber der Mehrheitsherrschaft 304. Soweit demnach das Verfassungsrecht die politische Entscheidung ordnet und ihr Maßstäbe setzt, können Mängel und Irrtümer der Mehrheitsentscheidung mit rechtlichen Mitteln korrigiert werden 305 . Die verfassungsrechtliche Zielbestimmung des repräsentativen Demokratiekonzeptes des Grundgesetzes ist nach dem Gesagten auf die Bildung eines verantwortlichen Vertretungsorgans gerichtet, stattet dieses Repräsentativorgan mit demokratischer Legitimation aus, unterwirft es aber andererseits einem dauernden und offenen Prozeß demokratischer Willensbildung 306 . Es versteht sich von selbst, daß dieses repräsentative Demokratiekonzept nur unter der Geltung eines demokratischen Wahlrechts funktionieren kann 307 . Damit erschließt sich der

300

Vgl. Böckenförde, HStR I, § 22 Rn. 53.

301

Vgl. BVerfGE 44, 125 (141); Storr, Verfassunggebung in den Ländern, S. 268.

302

Vgl. Böckenförde, HStR I, § 22 Rn. 54.

303

Vgl. Häberle, JZ 1977, 361 (363); Storch, Der demokratische Verfassungsstaat,

S. 178. 304

Vgl. Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 228.

305

Badura, StaatsR, D 8.

306

Vgl. Böckenförde, HStR II, § 30 Rn. 14.

307 Vgl. Hofmann/Dreier, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 5 Rn. 25 a.E., die allerdings nur auf ein allgemeines und gleiches Wahlrecht abstellen; jüngst BVerfG NVwZ

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

2

Gehalt des (objektiven) Wahlrechts aufgrund seiner Funktionen. Es soll die Bildung eines Repräsentativorgans, dessen Aufgabe nicht nur in der Repräsentation, sondern auch in der Ausübung von Herrschaft besteht 308 , ermöglichen und zugleich legitimieren. Sowohl die Legitimations- als auch die Kreationsfiinktion des Wahlakts haben dabei die Kollektivhandlung des Volkes zum Gegenstand. Im Zentrum steht hierbei die Volkswillensbildung 309 . Darin erschöpft sich indes nicht die Funktionszuweisung des Art. 38 GG. Denn der demokratischen Wahl kommt - worauf bereits hingewiesen wurde - ein doppelter Zweck zu. Das Wahlrecht und die Wahlrechtsgrundsätze sind ein institutionelles Kernstück des demokratischen Verfassungsstaats und außerdem ein grundrechtlich ausgestaltetes Element der politischen Freiheit 310 . Damit ist die Wahl einerseits Ausdruck der Selbstbestimmung des Einzelnen und bezweckt zugleich die Hervorbringung eines funktionsfähigen Parlaments 311. Diese Doppelfunktionalität als Verfahren, das der Verwirklichung des materiellen (objektiven wie subjektiven) Wahlrechts dient, muß die Wahlprüfung aufnehmen, will sie den Anforderungen des Art. 38 GG gerecht werden.

(4) Der Schluß von der Funktion der Wahl auf die Funktion der Wahlprüfung An sich liegt der Gedanke nahe: Will man die Verfahrensfünktion der Wahlprüfung fixieren, so erscheint es angebracht, auf die Funktion der Wahl abzustellen. Die Aufgaben, denen sie zu dienen bestimmt ist, müssen auch das Wahlprüfiingsverfahren - soll es kein Selbstzweck sein - entscheidend beeinflussen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich dieser Auffassung nicht expressis verbis angeschlossen, sie aber, wie im folgenden gezeigt wird, seiner Recht-

1996, 54 (55): „Wahlen vermögen demokratische Legitimation i.S. des Art. 20 Abs. 2 GG nur zu verleihen, wenn sie frei sind". 308

Badura, in: BK, Art. 38 Rn. 39.

309

Vgl. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329 (337).

310

Vgl. Badura, in: BK, Anh. z. Art. 38: BWahlG Rn. 2: „Der mitgliedschaftlich vorgestellten und durch die Staatsangehörigkeit definierten Zugehörigkeit zur Aktivbürgerschaft des Volkes korrespondiert die rechtlich gesicherte Teilhabe an der politischen Willensbildung des Volkes durch das Wahlrecht", s.a. Scheuner, in: FS Kägi, S. 301 (352). 311

Frenz, Rechtstheorie 24 (1993), S. 513 (514).

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

1

sprechung zugrundegelegt. Sucht man die sowohl vom Bundesverfassungsgericht als auch der herrschenden Lehre vorgenommene Ausdeutung des Verfahrensgegenstandes der Wahlprüfung über deren Verfahrensfunktion nachzuzeichnen, so entstehen Schwierigkeiten, die darauf beruhen, daß die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Ausschluß subjektiven Rechtsschutzes im Wahlprüfungsverfahren auf zwei Säulen ruht: Der These vom alleinigen Schutz des objektiven Wahlrechts sowie der - daraus zumeist abgeleiteten Geltung des Erheblichkeitsgrundsatzes. Im folgenden werden diese beiden Fragenkreise demgegenüber getrennt voneinander untersucht. Dies rechtfertigt sich aus der Überlegung, daß zwar die These vom alleinigen Schutz des objektiven Wahlrechts systematisch in der Tat eine Frage des Verfahrensgegenstandes der Wahlprüfung darstellt. Demgegenüber läßt sich das Problem der Geltung des Erheblichkeitsgrundsatzes nach der hier vertretenen Auffassung der Frage nach der Rechtsfolge festgestellter Wahlfehler zuordnen. Beide Fragestellungen betreffen gänzlich unterschiedliche Problemkreise. Weder das Bundesverfassungsgericht noch die herrschende Lehre haben dies voneinander getrennt. Zu Recht ist ihnen daher in der Literatur der Vorwurf gemacht worden, aus Sorge vor einer begründeten Wahlanfechtung werde bereits der Prüfungsgegenstand der Wahlprüfung verengt 312 . Freilich sind die Bedenken des Gerichts ernst zu nehmen. Der Schutz der Würde des Parlaments sowie die Notwendigkeit, alsbald ein handlungsfähiges Parlament zu kreieren, vertragen keine ständige Aufhebung der Wahl. Indessen wird sich, auch wenn man der hier vertretenen Auffassung folgt, die Sorge vor einer ausufernden Wahlanfechtung als unzutreffend erweisen. Denn die festgestellten, nicht mandatsrelevanten Wahlfehler führen auch nach der hier vertretenen Auffassung nicht zu einer Aufhebungsentscheidung der Wahl. Das Verfassungsprozeßrecht stellt differenzierte Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung, die den subjektiven Rechtsschutzinteressen hinreichend Rechnung tragen, ohne daß die Wahl insgesamt aufgehoben werden muß 313 . Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist, daß aufgrund der oben angeführten Doppelnatur des Wahlrechts unter Berücksichtigung der These, daß die Funktion des Wahlprüfungsverfahrens durch die Funktion der Wahl determiniert wird, eine Vermutung dafür spricht, daß auch das Wahlprüfungsverfahren doppelfunktional ausgestaltet ist. Demnach geht es im Wahlprüfungsverfahren neben dem Schutz des objektiven Wahlrechts auch um subjektiven Wahlrechtsschutz.

312

Vgl. Schneider, in: AK, Art. 41 Rn. 4.

313

Sie dazu näher unten im 2. Abschnitt, A.

16 Lang

2

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

Bekanntlich vertritt das Bundesverfassungsgericht den gegenteiligen Standpunkt. Nach einer kurzen Wiederholung der in Kapitel 3 im einzelnen dargestellten insoweit vom Bundesverfassungsgericht vorgetragenen Argumentation sowie einer terminologischen Klarstellung ist in der Kritik zu untersuchen, welche Überzeugungskraft der Argumentation des Gerichts zukommt.

(a) Argumentation des Bundesverfassungsgerichts Den Grundsatz, das Wahlprüfiingsverfahren diene allein dem Schutz des objektiven Wahlrechts, hat das Bundesverfassungsgericht bereits in seiner ersten wahlprüfungsrechtlichen Entscheidung aufgestellt. Es hat in dem Verfahren betreffend die Gültigkeit der Wahl zum Ersten Bundestag ausgeführt: „Das Wahlprüfungsverfahren dient nur dem Schutz des objektiven Wahlrechts, d.h. der Erzielung der gesetzmäßigen Zusammensetzung des Bundestages"314. Diese Formulierung hat das Bundesverfassungsgericht in der Folgezeit bisweilen wörtlich 315 , häufig aber jedenfalls der Sache nach in bezug genomw

316

men Hinsichtlich der hier interessierenden Frage eines Schutzes subjektiver Rechte steht das Gericht auf dem Standpunkt, subjektive Rechtsverletzungen bildeten nur den Anlaß, nicht aber den Gegenstand des Wahlprüfiingsverfahren 317 . Wie in Kapitel 3 im einzelnen gezeigt wurde, hat das Gericht indessen diese zentrale These des Wahlprüflingsrechts nicht näher begründet.

314

Vgl. BVerfGE 1, 430 (433). - Hervorhebungen hinzugefügt.

315

So in BVerfGE 35, 300 (301); 37, 84 (89).

316

Vgl. BVerfGE 4, 370 (372): „...ausschließlich dazu bestimmt, die richtige Zusammensetzung des Bundestages zu gewährleisten"; s.a. BVerfGE 21, 196 (199); 22, 277 (281); 40, 11 (29); 89, 266 (273); 89, 243 (354): „Das Wahlprüfungsverfahren ist dazu bestimmt, die ordnungsgemäße Zusammensetzung des Bundestages zu gewährleisten". In bemerkenswertem Widerspruch hierzu aber die Ausführungen auf S. 249: „(...) Beschwerdeverfahren nach Art. 41 Abs. 2 GG, § 48 BVerfGG, das ein eigenständiges, nicht auf die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wahl begrenztes Verfahren Hervorhebung hinzugefügt; ebenso BVerfGE 89, 291 (299): Überprüfung auch des Beschlusses des Bundestages in formeller und materieller Hinsicht. 317

BVerfGE 22, 277 (281); 34, 201 (203); 35, 300 (302).

i

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

Im vorliegenden Zusammenhang seien insoweit exemplarisch die Ausführungen zum Verfahrensgegenstand im sogenannten „Strafhaft-Fall" in Erinnerung gerufen. Dort hat das Gericht ausgeführt: „Das Wahlprüfungsverfahren dient nur dem Schutz des objektiven Wahlrechts (BVerfGE 1, 430 [433]). Es ist ausschließlich dazu bestimmt, die richtige Zusammensetzung des Bundestages zu gewährleisten (BVerfGE 22, 277 [280] mit weiteren Nachweisen). Nur solche Wahlfehler vermögen daher die Beschwerde nach Art. 41 Abs. 2 GG zu rechtfertigen, die auf die Mandatsverteilung von Einfluß sind oder sein können (BVerfGE 4, 370 [372 f.]; 21, 196 [199]). Selbst Verletzungen subjektiver Rechte bei der Wahl - wie sie hier vom Wahlprüfungsausschuß zu Recht festgestellt werden - fuhren dann nicht zu einem Eingriff der Wahlprüfungsinstanzen, wenn sie die gesetzmäßige Zusammensetzung des Bundestages nicht berühren (BVerfGE 1, 430 [433]; 22, 277 [281]) 318 . Das Bundesverfassungsgericht rechtfertigt damit den Ausschluß jeglichen subjektiven Rechtsschutzes im Rahmen des Wahlprüfungsverfahrens wie folgt: Das Verfahren diene nur dem Schutz des objektiven Wahlrechts. Es gewährleiste nur die richtige Zusammensetzung des Bundestages. Daher könnten nur mandatsrelevante Wahlfehler die Beschwerde rechtfertigen. Subjektive·Rechtsverletzungen blieben demgegenüber außer Betracht, da sie die Mandatsverteilung nicht beeinflussen können. Bevor im folgenden die Richtigkeit dieser These überprüft werden kann, muß zur Vermeidung von Mißverständnissen zunächst Klarheit darüber bestehen, wie das Bundesverfassungsgericht den Begriff „objektives Wahlrecht" verwendet. Grundsätzlich bezeichnet der Begriff „objektives Recht" die Gesamtheit der Rechtsvorschriften, die ein bestimmtes Rechtsgebiet regeln 319 . Zumeist wird er in Abgrenzung zu Vorschriften verwandt, die (auch) subjektive Rechte gewähren. Übertragen auf das Wahlrecht könnte man daher unter objektivem Wahlrecht die Gesamtheit der Vorschriften verstehen, die das Wahlverfahren normativ dirigieren. Gelegentlich wird der Begriff in der Literatur auch in diesem Sinne verstanden. So wird bei der Festlegung der Verfahrensfunktion der

318

Vgl. BVerfGE 35, 300 (301 f.). - Hervorhebungen hinzugefügt.

3,9

Vgl. Münchener Rechtslexikon, Bd. 3, Stichwort Recht, objektives.

2

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

Wahlprüfung der favorisierten „Rechtmäßigkeit der Willensbildung der Gesamtaktivbürgerschafi" die Aufgabe der Wahlprüfung gegenübergestellt, „die Einhaltung des objektiven Wahlrechts zu garantieren" 320 und ausgeführt, wenn die Wahlprüfung die objektive Wahlrechtssanktionierung bezwecke, müsse sie auf jeden objektiven Wahlrechts verstoß reagieren, unabhängig davon, ob durch ihn in mandatsrelevanter Weise das Wahlergebnis beeinflußt worden sei 321 . Ersichtlich wird hierbei der Begriff „objektives Wahlrecht" im Sinne der oben angeführten Definition als Gesamtheit der wahlrechtlichen Vorschriften verwandt 322 . Man muß dem konzedieren, daß ein solches Verständnis des Begriffs „objektives Wahlrecht" eine mögliche, aufgrund des allgemeinen Sprachgebrauchs gar naheliegende Interpretation darstellt. Sie ist indes nicht mit der Rechtsprechung in Einklang zu bringen. Wenn das Bundesverfassungsgericht ausführt, im Beschwerdeverfahren nach Art. 41 Abs. 2 GG seien subjektive Rechtsverletzungen unbeachtlich, das Verfahren diene nur dem Schutz des objektiven Wahlrechts 323 , dann interpretiert es den terminus „objektives Wahlrecht" gerade nicht aus dem Gegensatzpaar von subjektivem und objektivem Recht. Denn sonst könnte das Gericht zum einen lediglich auf die Verletzung einiger Formvorschriften abstellen 324 , da die weitaus meisten Wahlrechtsverstöße zugleich subjektive Wahlrechte verletzen 325 . Zudem - und dies dürfte der entscheidende Einwand sein - erschöpfte sich bei einem solchen Verständnis die Argumentation des Gerichts ersichtlich in tautologischen Erklärungen, denn subjektive Rechtsverletzungen blieben dann unbeachtlich, weil das Wahlprü-

320

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 36.

321

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 36. - Hervorhebung im Original. 322

Ähnlich Maunz, in Maunz-Dürig, GG, Art. 41 Rn. 6; s.a. Braunias, Das parlamentarische Wahlrecht, Bd. II, S. 280, der etwas pathetisch davon spricht, „das Ziel der Bestimmungen ist der Schutz der Reinheit, der Freiheit und - mit geringen Ausnahmen auch der Gleichheit der Wahl". 323

Etwa in BVerfGE 34, 201 (203); 35, 300 (302).

324

Was es aber nicht einmal dann tut, wenn allein die Verletzung von Formvorschriften gerügt ist. Auch in solchen Fällen prüft das Gericht noch die Erheblichkeit des Wahlfehlers. Der bloße Verstoß gegen „objektives Wahlrecht" im Sinne der obigen Definition reicht mithin gerade nicht aus, vgl. BVerfGE 4, 370 (372 f.). 325

Dies gilt wie oben gezeigt in besonderem Maße für die im Vordergrund jeglicher Wahlprüfung stehenden fünf Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

245

fimgsverfahren nur dem Schutz des objektiven Wahlrechts diente. Darin läge indes nicht mehr als eine nicht näher begründete Behauptung326. Will man dem Gericht nicht einen - über 40 Jahre gepflegten - tautologischen oder nachlässigen Sprachgebrauch unterstellen, dann muß die These vom alleinigen Schutz des objektiven Wahlrechts auf etwas anderes als auf die Notwendigkeit einer Beachtung der Rechtssätze abzielen, die das Wahlverfahren gestalten. Sachgerecht erfassen läßt sich die Aussage des Gerichts mithin nur dann, wenn sie als eine Bezugnahme auf die oben angeführten objektiven Funktionen der Wahl verstanden wird. Man wird die Ausführungen des Gerichts deshalb so verstehen müssen, daß es die Verfahrensfunktion der Wahlprüfung durch die Funktionen der Wahl determiniert sieht und hierbei allein auf die objektiven Funktionen der Wahl abstellen will, ein Vertretungsorgan zu schaffen und zu legitimieren. Auffällig ist bei einer Durchsicht der einschlägigen Entscheidungen jedoch, daß auch unter Zugrundelegung dieser Lesart die genannte Zentralaussage des Wahlprüfungsrechts schlicht behauptet, aber nicht begründet wird. Sie wird vielmehr umgekehrt dazu verwandt, andere und noch weiterreichende Folgerungen für das Verfahren nach Art. 41 Abs. 2 GG zu ziehen. Aus der These, das Wahlprüfungsverfahren diene nur dem Schutz des objektiven Wahlrechts, leitet der Senat zugleich ab, daß es in dem durch Art. 41 Abs. 2 GG strukturierten Verfahren nicht um den Schutz subjektiver Rechte gehe. Deshalb(!) könnten Verletzungen subjektiver Rechte bei der Wahl dann nicht zu einem Eingreifen der Wahlprüfungsinstanzen führen, wenn die gerügten Wahlfehler die gesetzliche Zusammensetzung des Bundestages nicht in Frage stellen könnten 327 . Das objektiv-rechtliche Verständnis der Wahlprüfung reichert das Gericht also mit einer zweiten Prämisse an: Es erklärt in der Wahlprüfung nur solche Wahlfehler für beachtlich, die sich auf die Sitzverteilung ausgewirkt haben können. Auch diese These hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach ausge-

326

Inhaltlich folgt Olschewski weitgehend dem BVerfG. In terminologischer Hinsicht ist allerdings darauf hinzuweisen, daß er den Verfahrenszweck der Wahlprüfung in der Überprüfung der „Rechtmäßigkeit der Willensbildung der Aktivbürgerschaft" sieht. Dies entspricht in etwa dem, was das BVerfG unter den Schutz des objektiven Wahlrechts subsumiert. Umgekehrt kennzeichnet der Autor mit der Schutzrichtung „Einhaltung des objektiven Wahlrechts" die Auffassung, die nicht lediglich für eine Überprüfung der Wahl auf mandatsrelevante Wahlfehler eintritt, sondern für eine unbeschränkte Rechtmäßigkeitskontrolle der Wahlvorgänge ungeachtet ihrer Mandatsrelevanz plädiert, Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 36-41. 327

Vgl. BVerfGE 22, 277 (281).

246

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren

sprochen - und zwar nicht nur, wenn es wie in den in Kapitel 3 im einzelnen dargestellten Entscheidungen wegen festgestellter oder nicht sicher ausschließbarer Wahlfehler hierauf ankam 328 , sondern auch zur Unterstützung seiner Abweisungsentscheidungen, wenn an sich schon gar kein Wahlfehler vorlag 329 oder die Beschwerde als unzulässig abgewiesen wurde 330 . Auch insoweit wird man deshalb von einer ständigen Rechtsprechung sprechen dürfen. Anzumerken ist indes wiederum, daß das Gericht auch diese zweite zentrale These des Wahlprüfungsrechts - zumindest in den ersten einschlägigen Entscheidungen - weder hergeleitet noch begründet hat und daß die späteren Begründungsmuster gewechselt haben 331 . Zu Beginn hat das Gericht - worauf oben bereits aufmerksam gemacht wurde - den Erheblichkeitsgrundsatz schlicht aus der (seinerseits nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigten) Bestimmung der Wahlprüfung als dem Schutz des objektiven Wahlrechts dienend abgeleitet 332 . Später hat der Zweite Senat im Rahmen einer gegen verwaltungsgerichtliche Entscheidungen zu Kommunalwahlen ergangenen Verfassungsbeschwerde eine Begründung nachgeschoben333. Danach stelle die Parlamentswahl den für die Willensbildung im demokratischen Staat entscheidenden Akt dar, durch den das Volk, von dem die Staatsgewalt ausgeht, sein Vertretungsorgan bestimme. Zu den fundamentalen Prinzipien der Demokratie gehöre das Mehrheitsprinzip, in dem der für das Wahlprüfungsverfahren anerkannte Erheblichkeitsgrundsatz letztlich seine Rechtfertigung finde. Ein Wahlfehler könne den in einer Wahl zum Ausdruck gebrachten Volkswillen nur dann verletzen, wenn sich ohne ihn eine andere, über die Mandatsverteilung entscheidende Mehrheit ergeben würde. Erst die Möglichkeit der Auswirkung eines Wahlfehlers auf die Sitzverteilung könne daher relevant sein 334 . Bei der der Wahl in der Demokratie immanenten Wettbewerbs- und Auswahlsituation komme es naturgemäß zu keiner

328

Vgl. die Entscheidungen BVerfGE 4, 370 (373); 21, 196 (199); 35, 300 (302); 37, 84 (89 f.); 40, 11 (29); 89, 243 (254); 89, 266 (273); 89, 291 (299) sowie oben Kapitel 3. 329

So z.B. in BVerfGE 36, 144 ff.; 42, 53 (64) im Rahmen der Prüfung eines Volksentscheides; 48, 271 (280); 58, 175. 330

Wie etwa in BVerfGE 79, 47 (48).

331 Von der Rechtfertigung aus dem objektiven Wahlrecht hin zu einer Legitimierung aus dem Mehrheitsprinzip. 332

Vgl. BVerfGE 1, 430 (433); 21, 196 (199).

333

Vgl. BVerfGE 29, 154 ff.

334

Vgl. BVerfGE 29, 154 (164 f.).

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

einstimmigen Lösung. Zu den fundamentalen Prinzipien, die eine demokratische Wahl normativ dirigiere, gehöre dabei das Mehrheitsprinzip, nach dem die von der Mehrheit getroffene Entscheidung grundsätzlich für alle Bürger Geltung beanspruchen kann. Daher komme der Wahl die Aufgabe zu, dem Willen der Mehrheit des Volkes zum Durchbruch zu verhelfen. Diene aber die Wahl dazu, den Mehrheitswillen zu ermitteln, so brauche die Wahlprüfung aber eben auch nur auf solche Wahlfehler zu reagieren, die die Bildung dieses Mehrheitswillens beeinträchtigten. Dies könne aber nur bei einer denkbaren Auswirkung des Wahlfehlers auf die Sitzverteilung in Betracht kommen 335 . Subjektive Rechtsverletzungen bildeten daher allenfalls den Anlaß, nicht aber den Gegenstand einer Wahlprüfungsbeschwerde 336. Zusammenfassend läßt sich damit festhalten, daß das Bundesverfassungsgericht den Verfahrensgegenstand der Wahlprüfung in einem Dreierschritt fixiert. 1. Das Wahlprüfungsverfahren dient allein dem Schutz des objektiven Wahlrechts. 2. Nur mandatsrelevante Wahlfehler sind beachtlich. 3. Daraus folgert das Gericht, daß subjektive Wahlrechtsverletzungen im Wahlprüfungsverfahren irrelevant sind.

(b) Kritik Eine kritische Hinterfragung dieser Rechtsprechung hat sich demzufolge zunächst mit den beiden Begründungen des Bundesverfassungsgerichts auseinanderzusetzen. Erweisen sich diese als nicht tragfähig, ist in einem zweiten Schritt zu fragen, ob sich der Ausschluß subjektiven Rechtsschutzes im Wahlprüfungsverfahren aus anderen Erwägungen ergibt. Sofern auch dies nicht der Fall ist, stellt sich die Frage, in welcher Form subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren gewährt werden kann.

335 336

Vgl. BVerfGE 29, 154(165).

Diese Schlußfolgerung hat das Gericht im Rahmen des Verfassungsbeschwerdeverfahrens in BVerfGE 29, 154 ff. naturgemäß nicht gezogen, in mehreren Entscheidungen jedoch eindeutig ausgesprochen, etwa in BVerfGE 34, 201 (203); 35, 300 (302); 66, 369 (378).

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

2

(aa) These vom alleinigen Schutz des objektiven Wahlrechts ist nicht gerechtfertigt Die wahlprüfungsrechtliche Grundaussage des Bundesverfassungsgerichts, das Wahlprüfungsverfahren diene allein dem Schutz des objektiven Wahlrechts, ist dabei durchaus rechtfertigungsbedürftig. Der Ausschluß subjektiven Rechtsschutzes in diesem Verfahren läßt sich - worauf im Rahmen der historischen Auslegung bereits eingegangen wurde - weder als historisch gewachsen darstellen noch liegt er aus sonstigen Erwägungen heraus nahe. Im Gegenteil: Bei unbefangener Betrachtungsweise erstaunt die Vorgehensweise des Gerichts. Ausgangspunkt muß die These sein, daß die Funktion der Wahlprüfung durch die Funktion der Wahl dirigiert wird, was aufgrund der oben angeführten Doppelfunktion der Wahl zu einer doppelfunktionalen Wahlprüfung fuhren müßte. Obgleich die subjektiv-rechtliche Komponente des Wahlrechts ganz allgemein anerkannt ist 3 3 7 , wird diese Seite des Wahlrechts vollständig aus dem Wahlprüfungsverfahren eliminiert. Dies verwundert um so mehr, als die Doppelnatur des Wahlrechts nicht erst seit neuestem betont wird 3 3 8 . Auf sie wurde schon in der Staatsrechtslehre der wilhelminischen und Weimarer Zeit hingewiesen. Bereits 1932 hat Braunias in seiner Behandlung des parlamentarischen Wahlrechts vorgeschlagen, das Wahlrecht doppelfunktional zu betrachten: Es müsse getrennt werden in die Funktion der Wahl, ein Vertretungsorgan zu schaffen und in diejenige, dem einzelnen eine subjektive Berechtigung einzuräumen. Jede Betrachtung, die diesen Doppelcharakter des Wahlrechts übersehe, bleibe unvollständig 339 . Der Autor konnte sich hier auf die Vorarbeiten von H a t s c h e k und Stier-Somlo 341 beziehen, die zuvor bereits beide den Doppelcharakter des Wahlrechts herausgearbeitet hatten. Auch das Bundesverfassungsgericht selbst hat den Doppelcharakter des Wahlrechts früh anerkannt. So hat das Gericht in seinem Urteil vom 23. Januar 1957 ganz selbstverständlich ausgeführt, die Wahl habe nicht nur die Funktion,

337

Vgl. Stern, StaatsR I, S. 321; Nass, Wahlorgane und Wahlverfahren, S. 147; Keitz, Der Schutz des subjektiven Wahlrechts, S. 112 sowie oben 1. Abschnitt, B. III. 3. a) cc) (3) (a). 338 Vgl. jüngst Höfling, Der Staat 33 (1994), S. 493 (504); Frenz, Rechtstheorie 24 (1993), S. 513 (529); grundlegend Nowak, Politische Grundrechte, S. 182 ff. 339

Vgl. Braunias, Das parlamentarische Wahlrecht, Bd. II, S. 10.

340

Vgl. Hatschek, ParlamentsR, S. 349.

341

Vgl. Stier-Somlo, Welt, S. 15.

Vom parlamentarischen Wahlrecht in den Kulturstaaten der

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

ein Parlament als funktionsfähiges Staatsorgan hervorzubringen, sondern auch das Ziel, den politischen Willen der Wähler als einzelner zur Geltung zu bringen 342 . Verdeutlichend heißt es hierzu in späteren Entscheidungen, der Bürger betätige sich mit der Stimmabgabe im status activus. Dabei werde er zugleich als Glied des Staatsorgangs Volk tätig 343 . Aufgrund dieser Doppelnatur des Wahlrechts, die eine immer zeitgleiche Ausübung der Organkompetenz wie des individuellen Grundrechts bedingt, liegt der Schluß nahe, im Wahlprüfiingsverfahren müsse es auch um den Schutz dieser subjektiven Rechte gehen. Subjektive Rechtsverletzungen zählten demnach ebenfalls zum Verfahrensgegenstand der Wahlprüfung. Die gegenteilige These des Bundesverfassungsgerichts wirft auch deshalb Probleme auf, weil das Gericht subjektiven Rechtsschutz nicht nur aus dem Wahlprüfungsverfahren exkludiert, sondern gleichzeitig die Verfolgung subjektiver Wahlrechtsverletzungen auch außerhalb eines konkreten Wahlprüflingsverfahrens aufgrund des Rechtswegausschlusses in § 49 BWahlG (= § 50 BWahlG a.F.) als ausgeschlossen ansieht. Bekanntlich hat das Bundesverfassungsgericht § 49 BWahlG mit der Begründung gerechtfertigt, diese Vorschrift entfalte einen Art. 41 GG konkretisierenden Regelungsgehalt344. Hierbei handele es sich um eine aus der besonderen Natur des Wahlverfahrens (Art. 38 und 41 GG) ergebende Sonderregelung 345. Durch Art. 41 GG sei die Korrektur etwaiger Wahlfehler einschließlich solcher, die Verletzung subjektiver Rechte enthalten, dem Rechtsweg des Art. 19 Abs. 4 GG entzogen. Statt dessen sei die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 41 Abs. 2 GG gegeben, so daß ausreichender Rechtsschutz bestehe346. Daraus wird man jedoch den Schluß ziehen müssen, daß ein „an die Stelle Treten" des Wahlprüfungsverfahrens nur dann in Betracht kommen kann, wenn es den Schutz subjektiver Rechte

342

Vgl. BVerfGE 6, 84 (92). Allerdings soll nicht verkannt werden, daß das Gericht trotz der Formulierung „..Willen der Wähler als einzelner zur Geltung zu bringen" auf die Teilhabe an einer Kollektivfunktion abgestellt haben dürfte, wie die unmittelbare Weiterfuhrung der zitierten Stelle zeigt: „also eine Volksrepräsentation zu schaffen, die ein Spiegelbild der im Volk vorhandenen Meinungen darstellt." 343

Vgl. BVerfGE 83, 60 (71); 8, 104 (115 f.); 122 (133). - Hervorhebung hinzuge-

fügt. 344

Diesen Satz hat das Gericht erstmals in seinem unveröffentlichten (!) Beschluß vom 31. August 1957-2 BvR 4/57 - aufgestellt. 345 346

BVerfGE 14, 154(155).

BVerfGE 22, 277 (281). Nach BVerfGE 34, 81 (94) gilt dies auch fur den Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde.

250

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren

übernimmt. Dies muß gerade unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gelten, die sämtlichen sonstigen, das heißt in erster Linie verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz durch § 49 BWahlG ausgeschlossen sieht. Nach der hier vertretenen Auffassung ist dieser Rechtsprechung zuzustimmen, die gleichzeitige Ausklammerung subjektiven Rechtsschutzes im eigentlichen Wahlprüfungsverfahren allerdings abzulehnen. Denn durch sie steht das subjektive Wahlrecht letztlich weitgehend schutzlos da, was aber nicht der Sinn des in Art. 41 GG normierten Wahlprüfungsverfahrens sein kann. Daß der in der Literatur geforderten Übertragung des subjektiven Wahlrechtsschutzes auf die Verwaltungsgerichte nicht das Wort geredet werden kann, wurde oben in Kapitel 4 dargetan. Auch ist es wenig überzeugend, wenn das Gericht ausführt, es ergebe sich bereits aus § 48 BVerfGG, wonach die Zulässigkeit der Wahlbeschwerde vom Beitritt weiterer 100 Wahlberechtigter abhängig sei, daß die Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht kein Rechtsweg im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG sei 347 . Bei einer Interpretation des Wahlprüfungsverfahren, nach der in diesem Verfahren auch subjektive Rechte zu schützen sind, stellt sich umgekehrt die Frage, ob das Quorum des § 48 BVerfGG verfassungsgemäß ist 3 4 8 : nicht aber kann die einfachrechtliche Vorschrift dazu benutzt werden, den Rechtscharakter eines verfassungsrechtlichen Rechtsbehelfs festzulegen. Die Rechtsprechung hat in der Literatur - worauf in Kapitel 4 im einzelnen eingegangen wurde - erhebliche Kritik erfahren 349. Für die hier interessierende Frage eines Schutzes subjektiver Rechte im Wahlprüfungsverfahren hat diese Kritik insoweit Wirkungen gezeitigt, als das Bundesverfassungsgericht seine anfängliche Rigidität 350 bezüglich des Ausschlusses subjektiven Rechtsschutzes aufgegeben hat und in späteren Entscheidungen nur noch davon gesprochen hat, das Wahlprüfungsverfahren diene „grundsätzlich" 351 oder „in erster Linie" 3 5 2

347

BVerfGE 22, 277 (281).

348

Vgl. dazu unten, 1. Abschnitt, B. III. 3. a) dd) (2) (b) (bb).

349

Vgl. oben Kapitel 4, 2. Abschnitt, Β. I. 3.

350

Vgl. etwa die Entscheidungen BVerfGE 4, 370 (372); 21, 196 (199); 35, 300 (301), wo es heißt, das Wahlprüfungsverfahren diene „ausschließlich" oder „nur" dem Schutz des objektiven Wahlrechts. 351

Mit der Maßgabe der Mandatsrelevanz diene es demgegenüber auch der Verwirklichung des subjektiven aktiven wie passiven Wahlrechts, vgl. BVerfGE 85, 148 (159). 352

BVerfGE 89, 291 (299).

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

251

dem Schutz des objektiven Wahlrechts. Im Verfahren betreffend die Rechtmäßigkeit der Kandidatenaufstellung der Hamburger CDU 3 5 3 hat es schließlich den genannten Standpunkt gänzlich relativiert und ausgeführt, das Wahlprüfiingsverfahren stelle kein auf die Verfassungsmäßigkeit der Wahl begrenztes Verfahren dar. Am stärksten hat das Gericht den Schutz subjektiver Rechte im Wahlprüfungsverfahren in seinem - allerdings eine Verfassungsbeschwerde gegen eine Wahlprüfungsentscheidung eines Landesverfassungsgericht betreffenden - Beschluß vom 11. Oktober 1972 betont. Nach den bekannten Ausführungen zur Spezialität des Wahlprüfungsverfahren gegenüber dem allgemeinen Rechtsweg des Art. 19 Abs. 4 GG heißt es dort weiter: „...kann das Bundesverfassungsgericht auch in dem Verfahren nach Art. 41 Abs. 2 GG der ihm übertragenen Aufgabe gerecht werden, die Grundrechte des einzelnen Bürgers zu schützen. Es prüft nämlich nicht nur nach, ob die Wahlvorschriften richtig angewandt worden sind, sondern auch, ob das angewandte Wahlgesetz mit der Verfassung in Einklang steht, insbesondere Grundrechte der aktiv und passiv Wahlberechtigten nicht verletzt. Etwaige Grundrechtsverstöße stellt es fest und zieht darüber hinaus aus ihnen, soweit sie sich möglicherweise auf die Mandatsverteilung ausgewirkt haben, auch Folgerungen für die Gültigkeit der Wahl" 354 . Der in der Literatur gelegentlich vorgebrachten Interpretation dieser Ausführungen, das Gerichts habe damit nicht den subjektiven Rechtsschutz des Bürgers verstärken wollen, sondern es handele sich nur um „reflexartig wirkende Begünstigungen des Antragstellers oder der sonstigen Begünstigten als Folge der Geltung der Grundrechte als objektives Recht" 355 , hat das Gericht selbst den Boden entzogen. Denn in seiner zweiten Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil eines Landesverfassungsgerichts in Wahlprüfungsangelegenheiten hat es ausgeführt „mit dieser Maßgabe (gemeint ist die Mandatsrelevanz) diene das Verfahren auch dem Schutz des subjektiven aktiven wie

353 Vgl. BVerfGE 89, 243 (249). Infolgedessen überprüft das Gericht auch den Beschluß des Bundestages in formeller wie materieller Hinsicht; in der Sache ebenso BVerfGE 89, 291 (299). 354

BVerfGE 34, 81 (94 f.). - Hervorhebung hinzugefügt.

355

So Detterbeck, Streitgegenstand, S. 570 mit Fn. 179.

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

2

passiven Wahlrechts" 356 . Mit dem Ausdruck „dienen" hat es erkennbar nicht auf eine reine Reflexwirkung des objektiven Rechts abgestellt. Allerdings hat das Gericht diesen Ansatz in der Folgezeit nicht weiter verfolgt und er ist im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten. Dies mag mit darin begründet sein, daß der Senat nicht deutlich gemacht hat, wie ein solcher Schutz dann aussehen kann, wenn sich der gerügte Wahlfehler nicht in mandatsrelevanter Weise ausgewirkt hat. Man muß diese Ausführungen dabei nicht zwingend so verstehen, daß solche Wahlfehler gänzlich unbeachtlich sind, denn das Gericht hat sich zwar auf den Standpunkt gestellt, daß es lediglich aus mandatsrelevanten Wahlfehlern Folgerungen für die Gültigkeit der Wahl ziehen will, nicht aber hat es damit zugleich ausgesagt, daß sonstige Wahlfehler unbeachtlich sind. Offen bleibt allerdings, wie ein solcher Schutz genau aussehen soll, insbesondere welche Rechtskraftwirkungen und welchen Vollstreckungsdruck er erzeugen könnte. Auf die damit zusammenhängenden Probleme soll unten im 2. Abschnitt bei den Tenorierungsfragen eingegangen werden. Hier genügt es festzuhalten, daß das Bundesverfassungsgericht einem Schutz subjektiver Rechte nicht generell ablehnend gegenübersteht. Belegt wird dies auch durch die in Kapitel 4 dargestellte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die wahlprüfungsrechtliche Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte zum Gegenstand hatten 357 . Wenn das Gericht dort ausfuhrt, durch die im (objektiven) Wahlprüfungsverfahren ergangene Entscheidung des Landesverfassungsgerichts könnte das Grundrecht der (Wahl)Gleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG der Beschwerdeführer verletzt werden, so muß das Wahlprüfungsverfahren zumindest auch dem Schutz subjektiver Wahlrechte dienen. Andernfalls wäre nicht verständlich, wie durch ein Urteil eines Landesverfassungsgerichts, das in einem Verfahren ergeht, das allein dem Schutz des objektiven Wahlrechts dient, subjektive (Grund)Rechte des Beschwerdeführers verletzt werden könnten. Anknüpfungspunkt für einen Abschied von einer allein objektiven Sichtweise kann zudem die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts sein, wonach das Wahlprüfungsverfahren "auch der Verwirklichung des subjektiven aktiven und passiven Wahlrechts" dient 358 . Dabei muß der damit angesprochene Schutz mehr sein als ein reiner Rechtsreflex des Schutzes der gesetzmäßigen Zusam-

356

BVerfGE 85, 148(158).

357

Vgl. oben Kapitel 4, 2. Abschnitt, Β. I. 3. b) bb).

358

Vgl. BVerfGE 85, 148 (159).

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

253

mensetzung des Parlamentes, weil ansonsten die Formulierung überflüssig oder jedenfalls mißverständlich wäre.

(bb) Notwendigkeit der Berücksichtigung der Doppelfunktionalität der Wahl Daß die Berücksichtigung subjektiver Rechtsschutzbelange im Wahlprüfungsverfahren kein „Brosamen" der Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Wahl darstellen kann, hat bereits die oben angeführte Doppelnatur des Wahlrechts gezeigt. Danach muß auch die subjektive Seite des Wahlrechts in die Wahlprüfung einbezogen sein. Aber selbst wenn man demgegenüber der - worauf nochmals hingewiesen werden soll nicht näher begründeten - Auffassung folgen würde, wonach es im Wahlprüfungs verfahren allein um den Schutz des objektiven Wahlrechts ginge, würde sich eine Berücksichtigung subjektiver Belange aufgrund der namentlich in der Entscheidung betreffend das Zustimmungsgesetz zum Maastrichter Vertrag zum Ausdruck gebrachten neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Verhältnis von Demokratieprinzip und subjektivem Wahlrecht nahelegen359. Ungeachtet aller Kontroversen um die Richtigkeit der Entscheidung360 besteht doch Einigkeit, daß in ihr, wenn nicht ein Abschied vom „Dogma eines grundsätzlich objektiv-rechtlichen Charakters von Staatsstrukturprinzipien" 361 so aber doch eine Rückkoppelung an den subjektiv-rechtlichen Gehalt des Art. 38 GG anerkannt wird. Wenn aber das dem objektiven Recht angehörende Demokratieprinzip nunmehr in Art. 38 GG subjektiv-rechtlich verankert wird, so führt dies dazu, daß objektives und subjektives Wahlrecht nicht mehr beziehungslos nebeneinanderstehen und demzufolge auch beide in der Wahlprüfung Berücksichtigung finden müssen. Um diese These zu erhärten, ist in einem ersten Schritt zunächst zu klären, worin das substantiell Neue dieser Rechtsprechung in bezug auf den (subjektivrechtlichen) Gewährleistungsinhalt des Art. 38 GG besteht. In einem zweiten Schritt soll dann gefragt werden, welche Rückschlüsse hieraus für die Ausgestaltung des Rechtsschutzes in Wahlprüfungsverfahren zu ziehen sind.

359

Vgl. BVerfGE 89, 155 ff.

360

Zu der Entscheidung haben sich etwa geäußert Bieber, NJ 1993, 241 ff.; Cremer, NJ 1995, 5 ff.; Ipsen, EuR 1994, 1 ff.; E. Klein, GS für Grabitz, S. 271 ff.; Kokott, AöR 118 (1993), S. 207 ff.; Meesen, NJW 1994, 549 ff.; Schröder, DVBl. 1994, 316 ff. Tomuschat, EuGRZ 1993, S. 489 ff. 361

So die Formulierung von Hobe/Wiegand,

ThürVBl. 1994, 204 (208).

254

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren

Bis zu der Entscheidung vom 12. Oktober 1993 bestand weitgehend Einigkeit, daß der subjektiv-rechtliche Gewährleistungsgehalt des Art. 38 GG sich in dem Recht auf Teilnahme an den Wahlen und auf Einhaltung der fünf Wahlrechtsgrundsätze erschöpfte 362. Mit diesen beiden Rechten wurde die subjektivrechtliche Funktion von Art. 38 GG umschrieben. Die aufgrund der oben angeführten Doppelnatur des Wahlrechts ebenfalls und gleichzeitig bestehenden objektiven Funktionen der Wahl, also deren Legitimations- und Kreationsfunktion, waren demgegenüber als Teile des objektiven Wahlrechts nicht Inhalt der subjektiv-rechtlichen Gewährleistung des Art. 38 GG. Folgerichtig und auf dieser Linie hat die Rechtsprechung ein auf Art. 38 GG beruhendes Recht des einzelnen Wählers darauf, daß der Deutsche Bundestag nicht in Anwendung des Art. 68 GG vorzeitig aufgelöst wird, verneint 363 . Nachdem das Bundesverfassungsgericht in einer späteren Entscheidung die demokratische Legitimation indes nicht lediglich formal betrachtet hat, sondern die Realisierung eines „bestimmten Legitimationsniveaus" einforderte 364, ist das Gericht in der Maastricht-Entscheidung endgültig über die traditionelle Bestimmung des Schutzbereichs des Art. 38 GG hinausgegangen. Der Senat hält zunächst in gängiger Interpretation des Schutzbereichs fest, Art. 38 GG gewähre den wahlberechtigten Deutschen ein subjektives Recht, an der Wahl des Deutschen Bundestags teilzunehmen, führt dann aber weiter aus, dadurch habe er auch das Recht, „an der Legitimation der Staatsgewalt durch das Volk auf Bundesebene mitzuwirken und auf ihre Ausübung Einfluß zu nehmen" 365 . Das Bundesverfassungsgericht erstreckt mit dieser Entscheidung mithin den subjektiv-rechtlichen Gehalt von Art. 38 GG auf das nach dem Grundgesetz objektiv gebotene Maß

362

Sie zunächst oben 1. Abschnitt, B. III. 3. a) cc) (3) (a). Diese Differenzierung wird ausdrücklich verwandt von Maunz, in Maunz-Dürig, GG, Art. 38 Rn. 29; Gassner, Der Staat 34 (1995), S. 429 (431); das BVerfG spricht in der Maastricht-Entscheidung davon, Art. 38 GG verbürge, „daß dem Bürger das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag zusteht und bei der Wahl die verfassungsrechtlichen Wahlrechtsgrundsätze eingehalten werden"; vgl. BVerfGE 89, 155 (171); vgl. außerdem BVerfGE 69, 92 (105 f.); 47, 253 (269); s.a. Epiney, Der Staat 34 (1995), S. 557 (566). 363

Vgl. BVerfGE 62, 397 (399); 63, 73 (75); zustimmend Gassner, der Staat 34 (1995), S. 429 (432); zu im Rahmen eines Organstreitverfahrens gerügten Verletzungen von Statusrechten der Abgeordneten durch eine „unechte" Vertrauensfrage des Bundeskanzlers und einer Auflösungsentscheidung des Bundestages vgl. BVerfGE 61, 1 ff. mit kritischer Anmerkung zur Zulässigkeit des Antrags Achterberg, DVB1. 1983, 477 (480): „Zirkelschluß". 364

Vgl. BVerfGE 83, 60 (72) und wiederholt in BVerfGE 89, 155 (182).

365

Vgl. BVerfGE 89, 155 (171 f.).

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

25

demokratischer Legitimation von Bundesstaatsgewalt366 oder, in den Worten des Gerichts ausgedrückt, „auf den grundlegenden demokratischen Gehalt dieses Rechts" 367 . Im Anschluß an die Entscheidung kann mithin der einzelne in seiner Eigenschaft als Staatsbürger geltend machen, durch hoheitliches Handeln werde das Demokratieprinzip, dem bisher ausschließlich objektiv-rechtlicher Charakter beigemessen wurde, verletzt 368 . In Art. 38 GG ist damit auch ein Anspruch des Bürgers auf Beachtung des Demokratieprinzips verankert 369 . Damit schält sich der Kern der neuen Argumentation heraus, die in der Literatur unter den Stichworten „Materialisierung" und „Subjektivierung" diskutiert wird. Materialisierung, weil der materielle Inhalt des Wahlrechts über die oben ausgeführten anerkannten Funktionen hinausgehend auf ein Recht ausgedehnt wurde, daß der Bundestag tatsächlich die ihm anvertrauten Befugnisse der Ausübung der Staatsgewalt wahrnimmt 370 . Subjektivierung, weil das Gericht dem einzelnen Wahlberechtigten einen aus Art. 38 GG folgenden Anspruch auf Einhaltung der „unverzichtbaren Mindestanforderungen demokratischer Legitimation" 371 zuerkennt 372 . Anders ausgedrückt: Der objektiv-rechtliche Gehalt des Demokratieprinzips wird Teil des verfassungsbeschwerdefahigen subjektivrechtlichen Gewährleistungsgehaltes des Art. 38 GG 3 7 3 . Diese Interpretation des Schutzbereichs des Art. 38 GG durch das Bundesverfassungsgericht hat in der Literatur Beifall 374 , aber auch Kritik 3 7 5 erfahren.

366

E. Klein, GS für Grabitz, S. 271 (273).

367

BVerfGE 89, 155 (171).

368

Vgl. Epiney, Der Staat 34 (1995), S. 557 (559).

369

Epiney, Der Staat 34 (1995), S. 557 (558); vgl. auch H.H. Klein, Maastrichter Vertrag und nationale Verfassungsgerichtssprechung, S. 4: „Art. 38 GG hätte dann verletzt sein können, wenn die Wahrnehmung der Kompetenzen des Deutschen Bundestages so weitgehend auf ein von den Regierungen gebildetes Organ der Europäischen Union übergeht, daß die unverzichtbaren Mindestanforderungen demokratischer Legitimation der dem Bürger gegenübertretenden Hoheitsgewalt nicht mehr erfüllt werden". 370

Epiney, Der Staat 34 (1995), S. 557 (569).

371

So die Formulierung in BVerfGE 89, 155 (172).

372

Vgl. Gassner, Der Staat 34 (1995), S. 429 (433).

373

Vgl. Epiney, Der Staat 34 (1995), S. 557 (574).

374

Vgl. Schröder, DVBl. 1994, 316 (319), Pernice, EuZW 1993, 649; Epiney, Der Staat 34 (1995), S. 557 (568 f.): Der „Schutzbereich des Art. 38 GG muß so bestimmt

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

26

Bevor nachfolgend die Übertragbarkeit der in der Maastricht-Entscheidung entwickelten Grundsätze auf das Wahlprüfungsverfahren untersucht wird, soll zunächst auf einige der Kritikpunkte, soweit sie die hier interessierende Fragestellung einer Übertragung betreffen, eingegangen werden. Denn einer zu Recht kritisierten Entscheidung könnten keine auf das Wahlprüfungsrecht übertragbare Wertungen entnommen werden. Die an der Entscheidung geübte Kritik richtet sich sowohl gegen die „Materialisierung" von Art. 38 GG als auch gegen die „Versubjektivierung" des Demokratieprinzips. In grundsätzlicher verfassungstheoretischer Sicht könnte der Materialisierungsthese zunächst entgegengehalten werden, daß das Grundgesetz von einer Unterscheidung von Staat und Gesellschaft ausgeht, so daß eine direkte Einflußnahme des Bürgers auf die Ausübung der Staatsgewalt nicht denkbar sei. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft wird zwar gelegentlich unter Berufung auf ein „ganzheitliches Verfassungsverständnis" abgelehnt 376 , von der Gegenauffassung wird sie indes zu Recht anerkannt 377. Sie liegt - wie die Art. 20 Abs. 2 GG und 21 Abs. GG zeigen - der Konzeption der Verfassung zugrunde. Indem Art. 20 Abs. 2 GG von der Staatswillensbildung und Art. 21 von der Volkswillensbildung spricht, wird deutlich, daß die Verfassung von der Unter-

werden, daß (die Vorschrift ihrer) Funktion für die Verwirklichung der demokratischen Ordnung des Grundgesetzes gerecht werden kann". 375

Vgl. Tomuschat, EuGRZ 1993, 489 (491); Ipsen, EuR 1994, 1 (1 f.); Meesen, NJW 1994, 549 (550 f.); E. Klein, GS für Grabitz, S. 271 (274); Gassner, Der Staat 34 (1995), S. 429 (439): die durch das Gericht vorgenommene „Subjektivierung des Repräsentationsprinzips ist mit den Grundsätzen der Konsistenz und Kohärenz als Leitlinie systematischer Verfassungsauslegung schlechterdings nicht zu vereinbaren"; kritisch auch Hobe/Wiegand, ThürVBl. 1994, 204 (207) „erscheint die Begründung der Zulässigkeit unter Hinweis auf Art. 38 GG grundsätzlich kritikwürdig", im Ergebnis stimmen die Autoren indes dem BVerfG zu (S. 208). 376

Etwa von Ehmke, in: Böckenförde (Hrsg.); Staat und Gesellschaft, S. 241 (S. 243 ff.); von Krokow, in: Böckenförde (Hrsg.), Staat und Gesellschaft, S. 432 ff.; Lipphardt, EuGRZ 1986, 149(151). 377 Vgl. zunächst die obigen Ausführungen zu den objektiven Funktionen der Wahl sowie vor allem Böckenförde, in: dens., (Hrsg.), Staat und Gesellschaft, S. 395 ff.; Forsthoff Der Staat der Industriegesellschaft, S. 21 ff.; Rupp, HStR I, § 28; Isensee, Der Staat 20 (1981), S. 161; dens., in: Böckenförde (Hrsg.), Staat und Gesellschaft, S. 317 ff.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

25

Scheidung ausgeht. Dies hat das Bundesverfassungsgericht bereits früher ausgesprochen 378 und in der Maastricht-Entscheidung bestätigt 379 . Dem Bundesverfassungsgericht wird in der Literatur aber vorgeworfen, seine Neuinterpretation des Art. 38 GG führe zu einer „extreme(n) Subjektivierung des Repräsentationsprinzips" 380, die sich nicht bruchlos in das Gefüge der sonstigen Normen einordnen lasse. Denn die Partizipation des einzelnen an der Ausformung der Repräsentation verletze die vom Grundgesetz vorausgesetzte Distanz von Repräsentanten und Repräsentierten 381. Zwar werde auch nach der Distanzlehre die Aktualisierung des Volkswillens durch institutionelle und prozedurale Vorkehrungen ermöglicht, doch sei die damit garantierte Rückkoppelung zwischen Staatsorganen und Volk ein reiner Kommunikations- und Interaktionsprozeß 382. Eine der Kernaussagen des Repräsentationsmodells, daß zwischen den Repräsentanten und den Repräsentierten eben gerade kein rechtliches Band bestehe383, werde durch die Gewährung eines „Grundrecht(s) auf substantiellen Parlamentarismus" unterminiert, ohne daß der Senat hierfür eine überzeugende Begründung angeführt habe 384 . Vehemente Kritik hat das Bundesverfassungsgericht auch wegen der verfahrensrechtlichen Absicherung des Anspruchs auf hinreichende demokratische Legitimation erfahren. In Abkehr von dem das deutsche Prozeßrecht beherrschenden Grundsatz des Ausschlusses jeglicher Popularklagen komme die Neuinterpretation des Art. 38 GG einer Aufgabe der Zulässigkeitsvoraussetzung der (Selbst)Betroffenheit gleich 385 . Wenn dem einzelnen ein materielles Recht auf Einhaltung des Demokratieprinzips zugestanden werde, müsse dem eine prozessuale Rügemöglichkeit entsprechen. Damit aber koppele diese Interpretation die Grundrechtsrüge vom Erfordernis der subjektiven Betroffenheit ab und führe zur Popularklage. Der einzelne werde damit zum „Wächter des de-

378

BVerfGE 8, 104(113).

379

Allerdings etwas verdeckt führt der Senat aus: „Im Wahlakt geht die Staatsgewalt vom Volke aus. Der Bundestag übt sodann Staatsgewalt als Organ der Gesetzgebung aus...", vgl. BVerfGE 89, 155 (171). - Hervorhebung hinzugefügt. 380

Vgl. Gassner, Der Staat 34 (1995), S. 429 (439).

381

Vgl. Gassner, Der Staat 34 (1995), S. 429 (441).

382

Vgl. Gassner, Der Staat 34 (1995), S. 429 (442).

383

Vgl. oben 1. Abschnitt, B. III. 3. a) cc) (3) (d) (bb).

384

Vgl. Gassner, Der Staat 34 (1995), S. 429 (442).

385

Vgl. vor allem E. Klein, GS Grabitz, S. 271 (275).

17 Lang

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

2

mokratischen Prinzips" denaturiert und als „Verteidiger von Organkompetenzen" mißbraucht 386 . Letztlich vermag die an der Entscheidung des Gerichts geäußerte Kritik, soweit sie die hier interessierende Fragestellung der Ausdeutung des Schutzbereichs des Art. 38 GG betrifft, vor allem aufgrund von zwei Erwägungen nicht zu überzeugen. Das in den genannten Literaturstimmen zum Ausdruck kommende Bedenken einer Eröffnung der Popularklage in Verfassungsbeschwerdeverfahren 387 ist fur die hier zu erörternde Übertragung der Erwägungen des Gerichts auf das Wahlprüfungsverfahren ohne Belang. Denn ein Wahlprüfungsverfahren kommt gemäß § 2 Abs. 1 WahlprüfG auf Einspruch eines Wahlberechtigten in Gang, wobei die Einspruchsbefugnis an keine weitere Beschwer gebunden ist. In Wahlprüfungsangelegenheiten war und ist daher der einzelne auch bisher „Wächter des Demokratieprinzips". Denn in seiner Hand liegt - von den wenig praktischen Ausnahmen der in § 2 Abs. 2 WahlprüfG ebenfalls genannten amtlichen Einspruchsberechtigungen abgesehen - die Initiierung des Wahlprüfungsverfahrens. Gleiches gilt fur die Beschwerde nach § 48 Abs. 1 BVerfGG, die die Beschwerdebefugnis zwar an den Beitritt weiterer 100 Wahlberechtigter knüpft, dabei aber keine rechtliche Betroffenheit verlangt 388 . Auch die gegen die „Materialisierung" von Art. 38 GG gerichteten Bedenken greifen nicht durch. Gegen die Argumentation, die Neuinterpretation sei ein Fremdkörper, läßt sich zum einen das notwendige Zusammenspiel von Art. 38 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 2 GG anführen. Wenn es nämlich, wie oben ausgeführt 389 , zutrifft, daß das subjektive Recht des einzelnen auf Teilnahme an der Bundestagswahl eine für die Verwirklichung und Konkretisierung des in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG niedergelegten demokratischen Prinzips essentielle Notwendigkeit ist, dann muß der Schutzbereich des Art. 38 GG auch so bestimmt werden, daß das dieser Vorschrift zu entnehmende subjektive Recht seine Funktion für die Verwirklichung der demokratischen Ordnung auch erfüllen kann 390 .

386

Vgl. E. Klein, GS Grabitz, S. 271 (274).

387

Vgl. hierzu E. Klein, GS Grabitz, S. 271 (275); Tomuschat, EuGRZ 1993, 489

(491). 388

Vgl. dazu unten 1. Abschnitt, B. III. 3. a) dd) (2) (b) (bb).

389

Vgl. oben 1. Abschnitt, B. III. 3. a) cc) (3) (b).

390

Vgl. Epiney, Der Staat 34 (1995), S. 557 (568 f.).

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

25

Daran liegt kein Bruch mit dem Repräsentationsmodell, sondern infolge der verfahrensrechtlichen Absicherung ein Beitrag zu dessen Verwirklichung. Weiterhin ist gegenüber der erwähnten Kritik daran zu erinnern, daß das Grundgesetz, wie insbesondere die Wertungen der Art. 1 Abs. 1 GG sowie Art. 79 Abs. 3 GG zeigen, in der Volkssouveränität und der Menschenwürde eine doppelte Grundlage hat 391 . Sowohl die individuelle Freiheit als auch die demokratische Teilhabe haben ihre Wurzel letztlich in der Würde des Menschen 392 . Dabei gehört zu deren Begriffskern die moralische Selbstbestimmung, die sich unter anderem in der demokratischen Teilhabe entfaltet 393 . Erst der durch die materiale und verfahrensrechtliche Absicherung des demokratischen Prinzips in Art. 38 GG geschaffene Zustand ermöglicht daher die Realisierung der von H. Meyer bereits 1974 erhobenen Forderung, nach der „es (..) in der Demokratie zu der in Art. 1 GG für unantastbar erklärten Würde des Menschen (gehöre), daß er an der Gestaltung der Gemeinschaft, der er angehört, teilhaben kann" 394 . Aber auch jenseits dieser - zugegebenermaßen umstrittenen - Ausdeutung der Rechtsnatur und Herkunft des Wahlrechts finden sich Argumente, die die Richtigkeit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts belegen. Denn allgemein wird anerkannt, daß bei einer nicht auf einer Verfassungsänderung beruhenden Verlängerung der Legislaturperiode das subjektive Wahlrecht des einzelnen tangiert ist 3 9 5 . Damit schützt die Vorschrift bereits vor einer nur temporären Entwertung des Wahlrechts. Dann kann aber erst recht nichts anderes

391

Vgl. Gassner, Der Staat 34 (1995), S. 429 (443), der gleichwohl gegenüber der Entscheidung des Gerichts skeptisch bleibt. 392

Zippelius, in: BK, Art. 1 Abs. 1 und 2 Rn. 80; Frenz, Rechtstheorie 24 (1993), S. 513 (529). 393

Zippelius, in: BK, Art. 1 Abs. 1 und 2 Rn. 80.

394

Vgl. H. Meyer, VVDStRL 33 (1975), S. 69 (75).

395 Vgl. BVerfGE 1, 14 (33): „Das Wahlrecht wird auch beeinträchtigt, wenn fällige Wahlen hinausgeschoben werden"; ebenso BVerfGE 13, 54 (91): „könnte man weiter aus Art. 38 GG ein subjektives Recht folgern, daß fällige Wahlen auch durchgeführt werden"; Sachs, in: Stern, StaatsR III/l, S. 589 sowie Magiera, in: Sachs, GG, Art. 38 Rn. 104. Demgegenüber soll nach Auffassung der für das Wahlrecht zuständigen 3. Kammer des Zweiten Senats ein Anspruch auf Vorverlegung des Wahltermins nicht mit der Verfassungsbeschwerde durchsetzbar sein; für die Festlegung des Wahltags gelte die Spezialität des Wahlprüfungsverfahren, so daß es sich hierbei um keinen mit der Verfassungsbeschwerde angreifbaren Hoheitsakt handele, vgl. BVerfG NVwZ 1994, 893 mit zustimmender Anmerkung von Robbers, JuS 1996, 116(119).

26

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

gelten, wenn das Wahlrecht nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer seiner legitimierenden Wirkung beraubt wird. Festzuhalten bleibt deshalb, daß infolge der Maastricht-Entscheidung die Elementaranforderungen des Demokratieprinzips durch Art. 38 GG individualrechtlich geschützt werden. Demzufolge kommt eine Verletzung des subjektivrechtlichen Gehalts des Art. 38 GG dann in Betracht, wenn der Legitimationseffekt der Wahl (elementar) verkürzt wird. Damit wird die Frage relevant, welche Folgerungen aus dieser Interpretation des Schutzbereichs des Art. 38 GG für das Wahlprüfungsrecht gezogen werden können. Kerngedanke des Maastricht-Urteils ist, daß Art. 38 GG vor einer substantiellen Entwertung des Wahlakts schützt und die Verfassung dem Bürger die Möglichkeit eröffnet, hierauf zielende staatliche Maßnahmen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen. Überträgt man diese Wertungen auf das Wahlprüfungsrecht, so kann es zu einer derartigen Entleerung und dem damit verbundenen Legitimationsbruch auch dann kommen, wenn sich bei der Wahl ein erheblicher Wahlfehler ereignet. Unter Zugrundelegung der genannten Rechtsprechung wäre in einem solchen Fall in konsequenter Fortführung der Entscheidung des Gerichts gerade diese objektiv-rechtliche Seite der Wahl auch subjektiv-rechtlich abgesichert. Wäre also ein Wahlfehler ersichtlich mandatsrelevant und entzöge damit der Wahl (insoweit) unstreitig die demokratische Legitimation, dann muß nach der Maastricht-Entscheidung angenommen werden, daß bereits durch diesen Legitimationsverlust der einzelne Wähler in seinen Rechten aus Art. 38 GG beeinträchtigt würde. Die Beeinträchtigung der objektiven Legitimationsfünktion wäre mit anderen Worten zugleich eine subjektive Rechtsverletzung und als solche auch rügefähig. Nimmt man dies ernst, dann läßt sich die bisherige These des Bundesverfassungsgerichts, das Wahlprüfungsverfahren diene allein dem Schutz des objektiven Wahlrechts und deswegen seien subjektive Rechtsverletzungen unbeachtlich, nicht aufrechterhalten. Ihr steht dann nicht nur die oben angeführte gegen die herrschende Meinung gerichtete These entgegen, daß es im Wahlprüfungsverfahren aufgrund der eigentümlichen Rechtsnatur des Wahlrechts auch um den Schutz subjektiver Rechte geht. Vielmehr drängt sich unter Berücksichtigung der Maastricht-Entscheidung eine Berücksichtigung subjektiver Rechtsschutzbelange auch unter Zugrundelegung der herrschenden Meinung auf. Wenn nämlich die Beeinträchtigung rein objektiver Funktionen im Rahmen von Verfassungsbeschwerde verfahren als vom subjektiv-rechtlichen Gewährleistungsgehalt des Grundrechts aus Art. 38 GG umfaßt angesehen wird und damit subjektive Rechtsverletzungen sogar auch dann in Rede stehen, wenn primär objektive Funktionen der Wahl beeinträchtigt sind, dann muß dies auch für das Wahlprüfungsverfahren gelten. Diesen doppelten Funktionsgehalt hat das Bun-

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

261

desverfassungsgericht in der Maastricht-Entscheidung anerkannt. Andernfalls wäre die Verfassungsbeschwerde als unzulässig abzuweisen gewesen. Dabei sind die genannten objektiven Funktionen nicht etwa nur für das Verfassungsbeschwerdeverfahren, sondern eben generell in Art. 38 GG versubjektiviert worden, und daß das in Art. 38 GG geregelte Wahlrecht Gegenstand der Wahlprüfung ist, kann nicht ernsthaft zweifelhaft sein. Wenn aber der Schutz des objektiven Wahlrechts durch Art. 38 GG für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde versubjekti viert ist, dann muß das dem Schutz des objektiven Wahlrechts dienende Wahlprüfungsverfahren zugleich auch dazu bestimmt sein, das subjektive Wahlrecht zu schützen. Andernfalls wären die objektiven Funktionen der Wahl im Wahlprüfungsverfahren rein objektiv und im Verfassungsbeschwerdeverfahren sowohl objektiv als auch subjektiv-rechtlich ausgestaltet. Dem kann auch nicht unter Berufung auf die verschiedenen Streitgegenstände begegnet werden. Zwar liegt im Gegensatz zu der hier vertretenen Auffassung nach herrschender Meinung dem Wahlprüfungsverfahren ein eindimensionaler und dem Verfassungsbeschwerdeverfahren ein doppelfunktionaler Streitgegenstand396 zugrunde, so daß die Verfassungsbeschwerde sowohl dem subjektiven als auch dem Schutz des objektiven Rechts dient. Doch kann die Verfassungsbeschwerde ihre objektive Schutzfunktion nur entfalten, wenn sie zuvor durch eine statthafte, und das heißt auf einer denkbaren Verletzung des subjektiv-rechtlichen Gewährleistungsgehalts einer Grundrechtsnorm beruhenden, Rüge in zulässiger Weise erhoben ist 3 9 7 . An diesem Umstand hat trotz gelegentlicher anderslautender Äußerungen auch die mit der Elfes-Entscheidung begonnene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit nichts geändert 398. Deshalb bleibt festzuhalten, daß das Bundesverfassungsgericht in der Maastricht-Entscheidung die objektivrechtlichen Funktionen der Wahl versubjekti viert hat. Sind diese infolgedessen untrennbar mit denkbaren Verletzungen subjektiver Rechte verbunden, so kann nicht unter Berufung auf die objektiven Funktionen der Wahl einem Ausschluß subjektiver Rechtsschutzbelange aus dem Wahlprüfungsverfahren das Wort geredet werden.

396

Vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 512: ,janusköpfige(r) Verfahrensgegenstandsbegriff 4; Rentiert, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 31 Rn. 36 und § 95 Rn. 14: „zweigliedriger Streitgegenstand"; Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, Rn. 57 ff. 397

Vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 514.

398

Vgl. dazu bereits oben 1. Abschnitt, Β. II.

26

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

Die systematischer Auslegung von Art. 41 GG fuhrt aufgrund der Berücksichtigung der besonderen Rechtsnatur des Wahlrechts mithin dazu, daß das Ziel des Wahlprüfungsverfahrens sowohl in dem Schutz des objektiven wie auch des subjektiven Wahlrechts besteht.

(cc) Schutz der objektiven Funktion erfordert keine Begrenzung des Verfahrensgegenstandes Etwas anderes könnte nur gelten, wenn entweder der Schutz der genannten objektiven Funktionen der Wahl, das heißt deren Legitimations- und Kreationsfunktion, zwingend einen Ausschluß subjektiver Rechtsschutzbelange erfordern würden oder ein solcher Ausschluß sich aus der Geltung des Erheblichkeitsgrundsatzes herleiten ließe. Daß der Schutz der objektiven Funktionen einen Ausschluß subjektiven Rechtsschutzes erfordern würde, wird gelegentlich unter Berufung auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1967 behauptet399. Die dort vom Gericht ins Zentrum gerückte Argumentation, die Verfolgung subjektiver Rechte Einzelner müsse zurücktreten gegenüber der Notwendigkeit, die Stimmen einer Vielzahl von Bürgern zu einer einheitlichen, wirksamen Wahlentscheidung zusammenzufassen 400, spreche gegen eine Berücksichtigung subjektiver Rechtsschutzbelange im Wahlprüfungsverfahren. Diese Auffassung ist indes nicht überzeugend. Ihr ist zunächst entgegenzuhalten, daß sie zwei verschiedene Fragestellungen in unzulässiger Weise miteinander vermischt. Einmal geht es nämlich um die Frage, ob subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren gewährt wird und zum anderen steht in Rede, ob subjektiver Rechtsschutz außerhalb eines konkreten Wahlprüfungsverfahrens durch sonstigen, insbesondere verwaltungs- und verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz gewährt werden kann. Der vom Bundesverfassungsgericht in der erwähnten Wahlprüfungsentscheidung aus dem Jahre 1967 zur Begründung in Bezug genommene Beschluß vom 27. Juni 1962 401 verhält sich dann auch zu exakt der Frage, ob subjektiver Rechtsschutz außerhalb eines konkreten Wahlprüfiingsverfahren zu gewähren ist. Im Rahmen der Bescheidung einer Verfassungsbeschwerde wurde in der Entscheidung im 14. Band nämlich der Ausschluß der Verfassungsbeschwerde in Wahlprüfiingsangelegenheiten sowie die Regelung in § 49 BWahlG (damals § 50 BWahlG) gerechtfertigt. Die Entscheidung ver-

399

So etwa von Kisker, Fälle zum StaatsorganisationsR, S. 90.

400

Vgl. BVerfGE 22, 277 (281) unter Berufung auf BVerfGE 14, 154 (155).

401

Vgl. BVerfGE 14, 154 (155).

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

23

hält sich daher gar nicht zu Fragen des Verfahrensgegenstandes der Wahlprüfung. Der Argumentation kommt aber auch jenseits dessen keine Überzeugungskraft zu. Denn die rechtzeitige und gleichzeitige Durchführung der Wahl wird durch die Gewährung subjektiven Rechtsschutzes im immer nachträglich, also nach der Wahl 4 0 2 , stattfindenden Wahlprüfungsverfahren überhaupt nicht tangiert. Es läßt sich auch nicht argumentieren, durch die Berücksichtigung subjektiver Rechtsschutzbelange werde die Aufgabe der Wahl, alsbald ein handlungsfähiges Parlament zu kreieren, dem auch die Wahlprüfung Rechnung tragen müsse, unterminiert. Denn zum einen können subjektive Rechtsverletzungen auch nach der hier vertretenen Auffassung nicht zu einer Ungültigkeitserklärung der Wahl fuhren und zum anderen bleiben alle Rechtsakte eines später für illegitim erkannten Parlaments gültig 403 . Nachträglichen Rechtsbehelfen gegen Wahlrechtsverletzungen kommt auch kein irgendwie gearteter Suspensiveffekt zu. Gelegentlich wird die Reduzierung des Wahlprüfungsverfahrens auf den Schutz des objektiven Wahlrechts mit den Argumenten gerechtfertigt, sie sei wegen des Bestandsschutzes eines einmal gewählten Parlaments bzw. aufgrund der Kompliziertheit einer Wahl, in der Fehler zwangsläufig seien, geboten 404 . Beide Einwände können dem hier entwickelten doppelfunktionalen Verfahrensgegenstand nicht erfolgreich entgegengesetzt werden. Auf die in der fachgerichtlichen Rechtsprechung 405 und Literatur 406 vorgetragene einfache Formel, der Grundsatz möglichster Aufrechterhaltung der Wahl habe Vorrang gegenüber der Feststellung des wirklichen Willens der Wählerschaft, kann die Auflösung des Spannungsverhältnisses dabei nicht gebracht werden. Denn eine solche Sichtweise provozierte die Frage, weswegen die

402

Vgl. § 2 Abs. 4 Satz 1 WahlprüfG: „Der Einspruch muß binnen einer Frist von zwei Monaten nach dem Wahltag beim Bundestag eingehen". - Hervorhebung hinzugefügt. 403

Allgemeine Auffassung, vgl. nur Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48

Rn. 49. 404

Vgl. z.B. Schmidt-Bleibtreu,

405

Vgl. etwa OVG NW OVGE 19, 221 (225).

406

Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 11 mit Fn. 54.

in: Maunz u.a., BVerfGG, § 48 Rn. 10 f.

26

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

Verfassung überhaupt eine Wahlprüfung vorsieht, deren Ergebnis doch immer nur auf Akklamation der stattgefundenen Wahl lauten könnte. Es trifft allerdings zu, daß die Fehlerfolgen bezüglich der Aufhebung der Wahl im Hinblick auf den Schutz eines einmal gewählten Parlaments zu begrenzen sind. Da der Wahlakt den zentralen Legitimationsmodus staatlicher Gewalt in der repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes darstellt 407 und infolgedessen dem Bundestag ein Legitimationsvorsprung zukommt 408 , verlangt dessen Stellung als dem einzig unmittelbar demokratisch legitimierten Organ größtmögliche Stabilität 409 . Dieser Grundsatz der Wahlbestandssicherung 410, der auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt ist 4 1 1 , bedeutet, daß es grundsätzlich keine Parlamente auf Abruf geben darf, die Wahlentscheidung also Geltung für die volle Wahlperiode beansprucht 412. Weil aber andererseits die demokratische Legitimation des gewählten Parlaments dann in Frage gestellt ist, wenn eine Verletzung objektiven Wahlrechts vorliegt, kann in diesem Fall eine Aufhebung der Wahl erfolgen 413 . Zutreffend ist auch die Überlegung, daß die Wahl in einem Flächenstaat mit einer Vielzahl von Einzelentscheidungen notwendig die Gefahr fehlerhafter Entscheidungen der Wahlorgane in sich trägt. Es wäre daher illusorisch und deshalb auch juristisch verfehlt, von der Möglichkeit einer fehlerfreien Wahl auszugehen414. Daraus muß aber gefolgert werden, daß sich die Aufhebung

407

Vgl. BVerfGE 83, 60 (71); H Meyer, HStR II, § 37 Rn. 4 sowie oben 1. Abschnitt, B. III. 3. a) cc) (3) (d) (bb) mit Fn. 263. 408

Vgl. Herzog, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 20 Rn. 76.

409

Vgl. Schmidt-Bleibtreu,

410

Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 11.

in: Maunz u.a., BVerfGG, § 48 Rn. 10.

411

Vgl. BVerfGE 89, 243 (253): „Volksvertretungen (verlangen) wegen der (ihnen) zukommenden Funktionen größtmöglichen Bestandsschutz". 412

Vgl. HVerfG DVB1. 1993, 1070 (1076) - Sondervotum.

413

Vgl. Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 48; Maurer, Die verfassungswidrige Bundestagswahl, S. 11; Häberle, Verfassung als offener Prozeß, S. 554 f.; das Bestandsinteresse daher zu sehr in den Vordergrund rückend das Sondervotum des HVerfG DVB1. 1993, 1070 (1077), wo dafür plädiert wird, das Gericht hätte es bei einer Feststellung der Wahlfehler belassen und ansonsten die Gültigkeit der Wahl nicht in Frage stellen sollen. 414

Vgl. Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz u.a., BVerfGG, § 48 Rn. 10: Kompliziertheit der Wahl verlangt Bestandsschutz.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

25

einer Wahl nur bei besonderen Wahlfehlern rechtfertigt. Wollte man anders entscheiden, würden sich angesichts der beschrieben Fehlerhaftigkeit jeder Wahl Wahl und Wahlprüfung in einem permanenten juristischen „Kreisverkehr" befinden. Rechtsschutz besteht aber nie um seiner selbst willen, sondern dient auch der Herstellung des Rechtsfriedens. Deshalb muß ein Verfahren irgendwann auch zu einer abschließenden Entscheidung gelangen. Hinzu tritt der Umstand, daß eine Wahl in der Massendemokratie erhebliche finanzielle Ressourcen verschlingt, so daß auch von daher die Anordnung einer Wiederholungswahl eine Ausnahme bleiben sollte. Deshalb führen die genannten Erwägungen dazu, daß die Aufhebung einer Wahl, zumal einer Bundestagswahl, eine eng begrenzte Ausnahme bleiben muß. Damit ist indes nichts darüber ausgesagt, wie im Falle sonstiger Wahlrechtsverletzungen zu verfahren ist. Jedenfalls ist mit dem Gedanken, die Zentralfunktionen des Wahlakts zu schützen, nicht notwendig verbunden, daß sonstige Wahlrechtsverletzungen auch aus dem Verfahrensgegenstand eliminiert werden müßten. Das wäre allenfalls dann der Fall, wenn in einem Wahlprüfungsverfahren nur eine Entscheidung auf Gültigkeit oder Ungültigkeit der Wahl ergehen könnte. Dies ist indes - wie unten gezeigt wird - nicht der Fall. Die Notwendigkeit eines effektiven Schutzes der objektiven Funktionen der Wahl läßt sich mithin nicht für eine Ausklammerung subjektiven Rechtsschutzes im Wahlprüfungsverfahren ins Feld führen.

(dd) Keine Begrenzung des Verfahrensgegenstandes aufgrund des Erheblichkeitsgrundsatzes Fraglich ist, ob der genannten Doppelfunktionalität des Wahlprüfungsverfahrens der sogenannte Erheblichkeitsgrundsatz entgegensteht. Diese Frage ist ebenfalls zu verneinen. Das Bundesverfassungsgericht hat seine gegenteilige These, worauf bereits hingewiesen wurde, nicht bzw. nicht hinreichend begründet. Daß nur objektives Wahlrecht geschützt wird, kann dabei nicht unter Berufung auf den Erheblichkeitsgrundsatz legitimiert werden, denn dessen Geltung wird ja gerade damit gerechtfertigt, daß nur objektives Wahlrecht geschützt wird.

266

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

Es ist indessen ebenfalls nicht möglich, - wie es allerdings gängiger Übung entspricht 415 - die Geltung des Erheblichkeitsgrundsatzes umgekehrt mit der Überlegung zu rechtfertigen, das Wahlprüfungsverfahren diene allein dem Schutz des objektiven Wahlrechts. Das Bundesverfassungsgericht setzt nämlich den Schutz objektiven Wahlrechts mit der Gewährung der gesetzmäßigen Zusammensetzung des Parlaments gleich 416 und meint mit gesetzmäßiger Zusammensetzung des Bundestages wiederum eine solche, die nicht durch mandatsrelevante Wahlfehler beeinträchtigt ist. Dann aber läßt sich die Argumentation des Gerichts so zusammenfassen, daß nur objektives Wahlrecht geschützt wird, das heißt eine nicht durch mandatsrelevante Wahlfehler beeinträchtigte Zusammensetzung des Bundestages, weil nur mandatsrelevante Wahlfehler beachtlich sind. Damit wird offenbar, daß auch diese Schlußfolgerung rein tautologisch wäre bzw. auf der nicht näher begründeten These beruhte, im Wahlprüfungsverfahren ginge es nur um den Schutz des objektiven Wahlrechts. Eine nicht begründete These kann indes nicht dazu dienen, weiterreichende Folgen aus ihr zu ziehen. Im Grunde hat dies auch das Bundesverfassungsgericht anerkannt. Deshalb trat in späteren Entscheidungen als Rechtfertigung des Erheblichkeitsgrundsatzes, nicht des Satzes vom alleinigen Schutz objektiven Wahlrechts, das im Demokratieprinzip verankerte Mehrheitsprinzip hinzu 417 . Im auffalligen Gegensatz zu der Bedeutung, die dem Erheblichkeitsgrundsatz beigemessen wird 4 1 8 , steht der Begründungsaufwand, der zur Rechtfertigung dieses ungeschriebenen(!) Instituts betrieben wird. Die in der Literatur angeführte These, der Erheblichkeitsgrundsatz sei gewohnheitsrechtlich anerkannt 419 , ist nicht haltbar. Eine gewohnheitsrechtliche Anerkennung setzt eine

415

Vgl. etwa Detterbeck, Streitgegenstand, S. 571; ebenso Frowein, AöR 99 (1974), S. 72(107). 416

Vgl. „d.h." in BVerfGE 1, 430 (433).

417

Vgl. BVerfGE 29, 154 (165).

418

Vgl. etwa Schmiemann, Wahlprüfung im Kommunalrecht, S. 98: „Kernstück des materiellen Wahlprüfungsrechts". 419

Aus älterer Zeit vgl. W. Jellinek, HDStR I, § 53, S. 630: „nie angezweifelter Satz" des Wahlprüfungsrechts; aus neuerer Zeit W. Schmitt, Der Verlust des Abgeordnetenmandats in den politischen Volksvertretungen der Bundesrepublik Deutschland, S. 28; dagegen zu Recht Schmiemann, Wahlprüfung im Kommunalrecht, S. 97 mit Fn. 1; vgl. auch Seifert, BundeswahlR, MWPrüfR, S. 396.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

267

langandauernde, unbestrittene Übung voraus 420 . An der Geltung des Erheblichkeitsgrundsatzes hat aber Seifert bereits 1967 vehemente Kritik geübt 421 . Auch in der Lehre finden sich nur wenige Ansätze zur Rechtfertigung des Erheblichkeitsgrundsatzes. Zumeist wird entweder ohne eigene Begründung auf die herrschende Meinung rekurriert 422 oder lediglich die genannte These des Bundesverfassungsgerichts in Bezug genommen, wonach der Erheblichkeitsgrundsatz seine Rechtfertigung letztlich im demokratischen Mehrheitsprinzip finde 423. Umfangreicher mit der Geltung des Erheblichkeitsgrundsatzes haben sich nur wenige Arbeiten auseinandergesetzt 424, die allerdings der herrschenden Meinung beipflichten. Teilweise wird die Geltung des Erheblichkeitsgrundsatzes in erster Linie aufgrund einer historischen Auslegung von Art. 41 GG gerechtfertigt 425 . Dem ist allerdings nach der hier vertretenen und oben näher dargelegten Auffassung nicht zu folgen 426 . Eine andere Auffassung zeigt die Problematik der Rechtfertigung des Erheblichkeitsgrundsatzes anhand der Frage auf, weswegen eigentlich weite Kreise der Wählerschaft empfindlich in ihrem Wahlrecht verletzt sein können und

420

Vgl. Ossenbühl in Erichsen, AllgVerwR, § 6 Rn. 73, der als Rechtserzeugungsvoraussetzung insbesondere „die Überzeugung der Beteiligten von der Rechtmäßigkeit der Übung" nennt; vgl. auch Wolff/BachotfSiofor, VerwR I, § 25 Rn. 12; Friauf Gewohnheitsrecht, EvStL, Sp. 1150-1154. 421 Vgl. Seifert, DÖV 1967, 231 (238): In der alleinigen Maßgeblichkeit der Sitzverteilung ist der Grundsatz , jedoch nie allgemeingültiges Prinzip der Wahlprüfung gewesen und er ist es auch heute noch nicht". 422

Etwa von Schmitt-Vockenhausen, Die Wahlprüfung in Bund und Ländern, S. 25.

423

Vgl. Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 11 unter Hinweis auf Badura, in: BK, Anh. z. Art. 38 GG Rn. 57: Dort heißt es: Der dem Wahlprüfungsverfahren eigentümliche Erheblichkeitsgrundsatz findet seine Rechtfertigung letztlich im Mehrheitsprinzip; der weitere Verweis auf Badura, StaatsR, D 8, ist unergiebig, weil sich dort nur allgemeine Ausführungen zum Mehrheitsprinzip finden. 424

Vgl. zunächst Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, vor allem S. 43-88 und Karpenstein, Die Wahlprüfung und ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen, S. 52 ff. Spätere Monographien treten zumeist ohne jede weitere eigene Begründung den in den beiden genannten Arbeiten angeführten Argumenten bei, vgl. etwa Keitz, Der Schutz des subjektiven Wahlrechts, S. 112. 425 Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 64 ff., insbesondere S. 68-71. 426

Vgl. oben 1. Abschnitt, B. III. 3. a) bb).

26

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

dennoch die Wahl Bestand haben soll, solange nur das Endergebnis richtig ist 4 2 7 . In Ubereinstimmung mit der herrschenden Meinung weist der Autor zur Beantwortung der aufgeworfenen Frage darauf hin, daß sich bei einer Wahl zwei im Grunde antagonistische Interessen gegenüberstünden. Auf der einen Seite sei es die Aufgabe einer Wahl, die für die Handlungsfähigkeit eines sozialen Verbandes unbedingt notwendigen Organe zu schaffen. Zum anderen diene eine Wahl aber der Verwirklichung der Idee der Volkssouveränität 428. Dem materiellen Wahlprüfungsrecht komme die Aufgabe zu, zu entscheiden, welchem der beiden genannten Prinzipien im Konfliktfalle der Vorrang gebühre 4 2 9 . Die Lösung sieht er - ähnlich dem Bundesverfassungsgericht - in einer Interpretation des Demokratieprinzips als Mehrheitsprinzip. Da eine demokratische Willensbildung ohne den Mehrheitsgrundsatz nicht möglich sei, bedeute dies, daß juristisch der Volkswille nur als Mehrheitswille relevant sei. Infolgedessen könne das in der Wahl zum Ausdruck kommende Prinzip der Volkssouveränität auch nur dann verletzt sein, wenn der Wille der Mehrheit der zur Abstimmung erschienen Wahlberechtigten beeinträchtigt wurde 430 . Zwar sei logisch(!) betrachtet jeder Wahlfehler, auch derjenige, der den Mehrheitswillen nicht berühren könne, eine Beeinträchtigung des Volkswillens. Wegen des Mehrheitsprinzips seien solche Beeinträchtigungen aber nicht „relevant" 431 . Seine verfassungsrechtliche Rechtfertigung finde der Erheblichkeitsgrundsatz mithin allein in dem ungeschriebenen Rechtssatz, daß bei der Wahl der Wille der Mehrheit entscheidet, und daß nur dieser Wille rechtlich relevant sei 432 . So schlüssig diese Konzeption auf den ersten Blick anmutet, so wenig ist sie geeignet, der oben entwickelten Doppelfunktionalität von Wahl und damit auch Wahlprüfung gerecht zu werden. Zu bemängeln ist zunächst, daß in der Ausgangsfragestellung, weswegen eigentlich eine Wahl Bestand haben solle, ob-

427

Vgl. Karpenstein, Die Wahlprüfung und ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen,

S. 52. 428

Vgl. Karpenstein, Die Wahlprüfung und ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen,

S. 67. 429

Vgl. Karpenstein, Die Wahlprüfung und ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen,

S. 70. 430

Vgl. Karpenstein, Die Wahlprüfung und ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen,

S. 74. 431

Vgl. Karpenstein, Die Wahlprüfung und ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen,

S. 75. 432

S. 76.

Vgl. Karpenstein, Die Wahlprüfung und ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen,

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

2

wohl nichtmandatsrelevante Wahlfehler vorgekommen seien, die Antwort bereits vorgegeben ist. Selbstverständlich können nichtmandatsrelevante Wahlfehler nicht ohne weiteres (soweit jedenfalls - wie die herrschende Meinung zu Recht annimmt 433 - die Existenz absoluter Wahlfehler abgelehnt wird) zu einer Aufhebung der Wahl fuhren. Die Frage ist aber, ob aus dem Satz, nur mandatsrelevante Wahlfehler führten zur Ungültigkeit der Wahl, zugleich geschlossen werden kann, daß nichtmandatsrelevanten Wahlfehlern keinerlei Rechtsfolgen zukommen sollen. Zudem erheben sich gegen die Herleitung des Erheblichkeitsgrundsatzes aus dem Mehrheitsprinzip schwerwiegende Bedenken. Seifert hat diese Begründung zu Recht als „Verlegenheitsbegründung" bezeichnet. Angesichts der Ausgestaltungsbefugnis des Gesetzgebers könne nicht zweifelhaft sein, daß dieser auch eine auf schlichte Rechtswidrigkeiten reagierende Wahlprüfung normieren könne 434 . Die These des Bundesverfassungsgerichts hat in der Literatur auch bereits zu der unhaltbaren Behauptung geführt, aufgrund der Herleitung des Grundsatzes der Mandatsrelevanz aus dem Demokratieprinzip sei eine Änderung der Praxis einer auf die Erheblichkeit eines Wahlfehlers reduzierten Wahlprüfung sogar dem verfassungsändernden Gesetzgeber durch Art. 79 Abs. 3 GG verboten 435 . Vollends verlassen wird der Boden der Repräsentationstheorie dann, wenn in der Literatur ernsthaft vorgeschlagen wird, Wahlfehler nur noch dann für beachtlich zu erklären, wenn sich durch sie die parteipolitischen Kräfteverhältnisse im Parlament ändern würden 436 . Eine solche Sichtweise ist mit dem Repräsentationsgedanken der Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG unvereinbar.

433 Vgl. nur Maunz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 41 Rn. 7; Seifert, BundeswahlR, MWPrüfR, S. 400 m.w.N.; aus der fachgerichtlichen Rechtsprechung OVG Münster, OVGE 8, 42 (44); VGH Mannheim, ESVGH 14, 11 (13); s.a. Schmitt-Vockenhausen, Die Wahlprüfung in Bund und Ländern, S. 25; Schmiemann, Wahlprüfung im Kommunalrecht, S. 100. 434

Vgl. Seifert, BundeswahlR, MWPrüfR, S. 397 mit Fn. 2.

435

So die Auffassung von Karpenstein, Die Wahlprüfung und ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen, S. 77. 436

Karpenstein, Die Wahlprüfung und ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen, S. 31, der diese Schlußfolgerung als „in der Tat unabweislich" bezeichnet; zustimmend wohl Keitz, Der Schutz des subjektiven Wahlrechts, S. 100 mit Fn. 3: „bemerkenswerte Ausführungen".

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

2

Schließlich bestehen ernsthafte Zweifel, ob angesichts der beschriebenen Doppelfunktionalität der Wahl und damit auch der Wahlprüfung der Erheblichkeitsgrundsatz überhaupt dazu benutzt werden kann, den Verfahrensgegenstand der Wahlprüfung zu verengen. Denn in diesem Fall würde das Mehrheitsprinzip letztlich dazu benutzt, festgestellte subjektive Rechtsverletzungen, also rechtswidriges staatliches Handeln, zu überspielen. Darin läge indes die Zuweisung einer dem Mehrheitsprinzip funktionsfremden Aufgabe. Dieses Prinzip kann nämlich grundsätzlich nicht dazu benutzt werden, grundrechtsverletzendes staatliches Handeln zu sanktionieren 437. Es mag diese Konsequenz der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Mandatsrelevanz, wonach nur solche Wahlfehler beachtlich sind, die sich auf die Sitzverteilung ausgewirkt haben können, gewesen sein, die Achterberg zu dem Bonmot veranlaßt hat, eine Mathematikaufgabe sei eben auch nicht richtig gelöst, wenn der Bearbeiter durch zwei sich aufhebende Fehler zum richtigen Ergebnis gelangt 438 . Vor diesem Hintergrund legt es sich nahe, den Erheblichkeitsgrundsatz überhaupt nicht dazu zu benutzen, den Verfahrensgegenstand der Wahlprüfung zu bestimmen. Greift man insoweit besser auf die Doppelfunktionalität zurück, so erscheint der Erheblichkeitsgrundsatz als logische Folge einer Verletzung der objektiven Funktionen der Wahl, das heißt der darin zum Ausdruck kommenden Beeinträchtigung der Rechtmäßigkeit der Volkswillensbildung, die die Aufhebungsentscheidung hinsichtlich der Wahl tragen würde. Daneben wäre, wie oben im Rahmen der historischen Auslegung bereits angedeutet wurde und unten noch weiter entfaltet wird, auch eine Feststellungsentscheidung des Gerichts in bezug auf die rein subjektiven Wahlfehler denkbar 439 . So betrachtet stellt der Erheblichkeitsgrundsatz ein Problem der Rechtsfolge festgestellter Wahlfehler dar, nicht aber eines der Feststellung von Wahlfehlern, das heißt des Verfahrensgegenstandes. Als Ergebnis der systematischen Auslegung des Art. 41 GG ergibt sich mithin folgendes. Da das Wahlprüfungsverfahren dazu dient, das Wahlrecht zu schützen, muß sich die Ausgestaltung dieses Rechtsbehelfs an Rechtsnatur und Gewährleistungsinhalt des zu schützenden Rechts orientieren. Dabei hat die Zusammenschau der das Wahlrecht determinierenden Vorschriften der Art. 38 Abs. 1 GG und 20 Abs. 2 Satz 2 GG eine Doppelfunktionalität des Wahlrechts offengelegt. Die Wahl weist einerseits objektive Funktionen auf, insoweit sie der Legitimation und Kreation eines Vertretungsorgans dient.

437

Vgl. Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 228 f.

438

Vgl. Achterberg, ParlamentsR, S. 187 in Fn. 77.

439

Vgl. unten 2. Abschnitt, Β. I.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

2

Darin erschöpft sich indes nicht der Gewährleistungsinhalt des Wahlrechts. Art. 38 GG stellt zugleich ein grundrechtlich ausgestaltetes Element politischer Freiheit dar, dessen Hauptaufgabe darin besteht, dem Selbstbestimmungsrecht des einzelnen zum Durchbruch zu verhelfen und damit das in Art. 1 Abs. 1 GG niedergelegten Verbot, den einzelnen zum Objekt des Staates zu degradieren 440, zu aktualisieren 441. Diese doppelte Funktion der Wahl schlägt auf die Bestimmung der Wahlprüfung durch. Damit hat die Wahlprüfung nicht nur die Aufgabe, die gesetzmäßige Zusammensetzung des Parlaments zu gewährleisten. Sie hat vielmehr auch die Funktion, die Ausübung des „vornehmsten Rechts des Bürgers in der Demokratie" zu ermöglichen, aufzunehmen und zu schützen. Beide Funktionen müssen aufgrund der These, daß die Funktion des Wahlprüfungsverfahrens durch die Funktion der Wahl bestimmt wird, einbezogen werden. Dieser Doppelfunktion des Verfahrensziels entspricht ein doppelfunktionaler Verfahrensgegenstand. Im Wahlprüfungsverfahren ist daher gleichermaßen über objektive wie subjektive Wahlrechtsverletzungen zu befinden. Die gegenteilige These der herrschenden Meinung berücksichtigt zu wenig die Doppelnatur des Wahlrechts und ist daher nicht überzeugend. Eine andere, hierdurch nicht präjudizielle Frage ist es, ob nur mandatsrelevante Wahlfehler die Aufhebung der Wahl rechtfertigen können und wie auf sonstige - nicht erhebliche - Wahlfehler zu reagieren ist.

Ergebnis zu cc) Damit spricht die systematische Auslegung von Art. 41 GG für ein doppelfunktionales Wahlprüfungsverfahren, das dem Schutz des objektiven Wahlrechts ebenso dient wie es subjektive Rechtsschutzbelange aufnimmt.

dd) Einheit der Verfassung Etwas anderes könnte sich aber aufgrund der Auslegung nach dem Grundsatz der Einheit der Verfassung ergeben. An sich tritt auch bei Verfassungsbestimmungen neben die oben angeführte grammatikalische, historische und systema-

440 441

Vgl. dazu BVerfGE 50, 166 (175); 87, 209 (228).

Vgl. zu der ideengeschichtlichen Verwurzelung des (allgemeinen und gleichen) Wahlrechts in der Menschenwürde bereits Rinck, FS für Geiger, S. 677 (678 ff.).

2

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

tische Auslegungsregel die sogenannte teleologische Auslegung 442 . Da auf den Zweck der in Art. 41 GG normierten Wahlprüfung aber bereits im Rahmen der systematischen Auslegung eingegangen wurde, wird im folgenden untersucht, ob sich das angeführte doppelfunktionale Verständnis der Wahlprüfung bruchlos in das Gefüge der Verfassung einordnen läßt. Mit dem damit angesprochenen Auslegungstopos „Einheit der Verfassung" soll dem Umstand Rechnung getragen werden, daß die Verfassung von Grundentscheidungen getragen ist, die mehr darstellen als die Summe der Einzel Vorschriften 443. Das Prinzip der Einheit der Verfassung wird dahin bestimmt, die Auslegung von Verfassungsvorschriften dürfe nie nur auf die einzelne Norm blicken, sondern müsse sich stets auf den Gesamtzusammenhang erstrecken 444. Von mehreren im Rahmen des Wortsinns und des Bedeutungszusammenhangs möglichen Auslegungsmöglichkeiten, ist deshalb derjenigen der Vorzug zu geben, die einen Wertungswiderspruch mit anderen Verfassungsnormen vermeidet 445 . Diese Auslegungsmethode wendet auch das Bundesverfassungsgericht an 446 . Gegen die durch die obige Auslegung gewonnene doppelfunktionale Ausgestaltung des Wahlprüfungsverfahrens könnten aufgrund des genannten Grundsatzes der Einheit der Verfassung unter zwei Aspekten Bedenken angemeldet werden. Einmal handelt es sich um die Harmonisierung des dargestellten Verfahrensziels der Wahlprüfung mit dem verfassungsrechtlichen Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde und zum anderen um das Verhältnis von Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 41 GG.

(1) Konkordanz zu Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG Gegen ein auch subjektiven Rechtsschutzbelangen dienendes Wahlprüfungsverfahren läßt sich einmal die Regelung in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG ins Feld

442

Vom BVerfG etwa angewandt in BVerfGE 11, 126 (130); 35, 263 (278 f.).

443

Vgl. Stern, StaatsR I, S. 132.

444

Vgl. F. Müller, Juristische Methodik, S. 216; v. Münch, StaatsR I, Rn. 38; vgl. auch Böckenförde, NJW 1976, 2089 ff. (insbes. S. 2097 ff.), der zur Abwehr der Gefahr eines „Abbaus der Normativität der Verfassung" die Forderung nach einem Offenlegen der je zugrundeliegenden Verfassungstheorie erhebt. 445

Vgl. Larenz/Canaris, VerfR, § 2 Rn. 71. 446

Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 165; Hesse,

Das Gericht spricht von der „inneren Harmonie des Verfassungswerks", vgl. BVerfGE 6, 309 (361); s.a. BVerfGE 1, 14 (32); 19, 206 (220); 30, 173 (193); 33, 23 (27); 34, 165 (183).

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

23

führen. Nachdem gemäß dieser Vorschrift die unstreitig subjektiven Rechtsschutzinteressen verpflichtete Verfassungsbeschwerde 447 auch auf eine mögliche Verletzung der Rechte aus Art. 38 GG gestützt werden kann, könnte sich der Schluß einer „Arbeitsteilung" der Rechtsbehelfe der Art. 41 GG und Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG nahelegen. Während der Wahlprüfungsbeschwerde der Schutz des objektiven Wahlrechts überantwortet sein könnte, würde die Aufgabe der Verfassungsbeschwerde darin bestehen, das subjektive Wahlrecht zu schützen. Dies könnte gegen die obige Auslegung ins Feld geführt werden, wonach das Wahlprüfungsverfahren auch dem Schutz des subjektiven Wahlrechts dient. Da der angeführte Auslegungsgrundsatz der Einheit der Verfassung auch so zu aktualisieren ist, daß keine Vorschrift so ausgelegt werden darf, daß eine andere Vorschrift ihres Anwendungsbereichs beraubt wird 4 4 8 , könnte der subjektive Wahlrechtsschutz auf das Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG zu verweisen sein. Letztlich vermag dieser Einwand nicht zu überzeugen. Denn zum einen läuft auch bei einer subjektivem und objektivem Wahlrechtsschutz dienenden Wahlprüfungsbeschwerde das Verfassungsbeschwerdeverfahren, soweit es auf die Rüge einer Verletzung von Art. 38 GG gestützt wird, nicht leer. So können Verletzungen des Art. 38 GG - wie insbesondere die oben angeführte Maastricht-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gezeigt hat 4 4 9 - auch durch Gesetze in Betracht kommen, die sich vom Gegenstand her überhaupt nicht auf die Ausgestaltung des Wahlverfahrens beziehen. Zudem können Wahlgesetze neben einer Überprüfung in einem konkreten Wahlprüfungsverfahren nach allgemeiner Auffassung auch in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren gerichtlich kontrolliert werden 450 . Hieran würde sich auch dann nichts ändern, wenn man den Schutz des subjektiven Wahlrechts auch durch das Wahlprüfungsverfahren gewährt sieht. Bei einem auch subjektiven Rechtsschutzbelangen dienenden Wahlprüfungsverfahren liefe also das Institut der Verfassungsbeschwerde keineswegs leer. Überdies ist auch für andere bundesverfassungsgerichtliche Verfahren gerade im Sachbereich von Wahlen ein teilweise überschneidender Anwendungsbereich anerkannt - etwa für Organstreit-

447

Vgl. nur BVerfGE 4, 27 (30); Kley/Rühmann, § 90 Rn. 2.

in: Umbach/Clemens, BVerfGG,

448

Vgl. P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 125 ff.: „Gedanke des nach beiden Seiten schonendsten Ausgleichs"; F. Müller, Normstruktur und Normativität, S. 207 ff. 449 450

Vgl. BVerfGE 89, 155 ff.

Vgl. BVerfGE 1, 208 (237 f.); 82, 322 (336); Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 14. 18 Lang

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

2

und Verfassungsbeschwerdeverfahren 451 -, ohne daß dies dazu führen würde, den Verfahrensgegenstand beider Verfahren mit Blick auf diese Überschneidung einengend zu interpretieren. Aus der Tatsache, daß Verletzungen des (subjektiven) Wahlrechts im Verfassungsbeschwerdeverfahren sanktioniert werden können, folgt demnach nicht, daß solche Rechtsverletzungen nicht auch im Verfahren des Art. 41 GG zu beachten sind.

(2) Spezialität des Wahlprüfungsverfahrens gegenüber Art. 19 Abs. 4 GG Geht man mit dem bisher entwickelten doppelfunktionalen Verständnis des Verfahrensgegenstandes der Wahlprüfung davon aus, daß in dem Verfahren auch über subjektive Wahlrechtsverletzungen judiziert wird, so könnte im Sachbereich von Bundestagswahlen das durch Art. 41 GG strukturierte Wahlprüfiingsverfahren auch hinsichtlich subjektiver Rechtsverletzungen 452 das gegenüber der allgemeinen Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG speziellere Rechtsschutzverfahren darstellen. Diese Spezialität kommt nach allgemeinen Grundsätzen nur im Falle eines (teil)identischen Anwendungsbereiches in Betracht. Grundsätzlich gilt, daß nach der Konzeption des Grundgesetzes Art. 19 Abs. 4 GG als Instrument des individuellen Rechtsschutzes vorgesehen ist 4 5 3 . So wie die Betonung dieser Rechtsschutzfünktion es indes nicht ausschließt, daß in ihrem Gefolge Art. 19 Abs. 4 GG auch ein bedeutsames objektivrechtliches Kontrollinstrument darstellt 454 , kann umgekehrt in anderen Verfahren, die überwiegend, nur oder auch dem Schutz des objektiven Rechts dienen, subjektiven Rechtsschutzbelangen Rechnung getragen werden 455 . Subjektivrechtlicher und objektiv-rechtlicher Schutz stellen deshalb keine starren Alternativen dar 456 .

451

Vgl. BVerfGE 82, 322 (335 f.); 82, 353 (363 ff.).

452

Daß bei mandatsrelevanten Wahlrechtsverstößen das Wahlprüfiingsverfahren das speziellere Verfahren darstellt, ist wie in Kapitel 4 gezeigt wurde, unstreitig, vgl. oben Kapitel 4, 1. Abschnitt. 453

Vgl. Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 25; Papier, HStR VI, § 154 Rn. 2.

454

Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 9; Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 25. 455 456

Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 9.

Vgl. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: ders., Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 1 (14); Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, S. 130.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

25

Dem läßt sich nicht das oben angeführte Verständnis entgegenhalten, wonach Art. 19 Abs. 4 GG im Gefüge der Verfassung eine zentrale Rolle zukommt 457 . Denn ungeachtet der Bedeutung der Vorschrift gilt, daß Art. 19 Abs. 4 GG so auszulegen ist, daß sowohl er als auch die anderen in die Abwägung einbezogenen Verfassungsnormen insgesamt zu bestmöglicher Wirksamkeit gelangen458. Es geht demnach nicht darum, wie gelegentlich in der Literatur vorgetragen wird, die subjektive Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG in das Wahlprüfungsverfahren hineinzulesen459 oder gleichsam die Vereinbarkeit des in Art. 41 GG verankerten Wahlprüfungsverfahrens mit Art. 19 Abs. 4 GG zu überprüfen, sondern darum, die jeweiligen Anwendungsbereiche der Vorschriften abzugrenzen und die Bedingungen einer Spezialität des Wahlprüfungsverfahrens festzulegen. Deshalb verzerrt es die aufgeworfene Fragestellung nach dem Verhältnis von Wahlprüfungsverfahren und allgemeinem Rechtsweg, wenn sowohl vom Bundesverfassungsgericht 460 als auch in der Literatur 461 geprüft wird, ob das Wahlprüfungsverfahren einen „Rechtsweg im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG" darstellt. Denn eine solche Sichtweise geht völlig an der Tatsache vorbei, daß das Grundgesetz den Schutz des Wahlrechts in Art. 41 GG einem eigenen Verfahren zugewiesen hat und dabei Art. 41 GG und Art. 19 Abs. 4 GG als zwei gleichberechtigt nebeneinanderstehende Verfassungsvorschriften zu begreifen sind. Auf dieser Linie hat das Bundesverfassungsgericht jüngst im Rahmen der verfassungsrechtlichen Überprüfung des Art. 16a GG für das Verfassungsbeschwerdeverfahren klargestellt, daß die Verfassungsbeschwerde nicht einen zusätzlichen Rechtsbehelf zum fachgerichtlichen Verfahren darstellt, der sich diesem in gleicher Funktion ohne weiteres anschließe. Es sei deshalb unzuläs-

457

Vgl. oben Kapitel 4, 2. Abschnitt sowie Papier, HStR VI, § 154 Rn. 3.

458

Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 5 unter Bezugnahme auf BVerwG NJW 1984, 188 (189). 459 Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und Schutz subjektiver Rechte, S. 80: „Art. 19 Abs. 4 GG kann dazu dienen, außerhalb eines besonderen, verfassungsrechtlich verankerten Rechtswegs Rechtsschutzlücken zu schließen; nicht aber kann er dazu bemüht werden, innerhalb desselben Funktion und Charakter des Verfahrens zu modifizieren". Hervorhebungen im Original. 460 461

Vgl. BVerfGE 22, 277 (281).

Vgl. etwa Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 125 ff.; Greeve, Die Wahlprüfung, S. 159; Schiller, Das sachliche Wahlprüfungsrecht und seine Randgebiete S. 26; Henke, Das Recht der politischen Parteien, S. 174.

26

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

sig, aus Art. 19 Abs. 4 GG abzuleitende Funktionen ausnahmslos auf dieses Verfahren zu übertragen. Vielmehr sei mit der Verfassungsbeschwerde ein Rechtsinstitut geschaffen, das in einem außerhalb der Fachgerichtsbarkeit angesiedelten außerordentlichen Rechtsbehelfsverfahren die Überprüfung einer staatlichen Maßnahme am Maßstab der Grundrechte ermögliche 462 . Diese Überlegungen lassen sich auch auf das Wahlprüfungsverfahren übertragen, wobei hier zunächst ausgeblendet bleiben soll, daß das Wahlprüfungsverfahren aufgrund der Regelung in § 49 BWahlG anders als das Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht über einen fachgerichtlichen „Unterbau" verfügt. Der Rechtsbehelf der Wahlprüfungsbeschwerde ist in die Verfassung aufgenommen worden, um eine Überprüfung der Wahl am Maßstab des Grundgesetzes zu ermöglichen. Wenn die Verfassung daneben in Art. 19 Abs. 4 GG einen allgemeinen Rechtsweg zu Verfügung stellt und es bei der Anwendung beider Rechtsinstitute zu Friktionen kommt, so sind daraus resultierende Abgrenzungsprobleme im Rahmen der Auslegung nach den Prinzipien der Einheit der Verfassung sowie der praktischen Konkordanz zu lösen. Art. 19 Abs. 4 GG steht ungeachtet seiner Bedeutung als prozessuales Hauptgrundrecht 463 aber nicht über Art. 41 GG, wie es in der genannten Formulierung „Wahlprüfungsverfahren als Rechtsweg im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG" anklingt. Mithin geht es im folgenden allein darum festzulegen, in welchem Verhältnis die beiden Verfassungsinstitute zueinanderstehen. Hierzu seien zunächst die beiden gegensätzlichen Positionen von Rechtsprechung und Literatur in Erinnerung gerufen. In der Literatur wird die Auffassung vertreten, der Schutz des subjektiven Wahlrechts obliege allein dem allgemeinen Rechtsweg des Art. 19 Abs. 4 GG, weil das Verfahren nach Art. 41 GG nur dem Schutz des objektiven Rechts verpflichtet sei 464 . Das Bundesverfassungsgericht steht demgegenüber auf dem Standpunkt, Wahlrechtsschutz sei nur in dem Verfahren nach Art. 41 GG zu suchen. Gleichwohl klammert das Gericht subjektiven Rechtsschutz aus diesem Verfahren aus 465 .

462

Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996-2 BvR 1516/93 -, Umdruck S. 67.

463

Vgl. zunächst oben Kapitel 4, 2. Abschnitt, A. sowie H. Meyer, HStR II, § 38

Rn. 63. 464 465

Vgl. oben Kapitel 4, 2. Abschnitt, Β. I. 3. a).

Vgl. dazu oben die Auswertung der Rechtsprechung des BVerfG in Kapitel 3, 2. Abschnitt, Β. IV. 1. b) aa) sowie BVerfGE 22, 277 (281).

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

2

Nach der hier vertretenen Ansicht sind aufgrund der oben entwickelten systematischen Auslegung von Art. 41 GG, die insbesondere die eigentümliche Rechtsnatur des Wahlrechts berücksichtigt, subjektive Rechtsverletzungen zum Verfahrensgegenstand des Wahlprüfungsverfahrens zu rechnen. Unter dieser Prämisse läßt sich der These des Bundesverfassungsgerichts zustimmen, wonach das Wahlprüfungsverfahren das für alle im Zusammenhang mit konkreten Wahlverfahren stehenden Rechtsverletzungen speziellere Verfahren darstellt, wobei dann - worauf Ossenbühl im Kontext der Untersuchung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits hingewiesen hat - der Spezialitätsgrundsatz in der Tat der Abwehr des Art. 19 Abs. 4 GG dient 466 . Freilich kann das Wahlprüfungsverfahren nur dann das gegenüber der allgemeinen Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG speziellere Verfahren sein, wenn es selbst Individualrechtsschutz gewährt. Dies ist wegen der prinzipiell auf den Schutz des objektiven Verfassungsrechts bezogenen Funktion verfassungsgerichtlicher Verfahren nicht unproblematisch. Während die einen die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls dann als Rechtsweg anerkennen, wenn das dort geführte Verfahren dem individuellen Rechtsschutz dienstbar gemacht wird 4 6 7 , verneinen andere die Rechtswegqualität unter Berufung auf eine frühe Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 468 vor allem unter Betonung des Subsidiaritätsgedankens bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsbehelfe 469. Und in der Tat erscheint es zur Vermeidung der vielbeschworenen Gefahr einer Qualifikation des Bundesverfassungsgerichts als „Superrevisionsinstanz" 470 unabdingbar, den Rechtsschutz durch das Bundesverfas-

466

Vgl. Ossenbühl, BVerfG und GG, Bd. I, S. 458 (477): „In Wirklichkeit gilt die abwehrende Formulierung des Grundgesetzes nur dem Rechtsweg des Art. 19 Abs. 4 GG, an dessen Stelle nach Art. 41 II GG die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts gesetzt wird"; mit der h.M. sieht der Autor das Wahlprüfungsverfahren allerdings gleichwohl als rein objektives Verfahren, vgl. Ossenbühl, a.a.O., S. 478. 467

Etwa Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 42; ders., Rechtsschutz bei normativem Unrecht, S. 297; Hamann/Lenz, GG, Art. 19 Anm. Β 18; Low, DVB1. 1973, 941 (943); Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, S. 167 und 252. 468

Vgl. BVerfGE 1,332 (344).

469

Vgl. etwa v. Mangoldt/Klein, GG Bd. 1, 2. Aufl., Art. 19 Anm. VII 5 b) sowie Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz u.a., BVerfGG, § 90 Rn. 18. 470

Vgl. dazu Pestalozza, VerfprozR, § 12 Rn. 13 m.w.N in Fn. 38, auch zur Frage der Verletzung „spezifischen Verfassungsrechts"; vertiefend zu dieser Frage U. Steinwedel, „Spezifisches Verfassungsrecht" und „einfaches Recht", Baden-Baden 1976 sowie R. Herzog, Das BVerfG und die Anwendung einfachen Gesetzesrechts, München 1991.

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

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sungsgericht nur gegenüber Verletzungen „spezifischen Verfassungsrechts" zu eröffnen und ansonsten den Rechtsschutzsuchenden auf den Weg zu den Fachgerichten zu verweisen. Dieser Gedanke vermag indes hinsichtlich der Ausschließlichkeit des Wahlprüfungsverfahrens gegenüber dem allgemeinen Rechtsweg nicht ins Feld gefuhrt zu werden. Das Wahlprüfiingsverfahren gewährt nämlich anders als die Verfassungsbeschwerde keinen subsidiären Rechtsschutz, sondern stellt aufgrund der Regelung in § 49 BWahlG vielmehr den einzigen Rechtsschutz in Wahlangelegenheiten dar. Damit läßt sich zunächst festhalten, daß in dem Umfang, in dem das Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung von Rechtsverletzungen auf Initiative des Betroffenen hin verpflichtet ist, der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht als hinreichender Rechtsschutz verstanden werden kann 471 . Folgt man der hier vorgeschlagenen Ausdeutung des Verfahrensgegenstandes der Wahlprüfung, wonach auch subjektive Wahlrechtsverletzungen im Verfahren nach Art. 41 GG zu prüfen sind, treffen diese Voraussetzungen auf das Verfahren nach Art. 41 Abs. 2 GG zu. Freilich reicht der schlichte Verweis auf den doppelfunktionalen Verfahrensgegenstand nicht aus. Vielmehr muß auch die Verfahrensausgestaltung der aufgeworfenen Schutzfunktion Rechnung tragen. Im folgenden soll deshalb untersucht werden, wie das Wahlprüfungsverfahren (insbesondere im Hinblick auf die gesetzliche Regelung der Beschwerdebefugnis in § 48 Abs. 1 BVerfGG) ausgestaltet sein muß, um den durch Art. 41 Abs. 2 GG geforderten Individualrechtsschutz zu gewährleisten. Klarstellend sei daraufhingewiesen, daß aufgrund der verfassungsrechtlichen Zuweisung der Wahlprüfung an ein spezielles Verfahren Prüfungsmaßstab der einfachrechtlichen Regelung in § 48 Abs. 1 BVerfGG nicht Art. 19 Abs. 4 GG, sondern Art. 41 Abs. 2 GG ist. Obwohl - wie noch zu zeigen sein wird - auch das Bundesverfassungsgericht letztlich diesen Prüfungsmaßstab als einschlägig ansieht 472 , entsteht die Schwierigkeit, daß die Anforderungen, die Art. 41 Abs. 2 GG an die Ausgestaltung des Wahlprüfungsverfahrens stellt, wenig entwickelt sind. Ein Befund, der angesichts des von der herrschenden Meinung dem Wahlprüfiingsverfahren stets zugrundegelegten Verständnisses als eines rein objektiven Verfahrens, nicht verwundert. Insoweit bietet es sich an, auf die Kriterien zurückzugreifen, die im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG als Mindeststandard

471

Vgl. Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 46.

472

Vgl. dazu unten 1. Abschnitt, B. III. 3. a) dd) (2) (b) (bb).

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

2

entwickelt wurden 473 , um überhaupt von einem Rechtsschutzverfahren zu sprechen, auch wenn dies - das sei nochmals betont - nicht bedeutet, daß Art. 19 Abs. 4 GG über Art. 41 GG steht. Folgt man dem, kann das Wahlprüfungsverfahren als das gegenüber Art. 19 Abs. 4 GG speziellere Rechtsschutzverfahren in Wahlangelegenheiten angesehen werden, wenn das Wahlprüfungsverfahren im folgenden näher darzustellende Anforderungen an die Rechtsschutzintensität - nachfolgend (a) - sowie an die Ausgestaltung des Rechtsweges erfüllt - nachfolgend (b).

(a) Anforderungen an Rechtsschutzintensität des Wahlprüfungsverfahrens Zunächst könnte der Einwand erhoben werden, das Wahlprüfungsverfahren könne den allgemeinen Rechtsweg des Art. 19 Abs. 4 GG nicht verdrängen, weil es nicht die gleiche Rechtsschutzintensität gewähre. Denn einmal stellt das Wahlprüfungsverfahren kein vorläufiges Rechtsschutzverfahren zur Verfügung und zum anderen führen auch nach der hier vertretenen Auffassung (rein) subjektive Wahlrechtsverletzungen nicht zu einer Aufhebung der Wahl. Um sich mit diesen Einwänden auseinanderzusetzen, muß man sich Klarheit über einige Grundaussagen des Art. 19 Abs. 4 GG verschaffen. Ansatzpunkt für das erwähnte Verständnis des Gewährleistungsgehaltes des Art. 19 Abs. 4 GG ist, daß die Vorschrift nach ganz überwiegend vertretener Ansicht nicht nur irgendeine Form des Rechtsschutzes, sondern einen effektiven 4 7 4 oder wirksamen 475 Rechtsschutz gewährleistet. Dabei wird diese Forde-

473

Angedeutet ist dieser Ansatz bei Detterbeck, Streitgegenstand, S. 575, der die Frage aufwirft, ob Art. 41 GG nach dem Vorbild des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG eine Ausnahme vom formellen Hauptgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG darstellt und dies deshalb verneint, weil das Wahlprüfungsverfahren nur dem Schutz des objektiven Wahlrechts dient und demzufolge keinen subjektiven Rechtsschutz gewährt. 474 475

Vgl. statt vieler Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 383 m.w.N.

Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 5, der sich gegen die Formulierung von der „Rechtsschutzeffektivität" wendet, da sie als „Zauberformel" zu sehr auf „prozessuale Wünschbarkeiten" hindeute. Hinsichtlich der im folgenden zu prüfenden Anforderungen an die Wirksamkeit subjektiven Wahlrechtsschutzes dürfte indes ungeachtet der unterschiedlichen Terminologie Einigkeit bestehen, vgl. etwa Papier, HStR VI, § 154 Rn. 15, sowie im Anschluß daran Krüger, in: Sachs, GG, Art. 19 Rn. 112, mit der Bemerkung, garantiert sei die Effizienz und die Effektiv!-

280

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren

rung in verschiedenen Ausgestaltungen des Rechtsschutzes konkretisiert, von denen fur die hier interessierende Fragestellung besonders zwei Aspekte relevant werden. Wirksamer oder effektiver Rechtsschutz bedeutet zum einen das Postulat eines rechtzeitigen Rechtsschutzes und beinhaltet zum anderen das damit in Zusammenhang stehende Verbot an den Staat, vollendete Tatsachen zu schaffen 476, in dem eine eingetretene Rechtsverletzung nicht mehr nachträglich korrigiert werden kann. Bedenken bestehen zunächst an der Rechtzeitigkeit wahlrechtlichen Rechtsschutzes. Dieser ist sowohl nach der bisherigen als auch der hier entwickelten Konzeption retrospektiv. Er setzt stets erst nach der Wahl ein, vgl. § 2 Abs. 4 WahlprüfG, fuhrt mithin nur zu einer nachträglichen Reaktion auf die Rechtsverletzung. Den in einem Wahlprüfungsverfahren Rechtsschutzsuchenden wird es aber in erster Linie darum gehen, Rechtsschutz für das laufende Wahlverfahren zu erreichen, in dem sie zum Beispiel als Aktivbürger ihre zunächst verweigerte Eintragung in das Wählerverzeichnis oder als politische Vereinigung ihre verweigerte Zulassung zur Wahl erreichen wollen. Weil das Wahlprüfüngsverfahren auf solche Rechtsverletzungen erst nach der Wahl reagiert, könnte es den Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz nicht entsprechen mit der weiteren Folge, daß entgegen der hier vertretenen Auffassung eine Spezialität des Wahlprüfungsverfahrens nicht in Betracht käme. Etwas anderes gilt aber dann, wenn die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Wahlprüfungsverfahren auch durch Art. 19 Abs. 4 GG nicht geboten ist. Grundsätzlich erfordert das Gebot effektiven Rechtsschutzes auch einen vorläufigen Rechtsschutz477. Ist ein solcher Rechtsschutz einfachgesetzlich nicht vorgesehen, besteht unter Umständen aufgrund der Rechtsweggarantie eine Verpflichtung, die dadurch drohende Rechtsschutzlücke unter unmittelbarem Rückgriff auf die Verfassung zu schließen478. Inhaltlich hängt eine solche Verpflichtung von den folgenden - kumulativ zu prüfenden - Voraussetzungen ab: Zunächst muß die Beeinträchtigung der rechtlichen Interessen des Bürgers bei

tät. Das BVerfG verwendet in neuerer Zeit zumeist den Begriff „Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes", vgl. BVerfGE 61, 82 (111); 40, 272 (275). 476

Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 389.

477

Vgl. etwa Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 273.

478

Vgl. Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 414.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

28

unterstellter Rechtswidrigkeit des Verhaltens der öffentlichen Gewalt schwerer wiegen als die durch den vorläufigen Rechtsschutz beeinträchtigten öffentlichen Interessen bzw. Interessen sonstiger Beteiligter und zudem darf die Rechtsverletzung nachträglich nicht mehr reparabel sein 479 . Verfassungsrechtlich geboten ist mithin nur derjenige vorläufige Rechtsschutz, der nach einer umfassenden Abwägung der beteiligten Interessen zur Durchsetzung der subjektiven Rechte des Bürgers unabdingbar notwendig erscheint. Überträgt man diese Wertungen auf das Wahlprüfungsrecht, ist eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit vorläufigen Wahlrechtsschutzes zu verneinen. Stellt man insoweit das Abwägungsmaterial zusammen, so streitet für das Interesse des betroffenen Aktivbürgers oder einer politischen Vereinigung vor allem die Tatsache, daß die Ausübung des Wahlrechts durch den Ablauf der Wahl überholt wird 4 8 0 und damit die zuvor nur drohende Rechtsverletzung eintritt. Das Interesse des betroffenen Bürgers, möglichst von rechtswidrigem staatlichen Handeln verschont zu bleiben, vermag gleichwohl für sich genommen, den Zwang zur Einräumung vorläufigen Rechtsschutzes verfassungsrechtlich nicht zu begründen. Würde insoweit allein die Gefahr, daß die drohende Rechtsverletzung tatsächlich eintritt, ausreichen, fände keine echte Abwägung statt. Denn da nahezu in allen Fällen, ohne einen vorläufigen Rechtsschutz eine Rechtsbeeinträchtigung eintreten würde, setzte sich in der Abwägung stets das Interesse des Bürgers an der Einräumung vorläufigen Rechtsschutzes durch. Dies kann aber nicht der Inhalt der geforderten Abwägung sein. Gegen die Einräumung vorläufigen Rechtsschutzes sprechen zudem gewichtige Gründe. Gleichviel, ob ein solcher Rechtsschutz beim Bundesverfassungsgericht oder in der Fachgerichtsbarkeit zu realisieren wäre, käme ihm Effektivität nur dann zu, wenn durch ihn die drohende Rechtsverletzung tatsächlich aufgehalten werden könnte. Denn ein nur theoretischer, praktisch aber wirkungsloser Rechtsschutz stellt in Wahrheit gar keinen Rechtsschutz dar 481 . Bei der Wahl mit ihrer Fülle von Einzelentscheidungen lassen sich indes bereits aus tatsächlichen Gründen Eilentscheidungen nur in den seltensten Fällen vor der

479

Vgl. zu diesen beiden Voraussetzungen Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 415.

480

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 129, mit der eingängigen, letztlich aber nicht zutreffenden, Formulierung, das Wahlrecht sei „ein Recht von einem Tage". Vgl. Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 3 .

2

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

Durchführung der Wahl erreichen. Zudem läßt sich ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren, das jedenfalls bei belastenden staatlichen Maßnahmen auch noch mit Suspensiveffekten ausgestattet sein müßte, kaum mit der Zielsetzung vereinbaren, eine Wahl zügig und gleichzeitig abzuwickeln 482 . Überdies entstünde die Gefahr des Mißbrauchs, wenn mit aufschiebender Wirkung ausgestattete Rechtsbehelfe mit dem Ziel eingelegt werden könnten, eine Verschiebung der Wahl zu erreichen, weil zu einem späteren Zeitpunkt eine bestimmte Gruppierung unter Umständen über bessere Wahlchancen verfügen würde 483 . Daß die Gewährung nachträglicher Wahlmöglichkeiten, etwa weil aufgrund eines Anfechtungsverfahrens von Teilakten die Wahl in einem Teilbereich ausgesetzt war, im Hinblick auf damit eröffnete Mißbrauchsmöglichkeiten problematisch ist, dürfte konsensfahig sein. Erfolgt keine (Teil)Aufhebung der Wahl, wird zudem nach allgemeiner Auffassung zu Recht die Möglichkeit einer nachträglichen Stimmabgabe im Wahlprüfungsverfahren abgelehnt 484 . Weiterhin ließe sich die genannte Anfechtungsmöglichkeit kaum mit der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts herausgearbeiteten Funktion des Wahlprüfungsverfahrens in Einklang bringen, über die Gültigkeit einer Wahl alsbald Gewißheit zu erlangen 485. Schließlich gilt es zu bedenken, daß sich Wahlrechtsstreitigkeiten nicht in bipolaren Streitigkeiten zwischen Bürgern und Staat erschöpfen. Insoweit

482

Vgl. dazu BVerfGE 28, 214 (219).

483

Bereits oben war auf die Kuriosität hingewiesen worden, daß die auf dem fehlerhaften Kandidatenaufstellungsverfahren der Hamburger CDU beruhende Notwendigkeit, die Hamburger Bürgerschaftswahl zu wiederholen dazu geführt hatte, daß gerade die CDU von der Wiederholungswahl profitierte; in der Literatur ist deshalb die Frage aufgeworfen worden, ob Schadensersatzansprüche gegen Parteien denkbar sind, die durch fehlerhafte Kandidatenaufstellungsverfahren eine Wahlaufhebung verursachen, vgl. Koenig, DÖV 1994, 286 (288) sowie dens., ZParl 1994, 241 (248) wobei als Anspruchsgrundlage eine öffentlich-rechtliche positive Forderungsverletzung genannt wird. 484

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und Schutz subjektiver Rechte, S. 76 m.w.N. in Fn. 176. 485 Vgl. BVerfGE 85, 148 (159) sowie LS 1; BVerfG DVBl. 1993, 1069 (1069) Kammerbeschluß. Dem Verfahren lag eine Verfassungsbeschwerde zugrunde, die die bereits erwähnte Wahlprüfungsentscheidung des Hamburgischen Verfassungsgerichts betraf, mit der dieses die Bürgerschaftswahl vom 2. Juni 1991 für ungültig erklärt hatte, vgl. dazu näher oben Kapitel 3, B. III. 5. sowie HVerfG, DVBl. 1993, 1070 ff.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

23

durchaus der Situation bei mehrpoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen vergleichbar, bei denen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit außerordentlicher Sorgfalt zu handhaben ist 4 8 6 , werden durch Rechtsschutzverfahren in Wahlangelegenheiten neben den Interessen des jeweils betroffenen Bürgers oder der jeweils betroffenen Partei und derjenigen des Staates auch Interessen anderer Wähler und Parteien sowie der Gesamtaktivbürgerschaft mitbetroffen. Gleichwohl läßt sich nicht leugnen, daß gerade wegen der Einzigartigkeit der Wahlsituation die Verweigerung vorläufigen Rechtsschutzes dazu führen kann, daß das Wahlrecht zumindest temporär entwertet wird 4 8 7 . Ob dabei die genannten Erwägungen für sich genommen den Ausschluß jeglichen vorläufigen Rechtsschutzes tragen würden, kann auf sich beruhen, wenn die zweite Voraussetzung für die verfassungsrechtliche Notwendigkeit vorläufigen Rechtsschutzes nicht gegeben ist, weil die Rechtsverletzung im Hauptsacheverfahren korrigiert werden kann. In engem Zusammenhang mit den geprüften zeitlichen Anforderungen bedeutet Wirksamkeit des Rechtsschutzes auch, daß der jeweils eingeräumte Rechtsbehelf dazu führen kann, einer erfolgten oder drohenden Rechtsverletzung wirksam abzuhelfen 488. Vorläufiger Rechtsschutz ist daher geboten, wenn die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr dazu führen kann, die eingetretene Rechtsverletzung zu beseitigen 489 . Einstweiliger Rechtsschutz wäre demnach verfassungsrechtlich nicht zwingend erforderlich, wenn das Wahlprüfungsverfahren dazu führen würde, daß die eingetretene Rechtsverletzung „repariert" wird 4 9 0 .

486

Vgl. dazu zunächst Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 3, sowie speziell zur Problematik bei einstweiligem Rechtsschutz Schmidt-Aßmann, a.a.O., Rn. 275. 487

So auch Greeve, Die Wahlprüfung, S. 160.

488

Vgl. BVerfGE 61, 82 (111) sowie LS 2 a); pointierter formuliert Papier, HStR VI, § 153 Rn. 75, die Rechtsverletzung sei effizient zu beseitigen. 489

Vgl. BVerfGE 46, 166 (179); 65, 1 (70 f.); 79, 69 (74); Krüger, in: Sachs, GG, Art. 19 Rn. 145. 490

Vgl. dazu auch BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1516/93 -, Umdruck, S. 68, wo das Gericht die sog. Flughafenregelung mit der Überlegung für verfassungsgemäß erachtet hat, dem Beschwerdeführer sei zwar nicht gewährleistet, von den tatsächlichen Auswirkungen des gerügten Grundrechtsverstoßes verschont zu bleiben, er könne aber immerhin mit der Verfassungsbeschwerde die Feststellung der Verletzung seines Grundrechts und die rechtliche Aufhebung des Hoheitsaktes erreichen. - Hervorhebung hinzugefugt.

2

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

Bei der Beantwortung dieser Frage ist zwischen solchen Wahlrechtsverletzungen zu unterscheiden, die sich als mandatsrelevante Wahlfehler und solchen, die rein subjektive Wahlfehler darstellen. Mandatsrelevante Wahlfehler führen nach nahezu unbestrittener Auffassung 491 zu einer Aufhebung der Wahl, soweit der Wahlfehler reicht 492 . Grundsätzlich gilt, daß die Aufhebung einer behördlichen Entscheidung auf eine Anfechtung hin als Beseitigung der Rechtsverletzung gilt, weil die erfolgreiche Anfechtung ex tunc wirkt 4 9 3 . Daß die Wahlanfechtung nach allgemeiner Auffassung nur ex nunc wirkt 4 9 4 , steht dem nicht entgegen. Denn die Zubilligung einer ex tunc wirkenden Wahlanfechtung würde aufgrund des dann eintretenden rechtsfreien Raumes in bezug auf die Legitimation der gesetzten Rechtsakte einen der Verfassung noch ferneren Zustand schaffen 495. Soweit demnach infolge einer mandatsrelevanten Wahlrechtsverletzung subjektive Wahlrechte verletzt werden, kann der Betroffene durch die Aufhebung der Wahl hinreichenden Rechtsschutz erlangen. An der Effektivität nachträglichen Rechtsschutzes in bezug auf mandatsrelevante Wahlrechtsverletzungen besteht daher kein durchgreifendes Bedenken. Problematischer erscheint die Rechtslage hinsichtlich derjenigen Wahlrechtsverletzungen, die sich als rein subjektive Wahlrechtsverletzungen dar-

491

Vgl. aber das Sondervotum der Entscheidung betreffend die Überprüfung der Hamburger-Bürgerschaftswahl. Dort hatte die unterlegene Minderheit ausgeführt, das Gebot (verfassungs-)richterlicher Selbstbeschränkung bei Entscheidungen von existentieller Bedeutung ftir andere Verfassungsorgane spreche dafür, das „scharfe Schwert" der Ungültigkeitserklärung der betroffenen Wahl nicht auszusprechen, weil der Zweck des Wahlprüfungsverfahren, die Integrität der Wahl der Volksvertretung zu sichern, auch ohne Sanktion jedenfalls für die Zukunft hätte erreicht werden können, vgl. HVerfG DVB1. 1993, 1070 (1077); ähnlich die Urteilsanmerkung von Karpen, DVB1. 1993, 1077 (1080) „...hätte sich darauf beschränken können, die Wahl für ungültig zu erklären", ohne die Wahl aufzuheben. 492

Vgl. dazu oben Kapitel 3, 2. Abschnitt, Β. IV. 1. a) aa) sowie Magiera, in: Sachs, GG, Art. 41 Rn. 17. 493

Vgl. Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 164.

494

Vgl. BVerfGE 1, 14 (38), wo die Rechtsgrundlage für die Beschlüsse zweier Landtage entfallen war, nachdem das BVerfG ein Gesetz betreffend die Neugliederung von Bundesländern für verfassungswidrig erklärt hatte; vgl. weiter Detterbeck, Streitgegenstand, S. 571; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 41 Rn. 6. 495

heit".

Vgl. BVerfGE 3, 41 (44 f.): „Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsklar-

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

285

stellen. Sie führen nach der hier vertretenen und unten im einzelnen dargestellten Auffassung nur zu einer Feststellung in der Entscheidungformel einer Wahlprüfungsbeschwerde 496. Fraglich ist deshalb, ob eine solche Feststellungsentscheidung eine wirksame Beseitigung der Rechtsverletzung darstellt. Wäre dies nicht der Fall, müßte eine Spezialität des Wahlprüfungsverfahrens in bezug auf die subjektiven Rechtsverletzungen verneint werden. Auch zur Beantwortung dieser Frage gilt es, sich die Funktion und den Gewährleistungsinhalt von Art. 19 Abs. 4 GG vor Augen zu halten. Zunächst besteht heute Einigkeit darüber, daß Art. 19 Abs. 4 GG nur die Aussage enthält, daß gegenüber Rechtsverletzungen Rechtsschutz zu gewähren ist, zu der Frage indes, wie, das heißt in welcher Form dieser Rechtsschutz zu gewähren ist, aber schweigt 497 . Unabdingbar erforderlich ist zunächst nur, daß es sich um einen gerichtlichen Rechtsschutz handelt, wobei das angerufene Gericht den Maßgaben der Art. 92, 97 GG entsprechen muß 498 . Überdehnt würde Art. 19 Abs. 4 GG demnach, wenn man ihm eine Forderung nach Optimierung des Rechtsschutzes entnehmen würde 499 . Die Vorschrift gewährleistet mithin nur einen Mindeststandard 500. Ihr kann nicht entnommen werden, daß dem Rechtssuchenden stets derjenige Rechtsschutz zuteil wird, der die stärkste Reaktion auf die erlittene Rechtsverletzung darstellt 501 . Grundsätzlich sind auch reine Feststellungsentscheidungen geeignet, dem Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG zu genügen502. Bedenken dagegen, wahlrechtlichen Rechtsschutz gegenüber Verletzungen des subjektiven Wahlrechts allein in Form von Feststellungsentscheidungen zu gewähren, bestehen aber deshalb, weil Feststellungsurteile im Regelfall nicht zu einer Realisierung des aus einer Rechtsverletzung resultierenden Anspruchs auf Beseitigung, sondern nur zur Feststellung der Rechtswidrigkeit des staatlichen Handelns führen kön-

496

Vgl. unten 2. Abschnitt, Β. I.

497

Vgl. Bettermann, GR III/2, S. 801; Schenke, in: FS für Mühl, S. 571 (584); Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, S. 274. 498

Krebs, in: v. Münch, GGK I, Art. 19 Rn. 63. Das ist beim BVerfG, was angesichts des eindeutigen Gesetzes Wortlauts keiner weiteren Begründung bedarf, der Fall. 499

Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 386.

500

Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 14.

501

Vgl. Schenke, Art. 19 Abs. 4 Rn. 386.

502

Vgl. Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 160; Kopp, VwGO, § 43 Rn. 1.

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Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

nen. Sie bleiben daher wegen ihrer fehlenden Vollstreckbarkeit in der Rechtsschutzqualität hinter Gestaltungsentscheidungen zurück. Gegen die hier vertretene Auffassung, wonach subjektive Wahlrechtsverletzungen nur zu einer Feststellungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts führen können, könnte deshalb der Vorwurf einer nicht gerechtfertigten Schlechterstellung des Wahlrechts gegenüber anderen subjektiven Rechten erhoben wurden. Denn während jene, je nach Rechtsqualität der staatlichen Handlung, zu einer Aufhebungsentscheidung führen können, wäre dies im Bereich des Wahlrechts in bezug auf rein subjektive Rechtsverletzungen von vornherein ausgeschlossen. Zudem könnte es ungereimt erscheinen, wenn oben die zentrale Bedeutung des Wahlrechts für die Demokratie herausgearbeitet worden ist, nur um nunmehr den Rechtsschutz gegenüber anderen weit weniger bedeutsamen Rechten zu verkürzen. Weder die fehlende Vollstreckbarkeit feststellender Entscheidungen noch die Sorge vor einer ungerechtfertigten Schlechterstellung des subjektiven Wahlrechts gegenüber sonstigen Rechten, vermögen indes gegen eine Konzentration des wahlprüfungsrechtlichen Rechtsschutzes beim Bundesverfassungsgericht ins Feld geführt zu werden. Für die Fachgerichtsbarkeit mag es zutreffen, daß Feststellungsurteile wegen ihrer fehlenden Vollstreckbarkeit in der Rechtsschutzintensität hinter Gestaltungsurteilen zurückbleiben 503 . Beim Bundesverfassungsgericht bestehen indes Besonderheiten. Denn einerseits sind auch dessen Gestaltungsentscheidungen dadurch gekennzeichnet, daß dem Gericht eigene Vollstreckungsmittel fehlen, so daß dies kein Spezifikum der Feststellungsentscheidungen ist. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber diesem Umstand in § 35 BVerfGG, wonach das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung bestimmen kann, wer sie vollstreckt, Rechnung getragen. § 35 BVerfGG stellt zwar eine kaum praktisch gewordene Vorschrift dar, die überdies nicht unumstritten ist 5 0 4 . Für die hier interessierende Fragestellung der Vereinbarkeit reiner Feststellungsentscheidungen mit der Garantie effektiven Rechtsschutzes genügt es indes, darauf zu verweisen, daß das Bundesverfassungsgericht § 35 BVerfGG nicht nur auf Leistungs- und Gestaltungsurteile, sondern auch auf Feststellungsurteile er-

503 504

Vgl. dazu Ey ermann/Fr öhler, VwGO, § 43 Rn. 30.

Kritisch gegenüber der vom Gericht § 35 BVerfGG entnommenen Freiheit, „das Gebotene in der jeweils sachgerechtesten, raschesten, zweckmäßigsten, einfachsten und wirksamsten Weise zu erreichen" (so BVerfGE 6, 300 [304]), Forsthoff, FS für C. Schmitt, S. 35 (59): „Hier wird mit dem Übergang vom Rechtsstaat zum Justizstaat Ernst gemacht".

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

287

streckt hat 505 . Überdies hat die Autorität des Gerichts bisher stets dazu geführt, daß sich die staatlichen Organe an die Entscheidungen des Gerichts gehalten haben. Daß gegenüber subjektiven Wahlrechtsverletzungen nach der hier vertretenen Auffassung Rechtsschutz nur in Form einer Feststellungsentscheidung erreicht werden kann, stellt auch keine Aushöhlung der Garantie effektiven Rechtsschutzes dar. Zwar ist in der Literatur unter Berufung auf die Nachträglichkeit wahlprüfungsrechtlichen Rechtsschutzes der Schutz subjektiver Wahlrechte aus dem Wahlprüfungsverfahren eliminiert und seine Wahrung dem allgemeinen Rechtsweg des Art. 19 Abs. 4 GG anheim gestellt worden 506 . Doch abgesehen davon, daß - worauf in Kapitel 4 im einzelnen hingewiesen wurde - die Gewährung rechtzeitigen subjektiven Rechtsschutzes in Verwaltungsstreitverfahren unter den Bedingungen der modernen Massengesellschaft in der Regel nicht realisiert werden kann und die Notwendigkeit eines zeitgleichen Ablaufs der Wahl in einem Flächenstaat nicht durch Anfechtungsentscheidungen vor der Wahl in Frage gestellt werden kann 507 , läßt diese Auffassung auch die besondere Rechtsnatur des Wahlrechts außer Betracht. Wie bereits angesprochen, stellen die Forderungen einstweiligen Rechtsschutzes sowie das an den Staat gerichtete Verbot, vollendete Tatsachen zu schaffen, zwar Emanationen des Gebots wirksamen Rechtsschutzes dar. Doch ist zur Abwehr der in der Literatur befürchteten „Leerformelhaftigkeit" eines isoliert betrachteten Prinzips des effektiven Rechtsschutzes508 daran zu erinnern, daß dieses Prinzip in seiner konkreten Anwendung Kontur erst durch den Bezug auf das jeweils verletzte subjektive Recht erhält 509 . Wie der Schutz des betroffenen Rechts zu bewerkstelligen ist, wird mithin nicht durch Art. 19 Abs. 4 GG, sondern durch das jeweilige materielle Recht beantwortet. Wahlprüfungsverfahren dienen dem Schutz des Wahlrechts. Dieses Recht weist, wie oben im einzelnen dargestellt

505

Vgl. BVerfGE 6, 300 (302 f.); zustimmend Herzog, Der Staat 4 (1965), S. 37 (39), der allerdings Kritik gegenüber der Regelung anmeldet, sie sei „ (...) die am wenigsten durchdachte Vorschrift des ohnehin höchst unbefriedigenden BVerfGG", vgl. Herzog, a.a.O., S. 49. 506

Olschewski, Wahlprüfung und Schutz subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 76.

507

Einen Aspekt, den insbesondere das BVerfG betont hat, vgl. BVerfGE 14, 154 (155); 28,214(219). 508

So die Formulierung von Lorenz, AöR 105 (1980), 623 (636).

509

Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 387.

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

2

wurde, aufgrund seines Doppelcharakters und seiner Funktionsvielfalt Besonderheiten auf. Soll der Lehre vom Doppelcharakter des Wahlrechts eine über eine rein klassifikatorische Begriffsbildung hinausgehende Relevanz zukommen, so muß die Doppelnatur des Wahlrechts auf die Ausgestaltung des Rechtsschutzes durchschlagen. Neben der Gewährleistung eines individuellen Grundrechts dient das Wahlrecht auch objektiven Funktionen. Es soll Herrschaftsorgane ebenso hervorbringen wie legitimieren und die in Art. 20 Abs. 2 GG normierte Volksherrschaft verfahrensrechtlich absichern. Aufgrund dieser objektivrechtlichen Seite des Wahlrechts bestehen sowohl an der Realisierung als auch am Schutz des Wahlrechts im Interesse des Funktionierens des demokratischen Konstituierungsprozesses verstärkte staatliche Gewährleistungs- und Schutzpflichten 510 . Auf Grund dieser verstärkten staatlichen Ausgestaltungsbefugnis ist es gerechtfertigt, wenn die Wahlprüfungsorgane nur bei diese Schutzgüter beeinträchtigenden Rechtsverletzungen in den Bestand einer Wahl eingreifen und subjektive Rechtsverletzungen nur über eine Feststellung des Wahlfehlers in der Entscheidungsformel sanktionieren. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht einer solchen Lösung nicht entgegen. Denn das Gericht hat nur entschieden, daß allein mandatsrelevante Wahlfehler zu einem Eingriff der Wahlprüfungsorgane führen können 511 . Die Feststellung subjektiver Wahlrechtsverletzungen im Tenor einer Wahlprüfungsbeschwerde stellt aber keinen Eingriff in den Bestand der Wahl dar. Daß das Wahlrecht dabei stärkeren staatlichen Regelungen unterworfen werden kann als die Freiheitsgrundrechte, zeigt sich nicht zuletzt an der Problematik einer Wahlpflicht. Eine solche Verpflichtung zur Ausübung einer grundrechtlich gewährten Berechtigung mag politisch umstritten oder auch zur Behebung von Identifikationsproblemen in der Demokratie ungeeignet sein, den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit wird man hiergegen nicht erheben können 512 . Im Interesse, die demokratische Legitimation von Herrschaft zu gewährleisten, ist deshalb die Auferlegung einer Pflicht zur Ausübung des Grundrechts zulässig. Dies zeigt, daß aufgrund der Doppelnatur des Wahlrechts dessen individuelle Ausübung immer auch durch objektiv-rechtliche Interessen mitbedingt ist.

510

Vgl. Nowak, Politische Grundrechte, S. 184.

511

Vgl. BVerfGE 35, 300 (301 f.); 22, 277 (281).

512

Vgl. Nowak, Politische Grundrechte, S. 184; Höfling,, Der Staat 33 (1994), S. 493 (504). Bedenken insoweit aber bei Stern, StaatsR I, S. 322 f. und StaatsR III/2, S. 1034: „..ins Gespräch gebracht worden mit dem durchsichtigen Gedanken, dadurch die staatliche Finanzierung politischer Parteien aufzubessern"; für die Zulässigkeit einer in Art. 38 verankerten Wahlpflicht Berg/Dragunski, JuS 1995, 238 (241 f.).

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

2

Die obigen Ausführungen zur Fundamentalbedeutung des Wahlrechts stehen dazu nicht in Widerspruch. Die Bedeutung des Wahlrechts war dort betont worden, um aufzuzeigen, daß eine Exklusion subjektiven Wahlrechtsschutzes aus dem Wahlprüfungsverfahren, die aufgrund von § 49 BWahlG und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zudem dazu führt, daß das subjektive Wahlrecht rechtsschutzlos gestellt wird, mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Art. 41 und 38 GG nicht übereinstimmt. Hierdurch werden die hier in Rede stehenden Anforderungen an die Ausgestaltung des Wahlrechtsschutzes nicht präjudiziell Der oben angeführte Doppelcharakter des Wahlrechts muß daher auch bei der Herstellung der Konkordanz zu Art. 19 Abs. 4 GG gesehen werden. Sofern man in dem nachträglichen und lediglich in einem Feststellungstenor gekleideten Schutz bei subjektiven Rechtsverletzungen eine Benachteiligung der Wahlrechte gegenüber sonstigen Freiheitsrechten sehen will, liegt darin keine Schlechterstellung des Wahlrechts, sondern eine Konsequenz aus dessen eigentümlicher Rechtsnatur. Denn Wahlrechtsschutz ist immer retrospektiv, setzt immer den Abschluß der Wahl voraus. Dies gilt für rein subjektive Rechtsverletzungen ebenso wie für objektive Rechtsverletzungen und stellt keine besondere Benachteiligung des subjektiven Wahlrechts dar. Daß es bei rein subjektiven Wahlrechtsverletzungen bei einer Feststellungsentscheidung bleibt, bedeutet keine Schlechterstellung des subjektiven Wahlrechts, sondern stellt eine Folge der im Wahlprüfungsverfahren auch zu schützenden Rechtmäßigkeit der Volkswillensbildung. Das Wahlprüfungsverfahren stellt deshalb hinsichtlich der Handlungen und Maßnahmen der Wahlorgane ein gegenüber der allgemeinen Rechtsschutzgarantie spezielleres Verfahren dar. Im Bereich des Rechtsschutzes gegen Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane wird damit Art. 19 Abs. 4 GG durch Art. 41 Abs. 2 GG verdrängt.

(b) Anforderungen an die Ausgestaltung des Wahlprüfungsverfahrens Dies wird grundsätzlich auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß die Beschwerdeberechtigung im Wahlprüfungsverfahren durch § 48 Abs. 1 BVerfGG von gewissen Voraussetzungen abhängig gemacht wird. Die typusprägende Struktur des Wahlrechts als sogenanntes Bewirkungsrecht und die darin angelegte Doppelnatur ermöglichen dem Gesetzgeber nach dem Gesagten eine stär-

19 Lang

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Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

kere staatliche Einflußnahme 513 auch auf die Ausgestaltung der Beschwerdeberechtigung, die ihre Grenze allerdings in solchen Beschränkungen findet, die sich nicht aus der besonderen Rechtsnatur des Wahlrechts rechtfertigen. Unter Beachtung dieses Maßstabes ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß Wahlprüfungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht erst nach Durchführung des Einspruchsverfahrens beim Deutschen Bundestag eingelegt werden können - nachfolgend (aa). Durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet indes § 48 Abs. 1 BVerfGG, soweit die Beschwerde nur zulässig ist, wenn dem Beschwerdeführer 100 Wahlberechtigte beitreten nachfolgend (bb). Verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar ist des weiteren, daß die Vorschrift Beeinträchtigungen des passiven Wahlrechts von einer bundesverfassungsgerichtlichen Überprüfung ausnimmt - nachfolgend (cc).

(aa) Notwendigkeit eines „Vorverfahrens" Gemäß § 48 Abs. 1 BVerfGG kann nur derjenige Wahlberechtigte Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen, der zunächst das Einspruchsverfahren vor dem Deutschen Bundestag durchgeführt hat. Dessen Entscheidung ist damit Sachentscheidungsvoraussetzung der Beschwerde 514. Andernfalls ist die Beschwerde unzulässig515. Prozessual wird dies zusätzlich dadurch abgesichert, daß Gegenstand der Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht nur diejenigen Rügen sind, die zuvor im Einspruchs verfahren verfolgt worden waren 516 . Gelegentlich wird das Einspruchsverfahren vor dem Deutschen Bundestag dabei mit dem Vorverfahren der §§68 ff. VwGO verglichen 517 . Aus der Notwendigkeit der Durchführung des Einspruchsverfahrens vor Anrufung des Bundesverfassungsgerichts wird im Hinblick auf die hier interessierende Frage der Schluß gezogen, die Beschwerde nach Art. 41 Abs. 2 GG eröffne keinen voraussetzungslos gewährten Gerichtsweg, weil sie von der

513

Vgl. Höfling, Der Staat 33 (1994), S. 493 (505).

5.4

Schmidt-Bleibtreu,

in: Maunz u.a., BVerfGG, § 48 Rn. 30.

5.5

BVerfGE 79, 173 (173); 21, 356 (357); Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 24. 516 517

Vgl. BVerfGE 16, 130 (144); 79, 161 (165).

Vgl. Loschelder, Das aktive Wahlrecht und die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, S. 96 ff.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

2

„Erschöpfung eines nichtrichterlichen Verfahrens als zwingende Voraussetzung" abhänge518. Da das Bundesverfassungsgericht erst nach einer ablehnenden Entscheidung des Bundestages tätig werden dürfe, stelle die Beschwerde nach Art. 41 Abs. 2 GG keinen „offenen" Gerichtsweg i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG dar 519 . Dem ist nicht zuzustimmen. Grundsätzlich ist die Statuierung obligatorischer Vorverfahren verfassungsrechtlich unbedenklich 520 . Zweifel an deren Zulässigkeit können allerdings entstehen, wenn die Anrufung des Gerichts von einer Entscheidung im Vorverfahren abhängig gemacht wird. Bedenklich ist deshalb nicht, wenn Zulässigkeitsvoraussetzung einer Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht die Durchführung des Einspruchsverfahrens ist, sondern wenn worauf in der Literatur auch hingewiesen wird - das Bundesverfassungsgericht ohne eine Entscheidung des Bundestages nicht tätig werden darf. Abgesehen von der bisher nicht praktisch gewordenen Frage, ob das Bundesverfassungsgericht in Extremfällen tatsächlich nicht ohne eine Entscheidung des Bundestages tätig werden dürfte - immerhin hat das Gericht den Beschluß, mit dem sich der Bundestag für unzuständig erklärt als angreifbare Entscheidung ausreichen lassen521 -, liegt der verfassungsrechtlichen Begrenzung der Zulässigkeit obligatorischer Vorverfahren eine andere Wertung zugrunde. Die tragende Begründung hierfür ist, daß es nicht in die Hand der die Rechte des Bürgers verletzenden Gewalt gelegt werden soll, über die Voraussetzungen einer gerichtlichen Kontrolle zu bestimmen 522 . Diese Gefahr besteht beim Wahlprüfiingsverfahren indes nicht. Über den Einspruch des Bürgers entscheidet der Bundestag, mithin eine andere Gewalt als die die Wahlrechte des Bürgers verletzende Verwaltung. Es gibt denn auch trotz der polemischen Kritik H. Meyers „Wahlprüfung als Wahlprüfungsverhinderungsverfahren" 523 und der

518

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 126.

519

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 126 unter Berufung auf Bettermann, Grundrechte III/2, S. 807. 520

Vgl. Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 118.

521

Vgl. BVerfGE 2, 300 (305); dem zustimmend Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 20. 522

Vgl. Bettermann, Grundrechte III/2, S. 807; Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 123. 523

Vgl. H. Meyer, KritV 1994, 312 (354 ff., 359); ähnlich Hoppe, DVBl. 1996, 344 (347), der zwar nicht von Wahlprüfungsverhinderungsverfahren spricht, die Verzöge-

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Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

Tatsache, daß das Wahlprüfungsgesetz dem Bundestag keine Frist für seine Entscheidung setzt, keine Anhaltspunkte dafür, daß der Bundestag Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahl verschleppt. Die vom Bundestag hierfür in der Regel in Anspruch genommen „Bearbeitungszeiten" entsprechen durchaus den in Vorverfahren üblichen Fallgestaltungen524. Zu Recht hat der Bundestag den Vorwurf ungerechtfertigter Verzögerung überdies mit dem Einwand pariert, der Wahlprüfungsausschuß könne, wie jeder andere Ausschuß auch, seine Arbeit erst nach seiner Konstituierung aufnehmen, so daß nach den Wahlen zwangsläufig eine geraume Zeit bis zur Herstellung der Arbeitsfähigkeit des Wahlprüfungsausschusses vergehe. Zudem seien die Mitglieder des Ausschusses nicht von anderen Mandatsaufgaben freigestellt. Aufgrund dessen könne der Vorwurf zögerlicher Bearbeitung der Wahlprüfungsbeschwerden nicht aufrechterhalten werden 525 . Schließlich dürfte dem Vorschlag H. Meyers, im Interesse der Verkürzung des Wahlprüfungsverfahren die Frist zur Erhebung von Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl von gegenwärtig 2 Monaten seit dem Wahltag auf 2 oder 3 Wochen ab amtlicher Verkündung des Wahlergebnisses zu verkürzen, nicht zu folgen sein 526 . Aufgrund der oben dargestellten hohen Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht an die Substantiierung der Beschwerde gemäß § 48 Abs. 1 BVerfGG stellt 527 und die das Gericht auch auf das Einspruchsverfahren vor dem Deutschen Bundestag übertragen hat 5 2 8 , dürfte eine zweimonatige Überlegungsfrist für einen hinreichend begründeten Einspruch nicht zu lang bemessen sein.

rung der Entscheidung des Bundestages aber als „in hohem Maße rechtsstaatlich bedenklich" ansieht. 524

Zuzustimmen ist allerdings Hoppe, DVB1. 1996, 344 (347), in der Einschätzung, das in Art. 41 GG vorausgesetzte öffentliche Interesse an der alsbaldigen Klärung der Gültigkeit oder Ungültigkeit einer Wahl konturiere ein „Zügigkeitsgebot" bei der Behandlung von Einsprüchen, das bei Verfahrensdauer von mehr als einem Jahr verletzt werden könne. Bei den von H. Meyer, KritV 1994, 312 (354) in Fn. 112, sowie Hoppe, DVB1. 1996, 344 (345) in Fn. 15, mitgeteilten Fällen (1949: Beschluß des Bundestages erst nach 2 Jahren und 4 Monaten sowie 1987: Beschluß nach 14 Monaten jeweils gerechnet vom Wahltag an) dürfte es sich aber um Ausreißer handeln. 525

Vgl. den Beschluß des Deutschen Bundestages in der Wahlanfechtungssache - Az WP 51/94 -, BT-Drs. 13/2800, Anlage 1, S. 5 (9 f.). 526

Vgl. H Meyer, KritV 1994, 312 (354).

527

Vgl. dazu oben Kapitel 3, 2. Abschnitt, B. III. 4. b).

528

Vgl. BVerfGE 58, 175 (175 f.); ebenso Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 34.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

23

Die Rechtswegqualität der Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht wird demnach auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß dem dortigen Verfahren das Einspruchsverfahren vor dem Deutschen Bundestag vorgeschaltet ist.

(bb) Verfassungswidrigkeit des Beitrittserfordernisses in § 48 Abs. 1 BVerfGG Durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet § 48 Abs. 1 BVerfGG aber, soweit die Vorschrift die Beschwerde vom Beitritt weiterer 100 Wahlberechtigter abhängig macht. Nach § 48 Abs. 1 BVerfGG ist die Erhebung einer Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht durch einen Wahlberechtigten, dessen Einspruch vom Bundestag verworfen wurde, daran gebunden, daß ihm mindestens 100 Wahlberechtigte beitreten. In auffälligen Gegensatz dazu bestimmt § 2 Abs. 2 WahlprüfG, daß jeder Wahlberechtigte Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl beim Bundestag einlegen kann. Die Möglichkeit der Beschwerde ist damit gegenüber derjenigen des Einspruchs eingeschränkt. Als Begründung für die Notwendigkeit des Beitritts weiter 100 Wahlberechtigter wird angeführt, § 48 Abs. 1 BVerfGG wolle die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht nur dann geben, wenn aus der Zahl der persönlichen, das heißt individuellen Reaktionen in der Wählerschaft auf eine Entscheidung des Bundestages hervorgeht, daß der Angelegenheit eine gewisse Bedeutung zukommt 529 . Der Zweck der Vorschrift bestehe darin, die Ernsthaftigkeit der Beschwerde zu zeigen 530 . Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Notwendigkeit des Beitritts werden unter Berufung auf den Charakter des Wahlprüfungsverfahrens beiseite gewischt. Die Begrenzung sei unbedenklich, da das Verfahren nur dem Schutz des objektiven Wahlrechts diene 531 . In seiner ersten wahlprüfungsrechtlichen Entscheidung hatte das Bundesverfassungsgericht § 48 Abs. 1 BVerfGG indes einer differenzierteren verfassungsrechtlichen Betrachtung unterzogen. In diesem Verfahren hatte der Beschwerdeführer gerügt, daß die Wahlumschläge nicht amtlich abgestempelt worden waren und die darin enthaltenen Stimmen gleichwohl gezählt worden waren. Das Gericht verwarf die Beschwerde als unzulässig. Sie sei verfristet. Zudem werde die Beschwerde nicht von weiteren 100 Wahlberechtigten unterstützt.

529

Vgl. BVerfGE 2, 300 (303 f.); 58, 170 (171).

530

Vgl. Benda/Klein,

531

Vgl. BVerfGE 79, 47 (48); 66, 311 (312).

VerfprozR, § 32 Rn. 1098.

294

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren

Es führte dann aber aus:

„Es bleibt zu prüfen, ob die Vorschrift über den Beitritt zu einer Wahlprüfungsbeschwerde etwa in Widerspruch mit Art. 19 Abs. 4 oder Art. 41 Abs. 2 und 3 GG steht. Art. 19 Abs. 4 GG der dem einzelnen Rechtsschutz gegen Verletzung seiner Rechte durch die öffentliche Gewalt gewährt, kann dann dem gesetzlichen Verlangen nach Beitritt zu einem Rechtsbehelf nicht entgegenstehen, wenn es sich nicht um die Verletzung eines subjektiven Rechts des Beschwerdeführers handelt, etwa um die Verletzung oder auch nur Gefährdung des Wahlgeheimnisses und damit gegebenenfalls auch der Wahlfreiheit, sondern um die Verletzung objektiver Ordnungsvorschriften, die nach dem eigenen Vortrag des Beschwerdeführers ein subjektives Recht nicht berührt haben. Art. 41 Abs. 2 enthält nur eine Rahmenvorschrift über die Beschwerde in Wahlprüfungssachen, während das Nähere gemäß Abs. 3 5 3 2 aaO durch ein Bundesgesetz geregelt werden soll. Diese Ermächtigung allein würde die Beschränkung des Beschwerderechts durch das Erfordernis des Beitritts von 100 Wahlberechtigten (§ 48 BVerfGG) vielleicht nicht rechtfertigen, wenn der Zweck der Wahlprüfungsbeschwerde darin bestünde, dem einzelnen Wähler Schutz seines subjektiven Rechts zu gewähren. Das ist jedoch nicht der Fall. Das Wahlprüfungsverfahren dient nur dem Schutz des objektiven Wahlrechts, d.h. der Erzielung der gesetzmäßigen Zusammensetzung des Bundestages"533.

Das Bundesverfassungsgericht hat - wie die Formulierung „oder" deutlich macht - das Beitrittserfordernis sowohl im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG als auch hinsichtlich eines denkbaren Verstoßes gegen Art. 41 Abs. 2 und 3 GG geprüft. Dabei bleibt die Prüfung des Art. 19 Abs. 4 GG ganz auf den Einzelfall bezogen. Nur in dem dem Gericht konkret vorliegenden Fall stellten die vom Beschwerdeführer gerügten Formverstöße nicht zugleich auch Verletzungen des subjektiven Wahlrechts dar. Der Begründung des Gerichts läßt sich aber entnehmen, daß bei gleichzeitigen Verstößen gegen subjektive Wahlrechte das Beitrittserfordernis mit Art. 19 Abs. 4 GG kollidieren würde. Etwas anderes kann nur gelten, wenn man der auch in der vorliegenden Untersuchung unterstützten Spezialitätsthese des Bundesverfassungsgerichts folgt,

532

Im Abdruck der amtlichen Entscheidungssammlung steht irrtümlich statt „Abs. 3"

Art. 3. 533

BVerfGE 1, 430 (432 f.). - Hervorhebungen hinzugefügt.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

25

wonach das Wahlprüfungsverfahren den allgemeinen Rechtsweg des Art. 19 Abs. 4 GG verdrängt. Die weitere verfassungsrechtliche Untersuchung konzentriert sich dementsprechend auf die Vereinbarkeit des Beitrittserfordernisses mit Art. 41 Abs. 2 und 3 GG. Hiervon ist ersichtlich auch das Bundesverfassungsgericht ausgegangen 534 . Nach der hier vertretenen Auffassung geht es im Wahlprüfungsverfahren auch um den Schutz subjektiver Rechte. Daraus folgt zunächst, daß die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Beitrittserfordernisses nicht auf den objektiven Charakter des Wahlprüfungsverfahrens gestützt werden kann. Allerdings bedeutet dies nicht zugleich, daß das Beitrittserfordernis verfassungswidrig wäre. Das Gericht hatte abwägend - und andere Sichtweise durchaus zulassend - lediglich formuliert, sofern es in dem Wahlprüfiingsverfahren (auch) um den Schutz subjektiver Rechte gehe, könne das Beitrittserfordernis vielleicht eine nicht zu rechtfertigende Beschränkung der Aktivlegitimation darstellen. Deshalb trifft es in dieser Allgemeinheit nicht zu, wenn in der Literatur der Standpunkt eingenommen wird, die in § 48 Abs. 1 BVerfGG enthaltenen Beschränkungen seien „in einem dem Schutz des Einzelnen dienenden Verfahren nicht vertretbar" 535 . Es stellt sich vielmehr nur die Frage, ob das Beitrittserfordernis auch dann gerechtfertigt ist, wenn das Wahlprüfiingsverfahren ein Verfahren zum Schutz sowohl des objektiven als auch des subjektiven Wahlrechts darstellt. Oben war darauf hingewiesen worden, daß die Anforderungen, die an die Ausgestaltung eines Rechtsschutzverfahrens zu stellen sind, nicht generell festgelegt werden, sondern nur in ihrer Rückbeziehung auf das jeweils verletzte Recht gewonnen werden können. Auch war bereits dargelegt worden, daß nach der hier vertretenen Auffassung, die Doppelnatur des Wahlrechts auch auf die Ausgestaltung des Rechtsschutzes in Wahlangelegenheiten durchschlägt 536. Bei der Beantwortung der aufgeworfenen Frage einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Beitrittserfordernisses ist deshalb entscheidend der oben entwickelte, in Art. 41 GG angelegte, doppelfunktionale Verfahrensgegenstand zu berücksichtigen. Das Wahlrecht ist nicht nur ein subjektiv-öffentliches Recht, sondern seine Realisierung stellt zugleich die Wahrnehmung einer Organkompetenz dar. Den

534

Vgl. das bereits erwähnte „oder" in BVerfGE 1, 430 (432).

535

So aber Wuttke, AöR 96 (1971), S. 506 (516).

536

Vgl. oben 2. Abschnitt, B. III. 3. a) dd) (2) (a).

26

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

Schutz der damit angesprochenen objektiven Funktion darf der Gesetzgeber berücksichtigen, so daß ihm grundsätzlich eine dem Rechnung tragende Ausgestaltungsbefugnis hinsichtlich des Rechtsschutzes zuzuerkennen ist. Freilich unterliegt diese Befugnis auch Begrenzungen. Hierauf gestützte Beschränkungen des Rechtsschutzes dürfen die doppelte Schutzfunktion des Wahlprüfungsverfahrens nicht vereiteln. Deshalb ist die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Beitrittserfordernisses vor Art. 41 Abs. 2 GG anhand zweier Fragestellungen vorzunehmen. Einerseits ist zu klären, ob die objektive Schutzfunktion des Wahlprüfungsverfahrens die Regelung in § 48 Abs. 1 BVerfGG erzwingt 537 . Gleichsam nach der anderen Seite hin, ist zu fragen, ob aufgrund des Beitrittserfordernisses der subjektive Rechtsschutzaspekt des Wahlprüfungsverfahrens unterminiert wird. Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes ist das in § 48 Abs. 1 BVerfGG normierte Beitrittserfordernis verfassungsrechtlich nicht haltbar. Das Beitrittserfordernis wird damit begründet, es solle anzeigen, ob die Beschwerde ein ernsthaftes Anliegen aufnehme 538. Dies ist indes weniger eine Frage des Beitritts weiterer 100 Wahlberechtigter als eine Frage des gerügten Wahlfehlers. Andernfalls wäre es konsequent, schwerwiegende Wahlrechtsverletzungen, die sogar die Sitzverteilung des Parlaments beeinflussen könnten, dann nicht zum Gegenstand einer Wahlprüfung zu machen, wenn - was durchaus denkbar wäre - der potentielle Beschwerdeführer keine 100 Unterstützungsunterschriften vorlegen könnte. Eine verfassungsgerichtliche Kontrolle könnte dann auch nicht über die amtlich Einspruchsberechtigten des § 2 Abs. 2 WahlprüfG (Landeswahlleiter, Bundeswahlleiter und Präsident des Bundestages) erreicht werden, weil diesen die Beschwerdebefugnis durch § 48 Abs. 1 BVerfGG ebenfalls versagt wird. Eine solche Fallkonstellation mag nicht sehr praxisrelevant sein, ausgeschlossen ist sie nicht. Zweifel an einer durch die Unterstützungsunterschriften notwendig erreichten Ernsthaftigkeit der Beschwerde bestehen auch deshalb, weil die Beitreten-

537

Auf dieser Linie hat das BVerwG entschieden, daß „Erschwerungen (des subjektiven Rechtsschutzes) .. nach dem bereits Gesagten nicht hinzunehmen sind, wenn die Notwendigkeiten, die die Erschwerungen bedingen, nicht gegeben sind", vgl. BVerwGE 51, 69 (73 f.). Solche Beschränkungen sind daher nur hinzunehmen, wenn sie vom Zweck, dem diese Erschwerungen dienen (Feststellung einer einheitlichen, wirksamen Wahlentscheidung in einem konkreten Wahlprüfungsverfahren) zwingend gefordert sind, vgl. Weber, JuS 1977, 116. 538

Vgl. BVerfGE 66, 232 (233).

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

2

den nicht Beteiligte des Verfahrens werden, nicht an der Wahl teilgenommen oder Einspruch eingelegt zu haben brauchen; auch ist weder eine formelle noch eine materielle Beschwer erforderlich 539 . Im auffälligen Gegensatz zu den hohen Anforderungen hinsichtlich der Substantiierungspflicht des Beschwerdeführers müssen die Beitretenden - was allerdings aufgrund ihrer Stellung außerhalb des Verfahrens verständlich ist - ihr Interesse an der Führung des Beschwerdeverfahrens nicht darlegen 540 . Wieso aber durch den Beitritt derart außerhalb des Verfahrens stehender Personen, die unter Umständen durch ihre Nichtteilnahme an der Wahl ihre Gleichgültigkeit gegenüber diesem Vorgang demokratischer Legitimation ausgedrückt haben, die Ernsthaftigkeit des Verfahrens erhöht werden soll, ist nicht ersichtlich. Es ist deshalb im Ergebnis wenig überzeugend, wenn Beschwerden an das Bundesverfassungsgericht über das Beitrittserfordernis mit einer gewissen Ernsthaftigkeit ausgestattet sein sollen, wenn die Anforderungen an diesen Beitritt ohne rechtliche Substanz sind. Zudem bestehen durch das Begründungserfordernis, das das Bundesverfassungsgericht zur Abweisung einer Beschwerde als unzulässig berechtigt 541 , sowie durch die vom Gericht hoch angesetzte Substantiierungslast 542 ohnehin genügend Filter, um substanzlose Beschwerden abzuweisen. Folgt man der Auffassung der herrschenden Meinung ist zudem kaum ersichtlich, weswegen die Beschränkungen des Beschwerderechts, die aus dem Verfahren, nicht aus der Funktion, das Bundesverfassungsgericht zu entlasten, erklärt werden, nicht auch bereits in dem Verfahren vor dem Deutschen Bundestag Anwendung finden sollten. In der Literatur wird die unterschiedliche Regelung von Einspruchs- und Beschwerdebefugnis denn auch abgelehnt543. Dem ist zuzustimmen. Der Vorschrift liegen weitgehend wenig überzeugende Begründungen zugrunde.

539

Vgl. Schmidt-Bleibtreu, Rupprecht, BVerfGG, § 48 Rn. 3.

in: Maunz u.a., BVerfGG, § 48 Rn. 31; Leibholz/

540

Vgl. Benda/Klein,

541

BVerfGE 21, 359 (360).

542

Vgl. dazu oben Kapitel 3, 2. Abschnitt, B. III. 4. b).

543

VerfprozR, § 32 Rn. 1098.

Während Benda, in: Benda/Klein, VerfprozR, § 32 Rn. 1097, anmerkt, die Gründe für die Einengung des Beschwerderechts gegenüber § 2 WahlprüfG seien unklar, spricht Seifert, BundeswahlR, GG, Art. 41 Rn. 19, pointierter davon, die ganze Abgrenzung sei „reichlich undurchsichtig und willkürlich".

2

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

Allenfalls ein gewisser Abschreckungseffekt läßt sich zugunsten des Beitrittserfordernisses anfuhren 544 , der dazu fuhrt, daß innerhalb eines konkreten Wahlprüfungsverfahrens die Zahl der Beschwerden gegenüber der Anzahl der Einsprüche reduziert ist. Dies mag das Bundesverfassungsgericht entlasten. Abschreckung ist indes kein verfassungsrechtlicher Rechtfertigungsbegriff. Einer verfassungsrechtlichen Überprüfung hält § 48 Abs. 1 BVerfGG auch deshalb nicht stand, weil durch das Beitrittserfordernis die subjektive Rechtsschutzfunktion der Beschwerde ohne Gewinn für die objektive Schutzfunktion vereitelt wird. Insbesondere solche Wahlrechtsverletzungen, die wie etwa die verweigerte Eintragung ins Wählerverzeichnis, erkennbar nur einen einzelnen Wähler betreffen, werden durch das Beitrittserfordernis rechtsschutzlos gestellt. Denn es erscheint ausgeschlossen, daß in einem solchen Fall weitere 100 Wahlberechtigte am Erfolg der Wahlprüfungsbeschwerde interessiert sind. Gleichwohl wäre für den Betroffenen eine eklatante Wahlrechtsverletzung gegeben. Zwar mag die Notwendigkeit des Beitritts unter Berufung auf die objektive Schutzfunktion der Wahlprüfungsbeschwerde Modifikationen des Rechtsschutzes und auch Erschwerungen des individuellen Rechtsschutzes erzwingen. Dies darf allerdings nicht dazu führen, daß sich die staatliche Beschränkung des Beschwerderechts als faktischer Rechtswegausschluß darstellt 545 . Das ist indes im Wahlprüfungsverfahren der Fall. Dies wird daran verdeutlicht, daß das Beitrittserfordernis in einer Vielzahl von Beschwerden eine unüberwindliche Hürde darstellte. In den 45 Jahren, in denen das Bundesverfassungsgericht zum Hüter der Verfassung bestellt ist 5 4 6 , gab es 85 Wahlprüfungsbeschwerden, von denen 26 unzulässig waren 547 . In 15 Fällen wurde dabei das Quorum des § 48 Abs. 1 BVerfGG nicht erreicht 548 . Demnach stellte in nahezu einem Fünftel der Fälle (18%) das Beitrittserfordernis eine unüberwindliche Hürde dar. Dies ist mit dem Charakter des Wahlprüfungsverfahrens als eines auch subjektiven Rechts-

544

Der allerdings nicht einmal unzweifelhaft ist. Denn mehrere Bundesländer verzichten auf das Beitrittserfordernis, ohne daß es dort zu einem „Beschwerde-Boom" gekommen wäre; s. dazu die oben dargestellte Rechtslage in Hamburg, Niedersachsen und Sachsen, vgl. Kapitel 2, 2. Abschnitt, B. III. 545

Vgl. dazu Papier, HStR VI, § 154 Rn. 52.

546

Das Gericht konstituierte sich erstmalig am 7. September 1951.

547

Vgl. oben Kapitel 3, 1. Abschnitt mit Fn. 7.

548

Vgl. BVerfGE 1, 430 (431); 2, 300 (304); 14, 196 (196 f.); 18, 84 (84 f.); 21, 358 (358 f.); 29, 18 (18 f.); 29, 19 (20); 29, 21 (22); 46, 200 (201); 46, 201 (202); 58, 170 (171); 58, 172 (172 f.); 58, 232 (233); 66, 311 (312); 66, 232 (232 f.).

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

2

schutzverfährens unvereinbar. Die Notwendigkeit des Beitritts weiterer 100 Wahlberechtigter verstößt daher gegen Art. 41 Abs. 2 GG und ist daher nichtig. Dies fuhrt allerdings nicht dazu, daß die Vorschrift insgesamt nichtig wäre. Vielmehr bezieht sich in der vorliegenden Konstellation die Rechtsfolge der Nichtigkeit allein auf das Beitrittserfordernis 549. Selbst wenn man dem nicht zustimmt und deshalb die Regelung in § 48 Abs. 1 BVerfGG im Ergebnis als verfassungskonform ansieht, könnte dies nur dazu fuhren, daß der subjektive Rechtsschutz im Wahlprüfungs verfahren erschwert würde. Keinesfalls kann die Regelung in § 48 Abs. 1 BVerfGG zur Stützung der These angeführt werden, im Wahlprüfungsverfahren ginge es überhaupt nicht um den Schutz subjektiver Wahlrechte. Diese Frage ist nach dem Gesagten durch Art. 41 GG beantwortet und hieran kann die einfachrechtliche Vorschrift des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes nichts ändern. Freilich sollte bei der dringend gebotenen Novelle des Wahlprüfungsrechts der Gesetzgeber das Beitrittserfordernis durch eine sachgerechtere, im Ergebnis der Klagebefugnis 550 angenäherte Regelung ersetzen. Denn damit würde sich die Wahlprüfungsbeschwerde in das deutsche Rechtsschutzsystem einreihen. Während die Notwendigkeit des Beitritts weiterer 100 Wahlberechtigter nach dem Gesagten keine rechtliche Betroffenheit voraussetzt, dienen gesetzliche Regelungen der Beschwerdebefugnis - wie der Prototyp in § 42 Abs. 2 VwGO zeigt 551 - grundsätzlich dem Ausschluß der Popularklage. Ob ein Rechtsschutzsuchender als in diesem Sinne beschwerdebefügt anzusehen ist, beurteilt sich

549

Die Befugnis des Bundesverfassungsgerichts, ein Gesetz nicht insgesamt für nichtig zu erklären, sondern die gesetzliche Regelung lediglich als teilnichtig anzusehen, dürfte unbestritten sein (vgl. BVerfGE 11, 168; 62, 117 [119]; 74, 9 f.; aus dem Schrifttum Stuth, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 78 Rn. 8). 550 Vgl. hierzu etwa die oben angeführte Regelung in § 2 Abs. 1 Nr. 2 des sachsenanhaltinischen WahlprüfG, wo für das Verfahren vor dem Landtag derjenige Wahlberechtigte einspruchsberechtigt ist, „dessen Rechte durch Maßnahmen der Wahlbehörden verletzt sind"; ähnlich auch die Regelung der Einspruchsberechtigung im beri. VerfGHG. Das Gesetz enthält in § 40 Abs. 3 eine differenzierte, auf die jeweils gerügten Wahlfehler bezogene Regelung der Einspruchsberechtigung und verlangt in § 40 Abs. 3 Nr. 3 gleichsam als Auffangtatbestand, daß in allen anderen Fällen die Einsprechenden „von der angefochtenen Entscheidung betroffen" sein müssen. 551 Vgl. Kopp, VwGO, § 42 Rn. 37. Vom Wortlaut her nur auf die Verwaltungsaktsklagen des § 42 Abs. 1 VwGO bezogen, ging die Rechtsprechung alsbald dazu über, die Klagebefugnis auch im Rahmen der allgemeinen Leistungsklage (vgl. bereits BVerwGE 36, 192 [199]) und nunmehr auch bei Feststellungsklagen für erforderlich zu erachten (vgl. BVerwG NJW 1982, 2205; NJW 1989, 470).

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

nach der Möglichkeit einer durch die staatlichen Maßnahme ausgelösten Rechtsverletzung. Hierfür ist der schlichte Umstand, daß andere das Begehren des Rechtsschutzsuchenden unterstützen, ohne Belang.

(cc) Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses der Beschwerdemöglichkeit bei passiver Wahlrechtsbeeinträchtigung § 48 Abs. 1 BVerfGG begegnet weiterhin durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, soweit die Vorschrift den Rechtsschutz von Abgeordneten und Wahlbewerbern ausschließt, die in ihren passiven Wahlrechten verletzt wurden. Die Vorschrift enthält nach allgemeiner Auffassung eine abschließende Aufzählung der Antragsberechtigten 552. Danach ist nur derjenige beschwerdebefugt, dessen Mitgliedschaft im Bundestag bestritten ist, worunter nur der (zumindest zunächst) für gewählt erklärte Abgeordnete zu verstehen ist 5 5 3 . Infolgedessen ist derjenige, der vorträgt, bei ordnungsgemäßer Wahl ein Mandat errungen zu haben, nicht beschwerdebefugt. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Begrenzung gerechtfertigt; sie sei eng, ergebe sich aber aus dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes554. In der Literatur wird diese Rechtsprechung gebilligt, wenngleich auffällt, daß sich die Begründung hierzu in einer reinen Wiederholung des vom Bundesverfassungsgericht angeführten Arguments erschöpft 555 . Die Vorschrift des § 48 Abs. 1 BVerfGG ist in dieser Auslegung vom Bundesverfassungsgericht mehrfach angewandt worden 556 . Sie war selbst aber noch nicht Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Überprüfung. Der Senat hat es deshalb stets bei der Feststellung belassen, die gesetzliche Formulierung sei „eng, aber eindeutig", deren Verfassungsmäßigkeit aber nicht weiter überprüft. Freilich ist die reine Berufung auf den Wortlaut der einfachrechtlichen Regelung in § 48 Abs. 1 BVerfGG nicht geeignet, die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Wahlprüfungsverfahren zu unterlaufen. Es trifft zwar zu, daß § 48 Abs. 1 BVerfGG „eng" ist, problematisch ist indes, ob die Vorschrift „eng" sein darf.

552

Vgl. BVerfGE 58, 172 f.; Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 22.

553

Vgl. Schmidt-Bleibtreu,

554

Vgl. BVerfGE 2, 300 (304); 58, 172 (173).

in: Maunz u.a., BVerfGG, § 48 Rn. 29.

555

Vgl. etwa Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz u.a., BVerfGG, § 48 Rn. 29; Leibholz/ Rupprecht, BVerfGG, § 48 Rn. 3; Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 23; Robbers, JuS 1994, 854 (856). 556

BVerfGE 2, 300 (304); 66, 311 (312); 79, 47 (48).

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

3

Fraglich ist deshalb nicht, ob § 48 Abs. 1 BVerfGG den Ausschluß des Rechtsschutzes bei passiven Wahlrechtsverletzungen anordnet, sondern ob die darin normierte Begrenzung der Beschwerdebefugnis verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Die verfassungsrechtliche Auseinandersetzung mit § 48 Abs. 1 BVerfGG leidet insoweit daran, daß Gründe für die Begrenzung der Beschwerdebefugnis auf Bundesebene nicht angeführt werden. Rechtsprechung und Literatur haben es, wie erwähnt, mit einer Bezugnahme auf den Gesetzestext bewenden lassen. Für die Diskussion fruchtbar gemacht werden können aber die Argumente, die im Rahmen der Überprüfung vergleichbarer landesrechtlicher Regelungen angeführt werden. Dazu sei zunächst exemplarisch auf die bereits oben angesprochene Rechtslage in Bayern verwiesen 557 . Ebenso wie in § 48 Abs. 1 BVerfGG ist nach der bayerischen Rechtslage gemäß Art. 48 Abs. 1 bay. VerfGHG derjenige Stimmkreis- oder Wahlkreisbewerber nicht antragsbefugt, der vorträgt, er habe bei ordnungsgemäßer Wahl ein Mandat errungen. Im Rahmen der landesverfassungsgerichtlichen Überprüfung der Vorschrift vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof wurde die Vorschrift im wesentlichen mit den folgenden Erwägungen verfassungsgemäß erachtet. Die Begrenzung der Antragsbefügnis verstoße weder gegen den Gleichheitssatz der Bayerischen Verfassung noch gegen das Bundesgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG. Da der in Art. 118 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung normierte Gleichheitssatz ein Willkürverbot enthalte, sei Art. 48 Abs. 1 bay. VerfGHG gerechtfertigt, da sachliche Gründe für die Regelung sprächen 558. Weil das Wahlprüfungsverfahren nur dem Schutz des objektiven Wahlrechts diene und die Allgemeinheit ein Interesse daran habe, daß das Wahlergebnis alsbald verbindlich feststehe, dürfe der Kreis der Antragsberechtigten begrenzt werden. Eine vor dem Gleichheitssatz nicht zu rechtfertigende Schlechterstellung des passiven Wahlrechts liege hierin nicht. Derjenige Abgeordnete, dessen Mandat bestritten werde, sei beschwerdebefugt, weil er nicht lediglich seine subjektive Rechtsstellung, sondern zugleich die Arbeitsfähigkeit des Parlaments, die durch die Wahlanfechtung in Frage gestellt werde, verteidige 559 . Demgegenüber ziele die Beschwerde des außerhalb stehenden Bewerbers auf eine personelle Veränderung der Zusam-

557

Vgl. oben Kapitel 4, 2. Abschnitt, Β. I. 3. b) bb).

558

Vgl. BayVerfGH BayVBl. 1992, 267 (269).

559

Vgl. BayVerfGH BayVBl. 1992, 267 (269).

2

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

mensetzung des Parlaments. Aufgrund dieser unterschiedlichen Zielrichtung der Beschwerden sei dem Gesetzgeber eine unterschiedliche rechtliche Behandlung der Beschwerden erlaubt 560 . Vor Art. 19 Abs. 4 GG habe die Regelung Bestand. Das Wahlprüfungsverfahren diene allein dem Schutz des objektiven Wahlrechts. Weil das Wahlprüfungsverfahren auf Bundesebene den Rechtsweg des Art. 19 Abs. 4 GG ausschließe und diese Erwägungen auch für das landesrechtlich strukturierte Wahlprüfungsverfahren gelten würden, sei die Begrenzung der Antragsbefugnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden561. Daß mit dieser - an die Spezialitätsthese des Bundesverfassungsgerichts angelehnten - Argumentation die Begrenzung der Antragsbefugnis auf Landesebene nicht zu rechtfertigen ist, wurde bereits oben ausgeführt 562. Art. 19 Abs. 4 GG gilt auch in den Ländern, Art. 41 GG nicht. Gegen die dargestellte Ausgestaltung der Beschwerdebefugnis lassen sich zudem auch Gleichheitserwägungen anführen. Die unterschiedliche Behandlung von aktivem und passivem Wahlrecht, die im Rahmen der landesrechtlichen Prüfung aufgrund des Fehlens einer Art. 38 Abs. 1 GG entsprechenden Regelung, nur unter dem Blickwinkel des Art. 3 Abs. 1 GG geprüft wurde, muß auf der Ebene des Bundesrechts den Vorgaben des formalen Gleichheitssatzes entsprechen. Zwar sind auch im Rahmen des Art. 38 Abs. 1 und 2 GG Differenzierungen nicht gänzlich unzulässig, doch bedürfen sie dann eines besonders zwingenden Grundes 563 . Das vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof für die unterschiedliche Behandlung von aktivem und passivem Wahlrecht angeführte 564, in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zwar ebenfalls anerkannte, dort aber in völlig anderem Kontext stehende, Erfordernis, alsbald ein handlungsfähiges Parlament zu kreieren 565 , vermag eine Schlechterstellung der passiven Wahlbe-

560

Vgl. BayVerfGH BayVBl. 1992, 267 (269).

561

Vgl. BayVerfGH BayVBl. 1992, 267 (269).

562

Vgl. Kapitel 4, 2. Abschnitt, Β. I. 3. b) bb).

563

Vgl. BVerfGE 69, 92 (106); 82, 322 (338); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 38 Rn. 9. 564 565

Vgl. BayVerfGH BayVBl. 1992, 267 (269).

Vgl. BVerfGE 85, 148 (159). Dort ging es um die Anforderungen an die Substantiierungslast.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

3

rechtigung dabei nicht zu rechtfertigen. Denn unter Berufung auf diesen Gedanken ließe sich ebensogut jedwede Beeinträchtigung des aktiven Wahlrechts als unerheblich qualifizieren. Zwar mag eine Differenzierung der Beschwerdemöglichkeit im Hinblick auf das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG zulässig sein. Im Rahmen des Art. 38 GG sind die Anforderungen indes strenger, weil hier nach dem Gesagten nur besonders zwingende Gründe Differenzierungen rechtfertigen. Die Funktionsfahigkeit des Parlaments kann grundsätzlich einen zwingenden Grund darstellen. Es ist aber schlechterdings nicht nachvollziehbar, weswegen dieses Argument nur bei Beeinträchtigungen des passiven Wahlrechts angeführt werden sollte. Auch durch Beschwerden, die Verletzungen des aktiven Wahlrechts zum Gegenstand haben, wird tendenziell der Bestand des Parlaments in Frage gestellt. Läßt sich der angeführte Grund aber ebenso gegen die Einräumung einer Beschwerdebefugnis bei aktiven Wahlrechtsverletzungen anführen, so verliert er seine rechtfertigende Kraft hinsichtlich der Benachteiligung des passiven gegenüber dem aktiven Wahlrecht. Zudem ist fraglich, ob die Arbeitsfähigkeit des Parlaments durch die Gewährung der Beschwerdebefugnis bei naturgemäß auf wenige Fälle begrenzten passiven Wahlrechtsverletzungen überhaupt tangiert werden würde, da zwischenzeitlich gefaßte Beschlüsse des Parlaments durch die Wahlanfechtung ohnehin nicht in Frage gestellt würden 566 . Die Begrenzung der Beschwerdebefugnis läßt sich entgegen der Auffassung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs auch nicht unter Verweis auf den objektiven Charakter des Wahlprüfungsverfahrens rechtfertigen 567. Dies ergibt sich nach der hier vertretenen Auffassung bereits aus der Tatsache, daß das Verfahren auch subjektiven Rechtsschutzbelangen dient und eine Schlechterstellung des passiven Wahlrechts insoweit ohne rechtfertigenden Grund ist. Aber auch unter Zugrundelegung der gegenteiligen Auffassung erweist sich die Begrenzung der Beschwerdebefugnis in § 48 Abs. 1 BVerfGG verfassungsrechtlich als unhaltbar. Gerade die zu der bundesverfassungsgerichtlichen Kontrolle der Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte in Wahlprüfungsfragen ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts läßt sich nicht für die genannte Auffassung in Anspruch nehmen. Wenn das Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerden gegen Wahlprüfungsentscheidungen der Länder für zulässig erachtet, weil die Wahlrechtsgleichheit ein Anwendungsfall des allgemeinen

566

Vgl. dazu oben Kapitel 3, 2. Abschnitt, Β. IV, 1. a) aa) sowie BVerfGE 1, 14 (38); Magiera, in: Sachs, GG, Art. 41 Rn. 17. 567

Vgl. BayVerfGH BayVBl. 1992, 267 (269).

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

Gleichheitssatzes sei und deshalb die Entscheidung des Landesverfassungsgerichts das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzen kann 568 , dann spricht es selbst aus, daß es im Wahlprüfungsverfahren auch um den Schutz subjektiver Rechte geht. Dem kann nicht unter Berufung darauf begegnet werden, daß das Bundesverfassungsgericht dies nur für landesrechtlich strukturierte Verfahren ausgesprochen hat. Insoweit besteht nämlich im sachlichem Prüfungsumfang kein Unterschied. Es ist demgegenüber wenig überzeugend, wenn das Gericht ausführt, daß die Entscheidung des Landesverfassungsgerichts in einem objektiven Verfahren ergangen sei, stehe nicht der Annahme entgegen, daß durch sie das Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt werden könne. Es komme nur darauf an, daß der Bürger durch den jeweiligen Hoheitsakt in seinen Rechten betroffen werde, nicht aber darauf, in welchem Verfahren der angegriffene Hoheitsakt ergangen sei 569 . Das träfe sicher zu, wenn das Gericht den Prüfungsumfang auf eine Willkürkontrolle der Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte begrenzt hätte. Das ist indes nicht der Fall. Geprüft hat das Bundesverfassungsgericht vielmehr, ob der Grundsatz der Wahlgleichheit als Anwendungsfall des allgemeinen Gleichheitssatzes verletzt worden war 5 7 0 . Damit aber ist der Prüfungsumfang der beiden Gerichte identisch auf Verletzungen der Wahlgleichheit bezogen gewesen. Weisen mithin Verfahren auf Bundes- und Landesebene einen Gleichklang auf, dann wird, wenn der Grundsatz der Wahlgleichheit (auch) in Art. 3 Abs. 1 GG verortert und damit grundrechtlich abgesichert wird 5 7 1 , die Auffassung unhaltbar, im Wahlprüfungsverfahren ginge es nicht um den Schutz subjektiver Rechte. In der Konsequenz der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts liegt es jedenfalls, das gesamte Wahlverfahren als von dem Grundsatz der Wahlgleichheit umhegt anzusehen. Infolgedessen kann die Beschränkung der Beschwerdebefugnis in § 48 Abs. 1 BVerfGG auch nicht auf das Argument gestützt werden, das Wahlprüfungsverfahren diene nicht dem Schutz des subjektiven Wahlrechts, weswegen der Gesetzgeber nicht verpflichtet sei, die Rechtsstellung des Bewerbers, der sich einklagen wolle derjenigen anzugleichen, dessen Mandat bestritten werde 572 .

568

Vgl. BVerfGE 34, 81 (94); 85, 148 (157).

569

Vgl. BVerfGE 34,81 (97).

570

Vgl. BVerfGE 34, 81 (94); 85, 148 (157).

571

Was das BVerfG in ständiger Rechtsprechung annimmt, vgl. oben Kapitel 2, 1. Abschnitt, Α. I. mit Fn. 5; aus der Literatur vgl. oben Kapitel 2, 1. Abschnitt, Α. I. mit Fn. 4. 572

So aber BayVerfGH BayVBl. 1992, 267 (269).

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

3

Damit läßt sich festhalten, daß der in § 48 Abs. 1 BVerfGG ausgesprochene Ausschluß der Beschwerdebefugnis bei passiven Wahlrechtsbeeinträchtigungen verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar ist. Man wird deshalb das auf § 35 BVerfGG gemünzte resignative Fazits Herzogs, der von einer verfassungsrechtlich bedenklichen Vorschrift in einem „ohnehin höchst unbefriedigenden" Gesetz gesprochen hat 573 , auf § 48 Abs. 1 BVerfGG übertragen können. Zur Vermeidung der an sich vorliegenden Verfassungswidrigkeit und der daraus folgenden Nichtigkeit der Bestimmung ist eine verfassungskonforme Auslegung in Betracht zu ziehen. Grundsätzlich ist ein Gesetz nämlich dann nicht fur nichtig zu erklären, wenn es in Einklang mit der Verfassung ausgelegt werden kann 574 . Im folgenden soll deshalb untersucht werden, ob § 48 Abs. 1 BVerfGG einer verfassungskonformen Auslegung dergestalt zugeführt werden kann, daß die Formulierung „Abgeordneter, dessen Mitgliedschaft bestritten ist" auch auf Fälle ausgedehnt werden kann, in denen ein Bewerber ein Mandat erstreiten möchte. Der Terminus „Abgeordneter" wäre demnach nicht technisch zu verstehen, sondern würde sich auf alle Beschwerden im Zusammenhang mit der Abgeordnetenwahl beziehen. Fraglich ist indes, ob eine solche Auslegung sich nicht über die Grenzen verfassungskonformer Auslegung hinwegsetzen würde. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, die Begrenzung der Antragsbefugnis in § 48 Abs. 1 BVerfGG sei zwar „eng, ergebe sich aber aus dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes"575. Grundsätzlich gilt, daß die verfassungskonforme Auslegung zwar als Ausdruck des Prinzips richterlicher Zurückhaltung gegenüber dem Gesetzgeber und als ein Prinzip des Vorrangs des Gesetzgebers bei der Konkretisierung der Verfassung verstanden werden kann, andererseits aber auch in Kollision zu diesen Prinzipien geraten kann 576 . Sie greift nämlich tendenziell in die Freiheit der gesetzgeberischen Entscheidung ein. Das ist vor allem dann der Fall, wenn der Inhalt, den das Gericht dem Gesetz in verfassungskonformer Auslegung gibt,

573

Vgl. Herzog, Der Staat 4 (1965), S. 37 (49).

574

Vgl. BVerfGE 2, 267 (282); 31, 119 (132); 32, 373 (383 f.); 36, 264 (271); Zippelius, BVerfG u. GG, Bd. II, S. 108 (111). 575

Vgl. BVerfGE 2, 300 (304); 58, 170 (173).

576

Vgl. Hesse, VerfR, Rn. 83.

20 Lang

6

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

den normativen Gehalt und Zweck der Rechtsvorschrift ändert oder grundlegend neu bestimmt 577 . Denn anstatt die Gestaltungsbefugnis des demokratischen Gesetzgebers zu wahren, greift das Gericht hierbei, indem es die gesetzliche Regelung inhaltlich ausgestaltet, stärker in die Befugnisse des Gesetzgebers ein als bei einer Nichtigerklärung des Gesetzes, bei der dem Gesetzgeber dessen Neugestaltung obliegt 578 . Eine Grenze findet die verfassungskonforme Auslegung mithin dort, wo die vorzunehmende Auslegung dazu führte, daß das gesetzgeberische Ziel der Regelung in einem wesentlichen Punkt verfehlt würde 579 . Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn das durch die verfassungskonforme Auslegung gefundene Ergebnis in einen erkennbaren Widerspruch zu Wortlaut und erkennbarem Sinn des Gesetzes gerät 580 . Gegen die vorgeschlagene verfassungskonforme Auslegung könnte daher sprechen, daß mit ihr der Wortlaut des § 48 Abs. 1 BVerfGG überspielt werden könnte. Allerdings hat die Rechtsprechung gelegentlich die Wortlautgrenze dann überschritten, wenn andernfalls die Auslegung zu einem Ergebnis geführt hätte, das schlechterdings nicht hinnehmbar war 5 8 1 . Ob mit einer solchen Auslegung contra legem die Grenzen richterlicher Auslegung nicht überschritten werden, braucht hier nicht entschieden zu werden. Daß unter dem Begriff „Abgeordneter" im Rahmen des § 48 Abs. 1 BVerfGG nur derjenige verstanden wird, der bereits gewählt ist, ist nämlich vom Wortlaut her nicht zwingend vorgegeben, sondern Ergebnis einer werten-

577

Vgl. BVerfGE 78, 20 (24); 71,81 (105); 54, 277 (299 f.); 48, 40 (47).

578

Vgl. Hesse, VerfR, Rn. 83.

579 Vgl. BVerfGE 70, 35 (64) - abweichendes Votum unter Berufung auf BVerfGE 8, 28 (34); 8, 71 (78 f.); 9, 83 (87); 11, 77 (84 ff.); 18, 97 (111); 33, 52 (69); 34, 165 (200); 35, 263 (280); 54, 277 (299 f.). 580

Vgl. BVerfGE 8, 28 (34); 70, 35 (63 f.); Zippelius, BVerfG u. GG, Bd. II, S. 108

(115). 581

Vgl. die Entscheidung des BVerfG zur lebenslangen Freiheitsstrafe, BVerfGE 45, 187 (222 ff.), die in „restriktiver Auslegung" nur dann als verfassungsgemäß angesehen wurde, wenn die grundsätzliche Chance auf Wiedererlangung der Freiheit besteht; für das Zivilrecht vgl. BGHZ 42, 210 (215), wo die Parteifahigkeit einer als nicht rechtsfähigem Verein organisierten Gewerkschaft ungeachtet des entgegenstehenden Wortlauts des § 50 ZPO bejaht wurde. In Abweisung der historischen polizeirechtlichen Motive der Vorschrift hat der BGH sich zu Recht über den Einwand hinweggesetzt, seine Auslegung verfälsche die bewußte Intention des Gesetzgebers.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

3

den Betrachtungsweise. Vielmehr läßt der Wortlaut des § 48 Abs. 1 BVerfGG wie eine Parallele zu § 126 BRRG zeigt - auch die Auslegung zu, nach der Abgeordneter i.S.v. § 48 Abs. 1 BVerfGG auch derjenige Bewerber ist, der ein Mandat erstreiten will. Nach § 126 BRRG ist für alle Klagen „der Beamten...aus dem Beamtenverhältnis" der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Seit langem besteht indes Einigkeit, daß § 126 BRRG ungeachtet dieser Formulierung aufgrund seiner ratio auch für Klagen auf Begründung eines Beamtenverhältnisses Anwendung findet, für Klagen also, mit denen ein Nichtbeamter seine Ernennung zum Beamten erstrebt 582 . Sinn des § 48 Abs. 1 BVerfGG ist es, die in Art. 41 Abs. 2 GG geregelte Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht näher auszugestalten. Art. 41 regelt die Wahlprüfung. Weswegen bei ihr ausgerechnet das passive Wahlrecht ausgeklammert werden soll, ist nicht ersichtlich. Die vorgeschlagene verfassungskonforme Auslegung bedeutet somit keine Auslegung contra legem. Vielmehr liegt ihr lediglich ein weites Verständnis des Begriffs „Abgeordneter" zugrunde. Für die angesprochene verfassungskonforme Auslegung von § 48 Abs. 1 BVerfGG spricht zudem ein weiterer Einwand. Aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Exklusivität des wahlprüfungsrechtlichen Wahlrechtsschutzes sowie der gesetzlichen Regelung in § 49 BWahlG blieben andernfalls subjektive Wahlrechtsverletzungen sanktionslos. Unter mehreren denkbaren Auslegungsmöglichkeiten ist indes derjenigen der Vorzug zu geben, die eine Rechtsschutzgewährleistung ermöglicht. Aufgrund der gebotenen verfassungskonformen Auslegung ist § 48 Abs. 1 BVerfGG daher so zu verstehen, daß auch derjenige Abgeordnete beschwerdebefugt ist, der vorträgt, bei ordnungsgemäßer Wahl sei er Mitglied des Bundestages geworden. Insgesamt ist somit zunächst festzuhalten, § 48 Abs. 1 BVerfGG weiterhin verfassungskonform so auszulegen ist, daß auch derjenige beschwerdebefugt ist, der vorträgt, er sei bei ordnungsgemäßem Ablauf der Wahl Mitglied des Deutschen Bundestages geworden. Weiterhin hat die Untersuchung ergeben, daß das in § 48 Abs. 1 BVerfGG normierte Beitrittserfordernis gegen Art. 41 Abs. 2 GG verstößt und somit nichtig ist.

582

Vgl. BVerwGE 26, 31 (33): „.., daß derartige Fälle nach dem erkennbaren Sinn der angeführten Vorschrift bei einer nicht am Wortlaut haftenden Auslegung von ihnen erfaßt werden"; s.a. Kopp, VwGO, § 40 Rn. 76.

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

Ergebnis zu dd) Unter diesen Prämissen läßt sich des weiteren festhalten, daß aufgrund der Auslegung nach dem Grundsatz der Einheit der Verfassung, das Wahlprüfungsverfahren bei Maßnahmen und Entscheidungen der Wahlorgane das gegenüber Art. 19 Abs. 4 GG speziellere Rechtsschutzverfahren darstellt. Damit hat auch die Auslegung nach dem Grundsatz der Einheit der Verfassung die aufgrund grammatikalischer, historischer und vor allem systematischer Auslegung entwickelten doppelfunktionale Verfahrensfunktion der Wahlprüfung bestätigt. Diesem in Art. 41 GG zum Ausdruck kommenden doppelten Verfahrenszweck entspricht ein doppelfunktionaler Verfahrensgegenstand.

Ergebnis zu a) Als Ergebnis der Auslegung von Art. 41 GG ergibt sich daher, daß das Verfahren nach Art. 41 GG sowohl dem Schutz des objektiven wie auch des subjektiven Wahlrechts dient.

b) Auslegung des einfachen Rechts Aufgrund dieses aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben entwickelten doppelfunktionalen Verfahrensgegenstandes der Wahlprüfung ist in der Entscheidungsformel einer Wahlprüfungsbeschwerde sowohl über objektive als auch über subjektive Wahlrechtsverletzungen zu befinden 583 . Ein solches Verständnis des Verfahrensgegenstandes könnte freilich in Kollision zu § 1 Abs. 1 Satz 1 WahlprüfG geraten. Danach entscheidet der Bundestag über die Gültigkeit einer Wahl. Wird aber eine Wahl als gültig angesehen, wenn sie durch keine objektiven Wahlrechtsverletzungen gekennzeichnet ist, dann könnte die hier vorgeschlagene Tenorierung subjektiver Wahlrechtsverletzungen mit der gesetzlichen Regelung unvereinbar sein. Zu dem gleichen Ergebnis gelangte man über einer Einbeziehung von § 13 Nr. 3 BVerfGG, wonach das Bundesverfassungsgericht über Beschwerden betreffend die Gültigkeit der Wahl entscheidet. Eine solche Sichtweise ließe indes das Rangverhältnis der Vorschriften außer acht. Wegen des Vorrangs der Verfassung dürfen die einfachrechtlichen Vorschriften in ihrem Anwendungsbereich dem verfassungsrechtlich definierten Verfahrensgegenstand der Wahlprüfung nicht widersprechen. § 1 Abs. 1 Wahl-

583

Vgl. dazu noch unten im 2. Abschnitt, Β. I.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

3

prüfG muß daher den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 41 GG entsprechen, kann diese also nicht variieren. Gleichwohl zieht dies nicht das Verdikt der Verfassungswidrigkeit nach sich. Vielmehr ist unter Beachtung der auch hier gebotenen verfassungskonformen Auslegung § 1 Abs. 1 Satz 1 WahlprüfG so zu interpretieren, daß im Wahlprüfungsverfahren zwar nach wie vor über die Gültigkeit der Wahl, daneben aber auch über subjektive Rechtsverletzungen entschieden wird. In dieser Lesart enthält § 1 Abs. 1 WahlprüfG mithin entgegen der oben angeführten Ansicht in der Literatur 584 keine Regelung in bezug auf den Verfahrensgegenstand der Wahlprüfung, sondern stellt eine Bestimmung über denkbare Rechtsfolgen eines Wahlfehlers dar. Dafür, daß § 1 Abs. 1 WahlprüfG keine Regelung in bezug auf den Verfahrensgegenstand der Wahlprüfung enthält, läßt sich auch § 19 Abs. 1 WahlprüfG ins Feld führen. Nach dieser Vorschrift können Einspruchsführern notwendige Auslagen erstattet werden, wenn der Einspruch nur deshalb zurückgewiesen wird, weil der geltend gemachte Mangel keinen Einfluß auf das Wahlergebnis gehabt hat. Die Vorschrift wird in der Literatur als Beleg dafür angeführt, daß das Wahlprüfungsverfahren vom Grundsatz der Erheblichkeit beherrscht werde 585 . Abgesehen von der grundsätzlichen Überlegung, daß zweifelhaft ist, ob aus einer Kostenregelung ein derart weitreichender Schluß gezogen werden kann, spricht § 19 Abs. 1 WahlprüfG eher für als gegen den angeführten doppelfunktionalen Verfahrensgegenstand. Denn in der Vorschrift wird die Kostenerstattung für den Fall geregelt, daß ein Einspruch nur deshalb zurückgewiesen wird, weil die Mandatsrelevanz zu verneinen war. Gehörten indessen nichtmandatsrelevante Wahlfehler gar nicht erst zum Verfahrensgegenstand des Wahlprüfungsverfahrens, könnte für die insoweit erhobene Rüge auch keine Kostenerstattung angeordnet werden. Es ist nämlich nicht anzunehmen, daß das Gesetz positive Rechtsfolgen an die Geltendmachung einer Rüge knüpft, die nicht Gegenstand des Verfahrens ist. Deshalb legt § 19 Abs. 1 WahlprüfG nur den Schluß nahe, daß solche Wahlfehler, die das Ergebnis einer Wahl unberührt lassen, nicht zu einer Aufhebung der Wahl führen können, nicht aber daß sie bereits nicht zum Verfahrensgegenstand der Wahlprüfung zu rechnen sind. Dieser Auslegung muß auch § 1 Abs. 1 WahlprüfG gerecht werden, so daß neben den oben angeführten verfassungsrechtlichen auch immanente, das heißt

584

Vgl. oben 1. Abschnitt, Α. I. 2. sowie Schneider, in: AK, Art. 41 Rn. 2.

585

Vgl. Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 11.

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

dem Wahlprüfungsgesetz zu entnehmende, Gründe dafür sprechen, § 1 Abs. 1 WahlprüfG nur als eine Rechtsfolgenregelung zu begreifen, wohingegen Art. 41 GG die Bestimmung des Verfahrensgegenstandes überantwortet ist. Für diese Interpretation des Verhältnisses von Art. 41 GG und § 1 Abs. 1 WahlprüfG läßt sich überdies eine Parallele zu den Normenkontrollverfahren anführen. Dort besteht hinsichtlich der Ausdeutung des dem Verfahren zugrundeliegenden Verfahrensgegenstandes ein ähnliches Spannungsverhältnis zwischen Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG einerseits und § 78 BVerfGG andererseits. Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG entscheidet das Bundesverfassungsgericht unter anderem bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht und Landesrecht mit dem Grundgesetz. Demgegenüber ist gemäß § 78 BVerfGG für den Fall, daß das Gericht zu der Überzeugung kommt, daß die Voraussetzungen des Art. 92 Abs. 1 Nr. 2 GG vorliegen, bestimmt, daß das Bundesverfassungsgericht das Gesetz für nichtig erklärt. Ungeachtet dieser Formulierung hat das Bundesverfassungsgericht in zahlreichen Entscheidungen trotz festgestellter Verfassungswidrigkeit einer Vorschrift diese nicht für ungültig erklärt, sondern aus übergeordneten Gesichtspunkten heraus zu Recht 586 deren vorübergehende Fortgeltung hingenommen587. Würde nun § 78 BVerfGG als die den Verfahrensgegenstand determinierende Vorschrift angesehen, so wäre eine solche Vorgehensweise des Gerichts prozessual verfehlt. Bundesverfassungsgerichtsgesetz und Grundgesetz geraten daher in ein Spannungsverhältnis, das dadurch aufgelöst wird, daß nicht § 78 BVerfGG, sondern Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG in bezug auf den Verfahrensgegenstand als die entscheidende Norm angesehen wird 5 8 8 . Und gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG ist nicht die Frage der Gültigkeit oder Ungültigkeit einer Vorschrift zum Verfahrensgegenstand erhoben, sondern die Frage der Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht 589 . Durch § 78 BVerfGG wird demnach nicht der Verfahrensgegenstand eingegrenzt, was angesichts des eindeutigen Wortlauts von Art.

586

Zu den Gründen, die zur Herausbildung dieser Tenorierungsform geführt haben, vgl. Stuth, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 78 Rn. 12-19. 587

Vgl. etwa BVerfGE 33, 303 (347); 37, 217 (260); 67, 348 (349); 71, 146 (147); 82, 126 (154 f.); 73, 280 (297); 84, 168 (186 f.); 87, 114 (115). 588

Vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 423.

589

Benda/Klein,

(304).

VerfprozR, § 21 Rn. 643; Söhn, in: BVerfGG und GG, I, S. 292

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

3

93 Abs. 1 Nr. 2 GG auch als unzulässig angesehen wird 5 9 0 . Faßt das Bundesverfassungsgericht mithin die Entscheidungsformel in der beschriebenen Weise, stellt es also im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens die bloße Unvereinbarkeit der geprüften Norm mit höherrangigem Recht fest, hält es sich zwar nicht an den Wortlaut von § 78 BVerfGG, tenoriert aber gleichwohl über den grundgesetzlich durch Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG vorgegebenen Verfahrensgegenstand eines abstrakten Normenkontrollverfahrens 591. Demgegenüber ist die Frage, welche Konsequenzen aus der festgestellten Unvereinbarkeit zu ziehen sind, ein sekundäres, den Verfahrensgegenstand nicht unmittelbar berührendes Problem 592 . Überträgt man diese Überlegungen auf § 1 Abs. 1 WahlprüfG bzw. § 13 Nr. 3 BVerfGG 593 und Art. 41 GG, so obliegt die Bestimmung des Verfahrensgegenstandes der Wahlprüfung der verfassungsrechtlichen Vorschrift. An deren doppelfunktionaler Festlegung des Verfahrensgegenstandes kann dann weder § 1 Abs. 1 WahlprüfG noch § 13 Nr. 3 BVerfGG etwas ändern. Allenfalls kann die Vorschrift - insoweit mit § 78 BVerfGG vergleichbar - eine mögliche Rechtsfolge festlegen, die das Bundesverfassungsgericht in einem Wahlprüfungsverfahren aussprechen kann. Daß daneben andere Rechtsfolgenaussprüche denkbar und aufgrund des doppelfunktionalen Verfahrensgegenstandes sogar geboten sind, wird unten noch darzulegen sein 594 . Festzuhalten ist hier, daß weder aufgrund von § 1 Abs. 1 WahlprüfG noch aufgrund von § 13 Nr. 3 BVerfGG der Verfahrensgegenstand des Wahlprüfungsverfahrens auf die Gültigkeit der Wahl reduziert ist.

Ergebnis zu b) Damit ergibt sich, daß der durch Art. 41 GG vorgegebene doppelfunktionale Verfahrensgegenstand durch materielle einfachrechtliche Vorschriften nicht in Frage gestellt wird.

590

Vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 423.

591

Detterbeck, Streitgegenstand, S. 423.

592

Benda/Klein,

VerfprozR, § 21 Rn. 643 a.E.

593

Nach Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 81, läßt § 13 Nr. 3 BVerfGG allenfalls erkennen, welche Entscheidung im Rahmen der Wahlprüfung ergehen könne, nicht aber sage sie, wann und unter welchen Bedingungen sie ergehen müsse. 594

Vgl. unten im 2. Abschnitt, B.

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

c) Auslegung des Verfahrensrechts Im folgenden soll untersucht werden, ob ein solches Verständnis auch der verfahrensmäßigen Ausgestaltung der Wahlprüfung innewohnt.

aa) Der Schluß vom Verfahrensrecht auf das zu schützende materielle Recht Dem liegt die Überlegung zugrunde, daß aus der Ausgestaltung des Wahlprüfungsverfahrens auf die in dem Verfahren zu schützenden Rechtspositionen geschlossen werden kann. Ein solcher Rückschluß mag auf den ersten Blick verwundern. An sich steht er nämlich in gewisser Kollision zu der oben angeführten These, das Verfassungsprozeßrecht diene der Realisierung des materiellen Verfassungsrechts 595. Infolgedessen spricht zunächst vieles dafür, nur gleichsam umgekehrt aufgrund der existentiellen Abhängigkeit des Verfahrensrechts vom materiellen Recht, darauf zu achten, wie der dem Verfahrensrecht zuzuordnende Terminus „Verfahrensgegenstand" durch das jeweilige materielle Recht bestimmt wird. Eine solche Sichtweise ließe indes - worauf E. Klein im Anschluß an P. Häberle hingewiesen hat - die „besondere interpretative Wechselwirkung" zwischen materiellem Verfassungsrecht und Verfassungsprozeßrecht unberücksichtigt. Aufgrund der Tatsache nämlich, daß das Bundesverfassungsgericht letztverbindlich beide Rechtsgebiete auszulegen hat, kann es nicht ausbleiben, daß das prozessuale Verständnis Rückwirkungen auf die Betrachtung des materiellen Rechts hat, so wie es - wie oben dargelegt - umgekehrt selbstverständlich der Fall ist 5 9 6 . Das Verfassungsprozeßrecht ist damit in doppelter Hinsicht konkretisiertes Grundgesetz: Es ist einerseits selbst konkretisiertes Verfassungsrecht und dient dem Bundesverfassungsgericht andererseits dazu, das Grundgesetz zu konkretisieren 597.

bb) Verfahrensmäßige Ausgestaltungen des doppelfunktionalen Verfahrensgegenstandes Folgt man dem und sucht infolgedessen die Ausgestaltung des Verfahrensrechts der Wahlprüfung für die Frage nach den in diesem Verfahren zu schützenden Rechten fruchtbar zu machen, so erscheint es zunächst bedeutsam, die

595

Vgl. oben 1. Abschnitt, B. II. sowie Benda/Klein,

596

Vgl. E. Klein, AöR 108 (1983), S. 410 (562).

597

Häberle, JZ 1976, 377 (378); ders., AöR 98 (1973), S. 119 (128) mit Fn. 43.

VerfprozR, § 1 Rn. 36.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

313

das Verfahren beherrschende Maxime zu beleuchten. Denn da entscheidend fur die Ausgestaltung bundesverfassungsgerichtlicher Verfahren ist, ob in dem Prozeß subjektive Rechte geschützt werden sollen oder ob (nur) das objektive Recht durchgesetzt wird 5 9 8 , sagt die jeweils geltende Maxime wiederum im Umkehrschluß etwas darüber aus, welche Rechtsschutzinteressen das Verfahren aufnimmt. Dabei soll die folgende Überlegung zugrundegelegt werden. Verfahren, die von der Offizialmaxime beherrscht werden, dienen dem Schutz des objektiven Rechts 599 , wohingegen die Geltung der Dispositionsmaxime dafür spricht, daß das in Rede stehende Verfahren zum Schutz subjektiver Rechte konzipiert ist 6 0 0 . In Verfahren, die unter der Geltung der Offizialmaxime geführt werden, wird das Gericht von Amts wegen tätig 601 . Besondere Kennzeichen des Offizialprinzips sind neben diesem Tätigwerden ex officio, also der Lösung vom Antragserfordernis 602 die Bestimmungsbefügnis des Gerichts über die Fortführung sowie den Gegenstand des Verfahrens 603. In diesem Sinne war das Wahlprüfiingsverfahren unter der Geltung der Weimarer Reichsverfassung konzipiert, seine Durchführung bedurfte also keines Anstoßes von außen 604 . Demgegenüber bestimmen unter der Geltung des Dispositionsgrundsatzes die Parteien den Verfahrensumfang 605. Sie entscheiden über den Anfang, den Streitgegenstand 606 und das Ende des Verfahrens 607. Der Dispositionsgrundsatz

598

Vgl. Benda/Klein,

VerfprozR, § 1 Rn. 36.

599

Vgl. Benda/Klein,

VerfprozR, § 1 Rn. 36.

600

Vgl. BVerwGE 66, 53 (56). Nach Pestalozza, VerfprozR, § 2 Rn. 43, ist ebenfalls danach zu differenzieren, ob ein Verfahren mehr dem Schutz subjektiver Rechte oder eher objektiven Interessen dient; je nachdem gelte dann entweder die Dispositions- oder die Offizialmaxime. 601

Zöbeley, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 26 Rn. 2.

602

Vgl. Badura, in: Erichsen, AllgVerwR, § 36 Rn. 1.

603

Vgl. Schenke, VerwprozR, Rn. 19.

604 Vgl. oben Kapitel 2, 2. Abschnitt, Β. II. sowie Anschütz, WRV, Art. 31 Anm. 3; Kaisenberg, HDStR I, § 36, S. 405. 605

Vgl. Zöbeley, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 26 Rn. 2.

606

Schreiber, Jura 1988, 190; Ule/Laubinger, der Beteiligten über den Streitgegenstand". 607

Vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, Vor § 128 Rn. 9.

VerwVerfR, § 22 Rn. 1: „Herrschaft

314

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

ist dabei dem Rechtsschutzsuchenden als Mittel zur Wahrung und Verteidigung seiner subjektiven Rechte an die Hand gegeben608. Wann immer mithin ein Verfahren von diesem Grundsatz beherrscht wird, spricht dies dafür, daß das Verfahren dem Schutz subjektiver Rechte dient.

(1) Nebeneinander von Dispositions- und Offizialmaxime Stehen beide Maxime nebeneinander, muß dies konsequenterweise als Beleg dafür angesehen werden, daß es in dem Verfahren um den Schutz objektiver Interessen ebenso geht wie um den Schutz subjektiver Rechte und dem Verfahren daher ein doppelfunktionaler Verfahrensgegenstand zugrundeliegt. Ansonsten würde einem Systembruch das Wort geredet, der weder der gesetzlichen Konzeption noch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entsprechen würde. In welchem Verhältnis Dispositions- und Offizialmaxime im Wahlprüfungsverfahren zueinander stehen, ist zunächst eine Frage der Auslegung der einschlägigen Vorschriften sowie darüber hinaus der die Durchführung des Verfahrens prägenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Denn diese stellt, da das Bundesverfassungsgericht „Herr seines Verfahrens" ist 6 0 9 , eine ganz wesentliche Quelle des Verfassungsprozeßrechts dar 610 . Freilich bedeutet diese Verfahrensherrschaft nicht, daß das Gericht den Verfahrensgegenstand des Wahlprüfungsverfahrens gleichsam eigenmächtig fixieren könnte. Vielmehr ist es hierbei an die gesetzlichen Grundlagen des Wahlprüfungsrechts in Art. 41 GG sowie die einfachrechtlichen Vorgaben ebenso gebunden611 wie es das Wahlprüfungsgericht beim Weimarer Reichstag trotz des im damaligen Verfahren der Wahlprüfung geltenden Offizialgrundsatzes an Art. 31 WRV war.

(a) § 2 Abs. 1 WahlprüfG als Ausdruck der Dispositionsmaxime Das Wahlprüfungsverfahren beginnt - was unstreitig ist - unter der Geltung der Dispositionsmaxime. Dies ergibt sich bereits aus der gesetzlichen Regelung

608

Vgl. für den Verwaltungsprozeß BVerwGE 66, 53 (56); Kopp, VwGO, § 86

Rn. 2. 609

Vgl. BVerfGE 60, 175 (213); 36, 342 (357).

610

Vgl. Benda/Klein,

6,1

VerprozR, § 1 Rn. 34.

Vgl. Benda/Klein, VerprozR, § 1 Rn. 72, mit der Bemerkung, es sei selbstverständlich und vom Gericht anerkannt, „daß sich das BVerfG nicht über geltendes Recht, das sein Verfahren regelt, hinwegsetzen kann".

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

315

in § 2 Abs. 1 WahlprüfG, wonach das Wahlprüfungsverfahren nur aufgrund eines Einspruchs in Gang gesetzt werden kann. Als Konsequenz des in § 2 Abs. 1 WahlprüfG normierten Anfechtungsprinzips der Wahl sowie dem in Abs. 3 der Vorschrift angeordneten Begründungserfordernis ergibt sich die sogenannte Substantiierungslast 612. Allgemein ist sie für verfassungsgerichtliche Verfahren in § 23 Abs. 1 BVerfGG niedergelegt. Die dort - namentlich in Verfassungsbeschwerdeverfahren - entwickelten Grundsätze lassen sich auch für das Wahlprüfungsverfahren fruchtbar machen 613 . Da die Begründungspflicht das Bundesverfassungsgericht in die Lage versetzen soll, eine Sachentscheidung ohne zeitaufwendige eigene Ermittlungen vorzubereiten, müssen in der Begründung der entscheidungserhebliche Sachverhalt substantiiert vorgetragen und die wesentlichen rechtlichen Erwägungen dargelegt werden 614 . Dabei dient das Substantiierungsgebot nicht nur dazu, dem Bundesverfassungsgericht den zur Entscheidung gestellten Sachverhalt in adäquater Form zu unterbreiten, sondern auch der Abwehr querulatorischer Beschwerden 615 . Letzterem ist zuzustimmen. Es ist weder Aufgabe des Gerichts, unsubstantiierten Rügen des Beschwerdeführers nachzugehen noch ihm durch Ermittlungen des Gerichts zur Substantiierung seiner Rügen zu verhelfen. Hinsichtlich der aufgeworfenen Frage nach der Geltung der Dispositionsbzw. der Offizialmaxime wird in der Literatur der Standpunkt eingenommen, das Wahlprüfungsverfahren beginne zwar unter der Geltung der Dispositionsmaxime, werde dann aber unter der Offizialmaxime fortgeführt 616 . Der Einspruchsführer eröffne mit seinem Einspruch das Verfahren, dann aber gelte die Offizialmaxime und im weiteren Verlauf „zerfließe das Einspruchsrecht" völlig 6 1 7 .

612

Vgl. Kretschmer, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 13 Rn. 31.

613

Vgl. BVerfGE 21, 359 (361); 29, 21 (22).

614

Puttler, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 23 Rn. 12.

615

Vgl. VerfGH NW OVGE 42, 280 (289).

616

Vgl. Kretschmer, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 13 Rn. 32; Seifert, BundeswahlR, WPrüfG, § 2 Anm. 1; Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 77 mit Fn. 181. 617

Vgl. Seifert, § 2 WahlprüfG Anm. 1; ähnlich Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 78: „bloßes Verfahrensanstoßrecht".

316

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann für diese Sichtweise nur auf den ersten Blick in Anspruch genommen werden. Das Gericht geht vielmehr in Wahrheit von einem Nebeneinander der Maximen aus. Es sieht das aus der Dispositionsmaxime abgeleitete Einspruchsprinzip genauso durch der Offizialmaxime entnommene Wertungen überlagert wie es umgekehrt gesetzliche Regelungen der Offizialmaxime durch die Dispositionsmaxime relativiert. Dies soll an den folgenden Überlegungen verdeutlicht werden. Das Gericht hat zwar im oben dargestellten sogenannten „ScheinwohnsitzeFall" 6 1 8 ausgeführt und diese Argumentation später aufgegriffen, es sei verfassungsrechtlich unbedenklich, die Substantiierungslast in Wahlprüfungsangelegenheiten dem Bürger aufzuerlegen, auch wenn ihre Erfüllung im Einzelfall Schwierigkeiten bereite, denn um das alleinige Ziel der Wahlprüfung zu erreichen, nämlich den Schutz des objektiven Wahlrechts, biete das amtliche Einspruchsrecht der in § 2 Abs. 2 WahlprüfG genannten Personen hinreichende Gewähr 619 . Die Aufdeckung erheblicher Wahlfehler scheitere also nicht daran, daß der Bürger möglicherweise zu einer substantiellen Anfechtung nicht in der Lage sei 620 . Gegen diese Sichtweise erheben sich indes Bedenken. Schon grundsätzlich ist anzumerken, daß die Argumentation wenig überzeugend ist. Es ist nämlich nicht auszuschließen, daß der Bundestag gleichwohl Einsprüche von Bürgern (fehlerhaft) zurückweist, wobei die in § 2 Abs. 2 WahlprüfG genannten aufgrund amtlicher Eigenschaft Einspruchsberechtigten im dann notwendigen nachfolgenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gar nicht beschwerdebefugt sind. In einer solchen Fallkonstellation wäre mithin gerade nicht sichergestellt, daß relevante Wahlfehler vom Gericht überprüft werden könnten. Für die vorliegende Fragestellung entscheidender ist aber, daß das Bundesverfassungsgericht überdies mit der gesetzten Prämisse selbst nicht ernst gemacht hat. Denn gerade unter Berücksichtigung der Aussage, das Wahlprüfungsverfahren diene allein dem Schutz des objektiven Wahlrechts im Sinne des Schutzes der gesetzmäßigen Zusammensetzung des Parlaments, spricht alles dafür, die Wahlprüfung möglichst umfassend und intensiv vorzunehmen, also

618

Vgl. oben Kapitel 3, 2. Abschnitt, B. III. 4.

619

Vgl. BVerfGE 66, 369 (379).

620

Vgl. BVerfGE 66, 369 (379); 40, 11 (32).

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

317

gerade nicht durch die Aufbürdung der Substantiierungslast einzuschränken 621. Dies zeigt die bereits mehrfach angesprochene Parallele zur Verfassungsbeschwerde. Das Bundesverfassungsgericht hat sich nämlich für die Übertragung der Substantiierungsanforderungen auf das Wahlprüfungsverfahren ausgesprochen, die es im Verfassungsbeschwerdeverfahren entwickelt hat 622 . Dort behält sich das Gericht einen umfassenden, auf die gesamte staatliche Maßnahme bezogenen Prüfungsspielraum vor, sobald infolge einer substantiierten Rüge die Verfassungsbeschwerde in zulässiger Weise erhoben ist 6 2 3 . Obwohl die Verfassungsbeschwerde grundsätzlich dem Individualrechtsschutz dient 624 , begrenzt sich das Gericht dort unter Berufung auf die (auch) objektive Funktion der Verfassungsbeschwerde gerade nicht auf die Überprüfung des substantiiert gerügten Verfassungsverstoßes. Nimmt man diese Parallele auf, dann müßte in dem dem Schutz des objektiven Wahlrechts dienenden Wahlprüfungsverfahren jedenfalls dann, wenn ein Fehler substantiiert gerügt wird und damit die Wahlprüfungsbeschwerde in zulässiger Weise erhoben ist, das Gericht aufgrund der dann geltenden Offizialmaxime in eine umfassende Wahlprüfung eintreten. Hiermit ist nicht eine umfassende Ermittlungspflicht des Gerichts angesprochen. Die Wahlfehler aber, von denen der Senat Kenntnis erlangt, müßten unabhängig von der Frage einer hinreichenden Substantiierung in eine Überprüfung einbezogen werden. Nur eine solche Sichtweise entspricht im übrigen auch dem oben angeführten Satz der herrschenden Meinung, der Einspruchsführer eröffne mit seinem Einspruch das Verfahren, im weiteren Verlauf gelte dann aber die Offizialmaxime 625 . Bekanntlich hat das Bundesverfassungsgericht diese Konsequenz nicht gezogen. Dies kann aber nur bedeuten, daß der Senat in diesen Entscheidungen nicht nur die Einspruchsbegründung, sondern insbesondere auch die Bestimmung des Verfahrensgegenstandes der Herrschaft des Dispositionsgrundsatzes unterstellt 626 . Damit ist indessen die genannte These von der alleinigen Geltung der

621

So völlig zu Recht VerfGH NW OVGE 42, 280 (289).

622

BVerfGE 21, 359 (361); 29, 21 f.

623

Vgl. BVerfGE 87, 189 (196); 84, 366 (369); 54, 53 (67 f.).

624

Vgl. oben 1. Abschnitt, Β. II. mit Fn. 48 sowie Detterbeck,

Streitgegenstand,

S. 513. 625

Vgl. oben 1. Abschnitt, B. III. 3. c) bb) (1) (a) sowie Seifert, WPrüfG, § 2 Anm. 1. 626

BundeswahlR,

So auch BVerfGE 40, 11 (30): „...durch den (Einspruch bestimmt) der Einspruchsführer den Anfechtungsgegenstand".

318

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

Offizialmaxime, bei der gerade das Gericht - freilich im Rahmen der das Verfahren dirigierenden gesetzlichen Vorschriften - den Verfahrensgegenstand bestimmt, unvereinbar. Zudem hat das Gericht auch der gegenteiligen Methode, den Anfechtungsgegenstand allein unter der Geltung der Dispositionsmaxime zu bestimmen, eine Absage erteilt und damit den aufgeworfenen Maßstab in anderen Entscheidungen selbst relativiert. Konsequent zu Ende gedacht fuhren Anfechtungsprinzip und Substantiierungslast dazu, daß eine Wahl auch dann gültig sein könnte, wenn ihr ersichtlich ein erheblicher Wahlfehler zugrundelag, der indes nicht oder nicht substantiiert genug gerügt worden war. Dann entstehen aber Verwerfungen mit der gerade von der herrschenden Meinung betonten Funktion des Wahlprüflingsverfahrens, dem Schutz des objektiven Wahlrechts, das heißt der Legitimationskraft des Wahlakts, zu dienen. Zur Verdeutlichung soll ein Fall dargestellt werden, der sowohl den nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshof als auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigt hat 627 . Bei der Landtagswahl 1990 wurde die Beschwerdeführerin (CDU) des vor dem nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshofs geführten Verfahrens im Wahlkreis 151 mit knapper Mehrheit gewählt. Hiergegen legte eine Wahlberechtigte Einspruch beim Landtag ein. Zur Begründung verwies sie unter Nennung einzelner Stimmbezirke auf Unregelmäßigkeiten unter anderem in den Stimmbezirken 8, 12, 14 und 22. Der Wahlprüfungsausschuß des Landtages ordnete auf diesen Einspruch hin das Nachzählen aller 82 Stimmbezirke des Wahlkreises 151 an. Hierbei ergab sich, daß im Stimmbezirk 1, der in dem Einspruchsschreiben nicht genannt war, insgesamt 93 Stimmen versehentlich für die Beschwerdeführerin gewertet wurden, obwohl sie für den Bewerber der SPD abgegeben worden waren. Da bei richtiger Auszählung der Stimmen der SPD-Kandidat mehr Stimmen auf sich vereinigen konnte, traf der Landtag eine Neufeststellung des Wahlergebnisses, wonach die Beschwerdeführerin ihr Mandat zugunsten des SPDBewerbers verlieren sollte 628 .

627

Vgl. VerfGH NW OVGE 42, 280 ff.

628

Vgl. VerfGH NW OVGE 42, 280 (281).

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

319

Auf deren Beschwerde hin hob der Verfassungsgerichtshof den Beschluß des Landtags auf und stellte die Gültigkeit der Wahl der Beschwerdeführerin fest 629 . Der Landtag habe die Prüfung nicht auf den ganzen Wahlkreis 151 erstrekken dürfen, da es insoweit an einem genügend substantiierten Einspruch gefehlt habe 630 . Eine Ausnahme vom Substantiierungserfordernis, die dem Landtag oder dem Verfassungsgerichtshof eine Ausdehnung der Wahlprüfung erlauben würde, sei nicht zuzulassen631. Zwar würde an sich gerade unter Berücksichtigung der Aussage, das Wahlprüfungsverfahren diene allein dem Schutz des objektiven Wahlrechts im Sinne des Schutzes der gesetzmäßigen Zusammensetzung des Parlaments, alles dafür sprechen, die Wahlprüfung möglichst umfassend und intensiv vorzunehmen, also gerade nicht durch die Aufbürdung der Substantiierungslast einzuschränken 632. Auf dieser Linie hatte der Landtag die erkennbar gewordene fehlerhafte Wahl der Beschwerdeführerin aufheben wollen. Dem trat der Verfassungsgerichtshof mit dem Argument entgegen, das Substantiierungsgebot leiste einen wesentlichen Beitrag zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der obersten Staatsorgane, weil es dem Interesse am Bestand des aus der Wahl hervorgegangen Parlaments Rechnung trage 633 . Auffällig ist, daß das ursprünglich aus dem Einspruchsprinzip und damit aus der Dispositionsmaxime abgeleitete Erfordernis hinreichender Substantiierung 634 in den Ausführungen des Verfassungsgerichtshof eine völlig veränderte Konnotation erhält, in dem das Gericht auf Erwägungen rekurriert, die aus der objektiven Schutzfunktion des Wahlprüfungsverfahrens abgeleitet sind. Zwar mögen die Erwägungen des Verfassungsgerichtshofs bedenkenswert sein. Doch dürfen diese im öffentlichen Interesse liegenden und in das Substantiierungsgebot hineingelesenen Beschränkungen dem Beschwerdeführer nur aufgebürdet werden, wenn ihm ausgleichend auch ein Schutz seiner subjektiven Rechte zuteil wird. Andernfalls stellt sich die Überbürdung der Substantiierungslast systemfremd dar. Jedenfalls erscheint es ungereimt, wenn Beschwerdeführern

629

Vgl. VerfGH NW 42, 280 (281): „Der Beschluß des Landtags vom 20.9.1990 ist rechtswidrig, weil nicht der gesamte Wahlkreis nachgezählt werden durfte und überdies bei der Nachzählung gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit verstoßen worden ist." 630

Vgl. VerfGH NW OVGE 42, 280 (285).

631

Vgl. VerfGH NW OVGE 42, 280 (289).

632

Vgl. VerfGH NW OVGE 42, 280 (289).

633

Vgl. VerfGH NW OVGE 42, 280 (289).

634

Vgl. Kretschmer, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR, § 13 Rn. 31.

320

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

einerseits eine Prüfung 635 und Entscheidung über denkbare Verletzungen ihrer subjektiven Wahlrechte im Wahlprüfungs verfahren unter Berufung auf dessen Funktion, allein die richtige Zusammensetzung des Parlaments zu schützen, verwehrt werden und andererseits Verstöße gegen das objektive Wahlrecht ohne rechtliche Sanktion bleiben, weil der Beschwerde- oder Einspruchsfiihrer sie nicht hinreichend substantiiert habe. Auf dieser Linie hat das gegen die Entscheidung des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshof angerufene Bundesverfassungsgericht dessen Urteil aufgehoben und festgestellt, die aufgrund eines zulässigen, insbesondere substantiierten Wahleinspruchs eingeleitete Wahlprüfung dürfe nicht in einer Weise beschränkt werden, daß sie ihrem Zweck, die ordnungsgemäße Zusammensetzung des Parlaments sicherzustellen, nicht gerecht werde 636 . Das Bundesverfassungsgericht sieht hier mit anderen Worten die Geltung der Dispositionsmaxime - auch soweit der Umfang der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung der Rügen betroffen ist - durch Erwägungen des Offizialprinzips überlagert 637 . Diese Beispiele zeigen, daß das Bundesverfassungsgericht nicht von einer alleinigen Geltung einer der beiden Prozeßmaxime ausgeht. Will man dem Gericht nicht vorwerfen, es verwende diejenige Maxime, die das jeweils gewünschte Ergebnis präjudiziere, so kann dies nur bedeuten, daß im Wahlprüfiingsverfahren beide Prozeßmaxime zur Anwendung gelangen. Für die hier interessierende Frage nach den Auswirkungen, die die Verfahrensgestaltung des Wahlprüflingsverfahrens auf deren Verfahrensgegenstand hat, ergibt sich damit folgendes. Zwar mag zutreffen, daß ein Verfahren nur dem Schutz des objektiven Rechts dient, wenn es unter der Dispositionsmaxime

635

Was jedenfalls der Fall ist, wenn das BVerfG offenläßt, ob die gerügte Maßnahme oder Entscheidung der Wahlorgane überhaupt als Wahlfehler zu qualifizieren ist und die Wahlprüflingsbeschwerde unter Berufung auf die fehlende Mandatsrelevanz zurückweist. 636 Vgl. BVerfGE 85, 148 (159) = DVBl. 1992, 426 ff. mit zustimmender Anmerkung von Goerlich, DVBl. 1992, 428 (430): Das Wahlprüflingsrecht dürfe nicht „karikieren"; sofern eine Wahlprüfung rechtens in Gang gesetzt sei, dürfe von Zulässigkeitsregelungen keine die Wahlprüflingsorgane lähmende Wirkung ausgehen, die zu Lasten der materiellen Richtigkeit der Repräsentation gehe; kritisch gegenüber der vom nordrhein-westf. Verfassungsgericht aufgestellten Substantiierungserfordernisse auch Ockermann, NVwZ 1991, 1150 (1151 f.). 637

Der Widerspruch zur Vorgehensweise im oben angeführten „ScheinwohnsitzeFall" ist offensichtlich, vgl. oben Kapitel 3, 2. Abschnitt, B. III. 4.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

321

beginnt und sodann allein unter der Offizialmaxime weitergeführt wird 6 3 8 . Das ist aber beim Wahlprüfungsverfahren, wie die angeführten Beispiele belegt haben, nicht der Fall. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, daß das Wahlprüfungsverfahren von einem Nebeneinander der beiden Prozeßmaxime gekennzeichnet ist, was ebenfalls für den entwickelten doppelfunktionalen Verfahrensgegenstand der Wahlprüfung spricht.

(b) § 2 Abs. 6 WahlprüfG als Ausdruck der Offizialmaxime Dem steht auch nicht die Regelung in § 2 Abs. 6 WahlprüfG entgegen. Nach dieser Vorschrift kann der Bundestag das Verfahren einstellen, wenn der Einspruch zurückgenommen wird. Über die Bedeutung dieser Vorschrift für die hier in Frage stehende Geltung der Prozeßmaxime besteht trotz der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im sogenannten Fall „Nichtzulassung II" noch keine endgültige Klarheit 639 . Teilweise wird aus § 2 Abs. 6 WahlprüfG geschlossen, die Rücknahme des Einspruchs sei für die Weiterführung des Wahlprüfungsverfahrens irrelevant 640 und die Norm demzufolge als Beweis für die These angeführt, das Einspruchsrecht stelle „mehr ein Initiativrecht" dar 641 . Allerdings ist diese Schlußfolgerung bereits deshalb wenig überzeugend, weil ohne den Beschwerdeführer so wichtige Fragen, wie die ausreichende Substantiierung des Fehlers und - worauf noch einzugehen sein wird - dessen Beweisbarkeit gar nicht entschieden werden können. Der von Seifert und anderen Autoren gezogenen Konsequenz eines Zerfließens des Einspruchsrechts hat sich das Bundesverfassungsgericht jüngst denn auch gerade nicht angeschlossen. Vielmehr hatte der Senat trotz der vom Beschwerdeführer erklärten Rücknahme über die anhängige Beschwerde entschieden, weil der Beendigung des Verfahrens im konkreten Fall das öffentliche Interesse an der Klärung von nicht unwichtigen wahlrechtlichen Zweifelsfragen entgegenstand. Sei eine Wahlprüfungsbeschwerde eingelegt, komme es für den

638

So die These von Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 77 mit Fn. 181. 639

Vgl. BVerfGE 89, 291 (299) sowie oben Kapitel 3, 2. Abschnitt, B. III. 6.

640

Olschewski, Wahlprüfung und Schutz subjektiver Wahlrechte, S. 78.

641

Seifert, BundeswahlR, WPrüfG, § 2 Anm. 1.

21 Lang

322

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

weiteren Verlauf des Beschwerdeverfahrens nämlich stets auch auf Gesichtspunkte des öffentlichen Interesses an 6 4 2 . Demnach überspielt das Bundesverfassungsgericht die Rücknahme der Beschwerde nur aufgrund des entgegenstehenden öffentlichen Interesses, nicht etwa steht das Gericht auf dem Standpunkt, das weitere Verfahren sei von Prozeßhandlungen des Beschwerdeführers unabhängig 643 . Für diese Auslegung spricht auch, daß dort, wo der Gesetzgeber von einer Einschränkung der Dispositionsbefugnis des Beschwerdeführers ausgeht, das Gesetz hierzu ausdrückliche und vor allem eindeutige Regelungen enthält. So kann gemäß § 28a Abs. 3 des rheinland-pfälzischen VerfGHG die Wahlprüfungsbeschwerde nur mit Zustimmung des Verfassungsgerichtshofs zurückgenommen werden. Wo sich wie im Bund eine solche gesetzliche Regelung nicht findet, muß es jedenfalls im Grundsatz bei der Dispositionsbefugnis des Beschwerdeführers bleiben. Dieser Auffassung dürfte auch das Bundesverfassungsgericht zuneigen. Andernfalls hätte der Senat formuliert, nach Einlegung eines Einspruchs komme es für den weiteren Verlauf eines Wahlprüfungsverfahrens nur auf Gesichtspunkte des öffentlichen Interesses an. Aus der vom Bundesverfassungsgericht verwandten Formulierung, es komme auch auf Gesichtspunkte des öffentlichen Interesses an, kann nur geschlossen werden, daß daneben auch subjektive Rechtsschutzinteressen zu berücksichtigen sind. Dem entspricht es auch, wenn der Senat - immerhin in einer der jüngsten wahlprüfungsrechtlichen Entscheidungen - zugleich ausspricht, das Wahlprüfungsverfahren diene „grundsätzlich" dem Schutz des objektiven Wahlrechts 644 und es sei in ihm infolgedessen „in erster Linie nicht" über die Verletzung subjektiver Rechte zu entscheiden645. Auch in der Literatur wird der Standpunkt eingenommen, jedenfalls für die Beschwerde des einzelnen Bürgers und die

642

BVerfGE 89, 291 (299).

643

Für das Verfahren vor dem Wahlprüfungsgericht des Weimarer Reichstags, das uneingeschränkt von der Offizialmaxime beherrscht war, war demgegenüber eindeutig, daß die Rücknahme des Antrags ohne Belang war. So hatte das Wahlprüfungsgericht in seiner Entscheidung vom 2. November 1920 trotz einer erklärten Rücknahme des Protestes entschieden. Die hieran von Görres geübte Kritik (vgl. JW 1921, 652 [653], wo auch die Entscheidung mitgeteilt wird) wurde von dem Mitglied des Wahlprüfungsgerichts Cornelius unter Berufung auf die Geltung der Offizialmaxime zurückgewiesen (vgl. JW 1921,810). 644

Vgl. BVerfGE 89, 291 (309).

645

Vgl. BVerfGE 89, 291 (299).

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

323

Mandatsbeschwerde des einzelnen Abgeordneten müsse die Dispositionsmaxime gelten 646 . Die gesetzlichen Regelungen in § 2 Abs. 1 bzw. § 2 Abs. 6 WahlprüfG sprechen daher für ein Nebeneinander der beiden Prozeßmaxime, das auch in der Verteilung der Substantiierungslast zum Ausdruck kommt. Dem entspricht ein doppelfunktionaler Verfahrensgegenstand.

(2) Beweislastverteilung im Wahlprüfungsverfahren Der gegenteiligen These, das Wahlprüfungsverfahren diene nur dem Schutz des objektiven Wahlrechts, wird überdies die im Wahlprüfungsverfahren geltende Beweislastverteilung nicht gerecht. Mit dem Begriff „Beweislast" wird die Frage bezeichnet, zu wessen Lasten die Unaufklärbarkeit von entscheidungserheblichen Tatsachen gehen soll, wer also die Nachteile mangelnder Sachverhaltsaufklärung zu tragen hat 647 . Wie die Beweislast in einem Verfahren zu verteilen ist, beurteilt sich danach, ob das Verfahren unter der Geltung des Untersuchungs- oder des Beibringungsgrundsatzes geführt wird. Beide Begriffe sind nicht mit den bereits erwähnten Prozeßmaximen identisch. Als Faustregel für deren Verhältnis zueinander kann aber gelten, daß der Beibringungsgrundsatz mit der Dispositionsmaxime positiv korreliert 648 . Demgegenüber spricht die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes dafür, daß es in dem Verfahren um die Durchsetzung öffentlicher Interessen geht 649 , wenngleich der Untersuchungsgrundsatz, wie die Ausgestaltung des Verwaltungsprozesses zeigt, auch unter der Herrschaft der Dispositionsmaxime gelten kann. Der das Zivilprozeßrecht weitgehend beherrschende Beibringungsgrundsatz bedeutet, daß das Gericht den Sachverhalt, der die Grundlage seiner Entscheidung bildet, nicht selbst ermittelt, sondern den Parteien die Beibringung des

646

Hund, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, Vor §§ 17 ff. Rn. 27. Für diese Auffassung läßt sich auch die Regelung in § 40 Abs. 4 Satz 3 des beri. VerfGHG anführen, wonach der Einspruch jederzeit zurückgenommen werden kann. 647

Vgl. Weber-Gr eilet, Beweis- und Argumentationslast im Verfassungsrecht, S. 21.

648

Vgl. Ule, VerwprozR, § 26 I., S. 134: „Der Verhandlungsgrundsatz ist das Korrelat zu einer Privatrechtsordnung, die auf den Grundsätzen der Vertragsfreiheit und des Privateigentums beruht." 649

Vgl. Ule, VerwprozR, § 26 L, S. 134.

324

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

Prozeßstoffes überläßt 650 . Seine Geltung erklärt sich daraus, daß im Zivilprozeß grundsätzlich kein öffentliches Interesse daran besteht, die Wahrheit von Tatsachen zu ermitteln, die privatrechtlichen Rechtsbeziehungen zugrunde liegen, über die die Parteien die Verfügungsfreiheit besitzen 651 . Der Beibringungsgrundsatz stellt demnach das prozessuale Korrelat der materiellrechtlichen Freiheit zur Ausübung eines Rechts und zur Verfugung darüber dar 652 . Demgegenüber liegt das Wesen des Untersuchungsgrundsatzes darin, daß das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen erforscht, ohne an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten gebunden zu sein 653 . Damit unterscheiden sich die beiden Grundsätze danach, inwiefern die Ermittlung der materiellen Wahrheit das Ziel des Prozesses ist 6 5 4 . Sedes materiae der Beweislastregelung ist im bundesverfassungsgerichtlichen Verfahren § 26 BVerfGG. Nach Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift erhebt das Bundesverfassungsgericht den zur Erforschung der Wahrheit erforderlichen Beweis. Die Vorschrift bringt damit den auch in dem Verfahren der Wahlprüfung geltenden Untersuchungsgrundsatz 655 zur Geltung 656 . Allerdings sind durch § 26 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG nicht alle Zweifelsfragen beseitigt. Dies erklärt sich daraus, daß bei Beweislastregelungen immer zwischen der subjektiven und der objektiven Beweislast zu unterscheiden ist.

(a) Subjektive Beweislast Subjektive Beweislast bedeutet die einer Partei obliegende Last, bei Meidung des Prozeßverlustes durch eigenes Vorbringen den Beweis einer streitigen

650

Vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, vor § 284 Rn. 1.

651

Vgl. Thomas-Putzo, ZPO, Einl. I Rn. 3.

652

Thomas-Putzo, ZPO, Einl. I Rn. 1.

653

Zöbeley, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 26 Rn. 2; fur das Verwaltungsprozeßrecht, vgl. Ule, VerwprozR, § 26 I., S. 133. 654

Ule, VerwprozR, § 26 Anm. I., S. 134.

655

Vgl. BVerfGE 89, 291 (299): „Nichtzulassung II", fur das vor dem Deutschen Bundestag durchzuführende Verfahren; für das Verfahren vor dem BVerfG ausdrücklich auch BVerfGE 89, 243 (250): „Nichtzulassung I". 656

Vgl. Pestalozza, VerfprozR, § 2 Rn. 49.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

325

Tatsache zu führen (Beweisführungslast) 657. Da die subjektive Beweislast nur in Verfahren, die vom Beibringungsgrundsatz beherrscht sind, auftritt und das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht durch die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes gekennzeichnet ist, wird deutlich, daß es aufgrund von § 26 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG jedenfalls eine subjektive Beweislast im Verfassungsprozeß nicht geben kann 658 .

(b) Objektive Beweislast Damit ist indes noch nichts darüber ausgesagt, nach welchen Kriterien die objektive Beweislast verteilt werden soll. Gegenstand der objektiven Beweislast ist die Frage, zu wessen Nachteil sich Fälle des non liquet, das heißt der Unklarheit über entscheidungserhebliche Tatsachen, auswirken 659 . Da § 26 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG nur Bedeutung hinsichtlich der subjektiven Beweislast erlangt, ist für das Verfassungsprozeßrecht nach wie vor ungeklärt, wer die objektive Beweislast zu tragen hat 660 . Weil die Beweislastverteilung ganz allgemein den Schutz eines bestimmten Rechtszustandes bezweckt 661 , wird für das Wahlprüfungsrecht aus der These, daß eine Wahl als Staatsakt662 die Vermutung der Gültigkeit in sich trage 663 , eine Beweislast zum Nachteil des Beschwerdeführers für sachgerecht erachtet 664. In der Regel sei die objektive Beweislast also dem Antragsteller aufzubürden 665. Zum Teil wird eine solche Regelung aber auch als inakzeptabel angesehen. Mit der vom Grundgesetz intendierten materiellen Freiheitsverbürgung sei es

657

Weber-Grellet,

Beweis- und Argumentationslast im Verfassungsrecht, S. 21.

658

BVerfGE 15, 249 (253); Benda/Klein, VerfprozR, § 13 Rn. 217; Weber-Grellert, Beweis- und Argumentationslast im Verfassungsrecht, S. 21. 659

E. Klein, AöR 108 (1983), S. 410 (424).

660

Vgl. Benda/Klein,

661

Vgl. Weber-Gellert,

662

Vgl. Schreiber, WahlR, § 49 Rn. 2.

663

Vgl. Nass, Wahlorgane und Wahlverfahren, S. 146.

VerfprozR, § 13 Rn. 217. Beweis- und Argumentationslast im Verfassungsrecht, S. 35.

664

So von Schneider, in: AK; Art. 41 Rn 5: „Kann ein Wahlfehler nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, spricht eine Vermutung für die Gültigkeit der Wahl". 665

Rn 7.

E. Klein, AöR 108 (1983), S. 410 (425); Maunz, in: Maunz u.a. BVerfGG, § 13

326

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

unvereinbar, den Antragsteller von Anfang an in eine für ihn ungünstige prozessuale Lage zu bringen 666 . Wieder andere Autoren sprechen sich dafür aus, dem Beschwerdeführer nur die Pflicht aufzuerlegen, eine Art Anscheinsbeweis zu führen und ansonsten mit einer Umkehr der Beweislast zu arbeiten 667 . Um in dieser Streitfrage Stellung beziehen zu können, muß man sich zunächst den Sinn einer Beweislastregelung verdeutlichen. Da diese letztlich eine Risikozuteilung darstellt, kann sie nicht ohne Zumutbarkeitsprüfung auskommen 668 . Sachgerecht erscheint es hierbei, die genannte Zumutbarkeitsformel durch die folgende Überlegungen auszufüllen. Die allgemeine Überlegung, die Beweislast danach zu verteilen, ob der Rechtsmittelführer aus seinem Rechtskreis heraustritt oder diesen verteidigt 669 , spricht übertragen auf das Wahlprüfungsverfahren dafür, danach zu unterscheiden, ob der Beschwerdeführer die Verletzung subjektiven oder objektiven Wahlrechts rügt.

(aa) In bezug auf das Vorliegen subjektiver Wahlrechtsverletzungen Soweit der Beschwerdeführer subjektive Wahlrechtsverletzungen rügt, obliegt ihm die Beweislast hinsichtlich der Tatsachen, die einen Wahlfehler begründen können. Dafür spricht die genannte Wertung, die Beweislastverteilung danach vorzunehmen, ob der Rechtsmittelführer aus seinem Rechtskreis heraustritt oder diesen verteidigt. Grundsätzlich trägt die Wahl nach der Konzeption des Wahlprüfungsgesetzes eine Vermutung der Ordnungsgemäßheit in sich, da sie nur aufgrund einer Anfechtung zur bundesverfassungsgerichtlichen Überprüfung gestellt wird. Aufgrund dessen liegt es nahe, die Beschwerdeführer mit der Beweispflicht hinsichtlich solcher Umstände zu belasten, die die Ordnungsgemäßheit der Wahl in Frage stellen. Hier tritt der Beschwerdeführer gleichsam deshalb aus seinem Rechtskreis heraus, weil er die (vermutete) Rechtmäßigkeit einer staatlichen Maßnahme in Frage stellt. Führt der Vortrag eines Beschwerdeführers hinsichtlich der gerügten subjektiven Wahlrechtsver-

666

Vgl. Benda/Klein,

VerfprozR, § 13 Rn. 221.

667

So etwa Karpenstein, Die Wahlprüfung und ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen, S. 102. 668

Benda/Klein,

669

Vgl. Benda/Klein,

VerfprozR, § 13 Rn. 224. VerfprozR, § 13 Rn. 222.

1. Abschnitt: Der Verfahrensgegenstand

327

letzungen über ein non-liquet nicht hinaus, ergeht mithin eine Beweislastentscheidung zu seinem Nachteil.

(bb) In bezug auf die Verletzung objektiven Wahlrechts In bezug auf die Rüge der Verletzung objektiven Wahlrechts liegen die Dinge indes diametral entgegengesetzt. Denn da es hier allein um die Frage geht, ob der gerügte Wahlfehler kausal für das Ergebnis geworden ist, steht die individuelle Rechtsverletzung fest. Das oben angeführte tragende Argument der „Vermutung für die Ordnungsgemäßheit der Wahl" verliert hier an Überzeugungskraft. Denn nunmehr steht aufgrund des gerügten Wahlfehlers fest, daß die Wahl nicht ordnungsgemäß verlaufen ist. Gegenüber dem Einwand, die subjektive Rechtsverletzung weise keine Mandatsrelevanz auf und sei deshalb unbeachtlich, verteidigt der Rechtsmittelführer seinen Rechtskreis. Soll eine Rechtsverletzung daher aufgrund des Erheblichkeitsgrundsatzes nicht zu einer Aufhebung der Wahl fuhren, so kann nicht dem Beschwerdeführer die Beweislast dafür auferlegt werden, daß die Verletzung seiner Rechte nicht kausal für die Sitzverteilung geworden ist. Vielmehr obliegt es den die subjektiven Rechte des Beschwerdeführers verletzenden staatlichen Organen zu beweisen, daß der gerügte Wahlfehler nicht auf das Ergebnis der Wahl Einfluß genommen hat. Hier kehrt sich mithin die Beweislast um, so daß im Zweifel eine Auswirkung des Fehlers anzunehmen ist 6 7 0 Den die Wahlrechte des Bürgers verletzenden Wahlorganen obliegt es somit, zur Überzeugung des Gerichts darzutun, daß festgestellte Wahlfehler nicht die im Wahlprüfungsverfahren zu schützende Rechtmäßigkeit der Volkswillensbildung tangiert haben. Getragen wird diese Beweislastverteilung schließlich auch von der Überlegung, daß der Schutz der durch erhebliche Wahlfehler in Frage gestellten Rechtmäßigkeit der Volkswillensbildung ein auch im öffentlichen Interesse stehendes Gut ist, so daß es nicht sachgerecht erscheint, dem Beschwerdeführer hierfür die volle Beweislast aufzuerlegen. Eine solche Beweislastverteilung könnte sich zudem an historische Vorbilder anlehnen. Unter der Geltung der Reichsverfassung von 1871 wurde es für zulässig erachtet, sofern ein „Wahlprotest" bloß eine Feststellungsklage wegen Verkürzung des (individuellen) Wahlrechts enthielt 671 , dem Protesterheber die volle

670

Im Ergebnis ebenso Karpenstein, Die Wahlprüfung und ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen, S. 102. 671

Vgl. dazu zunächst oben 1. Abschnitt, B. III. 3. a) bb).

328

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

Beweislast aufzuerlegen 672. Hintergrund hierfür war, daß es in diesem Verfahren nicht um die Gültigkeit der Wahl als solche ging. Bei Klagen gegen die Gültigkeit der Wahl als ganzer verblieb es demgegenüber beim Untersuchungsgrundsatz 673. Überträgt man diese Gedanken auf die heutige Rechtslage, dann erscheint eine Überbürdung der Beweislast auf den Beschwerdeführer nur berechtigt, sofern subjektive Wahlrechtsverletzungen in Rede stehen. Freilich soll nicht verhehlt werden, daß die Anwendung des aufgezeigten Maßstabes zu Schwierigkeiten führen kann. Namentlich Fälle der rechtswidrigen Zurückweisung von Wahlvorschlägen sind einer nachträglichen Überprüfung der Frage, wieviele Stimmen der nichtzugelassene Vorschlag erhalten hätte, nur eingeschränkt zugänglich. Hier dürfte in manchen Fällen mit der Verteilung der Beweislast zugleich das Ergebnis des Prozesses vorherbestimmt werden. Gleichwohl vermag dies nicht entscheidend gegen die vorgeschlagene Lösung ins Feld geführt werden können. Zunächst handelt es sich hierbei nämlich um ein grundsätzliches, andere Prozesse ebenfalls betreffendes Problem. Zum zweiten muß in einem Wahlprüfungsverfahren die Erheblichkeit des festgestellten Wahlfehlers nicht empirisch bewiesen werden. Ausreichend ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, daß die Kausalität des Wahlfehlers keine nur theoretische, sondern eine nach der allgemeinen Lebenserfahrung konkrete und nicht ganz fernliegende Möglichkeit darstellt 674 . Die damit erforderlich subjektive Überzeugung des entscheidenden Richters ist nach der bekannten Formulierung des Bundesgerichtshofs gegeben, wenn eine persönliche Gewißheit besteht, die Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen675. Folgt man dem, ergibt sich für das Wahlprüfiingsverfahren eine Beweislast für den Beschwerdeführer nur soweit er die Verletzung seiner

672

Vgl. Hatschek, ParlamentsR I, S. 531.

673

Vgl. Hatschek, ParlamentsR I, S. 531, dort aber nicht ganz zutreffend als Offizialmaxime bezeichnet. 674

Vgl. BVerfGE 89, 243 (254); 89, 266 (273); 85, 148 (158 f.); 48, 271 (280 f.); 40, 11 (39,41); 29, 154(164). 675 Vgl. BGHZ 53, 245 (256); 61, 165 (169). Als Ausweg aus dem beschriebenen Beweislastverteilungsdilemma wäre de lege ferenda zu erwägen, die materielle Prüfung von Wahlvorschlägen abzuschaffen (insbesondere soweit der Bundeswahlleiter einer Partei aufgrund von Erfolglosigkeit die Zulassung verweigert), um damit zur Fehlerminimierung im wahlrechtlich sensiblen Bereich der Wahlvorbereitung beizutragen. Es sollte dem Wähler überlassen bleiben, über den Erfolg einer Partei zu entscheiden; so auch bereits Mahrenholz, Wahlgleichheit im parlamentarischen Parteienstaat der Bundesrepublik, S. 88, die Auferlegung bestimmter Quoren, von denen die Zulassung einer Partei abhängig gemacht wird, konkurriere mit der Souveränität des Volkswillens und greife ihm vor.

2. Abschnitt: Ausgestaltungen

329

subjektiven Wahlrechte rügt. Hierfür ist die Mandatsrelevanz des Wahlfehlers ohne Belang. Ergebnis zu c) Im Ergebnis hat der daher auch die Auslegung des bei der Wahlprüfung anzuwendenden Verfahrensrechts die Richtigkeit des doppelfunktionalen Verfahrensgegenstandes der Wahlprüfung bestätigt. Ergebnis des 1. Abschnitts Als Gesamtergebnis des ersten Abschnitts läßt sich somit festhalten, daß die Auslegung des Verfassungsrechts sowie der einfachrechtlichen, das Wahlprüfungsverfahren dirigierenden materiellen und verfahrensrechtlichen Vorschriften zu einem doppelfunktionalen Verfahrensgegenstand des Wahlprüfungsverfahrens geführt hat.

2. Abschnitt

Ausgestaltung des doppelfunktionalen Wahlprüfungsverfahrens Das Wahlprüfungsverfahren dient damit sowohl dem Schutz des objektiven wie des subjektiven Wahlrechts. Es stellt sich daher die Frage, wie auf festgestellte Wahlfehler zu reagieren ist.

A. Rechtsfolgen festgestellter Wahlfehler Ausgangspunkt aller Überlegungen zu den Rechtsfolgen festgestellter Wahlfehler muß die Erkenntnis sein, daß das materielle Wahlprüfungsrecht von gegensätzlichen Interessen beherrscht wird. Nach der hier vertretenen Auffassung handelt es sich hierbei indes nicht nur um das Bestreben, dem „wirklichen Willen der Wählerschaft zum Durchbruch zu verhelfen und andererseits das Interesse an möglichster Aufrechterhaltung der Wahl zur Geltung zu bringen 676 .

676 So der bei Seifert, BundeswahlR, MWPrüfR, S. 399, dargestellte Interessenantagonismus. - Hervorhebung hinzugefügt; ebenso Maunz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 41 Rn. 25, der ebenfalls auf die Vielheit der Wähler abstellt. Das BVerfG hat jüngst ausgesprochen, daß die einmal aus einer Wahl hervorgebrachten Volksvertretungen wegen der diesen zukommenden Funktionen größtmöglichen Bestandsschutz verlangen und die Formel dazu benutzt, die Erheblichkeit von Wahlfehlern, die Dritte begehen können, „eng und strikt zu begrenzen", vgl. BVerfGE 89, 243 (253).

330

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

Neben dem Interesse der Gesamtwählerschaft ist vielmehr auch das Interesse des einzelnen Wählers am Schutz seines individuellen Wahlrechts angemessen zu berücksichtigen. Deshalb ist auch im Hinblick auf die Rechtsfolgen zwischen solchen Wahlfehlern, die die objektiv-rechtliche Funktion der Wahl beeinträchtigen und solchen, die sich als (reine) Verletzungen des subjektiven Wahlrechts darstellen, zu unterscheiden.

I. Bei Verletzungen des objektiven Wahlrechts Wie oben erörtert wurde, beruhen nach dem auch hier zugrundegelegten Verständnis des Bundesverfassungsgerichts Verletzungen des objektiven Wahlrechts auf solchen Wahlfehlern, die sich auf die Sitzverteilung ausgewirkt haben. Insoweit ist der herrschenden Meinung sowohl in der Klassifizierung solcher Wahlfehler als auch in der Rechtsfolgenbestimmung zuzustimmen. Dabei beruht die Aufhebungsentscheidung bei Verletzungen des objektiven Wahlrechts auf der Überlegung, daß durch sie die beiden oben entwickelten Funktionen der Wahlhandlung, nämlich deren Legitimations- und Kreationsfunktion, beeinträchtigt wurden. Beruht die Zusammensetzung eines Parlaments indes auf einem gestörten Legitimationsmodus, könnte das Parlament für von ihm verabschiedete Gesetze kaum Gefolgschaft einfordern, weil dann der oben angeführte zentrale Legitimationsstrang, der die Ausübung von Herrschaft von Menschen über Menschen rechtfertigt, unterbrochen wäre 677 . Der Fortbestand eines illegitim gewählten Parlaments ist daher nicht hinnehmbar 678 . Mandatsrelevante Wahlfehler führen deshalb, soweit der Wahlfehler reicht, zur Aufhebung der Wahl 6 7 9 . Der Notwendigkeit, in solchen Fällen die Wahl aufzuheben, kann nicht unter Berufung auf den Grundsatz des judical self restraint begegnet werden. Zu weitgehend ist deshalb die im Sondervotum der in dem Verfahren vor dem

677

Vgl. Storost, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 48 Rn. 48, der illegitim gewählte Bundestag kann von dem Zeitpunkt der Ungültigerklärung der Wahl an nicht mehr wirksam handeln. 678

Vgl. HVerfG DVBl. 1993, 1070 (1074); Maurer, Die verfassungswidrige Bundestagswahl, S. 11: würde aus der Ungültigkeit der Wahl nicht die Konsequenz gezogen, daß der Bundestag jedenfalls ex nunc nicht mehr wirksam handeln kann, würde sich „der parlamentarisch-demokratische Rechtsstaat (..) selbst aufgeben"; s.a. Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß, S. 554 f. verliert der Bundestag aufgrund festgestellter schwerer Wahlmängel seine Existenzberechtigung muß dies die Ungültigkeit der Wahl nach sich ziehen. 679

Vgl. Magiera, in: Sachs, GG, Art. 41 Rn. 17.

2. Abschnitt: Ausgestaltungen

331

Hamburgischen Landesverfassungsgericht unterlegenen Richter vorgetragene Auffassung, das „Gebot (verfassungs-)richterlicher Selbstbeschränkung bei Entscheidungen von existentieller Bedeutung für andere Verfassungsorgane (spreche) nachdrücklich dafür, nicht das von den Beschwerdeführern geforderte 'scharfe Schwert' der Ungültigkeitserklärung der Wahlen (...) einzusetzen, weil der Zweck des Wahlprüfungsverfahrens, die Integrität der Wahl von Volksvertretungen von der Wahlvorbereitung der Parteien über das staatliche Wahlzulassungsverfahren bis zur eigentlichen Wahl zu sichern, (...) für zukünftige Wahlen auch ohne 'Sanktion' zu erreichen gewesen wäre (,..)" 6 8 0 . Folgte man dieser Sichtweise, stellte die durch Art. 41 GG gewährte Wahlprüfung eine reine „Absegnung" durchgeführter Wahlen dar, wobei überdies unverständlich wäre, weswegen nach § 11 Satz 2 WahlprüfG 681 im Beschluß des Wahlprüfungsausschusses betreffend die Gültigkeit der Wahl auch über die aus einer eventuellen Ungültigkeit resultierenden Folgen zu bestimmen ist und der Gesetzgeber in § 44 Abs. 1 BWahlG normiert hat, daß für den Fall einer Ungültigerklärung der Wahl in einem Wahlprüfungsverfahren eine Wiederholungswahl anzuordnen ist. Zutreffend ist freilich, daß die Aufhebung einer Wahl eine Ausnahme bleiben muß. Dies rechtfertigt es aber nicht, die Voraussetzungen einer erfolgreichen Anfechtung so zu gestalten, daß Wahlprüfungsbeschwerden immer zurückgewiesen werden können und damit selbst ein illegitim gewähltes Parlament bestehen bleibt. Es kann nicht der Sinn eines Verfassungsinstituts sein, daß sein erkennbares Ziel durch Verfahrensgestaltungen oder aufgrund „übergeordneter Gesichtspunkte" untergraben wird.

II. Bei Verletzungen des subjektiven Wahlrechts Die der vorliegenden Untersuchung zugrundeliegende These, das Wahlprüfungsverfahren müsse auch subjektiven Rechtsschutzinteressen gerecht werden, ist nicht gänzlich neu. In der Literatur und gelegentlich auch der Rechtsprechung 682 gab es mit zum Teil unterschiedlichen Ansätzen immer wieder Stel-

680

Vgl. HVerfG DVB1. 1993, 1070 (1077).

681

Die Vorschrift gilt auch in dem Verfahren vor dem BVerfG, vgl. Sachs, Bindung,

S. 413. 682

Vgl. dazu etwa ein beim OVG Berlin durchgeführtes Verfahren, das allerdings keine Bundestagswahlen zum Gegenstand hatte. Dort hatte das Gericht in einem Verfahren betreffend die Gültigkeit von Wahlen im Fachhochschulbereich eine nachträgliche Feststellungsklage aufgrund individueller Rechtsverletzungen für unzulässig erklärt, da solche Fehler vom Kläger im Wahlprüfungsverfahren hätten gerügt werden müssen. Die Wahlprüfung sei nicht nur ein objektives Verfahren. Erfolge die Wahlanfechtung durch einen Wahlberechtigten, der die Verletzung subjektiver Rechte durch die Wahl geltend

332

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

lungnahmen, die für die Gewährung subjektiven Rechtsschutzes auch im Wahlprüfungsverfahren eintraten. Das Wahlprüfungsverfahren solle dort, wo die Möglichkeit dazu besteht, auch dem einzelnen zu seinem Recht verhelfen 683 . Zu Recht wird dabei darauf verwiesen, daß die Gewährung subjektiven Rechtsschutzes dem Wahlprüfungsverfahren nicht völlig fremd sei. § 48 Abs. 1 BVerfGG stelle bewußt auf das subjektive Interesse ab, wenn die Vorschrift dem Abgeordneten, dessen Mitgliedschaft bestritten wird, und dem Wahlberechtigten, dessen Einspruch vom Bundestag verworfen wurde, das Beschwerderecht gebe 684 . Ein solcher Schutzaspekt wird aber weder verfassungsrechtlich hergeleitet noch wird begründet, wie der geforderte subjektive Rechtsschutz prozessual zu bewerkstelligen ist. Man könnte daran denken, dem subjektiven Rechtsschutzinteresse der Beschwerdeführer dadurch Rechnung zu tragen, daß das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Entscheidungsgründe ausdrücklich zu der Frage Stellung nimmt, ob das jeweils gerügte Verhalten einen Wahlfehler darstellt. Es handelte sich hierbei um eine Entscheidung, wie sie das Bundesverfassungsgericht in Rahmen der Entscheidung in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren, das eine in einem Wahlprüfungsverfahren ergangene Entscheidung eines Landesverfassungsgerichts zum Gegenstand hatte, angedeutet hat. Das Bundesverfassungsgericht hat dort, worauf oben bereits hingewiesen worden war, ausgeführt, es könne seiner Aufgabe, Grundrechte des einzelnen Bürgers zu schützen, auch in dem Verfahren nach Art. 41 Abs. 2 GG gerecht werden, wenn es Grundrechtsverstöße feststelle und im Falle ihrer Mandatsrelevanz auch Folgerung für die Gültigkeit der Wahl ziehe 685 . Hierdurch entfiele indes die vom Gericht in nahezu 50% der einschlägigen Fälle praktizierte Möglichkeit des Offenlassens von Wahlfehlern. Diese Vorgehensweise ist in der Literatur indes ohnehin stark

mache, so stelle sie auch eine Form subjektiven und individuellen Rechtsschutzes dar (vgl. OVGE BE 13, 191 [196] - Hervorhebung hinzugefügt). Das OVG nahm hier Ausführungen Bettermanns in Bezug, die dieser in einer Urteilsanmerkung zu der Entscheidung der Vorinstanz gemacht hatte. Der Autor hatte dort den Standpunkt vertreten, die Wahlprüfung habe ambivalenten Charakter. Als rein objektives Verfahren könne sie allenfalls gesehen werden, wenn die Prüfung der Wahl von Amts wegen erfolgt sei. Andernfalls stelle sie auch ein Verfahren individuellen und subjektiven Rechtsschutzes dar (vgl. Bettermann, DVBl. 1973, 47 [48]). 683

Vgl. v. Mangoldt/Klein,

GG, Bd. II, 2. Aufl., Art. 41 Anm. III. 1 b).

684

Vgl. v. Mangoldt/Klein,

GG, Bd. II, 2. Aufl., Art. 41 Anm. III. 1 b).

685

Vgl. BVerfGE 34, 81 (95).

2. Abschnitt: Ausgestaltungen

333

kritisiert worden 686 . Der Kritik ist dabei insoweit zuzustimmen als sie sich gegen die Methode des Gerichts ausspricht, Wahlfehler dahingestellt sein zu lassen. Denn damit wird der Beschwerde sogar der ohnehin zweifelhafte edukatorische Effekt entzogen. Dem vorgeschlagen Weg, den Rechtsschutzinteressen der Beschwerdeführer durch eine Feststellung der subjektiven Wahlrechtsverletzung in den Entscheidungsgründen gerecht zu werden, kann aber gleichwohl kein Beifall gezollt werden. Er wird weder der besonderen Rechtsnatur des Wahlrechts noch dessen beschriebener Doppelfunktionalität gerecht. Die Feststellung von Wahlfehlern in den Entscheidungsgründen reicht als - allenfalls mittelbar zu begreifender Rechtsschütz nämlich nicht aus. Zwar erwachsen nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts auch die tragenden Erwägungen in Rechtskraft 687, doch wäre in einem Wahlprüfungsverfahren unklar, ob Ausführungen über (subjektive) Wahlrechtsverletzungen zu den in diesem Sinne tragenden Entscheidungsgründen gerechnet werden würden. In der Literatur wird denn auch der Standpunkt eingenommen, daß die in den Entscheidungsgründen enthaltenen Feststellungen zu den verschiedenen Mängeln des Wahlvorgangs nicht in Rechtskraft erwachsen 688. Und ganz allgemein wird es zu Recht nicht als wünschenswert angesehen, daß sich der Kern einer bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung erst aus den Entscheidungsgründen ergibt 689 .

B. Tenorierungsfragen Sprechen bereits diese (praktischen) Erwägungen gegen eine rein auf die Entscheidungsgründe bezogene Pflicht des Gerichts, subjektive Wahlrechtsverletzungen festzustellen, so folgt aus dem im ersten Abschnitt entwickelten doppelfunktionalen Verfahrensgegenstand des Wahlprüfungsverfahrens zwingend, daß neben einer Entscheidung über die Gültigkeit der Wahl in der Entscheidungsformel einer Wahlprüfungsbeschwerde auch über subjektive Wahlrechtsverletzungen zu befinden ist. Hinsichtlich der Entscheidung über subjektive Wahlrechtsverletzungen können dabei die folgenden Grundsätze zur Anwendung gebracht werden.

686

So von Oppermann, JuS 1985, 519 (520).

687

Von der h.M. bejaht; dazu Schiaich,, Das BVerfG, Rn. 451.

688

Vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 571.

689

Umbach, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 67 Rn. 15.

334

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

I. Kombination von Feststellungs- und Zurückweisungstenor Für die hier allein interessierende Fallgestaltung einer subjektiven Wahlrechtsverletzung, die nicht zugleich die Legitimations- und Kreationsfunktion der Wahl tangiert, sich also nicht zugleich als objektive Wahlrechtsverletzung darstellt, wäre demnach eine Kombination von Feststellungs- und Zurückweisungstenor angebracht 690. In diesem würde die subjektive Rechtsverletzung festgestellt, die Wahlprüfungsbeschwerde wegen fehlender Beeinträchtigung der objektiven Funktionen aber im übrigen zurückgewiesen. Als Beispiel mag insoweit die rechtswidrige Zurückweisung eines Wahlvorschlags einer Partei dienen. Hier würde der Tenor lauten: Es wird festgestellt, daß die Zurückweisung des Wahlvorschlags der X-Partei rechtswidrig war. Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

1. Kein Verstoß gegen den Grundsatz ne ultra petita Der gewichtigste Einwand, der gegen diese Form der Tenorierung vorgetragen werden könnte, liegt in einem denkbaren Verstoß gegen den Grundsatz ne ultra petita begründet. Auf dessen grundsätzliche Geltung in verfassungsgerichtlichen Verfahren wurde bereits hingewiesen. Ein Verstoß gegen diesen Grundsatz käme in Betracht, wenn das Bundesverfassungsgericht im Falle der Feststellung des subjektiven Wahlfehlers bei gleichzeitiger Zurückweisung der gegen die Gültigkeit der Wahl gerichteten Beschwerde dem Beschwerdeführer mehr zusprechen würde als er beantragt hat 691 . Gleichsam umgekehrt gilt, daß das Zusprechen eines in dem gestellten Antrag als Minus enthaltenen Begehrens rechtlich unbedenklich ist 6 9 2 .

690

Zu der Frage, wie zu verfahren ist, wenn ein mandatsrelevanter Wahlfehler vorliegt, vgl. oben Kapitel 3, 2. Abschnitt, Β. IV. 1. a) aa). Liegt weder ein objektiver noch ein subjektiver Wahlfehler vor, ist die Beschwerde schlicht zurückzuweisen. 691 Als Verkörperung dieses Grundsatzes gilt § 308 Abs. 1 ZPO, wonach das Gericht nicht befugt ist, einer Partei etwas zuzusprechen, was diese nicht beantragt hat. Das Verfassungsprozeßrecht handhabt diesen Grundsatz indes weniger streng. Vielmehr finden sich dort sachliche Erweiterungen des Entscheidungsausspruchs des Gerichts, die durch den besonderen Zweck der geführten Verfahren gerechtfertigt sind, vgl. Rühmann, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 83 Rn. 19. 692

Vgl. Thomas/Putzo, urteilung Zug um Zug.

ZPO, § 308 Rn. 3. Als Standardbeispiel gilt hierbei die Ver-

2. Abschnitt: Ausgestaltungen

335

Ein Verstoß gegen den Grundsatz ne ultra petita liegt aus den folgenden Gründen nicht vor. Anträge in Wahlprüfiingsverfahren richten sich zumeist darauf, die Ungültigkeit der Wahl festzustellen oder zu erklären 693 . Da das Vorliegen eines Wahlfehlers eine notwendige Bedingung einer erfolgreichen Beschwerde darstellt, ist der Antrag auf Feststellung eines solchen Fehlers als Minus in dem Antrag auf Feststellung der Ungültigkeit der Wahl bzw. auf Ungültigerklärung der Wahl enthalten. Dementsprechend hatten zum Beispiel die Beschwerdeführer in dem Verfahren betreffend die Gültigkeit der Wahlen zur Hamburger Bürgerschaft im Jahre 1990 vor dem Hamburgischen Landesverfassungsgericht neben ihrem Antrag, die Ungültigkeit der Hamburger Bürgerschaftswahl festzustellen, weiterhin beantragt, „hilfsweise festzustellen, daß das Wahlprüfungsverfahren, das die Hamburger Bürgerschaft anläßlich der Wahlprüfung praktiziert hat, rechtswidrig war und die Beschwerdeführer dadurch in ihren Rechten verletzt hat". 694

2. Parallelen zu anderen verfassungsrechtlichen Verfahren Eine solche Tenorierung stellte auch keinen Fremdkörper im Verfassungsprozeßrecht dar. Aufgrund der oben angedeuteten Parallele von Wahlprüfungsbeschwerde und Verfassungsbeschwerde in bezug auf den Verfahrensgegenstand legt es sich nahe, auch für die Gestaltung des Tenors auf das „Vorbild" Verfassungsbeschwerde zu rekurrieren. Dabei sind für die hier interessierenden Fallgestaltungen vor allem jene Verfassungsbeschwerden interessant, in denen zwar eine (objektive) Rechtsverletzung gegeben, aber gleichwohl eine Grundrechtsbetroffenheit ausgeschlossen war, so daß die Verfassungsbeschwerde nur teilweise Erfolg hatte. Oben war dargelegt worden, daß Verfahrensgegenstand

693

Der in dieser unterschiedlichen Antragstellung zum Ausdruck kommende Streit darüber, ob die Entscheidung des Gerichts eine Feststellungs- oder eine Gestaltungsentscheidung ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Auch wenn man die Entscheidung über die Gültigkeit der Wahl mit der wohl h.M. als Gestaltungsentscheidung sieht, steht dies der Verbindung dieses Gestaltungstenors mit einem Feststellungstenor nicht entgegen. 694

Vgl. Urteil des HVerfG vom 4. Mai 1993 - HVerfG 3/92 - UA, S. 16 = DVBl. 1993, 1070 ff; dort sind allerdings die Anträge der Beschwerdeführer nicht abgedruckt. Freilich soll nicht verkannt werden, daß der hier gestellte Antrag nicht wörtlich auf die Feststellung des Wahlfehlers gerichtet war. Den Beschwerdeführern kam es aber in der Sache auf die Feststellung an, daß das von der CDU praktizierte Kandidatenauswahlverfahren rechtswidrig war, damit sich ein solches Verfahren zukünftig nicht wiederholen konnte.

336

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

der Verfassungsbeschwerde die Frage darstellt, ob der angegriffene Hoheitsakt verfassungswidrig ist und dadurch subjektive Rechte des Beschwerdeführers verletzt wurden, wobei Kausalität erforderlich ist 6 9 5 . Dieses Kausalitätserfordernis ist für die Frage bedeutsam, ob die Verfassungsbeschwerde in vollem Umfang Erfolg hat. Nicht ist damit ausgesagt, daß objektive Rechtsverletzungen, die sich nicht als Grundrechtsverletzungen darstellen, nicht zum Verfahrensgegenstand des Verfassungsbeschwerdeverfahrens zu zählen sind. Im Gegenteil: Das Bundesverfassungsgericht hat etwa in der Entscheidung vom 24. April 1991 im Tenor die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes festgestellt und gleichzeitig die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen 696. Um das Gebot, den Verfahrensgegenstand umfassend zu bescheiden, deutlicher zu machen, wäre an sich zu fordern, daß das Gericht in solchen Fällen die Beschwerde „im übrigen" zurückweist 697 . Unter Zugrundelegung dieser Parallele wäre daher im Wahlprüfungsverfahren im Falle einer nichtmandatsrelevanten subjektiven Wahlrechtsverletzung gleichsam umgekehrt die Verletzung des subjektiven Wahlrechts festzustellen und die Beschwerde im übrigen zurückzuweisen. Für die vorgeschlagene Tenorierung können neben der genannten Parallele zum Verfassungsbeschwerdeverfahren auch die wahlprüfungsrechtlichen Regelungen in den Bundesländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein angeführt werden. Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 des nieders. WahlprüfG 698 muß sich der im Wahlprüfungsverfahren ergangene Entscheidungsvorschlag über die Gültigkeit der angefochtenen Wahl, etwaige Fehler des Wahlergebnisses sowie über die sich aus einer Ungültigkeit der Wahl ergebenden Folgen verhalten. § 8 Abs. 1 Satz 3 nieders. WahlprüfG bestimmt sodann: „In den Fällen des § 2 Abs. 1 Nr. 2 und 3 hat der Entscheidungsvorschlag auch über die behauptete Rechtsverletzung zu befinden und gegebenenfalls die Wahl-

695

Vgl. Rennert, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 31 Rn. 36, der zu Recht in Fn. 51 auf die Parallele zur verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage hinweist. 696

Vgl. BVerfGE 83, 133 (133 f.).

697

So auch Detterbeck,, Streitgegenstand, S. 516.

698

Vgl. Gesetz vom 6. März 1995, Nieders. GVB1. S. 39 ff., zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Wahlprüfungsgesetzes und des Gesetzes über den Staatsgerichtshof vom 12. Juni 1981, Nieders. GVB1. S. 125 f. Die dort vorgenommenen Änderungen sind für die hier interessierenden Fragestellungen ohne Belang.

2. Abschnitt: Ausgestaltungen

337

behörden zu verpflichten, die erforderlichen Folgerungen zu ziehen". - Hervorhebung hinzugefügt. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 des nieders. WahlprüfG ist der Wahlberechtigte, dessen Rechte durch Maßnahmen der Wahlbehörden verletzt sind, ebenso einspruchsberechtigt wie nach Nr. 3 derjenige Bewerber oder Ersatzmann, dessen Rechte durch Maßnahmen der Wahlbehörden verletzt wurden. Die gesetzlichen Regelungen beziehen sich damit erkennbar auf Fälle fehlender Mandatsrelevanz. Gleichwohl bestimmt § 8 Abs. 1 Satz 3 nieders. WahlprüfG, daß über sie auch im Entscheidungsvorschlag zu befinden ist. Überträgt man diese Regelung auf die Tenorierung einer Wahlprüfungsbeschwerde im Verfahren nach Art. 41 Abs. 2 GG, so müßte der Entscheidungsvorschlag, wie oben angeregt, neben der Zurückweisungsentscheidung in bezug auf die Rügen subjektiver Wahlrechtsverletzungen über deren Berechtigung befinden. Hierfür läßt sich auch § 44 Abs. 2 des schleswig-holsteinischen Landeswahlgesetzes anführen. Die Vorschrift lautet: „Werden im Zusammenhang mit Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl nach Absatz 1 einzelne Verwaltungsakte der Wahlbehörden angefochten, über die nicht gleichzeitig nach den §§45 bis 47 entschieden wird, so ist über die Gültigkeit dieser Verwaltungsakte im Wahlprüfiingsverfahren gesondert zu entscheiden. Hervorhebung hinzugefügt. Die §§45 bis 47 behandeln dabei im wesentlichen Fälle mandatsrelevanter Wahlfehler. Durch die Formulierung „... im Wahlprüfungsverfahren gesondert zu entscheiden" wird deutlich, daß in dem Verfahren nicht nur über mandatsrelevante Wahlfehler entschieden werden soll, sondern der Verfahrensgegenstand auf den Schutz subjektiver Wahlrechte erweitert wird. Konsequenterweise muß dann im Wahlprüfungsverfahren auch über solche Wahlfehler entschieden werden 699 . Demgegenüber kann eine Orientierung an der oben ebenfalls dargestellte Rechtslage in Berlin nicht ohne weiteres empfohlen werden. Zwar ist der dort unternommene Versuch bedenkenswert, die rechtswidrige Zurückweisung eines Wahlvorschlags oder eines Bewerbers der Kausalitätsprüfung des Erheblichkeitsgrundsatzes zu entziehen. Wie in Kapitel 3 dargestellt wurde, bewegen sich darauf bezogene Erwägungen zumeist im Rahmen reiner Spekulation. Gleich-

699 Bei dieser Parallele ist allerdings zu beachten, daß die Verfassung SchleswigHolsteins die Wahlprüfung den Verwaltungsgerichten übertragen hat, vgl. oben Kapitel 2, 2. Abschnitt, B. III. 22 Lang

338

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfingsverfahren

wohl erscheint die Regelung in § 42 Nr. 1 beri. VerfGHG, wonach in den genannten Fällen die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs nur auf Ungültigkeit der Wahl und auf Anordnung der Zulassung des Wahlvorschlags oder des Bewerbers unter Streichung des bisherigen Bewerbers lauten kann, als zu weitgehend. Diese gesetzliche Regelung geht sowohl in der Rechtskraftwirkung zu weit als auch in ihrer Pönalisierungsfunktion. Denn zum einen ist Gegenstand eines Wahlprüfungsverfahrens ein konkreter Wahlfehler, der sich in der rechtswidrigen Zurückweisung realisiert hat. Damit ist indes nicht zugleich festgestellt, daß die Zurückweisung nicht aus anderen Gründen gleichwohl die richtige Entscheidung war. Zweifelhaft ist die Regelung zum anderen auch soweit sie die obligatorische Streichung des bisherigen Bewerbers anordnet, der damit einen Wahlfehler „büßen" muß, den er nicht verschuldet hat. Schließlich läßt die Vorschrift Fälle außer acht, in denen der rechtswidrig zugelassene Wahlvorschlag oder Bewerber gewählt wird. Das dadurch auftretende Problem, ob in solchen Fällen eine Gerichtsentscheidung das Votum des Souverän korrigieren kann, das unter dem Stichwort der „Heilung" eines Wahlfehlers diskutiert wird 7 0 0 , bleibt in § 42 Nr. 1 beri. VerfGHG unberücksichtigt. Deshalb erscheint es vorzugswürdig, die Erheblichkeit solcher subjektiven Wahlrechtsverletzungen nicht gesetzlich zu vermuten und auf sie im Falle fehlender Mandatsrelevanz über die Feststellung des Wahlfehlers im Tenor der Entscheidung zu reagieren.

II Tenorierung subjektiver

Wahlrechtsverletzungen

nicht als Selbstzweck

Schließlich sei noch darauf verwiesen, daß die vorgeschlagene Tenorierung keinen Selbstzweck darstellt, sondern daß ihr neben der Genugtuungsfunktion in zahlreichen Fällen auch eine Rechtsschutzfunktion zuzuerkennen ist. Dies soll an dem Fall der rechtswidrigen Zurückweisung einer Partei dargestellt werden. Während nach der von der herrschenden Meinung praktizierten Methode eine (Splitter)Partei gegenüber ihrer rechtswidrigen Nichtzulassung in aller Regel rechtsschutzlos bleibt, würde nach der hier vorgeschlagenen „Tenorlösung" der Rechtsschutz der Partei deutlich verbessert. Unter Zugrundelegung der herrschenden Meinung verliert eine Partei aufgrund der fehlerhaften Nichtzulassung ihre Parteieigenschaft und muß für die folgende Wahl erneut den vollen Beweis der Voraussetzungen des Parteiengesetzes führen. Demgegenüber böte die hier vorgetragene Lösung der Partei Rechtsschutz etwa gegenüber der Vermutung des § 2 Abs. 2 ParteiG. Zwar würde auch hier der

700 Vgl. dazu HVerfG DVB1. 1993, 1070 (1073 f.); kritisch gegenüber einer »Heilung" von Wahlfehlern Karpen, Urteilsanmerkung DVB1. 1993, 1077 (1079 f.).

2. Abschnitt: Ausgestaltungen

339

Antrag auf Aufhebung der Wahl mangels Mandatsrelevanz zurückgewiesen, doch würde die Rechtswidrigkeit der Nichtzulassung der Partei im Tenor der Entscheidung festgestellt. Damit wäre für alle Hoheitsträger bindend festgestellt, daß die der Nichtzulassung zugrundeliegenden Erwägungen rechtswidrig waren und die Partei jedenfalls aus diesen Gründen nicht an der Teilnahme an der nächsten Wahl gehindert werden kann. Damit wäre dem Rechtsschutzinteresse der Partei zumindest nachträglich Rechnung getragen. Zudem würde eine im Tenor festgestellte Rechtswidrigkeit der Zurückweisung auch künftigen Rechtsverletzungen vorbeugen. Folgte man der hier vorgeschlagenen Lösung der subjektiven Rechtsschutzfrage in Wahlprüfungsangelegenheiten würde damit die Rechtsstellung der Betroffenen gegenüber der jetzigen Situation, wo die Rechtsverletzungen wie gezeigt sanktionslos bleiben, verbessert. Es bleibt indes der Einwand bestehen, daß eine Partei oder ein Bürger auch nach der hier vorgeschlagenen Tenorlösung es nicht erreichen können, daß der Wahlfehler für die bevorstehende Wahl beseitigt wird. Dem stehen jedoch, wie oben ausgeführt, keine durchgreifenden verfassungsrechtlich Bedenken entgegen701. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, daß dem Wahlprüfungsverfahren ein doppelfunktionaler Verfahrensgegenstand zugrundeliegt. Dementsprechend sind im Tenor einer Wahlprüfungsbeschwerde subjektive Wahlrechtsverletzungen festzustellen. Bei fehlender Mandatsrelevanz ist die Beschwerde im übrigen zurückzuweisen. Gegenüber dieser Vorgehensweise verfängt nicht der Einwand, niemand könne ein schützenswertes Interesse an der Feststellung von Normwidrigkeiten haben, die wahlunerheblich seien. Die Feststellung von Rechtswidrigkeiten sei kein Selbstzweck702. Letzteres mag zutreffen 703 , kann aber nicht gegen den doppelfunktionalen Verfahrensgegenstand in Ansatz gebracht werden. Die Feststellung subjektiver Rechtsverletzungen ist kein Selbstzweck, sondern Rechtsschutz.

701

Vgl. oben Kapitel 5, 1. Abschnitt, B. III. 3. a) dd) (2) (a).

702

Vgl. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, S. 40; ebenso Karpenstein, Die Wahlprüfung und ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen, S. 26. 703

Gegenüber dem ersten Einwand ist anzumerken, daß er die Beantwortung der aufgeworfenen Frage bereits voraussetzt. Es ist ja gerade das Problem, ob subjektive Wahlrechtsverletzungen tatsächlich wahlunerheblich sind.

340

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

3. Abschnitt

Folgen der vorgeschlagenen Lösung Hinsichtlich der Folgerungen, die aus dem hier entwickelten Verständnis des Wahlprüfimgsverfahrens zu ziehen sind, ist zwischen Folgerungen in bezug auf das formelle und das materielle Wahlprüfungsrecht zu unterscheiden.

A. Im Bereich des materiellen Wahlprüfungsrechts Im Bereich des materiellen Wahlprüfungsrechts ist zunächst festzuhalten, daß aufgrund des doppelfunktionalen Verfahrensgegenstandes ein Offenlassen von Wahlfehlern verbunden mit dem alleinigen Abstellen auf dessen fehlende Mandatsrelevanz aus prozessualen Gründen unzulässig ist. Dieses vom Gericht in nahezu 50% der relevanten Fälle angewandte Verfahren mag seinen Sinn in vermeintlich prozeßökonomischen Gründen haben. Es war aber schon bisher in der Literatur als äußerst unbefriedigend empfunden worden 704 . Nach dem hier vorgeschlagenen doppelfunktionalen Verfahrensgegenstand wäre ein solches Vorgehen indes auch fehlerhaft. Denn der Tenor einer Entscheidung hat den gesamten Streit- oder Verfahrensgegenstand zu bescheiden und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine stattgebende oder abweisende Entscheidung handelt 7 0 5 . Die daraus fur das Gericht im Hinblick auf dessen schon jetzt bestehende Überlastung resultierende weitere Arbeitsbelastung dürfte sich bei näherem Zusehen als gering erweisen, da Wahlprüfungsbeschwerden nur einen sehr geringen Anteil an den bundesverfassungsgerichtlichen Verfahren einnehmen. Die Probleme liegen im Bereich der Verfassungsbeschwerde 706.

704

Vgl. Oppermann, Jus 1985, 519 (520) Da die Wiederholung von Wahlfehlern möglichst vermieden werden sollte, seien Bundestag und BVerfG verpflichtet, im Wahlprüfiingsverfahren festzustellen, ob ein Wahlfehler vorliegt, bevor sie dessen Erheblichkeit prüfen. 705

Vgl. dazu Clemens, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, V, Rn. 3.

706 Von den insgesamt 95944 beim BVerfG anhängig gemachten Verfahren betrafen 91813 den Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde; Zahlenmaterial aus Faller, FS für Benda, S. 43. Dem stehen bis zur gegenwärtigen 13. Legislaturperiode 85 Wahlprüfungsbeschwerden gegenüber.

4. Abschnitt: Zusammenfassung und Ergebnisse

341

B. Im Bereich des formellen Wahlprüfungsrechts Unter Zugrundelegung des hier vertretenen doppelfunktionalen Verfahrensgegenstandes der Wahlprüfung kann das Verfahren als das gegenüber der allgemeinen Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG speziellere Verfahren angesehen werden 707 . Unter dieser Voraussetzung bestehen keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 49 BWahlG. Aufgrund der Doppelfunktionalität des Wahlprüfungsverfahrens ergibt sich aber, daß die Begrenzung der Beschwerdebefugnis in § 48 Abs. 1 BVerfGG, soweit durch sie Verletzungen des passiven Wahlrechtes rechtsschutzlos gestellt werden, verfassungswidrig ist. Die Vorschrift ist daher verfassungskonform so auszulegen708, daß auch derjenige befugt ist, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herbeizuführen, der vorträgt, er sei bei ordnungsgemäßer Wahl Abgeordneter geworden. Das in § 48 Abs. 1 BVerfGG ebenfalls normierte Beitrittserfordernis weiterer 100 Wahlberechtigter verstößt gegen Art. 41 Abs. 2 GG und ist daher nichtig. Die Abwehr querulatorischer Beschwerden sollte einer an die Klagebefugnis des § 42 Abs. 2 VwGO angelehnten Regelung überlassen werden.

4. Abschnitt

Zusammenfassung und Ergebnisse Das Anliegen der vorliegenden Ausarbeitung bestand darin, die verfassungsrechtlichen Grundlagen des - vornehmlich subjektiven - Wahlrechtsschutzes zu untersuchen. Dabei hat das vielfach beklagte Fehlen einer Kodifikation der Rechtssätze, nach denen über die Voraussetzungen eines Wahlfehlers und über seine Rechtsfolgen zu entscheiden ist, zu einem Rechtsgebiet voller Untiefen geführt. Die das Wahlprüfungsrecht beherrschende Praxis hat sich dabei nahezu vollständig von den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Wahlprüfungsrechts gelöst und zur Lösung wahlprüfungsrechtlicher Fälle pragmatische, rechtsstaatlich indes inakzeptable Ansätze entwickelt.

707

Vgl. dazu oben 2. Abschnitt, B. III. 3. a) dd) (2).

708

Vgl. dazu oben 2. Abschnitt, B. III. 3. a) dd) (2) (b) (cc).

342

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

Kehrt man in einer abschließenden Stellungnahme zu den Ausgangsfragen des Verhältnisses von Art. 41 GG und Art. 19 Abs. 4 GG bzw. des hinreichenden subjektiven Wahlrechtsschutzes zurück, lassen sich drei Lösungsansätze unterscheiden. Die Rechtsprechung kann mit ihrer Ausdeutung des Spezialitätsgrundsatzes nicht überzeugen. Weder ist im Geltungsbereich des Art. 41 GG eine Berufung auf subjektive Rechte unmöglich, noch ist deren Schutz im Wahlprüfungsverfahren ausgeschlossen. Jedenfalls ist es mit den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar, die Verletzung subjektiver Rechte weder im Wahlprüfungsverfahren noch außerhalb dessen zu sanktionieren. Auch die Lösungsvorschläge der Literatur lassen sich nicht ohne Widersprüche in das bestehende gesetzliche System einordnen. Abgesehen davon, daß diese Auffassung zu einer (teilweisen) Verfassungswidrigkeit des § 49 BWahlG kommen muß, entstehen Schwierigkeiten, die durch eine Doppelentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgelöst werden. Ähnliches gilt für den Vorschlag, in Wahlrechtsangelegenheiten einen einzügigen, an kurze Fristen gebundenen Rechtszug zu schaffen. Denn auch diese Lösung würde das Problem divergierender Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aufwerfen und zu Abgrenzungsfragen bei der Bindungswirkung der jeweiligen Entscheidungen führen. Gegenüber den angesprochenen Nachteilen weist der in Kapitel 5 entwikkelte Ansatz verschiedene Vorteile auf. Zunächst würde die Rechtsstellung des Bürgers verbessert. Nach wie vor könnte er die Aufhebung der Wahl erreichen, wenn sich die gerügten Wahlfehler in mandatsrelevanter Weise auf das Wahlergebnis ausgewirkt hätten. Vor allem aber nähme der vorgeschlagene Lösungsansatz die subjektiven Rechtsschutzinteressen der Betroffenen auf und stellte mit dem Feststellungstenor auch eine adäquate Reaktion auf gerügte subjektive Rechtsverletzungen zur Verfügung. Dies gilt insbesondere deshalb, weil für das Bundesverfassungsgericht die in nahezu der Hälfte aller relevanten Fälle praktizierte Möglichkeit entfiele, Wahlfehler offenzulassen. Daß auch nach der vorgestellten Lösung nichtmandatsrelevante Wahlrechtsverletzungen nicht zu einer Aufhebung der Wahl führen und allein subjektive Rechtsverletzungen erst nachträglich festgestellt werden können, stellt dabei - wie gezeigt - keine Schlechterstellung des Wahlrechts dar, sondern folgt aus dessen eigentümlicher Doppelnatur. Für die Gerichte entstünden hierdurch keine unannehmbaren Mehrbelastungen. Dies gilt namentlich für die Verwaltungsgerichte, die von sämtlichen

4. Abschnitt: Zusammenfassung und Ergebnisse

343

Wahlprüfungsangelegenheiten entlastet würden. Aber auch das Bundesverfassungsgericht würde infolge der vorgeschlagenen Lösung nicht übermäßig belastet. Denn auch nach dem jetzigen Verständnis der Wahlprüfung ist das Bundesverfassungsgericht für die Überprüfung aller gerügten Wahlrechtsverletzungen zuständig. Für diese Konzentration der Wahlprüfung beim Bundesverfassungsgericht spricht neben der größeren Sachnähe nicht zuletzt eine an die Ratio des Art. 100 GG angelehnte Überlegung. Die im Verfahren nach Art. 41 Abs. 2 GG notwendig stattfindende Überprüfung und gegebenenfalls Abänderung der Wahlentscheidung des Souveräns muß dem mit einer besonderen verfassungsrechtlichen Stellung und Würde ausgestatteten Bundesverfassungsgericht überlassen sein. Dabei trüge auch eine - soweit allein subjektive Wahlrechtsverletzungen in Rede stünden - nur feststellende Entscheidung des Gerichts zum Rechtsfrieden bei, da nach dessen Entscheidung mit Rechtskraft festgestellt wäre, ob ein bestimmtes Verhalten als Wahlfehler anzusehen wäre oder nicht. Dies dürfte auf Dauer auch zu einer Entlastung des Gerichts führen. Schließlich könnten mit der Integration des subjektiven Wahlrechtsschutzes in das Verfahren nach Art. 41 GG die Reibungsverluste gegenüber den aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Anforderungen an den Schutz subjektiver Rechte minimiert und damit ein Beitrag zur Harmonisierung zweier Verfassungsvorschriften geleistet werden, die sich in der gegenwärtigen Diskussion unversöhnlich gegenüberstehenden.

Zusammenfassende Thesen: Die in den vorangegangenen Kapiteln entwickelten Lösungsansätze lassen sich in den folgenden Thesen zusammenfassen, wobei zunächst einige Grundannahmen vorausgeschickt werden.

A. Grundannahmen I.

Art. 41 GG überträgt die Wahlprüfung den beiden Wahlprüfungsorganen Bundestag und Bundesverfassungsgericht. 1. Die Kontrolle der Wahl durch das Bundesverfassungsgericht stellt eine Rechtskontrolle dar. 2. Gleiches gilt für die Wahlprüfung durch den Deutschen Bundestag.

344

II.

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

Aufgabe der Wahlprüfung ist die Sanktionierung von Wahlrechtsverletzungen. Dabei ist zwischen objektiven und subjektiven Wahlrechtsverletzungen zu unterscheiden. 1. Objektive Wahlfehler werden durch solche Rechtsverletzungen wahlrechtlich relevanter Vorschriften verursacht, die auf die Sitzverteilung im Deutschen Bundestag einwirken können. Solche Wahlfehler wirken sich auf die Gültigkeit der Wahl aus. 2. Subjektive Wahlfehler stellen Wahlrechtsverletzungen dar, die subjektive Wahlrechte verletzen, ohne die Sitzverteilung zu berühren.

III.

In welchem Ausmaß subjektives und objektives Wahlrecht im Wahlprüfungsverfahren geschützt wird, gehört seit langem zu den Grundfragen des Wahlprüfungsrechts.

IV.

Das Grundgesetz hat diesen Streit durch Art. 19 Abs. 4 GG neu akzentuiert, durch das Nebeneinander von Wahlprüfungsverfahren und allgemeinen Rechtsweg aber zugleich vorgezeichnet.

B. Rechtsprechung - eindimensionaler Verfahrensgegenstand I.

Diese Rechtsprechung geht von drei Kernaussagen aus. 1. Das Bundesverfassungsgericht legt dem Wahlprüfiingsverfahren einen eindimensionalen Verfahrensgegenstand zugrunde. Danach dient das Wahlprüfiingsverfahren allein dem Schutz des objektiven Wahlrechts. 2. Die zweite Kernthese lautet: Nur mandatsrelevante Wahlfehler rechtfertigten die Beschwerde nach Art. 41 Abs. 2 GG. 3. Subjektive Rechtsverletzungen blieben demgegenüber sanktionslos. a) Innerhalb eines konkreten Wahlprüfiingsverfahren gehörten sie nicht zum Verfahrensgegenstand. b) Außerhalb dessen sei jeglicher subjektiver Rechtsschutz durch § 49 BWahlG verfassungskonform ausgeschlossen.

II.

Dabei hat die Auswertung der Rechtsprechung zweierlei ergeben. Zum einen hat das Gericht seine Kernaussage, das Wahlprüfiingsverfahren diene nur dem Schutz des objektiven Wahlrechts weder hergeleitet noch begründet. Zum anderen haben die dargestellten Fälle aufgezeigt, daß auf der subjektiven Rechtsschutzseite ein Defizit besteht, das rechtsstaatlich inakzeptabel ist.

4. Abschnitt: Zusammenfassung und Ergebnisse

345

C. Literatur - Aufspaltung der Rechtswege I.

Auch das Schrifttum geht im Ergebnis überwiegend von einem eindimensionalen Verfahrensgegenstand der Wahlprüfung aus. Dem vorgeschlagenen Lösungsansatz einer Rechtswegaufspaltung, wonach der subjektive Wahlrechtsschutz den Verwaltungsgerichten bzw. dem Verfassungsbeschwerdeverfahren überantwortet werden soll, ist dabei nicht zu folgen.

II.

Die Gewährung verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes vor Ablauf der Wahl ist bereits aus praktischen Gründen in den seltensten Fällen zu realisieren. 1. Der durch den Grundsatz der Einheit der Verfassung geforderte Ausgleich der Verfassungsgarantien von Art. 41 GG bzw. Art. 19 Abs. 4 GG muß aber mehr sein als das Aufstellen einer nicht erfüllbaren Forderung. 2. Im Vorfeld der Wahl kann zudem die die Zuständigkeit des jeweiligen Gerichtswegs begründende Abgrenzung von subjektiven und objektiven Wahlrechtsverletzungen schwierig sein, da sie regelmäßig erst nach Durchführung der Wahl festgestellt werden kann. 3. Die Gewährung von Rechtsschutzmöglichkeiten vor der Wahl begegnet durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, weil dadurch die Funktion der Wahl alsbald ein handlungsfähiges Parlament zu kreieren, unterminiert würde. Die Wahl in einem Flächenstaat läßt sich nur gleichzeitig und termingerecht durchführen, wenn die Anfechtungsmöglichkeiten angesichts der Fülle von Einzelentscheidungen vor der Wahl begrenzt bleiben und einem nach der Wahl stattfindenden Rechtsschutzverfahren anheimgestellt werden.

III.

Die Gewährung außerhalb konkreter Wahlprüfungsverfahren stehender Rechtsschutzmöglichkeiten nach Durchführung der Wahl birgt die Gefahr divergierender Entscheidungen zu den im Wahlprüfungsverfahren ergehenden Entscheidungen. 1. Dies gilt namentlich für das Verhältnis von verwaltungsgerichtlichen und verfassungsgerichtlichen Entscheidungen. 2. Die Gefahr gegensätzlicher Entscheidungen besteht aber auch dann, wenn das Bundesverfassungsgericht neben den wahlprüfungsrechtlichen Verfahren über die gleichen Wahlfehler im Rahmen von Verfassungsbeschwerden gegen die Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane oder im Anschluß an die Beschreitung des Verwaltungsrechtswegs unter Angriff der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung erneut entscheiden müßte.

346

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfngsverfahren

3. Die dadurch hervorgerufene Doppelbelastung des Gerichts stellt keinen Beitrag zur Lösung der wahlprüfungsrechtlichen Rechtsschutzprobleme dar.

D. Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren I.

Über die Gültigkeit einer Wahl kann nur in dem Verfahren nach Art. 41 GG entschieden werden.

II.

Diese Annahme darf nicht in die Aussage verkehrt werden, im Verfahren nach Art. 41 GG dürfe nur über die Gültigkeit der Wahl entschieden werden.

III.

Umfang und Reichweite der Wahlprüfung werden durch den Verfahrensgegenstand des Wahlprüfungsverfahrens bestimmt. 1. Wie in anderen Verfahrensarten ist auch im Verfassungsprozeßrecht der Verfahrensgegenstand nicht gesetzlich definiert. 2. Aufgrund der Besonderheiten des Verfassungsprozeßrechts kommt der Verfahrensfunktion eine den Verfahrensgegenstand dirigierende Kraft zu.

IV.

Die Verfahrensfunktion ist anhand einer Auslegung der verfassungsrechtlichen Grundlagen der Wahlprüfung zu gewinnen. 1. Die grammatikalische Auslegung von Art. 41 GG ist unergiebig. Insbesondere führt sie nicht zu einer als reiner Mandatserwerbsprüfung verstandenen Gültigkeitsprüfung. Der Ausdruck „Gültigkeit der Wahl" wird in der Verfassung nicht verwandt. 2. Die Konzeption der h.M. einer auf die bloße Mandatsrelevanz des gerügten Wahlfehlers reduzierten Wahlprüfung widerspricht der historischen Entwicklung des Wahlprüfungsrechts. a) Sowohl unter der Geltung der Reichsverfassung von 1871 als auch erst recht unter der Ägide der Weimarer Reichsverfassung reagierte die wahlprüfungsrechtliche Praxis auch auf nichtmandatsrelevante Wahlfehler. b) Darin lag kein Widerspruch zur damaligen Rechtslage. Angesichts der insoweit deutungsoffenen verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Rechtslage wurde bereits damals die Gestaltung der Rechtssätze, nach denen über die Voraussetzungen und Rechtsfolgen eines Wahlfehlers entschieden wurde, der Praxis überlassen.

4. Abschnitt: Zusammenfassung und Ergebnisse

347

3. Die systematische Auslegung von Art. 41 GG ist in besonderem Maße auf die Einbeziehung von Art. 38 GG verwiesen. Denn die Funktion der Wahl bestimmt auch die Funktion der Wahlprüfung. a) Dem in Art. 38 GG normierten Wahlrecht kommt eine Doppelfunktion zu. aa) In der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes dient das Wahlrecht einerseits dazu, ein Vertretungsorgan für das in seiner Gesamtheit handlungsunfähige Volk zu schaffen und zu legitimieren. Dem entspricht die objektiv-rechtliche Seite der Wahlprüfung. bb) Gleichzeitig kommt dem Wahlrecht die Funktion zu, die individuelle Selbstbestimmung des einzelnen zur Geltung zu bringen. Dem entspricht die subjektiv-rechtliche Seite der Wahlprüfung. b) Dieser Doppelfunktion des Wahlrechts entspricht ein doppelfunktionaler Verfahrensgegenstand. Dies führt dazu, daß das Wahlprüfungsverfahren sowohl dem Schutz des objektiven wie auch des subjektiven Wahlrechts dient. Der eindimensionale Verfahrensgegenstand der h.M. hat in der Verfassung keine Grundlage. 4. Einheit der Verfassung a) Entscheidend für das Verhältnis des Wahlprüfungsverfahrens zu der allgemeinen Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ist, daß die Verfassung den Schutz des Wahlrechts in Art. 41 GG einem eigenen Verfahren zugewiesen hat. b) Weil das Wahlprüfungsverfahren auch dem Schutz des subjektiven Wahlrechts zu dienen bestimmt ist, tritt es bei der Überprüfung von Maßnahmen und Entscheidungen der Wahlorgane an die Stelle des Rechtswegs des Art. 19 Abs. 4 GG. § 49 BWahlG ist mit dieser Maßgabe verfassungsgemäß. c) Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab der Ausgestaltung des Rechtsschutzes in Wahlangelegenheiten ist nicht Art. 19 Abs. 4 GG, sondern Art. 41 Abs. 2 GG. d) Bei dieser Ausgestaltung darf der Gesetzgeber die besondere Rechtsnatur des Wahlrechts berücksichtigen. Die Ausübung des Wahlrechts stellt einerseits eine grundrechtliche Betätigung und gleichzeitig die Wahrnehmung einer Organkompetenz dar. aa) Aufgrund der auch kompetentiellen Seite des Wahlrechts steht dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Rechtsschutzes ein erweiterter Gestaltungsspielraum zu.

348

Kapitel 5: Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfiingsverfahren

Normative Begrenzungen des Rechtsschutzes sind daher möglich, müssen aber durch den speziellen Zweck des Verfahrens gerechtfertigt sein und dürfen die doppelte Schutzfunktion des Verfahrens nicht vereiteln. bb) Unter Beachtung dieser Maßstäbe verstößt § 48 Abs. 1 BVerfGG gegen Art. 41 Abs. 2 GG. cc) Die Vorschrift ist daher nichtig, soweit sie die Zulässigkeit der Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht an den Beitritt weiterer 100 Wahlberechtigter bindet. Dieses Beitrittserfordernis ist durch den Schutz des objektiven Wahlrechts nicht bedingt und vereitelt den subjektiv-rechtlichen Schutz des Wahlprüfungsverfahrens. Der Ausschluß der Beschwerdemöglichkeit bei Verletzungen des passiven Wahlrechts in § 48 Abs. 1 BVerfGG ist ebenfalls wegen Verstoßes gegen Art. 41 Abs. 2 GG nichtig. Die Differenzierung zwischen Verletzungen des aktiven und des passiven Wahlrechts rechtfertigt sich nicht aus der besonderen Natur des Wahlprüflingsverfahrens. ee) Die Vorschrift ist verfassungskonform so auszulegen, daß auch derjenige Bewerber beschwerdebefligt ist, der vorträgt, er sei bei ordnungsgemäßer Wahl Mitglied des Bundestages geworden. V.

Die Doppelfunktionalität des Wahlprüfungs Verfahrens wird nicht durch § 1 Abs. 1 WahlprüfG in Frage gestellt. Die Vorschrift regelt nur eine Rechtsfolge festgestellter Wahlfehler, kann aber nicht den verfassungsrechtlich vorgegebenen Verfahrensgegenstand verkürzen.

VI.

Die verfahrensrechtliche Ausgestaltung des Wahlprüflingsverfahrens entspricht dem doppelfunktionalen Verfahrensgegenstand. Dies gilt namentlich für das Nebeneinander von Dispositions- und Offizialmaxime sowie hinsichtlich der Beweislastverteilung.

VII. Weder der Schutz des objektiven Wahlrechts noch die Geltung des Erheblichkeitsgrundsatzes begründen die Notwendigkeit einer Exklusion subjektiven Rechtsschutzes im Wahlprüfiingsverfahren. 1. Der Grundsatz der Mandatsrelevanz bezieht sich allein auf die Rechtsfolge festgestellter Wahlfehler nicht aber bereits auf die Feststellung von Wahlrechtsverletzungen, verhält sich also nicht zum Verfahrensgegenstand.

4. Abschnitt: Zusammenfassung und Ergebnisse

349

2. Der Schutz des objektiven Wahlrechts verlangt keine Exklusion subjektiven Rechtsschutzes im Wahlprüfungsverfahren. Das Verfassungsprozeßrecht stellt differenzierte Lösungen zur Verfügung, für die die folgenden Grundsätze gelten. VIII.

Die Entscheidungsformel einer Wahlprüfungsbeschwerde muß den gesamten Verfahrensgegenstand aufnehmen, d.h. sowohl über objektive als auch über subjektive Wahlrechtsverletzungen entscheiden. Die Feststellung von Wahlfehlern in den Entscheidungsgründen reicht als Rechsschutz nicht aus. 1. Verletzungen des objektiven Wahlrechts entziehen dem Wahlakt die Legitimationsfunktion. Soweit der Wahlfehler reicht, ist die Wahl daher aufzuheben. 2. Nichtmandatsrelevante subjektive Wahlrechtsverletzungen müssen vom Bundesverfassungsgericht im Tenor festgestellt werden. Ein Offenlassen von Wahlfehlern scheidet ebenso aus wie eine dem Rechtsschutzbegehren des Betroffenen nicht gerecht werdende Feststellung des Wahlfehlers in einem obiter dictum. Subjektive Wahlrechtsverletzungen führen im Falle fehlender Mandatsrelevanz zu einer Feststellung des Wahlfehlers in der Entscheidungsformel unter Abweisung der Beschwerde „im übrigen".

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Sachregister Absolute Nichtigkeitsgründe 29, 218,219, 269 Abstimmungen - als Ausübung von Staatsgewalt 25, 237, 268 - Definition 25 - strafrechtlicher Schutz 55 Aktivbürger(schaft) 22, 32, 144, 155 in Fn. 133, 176, 224, 230, 234, 238, 244, 280, 281,283 Allgemeine Leistungsklage - bei Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane 158 Allgemeinheit der Wahl 53, 63 in Fn. 21, 94, 233 - und Wahlvorschlagsrecht 94 in Fn. 148 Amtsermittlungsgrundsatz - in bundesverfassungsgerichtlichen Verfahren 88 Anfechtungsberechtigung - in Baden-Württemberg 48 - in Brandenburg 49 - im Saarland 50 Anfechtungsgegenstand - Bestimmung durch Einspruchsschrift 89, 191,318 Anfechtungsklage - gegen Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane 158 - Wahlprüfungsbeschwerde als 35 Antragsberechtigung - in Bayern 48, 146, 147,301 ff. Antragsprinzip

- in bundesverfassungsgerichtlichen Verfahren 191 ff. Antragsrücknahme - in bundesverfassungsgerichtlichen Verfahren allgemein 184 - in Wahlprüfungsverfahren 321 ff. - in Wahlprüfungsverfahren nach rhein.-pfälz. Rechtslage 50 Aufhebung der Wahl 57, 79, 82, 118, 119, 126, 183,220 Auflösung - des Deutschen Bundestags 72, 74 Auslegung - der Entscheidungsgründe und Bindungswirkung 108 in Fn. 200 - grammatikalische von Art. 41 Abs. 1 und 2 GG 201 ff. - Grenzen verfassungskonformer Auslegung 306 - historische von Art. 41 Abs. 1 und 2 GG 204 ff. - systematische von Art. 41 Abs. 1 und 2 GG 221 ff. - verfassungskonforme von § 1 Abs. 1 WahlprüfG 309 - verfassungskonforme von § 48 Abs. 1 BVerfGG 305 ff., 341 - von Art. 41 Abs. 1 und 2 und dem Grundsatz der Einheit der Verfassung 148, 271 ff. - verfassungskonforme von § 49 BWahlG 153 in Fn. 121 Ausschluß subjektiven Rechtsschutzes

372

Sachregister

- außerhalb konkreter Wahlprüfungsverfahren 58 f., 116, 127 ff., 133, 140, 141,249, 262, 276, 289 - im Wahlprüfungsverfahren 23, 26, 59, 73,84, 125 ff., 140, 242 ff., 262 - und verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz 127 ff., 132 ff., 249 f. Ausschlußfrist - Beschwerdefrist als 47 Ausschlußklausel - § 49 BWahlG als 40, 124 Befangenheit - Besorgnis der 42 Befriedungsfunktion - der Entscheidungen des BVerfG 73, 107, 185 Begründungsdefizit - der Rechtsprechung zum materiellen Wahlprüfungsrecht 69, 124 Beibringungsgrundsatz 323, 325 - Begriff 323 f. Beitrittserfordernis bei Wahlprüfungsbeschwerden 37, 46, 52, 60, 84, 86 inFn. 115,250 - Ersetzung durch eine an die Klagebefugnis angenäherte Regelung 299 - fehlendes in Hamburg 49 - fehlendes in Niedersachsen 50 - fehlendes in Rheinland-Pfalz 50 - fehlendes in Sachsen 51 - fehlendes in SchleswigHolstein 51 - im Saarland 50 - in Baden-Württemberg 48 - in Mecklenburg-Vorpommern 50 - in Nordrhein-Westfalen 50 - in Sachsen-Anhalt 51

- in Thüringen 51 - und Verfahrensgegenstand 36 f., 250 - Verfassungswidrigkeit 293 f f , 341 Beschluß - des Bundestages und Prüfungskompetenz des BVerfG 44 - im Wahlprüfungsverfahren 47 Beschwerde - Begriff 43 in Fn. 89 - dogmatische Einordnung der im Wahlprüfungsverfahren 35 - Ernsthaftigkeit der und Beitrittserfordernis 293, 296 f. - gegen das Wählerverzeichnis 41 - gegen die Versagung des Wahlscheins 41 - gegen die Wahlprüfungsentscheidung des Bundestages 19, 40, 132 inFn. 168, 186 - gegen die Zurückweisung von Wahlvorschlägen 41 - Sachentscheidung des Bundestages als Voraussetzung der 45 - und Begründungserfordernis 47 - Verhältnis zum Einspruchsrecht 46, 293 Beschwerdebefugnis - Ausgestaltung der und Gleichheitssatz 302 - bei Verletzungen des passiven Wahlrechts 60, 149, 300 ff. - im Bund 46, 278, 289 f. - in Hamburg 49 - in Niedersachsen 50 - in Rheinland-Pfalz 50 - in Sachsen 51 - in Sachsen-Anhalt 51 - in Thüringen 51 Beschwerdefrist 60 - als Ausschlußfrist 47

Sachregister

Beschwerdegegenstand - Sachentscheidung des Bundestages als 45 - und Prüfung der Gültigkeit der Wahl 46 Bestandsschutz des gewählten Parlaments 263, 264 in Fn. 411 und 414, 329 in Fn. 676 Beweislast 66, 90, 323 ff. - Definition 323 - objektive 325 f. - objektive und objektive Wahlrechtsverletzungen 327 ff. - objektive und subjektive Wahlrechtsverletzungen 326 f. - subjektive 324 f. - Umkehr der 71, 327 - Verteilung im Wahlprüfungsverfahren 115 f., 124, 323 ff. - Verteilung unter der Geltung der RV 327 f. Bindungswirkung - der Entscheidungsgründe 133 - verfassungsgerichtlicher Entscheidungen 108, 133, 189 in Fn. 34 - zivilgerichtlicher Entscheidungen für Wahlprüfungsausschuß 105 in Fn. 190 Briefwahl - und Geheimheit der Wahl 54 in Fn. 134 - Zulässigkeit der 63 in Fn. 21 Bürgerschaft 101 - hamburgische als Wahlprüfungsorgan 49 Bund-Länder-Streit - Verhältnis zur Wahlprüfungsbeschwerde 164 Bundestag - Präsident des und amtliche Einspruchsberechtigung 28

Bundesverfassungsgericht - als „zweite Instanz" im Wahlprüfungsverfahren 39, 44, 205 - als sekundäres Wahlprüfungsorgan 44, 222 - Anrufung des als Rechtsweg 35, 277 - Prüfungskompetenz des 29, 39, 44, 46 - und Belastung durch Wahlprüfungsbeschwerden 47 - und strafrechtlicher Wahlrechtsschutz 56 Bundeswahlausschuß 32, 80, 93, 96, 102, 103, 104, 105, 108, 111, 112, 116, 132 in Fn. 40, 143 in Fn. 82, 159 inFn. 152, 175, 176 Bundeswahlleiter 32, 43, 96 in Fn. 157, 112, 175, 176 - und amtliche Einspruchsberechtigung 296 Demokratieprinzip - „Materialisierung" des 255 ff. - „Subjektivierung" des 255 ff. - Sicherstellung durch Wahlen 230 - Verhältnis zum subjektiven Wahlrecht 253 ff. Dispositionsmaxime 107, 313, 317 - Definition 313 f. - Verhältnis zur Offizialmaxime im Wahlprüfungsverfahren 314 ff. Distanz von Repräsentanten und Repräsentierten 257 Divergenz - der Entscheidungen der Wahlprüfungsorgane und der Fachgerichtsbarkeit 168, 173, 174 ff. 342 - der Entscheidungen der Wahlprüfungsorgane und sonstiger

374

Sachregister

verfassungsgerichtlicher Entscheidungen 177 ff., 342 Divergenzvorlage 194 in Fn. 58 Eigenprüfiingsrecht 34 - Prüfung der Wahl durch den Deutschen Bundestag als 34,41 f. Einspruch - gegen das Wählerverzeichnis 41 - gegen die Versagung des Wahlscheins 41 - gegen die Zurückweisung von Wahlvorschlägen 143 in Fn. 82 - und Begründungserfordernis 43 - und Reichweite der Wahlprüfung durch den Bundestag 44, 88, 89 f. - Verhältnis zur Beschwerde 46,

166 Einspruchsberechtigung - amtliche 28, 43, 258, 296, 316 - im Bund 43, 46 - in Nordrhein-Westfalen 50 - in Berlin 48 - in Hessen 49 - in Schleswig-Holstein 51 - private 43, 108,258 Einspruchsfrist 43 - Verkürzung der 292 Einspruchsverfahren 92 in Fn. 145 - als Vorverfahren 290 ff. Einstweilige Anordnungen - Unzulässigkeit in Wahlprüfungsangelegenheiten 87, 111, 166 ff. Entsubjektivierung des Wahlrechtsschutzes 23, 125 ff. Erfolgswert - gleicher 54 Erheblichkeitsgrundsatz - als Rechtsfolgenregelung 31, 68, 79, 270 - als Tatbestandsmerkmal eines Wahlfehlers 31

- Geltung in der Europäischen Union 30 - kein einheitliche Geltung in den Bundesländern 52 - Probleme der Operationalisierung 70, 76, 98, 115, 123, 172 - Rechtfertigung des 121 f., 238, 246, 268 ff. - und Begrenzung des Verfahrensgegenstandes 265 ff. - s.a. Mandatsrelevanz Erledigung - einer Wahlprüfungsbeschwerde 72, 82 f., 107 inFn. 196 u. 197,

120 Europäische Union - Geltung des Erheblichkeitsgrundsatzes in der 30 Evidenz eines Verfassungsverstoßes - als Maßstab in Wahlprüfungsverfahren 65 in Fn. 31, 77 ff., 118 in Fn. 235 Ex nunc - Wirkung der erfolgreichen Wahlanfechtung 284 Fachgerichtlicher Rechtsschutz - in Wahlangelegenheiten 153 ff. Feststellung - des Wahlergebnisses als Wahlfehler 32, 146 - subjektiver Rechtsverletzungen im Wahlprüfungsverfahren 200, 270 - von Wahlfehlern in den Entscheidungsgründen 91, 141, 144, 176, 251,332 - von Wahlfehlern in der Entscheidungsformel 285, 287, 288, 289, 334 ff., 342 Feststellungsentscheidungen

Sachregister

- Kombination mit Zurückweisungsentscheidung 334 - und Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG 285 ff. - und Autorität des BVerfG 287 - und fehlender Vollstreckungsdruck 285 ff. Feststellungsklage - bei Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane 157, 158, 169 - Wahlanfechtung als 211, 216, 327 Formelles Wahlprüfungsrecht - s. Wahlprüfungsrecht formelles Freiheit der Wahl 54 f., 63 in Fn. 21,216, 233,271,294 - und Wahlvorschlagsrecht 94 in Fn. 148 Fünf-Prozent-Klausel 58 in Fn. 1, 171 Funktionsfahigkeit des Parlaments - als Schutzgut der Wahlprüfung 171,301 ff. Geheimheit der Wahl 54, 63 in Fn. 21,233 Gesetzmäßige Zusammensetzung - des Parlaments als Ziel der Wahlprüfung 147, 172, 197,213, 242, 243,252, 253,266, 271, 294,316,319 Gestaltungsklage - Wahlanfechtung als 211, 216 Gestaltungsurteile des BVerfG - und Vollstreckungsmittel 286 Gewaltenteilung - und Kompetenzen des BVerfG

81 - und Wahlprüfungsrecht 33 Gewohnheitsrecht

- im Wahlprüfungsverfahren 29, 51,52, 57, 266, 267inFn. 420 Gleichheit der Wahl 54, 63 in Fn. 21, 64 f., 65 in Fn. 30, 77, 78, 79, 80, 94 inFn. 148,218,233, 244 in Fn. 321,301 - als allgemeiner Grundsatz bei Wahlen 55 in Fn. 135 - als Anwendungsfall des Art. 3 Abs. 1 GG 26 f., 149 ff., 227 in Fn. 227, 252, 301, 303 f. Grundmandatsklausel 65 in Fn. 30 Gültigkeit der Wahl - als Gegenstand der Wahlprüfung 19, 27,31 in Fn. 29, 34, 46, 47, 48, 49, 50,51,91,94 in Fn. 148, 97, 104, 117, 126, 135, 137 in Fn. 50, 144, 146, 152, 186 in Fn. 22, 187, 189, 196, 198, 202 f., 242, 265, 308,311,328 - Beschwerde gegen die 46, 319 - Definition 38, 202 - Einspruch gegen die 43, 64, 112, 292 f. - Entscheidung nur im Wahlprüfungsverfahren 126, 205 - fehlende gesetzliche Definition

188 - historisches Verständnis 206 ff. - und Grundrechtsverstöße 251 Heterogenität - bundesverfassungsgerichtlicher Verfahren 192 ff. Hirtenbriefe 29 in Fn. 17 Homogenitätsprinzip 151 Hüter der Verfassung - BVerfG als 192,298 Individualrechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren 36, 277, 278 Judical self restraint 81

376

Sachregister

- und Ungültigkeitserklärung der Wahl 330 f. Justizgewährleistungsanspruch 129 Kausalitätsnachweis - und gerügter Wahlfehler 71, 90 Kinderwahlrecht 54,238 in Fn. 294 Kodifikation - fehlende des Wahlprüfimgsrechts 21,24, 28, 34, 57, 207,213,222 in Fn. 206 Kollektivhandlung - Wahl als210, 211,223 inFn. 210, 224, 231,240, 249 in Fn. 342 kontradiktorische Streitverfahren - und Wahlprüfiingsverfahren 43, 184, 194 Korrektur von Wahlfehlern - und Verhältnismäßigkeitsprüfung 31 - und Wahlprüfiingsverfahren 36, 84, 126 inFn. 6, 132, 164, 249 Landeswahlausschuß 32, 111, Landeswahlleiter 32, 43 - und amtliche Einspruchsberechtigung 43, 296 Lebenserfahrung - als Maßstab der Kausalitätsprüfung im Wahlprüfungsrecht 95, 98, 114, 115, 328 Legitimation - gesetzter Rechtsakte eines illegitim gewählten Parlaments 81, 119, 263,284, 303 - zur Schaffung eines neuen Wahlrechts bei Aufhebung der Wahl

81,82

Legitimationsniveau bei demokratischen Wahlen 233, 254 Legitimationsprüfung

- Wahlprüfung als 33, 199, 206 ff. - Definition 210 Legitimationsvorsprung des Bundestages 235, 264 Mandatsprüfung 38, 63, 166, 200, 207 ff. Mandatsrelevanz - feststehende und Rechtsfolge 73, 77, 86, 94, 98, 117, 122, 140, 142, 144, 199, 203,221,241, 243,244, 247, 251 f., 260, 269, 284, 288, 309, 327 - gesetzliche Grundlagen 50 - s.a. Erheblichkeitsgrundsatz - und strafrechtlicher Wahlrechtsschutz 56 Materielles Wahlprüfungsrecht - s. Wahlprüfungsrecht materielles Mehrheitsprinzip - als Rechtfertigung des Erheblichkeitsgrundsatzes 121,238, 246, 266, 267, 268 ff. - Grundrechte als Grenze des 239 Minderheitenschutz - in Wahlprüfiingsverfahren 99 Mündliche Verhandlung - vor dem Wahlprüfungsausschuß 40, 92, 93, 103 in Fn. 181, 109 in Fn. 204 Ne ultra petita 192, 334 f. Neutralität - amtlicher Organe und Wahlkampf 74, 76 Nichtigkeit der Wahl 211 - ex nunc bei erfolgreicher Anfechtung 81, 119 s. a. Ungültigkeit der Wahl Nichtzulassung von Wahlvorschlägen 22, 83, 86,91, 102, 105,

Sachregister

109, 110, 111 ff., 154, 157, 160, 166, 167,214, 321 Non liquet - im Wahlprüfungsverfahren 325, 327 Normenkontrolle abstrakte - gegen Wahlgesetze 64 - Verhältnis zur Wahlprüfungsbeschwerde 164, 165, 192 in Fn. 46, 193, 194 inFn. 56,311 Normstruktur des Wahlrechts 224 f. Oberverwaltungsgericht - als Wahlprüfungsgericht in Schleswig-Holstein 51 Objektive Verfahren - zum Schutz der Verfassung 192, 277 Objektives Wahlrecht - Begriff 243 f. - Schutz des und Wahlprüfungsverfahren 22,31,37, 73,75, 86, 106, 108, 121, 123, 126, 137 in Fn. 199, 147, 242 ff., 265 f. Offensichtlichkeit - der Unbegründetheit von Wahlprüfungsbeschwerden 67, 86, 111, 119, 120 inFn. 252 Öffentlichkeitsarbeit - von staatlichen Organen 29 in Fn. 16, 58 in Fn. 1, 107 Öffentlichkeitsgrundsatz - Verletzung des als Wahlfehler 103 ff., 216 Offizialmaxime 50, 106, 313, 317 - Definition 313 - Verhältnis zur Dispositionsmaxime im Wahlprüfungsverfahren 314 ff. Offizialverfahren 43 in Fn. 88, 51, 314 Organkompetenz

- Wahl als Ausübung von 204, 229, 231 f., 249, 258, 295 Organstreitverfahren 58, 64 - Verhältnis zur Wahlprüfungsbeschwerde 164, 165 Parlamentsautonomie - und Wahlprüfung 221 ff. Paulskirchenverfassung 42, 206 in Fn. 120, 209 inFn. 133,225 in Fn. 214 Popularklage - und bundesrechtliche Wahlprüfungsverfahren 257 f., 299 Präsident des Bundestages - Einspruchsrecht des 28, 43, 296 Prozeßentscheidungen - in Wahlprüfungsverfahren 60 f., 133 Prüfungsgegenstand - bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit von Volksabstimmungen 75 Prüfungskompetenz - begrenzte des Bundestages 44, 77 - erweiterte des Bundesverfassungsgerichts 29, 39,44 Prozeßmaxime - des Wahlprüfungsverfahrens 106, 196, 312 ff. Quorum - s.a. Beitrittserfordernis - Verfassungswidrigkeit 303 ff. Rechtmäßigkeit des Wahlvorgangs - als Aufgabe der Wahlprüfung 69, 198 ff. Rechtsbehelfe bei Wahlen - nach Art. 41 GG41 ff. - nach dem BWahlG 41 Rechtskraft 108 in Fn. 200, 144, 176, 185,252

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Sachregister

Rechtsschutzbedürfnis im Wahlprüfungsverfahren 115, 130, 140, 148, 152, 197,214, 221,253, 260, 271 ff., 303 - bei fachgerichtlichen Klagen in Wahlangelegenheiten 157 in Fn. 143, 158 ff., 169, 176 - Definition 158 Rechtsschutzeffektivität 130, 174 - Anforderungen an die im Wahlprüfungsverfahren 279 ff. - Erfordernis rechtzeitigen Rechtsschutzes 159 f., 279 ff. - kein Optimierungsgebot 285 - Konkretisierungen 137, 287 - und Gefahr der „Leerformelhaftigkeit" 287 Rechtsstaatsprinzip 129, 147 - und Verhältnismäßigkeitsprüfiing im Wahlrecht 31 in Fn. 28 Rechtsweggarantie 24, 36, 59, 129 - und Wahlprüfungsverfahren 21, 84, 126 ff., 135 inFn. 55, 137, 138, 147, 274 ff. Reflex - Schutz subjektiver Rechte als 137, 225 in Fn.214, 226 in Fn. 219, 251,252 Reichstag 42, 209 - als Wahlprüfungsinstanz 35 in Fn. 54, 207 in Fn. 120, 209, 210, 211,212,216,217 Reichsverfassung 42, 209, 210, 211,212,216,217, 327 Repräsentation 94 in Fn. 142, 234, 235, 240, 269 - Begriff 236 - formale 237 - materiale 237 - Subjektivierung der 257, 259 Rücknahme einer Wahlprüfungsbeschwerde

- und öffentliches Interesse 104, 107, 322 - und Prozeßmaxime 106, 321 Sachentscheidungen 45, 62 ff., 73,

118 Sachentscheidungsvoraussetzung - Entscheidung des Deutschen Bundestages im Einspruchsverfahren als 290 ff. Schutz subjektiver Rechte im Wahlprüfungsverfahren 31, 36, 37, 59, 76, 122, 137, 141, 163, 197, 201,245,249, 251,252, 260, 287, 295,299,304,313, 314 Selbstauflösung des Bundestages 61, 166 in Fn. 184 Sitzverteilung - Auswirkungen auf die als Maßstab im Wahlprüfiingsverfahren 49, 70, 79, 89, 90, 95,98, 105, 109, 122, 113, 121, 122, 199, 200, 208, 215 inFn. 167, 245, 246, 247, 365 ff., 270, 296, 327, 330 - s.a. Erheblichkeitsgrundsatz Spezielle wahlprüfungsrechtliche Beschwerdeinstanz - Notwendigkeit der Schaffung einer 178 ff. Spezialität - des Wahlprüfungsverfahrens gegenüber Art. 19 Abs. 4 GG 36 in Fn. 62, 84, 132, 133 ff., 147, 160, 162, 181,251,259 in Fn. 395, 274 ff., 285, 289, 294, 302, 308, 342 - gegenüber dem Verfassungsbeschwerdeverfahren 161 Staatsgerichtshof

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- für das Deutsche Reich und Prüfung von Wahlen 218 f. - in Baden-Württemberg 48 - in Niedersachsen 50 Staatsrechtliche Praxis - Bedeutung für die historische Auslegung 204 ff. Staatsqualität der Länder - und Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte 150 ff. Status activus - Wahl als Betätigung im 228 in Fn. 235, 249 Stimmabgabe - nachträgliche Unzulässigkeit der 282 - objektiver Sinn der 28 in Fn. 13 - und Freiheit der Wahl 54, 70 Streitgegenstand - s. Verfahrensgegenstand Subjektive Rechtsverletzung - als Anlaß eines Wahlprüfungsverfahrens 36, 125, 147, 197, 242, 247 - als Gegenstand eines Wahlprüfungsverfahrens 36, 125, 147, 197, 242 Subjektiv-öffentliches Recht - Wahlrechtals 130, 154,224, 226, 229, 295 Subjektives Rechtsschutzinteresse - in Wahlangelegenheiten 31,46 Subsidiarität - bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsbehelfe 277, 278 Substantiierungserfordernis 63, 71, 315 - und Reichweite der Wahlprüfung 317 ff.

Substantiierungslast 43, 61 in Fn. 14, 66, 87, 108, 297,315,316, 317,319, 340 - und Kausalität des Wahlfehlers 90 Substantiierungspflicht - des Beschwerdeführers 108, 109, 292, 297 - des Einsprechenden 43, 90, 292 Suspensiveffekt - fehlender wahlprüfungsrechtlicher Rechtsbehelfe 263 Systematisierung von Wahlfehlern 33, 116 Tenor 185, 252 - einer Wahlprüfungsbeschwerde 214, 288, 289, 308,334 - einer Wahlprüfungsbeschwerde und Vergleich mit Verfassungsbeschwerde 335 ff. Überhangmandate 63 in Fn. 21, 64, 65 in Fn. 30, 77, 78, 165 in Fn. 178 - als Folge des personalisierten Verhältniswahlrechts 78 Überholung - der Ausübung des Wahlrechts durch durchgeführte Wahl 154 in Fn. 123, 159, 160, 281 Unanfechtbarkeit - der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 47, 163 Ungültigkeit der Wahl - bei mandatsrelevanten Wahlfehlern 79,91, 118, 119, 203,211, 252, 263, 269 - bei verfassungswidrigem Wahlgesetz 35 in Fn. 55, 81, 82, 164 Unmittelbarkeit der Wahl 53, 63 in Fn. 21

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Sachregister

Unterscheidung von Staat und Gesellschaft 256 f. Untersuchungsgrundsatz im Wahlprüfungsverfahren 103 in Fn. 181, 323 ff. - Begriff 324 Unterstützungsunterschriften - s. Beitrittserfordernis Unzulässigkeitsgründe - von Wahlprüfungsbeschwerden 60 ff. Urteilsverfassungsbeschwerde 47 Verfahrensautonomie - des BVerfG im Verfassungsprozeß 184 Verfahrensbeteiligte - eines Wahlprüfungsverfahrens 43 f. Verfahrensfunktion - der Wahlprüfung 196 ff. Verfahrensgegenstand - Begriff 184 - doppelfunktionaler 144, 197, 201 ff., 241, 262, 270 f., 295, 308, 329 - doppelfunktionaler des Verfassungsbeschwerdeverfahrens 192, 195, 261, 335 f. - doppelfunktionaler und Beitrittserfordernis 250, 293 ff. - doppelfunktionaler und Entscheidungsformel 334 - doppelfunktionaler und Kostenregelung des § 19 Abs. 1 WahlprüfG 309 - doppelfunktionaler und Offenlassen von Wahlfehlern 332 f., 340 - doppelfunktionaler und Prozeßmaxime 313 ff.

- eindimensionaler 123, 126 inFn. 6, 127, 131, 147, 200, 242 ff.,

261 - rein objektiver der Wahlprüfung 22, 121, 123, 126 f., 135, 170, 197 f. - Sachentscheidung des Bundestages als 188, 196 - und Reichweite der Wahlprüfung 59, 121, 183 ff. - zweigliedriger 191 Verfassungsbeschwerde - Ausschluß in Wahlangelegenheiten 84 f., 127 f., 262 f. - gegen das der Wahl zugrundeliegende Wahlgesetz 45 in Fn. 101, 161,273 - gegen Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte 133, 141, 145 ff., 251,320,332 - gegen Entscheidungen des BVerfG selbst 163 - gegen Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane 83, 85, 121, 185 - und Wahlprüfungsverfahren 83 f., 272 ff. - Unzulässigkeit der nach Durchführung der Wahl 85, 169 Verfassungsmäßigkeit des Wahlgesetzes - Prüfung durch den Bundestag 45, 77 - Prüfung durch das BVerfG 29, 39 in Fn. 73,63 in Fn.21,78, 80 Verfassungsprozeßrecht - Rechtsprechung des BVerfG als Quelle des 77,314 - Verhältnis zu den sonstigen Verfahrensordnungen 190 ff. - Verhältnis zum materiellen Verfassungsrecht 194 f., 241, 312

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Verfassungsrechtliche Streitigkeit - und Maßnahmen und Entscheidungen der Wahlorgane 135 in Fn. 54, 153 ff. Vergleich - Zulässigkeit des im Verfassungsprozeßrecht 184 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz - Geltung des im Wahlprüfungsverfahren 30 f., 31 in Fn. 30 Verletzung des passiven Wahlrechts - und Beschwerdebefugnis 60, 130 in Fn. 33, 152, 300 ff. Verpflichtungsklage - bei Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane 153 in Fn. 123, 156 inFn. 139, 157 Verwaltungsakt - Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane als 156 f., 169 in Fn. 196 Verwerfungskompetenz - des BVerfG in Wahlprüfungsverfahren 102 Vollstreckungsdruck 144, 252 Volksabstimmung - und Wahlprüfungsverfahren 74 f. Volkssouveränität 33, 207, 230, 235, 259, 268 Volkswille - Begriff 235 ff. - Verhältnis zu Mehrheitswillen 268 ff. Vorläufiger Rechtsschutz - und Wahlprüfungsverfahren 166, 167, 168, 279 ff. - s.a. einstweilige Anordnungen Vorverfahren - Einspruchsverfahren vor dem Deutschen Bundestag als 290 ff.

Wahl - als Staatswillensbildung 228, 256 - als Volkswillensbildung 234 ff., 256 - Definitionen 25, 232 - Kreationsfunktion der 233 ff., 254, 262, 270, 288, 330 - Legitimationsfunktion der 200, 225, 232 f., 254, 262, 264, 270, 288,318,330 - Rechtsgrundlagen 25 ff. - Vermutung der Gültigkeit 325, 326, 327 Wahlanfechtung 21, 30 in Fn. 22, 39 - Verfahren bei der 40 ff. Wahlbeeinflussungen 62, 213 - amtliche 29 - private 29 Wahlbehörden 32, 156 Wahlbestandssicherung 223 in Fn. 210, 264, 329 inFn. 676 Wahlergebnisfeststellung - als Wahlfehler 32, 62, 66 ff. Wählerverzeichnis - Beschwerde gegen das 41 - Einspruch gegen das 41 - Nichteintragung in das als Wahlfehler 22 Wahlfehler - absolute 29 in Fn. 22, 218, 219, 269 - Definition 28, 52 - durch sog. „Dritte" 32 - gesetzlich geregelte Fälle 28 - in personaler Hinsicht 32 f. - in sachlicher Hinsicht 28 - Rechtsfolge mandatsrelevanter 56, 117 ff., 220, 284,330 - und Korrektur von Wahlfehlern im Wahlprüfungsverfahren 36, 121 ff.

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Sachregister

- und Verhältnismäßigkeitsprüfung 30 Wahlgeschenke - und sozialadäquates Verhalten 56, 71 f. - und strafrechtlicher Wahlrechtsschutz 56, 70 Wahlgleichheit - s. Gleichheit der Wahl Wahlkampf - und Kostenerstattung 87, 89, 90 f., 199 - und Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung 30 in Fn. 22 Wahlkreiseinteilung - Toleranzgrenze für Abweichung 78 - verfassungswidrige 66, 77 ff. Wahlorgane 86, 97 in Fn. 157, 105 in Fn. 190, 116 in Fn. 231, 123, 124, 156, 169, 175 - als Selbstverwaltungsorgan der Aktivbürgerschaft 32 - Briefwahlvorsteher 32 - Definition 32 - Kreiswahlausschuß 32 - Kreiswahlleiter 32 - Landeswahlausschuß 32 - Landeswahlleiter 32 - Wahlvorsteher 32 Wahlpflicht 54 in Fn. 130, 288 f. Wahlprüfung - als Legitimationsprüfung 33 f., 206 ff. - als Möglichkeit der „Selbstreinigung" des Parlaments 222 - als Rechtskontrolle 34 - Definition 33 - durch Verwaltungsgerichte 52 - Gegenstand der 33, 38, 97, 104, 106, 108, 121 f. - Grundlagen der 24 ff.

-

Herleitung des Rechts zur 33 im engeren Sinne 38 im weiteren Sinne 38 Instanzen bei der 39 f., 51, 84 keine vorverlegte durch das BVerfG 61 - normatives Vakuum der 21 - Rechtsgrundlage der 34 - Rechtsnatur 34 f. - und politische Kontrolle 34 - und Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Wahlgesetzes 29, 45 Wahlprüfungsangelegenheiten - und einstweilige Anordnungen 58 - und Normenkontrollklagen 58 - und Organstreitverfahren 58 - und Verfassungsbeschwerden 58 Wahlprüfungsausschuß 40, 292 Wahlprüfungsbeschwerde - als Anfechtungsklage 35 - als Rechtsinstitut eigener Art 35 - als Rechtsmittel 35 - als Rechtsweg 35 ff. - edukative Funktion der 20 - Mindestanforderungen an hinreiche Begründung 61, 297 Wahlprüfungsgericht 127 in Fn. 7 - beim Reichstag 42, 208, 212 f.,

216 - in Bremen 49 - in Hessen 49 Wahlprüfimgsinstanzen 34, 39 f., 42, 187 - Wahlprüfungsausschuß beim Landtag als 50 Wahlprüfungsorgane 20, 22, 56, 126, 172 Wahlprüfiingsrecht - Definition 52 - Entwicklung des 42 - formelles 28, 39, 40, 341

Sachregister

- Grundlagen 22 - materielles 24, 28, 34, 38, 40, 52, 56, 58, 93, 116, 117, 207, 268, 340 Wahlprüfungsverfahren - als Rechtsweg 84, 275 ff. - landesrechtliche 47 ff. - und Individualrechtsschutz 24, 27, 36, 37, 40, 250 f. - und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 30 - Verhältnis zu Art. 19 Abs. 4 GG 20, 59, 15, 128, 272 ff. Wahlrecht - aktives 54, 130 in Fn. 33, 180, 198, 226 - als Ausformung des Selbstbestimmungsrechts des Individuums 230 f., 259 - als Bewirkungsrecht 27 in Fn. 9, 228 f. - als bloßer Reflex des Verfassungsrechts 20 - als funktionelle Grundlage der Demokratie 225 - als individuelle Teilhaberecht 27, 228 ff., 259 - als Kollektivrecht 27, 224 - als (politisches) Grundrecht 21, 179, 226 ff., 252 - als subjektives Recht 20, 21, 130, 154, 223, 224 ff. - Altersgrenzen im 53 in Fn. 126 - Doppelcharakter des 27, 31, 224, 229 f., 240, 248, 253 ff., 268, 270, 271,288, 295 - objektive Funktionen des 224, 225,231 ff., 296, 298 - objektives 22, 121, 126,243 f. - passives 130 in Fn. 33, 156 in Fn. 136, 146, 148, 155, 198, 226, 300 ff., 341

- Rechtsnatur des 21, 27, 85, 130, 204, 259, 277, 287 - subjektives und Schutzlosstellung 20 - temporäre Entwertung 259, 283 Wahlrechtsgrundsätze 26, 27, 62 - Allgemeinheit der Wahl 53, 55, 63 in Fn. 21 - als allgemeine Rechtsprinzipien bei Wahlen 29 in Fn. 15, 55, 100 - aus Art. 38 GG 29 - Freiheit der Wahl 54,63 in Fn. 21 - Geheimheit der Wahl 54,63 in Fn. 21 - Gleichheit der Wahl 54, 63 in Fn. 21 - Unmittelbarkeit der Wahl 53, 63 in Fn. 21 Wahlrechtsschutz - Entsubjektivierungdes23,125 ff. - strafrechtlicher 55 f. - subjektiver 21, 22, 124 Wahlvorbereitung - als Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens 32, 62, 63, 66, 76 ff., 117 Weimarer Reichsverfassung 42, 208,212,213,214 - und Geltung der Offizialmaxime 43,313,314 Wesentliche Mängel - des Einspruchsverfahrens 44 f. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 184 - keine im Wahlprüfungsverfahren 47 Wiederholungswahl 28, 119, 167 inFn. 191,265,282 Willensbildung - demokratische und Funktion der Wahlprüfung 121, 239, 240 ff. Willkürkontrolle

384

- in Wahlangelegenheiten 26, 304 Wirksamkeit - gerichtlichen Rechtsschutzes 131, 279 in Fn. 475,283

Zählwert - gleicher 54

Sachregister

Zulässigkeit - der Wahlprüfimgsbeschwerde 37,41,75, 84, 86 - des Einspruchs beim Bundestag 41 Zweite Senat - Zuständigkeit in Wahlprüfungsangelegenheiten 40