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German Pages 166 Year 1983
ULRICH SCHROTH
Theorie und Praxis subjektiver Auslegung im Straf recht
Schriften
zur
Rechtstheorie
Heft 107
Theorie und Praxis subjektiver Auslegung im Strafrecht
Von
Dr. Ulrich Schroth
c
e
D U N C K E R
&
H U M B L O T
/
B E R L I N
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schroth, Ulrich: Theorie u n d Praxis subjektiver Auslegung i m Strafrecht / von U l r i c h Schroth. — B e r l i n : Duncker u n d Humblot, 1983. (Schriften zur Rechtstheorie; H. 107) I S B N 3-428-05388-5 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1983 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1983 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 05388 5
Vorwort Der Kommunikation m i t Dr. Ellscheid, Prof. Dr. Hassemer, Prof. Dr. Dr. h. c. A r t h u r Kaufmann und Dr. Neumann verdankt der Verfasser wesentliche Anregungen. Impulse für die Arbeit gingen auch vom Münchner Forschungsprojekt „Rechtsprechungsänderungen" aus, i n dem der Verfasser mitgearbeitet hat. Das Projekt wurde von Prof. Dr. Dr. h. c. A r t h u r Kaufmann, Dr. Neumann und Dr. Schneider geleitet. Die Arbeit Honsells „Historische Argumente i m Zivilrecht" erschien nach Fertigstellung des Manuskriptes und konnte nicht mehr eingearbeitet werden.
Inhaltsverzeichnis 1.
Einleitung
11
2.
Autor und Text in allgemeiner Auslegung und wissenschaftstheoretischer Diskussion
13
2.1.
Intentionalismus, Konventionalismus u n d das Meinen des Autors
13
2.2.
Die Relevanz der Sichtweise des Autors bei der Textinterpretation, dargestellt an den Diskussionsstandpunkten von Schleiermacher, Gadamer u n d Hirsch
23
2.2.1.
Die Hermeneutik Schleiermachers
23
2.2.2.
Die Hermeneutik Gadamers u n d die Notwendigkeit der A u t h e n zität einer Textinterpretation
26
2.2.2.1.
Darstellung
26
2.2.2.2.
Z u r K r i t i k der Gadamerschen Hermeneutik
28
2.2.3.
Die hermeneutische Interpretationslehre v o n E. D. Hirsch
30
2.2.3.1.
Darstellung
30
2.2.3.2.
Stellungnahme u n d K r i t i k
33
3.
Rekonstruktion der neueren Diskussion der subjektiven Auslegung
37
3.1.
Die Auseinandersetzung m i t dem „ w a h r e n " W i l l e n des Gesetzgebers u n d der Sieg des „Willens des Gesetzes"
37
3.2.
Die subjektive Auslegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts
49
3.2.1.
Bierling
49
3.2.2.
Ph. Heck
50
3.2.3.
Stellungnahme
55
3.3.
Die gegenwärtige Diskussion subjektiver Auslegung
58
3.3.1.
Die subjektive Auslegung innerhalb von Auslegungspositionen, die von einer A l t e r n a t i v i t ä t der Zielbestimmtheit der Auslegung ausgehen
58
3.3.1.1.
Darstellung
58
3.3.1.2.
Kritik
61
3.3.2.
Auslegungstheorien, die davon ausgehen, daß die Auslegungsziele „ W i l l e des Gesetzgebers" u n d „ W i l l e des Gesetzes" auf höherer Ebene vereint werden müssen
67
8 3.3.3.
Inhaltsverzeichnis Die subjektive Auslegung innerhalb von Theorien, die A l t e r n a t i v i t ä t von Auslegungszielen bestreiten
die
68
3.3.4.
Funktionsbestimmungen subjektiver Auslegung
71
3.3.5.
Subjektive Auslegung als Verdeutlichungsinstrument des Gesetzes
73
4.
Die Begründetheit Auslegung
76
5.
Systematisierung der Diskussion subjektiver Auslegung
82
5.1.
Der Diskussionsrahmen subjektiver Auslegung
82
der Hauptthesen „gegen" die
subjektive
5.2.
Der Bezugspunkt subjektiver Auslegung
83
5.3.
Die Möglichkeit subjektiver Auslegung
85
5.4.
Wie w e i t ist subjektive Auslegung erlaubt, w i e w e i t ist sie v e r bindlich?
92
5.4.1.
Die Akzeptation subjektiver Auslegung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung
92
5.4.2.
Das Gesetzesbindungspostulat u n d die subjektive Auslegung
94
5.4.2.1.
Sprachphilosophische Präzisierung des Gesetzesbindungspostulats
94
5.4.2.2.
Kritik
96
5.4.2.3.
Das Gesetzesbindungspostulat: Die Forderung, Gesetzgebung u n d Rechtsanwendung als kommunikatives Verhältnis anzusehen
99
5.4.2.3.1. Folgerung: Transparenz des Abweichens v o n der gesetzgeberischen Entscheidung 101 5.4.2.3.2. Folgerung: L e i t l i n i e n f ü r die Abgrenzung berechtigter u n d nicht mehr berechtigter Abweichungen v o m gesetzgeberischen W i l l e n 102 5.4.2.
Subjektive
Auslegung i m
System der
Begrenzungskriterien
strafrechtlicher Auslegung
106
5.4.2.1.
Das sogenannte Analogieverbot u n d dessen K r i t i k
5.4.2.2.
Statt dessen: Begrenzungskriterien strafrechtlicher
106
5.4.2.3.
Subjektive Auslegung als Begrenzungskriterium
6.
Exkurs 1: Die Strafbarkeit der Ersatzhehlerei unter dem Gesichtspunkt der gesetzgeberischen Neufassung des Hehlereitatbestandes 118
6.1.
Die Diskussion u m die Strafbarkeit der Ersatzhehlerei
118
6.2.
Der Tatbestand der Hehlerei i n historischer E n t w i c k l u n g
121
6.3.
Die Diskussion der Großen Strafrechtskommission Neufassung der Hehlerei
Auslegung 110 113
über
die
124
Inhaltsverzeichnis 6.4.
Die Strafbarkeit der Ersatzhehlerei unter dem B l i c k p u n k t der gesetzgeberischen Entscheidung 127
7.
Exkurs 2: Die Auslegung des Begriffes „absetzen" i n § 259 StGB unter dem Gesichtspunkt der gesetzgeberischen Neufassung des T a t bestandes 131
7.1.
Die Diskussion u m den I n h a l t des Begriffes „absetzen"
131
7.2.
Stellungnahme zur Diskussion
145
8.
Zusammenfassung der Hauptthesen der A r b e i t
152
Literaturverzeichnis
154
Abkürzungsverzeichnis AcP AE a. F. AT
Archiv f ü r zivilistische Praxis A l t e r n a t i v - E n t w u r f eines Strafgesetzbuches alte Fassung Allgemeiner T e i l
BGB ' BGH BGHSt BT BT-Drs. BVerfG
Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des B G H i n Strafsachen (amtliche Sammlung) Besonderer T e i l Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht
Fußn.
Fußnote
GA GG GVG
Goltdammer's A r c h i v f ü r Strafrecht Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gerichtsverfassungsgesetz
Hrsg.
Herausgeber
i. d. F. JA JB1 JR JuS JW JZ
i n der Fassung Juristische Arbeitsblätter Justizblatt Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung
MDR
Monatsschrift f ü r Deutsches Recht
n. F. NJW
neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift
OLG
Oberlandesgericht
Prot.
Protokolle der Sonderausschüsse des Deutschen Bundestages f ü r die Strafrechtsreform
Rdnr(n) Randnummer(n) RG Reichsgericht RGSt Entscheidung des R G i n Strafsachen (amtliche Sammlung) SK StGB StPO
Systematischer Kommentar Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung
ZZP
Zeitschrift f ü r Zivilprozeß
1. E i n l e i t u n g Die vorliegende Arbeit thematisiert den Einfluß, den die gesetzgeberische Handlung, die zu einem Gesetz geführt hat, auf den Rechtsanwendungsprozeß hat bzw. haben sollte. Dieser Einfluß w i r d i n der Strafrechtsmethodologie unter dem Gesichtspunkt der Relevan? der subjektiven Auslegung thematisiert. Subjektive Auslegung von Strafrechtsnormen soll daher unter verschiedenen Aspekten aufgeklärt werden. Unter subjektiver Auslegung von Gesetzen w i r d dabei die Auslegungstätigkeit verstanden, die sich als Aufgabe stellt, das mutmaßliche Regelungsverständnis des historischen Gesetzgebers zu reformulieren. Sie bedient sich dabei der Gesetzesmaterialien, insbesondere der amtlichen Begründung des Gesetzes, der Gesetzesgeschichte, eines Problemverständnisses des Gesetzgebers, sowie manchmal auch eines „ K o n textverstehens" von Strafrechtsnormen. Subjektive Auslegung hat, wie noch zu zeigen sein wird, nicht die Aufgabe, den „psychologischen Willen" des Gesetzgebers abzubilden; vielmehr soll innerhalb subjektiver Auslegung die vom Gesetzgeber gezeigte Handlung, die zu einem konkreten Gesetz geführt hat, verstanden werden. Innerhalb allgemeiner auslegungstheoretischer Diskussionen stellt sich eine analoge Problematik. I n welcher Beziehung steht der Autor zu seinem Text? Diese Beziehung w i r d i n der allgemeinen Auslegungstheorie unter drei Aspekten thematisiert. Inwieweit kann das subjektive Meinen des Autors zu einem Text Grundlage für die Bedeutung des Textes sein? Wie kann über subjektive Vorstellungen eines Autors zu seinem Text sinnvoll gesprochen werden? Welche Rolle spielt das Verständnis des Autors von seinem Text bei der konkreten Interpretation des Textes? Die ersten beiden Fragestellungen werden i n der Auseinandersetzung m i t Grice und Wittgenstein diskutiert. Die letzte Frage w i r d i n der Auseinandersetzung m i t Schleiermacher, Gadamer und Hirsch behandelt. M i t dem Gliederungspunkt 3 beginnt die Auseinandersetzung m i t juristischer Rechtsanwendungsmethodologie unter dem Aspekt der Relevanz der gesetzgeberischen Entscheidung. Es w i r d zunächst die glänzende Ausformulierung subjektiver Auslegung durch von Wächter referiert sowie ihre K r i t i k und Weiter-
12
1. Einleitung
führung durch Mittermaier und von Mohl. Die Darstellung des Siegeszugs der Vorstellung, daß bei Auslegung der objektive Wille des Gesetzes zu ermitteln sei, schließt sich an. Z u Beginn des 20. Jahrhunderts hat subjektive Auslegung durch zwei Gelehrte eine beeindruckende Neuformulierung, die bisher kaum rezipiert ist, erfahren: durch Bierling und Heck. Ihre Lehren werden kritisch dargestellt. Der derzeitigen Diskussion subjektiver Auslegung wendet sich die Arbeit i m folgenden zu. Dabei soll insbesondere der Punkt Berücksichtigung finden, daß subjektive Auslegung i n teilweise völlig divergierende Modelle eingepaßt wird. Da i n der Diskussion u m subjektive Auslegung der Stellenwert der Hauptthesen „ f ü r " oder „gegen" subjektive Auslegung nicht hinreichend deutlich ist, setzen w i r uns m i t diesen i n einem besonderen Kapitel auseinander. Schließlich w i r d eine Systematisierung der Diskussion subjektiver Auslegung vorgeschlagen, die auch für die Diskussion anderer Auslegungselemente sinnvoll erscheint. Eine Auslegungsmethodologie muß die Frage beantworten, was der Bezugspunkt subjektiver Auslegung ist, wie sie möglich und inwieweit sie normativ verbindlich ist. Die spezifisch juristische Verbindlichkeit subjektiver Auslegung w i r d besonders unter der Perspektive des Gesetzesbindungspostulats und des „ n u l l u m crimen, nulla poena sine lege"-Grundsatzes behandelt werden. Zum Schluß der Arbeit w i r d an zwei Beispielsfällen die Verbindlichkeit subjektiver Auslegung diskutiert.
2. Autor und Text in allgemeiner Auslegung und wissenschaftstheoretischer Diskussion I n allgemeiner Auslegung und wissenschaftstheoretischer Diskussion w i r d die Beziehung eines Textes zum Autor i n dreifacher Weise thematisiert. Gefragt w i r d zunächst, woher der Text seine Bedeutung erlangt. Kann und darf das „Meinen" des Autors als bedeutungsverleihend angesehen werden? Gefragt w i r d weiter, inwieweit überhaupt sinnvoll von einem „Meinen" des Autors hinsichtlich eines Textes gesprochen werden kann. Schließlich w i r d die Bedeutung dessen, was der Autor gemeint hat, aus der Sicht der allgemeinen Auslegungsmethodologie thematisiert. Die dritte Fragestellung würde sich erübrigen, wenn überhaupt nicht sinnvoll davon gesprochen werden kann, daß ein Autor m i t einem Text etwas „ w i l l " . I n analytischen Bedeutungstheorien werden die beiden ersten Fragestellungen behandelt. Hermeneutische Konzepte diskutieren zumeist nur die dritte Frage. Soweit sie allerdings zu einer Irrelevanz subjektiver Auslegung kommen, bestreiten sie auch die Möglichkeit subjektiver Auslegung. W i r befassen uns zunächst m i t den ersten beiden Fragestellungen. 2.1. Intentionalismus, Konventionalismus und das Meinen des Autors Innerhalb analytischer Bedeutungstheorien lassen sich zwei von ihrer Struktur unterschiedene Konzepte unterscheiden. Der Intentionalismus geht davon aus, daß sich die Bedeutung von Zeichen dadurch konstituiert, daß mit den Zeichen etwas „gemeint" wird. Die Bedeutung von Zeichen richtet sich danach, was der Sprecher bzw. der Autor m i t den Zeichen „meint" 1 . Die Identifizierung dessen, was der Sprecher meint, geschieht dadurch, daß versucht wird, herauszufinden, welche Absicht der Sprecher (Autor) hat, welche Wirkungen er hervorrufen möchte. Die Hauptaufgabe dieses Konzeptes besteht darin, darzulegen, was es heißt, daß m i t einer Äußerung etwas gemeint wird. 1
Kemmerling,
1976, S. 73 ff.; Grice, 1979 a, S. 2 ff.
14
2. A u t o r u n d Text i n wissenschaftstheoretischer Diskussion
Der Konventionalismus dagegen ist der Auffassung, daß die Bedeutung von Zeichen durch den Umgang m i t diesen Zeichen festgelegt wird. Die Bedeutung von Zeichen konstituiert sich durch die Regeln, die für die Zeichen gelten 2 . Das Hauptproblem des konventionalistischen Bedeutungsansatzes liegt darin, den Regelbegriff zu präzisieren 5 . Lassen sich sprachliche Regeln schon dann behaupten, wenn sich sprachliche Regelmäßigkeiten feststellen lassen, oder müssen Regeln wiederum bestimmten Anforderungen genügen? E. v. Savigny erkennt Regeln nur als solche an, wenn die Mitglieder einer Gruppe i n spezifischen Situationen nur selten offen von diesen abweichen. Weiter verlangt er, daß dann, wenn sie abweichen, sie Sanktionen ausgesetzt sind und diese Sanktionen auch i m allgemeinen akzeptiert werden 4 . Die Intentionalisten kennen zunächst nicht einen Begriff der „Bedeutung", sondern unterscheiden zwischen den folgenden Begriffen: 1. „ X " (Äußerungstyp) bedeutet (zeitlos) . . . M i t dieser Beschreibung eines Äußerungstyps w i r d die zeitlose Bedeutung dieses Äußerungstyps beschrieben. Generell gehen die Intentionalisten davon aus, daß viele Begriffe eine „zeitlose" Bedeutung haben können. 2. „ X " (Äußerungstyp) bedeutet hier . . . M i t dieser Formulierung eines Äußerungstyps soll die zeitlose Bedeutung eines Begriffes in der Anwendungssituation dargestellt werden. Diese muß von der generellen zeitlosen Bedeutung unterschieden werden. M i t dieser Charakterisierung von Äußerungstypen w i r d eingefangen, daß Bedeutungen auch „zeitbedingt" sein können. 3. S meint m i t „ X " . . . Diese Formulierung soll die allgemeine tung,
d i e e i n Ä u ß e r u n g s t y p für
eine Person
Bedeu-
hat, charakterisieren.
4. S meint m i t seiner Äußerung „ X " hier, daß . . . Dieser Ausdruck soll die Situationsbedeutung, die ein Äußerungstyp für einen Sprecher hat, darstellen 5 . Die Intentionalisten behaupten nun, daß die zeitlose Bedeutung über die angewandte zeitlose Bedeutung, diese wiederum über die Äuße2 Vgl. zu dieser Diskussion der neueren Bedeutungstheorie i n der analytischen Philosophie die vorzügliche Darstellung von Kemmerling, 1976, 5. 73 ff.; v. Savigny, 1975, S. 149 ff. 3 Vgl. dazu Kemmerling, 1976, S. 82 ff. 4 v. Savigny, 1974, S. 280. Z u diesem Problem k o m m t m a n erst, w e n n m a n davon ausgeht, daß Regeln auch empirisch ermittelt werden müssen. W i t t genstein selbst, auf den dieses Konzept zurückgeht, k ü m m e r t sich nicht darum, w i e Regeln ermittelt werden können. I h m geht es „ n u r " darum, zu sagen, daß dann, w e n n über „Bedeutung" gesprochen w i r d , über die „ V e r wendungsregeln" v o n Äußerungstypen gesprochen werden sollte. 5 Grice, 1979 a, S. 2 ff., dazu ausführlich Dittel, 1979, S. 17 f.
2.1. Intentionalismus, Konventionalismus u n d das Meinen des Autors
15
rungsbedeutung eines Ausdrucks für einen Sprecher und diese schließlich über die angewandte situationsspezifische Bedeutung eines Äußerungstyps für einen Sprecher begründet werden müsse. U m dieses Programm durchführen zu können, muß nun aber die angewandte zeitbedingte Bedeutung eines Äußerungstyps für einen Sprecher präzisiert werden. Grice erklärt die angewandte Situationsbedeutung eines Ausdrucks für einen Sprecher wie folgt: „ E i n Sprecher S hat m i t X etwas gemeint" heißt: „Es gibt eine Zuhörerschaft H, so, daß S X m i t der Absicht geäußert hat, daß 1. H eine bestimmte Reaktion R zeige; 2. H erkenne, daß S (1) beabsichtige; 3. H's Erkenntnis der Absicht (1) einen Grund für H darstelle, (1) zu erfüllen; 4. H erkenne, daß S (2) beabsichtigt; 5. H erkenne, daß S (3) beabsichtigt®." Die Alternative, die Wittgenstein gegenüber Bedeutungstheorien, die „Bedeutung" auf „Meinen" zurückführen, vorschlägt, ist die sogenannte „Gebrauchstheorie" der Bedeutung. Die Bedeutung eines Äußerungstyps ist die A r t und Weise, wie man m i t i h m umgeht: „ M a n kann für eine große Klasse von Fällen der Benützung des Wortes »Bedeutung* — wenn auch nicht für alle Fälle seiner Benützung — dieses Wort so erklären: die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch i n der Sprache 7 ." M i t diesem Bedeutungskonzept lehnt Wittgenstein nicht nur Bedeutungskonzepte ab, die Bedeutung auf „Meinen" zurückführen wollen, sondern auch diejenigen Konzepte, die Bedeutung m i t der Klasse von Gegenständen identifizieren, für die Äußerungsakte stehen 8 . W i t t genstein lehnt m i t dieser Gebrauchstheorie auch jene Bedeutungstheorien ab, die „Bedeutung" m i t dem „gemeinsamen Wesen" von Gegenständen und Sachverhalten identifizieren 9 . Konstituierend für Bedeutung sind vielmehr die Regeln der Anwendung von Äußerungstypen. Die Regeln „bestimmen" sich danach, wie Menschen von diesen Zeichen „übereinstimmend" Gebrauch machen. Sie stehen da wie Wegweiser 10 . Der Wegweiser ist i n Ordnung, wenn « Grice, 1979 b, S. 26. Wittgenstein, 1960 I , § 43. 8 v. Savigny, 1974, S. 17 f. 9 v. Savigny, 1979, S. 19 ff. 10 Wittgenstein, 1960 I , § 85, 7
16
2. A u t o r u n d Text i n wissenschaftstheoretischer Diskussion
er — unter normalen Verhältnissen — seinen Zweck erfüllt 1 1 . Die Aussage, daß es Hegeln für Äußerungstypen gibt, bedeutet, daß sich bei der Sprachverwendung Kriterien der Anwendung sprachlicher Zeichen feststellen lassen 12 . Das K r i t e r i u m der Anwendung eines Äußerungstyps ist dabei das K r i t e r i u m für die Behauptung eines Satzes, i n dem dieser Äußerungstyp richtig verwendet wird 1 3 . Wittgenstein selbst führt aus, daß Kriterien unseren Gebrauch eines Wortes rechtfertigen 14 . Das Erlernen von Bedeutungen einzelner Wörter schließt das Erlernen der Umstände, die den Gebrauch eines Ausdrucks rechtfertigen, ein. Diese Überlegungen Wittgensteins sollen nun auf den Gebrauch eines gesetzlichen Unrechttatbestandes bezogen werden. Die Bedeutung des Unrechttatbestandes konstituiert sich über die A r t und Weise seines Gebrauchs, seiner Verwendung. Der Gebrauch eines Tatbestandes läßt sich normalerweise dahingehend charakterisieren, daß der Rechtsanwendende über Regeln zur Verwendung des Tatbestandes verfügt. Soweit Regeln für die Verwendung eines Tatbestandes feststellbar sind, enthalten diese die Kriterien der Anwendung des Tatbestandes auf spezifische Wirklichkeiten. Für das Vorliegen der Kriterien muß dann der Rechtsanwendende, soweit er den Tatbestand anwenden w i l l , die „Garantie" übernehmen 15 . Die Tatbestandsmerkmale legen nur die Grobstruktur der Anwendungskriterien, für die der Rechtsanwendende die Garantie übernehmen muß, fest. Ein Beispiel: Eine Handlung (H) eines Täters (T) kann nur dann als Hehlerei angesehen werden, wenn sich hinsichtlich des Gutes (X), auf das sich die Handlung bezieht, behaupten läßt: X ist eine Sache; und „ X " ist gestohlen, oder X ist durch ein anderes Vermögensdelikt erlangt. Weiter muß sich hinsichtlich der Handlung (H) des Täters (T) behaupten lassen, Τ hat X sich verschafft, oder Τ hat X einem Dritten verschafft, oder Tat hat X abgesetzt, oder Τ hat X absetzen helfen. Hinsichtlich des Täters (T) muß sich behaupten lassen, Τ hat vorsätzlich gehandelt und Τ hat sich oder 11
Wittgenstein, 1960 I, § 87. Vgl. dazu Hacker, 1978, S. 377 ff. 13 So Hacker, 1978, S. 382. 14 Wittgenstein, 1960 I, §§ 288—289. 15 Vgl. zur Diskussion der „Garantiehandlung" Tugendhat, 1976, S. 254 ff.; das hier vorgetragene Verständnis der Bedeutung als Gebrauch nähert sich dem Verständnis der Bedeutung als „Verifikationsmethode" von Begriffen, ohne dessen Einwendungen ausgesetzt zu sein. Der K e r n der Verifikationstheorie der Bedeutung liegt nämlich darin, Sprache u n d Handeln zu v e r knüpfen. Sprachliche Differenzierungen sind hiernach erst dann bedeutungsvoll, w e n n k l a r ist, was m a n t u n muß, w e n n man Behauptungssätze m i t diesen als „richtig" hinstellen w i l l . Überzogen ist diese Theorie insoweit, als sie Begriffen erst dann „Bedeutung" zusprechen w i l l , w e n n es eine Methode der V e r i f i k a t i o n gibt. Der Begriff der „Methode der V e r i f i k a t i o n " ist zu eng. Nicht f ü r jede Urteilsfähigkeit hinsichtlich eines Begriffes (z.B. Farben) k a n n man den Ausdruck „Verifikationsmethode" verwenden. 12
2.1. Intentionalismus, Konventionalismus u n d das Meinen des Autors
17
Τ hat einen Dritten bereichert. Die vom Gesetzgeber formulierten Grobkriterien der Rechtsanwendung reichen jedoch nach herrschender Rechtsauffassung nicht aus: Der Rechtsanwendende muß auch noch dafür garantieren, daß der Täter i n einverständlichem Zusammenwirken m i t dem Vortäter gehandelt hat 1 6 . Diese Grobstruktur ist jedoch i n vielerlei Hinsicht ergänzungsbedürftig. Die Grobkriterien der Anwendung des Tatbestandes der Hehlerei werden nämlich häufig i n konkreter Rechtsanwendung unklar. Ein Beispiel: § 259 StGB verlangt von demjenigen, der den Hehlereitatbestand annehmen w i l l , daß er behauptet, daß das Hehlgut gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt ist. Ist nun das Hehlgut nicht mehr unmittelbar durch Vermögensstraftaten erlangt, sondern mittelbar, so stellt sich die Frage, ob dann noch die Sache durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete Tat erlangt ist. U m diese Behauptungshandlung sinnvoll wahrnehmen zu können, müssen die Anwendungskriterien des Wortes „durch" präzisiert werden. Die Bedeutung des Wortes „durch" konstituiert sich dann über ein Festsetzen der Anwendungskriterien dieses Wortes. Die herrschende Auffassung i m Strafrecht verlangt, daß das Hehlgut „unmittelbar" aus der Vortat erlangt sein muß 17 . M i t diesem K r i t e r i u m der Verwendung des Merkmals „durch" kann der Rechtsanwendende für eine Reihe von Fällen klar entscheiden, welche Bedingungen gegeben sein müssen, damit der Tatbestand angewendet werden kann. Jedoch tauchen bei spezifischen Sachverhaltsmengen wiederum Schwierigkeiten auf. Wann ist etwa Geld unmittelbar aus der Vortat erlangt und wann nicht? Man kann sich auf den Standpunkt stellen, daß Geld auch dann unmittelbar aus der Vortat stammt, wenn es als Geldsumme identisch ist m i t dem aus der Vortat erlangten, man kann aber auch argumentieren, daß Geld nur dann unmittelbar aus der Vortat stammt, wenn der konkrete Geldschein der Geldschein der Vortat ist 18 . Alle Kriterien der Rechtsanwendung eines Tatbestandes tragen nur einen Teil der Rechtsanwendungsfälle. Sie tragen insoweit, als die Anwendungskriterien, hinsichtlich derer Konsens besteht, es auch zulassen, Sachverhalte gemeinsam zu beurteilen. Sie sind ungenügend, wenn mit ihnen Sachverhalte unterschiedlich „gemessen" werden. „ Z u r Übereinstimmung i n der Sprache gehört nicht nur eine Übereinstimmung i n den Definitionen, sondern (so seltsam dies klingen mag) eine Übereinstimmung i n den Urteilen . . . Eines ist, die Meßmethode zu beschreiben, ein anderes, Meßergebnisse zu finden und auszusprechen. 16
Vgl. dazu Dreher / Tröndle, 1981, Rdnr. 4 zu § 259 StGB. Vgl. dazu statt aller Wessels, 1980, S. 129 ff. 18 Vgl. zu diesem Streit i n der Rechtswissenschaft einerseits Wessels, 1980, S. 129 ff., andererseits Roxin, 1965, S. 469. 17
2 Schroth
18
2. A u t o r u n d T e x t i n wissenschaftstheoretischer Diskussion
Aber was w i r „messen" nennen, ist auch durch eine gewisse Konstanz der Meßergebnisse bestimmt 1 9 ." Die Gebrauchstheorie der Bedeutung erscheint als Bedeutungstheorie von Normen angemessen. Sie zeigt zunächst, daß selbst der sprachlichen Formulierung von Normen bereits „Bedeutung" zukommt. Tatbestandsmerkmale sind insoweit bedeutungsvoll, als klar ist, wie man ihnen folgen soll. Dies ist dann der Fall, wenn man weiß, welcher Sachverhalt, bezogen auf einen zu beurteilenden Fall, festgestellt werden muß, damit das Tatbestandsmerkmal als erfüllt angesehen werden kann. Während intentionalistische Modelle der Bedeutung dazu führen, Gesetzesanwendung rein gesetzgeberbezogen zu sehen, sind „konventionalistische" Modelle offener. Sie lassen es auch zu, Rechtsnormen unter der Perspektive des Anwenders, des Gesetzgebers, der Gesellschaft etc. zu verstehen. Soweit nämlich behauptet wird, daß die Bedeutung von Rechtsnormen sich über den Gebrauch von Rechtsnormen konstituiert, ist damit noch nicht gesagt, daß die sprachlichen Zeichen der Norm immer nach den Regeln des „Alltagsgebrauchs" verwendet werden müssen. Konventionalistische Theorien gehen davon aus, daß Regeln der Verwendung von Äußerungstypen auch festgesetzt werden müssen. Dies aus folgendem Grund: Wie gezeigt, tragen die Kriterien der A n wendungstypen nur eine gewisse Zeit. Kriterien von Äußerungstypen sind nur insoweit „bedeutungsvoll", als klar ist, wie man diesen K r i t e rien folgen soll. Soweit diese Kriterien nicht mehr ausreichen, müssen neue Kriterien eingeführt werden. Der wirkliche Gebrauch eines K r i teriums hat häufig etwas „Fluktuierendes" an sich 20 . Dieses Fluktuieren entsteht dadurch, daß w i r derartige Kriterien immer nur unter „Normalbedingungen" erlernen 21 . Man kann die Normalbedingungen, unter denen w i r eine Sprache gelernt haben, nicht aufzählen, aber wenn ein Umstand den Gebrauch von speziellen sprachlichen Ausdrücken zweifelhaft macht, kann gezeigt werden, wie dieser Umstand von dem gewöhnlichen abweicht 22 . Man könnte sich sogar auf den Standpunkt stellen, die Sprachverwendung von Normen sei immer an besondere Bedingungen gebunden, da an diese Rechtsfolgen geknüpft sind. Es darf vermutet werden, daß mit der Verwendung der Kategorie des „Zwecks einer Norm" i n praktischer Begründungstätigkeit „ f ü r " oder „gegen" Auslegungshypothesen besondere Bedingungen der Normverwendung eingebracht werden sollen. Ob und inwieweit Regeln der Verwendung von Tatbestandsmerkmalen festgesetzt werden dürfen, obwohl Ver19 20 21 82
Wittgenstein, Wittgenstein, Wittgenstein, Wittgenstein,
1960 1960 1960 1960
I, § 242. I V , § 36. I V , § 117. I V , § 118.
2.1. Intentionalismus, Konventionalismus u n d das Meinen des Autors
19
wendungsregeln feststellbar sind, ist allerdings eine Frage, die normat i v beantwortet werden muß. Festgestellt werden Regeln dann, wenn aufgrund empirischer Verfahren i n der Gesellschaft gebräuchliche Regeln ermittelt werden. Festgesetzt werden sie, wenn aufgrund normativer Überlegungen bestimmte Verwendungsregeln, unabhängig von existenten Regeln, als sinnvoll behauptet werden. Geht man aber davon aus, daß Regeln des Gebrauchs einer Norm auch festgesetzt werden müssen, zumindest soweit umgangssprachliche Verwendungsregeln unklar sind, so muß auch diskutiert werden, unter welcher Perspektive dies zu erfolgen hat. Eine der möglichen Perspektiven wäre die Festsetzung von Sprachregeln unter dem Gesichtspunkt des mutmaßlichen Regelungsverständnisses des Gesetzgebers. Noch einmal zurück zu einem intentionalistischen Verständnis der Bedeutung von Rechtsnormen: Eine intentionalistische Auffassung von Bedeutung könnte sicherlich eine subjektive Auslegungstheorie fundieren. Bedeutungskonstituierend für eine Rechtsnorm wäre dann zunächst einmal das situationsspezifische Meinen des historischen Gesetzgebers. Von diesem ausgehend wäre die „zeitlose" Bedeutung einer Rechtsnorm zu ermitteln. Fraglich ist jedoch bereits, ob es tatsächlich gelingt, die Situationsbedeutung eines Äußerungstyps für den Gesetzgeber i n eine zeitunabhängige Bedeutung der Rechtsnorm zu überführen 23 . Was ist, wenn sich eine Situationsbedeutung eines Äußerungstyps für den Gesetzgeber nicht erkennen läßt? Muß man dann davon ausgehen, daß dieser Äußerungstyp „bedeutungslos" ist? Wie ist es zu verarbeiten, daß sich divergierende Situationsbedeutungen des Gesetzgebers hinsichtlich der gleichen Begriffe i n verschiedenen Gesetzen feststellen lassen? Es scheint dann unmöglich, daß „Situationsbedeutungen" i n zeitlose Bedeutungen überführt werden können. Auch die K r i t i k , die Tugendhat an Grice geübt hat, schlägt durch. Grice versteht die Bedeutung eines Äußerungstyps generell kommunikativ; jedoch stellt sich bei i h m „Bedeutung" einseitig her. Der Adressat einer Kommunikationshandlung ist nämlich Objekt einer „beabsichtigten Wirkung" 2 4 . A u f die Rechtswissenschaft übertragen, würden nach dem Modell von Grice sich die Bedeutungen von Rechtsnormen zwar kommunikativ konstituieren, jedoch wären i n dieser Kommunikation die Rechtsanwendenden Objekte einer beabsichtigten Wirkung des Gesetzgebers 25. Die Rechtsanwendenden wären damit als Befehlsempfänger verstanden. Mag dies auch partiell eine durchaus adäquate Vorstellung sein, so 23
Vgl. dazu Grice, 1969 c, S. 85 ff. So richtig Tugendhat, 1976, S. 269 ff. 25 Z u r Kommunikationsstruktur zwischen Gesetzgeber u n d wendenden Baden, 1977, S. 197 ff. 24
2*
Gesetzesan-
20
2. A u t o r u n d Text i n wissenschaftstheoretischer Diskussion
würde doch damit ausgeblendet, daß innerhalb der Rechtsanwendung Gesetze auch mit neuen Erfahrungen konfrontiert werden. Der Rechtsanwendende muß dann wenigstens partiell die Möglichkeit haben, Gesetzen „neue" Bedeutungen zuzuschreiben 26 . Innerhalb eines funktionierenden Kommunikationsverhältnisses zwischen Gesetzgebung und Rechtsanwendenden hat der Gesetzgeber dann ja wiederum die Möglichkeit, die Rechtsanwendenden durch Erlaß neuer Gesetze zu korrigieren. Es bleibt auch das Argument von Wittgenstein, daß dann, wenn man m i t Intentionen „Bedeutung" konstituieren w i l l , es möglich sein muß, Intentionen als unabhängigen A k t zu vollziehen. Wittgenstein zeigt an verschiedenen Sprachspielen, daß dies nicht möglich ist 2 7 . Es müßte beispielsweise möglich sein, etwas zu meinen, ohne es auszusprechen, ohne es sprachlich zu fassen. I n einigen fiktiven Dialogen demonstriert Wittgenstein die Unmöglichkeit, Akte des Meinens sprachunabhängig zu vollziehen 28 . Ein prinzipieller Einwand dagegen, daß mit Intentionen Bedeutungen festgelegt werden, ergibt sich auch aus der folgenden Überlegung: Läßt sich überhaupt ein konkretes situationsspezifisches „Meinen" ohne die „Regeln" der Verwendung eines Äußerungstyps feststellen 29 ? Ist dies unmöglich, was zu vermuten ist, so w i r d die Gricesche Bedeutungstheorie zirkulär. Man kann Sprecherabsichten nur erkennen, wenn man davon ausgeht, daß der Sprecher sich an spezifische Konventionen hält 3 0 . Es wurde gezeigt, daß es zumindest i n der Rechtswissenschaft nicht sinnvoll ist, davon auszugehen, daß Intentionen „Bedeutungen" konstituieren. Weiter wurde demonstriert, daß es auch i n konventionellen Bedeutungstheorien notwendig ist, „Regeln" der Verwendung von Äußerungstypen festzusetzen. Es wurde dann behauptet, daß dies auch über das Regelungsverständnis des Gesetzgebers erfolgen könne. Fraglich ist jedoch dann, i n welcher A r t von einem „ W i l l e n des Autors", von einem „Willen des Gesetzgebers" gesprochen werden kann. Ginge man davon aus, daß Beschreibungen wie „der Autor w i l l " oder „der Gesetzgeber w i l l " eine Widerspiegelung geistiger Akte sein sollen, so bestünden Zweifel, wie eine solche Beschreibung geleistet werden könnte. Wann 28
Vgl. dazu Kap. 5.4.2.3. Siehe dazu Wittgenstein, 1960 I, § 552, § 665, S. 16. 28 Wittgenstein, 1960 I, § 540. 29 Welker, 1970, S. 569 ff. Bennett hat inzwischen versucht, diesem E i n w a n d Rechnung zu tragen, indem er Intentionen an Konvention gebunden hat, Bennett, 1979, S. 191 ff. I m eigentlichen Sinne w i r d der Intentionsbegriff nicht mehr benützt zur E x p l i k a t i o n der Bedeutung von Begriffen, sondern zur Erklärung, w i e es zu einem gemeinsamen Sprachgebrauch k o m m t ; dazu sehr plausibel Koch / Rüßmann, 1982, § 16, 3. 30 So Searle , 1965, S. 221 ff. 27
2.1. Intentionalismus, Konventionalismus u n d das Meinen des Autors
21
kann man sinnvollerweise davon reden, daß ein geistiger A k t mit einer Beschreibung widergespiegelt wurde? Wie könnten außerdem „geistige Akte" von Kollektivpersönlichkeiten abgebildet werden? Es würde nicht genügen, daß gezeigt würde, daß sich ein geistiger A k t i n einer Person vollzogen hat. Es müßte gleichzeitig dargestellt werden, daß sich die geistigen Akte bei einer Mehrzahl von Personen vollzogen haben. Die Vorstellung eines „geistigen Aktes", der abzubilden sei, ist jedoch inadäquat. Verben wie „wollen" und „meinen" gehören zur gleichen grammatikalischen Klasse wie die Verben „laufen" und „springen". Man vermutet i n beiden Fällen eine körperliche Tätigkeit, findet i m ersten Fall keine solche vor und schließt dann auf eine geistige Tätigkeit: Wo unsere Sprache uns einen Körper vermuten läßt und kein Körper ist, dort, möchten w i r sagen, sei ein Geist 31 . Der Geist läßt uns dann nach der Möglichkeit der Abbildung des Geistes suchen. Wittgenstein hat überzeugend demonstriert, daß die Vorstellung, es gebe geistige Akte, die sprachlichen Äußerungen zugrunde liegen, inadäquat ist. Es gibt nämlich keine Möglichkeit, geistige Akte selbständig zu identifizieren. A n verschiedenen Sprachspielen demonstriert Wittgenstein dies. Er fordert beispielsweise auf, den Satz „Es w i r d bald aufhören, zu regnen" nur zu meinen, ohne ihn i n Sprachform zu gießen. Dies ist unmöglich 32 . Weiter: Nehmen w i r an, es gebe diesen von einem Äußerungsakt unterschiedenen A k t des „Meinens", so stellt sich doch die Frage, i n welchem zeitlichen Verhältnis beide Vorgänge zueinander stehen. Meint man Worte, bevor man sie ausspricht, während man sie ausspricht oder nachdem man sie ausgesprochen hat 3 3 . Kann man aber eine derartige Differenzierung nicht treffen, so gibt es auch keine Selbständigkeit des geistigen Aktes. Einen weiteren K r i t i k p u n k t an der Lehre der Selbständigkeit des geistigen Aktes entnimmt Wittgenstein dem Phänomen, daß nicht immer mit sprachlichen Äußerungen Bewußtseinsvorgänge verbunden sein müssen. „Wenn ich einen die Bildung der Reihe . . . lehre, meine ich doch, er soll an der hundertsten Stelle schreiben. — Ganz richtig: du meinst es. Und offensichtlich auch ohne daran zu denken 34 ." Von der geistigen Tätigkeit zu sprechen, ist für Wittgenstein genauso inadäquat, wie von der Tätigkeit der Butter zu reden, wenn sie i m Preis steigt. Ist die K r i t i k an der Vorstellung, daß m i t Begriffen wie „meinen" und „wollen" selbständige geistige Tätigkeiten widergespiegelt werden soll, 31 32 33 34
Wittgenstein, Wittgenstein, Wittgenstein, Wittgenstein,
1960 1960 1960 1960
I, I, I, I,
§ § § §
36. 540. 661. 693.
22
2. A u t o r u n d T e x t i n
issenschaftstheoretischer Diskussion
richtig, so braucht auch nicht dargelegt zu werden, wie sich diese geistigen Akte abbilden lassen. Die Gebrauchstheorie der Bedeutung legt es nun nahe, auch das „Wollen" eines Autors konventionell zu verstehen. Dies bedeutet, es geht beim Erschließen eines „Willens" nicht darum, spezielle Bewußtseinsakte des Autors abzubilden, vielmehr soll hierbei aufgrund spezifischer Kriterien dem Autor ein bestimmter Wille zugeschrieben werden. Soweit i n der Praxis der Interpretation von einem Willen des Autors gesprochen wird, werden spezielle Sprachspiele „gespielt" 8 5 . W i r d erklärt, was ein Autor wollte, so w i r d häufig versucht, die Verbindung zwischen verschiedenen sprachlichen Ausdrücken herzustellen. Ausdrücke des Autors, die nicht Textinhalte sind, werden i m Hinblick auf den Text verstanden. Die Ausdrücke, die nicht Teil des Textes sind, werden ihrerseits aber wieder konventional verstanden. Man sollte jedoch die Sprachspiele, die m i t den Begriffen des „Meinens" und des „Wollens" des Autors betrieben werden, nicht nur i m Hinblick auf andere Äußerungen des Autors sehen. Verstanden w i r d i n Sprachspielen, die einen Text unter der Perspektive des Wollens eines Autors präzisieren, nicht nur eine andere Äußerung des Autors zum Text. Vielmehr werden i n derartigen Sprachspielen auch häufig Äußerungen des Textes aus Handlungssituationen heraus verstanden. Die Begriffe des Textes werden dann als Antworten i n einem gegebenen Problemkontext verstanden 36 . Ein Beispiel: Staatsgeheimnisse i m Sinne von § 93 StGB sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheimgehalten werden müssen. Der Begriff der „Zugänglichkeit" i n § 93 StGB gewinnt eine völlig andere Bedeutung, als er i n normalen Verwendungszusammenhängen hätte, wenn man weiß, daß es mit diesem Begriff dem Gesetzgeber um die Abschaffung der „Mosaiktheorie des Staatsgeheimnisses" ging 37 . Es schließt sich die Frage an, ob sich aus einer allgemeinen Auslegungsmethodologie auch Kriterien dafür erarbeiten lassen, wie weit Texte unter der Perspektive des Autors
35
Wittgenstein, 1960 I V , § 7. Vgl. dazu Neumann, 1978, S. 82 ff.; i m Anschluß an Burckhardt , 1936, S. 62 ff. 87 M i t diesem Begriff sollen jedermann zugängliche Tatsachen als mögliche Staatsgeheimnisse i. S. v. § 93 StGB ausscheiden. N u r u m diese Ausschließung ging es dem Gesetzgeber. Es läßt sich daher nicht argumentieren, daß dann, w e n n Staatsgeheimnisse bereits vorverraten sind, diese nicht mehr Staatsgeheimnisse sein können, da diese dann mehr als n u r einem begrenzten Personenkreis zugänglich wären. Dies w o l l t e der Gesetzgeber nicht. Der Landesverrat (§ 94 StGB) w ü r d e damit unterlaufen, da jeder Landesverräter, ohne daß dieses widerlegt werden könnte, sich genau darauf berufen würde. Vgl. dazu Prot. V 12, 67 ff., BT-Drs. V 2860, S. 15 f. 36
2.2. Die Sichtweise des Autors bei der Textinterpretation
23
gesehen werden sollen. Die Frage soll an den Diskussionsstandpunkten von Schleiermacher, Gadamer und Hirsch diskutiert werden. 2.2. Die Relevanz der Sichtweise des Autors bei der Textinterpretation, dargestellt an den Diskussionsstandpunkten von Schleiermacher, Gadamer und Hirsch 2.2.1. Die Hermeneutik Schleiermachers
Schleiermacher wies dem Textinterpreten die Aufgabe zu, die „individuelle Allgemeinheit" eines Textes zu rekonstruieren 38 . Damit soll zweierlei ausgedrückt sein. Textinterpretation soll, nach Auffassung von Schleiermacher, nicht auf das Verständnis des Textes reduziert werden. Textverständnis hat aber immer vor dem Hintergrund des Textverständnisses des Autors stattzufinden. Die Hermeneutik Schleiermachers ist dabei als Abkehr von der Hermeneutik des Mittelalters, der Lehre des vierfachen Schriftsinns, zu verstehen. Hiernach werden m i t Sprache Sachverhalte mitgeteilt, i n ihr drückt sich eine Gesinnung aus, sie nimmt den „Empfänger" i n Anspruch, und sie stiftet Gemeinsamkeit. Schleiermacher war von dem Gedanken getragen, daß diese Hermeneutik willkürlicher Interpretation keinen Einhalt gebieten konnte. Die Auffassung, daß Texte Mißverstand bereiten können, war bei Spinoza noch eine Erscheinung am Rande, bei Schleiermacher steht sie i m Mittelpunkt der hermeneutischen Texttheorie. Hermeneutik wurde jetzt als die Kunst verstanden, Mißverstand zu vermeiden. Schleiermacher entwickelte seine hermeneutische Theorie aus einer Theorie des Textes. Texte, die zu verstehen sind, sind individuelle Texte. I n der Individualität eines Textes ist nach Schleiermacher zugleich Gewöhnliches und auch „Genialisches" manifestiert 39 . Genialisches ist dadurch gekennzeichnet, daß es Neues schafft, regelgebend ist. Aufgabe jeden Verstehens ist es, das Genialische eines Textes nachzuvollziehen. Von dieser Theorie des Textes ausgehend, hatte Auslegung bei Schleiermacher zwei Seiten: Einmal hat der Interpret die Aufgabe, sich i n die Individualität des Textes hineinzuversetzen. Zum andern war dem Interpreten die Aufgabe gestellt, den Text als sprachlichen Zusammenhang zu rekonstruieren. 38 39
So Frank, 1977, V o r w o r t , dazu Schleiermacher, Schleiermacher, 1836, S. 173 ff.
1836, S. 40 ff.
24
2. A u t o r u n d Text i n wissenschaftstheoretischer Diskussion
Diesen zweiten Aufgabenbereich beschrieb Schleiermacher i m A n schluß an Ast wie folgt: Der Interpret muß das einzelne Wort i n den Kontext eines Satzes einordnen, den Satz wiederum i n eine Satzgruppe stellen, die Satzgruppe i n den Text eines literarischen Werkes. Dieser Prozeß vollzieht sich nicht nur dadurch, daß vom Einzelnen zum Allgemeinen aufgestiegen wird, sondern auch dadurch, daß das Einzelne wiederum durch das Allgemeine korrigiert wird. Das Verstehen vollendet sich, wenn das Verstehen des Autors m i t dem Verstehen der Sprachlichkeit des Textes eine Einheit bildet. Schleiermacher stellte nun sowohl für die Rekonstruktion des Textes als sprachlichen Zusammenhang als auch für die Rekonstruktion unter der Perspektive des Autors Auslegungskanones auf. Die wichtigsten Auslegungskanones für die Rekonstruktion eines Textes als sprachlicher Zusammenhang lauteten: Alles, was i n einem Text noch einer näheren Bestimmung bedarf, darf nur aus dem Verfasser und seinem ursprünglichen Publikum gemeinsamen Sprachgebiet bestimmt werden 40 . Der Sprachsinn muß bestimmt werden durch die Worte, die das zu bestimmende Wort umgeben 41 . Für die subjektive (psychologische) Auslegung formulierte Schleiermacher ebenfalls Kanones. Der Interpret hat zunächst die Aufgabe, die Sprache, die der Autor vorfand, zu rekonstruieren und die textrelevanten „Meinungen" zur Zeit der Abfassung des Textes darzustellen 42 . Dieser Kanon sollte die Voraussetzung für subjektive Interpretationen überhaupt erst schaffen. Sodann sollen divinatorische 43 und komparative Elemente zur Geltung gebracht werden. Divinatorische Elemente können dabei als einfühlende Elemente verstanden werden. Der Interpret soll sich i n die Psyche des Autors hineinversetzen. Das komparative Element beim subjektiven Verstehen soll durch „Vergleich" m i t anderen Werken des Autors das Individuelle eines Textes herausarbeiten 44 . I n einem weiteren Kanon verlangt Schleiermacher, daß der Interpret den „Willen", der einem Text zugrunde liegt, zu berücksichtigen hat.
40 41 42 48 44
Schleiermacher, 1836, S. 41 ff. Schleiermacher, 1836, S. 54 f. Schleiermacher, 1836, S. 146. Dieser Ausdruck w i r d von Schleiermacher Schleiermacher, 1836, S. 146.
benützt.
2.2. Die Sichtweise des Autors bei der Textinterpretation
25
Hierbei soll der Interpret den Adressaten eines Textes feststellen und sich überlegen, welche Wirkung auf diesen erzielt werden sollte 45 . Nach Auffassung von Schleiermacher soll der Interpret auch innerhalb der subjektiven Auslegung herausarbeiten, welche leitenden Prinzipien den Autor zu einem Text veranlaßt haben 48 . Dabei ist insbesondere herauszufinden, was den Autor zu einer bestimmten sprachlichen Konstruktion veranlaßt hat. Ein weiterer Kanon verlangt vom Interpreten, den „ S t i l " eines Textes „zu erkennen". Stil darf dabei nicht zu eng verstanden werden. Stil bedeutet die Auffassung eines Autors hinsichtlich eines Gegenstandes47. Aufgabe subjektiver Auslegung ist es weiter, die „Kontinuität des Bewußtseins" bei der Entstehung eines Werkes zur Geltung zu bringen 48 . Damit soll gesagt sein, daß ein Einzelwerk eines Autors zu seinen übrigen Werken „passen" muß. Die Kanones von Schleiermacher sind deutlich von dem Interesse getragen, eine Textinterpretation möglichst an den Autor zurückzubinden. Alle Kanones zur Textinterpretation aktualisieren unter jeweils unterschiedlichen Aspekten ein Textverständnis unter der Perspektive des Autors, auch die grammatikalischen. Die grammatikalische Auslegung sollte nicht irgendwelche, sondern die Sprachregeln, die der Text vorfand, rekonstruieren. Der Autor w i r d diese möglicherweise verwendet haben. Weiter sollen innerhalb der grammatikalischen Auslegung die konkreten Kontextbedeutungen eines Äußerungstyps ermittelt werden. Die Pflicht zur Ermittlung einer Kontextbedeutung aktualisiert ebenfalls ein Verständnis des Textes unter der Perspektive des Autors. Nicht der Text selbst, sondern der Autor hat den Kontext gesetzt. Innerhalb subjektiver Auslegung aktualisiert Schleiermacher auch andere autorbezogene textrelevante Verstehensperspektiven: Es muß herausgearbeitet werden, welche Auffassung m i t einem Text zu divergierenden Zeitmeinungen abgegeben wurde. Weiter soll auch das Äußerungsinteresse des Autors transparent gemacht werden. Die Schleiermacherschen Kanones zur subjektiven Auslegung zeigen zunächst, daß es nicht ein Verständnis des Textes unter der Perspektive des Autors gibt, vielmehr greifen unterschiedliche Sichtweisen ineinander. Die Ausformulierung der Kanones zeigt weiter, daß Textverstehen die Authenzität der Gedanken, die i n einen Text eingegangen sind, 45 46 47 48
Schleiermacher, Schleiermacher, Schleiermacher, Schleiermacher,
1836, 1836, 1836, 1836,
S. 147 f. S. 143 ff. S. 143 ff. S. 143 ff.
36
2. A u t o r u n d T e x t i n wissenschaftstheoretischer Diskussion
garantieren soll. Als w i l l k ü r l i c h w i r d ein Textverstehen angesehen, das lediglich eigene Inhalte an den Text heranträgt. 2.2.2. Die Hermeneutik Gadamers und die Notwendigkeit der Authenzität einer Textinterpretation 2.2.2.1.
Darstellung
Nach Auffassung von Gadamer beschreibt Schleiermacher den Prozeß des Verstehens i n zweierlei Hinsicht inadäquat: Von der subjektiven Seite aus ist der Prozeß des Verstehens bei Schleiermacher inadäquat dargestellt, da w i r uns nicht i n die Psyche des Autors hineinversetzen können. Vielmehr denken w i r uns i n die Perspektive ein, aus der ein Autor zu einem konkreten Text veranlaßt wurde 4 9 . Von der objektiven Seite aus beschreibt Schleiermacher den Prozeß des Verstehens ebenfalls fehlerhaft. Für Schleiermacher ist Textinterpretation das „Wiedererkennen" eines spezifischen Sinnes. Verstehen eines Textes ist jedoch geleitet von einem Einverständnis i n der Sache50. Diesen Gesichtspunkt bringt Schleiermacher nach Auffassung von Gadamer nicht genügend zum Ausdruck. I n Alternative zu Schleiermacher beschreibt Gadamer nun das Verstehen eines Textes als dauerhaft vom Vorverständnis des Interpreten bestimmt 5 1 . Der Begriff des Vorverständnisses faßt die Heideggerschen Begriffe „Vor-Sicht", „Vor-Habe" und „Vor-Griff" zusammen 52 . Der Interpret versteht m i t „Vor-Sicht" deswegen, weil er das Verstehen auf etwas h i n ausrichtet. M i t dem Verstehen ist gleichzeitig ein Interesse am Verstehen verbunden. Damit geraten bei unterschiedlichen „Verstehensversuchen" jeweils spezifische Perspektiven eines Textes i n den Vorder« bzw. i n den Hintergrund. „Vor-Habe" konstituiert Textverstehen, da w i r jeden Text, indem w i r i h n uns zueignen, einem Bewandtniszusammenhang zuordnen. W i r haben m i t dem Text etwas vor, wenn w i r i h n verwenden. Der Begriff „Vor-Griff" beim Verstehen bezeichnet die Tatsache, daß der Verstehende einen Text hinsichtlich seiner eigenen Begrifflichkeit versteht 53 . 49 60 61 52 58
Gadamer , 1975, S. 172 ff. Gadamer , 1975, S. 172 ff. Gadamer , 1975, S. 250 ff. Heidegger, 1953, S. 141 ff. u n d S. 336 ff.; Frank, Dazu ausführlich Frank, 1977, S. 20 ff.
1977, S. 19 ff.
2.2. Die Sichtweise des Autors bei der Textinterpretation
27
Durch das Vorverständnis, das die Textinterpretation leitet, ist nun jede Interpretation eines Textes zugleich Applikation des Textes auf die derzeitige Bewußtseinslage des Interpreten. Damit w i r d deutlich, wieso der hermeneutische Zirkel bei Gadamer als ein Ineinanderspielen der Bewegung der Überlieferung und der Bewegung des Interpreten verstanden wird 5 4 . Durch das Vorverständnis w i r d der Text i n der Auseinandersetzung des Interpreten ein jeweils anderer. Durch die neu herangetragenen Erfahrungen verändert er sich „innerhalb" des Auslegungsprozesses. Verstehen ist deshalb für Gadamer niemals reproduktives, sondern immer auch produktives Verhalten. Bei Gadamer gibt es i m Verstehensprozeß immer zwei Erfahrungswelten: Die Erfahrungswelt, i n der der Text geschrieben wurde, und die Erfahrungswelt, i n der der Interpret steht. Ziel des Verstehens ist es, die Erfahrungswelten zu verschmelzen 55 . Der Zeitabstand zwischen Text und Interpreten macht die eigentlich kritische Frage der Hermeneutik lösbar, nämlich das „wahre" Vorverständnis, m i t dem w i r verstehen, von dem zu trennen, m i t dem w i r „ miß ver stehen". Die Suspendierung des eigenen Vorverständnisses geschieht dadurch, daß es i n Form einer Frage an den Text herangetragen wird. Das eigene Vorverständnis bringt sich dadurch ins Spiel, daß es selbst auf dem Spiel steht 56 . Die Hermeneutik Gadamers verlangt normativ vom Interpreten, die Diskrepanzen der Erfahrungswelten bei seinen Verstehensversuchen mitzudenken, wirkungsgeschichtliches Bewußtsein zu haben 57 . Weiter verlangt Gadamer vom Interpreten „Applikationsbewußtsein". Der Interpret muß also wissen, daß das Verstehen des Textes immer auch ein Anwenden des Textes auf heute ist 58 . Weiter muß der Interpret sich bewußt sein, daß sein eigenes Vorverständnis nur als Hypothese ins Spiel gebracht werden darf. Der Interpret muß fähig sein, sein Vorverständnis zu revidieren. 54 Vgl. dazu Gadamer, 1975, S. 250 ff.; zur juristischen Rezeption vgl. Kaufmann, 1972 b, S. 338 ff. u n d 1973 a, S. 7 ff.; Esser, 1972, S. 136 ff.; Hassemer, 1968, S. 84 ff. u n d Hruschka, 1972. 55 Gadamer , 1975, S. 275 ff.; vgl. auch Hinderling, 1971, S. 13 ff. 56 Gadamer, 1975, S. 284 ff. 57 Gadamer, 1975, S. 275 ff. 58 Gadamer, 1975, S. 290; zur juristischen Problemstellung Wieacker, 1970, S. 326 ff. u n d Betti, 1969, S. 214.
28
2. A u t o r u n d T e x t i n wissenschaftstheoretischer Diskussion 2.2.2.2. Zur Kritik
der Gadamerschen
Hermeneutik
Die Hermeneutik Gadamers kann als der radikalste Versuch verstanden werden, Textverstehen ohne Rückbezug zum Autor zu leisten. Verstehen ist für Gadamer nicht Wiederverstehen eines Autors, sondern Neuverstehen. Drei Strukturmomente scheinen diese These von Gadamer plausibel zu machen. Textverstehen ist immer auch bestimmt durch das Vorverständnis des Interpreten. I m Textverstehen liegt immer zugleich auch ein Anwenden auf heute. Der Zeitabstand zwischen Text und Interpreten h i l f t uns, die wahren Vorverständnisse, m i t denen w i r verstehen, von denen zu trennen, mit denen w i r mißverstehen. Die Hermeneutik Gadamers macht zunächst deutlich, daß konkrete Textinterpretation immer auch einen Sinn an den Text heranträgt, den der Autor mit dem Text nicht intendierte. Verstehen ist immer auch schöpferische Tätigkeit. Der Text liefert, wie Frank dies formuliert hat, die Partitur, der, der sie aufführt, ist nicht der Autor, sondern der Leser 59 . Der Nachweis der „Vorverständnisbedingtheit" des Verstehens vermag jedoch nicht zu begründen, daß Texte nicht auch unter der Perspektive des Autors zu rekonstruieren sind. Die Vorverständnisbedingtheit des Verstehens vermag zwar darzulegen, daß dies möglicherweise nie ganz gelingt, jedoch läßt sich daraus nicht schließen, daß Textverstehen als Wiederverstehen unmöglich ist. Das Ausgerichtetsein einer Textinterpretation („Vor-Sicht") auf eine heutige Problemstellung schließt ein Wiederverstehen nicht aus. Es kann sich beim Wiederverstehen gerade herausstellen, daß der Text hinsichtlich der heutigen Problemstellung nicht aussagekräftig ist. Auch die Tatsache, daß w i r m i t dem Text etwas vorhaben, schließt ein Wiederverstehen nicht aus. Dies zumindest dann nicht, wenn man seine eigenen Vorurteile hinsichtlich eines Textes lediglich als Hypothese ins Spiel bringt. N u r wenn das „Vor-Haben" nicht als i m Verstehensprozeß auf dem Spiel stehend angesehen wird, bestimmt es das Verstehen ganz. Gadamer fordert jedoch selbst, daß das Vorverständnis stets als Auslegungshypothese i n den Auslegungsprozeß eingebracht werden soll. Auch eine Übersetzung i n die eigene Begrifflichkeit schließt ein Wiederverstehen nicht aus. Es besteht zwar die Möglichkeit, daß i n einer 59
Vgl. dazu Frank, 1980, Vorwort.
2.2. Die Sichtweise des Autors bei der Textinterpretation
29
anderen Begrifflichkeit sich vom Autor nicht beabsichtigte Auffassungen einschleichen. Jedoch lassen sich auch identische Auffassungen i n unterschiedlicher Begrifflichkeit fassen. Soweit Gadamer davon ausgeht, daß der Zeitabstand zwischen Text und Interpreten die kritische Frage der Hermeneutik lösbar macht, die wahren Vorverständnisse, m i t denen w i r verstehen, von denen zu trennen, mit denen w i r mißverstehen, scheint diese Auffassung Ausdruck seiner „Ontologisierung" des Verstehens zu sein. Dasein ist dann seinem Seinsvollzug nach Verstehen. I h m w i r d zugebilligt, daß es auf Verständigung h i n tendiert. Vergessen w i r d dabei, daß Subjekte einander auch mißverstehen. Geht man dagegen mit Schleiermacher davon aus, daß das Mißverstehen beim Textverstehen alltäglich stattfindet, so w i r d es notwendig, Kriterien zu entwickeln, die „Mißverstand" ausschließen. Mißverstehen ist dabei auf zwei Ebenen möglich. Einerseits können sich Autor und Interpret mißverstehen, andererseits die Interpreten untereinander. Subjektive Auslegung kann das Mißverstehen zwischen Autor und Interpreten jedenfalls teilweise ausräumen. Zwischen den Interpreten ist dieses allerdings nur insoweit möglich, als Einigkeit zwischen den Interpreten darüber besteht, daß genau das Mißverstehen zwischen Interpret und Autor ausgeräumt werden soll. Die Idealisierung des Verstehensprozesses, die Gadamer dazu führt, den Text vom Autor zu lösen, zeigt sich auch i n der Anwendung seiner hermeneutischen Ontologie auf den juristischen Verstehensprozeß. So behauptet Gadamer, daß es i n der Idee einer richtigen Ordnung liege, daß das Urteil des Richters nicht einer unvorhersehbaren W i l l k ü r entspringe, sondern der gerechten Erwägung des Ganzen. Nach Auffassung von Gadamer kann jeder Gerechte Erwägungen anstellen, der sich i n die volle Konkretion der Sachlage vertieft hat. I n einem Rechtsstaat ist deshalb Rechtssicherheit vorhanden, weil jeder der Idee nach wissen kann, woran er ist 6 0 . I n dieser Darstellung juristischen Verstehens kommt nicht mehr zum Ausdruck, daß eine Akzeptanz von Entscheidungen nicht nur dadurch hergestellt wird, daß jeder Gerechte durch volle Konkretion i n die Sachlage zu den gleichen Ergebnissen kommt, sondern auch dadurch, daß legitimierte Entscheidungsträger Wertentscheidungen treffen, die nicht unbedingt als richtige, so doch als getroffene Wertentscheidungen akzeptiert werden. Fraglich bleibt allerdings, ob daraus auch folgt, daß die richterliche Entscheidung an die Wertentscheidung des Gesetzgebers zurückgebunden werden muß. Man könnte ja auch argumenteiren, daß die Akzeptanz von Wertentscheidungen nur von der Mög60
Gadamer , 1975, S. 312 ff.
30
2. A u t o r u n d T e x t i n wissenschaftstheoretischer Diskussion
lichkeit der Rückbindung an den semantischen Bedeutungsgehalt von Rechtsnormen abhängt. Auch die Tatsache, daß Interpretation eines Textes immer „Anwenden" auf heute ist, schließt nicht aus, daß es ein sinnvolles Interesse sein kann, wiederverstehen zu wollen. Es scheint vielmehr eine normative Frage zu sein, ob man einem Text noch den Sinn zuschreiben wollen soll, den der Autor i h m zuschreiben wollte. A u f das damit angesprochene Problem w i r d keine generelle A n t w o r t hinsichtlich aller Texte gegeben werden können. Texte sind hierfür von ihrer Struktur her zu unterschiedlich. Ein Teil der Texte, die interpretiert werden, soll Verhaltensanweisungen geben, andere Texte wollen erfreuen, wiederum andere wollen Informationen übermitteln. Wiederverstehen spielt bei Texten, die Informationen übermitteln wollen, sicherlich eine große Rolle, nicht jedoch bei den Texten, die erfreuen wollen 6 1 . Geklärt werden muß die Frage, welche Rolle Wiederverstehen bei Texten, die Verhaltensanweisungen geben, spielen soll 62 . 2.2.3. Die hermeneutische Interpretationslehre von E. D. Hirsch 2.2.3.1.
Darstellung
Hirsch hat eine Reformulierung des Schleiermacherschen Ansatzes versucht, der das Interesse, „Mißverstand zwischen Autor und Interpreten zu vermeiden", beibehält, aber die Position Schleiermachers auf neuer wissenschaftstheoretischer Grundlage reformuliert. Er setzt sich zunächst m i t den Argumenten zur Verbannung des Autors aus einer allgemeinen Auslegungsmethodologie auseinander. Ein Argument, das immer wieder vorgebracht wird, lautet: Selbst für den Autoren ändert sich der Sinn des Textes; es ist daher zwangsläufig, daß der Sinn des Textes sich auch für den Interpreten ändert 63 . Hirsch bezweifelt, daß diese Aussage, die heute weitgehend akzeptiert wird, richtig ist 6 4 . Man sollte zunächst zur Klarstellung, nach seiner A u f fassung, bei einem Text zwischen dem „Sinn" und der „Bedeutung" der sprachlichen Zeichenfolge unterscheiden. Der Sinn eines Textes bestimmt sich durch die konkreten „Sachen", „Sachverhalte", „Gegenstände", auf die sich der Text bezieht. 61 62 63 64
So auch Neumann, 1981 a, S. 197 ff. Vgl. Kap. 5.4. Wellek u n d Warren, 1948, Kap. 12. Vgl. dazu Hirsch, 1972, S. 21.
2.2. Die Sichtweise des Autors bei der Textinterpretation
31
Die Bedeutung eines Textes kann als die Einstellung angesehen werden, die ein konkreter Autor zu einer Sache, zu einem Sachverhalt bzw. zu einem Gegenstand hat 8 5 . Die Einstellung eines Autors zu einer konkreten Sache, also die Bedeutung eines Textes, ändert sich sicherlich verschiedentlich. Fraglich ist jedoch, ob sich auch das Verständnis der Zeichen, das die jeweiligen Autoren zu ihrem Text haben, der Sinn, ändert. Vielfach w i r d es doch so sein, daß der Autor den Sinn einer Zeichenfolge noch genauso versteht, wie er sie früher verstanden hat. Weiter: I n praktischen Situationen ist es äußerst selten, daß ein Autor i n völliger Aufrichtigkeit behauptet, daß er nunmehr mit seinem Text etwas anderes aussagen wolle. Häufig ist allerdings der Fall, daß der Autor explizit seine Meinung zu einer Sache, zu einem Sachverhalt ändert. Ein weiteres Argument, das gegen die subjektive Auslegung vorgebracht wird, lautet: Wichtig ist nicht, was der Autor sagen w i l l , sondern was der Text besagt. Diese Auffassung, so Hirsch, führt dazu, daß jedes Textverständnis adäquat ist. Der Text besagt genau das, was der Interpret i h m entnimmt 8 8 . Hirsch scheint diese These jedoch überzuinterpretieren. M i t der These, wichtig ist nicht, was der Autor sagen w i l l , sondern was der Text sagt, ist nicht gesagt, daß der Interpret dem Text jeden Sinn zuschreiben kann. Es müßten jedoch dann Kriterien dafür angegeben werden, wo die Grenzen möglicher Aussage des Textes verlaufen. Das dritte Argument, m i t dem sich Hirsch auseinandersetzt, lautet nun: Der vom Autor intendierte Sinn ist nicht erschließbar. Die Interpretationstheorie lehnt es teilweise ab, das „Meinen" der Autoren zur Textinterpretation heranzuziehen, da „Meinen" privat ist und deswegen der Interpret den vom Autor intendierten Sinn nicht reproduzieren kann. Hirsch kämpft m i t Wittgenstein gegen diese Auffassung an. Der Fehler dieser Argumentation liegt darin, daß „Meinen" als „privater" A k t des Intendierens angesehen wird. „Meinen" ist jedoch kein „privater" A k t des Intendierens, sondern w i r d i n Kommunikationsprozessen aufgrund von Kriterien zugeschrieben. Das bedeutet natürlich nicht, daß das „meinende" Subjekt bei der 65 Hirsch, 1972, S. 23; Carnap verwendet die Begriffe teilweise abweichend, Carnap , 1972, S. 29 ff.; dazu unter juristischem Aspekt i n s t r u k t i v Koch, 1977, S. 35 f. ββ Vgl. dazu Hirsch, 1972, S. 25 f.
32
2. A u t o r u n d Text i n wissenschaftstheoretischer Diskussion
Zuschreibung von konkreten A k t e n des „Meinens" keine Rolle spielt. Die Selbstzuschreibung ist sicherlich wesentliches Symptom für das Verständnis der Aussage, daß ein Autor m i t einem Text etwas gemeint habe, jedoch ist die Selbstzuschreibung nicht alleiniges K r i t e r i u m derartiger Aussagen. Nachdem Hirsch die Gegenargumente gegen die Verwendung autorenbezogener Konzepte widerlegt hat, entwickelt er ein eigenes Auslegungskonzept. Nach seiner Auffassung werden Auslegungshypothesen nicht i n einem regelgeleiteten Verfahren entdeckt, sondern werden „erfunden" und an den Text herangetragen. Unterschiedliche Auslegungskonzepte, die i n den interpretierenden Wissenschaften vertreten werden, liefern keine Konzepte, wie Auslegungshypothesen gefunden werden, sondern liefern allenfalls Fragerichtungen, unter denen Auslegungshypothesen „erfunden" werden. Nach Auffassung von Hirsch ist es jedoch notwendig, Regeln der „Geltungsprüfung" von Auslegungshypothesen zu entwickeln 67 . Interpretative Hypothesen sind nach Hirsch letztlich durch Beweismaterial gestützte Wahrscheinlichkeitsurteile 68 . Bestimmte Auslegungshypothesen als richtig festzustellen, heißt, daß bestimmte Interpretationen auf der Grundlage bekannter Daten wahrscheinlicher sind als andere. Die Objektivität der Interpretation hängt letztlich davon ab, ob eine begründete Wahl zwischen „unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsurteilen auf der Basis des ihnen gemeinsamen Beweismaterials zu treffen" ist 6 9 . Jede Auslegungshypothese muß den folgenden Kriterien genügen: Sie muß zunächst dem K r i t e r i u m der „Legitimität" entsprechen. Eine Auslegung ist nur dann eine zulässige Auslegung, wenn sie innerhalb der öffentlichen Regeln der „langue", i n der der Text abgefaßt ist, statthaft ist 7 0 . Weiter muß nach Auffassung von Hirsch jede Auslegungshypothese dem K r i t e r i u m der „Entsprechung" genügen. Keine Auslegungshypothese darf einer sprachlichen Komponente eines Textes widersprechen. A u f das Straf recht übertragen: Die Auslegungshypothesen sind hiernach unzulässig, gegen die die Formulierung eines Tatbestandes steht (z. B. große berichtigende Auslegung des § 246 StGB). Auslegungshypothesen müssen auch generisch angemessen sein. Auslegungshypo67
Hirsch, 1972, S. 215 ff. Hirsch, 1972, S. 228 f. 69 Hirsch, 1972, S. 229 f.; anzumerken ist, daß Wittmann i n der juristischen Auslegungsmethodologie ebenfalls die These vertritt, daß Auslegungshypothesen „Wahrscheinlichkeitsurteile" sind, die immer relational zu anderen Auslegungshypothesen überprüft werden. Dazu ausführlich u n d beeindruckend Wittmann, 1978, S. 47; vgl. dazu auch Schlink, 1980, S. 72 ff., der Auslegung als Fallibilitätsprozeß beschreibt; dagegen Koch, 1977 b, S. 356. 70 Hirsch, 1972, S. 291. 68
2.2. Die Sichtweise des Autors bei der Textinterpretation
33
thesen müssen also strukturähnlichen Konventionen folgen, wie der Text, der interpretiert wird. Bei einem wissenschaftlichen Text wäre es unangemessen, wenn die Auslegungshypothesen „metaphorischen" Charakter hätten 71 . Analog könnte man für das Straf recht argumentieren: Soweit man davon ausgeht, daß Unrechtstatbestände i n formalisierender Weise „Strafbarkeiten" begründen, wäre es unzulässig, Auslegungshypothesen dieser zu behaupten, die die formalistischen Begründungen der Strafbarkeit aufheben. Die Kriterien der Legitimität, der Entsprechung und der generischen Angemessenheit sind geeignet, von Fall zu Fall bestimmte Auslegungshypothesen auszuschließen. A u f das Strafrecht übertragen, würde dies bedeuten, daß eine Auslegungshypothese dann nicht mehr adäquat ist, wenn sie gegen die Regeln der „langue" verstößt, wenn sie einzelne Tatbestandsmerkmale nicht mehr erklären kann, wenn sie i n einer Sprache abgefaßt ist, die der konkreten Gesetzessprache nicht mehr entspricht. Als viertes K r i t e r i u m fordert Hirsch nun, diejenigen Auslegungshypothesen auszuwählen, die am „kohärentesten" sind. Kohärenz bedeutet zum einen, daß Gesamt- und Teilsinn eines Textes einander entsprechen müssen, zum andern, daß sich diese Entsprechung auf den Willen des Autors stützen können muß. Für Hirsch ist das „In-Entsprechung-Bringen" von Ganzem und Teilsinn ein zirkulärer Vorgang. Jedem als Ganzem gesetzter Sinn kann ein Teilsinn zugeordnet werden. Umgekehrt kann allen möglichen Teilsinnen eines Textes ein globaler Sinn zugeordnet werden. Nicht mehr zirkulär ist dieser Vorgang allein dann, wenn man das „In-Entsprechung-Bringen" von Ganzem und Teilsinn auf den Horizont des Autors stützen kann. Es muß gezeigt werden, daß das „In-Entsprechung-Bringen" von Ganzem und Teil unter der Perspektive des Autors wahrscheinlich ist 7 2 . 2.2.3.2. Stellungnahme
und
Kritik
Das Modell von Hirsch macht zunächst einmal deutlich, daß i n jedem Auslegungsprozeß ein innovatorisches Moment zum Tragen kommt. Die Aufstellung nach Auslegungshypothesen vollzieht sich nicht regelgeleitet, vielmehr werden Auslegungshypothesen „erfunden". I m j u r i stischen Bereich w i r d sich ein Teil der Auslegungshypothesen aus dem Studium der rechtswissenschaftlichen Literatur und der bisherigen Rechtsprechung ergeben. Ein anderer Teil fällt dem Rechtsanwendenden beim Lesen der Norm ein. Hirsch macht weiter deutlich, daß gerade dann, wenn man davon ausgeht, daß Auslegungshypothesen erfunden werden und die sprach71 72
Vgl. dazu Hirsch, 1972, S. 292. Hirsch, 1972, S. 292.
3 Schroth
34
2. A u t o r u n d T e x t i n wissenschaftstheoretischer Diskussion
liehen Überprüfungsmöglichkeiten (die Auslegungshypothese muß innerhalb der Regeln der „langue" liegen, muß jeden Teil eines Textes erklären und aus den Sprachregeln folgen, denen der Text folgt) nur einen Teil aus dem Bereich der möglichen Auslegungshypothesen ausschließen, nach zusätzlichen Überprüfungskriterien gesucht werden muß. Dies ergibt sich auch daraus, daß das „In-Entsprechung-Bringen" von Ganzem und Teil sonst beliebig erfolgen kann. Ein Beispiel: Der eigentliche Unrechtsgehalt der Hehlerei w i r d teilweise i n dem Weiterschieben der Verbrechensbeute gesehen75. M i t dieser verallgemeinerten Unrechtsvorstellung werden dann die Tatbestandsmerkmale des § 259 StGB präzisiert. So w i r d aus dieser Unrechtsvorstellung abgeleitet, daß Geldscheine auch dann unmittelbar aus der Vortat stammen, wenn nur die „Geldsumme" m i t der aus der Vortat erlangten Geldsumme identisch ist. N u r so w i r d nämlich das Weiterschieben von Geldsummen verhindert 7 4 . Die herrschende Meinung i n der Strafrechtswissenschaft argumentiert anders. Der eigentliche Unrechtsgehalt der Hehlerei liegt nach i h r i n der Weiterleitung einer vom Recht mißbilligten Dispositionsgewalt über Sachen75. Von dieser Unrechtsbestimmung aus werden die Tatbestandsmerkmale konkretisiert: das umgewechselte Geld ist deshalb gerade kein Hehlgut i m Sinne des § 259 StGB. Hinsichtlich des umgewechselten Geldes besteht nämlich keine vom Rechte mißbilligte Dispositionsgewalt mehr. Diese besteht immer nur hinsichtlich einer konkreten, aus der Vortat erlangten Sache. Geld muß hiernach versachtlicht und nicht als Geldsumme verstanden werden, die Identität des Geldes m i t sich selbst bestimmt sich auch versachlicht, nämlich nach „raum-zeitlichen" Kriterien 7 6 . Beide Arten des „In-Entsprechung-Bringens" sind möglich. Daraus folgt nun nicht, daß auf das „In-Entsprechung-Bringen" von Ganzem und Teil verzichtet werden sollte, sondern daß dieses „In-Entsprechung-Bringen" noch zusätzlich begründet werden muß. I m Gegensatz zu Hirsch muß jedoch davon ausgegangen werden, daß dies auch unter anderen als den von Hirsch gezeigten Aspekten geschehen kann. Man könnte beispielsweise für die juristische Auslegungsmethodologie auch die These aufstellen, daß das „In-EntsprechungBringen" von Ganzem und Teil so zu erfolgen habe, daß Auslegungshypothesen auch weitgehend zu akzeptierten Entscheidungen führen. 73 74 75 78
So Roxin, 1966, S. 469. So tatsächlich auch Roxin, 1966, S. 470/471. So schon Binding , 1910, S. 1003. Vgl. dazu Krey, 1980, § 15 I ; dazu auch Wessels, 1980, S. 129.
2.2. Die Sichtweise des Autors bei der Textinterpretation
35
Die Frage, wie das „In-Entsprechung-Bringen" zu erfolgen habe, muß dann aber normativ entschieden werden. Während bisher subjektive Auslegung unter dem Aspekt allgemeiner Bedeutungstheorien und allgemeiner Interpretationsauffassungen diskutiert wurde, erscheint es nun erforderlich, auf die speziellen j u r i stischen Aspekte einzugehen. Juristische Auslegung hat sich einerseits m i t der Eigentümlichkeit auseinanderzusetzen, daß Rechtsanwendende zumeist das Vorverständnis haben, sachgerechte Ergebnisse (nach ihrer Überzeugung) herstellen zu wollen 7 7 , andererseits aber i n der Rechtsordnung Normen enthalten sind, die interpretationstheoretische Standpunkte nahelegen. Eine weitere Eigentümlichkeit der Gesetzesauslegung liegt darin, daß mit Gesetzen Bewertungsvorstellungen des Gesetzgebers i n gesetzliche Aussagesysteme transformiert werden. Diese Transformation kann mißlingen. Der Rechtsanwendende muß dann m i t der Diskrepanz der Bewertungsvorstellung des Gesetzgebers zum Inhalt der Norm fertigwerden. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Auslegungstheorien grundsätzlich davon ausgehen sollten, daß die Bedeutung von Zeichen sich über den Gebrauch herstellt. Auch für subjektiv konzipierte Auslegungsmodelle erscheint es unangebracht, „Bedeutung" über „Meinen" konstituieren zu wollen. Jedoch ist dann, wenn man die Bedeutung von Normen als sich i m Gebrauch konstituierend ansieht, nicht ausgeschlossen, subjektiver Auslegung Relevanz zuzusprechen. Verwendungsregeln müssen nämlich immer auch festgesetzt werden. Geht man davon aus, daß die Bedeutung von Zeichen sich über den Gebrauch herstellt, so sollte man hieraus den Schluß ziehen, daß die Präzisierungsmaßstäbe „Meinen des Autors", „Wille des Gesetzgebers" konventional erschlossen werden. Die Frage, ob Auslegung unter der Perspektive des Autors zu erfolgen habe, läßt sich aufgrund allgemeiner Überlegungen zum Verhältnis von Autor und Text nicht beantworten. Diese Frage muß je nach A r t des Textes beantwortet werden. Die Gadamersche K r i t i k „psychologischer" Auslegung schließt subjektive Auslegung nicht aus. Jedoch zwingen umgekehrt auch die Argumente Hirschs nicht dazu, subjektive Auslegung für alle Texte verbindlich zu erklären. Sie verdeutlichen jedoch, welches Interpretationsinteresse subjektiver Auslegung zukommt; sie soll Authenzitätsinteressen innerhalb der Auslegung wahren. Die Beliebigkeit der Möglich77
3*
Vgl. dazu ausführlich Esser, 1972, S. 8, 82; Larenz,
1978, S. 191.
36
2. A u t o r u n d T e x t i n wissenschaftstheoretischer Diskussion
keiten, „Textteil" und „Textganzes" i n Entsprechung zu bringen, macht dieses Interesse plausibel. W i r wenden uns nun der Rolle subjektiver Auslegung i m juristischen Rechtsanwendungsprozeß zu.
3. Rekonstruktion der neueren Diskussion der subjektiven Auslegung 3.1. Die Auseinandersetzung mit dem „wahren" Willen des Gesetzgebers und der Sieg des „Willens des Gesetzes" Carl Georg von Wächter gebührt das Verdienst, als erster eine Methodologie der subjektiven Auslegung entwickelt zu haben. I n seiner Monographie „Abhandlungen aus dem Strafrechte" legt er die Grundsätze, wie der „wahre" Wille des Gesetzgebers zu erforschen sei, dar 1 . Unmittelbarer Anlaß war der Erlaß des Gesetzes „Die Bestrafung fleischlicher Vergehen und einige hiermit i n Verbindung stehende Gesetze betreffend" am 8. Februar 1834 i m Königreich Sachsen. Das Gesetz war entsprechend der i n Sachsen eingeführten Verfassung vom 4. 9. 1831 i n Zusammenarbeit von zwei Kammern erarbeitet und beraten worden. Den Interpreten dieses Gesetzes stand umfangreiches Gesetzesmaterial zur Verfügung. v. Wächter ging zunächst davon aus, daß jedes Gesetz der Auslegung bedürfe, da die Gesetzeskunst noch nicht so weit gekommen sei, präzise Gesetze zu entwickeln. Unbestreitbares Ziel der Gesetzesinterpretation ist nach seiner A u f fassung die Ermittlung des „wahren" Sinnes eines Gesetzes. Der „wahre" Gesetzessinn ist derjenige, auf den sich die Gesetzgebungsfaktoren geeinigt haben. Während es früher häufig unmöglich war, den „wahren" Gesetzessinn zu erschließen, besteht nunmehr (1835) über die Materialien die Möglichkeit, den „wahren" Gesetzessinn i n Erfahrung zu bringen 2 . Der „wahre" Gesetzeswille läßt sich nun m i t Hilfe der folgenden Regeln feststellen: 1. W i r d von der Regierung ein Gesetzesentwurf vorgelegt und dieser von den Ständen einfach angenommen, so ist anzunehmen, daß die Stände den E n t w u r f i n dem Sinne angenommen haben, den die Regierung i h m beilegt. Der Interpret hat i n diesem Falle den „wahren" Sinn aus den dem Entwurf beigefügten Motiven der Regie1 2
ν . Wächter, 1835, S. 242 ff. ebd., S. 242 ff.
38
3. Rekonstruktion der neueren Diskussion der subjektiven Auslegung
rung zu ermitteln und aus der Erklärung, welche Organe der Regierung bei den Ständen abgaben 3 . 2. Ist auf Antrag der zur Begutachtung des Gesetzes gewählten Kommission der beiden Kammern eine Stelle des Entwurfes der Regierung geändert worden und ist diese Änderung von der Regierung angenommen worden, so ist die Gesetzesstelle i n dem Sinne zu interpretieren, den die Kommission ihr gab 4 . 3. Ist von einem Stände-Mitglied eine Änderung vorgeschlagen worden und ist diese von den Ständen und der Regierung angenommen worden, so ist der Interpret an den Sinn gebunden, den der die Gesetzesänderung Motivierende dieser Gesetzesänderung gab 5 . 4. W i r d i n der Ständischen Schrift dem Gesetz ein neues Motiv zu Grunde gelegt und w i r d dieses Motiv von der Regierung genehmigt, so ist das neue Motiv für die Gesetzesinterpretation maßgebend®. 5. Ist i m Gesetzgebungsverfahren zweifelhaft, ob eine Strafe auf bestimmte Fälle zu beziehen ist und nimmt eine Kammer mit Zustimmung der Organe der Regierung und ohne Widerspruch der anderen Kammer an, daß die Bestrafung nicht auf jene Fälle bezogen werden dürfe, so ist der Richter hieran gebunden 7 . 6. W i r d aus einem Entwurf eine Formulierung gestrichen, weil sie sich von selbst versteht, so ist der Richter an dasjenige gebunden, was sich von selbst versteht 8 . 7. Die Meinung von Kammermitgliedern ist außer der i n Regel 3 formulierten Relevanz unbeachtlich 9 . 8. N u r dasjenige, das i n den Worten des Gesetzes enthalten ist, oder dasjenige, das der Gesetzgeber unter diesen Worten begreifen wollte, darf unter ein Gesetz fallen 10 . Diese Regeln zur Ermittlung des „wahren" Gesetzessinns fanden vielfachen Beifall 1 1 . Eine Anzahl von Rechtsgelehrten stimmte Mitte 8
ebd., S. 242 ff. ebd., S. 245. 5 ebd., S. 246. • ebd., S. 246. 7 ebd., S. 246. 8 ebd., S. 246. 9 ebd., S. 246. 10 ebd., S. 247. 11 Als Beispiel sei n u r angeführt Hepp, 1844, S. 42 ff.; weitere umfangreiche Nachweise bei v. Mohl, 1860, S. 100, Fn. 2—11. 4
3.1. Auseinandersetzung m i t dem „ w a h r e n " W i l l e n des Gesetzgebers
39
des 19. Jahrhunderts der Theorie von Carl Georg v. Wächter jedoch nur teilweise zu. Nach Auffassung von K r u g greifen die Grundsätze von Carl Georg v. Wächter nur dann, wenn die Gesetze unklar sind 12 . Dies aus drei Gründen: 1. N u r bei unklaren Gesetzen kann davon ausgegangen werden, daß zwischen Wort und Gedanken eine Verschiedenheit besteht. Sind die Gesetze klar, so muß davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber i m Augenblick des Erlasses des Gesetzes das, was die Worte aussagen, auch wirklich wollte. 2. Der Bürger kann unmöglich auf den Gedanken kommen, daß der Gesetzgeber etwas anderes wollte, als die deutlichen Worte des Gesetzes besagen. Die deutlichen Worte des Gesetzes müssen deshalb entscheidend für die Auslegung sein. 3. Bei klaren Gesetzen ist nur der bekanntgemachte Wille des Gesetzgebers entscheidend. Bei mehrdeutiger Fassung des Gesetzes ist dies anders zu beurteilen. Hier ist offensichtlich, daß das Gesetz noch einer Auslegung bedarf. K r u g sieht seinerseits die Worte des Gesetzgebers als „Indiz" für den wahren Willen des Gesetzgebers an, andererseits ist er der Auffassung, daß der Bürger auch auf den klaren Sinn von Gesetzesworten vertrauen können muß. Mittermaier ist m i t v. Wächter der Meinung, daß die Motive des Gesetzes eine wesentliche Rolle für die Auslegung von Gesetzen spielen 13 . Er ist ebenfalls der Überzeugung, daß die Materialien zur Auslegung herangezogen werden sollten. Mittermaier ist jedoch, gegen v. Wächter, der Auffassung, daß m i t den Gesetzesmaterialien vorsichtiger umgegangen werden sollte. Er wendet sich gegen eine Anwendung starrer Regeln bei der Benutzung der Gesetzesmaterialien. Er bemerkt: 1. I n den Gesetzesmaterialien liegen häufig die Motive für einen Gesetzesentwurf. Der Interpret muß jedoch aufpassen, daß er nicht lediglich die individuelle Ansicht eines Redakteurs zu einem Gesetz entscheidend sein läßt. Bei der Interpretation der Gesetzesmaterialien muß darauf geachtet werden, daß die „Gesetzesgründe" allgemein akzeptiert waren. 2. Die Berichte der von den Ständen eingesetzten Kommissionen zur Beurteilung von Gesetzesentwürfen sollten keine Relevanz haben. 12 13
Vgl. dazu Krug, 1848, S. 249 ff. Vgl. dazu Mittermaier, 1841, S. 216 ff.
40
3. Rekonstruktion der neueren Diskussion der subjektiven Auslegung
3. Die Begründungen von Anträgen, die Kammermitglieder stellten, etwa um Gesetze zu ändern, sollten für die Gesetzesinterpretation keine Rolle spielen 14 . 4. Die amtlichen Erklärungen der Regierungsorgane stellen einen „Orientierungspunkt" der Auslegung dar. Nicht-amtliche Erklärungen sind irrelevant 1 5 . 5. Die Auffassungen zu einzelnen Fällen, welche als Beispiele von irgendeiner Seite bei einem Gesetz abgegeben werden, sind unmaßgeblich 18 . 6. Nicht relevant ist das, was weggelassen wurde, w e i l es sich von selbst versteht. Dieses muß sich nämlich nicht auch für den Richter von selbst verstehen 17 . Die Theorien von K r u g und Mittermaier sind Modifizierungen der subjektiven Auslegungstheorie v. Wächters. Sowohl K r u g als auch M i t termaier hielten die Gesetzesmaterialien für auslegungsrelevant. K r u g wollte sie nur bei unklaren Gesetzen anwenden. Mittermaier verfolgte die Intention, daß m i t den Gesetzesmaterialien vorsichtiger umgegangen werden sollte. Seine Ausführungen laufen i m Ergebnis darauf hinaus, für die Interpretation der Gesetzesmaterialien keine allgemeinen Regeln der Interpretation herauszubilden. Seiner immanenten K r i t i k an den Gebrauchsregeln der Gesetzesmaterialien ist nichts hinzuzufügen. Auf die Unterscheidung Krugs von klaren und unklaren Gesetzen w i r d noch einzugehen sein. Entscheidende K r i t i k an dem Konzept Carl Georg v. Wächters wurde von Schaffrath geübt 18 . Schaffrath war m i t v. Wächter der Meinung, daß das Ziel der Auslegung der Wille der gesetzgebenden Gewalt ist. Der Wille der gesetzgebenden Gewalt sei jedoch nur insoweit relevant, als er ausdrücklich erklärt worden sei. Das Gesetz sei der vollständige Wille des Gesetzgebers. Auslegung dürfe nur aus dem Gesetz selbst geschehen. Gesetzesmotive, Gesetzesgründe können keine Relevanz bei der Auslegung haben, da nur über die Gesetzesworte abgestimmt worden sei. Schaffrath stimmt insoweit mit der Auffassung von K r u g hinsichtlich der klaren Gesetze überein. Schaff rath ist jedoch der Meinung, daß auch bei unklaren Gesetzen die Gesetzesgründe nicht herangezogen werden können. Ist ein Gesetz unvollständig, so ist es nicht auslegungsfähig. Der Ausleger dürfe keinen „ W i l l e n des Gesetzgebers" i n das 14 15 16 17 18
ebd., S. 218. ebd., S. 217. ebd., S. 219. ebd., S. 220. Vgl. dazu Schaffrath,
1842, S. 86 ff.
3.1. Auseinandersetzung m i t dem „ w a h r e n " W i l l e n des Gesetzgebers
41
Gesetz hineintragen. Der Wille des Gesetzgebers sei nur insoweit verbindlich, als er auch vollständig erklärt worden sei. Schaffrath leugnet den Wert der Gesetzesmaterialien generell. Sie seien nur geschaffen, u m die Gesetzgebungsfaktoren zur Zustimmung zu bewegen. Gesetzesmaterialien hätten lediglich eine überredende Funktion. A u f die scharfe K r i t i k Schaffraths an der Verwendung der Gesetzesmaterialien antwortete v. Mohl 1 9 . Er setzte sich zunächst m i t der Auffassung von Schaffrath auseinander, daß sich der Wille des Gesetzgebers nur auf die Worte des Gesetzes beziehe und deshalb Gesetze auch nur „semantisch" auszulegen seien. Für v. Mohl ist diese Auffassung inadäquat, da die Worte des Gesetzes nur die Form des Willens des Gesetzgebers darstellten 20 . Die Form des Willens des Gesetzgebers könne aber mangelhaft sein, da der Gesetzgeber beispielsweise Sprachregeln ungeschickt handhaben könne, v. Mohl gesteht Schaff rath aber zu, daß jeder Wille des Gesetzgebers i n „gewisser Hinsicht" promulgiert sein müsse: 1. W i r d ein „spezifischer Wille des Gesetzgebers" überhaupt nicht mehr i n eine Gesetzesform gegossen, oder w i r d überhaupt nicht versucht, ihn i n eine Form zu gießen, so ist dieser spezifische Wille des Gesetzgebers bei der Auslegung nicht berücksichtigungsfähig. 2. Ist der Wille des Gesetzgebers von der Form des Gesetzes völlig verschieden, so kann er bei der Auslegung keine Berücksichtigung erfahren 21 . v. Mohl vertritt jedoch engagiert die Auffassung, daß dann, wenn das promulgierte Gesetz mehr anordnet, als der Gesetzgeber wollte, der Gesetzeswille ausschlaggebend sei 22 . Modern ausgedrückt: Der Wille des Gesetzgebers begrenzt die Bedeutung einer Norm, die sich aus der Semantik der Norm ergibt. Subjektive Auslegung dient dazu, eine Gesetzesnorm teleologisch zu reduzieren. v. Mohl bekämpft auch die Auffassung Schaffraths, daß ein unvollständiges oder unverständliches Gesetz nicht der Auslegung fähig und somit auch nicht der Auslegung bedürftig sei. „Jedes Gesetz muß ausgelegt werden, und sei das Dunkel noch so groß 28 ." v. Mohl gibt Schaff rath jedoch insoweit recht, als er die Worte des Gesetzes als wichtigste Quelle ansieht, den Willen des Gesetzgebers her19 21 23
v. Mohl, 1860, S. 98 ff. ebd., S. 108—109. ebd., S. 114.
20 22
ebd., S. 107. ebd., S. 110.
42
3. Rekonstruktion der neueren Diskussion der subjektiven Auslegung
auszufinden. Wichtig ist dabei die frühe Erkenntnis, die ja wissenschaftstheoretischer Diskussion wiederzufinden ist, daß tive und semantische Interpretation nicht einfach getrennt können. Sprachregeln geben häufig genau den „Willen" des gebers, den man i h m auch zuschreiben sollte, wieder.
auch i n subjekwerden Gesetz-
Nach v. Mohls Auffassung genügt jedoch die Auslegung aus dem Worte nicht. „Je ausgedehnter das Gesetz, je verwickelter sein materieller Inhalt, je vielseitiger seine Beziehung zu anderen, früher bereits geordneten Rechtsteilen ist, eine je größere Anzahl von Personen, vielleicht i n verschiedenen Acten, an der Zustandebringung Antheil zu nehmen hat: desto leichter ist es möglich, daß die gewählten Worte den beabsichtigten Sinn nicht vollständig, nicht verständlich oder selbst nicht richtig ausdrücken 24 ." M i t der These, daß Gesetze generell der Auslegung bedürfen und eine Auslegung von Gesetzen nicht beschränkt ist auf das Herausfinden der Bedeutung der Worte, ist für v. Mohl klar, daß Gesetzesmaterialien eine wesentliche Funktion zukommt 2 5 . v. Mohl setzt sich jedoch zunächst mit der Frage auseinander, die insbesondere K r u g beschäftigt hat, welche Gesetze der Auslegung „aus den Gesetzesmaterialien bedürfen". Wie bereits dargelegt, war K r u g der Auffassung, daß nur bei Gesetzen, die unklar sind, eine Auslegung aus den Gesetzesmaterialien zulässig ist. K r u g geht m i t dieser Auffassung von der Annahme aus, daß zwischen Wort und Gedanken keine Differenz liegen könne. Den klaren Gesetzesworten entspricht immer der Gedanke, den der Gesetzgeber zum Zeitpunkt des Erlasses eines Gesetzes gehabt hat. Sind die Worte des Gesetzes unklar, so teilen auch die Gedanken diese Eigenschaft 26 . v. Mohl hält es für offensichtlich falsch, daß Wort und Gedanke sich immer decken. Er meint, dies widerspreche der täglichen Erfahrung 2 7 . Das entscheidende Argument gegen die Auffassung Krugs, das auch heute noch Gültigkeit hat, liegt aber für v. Mohl darin, daß klare und unklare Gesetze nicht einfach äußerlich erkannt werden können 28 . Die Auffassung Krugs, daß klare Gesetze nur aus ihren Worten, unklare aus ihren geschichtlichen Zusammenhängen verstanden werden müssen, wäre nach v. Mohl nur dann sinnvoll, wenn klare und unklare Gesetze äußerlich auseinandergehalten werden könnten. Die Unterscheidung der Gesetze m i t klarem und unklaren Sinn dürfte auf v. Savigny zurückgehen, v. Savigny unterschied die Aus24 28 28
ebd., S. 116. Krug, 1848, S. 62. ebd., S. 119.
25 27
ebd., S. 117. v. Mohl, 1860, S. 118.
3.1. Auseinandersetzung m i t dem „ w a h r e n " W i l l e n des Gesetzgebers
43
legung gelungener Gesetze von der Auslegung mangelhafter Gesetze29. I m Rahmen der Auslegung gelungener Gesetze hat der Interpret vier Auslegungselemente zu berücksichtigen: — bei der grammatikalischen Auslegung soll der Interpret die vom Gesetzgeber angewandten Sprachregeln rekonstruieren; — innerhalb des logischen Elements der Auslegung soll der Interpret den Gedanken des Gesetzes erklären; — i m historischen Element der Auslegung soll vom Interpreten dargestellt werden, wie Rechtsregeln i n einen vorgegebenen Rechtszustand eingreifen; — i m systematischen Element der Auslegung ist der innere Zusammenhang von Rechtsinstituten und Rechtsregeln zur Geltung zu bringen 30 . Von diesem geschilderten Normalfall der Auslegung getrennt untersucht v. Savigny die Auslegung mangelhafter Gesetze. Hier sind die Gründe, die zu dem Gesetz geführt haben, mit zu berücksichtigen 31 . v. Savigny unterscheidet zwei Arten von Gründen, die zu einem konkreten Gesetzesentwurf führen können: vergangenheits- und zukunftsbezogene Gründe. Ein vergangenheitsbezogener Grund liegt dann vor, wenn der Gesetzgeber ein Gesetz m i t einer höheren, bereits geltenden Regel begründet hat. Unter zukünftigen Gründen versteht v. Savigny die Gründe eines Gesetzes, die eine soziale Wirkung intendierten 32 . Während der subjektiven Auslegung bei normalen Gesetzen keine selbständige Erkenntnisfunktion zukommen kann, ist dies anders bei mangelhaften Gesetzen. Die Gründe des Gesetzgebungsverfahrens, die zu einem konkreten Gesetz geführt haben, dürfen und müssen insoweit herangezogen werden, als sie klar erkennbar sind und eine Verwandtschaft zum Gesetzesinhalt besteht 83 . Das immanente Problem dieses Ansatzes ist — und damit kommen w i r zu v. Mohls Position zurück —, daß es zur Bestimmung der Mangelhaftigkeit eines Gesetzes erforderlich ist, subjektiv auszulegen. Diese Notwendigkeit drängte sich auch dadurch auf, daß v. Savigny unter mangelhaften Gesetzen auch solche verstand, die unrichtig i m Ausdruck waren 3 4 . Es bleibt die Erkenntnis v. Mohls, daß der Versuch, die Gesetze i n klare und unklare einzuteilen, i n normale und mangelhafte, die Frucht eines verfehlten Scharfsinns ist 3 5 , zumal häufig die Mangelhaftigkeit erst 29 31 33 35
v. Savigny, 1940, S. 222 ff. ebd., S. 235. ebd., S. 236. ν. Mohl, 1860, S. 121 f.
30 32 34
ebd., S. 216. ebd., S. 236. So v. Savigny,
1840, S. 222.
44
3. Rekonstruktion der neueren Diskussion der subjektiven Auslegung
bei spezifischen Anwendungsfällen auftritt. Die Gesetze sind nicht „an sich" „mangelhaft", sondern vielmehr stellt sich die Mangelhaftigkeit erst i n der Rechtsanwendung heraus. v. Mohl, der, wie dargestellt, davon ausgeht, daß bei jeder Interpretation eines Gesetzes auch eine Interpretation der Gesetzesmaterialien stattzufinden hat, setzt sich auch mit den Argumenten auseinander, die immanent gegen die Benützung der Gesetzesmaterialien sprechen sollen. So wurde von Schaffrath behauptet, die Gesetzesmaterialien seien gegenüber den Gesetzen etwas Fremdes, Heterogenes 36 , v. Mohl wendet hiergegen ein, daß man die Beratungen über Zwecke von Gesetzen, Beschlüsse über Verwerfung oder Zustimmung i m Ganzen und i m Einzelnen, die Erklärungen über den wahren Sinn gewisser Ausdrücke i m Gesetz, nicht als etwas dem Gesetz Heterogenes erklären kann. Polemisch formuliert er: „Hier ist man wirklich i n Verlegenheit, ob man den Sinn der Einwendung richtig aufgefaßt habe, so unbegreiflich ist sie 37 ." Ein weiterer Einwand Schaffraths gegen die Gesetzesmaterialien geht dahin, daß sie lediglich die Aufgabe haben, die anderen Gesetzgebungsfaktoren zur Zustimmung zu überreden. Das Gegenargument v. Mohls läßt sich wie folgt zusammenfassen: Dies mag vorkommen. Aber nur i n wenigen Fällen kann ein Gesetzgebungsfaktor ein Interesse daran haben, einen falschen Grund eines Gesetzes vorzuzeigen 38 . Zwar ist bei der Interpretation der Gesetzgebungsmaterialien darauf zu achten, daß diese nicht lediglich Scheinbegründungen für ein Gesetz enthalten, jedoch ist dies i m Regelfall nicht anzunehmen 39 . v. Mohl unternimmt den Versuch, Regeln des Gebrauchs der Gesetzesmaterialien aufzustellen. Zunächst zu den allgemeinen Regeln des Gebrauchs von Gesetzgebungsmaterialien: 1. Stillschweigend können sich Gesetzgebungsfaktoren nur auf etwas einigen, hinsichtlich dessen sie vollkommene Kenntnis hatten 40 . 2. Soweit derselbe Gesetzgebungsfaktor über denselben Gegenstand zu verschiedenen Zeiten widersprechende Erklärungen abgegeben hat, ist die spätere Erklärung zu verwenden 41 . 3. Beziehen sich widersprechende Erklärungen auf verschiedene Gegenstände, so muß versucht werden, die wirkliche Absicht des Gesetzgebungsfaktors zu ermitteln 4 2 . 36 38 40 42
Schaffrath, 1842, S. 26. ebd., S. 124. ebd., S. 128. ebd., S. 129.
37 39 41
v. Mohl, 1860, S. 123. ebd., S. 124. ebd., S. 128.
3.1. Auseinandersetzung m i t dem „ w a h r e n " W i l l e n des Gesetzgebers
45
4. Wenn es unterschiedliche Erklärungen, unterschiedliche Gesetzgebungsfaktoren gibt, so heben sich diese unvereinbaren Erklärungen auf 43 . 5. Gesetzgebungsmaterialien müssen vollständig benutzt werden 44 . Neben diesen allgemeinen Regeln des Gebrauchs der Gesetzgebungsmaterialien beschäftigt sich v. Mohl damit, inwieweit die unterschiedlichen Arten der Erklärungen zu den Gesetzen relevant sind: 1. Die Motive eines Gesetzes, die den Gesetzesmaterialien zu entnehmen sind, bedürfen stets der Beachtung 45 . 2. Ein Motiv zu einem bestimmten Bestandteil eines Gesetzes ist ebenso beachtlich 46 . 3. Konkrete Motive zu einem Teil einer Äußerung i n einem Gesetz gehen allgemeinen Motivierungen des Gesetzes vor 4 7 . 4. Generell beachtlich sind nur die Motivierungen der Regierungen und der einzelnen Kammern 4 8 . 5. Motive eines Ständemitglieds sind auch dann unbeachtlich, wenn diesem Motiv i n der Versammlung nicht widersprochen wurde. Sie sind allerdings dann relevant, wenn ein besonderer Nachweis ihrer Billigung geführt werden kann 4 9 . 6. Soweit von einem Gesetzgebungsfaktor Bedingungen für die Zustimmung formuliert wurden, sind diese Bedingungen stets beachtlich 50 . 7. Erklärungen über den Rechtsinhalt eines bestimmten Wortes sind nur dann beachtlich, wenn sie von einem Gesetzgebungsfaktor getroffen wurden. Dies auch dann, wenn alle Gesetzgebungsfaktoren diesem konkreten Rechtsinhalt ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt haben 51 . Die Interpretationsregeln v. Mohls sind natürlich auf „Ständegesetzgebung" zugeschnitten. Trotzdem sind sie großteils überzeugend. Wichtig an den Regeln ist, daß bei subjektiver Auslegung die Gesetzesmaterialien vollständig herangezogen werden müssen. Weiter machen die Regeln deutlich, daß der Interpret der Gesetzesmaterialien zunächst versuchen muß, Widersprüche abzugleichen, und daß erst dann, wenn dies nicht möglich ist, davon ausgegangen werden darf, daß sich ein Wille des Gesetzgebers nicht feststellen läßt. Auch ist die Regel über43 45 47 49 51
ebd., ebd., ebd., ebd., ebd.,
S. 129. S. 131. S. 131. S. 132. S. 131.
44 46 48 50
ebd., ebd., ebd., ebd.,
S. 130. S. 130. S. 131. S. 132.
46
3. Rekonstruktion der neueren Diskussion der subjektiven Auslegung
zeugend, daß nur das Material herangezogen werden soll, von dem angenommen werden kann, daß die Mitglieder des gesetzgebenden Organs vollständige Kenntnis hatten. Eine zentrale Interpretationsregel der Gesetzesmaterialien ist auch, daß konkrete Motive u m so relevanter sind, je konkreter sie m i t dem Gesetz zusammenhängen 52 . Relevant dürfte auch die Regel von v. Mohl sein, daß mit der Äußerung einzelner Abgeordneter vorsichtig umgegangen werden muß. Die Interpretationsregeln, die v. Wächter und v. Mohl hinsichtlich der subjektiven Auslegung aufgestellt haben, zeigen eine Dimension innerhalb der Diskussion von Auslegungselementen, die heute oft zu kurz kommt: Die Diskussion eines Auslegungselementes setzt voraus, daß man nicht nur darlegt, was innerhalb eines „Auslegungselementes" erschlossen werden soll, vielmehr muß gleichzeitig gezeigt werden, wie dieses „Erschließen" möglich ist 5 8 . I n der strafrechtlichen Auslegungsmethodologie ebbte der Streit um die Verwendung der Gesetzesmaterialien nach der brillanten Neuformulierung v. Mohls zunächst ab. Diskutiert wurden Einzelheiten des Problemkreises, inwieweit der Richter an den „wahren Sinn", auf den sich die Gesetzgebungsfaktoren geeinigt haben, gebunden sei. Der Streit u m die subjektive Auslegung wurde i n der allgemeinen Auslegungsmethodologie aber neu entfacht durch den Erlaß eines Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches (1861) m i t umfangreichen Protokollen. Goldschmidt formulierte für das Zivilrecht eine subjektive Auslegungstheorie 54 . Hahn bewertete dagegen die Materialien lediglich als Privatarbeit von Gelehrten 55 . I m Strafrecht trat m i t Binding eine Neuorientierung der bisherigen Auslegungsmethodologie ein 58 . Binding formulierte i m Anschluß an Töhl: „ M i t dem Momente der Gesetze Publikation, mit deren kategorischer Erklärung: wie es i n dem Gesetze steht, so soll es recht sein — verschwindet mit einem Schlage der ganze Unterbau von Absichten und Wünschen des geistigen Urhebers des Gesetzes, j a der Gesetzgeber selbst: Und das ganze Gesetz ruht von nun an auf sich, gehalten durch die eigene K r a f t und Schwere, erfüllt von eigenem Sinn; oft klüger, oft weniger klug als sein Schöpfer, oft reicher, oft ärmer als dessen Gedanken, oft glücklicher i m Ausdruck, als diese zu vermuten wagten, und 52 58 54 55 56 57
Vgl. dazu Kap. 3.2.1 u n d Kap. 5.4.3.2. Vgl. Kap. 5.3. Goldschmidt, 1866, S. 40 ff. Hahn, 1879, 1. Bd., § 18. Vgl. dazu Binding , 1885, S. 450. Binding , 1885, S. 455; i m Anschluß an Töhl, 1851.
3.1. Auseinandersetzung m i t dem „ w a h r e n " W i l l e n des Gesetzgebers
47
hie und da an Stellen, wo der Autor festgefügte, dem Mißverständnis spottende Satzung sah, plötzlich durch die Verkettung von den guten Teilen der Norm i n unheilvolles Schwanken geraten 57 ." Nach Auffassung von Bindung t r i t t an die Stelle des „wahren Sinnes" eines Gesetzes der „Wille des Gesetzes". „Was aber i n Wahrheit das Gesetz denkt, also auch w i l l , darüber entscheidet nach seiner Publikation kein persönlicher Wille mehr. Das Gesetz denkt und will, was der vernünftig auslegende Volksgeist aus i h m entnimmt 5 8 ." Drei geistige Wurzeln veranlaßten einen beispiellosen Siegeszug der objektiven Auslegung: 1. Es setzte sich immer mehr die Vorstellung durch, die auf Thibaut zurückgeht, daß m i t der Promulgation ein tiefer Einschnitt vollzogen wird 5 9 . 2. M i t v. Savignys Volksgeistlehre war es möglich, dem Willen des Gesetzgebers einen Willen des Gesetzes gegenüberzustellen 60 . 3. Es setzte sich immer mehr die Auffassung durch, daß es nur objektiver Auslegung gelänge, praktischen Bedürfnissen der Gesellschaft gerecht zu werden. Binding formuliert wörtlich: „Durch die Lösung des Rechtswillens vom Individuum erlangt das Recht die Fähigkeit, trotz allem Wechsel Generationen auf Generationen zu beherrschen, erlangt es nicht zum geringen Teil seinen Reichtum und seine Schmiegsamkeit 61 . " Kohler hebt 1886 die drei geistigen Wurzeln objektiver Auslegung deutlich hervor: 1. Nach seiner Auffassung steht das Gesetz dem Verfasser als etwas Fremdes gegenüber. M i t der Bekanntmachung löst es sich von seinen Motiven 6 2 . 2. Ziel der Auslegung ist es, dasjenige zu ermitteln, was das Gesetz w i l l . Der Wille des Gesetzes ist nach der Auffassung von Kohler kein Wille i m psychologischen Sinne, vielmehr ist der Wille des Gesetzes ein Wille i m teleologischen Sinne, nämlich organisches
58
ebd., S. 456, 457. Thibaut , 1806, S. 22. 80 Vgl. dazu v. Savigny, 1914, S. 213. Umstritten ist, ob die Vorstellung, daß Gesetzen ein eigener W i l l e zukommt, auf v. Savignys Volksgeistlehre oder auf Hegels Theorie des objektiven Geistes zurückzuführen ist. V e r m u t lich ist diese Auffassung durch beide Theorien „plausibel" gemacht worden. 81 Binding , 1885, S. 455; zum Ganzen Baden, 1976. 82 Vgl. dazu Kohler, 1886, S. 3 ff. 59
48
3. Rekonstruktion der neueren Diskussion der subjektiven Auslegung
Zweckstreben 63 . Die Worte des Gesetzes sind nicht tote Worte, sondern Träger von etwas „Geistigem" 6 4 . Von hier aus w i r d verständlich, daß Kohler hinsichtlich der Auslegungselemente v. Savignys vorschlägt, statt von logischer Interpretation besser von teleologischer Interpretation zu sprechen 65. Die Methodenlehre hat diese Übersetzung des Kanons der logischen I n terpretation i n teleologische Interpretation weitgehend akzeptiert. 3. Kohler bringt die Notwendigkeit der Anpassung von Gesetzen dadurch zum Ausdruck, daß er meint, dasjenige Zweckstreben des Gesetzes sei das vernünftigste, welches den derzeitigen Bedürfnissen am besten gerecht wird 6 6 . A u f das Promulgationsargument w i r d noch einzugehen sein 67 . Die Vorstellung, daß dem Gesetz selbst ein Wille zukommt, dürfte auf die ältere Begriffsjurisprudenz, die aus der historischen Rechtsschule entstanden ist, zurückgehen. Recht w i r d hier als etwas verstanden, das überindividuell i m Volk lebt. Es ruht i n den allgemeinen Begriffen eines Volkes, aus denen lediglich abgeleitet werden muß. Die Begriffe des Gesetzes werden als schon dem Volksgeist entnommene verstanden. Da den „Begriffen" des Volkes ein eigener Wille zugesprochen wird, ruht dieser auch i n den Gesetzen. Diese Vorstellung ist heute als verfehlt anzusehen. Wie bereits ausgeführt 68 , haben Begriffe nicht „an sich" Bedeutung, vielmehr konstituiert sich Bedeutung erst über Gebrauchsregeln der Begriffe. Auch die Begriffe des Gesetzes gewinnen erst Bedeutung und Sinn, wenn m i t ihnen umgegangen wird. Die Bedeutung der Norm konstituiert sich über den Gebrauch, den Interpreten von der Norm machen. Weiter: W i r d der Norm selbst ein „geistiges Sein" zugesprochen, so w i r d Recht außerhalb der konkreten Wirklichkeit legitimiert. Konkretes Recht ist dann dadurch legitimiert, daß es zu dieser Sphäre gehört. Rechtsanwendung findet dann ihre Legitimation dadurch, daß „Auserwählte" i n der Lage sind, den „ W i l l e n des Gesetzes" zu erfassen. Es bleibt noch darauf hinzuweisen, daß völlig unklar ist, wie man sich die ontische Qualität eines Willens des Gesetzes vorzustellen hat 6 9 . 88
84 ebd., S. 1—2. ebd., S. 34. ββ ebd., S. 35. Kohler, 1886, S. 35. e7 68 Vgl. dazu Kap. 4. Vgl. Kap. 2.1. 89 I n neuester Zeit wurde zwar, i m Anschluß an Nicolai Hartmann, versucht, Recht eine eigene ontische Substanzialität zuzuweisen (die ideale Seinsweise des Rechts w u r d e kontrastiert zur „sozialen" Seinsweise — vgl. dazu Coing, 1976, S. 288; Larenz, 1979, S. 304), jedoch erscheinen diese Versuche als nicht geeignet, die ontische Qualität eines Willens des Gesetzes zu begründen (vgl. dazu ausführlich Neumann, 1981 a). 65
3.2. Die subjektive Auslegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts
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Das Argument, daß nur objektive Auslegung adäquat auf gesellschaftliche Bedürfnisse antworten könne, ist nur dann ein plausibles Argument gegen subjektive Auslegung, wenn Auslegung auf subjektive Auslegung reduziert wird. 3.2. Die subjektive Auslegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts 3.2.1. Bierling
Z u Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte die subjektive Auslegung i n einer veränderten Fassung eine Renaissance. Die Reformulierung der subjektiven Auslegung, die den Bedenken gegen die subjektive Auslegung Rechnung tragen wollte, wurde durch Bierling eingeleitet. Nach Auffassung von Bierling sind Normen Ausdruck eines bestimmten Willensinhaltes, kundgegeben m i t der Intention, daß die Norm so aufgefaßt werden soll, wie sie die normsetzenden Organe wirklich gedacht und gewollt haben 70 . Die geschriebenen Sprachzeichen sind für Bierling M i t t e l zur Erforschung der Intention des Gesetzgebers. M i t Hilfe der grammatikalischen Auslegung ist zunächst festzustellen, ob die Worte rein sprachlich gesehen einen klaren Sinn ergeben oder ob die sprachliche Fassung mehrdeutig ist 7 1 . Die Feststellung eines klaren Sprachgebrauchs schränkt die Zahl möglicher Deutungen ein. Jedoch ist nicht nur der mögliche Wortsinn entscheidend, es muß auch der fachsprachliche Aspekt juristischer Begriffe berücksichtigt werden. Der klare Wortsinn wird, so Bierling, unter zwei Aspekten eingeschränkt: 1. durch den Zusammenhang der i n einer Äußerung Sprachelemente,
verbundenen
2. durch den Zusammenhang der Norm mit anderen Normen sowie dem Zweck der Normsetzung. Innerhalb des Rahmens sprachlicher Deutungsmöglichkeiten kann und muß nun der Wille des Gesetzgebers, der sich aus der Entstehungsgeschichte ergibt, ermittelt und berücksichtigt werden. Bei der allgemeinen Erforschung der Entstehungsgeschichte des Gesetzes müssen zunächst die Bedürfnisse und Lebensanschauungen der Gesellschaft zum Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes erforscht werden. Dieser Form des Erforschens des gesetzgeberischen Willens kommt jedoch nur mittelbarer Beweiswert zu 72 . 70 71 72
Bierling, 1896 I V , S. 256 f. ebd., S. 213. ebd., S. 286.
4 Schroth
50
3. Rekonstruktion der neueren Diskussion der subjektiven Auslegung
Weiter hat der Auslegende zu ermitteln, was die zur Gesetzgebung Berufenen m i t dem Gesetz insgesamt beabsichtigt und was sie mit den Worten des Gesetzes gemeint haben. Der Rechtsinhalt, den der Gesetzgeber dem Gesetz beilegen wollte, findet insoweit Beachtung, als die erläuternden Worte des Gesetzes i m Gesetz Eingang gefunden haben und i m Moment der Erklärung als Worte des Erklärenden selbst verstanden werden können 73 . Relevant sind die erläuternden Worte derjenigen, die eine Gesetzesvorlage entworfen haben und zu einer Gesetzesvorlage befugt sind. Nach Auffassung von Bierling sind weiter die Gesetzesmotive relevant. Unter Gesetzesmotiven versteht Bierling die Zwecke, die mit dem Gesetz i m ganzen oder m i t einzelnen Teilen verfolgt werden 74 . Die Motive des Gesetzes sind jedoch nur mittelbar relevant. Dies deshalb, da sie nur den Schluß zulassen, welche von mehreren Auslegungshypothesen diejenige ist, die dem Gesetzeszweck am meisten entspricht 75 . Zwischen Zweck und M i t t e l besteht kein so einzigartiger Zusammenhang, daß nur eine Auslegungshypothese einen konkreten Zweck realisieren kann. Bierling lehnt es ab, bei der Gesetzesauslegung die „Entschließungsgründe" der Abgeordneten i n den Auslegungsprozeß miteinzubeziehen. Unerheblich ist also, welche Gründe die Abgeordneten hatten, einem Gesetz zuzustimmen. Auslegung ist nach Auffassung von Bierling dann gelungen, wenn die sprachliche Fassung und die Intentionen des Urhebers eines Textes eine Einheit bilden. Ziel der Auslegung ist es, den Text als individuelle Allgemeinheit zu verstehen 76 , er soll vor dem Hintergrund des Verständnisses des Gesetzgebers reformuliert werden. 3.2.2. Ph. Heck
Heck hat ebenfalls eine Neuformulierung der subjektiven Auslegung vorgelegt, die einerseits an Bierling orientiert war, andererseits auf dem Boden einer neuen methodischen Richtung stand, der Interessenjurisprudenz 77 . Er geht davon aus, daß Rechtsätze nicht aus der Struktur von Rechtsgebilden abzuleiten sind, sondern „daß sie hervorgehen aus der Ent73 74 75 76 77
ebd., S. 282. ebd., S. 286. ebd., S. 286. Vgl. dazu Frank, 1977, S. 13 ff. Vgl. dazu Bierling, 1896 V, S. 95 ff.
3.2. Die subjektive Auslegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts
51
Scheidung angeschauter Interessenkonflikte, entschieden nach dem Werte, den die Rechtsgemeinschaft den beteiligten Interessen beilegt" 7 8 . K e i n Rechtssatz ist für Heck erkannt, dessen Interessengehalt nicht adäquat wiedergegeben wird. Das Gesetz ist die Kraftdiagonale der u m Vormacht ringenden Interessen i n der Rechtsgemeinschaft. Das Gesetz ist nicht eine Form der Gerechtigkeit, sondern ein Instrument zur Durchsetzung der politischen Entscheidungen des Souveräns, wie ein spezifischer Interessenkonflikt geregelt werden soll. Der Schlüssel für das Verständnis der interessenjuristischen Problemstellungen ist die Unterscheidung von Bestimmungs- und Bewertungsnormen 79 . Von den gesetzlichen Gebotsgebilden (Bestimmungsnormen) ist die Bewertungsnorm zu unterscheiden, die das Werturteil enthält, das die Norm begründet. Das Werturteil kommt dabei nicht m i t der Sprache der Gebotsnorm aus, sondern muß auf eigene Begriffe, die Interessenbegriffe, zurückgreifen. Wie fügt sich nun die subjektive Auslegung i n die interessen juristische Konzeption ein? Nach Auffassung von Heck hat subjektive Auslegung das Werturteil zu erforschen, das den konkreten gesetzlichen Gebotsgebilden zugrunde liegt. Die historischen Interessen, die dem Gebot zugrunde liegen, sind zu rekonstruieren, und dann ist das Werturteil, das der Gesetzgeber zu diesem Interessenkonflikt gefällt hat, festzustellen. Für die historische Interessen- und Werturteilsforschung spricht die einfache Erkenntnis, daß alle diejenigen Gemeinschaftsinteressen, welche für das Gesetz kausal sind, durch diese Form der Auslegung am besten gewahrt werden 80 . Die Gesellschaft hat ein Interesse daran, daß mit dem Gesetz gerade diejenigen Interessen realisiert werden, die der Gesetzgeber mit dem Gesetz durchzusetzen beabsichtigt hat. W i r d auf historische Auslegung verzichtet, so w i r d darauf verzichtet, daß diejenigen Interessen durchgesetzt werden, die der Gesetzgeber favorisiert. Die Regelungsvorstellungen des Gesetzgebers entscheiden über den Inhalt der Rechtssätze. Nur da, wo gesetzliche Werturteile fehlen, muß der Richter die Rechtssätze i n schöpferischer Tätigkeit neu schaffen, aber i n weiterdenkendem Gehorsam gegenüber dem Gesetzgeber. Der Richter muß zur Interessenerforschung alle Erkenntnismittel benutzen, die i h m zur Verfügung stehen. Für die Interessenerforschung genügen auch Wahrscheinlichkeiten 81 . Besonderes Gewicht bei der Er78 70 80
4*
Heck, 1905, S. 1140. Vgl. dazu Ellscheid, 1974, S. 7 ff. Heck, 1914, S. 59.
52
3. Rekonstruktion der neueren Diskussion der subjektiven Auslegung
forschung der historischen Interessen, die dem Gesetz zugrunde liegen, kommt den Gesetzesmaterialien zu. Gegen die Verwendung der Gesetzesmaterialien kann, so Heck, nicht geltend gemacht werden, daß sie nicht zu einer Beobachtung eines Willensvorgangs des Gesetzgebers führen. Der psychische Wille des Gesetzgebers ist nämlich nicht zu erforschen. Vielmehr soll lediglich ermittelt werden, welche Interessen für ein konkretes Gesetz kausal geworden sind. Für die Auffassung, daß die Gesetzesmaterialien benützt werden müssen, spricht die Erkenntnis, daß die Entstehungsgeschichte geeignet ist, ein richtiges Verständnis der Interessen zu gewinnen, die das konkrete Gesetz herbeigeführt haben 82 . Der Hauptwert der Gesetzesmaterialien besteht für Heck darin, daß die Entstehung der Gesetzesworte vor Augen geführt wird, „die oft verschiedenartige Gedankenschichten aufweist, die i m selben Paragraphen ihren Niederschlag gefunden haben" 83 . Die Vorstellungen, die bei der Gesetzesgeschichte hervorgetreten sind, haben vor allen Dingen dann eine große Relevanz, wenn sie unmittelbar m i t der Aus formung der Gesetzesworte zusammenhängen 84 . Die Hecksche Version der subjektiven Auslegungstheorie stellt unter zwei Aspekten eine Neuerung dar: 1. Die subjektive Auslegung hat nichts mehr m i t einer subjektiven Willensdeutung des historischen Gesetzgebers zu tun. Vielmehr ist es die Aufgabe subjektiver Auslegung, die Gesetzesnormen als Handlungsprodukte des Gesetzgebers zu verstehen. Dem „semantischen" Ausdrucksverstehen der Gesetzesnorm w i r d ein „Handlungsverstehen" des Gesetzgebers gegenübergestellt. Für das Handlungsverstehen ist einerseits der Begriff des „Interesses" zentral, andererseits der Begriff der „Kausalität". Der Begriff des „Interesses" ist insofern wichtig, als die gesetzgeberische Handlung als Bewertung von konkreten, i n der Gesellschaft existierenden Interessen reformuliert werden soll. Der Begriff der „Kausalität" ist für das Handlungsverstehen insoweit bedeutungsvoll, als auch verstanden werden muß, wie die Bewertung von Interessen Eingang i n das Gesetz gefunden hat. 2. Weiter w i r d trotz subjektiver Auslegung der Standpunkt vertreten, daß i m richterlichen Handeln auch innovative Momente stecken und stecken müssen. Der Richter ist, soweit ein Fortbildungsinteresse besteht, zur Weiterentwicklung der Gesetzesnorm befugt. Er ist nur an diejenigen Werturteile des Gesetzgebers gebunden, die er relativ 81 82 88 84
Heck, Heck, Heck, Heck,
1914, 1914, 1914, 1914,
S. 98. S. 114 ff. S. 116. S. 116 f.
3.2. Die subjektive Auslegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts
53
sicher feststellen kann. Liegen hinsichtlich eines zu entscheidenden Interessenkonfliktes keine Werturteile des Gesetzgebers vor, so muß der Richter selbständig Werturteile entwickeln, allerdings i n Analogie zu gesetzgeberischen Wertentscheidungen. Gebunden ist der Richter an Werturteile des Gesetzgebers bei gleichbleibenden Interessenkonflikten. Eine Ergänzung des Gebotsgebildes hält Heck häufig für erforderlich. Notwendig ist jedoch, daß argumentativ gezeigt wird, daß auch ein Ergänzungsinteresse der Norm besteht. Hegler wollte den Heckschen Begriff des Interesses für das Strafrecht durch den Begriff des „Zweckes" ersetzen. Dies deshalb, da nach A u f fassung von Hegler die kollidierenden Interessen i m Strafrecht eine nicht so entscheidende Rolle wie i m Privatrecht spielen 85 . Heck wies demgegenüber darauf hin, daß der Begriff des Zweckes einer Norm lediglich die i m Interessenkonflikt überwiegenden Interessen bezeichnet. Dies ist ungenügend. Nach Auffassung von Heck ist der Grad der Zweckverwirklichung einer Norm auch von der Stärke der überwiegenden Gegeninteressen abhängig. M i t der Zweckidee ist auch verbunden die Idee, wie weit Zwecke verwirklicht werden sollen. Der Richter ist, nach Heck, insoweit an die Gegeninteressen, die der Zweckverwirklichung entgegenstehen, gebunden, als der Gesetzgeber sie berücksichtigen wollte 8 6 . 1915 wurde die subjektive Auslegung durch Wüstendörfer einer scharfen K r i t i k unterzogen 87 . Wüstendörfer übte zunächst K r i t i k an dem Begriff des „Willens des historischen Gesetzgebers". Seiner Auffassung nach war die Mystizität dieses Begriffes das Korrektiv, daß die alltäglichen Entscheidungen der Gerichte als Nachvollzug des Willens des historischen Gesetzgebers ausgegeben werden konnten 88 . Der Begriff „Wille des Gesetzgebers" vermittelt, psychologisch verstanden, keine adäquate Vorstellung. Die Willensbildung i n parlamentarischen Staaten bezieht sich bei der Verabschiedung von Gesetzen nur auf den Wortlaut des Gesetzes89. Gegen die Auffassung Hecks vom „Willen des historischen Gesetzgebers" wendet Wüstendörfer ein, daß, soweit der Gesetzgeber „objektiviert" befragt werde, das Werturteil des Beurteilers i n den Gesetzgeber hineinprojiziert werde. 85 88 87 88 89
Hegler, 1914—15, S. 19 f.; Hegler, 1931; Schaffstein, 1926, S. 47. Vgl. dazu Heck, 1932, S. 46 f. Vgl. dazu Wüstendörfer, 1915—16, insbesondere S. 170 ff. Vgl. dazu Wüstendörfer, 1915—16, S. 304, u n d Wurzel, 1924. Vgl. dazu Wüstendörfer, 1915—16, S. 307.
54
3. Rekonstruktion der neueren Diskussion der subjektiven Auslegung
Wüstendörfer zerlegt die Anwendung von Gesetzesnormen i n drei Elemente: a) i n die Ermittlung des hypothetischen Tatbestandes, b) i n die Ermittlung der Norm des Gesetzes, c) i n die Ermittlung des Zweckes des Gesetzes. I m hypothetischen Tatbestand des Gesetzes spiegelt sich eine typische Interessenlage; die Norm enthält die Regelung dieser Interessenlage. Hinter der Interessenregelung stehen i m Normalfall gesellschaftliche Zielvorstellungen. Gesetze sollen der Erreichung gesellschaftlicher Ziele dienen. Wüstendörfer fordert nun den Interpreten auf, eine Harmonie von Tatbestand, Norm und Zweck der Norm herzustellen. I n der Regel hat die Auslegung von Gesetzen m i t einer geschichtlichen Rekonstruktion des Tatbestandes (der Interessenlage) zu beginnen 90 . Diese hat jedoch nur informatorischen Wert. Der Grund hierfür ist, daß der Zweck der Rechtsprechung nicht i n der Wahrung historischer Altertümer gesehen werden kann. Bei der historischen Ermittlung kann sich ergeben: 1. Die Gesetzesverfasser haben eine bereits beim Erlaß des Gesetzes vorhandene Interessenlage übersehen, 2. die Interessenlage hat sich seit dem Erlaß des Gesetzes geändert. Weiter kann sich herausstellen, daß die Normvorstellung der Gesetzesverfasser ein ungeeignetes M i t t e l zur Erreichung des vom Gesetzgeber intendierten Normzweckes ist. Es ist auch möglich, daß der Gebotszweck, den die Gesetzesverfasser gesetzt haben, heutigen Werturteilen der „führenden Kulturschicht" zuwiderläuft 9 1 . I n allen diesen Fällen ist es erlaubt, das Gesetz fortzubilden. I n folgendem Punkt stimmt Wüstendörfer den Anhängern subjektiver Auslegung zu: Stellt sich bei der Auslegung heraus, daß die Norm hinsichtlich des gesellschaftlichen Zweckes, den der Gesetzgeber beabsichtigte, nicht tauglich ist, so muß die Norm „berichtigend" ausgelegt werden 92 . Nach Auffassung der Anhänger einer subjektiven Auslegungstheorie ergibt sich dies daraus, daß anzunehmen ist, daß die Gesetzesverfasser denjenigen Norminhalt wollten, der das geeignetste M i t t e l zur Normerfüllung ist 9 3 . Wüstendörfer fügt hinzu, daß der Zweck des Handelns immer 90 91 92 93
Wüstendörfer, 1915—16, S. 315. Wüstendörfer, 1915—16, S. 316. So Regelsberger, 1893, S. 149; dazu Wüstendörfer, So etwa Enneccerus, 1913, S. 117.
1915—16, S. 318.
3.2. Die subjektive Auslegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts
55
höher zu bewerten ist als die Mittel. Wüstendörfer stimmt auch den Subjektivisten u m die Jahrhundertwende insoweit zu, als er der A u f fassung ist, daß Rechtsvorschriften, die über den Zweck ihres Erlasses hinausgehen, nur so „extensiv" interpretiert werden dürfen, wie der Zweck der Norm dies verlangt 9 4 . Soweit ein Zweck, den der Gesetzgeber setzen wollte, nicht erkennbar ist, ist nach Auffassung von Wüstendörfer der Zweck zu wählen, der den Werturteilen der führenden K u l turschicht entspricht. Das Gesetz ist zu sozialisieren 95 . Eine Differenz zur subjektiven Auslegung Hecks besteht an drei Punkten: 1. Wüstendörfer glaubt, i m Gegensatz zu Heck, daß Richter sich faktisch nicht an Werturteilen des Gesetzgebers orientieren. 2. Wüstendörfer ist weiter der Auffassung, daß die „beschauten Interessenkonflikte", für die Heck die Bindung des Richters an den W i l len des Gesetzgebers bejaht, selten vorkommen 9 6 . 3. I m Gegensatz zu Heck vertritt Wüstendörfer die These, daß das Werturteil des historischen Gesetzgebers auch bei beschauten Interessenkonflikten überwunden werden muß, soweit es entgegenstehende Werturteile der führenden Kulturschicht gibt 9 7 . 3.2.3. Stellungnahme
Das Verdienst von Bierling liegt darin, daß er semantische Auslegung und subjektive Auslegung nicht mehr i m Kontrast sieht. Semantische Auslegung und subjektive Auslegung sind i n mancherlei Hinsicht verknüpft. Häufig läßt sich aufgrund klarer Formulierungen eines Gesetzes hinsichtlich eines Sachverhaltes die Aussage treffen, daß der Gesetzgeber genau diesen Sachverhalt unter die Norm subsumiert wissen wollte. Der Wille des historischen Gesetzgebers ist gegenüber den Sprachregeln nichts Fremdes. Dies kann und darf aber nicht dazu führen, daß man das Ergebnis, das sich aus den Sprachregeln ergibt, m i t dem, was der Gesetzgeber wollte, identifiziert. Einerseits kann der Gesetzgeber Sprachfehler begehen. Andererseits formuliert der Gesetzgeber seine Gesetze auch immer nur für „Normalbedingungen" 9 8 . Es kann sich herausstellen, daß für bestimmte Sachverhalte die Formulierungen einer Norm unklar oder sogar untauglich werden, auch kann 94 95 96 97 98
Vgl. dazu Wüstendörfer, 1915—16, S. 319; Enneccerus, Vgl. dazu Wüstendörfer, 1915—16, S. 319. So Wüstendörfer, 1915—16, S. 443. Vgl. dazu Wüstendörfer, 1915—16, S. 456. Vgl. dazu Heck, 1914, § 13.
1913, S. 117 f.
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3. Rekonstruktion der neueren Diskussion der subjektiven Auslegung
sich ergeben, daß die Transformation einer Wertung i n einen konkreten imperativen Gehalt einer Norm mißlungen ist. Bierling hat weiter sicherlich das Verdienst, hinsichtlich des Willens des historischen Gesetzgebers unterschieden zu haben zwischen Rechtsinhalts- und Rechtszweckvorstellungen. Diese Unterscheidung ist aus mehreren Gründen wichtig: I m Gegensatz zu Rechtsinhaltsvorstellungen des Gesetzgebers besteht bei Zwecken, die der Gesetzgeber w i l l , kein so einzigartiger Zusammenhang, daß nur eine Auslegungshypothese dieser Aufgabe dienen kann. Häufig muß deshalb bei gesetzgeberischen Zweckvorstellungen vom Interpreten entschieden werden, welche von mehreren Auslegungshypothesen diejenige ist, die dem Gesetzeszweck am meisten entspricht". Weiter: Bei Rechtszweckvorstellungen w i l l der Gesetzgeber häufig nur, daß diese „partiell" realisiert werden. Nicht jeder Zweck einer Gesetzesnorm rechtfertigt dann jede Auslegungshypothese, die dem Zweck dient. Heck gebührt zunächst das Verdienst, durch seine Unterscheidung von Bestimmungs- und Bewertungsnorm die Notwendigkeit subjektiver Auslegung besonders deutlich herausgearbeitet zu haben. Hinter jeder konkreten imperativen Bestimmung eines Gesetzes sollte eine spezifische Bewertung von Interessen gesehen werden. Die konkrete Bewertung von Interessen durch den Gesetzgeber kann immer auch i n einen inadäquaten imperativen Gehalt umgesetzt werden. Wie aber anders, als durch subjektive Auslegung, kann ein inadäquater imperativer Gehalt festgestellt werden? Ein anderes Verdienst von Heck liegt darin, daß er gezeigt hat, daß es innerhalb der Gesetzesinterpretation inadäquat ist, das Gesetz einem bestimmten Zweck unterzuordnen. Relevant sind immer auch die Gegeninteressen, zumindest soweit sie der Gesetzgeber beachtet wissen wollte, die einer umfassenden Zweckverwirklichung entgegenstehen. Heck hat auch den Weg zu einem adäquaten Verständnis des Begriffes des „Willens des historischen Gesetzgebers" geebnet. M i t diesem Begriff soll kein privater geistiger A k t des Gesetzgebers bezeichnet werden. Vielmehr steht der Begriff für ein „Handlungsverstehen" des historischen Gesetzgebers 100. Die entscheidende Frage subjektiver Auslegung lautet: Wie versteht man die Handlung des Gesetzgebers, die zu einem konkreten Gesetz geführt hat, richtig? Heck hat weiter einen plausiblen Relevanzgesichtspunkt subjektiver Auslegung herausgearbeitet. Die gesetzgeberische Wertentscheidung ist dann besonders relevant, wenn sich nachweisen läßt, daß sie unmittel99 100
Bierling, 1894 I V , S. 286. Vgl. dazu Kap. 5.2.
3.2. Die subjektive Auslegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts
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bar, i n einer spezifischen Tatbestandsfassung, Ausdruck i m Gesetz gefunden hat 1 0 1 . Die Hecksche Methodenlehre macht auch deutlich, welche Hechtsauffassungen die Relevanz subjektiver Auslegung stärker betonen. Werden Rechtsnormen nicht als Form der Gerechtigkeit, sondern als politische Entscheidungen hinsichtlich bestehender und beschauter Interessenkonflikte verstanden, so liegt es nahe, auch die Rechtsanwendung an die konkrete Wertentscheidung der legitimierten Institution zurückzubinden. Geht man mit Esser von der Auffassung aus, daß Einzelfallgerechtigkeit i m konkreten Rechtsanwendungsprozeß erkannt und hergestellt werden kann, so nimmt die Relevanz subjektiver Auslegung ab 102 . Es muß noch auf die K r i t i k p u n k t e Wüstendörfers eingegangen werden. Zunächst stellt sich die Frage, inwieweit über das Verständnis des Willens des historischen Gesetzgebers eigene Wertentscheidungen des Interpreten i n die Norm eingebracht werden. Diese Frage kann nur dann endgültig beantwortet werden, wenn empirische Untersuchungen hierzu vorliegen. Auffallend ist jedoch, daß sich häufig Einigkeit darüber herstellen läßt, was als Wille des historischen Gesetzgebers angesehen werden muß, obwohl Dissens bei den Sachproblemen besteht 103 . Wüstendörfer argumentiert weiter, daß auch aufgrund des Heckschen Konzeptes keine allzu intensive Bindung des Richters gegeben wäre, da diese ja nur für beschaute Interessenkonflikte gilt. Wüstendörfer unterstellt, daß die vom Gesetzgeber beschauten Interessengegensätze nicht häufig vorkommen. Eine allgemein gültige A n t w o r t ist sicherlich wiederum auf eine empirische Untersuchung angewiesen. Jedoch läßt ein Blick i n Materialien neuer Gesetze häufig ein Spektrum von Problemen erkennen, m i t denen sich der Gesetzgeber tatsächlich auseinandergesetzt hat. Soweit Wüstendörfer vom Rechtsanwendenden verlangt, daß dieser bei der Gesetzesauslegung den Zweck zu wählen habe, der der führenden Kulturschicht entspricht, scheint diese These höchst fragwürdig. Frage ist zunächst einmal, wer die führende Kulturschicht ist. Zum andern fragt sich, woher deren Werturteile ihre gesteigerte Legitimation erfahren. Völlig offen ist i n diesem Konzept Wüstendörfers, wie besondere „Werturteile" ermittelt werden können. Ja man könnte sogar fragen, wie weit überhaupt sinnvoll von solchen gesprochen werden kann. Häufig sind Werturteile auch i n oberen Schichten umstritten. Soweit Werturteile offensichtlich unumstritten und allgemein sind, werden sie zumeist auch vom Gesetzgeber akzeptiert. M i t Heck ist davon 101 102 103
Vgl. Heck, 1914, S. 146 ff. Esser, 1972, S. 12; S. 150. Vgl. dazu Kap. 6.4.
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3. Rekonstruktion der neueren Diskussion der subjektiven Auslegung
auszugehen, daß subjektive Auslegung gerade deshalb relevant ist, da w i r häufig von einer Relativität von Werturteilen ausgehen müssen. 3.3. Die gegenwärtige Diskussion subjektiver Auslegung 3.3.1. Die subjektive Auslegung innerhalb von Auslegungspositionen, die von einer Alternativität der Zielbestimmtheit der Auslegung ausgehen 3.3.1.1.
Darstellung
Ein Teil der Methodenliteratur hält es für notwendig, innerhalb von auslegungstheoretischen Konzepten zwischen „Auslegungszielen" und „Auslegungsmitteln" zu unterscheiden. Auslegungsmittel sind der Wortlaut, der logisch-systematische Zusammenhang und der Zweck eines Gesetzes104. Das Auslegungsziel ist entweder die Erschließung des „ W i l lens des historischen Gesetzgebers" oder die „Ermittlung des heutigen Zwecks des Gesetzes". Dementsprechend muß hinsichtlich der Auslegungsmittel differenziert werden. Ist man Anhänger der subjektiven Auslegung, so muß gefragt werden, welchen Sinn der historische Gesetzgeber m i t dem Wortlaut verband, welches die Bedeutung aufgrund des systematischen Zusammenhangs ist, der i n der Absicht des Gesetzgebers liegt, welchen Zweck der historische Gesetzgeber verfolgte. Folgt man der Ansicht, daß der heutige Zweck des Gesetzes entscheidend sei, so dürfen die Auslegungsmittel nicht „subjektiv", sondern müssen „objektiv" befragt werden 1 0 5 . Die überwiegende Auffassung i n der Strafrechtswissenschaft entscheidet sich dafür, daß Ziel der Auslegung der heutige Zweck des Gesetzes ist. Die subjektive Auslegung stellt ein „Hilfsinstrument" der „objektiven" Auslegung dar 1 0 8 . Soweit die subjektive Auslegung als Hilfsmittel der objektiven Auslegung angesehen wird, werden keine Überlegungen dazu angestellt, welcher A r t Hilfe die subjektive für die objektive Auslegung leistet 107 . H i l f t die subjektive Auslegung, objektive Zwecke einer Norm erkenntnismäßig zu finden, oder kommt i h r „ n u r " eine informatorische Rolle zu? Es w i r d auch nicht erörtert, ob dem Zweck, den der historische Gesetzgeber setzen wollte, eine Hilfsfunktion zukommt, oder vielmehr dem Rechtsinhaltsverständnis des historischen Gesetzgebers. 104 v g l . dazu beispielsweise Engisch, 1972, S. 39 f. m i t weiteren zahlreichen Nachweisen. 105 Engisch, 1972, S. 58 f. 108 Statt aller, Baumann, 1977, § 13. 107 Baumann, 1977, § 13.
3.3. Die gegenwärtige Diskussion subjektiver Auslegung
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Engisch entscheidet sich bei dem Streit u m das Auslegungsziel wie folgt: Die subjektive Auslegung ist insoweit richtig, als das, was vom Gesetzgeber klar als verboten, geboten oder erlaubt angesehen wird, hinzunehmen ist. Ist das vom Gesetzgeber Gewollte nicht unmittelbar deutlich gewollt, so darf es doch aus dem Gesetz entwickelt werden, soweit kein Widerspruch zum klaren Gesetzeswortlaut entsteht. Ist ein Wille des Gesetzgebers nicht zu erkennen, so ist eine gegenwartsnahe Rechtsanwendung angebracht. Diese darf nicht m i t dem möglichen Wortlaut i n K o n f l i k t geraten. Die Entwicklung eines Gedankens, der m i t dem klar ersichtlich Gewollten i n Widerspruch gerät, ist nicht mehr Auslegung, sondern Rechtsfortbildung und bedarf besonderer Legitimation 1 0 8 . Larenz verfolgt ein ähnliches Konzept. Nach i h m muß unterschieden werden zwischen der „Aufgabe der Auslegung" und den „Kriterien der Auslegung" 1 0 9 . Larenz sieht zwei mögliche Auslegungsaufgaben. Entweder ist der Wille des Gesetzgebers oder der normative Gesetzessinn zu ermitteln. Larenz entscheidet sich für den normativen Gesetzessinn 1 1 0 . Der subjektiven Auslegungstheorie liegt nach seiner Auffassung eine Teilwahrheit zugrunde. Hinter dem Gesetz stehen Regelungsabsichten, Wertungen, Bestrebungen und sachliche Überlegungen, die i n einem Gesetz einen mehr oder minder deutlichen Niederschlag gefunden haben. Das Gesetz entwickelt jedoch i m Laufe seiner Anwendung eine eigene Wirksamkeit 1 1 1 . Es gehört der Seinsschicht des objektiven Geistes an. Dieser Tatsache trägt die subjektive Auslegung nicht genügend Rechnung 112 . Die Tatsache, daß man bei der subjektiven Auslegung nicht stehenbleiben kann, zeigt sich auch daran, daß die „großen" Anhänger der subjektiven Auslegung Anleihen bei der objektiven Auslegungstheorie nehmen. Windscheid stellt neben den „empirischen" Sinn, den ein Gesetzgeber m i t einem Gesetz verband, den „eigentlichen". Bierling führte „Treu und Glauben" i n seine Auslegungstheorie als subsidiäres Auslegungsprinzip ein 1 1 3 . Nach Auffassung von Larenz hat die Auslegung beim Wortsinn zu beginnen. Der Auslegende muß dabei insbesondere den Sprachgebrauch des Gesetzgebers innerhalb seiner Zeit berücksichtigen 114 . Der Gesetzgeber bedient sich nicht nur der natürlichen Sprache, sondern darüber 108 109 110 111 112 118 114
Vgl. dazu ausführlich Engisch, 1977, S. 249 f., Fn. 100 d. Larenz, 1979, Kap. 4. Larenz, 1979, S. 305. Larenz, 1979, S. 303. Larenz, 1979, S. 304. Larenz, 1979, S. 304. Larenz, 1979, S. 310.
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3. Rekonstruktion der neueren Diskussion der subjektiven Auslegung
hinaus einer juristischen Fachsprache. I n diesem Rahmen stellt der mögliche Wortsinn die Grenze der Auslegung dar. Ein weiteres K r i t e r i u m ist der „Bedeutungszusammenhang einer Norm". Es ist zu berücksichtigen, i n welchem Kontext die Norm steht, aus welchem System von Wertentscheidungen sie zu verstehen ist 1 1 5 . Der objektive Gesetzeszweck sowie das Streben nach gerechter Einzelfallentscheidung und das Gebot verfassungskonformer Auslegung sind weitere Kriterien der Auslegung. Für Larenz sind jedoch auch die Regelungsabsicht, der Zweck und die Normvorstellung des historischen Gesetzgebers Kriterien der Auslegung. Die Regelungsabsicht des Gesetzgebers bleibt für den Richter „Richtschnur" 116 . Soweit der Wortsinn und der Bedeutungszusammenhang es zulassen, ist die Auslegung zu wählen, die der Regelungsabsicht des Gesetzgebers und dem Zweck der Norm am ehesten entspricht 117 . Die Normvorstellung der mit der Vorbereitung und Abfassung des Gesetzes befaßten Personen ist jedoch nur Hilfe für den Interpreten. Sie ist unverbindlich 1 1 8 . Stratenwerth setzt sich ebenfalls m i t dem Willen des historischen Gesetzgebers i m Rahmen der Alternative subjektiver und objektiver Auslegung auseinander 110 . Er nimmt folgende Position ein: Die Tatsachen, aufgrund derer eine bestimmte Auslegungshypothese auf den Willen des historischen Gesetzgebers gestützt werden kann, sind nicht Grund genug, diese als normativ verbindlich anzusehen. Es müssen noch zusätzliche Gründe angeführt werden. Der Wille des historischen Gesetzgebers kann nur insoweit maßgeblich sein, als für die Entscheidung einer Zweifelsfrage übergreifende Sachkriterien fehlen. Nur hier gebietet die Ordnungsaufgabe des Rechts den Rückgriff auf die subjektive Auslegung 120 . Daß der Wille des Gesetzgebers nicht Geltungsgrund einer rechtlichen Regelung sein kann, ergibt sich für Stratenwerth daraus, daß die Mehrheit der Volksvertreter durch die verfassungsmäßige Verabschiedung des Gesetzes stets nur die formelle Geltung des Gesetzes legitimiert, nie aber die materielle Verbindlichkeit des Gesetzes121. Auch das Mehrheitsprinzip spricht dafür, daß der Wille des Gesetzgebers nur ein subsidiärer Geltungsgrund sein kann. Das Mehrheitsprinzip findet seine 115 116 117 118 119 120 121
Larenz, 1979, Larenz, 1979, Larenz, 1979, Larenz, 1979, Stratenwerth, Stratenwerth, Stratenwerth,
S. 315. S. 315. S. 333. S. 334. 1969, S. 257 ff. 1969, S. 262. 1969, S. 259.
3.3. Die gegenwärtige Diskussion subjektiver Auslegung
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Rechtfertigung i n der Erwartung, daß i n einer freien Diskussion sich die besseren Argumente durchsetzen und deshalb die richtigste Lösung die Billigung der Mehrheit finden werde. Dementsprechend kann sich die Verbindlichkeit des Gesetzes nur auf den Anspruch stützen, regelungsbedürftige Fragen sachgemäß zu entscheiden, und nicht schon auf den bloßen Willen derjenigen, die es geschaffen haben 122 . Nach A u f fassung von Stratenwerth ergibt sich ein weiteres Argument für die NichtVerbindlichkeit des Willens des Gesetzgebers aus der Seinsweise rechtlicher Normen. Nur als gelebte Ordnung existiert das Recht. Eine subjektive Auslegung widerspricht dieser Seinsweise. Von einer Alternativität der Auslegungsziele geht auch die „Andeutungstheorie" der Auslegung aus. Sie stellt eine Relevanztheorie des Willens des historischen Gesetzgebers dar. Dieser ist insoweit beachtlich, als er i m Wortlaut des Gesetzes angedeutet wurde 1 2 3 . Hellmuth Mayer und Wolfgang Naucke gehen ebenfalls von einer Alternativität der Auslegungsziele aus. Nach ihrer Auffassung sind für den Richter die dem wirklichen Gesetzgeber vorschwebenden „Zwecke" verbindlich 1 2 4 . Naucke begründet die subjektive Auslegung aus einer Interpretation des A r t . 103 Abs. 2 GG. Er verweist darauf, daß Art. 103 Abs. 2 GG zurückgeht auf § 2 PrStGB. § 2 PrStGB ist die Quelle, aus der der Inhalt des A r t . 103 Abs. 2 GG bestimmt werden muß. Der Sinn des § 2 PrStGB geht, trotz schwankender Formulierungen, dahin, daß es Aufgabe des Interpreten ist, den Sinn eines Gesetzes zu ermitteln, den der Gesetzgeber intendierte. Der Sinn des § 2 PrStGB paßt auch zu dem kriminalpolitischen Denken dieser Epoche. Vorausberechenbarkeit, Sicherheit und Klarheit der richterlichen Entscheidung standen i m Mittelpunkt des damaligen Denkens. Naucke argumentiert weiter, daß die Voraussehbarkeit, Sicherheit und Klarheit einer richterlichen Entscheidung auch heute noch ein schützenswertes Interesse darstelle. Dieses Denken gewährleiste nämlich einerseits die Freiheit des Bürgers, und andererseits diene es auch der generalpräventiven Wirkung des Strafrechts 125 . 3.3.1.2. Kritik Die Alternative von objektiver und subjektiver Auslegung ist inadäquat 126 . Sie geht auf eine überholte Willensdoktrin zurück. Dem Willen 122
So Stratenwerth, 1969, S. 259. Siebert, 1958, S. 39; Stree, 1960, S.26f.; Schünemann, 1971, S. 372 f. 124 Hellmuth Mayer, 1969, S. 36, u n d Naucke, 1964, S. 182 ff., insbesondere S. 191 f. 125 Naucke, 1964, S. 194 ff. 128 Hesse, 1975, S.22; Müller, 1971, S. 116 f.; Arthur Kaufmann, 1969, S. 267. 123
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3. Rekonstruktion der neueren Diskussion der subjektiven Auslegung
des Gesetzgebers w i r d der Wille des Gesetzes gegenübergestellt 127 . Der Wille des Gesetzes w i r d dann als etwas anderes, als der Wille des historischen Gesetzgebers behauptet. Unklar ist jedoch, „was" der Wille des Gesetzes i n Alternative zum Willen des Gesetzgebers sein soll. Auch soweit formuliert wird, der subjektive Sinn stehe dem objektiven oder normativen Sinn des Gesetzes gegenüber, ist unklar, w o r i n diese Alternativität besteht. Es müßte zumindest dargelegt werden, inwieweit sich objektiver und subjektiver Sinn unterscheiden. Wenn i n methodologischer Literatur beispielsweise argumentiert wird, daß Gesetze i m sozialen Sinn ihre eigene Wirksamkeit entfalten, so w i r d damit kein positives Ziel objektiver Auslegung, das i n A l t e r native zur subjektiven Auslegung steht, behauptet 128 . Nicht das Gesetz entfaltet seine Wirksamkeit, sondern die Interpretation des Gesetzes. Interpretation muß aber nicht eine Wirksamkeit entfalten, die i m Kontrast zum Willen des historischen Gesetzgebers steht. Interpretation kann sich auch zum Diener des Willens des historischen Gesetzgebers machen. Auch die Formulierung, daß das Gesetz der Seinsschicht des objektiven Geistes angehört, vermag keine Alternative von subjektiver und objektiver Auslegung zu begründen 129 . Es müßte dann zumindest gezeigt werden, was diese objektive Seinsschicht i m Gegensatz zur Seinsschicht ist, die der Gesetzgeber konstituiert. Wenn behauptet wird, objektive Auslegung sei dahingehend zu verstehen, daß es auf den Willen des historischen Gesetzgebers gerade nicht ankommt, w i r d kein selbständiges Auslegungskonzept behauptet, das i m Kontrast zum Willen des historischen Gesetzgebers steht. Vielmehr w i r d dann die Relevanz subjektiver Auslegung negiert, ohne daß ein eigenständiges Auslegungskonzept dargelegt wird. Soweit sich objektive Auslegungskonzepte darin erschöpfen, subjektive Auslegung zu negieren, aber gleichzeitig behaupten, daß subjektiver Auslegung eine Hilfsfunktion i m Rahmen objektiver Auslegung zukomme, ist unklar, worin diese Hilfsfunktion bestehen soll. Vermutlich soll mit derartigen Auslegungskonzepten lediglich die radikale Negation subjektiver Auslegung abgemildert werden. Frühere objektive Auslegungskonzepte waren da ehrlicher: I n ihnen kam subjektive Auslegung überhaupt nicht mehr vor. Geht man m i t Binding davon aus, daß Ziel der objektiven Auslegung die Ermittlung des vernünftigen Volksgeistes sei 130 , ist nicht mehr einzusehen, welche Hilfsfunktion subjektiver Auslegung zukommen kann. Aufgabe von Auslegung 127 128 129 180
Müller, 1971, S. 116 f.; Krey, 1977, S. 181 f. So aber w o h l Larenz, 1979, S. 303. Larenz, 1979, S. 304. Binding , 1885, S. 456—457.
3.3. Die gegenwärtige Diskussion subjektiver Auslegung
63
ist es dann zu ermitteln, was der Volksgeist w i l l , und eine Entscheidung darüber zu treffen, ob dieser Volksgeist vernünftig ist. Geht man wie Wüstendörfer davon aus, daß letzten Endes die herrschenden K u l turwerte entscheidend sein sollen, so kommt subjektiver Auslegung nur noch eine informatorische Rolle zu 1 3 1 . Normativ verbindlich wären nämlich die herrschenden Kulturwerte. Über die Auffassungen des Gesetzgebers sollte sich der Richter (zu welchem Zweck, ist nicht ganz klar) informieren, soweit die Gesetze durch die Rechtswissenschaft nicht bereits ausgelegt sind. Die Alternative von subjektiver und objektiver Auslegung erleichtert Scheinbegründungen gerade der objektiven Auslegung. Dadurch, daß man subjektive und objektive Auslegung i n Alternative zueinander stellt, braucht man nur „subjektive Auslegung" zu widerlegen und hat „objektive Auslegung" legitimiert. Es braucht nicht mehr gezeigt werden, was objektive Auslegung eigentlich ist. Engischs Abschichtung von subjektiver und objektiver Auslegung besticht. Es erscheint plausibel, die Verbindlichkeit des Willens des historischen Gesetzgebers davon abhängig zu machen, inwieweit der Gesetzgeber etwas klar als verboten, geboten und erlaubt erklärt hat. Jedoch sind diesem Konzept gegenüber ebenfalls Vorbehalte angebracht. Es setzt voraus, daß es eine gemeinsame Urteilsfähigkeit dahingehend gibt, was der Gesetzgeber klar als verboten, geboten und erlaubt angesehen hat. Das K r i t e r i u m der „Klarheit" müßte dann näher expliziert werden. Ist der klare Wille ein solcher, der i m Gesetz angedeutet wurde, oder muß er ausdrücklich erklärt worden sein? Man könnte natürlich auch sagen, daß der klare Wille lediglich ein klar erkennbarer Wille ist. Die weitere Frage, die diesem Konzept gegenüber gestellt werden muß, ist, ob die Bindung an den klaren Willen des historischen Gesetzgebers von der Struktur her nicht zu rigide vorgenommen ist. Kann es nicht auch Fälle geben, i n denen trotz klaren, erkennbaren Willens des historischen Gesetzgebers ein Fortbildungsinteresse gegenüber einem Rechtssatz bejaht werden muß? Es sei darauf hingewiesen, daß Heck ein Fortbildungsinteresse trotz erkennbarer Wertentscheidung des Gesetzgebers dann bejaht hat, wenn sich die Interessenlage seit der Entscheidung des Gesetzgebers geändert hat 1 3 2 . Das Anliegen der Andeutungstheorie geht dahin, diejenigen Vorstellungen des Gesetzgebers unbeachtlich sein zu lassen, die i m Gesetz keinen Niederschlag gefunden haben 133 . Die Andeutungstheorie formu131 132 133
Wüstendörfer, 1913—14, S. 457. Heck, 1914, S. 199 f. Krey, 1976, S. 187; Engisch, 1977, S. 83.
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3. Rekonstruktion der neueren Diskussion der subjektiven Auslegung
liert ein Moment, das immer schon m i t der subjektiven Auslegung verbunden war. Vorstellungen des Gesetzgebers müssen i n irgendeiner Form i m Gesetz „erahnt" werden können 134 . Der Wille des historischen Gesetzgebers kann nur insoweit relevant sein, als er i n irgendeiner Form auch als erklärt- erachtet werden kann. „Was i n dem Gesetzestext i n keiner Weise, auch nicht als Andeutung, zu finden ist, kann auch nicht Gegenstand der Auslegung sein 135 ." Die Andeutungstheorie ist jedoch insofern zu kritisieren, als sie Sprachlichkeit des Gesetzes wiederum eine Sonderstellung einzuräumen versucht. Nach Auffassung von Heck gefährdet sie die Rechtssicherheit, da die Beantwortung der Frage, ob ein konkreter Wille des Gesetzgebers i m Gesetz Ausdruck gefunden hat, auf reiner W i l l k ü r beruht 1 3 8 . Die kritische Intention der Andeutungstheorie, die gesetzgeberischen Zuschreibungen i n Beziehung zum Wortlaut des Gesetzes zu setzen, erscheint auch weiterhin beachtenswert 137 . Es w i r d noch zu begründen sein, daß diese Beziehung für die Relevanzintensität des Willens des Gesetzgebers eine Rolle spielen sollte 138 . Die Auffassung Stratenwerths weist auf einen generellen Aspekt der Relevanz subjektiver Auslegung hin. I n der Auslegungsmethodologie w i r d man subjektiver Auslegung u m so mehr Relevanz zumessen müssen, je mehr man die Möglichkeit verneint, hinsichtlich divergierender Werturteile mit Hilfe von Sachkriterien eine Entscheidung zu fällen. Hat man i n konkreter Auseinandersetzung keine Möglichkeit, zu sagen, welches konkrete Werturteil adäquater ist, so liegt es nahe, auf Werturteile, die durch Mehrheitsentscheidung legitimiert sind, abzustellen, dies auch dann, wenn diese nicht i m Gesetz Ausdruck gefunden haben. Entscheidender Punkt dieser Relevanzbestimmung subjektiver Auslegung dürfte jedoch die Frage sein, wann für konkrete Werturteile Sachkriterien sprechen und wann nicht. Konkrete Auseinandersetzungen u m Werturteile zeigen, daß häufig Argumenten für und gegen Werturteile die „Argument"-Qualität abgesprochen wird. Häufig w i r d auch bestritten, daß sich konkrete Argumente durchsetzen 139 . Nun zu der Auffassung von Hellmuth Mayer und Wolf gang Naucke: 134
Bierling, 1894 I V , S. 274. Bierling, 1894 I V , S. 274. 136 Heck, 1914, S. 155. 137 Vgl. zur Andeutungstheorie auch Bender, 1957, S. 593 ff. 138 Vgl. dazu Kap. 5.4.2.3.2. 139 Beispiele: Fraglich ist, i n w i e w e i t generalpräventive Überlegungen bei der Zurechnung von Straftaten eine Rolle spielen dürfen; i n w i e w e i t die L e benserwartung bei Fragen der Früheuthanasie als Argument verwendet werden darf etc. 135
3.3. Die gegenwärtige Diskussion subjektiver Auslegung
65
Zunächst muß hinsichtlich ihres Konzeptes gefragt werden, ob nicht eine Reduzierung von Auslegung auf subjektive Auslegung an den Bedürfnissen der Praxis vorbeigeht. Eine Reduzierung von Auslegung auf subjektive Auslegung erscheint derzeit zumindest keine realistische Methodenposition zu sein 140 . Eine Methodenlehre muß auch ein Fortbildungsinteresse von Normen anerkennen. Weiter läßt das Konzept von Hellmuth Mayer und Naucke die Frage aufkommen, ob man subjektive Auslegung auf die Ermittlung des historischen Gesetzes zwecks reduzieren kann. Nach Auffassung von Bierling sind bei subjektiver Auslegung Rechtsinhalts- und Rechtszweckforschung zu betreiben 141 . Auslegung, die lediglich auf die Zwecke des historischen Gesetzgebers abstellt, ist zu eng gefaßt. Es ist nicht einleuchtend, wieso Rechtsinhaltsforschung bei der Auslegung unbeachtlich sein soll, wenn gleichzeitig die Zwecke, die der historische Gesetzgeber verfolgte, für auslegungsrelevant erachtet werden. Häufig denkt der Gesetzgeber Differenzen zum Zweck mit, die dann auch auslegungsrelevant sein müßten. Dies können einerseits differenzierende Zwecke sein, die dann gewichtet werden müssen 142 , andererseits aber Vorstellungen, inwieweit Zwecke zu realisieren sind. Diese Differenzen zum Zweck kommen auch i n den Rechtsinhaltsvorstellungen des Gesetzgebers zum Ausdruck. Alexy hat die Form des Arguments, das auf die Zwecke des historischen Gesetzgebers abstellt, deutlich herausgearbeitet. Hiernach liegt ein subjektives Argument dann vor, wenn behauptet wird, daß der Gesetzgeber mit einer Gesetzesnorm die Zwecke Zi, Z2 . . . Z p i n der Kombination Κ verfolge und die Geltung der Interpretationshypothese notwendig sei, zur Verwirklichung der Zwecke Zi, Z 2 . . . Z n i n der Kombination K. Bei diesem subjektiven Argument w i r d vorausgesetzt, daß es notwendig ist, wenn der Gesetzgeber spezifische Zwecke verfolgt, auch die M i t t e l zu realisieren, die notwendig sind, um die Zwecke zu verwirklichen 1 4 5 . Jedoch kann diese Voraussetzung nicht generell unter140
So w o h l jetzt auch Naucke, 1969, S. 228. Bierling, 1894 I V , S. 282 ff. 142 Insoweit richtig Alexy, 1978, S. 291 ff. 143 Alexy, 1978, S. 291/292. Alexy nennt dieses Argument „genetisches A r gument". V o n den genetischen Argumenten unterscheidet Alexy die historischen Argumente. Diese sehen w i e folgt aus : 1. Es w i r d gezeigt, daß eine bestimmte Lösung eines bestimmten Problems schon einmal praktiziert wurde. 2. Es werden Konsequenzen dieser Auffassung vorgeführt. 3. Es w i r d begründet, daß diese Konsequenzen unerwünscht sind. 4. Es w i r d dargestellt, daß die Situationen heute u n d damals ähnlich sind u n d die spezifischen Konsequenzen auch heute eintreten w ü r d e n u n d 141
5 Schroth
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3. Rekonstruktion der neueren Diskussion der subjektiven Auslegung
stellt werden. Zumindest wenn der Gesetzgeber die Differenz zum gesetzten Zweck mitdenkt, muß diese Differenz auch entscheidungserheblich sein 144 . Wie Bierling dargelegt hat, können auch mehrere Auslegungshypothesen einem Gesetzeszweck entsprechen. Zwischen Zweck und M i t t e l besteht kein so einzigartiger Zusammenhang, daß nur eine Auslegungshypothese einem Zweck dienen kann 1 4 5 . Welche Auslegungshypothese ist dann zu wählen? Eine subjektive Auslegungstheorie, die als Ziel hat, den historischen Gesetzeszweck bei der Auslegung bestimmend sein zu lassen, müßte hierauf eine A n t w o r t geben. Die Begründung subjektiver Auslegung über eine subjektive Interpretation des A r t . 103 Abs. 2 GG ist nicht unproblematisch. Die zur Geschichte des § 2 PrStGB angeführten Auffassungen müssen nicht so interpretiert werden, daß sie eindeutige Stellungnahmen für subjektive Auslegung sind 146 . Auch den Gesetzesmaterialien zu A r t . 103 Abs. 2 GG ist nicht zu entnehmen, daß m i t A r t . 103 Abs. 2 GG subjektive Auslegung festgeschrieben werden sollte. Diese verweisen nämlich auf die allgemeinen Interpretationsregeln. Z u solchen zählte aber auch die „objektiv-teleologische" Auslegung. Eine subjektive Interpretation des A r t . 103 Abs. 2 GG begründet auch nicht zwingend die Notwendigkeit subjektiver Auslegung. Vertreter objektiver Auslegung können nämlich einfach bestreiten, daß Art. 103 Abs. 2 GG subjektiv auszulegen ist. Jedoch zeigen die Überlegungen Nauckes, daß die Geschichte des A r t . 103 Abs. 2 GG auch nicht i m Widerspruch zur subjektiven Auslegung steht. Ein etwaiger Widerspruch wäre nämlich ein entscheidendes Argument gegen subjektive Auslegung. Werden konkrete Auslegungsregeln hinsichtlich auslegungsrelevanter Normen angewendet, sollten sich keine Argumente gegen dieselben deshalb die Lösung nicht erstrebenswert ist. Bei diesem Argument handelt es sich u m eine besondere F o r m des Lernens aus der Geschichte (vgl. dazu Alexy, 1978, S. 294). Es handelt sich aber nicht u m ein subjektives Argument. 144 Koch / Rüßmann, 1982, S. 217 bestreiten ebenfalls, daß der gesetzgeberische Zweck jedes „Auslegungsmittel" heiligt. 146 Bierling, 1894 I V , S. 287 f. Diese Überlegung zeigt auch deutlich, daß — w i e Koch / Rüßmann betonen — zwischen Zweck-Mittel-Relationen i m m e r auch empirische Zusammenhänge bestehen. E i n M i t t e l muß geeignet sein, einen Zweck zu realisieren (so Koch / Rüßmann, 1982, S. 217 f.). Bei subjektiv teleologischer Auslegung k a n n nämlich i m m e r auch bestritten werden, daß die Auslegungshypothesen geeignetes M i t t e l zur Realisierung des gesetzgeberischen Zweckes sind. 146 Schreiber, 1976, S. 166 f.; Fn. 90 dieses Textes ist dabei besonders aufschlußreich. Zwingend ist auch nicht, daß § 2 PrStGB aus der psychologischen Zwangstheorie heraus zu verstehen ist.
3.3. Die gegenwärtige Diskussion subjektiver Auslegung
67
ergeben. Dies würde nämlich zeigen, daß diese nicht generell gelten können. 3.3.2. Auslegungstheorien, die davon ausgehen, daß die Auslegungsziele „Wille des Gesetzgebers" und „Wille des Gesetzes" auf höherer Ebene vereint werden müssen
Bei Schwalm findet sich die Auffassung, daß Auslegung den „objektivierten Willen des Gesetzgebers" zu ermitteln habe 147 . M i t dieser Formel soll die Alternativität von Zielbestimmungen auf einer höheren Ebene vereint werden. Schwalm versteht darunter, daß Auslegung nicht den tatsächlichen Willen des Gesetzgebers zu ermitteln habe, sondern den i n der „Materie" des Gesetzes manifestierten Geist 148 . Zur Charakterisierung des objektivierten Geistes des Gesetzgebers zitiert Schwalm Nicolai Hartmann: „Das Gesetz des objektivierten Geistes ist hernach dieses: einmal als geschaffenes Produkt herausgeformt, gewinnt er Unabhängigkeit vom schaffenden Geist. I n dieser Unabhängigkeit führt er ein Dasein eigener A r t i n der Geschichte, hat eine Seinsweise neben dem fortgehenden Leben des objektiven Geistes 149 ." Nach Auffassung von Schwalm ist der Bereich, i n dem der Rechtsanwendende vom „objektiven Geist" i m Stich gelassen wird, nur sehr klein 1 5 0 . Derartige Syntheseversuche der Auslegungsziele sind nicht überzeugend. Sie sind den gleichen Bedenken ausgesetzt wie Auslegungstheorien, die den „Willen des Gesetzes" als Auslegungsziel angeben. Hier w i r d die Eigenart des Rechtes als „geistiges Sein" bestimmt. Recht w i r d außerhalb einer konkreten Wirklichkeit „legitimiert". RechtsanWendung legitimiert sich i n derartigen Vorstellungen dadurch, daß „Auserwählte" i n der Lage sind, „geistiges Sein" zu erfassen. Einen weiteren Syntheseversuch der Auslegungsziele hat Sax versucht. Er versteht die Gesetze als Ausdrucksverkörperung des Willens des historischen Gesetzgebers. Der Sinn des Gesetzes konstituiert sich durch objektive und subjektive Elemente zugleich 151 . Dieses Konzept hat zur Voraussetzung, daß es neben den sprachlichen Zeichen die „Willensvorstellungen des Gesetzgebers" gibt. Gegen diese Voraussetzung läßt sich geltend machen, daß man „Intentionen" nicht als unabhängigen A k t vollziehen kann 1 5 2 . 147 vgl. dazu Schwalm, 1972, S. 47 f. m i t umfangreichen Nachweisen dafür, daß auch die Rechtsprechung, insbesondere die Verfassungsrechtsprechung, diese Formel benutzt. 148 Schwalm, 1972, S. 52 f. 149 Nicolai Hartmann, 1949, S. 410; Schwalm, 1972, S. 52. 150 Vgl. dazu Schwalm, 1973, S. 62. 151 Vgl. dazu Sax, 1953, S. 64. 152 Vgl. dazu Wittgenstein, 1960 I, § 510; dazu Kap. 2.1. 5*
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3. Rekonstruktion der neueren Diskussion der subjektiven Auslegung
Ist dies aber richtig, so kann als Ausgangspunkt nicht behauptet werden, daß zwischen Willen und Ausdruck zu unterscheiden ist. Gleichwohl hat diese Position einen richtigen Kern. Man kann zwischen der „wörtlichen Bedeutung" und der „Äußerungsbedeutung" von Ausdrükken entscheiden 153 . Soweit nach der „wörtlichen Bedeutung" einer Gesetzesnorm gefragt wird, werden die normalen Sprachregeln ermittelt. W i r d nach der „Äußerungsbedeutung" einer Gesetzesnorm gefragt, so sind die Sprachregeln anzugeben, die der Handlungssituation des Gesetzgebers adäquat sind 154 . Man sollte beide Fragestellungen jedoch nicht auf höherer Ebene zu vereinigen suchen. Konflikte, die durch beide Fragestellungen hervorgerufen werden, sollten vielmehr über Relevanzregeln entschieden werden. Sax homogenisiert auch alle Konflikte, die zwischen der gesetzgeberischen Wertentscheidung und dem Fortbildungsinteresse der Gesellschaft hinsichtlich dieses gesetzgeberischen Werturteils bestehen können, dadurch, daß er den Willen des historischen Gesetzgebers an der Wertüberzeugung innerhalb der Gesellschaft teilnehmen läßt 1 5 5 . 3.3.3. Die subjektive Auslegung innerhalb von Theorien, die die Alternativität von Auslegungszielen bestreiten
Das Verfahren, m i t dem versucht wird, Normen auf Sachverhalte anzuwenden, nennt Müller „Normkonkretisierung". Die Normkonkretisierung besteht für i h n einerseits aus Normtextauslegung und andererseits aus Konkretisierung der Norm über Normbereichs-, dogmatische, Theorie-, lösungstechnische und rechtspolitische Elemente 156 . Normbereichs-Elemente liefern Kriterien für die Rechtsanwendung, soweit das Normprogramm auf soziale Strukturen verweist (z. B. Ehe). Die dogmatischen Elemente können eine Norm dann konkretisieren, wenn es bereits Gerichts- und Lehrmeinungen gibt. Die juristische Dogmatik ist nach Auffassung von Müller ein Untersystem von Kommunikationstechniken i n der Rechtswelt 157 . Soweit zu konkreten Rechtsgebieten „Theorien" aufgebaut werden, sind diese ebenfalls Normkonkretisierungselemente, insofern sich aus diesen für ein konkretes Problem entscheidungsrelevante Gesichtspunkte ableiten lassen. Lösungstechnische Elemente steuern die Normkonkretisierung nach Auffassung von Müller, indem sie Vorschläge zur Taktik akzeptierter Fallösungen bieten. Innerhalb rechtspolitischer Ele153 154 155 156 157
Vgl. dazu Kap. 5.2.; dazu Bierwisch, 1980, S. 119 ff. Vgl. dazu Kap. 2.1. Sax, 1953, S. 65. Dazu ausführlich Müller, 1976 a, S. 210. Vgl. dazu Müller, 1972, S. 174 ff.
3.3. Die gegenwärtige Diskussion subjektiver Auslegung
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mente werden Konsequenzen aus einer Entscheidung abgewogen und bewertet 158 . Normtextauslegung besteht für Friedrich Müller aus grammatikalischer, systematischer und subjektiver Interpretation 1 5 9 . Das subjektive Element bei der Normtextauslegung zerfällt i n zwei Teile: i n historische und i n genetische Auslegung. Friedrich Müller hält diese Unterscheidung für essentiell: „Die historische Auslegung arbeitet mit Texten 1. von Normen, und zwar 2. von anderen Normen als den i m vorliegenden Fall zu konkretisierenden, nämlich von früheren Regelungen . . . " „Die genetische Auslegung arbeitet mit Texten (Diskussionen, Überlegungen, Entwürfen . . . ) der Entstehungsgeschichte . . . 1 β 0 " Friedrich Müller formuliert hinsichtlich der Konkretisierungselemente Präferenzregeln. Eine Rangfolge w i r d nicht über die Zielbestimmtheit der Norm behauptet, sondern über Vorzugsregeln der Konkretisierungselemente. So gehen etwa die unmittelbar normbezogenen Elemente den nicht unmittelbar normbezogenen Konkretiseirungselementen vor. Bei den unmittelbar normbezogenen Konkretisierungselementen haben grammatikalisches und systematisches Auslegungselement i m K o n f l i k t fall den Vorrang. Historische und genetische Argumente folgen aber i n ihrer Relevanz unmittelbar den grammatikalischen und systematischen Elementen. Zunächst zur Unterscheidung zwischen historischer und genetischer Auslegung. Diese Unterscheidung von Friedrich Müller findet ihre Rechtfertigung darin, daß bei subjektiver Auslegung einerseits mit „Nichtnormen", andererseits mit „Normen" gearbeitet wird 1 8 1 . Die Unterscheidung erscheint jedoch nicht plausibel. Es ist zwar richtig, daß bei subjektiver Auslegung m i t unterschiedlichem „Material" gearbeitet wird, jedoch ist das Verstehensobjekt identisch. Subjektive Auslegung w i l l die Handlung des Gesetzgebers verstehen. Hierzu w i r d einerseits m i t „Nichtnormen", andererseits m i t „Normen" gearbeitet. Häufig werden auch „Nichtnormen" und „Normen" zugleich verwendet. W i r d beispielsweise erklärt, weshalb der Gesetzgeber aus einem konkreten Gesetz A 1 ein konkretes Gesetz A Y herstellte, so gibt es vielfach mehrere Deutungsmöglichkeiten. Durch die Verwendung von „Nichtnormen", d. h. über die Verwendung von Normentwürfen, werden diese Deutungsmöglichkeiten häufig eingeschränkt. Ein derartiges 158 159 180 181
Müller, Müller, Müller, Müller,
1972, S. 174 ff. 1974, S. 10 f. 1974, S. 10 f. 1976 a, S. 128.
70
3. Rekonstruktion der neueren Diskussion der subjektiven Auslegung
„Vermengen" spricht zwar nicht generell gegen diese Unterscheidung, zeigt aber an, daß i n juristischer Praxis das Verstehensobjekt als gleiches angesehen wird. Sieht man subjektive Auslegung als Konkretisierungselement, so ist diese Sichtweise erläuterungsbedürftig. Zunächst stellt sich die Frage, i n welcher Hinsicht Konkretisierungselemente zu denken sind. Man kann Konkretisierungselemente als Rechtsfindungselemente verstehen. Man kann aber auch Konkretisierungselemente als Elemente deuten, die konkrete Auslegungshypothesen „überprüfen" sollen. Wie bereits ausgeführt wurde, sind Konkretisierungselemente als Überprüfungselemente zu verstehen 162 . Sie helfen weniger, Auslegungshypothesen zu finden, sondern dienen vielmehr dazu, Gesichtspunkte herauszuarbeiten, unter denen Auslegungshypothesen überprüft werden können. Häufig w i r d bei der Überprüfung von Auslegungshypothesen mit Hilfe von Konkretisierungselementen auch keine endgültige Entscheidung zwischen Auslegungshypothesen getroffen, sondern lediglich eine relationale Entscheidung dazu, welche von mehreren Auslegungshypothesen als die besser gestützte erscheint. Weiter: Müller geht davon aus, daß eine Rangfolge von Konkretisierungselementen abstrakt und generell zu erfolgen habe. Diese Auffassung ist problematisch. Indem der Interpret Auslegungshypothesen am Wortlaut, an den Folgen, an dem System des Strafrechts mißt, trägt er spezielle Deutungen von Erfahrungen an Auslegungshypothesen heran. Die Deutungen spezieller Erfahrungsbereiche werden nun aber nicht neutral an Auslegungshypothesen herangetragen, sondern mit ihnen werden spezifische Interessen verfolgt. W i r d beispielsweise von einer Auslegungshypothese behauptet, sie verstoße gegen den Wortlaut einer Vorschrift zu Ungunsten eines Täters, so w i r d damit ein Vertrauensinteresse der Rechtsunterworfenen zur Geltung gebracht 163 . W i r d von einer Auslegungshypothese gesagt, sie führe i m allgemeinen zu ungerechten Ergebnissen, so w i r d hiermit ein Interesse an Entscheidungen artikuliert, die allgemein akzeptiert werden. W i r d der Wille des historischen Gesetzgebers an Auslegungshypothesen herangetragen, so w i r d das Interesse, Auslegungshypothesen an die gesetzgeberische Entscheidung zurückzubinden, zur Geltung gebracht. Auslegungshypothesen werden dann unter dem Gesichtspunkt der „Authenzität" analysiert. 162 163
Vgl. dazu Kap. 2.2.3. Vgl. dazu Kap. 4.
3.3. Die gegenwärtige Diskussion subjektiver Auslegung
71
Sind nun aber Konkretisierungselemente als Überprüfungselemente gleichzeitig mit Interessen verbunden, so leuchtet es nicht mehr ein, daß eine Rangordnung abstrakt und generell erfolgen muß. Interessen können nämlich i n Einzelfällen unterschiedlich gewichtet sein. Ein Beispiel: Spricht für die Auslegungshypothese H 1 das Regelungsverständnis des Gesetzgebers mehr als für die Auslegungshypothese H 2, so ist das Authenzitätsinteresse weniger stark zu gewichten, als wenn das Regelungsverständnis des historischen Gesetzgebers überhaupt nicht für H 2 sprechen würde. Dies deshalb, da sich auch H 2 i m Rahmen der konkreten Bewertung des historischen Gesetzgebers befindet. Möglicherweise sind auch i n obergerichtlicher Rechtsprechung deshalb keine allgemeingültigen Präferenzregeln zwischen Konkretisierungselementen vorzufinden, da man sich vorbehalten w i l l , Konkretisierungselemente i m Einzelfall zu gewichten. I m Rahmen des Münchner Forschungsprojektes „Argumentationstheoretische Aspekte höchstrichterlicher Rechtsprechungsänderungen" fand sich bei 112 analysierten Urteilen eine generell formulierte Präferenzregel. Präferenzbehauptungen w u r den überwiegend einzelfallbezogen aufgestellt 164 . Ist es allerdings richtig, daß eine Rangfolge von Konkretisierungselementen nicht abstraktgenerell erfolgen kann, da i m Einzelfall die Interessen, die mit diesen verbunden sind, gewichtet werden müssen, so muß diese Interessengewichtung doch transparent erfolgen 165 . Auch die i n der neueren Methodendiskussion kontrovers diskutierte Frage, ob die Ungerechtigkeit einer Einzelfallentscheidung ein Symptom oder ein K r i t e r i u m für eine falsche Auslegungshypothese darstellt, ließe sich m i t dieser Konzeption entschärfen 166 . Es kommt bei der Frage, wie Einzelfallungerechtigkeit sich hinsichtlich einer Auslegungshypothese auswirkt, auf die Abwägung von verschiedenen Umständen an. Wie sicher ist, daß die Einzelfallungerechtigkeit allgemein als Unrecht empfunden wird? Führt eine konkrete Auslegungshypothese auch noch i n anderen Fallkonstellationen zu ungerechten Ergebnissen? Hat der Gesetzgeber die „Ungerechtigkeit" gesehen und i n Kauf genommen, oder kommt die Ungerechtigkeit des Einzelfalls überraschend? 3.3.4. Funktionsbestimmungen subjektiver Auslegung
Wolfgang Naucke hat seine frühere Auffassung, der Zweck des historischen Gesetzgebers sei bei der Auslegung entscheidend, dahingehend 184 Vgl. dazu Schlußbericht. Das Projekt wurde durchgeführt durch die Herren Prof. Dr. Dr. h.c. Arthur Kaufmann, Dr. TJlfrid Neumann, Dr. Jochen Schneider. Mitarbeiter: A. Ballersbach, F. Dimbeck, W. Prinzing, B. Fiech u n d der Verfasser. 185 Siehe dazu Kap. 5.4.2. 188 Vgl. dazu Esser, 1972, S. 8; Kriele, 1976, S. 169; Larenz, 1979, S. 336.
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3. Rekonstruktion der neueren Diskussion der subjektiven Auslegung
revidiert, daß er der subjektiven Auslegung nicht mehr unbedingt normative Verbindlichkeit zuspricht 167 . Naucke ist jedoch der Auffassung, daß subjektiver Auslegung wesentliche Funktionen zukommen. Eine Funktion subjektiver Auslegung liegt darin, daß sie es erlaubt, spezifische Ergebnisse klar zu begründen. Für die Darstellung einer Rechtsauffassung gilt, so Naucke, die objektive Auslegung nur subsidiär. Richtig ist an dieser Auffassung sicherlich, daß der Rechtfertigung einer konkreten Rechtsentscheidung m i t Hilfe der subjektiven Auslegung ein hoher Legitimationsgehalt zugesprochen wird. Dagegen spricht zwar das Überwiegen „objektiver Auslegungsauffassungen" i n methodologischen Stellungnahmen. Dafür spricht aber das folgende Ergebnis i m Rahmen des Münchner Forschungsprojekts „Argumentationstheoretische Aspekte höchstrichterlicher Rechtsprechungsänderungen" : Innerhalb der analysierten Entscheidungen 168 waren 2 2 % aller Argumente subjektiv 1 6 9 . Diese enorm hohe Quote spricht dafür, daß nach subjektiver Auslegung ein Bedürfnis besteht. Es liegt nahe, zu sagen, i h r werde i n obergerichtlicher Praxis ein hoher Legitimationsgehalt zugesprochen. Naucke glaubt weiter, daß es subjektive Auslegung erlaubt, die Verhaltensweisen der Strafjuristen gegenüber dem Gesetz zu typisieren. Eine Typisierung der Haltung des Strafjuristen gegenüber Gesetzen setzt eine Unterscheidung zwischen genauen und ungenauen Gesetzen voraus 170 . Gegenüber dem genauen Gesetz sind folgende Haltungen möglich: 1. Man wendet es unkritisch i n jedem Falle an; 2. man wendet es dann an, wenn es i m Ergebnis zu einer richtigen Entscheidung führt; wenn nicht, entscheidet man gegen den Inhalt des genauen Gesetzes. Der Interpret ist immer offen und kritisch gegenüber dem Gesetz. 3. Der Interpret wendet es unkritisch dann an, soweit das für richtig gehaltene Ergebnis formulierbar ist. Sonst entscheidet er sich nach anderen Kriterien 1 7 1 . Hinsichtlich des ungenauen Gesetzes sind nun folgende Haltungen möglich: 1. Man verweigert dem Gesetz die Anwendung. 187 168 189 170 171
Naucke, 1969, S. 274 ff. Diese sind angegeben auf S. 92. Vgl. dazu Schlußbericht, S. 103. Naucke, 1969, S. 281. Naucke, 1969, S. 281.
3.3. Die gegenwärtige Diskussion subjektiver Auslegung
73
2. Man verweigert die Anwendung, nimmt das Gesetz als Hinweis auf ein zu lösendes Problem und löst das Problem i m Einzelfall. 3. Die Ungenauigkeiten des Gesetzes werden nicht zugestanden, und es w i r d stets objektiv ausgelegt 172 . Ein genaues Gesetz liegt dann vor, wenn das Gesetz eine Regelung zu dem zu entscheidenden Fall enthält, ein ungenaues Gesetz, wenn sich nicht zweifelsfrei feststellen läßt, ob das Gesetz eine Regelung für den Einzelfall enthält 1 7 3 . M i t der subjektiven Auslegung kann, nach Auffassung von Naucke, zweifelsfrei festgestellt werden, ob w i r es m i t einem genauen oder ungenauen Gesetz zu t u n haben. Naucke ist nun der Auffassung, daß die beiden dritten Haltungen gegenüber dem genauen und ungenauen Gesetz i n Literatur und Rechtsprechung überwiegen. Naucke selbst hält die unter 2. geschilderten Haltungen gegenüber dem genauen und ungenauen Gesetz für die adäquatesten Standpunkte. Ob es tatsächlich möglich ist, genaue von ungenauen Gesetzen mit Hilfe subjektiver Auslegung zu trennen, muß bezweifelt werden. Subjektive Auslegung hat es i n einem Teilbereich m i t einem vagen und widersprüchlichen Material zu tun. Bei subjektiver Auslegung läßt sich häufig nicht definitiv feststellen, ob der Gesetzgeber eine Sachverhaltsmenge erfaßt wissen wollte oder nicht. Es kann vielmehr häufig lediglich gesagt werden, daß unter der Perspektive der Paraphrasierungen der Gesetzesnorm durch den Gesetzgeber es näherliegt, eine Sachverhaltsmenge zu erfassen, als nicht 1 7 4 . Soweit subjektive Auslegung auf derartige Urteile angewiesen ist, läßt sich die Unterscheidung von genauen und ungenauen Gesetzen unter der Perspektive subjektiver Auslegung nur schwer treffen. 3.3.5. Subjektive Auslegung als Verdeutlichungsinstrument des Gesetzes
Nach Auffassung von Baden sind Gesetze i n modernen Staaten als Regelungsinstrumente zu verstehen 175 . Aufgabe von Gesetzen ist es, einen unerwünschten „Ist-Zustand" zu Gunsten eines erwünschten „Soll-Zustandes" zu beseitigen. Gesetze sind M i t t e l zur Verwirklichung spezifischer Zwecke. Nach dem derzeitigen Stand der Gesetzgebungstechnik ist es aber schwierig, 172 173 174 175
Naucke, 1969, S. 282 f. Naucke, 1969, S. 281. Vgl. dazu: Exkurs 1 u n d 2. Baden, 1976, S. 393.
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3. Rekonstruktion der neueren Diskussion der subjektiven Auslegung
i n Gesetze den Zweck mithineinzunehmen. Ein Gesetz läßt sich gleichwohl nur dann adäquat erfassen, wenn man seine Zweckbestimmung mitberücksichtigt. Aufgabe der Gesetzesmaterialien ist es nun, über die „Zweck-Mittel-Relation", i n der das Gesetz steht, zu informieren 1 7 6 . Eine weitere Aufgabe der Gesetzesmaterialien liegt darin, Erläuterungen und Präzisierungen des Gesetzeswortlauts zu liefern. Die Fähigkeit der Gesetzesmaterialien zur Erläuterung des Wortlauts liegt darin, daß Gesetzesmaterialien häufig Paraphrasen des Gesetzestextes enthalten, die teils redundant sind, teils aber zusätzliche Informationen über den Gesetzestext vermitteln. Gesetzgebungsmaterialien informieren auch häufig über das Umfeld der sprachlichen Zeichen. Der Interpret erfährt, „wodurch" die konkrete gesetzliche Formulierung entstanden ist, welche Ausdrücke nicht gewählt wurden 1 7 7 . Die Materialanalyse ist, so Baden, sowohl bei älteren als auch bei neueren Gesetzen notwendig. Dies aus folgenden Gründen: Aus der Tatsache, daß sich der Sprachgebrauch i n verhältnismäßig kurzen Abständen ändert, ergibt sich die Notwendigkeit, auch die Erläuterungen und Präzisierungen des Sprachgebrauchs durch die Gesetzesmaterialien zu berücksichtigen. Durch Sprachgebrauchsverschiebungen werden nämlich „per Zufall" Veränderungen an das Gesetz herangetragen 178 . Sprachverschiebungen haben nichts, was ihnen normative Qualität zukommen läßt. Berücksichtigt man jedoch zufällige Sprachverschiebungen nicht, so trägt man ein zufälliges Faktum an Gesetze heran. Weiter gelingt es, Gesetze am besten zu begreifen, wenn man sie aus der Sprachsituation versteht 179 . M i t Hilfe der Gesetzesmaterialien gelingt es auch, Gesetzeslücken zu erkennen 180 . Gesetzesmaterialien veranschaulichen nämlich, welche Sachverhalte der Gesetzgeber bei der Rechtsanwendung vor Augen hatte. Sie dokumentieren damit zugleich, welche Konstellationen nicht gesehen wurden. Indem Gesetzesmaterialien den Blick auf Sachverhalte lenken, die der Gesetzgeber nicht gesehen hat, ermöglichen sie auch eine sinnvolle Rechtsfortbildung 181 . Baden lehnt es jedoch ab, Gesetzesmaterialien eine selbständige Bindungsfunktion zuzusprechen. Sie helfen lediglich, das, was i m Gesetz niedergelegt ist, einsichtiger und plastischer zu machen 182 . 176 177 178 179 180 181 182
Dazu ausführlich Baden, 1976, S. 393. Baden, 1976, S. 396 f. Baden, 1976, S. 397. Baden, 1976, S. 397. Baden, 1976, S. 399. Baden, 1976, S. 400. Baden, 1976, S. 401.
3.3. Die gegenwärtige Diskussion subjektiver Auslegung
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Dieser Konzeption Badens ist wenig hinzuzufügen. Sie verdeutlicht den hier eingenommenen Standpunkt, daß subjektive Auslegung i m Auslegungsprozeß Authenzitätsinteressen zu wahren hat. Wichtig erscheint an der Position Badens, daß dann, wenn man diese Auffassung teilt, auch an die Gestaltung der Gesetzesmaterialien durch den Gesetzgeber Anforderungen gestellt werden müssen 185 . Ergänzend wäre darauf hinzuweisen, daß die Gesetzesmaterialien nicht nur informieren sollen über den „Zweck-Mittel-Zusammenhang", i n dem ein Gesetz steht, vielmehr sollten sie auch über den gesamten Interessenzusammenhang, aus dem heraus ein Gesetz zu verstehen ist, Auskunft geben. Besonders zu unterstreichen ist die Auffassung Badens, daß dann, wenn man auf Gesetzesmaterialien bei der Auslegung ganz verzichtet, über „Sprachgebrauchsverschiebungen" „zufällige" Ergebnisse der Auslegung möglich sind 1 8 4 . Wie Baden richtig ausführt, zeigt auch subjektive Auslegung die Notwendigkeit sinnvoller Rechtsfortbildung erst an. Bei subjektiver Auslegung kann sich nämlich auch herausstellen, daß der Gesetzgeber bestimmte Sachverhaltskonstellationen, aus welchem Grund auch immer, nicht gesehen hat. So w i r d sich aus den Gesetzesmaterialien manchmal ergeben, daß der Gesetzgeber bewußt Entscheidungen auf den Richter delegieren wollte. Subjektive Auslegung schafft dann Handlungsspielräume für den Richter.
185 184
Baden, 1976, S. 393 f. Baden, 1976, S. 397.
4. Die Begründetheit der Hauptthesen „gegen" die subjektive Auslegung Erste These: Den Rechtsunterworfenen bindet nichts anderes als das, was i h m publiziert wurde (Vertrauensargument) 1 . M i t diesem Argument gegen subjektive Auslegung sollte dem Gesetzesunterworfenen ein umfangreicher Vertrauensschutz zugestanden werden. Der Gesetzesunterworfene w i r d mit dieser These immer an das i h m zugängliche Material, nämlich das Wort des Gesetzes, gebunden. N i m m t man den Vertrauensschutz als Auslegungsinteresse ernst, so führt dieser zu einer „Eindruckstheorie" der Auslegung: Entscheidend bei der Gesetzesauslegung ist der Normaleindruck, den man von einem Gesetz hat 2 . N u r wenn der normale Eindruck, den man von einem Gesetz hat, entscheidend ist, bindet den Untertanen nur das, was i h m publiziert wurde. Bierling versuchte, diesem Argument dadurch zu begegnen, daß er die Pflicht des Staatsbürgers begründete, auch Materialien von Gesetzen zu studieren 3 . M i t dieser Verhaltensanforderung w i r d der Normalbürger jedoch sicherlich überfordert. I n der modernen Industriegesellschaft ist der Bürger kaum i n der Lage, die wichtigsten Gesetze zu kennen. U m so weniger w i r d man von i h m erwarten können, daß er die Gesetzesmaterialien studiert. M i t Heck ist davon auszugehen, daß der generelle Laieneindruck kein sinnvolles Ziel der Auslegung sein kann: I n vielen Rechtsfragen w i r d sich nämlich kein genereller Laieneindruck feststellen lassen. Der Laieneindruck w i r d häufig zu zufälligen und widersprüchlichen Ergebnissen führen, inkonsistente Bewertungen wären die Folge. Die Nachteile, die sich für das Rechtsleben aus der Wahl des „Normaleindrucks" als Richtschnur der Auslegung ergeben, wären größer als die Vorteile 4 . Heck hat daher vorgeschlagen, den Vertrauensschutz der Rechtsunterworfenen als bei jeder Rechtsanwendung zu berücksichtigendes Interesse einzu1 Thibaut , 1966, S. 35; genauso Schaffrath, S. 68 ff. 2 Vgl. dazu etwa Danz, 1912, S. 181 f. 3 Vgl. dazu Bierling, 1961 I V , S. 148. 4 Heck, 1914, S. 263.
1842, S. 15/16; dazu Heck, 1914,
4. Begründetheit der Hauptthesen „gegen" die subjektive Auslegung
77
führen 5 . So sollte Auslegung nicht über den Rahmen des möglichen Wortsinns hinausgehen. Der mögliche Wortlaut als Auslegungsgrenze dient dem Vertrauensschutz. Auch ist vom Vertrauensschutz aus eine partielle Bindung an bisherige Rechtsprechung zu bejahen®. Das Vertrauensinteresse führt auch dazu, daß subjektive Auslegung dann nicht mehr relevant sein kann, wenn das mutmaßliche Regelungsverständnis des Gesetzgebers als etwas dem Gesetze gegenüber Fremdes erscheint. Es muß noch erahnt werden können, wie gesetzgeberische Vorstellungen Eingang i n das Gesetz gefunden haben. Zusammenfassend läßt sich sagen, Vertrauensinteressen des Bürgers sprechen nicht generell gegen subjektive Auslegung, sondern sind i m Auslegungsprozeß bei der Frage, inwieweit gesetzgeberische Vorstellungen verbindlich sind, zur Geltung zu bringen. Zweite These: A l l e i n die Worte des Gesetzes sind mit der formalen Macht der Rechtsautorität bekleidet 7 . Diese Hauptthese gegen subjektive Auslegung w i r d als sogenanntes „Formargument" bezeichnet. Das Formargument ist jedoch als These gegen subjektive Auslegung nicht schlüssig. Sie würde erst dann schlüssig werden, wenn man die These von der Lückenlosigkeit des Gesetzesrechts hinzunimmt. Es wäre allerdings möglich, das Formargument als „Negativargument" umzudeuten. Man müßte dann argumentieren, die Gesetzesmaterialien seien gerade nicht m i t Rechtsautorität bekleidet. Die Frage, die sich dann stellt, ist, ob sich bei der Rechtsanwendung tatsächlich ohne jegliche Motive auskommen läßt. Ein Blick i n die Inter-, pretationspraxis zeigt, daß i n der Praxis häufig das Bedürfnis besteht, Gesetzesmaterialien zumindest zur Verdeutlichung von Gesetzen heranzuziehen 8 . Wenn man davon ausgeht, daß jede Norm zur Präzisierung ihrer Merkmale eines spezifischen Werturteils bedarf, so stellt sich auch die Frage, wieso es nicht erlaubt sein soll, gerade das den Materialien entnehmbare Werturteil, das der Gesetzgeber gefällt wissen wollte, zur Auslegung heranzuziehen. Soweit das Formargument dahingehend verstanden wird, daß die Worte des Gesetzes eine Auslegungsgrenze darstellen 9 , kritisiert dieses Formargument nicht die Zulässigkeit subjektiver Auslegung. Vielmehr 5 6 7 8
den. 9
Heck, 1914, S. 259 ff. Hassemer, 1981, S. 75 ff. Wach, 1885, S. 256 ff.; RGZ 27, 410. Es darf auf die Ausführungen i n Kap. 3.3.5 u n d Kap. 5.4.1 verwiesen w e r So etwa Wach, 1886, S. 256.
4. Begründetheit der Hauptthesen „gegen" die subjektive Auslegung
stellt dieses Argument dann lediglich das Postulat auf, daß auch das gesetzgeberische Regelungsverständnis begrenzt werden muß. I n dieser Form ist das Argument sicherlich zu akzeptieren. Selbst Bierling vert r i t t die Auffassung, daß der Wille des Gesetzgebers nur i m Rahmen der Gesetzesworte entscheidend sein kann 1 0 . Auch das Formargument spricht nicht generell gegen subjektive Auslegung, sondern begrenzt diese. Subjektive Auslegung ist dann nicht mehr relevant, wenn sie gegen den möglichen Wortsinn verstößt. Dritte These: Ein willensfähiger Gesetzgeber existiert nicht; es ist daher auch unzulässig, nach einem solchen bei der Auslegung zu forschen (Willensargument) 11 . Einige Vertreter der subjektiven Auslegung haben sich gegen dieses Argument mit einer „Vorwärtsstrategie" verteidigt. So hat etwa Bierling darauf hingewiesen, daß der Begriff des „Willens des Gesetzes" wesentlich mysteriöser sei als die Vorstellung des „Willens des Gesetzgebers" 12 . Plausibel an dem Argument Bierlings ist die Erfahrung, daß i n konkreten Auslegungsprozessen über dasjenige, was der „ W i l l e des Gesetzgebers" ist, kaum Streit besteht. Über das, was „ W i l l e des Gesetzes" ist, besteht wesentlich häufiger Dissens. Dies könnte nun darauf zurückzuführen sein, daß man genau dasjenige, was vernünftig ist, i n den „Willen des Gesetzgebers" packt (Wüstendörfer hat diese Vermutung ja geäußert). Jedoch besteht auch über den „Willen des Gesetzgebers" Einigkeit, wenn über inhaltliche Problemlösungen kein Konsens erzielt werden kann (vgl. dazu die Diskussion über den Inhalt des Begriffes „absetzen" i m Rahmen der Auslegung des § 259 StGB) 18 . Gleichwohl bleibt die Frage zu beantworten, was konkret „verstanden" wird, wenn i m Auslegungsprozeß der „ W i l l e des historischen Gesetzgebers" ermittelt wird. Wie konstituiert sich also das, was hier Wille des historischen Gesetzgebers genannt wird? Es erscheint wenig sinnvoll, beim Gesetzgeber nach einem Willen zu suchen, der sich analog einem „Individualwillen" konstituiert. Vielmehr sollte man sich die Sprachspiele anschauen, wie denn mit dem „Willen des historischen Gesetzgebers" umgegangen wird. Fragen, wie „Wie hat der Gesetzgeber das gemeint?", sollen die Verbindung zwischen einer bestimmten Auslegungshypothese und dem 10
Vgl. dazu Bierling, 1894 I V , S. 274. Z u r H e r k u n f t des Argumentes vgl. Lukas, 1914, S. 67 ff. 12 Bierling, 1894 I V , S. 258. 18 Vgl. dazu Exkurs 2. 11
1908, S. 399 ff.; dazu Heck,
4. Begründetheit der Hauptthesen „gegen" die subjektive Auslegung
79
Gesetz, zwischen einer bestimmten Sachverhaltsmenge und dem Gesetz herstellen. Soweit mit dem Willen des historischen Gesetzgebers argumentiert wird, w i r d davon ausgegangen, daß Normen neben einer „wörtlichen Bedeutung" auch noch eine „Handlungsbedeutung" haben können. Während es bei der wörtlichen Bedeutung einer Norm darum geht, die Semantik einer Norm transparent zu machen, geht es bei der Feststellung des Willens des historischen Gesetzgebers darum, die Norm als Handlung des Gesetzgebers plausibel zu machen 14 . Wenn es tatsächlich Konsensmöglichkeiten dafür gibt, wie eine konkrete Handlung eines Gesetzgebers zu verstehen ist, so ist das Argument, daß kein willensfähiger Gesetzgeber existiert, gegen subjektive Auslegung kein durchschlagendes Argument. Man sollte allerdings i m Auge behalten, daß es i m Rahmen subjektiver Auslegung nicht u m die Erforschung eines psychischen Willens, sondern um ein Handlungsverständnis des historischen Gesetzgebers geht. Die entscheidende Frage subjektiver Auslegung lautet dann: Wie ist der Gesetzgeber, der i n einer spezifischen Situation ein spezifisches Handeln gezeigt hat, richtig zu verstehen? Zusammenfassend muß gesagt werden, daß das Willensargument gegen ein psychologisches Verständnis des „Willens des Gesetzgebers" durchschlagend ist. Es stellt jedoch keine plausible K r i t i k an Auffassungen dar, die davon ausgehen, daß dieser „Wille" ein normatives Konstrukt ist. Hiernach w i r d der „Wille des Gesetzgebers" aufgrund akzeptierter Kriterien, mit Hilfe derer die Handlung des Gesetzgebers gedeutet wird, zugeschrieben. Vierte These: Die subjektive Auslegung gefährdet die Rechtssicherheit 15 . Zunächst stellt sich die Frage, was m i t Rechtssicherheit i n diesem Zusammenhang gemeint ist 18 . Drei Verständnismöglichkeiten bieten sich an: Rechtssicherheit kann einerseits den Zustand der Rechtsordnung meinen, der es erlaubt, Rechtsentscheidungen vorherzusagen, zum andern den Zustand des Gesetzes, auf den sich der Bürger einstellt, nach dem er sein Handeln orientiert. Weiter kann die Forderung nach Rechtssicherheit bedeuten, daß nur Auslegungshypothesen legitim sein sollen, die eine gleichmäßige Rechtsanwendung gestatten. Soweit Rechtssicherheit den Zustand der Rechtsordnung meint, der es erlaubt, Rechtsentscheidungen vorherzusagen, erhöht subjektive Auslegung oft 14 15 16
Vgl. dazu Kap. 5.2. Stampe, 1911, S. 30. Vgl. Heck, 1914, S. 84.
4. Begründetheit der Hauptthesen „gegen" die subjektive Auslegung
Rechtssicherheit. Die dem Gesetz zugrunde liegende Bewertungsnorm würde häufig eine bestimmte Entscheidung nahelegen 17 . Sieht man die Bedeutung der Rechtssicherheit i n der Möglichkeit des Bürgers, sich am Gesetz leiten zu lassen, so w i r d m i t subjektiver Auslegung die Rechtssicherheit nicht gefördert. Subjektive Auslegung verändert sicherlich den Eindruck, den der Normalbürger vom Gesetz hat. Jedoch führen auch andere Auslegungsregeln vom Eindruck weg, den der Normalbürger vom Gesetz hat. Der Normalbürger w i r d sich aber selten am Ausdruck der Gesetze orientieren. Er orientiert sich zumeist an sozialen Normen, an der Justizberichterstattung der Presse etc. Soweit mit Rechtssicherheit die Notwendigkeit von Auslegungshypothesen angesprochen ist, die eine gleichmäßige Rechtsanwendung gewähren 1 8 , ist es unsinnig, einem Auslegungselement ein „Mehr" oder „Weniger" an Rechtssicherheit bzw. Rechtsunsicherheit nachzusagen. Einige Auslegungshypothesen gewährleisten eine gleichmäßige Rechtsanwendung, andere nicht. Auslegungsregeln können, soweit sie gegenüber Auslegungshypothesen aussagekräftig sind, nur diese stützen oder widerlegen. Es versteht sich von selbst, daß subjektive Auslegung Auslegungshypothesen begründen kann, die gleichmäßige Rechtsanwendung gewährleisten. Subjektive Auslegung kann aber auch Auslegungshypothesen stützen, die keine gleichmäßige Rechtsanwendung gewährleisten. Sieht man m i t einer spezifischen subjektiven Auslegung die „Verwerflichkeit" als Oberbegriff des § 211 StGB an, so gewährleistet diese Auffassung sicherlich keine konstante Rechtsanwendung 19 . Es wäre dann jeweils zu diskutieren, wieweit diese Rechtsunsicherheit i n Kauf zu nehmen ist. Bei der Prüfung der Verbindlichkeit subjektiver Auslegung sollte aber die Frage, ob die Auslegungshypothesen, die m i t i h r begründet werden, eine gleichmäßige Rechtsanwendung gestatten oder nicht, eine Rolle spielen. Die Realfolge „ungleichmäßige" Rechtsanwendung sollte die Verbindlichkeit subjektiver Auslegung — zumindest, wenn sich diese Realfolge zu Ungunsten des Angeklagten ausw i r k t — aufheben. Fünfte These: Subjektive Auslegung vernachlässigt die Fortbildungsinteressen des Rechts. Diese These setzt voraus, daß i m Auslegungsprozeß nur Argumente, die ein subjektives Verständnis der Rechtsnorm aktualisieren, zugelassen sind. Sobald eine nur partielle Relevanz der subjektiven Auslegung behauptet wird, läuft dieses Argument ins Leere. 17 18 19
Heck, 1914, S. 85 ff., S. 106 ff. Vgl. dazu Hassemer, 1971 a, S. 626 ff. So Jescheck, 1957, S. 386/387.
4. Begründetheit der Hauptthesen „gegen" die subjektive Auslegung
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Von einer Theorie subjektiver Auslegung aus liegt es jedoch nahe zu verlangen, daß ein Fortbildungsinteresse der gesetzgeberischen Wertentscheidung argumentativ plausibel gemacht werden muß.
6 Schroth
5. Systematisierung der Diskussion subjektiver Auslegung 5.1. Der Diskussionsrahmen subjektiver Auslegung Analysiert man die Diskussion der subjektiven Auslegung, so fallen zwei Sachverhalte auf: Häufig w i r d nicht dargestellt, welcher Stellenwert Argumenten „ f ü r " oder „gegen" subjektive Auslegung zukommt. Unklar bei verschiedenen Diskussionsbeiträgen zur Auslegungstheorie ist auch, welcher Standpunkt nun konkret zur subjektiven Auslegung bezogen wird. Drei Fragen müssen bei der Diskussion subjektiver Auslegung unterschieden werden: 1. Was w i r d unter subjektiver Auslegung verstanden? 2. Wie ist subjektive Auslegung möglich? 3. Ist subjektive Auslegung erlaubt, welche normative Verbindlichkeit kommt i h r (eventuell) zu? Zunächst zur Bedeutung der Trennung dieser Fragestellungen. Man könnte argumentieren, die drei Fragestellungen hängen eng miteinander zusammen, man kann sie nicht trennen, ohne subjektiver Auslegung Gewalt anzutun. Richtig ist diese Argumentation insoweit, als sie davon ausgeht, daß diese Fragen zusammenhängen. Läßt sich kein Bereich bestimmen, auf den sich subjektive Auslegung bezieht (Frage 1), so braucht auch die Frage nach der Möglichkeit subjektiver Auslegung bzw. nach deren normativer Verbindlichkeit nicht mehr gestellt zu werden. Läßt sich nicht angeben, wie subjektive Auslegung möglich ist, so braucht auch die Frage nach der normativen Verbindlichkeit nicht mehr gestellt zu werden. Was nicht möglich ist, kann sinnvollerweise auch nicht verbindlich sein. Sollen setzt Können voraus. Aus der Tatsache, daß die Fragestellungen zusammenhängen, kann jedoch nicht geschlossen werden, daß diese Fragen nicht zu trennen sind. Die Trennung der Fragen macht deutlich, m i t welchen Fragestellungen sich sowohl die subjektive als auch die objektive Auslegung befassen muß: m i t der Frage nach dem Bezugspunkt, m i t der Frage nach der Möglichkeit und m i t der Frage nach der normativen Verbindlichkeit. Die Trennung dieser Fragen verhindert unzulängliche methodische Argumentationsweisen. W i r d beispielsweise bestritten, daß es
5.2. Der Bezugspunkt subjektiver Auslegung
83
einen „Willen" des Gesetzgebers gibt, so bedeutet dies noch nicht automatisch, daß Auslegung die Aufgabe habe, den Willen des Gesetzes nachzuvollziehen. Umgekehrt würde auch aus der Tatsache, daß es keinen Willen des historischen Gesetzgebers gibt, nicht folgen, daß Auslegung objektiv sein müsse. Auch objektive Auslegung muß ihren Bezugspunkt, ihre Möglichkeit und Verbindlichkeit darstellen. Stellt man diese Anforderungen nicht, so ist es eine Frage des Anfangs, ob man zur objektiven oder subjektiven Auslegung kommt. Eine Auslegungstheorie ist erst dann transparent gemacht, wenn Bezugspunkt, Möglichkeit und Verbindlichkeit deutlich sind. 5.2. Der Bezugspunkt subjektiver Auslegung Wie bereits dargestellt, werden i n subjektiven Auslegungstheorien hauptsächlich drei Standpunkte vertreten: 1. Subjektive Auslegung hat den wahren Sinn des Gesetzes zu ermitteln. Der wahre Sinn ist derjenige, auf den sich die Gesetzgebungsfaktoren geeinigt haben 1 . 2. Subjektive Auslegung hat den Willen des historischen Gesetzgebers herauszufinden 2 . 3. Subjektive Auslegung hat den normativierten Willen des Gesetzgebers zu ermitteln 3 . Es erscheint nicht sinnvoll, als Aufgabe subjektiver Auslegung die Ermittlung des „wahren" Sinns des Gesetzes anzusehen. Bundestag und Bundesrat einigen sich bei Erlaß von Strafgesetzen nicht auf einen Inhalt, der erklärt werden soll. Nach dem Grundgesetz haben die Länder bei Strafgesetzen i m Normalfall ein Einspruchsrecht, das durch den Bundestag m i t Mehrheit zurückgewiesen werden kann (vgl. dazu A r t . 77 Abs. 2 und 3 GG). Auch der psychische Wille des historischen Gesetzgebers sollte nicht als Verstehensobjekt subjektiver Auslegung angesehen werden. Dies würde den Anschein erwecken, als ob bei subjektiver Auslegung eine psychische Realität abzubilden sei4. I n praktischer Argumentation nehmen Argumente, die m i t dem „ W i l l e n des Gesetzgebers" argumentieren, Bezug auf unterschiedliche Momente der gesetzgeberischen Handlung: Sie interpretieren Zuschreibung i m Gesetzgebungsverfahren; sie erklären Gesetzesnormen aus ihren Normvorläufern (auch Gesetzesentwürfen); sie verstehen die Gesetzesnorm aufgrund spezifischer, i m Gesetzgebungsverfahren virulent gewordener 1 2 8 4
6·
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
dazu dazu dazu dazu
Kap. Kap. Kap. Kap.
3.1. 3.3.1. 3.2.2. 2.1.
8
4
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der Diskussion subjektive
Auslegung
Problemstellungen, auf die mit Gesetzen eine A n t w o r t zu geben versucht wurde. I n Wirklichkeit w i r d also bei subjektiver Auslegung die transparent gewordene Handlung eines Gesetzgebers, die zu einem Gesetz geführt hat, verstanden 5 . Die Handlung des Gesetzgebers w i r d i m Hinblick auf die Norm interpretiert. Da dem Gesetzgeber aufgrund spezifischer K r i terien ein „ W i l l e " zugeschrieben wird, ist mit Heck davon auszugehen, daß bei subjektiver Auslegung ein normativiertes Verständnis der gesetzgeberischen Handlung stattfindet 6 . Dies muß noch näher expliziert werden. Zunächst ein Blick auf die allgemeine Struktur des Gesetzgebungsverfahrens. I m Gesetzgebungsverfahren werden Lebenssachverhalte hinsichtlich der geltenden Rechtsnormen und deren Interpretationen analysiert. Nur i n Ausnahmefällen w i r d ein bisher nicht geregelter Lebenssachverhalt normiert. Es w i r d eine Entscheidung gefällt, ob ein spezifischer Rechtszustand und dessen Interpretation verändert bzw. beibehalten werden soll. Weiter werden Modelle entwickelt, die jeweils unterschiedliche Eingriffsvorstellungen i n einen konkreten Rechtszustand realisieren. Schließlich w i r d eine Entscheidung für ein Modell gefällt. M i t der Entscheidung für ein Modell ist verbunden die Entscheidung für eine konkrete Vorstellung der Änderung oder Beibehaltung des Rechtszustands. Änderungsvorstellungen sind, soweit vorhanden, auf verschiedenen Ebenen angesiedelt. M i t jedem „Gesetzeswerk" sind generelle Eingriffsvorstellungen verbunden. So hatte etwa das 4. Strafrechtsreformgesetz das Ziel, die Strafbarkeit hinsichtlich der Sexualstraftaten einzuschränken. Weiter werden Eingriffsvorstellungen auch mit konkreten Gesetzen verbunden. Die Neufassung des Hehlereitatbestandes etwa hatte u. a. die Aufgabe, „Teilnahmetheorien" der Hehlerei auszuschließen. Eingriffsvorstellungen des Gesetzgebers werden am konkretesten hinsichtlich bestimmter Tatbestandsmerkmale virulent. Beispielsweise sollte die Formulierung i n § 259 StGB „sich oder einem anderen verschafft" klarstellen, daß auch die Begründung fremder Verfügungsmacht eine Hehlhandlung i m Sinne von § 259 StGB darstellt. Die Ermittlung der mutmaßlich vom Gesetzgeber intendierten Eingriffsvorstellungen aufgrund der gezeigten gesetzgeberischen Handlung kann als Aufgabe subjektiver Auslegung angesehen werden. Geht man mit Heck davon aus, daß zwischen dem Bestimmungs- und dem Bewertungsinhalt einer Norm unterschieden werden muß, so w i r d klar, daß zwei Typen von Eingriffsvorstellungen des Gesetzgebers zu 6 6
Vgl. dazu auch Kap. 3.2.3. Vgl. dazu Kap. 3.2.3.
5.3. Die Möglichkeit subjektiver Auslegung
85
unterscheiden sind und den Bezugspunkt subjektiver Auslegung darstellen. Einerseits können Rechtsinhaltsvorstellungen, Vorstellungen, nach welchen Kriterien Normen anzuwenden sind, welche Sachverhaltsmengen ihnen unterfallen, ermittelt werden. Dies sind mutmaßliche Vorstellungen zum imperativen Gehalt einer Rechtsnorm. Andererseits können aber auch mutmaßliche Bewertungsvorstellungen festgestellt werden. Diese dokumentieren sich i n Zweck- und Sinnbestimmungen der Strafrechtsnorm. I n diesen werden die berechtigten „In-Anspruchnahme-Interessen" des Staates und die „Schutz-Interessen" des Bürgers vor Inanspruchnahme des Staates virulent. Diese Interessen sind unterschiedlicher A r t . Sie können Realfolgen intendieren, wie bestimmte „Strafbarkeiten" zurückdrängen zu wollen. Sie können Systemfolgen antizipieren, wie bestimmte Sachverhaltsmengen unter anderen Gesichtspunkten gewertet wissen zu wollen etc. Geht man, wie hier, davon aus, daß die Handlungen des Gesetzgebers Bezugspunkte subjektiver Auslegung sind, so setzt dies voraus, daß Normen neben einer „wörtlichen Bedeutung" noch eine davon verschiedene „Äußerungsbedeutung" haben. Die Äußerungsbedeutung kann dabei nicht unabhängig von einer „wörtlichen" Bedeutung verstanden werden. Die wörtliche Bedeutung w i r d häufig ein Indiz dafür sein, welche Sachverhalte der Gesetzgeber mit einer konkreten Norm erfaßt wissen wollte. Sie ist jedoch auch durch „zusätzliche" Faktoren bestimmt 7 . Die Paraphrasierungen i n den Gesetzesmaterialien, die Kenntnis des Problems, das der Gesetzgeber lösen wollte, die Diskrepanz zwischen altem und neuem Gesetz, zwischen Gesetzentwurf und neuem Gesetz können die semantischen Regeln der Umgangssprache relativieren und zu neuen Verwendungsregeln der Norm drängen. 5.3. Die Möglichkeit subjektiver Auslegung I n der neueren methodischen Diskussion w i r d die Frage nach der Möglichkeit subjektiver Auslegung überhaupt nicht mehr gestellt. Die Anhänger der Lehre des „wahren" Willens des Gesetzes beschäftigten sich m i t dieser Frage nur implizit insofern, als sie Interpretationsregeln für die Gesetzesmaterialien aufstellten 8 . Zunächst: I n der Praxis der Argumentation um konkrete Rechtsanwendungsprobleme scheint man mit der Feststellung des konkreten „Willens" des historischen Gesetzgebers keine Schwierigkeit zu haben. 7 Vgl. zu dieser Unterscheidung von wörtlicher Bedeutung u n d Äußerungsbedeutung Bierwisch, 1980, S. 119 ff. 8 Dazu Kap. 3.1.
86
5. Systematisierung der Diskussion subjektiver Auslegung
Sämtliche Diskutanten sind sich beispielsweise darüber einig, daß i n § 259 StGB das Regelungsverständnis des historischen Gesetzgebers hinsichtlich des Begriffes „absetzen" dahin zu verstehen ist, daß dieser Begriff erfolgsorientiert zu verstehen sei9. Der Wille des historischen Gesetzgebers ist manchmal allerdings auch umstritten. Jedoch scheinen diese Fälle i n der juristischen Auslegungspraxis Einzelfälle zu sein (umstritten ist beispielsweise der Wille des historischen Gesetzgebers hinsichtlich des Merkmals der „Heimtücke" i n § 211 StGB) 10 . Wie kommt nun ein gemeinsames Verständnis vom Willen des historischen Gesetzgebers zustande? Wie ist also subjektive Auslegung möglich? Von einem Willen des Gesetzgebers kann insoweit gesprochen werden, als sich ein gemeinsames Verständnis der Gesetzesmaterialien hinsichtlich eines konkreten Problems herstellen läßt. Allgemeine Interpretationsregeln für die Gesetzesmaterialien scheint es allerdings noch nicht zu geben. Einigen kann man sich aber wohl darauf, daß die Gesetzesmaterialien vollständig benützt werden müssen 11 . Einigkeit ließe sich wohl auch insoweit erzielen, als Gesetzesmaterialien, die lediglich dazu dienen, zu einem Gesetz zu überreden, keine konkreten mutmaßlichen Vorstellungsinhalte des Gesetzgebers begründen können 12 . Weiter: Soweit sich nicht erkennen läßt, inwieweit gesetzgeberische Motivierungen irgend etwas m i t einem konkreten Gesetz zu t u n haben, sollten diese auch nicht m i t zur Begründung eines gesetzgeberischen Willens verwendet werden. Es muß zumindest ein Bemühen des Gesetzgebers festgestellt werden können, Bewertungen i n einen imperativen Gehalt umzusetzen 18 . Eine weitere Möglichkeit, von einem „Willen" des Gesetzgebers zu reden, ist ein konsensfähiges Kontextverständnis der Rechtsnorm. Ein Beispiel: I n § 259 StGB ist formuliert, „Wer eine Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt hat, ankauft . . . , w i r d m i t Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder m i t Geldstrafe bestraft". I n Litera9 Vgl. dazu Franke, 1977; Küper, 1977, m i t weiteren zahlreichen L i t e r a t u r nachweisen; vgl. dazu unten Kap. 7.1. 10 Vgl. Fn. 18 u. 19, Kap. 4. 11 Eine Selektion der Gesetzesmaterialien sollte man nicht treffen. Jedoch soüte bei der konkreten Interpretation v o n Gesetzesmaterialien darauf geachtet werden, daß Äußerungen zu einem Gesetz nicht Äußerungen von einer Einzelperson sind. 12 Vgl. dazu Kap. 3.1. 13 Vgl. dazu oben Kap. 3.2.3.
5.3. Die Möglichkeit subjektiver Auslegung
87
tur und Rechtsprechung ist umstritten, ob § 259 StGB verlangt, daß die Sache „unmittelbar" aus der Vortat erlangt sein muß. Krey argumentiert nun, nur wenn eine Sache als identische Sache aus dem Diebstahl stammt, könne behauptet werden, sie sei gestohlen. Verlangt aber das Tatbestandsmerkmal „gestohlen" die Unmittelbarkeit, so kann für das Merkmal „oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat" nichts anderes gelten 14 . Derartige Argumentationsweisen begründen ebenfalls einen spezifischen „Willen" des Gesetzgebers. Nicht der Kontext „an sich" spricht für diese Interpretationsaussage, sondern die Handlung, die zu einem spezifischen Kontext geführt hat 1 5 . Ein Gesetzgeber, der einen derartigen Kontext gesetzt hat, ist eben i n dem angegebenen Sinne zu verstehen. Die einen konkreten Ausdruck umgebenden Zeichen w i r k e n sich nämlich nicht „an sich" auf diesen aus, sondern genau dann, wenn der Interpret davon ausgeht, daß sich der Autor bei der „In-Kontext-Setzung" etwas gedacht und diese Intention versucht hat zu rekonstruieren 16 . Es bleibt zu vermerken, daß derartige Argumentationsweisen i n juristischer Praxis zwar häufig vorkommen, jedoch dabei selten behauptet wird, daß hiermit ein „Wille des Gesetzgebers" zugeschrieben wird. Sieht man als Bezugspunkt des Willens des Gesetzgebers die gesetzgeberische Handlung an, so können derartige Argumentationen jedoch als „Willensfestsetzungen" angesehen werden. Eine andere Möglichkeit, einen „Willen" des historischen Gesetzgebers zu begründen, besteht darin, die geltende Fassung eines Gesetzes über ihre Normvorläufer zu erklären. Es w i r d dabei nicht nur die Diskrepanz von altem und neuem Gesetz erklärt, sondern auch die Diskrepanz zu den Normentwurfsvorläufern. Soweit sich hierbei konsensfähige, auslegungsrelevante Aussagen treffen lassen, kann ebenfalls von einem „Willen" des Gesetzgebers gesprochen werden 17 . Es wurde bereits dargelegt, daß der Bezugspunkt subjektiver Auslegung die Handlung ist. Es wurde dann gezeigt, wie über Selbstzuschreibungen des Gesetzgebers und durch ein Kontextverstehen der Norm diese verstanden werden kann. Damit ist aber noch nicht gesagt, von welchen Bedingungen es abhängt, daß w i r den Gesetzgeber verstehen. Diese Bedingungen lassen sich wie folgt charakterisieren: 14
So K r e y , 1980, § 15. Hirsch, 1972, S. 85 ff. 16 Auch der K o n t e x t des § 223 a StGB „mittels einer Waffe, insbesondere eines Messers oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs" verleiht nicht „ a n sich" Bedeutung, sondern dadurch, daß der Interpret diesen als gesetzgeberische Handlung, die einen spezifischen Sinn hat, interpretiert. 17 Vgl. beispielsweise B G H S t 9, S. 385 ff. 15
8 8 5 .
Systematisierung der Diskussion subjektiver Auslegung
W i r verstehen, daß ein Gesetzgeber „G" zum Zeitpunkt „ T " m i t einer vollzogenen Handlung „ A " einen Zustand „ R " intendierte 18 , genau dann, wenn w i r erkennen, daß „G" zum Zeitpunkt „ T " „ A " tut, sich i n einer Entscheidungssituation „S" befindet und sein „ A " - T u n für „ G " eine Lösung des Entscheidungsproblems darstellt. M i t dieser Charakterisierung soll vor allem gesagt sein, daß sich nur dann sinnvoll von einem fundierten Handlungsverstehen reden läßt, wenn die Handlung des Gesetzgebers sich auch subjektiv, aus der Sicht des Gesetzgebers, als Reaktion auf ein Entscheidungsproblem auffassen läßt. Häufig treten i n der juristischen Praxis Problemfälle auf, die jeder Rechtskundige als Problemfälle erkennt. Konkrete Handlungen des Gesetzgebers werden dann unter dieser Problemsicht unmittelbar verständlich. Soweit Handlungen nur sinnvollerweise als Handlungen auf ein Problem h i n verstanden werden können und für dieses eine spezifische Lösung vorschlagen, kann von einem „Willen" des Gesetzgebers gesprochen werden 19 . Häufig werden sich auch aus den Gesetzesmaterialien Hinweise darauf ergeben, daß m i t einem spezifischen Gesetz ein konkretes Problem gelöst werden sollte. Allerdings w i r d sich i n diesen Fällen nur dann eine konsensfähige Möglichkeit, mit dem Willen des historischen Gesetzgebers zu argumentieren, ergeben, wenn die Lösung des Entscheidungsproblems durch den Gesetzgeber als einigermaßen plausibel angesehen werden kann 2 0 . W i r d die „Möglichkeit subjektiver Auslegung" thematisiert, so muß auch das Problem erörtert werden, wie mit Interpretationskonflikten innerhalb subjektiver Auslegung umzugehen ist. Interpretationskonflikte kann es i n zweierlei Hinsicht geben: Einerseits können sich Divergenzen zwischen den unterschiedlichen Ebenen des gesetzgeberischen Handlungsverständnisses ergeben, zwischen den gesetzgeberischen Vorstellungen zu einem Gesetzeswerk, einem konkreten Gesetz und zu spezifischen Tatbestandsmerkmalen also, sowie auch zwischen dem Rechtsinhalts- und dem Bewertungsverständnis des Gesetzgebers. Andererseits können sich auch bei den unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten der gesetzgeberischen Handlung divergierende Ergebnisse herausstellen. Fraglich ist i n diesen Konfliktfällen, wann und wie von einem „Willen des Gesetzgebers" gesprochen werden kann. Zunächst zu den Konflikten, die sich aus unterschiedlichen Deutungsebenen der gesetzgeberischen Handlung ergeben. Bereits Bierling hat die Forderung aufgestellt, daß das jeweils konkrete Handlungsver18 Zumindest läßt sich insoweit normativ von einer „ I n t e n t i o n " sprechen, s. a. Meggle, 1978, S. 234 ff. 19 Vgl. dazu als Beispiel unten S. 145 ff. 20 Vgl. Meggle, 1978, S. 234 ff.
5.3. Die Möglichkeit subjektiver Auslegung
89
ständnis den Vorrang haben sollte 21 . Diese Interpretationsregel erscheint unmittelbar plausibel. Der Gesetzgeber kann mit einem Gesetzeswerk insgesamt eine Einschränkung der Strafbarkeit beabsichtigen und trotzdem i n konkreten Einzelfällen eine Erweiterung der Strafbarkeit intendieren. Auch bei der Bewertungshandlung, die der Gesetzgeber vollzogen hat, sollten die jeweils konkretesten maßgebend sein. Konflikte innerhalb subjektiver Auslegung sind auch dann gegeben, wenn das Rechtsinhaltsverständnis und das Verständnis der Bewertungshandlung des Gesetzgebers nicht i n Entsprechung stehen. Man könnte dann argumentieren, daß sich vom Standpunkt subjektiver Auslegung aus gesehen keine inhaltlichen Aussagen darüber treffen lassen, was der „Wille des Gesetzgebers" ist. Man kann aber auch der Auffassung sein, daß entweder dem Bewertungs- oder dem Rechtsinhaltsverständnis der Vorrang einzuräumen sei. Es versteht sich von selbst, daß zunächst versucht werden muß, eine Interpretationsaussage zu finden, i n der Rechtsinhalts- und Bewertungsverständnis des Gesetzgebers übereinstimmen. Dies w i r d auch häufig möglich sein. Rechtsinhaltsverständnis und Bewertungsverständnis des Gesetzgebers w i r k e n i n vielfältiger Weise aufeinander ein. Beide Bereiche sind nicht völlig unabhängig voneinander zu verstehen. Sollten sich Diskrepanzen dieser Bereiche jedoch tatsächlich nicht ausräumen lassen, so ist nach der hier vertretenen Auffassung der Bewertungsvorstellung des Gesetzgebers der Vorrang einzuräumen. Das Primäre an gesetzgeberischer Tätigkeit ist die Bewertungshandlung, die der Gesetzgeber vollzieht. Dieser Bewertungshandlung werden allerdings insoweit Grenzen gesetzt, als dieser zu Ungunsten des Täters nur insoweit Relevanz zukommt, als sie sich i m Rahmen der Semantik einer Rechtsnorm bewegt. Die Konkretisierung und Übersetzung dieser Bewertungsvorstellungen i n ein konkretes Rechtsinhaltsverständnis ist die eigentliche Aufgabe der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis. Nun zu den Konflikten, die sich aus den unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten der gesetzgeberischen Handlung ergeben. Die Eigenzuschreibung i n den Gesetzesmaterialien kann beispielsweise i n Widerspruch zum Kontext stehen, den der Gesetzgeber gesetzt hat. Auch kann die Erklärung der Herstellung einer konkreten Fassung eines Gesetzes m i t der Eigendeutung i n den Gesetzesmaterialien i n Widerspruch stehen. Die Auseinandersetzungen innerhalb der subjektiven Auslegung des § 211 StGB geben hierzu Aufschluß. Während 21
Bierling,
1894 I V , S. 285.
9 0 5 .
Systematisierung der Diskussion subjektiver Auslegung
der Bundesgerichtshof durchaus plausibel darlegt, daß aus den verschiedenen Stadien, die der heutige § 211 StGB i m Gesetzgebungsverfahren durchlaufen hat, der Schluß zu ziehen sei, daß § 211 StGB nicht die besondere Verwerflichkeit einer Tötungshandlung verlangt, stellt Jescheck ebenfalls plausibel dar, daß sich aus den Gesetzesmaterialien deutlich ergebe, daß jegliches Handeln, das unter § 211 StGB subsumiert werden solle, auch das der heimtückischen Tötung, besonders verwerflich sein müsse 22 . Lassen sich derartige unterschiedliche Möglichkeiten, subjektiv auszulegen, nicht homogenisieren, so sollte nicht von einem Willen des historischen Gesetzgebers gesprochen werden. Es muß dann davon ausgegangen werden, daß es nicht möglich ist, einen Willen des Gesetzgebers festzustellen. Interpretationsprobleme, ob ein spezifischer „Wille des Gesetzgebers" vorliegt, können auch dann auftreten, wenn der Gesetzgeber seine eigene Begrifflichkeit nicht konsequent gebraucht. Ein Beispiel: Nach § 146 StGB w i r d m i t Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft, wer Geld i n der Absicht nachmacht, daß es als echt i n Verkehr gebracht oder daß ein solches Inverkehrbringen ermöglicht werde . . . M i t der Formulierung „daß ein solches Inverkehrbringen ermöglicht werde", sollten die Fälle erfaßt werden, i n denen Geld i n der Absicht nachgemacht wird, dieses an „eingeweihte" Kreise weiterzugeben. W i r d Geld i n der Absicht nachgemacht, dieses an eingeweihte Kreise weiterzugeben, so fällt diese Sachverhaltsmenge, soweit § 146 StGB angewendet wird, unter das Tatbestandsmerkmal „ein solches Inverkehrbringen ermöglicht". Diese Sachverhaltsmenge fällt nicht unter das Tatbestandsmerkmal „als echt i n Verkehr bringen". § 147 StGB enthält i m Gegensatz zu § 146 StGB als Tathandlung nur das „Inverkehrbringen als echt" und nicht „ein solches Inverkehrbringen ermöglicht". Aus den Gesetzesmaterialien ist aber klar erkenntlich, daß hierunter auch die Fälle des Weiterschiebens an Eingeweihte fallen sollten. Zwei Arten der Interpretation bieten sich an. Man könnte argumentieren, der Gesetzgeber sei dahin zu verstehen, wie sich aus § 146 StGB eindeutig ergibt, daß das Weiterschieben von Falschgeld an Eingeweihte nicht unter das Merkmal „als echt i n Verkehr bringen" fällt. Man kann sich aber auch auf den Standpunkt stellen, daß nach natürlichem Sprachgebrauch auch das Weiterschieben von Falschgeld an Eingeweihte unter das Merkmal „als echt i n Verkehr bringt" subsumiert werden kann und daß aufgrund der Gesetzesmaterialien der Gesetzgeber dahingehend zu verstehen ist, daß diese Fälle hierunter zu sub22 Vgl. B G H S t 9, S. 385 ff., insbes. 387—389; B G H S t 11, S. 143 ff.; Jescheck, 1957, S. 386/7; vgl. dazu Hassemer, 1971a, S. 626 ff. m i t weiteren zahlreichen Literaturnachweisen.
5.3. Die Möglichkeit subjektiver Auslegung
91
sumieren sind 28 . Soweit sich die Rechtsinhaltsvorstellungen des Gesetzgebers i m Rahmen des natürlichen Sprachgebrauchs befinden, erscheint es plausibel, den „gesetzgeberischen Willen" aus den konkreten Zuschreibungen i n den Gesetzesmaterialien und nicht aus dem Sprachgebrauch des Gesetzgebers i n anderen Gesetzen festzustellen. Die gesetzgeberische Zuschreibung i n den Gesetzesmaterialien ist dann das speziellere Deutungsraster der gesetzgeberischen Handlung. I n einigen Fällen von Gesetzesänderungen wurde es lediglich versäumt, die gesetzgeberische Ausdrucksweise i n unterschiedlichen Gesetzen anzupassen24. Soweit sich bei subjektiver Auslegung ergibt, daß ein Gesetzgeber eine bestimmte Rechtsentwicklung der Praxis überlassen w i l l , liegt i m eigentlichen Sinne kein konkreter „Wille" des Gesetzgebers vor. Man sollte dann davon ausgehen, daß es unmöglich ist, einen „Willen des historischen Gesetzgebers "festzustellen. W i r d festgestellt, daß der Gesetzgeber die Rechtsanwendung der Praxis überlassen w i l l , so liegt hierin die Feststellung, daß es einen „ W i l l e n des Gesetzgebers" i n einem normativen Sinne nicht gibt 2 5 . Hiervon sind allerdings Zuschreibungen zu unterscheiden, die dazu auffordern, beispielsweise bestimmte Begriffe „ w e i t " auszulegen 28 . Die Aufforderung, ein Tatbestandsmerkmal weit auszulegen, enthält zwar noch keine inhaltliche Bestimmung eines Tatbestandsmerkmals durch den Gesetzgeber, jedoch lassen sich aus derartigen Paraphrasierungen i n den Gesetzesmaterialien Bewertungsleitlinien des Gesetzgebers erkennen. W i r wenden uns nun der Frage zu, inwieweit die Ergebnisse subjektiver Auslegung erlaubt sind, inwieweit sie den Norminterpreten auf spezifische Inhalte einer Rechtsnorm verpflichten.
23
So der B G H i n seinem U r t e i l v o m 5. 8.1980, J Z 1981, S. 69. Anders Rudolphi, S K 1980, § 147 Rdnr. 6. 25 Hier w i r d zwar auch die gesetzgeberische Handlung verstanden, jedoch ist diese als Argument „ f ü r " oder „gegen" Auslegungshypothesen nicht brauchbar. V o n einem „ W i l l e n des Gesetzgebers" spricht man meistens n u r dann, w e n n das Ergebnis subjektiver Auslegung „positiv" oder „negativ" gegen Auslegungshypothesen verwendet werden kann. Jedoch eröffnet i n soweit subjektive Auslegung die Basis f ü r richterliche Rechtsfortbildung. 28 Vgl. beispielsweise B G H - U r t e i l v o m 11.12.1980, i n N J W 1981/831 zu § 1 Abs. 1 S. 2 Fernmeldeanlagengesetz. 24
92
5. Systematisierung der Diskussion subjektiver Auslegung
5.4. Wie weit ist subjektive Auslegung erlaubt, wie weit ist sie verbindlich? 5.4.1. Die Akzeptation subjektiver Auslegung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung
I n der neueren Auslegungsdiskussion w i r d von niemandem mehr vertreten, daß es verboten sei, subjektiv auszulegen. Vielfach wird, wie dargestellt, subjektiver Auslegung häufig sogar eine Hilfsfunktion i m Rahmen objektiver Auslegung zugewiesen. I n der älteren Auslegungsdiskussion wurde die These, daß subjektive Auslegung nicht erlaubt sei, m i t dem „Promulgations"- und dem „Autoritätsargument" begründet. Wie bereits dargestellt, vermögen diese Argumente nicht zu begründen, daß subjektive Auslegung nicht erlaubt sei 27 . Auch i n der Praxis der Argumentation des Bundesgerichtshofs w i r d nicht davon ausgegangen, daß es unzulässig sei, subjektiv zu argumentieren. I m Rahmen des Münchner Forschungsprojektes m i t dem Thema „Rechtsprechungsänderungen" wurden die folgenden Urteile analysiert: BGHSt 20, 34; BGHSt 20, 140; BGHSt 20, 192; BGHSt 22, 48; BGHST 22, 104; BGHSt 22, 113; BGHSt 23, 324; BGHSt 25, 264; BGHSt 25, 301; BGHSt 26, 181; BGHSt 26, 191; BGHSt 27, 45; BGHSt 27, 21628. Es wurde davon ausgegangen, daß das Argument ist, was ein Autor als Argument explizit oder implizit bezeichnet. Keine Rolle spielt es dabei, ob ein Argument als solches zu akzeptieren ist. Weiter wurde als Gemeinsames an Argumentations Vorgängen angesehen, daß sie „ f ü r " oder „gegen" etwas vorgebracht werden 29 . Die Argumente dieser Urteile w u r den atomisiert. Es wurde der folgende Begriff des Argumentes verwendet: „ X ist ein Argument" t r i f f t zu, wenn gilt: ein Autor bringt „ X " als Argument für /gegen etwas und bringt etwas als Argument f ü r / gegen X und X läßt sich nicht i n Teile zerlegen, deren ersten der Autor als Argument für bzw. gegen den zweiten bringt und umgekehrt 30 . M i t der Atomisierung sollte erreicht werden, daß i n „Globalargumenten" keine „Begründungsschritte" mehr enthalten sind. Dabei wurde festgestellt, daß ca. 22°/o aller Argumente, die vorkommen, subjektive Argumente sind. Die Hälfte dieser Urteile sind Urteile, die von anderen abweichen, die andere Hälfte der Urteile sind 27
Vgl. dazu Kap. 4. Diese Urteile w u r d e n i m Rahmen des DFG-Projektes „Rechtsprechungsänderungen" v o m Verfasser analysiert. I h r e Analyse liegt den folgenden statistischen Ausführungen zugrunde. 29 Schroth, 1980, S. 120. 30 So v. Savigny, 1976, S. 31. 28
5.4. Wie weit ist subjektive Auslegung erlaubt u n d verbindlich?
93
Urteile, von denen abgewichen wird. Innerhalb der Urteile, von denen abgewichen wird, sind 22 % der Argumente subjektiv. Der gleiche prozentuale Anteil subjektiver Argumente findet sich auch bei Urteilen, die abweichen. Subjektive Argumente nehmen also bei „abweichenden" Entscheidungen nicht ab. Die Vermutung, „abweichende" Entscheidungen paßten Rechtsnormen an die Gegenwart an, hätte die Gegenthese nahegelegt. Subjektive Argumente sind der am häufigsten vorkommende Argumenttyp. Wurde bei Urteilen eine Auslegungshypothese lediglich m i t subjektiven Argumenten begründet, so wurde von diesen Argumenten gesagt, daß sie konstant subjektiv sind. Damit soll gesagt sein, daß der subjektive Argumenttyp i m Mittelpunkt der Entscheidung steht. Dies wurde auch dann angenommen, wenn zwar andere Argumenttypen verwendet wurden, diese aber nicht gesättigt waren. Als nicht gesättigt wurden diejenigen Argumente bezeichnet, die nicht die notwendigen Informationen für den jeweiligen Argumenttyp zur Verfügung stellten. Bei den oben bezeichneten Entscheidungen fanden sich vier Urteile, die ihre Auffassung konsonant m i t subjektiven Argumenten begründeten (BGHSt 27, 45; BGHSt 26, 191; BGHSt 26, 181; BGHSt 25, 301). I n keiner der Entscheidungen, die abweichen, wurden subjektive Argumente der Entscheidung, von der abgewichen wurde, angegriffen. Es wurde weder der sachliche Gehalt eines subjektiven Argumentes angegriffen, noch wurde einem subjektiven Argument die Relevanz bestritten. Diese Daten zeigen zumindest, daß subjektive Argumentationen bei der Legitimation von Auslegungshypothesen i n obergerichtlicher Rechtsprechung anerkannt sind. Auch wenn relativ wenig konsonante subjektive Argumentationen festgestellt werden konnten, so kommt subjektiven Argumenten zumindest als „Zusatzargumenten" eine wesentliche Bedeutung zu. Die Tatsache, daß bei abweichenden Urteilen auch subjektiv argumentiert w i r d und hierbei sogar vier konsonante subjektive Argumentationen festgestellt werden konnten, zeigt, daß subjektiver Auslegung ein hoher Legitimationsgehalt zugesprochen wird. Das gilt u m so mehr, als bei obergerichtlichen Entscheidungen der Grundsatz anerkannt ist, daß von obergerichtlicher Rechtsprechung nur abgewichen werden soll, wenn überwiegende Gründe für die Rechtsprechungsänderung sprechen. So formuliert das BAG: „Aufgabe aller Obersten Bundesgerichtshöfe des Bundes ist es nicht zuletzt, m i t den Entscheidungen von Einzelfällen eine stetige, für die Praxis sowohl der Verwaltung als auch der Instanzgerichte und damit für das Rechtsleben überhaupt richtungsgebende, einheitliche Linie der Rechtsprechung zu entwickeln. Daraus folgt wiederum, daß ein Oberster Gerichtshof von seiner bisherigen Rechtsprechung nicht abweichen sollte, sofern sowohl für die eine als auch für die andere Ansicht gute
9 4 5 .
Systematisierung der Diskussion subjektiver Auslegung
Gründe sprechen 81 ." Soweit abweichende Entscheidungen konsonant subjektiv begründet wurden, wurde diesen Argumentationen zugestanden, daß sie durchschlagskräftiger sind als bisherige Argumentationen. Diese Ergebnisse sind wohl nicht überinterpretiert, wenn man sie dahingehend versteht, daß der Bundesgerichtshof subjektiver Auslegung auch eine „Teilverbindlichkeit" zuspricht. Wie weit Auslegungstheorien subjektive Auslegung für relevant halten, wurde bereits dargestellt 82 . Es soll nun der Versuch gemacht werden, die Verbindlichkeit subjektiver Auslegung aus dem Gesetzes Verbindungspostulat, dem sogenannten Analogieverbot, sowie allgemeinen Überlegungen zu begründen und zu bestimmen. 5.4.2. Das Gesetzesbindungspostulat und die subjektive Auslegung
Nach § 1 GVG ist die richterliche Gewalt nur dem Gesetz unterworfen. Auch nach A r t . 97 Abs. 1 GG sind Richter nur dem Gesetz unterworfen. Nach A r t . 20 Abs. 3 GG ist die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden. Was bedeutet nun Gesetzesbindung, i n welchem Verhältnis steht sie zur „ R e c h t s f i n d u n g , die A r t . 20 Abs. 3 GG ebenfalls ausspricht? 5.4.2.1. Sprachphilosophische Präzisierung des Gesetzbindungspostulats
Hans-Joachim Koch u. a. haben den Versuch unternommen, das Gesetzesbindungspostulat m i t sprachanalytischen Überlegungen zu präzisieren. Sie gehen davon aus, daß das Gesetzesbindungspostulat bestimmt werden muß mit Hilfe der semantischen Bedeutung des Normtextes. Zunächst zu den sprachanalytischen Überlegungen: Nach Auffassung der realistischen Semantik, von der Hans-Joachim Koch ausgeht, muß unterschieden werden zwischen der „Intension" und der „Extension" von Begriffen. Unter der Extension eines Begriffes versteht Koch die Gegenstände, Sachverhalte bzw. die Klasse der Gegenstände, Sachverhalte, für die ein Begriff steht. Unter Intension sind die „Anwendungsregeln" eines Begriffes zu verstehen 38 . Carnap verstand unter Intension allerdings noch die Eigenschaften von Gegenständen und Sachverhalten bzw. einer Klasse von Gegenständen und Sachverhalten 34 . 31 32 33 34
B A G 12, 78; dazu auch B A G A P Nr. 13 zu § 76 BetrVerfG. Vgl. dazu Kap. 3.3.1.1. Koch, 1977, S. 35 ff. Carnap , 1972, S. 25 f.
5.4. Wie w e i t ist subjektive Auslegung erlaubt u n d verbindlich?
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Aus der Kenntnis der Extension eines Begriffes läßt sich nicht (ohne weiteres) auf die Intension schließen. Allerdings markieren Intensionen die Klasse der Gegenstände, Sachverhalte, für die ein Begriff steht. Durch die Intension w i r d die Extension i n zweierlei Hinsicht „objekt i v " festgelegt: Intensionen sind zu ermitteln durch Beschreibung eines tatsächlichen Sprachgebrauchs. Außerdem beziehen sie sich auf Gegenstände und Sachverhalte. Intensionen sind nur dann genau, wenn sie i n allen Fällen der A n wendung eines Begriffes über das Zutreffen oder das Nichtzutreffen dieses Begriffes auf bestimmte Gegenstände und Sachverhalte eine Entscheidung ermöglichen. Koch geht nun davon aus, daß bei vielen Begriffen des Gesetzes „Vagheit" besteht. Bei vagen Begriffen kann hinsichtlich einiger Gegenstände klar entschieden werden, ob der Ausdruck auf sie anwendbar ist (positive Kandidaten); bei einigen Sachverhalten kann zweifelsfrei festgestellt werden, daß sie nicht unter den Begriff fallen (negative Kandidaten). Bei spezifischen Sachverhaltsmengen kann jedoch über die Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit eines Begriffes keine Entscheidung gefällt werden (neutrale Kandidaten) 85 . Von der Vagheit unterscheidet Koch die Porosität von Begriffen. Eine Porosität von Begriffen besteht insoweit, als unsere Erfahrungswelt nicht abgeschlossen ist. Hinsichtlich spezifischer Entdeckungen und neuer Erfahrungen kann sich ein Ausdruck als unabgeschlossen herausstellen. Eine Vagheit von Begriffen besteht dann, wenn es neutrale Kandidaten hinsichtlich bekannter Phänomene gibt. Porosität bezeichnet „potentielle Vagheit" 3 6 . Nach Auffassung von Koch lassen sich unter Berücksichtigung dieser sprachphilosophischen Einsichten drei Formulierungen des Gesetzesbindungspostulats treffen: 1. „Eine Entscheidung soll i m Einklang m i t dem semantischen Gehalt einer Vorschrift stehen 37 ." Soweit auf diese Weise das Gesetzesbindungspostulat präzisiert wird, w i r d über die Fälle, hinsichtlich derer sich nicht entscheiden läßt, ob sie unter das Gesetz fallen oder nicht (neutrale Kandidaten), keine Aussage getroffen. Lebenssachverhalte, die positive Kandidaten eines Gesetzestextes sind, müssen unter die Norm fallen, negative Kandidaten dürfen nicht unter den Normtext subsumiert werden. Bei neutralen Kandidaten ist der Richter frei i n seiner Entscheidung. 85 36 37
Dazu ausführlich Koch, 1977, S. 43 ff.; Körner, Koch, 1977, S. 45. Koch, 1977, S. 58.
1970, S. 44 f.
9 6 5 .
Systematisierung der Diskussion subjektiver Auslegung
2. „Eine Entscheidung soll aus dem Gesetz folgen 38 ." Nach dieser Formulierung des Gesetzesbindungspostulats kann ein Gesetz nur dann angewendet werden, wenn die Sachverhalte als positive Kandidaten des Gesetzes klassifiziert werden können. Neutrale und negative Kandidaten dürfen nicht unter den Normtext subsumiert werden. 3. „Eine Entscheidung soll gesetzesgesteuert sein 39 ." Würde auf diese Weise das Gesetzesbindungspostulat präzisiert, so dürften hierunter nur positive Kandidaten fallen, und außerdem müßte sich der Gesetzesanwendende von der Überlegung leiten lassen, daß der zu beurteilende Sachverhalt ein positiver Kandidat ist. Koch entscheidet sich für die erste Fassung des Gesetzesbindungspostulats. Nach dieser Auffassung dürfen Überlegungen des historischen Gesetzgebers nur insoweit eine Rolle spielen, als Sachverhaltsmengen als neutrale Kandidaten zu klassifizieren sind. 5.4.2.2. Kritik W i r wollen uns zunächst m i t dem sprachphilosophischen Konzept, das dieser Fassung des Gesetzesbindungspostulats zugrunde liegt, auseinandersetzen. Die Unterscheidung von Extension und Intension ist nur teilweise ein sinnvolles Sprachspiel zur Explikation des Gegenstandsbezugs und der Verwendungsregeln von Begriffen. Wie Wittgenstein dargelegt hat, ist dieses Sprachspiel so weit sinnvoll, als w i r für Gegenstände und Sachverhalte ein eigenständiges Identitätskriterium besitzen 40 . Soweit bei juristischen Sachverhalten keine selbständige „Identität" eines Sachverhaltes besteht, ist eine Trennung zwischen Intension und Extension nicht angemessen. Es darf vermutet werden, daß etwa hinsichtlich der Verwendung subjektiver Tatbestandsmerkmale nicht sinnvoll zwischen Intension und Extension unterschieden werden kann. Die Unterscheidung von Intension und Extension ist nicht notwendig, soweit eine Gebrauchstheorie der Bedeutung vertreten wird. Bedeutung konstituiert sich hier über die „korrekte Anwendung" eines Äußerungstyps. Durch die Anwendung eines Äußerungstyps erfährt dieser zugleich seinen „Gegenstandsbezug". Die Unterscheidung von positiven, negativen und neutralen Kandidaten bei Äußerungstypen trägt der pragmatischen Funktion mancher Tatbestandsmerkmale nicht Rechnung. 38 39 40
Koch, 1977, S. 58. Koch, 1977, S. 58. Vgl. dazu Wittgenstein,
1960 I V , Anhang, T e i l 1, § 2.
5.4. Wie w e i t ist subjektive Auslegung erlaubt u n d verbindlich?
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Wittgenstein expliziert dies i n der Frage nach dem „kleinsten Haufen". Die Frage nach dem „kleinsten Haufen", den man noch so nennt, ist unsinnig. Dies deshalb, da die Verwendungsregeln des Begriffes „Haufen" es nur zulassen, eine vorläufige „obere" und „untere" Grenze zu bestimmen. I m Strafrecht dürfte die Frage, welches die geringsten Anforderungen dafür sind, daß etwa noch eine „pornographische Schrift" vorliegt, ebenfalls unsinnig sein. Bei dem Gebrauch des Begriffes „pornographische Schrift" kann nur vorläufig demonstriert werden, was eine pornographische Schrift noch ist und was nicht mehr. Unterscheidet man aber zwischen negativen, neutralen und positiven Kandidaten bei der Gesetzesanwendung und behauptet gleichzeitig eine feste Grenze zwischen diesen, so muß man sich unweigerlich m i t der Frage beschäftigen, welche Sachverhalte gerade noch positive und welche gerade noch negative Kandidaten sind. Die Frage drängt sich vor allem dann auf, wenn man den Hechtsanwendenden an eine spezifische Behandlung positiver und negativer Kandidaten binden w i l l . Die Unterscheidung von positiven, negativen und neutralen Kandidaten bei der Gesetzesanwendung besticht durch ihre Prägnanz. Sie erlaubt aber nur eine scheinbar präzise Begriffsbestimmung des Gesetzesbindungspostulats. Tatsächlich wäre diese Begriffsbestimmung erst dann präzise, wenn es ein intersubjektiv akzeptiertes Verfahren gäbe, negative, positive und neutrale Kandidaten zu bestimmen. Der Verweis auf die „Lehnstuhl-Methode" genügt sicherlich nicht 41 . Als Lehnstuhl-Methode werden solche Verfahren karikiert, i n denen der einzelne sich zurücklehnt und nachdenkt und dabei glaubt, empirisch vorfindbare Sprachregeln herauszufinden. Koch läßt völlig offen, wie die Begriffe negative, positive und neutrale Kandidaten zu bestimmen sind. Soll etwa bei der Bedeutungsfestlegung eine meta- oder objektsprachliche Fixierung vorgenommen werden? Sollen also die Versuchspersonen darüber befinden, ob nach ihrem Sprachgebrauch ein Sachverhalt unter einen Begriff fällt, oder sollen sie Feststellungen darüber treffen, ob nach ihrer Auffassung der allgemeine Sprachgebrauch es notwendig macht, einen Sachverhalt unter einen Begriff zu subsumieren 42 . Soll bei der Festlegung positiver, negativer oder neutraler Kandidaten auch der Kontext, i n dem ein Wort steht, berücksichtigt werden 43 ? Ist der Kontext eines Wortes bei der Ermittlung von Regeln der Verwendung eines Wortes einzubeziehen, so stellt sich die A n schlußfrage, wie dies i n konkrete Untersuchungen eingebracht werden kann. W i r d der Kontext eines Wortes berücksichtigt, so muß man sich auch mit der These von Hirsch auseinandersetzen, daß nicht generell 41 42 43
Vgl. dazu ausführlich Neumann, 1978, S. 71 ff. Vgl. zu diesem Problem Neumann, 1978, S. 74. Priester, 1976, S. 158 f.
7 Schroth
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5. Systematisierung der Diskussion subjektiver Auslegung
der Kontext bedeutungsverleihend ist, sondern lediglich die Tatsache, daß der Autor ein Wort i n einen spezifischen Kontext gesetzt hat 4 4 . Eine weitere Frage, die sich bei diesem Konzept stellt, ist, inwieweit metaphorische Verwendungsweisen von Begriffen zur Bestimmung positiver, negativer und neutraler Kandidaten verwendet werden dürfen. Ein Beispiel: Nach § 259 a. F. StGB galt als eine „Hehlhandlung" das „Ansichbringen". Ansichbringen bedeutete nach ständiger Rechtsprechung die Erlangung tatsächlicher eigener Verfügungsgewalt 45 . Die Rechtsprechung sah überwiegend i m Mitverzehren von Lebensmitteln keine Begründung eigener Verfügungsgewalt und damit auch kein „Ansichbringen" 4 6 . Eine starke Literaturmeinung sah i m „Mitverzehren" ein „Insichbringen". Sie argumentierte dann, daß „Insichbringen" die intensivste Form des „Ansichbringens" sei 47 . Jens-Michael Priester ist beispielsweise der Auffassung, daß sich diese Auffassung sicherlich noch innerhalb der „Sprachregeln" der Verwendung des Begriffes „ A n sichbringen" bewegt 48 . Diese Auffassung von Priester scheint deshalb bedeutsam, da auch er die Sachverhalte i n positive, negative und neutrale Kandidaten i n bezug auf Begriffe einteilen möchte. I m alltäglichen Sprachgebrauch w i r d jedoch sicherlich niemand für den Begriff „ M i t verzehren" den Begriff „Ansichbringen" verwenden. Jeder, der Speisen mitverzehrt und hierfür die Formulierung wählen würde, daß er diese „an sich bringt", würde i m alltäglichen Sprachgebrauch korrigiert werden. Die Explikation „Insichbringen" sei die intensivste Form des „ A n sichbringens", ist eine metaphorische Formulierung, die nur i n normativen Kontexten eine gewisse Plausibilität hat. Dürfen nun aber metaphorische Argumentationen verwendet werden, u m Sachverhalte i n positive, negative und neutrale Kandidaten einzuordnen? Jedenfalls würden diese Klassifikationen dann von denen, die i m A l l t a g üblich sind, erheblich abweichen. Wenn es n u n aber unmöglich ist, positive, negative und neutrale Kandidaten konsensfähig zu bestimmen, so ist auch die sprachphilosophische Präzisierung des Gesetzesbindungspostulats ungenügend. „ Z u r Verständigung durch die Sprache gehört nicht nur eine Übereinstimmung i n den Definitionen, sondern (so seltsam es klingen mag) eine Übereinstimmung i n den Urteilen 4 9 ." Auch unter normativen Aspekten erscheint eine Präzisierung des Gesetzesbindungspostulats m i t den M i t t e l n einer realistischen Semantik inadäquat. Zunächst muß darauf hingewiesen werden, daß A r t . 20 Abs. 3 44 45 46 47 48 49
Hirsch, 1972, S. 43 ff. Vgl. ζ. B. RGSt 71, S. 341 ff. Vgl. RGSt 71, S. 342. Vgl. statt aller, Schönke / Schröder / Stree, 1980, § 258 Rdnr. 27. Priester, 1976, S. 176 f. So Wittgenstein, 1960 I, § 242.
5.4. Wie w e i t ist subjektive Auslegung erlaubt u n d verbindlich?
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GG den Richter an „Gesetz und Recht" bindet. Man könnte zwar argumentieren, daß A r t . 20 Abs. 3 GG i m Zusammenhang m i t A r t . 97 Abs. 1 GG gesehen werden muß. Hier w i r d der Richter als nur dem Gesetz unterworfen angesehen. Jedoch erscheint eine derartige Interpretation als nicht plausibel. M i t A r t . 97 soll nur ausgedrückt werden, daß der Richter andere als gesetzliche Weisungen nicht zu befolgen braucht 50 . Die Formel „Gesetz und Recht" ist auch keineswegs ein Produkt gesetzgeberischen Zufalls. Sie wurde von den Verfassern des Grundgesetzes m i t Vorbedacht gewählt 5 1 . Geht man aber davon aus, daß diese Formel m i t Vorbedacht i n das Grundgesetz kam, muß i h r auch ein spezifischer Sinn abgewonnen werden. Zunächst: Die Bindung an Recht und Gesetz soll die Selbständigkeit des Richteramtes garantieren (wie auch A r t . 97 GG) und soll gleichzeitig vor Willkürakten der Gerichte bewahren 52 . Willkürlich können richterliche Entscheidungen unter mehreren Perspektiven sein: Sie können nicht mehr an irgendeiner Gerechtigkeitsidee orientiert sein, sie können von einer bisher gepflegten ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung abweichen, auf die der Angeklagte vertraut hat, auf die sich die Parteien verlassen haben; sie können aber auch insofern w i l l kürlich sein, als sie Wertentscheidungen des Gesetzgebers völlig ignorieren, umgehen oder auf den Kopf stellen 53 . Das Problem des gesetzlichen Unrechts sowie die Frage, wie weit über das Gesetzesbindungspostulat eine Selbstbindung an bisherige Rechtsprechung eintritt, sollen hier nicht erörtert werden 54 . Eingegangen werden muß jedoch auf das Problem, wie weit der Richter an Wertentscheidungen, die der Gesetzgeber getroffen hat, gebunden ist. 5.4.2.3. Das Gesetzesbindungspostulat: Die Forderung, Gesetzgebung und Rechtsanwendung als kommunikatives Verhältnis anzusehen Man könnte argumentieren, daß sich gerade aus der Formulierung i n A r t . 20 Abs. 3 GG, daß der Richter an Gesetz und Recht gebunden ist, ergibt, daß nicht die gesetzgeberische Wertentscheidung bindend sein soll, sondern nur der Normtext und eben „Recht", das dann noch näher zu bestimmen wäre. Jedoch ist eine Bindung nur an das Gesetz bzw. ein wie auch immer geartetes Recht inadäquat. Ein derartiges 50
So auch Simon, 1975, S. 68. Arthur Kaufmann, 1972 c, S. 138. 52 Simon, 1975, S. 5 ff. 53 Vgl. dazu Hassemer, 1981, S. 72 ff. 54 Vgl. hierzu Hassemer, 1981, S. 80 f., u n d Arthur Kaufmann, 1972 c, S. 168 ff. u n d 1972 e, S. 207 ff.; zur Relevanz hinsichtlich subjektiver A u s legung vgl. Kap. 5.4.2.3.2. 51
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5. Systematisierung der Diskussion subjektiver Auslegung
Verständnis des A r t . 20 Abs. 3 GG verkennt die Struktur der gesetzgeberischen Entscheidung und ihres Verhältnisses zur Rechtsanwendung. Jeder Gesetzgebung liegt eine spezifische Bewertung von gesellschaftlich virulent gewordenen Interessenkonflikten zugrunde. Bewertungshandeln des Gesetzgebers w i r d i n einen konkreten imperativen Gehalt umgesetzt. Die eigentliche Entscheidung, die mit jedem Gesetzgebungsakt gefällt wird, ist jedoch die Bewertung spezifischer gesellschaftlicher Interessenkonflikte. I m Strafrecht sind stets „In-Anspruch-Nahme"Interessen des Staates m i t „Schutz-Interessen" des Bürgers abzugrenzen. I n jedem strafrechtlichen Gesetzgebungsakt werden diese Interessen abgewogen. Rechtsfindung würde sich den schwerwiegenden Einwand fehlender demokratischer Legitimation entgegenhalten lassen müssen, wenn die Rechtsanwendenden die Abwägung der „In-Anspruch-Nahme"-Interessen des Staates und der „Schutz-Interessen" des Bürgers ausschließlich selbst vornehmen dürften. Die Wertentscheidungen zu divergierenden Interessen sollten dem gewählten Parlament weitestgehend überlassen bleiben. Hiermit w i r d einerseits der Relativität von Werturteilen Rechnung getragen, andererseits w i r d die Gesellschaft flexibel strukturiert. Die Gesellschaft kann dann spezifische Wertentscheidungen kontrollieren und — falls diese inadäquat erscheinen — revidieren. Die Erfahrungen i n juristischer Praxis zeigen jedoch zweifelsfrei, daß häufig Wertentscheidungen des Gesetzgebers weiterentwickelt, i n Ausnahmefällen sogar korrigiert werden müssen. Gesetzgeberische Wertentscheidungen müssen jedenfalls, was dies auch immer heißen mag, an Gegenwartsverhältnisse angepaßt werden 55 . Die Akzeptanz der Werturteile, die der Gesetzgeber fällt, steht nämlich auch immer i m Verhältnis zu den Werturteilen, die i n der Gesellschaft lebendig sind. A u f grund bestimmter „Ist-Zustände" hinsichtlich i n der Gesellschaft lebendiger Werturteile fällt der Gesetzgeber die Wertentscheidungen, die i h m legitim erscheinen. Geht man wie hier davon aus, daß der Gesetzgeber die Möglichkeit haben muß, Wertentscheidungen zu treffen, daß aber andererseits es weder i n Theorie noch i n der Praxis akzeptiert wird, die richterliche Wertentscheidung auf die gesetzgeberische Wertentscheidung zu beschränken, so folgt hieraus zunächst, daß das Verhältnis zwischen Gesetzgeber und Rechtsanwendenden als Kommunikationsverhältnis gedacht werden sollte. Der Gesetzgeber darf den Rechtsanwendenden i n einem gewissen Rahmen bestimmen, dieser darf von der gesetzgeberischen Wertentscheidung i n gewissem Rahmen abweichen. Dieser ergibt sich auch aus folgender Überlegung: Wie Hassemer 55
Vgl. dazu ausführlich Arthur
Kaufmann,
1972 c, S. 143 ff. u n d S. 171 ff.
5.4. Wie w e i t ist subjektive Auslegung erlaubt u n d verbindlich?
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nachgewiesen hat, konstituieren sich Rechtsgüter und deren „Schutzausgestaltung" kommunikativ 5 6 . Die Frage, ob und wie weit Rechtsgüter unter Strafe gestellt werden, ist eine Frage gesellschaftlichen Wertgefühls, gesellschaftlichen Gefühls des Bedrohtseins 57 . Strafrecht kann sich von dieser Wertbasis, auf der es beruht, nicht völlig abkoppeln. Jedoch liegt die primäre Entscheidung, wie auf den gesellschaftlichen Wertzustand einzugehen ist, zunächst beim Gesetzgeber. Strafrecht ist nämlich formalisierte Sozialkontrolle. Es soll nur dann auf abweichendes Verhalten mit Strafe reagiert werden, wenn der Gesetzgeber dieses ebenfalls als abweichend definiert hat. Jedoch muß gerade wegen der Schwerfälligkeit des Gesetzgebers der Richter in Ausnahmefällen i n die Lage versetzt werden, dem Wertzustand der Gesellschaft Rechnung zu tragen 58 . 5.4.2.3.1. Folgerung: Transparenz des Abweichens von der gesetzgeberischen Entscheidung Für die Rechtsanwendung bedeutet dies zunächst, daß selbständige Wertentscheidungen transparent gemacht werden müssen. Nur wenn die Wertentscheidungen offenkundig sind, kann der Gesetzgeber sich mit diesen auseinandersetzen und diese wiederum korrigieren. Ein derartiges Verständnis der Bindung an Recht und Gesetz fordert somit den Rechtsanwendenden auf, eigene Wertentscheidungen so weit als möglich offenkundig zu machen, damit sie über den Weg zukünftiger Korrektur durch den Gesetzgeber demokratischer Kontrolle ausgesetzt sind. Jedoch fordert ein derartiges Verständnis der Bindung an Recht und Gesetz noch mehr: Die Kommunikation m i t dem Gesetzgeber kann nur dann funktionieren, wenn der Rechtsanwendende sich auch mit der gesetzgeberischen Wertentscheidung auseinandersetzt und — soweit er eigene Wertentscheidungen treffen w i l l — darlegt, wieso die Wertentscheidung des Gesetzgebers nicht akzeptabel ist und er sich berechtigt glaubt, von dieser abzuweichen. Diese Auseinandersetzung mit der Wertentscheidung des Gesetzgebers kann nur dann erfolgen, wenn diese zunächst mit Hilfe subjektiver Auslegung transparent gemacht wird. Besteht nun die Pflicht, sich mit der gesetzgeberischen Entscheidung auseinanderzusetzen, aber andererseits partiell die Notwendigkeit, diese zu ändern oder zu modifizieren, so ist jeweils i m Einzelfall plausibel zu machen, ob eine Bindung an die gesetzgeberische Wertentscheidung besteht oder nicht. Dies kann nur argumentativ erfolgen. se 57 58
Hassemer, 1973, S. 121 ff. Hassemer, 1973, S. 130 ff. Hassemer, 1973, S. 192 ff.
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5. Systematisierung der Diskussion subjektiver Auslegung
5.4.2.3.2. Folgerung: Leitlinien für die Abgrenzung berechtigter und nicht mehr berechtigter Abweichungen vom gesetzgeberischen Willen Zunächst zu dem Sinn allgemeiner Argumentationen „ f ü r " und „gegen" Auslegungshypothesen. Einerseits werden Argumente unmittelbar „ f ü r " oder „gegen" Auslegungshypothesen, andererseits Argumente „ f ü r " oder „gegen" andere Argumente vorgetragen. Dies i n mehrfacher Hinsicht. M i t einem Argument kann begründet oder angegriffen werden, daß die Information, die i n einem Argumenttyp enthalten ist, „richtig" oder „falsch" ist. M i t Argumenten können aber andere Argumente auch insofern angegriffen werden, als versucht wird, zu zeigen, warum sich diese Argumente (zumindest i n diesem Fall) nicht durchsetzen. Indem nun Argumente „ f ü r " oder „gegen" Auslegungshypothesen eingesetzt werden, werden spezifische „Erfahrungsbereiche" an die Norm herangetragen. W i r d eine Auslegungshypothese begründet oder angegriffen m i t semantischen Argumenten, so w i r d die Geltung der Auslegungshypothese unter fach- oder umgangssprachlichen Aspekten überprüft. W i r d etwa die „Perpetuierungstheorie" bei einem Auslegungsproblem i m Rahmen des Hehlereitatbestandes als Argument benutzt, so w i r d die Auslegungshypothese an spezifischen Unrechtsvorstellungen gemessen. W i r d die Wertsummentheorie des Geldes als Argument benutzt 59 , so werden konkrete Systematisierungsvorstellungen aus dem Bereich der Eigentums- und Vermögensdelikte an Auslegungshypothesen herangetragen. Auch Folgenbewertungsargumente tragen an Auslegungshypothesen konkrete Erfahrungen heran 60 . Realfolgen i n konkreter Rechtsanwendung und deren Bewertung werden hier zur Überprüfung von Auslegungshypothesen eingesetzt. M i t Argumenten „ f ü r " oder „gegen" Auslegungshypothesen werden jedoch Erfahrungen nicht unmittelbar an Auslegungshypothesen herangetragen. Indem Argumente „ f ü r " oder „gegen" etwas gerichtet sind, enthalten sie zugleich immer spezifische Deutungen von Erfahrung. Erst wenn Erfahrungen i n spezieller A r t und Weise gedeutet sind, können sie als Argumente benützt werden. Innerhalb der Geltungsprüfung von Auslegungshypothesen sind die folgenden Erfahrungstypen häufig: — Sprachregeln eines Textes, — allgemeine Unrechtsvorstellungen zu einer Norm, — dogmatische Konsequenzen einer Auslegungshypothese und deren Bewertung, 69 60
Vgl. dazu etwa Roxin, 1966, S. 467. Z u diesem Problem ausführlich Lüderssen,
1972, S. 68 ff.
5.4. Wie w e i t ist subjektive Auslegung erlaubt u n d verbindlich?
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— Praktikabilität der Anwendung einer Auslegungshypothese i n einer forensischen Situation, — die Einpassungsmöglichkeit einer Auslegungshypothese i n ein dogmatisches System, — die Verträglichkeit mit Verfassungsnormen und deren Dogmatik, — die wertungsmäßige Verträglichkeit mit anderen Auslegungshypothesen, — die sozialen Folgen einer Auslegungshypothese, — der Wille des historischen Gesetzgebers. Als Erfahrungstypen sind diese Überprüfungsraster von Auslegungshypothesen deshalb anzusehen, da sie Bezug nehmen auf einen Bereich erfahrbarer und deutbarer Realität. Bei jeder Auslegungshypothese sind nun spezifische Erfahrungen und deren Deutung, die „ f ü r " oder „gegen" eine Auslegungshypothese sprechen, abzuwägen. Spricht beispielsweise für die eine Auslegungshypothese mehr die Systematik einer Norm als für die Gegenthese, für die Gegenthese aber mehr die Bewertungen sozialer Folgen, so gilt es zwischen beiden Bereichen abzuwägen. Feste Regeln, wie diese Abwägung geschehen muß, gibt es nicht 6 1 . Steht man wie hier auf dem Standpunkt, daß die Wertentscheidung des Gesetzgebers den Rechtsanwendenden partiell bestimmen sollte, so müssen Abwägungsleitlinien entwickelt werden. Die Struktur
des gesetzgeberischen Willens und dessen Relevanz
Zunächst zu den Abwägungsleitlinien, die sich aus der Struktur des gesetzgeberischen Willens ergeben. Feststellungen zum Willen des historischen Gesetzgebers lassen sich m i t „mehr" oder „minder" großer Deutlichkeit treffen 62 . Die Relevanz des „Willens des historischen Gesetzgebers" sollte zwar nicht als stärker angesehen werden, wenn der „Wille des historischen Gesetzgebers" klar ist. Der Gesetzgeber ist dann eben nur klar zu verstehen. Jedoch n i m m t die Relevanz des gesetzgeberischen Willens ab, wenn dieser nur undeutlich erkennbar ist. Es besteht nämlich dann auch die Möglichkeit, daß sich der Rechtsanwendende hinsichtlich der Bewertung des Gesetzgebers irrt. Weiter lassen sich häufig nur solche gesetzgeberischen Vorstellungen ermitteln, die sowohl für die eine als auch für die andere Auslegungshypothese sprechen. Spricht der gesetzgeberische Wille für mehrere 61
Vgl. dazu auch Kap. 3.3.3 oben. A l s Beispiel eines deutlichen Willens vgl. B G H S t 27, 45; als Beispiel f ü r einen minder deutlichen W i l l e n vgl. B G H S t 27, 40. 62
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5. Systematisierung der Diskussion subjektiver Auslegung
Auslegungshypothesen gleich stark, ist er für die Entscheidung, welche Auslegungshypothese zu wählen ist, irrelevant. Er w i r d erst dann relevant, wenn der gesetzgeberische Wille mehr für die eine als für die andere These spricht. Aber auch i n diesen Fällen sollte jedoch dem gesetzgeberischen Willen keine große Entscheidungserheblichkeit zugesprochen werden. Die andere Auslegungshypothese liegt immerhin noch i m Rahmen der gesetzgeberischen Entscheidung. Weiter lassen sich gesetzgeberische Vorstellungen finden, die unmittelbar Eingang i n das Gesetz gefunden haben, und solche, die „mehr" neben dem Gesetz stehen 65 . Die Relevanz eines gesetzgeberischen Willens sollte als zunehmend angesehen werden, je deutlicher der Wille i n dem Gesetz zum Ausdruck kommt. Der gesetzgeberische Wille ist dann auch für den Rechtsunterworfenen deutlich erkennbar. Weiter zeigt sich an dem Phänomen, daß die gesetzgeberische Entscheidung unmittelbar i m Gesetz Niederschlag gefunden hat, daß der Gesetzgeber auch den Rechtsanwendenden bestimmen wollte. Die gesetzgeberische Wertentscheidung w i r d jedoch nicht völlig irrelevant, wenn der Wille gewissermaßen neben dem Gesetz steht. Häufig w i r d diese nicht unmittelbar i n einen konkreten imperativen Gehalt übersetzbar. Allerdings ist die gesetzgeberische Wertentscheidung nur insoweit relevant, als sie i m Rahmen des möglichen Wortsinns liegt. Bei konkreten Willensvorstellungen des Gesetzgebers läßt sich i m „Willen" auch noch erkennen, daß der Gesetzgeber den Rechtsanwendenden zu bestimmen versucht 64 . I n diesen Fällen versucht der Gesetzgeber, den Rechtsanwendenden zu einer konkreten Rechtsprechung zu veranlassen. Diese intensivste Form des gesetzgeberischen Willens sollte für den Rechtsanwendenden i m Normalfall auch als verbindlich akzeptiert werden. Ausnahmen von dieser Bindung lassen sich nur dann machen, wenn der Wille des Gesetzgebers verfassungswidrig ist bzw., was noch ausgeführt wird, wenn das Gesetz älteren Datums ist. Neben die Abwägungskriterien, die sich aus der Struktur des Willens ergeben, lassen sich noch andere stellen. Der Wille des Gesetzgebers und das Alter der Gesetze Ein Abwägungsgesichtspunkt ist auch das Alter von Gesetzen. Bei jüngeren Gesetzen ist das Authenzitätsinteresse stärker, da hier davon ausgegangen werden muß, daß sich der Gesetzgeber m i t den Rechts63
Als Beispiel f ü r eine Willensvorstellung, die unmittelbar Eingang i n das Gesetz gefunden hat, vgl. B G H S t 27, 56; f ü r eine Willensvorstellung, die mehr neben dem Gesetz steht, vgl. BGHSt 27, 45. 64 Beispiel: B G H S t 26, 70.
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anwendenden noch unmittelbar i n Kommunikation befindet. Soweit Rahlf festgestellt hat, daß gerade bei jungen Gesetzen die subjektive Auslegung i n der Rechtsprechung des B G H eine Rolle spielt, spricht dieser Umstand dafür, daß dieser Grundsatz auch i n der Praxis anerkannt ist 6 5 . Die Werturteile des Gesetzgebers müssen auch immer relational zu einem spezifischen Werturteilsystem, das i n der Gesellschaft lebendig ist, gesehen werden. Der Gesetzgeber erläßt seine Entscheidungen immer nur relativ zu einer bestimmten Werturteilsstruktur 6 6 . Bei Gesetzen, die nicht vor allzu langer Zeit erlassen wurden, sollte davon ausgegangen werden, daß eine Identität der Werturteilsstruktur besteht. Bei älteren Gesetzen sollte konkret abgewogen werden, inwieweit eine solche noch sinnvoll behauptet werden kann. Je weniger diese angenommen werden kann, u m so mehr nimmt die Verbindlichkeit subjektiver Auslegung ab. Der Wille des Gesetzgebers und die ob er gerichtliche Rechtsprechung Soweit sich i n ständiger obergerichtlicher Praxis bereits Auslegungstatbestände herausgebildet haben, w i r d der Wille des Gesetzgebers ebenfalls irrelevant. Dies sollte zumindest dann gelten, wenn die von der Rechtsprechung geschaffenen Auslegungstatbestände bereits eine gewisse Zeit gegolten haben. Der Gesetzgeber hätte dann ja i n die Rechtsprechung bereits eingreifen können. Eine Ausnahme ist jedoch dann zu machen, wenn die neu geschaffenen Auslegungstatbestände auch feststellbaren Sprachregeln des Gesetzes widersprechen. Soweit subjektive Argumente und semantische Argumente gegen eine Auslegungshypothese sprechen, sollte diese immer als nicht mehr vertretbar angesehen werden. Die Kons ens fähigkeit der Lösung von Sachproblemen und der Wille des Gesetzgebers Wenn i n momentaner Auslegungspraxis keinerlei konsensfähige Kriterien dafür ersichtlich sind, wie Sachprobleme zu entscheiden sind, nimmt die Relevanz des „Willens des Gesetzgebers" entscheidend zu, auch wenn die Gesetze älteren Datums sind 67 . I n diesen Fällen sollte davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber die alleinige Entscheidungskompetenz hat. Die Relevanz des Willens des Gesetzgebers nimmt auch zu, wenn Lösungen von Sachproblemen heftig umstritten sind. Der Gesetzgeber ist dann allein kompetent zur Lösung von Problemfällen. 65 ββ 67
Ausführlich Rahlf, 1976 a, S. 27 ff. Hassemer, 1973, S. 194 ff. Stratenwerth, 1969, S. 257.
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Der Wille des Gesetzgebers und die Systemwidrigkeit von Auslegungshypothesen Die Relevanz des gesetzgeberischen Willens nimmt ab, wenn dieser zu dogmatik- und systemwidrigen Auslegungshypothesen führt. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber i m Normalfall dogmatik- und systemwidrig handeln w i l l , es sei denn, es finden sich Anhaltspunkte dafür, daß dies zielstrebig geschah, etwa u m eine bisherige Dogmatik „aufzubrechen" oder ein neues „System" zu initiieren. Der Wille des Gesetzgebers und die Ungerechtigkeit
von Ergebnissen
Soweit gesetzgeberische Willensvorstellungen für Auslegungshypothesen sprechen, die als Folgen ungerechte Ergebnisse haben, müssen komplexe Erwägungen getroffen werden. Es stellt sich zunächst die Frage, wie sicher sich der Rechtsanwendende sein kann, daß die Folgen von Auslegungshypothesen auch von anderen als ungerecht angesehen werden. N u r soweit dies erwartet werden kann, vermögen Ungerechtigkeiten den gesetzgeberischen Willen zu neutralisieren. Entscheidend für die Frage, ob der Wille des Gesetzgebers über ungerechte Ergebnisse neutralisiert wird, ist jedoch, ob die Ungerechtigkeit ein Einzelfall ist oder häufiger vorkommt. Generelle Wertentscheidungen können i n Einzelfällen immer zu ungerechten Ergebnissen führen. Häufiger vorkommende Ungerechtigkeiten als Folge von Auslegungshypothesen, die durch den Willen des historischen Gesetzgebers gestützt werden, sollten dazu führen, daß die Relevanz dieses „Willens" endgültig neutralisiert wird. Dieser letzte Gesichtspunkt kann auch als grundgesetzlich abgesichert angesehen werden. Die Bindung an Gesetz und Recht soll gerade auch Ungerechtigkeiten als generelle Rechtsfolge ausschließen. 5.4.3. Subjektive Auslegung im System der Begrenzungskriterien strafrechtlicher Auslegung
5.4.3.1. Das sogenannte Analogieverbot
und dessen Kritik
Aus dem „ n u l l u m crimen, nulla poena sine lege "-Grundsatz leitet die herrschende Auffassung i n der Strafrechtswissenschaft das „Analogieverbot" ab 68 . Dieser Grundsatz, der i n A r t . 103 Abs. 2 GG und i n § 1 StGB fixiert ist, hat als weitere Konsequenzen das Rückwirkungsverbot, das Verbot des strafverschärfenden Gewohnheitsrechts und den Bestimmtheitsgrundsatz. 68 Vgl. dazu statt aller m i t weiteren zahlreichen Nachweisen, Schönke / Schröder / Eser, 1980, § 1, Rdnr. 10.
5.4. Wie w e i t ist subjektive Auslegung erlaubt u n d verbindlich?
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Der „ n u l l u m crimen, nulla poena sine lege"-Grundsatz w i r d von der herrschenden Auffassung der Strafrechtswissenschaft als Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips angesehen69, von einem Teil der Rechtswissenschaft als Ausfluß des Demokratie- und des Gewaltenteilungsprinzips 70 und von einem weiteren Teil als Ausfluß des Schuldprinzips 71 . Der Analogiebegriff w i r d i n klassischer Methodologie abgegrenzt vom Begriff der Auslegung 72 . M i t dem Begriff der Analogie w i r d dann gekennzeichnet, daß es neben der Auslegung von Rechtsnormen noch etwas anderes gibt, die analoge Anwendung einer Rechtsnorm (Gesetzesanalogie) bzw. einer Gruppe von Rechtsnormen (Rechtsanalogie). Da gerade die Auseinandersetzung m i t dem Analogiebegriff i n der Philosophiegeschichte zu einem Neu Verständnis des juristischen Analogiebegriffs geführt hat, seien hierzu einige Bemerkungen erlaubt. I n der Philosophiegeschichte erfüllt der Analogiebegriff verschiedene Funktionen. Analogie ist ein Begriff, der verwandt w i r d zur Bestimmung der grundlegenden Fragestellung der Ontologie: Was ist Sein, i n welchem Verhältnis steht es zum Seienden? Die A n t w o r t der „analogiaentis"-Lehre: Die einzelnen Seienden partizipieren am Sein, nehmen an i h m teil, aber i n je unterschiedlicher Weise. Sein ist i m I r d i schen nur analog verwirklicht 7 9 . Der Analogie-Begriff w i r d weiter zur Kennzeichnung einer erkenntnistheoretischen Position benutzt. Zwischen ein- und mehrdeutiger Erkenntnis gibt es noch etwas mittleres, die analoge Erkenntnis. Weiter w i r d der Analogiebegriff zur Charakterisierung einer spezifischen A r t der Zuordnung von Gegenständen und Sachverhalten zu „Wörtern" herangezogen. Diese Zuordnung von Gegenständen und Sachverhalten zu Wörtern vollzieht sich über spezifische Vergleichsmaßstäbe 74 . Die Analogielehre der Auslegung hat nun den Nachweis dafür geführt, daß jede juristische Auslegung, zumindest jede innovative, analog verfährt 7 5 . Sie ist auf „Vergleiche" angewiesen. Über das „tertium comparationis" werden Sachverhalte i m Hinblick auf Normen verglichen. Bedarf nun aber jede Auslegung des Vergleichs, so kann Auslegung von Analogie nicht mehr strukturell unterschieden werden 76 . Hinsicht89 Vgl. dazu ausführlich Schreiber, 1976, S. 213 m i t weiteren zahlreichen Nachweisen. 70 Grünwald, 1975, S. 242 ff. 71 Kielwein, 1960, S. 127 ff. 72 Lackner, 1981, § 1, A n m . 1 b m i t weiteren zahlreichen Nachweisen. 73 Vgl. ausführlich dazu Kluxen, 1971, S. 221 m i t weiteren Nachweisen. 74 Ausführlich m i t weiteren zahlreichen Literaturnachweisen Arthur Kaufmann, 1972 a, S. 537 ff. 75 Arthur Kaufmann, 1972 a, S. 34 ff.; Hassemer, 1968, S. 132 ff. 78 Arthur Kaufmann, 1972 a, S. 29 ff.; Hassemer, 1968, S. 160 ff.
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5. Systematisierung der Diskussion subjektiver Auslegung
lieh des Nachweises der Strukturgleichheit von Analogie und Auslegung darf auf die zitierten überzeugenden Darlegungen von Hassemer und Kaufmann verwiesen werden. Ein Argument sei noch hinzugefügt. Auch unter argumentationstheoretischen Aspekten erscheint es nicht sinnvoll, zwischen Analogie und Auslegung zu unterscheiden. Jede Form analoger Anwendung von Rechtsnormen ist übersetzbar i n eine Form sinngemäßer Anwendung einer Rechtsnorm, wenn man davon ausgeht, daß Begriffe von Normen nicht geschlossen sind, sondern erst festgesetzt werden müssen. Ein Beispiel: Das Reichsgericht hatte den Fall zu beurteilen, daß die Ehefrauen die Diebesbeute ihrer Ehemänner m i t verzehren. Das Reichsgericht wendete § 259 (a. F.) StGB analog an. Dies deshalb, da die Sachverhaltsmenge, der dieser Fall zugehört, nach Auffassung des Reichsgerichts von der gleichen Unrechtsstruktur sein sollte wie die Sachverhaltsmenge, die unmittelbar der Hehlerei unterfiel 7 7 . Man hätte genauso gut begründen können, daß diese Sachverhaltsmenge unmittelbar unter § 259 (a. F.) StGB zu subsumieren sei 78 . Man hätte nur darlegen müssen, daß der Hehler auch durch „Mitverzehren" Sachen aus der Vortat „an-sich-bringen" kann. Argumentationen, die Auslegungshypothesen begründen, und Argumentationen, die eine analoge Anwendung von Rechtsnormen begründen, sind — soweit Begriffe für festsetzbar gehalten werden — kontravalent. Man kann sich natürlich auf den Standpunkt stellen, daß juristische Begriffe nicht generell festsetzbar sind 79 . Jedoch muß man dann ein Verfahren angeben, das es zuläßt, den festsetzbaren und nicht festsetzbaren Bereich zu trennen. Ein solches ist auch i n Ansätzen nicht ersichtlich. Die Untersuchung von Neumann zum „möglichen Wortsinn" liefert gewisse I n dizien dafür, daß Begriffe i n der Praxis generell für festsetzbar gehalten werden 80 . Zwei Überlegungen sprechen für diese Auffassung. Wittgenstein hat i n seinen Schriften wiederholt gezeigt, daß gerade der alltägliche Gebrauch von Begriffen von „Normalbedingungen" abhängt. „ N u r i n normalen Fällen ist der Gebrauch der Worte uns klar vorgezeichnet 81 ." Dies liegt daran, daß sich der Spracherwerb unter Normalbedingungen vollzieht. Ist dies richtig, so hängt der Alltagssprachgebrauch gerade von Normalbedingungen ab. Bei irregulären Bedingungen sind Sprach77
RGSt 71, S. 341. So auch Priester, 1976, S. 176. 79 Davon geht i n der oben vorgestellten Konzeption w o h l Koch hinsichtlich der positiven u n d negativen Kandidaten eines Begriffes aus, vgl. dazu Koch, 1977 a, S. 44 f. ; vgl. dazu auch die Auffassungen, die i n dem von Koch herausgegebenen Buch zur juristischen Methodenlehre vertreten werden, Koch, 1976; sehr prononciert auch Schünemann, 1978, S. 19 f. 80 Neumann, 1976, S. 71 ff. 81 Wittgenstein, 1960 I, § 142. 78
5.4. Wie w e i t ist subjektive Auslegung erlaubt u n d verbindlich?
regeln stände sen zu für die
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teilweise inadäquat, teilweise nicht mehr feststellbar. Tatbestehen nun immer unter der Anforderung, Sachverhalte erfasmüssen, an die Rechtsfolgen geknüpft sind, eine Aufgabe, die Umgangssprache keine Normalbedingung ist.
Weiter kommen Begriffen i n Tatbeständen teilweise konkrete „Bewertungsaufgaben" zu. Diese Begriffe stehen dann unter der Anforderung, diesen Bewertungsaufgaben gerecht werden zu müssen. M i t den Sprachregeln der Umgangssprache ist dies nur teilweise möglich. Ein Beispiel: Der Bundesgerichtshof war mit dem Problem befaßt, ob ein auf frischer Tat angetroffener Dieb, der durch schnelles Zuschlagen dem „Bemerktwerden" zuvorkommt, i m Sinne von § 252 StGB „auf frischer Tat betroffen" ist. Schließt also das Nichtbemerktwerden das „Betroffenwerden" i m Sinne von § 252 StGB aus? Der B G H verneint dies mit der Rolle, die der Begriff „betreffen auf frischer Tat" i n § 252 StGB spielt. M i t diesem Merkmal sollen die Voraussetzungen, unter denen ein Dieb einem Räuber gleichzustellen ist, zeitlich und örtlich eingegrenzt werden 82 . Diese Rollenzuweisung führt nach Auffassung des B G H dazu, daß der Dieb, der die Person, die i h m unmittelbar nach dem Diebstahl am Tatort überrascht, niederschlägt, u m sich den Besitz des Diebesguts zu erhalten, auch dann einem Räuber gleich zu erachten ist, wenn i h n die Person noch gar nicht bemerkt hatte 85 . Diese Bewertungsauffassung, die sich auch m i t dem Willen des historischen Gesetzgebers begründen läßt, ist auf den Alltagssprachgebrauch nicht stützbar. I n üblichen Wörterbüchern der deutschen Sprache w i r d häufig „betreffen" m i t „antreffen", „ertappen" angegeben84. Diese Synonyme erklären aber den Begriff des „Betreffens" nicht endgültig. Sie geben nur wieder, wie der Begriff häufig, soweit er überhaupt verwendet wird, angewandt wird. Es ist nicht unmittelbar einsichtig, wieso eine juristische Dogmatik an häufige Verwendungsformen von Begriffen i n der Alltagssprache gebunden sein soll. Geht man nun davon aus, daß typischerweise juristische Begriffe festgelegt werden müssen, so sind Argumentationen, wie bereits ausgeführt, mit denen die Begriffsfestsetzung legitimiert wird, und Argumentationen, mit Hilfe derer eine analoge Rechtsanwendung begründet wird, austauschbar. Ist dies aber wiederum richtig, so sollte man nicht davon ausgehen, daß der „ n u l l u m crimen, nulla poena sine lege "-Grundsatz ein Analogieverbot begründet. Hiermit werden die Probleme nur verlagert. Man sollte vielmehr annehmen, daß der „ n u l l u m crimen, nulla poena sine lege"-Grundsatz eine zu extensive Rechtsanwendung verbietet 85 . 82 83 84 85
B G H S t 26, 95. B G H S t 26, 96, 97. B G H S t 28, 227. Nach meiner Ansicht richtig: Hassemer, 1968, S. 162 f.
110
5. Systematisierung der Diskussion subjektiver Auslegung
5.4.3.2. Statt dessen: Begrenzungskriterien strafrechtlicher Auslegung Ein derartiges Verständnis des „ n u l l u m crimen, nulla poena sine lege"-Grundsatzes hat auch den Vorteil, daß darauf hingewiesen wird, daß handhabbare Kriterien erarbeitet werden müssen, die die zulässige von der unzulässigen Rechtsanwendung unterscheidbar machen lassen8®. Es sollen nun die Kriterien diskutiert werden, die i n Literatur und Rechtsprechung zur Abgrenzung von zulässiger und unzulässiger Rechtsanwendung angegeben werden. Wie bereits ausgeführt, w i r d von einem Teil der Strafrechtswissenschaft die natürliche Wortbedeutung als Auslegungsgrenze angesehen87. Z u r natürlichen Wortbedeutung als Auslegungsgrenze wurde bereits Stellung genommen. Einerseits erscheint die natürliche Wortbedeutung als Auslegungsgrenze ineffektiv. Geht man m i t der realistischen Semantik davon aus, daß bei der Normtextentfaltung positive, negative und neutrale Kandidaten ermittelt werden müssen und die negativen Kandidaten auf keinen Fall mehr unter die Norm fallen dürfen, so müßte eine Methode zur Feststellung negativer Kandidaten entwickelt werden. Eine solche Methode gibt es nicht 88 . Auch ist es normativ nicht plausibel, den Richter an Sprachgewohnheiten der Umgangssprache zu binden. Die Umgangssprache w i r d zumeist unter anderen Bedingungen als die juristische Fachsprache gesprochen 89. Von der herrschenden Auffassung i n der Strafrechtswissenschaft w i r d der mögliche Sprachgebrauch eines Tatbestandes als Auslegungsgrenze behauptet 90 . Der mögliche Sprachgebrauch als Auslegungsgrenze w i r d entweder überhaupt nicht oder unterschiedlich expliziert. Einmal w i r d der mögliche Sprachgebrauch als Auslegungsgrenze so verstanden, daß solche Auslegungshypothesen nicht mehr zulässig sein sollen, die völlig außerhalb eines nachvollziehbaren Sprachverständnisses liegen. Zu verstehen, daß ein Sachverhalt außerhalb des Bereiches eines möglichen Sprachverständnisses liegt, heißt dann, daß sich kein Zusammenhang mehr finden läßt, i n dem auf die Sachverhaltsmengen, die unter die Auslegungshypothesen fallen, der Begriff auch nur einigermaßen sinnvoll verwendet werden kann. Dies setzt ein Gefühl dafür voraus, was sprachlich völlig unmöglich ist. 86
So auch Arthur Kaufmann, 1982, S. 68. Dazu Baumann, 1958, S. 394 ff. 88 Dazu Mates , 1974, S. 144 ff. 89 Es mag zwar sein, daß i n der Umgangssprache die Wertungen transportiert werden, die auch juristisch relevant sind, es muß aber nicht so sein. 90 Vgl. dazu statt aUer Engisch, 1972, S. 62 f. 87
5.4. Wie w e i t ist subjektive Auslegung erlaubt u n d verbindlich?
111
Versteht man die Grenze des möglichen Wortlauts i n dem geschilderten Sinne, so leuchtet diese Grenzziehung zwar normativ ein, jedoch ist sie sehr schwach. Der normative Grund einer derartigen Grenzziehung dürfte sein, daß der Bürger dann nicht mehr i n Anspruch genommen werden kann, wenn er aus dem Wortlaut die Strafbarkeit seines Verhaltens auch nicht mehr erahnen kann. Schwach ist diese Grenzziehung deshalb, da sie von einem Gefühl dafür, was sprachlich unmöglich ist, abhängt. Weiter w i r d die Begrenzung von Auslegung über den möglichen Sprachgebrauch dahingehend verstanden, daß die Rechtsanwendung an natürliche und fachsprachliche Sprachregeln gebunden ist 9 1 . Jedoch ist das Problem dieses Ansatzes, daß auch fachsprachliche Sprachregeln irgendwann einmal festgesetzt werden müssen. Wodurch hat diese Festsetzung aber ihre Legitimation erfahren? Weiter w i r d behauptet, daß der mögliche Wortlaut sich erst i m Auslegungsprozeß konstituiert. Damit w i r d aber auf ein Grenzkriterium verzichtet. Was sich i m Rechtsanwendungsprozeß konstituiert, kann nicht gleichzeitig Grenze des Rechtsanwendungsprozesses sein. Als weiteres Kriterium, das diskutiert wird, wäre der „Zweck", den der historische Gesetzgeber setzen wollte, zu nennen. Eine Rechtsanwendung ist danach unzulässig, wenn sie auf den Zweck, den der historische Gesetzgeber verfolgt hat, nicht gestützt werden kann 9 2 . Es ist zwar sicherlich sinnvoll, den Richter an konkrete Wertentscheidungen des Gesetzgebers zu binden, jedoch erscheint eine derartige strenge Bindung an die gesetzgeberische Wertung weder praktisch durchsetzbar noch theoretisch durchführbar. Die Gesetzesmaterialien lassen häufig überhaupt keinen konkreten Zweck eines Gesetzes erkennen. Ist dann immer freizusprechen? Häufig ist auch der gesetzgeberische Wille nur sehr undeutlich erkennbar. Hier wäre dann die Frage zu beantworten, ab welchem Grad der Deutlichkeit des gesetzgeberischen Willens Rechtsanwendung wiederum zulässig wird. A n dieser Überlegung sieht man, daß die Klarheit, die diesem K r i t e r i u m anhaftet, doch nur vordergründig ist. Von A r t h u r Kaufmann wurde vörgeschlagen, den „Unrechtstypus" als Abgrenzungskriterium für zulässige und unzulässige Rechtsanwendung heranzuziehen 95 . Gegen dieses K r i t e r i u m wandte sich Hassemer zu Recht 94 . Der Unrechtstypus konstituiert sich erst i m Prozeß der Rechtsanwendung. Damit kann er aber kein K r i t e r i u m zur Unterscheidung von zulässiger und unzulässiger Rechtsanwendung sein. 91 92 93 94
So Priester, 1976, S. 153 ff. Hellmuth Mayer, 1967, § 6. Arthur Kaufmann, 1972 a, S. 67. Hassemer, 1968, S. 162.
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5. Systematisierung der Diskussion subjektiver Auslegung
Zunächst noch ein Blick auf die Grenzziehung der Auslegung i n der Rechtsanwendungspraxis. Eine Analyse des 27. Bandes der amtlichen Sammlung hat ergeben, daß hierin 14 Entscheidungen zum Besonderen Teil des Strafrechts enthalten sind. Sechs Entscheidungen sind strafrechtseinschränkend. Als strafrechtseinschränkend wurde angesehen, daß i n dem konkreten, zur Beurteilung anstehenden Sachverhalt der B G H eine für den Angeklagten günstige Entscheidung getroffen hat. Fünf dieser strafrechtseinschränkenden Entscheidungen wurden wesentlich „subjektiv" begründet 95 . Bei zwei dieser Entscheidungen wurde die Auslegungsgrenze auch noch mit Hilfe des Wortlauts begründet 9®. Die Praxis zeigt an, daß der Bundesgerichtshof subjektiver Auslegung bei der Grenzziehung von zulässiger und nicht mehr zulässiger Rechtsanwendung Bedeutung beimißt. Wie ließe sich diese Grenzziehung präzisieren und abstützen? Es erscheint sinnvoll, die Kriterien der Abgrenzung von zulässiger und unzulässiger Rechtsanwendung auf der Funktion des „ n u l l u m crimen, nulla poena sine lege"-Grundsatzes zu entwickeln. Wie bereits ausgeführt, w i r d er einerseits aus dem Schuldgrundsatz, andererseits aus dem Rechtsstaatsprinzip und wiederum andererseits aus den Prinzipien von Demokratie und Gewaltenteilung hergeleitet. Soweit der „ n u l l u m crimen"-Grundsatz auf den Schuldgrundsatz zurückgeführt wird, w i r d Schuld als bewußte, vorwerfbare Fehlentscheidung gegen Unrecht verstanden. Daraus folge, meinen die Vertreter dieser Auffassung, daß der Unrechtstatbestand auch bereits vorhanden gewesen sein muß 97 . Die Auffassungen, die den „ n u l l u m crimen"-Grundsatz auf das Rechtsstaatsprinzip zurückführen, stellen darauf ab, daß das rechtsstaatliche Element, das der „ n u l l u m crimen"-Grundsatz hervorhebe, darin liege, daß er verlange, daß Strafgerichtsentscheidungen vorhersehbar sind 98 . Grünwald sieht den „ n u l l u m crimen"-Grundsatz i m Gewaltenteilungs- und Demokratieprinzip verankert. Das wesentliche Moment dieses Grundsatzes sieht er darin, daß der Richter, der „ m i t dem lebendigen Fall konfrontiert w i r d " , nicht die Strafbarkeit zu Ungunsten des Angeklagten anordnen darf. Vielmehr muß der Gesetzgeber i n Distanz zu den Einzelfällen eine Entscheidung treffen, ob Fälle dieser A r t bestraft werden sollen 99 . 95
307. 96 97 98 99
Vgl. B G H S t 27, 27; BGHSt 27, 41; B G H S t 27, 52; B G H S t 27, 56; B G H S t 27, BGHSt 27, 52; BGHSt 27, 307. Kielwein, 1960, S. 127 ff.; Sax, 1959, S. 912 ff. Schreiber, 1976, S. 215. Grünwald, 1975, S. 243.
5.4. Wie w e i t ist subjektive Auslegung erlaubt u n d verbindlich?
113
Die Herleitung des „ n u l l u m crimen"-Grundsatzes aus dem Schuldprinzip gibt für eine Abgrenzung von zulässiger und unzulässiger Rechtsanwendung nichts her. Es gibt keine Kriterien dafür, wann ein Unrechtstatbestand als schon existent angesehen werden muß. Anders ist die Herleitung des „ n u l l u m crimen"-Grundsatzes aus dem Rechtsstaatsprinzip zu beurteilen. Stellt man auf die Garantie der Vorhersehbarkeit ab, die der „ n u l l u m crimen"-Grundsatz zu leisten hat, so bedeutet dies, daß bei konkreter Rechtsanwendung das Vertrauen der Rechtsunterworfenen geschützt werden muß 1 0 0 . Jedenfalls erscheint der „mögliche Wortsinn" als Grenze der Strafrechtsauslegung unter diesem Aspekt ein sinnvolles K r i t e r i u m zu sein. Weiter scheint auch unter diesem Aspekt eine Bindung an bisherige obergerichtliche Anwendungsregeln, die sich zu Gunsten des Angeklagten auswirken, plausibel. Der Bürger muß sich auf bisherige Rechtsanwendung, die er ja auch über Massenmedien erfährt, verlassen können. Unter dem Gesichtspunkt der Voraussehbarkeit von Rechtsentscheidungen sind dann auch diejenigen Auslegungshypothesen unzulässig, die als solche keine Auslegungsgrenzen erkennen lassen 101 . 5.4.3.3. Subjektive
Auslegung
als
Begrenzungskriterium
Geht man mit Grünwald davon aus, daß der „ n u l l u m crimen"»Grundsatz gerade aus dem Gewaltenteilungsprinzip zu verstehen ist, so liegt es nahe, daß einerseits die offenkundigen „Inanspruchnahme"-Interessen des Staates als Grenze anzusehen sind und andererseits die Begrenzungsinteressen, die der Staat dem Bürger zuteil werden lassen wollte 1 0 2 . Über die Strafbarkeit soll i n Distanz zu den Einzelfällen entschieden werden. Hinsichtlich der Bindung der „Schutz-Interessen", die der Gesetzgeber dem Bürger zuteil werden lassen w i l l , liegt die Sache einfach. Eine Interpretationshypothese, die klar erkennbare Schutzinteressen nicht berücksichtigt, ist unzulässig. Wie steht es nun aber mit den „Inanspruchnahme"-Interessen? Zwei Konzepte bieten sich an. Man kann sagen, wenn sich keine konkreten „Inanspruchnahme"-Interessen des Gesetzgebers feststellen lassen, die eine konkrete Auslegungshypothese rechtfertigen, ist die Auslegungshypothese unzulässig 103 . Der Nachteil dieser Auffassung ist jedoch, daß viele „Inanspruchnahme"-Interessen des Gesetzgebers sich häufig nicht oder nur undeutlich erkennen lassen. Zahlreiche Strafbarkeitslücken würden auftreten. I n der Praxis hätte wohl eine derartig radikale Bindung des Richters keine Realisierungschance. Es bleibt 100 101 102 103
Schreiber, 1976, S. 215 f. Vgl. RGSt 32, 165. Krey, 1976, S. 178 ff. Hellmuth Mayer, 1967, § 6.
8 Schroth
114
5. Systematisierung der Diskussion subjektiver Auslegung
jedoch ein anderes Konzept: K l a r feststellbare „ Inanspruchnahme " Interessen dürfen vom Rechtsanwendenden nicht einfach durch Erfindung zusätzlicher „Inanspruchnahme"-Interessen erweitert werden. Das Gewaltenteilungsprinzip bindet Rechtsanwendung zu Lasten des Angeklagten an feststellbare „Inanspruchnahme"-Interessen. Auslegungshypothesen müssen, soweit sie Strafbarkeiten erweitern, i m Rahmen der feststellbaren „Inanspruchnahme"-Interessen liegen. Es kann allerdings vorkommen, daß Auslegungshypothesen die Strafbarkeit einschränken und zugleich auch erweitern. I n diesem Fall muß eine Entscheidung darüber getroffen werden, ob i m Regelfall eine Erweiterung oder eine Eingrenzung der Strafbarkeit vorliegt. Liegt i m Regelfall eine Erweiterung vor, so ist die behauptete Regel anzuwenden. Es wurde gezeigt, welche unterschiedlichen Auswirkungen es hat, den „ n u l l u m crimen, nulla poena sine lege"-Grundsatz entweder auf das Rechtsstaats- oder auf das Gewaltenteilungsprinzip zu stützen. Dies kann jedoch nicht dazu führen, eine Entscheidung herbeizuführen, aus welchem Grundsatz allein der „ n u l l u m crimen"-Grundsatz zu verstehen ist. Rechtsstaats- und Gewaltenteilungsprinzip sind nicht divergierende, sondern einander ergänzende Prinzipien. Es wurde bereits ausgeführt, daß i m Auslegungsprozeß Auslegungshypothesen unter verschiedenen Aspekten überprüft werden. M i t dieser Überprüfung werden auch unterschiedliche Interessen i n den Auslegungsprozeß eingebracht. Sieht man nun den „ n u l l u m crimen"-Grundsatz über das Rechtsstaatsprinzip und über das Gewaltenteilungsprinzip legitimiert, so bedeutet dies, daß die Grenzziehung möglicher strafrechtlicher Auslegung sowohl unter dem Gesichtspunkt der Voraussehbarkeit als auch unter dem Gesichtspunkt der gesetzgeberischen Wertentscheidung gedacht werden muß. Dafür spricht auch die Überlegung, daß die Kriterien, die sich aus beiden Prinzipien entwickeln lassen, häufig nicht wirksam zu handhaben sind. Der Begriff der „Grenze der Auslegung i m Strafrecht" sollte daher als „Familienähnlichkeits"-Prädikat verstanden werden. Viele Prädikate gebrauchen w i r nicht nach Maßgabe einer spezifischen Allgemeinheit, sondern nach Maßgabe von Ähnlichkeiten. „Betrachtet ζ. B. einmal die Vorgänge, die w i r ,Spiele4 nennen. Ich meine Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiele, Kampfspiele usw. Was ist allen diesen gemeinsam — sag nicht, es muß ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen sie nicht Spiele — sondern schau, ob ihnen allen etwas gemeinsam ist — denn wenn D u sie anschaust, wirst D u zwar nicht etwas sehen, was allen gemeinsam wäre, aber D u wirst Ähnlichkeiten, Verwandtschaften sehen, und zwar eine ganze Reihe. Wie gesagt: Denk nicht, sondern schau! Schau ζ. B. die Brettspiele an m i t ihren mannigfachen Verwandtschaften. N u n geh zu den Kartenspielen über: hier findest Du viele Entsprechungen jener ersten Klasse, aber viele gemein-
5.4. Wie w e i t ist subjektive Auslegung erlaubt u n d verbindlich?
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same Züge verschwinden, andere treten auf. Wenn w i r nun zu den Beispielen übergehen, so bleibt manches gemeinsam erhalten, aber vieles geht verloren — sind sie alle unterhaltend? Vergleiche Schach m i t dem Mühlfahren. Oder gibt es überall ein Gewinnen und Verlieren, oder eine Konkurrenz der Spielenden? Denk an die Patiencen . . . Und das Ergebnis dieser Betrachtung lautet nun, w i r sehen ein kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen. Ähnlichkeiten i m großen und kleinen 1 0 4 ." Wittgensteins Theorie der Familienähnlichkeit muß als Aufforderung verstanden werden, Begriffe zu erhellen. A n dem Beispiel „Spiel" zeigt er, daß man dabei nicht so vorgehen soll, daß man sagt, „die Eigenschaft von Spiel ist es, Spiel zu sein", sondern man soll den Begriff so beschreiben, daß unterschiedliche Eigenschaften des Begriffes deutlich werden. Dies ist aus verschiedenen Gründen notwendig. 1. W i r denken sonst essentialistisch. „Die Vorstellung von einem A l l gemeinbegriff als einer gemeinsamen Eigenschaft seiner einzelnen Beispiele ist mit anderen primitiven allzu einfachen Vorstellungen von der Struktur der Sprache verbunden. Sie ist m i t der Vorstellung vergleichbar, daß Eigenschaften Bestandteile von den Dingen sind, die Eigenschaften haben; ζ. B. die Schönheit ein Bestandteil der schönen Dinge ist, so wie Alkohol ein Bestandteil von Bier und Wein ist, und w i r deshalb reine Schönheit haben können, unverfälscht von allem, was schön ist 1 0 5 ." 2. Sprachliches Unterscheidungshandeln läßt sich sonst intersubjektiv nicht mehr nachvollziehen. Sprachliches Handeln vollzieht sich ähnlich einem Meßvorgang. Die Meßeinheiten sind beliebig. Der Meßvorgang setzt jedoch voraus, daß eine gewisse Konstanz der Meßergebnisse erreicht wird. Sprache setzt voraus, daß eine gewisse Konstanz sprachlichen Unterscheidungshandelns hergestellt werden kann. Eine Konstanz sprachlichen Unterscheidungshandelns ist nur realisierbar, wenn man das Zuschreiben von Prädikaten auf unterschiedliche Eigenschaften zurückführt, für die eine subjektive Erlebnisfähigkeit zur Verfügung steht. Für viele Begriffe besteht, wenn man sie auf einheitliche Eigenschaften zurückführt, keine subjektive Erlebnisfähigkeit. Die Grenze i m Straf recht zeichnet sich nicht durch „eine Eigenschaft" aus, vielmehr greifen bei der Grenzbestimmung der Auslegung i m Straf recht verschiedene Kriterien ineinander: „Und die Stärke des 104
So Wittgenstein, 1969 I, § 66. Wittgenstein, 1969 I V , S. 37/38; dazu Bambrough, 1960/61, S. 207 ff., der glaubt, daß Wittgenstein m i t dieser Auffassung das „Universalienproblem" gelöst hat. 105
8*
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5. Systematisierung der Diskussion subjektiver Auslegung
Fadens liegt nicht daran, daß irgendeine Faser durch seine ganze Länge läuft, sondern daß viele Fasern ineinander greifen 106 ." Aus dem Zusammenwirken unterschiedlicher Elemente kann sich gerade i m Einzelfall eine deutliche Auslegungsgrenze ergeben. Es bleibt noch darauf hinzuweisen, daß i n der berühmten Entscheidung des Reichsgerichts zum Elektrizitätsdiebstahl die Grenze des § 242 StGB auch mit verschiedenen „Maßstäben" bestimmt wurde. Das Reichsgericht hat begründet, daß die Entziehung von Elektriziät deshalb nicht unter § 242 StGB falle, da dies der gesetzgeberischen Bewertung nicht entsprechen würde 1 0 7 . Es wurde begründet, daß Elektrizität keine körperliche Sache sei, aber die Körperlichkeit notwendig sei wegen des Zusammenhangs des Tatbestandsmerkmals „Sache" m i t der Tathandlung „wegnehmen". Weiter wurde begründet, daß an Elektrizität i m eigentlichen Sinne kein Eigentum bestehen könne, Diebstahl aber den Eigentumsschutz bezwecke. Als letztes Argument führte das Reichsgericht schließlich an, daß dann, wenn man innerhalb des Diebstahls nicht mehr die „Körperlichkeit" von Sachen verlangen würde, man auch nicht bei der Entziehung des Stroms stehenbleiben dürfe. Auch andere Energien, möglicherweise sogar die Arbeitskraft, müßten dann stehlbar sein. Eine sichere Auslegungsgrenze wäre damit nicht mehr erkennbar 1 0 8 . Das Ineinandergreifen der unterschiedlichen Kriterien der Grenzziehung macht die Notwendigkeit einer konkreten Grenzziehung deutlich. Es wurde dargelegt, wie subjektive Auslegung zu diskutieren ist. Die Frage, was subjektive Auslegung „ist", ist von der Frage nach der Möglichkeit subjektiver Auslegung zu trennen und diese wiederum von der Frage nach der Verbindlichkeit dieser. Die erste Frage wurde dahingehend beantwortet, daß m i t subjektiver Auslegung die Handlung des Gesetzgebers, die zu einem konkreten Gesetz geführt hat, verstanden werden sollte. Bei der zweiten Frage wurde dahingehend eine A n t w o r t gegeben, daß die Möglichkeit subjektiver Auslegung davon abhängt, inwieweit i n Kommunikationssystemen gemeinsame Zuschreibungskriterien, die es erlauben, einen gesetzgeberischen Willen zu ermitteln, existent sind. I n der derzeitigen Rechtswissenschaft kann von der Existenz gemeinsamer Zuschreibungskriterien ausgegangen werden. Letztlich hängt die Möglichkeit subjektiver Auslegung davon ab, daß die konkrete Handlung des Gesetzgebers als A n t w o r t auf ein Entscheidungsproblem angesehen werden kann.
106 107 108
Wittgenstein, 1969 I V , S. 172. Vgl. hierzu R G 32, 165, insbes. S. 178 ff. Vgl. dazu R G 32, 165, insbes. S. 186 ff.
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Bei der Beantwortung der Frage nach der Verbindlichkeit subjektiver Auslegung wurde zunächst versucht zu beantworten, inwieweit die Praxis subjektive Auslegung für verbindlich hält. Die Praxis verwendet häufig subjektive Argumente, jedoch sind relativ selten konsonante subjektive Argumentationen anzutreffen. Es liegt nahe zu sagen, subjektiven Argumenten w i r d eine Teil Verbindlichkeit zugesprochen. Der Verfasser versuchte, die Verbindlichkeit subjektiver Auslegung aus dem Gesetzgebungspostulat und dem „ n u l l u m crimen"-Grundsatz zu bestimmen. Aus dem Gesetzesbindungspostulat folgt die Pflicht, sich m i t Gesetzesinhalts- und Bewertungsvorstellungen des Gesetzgebers auseinanderzusetzen. Weiter folgt hieraus — nach Ansicht des Verfassers — eine partielle Bindung des Rechtsanwendenden an diese. Ist dies richtig, so müssen Abwägungsleitlinien der Relevanz bzw. Irrelevanz des „ W i l lens des Gesetzgebers" transparent gemacht werden. Einige Abwägungsleitlinien wurden dann entwickelt. Aus dem „ n u l l u m crimen"-Grundsatz folgt, daß der Rechtsanwendende nicht gegen deutlich feststellbare Gesetzesinhalts- und Bewertungsvorstellungen des Gesetzgebers zu Ungunsten des Angeklagten verstoßen darf. A n zwei Beispielsfällen soll nun gezeigt werden, wie i n praktischer Argumentation subjektive Auslegung möglich und wieweit sie verbindlich ist. Dabei w i r d sich herausstellen, daß die Begründung des „Willens des Gesetzgebers" häufig nicht aus eindeutigen Kriterien geschlossen, sondern nur aufgrund verschiedener Symptome der Umfelddiskussion eines Gesetzentwurfs plausibel gemacht werden kann. Auch w i r d sich zeigen, daß i n praktischer Argumentation die Abwägung des Willens des historischen Gesetzgebers m i t anderen Überprüfungskriterien von Auslegungshypothesen vielschichtig verläuft. Trotzdem entfaltet gerade die Auseinandersetzung mit dem Willen des historischen Gesetzgebers eine eigene Dynamik. I n konkreten Diskussionen spielt dabei die Frage eine wesentliche Rolle, wieweit sich der Interpret von der Entscheidung des Gesetzgebers entfernt.
6. Exkurs 1: Die Strafbarkeit der Ersatzhehlerei unter dem Gesichtspunkt der gesetzgeberischen Neufassung des Hehlereitatbestandes 6.1. Die Diskussion über die Strafbarkeit der Ersatzhehlerei Nach herrschender Auffassung i m Strafrecht ist die „Ersatzhehlerei" generell straflos 1 . A n Ersatzessachen, die wirtschaftlich an die Stelle der gestohlenen Sache bzw. an die Stelle einer durch eine andere Vermögensstraftat erlangten Sache getreten sind, ist keine Hehlerei möglich. I n die Dogmatik des § 259 StGB w i r d dies nun so übersetzt, daß „Sachen" „unmittelbar" aus der Vortat erlangt sein müssen2. Eine starke Minderheit innerhalb der Strafrechtswissenschaft vertritt die Auffassung, daß hinsichtlich des Geldes etwas anderes gelten müsse. Geld ist nach dieser Auffassung eine Wertsumme, die auch dann gehehlt werden kann, wenn das unmittelbar aus der Vortat erlangte Geld bereits gewechselt wurde 3 . Unklar ist jedoch, wie diese Auffassung i n die Dogmatik des § 259 übersetzt werden soll. Hierzu gibt es zwei Möglichkeiten: 1. Man kann auf das Kriterium, daß Sachen unmittelbar aus der Vortat erlangt sein müssen, hinsichtlich des Geldes verzichten. 2. Man kann jedoch auch der Auffassung sein, daß auf das K r i t e r i u m der Unmittelbarkeit nicht verzichtet werden sollte, daß jedoch auch etwa das „umgewechselte" Geld unmittelbar aus der Vortat erlangt sei. Wie w i r d nun die generelle Straflosigkeit der Ersatzhehlerei begründet? Ein Teil der Autoren behauptet schlicht, Hehlerei setze voraus, daß die Sachen „unmittelbar" aus der Vortat erlangt seien4. Von der Mehr1
Mindermeinung: Gribbohm, 1968, S. 240 ff., der die Ersatzhehlerei v e r tretbarer Sachen bejaht. 2 Vgl. dazu statt aller, Wessels, 1980, S. 129; Stree, i n : Schönke / Schröder, 1980, § 259 A n m . 14 m i t weiteren zahlreichen Literaturnachweisen. 3 Vgl. Roxin, 1965, S. 467 ff.; Blei, 1977, § 72 I I I ; Eser, 1974, F a l l 19 a; Meyer, 1970, S. 377; Gribbohm, 1968, S. 240 f. 4 So beispielsweise Berz, 1980, S. 60.
6.1. Die Diskussion über die Strafbarkeit der Ersatzhehlerei
119
zahl der strafrechtlichen Autoren w i r d jedoch das Merkmal der „ U n mittelbarkeit" für begründungsbedürftig gehalten. Friedrich Christian Schroeder begründet das K r i t e r i u m der „ U n m i t telbarkeit" aus der Semantik des § 259 StGB 5 , aus dem Wort „durch" i n § 259 StGB ergibt sich, daß die Sachen unmittelbar aus der Vortat erlangt sein müssen. Krey ist hingegen der Auffassung, daß sich das K r i t e r i u m der „ U n mittelbarkeit" aus der Formulierung „die ein anderer gestohlen hat" i n § 259 StGB ergibt. Nur wenn eine Sache als identische Sache aus dem Diebstahl stammt, kann behauptet werden, sie sei gestohlen. Verlangt nun aber das Tatbestandsmerkmal „gestohlen" die Unmittelbarkeit, so kann für das Merkmal „oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat" nichts anderes gelten 6 . Als weitere Begründung für die Straflosigkeit der Ersatzhehlerei w i r d vielfach die „Perpetuierungstheorie" herangezogen. Bei Ersatzsachen w i r d nicht mehr die durch die Vortat geschaffene rechtswidrige Vermögenslage perpetuiert 7 . Von den meisten Autoren w i r d die „Perpetuierungstheorie" ohne weitere Begründung als Argument benutzt. Ein Teil der Autoren begründet die Perpetuierungstheorie damit, daß der historische Gesetzgeber diese seiner Fassung des § 259 StGB zugrunde gelegt hat und zugrunde legen wollte 8 . Als weiteres Argument für die Straflosigkeit der Ersatzhehlerei w i r d angeführt, daß, sobald man Ersatzhehlerei i n den Tatbestand des § 259 StGB mitaufnehmen würde, dieser Tatbestand keine rechtsstaatlich klaren Grenzen mehr erkennen ließe 9 . Ein Teil der Strafrechtswissenschaft begründet nun die Auffassung, daß die „Ersatzhehlerei" hinsichtlich des Geldes strafbar sein solle, wie folgt: Geld ist keine Gattungs-, sondern eine „Wertsummenschuld" 10 . Roxin schließt hieraus, daß es auch i m Strafrecht auf den unkörperlichen Vermögenswert ankomme 11 . Für die These, daß Geldersatzhehlerei strafbar sein solle, werden auch kriminalpolitische Argumente vorgetragen. So sagen die Anhänger dieser Auffassung, daß sonst § 259 StGB außer Funktion gesetzt würde. Meyer ist der Auffassung, daß m i t der Bestrafung der Geldersatzhehlerei der „Sach-Begriff" des § 259 StGB normativierend dahingehend verstanden werden muß, daß es bei 5
Maurach / Schröder, 1977, S. 466. K r e y , 1980, § 15. 7 Schroeder, i n : Maurach / Schroeder, 1977, S. 460/467. 8 Krey, 1980, § 15. 9 Blei, 1977, S. 250. 10 So etwa Roxin, 1965, S. 469 unter Hinweis auf Larenz, 1964, S. 143. 11 Roxin, 1965, S. 469. 6
120
6. Exkurs 1 : Die Strafbarkeit der Ersatzhehlerei
hehlerischem Erwerb von Geld primär auf die Geldsumme, die durch die Scheine oder Münzen verkörpert wird, ankommt 1 2 . „Sache" i m Sinne von § 259 StGB ist die Wertsumme des Geldes. Für die Bestrafung der Geldersatzhehlerei w i r d auch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs angeführt. Der Bundesgerichtshof war der Auffassung, daß dann, wenn der Vortäter das gestohlene Geld m i t eigenem Geld vermischt und dem Nachmann aus diesem Fonds Geld gibt, ohne weiteres behauptet werden kann, daß das herausgegebene Geld m i t dem gestohlenen Geld identisch sei. Das dem Hehler gegebene Geld ist dann unmittelbar aus der Vortat erlangt 13 . Diese Meinung ist nur dann sinnvoll zu halten, wenn man von dem Wertsummencharakter des Geldes ausgeht 14 . Man kann nämlich nicht behaupten, daß m i t dieser Anforderung auch sichergestellt ist, daß eine Identität der konkreten Geldscheine, die aus der Vortat erlangt sind, m i t dem Hehlgut besteht. Die herrschende Auffassung i n der Strafrechtswissenschaft bringt nun vielerlei Argumente gegen die Bestrafung der Geldersatzhehlerei vor. Zunächst w i r d „schlicht" darauf hingewiesen, daß bei der Geldersatzhehlerei das K r i t e r i u m der „Unmittelbarkeit" fehle 15 . Die Identität des Geldes bestimmt sich nach dieser Auffassung aus der „Sachqualität" des Geldes. Tatobjekte der Hehlerei können nur Sachen sein, deshalb kann auch nur „versachlichtes" Geld als Gegenstand der Hehlerei i n Betracht kommen 16 . Dieses Argument weist auf eine Doppeldeutigkeit der Geldsummentheorie i m Zusammenhang m i t der Hehlerei hin. Geht man nämlich von i h r aus, so w i r d überhaupt fraglich, ob Geld taugliches Hehlereiobjekt ist. Anknüpfungspunkt des Hehlereitatbestandes sind nämlich „Sachen". M i t der Geldsummentheorie w i r d jedoch Geld nicht als „Sache" begriffen 17 . Krey ist der Auffassung, daß die Wertsummentheorie des Geldes lediglich als Begrenzungsgedanke der Strafbarkeit (beispielsweise bei § 242 StGB) verwendet werden darf. Weiter w i r d gegen die Bestrafung der „Geldersatzhehlerei" die Perpetuierungstheorie ins Feld geführt 18 . Bei der Hehlerei der Ersatzsache werde eben kein rechtswidriger Vermögenszustand perpetuiert. Dies zumindest dann nicht, wenn man den 12 13 14 15 16 17 18
D. Meyer, 1970, S. 379. So das U r t e i l des B G H i n N J W 1958/1244. Roxin, 1965. Maurach / Schroeder, 1977, S. 466. Berz, 1980, S. 61 ff. Vgl. dazu insbesondere Krey, 1980, § 15 I . Wessels, 1979, S. 80.
6.2. Der Tatbestand der Hehlerei i n historischer E n t w i c k l u n g
121
rechtswidrigen Vermögenszustand auf die konkrete Sache, die durch die Vortat erlangt wird, bezieht. Unserer Auffassung nach ergibt sich nun die Straflosigkeit der Ersatzhehlerei, auch der Geldersatzhehlerei, daraus, daß dies den „Inanspruchnahme"-Interessen des Gesetzgebers widerspricht. I n den Argumenten gegen die Bestrafung der Ersatzhehlerei und der Geldersatzhehlerei w i r d dies auch auf vielfache Weise implizit angedeutet. 6.2. Der Tatbestand der Hehlerei in historischer Entwicklung Ob die CCC Begünstigung und Hehlerei kannte, ist umstritten. Aus Art. 40 der CCC ist eine Bestrafung der Hehlerei nicht klar zu entnehmen. A r t . 40 bezeichnet lediglich Handlungen, bei deren Vorliegen die Anwendung der peinlichen Frage gestattet sein sollte. Nach der CCC war es dann möglich, soweit diese Handlungen bewiesen werden konnten, auf die Teilnahme des Täters am Verbrechen zu schließen. Hatte ein Täter von geraubtem oder gestohlenem Gut Beute, so konnte auf die Teilnahme am Verbrechen „geschlossen" werden. Aus dem Zusammenhang von Art. 40 und Art. 177 CCC w i r d nun allgemein geschlossen, daß die CCC bereits die Begünstigung bzw. die Hehlerei kannte 19 . Dieser Schluß wurde auch noch m i t dem Argument bekräftigt, daß die italienischen Praktiker Begünstigung und Hehlerei als nachfolgende Teilnahme kannten und großen Einfluß auf die Entwicklung der CCC hatten. Nachfolgende Jahrhunderte sahen Begünstigung und Hehlerei als „nachfolgende" Teilnahme an 20 . Waren bis zu diesem Zeitpunkt Begünstigung und Hehlerei noch nicht getrennt, so bringen erst die Strafgesetzbücher zu Beginn des 19. Jahrhunderts hier einen Umschwung 21 . I n den Partikulargesetzbüchern wurde jedoch der Zusammenhang von Begünstigung und Hehlerei m i t der Teilnahme beibehalten. Das Bayerische Strafgesetzbuch von 1813 sah etwa die Hehlerei als Beihilfe zweiten Grades an (vgl. dazu A r t . 76 und 85). Die Strafgesetzbücher von Sachsen, 1838, und Altenburg, 1841, schlossen sich dieser Auffassung an 22 . Die heutige Fassung der Hehlerei geht auf das preußische Strafgesetzbuch von 1851 zurück. § 237 des PrStGB lautete: „Wer Sachen, von denen er weiß, daß sie gestohlen, unterschlagen oder mittels anderer Verbrechen oder Vergehen erlangt 19
Gretener, 1879, S. 29 ff. Vgl. dazu etwa Allgemeines Landrecht f ü r die preußischen Staaten v o m 1. J u n i 1735, T e i l I I , T i t e l 20. 21 Gudewill, 1909, S. 5 ff. 22 Ausführlich Mezger, 1940, S. 259 ff. 20
122
6. Exkurs 1 : Die Strafbarkeit der Ersatzhehlerei
sind, ankauft, zum Pfände nimmt oder verheimlicht, desgleichen wer Personen, die sich eines Diebstahls, einer Unterschlagung oder eines ähnlichen Verbrechens oder Vergehens schuldig gemacht haben, i n Beziehung auf das i h m bekannte Verbrechen oder Vergehen u m seines eigenen Vorteils w i l l e n begünstigt, ist m i t Gefängnis nicht unter einem Monat und m i t zeitlicher Untersagung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte zu bestrafen . . . " Hehlerei w i r d hier zusammen mit Begünstigung unter Strafe gestellt. Das Wesen der Hehlerei sollte aber nicht mehr die Teilnahme an der Haupttat sein 23 . Für die Hehlerei wurde verlangt, daß der Täter „wegen seines eigenen Vorteils" handelt. Dieses Erfordernis wurde durch Gesetz vom 14. 4.1856 wieder aufgehoben. Die preußische Regelung wurde von Bayern 1861, von Lübeck 1863 und von Hamburg 1869 übernommen. Das Reichsstrafgesetzbuch übernahm die preußische Regelung. Es verlangte jedoch wiederum, daß der Hehler „wegen seines Vorteils" handelt. Zu der Rechtsnatur des § 259 a. F. fanden sich die unterschiedlichsten Auffassungen: Von B u r i war der Auffassung, daß Hehlerei als nachfolgende Teilnahme anzusehen sei 24 . Hiergegen wendete Gretener ein, daß es eine große Anzahl von Verbrechen gebe, die m i t ihrer Entstehung abgeschlossen seien. Eine Teilnahme hieran sei nicht möglich 25 . Loening vertrat die Meinung, daß Hehlerei „indirekte Begünstigung" sei 28 . Er sah die Begünstigung i n der Unterstützung eines Schuldigen zum Zwecke der „Hintanhaltung" seiner Strafschuld. Nach seiner Auffassung konnte dieses Ziel dadurch verfolgt werden, daß man den Täter direkt unterstützt, und dadurch, daß man i h m indirekt durch Sicherstellung der Ergebnisse seines Deliktes Hilfe gewährt 2 7 . I n der Hehlerei sah Loening genau diese indirekte Unterstützung des Täters. Gudewill machte hingegen geltend, daß der Hehler oft überhaupt nicht den Täter unterstützen wolle 2 8 . Gegen diese verschiedenen Thesen entwickelte insbesondere Binding die These von der Hehlerei als selbständigem Vermögensdelikt 29 ;, Binding begründete diese Auffassung damit, daß durch die Vortat die Sachen, die von Rechts wegen i n fremder Disposition stehen, dieser fremden Disposition widerrechtlich entzogen werden und diese Widerrechtlichkeit vom Hehler aufrecht erhalten wird 3 0 . Binding zog hieraus 23 24 25 28 27 28 29 30
Beseler, 1851, S. 450 ff. von Buri, 1877, S. 27 ff. Gretener, 1879, S. 46 ff. Loening, 1885, S. 132 ff. Loening, 1885, S. 133. Gudewill, 1909, S. 7. Binding, 1909, S. 382 m i t weiteren Nachweisen. Binding, 1916, S. 1103.
6.2. Der Tatbestand der Hehlerei i n historischer E n t w i c k l u n g 1 2 3
zwei Konsequenzen. Hehlerei kann nicht angenommen werden, wenn die rechtswidrige Vermögenslage ganz aus der Welt geschafft wird. Das Mitverzehren von Früchten ist deshalb beispielsweise keine Hehlerei. Ebenso kann unmöglich Hehlerei angenommen werden, wenn jemand lediglich teilnimmt an dem Erlös aus dem Verkauf oder aus der Vertauschung der Früchte der Vortat. Die Hehlhandlungen sind versuchte Hinderungen der Rückerlangung einer Sache31. Die Rechtsprechung Schloß sich dieser Auffassung Bindings zunächst an. Die Bindingsche Theorie ging als „Perpetuierungstheorie" i n die Strafrechtsgeschichte ein. Gallas und Schlüter entwickelten i n Kontrast hierzu die Ausnutzungstheorie der Hehlerei. Hiernach ist Hehlerei vor allen Dingen deshalb strafbar, da ein anderer sich die Vorteile einer strafbaren Handlung verschafft. Hehler ist derjenige, der seines Vorteils wegen handelt 32 . Mezger Schloß sich diesem Ausnutzungsgedanken an, meint aber, daß die sogenannte Perpetuierungstheorie an der Vortat zu sehr haften bleibe und eigentlich eine Modifizierung der Teilnahmelehre darstelle 33 . Die Ausnutzungstheorie der Hehlerei wollte die sogenannte „Ersatzhehlerei" m i t i n den Tatbestand des § 259 StGB einbeziehen. Das Reichsgericht folgte der Ausnutzungstheorie i n der Zeit, i n der das Analogieverbot nicht galt. Die Hehlerei wurde auf die Sachverhaltsmenge der Ersatzhehlerei analog angewendet 34 . Schröder entwickelte i n K r i t i k der Perpetuierungstheorie die Theorie der Restitutionsvereitelung. Das eigentlich Strafbare an der Hehlerei ist nach seiner Auffassung die „Aufrechterhaltung" und „Vertiefung" der durch die Vortat geschaffenen rechtswidrigen Besitzposition 35. Unsicher ist, ob die Theorie der Restitutionsvereitelung eine Weiterentwicklung der Perpetuierungstheorie darstellt oder vielmehr als selbständige verstanden werden sollte. Miehe hat ausführlich die bisherigen Theorien der Hehlerei kritisiert und sieht den Unrechtgehalt der Hehlerei i n der Hilfeleistung, die der Vortäter von dem Hehler erfährt 3 6 .
31 32 33 34 35 36
Binding , 1902, S. 388. Schlüter, 1930, S. 448; Gallas, 1936, S. 59. Mezger, 1940, S. 570. RGSt 70, 377. Schröder, 1949, S. 261 f. Miehe, 1970, S. 104 ff.
124
6. Exkurs 1 : Die Strafbarkeit der Ersatzhehlerei
6.3. Die Diskussion der Großen Strafrechtskommission über die Neufassung der Hehlerei Die Unterkommission der Großen Strafrechtskommission hatte auf dem Hintergrund dieser Auffassungen zunächst die folgende Hehlereifassung vorgeschlagen: „Wer eine Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige und vorsätzliche Tat erlangt hat, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder absetzen hilft, u m sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil zu schaffen, w i r d m i t . . . bestraft." Für die Beteiligung an der Beute hatte die Unterkommission zwei Alternativvorschläge angeboten: 1. Alternative: „Wer den Gewinn aus einer Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige und vorsätzliche Tat erlangt hat, i n verwerflicher Weise m i t Wissen des Anderen für sich ausnutzt, obwohl er weiß oder damit rechnet, daß dadurch der Ersatzanspruch des Verletzten gefährdet wird, w i r d wie ein Hehler bestraft." 2. Alternative: „Wer den Gewinn aus einer Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige und vorsätzliche Tat erlangt hat, i n verwerflicher Weise m i t Willen des Anderen für sich ausnutzt, w i r d wie ein Hehler bestraft." Gegen diese Vorschläge der Unterkommission hatten die Sachbearbeiter des Bundesjustizministeriums den folgenden Gegenvorschlag unterbreitet: „1. Wer eine Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige und vorsätzliche Tat erlangt oder sich oder einem Dritten zugeeignet hat, ankauft oder sonst an sich bringt, verheimlicht, einem Dritten verschafft, absetzt oder absetzen hilft, um sich oder einem Dritten einen Vorteil zu verschaffen, w i r d mit Gefängnis bis zu fünf Jahren oder m i t Strafhaft bestraft. 2. Der i n Absatz 1 bezeichneten Sache steht gleich, was der Andere für die Sache erlöst, eingetauscht oder als Ersatz erworben hat. 3. Ist die i n Absatz 2 erlöste eingetauschte oder als Ersatz erworbene Sache Geld, so steht es der i n Absatz 1 bezeichneten Sache nur gleich, wenn der Täter i n der Absicht handelt, sich oder einen
6.3. Die Diskussion der Großen Strafrechtskommission
125
Dritten unrechtmäßig zu bereichern. Unter dieser Voraussetzung steht diesem Gelde jedes an dessen Stelle getretene weitere Geld gleich." Für diesen Entwurf wurde geltend gemacht, daß die Ersatzhehlerei i n enger Anlehnung an den Grundtatbestand der Hehlerei zu regeln sei. Weiter wurde behauptet, daß die Regelung der Ersatzhehlerei eine uferlose Ausdehnung des Tatbestandes vermeiden und die wichtigsten Fälle der Geldersatzhehlerei erfassen würde. Das Geld sollte auch, wenn es mehrfach gewechselt wurde, tauglicher Gegenstand der Hehlerei bleiben. Diese Sonderbehandlung erschien den Mitarbeitern des Bundesjustizministeriums notwendig, da Geld für den Umlauf bestimmt sei. Die objektiv weiten Voraussetzungen sollten jedoch über den subjektiven Tatbestand eingegrenzt werden 37 . Von den Kommissionsmitgliedern der Großen Strafrechtskommission wurden ebenfalls Änderungsanträge zu den Fassungen der Unterkommission eingereicht. Welzel machte den Vorschlag: „Wer Vermögenswerte, die ein anderer gestohlen oder sonst durch eine rechtswidrige vorsätzliche, gegen fremdes Vermögen gerichtete Tat erlangt hat, m i t dessen Einverständnis sich oder einem Dritten verschafft, absetzt und absetzen hilft, w i r d . . . bestraft 88 ." Jescheck wollte, daß die „Beteiligung an der Verbrechensbeute" ganz gestrichen wird. Er meinte, ein zwingendes Bedürfnis nach strafrechtlicher Erfassung der Ersatzhehlerei sei nicht anzuerkennen. Man sollte aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten lieber auf diesen Tatbestand verzichten 89 . Beschlossen wurde durch die Große Strafrechtskommission die folgende Fassung: „Wer eine Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige und vorsätzliche Tat erlangt hat, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder absetzen hilft, um sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen, w i r d m i t . . . bestraft 40 ." 37 Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission (abgekürzt: NSdGSt), 6. Band, 1958, S. 341 f. 38 NSdGSt, 6. Band, 1968, S. 346. 39 NSdGSt, 6. Band, 1958, S. 346. 40 NSdGSt, 6. Band, 1958, S. 348.
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6. Exkurs 1: Die Strafbarkeit der Ersatzhehlerei
Die beiden Alternativen zu „Beteiligung an der Beute" wurden beibehalten. Gleichzeitig wurde als dritte Alternative vorgeschlagen, keine der beiden Alternativen aufzunehmen. I n der 62. Sitzung der Großen Strafrechtskommission wurde auch diskutiert, ob die Ersatzhehlerei unter Strafe gestellt werden sollte und ob „Geld" eine Sonderregelung erfahren sollte 41 . Einerseits wurde die Auffassung vertreten, daß man auf eine Sanktionierung der „Ersatzhehlerei" ganz verzichten solle, da sich die Ersatzhehlerei „rechtsstaatlich" nicht klar fassen lasse. Andererseits wurde aber die Meinung vertreten, daß für die Bestrafung der Ersatzhehlerei ein erhebliches Bedürfnis bestehe. Jescheck vertrat die Ansicht, daß eine Sonderbehandlung für „Geld" nicht erforderlich sei, da Geld als Wertträger i m Tatbestand der Hehlerei miterfaßt sei 42 . I m E 1962 lautete die Hehlereifassung dann wie folgt: „Wer eine Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt hat, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder abzusetzen hilft, u m sich oder einen Dritten zu bereichern, w i r d m i t . . . bestraft." Gleichzeitig wurde eine Regelung für die „Ersatzhehlerei" eingeführt: „Hat jemand einen Erlös aus einer Sache erzielt, die er gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt hat, so w i r d er m i t . . . bestraft. Wer mit Einwilligung des Vortäters sich oder einem Dritten aus dem Erlös i n verwerflicher Weise einen Vermögensvorteil verschafft, w i r d m i t . . . bestraft." I n der Begründung wurde festgelegt, daß dieser Entwurf m i t der Rechtsprechung davon ausgeht, daß das Wesen der Hehlerei nicht i n der Beteiligung an dem verwerflichen, durch die Vortat erlangten Gewinn, sondern i n der Aufrechterhaltung der durch die Vortat geschaffenen rechtswidrigen Vermögenslage, die durch das Weiterverschieben der durch die Vortat erlangten Sache i m Einverständnis m i t dem Vortäter erreicht wird, liegt. Weiter wurde erklärt, daß das Gesetz zum Ziel habe, eine klarere Grenze zur Begünstigung zu ziehen. Zur Ersatzhehlerei wurde vermerkt, daß der strafrechtliche Schutz insoweit eine empfindliche Lücke aufweise. 41 42
NSdGSt, 6. Band, 1958, S. 133. NSdGSt, 6. Band, 1958, S. 138.
6.4. Ersatzhehlerei unter d. Blickpunkt d. gesetzgeber. Entscheidung
127
Es wurde ausgeführt, daß das Wesen der Ersatzhehlerei, anders als das der eigentlichen Hehlerei, nicht so sehr i n der Aufrechterhaltung einer rechtswidrigen Vermögenslage liege, sondern vielmehr i n der verwerflichen Beteiligung an der Verbrechensbeute. Die weiteren Ausführungen gingen dahin, die Voraussetzungen der vorgesehenen Bestrafung der Ersatzhehlerei klarzustellen 43 . Der E 1962 wurde i n der 7. Wahlperiode m i t geringfügigen Veränderungen i n den deutschen Bundestag eingebracht. Die Veränderungen bezogen sich auf den Strafausspruch. Ansonsten stimmt die Fassung der Hehlerei wörtlich m i t der Fassung des E 1962 überein. Es wurde aber darauf verzichtet, eine Regelung für die Ersatzhehlerei zu schaffen. Die Begründung des Regierungsentwurfs enthält die Feststellung, daß das Wesen der Hehlerei nicht i n der Beteiligung an dem verwerflichen, durch die Vortat erlangten Gewinn liegt, sondern i n der Aufrechterhaltung der durch die Vortat geschaffenen rechtswidrigen Vermögenslage, die durch das Weiterschieben der durch die Vortat erlangten Sache i m Einverständnis mit dem Vortäter erreicht wird. Weiter enthält die Begründung den Hinweis, daß die Regelung die Aufgabe habe, eine klarere Grenze zur Begünstigung zu ziehen. Es wurde auch vemerkt, daß die Änderungen, soweit sie überhaupt den geltenden Rechtszustand betreffen und nicht nur die Ergebnisse der bisherigen Rechtsprechung bestätigen, lediglich von untergeordneter Bedeutung sind 44 . 6.4. Die Strafbarkeit der Ersatzhehlerei unter dem Blickpunkt der gesetzgeberischen Entscheidung Aus der konkreten Gesetzesgeschichte lassen sich zwei Gesichtspunkte erkennen: Der derzeitigen Fassung des Hehlereitatbestandes liegt als Schutzinteresse des Bürgers vor Inanspruchnahme die Perpetuierungstheorie zugrunde. Die Geschichte der Auslegung des Hehlereitatbestandes zeigt, daß die Perpetuierungstheorie immer als Theorie angesehen wurde, die die Anwendung des Hehlereitatbestandes auf konkrete Sachen aus der Vortat beschränkt. Die Anwendung des Hehlereitatbestandes sollte dann nicht mehr möglich sein, wenn die Sache nicht mehr existiert und (oder) wenn eine raum-zeitliche Identität des Hehlgutes m i t dem Gut aus der Vortat nicht mehr feststellbar ist. Ein besonderer Tatbestand der Ersatzhehlerei erschien i m Gesetzgebungsverfahren deshalb erforderlich, da ein Tatbestand, der an die Perpetuierungstheorie angelehnt war, nicht alle für strafwürdig erachteten 43 Vgl. dazu E n t w u r f eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1962 (mit Begründung), Bundestags vorläge, S. 459. 44 Vgl. dazu Bundestagsdrucksache VII/550, S. 252.
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6. Exkurs 1 : Die Strafbarkeit der Ersatzhehlerei
Fälle zu erfassen schien. Der Gesetzgeber hat jedoch i m Gesetzgebungsverfahren auf einen Tatbestand, der die Sachverhaltsmenge der Ersatzhehlerei erfaßt, verzichtet. Wie sich aus der Gesetzgebungsgeschichte ergibt, geschah dies, obwohl der Gesetzgeber hinsichtlich dieser Sachverhaltsmenge eine Strafwürdigkeit konstatierte. Dies geschah wahrscheinlich deshalb, da es unmöglich schien, diese Sachverhaltsmengen klar einzugrenzen. Soweit nun von den Anhängern der Strafbarkeit der „Geldersatzhehlerei" behauptet wird, der eigentliche Gehalt der Perpetuierungstheorie liege darin, das Weiterschieben der Verbrechensbeute zu verhindern, ist diese Auffassung der gesetzgeberischen Entscheidungsposition unangemessen. M i t der Theorie, daß die Hehlerei das Weiterschieben der Verbrechensbeute verhindern solle, werden „Inanspruchnahme"-Interessen des Hehlereitatbestandes neu begründet, die die Schutzinteressen des Bürgers, die m i t der Perpetuierungstheorie zur Geltung gebracht werden sollten, ignorieren. Sieht man den Unrechtsgehalt i n dem Weiterschieben der Verbrechensbeute, so w i r d unverständlich, wieso der Hehlereitatbestand nicht generell die Fälle der Ersatzhehlerei mitumfassen soll. Auch hier w i r d Verbrechensbeute weitergeschoben. Weiter: M i t der Erfassung der Geldersatzhehlerei durch § 259 StGB entsteht die Gefahr der Kriminalisierung bestimmter Berufsgruppen. Rechtsanwälte können von ihren Strafmandanten kein Geld mehr annehmen, da sie sonst i n Gefahr ständen, wegen Geldersatzhehlerei belangt zu werden. Derartig weitreichende Anwendungsregeln sollten nur dann als legitim erachtet werden, wenn sich Anhaltspunkte dafür finden, daß auch der Gesetzgeber von einem ähnlichen Rechtsinhaltsverständnis ausging. Man könnte nun argumentieren, daß sich solche Hinweise insofern fänden, als Jescheck innerhalb der Reformdiskussion die Auffassung vertreten hat, zu einer Entwurfsfassung des § 259 StGB, die bis auf den Rechtsfolgenausspruch m i t dem heutigen § 259 StGB identisch ist, daß hierin die Bestrafung wegen Geldersatzhehlerei enthalten sei. Er behauptete, dies folge aus der Wertsummentheorie des Geldes. A l l e i n vermag diese Auffassung Jeschecks noch kein Rechtsinhaltsverständnis des historischen Gesetzgebers zu begründen. Eine Auffassung eines Einzelmitglieds einer Kommission genügt sicherlich nicht, dem Gesetzgeber ein spezifisches Rechtsinhaltsverständnis zuzuschreiben. Der E 1962 sah außerdem eine Bestrafung für die Geldersatzhehlerei vor. Hätte die Große Strafrechtskommission einheitlich die Auffassung vertreten, daß i n § 259 StGB die Geldersatzhehlerei enthalten sei, hätte es keines besonderen Entwurfs für diese bedurft. M i t der Wertsummentheorie des Geldes w i r d auch der „Sach"-Begriff des Strafrechts normativiert. Sieht man Geld als „Wertsumme" an, so w i r d von der körperlichen Qualität des Geldes abgesehen. Frag-
6.4. Ersatzhehlerei unter d. B l i c k p u n k t d. gesetzgeber. Entscheidung
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lieh ist dann, ob Geld überhaupt noch taugliches Objekt der Hehlerei sein kann. Der „Sach"-Begriff begrenzt i n verschiedenen Tatbeständen die Strafbarkeit, indem er Körperlichkeit des Tatobjektes verlangt. Die Rechtsprechung hat deshalb auch immer der Versuchung widerstanden, den „Sach"-Begriff zu normativieren. Sieht man nun Geld als Wertsumme und gleichzeitig als Objekt an, das auch unter den Sachbegriff des Strafrechts „subsumiert" werden kann, so w i r d der „Sach"-Begriff seiner Begrenzungsfunktion beraubt. M i t einer Normativierung des „Sach"-Begriffs wäre i n das System des Strafrechts so weit eingegriffen, daß hierzu eine positive Entscheidung des Gesetzgebers erforderlich erscheint. Auch noch i n einem weiteren Punkt erscheint unter dem Gesichtspunkt der gesetzgeberischen Entscheidung die Erstreckung der Hehlerei auch auf die Sachverhalte der Geldersatzhehlerei unangemessen. Der Verzicht auf eine positive Regelung für die Fälle der Geldersatzhehlerei dürfte seinen Grund darin gehabt haben, daß diese Sachverhaltsmengen nicht klar abzugrenzen waren. Verzichtet der Gesetzgeber aus einem solchen oder ähnlichen Grund auf eine Regelung, so mißachtet der Rechtsanwendende diese Entscheidung, wenn er eine Tatbestandsinterpretation trifft, die genau vor dem gleichen Problem steht, nur u m ein (angebliches) Strafbedürfnis zu befriedigen. Nun zum Ertrag dieser Problembehandlung für subjektive Auslegung: Zunächst zeigt sich, daß damit, daß i n den Gesetzesmaterialien ausgeführt ist, § 259 StGB liege die Perpetuierungstheorie zugrunde, der Wille des Gesetzgebers noch nicht erschlossen ist. Die Bewertungshandlung, die der Gesetzgeber damit vollzogen hat, w i r d erst deutlich, wenn man diese Theorie vor dem Hintergrund der Geschichte des Hehlereitatbestandes und der Diskussion dieses Tatbestandes i n der „Reformgeschichte" sieht 45 . Einzelnen Stellungnahmen zu einem konkreten Gesetzestext kommt dabei weniger Relevanz zu, als der Deutung eines konkreten Textes auf dem Hintergrund einer geführten Diskussion u m den Unrechtsgehalt eines Tatbestandes und der Deutung eines erlassenen Gesetzestextes hinsichtlich der i m Reformverfahren diskutierten Reformentwürfe. Subjektive Auslegung verdeutlicht, daß dann, wenn man die Perpetuierungstheorie einfach uminterpretiert und als Theorie versteht, die den Unrechtsgehalt der Hehlerei i n dem „Weiterschieben der Verbrechensbeute" sieht, man jedenfalls die Entscheidung des Gesetzgebers weit verläßt. Es müßte dann zumindest plausibel gezeigt werden, daß es sinnvoll ist, die Perpetuierungstheorie umzufunktionieren. Der Verfasser tendiert sogar zur Auffassung, daß diese Distanz zu groß ist, 45
Vgl. Kap. 6.2.
9 Schroth
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6. Exkurs 1 : Die Strafbarkeit der Ersatzhehlerei
u m sie noch als legitime Entscheidung i m Rahmen des Rechtssystems anzusehen. Subjektive Auslegung zeigt weiter, daß der Gesetzgeber m i t der Perpetuierungstheorie einer Kriminalisierung von Sachverhaltsmengen Einhalt gebieten wollte, die sich als Mengen nicht eingrenzen lassen. Jede Umfunktionierung des Unrechtsgehalts der Hehlerei i n dem Sinne, daß etwa die Sachverhaltsmenge der „Geldersatzhehlerei" i n § 259 StGB erfaßt ist, muß sich die Frage stellen lassen, wie weit der neue „Unrechtsgehalt" i n der Lage ist, diese Sachverhaltsmenge einzugrenzen. Über dieses Interesse können sich die Rechtsanwender nicht einfach hinwegsetzen. Gerade das Interesse des Gesetzgebers an Eingrenzung von Strafbarkeiten sollte für Rechtsanwendende verbindlich sein.
7. Exkurs 2: Die Auslegung des Begriffes „absetzen" in § 259 StGB unter dem Gesichtspunkt der gesetzgeberischen Neufassung des Tatbestandes 7.1. Die Diskussion um den Inhalt des Begriffes „absetzen" I n der juristischen Diskussion ist umstritten, ob der Begriff „absetzen" i n § 259 StGB voraussetzt, daß der „Absatz" tatsächlich gelungen ist. Die herrschende Auffassung i n der Literatur ist der Meinung, daß der Begriff „absetzen" tatsächlich den „Absatzerfolg" verlange 1 . Eine Mindermeinung i n der Literatur und die Rechtsprechung sind der Auffassung, daß es für den Begriff „absetzen" genüge, wenn der Täter sich um den „Absatz" bemüht 2 . Es soll zunächst die Diskussion u m den Begriff des „Absetzens" dargestellt werden. W i r benützen hierzu ein Argumentationsanalyseschema, v. Savigny entwickelt wurde 8 .
das von
Die folgenden Grundbegriffe werden für dieses Analyseschema verwendet: Grundbegriff 1: A bringt Y als Argument für — gegen Ζ (A bezeichnet den Autor, Y und Ζ bezeichnen Argumente). Grundbegriff 2: A bringt Y und Y' als gemeinsames Argument für — gegen Ζ (Y' bezeichnet ebenfalls ein Argument). Grundbegriff 3: X bringt Y als Argument dafür — dagegen, daß Ζ m i t U begründet — angegriffen werden kann (U bezeichnet auch ein Argument). 1 Vgl. etwa Franke, 1977, S. 857; Küper, 1977, S. 58; Lackner, § 259 A n m . 4 b ; Schönke / Schröder / Stree, 1981, § 259 Rdnr. 31 etc. 2 B G H S t 27, 45; w o h l auch B G H S t 26, 361; die gegenteilige Auffassung des 2. Senats wurde auf Anfrage des 4. Senats aufgegeben, vgl. B G H i n N J W 1976/1698, u n d B G H S t 27, 45; Dreher / Tröndle, 1981, § 259 Rdnr. 18; Meyer, 1977, S. 80. 3 v. Savigny, 1976, S. 110 ff.
9*
132
7. Exkurs 2: Die Auslegung des Begriffes „absetzen" in § 259 StGB
Grundbegriff 4 : X b r i n g t Y u n d Y ' als gemeinsames Argument dafür — dagegen, daß Ζ m i t U begründet — angegriffen werden kann. Grundbegriff 5: X bringt Y als A r g u m e n t dafür — dagegen, daß Ζ m i t U v o m T y p her begründet — angegriffen werden kann. Grundbegriff 6: X b r i n g t Y als A r g u m e n t dafür — dagegen, daß Ζ m i t U (als i n d i v i duelles Argument) überhaupt begründet — angegriffen werden kann 4 . Diese Grundbegriffe lassen sich n u n durch Symbole i m Diagramm veranschaulichen : a)
1
>2
1 als selbständiges Argument für 2.
b)
1
>3
1 und 2 zusammen als Argument für 3.
d)
«>
2
3 als Argument für die Begründung von 2 mit Hilfe von 1.
f)
1 —γ—> 2 3
3 als Argument gegen die zwingende Begründung von 2 mit Hilfe von 1.
g)
1 —γ—< 2 3
3 als Argument gegen den durchschlagenden Angriff auf 2 mit Hilfe von 1.
h)
1 — < 2
3 als Argument für den Angriff auf 2 mit Hilfe von 1.
i)
1
y< 2 T 3
3 als Argument dagegen, daß 1 vom Argumenttyp her 2 angreifen kann.
k)
1
γ> 2 3
3 als Argument dagegen, daß 1 vom Argumenttyp her 2 begründen kann.
T 1)
1
r> 2 T 3
3 als Argument dafür, daß 1 vom Argumenttyp her 2 zwingend begründet.
m)
1
x< 2 T 3
3 als Argument dafür, daß 1 vom Argumenttyp her ein durchschlagender Angriff gegen 2 ist.
η)
1 —y—> 2 J
3 als Argument dagegen, daß 1 überhaupt eine Begründung für 2 sein kann.
ο)
1 —y—< 2 J
3 als Argument dagegen, daß 1 überhaupt ein Angriff auf 2 sein kann.
ρ)
1— > 2
χ erklärt 2.
4
Vgl. dazu v. Savigny, 1976, S. 28 ff.; Schroth, 1980, S. 119 ff.
7.1. Die Diskussion u m den I n h a l t des Begriffes „absetzen"
133
W i r wollen nun die Argumentation u m den Begriff des „Absetzens" i n Argumente zerlegen: BGH-Urteil vom 26. 5.1976 Az 2 StR 634/75 i n NJW 77, 1968: 7. Die Vollendung des Hehlereitatbestandes i n der Begehungsform des Absetzens setzt indessen weiter voraus, daß es tatsächlich zum Absatz gekommen ist. 8. Das folgt aus dem Sinngehalt des Wortes absetzen. 9. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch versteht man hierunter ein Veräußern der betreffenden Sache. 10. Vorgänge, die sich i n Verkaufsbemühungen oder sonstigen vergleichbaren Handlungen erschöpfen, sind noch kein Absetzen; sie können ein solches nur anbahnen. 11. A n diesem Begriffsinhalt des Wortes Absetzen hat die Rechtsprechung festgehalten. 12. Bereits vom Reichsgericht ist — damals zu § 60 Tabaksteuergesetz 1919 — die Ansicht vertreten worden, daß von einem Absetzen nur die Rede sein kann, wenn die Veräußerung des Hehlgutes gelungen ist (RGSt 56, 6 (10), m. w. N.). 13. Diese Entscheidung erscheint hier u m so erwähnenswerter, als jene Vorschrift neben dem Absetzen als weitere Tätigkeitsform das M i t wirken zum Absatz und insoweit die gleiche Regelung enthielt wie § 259 StGB a. F. 14. Später hat auch der B G H darauf hingewiesen, daß das Merkmal A b setzen i n dem dargelegten Sinne zu verstehen ist [BGHSt 23, 36 (39)]. 15. Der Senat verkennt nicht, daß diese Auslegung zu einer Einschränkung des Anwendungsbereichs der neuen Hehlereivorschrift gegenüber dem früheren Rechtszustand führt. 15 a. Dies war vom Gesetzgeber bei der Verabschiedung des EGStGB sicherlich nicht beabsichtigt.
134
7. Exkurs 2: Die Auslegung des Begriffes „absetzen" i n § 259 StGB
16. I n der amtlichen Begründung zum Entwurf dieses Gesetzes heißt es, daß m i t der vom bisherigen Recht abweichenden Umschreibung der Ausführungshandlungen des § 259 StGB nur unbedeutende sachliche Änderungen verbunden seien und die Aufnahme des Merkmals des Absetzens lediglich der Klarstellung diene. 17. Den sonstigen Geestzesmaterialien ist nicht zu entnehmen, daß i m Gesetzgebungsverfahren eine andere Auffassung vertreten wurde. 18. Dieser Vorstellung der Gesetzgebungsorgane entspricht jedoch hinsichtlich des Merkmals des Absetzens, wie vorstehend ausgeführt wurde, nicht der Wortlaut. 19. Da er insoweit eindeutig ist, läßt er eine erweiternde Auslegung 1. S. jener Begründung nicht zu. 20. Eine solche Auslegung würde gegen das Analogieverbot und damit gegen den Verfassungsgrundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit der Strafbarkeit (Art. 103 I I GG) verstoßen. 21. Kriminalpolitische Gesichtspunkte rechtfertigen keine Ausnahme von diesem Grundsatz. Urteil des B G H vom 4.11.1976, Az 4 StR 255/76 in: BGHSt 27, 45 ff.: 1. Unter dem Merkmal „ M i t w i r k e n zum Absatz" der alten Gesetzesfassung haben i n ständiger Rechtsprechung das Reichsgericht (zuletzt RGSt 56, 191, 192; vgl. auch bei Fezer NJW 1975, 1982) und i h m folgend der Bundesgerichtshof (NJW 1955, 350; BGHSt 22, 206, 207) jede vorbereitende, ausführende oder auch nur helfende Tätigkeit zum Zwecke des Absatzes verstanden ohne Rücksicht darauf, ob der Absatz tatsächlich gelungen ist oder nicht. 2. Diese Auffassung, die auch i m Schrifttum vorherrschend war (vgl. L K 9. Aufl. § 259 StGB Rdnr. 21; Dreher, StGB 34. Aufl. § 259 Bern. 3 B c , sowie die von Schönke / Schröder, StGB 17. Aufl. § 259 StGB Rdnr. 40 angeführten Literaturstellen) stützte sich auf Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Vorschrift.
7.1. Die Diskussion u m den I n h a l t des Begriffes „absetzen"
135
3. Der Bundesgerichtshof hat an ihr auch festgehalten, nachdem die StrafrechtsangleichungsVO vom 29. 5.1943 auch den Versuch der Hehlerei unter Strafe gestellt, den Wortlaut des Absatzes 1 des § 259 StGB indessen nicht geändert hat (vgl. NJW 1955, 350, 353; zur Gegenmeinung vgl. u. a. Schönke / Schröder a. a. O.; Stree GA 1961, 33, 43). 4. A n die Stelle von „ M i t w i r k e n zum Absatz" sind m i t der Neufassung des § 259 StGB die Merkmale „absetzt oder absetzen h i l f t " getreten. 5. Durch die Aufnahme des Merkmals „absetzt" wollte der Gesetzgeber lediglich klarstellen, daß Hehler auch derjenige ist, der das Hehlgut zwar i m Einvernehmen m i t dem Vortäter, aber sonst völlig selbständig für dessen Rechnung absetzt (Amtliche Begründung zum Entwurf eines EGStGB BT-Drucks. VII/550 S. 253). 6. Absetzen ist danach das selbständige, Absetzenhelfen das unselbständige, an Weisungen gebundene Unterstützen des Vortäters. 7. Beide unter die gleiche Strafdrohung gestellte Merkmale umschreiben zwar unterschiedliche Tätigkeiten, stehen aber gleichgeordnet nebeneinander; zwischen ihnen besteht kein Stufenverhältnis; (auch) das Absetzenhelfen ist nicht etwa bloße Beihilfehandlung, sondern eine selbständige Tatbestandsalternative. 8. Das hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs i n der angeführten Entscheidung unter Ablehnung der Rechtsauffassung insbesondere des Oberlandesgerichts K ö l n (NJW 1975, 987, 988) überzeugend dargelegt. 9. Auch der 2. Strafsenat vertritt insoweit keine andere Meinung. 10. I m übrigen sollten die Merkmale „absetzt oder absetzen h i l f t " zusammen keinen anderen Inhalt haben, als das Merkmal „ M i t w i r k e n zum Absatz" der alten Gesetzesfassung. 11. Irgendeine Einschränkung des bisherigen Anwendungsbereichs der Hehlereivorschriften, etwa i n dem Sinne, daß das Absetzen und / oder das Absetzenhelfen nunmehr nur noch als vollendete Hehlerei zu bestrafen sei, wenn der Absatz gelungen ist, war vom Gesetzgeber bei der Verabschiedung der neuen Gesetzesfassung m i t Sicherheit nicht beabsichtigt.
136
7. Exkurs 2: Die Auslegung des Begriffes „absetzen" i n § 259 StGB
12. I n der amtlichen Begründung (a. a. O. S. 252, 253) heißt es, daß das Weiterschieben der durch die Vortat erlangten Sache i m Einverständnis m i t dem Vortäter verhindert werden solle und daß mit der vom geltenden Recht abweichenden Umschreibung der Ausführungshandlungen „absetzt" und „absetzen h i l f t " nur unbedeutende sachliche Änderungen verbunden seien, die (wie unter 2. oben bereits ausgeführt) lediglich der Klarstellung dienen, daß Hehler auch derjenige sei, der die Sache zwar i m Einverständnis m i t dem Vortäter, aber sonst völlig selbständig auf dessen Rechnung absetzt. 13. Aus der Formulierung „ n u r von untergeordneter Bedeutung ist es, daß der Entwurf als Tathandlung neben dem Hilfeleisten beim Absatz auch das Absetzen selbst aufführt", ergibt sich, daß der Gesetzgeber, der die Neufassung entsprechend dem Entwurf i n Geltung gesetzt hat, es bei dem bisherigen Rechtszustand belassen wollte. 14. Auch den sonstigen Gesetzesmaterialien ist nicht zu entnehmen, daß i m Gesetzgebungsverfahren eine andere Auffassung vertreten worden wäre. 15. Hätte der Gesetzgeber den gefestigten Stand der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung zum „ M i t w i r k e n zum Absatz" nunmehr bei einem oder bei beiden neuen Merkmalen verlassen wollen, wäre der Entwurf angesichts der immerhin bestehenden unterschiedlichen Meinungen i n der Begründung darauf eingegangen und hätte eine (gewollte) Änderung hier nicht als nur von untergeordneter Bedeutung bezeichnet (so auch Fezer a.a.O.; Meyer MDR 1975, 721, 722; Dreher, StGB 36. Aufl. § 259 Rdnr. 19). 16. Für das Merkmal Absetzen kann nichts anderes gelten. 17. Die Auslegung jeder gesetzlichen Bestimmung hat allerdings bei ihrem Wortlaut zu beginnen. 18. Entgegen der Auffassung des 2. Strafsenats drückt das Wort „absetzt" indessen sprachlich nicht zwingend aus, daß der Absatz gelungen, die dazu angestrengte Tätigkeit erfolgreich abgeschlossen, die abzusetzende Sache i n die Hände eines neuen Besitzers übergegangen sein müßte.
7.1. Die Diskussion u m den I n h a l t des Begriffes „absetzen"
137
19. Sprachlich läßt sich unter „absetzt" ohne weiteres ebenso (nur) das bloße Tätigwerden „beim Absetzen", das „ M i t w i r k e n zum Absatz" der alten Gesetzesfassung verstehen (vgl. auch Meyer a. a. O.). 20. Läßt aber, wie hier, der vom Gesetzgeber verwendete Wortlaut mehrere Auslegungsmöglichkeiten zu, so ist zur Auslegung der gesetzgeberische Wille mit heranzuziehen (vgl. auch BGHSt 14, 116, 118). 21. Dieser spricht eindeutig für die hier vertretene Auffassung. 21 a. Wenn das Wort „absetzen" bei der Auslegung anderer Vorschriften i m Sinne eines vollendeten Absatzes verstanden worden ist (vgl. ζ. B. RGSt 56, 6, 10 zu § 60 Tabaksteuergesetz 1919) und nach Sinn und Zweck jener Vorschriften auch so zu verstehen sein mag, so läßt sich daraus für die Auslegung des § 259 StGB a. F. nichts Entscheidendes herleiten.
22. W i r d ein Tatbestand, wie hier, nur zur Klarstellung i n Teilpunkten neu gefaßt, so darf er zudem nicht so sehr nach dem Wortlaut ausgelegt werden wie ein Tatbestand, der vollkommen neu gestaltet worden ist. 23. Der Zweck der jeweiligen neuen Fassung steht dann i m Vordergrund. 24. Die Auslegung muß deshalb auf die Gesamtänderung abstellen und nicht auf jeweils nur eines von mehreren verwendeten neuen Worten. 25. Die ohnehin nach Gesetzesänderungen vorhandene Rechtsunsicherheit darf durch eine vom Sinn und Zweck der neuen Fassung losgelöste Wortauslegung nicht noch größer werden. 26. Die Auslegung muß vielmehr so vorgenommen werden, daß dort, wo der Wortlaut nicht völlig eindeutig ist, diejenige gewählt wird, die keine — unbeabsichtigten — rechtlichen Auswirkungen hat (vgl. auch Fezer a. a. O.). 27. I n Ansehung dessen, daß der Gesetzgeber ohne die Absicht einer sachlichen Änderung nur das alte Merkmal „ M i t w i r k e n zum Absatz"
138
7. Exkurs 2: Die Auslegung des Begriffes „absetzen" i n § 259 StGB
klarstellend i m Sinne der von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätze durch die Worte „absetzt oder absetzen h i l f t " ersetzt hat, darf die Auslegung auch nur i n diesem Sinne geschehen. 28. Für eine unterschiedliche rechtliche Behandlung der beiden neuen Merkmale „absetzt" und „absetzen h i l f t " ist kein Raum (vgl. oben unter 2.). 29. Der Gesetzgeber kann das Absetzen i n beiden Merkmalen entweder nur als abgeschlossene Tätigkeit oder als das Tätigwerden dazu verstanden haben. 30. Es würde gegen das Gebot der Gerechtigkeit verstoßen, wenn der unselbständige Absatzhelfer, zumal dann, wenn er sich nur unerheblich und vorübergehend betätigt hat, stets wegen vollendeter Hehlerei bestraft werden müßte, dagegen der selbständige (der sogenannte Verkaufskommissionär), vor allem nach umfangreicher Tätigkeit, nur wegen versuchter Hehlerei, d. h. also milder zu bestrafen wäre, weil der A b satz schließlich doch nicht gelungen ist. 31. Die gleichartige Bestrafung beider Begehungsformen bei nicht gelungenem Absatz nur wegen versuchter Tat würde aber eine nicht zu ertragende Mißachtung des gesetzgeberischen Willens und seiner k r i m i nalpolitischen Ziele bedeuten. Franke zu: BGH, Urteil vom 4.11.1976, 4 StR 255/76 1. Die systematische Beziehung zwischen beiden Alternativen zwingt i n der Tat zu einer insoweit einheitlichen Auslegung (vgl. Küper, NJW 1977, 58; Stree, JuS 1976, 143). 2. Allerdings stellt sich die Frage, ob sie i n dem vom B G H vertretenen Sinne zu erfolgen hat oder i n Übereinstimmung mit der i m Schrifttum herrschenden Meinung dahingehend vorzunehmen ist, daß wegen vollendeter Hehlerei nur i m Falle des Absatzerfolges bestraft werden kann (vgl. Küper NJW 1977, 58 und die dort angegebenen Nachweise). Die A n t w o r t darauf hängt von der Interpretation des Begriffes „ A b setzen" ab. 3. Ausgehend vom Wortlaut stellt der B G H unter Hinweis auf Mayer (MDR 1975, 721) apodiktisch fest, das Tatbestandsmerkmal „absetzt"
7.1. Die Diskussion u m den I n h a l t des Begriffes
„absetzen"139
lasse sich sprachlich „ohne weiteres" als bloßes auf den Absatz der Beute gerichtetes Tätigwerden verstehen. 4. Diese Ambivalenz des Wortsinns zwinge zum Rekurs auf den gesetzgeberischen Willen, aus dem sich ergebe, daß die Aufnahme des Wortes „absetzt" i n den Gesetzestext lediglich zur Klarstellung darüber diene, daß neben dem weisungsgebundenen „Absatzhelfer" auch derjenige als Hehler bestraft werde, der zwar i m Einverständnis mit dem Vortäter und für dessen Rechnung, ansonsten aber selbständig handle. 5. Dieser auf historisch-teleologischen Erwägungen beruhenden Auslegung wäre zuzustimmen, wenn die These von der Mehrdeutigkeit des Wortsinns zuträfe. Davon kann jedoch — wie Küper i n anderem Zusammenhang (JuS 1975, 633 ff.) überzeugend dargelegt hat — keine Rede sein. 6. Das Wort „absetzt" hat — so Küper — „sprachlich den zweifelsfreien Sinn einer erfolgreichen Übertragungshandlung"; denn wer sich vergeblich u m die Veräußerung einer Sache bemühe, setze sie nun einmal nicht ab (JuS 1975, 635). 7. Die einschlägige These lautet: „ W i r d ein Tatbestand, wie hier, nur zur Klarstellung i n Teilpunkten neu gefaßt, so darf er zudem nicht so sehr nach dem Wortlaut ausgelegt werden wie ein Tatbestand, der vollkommen neu gestaltet worden ist. Der Zweck der jeweiligen neuen Fassung steht dann i m Vordergrund." 8. Die juristische Methodenlehre kennt keinen Satz des Inhalts, daß die Auslegung eines nur i n Teilaspekten neu gefaßten Tatbestandes sich weniger am Wortlaut zu orientieren habe als die eines völlig neuen Gesetzes, vielmehr können Sinn und Zweck eines Gesetzes stets nur i n den Grenzen des möglichen Wortsinns Berücksichtigung finden (vgl. Engisch, Einführung 5. Aufl., S. 73). 9. Steht dieses, wie i m Tatbestandsmerkmal „absetzt", eindeutig fest, so ist für die Beachtung der darüber hinausgehenden Intention des Gesetzgebers kein Raum. 10. Diesem Befund läßt sich auch nicht m i t dem vom B G H vorgebrachten Argument entgegentreten, die seit der Änderung des § 259 I StGB bestehende Rechtsunsicherheit dürfe „durch eine vom Sinn und Zweck
140
7. Exkurs 2: Die Auslegung des Begriffes „absetzen" i n § 259 StGB
der neuen Fassung losgelöste Wortauslegung nicht noch größer werden". 11. Die Konsequenz wäre eine vom Wortsinn losgelöste Auslegung, mittels welcher die der Rechtssicherheit dienende Garantiefunktion des Tatbestandes i n einer A r t . 103 I I GG zuwiderlaufenden Weise ausgehöhlt würde. Küper in: NJW 1977, S. 58 zu B G H — 2 StR 634/75: 1. Hinter dem Stand der wissenschaftlichen Diskussion bleibt das Urteil insofern zurück, als es auf die Gesichtspunkte nicht eingeht, die von der Delikstruktur her eine wortlautnahe Interpretation stützen und dam i t die Relevanz des abweichenden gesetzgeberischen Willens (dazu ausführlich Verf., JuS 1975, 634 f.) endgültig neutralisieren.
2. Das spezifische Hehlereiunrecht besteht nämlich darin, daß der Hehler eine auf einem Vermögensdelikt (im weitesten Sinn) beruhende rechtswidrige Besitzposition durch die Verschiebung der Beute i n die „nächste Hand" festigt, „perpetuiert" und damit i n der Regel die Restitution der früheren rechtmäßigen Besitzlage erschwert. 3. Der Gefährlichkeitsaspekt (Anreiz zur Begehung von Vermögensstraftaten) hat daneben nur sekundäre Bedeutung (näher Stree, JuS 1976, 142 f.). 4. Diese Unrechtsstruktur führt aber, wie beim „Verschaffen" — früher „Ansichbringen" —, so konsequenterweise zu einem erfolgsgebundenen Verständnis des Begriffes „Absetzen". 5. Denn beide Tathandlungen haben die Übertragung der Deliktsbeute i n eine neue Herrschaftssphäre, die Begründung neuer Verfügungsgewalt, gemeinsam. 6. Zuzustimmen ist dem B G H auch i n seiner K r i t i k an der Auffassung des Generalbundesanwalts (NJW 1976, 1699), daß die „Absatzhilfe" gegenüber dem „Absetzen" der weitere Begriff sei und deshalb auf jene Tatmodalität zurückgegriffen werden dürfe, wenn die Absatzhandlung erfolglos bleibe.
7.1. Die Diskussion u m den I n h a l t des Begriffes „absetzen"
141
7. Beide Hehlereimodalitäten stimmen zwar insofern miteinander überein, als der Hehler — i m Unterschied zum „verschaffen" — jeweils (zumindest auch) i n fremdem Interesse tätig wird. 8. Diese Interpretation, die über eine Zurückstufung der Absatzvariante zur Sonderform bloßer „Hilfeleistung" eine Wiederbelebung der traditionellen Auslegung anstrebt, ist i n der Tat m i t Sinngehalt und Beziehungsverhältnis der beiden Begehungsformen nicht vereinbar. 9. Sie unterscheiden sich jedoch grundlegend durch die beim Absatzhelfer fehlende Selbständigkeit i n der Entscheidung oder Durchführung, die für die Rolle des „Absetzers" kennzeichnend ist (vgl. BR-Dr. 7/550, S. 253; BGHSt 23, 36 (38) = NJW 1969, 1864, zu § 39 AO). 10. Wer nicht lediglich fremde Absatzbemühungen unterstützt, sondern i n eigener Regie die Veräußerung der Sache übernimmt, ist eben kein bloßer Absatzhelfer; ob sein Verhalten vollendete, versuchte oder gar nur straflos vorbereitete Hehlerei darstellt, muß daher ausschließlich unter dem Aspekt des „Absetzens" beurteilt werden. Meyer, in: JR 77, S. 80: 1. I m Einklang m i t den genannten Verfechtern dieser Ansicht leitet der Senat das aus dem von i h m so verstandenen Wortsinn des Begriffes „absetzt" ab, wonach ein (erfolgreich verlaufenes) Veräußern der Sache zu fordern sei. 2. Eine solche, sich auf die philologische Wortinterpretation beschränkende Auslegung überzeugt jedoch nur prima facie. 3. Bei genauerem Hinsehen w i r d mit der Verbform „absetzt" aber eine Tätigkeit beschrieben, die selbst sprachlogisch noch nicht unbedingt abgeschlossen zu sein braucht, eine Interpretation übrigens, die auch der B G H früher zum Begriff „Absetzen" selbst einmal vertreten hat (vgl. B G H vom 19.12. 1952 — 3 StR 118/52 — und vom 30.10. 1953 — 3 StR 776/52 — mitgeteilt i n BGHSt 23, 37). 4. Da allgemeiner Ansicht nach jede, also auch die noch ganz entfernt mögliche Bedeutung eines Wortes zur sachgerechten Auslegung herangezogen werden kann (vgl. etwa Lackner, § 1, Anm. 1 c m. w. N.), ist
142
7. Exkurs 2: Die Auslegung des Begriffes „absetzen" i n § 259 StGB
einer weiten Auslegung jedenfalls durch den Wortlaut i n diesem Fall noch keine Schranke errichtet worden (vgl. allgemein zur Auslegung neuerdings auch Haft, JuS 1975, 481 f.). 5. Es kommt vielmehr dem Sinn und Zweck des Gesetzes, insbesondere dem Anliegen des Gesetzgebers bei der „Klarstellung" eine erhöhte Bedeutung zu.
6. Eine teleologische Auslegung des § 259 Abs. 1 StGB n. F. muß aber zwangsläufig zu dem Ergebnis führen, daß ein erfolgreicher Absatz des Hehlgutes nicht als eine unerläßliche Voraussetzung für die vollendete Begehungsform des Absetzens gefordert werden muß. 7. Die auch vom Senat anerkannte Entstehungsgeschichte (vgl. ausführlicher bei Küper, JuS 1975, 634) beweist ganz eindeutig, daß dem Gesetzgeber i n gar keinem Fall eine Einschränkung des alten Hehlereitatbestands i n dieser Hinsicht vorschwebte, sondern daß ausdrücklich die insoweit gefestigte Rechtsprechung zum Merkmal „bei dem Absatz m i t w i r k t " , wonach dieser Alternative der Hehlereihandlung nicht als ein Erfolgs-, sondern als Tätigkeitsdelikt verstanden wurde (vgl. BGHSt 22, 207 und die Nachweise bei Küper, JuS 1975, 634, Fußn. 3), i n Gesetzesformen gegossen werden sollte. 8. Es liegt hier also, soweit das Anliegen des Gesetzgebers sprachlich nicht ganz unzweideutig zum Ausdruck gekommen ist, ein M o t i v i r r t u m des Gesetzgebers vor (so Küper, JuS 1975, 635), der seinen Willen nicht berührt und der, weil er zweifelsfrei nachweisbar ist, unbeachtlich ist. 9. Diesem Willen des Gesetzgebers ist bei der Auslegung der noch sehr jungen, quasi noch „druckfrischen" Gesetzesfassung unbedingt bei der Gesetzesanwendung Genüge zu tun, einerlei, wie man bei der Feinabstimmung des Schutzzwecks der Hehlerei letztendlich denkt (vgl. dazu bei Heusinger, Rechtsfindung und Rechtsfortbildung i m Spiegel richterlicher Erfahrung, 1975, S. 97). 10. Auch der vom B G H gezogene Vergleich m i t § 398 AO, dessen Tatbestand ähnlich dem des § 259 StGB gefaßt ist, t r i f f t den K e r n hier nicht. 11. § 398 AO ist i m Verhältnis zu § 259 StGB ein Spezialgesetz, das zur Regelung einer Sondermaterie zwar ähnliche, nicht aber kongruente
7.1. Die Diskussion u m den I n h a l t des Begriffes
„absetzen"143
sozial unerwünschte Verhaltensweise pönalisiert, deren kriminalpolitische Anliegen durchaus unterschiedlich i n Nuancen sein können.
12. Wenn aber schon derjenige, der dem Vortäter nur einen Tip gibt, wie und wo man die Beute absetzen kann, und dadurch Abnehmer vermittelt, als Hehler bestraft wird, weil er „absetzen h i l f t " , dann leistet erst recht derjenige dem Vortäter Hilfe beim Absatz des Hehlgutes, der die Sache gleich selbst i n Kommission übernimmt und den Absatz für den Vortäter erledigt. 13. Eine derartige Hilfe ist für den Vortäter i n der Regel wirksamer und stärker, als wenn der Hehler nur mittut. 14. Der hier naheliegende und sowohl aus der Gesetzesgeschichte als auch von der Gesetzestechnik („oder") her naheliegende Schluß „a maiore ad minus" ergibt: Jedes Absetzen, das ein Nachtäter selbständig für den Vortäter erledigt, ist zugleich eine Absatzhilfe für den Vortäter. 15. Nur das w i r d dem Willen des Gesetzgebers gerecht, der Absatz oder Absatzhilfe als Synonym für M i t w i r k e n beim Absatz gesetzt hat. Eser in: Strafrecht I V : 1. Es wäre kriminalpolitisch wünschenswert, daß das Gesetz für die Vollendung des § 259 ein auf den Absatz gerichtetes Bemühen gelten läßt. 2. Hierfür läßt das Gesetz keinen Raum: Denn ähnlich wie das „Verschaffen" das Erlangen tatsächlicher Verfügungsgewalt (und nicht bloßes Bemühen darum) voraussetzt (A 44), kann vom „Absetzen" erst dann die Rede sein, wenn sich der Hehler der Sache entäußert hat (vgl. Küper, JuS 1975, 635). 3. Dann aber kann für Absatzhilfe nichts anderes gelten, da eine schärfere Erfassung des fremdnützigen Absatzhelfers gegenüber dem eigennützigen Absetzer vom Gesetz schwerlich gewollt sein kann (insoweit ebenso BGHSt 27, 45/51).
144
7. Exkurs 2: Die Auslegung des Begriffes „absetzen" i n § 259 StGB
7.2. Stellungnahmen zur Diskussion
145
7.2. Stellungnahme zur Diskussion Die Diskussion zeigt, daß die Diskutanten m i t unterschiedlichen I n formationstypen, m i t differierenden Deutungen von Informationen und mit anderen Gewichtungsvorstellungen von Informationstypen arbeiten. Das BGH-Urteil vom 26. 5.1976 arbeitet m i t den Regeln des Sprachgebrauchs, dem Regelungsverständnis des historischen Gesetzgebers und m i t Sprachfestlegungen des BGH, die zu den gleichen Tatbestandsmerkmalen, aber i n anderen Gesetzen, getroffen wurden. Das Urteil des B G H vom 4.11.1976, das vom Urteil des B G H vom 6. 5.1976 abweicht, arbeitet zusätzlich m i t den Folgen der diskutierten Auslegungshypothesen. I n der Diskussion der Auslegungshypothesen i n der Literatur werden noch zusätzliche Informationstypen herangezogen. Beurteilt werden die Auslegungshypothesen auch unter dem Gesichtspunkt der K r i m i n a l politik und hinsichtlich allgemeiner Theoriekonstrukte (Resitutionsvereitelungstheorie der Hehlerei). Zunächst zu den Deutungen, hinsichtlich derer Einigkeit besteht. Einigkeit besteht bei den Diskutanten hinsichtlich der Rolle, die die Begriffe „absetzen" und „absetzen helfen" i m Rahmen der Hehlerei spielen. Absetzen soll nur „selbständige" Unterstützungstätigkeiten des Vortäters umfassen, „absetzen helfen" auch die unselbständigen 5 . Die Diskutanten sind sich auch darüber einig, wie die vom Gesetzgeber gezeigte Handlung zu verstehen ist. Der mutmaßliche Wille des Gesetzgebers ist dahingehend zu verstehen, daß der Gesetzgeber an der ursprünglichen Rechtsprechung zum Hehlereitatbestand hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „ M i t w i r k e n zum Absatz" nichts ändern wollte. Konsens besteht zwischen den Diskutanten insofern, als die beiden Tatbestandsmerkmale „absetzen" und „absetzen helfen" entweder beide erfolgsorientiert oder beide nicht erfolgsorientiert zu verstehen sind®. Einigkeit bei den Diskutanten ist insoweit festzustellen, als dann, wenn der Wille des historischen Gesetzgebers klar gegen den möglichen Wortlaut verstößt, er nicht mehr zu beachten ist. I m Schaubild (S. 144) ist Einigkeit dadurch zu erkennen, daß diese Argumente nicht angegriffen werden. 5 Anderer Auffassung w a r w o h l n u r der Generalbundesanwalt, siehe N J W 1976/1699. 6 Anders allerdings die Entscheidung des 3. Strafsenats i n B G H S t 26, 358, die von keinem Diskutanten insofern ernstgenommen w i r d .
10 Schroth
146
7. Exkurs 2: Die Auslegung des Begriffes „absetzen" i n § 259 StGB
Nun zu den Differenzen. Meinungsverschiedenheiten bestehen hinsichtlich der Deutung der semantischen Regeln des Begriffes „absetzen" (vgl. Angriffe auf Argumente 8—14 von B G H 2 StR 634/75, Angriff auf Argument 18 von B G H 4 StR 255/76). Die überwiegende Auffassung i n der Literatur ist i m Gegensatz zum 4. Senat der Meinung, daß der Begriff „absetzen" eine erfolgreiche Übertragungshandlung verlange. Sie sagt allerdings nicht, ob dies daraus folge, daß die natürlichen Sprachregeln eine Übertragungshandlung verlangen, oder ob dies daraus zu schließen sei, daß der Gebrauch des Begriffes „absetzen", nicht erfolgsorientiert verstanden, „unmöglich" sei. Der 4. Senat jedenfalls geht davon aus, daß auch ein nicht erfolgsorientiertes Verständnis des Begriffes „absetzen" möglich sei. Auch hinsichtlich der Regeln der Relevanz von Erfahrungsdaten besteht Uneinigkeit: Der 4. Senat ist der Auffassung, daß ein Tatbestand dann, wenn er nur zur Klarheit i n einzelnen Teilpunkten geändert werde, nicht so sehr nach dem Wortlaut auszulegen ist (Angriff auf Argument 8 durch B G H 4 StR 255/76). Der Zweck der neuen Fassung steht dann i m Vordergrund. Von Franke w i r d diese Relevanzbehauptung bestritten. I n der Literatur w i r d wiederum behauptet, daß der Wille des Gesetzgebers nur dann Beachtung finden könnte, wenn er i m Gesetzeswortlaut angedeutet sei. Meyer dagegen stellt die Behauptung auf, daß der Wille des historischen Gesetzgebers gerade bei noch sehr jungen, quasi druckfrischen Gesetzen eine große Rolle spiele. I n der Literatur w i r d teilweise auch die Auffassung vertreten, daß dann, wenn eine Deliktstruktur eine wortlautnahe Interpretation stütze, der Wille des historischen Gesetzgebers endgültig neutralisiert wird. Umstritten ist auch die Relevanz der Auslegung der gleichen Tatbestandsmerkmale i n anderen Gesetzen. Der 4. Senat jedenfalls geht davon aus, daß diese Interpretationsaussagen nur dann relevant sind, wenn Sinn und Zweck der jeweiligen Vorschriften übereinstimmen. Eine Relevanzbehauptung des B G H w i r d i n der Literatur nicht zum Gegenstand der Diskussion gemacht. Der B G H hat seine Auffassung, daß „absetzen" nicht den Erfolg der Absetzbemühungen verlange, auch damit begründet, daß die Konsequenz dieser Auffassung wäre, daß man sich von der gesetzgeberischen Wertentscheidung entferne (vgl. dazu BGH-Urteil vom 4.11.1976, Argument 30 und 31).
7.2. Stellungnahmen zur Diskussion
147
I n der Literatur scheint die Meinung vorzuherrschen, daß die Frage, ob „absetzen" erfolgsorientiert zu verstehen ist oder nicht, vor allem unter dem Gesichtspunkt des sogenannten Analogieverbotes zu diskutieren sei. Sie geht davon aus, daß der mögliche Wortsinn die Grenze der Auslegung sei und ab diesem die Analogie beginne. Die Literatur hält die Grenze i n dem zu entscheidenden F a l l für verletzt. Sie glaubt, daß „wer absetzt" nur erfolgsorientiert verstanden werden könne. Die Rechtsprechung sieht das zu entscheidende Problem mehr unter dem Gesetzesbindungspostulat. Sie fühlt sich an die Wertentscheidungen des Gesetzgebers gebunden. A n Argument 31 (BGH StR 255/76) zeigt sich, daß der 4. Senat glaubt, m i t einem erfolgsorientierten Verständnis sich zu weit von der gesetzgeberischen Entscheidung zu lösen. Wie sind nun derartige Konflikte zu lösen? Dies kann dadurch geschehen, daß die Voraussetzungen der Argumente näher analysiert werden, und daß die Interessen, die mit Argumenten verbunden sind, abgewogen werden. Zunächst zu den Argumenten, die auf den Willen des historischen Gesetzgebers zurückgreifen. I m Gesetzgebungsverfahren wurde eine Änderung der bisherigen Rechtsprechung nicht diskutiert. I n der amtlichen Begründung wurde aufgeführt, daß die Änderungen des Hehlereitatbestandes nur von untergeordneter Bedeutung sind. Nur von untergeordneter Bedeutung ist, wie es i n den Gesetzesmaterialien heißt, daß der neue Gesetzestext „Absatz" und „absetzen helfen" anstatt der Formulierung „ M i t w i r k e n beim Absatz" verlangt. Damit sollte nur klargestellt werden, daß Hehler auch derjenige ist, der die Sache zwar i m Einverständnis m i t dem Vortäter, aber sonst völlig selbständig auf dessen Rechnung absetzt 7 . Es erscheint unmittelbar plausibel, daß hieraus allgemein der Schluß gezogen wird, daß ein Gesetzgeber, der so handelt, dahingehend zu verstehen ist, daß er die bisherige Rechtsprechung nicht ändern wollte. Wie weit ist nun aber ein derartiges Handlungsverstehen des Gesetzgebers bindend? Nach Meinung eines Teils der Literatur kann es insoweit als bindend angesehen werden, als dieses Handlungsverständnis des Gesetzgebers gegen die Semantik der Rechtsnorm verstößt. Diese Auffassung setzt natürlich voraus, daß der Begriff des Absetzens nach den allgemeinen Gebrauchsregeln nicht nicht-erfolgsorientiert verstanden werden kann. 7
10»
Vgl. dazu B T - D r . VII/550, S. 252.
148
7. Exkurs 2: Die Auslegung des Begriffes „absetzen" i n § 259 StGB
Läßt sich nun tatsächlich behaupten, daß der Begriff „absetzen" verlangt, daß es zum „Absatz" gekommen sein muß? Es ist sicherlich richtig, daß „absetzen" häufiger „erfolgsbezogen" verwendet wird. Kann man aber daraus den Schluß ziehen, daß es ein Fehler ist, „absetzen" nicht erfolgsorientiert zu verwenden? Man kann sicherlich sagen, daß es ungewöhnlicher ist, den Begriff nicht-erfolgsorientiert als erfolgsorientiert zu verwenden. Läßt sich nun aber aus der Hegelmäßigkeit einer Verwendung eines Wortes auf die „Regeln" der Verwendung schließen? M i r erscheint dies fragwürdig. Regelmäßigkeiten zeigen nur, wie man Worte üblicherweise verwendet. Sie zeigen nicht, wann man ein Wort nicht mehr verwenden kann. Weiter: Zu der „angeblichen" Wortlautgrenze kommt man erst über ein zumindest auch von subjektiver Auslegung m i t motiviertes Verständnis der Hehlerei. Die Hehlerei verlangt nämlich das einverständliche Zusammenwirken des Hehlers mit dem Vortäter. Wirken Hehler und Vortäter aber einverständlich zusammen, so h i l f t auch der „selbständig" Handelnde dem Vortäter. Es ließe sich also genauso gut behaupten, daß derjenige, der selbständig i m einverständlichen Zusammenwirken m i t dem Vortäter sich u m den Absatz bemüht, „Absatzhilfe" i m Sinne von § 259 StGB leistet. „Absatzhilfe" wäre dann die „ A u f fang- Alternati ve" der „Absatzhandlungen". Würde man die Alternativen „absetzen" und „Absatzhilfe" derartig verstehen, so hätte man keine Schwierigkeiten m i t der „Semantik" der Hehlerei. Die nicht gelungenen „Absatzbemühungen" könnte man dann unter die Tatbestandsalternative „Absatzhilfe" subsumieren. Der Begriff „Absatzhilfe" setzt zweifelsfrei nicht voraus, daß ein „Absatzerfolg" zustande kam. Man wählt aber diese Auffassung nicht, da, wie sich aus den Materialien deutlich ergibt, der Gesetzgeber „absetzen" auf selbständige Tätigkeiten angewendet wissen wollte, „Absatzhilfe" auf die unselbständigen Tätigkeiten. Diese Auffassung dürfte auch praktikabler sein. Entsteht nun aber das Problem der Wortlautgrenze erst durch eine spezifische Interpretation eines Tatbestandes, so kann sie nicht als entscheidend angesehen werden. Das Vertrauensinteresse bei der Auslegung, das mit der Wortlautgrenze geschützt wird, verlangt nur, daß eine Rechtsauffassung i m Rahmen des Gesetzes liegt. Der Rechtsunterworfene muß die Möglichkeit haben, aus dem Gesetz zu erfahren, ob sein Verhalten strafbar ist oder nicht. Diese Möglichkeit hat er aber, wenn der Nachweis gelingt, daß eine Auslegungshypothese auf irgendeine Weise mit den Normalverwendungsregeln der Sprache, die eine Norm benutzt, übereinstimmt.
7.2. Stellungnahmen zur Diskussion
149
Nun zur Relevanz subjektiver Auslegung gerade i n diesem Fall. Wie bereits dargelegt, ist die Bindung an Recht und Gesetz als relative Bindung an die gesetzgeberische Wertentscheidung zu verstehen. Das Interesse an Authenzität ist dabei m i t anderen Interessen, die i m Rechtsanwendungsprozeß virulent werden, abzuwägen. Der Bundesgerichtshof steht auf dem Standpunkt, daß dann, wenn Gesetze nur zur Klarstellung geändert werden, dem Regelungsverständnis des Gesetzgebers eine besondere Bedeutung zukomme. Diese Auffassung des Bundesgerichtshofs w i r d dann plausibel, wenn man Gesetzesanwendung und Gesetzgebung i n einem Kommunikationsprozeß sieht. A u f gabe von Obergerichten ist es sicherlich, für das Rechtsleben richtunggebend eine einheitliche Rechtsprechung zu entwickeln 8 . Obergerichtliche Rechtsprechung soll deshalb auch nur dann von anderer Rechtsprechung abweichen, wenn wirklich auch die besseren Gründe für eine Rechtsprechungsänderung sprechen. Es ist nun sicherlich das generelle Recht des Gesetzgebers, spezifische einheitliche Rechtsprechungen aufzubrechen. Wenn es nun aber eine einheitliche Rechtsprechung von Obergerichten gibt, und ein Gesetz nur zur Klarstellung geändert w i r d so bedeutet dies, daß die Gesetzgebung die Rechtsprechung nicht etwa ändern, sondern bestätigen w i l l . Derartigen Bestätigungshandlungen des Gesetzgebers w i r d vom B G H zu Recht eine besondere Bedeutung beigemessen. Nun zu der Behauptung, daß dem „Willen des Gesetzgebers" bei jungen Gesetzen eine besondere Relevanz zukäme. Der B G H läßt auch i n vielen anderen Entscheidungen erkennen, daß er dieser Auffassung zustimmt. Diese Auffassung erscheint auch adäquat, da gerade bei jungen Gesetzen davon ausgegangen werden muß, daß noch kein „Fortbildungsinteresse" besteht. Gerade bei jungen Gesetzen ist anzunehmen, daß der Gesetzgeber die i n der heutigen Gesellschaft vorhandenen Interessen analysiert und abgewogen hat. Die Wertentscheidung des Gesetzgebers ist dann als „legitimierte" Wertentscheidung zu akzeptieren. Kann nun die Deliktsstruktur das Regelungsverständnis des Gesetzgebers neutralisieren? Küper ist der Auffassung, daß das spezifische Unrecht der Hehlerei darin liegt, daß der Hehler eine auf einem Vermögensdelikt beruhende rechtswidrige Besitzposition durch die Verschiebung der Beute i n die nächste Hand perpetuiert. Er meint, daß diese Unrechtsstruktur dazu führt, Hehlhandlungen „erfolgsgebunden" zu verstehen. Nur i n diesen Fällen w i r d die Beute tatsächlich i n die nächste Hand übertragen. Frag8
Vgl. dazu B A G 12, 78.
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7. Exkurs 2: Die Auslegung des Begriffes „absetzen" i n § 259 StGB
lieh an dieser Argumentation ist jedoch, woraus die Perpetuierungstheorie i n Form der Restitutionsvereitelungstheorie ihre Legitimation erfährt. Dies ist insbesondere deshalb problematisch, da die Restitutionsvereitelungstheorie eine sehr fragwürdige Kennzeichnung des Unrechts der Hehlerei trifft. I m Normalfall ist es durchaus nicht so, daß durch Hehlhandlungen das Opfer der Vortat regelmäßig schlechter gestellt wird. Häufig ist es erst durch Hehlhandlungen möglich, daß das Opfer der Vortat wieder an seine Sachen gelangt. Ist dies aber richtig und kommt es trotzdem i m Rahmen der Feststellung, ob Hehlerei vorliegt oder nicht, nicht darauf an, ob die Vermögenslage verschlechtert wird, so liegt der positive Unrechtsgehalt auch nicht i n der Verschlechterung der Vermögenslage durch Weiterschieben i n die nächste Hand. Der eigentliche Grund der Bestrafung der Hehlerei dürfte dann darin liegen, Anreize für künftige Straftaten abschneiden zu wollen 9 . Von hier aus erscheint es jedoch plausibel, nicht den Erfolg des Begriffes „absetzen" i n § 259 StGB zu verlangen. Außerdem: M i t der Restitutionsvereitelungstheorie w i r d die gesetzgeberische Wertentscheidung, wie der B G H richtig vermerkt, auch insofern verlassen, als sie dazu führt, auch „Absatzhilfe" erfolgsorientiert zu verstehen. Führen Verallgemeinerungsvorstellungen von Rechtsnormen zu erheblicher Distanz von der gesetzgeberischen Entscheidung, so erscheinen diese auch unter diesem Aspekt besonders legitimationsbedürftig. Unklar ist jedoch, woher die Restitutionsvereitelungstheorie ihre Legitimation erfahren soll. Man könnte nun jedoch wie folgt argumentieren: W i r d wie hier der eigentliche Sinn der Hehlerei darin gesehen, Anreize für künftige Straftaten abschneiden zu wollen, so ist m i t dieser Auffassung die gesetzgeberische Wertentscheidung ebenfalls verlassen. Der Gesetzgeber wollte nämlich i m Tatbestand der Hehlerei die Perpetuierungstheorie zugrunde legen 10 . Jedoch schließt das hier gegebene Verständnis des Sinnes der Hehlerei die Perpetuierungstheorie nicht aus. Die Perpetuierungstheorie ist nämlich i m eigentlichen Sinne keine Theorie, die „Inanspruchnahme"-Interessen des Staates artikuliert, sondern „Schutzinteressen" der Rechtsunterworfenen. Soweit formuliert wird, daß i n der Aufrechterhaltung der durch die Vortat geschaffenen rechtswidrigen Vermögenslage der eigentliche Unrechtsgehalt der Hehlerei liege und somit Hehlerei ein Vermögensdelikt sei, w i r d ein „ Inanspruchnahme"Interesse des Staates nur vorgetäuscht. Fraglich ist bereits, was denn an der Perpetuierung vermögensschädlich sein solle. Soweit formuliert wird, daß über die Perpetuierung die rechtswidrige Vermögenslage vertieft werde, ist unklar, was dies überhaupt heißen soll. Der Rechtswidrigkeitsbegriff eignet sich nicht, Graduierungen vorzunehmen. So9 10
Arzt, 1981, S. 15; Miehe, 1970, S. 112. Vgl. dazu Kap. 6.4.
7.2. Stellungnahmen zur Diskussion
151
weit mit solchen Formulierungen gesagt werden soll, daß das Opfer nunmehr nur geringere Chancen hat, die Sache zurückzuerhalten, widerspricht diese Aussage kriminalistischer Erfahrung. Wie gerade die dargestellte Gesetzesgeschichte der Hehlerei zeigt, wurde m i t der Perpetuierungstheorie versucht, die Strafbarkeit wegen Hehlerei einzugrenzen 11 . Der Gesetzgeber hat i n der Großen Strafrechtskommission auch die Perpetuierungstheorie genau unter diesem Aspekt diskutiert. Der Großen Strafrechtskommission schien die Perpetuierungstheorie als Grundlage des Hehlereitatbestandes die Strafbarkeit zu weit einzugrenzen. Sie sah sich daher veranlaßt, noch zusätzliche Tatbestände zu schaffen, der die Perpetuierungstheorie nicht zugrunde liegt. Sie w u r den jedoch vom Gesetzgeber nicht übernommen. Aus dem Gesichtspunkt der gesetzgeberischen Entscheidung ist es daher auch nur angemessen, die Perpetuierungstheorie als Theorie zu verstehen, die „Schutzinteressen" des Bürgers virulent werden läßt, zu welchen Konsequenzen sie dann führt, wurde bereits dargestellt 12 . Nun zum Ertrag dieser Diskussion für subjektive Auslegung. Zunächst zeigt diese Diskussion, daß über den Willen des Gesetzgebers Einigkeit bestehen kann, nicht aber über die Frage, wie Sachprobleme zu lösen sind. Die Einigkeit dürfte darauf zurückzuführen sein, daß dann, wenn eine kontinuierliche obergerichtliche Rechtsprechung besteht und sich aus der Reformgeschichte keinerlei Hinweise darauf ergeben, daß diese geändert werden sollte, der Gesetzgeber dahingehend zu verstehen ist, daß diese nicht geändert werden sollte. Dies zumindest dann, wenn ausdrücklich ausgeführt wird, daß die Änderungen mit Neufassung des Gesetzes unwesentlich sind und nur der Klarstellung dienen. Weiter zeigt sich i n dieser Diskussion, daß die Abwägungsprobleme subjektiver Auslegung mit anderen Interpretationsüberlegungen vielschichtig sind. Jedenfalls sollte die Abwägung transparent erfolgen. F ü r die Abwägung sind Abwägungsleitlinien erforderlich. Jedoch zeigen sich i n konkreter Fallgestaltung, daß bei der Abwägung auch viele einzelfallbezogene Momente eine Rolle spielen. Die Einzelfallbezogenheit zeigt sich besonders darin, daß i m konkreten Fall immer auch beurteilt werden muß, wieweit man sich mit bestimmten Auslegungshypothesen von der Entscheidung des Gesetzgebers entfernt. Je weiter sich der Interpret entfernt, u m so mehr muß er an „Begründungslast" übernehmen.
11 12
Vgl. Kap. 6.2. Vgl. Kap. 6.3.
8. Zusammenfassung der Hauptthesen der Arbeit 1. Die Bedeutung von Normen konstituiert sich über deren Gebrauch. 2. Die Gebrauchstheorie der Bedeutung schließt subjektive Auslegung nicht aus, sie legt es jedoch nahe, subjektive Auslegung konventional zu sehen. 3. Aus dem allgemeinen Verhältnis von Autor und Text lassen sich weder Argumente „ f ü r " noch „gegen" subjektive Auslegung herleiten. 4. Innerhalb des Auslegungsprozesses sind die folgenden Momente zu unterscheiden: — Feststellung der Auslegungsbedürftigkeit, — (Er)Findung von Auslegungshypothesen, — Überprüfung von Auslegungshypothesen, — Darstellung der Entscheidung für eine Auslegungshypothese. 5. Subjektive Auslegung hat die Funktion, das Authenzitätsinteresse bei der Überprüfung von Auslegungshypothesen zu wahren. Wieweit dieses zu wahren ist, ist je nach Eigenart des Textes normativ zu beantworten. 6. Die Funktion und Rolle subjektiver Auslegung ist bisher ungenügend bestimmt, da nicht differenziert w i r d zwischen dem, was Bezugspunkt subjektiver Auslegung ist, wie sie möglich und inwieweit sie normativ verbindlich ist. 7. Bezugspunkt subjektiver Auslegung ist weder der wahre Sinn des Gesetzes noch der psychologisch verstandene Wille des Gesetzes, sondern die vom Gesetzgeber gezeigte Handlung. 8. 1. Verstanden w i r d die Handlung, u m ein (mutmaßliches) Gesetzesinhaltsverständnis des Gesetzgebers herauszuarbeiten. 8. 2. Verstanden werden soll aber auch die vom Gesetzgeber antizipierte Bewertungsnorm, die der imperativen Bestimmung zugrunde liegt. 9. Möglich ist subjektive Auslegung, da es gemeinsame Kriterien gibt, die es erlauben, daß aufgrund der vom Gesetzgeber gezeigten Handlung diesem ein „Wille" zugeschrieben wird. Die Selbstzuschreibungen des Gesetzgebers spielen dabei eine wichtige Rolle.
8. Zusammenfassung der Hauptthesen der A r b e i t
153
10. Möglich ist subjektive Auslegung, soweit die Rechtsanwendenden über ein gemeinsames Handlungsmodell des Gesetzgebers verfügen, soweit sie wissen, welches konkrete Problem der Gesetzgeber m i t seiner Norm lösen wollte. 11. I n der Praxis obergerichtlicher Rechtsanwendung läßt sich ein enorm hoher A n t e i l subjektiver Argumente feststellen. Allerdings w i r d nicht sehr häufig konsonant subjektiv argumentiert. 12. Es liegt nahe zu sagen, obergerichtliche Rechtsprechung spreche subjektiver Auslegung eine Teil Verbindlichkeit zu. 13. Aus dem Gesetzesbindungspostulat folgt nach Auffassung des Verfassers nicht, daß Auslegung nur subjektiv erfolgen dürfe. Vielmehr sind hiernach Rechtsanwender und Gesetzgeber als i n Kommunikation befindlich anzusehen. 14. Daraus folgt zunächst, daß der Rechtsanwendende nur transparent von der Entscheidung des Gesetzgebers abweichen darf, nur dann kann der Rechtsanwendende nämlich wiederum transparent vom Gesetzgeber korrigiert werden. 15. Allerdings ist aus dem Gesetzesbindungspostulat zu folgern, daß eine Teilverbindlichkeit subjektiver Auslegung besteht. 16. Die Frage, inwieweit subjektiver Auslegung Verbindlichkeit zukommt, ist einzelfallbezogen, nach Abwägungsleitlinien zu entscheiden. 17. Der „ n u l l u m crimen"-Grundsatz ist als Familienähnlichkeitsprädikat zu verstehen. Er verbietet jedenfalls die straf gerichtliche Entscheidung, die gegen klar feststellbare Gesetzesinhaltsvorstellungen und Bewertungsvorstellungen des Gesetzgebers zu Ungunsten des Angeklagten verstößt.
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